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Brandeis University
Library
Gift of
a Life meniber of the
National Women's Committee
Brandeis University
lusikallsclies
CONVEßSATIONS-LEXIKON.
Eine Enc} klopädie
der
gesatnmten musikalischen Wissenschaften.
Für Gebildete aller Stände,
unter Mitwirkung
der
fitcrarifificu fioniuiiffiou des Uevtinci" l'0U^iui|lfcrt)ereiji8,
sowie
der Herren Musikdir, C. Billei't, Gustos A. Dörifel, Kapellmeister Prof. Doru,
Prof. G. Engel, Direktor Oevaert, L. Hartmann, Dr. F. Hiiffer, Prof. F. W.
Jahns, Dr. W. Langhans, Professor E. Mach, Professor Dr. E. Naumann,
Dr. Oscar Paul, A. Reissraann, Prof. E. F. Richter, Prof. W. H. Riehl,
Musikdirektor Dr. W. Rust, Geh. Eatli Schlecht, 0. Tlersch, Direktor
L. Wandelt, Dr. H. Zopff u. s. w., u. s. w.
bearbeitet und herausgegeben
von
Hermann Mendel.
Vierter Band.
BERLIN,
Verlag von Robert Oppenheim.
1874.
MLiöO
Fortschreituug.
1
Fortsclireitiiug". (Schluss des in Bd. III begonnenen Art.). Wie aus meinen
Artikeln: Auflösung, Cadeuz, Consonanz, Verwandtschaft der Klänge
(s. d.) hei-vorgeht, nehme ich zwei Arten von Tonverwandtschaft an. Nach meiner
Bezeichnung, die sich aber nur anderen Benennungen anschliesst, sind dieses l.die
»harmonische Tonverwandtschaft«, 2. die »Verwandtschaft durch Nachbarschaft in
der Tonhöhe« (nach Helmholtz). Harmonisch verwandt sind zwei Töne, wenn das
Ohr zur Bestimmung des zweiten Tones von dem ersten Tone aus die drei
Grundintervalle (reine Octave, reine Quinte und grosse Terz) einzeln oder in
Verbindung mit einander abzumessen hat. So lassen sich die Töne in den Bei-
spielen bei a als harmonisch verwandt nachweisen. — Durch Nachbarschaft da-
gegen sind zwei Töne verwandt, wenn dieselben, wie in den Beisp. bei &, nur einen
Halbton oder höchstens einen Ganzton von einander entfernt sind, wobei die ge-
ringere Entfernung der engeren Verwandtschaft entspricht. Die Verwandtschaft
durch Nachbarschaft in der Tonhöhe wird für sich nur erkannt von Hörern, deren
Ohren an derartige Schritte durch häufiges Anhören gewöhnt sind, sie vermag aber
bei andern Hörern harmonisch verwandte Töne noch enger zu verbinden. Die
harmonische Tonverwandtschaft ist um so leichter erkennbar, also um so enger, je
einfachere Verbindungen der Grundintervalle das Gehör abzumessen hat, und je
mehr diejenigen Töne im Ohr liegen, von denen aus jene Intervalle abzumessen
sind. Nur verwandte Klänge können einander unmittelbar folgen, wenn eine F.
nicht als ein jäher, unvermittelter Sprung empfunden werden soll. Sobald das
Ohr nicht durch vorausgehende und folgende Töne oder durch die Begleitung daran
gellindert wird, so stützt sich dasselbe immer auf diejenige Art der Verwandtschaft,
welche es am leichtesten erkennt. Andererseits misst es aber auch alle Intervalle
so lange von ein und demselben Tone ab, so lange ihm dies überhaupt möglich ist.
Diese Sätze ergeben sich als einfache Schlüsse ganz von selbst und bedürfen daher
keines weiteren Beweises. Aus ihnen folgt aber Alles, was über die melodischen
und harmonischen F.n gesagt werden kann, als einfachste Consequenz. Es gilt
dies dann für Tonsysteme mit richtigen Quinten und Terzen ebenso wie für
alle an sich berechtigten temperirten Tonsysteme.
a.
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Ueber melodische F.n ergiebt sich nun folgendes: Melodische F.n erscheinen nur
unter folgenden Bedingungen als zusammenhängend: 1. wenn zwei harmonisch
verwandte Töne einander folgen, 2. wenn die F. aus zwei durch Nachbarschaft
in der Tonhöhe mit einander verwandten Tönen besteht, 3. wenn zwischen zwei
harmonisch verwandten Tönen solche Töne eingefügt werden, die mit beiden
Tönen oder wenigstens mit dem zweiten Tone durch Nachbarschaft verwandt
sind. Das Letztere ist nur gestattet, wenn die beiden harmonisch verwandten
Töne, zwischen denen die andern Töne liegen, sehr nahe mit einander verwandt
sind; überhaupt dürfen durch Nachbarschaft verwandte Töne in einem Tonstücke
nur vorkommen in Verbindung mit solchen Tönen, deren Erscheinen sich auf
die harmonische Verwandtschaft gründet. — Die harmonische Verwandtschaft
zwischen den Tönen einer melodischen F. ist entweder eine »direkte« oder eine
»mittelbare«. Direkt verwandt sind zwei Töne, wenn sie beide Bestandtheile
eines und desselben Grundintervalls sind (d); mittelbar verwandt sind zwei Töne,
wenn beide Töne mit demselben dritten Tone direkt oder mittelbar verwandt
sind (h).
a. b.
355
Huäik
n. IV.
6'?'683
Povtschreitung.
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Die direkte Verwandt scliaft ist am leichtesten zu erkennen, und zwar ist die
Octavvcrwandtschaf't die nächste, die Quintverwandtscliaft die folgende und die
Terzverwandtscliai't die fernste. Die mittelbare Verwandtscliaft ist um so leichter
zu erkennen, je kleiner die Zahl derjenigen Intervalle ist, welche das Ohr ab-
zumesseu hat. Das Ahmessen der Octave maclit keine Schwierigkeit; demnach
hiliiirt der Grad der Verwandtschaft im Wesentlichen nur von der Zahl der ah-
zumessenden Quinten und Terzen ab, und zwar ist die durch Quinten vermittelte
Verwandtscliaft auch hier enger, als wenn Terzen abgemessen werden müssen.
Hiernach würden sich die möglichen mittelbaren F.n in Beziehung auf ihre
einfachste Vermittelung nach dem Grade der Verwandtschaft so ordnen, wie es
die folgende Uebersicht angibt. Jeder Schritt ist nur nach einer Richtung ge-
geben, weil die Umkehrung jedes Schrittes nur die Richtung der abzximessenden
Intervalle umkehrt, aber nicht ihre Zahl vermehrt.
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1^
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Nun wirken aber verschiedene Bedingungen darauf ein, diese Reihenfolge abzu-
ändern. Zunächst kann die Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Ton-
höhe zwei harmonisch nur fernverwandte Töne als näher verwandt erscheinen
lassen. So sind die Töne bei Ganz- und Halbtonschritteu viel näher verwandt
als bei allen Erweiterungen jener Schritte (kleine und grosse Septime uud None).
Ferner werden weitere Schritte meist so klingen, als folgten die Töne eines
Zusammenklanges direkt auf einander; aus diesem Grunde müssen Schritte in
verminderten und übermässigen Octaven fast immer wie falsch klingen, und auch
der Schritt einer übermässigen Quinte darf nur mit grosser Vorsicht gebraucht
werden. Dann können fernverwandte Töne auch dadurch in jiäherer Verwandt-
schaft zu stehen scheinen, dass einer derselben nur enharmonisch verschieden ist
von einem Tone, welcher in näherer Verwandtschaft zu dem andern Tone des
betreffenden Schrittes steht; so können as — e^, as — h, h — as^,e — as unter Um-
ständen wie yis — e^, fjis — //, h — gis^, e—gis resp. wie as—fes^, as — ces^, ces^ — as^,
fes — as wirken. Endlich aber und vor allen Dingen hängt die Verständlichkeit
eines Schrittes auch davon ab, ob die Töne, von denen aus die Intervalle abzu-
messen sind, sehr im Ohr liegen, oder nicht. Deshalb ist der Charakter eines und
desselben Schrittes in Tonstücken oft ein sehr verschiedener. Es sind nämlich neben
der einfachsten Vermittelung eines Schrittes oft noch verschiedene andere Ver-
mittelungen möglich. So lässt der Secundenschrittc — (/folgende Vei-mittelungen zu:
Fortschreitung.
-^ —
_^_
1i=5S
u. s. f.
"Welche von diesen Yermittelungen das Ohr auffasst, das hängt nun davon ab,
welche Töne ihm am meisten gegenwärtig sind, welche Töne also in den vor-
anfgehenden und folgenden Tonfolgen oder in der etwaigen Begleitung besonders
hervortreten. Wird das Ohr durch nichts davon abgehalten, so legt es immer
die einfachste Vermittelung zu Grunde, und diese findet hier am Tone y statt,
da (j mit c und (/ so gut wie direkt verwandt ist. In andern Fällen, wenn
z. B. a, e oder f vielmehr im Ohr liegen als </, so zieht dieses eine ferner liegende
Yermittelung jener einfachen vor. Ueberhaupt erschwert ein zu häufiger Wechsel
der Töne, von denen aus die Intervalle abzumessen sind, das Erkennen der
Verwandtschaft sehr. Eine längere Reihe von melodischen Schritten hat des-
halb nur wirklich einheitlichen Charakter, wenn die vermittelnden Intervalle
alle von demselben Tone oder von nahe verwandten Tönen aus gemessen werden
können. Bei F.n zwischen den unter a angegebenen Tönen können alle Inter-
valle von dem Tone g aus abgemessen werden ; bei F.n zwischen den Tönen
der Beispiele h resp. e sind es die nahe verwandten Töne c—g, resp. c — e—g
und c — es—g, von denen aus die vermittelnden Intervalle abzumessen sind.
Wenn sich eine Melodie in den Tönen dieser Leitern bewegt, so können alle
Schritte an ein und demselben Tone oder doch an nahe verwandten und sehr
im Ohr liegenden Tönen vermittelt werden; die Töne einer solchen Melodie
bilden also gewissermassen eine Tonfamilie. Die Leitern bei a und b sind die
sogenannten »fünfstufigen Leitern«, welche in der Volksmusik einzelner Nationen
ausschliesslich im Gebrauch sind ; die Leitern bei c sind unsere Dur- und Moll-
tonartleiter. Von selbst erklärt sich, warum diese Leitern eine Grundlage für
melodische F.n bilden müssen. (Siehe auch Tonart.)
c.
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In solchen Fällen nun können Schritte von gleicher Grösse doch sehr verschie-
dene Vermittelungen haben; der Grad der Verständlichkeit kann daher bei gleich
grossen Schritten noch sehr verschieden sein, und demnach auch Charakter
und Wirkung. Die Ganztonschritte (a) von der ersten zur zweiten Stufe (in
0-dur und C-moll der Schritt c — d) und von der fünften zur vierten Stufe (in
C-dur und C-moll: g — f) sind leichter verständlich, als die gleichgrossen Schritte
von der 2. zur 3. und von der 5. zur 6. Stufe in Dur (d—e, g — a) resp. von
der 3. zur 4. Stufe in Moll (es—f), weil in den letzteren Schritten mehr In-
tervalle abzumessen sind, als in den ersten ; noch schwieriger ist dieser Schritt
von der 6. zur 7. Stufe in Dur (a — h), weil die Intervalle von nicht sehr im
Ohr liegenden Tönen aus abzumessen sind. Aus ganz ähnlichen Gründen sind
die Halbtonschritte (b) zwischen der 3. und 4. Stufe in Dur {e—J) resp. von
der 2. zur 3. und der 5. zur 6. Stufe in Moll {d—es, g — as) viel leichter ver-
ständlich, als zwischen der 7. und 8. Stufe (k~-e^) namentlich in der Folge
6., 7., 8. (a — h — e^). Aehnlich verhält es sich mit allen anderen F.n. Hieraus
ergiebt sich, wie thörigt viele Gesanglehrer handeln, wenn sie ihre Uebungen
nach Intervallen abstufen. Am schwersten verständlich sind auch hier die F.n
in verminderten und übermässigen Intervallen (c). Deshalb gelten solche Schritte
bei den meisten Theoretikern für unmelodisch, selbst wenn sie aus diatonischen
1*
Fortschreitnng.
Tönen bestehen. Sie sind aber nach meinen Auseinandersetzungen durchaus nicht
unmelüdisch, sondern nur schwer verständlicli und daher in einfacher und leicht
sangbarer Musik möglichst zu meiden, wenn sie nicht als Ausdrucksmittel noth-
wendig
sind.
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Zu der harmonischen Verwandtschaft tritt nun noch mitunter die Verwandt-
schaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe; zwei harmonisch verwandte Töne
erscheinen dadurch enger verwandt, als es nacli ihrer Vermittelung der Fall
sein könnte. Daraus folgt, dass die stufenweise F. das Natürlichere ist, und
dass man bei Anwendung von Sjirüngen viel vorsichtiger sein muss (siehe
»Springende Bewegung«), — Zwischen diesen diatonischen Tönen können nun
auch noch andere nicht diatonische Töne auftreten. So führte man zur Um-
gehung des fremdartigen Schrittes zwischen der 6. und 7. Stufe in Moll (as^ — h^)
aufwärts eine erhöhte sechste Stufe (a^), abwärts eine vei'tiefte siebente Stufe
(h^) ein, indem man aufwärts zwischen .'3 u. 7, abwärts zwischen 8 und 6 einen
Durchgangston (s. d.) einfügte. Dadurch entstand die sogenannte alte (auch
wohl »melodische«) Molltonartleiter. Auf ähnliche Weise entstehen die chro-
matische Scala und überhaupt alle chromatischen F.n. Hieraus ergiebt sich
eine zweite Grundlage für melodische F.n. Näheres über die Einfügung von
Durchgängen, Neben-, Hülfs- und Zwischentönen findet man in den specielleren
Artikeln. — Eine Melodie kann aber auch aus einer Verbindung gebrochener
Accorde entstehen, und hieraus ergiebt sich eine dritte Grundlage für melodische
F.n. Hierbei sind auch die Bedingungen der harmonischen F. zu beachten.
Näheres gehört in die Artikel: Harmonische Figuration, Harmonische
Brechung, Stimmige Brechung. — Was nun die Lehre von den harmo-
nischen F.n anlangt, so ergiebt sich aus meiner Auffassung Alles in ebenso un-
gezwungener und natürlicher Weise, wie in Beziehung auf die melodischen F.n.
Zwei Accorde .sind verwandt, wenn die Töne des zweiten Accordes von den
Tönen des ersten Accordes aus durch das Abmessen von Grundintervallen auf-
zufinden sind. Der Grad der Verwandtschaft hängt auch hier ab von der Zahl
der abzumessenden Intervalle und davon, ob diejenigen Töne, von denen aus
die vermittelnden Intervalle abgemessen werden müssen, sehr im Ohr liegen,
oder schwer zu finden sind. Im Wesentlichen sind auch hier nur die abzu-
messenden Quinten und Terzen zu beachten. Bei den Schritten zwischen con-
sonirenden Accorden finden sich zunächst zwei Gruppen: I. die Intervalle sind
von vorhandenen Tönen abzumessen, II. sie sind von erst zu suchenden Tönen
aus abzumessen. In der ersten Gruppe würden sich die F.n wie bei a, b und c
nach dem Grade der Verständlichkeit (Verwandtschaft) anordnen lassen, indem
*die Intervalle abzumessen sind 1. von hervortretenden vorhandenen Tönen (a),
2. von weniger hervortretenden vorhandenen Tönen (b), 3. nur thcilweise von
vorhandenen Tönen (c). In der zweiten Gruppe könnte man zwei Fälle unter-
scheiden, iudem 1. beide Intervalle von dem gefundenen Tone aus abgemessen
werden (d), 2. für das zweite Intervall erst noch der Ausgangston zu suchen
ist (e). Dass der Unterschied zwischen den F.n der ersten und der zweiten
Gruppe ein sehr grosser sein muss, ergiebt sich von selbst. Die Reihenfolge
in den einzelnen Gruppen und in den einzelnen Theilen dieser Gruppen ist
natürlich nicht unbedingt massgebend in Beziehung auf die Grade der Ver-
wandtschaft, da verschiedene Bedingungen verändernd einwirken können, wie
Fortschreitung.
z. B. Verwandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe, enharmonische Ver-
schiedenheit u. s. f.
A. Schritte von einem Duraccorde aus
c.
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B. Schritte von einem Mollaccorde aus:
b.
Von zwei enharmonisch verschiedenen Accorden ist immer nur einer aufgeführt,
und zwar derjenige, bei dem die Vermittelung am leichtesten erkennbar ist. —
In ähnlicher Weise erklären sich die F.n von und zu dissonirenden Accorden
(s. Consonanz und Dissonanz), von denen die leicht verständlichen Schritte
als Vorbereitungen und Auflösungen (s. d.) besonders besprochen sind.
Eine Anordnung aller möglichen " Schritte von und zu den Dissonanzen nach
dem Grade der Verständlichkeit würde hier zu weit führen und noch viel weniger
massgebend sein können, als bei den Verbindungen zwischen consonirenden
Accorden. Näheres findet man übrigens noch unter Harmonieschritt und
in des Verf. »System und Methode der Harmonielehre«. — Auf die harmoni-
schen F.n haben nun ebenfalls noch verschiedene Umstände einen bedingenden .
und verändernden Einfluss. So kann ein an sich schwer verständlicher Schritt
dadurch sehr leicht verständlich sein, dass die einzelnen Töne beider Accorde
durch Nachbarschaft in der Tonhöhe verwandt sind. Die E. bei a ist an sich
schwer verständlich; weil aber jeder Ton des zweiten Accordes ein Nachbarton
zu einem Tone des ersten Accordes ist und umgekehrt, so klingt die E. viel
weniger hart. Zwei Accorde werden also inniger verbunden, wenn die Ver-
wandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe möglichst ausreichend mit
benutzt wird. Dieses ist besonders bei fernverwandten Accorden nothwendig.
Hieraus gingen verschiedene Stimmführungsregeln (s. d.) hervor, und
namentlich war dieser Umstand die Ursache zum Vei-bote der Quintenparal-
Fortschreitung.
lelen (s. d.). — Ferner kann zwischen zwei nahe verwandten Accorden ein
Zusammenklang eingeschoben werden, der nur oder doch theilweise durch blosse
Nachbartöne entsteht (s. Beispiel h III. Bd. S. 290). Diese Zusammenklänge
können zunillig die Gestalt wirklicher Accorde annehmen, und so ergeben sich
neue F.u und neue Erklärungen für bekannte F.u. Diese Zahl der Möglich-
keiten wird noch vermehrt dadurch, dass ein Hauptton zum Nebenton (ft), oder
ein Nebenton zum Hauptton gemacht werden kann (c). Hierüber findet man
in den Artikeln Nachbartöne, Durchgang*), Neben-, Hülfs- und Zwi-
schen töne das Nähere. -- Es bleibt nur noch zu erwähnen, dass unter Be-
dingungen, aber auch nur unter diesen Bedingungen, alle möglichen F.u ge-
stattet sind.
b.
(Beeth., Op. 35.)
k
^^^^|^=l3pl^^Ö
c. (Rieh. Wagner, Lohengrin).
Der Dei
ne
<
^1
Bä-T
m
11
Bei einer Folge von mehreren Accorden gilt nun ganz dasselbe, was in Be-
zieliung auf eine längere Reihe von melodischen F.n zu sagen war. Auch hier
hält das Ohr den Ton, von dem aus die vei'mittelnden Intervalle abzumessen
sind, so lange als möglich fest, und deshalb lässt auch hier ein und derselbe
Schritt unter verschiedenen Bedingungen verschiedene Vermittelungen zu, und
er hat verschiedenen Charakter. Wenn nun in einem mehrstimmigen Satze die
Verwandtschaft zwischen allen Accorden sich dadurch erkennen lässt, dass das
Ohr die Grundiutervalle alle von den Tönen eines und desselben Dreiklanges
aus abzumessen hat (s. Tonart), so wird eine Tonart harmonisch zur Dar-
stellung gebracht. Dieses ist nur möglich, wenn alle vorkommenden Accorde
aus Tönen der Tonartleiter bestehen, also leitereigene Accorde sind. Für C-dur
würden sich die Schritte zwischen consonirenden Accorden nach dem Grade
der Verständlichkeit etwa wie folgt anordnen lassen.
P
-m^
cra s=;-
-S2-
S--
m
i
¥
gju.
s. f.
Die vier ersten Schritte heissen auch Cadenzen (s. d.). Ueber die einfachsten
*) Für die in don Beispielen dieses ^Lrükels stehen gebliebenen Druckfehler bitte ich
mich nicht veiantwoitlich zu machen, da ich durch besondere Verhältnisse an derLisung
der Correctui- verhindert war. 1'«
Fortuila — Fortuni. 7
Schritte von und zu den Dissonanzen einer Tonart sind die Artikel Auf-
lösung, Cadenz, Consonanz und Dissonanz und Vorbereitung nach-
zulesen. Otto Tiersch.
Fortoila, Jean, französischer Tonkünstler des 15. Jahrhunderts, von dessen
Comj^ositionen ein vierstimmiger Chanson erhalten geblieben ist.
Fortuuati, Giovanni Francesco, italienischer Gomponist besonders von
Opern, geboren am 24. Febr. 1746 zu Parma, widmete sich schon als Knabe
dem eingehenderen Studium der Musik und zwar zuerst bei Nicolini, dem Vater
des nachmals berühmt gewordenen Operncomponisten gleichen Namens. Von
den Eltern jedoch zum Advocaten bestimmt, musste F. bei den Jesuiten und
Bencdictinern die höheren "Wissenschaften tractiren, bis der Hof von Parma
für seine Musikueigung eintrat und ihn drei Jahre lang beim Pater Martini
in Bologna Composition und Contrapunkt studiren liess. Mit seiner Erstlings-
oper »J cacciatori e la vendilatte<.<. legitimirte er 1769 zu Parma den Erfolg
dieses Studienaufenthalts in befriedigender Art und wurde zum Hofkapellmeister,
sowie zum Cesanglehrer der Erzherzogin Amalia, Fürstin von Parma, ernannt.
In dieser Zeit componirte er für verschiedene Theater Italiens ernste und
komische Opern und begab sich auf längere Frist nach Deutschland, wo er in
Dresden mehrere seiner Compositionen zur Aufführung brachte, in Berlin im
Auftrage Königs Friedrich Wilhelm II. mehrere Vocal- und Instrumentalstüeke
vollendete. In seine Stellung zu Parma zurückgekehrt, verwaltete er seine
Funktionen als Dirigent bis zum J. 1802. Bei Gründung der italienischen
Akademie der Künste und "Wissenschaften im J. 1810 wurde er Mitglied der
musikalischen Section. Von seinen Opern haben yiLHncontro inaspettatov. und
»ia contessa per equivocov. den meisten Erfolg gehabt. Andere seiner Opern
führt der mailändische Indice de^ spettacoU von 1783 bis 1791 auf.
Fortunatianus, ein sonst unbekannter musikalischer Schriftsteller des 10.
Jahrhunderts n. Chr., von dem sich unter den Handschriften der Bibliothek
des Klosters St. Emmeran zu Regensburg eine Abhandlung r>Scolica Enchiriadis
Fortunatianivi Saec. 10 befindet. Vgl. Bibl. princij^alis ecclesiae et monast. Ord.
S. Bened. ad 8. Emmeran episc. Ratishonae 1748 Bd. II p. 133. f
"f^Fortunatus, Venantius, im 6. Jahrhundert n. Chr. Bischof in der Lom-
bardei, begab sich später nach Frankreich und starb daselbst 569 zu Celles.
Von diesem Bischof sind noch mehrere an den Pariser Clerus gerichtete Verse
vorhanden, in denen er von den musikalischen Instrumenten, den Orgeln, Flöten,
Trompeten etc. spricht, welche die Priester der Notre Dame-Kirche zu Paris
zu seiner Zeit beim Gesänge der Psalmen gebrauchten. Vgl. Gerbert, de mus.
eccl, I. p. 217. t
Fortuui, Amelia An gl es de, eminente spanische Gesangvirtuosin, geboren
1834 zu Madrid, machte ihre Studien im Conservatorium Maria Christina da-
selbst und erregte noch jung in" Hofconcerten und auf der Bühne das grösste
Aufsehen , so dass sie zur Professorin der oberen Gesangklassen am Conserva-
torium ernannt wurde. Im J. 1853 besuchte sie Italien, wo ihre Stimme, Kunst-
fertigkeit und geschmackvolle Technik ungetheilte Anerkennung fanden, so dass
sie im December 1854 bei der Grossen Oper in Paris engagirt wurde. Da
sich jedoch ihr Stimmvolumen den von grossen Räumen beanspruchten An-
strengungen nicht gewachsen zeigte, so kehrte sie bald in ihre Heimath zurück.
Im J. 1856 war sie auch in Deutschland, sang im März in "Wien, im Juni in Berlin
und feierte namentlich in letztgenannter Stadt, wo sie bei Hofe, in Concerten
und im königl. Opernhause als Coloratursängerin auftrat, vollgültige Triumphe.
Im August desselben Jahres sang sie auf dem Theater in Aachen , liess sich
auf fünf Monate bei der italienischen Oper in Jassy engagiren und kehrte im
September 1857 nach Berlin zurück, wo sie im Verein mit dem Violinvirtuosen
Bazzini überaus erfolgreiche Concerte gab und im Vortrage von italienischen
Arien und spanischen Liedern glänzte. Im März 1858 war sie in Pesth, im
Mai in Köln und im "Winter genannten Jahres wieder in Madrid. Noch ein-
3 Forza — Fossis.
mal zog es sie nach Deutschland, wo sie eine so ehrenvolle Aufnahme gefunden
hatte, und in Begleitung ihres jungen Gatten hrach sie dorthin auf, Sie kam
aher nur bis Stuttgart, wo sie in Folge einer Entbindung am 3. Juni 1859
einen frühen Tod fand. — Diese Künstlerin zählte zu jenen phänomenalen
Erscheinungen, die, von der Natur mit den reichsten äusseren und inneren
Gaben ausgestattet, noch jenes nicht erklärbare Etwas mitbringen, das sie jedem
Beobachter unvergesslich macht. Ihr glockenreiner Gesang erklang • in allen
Lagen des Soprans leicht, duftig und zart; ihre zwar kleine, aber leicht an-
gebende, unbeschreiblich süsse und sympathische Stimme durchzog jede ihrer
Darstellungen wie ein Silberfädchen , lieblich und den Hörer unwiderstehlich
fesselnd. Ihre Coloraturen und Fiorituren, stets in höchster technischer Voll-
endung gegeben, glichen den Arabesken und Blumeuguirlanden, welche die
Poesie hervorzaubert. Zu dem Allen kam eine reizende, kindlich -schöne Er-
scheinung, die gar köstlich mit ihrer künstlerischen Vollkommenheit harmonirte.
Die Hauptparthien dieser merkwürdigen Sängerin waren die Rosina im »Barbier
von Sevilla«, die Amina in der »Nachtwandlerin«, die Königin in den »Huge-
notten«, Lucia von Lammermoor u. s. w.
Forza (ital., franz.: force), die Stärke, die Kraft, wird als Vortragsbezeich-
nung, in Verbindung mit der Präposition con (s. d.), gleichbedeutend mit der
Vorschrift yor^e (s. d.) gebraucht,
Forzando oder forzato, oder sforzando, slorzato (ital.), abgekürzt Fz oder
sfz, ist die Bezeichnung für die mit verstärktem Tone hervorgehobene Accen-
tuirung einer Note, ähnlich wie beim Fp (s. Portepiano). Vom Forte unter-
scheidet sich das P. dadurch, dass ersteres für eine ganze Tonreihe, letzteres
nur für die einzelne Note, welche diese Bezeichnung trägt, Geltung hat,
Foschi, Carlo, italienischer Tonsetzer der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts, war Kapellmeister an der Kirche Santa Maria in Trastevere zu Rom
und hat durch den Druck Cantaten für eine Singstimme, sowie vierstimmige
Messen u.nd Offertorien seiner Composition (Rom, 1690) veröffentlicht.
Fossa, Joannes de, zuweilen auch Defossa geschrieben, ein aus den Nie-
derlanden gebürtiger Tonsetzer des 16. Jahrhunderts, erhielt 1569 eine An-
stellung als Unterkapellmeister am Hofe zu München und wirkte in diesem
Amte an der Seite des Meisters Orlandus Lassiis bis zu dessen Tode, worauf
er zum Oberkapellmeister ernannt wurde und als solcher von 1594 bis 1602
thätig war. Laut einer vorhanden gebliebenen Rechnung erhielt er damals für
eine auf herzoglichen Befehl componirte Messe sechs Gulden. Diese Messe,
sowie einige Motetten seiner Composition bewahrt die Münchener Bibliothek.
Wie sehr übrigens P. in seinem Amte geschätzt war, dafür liefert den Beweis,
dass der Herzog Maximilian IL den Gehalt, welchen P.'s Vorgänger bezogen
hatten, für ihn um mehr als die Hälfte erhöhte. Neben der Leitung der Hof-
kapelle war P. auch der Unterricht und die Aufsicht über die zu diesem In-
stitute gehörigen Chorknaben übertragen. P. gehörte der niederländischen Schule
an; seine Compositionen bekunden Zartheit und eine originelle Aufifassung. Er
starb zu München um Pfingsten des Jahres 1603. — Ein Guitarrevirtuose
Namens Possa lebte im dritten Jahrzehnt des 19, Jahrhunderts als Componist
und Musiklehrer zu Paris und hat für sein Instrument gegen 40 Werke, theils
mit, theils ohne Begleitung veröffentlicht,
Fossemhrone, Ottavio da, s, Petrucci,
Fossis, Pietro de, auch de (la) Possa geschrieben, der älteste bekannte
Kapellmeister an der Kathedrale San Marco zu Venedig, bekleidete dies Amt,
laut im Kirchenarchive vorhandenem Anstellungsdecrete, datirt vom ;U. Aug.
1491, seit dem 1. Septbr. desselben Jahres, wofür er 70 Ducaten jährlich be-
zog und die Kapellmeisterwohnung in der Canonica erhielt. Sonst erhellt aus
den neuesten Nachforschungen nur, dass er ein geborener Plamländer war und
schon am 19. Septbr. 1485 als Sänger an der Marcuskirehe angestellt gewesen
ist. Seine Zeitgenossen Pier Contarini und Angelo Gabrieli geben ihm in
Fossius — Fourneaux. 9
scliwungvolleu Worten das Lob eines ausgezeichneten Tonkünstlers, sowie eines
in allen Wissenschaften bewanderten Mannes, und die Procuratoren seiner Kirche
gestanden ihm, wie aus einem Decret des Kirchenarchivs vom 20. April 1520
hervorgeht, unbedingte Disciplinargewalt über die ihm unterstellten Musiker zu.
Von Krankheit seit 1525 am Dienste verhindert, erbat und erhielt er am
10. Oktbr. 1525 den Sänger Pietro Lupato zum interimistischen Stellvertreter.
Aber schon zwei Jahre darauf, im December 1527, starb er. Als Nachfolger
in seinem Amte wurde auf Befehl des Dogen Andrea Gritti der Niederländer
Adrian Willaert installirt, nachdem die Procuratoren in der Wahl zwischen
Pietro Lupato und dem Organisten an San Marco, Alvise Arciero, geschwankt
hatten. Dass F. wirklicher Kapellmeister und als solcher der erste Nichtitaliener
gewesen, ist jetzt, gegenüber Kiesewetter's Ansicht, der ihn für eine Art geist-
lichen Vorstehers der Sänger seiner Kirche hielt, erwiesen. Von F.'s Compo-
sitionen ist leider bisher noch nichts aufzufinden gewesen. Angelo Gabrieli
erwähnt von denselben ausdrücklich einer im J. 1502 zu Ehren Anna's von
Frankreich, der Gemahlin des Königs Ladislaus von Ungarn und Böhmen, ge-
schriebenen wohlklingenden Cantate, deren Text von Fra Armonio, dem Orga-
nisten der St. Marcuskirche, gedichtet war. Diese Cantate hat F. selbst der
Königin während deren Anwesenheit zu Venedig in dem genannten Jahre über-
reicht, und durch dieselbe muss sie nach Ungarn oder Böhmen gelangt sein.
Fossius, Anton, dänischer Cantor und Pastor, geboren 1646, gestorben
am 29. April 1696, hat ein lateinisch geschriebenes Buch r>De arte musicaa
hinterlassen.
Fossoni, Tommaso, italienischer Carmelitermönch und um die Mitte des.
17. Jahrhunderts Kapellmeister an der erzbischöflichen Kirche zu Ravenna, hat
Motetten zu 2, 3, 4 und 5 Stimmen (Venedig, 1642) veröffentlicht.
Fothiarghiah ist der Name für den dritten Ton der sieben vorzüglichsten
Klänge der von a aufwärts gedachten persisch- türkischen Tonfolge (unserm c
entsprechend), welcher von den Völkern jenes Musikkreises auch durch eine
dunkelblaue Farbe gekennzeichnet wird. Mehr darüber berichtet der Artikel
Persisch-türkische Musik. 0.
Fouchetti, französirt Fouquet, Lehrer der Mandoline in Paris, veröffent-
lichte eine r>Metliode pour apprendre facilement ä jouer de la Mandoline ä 4c et
ä 6 cordesK (Paris, 1770). Ob er identisch mit dem gleichzeitig lebenden, gleich-
namigen Organisten au der St. Eustachekirche gewesen ist, den Burney 1770 als
vierten Organisten an der Notredamekirche fand, ist nicht mehr festzustellen. Der
letztere hat um 1750 drei Bücher Ciaviersuiten seiner Composition herausgegeben.
Fouqne, Friedrich, Freiherr <le la Motte, der bekannte phantasievolle
Dichter der deutschen romantischen Schule, ein Enkel des Generals Friedrichs
des Grossen, war geboren 'am 12. Febr. 1777 zu Neu-Brandenburg und starb
am 23. Januar 1843 in Berlin. Er erhielt in seiner Jugend eine tüchtige
Musikbildung, die ihn befähigte, auch als musikalischer Schriftsteller mehrfach
aufzutreten, z. B. mit Artikeln in Schilling's » Universall exicon der Tonkunst«,
ferner in der Zeitschrift »Cäcilia« mit dem Aufsatze »Melodie und Harmonie«
(Bd. 7, S. 223 u. f.) und der Erzählung »der unmusikalische Musiker« (Bd. 2,
S. 169 u. f.) u. s. w. Sein zartes, sinnvolles, in fast alle europäische Sprachen
übei'setztes Märchen »Undine« (Berlin, 1813) diente mehreren Opern z. B. von
E. T. A. Hoffmann, Lwoff und Lortzing, und verschiedenen Ballets zum Stoffe.
Fourchette touique (franz.), die Stimmgabel (s. d.).
Fourneaux, Napoleon, geschickter französischer Mechaniker und Instru-
mentenmacher, geboren am 21. Mai 1808 zu Leard, gestorben am 19. Juli 1846
zu Paris, wo er seine rühmlichst bekannte Werkstätte hatte, hat u. A. die Re-
percussionstafeln beim Harmonium, wenn nicht erfunden, so doch zuerst einge-
führt und zur allgemeinen Anerkennung gebracht. — Sein Sohn, Napoleon
F., geboren 1830 zu Paris, führte als tüchtiger Orgelbauer das Geschäft des
10 Foui-nes — FradeL
Vaters fort und ist der Verfasser einer technischen Schrift, betitelt: r> Petit traite
de Vorgue expressif etc.v-
Fournes, P. J., ein guter Violoncellist und Quartettspieler, geboren 1764
in Leipzig und daselbst von Hiller unterrichtet, war später Botenmeister zu
Gera und gab in Verbindung mit Kleeberg um 1790 zu Leipzig verschiedene
Clavierstiicke lieraus, sowie später selbstständig zwei Sammlungen von Q-esängen
mit Clavierbegleitung, die ihn als einen begabten Dilettanten erkennen lassen.
Fonrnier, Pierre Simon, berühmter französischer Schriftschneider und
Schriftgiesser . geboren am 16. Septbr. 1712 zu Paris, hat sich um die Ver-
besserung und Eleganz der Notentypen nicht zu unterschätzende Verdienste er-
worben. Die von Breitkopf in LeijDzig 1755 publicirte neue und vortliellhafte
Art des Nutendrucks usurpirte F. als seine, lange vorher schon gemachte Er-
findnno: und suchte dies in zwei grösseren Abhandlungen: r>JSssai d'un nouveau
caracfere de fönte pour Vimpression de la musique etc.v. und ytTraife hisforique
et critique sur Vorigine et le progres des car acter es de fönte pour Vimpression de
la musique ete.K darzuthun. Während aber Breitkopf die Notenlinien mit den
Köpfen auf bestimmte Brucbtheile zusammenschnitt und den TTebelstand nicht
beseitigen konnte, dass die Zusammensetzung dem Auge ersichtlich blieb, setzte
F. erst die Linie und dann die Noten darauf, musste das Ganze also auch zwei
Mal drucken, wodurch er denn schliesslich nichts weiter zeigte, als die grösseren
Vorzüge des Breitkopfschen Systems vor dem seinigen, das später übrigens
der Buchdrucker Gando in Paris noch wesentlich vei'besserte. F. selbst starb
zu Paris am 8. Oktbr. 1768. — Sein Sohn Antoine F. Avirkte als Musik-
lehrer zu Paris und hat daselbst 1782 eine Operette seiner Composition »Zes
deux aveugles de Haqdadv. zur Aufführung gebracht.
Fouruitnre (franz.; ital.: Fornitura^ soll nach Agricola's Behauptung in
Frankreich die grössere Mixtur geheissen haben. In Bedos de Oelle's facteur
d^Orgues heisst jedoch überhaupt jede Mixtur F. — Nach Samber stand in
Sendomir eine 1,25 Meter grosse, F. genannte Principalstimme. — Jetzt baut
man unter diesem Namen keine Orgelstimme mclir. 2.
Fournival, Richard de, altfranzösischer Dichter und Musiker, war zur
Zeit Ludwig des Heiligen Kanzler der Kathedralkirche zu Amiens. Zwanzig
von ihm verfasste Chansons haben sich bis jetzt erhalten.
Foy, James, englischer Componist und Pianofortevirtuose, geboren 1802
zu Dorchester, machte, von seinem Vater, einem Musiklehrer, im Ciavierspiel
unterrichtet, schon als zwölfjähriger Knabe in Concerten Aufsehen. Höhere
Musikstudien trieb er bis 1820 in London, worauf er in seine Vaterstadt zu-
rückkehrte und daselbst als Componist und Lehrer wirkte. Er hat u. A. Sin-
fonien, Ouvertüren, Ciavier- und Harfenstücke, Lieder und Gesänge geschrieben
und mehrfach aufgeführt.
Foyta, Franz, auch Foita geschrieben, Violinvirtuose, war längere Zeit
Musikdirektor an dem Theaterorchester und Violinist an der Kreuzherrenkirche
zu Prapf und starb daselbst im 64. Lebensjahre 1776. — Joseph F., wahr-
scheinlich ein Verwandter des Vorigen, wurde um 1750 als Sohn eines Orga-
nisten zu Prag geboren, war längere Zeit Violinist am Theaterorchester und
in der Kreuzherrenkirche daselbst, und ging auf einen Eiif hin nach Peters-
burg, lebte aber seit 1791 wieder in Prag als Lehrer an der Theiner Hauptschule.
Er hat Sinfonien und Kirchenmusikwerke im Manuscript hinterlassen, f
Fp., Abbreviatur für Fortepiano (s. d.).
Fradel, Karl, deutscher Tonkünstler, geboren 1821 zu "Wien, woselbst er
auch seine musikalische Ausbildung erhielt. Im J, 1850 Hess er sich in Ham-
burg nieder und veröffentlichte eine Reihe von Claviercomjjositionen und Liedern,
die ein angenehmes, leicht schaffendes Talent verriethen. Von Hamburg aus
ging F. 1858 nach London, und, da er dort den von ihm gesuchten Wirkungs-
kreis nicht fand, ein .Jahr später nach New- York, wo er gegenwärtig als Musik-
lehrer und Componist lebt.
Franzi — Fragmengo. 1 1
Franzi, Ferdinand, ausgezeichneter deutscher Violinvirtuose und treff-
licher Componist, geboren am 24. Mai 1770 zu Schwetzingen in der Pfalz, war
der Sohn des angesehenen Violinisten und Musikdirektors Ignaz F., unter
dessen musikalischer Leitung der Knabe so schnell und kräftig sich entwickelte,
dass er mit sieben Jahren in einem Hofconcert zu Mannheim durch sein Spiel
alle Hörer zum Erstaunen hinriss. Fünf Jahre später schon wurde er als Violinist
der Hofkapelle ebendahin berufen. Auf einer mit dem Vater hierauf unter-
nommenen Kunstreise spielte er 1785 mit grösstem Beifall am Hofe zu Mün-
chen, 1786 an dem zu Wien. Einen längeren Aufenthalt in Strassburg benutzte
er, um bei den Kapellmeistern Pleyel und Richter höhere Musikstudien zu
treiben, ging dann durch die Schweiz nach Paris und 1790 nach Italien, wo
er bei dem Pater Mattei in Bologna Contrapunkt studirte und als Violinvir-
tuose zu Bora, Neapel und Palermo ungeheures Aufsehen erregte. Im J. 1792
wieder in Deutschland, nahm er zuerst die Concertmeisterstelle in Frankfurt
a. M. und zwei Jahre später die Direktion der Privatkapelle des Kaufmanns
Bernard in Offenbach an. Ein längerer Urlaub führte ihn 1799 nach London,
Hamburg, dann auch wiederholt nach "Wien und München, und überall sah er
sich als Concertspieler geehrt und gefeiert. Nachdem er seine Stelle in Offen-
bach ganz aufgegeben hatte, bereiste er 1803 Polen und Bussland, hielt sich
längere Zeit in Moskau und St. Petersburg auf, wo er reiche Einnahmen hatte
und folgte von dort aus Ende 1806 einem Rufe als Hof-Musikdirektor nach
München, um als Nachfolger Karl Cannabich's einzutreten. Hier übernahm er
auch die Leitung der deutschen Oper und zeigte sich der schwierigen Stellung
mehr als gewachsen. Glänzende Concertreisen unternahm er von Zeit zu Zeit
auch von München aus, so nach Frankfurt a. M., Offenbach, Mannheim, um
1810 nach Amsterdam und Paris, 1814 nach Wien und 1816 nach Leipzig.
Im J. 1823 war er wieder in Italien, wo man ihn, besonders in Mailand, aus-
zeichnete. Zwei Jahre später, nachdem er die Leitung der deutschen Oper in
München niedergelegt hatte, wurde er zum wirklichen bairischen Hofkapellmeister
ernannt, Hess sich 1827 als solcher pensioniren und begab sich nach Genf, wo
er das Musikwesen ungemein hob, so dass man ihn im April 1831 mit dem
grössten Bedauern nach Mannheim scheiden sah. Bald darauf, im Novbr. 1833,
starb er in Mannheim. — Als Violinvirtuose hat F. durch ungemeine Fertig-
keit und Sauberkeit, Reinheit des Tons und ausdrucksvollen, jeder Nuance ge-
recht werdenden Vortrag geglänzt, als Componist durch Fruchtbarkeit und Ge-
diegenheit. Man kennt von ihm die Opern und Singspiele: »Die Luftbälle«
(1788 in Strassburg), »Adolph und Clara« (1800 für Frankfurt), »Carlo Fioras«
(1800 für München). »Haireddin Barbarossa«, der Kaiserin von Russland ge-
widmet (1815 für München), »die Weihe«, dramatisches Festspiel (1818 für
München) und »der Fassbinder« C1824 für München); ferner 9 Violinconcerte,
ein Doppelconcert für zwei Violinen, »das Reich der Töne«, Concertino für
'Violine mit fünf Solosingstimraen, Chor und Orchester, concertirende Violin-
duette und Violintrios, viele Violinstücke, italienische Canzonen, eine Sinfonie,
mehrere Ouvertüren u. s. w. — Sein Vater, Ignaz F., v/ar ebenfalls als einer
der geschicktesten Violinvirtuosen in Deutschland anerkannt. Geboren war
derselbe am 3. Juni 1734 zu Mannheim, war 1750 als Violinist in das dortige
berühmte Hoforchester getreten und darin bis zum Concertmeister und Musik-
direktor emporgestiegen, in welcher letzteren Eigenschaft er seit 1768 auch in
München wirkte. Mit seinem Sohne ging er 1784 auf Reisen, nahm 1790 die
Stelle eines ersten Direktors der Theaterkapelle in Mannheim an und wirkte
als solcher bis zu seinem Tode daselbst im J. 1803. Seine Violincompositionen,
von denen an 20, bestehend in Concerten, Quartetten, Trios, erschienen, waren
im engeren Umkreise beliebt, vermögen aber nicht den Vergleich mit den
gleichartigen fantasiereichen und geschickten Arbeiten seines Sohnes auszu-
halten.
Fragmengo, Filippo, spanischer Componist, der in der letzten Hälfte des
12 Fraguier — Franceschi.
16. Jahrhunderts in Italien lebte und von dessen Composition Madrigale für
fünf Stimmen (Venedig, 1584) erschienen sind.
Fragruier, Claude Fran^ois, Abbr, französischer Gelehrter, geboren am
28. Aug. 1666 zu Paris, gestorben als Mitglied der Akademie ebendaselbst am
31. Mai 1728, hat über die Musik der Alten, besonders nach Plato, Forscliungen
angestellt und deren Resultate in zwei Schriften veröfFentliuht, deren eine Frau
Gottsched für die Marinirg' sehen Beiträge zur Musik (Bd. 2) übersetzt hat.
Framery, Nicolas Etienne, französischer Componist und gediegener
MusikschriftstelliT, geboren am 2.5. März 1745 zu Ronen, war noch sehr jung,
als ihn schon der Graf von Artois zum Surintendanten seiner Hofmusik er-
nanute. Vor der Revolutionszeit war er besonders dadurch vortheilhaft bekannt,
dass er mehreren italienischen, in ihrer Dichtung veralteten Opern neu umge-
staltete Texte soiner Feder untergelegt hat, so der Sacchini'schcn Musik zu
nlüola iPamore<i sein Libretto »Za coloniaa', in ähnlicher Art entstanden nL'Olym-
piadea, •nL^infaute de Zatnoravi und r>Les deux comtessesv^. Im J. 1783 trat er
selbst als Dichter-Componist- mit der komischen Oper »ia sorciere par Ij^sard'i
auf, die jedoch nur den Beifall der Kenner davontrug. Bald dai'auf erhielt F.
für eine Operudichtung -nMedcen. den ausgesetzten ersten Preis und coraponirte
auch nachträglich die Musik dazu, da sein Freund Sacchini während der musi-
kalischen Bearbeitung dieses Textbuches 1786 gestorben war. F. selbst starb
zu Paris am 26. Novbr. 1810. — Von seinen musikalischen Schriften kennt
man eine gegen Gluck gerichtete Brochure ^^Lettre ä Vauteur de Mercuren (Paris,
1776), ferner eine TJebersetzung aus dem Italienischen des Azopardi, betitelt
»ie musicien pratiqaa (Paris, 1786); sodann, in Gemeinschaft mit Guingene
und Abt Feyton gearbeitet, das später von J. J. de Momigny vollendete Werk
'«Encyclopedie methodique'i. vol. I; y^Avis aux poetes lyriques de la necessite du
rhythme et de la cesure dans les hymnes ou ödes destincs ä la musiquea (Paris,
1796); die akademische Preisschrift Ȁ7ialyse des rapports qui existent eutre la
musique et la dcclamation etc.« (Paris, 1802); •s>Notice sur Joseph Haydim (Paris,
1810). Endlich gab er zwei Jahrgänge des »Oalendrier miisical aniversel<i (Paris,
1788 und 1789) heraus, redigirte einige Jahrgänge der von Etienne Honore
de Framicourt (gestorben 1781) begründeten Musikzeitung y>Joiirnal de musiqueK
und lieferte Beiträge für den von der Akademie herausgegebenen y>Diotionnaire
des heaiix arts.i F.'s Eifer, Fähigkeiten und Enthusiasmus für italienische
Musik haben grossen Eiufluss auf die Ausbildung der französischen National-
musik gehabt.
Franc, Guillaume, französischer Tonkünstler des 16. Jahrhunderts, soll
nach Bayle der wirkliche Componist der Melodien zu den Marot'schen Psalmen
gewesen sein, was von Beza schon 1552 durch eine eigene Schrift bestätigt
wird. Auch die verschiedenen Ausgaben der Psalmen von 1543 und 1564 mit
den einfachen Melodien bekräftigen diese häufig angefochtene Annahme. Vgl.
Baylc, Dict. (Art. Marot) und-Burney, Hist. III, p. 43. S. auch Franckc. f
Fraiiraise hiess ein französischer Rundtanz , der in munterer Weise nach
einer im 'Y» gesetzten Melodie aufgeführt wurde. In den dreissiger Jahren
dieses Jahrhunderts war dieser Tanz sehr verbreitet und auch in Deutschland
überaus beliebt, kam jedoch bald darnach aus der Mode und jetzt kennt man
denselben kaum noch in Frankreich. S. auch Anglaise und Contredanse. f
Frauceschi, Francesco, italienischer Gelehrter, ist als Verfasser einer in
Lucca erschienenen, von kunstrichterlichem Scharfsinn zeugenden Schrift t>Apo-
loyia delle opere drammatiche dl Metastasio<i bekannt geblieben, die später, 1789,
dem letzten Bande der zu Lucca herausgekommenen Opere drammatiche del Äbate
Pietro Metasfasio, Foeta Cesarea etc. angehängt wurde. In derselben befanden
sich folgende, die Musik speciell betreffende Abschnitte: 1. von der nachahmen-
den Musik der Oper, 2. über die Sujet's der Oper in Rücksicht auf die Musik,
3. von den Recitativen des Metastasio in Bezug auf Musik und 4. von den
Arien. Vgl. Literarische Zeitung von 1792 Nr. 192. t
Franceschini — Franchomme. 13
rrauceschini. Dieses Namens haben mehrere italienische Tonkünstler des
17. und 18. Jahrhunderts um die Musik sich verdient gemacht, Giovanni
Battista F., ein vorzüglicher Sänger, der um 1690 am Hofe des Herzogs von
Modena wirkte. — Petronio F. lebte um die Mitte des 17. Jahrhunderts in
seiner Geburtsstädt Bologna als dramatischer Componist, und starb daselbst
1681. Seine Opern -nOronte di Memfia (1676), rtArsinoe« (1677), y>Äpollo in
Tessaliaa (1679) und y^Dionisioa (1681), in Bologna aufgeführt, wurden von
Kennern besonders des reinen Stils halber geschätzt. — Giov. F., geboren um
1760 zu Neapel, ist durch verschiedene von ihm in Musik gesetzte Theater-
stücke, sowie durch 1777 in Amsterdam herausgegebene sechs Violinduos, die
als op. 2 erschienen, bekannter geworden. — Antonio F., geboren zu Neapel,
wird in dem mailändischen IncUee de^ Spettac, von 1783 bis 1791 als Opern,-
componist angeführt. f
Francesco Cieco, s. Landin o.
Francesco «la Milane, italienischer Orgel- und Lautenspieler des 16. Jahr-
hunderts, zu Mailand geboren und als Organist daselbst angestellt. Nach Doni
und Piccinelli ist er der Verfasser mehrerer 1537 bis 1540 zu Venedig und
Mailand erschienener Sammlungen von Orgel- und Lautenstücken, von denen
sich hin und wieder ein Exemplar noch vorfindet.
Francesco da Pesaro, einer der berühmtesten altitalienischen Organisten,
aus Pesaro gebürtig, der, als Nachfolger Zucchetto's, von 1337 bis 1368 an
der Kirche San Marco zu Venedig angestellt war.
Francesco deg-li Organi, s. Landino.
Francesco la Fornara, italienischer Castrat mit vielbewunderter Contr'alt-
stimme, geboren 1706 im Königreiche Neapel, war seit 1719 mit dem Rufe'
eines geschickten und geschmackvollen Sängers in der königl. französischen
Kapelle zu Paris und lebte pensionirt daselbst noch 1780, nachdem er in seiner
Blüthezeit auf dem Fechtboden in Folge eines in den Hals erhaltenen Fleuret-
stosses seine schöne Stimme eingebüsst hatte.
Franche, Louis Joseph, französischer Violinspieler, der um die Mitte
des 18. Jahrhunderts zu Paris lebte, und 1749 ein Buch von ihm componirter
Violinsonaten veröffentlicht hat.
Frauchetti-Walzel, eine vortreffliche, in Italien geborene Coloratursängerin,
war 1841 am Hoftheater in Braunschweig und später, bis zu ihrem Rücktritt
von der Bühne, am Stadttheater zu Leipzig engagirt. Nähere Nachrichten
fehlen. — Ihre Schwester, Luisa F., in Wien 1812 geboren und daselbst für
die Opernbühne ausgebildet, debütirte 1831 so erfolgreich, dass sie ein Jahr
darauf für das Königsstädter Theater in Berlin engagirt wurde, dessen Mitglied
sie bis 1839 blieb. Von dort aus wurde sie nach Bremen, dann nach Hannover
berufen und glänzte seit 1841 in Stuttgart noch lange in Soubretten-Parthien,
Fraucliezza (ital. ; hanz.'. fr ancMse), die Freimüthigkeit, Dreistigkeit, kommt
als Vortragsbezeichnung in Verbindung mit der Präposition con vor.
Franclii, Giovanni Pietro, italienischer Tonkünstler, um die Mitte des
17. Jahrhunderts zu Pistoja geboren, war Concertmeister des Herzogs von Ros-
pigliosi und hat von seiner Composition nSonate a trev. (Bologna, 1687) und
r>DueUi da Cameraa (Bologna, 1689) veröffentlicht. Das erstgenannte Werk
erschien etwa zwanzig Jahre später auch bei Roger in Amsterdam.
Franchinus, s. Gafori.
Franchomme, August, berühmter französischer Violoncellovirtuose der Ge-
genwart, geboren 1809 zu Lille, erhielt bei einem Violoncellisten, Namens Mas,
seinen ersten, ziemlich ungenügenden Unterricht. Im J. 1825 kam F. nach
Paris und trat im März desselben Jahres in's Conservatorium, wo Levasseur
und Norblin sein hervorragendes Talent mit solchem Erfolge ausbildeten, dass
er noch in demselben Jahre den ersten Preis für Violoncellospiel davontrug.
Alsbald trat er auch in das Orchester des Theaters Ämbigti-cornique, 1827 in
das der Grossen Oper und ein Jahr später in das der Italienischen Oper, welche
1 4 Prancia — Pranck.
Stelle er sehr lange inne hatte und schliesslich mit derjenigen eines Professors
am Pariser Cunservatorium vertauschte. Seine Coucerte nahmen in Paris eine
hohe Stellung ein, und noch jetzt stehen seine, mit anderen Virtuosen, beson-
ders mit dem Violinisten Alard, veranstalteten Winter-Soireen, ihrer überwiegend
gediegenen Programme wegen im besten Ruf. Aus denselben ist, besonders
für classische Musik, eine erfolgreiche Propaganda ausgegangen. — F. ist ein
Virtuose von enormer Fertigkeit und geschmackvoller Vortragsart, Vorzüge, die
sich auch in seinen Coiupositionen wiederspiegeln, welche in einem Concert mit
Orchester und zahlreiclien beliebten und dankbaren Fantasien, Salonstücken,
Etüden, Capricen, Variationen u. s. w. für Violoncello bestehen. Aus seiner
Klasse am Conservatorium ist eine ganze Reihe der tüchtigsten Violoncellisten
hervorgegangen.
Frnucia, (Tregorio, italienischer Tonkünstler aus Rom, lebte zu Anfange
des 17. .Fahrhunderts und gab nacli Walther: »Afofef/i « 2, 3 e 4 vociu (Neapel,
1611) heraus. f
Kraiiciscello oder Fraucischelio, der grösste Violoncellovirtuose der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, über dessen Leben fast alle nähereu Nachrichten
fehlen. Er taucht zuerst in Rom auf, befand sich 11 '2b in Neapel und trat
darauf in die Hofkapelle zu Wien. Später war er wieder in Italien und zwar
in Grenua, wo er auch um 1750 gestorben sein soll, (^uantz, der ihn in Nea-
pel, und Franz Benda, der ihn in Wien hörte, sprechen ihm übereinstimmend
eine unübertreffliche Meisterschaft auf dem Violoncello zu, und öeminiani be-
richtet, dass, als F. in Rom einst eine Cantate mit obligatem Violoncello von
Alessandro Scarlatti accorapagnirt habe, der Componist, der den Flügel hielt,
entzückt aufgesprungen und ausgerufen habe, so könne nur ein Engel in Men-
schengestalt spielen. Fetis behauptet, was Corelli für die Violine, das sei F.
für das Violoucellospiel gewesen, und ihm hauptsächlich verdanke man es, dass
das Violoncello die Bassviola aus den italienischen Orchestern verdrängte.
Fraucisci, Erasm o, ein aus altadligem italienischem Greschlechte stammen-
der Gelehrter, geboren zu Lübeck am 19. November 1627, studirte die Rechte,
wurde dann Hofmeister und machte als solcher grössere Reisen , nach deren
Beendigung er als Hohenlohe'scher Rath zu Nürnberg seinen bleibenden Auf-
enthalt "'nahm und als Schriftsteller bis an sein am 12. December 1684 erfolgtes
Ende wirkte. Unter seinen vielen Schriften befindet sich auch eine: »Wunder-
reicher Ueberzug unserer Niederwelt, oder Erd-umgebender LufFt-Kreys« (Nürn-
berg, 1680) betitelt, die im dritten Kapitel von Seite 474 bis 516 vom Echo
und von Sprachröhren handelt. f
Fraucisco, Ludovico a San, gelehrter portugiesischer Franciscanermönch,
der gegen Ende des 16. Jahrhunderts lebte und ein Werk, nGlobus canonum
et arcanorum linguae sanctae ac divinae scripturaea (Rom, 1586) veröffentlichte,
in dessen 10. Buche im 9. Kapitel über Musik im Geiste des alten Testaments
abgehandelt wird. Vgl. Fossevini Bibl. select. p. 223. f
Fraucisconi, Giovanni, italienischer Tonkünstler, geboren zu Neapel, war
in seinen Mannesjahren Kammervirtuose des Grafen von Hessenstein und hat
sich damals durch sechs Violinduo's, die zu Amsterdam gedruckt wurden, und
sechs Violiuquatuors, welche ums Jahr 1770 zu Paris erschienen, bekannter
gemacht. f
Francisqne, Antoine, französischer Lautenspieler, veröffentlichte 1600 ein
Werk unter dem Titel »Ze tresor iVOrpheev., welches Lautenstücke enthielt.
Fraitck, Cesar Auguste, tüchtiger belgischer Tonkünstler, geboren am
10. Decbr. 1822 zu Lüttich, besuchte als Knabe das Conservatorium seiner
Vaterstadt, wurde aber 1837 zu seiner höheren musikalischen Ausbildung auf
das von Paris gebracht, wo er Ciavierspiel bei Zimmermann und Contrapunkt
bei Lebome studirte. Hierauf liess er sich ganz in Paris nieder und erwarb
sich schnell den Ruf eines gediegenen, keimtiiissreichen Musiklehrers und Com-
pouisten. Von seinen Compositionen werden besonders Trios für Pianoforte,
Franck. 15
Claviei' und Violoncello geschätzt; ausser diesen veröffentlichte er Claviercom-
positiouen aller Art und brachte auch 1846 ein Oratorium »Ruth« in Paris
nait Beifall zur Aufi'iihrung, das 1869 mit unvermindertem Erfolge wiederholt
öffentlich zu Gehör gelangte. ■ — F.'s älterer Bruder, Joseph F., geboren um
182U, begann seine Studien ebenfalls auf dem Conservatorium zu Lüttich und
vollendete sie auf dem in Paris. Früher Organist und Kapellmeister au der
Kirche des missions etrangeres und an Saint Thomas d'Aquin, bekleidet er jetzt
diese Aemter hochgeachtet an Sainte Clotilde. Daneben ertheilt er Unterricht
in der Composition, im Ciavier- und Orgelspiel, für welches letztere Fach er
auch als Professor am Conservatorium angestellt ist. Von seinen Compositionen
sind im Druck erschienen: Messen und andere Kirchenwerke, Orgel- und Ciavier-
stücke, ein Pianoforte-Concert u. s. w.
Frauck, Eduard, vorzüglicher Pianist und gediegener Componist, geboren
1824 zu Breslau, wo er aucli seine musikalische Ausbildung und eine tüchtige
wissenschaftliche Erziehung erhielt, nahm 1843 einen mehrjährigen Studienauf-
enthalt in Italien und kehrte 1846 in sein Vaterland zurück, wo er sich zu-
nächst in Berlin niederliess und als Concertspieler und Componist vortlieilhaft
bekannt machte. Von dort aus erhielt er einen Ruf als Lehrer des Clavier-
spiels an die Rheinische Musikschule in Köln, in welchem Amte er bis 1859
wii'kte, nachdem er 1856 den Titel eines königl. preussischen Musikdirektors
erhalten liatte. Hierauf als Musikdirektor nach Bern berufen, widmete er seine
Thätigkeit mit schönem Erfolge der Pflege und der Hebung der dortigen Musik-
zustände, nach Seite des Pädagogischen sowohl, wie nach der der öffentlichen
Aufführungen hin. Ln J. 1867 trat er als erster Lehrer des Pianofortespiels
an Louis Brassin's Stelle in das Stern'sche Conservatorium der Musik zu Bei'lin,
welches Amt er zum Vortheil des genannten Instituts noch gegenwärtig inne
hat. — Von P.'s hervorragender compositorischer Befähigung zeugen Sinfonien,
Ouvertüren, Streichquartette, Clavierconcerte und andere Pianofortewerke, sowie
Gesänge und Lieder, von denen manches mit Beifall öffentlich aufgeführt wurde,
weniges aber nur im Druck erschienen ist.
Fraück, Johann Wolfgang, seines Berufs ein Arzt, dabei aber zugleich
einer der fruchtbarsten und berühmtesten deutschen Componisten seiner Zeit,
geboren um 1640 und wahrscheinlich ebenfalls in Hamburg, woselbst er von
1678 bis 1686 eine ganze Reihe seiner Opern mit grossem Beifall zur Auf-
führung brachte, von denen die Titel von vierzehn noch bekannt geblieben sind,
nämlich: »Michael und David«, »Perseus und Andromeda«, »die Mutter der
Makkabäer«, »Aeneas«, »Don Pedro«, »Jodelet«, »Seraele«, »Hannibal«, »Chari-
tine«, »Diocletianus«, »Attila«, »Vespasianus«, »Kara Mustapha 1. Theil« und
derselben Oper zweiter Theil. Um 1687 ging er nach Spanien, wo er, seiner
ausgezeichneten Kenntnisse und Fertigkeiten" halber der Günstling Karl's II.
wurde, dieses Umstands wegen aber bei der Hofpartei verhasst, schliesslich
ein Opfer des Giftmords geworden sein soll. — Von seinen Opern sind ein-
zelne Stücke im Druck erschienen, sodann auch Sonaten für zwei Violinen mit
JBasso continuo, welche Roger in Amsterdam herausgab. Mattheson berichtet
in seiner »Ehrenpforte« auch von Kirchenwerken F.'s, namentlich von einer
Sammlung derselben, die unter dem Titel »Kirchliche Andachten « herausgekom-
men sein soll. Alle Forschungen danach sind bis jetzt aber vergeblich ge-
blieben.
Frauck, Melchior, deutscher Kirchencomponist und Dichter geistlicher
Lieder, geboren um 1580 zu Zittau in der Lausitz, wurde 1603 Kapellmeister
am coburg'schen Hofe und starb in dieser Stellung am 6. Juni 1639 (nicht
1689). Das älteste der von ihm bekannt gebliebenen Werke sind r>Sacrae me-
lodiae 4, 5, 6, 7 eif 8 voeum. Tomiis i}rimus<i. (München, 1600 bei G, Willer);
die Titel der übrigen Psalme, Lieder, Motetten, 44 Sammlungen Tänze u. dergl.
befinden sich sorgfältig zusammengestellt in Gerber's Lexikon. Davon werden
die Choralweisen »Jerusalem, du hochgebaute Stadt« und »Sag', was hilft alle
\Q Franck — Franckenau.
Welt« jetzt noch hier und da gesungen. Entnommen sind dieselben aus F.'s
grösserem \Verke »Teutsclie Psalmen und Kirchengesänge auflP die gemeinen
Melodeyen, mit vier Stimmen gesetzet« (Nürnberg, 1608). Ehemals sang man
in den Kirchen auch noch die Choralwoisen »0 Jesu, wie ist deine Q-estalt«,
»Der Bräutigam wird bald ruflFen« u. s. w., von denen auch die Texte F. zuge-
schrieben werden. — Von einem im Uebrigen unbekannten Zittauer Lands-
mann und Zeitgenossen F.'s, Namens Johannes F., existirt ein Werk y>Oan-
tiones sacrarum melotliarum 5, 6, 7 ö^ 8 vocmna (Auyustae, 1600, Seb. Mylius).
Franck, Michael, gekrönter kaiserlicher Dichter und Componist, geboren
am 16. März 1609 zu Schleusingen, erhielt auf der Schule zu Coburg eine
gute wissenschaftliche Bildung und wurde um 1625 zu einem Bäcker gebracht,
um dessen Handwerk zu lernen. Schon 1628 wurde er Meister in Schleusin-
gen, büsste aber während der Drangsale des dreissigj ährigen Kriegs sein gan-
zes Besitzthum ein, sodass er arm und hülflos mit seiner zahlreichen Familie
1640 nacli Coburg zurückwanderte, wo er einige Unterstützung und 1644 eine
Lehrerstelle am G-ymnasium fand. In diesen bedrängten Umständen studirte
er noch Musik und Poesie und zwar mit solchem Erfolge, dass er mit den
besten Dichtern seiner Zeit Reimepisteln wechselte, Compositionen veröffent-
lichte und 1659 zum gekrönten Poeten ernannt und in Folge dessen unter dem
Namen Staurophilus von dem berühmten Johann Rist in den Schwauen-Orden
aufgenommen wurde. Er starb am 24. Septbr. 1667 zu Coburg. Von seinen
Compositionen kennt man: »Geistliches Harfenspiel aus dreissig vierstimmigen
Arien nebst Generalbass« (Coburg, 1657) und die Choralweisen »Kein Stünd-
lein geht dahin«, »Ach, wie nichtig, ach, wie flüchtig« und »Sey Gott getreu,
halt' seinen Bund«, deren Texte wenigstens bestimmt von ihm herrühren. —
Sein älterer Bruder, Sebastian F., geboren zu Schleusingen am 18. Januar
1606, war in musikalischer Beziehung ein Schüler des Theologen Theophilus
Grossgebauer und starb als Magister und Diaconus zu Schweinfurt am 13. Api'.
1668. Er wird in Wetzel's »Liederhistorie« als einer der vortrefllichsten Mu-
siker seiner Zeit bezeichnet, jedoch hat sich kein einziges seiner Werke bis auf
die neuere Zeit erhalten.
Francke, Wilhelm, ein elsässischer Tonkünstler des 16. Jahrhunderts, hat
50 von Marot für die reformirte Kirche gedichtete Psalme in Musik gesetzt
und 1543 zu Strassburg veröffentlicht. Nach dem AussiDruche von Fetis sind
dies dieselben Psalmenweisen, welche sich bei den Reformirten Frankreichs und
der Niederlande im Gebrauch erhalten haben und von Bourgeois, Goudimel
und Claudin le jeune eine vierstimmige Bearbeitung erfahren haben. S. Franc.
Francke oder Frauck, Johann, ein Dichter und Componist des 17. Jahr-
hunderts, geboren am 1. Juni 1618 zu Guben, studirte daselbst sowie in Cott-
bus, Thorn, Stettin und Königsberg die Rechte und die Poesie, verfasste welt-
liche und geistliche Dichtungen und starb am 18. Juni 1677 in seiner Vater-
stadt, woselbst er Bürgermeister und Landesältester geworden war. Von ihm
ist n. A. das Gesangbuchlied »Jesu, meine Freude« gedichtet und angeblich
auch coraponirt; aber nur die Johann Crüger'sche Melodie des Liedes ist be-
kannt geblieben. Von F.'s Compositionen erschien: »Geistliches Zion, d. i.
neue geistliche Lieder und Psalmen, nebst beygefügten theils bekannten, theils
lieblichen neuen Melodien, sammt Vaterunsers-Harfen« (Guben, 1648).
Frauckouan, Georg Franck von, deutscher musikalischer Schriftsteller,
geboren zu Naumburg am 3. Mai 1644, studirte zu Leipzig, Jena und Strass-
burg Heilkunde, Physik, Philologie und die Rechte nebst andern schönen Wis-
senschaften und wurde zu Heidelberg zum Professor der Medicin ernannt. Er ver-
sah darauf lange Zeit zu Strassburg und an kleinen Höfen in Süddeutschland
die Stelle eines obersten Curators in Kirchensachen neben der eines Leibarztes,
und folgte endlich einem Rufe als Justizrath und erster Leibarzt nach Kopen-
hagen, in welchem Amte er bis zu seinem am 16. Juni 1704 erfolgten Tode
verblieb. Musikwissenschaftlich hat F. sich durch seinen im J. 1672 in Hei-
Franco von Köln — Francoeur. 17
delberg gehaltenen Yortrag bemerkbar gemacht, in dem er darüber sich erging,
wie die Musik sich bei verschiedenen medicinischen Kuren dienlich erweise. Die-
sen Vortrag findet mau seinen gedruckten zwanzig medicinischen Satyren als
Anhang beigefügt. Mehr über F.'s Leben berichtet Walther in seinem musi-
kalischen Lexikon. — Sein Sohn Grerhard, Ernst von F., der 1676 geboren
war, starb im 73. Lebensjahre als königlisch dänischer Justizrath und Gesandter
am kaiserlichen Hofe zu Wien. Derselbe ist musikgeschichtlich zu erwähnen,
weil er 33,712 geistliche Lieder in 300 Bänden gesammelt hatte, die er nach
seinem Tode der Universitätsbibliothek zu Copenhagen zuwandte. Wahrschein-
lich hatte sein Vater den Grund zu dieser Sammlung in Strassburg gelegt.
Ob dieselbe noch vorhanden oder später, der königlichen Bibliothek einver-
leibt, mit dieser durch den am 26. Februar 1794 stattgefundenen Schlossbrand
vernichtet wurde, ist nicht mehr bekannt. t
Frauco von Köln (Franco de Colonia), genannt Parisiensis magister,
der älteste bekannte Schriftsteller, der über Mensuralmusik etwas hinterlassen
hat, und einer der geschichtlich merkwürdigsten Tonlehrer des Mittelalters,
welcher fast zuerst Ordnung auf dem theoretischen Gebiete der Musik ge-
schafft hat. Das wenige Zuverlässige, was über sein Leben bis jetzt erforscht
ist, beschränkt sich darauf, dass er, laut eigener Aussage in seinem »Compe«-
dium de discantws., in Köln geboren ist. Die Frage nach der Zeit seines Wir-
kens zunächst ist noch immer nicht endgültig gelöst, wenn auch Fetis, der ge-
neigt ist, F. in das 11. Jahrluindert zu versetzen, als weitere Resultate seiner
Forschungen meldet, dass derselbe seine Studien in Lüttich gemacht habe und
als Nachfolger seines Lehrers Adelman, eines Mönches der Abtei Stavelot, da-
selbst Unterricht ertheilt habe. Diese Angaben bedürfen der sorgfältigsten '
Prüfung; Zweifel gegen dieselben erregt bereits die ungefähr festgestellte Lebens-
zeit, die, conform der bis lange nach Forkel allgemein gültig gebliebenen An-
nahme, kui"z nach Guido von Arezzo, also um die Mitte und gegen das Ende
des 11. Jahrhunderts fallen soll. Dagegen gründete viel annehmbarer Kiese-
wetter auf den Zusammenhalt der in der vom Fürstabt Gerbert in der Biblio-
thek zu Mailand aufgefundenen Schrift F.'s »Musica et cantios mensurabilisa
gegebenen Musiktheorie mit dem möglichen Stande der Entwickelung der Ton-
kunst im 12. und 13. Jahrhunderte die Behauptung, dass F. nicht im 11.,
sondern zu Anfange des 13. Jahrhunderts in seiner Blüthe gestanden haben
müsse. Vgl. Leipz. allgem. musikal. Ztg. Jahrg. 1828, S. 893 u. ff. Die eben-
falls allgemein gewesene Annahme, F. sei der Erfinder des Mensuralgesangs
gewesen, welche man auf die Aussprüche der Verbesserer und Beförderer dieses
Kunstzweigs, Marchettus von Padua und Johann der Muris, gründete, die F.
ihren Lehrer nannten, wurde durch den von Gerbert aufgefundenen und dem
dritten Theile seiner y>Scriptores de^ musica« einvei'leibteu wichtigen Tractat hin-
reichend widerlegt. F. selbst nennt diesen Tractat ein Compendium, also eine
Zusammenstellung der zur Zeit seiner Abfassung geltenden Grundsätze der
mensui-irten Musik; vor ihm habe es viele Aeltere und Neuere gegeben, die
treffliche Regeln in dieser Sache geschrieben, welche er nur von den Irrthümern
und Fehlern in Nebendingen reinigen wolle, damit die Kunst nicht Schaden
leide u. s. w. Mit Recht sagt daher A. W. Ambros in seiner Geschichte der
Musik Bd. 2, S. 361 von F.: »Er wurde eine Autorität fast wie Guido; spätere.
Schriftsteller nennen ihn mit hoher Achtvmg.« ^
Fraucoenr, eine französische Tonkünstlerfamilie, die sich durch zwei ihrer
Glieder besonders verdient und berühmt gemacht hat. Der älteste dieses Na-
mens, Louis F., genannt Vhonnete Jiomme, war königl. Kammermusiker und
Violinist an der Oper zu Paris und starb am 17. Septbr. 1745. — Sein Bruder
Frangois F. war ein hochgeschätzter Violinvirtuose. Geboren am 22. Septbr.
1698 zu Paris, wurde er schon 1710 Violinist der Oper, wo er mit Rebel eine
Freundschaft schloss, die erst mit dem Tode endete. Bald nach dieser Zeit
erhielt er auch Anstellung in der Privatmusik des Königs und kaufte sich nach
Musikal. Convers.-Lexlkon. IV. 2
1 8 i'raufois.
zwanzigjähriger Dienstzeit die Charge eines der 24: Violons du roi, worauf er
1733 auch zum Kammercompositeur ernannt wurde. Vorher soll er, vielleicht
auf Kosten des Königs, eine Studienreise nach Deutschland unternommen und
längere Zeit in Frag und Wien geweilt haben, wo damals J. J. J^^'ux wirkte.
Im J. 1733 noch wurden F. und der in allen Unternehmungen und musikali-
schen Arbeiten eng mit ihm liirte ßebel Inspectoren und 1752 Directoren der
Grossen Oper, welches Amt sie bis 1765 führten, worauf Bcrtou und Trial in
dieser Eigenschaft eintraten. Inzwischen war F. als Nachfolger Collin de Bla-
mont's auch Surintendaut der Hofmusik geworden und hatte den Orden des
heiligen Michael, eine für einen Musiker bis dahin unerhörte Auszeichnung,
erhalten. Mit der Operndirektion gab er auch seine übrigen Stellungen auf
und lebte privatisirend bis zu seinem Tode, der am 7. Aug. 1785 zu Paiis
erfolgte. Noch in seinem SO. Lebensjahre hatte er eine sehr schmerzhafte Stein-
operation glücklich überstanden, ein Fall, der für seine robuste Natur spricht.
In seiner Jugend hatte er zwei Bücher Violin-Sonaten veröffentlicht, die einzi-
gen bekannt gewordenen Compositionen von ihm, au denen Hebel nicht mit-
arbeitend betheiligt gewesen war. Mit dem letzteren verbunden schrieb er für
die Grosse Ojjer mit bald grösserem, bald geringerem Erfolge: ^^Pyrame et Thishev.
(1720), r>Tarsis et Zelie« (1728), y>Scanderhe(ji. (1735), »ie hüllet de la paixv.
(1738), ferner i>Les Augustalesu (ein Prolog von Montcrif), »Ismenea, y>Zelindorv.,
»La trophte«, v.Les genies tutelairesa und »ia princesse de Noisg», welche Opern
und Divertissements in der Zeit bis 1760 auf <lie Bühne gelangten. — Sein
Neffe, Louis Joseph F., genannt le neveu, Sohn des zuerst genannten Louis
F., wurde am 8. Oktbr. 1738 zu Paris geboren. Kaum 7 Jahr alt, verlor er
seinen Vater, weshalb ihn sein Onkel, der kinderlos war, adoptirte und wie
einen Sohn ausbilden Hess. Derselbe brachte ihn schon 1747 zu den soge-
nannten Musikpagen des Königs, von wo aus er 1752 als Violinist in das
Operuorchester kam. Nachdem er 1764 zum zweiten Opernorchesterdirektor
ernannt worden war, folgte er 1767 Berton als erster Orchesterchef und wurde
1776 sogar einziger Direktor der Oper. In demselben Jahre erhob ihn der
König zum Kapellmeister seiner Privatmusik und einige Jahre darauf sogar
zum Suriutendanten derselben. Als Organisator zu Gunsten tüchtiger musi-
kalischer Autführungen hochbegabt , hatte F. einen Orchesterausschuss zuerst
in's Leben gerufen, der, von Allen gewählt, über die das Orchester betreffenden
Angelegenheiten vollgültig zu entscheiden hatte. Dieser Einrichtung, me über-
haupt der Musikdirektion F.'s, spendet Laborde das wärmste Lob. Im J. 1792
nahm er in Gemeinschaft mit Cellerier die Grosse Oper in Entreprise, wurde
aber in der Schreckenszeit als royalistischer Gesinnung verdächtig festgenommen,
nach dem 9. Thermidor erst wieder freigelassen und ihm noch einmal, zusam-
men mit Denesle, die Oberleitung der Grossen Oper übergeben. Doch bald
wurde er mit dem letzteren ab- und dafür Devismes und Bonnet de Treiches
eingesetzt. Seitdem entsagte F. allen Geschäften und lebte mit einer Pension
von Jerome Bonaparte in dem Hause seines Sohnes, eines ausgezeichneten Mathe-
matikers. Er starb zu Paris am 10. März 1805. Als Componist ist er mit
in Paris erschienenen Violin -Solos und Trios aufgetreten, sowie mit der ein-
aktigen Oper nismene et Lindora (1766) und der Bearbeitung einer älteren,
nAjaxd (1770). Andere Opern und Kirchenwerke hinterliess er im Manuscript;
dieselben sind seit 1821 zum grössten Theil im Besitz der Bibliothek des Pariser
Conservatoriums. Seine beste, von der studirenden Jugend noch lange nach
seinem Tode eifrig benutzte Arbeit ist die Schrift: r>Diapason general de tous
les instrumens ä vent, avec des observations sur chacun d'eiu-a (Paris, 1772),
von der Chorou eine neue Ausgabe veranstaltete. Jetzt, nach der totalen Um-
formung der Blasinstrumente hat dieses Buch natürlich keinen praktischen,
Sündern nur noch historischen Werth.
Frau(^'ol9, Florcnt des, französischer Tonküustler, um die Mitte des 17.
Jahrhunderts Kapellmeister an der Kathedralkirche zu Noyon, hat mehrere
Franco-Mendes — Franke. 19
seiner Messen veröffentlicht, die sich in der 1633 von Ballard veranstalteten
Sammlung vorfinden.
Franco-Meudes, Jacques, ein vorzüglicher Violoncello-Virtuose, geboren
1812 zu Amsterdam von israelitischen aus Portugal geflüchteten Eltern, erhielt
seinen ersten Unterricht auf dem Violoncello von Präger und in der Harmonie-
lehre von Bertelmann. Seine technische Ausbildung vollendete er seit 1829
bei Merk in Wien und concertirte 1831 in Geimeinschaft mit seinem Bruder
Joseph in London und Paris mit grossem Beifall. Der König der Niederlande
verlieh ihm in demselben Jahre den Titel eines Hof- Violoncellisten und ernannte
ihn 1834 zu seinem ersten Solospieler. Mittlerweile war F. mit seinem Bruder
1833 in Deutschland gewesen, und hatte Avifsehen erregt. Von 1836 bis 1841
lebte er in Paris, dann in Holland und unternahm erst 1845 wieder Kunst-
reisen in's Ausland. Seitdem theilte er seinen Aufenthalt zwischen seinem
Vaterlande und Paris und ist besonders als Concertspieler in letztgenannter
Stadt hochgeschätzt. In seinen Concerten hat er Violoncellostücke verschiedener
Art und Streichquartette seiner Composition hören lassen, die auch zum Theil
gedruckt worden sind. — Sein Bruder, Joseph F.-M., geboren zu Amsterdam
am 4. Mai 1816, wurde von Präger auf der Violine mit dem grössten Erfolge
ausgebildet, so dass er auf den Kunstreisen seines Bruders 1831 und 1833
alle Ehren desselben theilte. Mit demselben Hess er sich 1836 in Paris nieder,
wo sich Baillot seiner sehr annahm und ihn auf das Quartettspiel hinwies, in
welcher Gattung sich F. dann gleichfalls einen Namen machte. Er starb jedoch
schon am 14. Oktbr. 1841 zu Amsterdam. Von seinen Compositionen kennt
man Violinstücke und Streichquartette.
Fraucus, Elabetus, deutscher Tonsetzer aus der 2. Hälfte des 16. Jahr-
hunderts, Hess nach Draudius Bibl. Class. p. 755: »Newe Teutsche vnd lateinische
Lieder mit 3 Stimmen« zu Frankfurt a. 0. ums Jahr 1599 drucken. — Die-
selbe Quelle berichtet, dass ein Joannes F. im Jahre 1600 zu Augsburg
r>Cantiones sacrae 5, Q, 1 et S vocuma herausgab, — Der von Gerber in seinem
Lexikon von 1790 noch angeführte Wolfgang Ammonius F., der ein Choral-
buch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegeben haben soll, ist
wahrscheinlich Wolfgang Ammon (s. d.), der nach seiner Geburtsstätte in
Franken den Zunamen Francus führte. t
Frank, Georg, vortrefHicher und talentvoller Violinist und Dirigent, ge-
boren 1845 in Wien, bildete sich unter Jos. Hellmesberger's Leitung musika-
lisch in ausgezeichneter Art aus. Wiederholt Hess er sich in Wien, dann auch
in Pesth, Bukarest, Odessa u. s. w. öffentlich hören und erwarb sich durch
seinen schönen Ton und seine vorzügliche Technik den grössten Beifall, ja,
sein Spiel und der sich zugleich kund gebende künstlerische Ernst erweckte
die allgemeine Sympathie für ihn iü dem Maasse, dass u. A. die Fürstin Wo-
ronzoflf ihn mit einer kostbaren Guarneri- Geige beschenkte. F. trat als Violinist
in das Hofopernorchester in Wien, gab aber nach kurzer Zeit diese Stelle
wieder auf, um einem Rufe nach Odessa zu folgen, wo man ihm das Amt eines
Direktors der russischen Gesellschaft der Musikfreunde übertrug. Dieser Stel-
lung stand er mit Fleiss, Talent und Geschick vor, leider aber ebenfalls nur
ganz kurze Zeit, da er am 13. April 1871 in der ersten Blüthe seiner Jahre
einem Brustleiden erlag, das er schon lange mit sich herumgetragen hatte und
dem selbst das schöne Klima Odessa's keine Heilung mehr zu bx'ingen ver-
mochte.
Franke, F. C, Pianist und Virtuose auf dem Contrabass, 1841 in Quedlin-
bürg lebend, ist der Verfasser einer »Anleitung, den Contrabass zu spielen«. —
Andere Instrumentalisten dieses Namens sind: Hermann F., ein tüchtiger
Violinist, der auf Kosten des Königs von Sachsen 1870 seine letzte Ausbildung
bei J. Joachim in Berlin erhielt und gegenwärtig erster Violinist des gräfl.
Hochberg'schen Streichquartetts in Dresden ist; Leopold F., Oboevirtuose,
2*
20 Franlie — Frankreich.
um 18:50 lebend und S. F., Clariiiettist in Weimar 1833. Von allen Genann-
ten existiren auch Compositionen für die betreffenden Instrumente.
Frauke, Hermann, trefllicher deutscher Tonkünstler, lebt als Oantor zu
Crossen und liat werthvolle Milnnorchöre geschi'ieben , für deren einem (mit
Solo und Orchester) er auf dem Sängerfeste 1869 zu Baltimore den ersten
Preis erhielt. F. ist auch der Verfasser eines »Handbuchs der Musik« (Glogau,
18(57), des vorzüglichsten aller kleineren Musiklexica.
Frankeuberg:, Franz, ausgezeichneter und berühmter Opernsänger, geboren
zu Mattighofen in Bayern im J. 1759, hatte eine vorzügliche Bassstimme, welche
ihn veranlasste, dass er auf Anrathen Kaiser Josephs IL, als er in Wien seinen
Studien oblag, sich der theatralischen Laufbahn widmete. Im Jahre 1779 be-
trat F. zuerst als Tobys im »Jahrmarkte« zu Wien die Bühne, ging von dort
1784 nach Prag, dann nach Weimar, war hierauf 5 Jahre lang in Frankfurt
a. M. engagirt und kam 1788 nach Berlin, wo er am Nationaltheater als Stössel
in »Doctor und Apotheker« überaus beifällig debütirte und eine dauernde An-
stellung fand, aus der ihn aber schon am 10. September 1789 ein plötzlicher
Tod riss. Als Sänger und Mensch gleich ausgezeichnet, wie man aus der
kleinen »Leben und Charakter Frankenberg's« betitelten lesenswerthen Schrift,
der sein Bild beigegeben ist, ersieht, betrauerte man in Berlin allgemein den
so frühen Verlust. Der betreffende Bericht in den Annalen des Theaters vom
Jahre 1789, V. Heft Seite 03 und 93 betont die Theilnahme, Avelche der Hof
und die gesammte Einwohnerschaft diesem Trauerfalle schenkten. f
Fraukenberg, Gräfin von, zuletzt Stiftsdame im Hradschin zu Prag, wurde
ums Jahr 1796 daselbst als vorzügliche Sängerin, Ciavierspielerin und Musik-
kennerin sehr geschätzt. Mehr über sie berichten die Jahrbücher der Tonkunst
vom Jahre 1796 Seite 116. t
Fi'ankliu, Benjamin, einer der ausgezeichnetsten Männer seines Jahr-
hunderts, eine Zierde des Menschengeschlechts, berühmt als Physiker, Philosoph
und Staatsmann, wurde auf dem zu Boston gehörigen Govornors -Eiland am
17. Jan. 1706 von unbemittelten Eltern geboren und starb, von seinen Zeit-
genossen und der Nachwelt bewundert, am 17. April 1790 zu Philadelphia.
Ein ausführliches biographisches Denkmal ist ihm in anderen Werken gesetzt.
Hier ist er nur zu erwähnen als Vervollkommner der Harmonica (s. d.), füi-
deren Erfinder er noch immer vielfach fälschlich ausgegeben wird, und in sofern,
als er in mehreren seiner Werke, die, von Binzer in's Deutsche übersetzt
(4 Bde., Kiel, 1829) erschienen sind, die musikalische Kunst in einer Weise-
berührt, die eine gründliche Einsicht, hauptsächlich in ihren ästhetischen und
akustischen Theil bekundet. Dahin gehören namentlich seine eigenen Nach-
richten von der Erfindung und Verbesserung der Harmonica in einem Briefe
an den Pater Beccaria in Turin, sodann seine Betrachtungen über das Volks-
lied und das schicklichste Versmass dazu, und endlich seine Bemerkungen über
die unrichtige Declamation in vielen der beliebtesten Arien.
Frankreich. Französische Musik. Die ersten Anfänge der französischen
Musik sind in der Geschichte der Gallier zu suchen , insoweit sie uns durch
die Mittheilungen Caesar's und Diodor's bekannt ist; und wenn auch diese
Mittheilungen nicht von specifisch-musikalischem Interesse sind, so können sie
immerhin als Anhaltspunkte dienen, zur Beurtheilung der musikalischen Ent-
wickelung in Frankreich. Wie bei allen Völkern auf einer primitiven Ent-
wickelungsstufe finden sich auch bei den Galliern Religion und Kunst eng
verbunden. Die Druiden, Häupter, Priester und Richter des A'olkes pflanzten
ihre Gesetze, welche niederzuschreiben streng vei'boten war, durch auswendig
gelernte Gedichte und Gesänge fort, und dieser Gesänge gab es eine so grosse
Anzahl, dass nicht wenige der Schüler zwanzig Jahre zu ihrer Erlernung be-
durften — ein Beispiel von Beharrlichkeit, von Beschränkung auf ein engbe-
grenztes Gebiet, wie es unter den modernen Nationen nur bei den Franzosen
seines Gleichen findet. Eine zweite Art von gallischen Musikern waren die
Frankreich. 21
Barden, von denen Diodor erzählt, dass sie mit lyraähulichen Instrumenten ihre
Gesänge begleiteten, Gesänge, welche bald dem Lobe der Helden galten, bald
die Feiglinge tadelten und sie der Verachtung preisgaben. Mit der Zeit soll
aber die letztere Tendenz bei ihren Leistungen derart in den Vordergrund
getreten sein, und zwar mit Hinzuziehung des komischen Elementes, dass sie
mehr und mehr zu Possenreissern herabsanken: wiederum ein Charakterzug,
den die heutige französische Kunst nicht verleugnen kann, und den die Worte
des Dichters bestätigen: »Xe frangais, ne malin, inventa le vaicdevülea. Wenn
endlich Diodor das Singorgan der Gallier grobtönend und rauh nennt ((/raviso-
nam et horrendam), wenn Eckehard die unter Gregor zur Erlernung des römi-
schen Kirchengesanges nach Rom gekommenen gallischen Sänger unfähig nennt,
denselben zu erlernen, »sei es, dass sie aus Leichtsinn immer etwas von dem
ihrigen dazu mischten , oder dass ihre natürliche Wildheit sie daran hinderte«
— so würden beide den heutigen Franzosen gegenüber ihr TJrtheil nicht wesent-
lich modificiren, da sowohl die Schwierigkeiten, welche die Nasallaute der fran-
zösischen Sprache einer gesunden Stimmbildung entgegensetzen, als auch die
Eigenmächtigkeit in der musikalischen Reproduction noch immer ihren nach-
theiligen Einfluss auf die musikalischen Leistungen geltend machen. Nichts-
destoweniger hat F. vom frühen Mittelalter an bis auf die neueste Zeit in der
Entwickelungsgeschichte der Musik eine hochwichtige Rolle gespielt, denn was
ihm an musikalischer Begabung im Vergleich zu den Nachbarnationen abging,
das ersetzte es durch seinen Eifer, sich deren Errungenschaften zu assimiliren,
durch den ihm eigenen Geist der Initiative, ohne welchen der allgemeine musi-
kalische Fortschritt in mehr als einem Falle um unberechenbare Zeit verzögert
worden wäre. Schon Klodwig, der erste christliche König der Franzosen, em-
pfindet, nachdem er zum Christenthum übergegangen ist (496), das Bedürfniss
nach einer auf römische Weise ox-ganisirten Hofkapelle und ■^wendet sich des-
halb an den Gothenkönig Theoderich in Ravenna, der dann auch seinem -Mi-
nister Boetius den Auftrag giebt, einen geeigneten Kitharöden aufzutreiben
und nach Frankreich zu senden. Gleichzeitig führt der Bischof Gregor von
Tours den gregorianischen Kirchengesang in Frankreich ein. Auch Pipin sucht
(758) bei dem Papste Paul Hülfe gegen die immer wieder einreissende Ver-
nachlässigung des Kirchengesanges und erhält ebenfalls einen italienischen Ge-
sanglehrer, welcher die Mönche des heil. Remigius unterrichtete, die dann ihrer-
seits die Kunst des römischen Gesanges über ganz Frankreich verbreiteten.
Die grössten Verdienste aber für die Ausbildung des musikalischen Geschmackes
in Frankreich erwarb sich Carl der Grosse. Von ihm wissen wir durch seinen
Geschichtsschreiber Eginhard, dass er den Gesang nicht allein hochschätzte,
sondern auch selbst im Singen sehr geübt War, und dass kein Geistlicher es
wagen durfte, ihm vor die Augen za kommen, der nicht gründliche musikalische
Kenntnisse besass. Er zog nicht allein, wie seine Vorgänger, römische Gesang-
lehrer an seinen Hof, sondern er sandte auch eingeborene Geistliche nach Rom,
um sich dort in der Musik auszubilden, und endlich gründete er in den be-
deutendsten Stählten F.'s Gesangschulen , ' unter denen besonders die von Metz
so berühmt wurde, dass man den schönsten und reinsten Kirchengesang den
Metzer Gesang (cantilena Metensis) nannte. Karls Beispiel musste natürlich
auf seine Nachfolger fortwirken, und die Musik erfreute sich auch unter den
folgenden fränkischen Königen einer solchen Achtung, dass, wie Forkel erzählt,
ein Graf von Anjou dem König Ludwig IV. (940) schreiben konnte r>sachez,
sire, qu'un roi saus musique est un äne couronnea, nachdem ihn nämlich der
König wegen seiner Mitwirkung beim Messgesange ein wenig verspottet hatte.
Unabhängig von diesen Bestrebungen der Grossen und der Geistlichkeit hatte
sich inzwischen die Volksmusik in einer Richtung entwickelt, welche in
Frankreich noch bis in die neueste Zeit mit Vorliebe verfolgt ist: die kurze,
unter dem Namen chansoii bekannte Liedform, welche der Dichtung vor der
Musik stets das Uebergewicht lässt und eben deswegen in die geselligen und
22 Frankreich.
politischen Beziehungen des Volkes unmittelbar eingreift, erscheint zuerst in
einem Preisgesang auf Clotar IL, nachdem derselbe im Jahre 623 einen Sieg
über die Sachsen errungen. Obschon noch in lateinischer Sprache und mit
barbarischen Reimen verfasst, fand sich dennoch dies Lied, von dem Hildegard,
unter Karl dem Kahlen Bischof von Meaux, einige Strophen aufbewahrt hat,
in aller IMunde, und auch Frauen sangen es öffentlich, während sie dazu tanzten
und in die Hände klatschten. Noch berühmter ist das Rolandslied, welches
bis in das 14. Jahrhundert überall gesungen wurde, wo es galt, den kriegerischen
Sinn zu beleben, von dessen achtzehnhundert, nach anderer Angabe sogar zehn-
tausend Versen jedoch nichts mehr bekannt ist, es sei denn, dass man gewisse
bei den Pyrenäenbewohnern forterbende Gesänge als Fragmente desselben an-
sehen will. Auch von einem französischen Tyrtäus berichtet die Geschichte
des Mittelalters, von Taillefer -nqni moult Inen chanfoita, der in der Sclilacht
von Hastings unter Wilhelm dem Eroberer die Truppen durch die Macht seines
Gesanges zum Siege führte. Neben diesen kriegerischen Gesängen, -»chansons
de gestea genannt, sang man auch Lieder erotischen Inhalts, den Taroman d'aven-
turesa, in welchen die Thaten der irrenden Ritter (chevaliers erransu) besungen
wurden, das lai, auch vire-lai .genannt, eine ausführliche Erzählung von meist
tragischen Liebesabenteuern in regelmässig gebauten Strophen, den Fahliau
(Märchenerzählung) und die Hotruenge (Rundgesang). Dichter, Componist und
Vortragender war meist in einer Person vereinigt, in dem Menetrier, der als
Nachkomme des gallischen Barden einerseits, des römischen Komödianten und
scurris andrerseits betrachtet werden mus. Diese Musiker durchzogen mit ihrer
Harfe, Vielle (Viole), Rota, Chifonie, Organistrum (Drehleiher) oder Cornemuse
(Musette, Sackpfeife) das Land und suchten ihr Brod, ohne die Würde der
Kunst auch nur entfernt im Auge zu halten. Und ebenso wenig waren die
ersten Versuche dramatischer Darstellung, welche in diese Zeit fallen, geeignet,
veredelnd auf das Volk zu wirken. Es sind dies die sog. Mysterien oder Mo-
ralitäten, Spiele biblischen Inhalts, die ursprünglich von der G-eistlichkeit ver-
anstaltet waren, um das Volk mit den Religionsgeheimnissen bekannt zu machen,
die indessen bald in geschmacklose Mummereien voll plumper übscönitäten aus-
arteten. Den Gipfel dieser Art künstlerischen Auswuchses aber bildeten die
Narren- und Eselsfeste, bei welchen ersteren das Volk in den abenteuerlichsten
Verkleidungen in die Kirche drang, sich dort wie unsinnig geberdete und so-
gar vor den Augen des seine Amtspflicht erfüllenden Priesters Unsittlichkeiten
aller Art vollführen durfte. Bei den letzteren, welche für noch älter gehalten
werden, führte man einen Esel, mit einem Chorrock behangen, unter Begleitung
vieler Geistlicher und des Volkes durch die Strassen in die Kirche und sang
dazu Lieder von nichts weniger als kirchlichem Gepräge, nach der von du
Gange überlieferten und bei Forkel (II, 720) mitgetheilten Probe zu urtheilen.
Wenn nun gleich diese Feste noch bis ins 15. Jahrhundert gefeiert wurden
— noch 1479 wurde zu Rheims eine Erlaubniss dazu ertheilt — , so wich doch
der soeben geschilderte Zustand der Barbarei schon weit früher einer Periode
geistigen Aufschwungs, dessen Früchte nicht zum geringsten Theil der Poesie
und der Musik zu gute kamen. »Denn als die Christenheit«, um mit Gevaert
zu reden, »nach dem Schrecken des Jahres 1000 wieder zum Bewusstsein er-
wachte, erstaunt und entzückt, sich noch am Leben zu finden, da fühlte sich
flas Menschengeschlecht aufs Neue verjüngt. Kunst, Literatur und Unter-
nehmungsgeist belebten sich in ungeahnter Weise, die französische Sprache
stammelte ihre ersten Poesien; die Spitzbogenarchitektur bedeckte den Norden
F.s mit ihren ersten Meisterwerken; normannische Barone ziehen aus, um Eng-
land zu erobern und gründen ein französisches Königreich in Italien.« Be-
sonders die Kreuzzüge mussten sowohl die Phantasie, durch die Berührung mit
dem Orient, als auch das Gemüth in Folge der mannichfachen Drangsale und
Leiden für Ausziehende wie Daheimgebliebene zu reicherer Thätigkeit anregen,
und es ist begreiflich, dass auch den Grossen und den Rittern die seichte
Frankreich. 23
TJnterhaltungsweise der Menetriers nicht mehr genügt, dass sie nunmehr zu
eigenen künstlerischen Kundgebungen gedrängt werden. Unter dem lieblichen
Himmel der Provence, welche an Naturreiz dem Nachbarlande Italien nichts
nachgiebt und ausserdem um diese Zeit von den politischen "Wirren, welche
Italien zerfleischten, unberührt war, konnte die für die Entwickelung der Musik
und überhaupt der Civilisation so hochwichtige Kunst der Troubadours
sich in ganzer Pracht entfalten. Eine blühende und anmuthige Melodie, welcher
nur eine ausgebildete Harmonie fehlte, um sie zu festen unvergänglichen Ge-
bilden zu gestalten, ist das Charakteristische dieser Kunst, welche sich eben
dadurch von der kriegerisch rauheren , der nordfranzösischen Trouveres unter-
schied. Als der erste Troubadour wird Graf Wilhelm von Poitiers (1087 — 1127)
bezeichnet; die bedeutendsten unter seinen künstlerischen Zeitgenossen waren
Guicum Faidit, Blondel, der Erretter Richard Löwenherz' und der durch seine
Liebe zur Dame von Faiel, sowie durch sein tragisches Ende bekannte Chate-
lain de Coucy. Im Verhältniss zu der bis zu einem gewissen Grade noch starren
und unbeweglichen Melodie dieser Zeit zeigt die des Thibaut, Königs von Na-
varra, kaum ein Jahrhundert später eine Anmuth und Leichtigkeit, eine Sym-
metrie des Rhythmus, welche sie auch dem modernen Ohr völlig geniessbar
macht, und, was das Bemerkenswertheste ist, die moderne Tonalität (Dur und
Moll) findet sich schon in ihr deutlich ausgeprägt, während die Theoretiker
erst Jahrhunderte später sich von den Fesseln der Kirchentonarten befreiten.
Nur selten trugen die französischen Troubadours ihre Lieder selbst vor; sie
betrachteten sich eben als Erfinder (von trohar, trouver) und überliessen es den
Sängern und Instrumentisten von Profession, den sogenannten Jongleurs (Jo-
culatores, später Joiieurs), ihre "Werke zu verbreiten. Dass sich die gesellschaft-
liche Stellung dieser letzteren in solcher Abhängigkeit nicht heben konnte, ist
kaum zu verwundern; ein rechter Jongleur musste mindestens neun Instrumente
spielen können und war natürlich nicht im Stande, es auf einem derselben zu
einem höheren Grade der Ausbildung zu bringen. Die Darstellung in einem
Manuscript der Cottoniana, wo auf einem Bilde neben einer Anzahl Instrumen-
tisten auch ein Kugel- und ein Messerwerfer figuriren, lässt kaum einen Zweifel
in Bezug auf die niedrige Stellung, welche in jener sangreichen Zeit die In-
strumentalmusik einnahm; und als nun gar bei fortschreitender bürgerlicher
Ordnung der wandernde Menetrier nicht selten mit der Obrigkeit in Collision
gerieth und faktisch rechtlos wurde — z. B. fiel bei seinem Tode seine etwaige
Hinterlassenschaft an die Gemeinde — da blieb auch ihm nichts übrig, als sich
den neuen Verhältnissen zu fügen, sich sesshaft zu machen und in zunftmässiger
Vereinigung das Musikhandwerk zu betreiben. — Die erste derartige Musiker-
zunft war die -DÖonfrerie de S. Julien ßes Menetriersa , welche sich 1.330 in
Paris bildete und trotz mannichfachen Spaltungen in ihrem Innern doch mit
der Zeit so erstarkte, dass Karl VI. sie und ihren Vorsteher, den -dBoI des
Menestrels« im Jahre 1401 durch officielles Decret bestätigte. Die interessan-
teste künstlerische Persönlichkeit dieser Epoche jedoch ist Adam de la Haie,
1240 in Arras geboren, der nicht allein als Liederdichter und Componist seine
Zeitgenossen weit überragt, sondern auch durch sein Pastorale y>Jus de JRohin
et Mariona den Weg betrat, auf welchem F. später seine schönsten musika-
lischen Erfolge erringen sollte, denn hier treten zuerst die Keime hervor, aus
denen sich mit der Zeit die französische komische Oper entwickelte, und mit
Recht gilt Adam de la Haie als einer der Begründer der dramatischen Kunst
in F. Wie in den Liedern des Königs Thibaut von Navarra, so ist auch in
der Musik zu dem erwähnten Liederspiel die Herrschaft der modernen Tonalität
unverkennbar; gleichwohl aber ist Adam, eben so wie sein Zeitgenosse, der
durch seine Tanzlieder (balletes, hallades) und sein für die Krönung Karls V.
1364 componirtes Gloria bekannte Guillaume de Machaud, unfähig, die eigent-
lich schulgemässe Musik auf eine höhere Entwickelungsstufer zu erheben : beide
versuchten sich im mehrstimmigen Satz, ohne indessen die Rohheit und TJn-
24 Frankreich.
beholfenheit verleugnen zu können, welche den übrigen Productionen der Zeit
anhaftet. — Das neue Jahrtausend, welches den Geist der Poesie wiederum zu
so herrlicher Blüthe gebracht hatte, welches in der Malerei, der Architektur,
in den das tägliche Leben verschönernden und veredelnden Künsten dem Schön-
heitssinne des neu erstarkten Menschengeschlechts eine Fülle von Ausdrucks-
raitteln bot, es sollte auch die Fesseln sprengen, welche das freie Aufblühen
der Musik hinderten, und F. sollte an dieser Culturarbeit einen hervorragenden
Antheil nehmen. Der erste Herold der neuen Zeit ist Hucbald, ein Benedictiner-
raönch des Klosters St. Araand sur VElnon, in der Diöcese Tournay in Flan-
dern, auch monachus Elnonensis genannt, welcher 930 in hohem Alter starb,
nachdem er mit ebenso vieler Schtärfe des Verstandes, als liebevoller Aufopferung
für seine Kunst gewirkt hatte. Er ist der eigentliche Erfinder des mehrstim-
migen Gesanges, wenn überhaupt das Wort »Erfinder« auf diejenigen ange-
wendet werden kann, welche eine Kunst in dem Zeitpunkt vertreten, wo sie
sich aus dem Gröbsten herausgearbeitet hat und als brauchbares Ausdrucks-
mittel sich der kunstbedürftigen Menschheit darbietet. Freilich ist Hucbald's
einziges Bestreben, dem Geiste seiner Zeit gemäss unmittelbar an die Traditio-
nen des Alterthums anzuknüpfen, insbesondere sich mit ßoethius, der ersten
und einzigen musikalischen Autorität jener Zeit, in Uebereinstimmung zu setzen,
und demgemäss beschränkt sich auch seine Mehrstimmigkeit auf den Gebrauch
der von den Alten empfohlenen Consonanzeu, der Octave, Quinte und Quarte,
ausser welchen hier und da, doch nur im zweistimmigen Gesang und nur beim
Liegenbleiben der einen Stimme, die Secunde und Terz erscheinen dürfen.
Neben den Anweisungen zum Gebrauche des Organum oder der Diaphonie, wie
er seine Erfindung des »einträchtigen zwiespältigen Gesanges« ijennt, enthält
sein Hauptwerk, die musiea JEiichirlacHs , noch die Anleitung zu einer Noten-
schrift, welche gegenüber der bis dahin üblichen Neumenschrift einen wesent-
lichen Fortschritt bezeichnet, insofern sie das Auf- und Absteigen der Töne
versinnlicht. Hucbald bedient sich dazu einer Anzahl von Linien, deren Ton-
höhe, durch auf altgriechische Art umgewendete und umgelegte Buchstaben,
sowie nach Intervallen durch die Buchstaben t (Tonus) und s (Semitoniuni) be-
zeichnet ist, und in deren Zwischenräumen die Textessilben sich auf und ab
bewegen — eine Schrift, welche zwar an Lesbarkeit vieles zu wünschen übrig
Hess, die jedoch erst ein Jahrhundert später durch die des Guido von Arezzo
verdrängt wurde. Der Zeitraum zwischen Hucbald und Guido und selbst noch
über diesen hinaus liegt in einem Dunkel, welches die historische Forschung
bisher vergebens zu durchdringen versuchte. So viel ist sicher, dass die Kunst
des mehrstimmigen Gesanges mit Eifer betrieben und fortentwickelt wurde. In
eben dem Maasse aber machte sich nun auch das Bedürfniss geltend, die von
den verschiedenen Stimmen vorgetragenen Töne ihrem Werthe nach zu be-
zeichnen, und so der Willkür des Einzelnen im Interesse des Ganzen einen
Zügel anzulegen; die diesem Bedürfniss entsprungene neue Musikgattung aber,
welche recht eigentlich den Bruch mit den Traditionen des Alterthums voll-
endete und die Pforten einer neuen Musikwelt erschloss, ist die Mensural-
musik. Ob F. sich die Ehre dieser Erfindung zuschreiben darf, ob France
von Köln, oder Franco von Paris derjenige war, welcher zuerst die neue
Botschaft verkündete, darüber herrscht allerdings noch Meinungsverschiedenheit.
Dagegen ist mit Gewissheit zu behaupten, dass keines der europäischen Cultur-
völker sich mit gleichem Eifer auf die Ausbildung dieses neugewonnenen Kunst-
zweiges geworfen hat, wie F. Der Discantus (Dechant) und der Faux-hoiirdon
waren die ersten Früchte der neu eingeschlagenen Riclitungen, Gattungen des
Organum, welche recht eigentlich den Uebergang von diesem zum modernen
Contrapunkt bilden. Die erstere, der Discantus, bestand ursprünglich nur aus
zwei Stimmen, dem Tenor (von tenere, halten, weil er als cantus ßrmus das
übrige zu tragen ftnd zu halten hatte) und dessen Gegengesang, den Discantus,
zu welchem später übrigens noch weitere Stimmen, Motetus, Triplura und
Frankreich. 25
Quadruplum hinzukamen. Man unterschied ihn in einfachen und verzierten
(Fleiireftes) ; beim ersteren sang die Gegenstimme meist im Einklang mit dem
Tenor, und beschränkte sich höchstens darauf, eine Stufe aufwärts zu schreiten,
wenn der Tenor abwärts ging, ein Verfahren, in welchem das für die spätere
Harmonielehre so wichtige Gesetz der Gegenbewegung schon unbewusster Weise
zur Anwendung kommt; im verzierten Discantus wurden dem Sänger grössere
Freiheiten gestattet und er konnte sich in beliebigen, lediglich durch seine
musikalische Einsicht geregelten Figuren über dem Tenor ergehen. Der Faux-
Bourdon (ital.: Falso Bordone), dessen Name bald vom lateinischen burdo, Maul-
esel, abgeleitet wird, weil er halb cantus ßrmus, halb cantus figuratus ist, bald
von hordone, was eine Hummel, die Verbrämung der Kleider oder auch einen
Pilgerstab bedeuten kann , bezeichnet einen bedeutenden Fortschritt gegen das
Organum, insofern er den Gebrauch der Sexte gestattet, und somit durch sein
Erscheinen das Missverständniss beseitigt ist. dessen Folgen das Mittelalter bis
dahin nur zu schwer zu tragen gehabt hatte, dass nämlich die Alten, indem
sie nur die Octave, Quinte und Quarte als Consonanzen gelten Hessen, den
Gebrauch der übrigen Intervalle überhaupt nicht gestattet hätten. Die Hin-
zufügung einer dritten Stimme, welche mit der Oberstimme eine Quarte bildete,
war eine zweite Ausbildungsstufe des Faux-Bourdon ; doch erst in noch späterer
Zeit, als man den Tenor von zwei höheren und einer tieferen Stimme, Note
georen Note, in lauter Consonanzen begleiten liess, gelangte er zur eigentlichen
Blüthe und konnte der Ausgangspunkt werden für die Entwickelung des
Kirchencf esaneres in Rom. wohin er von Avignon aus durch die Päpste ver-
ptlanzt war. Diese beiden neuen Gattungen des mehrstimm'gen Gesanges nun
wurden in F. mit besonderer Liebe gepflegt, der König errichtete für sie die
•acJiapelle musique du roh; Kirchengesangschulen wTirden in jeder grösseren Stadt
des Reiches einsrerichtet, die sog. maifrises, an welchen die Jugend regelmässigen
Unterricht im Dechant erhielt: ein Jean de Muris lehrte an der pariser Uni-
versität die Gesetze der neuen Kunst und Johannes Gerson, der Kanzler der
Universität, entwirft selbst den Plan zur Einrichtung der Gesangscbule in der
Kirche Notre dame. Dass aber die pariser Universität, in damaliger Zeit der
Centralpunkt der wissenschaftlichen Bestrebungen von ganz Europa, auch die
Hauptpflanzstätte für die Musik werden musste, erklärt sich dadurch, dass diese
in ihrem derzeitigen Entwickelunorsstadium mehr dem Gebiete der "Wissenschaft
und der Religion — Roger Bacon erklärt sie als einen Theil der Religion, zu
der sie sich, wie die übrigen "Wissenschaften verhalte, w^e die Finger zur Hand
— als dem der Kunst ansfehörte. Gleichwohl konnte sich aber die Musik in
die ihr angewiesene Stellung nicht recht hineinfinden, und der Drang nach
Selbstständigkeit und freierer Bewegung führte sie auf solche Abwege, dass
der Papst Johann XXII. in einer Verordnung vom Jahre 1322 den Gebrauch
des Discantus im Kirchengesansr gänzlich verbot. Nicht allein setzten die
dechantirenden Sänger in ihren freien Phantasien über dem cantus firmu^ mit
virtuosenhafter Eitelkeit alles Maass bei Seite, sondern auch die Componisten
ffingen in ihrem contrapunktischen Streben mit solchem Leichtsinn zu "Werke,
dass sie ohne Bedenken weltliche, nicht selten leichtfertige Melodien auf die
kirchlichen Gesänge pfropften, wobei sie. naiv genug, sogar den profanen Text
neben den heiligen Worten beibehielten, und ebensowenig scheuten sich die
Trouveres. als Gegenstimme zu den von ihnen erfundenen Chansons ein kirch-
liches Motiv zu benutzen. Diese Umstände, noch mehr aber die politischen
und religiösen Stürme, welche F. in dem folgenden Jahrhundert heimsuchten
und die Kunst zwanofen. sich einen ruhigen Zufluchtsort zn suchen, waren die
Ursache, dass es die Früchte seiner Arbeit nicht geniessen sollte und den
Ruhm, die Mensuralmusik auf die höchste Stufe gebracht zu haben, den Nieder-
ländern überlassen, oder ihn wenigstens mit ihnen theilen muss. Okeghem
aus Termond im ostlichen Flandern, Josquin de Pres. 1445 im Hennegau, wahr-
scheinlich in Conde geboren. Roland de Lattre (Orlando Lasso) aus Mens
26 Frankreich.
würden, der beutigen politischen und Spracagrenze nach, unbedenklich als Fran-
zosen bezeichnet werden können; aber auch bei der damaligen schärferen Tren-
nung der Niederlande von F., bei aller nordischen Eigenart, welche sich in den
Forschungen und Arbeiten der niederländischen Tonsetzerschule ausspricht,
muss diese doch als direkte Erbin der altfranzösischen angesehen werden, und
ihre ersten Vertreter, Dufay und Binchois, fussen unmittelbar auf den von
Paris überkommenen Lehren. Cousscmaeker's Verdienst ist es, durch Entdeckung
und Publicirung eines reichen Schatzes mittelalterlicher Musikstücke, besonders
der altfranzösischen Schule, jenen Zusammenhang dargethan und die bisher
verbreitete Meinung widerlegt zu haben, als sei die Kunst des Contrapunktes eine
Tochter des niederländischen Volksliedes. Ein Jahrhundert voll schwerer innerer
Kämpfe hatte F. noch vor sich, als das Nachbarland Italien mit Beendigung
seiner politischen Wirren, sich wiederum dem Cultus des Schönen widmen,
und wie in den ührigen Künsten, so auch in der Musik die Führerschaft unter
den Nationen Europa's übernehmen konnte. Freilich war es der Musik nicht
vergönnt, sobald zur Blüthe zu gelangen wie die Poesie, die Malerei und die
Architektur, w^elche, indem sie sich mit Hülfe der voi-handenen Denkmäler des
Alterthums verjüngten, zuerst von der Sonne der Renaissance zu neuem Lehen
erweckt wurden; erst durch den Einfluss der niederländischen Schule, welche
zur Zeit ihrer reichsten Blüthe eben in Italien, sowohl am päpstlichen Hof
als auch bei den Herzögen von Florenz und Mailand ihren Schwerpunkt fand,
konnte die Musik als ebenbürtig in den Kreis der Schwesterkünste treten, und
die Tonsprache diejenige Ausdrucksfähigkeit gewinnen, deren sie bedurfte, um
dem neuerwachten Geiste als Werkzeug zu dienen. Erst mit dem Ende des
16. Jahrhunderts beginnt die Renaissance sich auch in der Musik geltend
zu machen; die Tonkunst schreitet aus ihrem bindenden Verhältniss zur Re-
ligion in die grosse freie Welt hi.naus, und wie mit dem Abschluss des Mittel-
alters statt der bisherigen gemeinsamen Hingebung das Selbstgefühl des Ein-
zelnen in den Vordergrund tritt, so muss auch der mehrstimmige Gesang, die-
jenige Musikgattung, welche man bisher allein als Kunst hatte gelten lassen,
dem Einzelgesange, der Monodie weichen. Caccini, der Herausgeber einer Samm-
lung von Canzonen und Madrigale unter dem Titel r»iuove musichea und Peri
wurden die wichtigsten Förderer dieser Kunstgattung und zugleich des musi-
kalischen Drama's, der modernen Oper, welche zunächst dem Bestreben der
florentiner Alterthumsfreunde, die antike Tragödie wieder zu erwecken, ihre
Entstehung verdankt. Das Beispiel Italiens konnte natürlich für F. nicht
lange wirkungslos hleiben. Schon im 16. Jahrhundert hatten sich hier zwei
namhafte Meister gezeigt, welche ihre Thätigkeit nicht ausschliesslich der Kirche
widmeten, Arcadelt, zuerst Mitglied der päpstlichen Kapelle, später im Dienste
des Cardinais von Lothringen in Paris wirksam, ist nebst Willaert einer der
Begründer des Madrigals (der mehrstimmigen Gesänge weltlichen Inhalts) und
hatte mit einer 1538 in Venedig erschienenen Sammlung dieser Musikstücke
einen beispiellosen Erfolg; der andere, Claude Goudimel, bekannt als der Lehrer
Palestrina's, componirte die von Clement Marot ins Französische übersetzten
Psalmen Davids; ein für die Ausbildung des französischen Volksgesanges viel-
versprechender Versuch, da hier wie in den übrigen katholisch gebliebenen
Ländern in Folge der neuen Kunstrichtung eine scharfe Souderung zwischen
Kirchlichem und Weltlichem eintrat, und eine musikalische Theilnahme der
Gemeinde beim Gottesdienst, wie sie bei den Germanischen Nationen in Folge
der Reformation eingeführt wurde, der katholischen Kirche nach wie vor fremd
blieb. Doch musste Goudimel's trauriges Schicksal allerdings die Nachahmer
abschrecken. Denn obwohl die Sorbonne sein Werk geprüft hatte und nichts
dem katholischen Glauben Widerstreitendes darin nachweisen konnte, so wusste
es die Partei des religiösen Fanatismus doch dahin zu bringen, dass sein Name
auf die Liste der Proscribirten der Bartholomäusnacht gesetzt und er am 24.
August 1572 in Lyon ermordet wurde. — Natürlich erhielt unter solchen Ver-
Frankreich. 27
hältnissen die musikalische Bewegung in F. einen vorwiegend weltlichen Cha-
rakter. Schon im 16. Jahrhundert gehörte die Fähigkeit zu singen und den
Gesang mit der Laute zu hegleiten unter die nothwendigen Eigenschaften der
Leute von Geschmack; Lieder im Volkston mit Begleitung der Laute, theils
airs de cour, theils voix de ville (später vaudeville) genannt, wurden in zahl-
reichen Sammlungen veröffentlicht, und unter Franz I. und Heinrich IL strömten
italienische Künstler so massenhaft an den französischen Hof, dass die Haupt-
stadt aufs Neue in künstlerischem Glänze strahlte und im Begriffe war, ihre
frühere Stellung als Centralpunkt des europäischen Kunstlehens wieder einzu-
nehmen. Zur völligen Entfaltung gelangten jedoch diese musikalischen Keime
unter Ludwig XIV., in dem Zeitalter, welches die Franzosen noch heute als
das ruhmvollste ihrer Geschichte hezeichnen, dessen allgemeinen Kunstcharakter
Gustave Chouquet in seiner y>Jiisfoire de la musiqae franpaiseai in folgender Weise
zeichnet: »Das Werk Richelieu's ist vollendet, das Parlament besiegt, die Aristo-
kratie unschädlich gemacht; Ludwig XIV., schön, edel, majestätisch und trium-
phirend regiert F., nicht als gemeiner Despot, aber als Herrscher, welcher alle
Elemente der Nation auf sich zu concentriren weiss. Der jugendliche Monarch,
wenn er ausrief y>Vetat c^est moü«, konnte mit demselben Rechte" sagen r)la
litteratiire c^est moi«, -nVart c^esf moia, denn Dichter, Schriftsteller, Architekten,
Maler, Bildhauer und Musiker, alle Hessen sich durch ihn inspiriren, alle arbei-
teten für ihn. Das ist es, was den Kunstwerken dieser Epoche jenen Charakter
völliger Einheit giebt, wie ihn keines der späteren Zeiten in gleichem Grade
aufweisen kann. Die Musik ist feierlich wie die Dichtungen Racine 's und
Boileau's; an Grossartigkeit und pomphafter Majestät erinnert sie ebensowohl
an die Bilder Charles Lebrun's, wie an die von le Notre gezeichneten Schloss-
gärten und die Fa^ade des Versailler Schlosses von Jules Hardouin Mansard.
So sieht man die beiden Ströme, welche bisher die Musik befruchtet hatten,
ohne sich zu vermischen , die gelehrte und religiöse Musik auf der einen,
die Volksmusik auf der andern Seite , sich endlich hai'monisch. vereinigen
und zwar so vollständig, dass der Kirchengesang sich von dem des Theaters,
was die Form betrifft, in keiner Weise unterscheidet; der geistliche Lalande
und der weltliche Lulli sind nicht nur Zeitgenossen : sie sind auch ge-
meinsame Vertreter des religiösen und monarchischen Gefühls, von dem ihre
Zeit erfüllt ist.« Dieser Zeit konnte zum musikalischen Ausdruck ihrer Em-
pfindungen weder die vom gallischen Volkshumor inspirirte Chanson genügen,
noch auch die erst kaum geborne und doch schon bald nach Monteverde (1568
— 164.3) sich verflachende italienische Musik; und während auf den Theatern
Italiens die dramatische Wahrheit zu Gunsten des Virtuosenthums der Sänger
schon jetzt zurücktreten musste, bildet sich in Paris eine Geschmacksrichtung
heran, welche die Musik nur als ein Hülfsmittel zur Steigerung des dramati-
schen Pathos betrachtet und dem rhetorischen Element das Vorrecht vor dem
musikalischen vindicirt. Dieser Geschmacksrichtung verdankt die grosse Oper
der Franzosen ihre Entstehung, eine Gattung der dramatischen Poesie, aut
welche Frankreich mit Recht stolz sein kann, da sie besser als alle früheren
Versuche die Aufgabe einer Wiedererweckung der antiken Tragödie gelost hat;
und wenn einerseits nicht unerwähnt bleiben darf, dass die bedeutendsten För-
derer der grossen Oper Ausländer waren, so ist andrerseits die Macht des na-
tionalen Geistes der Franzosen zu bewundern, der es vermochte, die bedeutend-
sten Talente Italiens und Deutschlands seinen Zwecken dienstbar zu machen,
und sich zu assimiliren. Der Florentiner Jean Baptiste Lully wurde der Schöpfer
der grossen Oper, nachdem er 1672 von Ludwig XIV. das Privilegium erhielt,
die zur Aufführung bei den Hoffesten bestimmten, mit höchstem Luxus an Bal-
letts, Costümen und Decorationen ausgestatteten musikalischen Dramen auch
vor dem Publicum gegen Bezahlung aufzuführen und die Akademie royale de
Musique zu eröffnen, welche noch bis heute der Centralpunkt des musikalischen
Frankreichs geblieben ist. Zwei Umstände waren es vornehmlich, welche Lully
28 Frankreich.
in den Stand setzten, in so umfassender Weise auf die Nation zu v/irken: Die
Mitarbeiterschaft Quinault's, dessen Tragödien so sehr der damaligen Anschauungs-
weise entsprachen, dass sie auch ohne Musik ihre Wirkung auf das Publikum
nicht verfehlten; sodann sein eignes Verdienst, den deklamatorischen Accent
der Sprache richtig erfasst utkI in seiner Musik consequent wieder gegeben zu
haben, eine Fähigkeit, welche auffallender Weise den Franzosen selbst in der
Regel abgeht, wie ein Vergleich der Vocalcompositionen französisclier Musiker
mit denen von Lully, Gluck, Gretry genügend beweist. Bei diesem Bestreben,
der dramatischen Situation und dem AVortaccent getreu zu folgen, musste aller-
dings die Musik auf gewisse Grenzen beschränkt bleiben, und so begnügt sich
auch Lully meist mit dem liecitativ, welches nur hin und wieder durch das
Air — gewöhnlich eine Tanzraelodie — unterbrochen wird. Rechnet man
hinzu, dass das begleitende Orchester eine höchst untergeordnete Rolle in sei-
nen Opern spielte und lediglich die volle Harmonie zum Grundbass anzugeben
hatte, so begreift man das geringschätzige Urtheil, welches LuUy's Opern bei
den Freunden der italienischen Musik hervorriefen; so sagt z. B. Grimm in
seiner eorr. litt, von der Oper Atys y>mise en musique ou plutot en plainchant
fo/r Lullyv. um die an den römischen Kirchengesang streifende Monotonie der
Lully'schen Compositionsweise zu bezeichnen. Dennoch hielten sich Lully's
Opern ein volles Jahrhundert auf dem Repertoire der grossen Oper, bis mit
der letzten Aufführung des yyThesee« im Jahre 1778 seine Aera abgeschlossen
wurde und das Aufti'eten Gluck's eine neue Entwicklungsepoche für die grosse
Oper eröffnet. Nur einem Componisten gelang es, mit der Lully'schen Musik
zeitweilig zu rivalisiren und sogar einen wesentlichen Schritt über sie hinaus
zu thun. Jean Philippe Rameau, 1683 in Dijon geboren, wurde zunächst durch
seinen 1722 veröffentlichten -»Tratte de VTiarmoniev. bekannt und berühmt, ein
um so bedeutungsvolleres Werk, als hier zuerst die Grundsätze ausgesprochen
und zusammengefasst sind, auf welchen die moderne Musiktheorie basirt. Auoh
Rameau's Opern, deren erste -ollippolyte et Ariden im Jahre 1732 aufgeführt
wurde, legen von der harmonischen Begabung und dem gründlichen Studium
des Componisten ein glänzendes Zeugniss ab; die Stimmen bewegen sich freier
und beginnen, der vorgeschrittenen Kunst des Sologesangs Rechnung zu tragen;
die Begleitung beschränkt sich nicht mehr wie bei Lully auf die Ausfüllung
eines bezifferten Basses, sie wird reicher und mannichfaltiger, auch das Orchester
nimmt eine selbständige Haltung an und die Individualität der einzelnen In-
strumente fängt an sich geltend zu machen. Dass diese Eigenschaften der Ra-
meau'schen Musik ihr dieselben Vorwürfe zuzogen, welche die nach ihm kom-
menden Musikreformatoren bis auf die neueste Zeit zu dulden hatten, braucht
kaum besonders erwähnt zu werden: die Kritik des Baron Grimm könnte den
conservativen Musikkritikern aller Zeiten zur Schablone dienen. »Dieser be-
rühmte Mann weiss alle seine Vorgänger durch den Aufwand von Harmonien
und Noten todt zu machen. Lully begnügte sich, eine psalmodirende Sing-
stimme durch den Bass zu unterstützen; Rameau fügt allen seinen Gesang-
stücken eine Orchesterbegleitung hinzu, die meistentheils geschmacklos ist und
fast immer die Singstimme übertönt statt sie zu heben , wodurch dann die
Sänger gezwungen werden, in einer für zarte Ohren unerträglichen Weise zu
schreien und zu brüllen«. Dennoch beherrschte Rameau zwanzig Jahre hin-
durch mit Lully die pariser Opernbühne in unumschränkter Weise, bis im August
1752 eine italienische Gesellschaft in Paris ankam und die Erlaubniss erhielt, in
der Academie royale de musique komische Opern aufzuführen. Der grosse Er-
folg dieser sogenannten houjfons alsbald bei ihrem Auftreten war das Signal
zu einem erbitterten Kampfe zwischen der nationalen Partei und derjenigen,
welche dem gespreizten Wesen der grossen Oper schon längst abhold war und
in dem Vorherrschen des Wortes auf Kosten der Musik den Ruin der Kunst
erblickte. Der Hof selbst nahm Stellung in diesem Kampfe, welchen man nach
den Plätzen der Parteihäupter unter der Loge des Königs und der der Koni-
Frankreich. 29
gin, dem coin du roi und dem coin de la reine benannte, und der schliesslich
— hauptsächlich durch die Bemühungen der Mitglieder der grossen Oper, welche
ihre materiellen Interessen gefährdet sahen — zu Gunsten der nationalen Par-
tei entschieden wurde, wenngleich die Gegenpartei, die der Italiener, Namen
wie Grimm und J. J. Rousseau zu den ihrigen zählte. Rousseau, der durch
den grossen Erfolg seines Dictionnaire de Musique und seiner Oper »ie devin
du villageis. als theoretischer wie als praktischer Musiker eine unbestrittene Au-
torität errungen hatte, ging so weit, den Beweis zu führen,* dass die französi-
sche Sprache zur musikalischen Composition ungeeignet sei, und es überhaupt
keine französische Musik geben könne. — Die nächste Zukunft sollte jedoch
die IJnhaltbarkeit seiner Behauptung darthun. Die AVirkung der italienischen
Bouffons auf den Geschmack des pariser Publikums war eine zu intensive ge-
wesen, als dass mau sich nach ihrer Vertreibung im März 1754 nicht um einen
Ersatz für sie bemüht hätte. Um der auf den Grundsätzen der poetisch dra-
matischen Darstellung beruhenden grossen Oper ein specifisch musikalisches
Element entgegenzusetzen, griff man zunächst zu den Productionen des Nach-
barlandes, welche man in französischer Bearbeitung dem Publikum vorfühi-te.
Bald jedoch veranlasste der andauernde Erfolg dieser Versuche Dichter wie Fa-
vart, Sedaine, Marmontel, selbständige Arbeiten dieser Gattung zu liefern, und
als sich nun auch der neapolitanische Componist Duni 1757 nach Paris ge-
wendet hatte und sein anmuthiges, leichtes Talent während dreizehn Jahren
mit dem der genjannten Dichter vereinigte, da konnten die Gegner der grossen
Oper mit Recht triumphiren, denn die französische opera comique, noch ungleich
enger mit dem Volkscharakter verwachsen als jene, war ins Leben getreten —
allerdings wiederum nicht ohne Mithülfe des Auslandes, mindestens was den
musikalischen Theil betrifft. Dass aber auch in der komischen Oper auf die dra-
matische Seite ein unverhältnissmässig grösseres Gewicht gelegt wurde als auf die
musikalische, davon liefert der meist geringe theoretische Bildungsgrad ihrer
Vertreter einen Beweis: Monsigny, der Nachfolger Duni's in der Gunst des
Publikums, componirte ohne alle vorhergegangenen Studien, lediglich durch die
Leistungen der Bouffons angeregt und durch die Frische seiner melodiösen Er-
findung unterstützt. Philidor, der mit jenen beiden die komische Oper be-
herrschte, bis Gretry das Scepter ergriff, stand zwar als geschulter Musiker
ungleich höher als Monsigny, betrachtete aber dennoch das Componiren als eine
Nebensache — es ist bekannt, dass er seiner Meisterschaft im Schachspiel Ruhm
und Vermögen zu verdanken hat — und zog sich willig von der Bühne zurück,
als er in Gretry einen Meister erkannte, dem er nicht gewachsen war. Gretry
konnte es gelingen, der komischen Oper diejenige Vollkommenheit' zu geben,
deren sie bedurfte, um als Repräsentantin der nationalen dramatischen Musik
in F. zu gelten. Obwohl auch er sich an Tiefe des Studiums mit den musi-
kalischen Grössen seiner Zeit keineswegs messen konnte, so wusste er dafür
seine Fähigkeiten um so geschickter und gewissenhafter auszunutzen und dem
Compositionsprincip treu zu bleiben, welches er in seinen Memoiren ausspricht:
»um seine Empfindungen riclitig und wahr auszudrücken, muss man die Melodie
aus der Declamation hervorgehen lassen und das Orchester nur als eine äussere
Zuthat betrachten«. Der italienischen Schule war er unbedingt ergeben; er
nannte sie sowohl für Composition als für Gesang die beste, welche existire. Gleich-
wohl Hess er sich durch die Sorgfalt, mit welcher er seine Melodien bildete,
niemals verleiten, dem Wortaccent einen Zwang anzuthun; seine Aeusserung,
»dass das wahre Element des musikalischen Ausdrucks schon in der Betonung
im Sprechen gegeben sei und der Componist dasselbe nur fixiren müsse«, seine
Bemühungen, an dem Vortrag der Schauspieler des Theätre frangais den rich-
tigen musikalischen Ausdruck zu studiren, beweisen hinlänglich, wie sehr ihm
eine richtige Declamation am Herzen lag. Endlich drängte ihn sein weniger
grossartig als vielmehr lebhaft und geistreich angelegtes Naturell zu einer Er-
weiterung des engbegrenzten Gebietes der Opera huß'a, und hier kam ihm die
30 Frankreich.
von (leu Encyclopiulisten verbreitete Kiiustauschauuug zu Hülle, nach welcher
eine strenge Scheidung der seriösen und komischen Gattung die künstlerische
Wahrheit verfehle, und das allein Richtige vielmehr in der Mitte, in einer
Vermischung der beiden Stile zu suchen sei. So konnte denn die komische
Oper, von allem conveutionellen Zwange befreit, den ganzen Kreis der mensch-
lichen Leidenschaften in ihren Bereich ziehen, und in dieser dramatischen Viel-
seitigkeit liegt die Hauptttrsache des Erfolgs der komischen Oper und ihres
berühmten Vertreters, welcher selbst während der Hitze des Streites zwischen
Gluckisten und Piccinisten die Genugthuuug hatte, nicht nur nicht vergessen,
sondern auch von beiden Parteien enthusiastisch applaudirt zu werden, — Die
grosse Oper hatte sich inzwischen von den Zeitströmuugen völlig unberührt
erhalten und das in manchen Beziehungen nur zu neuerungssüchtige pariser
Publikum hatte diesmal den Beweis der äussersten Stabilität und Genügsamkeit
geliefert, indem es sich nunmehr fast ein Jahrhundert hindurcli mit LuUy und
Rameau begnügte. Die Geschmacksrichtung, welche in der komischen Oper
zur Geltung gelangt war, das Streben nach Wahrheit im Ausdruck und die
von denEncyclopädisten ausgegangene Opposition gegen das Conventionelle mussten
jedoch auch dort zu einem entscheidenden reformatorischen Schritte hindrängen;
und wie die Zeit dazu durchaus günstig war, so fand sich auch der geeignete
Mann in Gluck. Die Grundsätze, welche ihn bei der Composition seiner spä-
teren Opern leiteten — bekanntlich war er schon zwanzig Jahre lang als Opern-
componist thätig gewesen, bevor er zu dem Entschluss kam, den hergebrachten
Missbräuchen der italienischen Oper den Krieg zu erklären — hat er selbst in
dem Dedicationsschreiben vor der »Alceste« in klarster Weise dargelegt, und
sie fallen so genau mit denjenigen zusammen, auf welchen die französischen Na-
tionalloper ihrem Wesen nach basirt, dass die dahingehörigen Stellen hier wört-
lich mitgetheilt zu werden verdienen: »Ich habe mir vorgenommen, die Musik
von all den Missbräuchen zu reinigen, welche theils durch die falsch speculireude
Eitelkeit der Sänger, theils durch die übergrosse Nachgiebigkeit der Compo-
nisten sich in die italienische Oper eingeschlichen haben und aus dem präch-
tigsten und schönsten aller Schauspiele das lächerlichste und langweiligste
machen. Es war meine Absicht, die Musik auf ihren eigentlichen Wirkungs-
kreis zu beschränken als Dienerin der Poesie, deren Ausdi'uck sie zu verstär-
ken hat, ohne die Handlung zu unterbrechen oder das dramatische Interesse
durch unnütze Zierrathe abzuschwächen, und ich ging von der Ansicht aus,
dass sie zur Dichtkunst in demselben Verhältniss stehen müsse, wie die Farbe
zu einer wohlangelegten Zeichnung, deren Umrisse dadurch wohl belebt, aber
nicht verändert werden. Ich musste es also vermeiden, den Sänger in der
grössten Erregung des Dialogs anzuhalten, um das Ende eines langweiligen Ri-
tornells abzuwarten, oder ihn in der Mitte eines Wortes auf einem günstigen
Vocal den Ton aushalten zu lassen, oder ihm Gelegenheit zu geben, in einer
langen Passage die Geläufigkeit seiner Stimme zu zeigen, oder endlich das Or-
chester spielen zu lassen, damit er Zeit gewinne, um für seine Cadenz Athem
zu holen. Ich hielt es für unrichtig, den zweiten Theil einer Arie schnell und
ohne Berücksichtigung der etwaigen Wichtigkeit des dramatischen Inhaltes zu ab-
solviren, einzig im Interesse der vier herkömmlichen Textwiederholungen des
ersten Theiles, welche ihrerseits nur den Zweck haben, die Fähigkeit des Sän-
gers im kunstvollen Variiren einer und derselben musikalischen Phrase bewun-
dern zu lassen — kurz, ich habe gesucht, alle jene Missbräuche zu verbannen,
gegen welche der gute Geschmack und der gesunde Sinn schon seit langer Zeit
laut protestirt. — Die Ouvertüre soll nach meiner Absicht den Zuhörer auf
die darzustellende Handlung vorbereiten und gleichsam das Resume (V argomento)
derselben bilden; die fernere Wirksamkeit der Orchester-Instrumente soll mit
dem Interesse und den Leidenschaften, welche die Darstellung ausspricht, im
Verhältniss stehen, und weder zwischen der Arie und dem Recitativ einen ge-
waltsamen Einschnitt bilden, noch überhaupt den Gang der Handlung unzeiti-
Frankreich. 31
gei-weise unterbrechen. Icli habe endlich geglaubt, dass mein eifrigstes Streben
einer edlen Einfachheit gelten müsse und habe es zu vermeiden gesucht, mit
künstlichen Combinationen auf Kosten der Klarheit zu prunken. Auch habe
ich mein Augenmei-k nie auf neue Effekte gerichtet, ausser wenn dieselben durch
die dramatische Situation und den Ausdruck geboten waren ; übrigens aber giebt
es keine Regel, welche ich nicht der musikalischen Wahrheit zu Liebe gern
geopfert hätte«. — Liegt in diesen Worten die Tendenz der grossen Oper klar
gezeichnet ebenso wie der Weg, welchen sie, um ihren Traditionen treu zu
bleiben, einschlagen musste, so sind sie andrerseits ein der italienischen Partei
hingeworfener Fehdehandschuh, und es darf kaum überraschen, wenn die von
Gluck in Aussicht gestellte Musikreform in den Salons und rthureaux d'esprit^
des damaligen Paris einen Meinungsaustausch, ein Aufeinanderplatzen der Gei-
ster hervorrief, welche an Lebhaftigkeit dem zwanzig Jahre zuvor entbrannten
Streite der Nationalen und der italienischen Bouifonisten noch überboten. Yon
der Aufregung, welche sich schon nach der zweiten Aufführung der »Iphigenie
in Aulis« (Februar 1774) der gebildeten Kreise der Hauptstadt bemächtigte, lie-
fert Grimm's Corr. litt, ein anschauliches Bild. »Seit vierzehn Tagen denkt
und träumt man in Paris nichts als IMusik; sie ist der Gegenstand aller unsrer
Untei'haltungen und Disputen, die Seele unsrer Soupers, und es würde lächer-
lich erscheinen, sich für etwas anderes zu interessiren. Soll ich noch hinzu-
fügen, dass es die Iphigenie des Ritters von Gluck ist, welche diese ungemeine
Gährung hervorgebracht hat ? Diese Gährung ist aber um so lebhafter, als
die Meinungen durchaus getheilt und alle Partheien von demselben Eifer be-
seelt sind. Unter ihnen unterscheiden sich besonders drei: die der alten franzö-
sischen Oper, welche keine anderen Götter anerkennen will als Lully und Ra-
meau; die der rein italienischen Musik, welche zu den Fahnen der Jomelli,
Piccini und Sacchini schwört; endlich die des Ritters Gluck, welche behauptet,
die für die theatralische Darstellung allein geeignete Musik gefunden zu haben,
eine Musik, deren Principien einzig aus der unerschöpflichen Quelle der Har-
monie und aus dem innigen Verhältniss unserer Gefühle zu unsern sinnlichen
Empfindungen geschöpft sind; eine Musik, welche keiner Nation vorwiegend
angehört, deren Stil indessen durch den Genius des Componisten dem Geiste
unsrer Sprache angepasst ist«. Auch die Vorwürfe, welche der Gluck'schen
Musik von Seiten der italienischen Partei gemacht wurden, hat Grimm in sei-
ner Correspondenz vollständig registrirt; sie gleichen, wie schon zu Rameau's
Zeit, bis aufs Wort den Kritiken, welche vor und nach Gluck keinem musi-
kalischen Reformator erspart worden sind. Man gesteht ihm eine gründliche
Kenntniss der Geheimnisse der Harmonie zu, spricht ihm jedoch die Fähigkeit
ab, eine Melodie zu erfinden; mau findet seine Motive fast ausnahmslos gemein
oder bizarr — seine Musik ist nur ^ein Lärm, seine Ideen sind barock, ohne
Geschmack, ohne Genie, selbst ohne Gefühl — der Stil der Iphigenie erinnert
an die Kneipe {style de guingette) — was Gluck eine neue Musikgattung nennt,
ist nichts weiter als eine Aufwärmung der Lully'schen, abgerechnet die Noblesse,
die Grazie und die Mannigfaltigkeit, Avelche Lully's bessere Werke auszeichnet —
mit Ausnahme von zwei oder drei Arien im italienischen Styl und einigen Re-
citativen von durchaus barbarischem Charakter ist seine Musik französische
Musik, so französisch, wie es jemals eine gegeben hat, nur ist Gluck minder
natürlich als Lully und minder rein als Rameau, weil er alle Hilfsmittel und
alle Schönheiten seiner Kunst dem theatralischen Effekte opfert — u. s. av.
woraus man ersieht, dass Gluck's Aussichten auf Unsterblichkeit im Jahre 1775
nicht besser standen als etwa heute die von Richard Wagner. Noch erbitterter
und persönlicher wiu'de der Streit, als Gluck den muthigen Entschluss gefasst
hatte, die von Lully componirten Operntexte, Quinault's Roland und Armide,
auch seinerseits in Musik zu setzen, und als um dieselbe Zeit die italienische
Partei es durchsetzte, dass Piccini, damals der gefeiertste Componist Italiens,
nach Paris berufen wurde, um gleichfalls einen »Roland« an der grossen Oper
32 Frankreich.
zur Aufführung zu bringen. Dies war das Signal zum Ausbrucli des offenen
Krieges der (iluckisten und Piccinisteu, bei welchem sich alles betheiligte, was
Paris an geistreichen Köpfen und gespitzten Federn in sich schloss. An der
Spitze der Piccinisteu kämpften Marraontcl und Laharpe, der Gluckisten der
Abbe Arnaud und Suard, ja, selbst J. J. Rousseau war trotz seiner früheren
Parteinahme für die Italiener durch die Macht der Gluck'schen Musik besiegt
und mischte sich unter dem Namen des »Anonymus von Yaugirard« in die
Reihen der Gluckisten, wie er denn auch gegen Grimm offen bekannte, dass er
bis zum Erscheinen der Gluck'schen Opern im Irrthum gewesen sei, dass sie
seine bisherigen Meinungen beseitigt liaben, und dass er nunmehr die franzö-
sische Spruche für ebenso geeignet zur musikalischen Comjjositiou halte wie
jede andere. Zur Einigung in diesem Streite — dessen Acten in den r>me-
moires pour servir ä Vhistoire de la rcoolution, operee dans la miistque par M.
le chev. Glucka vollständig erhalten sind — konnte es natürlich nicht so bald kom-
men, um so weniger, als der Parteifanatismus auf beiden Seiten das richtige Maass
verfehlen Hess. Nach einer Zeit so lebhafter Erregung musste ein Zustand
der Erschöpfung eintreten, auch begannen bald nachher die am politischen Ho-
rizont aufsteigenden düstern "Wolken ihre Schatten auf die lebenslustige paiüser
Gesellschaft zu werfen und die Discussion auf ganz andere Themata zu lenken
als Theater und Musik. Sobald sicli jedoch F. wieder einer relativen Ruhe
erfreute, konnte man die Früchte von Gluck's reformatorischem AVirken herr-
lich erblühen sehen: Cherubini, dessen Medea im Jahre 1797 zuerst aufgeführt
wurde, und weiterhin Spontini, die letzten eigentlichen Vertreter der französi-
schen grossen Oper, beweisen, indem sie der von Gluck vorgezeichneten Bahn
gewissenhaft folgten, wer aus jenem Kampfe als Sieger hervorgegangen ist; denn
von einem nachhaltigen Einfluss Piccini's ist, trotz des glänzenden Triumphes,
den er mit seinem 1778 aufgeführten Roland erlebte, in der späteren französischen
Musik keine Spur zu finden. — Die französische Revolution mit ihrer Hohl-
tönigkeit und ihrem gespreizten Antikisiren war der künstlerischen Production wenig
günstig, und obschon die Machthaber von damals es nicht an Ermunterungen,
Anordnung nationaler Feste, Bestellungen von Freiheitshymnen u. s. w. fehlen
Hessen, obschon es nicht an Talenten mangelte, welche die, auf dem Gebiet der
grossen wie der komischen Oper so ruhmvoll begonnene Arbeit hätten fortsetzen
können, so scheint doch der Kunst und speciell der Tonkunst die rechte Le-
benslust zeitweilig abhanden gekommen zu sein. Dafür dankt F. dem Revolu-
tionszeitalter eine für seine musikalische Zukunft höchst folgenreiche, bald auch
für ganz Europa mustergültige Einrichtung, nämlich das Conservatorium
der Musik, welches zunächst bestimmt war, die republikanischen Armeen mit
Musikchören zu versorgen, weiterhin aber als höchste musikalische Unterrichts-
behörde seinen Einfluss auf die musikalische Erziehung der ganzen Nation aus-
breitete. Die nächste Anregung dazu gab, wie es in Cheniers y>Bapport sur
Vecole nationale de musique« vom 10. Thermidor des Jahres III an den Cou-
vent heisst, die Unterdrückung der mit den ehemaligen Kathedralen und Ca-
piteln in Verbindung stehenden Musikschulen {maitrises), wodurch eine Summe
von mehr als fünfzehn Millionen in den Staatsschatz floss; sodann der schon
erwähnte Mangel an Militärmusikern, denn »die Tyrannen von ehedem« hatten
ihre Militärmusik ausschliesslich aus Deutschen rekrutiren müssen. Der Rap-
port von Leclerc vom 3. Frimaire des Jahres VII führt auch allerlei ästhe-
tische Gründe für die Einrichtung einer nationalen Musikschule ins Feld: »Das
Erscheinen der Musik in unsrer vaterländischen Geschichte datirt hauptsächlich
von den Glanzepochen der Revolution, von den Arbeiten auf dem Marsfelde.
Damals berechneten die Philosophen den Grad der Erregung, welchen frohe Ge-
sänge und volksthümliche Concerte dem Freiheitsstreben verleihen können. Die
Feste des Alterthums erschienen vor ihrer Phantasie, und sie verhiesseu die
Zeit, wo das republikanische F. jene Tage des Glanzes und der Glückseligkeit
aufs neue beleben würde«. Auch der Befreiung des nationalen Bodens vom
Frankreich. 33
Joche der Fremden wird gedacht, der Bataillone, welche so zu sagen durch den
Klang der Marseillaise erschaffen seien, und wie mannichfache Mittel die Musik
dem geistlichen Stande gewährt habe »um die Gemüther der citoyens zu knechten«.
So exaltirt nun auch die Sprache dieser Männer erscheint, so praktisch gingen
sie in der That zu Werke, nachdem die einleitenden Schritte beendet waren,
und besonders mit Hilfe von Sarrette gelang es, der jungen Schöpfung die-
jenige Gestalt zu geben, welche sie im wesentlichen bis heute bewahrt hat.
Sarrette bezeichnet in seinen nObservations sur Vetat de la musique en Francea
vom 5. Ventose des Jahres X als das hauptsächliche Hinderniss des musika-
lischen Fortschritts in F., dass die musikalische Erziehung ausschliesslich in
den Händen der Geistlichen gewesen sei, denen die Ausbildung von dramati-
schen Künstlern selbstverständlich fern liegen musste. Während Italien die
vocale und instrumentale Musik nach allen Seiten hin ausbildete, wurde in den
französischen y>mattrises(i nur die Kirchencomposition, und von Instrumenten nur
Orgel und Serpent gelehrt; die Sänger forcirten ihre Stimme, um die weiten
Räume der Kirche bis in den entferntesten Winkel zu füllen; die weiblichen
Stimmen waren vollständig vom Musiciren ausgeschlossen. Allen diesen TJebel-
ständen wurde abgeholfen durch Sarrette's Plan, die 1783 errichtete Gesang-
und Declamationsschule, an welcher Piccini, Langle und Guichard gewirkt hat-
ten, mit der, nach Auflösung der maitrises allein übrig gebliebenen »ecole de
musique de la garde nationalem, zu einem Conservatorium der Musik zu vereini-
gen, welches zunächst den Unterricht in allen Zweigen der Tonkunst durch
Herausgabe einer vollständigen Sammlung methodischer TJnterrichtswerke zu
regeln habe. Ferner sollte eine Anzahl von Vorbereitungsschulen in der Pro-
vinz errichtet werden, welche die, mit Stimmen oder sonstigen musikalischen
Anlagen begabten Individuen aufzunehmen, und in besondern Fällen der pariser
Schule zu überweisen haben. Das Gesetz vom 16. Thermidor des Jahres III
(1795), wodurch die Gründung des Conservatoriums endgültig beschlossen wurde,
enthielt auch einen Artikel, die Bildung einer nationalen Musikbibliothek be-
treffend, welche nicht allein eine vollständige Sammlung von Partituren und
musikalischen Schriften, sondern auch die Musikinstrumente aller Zeiten und
aller Völker enthalten sollte, insofern sie für die Gegenwart als Muster dienen
könnten. Von Napoleon wurde durch das sogenannte Decret de Moscou die An-
stalt noch durch ein Pensionat vergrössert, in welchem neun Schüler beiderlei
Geschlechts gratis aufgenommen wurden, zunächst nur solche, die sich der De-
clamation widmeten, um später dem theatre frangais anzugehören, im Laufe der
Zeit jedoch auch Schüler in anderen TJnterrichtszweigen. Obwohl nun die
Gründer der Anstalt, insbesondere der unermüdliche und opferwillige Sarrette
mannichfachen Angriffen von Seiten der Gegner des jungen Unternehmens aus-
gesetzt waren, so bedurfte es doch nur verhältnissmässig kurzer Zeit, um alle
hervorragenden Talente der Hauptstadt, bald auch des Landes, für das Con-
servatorium zu gewinnen und den wohlthätigen Einfluss geltend zu machen,
den es unter solchen Umständen auf die musikalischen Studien, sowie auf die
mit der Musik zusammenhängenden Industriezweige haben musste. Unverzüg-
lich wurde die im allgemeinen Programm vorgesehene Ausarbeitung instructiver
Werke in Angriff genommen. Catel, Cherubini, Mehul, späterhin Reicha wid-
meten sich dem theoretischen Theile dieser gewaltigen Aufgabe und bildeten
das bisher in F. allein gültige Harmoniesystem Rameau's in zeitgemässer Weise
um; Rode, Baillot und Kreutzer gaben die berühmte Violinschule, welche noch
heute die Grundlage des Unterrichts für die ganze violinspielende Welt bildet,
heraus. Die Gesangskunst machte nicht geringere Fortschritte unter Garat's Lei-
tung; die Beziehungen zum italienischen Gesang, welche in Paris nie dauernd
unterbrochen worden sind — schon im Jahre 1801 öffnete wiederum eine ita-
lienische Truppe ihre Vorstellungen in der rue Ghantereine, und das Jahr darauf
wurde Paisiello zur Direction der Kapelle des ersten Consuls berufen — bildeten
jetzt ein wichtiges Hülfsmittel zur Verbesserung der Stimmen, und wenn vor
Musikal. Convers. -Lexikon. Vi. 3
34 Frankreich.
Jahren Gluck seinem Collegen Piccini im Vertrauen gestanden hatte »Zes Franpais
sont de honnetes gens; mais il me faut dire: ils veulent gu'on leur fasse du chcmt,
et ils ne savent pas chanterm — so konnte schon im Jahre 1805 ein Schüler
Garat's, der ältere Nourrit, mit den berühmtesten italienischen Gesangskünstlern
in die Schranken treten. Und nicht allein auf die Jugend, sondern auch auf
diejenigen Künstler, die schon eine gewisse Stellung hatten, wirkte die mit der
Errichtung des Conservatoriums herbeigeführte Vertiefung des musikalischen
Studiums, so dass z. B. Mehul sich ernstlich mit contrapunktischen Studien
beschäftigte, nachdem er schon eine Anzahl von Opern mit Erfolg aufgeführt
und mehrere Jahre eine der Inspectorstellen des Conservatoriums bekleidet hatte.
Die Frucht dieser überaus anerkennenswerthen Selbsterkenntniss war der »Joseph
in Egyten«; seinem Beispiel aber ist es zu danken, dass Dilettantenerfolge, wie
noch vor wenigen Jahrzehnten der Monsigny's, fortan in F. nicht mehr mög-
lich waren. — Der Einfluss des Conservatoriums zeigt sich ferner noch in dem
Aufschwung, welchen die Fabrikation musikalischer Instrumente um eben die
Zeit genommen hat. Lugot verfertigt seine noch jetzt gesuchten und theuer
bezahlten Streichinstrumente nach den Modellen des Stradivarius; Tourte er-
findet die Schraube, vermittelst welcher die Haare des Violinbogens nach Be-
lieben angespannt und gelockert werden können; in den Vogeseu entwickelt
sich eine Industrie, welche, ähnlich wie das sächsische Voigtland für Deutsch-
land, Instrumente geringerer Qualität für ganz Frankreich liefert. Auch die
Fabrikation von Ciavieren wird energisch in Angriff genommen, nachdem man
zuvor seinen Bedarf ausschliesslich von England bezogen hatte, und bald ist
auch sie im Stande mit den namhaftesten Rivalen des Auslandes die Concur-
renz auszuhalten. — Die Geschichte der musikalischen Entwickelung F.s im
gegenwärtigen Jahrhundert ist mit der des pariser Conservatoriums eng ver-
wachsen, insofern sie kaum einen berühmten Namen nennt, dessen Träger nicht
dieser Anstalt, sei es als Lehrer oder als Schüler angehört hätte. Auch die
liebevolle Pflege der Instrumentalmusik, eine der charakteristischen Seiten des
heutigen französischen Musiklebens, ist vorwiegend durch das Conservatorium
bewirkt, theils indirect durch den sorgfältigeren Unterricht, theils direct durch
die Einrichtung von öffentlichen Kammermusik-Aufführungen durch Baillot im
Jahre 1814, sowie durch die von Cherubini ins Leben gerufene societe des Gon-
certs, welche, indem sie die sämmtlichen aus dem Conservatorium hervorgegan-
genen Kräfte in sich aufnahm und bei ihren Aufführungen verwendete, binnen
kurzem alle derartigen Institute der "Welt an virtuosem Glanz übertraf. Stehende
Concerte waren zwar nichts eigentlich Neues in Paris: schon 1725 hatte sich
ein nConcert spiritueU gebildet, welches gegen eine Abgabe von sechstausend
Livres die Erlaubniss hatte, von sechs bis acht Uhr den Saal der Tuilerien
für seine Zwecke zu benutzen; 1775 musste dies Unternehmen zu Gunsten der
y>Concerts des Ämateursn im Hutel de E,ohan zurücktreten, welches der junge
Gossec dirigirte, und diese gingen wiederum 1779 in die Concerte der r>societe
de la löge Olympiquevi (unter Navoigille's Leitung) über, welclie abermals, und
zwar unter dem Schutze der Königin Marie Antoinette ihren Sitz in den Tui-
lerien aufschlugen; diese Concerte waren es, für welche Haydn sechs seiner
Symphonien componirte und in denen Virtuosen wie Viotti, Clementi, Dussek,
Cramer sich beim französischen Publikum einführten. Auch nach den Stür-
men der Revolution bildeten sich aufs Neue Concertgesellschaften wie im Jahre
VIII (1800) die der rue de Glery, welche eine Dankes-Medaille auf Haydn prä-
gen liess, und die der r>concerfs d'amateursvi in der rue de Grenelle (1815) —
keine von diesen Unternehmungen konnte jedoch in dem Grade auf die Ge-
schmacksrichtung des Publikums wirken wie die Conservatoire-Gesellschaft, und
die Ursache davon ist nicht allein in den obenerwähnten günstigen Verhält-
nissen zu suchen, als auch in dem Umstand, dass eben damals die Instrumen-
talcomposition durch Mozart und Beethoven in einer vorher ungeahnten Weise
bereichert und vervollkommnet war. Nachdem nun die Werke dieser Meister
Frankreich. 35
in Habeneck einen begeisterten Verehrer gefunden hatten, und es seinen An-
strengungen gelungen war, zuerst die Musiker, dann auch das grosse Publikum
für seine Sache zu gewinnen, musste sich der Geschmackshorizont natürlich
um ein Bedeutendes erweitern. Trotz alle dem nahm aber die Bühne das In-
teresse des Publikums nach wie vor hauptsächlich in Anspruch, um so mehr
als es nicht an Männern fehlte, um auf der im vorigen Jahrhundert betretenen
Bahn mit Erfolg vorwärts zu schreiten: im Grebiete der grossen Oper Cheru-
bini und nach ihm Spontini, die beide den von Gluck theoretisch und praktisch
überlieferten Grundsätzen treu blieben, wenngleich der erstere in der Fülle sei-
ner mvTsikalischen Begabung sich gelegentlich verleiten lässt, dem Ton die Herr-
schaft über das Wort einzuräumen, und so mit Gluck's Grundsätzen in Colli-
sion zu gerathen. Auch Mehul dürfte unter den Förderern der grossen Oper
genannt werden, wenn ihm gleich die Empfindung für das musikalisch Grosse
mangelte — welche nun einmal dem französischen Charakter überhaupt abzu-
gehen scheint. Boieldieu, Nicolo Isouard und Adam theilten sich dagegen in
die Erbschaft Gretry's und bereiteten der komischen Oper, indem sie sie im
nationalen Geiste ausbildeten, nicht allein in F., sondern auch bei allen Nach-
barnationen die glänzendsten und dauerndsten Triumphe. — Die politisch- sociale
Bewegung der dreissiger Jahre veränderte noch einmal die musikalische Phy-
siognomie F.'s. Der Geist der Romantik, welcher damals Europa durchzog, fand
in den Gemüthern des jungen F. einen besonders fruchtbaren Boden und machte
seinen Einfluss nicht allein auf die Poesie, sondern auch auf die Tonkunst gel-
tend. Allein auch hier musste die schon so oft zu Tage getretene Unfähigkeit
der Franzosen, Maass zu halten und ihrem Umwälzungseifer Zügel anzulegen,
den an sich legitimen und gesunden Charakter der Bewegung alteriren und sie
zu jenen Excessen drängen, welche auch ihr begabtester Vertreter, Victor Hugo,
auf dem Felde der Dichtkunst nicht zu vermeiden gewusst hat. Dasselbe gilt
von Hector Berlioz, dem Repräsentanten der französischen Romantik auf mu-
sikalischem Gebiete. Durch Beethoven in die geheimnissvolle Welt der Instru-
mentalmitsik eingeführt, derjenigen Kunst, die mehr als jede andere die intim-
sten Regungen des menschlichen Gemüthes zum Ausdruck zu bringen vermag,
mit einer glühenden Phantasie und unumschränkter Herrschaft über die orche-
stralen Mittel begabt, versenkte sich Berlioz in sein innerstes Ich und wurde
der Schöpfer einer Musik, deren Kühnheit und, Genialität mit Staunen erfüllt
der es jedoch bisher nur ausnahmsweise gelungen ist, einen Widerhall im Ge-
müthe des Hörers zu erwecken. Insbesondere in seinem Vaterlande stand ihm
das grosse Publikum kalt gegenüber, vind selbst seine Versuche, seinen Lands-
leuten auf dem von ihnen bevorzugten Felde der dramatischen Musik näher zu
treten, blieben erfolglos, obwohl er sich in seinen »Trojanern« streng auf dem
von Gluck betretenen Wege hielt. Man könnte indessen vielleicht mit dem-
selben Rechte eben diesem Festhalten an der Tradition den Misserfolg seiner
Opern zuschreiben, denn schon seit Jahren hatte das französische Opernpubli-
kum unzweideutige Beweise gegeben von einem bedenklichen Rückgange seines
musikalischen Geschmackes. An die Stelle der grossartigen Einfachheit, ehe-
dem eine Hauptbedingung für die Stoffe der französischen o'pera seria, war
jetzt das bunte Allerlei, die auf raffinirte Weise herbeigeführten Situationen
und bis ins kleinste Detail verfolgte Charakter-Individualisirung der Scribe-
schen Texte getreten, und für alle diese Züge der modernen Oper hatte sich
in Meyerbeer der geeignete Mann gefunden, sie musikalisch zu illustriren.
Anstatt dem haltlos umherirrenden Geschmack einen bestimmten Weg zu wei-
sen, opferte er vielmehr ohne Bedenken die Einheit des Stiles und ergab sich
jenem schrankenlosen Eclecticismus, welcher seit seinem Erscheinen die Pro-
ductionen der französischen Operncompouisten kennzeichnet; sein Beispiel musste
aber um so nachtheiliger wirken, als die Geschicklichkeit mit welcher er alle
Mittel für seine Zwecke zu benutzen wusste, ja die Genialität, welche sich m
seinen besseren Werken ausspricht, nur zu leicht die grosse Zahl seiner Nach-
3*
36 Frankreich.
ahmer über die Abschüssigkeit des von ihm eingeschlagenen "Weges täuschen
konnte. Ein anderer Vertreter des modernen Eclecticismus, Halevy, beweist,
obschon musikalisch minder reich begabt als Meyerbeer, doch ein ungleich feineres
Grefühl in Bezug auf die Stileinheit, und seinem "Wirken als Componist wie als
langjähriger Lehrer am Conservatorium ist es ohne Zweifel zuzuschreiben, wenn
die heutige Componistengeneration in F, sich idealeren Zielen zugewandt hat.
— Nur im Vorübergehen berührten Auber und Rossini die grosse Oper, beide
ohne Zweifel durch den Zeitgeist der dreissiger Jahre influirt; der erstere,
durch Anlage und Neigung weit eher zum Nachfolger von Grretry und Boiel-
dieu designirt als von Grluck und Cherubini, schuf seine »Stumme von Portici«,
welche an innerem Gehalt und dramatischer Grrösse alle seine sonstigen Arbeiten
überragt, Rossi den »"Wilhelm Teil«, mit welchem er gleicherweise seinem ange-
bornen Naturell untreu wurde, nichtsdestoweniger aber eine Kraft entwickelte,
welche gerade dieser Oper eine weit grössere Lebensfähigkeit sicherte als seinen
eigentlich italienischen, den »Barbier« allenfalls ausgenommen; gewiss ein über-
zeugender Beweis von der Kraft des französischen Nationalgeistes, dass es ihm
gelingen konnte, eine so ausgeprägte Natur wie die Rossini's, wenn auch nur
zeitweilig, so doch mit entschiedenem Erfolg von ihren Bahnen abzulenken und
in seine Kreise zu ziehen. Die letztgenannte Oper, sowie eine Anzahl anderer
Opern ßossini's wurden übrigens für die Entwickelung der komischen Oper in
F. insofern bedeutsam, als sie wesentlich auf die Ausbildung und Greschmacks-
richtung Auber's wirkten, nachdem derselbe schon in den zwanziger Jahren — ■
anfangs im Verein mit Herold — die Hinterlassenschaft Gretry's, Dalayrac's,
Mehuls und Boieldieu's angetreten hatte. Dass diese italienischen Einflüsse der
französischen komischen Oper im Allgemeinen keine Förderung gebracht haben,
lehrt schon ein oberflächlicher Vergleich der "Werke Auber's mit denen seiner
soeben erwähnten Vorgänger. Denn wenn es Auber auch gelungen ist, das
fremdländische Element in nationalem Sinne umzubilden und die von ihm ver-
tretene Kunstgattung auf diese "Weise zu bereichern, so lässt sich andrerseits
nicht verkennen, dass die aus der französisch-italienischen Allianz hervorgegan-
genen komischen Opern an innerem Grehalt gegen die der älteren Meister weit
zurückstehen, und dass Auber durch seine Bevorzugung eines leichtfasslichen
Rhythmus den Weg bahnte zum genre sautillant, welcher mit seinen Tanzrhyth-
men die heutige komische Opernbühne fast ausschliesslich beherrscht. G-leicher-
weise konnte Auber als Director des Conservatoriums, welchem Amte er vom
Tode Cherubini's (1842) bis zu seinem eignen (1871) mit höchstem Eifer vor-
stand, den Ruf der Anstalt nicht allein erhalten, sondern auch durch den Grlanz
seines Namens noch erhöhen, unmöglich aber konnte er durch sein Beispiel
die Q-ründlichkeit und Vertiefung des Studiums fördern, wie dies auch von den
ernster strebenden Franzosen erkannt wird und vom TJnteri-ichtsminister Jules
Simon bei einer officiellen Grelegenheit ausgesprochen ist. — Es erübrigt noch,
durch einen Blick auf die gegenwärtigen Musikzustände F.'s das Bild
seiner musikalischen Entwickelung zu vervollständigen und abzuschliessen. Nach
wie vor liegt die dramatische Musik den Franzosen besonders am Herzen ; sie
ist es, die unter sonst gleichen Umständen vor allen andern Musikgattungen
den Vortritt hat, sie wendet sich nicht blos an den intelligenten Theil des
Publikums, sondern an die Gesammtheit desselben; bei ihr versucht jeder Com-
ponist sein Heil, mag ihn auch Neigung und Individualität mehr zur reinen
Instrumentalmusik oder Kammermusik hinleiten; sie endlich bietet allein den
von ihr Auserwählten nennenswerthe materielle Vortheile, ein Umstand der bei
den Franzosen ungleich schwerer ins Gewicht fällt als anderwo. Trotz dieser
exceptionellen Stellung jedoch, trotz der Bemühungen der gesammten musika-
lischen Productionskraft, hat sie es — die grosse Oper mindestens — seit 40
Jahren nicht zu einer wahrhaft originellen, epochemachenden Leistung bringen
können. Selbst Gounod erhebt sich streng genommen nicht über das Niveau
eines achtungswerthen Eclecticismus und kann erst dann als Haupt einer Schule
Frankreich. 37
gelten, wenn er seinem »Faust« eine Anzahl von Werken gleichen "Werthes hat
nachfolgen lassen, wozu freilich bei der verhältnissmässigen Schwäche seiner
spätem Werke geringe Aussicht vorhanden ist. Dasselbe gilt von Ambroise
Thomas, der mit seinem »Hamlet« zwar bedeutenden Erfolg gehabt hat, die-
sen jedoch in weit grösserem Maasse seiner Geschicklichkeit in Handhabung
der harmonischen, vocalen und instrumentalen Mittel, als eigentlicher Erfin-
dungsgabe verdankt. Thomas hat sich auch für die komische Oper durch sei-
nen »Caid« und »Sommernachtstraum« in anerkennenswerther Weise verdient
gemacht, neben ihm Victor Masse, Aime Maillart, Erneste Eeyer und
Grevaert, letztere beiden ebenfalls für die grosse Oper. Die Erfolge sämmt-
licher Genannten werden jedoch durch die begeisterte Aufnahme verdunkelt,
welche Offenbach's Leistungen in den letzten zwanzig Jahren gefunden ha-
ben. Er allein hat es verstanden, das musikalische Bedürfniss seiner Zeit klar
zu erkennen und zu befriedigen, und indem er durch seine tänzelnden leicht-
fasslichen Rhythmen ungleich mehr auf die Beinmuskeln als auf das Gemüth
des Hörers wirkt, kann er als der eigentliche Nachfolger Aubers in der Aus-
bildung des bei Gelegenheit des letzteren schon erwähnten genre sautillant gel-
ten. Nicht minder als er wurden seine Mitarbeiter Meilhac und Ludovic Halevy,
welche die Parodirung mythologischer und historischer Stoffe zu ihrer alleini-
gen Aufgabe machten und dabei selbst die ehrwürdigsten Traditionen nicht ge-
schont haben, die getreuen Interpreten der durch das zweite Kaiserreich her-
vorgerufenen skeptisch-materiellen Eichtung. Dieser Erfolg OflPenbachs, sowie die
durch den Einfluss des damaligen F. motivirte Verbreitung seiner Musik über
den ganzen Erdball machte es möglich, dass er sogar eine Schule bilden konnte,
deren Leistungen jedoch, wie die des Meisters, nur als Ausdruck einer vorüber-
gehenden Zeitströmung gelten können und mit ihnen vom Schauplatz ver-
schwinden werden. — Dass die Production auf dem Felde der Instrumental-
musik im Durchschnitt keine reicheren Resultate liefert, als die soeben in
Bezug auf die Oper erwähnten, erklärt sich schon aus ihrer minder bevorzugten
Stellung zum grossen Publikum. Saint-Saens, der mit einer unglaublichen
Leichtigkeit des Schaffens eine gründliche Keuntniss und Verehrung der deut-
schen Meister verbindet, der sich auch der jüngsten musikalischen Bewegung
in Deutschland mit Ueberzeugung und Verständniss angeschlossen hat, scheint
die meisten Aussichten zu haben, die französische Orchester- und Kammer-
musik auf einen höheren Bang zu erheben, als sie bisher inne hatte; neben
ihm wären noch Beber und Adolphe Blanc zu nennen, als Vertreter eines
leichteren, in der Empfindungsweise an Haydn sich anlehnenden Genre's von
mehr nationaler Färbung. Aus der grossen Anzahl von Quartetten, Trio's etc.,
welche übrigens in F. die Presse verlassen, erhebt sich nur selten das eine
oder das andere über das Niveau der Mittelmässigkeit, trotz des pretentiösen
Stiles, dessen sich die Mehrzahl der jung-französischen Componisten befleissigen.
Die Ursache dieser Unfruchtbarkeit liegt aber nicht sowohl in mangelnder Be-
gabung, als vielmehr im ungenügenden Studium der Harmonie und des Contra-
punktes, welchen Disciplinen erst in letzter Zeit, seit Ambroise Thomas an Auber's
Stelle das Directorat des Conservatoriums und zugleich den theoretischen Un-
terricht übernommen hat, grössere Sorgfalt zugewendet wird. Vor ihm war
eine gründliche Beschäftigung mit der Compositionslehre beinahe ausschliesslich
Sache desjenigen Schülers, der sich um den prix de Borne bewarb, während die
ungeheure Mehrzahl der übrigen sie kaum einer oberflächlichen Berücksichtigung
würdigte. Die Erfahrung aber hat gelehrt, wie die preisgekrönten Schüler im
Verlauf ihrer Weiterentwickelung die auf sie gesetzten Hofi"nungen nur zu
häufig nicht erfüllten, wie hingegen mancher der anderen erst später eine seiner
Anlage entsprechende Bahn gefi^nden hat und dann unter der Vernachlässigung
seiner Erziehung schwer büssen musste; deshalb hat man die Verallgemeinerung
des theoretischen Studiums als erste Bedingung zur Hebung der musikalischen
Productionskraft erkannt, und im Interesse dieser Verallgemeinerung kann selbst
38 Frankreich.
die in neuester Zeit mehrfach angeregte Beseitigung des Römerpreises, wie er
bisher zur Anwendung kam, nur gebilligt werden. Im Gegensatz zu dieser
schwachen Seite des Pariser Conservatoriums werden auf allen übrigen Gebieten
die glänzendsten Erfolge erzielt, wie sich Jedermann bei den alljährlich im
Sommer stattfindenden öffentlichen Prüfungen überzeugen kann. Der Kunst-
gesang erfreut sich einer Pflege, wie ausserdem nur in Italien, und wenn auch
die Stimmorgane der modernen Franzosen, wie die ihrer gallischen Vorfahren,
von der Natur minder begnadigt sind als die der Italiener, so hat doch die
Kunst eines Bordogni, Garcia, Panseron, sowie ihrer Nachfolger Delsarte, E.e-
vial, Wartel die natürlichen Hindernisse zu überwinden gewusst, und es ist
durch diese Männer die französische Gesangschule so zu Ehren gekommen, dass
unter den vocalen Berühmtheiten der letzten fünfzig Jahre kaum eine ihrer
Hülfe zur höheren Ausbildung hätte entbehren mögen. Auf eine correcte
Textes-Aussprache legt die französische Gesangschule, gemäss den Jahrhunderte
alten Traditionen der französischen Oper ein besonderes Gewicht, so dass z. B.
die deutsche Gewohnheit, die Texte der vorzutragenden Gesänge den Concert-
programmen beizugeben, den Franzosen völlig unerklärlich ist, denn dies würde
bei ihnen als ein anticipirtes Misstrauensvotum gegen den Sänger gelten, der
ja seinen Beruf verfehlt hätte, wenn seine "Worte unverstanden geblieben wären.
Einen ferneren Beweis, wie hohen Werth man darauf legt, die Zöglinge des
Conservatoriums in den Geist der Sprache eindringen zu lassen, giebt die Er-
richtung eines Cursus für Geschichte und Literatur für diejenigen Schüler,
welche sich der Oper oder dem theätre frangais widmen, bei dessen Eröffnung
der Lehrer der Declamationsklasse, Samson, eines der gefeiertsten Mitglieder
des theätre frangais, auf das Beispiel des Demosthenes und Cicero hinwies,
welche beide, als Schüler der Schauspieler Satyrus und Hoscius, der dramati-
schen Kunst in erster Linie ihre Erfolge verdankten. Wenn so der französische
Sänger ungleich besser geschult ist als der deutsche — denn auch in der Fähig-
keit im Treffen und im sofortigen Auffassen unbekannter Musikstücke zeigt
sich die üeberlegenheit des französischen Gesangunterrichts — so steht dagegen
der Chorgesang auf einer weit niedrigeren Stufe als in Deutschland, und hier
liegt die Ursache nicht sowohl in der musikalischen Organisation, als vielmehr
in einem Charakterfehler der Franzosen, die sich bekanntlich im täglichen Leben
eben so ungern unterordnen, als sie im politischen dazu bereit sind. Niemand
liebt es, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, jeder möchte, bei aller äusseren
Bescheidenheit, seine musikalische Persönlichkeit zur Geltung kommen lassen,
aus seinem Musikfonds möglichst viel Kapital schlagen, und so ist es gekom-
men, dass, während die Zahl der tüchtigen Solosänger Legion ist, doch alle
Bemühungen (meist von deutscher Seite), in F. Dilettanten- Chöre nach dem
Vorbild der deutschen Städte zu bilden, erfolglos geblieben sind, dass Chor-
aufführungen, an denen es, in Paris besonders, natürlich nicht ermangelt, nur
durch bezahlte Kräfte, Sänger von Profession möglich werden, kurz, dass ein
wichtiges Mittel für die Veredelung des musikalischen Geschmackes dem heuti-
gen F. abgeht. Zwar hat es besonders in den letzten Jahrzehnten nicht an
Bestrebungen gefehlt , diesem kunstgefährlichen Partikularismus entgegenzu-
wirken; die unter dem Namen Orpheon in allen Städten F.'s errichteten Män-
nergesangvereine, sowie die Pflege des Chorgesanges in der Schule verheissen
die besten Erfolge in dieser Richtung, wenngleich, in Bezug auf den Schul-
unterricht nicht verschwiegen werden darf, dass die Sucht, auf mechanischem
"WegQ in möglichst kurzer Zeit zu überraschenden Resultaten im Vomblattlesen,
Treffen schwieriger Intervalle etc. zu gelangen, eine neue Gefahr für die ge-
sunde musikalische Entwickelung der Jugend mit sich bringt. Von den zahl-
reichen, zu diesem Zwecke erdachten Gesangsmethoden, welche z. B. die Zahlen
an die Stelle der heutigen Notationsweise setzen, oder wie der Galin'sche Me-
loplast mit einem leeren Notensystem operiren, unterscheidet sich die von
Dessivier aufs Vortheilhafteste. Auch sie verschmäht nicht die mechanischen
Frankreich. 39
Mittel, nämlich Handbewegungen, benutzt jedoch dieselben nur, um das Q-efühl
der Tonalität bei den Schülern zu befestigen, denen übrigens das Erlernen der
heutigen Notenschrift nicht erspart bleibt. Dessivier's Methode ist sowohl in
Paris, wo er selbst am Conservatorium als Lehrer wirkt, wie auch in Brüssel
bei den wichtigsten TJnterrichtsanstalten eingeführt und hat sich an beiden
Orten als ein wirksames Mittel bewährt, die Jugend nicht allein äusserlich,
sondern auch innerlich musikalisch zu machen. In der Instrumentalmusik
macht sich der oben erwähnte französische Charakterfehler weit weniger geltend,
obschon auch auf diesem Gebiete die Ausbildung der individuellen Fähigkeit
mit besonderem Eifer betrieben wird. Das Haupt der heutigen französischen
Violinschule ist Alard, ein Schüler Baillots, der sowohl durch Unterricht als
auch durch öffentliches Quartettspiel seit mehr als einem Vierteljahr hundert
die Traditionen seines Lehrers lebendig erhält und unter dessen Schülern nicht
wenige, vor allem Maurin und Armingaud, schon ihrerseits eine Meister-
stellung einnehmen. Massart, ebenfalls Lehrer am Conservatorium, ein Schüler
Kreutzer's, hat sich als Spieler schon seit geraumer Zeit von der Oeflfentlich-
keit zurückgezogen, wirkt aber um so eifriger auf seine Schüler, und zwar in
einem noch gediegeneren Sinne als Alard. — Neben Alard steht der Cellist
Franchomme sowohl als erster Lehrer am Conservatorium — wo ein Jac —
quart und ein Poencet zu seinen Schülern gehörten — wie auch als Mits
glied seiner Quartettproductionen von ihrem Anfang an; Chevillard, ebenfallt
Lehrer am Conservatorium und hochgeachteter Quartettspieler, ist ihm nicht
allein als Virtuos und Componist ebenbürtig, sondern er hat sich auch durch
die, von ihm im Verein mit Maurin veranstalteten und jahrelang fortgesetzten
Aufführungen der späteren Beethoven'schen Quartette besondere Verdienste um
die Geschmacksrichtung seiner Landsleute erworben. — Es würde zu weit führen,
die Namen aller derer zu nennen, die als Lehrer oder Virtuosen auf den Blas-
instrumenten zum Ruhme der pariser Orchesterleistungen, vor allen der der
Conservatoriums- Gesellschaft beigetragen haben und noch beitragen; hingegen
dürften einige Bemerkungen hinsichtlich des Claviers — in F. wie überall einer
der Hauptfaktoren des Musiklebens — sowie seiner Vertreter, am Platze sein.
Auf Zimmermann und Kalkbrenner, welche man die Altmeister der fran-
zösischen Ciaviertechnik nennen kann, führen die dortigen Pianisten fast aus-
nahmslos ihren Stammbaum zurück, so Saint- Saens durch seinen Lehrer
Stamaty, einen Schüler Kalkbrenners, so Delaborde durch seinen Lehrer
Alkan, einen Schüler Zimmermanns. Marmontel und Lecouppey, die
gegenwärtig gesuchtesten Lehrer in Paris und zugleich Verfasser der meisten
vom Conservatorium adoptirten Unterrichtswerke, stammen sogar direkt von
jenen Altmeistern ab und haben insofern eine besonders erfolgreiche Thätig-
keit für die Verbreitung der guten Traditionen entfalten können. Als Com-
ponist für das Ciavier überragt jedoch Alkan bei weitem die sämmt-
lichen Genannten. Mit einer überreichen Phantasie begabt, von einer Un-
abhängigkeit gegenüber dem Geschmack des Tages, die nicht selten ans Son-
derlinghafte streift, endlich von Jugend auf dem solidesten Studium ergeben,
wurde er der Schöpfer einer grossen Anzahl von Werken, die in der Ciavier-
literatur den ersten Rang einzunehmen beanspruchen dürfen. Auf ihn hat
Chopin, der ja auch halb und halb unter die französischen Pianisten zählt,
einen bemerkbaren Einfluss ausgeübt, doch hat sich Alkan's Individualität stark
genug erwiesen, sein Gefühlshorizont weit genug, um die Fesseln der Romantik
abzustreifen und sich über Chopin hinaus in eine Beethoven'sche Geistesatmo-
sphäre emporzuschwingen. — Schon an einer früheren Stelle ist des Impulses
erwähnt worden, welchen in Folge der Errichtung des Conservatoriums die In-
strumentenfabrikation erhielt; diese hat sich nun im Verlaufe unseres Jahr-
hunderts zu einer unglaublichen Höhe emporgehoben, und besonders die Fabriken
von Erard und Pleyel versorgen seit geraumen Jahren die ganze civilisirte
Welt mit Instrumenten, so dass ihre Besitzer gegenwärtig zu den ersten In-
40 Frankreich.
dustriellen F.'s zählen. — Bescheidener in Bezug auf die Ausdehnung des Be-
triebes zeigt sich selbstverständlich die Fabrikation von Streich- und Blas-
instrumenten, wenn sie gleich an künstlerischer Wichtigkeit der Ciavierfabri-
kation in keiner Weise nachsteht, ja sie von diesem Gesichtspunkt aus noch
übertrifft, und zwar in Anbetracht der individuellen künstlerischen Thätigkeit,
welche hier eine unerlässliche Bedingung ist. Obenan unter den Geigenbau-
Künstlern steht Vuillaume, von dessen ausserordentlicher Fähigkeit, alt-
italienische Geigen zu imitiren, der Vorfall zeugt, dass Paganini, der ihm seinen
Stradivarius zur Reparatur übergeben hatte und nach der festgesetzten Frist
zwei ganz gleiche Geigen von ihm zurückerhielt, nicht im Stande war, die
seinige herauszuerkennen. Nachdem aber Vuillaume durch dieses Kunststück
eine Probe seiner Fähigkeiten gegeben hatte, warf er sich mit allem Ernst auf
die Erforschung der akustischen Principien, deren Anwendung den Arbeiten
der italienischen Meister des 17. Jahrhunderts den Stempel jener Vollkommen-
heit aufprägte, welche man noch heute als unerreicht an ihnen bewundert. Mit
richtigem Takte erkannte er die Erfolglosigkeit aller Neuerungsversuche in
Bezug auf die Struktur der Geige und hielt sich deshalb streng an die Modelle
jener Meister, nebenbei aber richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Wahl
des Holzes, sowie des Firniss zur Bekleidung desselben und vermied gewissen-
haft den Fehler mancher seiner Collegen, durch gewaltsame Mittel, wie z. B.
künstliches Austrocknen des Holzes, Entfernung des Lackes an gewissen Stellen
der Geige, einen vorzeitigen Erfolg zu erstreben, der in den meisten Fällen
schon nach kurzer Zeit mit dem Buin des Instruments bezahlt wird. Ein
späteres Jahrhundert muss entscheiden, wie nahe Vuillaume seinen grossen
Vorgängern gekommen ist; schon jetzt hat er die Ehre, einzelne seiner Geigen
von Virtuosen wie Vieuxteraps, David u. A. in Gebrauch genommen zu sehen,
unter deren Händen sie selbst alte Instrumente, insoweit dieselben nicht gerade
ersten Banges sind, an Fülle und Gesundheit des Tones übertreffen. Von
seinen zahlreichen Schülern ist besonders Miremont zu erwähnen, der eine
feinsinnige Künstlernatur mit ungewöhnlicher Arbeitskraft und Geschicklichkeit
verbindet. — Die Fabrikation von Blasinstrumenten hat im Gegensatz zur
Geigenbaukunst eine gewaltige Umwälzung von F. aus erfahren, und zwar durch
den genialen Erfinder Adolf Sax; auch er ging bei der Construction seiner,
nach ihm genannten und nunmehr von allen Orchestern und Militärkapellen
Frankreichs und des Auslandes adoptirten Messing-Instrumente von der Er-
forschung der physikalischen Bedingungen der Tonerzeugung aus, und auf Grund
des von ihm gefundenen Gesetzes eines Proportions-Verhältnisses zwischen der
Luftsäule und dem Instrumentenkörper, welcher sie einschliesst, gelang es ihm,
die verschiedenen Klangfarben, wie sie in der menschlichen Stimme und im
Streichquartett repräsentirt sind, auch in die Familie der Blasinstrumente ein-
zuführen. Der musikalische Werth seiner Erfindungen und die Energie, mit
welcher er sie zu verbreiten suchte, erweckten bald die Theilnahme der be-
deutendsten Musikautoritäten , und Männer wie Berlioz , Halevy, Auber unter-
stützten ihn mit Rath und That, wogegen andererseits die Zunft der Blas-
instrumentenmacher sich wie ein Mann gegen ihn erhob und ihn noch bis in
die letzten Jahre zwang, durch zahllose und langwierige Processe seine Patent-
rechte vor ihren Angriffen zu wahren. — Auch die französische Orgelbaukunst
hat einen Vertreter, welcher wie die soeben Genannten mit praktischem Genie
eine künstlerische Auffassimg seines Berufes vereint: es ist Cavaille- Coli,
in dessen grossartigen Werkstätten sich zu Zeiten alles versammelt, was in
Paris und ganz F. an der Entwickelung dieses Kunstzweiges Antheil nimmt
— BO z. B. beim Versuche neuer ^ den Orgelbau betreffender Erfindungen —
wie denn überhaupt Cavaille-CoU im fortwährenden persönlichen Verkehr mit
den hervorragenden Organisten der Hauptstadt steht und bei allen Verbesse-
rungen an dem Mechanismus seiner Instrumente mit ihnen Hand in Hand zu
gehen bestrebt ist. Was übrigens den Zustand der französischen Kirchenmusik
Frankreich. 41
im Allgemeinen betrifft, so erscheint der Vorwurf der Leichtfertigkeit, welcher
der französischen Kunst so häufig gemacht wird, hier vielleicht noch am ehesten
gerechtfertigt: denn nur zu häufig muss das deutsche Ohr sich verletzt fühlen
durch die profane Behandlung der Orgel in den meisten Kirchen, und unwill-
kürlich erinnert man sich des im vorigen Jahrhundert berühmten Organisten
Marchand, welcher von Rameau als unvergleichlich befähigt s^'pour manier la
fuguea gepriesen wurde, gleichwohl aber, als er sich in Dresden mit J. S. Bach
messen sollte, es vorzog, bei Nacht und Nebel die Stadt zu verlassen. Wenn
nun aber auch die modernen Marchand's in der französischen Organistenwelt
die Majorität bilden, so fehlt es doch nicht an Künstlern, welche, was Fertig-
keit, Ernst des Strebens und gründliche Kenntniss der classischen Orgelliteratur
betrifft, den Vergleich mit jedem ihrer deutschen Collegen aushalten können,
wie z. B. Chauvet an der Kirche St. Trinite (starb im Verlaufe der Belage-
rung von Paris 1870), Saint- Saens an der Madeleine, Cesar Auguste
Franck an St. Clotilde, letztere beide auch durch gediegene Kirchencompo-
sitionen bekannt. Als besonders eifriger Förderer der Kirchenmusik ist noch
Vervoitte zu nennen, der als Kapellmeister der Kirche St. Roch und (seit
1862) Director der y>societe academique de musique religieuse et classiquea, auch
durch Herausgabe liturgischer Compositionen in nachdrücklichster Weise der
Apathie entgegenwirkt, welche diesem wichtigsten Theile der Tonkunst gegen-
über nur zu allgemein herrscht. Er war es auch, der in einer 1854 veröffent-
lichten Abhandlung für die musikalische Selbstständigkeit der einzelnen Diö-
cesen auftrat, als man den römischen Kirchengesang an die Stelle der ver-
schiedenen localen Gesangsweisen setzen wollte, und ebenso gab er schon früher
als Kapellmeister an der Kathedrale von Bouen durch Veranstaltung historischer
Concerte einen Beweis seiner umfassenden musikgeschichtlichen Kenntnisse und
seiner Fähigkeit, dieselben auf praktischem Wege fruchtbringend zu machen.
Wie eifrig man überhaupt in F. die musik- historische Forschung be-
treibt, davon legt eine lange Reihe bedeutender Werke, zum Theil noch aus
dem vorigen Jahrhundert, vollgültiges Zeugniss ab.*) De Laborde's im Jahre
1780 erschienener -nJEssai sur la musique ancienne et modernen, steht noch heute
als ein Muster von Gründlichkeit da und bildet einen unentbehrlichen Bestand-
theil jeder musikalischen Bibliothek; Villoteau, einer der Gelehrten, welche
sich der Expedition Bonaparte's nach Aegypten angeschlossen, bereicherte die
Musikwissenschaft durch eine Reihe von Dissertationen über die ägyptische
Musik, sowie später durch eine TJebersetzung von Meibom's y>musici graecia. In
neuester Zeit haben die musik-philosophischen Arbeiten Kastner's, und noch
mehr die von Vincent über die Musik der Griechen die Aufmerksamkeit der
Gelehrtenwelt erregt; die Kenntniss der mittelalterlichen Musik ist durch die
Werke von Coussemaker u. A., y>scriptores de mtisica medii aevü<. und Stephan
Morelot -aDe la musique au XV sieclev. in ein neues Stadium gerückt. End-
lich sind noch, als ihrer Bildung nach F. angehörig, Fetis, der jüngst ver-
storbene Director des Brüsseler Conservatoriums der Musik, und sein, wenn
auch weniger fruchtbarer, doch ungleich gründlicherer Nachfolger Gevaert zu
erwähnen, welcher letztere die reichsten philologischen Kenntnisse mit seinen,
schon bei Gelegenheit der modernen Operncomposition hervorgehobenen mtisi-
*) Ambros bemerkt in seiner „Geschichte der Musik" IT, 350: „Es ist eine Freude,
den Ernst, die Gründlichkeit, die gewissenhafte Forschung der französischen Gelehrten im
Fache der Musikgeschichte zu sehen gegenüber dem gewissenlosen Treiben, der anmass-
lichen Halbwisserei im ,gründlichen' Deutschland , wo Musikgeschichte mit Hülfsmitteln
geschrieben wird, die man für den Lesegroschen aus der Leihbibliothek haben kann, wo
sie sogar anfängt, Gegenstand seichten Feuilletongeschwätzes zu werden, das sich für
geistreich hält, weil es frivol ist, und in studentenhaftem Tone über die Grössen aller
Zeiten zu Gericht sitzt. Zum Glücke aber können wir den Franzosen auch Männer ent-
gegenstellen, wie die beiden Bellermann und 0. Lindner in Berlin, O. Kade in
Schwerin, Julius Maier in München, G. Nottebohm in Wien u. A. m. Was Proske
und Commer für nie genug zu dankende Verdienste haben, weiss alle Welt."
42 Frankreich.
kaliBchen Fähigkeiten verbindet. Dass der Geist wissenschaftlichen Ernstes
sich auch der musikalischen Journalistik mitgetheilt hat, ist bei der Lebhaftig-
keit des öffentlichen Lebens in F. beinahe selbstverständlich. Nicht allein die
musikalischen Kritiken des i^ Journal des Debatsi zuerst von Berlioz, dann
von d'Ortigues, dem Redacteur der Zeitung für Kirchenmusik »Za mattriseu,
jetzt von ßeyer, sondern auch der wissenschaftliche Theil der Musikzeitungen
y^Gazette musicale« und nMenestreh, jene von Fetis, diese von Grevaert besonders
unterstützt, erheben sich weit über die derartigen Leistungen anderer Länder.
Auch für die heutigen musikalischen Bestrebungen der deutschen, italienischen
und englischen Nachbarn zeigt sich in Paris eine rege Theilnahme, welcher in
Bezug auf deutsche Musik die Verleger Flaxland und Maho durch die
Publication fast sämmtlicher Werke von Mendelssohn, Schumann, Wagner etc.
entgegengekommen sind. Auch die deutsche Vocalmusik findet in F. mehr und
mehr Freunde, Dank den vortrefflichen Textes-TJebersetzungen des dramatischen
Dichters und Musikkritikers Victor Wilder, der mit deutscher Sprache und
deutscher Musik völlig vertraut, diese Aufgabe ungleich besser gelöst hat, als
alle seine Vorgänger; der auch als germanischer Belgier den Sinn für die Ge-
setze der musikalischen Deklamation besitzt und in allen seinen Arbeiten aufs
Gewissenhafteste bethätigt, und so die Zahl der Ausländer vermehrt, welche
der schon bei Gelegenheit der Gluck'schen Oper erwähnten und in diesem
Punkte nicht wegzuleugnenden Leichtfertigkeit der französischen Vocalcompo-
nisten ein wirksames Gegengewicht bieten. Was nun das französische Publi-
kum betrifft, so liegt auf der Hand, dass die raannichfachen soeben erwähnten
Anregungen an ihm nicht spurlos vorübergehen konnten, und in der That ver-
dient es seinen Buf der Oberflächlichkeit nur sehr bedingungsweise. Wenn
es, seiner alten Neigung zur Chanson gemäss, den leichten Melodien Nadaud's
mit Entzücken zuhört, wenn es sich gelegentlich an der derb gallischen Lustig-
keit einer Theresa oder sonstiger Cafe-chantant- Sängerin ergötzt, so ist ihm
dies so wenig zu verübeln, wie seine zeitweilige Sympathie für die Muse Offen-
bachs, worin ihm übrigens das Publikum anderer Nationen nichts nachgiebt.
Dagegen beweist die Zuhörerschaft, welche während des Winterhalbjahres an
jedem Sonntag Nachmittag den Concertsaal des Conservatoriums und den für
die Pasdeloup'schen Volksconcerte bestimmten Circus bis auf den letzten Platz
füllt, wie sehr andererseits der Sinn für classische Musik vorhanden und ge-
weckt ist. Ganz besonders aber offenbart sich dieser Sinn durch die Pflege,
man könnte sagen, den Cultus der Kammermusik, sowohl öffentlich als inner-
halb der Häuslichkeit, seitens der französischen Dilettantenwelt. Die allabend-
lich gefüllten, kleinen, aber für den Genuss der Kammermusik um so mehr
geeigneten Säle der Ciavierfabrikanten Erard, Pleyel und Herz zeugen von dem
noch bis heute nachwirkenden Einfluss der französischen Violin-Heroen, von
Leclair an, dem Gründer der französischen Schule, und Viotti, der neben seinen
Pflichten als Theaterdirektor die des Virtuosen und Lehrers keineswegs vernach-
lässigte*), bis auf Bode, Kreutzer und Baillot, welche eine neue glänzende Epoche
des französischen Violinspiels bezeichnen. Die Ursache, warum sich das fran-
zösische Publikum dem musikalischen Fortschritt im Allgemeinen langsamer
anschliesst als das deutsche, liegt weit weniger in der geringeren Empfänglich-
keit, als vielmehr in dem Mangel an Geduld, welcher es ihm unmöglich macht,
eine ihm antipathische — weil mit seinen bisherigen Schönheitsbegriffen wider-
streitende Musik ohne Opposition an sich vorübergehen zu lassen. Hieraus
erklärt sich die Opposition gegen die Gluck'sche Opernreform, die ausserordent-
liche Schwierigkeit, welche Habeneck hatte, um die Beethoven'schen Sympho-
nien den Franzosen geniessbar zu machen, endlich auch der Misserfolg des
*) Viotti gründete, nachdem er eine Reihe von Jahren in Paris wirksam gewesen war,
um 1791 im Verein mit Leonard Autie, dem Haarkünstler der Königin Marie Antoinette,
das Theater „de Monsieur".
Frantz — Franz. 43
Ricliard "Wagner'schen Tannhäuser im Jahre 1861, welcher übrigens noch einen
weiteren Erklärungsgruud findet in der Abneigung des Meisters, dem nationalen
G-eschmacke Concessionen zu machen, wie es z. B. selbst Gluck durch seine
Rücksicht auf das Ballet und gelegentliche Einlage einer brillanten Bassarie
in einer seiner Opern thun zu müssen glaubte. — "Wenn in der vorstehenden
Skizzirung der französischen Musikzustände fast nur von der Hauptstadt die
Rede war, so durfte sich dies aus der straffen Centralisirung erklären, welche,
seitdem Richelieu die französische Einheit begründete, nicht allein die politischen,
sondern auch die wissenschaftlichen und künstlerischen Verhältnisse beherrscht.
"Wohl mangelt es nicht an tüchtigen Kräften und regem musikalischem Treiben
in den grossen Provinzialstädteu E.'s — insbesondere in denen, welche Pflanz-
schulen des pariser Conservatoriums besitzen, wie Marseille, Lille, Nantes u. a.
— wohl giebt es Bevölkerungen, die sich durch die Pflege uralter musikalischer
Traditionen auszeichnen, wie die der Provence und der Bretagne, deren Un-
mittelbarkeit im Verständniss und musikalisches Ohr gerühmt wird, wie die von
Toulouse — ja, von Zeit zu Zeit bringen die musikalischen Blätter Kunde
von einer neuen Oper, Symphonie oder Kammermusik, die in Bordeaux oder
Lyon mit immensem Erfolg aufgeführt ist — alles dies aber hat nur eine lokale
Bedeutung, so lange nicht der Pariser Areopag sein TJrtheil gesprochen hat;
und aus eben diesem Grunde kann nur von Paris aus ein richtiges Bild der
französischen Musikzustände gewonnen werden, bis einmal das communale Ge-
fühl der Provinzialstädte genügend erstarken wird, um sich von der Geistes-
und Geschmackstyrannei der Hauptstadt zu befreien. W. L.
Frantz, Klamer "Wilhelm, trefflich musikalisch gebildeter Theologe, ge-
boren 1774 zu Halberstadt, war 1802 Collaborator an der Domschule daselbst
und später Prediger in Osnabrück. Er hat ein Choralbuch mit 135 der be-
kanntesten protestantischen Kirchenmelodien (Halberstadt, 1811) veröffentlicht
und ausserdem folgende nicht unbeachtenswerthe Schriften über Orgelspiel und
Kirchenmusik: »Anweisungen zum Moduliren für angehende Organisten, Dilet-
tanten der Musik u. s. w., in Beispielen dargestellt« (Leipzig, Breitkopf und
Härtel); »lieber die älteren Kirchenchoräle, durch Beispiele erläutert« (Qued-
linburg, Basse) und »lieber Verbesserungen der musikalischen Liturgie in den
evangelischen Kirchen, besonders auf dem Lande« (Quedlinburg, 1819). Ferner
brachte die Leipz. allgem. musikal. Ztg. mehrere schätzbare Artikel seiner Feder,
von denen besonders diejenigen aus dem Jahrg. 1802 Nr. 41 und 42: »Heber
die Gemüthsstimmung in musikalischer Hinsicht« und »Singchöre, eine nütz-
liche Anstalt«, hervorzuheben sind. Endlich hat er sich auch als Componist
mehrerer in Dresden erschienener Lieder mit Clavierbegleitung bemerkbar ge-
macht.
Franz, J» H. , pseudonym für Graf Hochberg, ein bemerkenswerther
Vocalcomponist der Gegenwart, von dem zahlreiche Lieder, sowie eine 1862 in
Schwerin mit Beifall aufgeführte Oper »Claudine von Villa Bella« im Druck
erschienen sind. Er lebt meist in Dresden und unterhält daselbst auch das
rühmlichst bekannt gewordene Hochberg'sche Streichquartett.
Franz, Ignaz, kenntnissreicher Pädagog und eifriger Verbesserer des
katholischen Kirchengesangs, geboren am 12. Oktbr. 1729 zu Protzau bei
Frankenstein in Schlesien, besuchte Schule und Seminar zu Glatz und Breslau
und wurde schon 1742 zum Priester geweiht, gleichzeitig zum Kaplan in Gross-
Glogau und 1743 zum Erzpriester in Schlawa ernannt. Auf einer unmittelbar
darauf unternommenen Reise nach Rom sammelte er, der von jeher Musik mit
Vorliebe studirt hatte, vorzügliche musikalische Kenntnisse, welche ihn befähig-
ten, den Kirchengesang zu verbessern. Zu diesem Behufe verfasste und ver-
öffentlichte er neben vielen religiös-pädagogischen Schriften: »Schlesisches Ge-
sangbuch zum Gebrauch der Römisch-Katholischen, nebst den dazu gehörenden
Melodien und Noten« (Breslau, 1768) und »Choralbuch oder Melodien zum
44 Franz.
Gesangbuch ii. s. w.« (Breslau, 1778). F. starb als Director der Hauptschulen
des Seminars und Rector des Alumnats in Breslau im J. 1791.
Franz, drei Brüder, Söhne eines Stadtorganisten und Instrumentenmachers
zu Havelberg, deren ältester, Joachim Friedrich F., in der letzten Hälfte
des 18. Jahrhunderts Organist zu EathenoAV, dabei ein gründlicher Kenner
seines Instruments, gediegener ContraiDunktist und theoretischer Musiklehrer
war. Er hat sich nur mit der Composition von Cantaten befasst, deren werth-
voUßte die der »Tageszeiten« von Zachariä gewesen sein soll und wurde auch
als treflflicher Tenorsänger gerühmt. Er starb am 13. Febr. 1813 zu Rathenow.
— Sein Bruder, Joachim Ludwig F., geboren um 1750 zu Havelberg, ge-
storben 1789, war ein wegen seines vorzüglichen Orgelspiels angesehener Cantor
und Organist zu Kyritz, den selbst Marpurg hochschätzte. Viele seiner Kirchen-
musiken, von denen aber keine gedruckt ist, wurden bis in die Gegenwart hin-
ein noch hier und da im Brandenburg'schen gern aufgeführt. — Der jüngste
und berühmteste der Brüder, Johann Christian F., ein Gesangschüler Con-
cialini'ß, geboren am 9. Juni 1763, war Anfangs Theologe, Hess sich aber seiner
überaus schönen Stimme wegen überreden, sich ganz dem Gesangfache zuzu-
wenden. Zu diesem Behufe engagirte ihn 1782 der Minister und Oberstall-
meister Graf von Schwerin zu Potsdam, wo F. in den Kapellmusiken und
Oratorien des Kronprinzen Friedrich "Wilhelm die Bass-Soloparthien sang. Der
Graf unternahm viele für F.'s weitere Ausbildung sehr vortheilhafte Reisen und
verschaffte ihm darnach die Stelle eines TJnterbibliothekars bei der königl.
Bibliothek zu Berlin, aus welchem Amte ihn 1787 der ehemalige Kronprinz,
nunmehrige König Friedrich Wilhelm II., zum ersten Bassisten der italienischen
und komischen Oper berufen Hess. Er war der erste deutsche Sänger an diesem
Institute. Im J. 1791 wurde er von der komischen Oper dispensirt und beim
Nationaltheater in Berlin angestellt, wo er am 10. Novbr. als «Axur« in Salieri's
Oper zuerst und mit kaum vorher dagewesenen Erfolge auftrat. Er starb am
28. Febr. 1812 zu Berlin, nachdem er sich auch als geschmackvoller Dichter-
Componist einer Operette, «Edelmuth und Liebe«, die 1805 mit Beifall zur
Aufführung kam, gezeigt hatte.
Franz, Karl, ausgezeichneter Virtuose auf Hörn und Baryton, geboren
1738 zu Langenbielau bei Reichenbach, wurde bei seines Vaters Bruder, welcher
"Waldhornist und zugleich Haushofmeister beim Grafen Zerotin war, für Musik
und Landwirthschaft erzogen. Zwanzig Jahre alt, engagirte ihn der Fürst-
bischof von Eck in Olmütz als Waldhornist, und hier fand F. Gelegenheit, sich
auf seinem Instrument derartig zu vervollkommnen, dass er keinen Rivalen zu
scheuen brauchte. Nach dem Tode des Fürstbischofs nahm ihn der Fürst von
Esterhazy in seinen Dienst und hatte ihn vierzehn Jahre lang in seiner durch
Haydn's Direktion berühmten Kapelle. In dieser Zeit erlernte F. durch Selbst-
studium deu Baryton, das Lieblingsinstrument seines Fürsten, und brachte es
auch auf diesem Instrumente bis zur höchsten Virtuosität. Als ihm von seiner
Herrschaft der Heirathsconsens verweigert wurde, nahm er seinen Abschied und
ging zum Cardinal Bathiany in Pressburg, bei dem er blieb, bis nach acht
Jahren diese Kapelle auf Befehl des Kaisers Joseph IL aufgelöst wurde. F.
machte hierauf grössere Concertreisen durch ganz Deutschland und wurde überall als
der bedeutendste Virtuose seiner Instrumente anerkannt. Von Wien ausge-
gangen, kam er zuletzt nach München, wo er 1787 die Anstellung als Hof-
musikus erhielt. Er starb im J. 1802 in München. Der von ihm benutzte
Baryton hatte 16 Darmsaiten über dem Halse und sieben andere über dem
GriöTjrette und soll unter seinen Händen bisher ungeahnte schöne Wirkungen
hervorgebracht haben.
Franz, K. Hon camp, tüchtiger Tonkünstler und Philologe, geboren am
24. Mai 1805 zu Welver bei Soest in Westphalen, besuchte die Universität
und gleichzeitig zu seiner musikalischen Ausbildung das königl. Musikinstitut
in Berlin. Schon 1825 wurde er als Lehrer der Musik am katholischen Se-
Franz. 45
minar zu Büren angestellt und wirkte als Seminarlelirer überhaupt sehr ver-
dienstlich bis zum J. 1851. Im J. 1866 wurde er zwar pensionirt, der Genuss
eines Ruhegehalts aber blieb ihm versagt, da er am 6. Jan. desselben Jahres
zu Büren starb. Ausser mehreren musikalischen Gresangswerken hat er auch
sprachliche Werke geschrieben und war auf philologischem Gebiete ein An-
hänger des grossen Sprachforschers C. F. Becker in Offenbach. Näheres über
F.'s Leben und Thätigkeit liefern in Form eines Necrologs Diesterweg's Rhei-
nische Blätter 1866, S. 204.
Franz, Robert, der bedeutendste Liedercomponist der Gregenwart und
auf dem von ihm gepflegten Felde einer der Meister neben Schubert, Mendels-
sohn und Schumann, wurde am 28. Juni 1815 zu Halle an der Saale geboren.
Er stammt aus einer der dortigen Salzsieder-(Halloren-)Familien, in der nichts
weniger als Sinn für Kunst und Wissenschaft zu finden war. Dennoch sorgte
sein Vater für eine treffliche Schulbildung des Sohnes, wozu die Bürger- und
dann die lateinische Schule der Francke'schen Stiftungen in Halle eine Jedem
erreichbare Gelegenheit darboten. F. war bereits 14 Jahr alt geworden, als
ihm ein altes, in der Wohnung eines Verwandten aufgefundenes Ciavier zuerst
die unbezwingliche Sehnsucht einflösste, in dem Gebiete der Töne Heimath-
rechte zu erwerben. Da dem Vater ausgesprochenermassen alles Musikanten-
thum zuwider war, so sträubte er sich energisch, dem Sohne Musikunterricht
ertheilen zu lassen, so dass dieser selbst ohne jede fremde Beihülfe und unter
Mühe die ersten Elemente des Ciavierspiels sich anzueignen genöthigt sah ; erst
später wurde er durch einen geregelteren aber dürftigen Unterricht weiter ge-
bracht und fand in den städtischen Kirchen auch Gelegenheit, sich mit dem
Orgelspiel einigermassen bekannt zu machen. Seine Musikliebe, die Allen selt-
sam und bedenklich erscliien, sowie seine ihm angeborene Verschlossenheit und
Neigung zur Zurückgezogenheit entfremdeten ihm die Herzen seiner Umgebung
und seiner Genossen, so dass er sich gemieden, ja sogar von Spott verfolgt
sah, während im Elternhause darauf gedrungen wurde, dass er mit allem Eifer
an ein bestimmtes Fachstudium denken sollte. In dieser Vereinsamung kam
dem jungen F. Hülfe in der Gestalt des ehrwürdigen Cantors Abela, des Ge-
sanglehrers der Francke'schen Stiftungen, der Gefallen an dem begabten und
bescheidenen Schüler fand, ihm nutzenbringende musikalische Anweisungen er-
theilte und das Amt eines Begleiters der Chorgesänge übergab, die er mit den
fähigsten der Gymnasiasten übte. Dadurch ging F. eine neue, schönere Welt auf;
die Werke Händel's, Haydn's und Mozart's erschlossen sich ihm, und er ver-
senkte sich in ihre Reize, bis er begeistert selbst zur Compositionsfeder griff
und als Naturalist Tonstücke schuf, die vor dem kritischen Forum allerdings
nicht bestehen konnten. Aber die Bahn war gebrochen, F. selbst zum Kampfe
gestählt, und so besiegte er endlich den zähen Widerstand seiner Familie, die
ihn im J. 1835 höchst ungern zu Friedr. Schneider nach Dessau ziehen Hess,
bei welchem Meister er seine praktischen Uebungen auf Ciavier und Orgel
fortsetzte, vor Allem aber eingehend Harmonielehre und Contrapunkt studirte.
Nach zweijährigem Studium kehrte F. nach Halle zurück, musste aber sechs
lange Jahre warten, ehe er eine feste Anstellung zu erlangen vermochte. Diese
Ungunst des Schicksals, die Ablehnung, die seine Compositionen erfuhren, in
Vei'bindung mit seiner Schweigsamkeit und seinem in sich gekehrten Wesen
bestärkte Diejenigen, welche von jeher dem reellen Nutzen seiner Bestrebungen
gemisstraut hatten, in ihren argwöhnischen Zweifeln. F. benutzte diese traurige
Zeit, um die Werke Bach's, Beethoven's und Schubert's genau nnd liebevoll
zu studiren und aus ihnen prüfend und vergleichend ein richtiges Urtheil über
die Bedingungen , denen das echte Kunstwerk genügen muss , zu gewinnen.
Seiner eigenartigen Natur entsprechend, gewann er aus dieser Beschäftigung
die Ueberzeugung, dass sein Können gegen jene Manifestationen einer gross-
artigen Schöpferkraft gehalten, unzureichend und nicht werth sei in die Schran-
ken wetteifernden Ringens zu treten. Das Gefühl der eigenen Unzulänglich-
46 Franz.
keit verliess ihn niemals mehr und ist die Ursache, dass er ausser in dem
engbegränzten Liederfache sich niemals schöpferisch hervorgethan hat, eine Zu-
rückhaltung, die nichts weniger als Lob und Preis verdient. Hand in Hand
mit jenen tiefen Studien gingen wissenschaftliche Bestrebungen, die in der da-
maligen, durch Arnold Enge und dessen Halle'sche Jahrbücher hervorgerufenen
o-eistigen Bewegung einen philosophischen Boden fanden, den er sich behufs eigener
universeller Weiterbildung nutzbar machte. Sein Verkehr mit einer Gesellschaft
geistvoller Gelehi-ter, welche ihre Forschungen bis auf Gebiete erstreckte, die
damals auf den Feldern anderer Universitäten noch brach lagen, brachte F. u.
A. auch in eine intime Verbindung mit dem Professor Hinrichs, der ihn in
seine Familie zog, woselbst F. seine nachmalige Gattin, Marie Hinrich's, kennen
und lieben lernte. Als glücklicher Bräutigam schuf und veröffentlichte er 1843
das erste Heft jener gedankentief en und formvollendeten Lieder, die bald als
Elleinodien der Literatur anerkannt wurden, nachdem Bob. Schumann über sie
das gewichtige "Wort geschrieben hatte: »Man findet kein Ende, immer neue,
feine Züge an ihnen zu entdecken.« Diesem Urtheile schloss sich zunächst
Mendelssohn, sodann Gade, Liszt, Chopin und Henselt laut und öffentlich an.
Dem ersten Hefte folgte denn auch bald das zweite, Schumann gewidmete, und
die Hoffnungen, welche diese poesieerfüllten Gesangspenden in immer weiteren
Künstlerkreisen erregten, fanden in dem dritten — Mendelssohn — und dem
vierten, Liszt gewidmeten Hefte ihre reiche Erfüllung. Solchen Erfolgen gegen-
über sahen sich endlich auch die Behörden in Halle veranlasst, den Sohn ihrer
Stadt nicht ohne Anstellung zu lassen und sie ertheilten ihm das Amt eines
städtischen Organisten der Ulrichskirche und Dirigenten der Singakademie,
während in weiterer Folge der Zeit ihm das Ministerium das Prädicat eines
köniffl. Musikdirectors und die Halle'sche Universität, an der er docirte, 1861
ihm für seine Verdienste um "Wiederbelebung der alten geistlichen Vocalwerke
Bach's und Händel's den Doctortitel verlieh. Eine lange Reihe von Schülern
und Schülerinnen in des Wortes höherer Bedeutung, sowie die unter seiner
Leitung mächtig eraporgeblühte und bis zum Gipfel der höchsten Leistungs-
kraft geführte Singakademie preist F. als den vorzüglichsten und sachkundigsten
Lehrer. Leider befiel den berühmten Künstler schon im J. 1841 ein Gehör-
leiden, das sich in Verbindung mit einer gesteigerten Nervenkrankheit, seit
1853, von Jahr zu Jahr mehr verschlimmerte und 1868 einen Grad erreichte,
dass er gezwungen war, ein Amt nach dem andern niederzulegen und seine
musikalischen Arbeiten endlich ebenfalls ganz einzustellen. Von einem grau-
samen Geschick ausserdem noch der drückendsten materiellen Sorge preisgegeben,
haben seine künstlerischen Freunde und Verehrer: Jos. Joachim in Berlin, Franz
Liszt in Pesth und Helene Magnus in Wien in hochherziger Pietät 1872 die
Initiative ergriffen und durch Benefizconcerte in Deutschland, Ungarn und Eng-
land ein Capital von etwa 30,000 Thlrn. zusammen- und als Ehrengabc dar-
gebracht, welclies von dem Lebensrest des schwer leidenden Meisters wenigstens
die Noth fern halten wird. — F.'s im Druck erschienene Compositionen be-
stehen in 44 Heften Liedern für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung,
ferner in einem vierstimmigen Kyrie a capella, dem 117. Psalm achtstimmig
und 12 Vocalquartetten, zu wenig und zu geringfügig für sein grosses Talent,
aber genug für seinen festbegründeten Ruhm als musikalischer Lyriker. Seiner
Bewunderung für Bach und Händel sind folgende Bearbeitungen oder vielmehr
»stylgerechte und nothwendige Ergänzungen«, wie Ambros sie nennt, entspros-
sen: Die Matthäus-Passion, das grosse Magnificat, die Trauerode, zehn Cantaten,
sechs Duette und zahlreiche Arien von Bach, das Jubilate, il AUerfro etc., 24
Opernarien und 12 Duette von Händel. Diesen Bearbeitungen schlössen sich
an: Das Stabat mater von Astorga und Durante's Magnificat. Fr. Liszt's
Gesammturtheil in der Brochüre »Rob. Franz« darüber lautet: »Es bedürfte
einer ausführlichen, neuen Schrift, Franz nach dieser Seite seiner künstlerischen
Thätigkeit hin gründlich gerecht zu werden, nur so viel sei hier gesagt, dass
Franz. 47
unter den Lebenden noch der gefunden werden soll, der mit gleicher Selbst-
verleugnung, mit gleicher künstlerischer Potenz und gleicher Pietät sich dieser
mühevollen und doch so nothwendigen Arbeit unterzöge. Diese Meisterbe-
arbeitungen können dem Privatstudium, wie den öffentlichen Concertaufführun-
gen nicht genug empfohlen werden.« F. selbst hat sich in einer eigenen Schrift,
betitelt: »Offener Brief an Eduard Hanslick über Bearbeitungen älterer Ton-
werke, namentlich Bach'scher und Händel'scher Vocalmusik« (Leipzig, 1871) in
scharfsinniger Art über die Grundsätze ausgesprochen, nach welchen heutzutage
die Bearbeitung des Accompagnements solcher Compositionen herzustellen sei.
Einen ähnlichen Zweck verfolgt die ästhetisch-kritische Schrift F.'s: »Mitthei-
Itingen über J. S. Bach's Magnificat« (Halle, 1863). — lieber F.'s Lieder darf
dasselbe, was über E,ob. Schumann's Lieder gilt, nur in gesteigerter Art als
bezeichnend angenommen werden. Sie tragen durch eine reich ausgeführte
Clavierbegleitung und durch eine gewählte Harmonisirung hauptsächlich der
Stimmung Rechnung und zwar in solcher Art, dass die eigentliche Gesangs-
weise, die Melodie, sich häufig in das blos Declamirte, ja sogar TJnsangbare
verliert, oder doch an Interesse gegen das Accompagnement zurücksteht, wäh-
rend nach natürlichem, von dem VolksUede und den älteren Meistern aufge-
stelltem Gesetze, im Liede die Stimmung ausschliesslich oder doch wenigstens
vorzugsweise in der Melodie sich aussprechen und Begleitung oder harmonische
Unterlage nur nachhelfend und accidentell sich verhalten sollen. Zu Gunsten
der F.'schen Lieder in ihrer Eigenart spricht jedoch, dass die Gedanken poetisch
und neu, die Harmonien nicht erkünstelt sind, kurz, dass fast jedes einzelne
derselben als Kunstwerk dasteht, und Ambros hat nicht Unrecht, wenn er in
seiner Studie »Robert Franz« von ihnen sagt: »In diesen Liedern gebietet er
(F.) über die höchsten und letzten Mittel der Kunst. Mag er für die Technik
seiner Ciavierbegleitung die ganze Vollendung in Anspruch nehmen, zu der die
moderne Behandlung des Instrumentes sich gestaltet hat, mag Alles und Jedes
zudem mit miniaturartiger Feinheit durchgebildet sein, seine Lieder sehen doch
aus, als seien sie gleichsam von selbst, ohne Mühe und Reflexion einem reichen
und schönen Seelenleben entströmt.« Fest steht , dass F. als musikalischer
Lyriker epochemachend eine neue Geschmacksrichtung auf einem der Special-
gebiete der Tonkunst eröffnet hat und dass er für eine bedeutende Anzahl der
jüngeren Componisten mustergültig geworden ist. — F.'s schöpferische Thätig-
keit haben in besonderen Schriften Jul. Schäffer, A. W. Ambros und Fr. Liszt
kritisch beleuchtet.
Franz, Stephan, vorzüglicher deutscher Yiolinist und Componist, geboren
1785 in "Wien, wurde von seinem Vater, einem gründlichen Musiker, schon
früh im Violinspiel, wie im Gesang unterrichtet. Da er, trotz seiner schönen
Sopranstimme als Hofkapellknabe nicht angenommen wurde, so kam er als
Discantist in das Piaristenkloster "der Josephstadt in Wien, wo er zugleich
Humaniora studiren musste. Einige gute Violinlehrer der Stadt unterrichteten
ihn ebenfalls weiter und bei dem trefflichen Dominik Ruprecht, der ihn wiederum
bei Albrechtsberger, behufs Studiums des Generalbasses und der Composition
einführte, erlernte F. das Clavierspiel. Auch Jos. Haydn, ein Freund seines
Vaters, ertheilte ihm oft und gern Rathschläge zur Composition. F. hatte be-
reits das erste Jahr seiner philosophischen Studien hinter sich, als ihn der
Vater, der noch mehr Kinder zu versorgen hatte, der schnelleren Gewinn ver-
sprechenden kaufmännischen Laufbahn zuführte, die ihn wieder zur Tonkunst
zurückleitete, indem ein reicher Edelmann, bei dem er in den Geschäfts-Musse-
stunden im Quartett mitspielte, ihm die Hauslehrerstelle bei seinen Kindern
und einen festen Platz als erster Violinist seines Privatquartetts anbot. Von
1803 bis 1806 verweilte F. auf diesem Posten, worauf er eine ähnliche An-
stellung in Pressburg annahm, jedoch schon 1807 mit der eines Musikdirektors
bei der kleinen Kapelle eines Gutsbesitzers im Stuhlweissenburger Comitate
vertauschte. Als solcher hatte er viele Müsse für fortgesetztes Violinstudium
48 Französische Musik — Frasi.
und für Compositionen aller Art. Er concertirte mit grossem Beifall in Press-
burg, Pesth und anderen ungarischen Städten, verheirathete sich 1810 und
kehrte nach Ablauf seines sechsjährigen Contracts nach Wien zurück, wo er
sofort Engagement als erster Violinist am Theater an der Wien erhielt. Der
k. k, Hofintendant Graf Kuefstein und der Hofkapellmeister Salieri, die ihn
damals hörten, wurden seine Grönner und verschafften ilim 1816 eine Violinisten-
stelle in der k. k. Hofkapelle. Bis 1820 Hess sich F. noch häufig hören und
brachte zugleich auch stets neue Arbeiten seiner Composition zur Aufführung.
Da er als Musiklehrer sehr gesucht war, so gab er schon 1818 seine Theater-
stellung und 1820 auch das Concertgeben auf. Dennoch übernahm er 1824
das Amt als Secretär des Tonkünstler-Unterstützungsvereins »Haydn«, sowie
die Direktion der beiden jährlichen Concerte dieses Instituts, was wiederum
zur Folge hatte, dass er auf Empfehlung des Grafen Moritz von Dietrichstein,
des Präses und Protectors des Vereins, 1828 die Stelle des Orchesterdirektors
der Musik im Burgtheater erhielt, welche Stellung F. bis zum J. 1850 ein-
nahm. Während dieser Periode hat er, ausser einer Sinfonie, für das Bedürf-
niss jener Bühne 15 Ouvertüren und ungefähr 90 Entr'acts, unter welchen
letzteren sich viele für Orchester arrangirte Sätze von Beethoven, Onslow,
Blies «u. s. w. befinden, geschrieben. Seine übrigen Compositionen bestehen in
einer grossen Messe, sammt Graduale und Offertorium, einem Streichquintett,
mehreren Quartetten, Concertstücken , Variationen, Solos u. s. w. für Violine,
ferner einem Septett für Flöte, Violine, Oboe, Fagott, Hörn, Violoncello und
Bass, einem Quintett, Quartetten, Trios, Duos für Flöte, endlich einem Rondo
für Harfe und Orchester, zwei Ciaviertrios, Variationen für Pianoforte, Ge-
sängen und Liedern. Wenig davon ist gedruckt, zeigt aber frische Erfindung
und klare, melodische und wirkungsvolle Setzweise. Sehr bedeutend war auch
sein Talent als Orchesteranführer und als Dirigent.
Französische Musik, s. Frankreich. 'fln
Französische Posaune hiess ein fünfmetriges Orgelregister von sanfterem
Klange als die Bassposaune.
Französische Stimmung, s. Kammerton.
Französischer Violinschlüssel hiess der früher mehrfach in Frankreich ge-
bräuchlich gewesene G- oder Violin- Schlüssel auf der ersten Linie des Noten-
systems. S. Notenschrift.
Franzoui, Amando, italienischer Tonsetzer, geboren um 1575 zu Mantua,
hat ein erstes Buch seiner fünf stimmigen Madrigale (Venedig, 1608), sowie
dreistimmige Gesänge veröffentlicht. t
Fraschini, Gaetano, berühmter italienischer Opernsänger, geboren zu
Pavia im J. 1815, studirte anfangs Medicin, folgte aber dann dem Rathe, seine
schöne, starke Tenorstimme für die Bühne zu verwerthen und Hess dieselbe
von dem Gesanglehrer Moretti ausbilden. Im J. 1837 debütirte er denn auch
mit Glück auf der Opernbühne seiner Vaterstadt, von welcher aus er nach
und nach die bedeutendsten Theater Italiens betrat und bald ungeheure Er-
folge aufzuweisen hatte. Auch in Wien, Madrid, Paris und London hatte man
während der italienischen Saisons Gelegenheit, sein mächtiges und klangreiches
Organ zu bewundern, wenngleich daselbst seine Manier und Schule mancherlei
Anfechtungen erfuhren.
Frasij Feiice, italienischer Componist und Dirigent, um 1805 in der
Lombardei geboren, vollendete seine musikalischen Studien auf dem Conser-
vatorium zu Mailand und erhielt alsbald darnach, erst 20 Jahr alt, die Stelle
als Kapellmeister an der Kathedralkirche zu Vercelli. Im J. 1845 wurde er
als Nachfolger Vaccaj's zum Direktor des Conservatoriums zu Mailand ernannt,
starb als solcher aber schon im J. 1849. Er hat Ciavier- und Orgelstücke
veröffentlicht und 1827 zu Mailand auch eine Oper y>La selva di Hermannstadta.
nicht ohne Erfolg zur Aufführung gebracht.
Frasi, Miss, englische Sängerin, Schülerin Burney's und um 1748 zu
Frassini — Frauenlob. 49
London, vorzüglich als Concertsängeriu, hochgeschätzt, erwarb ihren Ruf be-
sonders durch die treffliche Ausführung der ihrer Stimme entsprechenden Par-
thien in Händel'schen Oratorien, die sie unter des Meisters eigener Direktion
sang. t
frassiui, Nathalie, eine treffliche und gewandte Coloratursängerin, ge-
boren 1829 zu Mannheim als die Tochter des dortigen Concertmeisters Karl
Joseph Eschborn (s. d.), der sie auch musikalisch ausbildete. Ihre höheren
Gresangstudien machte sie in Florenz und Paris, woselbst ihr u. A. Rossini
praktische Rathschläge ertheilte. Als sie 1850 ein Engagement am San Carlo-
Theater in Neapel erhielt, italienisirte sie ihren Namen Eschborn in Frassini
und trat unter letzterem Namen in Stuttgart, Hamburg, Berlin (im Mai 1858)
und vielen anderen Operntheatern Deutschlands mit grossem Erfolge, zuletzt in
Grotha auf, wo sie zur herzogl. Kammersängerin ernannt wurde. Hier verhei-
rathete sie sich mit dem Herzog Ernst von Württemberg und nahm, von dem
öffentlichen Ijeben zurückgezogen , ihren ferneren Aufenthalt in Wiesbaden.
Hiernach ist auch die unter Eschborn gegebene irrthümliche Notiz zu ver-
bessern. Sie war im Besitz einer weichen, biegsamen, umfangreichen und wohl-
klingenden Sopranstimme von grossem Ausdrucksvermögen, und eine Bravour-
sängerin von Rang. Auch ihr Vortrag und Spiel waren gewandt und lebendig.
Die technische Behandlung und die Art der dramatischen Charakteristik er-
schienen von den Einflüssen der modernen italienischen Schule bestimmt, was
ihr mehrfach zum Vorwurf gemacht wurde. Ihre Hauptparthien waren die
Lucia, Amina (Nachtwandlerin), Isabella (Robert der Teufel), Constanze (Bel-
monte und Constanze) u. s. w.
Fraiieuchor, ein mehrstimmiger, nur mit Frauen- oder, diesen entsprechend,
mit Knaben-Stimmen besetzter Chor (s. d.). In der Regel ist er drei- oder
vierstimmig, in jenem Falle gewöhnlich für zwei Soprane und einen Alt, in
diesem für zwei Soprane und zwei Alte, und zwar tritt er entweder ganz selbst-
ständig für sich auf oder in gemischten Chören als mit anderen Stimmencom-
binationen abwechselnde Gruppirung. In selbstständiger Verwendung dient er
meist nur für kürzere Sätze, Chorlieder u, dergl., kann aber auch in den
grösseren musikalisch-dramatischen Werken, durch die Situation bedingt, wirk-
sam sein; im TJebrigen ist sein Kreis beschränkt, grosse Aufgaben darf man
ihm nicht stellen. Denn sein Gesammtumfang ist nur klein, die gedrängte
Lage und Klangähnlichkeit der Stimmen lassen eine kunstvolle und dabei klare
Durchführung kaum zu, der Gesammtklang ist auf die Dauer monoton und
dabei marklos, weil die sonore Gravität der männlichen Stimmen fehlt.
Fraueulob, oder altdeutsch Yrouwenlop, Heinrich, der richtige und wirk-
liche Name, nicht der Beiname des sonst Heinrich von Meissen genannten
alten deutschen Meistersingers. Um das Jahr 1260 zu Meissen geboren, übte
er seine Dicht- und Singkunst lange an den nord- und süddeutschen Fürsten-
höfen aus und Hess sich etwa 1311 oder 1312 in Mainz nieder, wo er sich
wahrscheinlich auch verheirathete. Dort soll er, wie die Meistersingerzunft
geflissentlich durch Tradition forterben Hess, als der heiligen Schrift Doctor
die erste Meistersingerschule gegründet haben. Es haben gewiss schon früher
Vereinigungen von Dichtern und Sängern stattgefunden, aber dieselben waren
doch mehr zufällig, vorübergehend und ohne bestimmte Formen; dagegen mag
F. allerdings einen Verein gegründet haben, dem er festere Formen gab, wenn
auch nicht in der Weise, wie sie bei den späteren Meistersingern gefunden
werden, und es mag also jene Sage dahin gedeutet werden, dass sich aus dem
von F. gestifteten Vereine im Laufe der Zeiten, und zwar schon ziemlich bald,
die eigentlichen Schulen der Meistersinger entwickelten. Diese zählen ihn
übrigens überall zu den zwölf ersten Meistern , denen sie die Gründung ihrer
Genossenschaft verdankten. Er war einer der fruchtbarsten Dichter in der
Zeit von 1150 bis 1350. Obgleich ein grosser Theil seiner Gesänge verloren
gegangen oder wenigstens noch nicht wieder aufzufinden gewesen ist, besitzt
Musikal. Convers.-Lexikou. IV. 4
50 Frech — Freddi.
man von ihm noch drei grosse Leiche, viele Sprüche in 448 Strophen und
13 Lieder in 51 Strophen. Ebenso fruchtbar war er in Erfindung von neuen
Tönen, deren ihm in den Meistergesangbüchern 35 zugeschrieben werden. F.
starb am 30. Novbr. 1318 zu Mainz. Er hatte sich bei seinen Mitbürgern
und namentlich bei den Erauen, die er mehrfach wahrhaft liebenswürdig und
warm besungen hat, Verehrung und hohes Ansehen erworben, Mainzer Frauen
sollen denn auch seinen Leichnam in die Domkirche getragen, ihn beweint und
seinen Grabstein durch "Weinspenden geehrt haben; statt des letzteren, der im
J. 1744 zertrümmert worden war, wurde ihm 1842 ein neues Denkmal gesetzt.
Frech, Johann Georg, trefflicher Orgelspieler und Componist, geboren
am 19. Jan. 1790 zu Kaltenthai, einem Dorfe unweit Stuttgart, als der Sohn
des Orgel- und Uhrmachers Jolninn Michael F., besuchte bis 1802 die Dorf-
schule, nebenbei nebst seinem älteren Bruder durch Privatunterricht gefördert.
Für Musik zeigte er weder Sinn noch Neigung, und nur mit Mühe und auf
beharrlichen Wunsch des Vaters lernte er auf der von demselben gefertigten
Hausorgel einige Stücke auswendig spielen. Für den Lehrerstand bestimmt,
musste er endlich doch neben seinen Vorbereitungsstudien für das Gymnasium
auch Ciavierspiel treiben, und mit dieser Beschäftigung fand sich denn auch
die Lust dermassen ein, dass er bald Pleyel'sche, Knecht'sche, Kotzeluch'sche
und andere Compositionen mit vieler Fertigkeit spielte. "Während er 2^2 J^^hre
täglich das weit entfernte Stuttgarter Gymnasium besuchen musste, hörte der
Ciavierunterricht auf, aber F. übte selbst nächtlicher "Weile so eifrig weiter,
dass ihn sein Vater oft mit strengen Worten zur Ruhe treiben musste. Im
J. 1806 erhielt er die Stelle als Lehrergehülfe zu Degerloch, ganz nahe bei
Stuttgart, und nun konnte er in der Hauptstadt selbst bei Knecht Harmonie-
lehre, bei Sutor Composition, beim Stiftsmusiker Nanz Violin-, beim Kammer-
musiker Krüger Flöten- und beim Hofmusiker Scherzer Violoncellospiel studiren ;
das Beste that aber auch diesmal die fleissige Selbstübung und das Anhören
guter Musikaufführungen, wozu endlich noch eine fruchtbringende Bekanntschaft
mit C M. von Weber kam. Im J. 1811 wurde er als Schulgehülfe nach Ess-
lingen versetzt, an dessen Schullehrer-Seminare er gleichzeitig Ciavier- und
Violinunterricht ertheilte, in Folge dessen er 1813 definitiv für diese Fächer
angestellt wurde. Als 1820 die Stelle des Organisten und Musikdirektors an
der Hauptkirche in Esslingen vacant wurde, erhielt sie F. Um das Musik-
leben der Stadt wirksam zu heben, gründete er 1827 den noch jetzt bestehen-
den Liederkranz und dirigirte die seit 1828 dort jährlich stattfindenden Lieder-
feste. Im J. 1831 ernannte ihn die Regierung noch ausserdem zum Revisor
der im Neckarkreise vorkommenden Orgelbausachen. F.'s grosser und segens-
reicher Einfluss auf die Musikbildung von ganz Württemberg erhellt schon
daraus, dass mehr als tausend Lehrer aus seinem Seminar hervorgingen, die
ausschliesslich nur seinen Musikunterricht empfangen hatten. Er wirkte hoch-
geachtet bis 1860, nahm dann einen ehrenvollen Abschied und starb in Ess-
lingen im J. 1864. — Seine Compositionen waren meist für die Kräfte und
die Bedürfnisse seiner Schüler und seines Vereins berechnet. Gedruckt sind
davon: Viele ein- und mehrstimmige Lieder und Gesänge, Orgelstücke, ein
Choralbuch (in Gemeinschaft mit Silcher und Kocher bearbeitet), eine deutsche
Messe für Männerstimmen, das Vater Unser von Mahlmann u. s. w. , während
im Manuscript verblieben: Cantaten, das Oratorium «Abraham auf Moria«, die
Oper »Montezuma«, eine deutsche Messe für gemischten Chor, Gesänge, Lieder,
Ciavier- und Orgelstücke, einige Instrumentalsachen, eine Ouvertüre als Ein-
leitung zu Schiller-Rombcrg's »Glocke« u. s. w.
Freddi, Amadeo, italienischer Priester und Componist, geboren im letzten
Viertel des 16. Jahrhunderts zu Padua, war erst Kapellmeister an der Haupt-
kirche zu Treviso, sodann an der Kathedrale seiner Vaterstadt. Von seinen
gedruckten Compositionen sind bekannt geblieben: 4 Sammlungen Madrigale
(Venedig, 1601, 1602 und 1609): Sacrae modulationes (Motetten) zu zwei, drei
Freddo — Freie Künste. 51
und vier Stimmen (Venedig, 1617); Divinae laudes a 2, 3, 4 vocibus cum hasso,
Über 4; Sinni concertati a 2, 3, 4 e 6 voei con due stromenti acuti ed uno
Grave per le nnfonie; Antifone a 4 voci (1642). — Ein Violinvirtuose gleichen
Namens aus der Tartini'schen Schule soll um die Mitte des 18. Jahrhunderts
ziemlich bejahrt schon in Rom gelebt haben. Näheres ist von demselben
nicht bekannt.
Freddo (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung kalt, frostig.
Fredosi, BartolomeO;, italienischer Sänger, aus Pistoja gebürtig, stand
um 1655 als Diskantist in des deutschen Kaisers Ferdinand III. Diensten.
Vgl. Bucelinus. t
Freeke oder Freake, John, der muthmassliche Erfinder der sogenannten
Eantasirmaschine, starb im J. 1717 zu London als Wundarzt am St. Bartho-
lomäus-Hospital. Lange nach seinem Tode druckte man in den daselbst er-
scheinenden FUl. Transact. Vol XXXXIV for the year 1747, //. p. 445; y>A
Letter to the President of the royal Society, inclosing a Paper of the late Jßev.
Mr. Greed, concerniny a Machine to ivrite down Extempore Voluntaries, or other
Pieces of Music«, von ihm ab. f
Fregoso, Antonio Fileremo, italienischer Dichter aus Genua, hat unter
der latinisirten Benennung Fregosius y>Dialoghi di fortuna e musica«. (Ve-
nedig, 1521) in italienischer Sprache veröffentlicht. Zuweilen findet man F.
auch Fulgosius genannt. Vgl. Adoini, Ateneo ligustico. f
Frelier. Zwei Männer dieses Namens haben in ihren Werken die Musik
Berührendes hinterlassen. Marquard F., geboren zu Augsburg am 26. Juli
1565 und nach vielen Beisen als Bechtsgelehrter und verdienter Historiker
zu Heidelberg am 13. Mai 1614 gestorben, bringt in seinen y>Scriptores rerum
germanicarum<i (Frankfurt, 1600 bis 1602 und Hanau 1611, drei Bde.), viele
zerstreute Nachrichten über Musik; und — Paul F., zu Nürnberg 1611 ge-
boren und später daselbst als Arzt thätig, giebt in seinem ebenda 1688 er-
schienenen y>Theatrum virorum eruditione clarorumv. Tom. I und II viele Lebens-
nachrichten von musikalischen Schriftstellern und Tonkünstlern. Vgl. Gerber's
Tonkünstlerlexikon vom Jahre 1812. t
Frei, ein in verschiedener Bedeutung im Gebrauche befindliches Beiwort.
Man gebraucht es z. B. in Bezug auf Einführung mancher Dissonanzen, denen
unter gewissen Umständen, abweichend vom eigentlich geforderten gebundenen
oder vorbereiteten Eintritte, ein freier gestattet ist, also ohne dass sie vorher
als Consonanzen gehört worden sind. Dazu gehören: die kleine Septime in
vielen Fällen, die verminderte Septime gewöhnlich, die verminderten Intervalle
überhaupt sehr häufig, ebenso manche Vorhalte, alle Wechselnoten, deren Wesen
im freien dissonanten Eintritte beruht, die Durchgänge u. s. w. Hiermit in
Verbindung gebraucht man das Beiwort f. auch bezüglich auf weniger strenge
Befolgung der für den strengen, gebundenen oder contrapunktischen Satz über-
haupt geltenden und von der Natur der Harmonie und richtigen Vocalität ab-
geleiteten Regeln, in Tonsätzen freieren Styls. Daher die Unterscheidung
zwischen strenger und freier Schreibart. S. Styl. Endlich spricht man von
f. in Bezug auf die ganze Entwickelung der Form im Grossen, insofern die
von der strengen Regel befreite Schreibart Formbildungen nach sich gezogen
hat, die von denen der gebundenen erheblich abweichen. Der Unterschied
zwischen strengen und freien Formen fällt aber mit demjenigen zwischen nur
strenger und freier Schreibart nicht völlig zusammen; denn ein Tonstück in
freier Form, z. B. eine Ouvertüre kann gleichwohl in gebundener Schreibart
gesetzt sein. Näheres ergiebt sich aus den Artikeln Styl und Musik.
Freie Dissonanz, s. Consonanz und Dissonanz und Vorbereitung.
Freie Fantasie, s. Fantasie.
Freie Fuge, s. Fuge.
Freie Künste, (lat.: artes liberales, artes ingenuae oder bonae) nannten die
Alten diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten, die zu dem Unterrichte des
4*
52 Freier — Freitoft.
Freien gehörten und die man eines freien Mannes würdig erachtete, im G-egen-
satze der Beschäftigungen der Sclaven, der artes illiherales, worunter man haupt-
sächlich mechanische Arl)eiten verstand. Grewöhnlich zählt man sieben fr. K.,
nämlich: Grammatik, Arithmetik und Geometrie, Musik, Astronomie, Dialektik
und Rhetorik, von denen, nach der gewöhnlichen Annahme, die ersteren drei
in den Schulen des Mittelalters das Trioium, die letzteren vier das Quadrivium
genannt wurden, während Andere die Grammatik, Dialektik und Rhetorik zum
Trivium, die anderen Künste zum Quadrivium rechnen.
Freier oder Freyer, August, trefflicher Organist, geboren 1806 im Säch-
sischen, bildete sich auf Grund seines Clavierspiels von 1824 an durch Selbst-
studium zu einem vorzüglichen Orgelspieler aus, als welcher er auch im J. 1834
von Warchau aus, wo er sich als Musiklehrer niedergelassen hatte, eine Kunst-
reise durch Norddeutschland machte und an verschiedenen Orten ehrende An-
erkennung fand. F. ist noch gegenwärtig als angestellter Organist in War-
schau thätig.
•^ Freie Schreibart, freier Styl, s. zunächst frei, dann Styl.
r^^ Freig-, Johannes Thomas, latinisirt Freigius, deutscher Philosoph
und Schriftsteller, 1.543 zu Freiburg im Breisgau geboren, 1.576 als Rektor
nach Altdorf berufen, starb daselbst am 16. Januar 1583. In seinem -»Paeda-
gogiumi. (Basel, 1582) findet man von Seite 157 bis 218 in Frage und Ant-
wort einen Unterricht in der Musik. Ebenso sind in folgenden seiner Werke:
r)Pet, Rami Professio regia, h. e. Septem Artes liberales per Freigium in tabulas
perpetuas relatae« (Basel, 1576); y>Quaestiones physic. oeconomicae et politicae etc.<i
(Basel, 1576) ästhetisch-musikalische Fragen erörtert. f
Freillon-Pouceiu, .Jean Pierre, französischer Musiker, war Vorsteher der
Oboisten in der Kapelle Ludwig's XIV. in Paris und Versailles, und ist der
Verfasser einer Methode für Oboe, welche zu den ältesten Schulen für dieses
Instrument gerechnet werden darf.
Freislich, Maximilian Theodor, einer der besseren Componisten aus
der Wendezeit des 17. und 18. Jahrhunderts, geboren zu Immelborn im Mei-
ningen'schen am 7. Febr. 1673, war als Kapellmeister in Danzig augestellt und
starb daselbst am 10. April 1731. Nähere Kenntniss über seine Lebensum-
stände, sowie über seine Compositionen fehlt. — Etwas mehr biographischen
Stoflf liefert sein Neffe Johann Balthasar Christian F., ebenfalls aus Im-
melborn gebürtig, wurde 1720 als fürstl. schwarzburg'scher Kapellmeister nach
Sondershausen berufen, übernahm 1731 das Amt seines Oheims in Danzig und
starb daselbst um 1768. Eine lustige Anecdote aus F.'s Leben am Hofe des
Fürsten Günther von Schwarzburg erzählt Gerber in seinem älteren Ton-
künstlerlexikon. F. war ein fruchtbarer Componist auf dem Gebiete der Kirchen-
und Kammermusik und seine Arbeiten wurden als originell und sehr gefällig
gerühmt. Erhalten geblieben ist von denselben jedoch nur ein Clavier-Trio,
welches ungedruckt im Besitz der Musikverlagsfirma Breitkopf und Härtel in
Leipzig war.
Freitag, Adam, richtiger wohl Freytag, Schulmann und Gelehrter, war
von 1598 bis 1621 Professor am Gymnasium zu Thorn, und nennt sich selbst
Auetor Symphoniaruin, nämlich Componist der in dem thornischen Cantional
von 1601 befindlichen 80 vierstimmigen Melodien, von denen ihm einige in
der That mit Gewisslieit zuzuschreiben sind. f
Freitag', Friedrich Gotthilf, gelehrter Bibliograph, Sohn des Rectors
zu Schulpforte und daselbst 1723 geboren, studirte die Rechte und Avurde
später Bürgermeister zu Naumburg, als welcher er am 12. Febr. 1771 starb.
In seiner Dissertation r>Quid sit musice vivere?<.i (.Jena, 1750), die während des
Streites zwischen Biedermann und Doles erschien, findet sich viel die Musik
Angehendes vor. Vgl. Adelung, fortgesetzt von .Töcher. f
Freitoft, dänischer Violinvirtuose, war als solcher um 1746 in seinem
Vaterlande gefeiert und als Secretair und Kammermusiker beim König Fried-
Fremart — Freschi. 53
rieh y. von Dänemark angestellt. Er hatte sich auf Reisen, besonders in Ita-
lien, künstlerisch wie wissenschaftlich gebildet. t
Fremartj Henri, französischer Kirchencomponist, hatte sich in Paris, wo
er um die Mitte des 17. Jahrhunderts Canonicus zu St. Anian und Vicar der
Kirche Notre Dame war, durch seine Compositionen viele Verehrer erworben,
wie die im J. 1649 daselbst gedruckte Lebensbeschreibung Mersenne's p. 66
berichtet. Messen von I'.'s Composition befinden sich in einer 1642 bis 1645
von Ballard in Paris edirten grösseren Sammlung.
Fremaux, Jean, altfranzösischer Dichter und Musiker, dessen Lebenszeit
in das 13. Jahrhxindert fällt.
Freneuse, 8. Lecerf de la Yieville.
Freugi-tscliin heisst in der persisch-türkischen Musik eine Tonfolge, welche
sich gehend im zweiviertel Takt bewegt und eine siebentaktige Periode bildet.
Siehe persisch-türkische Musik. 0.
Freuo, Marcus, A^iolin virtuose und Mitglied der Hofkapelle zu München
im J. 1794, wurde seiner Fertigkeit wegen sehr gerühmt und war ein Schüler
und College Joh. Friedr. Eck's. t
Freuzel, Johann Theophilus, deutscher Gelehrter, geboren zu Schönau
in der Oberlausitz am 19. Febr. 1725, gab als Magister der Philosophie und
Advokat zu Budissin 1754 zu "Wittenberg und Zerbst einen Predigtkatechis-
mus heraus, der eine Anweisung, wie eine Predigt gut und wohl zu behalten
sein solle, enthielt und auch Gedanken von dem schuldigen Verhalten in An-
sehung der Kirchenmusik brachte. Vgl. Meusel's gelehrtes Teutschland, f
Frere, Alexandre, französischer Musikschriftsteller, war um 1710 Mit-
glied der Akademie der Musik, wie die Grosse Oper hiess, zu Paris und hat
eine grössere Schrift; siTranspositions de miisique, reduites au naturel, par les
secours de la modulation etc.v. (Amsterdam, 1700 bei Eoger) veröffentlicht. Er
starb im J. 1753 zu Paris.
Freres de la passion (franz.) nannte sich lange Zeit hindurch eine der
im Mittelalter zu Paris befindlichen und für dramatische Aufführungen geist-
licher Schauspiele (Passionen, Mysterien) eigens concessionirten Gesellschaften.
Durch einen besonderen Vertrag traten sie 1548 ihr Theater und ihre Privilegien
an die neue Gesellschaft der Oomediens ab.
Freron, Elie Catherine, französischer Kritiker des 18. Jahrhunderts,
geboren zu Quimper 1719, kam jung in den Jesuitenorden und war als Ordens-
bruder einige Zeit Lehrer am College Louis-le-grand zu Paris. Schon 1739
jedoch trat er aus dem Orden und beschäftigte sich nur mit schriftstellerischen
Arbeiten, von denen seine riLettres sur quelques ecrits de ce tempsv. (2 Bde., Genf,
1749) u. A. eine weitläufige Kritik über Remond de St. Mard's »Essai sur
l'ojoeraa enthalten. Ausserdem schrieb er noch y>Deux lettres sur la musique
frangoise, en reponse a eelle de J.^J. Soiisseaun (Paris, 1753), was Alles für
mittelmässig und oberflächlich gelten muss. F. starb zu Paris am 10. März 1776.
Frescamente, fresco (ital., franz.: fraidiemeni), Vortragsbezeichnuug in der
Bedeutung frisch, munter.
Freschi, Giovanni Domenico, italienischer Priester und hervorragender
Kirchen- und Operncomponist, geboren zu Vicenza in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts, lebte meist in Venedig und hat von seiner Composition
Messen und Psalme mit Instrumentalbegleitung (Venedig, 1660 und 1663) ver-
öffentlicht. Später scheint er sich ganz der Oper zugewandt zu haben, denn
von 1677 bis 1685 entstammen seiner Feder folgende musikalisch-dramatische
Arbeiten: »Elena rapitav^ (1677), •»Sardanapalei (1678), i)Circev. (1679), »Tullia
superha (1678), »Berenicev. (1680), »Olimpia vendicataa (1681), »Fompeo magnov.
(1681), »Giulio Cesare trionfantev- (lßS2), »L^ineoronazione di Dario». (1684), »Silla«.
(1683), »Teseo tra le rivali (1685) und »Dario il re« (1685). Ein 15 stimmiges
»Oraiorio della GiudeUa'i von ihm, 47 Blätter stark, bewahrt die Manuscripten-
sammlung der Hofbibliothek in AVien, eine gelehrte musikalische Arbeit, aber
54 Frescobaldi — Fretzdorff.
ohne hervorstechende Züge, die nur behufs Kenntnissuahme des Styls jener
Blusikepoche im höheren Grade interessant ist. — Ein Gelehrter des 16, Jahr-
hunderts, Namens Giovanni F., veröffentlichte das in Laborde's und Bure's
»Bibliographie instructive« als genial gerühmte Buch nRerum musicalium opiis-
culumi (Argeutorati, 1535).
Frescobaldi, Girolamo, einer der ausgezeichnetsten Meister der Tonkunst
aus älterer Zeit, gleich berühmt als der vorzüglichste Orgelspieler der ersten
Hälfte des 17. Jahrb., wie als gediegener Componist und Lehrer der Musik,
wurde im J. 1587 oder 1588 (nach Gerber erst 1591) zu Ferrara geboren.
Was man bis jetzt von seinen Lebensumständen erforscht hat, ist leider nur
wenig und dabei zum grossen Tlieile noch unsicher. Seinen Ruhm als Sänger,
Orgelvirtuose und Tonsetzer erlangte er schon sehr früh. Nach Superbi und
Quadrio war Alessandro Milleville in Ferrara sein Lehrer, und damals war es
sein überaus schöner Gesang, der alle Welt entzückte und Enthusiasten ver-
anlasste, ihm von Ort zu Ort nachzureisen. Der erstgenannte Gewährsmann
behauptet auch noch, dass F. in noch jungen Jahren, aber als ausgebildeter
Künstler, nach den Niederlanden, damals noch immer eine Hochschule der
Musik, gekommen sei und daselbst bis 1608 gelebt habe. Nach dieser Zeit
war F. wieder in Italien und zwar in Mailand. Um 1627 liess er sich in Rom
nieder und erhielt etwas später (1630 wie allgemein behauptet wird, gegenüber
Fetis, der auf 1614 besteht) das Amt des ersten Organisten an der St. Peters-
kirche. Die Kunde von dieser Anstellung Avurde wie ein beglückendes Ereig-
niss in Rom begrüsst, so dass, wie Baini in seinen Memor. stör, crit., gestützt
auf die besten Quellen, behauptet, 30,000 Zuhörer zugegen waren, als er zum
ersten Male in St. Peter spielte. Aus allen Theilen des katholischen Erd-
kreises strömten Andächtige und Neugierige nach Rom und zum guteu Theil
nur, um den als unvergleichlich und unübertrefläich in allen Ländern anerkann-
ten Meister der Orgel zu hören. Da er als der erste unter den Italienern
genannt wird, welcher sich des fugenartigen Vortrags befleissigte und denselben
einführte, so ist anzunehmen, dass er gerade dieser Neuerung im Orgelspiele
seinen Weltruhm mit verdankte. Als Lehrer hat er sich besonders durch
seinen grossen Schüler Job. Jac. Fr oh berger verewigt, der sich ganz und
voll die grossartige und kunstvolle Technik seines Meisters angeeignet hat.
Von F.'s Compositionen, als deren erste veröffentlichte ein Buch fünfstimmiger
Madrigale (Antwerpen, 1608) gilt, und die in Canzonen, Motetten, Hymnen,
Magnificats, sodann in Toccate, Ricercari, Capricci u. s. w. für Orgel bestehen,
findet man die speciellen Titel in den Lexiken von Walther, Gerber und Fetis
aufgeführt. Die k. k. Hofbibliothek in Wien besitzt von ihm auf 52 Blättern
zehn Ricercax'i und fünf Canzoni im Manuscript, deren Werth, dem kunstge-
schichtlichen Ruhme ihres Componisten gegenüber, aber nur als ein unter-
geordneter zu erachten ist. F.'s Todesjahr ist mit Bestimmtheit bis jetzt noch
nicht ermittelt. Fetis, der diesen Zeitpunkt um 1654 setzt, combinirt dieses
Datum wahrscheinlich aus dem Aufenthaltsterniine Frohberger's bei F. und wird
mit seiner Angabe schwerlich stark irren.
Fresue du Cange, Charles de, s. Gange.
Frestele, Fretel, Fretian (altfranz.), eine Art Panspfeife, deren im 12.
und 13. Jahrhundert die französischen Menetriers zum Aufspielen, oder um
auf ihre Künste die Aufmerksamkeit zu lenken, sich bedienten.
Fretzdorff, Hugo, deutscher Tonkünstler, geboren am 26. Aug. 1821 zu
Berlin, war für den Buchhandel bestimmt, welchem Fache ihn aber seine von
jeher gepflegte Vorliebe zur Musik, deren theoretischen Theil er zuletzt bei
C. Böhmer in Berlin studirte, entfremdete. Er widmete sich, unterstützt durch
eine schöne Tenorstimme und durch einen trefflichen declamatorischen Vortrag,
zunächst dem Gesänge. Eigenes Nachdenken, Ausüben und Hören vorzüglicher
Sänger befähigten ihn, eine eigene Gesangsmethode zu bilden, über die er sich
in Artikeln verschiedener Fachblätter näher ausliess, und die sich in Wien, wo
Fretta — Freudenberg. 55
sich F. einige Jahre hindurch aufhielt, bewährt haben soll. Seit 1858 lebt F.
als Componist und Gesanglehrer wieder in Berlin. Von seiner Composition
sind Lieder für eine Singstimme mit Pianoforte, sowie einige Ciavierstücke im
Druck erschienen.
Fretta (ital.), die Eile, kommt als Vortragsbezeichnung in Verbindung mit
der Präposition con vor,
Freubel, Johann Ludwig Paul, ein tüchtiger deutscher Violinist und
Componist, geboren um 1770 zu Berlin, wurde im J. 1802 als Orchesterchef
nach Amsterdam berufen, in welcher Stadt er auch gestorben sein soll.
Freudemaun, Johann, Organist aus Braunschweig, figurirte als der zweite
auf der Liste der 53 Sachverständigen, welche das im J. 1596 in der Schloss-
kirche zu Grüningen vollendete Orgelwerk begutachten mussten. Vgl. Werk-
meister's Org. Gruning. rediv. §.11. f
Freudenberg, Fräulein von, eine deutsche Tonkünstlerin, wird als die Ver-
fasserin einer anonym erschienenen musikalisch-theoretischen Schrift: »Kurze
Anführung zum Generalbass u. s. w.« (Leipzig, 1728) genannt.
Freudeuberg, Johann, ein gründlicher und gelehrter deutscher Tonkünst-
ler, geboren 1590 in Breslau, trieb neben den musikalischen auch wissenschaft-
liche Studien auf den Hochschulen zu Strassburg, Paris und zu Siena und
starb am 25. Novbr. 1635 zu Danzig. Die lange und schwülstige Inschrift
auf seinem Grabsteine in der Katharinenkirche zu Danzig, theilt Hofmann in
seinem Werke, »die Tonkünstler Schlesiens«, mit. — -Zu den ausgezeichneten
Tonkünstlern Schlesiens gehört auch der als Musiker und Biedermann gleich
hoch zu schätzende Organist Karl Gottlieb F. Geboren am 15. Jan. 1797
in einem schlesischen Dorfe, machte derselbe nach vollendeten Gymnasialstudien
als Freiwilliger den deutsch-französischen Feldzug von 1814 und 1815 mit und
nahm nach seiner B,ückkehr in die Heimath das Studium der Theologie wieder
auf, das er jedoch bald ganz aufgab, da ihn seine Vorliebe für die Musik auf
das tonkünstlerische Gebiet drängte. Er liess sich daher zunächst beim Cantor
Klein in Schmiedeberg im Orgelspiel, sowie in der Theorie unterrichten und
begab sich hierauf nach Breslau, wo er bei Berner und Schnabel auf's Eifrigste
weiter übte. Seine letzte Ausbildung erhielt er, vom Staate unterstützt, auf
der neu gegründeten Organistenschule in Berlin, wo er bei Zelter Harmonie
und Composition und bei Beruh. Klein Contrapunkt studirte. Auch mit der
Kenntniss des damals gerade Aufsehen erregenden Logier'schen Unterrichts-
Systems machte er sich, unter des Erfinders Aufsicht, genau bekannt und
gründete auf Basis dieser Methodel823 in Breslau ein Musikinstitut. Im J. 1826
unternahm er eine Heise nach Italien, von wo zurückgekehrt, er 1827 nach
dem Tode Neugebauer's die Ober -Organistenstelle an der Kirche St. Maria-
Magdalena zu Breslau erhielt, die er mit musterhafter Treue und Hingebung
bis in das hohe Alter hinein verwaltete. Er starb hoch angesehen und ver-
ehrt am 13. April 1869 zu Breslau. Von seinen Compositionen sind Clavier-
und Orgelstücke, Psalmen, Lieder und Gesänge für eine, sowie für mehrere
Stimmen bekannt geworden. Ein biographisches Denkmal, welches seine an-
spruchslose Thätigkeit als Musiker und Mensch in herzlicher Art verewigt,
hat ihm W. Viol durch das mit Porträt und Facsimile geschmückte Buch
»Karl Gottlieb Freudenberg, Erinnerungen aus dem Leben eines alten Orga-
nisten« (Breslau, 1870) gesetzt.
Freudenberg, "Wilhelm, Tonkünstler von trefflichem Wissen und Können,
geboren 1838 zu Baubacher-Hütte bei Neuwied, hatte bereits in Heidelberg
das theologische Studium begonnen, als ihn die unbezwingliche Neigung zur
Musik bestimmte, sich ganz der Kunst zu widmen. Zu diesem Behufe ging
er 1858 nach Leipzig und nahm dort mit Eifer die tonkünstlerischen Studien
auf, so dass er schon 1861 befähigt war, das Erlerute als Theater-Musikdirektor
praktisch zu verwerthen. Vier Jahre lang fungirte er in dieser Eigenschaft
an verschiedenen Bühnen, zuletzt am Stadttheater in Mainz, worauf er sich
56 Freudenthai — Frey.
bleibend in "Wiesbaden niederliess. Hier dirigirte er mehrere Jahre hindurch
den Cäcilien verein, welche Stellung er jedoch 1870 aufgab, um ein Musik-
institut zu begründen, welches jetzt schon, nach kurzem Bestehen, im erfreu-
lichsten Aufschwünge begriffen ist. Daneben führt er noch die Direktion des
Synagogenvereins und das Amt eines musikalischen Local-Berichterstatters.
Auch in letztgenannter Eigenschaft hat er sich durch intelligent geschriebene
und massvoll gehaltene Zeitungsartikel einen geachteten Namen erworben. Von
seinen Compositiouen sind im Druck erschienen: Die vollständige Musik zu
Sbakespeare's Tragödie »Romeo und Julie« im Clavierauszuge, eine Ouvertüre,
eine Concertsonate, einige Hefte Lieder u. s, w,
Freudeuthai, Julius, ein guter Violinist, Flötist und Dirigent, geboren
am 5. April 18U5 zu Braunschweig, bildete sich in seiner Vaterstadt unter
Leitung des Concertmeisters Karl Müller trefflich aus und trat in die herzogl.
Hof kapeile, in welcher er bis zum Musikdirektor aufstieg, in welcher Eigen-
schaft er 1860, seiner Gesundheit wegen, pensionirt wurde. Componirt hat er
mehrere Grelegenheitsmusiken und andere Stücke. Hervorragendes Talent be-
kundete er für den humoristischen und komischen Genre der Musik. Seine
komischen Lieder für Bass oder Bariton , humoristischen Mäunerquartette und
besonders seine Operetten und Opern-Travestien (»die Barden«, »Gans und
Richter« u. s. w.) , vortreffliche Satyren auf modei'ne (besonders italienische)
Opern, sind mit Auszeichnung zu nennen. Die letzteren wurden von den Män-
nergesangvereinen Deutschlands vielfach mit grossem Erfolge aufgeführt. Ausser-
dem kennt man noch von ihm Stücke für Flöte und für Violine, sowie für
Violine und Pianoforte.
Freudeuthaler, Johann Wilhelm, berühmter deutscher Pianofortebauer,
geboren 1761 zu Neckargartach bei Heilbroun, erlernte bei einem Instruraen-
tenmacher in Strassburg den Ciavierbau und trat dann in die emporblühende
Fabrik Erard's in Paris. Nachdem er 1788, während eines längeren Aufent-
halts in London, sich mit den Geheimnissen der englischen Mechanik genau
bekannt gemacht hatte, begründete er in Paris eine eigene Werkstätte und er-
warb sich ziemlich schnell durch die Tonfülle und Solididät der aus derselben
hervorgegangenen Instrumente einen weit verbreiteten Ruf. Er starb am 25.
März 1824 zu Paris und hinterliess seine blühende Fabrik, aus der über 2000
Instrumente hervorgegangen waren, seinen Söhnen, welche dieselbe jedoch etwa
zehn Jahre später eingehen Hessen.
Frenud, Cornelius, geistlicher Tondichter des 16. Jahrhunderts, geboren
zu Borna und gestorben zu Zwickau als Cautor und Compouist, soll nach
Gerber zu den ersten Choralcomponisten zu zählen sein, wofür dieser das Naum-
burg'sche Gesangbuch anführt. G. Döhring in seiner 1865 zu Danzig erschie-
nenen Choralkunde jedoch nennt keinen Componisten dieses Namens. — Ein
Anderer, Philipp F., als Pianist und Componist zu Ende des 18. und zu
Anfange des 19. Jahrhunderts zu Wien lebend, veröffentlichte daselbst: VII
Variat. p. il Fortep., 1798; VIII Variat. über: Seit ich so viele Weiber sah,
op. 4 Nr. 2, 1799; Gr. Trio p. le OL, V. et Vc, op. 16 Nr. 1; III Quat p.
2 F., Ä. et Vc, op. 17; Grand Trio p. F., Ä. et Vc, op. 5, 1802 und VII
Variat. p. le Pf., op. 22, 1803; ferner Trios, noch 3 Streichquartette und Ciavier-
variationen, t
Freandthaler, Cajetan, ein Wiener Toukünstler, der in Paris um die
Wende des 18. und 19. Jahrhunderts gelebt zu haben scheint, gab nach Träg's
Catal. von 1799 viele Kircbenwerke, als Messen ^lotetten, Litaneien, Hymnen
u. B. w. mit Orchester, vier Sinfonien, ein Quintett für vier Bratschen und
Violoncello, Stücke für Harmoniemusik und verschiedene Sammlungen von Tänzen
heraus. t
Frey, Hans, geschickter deutscher Lautenspieler des 15. Jahrhunderts
aus Nürnberg, war Albrecht Dürer's Schwiegervater und wurde nicht allein
als ein vorzüglicher Tonkünstler und Lautenist, sondern auch als ein berühmter
Frey — Frezza. 57
Lautenfertiger, der 1475 in Bologna thätig gewesen war, genannt. Ygl. Baron's
»Untersuchung der Laute«. — Sein Sohn, Johann F., der sich seiner vor-
züglichen Holzarbeiten halber eines ausgebreiteten Rufes erfreute, soll ebenfalls
ein achtenswerther Musiker gewesen sein. Derselbe starb 1523 zu Nürnberg.
Vgl. Fuessli's Künstlerlexikon Suppl. III. und das Todtengeläutbuch zu Nürn-
berg von St. Sebald. -j-
Frey, M., deutscher Tonkünstler und Dirigent, starb am 10. Aug. 1832
als Hofkapellmeister in Mannheim. Er scheint nur praktisch wirksam gewesen
zu sein, denn von Compositionen von ihm ist blos eine Operette »Jery und
Bätely«, Text von Goethe, in weiteren Kreisen bekannt geworden.
Freylinghausen, Johann Anastasius, deutscher Kirchenliederdichter,
geboren am 2. Decbr. 1670 zu Gandersheim im Fürstenthum Wolfenbüttel und
gestorben am 12. Febr. 1739 als Pastor zu St. Ulrich und Direktor des Wai-
senhauses zu Halle, in welchem letzteren Amte er seines Schwiegervaters, des
berühmten Aug. Herrn. Francke Nachfolger geworden war. Er wird als ein
guter Musikverständiger gerühmt, der einen wesentlichen Antheil an manchen
der in dem von ihm herausgegebenen Gesangbuche aufgenommenen Lieder be-
anspruchen darf. — Sein Sohn, Theophilus Anastasius F., geboren am
12. Oktbr. 1718 zu Halle, gestorben daselbst am 18. Febr. 1785, war ebenfalls
musikalisch gut gebildet und hat u. A. die Vorrede zu einem Gesangswerke
verfasst. f
Freyniutli, ein geschickter deutscher Musiker, der im letzten Viertel des
17. und im ersten des 18. in Homburg lebte und die Oboe wie die Querflöte
in vorzüglicher Weise zu spielen verstand. Mattheson berichtet in seiner Grit.
Mus. T. I p. 113: dass F. nicht etwa ein blosser Instrumentist, sondern auch
in höhern musikalischen Sachen ziemlich curieux sei. f
Frey städtler, Franz Jacob, auch Freystädler geschrieben, fruchtbarer
Claviercomponist und trefflicher Musiklehrer, geboren am 13. Septbr. 1760 zu
Salzburg, war der Sohn des dortigen Chorregenten an der Pfarrkirche bei St.
Sebastian und kam. 7 Jahr alt, in das fürstl. Kapellhaus. Als seine Stimme
mutirte, trat er aus und widmete sich bei dem zweiten Hoforganisten, Georg
Lipp, Mich. Haydn's Schwiegervater, dem Orgelspiele mit solchem Erfolge, dass
man ihn 32 anderen Concurrenten um die Organistenstelle am Domstifte zu
St. Peter vorzog. Nach sechs Jahren gab er diesen karg besoldeten Posten
auf und lebte zwei Jahre lang als Musiklehrer in München, worauf er 1786
nach Wien ging und durch seinen Landsmann und Jugendfreund Mozart für
den Unterricht warm empfohlen wurde. Grosse Beschäftigung sicherte ihm
bald ein reichliches Auskommen. Er scheint bald nach 1836 gestorben zu sein.
Seine Claviercompositionen sind meist didaktischer Art, entweder für Anfänger
oder Vorgeschrittenere berechnet und bestehen in Sonaten, Concertinos, Va-
riationen, Etüden und charakteristischen Programmstücken (»die Belagerung
von Belgrad«, »Mittag und Abend«, »der Frühlingsmorgen« u. s. w.). Auch
Lieder und Gesänge von ihm sind im Druck erschienen. Im Manuscript hin-
terliess er noch über 60, zum Theil bedeutendere Werke, als Concerte, Fanta-
sien, Orgelpräludien und Cadenzen , eine Ciavier- und eine Generalbass-
schule u. s. w.
Frey tag, s. Freitag.
Frezza, Giuseppe, genannt dalle Grotte, ein italienischer Franciscaner-
mönch und Professor der Theologie seines Ordens, aus Grotte in Sicilien, der
zu Ende des 17. Jahrhunderts in Padua lebte, gab ein von ihm verfasstes Buch:
r>Il cantore ecclesiasticoa (Padua, 1698 und spätere Auflagen) heraus, welches
in vier Theilen die Noten, die Kirchentöne, die Ausführung des Gesangs und
seine Verbindung mit der Orgel, zuletzt die Composition des Canfus ßrmus sehr
praktisch und eingehend behandelt. — Ferner hiess Giovanni F. ein aus
Treviso gebürtiger, vortrefflicher italienischer Componist des 18. Jahrhunderts,
der sich grossen Beifalls seiner vorzüglichen Instrumentation und klingenden
58 Frezzolini — Frichot.
Kunstarbeit wegen erfreute. Von seiner Arbeit führte man zu Venedig die
Oper r>La Fede creduta tradimentoa. auf. f
Frezzolini, Erminia, ausgezeicimete und berühmte italienische Sängerin
der Neuzeit, geboren 1818 zu Orvieto, erhielt von ihrem Vater, einem Bufib-
sänger der Oper, den ersten Musikunterricht und machte hierauf ihre G-esang-
studien bei Meistern wie Nuncini in Florenz, bei Ronconi (dem Vater), Manuel
Garcia und Tacchinardi zu Florenz. Im J. 1838 debütirte sie in Florenz mit
bedeutendem Erfolge, sodann in Turin und Mailand, wo sie bereits Triumphe
feierte. Die italienische Saison 1840 über war sie in Wien, wo sie als neu
aufgehender Stern begrüsst wurde, alsbald hierauf in Turin, wo sie sich mit
dem deutschen Componisten Otto Nicolai zwar verlobte, aber doch schliesslich
den Tenoristen Poggi heirathete. Im J. 1841 sang sie, den Namen F. auch
für die Zukunft beibehaltend, mit ungeheurem Beifall in London. Von dort
kehrte sie nach Italien zurück und trat in verschiedenen der ersten Theater
ihrer Heimath auf, sodann auch in St. Petersburg und endlich, im November
1853, mit fast unerhörtem Erfolge in der Italienischen Oper in Paris. Hier-
mit hatte sie den Gipfelpunkt ihres Ruhms erreicht; denn ihre glänzenden
Stimmmittel nahmen mehr und mehr ab, und die grossen europäischen Opern-
theater öffneten sich ihr nicht mehr. Da begab sie sich nach Amerika, wo
sie noch einmal hochgefeiert wurde; als sie aber Anfangs 1862 abermals in
Paris aufzutreten wagte, hatte sie einen sehr zweifelhaften Erfolg. Noch einige
Zeit lang sang sie an Provinzialbühnen Italiens und scheint sich dann noth-
gedrungen in das Privatleben zurückgezogen zu haben.
Frias, Herzogin von, talentvolle und musikalisch trefflich gebildete Sängerin,
war die Tochter des englischen Operucomponisten M. AY. Balfe. Geboren 1838,
trat sie 1857 im Lyceumtheater zu London mit grossem Erfolg auf, glänzte
jedoch nur kurze Zeit, da sie sich mit dem Lord Crampton verheirathete. Von
diesem Hess sie sich nach einigen Jahren scheiden, um sich mit dem spanischen
Herzoge von F. verbinden zu können. Als Herzogin starb sie am 21. Januar
1871 zu Madrid.
Friberth, Karl, geschätzter deutscher Kirchencomponist und angesehener
Gesanglehrer, geboren am 7. Juni 1736 zu WuUersdorf in Niederösterreich,
wurde von seinem Vater, einem Schullehrer, mit wissenschaftlichen und musi-
kalischen Vorkenntnissen wohl versehen, nach Wien geschickt, wo er unter der
Einwirkung der damaligen Hofcomponisten Bono und Gassmann sich in der
Musik weiter ausbildete. Im J. 1759 nahm der Fürst Esterhazy in Eisenstadt
ihn als Tenorsänger in Dienst und entliess ihn erst, als er als Chordirigent
an der untern und obern Jesuitenkirche nach Wien berufen wurde, mit welchen
Stellungen er bald auch noch die an der wälschen Kapelle vereinte. Er starb
am 6. Aug. 1816 zu Wien. Seinen Compositionen, meist Kirchensachen, wird
nachgerühmt, dass sie in gefälliger Manier gesetzt gewesen seien und fliessen-
den Gesang, glänzende Instrumentation und reinen Satz gezeigt hätten, ohne
überladen zu sein. Bekannt von denselben sind nur: 9 Messen, 5 Motetten,
1 Stabat mater, 1 Requiem, mehrere Graduale's und Offertorien. — Therese
F., wahrscheinlich eine Schwester des vorher Erwähnten, lebte um dieselbe Zeit
in Wien und wurde als vorzügliche Pianofortespielerin anerkannt. Schon in
ihrer Jugend unterrichtete sie im Clavierspiel bei den dortigen Salesianerinnen.
Ueber Beide berichtet das »Jahrbuch der Tonkunst« des Jahres 1796. — Jo-
seph von F. hiess ein ums Jahr 1770 zu AVien wirkender beliebter Sänger
der kaiserlichen Hofkapelle, der um 1780 zu Passau als Kapellmeister thätig
war, wo er mehrere Operetten componirte, die aber sämmtlich nach seinem in
die Anfangsjahre dieses Jahrhunderts fallenden Tode vom Repertoir verschwan-
den. Diese Operetten sind: »das Loos der Götter«, »die Wirkung der Natur«,
»Adelstan und Röschen« und »die kleine Aehrenleserin«. t
Frichot, Fran^ois, ein französischer, seit etwa 1790 in London lebender
Musiker und Instrumentbauer, der in Frankreich und England als der erste
Frick — Fricke. 59
Erfinder des Basshorns (s. d.), der späteren Ophicleide, betrachtet wird, hat
diesen E,uf dadurch erhalten, dass er jedem Käufer eines solchen Instruments
eine Schrift: y>Ä compleat Scale arid Gammut of the Bass-Hbrn, a new Instru-
ment, invented hy Mr. Fricliot, and manufactured hy G. Astor, Music and In-
strument Seiler (London, 1800) mit einhändigte, die ausser einer Applicatur-
tabelle des Instruments noch die Mittheilung enthielt, dass F. der Erfinder
desselben sei. Grerber hat über den Werth dieses Tonwerkzeugs als Erfindung
sich im 6. Jahrg. der allgem. musikal. Zeitung Nr. 2 eingehend geäussert, und
glaubt, dass nicht die Erfindung des Basshorns überhaupt F. zuzuschreiben
sei, sondern nur diese nicht sehr zu schätzende Umformung eines fagottähn-
lichen Serpents, wie ihn zuerst der Italiener Regibo (s, d.) baute. f
Frick ist der Name mehrerer um die Musik wohl verdienter Künstler: G. F.,
ein Hornvirtuose, gab zu Paris 1769 sechs Quartette heraus. — Johann
Adam, F., ums Jahr 1740 Direktor der E,athsmusikanten zu Hamburg, wird
von Mattheson in seiner »Ehrenpforte« ein guter Componist genannt. Von
den Arbeiten F.'s ist jedoch keine erhalten geblieben. — J. L. F., sonst nicht
mehr bekannt, gab 1788 zu Rinteln »Oden und Lieder aus Rüling's Gredichten
zum Singen und Clavierspielen« heraus. — Christoph F., latinisirt Friccius,
geboren 1577 zu Bux-gdorfi' im Lüueburg'schen, starb 1640 als Pastor und
Superintendent zu Bardowick. Derselbe hat in seinen Schriftchen: -DMusica
christianan, oder Predigt über die Worte des 98. Psalms: »Lobet den Herrn
mit Harfen und Psalmen etc.« (Burgdorff, 1615) und; Musik-Büchlein, oder
nützlicher Bericht vom Ursprünge , Grebrauch und Erhaltung der christlichen
Musik« (Lüneburg, 1631), den damaligen Zeitgedanken über Musik Ausdruck
gegeben. Vgl. Mattheson's Ehrenpforte, Seite 86, — Elias F., geboren zu
Ulm am 2. November 1673, woselbst er auch als Professor der Theologie,
Senior des Ministeriums am Münster, Assessor des Consistoriums und erster
Bibliothekar am 7. Febr. 1751 gestorben ist, hat unter vielen anderen Schrif-
ten auch eine: »Beschreibung von Anfang, Fortgang und Beschafi'enheit des
Münstergebäudes zu Ulm« (Ulm, 1718) veröffentlicht, welche die ziemlich aus-
führliche Greschichte der Orgel des Münsters enthält. Adlung in seiner Musica
mechanic. Seite 276 giebt einen Auszug aus diesem Abschnitte. — Philipp
Joseph F., auch Fricke geschrieben, geboren am 27. Mai 1740 zu Willanz-
heim bei "Würzburg, wurde zuerst als Hoforganist des Markgrafen zu Baden-
Baden bekannt, welche Stellung er jedoch nicht lange verwaltet zu haben scheint.
Wahrscheinlich verleitete ihn das Bekanntwerden mit der Franklin'schen Grlas-
harmonika (s. d.) dazu, sich selbst eine solche zu fertigen und damit, als
erster deutscher Virtuose auf derselben, 1769 eine Kunstreise zu machen, die,
nachdem die grössten Städte Deutschlands von ihm besucht waren, ihn nach
London führte. Die nervenaufreibende Spielart der Glasharmonika rief in ihm
den Gedanken wach, eine Erfindung zu machen, um mittelst einer Tastatur
die tönende Erregung der Glasglocken bewirken zu können, welche Erfindung
ihm jedoch nicht gelang. Seiner Gesundheit wegen gab er daher das Spielen
der Harmonika gänzlich auf und nährte sich darnach durch Musik- und Clavier-
unterricht, Componiren und musikschriftstellerische Arbeiten bis zu seinem am
15. Juni 1798 zu London erfolgten Tode. Die bekannteren seiner gedruckten
Werke sind: Treatise on the Thorough-Bass (London, 1786), On Modulation
and Accompaniment (London, 1782), Dictionnaire für die Harmonie, Duetts for
2 performers on a Pf. toitJi additionel Keys (London, 1796) und III Trios for
the Sarpsicliord icith Acc. (1797).
Fricke, A., einer der vorzüglichsten deutschen Opernsänger der Gegen-
wart, geboren um 1833, betrat 1852 die Bühne zu Königsberg in Pr. und
erregte dort, sowie in Stettin, wo er hierauf engagirt war, in ernsten Bass-
parthien Aufsehen, sodass man ihn 1854 bei der königl. Oper in Berlin als
ersten Bassisten anstellte, in welcher Stellung er sich noch gegenwärtig be-
findet und eine feste und solide Stütze des Repertoirs der Hofbühne abgiebt.
60 Frictions-Instrumente — Friedel.
F. besitzt eine sehr umfangreiche, bis in die höhere Baritoulage hinaufreichende
echte Bassstimme, die in allen Lagen wohl ausgeglichen ist und die allen In-
tentionen willig und geschmeidig folgt. Seine Darstellung und sein Spiel sind
gewandt und routinirt und sein Eepertoir ist, da er in fast sämmtlichen zur
Aufführung kommenden ernsten wie komischen Opern beschäftigt ist, ein er-
staunlich reiches und umfassendes.
Frictious-Iustruinente, s. Instrumente.
Fridzeri oder Fritzeri, Alessandro Maria Antonio, auch Frizeri und
verunstaltet Frixer geschrieben, ein vielseitiger Virtuose und Componist, ge-
boren am 16, Jan. 1741 zu Verona, erblindete schon früh und erlernte deshalb
in Vicenza JMusik, namentlich Violinspiel. Auch der Selbstverfertigung von
Instrumenten befleissigte er sich. So machte er sich, eilf Jahr alt, eine Man-
doline, auf der er fertig zu spielen erlernte, ebenso wie nach und nach auf
Viele d'amour, Orgel, Flöte, Hörn u. s. w. Er wirkte drei Jahre lang als
Organist an der Kapelle der Madonna del Monte Berico zu Vicenza und be-
gab sich, 24 Jahr alt, als Violin- und Mandolinspieler auf Reisen, zunächst
durch Italien nach Paris, wo er zwei Jahre lang verweilte, dann auch weiter
hinauf bis nach Belgien und an den Rhein, überall sehr beifällig aufgenommen.
In Strassburg, woselbst er sich hierauf länger als ein Jahr aufhielt, componirte
er zwei Opern, die aber nicht zur Aufführung gelangten. Dagegen veröffent-
lichte er 1771 in Paris seine ersten sechs Streichquartette und sechs Mandolin-
sonaten, und Hess daselbst auch 1772 seine einaktige komische Oper »Les deux
miliciensa, die sehr beifällig aufgenommen wurde, aufführen. Er concertirte hier-
auf in Südfraiikreich und versuchte sich, nach Paris zurückgekehrt, noch er-
folgreicher mit der Auffühning seiner Oper y>Les soidiers mordoresa (177G).
Bald nach diesem Ereigniss zog ihn der Graf von Chateaugiron auf seine
Güter in der Bretagne, wo F. zwölf Jahre lang, bis zum Ausbruch der Revo-
lution, die den Grafen aus Frankreich trieb, verblieb und nur dann und wann
noch in Paris erschien, wo er noch seine komische Oper «Lucette« aufführen
Hess und Violinconcerte veröffentlichte. Die politischen "Wirren führten F. 1790
nach Nantes, wo er eine philharmonische Akademie begründete, und der Ven-
deekrieg 1794 wieder nach Paris, wo er eine ähnliche Akademie in's Leben
rief und vom Lycee des arts zum Mitglied ernannt wurde. Die Explosion der
Höllenmaschine, welche im December 1801 gerade vor seiner AVohnung in der
Rue Nicaise stattfand, brachte ihn um seine Habseligkeiten, weshalb er sich
mit seinen beiden kunstgebildeten Töchtern, einer Sängerin und einer Violin-
spielerin, von Neuem auf Kunstreisen (nach Nordfrankreich und Belgien) begab.
In Antwerpen Hess er sich als Musiklehrer nieder und begründete einen In-
strumenten- und Musikalienhandel. In dieser Thätigkeit starb er daselbst im
J. 1819. Ausser den schon erwähnten Werken hat er noch herausgegeben für
Violine: Quartette, Duos u. s. w. und ferner Romanzen für eine Singstimrae
und den Ciavierauszug einer Sceue aus »ies Thermopyles(si, welche Oper nicht
zur Aufführung gelangt ist. jQrf; >? 'i/'V ■.
Friedel, Bernhard, Inhaber einer der grösseren deutschen Musikalien-
handlungen der Gegenwart, welche sich in Dresden befindet und 1858 den "\V.
Paul'schen Verlag in sich aufgenommen hat, ebenso, zehn Jahre später, den-
jenigen von G. Heinze in Leipzig, dessen Besitzer als Geschäftstheilnehmer in
die F.'sche Firma trat.
Friedel, Sebastian Ludwig, Violoncellist der königl. preussischen Hof-
kapelle in Berlin und Virtuose auf dem Bariton, geboren am 15. Febr. 1768
zu Neuburg, trat 1798 als Componist von drei Sonaten für Violoncello und
Bass hervor, die als op. 1 in Offenbach erschienen und dem berühmten Violon-
cellisten Duport, dem Lehrer F.'s, gewidmet sind. Aus seiner Familie sind
noch Kaspar F., geboren am 29. .Tan. 1702, gestorben den 19. April 1761
(vielleicht sein Grossvater) und Johann Franz F. als tüchtige ausübende
Musiker bekannt gewesen.
Friedel — Friedlowsky. 61
Friedel, Zacharias, ein Orgelbauer aus Zittau, der im Anfange des 17.
Jahrhunderts wii'kte, hat seinen Namen durch den von ihm 1611 bewerkstelligr-
ten Ausbau der Zittauer St. Johanueskirchenorgel bekannt erhalten: Vgl. D.
Joh. Benedicti Carpzovii Analecta Fastor. Zittav. I. p. &1. f
Friederici, Christian Ernst, tüchtiger und erfindungsreicher deutscher
Insti'umentenbauer, geboren 1712 zu Merane in Sachsen, war ein Schüler Silber-
mann's und herzogl. gothaischer und altenburg'scher Hot- und Landorgelbauer.
Er erfand u. A. das Fortbien (s. d.), welches sein Sohn genau beschrieb,
ferner eine Vorrichtung, wodurch der Ton des Claviers bebend gemacht werden
konnte (1761) u. s. w. Eür seine Kunst im Orgelbau sprechen gegen 50
grössere Werke, unter diesen die anerkannt vorzüglichen in Chemnitz und Zeitz.
Er starb im J. 1779. — Sein eifriger Mitarbeiter bei vielen seiner Arbeiten
war sein Bruder Johann F., Orgelbauer in Merane, von dem hauptsächlich
das merkwürdige, 1753 erbaute Orgelwerk jenes Orts herrührt, in welchem
sich das Register Don (s. d.) befindet.
Friederici oder Priederich, Daniel, ein fleissiger und einflussreicher Com-
ponist und Musikschriftsteller des 17. Jahrhunderts, geboren zu Eisleben, war
Magister und erster Cantor zu Rostock. Seine Compositionen, die man zu
ihrer Zeit rühmte, sind bis auf zwölf Titel, die AValther, Forkel etc. aufführen,
verschollen, aber von seinen theoretischen Werken erlebte eine Gresangschule,
y>Musica ßguralisa betitelt, bis 1677 sechs verschiedene Auflagen.
Friederici, Valentin, auch Friderici geschrieben, deutscher Theologe und
Philologe, geboren am 28. April 1630 zu Schmalkalden, starb als Assessor der
philosophischen Pacultät, Baccalaureus der Theologie und College des grossen
FürstencoUegiums zu Leipzig am 28. April 1702. Nach Jöcher's Mittheilungen
befindet sich unter F.'s gedruckten Dissertationen auch eine musikalische, be-
titelt: »De fiUa vocisd.
Friederick, richtiger wahrscheinlich Friederich, ein Hornvirtuose deutscher
Abstammung, der um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in Paris lebte
und einer der ersten Lehrer seines Instruments an dem neu gegründeten Pa-
riser Conservatorium war. Zugleich war er Mitglied des Orchesters der Grossen
Oper und wegen der ganz eigenthümlichen Bchandlungsweise seines Instruments
Gregenstand des Interesses der Kenner und Musiker.
Friedlowsky, Joseph, ausgezeichneter Clarinettenvirtuose, geboren zu St.
Margareth bei Prag am 11. .Juli 1777, hatte bis zu seinem 16. Lebensjahre
eine selten schöne Sopranstimme, die durch den Schullehrer Wodizca in dem
Nachbardorfe Auchonitz einige Ausbildung erhielt und für den Kirchendienst
in und um Prag vielfach in Anspruch genommen wurde. Durch letzteren Um-
stand gewann F. die Mittel, sich im Violin- und Clavierspiel und auf einigen
Blaseinstrumenten mit und ohne Lehrer zu üben und schliesslich bei Nejebse,
dem ersten Clarinettisten am Theaterorchester zu Prag, Unterricht auf Clari-
nette und Bassethorn zu nehmen, worauf er selbst, tüchtig durchgebildet, als
erster Clarinettist beim Musikcorps der Prager Stadtgarde eintrat. Als man
auch in Wien von seiner Virtuosität hörte, wurde ihm ein bevorzugter Platz
im Orchester des Theaters an der Wien angeboten, den er auch im J. 1802
annahm. Als Concertspieler erregte er viele Jahre hindurch in Wien die
höchste Bewunderung, und sofort nach Gründung des Conservatoriums daselbst
wurde er zum Professor seines Instruments an dem neuen Institute ernannt.
Im J. 1832 wurde er endlich auch in die k. k. Kapelle gezogen, auf welche
Stelle ihm schon 1821 die Anwartschaft ertheilt worden war, und starb hoch-
betagt am 14. Jan, 1859 in Wien. — Seine Kinder sind: 1, Franz F., noch
in Prag, am 27. März 1802 geboren, bildete sich unter Böhm und Moscheies
zu einem tüchtigen Violinisten und Pianisten heran und lebte bis in sein Alter
als Musiklehrer in Wien. Daneben ist er ein vorzüglicher und berühmter
Kalligraph und ein anerkanntes Sprachgenie. — 2. Anton F., geboren den
2. Aug. 1804 zu Wien, war anfangs neben seinem Vater und Lehrer als Clari-
62 Friedrich 11.
nettist im Orchester des Theaters an der "Wien angestellt, wurde aber später
Solospieler im Orchester des Hofburgtheaters und ist als ausgezeichneter Bläser
nicht minder hochgeschätzt wie sein Yater. — 3. und 4. Eleonore und Marie
F., beliebte Sängerinnen im Concertsaale wie in der Kirche; Erstere, geboren
den 2. April 1803, hatte sich auch für kurze Zeit der Bühne gewidmet, Letztere
war am 21. Decbr, 1806 geboren.
Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel, geboren am 14. Aug. 1729
zu Kassel, war ein feinsinniger Kenner, Liebhaber und Beschützer der Ton-
kunst. Alsbald nach Antritt seiner Regierung (1760) errichtete er 1762 eine
vorzügliche Musikkapelle. Diese nebst einer italienischen und französischen
Oper erhielt er bis zu seinem Tode, am 31. Oktbr. 1785, auf höchst achtungs-
werthem Fusse. Er selbst beschäftigte sich täglich mit Musik und übte sich
auf der Violine, die er mit Geschmack und Fertigkeit spielte. Auch den Opern-
proben wohnte er stets bei, und man bewunderte sein feines Ohr und seine
Kenntnisse, indem er nicht allein jeden Fehler augenblicklich hörte, sondern
auch zu verbessern wusste.
Friedrich II., König von Preussen 1740 bis 1786, der Begründer des
politischen Weltruhms seines Vaterlandes, und deshalb von der Geschichte der
Grosse genannt, war auch ein fein gebildeter Kenner der Musik und ein
ziemlich fertiger Flötenbläser. Geboren zu Berlin am 24. Jan. 1712 als Sohn
König Friedrich "Wilhelm's I. und der hannöver'schen Prinzessin Sophie Doro-
thea, wurde er unter dem Drucke einer strengen militärischen Erziehung her-
angebildet. Trotz des einseitig-pedantischsten Unterrichts, der ihm vorschrifts-
mässig zu Theil wurde, entwickelte sich in ihm doch frühzeitig Neigung für
Poesie und Musik, besonders durch den Einfluss, welchen seine erste Pflegerin,
die geistreiche Frau von EocouUe und sein frühester Lehrer Duhan auf ihn
gewannen, indem sie mit der Königin insgeheim eine Opposition wider die
väterlichen Erziehungsgrundsätze bildeten. In Folge dessen erhielt F. beim
Domorganisten Heine in Berlin einigen Unterricht im Clavierspiel, wandte sich
aber seit 1728, heimlich unterwiesen von dem grossen Virtuosen Quantz, der
seitdem bis an sein Lebensende sein Liebling blieb, mit Leidenschaft dem
Flötenspiel zu. Diesem Instrumente blieb er auch, trotz der Anfeindungen
und strengen Verbote seines Vaters, treu und von ihm aus liess er sich in das
Gesammtgebiet der Tonkunst leiten. Während seines Aufenthalts in Bheins-
berg seit 1734 wählte er sich den Flötisten Fredersdorf zum Kammerdiener,
um mit demselben, ohne Verdacht zu erregen, musiciren zu können. Erst
1739 gelang es ihm, sich die Vergünstigung zu erwirken, in Rheinsberg eine
Kapelle halten zu dürfen, und alsbald versammelte er zu täglichen Musik-
übungen einen Künstlerkreis um sich, in dem die Gebrüder Graun, die drei
Benda's und Quantz die Sterne ersten Rangs waren. Der Letztere trat 1741,
ein Jahr nach F.'s Thronbesteigung, als Lehrer und Kammercomponist in die
recht eigentlich persönlichen Dienste des Königs und setzte für denselben bei-
nahe 300 Flötenconcerte und 200 Solosätze nebst den Uebungen, die F. regel-
mässig alle Morgen übte. In seinen Abend-Kammerconcerten spielte F. oft
bis zu sechs Nummern selbst und soll für seinen Gebrauch im Laufe der Zeit
an 100 Solo's selbst geschrieben haben. Schon 1740 liess F. den Bau eines
eigenen Opernhauses in Berlin durch Knobelsdorff beginnen, und gleichzeitig
musste der Kapellmeister Graun nach Italien reisen, um eine Gesellschaft der
besten Sänger und Sängerinnen zusammenzubringen. Mit dieser wurde am
5. Decbr. 1743 das dem Apollo und den Musen gewidmete Haus feierlich ein-
geweiht und dem unentgeltlichen Genüsse geöffnet. Hasse, den nach Berlin zu
ziehen ihm nicht gelungen war, musste gleich nach dem Einzüge F.'s in Dres-
den bei Beginn des siebenjährigen Kriegs seinen r>Armiiiiov aufführen und fand
in dem Könige seinen aufrichtigen Bewunderer, der mit Faustina und dem
vortrefflichen Orchester dessen Lobsprüche theilte. Weder in Sachsen, noch
in Schlesien, noch im Feldlager selbst ruhten F.'s Musikübuugen und Concert-
Friedrich Wilhelm II. — Friedrich Wilhelm Constantin. 63
Unterhaltungen; Accompagnisten hatte er fast stets in seiner Nähe, oder er
liess die Musiker der Städte, in denen er gerade war, einladen. Graun's Opern
und Kirchenwerke schätzte er zu dem Höchsten, was die Tonkunst hervorge-
bracht habe, und Quantz's Flötencompositionen waren sein unentbehrliches
Vademecum, bis ihm das Alter die Lippenkraft raubte und die Zähne schädigte,
so dass er nothgedrungen von seinem besten Freunde^ wie er die Flöte nannte,
Abschied nahm. Für Quantz sorgte er bis an dessen Ende, liess ihm in der
letzten Krankheit Arzeneien und Pflege angedeihen und setzte ihm ein Denk-
mal mit sinniger Inschrift bei Potsdam, über welches jetzt die Stadterweiterung
rücksichtslos hinweggefluthet ist. F.'s Flötenspiel soll im Adagio, das er em-
pfindungsvoll , einfach und edel gegeben habe, bemerken swerth gewesen sein;
im Allegro fehlte es ihm meist an ausreichender Fertigkeit. Mit Tempo und
Takt sprang er so willkürlich um, dass es für eine besondere Kunst galt, ihn
auf dem Flügel zu begleiten. Ausser Flötensolo's werden ihm als Componisten
Märsche (u. A. zu Lessing's »Minna von Barnhelm«), die Oper »JZ re Pastorev.,
die Ouvertüre zu y>Acis e Galateaa und Sopranarien , von denen sich zwei im
Manuscript auf der Dresdener Bibliothek befinden, zugeschrieben. Beichardt
mag aber Becht haben, wenn er behauptet, der König habe niemals etwas
Anderes wie die Oberstimme gesetzt oder angedeutet und Agricola die ganze
Ausarbeitung überlassen. Es ist dies die üblich gewordene Manier, welcher
fürstliche Dilettanten mit wenigen Ausnahmen überhaupt ihren über Gebühr
gepriesenen Componistenruhm verdanken. Mit F.'s Bedeutung in musikalischer
Beziehung beschäftigt sich eine Schrift von C. F. Müller, betitelt: »Friedrich
der Grosse als Kenner und Dilettant auf dem Gebiete der Tonkunst u. s. w.«
(Potsdam, 1847).
Friedrich Wilhelm II., König von Preussen 1786 bis 1797, Bruderssohn
und Nachfolger des Vorigen, geboren am 25. Septbr. 1745 zu Berlin, war
ebenfalls ein leidenschaftlicher Musikliebhaber und ein Violoncellist, der es unter
Lehrern wie Graziani und Duport bis zu einer gewissen Virtuosität gebracht
hatte. In seinem Musikgeschmacke war er nicht so eigensinnig einseitig und
viel toleranter wie sein gi-osser Vorgänger, iind eine längere Begierung würde
für das Kunstwesen seines Landes gewiss von eingreifenderer Bedeutung ge-
worden sein.
Friedrich Wilhelm Constantin, Fürst von Hohenzollern-Hechingen 1838
bis 1849, in welchem letzteren Jahre er zu Gunsten der hohenzollern'schen
Königslinie abdankte, war am 16. Febr. 1801 geboren und erhielt unter der
Leitung seines hochgebildeten Vaters, des Fürsten Friedrich Hermann Otto,
den geschickte Lehrer unterstützten, eine für die Ausbildung seines Herzens
und Geistes gleich vortheilhafte Erziehung. Seine Vorliebe für die Musik be-
stimmte ihn zunächst schon als Erbprinz, die Hofkapelle in kunstwürdiger Art
zu reorganisiren. Dieses Institut bestand seit den fi-anzösischen Kriegen nur
noch aus wenigen pensionirten Musikern, denen nunmehr, um alle Fächer aus-
zufüllen. Dilettanten zusfesellt wurden. Im J. 1827 aber berief F. wirkliche
Kunstkräfte nach Hechingen und stellte den Virtuosen und Componisten Tho-
mas Täglichsbeck als Kapellmeister an. Die Pflege seiner Kapelle war die
Hauptfürsorge dieses edlen Fürsten bis an sein Ende, und sein geselliger Hof
bot den hervorragenden Componisten sowohl wie Virtuosen einen gastfreund-
lichen Aufenthalt. Nach seiuer Abdankung und noch mehr nach seiner IJeber-
siedelung mit dem ganzen Hofhalte nach Löwenberg in Schlesien im J. 1852
waren Musik und Musikpflege die Factoren, welche den verloren gegangenen
Glanz der Herrschaft reichlich ersetzten. Im J. 1857 übernahm Max Seifriz
das Kapellmeisteramt, und von da an datirt die Anerkennung, dass die fürstl.
hohenzollern'sche Kapelle die tüchtigste, wohlgeübteste und leistungsfähigste in
Deutschland sei, ein Buhm, den sie zum guten Theile der hauptsächlichen Be-
schäftigung mit "Werken der neuesten Schule von Berlioz , Volkmanu , Liszt
u. s. w. verdankt, die in Vollendung nur von einem Tonkörper ersten Banges
64 Fraguier — Franceschi.
auszuführen sind. Da der gastfreie Haushalt des Fürsten unausgesetzt die
ausgezeichnetsten Tonkünstler nach der lileineu schlesischen Stadt zog, und da
der Besuch der Aufführungen der Kapelle Jedermann unentgeltlich frei stand,
so ist nicht zu leugnen, dass von dort aus auch ein vort heilhafter Eiufluss auf
das Musiklehen der ganzen Provinz vermittelt wurde. F.'s Munificenz über-
haupt in allen künstlerischen Dingen war unbegrenzt und wurde von den An-
hängern der von ihm begünstigten neuen Musikrichtung vielfach stark in An-
spruch genommen. Aber alle diese Herrlichkeit endete wie mit einem Schlage
und wurde bald beinahe zum Märchen, als der Fürst am 3. Septbr. 1869 kin-
derlos auf seinem Grute Polnisch-Nettkow in Schlesien starb und die Mitglieder
der berühmten Kapelle nach allen Richtungen hin zerstoben. — F. selbst be-
sass übrigens eine tiefere musikalische Bildung, die weit über das Maass ge-
wöhnlicher Kunstkennerschaft hinausging. In seinen früheren Jahren ist er
zudem ein vortrefflicher Sänger und ebenso Coraponist melodiöser und aus-
drucksvoller Lieder gewesen, die zum Theil im Druck erschienen sind.
Friedrich, der letzte Markgraf zu Brandenburg-Culmbach, gestorben 1771,
war Virtuose und Cumponist auf der Flöte und als solcher ein Schüler des
berühmten Döbbert. Kaum war er zur Selbstständigkeit gelangt, als er eine
Kapelle von auserlesenen Sängern und Virtuosen gründete und bis zu seinem
Tode unterhielt. Ausser einem grossartigen Opernhause errichtete er in Bai-
reuth eine Akademie der Musik, an welcher er selbst als Mitglied unter Döb-
bert's Direktorium Theil nahm. Von seinen Compositionen ist ein Lauten-
concert mit Quartettbegleitung erhalten geblieben.
Friedrich von Uauseu, deutscher Minnesinger aus der letzten Hälfte des
12. Jahrhunderts, war vom Rheine gebürtig, begleitete den Kaiser Friedrich I.,
mit dem er in vei'trauteren Verhältnissen gestanden zu haben scheint, nach
Italien und auf dessen Kreuzzug nach Palästina, fand aber schon in dem Treffen
bei Philomelium in Kleinasien 1190 seinen Tod. Viele seiner, die Minne und
die Kreuzfahrt besingenden Lieder sind erhalten geblieben und zeigen bei an-
sprechenden Gredanken die Kunstform der höfischen Dichter in einem noch
hoffnungsvollen Entwickelungszustande.
Friedrich von Sonueuburg' oder Suoueuburg-, ein deutscher fahrender Säuger
aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in alten Liederhandschriften
»Meister« genannt und daher wohl, trotz seines Namens, weder adelig, noch
den eigentlichen Minnesingern zuzuzählen. Die Zahl seiner erhalten gebliebenen
Gresänge ist ziemlich beträchtlich; sie beziehen sich theils auf die Fürsten und
Höfe, die er auf seinen vielen Wanderungen besuchte und deren Kargheit gegen
die Sänger und die Kunst er heftig tadelt, theils sind sie religiösen und be-
schaulichen Inhalts.
Friedrich, E. Ferdinand, hervorragender deutscher Ciavierspieler und
fleissiger Saloucomponist, geboren 1816 zu Wiedrau bei Leipzig, erhielt in
letzterer Stadt seine erste musikalische Ausbildung und kam dann zu einem
mehrjährigen Aufenthalte nach Paris, wo er einigen Unterricht von Chopin
erhielt. In den Jahren 1844 bis 1846 machte er einige Kuustreisen, ohne
indessen grösseres Aufsehen zu erregen und Hess sich 1847 in Hamburg nieder,
wo er auf Bestellungen der Verleger hin eine grosse Reihe von modernen Cla-
vierstücken besserer Ai-t nach und nach schuf.
Friedrich, Ignatz, Benedictinermönch und Violin- und Violoncellovirtuose,
geboren 1719 zu Prag, entstammte der dortigen altadeligen Familie von Friede-
berg und erhielt eine sorgfältige Erziehung, sowie den Musikunterricht des
berühmten Johann Stamitz. Nach Vollendung seiner theologischen Studien
wurde er Senior des Convents zu Wahlstadt in Schlesien und Chordirektor
daselbst. Seine Virtuosität wurde auch von Friedrich dem Grrossen in schmeichel-
hafter Art anerkannt. Als Componist italienisirte F. seinen deutschen Staram-
namen in Pacemonti und soll zahlreiche Concerte und Parthien für seine
Instrumente geschrieben haben, die aber verloren gegangen zu sein scheinen.
Friedrich — Frigchmuth. 65
da man ausser zweien Offertorien in Walilstadt nichts mehr von seinen Wei-lcen
aufgefunden hat. F. starb am 8. Jan. 1788 zu Prag, wo er in der letzten
Periode seines Lebens als Gesang- und Yiolinlehrer thätig gewesen wai-.
Friedricli, Johann Jacob, ein deutscher Fagottvirtuose, der 1727 als
Mitglied der kaiserl. Hofkapelle iu Wien aufgeführt wird.
Friedrich, Joseph, deutsche]- Oi'gelvirtuose, geboren am 14, Octbr. 1764
zu Neisse, widmete sich, nach Absolvirung des (jrymnasialcursus in seiner Vater-
stadt von 1782 bis 1784 wissenschaftlichen Studien auf der Universität zu
Breslau. Jedoch folgte er endlich seiner lange gehegten Vorliebe für die Musik
und nahm ernstliche Kuuststudien auf. Schon im J. 1790 erhielt er die zweite
Organistenstelle au der vereinigten Dom- und Kreuzldrche zu Breslau, und
1819 wurde er erster Organist an der so eben zur Pfarrkirche erhobenen Kirche
zum heiligen Kreuze. Nächst Grottwald galt er damals für den grössten Orgel-
virtuosen Schlesiens, und erst das siegreiche Auftreten Friedr. Wilh. Berner's
drängte auch ihn in den Hintergrund. Jedoch überlebte er seinen gefeierten
Nebenbuhler noch lange, denn er war noch 1836 am Leben.
Friedrichs, Madame, geborene Holst, eine ausgezeichnete und berühmte
Harfe nvirtuo sin, geboren 1808 in London, trieb schon frühzeitig Ciavierspiel,
bis die Kenntnissnahme der Harfe in Concerten ihr eine begeisterte Vorliebe
für dieses Listrument einflösste, in Folge dessen sie bei Bochsa einen erfolg-
reichen Unterricht nahm. Ihr erstes öffentliches Auftreten, 1828 in London,
war ein so glänzendes und beifallbelohntes, dass sie ei*muntert wurde, der Kunst
treu zu bleiben und auch nach ihrer Verheirathung 1832, auf Kunstreisen durch
Deutschland (1835), Bussland (1837), Frankreich, Italien und Holland (seit
1839), wo sie als Virtuosin gefeiert wurde, niemals Grund fand, ihren Ent-
schluss zu bereuen. In London, wo sie ihren festen Wohnsitz hatte, liess sie
sich noch sehr häufig hören und bildete auch einige talentvolle Schüler aus.
Fries, Johann, Theologe und Schriftsteller, geboren 1505 zu Greiffensee
bei Zürich, gestorben 1565 zu Zürich, hat u. A. speciell im musikalischen In-
teresse veröffentlicht: y>Isa(joge musicae etc.a (Basel, 1554).
Friese, Christian Friedrich, deutscher Violinist, der, gemäss dem Di'es-
dener Hof- und Staatskalender von 1729, in damaliger Zeit Mitglied der königi.
polnischen und kurfürstl. sächsischen Hof kapeile war.
Friese, Friedrich Franz Theodor, Organist zu Doberan, ist der Her-
ausgeber des Choralwerks »Die gebräuchlichsten Choräle der Mecklenburg-
Schwerin'schen Kirche, vierstimmig mit Zwischenspielen« (Leipzig, 1841).
Friese, Heinrich, Organist zu Nordhausen zu Anfange des 18. Jahr-
hunderts, stellte zusammen und veröffentlichte ein Choralgesangbuch (Nord-
hausen, 1712).
Friker, Johann Ludwig, aucb Fricker geschrieben, um 1750 als Prediger
im Herzogthume Württemberg angestellt, hat eine »auf authentischen Principien
beruhende Theorie der Musik« aufgestellt, die von der Euler'schen wesentlich
verschieden war. — Ein anderer, nicht näher bekannter F. aus älterer Zeit
wird als Componist der bekannten Melodie zu dem Choraltext »0 dass doch
bald dein Feuer u. s. w.« (d g fis g ßs a c a fis g d genannt.
Frischliu, Nicodemus, ein berühmter deutscher Philolog und lateinische!'
Dichter des 16. Jahrhunderts, geboren am 22. Septbr. 1547 zu Balingen in
Württemberg und nach einem bewegten Leben als Gefangener am 29. Novbr.
1590 auf dem Schlosse Hohenurach gestorben, hat u. A. eine «Oratio de encomio
musicaev. geschrieben. Vgl. das compr. Gelehrten-Lexikon. t
Frisclimuth, Johann Christian, deutscher Componist und Dirigent, ge-
boren 1741 zu Schwabhausen im Gothaischen, erwarb sicli seine musikalische
Bühnenpraxis als Musikdirektor verschiedener herumreisender Schau^pielerge-
sellschafteu und kleinerer Theater. Einige Jahre lebte er liierauf in Gotha,
bis er nach Berlin zog, wo er 1785 Musikdirektor des Dö])blin'scheu Theaters
Musikal. Convers.-Lexikon. IV. 5
66 Frisiua — Fritz.
und 1787 Kapellmeister neben Wessely am Nationaltlieater wurde. In dieser
ehrenvollen Stellung starb er am 31. Juli 1790 zu Berlin. Für das Theater
hat er mehrere beifällig aufgenommene Operetten und Singspiele, als: »Die
kranke Frau«, »Clarisaa«, »Das Modei-eich« u. s. w., ausserdem aber noch Ciavier-
sonaten, Violiiiduette und kurz vor seinem Tode nocli »12 Airs poiir deux Vio-
lonsv. componiit. — Ein künstlerischer Zeitgenossi-. war Leonhard F., der
um 1770 in Amsterdam lebte und als Clavierlehier und Coniponist daselbst
sehr geschätzt war. Derselbe vc^rüffentlichte u. A. eine Elementar-Clavierschule
in holländischer Sprache, ferner melirere Sammlungen kleiner Ciavierstücke,
Trios für Ciavier, Flöte und Bass, für's Ciavier arrangirte Violincuncerte von
Tartini ii. s. w.
Frisins, s. Fries.
Frisoni, Lorenzo, italienischer Priester und Componist zu Mailand zu
Anfange des 17. Jahrluuuhirts, gab Goncerti a 1, 2, 3 ^ 4 voci (Mailand, 1625)
und einen -»Trattato ild (Janto fermu«. (Mailand, 1G28) heraus. Vgl. FicinelU,
Ateneo dci Letterati Milanrsiu. p. 399. t
Fritelli^ Fauste, italienischer Minoritenmönch und Kirchenkapellmeister
zu Siena in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, errichtete daselbst um
1740 eine öffentliche Musikscliule.
Fritst'li, Balthasar, um l.'')80 in Leipzig geboren und zu Anfange des
17. Jahrhunderts als Instrumentalmusiker wirlouid, hat nach Draudii Bibl.
Class. auch zwei Musikwerke: nFrimitiae musicales<.(. (Frankfuit h. M., 1606)
und »Newe Teutsche Gesang, nach Art der welschen Madrigalien mit fünf
Stimmen« (Lcäpzig, 1608) veröflFentlicht. f
Fritsch, Louis, fertiger deutscher Pianist, geboren am 28. Juli 1809 zu
Eisleben, machte, nachdem er in seiner .Tugend bereits Ciavierspiel gründlich
getrieben hatte, seine höheren musikalischen Studien bei Friedr. Schneider in
Dessau, in welcher letzteren Stadt er sich auch als Musiklehrer niederliess.
Seine Unteirichtsmethode war eine so gediegene, dass von fernher Schüler zu
ihm kamen, und dass er auch mit dem Titel eines Hofpianisten als Ciavier-
lehrer der herzoglichen Kinder angestellt wurde. Er starb im J. 1862 zu
Dessau und soll viele Compositiouen liinterlassen haben. Im Drxick erschienen
sind von deraitigen seiner Arbeiten nur zwei Idyllen für Pianoforte.
Fritsch, Thomas, deutscher Geistlicher und zugleich eigner der vorzüg-
lichsten Tonkünstler des ganzen 16. Jahrhunderts, geboren am 25. Aug. 1563
zu Görlitz, wo sein gleichnamiger Vater Physicus, Doctor der Medicin und
Philosophie war. Nach dem Tode des Joh. Hencius wurde F. vom Convente
seiner Vaterstadt nach vorangegangenen gelehrten Studien zum Magister er-
nannt, vom Erzbischof von Prag bestätigt und hierauf in ein böhmisches Kloster
versetzt. Aus demselben kam er später Jiach Breslau und starb daselbst als
Kreuzherr mit dem rothen Stern im Matthiaskloster. Cunradus u. A. besangen
schwungvoll seine ausgezeichnete musikalische Begabung und Thätigkeit; von
allen seinen Werken findet sich aber nur noch ein r>Opus musiciim von 5, 6, 8,
9 und mehreren Stimmeu, auf alle Festtage zu gebr.iuchena (Leipzig, 1614) vor.
Fritsche, Gottfried, kurfürstl. sächsicher Orgelbauer zu Dresden, zählte
beim Beginn des 17. .lahrhunderts zu den berühmtesten Meistern seiner Kunst,
aus dessen Händen die grossen "Werke in der Schlosskirchc zu Dresden (1614),
in der Trinitatiskircho zu Sondershausen (1616), welches aber schon am 3. Juni
1630 verbrannte, und dus in der Marie-Magdalenenkirche zu Hamburg (1629)
hervorgingen. Nach dem Zeugnisse des Prätorius u. A. waren dies zugleich
die besten Orgeln im ganzen damaligen Deutschland.
Fritz, Berthold, deutscher Ciavierbauer, geboren 1697 auf einem kleinen
Dorfe bei Braunschweig, wo sein Vater Müller war und den Sohn für die
gleiche Lebensbeschäftiguiig bestimmte. F.'s ungewöhiüiches Talent für Mechanik
brach aber bald sich Bahn, sodass er in seinen Freistunden sich ohne jed-
wede Anweisung Weber.stühle, kleine Positive, Uhren mit Flötenwerken u. dgl.
Fritz — Frizzi 67
anfertigte. Darauf folgteu Claviere und endlich gar Flügel mit Federn und
Hämmern. Schliesslich zog er, nachdem er schon 400 solcher Instrumente
verfertigt hatte, nach Braunschweig und Hess sich daselbst als Instrumenten-
macher und Mechanicus nieder. Bis zu seinem Tode, am 17. .Juli 1776, war
er unablässig auf die Verbesserung der Ciavier- und Flügelmechanik bedacht,
und seine Instrumente waren bis weit nach Hussland hinein stark begehrt.
Eine wichtige Schrift von ihm, betitelt: »Anweisung, wie man Orgeln, Clavecins
u. s. w. nach einer mechanischen Art in allen zwölf Tönen ganz rein stimmen
könne« (Braunschweig, 1757, weitere Auflagen 1758 — 1780) war noch lange
nach seinem Tode ein gesuchter und geschätzer Buchartikel.
Fritz, Joachim Friedrich, ein aus Brandenburg gebürtiger deutscher
Componist der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, hat nacli Draudii Bibl.
Class. nFia commonef actio vom Jüngsten Gericht, für fünf Stimmen« (Grraitz,
1588), den 94. Psalm für fünf Stimmen (Grraitz, 1588) und »New geistliche
Tricinia, mit drei Stimmen zu singen« (Nürnberg, 1594) herausgegeben. Von
den beiden erstgenannten Werken sind in der königlichen Bibliothek zu Mün-
chen noch Exemplare befindlich. t
Fritz, Kaspar, ein vorzüglicher Violinist des 18. Jahrhunderts, geboren
1716 zu Genf, war ein Schüler von Somis in Turin und wegen d(T Energie
und des Feuers seines Spiels weithin berühmt. Er starb 1782 in seiner Vater-
stadt Genf und hinterliess Sinfonien, Streichquartette, Solos und Duos für
Violine, ein Clavierconcert, Variationen für Ciavier u. s. w., die schon bei seinen
Lebzeiten im Druck erschienen sind. Ein ihm vielfach zugeschriebenes theo-
retisches Werk, betitelt nObservaiions sur les principes de Vharmoniev. hat, nach
Fetis, Jean Adam Serre zum Verfasser.
Fritzeri, s. Fridzeri.
Fritzsch, E. W., eine im J. 1866 gegründete Musikverlagshandlung in
Leipzig, die mit Eifer und Erfolg bestrebt ist, den Werken von jüngeren Ta-
lenten der neuesten Richtung in der Musik Bahn zu brechen. Werthvolle
Compositionen von J. ßheinberger, Svendsen, Thieriot, Grieg, H. von Herzogen-
berg, Cornelius u. s. w. haben daselbst nicht blos ihren Verlagsort, sondern
auch eine Stätte gefunden, von der aus sie energisch in die OefFentlichkeit ge-
führt wurden. Von Buchartikeln dieser Firma, die ausserdem seit 1870 eine
den entschiedensten fortschrittlichen Tendenzen huldigende Zeitsclirift unter dem
Titel »Musikalisches Wochenblatt« herausgiebt, dürften die 1873 zum Abschluss
gelangten »Gesammelte Schriften und Dichtungen« von Rieh. Wagner (9 Bde.)
die wichtigsten sein. Der Gründer und Inhaber der Handlung, Ernst Wil-
helm F., geboren am 24. Aug. 1840 zu Lützen, besuchte von 1857 bis 1860
das Leipziger Conservatorium, lebte hierauf als praktisclier Musiker in Bern
und übernahm 1866 die Musikalienhandlung von C. Bomnitz in Leipzig. Zu
gleicher Zeit trat er als Mitglied in das Orchester des Gewandhauses. Seiner
rückhaltlosen Verehrung für Rieh. Wagner und der daraus hervorgegangenen
engen geschäftlichen Verbindung mit diesem Meister verdankt F. hauptsächlich
den weit verbreiteten Ruf, den er sich in verhältnissmässig kurzer Zeit er-
worben hat.
Fritzsch, Martin, ein ums Jahr 1593 zu Dresden lebender Musiker, gilt
als Componist des dem Caspar Fugger zugeschriebenen Choraltextes: »Wir
Christenleut etc.« dessen Melodie: g h a y beginnt. Der erste Einzelnabdruck
des Liedes stammt aus dem J. 1589 als Nummer einer »Comödie von der Ge-
burt Christi«, die am Brandenburger Hofe unter Johann Georg im genannten
.Tahre aufgeführt worden ist. Zuerst als Choral findet sich dieses Lied im
Dresdner Gesangbuch von 1594.
Frivolo (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung leicht, leicht-
fertig.
Frizzi, B., Arzt und Ingenieur zu Triest, ist musikalisch bekannt durch
seine Schrift: nDisserfazione di bioijrajla mnsicale< (Triest, 1805).
5*
68 Frobese — Fröhlich.
Frobese, ein Sänger, der in den Jahren von 1706 bis 1708 zu Berlin in
königl. preussischen Diensten stand und bei Gelegenheit der damals begangenen
Hochzeitsfestliclikeiten bei Hofe namhaft gemacht wird.
Fröhlich, Friedrich Theodor, talentvoller und fruchtbarer Componist,
geboren am 25. Febr. 1803 zu Brugg im schweizerischen Canton Aargau, er-
hielt durch seinen Vater, einen Lehrer der dortigen Stadtschule, eine sorg-
fältige wissenschaftliche Erziehung, Musik nebenbei betreibend. Vom Gym-
nasium zu Zürich ging F. im Herbst 1822 nach Basel, um auf dortiger Hoch-
schule die Rechte zu studiren. Seine Musikliebc trieb ihn schon damals dazu,
in Concerten mitzuwirken, Lieder und Ciavierstücke zu setzen, ja sogar als
Naturalist ein Passiousoratorium zu componii-en. Zu Ostern 1823 bezog er
die Universität zu Berlin, wo er so mächtige musikalische Anregungen fand,
dass er in den heftigsten Zwiespalt zwischen Neigung und Lebensberuf gerieth,
in Folge dessen erkrankte und im Sommer 1825 in seine Heimath reisen
musste. Hier gab er sich der Tonkunst ganz hin , componirte fleissig und
gründete einen Gesaugverein, den er leitete, sowie eine Streichquartett-Gesell-
schaft, in welcher er mitwirkte. Dadurch auf ihn aufmerksam geworden, schickte
ihn die Regierung seines Cantons auf ihre Kosten nach Berlin, wo er von
1826 bis 1830 bei Zelter, Beruh. Klein u. s. w. gründliche musikalische Stu-
dien machte und überhaupt die künstlerischen Genüsse der Hauptstadt ganz
und voll auf sich einwirken lassen konnte. Als städtischer Musikdirektor
wurde er hierauf nach Aarau zurückberufen und docufaentirte seine Geschick-
lichkeit und seinen Fleiss dadurch, dass er nicht allein einen Vocal- und einen
Instrumentalverein heranzog und leitete, den Gesangunterricht an der Canton-
und Stadtschule gab und viele Privatlectionen ertheilte, sondern sich auch nocli
eifrig mit compositorischen Arbeiten befasste und Sinfonien, ein Passions- und
AVelhnachts-Oratorium, eine Pfingstcantate, ein zwölfstimmiges Miserere, 20
Motetten, 50 Chorlieder und zahlreiche ein- und mehrstimmige Gesänge schrieb,
welche letzteren auch zum Theil im Druck erschienen. Bewundernswerth er-
scheint diese Leistungsfähigkeit, wenn man bedenkt, "dass F. nur eine sechs-
jährige amtliche Thätigkeit vergönnt war, denn er starb schon am 16. Oktbr.
1836 zu Aarau.
Fröhlich, Georg, ein musikliebender Dilettant des 16. Jahrhunderts, um
1500 zu Läunitz geboren, war anfänglich in kurpfälzischen, und dann zehn
Jahre in nürnbergischen Kanzleidiensten. Darauf lebte er zwölf Jahre als
Stadtschreiber und Kanzleidirektor zu Augsburg, wurde jedoch 1548 vom Kaiser
Karl V. entlassen, privatisirte längere Zeit in Kaufbeueru und wurde 1554
wieder nach Augsburg berufen. Der Tod muss ihn aber in jener Zeit ereilt
haben, denn er hat letzterwähnte Stellung nicht angetreten. F. hat eine Ab-
handlung »Vom Preiss, Lob und Nutzbarkeit der lieblichen Kunst Musika«
(Augsburg, 1540) veröffentlicht, die in Beyschlag's r>Sylloge variorum ojmsculorumv.
(Halle, 1728), im dritten Fascikel des ersten Bandes abgedruckt sich findet.
t
Fröhlich, Joseph, gediegener deutscher Componist und hochbedeutender
didaktischer und theoretischer Musikschriftsteller wurde am 28. Mai 1780 zu
Würzburg geboren. Nachdem er seinen Vater, einen Schulrector und gründ-
lichen Musikkenner, schon um 1784 vei-loren hatte, wurde er 1792 in das Er-
ziehungsinstitut für arme Studirende im Juliushospitale zu Würzburg gebracht,
wo er auch tüchtigen musikalischen Unterricht erhielt, so dass er 1801 als
wirkliches Mitglied in der fürstbischöfl. Hofkapelle Aufnahme fand und seine
musikalisciien Uebungen gründlich weiterführen konnte. Jedoch vernachlässigte
er seine wissenschaftlichen Studien, Philosophie und Rec])tskunde, keineswegs.
Im J. 1804 wurde er in Folge dessen zum Direktor des Harmonie-Musik-
instituts an der Universität erhoben und trat zugleich als Privatdocent in die
Section der allgemeinen Wissenschaften ein. Dies Musilcinstitut verdankt ihm
seine hohe Blüthe, indem er es nach mehreren Jahren zu einer allgemeinen
Fröhlich — Frohberger. 69
Landesschule der Musik umgestaltete, welche seitdem viele tüchtige Musiker
heranerzog und auf die musikalischen Zustände in Baiern, die durch Aufhebung
der Klöster (1811) sehr herabgekommen waren, segensreich und hebend mit
einwirkte, dies nicht allein durch Unterricht von Seminarlehrern und Musik-
talenten überhaupt, die sich in manchem Studienjahre bis zu 300 Zöglingen
zusammenfanden, sondern auch durch Musterauffülirungen auf dem Gebiete der
geistlichen und weltlichen Tonkunst. Um der Gesammtbildung die nöthige
Einheit und nachhaltige Einwirkung zu ermöglichen, schrieb er eine umfassende,
von der Regierung adoptirte und empfohlene allgemeine Musik methode,
welche sich auf alle Musikzweige, auf Harmonie, Gesang, die Lehre aller
Orchesterinstrumente und die Direktion von Instrumental - und Vocalchören
ausdehnt. Auf wissenschaftlichem Gebiete war F. bereits 1811 zum ausser-
ordentlichen Professor der philosophischen Facultät und im Laufe der Folge-
zeit zum ordentlichen Lehrer der Aesthetik und Pädagogik an der "Würzburger
Universität, sowie zum Mitgliede des Kreis- Scholarchats im unteren Mainkreise
ernannt worden. In seinen Vorlesungen verfehlte er nie, den Einfluss der
Musik auf Erziehung und Rhetorik zu betonen und zu beleuchten ; sein System
einer Encyclopädie der Musik- und Gymnasialstudien verdient noch heute der
Berücksichtigung des Staats empfohlen zu werden. F. starb als Rector und
Professor bei der philosophischen Facultät zu Würzburg am 5. Januar 1862.
— Von seinen Compositionen sind erschienen: eine Serenade für Yioline, Flöte,
Clarinette und Fagott, Duos für Olarinette und Violine, ein vierhändiges Clavier-
concert, Sonaten für Pianoforte und Violine u. s. w. Ausser diesen Instru-
mentalwerken hinterliess er im Manuscript: Sinfonien, eine Oper, zahlreiche
Cantaten u. s. w. Gediegene Musikartikel und Recensionen von ihm befinden
sich in der Leipz. allgem. musikal. Zeitung, in der Zeitschrift »Cäcilia« und
in der grossen Encyclopädie von Ersch und Gruber.
Fröhlich, Nanette, treffliche und talentvolle Pianistin und Sängerin, ge-
boren 1797 zu "Wien, erhielt ihren ersten musikalischen Unterricht, ebenso wie
ihre beiden weiterhin genannten Schwestern beim Chorregenten Hanss und
machte bei Siboni gründliche Gesangstudien. Nachdem sie als Ciavierspielerin
vielfach öffentlich mit Beifall aufgetreten war, wurde sie 1819 als Gesanglehrerin
an das "Wiener Conservatorium berufen und wirkte auch in diesem Fache lange
mit ausgezeichnetem Erfolge. — Ihre Schwester, Barbara F., geboren 1799
in "Wien, als Altsängerin hochgeschätzt, verheirathete sich mit dem Flöten-
vii'tuosen Ferd. Bogner und wurde später Musikmeisterin am adeligen Fräu-
leinstift zu Heruals bei Wien. — Die jüngste Schwester, geboren 1805 in
Wien, machte ihre höheren Gesangstudien im Wiener Conservatorium, wo ihre
Schwester Barbara zugleich ihre Hauptlehrerin war. Nicht ohne Erfolg debütirte
sie nach ihrem Austritte aus dem Institute als Bühnensängerin in Sopran-
parthien und begab sich hierauf, um sich noch mehr zu vervollkommnen , zu
Siboni, der in Kopenhagen ansässig geworden war. Nach erneutem zweijährigem
Studium trat sie mit grösstem Beifalle auf Kunstreisen durch Dänemark, Schwe-
den und Norwegen als Concertsängerin auf und wandte sich 1829 nach Italien,
wo sie besonders in den Theatern zu Venedig (1829) und Mailand (1831) sich
mit ausserordentlichem Erfolge hören Hess. Mit dem Titel einer königl. däni-
schen Kammersängerin kehrte sie hierauf nach Wien zurück, wo sie Gesang-
unterricht ertheilte und bei grösseren Aufführungen sich als Solistin betheiligte.
Fröschel, ein in London wirkender deutscher Mechanikus, der ums J. 1795
der Harmonika einen Klangboden zufügte, wodurch er nicht nur dem Basse
derselben eine ungemeine Stärke, sondern auch allen andern Tönen des In-
struments eine grössere Klarheit verlieh. Die erste in dieser Art gebaute
Harmonika wurde von Marianne Kirchgässner 1796 öffentlich vorgeführt. Vgl.
Hamburger Correspond. vom November 1796. t
Frohberger, Johann Jacob, neben Buxtehude der ausgezeichnetste und
berühmteste deutsche Orgel- und Clavierspieler des 17. Jahrhunderts und als
70 Prolinleichnam.
Virtuose der Vorläufer Joh. Seh. Bach's, sowie seines Landsmannes Händel,
wurde um 1(i35 zu Halle geboren, wo sein Vater Stadtcantor war und dem
Sohne walirsclunnlioli auch den ersten Musikunterricht crtheilt hat. Durch Ver-
niitteluii.t,' des schwodischcii Gesandten Ijoim deutschen Reiche, welcher auf seiner
Durchreise den Knaltjüii hörte und von der schönen Sopranstirame desselben
entzückt war, kam F, um 1550 nach AVien, wo sich der Kaiser Ferdinand III.
seiner annahm und ihn behufs höherer Musikausbildung nach Rom zu Fresco-
baldi schickte. Was F. diesem unvergleichlichen Meistor verdankte, war hoch-
bedeutend, so dass er alsbald nach seiner Rückkehr aus Italien 1655 vom Kaiser
zum jloforganisten in Wien ernannt wurde. Sein Spiel war grossartig, wie man es
in DeutschhiiHl l)isher noch niemals gehört, und die Kunst, sämmtlicho Register
zu verbinden, das Pedal wirkungsvoll anzuwenden und über ein Thema stunden-
lang in den kunstreiclisten Combiiiationcn zu präludiren, soll in hohem Grade
sein ausschliessliches Eigenthum gewesen sein. Auch -das Ciavier verstand er
nicht minder kunstfertig zu behandeln, wie er denn auch zu den Ersten gehört,
die für dieses Instrument geschmackvoll zu setzon verstanden. Sein Künstlor-
ruhm verbreitete sich von Wien aus so schnell und weit, dass fremde Höfe
häufige Einladungen an ihn ergehen Hessen. So Hess er sich auch in Dresden
vor dem Kurfürsten .lohann Georg II. hören, dem er zugleich die zum Vor-
trag gebrachton 18 Stücke, als Suiten, Toccaten, Capriceu und Ricercaten im
Manuscript überreichte und dafür mit einer goldenen Ehrenkette belohnt wurde.
Im J. 1602 nahm F. in Wien einen längeren Urlaub, um in Paris und Lon-
don aufzutreten. Von dieser Kunstreise weiss man mit Gewissheit nur soviel,
dass sie mit Abenteuern verknüpft war, indem der junge Meister zweimal, auf
französischem Gebiete und in der Nordsee, Räubern in die Hände fiel und im
ärmlichsten Aufzuge endlich in London anlangte. Was eine gespreizte Phan-
tasie mit den dürftigsten Notizen zu beginnen vermag, und wie eine solche
wissenschaftliche Werke blasphemirt, das beweist die behaglich breite Darstel-
lung dieser Reise bis auf Fetis und noch weiter, ganz besonders in Schilling's
Universallexikon. In London soll F. unerklärlicher Weise erst längere Zeit
als Balgtr(!ter beim Hoforganiston gedient haben, ehe er erkannt und mit den
grössten Ehren überhäuft wurde. Fest steht, dass er mit englischem Golde
reich beladen nach AVien zurückkehrte, dort jedoch erfahren niusste, dass er
die Gunst des Kaisers vollständig verloren habe. Im höchsten Grade gekränkt,
forderte er selbst seine Entlassung, die er unter ehrender Anerkennung seiner
Wirksamkeit als Hoforganist und Lehrer schnell erhielt und zog sich nach
Mainz zurück, wo er verschollen und von der Welt fast vergessen, um 1695
starb. — Von seinen Compositioncn hat F. keine einzige voröJBFentlicht. Erst
nach seinem Tode erschienen im Druck: »Diverse curiose e rarissime partitc di
Toccate, Ricercaie, Gapricce e Fantasie etc. per gli amatori (H cemhali, organi ed
isfromcntidi (Mainz, 1695, 2. Aufl. 1699) und ^Diverse ingejnosissime, rarissime
c noii mai pih eiste curiose partile di Toccate, Canzone, Micercate, Allemande c
Gigue di cemhali, organi ed istromenfiu (Mainz, 1714). Ausserdem besass, wie
Gerber lichauptot, Mattheson handschriftlich ein merkwürdiges Werk in vier
Theilon , in welchem F. »seine wundersamen Fata und Reise- Aventüren musi-
kalisth exprimiret«. Den grössten Schatz F.'scher Compositioncn besitzt die
Hofbibliuthek in Wien im Manuscript, nämlich: VII Toccate, V Oapricce e
Canzone in 155 Blättern und Lihro secondo, tcrzo c quarto di Toccate, Fantasie,
Canzone, Allemande ed altre Partite, zusammen 222 Blätter, von denen ganz
besonders bemerken swerth die letzte Partite des zweiten Buchs, eine Art Va-
riationen, überschrieben »Auf die Mayerin« sein möchte.
Frohiileichaam oder Fronleiehuam (altdeutsch), d. i. des Herrn Leib (lat.:
corpus domini Jesu Christi), bezeichnet die geweihte, nach dem Lehrbegriffe der
katholischen Kirche in den wirklichen Leib Jesu verwandelte Hostie. Die zu-
folge dieser Lehre seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts herrschend gewordene
Anbetung der geweihten Hostie und insbesondere eine Erscheinung, welche die
Froid — Fromm. 71
belgische Nonne Juliana gehabt haben wollte, veranlasste zunächst den Bischof
Robert von Lüttich 1246, die Hostienverehrung durch ein Fest für seine Diöcese
anzuordnen, worauf Papst Urban IV. durch eine Bulle vom J. 1264 der ganzen
Christenheit befahl, jenes Fest als Frohnleic hnamsfest (Festum corporis
Okristi) zu feiern. Ausgeführt wurde dieser Befehl aber erst, nachdem er auf
dem Concil zu Vienne im J. 1311 durch Papst Clemens V. von Neuem ein-
geschärft worden war. Seitdem ist das Fest des F. das glänzendste unter den
Festen der katholischen Kirche geworden. Der Natur der Sache nach müsste
dasselbe auf den Grründonnerstag fallen; da es aber auf ein Freudenfest abge-
sehen war, das sich zur Gharwoche schlecht schickte, so wurde als feststehender
Tag der Donnerstag nach dem Trinitatisfeste festgestellt. Grosse Prozessionen,
auf welche allerlei Lustbarkeiten folgen, sollen diesem Feste sein besonderes
Grepräge verleihen. Nach allgemeiner Annahme rührt das poetisch-musikalische
Officium der ganzen Festlichkeit von Thomas von Aquinum her, welcher vom
Papste eigens damit betraut worden war. Die F.-Prozession ist die feierlichste
im ganzen Jahre und wird am Festtage nach dem Hochamte, dann am achten
Tage und an vielen Orten auch am Sonntage nach dem Donnerstag liegangen
und zwar in der Art, dass sie sich bei günstiger Witterung auch ausserhalb
der Kirche durch die Strassen und Fluren bewegt. Die Betheiligung des
Säugerchors daran besteht in der Absingung von bezüglichen Hymnen, von
denen die Ritualien namentlich nPaiigc lingual. ^ aSacris solemniis«, nVerhitm
swpernum prodtens«. und nSalufis humanae satora bezeichnen. In Deutschland
und einigen anderen Ländern ist es, trotzdem das römische Ritual es keines-
wegs vorschreibt, Gebrauch, das sogenannte Allcrheiligste während des Festzugs
an vier geschmückten, altarähnlichen Tischen (Stationen) niederzusetzen, die
Anfangsverse der vier Evangelien zu singen, darauf kurze Gebete zu verrichten
und ehe der Zug weiter sich bewegt, den Segen zu ertheilen. ■ — Das Rituale
Ratisbonense bezeichnet das Amt des Sängerchors bei dieser Prozession folgen-
dermassen: nChorim musicus, deinde crax saemdarisa, d.h. vor dem Kreuze, das
dem Säcularclerus vorgetragen wird, gehen die Sänger (in Chorkleidung); ynluvi
sacerdos discedit ah altari, clerus vel sacerdos cantare incipii hymnutn: Fange
lingua. Absoluta hymno, possunt cani psalmi aliquot, huic festo congruentes, uH:
Gredidi, Laudate dotimium de coelis etc., vel Sequentia: Lauda Sion. Qutim ad
primum (secundum) altare perventum fuerit, canitur aliquod Mottetum vel Be-
sponsorium.fi Hierauf hat der Chor nur auf die l)ekannten Versikel zu ant-
worten. Beim Weggang vom ersten Altare singt der Chor den Hymnus:
■nSacris solemniisu, beim Verlassen des zweiten und dritten Altars die Hymnen:
» Verhum supernumt und »Salutis humanae satorn.
Froid, ein französischer Componist und Musiklehrer aus der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts, über den der Mercure galant vom J. 1678 p. 55 be-
richtet: y-iUn komme fort consomme vn musique et qui fait de tres habiles ecoliers,
t
Fromm, Andreas, ein deutscher Theologe, der, geboren um 1620 in der
Mark Brandenburg, gestorben als Magister und Musiklehrer zu Strahow am
16. Octbr. 1683, ein l)ewegtes Leben führte, dessen Binzelnheiten das comp.
Gelehrten-Lexikon miitheilt. Er veröffentlichte an dem Orte seiner ersten Be-
rufsthätigkeit, Stettin, 1649 einen musikalischen Actus »öe Dioite et Lazarov
mit 14 Stimmen für zwei Chöre und einen nDialogum Fentecostalem<t für zehn
Stimmen. f
Fromm, Emil, irefflielier deutscher Orgelspieler und Componist, geboren
am 29. Januar 1835 zu Sprcmberg in der Niederlausitz, machte seine höheren
musikalischen Studien auf dem königl. Institute für Kirchenmusik in Berlin,
unter der speciellen Leitung von A. W. Bach, Grell und Schneider, worauf er,
mit vorzüglichen Zeugnissen ausgestattet, 1859 Cantor an der OI)crkirchc und
Geeanglehrer am Gymnasium zu Cottluis wurde. In dieser Stellung zeichnete
er sich zugleich als Couipouist und Dirigent eines von ihm gegründeten Ge-
72 Frommann — Frosch.
sangvereius so aus und erwarb sich um daß musikalische Leben in der Stadt
seines Berufs solche Verdienste, dass ihm vom Ministerium 1866 der Titel
eines königl. Musikdirektors verliehen wurde. Im J. 1869 erhielt F. den Ruf
als Organist an St. Nicolai in Flensbui'g, in welcher Stadt er abermals einen
ergiebigen Wirkungskreis für seine echt künstlerischen Bestrebungen fand. Von
seinen zahlreichen Compositionen kennt man ein Oratorium »die Kreuzigung
des Herrn«, zwei Passionscantaten, Gesänge und Lieder und besonders, da durch
den Druck verbreitet und vortheilhaft bekannt geworden, Stücke verschiedener
Schwierigkeit und Studienwerke für Orgel.
Frommann, Johann Christian, deutscher Arzt und als koburgischer
Landphysikus und Professor angestellt, veröffentlichte einen lateinisch geschrie-
benen Tractat »De Fasciiiatio7ie« (Nürnberg, 1675), in dessen erstem Buche
P. I. Sect. IL Cap. 3: »De musicae vi in animata, hrufa, homines, spiritus et
morhosoi wissenschaftlich erörtei't wird. t
Fromme, Valentin, deutscher Theologe, geboren am 22. Febr. 1601 zu
Potsdam, studirte zu Wittenberg und starb als Superintendent am 2. April
1679 zu Alt-Brandenburg. In seiner 1665 herausgegebenen Schrift •nlsagoge
philosopJiicaK im 3, Buche handelt er u. A. auch ausführlicli über Musik, f
Frommelt, A., Prediger an der Garnisonkirche zu Berlin, ist der Compo-
uist von Liedern und zahlreichen, in der Zeit von 1821 bis 1835 erschienenen
angenehmen Rondos, Potpourris, Tänzen u. s. w. für Pianoforte, die zu ihrer
Zeit bei den Dilettanten sehr beliebt waren. Ausserdem hat er eine Schrift
über die Würde und den civilisatorischen Beruf der Musik veröffentlicht.
Frondnti, Giovanni Battista, ein italienischer Compouist aus Gubbio,
der 1709 für das Theater zu Terni die Musik zu dem Drama: r>Impegna degli
dei per le glorie cVEnea^i geliefert hat. f
Front (vom \ai. frons^ d. i. Stirn), s. Orgelfront.
Front nennt man ein kurzes Feldstück, das bei den Waffenübungen in der
deutschen Armee in folgender Klaugweise seine Verwerthuug findet:
^^^-^
2.
Front-, Prospect-, Fj^ade-rfeifen nennt man alle in der Anschauungsfläche
einer Orgel aufgestellten Schallröhren, die derartig geordnet werden, dass sie,
in Feldern und Thürraen gruppirt, auf das Auge architektonisch einen wohl-
gefälligen Eindruck machen. Die F., wenn sie klingend sind, fertigt nian ge-
wöhnlich aus reinem englischen Zinn mit aufgeworfenen Labien an und polirt
sie recht hell, damit sie den Einflüssen der Luft mehr trotzen; seltener finden
blinde, versilberte, aus Holz nachgebildete Pfeifen hierzu Anwendung. AVenii
man in frülierer Epoche aus den verschiedensten Orgclstimmen einzelne TiügQ
als F. benutzte, so hat man dagegen in neuerer Zeit dieser Gewohnheit ent-
sagt und setzt nur offene Principalpfeifen dahin, weil diese in der Orgel herr-
schenden Register am stärksten wirken sollen und von hier aus unbehindert
ihren Klang an den Schallraum geben müssen. Besonders trieb man im 17.
Jahrhundert einen Luxus in der Ausputzung der F. Man vergoldete oft die
in jedem Hauptfelde befindliche grösste Pfeife und formte Aufschnitt (s. d.)
und Labien (s. d.) wie ein hässliches Mcnschenantlitz, weshalb solche Pfeifen
gewöhnlich Monstres genannt wurden; jetzt sucht man durch die einfachste
Gestaltung und Anordnung der F. dem veredelten Zeitgeschmacke zu genügen.
2.
Frontispice oder Fronton (franz., ]Ai.: froniispicium), s. Principal.
Frontori, Luigi, italienischer Tonkünstler, geboren 1805 zu Cento, war
Kapellmeister in Frosinone und hat als solcher im J. 1831 ein Buch ver-
öffentlicht, welches den Titel führt: y>Le trenta Ire giornate musicali etc.v
Frosch (franz.: hausse) ist die Benennung eines Theiles des bei Geigen-
Frosch — Frovo. 73
Instrumenten verwendeten Bogens. Dieser am unteren Ende befindliche, ge-
wöhnlich aus Ebenholz oder Elfenbein gefertigte Bogentheil, der in früherer
Zeit wahrscheinlich die Gestalt eines E.'s hatte, dient dazu, die Pferdehaare,
welche in demselben eingeleimt sein müssen, nach Belieben spannen zu können,
was mittelst einer Schraube geschieht, die, sich in einer in dem F. befindlichen
Mutter bewegend, eine bis ins Kleinste gewünschte Regelung gestattet. Die
Grösse des E. ist bedingt durch die Grösse des ißogens. — Eerner wenden die
Orgelbauer diesen Ausdruck für kleine hölzerne, keilförmige Klötze an, durch
welche die Koppelung zweier Manuale bewirkt wird. Diese Klötzchen, zwischen
den Manualen, die sie koppeln sollen, beweglich befestigt, haben die Breite
einer Taste, erhalten zur Höhe die Entfernung der beiden zu koppelnden Ma-
nuale und an einem Ende die volle Breite der Entfernung, welche die bei der
Koppelung vorwärts oder rückwärts zu schiebende Tastatur zwischen den bei-
den Ruhelagen zeigt. Durch die Tastaturverschiebung müssen sich die be-
weglich befestigten E. zwischen beiden Manualen hoch richten und den ganzen
Raum zwischen denselben ausfüllen, damit, wenn man auf eine Taste des Ober-
manuals drückt, die darunter befindliche des TJntermanuals sich ebenso tief
nieder bewegt. Ausführlicheres über die Anwendung der E. in der Orgelbau-
kunst findet man in dem Artikel Schiebekoppel. Erösche mit bis über
ihre Mitte hinausgehenden Einschnitten nennt man Gabeln oder aucli
Scheeren-Koppelhölzer und spricht demgemäss auch von einer Gabel-
koppel (s. d.). 2.
Frosch, Johann, latinisirt Eroschius, deutscher Theologe, ist der Ver-
fasser eines Tractats: r>Rerum musicalum opusculum rarum ac insigne etc.«
(Strassburg, 1535), welches wahrscheinlich nach seinem Tode erschienen ist. Der-
selbe, für den Jugendunterricht bestimmt, giebt in neunzehn Kapiteln nur den
Gesang Betrefi'endes und wird von Eorkel als theilweise sehr gut gearbeitet
bezeichnet. Wichtig sind die am Ende angefügten, überdies auch prachtvoll
gedruckten vier- und sechsstimmigen Beispiele. — Auch ein Componist Namens
F. ist aus jener Zeit anzuführen, von dem eine Sammlung weltlicher Lieder
1548 erschienen ist, wovon sich ein Exemplar noch in der Zwickauer Bibliothek
vorfindet. Wahrscheinlich war der erstgenannte E. der bekannte Carmeliter-
mönch aus Bamberg und Doctor der Theologie, der 1533 als Pastor zu Nürn-
berg an St. Sebald gestorben ist, doch lassen sich gegen diese Annahme fast
ebensoviel berechtigte Gründe als dafür anführen. f
Froschauer, Johann, dessen deutschen Namen statt des in den Wörter-
büchern corrumpirten Frosche ure erst Eetis retabliren musste, war einer der
ältesten deutschen Notendrucker. Er arbeitete in der Zeit von 1496 bis 1501
in Augsburg, wo er auch sein erstes Notenwerk, Mich. Kiensbeck's oder Kein-
speck's •üLilium musicae planaev. druckte, welches, wie Stetten in seiner Kunst-
geschichte behauptet, mit in Holz geschnittenen, unbeweglichen Noten ange-
fertigt gewesen sei.
Frovo, Joao Alvarez, portugiesischer Musikgelehrter und Kirchencom-
ponist, geboren 1608 zu Lissabon und daselbst 1671 als Kapellan und Biblio-
thekar des Königs Johann IV. gestorben, hat folgende theoretische Werke
geschrieben: Speculum universale, in quo eooponuntur omnium ibi contentormn
auctorum loci, uhi de quolihet musices genere disserimt, vel agunt.a Tom. I. IL
(1651); fiTheorlca e Practica da Musicaa; ytBreve explicagad da Musicaa und
nDiscorsos soire la perfegao do diatessaron etc.a (Lissabon, 1662). Nur das
letztere seiner Werke scheint gedruckt zu sein, die andern befinden sich als
Manuscript in der königl. Bibliothek zu Lissabon. Auch als Componist hat
F. sich durch mehrere Hymnen, Messen, Lamentationen, Psalmen und Respon-
sorien hervorgethan, jedoch scheinen nur wenige derselben noch in Bibliotheken
versteckt zu sein. Vgl. Machado Bibl. Lus. Tom. II p. 586 und v. Blanken-
burg's Zusätze zu Sulzer Band IL Seite 517. t
74 Früh — Fry.
Früh, Grottlieb, ein guter Ciavier- und Orgelspieler, geboren zu Mühl-
hausen um 1750, war daselbst Organist an der Hauptkirche zu St. Blasius
und gab 1783 sechs leichte Ciaviersonaten seiner Coraposition heraus. Im
Manuscript findet man von ihm in Thüringen noch hin und wieder einige
Harfenconcerte, Sonaten und Orgelvorspiele vor. — Aus seiner Familie stammt
Armin Leberecht F., geboren am 15. Septbr. 1820 zu Mühlhausen. Derselbe
erhielt neben der höheren Gymnasialbildung in seiner Vaterstadt einen guten
musikalischen Unterricht. Um Theologie zu studiren, bezog er 1840 die Uni-
versität zu Jena und ein Jahr später die zu Berlin. Die musikalischen An-
regungen, die in Berlin auf ihn einwirkten, äusserten einen so starken Ein-
druck auf ilm, dass er sein Fachstudium aufgab und sich ganz der Musik
widmete, zu welchem Zwecke er u. A. bei S. W. Dehn Unterricht im Contra-
punkt nahm. Nach Vollendung seiner Vorbereitung liess er sich in Berlin
als Gresanglehrer nieder und beschäftigte sich eifrig mit der Composition. Im
J. 1857 erfand er einen Apparat, von ihm Semeio-Melodicon genannt, der
den Elcmentar-Musikunterricht, besonders in Schulen, durch Vereinigung der
sichtbaren Notengestalt mit ihrer hörbaren Bedeutung erleichtern sollte. Durch
einen Druck des Fingers nämlich auf den Notenkopf wurde der Ton der Note
hörbar, und dem lernenden Gesangschüler wurde so durch die Wahrnehmung
des Gesichts und Gehörs zugleich der Ton und seine Lage eingeprägt. Ge-
nauer über diese Erfindung ergeht sich ein Artikel in der Neuen Bei'liner
Musikztg., Jahrg. 1857 Nr. 23 und 24. F. begab sich mit diesem Apparate
auf Reisen, und es gelang ihm, überaus günstig lautende Gutachten von Fetis,
Moscheies, Steph. Heller, Auber, Halevy, Dreyschock, Gathy, dem Berliner Ton-
künstlerverein, dem Pariser Conservatorium u. s. w. zu erhalten, auf welche
gestützt, er im Frühjahr 1858 nach Dresden zog, um eine eigene Fabrik für
seine Apparate zu gründen. Dieses Unternehmen scheint jedoch an der Gleich-
gültigkeit der musikalischen Welt gegen diese Erfindung gescheitert zu sein.
F. selbst lebt seit jener Zeit in Dresden als Componist und Musiklehrer. Von
seinen Compositionen sind durch den Druck oder durch öffentliche Vorführungen
bekannt geworden: eine Sinfonie, Gesänge und Lieder und die Opern: »Die
Bergknappen«, »Die beiden Figaro«, »Der Stern von Granada«, »Nachtigall und
Savoyarde«.
Friihof, Heinrich Wilhelm, ein musikgebildetcr Dilettant, geboren am
15. Jan. 1800 zu Rudolstadt, zeichnete sich als guter Ciavier- und Orgelspieler
aus und hat auch Claviercompositionen verschiedener Art veröffentlicht.
Friibwald, Joseph, trefflicher deutscher Gesanglehrer, geboren am 19. Jan.
1783 im Pfarrbezirk der niodcrösterreichischen Stiftsherrschaft Göttweih, war
seit seinem 10. Jahre Chorknabe in der Benedictiner-Abtei Göttweih, wo er
gleichzeitig musikalischen Unterricht erhielt. Im J. 1798 kam er nach Wien,
wo er bald darauf für kleine Tenorparthien im Leopoldstädter Theater engagirt
wurde, hauptsächlich aber als Kirchensänger wirkte. Von Salieri empfohlen,
wurde ihm 1807 ein Platz im Personal der Hofoper. Zehn Jahre später er-
hielt er die Stelle eines Professors der Gesang-Elementarklassc am Wiener
Conservatorium und später, nach Philipp Körner's Tode, zugleicli diejenige
eines Gesanglehrcrs der Sängirknaben der k. k. Hofkapelle und eines ersten
Choralisten.
Frnytiers, Jan (oder Jean), flamändischer Dichter und Musiker der zwei-
ten Hälfte des 16. Jahrhunderts, lebte um 1565 zu Antwerpen, und veröffent-
lichte u. A. daselbst: n Ecclesiasticus oft the irise sproken Jesu des soons Si/rach
etc.i-i (Antwerpen, 1565).
Fry, William, einer der vorzüglichsten der national-amerikanischen Com-
ponisten, geboren 1815 zu New- York, schrieb zahlreiche Orchesterwerke und
Opern, die in seiner Heimath liochgtschätzt waren, aber nicht bis nach Europa
gelangt sind. F. selbst starb im J. 1865 in Havanna.
P.-ScUüssel — Fuchs. 75
F.-Schlilssel (franz.: clef de fa; ital.: cUave di fa), ein Zeichen, welches
aus einem kreisförmigen Zuge besteht, um die, von unten gez<ählt, vierte Linie
des Notensystems geschlungen wird und anzeigt, dass auf dieser Linie das f
zu notiren ist. Da dadurch, dass f auf einer oberen Linie notirt wird, den
f r f f
-T)-Ht •-
^S^c,>ftr:^^^-z=|pggg^zc^^-^^
gangbarsten tiefei'en Tönen (Bass) des Tonreichs die Möglichkeit geschaffen
ist, meist innerhalb des Systems eine Stelle zu erhalten, so giebt man dem F.
auch den Namen Bassschlüssel. Ehemals setzte man diesen Schlüssel auf
die dritte, vierte oder fünfte Linie, je nachdem die Klänge, welche notirt wer-
den sollten, höher oder tiefer lagen, und nannte dem entsprechend den letzteren
den tiefen-, den ersteren den hohen- und den mittleren schlechtweg den
Bassschlüssel. Alle drei Schlüssel findet man noch häufig in Notendrucken
aus dem 16. und 17. Jahrhundert vertreten. S. auch Notenschrift. 0.
Fuchs, Aloys, einer der gründlichsten deutschen Musikkenner und aus-
übenden Dilettanten, geboren am 23. Juni 1799 zu Naase im österreichischen
Schlesien, war der Sohn eines Schullehrers, von dem F. die Anfangsgründe
des Singens und Ciavierspiels erlernte. In seinem 11. Jahre wurde er als
Sängerknabe in das Minoritenkloster zu Troppau gebracht, woselbst er sechs
Jahre hindurch neben den Schulwissenschaften auch Generalbass, Orgel- und
Violoncellospiel treiben durfte und wegen seines vom Blattlesens und seines
unfehlbaren Treffens im Gesang in Ansehen stand. Im J. 1816 bezog er die
Universität zu Wien, um die Rechte und Philosophie zu studiren. Als armer,
auf sich selbst angewiesener Student gab er vielfach Unterricht und machte
sich durch sein Musiktalent bei Gesangvereinen und öffentlichen Aufführungen
sehr nützlich. Dies brachte ihn in den Verkehr mit zahlreichen einheimischen
und fremden Künstlern, die sein Musikwissen sehr förderten. Auch im Clavier-
und Violoncellospiel brachte er es damals bis zur Bedeutsamkeit. Im J. 1823
fand F. eine Anstellung im Staatsdienste und wurde im Laufe der Zeit Con-
cept-Adjunkt im k. k. Hofkriegsrath zu Wien. Als Beamter musste er seine
Musikübung auf die wenigen Freistunden verlegen, erübrigte aber dennoch
noch Zeit, um auch Musikgeschichte zu studiren. Die anhaltende Beschäftigung
mit dem biographischen Theil derselben brachte ihn auf die Idee, sich eine
Autographensammlung besonders der Musikwerke berühmter Componisten aller
Völker und Zeiten anzulegen. Mit beharrlicher Geduld, mit Geldopfern und
wissenschaftlich systematisch verfahrend, gelang es ihm, einen Manuscriptenschatz
und nebenbei eine Porträtsammlung von Musikern, Dilettanten, Instrumenten-
machern u. s. w. zusammenzubringen, wie sie fast einzig in ihrer Art dasteht.
Aus diesen Sammlungen schöpfte er zugleich vielfach einen werthvollen Stoff
zu bisher ganz unbekannt gewesenen Mittheilungen über verschiedene Meister,
besonders über Gluck, Mozart, Haydn und Beethoven, die er in Wiener und
Berliner Musikzeitungen verwerthete. F. und seine Sammlungen wurden ein
Centralpunkt für den Wien besuchenden Musikforscher, der einem solchen oft
reiche Ausbeute bot. F. starb am 20. März 1853 zu Wien. Viele Jahre hin-
durch war er auch als Basssänger Mitglied der Hofkapelle gewesen. Seine
mühsam zusammengebrachten Sammlungen wurden leider durch Einzelverkauf
überall hin zerstreut.
Fuchs, Georg Friedrich, geschickter deutscher Harmoniemusik-Compo-
nist, geboren am 3. Decbr. 1752 zu Mainz, wurde schon als Knabe zu fleissi-
gen Uebungen auf Clarinette, Fagott und Hörn angehalten und erhielt im
vorgerückteren Jugendalter bei Cannabich Compositionsunterricht. Bald darauf
wurde er Militär-Musikmeister in Zweibrücken, welche Stelle er 1784 aufgab,
um sein Heil in Paris zu versuchen. Dort erwarb er sich durch seine Fähig-
76 Fuchs.
keiten und Kenntnisse einen so guten Ruf, dass er bei Gi ündung des Conser-
vatoriums den ersten zwölf Lehrern beigesellt wurde, welche die Musiker für
die Armeen der französischen Republik zu bilden hatten. Bei der Reform
dieses Instituts im J. X. der Republik wurde er seiner Lehrerstellung enthoben
und sah sicli ausschliesslich auf kümmerliche Einkünfte durch Arrangements
für Harmoniemusik angewiesen. . Er starb am 9. Oktbr. 1821 zu Paris, fast
vergessen, nachdem er noch zwei Jahrzehnte zuvor unter den Ersten seines
Fachs geglänzt hatte. Seine Compositionen bestehen in Stücken aller Art, be-
sonders Märschen für Harmouieorchester, Concerten für Flöte, Clarinette und
Hörn, Quartetten, Trios und Duos für Blaseinstrumente und auch sechs Streich-
trioB. Seine Arrangements repi'äsentiren eine auch nicht annähernd zu be-
stimmende gi'osse Zahl.
Fuchs, Heinrich, vorzüglicher deutscher Hornvirtuose und fruchtbarer
Componist für sein Instrument, geboren am 18. Febr. 1791 zu Dessau, war in
seiner Vaterstadt als herzog], Kammermusiker angestellt, als welcher er am
14. März 1849 starb.
Fuchs, Julius, Pianist und Organist, bekannt als Organisator und Leiter
von Monstre-Musikaufführungen , wurde 1836 zu Potsdam als Sohn des ver-
dienstvollen Ciavierlehrers und Organisten am Cadetteninstitut Greorg Leberecht
Dorius F. geboren. Schon 1846 liess er sich als Pianist mit Mendelssohn's
Gr-moll-Concert öfiPentlich in seiner Vaterstadt hören und bildete später mehrere
Vereine, in deren Concerten seine ersten Compositionen zur Aufführung gelang-
ten. Von 1852 bis 1856 Lehrer und Organist beim königl. Cadettencorps zu
Potsdam, wurde er hierauf in derselben Eigenschaft nach Berlin berufen und
machte sich dort durch eine zur 150jährigen Jubiläumsfeier des Berliner Ca-
dettencorps geschriebene Festmusik für Soldatenchöre und Militärmi;sik in
weiteren Kreisen bekannt. F. stiftete in Berlin den Berliner Dilettanten-Or-
chesterverein, sowie einen Gesang- und Orchesterverein bildender Künstler, mit
denen vereinigt er grosse Aufführungen für patriotische Zwecke und bei patrio-
tischen Gelegenheiten (1866 beim Einzüge der Truppen aus dem österreichischen
Kriege u. s. w.) veranstaltete und durch öffentliche Aufrufe auch das grosse
Publikum zu thätiger Mitwirkung anzuspornen suchte. Er gründete, um die
Massen für musikalische Aufführungen heranzubilden, ein besonderes Musik-
institut, dessen grossartige Anlage aber auf Capitalien zählte, wie sie ihm nicht
zu Gebote standen. Die von Fr. INIücke gestiftete Berliner Akademie für
Männei'gesang wählte F. zum Direktor, der hierauf in mehreren Kirchencon-
certen des Vereins auch als Orgelspieler öffentlich auftrat. Beim 14. Märki-
schen Volks- Gesangfeste 1867 wurde F. von 64 Vereinen zum Direktor des
Gesammt-Sängerbunds erwählt und 1868 als Delegirter zum nordamerikanischen
Gesaugfeste nach Chicago entsendet. Den vorübergehenden Aufenthalt in Chi-
cago verwandelte F. in einen bleibenden, gründete eine Sinfoniekaj^elle und
stand bei Gelegenheit der Humboldt-, sowie der Beethovenfeier an der Spitze
des Allgemeinen Sängerbunds, mit dem er auch grosse Musikaufführungen zum
Besten der Verwundeten im deutsch-französischen Kriege veianstaltete. Bei
dem grossen Brande in Clücago 1871 rettete F. nichts als das Werk einer
fast zwanzigjährigen Thätigkeit, eine Monographie über die musikalische Lite-
ratur. Mit weiteren Organisationsplänen beschäftigt, lebt er noch gegenwärtig
in Chicago. — Sein Halbbruder, Karl Dorius Johannes F., geboren am
22. Oktbr. 18.38 zu Potsdam, ist ein vorzüglicher Pianist und hat sich bereits
durch selbstständige philosophische Untersuchungen bedeutende Verdienste um
die Kunstästhetik erworben. Nachdem er von 1852 bis 1859 das Gymnasium
besucht hatte, bezog er die Universität zu Berlin und studirtc bis 1864 erst
Theologie, dann Philosophie. Inzwischen trieb er auch mit dem grössten
Fleisse höhere Ciavierstudien bei H. v. Bülow iind Harmonielehre bei Weitz-
mann, später Composition bei Kiel. Als Hauslehrer, u. A. beim Maler Steffek,
wirkte er bis 1869 und gab gleichzeitig an der Neuen Akademie der Tonkunst
Fuchs — Führer. 77
Clavierunterricht. • Dort lernte er seine nachmalige Gattin Clara Werner, eine
befähigte Sängerin, kennen, mit der er in Berlin und in den Provinzen Schle-
sien und Pommern Concerte gab. Im Juli 1869 übernahm F. die Organisten-
stelle an der St. Nicolaikirche in Stralsund, wo er seine auf Schopenhauer
begründeten musikphilosophischeu Priucipien ausbaute und durch eine gehalt-
volle Dissertation »Präliminarien zu einer Kritik der Tonkunst« (Stralsund,
1869) sich den philosophischen Doctortitel der Universität Grreifswald erwarb.
Im J. 1871 kehrte F. nach Berlin zurück, ist daselbst als Pianofortelehrer und
als musikalischer Schriftsteller thätig und in Concerten mit ausgezeichnetem
Erfolge als geistvoller Interpret älterer und neviester Ciavierwerke aufgetre-
ten. Als Mitarbeiter des Musikalischen Wochenblatts hat er sich in längeren
Artikeln mehrfach polemisch gegen die moderne Aesthetik vernehmen lassen.
Ausser der genannten Dissertation, welche 1870 in zweiter Auflage zu Leipzig
erschien, veröffentlichte er an selbstständigen Schriften: »Ungleiche Vwwandte
unter den Neudeutschen« (Berlin, 1868) und »Virtuose und Dilettant, Ideen
über Clavierunterricht und über reproductive Kunst« (2. Aufl. Leipzig, 1870),
welche letztere eine zum Theil glänzende Aufnahme fand. Der Veröffentlichung
entgegen geht ein technisches Ciavierwerk F,'s, betitelt »Logik der Hände«,
ein Lexikon der elementaren clavieristischen Thätigkeit (Pentachord, Scalen,
Drei- und Viergriffe), geordnet nach den Principien der Symmetrie der Claviatur,
ferner nach dem der Congruenz zwischen ortsverschiedenen Tastanlagen des
Claviers, endlich nach dem der Gradation der Schwierigkeiten und immer-
währenden geistigen Selbstthätigkeit der Uebenden. Anerkennend hervorzu-
heben ist noch, dass F., obwohl von der sogenannten neudeutschen Parthei in
der Musik begünstigt, kein Partheigänger, sondern überzeugungsgemäss nur
der Wahrheit zu dienen beflissen ist.
Fuchs, Peter, trefflicher Violinvirtuose, geboren um 1750 in Böhmen,
bildete sich in Prag aus, woselbst er bereits 1768 eine Rolle spielte und be-
gab sich hierauf nach Ungarn. Im J. 1794 wurde er als Violinist der Hof-
kapelle in Wien angestellt und ertheilte nebenbei einen gründlichen Unterricht
auf seinem Instrumente, der ihm viele Schüler, zuführte, von denen mehrere sich
später eines guten Rufs in der Musikwelt erfreuten. F. starb im J. 1804 zu
Wien und hat als Componist ein Violinconcert, Sonaten für Violine und Vio-
loncello und Variationen für Violine hinterlassen, die auch sämmtlich im Druck
erschienen sind.
Fnchsschwauz, ist der Name eines Vexirregisters, welches an alten Orgeln
häufig vorkam. Näheres siehe unter Noli me tätigere.
Fiichs, Ferdinand Karl, talentvoller deutscher Componist, geboren am
11. Febr. 1811 zu Wien, absolvirte seine musikalischen Studien am Conser-
vatorium seiner Vaterstadt und trat zuerst mit zahlreichen Liedern hervor, die
zwar nicht von Tiefe, aber von Sangbarkeit und Geschmack Zeugniss ablegten,
so dass sie beliebt und in weiten Kreisen bekannt wurden. Auch seine in Wien
zur Aufführung gelangte Oper »Gutenberg« bekundete viele treffliche Eigen-
schaften nach Seite des Angenehmen und Fliessenden hin, ermangelte aber
origineller Schöpferkraft gänzlich. Aehnliches gilt von seiner zweiten Oper
»der Tag der Verlobung«, die 1842 gegeben wurde. F. vollendete noch die
Oper »die Studenten von Salamanca«, die jedoch keine Aufführung erfuhr, da
der Componist selbst schon am 7. Jan. 1848 zu AVien starb. Er hinterliess
den Ruf eines wahrhaft edlen Künstlers, dessen Lieder gänzlicher Vergessen-
heit vielleicht trotzen werden.
Führer (lat.: dux oder suhjectum, ital.: guida, franz.: sujet) nennt man den
Hauptsatz der Fuge, das Fugenthema, im Gegensatz zum sogenannten Gefähr-
ten. Näheres unter K-anon und Fuge.
Führer, Robert, vortrefflicher Orgelspieler und hochbegabter Tonkünstler
überhaupt, geboren am 2. Juni 1807 zu Prag, wo er auch, besonders unter
Leitung Wittasek's, seine Musikstudien machte. Noch .Jüngling, erhielt er die
Y8 Fuellana — Füllstimmen.
Stelle als Organist an der Kirche St. Veit, wurde 1830 zum Lehrer an der
Prager Organistenschule und zehn Jahre später als Nachfolger Wittasek's zum
Domkapellmeister ernannt. Leider brachte ihn ein fortgesetzt regelloser Lebens-
wandel schon 1843 auch um das letztgenannte ehrenvolle Amt, und er begab
sich, in Prag gemieden, nach Salzburg, Baiern und Oesterreich. Nach seiner
Ausweisung aus Baiern brachte er einige Zeit zu Braunau am Inn zu, bis er
1857 die Organistcnstelle in Gmunden und Ischl erhielt, die er aber wieder
nicht lange inne hatte. Unstät weiter wandernd, nahm er endlich in Wien
einen bleibenden Aufenthalt und suchte als Lehrer und Musikschriftsteller zu
wirken. In bedrängten Umständen starb er in einem Hospitale zu Wien am
28. Novbr. 18G1. — Von seinen Compositionen erschienen zahlreiche Kirchen-
sachen aller Art und Orgelstücke im Druck, ebenso theoretisch-didaktische
Werke, als: »Praktische Anweisung zum regelrechten Erlernen des Pedalge-
brauchs auf der Orgel«; »Musikalisch-liturgisches Handbuch zum Gebrauch für
Chordinktoren«; »Praktische Anleitung zu Orgelcompositionen«; »Die melodisch-
harmonische Verbindung der Tonarten nach den einfachsten und natürlichsten
Formen«; »Lehrgang zur Erlernung der Hai'monie und des Oeneralbasses«;
»Anweisung zum Präludiren« u. s. w. Ausserdem sind noch Musikzeitungs-
artikel über ähnlich(! Fragen von ihm zu verzeichnen. Di(> Leichtfertigkeit,
welche sein Leben und Schaifen bezeichnet, hat dem Wei'the seiner Arbeiten
grossen Abbruch gethan,
Fnellaua, Michael de, auch Fuenllana geschrieben, ein spanischer, von
seiner Jugend an blinder Tonkünstler des 1(5. Jahrhunderts aus Navalcarnero
bei Madrid, veröffentlichte Stücke für Viola unter dem Titel: nOrfenica lyra,
lihro (Je Musica para Viguelaa (Sevilla, 1554). t
FUUpfeife ist die häufig gebrauchte Benennung für eine nicht klingende
(blinde) Pfeife, die nur zur Ausfüllung des Raumes oder als Zierrath mit in
der Orgelfront steht.
Fiillquiutc hiess und heisst noch jetzt mitunter eine 1,66 Meter gross ge-
fertigte Principalstimme, die wahrscheinlich ihrer Grösse und ihres scharfen
Klanges wegen diese Benennung erhielt. Diese Stimme muss in ein Haupt-
manual gesetzt werden, das viele starke Stimmen führt, indem es diesen eine
vorzügliche Fülle zu verleihen vermag. Schilling in seinem »TJniversallexikon
der Tonkunst« sagt von der Wirkung der F., dass diese Stimme in Verbindung
mit Principal, 1 und 1,25 Meter gross, in schnellen Passagen benutzt, einen
2,5 Meterton von ganz eigenthümlichem und nicht unangenehmem Charakter gebe.
2.
Fiillsack, Zacharias, oder Fullsack, ein deutscher Musiker, der zu An-
fange des 17. Jahrhunderts lebte und in Gemeinschaft mit Hildebrand »Aijs-
erlesene Paduanen vnd Galliarden zu 5 Stimmen, auff allerley Instrumenten
zu gebrauchen etc.« (Hamburg, 1607) herausgegeben hat. t
Füllgtiniiueu sind Stimmen, welche in Tonstücken, worin nicht sämmtliche
Stimmen Hauptstiramen sind, den Hauptstimmen beigesellt werden, um die
Harmonie zu füllen und den Klang abzurunden. So kann ein z. B. vier-
stimmiger Satz zwei Hauptstimmen enthalten, die etwa einen Kanon (s. d.)
führen; dazu ist ein Bass, ausserdem noch eine vierte Stimme gesetzt, welche
ihren ganz eigenen Gang nimmt und, ohne an dem Kanon weiter sich zu be-
theiligen oder sonst irgend als selbstständige Melodie hervorzutreten, nur den
Zweck hat, die Harmonie vollständig auszudrücken. Diese vierte Stimme ist
eine F. Aehnlich in freien Orchestersätzen die den Hauptmelodien beigegebe-
nen untergeordneten Harmonie- und Klangausfüllungen; desgleichen in älteren,
meist nur für eine Singstimme, ein obligates Instrument und Bass gesetzten
Arien, die Harmonieausfüllungen durch die begleitende Orgel oder das Ciavier.
Zu bemerken ist noch, dass man den Bass an und für sich, auch wenn er
nicht eigentlich Hauptstimrae ist, nicht F. zu nennen pflegt. — Von dieser
Art F., welche, wenn auch als Melodien unselbstständig, doch ihre eigenen, von
Fünf — Fünftonleiter. 79
den Hauptstimmen verscliiedenen Intervallenfortschreitungen haben, hat man
die Verdoppelungsstimmen, welche man auch mitunter schlechtweg F.
nennt, zu unterscheiden ; Verdoppelungsstimmen haben nicht ihre eigenen In-
tervalle, sondern nur den Zweck, grössere Schallmasse und Klangmischungen
zu erzeugen, so z. B. die Verstärkungen der Chorgesangstimmen durch Or-
cheslerinstrumente im Einklang oder in Octaven; die Hinzufiigung von Trom-
peten, Hörnern, Posaunen u. s. w., oder der Orgel an gewissen Stellen, nur
zur Entwickelung einer grossartigen Klangmasse, nicht zur Completirung der
in den Hauptstimmen schon vollständig ausgedrückten Harmonie.
Fünf als Ziffer (5) bezeichnet in der G-eneralbassschrift die fünfte Klang-
stufe, in der Kunstsprache Quinte genannt. lieber eine Note gesetzt bedeutet
diese Ziffer wohl auch, ebenso wie 3, den Dreiklang, und in der Instrumente-
praxis bei der Applicatur den fünften oder kleinen Finger.
Fünfer (lat. : Numerus quinarius), heisst eine aus fünf Takten bestehende
Satzbildung im Periodenbau (s. d.).
Füufstinimig: neunt man einen Tonsatz aus fünf obligaten Stimmen. Einiges
Nähei'e sehe man unter Quintett und Vielstimmig.
Fünftheilige Taktarten sind diejenigen, welche aus fünf Achtel- oder fünf
Viertelnoten zusammengesetzt sind. Das moderne Gefühl sträubt sich unwill-
kürlich gegen derartige Zusammensetzungen , die ebenso wie die fünftaktigen
Rhythmen der Melodie einen zwar absonderlichen, aber hinkenden Charakter
verleihen. In der altgriechischen Musik ist diese Taktart entschieden weit
häufiger in Anwendung gewesen, als in der jetzigen abendländischen. Als be-
rühmt gewordenes Curiosum der fünftheiligen Taktart ist das bezügliche Sätz-
chen in der Tenorarie des zweiten Akts der Oper »Die weisse Dame« von
Boieldieu anzuführen.
Fünf-Tonleiter oder fünfstuflge Tonleiter. Nichts lag einer systematischen
Feststellung bestimmter Klänge in einer Oktave näher, nachdem man Saiten
als Tonzeuger entdeckt hatte, als durch Theilung einer Saite in zwei, und
durch gleiche Theilung eines jeden dieser Theile in wieder zwei gleich grosse
Abschnitte Versuche zu machen, ob mau nicht einen neuen Klang erhielte,
der sich dem Grefühle als ungleich von dem Grrundklange kundgäbe. Jeder
einzelne der kleineren Theile, wie auch zwei derselben, geben jedoch einen
Klang, eine höhere Octave, der sich von dem Grrundtone kaum unterscheiden
lässt und deshalb auch seit frühester Zeit als ein gleicher Klang betrachtet
wurde. Liess man jedoch drei Viertel der ganzen Saitenlänge tönend schwingen,
so erhielt man die Quarte (s. d.). Ist also der Ton der ganzen Saite z. B.
H, so ist der von Dreivierteln der Saite e. Die Saitenlänge, welche e ergiebt,
als Grundsaite betrachtend und ebenso tonzeugend weiter verfahrend, erhält
man den Klang a, der mit den beideoi früher gewonnenen Tönen zusammen die
Dreitonleiter (s. Lyra, dreisaitige) giebt. Da selbst dem ungeübtesten
Ohre die Zahl dieser Klänge in der Octave bald zu gering erscheinen musste,
und man zwischen diesen gelegene in der Kunst zu verwerthende Klänge fest-
zustellen nicht der Willkür überlassen zu dürfen glaubte, so hat man wohl, um
noch andere Klänge in derselben Octave zu erhalten, die Länge der den Ton
a gebenden Saite verdoppelt, mit der A angebenden dieselben Theilungen an-
gestellt, und die neugewonnenen Klänge: d und g, den vorhandenen zugefügt.
Dadurch erhielt man die F.: S, d, e, g und a. — Erwägt man, dass die Grie-
chen ihre Musikgesetze durch Ueberlieferung erhalten haben wollen, dass der
eine ihrer Musikgelehrten diesen, der andere jenen Theil der Theorie als ältesten
erklärte, der eine diese, der andere jene Erklärung für die Theorien versuchte; dass
ferner die bekannten Vorforscher derselben, die Aegypter, wie auch andere
Culturvölker, die Assyrer, Indier, Chaldäer und Perser, nur durch ihre Mythen
und Gebräuche ein System der Klangentwickelung ahnen lassen, und endlich
dass bei den Chinesen und Kelten in ihrem weiten räumlichen Auseinander-
leben die Anwendung der F. sich in Gebrauch befand: so ist es fast gewiss.
80 Fuenllana — Fürstenau.
dass ein vorhistorisches, sehr aufgeklärtes Geschlecht dies Princip der Ton-
zeugung kannte und, bis zu einem gewissen Grade hin verwerthet, für das da-
malige Geschlecht als anwendbar erachtete: dass aber bei seiner Auflösung die
zerstreuten Ueberreste des Geschlechts einzelne Bruchstücke mehr praktisch
als theoretisch mit sich genommen und mittelst Geheimlehre bewahrt haben.
Für diese Annahme, so wie dafür, dass die F. einen Bildungsabschnitt der
frühesten Geschlechter kennzeichnete, spricht der noch heute stattfindende Ge-
brauch dieser Tonleiter in China, die Verwerthung derselben durch die Kelten
bis zu ihrem Verschwinden als Volk, das theilweise Vorhandensein derselben
in der indischen Musik, sowie die in der der historischen zunächst liegenden
Zeit bei allen arischen Völkern nachzuweisende Auslassung auch einzelner
anderer Scalatöne der heutigen diatonischen Folge. Der Urgrund einer all-
gemeineren Einführung der F. ist derselbe, wie der unserer diatonischen Folge,
denn sie besitzt, wie diese, nur zwei annähernd gleiche Intervalle (s. d.), die
jedoch ihrer geringeren Zahl wegen den mit Klängen umzugehen ungewohnten
Menschen gleiche Geistes- wie Körperschwierigkeiten bereitet! mussten, wie etwa
heute die unsrige uns. Diese in grösserer Einfachheit vorhandene Gleichheit,
so wie noch andere mit der eigenen Kunstanschauung eng verbundene Neben-
bedingungen bei der Tonzeugung, worüber die Artikel: Aegyptische-, Kel-
tische-, Assyrische- und Indische Musik theilweise belehren, so wie ferner
die angeborene Ehrfurcht vor dem Uralten: haben dies früheste Product der
Musikcultur bis in unsere Zeit erhalten. Dass übrigens selbst dem abend-
ländischen Kunstgeschmacke nichts gerade Ungeniessbares geboten wird, wenn
nur aus Elementen der F. zusammengesetzte Kunstschöpfungen vorgeführt
werden, beweisen viele schottische Lieder, die sich einer fast ungetheilten An-
erkennung erfreuen. Im Ganzen sind dies jedoch aussergewöhnliche Tondich-
tungen, die nur in ihrer Melodie diese Elemente aufweisen, in der Begleitung
derselben findet man stets, wie Beethoven's Bearbeitungen solcher Weisen dai'-
thun, alle Klänge des abendländischen Tonkreises verwerthet. Wenn auch
somit im Abendlande die F. jetzt nur als Seltenheit noch Anwendung findet,
so denkt, wie schon erwähnt, das ganze Volk der Chinesen noch heute Musik
in dieser Tonfolge, aber auch dort schon nagt der Zahn der Zeit an diesen
überkommenen Grundpfeilern der Kunst und ein baldiges Verschwinden der-
selben aus dem dortigen öfi'entlichen Gebrauche ist nur noch eine Frage
der Zeit. C. Billert.
Fuenllaua, s. Fuellana.
Fueutes, Francisco de San ta-Maria, ein spanischer Mönch des Jerusa-
lemordens, gab ein theoretisches Werk, betitelt: »Dialectos Musicos eic.u. oder
»Dialectes de Musiqtie, ou . Von ea-pose les principaux elemens de V Harmonie,
dejjuis les regles du plain-chant, jusqu^ ä la Oompositionn (Madrid, 1778) heraus.
t
Fnentes, Pascal, hervorragender spanischer Kirchencomponist, geboren zu
Albaida in der Provinz Valencia zu Anfange des 18. Jahrhunderts, war zuerst
an der St. Andreaskirche in Valencia und von 1757 an Kapellmeister an der
dortigen Kathedralkirche. Er starb am 26. April 1768 und war noch lange
nach seinem Tode als Coraponist zahlreicher Kirchenstücke in ganz Spanien
sehr angesehen und geschätzt.
Fiirstenan, ein ausgezeichnetes deutsches Musikergeschlecht, dessen Glieder,
soweit sie hier in Betracht kommen, sämmtlich Flötenvirtuosen ersten B-anges
sind. Als der älteste ist Kaspar F. zu verzeichnen, geboren am 26. Febr.
1772 in Münster, dessen Vater ebenfalls Musiker und als solcher Mitglied der
dortigen bischöflichen Kapelle war. F.'s Erziehung lief auf eine gleiche Be-
rufswahl hinaus, denn er musste bei seinem Vater Oboeblasen erlernen. Er
hatte sich auch bereits eine bemerkenswerthe Fertigkeit auf diesem Instrumente
erworben, als sein Vater starl), und Anton Romberg F.'s musikalische Weiter-
bildung übernahm. Gegen das Fagott, welches ihm Bomberg aufdrängte, zeigte
Fürstenau. .81
F. die grösste Abneigung, wogegen er mit 13 Jahren das Flötenspiel mit solchem
Eifer zu üben begann, dass er bald in das Militär-Musikcorps und als sechs-
zehnjähriger Jüngling sogar in die bischöfliche Kapelle treten und dadurch
seiner bedrängten Familie Subsistenzmittel verschaffen konnte. Neben den
praktischen Studien, die er fleissig weiter betrieb, widmete er sich damals zu-
erst auch bei Jos. Antony in Münster der Composition. Seine erste, sehr er-
folgreiche Kunstreise unternahm F. 1793 durch Deutschland; dieselbe brachte
ihm 1794 die Stelle eines ersten Flötisten der Hof kapeile in Oldenburg, in welcher
Eigenschaft er später auch Lehrer des Herzogs wurde. Als 1811 diese Ka-
pelle aufgelöst wurde, begab sich F. mit seinem Sohne und Schüler Bernhard
(s. weiter unten) auf weite Kunstreisen, die ihm als Virtuosen und geschickten
Componisten für sein Instrument einen Weltruf verschafften. Er starb am
11. Mai 1819, als ihn der Zufall zum Besuche seiner Familie nach Oldenburg
geführt hatte. Von seinen zahlreichen Compositionen kennt man Concerte,
Fantasien, Rondos, Variationen, Potpourris u. s. w., im Ganzen etwa 60 ver-
schiedene Werke. — Sein Sohn, Anton Bernhard F., geboren am 20. Octbr.
1792 zu Münstei', überstrahlte noch den Vater an Geschicklichkeit und B,uhm.
Seine ersten Spolien errang derselbe in einem Hofconcerte zu Oldenburg, in
welchem er, kaum sieben Jahr alt, als Solist auftrat. Der Herzog beschenkte
ihn in Anerkennung seiner Leistungen mit einer kostbaren Flöte, auf der er
sich seitdem häufig in Oldenburg und Bremen hören liess. Der Unterricht in
der Compositionslehre, den er seit seinem neunten Jahre genoss, war mangel-
haft; ein eifriges Selbststudium hat ihn in dieser Beziehung am Meisten ge-
fördert. Im J. 1803 reiste er mit seinem Vater zu sehr einträglichen Con-
certen nach Hamburg und Kopenhagen, 1805 durch das nordöstliche Deutsch-
land nach St. Petersburg und in ähnlicher Art fast in jedem Jahre nach anderen
näher oder entfernter gelegenen Musikstädten, die F.'s Talent und Fertigkeit
enthusiastisch anerkannten. Von Auflösung der Hofkapelle in Oldenburg an,
der er seit 1804 als wirkliches Mitglied angehört hatte, datirt der europäische
Ruhm F.'s. Den Anstrengungen vieler und weiter Reisen aber nicht gewachsen,
nahm er 1817 eine feste Anstellung im städtischen Orchester zu Frankfurt
a. M., wo ihn der Umgang mit Vollweiler in theoretisch-musikalischer Hinsicht
stark vorwärts brachte. Sein reiselustiger Vater entriss ihn aber schon 1818
der Frankfurter Müsse, und er liess sich in jenem Jahre in Aachen, wo gerade
der Congress tagte, Süddeutschland und Holland, 1819 noch in Ostfriesland
hören, als sein Vater starb und die ihm bald darauf angetragene Stellung als
königl. sächsischer Kammermusiker ihm endlich Ruhe und einen gesicherten
Posten verhiess. Nachdem er ein gefährliches Scharlachfieber in Oldenburg
überstanden hatte, siedelte er 1820 mit der Mutter und der zahlreichen Familie
nach Dresden über, wo er sehr ehrenvoll aufgenommen wurde. Auch seitdem
noch liess er sich auswärts oft hören und bewundern, während er in Dresden
seinem Amte und der Heranbildung talentvoller Schüler lebte, unter denen sein
Sohn Moritz obenan steht. Seine merkwürdigste und historisch berühmt ge-
wordene Kunstreise war diejenige, welche er im J. 182G mit C. M. v. Weber
nach London unternahm, und von welcher der letztere nicht mehr wiederkelu'en
sollte. F. selbst starb als erster Flötist der königl. sächsischen Hofkapelle am
18. Novbr. 1852 in Dresden. Er war ebenfalls ein sehr fruchtbarer Componist
und Bearbeiter für sein Instrument, und es sind seit 1820 etwa 150 Werke
von ihm, bestehend in Concerten, Fantasien, Rondos, Variationen, Etüden, Traus-
scriptionen, Duetten, Trios, Quartetten u. s. w. erschienen, die meist einen
hohen Rang in der modernen Flötenliteratur einnehmen. Auch zwei vortreff-
liche und praktische Flötenschulen verdanken ihm die angehenden Virtuosen.
Mehrere gediegene Aufsätze über Flötenspiel und Einschlägiges hat er ausser-
dem für die Allgemeine musikal. Zeitung verfasst. — In seinem bereits ge-
nannten Sohne Moritz F. findet sich die musikhistorische Gelehrsamkeit als
unterscheidendes Merkmal von seinem berühmten Vater und Grossvater, neben
Musikal, Convers. -Lexikon. IV, 6
32 Fürstner — Puetach.
der Virtuosität auf der Flöte vorzüglich ausgeprägt. Geboren zu Dresden am
26. Juli 1824, erhielt er eine vorzügliche wissenschaftliche und musikalische
Ausbildung und trat zuerst am 26. Oktbr. 1832 als Flötist in einem Concerte
seines Vaters in Dresden mit grossem Beifalle öffentlich auf. Seitdem machte
er mit seinem Vater fast jährlich erfolgreiche Concertreisen, bis er am 1. Jan.
1842 als Flötist in die Dresdener Hofkapelle trat. Nicht allein, dass er dort
in die erste Stelle bei seinem Instrumente aufrückte, also den seiner Tüchtig-
keit entsprechenden Platz als würdiger Nachfolger seines Vaters erhielt, so
blieben seine gründlichen Forschungen auf musikliterarischem Gebiete, die
hauptsächlich der Musikgeschichte Sachsens galten, nicht unbemerkt, und er
wurde 1852 zum Gustos der Musikaliensammlung des Königs von Sachsen er-
nannt und später auch durch das Ehrenkreuz des Albrechtsordens ausgezeichnet.
Seine eingreifende Thätigkeit in dieser Stellung, sowie als Lehrer am Consei'-
vatorium ist von lokaler sowohl wie auch von allgemeiner Bedeutung. Zahl-
reiche seiner Abhandlungen in Fach- und anderen Zeitungen haben manchen
dunklen Punkt in der Kunstgeschichte, nicht blos Sachsens, zuerst in das rechte
Licht gerückt. Von grösseren seiner literarischen Arbeiten erschienen: »Bei-
träge zur Geschichte der königl. sächsischen musikalischen Kapelle« (Dresden,
1849) und »Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden«
(2 Bde., Dresden, 1861 und 1862).
Fürstuer, Adolph, Inhaber einer der grösseren deutschen Musikverlags-
handlungen, geboren am 2. Jan. 1835 zu Berlin, begründete daselbst am 1. Jan.
1868 sein Geschäft. Durch grosse Regsamkeit, Umsicht und technische Kennt-
niss brachte er dasselbe schnell zu hervorragender Blüthe, hauptsächlich mit
dadurch, dass er als der Erste, durch Uebernahme von Commissionslagern der
renommirtesten Verlagsfirmen in Paris und London, einen regeren internatio-
nalen Musikverkehr anbahnte. Im August 1872 vereinigte er durch Ankauf
den C. F. Meser'schen Verlag in Dresden mit dem seinigen, wodurch er Eigen-
thümer der Wagner'schen Opern »Rienzi«, »der fliegende Holländer«, »Tann-
häuser« und vieler älterer gediegener Compositionen wurde. Der Verlagscatalog
F.'s weist in Folge dessen gegen 1800 Nummern auf, unter denen sich, dem
internationalen Charakter entsprechend, auch die Hauptwerke von Gounod,
Ambr. Thomas, Gevaert und einiger russischen Operncomponisten befinden.
Von hervorragender Bedeutung ist ausserdem die bis auf 48 Nummern ange-
wachsene und in vielen deutschen Musikschulen für den Unterricht eingeführte
»Bibliothek älterer und neuerer Ciaviermusik«, kritisch revidirt von Franz Kroll,
ein gründliches und gediegenes Sammelwerk deutschen Fleieses und deutscher
Sorgfalt, geworden.
FUssig, s. FusB.
Fuetsch, Joachim Joseph, vortrefflicher deutscher Violoncellist und
gründlicher Componist, geboren zu Salzburg am 12. Aug. 1766, erlernte beim
Chon-egenten der städtischen Pfarrkirche Jacob Freistädtler die Elemente des
Gesangs, worauf er 1775 als Chorknabe Aufnahme im Kapellhause fand und
acht Jahre hindurch, bis zur Mutation seiner schönen Altstimme, den mit dieser
Anstalt verbundenen Unterricht in wissenschaftlichen und künstlerischen Dis-
ciplinen genoss, so im Violinspiel den des Hofviolinisten Hafeneder, später
Leopold Mozart's. Nachdem er 1784 aus dem Kapellhause entlassen worden
war, übte er sich autodidaktisch auf dem Violoncello und zwar mit solchem
Erfolge, dass er nach dem Tode des Hofvioloncellisten Ant. Ferrari dessen
Stelle erhielt, gleichzeitig aber noch auf erzbischöflichen Befehl bei Luigi Zar-
donati, der eigens auf ein Jahr aus Verona verschrieben worden war, die höheren
Studien auf seinem Instrumente machen musste. Nun studirte auch F. beim
Abbate Luigi Gatti Generalbass und empfing die Unterweisungen Mich. Haydn's
in der Compositionslehre. Er selbst schrieb im Laufe der Zeit Concerte, So-
naten, Uebungsstücke, Solos u. s. w. für Violoncello und für Violoncello und
Bass, die aber nicht im Druck erschienen sind. Veröffentlicht hat er über-
Füttern — Puga. 83
haupt nur drei- und vierstimmige Gresänge für Männerchor, mit denen er sich
in die Reihe derjenigen Componisten stellt, die zuerst diese Stylgattung
pflegten.
Füttern, ein Reitersignal, welches in der preussisclien Armee durch die
Trompete in folgender Art gegeben wird:
m
Fütterung nennen die Greigenbauer schmale Streifchen Holz in dem Coi-pus
der Violine, die oben und unten an die Zarge geleimt sind. Dieselbe ist noth-
wendig, damit die Decke und der Boden desto fester an dieselbe geleimt wer-
den können. In schlechten Instrumenten fehlt die F. 0
Fuga, die lateinische und italienische Benennung der Fuge (s, d.) Die
Musiksprache liat im Laufe der älteren Zeit folgende fremdländische mit F.
zusammengesetzte Namen adoptirt: F. aequalis motus oder F. recta, eine
Fuge mit Nachahmung in der gewöhnlichen ähnlichen Bewegung. — F. a due,
a tre soggetti, mit zwei, drei Subjecten. — F. authentica, wenn die Noten des
Fugenthema's aufwärts schreiten. — F. canonica oder F. totalis, der eigent-
liche Kanon (s. d.). — F. composita (recta), das Thema schreitet stufenweise
fort. — F. contraria oder F. per motmn contrarium, die Gegenfuge; die Nach-
ahmung geschieht gleich von vornherein in der Gegenbewegung. — F. doppia,
die DoppeKuge, eine Fuge mit zwei Themep. — F. homophona, mit im Ein-
klang erfolgender Beantwortung und Nachahmung. — F. impropria oder F.
irregularis , uneigentliche, nicht ganz streng gearbeitete Fuge, mit willkür-
licher Einrichtung. — F. incomposita, das Thema schreitet sprungweise fort.
' — F. in conseguenza, soviel als Kanon (s. d.). — F. in contrario tem-
pore, eine Fuge auf entgegengesetztem Takttheile, soviel wie F. per arsin et
thesin (s. weiter unten). — F. in versa, die von Anfang bis Ende mit allen
Zwischenharmonien nach dem doppelt verkehrten Contrapunkt gearbeitet ist,
also mit Verkehrung der Stimmen in die Gegenbewegung gebracht werden kann.
— F. lihera oder F. soluta, F. sciolta, mit freien Zwischensätzen. — F. mixta,
in welcher mehrere Arten der Beantwortung (Verkehrung, Vergrösserung u. s.w.)
untermischt augewendet sind. — F. ohligata, strenge Fuge, allein aus dem.
Hauptsatze (und Gegensatze) entwickelt. — F. per arsin et thesin, mit
Nachahmung im vermischten Takttheile. — F. per augmentationem, mit
Nachahmung in der Vermehrung. — F. per contrarium simplex, in welcher
das Thema ohne besondere Berücksichtigung nur einfach auf anderen Tonstufen
beantwortet wird. — F. per contrarium reversum, in welcher bei Umkeh-
rung des Themas der Werth der einzelnen Noten stets derselbe bleibt. — F.
per diminutionem, mit Nachahmung in der Verminderung. — F. per imi-
tationem interruptam, mit untei'brochener Nachahmung. — F.. perfidiata
oder ohstinata, in welcher hartnäckig nur eine Form verfolgt wird. — F.
periodica oder F. partialis, mit freier periodischer Nachahmung (im Gegen-
satze zum Kanon) die gewöhnliche, regelrechte Fuge. — F. per motum con-
trarium, s. oben F. contraria. — F. plagalis, wenn das Thema herunter-
wärts schreitet. — F. propria oder F. regularis, die eigentliche, regelrechte
Fuge. — F. reale, s. Tonale Fuge. — F. recta, s. oben F. aequalis
motus. — F. reditta, der Fugensatz wird am Ende oder in der Mitte von
allen oder einigen Stimmen auf kanonisclie Art geführt. — F. retrograda,
der Gefährte tritt in rückgängiger (von hinten) und F. retrograda per mo-
tum contrarium, der Gefährte tritt noch ausserdem in verkehrter Bewegung
auf. — F. ricercata, eine künstlich und weitläufig durchgearbeitete Kunst-
oder Meisterfuge. — F. soluta oder F. sciolta, s. F. lihera. — F. tonale,
s. Tonale Fuge. — F. totalis, s. oben F. aanonica.
6*
84 Fugarn — Fuhrmann.
Fngara (ital.), welche Benennung man auch zuweilen in der verstümmelten
Form: Foijara oder Vogara vorfindet, ist der Name einer gewöhnlich im
Manuale befindlichen flötenartigen Orgelstimme, die in neuerer Zeit weit weniger
gebaut wird als früher, was wohl in der sehr engen Mensurirung derselben
seinen Grund hat, welche veranlasst, dass die Pfeifen derselben nur mit vieler
Mühe gut intonirend hergestellt werden können. Die Pfeifen der F., in Men-
sur (s. d.) und Höhe des Aufschnitts (s. d.) der Viola da Gamha (s. d.)
genannten Orgelstimme am nächsten stehend, nur dass beide Eigenschaften bei
derselben um ein Geringes kleiner sind, werden am Besten aus reinem eng-
lischen Zinn gefertigt. Man findet diese weichklingende, ofiene Labialstimme
selten 2,5 metrig gebaut, in welcher Grösse sie sich nur zum Vortrage lang-
samer Stückchen eignet, häufiger 1,25 metrig. Letz;tere gestattet die Ausfüh-
rung selbst schnellerer Tonsätze. Genauer bekannt ist die F. der St. Nikolai-
kirchorgel zu Spandau; dieselbe ist 1,25 Meter gross. 2.
Fugrato (ital. ; lat. : /«^ffi irregularis) d.i. das Fugato, der fugirte Satz,
nennt man ein fugenartiges Tonstück, in welchem jedoch die zu einer eigent-
lichen Fuge, zu einer Fuga regularis, gehörenden Theile mehr oder weniger frei
und willkürlich behandelt werden. Man findet dergleichen F.'s häufig in Sin-
fonien, Sonaten, Quartetten u. s. w., so im Trauermarsch der Eroica- und im
Andantesatz der ^ -(/?«*- Sinfonie von Beethoven. Ein interessantes Vocal-F.
innerhalb einer Oper bietet der sogenannte Spottchor im dritten Akte der
»Hugenotten« von Meyerbeer dar.
Fuge (lat. und iidX.: fuga, h-anz.: fugue), s. Kanon und Fuge.
Fug'er, Theophilus Christian, geschickter deutscher Clavierspieler, ge-
boren am 3. Juli 1749, liess sich 1782 als Musiklehrer in Tübingen nieder
und veröfientlichte von seiner Composition Charakteristische Ciavierstücke, eine
Stylgattung, welche in damaliger Zeit, ganz im Gegensatz zu später, Anspruch
auf die grösste Seltenheit erheben konnte.
Fugrgire la cadenza (ital.), d. i. der Cadenz entfliehen oder ausweichen.
S. Cadenz und Trugschluss.
Fughetta (ital.), eine kleine, leicht ausgeax'beitete, nicht weit ausgeführte
Fuge, meist weniger tiefen und ernsten Inhalts und dem entsprechend auf eine
einzige Durchführung beschränkt. Für F. findet sich, aber sehr selten, auch
der Name Fuglietta.
Fngirt nennt man einen Satz, der in Form der Fuge oder des Fugato
gearbeitet ist. Dem Orgelmeister Frescobaldi wird nachgerühmt, er sei der
Erste gewesen, der fugirt gespielt habe.
Fugs, St., nach Forkel's Vermuthung ein Mönch aus dem Mittelalter, von
dem ein Werk »De Musica ecclesiasticaa betitelt, noch um 1780 als Manuscript
vorhanden war, da für dasselbe im Magazin des Buch- und Kunsthandels, Leipzig
1780, 3, Stück Seite 241 ein Verleger, aber, wie es scheint, vergeblich gesucht
wurde. f
Fühi, s. Fohi.
Fuhrmann, Martin Heinrich, gelehrter Tonkünstler und tüchtiger Mu-
sikpädagog, geboren um 1670, war im Anfange des 18. Jahrhunderts bis zu
seinem Tode um 1736 Cantor am Friedrich- Werder'schen Gymnasium zu Berlin.
Er war ein grosser Verehrer Mattheson's und hat durch mehrere musikalische
Schriften die Aufmerksamkeit seiner Zeit auf sich gelenkt, allerdings haupt-
sächlich durch seine scheinbar Avitzigen, in der That aber mehr rohen litera.-
rischen Klopffechtereien , welche jedoch eine gewisse Gelehrsamkeit im Stofi"
bargen. Von seinen Werken sind die verbreitetsten : »Musikalischer Trichter«
etc. (Frankfurt a. 0., 1706); »Mtisica vocalis in nuce, d. i. richtige und völlige
TFnterweisung zur Singkuust« (Berlin, 1728); beide Werke, umsichtig gearbeitete
Singschulen, sprechen überaus günstig für ihren Verfasser, weit weniger jedoch
folgende Schriften: »Jf. 11. F. G. F. G., Musikalische Strigel, herausgegeben
zu Athen an der Pleisse« ohne Jahreszahl; »Gerechte Wag-Schal« etc. (Altona,
Fulbert — Punck. 35
1728); »das in unsern Opern-Theatrie und Comoedien-Bülinen siechende Christen-
thum und singende Heidenthum« etc., gedruckt zu Canterbury, 1728; »die an
der Gotteskirche gebaute Satans-Capelle« etc. (1729) und »die von den Pforten
der Hölle bestürmte, aber, vom Himmel beschirmte Evangelische Kirche« (1730)
u. v. a. f
Fulbert, Bischof von Chartres, gestorben 1029, nicht zu verwechseln mit
seinem Zeitgenossen, dem Trierer Mönch Flobertus oder Flopertus, hat Kirchen-
hymnen gedichtet und componirt, von denen eine im Text erhalten gebliebene
r>In deum triunum« betitelt ist.
Fnlda, s. Adam de Fulda.
Fnllsack, s. Füll sack.
Famag'ali) Antonio, ein hervorragender italienischer Violinvirtuose der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der um 1782 auf einer Concertreise in
das Ausland sich auch in Deutschland hören liess.
Fnmagalli, Adolfo, einer der ausgezeichnetsten italienischen Pianoforte-
virtuosen und Saloncomponisten der jüngsten Zeit, geboren am 19. Oktbr. 1828
zu Inzago im österreichischen Oberitalien, erhielt seine musikalische Ausbildung
auf dem Conservatorium zu Mailand, wo speciell im Ciavierspiel Angeleri sein
Lehrer wurde und trat 1848 unter enormem Beifall zuerst in Mailand in die
Oeffentlichkeit. Auf den nun folgenden Kunstreisen durch Italien, Frankreich
und Belgien machte er ein ungeheures Aufsehen und erfuhr Huldigungen der
ausgesuchtesten Art. Nach Italien zurückgekehrt, hatte er am 24. April und
1. Mai 1856 zu Florenz eben erst zwei glänzende Concerte gegeben, als er
zwei Tage nach dem letzten, am 3. Mai, plötzlich und unerwartet starb. Von
seinen Compositionen erschienen gegen hundert Ciavierwerke , bestehend in
Fantasien, Salonstücken, Etüden, Saloutänzen und Arrangements für den Con-
certgebrauch; dieselben sind auf die glänzendste Bravour und Technik berechnet
und tragen in der Ei-findung einen zwar beschränkt sentimentalen, immerhin
jedoch originellen Charakter, — Eine Tochter von ihm, Emma F., die auf
dem Conservatorium zu Mailand ebenfalls zur Pianistin ausgebildet worden,
ist im December 1872 zum ersten Male mit grossem Beifall in die Oeffentlich-
keit getreten.
Fniuagallo, Catarina, eine vortreffliche italienische Sängerin aus der
Mitte des 18. Jahrhunderts, deren Laborde Erwähnung thut.
Fiinck, David, geschickter Virtuose auf verschiedenen Saiteninstrumenten
und gründlich gebildeter Componist, wird von Mattheson und Walther zu den
ausgezeichnetsten Tonkünstlern seiner Zeit gerechnet, der als Kirchencomponist
von Bedeutung, dabei ein geschmackvoller Dichter und Mann von umfassenden
wissenschaftlichen Kenntnissen war, aber an einem ungeregelten, ausschweifen-
den Leben elend zu Grrunde ging. "Geboren um 1630 zu Reichenbach, fungirte
er zuerst als Cantor daselbst, einige Jahre später, um 1660, als Secretär der
Fürstin von Ostfriesland, berühmt bereits als Virtuose auf der Violine, der
Bassviola, dem Clavichord und der Guitarre. Mit der Fürstin war er von
1682 an in Italien und kehrte, als dieselbe 1689 starb, nach Deutschland zu-
rück, wo er ein bewegtes Wanderleben führte, bis er, etwa sechzig Jahre alt,
die Stelle eines Organisten und Mädchenscliullehrers zu Wohnsiedel erhielt.
Unsittliche Attentate gegen seine Schülerinnen nöthigten ihn noch vor Jahres-
frist bereits zur Flucht. In Schleiz, wo er von Allem entblösst ankam, nahm
sich der regierende Graf, der ihn Ciavier spielen hörte, seiner an, und versah
ihn, als ihm die Steckbriefe auch dorthin folgten, mit Reisegeld. F. ging zu-
nächst in das Schwarzburg'sche, wurde aber schon wenige Wochen später auf
freiem Felde bei Arnstadt todt aufgefunden. — Von seinen Kirchencompositionen
besass ein von ihm auch selbst gedichtetes Drama passionale, das jedoch Ma-
nußcript blieb, damals grossen Ruf in Deutschland. Im Druck erschien über-
haupt nur von ihm eine Sammlung von Stücken für vier Bassviolen, betitelt:
gg Funok — Funzioni.
nStricturne violae di gamhieae ex Sonatis, Anis etc.v. (1660) und ein theoretisches
Werk ytGompendium musiccs«.
Fnnck, Friedrich, latinisirt Funccius, deutscher Tonkünstler, war 1664
Cantor an der Johannisschule zu Lüneburg und darf als ein in der Musik
sehr bewanderter Mann angesehen werden, wofür auch seine Beworbung um
die in Hamburg durch Thomas Seile's Tod erledigte Cantorstelle Zeugniss
ablegt. Von seinen Werken ist ein Elementarbuch: nJanua latino- germanica
ad artem mudcam« erhalten geblieben. f
Fntidamentalbuss oder Fundaincutalstimme (lat.: fundamentam, ital.: fonda-
mento), s. Grundbass, Generalbass. — Fundamentalis sonus (lat.), der
Grundton des Dreiklangs; auch der Basston der Zusammenklänge überhaupt.
Als Fundamental töne bezeichnet man auch mitunter die Touica, Quinte
und Quarte einer Tonart.
Fundamental- oder Fundamoutbrett nennt man bei der Orgel das obere,
aus mehreren Stücken zusammengesetzte Brett einer Windladc oder eines Po-
sitivs, das 1,30 bis 1,74 Centimeter dick ist, und so viel runde Löcher enthält,
als Pfeifen auf dasselbe gestellt werden sollen. Durch diese Löcher liat das
F. ein siebartiges Aussehen und wird deshalb auch Sieb oder Crihrum ge-
nannt. Letztere Benennung ist jetzt veraltet, war aber im 17. und 18. Jahr-
hundert, wo man glaubte, alle Begriffe nur scharf durch lateinische oder grie-
chische Wörter bezeichnen zu können, allgemein gebräuchlich. Dieser Annahme
entsprang auch die griechisch-lateinische Benennung des F. durch Polystomati-
cum, welche Kircher einführte. Die Haupteigenschaften des F. müssen sein,
dass es aus festem Holze gefertigt ist, damit es sich nicht so leicht wirft, und
dass es luftdicht die Lade schliesst. 2.
Fuudamentalis (lat.), s. Principal.
Fnnebrc (franz.; \a.t.: funebre, itsil.: ftmerale), d. i. zum Leichenbegängniss
gehörig, traurig, düster, ein Beiwort für Trauermusiken überhaupt, für ein-
schlägige Messen, Märsche u. s. w. insbesondere. Die Jfissa funebre oder
Todtenmesse wird übrigens nicht minder häufig Requiem (s. d.) genannt.
Funk, Gottfried Benedict, ein verdienter deutscher Schulmann und
einsichtsvoller Kenner der Musik, geboren 1734 zu Hartenstein in der säch-
sischen Grafschaft Schönburg, war der Sohn des dortigen Diaconus und em-
pfing seine wissenschaftliche Ausbildung auf dem Gymnasium zu Freiberg und
auf der Universität zu Leipzig. Im J. 1756 wurde er Lehrer und Erzieher
der Kinder des Hofpi'edigers J. A. Cramer in Kopenhagen, 1769 Lehrer an
der Domschule zu Magdeburg, 1772 Rector an dieser Schule und erhielt 1785
den Titel eines Consistoi'ialraths. Fast vergöttert von seinen Schülern, die
später seine Büste in der Domkirche zu IMagdeburg aufstellten und eine wohl-
thätige Stiftung unter seinem Namen an der Domschule begründeten, starb er
am 18. Juni 1814 zu Magdeburg. Ein vielseitig und gründlich gebildeter und
dabei aufgeklärter Theologe voller Berufstreue und Humanität, war er zugleich
auch ein guter Sänger, fertiger Clavierspieler und überhaupt ein erfahrener
Kenner der Tonkunst, wie auch drei Abhandlungen in seinen gesammelten
»Schriften« (2 Bde., Berlin, 1820 und 1821) bekunden, welche die Ueberschriften
führen : »Von der Musik als einem Thcile einer guten Erziehung«, »Von der
Musik überhaupt« und «lieber die Musik l>eim Gottesdienste«. — Sein Bruder,
Christian Benedict F., geboren am 3. Juli 1736 zu Hartenstein, war seit
1773 Magister und Professor der Naturlehre zu Leipzig und starb daselbst
am 10. April 1786. Er ist der Verfasser einer lateinisch geschriebenen physi-
kalischen Abhandlung: »7)c sono et tono«. (Leipzig, 1779), die später auch iu's
Deutsche übersetzt worden ist.
Fnnzioiii (ital.), die Funktionen oder kirchengesetzlich vorgeschriebenen
Amtsverrichtungen, Zu diesen gehören in musikalischer Hinsicht die Messen,
Hymnen, Psalmc, Sprüche und Oratorien, soweit sie dem Gottesdienste der
katholischen Kirche als wesentliche Bestandtheile zugeordnet sind.
Fuoco — Furlanetto. 87
Fnoco (ital.), s. Gon fuoco. Für letztere Yortragsbezeichnung findet sich
auch mitunter das Adjectivum fuocoso.
Furchheim, Johann Wilhelm, deutscher Componist des 17. Jahrhunderts,
war zuerst Organist iind Oberinstrumentist des Kurfürsten Johann Georg II.
und dann Vicekapellmeister von dessen Nachfolger Johann Greorg III. am Hofe
zu Dresden. Von seinen Compositionen sind nur noch zwei Instrumentalwerke
vorhanden, nämlich: »Auserlesenes Violin-Exercitium aus verschiedenen Sonaten,
Ai-ien, Balletten, Allemanden, Couranten, Sarabanden und Griguen von fünf
Parthien bestehend« (Dresden, 1687) und »Musikalische Tafelbedienung von
8 Instrumenten, als 2 Violinen, 5 Violen, 1 Violon nebst dem Generalbass«
(Dresden, 1674).
Furetiere, Antoine, ein französischer Benediktiner, der 1688 im 69.
Lebensjahre als Abt zu Chalivoy starb, gab einen y> Dietionnaire universell heraus,
der mehrere Auflagen erlebte und auch Manches über Musik enthält. f
Fnrioso (ital.), d.i. rasend, wild, wofür auch häufig con furia als gleich-
bedeutende Vortragsbestimmung vorgeschrieben ist, bezeichnet in der Musik
nicht sowohl eine Art der Bewegung, als vielmehr eine Art des Ausdrucks
und wird in solchen Fällen als Beiwort gebraucht, z. B. Ällegro furioso. Das
erforderliche Wilde in Ausdruck sowohl wie in Bewegung wird aber kunst-
mässig nicht durch eine jähe übermässige Geschwindigkeit befördert; ein rauher,
schroffer Accent im Vortrage entscheidet hier mehr als die rapideste Bewegung,
und dieser wird von Seiten des Tonsetzers durch verschiedene aufgewendete
Kunstmittel begünstigt. Dahin gehört die Anwendung übermässiger oder ver-
minderter Intervallenschritte, weitgespannter Sprünge und ebenso chromatischer
Fortschreitungen in der Melodie; ferner unerwartete, plötzliche, äusserste Klang-
verstärkungen, besonders accentloser Taktglieder, endlich auch Gebrauch vieler
scharfen Dissonanzen, fremder, harter Ausweichungen, anscheinend regelloser
Periodenbau u. s. w.
Fnrlauetto, Bonaventura, genannt Musin, kenntnissreicher und ge-
schickter italienischer Tonsetzer, dessen Name sich bei Burney, Gerber, Win-
terfeld u. s. w. vielfach corrumpirt in: Furnaletti, Furlante u. s. w. vor-
findet. Geboren am 27. Mai 1738 zu Venedig, genoss er seinen ersten Musik-
unterricht bei seinem Oheim, dem trefflichen Orgelspieler Nicola Fromenti,
studirte später Generalbass bei dem Priester Giacomo BoUa und beschäftigte
sich autodidaktisch mit Contrapunkt und Fuge. Wissenschaftlich daneben im
JesuitencoUegium ausgebildet, empfing er früh schon die Priesterweihen, be-
harrte aber bei der Musik und schrieb als Jüngling für die verschiedenen
Kirchen Venedig's Musiken, die seinen Namen bald allgemeiner bekannt mach-
ten. In der Praxis des strengen Satzes scheint ihm damals Galuppi zur Hand
gegangen zu sein. Bald vertraute man ihm die Stelle als Musikmeister der
Mädchenklassen am Conservatorio deUa pietä an, welcher Posten sonst nur von
älteren würdigen Lehrern bekleidet wurde. Seine Auflführiangen mit Orchester-
begleitung in einer ausschliesslichen Besetzung durch Damen wurden so be-
rühmt, dass man sich von nah und fern nach Zuhörerplätzen drängte. Bei
der Besetzung der Organistenstelle am Dome San Marco wurde ihm zwar
Bianchi vorgezogen, doch F. selbst 1794 durch die Ernennung zum provisori-
schen und am 23 Decbr. 1797 zum definitiven Vicekapellmeister an derselben
Kirche entschädigt. Endlich folgte er auch dem ersten Kapellmeister Bertoni
im Amte. Im J. 1811 als Lehrer des Contrapunkts am philharmonischen In-
stitute in Venedig angestellt, verfasste er für Schulzwecke ein Lehrbuch des
Contrapunkts und der Fuge, das sich jedoch nur in Abschriften unter seinen
Schülern verbreitete. F. starb am 6. April 1817 zu Venedig. Eine biogra-
phische AVürdigung widmete ihm Francesco CaflQ in einem Buche, betitelt:
t>Della vita e del comporre di Bonaventura Furlanetto detto Musin Venezianovi
(Venedig, 1820). — Von F. 's Werken, die sich, wie schon Burney bemerkt,
nicht eben durch eine originelle Erfindungskraft auszeichnen, wohl aber durch
88 Furtarus — Fuss.
Gelehrsamkeit, verbunden mit Klarheit und Natürlichkeit des Styls, können
angeführt werden die Oratorien riLa caduta delle mure di Gericoi-j nLa sposa
de' sacri canticia, nll Tohia«, »JZ voto di Jefte<i; ferner die dramatische Cantate
■nGalateaa, zwei Miserere, ein dreistimmiges Laudate ^;«eri mit einer für Drago-
netti geschriebenen obligaten Contrabassparthie ; endlich die religiöse Cantate
»/Z San Giovanni Nepomuceno«. und viele Psalme, Die AViener Hofbibliothek
besitzt von ihm ein Miserere für zwei Chöre mit Orchester, sehr pathetisch
gehaltene Composition, ein vierstimmiges Magnificat mit Instrumentalbegleitung,
ein eben solches sechsstimmiges Kyrie und mehreres Andere.
Furtarus, Gregorius, ein aus Bayern gebürtiger Tonkünstler und wahr-
scheinlich im 16. Jahrhundert wii'kend, Hess nach Walther eine y^Missa ad
modidum Exoptata etc.a des Scandelli drucken. f
Fnsa, (lat.), der alte Name der Achtelnote, s. Notenschrift.
Fus6e (franz.), eigentlich die Rakete, sodann der Sprunglauf, d. i. ein
schneller Lauf in stufenweise auf- und abwärts steigenden gleichen Noten.
Fusella oder Fusellala (lat.), der alte Name der Zweiunddreissigtheil- und
Vierundsechzigtheil-Note,
Fuss, ein Längenmaass, das bisher fast in jedem Staate Deutschlands eine
andere Grösse hatte, war ursprünglich in seiner Feststellung in Sachsen das
Normalmaass in der Orgelbaukunst. Dieser F. wurde besonders bei Fertigung
der Schallröhren von Wichtigkeit, indem diese stets nach einem festen Maasse
gebaut und bezeichnet werden mussten. Da aber in Bezug auf die Länge der
Scliallröhre, weil je nach der Weite derselben sich ihre Länge um Weniges
verändert, die Verschiedenheit der F. nicht von sehr bemerkbarer Wirkung
war, so machte es sich sehr bald, dass man überall nur der landesüblichen F
gedachte, wenn man über die Länge der Schallröhre sprach, indem man danach
deren Weite gestaltete. Durch diese aus der Praxis hervorgegangene nominelle
Gleichheit, so wie dadurch, dass eine offene Labialpfeife von 32' stets den Ton
Cj , eine von 16' das grosse G, eine von 8' das kleine c u. s, w. erzeugte, jede
höhere Oktave also durch eine halb so grosse Pfeife als die nächst tiefere ge-
bildet wurde, kam es, dass man Register, welche mit einem dieser Klänge be-
gannen, nach der Grösse der ersten Pfeife benannte, und demgemäss von einer
32-, 16-, 8- u. 8. w. füssigen Orgelstimme sprach. Aus dieser Erfahrung ent-
sprang ferner der Gebrauch, dass man jede Octave des Tonreichs nach der
Röhrenlänge benannte, welche eine offene Labialpfeife vom Kern bis zur Mün-
dung erhalten musste, die das tiefe c derselben angab. Man nannte hiernach
die Töne von (7^ bis G die 32-, die von G bis e die 8-, die von c bis c^ die
4-, die von c^ bis c~ die 2-füssige Octave u. s. w., und sagt ferner von irgend
einem Klange, um zu bezeichnen, in welcher Octave derselbe vorkommt, er habe
einen 16-, 8-, 4- u. s. w. Fuss ton. Letzte Bezeichnung hat besonders in der
Fachsprache der Orgelbauer eine praktische Wichtigkeit, da alle Orgelregister
ausser denen mit Labialpfeifen, gedeckte wie Rohrstimmen, nach dem Tone,
welchen sie angeben , benannt werden ; die Röhrenlängcn derselben weichen
nämlich stets sehr von den der offenen Labialpfcifen ab, wie aus den Artikeln
Gedeckt (s. d.) und Rohrwerke (s, d.) zu ersehen ist. Nachdem allgemein
im Deutschen Reiche seit 1872 das französische Längenmaass eingeführt ist,
gemäss welchem der INIeter (s. d.) als Giundgrösse angenommen wird, so ist
von Anfang an in diesem Werke jede auf F. sich beziehende Bezeichnung unter-
lassen. Statt der Ausdrücke 32-, 16-, 8-füssig ist h-, 2,5-, 1,25-metrig und
überall für Fusston die Bezeichnung Meterton adoptirt. — Zweitens führen
einige Theilo von Tonwerkzeugen den Namen F. Die Orgelbauer gebrauchen
diesen Ausdruck für einen Theil einer metallenen Pfeife aus der Klasse des
Flötenwerks. Den kegelförmigen Untertheil einer solchen Pfeife nämlich, welcher
stets aus stärkerem Metall als die Pfeife selbst gefertigt werden muss, den das
unten etwas gerundete Mundloch (s. d.) erhält, damit er luftdicht in das
kesselförmige Loch des Pfeifenstocks sich einfügt und der oben mit der Schall-
Pussclavier ~ Fusston, 89
röhre verlöthet ist, nennt der Orgelbauer: den Fuss der Pfeife. Auch der
untere Theil der Flöte (s. d.), auf welchem die Dis- und ^s-Klappe befind-
lich, führt bei Instrumentbauern wie Musikern diese Benennung. — Drittens
trägt diese Bezeichnung in der Poesie ein kleines aus mehreren 8ylben be-
stehendes Versglied. Ein solcher Verstheil kann in der Musik zu einer be-
stimmten rhythmischen Schöpfung Veranlassung geben, ja er schafft sogar nach
neuester Anschauung in Bezug auf die Cäsur (s. d.) der Töne, die, besonders
in der dramatischen Kunst mit "Worten eng verbunden vorkommen, gewisse
melodische Gestaltungen. Die Anforderungen dieser F. in Bezug auf Ordnung
der mit ihnen eng verbundenen Klänge ist jedoch so umfassender Natur, dass
nur das Wesentlichste in den Artikeln Metrik und Takt angedeutet werden
kann. C. B.
Fussclavier, s. Pedal.
Fuss, Johann, ein begabter tüchtiger Componist, geboren 1777 zu Telna
in Ungarn, zeigte schon frühzeitig musikalische Talente und wurde zunächst
in Baja zum Sängerknaben herangebildet. Da er Schullehrer werden sollte,
so gingen im Laufe der Jahre immer mehr die musikalischen Studien neben
den wissenschaftlichen her. Seine erste Stelle war die eines Hofmeisters der
Kinder auf einem Oute im Stuhlweissenburger Comitate, und da er dort im
Hause auch ein kleines Theater vorfand, so befleissigte er sich, kleine drama-
tische Compositionen zu schaffen, ebenso wie er die Leitung des Dorfgottes-
dienstes übernahm. Die musikalische Uebung, die ihm in dieser Stellung ge-
stattet war, befähigte ihn, das Amt eines Musikmeisters in Pressburg zu über-
nehmen und sich mit Aufführung eines Duodramas »Pyramus und Thysbe« bis
in das städtische Theater wagen zu dürfen. Der glückliche Erfolg übertraf
seine kühnsten Hoffnungen und feuerte ihn an, nach Wien zu gehen und bei
Albrechtsberger eine strenge theoretische Schule durchzumachen. Nach und
nach trat er nun mit Oesang-, Ciavier- und anderen Instrumentalstücken, die
selbst Haydn's Interesse erregten und denselben zu gutgemeinten praktischen
Winken veranlassten, erfolgbelohnt hervor. Als Kapellmeister an das Theater
nach Pressburg zurückberufen, zeigte er auch als Dirigent Geschicklichkeit und
hob die dortigen Opernverhältnisse wesentlich. Endlich wählte er Wien zum
bleibenden Wohnsitz und wirkte dort ohne feste Anstellung als geschätzter
Musiklehrer, sowie als dramatischer und Kirch encomponist; auch soll er Cor-
respondenzartikel in die Leipziger allgem. musikal. Zeitung geliefert haben.
Schon lange kränkelnd und von nicht gerade festem Körper, musste er seines
Nerven- und Hämorrhoidalleidens wegen die Bäder in Ofen aufsuchen, wo er
scheinbar Besserung und Aussicht auf Genesung fand. In Wien aber raffte
ihn am 19. März 1819 ein bösartiges Nervenfieber hinweg. — Im Druck sind
von seinen Compositionen, die wirksam und correkt sind, erschienen: Quartette
und Trios für Blaseinstrumente, Duos für Ciavier und Violine, Pianoforte-
sonaten zu zwei und vier Händen, Rondos, Variationen und Tänze für Ciavier,
Gesänge, Lieder und eine Pantomime. Ausserdem sind von ihm eine Messe
und Kirchenstücke verschiedener Art, eine Ouvertüre zu Schiller's »Braut von
Messina«, die Parodie »Pandora's Büchse, die Duodramen »Watwort«, »Isaak«,
»Judith«, »Jacob und Rahel«, ferner die Operette »der Käfig«, Melodramen mit
Chören und Gesängen und Gelegenheitscantaten bekannt geworden.
Fassloch nennt man in der Mechanik der Orgel die Oeffnung eines Pfeifen-
fusses oder Schallbechers, mit der sie im Pfeifenkessel stehen, und durch welche
der Wind in den Pfeifenfuss oder Schallbecher geht.
Fuss, Nicolaus, schweizerischer Gelehrter, geboren am 30. Januar 1755
zu Basel und zuletzt Adjunkt der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
zu St. Petersburg, gab eine »Lobrede auf Euler« (Basel, 1786) heraus, die als
Anhang ein Verzeichniss sämmtlicher Schriften desselben enthält. t
Fusstou, s. Fuss.
90 Futterholen — F\ix.
Futterholen, zum, oder zum Fouragireu, ein Reitersignal, welches in
der preussischen Armee durch die Trompete folgendermaassen geben wird:
2.
Fnx, Ernst, Organist und Musiklehrer zu Wien, lebte daselbst gegen
Ende des 18. Jahrhunderts und hat sicli nach Traeg's Katalog (Wien, 1799)
als Componist von drei Sonaten für Violine und Bass und einem Solo für die
Violine bekannt gemacht, welche Stücke jedoch nur im Manuscript vorhanden
waren. — Andere Träger dieses Namens sind noch: .lohann F., ein Violinist,
der 1788 als Mitglied der fürstl. Esterhazy'schen Kapelle, welcher Haydn als
Kapellmeister vorstand, aufgeführt wird. — Mattliäus F., einer der ge-
schicktesten und berühmtesten Meister des Instrumentenbaues in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, war um jene Zeit, wie Baron in seinen »Unter-
suchungen von der Laute« Seite 96 mittheilt, Hof-Lautenmacher zu Wien.
Fnx, Johann Joseph, berühmter und ausgezeichneter Theoretiker und
Componist für Kirche, Kammer und Theater, wurde, wie Anton Schmid er-
mittelt hat, im J. 1660 und zwar, gemäss den gründlichen Untersuchungen L. von
Köchel's, zu Hirtenfeld bei Marein in Steiermark geboren. Dass er von niedrig-
ster Herkunft gewesen, unterliegt keinem Zweifel, aber über seine Jugend und
Lehrjahre breitet sich ein dichter Schleier aus, den alle Forschungen und An-
strengungen nicht zu lüften vermochten. F. begegnet uns zuerst wieder 1696,
also 36 Jahre später, zu Wien als ein bereits fertiger Mann und Künstler, in
der Stellung eines Organisten an der Schottenkirche, dessen Ruf als Musiker
bereits so hoch gestiegen ist, dass zwei Jahre später (1698) Kaiser Leopold 1.
ihn mit einem monatlichen Gehalte von 40 Thalern zu seinem Hofcompositeur
ernannte, welche Besoldung schon 1701 auf 60 Thaler erhöht wurde. Ueber
den vorangegangenen muthmaasslichen Bildungsgang F.'s stellt L. von Köchel
einige sehr annehmbare Vermuthungen aul', welche darauf hinauslaufen, dass
derselbe von seiner Heimath direkt nach Wien gegangen und sich dort allmälig
emporgearbeitet und die nöthige Protection verschafft habe. Dlabacz's Mit-
theilungen, F. habe seine musikalische Erziehung in Böhmen erhalten und
später seine Kenntnisse auf Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien
vermehrt, werden durch Köchel gründlich widerlegt. Das Amt als Hofcompositeur
bildete die erste Stufe zu einer weiteren Beförderung des Meisters; seine Fähig-
keit und sein Diensteifer hatten ihn in den höchsten Kreisen so beliebt ge-
macht, dass er 1704 zum Domkapellmeister bei St. Stephan und 1713 zum
Vice-Hofkapellmeister des Kaisers Joseph I. als Nachfolger Antonio Ziani's
ernannt wurde. Ausserdem leitete er noch die Kapelle der Kaiserin Amelie,
Gremalin und bald darauf Wittwe Joseph's I. Als 1715 der Hofkapellmeister
Ziani starb, und der schon alternde, mit chronischen Leiden behaftete F. sich
um die Stellung desselben bewarb, wurde ihm diese auch sofort übertragen.
Denn der prachtliebende Kaiser Karl VI. war zu sehr musikalisch gebildet,
als dass er den Werth des fleissigen und hochverdienten Meisters nicht hätte
ebenso schätzen sollen, wie es seine beiden Vorgänger gethan. Damit hatte F.
das höchste und ehrenvollste Amt erreicht, welches damals einem Toukünstler
offen stand. Der Kaiser fuhr fort, ihn mit Q-unstbezeugungen zu überhäufen,
wovon ein eclatanter Beweis ist, dass, als er bei seiner Königskrönung zu Prag
1723 die von F. componirte Festoper »ia eostanza e la fortezza». mit aller er-
denklichen Pracht zur Erhöhung des Festes aufführen liess, auf seinen Befehl
der am Podagra darnieder liegende Componist in einer Sänfte von AVien nach
Prag getragen \vurde und in der Nähe des Kaisers einen Sitz einnehmen musste,
um der Aufführung seines Werks bequem beiwohnen zu können. Quantz,
welcher mit dem Lautenspieler Weiss und dem späteren Kapellmeister Graun
damals in dem Riesenorchester mitwirkte, schrieb: ')Die Composition war mehr
Fiix. 91
kirchenmässig als theatralisch, aber sehr prächtig. Das Concertiren und Binden
der Violinen gegen einander, welches in den Ritornellen vorkam, ob es gleich
grösstentheils aus Sätzen bestand, die auf dem Papier steif und trocken genug
avxssehen mochten, that dennoch hier im Grossen bei so zahlreicher Besetzung
und in freier Luft eine sehr gute, ja viel bessere Wirkung, als ein galanterer,
mit vielen kleinen Figuren und geschwinden Noten gezierter Gesang in diesem
Falle gethan haben würde.« Ausserdem wurden übrigens noch bei dieser Ge-
legenheit das grosse Te deum am Krönungstage, sowie einige andere Compo-
sitionen von F. aufgeführt. Die Musik bildete überhaupt die Quintessenz aller
der vielen Festlichkeiten, in denen sich damals die Prachtliebe der deutscheu
Kaiser gefiel. Sie war nicht etwa der Gegenstand einer blos flüchtigen Lieb-
haberei oder gar eine Modesache, sondern in Wahrheit ein Lebensbedürfniss;
eine Opernvorstellung galt damals als eine Kunstaufgabe, zu deren würdiger
Lösung man keine Kosten scheuen zu dürfen glaubte. F.'s Zauberoper »Alcina«,
am 21. Febr. 1716 ebenfalls im Freien und zwar in dem weitläufigen Park
des Lustschlosses Favorita bei Wien aufgeführt, bot unter Anderem auch das
Schauspiel eines Seetreffens, welches zwei Flotten von vergoldeten Schiffen dar-
stellten. Die Stellung eines Hofkapellmeisters selbst hatte, namentlich für einen
Deutschen, ihre grossen Klippen bei dem Ansehen, in welchem die italienischen
Künstler an allen Höfen standen. F., ein gediegener deutscher Charakter, der
sich mit eigener Kraft zu der höchsten musikalischen Stellung emporgearbeitet
hatte, wusste diese Stellung trotz mannichfacher körperlicher Leiden, die ihn
in der letzten Zeit meist an sein Bett fesselten und inmitten einer bevorzugten
intriguesüchtigeu italienischen Künstlerschaft 25 Jahre hindurch energisch zu
behaupten, ohne jemals zu unwürdiger Reclame oder noch unwürdigerer Gegen-
inti'igue seine Zuflucht zu nehmen, und mit Eifer, Charakterfestigkeit und Klug-
heit stand er seinen vielfältigen Pflichten in der Kirche, der Hofkapelle bis
hinunter, widerspenstigen Hofscholaren gegenüber, vor. F.'s Ruhm strahlte
denn auch weit hinaus über die Grenzen des Reichs, und seine zahlreichen
Compositionen in allen Fächern der Tonkunst brachten den deutschen Genius
zu Ehren gegenüber den berühmten, überall den Ton angebenden wälschen
Zeitgenossen. Freilich sind dieselben längst verhallt und von Besserem über-
boten, aber ein theoretisches Werk, ein Lehrbuch des Contrapunkts, der y>Gra-
dus ad Farnassumv. (Wien, 1725) liat vollkommen hingereicht, seinen Namen
glanzvoll bis in die Gegenwart hinüberzutragen und ihn bei allen Denen in
Achtung zu erhalten, welche der Musik ein tieferes und ernstes Studium wid-
men. Die Geldmittel zur Herausgabe dieses in ziemlich gutem Latein ge-
schriebenen Lehrbuchs gab Kaiser Karl VT. selbst her, und es wurde 1742
in's Deutsche durch Mitzier, 1761 in's Italienische durch Manfredi, 1773 in's
Französische durch Denis und 1797 in's Englische durch Preston übersetzt;
der vollständige lateinische Originaltitel lautet: -nGradus ad Parnassum, sive
manuductio ad compositionem musicae regulärem, methoda nova ac certa, non dum
ante tarn exacto ordine in lucevi edita, elahorata a Joanne JosepJio Fux.<s. Als
F.'s letztes grösseres Werk wird die Oper -nEnea negli Elisi«, 1731 in Wien
componirt, genannt. Er selbst starb nach vieljährigen schmerzhaften Leiden
am 14. Febr. 1741 zu Wien kinderlos und wurde am Friedhofe der Metro-
politankirche von St. Stephan neben seiner vorangegangenen Gattin beigesetzt.
— In seinen Compositionen war F. zunächst und vor Allem Meister des Satzes
im Sinne jener Zeit, welche in der correkten Ausführung künstlicher contra-
punktischer und fugirter Stimmenverflechtung das höchste Ideal der Musik er-
blickte. Seine Opernrausik, so viel davon überhaupt noch einigermassen bekannt
ist (in der Dresdener Bibliothek befinden sich u. A. die Manusciüpte von »Elisa«
und »Pulcheria«), erhebt sich nicht über das Niveau des damals beliebten ita-
lienischen Geschmacks; höher steht seine Kirchenmusik, welclier F. mit ent-
schiedener Vorliebe und unermüdlicher Fruchtbarkeit oblag. Die k. k. Hof-
bibliothek in Wien, der reichste Fundort für die AVerke dieses Meisters über-
92 Fux'ache Wechselnoten — G.
haupt, bewahrt in dieser Gattung und zwar meist in Originalhandschriften u.
A. auf: Messen mit Instrumentalbegleitung, ein Oratorium y>La cena del Signorei.
(1720), Mysterien verschiedenen Charakters, Offertorien, Motetten und Psalme,
in ihrer Art zum grossen Theil höchst ausgezeichnete, ja geistreiche "Werke
von ausnehmender Feinheit, so besonders die Missa constantiae. Bezeichnend
genug für sein Ideal von geistlicher Musik ist es übrigens, dass F. selbst für
sein Meisterwerk in diesem Fache die von Anfang bis zum Ende im Kanon
geschriebene, Karl YI. gewidmete berühmte Missa canonica erklärt. Man
könnte dieses »Kunststück« füglich den lebendig gewordenen Gradus ad Par-
nassttm nennen. Yon den Arbeiten reiner Instrumentalmusik F.'s ist der i>Oon-
centus musico-instrumentalis in Septem jyartitas divisusa (Nürnberg, 1701) am
bekanntesten. Hätte F. neben seiner Grelehrsamkeit und contrapunktischen
Tausendkünstlerschaft die Genialität besessen, mit welcher seine jüngeren Zeit-
genossen Händel und Bach jene starren Formen beseelten und durchgeistigten,
wäre er, gleich diesen, bei dem allen auch ein grosser musikalischer Erfinder
und Poet gewesen, so würden seine Compositionen unmöglich so schnell und
so vollständig in totale Vergessenheit gerathen sein. Das Beste, was F. ge-
schaffen, kann die Wahrheit des Satzes nicht umstossen, dass erst mit Bach
und Händel unsere lebendige und lebensfähige Musik beginnt, und dass durch
diese beiden Meister alle vorhergehenden deutschen Tonsetzer für alle Folgezeit
auf ein ausschliessliches historisches Interesse herabgedrückt worden sind. In
neuester Zeit hat es Ludwig Ritter von Köchel mit eminentem Forscherfleiss
und einer unermüdlichen Arbeitskraft unternommen, aus den mit Gewissen-
haftigkeit, Genauigkeit und Gründlichkeit durchstöberten Documenten öster-
reichischer Archive eine Biographie F.'s (Wien, 1871) herzustellen. Dieselbe
enthält im Anhange neben einem vollständigen Register aller von 1631 bis
1740 am kaiserl. Hofe zu Wien zur Aufführung gekommenen Opern, Oratorien,
Serenaden, Fest- und Schäferspielen auch noch ein überaus werthvolles thema-
tisches Verzeichniss sämmtlicher F.'scher Compositionen (mehr als 400 an
der Zahl).
Fux'sche Wechseluoten sind vier Dissonanzen oder Wechselnoten, von denen
man im formalistischen strengen Satze nur stufenweise auf- oder abgehen durfte,
von welchen aber der Kapellmeister Joh. Jos. Fux in der dritten Gattung des
Contrapunkts das Wegspringeu gestattete und einführte. Seitdem wurden diese
vier Noten nach ihm die F. W, genannt.
Fz. , Abkürzung oder Abbreviatur für die dynamische Vorschrift F o r -
zando (s. d.).
G.
G. (ital. und franz. : sol). Diesen Buchstaben setzt man in der Jetztzeit
eben so als Tonzeichen, wie die Benennung desselben als alphabetischen Klang-
namen für die fünfte diatonische oder die derselben gleicherklingende achte
chromatische Ton stufe aufwärts von c ab. Siehe C. Auch ehedem, sicher von des
Boetius Zeit (470 bis 526 n. Chr.) an, wahrscheinlich jedoch schon viel früher,
gebrauchte man für denselben Klang, der jedoch als siebente Stufe der Grund-
leiter gedacht wurde, das gleiche Zeichen und denselben Namen, welcher Ge-
brauch der griechischen Tonbezeichnung und deren TTrwurzel entwachsen ist.
Siehe Alphabet. Um die verschiedenen, G zu nennenden Klänge zu kenn-
Ga — öabelgrifF. 93
zeichnen, bedient man sich, wie in dem Artikel Alphabet für alle alphabeti-
schen Tonbezeichnungen erläutert ist, kleiner, die Octave andeutenden Zusätze.
Man findet dem entsprechend folgende Tonbezeichnungen und Benennungen
für die verschiedenen G.'a in Gebrauch. Der tiefste G genannte Klang wird
durch
6^2 oder G bezeichnet und das Subcontra-G^ genannt; das nächsthöhere wird
G^ oder G bezeichnet und Contra-G' geheissen; die anderen:
G, das grosse G;
g, das kleine g;
g^ oder g, das eingestrichene g;
g^ oder g, das zweigestrichene g ;
g^ oder g, das dreigestrichene g u. s. w.
Was die jetzt festgestellte Tonhöhe der verschiedenen Klänge dieses Namens
anbetrifft, so kann man dieselbe nicht schärfer bezeichnen, als wenn man die
Zahl der Schwingungen des g^ angiebt, die 393,75 in einer Sekunde betragen,
und es den Wissbegierigen selbst überlässt, sich nach den Regeln der Akustik
(s. d.) die Schwingungszahleu aller Octaven davon zu suchen. Noch sei be-
merkt, dass in der syllabischen aretinischen Benennung sol für den alphabetisch
g genannten Klang gebraucht wurde und die verschiedenen so zu nennenden
Klänge der Menschenstimme später durch die Benennungen g — sol — re — ut und
g — ut unterschieden wurden, worüber die besonderen Artikel das Nähere bieten;
und dass später Versuche stattfanden, die Sylben lo (s. d.), ge (s. d.) und tu
(s. d.) beim Singen der g zu nennenden Töne zu gebrauchen. Diese Versuche
erfreuten sich jedoch keiner allgemeineren Anerkennung. — Schliesslich sei
noch erwähnt, dass man g auch noch als Abkürzung der französischen Worte
main gauche, d. i. linke Hand, in Anwendung findet. Im TJebrigen sehe man
in dieser Beziehung auch noch den Artikel G'-Schlüssel. C. B.
Ga ist in der von Waelrant (1517 — 1595) aufgestellten Bocedisation
(s. d.) oder Bohisation (s. d.) der Name für den alphabetisch f zu nennenden
Klang. 0.
Ga ist in der indischen Musik die syllabische Benennung eines diatonischen
Klanges der Scala, nämlich des dritten, der unserm eis fast gleich klingt; der-
selbe führt den Namen Gandhdra (s. d.) und wird durch folgendes Zeichen
notirt: H 0.
Gaa, Gr. M., oder Gah, ein um die Wende des 18. u. 19. Jahrhunderts
zu Heidelberg ansässiger tüchtiger Violin- und Ciavierspieler, von dessen Com-
position »Sechs ausgesuchte Lieder« ^Mannheim, 1798) im Druck erschienen sind.
Gabbiani, Massimiliano, italienischer Mönch und Organist zu Gassino
im Piemontesischen, veröffentlichte 1630 von seiner Composition: -aVespri e
versetti per comodo del coro a 4 vocia.
Gabel ist in der Orgelbaukunst der Name für gabelförmig gestaltete Hölzer,
die zur Koppelung zweier Manuale Anwendung finden. Stets wendet man diesen
Namen für die gabeKörmig gestalteten Hölzchen bei der Gabel- oder Zug-
koppel (s. d.) an, doch findet man zuweilen ihn auch für die gespaltenen
Klötzchen der Frosch- oder Druckkoppel (s. d.) in Gebrauch. Diese
letzteren, auch wohl G. genannten Klötzchen bezeichnet man besser durch die
Benennung Fröschchen, s. Frosch. Die ersterwähnten, G. genannten Koppel-
theile sind Holzleisten, die oberhalb der zu spielenden Tastatur befindlich sind
und deren dem Organisten zugewandtes Ende einen 3,2 Ceutimeter langen
Schlitz haben. Die Einfügung, Befestigung, Bewegungsart und Vei'werthung
dieser G. lehrt der Artikel Gabelkoppel.
Gabelgriff, ein Kunstgriff der Ciavierspieler und Holzblase-Instrumenta-
listen, um die Behandlung dieser Instrumente in gewissen Fällen bequemer zu
94 Gabelkoppel — Gabler.
machen, nennen die Pianisten das Greifen einer Terz oder Quarte mit dem
dritten und vierten, oder mit dem vierten und fünften Finger, wodurch das
Ueberschlagen der Finger erspart wird; die Bläser sprechen dagegen vom G.,
wenn sie einen auf ihrem Instrumente nicht vorhandenen Ton durch Deckung
und gleichzeitige Oeffnung anderer Tonlöcher künstlich hervorbringen.
Öabelkoppel nennt man eine überall fast gleichcoustruirte Art der Koppel
(s. d.). Auf jedem der Clavesverlängerungen des oberen der zu koppelnden
Manuale liegt hinter den Abstrakten eine leistenförmige Gabel (s. d.) mit ihren
Zinken dem Orgelspieler zugewandt. Sämmtliche Gabeln nennt man in der
Fachsprache ein blindes oder Koppelclavier. Hinterwärts sind alle Gabeln an
einer Welle (s. d.) so befestigt, dass sie insgesammt vor-, auf- und niederbe-
wegt werden können. Mittelst eines Registers (s. d.) oder einer Verschiebung
eines Manuals kann das Koppelclavier vorwärts geschoben werden. Auf den
Claves des Oberclaviers, dicht hinter dem Vorsatzbrette befinden sich belederte,
sanft sich erhebende Klötzchen, auf die die Gabeln hinaufgleiten, wenn der
Rahmen (s. d.) mit dem Koppelclavier vorwärts bewegt wird. Die Tasten
des Unterclaviers haben fest eingeschrobene Väterchen, Drähte, die mit den
Abstrakten verbunden oben ein Mütterchen von Letler führen. Nach der Kop-
pelung nun befinden sich die Gabeln zwischen den Väterchen und Mütterchen,
und zwar so, dass sie, die Väterchen umfassend den Raum zwischen der blinden
Taste und dem Mütterchen ausfüllen. Spielt man nun auf dem Unterclaviere,
so ziehen die Abstrakten desselben die Mütterchen auf die Gabeln , diese
drücken die Klötzchen und mit denselben die Claves des Oberclaviers nieder.
0.
Oabellone, Gasparo, neapolitanischer Tonsetzer, um 1730 in Neapel ge-
boren und daselbst auch musikalisch gebildet, war ein tüchtiger Kirchencom-
ponist und einer der besten Gesanglehrer Italiens. Die Musikschule San Pietro
in Majella zu Neapel besitzt eine Messe, eine Passion, Fugen u. dergl. von ihm
im Manuscript.
Gabeltou, der Stimmton (gegenwärtig «^), welcher als feste Norm zur Re-
gulirung der Tonhöhen in der Vocal- und Instrumentalmusik angenommen ist.
Die Benennung stammt von einem Tonwerkzeuge, der Stimmgabel, dessen man
in neuerer Zeit zur Fixirung eines Stimmtones sich bedient. S. Chorton,
Kammerton, Stimmgabel.
Gabler, einer der vorzüglichsten deutschen Orgelbauer des 18. Jahrhunderts,
lebte zu Ravensburg und starb um 1784. Von ihm gebaut sind u. A. die
Orgeln in der Abtei Weingai'ten in Württemberg und in der Kirche zu Ochsen-
hausen, von denen die erstere eines der schönsten und grössten Oi'gelwei'ke in
ganz Deutschland ist, indem es vier Manuale und 76 klingende Stimmen
aufweist.
Gabler, Christoph August, tüchtiger deutscher Ciavier Spieler und frucht-
barer Componist, geboren um 1770 zu Mühldorf im Voigtlande, war der Sohn
eines Prediges und von seinem Vater gleichfalls für das Studium der Theologie
bestimmt. Nach in Leipzig vollendeten Studien kam G. 1794 als Secretär
zum Grafen von Kospoth. Nach einiger Zeit kehrte er jedoch nach Leipzig
zurück, um dort von Neuem und zwar die Rechte zu studiren, während welcher
Zeit er zugleich eifrig Musik trieb. Im J. 1800 war er als Musiklehrer in
Reval ansässig, wo er sich auch häufig als Clavierspieler mit grossem Beifall
öfiFentlich hören Hess. In gleicher Stellung wirkte er seit 1836 in St. Peters-
burg und starb daselbst am 15. April 1839. An Corapositionen kennt man
von ihm ein Oratorium »der Pilger am Jordan«, ein- und mehrstimmige Ge-
sänge und Lieder, vier- und zweihändige Ciaviersonaten, ferner Variationen und
Rondos für Ciavier, sowie für Violine, Sonaten und Fantasien für Harfe, Va-
riationen für zwei Waldhörner u. s. w. — Seine Tochter und Schülerin, Jea-
nette G., wirkte seit 1820 gleichfalls in Reval als anerkannte Pianistin und
Clavierlehrerin und hat auch Mehreres componirt.
Gabler — Gabrieli. 95
Gabler, Matthias, vorzüglicher Orgel- und Clavierspieler und gründlich
gehildeter Musiker überhaupt, geboren am 22. Febr. 1736 zu Spalth, war um
1769 als Jesuit Doctor der Theologie und Philosophie und ordentlicher Lehrer
der Weltweisheit zu Ingolstadt, dann kurbairischer wirklicher ßath und end-
lich seit 1788 Pfarrer zu Membdingen in Baiern, woselbst er am 30. März
1805 starb. Yon seinen musikalischen Arbeiten sind nur noch bekannt: »Ab-
handlungen von dem Instrumentaltone« (Ingolstadt, 1776).
Gaborgr, französischer Physiker zu Paris, gab ein Buch: y>Manuel utile et
curieiix sur la mesure du temsa (Paris, 1771) heraus, in dem er zum Messen
der Zeit den Gebrauch eines Pendels empfiehlt. f
Gabram, vorzüglicher Instrumentbauer, erlernte seine Kunst bei Kirsch-
nigk (s. d.) zu Petersburg und etablirte sich ebendaselbst in den letzten Jahren
des 18. Jahrhunderts. Besonders wurden die Fortepianos desselben gerühmt.
Vgl. Koch's Journal der Tonkunst Seite 195. f
Gabriele, Domenico, italienischer Tonkünstler, wird von Baini in seinem
Werke über Palestrina als Kapellmeister an der Kirche San.Petronio in Bo-
logna aufgeführt, als welcher er von 1487 bis 1512 gewirkt hat. Alle sonsti-
gen Nachrichten über ihn fehlen. Nicht zu verwechseln mit ihm ist der Violon-
cellovirtuose und Operncomponist des 17. Jahrhunderts Domenico G-abrieli
aus Bologna, der gleichfalls als Kircheukapellmeister an San Petronio ange-
stellt gewesen ist.
Gabrieli, Andrea, auch nach einem Theile seiner Geburtsstadt Venedig
Andrea del Canareggio (oder Canareio) genannt, war einer der grössten
italienischen Contrapunktisten, der würdige Erbe aller Weisheit der nieder-
ländischen Schule und der Hauptträger des Ruhms der venetianischen Musik-
schule. Geboren etwa 1512 zu Venedig, war er der Sprössling der altadlichen
Familie der Gabrieli (früher Cavobelli genannt). Seine musikalische Ausbildung
erhielt er ganz oder zum grössten Theile von dem berühmten Kapellmeister
der St. Marcuskirche, Adrian Willaert, und er trat 1536 als Sänger in die
Kapelle des Dogen ein. Sein Hauptruhm datirt von 1566 an, in welchem
Jahre er als Nachfolger Claudio Merulo's, zweiter Organist an San Marco ge-
worden war. Als erster Organist dieser Kirche und als hochgefeierter Ton-
lehrer starb er im J. 1586. Sein Name wurde nicht blos in Italien, sondern
auch in Deutschland den glänzendsten beigezählt, was bei dem lebhaften Ver-
kehre Venedigs mit den grossen deutschen Handelsstädten, namentlich Augs-
burg und Nürnberg, nicht Wunder nehmen kann. Einen der wärmsten Gönner
und Verehrer fand er in Folge dessen an dem reichen Grafen Fugger zu Augs-
burg, und zahlreiche deutsche Tonkünstler wanderten nach Venedig, um sich
bei ihm in der Musik vollends auszubilden, so besonders Hans Leo Hassler
aus Nürnberg, der 1584 noch G.'s Unterricht genoss und zugleich ein inniges
Freundschaftsbündniss mit dessen Neffen und Schüler, Johannes (Giovanni) G.,
schloss. Verschiedene Staats- und Siegesfestlichkeiten der Republik boten G.
Gelegenheit, in kirchlichen und weltlichen Compositionen die Grösse seines
schöpferischen Genius hervortreten zu lassen, und stets erhob gerade er sich
vor allen Mitbewerbern auf den Glanzpunkt der Ehre, so bei der Anwesenheit
des Königs Heinrich III. von Frankreich in Venedig im J. 1574, zu dessen
feierlichem Empfang G. mit Composition einer glänzenden Festmusik betraut
war. Zu diesem Zwecke schrieb er zwei Stücke, beide für zwei Chöre, eines
zu 12 und das andere zu 8 Stimmen, beide in der Sammlung y>Gemme musicalia
(Venedig, 1587) mit abgedruckt. Was die Würdigung G.'s nach seinen Wer-
ken überhaupt betrifit, so ist zunächst der Standpunkt und die Epoche, in
welcher er wirkte, nicht aus dem Auge zu lassen. Venedig besass damals be-
reits eine Musikschule, welche vor der römischen den Vorzug des Alters hatte
und Männer in ihrer Mitte zählte, welche zu den hervorragendsten Tonkünst-
lern ihrer Zeit gehörten. G. selbst war einer der jüngeren aus ihnen; nach
einem Adrian Willaert, neben einem Cyprian de Rore, Zarlino, Costanzo Porta
96 Gabrieli.
der Bewunderung Venedigs würdig zu werden, war die schwierigste Aufgabe
für einen Tonsetzer, und er löste sie mit überraschendem, mit dem glänzend-
sten Erfolge. Mehr als seine Vorgänger besass er die Kunst, in den compli-
cirtesten Tonmassen klar und wahrhaft schöpferisch zu bilden; vielstimmige,
mannigfach gegliederte Chöre wusste er mit einander zu verbinden und zu im-
mer neuen, höheren Effekten auszuprägen. Doch war alles dies nicht auf eitlen
Sinnenprunk berechnet, sondern mit dem hohen Ernste wahrhaft religiöser Würde
und Begeisterung, wie sie gewissermassen auch der Verfassung und Volksge-
sinnung Veuedig's eigen war, geschmückt. Und hierin ragte Gr. über seine
venetianischen Zeitgenossen weit hervor; majestätisch feierlich, oft tiefbeschau-
lich, setzte er sich niemals über die hohen Anforderungen der Kirche hinaus
und verdient, vor allen Venetianern, mit dem damals in Rom aufgegangenen
mächtigen Kunstgestirn verglichen, «der Palästrina Venedigs« genannt zu wer-
den. Das würdigste Zeugniss seiner Künstlergrösse bieten wie in einem Brenn-
punkte die y>Psalmi poenitentialesv. (Busspsalme) Venedig, 1583), welche in ab-
weichender Auffassung von der Behandlung früherer Tonsetzer dieser Psalmen
den Gipfel religiöser Ausdrucksweise erreichen und von ihrem Componisten
selbst seinen übrigen Werken vorgezogen wurden. Von seinen Gesang- und
Instrumentalwerken seien hier summarisch aufgeführt: r>Motetti a cinque voci«
(Venedig, 15G5, 2. Ausg. 1584); ein Buch sechsstimmiger Messen (Venedig,
1570); fünfstimmige Madrigale (Venedig, 1572); y)Madri<jali a cinque e sei voei
con un dialotjo ad oUoa (Venedig und Nürnberg, 1572); »II pri7no lihro de' ma-
driyali a tre vocia (Venedig und Nürnberg, 1575); «Liher I eantionum ecclesiast.
4 voc. Omnibus sanetor. solennitatihiis deservientiii,m<i (Venedig, 1576); r>Gantiomiin
sacrarum pars I, 6 — 16 voc.« (Venedig, 1578); y>MadrigaU a .'3 — 6 voci Hb. II
e III». (Venedig, 1582 und 1583); »Ganzoni alla francese per Vonjanov. (Venedig,
1571, 2. Aufl. 1605); y>l^onate a cinque per i stro?nenti(i (Venedig, 1586). Ferner
befinden sich noch viele einzelne Stücke von ihm in dem von seinem Neffen
herausgegebenen Werke y>CanU concerti di Atidrea e Giovanni Gabrieli, organisti
della serenissima siynoria di Venezia, eontinenti musica di chiesa, madrigali ed
altri per voci e stromenti musicali a 6, 7, 8, 10, 12 e 16« (Venedig, 1587) und
ebenso in vielen anderen Sammlungen der damaligen Zeit; Orgelstücke von
Andrea G. endlich sind mit solchen seines Nefien in folgenden Sammlungen
erschienen: i>Intonazioni d'organo lib. /« (Venedig, 1593) und nRicercari per
Vorgano lib. 2 e 3« (Venedig, 1587). — Andrea G.'s eben erwähnter, noch be-
rühmterer Neffe und Schüler, Giovanni (Johannes) G., geboren im J. 1557
zu Venedig, genoss schon in jungen Jahren eines nicht unbedeutenden An-
sehens, da in eine Sammlung y^ll secondo libro di madrigali a 5 voci de^ floridi
virtuosi del serenissimo duca di Baviera, con una a diecia (Nürnberg, 1575)
auch bereits Stücke von ihm als Jüngling aufgenommen sind. Im J. 1585
wurde er, nach Claudio Merulo's gänzlichem Rücktritt vom Kircheudienst in
Venedig, neben seinem Oheim als Organist der Marcuskirche angestellt. Wie
dieser, stand auch er mit den deutschen Musikkapellen in lebhaftem Verkehre;
namentlich bewahrte sein berühmter Mitschüler L. Hassler ihm treue Freund-
schaft. Unter seinen Gönnern zählte er in Deutschland besonders den Herzog
Albrecht V. von Baiern und dessen Söhne, sowie das gräfl. Fugger'sche Haus
in Augsburg. Er voi'zugsweise war zu Ausgange des 16. Jahrhunderts einer
der von den Deutschen am meisten geschätzten und geehrten Tonmeister, was
aus sieben verschiedenen Sammlungen meist geistlicher Gesänge hervorgeht, von
denen bis 1609 sechs in Nürnberg gedruckt wurden und worin seine Compo-
sitiouen der Zahl und dem Werthe nach weitaus den ersten Rang einnehmen.
Später sind ausser dem Florileg. port. von Bodenschatz noch zwei neue Samm-
lungen hinzugekommen. Auch als Lehrer der T'onkunst war G. weit und breit
gesucht. So sandte der Kurfürst Moritz von Sachsen den Juristen und treff-
lichen Sänger Heinrich Schütz, der sich ganz der Musik widmen wollte, nach
A enedig zu G., um bei diesem die bereits gewonnene Musikbildung zu erweitern.
Gabrieli. 97
Schütz blieb vier Jahre lang, bis zum Todesjahre G-.'s (1613) dessen Schüler
und rühmt später von seinem Lehrer: »Als ich wieder nach Venedig kam, ging
ich dort vor Anker, wo ich als Jüngling unter dem grossen Grabrieli die ersten
Lehrjahre meiner Kunst zugebracht hatte. Ja, Gabrieli! Ihr unsterblichen
Götter, welch' ein Mann war der ! Hätte ihn das wortreiche Alterthum gekannt,
den Amphionen würde es ihn vorgezogen haben; oder wünschten die Musen
Vermählung, so besässe Melpomene keinen anderen Gemahl als ihn, solch' ein
Meister des Gesanges war er. Das verkündet der Ruf, aber der beständigste.
Ich selbst war dess reichlich Zeuge, der ich ganzer vier Jahre lang seines Um-
ganges genoss, gar sehr zu meinem Frommen.« Unter G.'s Schülern sind noch,
als von ihnen selbst bezeugt, zu nennen: Aloys Grani und Michael Prätorius,
der im dritten Theile seines Syntagma musicum dieses seines Lehrmeisters mit
den ehrenvollsten und bewunderndsten Ausdrücken gedenkt. G. selbst starb,
wie seine Grabschrift in der Kirche zu San Stefano zu Venedig verkündet,
am 12. Aug. 1613, i¥)ch heute geehrt als ein Meister, der am Markstein der
Zeit der älteren Musik blüht und in den Anfang einer neuen Periode hinein-
reicht, ohne seine Selbstständigkeit und Wirksamkeit für das Bestehende und
Werdende zugleich zu schwächen. Weder hing er sich zäh an das Alte, noch
gab er sich dem Neueren in überstürzender Hast hin; er suchte aus Allem
heraus, was ihm das Beste schien, folgte der natürlichen Entwickelung der
Musik und hatte keineswegs an dieser Entwickelung einen unbedeutenden An-
tlieil; in ihm zeigte sich die vollste und reichste Entfaltung der Musik der
früheren venetianischen Schule, ihre ganze Eigenthümlichkeit und man kann
von ihm ähnlich, nur noch in gesteigertem Maasse wie von seinem Oheim, be-
haupten, dass die Pracht und Grossartigkeit des damaligen venetianischen
Staats- und Volkslebens sich in seinen Werken abspiegelt. »Hatte Willaert«,
sagt Winterfeld, »in seinen getheilten Chören die Tonart zuerst als harmoni-
schen Grundgedanken ahnen lassen (da die gegen einander und mit einander
arbeitenden Tonmassen sich wenig geeignet zeigten zu künstlicher Entwickelung
der Melodien, wie sie der niederländischen und römischen Schule eigen waren),
war Cyprian de Höre weit hinausgeschweift über die damals bestehenden Gren-
zen des Tonsystems nach neuen Ausdrucksmitteln für seine Gedanken, so sehen
wir die tiefste Eigenthümlichkeit der Tonarten, die zartesten Beziehungen der
einen zur anderen hei'vortreten in Gabrieli's Werken. Das Herkömmliche, die
unmittelbare Beziehung auf die überlieferte Kirchenweise, da ausgenommen, wo
er seine Gesänge dem Kirchengebrauche gemäss durch sie anstimmen lassen
musste, hat er ganz verlassen, um so inniger aber in dem zuvorgedachten Sinne
sich der Grundform angeschlossen, in welcher jene alten Kirchenweisen durch
innere Nothwendigkeit bedingt erschienen waren. Ebenso tritt die strenge
kanonische Form nirgends mehr absichtlich und als solche bei ihm hervor; be-
lebend überall, nicht bedingend, soll der bewegende Grundgedanke sein. Jene
sinnreiche Verflechtung der alten kirchlichen Kunst aber, sofern sie das Ohr
nicht mehr zu vernehmen vermag, ist ganz bei ihm ausgeschlossen.« Die von
Cyprian de Rore zu Gunsten eines lebendigen und leidenschaftlichen Ausdrucks
im Madrigal in Anspruch genommene und auf seinen Vorgang hin bald nah
und fern aufgefasste Chromatik fand in G. einen der ersten entschiedensten
Vertreter. Von seinen bedeutendsten Werken sind ausser den bereits oben
angeführten zu nennen: y>Sacrae symphoniae 7, 8, 10, 12, 14, 15 et 16 tarn
vocihus quam instrumentisK (Venedig, 1597, neue Ausg. 1615), von denen noch
eine ältere Ausgabe existircn soll; y>Tieliqidae sacrorwm concenhmm Giov. Gabrielis
et Leonis Hassleri etc. motettae 6, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 16, 18, 19 vocumi (Nürn-
berg, 1619). Letztere Sammlung, welche 19 Compositionen von G. enthält,
gab ein Freund G.'s, der Nürnberger Kaufmann Georg Gruber, heraus. Seine
sämmtlichen Arbeiten überhaupt in geordneter Zusammenstellung, sowie Ein-
gehenderes über beide Gabrieli's findet sich in dem schätzbaren Buche von K.
von Winterfeld »Johannes Gabrieli und sein Zeitalter« (Berlin, 1834).
Musikal. Convers.-Lexikou. rv. 7
98 Gabrieli — Gabrielli.
Gabrieli, Catterina, s. Gabrielli.
Gabrieli, Domenico, italienischer Violoncellovirtuose und Operncomponist,
geboren um 1640 zu Bologna, hatte an der dortigen Kirche San Petronio
Anstellung, kam aber dann in die persönlichen Dienste des Cardinais Pamfili
zu Rom. Nach seiner Geburtsstadt zurückgekehrt, ist er um 1G9Ü gestorben.
Von seinen Opern lassen sich noch folgende Titel aufführen: r>Glearco in Ne-
(/7'oponte«, TiCiro in Lidia«, nRodoaldo re Wltalia^, »Teodora Auffiista«, »La gene-
rosa gara tra Gesare e Pompeoa, »Carlo il grandea und »Maurizioa, welche von
1683 bis 1691 auf verschiedenen Bühnen Italiens in Flor waren. Ausser
Opern erschienen aus dem Nachhissc^ G.'s: »Cantate a voce solan (Bologna, 1691,
mit einer G. feiernden Vorrede von Marino Silvani); »Vexillum pacis a Alto
solo con sfromenti». (in einer Sammlung von Motetten, Bologna, 1695); »GiyJie,
correnti e sarabande a due Violini e Violoncello con Basso eontinuoa (Bologna,
1703).
Gabrieli, Francesca, vorzügliche italienische Sängerin, genannt la Ga-
brielina oder von ihrer Geburtsstadt la Ferrarese, ist im J. 1755 zu
Ferrai'a geboren. Ihrer schönen, geschmeidigen Stimme wegen wurde sie schon
früh in das Conservatorium Ospedaletio in Venedig gebracht, welches damals
unter Direktion Sacchini's stand. Im J. 1774 debütirte sie, vollständig aus-
gebildet, auf dem Theater San Samuele in Venedig mit solchem Erfolge, dass
sie als Primadonna buffa angestellt wurde, in welcher Eigenschaft sie auch
auf anderen Opernbülmen ihres Vaterlandes mit dem grössten Beifall saug,
so noch 1778 in Florenz und 1782 in Neapel. Im J. 1786 war sie in London
engagirt und trat dort u. A. mit der Mara zusammen auf. Erst 1789 kehrte
sie aus England in ihre Heimath zurück, woselbst sie noch in Turin sang,
sich aber bald darauf von der Bühne zurückzog und 1795 in Venedig starb.
Bei einer einnehmenden Persönlichkeit, aber allzu freien Umgangsart besass sie
in ihrer Blüthezeit glänzende und gut geschulte Stimmmittel, denen im ge-
tragenen Gesänge jedoch ein tieferer Ausdruck abging.
Gabrielli, Catterina, hochgefeierte italienische Sängerin, eine der be-
rühmtesten Künstlerinnen des 18. Jahrhunderts überhaupt, wurde am 12. Novbr.
1730 zu Rom geboren und war die Tochter eines Kochs des Fürsten Gabrielli,
von dem sie, da er sie hatte ausbilden lassen, den Namen annahm, während
die Italiener sie, in Erinnerung des Gewerbes ihres wirklichen Vaters, la
Guochettina (das Kind des Kochs) nannten. Ihren Gesangunterricht über-
nahmen in Folge der Munificenz des genannten Fürsten Garcia (mit dem Bei-
namen lo Spagnoletto) und Poi'pora, und sie selbst sang seit 1747, wo sie so-
fort in Lucca als Sofonisbe in Galuppi's gleichnamiger Oper Bewunderung er-
regte und selbst den berühmten Sänger Guadagni in den Schatten stellte, auf
verschiedenen grossen Bühnen ihres Vaterlandes. Im J. 1750 war sie das
Entzücken der Neapolitaner, besonders als Didone in der Oper von .Tomelli,
deren grosse Arie »Son regina e sono amantea sie so styl- und ausdrucksvoll
sang, dass Alles für sie schwärmte. Auf Metastasio's Veranlassung ging sie
nun nach Wien, wo sie von diesem Meister noch Unterricht in Declamation
und im Spiel erhielt und von Franz I. zur Kammersängerin ernannt wurde.
Im J. 1765 verliess sie Wien und erregte zunächst in Palermo das grösste
Aufsehen, voran natürlich durch ihren vollendeten Gesang und ihr anmuthiges
Spiel, dann aber auch durch ihre Launenhaftigkeit und durch die Widerspenstig-
keit, mit der sie selbst dem Vicekönig Trotz bot. In Parma 1767 gewann sie
ausser der allgemeinen Bewunderung auch noch die besondere Liebe des In-
fanten Don Philipp, so dass sie ein Jahr später heimlich entweichen musste,
um dem eifersüchtigen Fürsten zu Gefallen nicht ihre Bühnenlaufbahn zu
unterbrechen. Sie folgte hierauf dem schon lange an sie ergangenen Rufe der
Kaiserin Katharina II. nach St. Petersburg, blieb daselbst mehrere Jahre unter
glänzenden Verhältnissen und sang erst 1777 wieder in Venedig an der Seite
Pachiarotti's, der aus Scheu vor einer solchen Rivalin zuerst gar nicht aufzu-
Gabrielli — Gabussi. 99
treten wagte. Nach einem erfolgreichen Aufenthalte in London begab sie sich
1780 nach Mailand, wo sie es mit dem berühmten Marchesi noch immer auf-
nehmen konnte. Sie sang jedoch nur noch eine Saison, zog sich darauf nach
Rom in das Privatleben zurück und starb daselbst im April 1796. Ihr emi-
nentes Talent war ebenso sehr mit Eigensinn und Launenhaftigkeit, als mit
sprudelndem Greist und mit Wohlthiltigkeitssinn gepaart, so dass sie in gleichem
Maasse verehrt und gefeiert, wie gescheut und gefürchtet war.
(nrabrielli, Nicolo, Graf von, talentvoller italienischer Componist-Dilettant,
einer altadeligen Familie entstammend und um 1810 zu Neapel geboren, machte
bei Busti Gresangs- und bei Donizetti Compositionsstudien. Seit 1835 trat er
in Neapel vielfach als Ballet- und Operncomponist auf, und bis 1847 zählte
man an 70 Partituren, von denen einige ziemlich grossen Beifall fanden, so von
seinen Opern: »J dotti per fanatismoa, f>Il <padre della debufante«, y>La lettera
'perdutafi^ y)Ij affamato senza danarov.^ v>Il condannato di Saragossati, y>GiuUa di
Tolosaa, y>Il (jemellov- u. s. w. Seit 1850 lebt er in Paris, wo seine Ballet-
musiken [y^Gemmaa, 1854, y>Les elfesa, 1856 und besonders y>L'etoile de Messine«,
1861) ganz bedeutenden Erfolg hatten und seine Oper »Dow Gregorio« (1859)
und r>Le petit cousina. (1860) mit Beifall aufgenommen wurden.
Gabrielski, Johann Wilhelm, vortrefflicher Flötist, geboren am 27. Mai
1791 zu Berlin, war der Sohn eines TJnterofficiers der Artillerie, der dem Sohn
schon frühzeitig einigen Violinunterricht ertheilte, so dass derselbe, noch Knabe,
im Stande war, bei Tanzmusiken, die der Nebenerwerb der Familie waren, mit-
zuwirken. Neun Jahr alt, wurde er durch einen Schulkameraden ermuntert,
Flötenspiel zu treiben und fand auf diesem Instrumente bei einem Artillerie-
Hauptmann, Namens Vogel und bei dem Kammermusiker A. Schröck hin-
i'eichende Unterweisung, so dass er 1810 schon öffentlich auftreten und auch
als Lehrer fungiren konnte. Im Begriff 1813 dem Aufrufe des Königs gegen
Frankreich als freiwilliger Cavallerist zu folgen, brach er beim ersten Proberitt,
in Folge eines Sturzes vom Pferde, den Arm und musste zurückbleiben. Er
Hess sich 1814 als Flötist beim Theater in Stettin engagiren und beschäftigte
sich dort nebenbei als Naturalist vielfach mit Composition; eigentliche theo-
retische Studien machte er erst seit 1816 in Berlin, wo er königl. Kammer-
musiker geworden war, und zwar beim Kapellmeister Gürrlich, später beim
Kapellmeister Seidel und zuletzt beim Musikdirektor Birnbacli. Als Flötist
hat er sich auf Kunstreisen durch Norddeutschland von 1812 an, 1822 auch
in Warschau, vortheilhaft bekannt gemacht und als Componist ist er mit Con-
certen und Solos, Duos, Trios und Quartetten für Flöte, sowie mit einigen
Gesangstücken aufgetreten. Er starb am 18. Septbr. 1846 zu Berlin. — Sein
Bruder und Schüler Julius G., geboren am 4. Decbr. 1806 zu Berlin, erregte
schon seit seinem 11. .Jahre, wo er^ zuerst öffentlich auftrat, als talentvoller
Flötist die öffentliche Aufmerksamkeit. Als Hautboist im zweiten Garderegi-
ment zu Fuss seit 1821 studirte er eifrig die Theorie der Musik. Vom Militär
1825 entlassen und als Musiklehrer thätig, blies er vieKach aushülfsweise in
der königl. Kapelle, worauf er auch bald die definitive Anstellung als Kammer-
musiker erhielt. Er Hess sich, namentlich in Berlin, häufig öffentlich mit Bei-
fall hören und fand auch als Componist für sein Instrument grosse Anerkennung.
Im Druck erschienen sind jedoch nur zwei Fantasien. Nach langjährigem Dienste
pensionirt und durch den Rothen Adlerorden ausgezeichnet, lebt er in Zurück-
gezogenheit noch gegenwärtig in Berlin. — Ein Sohn Johann AVillielm's, Na-
mens Adolph G., wirkt gegenwärtig als erster Flötist der Hof- und Operu-
kapelle zu Berlin.
Gabiisl, Giulio Cesare, s. Gabuzio.
Gabussi, Vincenzo, trefflicher italienischer Gesangcomponist und Sing-
lehrer, ist um 1804 zu Bologna geboren, woselbst er gründliche Musikstudien
beim Padre Mattei trieb. Im J. 1825 ging er nach London, wo er sich als
Gesanglehrer und als Instructor und Accompagnateur bei der italienischen Oper
7*
100 Gabuzio — Gade.
Ansehen und ein Vermögen erwarb, ebenso als Coraponist von Canzonen und
Duetten [zur Beliebtheit gelangte. Um 1840 kehrte er in sein Vaterland zu-
rück und suchte durch die Oper »Clemenfina di Valoism, welche 1841 in Vene-
dig und Mailand zur Aufiführuug kam, sich einen grösseren Ruf zu vei'schaffeu,
allein vergebens. Um so mehr Glück machten auch dort seine zahlreichen
Arietten, Duette und KammermusiKsaclien, die sich durch ihre angenehme Me-
lodik und dankbare Gesangweise einschmeichelten und auch in Deutschland
zahh'eiche Verehrer fanden. — Jedenfalls eine nahe Verwandte von ihm war
die Sängerin Rita G., geboren 1818 zu Bologna und eine Schülerin Teresa
Bertlnotti's. Sie sang seit 18.36 auf den grössten Bühnen Italiens, 1840 auch
in Wien mit bedeutendem Erfolge.
(liabuzio, Giulio Oesare, auch Gabutio und Gabusi geschrieben, ita-
lienischer Tonsetzer aus Bologna, war in der zweiten Hälfte de» 16. Jahrhun-
derts Kapellmeister am Dom zu Maihvnd. Von seinen Ai'beiten findet mau in
Joan. B. Bergamo Parnasso uiusic. Ferdinand. (Venedig, 1615) einige Motetten;
andere Motetten und Kirchenstücke soll er 1586 und 1587 selbststäudig in
Venedig und Mailand haben erscheinen lassen.
Oaces Brules oder liralo/, einer der besten und fruchtbarsten französischen
Troubadours des 1.3. Jahrhunderts, lebte um 1235 in der Bretagne. Da er in
einigen Manuscripteu Gaste Ble sich geschrieben findet, so vermuthet man, dass
er aus der adeligen Familie gleichen Namens aus der Champagne stamme. Von
seinen Liedern sind 79 übrig geblieben, und 63 davon befinden sich in ver-
schiedenen Manuscripteu (einige davon mit ihren Melodien) in der grossen
Staatsbibliothek zu Paris.
Gade, Niels W., einer der begabtesten und tüchtigsten Tondichter der
Gegenwart, geboren am 22. Oktbr. 1817 zu Kopenhagen, war der Sohn eines
Instruiiientonmachers und von seiner Familie für denselben Beruf bestimmt.
Die grossen Fortschritte aber, die der junge G., trotz anfänglich ungenügenden
Unterrichts auf dem Pianoforte, der Guitarro und Violine machte, bewogen
doch endlich den Vater, eine gründlicliere Ausbildung der Anlagen seines Sohnes
zu veranlassen, und späterhin legte derselbe dem Wunsche des Letzteren, sich
ganz der Tonkunst widmen zu dürfen, kein Hinderniss mehr in den Weg. Bald
war G. in der technischen Fertigkeit so weit gelangt, dass er als Violinist in
die Hofkapelle treten konnte, und nun wagte er es auch fleissig mit Compo-
sitionsversuchen, von denen aber vorläufig nur einer, dieser aber auch auf's
Vollkommenste glückte. Eine »Nachklänge an Ossian« betitelte und später so-
gar berühmt gewordene Ouvertüre erhielt nämlich 1841, gemäss dem Ausspruche
Ludwig Spohr's und Friedr. Schneider's als Preisrichter, den vom Kopenhagener
Musikverein ausgesetzten Preis. Mendelssohn brachte bald darauf dies allge-
mein als gelungen anerkannte Werk im Gewandhause zu Leipzig zur Auffüh-
rung und verschaffte dadurch zuerst dem jungen Componisten einen geachteten
Namen in Deutschland, welcher durch die Reproduction der mit wahrem Enthu-
siasmus aufgenommenen Sinfonie Nr. 1 in C-moU noch mehr Gewicht erhielt.
Mendelssohn hatte hierzu ebenfalls wieder die uneigennützige Hand geboten
und ihm, dem in seltenem Grade edel und grossdenkenden Meister, war es ein
Hochgenuss, dass einer seiner jüngeren talentvollen Collegen vom kritischen
Leipziger Publikum glänzend aufgenommen wurde. Durch die ansehnliche
Unterstützung des Königs Christian VIII. von Däneiuark, seines Landesherrn,
wurde es G. möglich, zu höherer Ausbildung das Ausland zu besuchen, und
zwar nahm er aus Dankbarkeit gegen Mendelssohn seinen Weg zuerst nach
Leipzig, wo ihm 1843 von seinen Freunden und dem Publikum die freund-
lichste Aufnahme zu Theil ward. Die bald darauf bewerkstelligte Autführung
des Ossian'schen Gedichts »Comala«, von G. für Soli, Chor und Orchester ge-
setzt, befestigte nur die hohe Achtung, welche man dem jungen Tondichter
zollte und trug nicht wenig dazu bei, dass man ihm nach der Rückkelir von
seiner von Leipzig aus unternommenen italienischen Reise, im Herbst 1844 die
Gaebler. 101
Leitung der Gewandhausconcerte anvertraute, da Mendelssohn während dieser
Zeit in Berlin und Frankfurt a. M. verweilte. Nachdem Gr. im Sommer 1845
seine Heimath besucht hatte, war er im "Winter 1845 auf 1846 neben Mendels-
sohn Concertdii'igent in Leipzig, und nach dessen Tode führte er die Direction
allein, bis er im Frühjahr 1848 nach Kopenhagen zurückkehrte, wo er eine
Organistenstelle, die Leitung der Concerte des dortigen Musikvereins, 1861,
nach Gläser's Tode, auch interimistisch das Amt eines Hofkapellmeisters über-
nahm und zum Professor der Musik ernannt wurde. In dieser Wirksamkeit
und einer ununterbrochenen Lehr- und Compositionsthätigkeit lebt er noch
gegenwärtig zu Kopenhagen. — Niels W. Gade gehört in der heutigen Zeit
des Neuromanticismus in der Musik zu den schlagfei'tigsten und talentvollsten
Vertretern der älteren Romantik, die vorwiegend den Mendelssohn'schen Formen
huldigt. Jedoch zeigt er so viel Originalität und Selbstständigkeit, dass er
nicht als sclavischer Nachahmer seines grossen Vorbilds bezeichnet werden kann.
Nur die Art und Weise des formellen Baues, die äussere feine, graziöse Gestalt
der Schöpfungen Mendelssohn's zogen ihn unwiderstehlich mit sich fort und
gaben seinem Künstlergemüth, seinem einfachen klaren Geiste die nöthige Festig-
keit, Hin sich tlicli der Erfindung besitzt G. eine entschieden hervorstechende
Individualität, welche sich besonders durch einen gewissen nationalen Typus
und durch ein nordisches Colorit kundgiebt. Er ist mit Becht als musikalischer
Interpret der nordischen Sage und namentlich der Poesie Ossian's (soweit die-
selbe wirklich vorhanden ist) zu bezeichnen, indem er bei geschickter und
farbenreicher Behandlung des Orchesters in plastisch-schöner Ausarbeitung die
alten Heldengestalten gewissermassen in Tönen vorführt und hauptsächlich in
den beiden Ouvertüren »Nachklänge von Ossian«, »Im Hochland«, in der ersten
Sinfonie (O-moll) und in der Cantate »Comala« seine von der nordischen Sage
genährte Natur in origineller und interessanter Weise offenbart. Die Nord-
laudspoesie füllte mit ihrem Lebensquell das Strombett seiner Empfindung; sie
floss hinein in seine Melodik und Harmonik und gab seinen Tonbildern sowohl
die duftige, zarte, als auch die kräftige, frische Färbung, welche die Gedanken
des Künstlers in so reichem und ästhetisch geordnetem Wechsel zeigt. Nicht
minder als jene oben augeführten und ganz besonders in diesem Geiste ge-
schaffenen Werke sind auch einige seiner übrigen Schöpfungen im besten Sinne
des Wortes populär in Deutschland geworden, und die Concertsäle haben schon
oft wiederholt erlebt, welche Sympathien das musikalisch feingebildete Publikum
auch G.'s jB-dur- Sinfonie, der Ballade »Erlkönigs Tochter« für Sologesang, Chor
und Orchester, der »Frühlingsphantasie« für vier Singstimraen , Orchester und
Pianoforte entgegen trägt, während seine ^-moll- Sinfonie und die in (r-moU
(Nr. 6), seine Ouvertüren »Hamlet« und »Michel Angelo«, sowie seine grosse
dramatische Cantate »die Kreuzfahrer« weniger Anklang im Publikum finden.
Auch auf dem Gebiete der Kammer- und Salonmusik ist G. bis auf den heu-
tigen Tag sehr thätig gewesen, und besonders sind hier ein Quintett, ein Octett
für Streichinstrumente, eine Sonate für Ciavier und Violine, zahlreiche Lieder
für eine Singstimme, Chorgesänge für gemischten und für Männerchor, seine
Aquarellen für Pianoforte, sowie andere zwei- und vierhändige Stücke, meist
in kleinerer Form, aber um so reizender und anmuthiger, u. s, w, hervorzu-
heben, in welchen dieser Tondichter stets seine edle Denkungsart und Beherr-
schung der Form kundgegeben hat. Von den im Druck erschienenen Werken
der letzten Jahre hat die höchst anmuthige und feine »Frühlingsbotschaft« für
Chor und Orchester mit Becht aller Orten den Preis ei'rungen.
Gaebler, Ernst Friedrich, verdienstvoller Musikpädagog und Componist
von Schul- und Kirchenstücken, geboren 1815 zu Bunzlau, einhielt dort auch
seinen ersten musikalischen Unterricht und zwar beim Oberlehrer am königl.
Seminar, C, Karow, dessen bester Schüler im Ciavier- und Orgelspiel er war.
Zu weiterer Ausbildung begab er sich nach Berlin, wo er Zögling des von
A. W. Bach geleiteten königl. Instituts für Kirchenmusik wurde und die Vor-
102 Gäde — Gänsbacher.
lesungen des Professors A. B. Marx an der Universität fleissig besuchte, welche
namentlich auf seine Conipositionsübungen von anregender Einwirkung waren.
Als Nachfolger Köhler's wurde G. an das Pädagogium und "Waisenhaus zu
Züllicliau berufen und wirkt noch jetzt daselbst in sehr anzuerkennender Art
in der Eigenschaft eines Musikdirektor und Musiklehrers dieser Institute. Von
seinen zahlreichen compositorischeu Arbeiten sind Motetten, der für Männer-
stimmen gesetzte 34. Psalm, Schullieder, andere Gesangsachen und Orgelstücke
im Druck erschienen.
Gäde, Theodor, ein Tanzcomponist von localer Bedeutung, lebte im ersten
Viertel des 19. Jalirhundcrts zu Berlin und liat ausser der Musik zu einem
Ballet »die Eifersüchtigen auf dem Lande« zahlreiche, zum Theil beliebt ge-
wesene Märsche und Tänze aller Art, sowie einige Gesänge und Ciavierstücke
coniponirt.
(rähler, voji, Conferenzrath und erster Bürgermeister von Altona, ein aus-
gezeichneter Dilettant und Musikkenner, ist 1748 zu Delmenhorst geboren und
starb im J. 1825 zu Altona. Er war als Ciavierspieler ein Schüler Phil. Em.
Bach's. Zahlreiche Abhandlungen und Beccnsionen von ihm in verschiedeneu
Jahrgängen der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung bekunden seine
hervorragende allgemeine Intelligenz und seine tiefe Einsicht in das Wesen
der Tonkunst.
Gährich, "Wenzel, ein gewandter und talentvoller Componist, geboren am
16. Septbr. 1794 zu Zerchowitz in Böhmen, besuchte bis zu seinem zwölften
Jahre die Schule seines Geburtsorts und kam dann auf das Piaristen-Gymna-
sium zu Prag, wo er sich nebenbei im Violinspiel ausserordentlich vervoll-
kommnete. Im J. 1813 bezog er die Universität zu Leipzig, um die Bechts-
wissenschaften zu studiren. Er sah sich jedoch bald genöthigt, dieses Fach-
studium wegen mangelnder pecuniärer Mittel aufzugeben und sich als Violinist
des Leipziger Theaterorchesters engagiren zu lassen. Bereits war er 23 Jahr
alt, als er dort anfing, sich mit eingehenden Musikstudien zu befassen. Um
1825 wurde er als königl. Kammermusikus in die Hofkapelle zu Berlin berufen,
und im J. 1845, nachdem er sich bereits durch eine Anzahl sehr gelungener
Ballet-Compositionen bekannt gemacht hatte, zum Ballet-Dirigenten der königl.
Oper ernannt. Als solcher im J. 1860 pensionirt, starb er im J. 1865. —
G. hatte sich einen gewissen localen Buhm erworben, hätte aber, dem "Werthe
seiner compositorischeu Arbeiten nach, einen weit ausgedehnteren Ruf verdient.
Denn er besass ein bemerkenswerthes melodisches Talent und war ein geschickter
Künstler in Bezug auf Ausgestaltung und Ausarbeitung seiner Ideen, sowie
der Instrumentation. Er hat mehrere Sinfonien, Ouvei'türen und Zwischen-
aktsstücke für das königl. Schauspiel in Berlin, ferner Musiken zu Vaudevilles
und Localpossen, Gelegenheits-Cantaten, Kirchenstücke, ein- und mehrstimmige
Lieder, Streichquartette und Märsche und Tänze aller Art geschrieben, von
denen nur das "Wenigste im Druck erschienen ist. Unbestreitbare Bedeutung
gebübrt ihm als Balletcomponisten, iiud für sein grosses Talent auf diesem
Gebiete sprechen seine Partituren zu Taglioni'schen und Hoguet'schen Tanz-
poemen, als »Don Quixote«, »die Insel der Liebe«, »der Seeräuber«, »Aladin«
u. s. w. Auch zwei Opern existiren von ihm im Manuscript: »die Creolin«
und »der Freibeuter«, welche das volle Lob näherstehender Sachverständiger
erfahren haben, aber von seinen Erben vergebens behufs Aufführung ausgeboten
worden sind. — Ein Sohn von ihm, Georg G., hat sich in Berlin als Pianist
vortheilhaft bekannt gemacht und wirkte bis 1870 als Bratschist in der Hof-
und Opernkapelle.
Gännnrich, Heinrich, einer der trefflichsten schlesischen Orgel- und Violin-
spielcr der ersten Hälfte des 18, Jahrhunderts, starb im J. 1775 als Cantor
an der Pfarrkirche in Bunzlau, welche Stellung er beinahe fünfzig Jahre hin-
durch in Ansehen und mit Ehren bekleidet hatte.
Gäusbiicher, Johann Baptist, fruchtbarer und geschickter Componist,
Gärtner. 103
besonders von Kirchenwerken, wurde am 8. Mai 1778 zu Sterzing in Tyrol
geboren. Sein Vater, Regens cliori und Schullehrer des Orts, unterrichtete ihn
schon frühzeitig im Gesang, Ciavier-, Orgel- und Violinspiel, und in solcher
Art gut vorgebildet, kam G-. mit acht Jahren als Chorknabe zuerst nach Inns-
bruck, dann nach Hall. Von 1780 au besuchte er das Gymnasium zu Botzen,
wo ihn der Organist Reiner, Musikdirektor Neubauer und Pater Fendt im
Orgel-, Violin- und Violoncellospiel noch weiter ausbildeten, während er selbst,
um genügende Subsistenzmittel sich zu verschaffen, zugleich eine Art Haus-
lehrerstelle versah. Schon 1795 konnte er in Innsbruck die höheren philo-
sophischen Studien beginnen und wirkte auch dort nebenbei als Musik- und
Nachhülfelehrer, sowie als Kirchensänger. In jene Zeit fallen auch seine ersten
ernstlicheren Compositionsversuche. In der Kriegsbedrängniss des Jahres 1796
diente er als Freiwilliger im Landsturm, befehligte bald sogar eine Truppe
von 300 Mann und erhielt nach erfolgtem Friedensschlüsse die goldene Tapfer-
keitsmedaille für Officiere. Im -J. 1802 suchte er Abt Vogler in "Wien auf,
der ihn in sein Harmoniesystem einweihte und auf seine theoretisch-musikalische
Fortbildung wohlthätig einwirkte. Wohlwollende Gönner, unter ihnen beson-
ders der Graf Firmian und sein Schüler, Graf Erdödy, unterstützten ihn kräftig
in seinen musikalischen Bestrebungen, so dass er bei Albrechtsberger das Stu-
dium des Contrapunkts gründlich absolviren konnte. Nach einem längeren
Aufenthalte in Innsbruck und bei seiner Mutter in Sterzing, trieb es ihn 1810
abermals zu seinem Lehrer Abt Vogler in Darmstadt, wo er mit seinen jüngeren
hochbegabten Mitschülern K. M. v. Weber und Meyerbeer das berühmt ge-
wordene Freundschaftstriumvirat schloss, welches erst der Tod auflöste. Nach-
dem G. in den Freiheitskriegen wiederholt eine Jäger-Oberlieutenantsstellung
bekleidet hatte, die ihn bis nach Neapel gegen Murat führte, in welchem Amte
er bei seinem Regimente auch ein Musikcorps organisirte und mit seinen Gom-
positionen vei'sah, erhielt er 1817 die grosse goldene Vei'dienstmedaille. Seinen
militärischen Verdiensten vorzüglich verdankte er es auch, dass er 1823, nach
Preindl's Ableben, unter mehreren Mitbewerbern das angesehene Amt eines
ersten Kapellmeisters am St. Stephansdome in Wien erhielt. Sein ferneres
Leben verfioss, einer fleissigen compositorischen Thätigkeit gewidmet, gemäss
den regelmässigen Geschäften seiner Stellung, ruhig und ohne Aufregung. Er
starb am 13. Juli 1844 und ruht auf dem St. Marxer Friedhof in Wien. —
Zahlreiche Arbeiten aller Art, theils im Druck erschienen, theils im Manuscript
hinterlassen, bezeichnen sein ausgiebiges Compositionstalent. Man zählt 17
Messen, 4 Requieme, 27 Gradualien, Offertorien, Motetten, Psalme und Hymnen,
Adventslieder, Processions-Sequentien, 5 Litaneien, 9 Tantum ergo u. dergl.;
ferner Sonaten, Variationen, Divertissements, Märsche u. s. w. für Pianoforte
allein und mit Begleitung; Serenaden, Parthien und Märsche für Harmonie-
musik; eine Sinfonie, ein Concert "-für Clarinette, die vollständige Musik zu
Kotzebue's Schauspiel »die Kreuzfahrer«, ein Liederspiel »des Dichters Geburts-
fest«, Lieder und Gesänge für eine Singstimme, italienische Terzette, Cantaten,
Vocalquartette u. s. w. Dem Werthe nach stehen die zuerst aufgeführten Werke
für die Kirche am höchsten. Dennoch widerspricht der überwiegende Theil
derselben, wenn auch Einzelnes davon edel und würdig gehalten ist, dem kirch-
lichen Geiste, besonders durch ein gemüthliches, joviales Wesen, wie es dem
Wiener Volkscharakter zwar eigenthümlich ist, mit Erhabenheit und religiösem
Ernst sich jedoch nicht vereinbaren lässt.
Gärtner, Johann, deutscher Flötenvirtuose, geboren 1740 auf dem Peters-
berge bei Fulda, erhielt seine technisch-musikalische Ausbildung durch die Für-
sorge des kunstsinnigen Fürstabts Heinrich VIII. von Fulda, der ihn bei dem
berühmten Weudling in Mannheim ausbilden Hess, ihn dann auf Reisen durch
Deutschland schickte und endlich als ersten Flötisten in seine Hof kapeile zog.
In dieser Eigenschaft starb G. im J. 1789. Auch als Componist ist G. für
seine Zeit bemerkenswerth gewesen, indem er, laut Henkel's Mittheilungen,
104 Gärtner — Gaetani.
ausser Solos für sein Instrument auch Operetten und Cantaten componirt haben
soll. — Ein anderer Musiker desselben Namens, Joliaun Peter G., findet
sich um 1665 in der Reihe der kurbrandenburgischen Kammermusiker in Berlin
aufgeführt.
(fürtncr, Joscpli, ein vorzüglicher Orgelbauer, geboren im J. 1796 zu
Tacliau in Böhmen. Sein Vater, Anton Gr., geboren um 1730, der Erbauer
der grossen Drgel im St. Veitsdome zu Prag (1763), wie sein TJrgrossvater
waren schon Orgelbauer gewesen und auch er widmete sieh dieser Kunst. Seine
Lehrzeit machte er im eltcrliclieu Haiise durch, arbeitete dann längere Zeit iu
Prag, zuletzt beim Orgelbauer Kolb auf der Klcinseite. Im J. 1820 etablirte
er sich selbstständig. In seiner ersteji Meisterzeit entwickelte G. eine ausser-
ordentliche Thätigkeit. Abgesehen davon, dass er fast sämmtliche Orgeln der
Hauptstadt Prag reparirte und stimmte, für welche letztere Funktion er ein
ungemein feines Geliör, viel Geschick und Gewandtheit besass, baute er aucli
die grössten AVerke daselbst um, wie die Oi'gel iu iler Strahover Kirclie, ferner
die Tejner Orgel im J. 1833, die grosse Orgel zu St. Niclas u. s. w. Mehrere
ganz neue, von ihm liergestellte AVerke besitzen die Kirchen bei Mariaschnee
und die Piaristenkirche. Zum Hoforgclbauer wurde G. auf Grund der aner-
kannten Vorzüglichkeit seiner Instrumente im J. 1825 ernannt. Bei der 1831
stattgehabten Gewerbeausstellung in Prag erhielt er die silberne Verdienst-
medaille, die ihm im J. 1833 feierlichst übei'geben wurde. G. verfasste auch
eine: »Kurze Belehrung über die innere Einrichtung der Orgeln und die Art,
selbe im guten Stand zu erhalten«, die im J. 1832 in Prag erschien, 3 Auf-
lagen erlebte und vom Verfasser auch in böhmischer Sj)rache: »Krätke pona-
uceni o varhanäch« im J. 1834 herausgegeben wurde. G. starb am 30. Mai
1863 in Prag. M— s.
Gaertner, Karl, vielseitig gebildeter deutscher Tonkünstler, seit Jahren
ein hervorragender Vertreter der classischen Musik in den Vereinigten Staaten,
wurde zu Stralsund geboren und zeichnete sich schon als Knabe durch musi-
kalisches Talent aus. Vom 14. bis zum 21. Jahre machte er in Greifswalde
eine strenge Schule beim Direktor Abel durch, dessen Unterricht G. zu einem
gründlichen Künstler erzog. Der Trieb nach weiterer Ausbildung führte ilin
hierauf nach Leipzig, wo er seine Studien bei Mendelssohn, David und Haupt-
mann fortsetzte. Darnach ging er auf Reisen und Hess sich als Virtuose auf
der Violine hören, 1852 nach Amerika. Da er ein grosses Feld für eine ein-
flussreiche Arbeit in der neuen Welt fand, entschloss er sich zu bleiben. In
Boston und an andern Orten erweckte er eineu nachhaltigen Eifer für die
eigentliche Kunst und siedelte endlich nach Philadelphia über, wo er sich mit
gewissenhafter Treue der Verbesserung des dortigen Geschmacks in der Musik
widmete, zuerst im Februar 1850 dui-ch Veranstaltung von classischen Concer-
ten, die ersten dieser Art, die überliaupt in Pliiladelpliia gegeben worden sind.
Seitdem hat er mit jedem Jahre dem intelligenten Publikum neue Kunstgenüsse
bereitet. Mit Beihülfe seines Quintett-Clubs gab er einen Winter hindurch
25 Nachmittagsconcerte und ausserdem einige Soireen, worin er die ausgewähl-
testen Meisterwerke zur Aufführung brachte. Als sorgsamer Dirigent wie als
gediegener Violinist zeichnete er sich bei derartigen Veranstaltungen in gleicher
Weise aus. Nicht minder einflussreich hat er als Lehrer im Gesänge, der
Violine und des Pianoforte gewirkt. Während des Jahres 1867 gründete er
ein Conservatorium, das gegenwärtig in Blütlie steht. Seine eigenen Compo-
sitionen sind bedeutend; diejenigen für Orchester sind, obgleich in Concerten
aufgeführt, noch nicht im Druck erschienen, wohl aber einige seiner ansprechen-
den, empfindungsvoUen Lieder. Auch hat er, zunächst für die Zwecke seines
Instituts, eine Clavierschule und eine Violinschule für Anfänger, sowie eine
vortreffliche Gesangsschule (Boston, 1871) verfasst.
Gaetaui) ein ausgezeichneter italienischer Theorbenvirtuose, der zu Ende
Gaetano -— Gafori. 105
des 17. Jahrhunderts zu Rom lebte und in Matthesou's Grit. Mus. Tom. I
p. 159 aufgeführt wird. f
Gtictano, italienischer Componist, der in der zweiten Hälfe des 18. Jahrh,
als Kapellmeister angestellt, am Hofe des Königs Stanislaus Poniatowski von
Polen lebte, woselbst er u. A. auch eine polnische Oper »Zolniertz Czarno-
sicznik« in Musik setzte und zur Aufführung bruchte.
Gaffarel, Jacques, französischer Gelehrter, Doctor der Theologie und des
Kirchenrechtes, Prior und Bibliothekar des Cardinais Richelieu in Paris, war
zu Mannes in der Provence 1601 geboren und hat in noch jungen Jahren einen
Ti'aktat: y>De mnsica ILehraeormn stupe,ndav. verfasst, der jedoch nur im Manu-
script sich vorfindet. G. starb 1681 zu Sigonce. In den Observ. miscell. T. II
p. 121 wird berichtet, dass das genannte Werk nach 1623 gedruckt worden sei.
t
Grafifi, Bernardo, italienischer Ciaviervirtuose und guter Componist aus
der Wendezeit des 17. und 18. Jahrhunderts, war aus Rom gebürtig uud dort
ein Schüler des Bernardo Pasquini gewesen. Von seinen Compositionen besitzt
das fürstl. Musikarchiv zu Sondershausen zwei Cantaten für eine SinsTstimme
mit Ciavierbegleitung im Manuscript. Ausserdem kennt man von ihm das
Oratorium y>Tnnoce)iza yloriosa<i.
Gafforini, Elisabetta, berühmte italienische Sängerin, die aber erst 1789
und zwar als Debütantin in der Oper zu Wien auftaucht. Bis 179.5 sang sie
auf den Bühnen zu Venedig, Bologna und Neapel mit grossartigem Ei-folge.
Darauf erhielt sie Anstellung an der Hofoper zu Madrid und begab sich von
dort nach Lissabon, wo sie zwei Jahre lang neben Crescentini sang und das
Publikum zur Bewunderung hinriss. Zu Ende des J. 1800 war sie wieder in
Italien und trat dort bis 1812 in verschiedenen grossen Theatern auf. Ihr in
Mailand im Stich erschienenes Bildniss ziert eine überschwänglich gefasste In-
schrift in Versen, dergemäss sie eben so schön als kunstfertig gewesen sein
muss.
Gafori oder Gaforio, Franchino, auch häufig latinisirt Franchinus
Gafurius oder Gaforus, ein bedeutender und gelehrter Musikliterat aus
Lodi, woselbst er am 14. .Fan. 1451 geboren war. Da G. sich in Folge dessen
in seinen lateinischen Abhandlungen Laudensis nannte, so vermuthete man
früher lange mit Unrecht, er sei Franzose und aus Laon gebürtig gewesen.
Von seineu Eltern, Bettino G., einem gewöhnlichen Soldaten, und Catterina
Fixaraga, für den geistlichen Stand bestimmt, studirte er Theologie uud Kir-
chengesang, letzteren, sowie Musik überhaupt bei Goodendag mit dem latini-
sirten Namen Bonadies. Nach erhaltener Priesterweihe ging G. nach Mantua.
wo sein Vater in Diensten Ludovico Gonzaga's stand. Dort, sowie zwei Jahre
später in Verona, lag er auf's Eifrigste musik-theoretischen Studien ob. Nach
abermals zwei Jahren begab er sieb mit Prospero Adorno nach Genua und
folgte dem dort bald darauf vertriebenen Dogen auch nach Neapel. Dort pflog
er mit Job. Tinctor, Guil. Garnerius, Beruh. Hycaert Umgang und hielt mit
Filippo Bononio (Philippus von Caserta) öffentliche Disputationen über musi-
kalische Fragen. Durch seinen ersten Tractat über Musik machte er sich hier-
auf alsbald vortheilhaft bekannt. Krieg, Pest und materielle Bedrängniss
nöthigten ihn jedoch, nach wenigen Jahren nach Lodi zurückzukehren, von wo
aus er, auf Empfehlung des Canoiiicus Barni, die Stelle als Chordirector des
Bischofs Carlo Pallavicini in Monticello erhielt. Drei Jahre sjDäter ging G.
jedoch als Kirchensänger und Lehrer der Musik nach Bergamo und endlich
nach Mailand, wo er 1484 als Domsänger, Lehrer der Chorknaben, sowie als
Kapellsänger Ludovico Sforza's angestellt wurde und als öffentlicher Tonlehrer
bis zu seinem Tode, am 25. Juni 1522 sehr verdienstvoll wirkte. — ■ G.'s Wirk-
samkeit ist nicht ohne bedeutenden Einfluss auf die musikalischen Studien seiner
Zeit, sowie der nächstfolgenden Periode geblieben, deren Schriftsteller ihn
häufig als Autorität citiren. Obwohl er sich mit der altgriechischen Tonwissen-
106 Gaggi — Gagliano.
Schaft viel beschäftigte und deren Systeme als Hauptgrundlage aller Musiklehre
ansali, verlor er sich duch nicht, wie andere Grleichgesinnte in unfruchtbare
Speculationen, sondern suchte ernstlich, die praktische Entwickelung der Musik
seiner Zeit zu fördern. Seine bekannt gewordenen und erhalten gebliebenen,
übrigens sehr unpolirt geschriebenen und von gelehrtem Dünkel strotzenden
Schriften sind: 1) «Glarissimi et praestantissimi musici Franchitii Gafori Lau-
densis theoricmn ojnis musicae disciplinaevi (Neapel, 1480). Gerber und andere
citiren zwei Capitelüberschriften dieses Werks irrthümlich als besondere, 1480
erschienene Bücher G.'s. In gänzlicher Umarbeitung erscliien genanntes Haupt-
werk in zweiter Auflage unter dem Titel: r>Theorica musica Franch. Gaf. Laud.<i
(Mailand, 1492). Es ist in fünf Bücher abgethcilt, wovon die ersten vier eine
Art Auszug des Boethius'schen Tractats, das letzte eine Auseinandersetzung der
griechischen Tonalität und der Guidoni'schen Solniisation enthalten. 2) Practica
musicae sive musicae actiones in 4 Uhrisa (Mailaiid, 1490, fernere Ausg. 1497,
1502, 1512), eines der besten alten musikjilischen Werke und dasjenige, dem
Gl. seinen Hauptruhm verdankt, behandelt den Gantus j'lamcs, die Notirung,
den Contrapunkt, die Proportionen, das Tempus u. s. w. Die Proske'sche
Sammlung besitzt von den beiden genannten und sehr selten gewordenen Werken
eine ausserordentlich schöne Ausgabe mit dem Titel: »Jifusica utriusque cankts
practica<i (Brixen, 1497). 3) Angelicum ac divinum opus musice Fr. Gafitrii
Laud., rerjH musici ecclesiaequc Jifediolanensis phonasci: materna lirigua scriptum
etc.« (Mailand, 1508). Italienisch geschrieben, enthält dies Buch fünf kleine
Tractate, Uebersetzungen, ausgezogen aus den zuvor genannten grossen Werken.
4) Fr. Gafurii Laud. reg. mus. publice prqfitentis deluhrique Mediolanensis pho-
7iasci: de harmonia musicorum instrumentoritm opus etc.«. (Mailand, 1518). Die-
sem Werke sind von Pantaleone Meleguli biographische Notizen G.'s angehängt,
aus denen ersichtlich ist, dass G. viele Tractate für seine Schüler geschrieben,
aber nur diejenigen hat drucken lassen, welche er selbst für die wichtigsten
hielt; ebenso, dass er auf seine Kosten die musikalischen AVerke des Aristides
Quintilianus , Bryennius, Bacchius und Ptolemaeus aus dem Griechischen hat
in's Lateinische übersetzen lassen, woraus mau später nicht mit Unwahrschein-
lichkeit schloss, dass G. des Griechischen unkundig gewesen sein müsse. 5)
Apologia Fr. Gafurii adversus Joannem Spatarium et complices musicos Bono-
nienses«, eine überaus selten gewordene Streitschrift, aus der Hawkins, der ein
Exemplar davon besass, im zweiten Baude seiner Musikgeschichte Auszüge mit-
theilt. Auf dem Titel dieses Buchs fehlt die Jahreszahl, doch datirt es G.
selbst vom 20. April 1520.
Gag'g'i, Giovanni, italienischer Organist und Musiklehrer, im letzten
Viertel des 18. Jahrhunderts zu Siena geboren, studirte Mathematik und Musik,
letztere bei Lapini. Im J. 1802 wurde er als Lehrer am Collegium Tolomei
zu Siena und als Organist am Consistorium angestellt. Gervasoni erwähnt
seiner als Kirchencomponist, führt bezügliche Werke von ihm auf und lobt die-
selben sehr. — Eine Namensverwandte von ihm, Lucia G. , wird im J. 1718
als Sängerin der italienischen Oper in Dresden angefülirt.
Gagliauo, Alexandre, französischer Lautenvirtuose des 17. Jahrhunderts,
Hess sich in Neapel nieder und gründete daselbst eine zur Blüthe gelangte
nFcole de lufhcrie«, als dei'en Chef er von 10(15 bis nach 1725 thätig war.
fiEg-liano, eine ausgezeichnete und berühmte italienische Geigenbauerfamilie
in Neapel, deren Weltruf Nicolo G., geboren um 1675 zu Neapel, Ijegründete
und dessen Sölme Ferdinando G. (1736 — 1781) und Giuseppe G., geboren
1726, gestor])en 1793, befestigten. — Ein Bruder Nicolo's, mit Namen Gen-
naro G., im .1. 1680 zu Neai^cl geboren, machte sich gleichfalls durch vor-
treffliche Geigenfabrikate rühmlich bekannt.
dlagliano, Zanobi de, ist der Familienname zweier Brüder, die sich als
Madrigal- und Kircliencomponisten ausgezeichnet haben. Der ältere, Marco
de G., wurde in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Florenz geboren
GagUarde — Gail. 107
und musikalisch vou Luigi Bati, Schüler Corteccia's und Kapellmeister am
mediceischen Fürstenhofe ausgebildet. G. selbst wurde Canonicus und Kapell-
meister an der Basilica San Lorenzo und war auch unter dem Namen VAffanato
Mitglied der Akademie der Elevati zu Florenz. Er starb daselbst am 24. Febr.
1642. Von seinen Compositionen können angeführt werden: nMisse a cinque
voci Üb. I« (Venedig, 1579); y>Responsorio della settimana santa a q^uattro vocia
(Venedig, 1580); y>Il primo lihro de' madrigalU (Venedig, 1602); y>Musiche a
una, due e tre voci con hasso continuo« (Venedig, 1615) und vor Allem die
Oper y>Dafne<i, 1607 in Mantua aufgeführt und 1608 in Florenz gedruckt, eine
der ersten Schöpfungen dieser Gattung überhaupt. — Sein Bruder, Giovanni
Battista de G., um 1580 zu Florenz geboren, stand in Diensten des Hofes
der Medicis und war von 1613 an zugleich als Singmeister an der Basilica
San Lorenzo angestellt. Er hat von 1603 bis 1643 Motetten zu vier, sechs,
acht Stimmen und 1606 fünfstimmige Madrigale durch den Druck veröffentlicht.
Gagliarde oder Graillarde (ital.: Gagliarda, franz.: Gaillard oder Gaillardise,
vom lat. validus, d. i. stark, abstammend), ein älterer, in der Jetztzeit nicht
mehr gebräuchlicher Tanz italienischen und zwar, wie man annimmt, römischen
Ursprungs, deshalb ehedem auch Romanesca genannt. Er hatte ein straffes,
fröhliches und kräftiges Wesen, »vnd weil demnach«, sagt von ihm Prätorius
{Syntagma III, 24), »der Gaillard mit geradigkeit vnd guter Disposition mehr,
als andere Täntze, muss verrichtet werden, als hat er ohne zweiffei den Namen
daher bekommen.« Er stand stets in Dreivierteltakt (fünf Tritte daher ein
Cinque pas genannt) und hatte wie die Pavane drei Reprisen von je vier, acht
oder zwölf Takten, aber nicht weniger und nicht mehr. "Wie viele der älteren
Tänze diente auch er sowohl zum Singen als zum Tanzen, »da bissweilen«, meint
Prätorius a. a. 0., »amorosische Texte darunter gesetzet seyn, welche sie in
Mascaraden selbst singen, vnd zugleich tantzen, obgleich keine Instrumenta dar-
bey vorhanden.«
Gagliardi, Dionisio Poliani, talentvoller italienischer Operncomponist,
geboren 1811 zu Neapel, erhielt seine musikalische Ausbildung auf der dortigen
königi. Musikschule und trat schon 1829 mit seiner Erstlingsoper y^L^antiquario
e la modistav. nicht ohne Beifall in die Oeffentlichkeit. Bis zum J. 1835, in
welchem Jahre er bereits starb, entwickelte er eine grosse Fruchtbarkeit, indem
er nach und nach folgende Opern zur Aufführung gelangen Hess: »I due gemelle«,
yZia strega di Dernegleuchu, y>Il langravio di Thioringia<i (später auch unter dem
Titel tiQandida e Liiigioa wiedergegeben), y>Casa da vendere» und »fulcinello
condannato alle ferriere di Marenunaa (1835). Die letztgenannte hatte auf
dem Teatro del fondo in Neapel einen durchgreifenden Erfolg und wurde oft
wiederholt.
Gagui, An gel o, italienischer Operncomponist aus Florenz, den wenigstens
der Indice de' Spettac. teatr. von 1783 bis 1791 wiederholt in dieser Eigen-
schaft aufführt, ebenso wie er ersehen lässt, dass seine Oper •aPazzi gloriosia
1783 in Mailand und 1785 zu Bologna au.fgeführt, und »/ matti gloriosia 1786
zu Salo gegeben worden ist. Es ist dem Titel nach anzunehmen, dass die
zweite Oper dieselbe wie die erste ist. t
Gail, Jean Baptiste, einer der gelehrtesten französischen Hellenisten
neuerer Zeit, geboren am 4. Juli 1755 zu Paris, glänzte seit 1791 als Pro-
fessor der griechischen Literatur am College royal de France sowohl durch seine
Voi'lesungen wie durch literarische Arbeiten. Später wurde er Mitglied des
Instituts, dann auch Conservateur der königi. Bibliothek und starb am 5. Febr.
1829 zu Paris. Unter seinen zahlreichen philologischen Werken befindet sich
auch eine Ausgabe der Oden des Anakreon, griechisch, mit französischer und
lateinischer Uebersetzung und mit kritischen Randglossen, welcher der Verfasser
als Anhang noch die Musik von Gossec, Lesueur, Mehul und Cherubini zu
griechischen Oden und eine Dissertation über griechische Musik angehängt hat
(Ppris, 1799). Die letztere ist übrigens sehr schwach und zumeist auch noch
108 Gaillarda — Gaillard.
der Voyage du jeune Anarchasis entnommen. — Seine geistreiche Grattin,
Sophie G. geborene Garre, darf auf Bedeutung als Conipouistiu Anspruch
erheben. Geboren 1776 zu Melun als die Tochter eines geschickten AVund-
arztes, verkehrte sie schon früh viel mit Künstlern und Gelehrten, trieb mit
Eifer schöne Wissenschaften und Musik und wurde in ilirem zwölften Jahr
bereits als fertige Clavicrspielerin und geschmackvolle Sängerin gerühmt. Im
J. 1790 machte sie sich zudem mit Herausgabe von Romanzen ihrer Compo-
sition bekannt und verheirathete sich in ihrem 18. Jahre, welche Ehe aber in
wenigen .fahren schon getrennt werden musste. Sie nahm hierauf ihre Musik-
studien wieder auf, besonders den Gesang unter Leitung Mengozzi's, und gab
in Siidfrankreich und Spanien sehr erfolgreiche Concerte. Nach Paris zurück-
gekehrt, machte sie zunächst als Componistin im Druck erschienener Romanzen
grosses Glück und schrieb, nachdem sie schon 1797 einige Musikstücke zum
Drama »Montoni«, aufgeführt im Theater der Cite, verfasst hatte, für ein Pa-
riser Privattheater ihre einaktige Erstlingsoper; über die sich selbst Mehul
sehr günstig äusserte. Um für das höchste Ziel der Tonkunst befähigt zu
sein, nahm sie bei Fetis noch Unterricht in der Harmonielehre und im Contra-
punkt und setzte diese Studien, als Fetis auf Reisen ging, bei Neukomm und
Perne fort^ Im J. 1813 brachte das Theater Feydeau von ihr die einaktige
komische Oper -nLes deux jaloux«, welche wegen ihrer Anmuth, Natürlichkeit
und Melodienfülle sehr gefiel, so dass noch in demselben Jahre ebendort die
gleichfalls einaktige komische Oper y>Mademoiselle de Lannay ä la Basfillea er-
schien, welche aber trotz des Lobes der Kenner, das grosse Publikum weit
weniger ansprach. Nicht besseren Erfolg hatten zwei 1814 aufgeführte Opern:
»Antfela ou Vatelier de Jean cousina, die sie in Gemeinschaft mit Boieldieu ge-
arbeitet hatte, und »La mejn'isea. Im J. 1816 entzückte sie als Romanzen-
sängerin London, während sie, nach Paris zurückgekehrt, als Componistin zahl-
reicher französischer und italienischer Nocturnes und Romanzen die Heldin des
Tages wurde. Ihre letzte zur Aufführung gelangte grössere Schöpfung war
die Oper »i« serenadev (1818), die vollständig beim Publikum durchschlug.
Die G. sell)st vereinigte sich hierauf mit der Catalani zu einer Concertreise
nach Deutschland; von derselben nach ganz kurzer Abwesenheit nach Paris
zurückgekehrt, starb sie am 24. Juli 1819, nachdem sie kaum die Arbeiten
an mehreren neuen Opern wieder aufgenommen hatte. — Ihr Sohn, Jean
Frangois G., geboren am 28. Oktbr. 1795 zu Paris, war, wie sein Vater,
Philologe und Historiker. Blusikalisch hat er sich gleichfalls hervorgethan,
indem er in mehreren .Journalen Kunstartikel veröffentlichte und eine kleine
Schrift: nReßexions sur le goüt musical en France« (Paris, 1832) herausgab.
(liaillarda, s. Gagliarda.
<waillard, Johann Ernst, von Burney und Hawkins Galliard geschrie-
ben, ein in hervorragender Weise verdienstvoller Tonkünstler und Componist,
wurde im J. 1687 zu Celle geboren und war der Sohn eines französischen
Friseurs. Seinen ersten Musikunterricht erhielt er auf Flöte und Oboe und
zwar bei einejn gewissen Marschall, während er von 1702 an in Hannover beim
Concertmeister Farinelli und dem Abbate Steffani eingehenderen tcnkünstleri-
schen Studien sich unterzog. Hierauf trat er als Kammermusiker in die Ka-
pelle des Prinzen Georg von Dänemark und folgte 1708 diesem Fürsten, der
sich mit der nachmaligen englischen Königin Anna verehelichte, auch nach
London. Dort wurde er als Nachfolger G. B. Draghi's Kapellmeister der
Wittwe Karl's IL, der Königin Katharina, von welcher Zeit an er bis zu seinem
Tode, Anfangs des J. 1749, sich auch einen bedeutenden Componistenruf er-
warb. Man kennt von ihm Anthems, ein Te dcum und ein Jubilate, ferner
die Opern y>Fan and )Si/rin.ra, nCalypso and Telemackus«, nOreste e Piladeu (un-
vollendet geblieben), die Musik zu den Dramen «Oedipus«, »Brutus«, »Julius
Cäsar« und die Pantomimen »Jw^jVer and Europaa, nThe necrotnajicer Dr. Faustus«,
yi Apollo and Daphnev. und »TÄe royal chaceoi', endlich noch Kammercantaten, eiu-
Gaillard — Galeazzi. 109
und mehrstimmige Lieder und Gesänge, eine Hymne aus Milton's »verlorenem
Paradiese«, Solos für Flöte, Violoncello, Fagott u. dgl. m. Für Schulzwecke
übersetzte er Tosi's Singschule in's Englische (London, 1742) und beschäftigte
sich mit Anlegung einer selbst gefertigten Abschriftensammlung von Partituren
fremder Meister. Gr. ist aucli der Gründer und Direktor der Äcademy of ancient
music (1710), die zehn Jahre später Händel und Buonoucini übernahmen, je-
doch schon 1727 eingehen Hessen, bis sie 1776, nach Bate's Plane neu in's
Leben gerufen, wieder erstand, zur Blüthe kam und noch jetzt unter den An-
stalten Londons existirt.
(:iaillar(l, Karl, begabter dramatischer und lyrischer Dichter und Musik-
schriftsteller, geboren am 13. Jan. 1813 zu Potsdam, war Mitbesitzer der Musik-
haudlung von Challier und Comp, in Berlin und gab von 1844 bis 1847 die
»Berliner musikalische Zeitung« heraus, welcher er, untijrstützt von talentvollen
Künstlern, mit grossem Freirauth und Humor vorstand, bis sie 1848 in die
»Neue Berliner Musikzeitung« aufging. Von seinem scharfen und treffenden
musikkritischen Urtheil zeugen viele Aufsätze der älteren Zeitung, und es ist
bemerkenswerth, dass G. als einer der Ersten für Eich. Wagner in die Schran-
ken trat. Wegen seiner Geradheit im Denken und Handeln wurde er in
schwieriger Zeit auch mit Vertretung der städtischen Interessen betraut, starb
aber schon am 10. Jan. 1851.
Gakschojiu (hebr.) nennt der Autor des im Artikel Gherasch (s. d.)
citirten Werkes einen hebräischen Accent, der folgende Tonfolge erfordern soll:
0.
Cfalaute oder galautemeute (ital), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung
artig, gefällig.
Galante Fug-e oder freie Fuge, als Gegensatz zur eigentlichen strengen
Fuge, s. Kanon und Fuge.
Gralanterie-Stimme nannte man ehedem in. der Orgelbausprache jede 2,5-
metrige Manual-Flötenstimme.
Gralante Schreibart oder galanter Styl, der Gegensatz zur contrapunkti-
schen, sogenannten gebundenen Schreibart. S. Styl.
Galarini, Pietro Antonio, hiess nach Laborde ein italienischer Compo-
nist, von dem 1690 zu Ferrara unter dem Titel »Dellsm ein dramatisches
Divertissement aufgeführt worden ist. t
Galaurone (ital.) ist der Name eines Brummeisens, über dessen nähere
Beschaffenheit Bisciula, Horar. Suhcesio. T. II lih. 2 c. 18 berichtet. 2.
Oalavotti, Geronimo, italienischer Tonsetzer zu Ende des 17. Jahrhun-
derts, war Kapellmeister an der Kirche Santa Maria in Trastevere zu Kom
und hat Messen zu 4, 5, 6 und 8 Stimmen (Rom, 1690) von seiner Composion
veröffentlicht.
Galeazzi hiessen mehrere italienische Componisten, die im Laufe des 18.
Jahrhunderts gewirkt haben. Antonio G. , aus Brescia gebürtig, war beson-
ders in Rom und Venedig thätig, in welcher letzteren Stadt von seinen Opern
1729 y^Zehnira in Cretav. und 1731 »/Z Trionfo della costanza in Statirm auf-
geführt wurden. Von seinen Kirchensachen sollen sich noch viele in der
Bibliothek der Kirche Santa ]\laria Maggiore zu Rom vorfinden, wie Baini in
seinem Werke über Palestrina berichtet. — Tommas o G., geboren zu Rom
1757, ein Castrat und als solcher einer der geschätztesten Sopransänger seiner
Zeit, der, als ihn der damalige Landgraf von Hessen-Kassel in Rom hörte, von
diesem für seine Hofbühne gewonnen wurde. Er sang jedoch nicht lange zu
Kassel, denn er ergab sich Ausschweifungen, die für ihn die mannigfaltigsten
und bösartigsten Krankheiten zur Folge hatten und endlich, 1780, sogar den
Verlust des Gehörs. Im J. 1783 kehrte G. nach Italien zurück und verschwand
110 Galerapung — Galilei.
damit gänzlich aus der Oeffentlichkeit. — Francesco G-., geboren 1738 zu
Turin, lebte später als erster Violinist am Teatro Valle, sowie als Musiklehrer,
Componist und musikalischer Schriftsteller zu Rom. Ein "Werk von ihm stEle-
menti teorico-pratici <H musica con un saggio sopra Varte di suonare il Violino«
(2 Bde., Rom, 1791 und 179G), welches durch Fiänzl auch in Deutschland
bekannt wurde, hat seinen Namen elucnvoll erhalten. Der erste Band handelt
von den Elementen der Musik und, durch Beispiele unterstützt, von der Kunst
des Violinspielens; der zweite enthält nach einer langen, gut geschriebenen
Vorrede einen Abriss der Musikgeschichte, eine Abhandlung über Harmonie-
lehre und Contrapunkt, sowie über Melodiebildung, lerner Paititurregeln und
Anweisungen über die Natur der Instrumente, nebst Notcmbeispielen.
draleiiipuug heisst das vollkommenste der auf Java gepflegten Saiteninstru-
mente. Dasselbe hat einen Bezug von 10 bis 1.') Darmsaiten und erinnert in
seinem Bau an das cliiuesische Kin (s. d.). 2.
(ilaleiiO; Giovanni Battista, tüchtiger italienischer Madrigalencomponist
aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, von dessen Arbeiten nach Draudii
Bibl. Exot. y>Il primo libro de^ Madrigali «5^6 vocW (Antwerpen, 1594) ge-
druckt worden sind. Gr. selbst stand von Jugend auf in Diensten des deutschen
Kaisers Rudolph II.
Oaleotti, Steffano, auch Galiotti geschrieben, italienischer Violoncello-
Virtuose und Instrumentalcomponist, geboren um 1730 zu Velletri, liess sich
nach grösseren Kunstreisen in Holland nieder, kehrte aber, da das dortige
Klima seine Gesundheit bedrohte, über Paris nach Italien zurück, von welcher
Zeit an weitere Nachrichten über ihn fehlen. In Amsterdam erschienen von
ihm 1762 sechs Streichtrios als op. 2, in Paris 1785, mit op. 4 bezeichnet,
sechs Solos für Violoncello und 1790 bei Hummel in Berlin, wahrscheinlich
als Nachdruck, abermals sechs Violintiios op. 3.
Galetti, eine berühmte italienische Sängerfamilie, deren vorzüglichstes Glied
Giovanni Andrea G. war. Derselbe, um 1715 zu Cartona im Grossherzog-
thum Toscana geboren, hatte seit 1750 am herzogl. Hoftheater zu Cxotha Stel-
lung als Baritonist und galt allgemein für einen angenehmen, dabei auch viel-
seitig und gründlich gebildeten Sänger. Im -J. 1765 verfasste er den Text
nCiro riconnosciiito«, welche Oper von Georg Benda componirt wurde. G. selbst
starb hochgeschätzt in Gotha, am 25. Oktbr. 1784. — Seine Gattin, Elisabeth
G., nicht minder gebildet und ausgezeichnet als Sängerin, war um 1730 in
Durlach geboren, frühzeitig in Gotha engagirt iind seit 1754 mit G. verheirathet.
An den mehrfach bekannt gewordenen Poesien ihres Gatten soll sie einen be-
deutenden dichteiischeu Antheil gehabt haben. — Für einen älteren Bruder
G.'s gilt, vielleicht nicht mit Unrecht, Domenico Giuseppe G., dessen Ruhm
als Sänger an den bedeutendsten Opernbühnen Italiens zwischen 1730 bis 1740
sehi- gross war. Näheres ist über denselben nicht bekannt geworden.
Ualibert, Pierre Christophe Charles, ein begabter französischer Ton-
künstler, geboren am 8. Aug. 1826 zu Pcrpignan, kam, in seiner Vaterstadt
musikalisch gut vorbereitet, 1845 auf das Pariser Conservatorium , wo Bazin,
Elwart und Halevy in den verschiedenen theoretischen Fächern seine Lehrer
waren. Die Cantate »Les rocJiers d^Appet^zelU verschaffte ihm 1853 den ersten
Compositionspreis und verbunden damit die Mittel zu einem dreijährigen Studien-
aufenthalt in Italien. Nach Paris 1857 zurückgekehrt debütirtc er als Com-
ponist ziemlich glücklich mit der Operette nAprt's Voragea, welche die Jßouffes
parisiens aufführten. G. selbst aber starb nach kuizer Krankheit schon in den
ersten Tagen des August 1858.
Galilei, Vincenzo, einer der Mitbegründer der Oper in Italien, Compo-
nist der ersten IMonodien und musikalischer Schriftsteller, geboren um 1540
zu Florenz als der Sohn eines Edelmanns, gehörte mit Girolamo Mei zu den
eifrigsten Verfechtern einer Musiki-eformation nach altgriechischen Grundsätzen,
welche Bestrebungen in dem Gelehrtenkreise des gräflich Bardi'schen Hauses
Galimberti — Galitzin. 1 1 1
in Florenz ihren Mittelpunkt fanden. S. Oper. Gr. als Musikschüler Zarlino's,
als guter Sänger und Lautenspieler, sowie als vielseitig gebildeter Mann über-
haupt, verstand es, seine Ideen theoretisch und praktisch zur Anwendung zu
bringen. Er hatte sich bereits einen Namen durch das von ihm verfasste "Werk
vll Fronimo, dialogo sopra Varte del hene intavolare e retfamente suonare la musica
negli stromenti artificiali, si di corde come di fiato et in partioolare nel liutod
(Venedig, 1569, dann 158.3) geschaffen, als er im Eifer für die neu gewonnenen
Principien es sogar unternahm , gegen das streng contrapunktische Harmonie-
system seines berühmten Lehrers Zarlino aufzutreten und in diesem Sinne das
Buch yiDiscorso intorno all' opere di ZarU7io<i (Florenz, 1581) veröffentlichte,
dem das grössere Werk -nDialogo dclla mtisica antica e moderna, i?i sua difesa,
contra G-iuseppe Zarlinov. (Florenz, 1581, 1602) folgte. Gr. und seine Freunde
als Anhänger des declamatorisch-recitirenden Styls in der Musik führten hier-
auf einen erbitterten Kampf gegen Alles, was dem Contrapunkt huldigte und
sicherten ihren Gri'undsätzen einen nachhaltigen Einfluss auf die Musikübung,
indem sie denselben praktisch greifbare Grestalt verliehen. So componirte G^.,
um zu zeigen, auf welche Weise man ein richtiges Verhältniss zwischen den
Worten eines Gedichts und der Musik dazu herstellen könne, die Episode des
Ugolino aus Dante und sang sie unter dem grössten Beifall dem Kreise beim
Grrafen Bardi mit Begleitung von Laute und Viola vor. Aehnlich verfuhr er
mit den Klageliedern des Jeremias, für die man ebenfalls nur Lob fand, so
dass hiermit die Bahn gebrochen wurde, auf der zunächst Peri und Caccini
fortschritten. — G.'s Sohn war der weltberühmte, um die Naturlehre durch
seine Entdeckungen unsterblich Verdiente Galileo G., geboren am 18. Febr.
1564 zu Pisa, gestorben am 8. Jan. 1642 zu Florenz. Eifriger Musikfreund,
der selbst mehrere Instrumente mit Fertigkeit spielte, hat er u. A. auch durch
gründliche Darstellungen Licht verbreitet über die Schwingungen der Saiten,
über die Natur und die gegenseitigen Verbältnisse der Töne, über die Fort-
pflanzung des Schalls u. s. w. Wichtig für die Untersuchungen der Folgezeit
nach dieser Seite hin, waren seine y^Discorsi e dimostrazioni matematichea (Flo-
renz, 1638), die sich auch im zweiten Baude seiner gesammelten Werke (Bo-
logna, 1655) befinden. Die vollständigste Ausgabe seiner schriftstellerischen
Arbeiten erschien erst im 19. Jahrhundert (13 Bde., Mailand, 1808). — Ein
naher Verwandter und Zeitgenosse G.'s war Michele Angelo G., der zu
Florenz, wo er auch geboren war, in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahr-
hunderts als geschickter Lautenspieler sich einen Namen erworben hatte. Nach
Printz soll er sich auch in Deutschland aufgehalten haben, und für diese Be-
hauptung spricht eine daselbst erschienene und ihm zugeschriebene Lauten-
tabulatur (Ingolstadt, 1620).
(xalimberti, Fernando, italienischer Violinvirtuose, der um 1740 in seiner
Geburtsstadt Mailand als Künstler sehr angesehen war und auch als Gomponist
von Sinfonien u. s. w. genannt wird.
(xaliu, Pierre, tüchtiger französischer Mathematiker, geboren 1786 zu
Samatan, lebte als Professor seiner Disciplin zu Boi'deaux und beschäftigte sich
in späteren .Jahren damit, wie in verschiedenen Wissenschaften, so auch in der
Musik verbesserte Lehrmethoden zu schaffen.
Galitzin, Georg, Fürst von, ein kunstbegeisterter Dilettant und Musik-
kenner, wurde etwa 1825 zu St. Petersburg geboren als ein Sohn jenes Kunst-
gönners Fürst Nicolaus von G. (gestorben 1866 auf seinem Gute im Kurski'-
schen Gouvernement), für welchen Beethoven seine letzten Streichquartette
schrieb. Sorgfältig wissenschaftlich, musikalisch und gesellschaftlich ausgebildet,
gründete G. im J. 1842 zu Moskau eine Vocalkapelle, bestehend aus etwa 70
zehn- bis zwölfjährigen Knaben, die er gleichmässig kleidete, nährte und körper-
lich wie geistig bildete. Den musikalischen Unterricht versah er selbst und
erzielte damit so überraschende Resultate, dass diese Kapelle, für die er auch
mehrstimmige Gesänge verschiedener Art schrieb, über zwei Jahrzehnte lang
112 Gall— Galley.
zu den musikalisclien Merlcwürdigkeiten Moskau's gerechnet wurde. Ende der
ISGOer Jahre sammelte (r. eine lustriimentalkapelle, die er selbst einübte und
mit der er erfolgreiche Kunstreisen durch Russland unternahm. Im J. 1872
concertirte er mit derselben in den Vereinigten Staaten, wo man jedoch die
Bizairerien (t.'s als Instrumentalcomponist und Dirigent vielfach bemängelte.
Im Begriff, mit dieser Kapelle zu Concerten nach Deutschland abzureisen, starb
Fürst G, schnell und unerwartet im Mai 1873 zu New- York,
(xall, Ferdinand, Freiherr vou, Hof- Theater-Intendant in Stuttgart, ein
gi-ündlicher Kunstkenner und Musikfreund, geboren am 13. Oktbr. 1809 zvr
Battenberg (Grrossherzogth. Hessen), erhielt seine ex'ste Erzieimng durch Hof-
meister, besuchte dann das Gjannasium zu Darmstadt und studirte in den
Jahren 1826 bis 1830 zu Giessen und Heidelberg Rechtswissenschaft, zeigte
aber schon früh viele Hingebung für die Kunst, besonders für die Schauspiel-
kunst. 1834 trat er in den Hofdienst des (Irossherzogs von Oldenburg, wo-
selbst ihm Zeit genug blieb, seine Lieblingsstudien wieder aufzunehmen und
fortzusetzen, sowie durch grössere Reisen seinen Gesichtskreis zu ci'weitern.
Diese Reisen führten ihn 1838 durch einen grossen Theil des Nordens von
Europa und später nach dem Süden, namentlich nach Frankreich und Paris.
Auf beiden Reisen war sein vorzügliches Streben, sich immer mehr in das
Wesen der Kunst zu vertiefen und seinen Geschniack mehr und mehr auszu-
bilden. Die Reise nach dem Norden, namentlich durch Schweden, beschi'ieb
er in einem eigenen Werk, das 1838 in zwei Bänden zu Bremen erschien und
in mehi-ere Sprachen übersetzt ward, die in dem Süden in dem Buche »Paris
und seine Salons« (Oldenburg). Ziemlich gleichzeitig mit letzterem Werk er-
schien »Der Bühnen vorstand«. Es hatte zur Folge, dass G. 1846 nach Stutt-
gart als Intendant des Königl. Hoftheaters berufen ward, wo er über 20 Jahre
lang in dieser Stelle wirkte. Unter seine Vei-waltuug fällt die glänzendste
erste Aufführung des »Nordstern« in Deutscldand, und die der »Dinorah«, beide
von Meyerbeer selbst einstudirt. Dabei kümmerte sich G. viel um eine ein-
heitliche Gestaltung des gesammtcn deutschen Bühnenvereins, und er gehört
mit zu den Gründern des deutschen Bühnenvereins, der Kartellverträge und
anderer gemeinsamen Massregeln und namentlich der jährlichen Conferenzen
der bedeutendsten Bühnenvorstände. Mehrmals war er Vorstand des deutschen
Bühnenvereins und Präsident dieser Conferenzen. Als er in den Ruhestand
trat, übertrug ihm der König von Württemberg die Stelle eines Ceremouien-
meisters; schon lange vorher war er zum Königl, Kammerherrn ernannt wor-
den. In den Kriegsjahren 1870 und 1871 wirkte G. mit grosser Hingebung
als Johanniter und erhielt für seine Thätigkeit als solcher das Eiserne Kreuz,
welches er von da an fast allein noch von seinen vielen Ordens- und Ehren-
zeichen trug. G. starb am 30. Novbr. 1872 zu Stuttgart,
(»all, Joseph, Instruraentenmacher, der zu Anfange des 19. Jahrhunderts
zu Wien lebte, ist der Vei'fasser eines Clavierstimmbuchs.
dlallaud, Antoine, französischer Philologe, geboren 1646 von armen Eltern
zu Rollet in der Picardie, war zu Anfange des 18, Jahrhunderts Professor der
arabischen Sprache an dem College royal und Mitglied der Academie der In-
schriften zu Paris, als welcher er daselbst am 17. Februar 1715 starb. Von
ihm ist eine Abhandlung, y^V Histoire de la Trompette et de ses usages chez les
anciensa betitelt, in der Gescliichte der Acadeinie der Inschriften Seite 104
abgedruckt, die manches Eigenthümliche über Ursprung und Arten dieses In-
struments bietet. Madame Gottsched übersetzte dieselbe ins Deutsche und
Marpurg hat im zweiten Bande seiner Beiträge einen Auszug daraus gegeben.
t
Gallay, Jacques Frangois, berühmter französischer Virtuose und Lehrer
des Horns, geboren am 8. Decbr. 1795 zu Peipignan, trieb seit seinem zwölf-
ten .Jahre bei seinem Vater, einem guten Dilettanten, Hornstudien, so dass er
sich bald öffentlich hören lassen konnte. Erst 1820 aber konnte er es ermög-
Galle — Gallerano. \\^
liehen, nach Paris zu gehen, um das Conservatoriura zu besuchen, dessen In-
spektor Ferne sich aber nur mit Mühe bereit finden Hess, einen Zögling, der
das vorschriftsmässige Alter so weit überschritten hatte, aufzunehmen. G. wurde
an dieser Anstalt Dauprat's Schüler und erhielt bereits nach einem Jahre den
ersten Preis. Im J. 1825 trat er in das Orchester der italienischen Oper zu
Paris, nachdem er einige Zeit in dem des Odeon gewesen war, und wurde als-
bald hierauf auch in die königl. Kapelle gezogen, der er unter Karl X. und
Louis Philippe angehörte; im J. 1842 wurde er Nachfolger seines Lehrers
Dauprat am Pariser Conservatorium, Er hat für sein Instrument ein Concert,
ein Rondo, Fantasien, Solos, concertante Duos, Etüden, leichte Kocturnen für
zwei Hörner, Duos für Hörn und Pianoforte oder Harfe geschrieben und ver-
öffentlicht. G. starb im J. 1864 zu Paris.
Galle, Daniel, deutscher Gelehrter, der zu Ende des 17. Jahrhunderts
wahrscheinlich in den Niederlanden lebte und eine Dissertation y>De Jiymnis
ecclesiae veteris publice disputaviU (Wittenberg, 1736) veröffentlichte, wovon
E. L. Gerber 1812 ein Exemplar besass. f
Oalleazzi, s. Galeazzi.
Oallecius, Pranciscus, auch Gallesius oder Galletius geschrieben, ein
belgischer, aus Mons im Henuegau gebürtiger Musiker und Gelehrter, der nach
des Draudius Bibl. class. y>Hi/mnos communes Sanctorum a A, 6 et Q voca
(Douay, 1586) herausgab. In demselben Jahre erschienen noch von ihm:
y)Oantiones sacr. 3 et plurium vocm (2. Aufl. Douay, 1600), welche beiden Werke
sich auf der königl. Bibliothek zu München befinden. f
Gallemart, Jean de, Doctor der Theologie und Eector des königlichen
Collegiums zu Douay, starb 1625 im Hennegau an der Pest. Er war auch in
der Musik wohl bewandert und hat sich nach Savertii Äthenas Belgicas um
dieselbe sehr verdient gemacht. t
Grallen, Johann Michael, Magister und Kapellmeister des Bischofs und
Domkapitels zu Costnitz um 1687, gab von seinen Compositionen einen 'f>Or'
fheus coelestis, seu concentus musici in Dei, Deiparae Divorumque laudes ador-
nati a 2 vocibus cum 2 Violinis necessar. ac a S Violinis ad lihit.; adhibendis,
nee non ß 3, 4, 5 Viol. cum vel sine instrumentisv^ heraus. t
Gallenberg, Wenzel Robert Graf vou, beliebter Modecomponist der
ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, geboren 1783 zu Wien, erhielt eine
feine, auch auf das Musikalische gerichtete Erziehung. Nachdem er seit 1801
Claviercompositionen in Wien und Leipzig veröffentlicht hatte, ging er auf
längere Zeit nach Italien, wo er mit dem Theaterdirector Bai'baja in Verbin-
dung tretend, leichte, ansprechende Musik zu zahlreichen Ballets schrieb und
aufführen Hess. Als Barbaja die italienische Oper in Wien übernahm, wurde
G. Mit-Administrator und zugleich Präses des Operncomites. Im J. 1829 über-
nahm er die k. k. Hofoper im Kärnthnerthor-Theater für eigene Rechnung,
vermochte sich aber nicht zu halten. Seitdem verweilte er abwechselnd in
Frankreich und Italien und schrieb noch zahlreiche Balletcompositionen. End-
lich zog er sich zu gänzlichem Stillleben nach Rom zurück, wo er im Mai 1839
auch starb. Von seinen etwa 50 Ballets war besonders »Alfred der Grosse«
weithin sehr beliebt. Sonst veröffentlichte er noch vierhändige Ciaviermärsche,
eine Sonate, Fantasien, Rondos, Variationen, Polonäsen u. s. w. für Pianoforte.
Verewigt aber hat G.'s Namen Beethoven, der über eines von dessen Walzer-
themen berühmt gewordene Variationen schrieb. — G.'s Gattin war die ehe-
malige Geliebte Beethoven's, jene Gräfin Giulietta Guicciardi, welcher die Gis-
moll-Sonate gewidmet ist.
Oallerano, Leandro, auch Galerano geschrieben, italienischer Kirchen-
componist, geboren zu Brescia gegen Ende des 16. Jahrhunderts, war erst
Organist an der San Francescokirche und unter dem Namen »VInvolatoa Mit-
glied der Akademie der Occulti zu Brescia, später Kapellmeister an der Kirche
San Antonio zu Padua. Von ihm: Missa e Salmi concertati a 3, 5 c 8 voci
Musikal. Gouvurs. -Lexikon, iv. 8
114 Galletti — Galliculus de Muris.
con ripienh (Venedig, 1629); Motetti a 1, 2, 3, 4 e 5 voci; Motetti a voce
sola; Compieti e Letanie a 8 voci con istromenti, sümmtlich in Venedig er-
schienen.
Galletti, s. Galetti.
Oalley, s. (lallay.
Oalli, Filippo, l)crühinter italienischer OpernBiluger, geboren 1783 zu Rom,
wo sein Vater T)irector der päpstliclien Floreria oder Garderobe war, erhielt
eine sorgfältige, auf das Geistliche gerichtete Erziehung. Doch G., bereits mit
zehn Jahren ein ziemlich tüchtigor Clavier^pielcr, cultivirte mit Vorliebe seine
schöne Stimme, besonders als sie sich zu einem prächtigen Tenor umgesetzt
hatte. Achtzehn Jahr alt verheirathete er sich und von Zwang befreit, wie
er nun war, beschloss er zur Bühne zu gehen. Im Carneval 1804 debütirte
er zu Bologna in (Touerali's »Gaccia di Enrico JF.« mit ausserordentlichem
Erfolge, ebenso sang. er an anderen Bühnen Italiens, bis nach sechs Jahren
eine Krankheit seinen Tenor in einen Bariton verwandelte, den er auf Paisiello's
Rath gleichfalls ausbildete und zu einer entzückenden Klangfarbe brachte. Nun
debütirte er höchst glücklich auf dem Teatro San Mose zu Venedig 1812 in
Rossini's y)Tnganno felicc^, sang 1813 zu Mailand unter Enthusiasmus den Sl-
gillaro in der »Pietra del Paragone«, welche Rolle er auf originelle Art auf-
fasste und weiterhin in Italien und Barcellona besonders den Bey in der
nItaUana in Algeri<i und den Türken im y>Turco in Italiaa (1814). Rossini
schrieb eigens für G. 1817 die Rolle des Fernando in der nGazza ladraa, und
1820 trat derselbe zu Neapel im y>Maometto<s. auch zum ersten Male in der
ernsten Oper und zwar mit unvermindertem Beifall auf. In den Jahren 1821
und 1825 bis 1828 war G. in Paris engagirt; sonst sang er in Italien und
Spanien, bis er sich von 1831 bis 1836 für die Oper in Mexico gewinnen Hess.
Als er hierauf nach Italien zurückkehrte, war seine Glanzzeit vorüber, und er
sank in Madrid und Lissabon bis zum Opernchoristen herab. Im J. 1842
begab er sich, furchtbar zurückgekommen, nach Paris, wo man ihm eine der
untergeordneten Gesanglehrerstellen am Conservatorium übertrug. Er starb
am 3. Juni 1853 zu Paris.
Qalli, Francesco Scotto, italienischer Franziscanermönch und Kirchen-
componist, geboren um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu Cesena, war Kapell-
meister an der Kathedrale zu Fano im Kirchenstaate, als welcher er einige
Motetten u. s. w. veröffentlichte. — Sein Zeitgenosse und Franziscaner-Amts-
bruder war Vincenzo G., lateinisch Gallus, um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts in Sicilien geboren und an der Kathedrale zu Palermo als Kapell-
meister angestellt. Von ihm: y>Il primo libro di Madrigali a 5 voci«^ (Palermo,
1589) und »D«e Misse « 8 e 12 voci'.i (Rom, 1596); die erste dieser Messen
ist zweichörig (achtstimmig), die andere dreichörig (zwölfstimmig). Von dem
Ertrage seiner Compositionen Hess G. sein Kloster erweitern und an eine Säule
die Inschrift setzen: nMusica GalU«.
Oalliard, s. Gaillard.
Galliculus, Johann, deutscher geistlicher Componlst und musiktheoreti-
scher Schriftsteller aus der Reformationszeit, lebte 1520 zu Leipzig und soll
zahlreiche Hymnen und Psalme in Musik gesetzt haben, von denen aber nur
einzelne in Sammelwerken des 16. Jahrhunderts, wie im y>Nov2im et insigne
opus musicum« u. s. w. erhalten geblieben sind. Dagegen kennt man seine
ungemein verbreitet und beliebt gewesene Abhandlung -nlsagoge de compositione
cantusv. (Leipzig, 1520), welche unter dem Titel nLibellus de compositione cantusn
("Wittenberg, 1538 und 1546) in einer zweiten und dritten Auflage erschien
und bald unter dem einen, bald unter dem anderen Titel noch eine vierte, fünfte
und sechste Auflage, der beste Beweis der Nützlichkeit dieser Schrift (1548,
1551 und 1553) erlebte. Dieselbe enthält jedoch mehr eine Anweisung für
Erlernung des Contrapunkts als der eigentlichen Gesangscomposition.
Gallionlns <1e Mnris, Michael, ein musllcgelehi'ter Cistercienaermönch, der
Gallimard — Gallus. 115
um die Wendezeit des 15. und 16. Jahrhunderts in Altenzelle lebte und einen
Tractat »De vero modo s'pallendW verfasste, der sich im Manuscript auf der
Bibliothek zu Oxford befindet.
Oallimard, Jean Eduard, französischer Mathematiker und Musikliterat,
geboren 1683 zu Paris und gestorben 1771 ebendaselbst, verfasste und ver-
öffentlichte eine r>Theorie de sons applicables ä la musique, oü Von demonfre les
rapportes et tous les intervalles diatoniques et chromatiques de la ffamme^t (Paris,
1754).
Gallimberti, s. Galimberti.
(xallino, Gregorio, italienischer Tonsetzer, um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts als Kirchenkapellmeister zu Gemona im Friaul angestellt, gab von
seinen Conipositionen Messen und Psalme (Venedig, 1654) heraus.
Gallische oder keltische Trompete nannte man ehemals eine kurze Trom-
pete mit gerader Schallröhre und von enger Mensur, die einen hohen, durch-
dringenden Ton hatte. Einige bringen diese Trompete der Klangart halber
mit der Caruyx der Griechen in Zusammenhang, welcher Zusammenhang jedoch
sich nur aus den bis zum Mittelalter hin noch nicht ganz festgestellten Be-
griffen der Instrumentnamen: Trompete, Hörn und Posaune erklären lässt.
Siehe hierzu den Artikel Trompete. 2.
Gallitz, Georg, latinisirt Gallitzius, Schulmann, dabei aber auch ge-
lehrter Musiker und geschätzter Componist, geboren 1652 zu Berscwitz in Un-
garn und gestorben 1694 als Rector des Gymnasiums zu Bremen, hat sich um
die Musikübung an seiner Schule grosse Verdienste erworben.
Gallo. Dieses Namens sind einige italienische Componisten und eine Sängerin
bekannter geworden. 1. Giovanni Pietro G., der im 16. Jahrhundert lebte
und von dessen Arbeit man in dem Sammelwerke des de Äntiquis r>Primo lihro
a 2 voci(s. (Venedig, 1585) mehrere Motetten findet. 2. Domenico G., ge-
boren um 1730 zu Venedig, der als Violinvirtuose und Kirchencomponist in
Italien sich eines grossen B-ufes erfreute und auch in Deutschland, um 1760
durch verschiedene Sinfonien und Violinconzerte im Manuscripte bekannt wurde.
3. Ignazio G., ein Schüler Scarlatti's, der um das J. 1751 am Conservatorio
della piietä de^ Turchini in Neapel Lehrer war und meist Kirchencompositionen
schrieb. 4. Catarina G., geboren zu Cremona, wui'de in ihrem Vaterlande,
besonders zu Bom, sowie zu Paris von 1750 bis 1760 als ganz vorzügliche
Sängerin gefeiert.
GalloiS; Jean le, Abbe und französischer Gelehrter, geboren 1632 zu
Paris, war ein Meister im Griechischen und Hebräischen und starb 1707. Unter
seinen Schriften sind, als die Musik betreffend anzuführen: -^Lettre ä Mlle.
Regnault de Saullier touchant la musiqttea. (Paris, 1680) und ein »Auszug aus
einem Briefe des Don Quesnel, betreffend die aussergewöhnlichen Wirkungen
des Echos.
Oallois-Gourdin, französischer Musiker des 15. Jahrhunderts, der zu Paris
lebte und von dem nur noch bekannt geblieben, dass er als erster Kapellmeister
des Königs Ludwig XI. von Frankreich angestellt gewesen ist.
(xalluccio, Gerardo, italienischer Kirchencomponist, der zu Ende des 16.
Jahrhunderts als Kapellmeister in Pavia lebte, hat von seinen Arbeiten Misse,
Salmi, Gompiete, Litanie della Mado7ina e falsi bordoni a quattro voci durch den
Druck veröffentlicht.
(xallus, Jacob, einer der bedeutendsten deutschen Contrapunktisten der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, hiess eigentlich Hähnel oder in der
Volksmundart Handl. Um 1550 zu Krain geboi'en, wurde er Kapellmeister
des Bischofs Stanislaus Pawlowski von Olmütz, darauf kuiserl. Kapellmeister
und starb sehr berühmt am 4. Juli 1591 zu Prag. Die zahlreichen Trauer-
gedichte auf seinen Tod bilden in der Strahover Bibliothek zu Prag eine eigene
Sammlung. — G.'s Ansehen als Tonsetzer war sehr gross, und er verdiente
auch das Lob vollständig, welches ihn den besten italienischen Tonmeistern
116 Gallus — Galoubet.
seiner Zeit würdig zur Seite stellte. Vom deutschen Ktiiser erhielt er 1588
zur Herausgabe seiner Werke ein Privileginm auf zehn Jahre, und diese sind:
•nMusicum opus 5, ß et 8 vocumfn (4 Theile, Prag, 1586, 1587 und 1590; in
Frankfurt a. M. und Nürnberg, trotz des Privilegiums schon 1588 und 1591
nachgedruckt); im 4. Theile befindet sich u. A. ein Gesang für 24 Stimmen,
in vier sechsstimmige Chöre getheilt; ferner r>Moralia 5, 6 e^ 8 vocihus concin-
natu, atque tarn seriis quam festivis cantibus voluptati humanae accommodafaa
(Nürnberg, 1586) mit 47 Stücken verschiedener Art; y>IIarmo7iiae variae 4
vocum« (Prag, 1591); ■nSarmoniariim moraliiim 4 vocum liher 3« (Prag, 1591);
r>Sacrae canfiones de praecipuis festis per totum annum 4, 5, 6, 8 et pltirUms
voeilmsv. (Nürnberg, 1597); y^Moteitae qiiae pirostant omnes<i(FvsinMnvti\..M.., 1610).
Endlich befinden sich noch in Bodenschatz's rtFlorilef/iiim portensea 33 Gesänge
von ihm, unter diesen das berühmte y^Ecce quomodo moritur justusu, welches
neuerdings Repertoirstück des Berliner Domchors geworden ist.
Gallus, Johann, s. Mederitsch.
Galopp oder Galonpade (franz.: galop, ital.: galoppo), in Deutschland früher
auch Hopser oder Rutscher genannt, weil man beim Tanzen auf den Fuss-
spitzen rutschte, ist einer der ausgelassensten Rundtänze der Neuzeit, dessen
Musik im lebhaften ^/^ Takt gesetzt ist. In der Regel besteht die Musik zum
Gr. aus zwei Th eilen, in moderner Art componirt, die in der Tonika (s. d.)
enden, und aus zwei Triotheilen, ebenso in einer verwandten Tonart gesetzt.
In allerjüngster Zeit verschwindet dieser Tanz immer mehr aus dem Gebrauch,
ja man kann fast sagen, er wird gar nicht mehr getanzt, und dennoch findet
man ganz neue Tonschöpfungen, die diesen Titel führen. Diese Tonschöpfungen
zeigen eine mehr künstlerisch-phantastische Form, indem sie nicht zur Praxis,
sondern nur zum geistigen Durchleben geschaffen worden sind. Sie zeigen
eine Einleitung, einen mehr dem Tanze entsprechenden Abschnitt, und eine
Coda (s. d.) oder Finale (s. d.), das die Tanzeigenheiten in höchster Be-
schleunigung sinnlichen Rasens darzustellen sich bemüht. Diese sinfonische
Ausbildung des G., der Zeitströmung entflossen, jeden aus dem Leben scheiden-
den Tanz den monumentalen Tonschöpfungen einzuverleiben, scheint jedoch
wenig Lebensdauer erhoffen zu dürfen, da sie dem wirklichen Tonlebeu nur
geringen Spielraum gestattet, weshalb Ton werke dieser Art ziemlich schnell
der Vergessenheit anheim fallen. 2.
Galot hiess nach Printz's Mus. Hist. ein in der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts sehr berühmt gewesener französischer Lautenist, welchen Froli-
berger im J. 1653 in Paris aufsuchte, um aus seiner Spielmanier für die Be-
handlung des Claviers zu profitiren. t
Galoubet oder Flutet nennt man eine in einzelnen Theilen Frankreichs
nur vom Volke noch gepflegte Querflöte mit drei Tonlöchern, die mittelst der
linken Hand behandelt wird. Durch verschiedenartige Anblasung, welche zu
erlernen angestrengte Studien erfordert, können diesem Instrumente die Töne
von d^ bis a^ in chi'omatischer Folge entlockt werden, die die Spieler oft mit
grosser Virtuosität anzuwenden verstehen. Im 9. Jahrhundert werden in einem
Manuscripte von Aymeric de Peyrac, das die Pariser Staats])ibliothek unter den
Nummern 5944 und 5945 führt, zwei Flöten, »Flahuta« und »Fistula«, er-
wähnt, welche wahrscheinlich als Vorgängerinnen des G. zu betrachten sind.
Es lässt sich vermuthen , dass diese Flöten der alten durch die Römer sehr
gepflegten Doppelflöte ihre Entstehung verdankten, und zwar der mit ungleich-
langen Schallröhren. Da beide Röhren der Doppelflöte gesondert waren und
auch einzeln angeblasen werden konnten, so scheint nichts natürlicher, als dass
aus der grösseren Röhre die Flahuta und aus der kleineren die Fistula oder
Frestele entstand. Für diese Vermuthung sprechen auch die gleiche Anzahl
der Tonlöcher des G. und seine Spielweise, die deswegen wohl der der Flahuta
und Fistula als gleich zu erachten ist, weil später alle in Gallien oder Frank-
reich in Gebrauch befindlichen Flöten auch nur drei Tonlöcher hatten und wie
Galtruchius — Galuppi. 111
jede Einzelnröhre der Doppelflöte mit einer Hand behandelt wurden. Es lässt
sich fast mit öewissheit annehmen, dass das Volk, welches allein bis zum 16.
Jahrhundert hin Elöten gebrauchte, wohl bei einer eigenen Erfindung einer
solchen mehr denn drei Tonlöcher zu geben als nothwendig erachtet hätte,
wenn nicht eine ältere Erfindung auf die Grestaltung ihrer Flöte eingewirkt
hätte. Die Gr. war, wie erwähnt, früher in ganz Frankreich in Gebrauch und
führte wahrscheinlich zu dem Bau der mit einer Hand zu behandelnden Quer-
flöten, welche beim Fussvolk die Trommler erhielten, um den Marsch der Trup-
pen durch dieselben mit Begleitung der Trommel zu beleben; diese Anwendung
im 18. Jahrhundert verschwand jedoch sehr bald aus dem Leben. Jetzt findet
man die G. nur noch in der Provence bei ländlichen Festen cultivirt, wo dann
oft deren einige zwanzig gleichzeitig einstimmig eine heitere Melodie geben,
deren Takt durch das Tambourin markirt wird. . B.
Galtruchius oder Gaultruche, Pierre, gelehrter französischer Jesuit, ge-
boren zu Orleans im J. 1602, war Doceut zu Caen, in welcher Stadt er am
30. Mai 1681 starb. Er hat u. A. eine die Musik berührende Schrift: »Mathe-
maticae totius, hoc est Arithmeticae, Geometriae, Astronomiae, Ghronolocjiae^ Gno-
monicae, GeograpJiiae, Opticae, Musicae clara et accurata institutioo. (Wien, 1661)
herausgegeben. Vgl. Grruber's Beiträge II. St. S. 27. f
Galtns, Germer, holländischer Orgelbauer, lebte um die Mitte des 17.
Jahrhunderts zu Amsterdam und hat sich durch den Bau bedeutender Wei'ke
in seinem Vaterlande einen grossen Ruf erworben. Die bedeutendsten derselben
sind: ein Werk zu Monnikendam (1640) mit zwei Manualen und angehängtem
Peda], dessen Principal und Trompete 3,7 metrig sind, indem sie erst vom F
anfangen, und die Orgel in der neuen Kirche zu Amsterdam, die er in seinem
Todesjahre, 1650, zu bauen begann und die der Orgelbauer Hagelbeer 1651
vollendete. Vgl. Hess, Disposit. f
Oaluppi, Baldassarre, berühmter italienischer Opern- und Kirchencom-
ponist, sowie guter Clavierspieler, geboren am 18. Oktbr. 1706 auf der unweit
Venedig gelegenen Insel Burano, weshalb G. selbst ml Buranellotn genannt
wurde, erhielt den ersten Musikunterricht von seinem Vater, einem Barbier,
und seine höhere Ausbildung auf dem Gonservatorio degV incwrahiU in Venedig,
wo Lotti, dessen Stelle er nachmals erlangte, sein Hauptlehrer wurde. Seine
Erstlingsoper -aGli amici rivaUa fiel bei ihrer ersten Aufi'ührung 1722 in Venedig
total durch. Um so glänzender war sein Erfolg als dramatischer Componist,
namentlich auf dem Gebiete der Opera hvffa, von 1729 an, wo er die Oper
'üDorindaa, Text von dem musikberühmten Marcello zur Aufführung brachte,
bis zu seinem Tode. In dieser Eigenschaft wurde er auch 1741 eigens nach
London berufen, wo er bis 1744 mehrere Pasticcios und die Opern yyPenelope«.
(1741), nScipione in Cartaginea (1742), yy^nricoa (1743) und yiSlrbace«. (1743)
componirte, auff'ühren Hess und in den Druck gab. Nach Italien zurückgekehrt,
vergrösserte sich seine Routine und sein Ruhm immer mehr. Am 6. April
1762 wurde er zum Nachfolger Giuseppe Saratelli's als Kapellmeister an der
San Marcokirche in Venedig gewählt und zeichnete sich auch in diesem wich-
tigen Amte ehrenvoll aus. Jedoch folgte er schon 1765 einer Berufung als
Orchesterchef an das Hoftheater in St. Petersburg, mit welcher Stellung 4000
Rubel Jahresgehalt, freie Wohnung u. s. w. verbunden war. Namentlich hob
er dort das kaiserl. Orchester aus einem jämmerlichen Zustande bis zu be-
deutender Leistungsfähigkeit empor, führte die italienische Kirchenmusik in
Russland ein und erwarb sich durch seine Opern y>Didone ahhandonata<s. (1766)
und y>Ifigenia in Tauridea (1768) immensen Beifall und Auszeichnungen aller
Art. Nach dreijährigem Aufenthalte in Russland kehrte er in sein Amt an
der Marcuskirche zurück, welches ihm offen gehalten war, und führte dasselbe
hochgeehrt und hochberühmt bis zu seinem Tode, im Januar 1785. Wie als
Künstler, so stand auch als Mensch G. wahrhaft gross da, und ein Vermächt-
niss von 50,000 Lires für die Armen Venedigs spricht für seinen Wohlthätig»
118 Galvi-Neuhaus — Gambang.
IceitsBinn. — Man führt von ihm gegen 70 Opern an, von denen die komischen
Inhalts und von diesen wieder besonders »7Z mondo della lunav, i>Il cavaliere
delle piumea und nll mondo alla rovesciaa (Klavierauszug Leipzig, 1752) zu
ihrer Zeit für unübertreffliche Meisterwerke galten. Die zuletzt genannte Oper
befindet sich in der königl. Bibliothek zu Dresden, ebenso wie folgende von
(t.'s Opern: nAdriano in Siriat, y>Alessa}idro nelV Indien, y>Li tre amanti ridicolif,
-nUamante di tuttea, nAntigona«, r>Astianettev., »Attalov, y>Il Demofoontea. (1756),
Till Demofoont&n (1758), »// filosofo'i, y>Gustavo /., re di Sveziaa, i>L'inimico delle
donne«, y^Tssipilev^, -nll fnarchese villano(t, n]\feUta«, y)3Iontezmna«, -nOIimpiade«,
■nLa partenza ed il ritorno r/e' marinariv:, t>II re alla eaccia«, yiSesostriv, nll
Siroe«. Ebenfalls wie diese im Manuscript bewahrt die Wiener Hofbibliothek
die droiaktige Oper r>Il villano tjeloso«., welche Gr. in Gemeinschaft mit Gass-
raann, Scarlatti, Marcello, Sacchini, Franchi, Monza und Venti componirt hatte
und welche einzelne, noch heute vortrefflich zu nennende Stücke enthält. G.'s
Styl, wie er sich in allen diesen "Werken zeigt, ist ein sehr geschmackvoller
und gewandter, birgt eine Fülle einfacher, schöner und herzlicher Melodien
mit schlichtem aber doch eindringlichem Ausdruck und verbindet sich mit zier-
licher, angemessener Instrumentation. Weniger hoch gestellt wurden seine
Kircheuwerke, die auch meist Manuscript geblieben, immerhin aber der Be-
achtung werth sind, sei es, dass darin die burleske Ausdrucksweise durchblickt,
sei es, dass sie eich an die strengen Contrapunktisten oder an Palästrina an-
lehnen. Die meisten davon besitzt die k. k. Hofbibliothek in Wien, nämlich:
ein nCredo a 4 voci con stromentia (25 Blätter), ein ^Gloria a 4 voci con ström.«
(40 BL, Autograph), ein r>Motetto a Soprano solo con strom.v. (22 Bl.), eine
y>Missa a 4 voeiv. (18 Bl.) und ein r>Kyrie e Gloria a 4 voci« (10 Bl.). Ausser-
dem bewahrt die Pariser Bibliothek von ihm ein r>Salve regina« und die Samm-
lung des Abbate Santini zu Rom drei vierstimmige Messen, den fünfstimmigen
Psalm »/« te , domine«, -nVictimae paschali« und vierstimmige Motetten. Eine
und die andere dieser Nummern werden in Venedig an Sonn- und Festtagen
noch immer aufgeführt.
GalTi-Neuhans, eine rühmlich bekannte italienische Sängerin, von deren
Jugend Näheres nicht bekannt ist. Etwa 20 Jahr alt, verheirathete sie Bich
1825 mit dem Deutschen Neuhaus und sang erfolgreich auf den grössten Büh-
nen Italiens, 1828 auch in Paris und 1829 in London. Zuletzt trat sie in
Neapel und Lissabon auf und starb in letzterer Stadt am 22. Juli 1838 in
Folge allzugrosser Anstrengungen, die sie ihrem Körper zugemuthet hatte.
Oama ist der Name zweier Brüder, welche als Pianofortefabrikanten zu
Nantes wirkten und 1827 durch Publication ihrer Erfindung eines Schlag-
instruments, von ihnen Plectro-Euphonium genannt, einiges Aufsehen machten.
Dieses Instrument besass wohl schöne und glockenmässige tiefe Töne, war aber
in der Höhe nicht entfernt dem Violinton gleich. Da dasselbe überhaupt keinem
Bedürfnisse entgegen kam, so gerieth es, ohne weiter als in Prankreich einiger-
massen bekannt zu werden, bald genug in Vergessenheit.
Gambalc, Emanuele, italienischer Tonkünstler, welcher, zu Anfange des
19. Jahrhunderts geboren, als Musiklehrer in Mailand lebte und sich ange-
legentlich mit einer Reform des ganzen modernen Musiksystems in Bezug auf
Zeichen und Regeln nach vermeintlich neuen und vereinfachten Grundsätzen
beschäftigte. Trotz der grössten Regsamkeit und Thätigkeit hat er diesem
System irgend welche dauernde Anerkennung nicht zu verschaffen vermocht.
Oambang ist im neueren chinesischen, indischen und indo- chinesischen
Musikkreise der (xattungsname einer Klasse von Schlaginstrumenten, deren ton-
gebende Körper aus Metall oder Holz bestehen. Als Metall zu denselben findet
man verschiedene Mischungen Glockengut in Gebrauch, sowie ähnliche Compo-
sitionen als die sind, woraus der Tamtam (s. d.), Gong (s. d.) und andere
Tonwerkzeuge gleicher Art gefertigt werden. Die tongehenden Körper der G.'s,
gestimmt im landesüblichen Tonreich, sind auf einem sophaähnlichen Gestellplan
Gambaug-Kayu -- Gambe. 119
nebeneinaiuier, seiteuer an einem Gerüst hängend, wie die Steinplatten des Kiu
(s. d.), geordnet, und werden mittelst zweier, vorn keulen- oder kugelartig ge-
formter Metall- oder Holzklöpfel töuend erregt. Auch der Gen der (s. d.)
gehört in diese Instrumentklasse. Man vereinigt auf Java, in Indien, China
und den verwandten Musikländern oft mehrere Instrumente dieser Art zu einem
Ensemble im Unisono, Gambangspiel genannt, das einen harmonischen, schwer-
müthigen Ausdruck tragen soll, der durch in Abschnitten zugefügte Gongschläge
noch erhöht wird. Ein solcher Eindruck ist wenigstens der den Abendländern
gewordene, während die landeseigene Auffassungsweise des Gambangspiels den
Eingeborenen gewiss ganz anders und zwar wohl so, wie dieselbe sich in dem
Artikel chinesische Musik (s. d.) angedeutet findet, geltend macht. Vergl.
JÜfr. de la JJouhere, Descrijjtion du royaume de Slam T. I p. 208 und T. II
p. 104 ; wie ferner die Abbildungen in Fetis, Sist. de Musique T. II p. 309,
339, 340 und 346, so wie in Zamminer's Akustik Seite 184. Diese Abbildun-
gen besonders, von denen zwei ein Sortiment Tonkörper zeigen, deren Fabrika-
tion ähnlich der des Gong stattgefunden haben muss, werden, sobald einmal
erst die barbarische Anwendung der orientalischen Becken (s. d.) im abend-
ländischen Musikkreise allgemein als nicht unserer Kunst entsprechend aufge-
fasst werden wird, den Weg zeigen, der zu betreten ist, um diese Klangwir-
kungen etwa als Ersatz unserm Tonreiche ebenbürtig einzufügen. S. auch
Janitscharenmusik. C. B.
Oanibang'-Kayu heisst im indisch-chinesischen Musikkreise eine Gambang-
Art, deren Tonköx'per Holzplatten sind. Dasselbe hat einen Umfang von drei
Octaven und einer grossen Terz und führt dazu trotzdem nur 18 Platten. 2.
Oambara, Carlo Antonio, tüchtiger und fleissiger italienischer Componist
aus adliger Familie, geboren 1774 zu Venedig, bereitete sich in Parma für die
wissenschaftliche Laufbahn vor, durfte jedoch endlich seiner Vorliebe für Musik
folgen und studirte bei Melegari Violin-, bei Ghiretti Violoncellospiel und bei
Colla in Parma Contrapunkt. In Brescia beim Kapellmeister Cannetti compo-
sitorisch weiter arbeitend, erhielt er eine feste Anstellung an der dortigen
Kathedrale und schiieb Sinfonien, Bogentrios und Quartette, ein Quintett füi*
Harfe, Violine, Mandoline, Viola und Violoncello, sowie Gesangstücke, die aber
sämmtlich Manuscript geblieben sind. Nur ein Lobgedicht von ihm auf Haydn :
r>IIaydn coronato in SUconea (Brescia, 1819) ist im Druck erschienen.
(xambarini, Miss, eine italienische Tonkünstlerin, welche um die Mitte des
18. Jahrhunderts als Musiklehrerin in London lebte und auch als Malerin
sehr geschätzt war. Ein Porträt von ihr, gestochen von N. Hone, erschien
1748 in London.
Gambaro, Giovanni Battista, vorzüglicher italienischer Virtuose auf
der Clarinette, geboren 1785 zu Genua, war Musikmeister bei einem italienisch-
französischen Regimente und lebte seit 1814 in Paris, wo er eine IMnsikalien-
und Instrumentenhandlung begründete und zugleich im Orchester der dortigen
Italienischen Oper wirkte. Er starb im Sommer des Jahres 1828 und ist als
Componist mit verschiedenartigen Clarinetten stücken, Harmoniepiecen und Quar-
tetten für Blaseinstrumente aufgetreten.
Gambe ist die in Deutschland gebräuchliche Abkürzung für die italienische
Benennung Viola di Gamha (s. d.), eines jetzt veralteten Streichinstruments,
das auch Kniegeige geheissen wurde. Wo die G. zuerst gebaut wurde, ist
nicht bestimmt nachzuweisen, wahrscheinlich jedoch in England, denn man weiss,
dass dort die G. zuerst bekannter und beliebt wurde und vermuthet, dass sie
aus dem dort nationalen Gruit (s. d.) hervorgegangen und ebenso zuerst auch
benannt worden sei. Von England aus verbreitete sich die G. durch Italien,
wo sie ihren bekanntesten Namen: Viola di Gamha erhielt, sodann über Frank-
reich, dort Basse de Viele geheissen, Deutschland und das ganze civilisirte
Europa. Besonders fand dies Instrument in Frankreich viele Verehrer und
dadurch vielfache Umgestaltungen. Dies hatte seinen Grund in den damals m
120 Gambenbass — Gambenwerk.
der Kunst ausschliesslich verwertheten Klängen. Die Töne der Männerstimme,
welche durch die Gr. Vertretung finden, bildeten dies Tonreich, welches man
hauptsächlich in zwei Theile, Tenor (s. d.) und Bass (s. d.), sonderte und
dem entsprechend wieder Unterabtheilungen annahm. Diesem, der Gr. eigenen
Tonumfange hatte dieselbe bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts hin ihre stete
Anwendung bei Musiken, sowohl in der Kirche wie in der Kammer, zu danken.
Sie hatte das ausschliessliche Recht, von Anfang bis zu Ende eines Tonstücks
gehört zu werden, wie heute das Streichquartett im grossen Orchester, was
wiederum zu einer vielfach verschiedenen Bauweise derselben führte. G.cn in
allen Grössen und prächtig mit Schnitzwerk, Grold, Silber, Elfenbein und Edel-
steinen ausgelegt, zu bauen, war an der Tagesordnung. Hin und wieder findet
man noch in Museen, z. B. in Weimar, derartige PrachtcKemplare aulbewahrt.
Zu Ende des 18. Jahrhunderts wurde dies Tonwerkzeug allmälig durch das
Violoncello (s.d.), dessen Ton schärfer im Klange und nicht so aufdringlich
näselnd war, verdrängt. Die Erfahrung, dass die Länge des Gebrauchs eines
Instruments die Liebe zu demselben erkalten lässt, fand in der praktischen
Verwerthung der G. keine Bestätigung; denn in dem vermuthlicheu Vaterlande
derselben, England, hatte man noch Gefallen an derselben, als sie schon überall
der Vergessenheit überantwortet worden war, und der letzte G.n-Virtuose, der
eine achtbare B,eihe allgemein verehrter Künstler, von denen nur Granier,
Hertel, Hesse, Höller und Marais genannt seien, schloss, war im luselreiche
Karl Friedrich Abel aus Köthen, gestorben 1787 in London. Der oben be-
rührten Tonreichstheilung entsprechend, findet man in der Blüthezeit der G.
vorzüglich zwei Arten derselben in Gebrauch: eine kleinere fünfsaitige, die die
italienische Benennung Viola hastarda (s. d.) führte, und eine grössere, deren
Bezug aus sechs Saiten bestand, die man schlechtweg Viola di rjamha (s. d.)
nannte. Die Stimmung der fünfsaitigen G. war nach Albrechtsberger: C, c, e,
a und d^] und die der sechssaitigen : D, G, c, e, a und d^. Letzterer fügte
Roland Marais, der im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts wirkte, noch eine
siebente Saite : ^* hinzu. Von ihm rührt auch der Gebrauch her, dass die drei
tiefsten Saiten der G. mit Kupferdraht übersponnen geführt wurden. Vergl.
Praetorii Syntagma mus. Tom. II. c. 21. Ergänzend beizufügen ist noch, dass
das Griffbrett der G., wie das der Laute, Bunde (s. d.) zeigte, die Notirung
für dieselbe im Violinschlüssel geschah, und dass der Ton derselben von Mat-
theson: »säuselnd, schön und delicat« genannt wird. — Sonst nennt man auch
noch in der Neuzeit ein meist im Pedal, seltener im Manual vorkommendes Orgel-
register G. Es ist dies ein oflFenes Flötenregister (s. d.), dem die Töne
des vorgedachten veralteten Streichinstruments wiederzugeben obliegt. Die in's
Pedal gesetzte G. pflegt man Gambenbass (s. d.) oder Violdigambenbass
zu nennen. Meist wird dies Register 2,5 metrig ganz aus Zinn gebaut, und
zeigt den Umfang von y oder g bis c^ oder e-; seltener findet man es 1,25 metrig.
Die grösseren Pfeifen dieses Registers aus Holz zu bauen, wie hin und wieder
geschieht, ist nicht zu empfehlen. Die Pfeifen dieser Stimme construirt man
cylindrisch, oben um ein Dritttheil enger als unten, eng mensurirt und ver-
sieht sie mit engen Labien (s. d.), Barten (s. d.) und engem Aufschnitt
(s. d.). Diese Orgelstimme ist eine der zartesten in der Orgel, hat einen
schmelzenden einschmeichelnden Ton, und wird nur zur Darstellung langsamer
Tonsätze im Vereine mit andern schwachen Registern gebraucht. S. hierzu
auch den Artikel: Schweizerflöte. C. B.
Gambenbass oder Tioldigambenbass nennt man eine in's Pedal der Orgel
gesetzte Gambe (s. d.), welche gewöhnlich 5 metrig gebaut ist. Dieselbe findet
sich nicht so oft vor wie die Gambe, ißt aber in Klangweise und Bauart der-
selben gleich. S. auch Schweizer flöte. t
Gambenirerk, Gambenflüg-el, Ciaviergambe, nürnbergisches Gei-
genwerk, Bogenclavier und noch viele andere Namen finden sich für ein
Tasteninstrument angewandt, das, 1609 von dem Nürnberger Hans Hayden
Gamberini — Gamma. 121
erfunden, anstrebte, Darmsaiten mittelst Reibung Klänge zu entlocken. Mit
feinem Leder, das mit Kolophonium bestrichen ward, überzogene ßäderchen ver-
traten die Stelle des Bogens der Streichinstrumente und wurden in verschieden-
ster Art zweckentsprechend verwendet. Das sich geltend machende Verlangen,
die Streichinstrumente zu ersetzen, führte zur Erfindung des O,, weckte viel-
fache Bemühungen, diese Erfindung zu verbessern, die in dem Artikel Bogen-
k lavier (s. d.) genauer beschrieben sind, machte aber auch bald der Erkennt-
niss Platz, dass diesem Verlangen auf dem versuchten Wege nicht genügt
werden könne. Die letzte derartige Bemühung machte Karl Leopold E-öllig in
Wien 1797 mit seiner Xänorphica, deren Beschreibung in dem eben angeführ-
ten Artikel sich vorfindet; später ist jedes G. ausser Gebrauch gekommen.
Leider findet man aber noch oft strebsame Instrumentbauer mit ähnlichen Be-
mühungen sich herumtragen, die ihre Gedanken als durchaus neue betrachten
und denselben viel Zeit und geistige Kraft zuwenden. Vor solchen L'rgängen
wären dieselben nur zu wahren, wenn endlich ein Museum gegründet würde,
das die verschiedensten noch vorhandenen derartigen Schöpfungen übersichtlich
besässe. 2.
Oamberini, zwei zu verschiedenen Zeiten lebende italienische Tonsetzer.
Antonio G,, aus San Remo führen die mailändischen Theaterverzeichnisse der
Jahre 1783 bis 1791 als Operncomponisten auf, und Michele Angelo G.,
geboren zu Cagli, war um die Mitte des 17. Jahrhunderts Kapellmeister an der
Stiftskirche des heiligen Venantius zu Fabriano. Von dem letzteren existirt
eine in Venedig 1655 herausgegebene Motettensammking. t
Grainbini, Carlo Alberto, italienischer Pianist und Componist, geboren
um 1818 in Genua, trat zuerst seit 1838 mit Claviercompositionen verschiedener
Art, meist Fantasien, in der damals durch Thalberg beliebt gewordenen Art
auf. Spätere seiner Arbeiten in diesem Fache bekunden jedoch gediegenere
künstlerische Grundsätze, so besonders seine Etüden op, 36 und ein Pianofoi'te-
trio op. 54. Weiterhin hat er auch Cantaten, die Musik zu einigen Dramen
und die Oper r>Eufemio di Messinm geschrieben, welche letztere bei ihrer Auf-
führung 1853 in Mailand grossen Beifall fand.
Grambist, kurze Benennungsweise für Gambenspieler.
Gamble, John, ein hervorragender englischer Violinvirtuose und Compo-
nist des 17, Jahrhunderts zu London, der die Musik bei dem berühmten Am-
brosius Beyland studirt hatte, fand früh in einem Theaterorchester eine An-
stellung, welche er verliess, als er in die königliche Kapelle berufen wurde, in
der er zuletzt als Kammervirtuose des Königs Carl IL glänzte. Von vielen
Tonstücken, die G. fürs Theater geschrieben haben soll, sprechen alle damaligen
Berichte, bekannt sind jedoch nur zwei Sammlungen Arien und Gesänge mit
Begleitung der Theorbe und des Basses, welche 1657 und 1659 zu London
gedruckt erschienen. Vor dem ersten Hefte derselben befindet sich sein von
T. Gross gestochenes Bildniss. t
eambold, Lehrer am Pädagogium zu Niesky, Hess 1787 zu Leipzig »sechs
kleine Ciaviersonaten« drucken, die wegen ihrer originellen und muntern Laune
unter den damaligen Compositionen dieser Art bemerkt zu werden verdienen.
t
Oamma (das griech. T, d. i. Tocpiixa) ist der Name des dritten, unserm g
entsprechenden Buchstaben des Alphabets der Griechen und wurde von den-
selben in der Musik zur Notirung und Benennung des Klanges unter dem
Proslamhanomenos angewandt. Dieser Benennung und Notirung folgte man in
frühester Zeit auch im Abendlande. Dem entsprechend findet man zuerst von
dem Benediktinerabt Odo zu Clugny in Burgund, der ums Jahr 920 lebte, in
dem Traktat de musica den Klang der ganzen Saite des Monochords durch G.
bezeichnet, trotzdem er die Klangleiter mit A anfängt. Demselben, oder einem
Allgemeingebrauch folgend, nannte Guido von Arezzo, hundert Jahre später,
in seinem System den tiefsten Klang G. und notirte denselben mit dem
122 Gamme — Gander.
gi'iechißcheu Buchstaben. Seinem Hexachord- System wurde iu späterer Zeit
der Name dieses Klangbuchstaben als Eigenname, indem man unter Gl. alle
Klänge des Guidonischen Systems verstand. Nach dem Untergänge dieses
Systems führte die mit der Einführung des Octavsystems stattfindende Waudel-
barkeit jener Tonurafangsbezeichnuug oft zu Missverständnissen und verschwand
deshalb in dieser Beziehung aus dem Gebrauche. Die Gewohnheit jedoch und
vielleicht auch eine schon bald nach Guido's Zeit stattgefundene ähnliche An-
wendung des Fachausdrucks G., als Name für das ganze Tonreich eines In-
struments oder einer Stimme, bewirkte den ferneren Gebrauch des "Wortes G.
bei den romanischen Völkern und deren Nachtretern in diesem Sinne, Dieser
neueren Anwendung gemäss nennt man eine Aufzeichnung aller Töne eines
Instruments in chromatischer Folge vom tiefsten bis zum höchsten mit Angabe
der Erzeugungsart derselben: G. des Instruments, sonst auch Applicaturtafel
geheissen. Da die Tonerzeugung anzugeben jedoch nur bei Blasinstrumenten
wichtig ist, so spricht man meist nur bei diesen von deren G., selten bei andern.
Eine Erweiterung des Begriffs, welche durch Anwendung des Wortes G. für
TJebungsstücke, Etüden (s. d.), von Blaseinstrumenten stattfand, und die einige
Zeit hindurch sich fast einbürgerte, ist jetzt, xind wohl nicht zum Nachtheil
der Kunst, wieder verschwunden, wie denn überhaupt für Deutsche der Aus-
druck G. sich immer mehr als der Geschichte angehörig gestaltet. Vgl. Vinc.
Galilei Dialogo della musica antica e moderna p. 94 sq. und Gibel: de Vocibus
mus. p. 28. — Zu bemerken ist noch, dass die französische Aussprache dieser
Benennung:
(üamme) selbst im Octavsystem seit der Beeinflussung der abendländischen
Musik durch die Franzosen sich Geltung verschafft hat. Man nennt (vgl. J. J.
Rousseau's Dictionaire de mus. und J. Mattheson's critica mus. T. II. p. 122)
jede Tonleiter einer Tonart deren G., und findet für das Guidonische System
die Namen :
(ramme'Ut, Gaiuiua-ut und (i aiiimut in Gebrauch , welcher Name zugleich
daran erinnern soll, dass der tiefste Klang des Systems nur auf die Sylbe ut
nach den Regeln der Mutation (s. d.) gesungen werden konnte. C. B.
Gammersfelder, Johann, Dichter und Tonkünstler des 16. Jahrhunderts,
der als Bürger zu Burghausen in Oberbaiern lebte, war einer der Ersten, der
Psalrae für einstimmigen Gesang componirte, wie folgendes Werk beweist:
jiDer gantze Psalter Davids in Gesangsweiss gestellt durch Hansen Gammers-
felder, also, dass sich die Psalmen alle durchaus in mannigfaltiger Melodei her-
nach angezeigt, fein und lieblich singen lassen etc.« (Nürnberg, 1542). Vgl.
Will's uürnbergisches Gelehrtenlexikon. f
Gana (indisch), d. i. Gesang, heisst in der indischen Musik der erste Theil
der Musiklehre, dem noch die Lehren vom Rhythmus, Vadya (s. d.), und vom
Tanz, Nytria (s. d.), beigesellt wurden. 0.
Ganassi, Silvestro, italienischer praktischer und theoretischer Musiker,
aus Fontego im Venetianischen, welchem Flecken er auch den Beinamen dcl
Fontego verdankte, wirkte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ange-
stellt bei der Instrumentalmusik der Signoria von Venedig, und ist der Ver-
fasser zweier schätzbarer, jetzt sehr selten gewordener Werke: 1) »Za JFonte-
gara la quäle insegna di suonare il flauto e di diminuire coti esso le compodzionea
(Venedig, 1535) und 2) r>Segole JRuhertine per la prattica di suonare il violone
d'arco tastato e la viola d^arco senza tastiv- (Venedig, 1543). Das erstere ist
das älteste Lehrbuch, welches Regeln enthält, wie bei einer Melodie verschiedene
Verzierungen gesanglich wie auf Instrumenten anzubringen sind, das zweite ist
eine Art Schule, um das Violaspiel zu erlernen.
Gancaldi, Carlo, Advocat zu Bologna, woselbst er 1788 geboren war, ist
musikalisch nur als Verfasser einer Lobschrift, betitelt: yJElogio cT Feiice Ra-
dicali, maestro di musicaa (Bologna, 1829) bemerkenswerth.
Gander heisst ein malaiisches Schlaginstrument, das dem Gamhang (g. d.)
Gandhara — Gang.
123
gleich gebaut ißt und in derselben Weise gespielt und gebraucht wird, wie
jener. Dasselbe unterscheidet sich von jenem nur dadurch, dass es Platten aus
Zinn, die auf Bambus liegen, als tönende Körper besitzt, welche man mit
Bambusklöpfel schlägt. Diese Bettung und Klöppelart soll einen matteren,
angenehmeren Klang bewirken. 0.
Gandhära (indisch) ist der Name einer der sieben Swaras (s. d.), Nym-
phen der indischen Götterlehre, deren Namen den sieben diatonischen Klängen
der Octave beigelegt wurden. G. hiess der unserm eis fast gleichklingende Ton,
der dritte Klang ihrer Normalleiter. 0.
Gändhara-gräma (indisch) ist nach der Sdngita Darpana (s. d.) der
Name eines der drei Modi der indischen Musik, dessen diatonische Klänge
nach der in der folgenden Tabelle verzeichneten Sruti-Zd^x\ (s. d.) festge-
stellt sind:
sa
ri
ga
ma
V<
1. 2. 3. 4.
1. 2. 1. 2. 3.
1. 2. 3. 4.
dlia
1. 2. 1. 2. 3. 4.
Hb
sa
1. 2. 3.
ungefähr \inserm
h +
a
eis
d
/ +
— 9 «
entsprechend,
0.
Oandhärbas, unsterbliche himmlische Musiker, deren man in der indischen
Götterlehre sieben annahm, waren die symbolischen Vertreter der Elemente der
idealen Kunst, wie die sterblichen Kinnaras (s. d.) die der irdischen. 0.
Gaudini, Antonio, Ritter von, italienischer Operncomponist, geboren um
1780 zu Bologna, war ein Compositionsschüler des Pater Mattei und fand
später Anstellung als herzogl. Kapellmeister zu Modena. Ausser mehreren
Cantaten hat er folgende bis zum J. 1842 in Turin und Modena zur Auffüh-
rung gelangte Opern geschrieben: y>Ruggero<i, »Erminia ed Antigonov, -»Zdirav,
y>Isabella de Lara«, i>Maria di Srabanfea und vAdelaida di Borbognaa. ' — Eine
Sängerin, Namens Isabella G., aus Venedig gebürtig, blühte vim 1750 als
hervorragend in ihrer Kunst.
Gandini, Salvatore, italienischer Kirchencomponist der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts, von dessen Arbeiten gedruckt erschienen sind: Psalme
(Venedig, 1654), eine Messe und andere Kirchengesänge (Venedig, 1685).
Gaudo, Nicolas, berühmter Buch- und Notendrucker, Anfangs des 18.
Jahrhunderts zu Genf geboren, zuerst in Bern, um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts, endlich in Paris wirksam, gab 1766 y>Ohservations sur le Traite histo-
rique et critique de Monsieur Fournier le jeune, sur VOrigine et les Progres des
Garacteres de Fönte pour Vimpression de la Musiquev^ heraus, worin er die Er-
findung Fournier's als eine Nachahniung der Breitkopf'schen Typendruckart
darstellte. Er gab in diesem Werke auch eine Probe einer eigenen Erfindung
unter dem Titel: y>Pseaume GL, petit Motet, par M. VAhhe Poussier, des nou-
veatix Garacteres«, die in der That von in Kupfer gestochenen Noten kaum zu
unterscheiden ist. Ferner führt das Werk noch als Beigabe die sechserlei
Notentypen, welche vor 1695 zu Paris gebräuchlich waren, so wie die von
Ballard angewendeten. f
Gandrika (indisch) ist der Name einer der indischen musikalischen Rhyth-
musarten, deren Zeit- und Sylbenzahl genau vorgeschrieben ist. Die G. muss
in jedem Abschnitt 52 Sylben haben, welche in vier metrisch gleiche Theile
zerfallen, die sich wie folgt gestalten müssen:
Einschnitt.
-®— •-
0.
Gang (ital.: passaggio, franz.: passage) wird in der Musiksprache am häu-
figsten für Lauf und Passagle gebraucht, zuweilen auch für die Bewegung
124 Gangris — Ganz.
und Fortsclireitung (s. d.) der Intervalle. Einige Theoretiker, an ihrer
Spitze A. B, Marx, bezeichnen mit G. jede melodisch organisirte Tonfolge, die
keinen in sich befriedigenden Abschluss hat, im Gegensatz zum Satz, als
einer Melodie, die durch Anfang und Schluss als ein Ganzes sich giebt. S.
auch Periodenbau.
OangriS; der syrische Name für die antike Flöte,
Gauuassi, Jacopo, italienischer Tonkünstler, Anfangs des 17. Jahrhun-
derts zu Treviso geboren, war daselbst Franciscanermönch und Kirchen-Kapell-
meister.
Gauspeckh, Wilhelm, deutscher Tonsetzer des 18. Jahrhunderts, geboren
1691 zu München, machte sich besonders durch Composition zahlreicher Messen
bekannt.
Gaus^yiud, vortrefflicher Virtuose auf der Viole d'amour, geboren um 1775
in Böhmen, lebte in Prag und darf als der letzte Componist von Bedeutung
für sein Instrument angesehen werden.
Gautez; Hannibal, auch Gantes geschrieben, französischer Tonsetzer, der,
zu Marseille geboren, als Canouicus und Kirchenkapellmeister zu Aix, Arles,
Auxerre u. s. w., zuletzt in Paris lebte. Er veröffentlichte eine Messe, der er
die Melodie eines Volksliedes zu Grunde gelegt hatte und ein jetzt seltenes
aber noch geschätztes Werk: »Untretien familier des miiaiaiensa (Auxerre, 1643),
sowie 59 Briefe über die Kirchenmusik in Frankreich.
Gautzlaud, Christian, deutscher Rechtsgelehrter, veröffentlichte als Stu-
dent in Jena eine Prüfungsarbeit, betitelt: "Juristische luaugural-Dissertation
über die Hornbläser und ihr Recht« (Jena, 1711).
Ganz, eine aus Mainz stammende Tonkünstlerfamilie, die sich auf dem
Gebiete der Composition nicht nennenswerth, um so mehr aber auf dem der
technischen Virtuosität ausgezeichnet hat. Zunächst sind es drei Brüder, die
von ihrem als praktischen Musiker in Mainz rühmlichst bekannten Vater unter-
richtet, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen. 1) Adolph G., ge-
boren am 14. Oktbr. 1796, wurde von seinem Vater im Violinspiel und der
Theorie ziemlich weit gefördert, so dass er befähigt war, sich durch Selbst-
unterricht auf allen gangbaren Orchesterinstrumenten Fertigkeit anzueignen.
Im Generalbasse und in der Harmonielehre erhielt er durch Seb. Holbusch die
für einen Musiker nothwendige höhere Ausbildung und wurde 1819 Musik-
direktor am Stadttlieater seiner Vaterstadt, welches Amt er, seit 1825 mit dem
Titel eines grossherzogl. hessischen Kapellmeisters belohnt, bis gegen 1845 inne
hatte, zu welcher Zeit er sich nach London begab, wo er am 11. Novbr. 1869
starb. Als Componist ist er ziemlich bedeutungslos mit Ouvertüren, Märschen,
einem Melodrama, Liedern und Gesängen aufgetreten, von welchen auch Einiges
im Druck erschienen ist. — 2) Moritz G., ein vorzüglicher Violoncellist der
älteren Schule, geboren am 13. Septbr. 1806, wurde durch Styassni auf seinem
Instrumente völlig ausgebildet, von Gottfried Weber auch theoretisch einiger-
massen unterrichtet und trat hierauf in das von seinem Bruder dirigirte Mainzer
Theaterorchester als erster Violoncellist, von wo aus er 1827 als königl. Kam-
mermusiker nach Berlin berufen wurde. Dort erhielt er 1836 den Charakter
eines Concertmeisters und wirkte zugleich als Lehrer seines Instruments bis
zu seinem Tode im J. 1868. Auf Kunstreisen, besonders nach London und
Paris, sowie in Concerten zu Berlin hat sein äusserst fertiges und reines Spiel
grossen Beifall gefunden. Seine wenigen im Druck erschienenen Compositionen
und Arrangements für Violoncello documcntiren in naiver Art den musikalischen
Naturalisten. — 3) Leopold G., geboren am 28. Novbr. 1810, hatte als Vio-
linist seinen Vater, seinen Bruder Adolph und Fritz Bärwolf, einen Schüler
Spohr's, zu Lehrern. Er trat gleichfolls in das Mainzer Theaterorchcster und
wurde zugleich mit seinem Bruder Moritz, mit dem er im Zusammeuspiele
innig verwachsen war, 1827 in die Berliner Hofkapelle berufen, wo er 1836
den Titel und 1840 die Stelle als königl. Concertmeister erhielt. Beide Brüder
Ganze Applicatur — Ganzinatrumente, ] 25
ersetzten so das ähnliche Brüderpaar Bohrer (s.d.) und führten zugleich ihre
Doppelvirtuosen-Thätigkeit in Kammermusikconcerten weiter. Als Lehrer wirkte
übrigens Leop. Gr. ungleich erfolgreicher wie als Virtuose, da seine Technik
und Reinheit keineswegs tadellos waren. Er starb zu Berlin am 15. Juni
1869. — Zwei Söhne des zuerst genannten Adolph G. kommen hier noch
in Betracht: a) Eduard Gr.. geboren am 29. April 1827 zu Mainz, Hess sich
schon in seinem 11. Jahre als Pianist öifentlich hören und erhielt, nachdem
er mit seinem Vater nach London gekommen wai'^ einigen Unterricht von Thal-
berg. Im J. 1851 siedelte er nach Berlin über, wurde ein Jahr später Bratschist
der königl. Kapelle und wirkte besonders tüchtig als Pianofortelehrer. Um
18G2 gründete er nach vortrefflichen Grundsätzen eine Schule für Pianoforte-
spiel, die zu einer gewissen Blüthe gelangte und der er bis zu seinem schon
am 26. Novbr. 1869 erfolgten Tode als sachkundiger Direktor vorstand. Dieses
Institut be.steht noch gegenwärtig, von dem gleicherweise umsichtigen H.
Schwantzer geleitet. — b) Wilhelm G., ein vorzüglicher Pianist, 1830 in
Mainz geboren, lebt in höchst geachteter Stellung als Virtuose und Lehrer, zu
Ijondon. Von ihm ist eine Reihe von Ciavierstücken im modernen Salonstyle
im Druck erschienen, von denen mehrere bei den Dilettanten in grosser Gunst
stehen.
Ganze Applicatur pflegen die Streichinstrumentspieler, zum Unterschiede
von der mezza maniea oder halben Applicatur, diejenige fortgerückte Lage
der Hand zu nennen, bei welcher die Töne, die sie in der gewöhnlichen Lage
mit dem dritten Finger zu greifen haben, mit dem ersten gegriffen werden
müssen. Sie wird nöthig, theils wenn man das d^ erreichen will, theils auch
bei verschiedenen melodischen Sätzen und Passagen, die sonst nicht wohl her-
ausgebracht werden können, z. B.
3 111 4 2 12
f# • ,-ß ß *-m ß-B
Im weiteren Sinne versteht man unter g. A. auch jede noch höhere Lage der
Hand, bei welcher der erste Pinger Noten zu greifen hat, die auf den Linien
stehen.
Oanze Cadenz oder Ganzschlass, s. Cadenz.
Ganze Doppelzunge nennt man eine Doppelzunge (s. d.) in höchster
Vollendung, welche Kunst jetzt selten geübt wird und zur Zeit der Trompeter-
zunft Geheimniss war. — Auch eine Schlagart der Pauke, wahrscheinlich eine
die G. durch die Trompete nachahmende Tongebung, führte in der Fachsprache
diesen Namen. Siehe Trompete und Pauke, 0.
Ganze Note oder Ganze Taktnote wird die Vierviertelnote (Semihrevis)
genannt.
Ganze Orgel nannte man früher und nennt man wohl noch zuweilen jetzt
solche Werke mit drei oder vier Manualen, deren Hauptmanual eine 5 metrige
und deren Pedal eine lOmetrige Stimme besitzt. S. Orgel.
Ganzer Takt, eine Benennung des modernen Viervierteltakts, wahrschein-
lich daraus hervorgegangen, dass die Semihrevis, welche als heutige Ganze Note
die Einheit dieser Taktart ausmacht, früher schon als ganzer, d. h. durch Nie-
derfallenlassen und Erheben der Hand gemessener Schlag oder Tactus galt,
auch der Tactus genannt wurde. Gegenwärtig ist die Semihrevis die grösste
der allgemein im abendländischen Musikkreise üblichen Notengattnngen; in ihr
als dem Ganzen, sind bekanntlich alle übrigen Notengattungen als Theile ent-
halten. S. auch Takt und Taktzeichen.
Ganzlnstrnniente nennt man eine Klasse der Blechblaseinstrumente in Be-
zug auf ihre Schallröhrenconstruktion. Bemühungen, die grossen Blechblase-
instrumente leichter zu bauen und deren Grundton hörbar zu machen, führten
zur Verwerthung des akustischen Gesetzes: dass jede konische Erweiterung
126 Gauzton.
einer Schallröhre den Grundton tiefer legt und leicht hörbar macht. Da in
der Nähe des Mundstücks die Mensur eines Instruments nicht geändei't werden
kann, so vergrösserte man die Durchmesserverhältuisse der konischen Erweite-
rung der Schallröhrc zwischen Mundstück und Schallbecher nach Möglichkeit
und entdeckte, dass man ausser der Erreichung oben genannter AVünsche noch
einen weicheren und volleren Ton solchen Schallröhren zu entlocken vermochte.
Während sonst die Durchmesserverhältnisse wie 1 : 6, höchstens wie 1 : 8 Avaren,
machte man sie wie 1 : 10, selbst wie 1 : 20 und grösser. Das erste demgemäss
gefertigte G-. war das 1843 von Sommer Euphonium oder Baryton ge-
nannte, das in J?j stand und nur 2,8 Meter Länge hatte. Seitdem gründete
V
Cerveny in Königsgrätz auf die Durchführung dieses Naturgesetzes manche
Instrumenterfiudung, machte sich dadurch einen europäischen Ruf und hat
ausserdem noch das Verdienst, dass durch diese seine Bemühungen allmälig der
Bau der Blechblasinstrumente beeinflusst worden ist und jedenfalls ferner noch
mehr beeinflusst werden wird. Vgl. Schafhäutl's Bericht über die Musikinstru-
mente auf der Münchener Industrieausstellung, Seite 170 und Zamminer's
Akustik, Seite 313 und 314. 2.
Gauz-Tou oder ganzer Ton heisst jetzt in der diatonischen Klangfolge
jedes grössere Intervall (s. d.) im Gegensatze zu dem kleineren, Halb ton
(b. d.) genannten. Der Name G. oder ein ähnlicher repräsentirt nur eine neuere
Intervallaufifassung, da in frühester Zeit in den verschiedenen Musikkreisen, wo
eine genauere Feststellung des Tonreichs stattgefunden hat, eine ähnliche nicht
angewendet wurde, worüber die Artikel über die Musikkreise belehren. Siehe
z. B. ägyptische, chinesische etc. Musik. In Griechenland findet man zu-
erst den G. durch Tovog gekennzeichnet und wurde speciell das diaphonische
Intervall, um welches die Quinte grösser als die Quarte ist, also benannt. Dies
Intervall hatte Pythagoras (um 530 v. Chr.) nur in einem Verhältniss, 9 : 8,
festzustellen für richtig erachtet. In späterer Zeit zeigen sich jedoch von
anderen griechischen Theoretikern noch andere Verhältnisse für den G, als
nothwendig erachtet, wie sie die Schattirungen der Tetrachorde (s. d.) nach
ihrer Aufifassung forderten. Architas (um 406 v. Chr.), hatte ausser dem Py-
thagoräischen G. noch den im Verhältniss von 8 : 7 festgestellt. Didymos (38
v. Chr.) verwarf die Architatische Erweiterung und stellte dafür eine neue Lehre
auf; sein Tetrachordsystem zeigte einen G. im Verhältniss 9 : 8 und einen
solchen 10 : 9. Beinahe zweihundert Jahre später, 150 n. Chr., berechnete
Ptolomaeus die G. in den verschiedenen Tetrachordschattirungen so, dass alle
früheren Verhältnisse und noch das 11 : 10 darin vertreten waren. Im Abend-
lande fand nur die pythagoräische Feststellung des G. Eingang, welche Glocken-
spiele der Niederlande noch bis ins 17. Jahrhundert hören Hessen, trotzdem
die Wissenschaft schon eine andei'e Feststellung des G. empfohlen und durch-
geführt hatte. Siehe Akustik der Alten. Man hat in der Klangfolge einer
Octave zwei Arten von G.n, die im Verhältniss 9 : 8 und 10 : 9, als richtig
erachtet. Die erste Art, auch der grosse G. genannt, erhält man durch Ab-
ziehen zweier addirter Quarten von der Octave als Rest, und die andere, klei-
nerer G. geheissen, dadurch, dass man Quinte und kleine Terz addirt und die
Summe der Verhältnisse umkehrt, d. h. von der Octave abzieht. Dieser wissen-
schaftlichen Feststellung des G.'s, die in der diatonisch genannten Tonfolge
abwechselnd Verwerthung findet, hat man bei deren Anwendung in Zusammen-
klängen manche TJebelstände abempfunden. Dies führte erst zu einer theilweisen
und dann zu einer gleichschwebenden Temperatur, welche Veränderungen die
Feststellung des G.'s vielfach modificirt. Im Notiren kennen wir jedoch nur
einen G. und sprechen demgemäss gewöhnlich auch nur über beide grössere
diatonischen Intervalle der Scala in dem Sinne. In der That jedoch kommt
nur selten in harmonischen Kunstvorträgen ein G. nach der Berechnung zu
Gehör, was unserer Oluvigenheit wegen bis zu einem gewissen Grade hin auch
nicht störend wirkt. Aufgabe der Praxis ist es nämlich, wo möglich es in die
Ganzwerk — Gai'at. 127
Macht des Tongebers zu stellen, das diatonische, das gleichtemperirte oder ein
dazwischenliegendes Intervall geben zu können, denn jenachdem wir durch den
Zusammenklang des vorgeschriebenen Tons mit den andern gleichzeitig er-
klingenden befriedigt werden, sprechen wir von einem reinen Spiel und wissen,
dass diese Reinheit gerade darin besteht, dass der Vortragende dem berechneten
Gr. nicht strikte gerecht zu werden strebt. Der G. der Neuzeit ist wie ein
Abschnitt eines Menschenlebens; Jedes Jugend ist Jugend und doch ist jede
von der andern verschieden. B.
Ganzwerk, ein in der älteren Orgelsprache gebräuchlich gewesener Aus-
druck zur Bezeichnung eines Werks mit Principal 5 und Octav 2,5 Meter im
Hauptmanual. Ein solches Werk heisst auch Hauptprincipalwerk.
Garaiii, Nunziata, italienische Sängerin, geboren zu Bologna, hat sich
als sehr treffliche Künstlerin, die zugleich in der dramatischen Darstellung Vor-
zügliches leistete, hervorgethan ; sie war 1758 in Petersburg bei der dortigen
komischen Oper thätig. f
Garat, Pierre Jean, einer der ausgezeichnetsten französischen Tenoristen
des 18. und selbst des 19. Jahrhunderts, wurde am 25. April 1764 zu Ustaritz,
Departement der Basses-Pyrenees, geboren. Seine Mutter war seine erste Gre-
sanglehrerin, sodann Lamberti in Bayonne, und als die Familie nach Bordeaux
übersiedelte, Frangois Beck. Sein Vater, ein Advocat, verwies den Sohn gleich-
falls auf die juristische Laufbahn und sandte ihn, um die dazu nothwendigen
Studien zu absolviren, 1780 nach Paris. Dort lebte aber G. nur seiner musi-
kalischen Ausbildung und vernachlässigte sein Fachstudium derartig, dass er
sich mit seinem Vater entzweite, der ihm hierauf alle Unterstützung entzog.
Dafür fand G. in dem Grafen von Artois einen Bewunderer seines Talents,
welcher ihn zu seinem Privatsecretär ernannte und in die musikalischen Cirkel
der Königin einführte. Seinen Vater söhnte er nach vielen vergeblichen Ver-
suchen erst mit sich aus, als ihn derselbe bei Gelegenheit eines Besuchs des
Grafen von Artois in Bordeaux in einem Benefizconcert für Frangois Beck
singen hörte und Zeuge der Bewunderung war, die seinem Sohne gezollt wurde.
G.'s Wohlleben in den höchsten Kreisen von Paris hatte aber mit dem Fort-
schreiten der Revolution und namentlich als die Schreckensregierung 1793
niedergesetzt wurde, ein jähes Ende, und in der ungünstigsten politischen Zeit
wieder ganz auf sich selbst angewiesen, folgte er gern der Einladung des be-
rühmten Violinvirtuosen P. Kode, zu Concertreisen mit in das Ausland zu
gehen. Widrige Winde führten sie zuerst, statt nach England, nach Hamburg,
wo sie grenzenlosen Beifall fanden. Um dem Verdachte, Emigranten zu sein,
zu entgehen, kehrten sie noch im J. 1794 in ihre Heimath zurück. Im näch-
sten Jahre wurde G. für die berühmten Theater - Feydeau - Concerte engagirt,
und der Enthusiasmus, den er als Sänger aller Genres erregte, war unbeschreib'
lieh; man behauptete, einen vollendeteren, hinreissenderen Sänger habe Frank-
reich niemals gehört, noch weniger besessen. An das neu entstandene Pariser
Conservatorium wurde er sofort 1795 als erster Gesangsprofessor berufen, und
Gesangssterne erster Grösse wie die Barbier-Walbonne, die Branchu, die Bo-
land, wie Nourrit, Ponchard, Levasseur u. v. A., die sich seine Schüler nann-
ten, bezeichnen auch seine Lehrthätigkeit in unvergesslicher Art. Oeffentlich,
zuletzt in den Concerten der Strasse Clery und in St. Petersburg, sang G. nur
bis etwa 1802, jedoch erregte er bis zu seinem 50. Jahre die ungetheilteste
Bewunderung, und Kenner, wie Ci'escentini, Piccini, Sacchini, Marchesi u. s. w.
gestehen zu, dass die Register seiner umfangreichen Stimme in vollendetster
Art ausgeglichen, dass sein Geschmack in den Verzierungen, seine Manier des
Ausdrucks und Vortrags, kurz die ganze Behandlung seines klangschönen und
biegsamen Tenors eine unvergleichliche gewesen sei, wozu noch ein feiner mu-
sikalischer Sinn für Reinheit, Tempo, Takt u. s. w. kam. Auch als Romanzen-
componist war G. zeitweilig sehr beliebt und die TiBelisairev-, y>Le menestreU,
r>Je faime tanU betitelten einstimmigen Tondichtungen von ihm wurden bei-
J28 Gavaud^ — Garbinl.
nahe weltbekannt. Um 1817 verlor er seine Stimme, und die Wahrnehmung,
dass er mit den letzten Resten derselben nicht kunstschön mehr zu wirken
vermochte, ging ihm tief zu Herzen und beschleiinigte, trotz der sonstigen ge-
sichertsten und unabhängigsten Existenz seinen Tod, welcher am 1. März 1823
zu Paris erfolgte. — Sein Bruder, Joseph Dominique Fahr 3^ G., geboren
1774 zu Bordeaux, besass gleichfalls einen schönen Tenor, den er aber erst,
nachdem er einige Jahre Militair gewesen war, Ende der 1790er Jahre, aus-
bilden Hess. Als Dilettant im Gesang und in der Composition von Romanzen
Avar er immerhin bemerkenswerth, so dass er, als er seine seit 1808 in Belgien
bekleidete Stelle im Finanzministerium verloren hatte, ganz erfolgreich als Con-
certsänger und Gesanglehrer auftreten konnte, bis er schliesslich durch ein Amt
im französischen Finanzministerium entschädigt wurde.
ßartui(16, Alexis Adelaide Gabriel do, gediegener französischer Ton-
künstler und Musikpädagog, wurde als der Sohn eines Parlamentsraths am 21.
März 1779 zu Nancy geboren und erhielt eine sorgfältige Erziehung. Die
Stürme der Revolution zwangen ihn, auf eigenen Füssen stehen zu lernen, und
nach diesem Ziele hin studirte er bei Gambini in Paris, später sehr eingehend
und gründlich bei Reicha Harmonielehre und Composition, sowie Gesangskunst
bei Crescentini und Garat. Vom J. 1808 an bis zur Julirevolution fungirte
er in der kaiserlichen, dann königlich gewordenen KajDelle als angestellter
Sänger; wichtiger und eiuflussreicher war aber seine Berufung 1810 als Pro-
fessor des Gesangs an das Pariser Conservatorium , welches Amt er mit vor-
züglichem Erfolge bis 1841 verwaltete, worauf er sich pensioniren Hess. Wäh-
rend dieser lehrthätig verbi'achten Zeit hat er sich durch Herausgabe der
folgenden Lehrbücher hoch anzuschlagende Verdienste erworben: y>Methode de
chanU (Paris, 1809 und in späteren umgearbeiteten Auflagen); y>Solfege 011
Methode de musique«; y>8olfeges progressifs, oii nouveau cours de lecture mi(sicale<f
(mehrmals aufgelegt); » Vocalises ou etudes characteristiques de Vart da chant etc.«.;
yiMefhode complete de Pianoa; y>L'harmonie rendue facile, ou theorie pratique de
cette sciencea und noch mehreres Einschlägige. Ausserdem schrieb er die zwar
nicht zur Aufführung gelangte, aber im Clavierauszuge erschienene Oper r>La
lyre enchanteea, eine dreistimmige Messe, über 200 französische und italienische
Romanzen, Nocturnen, Arien und Duette, ferner Sonaten und Variationen für
Pianoforte, Streicliquintette, Duos und Variationen für Violine, für Violoncello,
Stücke für Harfe und Clarinette, für Flöte u. s. w. G. starb am 2.3. März
1852 zu Paris. — Sein natürlicher, später adoptirter Sohn war Alexis
Albert Gauthier G., geboren am 27. Oktbr. 1821 zu Choisy-le-Roi, welcher
der Verbindung G.'s mit der Sängerin Clothilde Colombelle, genannt Coreldi,
entsprossen ist. Derselbe studirte dreizehn Jahre lang, von 1829 bis 1842 im
Pariser Conservatorium hauptsächlich Clavierspiel und Gesang und voirde wäh-
rend dieser Zeit zu öfteren Malen durch Preise ausgezeichnet. Nachdem er
das Institut verlassen hatte, war er mehrere Jahre hindurch geschätzter Ac-
compagnateur an der Opera comique, starb aber schon zu Paris am 6. August
1854. Als Componist ist er nur mit modei-nen Ciaviersachen von zweifelliaftem
Werthe aufgetreten; wichtiger geworden sind seine Ciavierauszüge von Opern,
welche in der Grossen und Komischen Oper als Novität erschienen. Seine
letzte derartige Arbeit war der Ciavierauszug der Oper »der Nordstern« von
Meyerbeer.
Garbini, Madame, eine vorzügliche Sängerin und Violinvirtuosin aus Ita-
lien, glänzte im J. 1791 zu Paris auf dem Theätre de Monsieur mit ihren
Kunstleistungen als Sängerin und trug in den Zwischenakten auch Violincon-
certe von Viotti u. A. mit dem grössten Beifall vor. Nach dieser Zeit war
sie auch an anderen Pariser Theatern engagirt und wurde überhaupt noch
etwa zehn Jahre hindurch mit Auszeichnung genannt. Ihre Stimme war ebenso
angenehm als selten voll und kräftig und bekundete treffliche Schulung, ihr
Violinspiel zudem im höchsten Grade präcis, fertig, ausdrucks- und geschmack-
Garbo — Garcia. 129
voll, verbunden mit einer leichten Bogenführung. "Weitere oder eingehendere
Nachrichten über ihre Lebensverhältnisse fehlen leider.
Garbo (ital.), Artigkeit, Anmuth; daher die musikalische Vortragsbezeich-
nung con g., d. i. mit anmuthigem Ausdruck.
Garbrecht, gegen Ende des 18, Jahrhunderts Mechanicus zu Königsberg
i. Pr., fertigte in Gemeinschaft mit dem Diaconus Wasiansky 1795 einen in
mancher Beziehung eigenthümlich construirten Bogenfiügel an und suchte den-
selben später noch zu verbessern, wie Chladni in den Beiträgen zu Koch's
Journal Seite 194 und in der Leipz. allg. musikal. Ztg. Jahrg. II Seite 309
näher berichtet, f
Garcia, eine berühmte, vielfach verzweigte spanische Sänger- und Gresang-
lehrei'familie , deren wichtigste Glieder hier folgen. Manoel G, del Popolo
Vicente wurde am 22, Jan. 1775 zu Sevilla geboren und bekundete schon
früh, von einer herrlichen reinen Stimme unterstützt, seltene musikalische An-
lagen. Als Sängerknabe der Kathedrale seiner Vaterstadt seine Laufbahn be-
ginnend, erhielt er den besten Musikunterricht, in der Compoaition u. A. von
den Kapellmeistern Don Antonio Ripa und Don Juan Almarcha. In einem
Alter von 17 Jahren war er bereits als Sänger, Componist und Orchester-
dirigent rühmlich bekannt, so dass er ein Jahr später eigens nach Cadix be-
rufen wurde, um in einem Intermezzo (spanisch Tonadilla genannt) seiner
eigenen Composition aufzutreten. Der Beifall, den er als Sänger und Compo-
nist dort fand, ermuthigte ihn, auch in Madrid in verschiedenen seiner Tona-
dillas zu debütiren und damit seinen Ruhm zu begründen, der sich immer mehr
steigerte, als er französische Operetten in spanischer Bearbeitung und neu von
ihm componirt, zur Aufführung brachte. Von diesen kleinen Sachen musste
das einaktige Monodram y>El poeta calcuUstaa lange Zeit hindurch immer wieder
repetirt werden und das Lied y^M contrabandistaa daraus wurde zum wahren
Volksliede. Nachdem sein Ruf die Pyrenäen überschritten hatte, ging er 1808
auch selbst nach Paris und sang zuerst in der italienischen Oper »Griselda«
von Paer mit sehr bedeutendem Erfolge. Seine Regsamkeit und sein Feuer
führten ihn schon nach Monatsfrist an die Spitze der Gesellschaft und seine
Leitung brachte neues Leben in das Personal wie in das Repertoir. Jenes
spanische Monodram arbeitete er nun italienisch um, führte es 1809 auf und
erzielte damit beim Publikum, das zum ersten Male acht spanische Musik zu
hören bekam, ungeheure Erfolge. Im J. 1811 war er in Italien, wo ihn Turin,
Rom und Neapel im höchsten Maasse feierten, so dass ihn der König Murat
durch eine Anstellung als ersten Tenor seiner Kapelle zu fesseln suchte. Mit
der schon in Paris von ihm begonnenen Oper »/Z califfo de Bagdad«^, 1812
auf dem San Carlo-Theater zu Neapel sehr beifällig gegeben, befestigte er zu-
gleich seinen Componistennamen in Italien und damit noch nicht zufrieden,
studirte er bei Anzani auf's Eingehendste die italienische Gesangskunst praktisch
wie theoretisch und eignete sich jene treffliche Methode an, deren Fortdauer
später seine zahlreichen berühmt gewordenen Schüler sicherten. In der Saison
von 1816 und 1817 trat er wieder in Paris unter der Direktion der Catalani,
sodann in London auf, woselbst er neben der Fodor Triumpfe feierte. Seine
Glanzzeit aber füllt die Jahre 1819 bis 1824 aus, wo er in Paris nicht nur
als Sänger der italienischen Oper verherrlicht wurde, sondern auch jene Sänger-
schule begründete, die ihn an die Spitze aller Gesanglehrer seiner Zeit stellte.
Als er in der Frühjahrssaison 1824 als erster Tenor der königl. italienischen
Oper in London angestellt wurde, vereinigte er bald über 80 Schüler, die ihn
mit Bedauern 1825 als Theaterdirektor nach New- York ziehen sahen. Mit
einem auserlesenen Künstlerensemble, darunter sein Sohn Manoel und seine
Tochter Maria, langte er in der neuen Welt an und erwarb sich in New- York
und seit 1827 in Mexico nicht blos enthusiastische Anerkennung, sondern auch
Reichthümer. Im Begriff nach Europa zurückzukehren, wurde er auf dem
Wege nach Vera Cruz von Räubern ausgeplündert und musste seinen Plan,
Musikal. Convers.-Lexikon. IV. 9
130 Garcia.
sich von der Oeffentlichkeit zurückzuziehen, aufgeben. Er sang noch in Paris
den Almaviva im »Barbier von Sevilla« und den Don Ottavio im »Don Juan«,
gelangte aber als einsichtsvoller Künstler zu der TJeberzeugung, dass seine
Stimme dem jähen Klimawechsel unwiederbringlich erlegen sei und widmete
sich seitdem ausschliesslich der Composition und der Ertheilung von Gesang-
unterricht. Hochverehrt von der ganzen Musikwelt und besonders von seinen
Schülern, deren berühmteste seine bereits genannten Kinder, sowie die Damen
Biuiz-Garcia, Kimbault, Meric-Lalande, Favelli, Gräfin Merlin, die Sänger Nourrit,
Geraldi u. s. w. sind, starb G. am 2. Juni 1832 zu Paris. Seine sehr zahl-
reichen Gesangcompositionen aller Art ermangeln mehr oder weniger der Ge-
nialität der Erfindung und des höhereu künstlerischen Gehalts, weshalb sie
schon jetzt der Vergessenheit anlieimgefallen sind, wogegen die von ihm ver-
fasste vortreflüche Gesangschule y)Metodo de canto o arte de a^pprender a cantan<.
seinen Namen verewigt. — Der würdige Erbe seines Lehrerruhms war sein
Sohn und Schüler Manoel G., mit dessen Auftreten eine neue Aera des
rationellen Gesangunterrichts, nämlich desjenigen nach physiologischen Grund-
sätzen, beginnt. Geboren am 17. März 1805 zu Madrid, erhielt derselbe seine
erste musikalische Erziehung in Neapel, wo er mit seinem Vater von 1811
bis 1816 verweilte. In Paris, wohin hierauf sein Vater ging, erhielt er, 15
Jahr alt, u. A. bei Fetis Unterricht in der Composition und zog auch mit
nach London, New- York und Mexico, ohne jedoch als Sänger (Bassist) be-
deutenderen Erfolg zu erringen. Nach Paris 1829 zurückgekehrt, widmete er
sich fast ausschliesslich dem Gesangunterriche, für welche Disciplin er durch
unablässige Forschungen feststehende physiologische Gesetze aufzufinden be-
müht war. Während vor ihm fast allgemein die Gesanglehrer theils nach
empirisch überlieferten Regeln, theils nach angeborenem oder ausgebildetem
Kunstgeschmack die Praxis , des Unterrichts übten und damit allerdings in
vielen Fällen Ausreichendes leisteten, ohne indessen jemals sich des sicheren
Bewusstseins rühmen zu können, das überhaupt mögliche Ideal des Gesanges
gelehrt und geübt zu haben, war G. als einer der Ersten bestrebt, die innersten
Geheimnisse der Entstehung der menschlichen Stimme, ihrer Register, Klang-
verschiedenheiten u. s. w. zu erforschen und darauf eine wissenschaftlich un-
umstössliche Gesanglehre zu begründen, sowie eine objective, allgemein gültige
Gesangübung zu entwickeln. Eine Frucht dieser Untersuchungen war der nach
ihm benannte Kehlkopfspiegel (s. d.), mit dem es zum ersten Male gelang,
die Vorzüge der Beobachtungen am Kehlkopf mit denen der praktischen Er-
fahrung zu vereinigen. In diesem Sinne vcrfasste er die Abhandlung TaStir la
voix hamainev., welche er 1841 in der Pariser Akademie vorlas. In Folge
dessen bald darauf zum Professor am Conservatorium ernannt, veröffentlichte
er den berühmt gewordenen y>Traite complet de Vart du chantv. (2 Theile, Paris,
1847), welcher als die beste und gründlichste Gesangschule der Gegenwart
anerkannt wurde. Im J. 1850 liess G. sich in London nieder, wo er seinen
Ruhm, der angesehenste Gesanglehrer der Neuzeit zu sein, befestigte. Die
Anerkennung der gelehrten Welt erwarb er sich von dort aus, nachdem er in
einem Vortrage »über die Entstehung der Stimme«, gehalten am 24. Mai 1854
in der Royal soeiety und abgedruckt in y>The London, Edinburgh and Duhlin
philosophical Magazine and Journal of science, Juli — Dec. 1855« die wichtig-
sten und bestrittensteu Punkte der Gesangtheorie in ganz neuer Art wissen-
schaftlich erörtert hatte. G. ist in seinem Berufe noch gegenwärtig überaus
erfolgreich in London wirksam. Unter den italienischen Gesanglehrern der
Zeit ist er anerkanntermaassen der berühmteste; er ist der letzte, wenn auch
dem Kunstgeschmacke der Gegenwart ergebene Nachkomme jener Männer, die
man als die ersten Meister des Gesanges zu nennen pflegt. Andererseits sind
seine physiologisch -wissenschaftlichen Untersuchungen so eigenthümlich und
bleibend werthvoU, dass sie ihm auch in der Wissenschaft eine hervorragende
Stelle verschafft haben. Indem er, in dem Mittelpunkte beider Richtungen
Garciua — Gardi. 131
stehend, von der Physiologie zur Gesangspraxis einen neuen Weg bahnte, hat
er seinen Namen auch für alle Zukunft verewigt. Unter seinen Schülerinnen
strahlen Gesangsterue erster Grösse, so u. A. Jenny Lind, Henriette Nissen,
Johanna "Wagner und seine Gattin Eugenie G., welche letztere nach ihrem
Abgange von der italienischen Opernbühue, um 1848, sich in Paris niederliess
und daselbst, getrennt von ihrem Manne, lange Jahre als geschätzte Gesang-
lehrerin wirkte, — Die hochberühmten Töchter des ganz oben genannten G.
waren: Maria G. (s. Malibran) und Pauline G. (s. Viardot-Garcia).
Garcius, Laurent, französischer Kunstliterat, der von 1734 bis 1788 in
Paris lebte, veröffentlichte u. A. eine Abhandlung »lieber das Melodrama oder
Reflexionen über die dramatische Kunst« (Paris, 1772).
Garczinska, Wilhelmine von, rühmlich bekannte deutsche Sängerin, war
die Tochter des Musikdirektors Benedict Bierey (s. d.) und von ihrem Yater
musikalisch so trefflich herangebildet worden, dass sie noch sehr jung, 1816,
in ihrer Geburtsstadt Breslau in Concerten mit Beifall auftreten konnte. Gründ-
lich vorbereitet, debütirte sie ebendaselbst am 25. März 1819 als Rosalieb in
Boieldieu's »ßothkäppchen«. Der Erfolg war ein aussergewöhnlich glänzender,
und sie wurde in Soubretten-Parthien überhaupt der erklärte Liebling des
Publikums. Schon 1821 verliess sie in Folge ihrer Vermählung mit einem
Herrn von Garczinski das Theater, trat aber bereits nach zwei Jahren, durch
besondere Umstände veranlasst, in ihr früheres Engagement zurück. Wiederum
fand sie die beifälligste Aufnahme und zeichnete sich bis zu ihrem Abgange
an das Stadttheater zu Mainz im J. 1829 gleichermaassen als dramatische wie
als Concertsängerin aus. Von Mainz aus scheint sie sich nach etwa sechs
Jahren dauernd in das Privatleben zurückgezogen zu haben.
Gardauo, Antonio, oder Gardaiii, italienischer Tonkünstler, Noten- und
Buchdrucker, von Walther in seinem musikalischen Lexikon unter dem Namen
Antoine Gardaue aufgeführt, besass und führte von Anfang des 16. Jahr-
hunderts an bis 1571 zu Venedig eine Buch- und Notendruckerei und befasste
sich besonders mit Herausgabe damals schätzbarer musikalischer Werke. Von
seinen derartigen Leistungen sind die bekanntesten: y>Mofetti del Fruttoa (1539),
ein Sammelwerk in mehreren Bänden, worin auch Compositionen von ihm selbst
enthalten sind, ferner y>Frim,o, secondo e terzo lihro de'' Capricci di Jachetto
Berchem'i (1561), nBiscinia gallicai (1564) u. v. A. Verdier berichtet über
G. noch, dass er 25 vierstimmige französische Chansons verschiedener Compo-
nisten (1538) herausgegeben habe. In der Münchener Bibliothek finden sich
Musikwerke vor, die wahrscheinlich zum Theil noch von ihm herrühren, ob-
wohl sie bereits unter dem Namen seines Sohnes und Nachfolgers Angelo G.
geführt werden. Vgl. Dr. Burney Hist. of Mm. Tom. III p. 305 und Draudii
Bibl. Class. p. 1610 und 1623. Schliesslich sei noch bemerkt, dass man Angelo
G. die erste gedruckte Partitur zuschreibt, die er im Jahre 1577 geschaffen
haben soll; von derselben befindet sich ein Exemplar in der königl. Bibliothek
zu Berlin, die den Titel: r>Tutti i Madi'igali di Gipriano di Bore a quattro voci<t
trägt. Ein Bruder Angelo's, dessen Officin noch 1650 bestand, Alessandro
G., war seit 1580 in Eom etablirt. f
Garde, de la, s. Lagarde.
Gardetou, Cesar, ein thätiger französischer Musikdilettant, geboren 1786
zu Marseille und daselbst vielseitig, auch musikalisch gebildet, Hess sich 1814
zu Paris nieder, wo er sich mit Compilationen und Uebersetzungen musikalisch-
literarischer Werke beschäftigte. So erschienen von ihm zwei Jahrgänge eines
Almanachs, betitelt »Annales de la musiquea (Paris, 1819 und 1820), ferner
anonym: »Bibliographie musicale de la France et de Vetrangera (Paris, 1822),
ein aller Ordnung und Genauigkeit entbehrendes Werk. G. selbst starb im
J. 1831 zu St. Germain bei Paris.
Gardi, Francesco, italienischer Operncomponist aus der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts, von dessen Werken der Mailändische Indice de^ Spettac.
132 Gardiner - Garnerius.
(1785 bis 1800) aufführt: die Opera seria y>Mtiea nel Lazio<i (1786 zu Modena
gegeben), die Opera bujfa y>Il convitato di pietrav. (1787 in Venedig), die Opera
hvffa nifl fata capricciosa<i (1789 zu Venedig), die Opera seria y>Teodolinda«.
(1790 ebenda) und die Op. huffa r>Il nuovo convitato di pietraa (1791 zu Bo-
logna); ausserdem noch: »L^ncantesimo senza magia (1784), »ia muta per amore»
(1785), y>La hella Laurettaa. (1786) und y>La hottega di caffe». (1790).
Gardinor, William, musikalisch gebildeter englischer Schriftsteller, ge-
boren 1770, hat auch tonkünstlerische Gregenstände behandelt, wie sein Buch
■nMusic and Friends»- beweist.
Gareis, E., liolländischer Orgelbauer, der 1732 in der grossen Kirche zu
Maassluys ein "Werk vollendete, das fünfmetrig disponirt war und 42 klingende
Stimmen, drei Manuale nebst Pedal besass. Vgl. Hess, Disposit. f
Gargrano, Teofilo, italienischer Castrat, zu Grallese in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts geboren, war vom Jahre 1601 ab Contraaltist in der
päpstlichen Kapelle zu Rom und starb ebenda 1648. Baini erwähnt mit Lob
eines von demselben componirten Miserere, von welchem zwei Versette, eines
zu vier, das andere zu fünf Stimmen gesetzt sind. Gi-, selbst hinterliess ein
Legat für vier junge Leute aus Gallese, welche in Rom Musik studiren sollten.
Garghetti, Silvio, Componist der römischen Schule aus Rimini, war 1689
als Kapellmeister der Kirche San Sudario zu Rom angestellt. Von seinen
Werken wusste, trotz mehrfacher Nachforschungen, auch Baini nichts Bestimmtes
mitzutheilen.
GargToss, s. Gar kl ein.
Gärikä ist einer der drei Sanskritnamen für den Bogen bei Streichinstru-
menten, welche Benennungen Werken entnommen sind, die zwischen 1500 und
2000 Jahre alt sind, wodurch zugleich die früheste Bekanntschaft der Inder
mit Streichinstrumenten sicher gestellt ist. 0.
Garilieflf, ein russischer Kirchencomponist, der in seinem Vaterlande sich
ums Jalir 1800 eines bedeutenden Rufes erfreute. Näheres über G.'s Leben
und Werke ist bis jetzt nicht bekannt geworden. Vgl. Leipz. Allgem. mueikal.
Zeitung, Jahrg. III, Seite 657. t
Garinding- nennt man auf den indischen Inseln eine Bambusflöte von un-
gefähr 0,35 Meter Länge, die mittelst eines Blattmundstückes intonirt wird.
0.
Garke, Heinrich, deutscher Tonkünstler, lebte zu Halberstadt und ver-
öffentlichte einen »Musikalischen Katechismus nebst einem Anhange, für kleine
Singinstitute eingerichtet« (Halberstadt, 1820).
Garkleiu war ein Zusatz, den man früher manchen Benennungen 0,3 metriger
Orgelstimmen gab, z, B. Gar kl ein -Flöte im Gegensatze zu einer Gargross-
Flöte, die stets 10 metrig gebaut war. Neuerdings wird dieser Ausdruck in
der Fachsprache nicht mehr geführt. t
Garlaude, Jean de, altfranzösischer Musikschriftsteller des 12. Jahrhunderts,
von dessen Lebensumständen nichts bekannt geblieben ist.
Garnerius, Guilielmus oder Guaruerins, italienisirt Garnerio, gelehr-
ter Tonkünstler und Scholastiker, der um und nach 1450 in Folge 'seiner
öffentlichen Vorlesungen einer grossen Berühmtheit in Italien genoss. Es ist
nicht unwahrscheinlich, dass er aus Belgien stammt und ursprünglich Garnier
oder Guarnier geheissen hat; in einem aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts
überkommenen Manuscript mit französischen und flaraländischen drei- und vier-
stimmigen Chansons, welches dem Lord Spencer gehört, findet sich in der
That ein Stück, welches den Componistennamen Guil. Guarnier trägt, welcher
Name gleichfalls auf einer Motette der von Attaignant in Paris 1520 heraus-
gegebenen Sammlung steht. Hauptwirkungsstätte G.'s war Mailand, dann
Neapel, wo er um 1480 das Lehramt an der vom König Ferdinand gegrün-
deten Musikschule bekleidete, wie dies aus einer Stelle in Pantaleone Mele-
guli's Lebensbeschreibung Gafori's hervorgeht.
Garnier — Gavzoni 133
Garnier ist der Name einer ganzen Reihe französischer, im 18. Jahrhun-
derte rühmlichst bekannter Musiker. 1. Adrien Gr., ein geschickter Violinist,
geboren um 1740 zu Lyon, kam 1775 mit bedeutendem Künstlerrufe nach
Paris und wurde zwei Jahre später in das Orchester der Grossen Oper ge-
zogen. In Lyon erschienene Violinsolo's kennzeichnen ihn auch als Componisten
für sein Instrument. — 2. Frangois Gr., berühmter Oboevirtuose geboren
1759 in dem Dorfe Lauris in der Provence, war ein Schüler Salentin's wurde
1778 als zweiter und 1785 als erster Oboist im Orchester der Pariser Grrossen
Oper angestellt, in welcher Stellung er auch seit 1783 bei der Kammermusik
des Königs thätig war. Die Revolution brachte ihn um alle diese Posten; es
gelang ihm jedoch, als Commissaire ordonnateur bei der Kriegsverwaltung an-
gestellt und der Rheinarmee zugesellt zu werden. Unter Moreau kam er u. A .
nach Frankfurt a. M, und trat daselbst in einem von Kreutzer gegebenen Con-
certe mitwirkend unter grossem Beifall auf, ebenso in Offenbach. Später einem
italienischen Armeecorps unter Championnet zugetheilt, sah er auch Rom und
Neapel. Nach seinem Rücktritt aus der Armee zog er sich auf sein Gleburts-
dorf Lauris zurück, woselbst er 1825 starb. Er ist der Verfasser einer Oboen-
schule und hat ausserdem Concerte für Oboe, Duos für zwei Oboen und für
Oboe und Violine, sowie Trios für Oboe, Flöte und Fagott geschrieben, die
auch zum Theil im Druck erschienen sind. Sein Bruder Joseph G., auch
G. le jeune genannt, war seit 1789 Oboist, später Flötist im Orchester der
Grossen Oper zu Paris und trat nach 25jähriger Dienstzeit 1814 in den Pen-
sionsstand. Derselbe ist Verfasser einer Flötenschule und veröffentlichte von
seiner Composition ein Flötenconcert, Trios für Flöte, Hörn und Fagott, Duos
für zwei Flöten und Etüden für Flöte. — 3. Honore G., geboren um 1701,
war vierter Organist zu Versailles, sodann Accompagnist des Königs Stanis-
laus von Polen, lebte als solcher grösstentheils in Paris und starb im J. 1769
zu Nancy, als tüchtiger Musiker allgemein geschätzt. Herausgegeben hat er:
lyMethode pour V accompagnement du clavecin, aussi bonne pour les personnes qui
pincent de la liarpeu. (Paris, 1766).
Garth of Dnrham, John, ein englischer Instrumental-Componist aus der
letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der wahrscheinlich in London als Organist
einer der dortigen Kirchen lebte, gab daselbst sechs Violinconcerte als op. 1
und sechs Ciaviersonaten mit Violin- und Violoncellbcgleitung, ausserdem mehrere
Violoncelloconcerte und eine Sammlung von Fantasien (Voluntaries) für die
Orgel heraus, die in England sehr geschätzt waren. Am bekanntesten ist er
durch die englische Uebersetzung, welche er den Psalmen des Marcello unter-
legte, geworden, welche Arbeit in acht Foliobänden gleichfalls zu London
erschien.
Garschavim, ein hebräischer Accent, welchem Naumburg in seinem in dem
Artikel Gerasch (s. d.) angegebenen "Werke in dem Abschnitte zur Lesung
der fünf Bücher Mose am Neujahrs- und Versöhnungstage folgende musikalische
Phrase unterlegt:
Garnlli, Bernardino, italienischer Tonsetzer aus Cali, war Chordirigent
an der Kathedrale zu Fano im Kirchenstaate und hat zu Venedig 1565 fünf-
stimmige Motetten und andere Gesänge herausgegeben. Vgl. Draudii Bibl.
Class. p. 1612. t
Garzoui, Tommaso, italienischer Kunstgelehrter, geboren 1549 zu Bag-
nacavallo im damaligen Herzogthum Ferrara und gestorben am 6. Juni 1589
zu Ravenna als Canonicus regularis Lateranensis, ist der Verfasser eines Werks,
»iß Piazza universale de tutte le professioni del Mondov- betitelt (Venedig, 1589),
das in seinem 42. Abschnitt von der Musik, sowohl von der Vocal- als der
J^34 Gras —Gas -Harmonika.
InstrumentalmUBik , besonders von der der Pfeifer, handelt. Vgl. das comp.
Gelehrten-Lexikon. t
Gas dient in neuester Zeit als Hauptinittel, die Wellenbewegung bei der
Klangbildung zur Anschauung zu bringen; Flammen (s. d.), durch einen
G-asstrom genährt, geben das Bild. Dies Bild gestaltet sich den Tönen gemäss
dadurch, dass man die Tonwellenschwingung auf eine in die Wand eines Gas-
rohrs eingeschaltete Membran wirken lässt. Zu diesem Behufe steht die Mem-
bran mit einem Kautschukrohre in Verbindung, in welches man die Ton-
schwingung hineinleitet, indem man z. B. ganz einfach hineinsingt. Die Mem-
bran wird dann dem Sänge entsprechend bewegt und wirkt auf den Gasstrom;
die Flamme erhebt und senkt sich der Wellenbewegung gemäss in der Secunde
einige hundertmal. Um die Ei'hcbungen und Senkungen der Flamme getrennt
zu sehen, muss man den Kopf schnell hin- und herbewegen oder sich eines
drehenden Spiegels bedienen. Man sieht dann eine Reihe feuriger Zungen,
aus deren Anblick die Natur der G.schwingungen crrathen werden kann. Eine
treffliche Darstellung eines solchen Apparates, wie die Flammenbilder der Töne
<?', g^ und c^ sich gestalten, welche auf die Vocale n, o und a gesungen, findet
man in E,. Radau's »Lehre vom Schall« (München, 1869), Seite 280 und 281.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass G. durch einen an beiden Seiten offenen,
vertical placirten Cylinder (Glas) begrenzt, mittelst einer unter dem Cylinder
angebrachten Flamme in tönende Schwingungen versetzt werden kann. Diese
Erfahrung führte Einige zur Erfindung neuer Tonwerkzeuge, die sie Gas-
Harmonika (s. d.) nannten; dieselben erfreuen sich jedoch bisher noch keiner
Einführung in der Kunstwelt. 2.
Gaschiii-Rosenberg:, Fanny Gräfin von, eine begabte Dilettantin, geboren
1818 zu Thorn, war eine Ciavierschülerin Liszt's, Thalberg's und Henselt's
und erlangte, von solchen Meistern ausgebildet, einen hohen Grad der Virtuo-
sität auf diesem Instrumente. Sie hat sich auch in Pianofortecompositionen
versucht, die im Salonstyl gehalten und Chopin nachempfunden, viele Lieb-
haber fanden.
Gascogne, Matthien, französischer Contrapunktist des 16. Jahrhunderts,
von dessen Arbeiten in Salblinger's »Ooncentus a 4 — 8 voc.« (Augsburg, 1545)
und in einer der Sammlungen von Attaignant sich noch einige Proben vor-
finden. Baini sagt von G. in seinem Buche über Palestrina, dass er, Zeitge-
nosse Ockenheims, um die Kunstvorgänger zu überstrahlen, die Erfindung
schwierigerer Toncombinationen sich zur Aufgabe gestellt, wodurch in der Kunst
jedoch keine Fortentwickelung möglich. — Derselbe Schriftsteller erwähnt in
demselben Werke an einer vorangehenden Stelle noch eines andern französischen
Tonsetzers Namens G. aus dem 15. Jahrhundert, von dessen Werken Messen
über französische Chansons in der päpstlichen Kapelle aufgeführt worden sein
sollen. — Anzuführen ist noch, dass in der königl. Bibliothek zu München sich
ein Manuscript: i>Missae 4 voc. von Gascong« befindet, das, wie Gerber in
seinem Tonkünstlerlexikon von 1812 ohne Angabe der Quelle angiebt, von
einem Contrapunktisten des 16. Jahrhunderts, Johann G., herrührt. f
Gas-Harmonika oder Gas-Accord-Harmonika nennt der Mechaniker C. A.
Grüel in Berlin ein von ihm erfundenes Tonwerkzeug, das seine Entstehung
den instruktiven Versuchen über die chemische Harmonika des Grafen von
Schaffgotsch zu verdanken hat. Dies Ton Werkzeug, mehr akustischen als Kunst-
zwecken zu genügen bestimmt, besteht aus Glasröhren mit verschiebbaren Auf-
sätzen, in deren TJntertheile durch Hähne regulirbare Flammen brennen. Eine
genauere Beschreibung dieser G. , wie eingehendere Erörterungen über die
physikalischen Vorgänge bei der Tonbildung, findet man in Poggendorff's An-
nalen der Physik und Chemie Jahrgang 1858 von dem Erfinder selbst gegeben.
— In neuester Zeit kam durch französische Fachblätter die Kunde, dass der
Sohn des durch seine Geschichte der Militärmusik und viele andere meist in-
struktive Musikschriften berühmte Dr. Kastner in Paris ein für die Kunst be-
Gaspard — Gasparini. I35
achten swerthea Instrument, das seine Töne einei' ähnlichen Tonschwingungs-
erzeugung zu danken habe, construirt hätte. Mehr die Sache selbst BetreflFen-
des steht demnächst zu erwarten. 2.
Gaspard, Michel, ein holländischer Arzt, der seiner Kunst um die Mitte
des 18. Jahrhunderts vermuthlich zu Utrecht oblag, veröffentlichte ein lateini-
sches "Werkchen über die Anwendung der Musik in der Heilkunst, welches den
Titel führt y>De arte medendi aptid priscos musices, epistola ad Anton. Helhana
und 1783 zu London in zweiter vermehrter Auflage erschien.
Gaspard de Salö, s. Gasparo da Salo.
Gaspard, Mr., deutscher Clarinettvirtuose, der um 1775 Kammermusikus
des Prinzen von Conti zu Paris war, ist der Componist von sechs Quartetten
für Clarinette, Violine, Alt und Violoncello op. 1 (Paris, 1777),
Gaspard, auch Gl a spar geschrieben, ein gelehrter, aus Frankreich oder
Belgien stammender Tonsetzer und um die Mitte des 15. Jahrhunderts geboren,
wird als Componist zahlreicher Kirchengesänge aufgeführt.
Gaspari, Caetano, ausgezeichneter italienischer Componist, Dirigent und
Musikschriftsteller, geboren am 14, März 1807 zu Bologna, machte seine ton-
künstlerischen Studien auf dem Liceo communale seiner Vaterstadt, woselbst
Donelli sein Hauptlehrer war. Von 1828 bis 1836 war G, Kapellmeister in
Cento, hierauf in Imola und endlich Chordirector am Theater und Lehrer am
Liceo in Bologna. Im J. 1856 wui'de er auch noch Conservator der musika-
lischen Bibliothek letztgenannter Anstalt und ein Jahr später Kirchenkapell-
meister an San Petronio zu Bologna. — Die wenigen seiner im Druck er-
schienenen Kirchencompositionen bekunden Gediegenheit und Sinn für Erhaben-
heit und einen würdigen Styl. Seiner ernsten und eingehenden Beschäftigung
mit der Geschichte und Literatur seines Vaterlandes und seiner Vaterstadt
entsprangen ebenso wichtige wie interessante Aufsätze und Abhandlungen,
welche er meist in der Oazzetfa musicale di Milano veröffentlichte und von
denen der »über die Musik in Bologna« ganz besonders hervorgehoben zu
werden verdient.
Gasparini, einer der gewandtesten und geistreichsten französischen FeuUle-
tonisten und Musikschriftsteller der neuesten Zeit, lebte als Theater- und Musik-
referent zu Paris und suchte durch zahlreiche Artikel, wiewohl vergebens, den
musikalisch-dramatischen Principien und den Werken Rieh, "Wagner's die Bahn
jenseits des Bheins zu ebnen. Mitten in dieser seiner Lebensaufgabe starb er
1869 zu Paris,
Gasparini, Francesco, hervorragender italienischer Componist, geboren
um 1665 zu Lucca, erhielt seine musikalische Ausbildung zu Rom bei CoreUi
und Bernardo Pasquini und wirkte hierauf als Lehrer am Conservatorio della
pieta und Äcademico filarmonico zu- Venedig, Im J. 1725 zum Kapellmeister
der Kirche San Giovanni in Laterano zu Rom ernannt, musste er schon 1726
wegen seiner angegriffenen Gesundheit von diesem Amte zurücktreten und starb
Ende März des Jahres 1727, Sein Nachfolger war der ihm schon früher bei-
gesellte Girolamo Chiti. — Als Theoretiker und geschickter Componist war
G. von seinen Zeitgenossen sehr hoch geschätzt, nicht minder als gediegener
Lehrer; zu seinen Schülern zählt u. A, der venetianische Patricier Benedetto
Marcello. Zwölf Kammercantaten seiner Composition erschienen 1697 zu Lucca,
sechs andere befanden sich handschriftlich in der ehemaligen Breitkoprschen
Sammlung. Von 1703 an verlegte er sich auf die Composition von Opern,
deren er nach und nach gegen dreissig schuf und von denen die meisten, so
u. A. »L^Äjace«, r>Tiberiov u. s. w, mit grossem Erfolge in Italien aufgeführt
wurden. Nachhaltiger noch war sein Ruf als Verfasser einer vortrefflichen
Accompagnements- oder Generalbassschule, betitelt: y>Jß^armonico prattico al
Cembalo, ovvero regole, osservazioni ed avertimenü per^hen suonare il hasso e ac-
compagnare aopra il cembalo, spinetta ed 'organoa (Venedig, 1683). Weitere
J^36 Gasparini — Gassitzing.
Auflagen von diesem geschätzten Werke erschienen 1708, 1715, 1754, 1764
und sogar noch 1802 in Venedig.
Gasparini, Michele Angelo, berühmter italienischer Contr'altist und ge-
schickter Componist aus Lucca, war ein Zeitgenosse und wahrscheinlich auch
ein naher Verwandter des Vorigen. Von Lotti musikalisch ausgebildet, grün-
dete er zu Venedig eine zu hoher Blüthc gelangte Gcsangsschule, aus welcher
unter vielen ausgezeichneten Gesangskünstlern auch die berühmte Faustina
hervorging. Von G.'s Opern sind zu nennen: y>Il princli)e Selvaggiov. (1695),
fill Badamante<-< (1714), »Ärsacea (1718), i>La mano« (1719), y>Il piu fedel fra
gli amich (1721). Er selbst starb um 1732 zu Venedig.
Oasparini, Quirino, vortrefläicher italienischer Violoncellist und Kirchen-
componist, lebte zu Turin als königl. sardinischcr Kopellmcister und veröffent-
lichte viele zu ihrer Zeit geschätzte Tonstücke für die Kirche. Seinen Na-
men tragen übrigens auch Streichtrios, welche in London herausgekommen sind.
Gasparo da Sal5, einer der ausgezeichnetsten und berühmtesten italieni-
schen Geigenbauer des 16. Jahrhunderts, geboren zu Salo am Gardasee, lebte
und betrieb seine Kunstwerkstätte etwa von 1565 bis 1615 zu Brescia. Er
scheint mit Vorliebe Violen und Gamben gebaut zu haben, da Violinen von
ihm sich nur sehr selten vorfinden.
Gasse, Ferdinand, trefflicher Violinist und Componist, geboren im März
1780 zu Neapel, kam früh nach Frankreich und wurde im J. VI. der Republik
Schüler des Pariser Conservatoriums, wo er bei Kreutzer Violinspiel, bei Catel
Harmonie und bei Gossec Coraposition studirte. Oft durch Prämien ausge-
zeichnet, wurde er, nachdem er auch 1805 den grossen Preis der Akademie
erhalten hatte, auf Staatskosten nach Rom geschickt, von wo er u. A. 1807
ein Te deum für zwei Chöre, ein Christe eleison, fugenartig mit drei Themen
für sechs Stimmen a capella gesetzt und eine Opern scene dem Institut de
France zur Beurtheilung übersandte und sich von Mehul ausserordentlich be-
lobt sah. Eine Opera hvffa, die er im Januar 1812 einsandte, betitelt i>La
finta zingarai gelangte in Paris zur Aufführung. Noch in demselben Jahre
kehrte er auch selbst zurück und nahm seine schon früher inue gehabte Stelle
als Violinist im Orchester der Grossen Oper wieder ein, bis er 1835 pensionirt
wurde. In Paris sind folgende Opern von ihm aufgeführt worden: y>Le voyage
incognitod (einaktig 1819), nL^idiote« (dreiaktig 1820), liUne nuit de Gustave<a
(zweiaktig 1825). Ausserdem hat er mehrere Serien Violinduette und leichte
Sonaten für Violine und Bass in Paris veröffentlicht.
Gassean, französischer Flötist und Clarinettist, war als Hautboist in der
königlichen Schweizergarde zu Versailles angestellt und hat in den Jahren von
1788 bis 1797 mehrere Ensemblestücke, Suiten von Opernarien für 2 Flöten,
für 2 Violinen, Viola und Violoncello und für 2 Clarinetten in Paris heraus-
gegeben, t
Gassend, Pierre, latinisirt Petrus Gassendus (Gassendi), französischer
Physiker, Mathematiker und Philosoph, wurde zu Chantersier in der Provence
am 22. Januar 1592 geboren und starb am 24. Oktober 1655 als Probst der
Kathedralkii'che zu Digne. Längere Zeit wirkte er zu Paris als Professor der
Mathematik am College royal de France, in welcher Stellung er auch einen
ziemlich werthlosen Traktat: ryjfanuduciio ad theoriam musices« betitelt (Paris,
1654) verfasste, der sich auch im fünften Bande der Gesammtausgabe seiner
Schriften (6 Bde., Lyon, 1658 und Florenz, 1728), befindet.
Gassenhauer oder Gassenlied, s. Volkslied.
Gassitzias, Georg, gelehrter und musikalisch gebildeter Schulmann, ge-
boren zu Berzewitz in Oberungarn am 22. Februar 1652, gestorben am 15.
April 1694 als Rector des Gymnasiums zu Bremen, besass ziemlich bedeutende
musikalische -Kenntnisse. Mehrere seiner Compositionen wurden zu Bremen
und an verschiedenen anderen Orten Deutschlands unter grossem Beifall auf-
geführt, t
Gaasmann, 137
Gassmann, Florian Leopold, fruchtbarer deutscher Componist und tüch-
tiger Dirigent, wurde am 4. Mai 1723 zu Brüx in Böhmen geboren und fand
im Chorregenten Johann Woborzil seinen ersten Musiklehrer und den Förderer
seines sich schon frühzeitig kund gebenden musikalischen Talents. Mit zwölf
Jahren galt er bereits für einen trefflichen Sänger und Harfenspieler und dar-
auf gestützt, entfloh er 1736 seinem Vater, da ihn derselbe zwingen wollte,
Kaufmann statt Musiker zu werden. Mit seiner Harfe gelangte er nach Karls-
bad, wo er sich mit solchem Erfolge hören Hess, dass er binnen zwei "Wochen
gegen 1000 Thaler einnahm. Schnell entschlossen wandte er sich mit diesem
Baarschatze nach Venedig, stand jedoch daselbst nur zu bald entblösst von
allen Mitteln da. Der italienischen Sprache zudem unkundig, wäre er im
fremden Lande verloren gewesen, wenn sich nicht ein mitleidiger Priester, dem
er lateinisch seine Schicksale mittheilte, seiner väterlich angenommen, ihn unter-
richtet und sogar behufs weiterer Ausbildung seiner grossen musikalischen
Fähigkeiten nach Bologna zum Pater Martini geschickt hätte. Zwei Jahre
lang unterrichtete ihn dieser Meister, worauf Gr. nach Venedig zurückkehrte
und als Organist bei einem dortigen Nonnenkloster angestellt wurde. In die-
ser Stellung lernte ihn der kunstsinnige Grraf Leonardi Veneri kennen und
schätzen, zog ihn in seinen Palast und räumte ihm bei reichlicher Unterstützung
daselbst eine grosse Wohnung mit Bedienung ein. In die feinsten Kreise der
Stadt eingeführt und von diesen gestützt und empfohlen, bemühten sich bald
die Kirchen wie die Theater um seine Compositionen. In den glücklichsten
Verhältnissen traf ihn 1762 ein Huf als Balletcomponist nach Wien, dem er
ein Jahr später folgte. Auch in dieser Stellung war der Erfolg seiner Werke
so bedeutend, dass man ihn lebenslänglich mit einem jährlichen Gehalt von
400 Ducaten engagirte, wofür er eine bestimmte Anzahl von Opern schreiben
musste. Kaiser Joseph II. ernannte ihn zum Hof- und Kammercomponisten
und 1771 mit 800 Ducaten Gehalt zum wirklichen Hofkapellmeister als Nach-
folger Reuter's. Gewissenhaft und pünktlich in Erfüllung seiner Amtspflichten,
glücklich in seinen Unternehmungen, edel und wohlthätig als Mensch, wusste
sich G. die höchste Achtung seiner Zeitgenossen zu verschafi"en, und aus diesen
Eigenschaften heraus v/urde er der Begründer einer Anstalt, die noch heutigen
Tages sehr segensreich in ihrem Lokalbezirk wirkt, nämlich der sogenannten
nSocietät für Wittwen und Waisen der Tonkünstler Wiens«. Anregung zur
Stiftung dieses Vereins gab ihm 1771 der Anblick der bittern Noth, welche
häufig genug die Familien der Tonkünstler nach Ableben ihrer Ernährer heim-
zusuchen pflegt. Hatte er selbst doch schon als Kind den harten Kampf mit
der Noth bestehen müssen; er mochte sich in seinen damaligen behaglichen
Lebensverhältnissen oft das Bild aus seiner Jugendzeit vorhalten, wie er wei-
nend und verzweifelnd auf einer Brücke in Venedig stan^ und von jenem gut-
herzigen Geistlichen aufgenommen und weiter gefördert wurde. Möglich auch,
dass das Beispiel eines unter den deutschen Tonkünstlern in London seit
längerer Zeit bestehenden Hülfsvereins dazu beigewirkt hat. Das Unternehmen
ging, einmal begonnen, rasch von Statten; ein kleines Capital, das Gnaden-
geschenk der Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Josephs II., sicherten dem
Verein die erste materielle Basis zu seiner Entfaltung und zu seinem Wachs-
thum. Zur Vermehrung der pecuniären Mittel wurden zudem an je einem
Tage der Weihnachts- und Osterzeit, wo die Theater Wiens geschlossen sein
müssen, Akademien (Concerte) im k. k. Burgtheater bewilligt, welches Vor-
recht der Verein noch zur Stunde geniesst. Die Statuten belasteten die Bei-
tretenden mit keinen drückenden Opfern und waren zugleich mit Vorsicht
gegen etwaige Missbräuche verfasst. Heutigen Tages besitzt der Verein, der
1871 sein hundertjähriges Jubiläum feierte, ein Vermögen von über Vg Million
Gulden und theilt an Wittwen- und Waisen-Pensionen jährlich ungefähr 16,000
Gulden aus. Wie die Humanität verdankt auch die Kunst selbst diesem älte-
sten Concertinstitute in Wien eine wesentliche Förderung. S. Tonkünstler-
138 Gassner.
vereine. — Italien besuchte G-. in treuer Anhänglichkeit zu öfteren Malen;
bei einem dieser Besuche war es, dass die Pferde mit ihm durchgingen, er
selbst aus dem "Wagen geworfen wurde und eine schwere Rippenverletzung da-
vontrug, die nach längeren Leiden seinen Tod l)eschleunigte. Er stai'b zu
Wien am 21. Januar 1774 und wurde auf dem damaligen Montferrat (Schwarz-
spanier-) Kirchhof begraben. — So fruchtbar und fleissig und so angesehen
G-. als Componist gewesen ist, so haben seine Werke ihn dennoch nicht lange
überdauert. Er schrieb 23 ernste und komische italienische Opern, von denen
■f>Olimpiade<s., i>Il viaggiator ridieolo« und -nL^amor artigiano<.< die werthvollsten
sein mögen. Die zuletzt genannte ist unter dem Namen »die Liebe unter den
Handwerlcsleuten« von Neefe auch für die deutschen Bühnen bearbeitet worden,
eine andere, y>La contessinau, von Hiller unter dem Titel »die junge Gräfin«.
Für die Kirche componirte er mehrere Messen , ein Oratorium »Z« BetuUa
Uheratati, ein -aStahat matevi, eine Motette auf den Cäcilientag, ferner Hymnen,
Psalme und kurz vor seinem Tode ein -nDies iraev, das für sein Meisterstück
gilt. Von diesen Werken behauptete Mozart in einem Gespräche mit Doles,
dass viel daraus zu lernen sei. An Kammermusikwerken von G. erschienen
im Druck: sechs Quartette für Flöte, Violine, Viola und Bass, sechs Streich-
quartette mit obligater Violoncelloparthie und sechs Streichquartette, jedes mit
zwei Fugen (Wien, 180.3); ungedruckt blieben u. A. fünfzehn Sinfonien. —
Obgleich G. der erklärte Lieblingscoraponist Maria Theresia's sowohl wie Jo-
seph's II. war, erlangte er unter Schwierigkeiten doch erst 1768 die von dem
Letzteren den Beamten überhaupt nitr ungern ertheilte Erlaubniss zum Hei-
rathen. Seine Ehe w-ar eine überaus glückliche, und es entsprossen derselben
zwei Töchter: Maria Anna G., geboren 1769 und Maria Theresia G.,
geboren 1774, nach dem Tode des Vaters. Die Kaiserin ernannte sich selbst
zur Taufpathin bei der letzteren, der sie auch ihre eigenen Namen gab und
setzte für die ganze hinterbliebene Familie eine Pension aus. Weiterhin nahm
sich auch Salicri, G.'s berühmtester Schüler, der Töchter seines Lehrers aufs
Uneigennützigste an und bildete sie für die Bühne aus, auf der sie später als
gründlich ausgebildete Opernsängerinnen glänzten, besonders Maria Theresia,
nachmalige Frau Rosenbaum (s. d.), welche bis 1812 der gefeierte Liebling
des Wiener Theaterpublikums war.
Gassner, Ferdinand Simon, vortrefflicher deutscher Violinist, Musik-
schriftsteller und Componist, geboren am 6. Januar 1798 in Wien, war der
Sohn eines Decorationsmalers. Seine Musikaidagen bekundeten sich früh, in-
dem er, ohne Unterricht, auf der Violine anderwärts gehörte Stücke richtig
und rein nachspielte. Eigentliche Lectionen auf diesem Instrumente erhielt
er erst in Karlsruhe, wo sein Vater Hoftheatermaler geworden war; gleichzeitig
besuchte er das dortig Gymnasium, da er zu einer der wissenschaftlichen Facul-
täten übergehen sollte. Statt aber endlich die Universität zu beziehen, trat
G. als Accessist in die Hofkapelle. Dort erweckten seine technischen Leistun-
gen, sowie sein Compositionsversuch mit einer Operette »der Schiffbruch« das
Interesse der Hofmusiker Danzi, Fesca und Brandl, die von da ab für eine
geregeltere musikalische Ausbildung G.'s sorgten. Derselbe wurde 1816 erster
Violinist des neu errichteten Nationaltheaters in Mainz und alsbald nach seinem
Eintritte stellvertretender Musikdirector und Correpetitor. In Gottfried Weber
fand er dort einen Freund und Lehrer, der sein theoretisches Wissen unge-
mein förderte. Ein in Giessen 1818 veranstaltetes Concert verschaffte ihm
unmittelbar darauf die daselbst erledigte Stelle eines Universitäts-Musikdirectors,
und dadurch angefeuert, nahm er die höheren wissenschaftlichen Studien mit
solchem Erfolge -wieder auf, dass er 1819 die philosophische Doctorwürde er-
werben und als Privatdocent für Musikvorlesungen zugelassen werden konnte.
Während sechs Jahren wirkte er nun nutzenbringend und anregend für das
ganze Land als Universitätslehrer, Dirigent und Organisator von Musikfesten,
veranlasste die Gründung der später von Gottfr. Weber redigirten Zeitschrift
Gasteritz — GastoWi. 139
»Cäcilia« und gründete und redigirte selbst sechs Jahrgänge des beliebt ge-
wordenen »musikalischen Hausfreunds«; ausserdem war er literarisch wie als
Componist überaus thätig. Eine grössere Cantate von ihm »die Auferweckung
des Jünglings von Nain«, in Giessen, Marbui'g, Mainz und Karlsruhe aufge-
führt, hatte durchgreifenden Erfolg, und dass seine Opern, deren eine, betitelt
«das Ständchen« Spohr's Lob fand, nicht zur AuflFührung gelangten, dürfte zu
bedauern sein. Viel Glück hatten dagegen mehrere seiner Ballets, die in Karls-
ruhe und, wie »die Müller«, auch anderwärts aufgeführt wurden, nicht minder
seine im Druck erschienenen Lieder. Im J. 1826 kehrte er als Mitglied der
Hofkapelle nach Karlsruhe zurück, wurde 1829 Gesanglehrer am Hoftheater
und 1830 Chor- und Musikdirector, wirkte aber, wenn er nicht dirigirte, stets
am ersten Geigenpulte mit. Unablässig fleissig und thätig, starb er am 25.
Febr. 1851 zu Karlsruhe. — Aus seiner Beschäftigung mit dem theoretischen
Theil der Tonkunst in den letzten Jahren seines Lebens entsprang ein Lehr-
buch der Partitur-Kenntniss in zwei Bänden, das sich als sehr brauchbar er-
wies; ferner gründete und redigirte er die »Zeitschrift für Deutschlands Musik-
vereine und Dilettanten« und endlich bearbeitete er einen Auszug aus Schil-
ling's »Universallexikon der Tonkunst« (1 Bd. mit einem Nachtragshefte, Stutt-
gart, 1849).
Gasteritz, Michael, auch Gastritz geschrieben, deutscher Tonsetzer, war
ums J. 1580 Organist zu Amberg und hat nach der Jenaischen Lit. Zeitung
die Melodie: a g a b a g g f (1571) zu dem Kirchenliede »Herzlich lieb hab'
ich dich, o Herr« geschrieben, die jedoch keine grössere Verbreitung fand. Was
sonst noch von seinen Werken übrig geblieben ist, befindet sich auf der Mün-
chener Bibliothek. Gerber spricht in seinem Tonkünstlerlexikon die Ver-
muthung aus, dass dieser Michael G. und Matthias Castricius oder
Castritz (s. d.) dieselbe Person gewesen seien, welche Vermuthung bis jetzt
jedoch noch nicht erhärtet ist. t
Gastinel, Leon Gustave Cyprien, französischer Componist der Gegen-
wart, geboren am 13. Aug. 1823 zu Villers les Pots bei Auxonne im Departe-
ment Cote d'or, erhielt zuerst Unterricht Im Flöten- zu Lyon, wohin seine
Eltern gezogen waren, bei Mercier im Violin- und bei Senart im Pianoforte-
spiel. Seit 1840 besuchte er das Conservatorium in Paris, wo er bei Halevy
Gomposition studirte und mit der Cantate »Velasquez« 1846 den grossen Staats-
preis erwarb, der ihm die Mittel zu der vorschriftsmässigen Studienreise nach
Italien an die Hand gab. Von dort 1849 nach Paris zurückgekehrt, veröffent-
lichte er Violinstücke und Ciaviertrios, führte einige seiner Ouvertüren auf
und brachte 1853, jedoch ohne grösseren Erfolg, seine Oper »X« miroir« auf
die Bühne. Dagegen fanden Streichquartette von ihm und Arbeiten für die
Kirche den Beifall der Kenner. Im Opernfache brachte er noch 1860 bei den
Bouffes parisiens «Titus et Berenice« und ein Jahr später y^Vopera aux fenetresv.
zur Aufführung, von denen die letztere unter dem Titel »Die Oper am Fenster«
auch in Deutschland einiges Glück machte.
Gastoldi, Giovanni Giacomo, fruchtbarer und zu seiner Zeit sehr be-
liebter italienischer Componist, zu Caravaggio um die Mitte des 16. Jahrhun-
derts geboren, war gegen Ende des Jahrhunderts als Kirchenkapellmeister an
Santa Barbara in Mantua angestellt und wurde hierauf für das gleiche Amt
an den Dom zu Mailand berufen. Gegen dreissig im Druck erschienene Com-
positionen seiner Arbeit, als Messen, Madrigale, Balletti (Balladen) a 5 und
a 3 — 9 voci, Canzonetten, Choräle u. s. w,, deren genauere Titel Gerber und
Fetis in ihren lexikographischen Werken aufführen, sind erhalten geblieben.
Das, was G. BaUeUi und zwar mit dem Zusätze rxla stwnare, cantare e hallaren
nennt, sind weder Tanzstücke, noch auch Balladen im modernen Sinne des
Worts, sondern Musikweisen zu Tänzen, bei welchen auch gesungen wurde.
Es sind dies also Balladen in ihrer ersten und ursprünglichen Form. Unter
diesen Balletti G.'s, 1591 und 1595 zu Venedig und 1596 zu Antwerpen er-
■[40 Gastorius — Gathy.
schienen , befinden sich zwei Nummern , deren Textworte Burney in seiner
Musikgeschichte mittheilt und deren Melodien keine andei*en sind, als die zu
den noch jetzt bekannten Kirchenliedern »Jesu, wollst uns weisen« und »In
dir ist Freud' bei allem Leide«. Beide Gesangweisen sind zuerst von Linde-
mann, einem deutschen Zeitgenossen G-.'s, zu Chorälen benutzt worden.
Grastorius, Severus, deutscher Tonsetzer, ums J. 1670 Cantor zu Jena,
hat insbesondere sich einen B-uf durch die Choralweise: »Was Gott thut, das
ist wohlgethan« , — dgaJicdcJi, 1675 — erworben, über deren Ent-
stehung G. Döhring in seiner Choralkunde S. 109 Interessantes berichtet.
Ausserdem sind von G. noch folgende gedruckte Werke bekannt: »Klag- und
Trauerlieder von zwei Cant., Alt, Ten. und Bass (Jena, 1674); »Klag- und
Trauer- Gespräche zwischen Mutter und Sohn« (Jena, 1679) und »M. Klesch's
Andächtigen Elends Stimme« (Jena, 1679). Die Melodien des letzten Werkes
hat G. mit Johann Hauk, Kantor in Strehlen, gemeinschaftlich gesetzt, f
Gatayes, Guillaurae Pierre Antoine, französischer Guitarrist und
Harfenist, sowie Coraponist für diese Instrumente, geboren am 20. Decbr. 1774
zu Paris, war ein natürlicher Sohn des Prinzen von Conti und einer Marquise
und für den geistlichen Stand bestimmt. Von Vorliebe zur Musik getrieben»
entwich er 1788 aus dem theologischen Seminar und sah sich um so mehr
auf sich allein angewiesen, als die Revolution von 1789 seine Eltern zur Emi-
gration zwang. G. verlegte sich nun auf Composition von Romanzen mit
Guitarrebegleitung, die sehr beliebt wurden und verfasste eine Giiitarreschule
(Paris, 1790), die lange Zeit hindurch als die einzig brauchbare in Prankreich
galt. Von 1793 an vervollkommnete er sich auch auf der Harfe und veröffent-
lichte 1795 eine Harfenschule, ausserdem aber im Laufe der Zeit noch zahl-
reiche Compositionen für Harfe sowohl wie für Guitarre. — Sein ältester Sohn
und Schüler, Leon Joseph G.. geboren 1805 zu Paris, brachte es, im Har-
fenspiel weiterhin von Cousineau, sodann von Labarre unterrichtet, bis zu her-
vorragender Virtuosität und erwarb sich als Componist und als Lehrer dieses
Instruments einen bedeutenden Ruf, nicht minder auch durch Journalartikel
für verschiedene Zeitungen als Musikschriftsteller. — Dessen jüngerer Bruder,
Felicien G., 1809 zu Paris geboren, machte zuerst um 1836 Aufsehen als
Pianist und Componist, führte aber ein regelloses und unstätes Leben, das ihn
auf Reisen durch Europa, Amerika und Australien trieb, ohne dass er weiter-
hin noch etwas Erspriessliches für die Kunst geleistet hätte.
Gates, Bernard, englischer Tonkünstler, geboren 1686 und gestorben
1773 in London, war um 1710 Lehrer der königlichen Kapellknaben und Mit-
glied der Gesellschaft, welche die Academy of ancient Music (s. Galliard)
stiftete. G. führte im J. 1731 mit seinen Schülern das Oratorium Esther
von Händel in seinem Hause auf, wodurch er den Impuls gegeben haben soll,
dass Händel auch weiterhin diese Gattung der Composition pflegte. f
Gathy, August, deutscher Musikschriftsteller und geistvoller Kritiker,
geboren am 14. Mai 1800 (1804?) zu Lüttich, erhielt in Deutschland, das er
stets als sein eigentliches Vaterland ansah, eine feine, vielseitige Erziehung
und Bildung. Frühzeitig prüfte ihn das Schicksal: eine Wärterin liess ihn zu
Boden fallen und in Folge des Sturzes blieb er zeitlebens verwachsen. Heftige
Jugendkämpfe bezeichnen auch die fernere Zeit, bis er sich ungestört der
Tonkunst widmen durfte, und von da an war sein ganzes Leben ein Auf- und
Absteigen auf der Leiter edelsten Strebens. Wider Willen musste er zunächst
als Lehrling in eine Hamburger Buchhandlung treten, setzte es dann aber
durch, dass er von 1828 bis 1830 bei Friedr. Schneider in Dessau Musik
studiren durfte. Er that dies mit Erfolg, denn der Meister überraschte ihn
selbst einmal mit der kunstvollen Ausführung eines Chorals, den G. unter
seiner Leitung componirt hatte. Von 1830 bis 1841 lebte G. in Hamburg,
redigirte ein »Musikalisches Conversationsblatt, Musikfreunden und Künstlern
öathy. 141
geweiht«, eine Art Musikzeitung, und gab im Verein mit mehreren Anderen
jenes kurzgefasste «Musikalische Conversations-Lexikon« (Hamburg, 1835, 2. Aufl.
1840) heraus, das an Gründlichkeit und Gediegenheit bis heute von keiner
lexikographischen Arbeit ähnlichen gedrängten Umfangs übertroffen worden isi.
Eine dritte Auflage dieses Werks, von A. ßeissmann nur nominell herausge-
geben, erschien 1870 in Berlin; die Flüchtigkeit und TJngenauigkeit in der
Ueberarbeitung und den Zusätzen hat jedoch die Vortrefflichkeit des eigent-
lichen Werks stark verwischt. G. selbst hatte sich bei Lebzeiten mit der ge-
wissenhaftesten Correctur und Umarbeitung der alten Auflage beschäftigt und
eine vollständige Neugestaltung des nützlichen Buchs in Aussicht gestellt, und
in der That verstand es kaum Jemand besser, sich in fremde Künstlernaturen
zu versetzen, als er; war es ihm doch von vornherein weniger darum zu thun
gewesen, ein Buch zu schreiben, als die Verdienste derer, die für die Kunst
gewirkt haben, darzustellen. So kam es auch, dass er während der Ausarbei-
tung der neuen Auflage keinen Anstand nahm, Fetis, der gerade auch eine
zweite Auflage seines grossen musikalisch-biographischen "Werks veranstaltete,
die mühsam zusammengesammelten Resultate seiner Forschungen mitzutheilen.
Neben den literarischen Interessen, die G. in Hamburg mit seinem Freunde,
dem Buchhändler Jul. Campe verfolgte, hat er daselbst viel für die Ausbreitung
des musikalischen Geschmacks gethan. Er war einer der Stifter der grossen
Hamburger Musikfeste, wie er auch, mit anderen kunststrebenden Freunden
vereint, jene zahlreichen Musikgesellschaften in Norddeutschland begründen
half, welche so viel zur Pflege der Kunst in jenem Theile des Reichs beige-
tragen haben. Während einer langen Reihe von Jahren war G. auch Haupt-
mitarbeiter an der von Rob. Schumann begründeten »Neuen Zeitschrift für
Musik« und seine in diesem Blatte nach und nach veröffentlichten Arbeiten
würden gesammelt mehrere Bände ausmachen. Seit 1841 lebte er, literarisch
unausgesetzt thätig, in Paris. Bei dem hohen Interesse, welches er an allen
Zweigen des gesellschaftlichen Lebens nahm, konnte er dort auch der Politik
nicht lange fremd bleiben. Seine zahlreichen Verbindungen in Norddeutsch-
land brachten es mit sich, dass im J. 1849 die bedrängten Schleswig-Holsteiner
seine Thätigkeit in Paris in Anspruch nahmen, G. wirkte einerseits auf dem
Wege der damals noch freien französischen Presse für die Herzogthümer,
andererseits wandte er sich in Schrift und Wort an diejenigen, welche direkter
für das Schicksal jenes deutschen Volksstammes wirken konnten. In den letz-
ten Jahren seines Lebens beschäftigte er sich vielfach mit Magnetismus. Er
war Mitglied der unter Leitung des Barons von Dupotet stehenden Gesell-
schaft und Mitarbeiter des Journals, das unter dessen Mitwirkung in Paris
erschien. Unwiderstehlich war der Zauber, den das Uebersinnliche für ihn
hatte; seine im irdischen Leben so wenig befriedigte Natur schien des Trostes
in den Beweisen von dem Hereinragen einer höheren Welt in die niedere zu
bedürfen. Aber seine schwächliche Körperconstitution, sein angestrengtes Ar-
beiten, sein Aufenthalt in einer Parterrestube der Rue Labruyere untergruben
seine Gesundheit. Ende 1857 wollte er eine längere Reise nach Deutschland
antreten, um daselbst, weniger gestört, die neue Ausgabe seines musikalischen
Lexikons endlich vollenden zu können. Die Umstände hielten ihn aber zurück,
und mit unverwüstlicher Theilnahme an Allem, was seine Freunde thaten,
schrieb er in den letzten Monaten die französische Vorrede zu dem Buche
y>IIistoire diplomatique de la crise orientalea (Brüssel, 1858), die er aus zeit-
weiligen politischen Rücksichten nur mit den Anfangsbuchstaben seines Namens,
A. G. d. L. (de Liege), unterzeichnete. Es war dies seine letzte abgeschlossene
Arbeit, die von der Durchbildung seines Urtheils zugleich Zeugniss ablegt.
Die Bitten eines Freundes hatten G. endlich dazu bewogen, das Anerbieten,
während des Sommers dessen Gartenwohnung zu benutzen, anzunehmen, als
eine Brustentzündung ihn nach furchtbarem Todeskampfe hinwegraffte. G. starb
zu Paris am 8. April 1858.
142 Gattermann — Gattungen.
Gatterinanu, S. M. D., deutscher Schulmann, um 1782 Conrektor zu Berlin,
hat sich in der Musik durch Composition mehrerer Choräle, welche im Kühnau'-
schen Choralbuche eine Stelle fanden, einen Namen gemacht. t
Gatti, Luigi, italienischer Abbate, geboren am 11. Juli 1740 zu Castro
Lacizzi bei Mantua, ist mehr wie als Geistlicher als Tonsetzer für Theater,
Kirche und Kammer berühmt geworden. Von seinen dramatischen Arbeiten
wurden die Opern yOlimpiadeis. 1784 zu Piacenza und y>Demofoonte>s. 1788 zu
Mantua mit Beifall aufgeführt. G. selbst war 1782 als wirklicher Hof- und
Dom-Kapellmeister des Erzbischofs von Salzburg angestellt worden, in welcher
Stadt er am 1. März 1817 starb. Auch dort war er noch in der Composition
sehr thätig, wie die Menge seiner Arbeiten beweist, welche jetzt der Salzburger
Domchor besitzt; bekannter sind von seinen Werken nur noch geworden: y>La
morte d' Abele«, ein Oratorium, das 1788 zu Mantua, »Ninetta», eine Opera seria
und ein Duetfo a 2 Sopv. con Ob. öorn. V. etc., das zu Paris im Druck erschienen
ist. Einige Solostücke für Sopran von ihm befinden sich in der Bibliothek
des Königs von Sachsen. t
Gatti, Simone, italienischer Tonsetzer zu Venedig, um die Mitte des
16. Jahrhunderts geboren, war Kapellmeister des Erzherzogs Karl von Oester-
reich und dann an der Kapelle des Herzogs Albrecht V. von Baiern augestellt.
Man findet von ihm in der königl. Bibliothek zu München: y>Missae tres, 5 et 6
voc. decantandaeti (Venedig, 1579). Für Herzog Albrecht schrieb er die Musik
zu mehreren geistlichen Dramen oder Mysterien, in welchen er auch selbst als
Säuger mitwirkte.
Gatti, Teobaldo di, hervori-agender italienischer Gambenvirtuose und
Vocalcomponist, geboren um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu Florenz, bildete
sich musikalisch in seiner Vaterstadt aus. Während seiner Studien begeisterte
er sich so sehr für die Schöpfungen des damals von Paris aus die Welt be-
herrschenden LuUy, dass er sich getrieben fühlte, um denselben persönlich
kennen zu lernen und ihm seine Bewunderung auszusprechen, nach Paris zu
gehen. Lully, sehr geschmeichelt durch diese Huldigung seines Landsmannes,
bewirkte dessen Anstellung als königlicher Kammermusiker zu Paris, welcher
Stellung G. bis an sein 1727 erfolgtes Lebensende vorstand. Von seinen Com-
positionen, in denen er sich als Nachahmer Lully's zeigte, sind bekannter ge-
worden: ein Schäferspiel, »Coronis« (1691) und die grosse Oper »Sylla« (1701).
Ausserdem sind von ihm noch 12 italienische Gesänge, darunter zwei zwei-
stimmige (Paris, 1696) im Druck erschienen. t
Gattoui, Giulio Cesare, als Abbate und Canonicus an der Kathedrale
zu Como in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkend, erfand 1785 eine
meteorologische Harmonika. Dies physikalische Instrument zeigte durch Her-
vorbringung harmonischer Töne die geringste Wetterveränderung an, und zwar
je nach der Stärke der Veränderung gestaltete sich die Intensität der Klänge.
t
Gattuug:eu oder Geschlechter (latein.: (jenera) heissen die beiden nur noch
iin Abendlande gebräuchlichen Octavsysteme Dur (s. d.) und Moll (s. d.).
Wenn hin und wieder, besonders in Chorälen, noch andere G. vorkommen, so
stammen diese aus der Entwickelungszeit der abendländischen Kunst, wo man
alle griechischen Oktavsysteme zu verwerthen strebte. Bei den Griechen waren
in der Blüthezeit ihrer Kunst die Ausdrücke Geschlecht und Gattung Namen
für gesonderte, einander untergeordnete Kunstbegrifife. Geschlecht, ;'^r//,
erste und allgemeinste Eintheilung der Musikelemente, war der weitere Begriff
und führte zur Feststellung von drei harmonischen: dem diatonischen, chro-
matischen und enharmonischen ; von drei rhythmischen: dem daktylischen,
jambischen und päonischen und von drei organischen Geschlechtern: dem
der Saiten-, Blas-, und Schlaginstrumente. Das dritte Geschlecht, stets aus
der Vereinigung der beiden ersten geschaffen, war hermaphroditischer Natur
und erst in späterer Zeit angenommen. In frühester Zeit, vor Pythagoras,
Gatzmann — Gaudentius. 143
kannten die Griechen nur zwei Geschlechter in jeder Eintheilung der Musik-
elemente. Als Klauggeschlechier kannten sie nur: Dur und Moll, als rhyth-
mische: daktylische und jambische und als organische: durch Blasen oder
Schlagen erzeugte Töne. Gattung, USij, Euch p. 13 sq., Gestaltung eines
und desselben Systems (s. d.) wurde von den alten Autoren nur in Bezug
auf die symphonischen Systeme, die Halbtonlage in derselben bezeichnend,
angewendet. Hiernach unterschieden sie drei Quarten-, vier Quinten- und
sieben Octavgattungen. Später gesellten sich zu diesen die G. der diaphoni-
schen Systeme: Terzen-, Sexten-, Septimen- und Tritonus- Gattungen.
Aus diesen letztgenannten G. findet man als letztes Symptom der Wirkung
griechischer Theoreme, durch die Zeitforderungen der Kunst jedoch schon be-
einflusst, von Guido v. Arezzo (s. d.) die Hexachord (s. d.) -Lehre allge-
mein im Abendlande empfohlen und eingeführt, die dann endlich durch die
Annahme von nur zwei G., Dur und Moll, einen Abschluss fand. Beide Kunst-
ausdrücke, Gattungen und Geschlechter, sind seitdem nur als Namen für
ein und denselben Begriff in Gebrauch, der als Unterabtheilung nur Arten
(s. d.) kennt, und zwar in der Auffassungsart des griechischen yivTj. G. B.
Gatzmauu, Wolfgang, deutscher Tonsetzer, der zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts zu Frankfurt a. M. lebte, hat nach des Draudius Bibl. class. p. 1648
y^Phantasiarum seu cantionum lih. jjrimus (Prankfurt, 1610) veröffentlicht. f
Gaubert, Denis, französischer Gesanglehrer, wirkte zu Anfang des 19.
Jahrhunderts, angestellt am Conservatorium zu Paris, und gab dort im Jahre
1802 y>Nouv. Recueil de VI Bomanc. av. acc. etc.v. und 1803 »Cinquieme Eglogtte
de Virgile, et IV Homances av. acc. de Fp.a heraus. Auch musikalisch-litex^a-
risch war er um diese Zeit vielfach thätig. f
Gauche (französisch), abgekürzt: G. oder M. G. (main gauche), d. i. linke
Hand, eine in Clavierwerkeu vorkommende Bezeichnung, welche vorschreibt, wo
die linke Hand eingreifen soll, gewöhnlich über Stellen gesetzt , bei denen der
Spieler in Zweifel gerathen kann, welche Hand er anzuwenden hat.
Gauequier, Alard Dunoyer du, auch Alardus Nicaeus genannt,
flandrischer Tonsetzer, geboren zu Ryssel, lebte im Anfange des 16. Jahrhun-
derts als Kapellmeister des Erzherzogs Matthias von Oesterreich zu Wien und
war ein gewandter Contrapunktist, von dessen Werken nur noch vorhanden
sind: »IV Missae 5, 6 ei( 8 vocumvi (Antwerpen). Vgl. Nie. 'Älardi Deead.
Alardor. Script, dar. in Fraefat. und Draudii Bibl. class. p. 1635. f
Gaude, Theodor, vorzüglicher deutscher Guitarrenvirtuose und Coraponist
für dieses Instrument, geboren am 3. Juni 1782 zu Wesel am B,hein. Er war
bereits Lehrling eines Kaufmanns, als er von unwiderstehlicher Liebe zur Musik
getrieben, heimlich entwich und sich auf der Guitarre unterrichten Hess. Höhere
Studien in der Behandlung dieses Instruments und in der Composition machte
er in Paris, wo er als Virtuose und Lehrer schnell zu Ruf und Ansehen ge-
langte. Im J. 1814 trat er eine Concertreise nach St. Petersburg an, und
wo er sich auf dem Wege dahin hören Hess, erndtete er immensen Beifall und
bedeutenden klingenden Lohn. Im Begriff, sich von Hamburg aus nach der
russischen Hauptstadt einzuschiffen, hielt ihn eine Krankheit fest; auch nach-
dem er genesen war, blieb er in Hamburg und wirkte daselbst als trefflicher
Lehrer seines Instruments. Seine Thätigkeit als Componist bezeichnen einige
80 im Druck erschienene Werke.
Gaudentius, ein altgriechischer Philosoph und Musikschriftsteller, dessen
Leben und Lebenszeit gänzlich unbekannt ist; vermuthlich wirkte er in der
zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr., war Aristoxenianer, und hat
in seiner erhalten gebliebenen Schrift »AfJfiovix?) dgciyoiy/ja, seines Meisters
Lehren wiedergegeben. Marc. Meibom übersetzte dies Werk ins Lateinische
mit Benutzung älterer üebersetzuugen und verschiedener Handschriften und
gab es, mit eigenen Bemerkungen versehen, in seinen »Antiquae musieae auetores
Septem^'. (1652) heraus. Vgl. rorkel's Literatur der Musik. t
;144 Gaudi — Gaus.
Oaiidi heisst in der indischen Musik die zweite nach der ßaga (s. d.)
Malava (s. d.) gebildete unvollständige Ragina (s. d.), deren Klänge unge-
fähr durch beifolgende Notation dargestellt werden; eine laoch um Sruti's
(s. d.) stattfindende Erhöhung des Klanges ist durch eine über die Note ge-
stellte römische Ziffer anzugeben:
I.
ui, sa, ri, x ma, pa, x ni.
Oandimel, s. Goudimel.
OaudiO) Antonio del, italienischer Componist, welcher einer römischen
adligen Familie entstammte, war Ende des 17. Jahrhunderts Kapellmeister des
Prinzen von Gronzaga. Von seinen Compositiouen wurden zu Venedig im J.
1674 die Oper »Almerice in Oi^roa und 1681 » Tflisse in Feaciav., letztere mit
Wachspuppen, aufgeführt. t
Oaudlo del Mel, s. Groudimel.
Oaultier, Abbe Alois Edouard, ein Italiener von Geburt, studirte 1755
in Frankreich und lebte später abwechselnd in Italien, Paris, Holland, London
u. s. w. Er ist der Erfinder einer Methode, Kindern auf mechanischem Wege
die Notenkenntniss beizubringen und starb zu Paris im Septbr. 1818. — Viel-
leicht ist er identisch mit jenem G., Canonicus der Congregation Christi und
Professor der Mathematik bei den Cadetten des Königs Stanislaus von Polen
zu Nancy, welcher y>Observations snr la lettre de Mr. Rousseau de Genhie, «
Mr. Grimma veröfi"entlicht hat.
Gaultier, Pierre, fälschlich auch Gautier und Gauthier geschrieben,
französischer Operncomponist und tüchtiger Clavierspieler, geboren 1664 zu la
Ciotat, erhielt als noch ganz junger Künstler gegen Erlegung einer stipulirten
Summe von Lully die Erlaubuiss, in den Städten Marseille und Montpellier
Opei'nbühnen zu errichten und begann 1682 seine Thätigkeit mit Aufführung
der von ihm componirten Oper y>Le triomphe de la paix».. Nach Lully's, im
J. 1687 erfolgtem Tode erwirkte er sich ein gleiches Privilegium für Toulouse,
hatte aber das Unglück, auf der Meerfahrt von Cette dorthin 1697 mit seiner
ganzen Truppe zu verunglücken und den Tod in den Wellen zu finden. Als
Clavierspieler hatte er die Manier des Chambonniere gepflegt, mit dessen bestem
Schüler Hardelle er auch eng befreundet war; dem letzteren folgte er selbst
auch in der Stellung eines Ciavierspielers bei der Kammermusik des Königs.
— Ausser Opern sind in Marseille erschienene Duos und Trios für Flöten von
G. bekannt geworden,
Gaumentou, s, Kehlton.
Gaus, Karoline, eine ausgezeichnete dramatische Sängerin, wurde am 3.
Septbr. 1761 zu Stuttgart, wo ihr Vater, Namens Huth, Stadtlieutenant war,
geboren und auf Wunsch des Herzogs Karl von Württemberg, der sie als
junges Mädchen singen hörte, für die Kunst erzogen. Demgemäss erhielt sie
von 1775 an als Schülerin des mit der Karlsschule verbundenen Musikinstituts
den Unterricht Mazzandi's und Boroni's und wurde unmittelbar hierauf Sängerin
des Stuttgarter Hoftheaters mit der Verpflichtung, ausserhalb Württemberg's
niemals aufzutreten. Obwohl demgemäss nur von localer Bedeutung, hatte sie
schon 1782 den Ruf, eine der grössten deutschen Opernsängerinnen zu sein,
ein Ruf, der durch das Zeuguiss Zumsteeg's, der besonders ihre vorzügliche
Declamation der Recitative und ihre deutliche Aussprache rühmte, getragen
wurde. Im J, 1786 verheirathete sie sich mit dem Säuger und Schauspieler
Gaus, der aber schon 1794 starb. Mehrere schnell auf einander folgende
Wochenbetten hatten ihre Stimme dauernd angegriffen und derselben ziemlich
früh die kräftige Fülle und ausnehmende Klangschönheit geraubt. Der grosse
Umfang derselben und ihre seltene Kehlfertigkeit blieben jedoch und erhielten
Gauspeck — Gautier. 145
sie als Concert- und Kirchensängerin bis zum J. 1809 in grossem Ansehen.
Darnach pensionirt, starb sie im J. 1836.
Ganspeck, Giuseppe, ein musikkundiger Augustinermönch des 16. Jahr-
hunderts, hat »Missae brevesa geschrieben, die sich in der königl. Bibliothek
zu München befinden.
Gautherot, Louise, geborene Deschamps, eine der vorzüglichsten fran-
zösischen Violinvirtuosinnen, tritt zuerst um 1783 als vielbewundertes Mitglied
des Concert spirituel zu Paris hervor. Beim Ausbruch der französischen Re-
volution verweilte sie als gefeierte Concertspielerin in London und erhielt
1791 einen glänzenden Ruf nach Dublin. Ein Jahr später befand sie sich
wieder in London, wo sie in den angesehensten Concerten mit Auszeichnung
wirkte. Sie scheint überhaupt England nicht wieder verlassen zu haben und
zu London zu Anfange des 19. Jahrhunderts gestorben zu sein.
Gauthier, Gabriel, französischer Orgel- und Klavierspieler und Musik-
schriftsteller, geboren 1808 in einem Dorfe des Departements der SaOne et
Loire, erblindete in Folge der Blattern schon in seinem ersten Lebensjahre.
Seit 1816 verwaist, kam er 1818 in das Blindeniustitut zu Paris. Praktisch
und theoretisch in der Musik daselbst unterrichtet, konnte er schon 1827 als
Musildehrer dieser Anstalt angestellt werden, einen Posten, den er bis 1840
einnahm, worauf er einige Jahre später Organist an St. Etienne-div-Mont wurde.
Als Musikschriftsteller hat er sich durch Journalartikel bekannt gemacht, so-
dann durch die Schrift y>Considerations sur la question de la reforme du plain-
cTiant etc.fs. (St. Denis, 1843), ferner durch das grosse Sammelwerk -nltepertoire
df" maltres de cJiapelle etc.a (5 Bde., Paris, 1842 bis 1845) und endlich durch
die didaktische Arl^eit r>Le mecanisme de la composition instrumentale etc.ii
(Paris, 1845).
Ganthier, Pierre, französischer Theaterdirektor und Tonkünstler zu Ronen,
wo er auch geboren war, starb in seiner Vaterstadt im J. 1711. Er veröffent-
lichte zu Anfange des 18. Jahrhunderts mehrere Gesangsachen (Arien u. s. w.)
seiner Composition.
Gautier, Denis, mit dem Beinamen Vancien, geschickter und berühmter
französischer Lautenvirtuose, geboren um 1640 zu Lyon, kam um 1660 nach
Paris, wo er als Kammermusiker des Königs angestellt wurde und ein -oLivre
de tablature de pieces de luth sur diß^erens modesa (Paris, 1674) veröffentlichte.
Gestorben ist er wahrscheinlich kurz vor 1680. — Aus derselben Eamilie
war der nicht minder voi^zügliche Lautenspieler Denis G., mit dem Beinamen
le jeune, gleichfalls in Lyon geboren, seit 1669 bei der Kammermusik des
Königs angestellt und vor 1680 gestorben. Zwei Bücher Lautenstücke von
ihm sind in Paris ohne Jahreszahl erschienen. Eine diesen beiden G.'s mehr-
fach zugeschriebene Sammlung von Lautenstücken, betitelt »ie tombeau de MXle.
de Lenclosts. muss einen dritten G., vielleicht jenen Jacques G. aus Lyon zum
Componisten haben, dessen der Mercure galant in seinem Märzhefte von 1678
rühmend erwähnt. Denn die beiden Denis G. waren zur Zeit des Todes der
berühmten Ninon de Lenclos, am 17. Oktbr. 1706, schon längst nicht mehr
am Leben.
Gautier, Jean Andre, französischer Flötenvirtuose, wirkte in der Zeit
von 1754 bis in die ersten Jahre der Revolution hinein zu Paris als ange-
sehener Musiklehrer und Componist für sein Instrument.
Gautier, Jean Frangois Eugene, trefltlicher französischer Violinist und
Componist von Opern und Kirchenwerken, geboren am 27. Febr. 1822 zu
Vaugirard bei Paris, kam schon 1831 in das Pariser Conservatorium, wo ihn
u. A. Habeneck im Violinspiel und Halevy in der Composition unterrichteten.
Im J. 1848 wurde er zweiter Orchesterchef am Theätre national, nachherigem
Theätre lyrique, und trat nicht ohne Erfolg mit folgenden zur Aufführung ge-
kommenen Opern hervor: nL^anneau de Marie«, y>Les harricades« (mit Piloty
zusammen componirt), y^Murdok le landitv, r>Flore et Zephire«, nGhoisi/ le roia,
Muaikal. Convers. -Lexikon. IV. 10
146 G.auzar£»nef? — Gavaiidan.
•oLe mariage extrnvaganU, -^Lr, docteiir 31iroholanti. Ausserdem hat er einige
Violin- und Kirclieucompositionen veröfiFeutliclit.
(xauzarg'nes, Abbe Charles, französischer Kirchencomponist, geboren um
1720 zu Tarascon in der Provence, erhielt als Chorknabe zugleich eine musi-
kalische Ausbildung und wurde Chorprilfect zu Nimes und Montpellier. Seit
1756 war er Schüler Rameau's in Paris und blieb bis zu seinem Tode ein
fanatischer Anhänger dieses Meisters. Motetten seiner Composition verschafften
Ct. 1757 die Protection des Dauphins und des Bischofs von Kennes, damaligen
Directors der königl. Kapelle, und schon 1758 wurde er in Folge dessen künigl.
Kapellmeister zu Versailles. Als solcher schrieb und fülirte er u. A. 40 Kir-
chenstücke (Motels) mit Orchesterbegleitung auf. Im J. 1775 zog er sich von
seinem Amte nach St. (lermain zurück, wurde während der Revolution ver-
haftet aber durch die Reaktion des 9. Thermidor wieder befreit. Er starb im
J. 1790 zu Paris. Sein letztes bekannt gewordenes AVerk war das nach Ra-
meau'schen Grundsätzen abgefasste Lehrbuch y>Traite de Vharmonie ä Ja porh'e
de iout le mondeu. (Paris, 1798).
(iavassi, (liacomo, italienischer Tonsetzer aus der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, war Priester und Kapellmeister an der Kathedralkirche zu Bel-
luno im Venetianischcn und hat auch einige seiner Compositionen durch den
Druck veröffentlicht, von denen jedoch nur »JiJecles. Missarum Frtieiusy> (Vene-
dig, 1634) bekannt geblieben sind. t
(xavandan, Jean Baptiste Sauveur, französischer Opernsänger, geboren
am 8. Aug. 1772 zu Salon in der Provence, war der Solin eines Musiklehrers,
mit dem er erst nach Nimes, dann nach Paris zog, wo die älteren Töchter
der Familie die Laufbahn als Opernsängerinnen beginnen sollten. Schon in
seinem siebenten Jahre, als sein Vater und Lehrer daselbst starb, sah sich G.
von aller Welt verlassen, trat deshalb als Schiffsjunge in das Marinegeschwader
des Grafen von Grasse und diente als solcher bis nach 1783 abgeschlossenem
Frieden. Nach Paris zurückgekehrt, trieb er wieder eifrig Musik und fand
eine Schreiberstelle in den Bureaus der Grossen Oper. Persuis, der sich seiner
annahm, bildete ihn für die Opernbühne aus, und als er 1791 am Theater
Montansier debütirte, war sein Erfolg ein so bedeutender, dass er sofort für
das mit französischen und italienischen Vorstellungen abwechselnde Thcülre de
Monsieur engagirt wurde, an dem er sich eine aussergewöhnliche Sängerroutine
erwarb. Aus diesen Verhältnissen riss ihn das Recrutirungsgesetz vom 23. Aug.
1793, und nur die Hülfe einiger im Wohlfahrtsausschusse wirkenden Gönner
befreite ihn bald wieder vom Militairdienste. Er trat nun 1794 in den Ver-
band der Opera comique in der Salle Favart, wo er als Spieltenor grosses
Glück machte. Diesem Institute, welches sich 1801 mit dem Theätre Feydeau
vereinigte, gehörte er als überaus beliel)ter Sänger bis 1816 an, wo er in Folge
seiner politischen Ansichten den Abschied nehmen musste. Er wandte sich
nach Brüssel, wurde Director des königl. Theaters daselbst und besuchte hier-
auf gastirend die grossen Provinzstädte Frankreichs. Noch einmal wurde er
1824 für die Pariser Opera comique engagirt, zog sich aber, da er mit seinen
Stimmresten nicht mehr zu wirken vermochte, 1828 in das Privatleben zurück
und starb zu Paris am 10. Mai 1840. So mangelhaft es mit G.'s eigentlicher
Gesangs])ildung und Intonation bestellt gewesen sein soll, so soll er durch
Feuer, Leidenschaft und vorzügliche Darstellung seine Fehler reichlich aufge-
wogen haben. Auch als Componist von Vaudevilles hat er sich versucht und
mit liBrefignae ou fantnsmagorievi , das 1799 auf dem Pariser Theätre des trou-
hadours öfter aufgeführt wurde, sogar ziemlich glücklich. — Seine Gattin,
Joanne G., geborene Ducamel, Avar zu Paris am 15. Septbr. 1781 geboren,
und seit 1798 ein hochg(!schätztes und sehr verwendbares Mitglied des Theaters
Favart, der nachmaligen Opera comiqite, die bis 1822, wo sie sich von der Bühne
zurückzog, beim Publikum in Gunst und Anseilen stand. Sie starb am 24.
Juni 1850 zu Passy bei Paris. — Von den oben erwähnten Schwestern G.'s,
Gaveaux — Gavinies. 147
drei an der Zahl, debütirte die ülteste 1778 an der Pariser Grossen Oper, aber
trotz angenehmer Persönlichkeit ohne Erfolg, so dass sie nur in Chor- und
Aushülfsrollen Verwendung fand. Sie heirathete den Sänger Lainez und
starb zu Paris am 15. Juni 1810. Die zweite Schwester, genannt Spinette,
wegen ihrer geschickten Darstellung der gleichnamigen Rolle in der Oper
»Tarare«, war bis 1783 gleichfalls Choristin der G-rossen Oper, schwang sich
aber plötzlich als Julie in Gavinie's y>Les predentus«. aus dem Dunkel hervor
und wurde wegen ihrer frischen Stimme und feinen Spiels sehr gerühmt. Als
die Revolution ausbrach, ging sie nach Deutschland und starb 1805 zu Ham-
burg. Die dritte Schwester, Emilie G., war Choristin am Theätre Feydeau
und heirathete den Opernsänger und Componisten Pierre Gaveaux (s. d.), der
ihr kleinere Opernrollen verschaffte, ohne dass sie mit denselben zu wirken
vermochte. Sie starb um 1840 zu Paris.
Gaveaux, Pierre, beliebter französischer Operncomponist und dramatischer
Sänger, geboren im August 1761 zu Beziers im Nieder-Languedoc, sang seit
seinem siebenten Jahre mit Auszeichnung beim Kathedralchor seiner Vater-
stadt und erhielt mit der miisikalischen zugleich eine höhere wissenschaftliche
Ausbildung. Seine Absicht, in Italien Musik zu betreiben, hintertrieb der
Bischof von Beziers, der einen so tüchtigen Solisten nicht entbehren wollte;
jedoch ging G., 1779 als Sänger an die Kirche St. Severin berufen, nach
Bordeaux, wo er zugleich bei Frangois Beck sich eifrigen Compositionsstudien
unterzog, so dass er mit verschiedenen von ihm componirten Kirchenmusiken
sehr erfolgreich hervortreten konnte. Ganz unerwartet vertauschte er die Kirche
mit dem Theater, trat als Tenorist in Bordeaux, 1788 auch in Montpellier
und anderen Städten Südfrankreichs mit bemerkenswerthem Erfolge auf und
wurde darauf hin 1789 als erster dramatischer Sänger am Theätre de Monsieur
in Paris engagirt. Zwei Jahre später trat er zum Theater Feydeau und kam
dadurch 1801 mit zur Opera comique, bei welcher ihn jedoch Elleviou und
Martin bedeutend verdunkelten. Eine vorübergehende Geistesstörung entzog
ihn 1812 der Bühne; im J. 1819 trat ein Rückfall ein, und G. starb im völ-
ligen Wahnsinn am 5. Febr. 1825 in einer Irrenanstalt zu Paris. Als Sänger
hat er sich im Anfange seiner dramatischen Laufbahn durch eine höchst an-
genehme und biegsame Stimme, welche er als guter Musiker sehr ausdrucksvoll
und wirksam zu behandeln wusste, ausgezeichnet, Vorzüge, die er auch als
Componist von etwa 33 Opern und Operetten bewährte, die trotz des Mangels
an ausgeprägter Originalität meist sehr beliebt und häufig gegeben wurden, so
»La famille indigentei-, -iiDelmon et Nadinevi, yyL^amour ßlial ou la jambe de
JjoisK und »ie petit matelota, welche letzteren übersetzt wurden und auch auf
deutsche Bühnen gelangten. Historisch bedeutsam wurde seine harmlose Oper
■aLeonore ou Vamour conjugaU, Text von J. N. Bouilly (Paris, 1798), insofern,
als der einfach-rührende Stoff derselben von Beethoven für seinen »Fidelio«
wieder aufgenommen worden ist. Die vielleicht grösste und vollständigste
Sammlung der sehr schön gestochenen Partituren G.'s befindet sich in der
hinterlassenen Musikbibliothek Meyerbeer's. Ausserdem hat G. eine Sammlung
italienischer Canzonetten und eine andere mit französischen Romanzen ver-
öffentlicht und auch den »Pygmalion« von Rousseau componirt, der aber Ma-
nuscript geblieben ist. — Seine Gattin, Emilie G., ist in dem Artikel Ga-
vaudan (s. d.) behandelt worden. Sein ältester Bruder, Simon G., geboren
1759 zu Beziers, war ein gewandter und erfahrener Tonkünstler, als Opern-
souffleur und Correpetitor am Theater Feydeau zu Paris angestellt und Ver-
fasser einer Flageolet- Schule. Mit seinem Bruder, Guillaume G., einem tüchtigen
Clarinettisten, errichtete er 1793 eine Musikalienhandlung zu Paris, die bis in
den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein bestanden hat,
Gaviuies, Pierre, einer der grössten und berühmtesten französischen
Violinvirtuosen, von Viotti der französische Tartini genannt, wurde am 26. Mai
1726 (nach Laborde erst am 11. Mai 1728) zu Bordeaux geboren. Ohne dass
10*
148 Gavotte.
man weiss, von wem er unterrichtet worden ist, tauchte er 1741 im Ooncert
spirituel zu Paris auf, erregte sofort Bewunderung und Enthusiasmus und wurde
als erster Solospieler bei diesem Institute augestellt. Als solcher hat er wäh-
rend einer dreissigjährigen Thätigkeit über Yirtuoseugrössen wie Pugnani, Do-
menico Ferrari und Stamitz den Sieg davongetragen. Seine ungezügelte Nei-
gung für die Frauen trug ihm stürmische und gefährliche Auftritte ein, ja,
die Anklage eines Cavaliers vom Hofe, mit dessen Gattin er sich in ein ehe-
bi-echerisches Verhältniss eingelassen hatte, brachte ihn ein Jahr lang in's Ge-
fängniss. Dort soll er u. A. jenes Tonstück compouirt haben, das lange Zeit
unter dem Namen »Bomance de Gavinies<ü weltberühmt war, und welches er
noch in seinem 73. Jahre mit dem rührendsten Ausdrucke zu spielen wusste.
Von 1773 bis 1777 war er mit Qossec zusammen Director des Ooncert spirituel,
und niemals zuvor hatte die Leitung dieses Instituts solches Lob erfahren wie
damals. Im J. 1794 zum Professor an dem so eben errichteten Pariser Con-
servatorium ernannt, trat G. dieses Amt 1796 au, zeichnete sich als Lehrer
nicht minder aus, starb aber schon am- 9. Septbr. 1800. Im lajcee des arts
las im J. 1801 Madame Constance Pipelet, uachherige Fürstin Salm, eine Lob-
rede auf G. vor, welche unter dem Titel »Möge Mstoriqiie de Pierre Gavinies»
(Paris, 1801) im Druck erschien. — G.'s Compositionen, so weit sie veröffent-
licht sind, bestehen in sechs Violinconcerten, Violinsunaten mit Bassbegleitung,
Studien für Violine in allen Tonarten, betitelt »Les 24 matineesv. und in drei
nachgelassenen Violinsonaten (Paris, 1801), von denen eine in F-moll mit dem
Titel y>Le tomheau de Gaviniesv. bezeichnet ist. Ausserdem liat er eine drei-
aktige, beliebt gewesene komische Oper y>Les predentus«. (Paris, 1760) compo-
nirt, welche auch in Deutschland unter dem Namen »der vorgegebene Zufall«
zur Aufführung gelangt ist.
(iavotte (franz.: Gavote, ital.: Gavotta), ein graziöser Tanz, der wahrschein-
lich als Nationaltanz der Gavots, wie die Bewohner eines Theils der Dauphine,
Departement des Hautes-Alpes in Frankreich, hiessen, seinen Namen erhielt.
Die ruhigen und schönen Körperbewegungen, wie sie dieser Tanz erforderte,
so wie die für sich allein gleichfalls ansprechende Musikweise dazu war Grund,
dass man die G. schon zu Ende des 17. Jahi'hunderts in die französische Oper
und in das Ballet aufnahm und dadurch schnell eine sehr weite A'^erbreitung
derselben bewirkte. Andere, mehr die Sinnlichkeit anregenden Tänze jedoch
verdrängten die G. noch vor der Menuet aus dem gesellschaftlichen Leben,
und selbst die Bühne beachtete sie aus gleichen Gründen bald fast gar nicht
mehr; nur hin und wieder, um eine Abwechselung zu schaffen, griff man zu
diesem soliden Tanze zurück, und suchte dann der Musik desselben einen an-
genommenen Urchavakter zu geben. Dennoch wurde derselbe durch die viel-
fachen Wandlungen sehr verwischt, namentlich als man mit dem Verschwinden
desselben aus dem öffentlichen Leben die Musik auch noch als Grundform zu
sinfonischen Sätzen anzuwenden begann. Man findet demgemäss in Sonaten,
Suiten und anderen Tonwerken des 18. Jahrhunderts unter dem Titel G, ganze
Tonsätze ausgesponnen. Als am meisten in Deutschland bekannt und so ziem-
lich auch die Epoche dieser Compositionsart beginnend und abschliessend könnte
auf J. S. Bach's und Mozarts Gavotten hingewiesen werden, denn die neueren,
Aehnliches bietenden Compositionen sind nicht Folgen eines natürlichen Dranges,
sondern speculativer Natur. AVas den angenommenen TJrcharakter der G. an-
betrifft, so wird derselbe in der Formenlehre der Musik also etwa gelehrt. Die
G. wird im (j; - Takt geschrieben und zeigt als Grundrhythmus folgende Be-
wegung:
(B
J J J J J J
mit merklichem Einschnitte im zweiten Takte. Da die Bewegungen in diesem
Tanze wohl munter, selbst zuweilen rasch, doch nie sehr schnell sein dürfen,
so soll die Musik zu demselben als kleinste Zeitwerthe auch nur Achtel er-
Gawler— Gaye. 149
halten, niemals punktirte Achtel. Die Gr. besteht aus zwei Theilen, welche
wiederholt werden. Der erste Theil zeigt vier Takte und schliesst in einer
Verwandten der Haupttonart; der zweite Theil mit acht Takten endet in der
Tonica. Eigen der G. ist noch, dass sie stets im Auftakt mit dem dritten
Viertel beginnt. Diese Vorschriften der musikalischen Formenlehre machen die
Gr. noch heute gewissermassen zum steten lebendigen Gliede der Kunstlehre,
indem dieselbe als Prüfstein der musikalischen Begabung betrachtet wird. Die
Schüler sind gezwungen, was, ohne monoton zu werden, nicht leicht ist, Ton-
empfindungen anhaltend in ruhigster Art sich ergiessen zu lassen, da jede Ab-
wechselung durch pikante Rhythmen vorschriftswidrig wäre. Im höheren Kunst-
tanze unterschied man in der Blüthezeit dieser Gattung mehrere Arten, z. B.
G. de Sceaux (1713), G. de la ßore (1713), G. ä la Vesfris u. s. w. ; in den
Gluck'schen Opern finden sich zahlreiche zu der letzteren Art gesetzte Ballet-
nummern. Die G. ist übrigens, als Allegro der Menuet folgend, gleich dieser
dem besseren Tanzunterrichte bis auf die heutige Zeit erhalten geblieben. 2.
Gawet, s. Saal.
Gawler, englischer Tonsetzer, welcher zu Ende des 18. Jahrhunderts in
London als Organist angestellt war, hat daselbst mehrere seiner Compositionen
herausgegeben. Bekannter von diesen sind: vHarmonica sacra, a Oolleetion of
Psalm Tunes, with Inferludes, with a tliorougli Bass, forming a most complete
Work of sacred Musiea; i>Dr. Watts divine Psalms, op. 15«; y>Lesson for the
Harpsichordii und II single Voluntaries for the Organ. f
Gawthorn, Nathaniel, englischer Musiker und Verbesserer der Harmo-
nica, der um 1730 zu London eine -nSarmonica perfecta^ veröfientlichte.
Gay, ein französischer Mechanicus, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts in Paris lebte, war einer der vielen Verbesserer des Bogenclaviers.
Er liess Darmsaiten mittelst eines mit Pferdehaaren bezogenen Rades behandeln.
Eine genauere Beschreibung der von ihm empfohlenen Verbesserungen enthält
die lEstoire de VÄcademie de Paris des Jahres 1762 p. 192. f
Gäyatri ist nach Th. Benfey's Handbuch der Sanskritsprache 2. Abth.
1 Theil der Name einer der acht verschiedenen indischen Phrasenrhythmen.
Diese Rhythmusart theilt sich in drei Abschnitte, jeder Abschnitt hat acht
Glieder. Die beiden ersten Abschnitte sind einer an den anderen gebunden;
der dritte ist dem Inhalte und Rhythmus nach von den andern gesondert. Die
vier letzten Sylben des dritten Abschnittes fordern zweimal eine kurze und
eine lange Zeit und müssen somit in der Musik so:
h-f-^-f-^-^ oder so: -p-f-p-p-'^-p-^
gesetzt werden. Zum besseren Verständniss diene folgendes Beispiel dieses
Phrasenrhythmus :
Agnim i - le pu ■ ro hi - tam ya - gna - sya de - vam ri - tri-gam
— i— i \J J. 'U J.
ho - tä - ram rat - nad - ha - ta - ram.
e-p-p4-f-|"~'rl-f-p-r-|— p-1 o.
Gaye, Henri le, Musikdirektor am französischen Theater und stellver-
tretender herzoglicher Kapellmeister zu Braunschweig in den Anfangsjahren
des 19. Jahrhunderts, war auch ein achtenswerther Virtuos auf dem Ciavier, wie
er in einem 1802 ebenda gegebenen Concerte bewies. — Seine Gattin, eine
geborene Schäfer, war an demselben Theater als Sängerin angestellt. t
Gaye, Jean, bemerkenswerther französischer Sänger, geboren um 1640
auf einem Dorfe bei Toulouse, war zuerst Chorknabe in den Kathedralen von
Toulouse und Beziers und ging, als seine Stimme sich zu einem sehr schönen
Tenore umwandelte, nach Paris, wo ihn Lully 1666 bei der Kammer- und
150 Gayer — G-dur.
Kapellmusik des Königs anstellte und später als ersten Tenor an sein eigenes
Opernunternelimen zog. Nach Lully's Tode, im J. 16f->7, verliess auch G-. das
Theater wieder und sang nur noch am Hofe. Er wurde hierauf Kammerdiener
der Dauphiue und starb 1701 zu Versailles. — Sein Sohn, Jacques Gr., eben-
falls Tenorist und als solcher in der königl. Kapelle angestellt, wurde nach-
mals Kammerdiener der Herzogin von Bourgogne.
Gayer, Johann Joseph Georg, tüchtiger deutscher Violinvirtuose und
geschmackvoller Componist, geboren am 17. April 1748 zu Engelhaus in Böh-
men, trieb als Knabe Gesang, Violin- und Clavierspicl, erlernte in benachbarten
Städten Trompete und Hörn und studirte endlich gründlich Generalbasslehre,
so dass man ihn in seinem Geburtsorte als Organisten anstellte. Nach zwei
Jahren gab er dieses Amt auf und studirte ein Jahr hindurch zu Prag bei
Pichl das höhere Violinspiel und bei Loos die Composition. 8o vorbereitet,
unternahm er eine sehr erfolgreiche Kunstreise, die ihn auch nach Darmstadt
führte, wo er sich mehrere Monate durch den lehrreichen Umgang mit Enderle
fesseln Hess. Dort traf ihn 1774 ein B,uf als landgräü. Concertmeister nach
Homburg, dem er folgte. Er starb zu Homburg im J. 1811. Seine Conipo-
sitioncn, von denen nur wenige gedruckt sind, bestehen in einem Passions-
oratorium »der Engel, Mensch und Feind«, in mehreren Messen und Motetten,
30 Sinfonien, 40 Violin-, 15 Hörn-, drei Fagott- und je einem Oboe- und
Flötenconcert, 6 Doppelconcerten für zwei Clarinetten, vier Ciaviersonaten und
einer Menge von Solls und kleineren Stücken für verschiedene Instrumente.
Gayl, Johann Conrad, Musikalienhändler zu Frankfurt a. M., hatte Ende
des 18. und Anfangs des 19. Jahrhunderts eine der grössten Niederlagen in
ganz Deutschland, wie seine Kataloge aus den Jaliren 1789, 1794, 1800 und
1803 beweisen. Diese Kataloge, welche oft sämmiiichc Ausgaben eines Werkes
aufweisen, sind wichtige Nachschlagebücher für die Musikliteratur jener Zeit
geworden. f
Gazesch^v eller, s. Crescendozug.
GazoD, Louise Rosalie du, s. Dugazon.
Ga/zauigii, Giuseppe, berühmter italienischer Opern- und Kirchencom-
ponist, gelieren im Oktober 1743 zu Verona, war für den geistlichen Stand
bestimmt, folgte aber in seinem 17. Jahre, als sein Vater gestorben war, offen
seiner Vorliebe für das Mvxsikstudium. Er wurde Musikschüler Poi'pora's in
Venedig, der ihn auch mit sich auf das Conservatorium San Ouofrio nach
Neapel nahm. Dort studirte G. bis 1767 und dann noch drei Jahi-e bei Piccini.
Nach Venedig zurückgekehrt, schloss er 1770 Freundschaft mit Sacchini, der
auch die Aufführung seiner Erstlingsoper -i^ll finlo ciecov. in Wien vermittelte.
Von 1776 an bereiste (1. die bedeutendsten Städte Italiens und compouirte für
dieselben bis 1791 27 ernste und komische Opern, so: »CeVce«, y^Didonov^, r>ldo-
meneo«, nJJou GiovannU u. s. w. Im letztgenannten Jahre wurde er Kapell-
meister an der Kathedrale von Crema und schrieb seitdem fast nur noch für
die Kiixhe. Sein Todesjahr ist unbekannt; im J. 1813 war er noch am Leben.
— Seine Opern waren geföllig im Sinne seiner Zeit; eine selbstständigere und
individuellere Bedeutung ist aus denselben nicht ersichtlich. Die königl. säch-
sische Bibliothek besitzt davon an Manuscript-Partituren : «L'isola d^Alcina»,
»La loeandav-, y^La mofjlie eapriccioswi, y>La rendemmiau, »Xa contessa di nuova
luna<i und r>2l cala/idronev. . Das zuletzt genannte dreiaktige Dramma giocoiso
befindet sich auch unter den Manuscripten der k. k. Hofbibliothek zu Wien.
Ga/zotti, Lorenzo, italienischer Sänger aus Fano, war in den Jahren
1670 bis 1680 seiner Stimme und seiner Kunstfertigkeit wegen in Italien hoch
anerkannt und gefeiert.
G-diir (ital.: Sol marjcjiore^ franz.: 861 inajeiir, engl.: G major), eine der
am häufigsten angewandten von den abendländischen 24, oder genauer gesagt,
13 Durarten (s. d.), nennt man diejenige derselben, deren Grundklänge von
dem G genannten Tone ab nach der Durregel (s. Durtonlciter) festgestellt
G-dur.
151
werden. Die alphabetischen Namen der Grundklänge von G. eind denen der
C-Durleiter bis auf einen gleich. Der in C-dur f genannte Klang nämlich
muss in G. um einen Halbton (s. d.) erhöht und dem entsprechend j^s ge-
heissen werden, wenn man der eingebürgerten Praxis folgend, der leichtesten
Kennzeichnung der in G. zu verwendenden Klänge sich befleissigt. Hiernach
ergeben sich als Namen der Grundklänge von G. : _^, «, ä, c^, d^, e\ fis^ und g^.
Die gleiche alphabetische Benennung der meisten Grundklänge in C- und (x-dur
lässt vermuthen, dass die gleichbenannten Klänge auch stets durchaus gleich
erklingen, wie das Pianoforte uns dieselben in der That bietet. In der mathe-
matischen Feststellung der Grundklänge beider Durarten ergeben jedoch, sowohl
in der gleichschwebenden wie diatonischen Folge, die Schwingungszahlen
(s. d.) eine merkliche Abweichung von einander, wie beifolgende Tabelle, wenn
Alpliabetische
Benennung
der
Töne.
Schwingungen der Töne nach dem jetzigen
Kammerton
diatonisch
gleichtemperirt
relativ
absolut
relativ absolut
9^
2,000
393,750
2,000
1,887
393,750
fis^
1,875
369,140
371,503
e'
1,677
330,159
1,681
330,946
cV-
1,500
295,312
262,434
1,498
1,335
294,918
c»
1,333
262,828
h
1,250'
246,093
1,259
247,865
a
1,125
221,484
190,875
1,122
220,893
9
1,000
1,000
196,875
man sie mit der von C-dur vergleicht, darlegt. Dass diese wissenschaftlich
festgestellten Klangunterschiede der gleichbenannten Töne, wenn auch nur ge-
übteren Ohren theilweise vernehmbar, in der Kunstausübuug zuweilen Berück-
sichtigung finden, z. B. bei Darstellung der Klänge durch Streich- oder Blas-
instrumente, lehrt der Fachausdruck," mit dem man eine den wissenschaftlichen
Anforderungen sich annähernde Tongebungsart bezeichnet: der Spieler hat eine
reine Intonation (s.d.). Die reine Intonation in G., noch erschwert durch
die wissenscliaftlich darstellbaren Klangunterschiede der gleichbenannten Klänge
in den in sich verschiedenen diatonischen und gleichtemperirten Leitern der-
selben, ist leider eine durchaus nicht festbestirambare abendländische Kunst-
eigeuheit. Von der subjektiven Begabung des Darstellers und Urtheilsbefähigung
des Hörers abhängig, vermag sie nur instinktiv beurtheilt zu werden, da die
Tonverschiebungsgrenzen ja von dem Erkenntnissvermögen bedingt sind. Diese
Tonverschiebungsgrenzen desselben Klanges sind in der Mitte der durch die
Menschenstimme darstelllmren Tonregion durch die Fähigkeit des Ohres enger
als anderswo, und jedes Produkt dieser Fähigkeit fordert in der Multii^lication,
der Octave, die gleiche Darstellung. Sind nun die festen Töne (s. d.) einer
Tonart, die in der Harmonie (s. d.) sehr häufig Verwerthung finden, in
engster Grenze erkennbay und werden stets in derselben geboten, so hat da-
durch die Tonart eine scheinbare Unwandelbarkeit der Elemente. Diese giebt
152 0-dur.
dem Hörer eine Klarheit im Durchleben eines Kunstwerkes, die durch die
ebenso geschätzte Eigenheit der abendländischen Musik, die in diesen Ton-
regionen mögliche vollendetste Darstellung des gefühlten Tones, noch
erhöht wird Dadurch werden den sonst in den Intervallen gleichgebauten
Tonarten Unterschiede zu Theil, die man früher, die Urbedingungen nicht be-
achtend, glaubte nur ästhetisch bestimmen zu können. Die Folgerungen aus
Obigem lassen sich leicht aus den in den Artikeln i'^-dur, (7-dur etc. aufge-
stellten Sätzen ziehen, wenn man die sogen. Toncharakteristik von G. gewissen-
haft begründen möchte. Hier kommt noch besonders die Lage und Wirkung
des der Tonart ö-dur eigenen semitonium modi (s, d.), ßs^, in Betracht.
Dasselbe wird, an der Grenze des Tonreichs liegend, in seiner Leittoneigenheit
sich stets in scharfer Stimmung offenbaren und den Dur-Eigenheiten in G.
grossen Eingang verschaffen. Auch die Aufiassungsweise der Tonarteneigen-
heiten hat ihre Geschichte, die beachtet, die Erkenntniss nur läutern kann.
Nachdem aus den Octavengattungen der Griechen sich Dur und Moll die
Alleinherrschaft im Abendlande erkämpft hatten, führte man die Kunstwerke,
damals noch nur Gesangstücke, stets in einer Tonhöhe auf, wie sie die zu Ge-
bote stehenden Sänger gestatteten, ohne zu beachten, ob durch Veränderung
des Grundtons eine andere Ausdrucksweise sich kund that. Die darauf statt-
findende Einführung der Halbtöne, die späteren Aufstellungen verschiedener
Temperaturen und selbst Tonleitern (die Zeit des Chaos in dieser Beziehung)
haben bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hin kaum hie und da dem Ge-
danken Raum gelassen, der im alten Griechenland schon eine fast penibel zu
nennende Gestaltung gefunden hatte. Die Veränderung der Tonreiche und die
Auswahl nur zweier Octavgattungen bewirkte, dass diese Kunstbegriffe als ganz
unanwendbar im Abendlande allgemein gefühlt wurden. Tongattungseigenheiten
fand man zuerst selbstredend, doch in einer andern als in der antiken Passung.
Die sehr vorgeschrittene Instrumentalaüsbildung, jedes Tonwerkzeug mit eigenem
Tonreich und eigenthümlicher Klangfarbe, machte erst Klangunterschiede der
Tonarten bemerkbar, welchem Bemerken man, oft durch die Klangfarben der
Töne einzelner Instrumente mitbestimmt, nur glaubte in mystischer Weise ge-
nügen zu können, indem man Gattungsgefühle in poetischer Einkleidung den
Tonarten beilegte. Die weitschichtige Kunstauffassungsart, erst ganz und gar
auseinandergehend, fand im Anfange des 19. Jahrhunderts durch stillschweigen-
des TJebereinkommen eine festere Form, die am kürzesten von Schubart in
seinen »Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst« p. 377 u. ff. gefasst wurde.
Diese Zeit kann man die der Blüthe der Charakterisirung des psychischen
Ausdrucks der Tonarten nennen. Später wurde diese Charakteristik immer
weniger allgemein hervorgehoben. In neuester Zeit findet man nur noch etwa
von jungen Tonschöpfern diese Feststellungen in Ehren gehalten, die überhaupt
allen möglichen, die Begeisterung beeinflussenden Momenten Einwirkung auf
ihre musikalische Produktion gestatten. Er möge daher die Charakteristik der
Tonart G., wie sie in der Blüthezeit dieser Kunstauffassung stattfand, hier im
Auszuge folgen. Schubart, nachdem er allgemein bestimmend angeführt hat,
dass jeder Ton, gekennzeichnet durch alphabetische oder alphabetisch-syllabische
Benennung, entweder als ungefärbt oder gefärbt anzusehen sei, dass ferner die
Kreuztöne wilde und starke Leidenschaften malen, sagt speciell über G.:
»Alles Ländliche, Idyllen- und Eklogenmässige, jede ruhige und befriedigende
Leidenschaft, jeder zärtliche Dank für aufrichtige Freundschaft und treue Liebe;
mit einem AVorte, jede sanfte und ruhige Bewegung des Herzens lässt sich
trefflich in diesem Tone ausdrücken. Schade ! dass er wegen seiner anscheinen-
den Leichtigkeit heut zu Tage so sehr vernachlässigt wird. Man bedenkt nicht,
dass es im eigentlichen Verstände keinen schweren und leichten Ton giebt;
vom Tonsetzer allein hängen diese scheinbaren Schwierigkeiten und Leichtig-
keiten ab.« — Umfangreichere Ergehungen über dies Thema bieten J. J. Wag-
ner's »Ideen über Musik«, die Leipziger Allgem. musikal. Zeitung, Jahrg. 1823
Ge — Gebauer. 153
p. 715, Schilling's TJniversal-Lexikon der Tonkunst und andere in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts geschriebene "Werke. C. Bill er t.
Ge nannte Dan. Hitzler (gestorben 1635) in der von ihm aufgestellten
Tonbezeichnungsweise (s. Bebisation) den alphabetisch^ zu nennenden Klang.
0.
Gebauer, eine französische Musikerfamilie, von welcher vier Brüder sich
über den engeren Kreis hinaus ausgezeichnet haben, nämlich: 1) Michel
Joseph G., ältester Sohn eines Regimentsmusikers, geboren 1763 zu La Fere
im Departement der Aisne, erhielt eine treffliche technische Ausbildung auf
der Violine und fast allen gangbaren Blaseinstrumenten, so dass er schon im
14. Lebensjahre, als sein Vater starb, die Sorge für dessen Familie übernehmen
konnte , indem er als Hautboist in die Schweizergarde zu Versailles trat. In
seinem 20. Jahre erhielt er die Anstellung als Bratschist der königl. Kapelle,
nach deren Auflösung er 1791 als Oboist in die Pariser Natiönalgarde kam.
Im J. 1794 als Lehrer an das neu errichtete Conservatorium berufen, musste
er 1802 bei Verringerung des Lehrerpersonals wieder ausscheiden, wurde dafür
jedoch Musikmeister der Consular-, dann der Kaisergarde, in welcher Eigen-
schaft er während des Feldzugs 1812 in Russlaud sein Leben verloi'. Man
kennt von ihm als im Druck erschienen: Duos für zwei Violinen, Bratsche
und Violine und für verschiedene Blaseinstrumente; ferner Quartette für Flöte,
Clarinette, Hörn und Fagott, über 200 Märsche für Harmoniemusik, zum Theil
auch für Ciavier arrangirt; endlich zahlreiche Fantasien, Variationen, Potpourris
über Opernmelodien u. s. w., theils für Militärmusik, theils für das Ensemble
verschiedener Instrumente. — 2) Frangois ßetie Gr., geboren 1773 zu Ver-
sailles, wurde zuerst von seinem Bruder unterrichtet, dann von Devienne aus-
gebildet. Im J. 1788 Fagottist der Schweizer-, trat er in Folge der Revolution
1791 in die Nationalgarde, wurde 1795 gleichfalls Lehrer am Conservatorium
und musste 1802 ebenso ausscheiden. Dafür hatte ihn das Orchester der
Grossen Oper schon 1801 aufgenommen, und er blieb bei demselben bis 1826.
Ein Jahr vorher, nach Delcambre's Abgang, berief man ihn abermals als Lehrer
des Fagotts an das Conservatorium. Zugleich war er Kammermusiker der
kaiserl., später königl. Kapelle bis zur Julirevolution 1830 und seit 1814 auch
Ritter der Ehrenlegion. Er starb am 6. Juli 1845 mit dem Ruhme, einer der
grössten Virtuosen in Bezug auf Technik und einer der fruchtbarsten Com-
ponisten für sein Instrument gewesen zu sein. Man kennt von ihm: 13 Fagott-
Concerte, Quintette, Quartette, Trio's für Blaseinstrumente, Märsche für Har-
moniemusik, Unmassen von Duos für Fagotts, Flöten, Clarinetten u. s. w.,
endlich Sonaten, Solo's, Uebungen für Fagott und andere Blaseinstrumente
und eine gute Fagottschule. — 3) Pierre Paul G., geboren 1775 zu Versailles,
ein Hornvirtuose, dessen Ruf ein beschränkter blieb, da er in noch jungen
Jahren starb. Er hinterliess 20 Duos für zwei Hörner. — 4) Etienne
Frangois G. , geboren 1777 zu Versailles, wurde zuerst ebenfalls von seinem
ältesten Bruder unterrichtet, dann aber auf der Flöte von Hugot ausgebildet.
Er war 1801 zweiter und seit 1813 erster Flötist im Orchester der Pariser
Opera comique, das er 1822 Kränklichkeits halber verliess, um wenige Monate
später zu sterben. Veröffentlicht hat er: Duette für Violinen, für Flöten, zahl-
reiche Fantasien, Solos, Variationen u. dgl. für Flöte, Sonaten für Flöte mit
Bassbegleitung, Variationen für Clarinette u. s. w.
Getaner, Franz Xaver, ein sehr bemerkenswerther deutscher Tonkünstler
und Förderer der Musikübung, geboren 1784 zu Eckersdorf in der Grafschaft
Glatz, wurde von seinem Vater, einem Schullehrer, unterrichtet und, jung noch,
als Organist in Frankenstein angestellt. Im J. 1810 besuchte er "Wien, wo
er als Virtuose auf der Mundharmonika und als Violoncellist Aufsehen machte,
durch angenehme TTmgangsart für sich einnahm und endlich bewogen wurde,
ganz zu bleiben. Er wurde noch in demselben Jahre Chordirektor an der
Augustiner-Hofpfarrkirche, hob die dort sehr gssunkenen Musikzustände euer-
154 Gebel.
gisch und gab nebenbei guten Ciavierunterricht. Zugleich war er eines der
thätigsteu Mitglieder der berühmten Gesellschaft der Musikfreunde und be-
gründete in edlem Kunsteifer 1819 die vortreJlliclieu, gegenwärtig noch be-
stehenden CoHccrls apiritaels, welche die Meisterwerke der Vocal- und Instru-
mentalmusik in vollendeter Art zur Aufführung brachten. Von einer Ver-
gnügungsreise in die Schweiz erst spät im Herbst und krank zurückgekehrt,
starb er am 13. Dccbr. 1822 zu Wien. Von seinen für seine Kirche geschrie-
benen Compositionen fanden sich ein grosser Chor, ein Tantum enju u. A.
ungedrucki in seinem Nachlasse.
(wobol, Greorg, deutscher Orgelvirtuose und Tonsetzer, geboren 1685 zu
Breslau, war der Sohn eines IMusketicrs und sollte Schneider werden. Im J.
1703 vei'liess er jedoch seinen Lehrherrn und liess sich, eifrig Musik treibend,
von dem damals berühmten Organisten Tiburtius Winkler und dessen noch
tüchtigeren Nachfolger Krause in der Musiktheorie und im Orgelspiel unter-
richten, so dass er 1709 das Organistenamt an der Pfarrkirche zu Brieg über-
nehmen konnte, wo ihn noch der nachmalige Gothaische Kapellmeister Stölzel
musikalisch sehr förderte. Seit ITlo war G. als Organist in Breslau angestellt,
zuletzt, 1750, in seinem Todesjahre, an der St. Christophori-Kirche. G. war
der Erfinder eines Clavichords mit Viertelstöneu und eines Claviercymbals mit
Manual, Pedal imd sechs Octaven Umfang, welche Instrumente zu den ver-
schollenen zählen. Als Componist trat er auf mit einigen 70 Choi'älen, zwei
Sammlungen davon untermischt mit Arien, ferner mit fünf Dutzend Cantaten,
zwei Dutzend Psalms, einem Passions-Oratorium, einer Sammlung von Kanons
(darunter einer von 30 Stimmen), einem zweichörigen Psalm, einer Messe mit
Orchester, endlich mit zwei Dutzend Clavierconcerten, vier Dutzend anderen
Concert- und sonstigen Tonstücken u. s. w. Eine Selbstbiographie G.'s enthält
Mattheson's »Ehrenpforte« auf S. 407 u. ff. — G.'s ältester Sohn , gleichfalls
Georg G. geheissen, wurde am 25. Oktbr, 1709 zu Brieg geboren und von
seinem Vater frühzeitig musikalisch unterriclitet, da er hervorstechende Anlagen
für die Tonkunst zeigte. Im Violin- und Orgelspiel, im Generalbass und der
Composition gelangte er bis zur Meisterschaft und stand seinem Vater als Or-
ganist zur Seite, bis er ein gleiches Amt an der Kirche Maria Magdalena zu
Breslau übernehmen konnte. Dort schrieb er nebst einer grossen Pestmessc
viele Kirchenstücke, Sinfonien, Trios, Duos, Concerte für Flöte, Laute, Gambe,
Ciavier, Violine u. s. av., ausserdem für den Herzog von Oels, welcher ihm den
Kapellmeistertitel verliehen hatte, zwei Jahrgänge Kirchenmusiken und ausser-
ordentlich viele Kammermusiksaclien. In die gräflich Brüld'sche Kapelle zu
Dresden 1735 gezogen, erlernte G. das Pantalonspiel bei dem Erfinder Heben-
ötreit. Im J. 1747 wurde er fürstl. rudolstädtischer Concert- und Kapellmeister,
und er schrieb als solcher in noch nicht sechs Jaliren: 100 Sinfonien und viele
Concerte und Solostücke für die verschiedensten Instrumente, zwölf Opern
(»Medea«, »Oedipus«, »Tarquinius Superbus«, »Sophonisbe«, »Marcus Antonius«
u. s. w.), ferner zwei Passionsmusikeu, Weihnachtscantaten, vollstilndige Kirchen-
musik-Jahrgänge u. B. w. Unter einem so ungeheuren Fleisse litt seine Ge-
sundheit, und er starb am 24. Septbr. 1752 zu Budolstadt an einem Nerven-
schlage. — Sein jüngerer Bruder, Georg Sigismund G., war zuerst Unter-
orgauist aji der Haiiptkirche St. Elisabeth in Breslau, dann 1748 Organist an
der Trinitatiskii-chc und seit 1749 erster Organist an St. Elizabeth. Als
solcher starb er 1775, nachdem er sich auch als Componist von Präludien und
Fugen für Orgel bekannt gemacht hatte.
(liebel, Franz Xaver, talentvoller deutscher Componist und Pianist, ge-
boren 1787 zu Fürstenau bei Breslau, erhielt zuerst Ciavierunterricht und zwar
bei seinem Vater und studirte später Theorie bei Abt Vogler, seit 1806 Com-
position bei Albrechtsberger. Im J. 1810 wurde er Kapellmeister am Leopold-
städtischen Theater zu Wien, 1813 am städtischen Theater zu Pesth und end-
lich in Leraberg. An den genannten Bühnen gelangten Oj)ern von ihm mit
Gebhard — Gebohrte Windlade. 155
Beifall zur Aufführung. Im J. 1817 siedelte G. nach Moskau über und er-
warb sich neben Field eine sehr geachtete Stellung als Lehrer des Pianoforte-
spiels. Auf. Veranlassung des letzteren schrieb er auch geschätzte Claviercou-
certe u, dgl. Seine übrigen Compositiouen bestehen in einer Messe, vier
Sinfonien, Ouvertüren, vielen Streichquartetten und Quintetten. G-. starb im
J. 1843 in Moskau.
(xebhard, Johann G-ottfried, von 1784 bis 1790 Amtsactuarius und
Musikdirektor am Seminar zu Barby, gab im Selbstverlage eine Ciaviersonate
(1784) und eine Sammlung vermischter kleiner und leichter Ciavierstücke,
nebst einer Zugabe von etlichen Orgelstücken (1. Theil 1786, 2. Theil 1788)
heraus. f
Cirebhard, Karl Martin Franz, ein deutscher Gelehrter, welcher als
ordentlicher Professor der Theologie um 1785 an der Universität zu Erfurt
lehrte, war auch in der Musik wohl bewandert. Am 4. August 1796 hielt er
an der kurfürstlichen Akademie zu Mainz eine Vorlesung, deren Disposition
Gerber in seinem Tonküustlerlexikon von 1812 giebt: »von den Grenzen der
Musik, in Hinsicht auf die ihr zugeschriebene Allgewalt über das menschliche
Herz«; aucli veranstaltete G. eine neue Ausgabe des AVeimar'schen Clioralbuches
(1803) mit von J. Ch. Kittel gesetzten Grundbässen und einer langen, ziem-
lich interessanten Vorrede. t
Gebhardi, Ludwig Ernst, verdienstvoller deutscher Musiker und Musik-
pädagoge, geboren 1787 in Nottleben, besuchte seit 1801 das Erfurter Gym-
nasium, studirte von 1809 bis 1812 Theologie zu Jena und erhielt bald darauf,
da er ein tüchtiger Organist und Musikgelehrter war, die Lehrerstelle am
königl. Seminar. Zugleich Organist an der Predigerkirche iind königl. Musik-
director, starb er am 4. Septbr, 1862 zu Erfurt. Als Componist wurde ihm
Incorrectheit der Schreibart vorgeworfen, jedoch dürften seine zwei-, drei- und
vierstimmigen Schulgesänge (2 Hefte), sein evangelisches Choralbuch nebst In-
tonationen, Vaterunser, Eiusetzungsworteu u. s. w., sein grosses Hallelujah für
gemischten Chor, seine Orgelschule, seine Orgelpräludien und seine in mehreren
Sammlungen erschienenen Orgelstücke überhaupt (etwa 40 an der Zahl) der
Beachtung werth sein. G.'s Hauj)twerk ist eine treffliche »Geueralbassschule,
oder vollständiger Unteriücht in der Harmonie- und Tousatzlehre u. s. w.«
(2 Bände), die sich als Unterrichtswerk vielfach bewährt hat. Von dem ersten
Bande derselben erschien (Brieg, 1866) nach G.'s Tode die dritte vermehrte
und verbesserte Auflage.
Gebhart, Anton, deutscher Musikgelehrter und Kirchencomponist, geboren
1817 zu Sonthofen in Baiern, erhielt den ersten Musikunterricht von seinem
Vater, einem Schullehrer, und fand weitere Ausbildung auf der lateinischen
Schule in Kempten und seit 1833 auf dem Schullehrerseminar zu Dillingcn.
In letzterem war besonders Anton Schmid sein Lehrer, dessen Nachfolger er
1842 als Organist und Musiklehrer der Anstalt wurde- Im J. 1858 berief
man ihn auch zum Chorregenten an der Stadtpfarrkirche Dilliugen's. Ver-
schiedene seiner bei ihrer Aufführung beifällig aufgenommenen Kirchenwerke
sind im Druck erschienen, so ein Requiem, eine Messe, ein Stabat mater, Mi-
serere, Pangue lingua u. s. w. Auch als musikalischer Schriftsteller ist er in
Heindl's pädagogischem Repertorium und in der Neuen Müuchener Zeitung
(1850) aufgetreten und gab das »Repertorium der musikalischen Journalistik
und Literatur« (4 Hefte, 1850 und 1851) heraus.
Gebläse ist der Gesammtname sämmtlicher Bälge der Orgel. S. Orgel.
Gebohrte Windlade ist der Fachname derjenigen Orgel-Windlade, welche
nicht aus Rahmenschenkeln, sondern aus einer sehr starken eichenen Bohle
besteht, in welche die Cancellen hineingebohrt werden. Da aber das trockenste
und gesundeste Holz mit der Zeit Windrisse erhalten kann, die Durchstecher
erzeugen, so sind die G. "W. als untauglich verworfen und durch die allgemein
bekannten Laden gänzlich verdrängt worden.
156 Gebrochene Accorde — Gebundene Dissonanz.
Gebrochene Accorde (ital. : Arpeggi) nennt man solche Accorde, deren Töne
nicht gleichzeitig, sondern nach einander angegeben werden. S, auch Ar-
peggio.
Gebrochene Arbeit nennen ältere Musikschriftsteller die Zerlegung melo-
discher Hauptnoten in allerhand Figuren, die Figuration oder Colorirung einer
Melodie.
Gebrochenes Clayier heisst in der Orgelbaukunst eine Einrichtung, welche
die blinden Tasten eines Manuals, die aus zwei mittelst eines Gelenkes ver-
bundenen Theilen bestehen oder mit einer anderen wippenartigen blinden
Tastatur zweckentsprechend verbunden, betrifft. Diese Einrichtung wird da
angewendet, wo sie, wenn sie durch die einfache Claviatur wirken sollte, zu
lang werden würde und dadurch leicht schadhaft werden könnte oder eine zu
schwere Spielart im Gefolge hätte. 0.
Gebrochener oder gekröpfter Kanal nennt man einen solchen Kanal (s. d.)
in der Orgel, der, um in eine andere Richtung verlegt zu werden, in kurzen
Enden von der geraden Richtung winklich abweicht. Diese kui'zen Enden,
Knie genannt, sind dem Kanal ähnliche Röhren, Kniestück oder Kropf-
stück geheissen, die etwas weiter gebaut werden, deren Inneres oft zweckent-
sprechend durch Einlagen abgerundet ist und die in ihrer Zusammenfüguug
auf das Sorgfältigste construirt werden. 0.
Gebrochene Octave beim Orgelspiel, s. Orgel.
Gebrochene Parallelen oder Schleifen nennt der Orgelbauer zwei Parallelen-
theile, die, einer Stimme angehörig, durch einen Zug regiert werden. S. Ge-
brochene Register. 0.
Gebrochene Register, auch halbirte oder getheilte genannt, sind solche
Register (s. d.) der Orgel, die ein getheilt stehendes Pfeifenwerk eines Re-
gisters mittelst eines oder zweier Züge öffnen. Die getrennte Stellung der
Pfeifen einer Orgelstimme ist öfter durch Bescliaffenheit der Lade gefordert,
und stehen dann gewöhnlich die Diskantpfeifen auf einer und die Basspfeifen
auf einer andern Lade (s. d.), zuweilen auch gemäss anderen Anforderungen.
Die Behandlung so gestellter Pfeifen durch zwei Züge, von denen der eine
dann zur rechten, der andere zur linken Seite des Spielers befindlich, wie deren
innere Construktion, ist eine einfache Register führung (s. d.). Einen Zug
jedoch, der ein G. führt, zu behandeln wie zu construiren, ist schwieriger. Die
Behandlung desselben bedingt, dass man die zwei Gebrauchstellungen desselben
kennt und diese nach seinem Verlangen regiert. Die Construktion desselben,
durch eine eigene Koppelung (s. d.) bewirkt, ist je nach den örtlichen Ver-
hältnissen verschieden, weshalb, da selbst die genaueste Beschreibung einer der-
selben nicht einen TT eberblick gewährt, in dieser Beziehung auf das Studiren
derselben in der Praxis verwiesen werden muss. 0.
Gebrochene, geschränkte, gefächweifte oder getheilte Wellen heissen in
der Fachsprache der Orgelbauer "Wellen (s. d.), die nicht einfach gebaut sind,
sondern die deren zwei oder drei erfordern, um eine Orgelstimme zu offnen. Die
Beinamen sind von der Construktion der Wellen abhängig. Diese Einrichtung
der Orgel ist durch die örtliche Aufstellung der Orgelpfeifen bedin.t?t, indem
eine weite Entfernung oder eine seitliche Stellung derselben zu lange Abstrakten
ei'forderte und dadurch eine zu schwere Spielart erzeugte, oder die Regierung
mittelst gerader Abstrakten unmöglich macht. Ueber Construktion und Zu-
sammenhang sehe man den Artikel Wellatur. 0.
Gebunden (ital.: legato, franz.: lic), s. Ligatur und Bogen (als Schiüft-
zeichen).
Gebundenes Clayier nennt man ein solches, das für mehre Töne nur ein
Saitenchor besitzt. Der Ausdruck, geschichtlich, wurde in der früheren Zeit
des Clavier.s (s. d.) nur gobrauclit und ist seitdem verschwunden. 0.
Gebundene Dissouanx nennt man eine solche vorbereitete Dissonanz, die
Gebundene Schreibart — Gedackt. 157
nur in der vorbereitenden Consonanz, nicht dann aber weiter als Dissonanz von
Neuem angegeben, sondern nur ausgehalteu werden soll.
Gebuudeue Schreibart nennt man den Styl, in welchem Vorhalte und
andere Bindungen häufig angewendet und alle Dissonanzen auf regelrechte Art
voi'bereitet, gebunden und aufgelöst werden. Näheres unter Styl.
Gebundene Yioliue nannte man in früherer Zeit eine bei Schülern ange-
wandte Veränderung der Saitenstimmung der Violine. Diese Veränderung be-
wirkte man durch ein um Saiten und Hals des Instruments fest gebundenes
Band, das die Mensur der Saiten verkürzte und die Stimmung derselben um
eine grosse Terz erhöhte. Grund dieser TJnterrichtsart war, den Schüler in
den höheren Lagen eine Sicherheit zu verschaffen und in denselben einen schar-
fen Bogenstrich von vornherein zu erzielen. 0.
Gedackt, früher auch häufig Gedakt oder Gedact geschrieben, ist ein,
wahrscheinlich durch Aufnahme der schwäbischen Aussprache von gedeckt
(s. d.) in die Schriftsprache entstandener Ausdruck, der als Gattungsname für
eine Klasse von Orgelstimmen gebraucht wird. Diese Stimmen baut man in
den verschiedensten Grössen und findet oft mehrere derselben in einem Werke,
ja nicht selten in jedem Manuale und im Pedal derselben Orgel, wovon dann
eine selbst als Grundstimme (s. d.) betrachtet wird. Je nach der Grösse
der Stimme oder deren Klangweise erhält dieselbe den Namen G. mit einem
entsprechenden Zusatz oder einen Eigennamen als Artbeneunung. Demgemäss
findet man für grössere G.-Stimmen die Benennungen: Untersatz (s. d.),
Subbass (s. d.), Grosssubbass (s. d.), Contrabass (s. d.) u. dgl., und für
nach ihrer Mensur oder Intonation benannte die Namen: Grobgedackt (s. d.),
Stillgedackt (s. d.), Kleingedackt (s. d.) etc. Andere wenden für ganz
gleich gebaute Stimmen durchaus verschiedene Namen an. So findet man oft
bei Einem Stillgedackt benannt, was der Andere durch Kleingedackt
bezeichnet, und noch ein Anderer Musicirgedackt oder Humangedackt
nennt. Sämmtliche G. zu nennende Arten der Oi'gelstimmen gehören zu den
Plötenregistern (s. d.) und führen demgemäss nur Labialpfeifen (s. d.).
Von den Pfeifen werden gewöhnlich die der grösseren Register aus Kiefern-
oder Fichtenholz, die der mittleren aus Zinn, und die der kleineren aus Eichen-,
Birnbaum-, Buchsbaum-, Kirschbaum-, Pflaumenbaum- oder anderem harten
Holz gefertigt. Die Wahl des Materials unterliegt keinem Gesetze, Eine
hölzerne G.-Pfeife erhält gewöhnlich einen runden, röhrenartig geformten, in
den Pfeifenstock (s. d.) befestigten Puss (s. d.), der in einen Windkasten
(s. d.) nebst Vorschlag (s. d.), welcher mit Schrauben befestigt wird, führt.
Beide letztgenannten Pfeif entheile bilden die Licht spalte (s. d,). Oberhalb
dieser Theile erhebt sich der Pfeifenkörper, viereckig oder rund geformt, mit
seinem Labium (s. d.) und einem hohen Aufschnitte (s. d.). Gedeckt wei--
den solche Pfeifen mittelst eines Stöpsels, der nach Ermessen höher oder tiefer
in der Bohre gestellt werden kann. Die Stellung des Stöpsels bewirkt die
Tonhöhe. Eine metallene gedeckte Pfeife unterscheidet sich von der rund ge-
bauten hölzernen hauptsächlich durch den die Deckung bewirkenden Theil.
Dieser gleicht einem Hute (s. d.), der in Deutschland in seinem übergreifenden
Rande mit weissem Leder gefüttert, in Frankreich jedoch nur mit einer weichen
Papierzwischenlage versehen wird. Der Hut bewirkt nach seiner Stellung die
Tonhöhe. Die akustische Wirkung der Deckung einer Schallröhre ist in dem
Artikel Akustik (s. d.) ausführKcher besprochen. Hier, um nur diese Wirkung
ins Gedächtniss zurückzurufen, mag bemerkt werden: dass die wirkliche Länge
der Tonröhre der grössten Pfeife eines G.-Registers stets doppelt so lang an-
gegeben werden muss, als sie in der That ist, da deren Ton um eine Octave
tiefer erklingt, als der einer gleich langen offenen Labialpfeife. Wie reichhaltig
die Benennung der G.-Arten ist, nw-g folgende Aufzeichnung einiger oben noch
nicht angeführter Namen beweisen. Gross- Gedacktbass, 10 M.; Pileata
maxima, 10 M.; Gross-Untersatz, 10 M.; Majorbass, 10 M.; Gedackt-
158 Goflacktbass — GedüiTipft
bass, 5 M.; Plicata major, 5 M.; Bordun, 5 und 2,5 M.; Sanft-, G-e-
linde-, Musik-, Kammer- und Lieblich-Gedackt, 2,5 BI.; Gedackt-
flöte, 2,5 M.; Barem, 2,5 M.; Gedacktquinte, 1,67 - 0,83 - und 0,41 M.;
Mittel-Uedackt, 1,25 M; Fileata minor, 1,25 M.; GedacktflÖte oder
Flöte, 0,G M. und Gedackt oder auch wohl Bauern flöte 0,3 M. genannt,
sind nicht selten vorkommende Namen. Was nun diese Benennungen anbe-
trifft, so wie die mehr oder minder feststehenden Gesetze, nach denen die ver-
schiedenen G. -Register gebaut zu werden pflegen, so sehe man die besonderen
Artikel nach. — Den einfachen Namen (^edackt gebrauchte man früher haupt-
sächlich für eine 1,25 metrige, zuweilen auch Barem gchcissene gedeckte Flöten-
stimme, deren Pfeifen, von C bis h aus Kiefernholz und von c^ ab aus Zinn
gefertigt, nach dem Ermessen des Pertigers in Mensur und Intonation dem
Werke gemäss gebaut wurde. Ebenso, oder auch wohl schlechtweg Flöte und
in kleinster Bauart, Bauernilöte, nannte man 5-, 2,5-, 0,6- und 0,3 metrige
gedeckte Flötenstimmen aus Zinn, von enger Mensur und sanfter Intonation.
In neuester Zeit ist die Benennung G. umgekehrt mehr für die Stimmen von
den grösseren Maassen gebräuchlich. C. B.
(iadacktbass nennt man eine 5 metrige gedeckte Flötenstimme, deren Pfei-
fen, meist aus Kiefernholz gefertigt, in ihrer Mensur sehr verschieden gebaut
werden. Auch die Quantität wie Qualität des Klanges, so wie die Stellung —
Pedal oder Manual — dieses Orgelregisters ist fast so vielfach, wie dasselbe
überhaupt vorhanden ist, so dass man nur als feststehende Eigenheit des G.
es bezeichnen kann; dass er eine fünf Meter grosse gedeckte Flötenstimme ist.
0.
Oedacktflöte oder auch nur Flöte nannte man vorzüglich eine gedeckte
Flötenstimme der Orgel von 0,6 Meter Grösse, die aus Metall gebaut wurde
und deren Pfeifen eine enge Mensur und sanfte Intonation erhielten. Man
findet jedoch diesen Namen auch für sanftklingende Stimmen in Gebrauch, die
5 oder 2,5 oder 1,25 Meter gross gebaut sind. Alle diese Stimmen erhalten in
neuester Zeit meist den Namen Gedackt (s. d.). — Ebenso benennt man
auch eine 2,5 Meter gross gebaute Manualstimme aus Kiefernholz. 0.
Gredacktflöteucüormaass und Unterchormaass sind ältere Orgelstimmennamen,
die mit den Tönen der Menschenstimme in Beziehung gedacht wurden. Die
Töne der 2,5 metrigen Octave bezeichnete man als das Chormaass habende,
und nannte demgemäss eine so grosse gedeckte Flötenstimme G. — Unter-
chormaass war der Name einer gleichen 5 metrigen Stimme der Orgel. 0.
(xedackt-rommer, eine auch unter der Benennung Bombard (s. d.) ge-
führte Orgelstimme, ist ein gedecktes Rohrwerk von 2,5 oder 5 Meter Grösse,
das vorzüglich im Pedal geführt wurde. Es hatte einen sanfteren Ton als die
Posaunen und entstand, indem man der Orgel den Klang des veralteten Ton-
werkzeugs: Brummer oder Basspommer, das den Bass zu den Schalmeien
abgab, einzuverleiben sich bemühte. Dass dieser Orgelregistername nicht all-
gemein für ähnlich gebaute Orgelstimmen gebraucht wurde, beweist, wie Ad-
lung berichtet, die Görlitzer Orgel. Nach Boxberg's Beschreibung derselben
findet sich in derselben eine G. geheissenc Stimme, die ein starkes Quinta-
tön (s. d.) ist. 0.
(ledacktqnintc, eine 1,67, 0,83 oder 0,41 Meter grosse gedeckte Flöten-
stimme, findet man in vielen Orgeln, aus Kiefernholz gefertigt. In Mensur
und Intonation sind die Pfeifen der so genannten Stimme jedoch sehr ver-
schieden, da jeder Orgelbauer dieselben nach seinem Ermessen dem zu schaffen-
den Werke anpasst. Die grössere G. findet man bei grösseren Orgeln meist
im Manual, bei kleineren im Pedal. 0.
(Tredacktrosral, s. Regal.
Oedämpn heisst ein Klang, dessen natürliche Stärke oder Dauer vermin-
dert ist. Die Sordinen (s. d.) bei Geigen, Trompeten u. s. w. massigen die
Klangstärke; der Dämpfer (s. d.) am Pianoforte verkürzt die Dauer des
Getlämpftregal — Gedanke. 159
Klanges, sobald er zur Yerhinderung des Nachklanges auf die Saite niederge-
lassen wird. Man braucht den Ausdruck mitunter auch für einen Vortrag, in
welchem nur gemässigte Klangstärke angewendet wird.
Gedjimpftregal, s. Regal.
tredauke. Man nennt in der Musik »Gedanken« die kleinsten Glieder,
aus denen ein Tonstück sich zusammenfügt. Dies beruht auf Folgendem. Ein
Musikstück ist gleichsam ein organisches Gebilde, welches sich aufbaut aus
unzähligen einzelnen Theilen, deren jeder wiederum ein kleines Ganzes, ein
kleiner Organismus ist. Die musikalischen Kunstwerke gleichen in dieser Be-
ziehung sehr genau den sprachlichen, den literarischen und dichterischen. Ein
Aufsatz z. B. lässt sich ebenfalls in solche kleinste Theile, kleinste Ganzheiten
zerlegen, in die einzelnen »Gedanken« nämlich, die sich durch die logische oder
poetische Idee des Ganzen zu einem Gesammtorganismus verknüpfen. Wegen
dieser Aehnlichkeit nennt man in tonischen Kunstwerken die kleinsten Glieder
ebenfalls »Gedanken«. Ein zweiter Grund zu dieser Benennung liegt in der
Aehnlichkeit, dass sprachliche sowohl wie musikalische Gedanken ihrem Inhalte
nach etwas Geistiges darstellen. Der Sprachgedanke repräsentirt einen Ver-
standesinhalt, der Tongedanke einen Gefühlsinhalt; beide fliessen also aus den
Sphären unseres geistigen Lebens hervor. — Bei Betrachtung des letzteren
Umstandes tritt eine Frage nahe, die zu den wichtigsten und tiefgreifendsten
der musikalischen Aesthetik gehört, ja, man könnte sagen, die allei-bedeutungs-
vollste dieser Wissenschaft ist, da sie die Wesenheit der Musik überhaupt an-
belangt; es ist die Frage: »drückt die Musik ausser tonischen, also Gefühls-
gedanken, auch eigentliche Gedanken, Yerstandesgedanken , wirklich Ge-
dachtes, nicht nur Gefühltes, oder mit anderen Worten: Objektives,
Begriffliches aus?« Dies ist die Frage, welche die ästhetische Wissenschaft
noch stark beschäftigt, über welche unter den Künstlern manche und oft weit-
gehende Meinu,ngsverschiedenheiten herrschen; es ist aber namentlich die Frage,
welche als die brennendste von Dilettanten unzählige Mal aufgeworfen wird;
denn diese, sofern sie ein höheres Interesse an der Musik nehmen, haben das
entschiedenste Verlangen, die Werke dieser Kunst nicht blos mit den Sinnen
und mit dem absoluten Gefühl, sondern auch mit dem Geiste zu erfassen,
das sogenannte »Verständniss« für dieselben zu gewinnen. Bei diesem Ver-
langen nach »Verständniss« setzen sie unwillkürlich die Mitbethätigung des
»Verstandes« dabei voraus. Daher interessirt sie natürlich vorwiegend die
Frage*, ob für die Auffassung durch den Verstand auch wirklich der geeignete
Stoff, nämlich wirklich Verstandesgedanken, Begriffliches, in der Musik ent-
halten sei. — Dieser Punkt, dessen gründlichste und umfassendste Erörterung
allerdings ein weitausgeführtes Kapitel ausmachen müsste, sei hier in Kürze
möglichst klar beleuchtet. Und zwar sei er zunächst in Beziehung auf die
reine Musik, d. i. auf die absolute Instrumentalmusik, die sich jeder Ver-
schwisterung mit dem Wort enthält, die also weder einen Text (Vocalmusik),
noch eine begriffliche Ueberschrift (Programmmusik) zu ihren tonisclien Ge-
bilden hinzuzieht, betrachtet. — Die entsprechende Ausdrucksform für »Ge-
dachtes« ist einzig und allein die Sprache, das Wort, oder solche Bezeichnungen,
die die Stelle der Wortsprache vertreten können, also die Gebehrdensprache,
Fingersprache der Taubstummen, Blumensprache u. a. Diese letzteren sind
sogenannte conventioneile Ausdrucksmittel, bei denen in Folge äusserer TJeber-
einkunft ein bestimmtes Zeichen für einen bestimmten Gegenstand oder (be-
danken gesetzt wird, wo also das natürliche Wort durch eine künstliche,
angenommene Bezeichnung ersetzt wird. Die Musik nun hat als Ausdrucks-
mittel den Ton, welcher an und für sich durchaus unfähig ist, einen Gedanken,
ein Begriffliches auszudrücken, der vielmehr die entsprechende Ausdrucksform
für das Gefühl, für einen Gemüth.sinhalt, und nur für einen solchen ist. Dies
wird den Kunstfreunden durch blosses Anhören von Musik bereits klar. Da
ihnen aber der Ton an und für sich eben nichts Begriffliches sagt, nichts
IGO
Gedanke.
Gegenständliches erzählt, so hegen viele Dilettanten den Glauben, dass unter
den Leuten von Fach eine gewisse geheime Kenntniss existire, derzufolge man
aus den Tönen ausser Gefühlen auch objektive Gedanken herauszulesen ver-
möge, dass also der Ton gleichsam als Hieroglyphe, als symbolische Schrift
für einen (ledankeninhalt zu betrachten sei. Dies beruht aber auf einer Täu-
schung. Denn da der Ton an und für sich kein (Jedankenausdruck ist, so
könnte er es nur durch Convention, durch äussere willkürliche Verab-
redung werden; eine solche existirt aber nicht, und wenn sie existirte, so
würde sie das Wesen der Musik vollständig verdrehen und aufheben; das natür-
liche Ausdrucksmittel würde zu einem künstlichen erniedrigt und verunstaltet;
und während der Ton, als natürliches, den vollkommensten und unvergleichlich
schönen Ausdruck unseres Gefühlslebens bewirkt, so würde er, zur Zeichen-
sprache für den Gedanken verwendet, nichts erreichen, als dasjenige höchst
unvollkommen auszudrücken, was die Poesie allein vollkommen aussprechen
kann. — Dieser Auseinandersetzung zufolge scheint nun jeglicher Gedanken-
inhalt aus der Musik verwiesen. Gleichwohl ist die allgemeine und eifrige
Nachfrage der Dilettanten nach einem solchen keine unmotivirte Erscheinung,
sondern gründet sich auf ein richtiges (lefühl. Sie berulit nämlich auf der
Wahrnehmung, dass (iefühle, gänzlich ohne Mitwirkung von (bedanken, nicht
vorhanden, und auch nicht denkbar sind. Es ist klar, dass unser Gemüths-
leben nicht die Entwicklung nehmen würde, die es in Wirklichkeit nimmt, ja,
dass ein eigentliches Gemütlisleben gar nicht existiren würde, wenn nicht unser
Bewusstsein und die Thätigkeit der Denkkräfte aufs Innigste an ihm theil-
nähmen, aufs Entschiedenste in dasselbe hineinwirkten. Hieraus folgt aber,
dass die Musik, die ja Darstellung des Gefühlslebens ist, einen gewissen (ire-
dankeninhalt nothwendigerweise mitenthalten und zum Ausdruck bringen müsse.
Dieser Schluss erweist sich auch in der Wirklichkeit als richtig. Jedoch —
und hierauf ist der Nachdruck zu legen — eben nur der Gedanke, der mit dem
reinen Gemüthsleben in Verbindung steht, der aus dem Gemüthsleben
selber entspringt, und sich innerhalb desselben bewegt, muss und kann
in der Musik eine Stelle finden, nicht aber der Gedanke, der in die äussere Welt
der Gegenstände hinausschweift, und von daher Vorstellungen und Heflexionen
lierbeiholt, die mit dem reinen Gefühlsleben gar nichts zu thun haben, — Ein
Beispiel aus der Beetlioven'schen 0-moUS'mfonie möge das hier Erörterte an-
scliaulich machen. Der erste Satz dieser grossartigen Tonschöpfung zeichnet
in den bestimmtesten und gewaltigsten Zügen einen Kampf der Gefühle, einen
Zustand tiefen Unglücks, gegen welches das Gemüth sich emporzuringen strebt.
Man lenke nun die Aufmerksamkeit auf eine Stelle dieses Satzes. Im 52.
Takt erreicht die aufgeregte Stimmung zum ersten Mal einen Höhepunkt, sie
steigert sich bis zu wilder Verzweiflung; hier bricht der Tonstrom ab — ein
einzelner, höchst energischer Accordschlag ertönt — und darauf, in vollständi-
gem Umschwung der Stimmung, erklingt ein freudiges und muthvolles Horn-
motiv. In folgenden Noten ist die Skizzirung der Stelle gegeben:
Allegro
con
Volles Orchester.
Ill*=f*f
it*si^igii&^
i?^rr?frE}^^g="rii^j
tt=^g
^
Gedeckt.
161
Hörner
fe=^
P^=^
t£j2:
3^^:
|g=I^
•/.
Die "Wendung ist höchst überraschend; der Abbruch, der vereinzelte Accord,
die totale Verwandlung der Stimmung: das Alles giebt beim Anhören unwill-
kürlich zu denken, regt die Frage an: Wie ist diese Combination zu begreifen?
welches ist die Ursache dieser plötzlichen abrupten Erscheinungen? Und man
fühlt, dass diese Ursache nicht aus dem blossen unmittelbaren Grefühl herzu-
leiten, sondern in einer Mitwirkung der Gedankenthätigkeit zu suchen ist.
Die Erklärung der Stelle ist einfach folgende: der bis zur höchsten Heftigkeit,
bis zum Unerträglichen gesteigerte Seelenschmerz regt die Willenskraft auf,
dem Schmerz mit ganzer Macht entgegenzutreten: jener eine, höchst gewaltige
Accord ist dieses: »Ich will! Ich will mich aufraffen, will den Schmerz ab-
werfen, ich will grösser sein als mein Schmerz!« Und dieser eine machtvolle
Willensmoment schlägt in der That die Uebergewalt des Schmerzes nieder, die
Seele gewinnt ihre Kraft, ihre Freiheit, und aus dem Grefühl dieses Sieges
quillt ihr sufort Freude und Lebensmuth wieder hervor. — Dieses Beispiel
mag erweisen, dass, und in welcher Weise, in den Gefühlsschilderungen der
Musik der Gedanke mitenthalten ist. — Wie eben aufgezeigt worden, so ist der in
der Tonkunst enthaltene Gedanke rein innerlicher Natur; er ist nur auf das
eigne Gemüthsleben gerichtet, bewegt sich lediglich in der Sphäre der die Seele
erfüllenden Empfindungen. Die reine Instrumentalmusik giebt also ausschliess-
lich reine Seelengemälde, d. i.: durchaus Lyrisches, Subjektives, Will
nun aber die Musik auch den objektiven Gedanken und die objektive Welt
der Gegenstände mit in ihr Bereich ziehen, so vermählt sie sich zu diesem
Behufe mit dem Wort, denn nur dieses spricht objektive Gedanken und Be-
griffe aus; so entsteht die Textmusik und die Programmmusik. Hier verändert
sich natürlich die Aufgabe der Tonkunst; sie besteht nunmehr darin, das in
dem Texte oder der Ueberschrift Gesagte oder Angedeutete in Tönen lebendig
auszuführen. Wie aber kann dies geschehen, da doch durch Töne nicht Ge-
danken und Gegenstände, sondex'n nur Gefühle ausgedrückt werden können?
Es geschieht eben in der Weise, dass die mit den Gedanken verknüpften Ge-
fühlsmomente von der Musik dargestellt werden. Wenn in der Oper »Don
Juan« Leporello zu singen beginnt: i>NoUe e fjiorno faticarvi (»Keine Huh' bei
Tag und Nacht«), so wird man in "seinen Tönen allerdings vergeblich nach
dem Ausdruck von »Tag und Nacht« oder von »fatiguirender Arbeit« suchen,
aber die Empfindung, die in Leporello waltet, während er diese Worte spricht,
seinen Unmuth, seinen Aerger, diesen drückt die Musik aus. So bringt sie
das mit den Gedanken des Textes verbundene Gefühlsmoment zur vollen,
lebendigen Darstellung. — Wenn endlich die Musik Gegenständliches zu
ülustriren unternimmt (wie z. B. in Haydn's »Jahreszeiten«: den Sonnenauf-
gang, die Frühlingslandschaft u. s. w.), so verfährt sie zunächst nach demselben
Prinzip, indem sie das mit den Gegenständen verknüpfte Gefühl — nämlich
das Gefühl, welches diese Gegenstände in unserer Seele erregen — zum
Ausdruck bringt; doch hat die Musik auch eine gewisse malerische Fähigkeit,
durch welche sie Gegenstände der Körperwelt andeutungsweise auch sinnlich
schildern kann. Diesen Punkt näher auszuführen, ist Aufgabe der Artikel
Charakter und Tonmalerei (s. d.). William Wolf.
Gedeckt nennt man in der Orgelbaukunst jede Schallröhre, deren Mün-
dung (s. d.) verschlossen ist. Solche Pfeifen werden stets einem ganzen Re-
Muaikal. Convers.-Lexikon. IV. 1 1
1 62 Gedoppelte Intervalle — Gefühl.
gister gegeben. Da man auch Register mit halb oder nur theilweise geschlossenen
Pfeifen baut, so redet man auch von halb oder theilweise g.en Orgelstimmen.
Als Name für solche g.e Register ist der Ausdruck Gedakt (s. d.) in Ge-
brauch. Einige Orgelbauer bemühen sich, statt des Fachausdrucks g. , gedakt
einzuführen. Die Ableitung des Eigenschaftswortes von einem von ihm selbst
abgebildeten Eigennamen kann aber leicht missdeutet werden und ist deshalb,
sowie seiner Ableitungsart halber, zu verwerfen. Man müsste deshalb eine
Flötenstimme mit g.en Pfeifen eine gedeckte und nicht eine gedakte Flöte
nennen, könnte aber nach bisherigem Brauch diese sehr wohl Gedaktflöte heissen.
2.
Gedoppelte lutervalle, s. Doppelte Intervalle.
Gefährte (lat.: comes, ital.: risj)osta, franz.: rcponse), in der Fuge, s. Ka-
non und Fuge.
Gefällig' (ital.: piacevole). Mit diesem Ausdruck bezeichnet man eine Nuance
des Anmuthigen, welche, wie die Abstammung des Wortes andeutet, das Wohl-
gefallen besonders leicht erweckt. Im Gefälligen treten die im Anmuthigen
enthaltenen tieferen und ideelleren Momente etwas zurück, um der leichtesten
Heiterkeit, der Einfachheit und dem mühelos Ansprechenden Eaum zu geben.
Gefühl. Das Wesen und die Aufgabe der Musik besteht darin, Gefühle
zum künstlerischen Ausdruck zu bringen. Diese Wahrheit ergiebt sich jedem
für Musik Empfänglichen durch blosses Anhören von Tonwerken. Denn indem
die Töne in unser Ohr dringen , erregen sie zugleich unser Gemüth, und er-
wecken darin eine Reihe von Gefühlen, stets wechselnd, je nachdem die Ton-
gebilde wechseln. Und hierin eben, in der Erfüllung unseres Gemüthes mit
einem Gefühlsiuhalt (selbstverständlich einem schönen Gefühlsinhalt), besteht
der Genuss, der uns aus diesem Anhören entspringt und um dessentwillen die
Tonkunst der Gegenstand einer so allgemeinen Liebe und Begeisterung ist.
Die Wahrheit also, dass in der Gefühlsdarstellung der Kernpunkt alles Mu-
sikalischen beruht, wird durch die thatsächliche Erfahrung bereits er-
wiesen, bedarf demnach keines weiteren theoretischen Beweises. Für die Theorie
bleibt hingegen die Frage zu beantworten, wie es zu begreifen sei, dass
Gefühle durch Töne dargestellt werden können, da Gefühle etwas Seelisches,
Töne aber etwas Sinnliches sind? Diese Frage lässt sich, dem Wesentlichen
nach, in Folgendem beantworten. Gefühle sind Bewegungen unserer Seele;
Töne sind ebenfalls nichts anderes als Bewegungen, an Körpern hervorgebracht.
Zwischen körperlichen und seelischen Bewegungen besteht nun eine genaue
Analogie, welche sich schon dadurch kundgiebt, dass wir die sprachlichen Be-
zeichnungen für Gefühlsbewegungen von körperlichen Bewegungen entnehmen.
So spricht man von: »Erhebung«, »Versenkung« des Gefühls, von »Erregung«,
»Aufregung«, »Erschütterung«, »Rührung« u. a. Dies alles sind zunächst Be-
zeichnungen verschiedener Formen körperlicher Bewegung, in denen wir aber
eine Analogie mit gewissen Bewegungsformen unseres Gemüthes entdecken,
daher wir diese Worte auch für die letzteren in Anwendung bringen. Durch
diese Analogie erklärt es sich, dass in Tönen (körperlichen Bewegungen) ge-
naue Abdrücke jeder Art von Gefühlen (Seelen-Bewegungen) gegeben werden
können. Jedoch bleibt hierbei noch unerklärt, wie der sinnliche Ton eine
geistige Wirkung hervorbringen, wie der körp erli che Abdruck der Gemüths-
bewegungen die Seele des Höi'ers afficiren kann. Dies wird dadurch begreif-
lich, dass der Ton im Grunde genommen kein eigentlich Materielles ist, son-
dern vielmehr ein Geistiges am Materiellen. Denn von dem Stoffe, der
bewegt wird, gelangt nichts zu unserer Wahrnehmung; der Ton, ob er auch
von Holz oder Metall gewonnen wird, ist doch nur die wahrgenommene reine
Bewegung selbst, das Holz oder Metall als solches hören wir nicht; in dem
bestimmten Ton mit seiner bestimmten Höhe oder Tiefe und seiner speciellen
Klangfarbe vernehmen wir nur diese bestimmte Art der Bewegung,
Gefühl. 163
durchaus aber niclit den Stofif selbst, an welchem sie vor sich geht.*) Somit
ist der Ton, obwohl vom Materiellen herstammend, doch an sich frei von der
Materie; er ist nur dargestellte Bewegungsform, welche letztere ebensogut an
einem körpei'lichen Wesen als an dem geistigen Wesen des menschlichen Ge-
müthes zur Erscheinung kommen kann. Da also die im Ton dargestellte Be-
wegung beiden Sphären, der körperlichen und der geistigen, gemeinsam ist,
so kann sie, obwohl durch körperliche Organe erzeugt, dennoch in der Seele
empfunden werden. — Wie dieser Voi'gang physischers eits vermittelt wird
— durch die Nerven — , diese Frage schlägt in das Grebiet der Physiologie,
und möge man sich darüber in den dahin bezüglichen Artikeln Grehör, Ohr
u. s. w. unterrichten. — Wir gehen nun auf den oben ausgesprochenen Grund-
satz, dass das Wesen der Musik in Gefühlsdarstellung bestehe, zurück. Der
absoluten Geltung dieses Grundsatzes scheinen mehrere Momente zu wider-
sprechen. Zunächst waltet in den intelligenteren Musikfreunden das Verlangen,
in Tonwei-ken ausser einem Gefühlsiuhalt auch einen Gedankeninhalt zu finden,
und diesem Verlangen entspricht auch die Musik. Aber — wie in dem Artikel
»Gedanke« ausgeführt ist — die in der Musik mitenthaltenen Gedanken sind
lediglich solche, die mit den Gefühlen in innigster Verbindung stehen, die
aus den Gefühlen selbst hervorgehen; der Gedanke ist also hier ein
secundäres, abhängiges Element, ein blosses Accidens, und das Gefühl ist
durchaus die Hauptsache. Einen anderen Widerspruch gegen jenen Grundsatz
scheint die »Tonmalerei« zu begründen. Allerdings hat die Musik eine gewisse
schildernde Kraft, vermittelst deren sie auch Sinnlich-Gegenständliches in einer
gewissen Weise malen kann, tind sie macht von dieser Fähigkeit nicht selten
Gebrauch, Zuvörderst aber ist die malerische Schilderung nur eine Neben-
richtung der musikalischen Production; denn diese Tonbilder sind nur an-
deutende, also sehr unvollkommene, so dass sie sogar nicht erkannt werden
können, wenn nicht ein erklärendes Wort des Textes oder der üeberschrift
sich dabei befindet; hingegen Gefühlsdarstellung kann die Musik vollkommen
leisten; diese bleibt also ihre eigentliche Sphäre. Hierzu kommt noch, dass
selbst bei schildernden Musiken eine Gefühlsdarstellung mit enthalten ist, ja,
dass diese sogar die Hauptsache ausmachen muss, — wie dies in den Artikeln
Charakter und Tonmalerei begründet wird. Also auch hier erweist sich
das aufgestellte Prinzip nicht nur nicht als aufgehoben, sondern vielmehr als
bestätigt. — Wir wollen endlich noch die Folgen entwickeln, die sich aus
jenem Grundsatze für die musikalische Production und Reproduction ergeben.
Da Gefühle den Inhalt tonischer Schöpfungen zu bilden haben, so wird jede
Musik, die einen solchen Inhalt überhaupt nicht giebt, oder ihn in zu unbe-
deutendem Maasse repräsentirt, verwerflich sein. Zwar, da der Ton schon an
und für sich Gefühlsausdruck ist, so kann es eine gänzlich gefühllose Musik
nicht geben. Aber, wenn der Componist, statt aus seinem warm und lebhaft
angeregten Gemüthe heraus zu schaffen, mit kaltem, reflektirendem Verstände
seine Toncombinationen ersinnt, so werden diese ein natürliches, wahres
Gefühl nimmer ausdrücken, und die Folge wird sein, dass der Hörer nichts
oder äusserst wenig dabei empfindet. Es gehören zwar zu einer vollkommen
musikalischen Composition mehrfache Eigenschaften: gewandte Handhabung der
compositorischen Technik (der Harmonielehre, des Contrapunkts u, s. w.),
Mannichfaltigkeit der Erfindung, schöne und sinngemässe Anordnung der Theile
(die sogenannte Form) u. a.; aber das erste und unerlässlichste Erforderniss
bleibt ein echter Gefühlsinhalt; wo dieser fehlt, da können andre, an sich noch
so glänzende Vorzüge dem Werk keinen eigentlichen Kunstwerth verleihen.
Dasselbe Prinzip gilt für die reproductive Darstellung. Sänger und Instru-
*) Allerdings wird die Wahrnehmung der Bewegung durch die Luft vermittelt; aber
auch die Luft als solche vernehmen wir nicht, hören wir nicht. Sie ist nur der neutrale
Stoff, der uns die Bewegung zuträgt.
11*
164 Gefüllte Note — Gegensatz.
mentisten werden walirbaft Künstlerisclies nur leisten, wenn sie durch ihren
Vortrag das Gefühl der Hörer anregen, was natürlich nur der Fall sein kann,
wenn ihnen der Vortrag aus eigenem, warmem und regem Gefühle hervorquillt.
Der Besitz der wohlklingendsten und umfangreichsten Stimme, geschickte Ton-
bildung, Ivehlfertigkeit, das Alles sind für den Säuger, welcher der Kunst im
Geist und in der AVahrheit dienen will, nur Mittel zum Zweck; den letzteren
aber sieht er vor Allem in dem Ausdruck des seelischen Momentes. Ebenso
kann die grösste Virtuosität und äussere Eleganz des Spiels den Instrumentisten
nicht zum wahren Künstler erheben, als welchen er sich vielmehr in erster
Linie durch Gefühlsausdruck seines Vortrages bekundet. — Ferner aber hat der
Vortragende nicht nur Gefühl im Allgemeinen zum Ausdruck zu bringen, son-
dern vielmehr die speci eilen Arten des Gefühls, welche der Componist in
seinen Tönen verkörpert hat, er hat das richtige Gefühl darzustellen. Dieses
ist Sache der Auffassung, zu welcher es ausser der geeigneten Gefühlsanlage
auch des Geistes, der Phantasie und gewisser Kenntnisse bedarf. Wir berühren
hiermit ein Kapitel, welches an dieser Stelle nicht mehr erörtert werden kann,
sondern dessen Ausführung in den Artikeln Auffassung und Vortrag ge-
geben ist. William Wolf,
Gefüllte Note (franz.: note noire), so viel als Viertelnote (s. d.).
Gegenbeweguug' (lat.: motus coiitrarius), s. Bewegung.
Gegeufuge (lat.: fuga contraria), genauer ausgedrückt Fuge in der Ge-
genbewegung (lat.: contraria, per motum contrarium) ist eine Fuge, in der
die Nachahmung gleich von vorn herein in der Gegenbewegung stattfindet.
Beispiele dieser Art findet man in J. S. Bach's »Kunst der Fuge«. *
Geg-enliarmouie, auch Gegensatz in der Fuge, s. Kanon und Fuge.
Gegensatz. Der Gegensatz spielt in der Musik, wie in jeder Produktion
schöner Künste eine bedeutende ßolle. Auf dem Gegensatz beruht einer der
wichtigsten Momente der Schönheit. Da nämlich jede Erscheinung an sich
einseitig ist, so fordert das Schönheitsprinzip, dass ihr Gegensatz herbeigezogen
werde, damit sie sich zur Vollständigkeit ergänze. Jedes Werk unsrer grossen
Meister bietet, in seinen grösseren und kleineren Abschnitten, ja in jeder Zeile,
Beispiele von diesem bis in die feinsten Theile des künstlerischen Baues hin-
einwirkenden Prinzipe des Gegensatzes. Auf eine Partie von mildem Ge-
fühlsausdruck folgt eine Abtheilung von kraftvollem Charakter; auf lebendig
Bewegtes folgt ruhig Hiufliessendes ; Heftiges wechselt mit Besänftigtem, Traurig-
keit mit trostvollem Gefühl, Heiterkeit mit Ernst, Einfachheit mit complicirterer
Gestaltung, und so in tausendfacher Weise. Die sogenannten Formen, die
Gesetze der Anordnung für Sonaten, Rondos, Fugen u. s. w., wie sie sich im
Laufe der Musikentwicklung festgestellt haben, weisen vor Allem dieses Prinzip
auf. In Sjanphonien, Sonaten, Quartetten u. A. ist in der Regel der erste
Satz von lebhaftem und kräftigem Charakter, während der zweite, in ruhiger
und sanfter Stimmung gehalten, den Gegensatz bringt; in den einzelnen Sonaten-
sätzen folgt der ersten Abtheilung, welche das Thema in stetiger ordnungsvoller
AYeise entwickelt, der sogenannte Modulationstheil, welcher sich durch sein
chaotisches Gepräge als Gegensatz manifestirt; im Rondo findet etwas Aehn-
liches statt, und so in allen Compositiousformen. Der Gegensatz ist so sehr
der Nerv des musikalischen Lebens, dass er sich schon im rhythmischen Grund-
bau, im Takte, bethätigt: in diesem wechseln gewichtige, betonte Takttheile mit
gewichtloseu, leichten. — Wenn die Differenz zwischen den beiden entgegen-
gesetzten Partien eine sehr grosse ist, so nennt man dieses Verhältniss Con-
trast. Der Contrast ist solchen Componisten, die gern auf den »Effekt« hin-
arbeiten, ein vielbeliebtes und gesuchtes Mittel; denn durch Aneinanderfügung
von Contrastischem wird stets eine überraschende und starke Wirkung erzielt,
zumal auf die weniger feingebildeten Hörer. Andrerseits aber finden wir den
Contrast nicht selten in den Schöpfungen der grüssten Tondichter, denen kein
eitles Effektstreben, sondern der Sinn und künstlerische Geist ihrer Werke am
Gegittertes B — Gehör. 165
Herzen lag. Sie sahen sich zum Contrast oft durch ein Natur- und Schön-
heitsgesetz veranlasst; und zwar durch das Gesetz, welches sich in dem bekann-
ten Sprüchwort ausdrückt: Les extremes se touclient (die Contraste berühren
sich); das ist: wird etwas sehr stark nach einer Seite hin getrieben, so springt
es plötzlich ab und ebenso weit nach der entgegengesetzten Seite über. Dieses
Gesetz ist in Bezug auf die Kunstschönheit nichts Anderes als die unmittel-
bare Folge des obigen Gegensatz-Prinzipes. Da der Gegensatz die Ergänzung
der Einseitigkeit bewirken soll, so muss, je stärker einseitig die erste Erschei-
nung war, um so schroffer der Gegensatz die andere Seite vorkehren. Da
"Weiches durch Starkes ergänzt wird, so wird sehr Weiches durch sehr Starkes
ergänzt: je extremer in der einen Art, desto extremer der Uebersprung in die
andre. Daher findet man in den Meisterwerken von grossartigem Inhalt die
Contraste ziemlich häufig, und um so schärfere Contraste, je gewaltiger der
Inhalt ist. William Wolf.
Gegittertes B (lat. : h cancellattim) ist eine der Bezeichnungen für das {}.
S. Kreuz, Notenschrift, Versetzungszeichen, Vorzeichnung.
Gehäkelte Notenschrift, s. Note, Notenschrift, Neume.
Gehe, Eduard Heinrich, deutscher Dichter von Dramen und Opern,
geboren 1793 zu Dresden, gestorben 1850, ist der Verfasser der trefflich und
geschickt angelegten Textbücher zu » Jessonda«, »Maja und Alpino oder die be-
zauberte Hose« (Leipzig, 1826), »das Schloss Candra« (Dresden, 1834), »Prinz
Lieschencf u. s. w., die zu dem Besten in dieser Gattung gehören.
Gehend, in Bezug auf das Tempo eines Musikstücks, gilt von einer massi-
gen Bewegung; theoretisch bezeichnet dieser Ausdruck die Fortschreitung einer
Stimme von einem Tone zum nächstliegenden anderen.
Gehirne, Franz, begabter deutscher Kirchencomponist, geboren 1752, war
Regens chori und Mitglied des Stifts St. Matthias zu Breslau und starb ohne
vorhergegangene Krankheit am 13. März 1811 zu Breslau. Das ist das Wenige,
was man von den Lebensumständen dieses zu seiner Zeit hochgeachteten Ton-
künstlers erfahren hat. Auch Hoffmann wusste in seinem Werke »die Ton-
künstler Schlesiens« dem nur noch hinzuzufügen, dass G. von den Ober-Orga-
nisten J. G. Hoffmann und Berner, dem Vater, in Breslau musikalisch ausge-
bildet worden sei , und dass aus seinen für die Matthiaskirche geschriebenen
und Manusci'ipt gebliebenen Compositionen Talent und contrapunktisches Ge-
schick hervorleuchte, wenn auch Mancherlei darin mehr dem Zeitgeschmacke
als dem Wesen ächter Kirchenmusik huldige.
Gehör (lat.: auditus) ist die Fähigkeit, mittelst eines zu diesem Zwecke
besonders eingerichteten Sinnesorgans gewisse Bewegungen der Körper wahr-
zunehmen. Das Organ, welches diese Wahrnehmungen vermittelt, ist das Ge-
hörorgan oder das Ohr. lieber die Beschaffenheit und Wirkung der wahrzu-
nehmenden Bewegungen geben die Artikel: Akustik und Schall Aufschluss;
über den Vorgang des Hörens selber lese man unter Hörorgan resp. Ohr
nach. — Die Empfänglichkeit des Gehörs für musikalische Eindrücke heisst:
»musikalisches Gehör«. lieber diesen Begriff ist noch nicht genügende Klar-
heit vorhanden, weil dei'selbe in der Regel bald zu eng, bald zu weit gefasst
wird. — Zu eng fassen ihn viele Physiker und Physiologen, wenn sie unter
musikalischem Gehör nur diejenige Fähigkeit des Gehörorgans verstehen, welche
die Wahrnehmung eines Klanges und seiner besonderen Eigenschaften ver-
mittelt. Zu weit dagegen wird dieser Begriff von vielen Musikern gefasst,
wenn sie ihn mit Musikanlage verwechseln, wenn sie also alle diejenigen Fähig-
keiten und Fertigkeiten des G.'s einschliessen, welche bei Beschäftigung mit
der Musik zu Tage treten können. — Bestimmter definirt man den Begriff
»musikalisches G.« als diejenige Fähigkeit unserer Seele, durch G.organ, Nerven
und Gehirn die Jdeen, Gedanken, Empfindungen und Gefühle Anderer zu ver-
nehmen, sobald dieselben durch Tonverbindungen zur Darstellung gelangen.
Das musikalische G, hat es also nicht mit der Wahrnehmung einzelner G.em-
166 Gehör.
p findungen (s. d.) zu thun, sondern damit, solche Einzelwahrnehmungen zu
einheitlichen Tonbiklern zusammen zu fassen und die in diesen Bildern darge-
stellten seelischen Regungen der Componisten auf unsern eigenen psychischen
Mechanismus zu übertragen. — Ausgeschlossen sind dann zunächst diejenigen
Fertigkeiten, welche mehr auf dem Gedächtuiss und der Erinnerungskraft be-
ruhen, als specifisch musikalisch sind. Hierher geliört z. B. die Fertigkeit, ab-
solute Tonhöhen, Intervalle und Accorde nach blossem Anhören genau be-
stimmen zu können, oder gehörte Ton- und Accordverbindungen längere Zeit
festhalten und aus dem Gedächtniss (nach dem G.) wieder geben zu können.
Diese Fertigkeiten, die man in der Regel als Tonsinn (s. d.) bezeichnet, sind
zwar für einen Musiker von grossem Nutzen; es kann sie aber Jemand in einem
hohen Grade besitzen, ohne eigentlich musikalisch beanlagt zu sein, ohne also
wirklich musikalisches G. zu haben. — Ausgeschlossen ist ferner das sinnliche
Vorstellungsvermögen, die Einbildungskraft (Imagination) oder die Phantasie im
weitesten Sinne, d. h. die Fähigkeit, ohne sinnliche Eindrücke sich die "Wir-
kung von Tonverbindungen u. s. f. vorstellen zu können, (Siehe Einbildung
und Phantasie.) Dem productiven wie dem rcproducirenden Musiker muss
diese Fähigkeit sinnlicher Anschauung in hohem Grade beiwohnen, wenn er
Anspruch auf Genialität machen will ; der blos passiv geniessende Musikfreund
kann auch ohne diese Gabe für die Musik sehr empfänglich sein. Sie gehört
also nicht zu der Fähigkeit, welche man mit dem Ausdrucke »musikalisches G.«
bezeichnet. — Sollen aber in unserer Seele bei Anhörung eines Tonstückes
dieselben Vorgänge in demselben Grade hervorgerufen werden, wie sie in der
Seele des Componisten bei Conception seiner Schöpfung statt hatten, so ist
zunächst erforderlich, dass unser psychischer Mechanismus dieselbe Regsamkeit
und Empfänglichkeit besitze, wie derjenige des Componisten. Diese Empfäng-
lichkeit muss angeboren sein, wenn auch Erziehung und Bildung nicht ohne
Einfluss auf sie ist. Das musikalische Genie muss sie im höchsten Grade be-
sitzen. Zum höchsten Grade dieser Erregbarkeit sind nur sehr wenige be-
gnadigte Naturen befähigt. Von diesem höchsten Grade bis herab zur Unem-
pfindlichkeit gegen derartige Einwirkungen ist ein grosser Zwischenraum, in
welchem noch viele Grade der Empfänglichkeit zu unterscheiden sind. Hier-
aus ergiebt sich von selbst, warum dasselbe Tonstück auf verschiedene Hörer
so verschiedenartig wirken kann. Aber auch auf dieser langen Stufenleiter
sind viel weniger Musiktreibende anzutreflPen, als man gemeinhin annimmt.
Zunächst muss man von allen denen abschen, welche aus irgend welchen Grün-
den eine Empfänglichkeit heucheln, ohne sie zu besitzen. Dann sind alle die-
jenigen auszusondern, bei denen die Empfänglichkeit durch Gründe erregt wird,
die gänzlich ausserhalb der Tonstücke selbst liegen. Solche Gründe sind z. B.
die Freude über den schönen Ton einer Sängerin oder eines Instruments, die
Bewunderung für Virtuosenkünste und stark aufgetragene Effekte, die Lust
am Komischen oder am Entsetzlichen und Graulichen u. s. f. Die Uebrig-
bleibenden würden eine sehr kleine kunstverständige Gemeinde bilden; das
musikalische Gehör in diesem weiteren Sinne würde demnach nur wenigen
für die Musik empfänglichen Personen eigen sein. — Diese zu einem eingehen-
deren Verständnisse der Musik erforderliche Empfänglichkeit sollte man indessen
nicht in den BcgriflP »musikalisches G.« einschliessen, denn dieselbe ist nicht
specifisch musikalisch, sondern vielmehr die allgemeine Vorbedingung für das
künstlerische Verständniss überhaupt. »Musikalisches G.« im engeren Sinne
ist demnach die Fähigkeit, die zu einem Tonstücke verbundenen Töne und
Zusammenklänge so unterscheiden, vergleichen und zusammenfassen zu können,
wie der Componist sie unterschieden, verglichen und zusaramengefasst haben
will. In diesem Sinne ist das »musikalische G.« nach meiner Auffassung, der
freilich noch andere Auffassungen gegenüberstehen, eine allen vollsinnigen
Menschen angeborene, entwickelungsfähige aber auch entwickelungsbedürftige
Anlage. "Will mau erkennen, worin diese Anlage besteht und wie sie sich ent-
Gehör, 167
wickeln lässt, so rnuss man die Thätigkeit des G-.'s bei Auffassung von Ton- und
Accordverbindungen genauer betrachten. Das Gr. hat es hierbei nur mit Klängen
zu thun. Ein Klang (s. d.) ist ein Schall, der durch regelmässige, periodische
Bewegungen hervorgerufen wird, d. h. durch Bewegungen, die nach genau den-
selben Zeitabschnitten in genau derselben Weise wiederkehren. Solche Be-
wegungen heisseu Schwingungen (s. d.). Fast alle Schwingungen, die musi-
kalisch verwerthbare Klänge ei'zeugen, sind aus einfachen Schwingungen zu-
sammengesetzt. An einer zusammengesetzten periodischen Bewegung lässt sich
nur ein Fünffaches unterscheiden, nämlich: 1) wie lange jede Gresammtschwingung
dauert (s. Schwingungsdauer), resp. wie viel Schwingungen auf eine be-
stimmte Zeit kommen (s. Schwingungszahl), 2) wie lange die ganze Be-
wegung anhält (Bewegungsdauer), 3) wie gross der Weg (die Schwingungs-
weite) ist, den der schwingende Körper bei jeder Schwingung durcheilt, 4) aus
welchen Einzelschwingungen sich jede Schwingung zusammensetzt, 5) wie diese
Einzelschwingungen innerhalb jeder Periode gegeneinander zu liegen kommen.
— Zur Auffiissung des letztern (der sogenannten Phasenunterschiede, s. d.)
besitzt das Ohr nach eingehenden Untersuchungen*) keine Fähigkeit. Dem-
nach vermag das Gehör bei einer Klaugwahrnehmuug nur ein Vierfaches zu
unterscheiden. Jeder Klang hat also nur vier verschiedene Eigenschaften, durch
die er von andern Klängen unterschieden, mit ihnen verglichen und zusammen-
gefasst werden kann. Dieses sind: 1) Höhe oder Tiefe (Tonhöhe), abhängig
von der Schwingungszahl resp. der Schwingungsdauer, 2) Länge oder Kürze
(Tondauer), abhängig von der Bewegungsdauer, 3) Stärke oder Schwäche (Ton-
stärke), abhängig von der Schwingungsweite, 4) Klangfarbe (s. d.), abhängig
von Zahl, Art und Stärke der Einzelschwingungen, aus denen jede einzelne
Schwingung besteht. — Nach diesen vier Eigenschaften hat das »musikalische
Gr.« die einzelnen Bestandtheile eines Tonstückes zu unterscheiden, zu ver-
gleichen und zusammenzufassen. — Die absolute wie die verhältuissmässige
Tonstärke der einzelnen Klänge, so weit dieselbe nicht als bloses Mittel zur
Abgrenzung von Tondauermaassen (s. Metrum) benutzt wird, hängt so innig
mit dem Inhalte eines Tonstückes zusammen, dass nur ein wirklich künstleri-
sches Verständniss die Intentionen des Componisten zu erkennen vermag, um
so mehr, als dieses Moment von den Componisten nur annäherungsweise und
ganz im Allgemeinen angegeben werden kann (s. Dynamik). Aehnlich ver-
hält es sich in Rücksicht auf die Eigenschaft der Klangfarbe (s. Ausdruck
und Vortrag). Die Grabe der Auffassung nach diesen Seiten hin gehört also
mehr zu dem auf S. 166 besprochenen Theile unserer Musikanlage, als zum
musikalischen Gr. im engeren Sinne. Dass eine Ausbildung des G.'s zur Auf-
fassung und Unterscheidung feinerer Nuancen in dieser Beziehung möglich,
natürlich und nothwendig ist, bedarf gar keines Nachweises; eben so selbst-
verständlich ist, dass diese Ausbildung nur durch aufmerksames Beobachten
beim Anhören künstlerisch ausgeführter Musik zu erlangen ist. — Die Fähig-
keit, in Beziehung auf absolute und relative Tondauer die Intentionen des
Componisten zu erkennen, bezeichnet man in der Hegel mit dem Ausdrucke
rhythmisches Grefühl oder Taktsinn (s. d.). Auch diese Fähigkeit rechnet
man also nicht zu dem »musikalischen Gr.« im engsten Sinne. Der Ausdruck
»mvisikalisches Gr.« wäre in diesem engsten Sinne also zu definiren als die
Fähigkeit, die einzelnen Bestandtheile eines Tonstückes rücksichtlich ihrer Ton-
höhe nach den Intentionen des Componisten unterscheiden, vergleichen und
zusammenfassen zu können. — Dass das Vermögen zur Unterscheidung von
hoch und tief, von höher und tiefer, einer Ausbildung f;lhig und bedürftig ist,
könnte leicht nachgewiesen werden; indessen ist diese Seite des »musikalischen
Gr.'s« im engsten Sinne doch von zu untergeordneter Bedeutung für die musi-
kalische Auffassung. Wichtiger ist das Vermögen zur Vergleichung und zur
*) Helmholtz, „Die Lehre von den Tonempfindungen", S. 190 ff.
168 Gehör.
Zusammenfassung der einzelnen Tonhöhen zu einheitlichen Tonbildern. Es
handelt sich hierbei nicht um das bewusste Erkennen, dass die verglichenen
Töne dies oder jenes Intervall, diesen oder jenen Accord bilden, sondern nur
um das Erkennen einer Aehnlichkeit in der Tonhöhe und um die Empfindung
für den Grad dieser Aehnlichkeit, die man Tonhöhenverwandtschaft zu nennen
pflegt. Zu dieser Vergleichung und Zusammenfassung bedarf das Ohr be-
stimmter Maasse, an denen es die Tonverwandtschaft messen kann. Diese Maasse
sind nach meiner Auffassung, deren Begründung man in meinen andern Ar-
tikeln nachlesen mag: 1) die drei Grundintervalle (reine Octave, reine Quinte
und grosse Terz), zu deren Auffassung die Anlage angeboren ist, wie die An-
lage zur Auffassung einfacher Verhältnisse überhaupt; 2) der Ganz- und Halb-
ton, zu deren Auffassung das Ohr erst durch häufiges Anhören dieser Schritte
entwickelt und ausgebildet werden muss. Hieraus ergeben sich zwei Arten
von Tonhöhen verwand tschaft (s. d.): a) die harmonische, b) die Ver-
wandtschaft durch Nachbarschaft in der Tonhöhe. Das Ohr erkennt beide
Arten durch Abmessen der betreffenden Intervalle. Das musikalische G. im
engsten Sinne reducirt sich demnach darauf, die vermittelnden Intervalle (reine
Octave, reine Quinte, grosse Terz, Ganz- und Halbton) in allen möglichen
Verbindungen und Zusammensetzungen genau und schnell abmessen zu können.
Aus den Artikeln Consonanz und Dissonanz, Fortschreitung u. s. w,
ergiebt sich, dass die Zahl der möglichen Verbindungen jener Intervalle eine
ganz unbegrenzte ist, und dass diese möglichen Intervallcombinationen bald
sehr einfach, bald sehr zusammengesetzt sein können. An derselben Stelle
findet man ferner, dass die Verwandtschaft durch Nachbarscliaft in der Ton-
höhe für sich nur erkannt wird von solchen Hörern, die sich schon viel mit
Musik beschäftigt haben, weil erst die Gewöhnung des G.'s an die Ganz- und
Halbtonschritte zu dem Besitze der erfordex'lichen Maasse führt. Da nun nach
meiner Auffassung nur die Anlage zur Auffassung der drei Grundintervalle
den Menschen, und zwar allen vollsinnigen Menschen, angeboren wird, so muss
zur Auffassung solcher Tonhöhenverwandtschaften, in denen das Ohr compli-
cirtere Intervallverbindungen abzumessen hat, erst gebildet werden. Dass diese
Ausbildungsfähigkeit wirklich vorhanden und nothwendig ist, ergiebt sich hier-
aus von selbst. Beachtet man das, was unter Fortschreitung mitgetheilt wurde,
so wii'd klar werden, warum ein Ohr, welches die Verwandtschaft zwischen den
Tönen im Beispiele a zu erkennen vermag, noch nicht befähigt zu sein braucht,
das Beispiel b richtig aufzufassen.
a. („Freiheit, die ich meine", Karl Gross). b. („0 du, mein holder Abendstern",
-rijz
nt:
^^^^^^m^^i^mm^^
R. Wagner).
Diese Ausbildungsfähigkeit ist eine ganz unbegrenzte, weil, wie aus meinen
früheren Artikeln zu ersehen ist, die Zahl der möglichÄi Intervallverbindungen
und deren Verschiedenheit eine ganz unbegrenzte ist. — Unser musikalisches
G. im engeren Sinne lässt sich nun nach zwei verschiedenen Seiten entwickeln.
Zunächst kann es geübt werden, die vermittelnden Intervalle immer genauer
abmessen zu lernen. Von einem Geiger oder Sänger, der dies im hohen Maasse
versteht, sagt man, er habe eine gute oder reine Intonation. Wer Fehler in
der Intonation leicht erkennt, dem spricht man ein »gutes« oder »feines« G. zu.
Ein solches ist für einen Musiker von grosser Wichtigkeit, da die reine In-
tonation ein nicht zu unterschätzendes Moment der Schönheit in der Musik
ist. Theils durch besondere Uebungen, theils durch häufiges Anhören rein
Gehörbildung — Gebot. 169
ausgeführter Musik, kann dasselbe zu einer grossen Schärfe entwickelt werden.
Für die eigentliche musikalische Aufifassung ist diese Fähigkeit aber von nur
untergeordneter Bedeutung; zu einem feinen Gr. gelangen auch oft ganz un-
musikalische Personen, so z. B. Akustiker, Mechaniker und Instrumentenstimmer,
die Veranlassung zu häufiger Uebung in dieser Beziehung haben. Zum grossen
G-lücke für unsere jetzige Musikentwickelung ist das Gr. der meisten Musiker
nicht so fein, dass es allzu grossen Anstoss an den unreinen Intervallen unserer
temperirten Stimmung nähme. — Das musikalische Gr. lässt sich aber ferner
auch dahin entwickeln, dass es immer zusammengesetztere Verbindungen der
Grundintervalle und immer ferner liegende Anwendungen der Verwandtschaft
durch Nachbarschaft in der Tonhöhe in ihre Einzelbestandtheile auflösen lernt,
die Tonhöhenverwandtschaft also auch in schwierigen Fällen leicht und schnell
erkennt. "Wer diese Fähigkeit in hervorragendem Grade besitzt, der hat nach
meiner Bezeichnung ein »gebildetes« musikalisches G. Die Ausbildung dieser
Anlage sollte Gegenstand eines bis jetzt leider vernachlässigten Theiles des
praktischen Musikunterrichts sein, nämlich der »Gehörbildungslehre«. Einigen
Ersatz verschafft man sich in dieser Beziehung dadurch, dass man sich ein-
gehend mit der Musik aller Zeiten und Style beschäftigt. — Aus der That-
sache, dass die Verbindungen der drei Grundintervalle unbegrenzt mannigfaltig
sind, und dass diese Mannigfaltigkeit durch Zuziehung der Nachbarschaft in
der Tonhöhe noch unendlich vermehrt wird, ergiebt sich folgende beherzigens-
werthe Consequenz: »Tonverbindungen, deren Auffassung eine grössere Ge-
wandtheit des Gehörs in Zerlegung von Intervallverbindungen erfordert, als
man sich augenblicklich erworben hat, klingen zusammenhangslos und darum
unangenehm. Dazu kommt, dass das Ohr sich in gewisse Wendungen so ein-
gewöhnt, dass ihm andere unangenehm und störend werden. Der Grad der
Bildung unseres musikalischen G.'s wirkt also auf unsern Geschmack bedingend
ein, und zwar in allererster Linie. Die Möglichkeit einer solchen Entwickelung
gebietet daher Jedem, in seinen Urtheilen sehr vorsichtig zu sein. Man meide
deshalb die unter Musikern wie unter Dilettanten sehr verbreitete Unsitte,
über die Compositionen eines Meisters ohne längere Prüfung ein absprechendes
TJrtheil zu fällen, sobald seine Musik »»nicht zu klingen«« scheint. Die ab-
sprechenden TJrtheile über bahnbrechende Tonschöpfungen, und namentlich über
die Leistungen neuerer Componisten, beruhen grösstentheils nicht auf einem
Verletzen musikalischer Gesetze von Seiten der Componisten, sondern auf der
eigenen unzui'eichenden , weil einseitigen musikalischen Bildung der Urtheilen-
den«. (Vgl. des Verf. »Elementarbuch der Harmonie und Modulationslehre«
S. 23). Otto Tiersch.
Gehörbildung-. Alle Sinnesorgane lassen sich durch Uebung und Gewöh-
nung entwickeln und verschärfen, also für bestimmte Wahrnehmungen bilden.
Dasselbe ist mit dem Gehörorgane der Fall. Von G. spricht man indessen
nur in musikalischer Beziehung und versteht darunter die Entwickelung der-
jenigen Anlage, welche musikalische Eindrücke zu vermitteln hat. Näheres
sehe man in dem Art. »Gehör« nach. 0. T.
Gehörempflndung ist die durch gewisse Bewegungen der Körper hervor-
gerufene Reizung der Gehörnerven. Die Wahrnehmung einer solchen Empfin-
dung heisst ein Schall (s. d. und Akustik). 0. T.
Gehörquinten, s. Ohrenquinten.
Geliörquinten, s. Fortschreitung (der Intervalle).
Gehet, John, belgischer Violinvirtuose, Instrumentalcomponist und didak-
tisch-musikalischer Schriftsteller, um 1756 geboren, besuchte auf Concertreisen
England, Deutschland und Frankreich, lebte aber zumeist in London. Seine
verschiedeuzeitig in Sammlungen zu Paris, Berlin und London erschienenen
Quartette, Trios und Duos für Streichinstrumente waren sehr beliebt. Ausser-
dem hat er eine Violinschule, betitelt r>Ärt of hoiving the Violin«, eine Instru-
mentationsmethode: r>The complete instructor for every instrumenU (London,
170 Gehra — Geibel.
1790) und ein Lehrbuch: »A treatise on the theory and practice of musia
(London, 1784) veröffentlicht.
Gehra, Johann Heinrich, deutscher Orgelspieler und Kirchencomponist,
geboren um 1715 zu Langenwiese bei Ilmenau, war gräfl. reuss'scher Kammer-
musiker und Organist an der Hauptkirche zu Gera und stai'b am 26. Septbr.
1785. Seine damals sehr gerühmten Kirchencantaten und übrigen Arbeiten
sind Manuscript geblieben. — Sein Sohn und Schüler, Johann Gottlieb G.,
geboren um 1745 zu Gera, erwarb sich auf Kunstreiseu 1770 durch Deutsch-
land und Prankreich einen glänzenden Ruf als Harfen- und Ciaviervirtuose.
Seit 1772 lebte er in Lyon als Musiklchrer und Inhaber einer Musikhandlung
und Notenstecherei, starb aber daselbst schon um 1778. In Frankreich sollen
Plötenconcerte und kleinere Harfen- und Ciavierstücke seiner Composition er-
schienen sein.
Gehring-, Franz, liervorragender deutscher Musikfeuilletonist, verfasste,
in Bonn lebend, seit Bischofs Tode die Theater- und Concertberichte, sowie
die musikliterarischen Besprechungen für die Kölnische Zeitung, bis er 1871
nach Wien übersiedelte und in gleicher Thätiglceit für dortige Blätter seinen
Ruf als tüchtiger Kritiker befestigt und vergr()ssert hat.
Geliring', Johann Michael, einer der grössten Hornvirtuosen des 18.
Jahrhunderts, geboren am 14. Aug. 1755 zu Dürrfeld im Würzburg'schen, be-
suchte von 1763 an die Klosterschule zu Ebrach, wo er u. A. im Gesang und
Violinspiel unterrichtet und ziemlich weit gebracht wurde. Als er in Würz-
burg Theologie studirtc, lernte er Abt Vogler kennen, in dessen Umgange er
sich der Tonkunst so entschieden zuwandte, dass er, um seinem Fachstudium
entsagen zu dürfen, zu seinem Vater, einem Jägermeister, zurückkehrte und
mit demselben das Waidwei'k betrieb. Daneben übte er das Hornblasen mit
einem Erfolge, dass seine Technik den Grad gewöhnlicher Kunstfertigkeit bald
hoch überragte. Der Graf Bender in Dresden, welcher ihn nach dem Tode
seines Vaters als Jäger in den Dienst nahm, liess ihn deshalb durch Hummel
musikalisch weiter ausbilden und nahm ihn um die Zeit des bairischen Erb-
folgekriegs mit nach Wien, wo G. als Virtuose in den Kreisen der Aristokratie
ein solches Aufsehen erregte, dass ihn der Erzherzog Maximilian als ersten
Hornisten des Orchesters der italienischen Oper anstellen liess. Im J. 1781
vertauschte G. diese Stelle mit einer eben solchen in der Privatkapello des
Fürsten Graschalkowitz, machte mit Tyrei 1785 eine sehr erfolgreiche Kunst-
reise durch Deutschland und die Schweiz und wurde nach seiner Rückkehr,
1787, vom Fürsten zum Kammermusiker und ersten Kammersänger ernannt.
Er starb zu Anfang des 19. Jahrhunderts zu Wien.
Gehriug, Johann Wilhelm, ausgezeichneter deutscher Fagottvirtuose
und guter Musiker, war seit 1753, als Amtsnachfolger Gebel's, fürstl. schwarz-
burg'scher Kapellmeister und starb als solcher 1787 zu Rudolstadt. Auch als
Componist war er vorthcilhaft bekannt; seine Compositionen sind jedoch Ma-
nuscript geblieben. — Sein Sohn, Ludwig G., geboren um 1762 zu Rudol-
stadt, kam 1780 mit dem Rufe eines vorzüglichen Flötisten in das Hoforchester
zu Wien und erlangte die besondere Gunst des Kaisers Joseph IL, der ihn
auf seine Kosten zu Kunstreisen nach Franki-eich und Italien schickte, wo G.
Beifall und Bewunderung fand. G. starb 1821 zu Wien als pensionirter kaiserl.
Kammermusiker.
Gehse, s. Walker.
Geibel, Friedrich, ein vorzüglicher deutscher Orgelbauer, der trotz allzu
kurz bemessener Lebenszeit sehr verdienstvoll in seinem Fache in Dessau ge-
wirkt hat. Geboren 1803 zu Wetzlar, starb er schon am ö.Decbr. 1840 zu Dessau.
Geibel, Konrad, trefflicher deutscher Orgelspieler und Pianist, geboren
1813 zu Lübeck, war ein Bruder des berühmten lyrischen Dichters, Emanuel
Geibel, mit dem zusammen er in seiner Vaterstadt eine tüchtige Schulbildung
erhielt. Er folgte schliesslich seinem Drange zur Tonkunst, für welchen Zweck
Geier — Geigenwerk. 171
er sich praktisch und theoretisch auf's Beste unterweisen liess. Selbstständig
geworden, trat er mit Liedern, Kirchengesängen, Ciavier- und Orgelstücken
hervor und übernahm die Organistenstelle an der reformirten Kirche zu Lübeck,
die er bis zu seinem Tode, am 24. April 1872, inne hatte.
Geier, Martin, deutscher Musiker, geboren 1614 zu Leipzig, gestorben
1680 zu Freiberg, war ein Schüler von Heinrich Schütz in Dresden und hat
über diesen seinen Lehrer interessante Aufschlüsse und Mittheilungen ge-
geben.
Geige ist der Geschlechtsname aller derjenigen Saiteninstrumente, bei wel-
chen der Spieler die Saiten als Klangerreger durch Anstreichen mit einem
Bogen in Schwingungen versetzt, während er den gewünschten Tonhöhen ent-
sprechende Theile von der Saite durch Aufsetzen der Finger abgrenzt. Die
Benennung G-. ist romanischen Ursprungs, von gigue (franz.) oder guigua (ital.),
d. i. Schenkel abgeleitet und nicht vor 1200 im Mittelhochdeutschen an die
Stelle des deutschen Namens Fiedel (s. d.) getreten. Die gegenwärtig allein
noch bekannten von den in Art und Grösse sehr verschiedenen Geigen
sind: 1) die Discantgeige oder Violine (ital.: Violino, franz.: Violon);
2) die Altgeige, Bratsche oder Armgeige (ital.: Viola alta oder Viola da
braccia, franz.: Viele); 3) die Tenor- oder kleine Bassgeige (itah: Violon-
cello); 4) die grosse Bassgeige, Contrabassgeige, Contrabass oder
Contraviolon (ital.: Violone, franz.: Basse de Violon); 5) die älteren, gegen-
wärtig ausser Gebrauch gekommenen Arten: a) der Liebesgeige (ital.: Viola
d^amore, franz.: Viole d'amour); b) der Kniegeige (ital.: Viola da gamba),
des Vorläufers unseres Violoncellos; c) einige andere Arten der Viola, als:
Viola bastarda (veraltete Gattung der Viola da gamba), ferner Viola di
bordone (Baryten), dann Viola pomposa, endlich Viola da spalla (Schultergeige) ;
6) die Tromba marina oder der Trumbscheit und noch mehrere andere.
Alle die zuletzt genannten Geigenarten sind, ihrer grösseren oder geringeren
UnVollkommenheiten wegen und weil sie der modernen Technik nicht Genüge
zu leisten vermochten, von den vier ersten völlig verdrängt, welcher Verlust,
ausgenommen höchstens die Viola d^amore, kaum zu beklagen ist. — Allen
Geigengattungen gemeinsame Theile sind folgende: die Saiten mit dem Sai-
tenhalter, Hals, Griffbrett und "Wirbelkasten; der Resonanzkörper
(Decke, Boden und Zargen); der Steg, die Stimme und der Balken;
der Bogen. Alle diese Gattungen sowohl, wie Instrumenttheile finden in den
betreffenden Einzelartikeln Erledigung; über Bau, Technik, Umfang, Charakte-
ristik u. s. w. unserer modernen Geigen insbesondere sehe man die Artikel
Violine, Viola, Violoncello und Contrabass.
Geigenbogen, s. Bogen.
Geigenclavieymbel, s. Bogenclavier.
Geigenclavier, dasselbe was Bogenclavier (s. d.).
Gelgenharz, s. Colophonium.
Geigeninstrument, s. Geige und Streichinstrument.
Geigenprincipal, nennt man ein selten vorkommendes, durch seinen schnei-
denden geigenartigen Klang sehr angenehmes 1,25- auch 2,5 metrig aus Zinn
gefertigtes Orgelregister. Dasselbe, eine Flötenstimme (s. d.) ist enger men-
surirt als das gewöhnliche Principal, hält im Klange ungefähr die Mitte zwi-
schen diesem und der Gambe (s. d.) , und wird meist im Manual gesetzt ge-
funden. In der "Waltershausener Orgel steht ein G. ^,5 metrig im Prospekt
des Oberwerks. 0.
Geigenregal ist ein Regal (s. d.) der Orgel, das, ein Rohrwerk (s. d.),
in neuerer Zeit fast gar nicht mehr gebaut wird. Mehr berichtet "W. "Wolf-
ram in seinem Werke über die Orgel (Gotha, 1815), Seite 181. Für diese
Orgelstimme findet man auch die Namen Jungfernregal und Singend-
regal in Gebrauch. 0.
Geigen werk, nürnberg'sclies, s. Gambenwerk.
172 Geiger — Geissler.
Geiger, Joseph, Pianist und Componist, geboren 1814 im Niederöstreich'-
schen, lebte als vom Kaiserhofe wie vom Publikum geschätzter Musiklehrer zu
Wien und veröffcntliclite Clavicr- und Kirchencompositionen. Eine Oper von
ihm, »Wlasta« gelangte 1840 daselbst zur Aufführung, verschwand aber alsbald
wictlcr, ohne Erfolg gehabt zu haben. Gr. selbst starb am 30. Decbr. 1861 zu
Wien. — Seine Tochter, Constanze Ct., 1836 zu Wien geboren, erhielt sehr
früh von ihrem Vater Clavieruntei'richt und erregte als sogenanntes musikalisches
Wunderkind seit ihrem sechsten Jahre in Wien und auf mehreren Concert-
reisen Aufsehen. In nicht geringerem Grade machten sich auch ihre Com-
positionsanlagen bald geltend und im Laufe der Zeit sind von ihr Ciavierstücke,
sowie Gresänge und Lieder geistlichen und weltlichen Lihalts im Druck er-
schienen. Sie lebt gegenwärtig als Pianistin und Musiklehrerin zu Wien.
Geiger oder Jäger, Konrad, einer der berühmtesten deutschen Meister-
singer des 13. Jahrhunderts, der in einem alten Meistergesang und in andern
älteren Schriften als der zehnte von den zwölf ältesten Meistern aufgeführt
wird. Diese Quellen nennen ihn auch einen Musikanten und als seinen Ge-
burtsort Würzburg. Alle näheren Mittheilungen fehlen.
Geigerköuig, s. König der Geiger.
Geijer, Erik Gustaf, vorzüglicher schwedischer Tonkünstler, Dichter
und Geschichtsforscher, geboren 1783 zu Ransätter in der Provinz Wermeland,
war Professor der Geschichte an der Universität zu TJpsala und starb daselbst
im J. 1847. Gesänge und Ciavierstücke seiner Composition sind im Druck
erschienen und auch weiter vortheilhaft bekannt geworden. Sein Hauptwerk
ist jedoch eine mehrbändige Sammlung alter schwedischer Nationallieder, die
Frucht bedeutenden Fleisses, welche er in Verbindung mit A. A. Afzelius
unter dem Titel »Svenska follcvisora (3 Bde., Stockholm, 1814 — 1816) herausgab.
Geissler, Johann Gottlieb, deutscher Tonkünstler, geboren 1776 und
gestorben 1827 als Musiklehrer zu Zittau. Er ist der Verfasser einer »Be-
schreibung und Geschichte der neuesten und vorzüglichsten Insti'umente
und Kunstwerke für Liebhaber und Künstler«, welches Buch 1811 in zweiter
Auflage erschien.
Geissler, Karl, tüchtiger deutscher Componist und Musikpädagog, ge-
boren am 28. April 1802 zu Mulda bei Frauenstein in Sachsen, vei'dankte
seine wissenschaftliche und musikalische Bildung seinem Vater, dem dortigen
Organisten und Cantor K. B. Geissler, dem er auch schon mit neun Jahren
den Orgeldienst zum Theil abnehmen konnte. Zwölf Jahre alt, wurde G. auf
das treffliche Gymnasium zu Freiberg gebracht, wo ihn zugleich der damalige
Domorganist im Ciavier- und Orgelspiel, sowie der Cantor und Musikdirektor
Fischer in der Harmonie- und Compositionslehre weiter unterrichteten. Als
er 18 Jahre alt war, wurde er Präfect des Freiberger Stadtsingechors und
fand sich dadurch zu eigenen Compositionen sehr angeregt, wie er denn gleich-
zeitig sich in der Direktion und in der Partiturenkenntniss üben und vervollkomm-
nen konnte. Als Pianist trat er zu gleicher Zeit in den Gewandhausconcerten
zu Freiberg wiederholt auf und versah endlich mehrere Jahre lang auch den
Orgeldienst in der St. Petrikirche. Im J. 1822 wurde er bereits als Organist
und dritter Lehrer an die Stadtschule nach Zschopau berufen, rückte später
zum zweiten Lehrer auf und übernahm damit zugleich die Leitung der Kirchen-
aufführungcii und Concerte der Stadt. In dieselben, nur einträglicheren Stellen
wurde er 1854 nach Bad Elster gezogen und starb auch daselbst im J. 1869.
— Seine Compositionen bestehen in zahlreichen instruktiven Ciavierstücken,
vielen Präludien, Fantasien, Fugen für Orgel, kleinen Kirchengcsangsachen,
mehrstimmigen Gesängen u. s. w.. Alles gediegen und von Werth. Ausserdem
redigirte er ein »Museum für Orgelspieler«, das »Repertorium für üeuschlands
Kirchenmusiken« und den »jungen Pianofortespieler«, Sammlungen, die viele
Tonstücke von ihm mitenthalten. Endlich hat er auch ein Choralbuch mit
340 Melodien herausgegeben.
Geist. 173
Geistj greistreich; geistvoll. Von jeder Leistung im Grebiet schöner Künste
wird Geist verlangt, von musikalischen Productionen nicht minder als von
denen der Poesie, der Malerei und anderer höherer Künste. Mit dieser Forde-
rung kann zweierlei gemeint sein, je nachdem das Wort »Geist« in einer wei-
teren oder einer engeren Bedeutung gefasst wird. Nimmt man es im allge-
meinsten Sinne — als Inbegriff aller geistigen Kräfte und Eigenschaften, als
Gegensatz zum »Materiellen, Sinnlichen, Körperlichen« — so ergibt sich die
Nothwendigkeit obiger Forderung bereits aus dem Urwesen der Künste. Denn
alle" Künste sind Darstellungen eines geistigen Inhalts in sinnlicher Form:
die Poesie drückt durch "Worte Gedanken, die Musik durch Töne Gefühle, die
Malerei durch sichtbare Gebilde Handlungen, Situationen, Stimmungen aus,
u. s. f. Obiger Grundsatz verlaugt also vom Künstler, dass er des eigent-
lichen und wahren Wesens der Kunst eingedenk sein, und die sinnliche Seite
derselben stets als Mittel zum Au.sdruck eines Geistigen, niemals aber als
Zweck ansehe und behandle. Für den Componisten fliesst hieraus das Princip,
dass er es nie bei blossen leeren Toncombinationen, die nichts ausdrücken,
bewenden lassen dürfe; füi- den vortragenden Musiker: dass äussere Richtigkeit
und selbst äussere Schönheit (Wohlklang) seiner Leistung noch keinen Kunst-
werth verleihen, sondern erst die Darstellung des geistigen Gehaltes der Com-
position, der »Vortrag«; ferner, dass technische Geschicklichkeit, Virtuosität an
sich auf künstlerische Bedeutung keinen Anspruch machen kann, sondern nur
als das Handwerk der Kunst zu betrachten ist, das ihrem geistigen Wesen
dienstbar werden soll. Es sind dies jene Principien, deren speciellere Aus-
führung bereits in den Artikeln »Charakter« und »Gefühl« gegeben ist, daher
füglich hier übergangen werden kann. — Nimmt man hingegen »Geist« im
engeren Sinne, speciell als denkenden Geist — im Gegensatz zum Gefühl — ,
so würde obiger Satz bedeuten: dass in jeder Kunstproduction ein Gehalt an
»Gedanken« vorhanden sein solle. Auch diese Forderung hat, wie für die Kunst
überhaupt, so für die Musik ihre Giltigkeit, selbst für die reine, wortlose In-
strumentalmusik. Die Erörterung dieses Grundsatzes kann jedoch hier eben-
falls unterbleiben, da dieselbe in dem Artikel »Gedanke« ihre Stelle gefunden
hat. — Nun wird aber das Wort »Geist« noch in einer dritten Bedeutung ge-
braucht, in welcher es eine bestimmte Art des Geistes, oder eine bestimmte
Anwendung geistiger Fähigkeiten bezeichnet, und mit demjenigen Begriff
übereinkommt, der sich in dem französischen y>esprit<i und dem deutschen »geist-
reich« ausspricht. Das »Geistreiche« gehört zunächst der Poesie an, als der-
jenigen Kunst, die es überhaupt mit dem speciell Geistigen, mit dem Gedanken
und seinem Ausdruck zu thun hat. Hier bekundet sich der ytesprita. in erfin-
dungsreichen, phantasievollen, interessanten, überraschenden Wendungen sowohl
des Gedankens als des Ausdrucks. Ein speciell geistreicher Schriftsteller, wie
z. B. Heine, wählt zur Darstellung seiner Gedanken nie die nahe liegenden, die
sich durch die Sache selbst anbietenden Ausdrücke, auch keineswegs immer
solche Bilder und Metaphern, die durch ihre Schönheit wirken, und die man
als »poetische« preisen würde, sondern zumeist solche, die überraschen, die durch
Seltsamkeit, durch Offenbarung einer originellen Denkart, durch bunte Unter-
einanderwürfelung verschiedenartiger, meist contrastischer Begriffe, einen leb-
haften, blendenden Effekt machen; ebenso geben seine Gedanken selbst nicht
diejenigen Bemerkungen über die Dinge, die durch einfach - folgerichtige Be-
trachtung gewonnen werden, auch meistens nicht jene »tiefen« Wahrheiten und
Ideen, welche der eigentliche Denkergeist, der geistvolle Dichter aus dem
Schachte der Gedankenwelt ans Licht führt, — sondern er weiss mit ausneh-
mender Geschicklichkeit und Erfindungskraft an den Dingen solche Eigenschaften
und Beziehungen zu entdecken, die durch ihre Sonderbarkeit eine pikante
Wirkung machen, die uns neu, eigenthümlich erscheinen, uns die Originalität
des Autors bewundern lassen, oft auch uns zum Lachen bringen, oder, durch
contrastische Zusammenfügung des Traurigen und Lustigen, ein trübes Lächeln
174 üeist — Geistreich.
erregen — in welchem letzteren Falle der Dichter sich in dem speciellen Ge-
biete des »Humors« bewegt. — Man sieht, das Geistreiche manifestirt sich im
Allgemeinen, bei reicher und lebendiger Erfindungskraft, durch ein freies, will-
kiu-liches, launenhaftes und launiges Schalten des Geistes; es ist ein springendes
Verfahren mehr als ein entwickelndes, mehr auf Yielgestaltigkeit und phan-
tastische Combination, als auf plastische Ausbildung hinzielend, mehr lebendig
als tief, mehr durch einzelne Momente, dm-ch Einfälle blitzartig wirkend, als
grosse Formen nach dem Prinzip der Consequenz aufbauend, — Dies Ver-
fahren kann sich nun in genau derselben Weise auch in der Musik, selbst in
der absoluten Instrumentalmusik, kundgeben: wie dort auf dem Boden des Ge-
dankens und des begrifflichen Ausdrucks, so hier in der Sphäre des Gefühls
und der Tonformationen. Der »geistreiche« Componist liebt es, Themata und
Motive zu erfinden, die durch Seltsamkeit der Gestalt oder des ihnen inne-
wohnenden Gefühles iuteressiren und verwundern machen. Statt sein Thema
in einer consequenten, gleichsam logischen Weise zu entwickeln, gestaltet er es
zu gänzlich unerwarteten Formen um, oder verlässt es auch plötzlich ganz und
gar, um es nach längerer Zeit ebenso so plötzlich wiederzubringen; statt des
üiessenden Uebergehens von einer Gestaltung zur andern in allmälig steigern-
der Weise herrscht das Abgebrochene, das Hinüberwerfen zu Fei-nliegendem,
und das vielfältige und vielfarbige Durcheinandermengen der Gedanken. Die-
selbe Behandlung erfahren die Motive: ein Motiv wird verlassen, ehe man es
vermutliet, taucht wieder auf mitten unter fremden Gestalten, oder, trotzdem
sich viele Motive zur Verarbeitung anbieten, wird doch kein einziges benutzt,
sondern man schweift von Figur zu Figur in ewigem, kaleidoskopischem Wechsel
u. s. f. Den Gefühlsinhalt selbst anlangend, so werden z. B. solche Gefühls-
nüancen aneinandergereiht, welche als nicht innerlich zusammengehörig erschei-
nen, oder gar ineinaudergeschmolzen, was sich wesentlich fremd und gegen-
seitig abstossend ist, wie Ernstes und Spielendes u. s. w. Während in tief und
gedankenvoll angelegten Compositionen die aufgerollte E-eihe der Stimmungs-
phasen gleichsam als Stamm, Zweige, Blätter, Blüthen, die aus dem Samenkorn
des Hauptgedankens hervorwachsen, erscheint, mit einem Wort als ein orga-
nisches Gebilde, so ist ein Tonwerk dieser Art ein Blumenstrauss oder Kranz
von einzelnen Gefühlsmomenten, welche, nach Inhalt und Form, von vorzugs-
weise frappirender Wirkung sind. — Der Vertreter des Specifisch- Geist-
reichen unter den Componisten der letztvergangenen Periode, und überhaupt
der Schöpfer dieser Schreibart, ist Chopin. Bei ihm wird man alle die ange-
führten Merkmale und die mit ihnen verwandten antreffen. Seine Werke
i'epräsentu-en jene Principien in ihrer höchsten Ausbildung, und zugleich in
der einseitigsten Bevorzugung und Zuspitzung; daher finden sich in ihnen alle
Schönheiten dieses Styls, aber auch alle Fehler und Extravaganzen, zu denen
derselbe verleiten kann. (Weitex*es über diesen Punkt sehe man im Art. Styl.)
— In der Vocalmusik und Programmmusik, woselbst sich ein dichterisches
Element mit dem musikalischen vereinigt, kann sich selbstverständlich das Geist-
reiche auf beiden Seiten bekunden: auf der musikalischen Seite durch Erfin-
dung und Formung nach der oben beschriebenen Weise, auf der dichterischen
durch geistreiche Auslegung des Textes oder der Programmbestimmungen. Da
das Geistreiche doch im Wesentlichen ein Spiel des Geistes ist, und sich da-
her am natüilichsten mit dem Heiteren, Witzigen, Komischen und Humoristischen
verbindet, so findet es einen besonders geeigneten Boden an der komischen
Oper. Hier tritt es am stärksten ausgebildet bei den französischen Componisten
(z. B. Auber) hervor, welche, mit ihrem nationalen y>espriU l^egabt, diesen eben-
sowohl durch witzreiche Auffassung der Textvorlagen als durch pikante rhyth-
mische und melodische Erfindung offenbaren. William Wolf.
Geistliche Musik, 1 ^^. , ^^ -rr- ^. t • j
Geistliches Lied, j ^- Kirchenmusik, Kirchengesang, Lied.
Geistreich, s. Geist.
Gekröpfte Pfeifen - Gelinek. 175
Gekröpfte Pfeifen sind Orgelpfeifen, denen oben ein Theil abgeschnitten
und unten, gewöbnlicb in einem rechten Winkel, wieder angesetzt ist. Dies
geschieht jedoch nur dann, wenn die grössten Pfeifen keinen Eaum haben, in
ihrer Länge aufrecht zu stehen. S. auch unter Kropf.
Gekünstelt (Künstelei) bezeichnet jenes Fehlerhafte in Kvinstwerken, welches
durch Abweichen vom Natürlichen, oder durch Uebertreibung des Kunstvollen,
oder durch ein TJebermaass au detaillirter Ausarbeitung entsteht. In ersterer
Beziehung würde man z. B. eine solche Melodie gekünstelt nennen, die in ihren
Wendungen das vom natürlichen ästhetischen Grefühle an die Hand Gegebene
verleugnet, ohne einen tieferen Grund als den, etwas Apartes, und dadurch
Ueberraschendes und Interessantes geben zu wollen — ein häufiger Fehler der-
jenigen Componisten, denen es in erster Linie ums Geistreiche oder Oi'iginelle
zu thun ist. Der zweite Fall findet z. B, in Fugen statt, in welchen sich die
kunstreichen Verarbeitungen der Themen, die Engführungen, Umkehrungen
u. s. w., so häufen und culminiren, dass das Maass des Aesthetisch - Geniess-
baren überschritten wird, — die Folge einer zu starken Vorliebe des Compo-
nisten für die technischen Geschicklichkeiten des Componirens. Der dritte
Fehler entspringt aus Kleinlichkeit oder zu grosser Sorgsamkeit; der Autor
legt hier das hauptsächliche Interesse, statt in die wesentlichen Züge seines
Werkes, in die Nebendinge und Einzelheiten, die er auf subtile Weise glättet
oder möglichst fein und eigenartig ausgestaltet, wodurch natürlich dem Haupt-
inhalte seiner Schöpfung die Einfachheit und Klarheit des Gepräges in höherem
Grade entzogen wird, als dies selbst in Kunstwerken des feinen Styls zu-
lässig ist. W. W,
GelaiS) Merlin oder Mellin de St. G., französischer Musikliebhaber, ge-
boren 1490 zu Angouleme und gestorben 1558 als Abt von Eeclus und königl.
Almosenier und Bibliothekar, war ein vorzüglicher Lautenist, der seine eigenen
Gedichte stets mit eigener Composition vortrug. t
Gelasius I., römischer Papst, geboren in Afrika, wurde 492 erwählt und
starb am 21. November 496 zu Rom. Er war auch in der Musik bewandert
und hat mehrere Hymnen in der Art derer des heiligen Ambro sius (s. d.)
geschafi'en. f
Geleitsmann, Anton, trefflicher deutscher Lautenist, Dichter und Ton-
setzer, war 1740 Mitglied der bischöfl. würzburg'schen Hofkapelle. Von ihm
sind drei Suiten für die Laute in Mauuscript erhalten geblieben. f
Gelenke, so viel als Taktnoten, Takttheile, s. Taktglied.
Gelinde-Gedakt bezeichnet eine gedeckte 2,5 Meter grosse Stimme im Ma-
nual der Orgel von enger Mensur und sanfter Intonation. S. auch Gedakt.
Gelinek, Hermann Anton, genannt Cervetti, geschickter Violin- und
Orgelspieler, auch Componist, geboren am 8. Aug. 1709 zu Horzeniowecs in
Böhmen, trat 1728 in die Prämonsträtenser-Abtei zu Seelau und studirte, nach-
dem er die Priesterweihe empfangen hatte, kanonisches B-echt zu Wien. Als
Lehrer und Musikdirektor seines Klosters kehrte er hierauf nach Seelau zurück,
fand jedoch das Leben daselbst unerträglich und entfernte sich endlich heim-
lich, um seinem Triebe, sich als Virtuose bekannt zu machen, unbeengt folgen
zu können. Auf ruhelosen Wanderungen gelangte er 1760 auch nach Paris,
wo er vom Könige, der ihn spielen hörte, eine goldene, mit Brillanten besetzte
Dose erhielt. In der Folgezeit lebte er unter dem Namen Cervetti in Italien,
namentlich in Neapel. Seine Klosterbehörde ermittelte ihn jedoch endlich da-
selbst, und er musste abermals nach Seelau zurückkehi'en. Nach einigen Jahren
erst trug man seinem Drange nach künstlerischer Freiheit in so weit Bechnung,
als man ihn nach Prag schickte, wo er im Hause des Grosspriors des Maltheser-
ordens sehr angenehm lebte, bis er 1779 wiederum zurückberufen wurde. In
Seelau setzte er einen zweiten Fluchtversuch ins Werk, gelangte glücklich bis
Italien, starb aber zu Mailand am 5. Decbr. desselben Jahres (1779). — Der
grösste Theil seiner Kirchen- und Orgelcompositioneu befindet sich im Kloster
176 Gelinek — Geltang der Noten und Pausen.
Seelau als Manuscript; einige seiner Concerte und Sonaten sind dagegen auch
im Druck erschienen. — Sein Bruder, Johann G., gestorben 1780, war ein
Meister auf der Orgel und Laute und wirkte bis zu seinem Tode als Organist
an St. Wenzel auf der Kleinseite und an der Barnabitenkirche zu Prag.
Gelinek, Abt Joseph, einer der fruchtbarsten und zu seiner Zeit be-
liebtesten Claviercomponisten, besonders im Fache der Variationen, geboren am
3. Decbr. 1758 zu Selcz in Böhmen, erhielt seinen ersten Unterricht im G-e-
sang, Clavierspiel und Generalbass von seinem Vater, einem Schullehrer, welchen
Kenntnissen und Fertigkeiten er, als er in Prag Theologie studirte, noch Orgel-
spiel und Compositiou, die er bei Segert trieb, hinzufügte. Als Zögling des
Priesterseminars daselbst empfing er 1786 die Weihen und kam alsbald daraxif,
von Mozart empfohlen, der ihn mit Interesse improvisiren gehört hatte, als
Kaplan und Musikdirektor in das Haus des Grafen von Kinsky in Prag, mit
welchem letzteren er, nach Reisen in Italien, auch nach AVien zog. Dort soll
er noch bei Albrechtsbcrger studirt haben; fest aber steht, dass er der be-
schäftigtste Clavierlehrer Wiens war, und dass seine seichten, leicht hinge-
worfenen Ciavierstücke bis 1810 bei den Dilettanten höchst gesuchte Artikel
waren. Dadurch zur Masseufabi'ikation veranlasst, war kein beliebtes Thema
des Tages melir vor seiner Variationssucht sicher; man zählt etwa 125 Hefte
dieser Art, die seinen Namen tragen. Daneben schrieb er auch massenhaft
Fantasien, Potpourris u. dergl. über beliebte Motive, ferner Tänze, Märsche,
Sonaten für Ciavier mit und ohne Begleitung, endlich auch einige Trios und
Gesangsachen. G. sah noch seinen schnell erworbenen Ruhm als Modecomponist
mehr und mehr wieder erbleichen, denn er starb erst am 13. Aj^ril 1825 als
Hauscaplan des Fürsten von Esterhazy in AVien, in dessen Diensten er seit
1795 gestanden hatte.
Geltende Noten werden im Gegensatze zu den durchgehenden oder Neben-
vmd Wechselnoten auch die Hauptnoten, die bezifferten oder anschlagenden
Noten genannt.
Gellius, Aulus, berühmter römischer Schriftsteller, der ums Jahr 165 n.
Chr. lebte, hat in seinem 20 Bücher umfassenden AVerke »Noctes atticae«. Lib.
I c. 11, Lib. IV c. 13 und 17, Lib. XVI c. 19 und Lib. XVIII c. 14 etc.
musikalisch interessante Auszüge aus älteren, verloren gegangeneu Quellen mit-
getheilt. t
Geltung der Noten und Pausen. Alle Notengattungen haben eine zwei-
fache Bedeutung: durch den Ort, welchen sie auf dem Liniensysteme einnehmen,
bezeichnen sie die Höhe und die Tiefe; durch ihre äussere Gestalt die Dauer
des Tons. Die Pausen können nur eine, auf die Dauer des durch sie ausge-
drückten tonleeren Raumes sich beziehende Bedeutung haben; ihre Stellung
auf dem Liniensysteme ist an und für sich gleichgültig. Die Zeitdauer der
Noten und Pausen nennt mau ihre Geltung. Diese ist zweifacher Art: bestimnjt
und unbestimmt, absolut und relativ. Absolut ist sie in Betreff des Verhält-
nisses der verschiedenen Notengattungen zu einander, sofern ein Ganzes seinen
verschiedenen Arten von Theilen gegenüber immer das Ganze, die Theile ihm
gegenüber immer dieselben Theile bleiben, also die ganze Note (^) stets den
Werth von zwei Halben ( | 1), vier Vierteln (J J J J ) u. s. w. hat, ab-
gesehen von einzelnen Ausnahmen, der Triole, Quiutole und anderen ungeraden
Theilungen, in denen die Ganze drei Halbe, die Halbe drei A'^iertel, das Viertel
fünf Sechszehntheile (Quintole) gilt, zu deren Darstellungen man sich aber
auch der gewöhnlichen geradtheiligen Notengattungen bedienen muss, da man
keine anderen dafür hat. Die relative Geltung oder Dauer der Noten wird
bestimmt durch den Grad von Schnelligkeit oder Langsamkeit der Bewegung
des Tonstücks, den man das Tempo nennt, und ist in jedem Tonstücke von
anderem Tempo auch eine andere, denn die Ganze Note z. B. nimmt im Adagio
einen bei AVeitem grösseren Zeitraum ein, als im Allegro oder Presto, Das
Nähere findet man unter Notenschrift und unter Tempo.
Geltungsstriclie — Gemeiner Contrapunkt. 177
Greltungsstriche oder Oeltung-srippen nennt man die in Eins zusammen-
gezogenen Falinen mehrerer Achtel, Sechzehntheile u. s. w.
Gelzinanu, Wolf gang, deutscher Orgel- und Ciavierspieler, der zu An-
fange des 17. Jahrhunderts als Organist in Frankfurt angestellt war, woselbst
auch 1613 Orgelcompositioneu von ihm im Druck erschienen.
Greinälde, musikalisches, s. Tonmalerei.
Gemein. Das »Gemeine« ist der Gregensatz des »Edlen«. Zwischen Beiden
steht das »Grewöhnliche«. Bezeichnet das »Edle« dasjenige, welches auf einer
besonderen Höhe sittlicher oder ästhetischer Würde steht, so ist das »Gremeine«
dasjenige, was unter dem Niveau selbst der unerlässlichsten Forderungen an
moralische oder ästhetische Hoheit zurückbleibt, ja, was diesen Forderungen
geradezu widerspricht, das sittliche oder Schönheits-Grefühl durch direkte Auf-
lehnung gegen das Pi'incip des Edlen verletzt. In der Kunst — deren Inhalt
allüberall das »Schöne« ist — sollte das Gremeine natürlich, für sich allein,
niemals eine Stelle finden; als Theil jedoch oder als ein Element in der Ver-
mischung mit mehreren darf es in ,der Poesie und den bildenden Künsten ver-
wendet werden, und es ist in solchen Fällen oft nothwendig, sowie oft von der
grössten, echt-künstlerischen Wirkung. (Man denke an Shakespeare's Richard III.,
an den Mohr in Schiller's Fiesco oder an seine »Räuber«, sowie andererseits
an mehrere Gestalten auf Kaulbach's »Zerstörung des babylonischen Thurmes«
oder auf Raphael's Carton: »Die Steinigung des Stephanus«.) Gänzlich unzu-
lässig aber ist das Gemeine in der reinen Instrumentalmusik. Ein Werk dieser
Kunst giebt stets die Darstellung eines Gefühlsprocesses ; ein solcher kann aber
nicht anders als in einer Person vor sich gehend gedacht werden; in Folge
dessen muss jeder unedle, gemeine Zug absolut verletzend wirken: er kann nur
als ein gemeines Moment in jener substituirten einen Persönlichkeit aufgefasst
werden, also als ein Makel, eine hervorragende Unvollkommenheit an derselben,
welche, wie viel edle Züge sich auch an anderen Stellen des Kunstwerks aus-
sprechen mögen, doch immer, als Fehler, als Widerspruch gegen das Ideal der
sittlichen und Gefühls- Schönheit, bestehen bleibt. (Wenn bei Richard III. sich
Elemente der Gemeinheit mit gewissen sittlichen und intellectuellen Voi'zügen:
der Tapfe i'keit und einem starken Verstände, in einer Person vereinigen, so
ist dieser Fall doch dem musikalischen nicht gleichzusetzen ; Richard tritt nicht
allein in der Tragödie auf, viele Personen erscheinen neben ihm, manche bildet
ein Gegenstück zu seinem Charakter; auf der Person Richard's ruht wohl das
hauptsächliche, aber nicht das ausschliessliche Interesse des Stückes; das letztere
als Ganzes entspricht dem sittlichen und künstlerischen Ideal, wie sehr auch
die Hauptperson demselben widerspricht. Dies Alles kann nicht statthaben bei
einem rein musikalischen Kunstwerke, in welchem es sich immer um ein durch-
aus einheitliches Gefühlsbild, um die Vorgänge in einem Gemüth handelt.)
In den gemischten Musikgattungen hingegen ist die Darstellung des Gemeinen
öfter wohl am Platz, da hier dasselbe Verhältniss obwaltet wie im Drama und
in den schildernden Künsten. Weber hatte im Caspar des »Freischütz« und
im Lysiart der »Euryanthe« gemeine Charaktere zu schildern, und er hat sie
mit entsprechenden musikalischen Zügen ausgestattet, ebenso Beethoven im
Pizarro seines »Fidelio«. Doch wird man bemerken, dass diese Meister beim
Auftragen des gemeinen Elementes sparsam und gemässigt zu Werke gingen,
— aus gutem Grunde; denn da die Musik das Seelische durch ihre Töne
gleichsam verkörpert und zu unmittelbarer sinnlicher Anschauung bringt, so
wirken ihre Darstellungen sowohl der edlen wie der gemeinen Individualitäten
viel stärker und intensiver als die der Poesie, bei welchen sich die Gefühle
durch die schwächeren Medien des sprachlichen Ausdrucks und der Gebehrde
äussern , daher im gesprochenen Drama die Einmischung des Gemeinen in
stäi'kerem Grade statthaft ist als im gesungenen. William Wolf.
Gemeiner Coutrapunkt wird mitunter gleichbedeutend mit »Einfacher Con-
trapunkt« gebraucht.
Musikal. Convers. -Lexikon, iv. 12
178 Gemengter Contrapunkt — Gemischtes Metrum.
Geineugter C'outrapuiikt, gleichbedeutend mit verzierter Contrapunkt
(Contrappunto ßorito).
Gemengtes Metrum, eine Zusammensetzung gerader und ungerader Takt-
maasse, bestehend in stets wiederkehrender Abwechselung zwei- und dreitheiliger
Zeitmomente, wie z. B. im ^/^-Takte.
Gemiiiatae sc. claves (latein.), heissen die fünf höchsten Töne im System
der Hexachorde aa ee (a^ — e^), weil sie mit doppelten Buchstaben geschrieben
werden. ]Man nennt sie auch superacutae. S. Solmisation.
Gemiuiani, Francesco, bedeutender italienischer Violinvirtuose, Instru-
mentalcomponist und musikalisch -didaktischer Schriftsteller, geboren um 1666
(nach Anderen um 1680) zu Lucca. war zuerst ein Violinschüler des Mailänders
Carlo Ambrogio Lunati, genannt il Gohbo, der für einen Meister seines In-
struments galt. Bei Corelli beendete er seine Studien und wm-de als Orchestei'-
direktor (Concertmeister) in Neapel angestellt. . Burney behauptet, dass Gl-, vor-
her von Alessandro Scarlatti im Contrapunkt unterrichtet worden sei. Im J.
1714 verliess Gr. Neapel und begab sich nach London, wo er ein gefeierter
Virtuose und gesuchter Lehrer wurde, den auch Kfhiig Georg I. und der Adel
in hohem Maasse begünstigten. Mit der Heraiisgabe von »12 Sonate a Violino,
Yioloncello e Cemhalo op. 1« (London, 1716), dem einflussreichen Kammerherrn,
Baron von Kielmannsegge gewidmet, begründete Gr. zugleich seinen Componisten-
ruhm in England und sah sich in dieser Beziehung eine Stelle neben Händel
eingeräumt, mit welchem Meister zusammen er auch sehr häufig in Hofconcerten
wirkte. Eine unglückselige Liebhaberei für Gemälde, die er von seinem Lehrer
Coi'elli ererbt zu haben scheint, verwickelte ihn in Schulden und kostete ihm,
der nur ein geringes Verständniss für die Malerei hatte, das Vermögen, so dass
er die Schuldhaft antreten musste, aus welcher ihn erst sein Schüler, der Graf
von EsseX; befreite. Durch den letzteren erhielt er auch 1727 als Nachfolger
Cousser's die Kapellmeisterstelle in Dublin. Nach Fetis soll er in diesem Amte,
weil er Katholik war, vom Minister Walpole nicht bestätigt worden sein. Im
J. 1730 war er abermals in London, machte als Componist von Violinconcer-
ten wieder grosses Glück und arrangirte Corelli'sche Solos; bis zu einem mehr
als guten Auskommen brachte er es jedoch mit diesen und anderen Arbeiten
nicht; im Drurylane- Theater 1748 veranstaltete Concerte erst warfen ihm wie-
der reichere Einnahmen ab, die er dazu verwendete, nach Paris zu reisen, um
daselbst Ausgaben seiner Werke zu veranstalten. Nach London 1755 zurück-
gekehrt, Hess er ein Tongemälde nThe enchanted forest^ (nach Tasso's befreitem
Jerusalem, 13. Gesang) erscheinen, dessen erwarteter Erfolg jedoch ausblieb,
weshalb er sich, seiner Productionskraft misstraueud, nur noch mit Umarrangi-
rung seiner früheren Compositionen und mit literarischen Arbeiten beschäftigte.
Namentlich setzte er grosse Hoffnungen auf ein grösseres theoretisch-musikalisches
Werk, dessen Manuscript er 1761 mit nach Dublin nahm, um es seinem ehe-
maligen Schüler, dem dortigen Kapellmeister Matthew Dubourg vorzulegen.
Dasselbe kam ihm jedoch in Irland abhanden und dieser Umstand beschleunigte
seinen Tod, der zu Dublin im Hause seines Freundes und Schülers, am 17.
Septbr. 1762, erfolgte. — G.'s in den Jahren 1716 bis 1758 erschienene Com-
positionen bestehen aus Goncerti grossi, Sonaten, Trios, Violiu- und Violoncell-
Solos, die nach Bumey's Urtheil mehr freien Fantasien als noi-mal gebauten
Tonwerken glichen; ähnlich soll er in seinem höchst kunstfertigen Violinspiel
ein ausschweifendes, allerdings imponirendes Tempo ruhato begünstigt haben.
Ausserdem schrieb er noch Lessons für Ciavier, eine werthvolle Violinschule
(London, 1740), eine nGuida armonicaa, eine Guitarrenschule und einige Lehr-
bücher der Harmonie.
Gemischtes Metrum ist dasjenige Metrum, dessen Grundeintheilung in zwei
und in späteren, aus jener entspringenden Zerlegungen, in drei Zeittheile zer-
fällt, oder auch die Verdoppelung einer ungeraden Taktart, z. B. ^/g, ^^/g,
Vs u. s. w.
Gemischte Stimmen — Gemshorn. 179
Gremischte Stimmen nennen die Orgelbauer alle melirchörige Stimmen, als
Sesquialtera und andere Mixturarten. S. Mixtur. — Im mehrstimmigen Solo-
und Chorsatz bezeichnet man mit gemischten Stimmen die Vereinigung von
Männer- und Frauen- (Knaben-) Stimmen, Ein Satz für gemischte Stimmen
enthält also nicht nur Männer- und Frauenstimmen allein, sondern entweder
alle vier Hauptstimmengattungen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) oder doch
solche, die beiden Greschlechtern angehören. Den mit den vier Hauptstimmen-
gattungen besetzten Chor pflegt man gemischten Chor zu nennen. S. Chor.
Den Gegensatz zum gemischten Chor bildet derjenige, welcher nur aus Frauen-
oder nur aus Männerstimmen besteht. Man sagt von Tonsätzen, welche von
Stimmen gleicher Gattung gesungen werden, dass sie vocihus aequalihus ausge-
führt werden.
Gemmingen, Eberhard Friedrich Freiherr von, bekannt als Dichter
von Oden, Epigrammen und Sprüchen, war zugleich ein vorzüglicher Ciavier-
spieler, der alle seine Mussestunden der Musikübung widmete. Geboren am
5. Novbr. 1726 zu Heilbronn, schlug er die juristische Laufbahn ein und starb
am 19. Jan. 1791 zu Stuttgart als Regierungspräsident, welche Stellung er
seit 1767 inne gehabt hatte. Von seinen Compositionen, die bis auf drei vier-
händige Ciaviersonaten fast sämmtlich Manuscript geblieben sind, kennt man:
beachtenswerthe Clavierconcerte, sechs Sinfonien, mehrere Quartette, Trios und
Duos für verschiedene Instrumente, viele Arien, Lieder u. s. w. Als Ciavier-
spieler soll G. sich besonders durch einen empfindungsvollen Vortrag des Adagio
und durch eine seltene Präcision und Deutlichkeit der Passagen ausgezeichnet
haben,
Gemshorn ist der häufig vorkommende Name für Arten einer sehr belieb-
ten, angenehm klingenden Familie von Orgelregistern, deren Glieder sich durch
die Grösse der Bauart und Klang von einander unterscheiden ; zuweilen erhalten
sie je nach dem auch eine veränderte oder andere Benennung. Der Name
dieses Registers ist wahrscheinlich durch die phantastisch aufgefasste Klang-
weise desselben entstanden, die man in Beziehung brachte mit den Tönen eines
aus dem Hörne einer Gemse gefertigten Blasinstruments, das man im Gebirge
aus der Ferne hörte. Diesem Klange suchte man durch eine eigene Pfeifen-
construction nahe zu kommen, der jedoch, wie weiter unten anzuführen ist, da
man das Register in Grössen von 5 bis 0,3 Meter variirend baut, durchaus
nicht gleichartig ist. Dem Idealklange am meisten entsprechend scheinen die
Register von 2,5 und 1,25 Meter Grösse zu sein, die man denn auch am
häufiofsten vorfindet. In dieser Grösse haben die Töne des G.'s wirklich einen
weichen und angenehmen Hornklang, während dieser Klang bei kleiner gebauten
Reg-istern mehr dem der Bogeninstrumente sich nähert. Die eigene Pfeifen-
construction dieser Orgelstimme ist eine theoretisch feststehende. Von den
halbgedeckten Flötenstimmen, welche man in drei Familien theilen und nach
den charakteristischsten Artennamen durch Spillflöte (s. d.), G. und Quer-
flöte andeuten kann, bildet das G. die mittlere Klasse. Diese mittlere Klasse
wird seltener durch Pfeifen aus Holz, häufiger durch Metallpfeifen vertreten,
erhält Schallröhren in konischer Form mit weiter Mensur und einem engen
Aufschnitt (s. d.). Die Pfeifenlänge, angegeben nach der Länge der gleich-
klingenden Principalpfeife, ist kürzer als solche, da sie konisch gebaut ist. Die
Mündung des Konus hat ^/g oder % der Kernweite. Die fast in allen Orgel-
grössen stattfindende Bauart dieses Registers erlaubt, dass man dasselbe sowohl
ins Pedal als Manual gesetzt findet. Was die Benennung der Arten dieser
Stimme anbetrifft, so ist zu bemerken, dass man die 2,5 metrige stets G. heisst,
welche Benennung sich auch für andere Grössen, doch nicht durchgängig, in
Anwendung findet. Am häufigsten findet man für dies Register noch folgende
Namen vertreten: 0,6 metrig nennt man es Octav-Gemshorn; l,66metrig:
grosse, 0,88metrig: kleine und 0,44metrig: kleinste Gemshorn-Quinte;
enger wie ihre Grundstimme (s. d.) mensurirt: liebliche Gemsborn- Quinte,
12*
180 Gemsliornquinte — Genast.
Nasat oder Nasard (s. d.); wenn sie mit andern Stimmen auf einem Stocke
steht: Koppeli'löte; und 5 metrig Gemshornbass (s. d.). Wenn es auch
schwer ist, den meist autodidaktischen Erzeugnissen der Orgelbauer eine
wissenschaftliche Feststellung zu unterbreiten, so mag Obiges beweisen, dass
die Gr. zu nennenden Orgelstimmeu, durch eine ullmälig erworbene Gattungs-
eigeuheit in Bau- und Klangart befördert, nicht allein für die Gattung, sondern
sogar schon für die Arten eine solche Feststellung annähernd gestatten, die
jedenfiills mit der Zeit sich immer bestimmter begrenzen wird, da das Zeitbe-
dürfnisö eine Ausbildung dieser Orgelregister fordert. 2.
Gemshornquiiite heisst eine halbgedeckte Flötenstimme der Orgel, die sich
in drei Grössen: 1,66-, 0,88- und 0,44 metrig vorfindet. Die Pfeifen dieser
Stimmen werden aus Metall gefertigt; die der grössten zuweilen theilweise aus
Holz, lieber die Bauart der Pfeifen und sonstigen Eigenheiten der G, belehi't
der Artikel Gemshorn (s. d.). Zuweilen, vorzüglich in der Grösse von 0,44
Meter, findet man diese Stimme Nasat oder Nasard benannt.
Oemüuder, Georg, einer der vorzüglichsten Geigenbauer der Gegenwart,
geboren 1816 zu Ingelfiugen im Königreiche "Würtemberg, erlernte die höhere
Fabrikation bei Yuilleaume in Paris und siedelte 1849 nach New- York über,
wo seine Kunstwerkstätte jetzt in dem höchsten Ansehen steht. Seine Erzeug-
nisse sind seit 1851 (London) auf allen grossen Ausstellungen prämiirt worden,
da sie sich durch saiibere Ai'beit und schönen, edlen Ton vortheilhaft aus-
zeichnen. Durch tiefer gehende mathematische und akustische Studien hat es
G. dahin gebracht, dass er, ohne das Holz chemisch zu präpariren, Violinen
verfertigt, die an Kraft und Güte des Tons den altitalienischen Instrumenten
nur wenig nachgeben. Auch im Reparaturfache ist er einer der ersten jetzt
lebenden Meister. Wie denkend er in seinem Industriezweige vorwärts strebt,
beweisen ausserdem auch einige Fachartikel aus seiner Feder, welche sich in
der New-Yorker und in der Schubei^th'schen kleinen Musikzeitung Jahrg. 1870
bis 1872 befinden.
Gemiith. Unter »Gemüth« wird die Fähigkeit des Fühlens im menschlichen
Wesen verstanden. Das Gemüth ist mithin die Sphäre, aus der die Musik
ihren Inhalt fast ausschliesslich entnimmt, denn Musik ist im Wesentlichen
und fast ausnahmslos Gefühlsdarstellung. Zum echten musikalischen Künstler
gehört daher vor Allem ein eignes reiches und reges Gemüth, sodann die
Fähigkeit, sich in die Gemüthslagen anderer Menschen oder erdichteter Per-
sonen zu versetzen. Die obersten Principien, welche für die Darstellung des
Gemüthsinhalts durch die Musik maassgebend sind, sind bereits in mehreren
Artikeln abgehandelt worden; es sei namentlich auf die Artikel Gefühl und
Gedanke hingewiesen.
Genast, Eduard Franz, vortrefilicher und berühmter Sänger und Schau-
spieler, geboren zu Weimar 1797, betrat die dortige Hofbühne, deren Regisseur
sein Yater war, bereits 1814 mit dem glücklichsten Erfolge und ging hierauf
1816 nach Stuttgart, um durch Häser's Unterricht im Gesänge seine schöne
Baritonstimme vollends ausbilden zu lassen. Im folgenden Jahre wurde er in
Dresden, 1818 in Hannover und sodann in Danzig engagirt. Nachdem er von
1828 bis 1829 die Direktion des Stadttheaters in Magdeburg geführt hatte,
kehrte er nach Weimar zurück, wo er ein Engagement auf Lebenszeit erhielt.
Seitdem unterbrach er seinen Aufenthalt daselbst nur durch Gastrollen, auf
denen er aller Orten den grössten Beifall erntete. G. war in der Zeit seiner
Blüthe in Gesang und Spiel gleich ausgezeichnet und mithin eine in Deutsch-
land seltene Erscheinung; besonders war sein »Don Juan« eine mustergültige
Leistung, aber aucli im recitirenden Schauspiele, das er von etwa 1843 bis zu
seiner Pensionirung allein nocli cultivirte, wirkte er vortrefflich. Seine Aus-
bildung kam seinen reichen Mitteln gleich; sein Organ erschien voll, trefflich
ausgeglichen und kraftvoll, seine Gestalt schön und männlich. Auch als Com-
ponist hat er talentvolle Gaben im Fache des Liedes, des vierstimmigen
Gender — Genee. 181
Männerchors und sogar der Oper zu Tage gefördert; namentlicli haben seine
in Weimar aufgeführten Opern »Die Sonnenmänner« und »Die Verrätlier in den
Alpen« grossen Beifall gefunden. G. starb im J. 1868. Kurz vor seinem
Tode bat er noch sehr interessante Memoiren unter dem Titel »Aus dem Tage-
buche eines alten Schauspielers« (4 Thle., Leipzig, 1862—1866) veröffentlicht.
— Seine Gattin, Karoline Christine Gr., geborene Böhler, am 20. Febr.
1804 zu Kassel geboren, seit 1818 in Leipzig engagirt, wo sie sich 1820 mit
Gr. verheirathete, war im Soubrettenfache eine beliebte Sängerin und ausge-
zeichnete Schauspielerin, die ihren Mann auf seinen Gast- und Kunstreisen
begleitete. — Die Tochter Beider, Emilie G., war in den Jahren von 1850
bis 1860 eine sehr beliebte Concertsängerin, die auch auf der Bühne Glück
gemacht hatte. Sie lebt verheirathet in Weimar.
Gender, ein auf Java gebräuchliches, akustisch merkwürdiges Schlaginstru-
ment, bei welchem die Besonanzen von Luftsäulen , die in dem "Verhältnisse
des Einklangs stehen, angewendet werden, um die Töne schwingender metallener
Platten nicht sowohl zu verstärken, als vielmehr hörbar zu machen. Die Zahl
dieser Platten ist elf; ihre Töne stimmen überein mit den Noten der diatoni-
schen Scala, wenn ihr die Quarte und Septime genommen und sie durch zwei
Octaven ausgedehnt wird. Die Art und AVeise, wie diese Platten schwingen,
ist die durch zwei transversalschwingende Knotenlinien ; die Platten sind hori-
zontal schwebend aufgehängt vermittelst zweier Drahtsaiten, von denen die eine
durch zwei an jeder Platte angebrachte Löcher in der Richtung der einen
Schwingungsknotenlinie, die andere durch zwei ähnliche Löcher einer jeden
Platte in der Richtung der anderen Schwingungsknotenlinie durchgeht. Unter
jede Platte ist ein aufrecht stehendes Bambusrohr gestellt, welches eine Luft-
säule enthält, die die angemessene Länge hat, tim den leisesten Ton der Platte
zu resoniren. Wird nun die Oeffnung des Bambusrohrs mit einem Pappen-
deckel bedeckt und wird dann die dazu gehörige Platte mit einem eigens dazu
verfertigten Klöppel, womit überhaupt das Instrument gespielt wird, angeschlagen,
so hört man blos eine Anzahl scharfer Töne, die von den mehr oder weniger
zahlreichen TJnterabth eilungen der Platte abhängt; aber entfernt man den
Pappendeckel, so wird ein neu hinzixkommender tiefer und voller Ton durch
die Resonanz der in der Röhre des Bambus enthaltenen Luftsäule hervorge-
bracht. Das Instrument, welches nach der Zahl der Platten eine diatonische
Tonreihe von zwei Octaven, jedoch mit Auslassung der fünften und siebenten
Stufe, wie schon oben bemerkt, enthält, und nach der Lage der Platten viel
Aehnlichkeit mit der böhmischen Holzharmonica hat, wurde zuerst von Stam-
ford Raffles nach England gebracht, von wo es dann durch eine Beschreibung
in dem yQuarterly Journal of science« von 1828 auch in Deutschland bekannt
wurde, indem die Leipz. allgem. musikal. Ztg. Jahrg. 1828 Seite 602 jene
Abhandlung nebst einer Abbildung des Instrviments, übersetzt mittheilte und
nachgehends E. H. Weber und Gottfr. Weber dieselbe ebenfalls, nebst einer
Abbildung in der »Cäcilia« Bd. 8 Seite 225 u. ff. anzeigten, woselbst auch
mehr diesen Gegenstand Betreffendes zu finden ist.
(xenee, Johann Friedrich, trefflicher deutscher Sänger und Schauspieler,
geboren 1795 zu Königsberg, wurde durch seine schöne Bassstimme schon
frühzeitig zum Theater geführt und war seit 1824 ein beliebtes Mitglied des
Königstädter Theaters in Berlin. Im J. 1829 kam er mit jener auserlesenen
Operngesellschaft nach Paris, welche dort viel Aufsehen erregte, aber nur zu
bald aus Mangel an einer umsichtigen Direktion elend zu Grunde ging. Dar-
nach war G. seit 1830 wieder in seinem früheren Engagement zu Berlin, das
er erst 1841 verliess, um die Oberleitung des Stadttheaters in Danzig zu über-
nehmen. Im J. 1855 verfiel er in eine Geisteskrankheit tind starb in diesem
Zustande am 4. Mai 1856. — Sein Sohn, Richard G., geboren am 7. Febr.
1824 in Danzig, machte in Berlin eingehendere musikalische Studien und
wurde 1848 als Operndirigent in Reval angestellt. Zwei Jahre darauf fungirte
132 Genera densa — Generalbass.
er in gleicher Eigenschaft in Riga und von 1851 bis 1856 als Kapellmeister
au den Theatern in Köln, Düsseldorf, Aachen und Danzig. In letzterer Stadt
führte er im November 1856 seine erste grössere komische Oper »Polyphem
oder Ein Abenteuer auf Martinique« (in vier Akten) auf, welche mit Glück
den Lortzing'schen Bahnen folgt und nach Text und Musik hin grossen Bei-
fall fand. Im J. 1857 nahm G. die Kapellmeisterstelle am Stadttheater in
Mainz an und veröfientlichte die von ihm selbst gedichtete und componirte
Oper «der Geiger von Tyrol«, welche bis 1859 mit gutem Erfolge über mehrere
deutsche Bühnen ging. Er privatisirte hierauf bis 1861 in Mainz, woselbst er
nur den Verein für Kirchenmusik dirigirte, daneben sich aber besonders mit
der Composition von einstimmigen Liedern und humoristischen Mäunerchor-
gesängen beschäftigte, welche letztere eine glänzende Aufnahme von Seiten der
deutschen Vereine erfuhren und ihm zahli-eiche Prämien und Ehrensolde ein-
trugen. Auch einige französische Operntexte übertrug er damals sehr geschickt
in's Deutsche. Dadurch kam er in Verbindung mit F. v. Flotow, auf dessen
Empfehlung er im Novbr. 1861 interimistisch die Hof kapellmeisterstelle in
Schwerin übernahm. Nachdem er hierauf als Dirigent der deutschen Oper in
Amsterdam eine Saison hindurch gewirkt hatte, wurde er 1864 an das Landes-
theater zu Prag berufen, wo er mit den Opern »der Musikfeind«, »Ein Trauer-
spiel« und »der schwarze Prinz« (1867) abermals durchaus glücklich hervortrat.
Im Herbst 1868 übernahm (1. die Musikdirektion im Theater an der Wien zu
"Wien, hat aber seitdem nur noch einige Possenmusiken geschrieben. G. ist
ein routinirter Componist, der die Anforderungen der Bühne auf's Genaueste
kennt und beachtet, und es darf im Interesse der deutschen komischen Oper
bedauert werden, dass seine grössei*en "Werke vom Theaterrepertoire wieder
verschwunden sind.
Genera deusa (latein.), s. Genera spissa.
Qeueralbass ist eine Art Kurzschrift in der Musik, eine Bassstimme
nämlich, welche unter Beihülfe von Zififern, oder ohne solche, die harmonische
Entwickelung eines Musikstückes erkennen lässt. Da eine Musik aus zwei oder
mehreren selbsständigen Stimmen ohne Bass überhaujit nicht denkbar ist, so
muss eigentlich jede Bassstimme das Musikstück, zu welchem sie gehört, in
nuee darstellen; jedes Musikstück dieser Art müsste aus der Bassstimme er-
kennbar, lesbar und darstellbar sein*). In der That lassen sich einige wenige
Accord- Verbindungen durch die Bassstimme allein genügend markiren. Durch
die Ziffer wird dann die Deutlichkeit ausserordentlich vermehrt. Je mehr aber
Anspruch an Deutlichkeit in der Darstellung erhoben Avird, desto reicher muss
die Bezifferung ausfallen und desto überflüssiger erscheint die Fixirung des
Musikgebildes durch ein anderes Mittel als die Note. Es hat deshalb das
Studium des Generalbasses, insofern damit nur ein Verständuiss der musika-
lischen Kurzschrift gemeint ist, nur einen relativen Werth. Den Generalbass,
den man auch Partiturbass nennen könnte, muss verstehen, resp. schreiben,
lesen, sjjielen können, wer in das Verständniss der Componisten eindringen
will, welche von dieser Kurzschrift einen häufigen Gebrauch machten, oder wer
bezifferte Bässe zu benutzen gezwungen ist, wie der Organist. Für diesen hat
das Studium des Generalbasses beziehentlich den meisten Werth, weil, wenn
z. B. der Choral zu spielen ist, ein Generalbass oder bezifferter Bass vollständig
ausreicht, die Erfindung einfachster und kunstvollster Stimmführungen zu diri-
giren und immer von Neuem zu befruchten. Der AVerth dieser Kunstfertigkeit
leuchtet sofort ein, wenn man zwei Organisten vergleicht, von denen der Eine
die verschiedenen Strophen eines Chorals immer nach derselben Harraonisiiung
abspielt, während der Andere die besondere Grundstimmung jeder Strophe, ja
auch wohl einer Zeile auf sich wirken lässt und aus dieser Stimmung heraus,
*) Prätorius, welcher Ludovico Viadana als Erfinder des Generalbass bezeichnet, nennt
letzteren eine Geueralstimme, welche „die gantze Motet oder Concert" enthält.
Generalbassschrift — Generali. 183
ohne weseutliche Abweichungen von seinem bezifferten Bass, die Harmonieschritte
und die Bewegung der Mittelstimmen immer neu zu schaffen scheint und so
gewissermaassen zum Interpreten des Textes wird. In dieser Beziehung ist
mit Händel und Bach, in deren Partituren (Passionen, Cantaten etc.) sich die
bezifferte Bassstimme (Basso contiiiuo) zur Benutzung an der Orgel sehr häufig
findet, insofern eine besondere Kunstgattung ganz ausgestorben, als sich gar
nicht absehen lässt, in welchem Grade der Oomponist sein eigenes Werk durch
freie Benutzung des bezifferten Basses unterstützte, ob nur durch hie und da
ausserordentlich wirksame breite, ruhige Accorde, oder durch neue contra-
punktische Bereicherungen, wie sie der augenblicklichen Begeisterung entström-
ten. Grewiss ist Beides geschehen, aber nur wer den Geist dieser Heroen be-
griffen, kann sagen, in welcher Yertheilung.*) — Ausser dem Organisten
participirt an dem A^ortheil der Harmoniebezeichnung durch bezifferten Bass
namentlich der Partiturspieler am Ciavier und der Musikdirigent. Für diese
erweist sich die Kurzschrift als praktisch und eigentlich unentbehrlich. So
leicht auch Manchem die Uebersicht und Controle der einzelnen Stimmen
werden mag, — nicht selten wird durch gehäufte Vorhalte und feine, unge-
v?-öhnliche Accordschritte, z. B. bei Bach und in noch viel höherem Grade bei
den Neuerern, auch das geübteste Ohr getäuscht. Da präcisirt eine einfache
Ziffer in gar willkommener "Weise der Sache Kern und lässt das Unwesent-
liche, Fremdartige, häufig zugleich Charakteristische unschwer erkennen. — Ton
einer Geschichte des Generalbasses lässt sich deshalb nicht reden, weil eine
Entwickelung nicht vorhanden ist. Jedenfalls ist die Anwendung der Zahl,
geschrieben oder nicht, so alt wie die Harmonie, resp. Notenschrift, und es
erscheint unerheblich, wann die Bezeichnungen Basso continuo, Basso osti-
nato, Generalbass, bezifferter Bass zum ersten Male auftreten. Winter-
feld's »Gabrieli und sein Zeitalter« (Berlin 1834) enthält 12 Hegeln (II, 59),
welche dem 1603 in Venedig erschienenen 5 bändigen Werke: Genta concerti etc.
von Ludovico Viadana entnommen sind. Diese 12 Regeln beziehen sich auf
die Ausführung des Basso continuo, sagen aber Nichts von Bezifferung. Von
dieser handelt zuerst und lehrt dieselbe Agostino Agazzari (um 1620), später
Sabbatini (Venetia, 1644), Andreas Werkmeister (Aschersleben, 1715), Mattheson
(grosse Generalbassschule, Hamburg 1751), F. W. Marpurg (Berlin, 1755),
Kirnberger (Berlin, 1781), D. G. Türk (Halle und Leipzig, 180J), neuerdings
noch Gebhardi (3. Aufl., Brieg, 1866), F. W. Schütze (3. Aufl., Leipzig, 1860),
0. Kolbe (Leipzig, 1862, 2. Aufl. 1872) und endlich Ph. E. Bach in seinem
»Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen«. (Weiteres unter Har-
monie, Signatur, Bezifferung.) Th. Kr.
Generalbassschrift, eine Bezeichnung, die in derselben Bedeutung wie Be-
zifferung gebraucht wird.
Geueralbassscliule, ein Lehrbuch, in welchem der Generalbass behandelt
wird. S. Generalbass.
Geueralbassspiel, das Spiel nach bezifferten Bässen zum Zweck der Ver-
stärkung der Harmonie, der genaueren Bestimmung der Modulation und Unter-
stützung der Sänger im Becitativ. S. Generalbass.
Generalbassstimme, s. Orgelstimme.
Generali, Pietro, hervorragender italienischer Componist, namentlich von
Opern, geboren am 4. Oktbr. 1783 zu Masserano bei Vercelli, hi^ss eigentlich
Mercandetti, welchen Namen jedoch schon sein Vater, ein zum Buin ge-
langter und deshalb aus Vercelli und Born flüchtiger Kaufmann, abgelegt hatte.
Compositionsunterricht erhielt G. bei Giovanni Massi, einem Schüler Durante's,
und Messen, Psalme und andere Kirchenstücke waren die ersten Früchte seines
Musikstudiums, denen schon 1800 die Oper y>Gli amanti ridicolm, in Born auf-
geführt, folgte. Nach einem Ausfluge nach Süditalien trat er 1802 abermals
*) „Orgel laut!'- schreibt Händel za dem Continuo einer seiner Partituren.
184 • General-Musikdirektor — Genet.
in Kom und zwar mit der Cantate y>Roma Uberata^i, mit der komischen Oper
»7Z duca Nottolone<i. und mit einer Farce hervor, AVerke, welche Gr.'s grosses
Talent unzweifelhaft bekundeten. Ein ausschweifender Lebenswandel trug jedoch
mit bei, die trefflichen Aussichten, welche sich dem junj^en Meister eröffneten,
nicht zur vollen Verwirklichung kommen zu lassen. Bis 1817, wo er Theater-
kapellmeister in Barcelona wurde, lebte er, mit Composition von ei-nsten und
komischen Opern, von Farcen und Intermezzi beschäftigt, in den Hauptstädten
Italiens und hatte besonders in Venedig grossartige Erfolge, die sich vorzüg-
lich mit seiner berühmt gewordenen Oper »J haccanali di Homaa verbanden.
Als Gr. 1821 nach Italien zurückgekehrt war und die Laufbahn eines Opern-
componisten wieder aufnehmen wollte, sah er sich durch Rossini so verdunkelt
und zurückgedrängt, dass er, ohne seinen Styl zu ändern, auf keinen Bühnen-
erfolg mehr rechnen konnte. Er nahm daher die ihm dargebotene Stelle eines
Kapellmeisters am Dom zu Novara an und componirte einige Jahre hindurch
nur noch für die Kirche. Als aber 1827 auf dem Pergolatheater zu Florenz
sein Oratoriu.m y>Il voto di Jefte<.<. eine beifällige Aufnahme fand, suchte er, in-
dem er die Rossini'sche Schreibweise annahm, noch einmal von der Bühne aus
zu wirken. Er führte 1829 in Triest die komische Oper »JZ dicorzio persianoa
und in Venedig die ernste Oper y>Francesca di JRiminiK auf, fiel aber mit beiden
Werken gänzlich durch. Bitter enttäuscht kehrte er nach Novara zurück und
starb daselbst am 3. November 1832. Als die bedeutendsten seiner übrigen
Partituren sind zu nennen: »ie la^rime d\ina vedovaa (ebenso wie •>■>! haecantiv~
auch deutsch ei'schienen), y>JElena e Älfredoa und nAdelinav.. Seine Kirchen-
compositioncn verdienen ihrer blühenden Melodik wegen noch immer Be-
achtung.
General-Musikdirektor, ein Titel, der zur Bezeichnung der höchsten Würde
in musikalischen Angelegenheiten vom preussischen Könige Friedrich Wilhelm
III. eigens für Spontini im J. 1820 geschaffen wurde und seitdem in imd
ausser Preussen mehrmals anerkannten und hervorragenden Meistern der Ton-
kunst von deutschen Landesherren verliehen worden ist. Bis jetzt sind mit
diesem Titel noch ausgezeichnet worden: Meyerbeer und Mendelssohn
(1842) vom Könige von Preussen, Franz Lachner (1852) vom Könige von
Baiern, Spohr (185G) vom Kurfürsten von Hessen und Marschner (1860)
vom Könige von Hannover. Von diesen ist nur Lachner als gegenwärtig einziger
Inhaber der General-Musikdirektorwürde noch am Leben.
Geueralpause nennt man eine von allen vorhandenen Stimmen eines Ton-
stücks zugleich gemachte Pause von mehr als einem Takttheile, deren Gi-eltung
aber nach der Notirung sich richtet. Die Bewegung des Taktes wird also
nicht durch längeres Anhalten unterbrochen, wie bei der Fermate geschieht,
sondern geht im Flusse fort. Indem die Gr. auf eine bedeutsame AVeise den
Gang eines Tonstücks unterbricht, erregt sie zugleich Spannung und Erwartung
auf das Folgende.
Generalprobe heisst die einer öffentlichen Musikaufführung vorangehende
letzte Probe, in welcher alles zum Vortrag Gelangende noch einmal genau und
im Zusammenhange durchgenommen wird. S. Probe.
Generalventil, auch Hauptsperrventil genannt, s. Hauptcanal.
Genera spissa oder densa (lat.), die dichten Klanggeschlechter der alten
Griechen, nämlich das chromatische und enharmonische, in deren Tetrachorde
die drei unteren Intervalle chromatische Halb- und enharmonische Viertelstöne
ausmachten. S. Tetrachord.
Geueroso (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung edel, mit edlem
Ausdruck.
Genet, Eliazar oder Elziar, französischer Geistlicher und Contrapunktist,
in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu Carpentras geboren und daher
auch unter seinem Beinamen Carpentras oder il Garpentrasso bekannt, trat
unter Leo X. als Sänger in die päpstliche Kapelle und componirte für dieselbe
Gengenbacli — Genie. _ 185
Magnificats und die Klagelieder des Jeremias. Im J. 1515 wurde er zum
obersten Kapellsänger, bald darauf zum Kapellmeister und 1518 sogar zum
Bischof in partibus ernannt. Gegen Ende des J. 1521 schickte ihn Papst
Leo X. in geistlichen Angelegenheiten nach Avignon, von wo Gr. erst nach
Hadrian's VI. Tode nach Rom zurückkehrte. Die schon erwähnten Lamen-
tationen G.'s, Leo's X. Lieblingswerk, wurden in der päpstlichen Kapelle regel-
mässig gesungen, bis 1587 Papst Sixtus Y. die des Palestrina an ihre Stelle
setzte. — Im ersten Buche der von Petrucci da Possombrone 1514 herausge-
gebenen r)Motetti clella coronav. befindet sich ein vierstimmiges -nBonitatem fecisti
cum servo tnoa, im dritten Buche derselben Sammlung (1519 erschienen) ein
i>Cantate dominoa und im vierten (ebenfalls 1519 gedruckt) ein Miserere, sämmt-
lich von der Composition Gr.'s. Ausserdem wird ein Band von Gr.'s Messen im
Manuscript auf der k. k. Hofbibliothek zu "Wien aufbewahrt. Dieselben sind
für den musikalischen Historiker, trotz der ziemlich starren Porm, die sie auf-
weisen, sehr beachtenswerth , da sie bereits aus dem blossen Contrapunkt her-
ausstreben.
Geugenbach, Nicolaus, deutscher Tonkünstler, zu Ende des 16. Jahr-
hunderts zu Colditz geboren, war Cantor zu Zeitz und schrieb und veröffent-
lichte ein Buch, betitelt: y>Jl£usica nova, newe Singkunst, sowohl nach der alten
Solmisation als auch newen Bobisation und Bebisation.« (Leipzig, 1626).
Geuiej genial. Die Alten hielten jede hervorragende Befähigung eines Men-
schen für die Wirkung eines über ihm waltenden hülfreichen Geistes (genius).
In Polge dessen ging später die Bezeichnung genius (latein.) oder genie (franz.)
auf diese Befähigung selbst, oder auf den Menschen, dem sie innewohnte, über.
Es verband sich aber nach und nach ein immer bestimmterer Begriff mit dem
Worte Genie, indem man dieses von dem ähnlichen Begriffe Talent (s. d.)
unterschied. Denkt man sich unter Letzterem überhaupt eine bedeutende An-
lage zu Leistungen auf irgend einem Gebiete, so wird G. fast ausschliesslich
für geistige Anlagen gebraucht, wird aber namentlich darin als das Höhere
gegenüber dem »Talent« betrachtet, dass es die Befähigung entweder als quan-
titativ grössere, umfassendere, oder als der Art nach vorzüglichere, gründlichere,
vollkommnere bezeichnen soll. Die häufigste Anwendung erhält das Wort G.
im Gebiet der Künste, und zwar mit einer Bedeutung, in welcher der Begriff
der qualitativen Yollkommenheit entschieden vorwaltet. Zwar wird hin und
wieder auch ein quantitativ enormes, wenn auch mit starken Fehlern behaftetes
Talent G. genannt, — wie z. B. Manche E-ossini wegen der grossen Leichtig-
keit, Unmittelbarkeit und Fülle seines Schaffens als G. bezeichnen, obwohl seine
Werke neben dem schätzenswerthesten Schönen und Eigenthümlichen auch die
grössten Versündigungen gegen die Kunst und den guten Geschmack aufweisen ;
— doch ist dies nicht die allgemein -gebräuchliche Anwendung des Wortes;
■ in letzterer wird es vielmehr solchen Kunstpersönlichkeiten beigelegt, bei denen,
wie bei einem Beethoven oder Mozart, neben der Schönheit des gegebenen In-
haltes auch das Princip des Vollendeten, Abgerundeten in ihren Leistungen
hervortritt, in denen also eine Durchdringung mehrerer Vollkommenheiten sich
manifestirt. Welcher Art diese das Genie ausmachenden Vollkommenheiten
sind , das mögen folgende Betrachtungen klarlegen. — Als G.'s in der Musik
werden mit allgemeiner Einstimmigkeit die ebengenannten Meister, sowie auch
Gluck, Haydn, Bach u. A. bezeichnet; hingegen herrscht über manche andere
hervorragende Componisten eine Spaltung der Meinungen: ein Mendelssohn,
Schumann, Wagner z. B. werden von dem Einen als G.'s augesehen, während
Andere diese Männer, indem sie wesentliche Fehler oder Lücken in ihrem
Künstlerthume zu erkennen glauben, nur in den Bang mehr oder weniger be-
deutender Talente setzen. Man erhält nun am besten Aufschluss über das
Wesen des künstlerischen G.'s, wenn man den Umständen und Gründen nach-
spürt, welche bei den erstgenannten Künstlern die allgemeine Einstimmigkeit
der Meinung, und bei den letzteren die Zweifelhaftigkeit derselben veranlassten.
186 Genie.
Im Folgenden ist dieser Punkt in Bezug auf Beethoven betrachtet; und zwar
ist der Verlauf der Entwicklung ausführlicher beschrieben, um ein Bild zu
geben von den vielen Phasen, welche die öffentliche Meinung einem Künstler
gegenüber durchzumachen hat, ehe sie zur vollen und festen Anerkennung seines
Gr.'s gelangt. — Als Beethoven mit seinen ersten Leistungen auf den Gebieten
des Ciavierspiels, der Composition und der Improvisation auftrat, erregten die-
selben das Interesse etlicher Künstler und einer kleinen Anzahl gebildeter
Musilvfreunde. Man sah oder ahnte aus diesen ersten Pi'oductionen noch nicht
im entferntesten jenen hohen Geist und jene als einzig und unermesslich ange-
staunte Kunstgrösse, als welche er heute vor uns dasteht, sondern man erkannte
ein bedeutendes Talent in ihm; er ging auf den Wegen, welche vorhex-gehende
Meister als die Wege der echten Kunst gebahnt hatten, und zeigte dabei ent-
schieden Geschick und Geschmack. Bei fortschreitendem Schaffen trat der
Reichthum seiner Phantasie hervor, und zugleich bekundete sich von AVerk zu
Werk immer mehr das Abgerundete, die künstlerische Einheit und Geschlossen-
heit seiner Darstellungen, die Vollkommenheit der Form. Beides musste die
Zahl seiner Bewunderer und die Grösse ihrer Bewunderunor l)edeutend ver-
mehren. Bis dahin hatte der Inhalt seiner Schöpfungen zwar eine eigenthüm-
liche Färbung gehabt, doch immerhin eine solche, welche nur als Variante des
bisher bekannten und beliebten Inhaltes musikalischer Meisterwerke gelten
konnte. Jetzt aber trat, bei weiterem Produciren, auch Eigenthümlichkeit
seines künstlerischen Inhalts, Originalität, immer schärfer heraus; und nun
begannen sich die Meinungen zu spalten. Die Einen, denen dieser eigenthüm-
liche Inhalt sympathisch war, oder denen Neuheit, Eigenthümlichkeit überhaupt
schon als ein höchst Werthvolles in der Kunst galt, proklamirten Beethoven
als G., während die Andern, die sich in den neuen Inhalt nicht finden konnten,
in ihm ein bedauerlich verirrtes Talent sahen. Durch die offenbarte Originalität
wurde die Aufmerksamkeit eines immer grösseren Kreises, und bald der ge-
sammten deutschen musikalischen Welt auf ihn gelenkt; er wurde Gegenstand
eines allgemeinen Interesses, aber keineswegs einer allgemeinen Anerkennung;
verhältnissmässig wenigen, wiewohl eifrigen und innigen Verehrern stand die
grosse Mehrzahl der gegnerisch Gesinnten gegenüber ; und wenn Letztere ihn
mitunter ebenfalls ein »G.« nannten, so wollten sie dieses Wort mit dem Bei-
geschmack des »Zügellosen« oder »Barocken« verstanden wissen, indem sie
Beethoven eine zwar reiche, aber allzu eigenthümliche, überschwängliche und
absonderliche Phantasie zuschrieben, die ihn die Grenzen der künstlerischen
Schönheit überspringen oder gänzlich verfehlen Hesse. Dies Verhältniss blieb
im Wesentlichen während Beethoven's ganzer Lebenszeit dasselbe. Die kleine
Gemeinde seiner Anhänger wuchs zwar mit den Jahren, und influirte schliess-
lich auf einen grösseren Theil des Publikums derart, dass ihm von demselben
Hochachtung und eine Art anstaunender Bewunderung gezollt wurde, aber
diese war weder mit Verständniss noch mit wahrer Sympathie verknüpft, und,
indem in seinen letzten Zeiten die Seltsamkeit seiner Tonwerke sich vergrösserte,
so trat der andere Theil des Publikums und die herrschende Tageskritik immer
schroffer und feindseliger gegen ihn auf. — Als der Meister gestox'ben war,
läuterten sich die Urtheile zunächst von dem Persönlich-Tendenziösen, welches
sich erklärlicherweise bei Lebzeiten des Mannes geltend gemacht hatte. Es lag
nun aber auch der Umkreis des Beethoven'schen Schaffens abgeschlossen vor
den Augen der Welt: man überschaute jetzt die ganze Persönlichkeit dieses
Künstlers und nur Wenige konnten sich dem Eindruck des Grossen, den dieser
Ueberblick erregte, entziehen. Mit gesteigertem und reinerem Interesse wurden
nunmehr seine AVerke, und zwar zunächst die leichter zugänglichen seiner ersten
und zweiten Lebensperiode, gespielt, studirt — und warm und wärmer geliebt.
Das Verständniss und die Würdigung derselben erhöhte und verbreitete sich
in ungemeinem Grade. Man suchte sodann auch die Werke aus seiner letzten
Lebenszeit hervor. Diese erregten jedoch von Neuem Widerspruch; gar Viele
Genie. 187
fanden sie bizarr und erblickten in ihnen die Geburten einer bereits ermatte-
ten oder entarteten genialen Schöpferkraft. Aber die G-esammtpersönliclikeit
Beetboven's, die schon allgemein die Glorie als »Genie« erworben hatte, übte
auf die Gemüther eine Gewalt aus, welche auch diesen Widerspruch nach und
nach zum Schweigen brachte. Man machte nunmehr folgende Schlüsse: »Beet-
hoven steht so hoch, er zeigt sich in der überwiegenden Zahl seiner Werke
so entschieden im Vollbesitz eines sicheren Schönheitsgefühles, eines tiefen,
stets das Wahre treffenden Kunstgeistes, dass es widersinnig wäre, anzunehmen,
es sei ihm im letzten Drittel seines Lebens diese Vollkommenheit plötzlich
entschwu.nden ; die Unvollkommenheit wird vielmehr auf unsrer Seite liegen:
auch die Werke der letzteren Zeit werden als schöne zu gelten haben, wir aber
sind nicht reif zum Erfassen ihrer Schönheit; in diesen Werken wird gerade
das Tiefere und Entwickeltere gegenüber den früheren enthalten sein, daher
stehen sie über unserer Verständnisskraft. Haben uns die früheren unmittelbar
gefallen, so ist es jetzt an uns, das Gefallen an denselben uns zu erwerben;
wir müssen uns mit ihnen vertraut macheu, bis uns ihre Schönheiten aufgehen.«
Ein solche Art zu schliessen hatte alle Wahrscheinlichkeit für sich. Man er-
füllte die aufgestellte Forderung, man suchte sich in die Eigenthümlichkeiten
jener Tonschöpfungen hineinzuleben; Vielen gelang es, — und heute steht
Beethoven als eine über allem Zweifel und allem Einzelurtheil überhaupt er-
habene Grösse vor uns, und nicht nur in Deutschland, sondern in den gebil-
deten Kreisen aller Nationen. Das allgemeine Urtheil, welches ihn für eine
vollkommene Kunsterscheinung — für ein »Genie« — erklärt, hat jetzt die
Bedeutung eines objektiven Urtheils gewonnen, welches der Einzelne einfach
anzunehmen hat; und dies mit voller Berechtigung; denn die Stimme einer so
enormen Majorität von gebildeten Kunstfreunden nicht nur einer Epoche,
sondern mehrerer aufeinanderfolgender Generationen, darf und muss
den Werth einer Autoritäts- Stimme beanspruchen. Demzufolge gilt die
Vollkommenheit seiner Kunstwerke (einige wenige ausgenommen, welche die
allgemeine Stimme mit sicherem Instinkte ausscheidet) als so fest und für alle
Zeit bewiesen, wie nur irgend ein logisch unanfechtbarer Satz. In der Kunst,
welche im Wesentlichen Gefühls- Sache ist, giebt es eben keinen unbedingten
logischen Beweis; daher muss die Einstimmigkeit einer gebildeten Majorität,
welche sich im Laufe langer Zeiten ansammelt, als Beweiskraft auftreten. —
Der Hergang der Meinungsentwickelung über Beethoven, wie er eben geschil-
dert worden, hat, den Hauptpunkten nach, in gleicher Weise aucb bei allen
Andern allgemein anerkannten Kunstheroen, bei einem Bach, Mozart u. s. w.,
stattgefunden; er giebt also die allgemeine Regel, und es lässt sich klar aus
ihm entnehmen, welche Momente zusammenkommen müssen, um eine Kunst-
persönlichkeit zum »G.« zu erheben. Wie aufgezeigt worden, so offenbarten
Beetboven's Werke zuerst geschmackvolle Erfindung, also Schönheitssinn |in
Bezug auf den Inhalt, bald auch ein sicheres Gefühl für schöne künstlerische
Anordnung, für die Form, und endlich eine Eigenartigkeit seines Inhaltes,
Originalität. Von diesen drei Momenten der genialen Begabung erwarben
sich die ersten beiden baldige Anerkennung, wogegen die Originalität zunächst
Widerspruch erweckte und erst sehr spät die allgemeine Stimme für sich ge-
wann. Und dies ist nicht so ungerecht, als es auf den ersten Blick scheinen
mag. Denn Originalität an sich ist noch keine künstlerische Vollkommenheit;
als Original kann sich auch das Hässliche, das Widernatürliche aufstellen; und
wegen seiner blossen Neuheit kann ihm ebenso wenig wahrer Werth zuge-
schrieben werden, da das Neue ja mit der Zeit aufhört, neu zu sein. Daher
muss die Frage aufgestellt werden, ob dieses Neue auch eine neue Schönheit
und zwar eine allgemeingültige Schönheit darstellt, und dies ist erst nach
langen Zeiten durch eine Majorität zu entscheiden. Um aber endlich dem
Künstler die volle Sanction des »G.'s« zu verleihen, dazu bsdarf es nicht nur
der günstigen Einstimmigkeit in einer Generation, sondern in mehreren;
183 Genitscha — Genlis.
und dieses giebt Aufschluss übex' die besondere Art der Originalität, welche
dem Genie innewohnt: wo nämlich in einer Zeitperiode so viele Personen, von
jedenfalls vielfach verschiedener Individualität, in der Sympathie für einen
Künstler übereinstimmen, sodann eine zweite Generation, in welcher ein ganz
anderer Zeitgeist waltet, gleichwohl in diesem Urtheil mit der ersten Ge-
neration übereinkommt, und endlich eine dritte, wieder anders geartete Epoche
die Bestätigung giebt, da ist es vmbestreitbar dargethan, dass der Inhalt jener
Kunstpersönlichkeit die Grenzen einer gewöhnlichen Individualität weit über-
schreitet, dass derselbe eine ganze Hauptseite des allgemeinen mensch-
lichen Wesens umfasst, mit anderen AVorten, dass ein allgemein-menschlicher
Typus in ihm zur Erscheinung kommt. Und als solche typische erweisen
sich in der That die Persönlichkeiten aller anerkannten Genien. Wie diese
bei Beethoven in dem scharf-individuellen Erfassen aller verschiedensten
Lebensinhalte besteht — weswegen seine Werke so durchaus von einander
verschieden sind — , so zeigt sich dieselbe bei Mozart als gleichzeitiges harmo-
nisches Zusammenwirken aller Kräfte und Triebe des Gemüthes, woraus jene
gleichsam »blühende« Schönheit seiner Tonwerke resultirt; und so offenbart
sie sich bei Bach als tiefsinnige, unbedingt religiöse Lebensanschauung, bei
Haydn als absolut frohe Empfindung des Daseins u. s. f. Diese typische
Art und Bedeutung der Persönlichkeit ist das letzte und wesentlichste der
Momente, durch welche das Genie sich charakterisirt. — — Man werfe nun
noch einen Blick auf jene Verschiedenheit der Meinungen, wie sie beispiels-
weise einem Mendelssohn, Schumann, Wagner gegenüber waltet, so wird die-
selbe nach dem Erörterten leicht erklärlich werden. Mendelssohn hat eine
zahlreiche Anhängerschaft gewonnen, von welcher der eine Theil den Inhalt
seiner Werke als einen vorzüglich schönen und eigenartigen preist, ein anderer
in die schöne Formung derselben seine Grösse setzt, ein dritter ihm alle diese
Vorzüge zugleich zuschreibt. Dem gegenüber erklären Viele seinen Inhalt als
nicht originell genug, oder als nicht eigentlich-schön, nicht die Tiefe des Ge-
müthes treffend. Der Streit kann heute endgültig noch nicht entschieden
werden, denn Mendelssohns Person steht uns zeitlich noch zu nahe. Es lässt
«ich wohl ein Wahrschein lichkeits-Urtheil aufstellen, welches auf dereinstige
allgemeine Anerkennung seiner als eines Genies lautet; aber unbedingte Gültig-
keit hat diese Annahme nicht; erst die folgende Generation kann und wird
das letzte Wort sprechen. Zeitlich ebenso nahe steht uns Schumann. An
seinen Schöpfungen wird von Vielen grosse Originalität des Inhaltes, sowie
eine besondere Tiefe des Gefühls gerühmt, von sehr Vielen hingegen • wird ihm
Mangel an Formschönheit vorgeworfen; hier ist also der Ausfall des dereinsti-
gen Endurtheils noch zweifelhafter. Bei Wagner endlich, als einem Zeitge-
nossen, der noch im Weiterwirken begriffen ist, kann von abschliessendem Ur-
theil noch weit weniger die Bede sein. Pflicht des Einzelnen ist es natürlich,
sein individuelles Urtheil über den Meister zu klären, und wo er es als be-
rechtigt und begründet glaubt, Partei zu ergreifen; ein jeder Einzelne kann
eine Stimme bilden in der grossen Majorität der Menschheit, welche dereinst
zu entscheiden hat, ob dem Künstler der Bang des Genies zukommt, ob seine
Persönlichkeit schönen Gehalt, Formsinn, Originalität und typische Eigenthüm-
lichkeit umfasst, oder ob ihm von diesen künstlerischen Vorzügen nur einer
oder einige zugesprochen werden können. William Wolf.
Genitscha, Iwan, trefflicher russischer Tonkünstler, geboren um 1810 in
Bussland, lebte, angesehen als Pianist und Violoncellist, zu Moskau und wurde
1837 Dirigent eines Gesangvereins. Auch als Componist hat er sich nicht
unvortheilhaft durch grössere Instrumentalwerke bekannt gemacht.
Genlis, Stephanie Felicite Ducrest de Saint Aubin, Marquise von
Sillery, Gräfin von, die berühmte Erzieherin des Königs Ludwig Philipp,
war eine fein gebildete und in Kunst und Wissenschaft, namentlich auch in
der Musik bewanderte Frau. Geboren am 25. Jan. 1746 zu Champceri bei
Genoves — Genus. 189
Autun in Bourgogne, aus einer vornehmen, aber herabgekommenen Familie,
war sie schon als Mädchen ihrer Schönheit und geistigen Ausbildung, sowie
ihres ausgezeichneten Harfenspiels wegen in die vornehmsten Pariser Familien
eingeführt und sehr gern gesehen. Auch Ciavier und andere Instrumente
spielte sie fertig, sang sehr geschmackvoll und componirte nicht ohne Geschick.
Sie ist auch Verfasserin einer Harfenschule (Paris, 1802), deren zweite Auflage
in Paris 1805 unter folgendem Titel erschien: nNouvelle methode pour apprendre
ä jouer de la liarpe en moins six mois de legons etc.n. Unter sehr wechselvollen
Schicksalen, besonders während der Revolution von 1789, lebte sie in Paris,
in der Schweiz, in Altona. Unter dem Consulate kehrte sie nach Paris zurück
und bezog von Napoleon eine Jahresrente. Nach wie vor schickte sie in rascher
Folge ein Buch nach dem anderen in die "Welt und starb am 31. Decbr. 1830
zu Paris. Ihr Musikübung hat gleich ihrer literarischen Thätigkeit die Grrenz-
linie der Mittelmässigkeit im Denken und Empfinden niemals überschritten,
Genoves, Tommaso, in Spanien Genues geschrieben, italienischer Opern-
componist spanischer Abkunft, geboren zu Anfange des 19. Jahrhunderts in
Sevilla, schrieb 1831 für die italienische Operbühne in Madrid »ia rosa Bianca
e la rosa rossaa und begab sich im J. 1834 nach Neapel, wo er in dem Zeit-
räume von zehn Jahren an verschiedenen Theatern zur Aufführung brachte:
»Zelma« (in Bologna 1835), y>La hattaglia di liepantov. (in Hom 1835), -»Bianca
di Behnonte'i, y^Iginia d'Asti«, y>Luisa della VaUiere«. u. s. w., ohne dass er sich
einen weitergehenden Huf mit diesen "Werken zu erringen vermochte. Auch
andere Gesangstücke componirte er in jener Zeit; bekannter von diesen ist
eine Sammlung geworden, betitelt: y>Le sere d^autunno al monte Pincio<s..
Genre (franz.; lat.: genus\ ital.: genere), eigentlich die Ab stammung, das
Geschlecht (Klanggeschlecht), dann auch in der Bedeutung »die Art«, »das
Fach« gebraucht, zu dem der näher bezeichnete Gegenstand gehört.
Genst, Auguste de, treflSicher belgischer Componist, geboren 1801 zu
Brüssel, wurde zunächst zu einem guten Pianisten ausgebildet. Als solcher
machte er sich durch Composition von Fantasien, Variationen und anderen
Salonstücken vortheilhaft bekannt. In der Folge ist er auch mit grossen
Werken, als Opern, Sinfonien u. s. -w. bemerkenswerth hervorgetreten.
Gentile (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung anmuthig, edel; dem
entsprechend con gentilezza mit anmuthigem Ausdrück.
Gentili, Giorgio,, italienischer Violinist und Instrumentalcomponist, ge-
boren um 1668 zu Venedig, war in seiner Vaterstadt als Instrumentalist in
der Kapelle des Dogen angestellt und hat von seiner Composition in der Zeit
von 1701 bis 1708 zu Venedig Sonaten für zwei Violinen und Violoncello
mit dem Basso continuo der Orgel, ferner Sonaten für Violine und Basso con-
tinuo und Concerte veröflPentlicht.
Gentili, Serafino, einer der berühmtesten italienischen Opernsänger aus
dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, geboren 1786 auf einem Landgute
bei Venedig, Hess sich in Venedig und Mailand für die Bühne ausbilden und
erregte durch Stimme, Schule und dramatische Begabung das grösste Aufsehen,
sodass ein Haupttheater seines Vaterlandes nach dem andern sich seinen Besitz
streitig machte. Vorzüglich und am längsten glänzte er als erster Tenor des
Fenice- Theaters zu Venedig, wo ihn auch Rossini kennen und hochschätzen
lernte, der denn auch mehrere Hauptparthien in seinen Opern, so in der »Ita-
lienerin in Algier«, eigens für ihn schrieb. Gichtische Leiden, die durch den Auf-
enthalt auf den dem Zug ausgesetzten Bühnen sich immer mehr verschlimmerten,
nöthigten ihn, schon 1828 sich in das Privatleben zurückzuziehen. Er Hess
sich in Mailand nieder und starb daselbst am 26. Mai 1835.
Gemis (lat.; ital.: genere; franz.: genre)^ in der ursprüngUchen Bedeutung
das Geschlecht, in der Musik also das Ton- oder Klanggeschlecht (s. d.),
sodann die Gattung (s. d.). Bei den alten Theoretikern findet sich dieser
Begriff mit folgenden näheren Bezeichnungen zusammengesetzt vor: G. chro-
190 Geometrische Th eilung — Georg.
maticum, G. diatonicum und G. enJiarmonicum, s. Klanggeschlecht,
ferner Chromatisch, Diatonisch, Enharmonisch. (Bei den Griechen s.
Tetrachord.) G. epitriton, d. i. das dreischlägige Tongeschlecht, war bei
den Griechen eine Art von Rhythmus oder Takt, der aus uugeradzähligen
Theilen bestand und der mit dem in neuerer Zeit mehrfach versuchten, aber
für praktisch unbrauchbar befundenen ' j- oder "/^-Takt Aehnlichkeit hatte
(s. Rhythmus, griechischer). G. inflatile, die Gattung der Blaseinstru-
mente. G. 2Jercussihile, die Gattung der Schlaginstrumente. G. rarum, s.
Genera spissa und Tetrachord. G. syntomim, die diatonische Tonfolge.
G. tensile, die Gattung der Saiteninstrumente. G. ison (äquale) und G.
diplasion (duplum), s. Ison und Diplasion.
Geometrische Theilnng heisst diejenige der harmonischeu Rechnungsarten,
welche gleiche geometrische Rationen erzeugt, deren Glieder jedoch ungleiche
Differenzen haben ; sie schafft eine geometrische Proportion, in der der Quotient
jeder folgenden zwei Zahlen dem Quotienten der zwei vorhergehenden gleich
ist. Diese Theilung wird vollzogen, wenn man aus dem Product zweier ge-
gebener Verhältnissglieder die Quadratwurzel zieht und diese als Mittelglied
zwischen jene stellt. Hat man z. B. das Verhältniss 18 : 8, so würde die
Rechnung folgende sein: 18X8 = 144; |/^144=12; giebt als Ergebniss die
Proportion 18 : 12 : 8. Dass diese Rechnung nicht immer ganze Zahlen als
Mittelglieder ergiebt, sondern meist Bruchzahlen, ist fast selbstredend; ja oft
führt sie zu Irrationalzahlen, d. h. zu nur annäherungsweise durch Zahlen dar-
stellbare Grössen. Obgleich es somit nicht möglich ist, aus jedem Verhältniss
eine vollkommene Proportion zu schaffen und überall vollkommen geometrische
Progressionen zu erhalten, so ist dieser Mangel der praktischen Anwendung
dieser Rechnungsart in der Musik nicht von Nachtheil, da die sich ergebenden
Zahlen einer verlangten Proportion so wenig von den den vollkommenen Werth
ausdrückenden differiren, dass eine praktische Darstellung derselben dem Ohre
durchaus unbemerkbar bleibt. S. auch Theilung d er Intervallenverhält-
nisse. 32.
Georg V., Friedrich Alexander, Exkönig von Hannover, geboren am
27. Mai 1819 zu Berlin, erhielt als Prinz von Cumberlaud daselbst eine auch
auf das Musikalische gerichtete Erziehung. Seine Hauptlehrer in der Compo-
sition waren K. W. Greulich und später Friedr. Kücken , nachdem er von
Dulken in London von 1829 bis 1833 im Clavierspiel unterrichtet worden
war. Er versenkte sich um so leidenschaftlicher in die Geheimnisse der Ton-
kunst, als ein Augenübel ihn seiner Sehkraft beraubte. Nach der Thronbe-
steigung seines Vaters im J. 1838 siedelte auch er nach Hannover über und
vollendete dort unter E. Wenzel seine Studien auf dem Pianoforte und in der
Composition. Von seiner mehr als gewöhnlichen Produktionskraft legen im
Druck erschienene Kirchenstücke, ein- und mehrstimmige Gesänge, Tänze und
Märsche Zeugniss ab; einige seiner Männerchöre sind sogar mit Auszeichnung
zu nennen. Seiner vertrauten und innigen Beschäftigung mit der Musik ent-
sprang auch eine kleine ästhetische Schrift, die er anonym erscheinen Hess und
die den Titel führt: »Ideen und Betrachtungen über die Eigenschaften der
Musik« (Hannover 1858). Am meisten aber ehrt das Aufblühen der Kunst
und der musikalischen Thätigkeit in der Residenzstadt Hannover, eine Folge
der Pflege, die G. als König seiner Lieblingskunst zuwandte, den hohen Di-
lettanten. Der unglückliche Krieg von 1866, in den ihn Trotz und Eigensinn
mit dem mächtigen PreuSsen verwickelten, brachte ihn um Krone und Land.
Er lebt seitdem zu Hietzing bei "Wien und soll mit der Sammlung und Her-
ausgabe seiner "Werke beschäftigt sein.
Georg, Markgraf von Brandenburg, ist der Componist des geistlichen
Liedes: »Da Israel aus Egypten zog etc.«, dessen Melodie: d a g a c a gf e
beginnt, und welches zuerst 1537 in dem »Teutsch Kirchenamt etc.« von "Wolff
Georg — Geräusch. 191
Köpphl veröffentlicht wurde. Auch das einem Akrostichon ähnlich gestaltete
Lied: »Grenad' mir Herr, ewiger Gottcf ist entweder zu Ehren Gr.'s, oder gar
von diesem selbst geschaffen worden. f
Georg, Joseph, deutscher Tonkünstler aus Oesterreich, war um 1835
erst Violinist, dann Musikdirektor am Stadttheater zu Nürnberg und hat sich
daselbst als Componist von Yiolinconcerten und einer Messe hervorgethan.
Georg, Sebastian, tüchtiger deutscher Pianist aus Mainz, lebte zu An-
fange des 19. Jahrhunderts als angesehener Ciavierlehrer zu Moskau, woselbst
er auch starb. — Sein Sohn und Schüler, Paul G., zeichnete sich ebenfalls
als Ciavierspieler und Musiklehrer in Moskau aus, hat sich aber weiter hin
auch als Componist von Sonaten, Etüden u. s. w. für Pianoforte bekannt
gemacht.
Georges, s. Saint Georges.
Georgi, Johann Gottlieb, trefflicher deutscher Musikpädagog, war aus
der Gegend bei Eisenach gebürtig und sollte wie sein Vater Landschullehrer
werden. Um 1710 erhielt er die zweite Cantorstelle in Kassel, mit der auch
der Unterricht an einer der unteren Klassen des vom Landgrafen Friedrich II.
gegründeten Lyceums verbunden war. An dem ebenfalls dazu gehörigen Schul-
lehrer-Seminare rückte G. zum Inspector hinauf und errichtete aus seinen Ge-
sangschülern einen Singchor, der bald, 40 Knaben und Jünglinge stark, seine
Funktionen, namentlich in den Kirchen, ausüben konnte. Dieser Chor wurde
seiner vorzüglichen Schulung wegen später auch vielfach für den Dienst des
Hoftheaters benutzt und bestand noch lange nach G.'s Tod, bis zu den deutschen
Freiheitskriegen, die auch diesem Institute ein Ende machten.
Gerade Bewegung oder Parallelbewegung (lat.: mofus rectus), die gleich-
zeitig steigende oder fallende Fortbewegung zweier oder mehrerer Stimmen.
S. Fortschreitung der Intervalle.
Gerade oder geradfüssige Stimmen nennt man in der Fachsprache der
Orgelbauer solche Stimmen, deren Grösse durch ganze Zahlen ohne Bruch be-
stimmt wird, z. B. 10 metrig (= 32füssig), 5 metrig (= 16füssig) u. s. w.
Ungerade Stimmen sind demnach diejenigen, zu deren Bestimmung eine
ganze Zahl und ein Bruch nöthig ist, also 2,5inetrige, 1,25 metrige u. s. w.
Gerader Takt, gerade Taktarten, s. Takt.
Gerard, Henri Philippe, belgischer Vocalcomponist und Gesanglehrer,
geboren 1763 zu Lüttich, war zuerst Chorknabe an der Kathedralkirche seiner
Vaterstadt, wurde aber dann, da er bedeutendes Musiktalent zeigte, nach Rom
geschickt, wo er am Lütticher Collegium während eines fünfjährigen Studiums
bei Ballabene die höhere Ausbildung erhielt. Kurz vor der französischen He-
volution Hess er sich in Paris nieder und erwarb sich als Gesanglehrer einen
so grossen Buf, dass man ihn in gleicher Funktion an das neu errichtete Con-
servatorium zog, an welchem er hierauf über 30 Jahre lang lehrte. Die Früchte
dieser Stellung sind eine gute Gesangschule (2 Theile, Paris), ferner ein Buch,
betitelt: nOonsiderations sur la musique en gener dl et particulierement sur tout
ce qui a rap'port ä la vocale etc.« (Paris, 1819), endlich: y>Traite methoäique
cfharmonie, oü Vinstruction est simplifiee et mise ä la portee des commengansa
(Paris, 1833). Von seinen zahlreichen Compositionen für Gesang sind nur
kleine Bomanzen und Chansons von ihm veröffentlicht worden. Er starb hoch-
geachtet am 11. Septbr. 1848 zu Paris.
Gerardini, Arcangelo, italienischer Servitenmönch, geboren um die Mitte
des 16. Jahrhunderts zu Siena, lebte zu Mailand und hat von seiner Compo-
sition 17 Motetten für acht Stimmen (Mailand, 1587) veröffentlicht.
Geraubtes Zeitmaass, wörtliche Uebersetzung und mitunter angewendete
Bezeichnung des Tempo ruhato (s. d.).
Geräusch heisst ein Schall, dessen Tonhöhe nicht bestimmbar ist, indem
seine Luftwellen weder an Form einander gleichartig sind, noch in regelmässi-
gen Zeiträumen aufeinanderfolgen. S. auch Klang.
192 Gerber.
Gerber, Christian, musikkiiudiger deutscher Theologe, geboren um 1660
zu Görnitz, gestorben 1731, war Pfarrer und Magister in Lockwitz und hat
einige musikalische Abhandlungen veröffentlicht.
Gerber, Heinrich Nicolaus, verdienstvoller deutscher Componist und
Musiklehrer, geboren am 6. Septbr. 1702 im Schwarzbux'g'scheu, wo sein Vater
Landwirth war, besuchte die Elementarschule in Mühlhausen, dann das Gym-
nasium in Sondershausen und trieb mit Vorliebe zugleich auch luusikalische
Studien. Seine TJniversitätsjahre in Leipzig brachten ihn seit 1724 mit Joh.
Seb. Bach zusammen, der ihn weiter ausbildete. Im J. 1728 wurde er Orga-
nist zu Heringen in der goldenen Aue, welche Stadt jedoch gänzlich nieder-
brannte. Seines schlanken Ivörperwuchses wegen sah sich G. unablässig von
den Werbern Friedrich Wilhelm's I. beunruhigt, bis er 1731 als Schlossorganist
und fürstlicher Musiklehrer in Sondershausen angestellt wurde. Neben TJnter-
richtgeben, Composition und Verwaltung seines Amtes befasste er sich mit Ver-
suchen, musikalische Instrumente zu verbessern. So ging u. A. aus seiner
Hand eine Art Strohfiedel in Form eines Flügels hervor, ein vieroctaviges In-
strument, dessen Töne vermittels der Tasten durch Anschlagen hölzerner Kugeln
an Holzstäbe hervorgebracht wurden. Im J. 1749 wurde er zum Hofsecretair
ernannt, stellte jedoch seine eifrigen Musikübungen erst mit dem Tode ein,
der am 6. Aug. 1775 zu Sondershausen erfolgte. Seine Compositionen bestehen
in Motetten und Cantaten, zahlreichen Concerten, Suiten und TJebungen für
Ciavier, Präludien und Fugen für Orgel, Stücken für Harfe u. s. w., Alles meist
Manuscript geblieben. Auch ein vollständiges Choralbuch mit beziffertem Basse
und variirte Choräle schrieb er, welche letztere einst sehr geschätzt wurden. —
Sein Sohn Ernst Ludwig G. hat sich als Lexikograph Ruhm und ein un-
schätzbares Verdienst erworben. Geboren wurde derselbe am 20. Septbr. 1746
zu Sondershausen und erhielt von seinem siebenten Jahre an bei seinem Vater
Unterricht im Clavierspiel und Gesang. Seiner schönen Stimme wegen musste
er noch in seinen Schuljahren häufig Soli bei musikalischen Aufführungen über-
nehmen. Theoretische und musikhistorische "Werke wurden ihm gleichfalls früh
in die Hand gegeben und ermuthigten ihn zu Compositionsversuclien. Von
1765 an studirte er in Leipzig die Rechte, gab aber dieses Studium im In-
teresse der Musik und schönen Wissenschaften auf, als er mit einigen Compo-
sitionen Beifall fand, die im Concert und im Theater, in dessen Orchester er
als Violoncellist mitwirkte, aufgeführt wurden. Wie als Violoncellist wurde er
auch als Ciavierspieler in Concerten sehr beliebt. Um seinem Vater zur Seite
zu stehen, kehrte er nach Sondershausen zurück und rückte nach dem Tode
desselben auch definitiv in dessen Stellungen ein. Neben der Composition be-
schäftigte er sich nach wie vor mit musikliterarischen Studien und mit Samm-
lungen von Musikerporträts, die er mit Biographien versah. Hierbei wurde
ihm klar, dass das Walther'sche Lexikon als Nachschlagebuch dem Zeitbedürf-
nisse nicht mehr genüge, und er kam auf die Idee, eine gleiche Arbeit aufzu-
nehmen, für welchen Zweck er Correspondenzen eröffnete, Nachforschungen
begann und Reisen unternahm, die ihm eine goldene Ausbeute brachten. Diese
Vorarbeiten, die Sichtung und Zusammenstellung des reichen Materials, die
Abwägung des Nothwendigen und Entbehrlichen u. s. w. füllten zehn lange Jahre
hindurch alle seine Mussestunden aus und der Frucht dieser anstrengenden,
mühsamen Anstrengungen, dem «Historisch-biographischen Lexikon der Ton-
künstlera (Leipzig, 1790 — 1792) kann auch die Nachwelt das ehrende Urtheil
nicht versagen, dass es ein vollkommenes, klar disponirtes und mit Umsicht,
Redlichkeit und grosser Zuverlässigkeit gearbeitetes Werk gewesen ist. Gleich-
zeitig veröffentlichte G. auch in verschiedenen Zeitschriften Abhandlungen über
Kunstfrageu und schrieb mehrere Jahre hindurch Recensionen für die Erfurter
Gelehrten-Zeitung. Schon im J. 1796 ging er an die Zusammenstellung eines
neuen Tonkünstlerlexikons, da ihm auf Grund des schon erschienenen Werks,
das übrigens von Choron in das Französische übersetzt wurde, Berichtigungen,
Gerber— Gerbert von Hornau. 193
Zusätze und Ergänzungen in Masse zugingen. Die so eben in das Leben ge-
tretene Leipziger allgemeine musikalische Zeitung verband ihn enger mit der
äusseren Musikwelt und stellte einen Zusammenhang zwischen ihm und sonst
schwerer zu erreichenden Tonkünstlern her. Durch das »Neue historisch-
biographische Lexikon der Tonkünstler« (Leipzig, 1812 — 1814) ist das ältere
Werk übrigens nicht überflüssig geworden, indem vielmehr vielfach auf dasselbe
hingewiesen wird, so dass beide in Wahrheit erst ein Glanzes ausmachen. Für
lange hinaus wird das Gerber'sche Lexikon ein fleissig gearbeitetes Muster
und die Quelle für alle ähnlichen Unternehmungen abgeben. Alle anderen
musikalischen Bemühungen Gr.'s schrumpfen dieser grossen lexikographischen
That gegenüber mehr oder weniger zusammen. Sonaten für Ciavier, Märsche
für Harmoniemusik, Choralvorspiele für Orgel u. s. w. legen ein Zeugniss für
sein Können als Componist ab. Andere seiner, sammt den bereits aufgeführten,
Schriften finden sich in C. F. Beckers »Literatur« verzeichnet. Als Künstler
und Beamter geachtet, durch Fleiss und Ordnungsliebe ausgezeichnet und als
Mensch und Familienvater geliebt, verbrachte Gr. in unausgesetzter Thätigkeit
den Rest seiner Tage in Sondershausen und starb daselbst am 30. Juni 1819
als Hofsecretär. Seine Sammlungen an Büchern und Musikalien kaufte das
Conservatorium der Gresellschaft der Musikfreunde in Wien an und legte damit
den Grundstein zu seiner Bibliothek.
Gerber, Karl, deutscher Pianist und Componist, geboren um 1830 zu
Altenburg, war der Sohn eines Musikdirektors und erhielt seine künstlerische
Ausbildung in Prag. Im J. 1866 wurde er als Lehrer des Mozarteuins in
Salzburg angestellt, in welcher Stellung er gegenwärtig sich noch befindet.
Gerbert von Hornau, Martin, ein um die Geschichte der Musik hoch-
verdienter Theologe, geboren zu Horb am Neckar in Württemberg, am 12. Aug.
1720, erhielt eine gelehrte Erziehung, zu der sich grosse Vorliebe für die Ton-
kunst und eifrige Uebung derselben seinerseits gesellten. Zum geistlichen Stande
berufen, trat er, nachdem er die Schule in Ludwigsburg durchlaufen, 1736 in
das berühmte Benedictinerstift St. Blasien im Schwarzwalde, wo auch sein Hang
zu geschichtlicher Forschung die gediegenste Richtung erhielt. Im J. 1744
empfing er die Priesterweihe, wurde wenige Jahre später zum Professor der
Theologie und Philosophie ernannt und 1764 sogar zum gefürsteten Abt dieses
Klosters erhoben. Als solcher starb er am 13. (nach Anderen am 14.) Mai
1793 nach einem langen, im Dienste fleissiger und tüchtiger geschichtlicher
Untersuchungen hingebrachten Leben. Seine unbegrenzte Musikliebe ist es
besonders gewesen, die ihn 1759 bis 1765 auf eine grosse Reise durch Deutsch-
land, Prankreich und Italien geführt hat, auf welcher er sein besonderes Augen-
merk auf die öfi^entlichen und Klosterbibliotheken richtete, zu dem Zwecke,
bisher brach gelegenes Material für eine Geschichte des Kirchengesanges zu
gewinnen. Ausserordentlich förderlich für dieses immer mehr in's Grosse
wachsende Unternehmen wurde ihm die Bekanntschaft mit dem kunstgelehrten
Pater Martini in Bologna, die bald in innige Freundschaft überging, so dass
ihm die kostbare Bibliothek und die umfassenden musikalischen Kenntnisse
desselben zur vollsten Verfügung standen, ebenso wie Martini's Sammlung durch
G.'s Mittheilungen wesentlich bereichert wurde. Diesem Bunde entsprang der
Plan, Martini solle, während G. die beabsichtigte Geschichte der Kirchenmusik
ausarbeite, eingreifend und vervollständigend eine allgemeine Geschichte der
Tonkunst in Angriff nehmen. Im J. 1762 machte G. die Welt mit seinem
Plane bekannt und bat um Beiträge, ein Gesuch, dem im vollen Maasse ent-
sprochen wurde. Leider jedoch zerstörte 1769 eine Feuersbrunst die Bibliothek
und das Archiv des Klosters St. Blasien und damit alle zu jener Geschichte
mühsam gesammelten Materialien, ein Unglück übrigens, welches nur die Her-
ausgabe des Werks mit erheblicher Verzögerung traf, da der erste Band be-
reits im Druck erschienen war und von den wichtigsten Stücken Abschriften
bei ihm befreundeten Männern, besonders beim Pater Max-tini, sich befanden.
Musikal. Convers.-Lesikon. IV. 13
194 Gerdy— Gerhard.
Mit ungebeugtem Gelehrteneifer und Fleiss ging Gr. an das "Werk erneuerter
Vor- und Ausarboitung, und fünf Jahre später erschien das vollständige Werk
in zwei starken mit 40 Kupfern ausgestatteten Bänden unter dem Titel: »De
cantu et musica sacra a prima ecclesiae aetate usque ad praesens tempusa (St.
Blasien, 1774). Dieses Buch, ohne welclies Forkel's Geschichte der Musik wohl
kaum erschienen sein würde, ist noch fort und fort für jeden Musikgelehrten
fast uncntbelirlich und bildet eine unei'schöpflicbe Quelle der werthvollsten
Nachrichten über die kirchliche Tonkunst aller vorangegangenen Zeiten, wenn
auch, wie nicht anders möglich, noch immer viele Unrichtigkeiten und TJnge-
nauigkciten von den Forschern der Folgezeit ausgemerzt werden müssen, hier
nicht minder wie in G.'s zweitem Hauptwerke: y>Scriptores ecelesiastici de musica
Sacra potissimaa (3 Bände, St. Blasien, 1784). Diese hochwichtige Sammlung
von Tractaten der bedeutendsten Musikschriftsteller wird von Coussemaker
(s. d.) in würdigster Art fortgesetzt und ergänzt. Auch die übrigen Schriften
G.'s enthalten viele für den Musikgelehrten wichtige Aufsclilüsse und AVinke,
so der Reisebericht niter alemannicum, italicum et gallicunm (St. Blasien, 1765
und 1773), von welchem auch eine deutsche Uebersetzung erschien, ferner die
rtVetus Uturgia alemannicaa (2 Bde., St. Blasien, 1776) und die i>Monumenta
veteris liturgiae alemannieae<.<. (2 Bde., St, Blasien, 1777). Audi für die allge-
meine Weltgeschichte hat er einige wichtige Bücher verfasst, so eine Geschichte
des Schwarzwaldes u. s. w. Dass G. zudem als Componist thätig gewesen, be-
weisen einige von ihm in Augsburg in den Druck gegebene Oflfertorien.
Crerdy, P. N., ausgezeichneter französischer Pliysiologe, geboren 1797 zu
Loches im Departement Aubln, lebte als Professor der Medicin zu Paris und
hat u. A. wichtige und interessante TJntersuchungsergebnisse über den Kehl-
kopf und die übrigen Werkzeuge der menschlichen Stimme theils in Fachzeit-
schriften, theils selbstständig veröffentlicht.
Gerhard. Unter diesem Namen sind mehrere um die Musik verdiente
deutsche Künstler aufzuführen. 1) Jacob G., Cantor zu Brandenburg, lebte
im 16. Jahrhundert und wird als hervorragender Componist seiner Zeit mehr-
seitig genannt. — 2) Johann Heinrich G., Cantor zu St, Nicolai in Brieg,
geboren am 4. April 1708 zu Gross- Weigelsdorf in der schlesischen Herrschaft
Oels, war der Sohn des Magisters Martin Benjamin G. und für das Studium
der Theologie bestimmt. Schon als Gymnasiast in Brieg trieb G. eifrig Musik,
nicht minder als Student in Jena, 1730 bis 1734 und ging nach Vollendung
seiner Studien endlich ganz zur Kunst über. Er wurde 1739 als Cantor
an die Nicolaikirche zu Brieg berufen, wirkte auch als Musiklehrer mit Aus-
zeichnung und starb um 1785 zu Brieg. — 3) Justin Ehrenfried G., treff-
licher Orgelbauer des 18. Jahrhunderts, war aus dem Weimar'schen gebürtig
und baute unter anderen gerühmten Werken auch die grosse Orgel zu Ilmenau,
die aber schon, noch ehe sie ganz vollendet wurde, am 3. Novbr. 1752 sammt
der Kirche wieder abbrannte. — 4) Wilhelm G., geboren am 29. Novbr. 1780
zu Weimar, ist unter den Liedercomponisten zu Anfange des 19. Jahrhunderts
zu nennen, da von ihm Gesänge in Leipzig erschienen sind. Bekannter ist er
freilich als formgewandter lyrischer und dramatischer Dichter und als Ueber-
setzer der Sacuntala geworden , die er in aller ihrer Anmuth deutsch wie-
dergab. Von seinen Gedichten hat sich das bekannte, von Aug. Pohlenz com-
ponirte »Auf, Matrosen, die Anker gelichtet« als Volkslied Bahn gebrochen.
G. lebte als Kaufmann und Legationsrath zu Leipzig und starb, von einer
Schweizerreise zurückkehrend, am 2. Oktbr. 1858 zu Heidelberg.
Gerhard, Li via, rühmlich bekannte deutsche Sängerin, geboren am 13.
Juni 1818 zu Gera, erhielt ihre Erziehung in Leipzig und Musik-, namentlich
Gesangunterricht daselbst bei Aug. Pohlenz. Höchst talentvoll, wie sie war,
konnte sie schon 1833 die Bühne in Leipzig betreten und empfing aufmuntern-
den Beifall. Ein Jahr später begab sie sich auf Kunstreisen und erregte über-
all durch ihre frische, angenehm klingende und wohlgeschnlte Stimme, sowie
Gerissene Zunge — Gerlach. 195
durch ihre anmuthige Persöulichkeit, die auch auf ihre Leistungen influirte,
Aufsehen. Ein mehrmonatlicher Aufenthalt in Dresden gab ihr damals Ge-
legenheit, im A''^erkehr mit der Schröder-Devrient sich vollends auszubilden.
Von 1835 bis 1838 gehörte sie zu den OjDernmitgliedern des köuigstädtischen
Theaters zu Berlin und wurde vom Publikum ehrenvoll ausgezeichnet. Sie
verheirathete sich hierauf mit dem Professor Frege in Leipzig und trat nur
noch zeitweise als geschätzte und verehrte Concertsängerin auf. Ihr Haus
wurde ein Herd der reinen Kunstpflege und ein Sammelplatz der Künstler
und distinguirter Musikfreunde. Der dort mit Vorliebe verweilende Mendels-
sohn erklärte Livia Gr. für die anmuthigste Interpretin seiner Lieder und ver-
kehrte mit ihr in der aufrichtigsten Freundschaft. Mit dem bis 1850 in seiner
höchsten Blüthe stehenden Musikleben Leipzig's nach allen Seiten hin innig
verwachsen , hat sie auch auf zahlreiche emporstrebende Musiktalente einen
fördernden Einfluss ausgeübt und sich auf lange hinaus ein ehrenvolles An-
denken gesichert.
Gerissene Zunge y eine Schlagmanier bei den Pauken. S. Pauke und
Zunge.
Gerke ist der Name einiger trefflicher deutscher Tonkünstler der Neuzeit.
1) Anton G., 1814 in Polen geboren, lebte, als Pianist wie als Musiklehrer
sehr geschätzt, in St. Petersburg, woselbst er auch am 27. Aug. 1870 starb.
— 2) August G., ein in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts rühm-
lich bekannter A'^iolinvirtuose und Componist. Von seinen Compositionen er-
schienen mehrere Ouvertüren, einige Polonäsen für Orchester, Streichtrios,
Duette, Variationen und Potpourris für Violine, Stücke für Harmoniemusik,
kleinere Pianofortesachen u. s. w. — 3) Otto G., ebenfalls ein tüchtiger Violin-
virtuose, geboren am 13. Juli 1807 zu Lüneburg, erhielt seine erste musika-
lische Ausbildung, namentlich auf der Violine, von seinem Vater und ging
1822 zu höheren tonkünstlerischen Studien nach Kassel, wo Spohr und Haupt-
mann, der Letztere in der Harmonielehre und in der Composition, seine Lehrer
wurden. Auf Kunstreisen, die er hierauf unternahm, fand er als Virtuose
grosse Anerkennung und nahm von 1837 an einen neunjährigen Aufenthalt in
Russland. Seit 1847 hat er seineu Wohnsitz nach Paderborn verlegt, wo er
sich mit Unterricht und Composition beschäftigte. Er hat etwa 40 seiner
Werke, bestehend in Arbeiten für Violine, auch für Ciavier veröflFeutlicht, von
denen ein Violinconcert und mehrere grössere Violinduette als hervorragend in
der bezüglichen Literatur zu bezeichnen sind.
Gerl oder Görl, Franz, deutscher Operettencomponist und Schauspieler,
war bis 1794 Mitglied des Schikaneder'schen Theaters in Wien, welches er
verliess, um eine Anstellung beim Nationaltheater in Brunn anzunehmen. Die
bekanntesten seiner zahlreichen Singspiele sind: «das Schlaraffenland«, die Wiener
Zeitung«, «der Stein der Weisen«, «der dumme Gärtner« und »Graf Baibarone
oder die Maskerade«, von denen das letztere mehrfach mit Glück zur Auf-
führung kam.
Gerl oder Gerle, Konrad, auch Gerla geschrieben, der älteste der be-
rühmt gewordenen Nürnberger Lautenmacher, von denen noch einige Kunde
vorhanden ist, starb im J. 1521 zu Nürnberg. — Sein Sohn, Hans G., war
als Geigen- und Lautenmacher, als Virtuose auf diesen Instrumenten und auch
als musikalischer Schriftsteller über seine Vaterstadt hinaus, in welcher er um
1570 starb, berühmt. — Ein jüngerer Bruder des Letzteren, gleichfalls Hans
G. geheissen, war als Geigen- und Lautenmacher nicht minder hochgeschätzt
wie sein Vater und sein Bruder.
Gerlacb, Leocadie, geb. Bergnehr, vortreffliche dramatische Sängei'iu,
geb. am 26. Jan. 1827 zu Stockholm, erhielt ihren ersten Gesanguuterricht
bei Rung in Kopenhagen, vollendete ihre Studien bei Garcia in Paris und
wi;rde, nachdem sie in Kopenhagen mit grossem Erfolge debütirt hatte, 1848
13*
196 Gerlande — Germanen.
als kÖnigl. dänische ilofopernsüngerin engagirt. Zehn Jahre später erhielt sie
den Titel einer königl. Kammersängerin daselbst.
Oerlaude oder (xarlaude, Jean de, mit dem lateinischen Gelehrtennaraen
Gerlandus oder de Garlandia, ein französischer Geistlicher des 11. oder
12. Jahrhunderts, welcher neben anderen Wissenschaften auch die Tonkunst
in Paris lehrte. Fragmente seiner musikalischen Schriften finden sich in Ger-
bert's -nScriptores eecles.a. unter dem Titel »GerJandi fragmenta de miisicaa und
handeln hauptsächlich de ßstuUs und de notis. Den Forschungen Coussemaker's
ist es neuerdings gelungen, noch einen vollständigen Tractat G.'s über den
Choralgesang aufzufinden, den er seinen »Scriplores music. medii aevi<.< einver-
leibt hat.
Gerli, Giuseppe, italienischer Säuger (Bassist) und Componist, debütirte
in letzterer Eigenschaft zur Zeit des Carnevals von 1834, wo er eine ßuffo-
oper zu Mailand zur Aufführung brachte. Er war hierauf als Orchesterdirigent
an mehreren Opernbühnen seines Vaterlandes, 1846 auch bei der italienischen
Oper des königstädter Theaters zu Berlin angestellt.
Genuain, Sophie, eine französische Gelehrte, die sich besonders in der
Mathematik in selbstständigeu und tiefgehenden Untersuchungen erging und
u. A. über Vibration der Luft und der schwingenden Körper schrieb. Geboren
1776 zu Paris, starb sie daselbst im J. 1831.
Germaueu. Geriiiauische Musik. Germanen war nach den älteren römi-
schen Schriftstellern der gemeinsame Name aller in Sprache und Sitten mit
einander verwandten Völkerschaften jenseits des E-heins und der Donau bis
nördlich hinauf nach Skandinavien und östlich bis jenseits der Weichsel weit
hinein in das Land der Sarmaten. lieber die richtige Ableitung des Namens
sind die Historiker nicht einig. Jacob Grimm (Gesch. d. deutschen Sprache,
S. 786) findet weder in f/er (hasta) und man, noch in irman, irinin den Ur-
sprung desselben; auch hält er es für unwahrscheinlich, dass die ßömer die
ihnen so feindlichen Barbaren schmeichelnd als (/crinani (Brüder) bezeichnet
hätten. Am richtigöten scheint ihm, diese Benennung von den Galliern aus-
gehen zu lassen, welche unsere Altvordern damit als »Ausrufer« nach dem
keltischen Worte gairm (ßuf, Ausruf) kennzeichnen wollten, wie auch die ersten
über den Rhein gedrungenen Deutschen die Tunger (vorgl. alid. ziingar = li7iguosus,
clamosus) dem entsprechend hiessen. Ist diese Ableitung die richtige, so er-
innern uns schon die Namen der Tunger und Germanen, welche Tacitus (Germ.
Cap. 2) nur geographisch unterscheidet, daran, unserer ältesten Tonfreude so
weit wie möglich nachzuspüren, am wenigsten aber dieselbe auf die roheren
Kundgebungen des Tongefühls zu beschränken, welche die Gallier und Römer
nur als Feinde unserer Altvordern kennen lernten. — Vor Allem hat uns hier
der Grundzug des germanischen Charakters, dessen bewusstes und unbewusstes
Streben nach idealen Zielen, zu leiten. Finden wir dieses Streben in den
Sitten und Gebräuchen, wie in den Mythen und Dichtungen der ältesten
deutschen Vorzeit, so weit sich diese uns durch die neueren germanistischen
Studien erschlossen, wieder, so werden wir dieselben ebenso wie die verein-
zelten historischen Nachrichten und Schlüsse zu berücksichtigen haben, wenn
wir zu einer befriedigenderen Vorstellung über eine altgerraanische Musik
gelangen wollen, als wir sie bis jetzt für möglich hielten. Das Material für
die dazu erforderlichen Erwägungen wird jedoch erst von einer künftigen histo-
rischen Musikforschung ausgenutzt werden können; der nachfolgende Artikel
kann sich nur auf die Andeutung einzelner Gesichtspunkte beschränken, von
denen aus wenigstens die Fruchtbarkeit einer gründlicheren Forschung zu er-
messen ist. — Tacitus hält die alten Germanen für Eingeborene (indigenae).
»Wer hätte«, fragt er, »Asien, Afrika oder Italien verlassend, nach dem bergigen,
rauhen, unwirthbaren Germanien verlangt, wenn es nicht sein Geburtsland ge-
wesen?« Hiermit aber trat an ihn auch nicht die Frage heran, in welchen
Beziehungen dieses ihm vorzugsweise durch Treue, die keuscheste Frauenver-
Germanen. 197
ehrung, Freilieitsliebe und einen unversiegbaren Heldenmuth imponirende Volk
in frühesten Zeiten zu anderen CulturvÖlkern der Erde gestanden, und was
es an Sitten und Gebräuchen, an Wissen und Können theils von jenen ange-
nommen, theils seinem eigensten Ingenium zu verdanken hatte. AVas bei der
damaligen Weltherrschaft der Römer und zugleich bei ihrem näheren Verkehr
mit einzelnen deutschen Stämmen , die sogar in ihren Heeren vertreten waren,
einem römischen Geschichtschreiber noch leicht zu ermitteln gewesen wäre,
verblieb das Geheimniss jener Gesänge, von denen Tacitus in seiner Germania
eben nichts Genaueres zu erzählen weiss, als dass die alten Germanen in ihnen
die einzige Art geschichtlicher Erinnerungen und Ueberlieferun -
gen besassen und u. A. den erdentsprossenen Gott Tuisko und seinen Sohn
Manuus als Stammväter des Volkes feierten. Mehr ersieht man schon die Be-
deutung ihrer historischen Gesänge aus der Mittheilung in seinen Annalen,
dass auch das Andenken Armin's in Liedern fortgelebt habe. Wie spärlich
indessen auch diese und ähnliche Hinweise anderer römischer Schriftsteller auf
eine alte geistige Cultur der Germanen ausfallen, sie lassen uns deren Leben
und Sitten viel reiner und schöner aufifassen, als dieses der damaligen üppigen,
fast aller alten Tugend und deren Verständnisses verlustig gewordenen Römer-
welt möglich geworden wäre. Während diese aus den Mittheilungen des Tacitus
und Anderer in den Germanen nur ein wildes, urwüchsiges Jäger- und Kriegs-
volk kennen lernte, das unter einem rauhen Himmel und in tiefen Waldungen
sich ebenso an die Entbehrung aller Culturfreuden , wie an den Kampf und
seine Lust, gewöhnte, ersehen wir vor Allem aus der nahen Verwandtschaft,
in der sich unsere Urväter zu ihrem höchsten Gotte fühlten, und aus der Art,
ihr Angedenken auf spätere Geschlechter zu vererben, die ersten und sichersten
Bedingungen, durch welche sie zu einem ebenso sittlichen, wie poetisch schönen
Leben gelangen mussten — zu einem Dasein des innersten, durch kein Un-
gemach und keinen Tod, wohl aber durch ein unwürdiges Verhalten zu stören-
den Gottes- und Unsterblichkeitsbewusstseins. Wie hätten sie bei dem er-
hebenden Glauben, direkte Abkömmlinge ihres ersten Gottes zu sein, was
Anderes als Göttliches erstreben mögen; wie hätte sie aber auch jemals eine
Furcht, ausser der vor dem Ungöttlichen, vor dem Gemeinen, beschleichen
können! Der Kampf um's Leben war ihnen eine Lust; der Tod keine Ver-
nichtung. Sie durften ihn, frei von dem Gefühl einer dämonischen Grausam-
keit, ebenso über ihre Feinde verhängen , als sie ihn selber muthig entgegen-
nahmen. Darum aber war auch der Gesang — der ursprüngliche Gemüths-
ausdruck aller edlen, gut gearteten Menschennaturen — ihr treuster Gefährte
in Freud und Leid, im Frieden und im Kriege. Selbst in die Schlacht be-
gleiteten sie nach Tacitus Lieder (carmi)ia); und wenn auch einige durch ihren
nharitustx. genannten Vortrag (relatu, quem haritmn vocant) zur Erregung der
Gemüther sich zu dem rauhsten Ausdruck erhoben, so hatten doch auch andere
•nipso canfuK, d. h. durch ihren Ton und ihre Melodie warnend selbst ein Bangen
kundzugeben und das Schicksal eines bevorstehenden Kampfes ahnen zu lassen,
mithin mehr als ein rohes Kriegsgeschrei zu bieten. Sogar ihren Signalen —
auf einen anderen Zweck lässt sich ohne Widerspruch mit den anderen An-
gaben ihr schliesslich noch von Tacitus erwähntes Anschwellenlassen der Stimme
durch an den Mund gehaltene Schilde (objectis ad os scutis) nicht zurück-
führen — sogar diesen ihren Signalen lag noch Sanges Klang und Sanges
Bedeutung zu Grunde. Schön kennzeichnet auf Grund der vorliegenden historischen
Quelle Karl Simrock unsere Altvordern und zwar als ein Volk wahrer, echter
Poesie, »die sie nicht erlernt, die sie mit sich auf die Welt gebracht und von
der ihr Leben, ihr ganzes Dasein durchdrungen war«. Zu wichtigeren Schlüssen
für die Würdigung einer altgermanischen Gesangslust führt uns jedoch die
vergleichende Sprachforschung, insofern sie mit Zuziehung der Sage und histo-
rischer Nachrichten nicht allein die Verwandtschaft und zum Theil den Ver-
kehr der alten Völker mit einander in einer Urzeit meist sicher festzustellen
198 Germanen.
im Stande war, sondern uns dabei auch über den allgemeinen Culturstand
unserer Altvordern, mit welchem die musikalische Cultur in einen nothwendigen
Zusammenhang zu bringen ist, um so günstiger zu urtheilen gestattet, als sie
als nähere und weitere Stammverwandte der alten Grermanen sogar Völker
nachweist, die in Vielem sogar den kunststolzen Griechen ebenbürtig waren.
Die bedeutendsten Aufschlüsse in den hierbei zunächst interessirenden Fragen
sind der sprachhistorischen Forschung J. Grrimm's zu verdanken, welche er in
seiner »Greschichte der deutschen Sprache« niedergelegt hat. In erster Linie
haben nach demselben die Geten und Thraker, deren schon Herodot sehr
rühmend erwähnt, die Aufmerksamkeit zu fesseln — erstere als ein den Ger-
manen, bezugsweise den später in der Geschichte auftretenden Gothen unzweifel-
haft sehr nahe verwandtes Volk, letztere aber, in so weit sie — um mit Grimm's
eigenen Worten (vergl. S. 185 des genannten Werkes) zu reden — »in der
ganzen Weltordnung den Raum zwischen den Germanen und Griechen ein-
nehmen und beide vermitteln, wie zwischen Germanen und Thrakern die Geten
in der Mitte halten.« »Ich stemple«, sagt er weiter (S. 196), »die Thraker
nicht zu Deutschen, sondern suche nachzuweisen, wie sich durch Vermittelung
der Geten zwischen Thrakern und Germanen nähere Berührung annehmen lässt,
als man bisher einräumte.« Hiermit aber sind auch zugleich einige der wich-
tigsten Momente geboten, welche für eine ähnliche geistige Cultur und insbe-
sondere für ein übereinstimmendes Musikwissen dieser und der ihnen wenigstens
geographisch nahe liegenden verwandten Völker sprechen. Die Thraker standen
in ihrer Gottes- und Lebensanschauung, in ihrer Poesie und Prosa des Daseins
nicht höher als ihi'e Nachbarn im Süden und im Norden; blühte unter ihnen
aber ein Orpheus, Thamyris (vergl. Homer, II. Üb. IL 595) und andere mythi-
sche und historische Dichter und Säuger, deren Kunst die Griechen entzückte,
— wie sollten nicht Germanen, die selbst in den rauhsten Ländern des alten
Europa Poesie und Musik zu pflegen wussten, nicht eine gleiche Empfänglich-
keit für thrakischeu Sang und Klang gehabt haben! Zu unpsychologischen
Folgerungen wäre hier auch die entschiedenste Skepsis nicht berechtigt. In-
dessen lassen sich deutliche Spuren eines Einflusses der Thraker auf die Ger-
manen auch aus der Sagenkunde nachweisen, selbst in Bezug auf zarter5 lyrische
Fragen. Ein Beweis hierfür ist u. A. der Umstand, dass die gemüth volle
deutsche Sage, nach der Hirten, die auf dem Grabe eines Sängers geruht, Ge-
sangeskunde überkam, fast vollständig mit einer von Pausanias erzählten, sich
auf die Wirkung des Orpheus'schen Grabes beziehenden Sage der Thraker
übereinstimmt, und dass ebenso Thraker und Germanen sich in dem Volks-
glauben, die Seele des Sängers lebe in der Nachtigall fort, begegneten. Was
aber hier von dem Inhalt, muss am Ende auch von der Form gelten, denn
wo im entfernten Alterthum eine Sage oder ein Glaube lebten, lebten sie vor-
zugsweise im Liede und im Sänge, und wir haben keinen Grund für die etwaige
Annahme, dass hier Liedes- und Sangesform bei den alten Germanen eine durchaus
rohe im Vergleich zu der thrakischen gewesen sei. Dass indessen die Sage von den
gesangskundigen Hirten bis nach demalten Skandinavien vordringen konnte, dürfte
wohl darin die einfachste Erklärung finden, dass schon »vor undenklichen Zeiten«
— auch hierin folgen wir den historischen Folgerungen G. Grimm's — Stamm-
angehörige der Daken, welche die nächsten Nachbarn der Geten waren, nach dem
hohen Norden gewandert waren und dort die Stammväter der Dänen wurden.
Nicht minder beachtenswerth ist ferner die Mittheilung des Aristoteles (Prohlem.
sect. XIX. 28), dass die Agathyrsen, welche schon zu Herodot's Zeiten nörd-
lich von den Geten, in den heutigen siebenbürgischen Karpathen, lebten, selbst
ihre Gesetze singend vortrugen. Ist es auch unentschieden, welchen Ursprungs
dieses Volk war, — sie standen wenigstens geographisch mehreren germanischen
Völkerschaften so nah, dass auch • zwischen diesen beiden Theilen eine gewisse
Uebereinstimmung im musikalischen Wissen und Vermögen anzunehmen ist.
Was endlich die deutschen Geten betrifft, die durch ihr Unsterblichkeitsbewusst-
Germanen, ]^99
sein selbst den stolzen Grriechen imponirten und daher von diesen auch willig
»Unsterblich lebende« [a&ava^ovvrs.q) genannt wurden, so musste namentlich ihr
Musikwissen ein sehr hervorragendes gewesen sein, wenn wirklich ihr weiser
Gresetzgeber und Lehrer Zamolxis ein Freund des Pythagoras gewesen und
dessen mit Zahlen und Tönen so innig zusammenhängende Kosmologie in sich
aufgenommen. Andererseits müssen ihre Gesänge nicht wenig eindringlich dem
Ohr und dem Herzen gewesen sein, wenn trotz der feindlichen Einfälle, welche
ihr Land später von mehreren rohen Horden erlitten, sich dort dennoch mancher
alte Gesang und manche damit verbundene Kunde sogar bis in das 6. Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung erhalten und dem Mösegothen Jordaues oder
Jornandes Stoff zu seinem Werke y>De Getarum sive Gothorum origine et rebus
gestisv. bieten konnte. Freilich war es dem Jornandes, wie allen damaligen
christlichen Gelehrten und Priestern, durchaus nicht darum zu thun, die ger-
manisch-heidnische Art, die Gottheit, die Geschichte, die Liebe, die Tugend
u. s. w. zu singen, auf seine Glaubensgenossen zu übertragen. Mehr und mehr
bildete sich bei jenen in Uebereinstimmung mit der kosmopolitischen Idee des
Christenthums eine viel einfachere, allen Nationen zugängliche musikalische
Form für dasjenige aus, was sie fortan und zwar vor Allem kirchlich empfinden
sollten. Drum erfahren wir auch nichts von jenem wackeren Gothen, worin
die eigentliche Tonkunst seiner Landsleute in alter und zu seiner Zeit bestand.
Desto gewissenhafter erzählt er aber nach einer geschichtlichen TJ eberlief er ung,
dass dem Philippos, Alexanders Vater, als derselbe einst die Geten mit Krieg
bedrohte, aus den plötzlich geöffneten Thoren einer Stadt Pi'iester mit Cithern
(wahrscheinlich Lauten oder Harfen) und in weissen Gewändern entgegentraten,
zugleich mit einem bittenden Gesang ihre heimathlichen Götter drum angehend,
dass sie, ihnen gnädig, die Macedonier zurückdrängten (unde et sacerdotes
Gothomm aliqui, Uli qui Fii vocalatiir , subito patef actis portis, cum citharis et
vestibus candidis obviam sunt egressi paternis diis , ut sibi propitii Macedones
repellerenf, voce suppUci modulantes), eine Mittheilung, welche auch noch besonders
durch die des Alhenaeus (14, 24), dass die Geten die Cither spielend Unter-
handlungen pflogen [Ferai, cprjai., xiüdgag '^/ovtsq xai xe&agi^ovreg rccg
hmy.riQvxdaq noLOVvrcci) unterstützt wird. Nicht minder wichtig ist auch die
Mittheilung des Jornandes, wonach die Westgothen einen Klagegesang um ih^-en
König Theodorich, der 451 bei Chalons fiel, unter Harfenbegleitung anstimmten.
— Zur Zeit des Augustus scheinen die Geten , wahrscheinlich schon in Folge
fremder störender Einflüsse, die Musik als Weihe ihres religiösen und socialen
Lebens eingebüsst zu haben; wenigstens weiss Ovid, der unter ihnen fünf Jahre
in der Verbannung gelebt und selbst ein getisches, leider verloren gegangenes
Gedicht verfasst hatte, nichts davon zu einzahlen. Indessen hat man auch hier
den Glanz und Wohlleben liebenden Römer nicht zu vergessen, dem es am
Ende in seinem einsamen Aufenthalt "zu Tomi am schwarzen Meere nicht um
eine unparteiische Auffassung getischer Culturzustände , sondern vielmehr um
eine Klage über dieselben zu thun war, um die Theilnahme seiner Landsleute
für sich zu gewinnen. — Die bedeutendste Quelle für das Studium der Gottes-
und Lebensanschauungen, sowie der Tonfreude der alten Germanen, eröffnet
sich in den Sammlungen altnordischer Lieder und Sagen, die in Island im
11. Jahrhundert von dem christlichen Priester und Weisen Sämund Sigfusen
und ein Jahrhundert später von dem Statthalter Snorri Sturluson veranstaltet
sein sollen und unter dem Namen »ältere und jüngere Edda« (Urgross-
mutter, aber auch Wissenschaft, Lehre) bekannt sind, wie endlich in der zum
Theil auch von Snorri verfassten »Heimskringla« , einer mit Mythen und
Skaldenliedern untermischten Geschichte der nach dem Norden gewanderten
Gotho-Germanen. Nach der Heimskringla waren Odin, der erste aller Äsen,
als ein grosser Heer-Mann und alle Diar (Götter) von Asgard in Asien zuerst
nach Garda-riki (dem späteren Russland) und dann nach Saxland (Sachsen)
gezogen. Nachdem er hier in allen Reichen seine Söhne zur Landesbeschirmung
200 Germanen.
zurückgelassen, gelangte er endlich nach Seeland und Schweden. »Er sprach«
— vergl. "Wächter's wortgetreue TJebersetzung jenes Werkes — »alles in Versen
(hendujiin von hending, eine metrisch verfasste Strophe), so wie nur gesunrijen
wird, was skaldsicapr (Dichtkunst) heisst. Er und seine Hofdogen (Teinpel-
priester) heissen liöda smuUr (Liederkünstler) darum, dass diese Kunst sich
anhob von ihnen in den Nordlanden.« Und endlich: »Aber als er (Odin) ge-
kommen war zum Tode, Hess er sich marken mit Spiesses-Spitze und eignete
sich zu alle waffentodten Menschen; er sagte, er verde fahren nach Godheim
und empfangen dort seine Freunde. Nun dachten die Schweden, dass er ge-
kommen wäre in das alte Asgard und würde dort leben zum Ewigleben.« —
Schon diese wenigen Hinweise des isländischen Historikers und Skalden auf den
erst durch den Tod zur Unsterblichkeit sich erhebenden Liederkünstler Odin
können unser Urtheil über die nordische und speciell germanische Tonfreude
sicherer leiten, als Alles, was über dieselbe die RöJuer und ihre kritiklosen
Nachbeter, vor allen jedoch der Kaiser Julian, der Apostat, der den Gesang
der alten Germanen sogar mit dem Gekrächze wilder '^Phiere verglicli, in feind-
licher Weise gefabelt haben. Odin und die anderen ihn auf seinen Heerzügen
begleitenden Äsen und Helden kehren nach dem alten Asgard zurück, und
welche Gesangsfreude nun besonders in Walhall herrschte, darüber nährten
alle germanischen Völker nicht weniger lebendige Vorstellungen als über jede
andere Götterlust. Ist es aber eine unbestreitbare Wahrheit, dass der Mensch
seine Gefühle und Gedanken nicht ohne deren gleichzeitige Veredelung in einen
Himmel versetzt, so kann auch der erträumte Gesang in den Hallen der Götter
nicht ohne einen bildenden Einfluss auf den Geschmack und die Gestaltung
des irdischen geblieben sein. Vor Allem kennzeichnet sich dessen Pflege und
Begünstigung bei den alten Normannen als eine wichtige Angelegenheit der
Könige. Jeder derselben unterhielt an seinem Hofe Skalden, welche seine
Thaten zu besingen hatten. Dass, beiläufig bemerkt, diese Thateu eines Ge-
sanges stets würdig blieben, darauf musste er um so sorgsamer Bedacht nehmen,
als ein bloss schmeichlerisches Lied nie von den Lippen des Volkes erklungen
wäre und es schon deshalb kein Avahrer Sänger jemals augestimmt hätte. Ausser-
dem bemühten sich auch manche Fürsten selber um die hohe Kunst der Skal-
den. Wahrhaft Grosses muss darin aber ein dänischer Prinz Horand, ein
echter Orpheus des Nordens, geleistet haben, da er — folgen wir hierfür einer
Schilderung des altnorddeutschen Gudrunliedes — durch den Zauber seiner AVei-
sen nicht allein die Thiere des Waldes aufhorchen machte und das Gemüth
der rauhsten Krieger weich und menschenfreundlich zu stimmen vermochte,
sondern sogar das Herz einer sittigen Königstochter, nachdem ihr »die aller-
schönste Weise, die sie je vernommen«, in's Ohr geklungen, heimlich und gegen
den Willen ihres Vaters für die Minne eines ihr fremden Helden zu gewinnen
wusste. Diese Sage konnte nur auf der lebendigsten Vorstellung eines voll-
endeten Gesanges im Gegensatz zu weniger das Gemüth ergreifenden Gesangs-
leistungen beruhen. Wie indessen das Lied und seine schönste Vortragsweise,
so wurde ferner auch eine Instrumentalmusik von den Normannen gepflegt.
Der Harfe wird in den Skaldenliedern vielfach erwähnt. Ausserdem erzählt
noch die Heimskringla. dass ein alter Schwedenkönig Hugleik kein Heermann
gewesen, sondern nur Wohlgefallen an aller Art von Spielmännern, wie Harf-
nern und Fiedlern, gefunden, wie denn auch an einer andern Stelle, dass ein
König Skiöld selber Strandsignale geblasen habe. Als eines Säugerinstrumentes
scheint die Fiedel, gleichzeitig bemerkt, bei den alten Deutschen vervVendet
worden zu sein, wenn wir dieses aus einer Schilderung des Nibelungenliedes
(Vers 6835: er videlt süse done und sang ir sinu liet) entnehmen dürfen. —
Was nun die Eddalieder insbesondere betrifft, so finden wir, dass sie das oben
Angeführte nicht nur bestätigen, sondern sogar auch auf eine künstlerisch
durchdachte Behandlung des altgermanischen Gesanges schliessen lassen. Edel
in der ganzen Bedeutung des Wortes entfaltet sich vor uns ihr Inhalt und
Germanen. 201
ihre Form. Konnte mit diesen ihre gesangliche Vortragsweise, ihre Melodik,
wohl in einem so argen Widerspruch gestanden haben , dass dieselbe jeder
inneren künstlerischen Wahrheit entbehrt hätte! Eher ist es denkbar, dass heut
zu Tage mancher gebildete Isländer jene Lieder mit durchaus falschen Be-
tonungen recitirt, als dass sie damals, wo sie im Geist und Gremüth des Volkes
lebendig waren, falsch und demnach auch im eigentlichen Sinne unkünstlerisch
von einem Sänger vorgetragen wären. Um so mehr ist zu bedauern, dass ein
Anhang der jüngeren Edda uns zwar in dem Skaldskaparmal (Skaldschafts-
Reden, Dichtkunst-Reden) viel über die Gesetze der Dichtkunst erzählt, wie
auch in dem Hättali/lcill (clavis metrica) oder Bratjarhaettir (clavis poetica) an
Liederbeispielen über hundert darin abwechselnde Versmaasse vorführt, den-
noch über die Regeln, nach welchen die Edda- und Skaldenlieder gesungen
wurden, nicht den geringsten Aufschluss giebt. Als gehöre der gesangliche
Ausdruck dieser Lieder zu sehr zu ihrem eigensten Wesen und Leben, um
überhaupt, sei es durch das geschriebene Woi't, sei es durch besondere Zeichen
(etwa Runen) gekennzeichnet werden zu können, hatten die Verfasser jenes
Anhangs an eine diese Frage betreffende Erörterung so wenig gedacht, wie an
eine ähnliche Aufgabe die griechischen Musikschriftsteller, welche sogar bei
ihren vielen Hinweisen auf die Bedeutung ihrer Klanggeschlechter und Ton-
gattungen (Tropen), ihre Melodik und Rhythmik, es nicht einmal für nöthig
hielten, ihren Zeitgenossen eine Anwendung alles dessen auf einzelne ihrer
Lieder, etwa mit der Pythagoräischen Tonbezeichnung und einigen metrischen
Zeichen, vorzuführen. Wie man aber demnach zur Gewinnung einer leitenden
Vorstellung über die Rhythmik wie Melodik der griechischen Gesänge meist
nur Conjecturen (vergl. die darauf bezüglichen Arbeiten von Rudolph West-
phal und Moritz Schmidt) eintreten lassen konnte, so würden wir am Ende
auch nichts Besseres zu. einem TJrtheil über den gesanglichen Vortrag der
nordischen Lieder zu erwarten haben, wenn es zur Ermittelung desselben kein
sichereres Verfahren gäbe (s. unten). Ausserdem lassen besonders die ältesten
Eddalieder schon ihrem Wesen nach • — und zwar durch ihre meist nur in
Andeutungen einzelner Vorgänge und Empfindungen sich bewegenden Form,
welche jede erläuternde Breite ausschliesst, vv^ie nicht minder durch ihre in
Beiordnung und Gegenstellung der Gedanken sich kennzeichnenden Strophen,
deren Verse zugleich noch in Hebungen und Senkungen stets taktmässig vor-
wärts schreiten, und endlich durch ihre Stabreime — auf die Möglichkeit einer
melodiösen Vortragsweise schliessen, die in Vielem mit dem zusammentreffen
dürfte, was eine spätere Musiktheorie nur als eine auf dem Wege der Kunst-
entwickelung zu findendes oder gar zu erfindendes Gesetz hervorzuheben pflegt.
— Gehen wir nunmehr zu einer Betrachtunsr der Gesangslust der alten Deut-
schen kurz vor und nach Einführung des Christenthums über, so sehen wir
zunächst, dass sich hier die Verhältnisse für die Erhaltung heidnischer Lieder
durchaus ungünstiger gestalteten. Die neue, mit der Religion der allgemeinen
Menschenliebe gleichzeitig von Rom ausgehende Cultur und Kunst, welche eben
nur jener Liebe und deren hoher Selbstverleugnung dienen sollte, konnte sich
am allerwenigsten mit der deutsch-heidnischen Gesangspflege versöhnen. Daher
sollten unsere ersten christlichen Altvordern auch nur die kirchliche Gesangs-
art üben und zwar diejenige, welche Papst Gregor der Grosse allen christlichen
Völkern in einfachster, choralmässiger Form vorgeschrieben hatte, sogar in voll-
ständiger Abweichung von dem älteren Ambrosianischen Gesang, wo derselbe
sich noch in seiner metrischen Einrichtung der damals üblichen weltlichen
Musik näherte (vergl. Forkel, allg. Gesch. der Musik, Bd. IL S. 164). So-
wohl Pepin als auch Karl der Grosse begünstigten die Pflege des Gregoriani-
schen Gesanges durch Errichtung von Schulen in Gallien und Deutschland,
während von Seiten der Kirche nichts untei'lassen wurde, das Volk gegen
seine alten, mit Namen wie y>psahni plebeji vulgares, cantica rustica et inepfa,
laicorum cantus obscoenus, carmina diaholicav. etc. bezeichneten Lieder einzu-
202 Germanen.
nehmen. Besser erging es den Heldenliedern; diese hatten einen geschicht-
lichen "Werth, den auch die damalige G-eistlichkeit nicht verkannte. So benutzte,
wie früher .Tornandes die getischen Yolksgesänge, Paulus Diaconus, der um
das J. 780 am Hofe Karl's lebte, als Historiker und zwar für seine lombardi-
sche Geschichte diejenigen Lieder, die des Longobardenkönigs Alboin Kriegs-
fahrten, Tapferkeit und Freigebigkeit schilderten und nach dem Zeugniss des
genannten Geschiohtschreibers noch zu seiner Zeit von deutschen Völkern ge-
sungen wurden. Karl der Grosse suchte sogar noch diese vereinzelten rhapso-
dischen Gesänge dadurch zu erhalten, dass er sie sammeln Hess, wie es sein
Schwiegersohn und Geschiclitschreiber Eginhard in der Vita Caroli imperatoris
Cap. 29 in den für uns sehr beachtenswerthen Worten: y>Ite7n barbare et anti-
quissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur , scripsit
memoriaeque mandavitis. meldet. Leider wurden einige dieser niedergeschriebenen
Lieder später in's Lateinische übersetzt , dem sich die Tongänge und der
Bliytlimus des deutschen Gesanges nicht mehr anpassen konnten, während die
deutsche Sammlung unbeachtet blieb und in Folge dessen auch verloren ge-
gangen ist. Schon im 12. -Jahrhundert kannte man dieselbe nicht mehr, da
bei der in dieser Zeit begonnenen Abfassung der Nibelungen, der Gudrun und
anderer kleinerer epischer Dichtungen zu diesen den Stoff nur noch solche Yolks-
gesänge lieferten, welche theils unter dem Einfluss neuer Lebensanschauungen
und Verhältnisse, theils mit der "Wandlung der alten Sprache in die mittel-
hochdeutsche nicht allein in Vielem eine wesentliche Veränderung ihres ur-
sprünglichen Inhalts, sondern auch ihrer alten poetischen Form und der damit
zusammenhängenden gesanglichen Vortragsweise eingebüsst hatten. Aehnliches
würde endlich auch von dem gesanglichen Vortrag des angelsächsischen Beowulf
gelten, zu dem ebenfalls ältere deutsche Gesänge nur den Stoff geboten haben.
Anders verhielt es sich jedoch, was die Melodik betraf, mit den kürzeren, mehr
in einem Ausdruck des Gefühls sich bewegenden Liedern der alten Germanen.
Von diesen konnten mit der Zeit wohl die alten Texte, doch nicht die alten
Weisen vollständig vergessen werden , nachdem nun einmal dieselben das Herz
und das Ohr des deutschen, stets gesangsfrohen Volkes für sich eingenommen.
Letzteres wird ganz besonders durch die gerade gegen jene Gefühlslieder ge-
richteten Verbote bestätigt, die sich sogar in die ersten christlichen Kirchen
und Klöster hineingedrängt hatten. Nicht ohne gewichtige Gründe schrieb
der h. Bonifacius: r>Non licet in eeclesia ehoros secularium et puellarum cantica
exercerev. und verbietet andererseits ein öapitulare von 789 den Klosterfrauen
die Abschrift von winileocles (aus winja = Geliebte, Freundin und leod oder liud =
Lied). — Diese und ähnliche Verbote werden in den meisten, die älteste deutsche
Poesie behandelnden Werken näher besprochen; für uns haben nur die musi-
kalischen Gründe Bedeutung, nach welchen in der ersten Zeit sich selbst noch
die nächsten Angehörigen der christlichen Kirche für die betreffenden Lieder
erwärmen konnten. Was jedoch das Wesen ihrer Melodien betrifft, so würde
sich uns dasselbe am einfachsten erschliessen , wenn wir von einigen unserer
heutigen Volksmelodien den Nachweis liefern könnten, dass wir sie als Nach-
klänge jener betrachten dürfen, welche schon unsre heidnischen Altvordern
entzückten, und so mögen zur Klärung auch dieser Frage hier einige Er-
wägungen dienen. »Im Volk« — sagt u. A. der Kapellmeister Schletterer in
seiner »Geschichte der geistlichen Dichtung und kirchlichen Tonkunst« S. 119 —
»pflanzten sich die Heldensagen fort, kannte man die Lieder der Nibelungen
und die Mären von Dietrich von Bern; im Volk entstanden zahllose Spott-
und Liebeslieder, deren so manche sich bis auf den heutigen Tag erhalten
haben. Kein anderes Volk hat den Gesang als Gemeingut so besessen oder
besitzt ihn noch so, wie das deutsche; bei keiner anderen Nation hat er sich
ohne äussere Pflege so aus dem Volke selbst herausgebildet, wie hier.« Trat
in Anbetracht dessen für ein Lied und die gleichzeitige Bildung einer ihm
entsprechenden und allgemein gefälligen Melodie nun auch stets das Genie des
Germanen. 203
Einzelnen ein, — sympathisch und somit recht eigentlich gehörten seine Ton-
empfindungen und die innere Gesetzmässigkeit ihres Ausdrucks dem Volke an,
dessen Charakter und Empfindungsweise wir nicht bloss nach Jahrhunderten
bemessen dürfen. Demnach aber ist es nicht allein eine gebotene Voraus-
setzung, dass wir heute wohl noch manche Melodieen besitzen, welche, freilich
mit durchaus anderen Texten, auf die Tonfreude unserer heidnischen Vorzeit
zurückzuführen wären, sondern zugleich eine der erspriesslichsten Aufgaben,
ihren sicheren Kriterien nachzuforschen. Was diese betrifi"t, so können zunächst
die eigenthümlich schönen, oft weit ausschreitenden Tongänge, welche einige
unserer beliebtesten Volksmelodien auszeichnen, wie gleichzeitig auch deren
natürliche organische Structur die Annahme eines mehr als tausendjährigen
Alters derselben eher unterstützen als widerlegen, wenn man bedenkt, dass
eigentlich nur derartige Melodien sich als unvergessbare von Munde zu Munde
fortzupflanzen im Stande waren und dass andererseits weder wirklich zutreffende
psychologische noch historische Beweise bisher geboten werden konnten, welche
uns, wie schon oben angedeutet, die nothwendigen Bedingungen einer schönen,
allgemein ansprechenden Melodik nur als Sache einer späteren Erfindung auf-
zufassen gestatten. Vielmehr gälte wohl auch von diesen Bedingungen, was
ein so hervorragender Musikhistorikei", wie Kiesewetter, von einer vor aller
Musiktheorie stets correcten alten Musikpraxis wiederholt behauptet hatte und
nachträglich auch noch von Ambro s zu einer gerechten Würdigung dessen, was
das musikalische Ingenium zu allen Zeiten selbst in Bezug auf eine richtige
Theorie vor einer dieselbe nur mit einem schwerfälligen Calcül erstrebenden
Schule voraus gehabt hat (vergl. u. A. Ambros, Greschichte der Musik Bd. I.
S. 56 und 57). Endlich lässt uns auch eine Betrachtung der alten deutschen
Volkslyrik, wie sie besonders Wilmar in seiner »Greschichte der deutschen Na-
tionalliteratur« (Bd. I, S. 392 u. ff.) beleuchtet, auf eine fortdauernde Belebung
derjenigen Volksmelodien schliessen, welche seit Alters her das Gemüth unserer
Altvordern mit Sangeslust erfüllten. Gestaltete sich diese Volkslyrik auch,
wenn wir hier zugleich der Limburgischen Chronik aus dem 14. Jahrhundert
folgen, vorzugsweise nach dem Wechsel der Zeitinteressen, — die aus ihnen
hervorgegangenen Volkslieder vermochten dann nur um so sicherer eine allge-
meine Verbreitung zu gewinnen , wenn sie sich in die alten beliebten Weisen
kleideten, wo sie sofort, wie Wilmar bemerkt, auf allen Strassen und in allen
Herbergen, von B.ittern und Knechten, zu Stadt und Land gesungen und ge-
pfiffen werden konnten, zumal dieser Umstand durchaus noch nicht die damals
schon übliche Composition für eine freiere Tonbewegung ausschloss — eine
Composition, in der sich, wie ebenfalls die Limburgische Chronik andeutet,
u. A. auch ein Mönch ganz besonders ausgezeichnet hatte. — Hiermit gelangen
wir endlich zu der wichtigsten Frage für die Vorstellung eines altgermanischen
Gesanges. Konnte derselbe schon als ein sicheres Traditionsmittel für alles
Wichtige, was die alten Weisen und Gesetzgeber in der vorschriftlichen Zeit
dem Geiste und Gemüthe des Volkes einzuprägen wünschten (vergl. Wuttke,
Entstehung und Umwandlung des Schriftthums) nicht den Charakter der
freieren, oft ganz individuellen Tonbewegung besitzen, welche unseren heutigen
Liedern ihren musikalischen Ausdruck und Heiz verleiht, so musste, wie wohl
bei allen Völkern des höheren Alterthums, auch bei den Germanen die Sprache
und Musik in der innigsten Beziehung zu einander gestanden haben, und zwar
der Art, dass es jedem Gesangskundigen nie zweifelhaft bleiben konnte, wie er
ein Helden-, ein religiöses, ein erotisches Lied u. s. w. sofort richtig, d. h, in
dem innigsten Zusammenhange von Sprache und Musik, zu behandeln hatte,
selbst wenn sich mancher Gesang auch in den kühnsten Intervallen bewegte.
Giebt es nun aber, wie es sich historisch und durch praktische Versuche nach-
weisen lässt (vergl. u. A. den Artikel »Arabische Musik« und des Verfassers
»Sprachgesang der Vorzeit« etc.), zunächst nur zwei Möglichkeiten für die Regelung
einer solchen Sprachmusik, und zwar die schwierigere, sich in den Ton-
204 Germanen,
gänf]fen lediglich von den Worten, bezugsweise von den Gefühlen und Vor-
stellungen des Textes leiten zu lassen, und die ungleich leichtere, die Töne
durch die Laute der AVörter und nur ihre Höhe und Tiefe nach den Empfin-
dungen z. B. der Freude und des Schmerzes, der Ruhe und der Leidenschaft
zu bestimmen, so liegen die entscheidendsten Gründe für die Annahme vor,
dass bei unseren Altvordern einzig und allein die leichtere, durch Laute be-
stimmte Melodik der einzelnen Lieder seit Alters her üblich gewesen und sich
bis zur Einführung des Chi'istenthums bei ihnen erhalten hatte. Ob ihr eigenes
Ingenium auf diese Art, die Musik in die engste Beziehung zur Sprache und
umgekehrt zu bringen, verfallen war, oder ob sie dieselbe in ihren ehemaligen
asiatischen Ursitzen direct oder indirect von denjenigen semitischen Völkern,
welche sie nachweisbar pflegten, erhalten hatten, dürfte selbst noch nach Ge-
winnung eines grösseren positiven Materials für die Erkenntuiss der ältesten
Musik nicht so leicht zu entscheiden sein. Immerhin bliebe hier für die An-
nahme eines semitischen Einflusses der Umstand beaclitenswerth , dass selbst
die Runen, und zwar von einigen unserer bedeutendsten Paläographen , wie
u. A. von dem Leipziger Prof. Wuttke, auf einen semitischen Ursprung, die
altphönizische Lautbezeichnung, zurückgeführt werden. »Zu den Indogermanen«
— sagt ferner Friedrich Spiegel in der Vorrede seiner Avesta Bd. 1 — »ge-
hörten die Perser vermöge ihrer Herstammung und Grundanschauung, zu den
Semiten vermöge ihrer Bildung.« Nun aber standen die Perser auch verwandt-
schaftlich den alten Germanen so nahe, dass diesen zur Zeit ihres asiatischen
Asenthums (s. oben) schon durch persische Vermittlung das so einfache Mittel,
Sprache und Musik aufs innigste mit einander zu verschmelzen, bekannt wer-
den musste, wubei für sie dann nur der Versuch geboten war, wie weit ihre
Sprache das dichterische und gleichzeitig musikalische Genie in der Bildung
von Versen unterstützte, welche in ihrer Lautfolge und Rhythmik zugleich den
wohlgefälligsten Tongängen einer Stroplienmelodik entsprechen konnten. Alle
diese berechtigten Schlüsse würden uns jedoch noch nicht den wahren sprach-
lichen Charakter unserer ältesten Melodien erkennen lassen, wenn nicht sämmt-
liche uns bekannte altgermanische Lieder und Liederreste, mögen sie den alten
I>eutschen oder Normannen angehört haben, in der Alliteration den sicher-
sten Hinweis dahin böten, dass sie, ganz entgegengesetzt dem etwaigen musi-
kalischen oder poetischen Zweck moderner alliterirender Verse, mit der Wieder-
kehr der gleichen Laute auch die Wiederkehr gleicher Töne forderte, schon
um dadurch die Uebereinstimmung eines längeren, sich in seiner Strophen-
melodie durchaus nicht wiederholenden Volksgesanges, den unsere Altvordern
stets mit Liebe gepflegt haben, zu ermöglichen. Unter den Germanisten hat
sich Wilmar in seinem oben erwähnten Werke (S. 34 und .35) zuerst für diese
musikalische Bedeutung der Alliteration ausgesprochen, wobei er noch den
musikalisch nicht minder wichtigen Umstand hervorhebt, dass »der Gebrauch
dieser alliterirenden Versform eine Fülle von stehenden, aus der Sache ge-
schöpften, nicht dem Dichter, sondern dem ganzen Volk angehörenden Foi'meln
und Redensarten voraussetzt«, mithin also selbst in grössere, meist nur recita-
tivisch zu behandelnde Gesangstexte, Redewendungen und Aussprüche hinein-
zubringen gestattete, welche durch ihre allgemein bekannten und beliebten
Toiigänge jenen Texten mitunter sogar den Reiz eines mannigfaltigeren Ton-
wechsels verleihen mussten. — So weit ein historisches und sprachwissenschaft-
liches Ermessen der altgermanischen Gesangslust; das Uebrige aber Hesse sich
hernach wohl nur noch auf dem Wege der praktischen Versuche ermitteln.
Gelänge es uns nämlich, durch eine deklamatorisch richtige Recitation und durch
gleichzeitig musikalische Experimente aus jenen Alliterationen die alte Laixt-
und Tonscala, welche die Sänger bei dem gekennzeichneten Sprachgesang noth-
wendig geleitet, zu gewinnen, so wäre damit auch das Geheimniss der ursprüng-
lichen Melodik gefunden, in welcher sich u. A. die bekannten Merseburger
Zaubersprüche, das Lied von Hildebrand und Hadubrand und wohl auch die
Gern — Gernsheim. 205
älteren Eddalieder bewegten, überhaupt derjenigen altgermanischen Lieder, welche
sich noch als vollständig frei von jedem späteren Einfluss einer christlichen
Kunstanschauung erkennen lassen. Das Kriterium für die Echtheit jener Me-
lodik läge vor Allem in ihr selber, in ihrer nothwendig organischen Structur
und Wohlgefälligkeit, ohne welche Bedingungen am allerwenigsten wahre, von
Mund zu Munde sich fortpflanzende Volksweisen denkbar sind. Indessen wäre
bei einer grösseren Anzahl so wieder hergestellter uralter Melodien auch die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie hier und da Tongänge zeigten, welche
manchen heutigen, voraussetzlich uralten Yolksmelodien ihren besonderen Keiz
verleihen — ein Umstand, der schliesslich sogar noch zu Versuchen führen
müsste, aus diesen oder jenen charakteristischen, als Compositionen nicht nach-
weisbaren Volksmelodien altgermanische Verse zu reconstruiren. — Wie viel
in derartigen musikalischen und sprachlichen Versuchen in neuester Zeit ge-
schehen, würde sich hier erst dann für eine nähere Darlegung eignen , wenn
zur Vergleichung der Eesultate sich bereits mehrere an den betrejBfenden Ar-
beiten betheiligt hätten. Leider ist für dieselben von unseren derzeitigen
Musikhistorikern, denen in den vorliegenden Fragen das leichtere Spiel von
blossen Conjecturen und Vermuthungen ungleich mehr zuzusagen scheint, wenig
zu erwarten, und so wird es wohl vorzugsweise die Aufgabe der musikkundigen
Grermanisten bleiben, uns die letzten und wichtigsten Aufschlüsse, welche eine
altgermanische Tonfreude betrefi'en, zu ertheilen. — Was schliesslich eine In-
strumentalmusik der alten heidnischen Germanen betrifft, so ist das Wenige,
was über eine solche oben angedeutet worden, zugleich auch das historisch
Glaubwürdigste, Wo, wie überhaupt im Alterthum, die Tonfreude vorzugs-
weise an das Wort gebunden war, konnte eine besondere, gleichzeitig Harmonie
bedingende Instrumentalmusik auch nie zur Entwicklung gelangen; dagegen
mögen zumeist Harfe und Fiedel zur Erleichterung eines zumal in schwierigeren
Intervallen sich bewegenden Gesanges unseren Altvordern die wesentlichsten
Dienste geleistet haben. L. Arends.
Geru, Johann Georg, einer der vortrefflichsten deutschen Opernsänger,
geboren am 20. März 1757 zu Eottendorf bei Würzburg, wo sein Vater,
Michael G., gestorben 1804, Schulmeister war. Mit schöner sonorer Bass-
stimme begabt, erhielt der junge G. in Würzburg eine gute gesangliche Aus-
bildung und debütirte am dortigen Theater mit Erfolg. Von 1780 bis 1785
war er am Nationaltheater zu Mannheim engagirt, wo er ein bevorzugter Lieb-
ling des Publikums war. Als kurfürstlicher Hofsänger folgte er 1795 einem Rufe
nach München und ging endlich 1801 an das Hof- und Nationaltheater zu
Berlin. Hier fand er einen lohnenden, ruhmbringenden Wirkungskreis und
Auszeichnungen, die seiner umfangreichen, angenehm vollen Stimme, wie seinen
gründlichen musikalischen Kenntnissen überliaupt galten. Seit 1816 trat er
nur noch selten auf, wurde aber erst 1829 in den wohlerworbenen Ruhestand
versetzt und starb am 11, März 1830 zu Berlin.
Geruadieh ist in der persischen Musik der Name für die siebente diato-
nische, unserm g entsprechende Stufe der Tonleiter. In ihrer Weise, durch
Farben die diatonischen Klänge darzustellen, gaben die Perser den G. genann-
ten Ton durch Hellblau wieder, 0.
Geruleiu, trefflicher Guitarrespieler und Componist sentimentaler, zu ihrer
Zeit beliebter Lieder, lebte in Berlin und hat sich auch als Schriftsteller durch
seine »Musikantenbilder« (Leipzig, 1836) bekannt gemacht.
Gerusheiiii, Friedrich, vortrefflicher deutscher Pianist, hei'vorragender
Componist und Dirigent, wurde am 17. Juli 1839 zu Worms geboren und war
der Sohn eines Arztes. Musikalische Anlagen, die G. schon im dritten Lebens-
jahre zeigte und die von seiner Mutter, einer clavierspielenden Dilettantin,
genährt wurden, erregte die Aufmerksamkeit der Kenner, besonders als sie in
Gestalt frühzeitiger Compositionsversuche sich geltend machten, und von allen
Seiten wurden die Eltern bestürmt, den Sohn der Musik ausschliesslich zu
206 öero.
■widmen. Der damalige Musikdirektor Liebe in Worms übernahm den ersten
Musikunterricht G.'s, der 1849 in Mainz bei Pauer und sodann in Frankfurt
a. M. bei Kosenhain sich bis zur teclinischen Virtuosität vervollkommnete. In
letzterer Stadt, welche die Eltern der Stürme der Revolutionszeit wegen auf-
gesucht hatten, studirte Gr. auch A'ioliiispiel und ganz besonders unter J. C.
Hauffs Leitung Theorie der Musik, Schon 1850 trat er in einem Concert
im Stadttheater als Pianist und als Componist einer Ouvertüre unter ermun-
terndem grossen Beifall auf und machte alsbald hierauf eine Kunstreise durch
die Rheingegenden, auf welclier er besonders in Strassburg und Cöln Aufsehen
erregte. Von wohlmeinenden Autoritäten der Kunst gut berathen, unterbrach
er 1852 plötzlich die Virtuosenlaufbahn und gab sich auf dem Couservatorium
zu Leipzig bei Moscheies, Hauptmann, Rietz und Richter von Neuem mehr-
jährigen gründlichen Studien hin , nach deren Beendigung er 1855 weitere
künstlerische Anregungen in Paris suchte, woselbst er bald auch als Pianist und
Lehrer im Interesse der guten Musik wirkte. Als einor der besten Interpreten
Chopin's und Schumann's dort anerkannt und hochgeschätzt, richteten sich
dennoch seine Blicke nach einem Wirkungskreise im Vaterlaude, und er nahm
die erste Musikdirektorstelle an, die ihm von dort aus geboten wurde — die
in Saarbrücken im J. 1861. Ein Künstler von Gi.'s Begabung und Tüchtig-
keit konnte hier freilich nicht lange Genüge finden, jedoch brachte er, als
Dirigent, Lehrer und Componist jugendfreudig wirkend und schaffend, bald die
musikalischen Verhältnisse dieses Ortes, die in den Concerten gipfelten, zu einer
ansehnlichen Blüthe. Im J. 18G5 endlich bot ihm Cöln eine entsprechendere
und wichtigere Stellung. Er wurde Lehrer des Pianofortespiels, bald auch des
Contrapunkts und der Fuge am dortigen Conservatorium, und man übertrug
ihm in der Folgezeit auch die Direktion der musikalischen (lesellschaft, des
städtischen Gesangvereins und des Sängerbundes, endlich, im Herbst 1873, zum
grössten Vortheil für das Stadttheater und dessen Ruf, die des Opernorchesters.
Ausserdem wirkte G. in den Musikabenden für Kammermusik und in den Con-
certen des Cölner Tonkünstlervereins mitunter als Pianist mit und fesselte und
bewegte die Hörer durch die edle Classicität seines Spiels und die Cougenialität
in treuester, reproductiver Wiedergabe der Meisterwerke. G.'s Bedeutung ruht
indessen hauptsächlich in seiner eigenen Gestaltungskraft, die auf dem Gebiete
der Pianoforteliteratur und Instrumentalmusik, von der Claviersouate in F-moll
an, nur liebenswürdige Blüthen getrieben hat. Ein frisches, seelenvolles Ge-
müthieben entfaltet sich in allen seinen Wei'ken, reizvolle Melodik, oft gesteigert
zu wahrhaft dramatischem und farbenreichstem Ausdrucke in dui'chaus charakte-
ristischen Tonbildern und Stimmungen treten dem Hörer in anregend poetischer
Weise daraus entgegen. Beweis dafür sind seine Clavierconcerte, von denen das
in C-moll, von G. selbst 1870 in einem der Conservatoriumsconcerte in Paris vor-
getragen, auch im Auslande bewundernde Anerkennung fand, ferner seine Clavier-
und Streichquartette und Violin- und Violoncello- Sonaten und von chorischen
Werken sein «Salve regina« für Sopran, Frauenchor und Orchester, sowie die
schwungvollen Männerchöre »Salamis«, »AVächterlied« und »Römische Leichen-
feier«, sämmtlich mit Orchester. Den ersten Rang nehmen aucli seine poesie-
vollen Tonstücke für Ciavier allein, bestehend in Sonaten, Suiten, Präludien,
Variationen u. s. w. ein. Zurücktretend sind einige Liederhefte und eine
Ouvertüre zu »Waldmeisters Brautfahrt« zu bezeichnen, welche letztere offenbar
den Stempel der Gelegenheitscomposition trägt. — Durch die Plastik und
Klarheit seiner Tonschöpfungen und die ihnen inne wohnende Poesie und
Frische erscheint G. unter den Componisten der Gegenwart besonders befähigt,
bei weiterer künstlerischer Entwickelung berufen zu sein, im edelsten Sinne
des Wortes zu voller Popularität und Anerkennung seiner AVerke zu gelangen.
(Jero, Giovanni de, einer der bemerkenswertheren italienischen Compo-
nisten in der Zeit unmittelbar vor Palestrina, ist zu Ausgange des 15. Jahr-
hunderts geboren. Als Tonsetzer kennt man ihn seit 1519, da sich in einem
Geronc — Gersbach. 207
Sammelwerke dieses Jahres aucli eine Motette seiner Composition befindet.
Madrigalen- und Motettensammlungen von ihm selbst erschienen aber erst
während der Jahre 1541 bis 1582 und zumeist in mehreren Auflagen, so »Jfo-
drigali e canzoni alla francesi a 2 vocia (Venedig, 1552, 2. Aufl. 1559) und
y>Madrigali a 3 ■yoc»« (Venedig, 1556, 2. Aufl. 1570). G. war in seiner Blüthe-
zeit Kaj)ellmeister an der Kathedralkirche zu Orvieto und trat von dort aus in
die Dienste des Herzogs von Perrara. In Frankreich, Deutschland und den
Niederlanden war G., und dies bezeugt seinen damaligen Weltruf, allgemein
unter dem Namen Maistre Jan oder Ihan bekannt, wie denn seine Compositionen
sich auch in den meisten deutschen, französischen und italienischen Sammel-
werken jener Zeit aufgenommen finden.
Geronc, Christoph, einer der tüchtigsten französischen Flötisten neuerer
Zeit, geboren 1797 zu Paris, machte seine Studien im Conservatorium seiner
Vaterstadt und wirkte später als Mitglied des Oj)ernorchesters, sowie als Lehrer
seines Instrumentes in verdienstvoller Art. Zahlreiche Compositionen von ihm
für Flöte sprechen auch für sein schaflFendes Talent.
Gerosi, einer der besten italienischen Orgelbauer neuerer Zeit, ist aus
Bergamo gebürtig und verewigte seinen Namen in mehreren grossen Orgel-
bauten Oberitaliens , z. B. in der Hauptkirche zu Piacenza, deren Instrument
eines der vorzüglichsten seiner Art sein soll.
(rersbach, Anton, trefflicher deutscher Musikpädagoge, geboren am 21.
Febr. 1803 zu Säckingen am Rhein, wurde von seinem ältesten Brvider, Joseph
Gr. (s. unten) und zweien Geistlichen seiner öeburtsstadt, Pfarrer Hempfer und
dem Cantor der Stiftskirche in Orgel- und Clavierspiel, sowie im Gesang unter-
richtet. Mit zehn Jahren kam er nach Zürich, wo sein Bruder als Musik-
lehrer lebte, durchlief das Gymnasium, studirte die alten Sprachen und war
ein eifriges Mitglied des Singinstitut Nägeli's. Mit seinem Bruder ging er
1821 nach Nürnberg, wo er sich für den philosophischen Cursus der Universität
vorbereitete und einigen Musikunterricht ertheilte. Hierauf bezog er im Herbst
1822 die Universität zu Halle und wollte ein Semester später eben nach Berlin
abgehen, als ihn Krankheit nöthigte nach Nürnberg und dann nach der Schweiz
zurückzureisen. In Zürich, wo er nun nur noch als Privatmusiklehrer wirkte,
fand er auch Heilung, verlebte den Winter auf 1825 bei seinem Bruder in
Karlsruhe und kehrte dann in seine frühere Clavierlehrerstellung in Zürich
zurück, in welcher Stadt er sich auch bei den öffentlichen Kundgebungen der
Vereine mitwirkend vielfach betheiligte und mit Compositionen für Ciavier und
Gesang hervortrat. Als 1830 sein Bruder als Musiklehrer am Seminar zu
Karlsruhe gestorben war, wurde er als Nachfolger desselben in die erledigte
Stelle berufen und ertheilte von Ostern 1831 an daselbst den Unterricht im
Gesang, Orgelspiel und der Harmonielehre. Später wurde er noch Dirigent
eines Vereins für Chormusik und erwarb sich Verdienste um Ausbreitung des
Geschmacks für classische Musik. Mitten in verdienstlicher Thätigkeit starb
er am 17. Aug. 1848 zu Karlsruhe. Von seinen musikalischen Arbeiten sind
im Druck erschienen: Variationen und Uebungsstücke für Ciavier, 25 ein- und
zweistimmige Kinderlieder für Volksschulen, sechs vierstimmige Gesänge, Männer-
chöre, Lieder für eine Singstimme mit Pianoforte und Anhang zu seines Bi uders
»Singvögelein«; ferner hat er nach Plänen und Entwürfen seines Bruders eine
»Tonlehre oder System einer elementarischen Harmonielehre« und eine theo-
retisch-praktische Clavierscliule veröffentlicht. — Sein bereits mehrfach erwähnter,
um die Elementar-Gesangmethodik verdienter Bruder, Joseph G., geboren am
22. Decbr. 1787 zu Säckingen, studirte, nachdem er von 1800 bis 1805 das
Gymnasium zu Villingen im Schwarzwalde besucht hatte, Philologie, Philosophie
und speciell Pädagogik zu Preiburg im Breisgau. Im J. 1808 verliess er die
Universität und ging als Musiklehi-er in eine Privat-Erziehungsanstalt nach
Gottstadt in der Schweiz, von wo aus er einen der Zöglinge, Hirzel aus Zürich,
1810 nach Lausanne und Stuttgart begleitete. Von 1811 bis 1810 lehrte er
208 Gerson — Gerstäcker.
nach einer eigenen rationellen Methode Olavierspiel, Clesang und Harmonielehre
in Zürich und beschäftigte sich nebenbei auch unausgesetzt mit Philosophie,
Mathematik und Aesthetik. Im J. 1816 unterrichtete er an einer Erziehungs-
anstalt in Würzburg, 1817 an einer eben solchen in Yfferten, wodurch er in
Berührung mit Pestalozzi kam und 1818 am katholischen Schullehrerseminar
zu Rastatt. Aber schon ein Jahr später ging er als Musiklchrer an eine
Knabenerziehungsanstalt in Nürnberg und verblieb daselbst bis Ende 1823,
wo er einen ehrenvollen Ruf an das neu errichtete Schullehrerseminar in Karls-
ruhe erhielt. Hochgeschätzt starb er in der Stellung eines Musiklehrers da-
selbst am 3. Decbr. 183U. Von seinen musikalischen Arbeiten finden sich ge-
druckt vor: »Singvöglein, 30 zweistimmige Lieder für die Jugend«; »Wander-
vöglein, 60 vierstimmige Lieder für Jung und Alt«; »Anleitung zur Singschule«;
»Eeihenlehre oder Elementar-Rhythmik« und »Liedernachlass mehrstimmiger
(i-esänge«. Seine Lieder sind von kräftiger, frischer Melodie und Harmonie.
Gersou, Jean de, eigentlich Jean Charlier, altfranzösischer Oelehrter
und Musikschriftsteller, erhielt den Beinamen »(xerson« von einem Dorfe in
der Diöcese Rheims, wo er 1363 geboren war. Er war nicht allein später als
Kanzler der Universität Paris, sondern auch durch sein kirchliches AVirken
namentlich auf den Synoden von Pisa und Constanz berühmt geworden, und
sein aussergewöhnlicher Ruf von Gelehrsamkeit und Frömmigkeit erwarb ihm
den ehrenvollen Namen -oDoctor christianissimusv.. Nach dem Concil von Con-
stanz aber traf ihn lebenslängliche Landesverweisung, verhängt vom Hei'zoge
von Burgund, welchen Jean Petit wegen des am Herzoge von Orleans verübton
Mordes zu Constanz öflFentlicli vertheidigt, C hingegen scharf angegriffen hatte.
Einige Zeit brachte er zu Rattenberg in Tyrol zu und schrieb daselbst das
Erbauungsbuch »i>e consolatione theologiaen] später veilebte er noch 10 Jahre
im Cölestinerkloster zu Lyon, in welchem sein Bruder Prior war. Hier über-
nahm er den Jugendunterricht und gab sich beschaulichen Betrachtungen und
Studien hin, bis er am 12. Juli 1429 in grösster Abgeschiedenheit und Armuth
starb. — In seinen gesammelten Werken (5 Bde., Amsterdam, 1706) befindet
sich ein lateinisches Gredicht »De laude musicaev^, ferner eine kleine Abhand-
lung y>De canticorum oriffinali ratioiiea, welche einige in der Bibel genannte
Instrumente beschreibt, endlich zerstreut viele Andeutungen und Belehrungen
über würdigen Cesang. Nicht unwichtig ist auch ein kleiner Tractat »De
disciplma puerorum«. aus den dem Gr. als Verfasser zugeschriebenen Werken
(Haag, 1728, Bd. 4 Seite 717 u. ff.), welcher die Statuten mittheilt, die er
für die Singknaben an der Hauptkirche zu Paris aufgestellt hatte und nicht
blos angiebt, was gesungen werden darf, sondern auch Vorschriften über guten
Gesang und die Erhaltung der Stimme enthält.
Gerson, Nicolaus, dänischer Tonkünstler, geboren['gegen Ausgang des
18. Jahrhunderts, wurde 1820 Kapellmeister in Kopenhagen und hat sich durch
grössere und kleinere Gesangwerke eine locale Bedeutung erworben.
Gerstäcker, Friedrich, einer der grössten und berühmtesten deutschen
Bühnensänger, geboren am 15. Novbr. 1790 zu Schmiedeberg in Sachsen, wo
sein Vater Chirurg war. Für das Studium der Medicin bestimmt, entwickelte
sich auf der Kreuzschule zu Dresden sein Älusiktalent, welches schon im Eltern-
hause durch Ciavierunterricht die erste Nahrung erhalten hatte , so auflfallend,
dass er sich der Tonkunst ganz zuwenden durfte. Besuch und häufige Mit-
wirkung im Chor der italienischen Oper, sowie der Geschmack, den er für das
Sängerleben gewann, bestimmten ihn, seine umfangreiche und biegsame Tenor-
stimme bei Benelli ausbilden zu lassen und zur Bühne zu gehen. Er debütirte
mit Erfolg bei der Nitz'schen Schauspielertruppe in Chemnitz , die auch das
Privilegium für Freiberg hatte. Von dort kam er, gewandter und ausgebilde-
ter, zur Seconda'schen Operngesellschaft, welche abwechselnd in Dresden und
Leipzig Vorstellungen gab, und von da an datirt sein grosser, von dem Enthu-
siasmus der Kritik und des Publikums getragener Ruf, welcher der schönen
Gerstel — Gervais. 209
Stimme und der ergreifenden Vortragsweise G.'s das höchste Lob ausstellte.
Gastspielreisen, ein längeres Engagement in Hamburg und Kassel, Wanderun-
gen durch Dänemark, Holland, Frankreich u. s. w. verbreiteten seinen Sänger-
ruhm über ganz Europa. Von 1816 bis 1824 stand er auf dem Gipfel seiner
Grösse, und sein Tamino , Belmonte , Sargino u. s. w. galten als musterhafte
Schöpfungen seiner Künstlerschaft, die im Vortrage des Recitativs und der
Cantilene ihr Höchstes leistete. Leider starb er bereits am 1. Juni 1825 zu
Kassel, wo er noch lange unvergessen blieb.
Gerstel, August, ein vortrefSicher deutscher Buffosänger, geboren 1807
zu Boitzenburg in Mecklenburg und in Prag erzogen , war von seinem Vater,
dem Schauspieler und Sänger, späterem Theaterdirektor Wilh. G. für das
Baufach bestimmt, was den Sohn jedoch nicht verhinderte, seiner Neigung zur
Bühne zu folgen und in Meissen 1825 als Schauspieler zu debütiren. Erst
später nahm sich der Musikdirektor Hörger in Bamberg auch seiner schönen
sonoren ßassstimme an, die G. von 1828 an bei mehreren reisenden Gesell-
schaften denn auch für die komische Oper verwerthete. In München 1833
engagirt, vervollkommnete er seine Gesangweise bei den Kapellmeistern Orlandi
und Aloys Pentenrieder, ging 1836 an das Stadttheater zu Zürich und 1837
an die Hofoper zu Stuttgart, der er als sehr geschätztes Mitglied bis 1842
angehörte. Eine längere Zeit lebte er auf Gastspieli'eisen, kehrte aber dann
nach Stuttgart zurück, wo er sich wieder mehr dem recitirenden Schauspiel
widmete und noch jetzt als B-egisseur, Sänger und Schauspieler erfolgreich
thätig ist.
Gersteuberg', Heinrich "Wilhelm, hervorragender deutscher Dichter und
Kritiker, geboren am 3. Jan. 1737 zu Tondern in Schleswig, gestorben als
pensionirter Mitdirektor des dänischen Lottojustizwesens zu Altona am 1. Novbr.
1823, ist nicht bloss durch seine Liederdichtungen, Melodramen und Cantaten-
texte der Musik nahe getreten, sondern ganz besonders wegen seiner 1770 ge-
schriebenen und in mehrere Zeitschriften aufgenommenen Abhandlang »lieber
die schlechte Einrichtung des italienischen Singgedichtes« und sodann wegen
der im J. 1783 verfassten Abhandung »Vorschlag zu einer neuen Art, den
Generalbass zu beziffern«, die ebenfalls vielfach abgedruckt wurde, aber ohne
nachhaltige Wirkung vorüberging. Bleibenderen Werth beanspruchen seine
»Briefe über Merkwürdigkeiten der Literatur« (4 Sammlungen, 1766 bis 1770),
welche manche verdienstvolle ästhetisch-kritische Arbeit G.'s und besonders
manche für damalige Zeit beachtungswerthe Ansicht zu Gunsten des Volksliedes
enthalten.
Gersteiiberg', J. D., deutscher Ciavierspieler und Componist, um die Mitte
des 18. Jahrhunderts in Gotha geboren und daselbst musikalisch ausgebildet,
lebte um 1791 längere Zeit in Russland, nahm aber 1796 seinen bleibenden
Aufenthalt in seiner Geburtsstadt. Als Tondichter ist er durch Ciaviersonaten,
Lieder u. dgl. bekannt geworden.
Gerstenbüttel, Joachim, einer der durchgebildetsten deutschen Tonkünst-
ler des 17. Jahrhunderts, geboren um 1650 zu Wismar, studirte zwar zu Wit-
tenberg Theologie, Hess sich aber, da er schon damals fertiger Ciavier- und
Violinspieler und auch als angenehmer Basssänger in gesellschaftlichen Kreisen
angesehen war, bestimmen, sich der Musik ganz zu widmen. Er Hess sich in
Hamburg nieder, wo er Gesang-, Ciavier- und Violinunterricht ertheilte und,
nach Bernhardt's Abgange, zum Cantor ernannt wurde. In diesen Stellungen
erwarb sich G. bei seinen Mitbürgern und den jüngeren Musikern grosse
Achtung und starb am 17. April 1721 zu Hamburg. Von seinen Compositionen
ist nur Weniges und nicht gerade Bedeutendes im Druck erschienen.
Gervaesius, ein deutscher Gelehrter des 13. Jahrhunderts, ist der Ver-
fasser des Codex »Z)<? inventione musicae et mitltorum artificiorumv. , welchen
Coussemaker in seinen vScript. medii aevia mittheilt.
Gervais, ein seit drei Jahrhunderten ziemlich häufig vorkommender Name
Musiknl. Oonvers.-Lexikon. IV. 14
210 Gervasi — Gervasoni.
französischer Musiker, von denen hier die hervorragendsten berücksichtigt seien.
1) Claude (1. war ein Yiolaspieler in der Kapelle des Königs Franz I. zu
Paris und hat eine Sammlung von Stücken für Viola von seiner Composition
(Paris, 155G) herausgegeben, — 2) Charles Hubert G., geboren am 19. Febr.
1671 zu Paris, verdankte einflussreicher Protection seine Ernennung zum Musik-
meister des Regenten, Herzogs von Orleans, und später zum Kapellmeister des
Königs von Frankreich. Als solcher starb er am 15. Jan. 1 744 zu Paris. Mit dem Re-
genten von Frankreich gemeinschaftlich soll er die Opern -DPantJieev. und y^Hyper-
mnentre«. componirt haben. Ausschliesslich seine eigene Arbeit sind die Opern
•s)Medve«. und nLes amoura de Profeefs.^ deren Musik aber von sehr untergeord-
netem Werthe ist, wie nicht minder diejenige von 45 Motetten G-.'s, welche
die Staatsbibliothek zu Paris im Manuscripte aufbewahrt. — .3) Laurent C,
geboren um 1695 zu Ronen, war Anfangs Musiklehrer und Mitglied der Akade-
mie zu Lille, Hess sicli aber später bleibend in Paris nieder, wo er eine Mu-
sikalienhandlung errichtete und als Componist von Chansons a hoire, Romanzen
und Cantaten bekannt machte. Man hat auch ein theoretisches "Werk von ihm,
welches den Titel führt: -nMitliode pour Vaccomparjnement dtt clavecin, qui peut
servir dHntroduction ä la composition et apprendre ä hicn chiffrer les hassest
(Paris, 17.34). — 4) Pierre Noel Gr., Sohn eines im Dienste des Kurfürsten
von der Pfalz stehenden französischen Musikers, geboren um 1756 zu Mann-
heim, war ein Violinschüler von Iguaz Franzi. Im J. 1784 ging er nach Paris
imd liess sich ein Jahr später daselbst im Concert spirituel mit grossem Bei-
fall hören. Als erster Violinist im Orchester des grossen Theaters wurde er
1791 nach Bordeaux berufen, begab sich aber 1801 noch einmal nach Paris,
Tim als Mitbewerber um die durch Gavinie's Tod erledigte Professur am dortigen
Conservatoi'ium aufzutreten. Fetis, der ihn damals hörte, bezeichnet seinen
Ton als klein, sein Spiel als kalt. Als G. die gewünschte Stelle nicht erhielt,
begab er sich nach Bordeaux zurück und starb daselbst wenige Jahre darauf
(um 1805). Von seinen Compositionen sind drei Violinconcerte im Druck er-
schienen.
Gervjisi, Luigi, italienischer Operncomponist, geboren im ersten Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts zu Neapel und daselbst musikalisch ausgebildet, brachte
1834 zu Rom seine Erstlingsopcr r^I promessi sposi«., welcher glückliche Stoß"
Manzoni's später noch vielfach für das lyrische Theater benutzt wurde, auf die
Bühne. Auch weiterhin ist er noch mit Operncompositionen in verschiedenen
Städten Italiens aufgetreten, ohne jedoch nennenswerthe Erfolge zu erzielen.
Gervasoni, Carlo, italienischer Musiktheoretiker, geboren am 4. Novbr.
1762 zu Mailand, sollte sich nach Wunsch seiner Eltern dem geistlichen Stande,
dann dem Ingenieurwesen widmen, versuchte sich sogar in der kaufmännischen
Sphäre, aber überall mit Unlust und ohne Erfolg, da ihn ein unwiderstehlicher
Trieb zur Musik zog, die er auf Violine, Ciavier und Laute übte. Nach deni
Tode seines Vaters machte er von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch
und begab sich zu seiner gründlichen musikalischen Ausbildung nach Neapel.
Nachdem er dort mehrere Jahre hindurcli mit musikalisch-theoretischen und
historischen Studien und mit Unterrichtsertheilung in Gesang und Ciavier
zugebracht hatte, erhielt er 1788 die Kapellmeisterstelle an der Hauptkirche
zu Borgo Taro. Im J. 1807 auch zum Mitgliede der italienischen Gesellschaft
für Wissenschaften und Künste ernannt, starb er am 4. Juni 1819 zu Mai-
land. — G.'s beachtungswerthe theoretische Schriften sind: y>La scuola della
musica in tre parte divisaoi. (Piacenza, 1800), ein Buch, welches dem i>Manuel
complet de mustquev von Choron und Lafage grösstentheils zur Grundlage diente;
ferner: y>Oarteggio musicale di C. Gervasoni con diver si sui amici professori,
mai'Stri di capella etc., in cui si dimostra Vutilitä della scuola della musica etc.v-
(Parma, 1804, 2. Aufl. Mailand, 1804), ein gelehrter Briefwechsel, der im In-
teresse der weiteren Verbreitung des zuerst genannten Werkes zusammengestellt
und veröffentlicht ist; endlich: nNiiova teoria di musica ricavata dalV odierna
Gervimis. 211
pratica etc.«. (Parma, 1812), welches Buch unter den Schriften Gr.'s an AVerth
und Interesse obenan steht.
Crerviuus, G-eorg G-ottfried, einer der grössten Cultur- und Literatur-
historiker der Neuzeit und ein eifriger Vermittler der dramatischen und musi-
kalischen Kunst im deutschen Volke, wurde am 20. Mai 1805 zu Darmstadt
geboren und von seinen Eltern zum Kaufmann bestimmt, auf welchen Beruf
hin denn auch seine ganze Jugendbildung zugespitzt war. Auch nachdem er
in einem Detailgeschäfte in Darmstadt ausgelernt hatte, blieb er noch auf dem
Comptoir seines Lehrherrn, bis er aus innerem Drange zum Gelehrtenstande
überging. Was ihm an gründlichen Schulkenntnissen abging, holte er mit
grosser Anstrengung durch Selbststudium nach, so dass er im Stande war,
1826 die Universität zu beziehen. Er studirte in Marburg, Giessen und Heidel-
berg Philologie und Geschichte und gewann dabei eine begeisterte Vorliebe
für Schlosser, sodass er durch seine Nacheiferung auf literarhistorischem Ge-
biete in der That später Das wurde, was Schlosser in der politischen Geschichte
war. Aus Noth musste Gr. 1828 eine Privatlehrerstelle in Frankfurt a. M.
annehmen, kehrte aber 18.30 zur akademischen Laufbahn zurück und habilitirte
sich in Heidelberg. Wissenschaftliche Zwecke veranlassten ihn zu einer Reise
nach Italien, welches Land er auch später noch zweimal besuchte. Nach seiner
Rückkehr 18.35 nach Heidelberg wurde er ausserordentlicher Professor daselbst
und ging, von Dahlmann empfohlen, 1836 als ordentlicher Professor nach Göt-
tinnen. Nur ein Jahr docirte er als solcher; dann unterschrieb er als einer
der Sieben die bekannte Erklärung gegen die Aufhebung der hannover'schen
Verfassung und musste binnen drei Tagen das Land verlassen. Er begab sich
wieder nach Italien und veröffentlichte bis 1844, wo er abermals Professor in
Heidelberg wurde, hochbedeutende politische, cultur- und literarhistorische Werke,
welche einen Ehrenplatz in der deutschen Nationalliteratur einnehmen. Als
Vertrauensmann der Hansestädte beim Bundestage und als Reichsabgeordneter
1848 in Frankfurt a. M. suchte er, wie schon früher für die Deatschkatholiken
und für die Schleswig-Holsteiner, für das ganze deutsche Volk praktisch zu
wirken, und als er den reactionären Zeitumständen weichen musste, verfasste
er im engsten Anschlüsse an Schlosser's Geschichte des 18. Jahrhunderts eine
»Geschichte des 19. Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen«, die ihn wegen
ihrer demokratischen Richtung 1854 einen, in letzter Instanz verunglückten
Process auf Hochverrath zuzog. Seine scharfe und zersetzende negative Kritik,
sein unversöhnlicher Hass gegen das Preussenthum in Deutschland, seine oflFene
Parteistellung überhaupt gegen Alles, was die Gegenwart in der Kunst, Lite-
ratur und staatlichen Entwicklung bot, entfremdete ihn den Bestrebungen der
Zeit immer mehr, und heftig angefochten und angegriffen starb er am 18. März
1871 zu Heidelberg. Auch um die Musik hat er sich verdient gemacht, aller-
dings in der ihm einmal eigenthümli^hen herben, absti'akten, einseitigen Art,
die ihm auch von diesem Kunstgebiete her Anfeindungen in Menge zuzog.
Wie ihm auf literarischem Boden Goethe gewissermaassen als die Schlusssäule
in dem Riesenbau einer grossen Literaturperiode dastand, so auf musikalischem
HändeL Nach diesen beiden Meistern sollte von keinem würdigen Fortbau
und Fortbauer mehr die Rede sein. Mit solchen Ansichten verdarb er es zu-
nächst mit den fehdelustigen Anhängern der neudeutschen Richtung in der
Musik, die nach beiden Seiten hin in Wagner den prädominirenden Wort-
und Tondichter erblickten und in einer zumeist Maass und Ziel überschreiten-
den Weise über G. und sein geistreiches Buch »Händel und Shakespeare. Zur
Aesthetik der Tonkunst« (Leipzig, 1868) herfielen. Mit bewundernswerthem
Scharfsinn aber ist in diesem Werke der berühmte Verfasser in den Kern der
Objecte gedrungen und hat eine Tiefe der Auffassung, eine Fülle der Sach-
kenntniss und eine Präcision der Darstellung entwickelt, die, unbeschadet der
individuellen Ansicht, denn doch schwerer in's Gewicht fallen, als die Gegner
zugestehen wollten. Die unpartheiische musikalische Gegenwart darf ilim den
14*
212 Ges — Gesang.
Dank nicht versagen für seine Bestrebungen, Häudel's Touwerke in Deutsch-
land populär zu machen, füi' seine Anregung und Bemühungen um Aufrichtung
der Händelstatue zu Halle und zur Stiftung der Händelgesellschaft in Leipzig,
welche letztere durch seine und Chrysander's thatkräftige Mitwirkung eine
äusserlich und innerlich würdige Gesammtausgabe der AVerke Händel's veran-
staltet. Hat auch Gr. die Bethätigung der Dankbarkeit der musikalischen Welt
leider eingebüsst, so hat er doch nicht das Recht auf ein dankbares Andenken
derselben verloren.
Oes (ital.: sol bemolle, franz.: sol hemol, engl.: G ßaf) ist die alphabetisch-
syllabi^che Benennung des um einen Halbton erniedrigten, in der abendländischen
Musik alphabetisch g (s. d.) genannten Tones. In der diatonisch-chromatischen
Tonfolge von c ab aufwärts heisst Ges, wenn man die alphabetisch-syllabisch
verschieden bezeichenbaren Klänge eis, des; dis, es etc. nur als eine Stufe be-
trachtet, wie es gewöhnlich geschieht: die siebente. In der That müsste dies
eigentlich anders sein, indem diese Klänge, also auch (jes und das gewöhnlich
als dieselbe Tonstufe betrachtete fis (s. d.), durchaus von einander verschiedene
Töne sind, deren Lage zu dem zunächst darunter liegenden c man arithmetisch
durch Verhältnisse (c : ges = 36 : 25 und c :ßs = 25 : 18) genau darstellt und
deren Klangunterschiede sich selbst dem für geringe Verschiedenheit unempfind-
lichen menschlichen Ohre häufig sehr bemerkbar machen. Die Kunst scheint
hier eine neue Bildung anzubahnen, der eben ei'st die Wissenschaft nach deren
Vollendung nachzukommen vermag. Die bemerkbaren Klangunterschiede von
ges und ßs bei der Darstellung in harmonischen Kunstwerken fordern, was
eben der vorher erwähnten wahrscheinlichen Wandlung halber nicht oft genug
bemerkt werden kann, bei der Aufzeichnung von Tonwerken die grösste Ge-
nauigkeit (s. Orthographie), wenn man eine reine Intonation zu erzielen
wünscht, und zwar dies noch um so mehr, als schon jeder derselben, je nach-
dem er als Terz, Quart, Quinte oder sonstiges Intervall in einem Tonstücke
vorkommt, noch wieder in sich verschieden ist. Diejenigen, welche diese Ver-
schiedenheit des ges geheissenen Klanges näher in Erwägung ziehen wollen,
seien auf den Artikel ais (s, d.) verwiesen. 2.
Gesang (latein.: cantus, franz.: cliant). G. ist die von der Menschenstimme
ausgeführte Musik. Diese Definition ist in voller Genauigkeit zu verstehen.
Bewegt sich die Menschenstimme nicht in den musikalisch anerkannten Ton-
stufen, so ist das, was sie producirt, nicht mehr G. zu nennen. Andererseits
aber ist es nur die Menschenstinime — im Gegensatz namentlich zum Pfeifen — ,
welche G-. hervorbringt; und sie wix'd auch in dem Fall gesanglich verwendet,
wenn sie, anstatt sinnvoller Worte, blosse Laute mit dem abgestuften Ton ver-
bindet, z. B. in der Brummstimmen-Bcgleitung, oder wenn sie sich darauf be-
schränkt, den Empfindungslauten, dem Tra la la u, s. w. einen breiteren musi-
kalischen Ausdruck zu geben. Für G. componiren, heisst somit: musikalische
Sätze für die menschliche Stimme schreiben; und es ist somit die erste Forde-
rung, welche an den Gesangcomponisten gestellt werden muss, dass er von dem
Umfang der menschlichen Stimme und von den auf den Registerverschieden-
heiten beruhenden Eigenthümlichkeiten der Kraft und Klangfarbe Kenntniss
genommen habe. Unsere bisherige Definition hat das, woran man bei G. zu-
nächst zu denken pflegt, die sinnvolle Verschmelzung des Tons mit dem Wort,
vorläufig als nebensächlich abgelehnt; der G. würde sich, insofern er auch ohne
das verständige Wort bestehen kann — und das kann er gewiss — von anderer
Musik nicht anders unterscheiden, als instrumental, wie etwa Clarinetten-Musik
von Flöten-Musik; es kommt nun aber darauf an, den Begriff der Menschen-
stimme schärfer zu fassen und zu sehen, was in ihm Weiteres Hegt. Die
Meuschenstimme ist, äusserlich betrachtet, nichts Anderes, als eine Fähigkeit,
Töne von verschiedener Höhe und Tiefe, von verschiedenem Stärkegradu und
von verschiedenem Khingcharakter hervorzubringen, wobei sich noch die Eigen-
thümlichkeit zeigt, dass diese Klangfarben einen ganz besondern als Vocallaut
Gesaüg. 213
zu Tage tretenden Charakter haben und sich in ungezwungener Weise mit
andern der musikalischen Behandlung theils fügsamen, theils widerstrebenden
Sprachlauten (siehe den Artikel: Consonanten) zu verbinden vermögen. Diese
zunächst äusserliche Fähigkeit ist aber im Laufe der Entwicklung der Mensch-
heit zu einer innei'lichen geworden: zu der Fähigkeit, allen Vorstellungen, Em-
pfindungen und Bestrebungen, welche die Seele erfüllen, einen vollständig
deutlichen Ausdruck zu geben; und es wird dalier die Menschenstimme nicht
in ihrer ganzen Bedeutung erfasst, wenn diese innerliche Seite fortgelassen wird.
Offenbar können wir vom menschlichen Standpunkte aus die äusserlichen Fähig-
keiten der menschlichen Stimme nur als Mittel zum Zweck betrachten. Das
wahre Wesen der Menschenstimme liegt nicht in ihren akustischen Eigenthüm-
lichkeiten, sondern in dem, was sie bedeutet; und der Gr., als von der Menschen-
stimme ausgefühi'te Musik, ist nicht ohne das verstandene Wort und ohne die
innigste Beziehung des Tons zu dem Sinn dieses Wortes zu denken. So wenig
also dei'jenige ein rechter Gesaug-Componist genannt werden kann, der nicht
mit den instrumentalen Eigenthümlichkeiten der menschlichen Stimme hin-
reichend vertraut ist, so wenig ist es derjenige, dem menschliches Empfinden
eine unbekannte Welt ist und der die Brücke von der Tonwelt zu dem mannig-
faltigen Spiel der Vorstellungen, welche die Menschenseele erfüllen, nicht zu
schlagen weiss. Während also die Instrumentalmusik entweder ein blosses Ton-
spiel ist, das theils durch Wohlklang, theils durch Erregung des Gefühls, theils
durch innere Gesetzmässigkeit interessirt, oder ein bedeutungsvolles Abbild
realer Verhältnisse, wobei aber der Hörer meist auf seine eigene Verantwortung
dieses oder jenes wirkliche Ereigniss, das ihm gerade vorschwebt, hineinlegt,
wird in der Gesaugmusik diese Beziehung zu der realen Welt von dem Com-
ponisten selber ausgesprochen; er will, dass der Hörer bei einem bestimmten
Tonstücke an einen Innern seelischen Vorgang denke, und andererseits, dass
ihm dieser seelische Vorgang durch Vermittelung der Tonwelt zum Bewusst-
sein gebracht werde. Es kann dabei der Zweifel entstehen, ob diese Verbin-
dung geschlossen wird, damit die Musik oder damit das Wort — in der Regel,
aber nicht mit Nothwendigkeit, das in poetischer Form ausgesprochene Wort
— dadurch gefördert werde. Der Absicht nach offenbar beides; denn wenn
jedes von beiden, für sich betrachtet, etwas Gutes ist, so muss das jedem eigen-
thümliche Gute dem Andern eine Förderung gewähren. Der Hinzutritt des
Wortes verschafft nun der Musik den Vortheil, dass die nie ganz zu unter-
drückende Sehnsucht des Hörers, zu wissen was die Töne bedeuten, auf welche
Seite des gegenständlichen Lebens er sie zu beziehen habe, nun endlich ihre
Befriedigung findet. Daraus ist mit leichter Mühe abzuleiten, welchen Vor-
theil die Musik dem Worte bringt. Sie verstärkt nicht etwa die dichterische
AVirkung, sondern sie mildert die Schärfe und Bestimmtheit des Wortes; mit
ihrem sich Verlieren in ein unbestimmtes, inhaltloses Jenseits breitet sie ein
seliges TJnbewusstsein über die sonnenklaren Gegensätze der Wortsprache; der
aufregenden Gewalt des blossen Wortes wird durch den Ton ihr Stachel ge-
nommen; jene harmonische Ausgleichung der Leidenschaften, welche alle Künste
erstreben, leistet keine Kunst augenscheinlicher; als die Tonkunst. Der G. ist
daher ein stetes Schweben zwischen der realen Bestimmtheit des Daseins und
dem Zerfliessen ins Unendliche; zur reinen Poesie verhält er sich ähnlich, wie
sich die im AVasserspiegel erscheinende Landschaft zu der wirklichen verhält;
er ist eine Erscheinung des Wirklichen in der Welt reiner Formen. Ob darum
nun wirklich der G. ein Höheres, als die reine Poesie, ist damit nicht erwiesen
und muss hier unerörtert bleiben, weil es ohne tieferes Eingehen auf das Ver-
hältniss der Künste zu einander nicht ausgemacht wei'den kann. Für unsern
Zweck erhellt aber, dass eine echte Gesangcomposition die Aufgabe haben wird,
auch den leidenschaftlichsten Inhalt, den sie darzustellen unternimmt, zu ideali-
siren; und dass sie dies auch nicht gar anders kann, so lange sie sich in den
Grenzen des Musikalischen hält. Nun sind aber nach eben dem Gesagten ver-
214 Ge3aii<.
(->•
schiedune Entwicklungsstufen des G.'s möglich; diis rein Musikalische kiiun so
vorwalten, dass der Ausdruck des B,ealen gar nicht zu seinem Recht kommt;
oder der Ausdruck zersprengt die musikalische Form; oder endlich es findet
eine Ausgleichung zwischen den beiden entgegengesetzten Seiten statt. Die
strengsten Formen, Fuge und Kanon, sind nicht bloss in der Kirchen-, sondern
auch in der Opernmusik zur Anwendung gekommen, oft auf Kosten des geistigen
Ausdrucks, nicht selten aber auch als Trager desselben, wofiir der Quartett-
Kanon im «Fidelio« ein glänzendes Beispiel ist; andererseits aber hat auch die
formloseste Erscheinung des G.'s, das Recitativ, welches die Form an ihrer
"Wurzel, am taktmässigen Rhythmus, angreift, sich frühzeitiges Bürgerrecht in
der Kunst erworben. Die gesammte Entwickelung des G.'s lässt sich an der
Geschichte der Oper verfolgen, welche viele Formen für sich allein hat, aber
alle sonstigen Gresangsformen , das ein- und mehrstimmige Lied, so wie den
kirchlichen Satz gelegentlich auch zur Anwendung bringt. Da ist es nun
merkwürdig, dass die Oper in ihren ersten geschichtlichen Anfängen von den
beiden Extremen ausging, von dem Recitativ einerseits, von der strengen Ma-
drigalform andererseits , welche beiden unvermittelt neben einander gestellt
wurden. Allmählicli kamen Arie und Duett, später der grössere Ensemble-
satz dazu, der sodann in die freiere sogenannte Sccuenform überging, bis wir
in neuester Zeit zu einem Versuch gelangt sind, welcher den taktmässig dekla-
matorischen Gesang auf Grundlage instrumentaler Motive, die dem Orchester
eine gewissermaassen symphonische Formfestigkeit geben sollen, als Grund-
princip aufstellte. Es kann nicht geleugnet werden, dass diese taktmässige
Deklamation ein Mittleres zwischen Recitativ und gegliederter Melodie ist;
allzu starr und einseitig festgehalten, führt sie aber den Uebelstand mit sich,
dass weder das AVort noch die Musik zu rechter Freiheit kommt; nicht nur
das Mittlere, sondern auch die Gegensätze haben ihr Recht; und es kann die
Gesang- oder, was dasselbe ist, die Opernmusik nur dort auf ihrem höchsten
Gipfel erscheinen, avo jene taktmässige Deklamation nur beansprucht, das ver-
bindende Mittelglied zu sein, welches die starren Abstufungen der einzelnen
musikalisch gegliederten Sätze lockert und dadurch einen zusammenhängenden
dramatischen Fortgang ermöglicht, ohne das Princip musikalischer Gestaltung,
an dem allein die idealisirende AVirkung der Musik hängt, aufzugeben. Seine
speciellere Erörterung kann der hier berührte Gegenstand nur in der Philo-
sophie der Musik finden; wir müssen uns darauf beschränken, das Grundprincij!
liingestcllt zu haben. Dieses Grundprincip rauss sich nun auch bewähren, wenn
wir es auf die Gesangkunst anzuwenden versuchen. Als Erstes halten wir
fest, dass der Sänger sein Instrument richtig zu behandeln verstehe; als das
Höhere tritt dann die Yerschmelzung des richtigen musikalischen mit dem
richtigen poetischen Vortrag hinzu. Das diese beiden Seiten mit einander Ver-
mittelnde ist das Wort; die Kunst des Sängers besteht daher darin, einerseits
das A¥ort musikalisch schön zu behandeln, andererseits das Sinnvolle darin
festzuhalten. Nun beschränkt sich aber das musikalisch Schöne nicht auf den
AVohlklang eines einzelnen Tons, sondern es gewinnt einen lebendigeren Grad
der Schönheit durch die A^erbindung einer Reihe von Tönen zur Melodie;
andererseits geht der sinnvolle Vortrag eines AVortes ebenfalls erst aus dem
Ganzen, dem er entnommen ist, hervor. Der Sänger hat demnach die Aufgabe,
sich von dem Sinn einer Dichtung wie der dieser Dichtung gegebenen Melodie
gleichzeitig zu durchdringen und dieses Ganze in sorgfältig gestalteten Tönen
zur sinnlichen Erscheinung zu bringen. Die Verbindung des AVorts mit musi-
kalischem AVohlklang ist nicht etwas so Einfaches, wie es auf den ersten Blick
scheint. Namentlich ist die Einfügung der A^ocale in die musikalische Scala
nur innerhalb gewisser Grenzen möglich (s. Vocal); aber auch die Consonan-
ten müssen sich gewissen Modificationen, je nach der Natur des Registers und
der Klangfarbe, unterwerfen (s. Consonanten). Eine wesentliche Seite der
Gesangstechuik besteht eben darin, die günstigsten Bedingungen, die es in dieser
Gesaug. 215
Beziehung giebt, sich zu eigen zu machen. Eine weitere Complikatiou kommt
durch den sinngemässen Vortrag der Melodie hinzu. Wenn es sich bei dem
Studium des einzelnen Tons liur darum handelte, die in dem Vocal liegende
Klangfarbe angemessen zu treffen und den Ton in verschiedeneu Graden der
Stärke an- und abschwellen zu lassen — denn eben so sehr, als in der Stärke,
liegt in der Zartheit des Tons der Werth einer Stimme, der ganze Werth der-
selben also in der Uebergangsfähigkeit von dem Einen zum Andern — , so
kommt es jetzt darauf an, jeden Ton in dem Grade der Stärke zu singen, der
ihm nach dem melodischen Zusammenhang gebührt; und dies erfordert einer-
seits melodisches Verständniss und Gefühl , andererseits eine eigenthümliche
technische Uebung. Als Letztes kommt nun die Verschmelzung des melodischen
Vortrags mit dem declamatorischen, aus der Dichtung sich ergebenden, hinzu.
Es kann nicht scharf genug betont werden, dass der Sänger niemals seine
Vortrags-Intentionen aus dem Gedicht allein schöpfen soll. Allerdings zwar
ist die Dichtung des Erste, wie sie denn auch der Composition selber zu Grunde
lag; und wenn die Thätigkeit des Sängers im Unterschiede von der Pro-
duction des Componisten eine Heproduction ist, so könnte mau sagen, dies
sei erst die wahre Reproduction, wenn der Sänger genau da anfange, wo der
Componist angefangen hat, nämlich bei dem Gedicht. Es ist aber dabei zu
beachten, dass ein und dasselbe Gedicht auf verschiedene Naturen, verschieden
zu wirken vermag; und davon giebt eben die Geschichte der Musik, namentlich
des Liedes, den bündigsten Beweis. Dieselben Texte finden wir in so ver-
schiedenen Auffassungen von dem Musiker behandelt, dass ganz unwiderleglich
daraus hervorgeht, wie ganz anders sich ein und dasselbe abspiegelt, je nach
der Individualität und zufälligen Stimmung. Die wahre Beproduction des
Sängers besteht also darin, dass er nicht bloss das Gedicht erfasst, sondern in
die Auffassung sich hineinzufühlen versteht , von der der Componist durch-
drungen war, dessen Werk er vortragen will. Dies ist aber nur durch ein
unmittelbares, von dem Text gewissermaassen absehendes gefühlvolles Verständ-
niss dessen, was in Tönen ausgesprochen ist, zu erreichen; und erst, • nachdem
dies geschehen, kommt es darauf an, die Stimmung des Gedichts mit der der
Composition in Einklang zu bringen, wobei bald das Declamatorische durch
das Melodische, bald das Melodische durch das Declamatorische ergänzt und
belebt oder auch eingeschränkt wird — ein etwas complicirter Vorgang, bei
dem übrigens der Individualität des Ausführenden eben darum ein ziemlich
weiter Spielraum bleibt. Als Beispiele für das Gesagte seien hier noch Mendels-
sohn's und Schubert's Compositionen der Goethe'schen Suleika >5ach um deine
feuchten Schwingen«, die Compositionen des »Erlkönig« durch Reichard, Schu-
bert und Löwe, und die des Mignonliedes durch Reichard, Beethoven und Liszt
angeführt. Auch an Mozart's »Don Juan« mag erinnert werden, in welcher
Oper der Charakter der Musik eine "allzu realistische Auffassung Don Juan's,
Zerlinen's und Leporello's, die vom Standpunkt des blossen Textes aus mög-
lich wäre, durchaus verbietet. AVenn daher oft dem Gesangschüler gerathen
wird, die Texte erst zu deklamiren, bevor er die Musik kennen lernt, so ist
das nicht ganz richtig. Denn er hat nicht mehr die Wahl, wie er sie decla-
miren will, sondern er findet sich in der Musik einem bereits von dem Com-
ponisten daclamirten Texte gegenüber und ist verpflichtet, dessen Declamation
sich anzuschmiegen, selbst wenn sie irrthümlich oder einseitig sein sollte. So
sind z. B. die ersten Worte des oben erwähnten Suleikaliedes )5ach, um deine
feuchten Schwingen, West, wie sehr ich dich beneide« von Mendelssohn mit
einem Zug des Leidens, von Schubert mit einer sinnlichen Begehrlichkeit ge-
sprochen; und dergleichen in vielen, ja in den meisten Fällen voll berechtigte
Abweichungen muss der wahrhaft reproducirende Sänger in sich aufzunehmen
wissen, was ihm aber nur durch ein unmittelbar musikalisches Nachempfinden
möglich sein wird. Da dieses aber gerade das Entlegenere für die allgemeine
menschliche Anlage ist, so wird es bei dem angehenden Sänger sich in erster
216 Gesang.
Linie darum handeln, dafür den Sinn zu wecken. Auf dieser Grundlage bringen
dann die aus dem poetischen Verstäudniss hervorgehenden declamatorischen
Accente, welche sich in den musikalischen Vortrag wie ein Hinzukommendes
hineinsenken, eine Belebung hervor, in welcher kein musikalisches Instrument
mit der menschlichen Stimme wetteifern kann; deshalb wird ein bloss musika-
lischer Sänger uns immer der höchsten AVärme des Ausdrucks zu entbehren
scheinen, während der bloss declamatorische keinen rechten Grund und Boden
unter den Füssen hat. — Der Naturalismus des Singen« beruht auf unge-
schicktem Gebrauch der natürlichen Begabung oder auch auf einer unzureichen-
den Begabung selbst und kann sich auf die verschiedenste Art aussprechen.
So hören wir den Einen widerlich schreiende oder mühsam gequälte Töne
hervorbringen , während ein Anderer es nur zu heiseren , kaum vernehmbaren
Tönen bringt; Dieser singt unrein. Jener misshandelt die Sprache; bald fehlt
der Umfang der Stimme, bald die Fähigkeit, die verschiedenen Tonregister
mit einander zu verschmelzen; nach welchem Gesichtspunkt wir eben das Ge-
biet des Gesangs auch betrachten mögen, überall öffnen sich die "Wege zu un-
künstlcrischeu Verirrungen. Die Hauptrichtungen ergeben sich aus der De-
finition des G.'s; es giebt eine melodische, eine declamatorische und eine diese
beiden Seiten verschmelzende Richtung. Die Italiener bevorzugen die erstere,
die Franzosen die zweite, den Deutschen scheint es vorbehalten, die höhere
Einheit zu vertreten. Die Geschichte des G.'s ist eine unsichere Wissenschaft.
Dass die Berichte, welche wir über die Leistungen einzelner Sänger aus früheren
Zeiten hie und da finden, als ganz sichere Grundlage nicht dienen können, ist
kaum zweifelhaft; denn wir wissen aus eigener Erfahrung, dass ein objectiv
gültiges Urtheil selten ausgesprochen wird. Sie sind aber auch nicht ganz zu
verwex-fen, wenn sie mit Vorsicht benutzt werden. Ergänzt werden sie durch
theoretische Werke, in welchen Gesanglehrer ihre Grundsätze niedergelegt haben,
unter denen namentlich Tosi's Gesangschule eine wichtige Quelle für die Kennt-
niss des italienischen G.'s in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist,
vor Allem aber durch die Geschichte der Gesang-Composition selbst, einschliess-
lich der Solfeggien-Literatur. Diese verräth allerdings dem verständnissvollen
Betrachter die Gesangsweise früherer Zeiten fast vollständig, denn sie zeigt
uns die Aufgaben, an deren Ueberwindung die Sänger rangen, und die idea-
len Ziele, welche sie sich gestellt hatten. In Palestrina's Musik z. B. er-
kennt man Sänger, welche in einem gewissen mittlem Umfang der Stimme in
einem hohen Maasse die Kunst des Tonschwellens besassen, so wie die Kunst
des weichen Uebergangs von Ton zu Ton, ohne weitere Virtuosität und
ohne Individualität des Ausdrucks. Der deutsche G. derselben Periode
wird rauher, unebener gewesen sein; aber er ging dafür lebendiger auf den
AVortausdruck ein. Die Oper erweiterte den G. zur Virtuosität, zur Ausbeu-
tung des gesammten Stimmumfangs und zu entwickelteren Vortrags-Nüancen,
die aber , insgemein von Castraten ausgeführt , etwas Einstudirtes , künstlich
Nachempfundenes behalten mussten. Gesanglehrer lieben es, das der Gluck 'sehen
Reform vorangehende Zeitalter als das verloren gegangene Paradies des guten
G.'s darzustellen und berufen sich dabei meistens auf einzelne mitgetheilte
Beispiele ungeheurer Alhemdauer oder Tonkraft. Dass im Technischen die
Castraten Ausserordentliches geleistet haben und dass auch das geistige Element
des G.'s bereits bis zu einem gewissen Grade geweckt war, soll nicht ge-
leugnet werden. In Graun's »Tod Jesu« imd in den Mazzoni' sehen Solfeg-
gien, welche letzteren noch heute zu den vorzüglichsten Grundlagen der Stimm-
ausbildung gehören, giebt sich eine sehr gesunde Beliandlung der Stimme zu
erkennen, in der Verschmelzung des Kernigen mit dem Biegsamen, des Kräf-
tigen mit dem Gefühlvollen, des Natürlichen mit dem Schwierigen. Es ist eine
natürliche Empfindung des Gesang- und Stimmgemässen darin, was man z.B. von
Garcia's Etüden, die nicht aus einer unmittelbaren Intuition, sondern aus
zersetzender Reflexion hervorgegangen sind, nicht behaupten kann. Dennoch
Gesanon. 217
-■»
kam jene Gesangweise über eine gewisse formelle Schablone nicht hinaus ; auch
ist nicht Alles so untadelhaft und gleichmässig vollendet gewesen, wie es neuere
Gesanglehrer in den Lehrbüchern, die sie für G. schreiben, darzustellen lieben.
Einen sehr klaren Einblick in jene Zeit liefert die Autobiographie von Quantz.
Der berühmte Elötenvirtuose Priedrich's d. Grossen zeigt sich in allen Urtheilen,
die er über die von ihm gehörten Sänger seiner Zeit ausspricht, als ein Mann,
der eben so frei ist von blindem Enthusiasmus als von ausklügelnder Tadel-
sucht, als ein wahrer Kritiker , der besonnen abwägt und sein Fach gründlich
versteht. Da seine Notizen in neueren Werken noch nie zur Mittheilung ge-
kommen sind, so mögen sie hier Platz finden. Die ersten italienischen Opern
und die ersten italienischen Sänger hörte Quantz im Jahre 1719 und berichtet
folgendermassen darüber. »Francesco Bernardi, Senesino genannt, hatte
eine durchdringende, helle, egale und angenehme tiefe Sopranstimme (mezzo so-
prano), eine reine Intonation und schönen Trillo. In der Höhe überstieg er
selten das zweigestrichene /. Seine Art , zu singen , war meisterhaft und sein
Vortrag vollständig. Das Adagio überhäuft er eben nicht zu viel mit willkür-
lichen Verzierungen: dagegen brachte er die wesentlichen Manieren mit der
grössten Feinigkeit heraus. Das Allegro sang er mit vielem Feuer und wusste
er die laufenden Passagien mit der Brust, in einer ziemlichen Geschwindigkeit,
auf eine angenehme Art heraus zu stossen. Seine Gestalt war für das Theater
sehr vortheilhaft und die Action natürlich. Die Eolle eines Helden kleidete
ihn besser, als die von einem Liebhaber. Matteo Berselli hatte eine ange-
nehme, doch etwas dünne, hohe Sopranstimme, deren Umfang sich vom einge-
strichenen c bis ins dreigestrichene f mit der grössten Leichtigkeit erstreckte.
Hierdurch setzte er die Zuhörer mehr in Verwunderung, als durch die Kunst
des Singens. Im Adagio zeigte er wenig Affekt, und im Allegro Hess er sich
nicht viel in Passagien ein. Seine Gestalt war nicht widrig , die Action aber
auch nicht feurig. Die Santa Stella Lotti, Ehegenossin des Capellmeisters
Lotti, hatte eine völlige starke Sopranstimme, gute Intonation und guten Trillo.
Die hohen Töne machten ihr einige Mühe. Das Adagio war ihre Stärke. Das
Tempo rubato habe ich von ihr zum erstenmale gehöret. Sie machte auf der
Schaubühne eine sehr gute Figur und ihre Action war besonders in erhabenen
Charakteren unvei'besserlich.« Schon hier sehen wir, dass die berühmten Sän-
ger jener Zeit nicht vollkommen waren; der Eine besass, was dem Andern ver-
sagt war; auch damals gab es Sänger, denen die Höhe Mühe machte oder die
zwar viele Höhe hatten, aber dafür wenig Affekt im Vortrag u. s. w. — Alles
so, wie heute. Wir wollen Quantz weiter hören. »Gaetano Orsini, einer der
grössten Sänger, die jemals gewesen , hatte eine schöne , egale und rührende
Contraaltstimme von einem nicht geringen Umfange; eine reine Intonation,
schönen Trillo und ungemein reizenden Vortrag. Im Allegro articulirte er die
Passagien, besonders die Triolen, mit der Brust, sehr schön. Und im Adagio
wusste er, auf eine meisterhafte Art, das Schmeichelnde und Rührende so an-
zuwenden, dass er sich dadurch der Herzen der Zuhörer im höchsten Grade
bemeisterte. Seine Action war leidlich; und seine Figur hatte nichts widriges.«
»Domenico hatte eine der schönsten Sopranstimmen, die ich jemals gehört
habe. Sie war völlig durchdringend und rein intonirt, im Uebrigen aber sang
und agirte er eben nicht mit sonderlicher Lebhaftigkeit.« Von Braun, einem
Deutschen, heisst es: »er war ein angenehmer Baritonist, welcher besonders das
Adagio so rührend ausführte, als man irgend von einem braven Contraaltisten
hatte erwarten können.» »Die Tesi war von der Natur mit einer männlich
starken Contraaltstimme begäbet. Im Jahre 1719 zu Dresden sang sie meh-
rentheils solche Arien, als man für Bassisten zu setzen pfleget. Jetzo aber (1725)
hatte sie über das Prächtige und Ernsthafte auch eine angenehme Schmeichelei
im Singen angenommen. Der Umfang ihrer Stimme war ausserordentlich weit-
läuftig. Hoch oder tief zu singen, machte ihr beides keine Mühe. Viele Pas-
sagien waren eben nicht ihr AVerk. Durch die Action aber die Zuschauer ein-
218 Gusaug.
zunclimcu, scliioii sie geboren zu sein, absonderlich in Manuesrolleii : ala welche
sie, zu ihrem Vorthelle, fast am natürlichsten ausfiihrete.« Diese Specialitüt
hat also der altitalienischen Periode auch nicht gefehlt. Von Sängern , die
Quantz in Venedig hörte, urtheilte er nicht übermässig günstig. »Der Cava-
lier Nicolino, ein Contraalt, und die Romanina, eine tiefe Sopranistin, wa-
ren beide mittelmässig im Singen , aber vorti'effliche Acteurs. Der berühmte
Tenorist Paita hatte eine nicht gar starke, doch angenehme Tenorstimme,
welche zwar von Natur nicht so schön und egal gewesen sein würde, wenn er
nicht selbst, durch die Kunst , die Bruststimmc mit der Kopfstimme zu verei-
nigen gewusst hätte. Seine Art zu singen war im Adagio meisterhaft , sein
Vortrag rührend und die Auszierungen vernünftig. Das Allegro sang er eben
nicht mit dem grössten Feuer, doch aber auch nicht matt. Mit vielen Passa-
gien gab er sich nicht ab. Seine Action war ziemlich gut.« Wie ganz anders
lautet das Urtheil über den berühmtesten Säuger jeuer Zeiten, über Farinelli.
»Farinello (mit seinem eigenen Namen Carlo Broschi) hatte eine durch-
dringende, völlige, dicke, helle und egale Sopx'an stimme, deren Umfang sich
damals (1726) vom ungestrichenen a bis ins dreigestrichene d erstreckte, we-
nige Jahre hernach aber sich in der Tiefe noch mit einigen Tönen, doch ohne
Verlust der hohen vermehret hat: dergestalt, dass in vielen Opern eine Arie,
meistens ein Adagio, in dem Umfange des Contraalts, und die übrigen im Um-
fange des Soprans für ihn geschrieben worden. Seine Intonation war rein,
sein Trillo schön, seine Brust, im Aushalten des Athems, ausserordentlich stark,
und seine Kehle sehr geläufig, so dass er die weitentlegensten Intervalle ge-
schwind und mit der grössten Leichtigkeit und Gemässheit herausbrachte.
Durchbrochene Passagien machten ihm, sowie alle andern Läufe, gar keine
Mühe. In den willkürlichen Auszierungen des Adagios war er sehr fruchtbar.
Das Feuer der Jugend , sein grosses Talent , der allgemeine Beifall und die
fertige Kehle machten, dass er dann und wann zu verschwenderisch damit um-
ging. Seine Gestalt war für das Theater vortheilhaft : die Action aber ging
ihm nicht sehr von Herzen.« »Carcstini hatte damals (1726) eine starke und
völlige Sopranstimme, welche sich in den folgenden Zeiten, nach und nach, in
einen der schönsten, stärksten und tiefsten Contraalte verwandelt hat. Damals
erstreckte sich ihr Umfang ohngefähr vom ungestrichenen h bis ins dreigestri-
chene <7, aufs höchste. Er hatte eine grosse Fex'tigkeit in den Passagien , die
er, der guten Schule des Bernacchi gemäss, so wie Farinello, mit der Brust
stiess. Er unternahm in willkürlichen Veränderungen sehr vieles, meistentheils
mit gutem Erfolg, doch auch bisweilen bis zur Ausschweifung. Seine Action
war sehr gut, und so wie sein Singen, feurig. Nach der Zeit hat er im Ad-
agio noch sehr zugenommen.« Wir knüpfen an dies letztere Urtheil eine Be-
merkung. Man beachte wohl, dass Carestini zuerst Sopranist, später Altist war.
Will man nun nicht annehmen, dass auch Bernacchi, der berühmteste Gesang-
lehrer aller Zeiten , eine Stimme zu verkennen und falsch zu behandeln im
Stande war, so muss man doch zugeben, dass solche Phänomene der Variabi-
lität einer Stimme vorkommen. Carestini konnte eben Beides sein , Soprauist
und Altist, je nachdem er das tiefe oder das hohe Stimmregister mehr bevor-
zugte; so lange er das erstere bei sich noch nicht entdeckt oder entwickelt
hatte, war er Sopx'anist; nach der Entdeckung der eigentlichen Bruststimme
zog er es vor, Altist zu sein. Auch von einem nicht ganz reinlichen, aber
sonst doch tüchtigen Sänger berichtet Qunntz. »Antonio Pasi hatte eine ge-
fällige Sopranstimme, deren Umfang sich aber nicht bis in die äusserste Höhe
erstreckte. Seine Art das Adagio zu singen war meisterhaft, und sein Vortrag
bündig. Die hohen Töne machten ihm einige IMühe, und sprachen nicht alle-
mal gleich an: wodurch die Reinigkcit der Intonation dann und wann etwas
mangelhaft wurde. Zum Allegro fehlete ihm die Leichtigkeit der Kehle.« Von
Paris ist Quantz nicht sehr erbaut. »Ungeachtet mir der französische Ge-
schmack eben nicht unbekannt war , und ich ihre Art , zu spielen , sehr wohl
Gesang. 219
leiden konnte: so gefielen mir docli, in ihren Opern, weder die aufgewärmten,
noch abgenutzten Gedanken ihrer Componisten , und der geringe Unterschied
zwischen Eecitativ und Arien; noch das übertriebene und affectirte Geheul ihrer
Sänger und besonders ihrer Sängerinnen. An schönen Stimmen fehlte es den
französischen Sängerinnen eben nicht, wenn sie dieselben nur recht zu brauchen
gewusst hätten. Auch die Stimmen der Mannspersonen , so wie sie die Natur
gegeben hatte, waren nicht schlecht.« In London hörte Quantz die Cuzzoni
und Faustina Hasse. »Die Cuzzoni hatte eine sehr angenehme und helle
Sopranstimme, eine reine Intonation und schönen Trillo. Der Umfang ihrer
Stimme erstreckte sich vom eingestrichenen c bis ins dreigestricheue e. Ihre
Art zu singen war unschuldig und rührend. Ihre Auszierungen schienen we-
gen ihres netten, angenehmen und leichten Vortrags nicht künstlich zu sein:
indessen nahm sie durch die Zärtlichkeit desselben doch alle Zuhörer ein. Im
Allegro hatte sie bei den Passagien eben nicht die grösste Fertigkeit; doch
sang sie solche sehr rund, nett und gefällig. In der Action war sie etwas kalt-
sinnig; und ihre Figur war für das Theater nicht allzu sehr vortheilhaft. Die
Faustina hatte eine zwar nicht allzuhelle (vielleicht also das angeblich erst
in diesem Jahrhundei't von Duprez erfundene Timbre obscure) , doch aber
durchdringende Mezzosopranstimme, deren Umfang sich damals vom ungestri-
chenen h nicht viel über das zweigestrichene g erstreckte (auch dies spricht für
T. obscure) , nach der Zeit aber sich noch mit ein paar Tönen in der Tiefe
vermehret hat. Ihre Art zu singen war ausdrückend und brillant (un cantar
granito). Sie hatte eine geläufige Zunge, Worte geschwind hinter einander
und doch deutlich auszusprechen , eine sehr geschickte Kehle und einen schö-
nen und fertigen Trillo, welche sie, mit der grössten Leichtigkeit, wie und wo
sie wollte, anbringen konnte. Die Passagien mochten laufend oder springend
gesetzt sein, oder aus vielen geschwinden Noten auf einem Tone nach einander
bestehen, so wusste sie solche, in der möglichsten Geschwindigkeit, so geschickt
heraus zu stossen , als sie immer auf einem Instrumente vorgetragen werden
können. Sie ist unstreitig die erste, welche die gedachten , aus vielen Noten
auf einem Tone bestehenden Passagien, im Singen, und zwar mit dem besten
Erfolge, angebracht hat. Das Adagio sang sie mit vielem Afi'ekt und Aus-
drucke; nur musste keine allzutraurige Leidenschaft, die nur durch schleifende
Noten oder ein beständiges Tragen der Stimme ausgedrückt werden kann, darin
herrschen. Sie hatte ein gut Gedächtniss in den willkürlichen Veränderungen
und eine scharfe Beurtheilungskraft, den "Worten, welche sie mit der grössten
Deutlichkeit vortrug , ihren gehörigen Nachdruck zu geben. In der Action
war sie besonders stark; und weil sie der Verstellungskunst in einem hohen
Grade mächtig war und nach Gefallen, was für Mienen sie nur wollte, anneh-
men konnte, kleideten sie sowohl die ernsthaften, als verliebten und zärtlichen
Rollen gleich gut: mit einem Worte, sie ist zum Singen und zur Action ge-
boren." Wenn oben gesagt wurde , dass aus den Compositionen sich der Ge-
sangstyl einer Zeit in der Hauptsache erkennen lässt; so zeigen die Bemer-
kungen von Quantz dem Leser, dass dieser Satz doch nur unter einer gewissen
Einschränkung wahr ist , nämlich insofern dabei abgesehen wurde von den
»willkürlichen Veränderungen und Ausschmückungen«, welche für die Gesangs-
kunst zu den Zeiten Farinelli's und Bernacchi's besonders charakteristisch wa-
ren. In diesen Veränderungen feierte nicht blos die musikalische Bildung,
worin die Castraten des vorigen Jahrh. den Sängern des heutigen im Ganzen
überlegen waren, sondern auch die technische Virtuosität der damaligen Sänger
ihre höchsten Triumphe. Auch der massvoll geschriebene und sachlich unter-
scheidende Bericht von Quantz, der wohlthuend von andern mehr dilettantisch
klingenden Mittheilungen über dieselbe Epoche absticht, wird gewiss eine hohe
Meinung von der italienischen Gesangskunst während der ersten Hälfte des
vorigen Jahrh. ei'wecken; aber Eines ruft doch schon beim Lesen einen unan-
genehmen, fast widrigen Eindruck hervor: im Vordergrunde der ganzen Gesell-
220 Gesang.
Schaft stellen die Herren Sopranisteii nnd Altisten. Es ist und bleibt das
Zeitalter des Castratengesanos , also das Zeitalter der unfreien , unter einem
Wust von Vorurtheilcn noch darnieder gehaltenen Gesangskunst: die Sitten
Avaren noch nicht verfeinert genug , um dem weiblichen Greschlecht das unbe-
dingte Heiraathsrecht auf dem Theater zu gestatten. Nun hatte dieser Ca-
stratengesang auch seine Vort heile. Denn es verband sich die männliche Le-
bendigkeit des Geistes mit einem biegsameren und klangvolleren Tonmaterial,
als es das männliche ist: die ein- und zweigestrichene Oktave, die ja auch
der Violine, dem königlichen Instrumente , eignet , ward nun den Männern
zum Eigentlium ; was Wunder, dass sie eine grössere Virtuosität, eine grössere
Klangfülle zu erreichen vermochten, als die heutigen Sänger und Sängeriimen
es im Stande sind, da jenen die vorth eilhafte Stimmlage , diesen die TJeber-
legenheit des männlichen Geistes fehlt. Die Erziehung der Castraten für
Musik und Gesang begann im frühen Knabenalter und wurde weder durch
Mutation noch durch andere Studien unterbrochen , ruhig und systematisch zu
Ende geführt; heute, wo der Beruf zum Sänger sich immer erst nach vollen-
deter Geschlechtsreife entscheidet, muss die Ausbildung nach Möglichkeit be-
schleunigt werden. Der Casträt, der ein so grausames Opfer seiner Kunst hatte
bringen müssen, fand kein anderes Lebensglück weiter, als in ihr; ein hinrei-
chendes Motiv, um seinen Ehrgeiz und seine Arbeitskraft nach dieser Richtung
hin auf das Aeusserste zu spannen. Das Alles sind Vortheile; auf der andern
Seite wird aber — wir lassen das Moralische ganz unberücksichtigt — die
nothwendigste Grundlage des G.'s, die wahrhafte menschliche Empfindung, preis-
gegeben. Die Castratenkehle ist eine verstümmelte Kehle , ein künstlich , ja
gewaltsam hergerichtetes Instrument. Wenn der G. sich dadurch von der In-
strumentalmusik unterscheidet, dass er die Beziehung der Musik zu dem realen
Seelenleben herstellt, so ist der Castrat gar nicht im Stande, dieser Beziehung
vollen Ausdruck zu geben, weil er, der scheusslich verstümmelte Mensch , das
gesunde Empfinden gar nüjht kennt. Der Castratengesang ist darum so weit
entfernt, dem wirklichen Wesen des Gesanges zu genügen, dass er vielmehr nur
als eine Art IJebergangsstufe von der Instrumental- zur Vocalmusik gelten
kann, als eine Ausbildung der Menschenstimme nach ihrer bloss äusserlichen,
instrumentalen Seite; das Zeitalter des wahren G.'s kann erst von dem Augen-
blick an datirt werden, als die Castraten von der Bühne verschwanden. Trotz
vieler berühmten Sängernamen hat indess keine spätere Periode einen so glän-
zenden Nachruf hinterlassen , als das von Quantz geschilderte Zeitalter Ber-
nacchi's. Namentlich eegenwärtig werden die Klagen über den Verfall der
Gesangskunst immer lauter; und wenn zu der Zeit Rossini's auch freilich die
italienische Schule einen neuen Aufschwung nahm, indem sie sich dabei meist
an Aufgaben bewährte, die der äusserlichen Seite der Gesangskunst zugewandt
waren , so ist neuerdings auch der italienische G. im Verfall begriffen. Wir
haben zu untersuchen, welche Ursachen diese Erscheinung haben mag. Wie
die gesammte Opernliteratur, an welcher die Herrlichkeit des Castratengesangs
zu Tage kam, durch Gluck's Schöpfungen und die andern, welche darauf folg-
ten, in Vergessenheit gebracht worden, so hat sich auch der G. selbst in ganz
neuen Bahnen zu entwickeln angefangen. An die Stelle der äusserlichen Scha-
blone und der übermässigen Kunstfertigkeit trat der Ausdruck der Empfindung
und des Charakters; so kam es zunächst, dass der G. mehr als ein Geschenk
der Natur, als eine Gabe des lebhaften Gefühls, denn als eine Kunstübung be-
trachtet werden konnte; ausserdem wurden, wie schon oben bemerkt wurde, die
vieljährigen Gesangsstudien durch die Verbannung des Casti-atengesangs zu einer
Unmöglichkeit ; endlich aber — und dies ist das Wichtigste — über den
grossen Musikern traten die Sänger , welche bis dahin der eigentliche Mittel-
punkt der Opernbühue gewesen waren, in den Hintorgrund. An Feinheit des Ge-
schmacks und in der Subtilität der Ausführung kamen wahrscheinlich die Sänger
aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrh. denen der ersten nicht gleich; in
Gesang. 221
der unmittelbaren Wärme des Ausdrucks werden aber diejenigen, die an G-luck
und Mozart sich heranbildeten, eben so wahrscheinlich ihren Vorgängern über-
legen gewesen sein. Im Ganzen blieb noch lange eine grosse musikalische
Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit den Sängern zu eigen. Gerade je weniger sie
sich auf Feinheiten einliessen, um so fester blieben sie in allem Wesentlichen ;
in den zwanziger Jahren dieses Jahrh. verlieh die Eleganz Rossini's der Ge-
sangskunst einen neuen Glanz; seitdem sind eigenthümliche Umstände einge-
treten, welche ihr verderblich zu werden zunächst den Anschein haben. Es
entwickelte sich der moderne dramatische Styl und der romantische Styl in
der Lyrik. Manches, was in diesen Richtungen aufgetaucht ist , überschreitet
die natürlichen Grenzen des G.'s; die Leidenschaften werden weiter getrieben,
als es die Gesetze der^Schönheit gestatten. Die Sucht, immer stärker zu in-
strumentiren, unterdrückt das Vermögen der Stimme; die immer grösser wer-
denden Bühnenräume sind ebenfalls dem Wohllaut verderblich; vor Allem aber
hat die Tenor- und Altstimme unter dem fast krankhaften Bestreben der Com-
ponisten, ihr nach Tiefe und Höhe des Stimmumfanges Ungebührliches zuzu-
muthen, erheblich Schaden gelitten. Einzelne besonders bevorzugte Individuen,
welche mit diesem oder jenem noch nicht gehörten Ton Effekt machen konn-
ten, gaben die Veranlassung dazu; sofort wurde der neugewonnene Ton ein
Modeartikel; jeder spätere Componist glaubte dasselbe Recht auf diesen Ton
zu haben; und was einem Sänger gelungen war, daran mussten sich nun tau-
send folgende erfolglos abquälen und mit solcher Quälerei zugleich ihre guten
Töne verderben. Weniger übel erging es der Sopran- und Bassstimme, obgleich
auch hier die überhand nehmende Neigung, das weibliche Geschlecht zu eman-
cipiren, zu dem Kokettiren mit männlichen Brusttönen führte , wodurch der
Ton der Demi-monde sich auch in der Gesangsmethode einbürgerte. Wenn
wir indess aus den letzten dreissig Jahren uns der Namen Jenny Lind, Pau-
line Viardot- Garcia, Pauline Lucca, Mathilde Mallinger, Adeline Patti, Amalie
Joachim, Roger und Stockhausen erinnern , so glauben wir nicht Ursache zu.
einer allzutrüben Auffassung zu haben. Vielmehr ergiebt eine speciellere Ver-
gleichung der eben genannten Gesangs-Celebritäten mit denen früherer Zeit,
dass wir in einer aufsteigenden Periode uns befinden. Die bedeutenden Sänger
neuerer Zeit begnügen sich nicht mehr mit der blossen musikalischen Tüchtig-
keit, mit angenehmem oder starkem Stimmklang, mit den noth wendigsten
Nuancen des Vortrags, sondern es ist das Streben erkennbar, das geistige Ele-
ment immer tiefer mit dem Stimmklang zu durchdringen und dem letztern die
feinsten Modulationen abzugewinnen , um theils den musikalischen Organismus
in seinen subtilsten Verzweigungen, theils die Poesie des Worts zu vollkommen-
ster sinnlicher Erscheinung zu bringen. Wenn es bis jetzt auch nur einzelne
Gesangskräfte sind , die sich dieser Kirnst bemächtigt haben , so sind sie es
doch, welche allein die grossen Wirkungen hervorbringen; und die guten und
zuverlässigen Sänger von ehemals würden den ersten Platz heute nicht mehr
einzunehmen im Stande sein, der ihnen früher zufiel. Daraus scheint hervor-
zugehen , dass wir am Beginn einer Periode der höchsten Gesangverfeinerung
stehen, die sich aber von der Bernacchi'scheu, welche die Biegsamkeit des Tons
mehr nach der blos instrumentalen Seite cultivirte , durch die höchste geistige
Biegsamkeit unterscheiden wird. Der Charakter der modernen Musik mit ihrer
vielgestaltigen Modulation und ihrem Farbenreichthum drängt dahin ; wir leben
in dem Zeitalter, wo die Virtuosität der Klangfarbe, welche der frühere
Gesang kaum kannte, das herrschende Element wird. Um diesen Schatz ganz
zu heben und in immer weitere Kreise zu verbreiten , wird aber die Beihülfe
des Staats — oder sagen wir, des Reichs — kaum zu umgehen sein. Die
heutige Gesangausbildung leidet unter der jagenden Unruhe des Zeitalters, das
den Dampf und den elektrischen Telegraphen erfunden hat. Wenn ein Castrat
am Anfang des achtzehnten Jahrh. seine 10 Jahre sich für den Gesang vor-
zubereiten Zeit hatte, so bildet sich eine heutige Conscrvatoriums-Schülerin
222 Gesang.
ein, dass sie nach 70 Lectioncn reif sein könne , eine Stelle als Primadonna
bei einem Hoftheatcr einzunehmen. Das ist keine Uebertreibung. Denn bei
unsern Musik-Conservatorien pflegen drei Damen gemeinschaftlich zwei Stunden
die "Woche zu bekommen ; dies giebt , wenn man die Ferien und die TJnpäss-
lichkeiten abrechnet, 70 Stunden jährlich. Da nun aber drei Damen an diesen
70 Stunden participircn, so hat jede Einzelne von ihnen erst nach drei Jahren
volle 70 Stunden unter der Aufsicht des Lehrers gesungen und will in dieser
Zeit nicht nur schön singen gelernt, sondern auch 15 grosse Tartieen — so
vieler bedarf es in der Regel zum Antritt eines Engagements — cinstudirt
haben. Solche unglaubliche Ansprüche können natürlich nicht erfüllt werden;
aber im Ganzen ergiebt sich doch daraus eine zu grosse Hast im Unterricht.
Der Lehrer hat nicht die Ruhe, sich bei jeder Kleinigkeit so lange aufzuhal-
ten, als es im Interesse der Sache nothwendig wäre , und die Vorübungen
gründlich genug anzustellen; iind selbst wenn dies geschieht, so fehlt ihm das
Gefühl der Müsse, das so unendlich fruchtbar in der Hervorbringung von man-
chen kleinen TJebungen ist, die nicht durchaus nothwendig, aber sehr nützlich
sind. Der sorgfältigere und kräftigendere Unterricht ist derjenige, bei dem es
nicht so überaus eilig zugeht; das liegt aber nicht im Geist unseres Zeitalters.
Mehr als drei Jahre können zur Ausbildung für die Bühne im Allgemeinen
nicht verwandt werden; mehr als zwei Stunden täglich darf kein Sänger sein
Organ gebrauchen (und auch dieser Zeitraum kann nur als Maximum gelten);
zwei wöchentliche Stunden unter Aufsicht des Lehrers werden als das normale
Maass gelten können , wenn die häusliche Ucbung zu der Unterrichtszeit in
dem richtigen Verhältniss stehen soll. Das zu lösende Problem besteht nun
darin, dass der angehende Sänger die drei Jahre, die ihm gegeben sind , ganz
und voll zu seiner Gesangsausbildung verwende, ohne doch mehr als zwei
Stunden täglich zu singen; indem er alle andern Fächer, die zu seiner Gesangs-
ausbildung beitragen können (Theorie der Musik, Ciavier, Violine, Cello, Theorie
des Gesangs, Italienisch, Declamation, Plastik, Kenntniss der schönen Literatur,
namentlich der lyrischen und dramatischen, schauspielerische Uebungen u. s. w.),
mit hineinzieht. Die meisten heutigen Sänger werden viel zu einseitig aus-
gebildet, um volle Künstler zu werden; nur eine vollständige Durchdringung mit
der Kunst nach allen ihren Richtungen hin, nur ein vollständiges Hinausdrängen
des bürgerlichen AUtagsraenschen durch Ueberhäuftsein mit künstlerischer Thätig-
keitkann uns künstlerische Sänger erziehen. Der angehende Sänger muss während
der drei Jahre seines Studiums vom Morgen bis Abend im Aether der Kunst leben,
so dass dies seine ganze Welt wird; dann ist etwas zu erwarten. Dazu kann aber
nur der Staat helfen, indem er freigebig spendet, wo Talent vorhanden ist; denn der
Einzelne wird in den allerseltensten Fällen die Geldmittel besitzen, die zu einer
Ausbildung, wie sie uns vorschwebt, nothwendig wären. — Noch einen Um-
stand haben wir als charakteristisch für den Zustand des G.'s und insbesondere
des Gesangunterrichts in unserer Zeit hervorzuheben. Im Wesentlichen ist der
G. ein unbewusstes Erzeugniss unseres Gefühls, unserer Phantasie. Wie wir
gehen, essen und trinken lernen, ohne uns um den Muskelappai'at , den wir
dabei in Thätigkeit setzen, zu bekümmern, so reden und singen wir nach
unserm Gefühl, ohne zu wissen, wie wir es anfangen. Schon die Natur bringt
dabei CoiTecturen hervor. Indem unser Gefühl sich veredelt, vervollkommnen
wir unser Singen, rein von Innen heraus; oder, wenn wir uns, wie das in der
Regel vorkommt, darüber täuschen und uns einbilden, viel schöner zu singen,
als es wirklich der Fall ist, so belehrt uns der Eindruck, den wir auf Andere
machen, indem uns diese entweder geradezu die Wahrheit sagen oder durch
ihr Stillschweigen zu erkennen geben, dass ihnen unsere Leistung nicht sonder-
lich zugesagt hat, eines Besseren. Wir werden dann aufmerksamer auf uns,
ahmen Andere nach, welche Beifall finden; und in diesem Zustande mag es
denn wohl auch zuerst sein, dass wir über den Mechanismus der Stimme nach-
zudenken beginnen und, anstatt von Innen heraus, von Aussen uns des schönen
Gesang^. 223
Gesangs zu bemächtigen suchen. Es liegt nun auf der Hand, dass dies von
Aussen her nie ganz möglich sein wird, selbst wenn uns der Stimmorganismus
in allen seinen Theilen, wie ein vom Menschengeiste erfundenes Uhrwerk, durch-
sichtig wäre und wenn wir alle die kleinen vielverzweigten Muskeln, welche
dabei thätig sind, jeden einzeln in voller Gewalt hätten. Denn im Allgemeinen
würden Avir wohl auf diesem Wege dahin gelangen können, schön zu singen;
aber für die in jedem einzelnen Fall richtige Anwendung des so Gelernten
würde es uns nicht das Mindeste nützen können; wir werden vielmehr immer
wieder auf das verfeinerte Kunstgefühl und auf die unmittelbare Wirkung,
welche dasselbe durch die magische Gewalt des Willens auf die Muskeln des
Körpers übt, d. h. auf das Singen von Innen heraus, als auf das Wesentliche
zurückgeführt. Und wenn der Anatom uns bis auf den tausendsten Theil des
Millimeter ausgerechnet hätte, bis zu welcher Länge für jeden einzelnen Ton
der Scala die Stimmbänder des Basses, des Tenors u. s. w. gespannt sein müssen,
was würde das nützen? Kein Mensch hätte darüber eine Gewalt. Er muss
den Ton mit absoluter Schärfe vorstellen, und sodann ist es die Schärfe der
Vorstellung, welche auf eine uns unbewusste Weise oft schon bei dem Anfänger
ganz genau und schon im ersten Augenblick die richtige Spannung der Stimm-
bänder sich schafft. Aber das Singen von Innen heraus ist nicht unfehlbar;
daraus entsteht das Verlangen nach einer Kenntniss der äussern Bedingungen,
welchen der schöne Gesang unterworfen ist; die physiologische Kenntniss der
menschlichen Stimme ergiebt sich also als eine sehr wichtige Hülfs- Wissen-
schaft für den Sänger und namentlich für den Gesanglehrer. Schon seit alten
Zeiten haben sich Sänger und Gesanglehrer ihre Hypothesen darüber gebildet,
über Tonansatz, Stimmregister, Mundöffnung, Zungenhaltung, Athmen u. s. w.
— Hypothesen, die bei dem vollständigen Mangel an wissenschaftlicher Be--
handlung des Gegenstandes, sehr mangelhaft waren, sich aber mit manchen
Abweichungen im Einzelnen traditionell von Geschlecht zu Geschlecht forterbten.
Seit etwa dreissig Jahren hat sich die Physiologie ernstlicher mit dem mensch-
lichen Stimmorgan zu behandeln angefangen; und es ist nun das Charakte-
ristische für den Gesangunterricht der Gegenwart, dass die alten' Hypothesen
zu wanken beginnen und den neuen Anschauungen Platz machen , ohne aber
dass etwas Entscheidendes, Anerkanntes, Bahnbrechendes bis jetzt daraus her-
vorgegangen ist. Die Physiologen stehen in der Hegel dem Kunstgesang zu
fern, um ihre Untersuchungen nach dieser Seite hin vollkommen nutzbar machen
zu können, wie denn z. B. der sorgfältigste Specialist auf diesem Gebiet allein
durch den leidenschaftlichen Eifer, mit dem er das Gaumen-B, vertheidigt, bei
jedem Kenner des Kunstgesanges Misstrauen erweckt. Die Gesanglehrer, welche
selbst zu physiologischen Combinationen ihre Zuflucht nehmen, sind meist
wissenschaftlich zu dilettantisch gebildet, um Eichtiges vorzutragen. Manuel
Garcia, der geniale Erfinder des Kehlkopfspiegels, ist vielleicht am weitesten
in der Verschmelzung der physiologischen Beobachtung mit dem unmittelbaren
Gefühl für schönen G. gedrungen; aber auch sein Standpunkt ist heute über-
holt, und manche unhaltbare Ansicht über Stimmregister, Klangfärbungen u. s. w.
ist die Folge davon gewesen. So leben wir heute in einem Zeitalter des
Suchens und der Skepsis; die Ansichten gehen unendlich weit auseinander; je
ernster es Einer nimmt, desto mehr ist er geneigt, sich seine eigene meist sehr
unzureichende Theorie zu bilden; und von jenen bäurischen Vorstellungen an,
die sich etwa mit den medicinischen Kenntnissen eines alten Schäfers vergleichen
lassen, bis zu den complicirtesten, aber dennoch unfertigen Gebilden ist jede
Richtung in der heutigen Gesanglehrerwelt vertreten. Als Hülfswissenschaft
ist nun aber die physiologische Erkenntniss des Stimmorgans nicht zu ent-
behren; wir müssen also weiter suchen, bis wir gefunden haben. Es scheint,
dass wir uns dem Ziel nähern. Merkel, der Verfasser der umfangreichen
Anthropophonik, hat in seinem neuesten Werk (der Kehlkopf, Leipzig,
J. J. Weber, 1873) sich in mehreren wesentlichen Punkten den in der Gesang-
224 Gesangbuch.
weit herrschenden Ansichten erheblich genähert und eine physiologische Be-
gründung für dasjenige, was hier als richtig empfunden wird, zu geben gesucht.
Wenn auch noch nicht der Gegenstand als abgeschlossen beti'achtet werden
kann, so scheint hier doch ein Werk vorzuliegen, das beanspruchen darf, als
Vereinigungspunkt für die verschiedenartigsten Bestrebungen und Untersuchun-
gen längere Zeit liindurch zu gelten. (}. E.
Gesangbuch nennt man die Sammlung der in einer Kirchengemeinde zum
praktischen Gebrauche bestimmten religiösen Dichtungen. Man theilt die Ge-
sangbücher nach dem ihnen zuertheilten Zweck in öffentliche und in Pri-
vatge sang buch er, je nachdem sie in eine oder mehrere Kirchen eingeführt
oder nur für die häusliche Andacht, nicht für den allgemeinen gottesdienst-
lichen Gebrauch bestimmt sind. Der deutsche evangelische Kirchengesang der
Gemeinde ist eine Frucht und Schöpfung der Reformation Luther's, der
selbst Dichter geistlicher Lieder (37, ausser einigen ungewissen) war und auch
zu einigen, wenigstens zu dreien unbestritten («Jesaia dem E'ropheten«, »Wir
glauben All'« und »Ein' feste Burg«) die Singweisen (Melodien) erfunden hat.
Er überi'agt in dieser Hinsicht die Reformatoren Zwingli und Calvin, wie denn
überhaupt die reformirte Kirclie an Liedern und Choralweisen viel ärmer ist,
als die lutherische. Die Thatsachc, der Schöpfer des deutschen Kirchengemeinde-
gesanges zu sein, ist dem AVittenberger Reformator zwar häufig abgesproclien
worden mit Berufung auf einzelne Beispiele solchen Gesanges vor ihm, allein
mit Unrecht, da jene Beispiele, wie z. B. des Peter von Dresden (Petrus Dres-
densis), gestorben 1440 in Prag, welcher einige halb deutsche, halb lateinische
Lieder dichtete, vereinzelt waren und niemals allgemeinen Eingang in die Kirche
fanden. Der lateinische Kirchengesang des Chores wurde durch sie nicht auf-
gehoben. Höchstens kann das Vorbild des Johann Huss als maassgebend für
Luther citirt werden, da der Erstere unter den böhmischen ßrüd;^rn den Kir-
chengesang in böraischer Sprache eingeführt und die erste, jetzt noch vorhandene
Sammlung böhmischer geistlicher Lieder veranlasst hatte, die 1531 von dem
Pfarrer Mich. Weiss zu .Tungbunzlau in's Deutsche übersetzt worden ist. Die-
selbe war 400 Gesänge stark; jedocli sind davon nur zwei in spätere Gesang-
bücher gekommen. Nach Luther stieg die Zahl der evangelischen , für die
ganze Gemeinde bestiinmten Kirchenlieder im Laufe der Zeit bis zu einer
enormen Ziffer; um di(3 AVende des 17. und 18. Jahrhunderts wurden aus
diesem Vorrathe bereits verschiedene Sammlungen herausgeschöpft, die mit
revidirtem und zeitgemäss verändertem Texte ganzen Bezirken oder einzelnen
grösseren Städten für den gottesdienstlichen Gebrauch vorgeschrieben wurden,
so dass man jetzt auch Legionen von verschiedenen kirchlich anerkannten Ge-
sangbüchern in Deutschland hat; im Grossherzogthum Sachsen- Weimar allein
z, B. sind gegenwärtig nicht weniger als acht verschiedene Gesangbücher ein-
geführt, von denen jeder Bezirk sein eigenes besitzt. Aus den Massen von
Gesangbüchern wird am Besten die steigende Zahl der evangelischen Kirchen-
lieder klar. Während nämlich das erste deutsche Gesangbuch, das Wittenberger
vom J. 1524, nur aclit Lieder enthielt, hatte das Erfurter Euchiridion von
1525 schon 37, das Klug'sche von 1533 schon 52, das Köpfl'sche von 1544
148, das Dresdner von 1593 241 mit nicht weniger als 180 Melodien und das
Lüneburger von 1686 2056 Lieder mit 100 grösstentheils ganz neuen Melo-
dien. Nach Thilo's Tabellen waren 1545 bereits 145 verschiedene Sammlungen
allein von Luther's Liedern erscliienen. Grosse Verwirrung richtete in dem
Kirchengesange die Entwickelung der IMusik überhaupt an, welche zur Zeit
der Reformation sich noch in den alten Kirchentonarten bewegte; die letzteren
gaben den Chorälen eine später unerreicht gebliebene Einfachheit, Erhabenheit
und Feierlichkeit. Schwungvoll hebend und belebend trat dazu der Rhythmus.
Fast gleichzeitig mit dem Falle der Kiichentonarten fiel auch der Gebrauch,
im mehrstimmigen Gesänge die Melodie dem Tenor zu ertheilen, und Lucas
Osiander gab in seinem Choralbuche (Nürnberg, 1586) grundsätzlich und zu-
Gesangbuch. 225
erst die Melodie der Oberstimme nicht allein den neuen, sondern aucli den
alten Chorälen. Kunstgemäss verfuhr in dieser neuen "Weise nach ihm der
Meister Johannes Eccard. Bis 1687 aber noch blieben die Melodien in ihrer
ursprünglichen i'hythmischen Gestalt. In jenem Jahre erschien Wolfg. Karl
Briegel's Darmstädter Gesang- und Choralbuch, in welchem der Rhythmus ver-
wischt und abgestreift war. Aus Italien war auch bereits der Sologesang, das
Recitativ, die chromatische Tonleiter, der Geueralbass und die Instrumental-
musik in Deutschland eingewandert und äusserten ihre Einflüsse mehr zum
Vortheil des Kunst- wie des Gemeindegesanges, Durch die sogenannten Halle'-
schen Pietisten mit ihren gefühlvollen Liedertexten und zärtlichen Melodien, die
aus dem Darmstädter Gesangbuche von 1698 in das von Freylinghausen (Halle,
1704 und 1714) übergingen und in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und
Württemberg Verbreitung fanden, schien sich der evangelische Kirchengesang
heben zu wollen, aber jene Melodien waren arienmässig, meist in Moll gesetzt,
ohne Rhythmus, zweistimmig und zu süsslich und tändelnd. Dagegen ver-
sprachen Geliert's Lieder mit ihren Melodien von Bach, Doles, Quantz, Hiller,
Kühnau, Kii'nberger, Haydn, Schicht, Beethoven u. s. w. das zu bewirken, was
jene nicht vermocht hatten. Allein es geschah auch nicht in allgemeiner Weise,
denn sie waren und wurden nicht alle kirchlich. Aber die Verfertigung und
Einführung neuer Gesangbücher brach sich durch Geliert's Beispiel, dem die besten
lyi'ischen Dichter folgten, immer mehr Bahn, und zählte schon der dänische
Etatsrath Moser 1750 in seiner Sammlung 350 Gesangbücher und ein Register
von über 50,000 Liedern, so würde man gegenwäi-tig ungefähr 100,000 Lieder
mit 2000 Melodien in 800 verschiedenen Gesangbüchern zusammenrechnen
können. — Zu Geliert's Zeit schied sich auch das Gesang- und Choralbuch
in zwei verschiedene Bücher, während beides bis dahin in einem vereinigt'
gewesen war, wie es die Verwandtschaft der Sache mit sich brachte. Und
beide Bücher wurden immer localer und relativer, während sie früher allgemein
waren. Jedes Land, jede Stadt, ja, manches Dorf bekam sein eigenes (vex'-
schiedenes) Gesang-, bezüglich Choralbuch, mit Aenderung im Texte und in
der Melodie, wie das weiter oben angeführte Beispiel aus Sachsen- Weimar be-
legt. Je nachdem die Kirchenbehörden in • diesem ganzen Zeiträume bis zur
Jetztzeit in dem Bestreben aufklärender Reinigung der Texte vorgingen oder
nicht, haben manche Gemeinden schon ein zweites und drittes neues Gesang-
buch empfangen oder das ursprünglich eingefühx'te behalten. Sind Geliert's
»Oden und Lieder« (1757) als das erste der am meisten verbreiteten Privat-
gesangbücher anzusehen, so brach zuerst Zollikofer in dem im Vereine mit
Chr. Er. Weisse für die reformirte Gemeinde in Leipzig 1766 herausgegebenen
Gesangbuche der dort verfolgten Richtung auch in den öffentliclien Gesang-
büchern die Bahn. Diesem Beispiele folgten 1767 die reformirten Gemeinden
in Bremen und Lüneburg, 1773^ auch die protestantische Gemeinde in der
Kurpfalz, 1778. die Domgemeinde zu Bremen, 1779 Braunschweig, 1780 Schles-
wig-Holstein, dann Berlin, 1782 Kopenhagen, Ansbach, Dresden, Hildburg-
hausen, Gei'a und viele andere Gegenden und Orte. Indess war es erst einer
noch späteren Zeit aufbehalten, Gesangbücher nach richtigen Grundsätzen zu-
sammenzustellen, indem man eine Menge bisher unbeachtet gebliebener Kern-
lieder aufnahm, aus anderen Geschmacklosigkeiten und Widersinniges entfernte,
ebenso solche Lieder, denen aller lyrischer Schwung abging. Bunsen, Grün-
eiseu. Knapp, Stier, Stipp, Wackernagel u. A. haben für Anwendung dieser
Grundsätze sehr verdienstlich gewirkt, sind aber, wo dieselben praktisch durch-
geführt werden sollten, auch vielfach auf hartnäckigen Widerstand von Seiten
derjenigen gestossen, die das Bisherige unter allen Umständen gewahrt wissen
wollten und in diesem Sinne agitirten. Der sogenannte Gesangbuchstreit,
welcher 1868 und später in verschiedenen Gegenden namentlich Preussens heftig
loderte, war eine Folge dieses Zusammengerathens liberaler und orthodoxer,
vernunftgemässer und glaubenbefangeuer Grundsätze und stellt fernere Kämpfe
Mu.sikal. Couvers.-Lexikon. IV. 15
226 Gesanglehre — Geschmack.
in Aussicht. — Auch in der römisch-katliolischen Kirche hat man in neuerer
Zeit deutsche Gresangbücher eingeführt, z. B. das von Wessenberg für das
Bisthum Constanz (1812) und das vom bairischeu Domdechauten Boxleidtner
herausgegebene. Es scheint ausser Zweifel zu stehen, dass der seit 1873 in
Deutschland sich mächtig ausbreitende Altkatholicismus ebenfalls dergleichen
adoptiren wird. — Selbst für den rcformirten jüdischen Cultus wurden neuer-
dings deutsche Gesangbücher von Johlson (181'.»), Kley (1821), Stern und
Holdheim (1844) ausgearbeitet und in einigen grossen Gemeinden wie zu Bres-
lau, Hamburg, Leipzig, Berlin, Frankfurt a. M. u. s. w. eingeführt. In Berlin
hat man bereits zugleich mit der Orgel zwei solcher Gesangbücher angenommen:
in der Reformgemeinde das von Stern und in der neuen Synagoge das von
Horwitz. Die orthodox- jüdischen Gemeinden dagegen bekämpfen hartnäckig-
derartige den hebräischen Gottesdienst verändernde Neuerungen.
(iesanglehre ist der Inbegriff aller derjenigen Regeln, welche von der in-
nigsten Verbindung der Musik und Sprache zu künstlerischem Zwecke handeln.
Gesauglehrer, s. Singlehrer.
Gesanglichter hiessen im,^deutschen Reiche zur Zeit des Mittelalters Spott-
lieder, die man bei Licht vor den Hausthüren schlecht beleumundeter Leute
absang, diesen selbst zur Beschämung, Anderen zur AVarnung.
Gesangrmethode ist die Art und Weise, nach diesen oder jenen Kunstregeln
singen zu lernen oder zu lehren, S. Gesang.
Gesangschule, s. Singschule.
Gesaugsübungen oder Slugübungen, s. Solfeggien.
Gesangton, s. Vocalton.
Gesangyereiue, s. Singvereine.
Geschichte der Musik, s. Musikgeschichte.
Geschlecht, s. Gattung, Genus, Klang- oder Tongeschlecht.
Geschleift und auch Geschweift wird mitunter für Gebunden (s. d.) ge-
braucht.
Geschleifter Doppelschlag, s. Doppelschlag,
Geschlossener Kanon, s. Kanon.
Geschnellter Doppelschlag, s. Doppel schlag.
Geschmack (ital. : gtisto, franz.: goüt). Dieses "Wort wird in der Kunst
ziemlich gleichbedeutend mit »ästhetischer Schönheit« oder mit »Sinn für ästhe-
tische Schönheit« gebraucht. Eine Speise, welche dem Geschmackssinn nichts
bietet, wird als fade, reizlose verworfen ; ebenso wird ein künstlerisches Gebilde,
welches dem inneren Schönheitssinne keine Befriedigung gewährt, für werthlos
erachtet. Aus dieser Parallele erklärt sich die figürliche Anwendung des Wortes
G. Wie aber »G.« in seiner ursprünglichen Bedeutung ein durchaus Sinnliches
bezeichnet, so wird es auch in der bildlichen Redeweise nur für das Aeussere,
für das sinnlich Erch ein ende am Kunstwerk, nicht für den geistigen Inhalt
desselben gebraucht. Von einem geschmackvollen Gedanken oder Gefühl kann
man nicht sprechen, wohl aber von einem geschmackvollen Ausdruck Beider.
Und ferner: wie beim Schmecken das Augenehme nur aus einejn unmittelbaren
Empfindungseindrucke entspringt, so beschränkt sich auch der ästhetische Ge-
schmacksbegriff auf dasjenige Schöne, welches Gegenstand des unmittelbaren
Eindrucks ist, und kann nicht auf das bezogen werden, was erst in Folge
von Vernunftreflexionen als Schönes erkannt und gefühlt wird. Demgemäss
wird z. B. in der Dichtkunst von geschmackvoller Versification , in der Bau-
kunst von geschmackvoller Anordnung und Dekorirung, in der Malerei von
geschmackvoller Färbung gesprochen — sämmtlich Schönheitsäusserungen, die
in die Sinne fallen, die beim Sehen oder Hören unmittelbar empfunden werden.
In Analogie hiermit kann in der Musik von G. in der Instrumentirung, oder
in Läufen und Verzierungen die Rede sein: bei Ersterer handelt es sich um
die äussere Darstellung der musikalischen Gedanken, bei Letzteren um den
äusserlichen Schmuck derselben. Hingegen wird weniger gut von geschmack-
Geschränkte oder geschweifte Wellen — Gessinger» 227
voller Melodie oder Harmoniefolge gesprochen, denn diese Beiden sind zu sehr
inhaltliche Momente der Composition , und ihre Schönheiten sind mehr
seelische als sinnliche, sie bestehen zwar zum Theil auch in angenehmen
Reizen für den Grehörssinn, zum wesentlicheren Theil jedoch in schönen An-
regungen für das Gemüth. "Wohl am häufigsten hört man G. im »Vortrag«
erwähnen, und hier ist der Ausdruck sehr zutreffend, da der Vortrag ja nichts
Anderes ist als das sinnliche Zur-Erscheinung-B ringen des Inhaltes;
natürlich aber kann auch hier nur die äusserlichere Seite der Leistung gemeint
sein : schöne Tonbildung, Abrundung, Eleganz u. s. w. W. W.
Geschränkte oder Geschweifte Welleu, s. Grebrochene Wellen.
Geschwänzt, s. des trieben,
Ges-Dur (ital.: sol hemolle maggiore, franz.: sol hemol majeiir, engl.: G. flat
major) ist diejenige der 24 Tonarten unseres modernen abendländischen Ton-
systems, welche durch Transposition der Durtonart auf den Ton Ges als Grund-
ton gebildet wird. Im von G aufsteigenden Quarten- oder absteigenden Quin-
teucirkel ist Ges-Dur die sechste Tonart (mit sechs b Vorzeichnung). Als
Haupttonart eines Tonsatzes selten gebräuchlich, wird diese Tonart meist durch
das enharmonische Fis-Dur ersetzt und gewöhnlich nur im Laufe der Modu-
lation und Ausweichung gebraucht. Sehr schön und zum Vortheil des Stimm-
klangs für den Tenor ist sie mitunter in neueren italienischen Opern, sowie
in der Cantilene des Duetts im vierten Acte der »Hugenotten« von Meyerbeer
angewendet. Der Durregel entsprechend, heisst die Scala von Ges-Dur: 6??,
Ä), B, G\>, D?, Ey, F. — Als man sich noch ästhetisirenden Studien über das
Wesen der Tonarten hingab, glaubte man, und Schubart drückt dieö am Prä-
gnantesten aus, Ges-Dur verkünde: »Triumpf in der Schwierigkeit, freies Auf-
athmen auf überstiegenen Hügeln, Nachklang einer Seele, die stark gerungen'
und endlich gesiegt hat«. Diese schönrednerische Phrase, über welche das citirte
Beispiel aus den »Hugenotten« unbekümmert hinweggeht, fand ihre letzte Zu-
spitzung in Schilling's Universal-Lexikon.
Gese, Bartholomäus, s. Gesius.
Gesellschaftstänze sind solche Tänze, welche in geselligen Kreisen, auf
Bällen u. s. w. zur Erheiterung und Unterhaltung ausgeführt werden, im Gegen-
satz zu den Kunst- oder Ballettänzen.
Gesicht der Or^el, dasselbe was Orgelfront (s. d.).
Gesichtspfeifen (franz.: montres), s. Frontpfeifen.
Gesius, Bartholomäus, thätiger deutscher Kirchencomponist aus der
Wendezeit des 16. und 17. Jahrhunderts, war um 1600 Cantor zu Frankfurt
a. 0. und stammte aus Müncheberg. Er war zu seiner Zeit einer der fleissig-
sten und angesehensten Tonsetzer für die Kirche , so dass auch nach seinem
um 1613 erfolgten Tode noch Werke von ihm gedruckt wurden. Seine Ar-
beiten erschienen überhaupt in der Zeit von 1588 bis 1624 und bestanden in
einer Passion, zahlreichen mehrstimmigen Hymnen, Psalmen, Motetten, Messen
und Kirchengesängen aller Art, unter letzteren viele Lieder von Luther, die
G. als Choräle vier- und fünfstimmig setzte (Frankfurt a. 0., 1600). Auch
theoretische Schriften hat er verfasst, von denen die oft aufgelegte -nSyiiopsis
musicae practicaea (1609, 1615, 1640) bekannt geblieben ist.
Geslin, Filippo Marc-Antonio, französischer Musiklehrer, war 1788
in Bom geboren und machte als Schüler Pierre Galin's in Paris Propaganda
für dessen Meloplasten (s, d.), den er auch während seiner Lehrthätigkeit
in der französischen Hauptstadt zu einer gewissen Anerkennung brachte.
Ges-Moll (ital.: sol bemoUe minore, franz.: sol hemol mineur, engl.: G. flat
minor) ist die Transposition der Molltonart auf den Ton Ges als Grundton.
Als Haupttonart des durch die vielen b der A'^orzeichnung erschwerten Lesens
halber ungebräuchlich, wird sie meist durch die enharmonische Tonart Fismoll
ersetzt und kommt höchstens nur als Ausweichungstonart dann und wann vor.
Gessinger, Georg Martin, berühmter deutscher Orgelbauer des 18. Jahr-
15*
228 Gessner — Getheiltes Accompaguement.
Hunderts, lebte mit dem Titel eines fürstl. Anspach'schen Hof- und Landorgel-
bauers zu Rottenburg an der Tauber und war ein seiner Kunstfertigkeit wegen
Aveit und breit gcsucliter Meister. Seine Hauptwerke sind die vortreftlicben
Instrumente in den Kirchen zu Laugenburg im Hohenlohe'schen (1764) und
zu Burgbernheim (17G8).
Gessner, Joliann Matthias, eifriger deutscher Musikdilettant und be-
rühmter Humanist, geboren 1691 zu Roth bei Nürnberg, war Professor und
Bibliothekar zu Weimar, von 1730 bis 1734 Rector der Thomasschule in
Leipzig und starb als Bibliothekar der Universität zu Göttingen am 4. Aug.
1761. Seinen grossen Geschmack und seine ausgebreiteten Kenntnisse bekundete
er auch vielfach in musikalischen Dingen.
Geste wilz, Friedrich Christoph, deutscher Componist und Dirigent,
geboren am 8. Novbr. 1753 zu Prieschka im Meissen'schen, kam 1770 nach
Leipzig und liess sich daselbst von seinem nachmaligen Schwager J. A. Hiller
musikalisch ausbilden. In der Folgezeit fungirte er als Musikdirektor bei der
Bondiui'schen deutschen Schauspiclgesellschaft und trat in derselben Eigenschaft
1790 an das italienische Hoftlieater zu Dresden. Seine ersten Compositionen
bestanden in einzelnen Arien und Chören, von denen Hiller einzelne in seine
Sammlung von Arien und Duetten (Leipzig, 1780 bis 1783) aufnahm; ferner
erschien eine Messe und eine Hymne (J.'s im Druck, während andere Manuscript
blieben. Im J. 1781 componirte er die einaktige; Operette »Die Liebe ist sinn-
reich« und 1790 zu Dresden die italienische komische Oper y^L'orfanella ame-
ricana«, aus welcher die Ouvertüre iind eine Cavatine im Clavierauszuge er-
schienen sind, die Original-Partitur dagegen in der königl. Bibliothek zu Dresden
sich befindet. Von seinen vielen Claviercompo.sitionen ist nur eine Sonate be-
kannt geworden.
Gestohleues /eitiiuiass, s. Tempo rubato.
Gestrichen, eingestrichen, zweigestrichen u. s. w., s. Notenschrift
und Tabulatur.
Gesualdo, Carlo, begabter italienischer Musikdilettant und Madrigalcom-
ponist, geboren um 16.50, war Fürst der neapolitanisclien Herrschaft Venosa
und ein NefiFe des Cardinal-Erzbischofs von Neapel, AlfonsoG. Sein Musik-
lehrer war Pomponio Nenna gewesen und zu der seitdem von ihm mit leiden-
schaftlicher Vorliebe betriebenen Musikübung trat ein bemerkenswerthes schaflPen-
des Talent, das seinen Ausdruck in vielen meist fünfstimmigen Madrigalen fand,
die als originell und überaus feinsinnig sich aus den erhalten gebliebenen der-
artigen Arbeiten des 16. Jahrhunderts vortheilhaft herausheben. Der ihnen
eigenthümliche Charakter zarter Schwermuth macht sie ganz besonders interes-
sant. Die ältesten Sammlungen derselben sind 1.585 in Genua hersusgekommen.
Achtundzwanzig Jahre später veranstaltete Simone Molinara, Kapellmeister an
der Kathedralkirche zu (ienua, ciuc Gesammtausgabe unter dem Titel -nPar-
titura della sei lihri de^ madrirjali a cinque voci delV illiistrissimo cd eccelleniis-
simo principe di Venosa, D. Carlo Gesualdo^ (Genua, 1613).
Getheilt, ein Ausdruck, der in der Fachsprache der Orgelbauer in ver-
schiedenen Zusammensetzungen und dadurch bedingten verschiedenen Bedeu-
tungen vorkommt. Man hat z.B. Getheilte Wellen (s. Gebrochene Wellen),
g. Registerzüge, g. Laden oder Windladen, g. Parallelen, g. Schlei-
fen, g. Stimmen, g. Hauptk anale u. s. w. Man sehe in Bezug hierauf
die Hauptartikcl nach.
Getheiltes Accoiiipng-uemeiit nennt man bei der Generalbassbegleitung die
gleichmässige Vertheilung der Accordintervalle an beide Hände, so dass nicht
die linke Hand den Grundl)ass allein und die rechte die drei Oberstimmen,
sondern jede der beiden Hände zwei Stimmen auszuführen hat, wie solches
l)ei einer ausgebildeteren Begleitung und in der weiten Lage der Harmonie,
um Fülle und Kraft hervorzubringen, oft nothwendig wird. Vgl. Phil. Eman.
Getheilte Violinen — Gevaert. 229
Bacli's »Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen«, 2. Aufl., Th. 2,
Cap. 32, §. 10.
Getheilte Violinen, s. Divisi,
Getrag-eu, s. Aiypoggiato.
Getragene Zunge, eine Schlagmanier bei den Pauken. S. Pauke und
Zunge.
Getrennte Beueg-ung (franz.: mouvement interrompio), die durch Pausen
unterbrochene Bewegung.
Gevaert, Frangois Auguste, berühmter belgischer Componist, wurde
geboren am 31. Juli 1828 in dem ostflandrischen, eine Meile von Oudenaarde
gelegenen Dorfe Huysse, wo sein Vater Bäcker war. Bestimmt, dem Stande
des Vaters zu folgen, setzte der junge Gr., durch seinen musikalischen Instinkt
getrieben, es doch durch, im Knabenchor der Kirche mitsingen zu dürfen und
vom Organisten des Dorfes Unterricht im römischen Kirchengesang zn erhalten.
Nachdem er einige Zeit darauf in einem Winkel des elterlichen Hauses ein
musikalisch - theoretisches Manuscript in vlämischer Sprache gefunden hatte,
machte er sich mit den Elementen der Harmonielehre vertraut und componirte
eine Menge von Messen, Motetten und Cla vierstücken , die im Pamilienkreise
bewundert wurden und in der That, trotz der Fehler aller Arten, den geborenen
Mvisiker und zukünftigen Tonkünstler deutlich erkennen Hessen. Auf die Bitten
des Arztes der Gemeinde, welcher die Fortschritte des jungen G. mit Interesse
verfolgte, wurde dieser von seinen Eltern 1841 auf das Conservatorium nach
Gent geschickt, wo er nach zweijährigem Studium unter Sommere den ersten
Preis für Clavierspiel erhielt und gleichzeitig unter Mengal die Composition
studirte. Die Stelle des Organisten an der Jesuitenkirche, welche er um eben
diese Zeit einnahm, erhöhte seinen Eifer für das ernste Studium der Musik: die.
Leetüre der theoretischen Werke eines Cherubini, Fetis, Marpurg, Beicha, der
häufige Besuch des Theaters und die Kenntnissnahme der Partituren von Gluck
und Mozart setzten ihn in den Stand, schon 1846 mit einer, am Weihnachts-
abend unter grossem Erfolg in einer der Genter Kirchen aufgeführten Cantate
vor das Publikum zu treten. Im Beginne des folgenden Jahres erhielt er bei
einer von der Gesellschaft der schönen Künste ausgeschriebenen Preisbewerbung
für seine Composition der vlämischen Cantate »Belgie« den ersten Preis, und
hierdurch ermuthigt, bewarb er sich bei dem nationalen Wettkampf in Brüssel
im Mai 1847 um den grossen Compositionspreis, welcher ihm mit Einstimmig-
keit zugesprochen wurde. Das J. 1847 war noch ausserdem ein wichtiges für
seine Laufbahn als Componist, indem bei einem Miisikfest des deutsch-vlämi-
scheu Gesangvereins »Zangverbond« ein von ihm für diese Gelegenheit compo-
nirter Psalm -asuper flumina Bahi/loiiisa in trefflicher Weise zur Ausführung
kam, ein AVerk, welches nicht blos auf das Publikum bedeutenden Eindruck
machte, sondern auch G. selbst die Glückwünsche des gerade anwesenden Spohr
eintrug. — Der damals neunzehnjährige Gevaert hätte nach den Bestimmungen
der Regierung als Inhaber des grossen Compositionspreises eine Reise ins Aus-
land zur A'ollendung seiner Studien unternehmen müssen. Doch suchten seine
Eltern, um sich nicht so früh von ihrem Sohne zu trennen, einen Aufschub
von zwei Jahren nach, der ihnen auch zugestanden wurde, und diese Zeit be-
nutzte G. zur Composition der Oper ytHugues de SomergJtema, zum ersten Male
aufgeführt im Theater zu Gent am 23. März 1848, doch ohne sonderlichen
Erfolg, da die überströmende Schöpferkraft des Componisten und seine mangelnde
Bühnenerfahrung ihn das richtige Maass hatten verfehlen lassen. Nur die
Ouvertüre fand Beifall und ist auch später in mehreren Genter Concerten auf-
geführt worden; auch wurde der Ciavierauszug veröffentlicht, nachdem G. mit
der Partitur wesentliche Veränderungen und Kürzungen vorgenommen hatte.
Ungleich mehr Glück machte eine am Ende desselben Jahres in Gent und
1852 in Brüssel aixfgeführte Oper y>La Gomedie ä la villcu in welcher G. die
zuvor gemachten und durch das Studium der gediegenen französischen Opern,
230 Gevaert.
insbesondere der Gretry'schen, bereicherten Erfahrungen benützt hatte. — Nach-
dem im Jahre 1849 die vom Minister des Innern gewährte Aufschubsfrist
abgelaufen war, reiste G. zunächst nach Paris (wo er bis zum Februar 1850
vei-weilte) und von da nach Spanien; ein Bericht über die dortigen Musik-
zustände, den er nach längerem Aufenthalt an den Belgischen Minister des
Innern sandte und welcher 1851 in den y>Bulletins de VÄcadcmie royale». publicirt
wurde, lässt den Künstler Gr. auch als vielseitig gebildeten Mann und scharf-
sinnigen Beobachter erkennen. Unter den ComjTositioncn, welche während seines
Aufenthaltes in Spanien entstanden — meist Instrumentalmusik — zeichnet
sich eine Art i^hantastischer Ouvertüre mit Benutzung spanischer National-
melodien aus, ein auf der ganzen Halbinsel populär gewordenes Musikstück,
dessen Erfolg seinem Autor noch ausserdem- den Orden IsabcUa's der Katholi-
schen einbrachte (in Partitur gestochen in Gent). — Nachdem Gr. Spanien ver-
lassen , besuchte er das von den E-evolutionsstürmen noch kaum beruhigte
Italien (1851) und kehrte endlich im Frühjahr 1852 über Deutschland nach
Gent zurück. Schon bei seiner Abreise von Paris nach Spanien im Jahre
1850 hatte G. ein von seinem Landsmann Vaez verfasstes Libretto einer ein-
aktigen komischen Oper mitgenommen, zu welchem dann während der Reisen
die Musik entstanden war. Nach beendigter Heise war es sein eifrigstes Streben,
dies Werk in Paris zur Aufführung zu bringen, und zwar schien ihm das so-
eben eröffnete -nTheätre li/nque<i dazu die günstigste Gelegenheit zu bieten; da
indessen eine, der seinigen im Zuschnitt ähnliche Operette gerade von der
Direction zur Aufführung angenommen war, so musste er auf die Realisirung
seines Planes verzichten. Zum Glück jedoch konnte Vaez seinem Freunde
noch ein zweites Libretto einer einaktigen Oper zur Verfügung stellen »Geor-
gette«, welche denn auch am 27. Nov. 1852 im lyrischen Theater zur Auf-
führung gelangte. Dies Werk, sowie noch mehr die folgende, im Oktober 1854
aufgeführte dreiaktige komische Oper f>Le Billet de JiTargtieritea, Text von
Leuven und Brunswick, lenkten auf G. die allgemeine Aufmerksamkeit und
fanden bald nach ihrem Erscheinen den Weg zu den hervorragenden Bühnen
Frankreichs. G.'s dritte komische Oper y>Les Lavandieres de Santarema wurde
am 28. Oktbr. 1855 an demselben Theater ohne besonderen Erfolg aufgeführt.
Ihr folgte eine vlämische Cautate {de Nationale verjaerdag) zum 25. Jahrestag
der Regierung Leopold's I., Königs der Belgier, eine der bedeutendsten Com-
positionen G.'s, infolge der er mit dem Leopoldsorden decorirt wurde. In der
Pariser Opera comique kamen sodann von ihm zur Aufführung: »Quentin Dur-
ward«, lyrisches Drama in drei Akten (25. März 1858), dessen Erfolg den aller
übrigen G.'schcn Opern übertraf, sowie die dreiaktigen komischen Opern »Ze
Chdteau-Trompcttevt. (1860) und »Ze Capitaine Senriotv. (1865). — Folgende sind
die im Druck erschienenen Werke G.'s: 1) »Sugues de Somerghemtn, grosse
Oper in drei Akten, Ciavierauszug mit deutscher Uebersetzung, Gent bei Ge-
vaärt (dem Bruder des Componisten); 2) »Xa comedie ä la vilhf, komische
Oper in einem Akt, Ciavierauszug (ebenda) ; 3) »Georgette«, komische Oper in
einem Akt, Ciavierauszug und Orchesterstimmen (Paris, Harand); 4) »ie Billet
de Marijueritea, komische Oper in drei Akten, Partitur und Ciavierauszug (Paris,
Lemoine et Harand); 5) riLes Lavandieres de Santaretnv, komische Oper in drei
Akten, Ciavierauszug (Paris, Alexandre Grus): 6) »Quentin Durward«, lyrisches
Drama in drei Akten, Partitur und Ciavierauszug (ebenda); 7) r>Siipcr ßumina
Bahi/lonis«, Motette für Männerstimmen mit Orchester, Partitur und Ciavier-
auszug (Gent, Gevaert); 8) y>Adieicx ä la mera, Meditation von Lamartine, Chor
mit Begleitung von Streichinstrumenten, Ciavierauszug (ebenda); 9) «Fantasia
sohre motivos espaholesa , Partitur und Ciavierauszug für zwei und vier Hände;
10) i>Missa pro defunctis quatuor vocihusu (zwei Tenore und zwei Bässe) ciom
instrumentorum concentu cantanda, Partitur, Stimmen und Orgelarrangement
(ebenda); 11) »De Nationale verjaerda(/<.<. Cantatc für Männerstimmen und Or-
chester (ebenda); IIb) Jacob von Artevelde, Cantato für Chor und Orchester,
Gevaert. 231
Partitur und Ciavierauszug (Gent, Grevaert); 12) Eine grosse Anzahl von Män-
nercliören mit vlämischem und französischem Text, Cantaten, Motetten, Com-
positionen für Militärmusik und einige Romanzen bei Gevaert in Gent; 13)
y>Leerhoek van den Gregoriaenschen Zang etc.ts. (Gent, 1856) bei Gevaert, welcher
auch eine französische TJebersetzung dieses Werkes veröffentlicht hat; 14) Be-
richt über die Musikzustände in Spanien (veröffentlicht in den Bulletins der
y>Academie royale de Belgiquev.)] 15) Lehrbuch der Instrumentation (Gent, 1863).
Im J. 1866 übernahm G. die seit länger als zwanzig Jahren (seit Halevy) un-
besetzt gewesene Stelle eines »Musikdirektors« der Grossen Oper in Paris, und
in diesem Amte, welches er bis zur Schliessung des Institutes in Folge der
Kriegsereignisse von 1870 verwaltete, konnte er die Vielseitigkeit seines Ta-
lentes, sowie seine hervorragenden Charaktereigenschaften um so besser bewäh-
ren, als die Oberaufsicht über den gesammten Organismus des Theaters (den
Kapellmeister nicht ausgeschlossen) mit dieser Stellung verbunden ist. Die
Zeit der unfreiwilligen Müsse, durch welche die politischen Wirren G.'s praktische
Thätigkeit unterbrachen, sollte jedoch von ihm nicht ungenützt bleiben, indem
er, in seine Vaterstadt zurückgezogen, sich ausschliesslich den schon in Paris
eifrig betriebenen musikhistoi'ischen Forschungen widmete. Hier vollendete er
seine Theorie und Geschichte der antiken Musik, ein Werk, dessen Veröffent-
lichung die Musikwelt mit gerechter Spannung erwarten darf, da dieser Gegen-
stand bisher von den praktischen Musikern selten oder nie behandelt wurde,
und ein Mann , welcher wie G. die reichsten musikalischen Erfahrungen mit
einer gründlichen philologischen Schulung und einer eleganten Schreibweise
vereint, über diesen bisher noch ziemlich verworrenen Theil der Alterthums-
kunde voraussichtlich manche Auflilärung zu geben im Stande ist. — Im J.
1871 wurde G. an Stelle des verstorbenen Fetis zum Direktor des Brüsseler
Conservatoriums ernannt, nachdem er schon zu dessen Lebzeiten als sein einsti-
ger Nachfolger von der musikalischen öffentlichen Meinung einstimmig designirt
war. Dass es ihm nach der kurzen Zeit seiner neuen Wirksamkeit gelungen
ist, die mannigfachen Uebelstände zu beseitigen, welche sich unter seinem, mit
literarischen Arbeiten überhäuften Vorgänger im Conservatorinrnsunterricht
eingeschlichen hatten, ist ein neuer Beweis seiner genialen Begabung und seiner
Arbeitskraft, wie denn die Resultate der letzten öffentlichen Schülerprüfungen
bewiesen haben, dass seine Bemühungen auf pädagogischem Gebiete von Erfolg
gekrönt sind. Selbst die, auf den Ruhm ihres Conservatoire so eifersüchtigen
Franzosen haben die musikalische Superiorität Brüssels in mehr als einer Be-
ziehung anerkannt und betrachten G. als Autorität im Fache der musikalischen
Pädagogik. Dieser dagegen, als ech ter Germane, untcrlässt selbstverständ-
lich nicht, auch seinerseits die fremdländischen Einflüsse zu benützen, soweit
es im Interesse seiner Anstalt liegt ; so z. B. wurde auf seine Veranlassung
dem berühmten Sänger der Pariser Oper Faurc das Amt eines Gesangs-
inspektors am Brüsseler Conservatorium übertragen, welches denselben vei--
pflichtet, dieser Anstalt viei'teljährlich einen Besuch abzustatten und die
Leistungen der Gesanglehrer und Schüler zu controliren. Im J. 1873 ernannte
die französische »Äcademie des heaux artsa G. an Stelle des verstorbenen Nea-
peler Conservatorium-Direktors Mercadante mit 28 von 30 Stimmen zum aus-
wärtigen Mitglied, und spricht sich die Pariser Musikzeitung »Menestrel« bei
dieser Gelegenheit folgendermaassen aus: »Diese Ernennung ehrt das musikali-
sche Belgien und sichert der französischen Akademie der schönen Künste einen
schätzbaren Zuwachs. Gevaert ist nicht allein der gelehrteste Musiker seiner
Zeit, sondern auch ein bedeutender Comj)onist, wie seine Opern y>Le Billet de
Margiierite«, »Quentin Durward«, »ie Capitaine IlenrioU u. andere beweisen.
Seine Instrumentationslehre ist allgemein in Gebrauch genommen, und eben
jetzt hat er eine Anzahl von Unterrichtswerken für die Conservatorien von
Frankreich und Belgien beendet, »welche dem musikalischen Studium , einen
neuen Impuls zu geben geeignet sind«. AV. L.
232 Gewandhausconceit — Geyer.
Geivaudhangconcert ist der im Königreich Sachsen hin und wieder vor-
kommende und von dem Local, in welchem die Veranstaltungen abgehalten
werden , abzuleitende Name von Concertinstituten. Das berühmteste derselben
ist das G. in Leipzig. Die Direktion desselben giebt während des Winters
an Donnerstagsabenden 20 Abonnements- und 2 Extraconcerte (das eine zum
Besten des Orchester-Pensionsfonds, das andere für die Armen der Stadt), in
denen vorzugsweise die grossen Instriimental-Meisterwerke von einem ausge-
zeichneten Orchester aufgeführt, ausserdem Solospiel und Sologesang (nicht
jedoch auch Chorgesang) gepflegt werden. Nebendem finden noch acht Abend-
unterhaltungcn für Kammermusik statt. — Das erste Abonnementconcert in
Leipzig überhaupt wurde abgehalten am 11. März 1743 unter Leitung des
naclimaligcn Cantors Doles, im Saale zu den drei Schwanen am Brüld. Der
siebenjährige Krieg hob dieses kunstwürdige Unternehmen ganz auf .xmd erst
nach geschlossenem Frieden erneuerte man es unter J. A. Hiller's Leitung,
welcher die IMusikauflführungen später für eigene Rechnung unter dem Namen
Liebhaberconcerte im Saale des Königshauses am Markte fortsetzte. In den
Jahren 1779 und 1780 wurden die unbenutzten Räume des ehemaligen Zeug-
hauses (Gewandhauses) zu einem Ball- und Concertsaal umgeschaffen, und am
20. Septbr. 1781 fand das erste Concert in diesem neuen Locale statt. Es
bildete sich ein Directorium von zwölf Personen , welches die geschäftliche
Leitung in die Hand nahm, und Local wie Verwaltungsform sind bis auf den
heutigen Tag dieselben geblieben. Hill er war der erste der vom Diiektorium
angestellten Musikdirektoren; auf ihn folgte 1785 bis 1817 der nachmalige
Cantor an der Thomasschule Schicht, doch wurde ihm um 1810 Christian
Schulz zur Seite gestellt. Der letztere hatte dann die Leitung bis zu seinem
Tode, im J. 1827, inne, worauf dieses Amt von Aug. P ohlenz, Musikdirektor
und Organisten an der Thomaskirche, bis 18.35 verwaltet wurde. Von da an
beginnt der Weltruhm der Leipziger Gewandhauscoucerte unter Felix Mendels-
sohn-Bartholdy bis 1843, in welcher Zeit kein Gesangs- und Instrumental-
virtuose für ausreichend legitimirt galt, wenn er nicht im Gewandhause erfolg-
reich aufgetreten war; die Zulassung zu diesen Concorten war bereits ein halber
Erfolg für den Künstler. Der Nachhall jener goldenen Tage währte, nachdem
N. W. Gade und Ferd. Hiller, jeder ein Jahr (1844 und 1845) dirigirt
hatten, noch bis auf Jul. Rietz fort. Derselbe stand dem Concerte (mit ein-
zelnen Unterbrechungen) bis 1860 vor, worauf der jetzige Dirigent Karl
Reinecke folgte. Concertmeister der Gewandhausconcerte waren Häser von
1781 bis 1796, Villaret aus Berlin bis 1797, Campagnoli bis 1817, Mat-
thäi, den das Direktorium zur Ausbildung nach Paris gesendet hatte, bis 1835
und von da an bis zu seinem Tode (1873) Ferd. David. Das Orchester,
gebildet aus dem Stadtorchester mit Hinzuziehung von Schülern des Conser-
vatoriums und Privatmusikern, besteht gegenwärtig aus 70 Künstlern. Der
Saal des Gewandhauses fasst 1000 Personen, ist mithin für eine Grossstadt zu
klein und auch in Bezug auf äussere Einrichtung und Ausstattung weit liinter
den Ansprüchen der Gegenwart zurückgeblieben.
Geyer, Plodoard, bemerkenswerthcr deutscher Componist, Lehrer der
Musiktheorie und Scliriftsteller, geboren am 1. März 1811 zu Berlin, studirte
daselbst von 1829 an Theologie, verliess aber, von Vorliebe zur IMusik ge-
trieben , dieses Studium und nahm bei A. B. Marx Compositionsunterricht.
Als schaffender Tonkünstler machte er 1836 durch sein lyrisches ]\Ielodrama
»Maria Stuart« für Alt-Solo, Chor und Orchester, wofür ihm von der königl.
Akademie der Künste in Berlin der erste Preis zuerkannt wurde, grosses Auf-
sehen. Im J. 1842 gründete er den akademisclien Männergesangverein; ein
Jahr später befand er sich unter den Mitstiftern des Berliner Tonkünstlerver-
eins, zu dessen Vorsitzendem er auch später gewählt und zehn Jahre hindurch
von Neuem bestätigt wurde. Seine Thätigkeit als Componist (besonders von
Werken im Kammerinusikstyl), als Musikschriftsteller. und als Lehrer der Theorie
Gej-er — Gezwungen. 233
war von bemerk enswerthen Erfolgen begleitet; fast kein Militär-Musikmeister
wurde von Berlin aus bestätigt, wenn er nicht nachweislicli einen theoretischen
Cursus bei G. absolvirt hatte. Von 1852 bis 1854 ertheilte G. den theoreti-
schen Unterricht an dem von Kullak, Marx und Stern gegründeten Conser-
vatorium in Berlin, später an dem von Stern geleiteten Institute gleichen
Namens, worauf er 1856 den Titel eines königl, Professors erhielt. Als Mit-
arbeiter, besondei-s der Neuen Berliner Musikzeitung und der Spener'schen
Zeitung fast ein volles Vierteljahrhundert hindurch, endlich auch des Deutschen
Reichsanzeigers, hat er unzählige werthvolle Abhandlungen und Kritiken von
vortrefflichem Inhalte, zuletzt einiger maassen getrübt durch einen allzu lehrhaften
Styl, geschrieben. Als geborener Lehrer suchte er auch für dieses Fach jüngere
Kräfte heranzubilden und hat sich als Berichterstatter der Spener'schen Zeitung
durch Kritikbeflissenc von neuestem Datum, wie Gr. Brahmüller, H. Mendel,
Em. Breslaur und Schulz-Schwerin oft und anhaltend vertreten lassen. Sein
Hauptwerk ist die auf drei Theile berechnete musikalische Compositionslehre,
von der jedoch nur der erste Theil, »das elementare Gebiet« umfassend (Berlin,
1861) erschienen, das ITebrige sehr gegen den Willen des Verfassers Manuscript
geblieben ist. Als Künstler und Mensch geachtet und geehrt, starb G-. am
30. April 1872 zu Berlin. — Seine Compositionen, meist ungedruckt geblieben,
sind sehr zahlreich ; sie bestehen in sechs Opern, vier Sinfonien, sechs Sinfo-
nietten, acht Ouvertüren, vielen Kammermusikwerken, Kirchenstücken, Cantaten,
Chorgesängen, Liedern, Ciavier- und Orgelstücken u. s. w. Die Form der Sin-
foniette darf als G, eigenthümlich angehörig betrachtet werden; sie hat in Con-
certen und als Theaterzwischenaktsmusik in Berlin vielen Beifall, aber keine
Nachahmung gefunden. Ein vollständiges Verzeichniss von G.'s nachgelassenen,
nicht im Druck erschienenen Werken befindet sich in den Beilaaen der Ber-
liner Musikzeitung »Echo« Jahrg. 1872 Nr. 23 und 24.
Geyer, Johann Egidius, fleissiger deutscher Componist- Dilettant und
guter Ciavier Spieler, geboren im fränkischen Gebiete um 1760, widmete sich
dem Rechtsstudium und starb als Advokat zu Leipzig im August des Jahres
1808. Gedruckt sind von ihm viele kleinere zwei- und vierhändige Ciavier-
stücke, mehrere Ciaviersonaten zu vier Händen und einige Sammlungen von
Tänzen, Liedern und Gesängen.
Geyer, Johann Ludwig, einer der grössten Fagottvirtuosen aus der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, geboren zu Unter-Siema im Coburg'schen
am 25. Jan. 1695, erlernte sein Instrument und Musik überhaupt beim Stadt-
musicus Zwickern in Coburg, kam 1715 an den Hof von Meiningen, von wo
aus ihn später der regierende Herzog Anton Ulrich mit nach Wien nahm und
noch fünf Jahre hindurch von dem ersten k. k. Fagottisten Joh. Jac. Friedrich
unterrichten Hess. Hierauf trat G. 1734 in Sachsen- Weimar'sche , dann aber
wieder in Meiningen'sche Dienste, wirkte mit grossem Erfolge als Solist, Or-
chesterspieler und Lehrer und stai'b um 1760 zu Meiningen.
Gezwuugeu. Jede Kunstleistung sollte die Frucht einer leichten, mühe-
losen Bethätigung künstlerischer Kräfte sein. Denn wo Mühe herrscht, kann
Anmuth und Schönheit nicht walten; wo Schwierigkeiten zu bekämpfen sind,
da ist die Bethätigung der Kräfte durch diese Schwierigkeiten beherrscht und
in Banden gehalten, sie kann nicht frei, nur dem Princip des Schönen und
dem Willen der künstlerischen Phantasie unterthan sein. Nun ist aber in
jeder Kunst die Verwirklichung des künstlerischen Willens durch die eigen-
thümliche Natur des Stoffes, mit welchem er es zu thun hat, vielfach beschränkt.
So kann z. B. der Bildhauer eine Figur, deren Vorstellung er in seinem Geiste
trägt, keineswegs in jeder beliebigen Stellung, die er ihr etwa geben möchte,
im Steine oder Erzgusse darstellen; die in letzteren Stoffen waltenden Gesetze
der Schwere lassen vielmehr nur solche Stellungen zu, bei welchen der untere
Theil der Figur dem oberen eine gehörige Unterstützung nach Breite und
Schwere darbietet, damit der obere Theil nicht ein Uebergewicht erhalte, und
234 Gherardesoa.
die Statue zusammeubi'ecbe. Gegenüber solcben Schranken siebt sieb der
Künstler oft geuötbigt, die ersten freien Entwürfe seiner Phantasie umzu-
modeln, um sie der Natur des StoflPes anzupassen; und dies ist mitunter eine
grosse Scbwierigkeit und die Ursache vieler Mühe. Hier ist es aber Pflicht
des Künstlers, die Schwierigkeit nicht nur nothdürftig, sondern so gründlich
zu besiegen, dass von dem ehemaligen Vorhandensein von Hindernissen und
Mühen nichts zu merken bleibt; obwohl von jenen Schranken eingeengt, soll
er sich doch in ihnen in einer solchen geschickten Weise bewegen, dass es
scheint, als ob er sich völlig frei, und durch nichts Aeusseres beeinflusst, er-
gehe. Besitzt er technische Geschicklichkeit und künstlerische Gewissenhaftig-
keit genug, um dieser Pflicht nachzukommen, so wird sein "Werk nirgends jener
Anmuth entbehren, welche die AVirkung der Freiheit, und deren Herstellung
in allen Theilen und allen Bewegungen das erste und allgemeinste Princip
für Productionen der «schönen« Künste ist. Bleibt diese Pflicht aber unerfüllt,
so entspringt daraus der Eindruck des Gezwungenen; man Avird alsdann den
Zwang unangenehm gewahr, welchem die Idee, dem Stoffe zu Liebe, sich unter-
ziehen musste; es berührt unschön, diese beiden Elemente nicht ineinander auf-
gehen, sondern sie miteinander in Streit befindlich zu sehen. In jenem der
Skulptur entlehnten Beispiel müsste also eine solche Stellung gewählt werden,
welche, bei aller Hücksicht auf das Gesetz der Schwere, diese Rücksicht doch
nicht ahnen lässt, indem die Stellung als eine leichte und durchaus natürliche
erkannt wird. — In der Musik spricht man z. B. von einer »gezwungenen«
Modulation. Es liegt oft die Absicht vor, von der Tonart, in der man sich
gegenwärtig befindet, in eine bestimmte andere überzugehen (zu moduliren);
und dies geschieht mit Hülfe einer Combination von Harmonien. Hier ist nun
eine solcbe Folge von Harmonien zu wälilen , deren Eindruck ein schöner ist;
jene Absicht soll nicht nur in trockener, äusserlich zweckentsprechender AVeise
erreicht werden, sondeni mit dem Zweckmässigen, Nothwendigen soll sich dus
Aesthetische , Anmuthige verknüpfen. Eine besonders starke technische Ein-
engung gegenüber der schaffenden Phantasie des Musikers bietet der »contra-
punktische« Styl. Er besteht bekanntlich in dem gleichzeitigen Auftreten
mehrerer selbstständiger, melodischer Stimmen (Tonreiheu). Da diese gleicli-
zeitigen Melodien sich zu einander harmonisch verhalten müssen, so sind sie
durch die Hai'raoniegesetze in ihrer freien Bewegung, namentlich bei einer
grösseren Zahl von Stimmen, ausserordentlich beschränkt. In diesen engen
Grenzen sich gleichwohl mit dem Scheine der Freiheit, mit melodischer Run-
dung, und sogar mit Mannigfaltigkeit zu bewegen, ist eine der schwersten
Aufgaben, deren Vollführung ausser speciellem Talent eine äusserst fleissige
technische Ausbildung erfordert: erklärlicherweise wird sich daher auf diesem
Gebiet am Häufigsten Veranlassung finden, den Tadel des Gezwungenen aus-
zusprechen. — — Gezwungen, in einem anderen Sinne genommen, ist gleich-
bedeutend mit »gekünstelt«; es bezeichnet dann jenes tadelnswerthe Verfahren,
die einfach-natürlichen Forderungen, welche sich aus der Sache und aus dem
Schönheitsprinzip ergeben, geflissentlich nicht zu erfüllen, sondern statt dessen
etwas Berechnet-Eigenthümliches zu machen, zu keinem anderen Zwecke, als
um phantasievoll und originell zu erscheinen. Während also in jener ersten
Bedeutung ein Zwang gemeint ist, den der Stoff auf den Künstler ausübt, so
ist hier von einem solchen die Rede, den die AVillkür des Künstlers der Natur
anthut. W. Wolf.
Gherardesca, Filippo, oder Gherardeschi, italienischer Opern- und
Kirchencomponist, geboren 1738 zu Pistoja, begann seine musikalischen Studien
beim Kapellmeister Bosamelli in seiner Vaterstadt und beendete diesell)en beim
Padre Martini zu Bologna, bei dem er 1754 eingetreten war. Mit der Buffa-
oper ■nUamore artigianoi (1763 für Lucca) beginnend, schrieb er für verschie-
dene italienische Bülmen eine Reihe von komischen Opern, wie vll eurioso in-
discreto<i, y>l visionär i«, y>La contessinau, »Uasfiizia feliccv- (1767), »/ (hie gohbiu,
Gherardeschi — Gheraschaim.
235
die meist grossen Beifall fanden. Letztgenannte Oper, zur Feier der Anwesen-
heit des Grossherzogs Leopold von Toskana in Pisa gegeben, verschaffte ihm
eine Kirchenkapellmeisterstelle daselbst und bald darauf das Amt eines grossherz.
Musikdirektors und Dirigenten der Hofmusik, als welcher er auch den Prinzen
und Prinzessinnen Ciavierunterricht ertheilte. Als Ciavier- und Orgelspieler
war er überhaupt damals in ganz Italien gerühmt. Als der Grossherzog Leo-
pold seinem Bruder Joseph II, als Kaiser von Oesterreich folgte, blieb G. bei
Ferdinand III. von Toskana und wurde zur Zeit der französischen Invasion
Kapellmeister des Königs Ludwig I. von Etrurien, für dessen Obsequien er
1803 ein Requiem schrieb, welches allgemeines Lob fand. Bald darauf pensio-
nirt, zog er sich nach Pisa zurück und starb daselbst im J. 1808. — Man
kennt ausser Kirchenstücken noch von ihm Sonaten für Clavier mit Yiolin-
begleitung (Florenz, 1782), die zu ihrer Zeit überaus beliebt waren.
Grherardeschi, Giuseppe, der Neffe des Vorigen, ein gewandter Clavier-
und Orgelspieler, sowie tüchtiger Componist, wurde am 4. Novbr. 1759 zu
Pistoja geboren und erhielt seinen ersten Musikunterricht von seinem Vater,
der daselbst Domkapellmeister war. Zur weiteren Ausbildung in der Compo-
sition begab er sich dann unter Sala's Leitung nach Neapel. Nach seiner
B,ückkehr erhielt er das Amt seines Vaters und schrieb viele Kircheustücke
und Instrumentalwerke, die sehr geschätzt waren, aber Manuscript geblieben
sind. Eine Oper seiner Composition liL^apparenza incjannaa. wurde 1782 in
Mantua und 1784 in Florenz aufgeführt. G.'s Todesjahr ist unbekannt; 1812
lebte er noch in Pistoja.
Gherardi, Blasio, italienischer Kirchencomponist, war um die Mitte des
17. Jahrhunderts Kapellmeister an der Kathedrale zu Verona, Bekannt ge-
blieben sind von seinen Compositionen fünf- und achtstimmige Motetten (Ve-
nedig, 1650). Walther nennt auch von ihm einige achtstimmige Psalme mit
Instrumentalbegleitung.
Gherardo, Pietro Paolo, einer der besten italienischen Orgelspieler, ge-
boren 1756 zu Pisa, war ein Schüler des Kapellmeisters an San Stefano da-
selbst, Giuseppe Lidarti, wurde, zwanzig Jahr alt, Hoforganist zu Florenz, dann
auch Kapellmeister der Hofmusik. In gleicher Stellung auch noch beim Könige
•Ludwig I. von Etrurien, trat er nach dessen Tode in den Dienst der Herzogin
Elisa von Lucca und Piombino, Schwester Napoleons I. Noch 1814 Hess er
sich öffentlich als Orgelspieler hören; sein Todesjahr ist jedoch nicht bekannt.
Gherascb, 125"]X Diesem hebräischen Accentzeichen giebt M. Naumbourg
in seinem "Werke: riChants religieux des Israelites, contenant la liturgie complete
de la synagogue, des temps les plus reeules jusqu^ ä nos joursa (Paris, 1847) als
Notenzeichen für das zweite Buch Mose folgende Tonphrase:
I
=t=
0.
Gheraschaim, Dl'ttJ'l!^, oder Schenegherischaim, DlitÖ^^^iTÜ : ^ Die Ton-
phrase für diesen hebräischen Accent ist dem des Gheresch (s. d.) sehr ähn-
lich in der orientalischen TJeberlieferung , wenn man die Ausschmückung dem-
selben rauben würde:
Kircher, welcher dies Zeichen Schena gerislti nennt, giebt für dasselbe folgende
Tonfolge:
-/-v — ^»-
-SS-
Z^~
=^I
-^-
-H-f
-ffr) i 1 +i
c/
■ ■
Als den englischen Juden entlehnt, bezeichnet Nathan eine sehr schnelle Va-
riation dieses Motivs:
* * • < '-^ii"*— p
0.
236 Gheresch - Ghiselin.
Gherescli, T1J"15: ''~^. Dies schwere Acceutzeichtii , das sich stets bei dem
ersten Buchstaben eines AVortes vorfindet, betrachten die ägyptischen Juden
nach A'^illoteau als Notation folgender Klangfigur:
:'s11;
Sl^^^^
welche Deutung auch in Syrien in gleicher Weise stattfindet, nur dass man
die Tonfolge colorirt giebt:
-^■H^ — -— — ^— -^ — ^^ • -• 5 a-
Bemerkenswerth ist es, dass Kircher sowohl, als Guarin und Nathiin in ihren
Werken diesem Accent gar keine musikalische Deutung gegeben haben. 0.
Gherseiii, Glaugeric de, niederlündischer Kirchcncoinponist, geboren in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Touruay, war Chorknabe an der
Kathedrale seiner Vaterstadt und wurde von dem Kapellmeister dieser Kirche,
an welcher er um 1590 als angestellter Sänger fungirte, von Georges de la
Hele, unteri'ichtet. Als Letzterer als Kapellmeister Philip's II. nach Spanien
ging, folgte ihm G. und wurde dort ebenfalls als Kapellmeister angestellt.
Heimweh führte ihn in sein Vaterland zurück, und er trat als Kapellmeister
in die Dienste des Erzherzogs Albert und der Infantin Isabella, bis er end-
lich eine Präbende zu Tournay erhielt. Als von ihm componirt werden Messen,
Motetten und in Spanien gedruckte Villancicos (Gesänge auf das Weihnachts-
fest und den Dreikönigstag) genannt.
(xhezzi , Ippolito, musikgelehrter italienischer Augustinermönch, war
Baccalaurcus der Theologie und Kapellmeister an der Kathedralkirche von
Monte-Pulciano und wirkte als solcher zu Anfange des 18. Jahrhunderts. Von
ihm erschienen nOratori sacri a Ire voci, cavati dalla scrittura .sacran (Bologna,
1700), Das erste dieser Oratorien heisst nÄhelea und ist für zwei Soprane
und Bass geschrieben, das zweite y^Adamoa und das dritte »11 Davidde triotifanfe«,
beide für Sopran, Alt und Bass.
Grhiuassi, Stefano, italienischer Operncomponist und Dirigent, geboren
1751 zu Brescia, wurde in der Musik von Andrea Labella, einem gelehrten
Franziscaner unterrichtet und erhielt sodann die Stelle eines Cembalisten am
Theater San Samuele in Venedig. TJm 1784 wurde er als Musikdirektor der
italienischen Oper nach Dresden berufen und brachte dort von seiner Compo-
sition die Opern »JZ governatore delV isole Canarien (1785), y>Il seranlio d'Osmanoa
(1787) und r)Lo stravagante imßesev- (1790) zur Aufführung. Das Manuscript
der erstgenannten Oper befindet sich in der königl. Bibliothek zu Dresden.
Von Dresden kam G. zur italienischen Oper nach Warschau, wo er wiederum
als Cembalist fungirte. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts aber kehrte er nach
Italien zurück, wo er bald darauf gestorben sein soll.
Ghiretti, Gasparo, italienischer Violinvirtuose und Componist, geboren
1747 zu Neapel, besuchte mit seinem Bruder, der ein treffliclier Gesanglehrer
wurde, das Conservatorio della Pieta und erhielt um 1774 die Anstellung als
Kammermusicus des Herzogs Ferdinand von Parma, in welchem Berufe er im
J. 1797 starb. Von seinen Compositionen, bestehend in Messen und Litaneien,
einem dreistimmigen Stabat mater, sowie in zahlreichen Sonaten und Capricen
für Violine ist nichts im Druck erschienen.
Ghiribizzo (ital.), der grillenhafte oder bizarre Einfall, also so viel wie
Capriccio (s. d.).
Ghiselin oder Ghiselain, Jean, ein Meister aus der Schule der nieder-
ländischen Contrapunktisten, lebte und wirkte zu Ende des 15. und zu Anfang
des 16. Jahrhunderts und stammte aller Wahrsclieinlichkeit nach aus dem
Hennegau. Von seinen Lebensumständen ist leider nichts bekannt geblieben;
Glarean, der in seinem »Dodecachordona einen Gesangssatz von G. mittheilt,
Ghisvaglio — Giacobbi. 237
nennt ihn y^SympJionetaa, woraus zu schliessen, dass Gr. Sänger bei einem Kir-
chenchore gewesen ist. In der von Petrucci da Fossombrone herausgegebenen
Sammlung -nMissae diversorum auctorum quatuor vocibusa. (Venedig, 1503) be-
finden sich fünf von G.'s Messen; andere Drucke Petrucci's, desgleichen der
Codex Basevi u. s. w. bewahren noch eine beträchtliche Anzahl seiner Mo-
tetten und Canti, aus denen die contrapunktische Meisterschaft ihres Compo-
nisten hervorgeht.
Gliisvaglio, Girolamo, italienischer Madi-igalencomponist, geboren in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Eimini, ist mit zahlreichen Gesängen
hervorgetreten, von denen besonders fünfstimmige Madrigale auch weiterhin
bekannt geblieben sind.
Gliizzola, Giovanni, ein angesehener italienischer Kirchencomponist aus
Brescia, war um 1619 Kapellmeister des Cardinais Aldobi'andini zu E-avenna.
Compositionen von ihm sollen in einigen zwanzig grossen Lieferungen erschienen
sein; vier davon, gedruckt zn Venedig von 1619 bis 1622, existiren noch und
enthalten Messen, Psalme, Litaneien, Falsi bordoni u. s. w. ; andere Stücke von
ihm befinden sich in Bergameno's y^Parnassus musicus« (Venedig, 1615).
Grlioltim Riisul war der Name eines im 18. Jahrhundert in Indien von
Eingeborenen wie von europäischen Kennern der dort heimischen Musik sehr
gerühmten Sängers von altindischen Dichtungen. 0.
Gfhro, Johann, deutscher Oi'gelspieler und Gesangscomponist des 16. Jahr-
hunderts, war als Organist an der Stadtkirche zu Meissen angestellt.
Ghuza nannten nach der Sängita rätlinalcara (s. d.) die alten Inder
diejenige ihrer vier Instrumeutgattungen, welche die Tonwerkzeuge, die nur zu
zweien gebraucht werden, aufwiess, wie Gastagnetten, Becken etc. 0.
Ghys, Joseph, ausgezeichneter belgischer Violinvirtuose und Componist'
für dieses Instrument, geboren 1804 zu Gent, erhielt schon sehr früh Musik-
unterricht und wurde in seiner technischen Ausbildung besonders durch Lafout
auf die höchste Stufe gebracht. Kaiam zwanzig Jahr alt, begab er sich auf
Kunstreisen, die ihn rühmlichst bekannt machten. Nach einem längeren Auf-
enthalte in Amiens, sodann in Nantes, wo er Violinunterricht ertheilte, nahm
er im J. 1832 seine Concertreisen wieder auf, die seinem im höchsten Grade
zierlichen und eleganten Spiele auch in England und Deutschland ausserge-
wöhnliche Anerkennung verschafi"ten. Auf einer ebenfalls überaus erfolgbelohn-
ten Kunstreisc durch Bussland begriffen, wmxle er am 22. Aug. 1848 zu St.
Petersburg von der Cholera dahingerafft. Als Componist war G. ohne Bedeu-
tung; seine im Druck erschienenen Fantasien, Variationen u, s. w. behaupteten
sich einige Zeit hindurch als wohlklingende Salonstücke. Werthvoller waren
seine mit Applicatur und Ausdruckszeichen neu versehenen Stücke anderer Violin-
componisten. — Sein Sohn, Henri G,, lebt als Violinist und Componist in Paris.
Cfi nannte Dan. Hitzler (gestorben 1635) in der von ihm Bebisation
(s. d.) genannten Tonbezeichnungsart den alphabetisch-syllabisch jetzt gis heissen-
den Klang. 0.
Giaccio, Girolamo, italienischer Componist, gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts (wahrscheinlich in Neapel) geboren, gehört mit seinen Compositionen,
von denen dreistimmige Canzonetten erhalten geblieben sind, der neapolitanischen
Schule an.
Giacobbi, Girolamo, classischer italienischer Componist der Bolognesischen
Schule, geboren um 1575 zu Bologna, wurde in seiner Vaterstadt 1604 zweiter
und später erster Kapellmeister an der Kirche San Petronio. Er gründete
um 1622 die Akademie der y>Filomush, die Zweitälteste gelehrte Musikgesell-
schaft in Italien (s. Akademie), welche sich aber alsbald nach G.'s Tode, der
am 30. Novbr. 1630 zu Bologna erfolgte, in Folge der damals furchtbar wüthen-
den Pest wieder auflöste. Erst 1666 (vgl. Jahn, Mozart I. 207) scheint sich
diese Gesellschaft im Sinne ihres Gründers von Neuem constituirt zu haben.
Sie veranstaltete feierliche musikalische Aufführungen (eine Beschreibung der-
238 Giacoinelli — Gialdini.
selben bringen Burney's Reisen I. 166) und ernannte ausgezeichnete Coni-
ponisten zu Mitgliedern. Diese Aufnahme galt aber nicht nur als eine Aus-
zeichnung für künstlerische Bedeutung, sondern hatte später auch Einfluss bei
Anstellungen. Denn laut einem von Papst Benedict XIV. um 1749 erlassenen
Breve waren nur Mitglieder dieser Akademie zur Bekleidung von Kapellmeister-
stellen in Bologna berechtigt, ausserdem aber genügte die Mitgliedschaft, um
ohne -weitere Prüfung au allen übrigen Kirchen des päpstlichen (Tebietcs zuge-
lassen zu werden (vgl. auch Grretry, Mem. I. 91). — G. selbst hat auch das
Verdienst, eine der ersten, wenn nicht gar die ei'ste Oper für Bologna, »Andro-
meda<i geschrieben und daselbst 1610 zur Aufführung gebracht zu haben. Eine
Arie daraus: »/o di .'j/t'do, o mosfro infame<i. war noch la^ige, nachdem die Oper
selbst verschollen war, in ganz Italien ])prührat und viel gesungen. Ausserdem
liat Gr. viele Werke für die Kirche geschrieben , deren Manuscripte in dem
Besitz des Padre Martini sich befanden, nach dessen Tode dieselben in die
Bibliothek des Klosters San Francesco zu Bologna übergingen.
(rincoiiielli, Geniin iano, fruchtbarer italienischer Operncomponist, geboren
1686 zu Parma, trieb seine Studien im Gesang, Ciavierspiel und Contrapunkt
beim Kapellmeister Capelli daselbst. Erst achtzehn Jahr alt, konnte er be-
reits mit einer Oper i> Ipermestrav. debütiren und zwar so erfolgreich, dass ihm
der Herzog die Directiou seiner Hofmusik anvertraute und ihn bald darauf zu
einem Studienaufenthalt bei Scarlatti nach Neapel entsandte. Zahlreiche Opern
brachte G. nun aiif die Bühne, und alle italienischen Theater von Bedeutung
bewarben sich um den Besitz derselben. Kaiser Karl VI. zog ihn nach Wien,
und für die dortige italienische Oper schi-ieb er die Partituren zu -aöato in Ufica<i,
fiL^Arrenionei. u. s. w. Etwa 1730 kehrte er nach Neapel zurück und Hess
dort 1731 ytEpaminonda«. auf der Bühne erscheinen und im weiteren Verlaufe
■s>Merope<i in Venedig (1734) und y^Gesare in EgittovL in Turin (1735), welche
letztere Oper allgemein für sein Hauptwerk angesehen wurde. Turin erhielt
auch 1736 seine letzte Oper, die »^rs«ce« hiess. G. selbst starb am 19. Jan.
1741 zu NeapeL Zwölf Arien seiner Composition mit Clavierbeglcitung be-
finden sich unter den Manuscripten der Bibliothek zu Dresden.
(riaeomelli, Giuseppe, italienischer Gesanglehrer und Vocalcomponist,
geboren 1759 zu Novara, Hess sich um 1790 als Gesanglehrer in Paris nieder
und componirte^ hauptsächlich für die Praxis des Unterrichts, Romanzen, von
denen einige Hefte im Druck erschienen sind. Er starb im J. 1822 zu Paris.
— Seine Schülerin und nachmahge Gattin, Genevieve Sophie G., geborene
Bille, war eine talentvolle Dilettantin in Bezug auf Gesang, Composition und
Malerei. Nachdem sie 1808 einige Erfolge als Concertsängerin gewonnen hatte,
versuchte sie sich, auf Antreiben G.'s. auch auf dem Theater, aber ohne Glück,
da ihre Stimme für die Oper zu schwach erschien. Nicht besser kam sie bei
wiederholtem Auftreten 1813 in der Pariser italienischen Oper davon und auch
in der Ojjera comique hatte sie seit 1815 keinen bedeutenden Erfolg. Der
Bühnengesang hatte aber neben ihrer Stimme auch ihre Gesundheit scharf an-
gegriffen. Sie musste sich vom Engagement zurückziehen und starb am 11.
Novbr. 1819 zu Paris. Von ihren Compositionen sind sechs zweistimmige
italienische Notturni mit Pianofortebegleitung im Druck erschienen.
Giacoiniui, Bernardino, italienischer Madrigalencomponist des 16. Jahr-
hunderts, aus dem Friaul gebürtig, über den jedoch weitere Mittheilungen nicht
bis auf die Gegenwart gelangt sind.
Giai, G. A., italienischer Operncomponist des 18. Jahrhunderts, von dessen
Lebensumständen nichts mehr zu ermitteln war. Eünf Arien aus seiner Oper
■nÄdriano in Siriatu befinden sich im Manuscript auf der königl. Bibliothek zu
Dresden. Sechs andere Arien von ihm wurden 1756 zu Nürnberg gedruckt.
Vgl. übrigens Gini, mit dem G. identisch zu sein scheint.
Gialdiiii, Luigi, italienischer Virtuose auf der Oboe, dem englischen
Hörne, der Flöte, dem Pagott und Instrumentalcomponist, geboren 1762 zu
Giamberti — Gianotti. 239
Pescia, erhielt auf den genannten Instrumenten von Michele Sozzi zu Florenz
Unterricht und wurde als erster Oboist am Theaterorchester in Livorno ange-
stellt, in welcher Stellung er auch 1817 gestorben ist. Als Componist war er
im ersten "Viertel des 19. Jahrhunderts weiterhin bekannt durch ein Flöten-
concert, ferner durch Trios für verschiedene Instrumente und durch Duette für
Flöte und Violine, für Flöte und Fagott u. s. w. sämmtlich im Druck erschienen.
Giamberti, Giuseppe, italienischer Kii'chencomponist , geboren in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Hom, machte die musikalische Schule
Bernardino Nanini's und Paolo Agostini's durch und wurde zweiter Kapell-
meister an der Kathedralkirche von Orvieto. Später wurde er neben Gregorio
Allegri und Tarditi als zweiter Kapellmeister an Santa Maria Maggiore nach
Rom berufen, rückte daselbst 1629 zum ersten Kapellmeister auf, starb aber
schon im J. 1630. Von seinen Compositionen sind bekannt geblieben: tiDue
lihri di poesie varie in musicais. (Rom, 1613); y>Duetfi per solfeggiarea (Rom,
1657); y>Sacrae moclulationes 2, 3, ^ et h vocihus cum litanüs heatae virginis
Mariaev. (Rom, 1627). In Florido's y>Baccolta<.<i (Rom, 1662) befindet sich von
G. ein dreistimmiges y^Laudaten. G.'s Verdienst aber gipfelt in der wesentlichen
Theilnahme an der Verbesserung des Antiphonars, welches zwanzig Jahre nach
seinem Tode erschien und den Titel führt: ryAtitipliona et motecta festis omnibuft
propria et communia juxta formam hreviarii romani etc.a (Rom, 1650).
Giauella, Luigi, italienischer Flötenvirtuose, der um 1800 seinen Auf-
enthalt in Paris nahm und als erster Flötist in das Orchester der Komischen
Oper in der Rue de la victoit'e gezogen wurde. Im J. 1805 componirte er mit
Dumonchau gemeinschaftlich die Oper y>L^ofßcier cosaque«, welche grossen Bei-
fall fand und oft, unter dem Namen »der Kosakenhauptmaun« auch in Deutsch-
land, aufgeführt wurde. Ein Jahr später erschien das Ballet y>Avis et Galatheea
mit Mvisik von G. auf der Bühne, wovon das Arrangement für Harmoniemusik
auch gedruckt wurde. G. selbst starb im J. 1817 zu Paris. — Von seinen
übrigen Compositionen sind herausgegeben: Concerte für Flöte, Quintette für
Flöte und Streichquatuor, Trios für Flöte, Violine und Violoncello , Duos für
zwei Flöten, für Harfe und Flöte, Romanzen für eine Singstimme u. s. w. ;
namentlich sind seine Flötenstücke ausserordentlich geschickt gearbeitet.
Giauelli, Abbate Pietro, italienischer Musikschriftsteller, geboren um
1770 im Friaul, trieb in Padua neben den theologischen auch musikalische
Studien und lebte fernerhin vorzugsweise in Venedig. Er gab ein •i>Dizio7iario
della musica sacra e profanav. (Venedig, 1801, 2. Aufl. 1810, 3. Aufl. 1820),
eine ungenaue und unzuverlässige Compilation, aber doch das erste "Werk dieser
Art in Italien, heraus. Sodann erschienen aus G.'s Feder: -nGrammatica ragionata
della musica etcM (Venedig, 1801, 2. Aufl. 1820) und endlich y>Biografia degV
nomini illustri della musica, ornata de'' loro respettivi ritrattiv. (Venedig, 1820),
welche umfangreicher angelegte Arbeit jedoch über die erste Lieferung nicht
hinaus kam, da G.'s Tod die Fortsetzungen verhinderte.
Giauettini, Antonio, italienischer Operncomponist, der sich gegen Ende
des 17. Jahrhunderts zu Hamburg aufhielt, wo er sich durch »ia scldava for-
tunata'i (1693 aufgeführt), »J/e^ea« und -nT^rmionev. (beide 1695 gegeben) einen
Namen machte. Nach Italien zurückgekehrt, brachte er 1709 zu Modena seine
Oper »7 presagi di Melissav. auf die Bühne. Im Catalog der im Breitkopf -
sehen Besitze befindliche Manuscripte fand sich auch ein fünfstimmiges Kyrie
mit Instrumentalbegleitung von G. angeführt.
Giaug-iacomo, "Perino, italienischer Componist von Madrigalen, war um
die Mitte des 16. Jahrhunderts zu Modena geboren, lebte zu Mailand, wo auch
Gesänge von ihm im Druck erschienen sind und starb daselbst im J. 1607.
Giauotti, Pietro, italienischer Instrumentalcomponist und Musiktheoretiker,
geboren um 1720 zu Lucca, kam in jungen Jahren nach Paris und studirte
bei Rameau Harmonie und Composition. Im J. 1739 fand er im Orchester
der Grossen Oper Anstellung als Contrabassist, gab nebenbei auch sehr ge-
240 Giausetti — Giai'dini.
schätzten theoretischen Unterricht und zählte unter seinen Schülern den be-
rühmt gewordenen Opcrncomponisten Moasigny. Im J. 1758 wurde er von
der Operudirektion peusionirt und starb am 19. Juni 1765 zu Paris. Sein
Hauptwerk ist eine nach Rameau'schen Principien verfasste Harmonie- und
Compositionslehre, betitelt: »Le guide du, comjjositeur, contenaiit des regles süres
pour trouvcr d^ahord par les consonnances ensuite par les dissonnances la hasse
fondamentdle de tous les chants posslblesv. (Paris, 1759). Seine Compositiouen,
bestehend in Violin- Sonaten ohne Begleitung, Duetten für zwei Violinen, Streich-
trios, Sonaten für Violoncello, Duos für zwei Musetten und Cantatillen, sind
ziemlich werth- und bedeutungslos.
Giausetti, Griovanni Battista, auch Grianzetti geschrieben, italienischer
Componist der römischen Schule, trat 1667 das Amt als Kapellmeister an San
Giovanni in Laterano zu ßom an, welches er bis zum Septbr. 1675 iune hatte.
In dieser Zeit veröffentlichte er zugleich: 56 Motetten für zwei, drei und vier
Stimmen (Born, 1670), Motetten für drei Sopranstimmen, und acht- und zehn-
stimmige Messen (Bom, 1671). Besonders berühmt wurde er jedoch durch
eine 12 chörige (48 stimmige) Messe, welche am 4. Aug. 1675 in der Kirche
Santa Maria sopra Minerva zu Bom zur allgemeinen Bewunderung zur Aus-
führung gelangte.
Giardiui, Fclice, einer der grössten italienischen Violinvirtuosen des 18.
Jahrhunderts, guter Clavierspieler und zugleich fruchtbarer und berühmter
Componist, wurde im J. 1716 zu Turin geboren und, da er mit schöner Stimme
begabt war, jung noch den Chorknaben des Domes zu Mailand zugeordnet,
wodurch er Gelegenheit hatte, bei Paladini eine vortrefläiche Ausbildung in
Gesang, Clavierspiel und Composition zu erhalten. Da G. aber seine Vorliebe
der Violine schenkte, so wurde er von seinem Vater dem berühmten Somis in
Turin zum Unterrichte auf diesem Instrumente übergeben. Der Erfolg der
Methode dieses grossen Lehrers und des Fleisses G.'s war in kurzer Zeit ein
wunderbarer, und G. ging nach Bom, um eine Concertmeisterstelle zu finden
und zu übernehmen; man wdes ihn jedoch in dieser Beziehung seiner grossen
Jugend wegen überall ab. Mehr Glück hatte er in Neapel, wo er die ge-
wünschte Orchesteranstellung alsbald fand. Seine Sucht , im Solo wäe im
Accompagnement die schwierigsten und gewagtesten Vei'zierungen anzubringen,
fand bei der grossen Menge rauschenden Beifall , soll ihm jedoch in einer Jo-
melli'schen Oper von Seiten des Componisten eine Ohrfeige eingetragen haben,
die ihn von dieser uakünstlerischen Angewohnheit heilte. Im J. 1744 erschien
G. in London und erregte als Violinist ein Aufsehen, wie es bis zu des Schau-
spielers Garrik's Zeiten unerhört gewesen war; zugleich verschaffte er sich
durch Compositionen der verschiedensten Art Eingang beim englischen Publikum.
Vier Jahre später begab er sich zu einem achtzehnmonatlichen Aufenthalt narh
Paris, wo er, nachdem er im Goncert spiritucl Alles für sich begeistert hatte,
der erklärte Liebling des Hofes wie des Publikums war. In dieser Zeit soll
er auch erfolgreich in Deutschland aufgetreten sein. Nach London 1750 zu-
rückgekehrt, benutzte er sein Ansehen, um einen bleibenden Einfluss zu er-
langen. Wie sehr ihm dies gelang, bewiesen die Morgenconcerte in seinem
Hause, zu denen sich die feine Welt drängte und die theuer aufgewogenen
Unterrichtsstunden im Violinspiel und Gesang, die er ertheilen musste. Als
Concertmeister 1755 führte er überdies eine neue Disciplin und bessere Manier
des Vortrags ein. Zweimal, 1756 und 1763, machte er den Versuch als Unter-
nehmer der italienischen Oper Glück und Glanz im grösseren Maassstabe an
sich zu fesseln, bezahlte aber schliesslich das Wagniss mit Verlust seines ganzen
Vermögens, und weder die Wiederaufnahme seiner Concerte vmd seiner Lectionen,
noch die vermehrte Herausgabe der verschiedenartigsten Compositionen ver-
mochte ihn wieder in die Höhe zu bringen. Hatte er früher seine Nebenbuliler
Festing und Brown vcx-dunkelt, so wurde er selbst jetzt durch Wilh. Gramer
in den Schatten gestellt. Er verliess in Folge dessen 1784 England und ver-
Giardinieri — Gibbons. 241
weilte, unterstützt von dem (xesandten Sir William Hamilton, einige Jahre in
Neapel, bis er sich hochbetagt zu einer Kunstreise nach Kussland aufraffte, auf
welcher er jedoch im September 1796 zu Moskau starb. — Als Vii'tuose zeich-
nete sich G-. durch edlen schönen Ton und vollendete Fertigkeit, sowie durch
feinen Geschmack und elegante Haltung aus, während er als Instrumentalcom-
ponist warhaft unerschöpflich in Exfindung von Variationen, Solos, Concerten
und Duetten für Violine erschien. Zu den 52 im Druck erschienenen Werken
auf instrumentalem Gebiets kommen noch Trios, Quartette und Quintette für
Streichinstrumente, Sonaten für Ciavier und Violine u. s. w. Ferner erschienen
von ihm noch Italian songs, englisli songs, sogenannte catclies und eine Samm-
lung von Duetten. Ein Oratoiium »Huth« gelangte 1772 (auch 1787 noch
einmal) ohne grösseren Erfolg in London zur Aufführung, wie schon früher
seine Opern -nEnea e Lavinia(s. (1746), ȧoswitaa (1757) und nSiroea (1764).
Auch an dem Pasticcio yiOieonicea. (1764) hatte er compositoi'ischen Antheil
und in der englischen Operette versuchte er sich mit der »Liebe auf dem Dorfe«,
aufgeführt im J. 1747. Die Bibliothek in Dresden bewahrt von ihm im Ma-
nuscript zwei Arien und ein Hondo für Sopran. — Seine Gattin, Violeuta
G., geborene Vestris, die er 175ü in Paris heimgeführt hatte, war eine vor-
zügliche Sängerin, welche ihrem Manne in London bei der Ertheilung von
Gesangunterricht erfolgreich zur Seite stand,
Giardinieri (ital.), Gärtnerlieder, Gesänge, deren sich die Gärtner zum
Lobe ihrer Kunst bedienen.
Giarnovichi, s. Giornovichi.
Gibbons, eine englische Tonkünstlerfamilie, deren weit verbreiteter Ruf auf
folgende drei Brüder zurücliführt. 1) E-oland G., der sich italienisirt Or-
lando G. nannte, der berühmteste Träger dieses Namens, wurde 1583 zu'
Cambridge geboren, wo er so tüchtige musikalische Studien machte, dass er,
erst 21 Jahr alt, zum Organisten der königl. Kapelle ernannt wurde und 1622
die musikalische Doctorwürde der Universität zu Oxford sich erwarb. Er starb
aber schon im J. 1625 zu Canterbury an den Blattern, als er eben die ihm
aufgetragene Festmusik zur Vermählungsfeier Karls I. mit Henriette von Frank-
reich vollendet hatte. Wie hoch verehrt er als Kirchencomponist dasteht, zeigt
der Umstand, dass fast keine der zahlreichen englischen Kirchenmusik-Samm-
lungen Anthem's und Services von ihm vermissen lässt. Lessons for ihe Vir-
ginal von ihm weist die Sammlung »Parthenia« und Orgelstücke Smith's nMusica
antiquat. auf. Er selbst hat Madrigale (London, 1612) veröffentlicht. Am
Meisten rühmt man noch jetzt sein »Hosianna«. Sein Porträt befindet sich
im vierten Bande von Hawkin's Musikgeschichte. — Sein Sohn, Christopher
G., wurde hauptsächlich von seinem Oheim Ellis G. zum tüchtigen Musiker
gebildet, erhielt ebenfalls früh Anstellung in der Kapelle Karl's I. und wurde
nach der Restauration Organist jjn der AVestminsterabtei. König Karl II.
selbst, dessen Günstling er seiner bewährten royalistischen Gesinnungen wegen
war, erwirkte ihm 1664 die musikalische Doctorwürde von Oxford. G., von
dem man sonst nur einige Anthem's kennt, starb am 20. Oktbr. 1676 zu
London. Eine verbreitete Sage nennt ihn als denjenigen Organisten, bei dem
Joh. Jac. Frohberger nach seiner Ankunft in London unter unwürdiger Be-
handlung Balgtreterdienste verrichten musste. — 2) Edward G. , der ältere
Bruder ßoland's, etwa 1571 zu Cambridge geboren, war in seinen jüngeren
Mannesjahren Baccalaureus der Musik an der Universität seiner Geburtsstadt,
sowie seit 1592 an der von Oxford. Bald darauf wurde er Organist und
Musikdirektor an der Kathedralkirche zu Bristol und endlich Organist und
Mitglied der königl. Kapelle zu London. Seiner Ergebenheit für die königl.
Familie wegen wurde er mit seinen Söhnen vom Dictator Cromwell aus Eng-
land verbannt und starb im J. 1640. Compositionen von ihm, die sehr werth-
voll sein sollen, bewahrt die Universitätsbibliothek zu Oxford auf. — 3) Ellis
G., der jüngste Bruder der Vorgenannten, war einer der berühmtesten Orgel-
Musikal. Couvers.-Lexikdu. IV. 16
242 Gibel — Gibson
Spieler seiner Zeit und als Organist in Salisbury xind Bristol angestellt. Er
starb im J, 1650. Ein fünf- und ein sechsstimmiges Madrigal, beide in der
Sammlung -stThe triumph of Orianaa des Thomas Morley enthalten, scheinen
die einzigen Ueberbleibsel seiner sehr gerühriiten Compositionsthätigkeit zu sein.
Oibel, Otto, latinisirt Gibelius, gelehrter (Mattheson sagt »grundgelehi--
ter«) deutscher Tonkünstler, war der 8ohn eines Geistlichen und 1612 zu Borg
auf der Insel Femern geboreu. Der Pest wegen wanderte er als Knabe nach
Braunschweig zu Verwandten, die seine Erziehung übernahmen. Die Bekannt-
schaft und der mehrjährige Musikunterricht des 1631 aus Magdeburg verwie-
seneu berühmten Cantors Heinr. Grimm bestimmten G.'s Lebensrichtung. Schon
1634 wurde er zum Cantor zu Stadthagen in der Grafschaft Schauen bürg er-
nannt. Als Subrector der Sctiule wurde er 1642 von dort nach Minden be-
rufen, woselbst er nach Scheffer's Ableben Cantor und Musikdirektor wurde
und bis zu seinem eigenen Tode, im J. 1682, in ausgezeichneter Art wirkte.
Seine Werke führt ziemlich vollständig das Gerber'sche Lexikon vom J. 1812
auf. Ueberwiegend theoretischen Inhalts, sei von denselben hier genannt: y>Pars
generalis introductionis musicae theoreticae didactieae vol. I. (Bremen, 1660). Die
Herausgabe des zweiten Theils dieses wichtigen Werks verhinderte der Mangel
an Mitteln für den Stich der dazu erforderlichen Figuren. Ferner veröffent-
lichte er: »Geistliche Harmonien von einer bis fünf Stimmen, theils ohne, theils
mit Instrumenten« (Hamburg, 1671). G. schlug auch, statt der bisher gebräuch-
lichen ut, re, mi, fa, sol, la auf dem Ciavier die natürlichen Claves vor*.
Gibelli, Lorenzo, italienischer Kirchencomponist aus Bologna und in seiner
Vaterstadt als Kapellmeister an der Kirche San Bartolomeo angestellt, in wel-
cher Stellung er hocbbetagt im J. 1811 starb. Er war zugleich Mitglied der
berühmten philharmonischen Akademie von Bologna und galt für einen der
letzten Schüler des Padre Martini. Jedoch findet sich sein Name in P. della
Valle's -»Memorie storicJte del P. Martini« an betreffender Stelle nicht mit auf-
geführt. Burney, der auf seiner italienischen Reise G. in Bologna besuchte,
bezeichnet ihn als einen gelehrten, aber melodiearraen Musiker. G.'s hinter-
lassene Compositionen befinden sich in der Bibliothek seiner Kirche ; ein Kyrie
und Gloria von ihm war im Besitz der Rellstab'schen Familie in Berlin.
Gibellini, Eliseo, italienischer Componist aus der römischen Schule, wirkte
um die Mitte des 16. Jahrhunderts, da 1548, 1552 und 1565 zu Venedig und
Rom fünfstimmige Motetten, dreistimmige Madrigale und fünfstimmige Messen
von ihm erschienen. — Etwa ein halbes Jahi-hundert später lebte ein anderer
Kirchencomponist, Namens Girolamo G., von dem eine Sammlung nSalmi
spezzati a due e tre roeiv. (Venedig, 1624) erhalten geblieben ist. — Noch
später findet man einen Augustinermönch und Kapellmeister am St. Stephans-
dom zu Wien, Nicola G. geheissen. Derselbe war aus Norica im Kirchen-
staate gebürtig und veröflFentlichte liMotetti a piii voci coiicertatin (Wien, 1655).
Gibert, Paul Cesar, französischer A'^ocalcomponist , war der Sohn eines
königl. Hausofficianten zu Versailles, woselbst er 1717 geboren wurde. Seine
musikalische Ausbildung erhielt er von anerkannten Meistern in Italien. Er
wirkte als Musiklehrer in Paris, von welcher Thätigkeit seine fSolfeges ou
legons de musique sur toutes les clefs et dans tous les tons, modes ei genres avec
accompagnement d^une hasse chiffree etc.« (Paris, 1783) Zeuguiss ablegen. Ausser-
dem hat er Opern und Divertissements componirt, als: r>La Syhille« (1758),
r>Le carneval d^ete« (1759), »io fortune au villaje« (1760), »Apelle et Gampaspe«
(1763), r>Deucalion et Fyrrhe« (1765) u. s. w. G. selbst starb im J. 1787 zu
Paris.
Giboui, Gilbert, französischer Orgelspieler und Componist, war zu An-
fang des 17. Jahrhunderts Organist an der Katliedralkirche zu Orleans und
hat Arien, Chansons u. s. w. seiner Composition veröflTentlicht.
Gibson, Edward, ein gründliclier und zu seiner Zeit hochgeachteter eng-
Gide — Gigue. 243
lischer Musikgelehrter, geboren 1669 zu Knip, gestox-ben 1748 zu London,
hat u. A. ein treffliches Werk über englische Kirchenmusik verfasst.
Gide, Casimir, französischer dramatischer Componist, geboren 1798 zu
Paris, war der Sohn eines Buchhändlers und für denselben Stand bestimmt.
Die Musikstudien im Pariser Conservatorium sagten ihm jedoch weit mehr zu,
und er schrieb auch bald Vaudevilles und Musik für Dramen. Dennoch hatte
er mit einer grösseren Oper »Ze roi de Sicile«, 1830 in der Ojyera comique
aufgeführt, keinen Erfolg, um so grösseren jedoch schon 1832 mit dem grossen,
mit Halevy gemeinschaftlich componirten Ballet »i« tenfationa, dessen beliebt
gewordene Tanzstücke meist von G. herrührten. Die darauf folgende einaktige
Oper y)L''an(jeli(S(i, 1834 gegeben, missfiel nicht gerade, behauptete sich aber
auch nicht. Grossen Ei'folg hatte er wieder 1836 mit der Musik zu dem Ballet
r>Le diahle hoiteux^i. Damals übernahm G. durch Erbschaft das Geschäft seines
Vaters und schwieg lange Zeit. Er ist überhaupt hierauf nur noch einmal
und zwar 1847 an der Grossen Oper mit dem Ballet fOzdii öffentlich hervor-
getreten.
Giebiie, Heinrich, vortrefflicher deutscher Tonkünstler und Dii-igent,
lebt in Karlsruhe in dem Amte eines Direktors des grossherzogl. Kirchenchors
und der Hofkirchenmusik, sowie des Vereins Cäcilia, welchen er durch gedie-
gene Aufführungen zu E,ang und Bedeutung erhoben hat. Er ist auch der
Verfasser einer kleinen werthvollen Schrift, betitelt: »Zur Ei-innerung an Ludw.
Spohr, ein kunstgeschichtlicher Vortrag über dessen Leben und Wirken« (Karls-
ruhe, 1860).
Giese, Theophil Christian, ein tüchtiger Kenner des Orgelwesens, zu
Crossen 1721 geboren und ebendaselbst 1788 gestorben, gab nicht unwichtige
historische Nachrichten über die Orgeln der Petri- und Pavilkirche in Görlitz
heraus, wie er denn auch noch mehrere einschlägige Schriften veröffentlichte.
Giesskauuenknorpel, ein bewegliches Glied im menschlichen Kehlkopfe. S.
Kehlkopf und Stimmorgan.
Giesslade heisst das Gestell, in welchem die Orgelbauer die Platten zu
den metallenen Pfeifen der Orgeln giessen. Nachdem der flache Guss der-
selben vollendet ist, werden sie gehobelt, in cylindrische Form gebracht und
gelöthet.
Giga (ital.), s. Gigue (französ.).
Giganlt, Nie las, trefflicher französischer Orgelspieler und fleissiger Com-
ponist für sein Instrument, geboren um 1645 zu Claye en Brie, genoss den
Unterricht des Organisten Titelouze zu Paris und versah nach einander das
Organistenamt an mehreren Pariser Kirchen. Er veröfi'entlichte : r>Livre de
musiqiie pour Vorgue, contenant plus de 180 ineces de tous les caracteres , dedie
ä la Viergea (Paris, 1685); ferner: r>Livre de noels diversifies ä 2, 3 e^ 4 par-
tiesa (Paris, 1685).
Gigli, Giulio, italienischer Vocalcomponist des 16. Jahrhunderts, aus
Imola gebürtig, hat von sich und 27 andern Componisten (München, 1585)
eine Sammlung mehrstimmiger Gesangstücke über einen und denselben Text
veröffentlicht. — Ein Zeitgenosse von ihm war Tommaso G., ein Madrigaleu-
componist, der Sicilien zur Heimath hatte und von dessen Composition sich
Stücke in der Sammlung ninfidi lumia (Palermo, 1603) befinden. — Etwa
hundert Jahre später lebte und wirkte als Componist und ausübender Musiker
Giovanni Battista G., genannt ü Tedeschino, M^elcher in den Diensten des
Grossherzogs von Toscana stand und Kirchen- und Kammer- Sonaten seiner
Composition (Bologna, 1690) herausgab.
Gigue, auch Gique geschrieben (franz.; ital.: Giga), ein alter, bis tief in
das 18. Jahrhundert, damals besonders auf der Opernbühne gepflegter Tanz,
sowie eine in älteren Suiten und Partiten anzutreftende Musikform im Charakter
dieses Tanzes, von überwiegend lebhaftem und munterem Gepräge, über dessen
Ursprung noch immer nichts Gewisses ermittelt ist. Nach Mattheson (vergl.
16*
244
Gigue.
dessen »Kern melod. Wissensch.«) gab es zu Anfange des 18. Jahrhunderts
vier Arten von Gr/s: die englischen, spanischen, canarischen und welschen. Die
englischen oder gewöhnlichen Giguen »haben zu ihrem eigentlichen Affect
einen hitzigen und flüchtigen Eifer, einen Zorn, der bald vergehet«. Die
spanischen G.'s, auch Loures genannt, werden langsamer genommen und
zeigen »ein stolzes, aufgeblasenes Wesen, deswegen sie bei den Spaniern sehr
beliebt sind«. Die canarischen Gr.'s dagegen »müssen grosse Begierde und
Hurtigkeit mit sich führen, aber dabei ein wenig einfältig sein«. Die welschen
G-.'s endlich dienten nicht zum Tanzen, sondern nur zum Geigen, wovon denn
auch Wühl ihr Name (Giga, d. i. Geige) herkommen mag und »neigen sich
gleichsam zu der äussersten Schnelligkeit oder riüchtigkeit, doch mehrentheils
auf eine fliessende und keine ungestüme Art, etwa wie der Strom-Pfeil eines
Baches«. — Für die anfangs schon angedeutete Schnelligkeit der Bewegung
spricht die in den Ciaviersuiten Häuders den betrefi'enden Stücken öfter vor-
gesetzte Tempobezeichnung Presto. Meist stehen die G.'s in gerader Taktart,
aber mit ungei'ader (dreitheiliger) Gliedtheilung , also z. B. im ^^/^- oder im
^/^-Takt mit Triolen. Im ^^/^^-Takt bewegen sich grossentlieils die G.'s Hän-
del's, die beinahe ausnahmslos für Musterstücke dieser Gattung gelten dürfen;
doch finden sich bei ihm auch Beispiele von ^^k;' ^^^^ "^/kj"' ^^^ "^' ^- ßach
auch von ^/,j- und ^1,^-l^dtki. Beispiele im '^/y-Takt sind ziemlich häufig, be-
sonders bei Gluck und den Balletcomponisten derselben Zeit, im einfach oder
zusammengesetzt dreitheiligen Metrum seltener (im '^j^ z. B. deutsche Händel-
ausgabe Bd. 2, Samml. 7 Nr. 7; im **/,,. Bachausg. III). Als eigentliche Tanz-
weise besteht die G. aus zwei B,epetitionen von je acht Takten und pflegt
kürzere Noten als Achtel nicht zu verwenden. In Tonsätzen im Charakter
der G. ist jedoch ihre Länge, wie auch der aller übrigen Tanzarten in dieser
Verwendung, weder an eine bestimmte Taktzahl noch an ein strenges Metrum
gebunden, indem zuweilen das zweite Achtel des Taktes in zwei, oder die zwei
ersten Achtel in vier Sechszehntheilen zertheilt erscheinen, z. B.:
In der langsamer zu nehmenden Loure (s. d.), die im Tanz fast nur im
^/^-Takt vorkommt, erscheint das erste Achtel in der Regel punktirt, also:
^^^^E^
und ebenso auch in den canarischen G.'s, nur dass letztere kurz sind, im ^j^-
Takt stehen und sehr geschwind vorgetragen werden. In Händel's Muster-
giguen zeigt sich nirgends eine Theilung der ersten Achtel in Sechszehntheile,
vielmehr erscheint fast immer eine in gleichen Noten (Achteln oder Sechszehn-
theilen) fortlaufende Bewegung, selten nur, dass andere Metren vorkommen.
Dieselbe metrische Gleichförmigkeit findet sich bei J. S. Bach gleichfalls, ist
aber ebenso häufig zu Gunsten einer mannigfaltigeren Rhythmik bei Seite ge-
lassen. Die Abtheilung des ganzen Satzes in zwei Repetitionen ist auch in
den G.'s der Suiten fast immer respectirt; es 'kommen jedoch auch Ausnahmen
vor, in denen der Satz ohne Wiederholungszeichen in einem Zuge fortlaufend
bis zu Ende geschrieben ist (vgl. deutsche Händelausg. IL G). AVie die Be-
nennungen der meisten Tanzweisen diente auch der Ausdruck a tempo dl Giga
als Tempo- und Voitragsbezeiclinung für andere Sätze, die keine wirklichen
G.'s, sondern nur im Charakter derselben geschriebene Gesänge, fugirte Ton-
stücke oder a. m. waren. — Ein Saiteninstrument mit Namen Gigue oder
Giga führton die Menestrels des 12. und 13. Jahrhunderts, jedoch ist die
Beschafi'enheit und Spielart desselben längst in völlige Vergessenheit geratlien.
Im 12. Jahrhundert dürfte das Wort erst, an Stelle der deutschen Benennung
Fiedel, auf die Geige übertragen worden, vordem aber ein zither- oder lauten-
GU — GlUes. 245
artiges Instrument gewesen sein. Dass es, wie Einige beliaupten, eine Flöten-
art gewesen, lässt sicli ebenso wenig haltbar beweisen.
Gil, portugiesischer Franciscanermöncb und Kirchencomponist , geboren in
Lissabon zu Ende des 16. Jahrhunderts, studirte die Musik bei Duarte Lobo
und versah später bis zu seinem Tode, im J. 1640, das Amt eines Kapell-
meisters in einem Kloster seines Ordens zu Guarda. Machado (in der Bibl.
lusit. II. ■]). 380) führt mehrstimmige Messen, Motetten und Psalme von Gr.'s
Composition auf.
Gil, Francisco d'Assisi, hervorragender spanischer Musiktheoretiker
und Componist der Gregenwart, geboren 1829 zu Cadix, machte seine musika-
lischen Studien in seiner Heimath. Als er sich im J. 1850 damit beschäftigte,
den Tratte ä^harmonie von Fetis in's Spanische zu übersetzen, entbrannte in
ihm das Verlangen, den direkten Unterricht dieses Tonlehrers zu geniessen.
Er begab sich zu diesem Zwecke noch in demselben Jahre nach Brüssel und
führte seinen Wunsch aus. Nach einem dreijährigen Cursus der Harmonie-
und Compositionslehre kehrte er nach Spanien zurück und wurde zum Professor
der theoretischen Fächer am Conservatorium zu Madrid ernannt. In dieser
Stellung brachte er mehrere spanische Opern und Zarzuelas auf die Bühne,
betheiligte sich als der gelehrteste Mitarbeiter an den Leitartikeln der Gaceta
musical de Madrid und verfasste einen rtTrattado elemental de armoniaa (Ma-
drid, 1856).
Gilbert, Alfons, französischer Orgelvirtuose und Kirchencomponist, ge-
boren 1805 zu Pai'is, studirte die Musik sehr erfolgreich auf dem Conservato-
rium seiner Geburtsstadt und wurde wegen seiner Compositionen von diesem
Institute wie von der Akademie wiederholt durch Preise ausgezeichnet. Zum
Organisten der Hauptkirche von Notredame in Paris ernannt, veröffentlichte'
er eine Reihe von Messen, Motetten, Cantaten u. dergl., sowie von Orgel-
stücken.
Gilbert, Marie, tüchtige und intelligente nordamerikanische Pianistin, ge-
boren 1845 zu New-Haveu, erhielt einen gründlichen wissenschaftlichen Unter-
richt und wurde im Clavierspiel vom Prof. Barber unterwiesen. Von 1861 bis
1866 besuchte sie das Conservatorium der Musik zu Leipzig und Hess sich
hierauf als Musiklehrerin in New- York nieder. Auch als Compouistin und
musikalische Schriftstellerin hat sie ein angenehmes Talent bekundet; ihre Ge-
sänge und Ciavierstücke sind jedoch noch nicht im Druck erschienen.
Gilbertus, französischer Geistlicher, war anfangs Mönch zu Fleury in Bur-
gund, später Erzbischof zu Pheims und Bavenna und endlich, von 999 an bis
zu seinem im J. 1003 erfolgten Tode, unter dem Namen Sylvester II. Papst
der römisch-katholischen Christenheit. Er ist auch musikalisch höchst merk-
würdig, da er nach Bernardino Baldi's u. A. Zeugnisse Orgeln, die durch Dampf
Töne erzeugten, erfunden haben soll.
Giles, Nathaniel, ausgezeichneter englischer Kirchencomponist und Orgel-
spieler, geboren 1558 zu Worcester, war um 1585 Baccalaureus der Musik,
sowie Organist und Chordirekter an der St. Georgskapelle zu Windsor. Nach
Ableben "William Hunni's im J. 1597 wurde G. die Oberleitung der königl.
Chorschüler und nicht lange darauf auch das Organistenamt an der königl.
Kapelle übertragen. Gestützt auf das Baccalaureat bewarb er sich 1607 um
die musikalische Doctorwürde, die ihm aber erst im J. 1622 ertheilt wurde.
Er starb im hohen Greisenalter am 24. Jan. 1633 zu London. Seine Com-
positionen zählt Hawkins den classischen des 17. Jahrhunderts bei.
Gillern, Hugo von, deutscher Opernsänger, s. Krüger.
Gilles, Henri Noel, französischer Oboevirtuose, geboren 1779 zu Paris,
trat 1796 in das neu gegründete Conservatorium seiner Geburtsstadt und ge-
noss daselbst auf Oboe und englischem Hörn den trefflichen Unterricht Salentin's.
Preisgekrönt wurde er 1799 in das Orchester des Theaters Feydeau gezogen,
von wo er 1803 in das der Italienischen Oper überging, welchem letzteren er
246 Gilles — (jriugucno.
bis 1814 angehörte. Auch uls Concertspieler war er in dieser Zeit sehr ge-
schätzt und sein schöner Ton, seine fertige und dabei elegante Technik fanden
die höchste Anerkennung. Da er entschiedener Imperialist war, so verliess er
mit Eintritt der Restaurationsepoche Frankreich, wanderte nach Amerika aus
und nahm seinen i\.ufeuthalt zuerst in New- York, darauf in Philadelphia, —
Als Componist ist er nur mit Variationen für Oboe, Stücken für Guitarre und
einigen Romanzen, die in Paris erschienen sind, hervorgetreten,
Gilles, Jean, bedeutender französischer Kirchencomponist, geboren 1669
zu Tarascon, studirte die Musik bei Poitevin, Kapellmeister zu Aix in der
Provence, welcher zu derselben Zeit auch Lehrer Campra's war. Nach seines
Lehrers Tode trat er in dessen Amt ein, vertauschte dasselbe jedoch bald mit
einem gleichen in Ayde. Später kam er als Kapellmeister der St. Stephaus-
kirche nach Toulouse, staib aber, als Meister der Composition im ganzen süd-
lichen Frankreich anerkannt, daselbst schon im J, 1705. Seine Werke, nament-
lich ein Requiem von ihm, wurden hochgeschätzt und befinden sich im Manu-
script auf der Staatsbibliothek zu Paris.
(irimeno, Griovachiuo, hervorragender spanischer Tonkünstler der neuesten
Zeit, 1817 geboren, hat sich durch seine Cantaten, Ave Maria's und andere
geistliche und weltliche Gesangwerke einen bedeutenden Ruf in seinem Vater-
lande erworben,
(xinestet, Prosper de, französischer Componist und Musikschriftsteller
wurde um 1796 als Sohn eines Beamten zu Aix in der Provence geboren.
Vom Musikstudium sprang er ab, als ihm ein Officierspatent in der Garde
Ludwigs XVIII, winkte. Jedoch trat er, wenn auch nicht erfolgreich, 1827
mit der Oper rtL'orphelin et le hrifjadiern und 1830 mit y>Frangois 1. ä Gham-
borda zu Paris in die Oeffentlichkeit. Da er Anhänger der älteren Bourbonen-
linie war und blieb, so nahm er nach der Julirevolution seinen Abschied vom
Militär, trat zur legitimistischen Opposition und betheiligte sich mit politischen,
sowie auch mit musikalischen Artikeln an der Redaktion des yyL^aoenira, Or-
gans dieser Partei. Im J. 1833 brachte er noch seine Oper »Le mort ßancea
zur Aufführung. Sonst hat er noch Sonaten für Pianoforte und VioUne und
für Pianoforte und Violoncello geschrieben, — Sein Bruder, Emil de G., war
ein trefflicher Dilettant auf dem Violoncello und hat für dieses Instrument mit
Pianofortebegleitung Verschiedenes componirt und veröffentlicht.
Oiugrlarns, s, Flöte.
filiugria oder Gingras (griech.: yiyyQaq) ist der Name einer kleinen, etwa
eine Spanne langen, mit einem Kernmundstück versehenen Pfeife der alten
Phönicier oder Syrier, die des melancholischen Charakters ihrer Töne wegen
bei Trauermusiken im Gebrauche (vgl, Marpurg , krit. Einleit. S. 217) und
vielleicht identisch mit dem altägyptischen, von den Griechen Giglaros, cor-
rumpirt Ginglaros (s, Flöte), genannten Instrumente war. — Gingrina
wurde auch die Schalmei genannt, wie Mattheson sagt: »von dem Kaken, so
sie von sich giebt, gleich einer Gans, deren projjrium ist (jhKjrirea. In Till's
Dicht-, Sing- und Spielkunst befindet sich eine Abbildung dieses Instruments.
Vgl. auch Äthenaeus Üb. 4.
Ging:nene, Pierre Louis, verdienstvoller französischer Literarhistoriker,
Kritiker und Musikschriftsteller, geboren am 25, April 1748 zu Rennes in
Bretagne, eignete sich früh grosse Spraclienkenntniss und Fertigkeit in der
Dichtkunst, Malerei und Musik an. Die letztere namentlich studirte er in
Paris überaus gründlich, wie dies gleich anftings die polemischen Schriften be-
wiesen, in denen er während der Fehde der Gluckisten und Picciuisten als
Verfechter der italienischen Musik auftrat. Nach einem sehr wechselvollen,
von 1794 bis 1802 auch verschiedenen Staatsämtern gewidmeten Leben, wäh-
rend dessen er seinen Studien niemals ungetreu wurde, starb er am 16. Novbr,
1816 zu Paris. Als vortrefflicher musilcalischer Schriftsteller legitimirte er sich
mit folgenden interessanten Werken: »Lettren et articles sur la musique, inneres
Giui — Giordani. 247
dans les journaux sous le nom de Melophile pendant nos dernieres (juerelles mu-
sicales, en 1780, 81, 82, 83« (Paris, 1783); r>Notice sur la vie et les ouvrages
.de Ficcinm (Paris, 1800); »Dictionnaire de musique de Veucyclopedie metJiodique<s.
(2 Bde., Paris, 1791 bis 1818). Letztgenanntes Werk ist von G. und Fra-
mery begonnen und vom Abbe Peyton vollends herausgegeben worden; G. selbst
hat nur die historischen Artikel für den ersten Band verfasst. Endlich findet
man in seinem Hauptwerke, der y>IIistoire litter aire d''Italie<s. (8 Bde., Paris,
1811 bis 1819), welcher Salfi noch einen neunten Band hinzufügte, gründliche
und interessante Nachweise über italienisches Musikweseu des 11. Jahrhunderts,
über Guido von Arezzo, über die provengalischen Trobadors, über einige be-
rühmte italienische Tonkünstler des 14. und 15. Jahrhunderts, besonders über
Francesco Landino u. A., über die Anfänge der Oper u. s. w.
Giiui, Giovanni Antonio, italienischer Operncomponist, geboren zu Aus-
gange des 17. Jahrhunderts im Piemontesischen, war um 1728 Kapellmeister
zu Turin und führte daselbst seine Opern y>Mitridate(s. und riTmnerlanon. auf.
Giuistet, Prosper de, s. Ginestet.
Giocoudo, als Adverbium giocondamente (ital.), Vortragsbezeichnung in
der Bedeutung ausgelassen, lustig. In Verbindung mit der Präposition
con wird das von G. abgeleitete Substantiv giocondezza oder gioeonditä in
derselben Bedeutung gebraucht.
Giocoso oder Giojoso (ital.), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung »fröh-
lich«, scherzend«, »tändelnd«.
Gioja, Gaetano, italienischer Balletcomponist von E-uf, 1810 als Orchester-
direktor in Turin und 1815 in gleicher Eigenschaft am Pergolatheater zu Flo-
renz angestellt, starb, nachdem er kaum das dreissigste Lebensjahr überschritten
hatte, im J. 1826 zu Mailand. Von seinen Balletpartituren haben den meisten
Erfolg gehabt: y>Gesare in JSgittovi, «Le nozze di Figaro'.'., ■nGundehergav-, «I Mor-
laccMii, r>Niohe<i, -DOdaacreti, lyTamerlanoa u. s. w.
Giordani, Antonio, italienischer Kirchencomponist, war zu Anfang des
18. Jahrhunderts Kapellmeister an der Kirche der zwölf Apostel zu B,om und
hat von seiner Composition 23 zweistimmige Ofifertorien (Rom, 1724) veröffent-
licht. — Ein älterer Componist dieses Namens, Giacomo G., lebte um die
Mitte des 17. Jahrhunderts und ist der Autor einer dreistimmigen Passions-
musik mit Instrumentalbegleitung, die sich im Manuscript in der Santini'schen
Sammlung in Rom befindet, vielleicht dasselbe ziemlich kunst- und werthlose
Tonwerk, welches unter dem Titel «Uagonia di nostro signorea sammt einem
Offertorium in zwanzig Manuscriptblättern die k. k. Hofbibliothek in "Wien
aufbewahrt.
Giordani, Giuseppe, fruchtbarer italienischer Componist, besonders von
Opern, wurde im J. 1753 zu Neapel geboren und kam sehr jung auf das Con-
servatorio di Loreto, wo er Mitschüler Cimarosa's und Zingarelli's wurde. Sein
Vater, seine zwei Brüder und <irei Schwestern bildeten eine kleine Truppe,
welche in einem Miniaturtheater Neapels ohne fremde Beihülfe komische Ope-
retten, Farcen u. dergl. aufführte. Im J. 1762 ging diese Gesellschaft nach
London, wo sie in einer Bude am Haymarket in solcher Art Furore machte,
dass sie bald eigens für das Coventgarden- Theater engagirt wurde. G. musste
damals noch zurückbleiben und sich fleissigen Musikstudien widmen. Achtzehn
Jahr alt, zeichnete er sich denn auch als Clavierspieler und Violinist sehr
ehrenvoll aus und schrieb bereits für das Theater in Pisa seine erste Oper,
betitelt y>L^astuto in imbroglioa. So weit vorgerückt, beschied ihn sein Vater
1771 nach London, und dort debütirte er als Componist 1772 erfolgreich mit
einem Pasticcio, dem er alsbald seine Oper «Antigonoi folgen Hess. Um zu
Vermögen und Unabhängigkeit zu gelangen, ertheilte er Ciavier- und Gesang-
unterricht, gab mehrere seiner Vocal- und Instrumentalcompositionen heraus
und trat auch noch einmal als dramatischer Componist mit einer komischen
Oper »II hacciov. (1779) auf. Nachdem er seinen Zweck in London nach Wunsch
248 Giorgetti — Giornovichi.
erreicht hatte, ging er gegen Ostern 1782 wieder nach Italien und führte noch
in demselben Jahre zu Mantua seine Oper y>Il ritorno d^ülisse«. auf; dieser Hess
er bis 1792 für verschiedene andere Hauptbühnen seines Vaterlandes nicht
Aveniger als 22 andere folgen, z. B. yyJ^rißlea, y>Osmanev, y>Scipione«, »La Vestale«.
u. s. w., beschäftigte sich jedoch auch mit der Composition von Oratorien. Im
J. 1793 wurde er als Kapellmeister der königl. italienischen Oper nach Lissabon
berufen, starb aber daselbst schon im Mai 1794. Ausser Opern und Oratorien
hat er noch Quintette, Quartette, Trios für Ciavier und Bogeninstiumente,
Streichquartette, "Violinconcerte, Sonaten und TJebungsstücke für Ciavier, ita-
lienische Canzonetten, englische Songs, Duette für zwei Sopranstimmen u. s. w.
componirt und grossentheils veröffentlicht. Auch mehrere Psalme und Lita-
neien seiner Composition sind bekannt geworden. — Sein älterer Bruder Tom-
mas o G., zu Neapel um 1744 geboren, war bei den oben erwähnten Familien-
vorstellungen Buffosänger und lebte hierauf als Musiklehrer und Componist zu
London. Im J. 1779 verband er sich mit Leoni, um in Dublin eine italienische
Oper zu begründen, welches Unternehmen aber total missglückte. Gr. blieb in
Dublin, verheirathete sich daselbst und lebte noch im J. 1816. Er ist der
Componist des Oratoriums -nlsaccov. und der englischen Oper y>Perseverance, or
the third time is tJie besh, 1789 in Dublin aufgeführt. Ferner schrieb und
veröflPeutlichte er theils in London, theils in Haag Trios für zwei Flöten und
Violoncello, Flötenduette, Ciavierstücke, englische Gesänge und Duettini italiani.
Viele Werke seines Bruders gingen irrigerweise unter seinem Namen, so auch
besonders die obengenannte Oper »JZ haccioa.
Giorgetti, Ferdinande, italienischer Violinvirtuose und Componist für
sein Instrument, gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Florenz geboren, hat
von seinen musikalischen Arbeiten ein Violinconcert, Duette und Variationen
für Violine, Clarinette und Violoncello u. A. in Italien und zum Theil auch
in Deutschland veröffentlicht.
Giorgi, Filippo, ein vorzüglicher italienischer Operntenorist, der um die
Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Gipfel der Gunst stand. Seine Haupt-
Avii'kungsstätten waren das Theater Argentina in Rom und das italienische
Theater in St. Petersburg. — Ein älterer Zeitgenosse von ihm war Giovanni
G., Componist der römischen Schule und seit 1719 Kapellmeister an der Kirche
San Giovanni in Laferano. Derselbe starb im Januar 1725 zu. Rom und liin-
terlicss seine Manuscripte, bestehend in Messen, Psalmen, Offertorien u. s. w.,
den Kirchen San Giovanni in Laterano und Santa Maria maggiore.
Giorgio, Giuseppe, angesehener italienischer Violinvirtuose, geboren 1777
zu Turin, war ein Schüler CoUa's, erschien 1807 in Paris als Concertspieler,
ohne jedoch aussergewöhnliche Beachtung zu finden. Auf Empfehlung Blangini's
kam er in die Kapelle des Königs von Westphalen in Kassel und seine (-iattin,
eine Sängerin, an die dortige Hofoper. Nach Auflösung des westphäli sehen
Königreichs, im J. 1813 machten Beide erfolgreiche Concertreisen, bis sich G.
1820 endlich bleibend in Paris niederliess, wo er von 1823 bis 1834 erster
Violinist im Orchester der Opera comiqne war. Seine "Wirksamkeit als Com-
ponist bezeichnen Trios für Streichinstrumente, Violinduette, Variationen und
Potpourris für Violine, welche in Paris gedruckt ei'schienen sind.
Giornoviclii, Giovanni Mane, in Deutschland Jarnovich genannt, aus-
gezeichneter und berühmter Violinvirtuose und guter Componist für sein In-
strument, wurde 1745 zu Palermo geboren, erhielt seinen Musikunterricht von
Lolli und galt bald als Lieblingsschüler dieses Meisters. Seine erste grosse
Kunstreise führte ihn um 1770 nach Paris, wo er im Conccrt spirituel mit dem
sechsten Violinconcerte seines Lehrers auftrat, jedoch nur einigen äusseren Bei-
fall hatte. Erst in einem zweiten Concert und durch eine eigene Composition
gewann er die Gunst der Pariser ganz und voll und zwar in dem Maasse, dass
seine vornelime und elegante Art zu spielen für mustergültig erklärt wurde,
so dass sich lange jeder Virtuose, um zu gefallen, darnach richten musste.
GiovaneUi, 249
Gleichzeitig wurden seine Compositionen sehr beliebt. Im J. 1779 folgte er
einem Rufe nach Berlin und gehörte dort der Kapelle des Kronprinzen bis
1783 an, in welchem Jahre er seine von grossartigen Erfolgen gekrönten Con-
certreisen, zunächst nach St. Petersburg, Warschau, "Wien (1786) und anderen
Hauptstädten antrat. In London war er 1792 und bis zur Ankunft Viotti's
der Alleinherrscher im Reiche des Violinspiels, und er würde sich auch neben
diesem Rivalen noch behauptet haben, wenn nicht sein ungeregeltes Leben, sein
arrogantes, streitsüchtiges Auftreten, welches ihn schon in Paris und Berlin
unmöglich gemacht hatte, auch hier ihm den dauernden Aufenthalt verdorben
hätte. Ein Ehrenhandel mit J. B. Gramer, der mit einer von G. nicht ange-
nommenen Herausforderung endigte, gab seiner Popularität den Rest, und er
begab sich 1796 nach Hamburg, wo er als Concert- und — Billardspieler Lor-
beeren und Gold gewann. Von dort aus besuchte er 1797 und 1802 noch einmal
Berlin und fand unverminderten enthusiastischen Beifall. Ende des letzteren
Jahres reiste er nach St. Petersburg und war bis zu Rode's Ankunft der Löwe
des Tages. Vom Schlage getroffen, starb er aber dort plötzlich bei seiner
Lieblingsbeschäftigung, dem Billardspiele, am 21. Novbr. 1804. Von seinem
Spiele sagt Dittersdorff, der ihn 1786 hörte und über Franzi, Scheller und
Lolli setzt: »Er (G.) entlockt seinem Instrumente einen schönen Ton, hat reine
Intonation, überwindet Schwierigkeiten spielend, singt vortrefflich im Adagio,
hat hie und da gewisse pikante Eigenthümlichkeiten , spielt degagirt, ohne zu
grimmassiren, mit einem "Wort: er spielt für Kunst und Herz«. — G.'s zu ihrer
Zeit sehr beliebte Compositionen bestehen in 16 Violinconcerten , 7 Sinfonien,
sechs Streichquartetten, 16 Violinduetten, Violin- Sonaten mit Bassbegleitung
und Variationen.
(riovanelli, Rugiero, berühmter Componist der römischen Schule, geboren
um 1.560 zu Velletri, weshalb er auch oft G. da Velletri genannt wurde.
Nanini soll sein Lehrer gewesen sein; jedenfalls stand er noch ziemlich jung
auf einer solchen Stufe der Meisterschaft, dass er 1587 zum Kapellmeister an
der Kirche San Luigi de' Francesi, dann an der des Collegium germanicum in
Rom ernannt und nach dem Tode Palästrina's würdig befunden wurde, 1594
dessen Nachfolger zu Sanct Peter im Vatican zu werden; fünf Jahre später
wurde er auch in das Sängercollegium der päpstlichen Kapelle aufgenommen.
Sein Todesjahr (jedenfalls erst nach 1615) ist nirgends verzeichnet. — G. rauss
zu den ersten Spitzen der von Palästrina und Nanini begründeten römischen
Schule srerechnet werden. Seine Werke, sagt Proske, zeichnen sich durch An-
muth, Reinheit des Styls und harmonischen AVohlklang in einem Grade aus,
dass nur die edelsten Tonbildner sich mit ihm vergleichen lassen. Der ge-
läutertere Geschmack jener Zeit befreundete sich auch alsbald mit G.'s Com-
positionen, wie die zahlreichen Originalausgaben und Anthologien bei italieni-
schen, deutschen und niederländischen Verlegern zur Genüge beweisen. Dem-
ungeachtet ist noch immer ein grosser Theil derselben ungedruckt geblieben.
Von den Arbeiten G.'s überhaupt theilt Baini in seinem Werke über Palästrina
ausführliche Notizen mit ; dieselben bestehen hauptsächlich in mehreren Büchern
fünfstimmiger Madrigale, fünf- bis achtstimmi^er Motetten , dreistimmiger Can-
zonetten, Vilanellen u. s. w., die in der Zeit von 1586 bis 1594 zu Venedig
und Rom gedruckt worden sind. Mehrere Motetten und Psalme von ihm sind
in den von Fabio Costantini 1615 bis 1617 herausgegebenen Sammlungen
enthalten, ebenso Madrigale in vielen anderen aus dem Ende des 16. Jahr-
hunderts stammenden Sammlungen. Unter den in verschiedenen Musikarchiven
Roms befindlichen Kunstschätzen aus der Feder G.'s, wovon besonders die
päpstliche Kapelle einen reichen Vorrath von handschriftlichen Messen, Motetten
und Psalmen aufweist, hebt Baini zwei- und mehrchörige Compositionen, ferner
ein vierstimmiges Miserere mit achtstimmigem Schlussversett, das sehr lange
in der päpstlichen Kapelle gesungen wurde, sowie eine achtstimmige Messe
über Palästrina's Madricjal » Vestiva i colli«, mit besonderer Auszeichnung her-
250 Gippciibusch — Girard.
vor. Proske kennt noch eine Anzahl der auserlesensten, von Baini ungenannt
gebliebenen Coinpositioneu in zwei- bis zwölfstimmigem Satze, die durchgängig
werthvoll sein sollen und wovon eine zwölfstimmige Messe von höchster Schön-
heit und geistreichstem Gepräge ist. Bemerkt sei noch, dass nach Baini's
Verrauthung die von Papst Paul V. angeordnete Correctur des Graduelle roma-
num, welches hierauf in einer Prachtausgabe der Medicei'schen Druckerei in
E,om in den Jahren 1614 und 1G15 erschien, die Frucht vieljährigen Fleisses
G.'s gewesen ist. Jedenfalls hat derselbe die Herausgabe des zweiten Theiles
dieses Werks (1615) noch selbst besorgt.
Gippeiibusch , Jacob, musikgelehrter deutscher Jesuit, 1612 zu Spcicr
geboren, trat 1629 in seinen Orden und lehrte nachgehends in Köln altclassische
Literatur, zugleich als Chordirektor fungirend. Er starb am 3. Juli 1664 und
hinterliess an gedruckten Corapositionen: »Canttones musicae quatuor vocumn;
yyPsalteriolum liarmoiiicitm cantionam catholicarum per anniim quatuor vocihus
conciniiatuma (Köln, 1612); yCantiones et motettac selectissimaa.
Gique, s. Gigue.
Giraffe, ein nach Art des Clavicytherium aufrechtstehender Flügel, eine
Erfindung der Ciavierbaukunst des 18. Jahrhunderts, welche noch in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gebräuchlich gewesen ist, dann aber durch
die verbesserten aufrechtstehenden Pianofortes, die Vorläufer der Pianinos,
gänzlich verdrängt wurde.
Giraldiis Cambreusis, Sylvester, englischer Gottes- und Musikgelehrter,
geboren zu Mainarpa im Cambrischen im J. 1146, widmete sich dem Priester-
stande und erwarb hervorragende Kenntnisse in der Philosophie und Mathe-
matik. Zuerst Archidiaconus zu Brechiu im Norden Schottlands, wurde er
von dort als Bischof von Mans nach Prankreich versetzt. Da G. seiner Ge-
lehrsamkeit wegen vom Könige von Irland auch als Erzieher der königlichen
Kinder berufen wurde, so setzte es der Neid seiner Standesgenossen durch,
dass G. sein Bisthum verlor. Er starb im J. 1210 oder 1214. Unter seinen
Werken befinden sich auch einige, die über Musik handeln, nämlich: in seiner
y>TopoijrapMa Hyberniadj sive de mirahilibus ILjherniae^ (Frankfurt, 1602) die
Capitel 11, 12, 13, 14 und 15, deren Inhalt Walther in seinem musikalischen
Lexikon kurz angiebt; und i)Camhriae descriptio<i, worin viel über die Musik
der Wallenser mitgetheilt und sogar behauptet wird, dass man dort schon länget
mehrstimmig gesungen habe. +
Giranek, Anton, Violinist, Ciavierspieler und Componist, geboren um
1712 in Böhmen, lebte einige Jahre in Prao-, begab sich dann nach Warschau,
wo er in der königl. Kapelle als erster Violinist angestellt wurde und starb
als Musikdirektor zu Dresden am 16. Jan. 1761. — Seine Compositionen, meist
ungedruckt geblieben, bestehen in 24 Violinconcerten und mehreren Concerten
für Ciavier, Flöte und für Gambe. G. ist der Vater der berühmten Sängerin
und Tänzerin Francisca Koch (s. d.).
Girard, französischer Violoncellovirtuose und Componist, geboren um 1735
zu Paris, war seit 1762 im Orchester der Grossen Oper und als Kammer-
musiker des Königs von Frankreich angestellt. Ausser einer Oper hat er
Sonaten und kleinere Stücke für Violoncello componirt. — Ein Pariser In-
genieur, Namens Philippe Henri de G., geboren 1775, gestorben 1845, ist
der Erfinder der sogenannten Pianos octaviants.
Girard, Narcisse, vorzüglicher französischer Violinist und Dirigent, ge-
boren am 27. Jan. 1797 zu Nantes, besuchte von 1817 bis 1820 das Pariser
Conservatorium, an welchem Baillot auf der Violine und Cherubini im Contra-
punkt seine Hauptlehrer waren. Darnach bekleidete er nach einander und
zwar mit grosser Auszeichnung die Orcliesterchefstellungen an der Italienischen
Oper, an der Opera co7}iiqioe und seit Habeneck's Tode 1849 an der Grossen
Oper, bei welcher letzteren er sich mit Meyerbeer's »Propheten« vortheilliaft
einführte. Seit 1847 war er auch Professor des Violiuspiels am Pariser Con-
Giraud — Girolamo di Navarra. 251
servatoriiim. Ex* starb am 15. Jan, 1860; sein Nachfolger als erster Orchester-
direktor der grossen Oper war Greorges Hainl. Von G-.'s "Werken kennt man nur
die kleine komische Oper y>Les äeux voleurs<s., welche bei ihrer Aufführung in
der Opera coinique (1841) viel Glück machte,
Girand, Francois Joseph, französischer Violoncellist und Componist,
war von 1762 bis Ende 1767 Mitglied des Orchesters der Grrossen Oper in
Paris und zugleich Kammermusiker der königl. Kapelle. Sein Ruf als Com-
ponist datirt jedoch schon lange vor dem J. 1762, indem er sehr erfolgreich
Kirchenstücke im Goncert spirituel zur Aufführung brachte, von denen ein »i2e-
qina coelU besonders gerühmt wurde, wie er denn auch gemeinschaftlich mit
Berton dem Aelteren die Oper »Deucalion et Pyrrlia's. schrieb, welche 1755 ge-
geben wurde. Allein componirte er noch die 1762 aufgeführte Oper -Dljopera
de societev. Ausserdem hat er ein Buch Violoncello-Sonaten seiner Composition
veröffentlicht. Er starb um 1790 zu Paris,
Girbert, Christoph Heinrich, talentvoller und fleissiger Componist,
wurde als der Sohn eines armen Dorfpredigers am 8. Juli 1751' zu Fröhn-
stockheim bei Crailsheim in "Würtemberg geboren. Sein Vater starb früh und
Gr.'s zeitig hervortretendes musikalisches Talent erhielt erst einige, wiewohl
mj^ngelhafte Pflege, als sich die Mutter mit einem Geistlichen zu Alten- Schön-
bach bei Kloster Ebrach wieder verheirathete, der den Stiefsohn in Gesaug,
Ciavier- und Orgelspiel unterwies. Bald versah G., so gut es anging, den Orgel-
dienst in der Kirche und erweckte die Theilnahme des Cantors Stadler in
Limbach, der ihn einen Sommer hindurch gründlich unterrichtete. Durch
Selbststudium brachte sich G. hierauf zu ungewöhnlicher Fertigkeit im Ciavier-
spiel und Tonsatz, so dass er sich 1769 in Bayreuth niederlassen und mit
gutem Erfolge Musikunterricht ertheilen konnte. Im J. 1784 trat er in die
Stellung eines Musikdirektors der Schmidt'schen ambulanten Gesellschaft und
brachte sieben seiner meist schon früher componirten Operetten zur Aufführung.
Zwei Jahre später trennte er sich von dieser Truppe und blieb, ausschliesslich
mit Musikunterricht und Composition beschäftigt, in Bayreuth, wo er um 1826
starb. Er hat Sinfonien, Quartette, viele Clavierconcerte, an 20 Sonaten und
Sonatinen u. dergl. geschrieben, die einen leichten und gefälligen Styl bekunden,
aber ohne grössere Tiefe und künstlerische Bedeutsamkeit sind.
Girelli, Santino, italienischer Tonsetzer aus Brescia, von dessen Com-
position fünf- bis achtstimmige Messen (Venedig, 1627) übrig geblieben sind.
Girkeh oder Girkäli nennen die Araber den etwa uuserm ff entsprechenden
Klang ihrer Scala. Die Klänge der arabischen Tonleiter, ungefähr denen der
Männerstimme gleich kommend, benennt man nämlich in der kleinen Octave
jeden mit einem besonderen Namen. Jede tiefere Octave heisst wie die höhere,
nur erhält der Name das Vorwort Qah (s. d.), was so viel als »Haupt«, «Erstes«
bedeutet. Jede höhere, durch Instrumente darstellbare Octave bezeichnet man
mit dem einfachen Tonnamen, ohne Eücksicht, welcher Octave er angehört.
So nennt man z. B. bei Zamr-el-soghayr (s. d.) das y^, (ß und /^ nur schlecht-
weg GirJceh. 0.
Girolamo di Navarra, berühmter spanischer Tonsetzer aus der Mitte des
16. Jahrhunderts, der aber in Italien lebte und dort auch zu Euf und Bedeu-
tung gelangte. So berichtet Arteaga, ohne den dieser Name ganz unbekannt
geblieben wäre, in seiner Geschichte der Oper. Gerber in seinem Tonkünstler-
lexikon von 1812 hält G. für identisch mit Girolamo da Monte del Olmo,
dessen Autorname auf einem gedruckten Motettenwerke steht und von dem
man ebenfalls nichts mehr weiss. — Ein Zeitgenosse G.'s war G, da TJdine,
der sich auf seinem didaktischen Werke »J^ vero modo di diminuire con tuttc
le sorti di strometitivi (Venedig. 15 ? ?) Capo de'' concerti delli stromenti di fiato
della illnstr. signoria di Venezia, d. i. Bathsconcertmeister in Venedig, nennt,
und nach Garzoni's y> Piazza universale di tutte le professioni del mondoa (Venedig,
252 Giroust — Gis-moll.
1585) ein treffliclier Componist gewesen sein soll, was übrigens auch Motetten
von ihm (Yeneclig, 1551) darthun.
Gironst, Fi-angois, französischer Kirchencomponist, geboren am 9. April
1730 zu Paris, erhielt seinen Musikunterricht vom siebeuten Jahre an als Chor-
knabe der Maitrise der Kirche Notredame bei Goulit. Neunzehn Jahr alt,
wurde er Musikmeister an der Kathedrale zu Orleans. Als 1768 der Preis
einer goldenen Medaille für die beste Coraposition des Psalms -nSuper ßuminaa
ausgeschrieben wurde, erkannte Dauvergne, Direktor der Goneerts npirituels in
Paris, zwei von einigen zwanzig Arbeiten als preiswerth; beide waren von G.,
der in Folge dessen 1769 die Musikdirektorstelle an der Kirche de^ Innocents
zu Paris erhielt und 1775 auch als Nachfolger des Abbe Gauzargues zum königl.
Kapellmeister zu Versailles, bald darauf auch zum Intendanten d.Qf^ Hofmusik
ernannt wurde. Die Revolution beraubte ihn aller dieser Aemter, und er starb
in Dürftigkeit am 28. April 1799 zu Versailles. — Seine zablreichen Kirchen-
werke, sowie die Originalpartitur seines Oratoriums »Der Durchgang durch das
rothe Meer« sind im Besitz des Pariser Conservatoriums; Ft'tis bezeichnet diese
Arbeiten als erbärmlich und werthlos gegenüber älteren kritischen Stimmen,
welche dieselben den besten beizählen.
Girsehner, Karl, deutscher Gesangscomponist, geboren 1803 zu Spandau,
machte, besonders unter Zelter und Beruh. Klein, seine Musikstudien in Berlin,
wo er auch 1824 nach Logier's System ein Musikinstitut errichtete. Im J.
1833 begann er die Herausgabe einer musikalischen Zeitung, die nach einjäh-
rigem Bestehen wieder einging. G. selbst wurde in demselben Jahre Organist
an der neuen Kirche, ging aber schon 1835 als Theaterkapellmeister nach
Danzig, bald darauf nach Basel, von dort nach Aachen, wo er die Liedertafel
dirigirte und endlich 1842 nach Brüssel, in welcher Stadt er Organist an der
evangelischen Kirche und Direktor des Gesangvereins »Z'eco deV Allemagneat.
wurde. Als er auch Brüssel wieder verlassen hatte , wusste man lange Zeit
nichts über ihn, bis er in Südfrankreich wieder auftauchte, wo er zu Libourne
im Departement der Gironde im August 1860 starb. — G. war ein ebenso
begabter als gewandter Componist, schrieb viele ein- und mehrstimmige Lieder
und Gesänge, Ciavierstücke, sowie die Opern »TJndine«, «der Vetter aus Bremen«,
«Kuss und Schuss« u. s. w. Ausserdem ist er der Verfasser einer Schrift über
Logier's System und mehrerer Aufsätze in der Berliner musikalischen Zeitung
von Marx.
Gis (ital.: sol diesis, franz.: sol diese, engl.: g slmrp), alphabetisch-syllabische
Benennung des als chromatische Halbtonserhöhung von g erscheinenden und
die neunte Stufe unserer durch Kreuze dargestellten diatonisch-chromatischen
Scala ausmachenden Tones, welcher zu e im Verhältniss der grossen Terz, zu
eis im Verhältnisse der reinen Quinte u. s. w. steht. Zum Grundtone c ver-
hält er sich als übermässige Quinte eigentlich wie 25 : 16; auf gleichschwcbend
temperirten Instrumenten aber muss er, da er auch zugleich als kleine Sexte
von c und kleine Terz von f, also als as zu dienen hat, gleich allen anderen
Tönen eine gewisse Modification (s. Temperatur) seiner Stimmung erleiden.
Als Grundton einer als Haupttonart eines Tonstücks auftretenden Durtonart,
also Gis-diir, wird er der vielen Vorzeichnungen (acht Kreuze) wegen , welche
seine Scala erfordert, um gemäss der Durregel, als diatonische Durscala zu
erscheinen, nicht verwendet; seine Durtonart tritt nur im Laufe der Modu-
lation als Nebentonart auf. Seine Mollscala jedoch ist gebräuchlich. Siehe
Gis-moll.
Gis-dnr (ital.: Sol diesis maggiore . franz.: sol diese majeur, engl.: G sharp
major), die auf dem gis genannten Tone als Grundton errichtete, ihrer vielen
Vorzeichnungen (acht Kreuze) wegen aber nicht gebräuchliche Durtonart (s. Gis),
deren Scala ^«s. ais. his, eis, dis, eis, fisfis heisst; im von C aufsteigenden Quinten-
cirkel würde Gis-dur die neunte Tonart sein.
Gis-moll (ital.: Sol diesis minore, h'anz.: sol diese mineur, engl.: G sharp
Gith — Giudetti. 253
minor) ist der Name der auf dem Tone (jis, gemäss der Mollregel erricliteten
Molltonart. Damit ihre Stufenfolge die natürliche Beschaffenheit der weichen
Tonleiter erhalte, müssen die Töne f, c, d und a um einen halben Ton erhöht,
also in ßs, eis, dis und ais verwandelt werden, und die Tonart Gis-tnoU erscheint,
als Mollijarallele von H-dur mit fünf Kreuzen Vorzeichnung hinter dem Schlüssel.
Ausserdem wird die siebente Tonstufe, fis, wenn sie als Leitton zu dienen hat,
folglich grosse Septime sein muss, durch ein Doppelkreuz um einen zweiten
halben Ton erhöht, also in fisfis verwandelt. — In den Zeiten seit Mattheson,
als man durch ästhetische Interpretation jeder Tonart eine besondere, charakte-
ristische Färbung ablauschen zu müssen glaubte, entging auch Gis-moll diesem
Schicksale nicht. Am prägnantesten fasst sich Schubart, wenn er in seinen
»Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst« phantasirend sagt: »Griesgram, ge-
presstes Herz zum Ersticken; Jammerklage, die im Doppelkreuz hinseufzt,
mit einem Wort: was mühsam durchdringt ist dieses Tones Farbe«. Noch in
Schilling's und Gathy's altem Lexikon ist diese Auslegung wörtlich adoptirt
und sogar durch einige Nuancen bereichert, trotzdem in jener Zeit bereits die
Ueberzeugung von der Nichtigkeit einer Charakteristik der Tonarten allgemeiner
Platz gegriffen hatte.
(jith (indisch) führt Willard in seinem Werke: A Treatise on the Music
of Sindostan etc. pag. 87 als Namen einer der sieben altindischen Sangarten
auf, deren uralte Melodien jetzt kaum noch annähernd wiederzugeben sind. 0.
Gliithith, tr^r!» (hebräisch), eine in mehreren Psalmüberschriften der Bibel
sich vorfindende Bezeichnung, haben verschiedene Ausleger als Namen der
Macjadls (s. d.), eines der grossen assjrrischen Harfe ähnlichen Tonwerkzeugs,
betrachtet, welche Ansicht jedoch gar keine haltbaren Grründe aufweist, denn
die Hebräer kannten diese Harfe zur Zeit Davids wohl noch gar nicht. Nichts'
überhaupt beweist mit Bestimmtheit, dass G. der Name eines gewisse Psalme
begleitenden Musikinstruments war, und selbst die TJebersetzung in's Griechische
giebt für G. h^voi und die Yulgata lateinisch torcularia, was so viel als .»Presse«,
»Kelter« bedeutet und Pfeiffer in seinem Werke »lieber die Musik der alten
Hebräer« p. XXXIII dahin führt, dies Wort als Titel für eine Dichtung zum
Fest der Weinlese zu erklären, welche Auslegung auch wahrscheinlich als richtig
zu erachten ist. 2.
Giti oder Udgätha (s. d.) ist in der indischen Musik der Name für eine
Hhythmusgattung, in der alte Heldenlieder gedichtet worden sind. 0.
Gitter, Joseph, ausübender Musiker und Instrumentalcomponist, war von
1780 bis 1795 Mitglied der Hofkapelle in Mannheim und hat von seiner Com-
position Duos für Violine, für Flöte, drei Quartette für Flöte u. s. w. in Mann-
heim und Mainz veröffentlicht.
Giubilei, Pater Andrea, italienischer Contrapunktist und Tonsetzer der
römischen Schule, war um die Mitte des 18. Jahrhunderts Kapellmeister au
der Kirche des Klosters del San Bambino Gesu zu Rom und wird von Baini
als vortrefflicher Comi^onist aufgeführt, dessen Werke im Manuscripte sich im
Archive der päpstlichen Kapelle befinden.
Giubilo (ital.), die jauchzende Freude, der Jubel, wird mit vorgestellter
Präposition con, ebenso wie das Adjectivum giuhiloso, als Bezeichnung für
den jubelnden, schwungvollen Vortrag der damit bezeichneten Stelle eines Musik-
stücks angewendet.
Giucante oder g-iiielievole (ital.), schäkernd, fröhlich, ist vollkommen iden-
tisch mit dem häufiger gebrauchten giocoso (s. d.).
Giudetti, Giovanni, musikgelehrter italienischer Geistlicher, geboren 1532
zu Bologna, war Kaplau Gregor's XIII. zu Rom und erhielt von diesem Papste
1575 ein Beneficiat an der Hauptkirche des Vaticans. Wie Baini behauptet,
war G. ein Schüler Palestrina's und übernahm mit diesem vereinigt einen Theil
der Verbesserung des Gregorianischen Kirchengesangs, eine Arbeit, der er sich
später ausschliesslich widmete und in deren Interesse er vier Werke veröffent-
254 Giuglini — Giviliaiii.
lichte, nämlich: y>Direcforiiim chori«, 'oGantiis eccles. passionisa, y>Cantus eccles.
ojßcii maj. hehdomadae etc.a und y>I'raefationes in canto fermo juxta ritum sanctae
rom. eccles. emendataea. Von erstgenanntem AVerke erschien 1589, von G. selbst
besorgt, die zweite Auflage, vom letzten 1619 durch Francesco Suriano. Gr.
starb am öO. Novbr. 1592 zu Rom.
Giuglini, Antonio, einer der vorzüglichsten italienischen Tenorsänger
der neuesten Zeit, wurde im J. 1833 zu i^^ermo geboren und seiner schönen
Stimme wegen der Metropolitankirche seiner Vaterstadt als Chorknabe zuge-
führt, in Folge dessen er zugleich eine treffliche musikalische Ausbildung nach
vocaler wie instrumentaler Seite hin erhielt. Als sich in seinen Jünglingsjahren
die schöne Sopran- in eine wahrhaft herrliche Tenorstimme umgewandelt hatte,
wuchs die Aufmerksamkeit, die er von jeher erregt hatte, und es fehlte nicht
an Versuchen, ihn dem Dienste der kirchlichen Muse zu entziehen und ihn
unter Vorhaltung der Aussicht auf Ruhm und Lebensgenuss der weltlichen
Kunst zuzuführen. Aber Gr. widerstand beharrlich den glänzenden Anerbietungen,
bis der Zufall bewerkstelligte, was alle List nicht zu vollbringen vermochte.
Ein Orchestermitglied des Theaters zu Fermo nämlich wurde krank, Gr. nahm
aus Gefälligkeit interimistisch dessen Platz ein und vertauschte bald nachher,
in Folge einer plötzlichen Krankheit des ersten Tenors das Notenpult des Or-
chesters mit den Coulissen der Bühne bei einer Auflführung der »beiden Fos-
cari«. Nach einer Reihe glänzender Erfolge an verschiedenen Theatern seines
Vaterlandes, feierte er seinen grössten Triumph in der Scala zu Mailand. Kaiser
Franz Joseph von Oesterreich, der ihn damals hörte, war von G.'s Leistungen
so entzückt, dass er ihn zum k. k. Kammersänger ernannte und ihn für das
Hofoperntheater zu Wien , da der Impresario Lumley in London ihn bereits
für drei Jahre gewonnen hatte, im Voraus für das Jahr 1860 engagirte. In
London trat G. im Theater der Königin am 14. April 1857 zuerst in Donizetti's
»Favoritin« als Fernando auf, ein Abend, welcher ihn sofort zum ersten Teno-
risten der Saison stempelte. Sodann sang er den Fldgardo in »Lucia von Lam-
mermoor« so gut wie einst Rubini und spielte ihn bessei\ Jede neue Rolle,
in der sein Auftreten angekündigt, wurde mit der grössten Begierde erwartet.
Als gefeierter Künstler verliess G. England, um in Verbindung mit den ersten
Gesangkräften der Lumley'schen Gesellschaft in Deutschland aufzutreten. Im
November 1857 war er in Bei'lin, wo er im königl. Opernhause unter enthu-
siastischer Anerkennung sang. In der Saison 1858 trat er wieder in London
mit unvermindertem Beifall und im August desselben Jahres in den grösseren
Städten Grossbritanniens und Irlands auf. Seit 1860 entzückte er Wien, ent-
sagte aber auf dem Gipfel seines Ruhms dem rauschenden Bühnenleben und
zog sich mit seinen bedeutenden Ersparnissen in seine Heimath zurück. Die
ausgezeichnete Beschafi^enheit seiner im höchsten Grade reinen und wohllauten-
den Stimme, die seltene Vollkommenheit seines Vortrags und die Innerlichkeit
seines Ausdrucks lassen es bedauern, dass er meteorartig nur auf kurze Zeit
erschien, um unerwartet schnell wieder zu verschwinden.
Giuliani, ein in der Musikgeschichte ziemlich häufig vertretener Name von
italienischen Toukünstlern, von denen hier die bekannter gebliebenen folgen.
1) Antonio G., war Cembalist im Orchester des Theaters zu Modena und
brachte dort 1784 die von ihm componirte komische Oper r^Guerra in pacev^
beifällig zur AufiFührung. 2) Cecilia G. geborene Bianchi, eine vorzügliche
Sängerin, deren Blüthezeit in das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts fällt.
Im J. 1790 war sie die Primadonna des Scalatheaters in Mailand, von 1791
bis nach 1796 sang sie, vom Publikum wegen ihrer vortrefflichen Stimme und
Schule gefeiert, in der italienischen Oper zu Wien und leitete zugleich den
Gesangunterricht der Erzherzoginnen. 3) Francesco G., zu Vicenza gegen
Ausgang des 16. Jahrhunderts geboren, ist als Herausgeber einer Sammlung
von Messen (Venedig, 1630) bekannt geblieben. 4) Francesco G., ein viel-
seitig gebildeter Musiker, geboren 1760 zu Florenz, war im Violinspiel Nardini's
Giuliauo Tiburtino — Gizzi. 255
und in der Composition Bartol. Fellce's Schüler, In jungen Jahren bereits
wurde er als erster Violinist im Orchester eines Theaters seiner Geburtsstadt
angestellt und war später auch als Lehrer des Gesangs, Ciavier-, Harfen- und
Violiuspiels sehr angesehen. Als Componist hat er Streichquartette und Violin-
duette herausgegeben, die auch zum Theil in Deutschland gedruckt erschienen.
Im J. 1812 war er zu Florenz noch am Leben und in voller Thätigkeit.
5) Mauro Gr., berühmter Guitarrenvirtuose und sehr beliebter Componist für
dieses Instrument, geboren 1796 zu Bologna, kam bereits 1807 nach Wien,
wo er sehr bald als ausführender Musiker wie als Componist das grösste Auf-
sehen machte, so dass seine Concerte stai'k frequentirt, seine Unterrichtsstunden
sehr gesucht und seine Arbeiten begehrte Artikel waren. Mit Ausnahme einiger
Besuchsreisen in sein Vaterland , verliess er Wien nicht mehr und starb da-
selbst schon im J. 1820. Seine zahlreichen Compositionen für Guitarre stehen
ihrem Werthe nach in der einschlägigen Literatur obenan; sie bestehen in drei
Concerten, Sonaten, Etüden, Bondos, Variationen, Potpourris für eine Guitarre,
Liedern mit Begleitung der Guitarre, zahlreichen Duetten, Divertissements,
Fantasien, Tänzen für zwei Guitarren , einer concertirenden Serenade für Gui-
tarre, Violine und Violoncello, einem Quintett für Guitarre, zwei Violinen, Viola
und Violoncello u. s. w. G. ist auch der Verfasser einer guten Guitarrenschule,
welche mit italienischem und deutschem Text zu Wien erschienen ist.
Griuliauo Tiburtiuo, berühmter italienischer Tonsetzer des 16. Jahrhunderts,
von dem sich in einer 1579 erschienenen Sammlung von Madrigalen, Ricercaren
u. s. w. Willaert's, Cj'prian Bore's u.A. dreistimmige Eicercaren und Fantasien
mit der beigedruckten Bemerkung ■naccommodate da cantare e sonare per ogni
istromentU befinden.
Ginlial, Andreas, beliebter deutscher Kirchcomponist und tüchtiger Musik-
pädagoge des 18. Jahrhunderts, war der Sohn eines aus Italien stammenden
Sprachlehrers iind fungirte bis 1771 am Dom zu Augsburg als Kapellmeister.
Er besass gründliche theoretische Kenntnisse und eine vorzügliche Methode
für den Gesangunterricht, in Folge dessen er zahlreiche gute Sänger für seinen
Kircheuchor heranbildete. Als Componist, namentlich von Kirchenstücken, war
er weit und breit sehr geschätzt, ohne dass jedoch eine seiner Arbeiten in den
Druck gekommen ist.
Griusti, Maria, s. Bulgarelli.
Ginstiuiani waren, wie Demantius in seiner y>Isagoge artis musicae« (Ap-
pendix der Ausg. Jena, 1656) angiebt, »sonderliche Buhlenliedlein in dor Stadt
Bergamo« und wie Prätorius {Syntagma III. 18) hinzusetzt, »meistlich mit drei
Stimmen«.
Ginstiui, Lodovico, italienischer Componist aus Pistoja, von dessen Ar-
beiten um 1736 zwölf Ciaviersonaten zu Amsterdam im Druck erschienen sind.
t
Giusti Roiuauia, Maria, italienische Opernsängerin, die, wie der Beiname
andeutet, aus Born gebürtig war, kam 1725 mit einer Operngesellschaft nach
Breslau und ging im nächsten Jahre nach Prag. An beiden Orten wurde sie
als bedeutende Sängerin gefeiert. Vgl. Mattheson »Musikal. Patriot.«, 43. Be-
trachtung, t
Giusto (ital.), Adjectivum in der Bedeutung richtig, angemessen,
kommt als musikalische Vortragsbedeutung nur in Verbindung mit einem näher
bezeichnenden Hauptworte vor, am häufigsten mit dem Substantiv Tempo.
Tempo giusto bezeichnet daher ein dem Charakter des Tonstücks entsprechen-
des Zeitmaass, das herauszufinden, dem richtigen Gefühle des Spielers oder
Sängers überlassen bleibt.
Gizzi, Domenico, berühmter italienischer Sänger, bewährter Gesanglehrer
^und Componist, geboren 1684 zu Arpino im Königreich Neapel, erhielt seinen
^rsten gediegenen Musikunterricht bei seinem Landsmann Angelio und studirte,
3reits zum geschickten Sänger herangebildet, noch auf dem Gonservatorio di
256 Gizziello — Gläser.
San Onofrio in Neapel neben Porpora und Durante unter Aless. Scarlatti Com-
position . und Contrapunkt. Er war auch schon als Componist für Kirche und
Kammer mehrfach aufgetreten, als er auf den B,ath öcarlatti's hin eine eigene
Singschule errichtete, aus welcher in der Folge Säuger ersten Ranges, wie u. A.
Feo und der Sopranibt Conti, der aus Dankbarkeit für seinen Lehrer den Bei-
namen Gizziello adoptirte, hervorgingen. Im J. 1740 entsagte G. dem Unter-
richtgeben, zog sich in seine Geburtsstadt zurück und starb daselbst im
J. 1745.
Gizitiello, s. Conti.
Giusto, Paolo, italienischer Orgelspieler, wui'de sm 15. Septbr. 1591 zum
zweiten Organisten an der St. Marcuskirche zu Venedig erwählt und verwaltete
diese Stelle bis zum J. 1624. Vgl. v. "Winterfeld, »Gabrieli und sein Zeitalter«
Band I. Seite 199. t
Gläser, Frauz, Componist und Operndii'igent, geboren am 19. April 1798
zu Ober-Georgenthal in Böhmen, wurde im elften Jahre, seiner schönen Alt-
stimme wegen , als Chorknabe in die Hofkapellc zu Dresden gebracht und er-
hielt einen gut musikalischen Unterricht, im Gesänge namentlich von Mieksch.
In den Jahren 1814 und 1815 studirte er nocli auf dem Conservatorium zu
Prag, u. A. auch das höhere Viclinspiel bei Pixis, und vollendete seine Vor-
bereitung bei Heydenreich in Wien durch Studium des Contrapunkts. Als
stellvertretender Dirigent trat er hierauf 1817 zum Josephstädter Theater in
Wien und rückte schon ein Jahr später in die Stelle des wirklichen Kapell-
meisters, die er, alle Bedürfnisse dieser Vorstadtbühne durch seine Compositioneu
deckend, bis 1830 einnahm, in welchem Jahre er einem Rufe als Kapellmeister
des Königstädtischen Theaters nach Berlin folgte. Hier schrieb er u. A. 1833
auf einen Text von Holtei sein Hauptwerk, die Oper »des Adlers Horst«, welche
erfolgreich über fast alle Bühnen Deutschlands ging und noch 1856 im königl.
Opernhause zu Berlin mit Johanna Wagner und 1872 im dortigen Reunion-
Theater aufgeführt wurde. Wie in Wien schuf er auch als Kapellmeister in
Berlin eine grosse Menge von Gelegenheits-Ouvertüren, Singspielen, Zauber-
und Lokalpossen, Melodramen, Einlagestücken u. s. w., die zum Theil jedoch
höchstens eine vorübergehende Bedeutung gewannen. Im J. 1842 wurde er
zum königl. Kapellmeister in Kopenhagen ernannt, in welcher Stellung er noch
einige Opern schrieb, von denen »die Hochzeit am Comer See« (Bryllupet ved
Como soen), Text von Andersen, im Clavierauszuge erschien. G. starb am
29. Aug. 1861 zu Kopenhagen. Ausser den beiden schon genannten, hat er
an Opern noch componirt ; den »Bernsteinring«, »die Brautschau«, den »Ratten-
fänger von Hameln« und »Das Auge des Teufels«, Werke, die wie die meisten
anderen von ihm z. B. »Heliodor«, »die steinerne Jungfrau«, »Peter Stieglitz«
u. s. w., zu den verschollenen zählen. G. war ein sehr befähigter und ge-
wandter Musiker, ^ber als Componist doch höchstens nur ein Routinier, der
mit Anstand die Kunst der Instrumentation und Stimmbehandluiig zu handhaben
wusste, woher es denn auch gekommen ist, dass keine einzige seiner vielen Ar-
beiten sich auf die Dauer zu halten gewusst hat.
Gläser, Karl Ludwig Traugott, deutscher Componist und gründlicher
Musikpädagoge, geboren 1747 zu Ehrenfriedensdorf bei Annaberg, gestorben
als Cantor, Musikdirektor und Seminarlehrer zu Weissenfeis am 31. Jan. 1797,
war ein erfahrener und vielgebildeter Musiker, der sich innerhalb seines eng
umschriebeneu Berufskreises bemerkenswerth auszeichnete. Aussor zahlreichen
Kircheustücken, die jedoch nicht im Druck erschienen sind, componirte er eiiui
Sammlung von Menuetten und Polonaisen aus allen Tonarten, die mit einei-
empfehlenden Vorrede von J. F. Doles, G.'s Freund und Lehrer, versehen,
unter dem Titel »Kurze Ciavierstücke zum Gebrauche beim Unterricht« im
J. 1794 herauskamen. Allgemein bekannt geworden ist von ihm die Melodie
zu dem Liede »Feinde ringsum!« 1791 auf einen Text aus Karl (i ottlob Cra-
mer's Roman »Hermann von Nordenschild« componirt, welche sich bis auf de'
Gläser — Glarean. 257
heutigen Tag volksthümlicli erhalten hat und zu der 1814 Joh. Heinr. Christ.
Nonne den nicht minder viel gesungenen Text »Flamme empor!« gedichtet hat.
— Gr.'s Sohn, Karl Grotthelf Gr., geboren am 4. Mai 1784 zu "Weissenfeis,
erhielt den ersten Musikunterricht vom Vater und vervollkommnete sich in
der Tonkunst als Schüler der Thomasschule zu Leipzig, wo neben Joh. Ad.
Hiller noch Aug. Eberh. Müller im Ciavierspiel und in der Harmonielehre,
und der Concertmeister Campagnoli im Yiolinspiel seine Lehrer waren. Im
J. 1801 bezog er behufs ßechtsstudiums die Leipziger Universität, verliess aber
aus Liebe zur Musik bald die akademische Laufbahn und siedelte als Compo-
nist und Musiklehrer nach Barmen über. Dort übernahm er auch eine Mu-
sikalienhandlung,'die er bis zu seinem Tode, am 16. Apr. 1829, führte. Yon
seinen Compositionen sind einige zwanzig Werke, bestehend in Motetten, Cho-
rälen, Kinderliedern, Sonaten, Fantasien und Variationen für Ciavier u. s. w.
im Druck erschienen, ebenso ein Gesangbuch für das Grrossherzogthum Nieder-
rhein mit leichten Zwischenspielen. Hervorragende Tüchtigkeit darf seinen
Elementarwerken: einem Liederbuch für Schulen, einer praktischen Clavier-
schule, einer Anweisung zum Orgelspielen, einer kurzen Anweisung zum Singen
(für Volksschulen), einem Schulgesangbuch und einer kurzgefassten Harmonie-
lehre zuerkannt werden.
Crläser, Michael, berühmter deutscher Orgelbauer, geboren 1692 zu Gre-
lenau, gestorben 1772, fertigte zwar nur Positive und diesen ähnliche kleine
Werke, war aber in seiner SpeciaUtät so ausgezeichnet, dass weithin die vor-
züglichsten Instrumeutenmacher, wenn sie mit grösseren Werken Positive oder
kleine Brustwerke zu verbinden hatten, dieselben nur von ihm bezogen.
Grlanuer, Kaspar, deutscher Componist, von welchem vier- und fünf-
stimmige geistliche und weltliche Gresänge (München, 1578 und 1580) im Druck
erschienen sind. Diese und andere Arbeiten Gr.'s, welcher als Organist in Salz-
burg angestellt war, findet man noch in der Münchener Bibliothek. f
Glauz, Greorg, deutscher Violinvirtuose aus der letzten Hälfte des 18.
Jahrhunderts, war anfangs herzogl. württembergischer Kammermusiker, verliess
diese Stellung jedoch, um Kunstreisen in Deutschland zu unternehmen. Auch
als Componist hat Gr. sich öffentlich bekannt gemacht. Wenigstens weiss man,
dass er auf einer seiner Reisen in Nürnberg, 1763, verschiedene Solo's eigener
Composition auf seinem Hauptinstrumente vortrug. f
(xlaphyros , altgriechischer Kitharöde, dessen in der sechsten Satyre des
Juvenal Erwähnung geschieht. f
Glareau, Heinrich, berühmter Philologe und Musikgelehrter, einer der
grossen Männer aus der Schlusspeiiode des Mittelalters, die am unermüdlich-
sten und eingreifendsten zur Hebung von Kunst und Wissenschaft beigetragen
haben, hiess eigentlich Heinrich Loris, latinisirt Loritus und war im J. 1488
im Canton Grlarus in der Schweiz geboren, von v/elchem Geburtslande er den
Gelehrtennamen Loritus a Glarea, kurzweg Glareanus annahm. Seine Jugend-
geschichte ist leider in Dunkel gehüllt, und man weiss aus derselben mit Sicher-
heit nur, dass er Musikunterricht von Johann Cochläus, im Theoretischen so-
wohl wie im Praktischen erhalten hat. Dafür, dass er auch als ausübender
Musiker wohl bewandert gewesen, spricht die Thatsache, dass er im J. 1512
dem Kaiser Maximilian eine lateinische Ode eigener Dichtung und Composition
vorsang und dazu selbst die Musikbegleitung führte. Von demselben Kaiser
ist er auch zum kaiserl. gekrönten Poeten ernannt worden. Nachdem er seit
1515 zu Basel Mathematik gelehrt und zu Paris, wohin er auf des Erasmus
Empfehlung berufen worden war, Vorlesungen über Philosophie und schöne
Wissenschaften gehalten hatte, ging er abermals als Lehrer nach Basel, zog
sich aber, als 1529 dort religiöse Unruhen ausbrachen, nach Freiburg im ßreis-
gau zurück. Auch in' dieser Stadt hielt er noch lange öffentliche Vorträge
über Literatur und Geschichte und zog mit dem Klange seines Namens aus
ganz Deutschland her viele Schüler an sich. Mit zunehmendem Alter stellte
Musikal. Convers. -Lexikon. IV. 17
258 Glas.
er jedoch seine Lehrthätigkeit ein und starb in gänzlicher Zurückgezogenheit
am 28. Mai 1563 in der zuletzt genannten Stadt. — Seine musikalisch-theo-
retischen "Werke, welche Klarheit, Schärfe und streng logischer Zusammenhang
höchst bedeutsam aus der betreffenden Literatur des 16. Jahrhunderts hervor-
heben, sind von dem grössten und vortheilhaftesten Einfluss auf das Musik-
wesen ihrer Zeit gewesen und haben ihren "Werth und ihre Wichtigkeit bis
auf die Jetztzeit bewahrt. Es sind: 1) r>Isagoge in musicena (Basel, 1516, laut
Dedicationsvorwort), welches über Solmisation, Mutation, Intervalle, Tonarten
u. dgl. sich auslässt und mit einem Lobgedicht auf die Musik schliesst; 2) das
berühmte Dodecachordon« (Basel, 1547), in welchem die bis dahin schwankende
Lehre von den zwölf Tonarten zum ersten Male festgestellt und in TJeberein-
stimmung mit derjenigen von den Modis der griechischen Musik gebracht ist.
Im ersten der drei Bücher, in welche das "Werk getheilt ist, wird die Lehre
von den acht Kirchentönen, auf welche man sich damals beschränkte, ausein-
ander gesetzt und commentirt; im zweiten stellt der Verfasser durch Hinzu-
nahme von G Jonisch und A Aeolisch seine zwölf Octavgattungen auf und im
dritten ist die Anwendung derselben auf die harmonische und mensurirte Musik
gemacht. Hier befinden sich zahlreiche Beispiele aus Musikwerken des 15. und
16. Jahrhunderts, die sonst ganz verschollen sein würden und für die Einsicht
in die Compositionsweise von Meistern wie Ockenheim, Hobrecht, Josquin
u. s. w., zugleich aber als Produkt ältesten Notendrucks unschätzbar sind.
Einen Auszug aus dem Dodecachordon gab Litavicus Wonegger heraus unter
dem Titel -»Musicae epitome ex Glareani Dodecacliordo<j< (Freiburg, 1557); der
zweiten Auflage dieses Auszugs, welche schon 1559 erschien, war der Lob-
gesang auf die dreizehn Schweizerstädte, gedichtet von Glarean, und von Man-
fred Barbarin fünfstimmig in Musik gesetzt, angehängt. Auf des Draudius
Autorität hin wurde vielfach noch ein anderes "Werk Gr. 's aufgeführt, welches
betitelt »De musices divisione ac deßnitionev. und 1549 zu Basel erschienen sein
sollte. Da aber niemals ein Exemplar dieses Buches ermittelt worden, der
Titel auch identisch mit der Capitel Überschrift des Anfangs des Dodecachordon
ist, so ist mit allem Grrund ein Irrthum voi'auszusetzen. Gr. selbst veranstaltete
übrigens auch eine sehr gute Ausgabe der erhalten gebliebenen "Werke des
Boethius, die sieben Jahre nach seinem Tode (Basel, 1570) erschien und welche
für alle späteren Ausgaben des griechischen Theoretikers benutzt wurde. —
Die grossen Verdienste G.'s um die theoretische Feststellung der Musik sind in
neuester Zeit mehrfach bemängelt, G. hinsichtlich seiner praktischen Entwicke-
lungen theilweise des Dilettantismus beschuldigt und seine Werke weit hinter
die des Seth Calvisius gestellt worden; es dürfte aber doch allzu billig sein,
einen Nachkommen auf Kosten des Vorfahren zu verherrlichen, wenn man die
Antwort schuldig bleiben muss, ob der vom letzteren erreichte Fortschritt ohne
den ersteren möglich gewesen wäre. Hätte Gl, nichts wie die Lehre von den
zwölf statt der bisherigen acht Tonarten (Octavgattungen) aufgestellt, so würde
er uneingeschränkt den grössten Theoretikern der älteren Zeit beigezählt wer-
den müssen.
(jlas (lat. : vitrum), dieses durch Zusammenschmelzen verschiedener Metall-
oxyde mit Kieselsäure entstehende Naturprodukt, welches fast allen Erdvölkern
bekannt ist, und das für die Culturentwicklung des Menschengeschlechts, selbst
heute noch, nächst dem Eisen die höchste Bedeutung hat, ist auch in der uns
nahe liegenden Zeit in der musikalischen Kunst verwerthet worden. Die Er-
findung des G.'s, wahrscheinlich herbeigeführt durch das Schmelzen von Me-
tallen oder Brennen der Thongefässe, muss in sehr früher Zeit an verschiedenen
Culturstätten selbstständig stattgefunden haben. Schon 2000 v. Chr. kannten
die Chinesen das G. und besassen eine ausnehmende Geschicklichkeit im For-
men desselben. Zu Ben-Hassan und Theben in Aegypten findet man auf Wand-
gemälden, die ums Jahr 3500 v. Chr. geschaffen sind, Glasbläser dargestellt,
und in vielen der frühesten Gräber daselbst haben sich Glasbrocken und
Glaschord — Glaser. 259
Thränengläser erhalten. Von den Phöniziern weiss man, dass ihnen die Grlas-
bereitungskunst wahrscheinlich schon ums Jahr 1000 v. Chr. bekannt war und
vermuthet, dass sie dieselbe von den Priestern des Vulkans zu Theben und
Memphis gelernt hatten. Wahrscheinlicher jedoch ist ihre Bekanntschaft mit
dieser Kunst von der ägyptischen wie indischen Culturstätte her. Dafür, dass
auch in letzterer das Gr. in sehr früher Zeit bekannt war und von hieraus her
wahrscheinlich sich die Benennung dieses Stoffes über den Erdball nebenher
ausbreitete, zeugt der jetzt demselben fast überall beigelegte Name G.; im
Sanskrit heisst Kelasa soviel als Demant oder Krystall. Durch die Phönizier
lernten bald alle auf niedrigerer Culturstufe stehenden Völker, mit denen sie
in Berührung kamen, Schmucksachen aus Glas kennen. Die Kunst der
Glasbereitung breitete sich allmälig von einem Volke zum anderen allgemeiner
aus und erreichte im 13. Jahrhundert zu Venedig einen noch heute in mancher
Beziehung bewundernswürdigen Grad der Vollkommenheit, indem sich die Wissen-
schaft schon theilweise derselben dienstbar erwies. Im 18. Jahrhundert jedoch
erlangte diese Kunst, indem sich die Wissenschaft als vollkommene Erläuterin
der Zusammensetzung ausgebildet hatte, eine Vollkommenheit, die bis zur Gegen-
wart sich stets bereicherte durch gleiche Ausbildung der Mechanik und Theorie.
Genauere Kenntniss über diesen Industriezweig geben folgende Bücher: Loysel,
Versuch einer ausführlichen Anleitung der Glasmacherkunst, aus dem Franzö-
sischen (Frankfurt, 1808 und 1818), Knapp, Lehrbuch der chemischen Techno-
logie (Braunschweig, 1847), Lenz, Vollständiges Handbuch der Glasfabrikation
(Weimar, 1851) und andere. In neuerer Zeit fanden sich auch denkende
Köpfe, die besonders Wohlgefallen daran fanden, das G. zur Tonzeugung in
der Kunst zu verwerthen und zu solchem Zwecke diesen Stoff in Glocken-,
Stab- oder Saitenform anwandten. Besonders hat sich Benjamin Franklin,
(s. d.) in dieser Beziehung hervorgethan. Obgleich man nun musikalische In-
strumente, deren Tonzeuger aus G. waren, in mehrfacher Art fertigte und die
Elasticität der Moleküle des Glases auch in der That eine der Erzeugung des
gefühlten Tones sehr fördernde Struktur offenbart: so hat dennoch nur eins
derselben, die Harmonica (s. d.), sich dauernd zu erhalten vermocht. Alle
anderen Tonwerkzeuge dieser Art, wie das Glaschord (s. d.), das Euphon
(s. d.) und der Clavicylinder (s. d.), sind nur kurze Zeit über ihre Er-
findung hinaus in Gebrauch gewesen, und das Glasspiel (s. d.) konnte bisher
nur als angenehme Spielerei zuweilen die Aufmerksamkeit einiger Klangverehrer
auf sich lenken. B.
tüaschord ist die von Benjamin Franklin einem der Tasteninstrumente
gegebene Benennung. Das von Bejer oder Beyer, einem gebornen Deutschen,
im J. 1785 zu Paris erfundene Tonwerkzeug selbst hatte Glöckchen von Glas,
welche von kleinen mit Tuch überzogenen, durch die Claviatur regierten Häm-
mern angeschlagen wurde. Von dem Gebrauch des G. weiss man nur, dass
der Erfinder es einige Zeit öffentlich in Paris ausstellte, und dass der Musik-
lehrer Schack daselbst es gespielt haben soll. lieber die innere Bauart des
G.'s, die wahrscheinlich der der Claviere ähnlich war, ist nichts bekannt ge-
worden; auch hat sich bisher Niemand bewogen gefühlt, ein ähnliches Instru-
ment zu bauen. 2.
Glasena}), Joachim von, ein aus Pommern gebürtiger deutscher Ton-
künstler, ist als Autor des Werks »Evangelischer Weinberg mit anmuthigen
Symphonien gezieret etc.« (Wolfenbüttel, 1651) bekannt geblieben. f
Glaser, Johann Adam, deutscher Philolog, schrieb ums Jahr 1686 zu
Leipzig eine Dissertation: y>Exercitatio philologica de instrumentis Ebraeorum
musicis ex Psalmo IV et Va, die man in ügoUni Tkes. antiquit. sacrar. T.
XXXII p. 157 abgedruckt findet. Vgl. Forkels Geschichte der Musik. —
Johann Michael G., geboren 1725 zu Erlangen, war bis 1774 Violinist der
Anspach'schen Hofkapelle, wurde jedoch 1775 Kammer- und Stadtmusiker in
seiner Vaterstadt, wo er wahrscheinlich in den neunziger Jahren des Jahr-
17*
260 Glaser — Geichauf.
hunderts starb. Von seinen Compositioneu ist als gedruckt nur das op. 1,
welches sechs Sinfonien enthält (Amsterdam, 1748), übrig geblieben. f
Glaser^ Konrad, Inhaber eines grösseren, 1832 begründeten Musikverlags
in Schleusingen, der sich besonders mit Herausgabe von Compositionen für
den Männerchor beschäftigt und durch die Pflege dieser Specialität Ansehen
und Bedeutung in Deutschland erlangt hat,
Glasspiel nennt man die Darstellung einer Melodie durch abgestimmte, in
geeigneter Folge auf ein Resonanz gebendes Gestell geordnete Trinkgläser.
Die Abstimmung der Gläser bewirkt man durch theilweise Füllung derselben
mit Wasser und die Tonerregung entweder durch Streichung des entsprechen-
den Glasrandes mit nassem Finger oder Schlagen der "Wandung des Glases
mit einem betuchten Klöpfel. In der Kunst hat sich das G. bisher keine
Bedeutung erringen können. 2.
Glasätabharmonica nennt mau ein zum Kinderspielzeug dienendes Ton-
werkzeug, dessen Klangkörper gleichbreit geschnittene Glasstreifen sind. Diese
Glasstreifen werden, diatonisch oder chromatisch geordnet, neben einander,
jedoch so, dass sie sich nicht berühren, auf zwei parallel gespannte Seiden-
fädchen geklebt und in einem aus kienenem Holze gefertigten Klangkasten, der
an der obern Seite, in Breite der gespannten Fädchen, eine Oefifnung hat, hori-
zontal ausgebreitet. Den Klang erzeugt man durch Schlagen auf die freiliegende
Stelle der Glasstreifen mit einem Kork, der an einer Fischbeinstange befestigt
ist. Der Klang dieses Instruments ist dürftig, und es lässt sich kaum erwarten,
dass dasselbe je für geeignet zu Kunstzwecken erachtet wird. 2.
GlaacuS) altgriechischer Philosoph aus Rheginus (Reggio) gebürtig, schrieb
nach Plutarch's »Z><? musicaa einen Kommentar über die älteren Dichter und
Tonkünstler, der jedoch zu den verloren gegangenen Schriften des Alterthums
zählt. t
Gleich, Ferdinand, deutscher musikalischer Schriftsteller und Componist,
geboren am 17. Decbr. 1816 in Erfurt, folgte, drei Jahr alt, seinen Eltern
nach Leipzig, in welcher Stadt er den ersten Schul- und Musikunterricht er-
hielt. In Altenburg, wohin die Familie 1831 gezogen war, besuchte er das
Gymnasium und setzte die Musikübung unter C. G. Müller fort, bis er 1842
die Universität in Leipzig bezog und sich gleichzeitig musikalisch von Fink
noch unterweisen Hess. Nach Vollendung seiner Studien war er einige Zeit
hindurch in Kurland als Hauslehrer thätig, machte dann eine grössere Reise,
die sich bis in das südliche Frankreich erstreckte und kehrte endlich zu längerem
Aufenthalt nach Leipzig zurück. Als Theatersecretär siedelte er mit dem
Direktor Wirsing zu Anfange des Jahres 1864 nach Prag über, nahm aber
1866 seinen bleibenden Aufenthalt in Dresden, wo er ein Theatergeschäfts-
bureau eröffnete, mit welchem verbunden er eine Theaterzeitung redigirt und
herausgiebt. Schon früher veröffentlichte er: »Wegweiser für Opernfieunde,
erläuternde Besprechung der wichtigsten auf dem Repertoire befindlichen Opern
nebst Biographien der Componisten u. s. w.« (Leipzig, 1857); »Handbuch der
modernen Instrumentirung für Orchester und Militär -Musikcorps u. s. w.«
(Leipzig, 1860, 3. Aufl. 1872); »Die Hauptformen der Musik, populär darge-
stellt« (Leipzig, 1862); »Charakterbilder aus der neueren Geschichte der Ton-
kunst« (2 Bdchn., Leipzig, 1863); »Aus der Bühnenwelt, biographische Skizzen
und Charakterbilder« (2 Bdchen, Leipzig, 1866). Ein höherer historischer,
kritischer oder ästhetischer Werth ist diesen Schriften nicht beizumessen. G.'s
im Druck erschienene Comi^ositionen , bestehend in leichten Pianofortestücken,
Ciavierduos und Liedern, sind ebenfalls nur für Dilettanten berechnet.
Gleicbauf, Franz Xaver, geschickter deutscher Tonkünstler, lebte als
Musiklehrer in Frankfurt a. M. Seinen geachteten Namen verdankte er haupt-
sächlich den von ihm veröffentlichten trefflichen Arrangements der AVerke Haydn's,
Mozart's, Beethoven's für das Pianoforte zu vier Händen. G. starb im J. 1856
zu Frankfurt a. ^l.
Gleiclien — Gleissner. 261
Gleichen, Andreas, deutscher Musiktheoretiker und Pädagoge, geboren
zu Erfurt am 4. Februar 1625, wurde vierter Lehrer und Musikdirektor am
Gymnasium zu Gera, welchen Aemtern er bis zu seinem Tode am 23. Februar
1693 vorstand. Von ihm erschien 1651 zu Leipzig ein y>Compendium musicum
instrumentalea , dem 1657 ein y>Compendium musicuvi vocalea folgte. — Sein
Sohn, Johann Andreas G., sammelte nach des Vaters Tode alle auf den-
selben bezüglichen Auslassungen und gab dieselben, mit den Bildnissen seiner
beiden Eltern geziert, 1714 zu Dresden heraus. f
Gleicher Contrapunct (latein.: Gontrafunctus aequalis) wird derjenige Con-
trapunct (s. d.) genannt, dessen Noten von gleichem "Werthe mit denen des
Cantus ßrmus sind.
Gleichheit der Stimme nennt man die künstliche Verbindung der ver-
schiedenen Register der menschlichen Stimme, welche Fertigkeit den Sänger
befähigt, einen gleichmässigen Ansatz in allen Lagen seines Stimmorgans mühelos
zu bewerkstelligen. Von Natur hat nämlich jede Stimme verschiedene Register,
welche sich wie bei der Orgel, von welcher her diese Bezeichnung übernommen
ist, durch wesentliche Klangverschiedenheit geltend machen. Wird diese Klang-
verschiedenheit der Stimmregister durch ein sorgfältiges Studium der von der
Gesanglehre aufgestellten Regeln gegenseitig ausgeglichen, d. h. unmerklich
gemacht, spricht die Stimme in allen Lagen gleichmässig an, so erhält die
Stimme die erforderliche Gleichheit.
Gleichmann, Johann Andreas, guter deutscher Componist und musika-
lischer Schriftsteller, geboren am 13. Febr. 1775 zu Bockstadt, erhielt von
früh auf eine gediegene wissenschaftliche wie musikalische Bildung, so dass er
schon 1794 als Hofmusikdirektor in Hildburghausen angestellt wurde. Im
Druck erschienen von seinen Compositionen zwei Liedersammlungen, verbesserte
Melodien der Einsetzungsworte des Abendmahls mit Orgelbegleitung und Duo
für Pianoforte und Clarinette oder Violine. Andere Lieder und Kirchenstücke
von ihm sind Manuscript geblieben. Gediegene Aufsätze von ihm befinden
sich in der Leipz. allgem. musikal. Zeitung und in der Cäcilia. ^- G. starb
am 12. Juni 1842 zu Meiningen.
Gleichmann, Johann Georg, vortrefflicher deutscher Orgelspieler, sowie
Erfinder und Verbesserer von Musikinstrumenten, wurde am 22. Decbr. 1685
zu Steltzen bei Eisfeld geboren. Sein Lehrer im Ciavier- und Orgelspiel war
der Stadtorganist Zahn zu Hildburghausen. Musikalisch und für mechanische
Arbeiten sehr begabt, verfertigte er sich schon als zwölfjähriger Knabe ohne
alle Anleitung ein kleines Ciavier und bald auch noch mehrere andere Instru-
mente. Als Organist zu Schalkau bei Coburg seit 1706, nahm er, auf Antrieb
seines Schwagers, eines Geistlichen, die lange vernachlässigten mechanischen
Arbeiten wieder auf und wurde bei seinen derartigen Versuchen der erste Ver-
besserer des Geigenwerks (s. Bogenclavier). Ein Verwandter von ihm,
Namens Risch, stellte dasselbe 1758 auf Reisen öffentlich aus und verkaufte
u. A. ein Exemplar davon an den Fürsten von Sondershausen. G. selbst bauete
nach dem glücklichen Erfolge seiner Verbesserungen einige Lauten claviere ohne
Bekielung mit einem sogenannten Harfenzuge, die bei ihrem Erscheinen Auf-
sehen machten und theuer bezahlt wurden u. m. A. Mittlerweile war G. 1717
als Organist und Schulcollege nach Ilmenau berufen worden. Dort wurde er
1744 zugleich auch zum Bürgermeister ernannt und starb als solcher hoch-
betagt um 1770. Als Componist ist er in keiner "Weise bekannt gewesen.
Gleichschwehend, gleichschwebende Temperatur nennt man die Stimmung,
welche erzielt wird, wenn man die zu 1000 angenommene Octave in zwölf ein-
ander völlig gleich grosse Halbtöne von je 83,3.3 Stufenweite theilt. S. Tem-
peratur.
Gleichzeitige Bewegung oder gleiche, gerade Bewegung, s. Be-
wegung.
Gleissner, Franz, deutscher Tonkünstler und Erfinder der Notenlitho-
262 Gleitsmaun — Glimes.
graphie, geboren 1760 zu Neustadt an der Waldnaab, entwickelte als Seminarist
zu Amberg bemerkenswerthe Anlagen für Musik und Poesie. Achtzehn Jahre
alt, componirte er bereits ein Requiem für die Funeralien des Kurfürsten
Maximilian Joseph von Baiern. In München vollendete er seine philosophischen
und nicht minder seine musikalischen Studien und fand endlich auch, um 1800,
Anstellung in der kurfürstlichen Kapelle; 1815 war er noch am Leben. Man
kennt von ihm Instrumentalcompositionen verschiedener Art, namentlich 6 Sin-
fonien, ein Oratorium »Lazarus«, Messen und Offertorien, die Operette »der
Pachtbrief«, ein Melodram »Agnes Bernauerin« u. s. w. Gr. war ausserdem der
Erste, welcher Seunefelder's Erfindung der Lithographie auch auf die Verviel-
fältigung von Musikalien in Anwendung brachte. Mit dem Musikverleger
Falter in München zu diesem Zwecke verbunden, gab er 1798 als erstes Pro-
dukt seiner Idee ein Heft Lieder mit Ciavierbegleitung heraus. Im J. 1799
richtete er dem Verleger J. Andre in Offenbach eine Noten-Steindruckerei ein
und besuchte nachmals auch im Interesse seiner Erfindung Wien zu wieder-
holten Malen.
Irleitsmanu, Anton, s. Geleitsmann.
Oleitsmauu, Paul, auch Gleitzmann geschrieben, möglicher "Weise der
Vater des berühmten Lautenisten Anton Gleitsmann, geboren um 1660 als der
Sohn des damaligen Stadtmusikus von Weissenfeis, war ein Compositionsschüler
des Concertmeisters Beer und wurde 1690 Kammerdiener und Kapellmeister
beim Grafen von Schwarzburg zu Arnstadt, in welcher Stellung er am ll.Novbr.
1710 starb. Obwohl zu den gebildetsten Tonkünstlern und beliebtesten Com-
ponisten seiner Zeit gerechnet, ist kein Werk von ihm mehr vorhanden, welches
diesen Ruf auch jetzt noch begründen könnte.
Glettiug'er, Johann, tüchtiger deutscher Orgelspieler und Virtuose auf
mehreren anderen Instrumenten, wurde als Sohn eines Hülfsbeamten an der
Maria-Magdalenenkirche zu Breslau am 20. Aug. 1661 geboren. Musikalisch
trefflich unterrichtet, behandelte er Ciavier, Orgel, Violine, Harfe, Viola da
Gamba, Viola di Bordone und mehrere Blaseinstrumente so fertig, dass er 1684
eine erfolgreiche Kunstreise durch Litthauen, Preussen und Pommern unter-
nahm, in Folge deren er Rathsmusicus in Danzig wurde. Aber schon 1690
folgte er einem Rufe als Ober-Organist an St. Elisabeth in Breslau und starb
als solcher xmd mit dem Namen, einer der besten Orgelspieler Schlesiens ge-
wesen zu sein, im J. 1739.
Glettle, Johann Melchior, einer der fleissigsten und beliebtesten Com-
ponisten seiner Zeit, gebürtig aus Breragarten in der Schweiz, war nach Printz'
Mus. Hist. um 1680 Kapellmeister zu Augsburg und hat sich als solcher seinen
ausgebreiteten Ruf erworben. Gerber führt in seinem alten Tonkünstlerlexikon
G.'s noch bekannt gebliebenen Messen, Motetten, Psalme, Vocalconcerte mit
und ohne Instrumentalbegleitung vollständig an. Darunter befinden sich auch
»36 Trompeter - Stücklein auf 2 Trompeten Marinen« welche dem heutigen
Musikforscher vielleicht von besonderem Interesse sein dürften. t
Glied- und GliedtLeilaccent, s. Accent.
Glieder oder Taktglieder, so viel als Takttheile.
Glimes, Jean Baptiste Jules de, beliebter belgischer Vocalcomponist
und guter Gesauglehrer, geboren am 24. Jan. 1814 zu Brüssel, war von früh
auf Zögling der Musikschule seiner Vaterstadt, betrieb nebenbei noch Harmonie-
lehre bei Hanssens und vollendete seine Studien auf dem neu errichteten
Brüsseler Conservatorium unter Fetis. Im J. 1837 wurde er selbst Gesang-
lehrer an diesem Institute, das er jedoch schon 1840 verliess. Zwei Jahre
später Hess er sich in gleicher Eigenschaft in London nieder, bis er nach
zwanzigjährigem Aufenthalte in der Weltstadt nach Brüssel wieder zurückkehrte.
Als Componist von Liedern und Romanzen hat G. vieles geschaffen, was in
Belgien und Fi'ankreich sehr beliebt und auch populär geworden ist. Im
TJebrigen kennt man von ihm noch einige Ouvertüren und die Musik zu
Glinka — Glocken. 263
dem Ballet »Xa maison hihaJnteea, was alles in Brüssel, wo er noch immer
als Gesanglehrer wirkt, zur Aufführung gelangt ist.
Glinka, Michael von, ausgezeichneter russischer Componist und zugleich
der Begründer der nalional-russischen Oper, geboren im J. 1803 unfern von
Nowospask, zählte Field, der ihn zu einem trefflichen Pianisten ausbildete, zu
seinen ersten Musiklehrern. Im J. 1830 wandte er sich behufs höherer Musik-
studien in's Ausland und ging zuerst nach Italien, wo er an den besten Quellen
Gesang und die alte Tonkunst auf sich einwirken Hess. Um die grossen Lücken
in seiner Kenntniss des Generalbasses und Contrapunkts auszufüllen, nahm er
1833 einen mehrmonatlichen Aufenthalt in Berlin, den er als Schüler S. "W.
Dehn's vortheilhaft verwerthete. Er kehrte hierauf in sein Vaterland zurück
und wurde kaiserl. Kapellmeister und Direktor der Oper und des Kirchenchors
in St. Petersburg, in welchen Stellungen er eingreifend für die Läuterung und
Hebung des künstlerischen Geschmackes in der russischen Hauptstadt wirkte.
Von 1840 bis 1850 war er wiederum grösstentheils auf Reisen, die er bis
Spanien ausdehnte, und auf denen er besonders in Paris sich wiederholt vor-
theilhaft bekannt machte. Im Herbst 1856 kam er in Berlin an, wo er sich
im Umgange mit seinem früheren Lehrer Dehn mit den alten Kirchengesängen
der oströmischen Kirche beschäftigte. Ganz unerwartet starb er daselbst am
15. Febr. 1857. — G. war mit seinen in seinem Vaterlande mit Enthusiasmus
aufgenommenen und auch in der Folgezeit gepflegten Opern »Das Leben für
den Czaren« (1837) und »Eusslan und Ludmilla«, in denen einerseits der Ein-
fluBS des Studiums Beethoven's, andererseits der Meyerbeer's hervorragend er-
sichtlich ist, der Begründer einer russischen Operncomponistenschule, welcher
im weiteren Verlaufe Lwoff, Dargomischky, "Werskowsky, Seroff u. s. w. ange-
hörten. Von seinen übrigen bei seinen Landsleuten hoch angesehenen Com-
positionen sind auch in Deutschland einige Ouvertüren und kleinere Orchester-
stücke, sowie Romanzen und Lieder vortheilhaft bekannt geworden.
Gliro, Giovanni Francesco, ein italienischer Contrapunktist des 16.
Jahrhunderts, von dessen Arbeiten einige in de Antiquis, Frimo libro a 2 voei
de diversi autori dl BarU (Venedig, 1585) sich vorfinden. t
Crliss, Johannes, tüchtiger deutscher Orgelbauer zu Nürnberg in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, hat nach Sponsel's Orgelhistorie Seite 135
in den Jahren 1736 und 1737 in der Lutherischen Stadtkirche zu Erlangen
ein AVerk mit 31 Stimmen gebaut. t
Glissando oder (jlissato, glissicando, glissicato (ital.; französ.: glisse),
Vortragsbezeichnung in der Bedeutung sanft schleifend, gleitend, glatt dahin-
fliessend und mit Vermeidung aller starken Accente. Auf Streichinstrumenten
kann das Glissicato (sowie das Flautando) durch grössere Entfernung des
Bogens vom Stege, wodurch ein reicherer und schmelzenderer Klang hervor-
gerufen wird, auf das Beste bewerkstelligt werden. "Wo sich dieser Ausdruck
in Salon- oder Virtuosenstücken "für Pianoforte findet, zeigt er an, dass die
betreffende Stelle, eine rapid schnelle auf den Untertasten auf- oder abwärts
laufende Passage in der diatonischen Tonleiter, nicht mit gewöhnlichem Finger-
satze, sondern mit einem schnell über die Tasten streichenden oder reissenden
Finger (gemeiniglich dem Daumen, zweiten oder dritten Finger) ausgeführt
werden soll. Man wendet diese werthlose Spielart auch mitunter auf die chro-
matische Tonleiter an; an solchen Stellen streicht der Mittelfinger der einen
Hand glissando über die Untertasten, während die Finger der anderen Hand
die Obertasten schnell und geschickt hineinspielen. Dergleichen Passagen setzt
der Componist auch oft statt G. die Bezeichnung con ttn dito, d. i. mit einem
Finger, bei.
Glocken, (lat. : campanae, nolae; ital.: eampane; fvanz.: cloches), diese kegel-
förmig-cylindrischen, gedeckten, aus den verschiedensten elastischen Stoffen be-
stehenden Hohlkörper, die in allen, von der kleinsten bis zur möglichst grössten
Ausdehnung zu verschiedenen Zwecken gefertigt werden, kannten bereits fast
264 Glocken.
alle Völker der Erde, die über die sogenannte Steinzeit hinaus waren. Die
Tonzeugung bei den verschiedenen G. wird auf zweierlei Art ausgeführt,
entweder mittelst in denselben pendelartig sich bewegender Klöpfel, indem man
die Gr. selbst bewegt, oder durch Hämmer, mit denen man gegen die Aussen-
seite derselben schlägt; ersteres Verfahren nennt man das Läuten der G., letzteres
das Schlagen. Die Geschichte der G. zeigt, nach dein bisher Bekannten
keinen steten Zusammenhang der Erfindung und Nutzanwendung derselben und
ist besonders, je nachdem die Völker dieselben zu Kunstzwecken oder als
Signalinstrumente anwandten, verschieden. In frühester Zeit findet man die
G. bei den Chinesen in Gebrauch, die dieselben zu reinen Kunstzwecken einzig
in der damaligen "Welt verwertheten. Die Geschichte derselben berichtet, dass
sie vom J. 2255 bis 250 v. Chr. nur den Kunstgebrauch der G. kannten,
während sie später die G. nebenbei, um Signale zu geben, ohne Stimmung ge-
brauchten; letztere Anwendung ist in neuester Zeit fast die einzige geworden.
Die Chinesen fertigten die G. nur aus Metall an, das sie als eins der fünf
Elemente erachteten, die die Natur gebrauchte, um die "Wesen der anderen
Körper daraus zu bilden. Im hohen Alterthura gaben sie ihren G.n einen vier-
eckigen und später einen cylindrischen Körper und zwar nach feststehenden
Gesetzen, die entstanden, indem sie jedem Theile derselben eine symbolische Be-
deutung beilegten. Vgl. Amiot, r>Memoire sur la musique des Chinoisu (Paris,
1779). Der Grösse nach unterschieden sie drei Arten der G., die sie Po-, Te-
und Fieyi-Tschung (s. d.) nannten. Tschicng heisst Glocke. Die kleinste G.art
wandten sie zu Musikinstrumenten an, die dem King (s. d.) ähnlich gebaut
wurden. Die Alten hatten diese Instrumente mit zwölf Lü (s. d.) in der
Octave, während man später nur in derselben sieben führte, was besonders seit
dem Kaiser Sui, 1550 n. Chr. der Fall war. Die Masse, aus der die Chinesen
ihre G. gössen , bestand nach des Gelehrten Tschuly INIittheilung aus sechs
Th eilen rothem Kupfer und einem Theile Zinn. Man weiss nicht, ob diese
Erfindung der Chinesen sich über die Grenzen des Reiches ausbreitete, oder
ob man an den andern Culturstätten der Erde dieselbe selbstständig machte.
In Indien findet man die G. meist nur als Klangwerkzeuge; nur in einem
Musikinstrumente, Patlcong (s. d.) genannt, sind sie in einer dem chinesischen
King ähnlichen "Weise in Gebrauch. Assyrien, eine der Urquellen abendländi-
scher Musik, führte bronzene G. M. Layard fand in den Ruinen des Nim-
rud-Palastes deren ungefähr 24, von denen die grössten 8,5 Cm. Höhe und
6,5 Cm. Durchmesser zeigten. lieber die Nutzanwendung der G. bei den
Assyrern haben bisher die Keilinschriften wie Abbildungen nichts verrathen.
Aegypten, die andere Urquelle abendländischer Kunst, kannte ebenfalls im
hohen Alterthume schon bronzene G. und soll sich derselben bei Opfern zu
gewissen Signalen bedient haben. Zu ähnlichen Zwecken haben auch wohl die
Assyrer dieselben benutzt und scheint dieser Brauch bis zum Mittelalter an allen
übrigen Culturstätten der einzige gewesen zu sein. Bei den Hebräern findet
man die G. in den Händen der Priester im Tempel, um den Anfang besonderer
Ceremonien anzudeuten, wie noch heute etwa im katholischen Gottesdienst dies
der Eall ist; ebenso bei den Griechen, Etruskern und Römern, bei letzteren
ausserdem auch ein Klapperinstrument, Bomhulum (s. d.) geheissen, das mit
vielen kleinen Glöckchen versehen war. Erst im Anfange der Ausbreitung des
Christenthums hat man den G. eine neue Beachtung zugewandt , die zur
Schaffung der grösstmöglichsten Bauart derselben führte. Man fand den Klang
der G. höchst geeignet, die Gemeindeglieder zur Versammlung zu rufen und
versah deshalb die Gotteshäuser zur schaulichen Auszeichnung mit Thürmen,
die in sich G. bargen, bestimmt, klangliche Eigenthümlichkeiten zu bieten.
Es geht die Sage, dass im 4. Jahrhunderte der Bischof Paulinus zu Nola in
Campanien zuerst seine Gemeinde durch G.klang versammelte, und dass des-
halb die G. lateinisch campanae genannt würden. "Wahrscheinlicher ist
jedoch, dass dies Name nur daher entstanden, dass man das Metall zu G.
Glocken. 265
aus den Bergwerken Campaniens bezog, weil es besonders wohlklingend war.
In frühester cbristlicber Zeit rief man die Gemeinde, wie schon die Hebräer
gethan, durch Trompetenrufe zusammen, später, wie noch heute in vielen
griechischen Gemeinen, durch Schlagen an metallene Schienen oder aber eines
frei hängenden hölzernen Brettes etc. Erst im 6, Jahrhundert sollen in den
Klöstern der Benediktiner im Abendlande G. in Gebrauch gekommen sein,
sehr bald reichere Stadtgemeinden daran Gefallen gefunden und für ihre Gottes-
häuser grössere sich angeschafft haben, Papst Sabinianus, 603 bis 605 regie-
rend, bestimmte, dass täglich sechsmal geläutet werde, was auf eine schon weite
Ausbreitung der G. zu diesem Zwecke schliessen lässt. In der griechisch-
katholischen Kirche findet man die gleiche Anwendung der G. erst von der
letzten Hälfte des 9. Jahrhunderts an herrschend, und es beginnt mit dieser
Zeit sich ein Luxus hierin zu entfalten, der nicht allein zur Production der
grössten G. führte, sondern auch zur Erschaffung einer Menge für besondere
Zwecke anzuwendenden G. an demselben Orte, die man dem entsprechend be-
nannte. Man kannte Ehren-, Schand-, Sturm-, Eeuer-, Feierabend-, Bet-,
Armensünder-G. und andere. Von den grössten G. der Erde seien hier nur
wenige angeführt, da diese genügend belegen, wo bis jetzt die Grenze der
G.grösse ist; jedes Reich hat in dieser Beziehung viele bemerkenswerthe Beispiele
aufzuweisen. Die grösste Moskauer Glocke, wahrscheinlich auch die der "Welt,
Iwan Wielke genannt, wog 240,000 Kilogramm, hatte eine Höhe von 7,5 Meter,
eine Dicke von 0,6 Meter und einen Umfang von 20 Meter; sie war aus Bronze.
Peking besitzt eine eiserne G., die 62,500 Kilogramm schwer und 4,55 Meter
hoch ist; Kaiser Yong-lo Hess dieselbe 1403 giessen. Die grösste G. Deutsch-
lands soll im mittleren Domthurme zu Olmütz hängen und 17,900 Kilogramm
schwer sein, — Zieht man nun, nach dieser Entwickelung der G. als Signal-
instrumente im Abendlande, deren Anwendung zu Kunstzwecken in Betracht,
so ergibt sich, dass umgekehrt wie im fernen Osten, wo in grauester Vorzeit
die G. nur zu Kunstzwecken in Gebrauch genommen wurden, allmälig dieser
Brauch sich verlor, um deren Benutzung als Signalwerkzeuge ohne festgestell-
ten Ton Platz zu machen und jetzt nur noch selten die ursprüngliche Ge-
brauchsweise modificirt stattfindet: im Abendlande die Nutzanwendung derselben
sich entfaltet hat. Zuerst wandte man den G. im Abendlande in der Zeit
von 1000 bis 1400 die Aufmerksamkeit in Bezug auf Tonhöhe zu. Das Cym-
halum (s, d.) erhielt um diese Zeit gestimmte Glocken, die von dem Instru-
mentisten mit hölzernem Schlägel tönend erregt wurden und bald darauf einen
Mechanismus, der die Thätigkeit des Spielers ausführte und den Namen
Flagellum. Dies Instrument bahnte den sich im 15. Jahrhundert auf Kirch-
thürmen einbürgernden Glockenspielen oder Carillons (s. d.) den "Weg. Wenn
man in neuester Zeit an diesen, in den reichen Niederlanden besonders zu deren
Blüthezeit sehr gepflegten Glockenspielen auch nicht mehr das "Wohlgefallen
wie ehemals findet, so sucht man doch die einmal vorhandenen derartigen Kunst-
werke als Absonderlichkeiten zu erhalten. — Beachten wir die Fabrikation
der abendländischen G. , so ergiebt sich, dass fast überall jetzt dieselben aus
gleicher Masse, Glocken gut (s. d.) genannt, durch Guss stattfindet. In der
Zeit von 600 bis 1000 unterschied man gegossene (vasa fusilia) und geschmie-
dete (producUUa) G., berichtet Mönch von St. Gallen Tom. I c. 29. Erstere
waren aus Bronze und Silber, letztere aus Eisen. Man producirte letztere,
indem man sie aus mehreren Blechen mit kupfernen Nägeln zusammennietete.
Eine solche genietete G. befindet sich unter dem Namen »Saufang« in der
Cäcilienkirche zu Köln; sie datirt, der Heb erlief erung zufolge, aus dem Anfange
des 7. Jahrhunderts. Sie ist 40,6 Cm. hoch und oval gebaut, so dass ihre
Weite am untern Rande 36 zu 23 Cm. beträgt. Auch mag hier dessen ge-
dacht werden, dass man in einzelnen katholischen Gegenden in der Charwoche
mit hölzernen G. läutete, so wie dass man in Abyssinien auch G. von Thon
oder Stein in Gebrauch hat. Man hat durch Erfahrung und Wissenschaft
266 Glockeucymbel — Glockengut.
gefunden, dass ein richtiges Verhältniss zwischen den Ausdehnungen der Einzeln-
theile der Gr. hinsichtlich der Erzeugung des Schalles von hoher Wichtigkeit
und keineswegs unwesentlich ist, weshalb von den in Bezug auf die Gestalt
der G. festgestellten Regeln im Abendlande gar nicht, oder nur in unbedeu-
tendem Grade abgewichen wird , ganz gleich , in welcher Grösse dieselben ge-
schaffen werden. Die wesentlichsten dieser Regeln, allgemein ausgedrückt, sind
etwa folgende; die grösste "Weite erhält eine Glocke an ihrer Mündung. Die
grösste Metalldicke haben die Glocken in ihrem Schlagringe oder Kranze,
jenem Theile, gegen welchen der Klöpfel schlägt. Im Obersatze beträgt die
Metalldicke nur ein Dritttheil der des Kranzes. Der Durchmesser des Haube
oder Platte genannten G.rjtheils steht zu dem der Mündung im A-^erhältniss
von 1:2. Der Klöpfel oder Schwengel richtet sich in seiner Schwere nach
dem Gewicht der Glocke, zu der er gebraucht werden soll; er, aus Schmiede-
eisen gefertigt, erhält ^i^f^ des Glockengewichts. Ausführlicheres über die Ge-
staltung der G. bietet Zamminer in seiner »Akustik« (Giessen, 1855), Seite
430 nebst Abbildung. Ferner weiss man, dass sich der Ton der G. nach den
einfachen Gesetzen der Plattenschwingungen bestimmt. Bei G. von geometrisch
ähnlicher Gestalt aus gleicher Substanz verhalten sich daher die Schwinguugs-
zahlen derselben umgekehrt wie entsprechende lineare Ausdehnungen, oder um-
gekehrt wie die Kubikwurzeln ihrer Schwere. Eine G., die die höhere Octave
einer andern aus gleichem Gut geben soll, muss daher in der Form derselben
ähnlich ijfestaltet werden, in Weite, Höhe und Dicke die halben Ausdehnungen
zeigen und im Gewicht achtmal geringer sein. Von allen nach diesen Regeln
gegossenen G. aus der gebräuchlichen G.nspeise kann man, mit Hilfe der
akustischen Gesetze: Schwere, Durchmesser, Höhe etc. und Eigenton bestimmen.
Wenn nun eine G. von 0,834 Meter unterem Durchmesser 320 Kilogramme
Gewicht haben muss und einen Ton, der dem c^ sehr nahe kommt, erzeugt,
so lassen sich hiernach Durchmesser und Gewicht der Octaven dieses Klanges
mit Leichtigkeit feststellen, wie nachfolgende Uebersicht darlegt:
Ton. Durchmesser. Gewicht der Glocke. Gewicht des Klöpfels,
c 3,33 Meter 20480 Kilogramme 512 Kilogramme.
c^ 1,66 „ 2560 „ 64
c2 0.83 „ 320 „ 8 „
c^ 0,415 „ 40 „ 1
Mit Zuratheziehen einer Verhältnisstabelle der Klänge innerhalb einer Octave
wird man, wie leicht zu erkennen ist, die Eigenheiten jeder G., je nachdem
der Eigenton derselben sein soll, festzustellen vermögen, was in so fern von
grosser Bedeutung ist, da man gern harmonische Geläute schafft. Noch Ge-
naueres über die G. und deren Fertigung findet man in Lannay's »vollkom-
menem Glockengiesser« (Quedlinburg, 1834); Otte's »Glockenkunde«, (Leipzig,
1858) und Hartmann's »Handbuch der Metallgiesserei« (Weimar, 1863).
C. Billert.
Glockencymbel, nennt man mitunter das bei den Hebräern unter der Be-
nennung Methsiloih (s. d.) geführte Tonwerkzeug. — Auch heisst jetzt der
kurzweg Oymbel oder Cymbalum (s. d.) genannte Orgelzug öfter G. 2.
Glockengut, Glockenspeise oder Glockenmetall (ital.: hronzo, franz.: hronce)
nennt man das Material, aus dem Glocken gegossen werden. Ehe man in der
Mischung des G.'s zu einem festen Abschluss gelaugte, hat dasselbe verschiedene
Wandlungen durchgemacht; stets waren jedoch Kupfer und Zinn die Haupt-
bestandtheile desselben und nur die Verhältnisse derselben verschieden. Einige
dieser Wandlungen mögen hier eine Stelle finden. Thomson's Analyse alt-
englischen G.'s ergab, dass dasselbe aus 80 Proc. Kupfer, 10,1 Proc. Zinn,
5,6 Proc. Zink und 4,3 Proc. Blei bestand. Heyl untersuchte das G. des
Glockenspiels zu Darmstadt, 1670 gegossen, und fand in einer h^ gebenden
Glocke 73.94 Proc. Kupfer, 21,67 Proc. Zinn, 1,19 Proc. Blei, 2,11 Proc.
Glockenschlag — Glockenwagen. 267
Nickel und 0,15 Proc. Eisen. Derselbe Forschier behauptet, dass ein Gr. von
79 Proc. Kupfer und 20 Proc. Zinn durchaus nicht die Klangfarbe obigen
Gutes besass. Mag nun später das Bekanntwerden der Analyse des Gutes,
aus dem die Chinesen ihre Gongs (s. d.) und Becken (s. d.) fertigen, auf die
Zusammensetzung des G.'s eingewirkt haben oder nicht, genug, in neuester
Zeit befleissigt man sich, nur dieselbe Metallmischung als G. zu verwerthen;
diese besteht aus 78 Proc. Kupfer und 22 Proc. Zinn. Zusätze anderer Me-
talle benachtheiligen gewöhnlich nur die Qualität des Klanges. Blei und Zink
allein ergeben sich als am wenigsten den Ton benachtheiligend und werden
deshalb, wenn mau die Kosten der Masse etwas verringern will, öfter zugesetzt.
G. zu kleineren Glocken pflegt man aus Specialgründen auch wohl anders zu-
sammenzusetzen. So besteht z. B. das Metall zu Uhrglocken aus 75 Proc.
Kupfer und 25 Proc. Zinn; das zu weissen Tischklingeln aus 80 Proc. Zinn
und 17 Proc. Kupfer; und das gewöhnlicher Hausglocken aus 80 Proc. Kupfer
und 20 Proc. Zinn. Ja, man kennt auch noch unter besonderer Benennung
eingeführte Glocken von ganz abnormer Mischung, wie das Metal d^ Alger, in
Frankreich sehr beliebt, welches aus 19 Proc. Zinn, 1 Proc. Kupfer und etwas
Antimon besteht; so wie von Autoritäten empfohlene Mischungen zu G., wie
die von Dr. Kastner empfohlene: SOO Proc. Zinn, 17 Proc. Kupfer, 5 Proc.
Wismuth, 7 Proc. Zink und 1 Proc. eisenfreies Antimon. Diese Mischung
sollte ein G. bilden, das einen vollen reinen Glasklang habe. Mögen Sonder-
zwecke und Kunstbestrebungen bisher noch so viel Legirungen empfohlen
haben, so hat dennoch keine dem oben erwähnten normalen G. den Rang
streitig machen können, besonders wenn man es zu Glocken, die zu Kunst-
zwecken verwandt werden sollten, benutzen wollte. 2.
(xlockenschlag, s. Glöcklein.
Glockenspiel (franz.: Carillon, Camp an et; ital. : Campanetta). Das
"Wesentlichste über die also genannten Schlaginstrumente suche man unter dem
Artikel Carillon (s. d.), weil diese Instrumente meist unter letzterem Namen
bekannt sind. Die deutsche Benennung G. oder Glockenzug findet man
jedoch fast einzig für ein E-egister in Gebrauch, das zu den Nebenstimmen der
Orgel gezählt wird. Viele in der Front der Orgel angebrachte abgestimmte
Glocken, oder in dem Werke befindliche, die auf einer vierkantigen eisernen
Stange befestigt sind, ähnlich den Glocken einer Harmonica, werden durch
Hämmer, welche mittelst der Tastatur regiert werden, tönend erregt. Gewöhn-
lich beginnen die Glocken erst mit dem c oder g und gehen dann in chroma-
tischer Folge bis zum höchsten Orgelklange. Oft hat man aber auch tieferen
Tönen den Glockenbeiklang verliehen und findet dann, dass die grössten Glocken
doppelt benutzt werden; erstens mit den gleichen Orgelklängen und zweitens
mit der nächst tieferen Octave. Das Glockengut (s. d.) zu den in den G.n
der Orgel verwandten Glocken ist meistens die allgemeine unter diesem Namen
bekannte Metalllegirung, seltener Silber und noch seltener Messing. Zuweilen
findet man in G.n gläserne oder porzellanene Glocken, die dann schaalenförmig
geformt und wie in der Harmonica geordnet sind. In jüngster Zeit wird auch
dies Orgelregister nicht mehr gebaut. 2.
(Jlockenton (ital.: nota sostenuta), eine Gesangmanier, die in einer viel-
fachen, vom Piano schnell zum Forte übergehenden Messa di voce, oder einem
rasch abwechselnden An- und Abschwellen oder Schwingen auf dem einzeln
getragenen Ton besteht und, besonders von einer gut geübten weiblichen
Stimme ausgeführt, eine glockenähnliche Wirkung auf das Gehör ausübt.
Grlockeuwagen oder Falinenwagen (ital.: Carroccio) hiess in mittelalter-
licher Zeit ein Palladium, das zur Anfeuerung der Heere in kritischen Mo-
menten benutzt wurde und zugleich zur Zierde einer Streitmacht diente. Dies
Palladium bestand aus einem Wagen, der von kostbar aufgeschirrten Bindern
gezogen wurde und in einem Gestell eine Glocke trug, die geläutet wurde,
wenn entweder Gefahr diesem Palladium drohte, oder das ganze Heer fromme
268 Glöckchen — Glöggl.
Handlungen verrichten sollte. Dazu kamen noch Fahnen, welche als die gröss-
ten Heiligthümer der Streitmacht betrachtet wurden, geharnisclite Krieger zur
letzten Yertheidigung desselben, und Trompeter, die Kriegssignale für Alle zu
geben hatten. Unter den italienischen Wagen dieser Art zeichnete sich beson-
ders der der Mailänder aus, dessen Erfindung und Einrichtung zu einem wahren
Prunkgeräth ums Jahr 1138 man dem Mailändischen Erzbischof Aribert zu-
geeignet hatte. Vgl. die Beschreibung dieses Heillgthums bei F. v. Raumer,
Geschichte der Hohenstaufen V. S. 569. 0.
Glöckchen (ital.: campanelli; franz.: clochettes) nennt man sehr kleine Grlocken.
Die an der sogenannten türkischen Fahne befindlichen führen auch den Namen
Clochettes, und die an der "Welle des Cymbalsterns der Orgel schlechtweg
Cymbeln. — G. oder Glockenschlag nennt man auch eine Klangart bei
den kleinen Streichinstrumenten. "Wenn man auf der Violine oder Viola eine
freie Saite recht kräftig und rein anstreicht, den Bogen aufhebt und die Ton-
zeiigung mittelst sanften Reissens der Saite mit einem Finger unterstützt, so
hört man, bei einem gutgearbeiteten Instrumente, einen dem Klange einer
Glocke ähnlichen Ton. Kann man G. auf allen Saiten eines Instruments er-
zeugen, so geben diese Zeugniss für die vorzüglich gleichmässige Ausarbeitung
und für den guten Bezug desselben. 2.
Glöckleinton, Glockenton (lat.: sonus faber, richtiger sonus fahri)
nannten die alten Orgelbauer ein weit mensurirtes, ofi"enes Pfeifeuwerk von
Metall, das 0,6-metrig gebaut wurde und dem Tone einer schönen Glocke nahe
kommende Klänge erzeugt haben soll. "Walther sagt, dass in der Görlitzer
Orgel eine solche Stimme noch in seiner Zeit vorhanden, die klänge, »als ob
man mit einem Hammer auf einen wohlklingenden Amboss schlüge«. Von
guter "Wirkung soll diese Orgelstimme gewesen sein, Avenn man sie mit Quinta-
tön (s. d.) 5 Meter gross, zog und zu schnellen Passagen unter schwacher
Begleitung mittelst eines andern Manuals anwandte. So behaupten Walther
und Boxberg. Jetzt findet man diese Stimme fast in keiner Orgel mehr.
2.
Glöggrl, Franz Xaver, theoretischer und praktischer deutscher Musiker,
geboren am 21. Febr. 1764 zu Linz, erhielt eine gründliche Ausbildung im
Singen und auf mehreren Orchesterinstrumenten und wurde nachgeheuds Di-
rigent des Theaterorchesters seiner Vaterstadt. In dieser Stellung gründete
er zuerst eine Musikalien-Leihbibliothek, sodann eine Musikalienhandlung und
betheiligte sich sowohl mit Geldmitteln als auch schriftstellerisch an einer in
Linz damals erscheinenden musikalischen "Wochenschrift. Im J. 1790 wurde
er zum Stadtmusikdirektor und 1798 zum Domkapellmeister in derselben Stadt
ernannt, nachdem er inzwischen auf eigene Rechnung das Theater daselbst so-
wie in Salzburg geführt hatte. Im J. 18.32 feierte er sein fünfzigjähriges
Künstlerjubiläuni und mag wohl noch einige Jahre darüber hinaus gelebt haben.
Man hat mehrere theoretisch- und didaktisch-musikalische "Werke von ihm,
darunter z. B. »Allgemeine Anfangsgründe der Tonkunst« (Ofi'enbach bei Andre)
und »Erklärung des musikalischen Hauptcirkels« (Linz, 1810). — Von seinen
Söhnen war Franz G., Musikalienhändler in Wien, ferner Archivar, Concert-
arrangeur und Factotum der Gesellschaft der Musikfreunde, der hervorragendste.
Geboren im J. 1797 zu Linz, kam er nach Wien, wo er Chordirektor wurde
und gründete 1843 eine Musikalienhandlung, die er in den letzten Jahren seines
Lebens an Ad. Bösendorfer übergehen Hess. Mit seinem Verlage verbunden,
gab er von 1852 bis 1860 die »Neue Wiener Musikzeitung« heraus, die er
auch selbst redigirte. Mit Musik eng und liebevoll verwachsen, hat er sich
auch um den Musikunterricht vielfach verdient gemacht. Er begründete u. A.
im J. 1849 die Akademie der Tonkunst in Wien, die bis zum J. 1853 be-
stand. Die von ihm ebenfalls in das Leben gerufene Gesangschule »Polyhymnia«,
welcher er bis zu seinem Tode als Lehrer vorstand, erfreut sich sogar noch
gegenwärtig vieler Theilnahme. Auch der Wiener Chorregenten- Wittwen- und
Glösch - Gloy. 269
"Waisen-Pensionsverein verdankt Gr. sein Entstehen. Die "VVelt dankte dem für
die Tonkunst in aufopfernder, rastlos thätiger Weise überall eintretenden Manne
durch zahlreiche Auszeichungen ; so wurde er im Laufe der Zeit zum Ehren-
mitglied des Mozarteums in Salzburg, der Philharmonischen Gresellschaft in
Graz und mehrerer Musikvereine ernannt. Gr. starb nach längeren Leiden am
23. Januar 1872 zu Wien.
Glöscli, Karl Wilhelm, bedeutender deutscher Virtuose auf der Flöte
und dem Claviere, wurde 1732 zu Berlin geboren und von seinem Yater, dem
von Telemann sehr geschätzten königl, Preussischen Kammermusiker und Oboe-
virtuosen Peter Gr., musikalisch ausgebildet. Seit 1765 war er als Kammer-
musiker und Musiklehrer der Prinzessin Ferdinand von Preussen angestellt
und behauptete bis zu seinem am 21. Oktbr. 1809 zu Berlin erfolgten Tode
den Ruf, auf seinen Instrumenten einer der fertigsten Virtuosen seiner Zeit
zu sein. Er componirte Concerte und Trios für Flöte, Claviersonatinen , die
Operette »der Bruder Graurock und die Pilgerin« ( Ciavier auszug, Berlin, 1788
bei Rellstab), die lyrische Komödie ytL'oracle ou la fete des vertust (1773) u. s. w.
Gloria (lat.). Nach diesem Anfangsworte wird kurz der ganze, sogenannte
»englische Lobgesang« (richtiger der Lobgesang der Engel, lat. Jiymnus angelicus)
genannt, welcher in der Messe der katholischen Kirche nach dem Kyrie ein-
gefügt ist und der Reihenfolge nach den zweiten Chor der heiligen Handlung
bildet. Er wird auch die grosse Doxologie genannt und besteht aus dem
Hymnus, welchen nach Luc. 2, 14 die himmlischen Heerschaaren bei der Ge-
burt Christi gesungen haben sollen: rtGloria in excelsis deo et in terra pax
hominibiis honae voluntatis« mit verschiedenen Zusätzen, deren Urheberschaft
theils dem Papste Telesphorus, gestorben 139, welcher zugleich die Vorschrift
ertheilte, dass das G. bei der Messe gesungen werde, theils dem heiligen Hi-
larius (Ende des 4. Jahrhunderts) zugeschrieben wird, letzterem jedoch nur
insofern, als er diesen Lobgesaug aus dem Griechischen übersetzt habe. An-
fangs war in der Choralmelodie, wie auch das Graduale Sanofi Gregorii, gemäss
dem Zeugnisse Radulf's von Tungern, ausweisen soll, jeder Sylbe nur ein Ton
zuertheilt; später wurden zur Ausschmückung bei grösseren Feierlichkeiten an
manchen Stellen mehrere verzierende Noten oder Neumen angebracht. Wie
bei anderen abgesungenen Gebetsgesängen, so glaubte man auch dem G. Zu-
sätze und Paraphrasen, sogenannte Tropen (s. d.) verleihen zu dürfen, was
jedoch bald verboten wurde. Das G. wird in allen Messen gesungen; ausge-
nommen sind einige Votivmessen, dann die Missa de Requiem, sämmtliche
Ferialmessen und die an den Sonntagen der Advent- und in der Fastenzeit,
überhaupt diejenigen Messen, welche in violetter oder schwarzer Farbe gelesen
werden. Im kirchlichen Gebrauche sind vier Melodien des G.: die in dupUcihus,
die in festis heatae virginis Mariae, die in semiduplicihus und die in simplicihus,
deren Intonationen jedes römische Missale aufweist. — G. nennt man auch
noch mitunter an der Orgel den mittleren, au älteren AVerken mit musicirenden
Engeln, einem König David und ähnlichen Zierrathen gewöhnlich reich ausge-
schmückten Theil des Prospectes.
Glottis (griech.), d. i. die Stimmritze (s. Stimmorgan). Davon ab-
geleitet nannten schon die Griechen gleichermaassen auch das Rohr, mit wel-
chem die Rohrinstrumente, ähnlich wie bei uns Oboe, Fagott u, s w. ange-
blasen wurden.
Glovex*, Stephen, fruchtbarer und beliebter englischer Gesangscomponist,
geboren 1813, hat sich durch zahlreiche Gesänge und Lieder leichterer Gat-
tung einen Namen in seinem Vaterlande gemacht. Er starb am 7. Decbr. 1870
zu Bayswater.
Glowatz, Heinrich, deutscher Orgelbauer zu Rostock, fertigte daselbst
im J. 1593 ein Werk mit 39 Stimmen an, dessen Disposition Praetorius in
seiner Synt. Mus. T. II p. 164 aufgezeichnet hat. t
Gloy, Johann Christoph, sehr geschätzter devitscher Basssänger und
270 Gluck.
Schauspieler, geboren am 10 Febr. 1794 zu Lübeck, sollte, trotz ausgesprochener
Neigung für Theater und Musik, Theologie studiren. Diesem Zwange zu ent-
gehen, floh er im Winter 1810 zu Fuss nach Hamburg, wurde, nachdem er in
Altona einen der Knaben in der »Zauberflöte« gesungen hatte, auf vier Jahre
engagirt und söhnte sich erst nach dieser Zeit und nach einem bunten Reise-
leben in Holstein mit seinen Eltern aus, die den Sohn seinem "Willen nun
folgen Hessen. Im J. 1815 sang er in Hamburg den »Jacob in Mehul's Joseph«
mit solchem Erfolge, dass er sofort engagirt wurde. Als eines der vielseitigsten
und umsichtigsten Mitglieder dieser Bühne geschätzt, war und blieb er seitdem
der Liebling des Publikums. Als besonders ausgezeichnet galt er in Bufi"o-
parthieu der Oper und in den sogen. Väterrollen des recitirenden Schauspiels.
Auf Gastspielreisen hat er diesen guten Huf auch in andern Städten Nord-
deutschlands bewährt.
Gluck) Christoph Willibald Ritter tou, der Reformator der Oper und
Vater des musikalischen Dramas, wurde am 2. Juli 1714 zu Weidenwnng bei
Neumarkt in der Oberpfalz, unweit der bairisch-böhmischen Grenze, geboren.
Seine Eltern nahmen, wie so häufig die Erzeuger unsterblicher Söhne, eine
höchst bescheidene Lebensstellung ein. Der Vater: Alexander G., war an-
fänglich Büchsen Spanner des berühmten Prinzen Eugen von Savoyen nud endete
als Förster des Fürsten Lobkowitz. Von seiner Mutter Walburga weiss man
nicht viel mehr wie ihren Namen. Jedenfalls durfte sich Gr., als der Sohn
eines Jägers und seiner Eheliebsten, einen echten Sohn des Volkes nennen. —
Wie das Kind, das die Welt von sich reden machen sollte, drei Jahre alt war
(1717), siedelte sein Vater nach Böhmen über. Den Eltern gebührt das Ver-
dienst, dafür gesorgt zu haben, dass der Knabe, trotz ihrer beschränkten Ver-
hältnisse, eine für die damalige Zeit sehr gute Erziehung erhielt. Von seinem
12. bis zu seinem 18. Jahre (1726 — 1732) besuchte der junge G. das der
Lobkowitz'schen Herrschaft Eisenberg benachbarte Städtchen Kommotau. Er
absolvirte auf dem dortigen Jesuiten-Seminar nicht nur seine Gymnasialstudien,
sondern erhielt auch daselbst seineu ersten Unterricht auf der Geige, dem
Ciavier, der Orgel und im Gesänge. Die Musikertribüne der mit dem Seminar
verbundenen Ignatiuskirche war der Schauplatz dieser seiner frühesten musi-
kalischen Thätigkeit, Die guten patres Jesuitae liessen sich wohl nicht träu-
men, dass ihr fleissiger Zögling zu einem Wiedererwecker der Herrlichkeit
classischen Heidenthums und des mit ihm verbundenen Cultus des Schönen,
Erhabenen und rein Menschlichen heranwachsen werde. Das Jahr 1732 führte
den begabten Jüngling nach Prag. So lange die spärlichen Beiträge aus dem
Elternhause noch flössen, setzte er hier sowohl seine höhere tonkünstlerische
Ausbildung, wie seine wissenschaftlichen Studien fort; als jene Zuschüsse aus
der Heimath aber ausblieben, sah er sich genöthigt zur Fristung seiner Existenz
selber Unterricht zu ertheilen. Durch die Familie der Brodherren seines Va-
ters, der Fürsten Lobkowitz, wurden ihm die Thüren der Häuser des kunst-
sinnigen hohen österreichischen Adels erschlossen. Zunächst fand er im Jahre
1736, als ihn seine Lie1)e zur Tonkunst von Pi'ag weiter nach Wien getrieben,
im Lobkowitz'schen Palaste selber freundliche Aufnahme. Der loml^ardische
Fürst von Melzi, der ihn dort musiciren hörte, fasste ein lebhaftes Interesse
für ihn und nahm ihn (etwa um 1737 oder 1738) mit sich nach Mailand,
woselbst der Organist Battista Sammartini seinen Unterricht in der Har-
monielehre und im Contrapunkt vervollständigte. Nach vier Jahren eifrigen
Studiums fühlte sich G. der Aufgabe gewachsen, seine erste Oper zu schreiben.
Der Gegenstand derselben war der von Metastasio, dem berühmtesten und
fruchtbarsten aller Librettisten jener Zeit, gedichtete yArfasersea , der 1741,
also im 28. Lebensjahre des Tondichters, in Mailand in Scene ging. Ihm
folgten bis zum J. 1745, dem letzten seines ersten Aufenthaltes in Italien, für
Venedig: riDemefriov und r>Ipermnestra«, beide 1742; für Cremona: »Ärtamene«
1743; für Turin: »Alesmndro nelV Indie« 1745; und abermals für Mailand:
Gluck. 271
y)Demofoonte<i, y>Siface(i und ^Fedraa (1742, 43 und 44); also acht Opern in
fünf Jahren. G-. erntete mit diesen Erstlingen seiner dramatischen Muse fast
überall in Oberitalien einen ungetheilten Beifall; die genannten "Werke selber
aber scheinen sich noch durch nichts von dem Durchschnittscharakter des
Styles und Zuschnittes der damaligen opera seria unterschieden zu haben.
Anhaltepunkte hierfür geben zwei Nummern aus der Oper »Alexander in Indien«,
welche aus dem Nachlass ß. G-. Kiesewetter 's in das Musikarchiv der k. k. Hof-
bibliothek zu "Wien übergegangen sind. Die für Mailand geschriebenen Opern
sind leider, wahrscheinlich in Folge eines Theaterbrandes, von den Flammen
verzehrt worden. Die in Italien erlangte Berühmtheit verschaffte G. 1745
einen Ruf an das Haymarket- Theater in London. Hier führte er 1746 seine
Oper »ia Caduta de^ Gigantia. auf, deren Buch wahrscheinlich wieder, wie
das seiner sämmtlichen früheren Opern, von Metastasio herrührt. Ihr Hess er
seine für Cremona geschriebene Oper nÄrtamenev. folgen. Der grosse Meister
Händel, der den Aufführungen dieser "Werke beiwohnte, soll sich etwas ge-
ringschätzig darüber geäussert haben. Sehr bekannt ist die Händel zugeschrie-
bene Aeusserung, dass sein Schuhputzer einen bessern Contrapunkt schreibe,
als Gr. Wie wenig oder wie viel aber auch hiervon auf historischer Wahrheit
beruhen mag, solche Aussprüche Händel's würden uns weder befremden, noch
dem neidlosen Charakter des grossen Oratoriensängers Abbruch thun können;
denn der Gr., den Händel damals hörte, war keineswegs schon jener spätere
Meister, dem unsere, der Nachgeborenen Bewunderung gilt. Es würde im
Gegentheil höchst verzeihlich scheinen, wenn ein Mann wie Händel, der sich
selbst zwei Jahrzehnte hindurch (1720 bis 1740) mit der Idee einer Refor-
mation der Oper getragen, von dem in England angelangten deutschen Ton-
setzer| Höh eres erwartet hätte, als von den damaligen italienische n Operncompo-
nisten, gegen deren Tendenzen er einen so langen und vergeblichen Kampf in
London geführt hatte. TJm so glücklicher traf es sich, dass die Wirkungen,
die umgekehrt die Anhörung Händel'scher Oratorien auf Gr. ausübten, die aller-
segensreichsten für diesen letzteren sein sollten. Er selber gesteht, dass von
seinem englischen Aufenthalte ein neuer Abschnitt in seinem Künstlerleben
datirt, und wir wissen, dass es, neben anderen Erfahrungen, vor allem die
Wahrheit und Gewalt musikalischen Ausdrucks, wie sie aus Händeis Schöpfungen
zu uns sprechen, gewesen sind, die G. begreifen Hessen, welche Aufgabe sich
die Musik in ihrer Verbindung mit der Poesie eigentlich zu stellen habe.
"Unter den erwähnten Erfahrungen anderer Art, die G. in London gemacht,
und die seine spätere, das gesammte musikalische Drama umwälzende Richtung
mit vorbereiten helfen sollten, gehört folgende Thatsache. Man hatte, nach
dem massigen Erfolg seiner beiden Opern, ein sogenanntes Pasticcio (wörtlich
»Pastete«) von ihm zu hören gewünscht; eine Art von dramatischem Potpourri,
wie es damals vielfach Mode geworden. G. hoffte durch eine Auswahl und
Zusammenstellung aller derjenigen Nummern seiner früheren Opern , die in
Italien einen besonderen Beifall davongetragen, auch das englische Publikum
zu erwärmen. Statt dessen Hess das Pasticcio: -nPiramo e Tisbea, zu des Com-
ponisten grosser Enttäuschung, die Menge gleichgültig, ja kalt. Wie aber nur
das Talent bei Misserfolgen leicht kleinmüthig wird, während das Genie
meist dadurch vorwärts kommt, so ging es auch hier. G. musste sich sagen,
dass die Anerkennung, die jene ausgewählten Stücke früher gefunden, haupt-
sächlich auf den Zusammenhang zurückzuführen sei, in welchem jedes von
ihnen in den Opern, denen sie entnommen, mit anderen Musikstücken ursprüng-
lich gestanden, und dass es überdies auf der Bühne ebenso sehr darauf an-
komme, an welchem Orte, in welchem Momente und von welcher Person
etwas gesungen werde, als wie ein solcher Gesang an und für sich, d. h. von
einem nur specifisch-musikalischen Standpunkte aus beurtheilt, beschaffen
sei. Dies führte ihn natürlich weiter, nämlich zum Nachdenken über das
musikalische Drama überhaupt, sowie über die Wirkungen, die darin durch
272 C^l^ck.
scharfe Charakterzeiclinung, oder mittelst Steigerung der einen Scene durch
die andere, zu erreichen seien — kurz zu der Ueberzeugung, dass die Oper
zu mehr befähigt sei, als ein lediglich sinnliches Wohlgefallen an Ton Ver-
bindungen, Rhythmen und Melodien zu erregen. — Von London aus (nach
Anderen schon vor London, nämlich auf seinem Wege dahin) hatte Gr. einen kurzen
Ausflug nach Paris unternommen, um dort die Opern ßameau's zu hören,
welche ebenfalls nicht ohne Einfluss auf seine Ideen einer Umgestaltung der
dramatischen Musik bleiben sollten, indem sie mit dazu beitrugen, seine Ge-
danken über musikalische Declamation und über das ßecitativ zu klären. Von
England ging er Ende 1746 über Hamburg und Dresden (wo er für kurze
Zeit in die kurfürstliche Kapelle eintrat) zum zweiten Mal nach Wien. Hier
schrieb er u. a. auch einige Sinfonien; d. h. Instrumentalstücke, die man da-
mals mit diesem Namen beehrte, welche aber nicht etwa den heutigen Begriflfen
von dieser Kunstform entspi'achen , sondern vielmehr jenen Tonsätzen ähnelten,
wie wir ihnen in den meisten vormozart'schen Opern des 18. Jahrhunderts,
ja selbst in mancher Beziehung noch in der »Enttührung aus dem Serail«, an
Stelle der Ouvertüre, begegnen. (Ein thematischer Catalog von 6 dieser Sin-
fonien erschien 1862 im Verlage von Breitkopf und Härtel in Leipzig). Die
Vertiefung und geistvolle Durchbildung der Formen und des Inhaltes einer
selbstständigen Instrumentalmusik waren jedoch nicht die eigentliche Bestimmung
des G-.'schen Genius; derselbe gelangte, selbst in den Zeiten seiner vollen Reife,
immer nur dann zu seiner ganzen machtvollen Entfaltung, wenn sich die Musik
mit einem dramatischen Stoffe, also mit Dichtung und Diction, sowie zugleich
mit einer wahrhaft tragischen und erschütternden Handlung verband. In sol-
chen Fällen freilich belebte sich auch sein Instrumeutalsatz in einer neuen und
noch nicht dagewesenen Weise; er individualisirte dann die Instrumente in
einem Grrade und bediente sich ihrer Tonfarben in einer so eindringlichen und
bezeichnenden Manier, dass es ihm gelang, auch durch sein Orchester mächtig
zum Verständniss der Charaktere und Situationen mit beizutragen. — Auch
diesmal wandte sich Gr. bald wieder ausschliesslich der pathetischen Oper zu,
und so ging schon 1748 ein neues von Metastasio gedichtetes Musikdrama
von ihm: »ia Semiramide riconnosciuta'i. in Wien über die Bühne. Das J.
1749 nennt unser Meister selber »das glücklichste und zugleich unglücklichste«
seines Lebens. Er vei'lor in demselben sein Herz an die liebenswürdige Ma-
ri an na Pergin, deren Vater jedoch, als ein reichbemittelter und geldstolzer
Kaufherr, der überdies ausser Stande war, G. zu beurtheilen, nichts von der
Verbindung seines Kindes mit einem Musicus hören wollte. Zum Theil wohl
mit die Vei'zweiflung hierüber trieb G. Ende des J. 1749 abermals nach Ita-
lien, wo er für das Theater Argentina in Rom den y>Telemaccov. schrieb. Doch
lange sollte diesmal seines Bleibens hier nicht sein, denn als Anfang des .1.
1750 der alte Pergin starb, eilte G. unaufhaltsam nach Wien zurück, wo er
sich mit Mariannen, deren Herz nie aufgehört hatte für ihn zu schlagen, am
15. Septbr. vermählte. Diese Gattin blieb von nun an seine unzertrennliche
Begleiterin auf seinen Kunstreisen, wie sie denn auch in Beziehung auf Bildung
und Geist weit über die Durchschnittslinie der damaligen Frauenwelt hinaus-
geragt zu haben scheint und so in jeder Weise würdig war, die treue Gefährtin
und Freundin eines Mannes wie G. zu sein. Es sei gleich hier erwähnt, dass
beide Gatten, deren Ehe kinderlos blieb, späterhin eine Nichte G.'s an Kindes
statt adoptirten; ein junges Mädchen, das, nach Dr. Burney's und anderer
Zeitgenossen Schilderung, eine ebenso anmuthige Erscheinung war, als sie sich
durch ungewöhnliches musikalisches Talent, eine zum Herzen dringende Stimme
und durch ein, bei ihrem Vortrage von Compositionen des geliebten Oheims
überraschendes Eingehen auf dessen künstlerische Intentionen auszeichnete.
(S. Gluck, Anna.) Auch dies holde Kind, das leider, kaum zur Jungfrau
erblüht, der Erde schon wieder entrissen ward, gehörte während mehrere Jahre
zu G.'s Reisebegleitung und trug viel mit dazu bei, das Leben und Haus ihrer
■^o"
Gluck. • 273
Pflegeeltern mit Jugend, Sonnenschein und Poesie zu erfüllen und zu erwär-
men. — Das J. 1751 lässt uns G-. mit seiner Gattin in Neapel finden, für
das er eine Oper: »ia Clemenza di Tito«, schrieb. Interessant ist es, dass er
daselbst auch in Verkehr mit dem bedeutenden italienischen Tonmeister Du-
rante trat, der ihm eine ungewöhnliche Anerkennung zu Theil werden Hess.
Ende 1751 treflfen wir G-. wieder in Wien an, wo er eine Zeit lang ruhiger
seinem noch so jungen häuslichen Glücke und einer gewissen künstlerischen
Beschaulichkeit lebte, wie bisher. Dennoch konnte er es nicht ablehnen, zu
einem glänzenden Feste in Schlosshof, das der Besitzer desselben, ein Prinz
von Sachsen-Hildburghausen, zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia und ihres
Gemahls im J. 1754 veranstaltete, ein von Metastasio gedichtetes Festspiel:
»£e öinesii in Musik zu setzen. Er durfte sich einem solchen Auftrage um
so weniger entziehen, als ihn die Kaiserin bereits im Juni des gleichen Jahres
zu ihrem Hofkapellmeister mit einem Gehalte von 2000 Gulden ernannt hatte.
Vom J. 1754 an bis Ende 1756 beginnt überhaupt wieder eine lebhaftere
Periode in der schöpferischen Thätigkeit G.'s Er schrieb in diesem Zeitraum
für Rom, wo er sich auch persönlich einfand, die Opern : »ZZ Trionfo di Oamüloa
und y)Äntigono<i, wofür er vom Papste zum Ritter vom goldenen Sporen ernannt
wurde. Von da an nannte er sich auf den Titelblättern der von ihm publi-
cirten "Werke: »Der Ritter von Gluck«. Für Wien und den Hof componirte
er die Festspiele und Opern: »ia Danzaa. und y>L^Innocenza giusfificata<n (beide
1755), sowie y>Il Be Fastore« (1756). — Von 1756 bis 1760 lebte er, soweit
es ihm seine Stellung in kaiserlichen Diensten erlaubte, wieder stiller und zu-
rückgezogener von dem lauten Treiben der Bühne und der grossen Oeffentlich-
keit, was sich auch in seiner beschränkteren Productivität zeigt. Die ganze
Ausbeute dieser Jahre sind seine Airs nouveaux, Gesänge mit einfacher Glavier-
begleitung im leichten französichen Style, und einige Versuche oder Gelegen-
heitsstücke im Charakter der französischen Operette. Sein Haus dagegen soll
in jener Zeit ein Sammelplatz vieler Künstler, Männer der Wissenschaft und
bedeutender in Wien sich gerade aufhaltender Fremden gewesen sein, wozu
ihn auch die reichlichen Mittel, die ihm das Vermögen seiner Frau in die Hand
gelegt, in den Stand setzten, und wir wissen,, dass er sich damals mit beson-
derer Vorliebe dem Studiu.m der schönen Literatur, der Antike, sowie Klop-
stock's, seines späteren Lieblings unter den vaterländischen Dichtern, hingab.
Von diesen Neigungen G.'s muss man Notiz nehmen, wenn man die bald dar-
auf eintretende bedeutendste Periode seines Schaffens, durch welche er die ge-
waltigste Umwälzung, die die gesammte Geschichte der Oper kennt, hervorrief,
nach allen Seiten hin begreifen, oder sich den ungeheueren Abstand seiner
bisherigen Werke, von den ihnen folgenden späteren, erklären will. —
Im J. 1760 erhielt G. den Auftrag, zur Vermählung des Erzherzogs Joseph
von Oesterreich (nachmaligen Kaisers) mit Isabella von Bourbon, Prinzessin
von Parma, eine damals bei solchen Gelegenheiten übliche sogenannte Serenata
zu componiren, unter dem Titel »Tetidea, welche in prachtvoller scenischer
Ausstattung und in Gegenwart der Majestäten im grossen Redoutensaale auf-
geführt ward. Diesem Festspiel folgte im J. 1761 das grosse ernste Ballet
des Meisters: »Don Juan oder das steinerne Gastmahl«, das, als Vor-
läufer von Mozart's »Don Juan«, dessen Stoff es behandelt, ein ganz ungewöhn-
liches Interesse in Anspruch nimmt. Der Ciavierauszug dieses merkwürdigen
Opus ist nachmals bei Trautwein in Berlin im Druck erschienen. Zu der
1762 stattfindenden Eröffnung des neuen Opernhauses von Bologna componirte
G. Metastasio's: »II Trionfo di Cleliaa. Er fand sich selber bei dieser Ge-
legenheit dort ein, und zwar in Begleitung seines talentvollen Schülers Dit-
tersdorf, der damals ein trefflicher Geigenvirtuos war und späterhin, wie be-
kannt, einen classischen Namen im Gebiete der komischen Oper gewann. Es
ist von kuiistgeschichtlichem Interesse, dass Meister und Schüler in Bologna
auch in ein näheres Verhältniss zu dem alten Farinelli, dem in früheren
Musikal. Convers. -Lexikon. IV. 18
274 Gliick.
Jahren in London an der Spitze von Händel's Widersachern stehenden bekannten
Sänger, sowie zu dem in seiner Zeit weltberühmten Pater Martini traten.
"Wichtiger aber noch ist es, zu constatiren, dass auch die hier von G-. dirigirte
Festoper, obwohl es die letzte war, die er vor dem Eintritt des entscheidenden
Wendepunktes in seinem künstlerischen Schaffen schrieb, sich in nichts, nach
allem was wir davon wissen, über die Manier ihrer Zeit erhob. Der Meister
war sicher in seinem Inneren damals schon ein Anderer geworden, will aber
seinen früheren Bewunderern nicht ungefällig erscheinen, oder ihnen gerade in
einer bei ihm bestellten Gelegenheitsoper unverständlich werden. So gibt er
für die alten Anhänger noch der Manier einer Zeit nach, deren Schwächen er
selber bereits verdammt hatte und durch Besseres zu ersetzen entschlossen war.
Begegnen wir doch Anwandlungen zu solchen Concessionen (wenn auch nur
vorübergehend) selbst dann noch bei ihm, als er durch ein gewaltiges Werk,
im Style des von ihm aufgefundenen neuen Kunstprincips, mit der Vergangen-
heit eigentlich bereits gebrochen hatte. Dieses erste Werk aber, das ihm
die Bahn zu eröffnen bestimmt war, auf welcher er sich die Krone der höch-
sten Meisterschaft aller Zeiten im pathetischen und tragischen Styl erwerben
und das musikalische Drama schaffen sollte, war der »Orpheus«. G. ward,
was wichtig ist, bei dieser Oper zum ersten Mal auch Metastasio untreu,
und wandte sich, behufs Beschaffung eines Textes wie er ihn wünschte, an den
k. k. Bath Raniero von Calzabigi, der sich in der schönen Literatur einen
Namen erworben und mit dem er schon seit zwei Jahren befreundet war.
»Orpheus und Euridice« ging am 5. Oktbr. 1762 in Wien zum ersten
Mal in Scene, und wenn der ungewohnte und neue Styl des Werkes die Hörer
auch anfänglich stutzen machte, so war seine Gewalt und Schönheit doch so
gross, dass sich im weiteren Verlaufe Freund und Feind davon hingerissen
und besiegt fühlten. Uns Deutschen bleibt somit der Ruhm, G. auf der
neuen von ihm betretenen Bahn zuerst anerkannt und gefeiert zu haben, um
so mehr, da auch »Alceste«, sowie »Paris und Helena« in Wien zuei'st
das Licht der Lampen erblickten. Es ist darum entweder Tendenz, oder
Unwissenheit, wenn behauptet wird, der Meister habe seine späteren Opern,
durch welche er der Welt eine Reihe noch nicht wieder erreichter Vorbilder
im musikalisch-tragischen Styl geliefert, für Frankreich schreiben müssen,
da man in seinem Vaterlande noch nicht reif dafür gewesen. Zwar durften
sich Alceste und Paris und Helena nicht eines gleich enthusiastischen
Erfolges bei den Wienern rühmen, wie er dem Orpheus zu Theil geworden;
dem stehen jedoch ähnliche Kämpfe gegenüber, die G. auch in Frankreich
lange Zeit hindurch mit dem verbildeten Geschmack der Menge zu bestehen
hatte. AVas man in Wien am Orpheus mit am meisten bewunderte, war die
Wiedereinführung des Chors in die Handlung, und die daraus für die Musik
und das Drama hervorgehenden neuen und erschütternden Wirkungen. Nicht
weniger ergriffen die, an Stelle der mit Coloraturen überfüllten conventionellen
Coucert- Arien der Italiener tretenden einfach erhabenen, aus der dramatischen
Situation gleichsam hervorwachsenden und unwiderstehlich auf ein rein ge-
bliebenes menschliches Gefühl wirkenden Gesänge des Helden der Oper. Orpheus
ward damals unzählige Mal in Wien gegeben und des Meisters Feinde waren
so empört über einen solchen unerwarteten und durchschlagenden Erfolg,- dass
sie keck behaupteten, nicht G., sondern der in der Titelrolle wirkende italie-
nische Sänger Guadagni habe die Oper componirt. Die zwei Bände starke,
geschriebene Partitur, aus welcher G. den Orpheus dirigirt hat, befindet sich
auf der Wiener Hofbibliothek und trägt den charakteristischen Titel: fOrfeo.
Dramma per Musica in (lue Affüu Die alte Bezeichnung opera seria ist hier
also offenbar absichtlich vermieden. Der Orpheus existirt in zwei Bearbeitungen;
in der einen ist die Titelrolle für eine Alt-, in der anderen für eine Tenor-
stimme gesetzt. Der für Alt geschriebene Orpheus ist der ursprüngliche
und ältere, wie schon allein daraus hervorgeht, dass er, bei der ersten Auf-
Gluck. 275
führung in Wien, von Guadagni gesungen ward, der Castrat war. Erst bei
der im J. 1774 in Paris erfolgenden Umarbeitung der Oper für die dortige
Bühne, der es an einem Contra- Alt fehlte, verwandelte Gr. die Rolle des Or-
pheus in eine Tenorpartie. — Dem Orpheus folgten, wie schon gesagt,
mehrere Arbeiten in G.'s früherer Manier. So 1763 eine wieder von Metastasio
gedichtete Oper y>Ezio<f. und im J. 1764 sogar ein komisches Singspiel: »ia
Reneontre imprevue«., ein Genre, das wir uns mit G., dem grossen Tragiker
unter den Tondichtern, kaum in Beziehung denken können. Zum Namensfeste
des Kaisers Franz lieferte G. 1765 eine Äzione teatrale unter dem Namen »La
Corona«, in welcher vier österreichische Erzherzoginnen Partien übernommen
hatten und die nur vor einem intimen und auserwählten Kreise in der Hof-
burg zur Darstellung gelangen sollte; alles wurde jedoch durch den Tod des-
jenigen, dem die ganze Ovation gelten sollte, vereitelt: der Kaiser starb am
18. August 1765. — G. verband sich hierauf zum zweiten Mal mit seinem
poetischen Freunde Calzabigi, und das Resultat ihrer gemeinschaftlichen Be-
mühungen war die Oper »Alceste«, die am 16. Decbr. 1767 ihre erste Auf-
führung in Wien erlebte. Das Libretto schloss sich dem gleichnamigen Trauer-
spiel des Euripides an; G.'s Musik aber strebt hier noch viel consequenter
und bewusster, als im Orpheus, dem erhabenen Ziele zu, das er sich für die
Oper gesteckt. Eine solche, selbst jene massigen Concessionen an das Publi-
kum, wie sie der Orpheus stellenweise noch enthält, verbannende Stylstrenge
mochte wohl mit dazu beitragen, die Wiener betreffs ihres TJrtheils über Alceste
anfänglich in zwei entgegengesetzte Parteien zu scheiden. Während die Freunde
der neuen Tonschöpfung dieselbe für eine Arbeit erklärten, welche erst die
Nachwelt ihrem vollen Werthe nach zu würdigen wissen werde, meinten die
Gegner des Werkes, dasselbe gleiche mehr einem Requiem, als einer Oper, und
es sei doch etwas zu viel verlangt, sich für seine zwei Gulden, statt erheitert
zu werden, einen ganzen Abend lang so heftig aufregen und erschüttern zu
lassen. Den guten Leuten solchen Schlages, die das Theater bis dahin lediglich
als ein leichtes, oberflächliches Vergnügen angesehen, ward es bange zu Muthe,
als sie plötzlich die nie gehörte Sprache titanischer Naturen und ungeheuchelter
tiefer Leidenschaft vernahmen. Was G. mit seiner Alceste gewollt , sagt er
selber am treffendsten in der an den Grossherzog von Toskana gerichteten
Zueignung, die er der 1769 erschienenen Partitur dieser Oper vorausschickte.
Es heisst darin u. A.: »Ich suche die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zu-
rückzuführen, das ist: die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der
Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne die Handlung
zu unterbrechen« — — »Ich habe mich demnach gehütet, den Schauspieler
im Feuer des Dialogs zu unterbrechen, und ihn ein langweiliges Ritornell ab-
warten zu lassen oder plötzlich mitten in einer Phrase bei einem günstigen
Yocale aufzuhalten, damit er entweder in einer laugen Passage die Beweglich-
keit seiner schönen Stimme zeigen könne, oder abwarten, bis das Orchester
ihm Zeit lasse, Luft zu einer langen Fermate zu schöpfen. Auch glaubte ich
nicht über die zweite Hälfte einer Arie rasch hinweggehen zu dürfen, wenn
diese vielleicht die leidenschaftlichste und wichtigste ist, nur um regelmässig
viermal die Worte der Arie wiederholen zu können; ebenso wenig- erlaubte
ich mir die Ai'ie dort zu schliessen, wo der Sinn nicht schliesst, nur um dem
Sänger Gelegenheit zu verschaffen, seine Fertigkeit im Yariiren einer Stelle
zeigen zu können. Genug, ich wollte alle jene Missbräuche verbannen, gegen
welche der gesunde Menschenverstand und der wahre Geschmack schon so lange
vergebens kämpfen.« — Wie bedeutend die Wirkung der Alceste sjjäter auf
einen Genius, wie Mozart, gewesen ist, beweisen, ausser manchen anderen
Zügen, besonders der »Orakelspruch« und der »Opfermarsch« in der genannten
Oper G.'s. Die Antworten der Reiterstatue des Comthurs an Don Juan, und
der Priestermarsch in der Zauberflöte würden, ohne die angeführten Tonsätze
aus Alceste, sehr wahrscheinlich gar nicht existiren, oder doch in einem völlig
276 Glück.
anderen Charakter ausgeführt worden sein. So wirkt das Epoche machende
Grenie befruchtend auf die ersten Geister einer kommenden Zeit ein, und wir
dürfen, indem wir ein bekanntes Dichterwort in einem, seiner ursprünglichen
Fassung entgegengesetzten Sinne brauchen, ausrufen: »Das ist der Segen hehren
Thuns, dass es, foi-tzeugend, Grosses muss gebären!« — G. zählte 48 Jahre,
als er den Orpheus und 52 Jahre, da er die Alceste schrieb; er hatte somit
21 Jahre laug seine Kräfte der Oper gewidmet, ehe er au die Reformation
derselben ging. Auch dass der Meister ein halbes Jahrhundert verlebte, ehe
Werke von ihm ausgingen, die seinen Namen dauernd und für alle Zeiten auf
die Nachwelt brachten (denn alle seine vor Orpheus geschriebenen Opern
haben eigentlich nur noch ein kunsthistorisches Interesse), gehört zu den
ausserordentlichen Fällen in der Geschichte der Künste. — Der Alceste folgte
1769, als dritte Reformationsoper: »Paris und Helena«, ein Werk, das
im Allgemeinen viel zu wenig bekannt und geschätzt ist und welchem man,
meist wohl einer blossen TJeberlieferung folgend, bisher nicht die Ebenbürtig-
keit neben den übrigen dem Orpheus folgenden Opern G.'s hat einräumen
wollen. Dramatische Handlung und Wechsel contrastirender dramatischer Si-
tuationen sind allerdings reicher und mannigfaltiger in Orpheus und Alceste,
so wie später in den beiden Ipliigenien vertreten. Um so spannender und
verzehrender im Ausdruck hat dagegen der Tondichter in Paris und Helena
den wachsenden Couflict zwischen Pflicht und Leidenschaft, oder zwischen einer
in fast jungfräulichem Gefühl vor sich selber erschreckenden und erröthenden
holden Weiblichkeit und dem in ihrem Herzen sich entzündenden Feuer der
ersten Liebe geschildert. Es handelt sich in dem ganzen Werke mehr um
eine innerliche und vergeistigte, als um eine auch äusserlich hervor-
tretende Dramatik, daher um tragische Conflicte rein seelischer Natur, und
von diesem Standpunkte aufgefasst, ist die Oper eine würdige Vorläuferin —
ja, bei ihrer doch wieder ganz anders gearteten und selbstständigen Natur —
selbst Nebenbuhlerin von G.'s Armide, die ebenfalls als ein grosses scenisches
Liebesgedicht wirkt, während das, was in einem mehr vulgären Sinne dra-
matische Handlung genannt wird, auch dort nach dem ersten Akte mehr und
mehr zurücktritt. Als wahrer Perlen von Schönheit in Paris und Helena sei
hier nur des Terzetts im 2. Akt, nicht weniger der mit zu dem Empfunden-
sten, was G, geschrieben, gehörenden Arie des Paris: »ie helle imagini d'tai
dolce amorev., dann des wunderbar ergreifenden Terzetts zwischen Amor, Helena
und Paris: y^Ah, lo veggoa, sowie endlich der gewaltigen Scene der Unheil ver-
kündenden Pallas Athene, mit dem sich ihr anschliessenden höchst tragisch
wirkenden Finale gedacht, in welchem auch der Chor (wie schon früher einige
Mal) zu herrlicher Wirkung gelangt. Wir begrüssen in dem letzteren über-
dies einen alten Bekannten, denn er ist ein und derselbe mit dem Schlusschor
von Iphigenie auf Tauris, und dass G. dieses reifste und letzte aller seiner
Werke mit nichts Schönerem zu schliessen wusste, mag seinen Werth darthun.
Die Partitur von Paris und Helena erschien im J. 1770 im Druck, und G.
sagt in der ihr vorausgehenden Widmung an den Herzog von Braganza u. A. :
»Eure Hoheit werden das Drama »Paris« bereits gelesen und dabei bemerkt
haben, dass es der Einbildungskraft des Tonsetzers jene starken Leidenschaften,
jene grossartigen Gemälde, jene tragischen Situationen nicht darbietet, welche
in der Alceste die Gemüther der Zuschauer erschüttern, und zu ernsten
Affekten Gelegenheit bieten. Hier wird man dieselbe Kraft und Stärke in der
Musik eben so wenig erwarten, als man in einem, in hellem Licht gemalten
Bilde dieselbe Kraft des Halbdunkels oder dieselben grellen Gegensätze fordern
würde, die der Maler bei einem Gegenstande anwenden kann, der ihm nur zur
Wahl eines halben Lichtes Raum gewährt.« — Enttäuscht darüber, dass seine
Opern neuen Styls in Deutschland und Italien nicht so rasch allgemein zün-
deten und verstanden wurden, wie er nach seinem grossen Erfolge in Wien
mit Orpheus hoffen zu dürfen geglaubt hatte, wandte G. seine Blicke auf
Gluck. 277
Frankreicli. Dies Land schien ihm durch Lully und Rameau, durch
einen Corneille und Racine, und, vor allem, durch die lebhafte und geist-
volle Erörterung musikalischer Principienfragen , wie sie damals sowohl im
Publikum als bei den Kennern stattfand, und an der selbst Männer wie
Kousseau und Laharpe eifrig th eilnahmen, in mancher Beziehung mehr
darauf vorbereitet, als das eigene Vaterland, seine neuen Ideen vorurtheilslos
zu prüfen und den Geist wahrhafter Dramatik, der in seinen musikalischen
Tragödien waltete, zu erfassen. Er wurde in diesen seinen Anschauungen
durch den der französischen Gesandtschaft in "Wien attachirten Bailly du Rollet
mächtig bestärkt. Dieser Mann hatte ausserordentlich viel Geschmack und
Geist und besass überdiess ungewöhnliche theatralische Kenntnisse und Erfah-
rungen. Er ward, ungeachtet seiner Eingenommenheit für die französische
Oper, lebhaft von den Ideen ergriffen, die G. ihm entwickelte. In Folge da-
von suchten beide nach einem Stoffe, der ihnen geeignet schien, das spannende
und erschütternde Interesse der Tragödie mit den Wirkungen einer leiden-
schaftlichen und unmittelbar an das Herz appellirenden Musik zu vereinigen.
Racine's »Iphigenie in Aulis« erschien ihnen als ein Drama, das solchen
Ansprüchen genüge ; sie machten sich daher voll Feuer und Begeisterung an's
"Werk, und schon 1772 hatte G. das neue Opus im Geiste so gut wie voll-
endet, wenn auch erst wenige Scenen davon zu Papier gebracht waren. Mehrere
Versuche der Anknüpfung mit der Pariser Grossen Oper durch den Bailly du
Rollet und von G.'s Seite selber führten zu keinem rechten Ziel, bis es end-
lich den Empfehlungen von G.'s Gönnerin Maria Theresia und ihres Sohnes,
des damaligen römischen Königs, späteren Kaiser Joseph II., sowie dem An-
theil, den die Dauphine Marie Antoinette, die nachmals so unglückliche Königin
von Frankreich, an dem Meister nahm, gelang, die Aufführung von G.'s »Iphi-
genie in Aulis« bei der Administration der Pariser Oper durchzusetzen. Die-
selbe fand am 19. April 1774, im 60. Lebensjahre G.'s, zum ersten Mal statt.
Diese ausdrucksvolle, hochtragische Musik, von deren Möglichkeit man bis
dahin keine Vorstellung gehabt, rief, wie früher Alceste in Wien, bei einem
Theil der Hörerschaft einen tiefen unauslöschlichen Eindruck hervor, während
sowohl die italienische Partei, wie die specifisch französische Schule, die an
den Traditionen Lully's und Rameau's hing, Opposition machte. Der einfluss-
reiche und viel Kunstgeschmack besitzende Adel der französischen Hauptstadt
stand, weil der Hof G. protegirte, in seiner Majorität auf G.'s Seite. Aus
allen vorliegenden Aktenstücken und Zeugnissen der Zeitgenossen jener Tage
geht jedoch hervor, dass der erste Erfolg der Iphigenie kein ganz zweifelloser
war. Nach Iphigenie brachte G. Orpheus und Alceste in neuen Bearbeitungen
in Paris zur Aufführung. Alceste hatte anfänglich in Paris dieselben Kämpfe
zu bestehen, wie früher in Wien. Dies muss uns übrigens heute fast natürlich
erscheinen, denn die Brücken, die den Orpheus wenigstens stellenweise noch
mit der früheren italienischen Oper verbinden, hat G. hier völlig hinter sich
abgebrochen. Alceste mahnt mehr, wie jede andere Oper G.'s, an die dämo-
nische Leidenschaft und strenge Erhabenheit des Aeschylos. Die Gestalten
dieser Tragödie in Tönen lassen alles, was die Bühnen Deutschlands, Frank-
reichs und Italiens bis dahin an Charakteren geschaffen, pygmäenhaft, typisch
oder conventioneil neben sich erscheinen. Alceste, Admet, der Oberpriester,
Herkules sind, von der ersten bis zur letzten Note, wie aus einem Guss, sie
erinnern in ihrer, wie in Lapidarschrift gemeisselten Tonsprache, an die mar-
mornen Halbgötter- und Göttergestalten der Plastik der Alten und gehen
auch in ihrem Empfinden und Thun in's Uebermenschliche. Die Arie der
Alceste: »Götter ewiger Nacht!« ist von einer Grösse heroischer Gesinnung
und prometheischen Trotzes gegen das Geschick, von deren Möglichkeit in der
Frauennatur uns G. überhaupt erst überzeugt hat. — Aber auch in Paris
vertiefte sich das Verständniss für Alceste mit jeder neuen Vorstellung, wäh-
rend Orpheus unmittelbar ansprach, und beide Opern brachen, im Bunde mit
278 Gluck.
wiedei'liolteu Darstellungen der Iphigenie , dem Meister in immer weiteren
Kreisen der französischen Hauptstadt Bahn, bis sich die Vorliebe für seine
Musik endlich zu einem wahren Enthusiasmus steigerte. Man di'ängte sich
sogar — ein bis dahin in Paris unerhörter Fall — zu den Proben seiner Opern,
und der Zutritt zu denselben ward von den vornehmsten und angesehensten
Personen als eine hohe Vergünstigung betrachtet. Diese Proben boten übrigens,
bei G.'s Unerbittlichkeit in gewissen, von seinem dramatischen Gefühl ihm
dictirten Forderungen an Sänger und Orchester, sowie andererseits durch das
Feuer, mit dem er dirigirte und durch die von ihm ausgehenden warmen Worte,
mit welchen er bei gelungenen Stellen die Ausführenden belohnte, ein kaum
geringeres Interesse dar, als die Aufführungen. Fürsten und grosse Herren
drängten sich wetteifernd herbei, um G., wenn er seinen Taktstock niederlegte.
Perrücke und Ueberrock zuzureichen; denn er hatte die Gewohnheit, diese
Gegenstände, ehe er zum Dirigeutenpult hinaufstieg und mit dem Einstudiren
begann, abzulegen und sich dagegen eine, ihn gegen den Zug von der Bühne
her schützende höchst originelle Kopfbedeckung aufzusetzen. Im J. 1775 ging
eine Oper: »La Ct/tJiere assiegeea von ihm in Scene, die einen nur geringen
Erfolg katte. Der Abbe Arnaud sagte davon, mit Anspielung auf den Meister:
»Herkules sei geschickter im Gebrauche der Keule, als des Rockens.« Natür-
lich schwiegen, solchen Erfolgen des deutschen Tondichters gegenüber, wie wir
sie oben erwähnten, Neid, Eifersucht und Kabale nicht lange. Die italienische
Partei hob den übrigens durchaus nicht etwa talentlosen Piccini auf ihre
Schultern, und es entbrannte bei Hofe, im Salon, in den Foyers der Grossen
Oper, in den Kaffeehäusern, auf den Boulevards, in Flugschriften, Feuilletons,
ja selbst auf Bällen und Redouten jener grosse AViderstreit der Meinungen,
der unter dem Namen des Kampfes der Gluckisten und Piccinisten in die An-
nalen der Kunstgeschichte verzeichnet worden ist. Besonders lebhaft betheilig-
ten sich die geistreichen und galanten Frauen der höchsten Gesellschaft an
demselben, und die damals modischen Soupers, bei welchen die Gegner, noch
hingerissen von den eben erhaltenen Eindrücken vor der Bühne, zusammen-
trafen, wurden zum Kampfplatz der mit Hitze, ja oft selbst mit Raserei und
in wilden Ausrufungen vertheidigten entgegengesetzten Meinungen. Unter den
Journalisten und Männern von Geist und Genie gehörten Rousseau, Suard
und der Abbe Arnaud zu den Gluckisten; dagegen Marmontel, LaHarpe,
Ginguene und d'Alembert zu den Piccinisten. Dieser Zustand der Dinge
erhielt sich bis 1780, und es ist wohl niemals vorher oder nachher in der
Kunstgeschichte wieder dagewesen, dass eine Stadt von der Grösse von Paris
so anhaltend für und wider einen grossen Tondichter Partei genommen und
neue Werke von demselben mit lebliafterer Spannung und grösserem Interesse
verfolgt hätte, als die wichtigsten politischen Ereignisse. G., der verschiedent-
lich nach Wien zurückkehrte und von dort wieder zu neuen Kämpfen oder
Triumphen nach Paris eilte, kam im Anfang des Jahres 1777 mit seiner
Armide zum Abschluss. Dieselbe ging am 23. Septbr. desselben Jahres in
Paris in Scene, hatte jedoch anfänglich nicht den Erfolg, den sich ihr Autor
davon versprochen hatte. Besser erging es, von ihrer ersten Vorstellung an,
die am 18. Mai des Jahres 1779 stattfand, des Meisters vorletzter herrlicher
Oper: »Iphigenie auf Tauris«. Ganz Paris ward davon hingerissen,
und auch die Gegner des grossen Künstlers, darunter — zu seiner Ehre sei
es gesagt — Piccini selber, erklärten sich für überwunden. In der Iphigenie
auf Tauris hat der Meister — ganz abgesehen von allen übrigen Vorzügen
dieses unvergleichlichen Werkes — den kühnen Wurf gethan, zwei entgegen-
gesetzte Nationalitäten , und in ihnen zugleich die Empfiudungsweise eines
civilisirten und eines barbarischen Volkes , musikalisch einander gegenüber zu
stellen und zu charakterisiren. Es gehören in dieser Beziehung die fanatischen
Scythenchöre, mit ihren einfachen und doch so furchtbar wirkenden Rhythmen,
mit den zum drohenden Gesang der Krieger unablässig erschallenden grellen
Gluck. 279
Becken- und dumpfen Paukenschlägen und den sie unterbrechenden wilden
Tänzen der Barbaren, zu dem Ergreifendsten, was die Musik jemals auf einem
solchen Felde gewagt. Doppelt contrastirend wirken, diesen Elementen gegen-
über, die Milde und Schönheit griechischer Empfindungsweise, wie sie sich in
Iphigenie und ihren Priesterinnen personificirt, oder die hohe antike Gesittung
und geläuterte Heldengrösse, wie sie in des Meisters Pylades und Orest lebt.
Alles was Spontini seitdem, durch seine Gegenüberstellung von Spaniern und
Mexikanern im »Cortez«, Rossini, mit seinen Schweizern und Oesterreichern
im »Teil«, Meyer beer, durch Darstellung des Confiiktes von Papstthum und
Lutherthum in den »Hugenotten«, in gleicher Richtung versucht haben, ist eben
nur eine Folge des von G. in der Ijihigenie auf Tauris gegebenen Anstosses,
und hat das vom Altmeister dort Gebotene weder an Erhabenheit, noch an
Idealität wieder erreicht. G. zählte 65 Jahre, als er seine Iphigenie auf Tauris
schuf, deren Jugendfeuer uns, wenn die Zeit ihrer Entstehung unbekannt ge-
blieben, eher auf das Werk eines gottbegnadeten Jünglings, wie auf das eines
Greises schliessen lassen würde. — Des Tondichters letzte grössere Arbeit war
»Echo und Narziss«, die mit nur wenig Erfolg am 21. Septbr. 1779 über
die Pariser Bühne ging. Der Abstand gegen Iphigenie auf Tauris war frei-
lich ein ziemlich bedeutender, doch enthält auch dieses Werk noch einzelne
Züge, die des Genies eines G.'s würdig sind; so z. B. einen köstlichen Chor:
»Der Gott von Paphos und von Knid.« Das von unserem Meister projectirte
Tondrama: »Die Danaiden«, womit er seine Künstlerlaufbahn abschliessen
wollte, kam nicht mehr zur Ausführung: er ward plötzlich hinfällig und starb
nach einem mehrjährigen Siechthum in Wien am 15. Novbr. 1787. Es muss
hier auch noch erwähnt werden, dass G. eine Reihe Klo pst ock' scher Oden
in Musik setzte und die Composition der Hermannsschlacht desselben Dich-
ters im Kopfe vollendet hatte, so dass er sie Freunden fast in ihrem ganzen
Umfang am Ciavier e vortrug. Leider kam er nicht mehr dazu, sie in Partitur
zu setzen und so für die Nachwelt festzuhalten. Die Oden dagegen sind im
Druck erschienen. Es sind, ihren Namen nach, folgende: A^aterlandslied ; Wir
und Sie; Schlachtgesang; der Jüngling; die Sommernacht; die frühen Gräber;
die Neigung und »Willkommen, o silberner Mond«. Die Partituren der Opern
Iphigenie in Aulis, . Orpheus, Alceste, Armide, Iphigenie auf
Tauris, Das belagerte Cythera und Echo und Narciss erschienen, mit
französischem Text, in denselben Jahren bei Deslauriers, in denen diese
Werke zum ersten Mal in Paris in Scene gingen. Simrock in Bonn gab zu-
erst die Alceste mit deutschem Texte heraus. Die italienische Alceste erschien
zu Wien 1769; Exemplare davon sind sehr selten geworden. Bei Thomas von
Trattern in Wien erschien 1770 Paris und Helena. Eine Orchesterpartitur
eines von G. componirten De Frofundis, welches nebst dem 8. Psalm: Domine
Dominus noster und einem Theil der von S alier i vollendeten Cantate: Le
Jugement dernier die einzige Arbeit geistlichen Styls von G. blieb, erschien
ebenfalls bei Simrock in Bonn. Ein Bildniss des unsterblichen Meisters
trägt die Unterschrift: II prefera les Muses aux Sirenes. Es würde schwer
halten, die kunstumgestaltende hehre und unermüdliche schöpferische Thätig-
keit G.'s kürzer und schöner zu bezeichnen. Seine Werke sind Denkmale, die
er seinem Namen und seiner Nation gesetzt und die so lange wirken werden, als
der Sinn für- echte Kunst unter den Menschen nicht ausgestorben sein wird.
Emil Naumann.
(xluck, Marie Anna, Adoptivtochter und Nichte des gleichnamigen Mei-
sters, war eine talentvolle, zu den glänzendsten Hoffnungen berechtigende Novize
auf der Laufbahn einer Sängerin. Geboren im J. 1759 zu Wien, wurde sie
im Gesang und in der Musik überhaupt vom Abbate Millico ausgebildet, da
ihr berühmter Oheim wohl ihrem grossen Talente sein volles Intei'esse schenkte,
allein für ihre Unterweisung weder Müsse noch Geduld besass. Alle, die in
ihre Nähe kamen, rühmten ihren Geist, ihre feine Bildung, ihren Geschmack
280 Glück — G-moll.
und ihr vortreffliches Herz; zudera wusste sie sich in vier Sprachen geläufig
auszudrücken und erregte, als sie ihren Oheim nach Paris begleitete, am fran-
zösischen Hofe allgemeine Bewunderung. Nicht minder war sie ein Liebling
der Kaiserin Maria Theresia und ihres Sohnes Joseph II. Bühne und G-e-
sellschaft verloren durch ihren allzu frühzeitigen Tod, am 21. April 1776 zu
"Wien, eines ihrer vielversprechendsten Talente.
Glück, Johann, deutscher musikkundiger Theologe, geboren zu Plauen,
wurde Diaconus zu Mark-Schwärtzenbach an der Saale und Hess 1660 zu
Leipzig erscheinen : »Septalogum Christi musicum, musicae ecclesiasticae prodro-
mum, oder musikalische Betrachtung der heiligen sieben Worte Christi am
Kreuz gesprochen, als ein Yortrab einer geistlichen Kirchenmusik.« Er ver-
suchte also in ähnlicher Weise, wie später Joseph Haydn dies durch sieben
Sonaten beabsichtigte, durch sieben in Art der Madrigale gesetzte Motetten
jene Worte zu verherrlichen. t
Cflück, Johann Ludwig Friedrich, deutscher musikkundiger Theologe
neuerer Zeit, geboren am 27. Septbr. 1793 zu Ober-Ensingen bei Nürtingen,
gestorben als Pfarrer zu Schornbach bei Schorndorf am 1. Oktbr. 1840, hat
sich durch gemüthreiche ein- und mehrstimmige Lieder seiner Composition ein
freundliches Andenken, besonders beim deutschen A^olke, gesichert, welches seine
Melodien auf »In einem kühlen Grunde« (1814), »Herz mein Herz, warum so
traurig« (1814) und »Siehst du am Abend die Wolken zieh'n?« noch heutigen
Tages mit Vorliebe singt.
Glycaeus, Joannes, oder richtiger Glyce, ist der Name eines griechischen
Musikschriftstellers, von dem ein Manuscript im Excurial aufbewahrt wird. Vgl.
Fäbricii Bihl. Gr. Üb. III. c. 10 p. 269. t
Glycibarifon (ital.-griech.), ein von Catterino Catterini zu Monselice (Ita-
lien) im J. 1833 erfundenes Blasinstrument, welches seinem Erfinder die gol-
dene Medaille als Auszeichnung einbrachte. Catterini reiste mit diesem Instru-
mente in Italien umher und concertirte auf demselben in vielen Städten,
namentlich in Mailand, Parma (1837), Modena und Bologna (1838) mit grossem
Beifall. Das Instrument besteht im Wesentlichen aus zwei parallelen, unten
vereinigten Röhren, wovon die eine oben mit einem kleineren ßöhrchen, woran
ein S wie beim Fagotte befestigt, versehen ist, die andere aber trichterförmig
wie das Hörn endigt. Das ganze Instrument ist ungefähr 8 Decimeter hoch;
die Luftsäule aber beträgt, der Verdoppelung der Röhre wegen, 1 Meter und
6 Decimeter. Die erste Hälfte vom Mundstück abwärts ist cylindrisch, die
andere bis zum Trichter aber konisch. Vorn hat das Instrument 9 Klappen
und 2 ofifene Tonlöcher; hinten 5 Klappen und ein oflfenes Tonloch. Der Ton
ahmt die Clarinett- und Fagottstimme nach und kann also von der einen in
die andere übergehen. Bei dem ersten Erscheinen dieses Instrumentes hiess
es Polifono (Vielstimmiges Tonwerkzeug). M — s.
G-moll (ital.: Sol minore; franz.: sol mineur ; engl.: G minor) ist diejenige
der Mollgattung des abendländischen Tonsystems angehörige Tonart, welche
ihren Sitz auf dem g genannten Klange hat. Die Eigenheit dieser Gattung
erfordert, wie in dem Artikel Moll (s. d.) näher erörtert ist, die Erniedrigung
der Terz und Sexte um einen Halbton, wonach sich als Grundklänge von G.
die Töne: g, a, h, c, d, es, f und g erge1)en. lieber die möglichen Verände-
rungen dieser Grundklänge im Bereiche der obersten Quarte der Tonleiter,
welche nach dem Ermessen der Tonsetzer noch verschieden sein können, ist
bei der Normaltonart dieser Gattung, A-moll (s. d.), ausführlicher die Rede
gewesen, weshalb auf jenen Artikel hingewiesen sei. Um festzustellen, wie in
der Tonart G-7noll geschriebene Stücke auf das menschliche Musikgefühl wirken,
müsste man zunächst eine Ansicht zu gewinnen suchen, wie die Gefühlsein-
drücke der Grundklänge von G. in Bezug auf den Grundton sich äussern und
wie die des Grundtons im Tonreiche überhaupt auf den Gehörsinn wirkt. Den
Eindruck der aus diesen Elementen bestehenden Zusammenklänge in Erwägung
G-moU. 281
zu ziehen, würde allerdings erst nach erlangter Klarheit im ersterwähnten Be-
reich fruchtbringend sein können. Betrachtungen auf dieser G-rundlage (der
des Tonfühlen s) begründet, dürften in der Jetztzeit noch zu den gewagten
gehören, da die verbindenden Glieder zwischen dem innern Tastsinn und der
Psyche noch durchaus eine terra incognita sind. Ja noch nicht einmal die
Kenntniss der Theile des innern Tastsinnes und die Funktionen mancher der
bekannten Theile desselben sind durch die "Wissenschaft uns ganz erschlossen.
Aber ganz ohne Leuchte ist man denn doch nicht auf diesem TJntersuchungs-
felde, das sich nur schwärmerische Aesthetiker anders zu erklären suchen als
die Naturmenschen, welche letzteren doch durch die Bezeichnung: Gefühl, längst
bevor die "Wissenschaft daran denken konnte, auch nur etwas über die Ver-
bindung der Körperschwingungen und der Psyche ahnend zu äussern, einen
'genau bezeichnenden Ausdruck auffanden. Siehe hierzu die Artikel Gehör,
Ohr und Anlage. Das Tonfühlen nun ist eine Eigenheit der Psyche, die
sich direkt und vollkommen über die Klänge des Tonreichs erstreckt, welche
durch mit der Psyche im innigsten Zusammenhange stehende Organe geschaffen,
erwogen und nach jeder Seite hin begriffen werden — also über die Töne,
welche durch die Menschenstimme hervorgebracht werden können — während
alle anderen Töne nur nach der organischen Betheiligung bei der Schaffung
derselben, oder nach der Eigenheit der zunächstliegenden im Gefühle ähnlichen
Octave (s. d.) in erwähntem Tonreich eine Beurtheilung der Psyche zulassen.
Beweis hierfür ist, dass die Klänge der höchsten Tonregion sich der tonlicheu
Erkenntniss durch die Psyche entziehen. Betrachtungen über die Grundklänge,
speciell auch von G., werden sich somit am geeignetsten nur an die Töne der
Menschenstimme knüpfen lassen und zwar je nachdem man die Mitleidenschaft
der Theüe des Organismus und der Psyche bei Schaffung derselben in Betracht
zieht, indem durch diese Faktoren auch das Empfängniss solchen Erzeugnisses
von der Psyche anderer ähnlicher Organismen bedingt ist. Bemerkt sei nur,
dass, mögen diese Betrachtungen nun an den Tönen der Männer- oder Frauen-
stimme angestellt werden, dieselben, da beide Tonreiche nur in Octaven unter-
schieden, in ihren Ergebnissen durchaus gleiche sind. Hier sind, besonders
weil eine längere derartige Erfahrung an Männerstimmen gemacht ist, stets die
Töne dieser zu Grunde gelegt. Die Klangregion (die in der obern Octave der
Psyche, der innigeren Theilnahme aller Tonzeugungsfaktoren halber, klarer als
in der tieferen sein muss, und deren Reflexion die Tonverhältnisseindrücke in
der tiefern Octave beeinflussen), in der die festen Töne dieser Tonart liegen:
c als Quarte und d als Quinte, ist eine durch die Psyche inniger auffassbare
als fast jede andere, weil erstens diese Klänge oft meist beinahe unverändert
angewandt werden, und zweitens dieselben nicht in die Bruchlage einer Normal-
stimme fallen. Diese Klarheit und Innigkeit der festen Klänge vermögen Sänger
auch nur über die Töne der daran grenzenden Oberquarte der Tonart auszu-
breiten, und machen diese durch^ das Sichfortbewegen in vielen aufeinander-
folgenden Halbtönen, die, je nachdem sie als Semitonium modi (s. d.) nach
oben oder unten hin wirken, in peinlichster vom Gefühle geforderter Genauig-
keit zu geben möglich sind, oft auf das Gehör die "Wirkung, als seien sie zu
sehr von der ursprünglichen Stelle vei-rückt. Diese "Wirkung wird jedoch
paralysirt durch die stets fast wiederkehrenden Grundklänge der Tonart, be-
sonders des Grundtons. Derselbe, der nächste Nachbar des Richtklanges im
Tonreich aller Culturvölker der "Welt ausser den Abendländern, die Musik als
Kunst pflegten, ist bei diesen, obgleich nicht besonders gekennzeichnet, doch
aus gleichem Grunde unwandelbar. Mittlere Stimmen (tieferer Tenor und
tieferer Sopran) nämlich, haben in dem Klange g die oberste Grenze ihres
Bi-ustregisters und in der Octave desselben zugleich den Mittelton ihres Ton-
reichs überhaupt. Von den Klängen der "ünterquarte dieser Tonart scheint a,
mehr als aufwärtsstrebendes Semitonium modi wirkend, bei Tongängen durch
das Fühlen der Sänger eher kleinen Höhenänderuugen unterworfen zu sein
282 Gnaccare — Gobatti.
als h, das, obgleicli als niederwärtsstrebendes in der Schrift gekennzeichnet, von
fast allen Sängern in beinahe unveränderter Tonhöhe dargestellt wird. Wie
nun diese Elemente in Tonstücken von G. zuweilen, zu einander Grundverhält-
niese annehmend, kleine Intervallverrückungen fordern, die, in Zahlen ausdrück-
bar, auch theilweise in der Darstellung sich kundgeben, wird leicht einleuchten,
wenn man die Artikel Ais, As und Cis in IVütbetracht zieht. Obige Andeu-
tungen aber über die Naturerfordernisse der Elemente werden genügen, um
Jedem in diesem Bereiche der Kunst Forschenden die nöthigen Handhaben zu
bieten ; derartigen Forschungen können sich dann erst Betrachtungen über die
Zusammenklänge von G-. anreihen. Solche Betrachtungen aber würden nicht
allein fordern, die gleichzeitig stattfindenden Eindrücke mehrerer Elemente,
sondern auch die "Wirkung der sich deckenden oder nicht deckenden Beitöne
derselben in Erwägung zu ziehen. Weitergehende, dies Feld berührende Hin-
weisungen hier zu geben ist unmöglich, da, wie der Schluss des Artikels
»Akustik«, das Werk: »die Lehre von den Tonempfindungen« von Helmholtz
und andere Aehnliches berührende Bücher lehren, solche eine eigene umfang-
reiche Schrift erfordern. — Vom ästhetischen Gesichtspunkte aus betrachtete
man, als nach Feststellung der anzuwendenden Klänge in der abendländischen
Kunst, diese Kunstwissenschaft zu einer schablonenmässigen Ausdrucksweise
über dieselbe gelangte, Gr. für geeignet: Missvergnügen, TJnbehaglichkeit, Zerren
an einem verunglückten Plane, missmuthiges Nagen am Gebiss, mit einem
Worte, Groll und Unlust darzustellen, wie Schubart in seinen »Ideen zu einer
Aesthetik der Tonkunst« pag. 377 &., und alle nach ihm folgenden Aesthetiker
auszusprechen sich bemüssigt fanden. C. B.
Gnaccare (span.; ital.: nacchere), die Castagnetten.
Guecco, Franc esco, fleissiger italienischer Operncomponist, geboren 1769
zu Genua, zeigte schon früh bedeutende musikalische Anlagen, sollte aber
Kaufmann werden und erwirkte nur mit Mühe, dass er sich vom Kapellmeister
Mariani ausbilden lassen durfte. Nach vollendeten Studien componirte er für
verschiedene Bühnen seines Vaterlandes Opern, von denen y>La prova d'itn^ opera
seHuK bedeutenderen Erfolg hatte; nächst dieser gefielen hier und da: y>GU
braminiv, •oArgetev., »ie nozze de'' Sannitiv, »Le nozze di Laurettaa, yyCarolina e
Filandroa, y>Il pignaifaroa , »La cena senza cena«., »Gli ulüini due giorni di
carnevale«, y>Gli amanti ßlaniionici». u. s. w. Geschick und dramatische AVirk-
samkeit überwiegen in allen diesen Werken die Erfindung. Mit Composition
der Oper »La conversazione filarmotiica<i. beschäftigt, starb G. unerwartet zu
Mailand im J. 1810.
Onesippos, altgriechischer Dichter, von dem Athenäus behauptet, dass er
auch zu den Tonsetzern gezählt werden müsse.
Guocchi, Giovanni Battista, italienischer Kirchencomponist des 17. Jahr-
hunderts, von dessen Arbeiten eine zu Venedig erschienene Sammlung vier-
stimmiger Messen übrig geblieben ist.
Gobatti, Stefano, ein vielversprechender Italienischer Operncomponist,
geboren am 5. Juli 1852 in Bergantino, einem kleinen Dorfe im Venetianischeo,
hatte, dem Willen seiner Eltern gemäss, bereits die Laufbahn eines Ingenieurs
betreten, als die Liebe zur Tonkunst so heftig bei ihm durchschlug, dass er,
zumal auch von allen Seiten ihm musikalisches Genie zugesprochen wurde, es
durchsetzte, dass er die Studiumsfächer dem entsprechend vertauschen durfte.
Sein Vater schickte ihn zu diesem Zwecke nach Mantua, wo Campioni G.'s
Musiklehrer wurde. Später studirte G. unter Giuseppe Busi im Lyceum zu
Bologna Generalbass. Er hatte bei diesem Lehrer eine ziemlich strenge Schule
durchzumachen, da derselbe nur die alten Meister als Vorbilder gelten Hess
und von dem auflodernden Talente G.'s Fugen und nichts wie gut gearbeitete
Fugen verlaugte. Von Bologna wandte sich G. nach Parma, wo er unter Lauro
Bossi lernte, welchem trefflichen Künstler er auch nach Neapel folgte, als dieser
daselbst als Nachfolger Mercadante's zum Direktor des Conservatoriums ernannt
Gobdas — Goddard. ^83
wurde. Dort schrieb G. auch seine Erstlingsoper »J Goii«., welche das Lob
seines Lehrers fand, und man rieth ihm, diesem Werke von Bologna, der Kunst-
und Gelehrtenstadt Italiens aus, eine empfehlende Legitimation des Publikums
zu verschaffen. G. reiste in Folge dessen im Herbst 1873 nach Bologna, und
seine Familie machte die äussersten Anstrengungen, die Kosten der Inscenirung,
die, italienischer Sitte gemäss, stets der Componist-Debütant tragen muss, auf-
zubringen. Am 30. Novbr. 1873 erschien diese Oper zum ersten Male im
Communaltheater jener Stadt, und G.'s Talent feierte den glänzendsten Triumph,
der sich denken lässt und bei jeder Wiederholung sich erneuerte. »7 GoHk
waren und blieben die Hauptoper der betreffenden Saison und bereits nach
der zweiten Aufführung derselben, welche der Theaterkasse eine nie zuvor da-
gewesene Einnahme einbrachte, schloss das Verlagshaus Lucca in Mailand mit
dem jungen Componisten unter den allervortheilhaftesten Bedingungen einen
Contrakt, welcher das Eigenthumsrecht dieser und der folgenden Oper dem
ersteren sicherte. Die Blicke aller italienischen Opernfreunde sind in Folge
dieser Ereignisse auf den jugendlichen Meister gerichtet, und seiner Begabung
eröffnet sich eine geebnete grosse Bahn, da seine Erstlingsoper auf den gross-
artigen Erfolg in Bologna hin in der Carnevalssaison 1874 gleichzeitig im
Apollotheater zu Rom, in der Scala zu Mailand und im Fenicetheater zu Ve-
nedig erscheinen soll.
Gobdas wird in Lappland die Trommel genannt, deren bis vor Kurzem
sich die dortigen Wahrsager bei Ausübung ihrer Kunst bedienten, um die
Menge heranzulocken. Sie hat die Gestalt unserer Handtrommel ohne Schellen,
ist hinten mit zwei Stricken als Handhabe versehen und wird mit einem zwei-
spitzigen Hammer geschlagen. Die Zauberer bemalten sie mit verschiedenen
Charakteren, denen das abergläubische Volk eine grosse Kraft zuschrieb.
Gobert, Thomas, französischer Tonsetzer und Dirigent, wahrscheinlich
aus der Picardie stammend, war erst Kapellmeister in Peronne und dann in
derselben Stellung der Hofkapelle Ludwig's XIII. und Ludwig's XIV. von
Frankreich vorgesetzt. Er veröffentlichte im vierstimmigen Satze Melodien zu
den vom Bischöfe Antoine Godeau übersetzten Psalmen (Paris, 1659).
Gockel, August, trefflicher deutscher Pianist und Componist für sein
Instrument, geboren 1831 zu Willibadessen, besuchte seit 1845 das Conser-
vatorium zu Leipzig, wo Mendelssohn und Plaidy seine Hauptlehrer waren.
Nachdem er sich in Deutschland mehrfach mit Beifall öffentlich hatte hören
lassen, machte er von 1853 bis 1856 sehr erfolgreiche Kunstreisen durch die
Vereinigten Staaten von Nordamerika. Nach dieser Zeit trat er wieder in
seinem Vaterlande auf, jedoch hielt seine Gesundheit den ihr zugemutheten
Anstrengungen gegenüber nicht Stand, und brustkrank kehrte er in seinen
Geburtsort zurück, den er auch nicht wieder verliess, da er daselbst im J. 1861
starb. Während seines kurzen Künstlerlebens hat er zahlreiche Claviercompo-
sitionen im eleganten Modestyle, ebenso einige Hefte Lieder geschrieben und
veröffentlicht. Höheren Werth als alle diese Werke beansprucht sein Concert-
stück für Pianoforte mit Orchester, welches in Erfindung und Arbeit auf be-
deutende künstlerische Eigenschaften hinweist.
Goclenius, Rudolph, deutscher Dichter und Philosoph, war aus Corbach
in der Grafschaft Waldeck gebürtig. In einem von ihm herausgegebenen phi-
losophischen Lexikon, das 1613 zu Frankfurt erschien, finden sich auch die
jener Zeit eigenen Ausdrücke in der Musik vor und erklärt. G. starb am
8. Juni 1628. Mehr über ihn enthält das comp. Gelehrten-Lexikon. f
Goddard, Arabella, die vorzüglichste englische Pianistin der Gegenwart,
geboren 1840 in London, wurde von Mosch eles und den besten Lehrern ihrer
Vaterstadt mit dem grössten Erfolge im Cla vierspiel unterrichtet, sodass sie
bei ihrem frühesten Auftreten bereits als bedeutende künstlerische Erscheinung
begrüsst wurde, ein TJrtheil, welches sie im J. 1855 durch Concerte in Berlin,
Leipzig, Paris u. s. w. auch im Auslände vollgültig bestätigen Hess. Im J. 1859
284 Godeau — Godefroid.
verheirathete sie sich mit Davis on, dem einflussreichsten und angesehensten
Musikkritiker Londons, welcher durch die Times und die von ihm redigirte
Musical World ihren Weltruf begründete und ihre Stellung in England zu
einer unanfechtbaren gestaltete. Ihre grossartigste Kunstreise unternahm sie
im J. 1873, indem sie in dieser Zeit concertirend die Städte Australiens be-
suchte, in Ostindien sich hören Hess und reich an Schätzen und Triumpfen
zu Anfang 1874 nach London zurückkehrte.
Oodeaa, Antoine, französischer Geistlicher, geboren 1605 zu Dreux und
gestorben als Bischof zu Venceara 2, April 1672, hat u. A. Paraphrasen zu
Davids Psalmen« geschrieben, welche bei Roger in Amsterdam sowohl für eine
als für vier Stimmen gestochem worden sind. Ob diese Musik von Gr. selbst
herrührt, ist nicht bekannt. S. übrigens Gobert. Vgl. auch das comp, Ge-
lehrten-Lexikon, f
Crodecharle , Eugene Charles Jean, trefflicher belgischer Yiolin- und
Harfenspieler und talentvoller Componist, wurde am If). Jan. 1742 zu Brüssel
geboren und von seinem Vater, der Basssänger in der Kapelle des Statthalters
der Niederlande, des Prinzen Karl von Lothringen, sowie Musikmeister an der
Kirche St. Nicolas war, musikalisch unterrichtet. Der Prinz- Statthalter zog
G. schon früh ebenfalls in seine Kapelle und liess ihn später in Paris weiter
ausbilden. Nach Vollendung dieser Studien, wurde G. 1773 Bratschist, 1788
erster Violinist der prinzlichen Kapelle und fungirte seit 1776 zugleich als
Musikmeister an der Kirche St. Gery in Brüssel. Gestorben 1814 zu Brüssel,
hinterliess er zahlreiche treffliche Kirchenwerke im Manuscript, Gedruckt
wurden bei seinen Lebzeiten nur Instrumentalsachen seiner Composition, näm-
lich Sinfonien für kleines Orchester, ein Notturno für zwei Violinen, Piccol-
flöte, zwei Oboen, zwei Hörner und Trommel, Sonaten für Violine mit Bass,
für Harfe mit Violine und für Pianoforte und Violine. — Von seinen Brüdern
war Lambert Erangois G. der bedeutendste. Geboren am 12. Eebr. 1751
zu Brüssel, war er anfangs gleichfalls Chorknabe in der Kapelle des Prinzen-
Statthalters und wurde vom Kapellmeister Croes in der Composition unter-
richtet. Von 1771 an bis zur Franzosenzeit war er Bassist dieser Kapelle
und als Nachfolger seines Vaters seit 1782 auch Musikmeister an St. Nicolas.
Als solcher starb er am 20. Oktbr. 1819 zu Brüssel und hinterliess gleichfalls
gute Kirchencompositionen im Manuscript. — Die beiden anderen Brüder der
eben aufgeführten G.'s waren: Joseph Antoine G,, geboren am 17. Jan.
1746 zu Brüssel, erster Oboist der mehrfach erwähnten Kapelle und Louis
Joseph Melchior G., geboren den 5. Jan. 1748, Basssänger dieser Kapelle
und zugleich Lehrer an der Zeichnenschule zu Brüssel. Unglückliche Ver-
hältnisse veranlassten den Letzteren, seinem Leben durch Selbstmord ein Ende
zu machen.
Godefroid, nach seiner Vaterstadt de Furnes genannt, ein berühmter
altfi'anzösischer Orgelspieler, war als Organist bis 1382 in Eouen angestellt,
worauf er bis zu seinem Tode hoch angesehen als Virtuose seines Instruments
in Paris lebte.
Godefroid, Dieudonne Joseph Giiillaume Felicien, der ausgezeichnetste
französische Harfenvirtuose der Gegenwart, wurde am 24. Juli 1818 zu Namur
geboren und frühzeitig auf dem Pianoforte unterrichtet, auf welchem er es im
Laufe der Zeit zu ganz vorzüglicher Fertigkeit brachte. Von seinem 11. Jahre
an wandte er seine Vorliebe und seinen Fleiss der Harfe zii, die auch, als er
1830 auf das Pariser Conservatorium gebracht wurde, sein Hauptinstrument
blieb. Dort waren Nadermann und Labarre bis 1834, wo er vollkommen aus-
gebildet in die Welt trat, seine Lehrer und Vorbilder. Durch Concerte in
Paris und Kunstreisen hat er seinen Ruf, einer der allerersten Meister seines
Instrumentes zu sein, befestigt und noch 1873 wurden ihm in Wien, wo er
auf der Weltaustellung Erard'sche Harfen neuester Construction producirte,
reiche Huldigungen dargebracht, G. lebt in unabhängiger Stellung in Paris.
Godendag — GöpeL 285
Er hat sich auch als geschmackvoller Componist für Harfe sowohl als für
Pianoforte bewährt. Sonaten, Etüden und zahlreiche Salonstücke für diese In-
strumente von ihm sind zu Paris und zum Theil auch in Mainz und ander-
wärts in Deutschland erschienen. Auch Opern hat er geschrieben, von denen
»die Zauberharfe« 1856 einigen Erfolg hatte. — Sein älterer Bruder, Jules
Joseph Gr., 1811 zu Namur geboren und musikalisch gleichfalls auf dem Pa-
riser Conservatorium ausgebildet, war ein ebenso tüchtiger Harfen virtuose als
besonders ein vielversprechender Componist. Seiner wenig festen Gesundheit
wegen lebte er theils in Boulogne, theils in Paris, starb aber in letzter Stadt
schon am 27. Febr. 1840, nachdem er seine Opern r>Le Diadesiea und y>La
chasse royalev. zur Aufführung gebracht hatte,
Godendag oder Godendach, genannt Pater Giovanni Bonadies, ein
musikkundiger, um 1450 lebender Carmelitermönch , war der Lehrer des be-
rühmten Tonlehrers Gafori. Von seinen Compositionen kennt man nur noch
ein zweistimmiges Kyi-ie vom J. 1473, welches Forkel im zweiten Bande seiner
Geschichte der Musik (Seite 670) aus Martini's »Storia« aufgenommen hat.
Godfrey, Daniel, englischer Tonkünstler, Musikdirektor des Gardecorps
in London, hat sich durch beliebt gewordene Tanz- und Marschcompositionen
auch in Prankreich und Deutschland einen Namen gemacht.
God save the kingr (the queen), die englische Nationalhymne, gedichtet und
componirt (1743) von Henry Carey (s. d.), wie aus Fr. Chrysander's For-
schung über diesen Gesang mit grösster Sicherheit hervorgeht. Vgl. die be-
zügliche Abhandlung in dessen Jahrbüchern für musikal. "Wissenschaft I. 287 u. ff.
Den deutschen Text dieser Hymne, mit den Worten »Heil dir im Siegerkranz«
beginnend, dichtete 1790 der holstein'sche Pfarrer Heinrich Harries, während
der Vicar des Hochstifts Lübeck, Balthasar Gerhard Schumacher das Verdienst
hat, dieselbe 1793 in Deutschland eingeführt zu haben.
Göbel, Johann Ferdinand, guter deutscher Violin spieler, Componist
und Dirigent, geboren 1817 zu Baumgarten in Schlesien, besuchte, nachdem
er das Gymnasium in Glatz durchlaufen, das Conservatorium in Prag, wo Pixis
im Violinspiel und Dionys Weber seine Hauptlehrer in der Composition waren.
Im J. 1840 wurde er als erster Violinist im Theaterorchester zu Breslau an-
gestellt und rückte 1844 zum Musikdirektor dieses Instituts auf. Componirt
hat er Werke für Violine, Ouvertüren für Orchester, ein- und mehrstimmige
Lieder und Gesänge.
Göbel, Karl, trefläicher deutscher Pianist und tüchtiger Componist, von
dessen Arbeit stylvolle Kammermusikwerke sich bedeutende Anerkennung er-
worben haben. Mit dem Titel eines königl. Preussischen Musikdirektors aus-
gezeichnet, lebt G. zu Bromberg als Ciavierlehrer und musikalischer Bericht-
erstatter der Bromberger Zeitung. Im J. 1873 trat er mit zwei Opern, »Chry-
salide« und »Frithjof« hervor, welche dem Vernehmen nach 1874 am Stadttheater
zu Danzig zur Aufführung gelangeil sollen. Die Ouvertüren zu diesen Opern
sind bereits von verschiedenen Orchestern (in Berlin von der Bilse'schen Ka-
pelle) mit Beifall ausgeführt worden. G. ist auch der Verfasser einer kleinen
didaktischen Schrift, betitelt: »Compendium für den Musikunterricht, insbesondere
für das Ciavierspiel« (Bromberg, 1862).
Göpel, Johann Andreas, vielseitig gebildeter und tüchtiger deutscher
Tonkünstler, geboren am 13. Oktbr. 1776 zu Pferdnigsleben bei Gotha, erhielt
in seiner Heimath einen gründlichen Unterricht im Oi'gelspiel und in der Musik
überhaupt. In Lübeck bildete er sich vollends aus und versah mehrere Jahre
hindurch das Präfectenamt beim Stadtsingchor, bis er 1808 als Organist an
der St. Jacobikirche in E-ostock angestellt wurde, in welcher Stadt er sich
auch als Gesang- und Clavierlehrer sehr verdient machte. Seit 1818 dirigirte
er auch einen von ihm gegründeten Gesangverein und veranstaltete 1819, bei
Gelegenheit der Aufstellung des Blücherdenkmals, mit 200 Sängern und 100
Instrumentalisten ein zweitägiges grosses Musikfest, welches der Jacobikirche
286 Göpfert.
einen Ertrag von über 800 Thalern zuführte. Nachdem er noch 1821 XJni-
versitäts-Musiklehrer geworden war, starb er schon am 26. Jan. 1823. Von
seinen Compositionen ist nichts in die grössere Oeffentlichkeit gedrungen; dafür
ist ihm der Ruf geblieben, ein ausgezeichneter Musiker und Lehrer, ein vor-
trefflicher Ciavier-, Violin-, Violoncello- und Harmonicaspieler gewesen zu sein,
der unablässig thätig für das Gedeihen der Tonkunst gewesen ist.
Göpfert, Karl Andreas, ausgezeichneter deutscher Clarinettvirtuose und
tüchtiger Componist für Harmouiemusik, wurde am 16. Jan. 1768 zu Rimpar
bei Würzburg geboren, wo sein Vater Amtschirurg war. Der dortige Schul-
lehrer unterrichtete ihn zugleich im Gesang, Ciavier- und Orgelspiel, bis er
diese Hebung auf der Schule zu "Würzburg seit 1780 mit Lectionen auf der
Clarinette beim Kammermusiker Ph. Meissner vertauschte. Bereits wurde er
als Clarinettist allgemein angestaunt, als er sich auch mit Harmonie- und Com-
positionslehre zu befassen anfing. Als erster Clarinettist ward er 1788 in die
Hofkapelle nach Meiningen gezogen und bald darauf auch als Musikdirektor
des Militaircorps daselbst angestellt. Urlaubs- und Abschiedsgesuche, die er,
als ihm vortheilhaftere Stellungen, besonders in Wien, winkten, wiederholt ein-
reichte, wurden unter Vorhaltung von Gehaltsaufbesserungen stets abgeschlagen,
so dass G. nur als fleissiger und tüchtiger Componist, nicht aber als Virtuose im
Auslande nach Gebühr gewürdigt werden konnte. Indessen erkannte König
Friedrich Wilhelm III. von Preussen G.'s Verdienste durch ein gnädiges Hand-
schreiben mit beigefügter grosser goldener Medaille für Kunst und Wissen-
schaft au, als G. eine grosse Fantasie für Harmoniemusik zur Feier des 18.
Octobers den vei'bündeten Monarchen 1815 zugeeignet hatte. Als achtuugs-
werther Künstler und als liebenswürdiger biederer Mensch hochgeehrt, starb
G. am 11. April 1818 zu Meiningen an gänzlicher Entkräftung in Folge hef-
tiger und anhaltender Brustkrämpfe. — Seine Compositionen, von denen etwa
40 AVerke gedruckt erschienen sind, bestehen in der Oper »der Stern des
Nordens« (1805), Concerten und Doppelconcerten für Clarinette und für andere
Blaseinstrumente, Variationen für Flöte, Harmoniemusiksätzen, Quartetten für
Clarinette und Sti'eichinstrumente, Clarinettenduos und Uebungen, Stücken für
Guitarre, Liedern, einer Ouvertüre für Orchester, einem Quartett für vier
Hörner, Sonaten für Ciavier und Hörn u. s. w. Ausserdem hat er u. A. »die
Schöpfung« von Haydn und mehrere Opern, Sinfonien u. s. w. für zwölfstim-
mige Harmoniemusik arrangirt.
Göpfert, Karl Gottlieb, vorzüglicher deutscher Violinvirtuose, geboren
1733 zu W^eesenstein bei Dresden als der Sohn des Cantors und Musikdirektors
Johann Gottlieb G., eines für seine Zeit nicht unbedeutenden Kirchencom-
ponisten, besuchte die Kreuzschule in Dresden und wurde seiner schönen
Sopranstimme wegen zugleich in den Kirchenchor gezogen. Sein Lieblings-
instrument war die Violine, die ihn 1753 auch auf die Universität nach Leipzig,
wo er unter Entbehrungen juristischen Studien oblag, begleitete. Um der
Kaiserkrönung beizuwohnen, reiste er 1764 nach Frankfurt a. M. Dort lernte
er u. A. Dittersdorff kennen, der auf sein Violinspiel den vortheilhaftesten
Einfluss ausübte, so dass G., nach Leipzig zurückgekehrt, allgemein bewundert
und bewogen wurde, sich ausschliesslich der Musik zu widmen. Von 1765 bis
1769 war er zuerst Solospieler in dem sogenannten grossen Concert, das da-
mals in den drei Schwanen stattfand (s. Gewandhaus) und dann Direktor
und Vorgeiger in dem sogenannten Gelehrten- und Richter'schen Concerte in
Leipzig. Keiner der grossen Virtuosen, die sich damals in Leipzig hören
Hessen, soll ihn in gesangreichem Ton und gewandter Bogenführung erreicht
haben. Im J. 1769 besuchte er Berlin, wo er sich ein Jahr lang fesseln Hess.
Hierauf im BegriflP, nach London zu reisen, Hess er sich von der verwittweten
Herzogin von Sachsen-Weimar bestimmen, als Kammermusiker in die dortige
Hofkapelle zu treten. Wenige Monate darauf wurde er Orchesterdirektor und
Concertmeister, in welchen Stellungen er sich sehr auszeichnete. Einen zwei-
Görl — Goes. 287
maligen Schlaganfall, der ihn 1798 traf, überlebte er nicht lange; er starb am
3. Oktbr. desselben Jahres zu "Weimar. Von seinen vielen Schülern hat ihm
Joh. Priedr. Kranz am meisten Ehre gemacht. Als Compositionen von Gr.
führt Gerber, der ihn auch persönlich kannte, sechs im Druck erschienene
Polonäsen für Violine an, die zu ihrer Zeit für fast unüberwindlich schwer
gehalten wurden.
Görl, Franz, s. Gerl.
Gförmar, Christian August, deutscher Orgelspieler und Componist für
sein Instrument, war um die Wendezeit des 18. und 19. Jahrhunderts Organist
zu Cölleda in Thüringen und hat von seinen musikalischen Arbeiten leichte
Präludien für die Orgel veröffentlicht, welche in Leipzig erschienen sind.
6iörner> Johann Valentin, Bruder des Organisten Joh. Grottl. Gr. an
der Thomaskirche zu Leipzig, geboren am 26. Febr. 1702 zu Pönig im Erz-
gebirge, machte nach angestrengten wissenschaftlichen Studien sich als Ciavier-
virtuose durch seine Reisen an verschiedene deutsche Höfe bekannt; er soll auch
Compositionen für sein Instrument geschrieben haben, jedoch sind nur Lieder von
ihm bekannt geblieben. G. war Musikdirektor an der Domkirche zu Hamburg, f
Göroldt, Johann Heinrich, trefflicher deutscher Tonkünstler und Musik-
pädagoge, geboren am 13. Decbr. 1773 zu Stempede in der G^rafschaft Stol-
berg, war ein Musikschüler Georg Friedr. "Wolfs und lebte seit 1803 als
Kirchen-Musikdirektor zu Quedlinburg. Choräle für vier Männerstimmen, klei-
nere Ciavierwerke und folgende Bücher von ihm sind im Druck erschienen:
»Leitfaden zum Unterricht im Generalbass und in der Composition« (2 Thle..
Quedlinburg, 1815 und 1816; 2. Aufl. 1828; 3 Aufl. Leipzig, 1832); »die
Kunst, nach Noten zu singen, |oder praktische Elementar- Gesanglehre« (Qued-
linburg, 1832). Seine sonstigen Kirchenwerke sind Manuscript geblieben. Im
J. 1832 war er noch am Leben.
Görrah, ein südafrikanisches Instrument, das, einer Aeolsharfe nicht un-
ähnlich, über einen Resonanzboden ausgespannte Saiten zeigt, welche durch
Blasen durch ein Bohr in Vibration gesetzt und tönend erregt werden.
Görres, Jacob Joseph, berühmter deutscher Gelehrter und eifi'iger Musik-
liebhaber, geboren am 25. Jan. 1776 zu Coblenz, starb 1848 als Doctor und
Professor der Philosophie zu München und ist der Verfasser eines Buches
unter dem Titel: »Aphorismen über die Kunst« (Coblenz, 1814), in welchem
eine gereifte, nichtsdestoweniger aber ziemlich phantastische Musikanschauung
sich documentirt.
Goes, Damiao de, berühmter portugiesischer Diplomat und Historiker,
geboren 1501 in der Villa de Alempuez, kam in seinem neunten Jahre als
Hofjunker in die Residenz des Königs Dom Manoel, wo er auch musikalisch
trefflich ausgebildet wurde, so dass er mehrere Instrumente spielte und sogar
componirte. Unter den Königen Sebastian und Johann III. war er als Ge-
schäftsträger in Flandern, Italien, an den Höfen von Polen, Dänemark, Eng-
land u. s. w. und verfolgte nebenbei eifrig wissenschaftliche und künstlerische
Zwecke. Von Löwen, seinem Lieblingsaufenthalt aus, besuchte er 1542 auch
Holland und Deutschland und lernte dort den Erasmus und hier den Glarean
kennen. Im J. 1544 in sein Vaterland zurückberufen, erhielt er zwei Jahre
später das Amt als Archivar beim Staatsarchive. Von der Inquisition der
Ketzerei beschuldigt und verfolgt, verlor er um 1570 alle öffentlichen Aemter
und seine Güter und wurde in das Kloster Batalha verwiesen. Sein Todes-
jahr ist ungewiss; man fand ihn in seinem eigenen Hause, worin er Arrest
hatte, todt und, wie man annimmt, schwerlich auf natürliche Art gestorben,
vor. In Glarean's Dodecachordon befindet sich eine dreistimmige Motette, y>Ne
laeteris inimica meaa. von ihm, die in dem Style des Josquin componirt ist;
viele andere seiner Tonsätze bewahrt die Bibliothek zu Lissabon. Seine zahl-
reichen lateinischen und portugiesischen Schriften sind meist chronistischen
und historischen Inhalts.
288 Goethe — Götze.
Goethe, Walther "Wolfgang von, der Enkel des unsterblichen deutschen
Dichterfürsten Joh. Wolfg. v. G., geboren 1817 zu "Weimar, erhielt eine sorg-
fältige Erziehung und befleissigte sich, nachdem er bereits ein fei'tiger Pianist
geworden war, eines tieferen Eindringens in die Geheimnisse der Tonkunst bei
Mendelssohn und AVeinlig in Leipzig, später bei Karl Löwe in Stettin. Als
Componist trat er mit den kleinen Opern »das Fischermädchen«, 1839 in Wei-
mar beifällig aufgenommen, und »Elfriede«, sowie mit Ciavierstücken und Liedern
nicht gerade bedeutsam, aber auch nicht unvox'theilhaft hei'vor. Wie sehr ihm
damals die Tonkunst am Hei'zen lag, zeigte er durch seine, vorzugsweise musi-
kalischen Zwecken gewidmeten Reisen in's Ausland und durch einen längeren
Aufenthalt (bis 1850) in Wien, wo er mit allen bedeutenderen Tonküustlern
in fi-eundschaftliclie Verbindung trat. Seine Aufsätze und Correspondenzen
aus letzterer Stadt in der »Neuen Berliner Musikzeitung« (Jahrg. 1849) be-
kunden ein achtes und intelligentes Künstlergemüth. Als ein mehr revolutio-
näres Treiben als Nachhall der politischen Bewegung von 1848 auch im Musik-
gebiete Platz griff, wandte er sich mehr und mehr von eigener künstlerischer
Bethätigung ab. Gegenwärtig lebt er seit einer Reihe von Jahren als gross-
herzoglicher Kammerherr im grossväterlichen Hause zu Weimar, ohne irgend-
wie für die doi't cultivirte Kunstrichtung hemmend oder fördernd einzutreten.
Oötting", Heinrich, musikkundiger deutscher Theologe, war Pastor zu
Clettstädt bei Frankfurt a. 0. und gab heraus: »Dr. Luther's Catechismus von
Wort zu Wort in vier Stimmen schön und lieblich componiret« nebst einem
»Bericht, wie junge Knaben und Mädchen innerhalb zwölf Stunden in musicam
begreifen können« (Frankfurt a. 0., 1605). — Nicht zu verwechseln mit ihm
ist sein älterer Zeitgenosse Valentin G., geboren zu Witzenhausen in Thü-
ringen, ein befähigter Musikschriftsteller des 16. Jahrhunderts, von welchem
ein ■s>Gompendium musicae modulativaea (Erfurt, 1587) im Druck erschienen ist.
Göttle , Johann Melchior, deutscher Kirchencomponist , war in der
letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts Kapellmeister an der Kathedralku'che zu
Augsburg. Eine Messe seiner Composition, welche er daselbst aufführte, hat ge-
schichtliche Erwähnung gefunden und befindet sich in der Bibliothek zu München.
Götz, Franz, talentvoller deutscher Violinvirtuose und Instrumentalcom-
ponist, geboren 1755 zu Straschitz in Böhmen, kam als Chorknabe in die
Jesuiten schule zu Pribram und erhielt dort, sowie auf dem Seminar St. Wenzel
und auf der Universität zu Prag eine gute wissenschaftliche Ausbildung. Be-
reits Baccalaureus der Theologie', wollte er in den Benedictinerorden treten,
ging aber plötzlich als erster Violinist an das Theaterorchester zu Brunn.
Nach einigen Jahren machte er von dort aus Kunstreisen durch Böhmen und
Schlesien, hier und da in Orchestern von Klosterkirchen verweilend. Die Be-
kanntschaft mit Dittersdorff, die er in Breslau machte, verschaffte ihm die Vor-
geigerstelle in der Johannisberger Kapelle, nach deren Auflösung G. wieder
in Breslau verweilte und sich u. A. auch während der Krönung des Königs
Friedrich Wilhelm IL hören Hess. Als Orchesterdirektor des Theatei'S ging
er bald darauf abermals nach Brunn, wurde aber nach kurzer Funktion daselbst
Kapellmeister des Erzbischofs von Olmütz und lebte als solcher noch 1799.
Im Manuscript hat man von ihm Sinfonien, Concerte und Sonaten für Violine,
Duos, Trios u. s. w.
Götz, Hermann, talentvoller Tonkünstler, geboren 1842, ist als Organist
in Winterthur angestellt und hat sich durch Lieder und ein bemerkenswerthes
Ciaviertrio, welche im Druck erschienen sind, in mehr als gewöhnlicher Weise
hervorgethan.
Götze, Franz, vortrefflicher deutscher Gesanglehrer, geboren am 10. Mai
1814 zu Neustadt a. d. Orla, ward schon früh zu Violinstudien angehalten
und 1829 nach Kassel geschickt, wo Spohr seine technische Ausbildung voll-
endete. Bereits 1831 wurde er als erster Violinist der Hofkapelle in Weimar
angestellt, warf sich nun aber mit Eifer auf das Studium des Gesanges, sodass
Götze. 289
er das Greigenpult mit der Stelle eines ersten Tenors jener Hofbühne vertau-
schen konnte. Von 1836 bis 1852 galt er als lyrischer Tenor für eine Hauptzierde
des Weimarer Theaters. Durch seine vorzügliche musikalische Bildung und Sing-
manier war er mehr wie viele Andere zum G-esanglehrer geschickt, nahm daher 1853
eine Berufung in dieser Eigenschaft an das Conservatorium zu Leipzig an und
wirkte daselbst, 1855 auch vom Grossherzoge von "Weimar mit dem Professor-
titel beehrt, bis 1867 mit grosser Auszeichnung. Als Sänger trat er auch
noch in dieser Zeit in Concerten zu Leipzig und in Hofconcerten zu Weimar
vielfach auf und erregte durch seinen geschmackvollen und gediegenen Vortrag,
ganz besonders von Liedern, das lebhafteste Interesse. Nach seinem Abgange
vom Leipziger Conservatorium 1868 zog er sich in das Privatleben zurück, gab
jedoch die ihm lieb gewordene Beschäftigung, junge Gresangstalente für die
Bühne und den Concertsaal vorzubereiten, nicht auf und gehört noch immer zu
den gesuchtesten Lehrern Norddeutschlands, Leipzigs insbesondere. lieber sein
Wirken als Professor am Conservatorium hat er selbst in einer kleineu Schrift:
»Fünfzehn Jahre meiner Lehrthätigkeit u. s. w.« (Leipzig, 1868) Aufschlüsse
gegeben.
Götze, Georg Heinrich, deutscher Theologe, geboren 1667 zu Leipzig,
gestorben 1728 zu Lübeck als Professor und Prediger, figurirt in der Geschichte
des deutschen Kirchengesangs durch ein Sendschreiben, welches er an Joh. Christ.
Olearius, dessen evangelischen Liederschatz betreffend, richtete.
Götze, Johann Melchior, deutscher Theologe, nicht mit dem gleich-
namigen polemisirenden Gottesgelehrten von Hamburg, dem sogenannten Zions-
Wächter zu verwechseln, war in der Mitte des 17. Jahrhunderts im Thüringen'-
schen geboren und starb 1728 als Prediger in Halberstadt. Er hat einen
Necrolog auf Andreas Werkmeister (Halberstadt, 1707) verfasst, der wichtiges Ma-
terial zur Biographie und Charakteristik jenes ausgezeichneten Organisten enthält.
Götze, Johann Nicolaus Konrad, gründlicher und gediegener deutscher
Tonkünstler, geboren am 11. Pebr. 1791 zu Weimar als Sohn eines Hofmusikers
der dortigen herzogl. Kapelle, erhielt von seinem Vater mit so trefflichem Er-
folge Unterricht im Violin- und Ciavierspiel, sowie im Generalbasse, dass er
vom Kapellmeister Kranz bei der Herzogin Amalia eingeführt und von dieser
wiederum unter besondere Protection genominen wurde. Kaum 15 Jahr alt,
wurde er von dem in Leipzig lebenden polnischen Grafen Augustowsky für
dessen Hauskapelle gewonnen und trat seitdem auch in öffentlichen Concerten
beifällig auf. Im J. 1806 erhielt er Anstellung in der Weimar'schen Hof-
kapelle und durch die Muuificenz der Ei'bgrossherzogiu Maria Paulowna Ge-
legenheit, sich bei Spohr in Gotha im Violinspiel und bei Aug. Eberhard
Müller in Weimar in der Composition weiter auszubilden. Die Prinzessin
sandte ihn sogar 1813 nach Paris, wo er die Bevorzugung erlangte, das Con-
servatorium zu besuchen und Cherubini's und Kreutzer's Unterricht zu ge-
messen. Nach acht Monaten kehrt« er reich an Erfahrungen und Anregungen
nach Weimar zurück und ti-at zunächst als dramatischer Componist mit der
einaktigen Operette »der Zwiebelmai-kt« und hierauf mit der grossen Oper
»Alexander in Persien« auf, welche letztere noch 1819 mit vielem Beifall ge-
geben wurde. Damals erregte er auch als Violinvirtuose auf einer Kunstreise
den Rhein entlang, durch Tyrol, Oberitalien, Oesterreich und Ungarn grosses
Aufsehen und brachte nach seiner Rückkehr 1822 eine neue Oper, »das Orakel«
mit Erfolg auf die Scene. Im J. 1826 wurde er grossherzogl. Musikdirektor
und Correpetitor am Hoftheater und Hess, durch angestrengte Berufsgeschäfte
in Anspruch genommen, erst 1834 wieder als Operncomponist von sich hören,
indem er die vieraktige Partitur »der Gallego«, Text von Fischer, einreichte,
ein Werk, welches die Achtung des Publikums wie der Kritik davonti'ug.
Ausser den genannten Opern schrieb er im Laufe der Zeit noch viele Werke
für den Hoftheaterdienst, so u. A. eine Ouvertüre »Xe printempsa betitelt, und
eine andere zu Holtei's »Majoratsherrn«, ausserdem aber auch Streichquai'tette,
Musikal. Convers.-Lexikon. IV. 19
290 Götze— Gold.
Concerte und kleinere Stücke für Violine, für Pianoforte sowie Gesangssacten,
von welchen aber nur das "Wenigste erschien. Als Componist bekundete G.
trotz mangelnder Originalität, ein ernstes künstlerisches Streben, als Violinist
die Vorzüge der Spohr'schen, vereinigt mit der soliden französischen Schule.
G. starb zu Weimar am 5. Decbr. 1861.
Götze, Karl, talentvoller deutscher Tonkünstler, geboren 1840 zu Weimar
und in seiner Vaterstadt in anregender künstlerischer Umgebung besonders für
die Dirigentenlaufbahn herangebildet, brachte als Chormeister und Correpetitor
des dortigen Hoftheaters (1866) die Oper »die Corseu« und 1868 »Gustav Wasa,
oder der Held des Noi'dens« zur Aufführung, in welchen er den Bahnen Rieh.
Wagner's folgt. Es gelaug ihm, durch letzteres Werk, Aufmerksamkeit zu erregen
und Aufmunterung zu finden. Er wurde für die Wintersaison 1869 — 1870 als
Kapellmeister der neu errichteten Oper am Nowacktheater zu Berlin angestellt
und fand daselbst, sowie unmittelbar darauf bei den Opern des Kroll'schen
und des Walhallatheaters, Gelegenheit, sein sehr bemerkenswerthes Geschick
als Dirigent von Vocalkräfteu und des Orchesters, sowie als Bearbeiter grosser
Werke für die geringeren Mittel kleinerer Bühnen iu ein helles Licht zu setzen.
Seit dem Winter 1871 befindet sich G. als Kapellmeister und Chordirektor
beim Stadttheater iu Breslau und wirkt auch dort mit grosser Auszeichnung.
Er hat Ouvertüren für Orchester, Ciavierstücke und Lieder geschrieben, welche,
da sie nicht gedruckt, leider so gut wie apocryph sind.
Götze, Nicolaus, deutscher Violinspieler und Componist, war bis etwa
1740 in der fürstl. Hof kapeile zu Rudolstadt angestellt, worauf er sich in
Augsburg niederliess. Er ist durch eine Sonate für Ciavier mit Violinbeglei-
tung vortheilhaft über seine Zeit hinaus bekannt geblieben.
Götzel, Franz Joseph, deutscher Flötist und Componist für sein In-
strument, trat 1756 in die Hof kapeile zu Dresden und hat ungedruckt geblie-
bene Concerte, Trios, Duette u. s. w. für Flöte hinterlassen.
Göz, deutscher Orgelbauer, um 1680 im Anspach'schen lebend, wird als
ein sehr geschickter Meister seines Fachs erwähnt.
GolFner, Johann, deutscher Orgelbauer aus der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, lebte in Striegau und hat u. A. 1632 eine Orgel in Reichen-
bach aufgerichtet.
Gograviu, Anton Hermann, auch Gogava geschrieben, ein mailändischer
Arzt hoUändisch-brabantischer Abkunft, der seine Studien in Wien gemacht
hatte, hat Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts verschiedene Samm-
lungen griechischer und lateinischer Musikschriftsteller herausgegeben, die sich
jetzt jedoch nur noch sehr selten vorfinden; sie sollen zudem von untergeord-
netem Werthe sein. Vgl. Forkels Literatur der Musik Seite 46, Aristoxenus.
t
Goguet, Antoine Yves, französischer Historiker, geboren am 18. Jan.
1716 zu Paris, hat sich auch als Musikschriftsteller einen Namen gemacht und
zwar ganz besonders durch das mit seinem Freunde Fugere gemeinschaftlich
herausgegebene gründliche und gediegene Werk: y>I>e Vorujine des lois, des arts
et des sciences et de lews progres chez les anciens peuples«. (3 Bde., Paris, 1758;
6 Bde., 1759 und öfter), welches, als meisterhaft anerkannt, auch in's Deutsche
und Englische übersetzt wurde. G. selbst starb am 2. Mai 1758 zu Paris an
den Blattern.
Gola (lat. und ital.), eigentlich die Kehle, Gurgel, s. Halsstimme.
Gold, Leonhard, talentvoller Violinvirtuose und Componist, geboren 1818
zu Odessa, erhielt daselbst bei sich schon früh bekundeten grossen Anlagen
seinen ersten Musikunterricht und wurde dann zu seiner höheren Ausbildung
auf das Conservatorium in Wien gebracht, wo er, besonders unter Jos. Böhm's
Leitung, zu einem ausgezeichneten Geiger heranreifte. Im Laufe dieser Studien-
zeit dreimal preisgekrönt, kehrte er 1836 nach Odessa zurück und brachte da-
selbst eine noch in Wien componirte italienische Oper mit grossem Beifalle
Goldast — Goldberg. 291
1837 zur Aufführung. Ein Jahr später unternahm er eine grössere Kunst-
und Bildungsreise in das Ausland, von welcher er 1839 zurückkehrte, um als
erster Violinist im Theaterorchester zu Odessa zu wirken. Neueren Nachrichten
zufolge lebt er daselbst noch, zurückgezogen vom öffentlichen Kunstleben zwar,
aber in sehr glänzenden Verhältnissen.
Ooldast, Melchior, genannt G-. von Heimingsfeld, deutscher Publicist
und Historiker, geboren am 6. Januar 1576 zu Espen bei Bischoffszell in der
Schweiz, starb nach einem bewegten und unsteten Leben im J. 1635 als
Kanzler der Universität zu Griessen. Er veröffentlichte u. A.: »Scriptorum verum
alemanniearum etc.K (3 Bde., Frankfurt, 1606; neue Ausg. 1730), worin er auch
von der Erfindung, Umgestaltung, Verbesserung und Vollendung der Musik
handelt.
(xoldbach, Christian, hervorragender Mathematiker aus der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts, war in preussischen Diensten zu Königsberg angestellt
und ist der Verfasser der Schrift r>Temj)eramentum musicum universale«, welche
in der Sammlung r>Acta eruditorumv. von 1717 enthalten ist.
Goldbeck, Robert, talentvoller Pianist und Componist der Gegenwart,
geboren 1835 zu Potsdam, erregte, von Steinmann auf dem Pianoforte unter-
richtet, schon früh in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit und Theilnahme, in
Folge deren er, von einflussreicher Protection unterstützt, nach Braunschweig
gehen und bei Henry Litolff weiter studiren konnte. Dieser sowie Meyerbeer
riethen ihm 1851, den feineren musikalischen Schliff in dem Kunstleben von
Paris zu suchen. G. folgte mit grossem Glück diesem Rathe und machte sich
während seines mehrjährigen Aufenthalts in der französischen Hauptstadt, den
einflussreiche Empfehlungen an die besten Familien sehr angenehm gestalteten,
höchst vortheilhaft als tüchtiger Claviervirtuose und strebsamer Componist be-
kannt. Im J. 1856 begab sich G. nach London, wo er durch Alexander von
Humboldt beim Herzog von Devonshire eingeführt wurde, der ihm glänzende
Concerte arrangirte und im Drurylane- Theater die Aufführung der Operette
y>The soldier''s returiia, zu welcher G. den Text wie die Musik geschrieben hatte,
ermöglichte. In dieser Zeit erschienen denn auch in rascher Folge von G.'s
Composition elegante und brillante Salon- und Concertstücke für Pianoforte,
sowie Lieder und Gesänge für eine Singstimme im Druck. Als sehr werthvoll
zeichnete sich ein Claviertrio aus, welches allenthalben den Beifall selbst der
strengeren Kritik fand. Im J. 1857 Hess G. sich in New-York nieder und
entfaltete dort als Componist und Musiklehrer eine rühmliche Tbätigkeit, bis
er sich zehn Jahre später nach Boston wandte, wo er ein trefflich eingerichtetes
Conservatorium gründete. Die Leitung dieser Anstalt legte er 1868 in die
Hände eines seiner Lehrer und begab sich nach Chicago. Auch dort richtete
er und zwar in grossartigem Maassstabe ein Conservatorium ein . dessen Di-
rektion er noch gegenwärtig mit Eifer, Umsicht und Geschick führt und in
welchem in allen praktischen und "theoretischen Musikfächern von den besten
Lehrkräften ein gediegener Unterricht ertlieilt wird. Mit der Chorgesang- und
der Orchesterciasse veranstaltet G. von Zeit zu Zeit grosse Concerte, welche
auf den Musiksinn und die Musikpflege Chicago's einen wohlthätigen Einfluss
ausüben. Unter seiner Redaction erscheint auch seit 1870 eine englische
O
musikalische Monatsschrift, betitelt nThe musical Independenü^ , welche neben
der Tagesgeschichte treffliche Abhandlungen und Kritiken neuer Erscheinungen,
sowie angehängt ausgewählte Originalcompositionen, meist für Pianoforte sowie
für Gesang bringt. Unter den letzten Compositionen G.'s befinden sich Sin-
fonien und Clavierconcerte , welche sich in Amerika einen guten Ruf erAvorben
haben.
Goldberg, einer der vorzüglichsten Ciavier- und Orgelvirtuosen des 18.
Jahrhunderts, dessen Geburtsjahr, Geburtsort und Lebensschicksale in das
tiefste Dunkel gehüllt sind; ja, seinen Vornamen kennt man nicht einmal.
Nach Reichardt's Behauptung lebte G. in der Zeit von 1730 bis 1769. Um
10*
292 Golde — Goldmark.
die Zeit des siebenjährigeu Krieges war er Kammermusiker des Grafen Brühl
in Dresden. Seb. Bach soll ihn für den talentvollsten und fleissigsten Clavier-
und Orgelspieler erklärt haben, den er jemals gebildet. Gr. wurde aber nicht
blos als Virtuose, sondern auch als unerschöpflicher Improvisator bewundert,
sowie als Notenleser, der auch die schwersten Stücke, sogar wenn die Noten
umgekehrt auf dem Pulte lagen, vom Blatte spielte. Seine elgenthümlichsten
und kunstvollsten Compositionen erklärte er für Kleinigkeiten, die höchstens
für Damen und Dilettanten einigen Werth haben könnten und Hess daher nichts
davon im Druck erscheinen. Im Original oder Abschrift sind von denselben
noch zu Gerber's Zeiten bekannt gewesen: Einige Trios für Flöte, Violine und
Bass, zwei Concerte, eine Sonate, etwa 24 Polonäsen und Variationen für
Ciavier, Präludien und Fugen für Ciavier und für Orgel u. s. w. Tiefe Me-
lancholie und Eigensinn werden als G.'s Haupteigenschaften bezeichnet.
Golde, Johann Grottfried, deutscher Tonkünstler, geboren zu Kreische
bei Dresden, Schüler des Kammermusikers und Hoforgauisten Wilten zu Gotha
und dessen Amtsnachfolger, gab 1768 daselbst eine in Musik gesetzte »Ode
auf den Sterbemorgen der Herzogin Louise von Gotha« heraus, die harmonisch
manches Beachtenswerthe bieten soll. Seine Tochter bildete 1784 Forkel in
Göttingen im Gesänge aus. G. starb Ende der achtziger Jahre des 18. Jahr-
hn,nderts. Vgl. Marpurg's kritische Beiträge Band I. Seite 271 und E. 0.
Lindner's Gesch. des deutsch. Liedes im 18. Jahrb. S. 143. f
Golde, Joseph, tüchtiger Musiker und Dirigent, geboren um 1800 in
der Nähe von Gotha, zeichnete sich besonders als Musikmeister des Musikcorps
des preussischen 32. Infanterieregiments in Erfurt aus, in welcher Stellung er
den Titel eines königl. Musikdirektors erhielt. Nach erfolgter Pensionirung
übernahm er die Leitung des SoUer'schen Gesangvereins, welche er bis 1872
führte, in welchem Jahre dieselbe aus seinen Händen in die seines Sohnes
überging. — Dieser letztere, Adolph G., geboren am 22. Aug. 1830 zu Er-
furt, wurde vom Vater früh im Ciavier-, Clarinett- und Violinspiel unterrichtet.
Nachdem er seit 1849 seiner Militairpflicht im Musikcorps seines Vaters als
freiwilliger Hautboist genügt hatte, kam er 1851 nach Berlin, wo er bei A. B.
Marx noch in der Composition und bei Haupt und Hauer auf der Orgel
Studien machte. Nach zweijähriger fleissiger Uebung Hess er sich dauernd in
Berlin nieder und übernahm später auch den Unterricht in einer Clavierklasse
des Stern'schen Conservatoriums. Nebenher machte er sich in Concerten als
fertiger und solider Pianist bekannt. Im J. 1872 verliess er Berlin, um als
Nachfolger seines Vaters die Direktion des SoUer'schen Gesangvereins in Er-
furt zu übernehmen. Von seinen Compositionen erschienen im Druck elegante
Salonstückc, Tänze und Märsche für Pianoforte. Orchesterwerke von ihm,
u. A. eine 1858 aufgeführte Sinfonie in H-moll, sind Manuscript geblieben.
Goldhorn, Johann David, deutscher Theologe, geboren 1774 zu Püchau
bei Würzen im Kurfürstenthum Sachsen, gestorben als Professor und Prediger
an der Nicolaikirche zu Leipzig im J. 1836, veröffentlichte als Dissertation die
Abhandlung: »Ein Wunsch für die kirchliche Jubelfeier der Augsburgischen
Confession in musikalischer Hinsicht«, welche 1829 in der Zimmermaun'schen
Kirchenzeitung abgedruckt wurde.
Goldingham, John, englischer Officier, der als Genie-Major 1823 in Madras
umfangreiche Versuche mit 24-pfündigen Kanonen anstellte, um im Interesse
der Akustik die Geschwindigkeit des Schalles zu bemessen und festzustellen.
Goldmark, Karl, einer der hervorragendsten und talentvollsten öster-
reichischen Tonsetzer der Gegenwart, wurde am 18. Mai 1832 zu Keszthely
in Ungarn von israelitischen Eltern geboren und erhielt, da er bedeutende
musikalische Anlagen bekundete, seit 1843 einen geregelten Unterricht auf der
Violine und zwar im Oedenburger Musikvereine. Seine i'apideu Fortschritte
veranlassten die Eltern, ihn behufs höherer Ausbildung auf diesem Instrumente
1844 zu Jansa nach AVieu zu schicken. Seit 1847 besuchte er die Harmonie-
Goldner — Goldschmidt. 293
und Violinlektionen des "Wiener Conservatoriums, sah sicli aber in Folge der
politischen Stürme von 1848 auf das Selbststudium angewiesen. Seinem
Schaflfensdrange folgte er in dieser Zeit frank und frei und in nicht eben ge-
regelter Art. Ehe er Wien verliess, führte er in einem Concerte mit eigenen
Compositionen 1857 dem Publikum eine Ouvertüre, einen Psalm für Chor,
Soli und Orchester, ein Pianofortequartett und kleinere Werke als beachtens-
werthe Früchte seiner ernsten Musikübung vor. Seit 1858 lebte G. in Pesth
und trieb daselbst mit Eifer neben philosophischen Studien Contrapunkt, Fuge
und Instrumentation. Auch dort gab er ein Jahr später ein Concert mit
Compositionen, die er seitdem geschaffen; jedoch führte ihn schon das nächste
Jahr, indem er dem Bedürfnisse grösserer künstlerischer Anregung und Be-
thätigung folgte, nach Wien zurück, wo er zunächst mehrere mit grossem Bei-
fall aufgenommene Kammermusikwerke schrieb, die in Hellmesberger einen
Grönner fanden, der sie mit seinem Quartettvereine zu wiederholten Malen vor-
führte, wie denn auch Gr. selbst nicht versäumte, durch eigene Concerte (1861
und später) von seiner Thätigkeit öffentlich Rechnung abzulegen. Seine Suite
für Ciavier und Violine, ein Scherzo und die Concertouvertüre >3Sacuntalaa wurden
auch in dem übrigen Deutschland als charaktervolle Manifestationen eines hoch-
bedeutenden Talentes aufgenommen. Seine Schöpfernatur tritt in diesen, sowie
in allen späteren Arbeiten in freien aber festen Formen, selbstständig ausge-
prägt und äusserlich wie innerlich fertig auf. Seit 1865 beschäftigte sich 0.
mit der Composition einer grossen Oper, betitelt »die Königin von Saba«,
welche von der Direktion der k. k. Hofoper in Wien 1873 zur Aufführung
zwar angenommen wurde, die aber zu Anfange 1874, trotz des Drängens der
Localkritik und der gesinnungsvolleren Kunstfreunde, noch nicht zur Vorfüh-
rung gelangt war. C's glänzende Instrumentationsweise bekundet allerdings
den entschiedenen Beruf zu orchestralem, besonders dramatischem Schaffen, und
aus seinen Liedern, die überwiegend dem declamatorischem Principe, jedoch
auf breiter melodischer Grundlage huldigen, darf man einen günstigen Schluss
auf die Behandlung des Gesanglichen in dieser Oper ziehen. Die Zahl der
bis jetzt im Druck erschienenen Compositionen G.'s ist verhältnissraässig zwar
nur gering, aber man darf behaupten, dass der Componist auf jede einzelne
hohen Ernst gesetzt, sich ganz in die betreffende Aufgabe versenkt und überall
Formenklarheit mit wahrem Gefühlsausdruck zu vereinen gesucht habe. Sie
bestehen in Ouvertüren und einem Scherzo für Orchester, einem Quintett und
einem Quartett für Streichinstrumente, einem Trio und einem Duo für Piano-
forte u. s. w., ferner zwei- und vierstimmigen Ciavierstücken , sowie endlich
ein- und mehrstimmigen Gesängen.
Groldner, Auguste von, s. Krüger- Aschenbrenner.
Goldschad, Gotthilf Konrad, deutscher Theologe und Schulmann, ge-
boren 1719 zu Leubnitz bei Dresden, schrieb 1751 als Rector der St. Anna-
schule zu Di-esden ein akademisches Programm, betitelt: »Ohorus musicus gloriae
Christi celehransd.
Goldschmidt, Ad albert von, talentvoller österreichischer Tonkünstler,
geboren 1853 zu Wien, woselbst er auch seine musikalische Ausbildung erhielt.
Einen über seine Geburtsstadt weit hinausgehenden Ruf erhielt er 1873 durch
den hochbegabten Dichter Roh. Hamerling, der eigens für ihn, Aach einem von
G. selbst gegebenen Plan und Umrisse eine Cantate in drei Theilen, betitelt
»die sieben Todsünden« verfasste und veröffentlichte, deren Composition durch
G., als dem alleinigen Eigenthümer der Dichtung noch entgegenzusehen ist.
Wenn sich der Letztere seiner Aufgabe in gleichem Maasse gewachsen zeigt
wie der Dichter, so wird die musikalische Literatur um ein wahrhaft gross-
artiges Werk bereichert.
Goldschinidt, Jenny, s. Lind.
(Joldschmidt, Otto, guter deutscher Pianist und Componist, geboren 1829
zu Hamburg, erhielt seinen ersten Pianoforteunterricht bei Jacob Schmitt und
294 Goldschmidt — GoUmert.
besuchte dann das Conservatorium zu Leipzig, wo er bei Mendelssohn und
Hauptmann Compositions- und contrapunktische Studien trieb. Im J. 1851
vereinigte sich die berühmte Sängerin Jenny Lind mit ihm zu Kunstreisen
durch Nordamerika und reichte ihm ein Jahr später sogar die Hand zum ehe-
lichen Bunde. In glücklicher Ehe mit der grossen Künstlerin lebte Gr., künst-
lerisch sich nur selten bethätigend, von 1853 bis 1858 in Dresden und Düssel-
dorf, dann bis 1868 bei und in London, wo er auch seit 1866 eine Zeit lang
Mitdirektor des Conservatoriums war und endlich abwechselnd in Hamburg
und London. Gr.'s Compositionen bestehen in Clavierconcerten , Quartetten,
Pianofortestücken verschiedener Art, Liedern und einem Oratorium »Ruth«,
welches letztere mit seiner Gattin in der Titelparthie in einigen grösseren
Städten zur Aufführung gelangte, aber niemals mehr als einen Achtungserfolg
sich verschaffte.
(ioldschmidt, Sigismund, vorzüglicher Pianist und trefflich begabter
Componist, geboren am 28. Septbr. 1815 zu Prag, woselbst er, besonders durch
Tomaschek, eine universale und gediegene musikalische Ausbildung erhielt, kraft
deren er während eines Aufenthaltes in Paris von 1845 bis 1849 die Blicke
der Musikwelt auf sich lenkte. Seine Ciavier- wie seine Orchestercorapositionen
bekundeten Reichthum an Erfindung, Inspiration und orosses technisches Ge-
schick und namentlich wurden seine Concerte, Sonaten und Etüden dem Besten
auf diesem Compositionsgebiete zur Seite gestellt. Trotz so glänzender Anspielen
verschwand Gr. meteormässig vom öffentlichen Schauplatze, indem er das wohl-
situirte kaufmännische G-eschäft seines Vaters in Prag übernahm und seitdem
nur noch als Mäcen der Kunst, nicht als ausführender Künstler sich bethütigte.
Goldwin oder (xolding-, John, englischer Kirchencomponist, geboren um
1660, war ein Schüler Child's, welchem Meister er auch 1697 als Organist der
St. Georgskapelle in Windsor folgte. Im J. 1703 vereinigte er mit dieser
Stelle noch die eines Chormeisters an derselben Kapelle und starb am 7. Novbr.
1719. Von seinen Compositionen kennt man nur noch Anthems; zwei der-
selben befinden sich in der Sammlung i^Harmonia sacrav. von Page und ein
anderes hat Dr. Boyce mitgetheilt.
Groleu, Johann, deutscher Instrumentalmusiker, geboren im ersten Jahr-
zehnt des 17. Jahrhunderts als der Sohn eines kurfürstl. Tafeldeckers zu
Berlin. Er wurde, da er musikalisch beanlagt erschien, auf Kosten des Kur-
fürsten Friedrich Wilhelm ausgebildet und 1633 als Kammermusiker in der
Hofkapelle zu Berlin angestellt.
Geller, Martin, tüchtiger deutscher Kirchencomponist, geboren am 20.
Febr. 1764 zu Layen, einem Dorfe in Tyrol, erhielt seine gründliche Musik-
bildung von seinem Vater, der Organist und Schullehrer war, sodann als Chor-
knabe des königl. Damenstiftes zu Hall, und trat, 16 Jahre alt, in das Bene-
dictinerstift St. Georgenberg bei Fiecht, wo er alsbald als Componist einer
Messe sehr beifällig auftrat. Im J. 1811 wurde er Musiklehrer bei dem neu
errichteten Musikverein zu Innsbruck, wobei er auch den Musikchor in der
Universitätskirche zu besorgen hatte. Er starb am 13. Jan. 1836. Seine Ma-
nuscript gebliebenen Kirchenwerke fanden in Mich. Haydn einen sehr günstigen
Beurtheiler.
Gollmert, August "Wilhelm, deutscher Tonkünstler, geboren am 15. Dec.
1816 zu Berlin, erhielt von seinem dritten Jahre an bei seinem Vater, welcher
Stabshautboist des Kaiser Franz Grenadierregiment war, Unterricht auf der
Flöte und erlernte später nach und nach Hörn, Pauke, Violine, Ciavier und
Gesang. Nachdem er das Joachimsthal'sche Gjonnasium in Berlin durchlaufen
hatte, bezog er 1836 die Universität und studirte sieben Semester hindurch
Philosophie, Mathematik und alte Sprachen. Gleichzeitig ti'ieb er mit dem
grössten Eifer Ciavier- und Violinspiel und componirte Lieder, Sonatensätze
und Tänze aller Art. Diese Beschäftigung veranlasste ihn, dem wissenschaft-
lichen Fachstudium zu entsagen und sich ganz der musikalischen Composition
Gollmick. 295
zu wiclmen. Er hat sicLi in jeder Gattung der G-esangs- und Instrumental-
composition erfolgreich versucht und in eigenen Concerten, in den Sinfonie-
concerten der Liebig'schen Kapelle, sowie an den Musikabenden des Berliner
Tonkünstlervereins viele seiner den guten Musiker bekundenden Werke zur
Aufführung gebracht.
Gollmick, Friedrich Karl, sehr geschätzter deutscher Opernsänger und
guter Musiker, geboren am 27. Septbr. 1774 zu Berlin als Sohn eines unbe-
mittelten Militärhautboisten, musste sich schon früh die Mittel für seinen
Lebensunterhalt durch Singen im Currendechor erwerben. Righini fand sich
bewogen, seine Stimme auszubilden, und der Graf Schwerin liess ihn erziehen,
nahm ihn in sein Haus und machte ihn zu seinem Secretair. Häufiger Besuch
der Oper in dieser Zeit erweckte in G. die Neigung für das Theater, und als
sein Wohlthäter gestorben war, trat er 1792 als Chorist zum Nationaltheater
in Berlin, welche Stellung er bald darauf mit einer nicht viel besseren bei der
Bossau'schen Gesellschaft in Dessau vertauschte. Dort aber fand seine schöne
schmelzende Tenorstimme, sein ebenso inniger wie gewandter Vortrag und sein
bedeutendes musikalisches Talent die richtige Würdigung, und er erhielt 1797
eine Anstellung als erster Tenorist des Theaters in Hamburg. Sein Ruf ver-
breitete sich immer weiter, und er wanderte von einer Bühne zur anderen.
Bewunderung erregte es, wenn er als Tamino zugleich die Flöte blies oder als
Blondel in »Richard Löwenherz« die Geige spielte. Als Regisseur der Oper
zu Kassel trat er unter der Regierung Jeröme Bonaparte's auch in französischen
Spielopern mit grösstem Erfolge auf. Nach Auflösung des Königreichs West-
phalen sang G. noch an den Bühnen in Würzburg, Düsseldorf, Köln und
Coblenz. Hiernach übernahm er die Theaterdirektion in Colmar, setzte jedoch
bei diesem Unternehmen sein ganzes Vermögen zu. Von diesem Unglücksfalle
erholte er sich nicht wieder; halb erblindet liess er sich in Köln und endlich
bei seinem Sohne in Frankfurt a. M. nieder, war aber nicht mehr zu bewegen,
das Theater zu besuchen. In tiefster Zurückgezogenheit starb er am 2. Juli
1852 zu Frankfurt. Einen ehrenvollen Nachruf widmete ihm Schmid in seinem
»Necrolog der Deutschen«. — G.'s Sohn, Karl G., wurde am 19. März 1796
zu Dessau geboren, erhielt in Köln eine treffliche Erziehung und wuchs da-
selbst u. A. mit Beruh. Klein auf. Die Wanderungen seines Vaters von Bühne zu
Bühne unterbrachen jedoch einen geregelten Ausbildungsplan, und erst 1812,
wo sich G. in Strassburg für das Studium der Theologie vorbereiten wollte,
gewann er genügende Zeit, seine wissenschaftlichen und künstlerischen Fähig-
keiten zu concentriren. Schon seit seinem elften Jahre hatte er Lieder com-
ponirt, die er, gereifter geworden, gleichwohl noch für werth befand, bei Andre
in Offenbach erscheinen zu lassen. Geregelten Compositionsunterricht über-
haupt erhielt er erst während dieses Strassburger Aufenthalts und zwar beim
dortigen Kapellmeister Spindler. G. selbst ertheilte gleichzeitig Unterricht im
Lateinischen, Französischen und im Clavierspiel, welche Thätigkeit ihn schon
früh selbstständig machte. Als Pianist erwarb er sich sogar einen gewissen
Ruf, und bald fungirte er auch als Organistenadjunct in der Thomaskirche.
Im J. 1815 bezog er die Strassburger Universität und dirigirte als Student
auch die sogenannten Klosterconcerte. Theologische und politische Händel
unter den Commilitonen , die zu offenen Feindseligkeiten führten und Rele-
gationen hervorriefen, verleiteten G. das Weiterstudium. Er begab sich nach
Frankfurt a. M. , wo er privatisirend der Musik lebte und Sprachunterricht
ertheilte. Spohr lernte ihn damals kennen und engagirte ihn als Paukenschläger
für das Frankfurter Stadttheater, mit welcher Stelle er später die eines Cor-
repetitors an der Oper vereinigte, bis er nach langjähriger ehrenvoller Dienst-
zeit 1858 in den Pensionsstand trat. Neben diesen Berufsgeschäften gab er
Musikunterricht und gewann noch Müsse für eine ausgedehnte Compositions-
und schriftstellerische Thätigkeit. Er starb am 3. Oktbr. 1866 zu Frankfurt.
Die Zahl seiner im Druck erschienenen Compositionen für Ciavier und für
296 Goltermann — Gombert.
Gesang errreicht die Zahl 124; meist in einem angenehmen, leicht fasslichen
Style geschrieben, sind sie schneller Yergänglichkeit geweiht. Viele dieser
Arbeiten sind übrigens für instructive Zwecke bestimmt, für welchen Zweck
er auch eine »Praktische Gresangschule« (Offenbach, Andre) und einen »Leit-
faden für junge Musiklehrer« verfasste. Dies führt zu einer Uebersicht der
zahlreichen schriftstellerischen Werke G.'s, von denen an diesem Orte nur die
musikalischen in Betracht kommen. Uebersetzt hat er an zwanzig Operntexte
und selbst gedichtet wohl ebenso viele. Unter den letzteren befindet sich ein
solcher zu einer bis auf die Ouvertüre und den Schlusschor vollendeten Oper
von Mozart, deren ursprüngliche Dichtung von Schachner ist und die G, mit
Beibehaltung des Planes umgearbeitet und mit dem Titel »Zaide« versehen
hat (Vgl. Otto Jahn's »Mozart«, Leipzig, 1856, II. S. 440 u. ff.). Ausser
theoretischen und kritischen Aufsätzen in musikalischen und anderen Zeit-
schriften (besonders in der Neuen Zeitschr. f. Musik) erschienen von G. noch
folgende selbstständige Schriften: »Karl Guhr, Necrolog« (Frankfurt, 1848);
»Herr Fetis, Vorstand des Brüsseler Conservatoriums, als Mensch, Kritiker,
Theoretiker und Componist u. s. w.« (Leipzig, 1852); Handlexikon der Ton-
kunst« (2 Thle. in 1 Bde., Offenbach, 1858) und »Auto-Biographie. Nebst
einigen Momenten aus der Geschichte des Frankfurter Theaters« (Frank-
furt, 1866).
Grolterm.inu, Georg Eduard, ausgezeichneter Vi olon cellovirtuose und ge-
wandter Componist, geboren 1825 in Hannover, erhielt seine musikalische Aus-
bildung in seiner Vaterstadt und in München. Nachdem er sich auf Reisen
seit 1850 als reproducireuder Künstler höchst vortheilhaft bekannt und nament-
lich in Leipzig 1851 als Virtuose wie als Componist Furore gemacht hatte,
erhielt er 1852 in München, wohin er zurückgekehrt war, einen Ruf als Musik-
direktor nach "Würzburg und bald darauf die Stelle eines Kapellmeisters in
Frankfurt a. M. In der letzteren Stadt lebt er noch gegenwäi-tig. Seine
Compositionen zeigen ein achtbares Talent und ein edles Streben; namentlich
um die sonst nicht gerade reich bedachte Violoncello-Literatur bat er sich hoch
anzuschlagende Verdienste erworben. Im Druck erschienen sind von seinen
Arbeiten: Sinfonien, Ouvertüren, Concerte und Solostücke für Violoncello,
Sonaten für Pianoforte und Violoncello, endlich auch Lieder, welche den l)esseren
Erzeugnissen dieser Gattung angehören. — Nicht zu verwechseln mit ihm ist
Louis G., gleichfalls ein trefflicher Violoncellist und ebenfalls 1825, aber in
Hamburg geboren. Derselbe erhielt 1850 die Stelle als Professor seines In-
struments am Conservatorium der Musik zu Prag, die er bis 1861 iune hatte,
in welchem Jahre er als erster Violoncellist an die Hofkapelle nach Stuttgart
berufen wurde. Auf diesem Posten ist er auch gegenwärtig noch thätig.
Gomaut, Abbe, geistreicher und intelligenter französischer Musikfreund
zu Paris, veröffentlichte ein »Manuel du chantrea (Paris, 1837), ein Werk,
welches durch seinen Text, in welchem u. A. eine neue Methode für den Ge-
sangunterricht dargelegt wird, wie durch seine zahlreichen Musikbeispiele an-
ziehend und belehrend zugleich ist.
Gomart, Charles Marie Gabriel, musikgelehrter französischer Dilettant,
geboren 1805 zu Hara im Departement der Somme, schrieb u. A. über die
musikalischen Zustände und die berühmten Tonkünstler von Saint- Quentin, in
welchem Werke wichtige Aufschlüsse und interessante Notizen über die Musik
im nördlichen Franki'eich während des 16. Jalirhunderts enthalten sind.
Gombert, Jean (Giovanni), jedenfalls ein niederländisclier Tonkünstler,
der nach Baini's Zeugniss um 1460 als Sänger der päpstlichen Kapelle in
Rom angestellt war. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Folgenden:
Gombert, Nicolas, einer der grössten niederländischen Contrapunktisten,
war ein Schüler des Josquin des Pres. Von seinen Lebensumständen weiss
man bis jetzt nur, dass er in seinen späteren Mannesjahren als Nachfolger des
Clemens non papa Kapellmeister des Kaisers Karl V. war, und dass er um die
Gomes — Gomis. 297
Mitte des 16. Jahrhunderts zu den fruchtbarsten und gefeiertsten Componisten
gehörte. Seine Arbeiten bestehen in zahh'eichen Messen und Motetten, Yocal-
fugen und Canzonetten. Yon den ersteren sind mehrere Sammlungen von
Antoine Gardane zu Venedig in der Zeit von 1550 bis 1564 herausgegeben;
ausserdem enthalten die zu Löwen und Antwerpen von Tilman Susato bis
1563 veröffentlichten Sammlungen verschiedene Gompositionen G-.'s, und sowohl
in der Bibliothek zu München wie in der des britischen Museums zu London
werden gedruckte und ungedruckte "Werke von ihm aufbewahrt. Das voll-
ständigste Verzeichniss der noch vorhandenen gedruckten Ausgaben der Werke
G.'s findet sich in Fetis' r>Biographie universellem; nur zwei Ausgaben aus Ve-
nedig vom J. 1564 fehlen in derselben. Baini's TJrtheil über G. lautet: er
gehöre nicht unter diejenigen, welche Josquin blos mechanisch und sclavisch
nachahmten, wie dies vor Allen Ghiselin, P. de la Rue und Agricola als die
ängstlichsten Nachahmer thaten und daher mehr für Instrumentalisten als für
Sänger waren, denen sie vielmehr Schaden brachten, sondern er gehörte unter
diejenigen, welche, obgleich Josquin's Schüler, den Weg Ockenheim's verfolgten
und der musikalischen Kunst einen weit besseren, wenn auch nicht fehlerfreien
Dienst erwiesen.
Gomes, A. Carlos, hervorragender Operucomponist der neuesten Richtung
der italienischen Musik, geboren von portugiesischen Eltern um 1850 in Bra-
silien, machte seine höheren musikalischen Studien in Mailand und wusste mit
seiner vieraktigen Erstlingsoper i^Il Guaranya, welche 1871 erschien und die
Runde über die italienischen Bühnen des In- und Auslandes machte, sofort
die Augen aller Kunstfreunde auf sich zu lenken. Auch strenge Kritiker
sagten dieser Partitur nach, dass sie geistreich , warm erfunden und technisch
gewandt gearbeitet sei. Wie bedeutend der Erfolg des »Guarany« war, beweist
der Umstand, dass G., zum Fortarbeiten ermuntert, ein Textbuch von Ghis-
lanzoni, einem der ersten Dichter Italiens, erhielt, und dass das Scalatheater
in Mailand mit reichen Mitteln und den besten Kräften das in Musik gesetzte,
»Fosca« betitelte Werk am 16. Febr. 1873 zur ersten Aufführung brachte.
Auch diese Oper fand grossen Beifall, wenn auch nicht in dem gleichen Maasse
wie die vorangegangene. Das Jahr 1874 bereits verspricht eine neue grosse
Oper (y>Salvator Rosav) G.'s, der, sobald er selbstständiger und musikalisch
individuell hervortreten wird, sehr Bedeutendes verspricht. Angelehnt an Verdi
und Meyerbeer, hat er überraschend früh eine geebnete Bahn gewonnen.
Groiues, Joao, ein tüchtiger portugiesischer Tonkünstler des 17. Jahr-
hunderts, von dem man weiss, dass er zu Beiros geboren ist, und dass er zu-
letzt in den Diensten des Prinzen von Villaviciosa stand. Zu Villaviciosa ist
er auch im J. 1653 gestorben. Von seinen Kirchencompositionen, die eine
gute Factur erkennen lassen, bewahrt die königl. portugiesische Bibliothek zu
Lissabon mehrere im Manuscript auf.
Oomez da Silva, Albrecht Joseph, portugiesischer Organist und Ton-
setzer des 18. Jahrhunderts, lebte und wirkte zu Lissabon und gab in einem
1758 daselbst veröffentlichten Buche Regeln über eine zweckmässige Begleitung
des Gesanges durch Instrumente, namentlich durch Ciavier oder Orgel.
Gtomis, Joseph Melchior, vorzüglicher, leider aber nicht nach Gebühr
gewüi'digter französischer Operucomponist spanischer Abkunft, wurde 1793 zu
Anteniente in der spanischen Provinz Valencia geboren und erhielt seine erste
künstlerische Bildung als Chorknabe und Musikzögling des Domherrenstifts in
Valencia, aus welchem einst auch der berühmte Componist Vicente Martin
hervorgegangen war. G.'s Fortschritte waren so rapid, dass er, noch nicht
16 Jahre alt, als Gesanglehrer in diesem Stifte angestellt wurde. Um dieselbe
Zeit nahm er Unterricht in der Composition und im Contrapunkt bei dem
gründlich bewanderten Catalonier P. Pous, unter dessen Anleitung er sich
vorzugsweise dem strengen Style der Kirchenmusik widmete. Namentlich musste
298 Gomis.
er an den Werken Mozart's und Haydn's seinen eigenen Geschmack, seine
Compositions- und Instrumentirweise bilden; die Vorliebe für Haydn , dessen
geistliche Werke er auswendig wusste, hat ihn niemals verlassen. In seinem
21. Jahre wurde er Militärmusikdirektor bei der Artillerie zu Valencia und
dadurch in einen seinen bisherigen Studien ganz heterogenen AVirkungskreis
versetzt. Er schrieb nun viele Parade- und Geschwindmärsche und arrangirte
mehrere Sinfonien von Haydn, sowie dessen Oratorium »Die sieben Worte«
für Harmoniemusik. Da inzwischen seine Neigung zur dramatischen Musik
mehr Und mehr die Oberhand gewann, so gab er 1817 seine Stelle auf und
begab sich nach Madrid , wo es ihm auch gelang , mehrere kleine einaktige
Opern zur Aufführung zu bringen , von denen besonders »ia aldeanav. (die
Bäuerin) überaus günstig aufgenommen und oft wiederholt wurde. Auf diese
und andere Componistenerfolge hin erhielt er die Stelle als Musikdirektor der
königl. Garde. In Folge der Ereignisse von 1823 und der Invasion der Fran-
zosen aber musste er Spanien verlassen und ging zuerst nach Paris, um sich
dort ganz der dramatischen Composition zu widmen. Allein seine Hoffnungen
scheiterten hier an Theaterintriguen und Künstlerneid; konnte er doch in
vollen drei Jahren nicht einmal einen Text von einem französischen Dichter
erhalten. Auf Kossini's Rath und mit dessen kräftigen Empfehlungen versehen,
begab sich G. 1826 nach London, wo er sich als Gesanglehrer und durch
Composition von Romanzen, Boleros u. s. w. eine ziemlich angenehme und
sorgenfreie Stellung bereitete. Auch schrieb er ein Quartett »der Winter«
(l'inveriio) betitelt, welches mit ausserordentlichem Beifalle von der dortigen
philharmonischen Gesellschaft aufgeführt wurde. Ebenso verfasste und ver-
öffentlichte er eine »Jifethode et solfege de chantv., worüber sich Rossini und
Boieldieu auf die schmeichelhafteste Weise in Briefen, die diesem Werke vor-
gedruckt sind, aussprachen. Die gründlichste Kenntniss des Gesanges ist auch
in allen Werken von G. deutlich zu erkennen; Alles ist bei ihm Gesang, die
Vocalstimme sowohl wie die Behandlung der Instrumente. Sein verhängniss-
voller Hang zur dramatischen Musik trieb ihn schon 1827 abermals nach Paris.
Diesmal gelang es ihm , einen Text zu erhalten ; er eilte damit nach London
zurück und war, trotz seiner Unterrichtsstunden, bald im Stande, seine Partitur
der Direktion der Opera comique einzusenden. Er folgte der Einladung, die
Proben selbst zu leiten, aber schon nach der ersten Probe verweigerte der
Direktor die Aufführung. G. musste gerichtlich gegen ihn einschreiten und
erhielt zwar eine Entschädigung von 3000 Francs, aber seine Oper wurde nicht
aufgeführt. Durch die Verzögerung des Prozesses und durch seine öfteren
Reisen ging er nicht allein seiner Ersparnisse, sondern auch seiner günstigen
Stellung in London verlustig und gerieth in eine missliche Lage. Inzwischen
wurde nach mehrjährigem Harren, Dank der Bemühung Rossini's, diese Oper,
betitelt »Ze diable ä Seville<i 1831 im Theater Ventadour aufgeführt. Sie
machte zwar Glück und erschien auch in Deutschland, brachte indess doch
G.'s Namen mehr bei Kennern als im grossen Publikum in Aufnahme. Als-
bald hierauf erhielt er den Auftrag, der Grossen Oper in Paris eine Partitur
zu liefern, deren Aufführung jedoch wiederum die Kabale mittelraässiger Com-
ponisten hintertrieb. Endlich setzte er 1833 die Aufführung der komischen
Oper »ie revenanU (das Gespenst), die anerkanntermassen ausgezeichnet schöne
Nummern enthält, durch. Die überaus beifällige Aufnahme dieses Werkes in
Paris war eine der glänzendsten Proben für das hochbedeutende Talent seines
Componisten. Allein die vielfachen Kränkungen und Chicanen, die ihm das
Einstudiren desselben bereitete, wurden seiner Gesundheit so verderblich, daes
er die Sprache verlor. In diesem Zustande schrieb er noch die vortreffliche
Oper »ie portefaixa (der Lastträger), Text von Scribe, die jedoch minder
günstig aufgenommen wurde, als sie nach dem Urtheile der Kenner verdiente.
Eine Pension der französischen Regierung sicherte ihn in der letzten Zeit
seines Lebens wenigstens vor Nahrungssorgen. Er starb zu Paris am 26. Juli
Gomolka — Gonet. 299
1836 an der Halsschwindsucht. In seinem Nachlasse fand sich die Oper Rock-
le-Barbu nebst noch drei unbeendigten dramatischen Partituren.
Gomolka, Nicolas, polnischer Componist, geboren um das J. 1564 in
Krakau, lernte die Musik in Italien wahrscheinlich bei Palestrina, weil er dieses
Meisters Styl nachahmte. Im J. 1580 gab er in Krakau die von Joh. Kocha-
nowski in's Polnische übersetzten Psalme, die er für 4 Stimmen: Sopran, Alt,
Tenor, Bass oder auch 2 Soprane, Alt und Bass componirt hatte, unter dem
Titel: ftMelodyje na psalterz polskia gedruckt heraus. Dieses "Werk ist nur in
3 Exemplaren noch vorhanden; das eine befindet sich in der Universitätsbibliothek
zu Krakau, das zweite in der Staatsbibliothek zu Warschau und das dritte in
Kielce. Einige Psalme Gr.'s gab im J. 1838 Joseph Cichocki mit Hilfe des
Joh. Zandmann, der sie auf das moderne Notensystem übertrug, in seinem
Werke: T>Spieiuy Icoscielny na Mika glasow dawnych kompozytoroiv polskich {Ghants
d^eglise ä plusieurs voix des anciens compositeurs p)olonais)<i heraus. Das 1. Heft
dieses "Werkes enthält 10 Psalme G-.'s. G-. selbst starb am 5. März 1609 und
ist in Jazlowec begraben. Wie es scheint, ist sein Geburtsjahr allgemein irrig
angegeben, denn es ist unwahrscheinlich, dass er sein berühmtes Werk, das im
J. 1580 im Druck erschien, schon in seinem 16. Lebensjahre geschaffen haben
sollte. M — s.
Gompertz, Karoline, geborene Bettelheim, eine der stimmbegabtesten
und geschicktesten deutschen Sängerinnen der Gegenwart, wurde im J. 1843
zu Wien geboren. Ihre früh hervortretenden musikalischen Anlagen fanden
in der fleissigen Uebung auf dem Pianoforte bei guten Lehrern den günstigen
Boden der Entwickelung. Als Pianistin wirkte sie in ihrem 14. Jahre bereits
in einem öffentlichen Concerte ausserordentlich beifällig mit. Der Cantor
Lauffer erkannte damals mit dem Blicke des sachverständigen Musikers ihre
ungemeine Begabung und eröffnete ihr den Weg zur höheren Fortbildung,
indem er ihre Aufnahme in das Wiener Conservatorium bewirkte, woselbst sie
bald auch ein bedeutendes Talent für den Gresang entwickelte. Nachdem sie
das Institut als ausgebildete Künstlerin verlassen hatte, gewann sie durch ihre
schöne Stimme, welche vom kleinen d bis zum dreigestrichenen c reichte, sowie
durch ihren seelenvollen Vortrag im Gresang . und Ciavierspiel die Grünst des
Wiener Publikums im Sturme. Ihren Ruf als Sängerin befestigte sie in grösserer
Ausdehnung in London und auf verschiedenen deutschen Musikfesten, so dass
sich die Direktion der k. k. Hofoper zu Wien veranlasst sah, unter glänzenden
Bedingungen die nunmehr gefeierte Künstlerin für ihr Institut zu gewinnen.
In diesem Engagement entfaltete Karoliue Bettelheim auch eine sehr be-
deutende dramatische Begabung; vor allen Dingen aber war es die eminente
Stärke und die Klangfarbe ihrer schönen blühenden Stimme, hinsichtlich deren
keine Rivalität ihr gegenüber namhaft gemacht werden konnte. Es erregte
daher das grösste Bedauern in der musikalischen Welt, als die Künstlerin ihre
erfolgreiche Laufbahn unterbrach und in Eolge ihrer Verheirathung mit dem
Banquier Grompertz in G-ratz schon 1867 in das Familienleben trat. Nicht
völlig aber entbehrten die Musikfreunde auch in der Folge dieses Doppel-
talentes; im Gegentheil ist die echt künstlerische Bereitwilligkeit, mit welcher
Frau Gompertz-Bettelheim auch nach ihrem Scheiden von der Bühne ihre
unschätzbaren Kräfte ungesäumt und uneigennützig in Gratz und Wien zur
Verfügung stellt, wo es sich um die Aufführung eines Meisterwerkes im Con-
certsaale oder um die Bethätigung der Wohlthätigkeit handelt, des höchsten
Lobes werth.
Gonella, Giuseppe, italienischer Componist aus dem Anfang des 18. Jahr-
hunderts, über dessen Leben bisher noch nichts festgestellt ist. Einige für
seine Kunstfertigkeit sprechende Werke findet man im zweiten Theile der
Arte pratica des Paolucci, nämlich ein y>Dona eis requiem«, 4-stimmig mit zwei
Violinen, Viola und Orgel, sowie zweistimmige Fugen u. s. w. f
Gonet, Valerien, französischer Kirchencomponist , geboren im letzten
300 Gonetti — Gong.
Viertel des 16. Jahrhunderts zu Arras, war ursprünglich Chorknabe an der
Kathedralkirche seiner Vaterstadt, an welcher er es bis zum Chordirektor
brachte, wie aus dem Titel eines erhalten gebliebenen Magnificat seiner Com-
position vom J. 1615 hervorgeht.
Gonetti, Vittorio, ein italienischer Tonsetzer, der wahrscheinlich von
früh auf zu London wirkte, hat daselbst 1790: Siege of Gibraltar and III
grand Sonates for the Sarpsich. or Pfte. veröffentlicht. f
Gonfalone (ital.), d. i. das Panier, die Fahne, s. Gompagnia del gon-
falone.
Gong: scheint der Allgeraeinname eines im chinesischen, indischen und den
diesen benachbarten Musikkreisen gebräuchlichen Schlaginstruments eigenthüm-
licher Art zu sein, das daselbst in zwei Formen gepflegt wird; jede dieser
Formen besitzt auch einen besonderen Namen. Die eine derselben ist, wie ein
Metallkessel von 1 Meter Durchmesser mit sehr breitem Rande gestaltet, einem
Matrosenhute nicht unähnlich und führt gewöhnlich den Namen Tamtam (s. d.).
Die anders gestalteten Gr.'s sind wie eine nach der Mitte hin gehöhlte Scheibe
von ungefähr 0,7 Meter Durchmesser , deren Ränder 0,04 Meter rechtM-inklich
über die concave Fläche aufwärts gebogen sind und tragen meist die Benennung
Kum'pxil (s. d.); im Abendlande ist letztere CLart die häufigere. Jeder G.
hat nicht weit vom Rande ein Loch. Um dem Tonwerkzeuge seinen Ton zu
entlocken, hängt mau dasselbe mittelst eines durch dies Loch gezogenen Strickes
frei schwebend an ein Gestell und behandelt es mit einem leinwand- oder leder-
umwundenen Schlägel oder einer Holzkeule. — Wann und wo die G.'s zuerst
erfunden oder in Gebrauch gekommen sind, ist bisher vinbekannt geblieben;
nur so viel steht fest , dass deren Erfindung in einer uns nicht sehr fernen
Zeit stattfand. Die zuweilen in China noch gebräuchlichen Benennungen für
das G.: Tschung (s. d.) und Lu oder Lit (s. d.) sind die einzigen Anhalte
für die Geschichte dieser Tonwerkzeuge. Es lässt sich danach fast mit Ge-
wissheit annehmen, dass dies Instrument eine Erfindung der Chinesen ist. Die
Aufgabe, welche bei den Ceremonien dieses Volkes dem Po-tschung (s. d.)
zufiel, konnte in der Verfallepoche der alten chinesischen Kunst, der wahr-
scheinlichen Erfindungszeit der G.'s, weiter durch diese hörbar und klangeigen -
thümlich gegeben werden, was wohl in jener Zeit besonders erwünscht war.
Dass man in der frühesten Zeit den G.'s häufig den Hoang-tschung (s. d.)
als Eigenton verlieh, scheint die weiter erwähnte Benennung: LH anzudeuten.
Die Verbreitung jedoch der G.'s, fern über die Grenzen des eigentlich chinesi-
schen Musikkreises, der in jenen Ländern allmällg entwickelte Geschmack an
blossen Klangfreuden und die diesen huldigende Anwendung der G.'s im prakti-
schen Leben, Hess die früheste Anwendung derselben ganz in Vergessenheit
gerathen und führte dazu, dass man in neuerer Zeit meist den Eigenton der
G.'s ganz ausser Acht lässt. Einige Momente scheinen auch für Indien als
Erfindungsstätte der G.'s zu sprechen. Wie weiterhin zu ersehen, fordert die
Fertigung der G.'s eine grosse Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle.
Solche Gewandtheit ist in Indien — der Sanscrit kennt in seinem Wörter-
schatze nur cinsylbige Metallnamen — schon in sehr früher Zeit zu Hause
gewesen. Ferner ist zu bemerken, dass man in Indien, besonders im indischen
Archipel, verschieden grosse, den G.'s ähnliche Tonwerkzeuge, welche eine be-
stimmte Tonreihe zu vertreten haben , in einem sophaähnlichen Gestell zusam-
menfügt (siehe den Artikel Yunglü); diese Anwendung kann auch eine Nach-
bildung des chinesischen King (s. d.) sein. So unsicher unser Wissen somit
über die erste Erfindung ist, so gewiss ist es, dass aus Indien die ersten G.'s
nach Europa kamen. Im Abendlande, gefesselt durch die ganz eigenthümliche
Klangweise der G.'s. wendet man dieselben zur Unterstützung schauerlicher
musikalischer oder dramatischer Eindrücke tonmalerisch an, und fanden in
dieser Weise, so viel bekannt, diese Klänge ihre erste Benutzung in der
Pariser Oper durch Spontini in der »Vestalin«. Auch im »Cortez«, in Meyer-
Gousalves — Gonstatsi. 301
beer's »Robert der Teufel« und »Afrikanerin«, sowie in Ciierubini's »Requiem«
ist dem G. eine liöchst effectvolle Rolle zugetheilt. Leider hat jedoch bisher
im Abendlande noch Niemand die Nothwendigkeit empfunden, ein Sortiment
G.'s, nach unserer Scala gestimmt, in Anwendung zu bringen, trotzdem dies
unser Musiksystem fordert und die Möglichkeit solcher Verwendung im Tunglü
vorliegt, das von den indischen Schiffern sehr hoch geschätzt und zur Er-
leichterung der schweren Ruderarbeit gepflegt wird. Die eigeuthümliche und
starke Klangart der Gr.'s, deren G-rundton in Stärke und Höhe in sehr schwanken-
der Art in Mitte einer grossen Zahl tieier nicht greller Beitöne erklingt, ist
eine so besondere, dass man behaupten kann: es sei dies Tonwerkzeug durch
kein anderes zu ersetzen, und dennoch ist es bisher nicht bekannt, dass Jemand
eine "Werkstätte besucht hätte, wo G.'s fabricirt wurden, weshalb wir, wie bei
der Geschichte derselben, nur auf Vermuthungen in dieser Beziehung ange-
wiesen sind. Nach wissenschaftlicher Untersuchung soll die Metallmasse der
G.'s aus einer Legirung von Kupfer, Zinn und Wismuth in dem Yerhältniss
von 10 : 3 : 1 bestehen. Man vergl. hierzu Sist. de Musique par F. Fetis
Tome I p. 74 und r>Traite de Fhysic[ue<i par Biot T. II p. 185. Aus dieser
Metallmischung wird wahrscheinlich nach der Grösse des zu fertigenden G. ein
verhältnissmässiger allmälig dünner werdender Draht gezogen, der in der Ge-
stalt lose neben einander spiralförmig so gelegt wird, wie er später fest anein-
gefügt werden soll. Die Metallmasse der G.'s soll nach Biot die Eigenheit
besitzen: nach schnellem Abkühlen leicht dehnbar und nach langsamem Erkalten
elastisch, spröde und. sonor zu werden. Es scheint somit, dass durch die ver-
schiedene Abkühlung der Masse dem Molekülsystem derselben eine verschiedene
Struktur wurde. Darcet soll bei einer Verarbeitung solcher Legirung entdeckt
haben, dass dieselbe sehr leicht gelingt, wenn man die nach dem Gusse eben
gehörig erstarrte Masse in einen Ofen- bi'ingt, bis zum Rothglühen erhitzt,
dann zwischen eiserne Scheiben einfügt, in Wasser taucht und erkalten lässt.
So bearbeitet lässt sich dies Metall dann leicht durch den Hammer formen.
Denkt man sich nun, dass ein wie oben angegeben gefügtes Drahtgewinde mit
dem Hammer so lange behandelt wird, bis die aneinandergrenzenden Draht-
theile sich vereinigt haben, so wird man für. die nicht durchaus gleichartige
Gestaltung der G.'s und den daran bemerkbaren Hammerschlägen eine Erklä-
rung haben. Die spätere Sprödigkeit der Masse nach der Formvollendung des
Tonwerkzeug ergiebt sich nach einer ruhigen Abkühlung, wie oben gesagt.
Durch solche Fabrikation entsteht eine in ihren Theilen ungleichdichte Metall-
masse, die in der Spirale, wie die Masse proportionell in der Dichtigkeit ab-
nimmt und in den seitlichen Verbindungen der Spirale weniger und ungleich
dicht ist, welche Massenbeschaffenheit wahrscheinlich die Bildung des eigen-
thümlichen, dem Donnerrollen ähnlichen Klanges bewirkt. AVenn man durch
Vermuthungen und Folgerungen somit über die Fertigung der G.'s wohl eine
Theorie gewonnen hat und nun auch in neuester Zeit im Abendlande sich G.'s
in Gebrauch finden, die daselbst gemacht sind, so ist dennoch deren Klang
sehr verschieden von denen des Orients, die von allen Kennern stets leicht
erkannt und immer bevorzugt werden. C. Biller t.
Gonsalves, Joao, portugiesischer Kirchencomponist aus der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts, geboren zu Elvas in der Provinz Transtagana, wirkte
als Musiker an der Kathedralkirche zu Sevilla und hat mehrere Compositionen
hinterlassen, die auf der königlichen Bibliothek zu Lissabon bewahrt werden,
wie schon das bei Crasbeek 1649 gedruckte Verzeichniss derselben nachweist.
Vgl. Machado Bibl. Lusit. T. II p. 673. t
Göustaisi heisst in Indien die dritte nach der Raga (s. d.) Malava
(s. d.) gebildete unvollständige Ragina (s. d.), deren Klänge ungefähr durch
beifolgende Aufzeichnung dargestellt werden können; die römische Zahl zeigt
an, dass dieser Klang einen ganzen Sruti (s. d.) höher sein muss als der
durch die Notation vorgeschriebene:
302 Gonthier — Gopi-jandar.
^t^
sa, n, ga, ma, pa, m, sa. q
Gonthier, Rose, geborene Carpentier, sehr beliebte französische dra-
matische Sängerin, geboren im J. 1750 zu Metz, debiitirte in ihrem zwanzig-
sten Jahre an der Oper zu Brüssel und wurde in Folge dessen für die Ge-
sellschaft des Prinzen Karl von Lothringen , Statthalters der Niederlande,
gewonnen , der sie bis 1778 angehörte. In letzterem Jahre trat sie in der
Comedie üalienne zu Paris auf, bei der sie dann bis 1804 engagirt war, als
dieses Theater bereits das Nationalinstitut der 0£)era comique geworden. Ge-
storben ist sie hochbetagt zu Paris am 8. Decbr. 1829 als Gattin des Sängers
Allaire. Weder durch Stimme noch durch Gesangbildung ausgezeichnet, sang
sie declamirte Parthien überaus geistvoll und ausdrucksvoll lebendig. Enthu-
siasmus erregte sie besonders in Boieldieu's r>Ma tante Aurore«.
(xouzales ) Antonio, italienischer Componist, geboren 1764 zu Gromo,
unweit Bergamo, machte seine musikalischen Studien bei Pocaccia und Quaglia
und wurde nachgehends Lehrer des Clavierspiels am Musikinstitut und zugleich
Organist an der Kirche Sarita Maria maycjiore zu Bergamo. In diesen Stellungen
wirkte er noch im J. 1814. Er hinterliess Kirchenwerke verschiedener Art,
sowie die Partitur einer in Venedig zur Auflführung gelangten Farce, betitelt
y>Il calandrinod.
Goodban, Thomas, bedeutender englischer Violin- und Clavierspieler, um
1780 zu Canterbury geboren, erlaugte seine ausgezeichnete technische Fertig-
keit als Schüler des Organisten an der dortigen Kathedralkirche, Samuel Porter.
G. war auch als der Verfasser von TJebungsstücken und von instructiven
Werken für seine Instrumente in England sehr geschätzt.
Goodgroome, John, englischer Tonkünstler der letzten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, war erst Chorschüler zu Windsor, dann Organist an der St.
Peterskirche in Cornhill (London) und zuletzt, zu König Karl's II. und Wil-
helm's Zeiten, königlicher Kapellmusiker zu London. Er soll auch als Ton-
setzer sich einen Ruf erworben haben; mehrere seiner Werke sind gedruckt
worden. Vgl. Haiokins Sist. of Music. Vol. V. p. \Ü. t
Goodman, John, soll ein ums Jahr 1505 zu London thätiger berühmter
Componist geheissen haben, wie Gerber in seinem Tonkünstler-Lexikon von
1790 berichtet, ohne weitere Belege für diese Behauptung beizubringen. f
Goodsou, Richard, Vater und Sohn, zwei gelehrte englische Tonkünstler,
waren beide nach einander Professoren der Musik an der TJnivsrsität zu Oxford
und zugleich Organisten an der Christuskirche daselbst. Der Vater starb am
13. Januar 1717 und der Sohn am 9. Januar 1740 oder 1741. Mehr über
diese Künstler findet man in Hawkins Hist. of Music. Vol. V. p. 18 und 19. —
Miege im ersten Theil seiner Geschichte des Gross-Britannischen Staates c. 7
p. 109 ff. führt noch an, dass Richard G. alle Donnerstage Mittags nach
1 TJhr öffentliche Vorlesungen über Musik gehalten habe, lässt aber zweifelhaft,
welcher von beiden dies gewesen sei. t
Goodwiii, englischer Componist der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
welcher mehrere musikalisch-dramatische Partituren für das königl. Theater in
London schrieb, von denen jedoch nur einige Operetten, als: y>Ilarleqiiin Faustusa,
y>Mago and Bagoa. u. s, w., um 1788 im Druck erschienen, bekannt geblieben
sind. Zu gleicher Zeit veröffentlichte er, ebenfalls in London, auch eine Can-
tate, riGontemplatioHv. betitelt.
Gooldwiii, John, s. Goldwin.
Gopi-jaudar heissen im indischen Musikkreise zwei durch eine Schnur
miteinander verbundene Metallschaalen, die zur Markirung des Rhythmus von
dem Spieler aufeinandergeschlagen werden. 0.
Gorczycki — Gore. 303
Oorczycki, Abbe Grregor, polnischer Tonsetzer des 18. Jahrhunderts,
lebte zumeist in Krakau, wo er auch im J. 1794 starb. Seine Kirchencompo-
sitionen , meist Messen , sind deshalb merkwürdig, weil sie mit gewissenhafter
Treue sich im Style der classischen Meister Italiens aus der "Wendezeit des
IG. und 17. Jahrhunderts bewegen.
Gorczynski, Johann Alexander, genannt de Gorczin, polnischer Tou-
künstler und Musikschriftsteller, lebte um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu
Krakau und veröffentlichte u. A. eine »Tabulatura muzyTca aho zoprano muzykolna
etc.a (Krakau, 1647).
Gordigiani, Giovanni Battista, vortrefflicher italienischer Gesanglehrer
und Componist, geboren im Juli 1795 zu Modena, war ein Sohn des als Kam-
mersänger des Kaisers Napoleon bekannt gewordenen Antonio G., welcher
ihm auch den ersten Gesangunterricht ertheilte. Acht Jahr alt, sang der
junge G. auf dem Theater in Monza in einer Cantate von Asioli, welche die
Bückkehr des Vicekönigs von Italien, Eugen Eeauharnais, feierte, so fest und
notensicher mit, dass ihm der erfreute Componist eine Freistelle im Conser-
vatorium zu Mailand verschaffte. Diesem eben erst eröffneten Institute gehörte
G. die nächsten sechs Jahre an und sang hierauf au der Seite seines Vaters
im Pergolatheater zu Florenz, nebenbei Singunterricht ertheilend. Nachdem
er erfolgreich an mehreren italienischen Bühnen aufgetreten war, kehrte er
1818 nach Mailand zurück, wo ihn jedoch ein Huf als Concertsänger und Ge-
sanglehrer des Musikvereins in Regensburg traf. Er folgte dem Rufe und
errichtete in dieser deutschen Stadt eine Gesangschule, die schnell zu Bedeutung
gelangte und zahlreich besucht wurde. Ein Ehebündniss fesselte ihn , seiner
ursprünglichen Absicht entgegen, bald gänzlich an Deutschland, und als die
Stelle des Gesangprofessors am Conservatorium zu Prag erledigt war, bewarb
er sich um dieselbe und erhielt sie alsbald. In diesem Amte war er mit Aus-
zeichnung bis 1861 thätig, in welchem Jahre er sich pensioniren Hess. Er
starb zu Prag am 1. März 1871. Als Componist beschäftigte er sich mit
geistlichen Werken, von denen ein ^Ave Maria»., -nPater nosfer«, -nRegina coelia.
u. s. w. auch im Druck erschienen ist und einen gesangreichen, melodischen
Styl bekundet. Ausserdem kennt man noch von ihm die in Prag mit der
Alboni aufgeführte dreiaktige Oper »Consuelo« und zwölf Aufzüge für vier
Trompeten und Pauken. — Bedeutender und berühmter als Yocalcomponist
war jedoch sein jüngerer Bruder Luigi G. Derselbe wurde im J. 1814 zu
Florenz geboren und empfing dort auch seine musikalische Ausbildung. Er
versuchte sich in den Jahren 1837 bis 1847 als Operncomponist und schrieb
für verschiedene Theater die Partituren zu nFaustov-, y>GU Arragonesi i7i Napoli«,
y>I ciarlataniv. , » Z7n' ereditä in Corsicam u. s. w., welche jedoch entweder gar
keinen oder einen kurz vorübergehenden Erfolg hatten, Weltruhm dagegen
erwarb er sich als Componist von Arietteu, Romanzen und Canzonetten, die
ihrer lieblichen Melodik und dankbaren Singweise wegen auch in Frankreich,
Deutschland und England die weiteste Verbreitung fanden. G. selbst lebte
meist in seiner Geburtsstadt und nur vorübergehend auch einige Zeit hindurch
in London. Leider starb er schon am 1. Mai 1860 zu Florenz.
Gordon, William, Flöteuvirtuose englischer Abkunft, aber in der Schweiz
gegen Ende des 18. Jahrhunderts geboren, unternahm grosse Reisen und Hess
sich dabei zugleich in Paris, München, London u. s. w. hören. Wichtiger wie
als ausübender Künstler war er als auf die Verbessei-ung seines Instrumentes
unablässig bedachter Techniker, der sich um die moderne Flötenfabrikation
durch Wort und That grosse Verdienste erworben hat. — Unter gleichem
Familiennamen ist ein englischer Musikgelehrter, John G. bekannt, der als
der eKte der am Gresham'schen Collegium zu London angestellten Professoren
genannt wird und im December 1739 zu London gestorben ist.
Gore, Katharina, geborene Francis, bekannt als englische Novellen-
und Bühnenschriftstellerin, war 1799 in der Grafschaft Nottingham geboren
304 Gorgon — Gosse.
und seit 1823 mit Cajjitain Arthur Gr, verheirathet. Dass sie ein scliönes
und beachtenswerthes Talent auch für Musik und CümjDOsition besass, bewies
sie in den Melodien zu Burns' »And ye shall walk in silk attire<i und in dem
G-esang »0/* tlie IHyMandchurchi-, die beliebte Volksweisen geworden sind.
Gorgou (griech.) ist der Name eines in der griechisch-katholischen Kirche
angewandten Notationszeichens, über dessen Ursprung und Einführung im Ar-
tikel Alphabet (s.d.) Näheres gesagt ist und dessen Gestalt: r dem demotischen
Schriftzeichen der Aegypter r entlehnt sein soll, 0.
Gorgheg^iare (ital.), mit der Gurgel trillern. Davon abgeleitet: Gorgheg-
giamento, der Gurgeltriller, eine fehlerhafte Gesaugmanier. S. Triller.
Gori, Antonio Francesco, italienischer Philologe und Schriftsteller,
geboren zu Florenz am 9. Decbr. 1691 und gestorben ebendaselbst als Pro-
fessor der Geschichte am 21, Jan. 1757, hat sicli durch von ihm veranstaltete
Ausgaben der Tractate von Giovanni Battista Doni auch um die Musik ver-
dient gemacht. Ygl. Gerber's Toukünstler-Lexikon vom J. 1790, f
Goria, Alexandre Edouard, geschickter und fruchtbarer französischer
Compouist von Ciavierstücken im Salonstyl, wurde am 21. Jan. 1823 zu Paris
geboren. Seine Mutter, eine nicht ganz unbedeutende Bühnensäugerin aus der
Zeit des ersten Kaiserreichs, unterrichtete ihn schon zeitig in den Anfangs-
gründen der Musik, so dass er bereits 1830 in das Pariser Conservatorium
treten konnte, wo im Clavierspiel Zimmermann , in der Harmonielehre und
Composition Durlen und Reicha und auf der Orgel Benoist seine Lehrer waren.
Nach Beendigung seiner Studien beschäftigte er sich mit Ertheiluug von Musik-
unterricht und gehörte bald zu den gesuchteren Clavierlehrern von Paris. Mit
dem Rufe eines fertigen Pianisten verband er auch bald den eines leicht, elegant
gestaltenden und praktisch schreibenden Componisten, dessen Salonstücke, Fan-
tasien über Opernthemas und Etüden im In- und Auslande sich bei den clavier-
spielenden Dilettanten Eingang und Beliebtheit verschafften. G. starb am
6. Juli 1860 zu Paris; selbst seine besseren Arbeiten werden ihn nicht lange
überleben.
Gorlier, Simon, französischer Buchdrucker und Musiker zu Lyon aus
der Mitte des 16. Jahi-hunderts, der sich durch Herstellung verschiedener Ta-
bulaturen um die Musik in seiner Zeit Verdienste erwarb. Man kennt von
seinen Ausgaben durch Verdier und des Draudius Bibl. exot.: »Tabulatur-
Sachen vor Teutsche Flöten« (Lyon, 1558) und »den ersten Theil der vor's
Spiuett, Guiterne und Cistre gesetzten Tabulatur-Piecen« (Lyon, 1560). 0.
Gorouczkiewicz, A^incent, polnischer Toukünstler, geboren zu Anfang
des 19. Jahrhunderts zu Ki-akau, wo sein Vater Organist an der Domkirche
war. Als später der letztere als Organist und Orchesterdirektor an die Katlie-
dralkirche in Warschau berufen wurde, folgte ihm G. und übernahm nach dem
Tode desselben auch selbst diese Aemter. Von ihm sind Choralgesänge der
römisch-katholischen Kirche (Warschau, 1848) im Druck erschienen.
Gorzaui, Giacomo, italienischer Lautenist des 16, Jahrhunderts, schrieb
ein y>Libro JelV Intaholatura del Liidot, wovon noch Abschriften sich hin und
wieder in Bibliotheken vorfinden. f
Gosba nennen die Araber des nördlichen Afrikas eine Flöte, deren Schall-
röhre aus einem Schilfrohre in der Länge einer europäischen Querflöte ge-
fertigt wird. Man hat zwei Arten dieser Flöte. Die eine ist mehr ursprüng-
lich, hat drei Tonlöcher am untern Bohrende, bringt somit vier verschiedene
Grundklänge hervor, die mit ihren Quintüberschlagungen zusammen die Ein-
theilung der Octave geben, und wird dem Beb ab (s, d,) gleich zur Leitung
des Gesanges angewandt. Die andere Art der G. ist grösser, hat sechs Ton-
löcher an dem oberu, engern Bohrende, ein Doppelloch an der Mitte der Kehr-
seite und wird durch ähnliches Anblasen wie die Flöte ä bec intonirt. 0.
Gosse, le Maistre oder le Maitre, altfranzösischer Musiker aus der Zeit
Gosse — Gossec. 305
Heinrich's IL, componirte Motetten, von denen sich noch einige in der Ma-
nusriptensammlung der Pariser Staatsbibliothek vorfinden.
Gosse, Btienne, französischer Literat und Mitglied dev Societe philotechnique
in Paris, war 1773 in Bordeaux geboren und starb 1834 zu Toulon. Er war
u. A. der Verfasser einer Aufsehen erregenden Broschüre (Paris, 1830), in
welcher er Abschaffung der alten Bühnenprivilegien und Emancipation der
französischen Theater forderte.
Gossec, Frangois Joseph, ausgezeichneter französischer Componist und
Musikpädagoge, wurde am 17. Jan. 1733 zu Vergnies, einem Dorfe im Henue-
gau geboren. Sieben Jahre alt, brachte man ihn als Chorknabe an die Dom-
kirche zu Antwerpen, wo er acht Jahre hindurch blieb und im Violinspiel
einigen Unterricht erhielt. Früh schon drängte es ihn jedoch zur Composition,
und aus Mangel an einem Lehrer in diesem Fache übte er sich autodidactisch,
indem er die Natur und die Partituren grosser Meister auf sich einwirken
Hess. Auf den Rath wohlmeinender Freunde hin, die sein Talent mit Theil-
nahme bemerkten, wandte G. sich 1751 nach Paris und fand nicht lange darauf
eine Anstellung als Orchesterdirektor in der Privatkapelle des Generalpächters
La Popeliniere. Hier debütirte er als Componist mit seinen ersten Sinfonien,
eine Musikgattung, die man bisher in Frankreich noch nicht gekannt hatte.
Nach Auflösung dieses Orchesters wurde G. auf die Empfehlung Rameau's hin
Musikdirektor beim Prinzen von Conti. Seine ersten Quartette (Paris, 1759)
und seine berühmte Todtenmesse (Paris, 1760), von welcher letzteren nach
ihrer Aufführung in der Kirche St. Roch der berühmte Philidor sagte, er
gäbe für ein solches Werk seine sämnitlichen Werke dahin, waren die ersten
Früchte dieser Stellung. Von 1764 an wandte sich G. auch zur dramatischen
Musik. Gleich seine Operette »Le faux lordu. gefiel sehr und die darnach
folgende grössere Oper r>Les pecheursvi (1766) wurde ein lange vorhaltendes
Zugstück. Mit den weiterhin folgenden Partituren y>Le double deguisemenU,
y>Toinon et Toinette'^, y^Sahinusis. (1773, G.'s dramatisches Meisterwerk), »Alesis
et Daphnie, nBaucis et Fhilemon«, y>JIi/las et Sylphiei, ^-»La fete du villacjea,
ytTMsee». und -s^Rosinev. trat er an die Spitze der damaligen französischen Opern-
componisteu. Im J. 1770 stiftete er ein berühmt gewordenes Liebhaberconcert,
und 1773 übernahm er gemeinschaftlich mit Gavinies und Leduc das berühmte
öoncert sjjirituel, das ihm aber schon 1777 in Folge von Intriguen wieder
entzogen wurde. Durch gediegene Programme, Herbeiziehung fremder Künstler
und durch seine glänzend gesetzten Orchesterwerke, die von den mager iustru-
mentirten Arbeiten der Zeitgenossen auffallend abstachen, hat G. in dieser
Zeit einen ungeheuren Einfluss auf die Cultur der Instrumentalmusik in Frank-
reich ausgeübt. Seit 1784 war er Vorsteher der Gesangschule, welche der
Baron von Breteuil unter dem Namen «^cole roi/ale de chant». errichtet hatte,
und aus welcher auf G.'s Betreiben ^1795 das weltberühmte Pariser Conser-
vatorium hervorging. Nebst Mehul und Cherubini wurde er Oberaufseher
letzterer Anstalt und Professor der Composition, in welcher Eigenschaft er bis
1814 fungirte. Gleichzeitig war er während der Eevolutionszeit Musikmeister
der Nationalgarde, als welcher er auch alle Nationalfeste durch die Musik
illustriren musste. Das Geschick, mit dem er dies Mandat erfüllte, ist der
Bewunderung werth. Er schuf für seine patriotischen Hymnen, vierzehn an
der Zahl, zu denen noch einige Trauer- Sinfonien kommen, als der Erste ein
Orchester von lauter Blaseiustrumenten, mit dem allein Wirkungen im Freien
zu erzielen war. Die Compositionen selbst, namentlich die Hymne auf die
Vernunft und die zum Feste der Wiedereinsetzung des höchsten Wesens (Ht/mne
ä la diviniie), ferner die Apotheose Voltaire's und die Todtenfeier Mirabeau's
erregten durch Kraft der Gedanken und Grösse der Anlage Enthusiasmus, und
G. wurde in Anerkennung dafür am Feste der Bepublilc vom Direktorium als
Componist ersten Ranges ausgerufen. Während der Revolutionszeit schrieb
und veröffentlichte er auch die Opern y>Le camp de grandprtv. und »ia reprise
Musikal. Couvers.-Lexikou. IV. 20
306 Gosaelin — Qossmann.
de Toulona; letztere ist berühmt durch die eingeflochtene interessant harmonisirte
und glänzend instrumentirte Marseillaise. In seiner Stellung am Conservatoi ium
betheiligte er sich an der Abfassung der meisten eigens für diese Anstalt zu
schaffenden Lehrbücher, namentlich der grossen rtMethode de ehanU (1804).
Das Institut de France ernannte ihn alsbald nach seiner Gründung zum Mit-
gliede der musikalischen Section , und von Napoleon erhielt er das Kreuz der
Ehi'enlegion. Nach der zeitwelligen Auflösung des Conscrvatoriums, aus dem
als sein ausgezeichnetster Schüler Catel hervorgegangen ist, im J. 1815, wurde
er pensionirt, besuchte aber, von jugendlicher Liebe zur Tonkunst bis zu seinem
Ende beseelt, regelmässig die Sitzungen der Akademie der schönen Künste
bis zum J. 1823. Hierauf zog sich der neunzigjährige Meister nach Passy bei
Paris zurück und starb daselbst in einem Alter, welches keine der Berühmt-
heiten in der Musik erreicht hat, am 16. Febr. 1829. — Wenn etwas G. ehrt
und vor allen Anderen auszeichnet, so ist es der Umstand, dass er den hohen
Rang, den er unanfechtbar in der Geschichte der französischen Musik einnimmt,
lediglich eigenem tüchtigen Streben zu danken hat. Dank welchem er sich
ohne Hülfe von Gönnern oder Lehrern aus der Dunkelheit emporarbeitete und
das ihm innewohnende Talent zu meisterhafter Bethätigung entfaltete. Beson-
ders sind es seine Kirchenwerke, welche als vorzügliche Tonschöpfungen noch
lange dem Zahne der Zeit trotzen werden, so das oben erwähnte B,equiem,
andere Messen und Motetten, ein grossartiges Te deum, ein dreistimmiger a
Capella-Q^eBSing »O salutaris hostiaa und von seinen Oi'atorien besonders das »de
la nativitea (1780) mit einem unvergleichlich schönen Doppelchor der Engel
und Hirten. Gleich hinter seinen Opern, die oben gleichfalls angeführt sind,
ist seine, aus Chören und Melodramen bestehende Musik zu Kacine's »Athalie«
zu nennen und endlich auch seine Instrumentalcompositionen, die epochemachend
in die Geschichte der Entwickelung der Instrumentalmusik jenseits des Rheins
eingriffen. Es sind dies 29 Sinfonien für Orchester, eine concertirende Sin-
fonie für 11 Instrumente, Harmonieniusiken verschiedener Art, Ouvertüren,
Streich- und Flötenquartette, Trios, Violinduette, Serenaden für Flöte, Violine,
Hora, Fagott, Viola und Bass u. s. w. Alle diese Werke haben zum wenigsten
einen bedeutenden historischen Werth, wenn sie auch einer strengeren kritischen
Beurtheiluug nicht immer Stich halten und seine sogenannten Sinfonien z. B.
mit Haydn's derartigen AVerken gar nicht zu vergleichen und überhaupt schon
in der Form etwas Anderes sind. Den grössten Beifall der Zeitgenossen haben
seine Werke im Kammerstyle, besonders die Quartette gefunden.
Gosseliu, Jean, französischer Tonkünster, gegen 1506 zu Vire in der
Normandie geboren, war in seinen Mannesjahren Bibliothekar der Könige Karl
IX. und Heinrich III. von Frankreich und hatte in sehr hohem Alter 1604
das Unglück, in ein Kamrain zu fallen und in Folge der Brandwunden zu
sterben. Musikgeschichtlich ist G. durch sein Wei'k: nLa main harmonique ou
les principes de musique antique et modernen (Paris, 1571), »darinnen die Eigen-
schaft so die Music von den sieben Planeten herhaben soll, bemercket« fügt
die alte deutsche Uebersetzung hinzu, bekannt. Vgl. Verdier Bibl. — Ein
altenglischer Tonkünstler dieses Namens, latinisirt Gosselinus geschrieben,
lebte im 11. Jahrhundert als Mönch zu Canterbury, wie Gerbert's (beschichte
nach den englischen Quellen des AVill. Malmesbury mittheilt. f
Gosser ist der Name eines als hervorragend bezeichneten schlesischen Orgel-
bauers, der ums Jahr 1770 in gi'osseni Ansehen stand. Vgl. Burney's Reise-
bericht Band III. zweites Register. f
Oossmuuu, Johanna Christina, geborene Weinzierl, ausgezeichnete
deutsche Concertsängerin und geschickte Clavierspielerin , wurde am 10. Febr.
1807 zu München geboren und erhielt in Würzburg, wohin ihr Vater 1816
als königl. baierischer Regimentsquartiermeister versetzt worden war, und zwar
besonders auf dem königl. Musiklehrinstitute von Fröhlich und Eisenhofer, eine
sorgfältige, ihre bedeutenden Naturanlageu glücklich entwickelnde musikalische
Gosson — Gottfried von Nifen. 307
Ausbildung. Später wurde sie selbst als Lehrerin des Pianofortes und Gesangs
bei dieser Anstalt angestellt, und ihre Intelligenz und anspruchslose Bescheiden-
heit erwarben ihr auch einen grossen Privats'chülerkreis. Gleichzeitig wurde
sie in den Concerten des Würzburger Musikvereins als Pianistin und Sängerin
der entschiedene Liebling des Publikums. Auch die Bühne betrat sie in hohen
Sopranparthien mit bedeutendem Erfolge, vermochte daselbst jedoch ihre an-
geborene decente Schüchternheit nicht ganz zu überwinden. Ihre im J. 1833
erfolgte Verheirathung mit dem Literaten und Lehrer an der königl. Studien-
anstalt in Würzburg, Dr. J. B. Gossmann, gab sie wieder ausschliesslich dem
Kirchen- und Concertgesange zurück; jedoch starb sie schon am 13. Oktbr.
1840 an einer Brustkrankheit zu Würzburg. — Ihre Stimme wird als sehr
umfangreich, überaus wohlklingend und volubil und ihr Vortrag als echt
musikalisch bezeichnet.
Gosson, Stephan, englischer Theologe, geboren 1556 zu Kent und in
seiner Jugend grosser Verehrer des Theaters, starb als Prediger, der in geist-
licher Schwärmerei sich besonders durch Stra^x'edigteu einen Namen erwarb.
Eine solche, gegen die Dichter und Tonkünstler geschrieben, deren Titel Gerber
in seinem Tonkünstlerlexikon, 1812, abdruckt, veranlasste den letzteren, ihn
als Musikschriftsteller zu beachten. f
Gostena, Giovanni Battista della, ein italienischer Tonsetzer, um die
Mitte des IG. Jahrhunderts zu Genua geboren, hat sich als Madrigalencomponist
einen Namen geschaffen; siMachngali a 4 vocü<^ (Venedig, 1582) von ihm findet
man noch in der königl. Bibliothek zu München. f
Gostling, William, ein englischer Tonsetzer, der sich an der Herausgabe
von Dr. Boyce's Cathedral Music betheiligte. Mehr über ihn findet man im
dritten Bande des angeführten Werkes und in Gerbert's Geschichte. f
Goswin, Anton, in der £ibl. class. des Draudius latinisirt als Antonius
Gostuinus aufgeführt, deutscher Tonsetzer der letzten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts, war erst Hofmusikus der Kapelle zu München, dann nach einander
Kapellmeister der Bischöfe zu Lüttich, Hildesheim und Preising und endlich
des Pfalzgrafen Ernst bei Khein. Von seinen Compositionen sind als gedruckt
noch dreistimmige »newe teutsche Lieder« (Nürnberg, 1581), fünf- und sechs-
stimmige geistliche Lieder (1583) und fünfstimmige Madrigale (1615) in der
königl. Bibliothek zu München vorhanden.
Gotter, Friedrich Wilhelm, deutscher Dichter, geboren am 3. Septbr.
1746 zu Gotha, studirte seit 1763 in Göttiugen die Rechte, wurde daselbst
mit Eckhof bekannt und in Folge dessen für das Theater begeistert. Als
zweiter geheimer Archivar 1766 in Gotha angestellt, ging er ein Jahr später
als Legationssecretär nach Wetzlar und begleitete 1768 zwei junge Edelleute
nach Göttingen zurück, wo er mit seinem Freunde Boje den ersten »Musen-
almanach« begründete. Im J. 1769 kehrte er nach Gotha und 1770 auf seinen
Posten nach Wetzlar zurück. Er starb am 18. März 1797 zu Gotha als Ge-
heimsecretär und Legatiousrath. Durch praktische Ausübung auf einem Ge-
sellschaftstheater mit den Bedürfnissen und Forderungen der Bühne genau
vertraut, dichtete G. u. A. wirksame Singspiele (Leipzig, 1779), die unter den
deutschen Operntexten seiner Zeit eine hervorragende Stelle einnahmen, von
den besten Componisten in Musik gesetzt wurden und vielfach zur Aufführung
kamen. Am wenigsten gelungen sind diejenigen, welche er nach Shakespeare'-
schen Dramen bearbeitete, wie »Romeo und Julia« und »Die Geisterinsel«; es
fehlte ihm bei allen trefflichen Dichtereigeuschaften zu sehr an Reichthum
der Phantasie , um diese Stoffe glücklich behandeln zu können. Dagegen
zeichnen sich durch natürliche Leichtigkeit, Feinheit und Anmuth insbesondere
sein »Jahrmarkt« und »Die Dorfgala« aus. Auch einige Cantatentexte hat er
geschrieben, von denen »Maria Theresia bei ihrem Abschied von Frankreich«
der bedeutendste ist.
Gottfried von Nifen, deutscher Meistersinger des 13. Jahrhunderts, ent-
20*
308 Gottfried von Strassburg — Gottiero.
stammte dem gleiclmamigen Adelsgeschlechte, dessen Burg bei dem Städtchen
Neufen unweit Tübingen stand und das in unverbrüchlicher Anhänglichkeit zu
den Hohenstaufen stand. G.'s erhalten gebliebene Gesänge bewegen sich in
dem damals gewöhnlichen Kreise von Minne- und Mailust und elegischer Liebes-
klage, zeichnen sich aber vortheilhaft durch das Gepräge des Volksmässigen
aus, so dass sie zum Theil fast wie reine Volkslieder erscheinen. Dem hoch-
geborenen Sänger gereicht es zu nicht geringer Ehre, dass der Volksgesang
nicht ohne Einfluss auf ihn geblieben ist und dies zu einer Zeit, wo die
höfischen Lieder noch an der Tagesordnung waren.
Gottfried von Strassburg:, einer der bedeutendsten und vielleicht der mit
reichstem Talente begabte Dichter und Sänger der mittelhochdeutschen Zeit,
war ohne Zweifel aus der Stadt im Elsass gebürtig, deren Namen er trägt,
obwohl kein Zeugniss, die überhaupt über seine äusseren Lebensumstände
fehlen, es besagt. Er lebte um die Wendezeit des 12. und 13. Jahrhunderts,
gehörte dem bürgerlichen Laienstande an und wird daher nirgend, wie Ritter
und Geistliche »Herr«, sondern nur, seiner Kunst zu Ehren, »Meister« genannt.
Sein Hauptwerk ist das um 1207 begonnene epische Gedicht »Tristan und
Isolt« über welchem er starb, nachdem er über zwei Drittel der Sage in fast
20,000 Versen gedichtet hatte. Ausser diesem sind von G. einige wenige
lyrische Gesänge erhalten geblieben, unter denen das schon von Kourad von
Würzburg sehr hoch gestellte »geistliche Minnolied« und ein anderes, in welchem
er das Glück der Armuth preist, vortrefflich zu nennen sind. In seinen Dich-
tungen fehlt im Uebrigen die Kraft wahrhaft künstlerischer Gestaltung, und
der glänzende Schmuck der Darstellung überwuchert die Gedanken und Em-
pfindungen.
Gotthard, J. P., eigentlich mährisch Pazdirek geheissen, talent- und
verdienstvoller österreichischer Tonkünstler, ward am 19. Januar 1839 zu
Drahanowitz in Mähren geboren. Mit sieben Jahren erhielt er seinen ersten
musikalischen Unterricht, wurde vier Jahre darauf Kirchenchorknabe in Alt-
wasser und endlich Solosopranist am Dom zu Olmütz. Seine wissenschaftlichen
Studien führten ihn später an das akademische Gymnasium zu Wien, wo er
sich für Coraposition und Contrapunkt gleichzeitig dem gediegenen Unterrichte
Simon Sechter's anvertraute. Eine grosse Messe, welche durch die k. k. Hof-
kapelle zur Aufführung gelaugte und Aufsehen erregte, sowie die Zuerkennung
des Künstlerstipendiums von Reicliswegen waren die Errungenschaften von G.'s
gewissenhafter Musikübung. Bald darauf trat er als Componist von Piano-
fortesachen und besonders von feinsinnigen Liedern mit so bedeutendem Er-
folge in die Oeffentlichkeit, dass die ersten deutschen Musikverloger deren Her-
ausgabe übernahmen. Im J. 1868 begründete G. selbst eine Kunst- und Mu-
sikalienhandlung, der er bis zu Anfang des J. 1874 vorstand. In dieser Stellung
erstrebte und gewann er einen wohlthätigen Einfluss auf das Musikleben Wiens
besonders dadurch, dass er in seinen Sälen Novitätenconcerte veranstaltete und
in denselben jungen Talenten wie Goldmark, Herrn. Riedel, Jul. Zellner u. B. w.,
deren Erstlingswerke er auch druckte, Anerkennung verschaffte.
Gotthold, Friedrich August, musikgebildeter deutscher Pädagoge, ge-
boren um 1790, war noch 1854 Direktor des Friedrichs- Colleg's zu Königsberg
i. Pr. und beschäftigte sich als Mitarbeiter des Volksschulfreundes und anderer
Fachblätter angelegentlich mit Verbesserung des Schulgesanges, welchem Be-
streben auch folgende selbstständige Schriften von ihm entstammen: »Gedanken
über den Unterricht im Gesänge auf öffentlichen Schulen« (Königsberg, 1811)
und »Soll der bit;hei-ige Kirchenchoral mit dem rhythmisch -vierstimmigen ver-
tauscht werden?« (Königsberg, 1852). Andere Schriften musikalischen Inhalts
von ihm sind: »Ueber Fürst Anton Radziwill's Composition zu Goethe's Faust«
(Königsberg, 1839) und »Ueber Richard Wagner's Tannhäuser und seine erste
Aufführung in Königsberg« (Ebd., 1854).
Gottiero, Giovanni Viucenzo, italienischer Contrapunktist des 16. Jahr-
Gottling — Gottsched, 309
hunderte, von dem sich jedoch nichts weiter als einige Satzproben in des de
Äntiquis vFrimo lihro a 2 voei de diversi autori di Bari« (Venedig, 1585) vor-
finden, t
CrOttling', Elias, deutscher Violinist, war in der Hofkapelle zu Berlin
seit 1572 als kurfürstl. brandenburg'scher Kammermusiker angestellt. Ein
anderer kurfürstl. Geiger dieses Namens, vielleicht sein Sohn, findet sich in
den Listen des Hofhaushalts vom J. 1638.
Gottschaldt, Johann Jacob, musikkundiger deutscher Theologe, geboren
zu Eybenstock am 21. April 1688, wo er auch später Magister und Diakonus
ward, starb am 15. Februar 1759 als Pastor zu Schönebeck in Sachsen. Von
seinen im Druck erschienenen "Werken sind durch musikalischen Inhalt be-
merkenswerth : »Allerhand Lieder-ßemarquen«, von denen sieben Theile, all-
jährlich einer von 1737 an, erschienen. f
Gottschalg, Alexander Wilhelm, geboren am 14. Febr. 1827 in Mechel-
roda bei "Weimar, jetzt Hoforganist und Musiklehrer am grossherzogl. Seminar
zu "Weimar, genoss seine erste musikalische Bildung beim Cantor "Wirth in
Oettern, kam dann 1842 auf das Seminar zu "Weimar^ wo er Prof. Dr. Topf er 's
Unterricht im Orgelspiel und in der Harmonielehre, und den des Kapellmeisters
Carl Wettig im Ciavierspiel empfing. Später nahm sich seiner Dr. Eranz
Liszt in uneigennützigster Weise an und förderte namentlich seine Ausbildung
im Orgelspiel. G. vergalt dieses Entgegenkommen durch dankbar ergebene
und treue Gesinnungen gegen den Meister, dessen Correspondenzlast er zum
grossen Theile auf sich genommen hat. Gegenwärtig redigirt G. die weit ver-
breitete Orgelzeitung Urania und zwar im musikalisch-fortschrittlichen Sinne.
Ausserdem ist er an mehreren grossen Musikzeitungen (N. Zeitschr. f. Musik
u. s. w.) sehr geschätzter Correspondent und Mitarbeiter. Componirt hat G.
Orgel-, Ciavier- und Gesangsachen. Als Schriftsteller veröffentlichte er selbst-
ständig ein »Kleines Handlexikon der Tonkunst, insbesondere für Deutschlands
Lehrer-Seminarien, Organisten, Cantoren u. s. w.« (Erfurt, 1863), von dem bis
jetzt jedoch nur das erste Bändchen, enthaltend die Erklärung der hauptsäch-
lichsten musikalischen Fremdwörter, Kunstausdrücke und Abbreviaturen, er-
schienen ist, sowie eine biographische Skizze Job. Gottl. Töpfer's (Weimar, 1867).
Gottschalk, Louis Moritz, ein glänzender Ciaviervirtuose der jüngsten
Vergangenheit, geboren 1829 zu New-Orleans, machte seine pianistischen Stu-
dien von 1841 bis 1846 bei Meistern wie Ch. Halle und Chopin in Paris und
unternahm von 1847 au sehr erfolgreiche Kunstreisen durch Frankreich, die
Schweiz, Italien und Spanien. Im J. 1853 kehrte er in seine überseeische
Heimath zurück und beschränkte seitdem seine Concertreisen auf Nord- und
Südamerika, wo er allenthalben gefeiert wurde, namentlich 1866 in Californien
und Brasilien. Auf einem abermaligen Besuch des zuletzt genannten Landes
begriffen, starb* er am 18. Decbr. 1869 zu Rio de Janeiro. Aeusserlich glän-
zend wie sein Spiel waren seine lediglich auf Bravour und effektvolle Technik
berechneten Compositionen für Ciavier , die , weil sie entweder amerikanische
Melodien behandelten oder nationale Eindrücke ziemlich charakteristisch schil-
derten, namentlich in Frankreich eine vorübergehende Beliebtheit sich gewan-
nen. — Eine jüngere Schwester von ihm, Clara G. , machte sich in ihrem
Vaterlande gleichfalls als fertige Pianistin vortheilhaft bekannt und bewährte
diesen Ruf in der Saison 1873 — 74 auch in Paris, wo sie im Concertsaal und
in den Salons besonders mit Compositionen ihres Bruders unter grossem Bei-
fall auftrat.
Gottsched, Johann Christoph, der bekannte deutsche Gelehrte und
Dichter, welcher sich namentlich um die deutsche Literatur und Sprache einer-
seits ebenso verdient als durch seine pedantischen Grundsätze und Abge-
schmacktheiten berüchtigt gemacht hat , gehört hierher , weil er in scharfen
Kritiken das zu seiner Zeit wuchernde geschmacklose Opernwesen bekämpfte
und weil er fast zuerst den Componisten die richtige Anweisung gab, wie Oden
310 Gotscbovius — Gottwald.
und Lieder kunstgeraäss und ansprechend in Musik zu setzen seien. Geboren
am 2. Febr. 1700 zu Juditenkirch bei Königsberg in Preussen , konnte er,
durch seinen Vater, einen Prediger, vorgebildet, schon 1714 die Universität in
Königsberg beziehen, wo er sich erst theologischen, dann philosophischen und
philologischen Studien widmete. Seit 1724 wirkte er fortdauernd in Leipzig,
wurde, nachdem er mit Vo)lcsuugcn über die schönen AVissenschaften begonnen
hatte, 1730 zum ausserordentlichen Professor der Philosophie und Dichtkunst,
1734 zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik ernannt und starb
als Decemvir der Universität und als Senior der philosophischen Facultät und
des grossen Fürstencollegiums am 12. Decbr. 1765. Folgende seiner zahlrei-
chen kritischen Abhandlungen botreffen , und zwar in meist scharfsinniger Ai't
die Musik: »Gedanken von den Opern und Singspielen« (in seiner »Kritischen
Dichtkunst« Bd. II, Leipzig, 1730); »Gedanken von den Cantaten« (ebendas.
und auch in Mitzler's Bibl. Bd. I); »Gedanken vom Ursprung und Alter der
Musik« (in ]\litzler's Bibl. vom J. 1738); »Antwort auf Dr. Hiidemann's Ab-
handlung von den Vorzügen der Oper vor Tragödien und Komödien« (in Mitz-
ler's Bibl. Bd. III). — Seine Gattin, Louise Adelgunde Victoria G., ge-
borene Culmus, geboren zu Danzig am 11. Apr. 1713, eine durch Geist und
Gelehrsamkeit in seltenster Art ausgezeichnete Frau und Schi-iftstelleriu, besass
auch in der Tonkunst ganz vorzügliche Fertigkeiten. Sie stand ihrem Manne,
den sie in vielen Stücken übersah, in seinen literarisch-kritischen Bestrebungen
wesentlich bei, ohne über ihre gelehrte Thätigkeit ihre häuslichen Pflichten ir-
gend zu vernachlässigen. Verehrt und hochgeachtet starb sie am 26. Juni 1762
zu Leipzig. In Mai-purg's krit. Beiträgen befinden sich zwei von ihr aus dem
Französischen übersetzte musikalische Aufsätze.
Gotschovius, Nicolaus, Componist geistlicher Gesänge, geboren um 1575
zu Rostock, war Organist an der Marienkirche daselbst und veröffentlichte:
liDeean musicalis prima sacrarum odarum für 4, 5 bis 10 und mehr Stimmen
(Rostock 1G03)« und -n^acrarum cantionum et motectarmn centuriaea (eben-
das. 1608 und in Hambui'g gedruckt). Vgl. Draudius, Bibl. Class. p. 1638
und 1642. t
Gottwald, Heinrich, tüchtiger deutscher Tonkünstler und geistvoller Mu-
sikschriftsteller, geboren am 24. Octbr. 1821 zu Reichenbach in Schlesien, er-
hielt schon frühzeitig von seinem Vater, dem Cantor und Organisten Franz
G., Musikunterricht, so dass er mit 12 Jahren denselben aushülfsweise in der
Kirche vertreten konnte. Im J. 1839 kam er auf das Schullelirerseminar in
Breslau, das er jedoch, entschlossen sich ganz der Musik zu widmen, bald wie-
der verliess, worauf er in das Prager Conservatorium eintrat, in welchem er bis
1843 eifrig den tonkünstlerischen Studien oblag und namentlich die Violine bei
Pixis, sodann auch das Hörn als seine Hauptinstrumeute pflegte. Als Musik-
direktor ging er 1844 nach Hohenelbe in Böhmen und von da %wei Jahre spä-
ter nach Wien , wo er als erster Hornist im Orchester des Theaters an der
Wien wirkte, in Concerten öffentlich auftrat und bei Gentiluomo sich eingehend
noch mit Gesangstudien beschäftigte. Im J. 1847 kehrte er in die frühere
Stellung in Hohenelbe zurück, siedelte aber 1857 nach Breslau über, wo er
sich als Pianist, Clavieilehrer und musikalischer Schriftsteller, der mit Gewandt-
heit und Geist die Grundsätze der neudeutschen Richtung in der Kunst ver-
trat, eine geachtete Stellung erwarb und noch gegenwärtig inne hat. Als Com-
ponist ist er mit Sinfonien, Ouvertüren, Messen, Concertstücken für Hörn und
für Pianoforte zu wiederholten Malen ehrenvoll hervorgetreten , im Druck er-
schienen sind jedoch von seinen Arbeiten nur ein Claviertrio, eine Sonate für
Pianoforte, ein Lied ohne Worte für Hörn, eine Messe, eine Cantate und Lie-
der, sowie treffliche Arrangements Mozart'schcr Sinfonien für Pianoforte und Vio-
line. Seine dem Fortschritte in der Musik im Sinne Wagner-Liszt's huldigen-
den Ansichten vertrat er seit 1850 in Aufsätzen, die sich in der Neuen Zeit-
schrift für Musik befinden und in der polemischen, gegen Dr. Viol gerichteten
Gottwald — Goudimel. 311
Schrift »Ein Breslauer Augenarzt und die neue Musikrichtung a (Leip-
zig, 1859).
Gottwald, Joseph, hervorragender deutscher Orgelspieler und Kirchen-
componist, geboren am 6. August 1754 zu "Wilhelmsthal in der Grafschaft
Glatz , erhielt von seinem Vater , einem Müller , den ersten Ciavierunterricht.
Seine Ausbildung in den Scliulgegenständen , wozu sich etwas Orgelspiel ge-
sellte, übernahm der Lehrer in AVölfelsdorf bei Habelschwerdt. Da der Knabe
keinerlei Neigung zum Müllerhandwerke , welches er beim Vater zu erlernen
anfing, bekundete, so wurde er 1766 als Chorknabe an die Dominicanerkirche
nach Breslau gebracht und zeigte sich dort so musikeifrig, dass man ihm schon
nach drei Jahren den Organistendienst an dieser Kirche zuwies. Auf O.'s fer-
nere Bildung wirkte der Umgang mit einem jungen Arzte, der schätzbare theo-
retisch-musikalische Kenntnisse besass, höchst vortheilhaft. Im J. 1783 wurde
G. Oberorganist an der Kreuzkirche zu Breslau, 1819 am Dome und starb am
25. Juni 1833. In seineu Mannesjahren galt G. für den ersten Organisten
Schlesiens; ebenso waren seine Kirchenwerke, bestehend in zehn Hymnen, zwei
Vespern , drei Messen , sechs Offertorien u. s. w. sehr beliebt. Hauptantheil
hatte G. auch an der Herausgabe der »Melodien zum Gebrauch bei dem Gebet-
und Liederbuche für die lernende Jugend in katholischen Stadt- und Land-
schulen« (Breslau, 1804).
Gottwalt , J., ein deutscher Violinist und Instruraentalcomponist des 18.
Jahrhunderts, der vorwiegend in Paris lebte, woselbst er auch Sonaten , Trios
und Duette für Streichinstrumente (Paris , 1754) veröffentlichte. Noch um
1800 erschienen von ihm 8 Ciaviervariationen bei Breitkopf und Härtel in
Leipzig.
Goubillet, Andre, französischer Kirchencomponist, wurde 1683 als Musik-
direktor der königl. Kapelle zu Versailles angestellt und schrieb Motetten,
Hymnen u. s. w. Richtiger wird er übrigens Goupillet (s. d.) geschrieben.
Goudar, Ange, gewandter französischer Schriftsteller aus Montpellier, wo
er in der ersten HäKte des 18. Jahrhunderts geboren war. Er ist in musika-
lischer Hinsicht der pseudonyme Verfasser der pikanten Schrift »Das Brigan-
tenthum in der italienischen Musik« (Amsterdam und Paris, 1780) und starb
etwa 1786 zu London. — Seine Gattin, Sara G. , eine geborene Engländerin
aus London und um 1800 zu Paris gestorben , veröffentlichte u. A. »Bemer-
kungen über die Tanzmusik in Briefen an Milord Pambroke« (Paris, 1773).
Gondimel, Claude, einer der gelehrtesten und berühmtesten Tonmeister
des 16. Jahrhunderts, den Niederländer und Franzosen als ihren Landsmann
reclamiren. Er ist wahrscheinlich gegen 1510 in der Franche - Comte geboren
und vielleicht noch ein Schüler des greisen Josquin gewesen. Auch wissen-
schaftlich rauss er eine feine und gelehrte Erziehung genossen haben, denn seine
in gutem, reinem Latein geschriebenen Briefe, die Paul Melissus in seinen Ge-
dichten abdrucken Hess, bekunden den hochgebildeten Mann. Im J. 1540 war
G., wie Baini festgestellt hat, in Rom und stand an der Spitze einer von ihm
begründeten Musikschule, aus welcher als seine Schüler u. A. Palestrina, Gio-
vanni Animuccia, Stefano Bettini, Aless. Merulo und Giov. Maria Nanini hervor-
gingen. Seine enorme Bedeutung in der Entwickelungsgeschichte der classi-
schen italienischen Kirchenmusik steht dadurch ausser Zweifel. Von Rom aus
scheint er sich wieder nach Frankreich gewendet zu haben, denn 1555 befand
er sich in Paris, wo er, doch nur ein Jahr lang, mit Nicolas du Chemin eine
Notendruckerei betrieb. Um 1562 trat er zur reformirteu Kirche über, der er
seitdem seine tonkünstlerischen Kräfte epochemachend zuwandte. Dass er sich
dadurch, sowie durch die von ihm betriebene Einführung von weltlichen Volks-
melodien in den Kirchengesang, worin man eine Entweihung der Religion und
Kirche sah , den Hass der katholischen Geistlichkeit im vornehmlichen Grade
zuzog, ist leicht erklärlich, und diesen Hass büsste er denn auch mit dem Le-
ben , indem er als Hugenott in Lyon in der Bartholomäusnacht (24. August)
312 Gouet — Goujet.
1572 eines der ersten Opfer der Yolkswiith wurde. — Von Seinen zahlreichen
Werken dürfte glücklicherweise das Meiste erhalten cfehlielien sein. Messen
und Motetten, die er während seines Aufenthaltes in Rom componirte, befinden
sich zahlreich dort noch handschriftlich in Kirchenarchiven, gedruckte Motetten
und Chansons in verschiedenen Sammlungen, so im r>Liher quartus ecclesiasticarum
cantionuma (Antwerpen, 1554) und in den y>Chansons nouvellcment composees en
musique elc.a (Paris, 1564). Andere mehrstimmige Gesänge von ihm wurden
zugleich mit solchen des Oi'lando Lasso unter dem Titel y>La ßeur des chan-
sons des deux phis excellens musiciens de notre temps etc.v. (Paris, 1567) heraus-
gegeben. Ausserdem veröffentlichte G. von ihm in Musik gesetzte Horaz'sche
Oden unter dem Titel: »Horatii Flacci odae omnes (juotqiiot carminmn generihiis
diff'erunt ad rhjthmos musicos redactaei(. (Paris, 1555, in der (t. 'sehen Druckerei
erschienen); ferner r>Ghansons spirituelles de Marc-Antoine de Muret mises en
musique ä 4 partiesa (Paris, 1555) ; y>Magiiificat ex octo modis quinque vocihusK
(Paris, 1557) und eine Sammlung von Messen von Claudin Sermisy und Jean
Maillard, die auch eine Messe von G.'s eigener Composition mit enthält, betitelt:
TüMissae tres a Claudio Gou,dimel praesfantissimo musico auctore nunc primum in
lucem editae efc.a (Paris, 1558). Bald nach der Herausgabe seiner y>Les psaumes
de David mis en musiqiies ä 4 parties, en forme de motetsv (Paris, 1562) er-
schien sein von der calvinistischen Kirche mit Recht bis auf den heutigen
Tag hochgehaltenes Werk: y>Les psaumes de David mis en rime frangaise par
Clement Marot et Theodore de Beze; mis en musique ä 4 parties par Claude
GoudimeU (1., 2. u. 3. Aufl., Paris, 1565; Genf, 1580; 4. Aufl., Cliarenton,
1607 und später). Die Melodien dieser Psalme, welche damaligem Zeitgebrauche
gemäss, meist im Tenore liegen, werden noch gegenwärtig in der französischen
reformirten Kirche gesungen , zum Theil auch von den deutschen Reformirten,
da die Texte im Yersmaasse des Originals von Ambrosius Lobwasser deutsch
übersetzt worden sind. Auch die lutherische Kirche hat einige Melodien davon
aufgenommen, näralicli: »Fx-eu' dich sehr, o meine Seele« (Mel. des 42. Psalms),
»Herr Gott, dich loben wir« (Mel. des 134. Psalms) und »Wenn wir in höcli-
sten Nöthen sind« (Mel. des 140. Psalms). — Es ist noch zu bemerken , dass
G. seines Vornamens wegen häufig mit Claude le Jeune und Claudin Sermisy,
seinen Zeitgenossen, verwechselt, und dass der Name G. selbst durcl) Abschrei-
ber seiner Manuscripte, leichtfertige Schriftsteller u. s. w. vielfach corrumpirt
worden ist. So findet man ihn Gaudio del Mel, Gaudimelus, Gaudimel , Gon-
dimel, Guidomel, Gaudioraelj Condinellus, Godmel u. s. w. geschrieben.
Gouet, französischer Componist des 17. Jahrhunderts, wirkte als Musikdi-
rektor eines Nonnenklosters zu Lougchamp. Dreistimmige Chansons von ihm
enthält der Jahrg. 1678 des Merc. galant vom November. f
Gougelet, Pierre Marie, französischer Tonkünstler, geboren 1726 zu Chä-
lons und in der Maitrise der Kathedrale daselbst musikalisch gebildet. Er
wandte sich später nach Paris , wo er Organist an St. Martin des Champs
wurde und am 27. Jan. 1790 starb. Er veröffentlichte zwei Sammlungen fran-
zösischer Opernarien mit Guitarrebegleitung (Paris, 1768), sowie später ein
Lehrwerk, betitelt: -»Methode oic abrege des regles d^accompagnement de clavecin,
et recueil d^airs avec acc. d^un nouveau genrea (Paris, ohne Datum). Auch für
die Kirche hat er IMehreres geschrieben.
Gough , John, englischer Physiker und Mathematiker, dessen Lebenspe-
riode in die Wendezeit des 18. und 10. Jahrhunderts fällt, veröffentlichte meh-
rere naturwissenschaftliche Werke , in denen sich auch wichtige musikalisch-
physikalische Untersuchungen und Ergebnisse befinden , vor Allem in seinem
Jauche y>The nature of the grave Jiarmoniesa (London, 1807).
Goujet, Abbe, französischer Aesthetiker, der nach v. Blankenburg's Ansicht
auch unter dem erdichteten Namen Carbasus schrieb, ist wahrscheinlich der
Verfasser der »Lettre d un ami sur le temple du goitt«. (Paris, 1733). Die
Schrift ry Lettre ä Mr. de . . ., auteur du temjtle du goüt, sur le mode des itistru-
Goulet ~ Gounod. 313
mens de mustquea (Paris, 1739), dessen Verfasser sich Carbasus nennt- scheint
nur eine spätere Auflage des erstgenannten Werkes zu sein. f
Croulet, französischer Tonsetzer, 1755 Capellmeister an der Notre Dame-
Kirche zu Paris, wird als Componist verschiedener nicht unbedeutender Kir-
chensachen genannt. f
Gonlin, Pierre, altfranzösischer Musikgelehrter, war um 1412 Lehrer des
Kinderchors am College zu Saint-Quentin, woselbst sich auch noch ein Traktat
von ihm im Manuscript befinden soll.
Gounod, Charles Frangois, einer der namhaftesten und berühmtesten
französischen Componisten, der namentlich im Fache der Oper und des Liedes
unter seinen Landsleuten gegenwärtig unübertroffen dasteht, wui-de am 17. Juni
1818 zu Paris geboren. Seine schon früh hervortretende aussergewöhnliche
musikalische Befähigung und sein auf das Grosse und Ernste gerichteter Sinn
wiesen ihn , wie verschiedene Autoritäten begutachteten , auf tonkünstlerische
Studien, und so erschloss sich ihm bald das Pariser Conservatorium, wo er bei
Zimmermann, mit dessen Tochter er sich nachmals (1847) verheirathete , das
höhere Ciavierspiel und bei ßeicha, Lesueur und Halevy den Tonsatz studirte,
nebenbei auch von Ferd. Paer mit praktischen Rathschlägen unterstützt. Nach-
dem er 1837 mit dem zweiten Preise belohnt worden war, gelang es ihm 1839,
den grossen Compositionspi'eis davonzutragen , in Folge dessen er die vorge-
schriebene Ausbildungsreise nach Italien unternahm. Seine Neigung zur Kirche,
die ihn auch später nicht verliess, und in Folge dessen seine Vorliebe für die
classische Kirchenmusik fand in Ilom unmittelbare Nahrung und fesselte ihn
dergestalt an die ewige Stadt, dass er den Aufenthalt in der Villa Medicis mit
dem "Wohnsitze in einem Priesterseminai'e vertauschte und nahe daran war, die
Weihen zu nehmen , um sich ganz dem geistlichen Stande zu widmen. Die
Frucht seiner eingehenden musikalisch-theologischen Beschäftigungen und Stu-
dien alter Werke waren mehrere grosse und kleinere geistliche Arbeiten , von
denen er in Wien, das er, als die subventionirten Studienjahre zu Ende gin-
gen, auf einige Monate besuchte , ein Requiem und eine Vocalmesse aufführen
Hess. Nach Paris zurückgekehrt, übernahm Gr., seiner kirchlichen Richtung zu
Liebe, das Organisten- und Kapellmeistei'amt an der Kirche der Missions etran-
geres, ohne aber während der sechs Jahre, die er in dieser Stellung verweilte,
bemerkenswerth hervorzutreten. Noch voll von den in Deutschland empfangenen,
seiner in sich gekehrten Natur verwandten Eindrücken, beschäftigte er sich
angelegentlich mit deutscher Musik, besonders mit der von C, M. von Weber
und Mendelssohn, von welchem Studium denn auch sichtbare Spuren in seine
eigenen Werke, nicht zu deren Nachtheil, übergingen. Seinen ersten eigent-
lichen Erfolg in Paris hatte G. mit einer Hochamtsmesse, welche 1849 in der
Kirche St. Eustache zur AufiFührung gelangte. Nicht lange darauf brachte
man auch in London einige Compositionen G.'s zu Gehör, und unmittelbar
hinterher erschien im dortigen »Athenäum« ein Louis Viardot, dem Gatten der
berühmten Sängerin Pauline Viardot-Garcia zugeschriebener Musikbericht, wel-
cher diese Werke mit ungewöhnlicher Wärme besprach und dem Talente ihres
Componisten eine glänzende Zukunft prophezeite. Fest steht, dass die genannte
Sängerin durch ihren Einfluss damals G. die Pforten der Grossen Oper in
Paris eröffnete, woselbst am 16. April 1851 mit ihr selbst in der Titelrolle,
die erste Oper desselben, »Sappho«, Text von Em. Augier, aufgeführt wurde.
Dieses ernste Werk brachte G. viele Anerkennung, auch jenseits des Rheins
besonders in der BischofTschen Rheinischen Musikzeitung, aber keinen bedeuten-
deren, anhaltenden Erfolg. Man tadelte und zwar mit Recht, das ungünstige,
larmoyante Textbuch, das einem G. allerdings damals zusagen konnte, und die
TJnkenntniss der musikalisch-dramatischen Bühneneffekte, dann aber auch, ge-
mäss der damaligen, das Ungewöhnliche beargwöhnenden Geschmacksrichtung,
die Länge der Recitative und die Neuerungssucht in den musikalischen Formen.
G. Hess sich dadurch nicht beirren oder irgendwie zu Concessionen verleiten,
314 Gounod.
wie die im Juni 1852 im Theätre frangais aufgeführte Tragödie Ponsard's
»Ulysse« bewies, deren Chöre er charakteristisch und der antiken Localfärbung
möglichst entsprechend, in Musik gesetzt hatte. Das Stück selbst verschwand
bald wieder, aber die Chöre, welche die Kenner cinraüthig für gediegen er-
klärten, erschienen später noch oft im Concertsaale. Zu gleicher Zeit wurde
G. zum Direktor der Pariser Normal-Gcsangschule (Orphcon) und 1857 als be-
reits allgemein anerkannter Meister zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Mittler-
weile hatte er 1853 der Grossen Oper die fünfaktige r>Nonne sanglante<.<. über-
lassen, die bei ihrer Aufführung im nächsten Jahre wohl Anerkennung fand,
aber auf mehr als die üblichen Wiederholungen verzichten musste. Grossen
Beifall gewann dagegen eine Cantate von ihm, welclie 1855 bei Gelegenheit des
Besuchs der Königin von England in Pai'is aufgeführt wurde. Da man bisher
immer die unglückliche "Wahl seiner Texte beklagt hatte, so entnahm G. den
Stoff für seine nächste Oper aus dem classischen Lustspiel »Ze medecin malgre
liiia (der Arzt wider Willen) von Moliere, das jedoch in seiner derben Possen-
haftigkeit weder der musikalisclien Behandlung überhaupt, noch dem individuel-
len Talente G.'s günstig war. Für den Mangel an komischer Ki'aft entschädigt
die Musik durch einige überaus graziöse Nummern. Das Werk erschien 1858
im Theätre lyrique, dem Hauptschauplatz von G.'s späteren Triumpfen, am
hundertjährigen Geburtstage Moliere's, und gefiel, so dass es noch 1867 von
Neuem einstudirt und gegeben wurde. Alle bisherigen Erfolge stellte aber
Gounod's nächste Partitur, der fünfaktige »Faust« (in Deutschland meist »Mar-
garethe« benannt), die ihn mit einem Schlage zu einem der populärsten Ton-
dichter der Gegenwart erhob, tief in den Schatten. Der gescliickte, kurz vor-
her noch als Träger des Fortschritts des Chorgesanges in Frankreich öffentlich
belobte Dirigent des Orpheon de Paris entpuppte sich damit auf einmal als
berufener Operncomponist, der in die Erbschaft der älteren nationalen Ton-
meister einzutreten, für würdig befunden wurde. Die Glanzepoche des Theätre
lyrique unter Carvalho's Direktion erreichte mit dieser Oper den Gipfelpunkt,
und Frau Miolan und der Tenor Michot als Margarethe und Faust wurden
durch dieselbe gefeierte Künstler, noch gefeierter jedoch G. selbst, dessen Lauf-
bahn von damals an der Weltruhm schmückte. Der grossartige Erfolg, den
diese Oper seit dem 19. März 1859 in Paris erranp-, wurde nur durch die
Erfolge in dem übrigen musikalischen Europa, namentlich in Deutschland, wo
sie sich noch heutigen Tages auf allen, selbst den kleinsten Bühnen unge-
schwächt behauptet, überboten. Die leidenschaftliche teutonische Opposition,
welche Goethe entweiht sah und den französischen Componisten nicht gelten
lassen wollte, heftete sich zwar an alle Bühnen, die nach der glänzenden ersten
deutschen Aufführung zu Darmstadt im Febr. 1861 nach G.'s »Faust« griffen,
musste aber endlich der Gewalt eines allenthalben seltenen Erfolgs gegenüber
verstummen. Die Vorzüge und Schwäclien von G.'s musikalisch-dramatischer
Begabung zeigen sicli am klarsten im »Faust«. G. ist kein sogenanntes Original-
genie, aber ein Eklektiker im besseren Sinne des AVortes. Seine Erfindung
weist auf höher liegende Quellen, namentlich auf C. M. v. Weber und Meyer-
beer, die er beinahe nachahmt, ohne sie jedoch an Eigenthümlichkeit und
Energie zu erreichen; auf deutscher Seite schweift sie weiter bis zu Richard
Wagner, auf französischer bis zu Auber und Halevy. Diese fremden Elemente
haben sich aber mit G.'s künstlerischer Individualität so glücklich assimilirt,
dass etwas Neues und Eigenthümliches daraus hervorging, wie die einschlagende
Wirkung dieser Partitur darthut. Es spricht sich am ungetrübtesten auf dem
Felde des Sentimentalen aus, zunächst in den Liebesscenen, wo G. unvergleich-
liche Töne der Zärtlichkeit und Sehnsucht zu Gebote stehen. An die höchste
Steigerung der Leidenschaft reicht seine Kraft nur ausnahmsweise einmal heran;
für das Dämonisclie oder für das erhaben Grosse versagt sie fast immer. Da-
für besitzt er für die leichter erregte Empfindung und deren wechselnde Lichter
einen bedeutenden Reichthum feiner und überzeugender Farben. G.'s musika-
Gounod. 315
lisches Schaffen findet eine mächtige Hülfe in seiner ausgezeichneten Kenntniss
alles Technischen, sowohl im Gesang wie besonders auch im Orchester. Er
giebt sich stets mit voller Wärme seinem Gegenstande hin, und wenn sein
Flug nach dem höchsten Aufschwung schnell ermattet, weiss seine Bildung
und eine feine poetische InteUigenz wenigstens Passendes und Wirksames zu
finden. Sein Streben ist, wo er nicht gerade absichtlich dem Tagesgeschmacke
Concessionen macht, immer redlich und auf Wahrheit des dramatischen Aus-
drucks gerichtet, und Alles in Allem hat seine Musik mehr innere Verwandt-
schaft mit der deutschen, als die irgend eines anderen Franzosen. — Nach
dem ungeheuren Erfolge des »Faust« schien sich das Glück wieder von G. ab-
wenden zu wollen, obgleich sich bei ihm selbst wohl eine gesteigerte Produktion,
nicht aber ein Rückschritt in dem Gehalte des von ihm Geschaffenen nach-
weisen lässt. Fast gleichzeitig wurde 1860 in Baden-Baden seine zweiaktige
Oper i>La colombev und im Theätre lyrique zu Paris »PkUemoti et Baucisa,
aufgeführt, von denen die erstere einigen, die letztere mit ihrem undramatisch-
idyllischen Text aber fast gar keinen Beifall fand; kaum, dass die Kritik die
zahlreichen Feinheiten und schönen Details der Musik gebührend anerkannte.
Die nächste Oper war dazu bestimmt, der Decorationspracht und den Maschi-
nerieeffekteu ausgedehnt Rechnung zu tragen, da sie wieder für die Grand-
Opera geschrieben war. Dieselbe, r>La reine de Sahn« betitelt, erlebte die erste
von etwa zehn Aufführungen am 28. Febr. 1862 und wurde nachmals auch
deutsch, unter des Componisten Leitung, in Darmstadt aufgeführt. Das mangel-
hafte Textbuch von M. Carre und J, Barbier machte ihre Repertoirefähigkeit
aber dort wie hier unmöglich. In dieser Oper findet man jenes gestaltlose
Wogen und Wiegen der Cantilene schon stark ausgebildet, welches an R. Wag-
ner's »unendliche Melodie« erinnert und in der Partitur des nachmaligen »Romeo
und Julie« noch bewusster ausgeprägt ist. Zu grösserem Erfolge schwang sich
wieder G.'s nächste dreiaktige Oper »Mireille« emjDor, welche seit ihrem Auf-
erstehungstage im Theätre lyrique, am 19. März 1864, häufige Wiederholungen
erlebte, die sie lediglich ihrer in den meisten Nvimmern sehr bedeutenden und
charakteristischen Musik verdankte, während der einer provengalischen Volks-
sage entnommene Stoff wieder einen Missgriff documentirte. Die folgende Ar-
beit des trefflichen Componisten, auf die er grosse Hoffnungen gesetzt hatte,
nämlich die Musik zu der Tragödie »Les deuoa reines de France», von Legouve
(1865) war eine vergebliche, da die Censur das Stück verbot und trotz eines
pikanten und piquirten Briefes des Dichters an den Minister nicht wieder frei
gab. G. wandte sich, vielleicht in Folge dessen, vorläufig anderen Arbeiten zu,
von denen die bedeutendste ein kleineres Oratorium, »Tobias« ist, welches 1866
in London mit den besten Gesang- und Orchesterkräften zur Auffühi'ung ge-
bracht wurde. In diese Zeit fällt auch eine Reise nach Aegypten, die ihn mit
neuen Ideen und Anregungen befruchtete. Endlich trat er wieder mit einer
. Oper und abermals im Theätre lyrique, -nltomeo et Juliette«, nach Shakespeare's
gleichnamigem Drama bearbeitet von Barbier und Carre, hervor. Der Erfolg
dieses Werks, welches am 27. April 1867 zuerst erschien, war ein dem »Faust«
nahe kommender und zwar nicht blos in Paris, sondern auch in London, St.
Petersburg und in fast ganz Deutschland. Die wahre dramatische Gestaltungs-
kraft mangelt der Partitur, die von einem ewig schönen und auch geschickt
bearbeiteten Stoff getragen wird, empfindlicher als im »Faust«, aber der fein
gebildete Musiker mit seiner trefflichen und geschmackvollen Technik, Formen-
gewandtheit und gewählten, geistvollen Instrumentationsweise lässt diesen Mangel
oft vergessen. Er interessirt fortdauernd durch pikante und überraschende
Harmonien und Modulationen, sowie durch ansprechende, sympathische Melodik
und sinnige Details; namentlich sind die lyrischen Empfindungen und Stim-
mungen mit poetischer Auffassung wiedergegeben und mit reizendem, charakte-
ristischem Toncolorit illustrirt. Das Vorherrschen dieser Elemente aber frei-
lich ist es, welches auf die Dauer erschlaffend und abspannend wirkt, entgegen
316 Goupillet - Goust.
der Steigerung, welche wirkliche Dramatiker hervorzurufen wissen. — Gt.'b
ausserordentliche Erfolge bewogen die Direktion der Grossen Oper 1870, den
»Faust« mit glänzender Ausstattung in ihr Repertoire zu ziehen; dies Unter-
nehmen erfuhr jedoch bald darauf durch den deutsch-französischen Krieg eine
langwierige Unterbrechung. G. selbst verlegte während der für Frankreich so
traurigen Zeitereignisse seinen Wohnsitz nach London, wo er einen in Ansehen
und Flor gelangten Gesangverein gründete, mit dem er von Zeit zu Zeit durch
Programm und Ausführung Sensation machende Concerte in Albcrts-Hall ver-
anstaltet. Auf einer Concert- und Erholungsreise machte er im Sommer 1871
Belgien mit seinen neuesten Compositionen bekannt. Seinem Vaterlande wid-
mete er nach Beendigung des Krieges eine Trauercantate {Lamentation), »Gallia«
betitelt, die in Paris und dem übiigen Frankreich eine warme Aufnahme fand;
zwei angeblich längst vollendete Opern, »Sardanapal« und »Francesca di Rimini«
dagegen hat er noch nicht veröffentlicht. Seine letzte grössere, aber in ihrem
Gehalte leider nicht bedeutende Kundgebung ist die Musik zu J. Barbier's
patriotischem Trauerspiel »Jeanne d'Arc«, welche mit dem Drama in Offen-
bach's Theatre de la Gaite zu Paris im November 1873 zur Aufführung kam.
Gesuchte Einfachheit, die bis zur Aermlichkeit herabsinkt, Banalität, Formel-
wesen und böse Eeminiscenzen, das sind die Eigenschaften, welche die Pariser
Kritik dieser Partitur unter gleichzeitiger Anerkennung einiger weniger Licht-
blitze vorwirft, und der reich begabte Meister hat alle Ursache, sich zu be-
eilen, um mit einem neuen glänzenden AVerke zu zeigen, dass er im frommen,
grüblerischen Eifer nicht auf einen Abweg geralhen ist, der für seine ferneren
Erfolge verhängnissvoll werden könnte. — G.'s Fleiss und Begabung hat sich
in fast allen Gebieten der Composition und ganz besonders noch im Fache des
Liedes und des mehrstimmigen Gesanges bewährt. Hier sind es mehrere reizende
lyrische Perlen, die seinen Namen tragen und immer gern gesungen und ge-
liört werden. Ausserdem schrieb und veiöffentlichte er auch meist durch den
Druck Messen, Hymnen, Cantaten, ein sechsstimmiges Stabat matcr, drei Sin-
fonien, Märsche und kleinere Sachen für Orchester, sowie Charakterstücke für
Pianoforte und Sätze für Harmonium mit und ohne Begleitung.
Gonpillet, Andre, auch Coupillet geschrieben, französischer Tonkünst-
ler, war erst Musikmeister an einer Kirche zu Meaux. Durch Einsendung
von Motetten betheiligte er sich 1683 an der Bewerbung um die vier zu be-
setzenden königl. Kapellmeisterstellen zu Versailles. Von 30 eingegangenen
Wei'ken gelangten 1,5 auf die engere Wahl, aus der schliesslich vier Compo-
uisten, nämlich Lalande, Colasse, Minoret und G. für die vacanten Aemter
bestimmt wurden. Bald jedoch verbreitete sich das Gerücht, G.'s Composition
sei von Desmarets, und König Ludwig XIV. wusste G. selbst das Geständ-
niss, dass Demarets gegen Geldentschädigung die Motette geschrieben , zu ent-
locken. G. verlor in Folge dessen die ebenerworbeue Kapellmeisterstelle, scheint
jedoch die königliche (ilunst nicht verloren zu haben, da er ausser einer jähr-
lichen Pension später sogar noch ein einträgliches Kanonicat erhielt, während
Demarets nicht mehr bei Hofe erscheinen durfte. G. selbst stai'b bald nach
dieser Verleihung. Motetten von ihm (vielleicht die von Desmarets componirten)
befinden sich auf der Staatsbibliothek zu Paris. f
Gouruay, B. C, musikgelehrter französischer Dilettant, gestorben 1794 als
Parlaments-Advocat zu Paris, ist der Verfasser einer theoretischen Schrift,
betitelt: ^heMre sur iine nouvelle rhßc de Voctave que propose Mr. le marqiiis
de Cidand« (Paris, 1785). Vgl. Blankenburg's Zusätze zu Sulzer, Bd. II, S. 430.
t
Gonssu, Robert, französischer Componist, dessen Lebenszeit in die letzten
Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts fällt, war Kapellmeister des Herzogs von
Aumale und hat viele mit Preisen gekrönte Motetten, Hymnen, Airs, Chansons
und andere Gesangsachen in Musik gesetzt.
Goust, Jean de, französischer Flötenvirtuose und Componist für sein In-
Gouvy — Gowa. 317
strument, war 1753 und später erster Flötist im Orcliester des Theätre frangais
zu Paris und hat von seinen Arbeiten Solostücke und Duette für zwei Flöten
veröffentlicht.
Gouvy, Theodor, gediegener und geschmackvoller Componist der Gegen-
wai't, geboren 1822 zu Goffontaine bei Saarbrück, war der Sohn eines sehr
begüterten Besitzers von Eisengiessereieu und wurde, trotz von früh auf be-
kundeter "Vorliebe und grossem Talente für die Musik, für das Rechtsstudium
bestimmt. Zu diesem Zwecke musste G-. von 1840 an die Tlcole des droits zu
Paris besuchen. Der Genuss der dortigen Conservatoriumsconcerte jedoch be-
festigte in ihm den Entschluss, sich ausschliesslich der Tonkunst zu widmen,
und er begann alsbald damit, dass er sich bei Elwart, dem angesehenen Pro-
fessor der Harmonielehre am Conservatorium, eifrigen Compositionsstudien hin-
gab. Seine Yermögensumstände gestatteten ihm, seiner weiteren Ausbildung
im Auslande nachzugehen, und er besuchte zimächst Deutschland, auf welcher
Reise er ein volles Jahr in Berlin verweilte und sodann beinahe IV3 Jahre
lang Italien. Nach Paris 1847 zurückgekehrt, veranstaltete er alsbald, um
sich dem französischen Publikum vorzustellen, ein Concert, in welchem er u. A.
eine Sinfonie und zwei Ouvertüren seiner Composition zur Aufführung brachte,
von denen die Kritik mit der grössten Achtung sprach. G. nahm seitdem
seinen bleibenden Aufenthalt in Paris und beschenkte, in unabhängigen Ver-
hältnissen lebend, die musikalische Welt jahraus jahrein mit grösseren und
kleineren Orchester- und Kammermusikwerken, von denen mehrere Sinfonien
und Ciaviertrios auch in Köln, Leipzig und Berlin zu erfolgreicher Aufführung
gelangten. In neuester Zeit lässt es sich die Direktion des Concert national
zu Paris angelegen sein, durch häufige Vorführung der neuesten Arbeiten des
noch immer fleissig schaffenden Componisten, den Namen desselben auf dem
Laufenden zu erhalten, und in der That hat man in ihnen stets von Neuem,
wenn auch keine überwältigenden Bindrücke und Kühnheiten der Conception,
auch keine ausgesprochene Neuheit der Erfindung, doch eine geistreiche Leben-
digkeit, feine, pikante Harmonisirung und lustrumentirung, sowie Sinn für Foi'm
und fliessende Melodik gefunden. Bekannt geworden sind von seinen Compo-
sitionen etwa acht Sinfonien, eben so viele Goncertouvertüren , eine Reihe von
Trios für Pianoforte, Violine und Violoncello, ein Ciavierquintett, eine Sonate
und Serenaden für Pianoforte, mehrere Streichquartette, eine Vocalmesse für
Männerchor u. s. w., von denen Vieles auch im Drucke erschienen ist. Nur
durch das vorwiegend rhythmische Element in diesen Werken bekundet G, den
geborenen Franzosen; die sich darin aussprechende Kunstgesinnung ist echt
deutsch, und es ist nicht minder bezeichnend, dass G, das Deutsche so spricht,
dass der Ausländer in ihm nicht zu erkennen ist.
Gony, Jean de, auch de Goui geschrieben, französischer Componist der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, hat Airs, Chansons u. dergl. geschrieben,
die noch sehr lange hin in Frankreich ebenso berühmt wie populär waren und
sich zahlreich in den ältesten Vaudevilles finden.
Gow, Neil, ist der Name eines in den schottischen Hochlanden bei
Dunkeid sehr geschätzt gewesenen Sackpfeifenspielers, der ums Jahr 1800 im
72. Lebensjahre stand. In Garnet's »Observations an a tour through the High-
lands of Scotlanda (London, 1800) befindet sich im 2. Bande sein in Kupfer
gestochenes Bildniss. t
Gowa, Albert, vortrefflicher deutscher Violoncellist, geboren am 14. April
1843 zu Hamburg, vollendete seine musikalischen Studien im Conservatorium
zu Leipzig besonders, was sein Instrument anbetrifft, bei Davidoff und Grütz-
macher und Hess sich hierauf in Bei'lin und andern deutschen Städten, 1867
auch in London und ein Jahr später in Kopenhagen mit grossem Beifall hören.
Von 1867 bis 1868 war er bei der philharmonischen Gesellschaft in Hamburg
engagirt und wurde hierauf als Solovioloncellist des Fürsten in die schaiira-
burg-lippe'sche Hofkapelle gezogen. Gegenwärtig lebt er wieder in Hamburg
318 Grabau — Graben-Hoffmann.
und ist hauptßilchlich als Quartettspieler sehr geschätzt. Sein Spiel kenn-
zeichnet sowohl nach der technischen Seite hin, wie in Bezug auf Auffassung
und Vortragsmanier den gediegenen und intelligenten Künstler.
Grabau, Henriette Eleonore, rühmlich bekannte und beliebte deutsche
Concertsängerin , geboren am 29. März 1805 zu Bremen, empfing nebst zwei
jüngeren Schwestern von ihrem Vater einen guten Gresangunterricht, auf GSrund
dessen sie später bei Mieksch in Dresden ihre Studien vollenden konnte. Schon
1825 erhielt sie in Leipzig ein festes Engagement als Concertsängerin und
nahm nach ihrer Verheirathung den Doppelnamen Bünau-G. an. Als solche
sang sie auch in anderen Städten die Soli bei grösseren Aufführungen, hat
aber besonders in Leipzig, wo sie am 28. Novbr. 1852 starb, einen ehrenvollen
Künstlernamen hinterlassen. — Ihr jüngerer Bruder, Johann Andreas G.,
geboren am 19. Oktbr. 18U9 zu Bi'emen, bildete sich, besonders bei Kummer
in Dresden, zu einem tüchtigen Violoncellisten aus, der namentlich als Quartett-
spieler hoch geschätzt wird. In der Nähe Leipzigs lebend, ist er seit einer
langen Reihe von Jahren den Winter hindurch im Gewandhausorchester zu
Leipzig thätig.
Grabe, deutscher Kirchencomponist, um 1770 in Baiern geboren, lebte
bis 1806 als Stiftsbeamter zu Neuenzelle in der Niederlausitz und hat viele
Psalme, Messen, Hymnen, ein Te deum und andere Kirchenstücke für den
Chor seiner Kirche componirt, die sich zu ihrer Zeit Beifalls erfreuten. f
Grabeier, Peter, deutscher Violinist und Componist, geboren am 10. Aug.
1796 zu Bonn, zeigte schon frühzeitig bedeutende Anlagen für Musik, welche
zunächst durch Unterricht auf Guitarre, Harfe und Violine ausgebildet wurden.
Seit seinem zehnten Jahre als Violinist im Orchester seiner Vaterstadt thätig,
lernte er nach und nach alle gangbaren Instrumente spielen und erhielt auch
einen tüchtigen theoretischen Unterricht von dem kurfürstl. Hofmusicus Steg-
niann, der ihn zu eigenen Compositionen anregte. Als Regimeuts-Musikraeister
zog G. 1815 mit dem preiissischen Heere über den Rhein, wurde aber nach
der Schlacht bei Waterloo nach Posen versetzt, wo er die deutsche Oper
dirigirte, bis sein Regiment in Breslau Garnison nehmen musste. In letzterer
Stadt Hess er sich häufig als Soloviolinist hören, kehrte 1821 nach Bonn zu-
rück und versuchte darnach, aber erfolglos, sich in Amsterdam, wohin er unter
Vorspiegelungen gelockt war, eine feste Stellung zu begründen. Missmuthig
über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen, übernahm er 1824, nach seines Vaters
Tode, dessen Bierbrauerei, ohne jedoch der Musik und der Composition ganz
zu entsagen. Im Gegeutheil ertheilte er Unterricht im Generalbass, Gesang
und Ciavierspiel und förderte das musikalische Vereinsleben seiner Vaterstadt.
Ein ihm auf die Brust gefallenes Bierfass hatte für ihn die Lungenschwind-
sucht zur Folge, welcher er, da auch der Gebrauch der Bäder von Aachen
nicht nützte, nach fünfjährigen Leiden, am 16. Decbr. 1830 zu Bonn erlag.
Componirt hat er u. A. das Oratorium »Salomo's Urtheil« (1829 in Bonn auf-
geführt), die Cantate »An die Hoffnung«, Text von Ludwig, König von Baiern,
für Solostimmen, Chor und Orchester, den 145. Psalm und andere Kirchen-
gesänge, ferner das Singspiel »Schöuthal« , INIänuerehöre , Pianofortestücke,
Märsche u. s. w.
Grabeu-Hofliuaun, Gustav, deutscher Vocalcomponist und Gesangspädagoge
der Gegenwart, geboren am 7. März 1820 zu Bnin unweit Posen, war der
Sohn eines Cantors und Lchrei's. Früh verwaist, wusste er sich die Aufnahme
in die höhere Bürgerschule auf dem Graben zu Posen zu verschaffen. Seine
Fähigkeiten und sein Fleiss erregten das Intei'esse seiner Lehrer, sodann auch
mehrerer Familien, die auf dem Graben wohnten, dermaassen, dass letztere seine
Erziehung und später auch sogar seine künstlerische Ausljildung vermittelten,
weshalb sich Gustav Hoffmann (so hiess er eigentlich) in dankbarer Er-
innerung daran Graben - Hoffmanu nannte. Um die Musik gründlicher
treiben zu können, trat er nach genügender wissenschaftlicher Vorbereitung in
Grabowska — Gradation. 319
das Schullehrerseminar zu Bromberg. Sodann wurde er Cantor und Lehrer
zu Schubin bei Bromberg und bald darauf Lehrer an der Stadtschule auf dem
Graben zu Posen, welches Amt er nach den absolvirten drei Jahren, zu denen
er für die auf dem Seminar genossenen Beneficien verpflichtet war, niederlegte,
um sich, da er auch mit einer schönen Baritonstimme begabt war, in Berlin
wirklich künstlerisch auszubilden. Dort genoss er 1843 den Unterricht des
Hofopernsängers Heinr. Stümer und wagte sich mit seinen ersten Compositionen
im Liedfache hervor, die wohlwollende Aufmunterung erfuhren. Bald gewann
er als Concertsänger und Liedercomponist einen Namen, besonders mit seiner
Ballade »500,000 Teufel«, die in viele fremde Sprachen übersetzt, die Bunde
um die Welt antrat. Eine gefährliche Krankheit unterbrach 1848 auf zwei
Jahre seine hoffnungsvoll begonnene Laufbahn, und erst seit 1850 konnte er
als Musiklehrer und Vorsteher einer von ihm gegründeten Gresangakademie für
Damen in Potsdam seine künstlerische Thätigkeit weiter fortsetzen. Seine
beliebt gewordenen Compositionen verschafften ihm 1856 die Protection der
kunstsinnigen Grafen Friedrich und Clemens von Schönburg- Glauchau, die ihn
auf ihre Güter in Steiermark und Sachsen zogen und ihm hochherzig die
Mittel zur Vollendung seiner Compositionsstudien bei Moritz Hauptmann in
Leipzig gewährten. Dies geschehen, Hess G. sich 1858 als Gesanglehrer in
Dresden nieder. Nach zehnjährigem Aufenthalte daselbst wurde er zum Ge-
sanglehrer der Grossherzogin von Mecklenburg nach Schwerin berufen und
dort zum Professor ernannt. Im J. 1870 gründete er eine Gesangakademie
für Damen in Berlin, kehrt aber Ende 1873, durch den Grafen Clemens von
Schönburg-Glauchau bewogen, dessen Palast er bezog, wieder in den früheren
Wirkungskreis in Dresden zurück. — G.'s Compositionen umfassen 95 Hefte,
bestehend in ein- und zweistimmigen Liedern, drei- und vierstimmigen Gesängen
für Erauenchor, vier Mazurkas für Pianoforte und einem musikalischen Genre-
bilde »Ein grosser Damenkaffee«. Sangbarkeit und eine gefällige Melodik
zeichnen diese Arbeiten aus. Höher sind jedoch G.'s gesangpädagogische Be-
mühungen anzuschlagen, für welche folgende Schriften und Lehrbücher rühm-
lich sprechen: »Die Pflege der Singstimme und die Gründe von der Zerstörung
und dem frühzeitigen Verluste derselben u. s. w.« (Dresden, 1865); »Das Stu-
dium des Gesanges nach seinen musikalischen Elementen« (3 Thle. mit zahl-
reichen TJebungen, Leipzig, 1872) und »Praktische Methode als Grundlage für
den Kunstgesang und eine allgemeine musikalische Bildung u. s. w.« (Dres-
den, 1874).
Grabowska, Clementine Gräfin vou, fertige Clavierspielerin mit einem
ansprechenden Talente zur Composition, geboren 1771 im Posen'schen, lebte
seit 1813 in Paris, wo sie nach 1830 starb. Sonaten, Variationen, Polonäsen
u. ß. w. von ihr sind im Druck erschienen.
(JrabOTVSki, Stanislaus, polnischer Pianist und Componist für sein In-
strument, lebte seit 1828 in Wieif und starb daselbst im J. 1852. Er ver-
öffentlichte eine Beihe von Saloucompositionen leichtesten Gehalts.
Grabut, Louis, auch Grabu geschrieben, französischer Componist, der
Kapellmeister König Karls IL von England wurde und dem die Direktion der
Musik im Conventgarden-Üperntheater zu London um 1680 und später oblag,
fand in dieser Stellung, wahrscheinlich seiner Nationalität wegen, viele Wider-
sacher und wenig Anerkennung. Von seinen Compositionen kennt man zwei
Opern: »Ariadne, or the marriage of Bacchus(.i, die 1674 zu Aufführung kam
und »Albion and Albaniusa, 1685 dargestellt. f
Gracieux (franz.; ital.: grazioso), Vortragsbezeichnung, s. grazioso.
Oradatiou (lat.: gradatio, franz.: gradation, ital.: gradazione), die Steigerung,
beziehungsweise allerdings auch der Fall, überhaupt also die Abstufung, vom
latein. gradus, d. i. Schritt, Stufe abzuleiten. In der Musik, wie überhaupt in
den schönen Künsten und in der Bhetorik schliesst der Begriff der G. immer
die Bedeutung einer Steigerung ein, also des stufenweisen Fortschreitens von
320 Gradehand — Graduale.
dem Niederen zum Höheren, von dem Schwächeren zum Stärkeren, conform
dem in dieser Beziehimg ebenfalls häufig gebrauchten griechisch- lateinischen
Ausdrucke climax, d. i. die Leiter, die Treppe. In der Bede bezeichnet dem-
nach G. die Verstärkung des Ausdrucks durch Fortsclireitung zu immer nach-
drücklicheren Bezeichnungen, Bildern, Figuren u. dergl. , in der Musik die
mehrmals aufeinanderfolgende aber immer um eine Tonstufe höher versetzte
Wiederholung eines Mclodietheils oder einer Accordfolge, Allgemeiner gehalten
kann in der Musik in Ansehung der Anordnung der Gegenstände, des Objekts
des Ausdrucks sowohl als seiner selbst, von einer G. die Rede sein: wenn die
Folge der Gedanken und Ideen, nach ihrer inneren, wie nach ihrer äusseren
Beziehung, so beschaffen ist, dass der Ausdruck immer stufenweise zunimmt,
immer massenhafter, heftiger wird, wie sein Objekt, das Gefühl immer be-
stimmter und lebendiger. Die Wirkung der G. ist demzufolge Spannung und
gesteigerte Erregung. Die G. muss übrigens in allen Darstellungsiiütteln :
Ton, Rhythmus u. s. w. zugleich und in gleichem Verhältnisse statthaben.
S. auch Steigerung.
firadehaud, Friedrich, deutscher Componist, geboren 1812 zu Brehna
in der prcussischen Provinz Sachsen, empfing seine musikalische AuH])ildung
als Zögling der Thomasschule in Leipzig beim Cantor Weiulig. Er übernahm
später eine Organistenstelle in Leipzig, ertheilte trefilichen Pianoforteunterricht
und starb im J. 1842. Als Componist war er durch gute Motetten, Orgel-
und Instrumentalwerke vortheilhaft bekannt.
Gradenigo, Giovanni, italienischer Tonkünstler zu Venedig, lebte in der
letzten Hälfte des IG. Jahrhunderts und liat fünfstimxnige Madrigale seiner
Composition (Venedig bei Gardane, 1574) hinterlassen.
Grade der Verwandtschaft, s. Verwandtschaft.
Gradenthaler, Hieronymus, irrthümlicli auch mitunter Gnadenthaler
geschrieben, deutscher geistlicher Componist, besonders von Kirchenliedern mit
deutschem und lateinischem Text, war in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts Organist in Regensbui'g. Seine meist in Nürnberg von 1G75 bis
1695 erschienen Werke, die ziemlich vollständig Gerber in seinem Tonkünstler-
lexikon von 1812 mittlieilt, tragen, der Zeitsitte entsprechend, die seltsamsten
Titel. Auch eine theoretische Schrift existirt von ihm, betitelt: nHorologium
omisicum, oder treu wohlgemeinter Rath, vermittels dessen ein Knabe von 9 bis
10 Jahren den Grund der edlen Musik und Singkunst mit Lust und leichter
Mühe kürzlich erlernen kann« (Regeusburg, 1676; 2. Aufl. Nürnberg, 1687).
Gradevole oder gradevolmente (ital.), Vortragsbezeichnung in der Be-
deutung anmuthig, gefällig, freundlich.
Graditameiite (ital.), auf gefällige Art.
Grado (ital.; latein.: gradiis), die Stufe, bezeichnet in der Musik den Schritt
von einer Linie zum nächsten Spatium und umgekehrt. Dem entsprechend:
di grado ascendente, stufenweise aufsteigend (z. B. c, d, e, f) und di g. descen-
dente, stufenweise absteigend (f, e, d, c).
Gradnale (latein.) ist die Benennung eines katholischen Gesanges, der
wahrscheinlich schon in den ersten Zeiten der Kiichn üblich war und auf die
Lesung der biblischen Bücher oder Episteln folgte. Er hat noch jetzt seinen
Platz in der Messe nach der abgesungenen Lection zwischen dem Gloria und
Credo und besteht, während er ursprünglich gewiss ein Psalm Avar, aus einigen
der heil. Schrift, meist dem Psalterium entnommenen Versen. Ehedem wurde
dieser Gesang Besponsum oder Cantus (Psalmus) respousorius genannt, weil der
Vorsänger (Cantor) ihn eröffnete, der Chor aber einstimmend respondirte. Die
Abstammung des AVortes G. selbst liegt im Dunkel. Die Meisten leiten
das£i'll)e von dem erhöhten Orte ab, den der Vorsänger einnahm (in Rom
diejenige Stufe, auf welcher der Lector stund). Job. Beleth, in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts, schreibt dem entsprechend in seiner nDivinorum
officiorum e.rpUcatio», dass sich der Cantor an gewöhnlichen Tagen auf die
Gradus — Grädener. 321
Stufen vor dem Altar, an höheren Festen aber auf den Ambon, von dem aus
das Evangelium abgelesen wurde, stellte. Etwas später berichtet Durandus in
seinem »Bationale<f, das G-. werde in der Mitte des Chores vor den Stufen
des Altars und nur an Festtagen auf den Stufen desselben gesungen. Andere
Ausleger leiten die Benennung daher, dass der Glradualgesang ertönt, während
der Diacon die Stufen (gradm) zum Ambo behufs Lesung des Evangeliums
hinaufsteigt oder noch an den Stufen des Altars steht. lieber denselben Gegen-
stand ergehen sich in Vermutliungen Aurelianus in seiner -»Reomensis mitsicaa
und Gerbert in seinen Script, eccles. I. 60. — Wer den Gradualgesang einge-
führt, ist gleichfalls nicht bekannt; Durandus nennt Gregor den Grossen, Am-
brosius und Gelasius als Verfertiger von Gradualien, die den zur Zeit des
Augustinus in Afrika und in Rom im 5. Jahrhundert noch üblichen ganzen
Psalm ersetzten. Im 6. Jahrhunderte bereits hatte das G. seine der jetzigen
ähnliche Gestalt. Die Melodien sind bei grosser Einfachheit ernst und feier-
lich, mit häufig wiederholten Neumen auf Textworten, die einen besonderen
Nachdruck erhalten sollen. Unmittelbar an das G. reiht sich an festlichen
Tagen das Alleluja, an anderen die Sequenz; zu bestimmten Zeiten tritt an
die Stelle des G. der Tr actus, ein Gesang in langsamer gedehnter Weise
ohne responsorienartigen Wechsel, von einem oder zwei Sängern allein ohne
Unterbrechung vorgetragen. Die Hauptsache ist, dass die vom Chore gesungenen
G. in ihrem Texte stets in Beziehung zum vorangegangenen Lesevortrage des
Priesters am Altare stehen müssen. Vgl. Mich. HermesdorlF, -t>Gr aduale juxta
usum ecclesiae cathedralis Trevirerisis disposiüim etc.a (Trier, 1863). — Eine
ähnliche Art »Stufengesang« haben übrigens bereits die Juden im Tempel zu
Jerusalem gehabt. Es sollen Lobgesänge gewesen sein, welche am ersten Oster-
festtage auf den 15 Stufen, welche aus dem Atrium der Männer in das der
Frauen führten, gesungen wurden. Vgl. Walther, musikal. Lex. unter Cantica
graduum. — Mit dem Namen G. bezeichneten die Katholiken auch das Buch,
worin die Gesäuge, welche der Chor während der Feier der Messe abzusingen
hatten, als z. B. Kyrie, Gloria, Introitus, Graduale, Offertorium u. dergl. auf-
gezeichnet waren.
Graäus (latein.), eigentlich die Stufen, hiessen bei den älteren Theoretikern
die Maasse der vier grösseren Notengattungen Maxima, Longa, B?'evis und
Semibrevis. S. Mensuralnotenschrift.
Gradus ad Parnassum (latein.), wörtlich die Stufen zum Parnass, ein be-
rühmtes Ciavier-Etüdenwerk von Muzio Clementi (s. d.).
Gräbner oder Gräbener, eine deutsche Orgelbauer- und Instrumenten-
macher-Familie, als deren ältestes Glied Johann Christoph G. bekannt ist,
der gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu Dresden lebte und u. A. 1692 die
Orgel in der Johanniskirche daselbst mit 11 klingenden Stimmen und drei
Bälgen erbaut hat. — Sein Sohn, Jahann Heinrich G., war Hoforgelbauer
und Instrumentenmacher zu Dresden und starb hochbejahrt im J. 1777. Den
weitverbreiteten Huf, dessen er sich erfreute, hat er sich besonders durch
Fabrikation von für die damalige Zeit sehr vorzüglichen Clavecins erworben.
Sein ziemlich umfangreich gewordenes Geschäft übernahmen seine beiden Söhne
Johann Gottfried G., geboren 1736 und Wilhelm G., geboren 1737 in
Dresden, die auch den Titel als Hofinstrumentenmacher ererbten. Bis 1786
bauten sie ebenfalls hauptsächlich nur Claviere, dann aber auch Fortepianos,
Flügel und Doppelflügel und zwar so erfolgreich, dass sie bis 1796 schon über
170 solcher Instrumente gefertigt und weithin versandt hatten. — Ihr Stief-
bruder, ein dritter Sohn Job. Heinrich G.'s, geboren 1749 zu Dresden, erlernte
zwar gleichfalls beim Vater seine Kunst, errichtete aber nach dessen Tode eine
Werkstätte für sich und baute von 1787 an Fortepianos aller Formen und
Arten, die denen seiner Brüder in keiner Weise nachstanden, nur dass es ihm
nicht gelang, einen auch nur annähernd so grossen Ruf sich zu erwerben.
Grädener, Karl G. P., bedeutender und geistvoller deutscher Componist,
Musikal. üonvera. -Lexikon. IV, 21
322 Graf- Gräfe.
besonders im Kammeniiusikstyle, geboren Im J. 1812, wii'kte lange Jahre hin-
dui'ch in Hamburg als sehr geschätzter Dirigent und Musiklehrer, bis er 1862
einem Rufe nach AVien folgte, der ihn als Gesangsprofessor an das dortige
Conservatorium zog. Diese Stellung gab er jedoch schon 1865 wieder auf,
kehrte nach Hamburg zurück und verwaltete an der Stockhausen'schen Gesang-
und Musikschule bis zu deren Eingehen das Amt eines Lehrers der Harmonie-
lehre. Im J. 1867 begründete er im Verein mit F. W. Grund, Direktor der
Singakademie, den Hamburger Tonkünstlerverein, dem er die ersten Jahre hin-
durch als Präsident vorstand und noch gegenwärtig als Ehrenmitglied angehört.
G.'s Ruf als Componist von Streichquartetten, Sinfonien, Ouvertüren, Ciavier-
stücken, Liedern u. s. w., die zusammen über 50 AVerke bilden, ist ein hervor-
ragender, der besonders durch eine ausgeprägte individuelle und interessante
Eigenthümlichkeit begründet ist. Erfindung und Melodik derselben weisen
nicht gerade auf einen frei und frisch strömenden Tonquell hin, aber die Har-
monik ist originell und geschickt verwendet und die Form mit selbstständiger
Meisterschaft gehandhabt. Dass sich G.'s reiche Fantasie häufig in's Phan-
tastische verliert, sich in Seltsamkeiten gern ergeht und dann spröde, herbe
Tonbilder zu Tage fördert, hat der Eingänglichkeit seiner AVerke bisher mehr
geschadet wie genützt, obwohl die allgemeine Zeitrichtung es mit solchen Aus-
wüchsen anderen Componisten gegenüber keineswegs so genau nimmt. G.'s
achtbare Musikgesinnung documentiren auch folgende von ihm vorfasste Schrif-
ten: nBach und die Hamburger Bachgesellschaft. Ein Beitrag zur Kunstkritik«
(Hamburg, 1856) und »Rede, gehalten zur hundertjährigen Geburtstagsfeier
Ludwig V. Beethoven's« (Hamburg, 1871), — Der Sohn G.'s, Hermann G.,
ein vorzüglicher Orgelspieler, folgt als Componist, wie die wenigen von ihm
bisher veröffentlichten Arbeiten beweisen, den Spuren seines Vaters, der zu-
gleich sein Lehrer war. Geboren 1843 zu Hamburg, ging er 1862 mit seinem
Vater nach Wien und Hess sich daselbst als Organist und Musiklehrer bleibend
nieder. Bedeutende AVerke dürften von ihm noch zu erwarten sein.
Graf, Johann, ein wahrscheinlich zu Lobenstein ansässiger Orgelbauer
aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der in den Jahren von 1734 bis
1740 in der Michaelskirche daselbst unter Sorge's Direktion die Orgel mit
35 Stimmen und drei Manualen baute ; die Disposition derselben giebt Adlung
in seiner Man. mechan. S. 251. f
Graf, Maria Magdalena, ein musikalisches AVunderkind des 18. Jahr-
hunderts, geboren 1754 zu Mainz, war Ciavierspielerin und Harfenistin und
soll als zehnjähriges Mädchen auf ihren Instrumenten, sowie in der freien Im-
provisation und allerlei Kunsistückchcn in Concertcn Staunenerregendes ge-
leistet haben. Mit behaglicher Breite ergeht sich hiei-über, gestützt auf die
Erzählungen im «neuen histoi'ischen Schauplatz« (Erfurt, 1764 S. 753), Gerber
in seinem älteren Tonkünstlerlexikon. Nach 1764 ist von diesem frühreifen
Talente nichts weiter gehört worden.
Gräfe, Johann Friedrich, musikgebildeter Dilettant, geboren 1711 zu
Braunschweig, lebte anfangs zu Halle und Leipzig, sjiäter aber als herzogl.
braun schweigischer Kammer- und Postrath wieder in seiner Vaterstadt. Seine
gesellschaftliche wie musikalische Bildung und seine Talente, die ihn in seinen
Tonsatzversuchen zu einer neuen Art der Liedercomposition , sowie zu andern
Musikwerken führten, haben ihm eine, wenn auch zu seiner Zeit vielfach über-
schätzte Stellung unter den Gesangscomponisten angewiesen. G.'s gedruckte
AV^erke sind folgende: Sammlungen von Oden mit Melodien (1. Theil, Halle,
1737; 2. Theil ebendas. 1739; 3. Theil, ebendas. 1741; 4. Theil, 1743); Oden
und Schäfergedichte in Musik gesetzt (Leipzig, 1744); Sonnet: II trionfo della
fedeltä, in zwei Melodien gebracht und zugleich mit einer neuen Art Noten
gedruckt (Leipzig, 1755); Fünfzig Psalme, Oden und geistliche Lieder mit
Musik (Braunschweig, 1760); »Z'öoto?«-, Caiitate j)ar Destoucliea, mine an musiquefn
(Berlin, 1765; Hamburg, 1767); sechs geistliche Oden und Lieder in Melodien
Graefenhahn — Graeser, 323
gesetzt (Leipzig, 1762); Oden und Lieder des Herrn v. Hagedorn mit Melo-
dien (1. Theil, 1767; 2. Thell, 1768); und viele Stücke im 13., 24., 28. und
50. Stück von ßich's musikalischem Vielerlei (Hamburg, 1770). Er starb am
7. Febr. 1787 zu Braunschweig. lieber mangelnde Anerkennung bei seinen
Zeitgenossen hatte sich G. nicht zu beklagen. Kritische Aeusserungen über
die erstgenannte Oden-Sammlung, die seinen Ruf begründete, findet man in
der Mitzler'schen Mus. Bibliothek, in Scheibe's krit. Musicus, in Marpurg's
krit. Briefen und in E. 0. Lindner's Gesch. des deutsch. Liedes im 18. Jahrb.,
in welchem letzteren Werke G, mit vorurtheilsfreiem Blick unmittelbare Wärme
abgesprochen wird, an deren Stelle steife Phrasen, Ciaviergänge und tanzartige
Weisen sich breit machen. t
Cri-aefenhahn, Wolfgang Ludwig, Magister und Lehrer an dem Christian-
Ernst- Collegium zu Baireuth, geboren 1719, gestorben 1767, veröffentlichte
vier in diesem Institute gehaltene Reden unter dem Titel: »Wettstreit der
Malerey, Musik, Poesie und Schauspielkunst« (Bayreuth und Hof, 1746). Seine
Rede über Musik, gehalten von einem gewissen Ferd. Ludw. Braun aus Wei-
mar, befindet sich auch im 4. Bande der Mitzler'schen Bibliothek. f
Oräfenthal, eine Familie von Organisten in Zwickau, als deren ältestes
Glied Johann G., an der Catharinenkirche daselbst angestellt und 1547 ge-
storben, dem Namen nach bekannt ist. Sein muthmasslicher Enkel, Georg G.,
hatte dieselbe Stellung inne und starb im J. 1633. Der bekannteste Spross
war Martin G., vielleicht der Yater des Vorigen, geboren 1532 und gestorben
1604, welcher 43 Jahre lang, nachdem er vorher kuvfürstl. sächsischer Hof-
musicus gewesen war, in Zwickau amtirte und zwar erst als Organist an der
Catharinen- und später an der Marienku-che daselbst. Dessen Sohn, Christian
G., latinisirt Graefinthalius, war der 16. der 53 Organisten, die 1596 zur
Abnahme der Orgel in der Schlosskirche zu Grüningen berufen worden waren.
Geboren 1571 zu Zwickau und von seinem Vater im Orgelspiel unterrichtet,
vollendete er seine wissenschaftlichen wie musikalischen Studien zu Leipzig
und wurde Organist zu Wittenberg, sodann 1594 Magister und 1613 Protono-
tarius des dortigen Hofgerichts und Schöppenstuhls. Er starb im J. 1634 zu
Wittenberg. t
Graefestein , Johann, Organist aus Erfurt, war der achte von den 53
zur Abnahme der Schlosskirchenorgel zu Grüningen 1596 berufenen Fachmänner.
Vgl. Wei'kmeister, Org. Gruning. rediv. §.11. t
Graeff, J. G., deutscher Flötist und Instrumentalcomponist, Hess sich in
den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts in London nieder und gab daselbst
bei Clementi als op. 11 Ouvertures in Parts und 1799 als op. 12 III Duets
for tlie Pf. ä 4 m. hei-aus, Arbeiten, die sich durch Reinheit des Satzes aus-
zeichnen sollen. t
Gräflfer, Anton, deutscher Guitarrevirtuose und Componist für sein In-
strument, geboren um 1780 in Wien, lebte in seiner Vaterstadt mit dem Titel
eines Professors der Musik. Ausser verschiedenen Compositionen veröffentlichte
er eine »Systematische Guitarreschule« und ein Fragment »lieber Tonkunst,
Sprache und Schrift« (Wien, 1830).
Graeflu, SophiaRegina, eigentlich wohl Gräfe geheissen, dichtende und
musicirende Dilettantin, war die Tochter eines Priesters in Leipzig. Wetzel
sagt von ihr in seiner Liederhistorie Band I S. 340: »Sie habe die sonn- und
festtäglichen Evangelia, nach denen anno 1714 loco exordii in der Predigt an-
geführten Sprüchen, in angenehme Melodien gebracht, welche ohne ihrem Be-
wust, unter dem Titel gedruckt worden: Eines andächtigen Frauenzimmers
S. R. G. ihrem Jesu im Glauben dargebrachtes Liebes-Opfer« (Leipzig, 1715).
t
Graeser, Johann Christoph Gottfried, talentvoller Dilettant, geboren
1766 zu Arnstadt im Schwarzburg'schen, wählte zum Berufe den geistlichen
Stand, starb jedoch schon 1790 auf Schloss Erbach als Hauslehrer und Candidat
21*
324 Grätz - Graf,
des Predigtamtes. Yon seinem tüchtigen musikalischen Können zeugen drei
leichte geschmackvolle Claviersonateu , die 1786 zu Leipzig erschienen und
denen bis Ende 1787 noch zwei andere Hefte folgten; ferner Gesänge mit
Ciavierbegleitung (Leipzig, 1785); sechs kleine und leichte Ciaviersonaten
(Leipzig) und Ciaviersonaten mit obligater Violine (Dresden, 1793). Vgl.
Hesse's »Nachrichten von schwarzburgischen Gelehrten«. — Ein anderer G.,
Johann Friedrich mit Vornamen, wirkte als Organist zu Breslau an der
Maria- Magdalenakirche von 1791 an bis zu seinem Tode 179G, nachdem er
seit 1757 Unterorganist an der St. Elisabethkirche daselbst gewesen war. Sein
Spiel wurde als ein vorzügliches in ganz Schlesien gerühmt. Dass er auch
Componist gewesen, ist nicht bekannt. t
Grätz, Joseph, ausgezeichneter deutscher Musiktheoretiker und Lehrer
der Harmonie und Composition, geboren am 2. Decbr. 1760 zu Vohburg an
der Donau in Baiern, erhielt seinen ersten musikalischen Unterricht im Kloster
Rohr bei Abensberg. Nachdem er während der darauf folgenden Zeit seiner
philosophischen und juristischen Studien zu Neuburg und Ingolstadt Organisteu-
dienste an den betreffenden Seminar- und Stadtkirchen geleistet, ging er nach
einem Jahre juristischer Praxis beim Landgerichte zu Vohburg nach Salzburg,
wo er durch den Unterricht Mich. Haydu's in seinem Entschlüsse, sich ganz
für die Musik zu bilden, befestigt wurde. Ein reicher Gönner ermöglichte es
ihm, später auch noch die Unterweisungen Bertoui's in Venedig zu geniessen
und die Städte Padua, Verona, Vicenza u. s. w. in Oberitalien zu besuchen.
Im J. 1788 kehrte er in das baierische Vaterland zurück und liess sich bleibend
in München nieder, das er auch bis zu seinem Tode, welcher ihn am 17. Juli
1826 ganz unerwartet auf einem Spaziergange in Gestalt eines Schlaganfalls
überraschte, nicht wieder verliess. Er hatte zwar den Titel eines Hofclavier-
meisters, mit welchem aber keinerlei Obliegenheiten verbunden waren, wie er
denn überhaupt seit seiner Rückkehr niemals ein Amt bekleidete. Als Com-
ponist war er so trocken und erfinduagsarm, wie es nur ein eingefleischter
Theoretiker sein kann. Beweise hierfür sind seine Messen, sein Oratorium »der
Tod .Jesu« und besonders seine Opern »das Gespenst mit der Trommel« und
»Adelheid von Velthcim«, die bei der ersten Vorstellung schon vom Publikum
für ungeniessbar erachtet wurden und durchfielen. Dagegen finden sich unter
seinen Chorälen, Präludien, Versetten und anderen kleineren Kirchenstücken
auch anerkenuenswerthe Leistungen, Konnte er sich dadurch keinen Ruhm
verschaffen, so genoss er desto ausgezeichnetere Hochschätzung und Anerkennung
als Harmonie- und Conipositionslehrer, und Männer wie K. Cannabich, Ett,
HoflPmann, Ladurner, Lauska, Lindpaintner, Moralt u. v. A., schon zu Künst-
lern gereift, schlössen sich an ihn an und nahmen noch bei ihm Unterricht.
Graf, .Johann, tüchtiger deutscher Violinist und Componist, gegen Ende
des 17. Jahrhunderts zu Nürnberg geboren, erhielt auf mehreren Instrumenten,
insbesondere auf der Violine und in der Composition einen gründlichen Unter-
richt, wurde jung noch, Violinist im Orchester des sogenannten deutschen
Hauses in Nürnberg und kam dann als Instructor und Musikmeister des Löfi'el-
holz'schen Regiments mit nach Ungarn. Mehrmaliger AuA.nthalt in Wien,
und der Verkehr mit anerkannton Meistern der Tonkunst daselbst förderte
ihn noch ungemein. Darauf ward er 1718 kurfürstl. mainz'scher und fürstl.
bamberg'scher Hofmusicus und erhielt endlich einen Ruf als Concertmeister an
den Hof nach Rudolstadt, woselbst er um 1745 als Kapellmeister starb. Er
hatte sechs Söhne, die er sämmtlich zu tüchtigen Musikern erzog; die beiden
weiter unten folgenden haben sich aber ganz besonders ausgezeichnet. Von
G.'ß Compositionen führt Gerber 12 Sonaten für Violine und sechs Parthien
für Streichquartett, gedruckt in Bamberg und Rudolstadt, als sehr bemerkens-
werth und geschätzt auf. — Sein Sohn, Christian Ernst G. (auch unter
dem Namen Christian Friedrich Graaf in Catalogen verzeichnet), geboren
1723 zu Rudolstadt, war der Schüler und auch der Nachfolger seines Vaters
Graff. 325
im Kapellmeisteramte. Im J. 1762 jedoch erhielt er einen Euf als königl.
Kapellmeister nach dem Haag. Dort soll er 1802 gestorben sein, nachdem er
kui'z zuvor noch eines seiner Oratorien in der lutherischen Kirche daselbst
aufgeführt hatte. Er war ein ebenso tüclitiger Violinist als fleissiger Componist.
Namentlich in Holland sind zahlreiche Sinfonien, Ouvertüren und andere Or-
chesterwerke, ferner Ciavier- und Violinsonaten, Variationen, Duos für ver-
schiedene Instrumente, Gesänge, Lieder u. s. w. im Druck erschienen, mehr
noch sind unveröffentlicht geblieben. Endlich gab er holländisch ein Lehrbuch
heraus, betitelt: »Prüfung der Natur der Harmonie im Generalbasse, nebst
Unterricht über eine kurze imd regelmässige Bezifferung. Mit sechs Kupfer-
tafeln« (Haag). — Sein jüngster Bruder, Friedrich Hartmann (Hei-mann)
G., geboren 1727 zu Rudolstadt, studirte bei seinem Vater Violine, Flöte und
Tonsatz und beim Hofmusiker Käsemann von 1743 bis 1746 das Paukenspiel.
Als Pauker trat er darnach in ein holländisches Regiment und gerieth bei
Berg op Zoom in englische Kriegsgefangenschaft. Endlich auf freien Fuss
gesetzt, vcrliess er England wieder und ging 1759 auf fünf Jahre nach Ham-
burg, wo er als Flötist und Componist so grosse Anerkennung fand, dass ihm
Telemann's Stelle in Aussicht gestellt wurde. Er zog es jedoch vor, eine grosse
Kunstreise durch England, Holland, Deutschland, die Schweiz und Italien zu
machen und sich auf derselben ebenso sehr zu vervollkommnen wie seinen
Virtuosenruf auszubreiten. Von 1769 an war er unter Direktion seines Bruders
als erster Flötist in der königl. Kapelle im Haag, folgte aber schon 1772 einem
Rufe als Musikdirektor nach Augsburg. Sein Name als Componist von Flöten-
concerten und anderen Stücken für dies Instrument, sowie des Oratoriums
»die Sündfluth« war damals schon ein glänzender, und das in Augsburg com-
ponirte Oratorium »der verlorene Sohn« fand w^eit und breit die höchste An-
erkennung, so dass ihm die Direktion der deutschen Oper in Wien 1779 eigens
die Composition eines dramatischen Werkes übertrug. In Wien traf ihn die
Einladung, die grossen Concerte der Saison von 1783 und 1784 in London
zu dirigiren und für dieselbe grössere Arbeiten zu componiren. Reich belohnt
und mit Erfolgen übei'häuft, kehrte er unter dem Titel eines Kapellmeisters
in sein früheres Amt nach Augsburg zurück. Dorthin sandte ihm die Uni-
versität Oxford 1789 das Doctordiplom nach, das ihm ohne vorangegangene
Prüfung und mit Beiseitesetzung aller sonst üblichen Formalitäten ertheilt
worden war. Seine Productivität war- noch in seinen letzten Lebensjahren
eine sehr bedeutende, und selbst die strenge Kritik kann an seinen gediegenen
Werken, die, wenn sie in einer anderen Epoche, als der Mozart-Haydn'schen,
entstanden wären, gewiss nachhaltiger gewirkt hätten, nichts auszusetzen finden.
Hatte schon seine Cantate nlnvocation of Neptune and Ms attendani Nereids of
Britanniav- in London einen beispiellosen Beifall gefunden, so düi-fen sein 29.
Psalm , die heroische Cantate »Andromeda« und eine andere »die Hirten bei
der Krippe zu Betlehem«, Gedicht von Ramler, sowie seine Quintette und
Quartette als nicht minder vortreffliche Arbeiten nicht unbemerkt bleiben, wenn
man in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zurücksteigt. G. selbst
starb am 19. Aug. 1795 zu Augsburg.
Graff, Charlotte, geborene Böheim, s. Böheim.
(xraff, Conrad, auch Graf geschrieben, einer der geschätztesten deutschen
Ciavierbauer der Neuzeit, geboren am 17. Novbr. 1782 (nicht 1783) zu Ried-
lingen im Württemberg'schen , erlernte das Tischlerhandwerk und begab sich
als Geselle auf die übliche Wanderung in die Fremde. In Wien trat er 1799
in das neu errichtete Jäger-Freicorps, dem er vier Jahre lang angehörte, worauf
er, vci-abschiedct, bei dem Ciavierbauer Jac. Schelkle in Arbeit ging. Hier
machte sich seine Befähigung für mechanische Arbeiten glänzend geltend und
verschaffte ihm Gönner, so dass er sich schon 1804 selbst etabliren konnte.
Sein rastloser Fleiss und seine unausgesetzt betriebenen Verbesserungsversuche
brachten das Geschäft schnell in Schwung, und seine Fabrikate gehörten im
326 GrafF — Graichen.
Verlaufe der Zeit wegen der Kraft, Fülle und des Gesangreichtliums ihres
Tones zu den von weit und breit her bestellten. Als k, k, Hof- Ciaviermacher
starb er zu "Wien am 18. März 1851.
Graff, Johann, deutscher Organist, Sohn eines Rektors zu Erfurt, bildete
sich durch Selbststudien nach Pachelbl zu einem tüchtigen Ciavier- und Orgel-
spieler heran, und verwaltete in seiner Geburtsstadt mehrere Organistenstellen
nacheinander. Zuerst versah er den Dienst an der St. Thomas-, dann den an
der Regler- und endlich den an der Kaufmannskirche daselbst, bis ihn 1694
der Drang, die Welt zu sehen, auf Reisen trieb. Längere Zeit hielt er sich
zu Lüneburg bei Böhm auf, um die Compositiouskunst zu studiren und kam
endlich nach mannigfachen Erlebnissen nach Magdeburg, wo er die Organisten-
stelle an der St. Johanniskirche annahm, welcher er bis zu seinem 1709 er-
folgten Tode vorstand. Er soll Orgel- und andere Instrumentalstücke componirt,
aber nicht veröflfeutlicht haben. Von den ersteren besass Gerber einige im
Manuscript. t
Grai'fl^iia, Achille, italienischer Operncomponist, geboren 1817 in der
Lombardei, übernahm als Lnpresario die Direktion der italienischen Oper in
Odessa, die er mit grossem Geschick, aber wechselndem Erfolge viele Jahre
hindurch führte. Einige seiner dramatischen Compositionen sind auf dem
Theater zu Odessa, theil weise mit grossem Beifall, von ihm zur Aufführung
gebracht worden.
Graffus, Valentinus (oder Greffus), latinisirt aus Graff, ein bedeu-
tender Lautenspieler aus Ungarn, der u. A. den ersten Theil eines Lehrbuchs
v>harmoniarum musicarum in usum testudinisa. (Antwerpen, 1560) veröffentlichte.
Vgl. Garzoni, r>Piazza universale« Discorso 34 und Gesner's Bihl. univ. f
Grafftc, ein deutscher Orgelbauer zu Wolfeubüttel, der unter anderen
Werken 1706 zu Aljtsbessingen im Fürstenthume Schwarzburg ein Werk von
18 Stimmen vollendete und aufstellte. f
Grag-uaui, Filippo, vorzüglicher italienischer Guitarrevirtuose und Com-
ponist für sein Instrument, geboren 1767 zu Ijivorno, war von Jugend auf
darauf bedacht gewesen, sich gründliche musiktheoretische Kenntnisse anzueignen
und hatte bei Luchesi den Contrapunkt studirt. Der Guitarre wandte er seine
Vorliebe zu , und er hat im Laufe der Zeit die engbeschriebenen Grenzen
dieses Instruments bedeutend erweitert. Seit 1812 hat man von ihm nichts
weiter gehört, jedoch befand er sich in diesem Jahre noch am Leben. Von
seinen Compositionen sind, ausser Sonaten, Duos, Variationen, Uebungen u. s.w.
für Guitarre, im Druck erschienen: Ein Quartett für zwei Guitarren, Violine
und Clarinette; ein Sextett für Flöte, Violine, Clarinette, zwei Guitarren und
Violoncello; ein Trio für drei Guitarren und ein solches für Guitarre, Flöte
und Violine.
Graham, George F., schottischer Literat und Musikliebhaber, veröffent-
lichte u. A. einen Bericht über das erste grosse Musikfest zu Edinburg vom
30. Oktbr. bis 5. November 1815 nebst einer Observation generale über die
Musik (Edinburg, 1816).
Grahl, Andreas Traugott, deutscher Sänger und Gesangcomponist, war
in den Jahren von 1766 bis 1768 wahrscheinlich Akademiker zu Leipzig, that
sich dort in verschiedenen stehenden Concerten als Tenorsänger hervor und
veröffentlichte »Oden und Lieder« seiner Composition (Leipzig, 1779). ■ — P]in
anderer G., Friedrich Benjamin mit Vornamen, auch wohl der Jüngere
genannt, gab eine erste Sammlung von zwölf Variationen für Ciavier (Dresden,
1801) in den Druck, die zu bedeutenden Hoffnungen berechtigten, welche sich
in der Folge nicht verwirklicht zu haben scheinen. f
Graicheu , Abraham, deutscher Pianofort cfabrikant, geboren 1826 im
Altenburg 'sehen, lel)t in Erfurt mit dem Titel eines herzogl. sachsen-meiningen'-
schen Hoflieferanten. Die von ihm verfertigten Pianinos besonders zeichnen
sich durch solide, geschmackvolle Bauart und schönen Ton aus.
Graichen - Grammatik der Tonsprache. 327
Graicheu , Johann Jakob, deutscher Orgelbauer, der um 1725 bei
G. H Trost seine Kunst erlernte, starb als fürstlich braudenburg-kulmbacli'-
scher privilegirter Orgelbauer im J. 1760 und hat sich in seiner Zeit durch
den Bau eines Werkes mit 16 Stimmen zu Lichtenberg, das er am 3. Juni
1759 vollendete, so wie vieler anderen zu Kulmbach, Neustadt, Berg, Treb-
gast, Bischofsgrün und Wirsberg einen Ruf gemacht. Die Disposition dieser
Werke zeugt jedoch, wie Gerber in seinem Tonkünstlerlexikon von 1812 nach-
weist, nicht eben für ein namhaftes Verdienst. t
Grain, du, vermuthlich identisch mit Johann du G., war von 1737 bis
1739 Sänger und Componist an der evangelischen Hauptkirche zu St. Marien
in Elbing. Unter letzterem Namen ist besonders eine 1737 geschriebene Pas-
sionsmusik bekannt, die bis in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts hinein
in Danzig alljährlich aufgeführt wurde. Unter dem Namen du G. sind 1746
zum Danziger Choralbuche 26 neue Melodien gesetzt worden, welche jedoch
nicht gedruckt erschienen. f
Graiuville, Jean Baptiste Christoph, musikgelehrter französischer Di-
lettant, um 1760 zu Ronen geboren, war als Parlamentsadvocat in seiner Vater-
stadt angestellt. Eine musikalische Dissertation von ihm, betitelt: vSur les
differents rhyihnies employSs par les poetes dramatiques grecsvi zeugt von grosser
Gelehrtheit auf diesem Wissensfelde.
Gräma-glya-g-äua (indisch) heisst der erste der zwei Theile der 8dm a-
Veda (s. d.), welcher nur alte Gesänge der Braminen enthält, wozu die Töne
notirt sind. Die Aufzeichnung dieses Buches und der Melodien soll, wie be-
hauptet wird, im 14. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben, wofür darin
erwähnte Constellationen der Sterne Zeugniss ablegen sollen. 2.
Gramaye, Johann Baptist, belgischer Historiker, geboren zu Antwerpen,
wirkte als juristischer Professor zu Löwen und Historiograph der Niederlande.
Auf einer Reise starb er zu Lübeck im J. 1635. Nach Porkel's Vermuthung
ist eine von Franc. Swertius in seiner Athen, helg. G. zugeschriebene Schrift:
»_De musioa lafina, graeca, maurica et instrmnentis Barbar icis«, dessen Lexicon
mauricum oder dessen Africa illustrata, Uhr. X. entlehnt. Vgl. Gerber, Ton-
künstlerlexikon vom J. 1812. t
Grammatik der Tonsprache, musikalische Grammatik etc. bedeutet im wei-
testen Sinne die Mittheilung und Begründung derjenigen Regeln und Gesetze,
die der praktische Tonkünstler, sei er nun Componist oder blos reproducirender
Künstler, bei Ausübung seiner Kunst zu beachten hat. In diesem allgemeinen
Sinne wird indessen für diesen Ausdruck in der Regel lieber der Ausdruck
»Technik« (s. d.) gesetzt; die Gr. gilt dann nur als ein besonderer Theil
der Technik, während diese letztere, als einer der Haupttheile der musikalischen
Wissenschaften, der »musikalischen Aesthetik« (s. Philosophie der Kunst)
gegenüber gestellt wird. In diesem engeren Sinne versteht man unter Gr.
»den Inbegriff der Regeln, nach welchen die Töne und Accorde richtig an-
einander gereiht und mit einander verbunden werden müssen«. (Gathy, »Lexi-
kon«). Man zählt dann zu ihr: die »Propädeutik« oder Vorschule, nebst Zeichen-
lehre (»Semiotik«), die »Harmonik«, »Melodik«, »Rhythmik« und »Metrik«.
Ausserdem gehört hierher auch noch die »musikalische Orthographie« (s. d.)
oder die Lehre, wie man bei schriftlicher Darstellung die grammatische Richtig-
keit zum Ausdrucke bringt. Weit enger fasst den Begriff Gr. noch G. W. Fink,
der eine »Musikalische Grammatik« (Leipzig, G. AVigand) geschrieben hat. Er
will in dieser »Musikal. Gr.« nichts geben, »als die schlechthin nothwendige
Wissenschaft, die für jedfu Musikfreund, der die Kunst auf irgend eine Weise
ausüben will, gehört«, »die ganz unumgänglichen Kenntnisse, die für alle Aus-
über der Tonkunst unserer Zeit Bedürfniss sind« (s. a. a. 0. S. 11). Er ge-
braucht den Ausdruck also etwa gleichbedeutend mit »Allgemeine Musik-
lehre« (s. d.). — In ganz anderem, aber ebenfalls engerem Sinne gebraucht
G. Weber den Ausdruck Gr. Er definirt ihn folgendermassen: »Das erste,
328 Grammatik der Tonsprache.
und gewissermaassen unterste Erforderniss, beim Verbinden von Tönen und
der Bildung eines musikalischen Satzes, ist, dass er vor allem nicht übel, nicht
gehörwidrig klinge; sondern dass dem Grehörsinne nur möglichst wohlgefällige
Tonverbindungon dargeboten werden. Es ist dieses ungefähr eben so, wie es
das erste und unterste Erforderniss der Rede- oder der Dichtkunst ist, Sprach-
fehler zu vermeiden. Dieser Theil der Tonsatzlehre, welcher blos das technisch
oder grammatikalisch Richtige der Tonverbindungen, blos die Reinheit der
Tonsprache beabsichtigt, heisst eben darum Lehre vom reinen Satze, oder auch
Grammatik der Tonsprache, der Tonsetzkunst; sie beschäftigt sich mit den
Gesetzen, nach welchen Töne, gleichsam als musikalische Buchstaben oder
Spi'achlaute, sich zu Sylben, diese zu Worten, und "Worte sich endlich zu
einem musikalischen Sinne (sensus) gestalten. (G. Weber , »Versuch einer
geordn. Theorie«, I. §. X.). — Bei andern Tonlehrern ist der Ausdruck Gr.
weniger im Gebrauche. Sie setzen dafür — je nach ihrem Standpunkte —
Ausdrücke wie: »Contrapunktischc Regeln« oder kurz »Contrapunkt«, »Lelire
vom reinen Satze«, »Harmonie- und Modulationslehre«, »Generalbasslehrc« u.
dergl. , von denen aber keiner den Begriff Gr. vollkommen deckt. — Neben
der Gr. zählt G. Weber dann zur Technik der Tonsetzkunst noch »die Lehre
vom sogenannten doppelten Contrapunkte, von Fuge und Canon und was didiin
einschlägt, so wie auch die von der Anlage und Gestaltung der Tonstücke im
Ganzen«, ferner der Instrumentationslehre und die Lehre vom Vocalsatze, zu
der auch die Lehren »von der richtigen Betonung oder Accentuation , von
Scansion und Declamation« gehören. Es scheint mir, als sei der Begriff Gr.
in diesem Sinne am richtigsten angewendet; werden ja doch auch in der Sprache
weder das mechanische Lesen und was dazu gehört, noch auch die ebenfalls
rein zum Technischen gehörigen Lehren von der Scansion, vom Versbau, vom
Reime, von der Form der Dichtungen u. s. f, zur Gr. gerechnet. — Die »mu-
sikalische Gr.« hat — theils durch die Entwickelung der Tonkunst, theils auch
durch das Fortschreiten der Wissenschaft überhaui)t — in Beziehung auf ihre
Tendenz, auf Inhalt und Umfang ihrer Regeln und Gesetze u. s. f , im Laufe
der Jahrhunderte gar mancherlei Wandlungen durchmachen müssen. In der
Blüthezeit des Contrapunktes galten die contrapunktischen Regeln als über
jede Kritik erhaben und unbedingt gültig. Dagegen erklärt schon Andr. Werck-
meister in seinem r>örihrum musicumv- (Quedlinburg und Leipzig, 1700) S. 34:
»Alles ist gut, wenn es recht und zu bequemer Zeit gemacht wird« und S. 9:
»Ich gestehe zwar gerne, dass die Regeln, so die lieben Alten in der Musika-
lischen Composition gegeben, nicht allemahl können in acht genommen werden,
sonderlich in Setzung vieler Stimmen«. »Ja ich gestehe gerne, dass die Regeln
zum Theil gar nichts nütze, und unnöthig seyn«. Er fügt aber zu: »Jedoch
siebet man wie vorsichtig die Alten in Bauung der harmonia gewesen sind.
Und deswegen müssen sich die Ignoranten nicht etwa einbilden, als wäre
es gleichviel, man könnte setzen was einem seine phantasey dictirte. Ach
nein! man muss den Grund nicht zerreissen, es kau ein Ding wohl gebessert
werden«. »Wer die Grundsätze verstellet, der wird sie auch wohl in aclit
nehmen, und hoch aestimiren, hiedurch wird auch die Musik, und derer Ciiltores
hochgehalten werden, denn hierinnen stecket der Unterscheid der Bierfiedler,
Stümpler, und aller rechtschaffenen Musicorum, und Componisten«. — Was
man in neuerer Zeit über die Gültigkeit grammatischer Regeln denkt, wurde
schon in den speciellen Artikeln (Auflösung, Consonanz und Dissonanz, Fort-
ecbreitung etc.) mitgetheilt. — In Beziehung auf Inhalt und Umfang beschränkt
sich die Gr. der alten Contrapunktisten im Wesentlichen auf die Gesetze gegen
die Octaven- und Quintenparallelen, den unharmonischen Querstand und
den Tritonus (s. d.) und auf die Lehren von der Anwendung und Fort-
schreitung dissonircnder Intervalle. G. Weber dagegen bedarf zur Darstellung
der »Grammatik« der Tonsetzkunst schon 4 voller Bände, ohne indessen er-
schöpfend sein zu können. Näheres hierüber wolle man nachlesen unter »Har-
Grammatik der Tonsprache. 329
monie- und Modulationslelire«, »Rliythmik«, »Regeln des Contrapunktes« und in
den dort genannten Specialartikcln. — Ueber die Wichtigkeit der musikalischen
Gr, für die Tonkunst selbst sind die Ansichten zu verschiedenen Zeiten eben-
falls sehr verschieden gewesen. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts galten die
contrapunktischen Regeln für das A und 0 der musikalischen Kritik, und die
Kenntniss derselben unterschied den wirklichen Musikus von dem blossen Sänger
(Cantor) oder Instrumentalisten. Und dieser Unterschied galt als sehr be-
deutend, Sätze, wie die folgenden, finden sich in musikalischen Schriftstellern
gar nicht selten: r>Non e minor clistanza trä 7 Musico e'l Cantore, che trä 'l
Podestä e il Bandiforea. y>Tale differenza trä 7 Musico ed il Cantore^ quäle e
trä la luce e le tenehrev.. Zwischen einem gebildeten Mixsiker und einem
blossen Sänger fand man also einen grösseren Unterschied, als zwischen einem
Fürsten und einem Landstreicher, als zwischen Licht und Finsterniss. »Das
ist starck«, fügt Matheson, der diese Aussprüche in §. 92 seiner »Grossen
Generalbassschule« mittheilt, hinzu. »Wiewohl es hat diesen Unterscheid Guido
Aretinus selbst schon zu machen gewusst«. Noch drastischer di'ückt sich Andr.
Werckmeister in seinem schon genannten »Musikalischen Siebe« aus. »Es reichet
zwar lange nicht hin, wenn ein Componist nur den Progressum zwoer Quinten,
und zwoer Octaven in zwoen Stimmen zu vermeiden weise: oder dass er die
relatio7ies-no7i-harmonicas inusitatas etlichermassen zu fliehen weiss: gewiss es
gehöret mehr darzu«, »Wer eine reine geschickte harmoniam setzen will , der
muss die Nase auch in die guten Ätitores, sowohl theoreticos, als practicos,
hängen«. (S. 2). »Ich halte einen Strohschneider und Besenbinder, der die
rationes über seine Handthierung vorzubringen weiss, viel klüger, als einen
solchen unbesonnenen Musicaster, der nur nach seinem Gänse- Gehirne hinsetzet,
was seiner Phantasterey gut deucht«. (S. 22). »Es setzet zwar auch offte ein
guter Componist etwas ungewöhnliches aus gutem Grunde und Ursachen, welches
einem Incipienten nicht anstehet; darum muss ein Incipiente nicht alles nach-
äffen, sondern alles mit Bedacht und mit gutem Grunde zu behaupten wissen«.
(S. 25). »Es gehet manchen wie jenem Affen, der den Holtzhacker imitiret
und Holtz hauen wollte, als er aber die Griffe nicht recht wusste, klemmete
er sich, und gerieth in grossen Schimpff«. (S. 12). »Er sage mir mein Freund!
ob andere vermeinte Musici, die da keine rationes über ihre selbst zusammenge-
flickte harmoniam zu führen wissen, besser und höher zu aestimiren als Schäffer-
Knechte? Ich kau sie nicht besser schätzen. Denn ein solcher Schaffs-Knecht
hat seinen natürlichen, ja bissweilen einen schärffern Verstand, als ein andrer,
und ein solcher Musicaster kan nicht anders urtheilen als ein Schaffs-Knecht,
wo er nicht vorher auf die fundamenta, so in der Natur gegründet seyn, ge-
wiesen wird, und darauf sein Music- Wesen bauet. Herr Printz nennet solche
Leute in seinem » Satyrischen Componisten« (vollständige Ausgabe: Dresden
und Leipzig, 1696): Pfeiffhanss, Bocksmerten, Schergeiger, Leyermatz u. s. w.
O diese Gesell seh äfft erstrecket sich sehr weit, ob sichs schon mancher nicht
einbildet!« (S. 29), — Die Yerstösse gegen die Gesetze der Grammatik erhal-
ten dem entsprechend ebenso drastische Benennungen: »Rossquinten«, »Kuh-
octaven«, »Sauquarten«, Lämmertertien«, »Kälbersexten«, von »denen einem ge-
nau die Ohren platzen möchten«, (a. a. 0. S. 23). — Das hohe Ansehen, in
welchem die musikalische Gr. seiner Zeit gestanden hat, ist im Laufe der Zeit
gänzlich geschwunden. Jetzt steht diese Wissenschaft sogar bei Vielen arg im
Verruf. So theilte mir der Direktor eines grossen Conservatoriums als eine
bei seiner langjährigen Thätigkeit gemachte Erfahrung mit, dass theoretischer
Unterricht sehr, sehr selten verlangt werde. Aus dem Munde eines »Kapell-
'meisters« musste ich einst die Aeusscrung vernehmen: »Wir Musiker von Gottes
Gnaden haben uns um die graue Theorie nicht zu kümmern«. Es ist daher
gar nicht zu verwundern, dass selbst Sänger und Instrumentalisten von grossem
Rufe, von den Dilettanten ganz zu schweigen, meist keine blasse Ahnung von
dem haben, was man Gr. nennt; ja selbst die meisten Componisten halten das
330 Grammatischer Acceut — Grancino.
Studium der Harmonie, des Contrapuuktcs, der Imitation etc. für vollkommen
überflüssig. »Kann mau sich doeli heute den Ruf grosser Wissenschaftlichkeit
erwerben durch Kenntnisse, die noch im Anfange dieses Jalirhunderts jeder
Musiker besitzen musste, der sich nur einigermaassen über das Niveau eines
»Handwerkers« erheben wollte«. (S. des Verf. »Elementarbuch«, Berlin, R. Op-
penheim, S. IV.). — Dem gegenüber möge zum Vortrage der Nutzanwendung
nochmals Andr. AVerckmeister (a. a. 0. S. 35) das Wort erhalten: »Würde
nun die Music allemahl nach ihren in der Natur gegründeten Sätzen einge-
richtet, und practiciret, gewiss, sie wolte aller Welt angenehmer sein, und
dahero besser aestimiret werden, auch bessern effect erreichen. Es würden die
Ignoranten auch eines bessern sich besinnen, und ihre Calumnien, nicht so
leichtfertig gegen andere heraus giessen«, Otto Tiersch.
Grammatischer Accent (latein: accentus grammaticus), s. Accent.
(i}rammont, Madame de, geborene Ren au d d' Allen, gute Clavierspielerin
und Dilettantin, geboren 1790 zu Paris, veröffentlichte Ciavierstücke leichten
Gehalts, besonders Variationen, dann auch Romanzen ihrer Composition, die
eine Zeit lang ihr Publikum fanden.
Gramont, Henri de, Professor des Gesangs am grossen Seminar zu Paris,
geboren 1808 daselbst, liess eine -nMetliocle du chanU (Paris, 1845) erscheinen,
welche die Elementargrundsätze für die Pflege des guten Gesangs enthält.
Grams, Anton, ein vorzüglicher Contrabassist, geboren am 29. Oktbr.
1752 zu Markersdorf in Böhmen, war ein Schüler des zu Prag lebenden Contra-
bassisten Natter, dessen Sonorität des Tons, Klarheit und Fertigkeit des Vor-
trags er sich ganz zu eigen machte. Als Virtuose seines Instruments wohl
angesehen, führte er in Prag mit wechselndem Glücke zugleich die Direktion
des kleinen Hyberner- Theaters, in welchem die sonntäglichen Nachmittagsvor-
stellungen von Lust-, Schau- und Singspielen in slavischcr Sprache stattfanden.
Auf Abt Vogler's Empfehlung kam G. nach Wien, zuerst an das Schikaueder'sclie
Theater und später in das Hofoperntheater-Ox'chester. Er starb hochbetagt
am 1. Mai 1823 zu Wien. f
Granara, Antonio, italienischer Operncomponist, geboren 1809 zu Genua,
vollendete seine musikalischen Studien zu Novara bei Generali und debütirte
überaus erfolgreich 1832 mit der für seine Vaterstadt geschriebenen Oper
y)Elisa di Montaltieriv. Dieser folgten 1836 für Venedig y>Giovanna di INapolU
und » ZTJz' avoentura feafralev. Seitdem scheint er vom öff'entlichen Schauplatze
wieder abgetreten zu sein.
Grauata, Giovanni Battista, berühmter italienischer Guitarrevirtuose
und Componist für sein Instrument, geboren zu Anfang des 17. Jahrhunderts
zu Bologna, veröffentlichte im J. 1659: y>Soavi conccnfi di Sonate musieale per
la chitnrrn apacjnuolaa in mehreren Büchern.
Granciui, Michele Angelo, einer der hervorragenden italienischen Com-
ponistcn des 16. Jahrhunderts, dessen Geburts- und Todesjahr nicht mehr be-
kannt, war schon in seinem 17. Lebensjahre als Organist der Kirche del paradiso
zu Mailand angestellt und gab in dieser Zeit auch seine ersten Compositionen,
mehrstimmige IMadrigale, heraus. Später wurde er Domorganist und endlich
sogar Domkapellmeister daselbst, welche Stellung er seinen ausserordentlichen
Kenntnissen verdankte, die ihm einen besonderen Dispens von der Vorschrift
des heiligen Karl Borromäus (15G6) erwirkten, dass nur Unverheirathete dies
Kapellmeisteramt bekleiden durften. Picinelli führt in seinem Äteneo dei lette-
raü milanesi S, 425 von G.'s Werken 28 Nummern auf, die im Druck erschienen
sind und in Messen, Motetten, Psalmen, Madrigalen und Canzonetten bestehen.
Graucino, oder Granzino, eine Familie vortrefflicher und geschickter
italienischer Geigenbauer, deren ältestes Glied Giovanni G. ist, der etwa von
1615 bis 1632 in Mailand meist Altviolen und Violoncelli fertigte. — Ein
Abkömmling von ihm ist Paolo G. Derselbe hatte die Unterweisung Amati's
in Cremona genossen und wirkte darnach selbstständig in seinem Fache in der
Grand — Granger. 331
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Mailand, Seine Kunst vererbte er
auf zwei Söhne, Giovanni G. und Giovanni Battista G,, welche gemein-
schaftlich die Arbeiten ihres Vaters um 1690 aufnahmen und bis gegen 1710
fortführten. Der Letztere war überdies ein guter Yioloncellovirtuose und Contra-
bassist. Das Geschäft der beiden Brüder übernahm um die zuletzt genannte
Zeit Francesco G., der Sohn Giovanni's, welcher bis 1746 als InstruiBenten-
macher in Mailand thätig war, worauf der Name G. in diesem Zweige der
Kunst, in welchem er dem der Straduari's fast gleich geachtet wurde, nicht
mehr vorkommt.
Grand (französ.; ital.: grande), gross. Grand barre, s. Capotasto. —
G. jeu französ. Orgelterminus für Volles Werk.
Grand, Monsieur le, s. Couperin (Frangois) und Legrand.
Graudfoud, Eugene, französischer Componist, geboren im Febr. 1786 zu
Compiegne, widmete sich zuerst und zwar auf dem College zu Vernon wissen-
schaftlichen Studien, wurde aber dann Zögling des Pariser Conservatoriums
und daselbst von ß. Kreutzer im Violinspiel und von Berton in der Harmonie-
lehre unterrichtet. Im J. 1809 trat er als zweiter Orchesterchef an die Spitze
des Theaterorchesters zu Versailles und brachte ein Jahr später seine einaktige
Oper y>Monsieiir Besbosqioetsa an der Opera comique in Paris zur Aufführung,
welche jedoch keinerlei Erfolg hatte. Bekannter wurde er durch Romanzen,
die er vielfach veröffentlichte. Im Manuscript hinterliess er auch Violin-
concerte.
Graudi, Alessand ro, einer der geschicktesten italienischen Kirchenton-
setzer des 17. Jahrhunderts, aus Sicilien gebürtig, war zuerst Kapellmeister an
der Kathedrale zu Rimini, dann um 1640 an der Kirche Santa Maria magpore
zu Bergamo. Sein Todes- ist ebenso wie sein Geburtsjahr unbekannt. Zahl-
reiche Werke von ihm, als Messen, Motetten, Psalme Cantaten und Arien er-
schienen in der Zeit von 1619 bis 1640 gedruckt; die Sammlung y>Gorolla
missarurriK von Donifridus enthält gleichfalls einige Stücke von ihm. — Sein
Zeitgenosse war Vincenzo G., am 28. Octbr. 1605 zu Monte Albotto geboren,
der unter Paul V. als Sänger der päpstlichen Kapelle in Rom fungirte und
fünf- und achtstimmige Antiphonen , sowie . achtstimmige Psalme veröffent-
licht hat.
Grandi, Guido, musikgelehrtcr italienischer Geistlicher, geboren zu Cremona
1671 und gestorben am 4. Juli 1742 zu Pisa als A])t und Generalvisitator des
Camaldulenserordens daselbst, hat sich durch mehrere die Theorie der Musik
behandelnde Werke einen Namen gemacht. Das bekannteste derselben ist das
in seinem zwanzigsten Jahre geschriebene Buch »von der Theorie der Musik«.
Eine englisch in Form eines Briefes erschienene Abhandlung, »O/" the natiire
and property of sonsvi, die unter dem Namen T)r. G. in den PkilisopMcal trans-
act. vol. XXVI. Nr. 319 p. 270 sich befindet, scheint eine Uebersetzung aus
dem zuerst angeführten Buche zu sein. t
Grandios© (ital.), eine auf Styl oder Vortrag gehende Bezeichnung in der
Bedeutung grossartig, prächtig.
Grandis da Monte Albotto, Vincenzo, s. Grandi.
Grandval, Nicolas Ragot de, französischer Tonkünstler, geboren 1676
zu Paris, war zuerst Musikdirektor und wahrscheinlich auch Schauspieler und
Sänger bei einer die Provinzstädte bereisenden Bühnengesellschaft, für die er
Divertissements dichtete und coniponirte. Nach langem Wanderleben Hess er
sich als Organist in Paris anstellen und starb daselbst am 16. Novbr. 1753.
Von seinen Arbeiten sind bekannt geblieben: eine Schrift y>Essai sur le hon
goüt en musiqueu (Paris, 1732) und ein erstes Buch Cantaten (Paris, 1728).
— Der gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts berühmte Schauspieler G. an
der Gomedie-frangaise zu Paris war ein Sohn von ihm.
Graneiro, corrumpirt für Grancino (s. d.).
Grangrer, James oder John, 'Vicar von Shiplake zu Oxford, starb als
332 Grani - Graphäus.
solcher 1776. Er hat sich durch sein "Werl?: ytA Biograpliical History of Emj-
land, from Erjhert thc Grcat to tlic Recolution c(c.k (4 Bdo., London, 1769),
das u. A. von 36 englischen Toukünstlern und Musikgelclirten die Bildnisse
und Lebenshcschreihungen enthält, welche Forkcl in seiner Literatur nament-
lich aufführt, um die Musikgeschichte verdient gemacht. f
firani, Aloisio, italienischer Instrumentalmusikcr des 17. Jahrhunderts,
war hei der republikanischen Kapelle zu Venedig angestellt und gab Sonate
concertate a 5 voci seiner Composition heraus. f
(Sraiiier, Louis, französischer Componist, geboren 1740 zu Toulouse,
machte daselbst seine musikalischen Studien und war noch fast ein Jüngling,
als man ihm schon die Direktion des Opernorchesters zu Bordeaux übertrug.
Nebenbei pflegte er besonders das Violiuspiel, in welchem er auch schliesslich
eine solche Virtuosität erlangte, dass man weithin seine Kunst rühmte. Dieser
Ruf vei'schaffte ihm die Stellung eines ersten Violinisten und Vorspielers im
Theaterorchester des Herzogs von Lothringen zu Brüssel. In dieser Stellung
machte er sich durch die Composition der Chöre zu Eacine's »Athalie« einen
guten Namen und bildete dort, sowie seit 1767 als königl. Kammermusiker zu
Paris auch mehrere später geachtete A^iolinvirtuosen aus, von denen besonders
Trial namhaft liervortrat. Ausserdem schuf er in den siebenziger Jahren noch
mehrere Bollets und Divertissements, sowie gemeinschaftlich mit Berten dem
Aelteren die Opern ytBelleroplion'i und y^TI/ooiiisK, die sich eines lebhaften Bei-
falls erfreuten, ihn fast zum Tagesheldcn in Paris machten und 1780 zur Stel-
lung eines Inspectors des Opern thoaters daselbst verhalfen. Im J. 1787 zog
er sich mit Pension in seine Vaterstadt zurück und starb daselbst im J. 1800.
Ausser den schon aufgefülirten Wedcen sind auch Sonaten und andere Stücke
für Violine von ihm erschienen. — Ein älterer Zeitgenosse G.'s war FrauQois
G., Mitglied der Akademie der scliöuen Künste zu Paris, welcher als op. 1
sechs Violonccllsolos seiner Composition (Paris, 1754) herausgab. — Ein Mat-
thias G. war ums Jalir 1504 Kammermusiker und Violonbassspieler des Königs
Karl IX. von Frankreich und soll viele Kirchen Sachen und andere musikalische
Arbeiten haben drucken lassen, die meist der Königin Magaretha zugeeignet
waren. Derselbe starb um 16ü() zu Paris. t
Graujoii, Robert, IVanzösischer Componist des 16. Jahrhundeiis, hat
seinen Namen dadurch erhalten, dass er 1586 als einer der Ersten eine Pas-
sionsmusik nach den Worten der vier Evangelisten componirt hat.
Grauoin, ein (wahrscheinlich englischer) adliger Musikdilettant, der auf
der Flöte eine grosse Fertigkeit bcsass und 1760 als op. 1. zu London sechs
Flötensolos, sowie alsbald hieraut sechs Flötentrios seiner Composition ver-
öffentlichte. Fünfzig Jahre später erschien von ilim auch noch ein r>Diction-
naire des mtisiciensv (Paris, 1810).
Grauzin, Louis, gründlich gebildeter deutscher Tonkiinstler, gel)oren um
1810 zu Halle an der Saale, begann und vollendete daselbst, 1)esonders unter
Nauc und Niemeyer , eingehende Musikstudien , kam zuerst als Cantor und
Musiklehrer der Stadtschule nach Maricnworder und von dort 1840 als Orga-
nist nach Danzig. In (ünem zur Aufführung gelangten Oratorium »Tobias«,
sowie in Kirchen- und Schulcompositioncn, T^iedern u. s. w. hat er von einer
aussergewölinliclien Befähigung Zeugniss abgelegt. Ebenso enthält die Leip-
ziger Allgemeine Musikzeitung einige treffliclie Artikel aus seiner Feder.
Grapliiius, Hieronymus, deutscher Tonsetzer aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts, zu Nürnberg geboren und ebendaselbst im J. 1556 gestorben,
veröffentlichte u. A. eine r>Missa tredicino qxMtuor vocumv. (Nürnberg, 1530), —
Ein Zeitgenosse gleichen Namens, bekannt auch unter dem lateinischen Ge-
lehrtennamen Cornelius Scribonius, wird von Walther als ebenso vortreff-
licher Redner, Dichter, wie Musiker bezeichnet. Geboren 1482 im Flandrisclien,
starb derselbe am 19. Decbr. 1558 als Archivarius und Rathssecretair zu Ant-
werpen.
Grapp — Grassi. 333
Grapp, ein deutscher Orgelbauex' im Anspach'schen , der nach Sponsel,
Orgelhistorie S. 120 in Gemeinschaft mit Prediger 1694 das Werk in der
Stadtkirche zu Anspach, welches 26 klingende Stimmen, zwei Manuale und
Pedal besass, für 6000 Grulden vollendete. f
Gras, Julie Aimee, geborene Dorus (s. d.).
Grasemauu, Karl Friedrich Eduard, trefflicher deutscher Waldhornist,
geboren am 3. Docbr. 1819 zu Berlin, trat 1838 in das Musikcorps des Garde-
Schützen-Bataillons und 1845 in das des Kaiser Alexander-Regiineuts daselbst.
Im J. 1847 erhielt er die Anstellung als Kammermusiker in der künigl. Ka-
pelle, auf welchem Posten er noch gegenwärtig thätig ist.
Grassbach, Valentin, ein musikkuudiger Theologe, findet in älteren
Wörterbüchern Erwähnung, weil er als Student zu Jena eine von ihm gesetzte
Composition des fünften Yerses aus dem 62. Capitel des Jesaias (Jena, 1622) ver-
öffentlichte, die er zur Hochzeitfeier eines Georg Heinrich von ßaschau be-
stimmt hatte. Auch Compositionen von anderen Versen aus dem Jesaias wer-
den ihm zugeschrieben. f
Grasse, Balthasar, deutscher Orgelbauer zu Breslau, vollendete zu Habel-
schwerdt im J. 1612 ein Werk mit 24 Stimmen, zwei Manualen und Pedal.
Vgl. Breslauische Nachrichten von Organisten S. 44. t
Grasser, eines Bauern Sohn, war zur Zeit Orlando di Lasso's Mitglied
der Münchener Hofkapelle und seiner tiefen Bassstimme wegen berühmt. Vgl.
Praetorius, Synt. mus. T. II p. 17. t
Grasset, Jean Jacques, vorzüglicher französischer Violinvirtuose und
Componist für sein Instrument, wurde um 1769 zu Paris geboren und erhielt
von Berthaume einen gediegenen Unterricht auf dem von ihm gewählten In-
strumente. Die Revolutionsstürme zwangen ihn wie so viele Künstler, in die
Armee einzutreten, mit welcher er die italienischen und deutschen Feldzüge
mitmachte. Erst im J. 1800 wurde er entlassen und kehrte nach Paris zurück,
wo er auch unter mehreren Mitbewerbern alsbald die durch Gavinie's Tod er-
ledigte Stelle eines Professors für das Violinspiel am Conservatorium erhielt
und sich auch später häufig öffentlich hören Hess. Ausserdem wurde er Violinist
im Orchester der Grossen Oper und dirigirte 1802 die Concerte in der Rue
Clery. Nach Bruni's Abgange von der italienischen Oper erhielt G. dessen
Musikdirektorstelle und hatte dieselbe unter verschiedenen Unternehmern bei-
nahe 25 Jahre liindurch, bis 1829, inne, in welchem Jahre er sich zurückzog.
Als Componist zeichnete sicli G. durch anmuthigen und geschmackvollen Styl
aus. Man hat von ihm drei Violinconcerte , viele Violinduos und Airs varies
für eine und zwei Violinen und als op. 3 auch eine Sonate für Pianoforte und
Violine.
Grasseyemeut oder parier (/ras (franz.) nennen die Franzosen die affectirte,
übertriebene und, da mit der Kehle erzeugt, fehlerhafte Aussiirache des ß in
der Rede oder im Gesänge (z. B. Brrorrrate coeli, rjrrrand cid etc), womit
manche, besonders Pariser Sänger und Schauspieler coquettiren. Im Deutschen
hat man keinen besondern Kunstausdruck dafür.
Grassi, ein ziemlich häufig vorkommender Name italienischer Tonkünstler
und besonders Sänger, dessen für die Musikgeschichte bedeutendste Träger
sind: 1) Bernardo Pasquino G., ein Sänger aus Mantua, wurde 1616 mit
360 Thalern Gehalt in die Kapelle des Kurfürsten Johann Sigismund von
Branden])urg gezogen und sang noch 1655, wo er als Tenorist in den Diensten
des deutschen Kaisers Ferdinand III. zu Wien stand. — 2) Cecilia G., s.
Bach (Johann Christian). — 3) Francesco G., war zu Ende des 17. Jahr-
hunderts Kapellmeister an der Kirche San Giacomo degli Spagnuoli und darnach
an der des heiligen Kindes Jesus zu Rom. Er hat mehrere Kirchengesänge
zu vier und acht Stimmen im Manuscript hinterlassen, von denen sich ein in
contrapunktischer Hinsicht interessantes, auf 21 Blätter geschriebenes acht-
stimmiges Miserere in der k. k, Hofbibliothek zu Wien befindet. Ein Orato-
334 Grassine — Gvan.
rium seiner Composition: »JZ trionfo de^ giusti«. führte G. noch selbst im Jahre
1701 in der Kirche dclla pietä zu Rom auf. — 4) Luigi G., ein berühmter
Tenorsänger aus Eom, kam 1766 nach Deutschland und wurde 1768 für die
königl. Oper in Berlin engagirt, der er ununterbrochen fast zwanzig Jahre
hindurch augehörte. Nach eingetretener Invalidität setzte ihm König Friedrich
Wilhelm II. 1788 eine Jahrespension von 500 Thalern aus, mit der sich G.
nach Pisa zurückzog. Dort beschäftigte er sich künstlerisch mit der Compo-
sition von kleineren Ciavierstücken im Tagesgeschmacke (meist Variationen über
beliebte Opernthemen) und stai'b daselbst im J. 1807. — 5) Maddalena G,,
eine geschätzte Opernsängerin, um 1780 zu Parma geboren, erlernte Gesang
und überhaupt Musik bei Toscani und debütirte 1806 auf der Opernbühne
ihrer Geburtsstadt. Von da an sang sie noch eine Reihe von Jahren mit
vielem Erfolge auch auf anderen Theatern ihres Vaterlandes.
Grassine, Francesco Maria, italienischer Tonsetzer aus dem 17. Jahr-
hundert, von dessen Compositionen noch zwei- bis fünfstimmige Motetten übrig
geblieben sind.
Grassineau, Jacques (James), englischer Musikliterat, von französischen
Eltern um 1715 zu London geboren, erhielt eine tüclitige wissenschaftliche Bil-
dung und trieb dilettirond auch Musik. Herangewaclisen übernahm er eine Secre-
tairsstelle, zuerst bei einem Apotheker, dann beim Dr. Pepusch, der ihn die
von Meibom lateinisch herausgegebenen Schriften der griechischen Musikschrift-
steller in's Englische übersetzen Hess. Hierauf übertrug ihm Pepusch die
Uebersetzung von Brossard's nDictionnaire de musiquen und fügte derselben
selbst Erweiterungen und einige Originalartikel hinzu. Dieses erste englische
musikalische Lexikon, betitelt: r>A musical dicüonary etc.v. (London, 1740), ist
nicht fehlerlos, besonders in der Uebertragung von Kunstausdrücken. Robson
fügte demselben , da G. mittlerweile gestorben war , ein noch mangelhafteres,
von Fehlern wimmelndes Supplement (London, 17G9) hinzu, welches aus dem
Rousseau'schen Dictionnaire gezogen ist.
Gragsiui, Giuseppa, berühmte und hochgefeierte italienische Opernsängerin,
wurde 1775 zu Varese in der Lombardei geboren, wo ihr Vater Landmann
war. Ilire schon früh allgemeines Aufsehen erregende herrliche Stimme, zu
der sich eine seltene Körperschönheit gesellte , veranlasste den General Bel-
giojoso in Mailand, das junge Mädclien bei den besten Lehrern seiner Stadt
musikalisch ausbilden zu lassen, so dass sie schon 1794 in den Contr'altparthien
von Zingarelli'K »Artaserse« und Portogallo's «Demofoonte« mit dem denkbar
glänzendsten Erfolge am Scalatheater in Mailand delnitiren konnte. Alsbald
begann ihr Triumphzug über die ersten Bühnen Italiens, der bis 1800 dauerte.
Nach der Schlacht bei Marengo hörte sie Napoleon in Mailand und zog sie
nach Paris, wo sie zuerst das grosse Nationalfest auf dem INIarsfelde durch
ihren Gesang verherrlichte und hierauf auch in Concerten Alles entzückte.
Sodann bereiste sie Deutschland und sang u. A. im November 1801 zu Berlin.
Im J. 1802 wurde sie mit einem Gehalt von 3000 Pfund Sterl. für die ita-
lienische Oper in Ijondon gewonnen, bis sie 1804 Napoleon für die Kaiser-
feste am Hofe und im Theater nach Paris berief und sie während seiner Re-
gierung zu fesseln wusste. Nach dem Sturze des Kaiserreichs kehrte sie in
ihr Vaterland zurück, wo sie noch häufig, ii. A. 1817 in Concerten zu Mai-
land sang. Bald dai'auf aber zog sie sich von der Oeffentlichkeit zurück und
nahm ihren Aufenthalt abwechselnd in Paris und Mailand. In der letzteren
Stadt starl^ sie zu Anfange des Jahres 1850. — Ihre Stimme war ein unver-
gleichlich mächtiger und sonorer tiefer Alt und ihre Singweise, Auffassung
und Ausdruck von edelster Schönheit und tief ergreifender Wirkung.
•ö*
Gratia, richtiger Grazia (s. d.), ebenso Gratiani für Graziani (s. d.).
Gran, H., rühriger Opernunternehmer deutscher Abkunft in den nord-
amerikanischen Freistaaten, der sich mit wechselndem Glücke, besonders als
Direktor des New-Yorker deutschen Stadttheaters, bemüht hat, den grossen
Graul — Graun. 335
Opern deutscher, französischer und italienischer Compoaisteu Eingang in Ame-
rika zu verschaffen. Nachdem er im Januar 1874 mit Erfolg den Versuch
wieder aufgenommen hatte, die Deutschen in New-York für R. Wagner's »Lohen-
grina zu interessiren, geht er gegenwärtig mit dem Plane um, Yerdi's »Aida«
zuerst in Amerika zur Aufführung zu bringen. — G. ist auch der Name einer
deutschen Altsängerin der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, welche sich
um 1783 in kurkölnischen Diensten befand und der grosser Geschmack im
Vortrage nachgerühmt wurde.
Crranl, Marcus Heinrich, trefflicher deutscher Violoncellist, geboren zu
Eisenach, war von 1742 bis 1798 königl. Preussischer Kammermusiker und
soll als Concertspieler Hervorragendes geleistet haben. Einige seiner Compo-
sitionen für Violoncello, welche sich noch mitunter finden, zeugen von vieler
Satzgewandheit. f
Granmanii, Johann, auch Gram an n geschrieben und gräcisirt Poliander
genannt , deutscher Kirchenliederdichter mit dem Beinamen »der Preussische
Orpheus«, war 1487 zu Neustadt in Baiern geboren und starb 1541, nachdem
er mit Paul Speratus den Grund zur Reformation in Preussen gelegt hatte,
als Prediger an der altstädtischen Kirche zu Königsberg. Martin Chemnitz
berichtet über ihn: »Herzog Albreclit hat durch ihn den lOo. Psalm gesang-
weise in gute, schöne deutsche Verse bringen lassen, unter einem freudigen
Tenor, welcher, eben wie die Worte lauten, auch durch den Gesang das Herz
erwecken und aufmuntern mag«. Diesem wie auch andern Zeugnissen zufolge
ist G. nicht allein der Dichter, sondern auch der Componist dieses allbekann-
ten, übrigens einzig von seinen Kirchengesängen erhalten gebliebenen Dank-
liedes (»Nun lob mein seel den Herren«). f
Oranii, Karl Heinrich, Kapellmeister der Grossen Oper zu Berlin und
einer der während des 18. Jahrhunderts am Höchsten verelirten Componisten
von Kirchenmusiken, Opern und Liedern, wurde am 7. Mai 1701 zu Wahren-
brück (im jetzigen preussischen Regierungsbezirke Merseburg) als der jüngste
von drei Brüdern geboren, welche sich ebenfalls durch musikalisches Talent
auszeichneten, und von denen der älteste, August Friedrich G. als Cantor
1771 in Marburg starb, der zweite, Johann .Gottlieb G., weiter unten be-
sonders erwähnt wird. Der Vater, August G. , bekleidete die Stellung eines
Acciseeinnehmers in Wahrenbrück. Schon als Knabe zeichnete G. sich durch
eine herrliche Sopranstimme aus und wurde, nachdem er die Kreuzschule in
Dresden seit etwa 1713 besucht und daselbst eine gute Ausbildung, im Ge-
sänge vom Cantor Grundig, im Oi'gel- und Ciavierspiel von Christian Petzold
erhalten hatte, als Rathsdiscantist in den Chor aufgenommen. Für Grundig
und dann für dessen Nachfolger componirte G. bereits als achtzehnjähriger
Jüngling eine so grosse Anzahl von Kirchenmelodien, dass sie zusammen zwei
Kirchenjahrgänge ausmachen würden ], auch entstand damals schon von ihm eine
grössere, noch vorhandene Passionscantate (»Lasset uns aufsehen»). Während
seine Stimme sich in einen schwaclien, aber überaus angenehmen Tenor ver-
änderte, die erst mit der Zeit einer Entwicklung fähig war, benutzte G. diesen
Zwischenraum zum eingehenderen Studium der Composition unter Leitung des
königl. Kapellmeisters Job. Christoph Schmidt in Dresden und hatte Gelegen-
heit, verschiedene Opern Lotti's unter dessen eigener Leitung und von den
vorzüglichsten Gesangskräften zu hören. Ein merkwürdiges Ereignis«, das von
Vielen als gutes Omen für seinen späteren Künstlerruhm gedeutet wurde, be-
zeichnete das Ende seines Aufenthalts daselbst. Wenige Tage vor der Abreise,
als er in dem Garten-Pavillon eines seiner Freunde componirte, brach plötzlich
ein Gewitter herein. Kaum hatte G. sich aus dem Pavillon geflüchtet, als ein
Blitzstrahl herabfuhr und den Tisch nebst der Partitur zerstörte. Mit seinen
Freunden und Kunstgenossen Quantz, Pisendel und dem Lautenisten Weiss
trat G. bald darauf (1723) eine Reise nach Prag an, um der Aufführung der
neuen Oper y>Cosfanza e Fortezzaa von Fux beizuwohnen. Wenige Jahre später
336 Graun.
schritt er dann rüstig neben jenen Männern einher, in denen der deutsche
Geist der Musik so mächtig seine Schwingen regte. Auf Verwendung einfluss-
reicher Gönner, besonders des Hüf[30cten Johann Ulrich König, ward G, als
Opern-Tenor nach Braunschweig berufen, woselbst er zu Anfang 1725 in dem
Schürmann'schen Singstück -nHenricus aucepsv. (Heinrich der Finkler) zum
ersten Mal auftrat. Da aber die Arien der ihm zugetheilten Rolle seinem Ge-
schmack nicht entsprachen, setzte er dieselben um und erwarb sich dadurch
den Beifall des herzoglichen Hofes in dem Maasse, dass ihm die Coraposition
der Oper für die nächste Saison übertragen wurde. Dieser Oper, y> PoUidoro«.
(172G), welcher er, neben seiner Stellung als Tenorist, die Ernennung zum
Vice-Kapellmeister verdankte, reihten sich in schneller Aufeinanderfolge fünf
andere an (yySancio e Shiilda«. (1727), •»Ißgenia in Aulided, r>Scipio Africanusi
u. s. w.), die den Ruf des Coraponisten durch ganz Deutschland verbreiteten.
Nebenbei begnadet mit der reichsten Fülle kirchlichen Gesanges, componirte
G. eine grössere Anzahl von Kirchenstücken, italienische Cantaten, zwei Pas-
sionen und die Trauermusik beim Leichenbegängnisse des Herzogs August
Wilhelm (1731). AYährend eines Besuches des Kronprinzen von Preussen (nach-
maligen Königs Friedrich II.) am Hofe des Herzogs Ferdinand Albert hörte
ihn jener und erbat sich ihn vom Herzoge als Sänger bei seiner Kapelle zu
Rheinsberg, wohin G. nach ungern ertheilter Entlassung 1735 sich begab. Hier,
wo ein sonnig-heiterer Frühlingstag am Horizonte der Kunst aufgezogen, com-
ponirte er namentlich Cantaten für die Concerte des Kronprinzen, um sie dann
selbst »äusserst gemüthvoll und schön« zu singen, wodurch ihm die Liebe seines
Fürsten in immer höherem Grade zu Theil wurde. Dieser verfasste die Verse
zu den Cantaten in französischer Sprache und Hess sie dann durch den Dichter
Boltarelli ins Italienische übersetzen. Man schätzt die Anzahl dieser Cantaten
mit Orchesterbegleitung, deren meiste aus zwei Recitativen und Arien bestan-
den, auf fünfzig. Der Kapellmeister J. A. P. Schulz setzte sie im Ausdrucke
über alles Andere, was G. geschrieben. Nach dem Hinscheiden König Fried-
rich Wilhelms I. im J. 1740 wurde G. beauftragt, die Trauermusik bei der
Begräbnissfeierlichkeit zu componiren, deren Partitur in Kupfer gestochen wurde
und als eine der besten Arbeiten des Meisters gilt. Zur Aufführung dieser
Musik wurden Opernsänger aus Dresden requirirt. — Zur Verwirklichung
einer Lieblings-Idee, der Herstellung einer italienischen Oper in Berlin, ent-
sandte König Friedrich IL noch im ersten Jahre seiner Regierung G. nach
Italien, um ein Sängerpersonal zu engagiren. Dieser entledigte sich, nachdem
er fast ein ganzes Jahr auf der Reise zugebracht und in den Hauptstädten
Italiens als Sänger den ausserordentlichsten Beifall geerntet hatte, seines Auf-
trages zur völligen Zufriedenheit seines Monarchen , welcher ihn mit einem
Jahresgehalt von zweitausend Thalern zum Kapellmeister ernaimte. Als solcher
musste er denn bei seinen Opern gewöhnlich dem Geschmackc des Königs
Rechnung tragen, ohne indessen die Dictatur des Genius zu verleugnen, wenn
sein Gebieter mit einer vorgefassten Meinung durchdringen wollte. Die Zahl
der von G. in Berlin componirten Opern beläuft sich auf 28. Die erste der-
selben war •nliodelinda, refjina de'' Lo)i(jobardU<., zuerst am 12. Decbr. 1711 im
königl. Schlosstheater zu Berlin aufgeführt, die letzte -nMeropeii-, am 27. März
1756 im Opernhause ebendaselbst gegeben. G. und Hasse überhaupt lieferten
fast allein die Opern, welche damals in Berlin zur Aufiführung kamen. Nach
Compo.sition der »Merope« wandte G. sich wieder der Kirchenmusik und der
Cantate zu. Zu jener Zeit entstand auch sein y>Te deum«, zu Ehren des Sieges
bei Prag 1756, welches grosses Aufsehen machte und bedeutender als alle seine
Opern ist, in der nur die sanft rührendin Parthien einigen Werth beanspruchen.
Friedrich der Grosse Hess jenes Tedcum nach Beendigung des siebenjährigen
Krieges in der Schlosskapelle zu Charlotteuburg am 15. Juli 1763 aufführen.
Vor iillen Conipositionen G.'s aber hat sein in der gläubigen Mystik eines
kindlichen Gemüths mit einer Fülle trefflicher Formbildungen entstandenes
Graun. 337
Oratorium »Der Tod Jesu« die Welt entzückt und wird vielleictt sogar, ein
unvergängliches Kunstwerk, auchi den späteren Geschleclitern als stereotypes
Charfreitags- Oratorium erhalten bleiben. Mit diesem einzigen Werke, zu dessen
Aufführung auch für die Zukunft reiche Legate ausgesetzt wurden, ist der
Name des Componisten im Buche der deutschen Kunstgeschichte in Ehren
verzeichnet, wenn auch seine übrigen Schöpfungen fast ganz in Vergessenheit
gerathen sind. Als Friedrich der Grosse, dessen künstlerische Richtung der
Passionsmusik nicht sehr verwandt war, Bach gesehen und gehört hatte, soll
er in eine »sonderbare« Bewegung gerathen sein. Gleichwohl ist G.'s »Jesu
Tod« niemals vor ihm zur Aufführung gekommen. Die erste öffentliche fand
am 26. März 1755 im Dome statt und an demselben Tage 1855 wurde eben-
daselbst die Säcularfeier durch die Singakademie mit Hülfe der königl. Sänger
und der königl. Kapelle in Gegenwart des Königs Friedrich Wilhelm IV.
glänzend begangen. G. selbst starb am 8. Aug. 1759 zu Berlin in seinem
eigenen Hause in der Spandauer Strasse, demselben, in welchem nachmals ein
anderer Meister, Meyerbeer, das Licht der Welt erblickte. G. war zweimal
und glücklich verheirathet. Seine Tochter aus erster Ehe, zu einer vielver-
heissenden Sängerin von ihm ausgebildet, ward durch ihre Verheirathung der
Kunst entzogen; von seinen vier Söhnen zweiter Ehe zeigte keiner Neigung
zur Musik. Auf der königl. Bibliothek zu Berlin befinden sich ausser vielen
eigenhändig von ihm geschriebenen Partituren auch neun Briefe aus den Jahren
1739 bis 1756 in Abschrift, an seinen Freund Telemann gerichtet und viel
Interessantes enthaltend. Eine monumentale Verewigung hat G. auf ßauch's
Denkmal Friedrich des Grossen gefunden , auf dessen Rückseite er in ganzer
Figur, den Taktstock in der Hand, dargestellt ist. Trotzdem auf G.'s Opern-
schöpfungen in Bezug auf seine fleissige künstlerische Thätigkeit, aus der, wie
schon angedeutet worden ist, eine Menge deutscher, lateinischer und italienischer,
theils für das Theater, theils für die Kirche, tlieils für die Kammer geschrie-
bener Compositionen hervorgegangen sind, das wenigste Gewicht zu legen ist,
so besass G. selbst doch, bei einer ausgezeichneten technischen Gewandtheit
und Klarheit der Form, ein nicht unbedeutendes dramatisches Talent, das sogar
noch in seinen Liedern und Oden in Art eines lebhaften Ausdrucks durchschlägt.
Das beweisen hauptsächlich seine Recitative. Ein guter Sänger und gefühl-
voller Mensch, erfand er auch manches zum Herzen dringende Arienmotiv,
verzettelte dasselbe aber in der zu seiner Zeit herrschenden, die Künste des
Gesangsvirtuosen in erster Linie berücksichtigenden Schreibart. Der tech-
nischen Ausbildung im Gesänge dienen auch 31 vortreffliche »Solfeggi«, welche
er geschrieben hat. Auf rein instrumentalem Gebiete hat sich G, in keinerlei
Art ausgezeichnet, obwohl er einige Clavierconcerte, Trios, Fughetten für die
Orgel und ein Concert (»für die königl. preussische Familie«) für Violine, Flöte,
Gambe und Violoncello hinterlassen hat. — Weit bedeutender als Instrumental-
componist war sein schon erwähnter älterer Bruder, Johann Gottlieb G.,
königl. Concertmeister an der Grossen Oper zu Berlin. Geboren um 1698 zu
Wahrenbrück, besuchte derselbe mit Karl Heinrich zusammen die Kreuzschule
zu Dresden, in der auch er den Unterricht Grundig's im Gesänge und Petzold's
im Orgel- und Clavierspiel erhielt. Besonders aber wandte er sich unter An-
leitung Pisendel's der Violine zu. Er verliess 1720 Dresden und besuchte
bald darauf Italien, wo er Tartini's Bekanntschaft machte und dessen Spielart
sich aneignete. Nach seiner Rückkehr wurde er 1726 von Dresden aus an
den Hof von Merseburg berufen, wo er sechs Violin- Sonaten veröffentlichte,
die nebst sechs Ciaviertrios zu den einzigen von ihm im Druck erschienenen
Werken gehören. Schon 1727 trat er jedoch in die Dienste des Fürsten von
Waldeck und von da in das kronprinzlich preussische Orchester zu Rheinsberg,
als dessen Concertmeister er 1740 bei Umwandlung desselben in die königl.
Kapelle angestellt wurde. Als solcher starb er am 27. Oktbr. 1771 zu Berlin
mit dem wohlbegründeten Rufe, ein ausgezeichneter Violinspieler und Lehrer,
Musikal. Convers.-Lexikon. IV. 22
338 Graun'sche Sylben — Grave.
sowie ein guter Componist gewesen zu sein. Er hinterliess viele Sinfonien,
Ouvertüren, Yiolinconcerte und Trios für verschiedene Instrumente, dann aber
auch geistliche und weltliche Cautaten. eine Passionsrausik mit italienischem
Text von Metastasio, ein Salve regina, Kyi'ie, Gloria und einige Oden und
Lieder. Von diesen Werken befindet sich das Meiste in der Bibliothek des
Joachimsthal'schen Gymnasiums, einiges auch in der königl. Bibliothek in
Berlin.
Graun'sche Sylbeu, s. Damenisation.
Gratia, Pietro, Nicolo, s. Grazia.
Graupuer, Christoph, einer der gefälligsten und beliebtesten deutschen
Comj)onisteu des 18. Jahrhunderts, besonders für Ciavier, wurde im Januar
1683 zu Kirchberg im sächsischen Erzgebirge geboren. Er kam früh auf die
Thomasschule zu Leipzig, wo der damalige Cantor Kuhnau den Grund zu
seinem künftigen Berufe legte. Von dort ging er, man weiss nicht, von welcher
Seite aufgefordert, 1706 nach Hamburg und wurde daselbst als Cembalist und
Componist, besonders von unter R. Keiser's Leitung geschriebenen deutschen
Opern sehr geschätzt. In Hamburg lernte ihn Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-
Darmstadt kennen und zog ihn als zweiten Kapellmeister (neben Wolfgang Karl
Briegel) 1710 in seine Dienste. In kurzer Zeit brachte G. die Darmstädter
Kirchen- und Opernmusik, sowohl durch seine Compositionen, als auch dadurch,
dass er mehrere geschickte ausübende Künstler für die Kapelle gewann, in ein
solches Ansehen, dass sie schon damals für eine der vorzüglichsten in Deutsch-
land galt. Selbst Telemann führte zur Empfehlung einer seiner Sonaten au,
dass sie vor ihrer Bekanntwerdung «der unvergleichlichen Execution des Darm-
städter Orchesters gewürdigt worden sei«. Im J. 1723 kam G. mit Joh. Seb.
Bach und Telemann zu der einträglichen Stelle eines Cantors bei der Thomas-
schule zu Leipzig in Vorschlag ; er verzichtete jedoch zu Gunsten des ihm lieb
gewordenen Postens in Darmstadt, woselbst er mittlerweile in die erste Kapell-
meisterstelle eingerückt war und die ganze Musikdirektion allein führte, auf
die Bewerbung. Um 1750 war er so unglücklich, sein Gesicht zu verlieren
und sah sich seitdem zu einer TJnthätigkeit gezwungen, die ihn, da sie mit
seinem regsamen Temperamente nicht übereinstimmte, wahrhaft unglücklich
machte. Er starb im Mai 1760, 77 Jahre vier Monate alt. — Durch seinen
unermüdlichen Eleiss zeichnete sich G. vielleicht unter allen Tonkünstlern seiner
Zeit am meisten aus, und nach Maassgabe desselben würde die Zahl seiner
Werke noch weit ansehnlicher sein , wenn er minder gründlich und mit mehr
Flüchtigkeit geaibeitet hätte. Er ging in seinem Eifer so weit, dass er zu-
weilen ganze Tage und Nächte an seinem Pulte sass, und eben dies trug ver-
muthlich zur Abnahme seines Gesichtes bei. Seine bekannt gewordenen, im
Hambui'ger Theater aufgeführten Opern sind: »Dido« (1707), »Hercules und
Theseus«, »Antiochus in Stratonica«, »Bellerophon« (sämmtlich 1708) und »Sim-
sen« (1709). Noch ausgezeichneter war er im Kammerstyle, den er später neben
dem Kirchenstyle ausschliesslich pflegte. Er schuf viele Sinfonien, Concerte,
besonders für Ciavier, italienische und deutsche Cantaten, Ciaviersonaten u. s. w.,
wovon das Meiste allerdings unveröffentlicht geblieben ist. Gedruckt und von
ihm selbst auf Zinnplatten gestochen sind u. A.: »Acht Parthien für Ciavier«
(1718), »Monatliche Ciavierfrüchte« (1722), »Die vier Jahreszeiten« und »Hessen-
Darmstädtisches Choralbuch«. Von seinen geistlichen Compositionen befinden
sich verschiedene Jahrgänge Kirchenmusiken in der grossherzogl. Hofmusik-
bibliothek in Darmstadt.
Grave (ital.), Tempo- und Vortragsbezeichnung in der Bedeutung ernst,
würdevoll, abgemessen, hält als Zeitbestimmung zwischen Largo und
LargTietto die Mitte und zeigt eine langsame, feierliche Bewegung an. Identisch
damit schreibt man auch häufig co7i gravitä, d. i. mit AVürde, mit Ernst vor
und verlangt damit einen markigen Ton, sowie einen gewichtigen, bedeutenden
Anschlag oder Bogenstrich. Die Noten dürfen, etwaige schnelle Figuren aus-
Grave — Gravlus. 339
genommen, nicht ineinandergeschleift, sondern müssen dnrcli nachdrückliche
Markirung etwas von einander abgesetzt werden.
Grare, aus Halberstadt gebürtig, war ein hervorragender Lautenist in
seiner Zeit, der 1718 eine Reise durch Schlesien machte und nach derselben
am fürstl. Hofe zu Merseburg eine Anstellung fand. Er starb daselbst 1724.
Vgl. Baron's Untersuchungen des Instruments der Laute p. 82. t
Grave, Johann Jacob, holländischer Tonkünstler, 1670 zu Amsterdam
bHnd geboren, bildete sich zu einem vorzüglichen Organisten aus, der in seiner
Vaterstadt an der neuen Kirche angestellt wurde und sich einen ausgebreiteten
Ruf erwarb. Vgl. Mattheson's Drehest. II. p. 130 und Walther musikalisches
Lexikon p. 289. t
Gravecyinbaluiu (latein.), d. i. schweres Ciavier, wurde in älteren Zeiten
mitunter der Flügel genannt.
Graves claves oder graves voces, auch gravia loca (latein.), wörtlich
schwere, grosse Schlüssel, Tasten, Stimmen, Räume, hiessen in der alten Scala
die Töne der damals tiefsten Octave von A-re bis G-sol-re-ut (von A bis g).
Vgl. Tinctoris, Term. mus. diff. Man findet auch die vier tiefsten Töne der
Octave T bis G^ also von T-ut bis C-fa-ut, graves, und die vier höheren die-
ser Octave, von D-sol-re bis G-sol-re-ut, finales benannt. S. auch Sol-
misation.
Grayicalis (latein.) ist eine ältere Bezeichnung der Mensurgrösse bei Orgel-
stimmen, nämlich g. major für das jetzige gross oder grob und g. minor für
das jetzige eng oder klein. Prätorius, der ebenso wie Adlung graphicalis
schreibt, nennt eine sechszehnfache Mixtur mixtura grapldcalis und eine acht-
fache mixtura graphicalis miliar.
Graviua, Domenico, ein Neapolitaner, zu Ende des 16. Jahrhunderts ge-
boren und gestorben am 29. August 1643 im siebenzigsten Lebensjahre, brachte
es durch seine Gelehrsamkeit vom Predigermönch bis zum Generalvicar seines
Ordens und hat sich durch eine seiner vielen hinterlassenen Schriften y>De
choro et cantu ecclesiasticov. auch in der Musikliteratur einen Platz erworben. —
Ein anderer Gr., G-ioua Vincenzo mit Vornamen, geboren 1662 zu Scalea
in Calabrien, wirkte später zu Rom als Rechtsgelehrter und war der Pflege-
vater Metastasio's, den er mit aller ihm möglichen Sorgfalt erzog und vor
seinem 1718 erfolgten Tode zum Erben seines aus 150,000 Gulden bestehenden
Vermögens einsetzte. Metastasio jedoch stellte dasselbe G.'s Verwandten zu
Gebote. Ausserdem gab G. 1696 zu Rom Reden heraus, die 1713 ebendaselbst
nachgedruckt wurden und deren dritte vom Ursprünge und Fortgange der
"Wissenschaften und von der Musik handelt. — Ein anderer G., dessen Vor-
name unbekannt, war Kammermusiker des Herzogs von "Württemberg und
machte sich um 1761 durch verschiedene Concerte und Trios für Violinen be-
kannt, die jedoch nicht gedruckt worden sind. f
Gravis sc. accentus (latein.). s. Accentus ecelesiasficus.
Gravissimus locus (latein.) nannten die alten Musikschriftsteller das F
(Gamma) als tiefsten Ton des damaligen Systems.
Gravitätische Mensur nennen die Orgelbauer eine sehr weite Mensur, die
einen vollen, gravitätischen Ton giebt. Man spricht in diesem Sinne von
gravitätischen Stimmen, also von Stimmen mit sehr weiter Mensur und
von einem gravitätischen Principal, d. i. ein weit mensurirtes Principal.
— Einige gebrauchen das "Wort gravitätisch auch für grob und sagen gra-
vitätische Cymbel für Grob-Cyrabel, gravitätisch Gedackt für Grob-
Gedackt u. s. w.
Gravius, Johann Hieronymus, nach Gerber auch Grave oder Graf
genannt, deutscher Tonkünstler aus adeligem Geschlecht, wurde am 19. Novbr.
1648 zu Sulzbach geboren. Er besuchte das Gymnasium zu Heidelberg und
studirte von 1672 bis 1676 zu Leyden die Rechte, daneben aber auch fleissig
Musik. Bei einem Angriffe der Franzosen auf Leyden zeichnete sich G. als
22*
340 Gravrand — Graziani.
Student aus und erhielt deshalb zur Belohnung eine Medaille mit seinem Graff
geschriebenen Namen. Damals erschien auch sein Portrait in Kupfer nach
einem von ihm selbst getuschten Bildnisse. Im J. 1677 ward G. als Cantor
und Schulcollege an das akademische Gymnasium zu Bremen und nach dreissig-
jähriger Verwaltung dieses Amtes als Cantor und Musikdirektor an die Pa-
rochialkirche zu Berlin berufen, als welcher er am 12. Mai 1729 starb. Das
ihm vom König Friedrich I. angetragene Hofkapellmeisteramt lehnte er, um
ruhig zu leben, ab. Er hat folgende theoretische Schriften veröffentlicht: »Kurze
Beschreibung von der Construction und den Arten der Trommet-Marin« (Bre-
men, 1681); y^Budimenta musicae practicaea (ebendas., 1685); »Gespräch zwischen
dem Lehrmeister und Knaben von der Singkunst« (ebendas., 1702); sowie von
Compositionen: »Geistliche Sabbathfreuden oder heilige Lieder mit zwei Dis-
cauten nebst Basso co)ifinuo« (ebendas., 1683). — Ein Zeitgenosse war Abra-
ham G., Professor zu Pranecker, der eine yyHisforia p1nlosoj)hiea<i (Franecker,
1674) herausgab, in deren Hb. 1 c. 4, lib. 2 c. 6, 10 und 14, lih. 3 c. 1, 8, 9
und 12 viel auf Musik Bezügliches sich findet.
fxravrand oder Graverand, Nicolas, trefflicher französischer Violinist und
als solcher Schüler Baillot's, geboren 1770 zu Caen, wirkte in seiner Vater-
stadt, zuerst als Orchestergeiger, später als Dirigent. Er hat viele Violinduette,
Streichtrios u. s. w. geschi-ieben und zum Theil auch veröffentlicht.
Grawe, David Heinrich, mitunter auch irrthümlich Grave geschi-ieben,
ein vorzüglicher, reich talentirter deutscher Tenorsäuger, geboren 1758 zu
Dresden, debütirte zuerst 1780 auf der Bühne der Bellano'schen Gesellschaft
in Dresden, der er bis 1786 angehörte, in welchem Jahre er nach Weimar
ging, wo er sich durch seine Natur- und künstlerischen Gaben zum Liebling
der verwittweten Herzogin emporschwang. Diese sandte ihn auf ihre Kosten
zu seiner weiteren Ausbildung nach Neapel zu Aprile. Doch kaum dort ange-
kommen, starb er 1790 in Folge einer cerebralen Störung.
Grawunder, Karl, guter deutscher Trorapetenbläser, geboren am 22. Septbr.
1792 zu Bernikow bei Königsberg in der Neumark, erhielt den Unterricht des
Stadtmusicus Lehmann auf mehreren Instrumenten, besonders auf "Waldhorn
und Trompete und machte 1813 in dem INIusikcorps des zweiten Garderegiments
die Kriege gegen Frankreich mit. Seit 1824 aushülfeweise bei der königl.
Kapelle in Berlin angestellt, wurde er 1835 Kammermusiker und nach zwanzig-
jähriger Dienstzeit im J. 1855 pensionirt.
Grazia, Pietro Nicolo, italienischer Kirchencomponist. war Kapellmeister
der Congregation dell' Oratorio di S. Filippo nero zu Fermo in der Mark
Ancona und liess um 1706 zu Bologna Messe concertate a 4 voci con Violini
drucken. f
Graziani, ein trefflicher italienischer Violoncellist und Componist für sein
Instrument, kam nach dem Tode des Gambisten Hesse an dessen Stelle als
Lehrer des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preussen nach Pots-
dam, ward aber später durch den ihm überlegenen Duport sen. verdrängt. Als
G. 1787 zu Potsdam starb, erhielt seine Wittwe noch 600 Thaler als halbes
Gehalt ihres Gatten auf ihre Lebenszeit fort, besonders wohl, weil sie als
Sängerin an den Operettenvorstellungen bei Hofe Theil nahm. Auch ihre
Tochter rühmt Gerber als eine mit starker Contr'altstimme begabte Sängerin
um 1792. Von G.'s zahlreichen Compositionen sind nur im Drucke erschie-
nen: 6 Solos für A^ioloncello op. 1 (Berlin, 1780) und sechs andere op. 2
(Paris, 1780).
Graziani, Bonifa cio, fleissiger italienischer Kirchencomponist, geboren
1609 zu Marino im Kirchenstaate und gestorben 1672 als Musikdirektor an
der .Tesuitenkirche zu Rom, gab bei Lebzeiten nur ein Werk 2, 3, 4, 5 und
6 stimmiger Motetten (Antwerpen, 1652) heraus. Die übrigen damals hochge-
schätzten Arbeiten G.'s veröffentlichte erst nach seinem Tode theilweise sein
Bruder; ein Verzeichniss derselben giebt Fetis in seiner Biographie universelle.
Grazie — Greco. 34 1
— Ein anderer Gr., Nicolo Francesco mit Vornamen, wird um 1700 als be-
rühmter, in den Diensten des Kurfürsten von Köln stehender italienischer
Sänger genannt. — Der älteste bekannte Tonküustler dieses Namens ist Tom-
maso Gr., ein Franziscanermöuch, zu Bagnacavallo im Kirchenstaate geboren,
lebte in der zweiten Hälfte des 16. und zu Anfange des 17. Jahrhunderts und
war Kapellmeister des Klosters seines Ordens in Mailand. In der Zeit von
1569 bis 1627 erschienen verschiedene Sammlungen von Kirchenstücken seiner
Composition, sowie auch ein Buch Madrigale von ihm zu Venedig im Druck.
Grazie (latein.: gratia, ital. : grazia) als ästhetischer Begriff, s. Anmuth.
Grazioli, Domenico, geschätzter italienischer Kirchencomponist, war um
1766 Nachfolger Ferdinando Bertoni's im Orgauistenamte an der St. Marcus-
kirche in Venedig. — Sein Sohn, Giovanni Battista G., in Venedig um
1770 geboren, übernahm denselben Posten und starb im J. 1820. Von seinen
Compositionen sind in Deutschland op. 1 und 2, je sechs Ciavier- Sonaten und
op. 3 sechs Sonaten für Ciavier und Violine (sämmtlich 1799 erschienen) be-
kannter geworden. Eine komische Oper von ihm, »JZ tempo scopre la verum,
ging auf dem Teatro San Benedetto in Venedig ohne Erfolg vorüber. — Ein
jüngerer G. lebte zwischen 1830 und 1840 als Kirchen- und Operncomponist
zu Rom. Von seinen Ojjern sind y>Il pellegrino biancoa und y>Il taglialegna di
Donibaro. zur Aufführung gelangt.
Grazioso (ital., franz.: gracieux), Vortragsbezeichnung in der Bedeutung
anmuthig, gefällig, zierlich. In derselben Bedeutung wird graziosa-
mente und con grazia gebraucht,
Greatiug:, Thomas, englischer Tonkünstler aus der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts und wahrscheinlich Musiker der königl. Kapelle zu London, der
sich besonders um das Flageolet verdient machte, indem er ein didaktisches
Werk: riThe pleasant companion, or new lessons and Instructions for tlie Flageolet«.
(London, 1675) veröffentlichte.
Greaves, Thomas, englischer Vocalcomponist aus dem Anfange des 17.
Jahrhunderts, von dessen Composition Madrigale und Songs erhalten geblie-
ben sind.
Greber, Jacob, deutscher Tonkünstler, welcher der Zeitsitte gemäss seinen
Vornamen in Giacomo italienisirte, ging ums Jahr 1703 mit seiner Schülerin,
der nachmaligen Mad. Pepusch nach London, wo er sich um die Aufnahme
der italienischen Oper Verdienste erwarb. Von seinen Werken sind nur wenige
bekannt. Das im italienischen Geschmack verfasste Schäferspiel »TAe loves
of JSrgastoa, womit 1705 das Haymarket- Theater eröffaet wui'de, ist das ge-
rühmteste davon. Ausserdem ist noch »Tlie temple of loveu. (1706) auf das
Theater zu London gekommen und eine Cantata da camera a hasso, con Flauto e
Cembalo befindet sich als Manuscript in der fürstl. sondershausen'scheu Bibliothek.
t
Greca, Antonio la, begabter" italienischer Tonsetzer, geboren 1631 zu
Palermo und ebendaselbst am 8. Mai 1668 gestorben, erhielt seinen musika-
lischen Unterricht durch Philippe Fardiola und nahm nach diesem den Bei-
namen Fardiola an. Durch seine Compositionen machte sich G. in seiner
Zeit einen nicht unbedeutenden Namen; als gedruckt ist jedoch nur ein Werk
von ihm: »Ärmonia saera « 2, 3, 4 e 5 voci op. 1, libro 1« (Palermo, 1647)
bekannt geblieben. Vgl. Mongitor, Bibl. Sicul. T. 1 p. 68. f
Greco, Gaetano, vortrefflicher italienischer Meister und nebst Durante
und Leo Begründer der sogenannten neapolitanischen Schule, war um 1717 Pro-
fessor an dem Conservatorium dei poveri di Gesii Cristo zu Neapel als Nach-
folger seines Lehrers Alessandro Scarlatti. Als solcher war er wiederum der
Lehrer von Musikgrössen wie Vinci und Pergolese. Später wirkte er an dem
Conservatorio di San Onofrio in Neapel. Man weiss aber nicht, wann er ge-
storben ist. — Ein Giovanni G. war in den Jahren von 1721 bis 1727
Altist in der kaiserlichen Hofkapelle zu Wien. t
342 Greef — Greene.
Grcof, "Wilhelm, ein um den deutschen Schul- und Volksgesang wohl-
verdienter Tonküustler, geboren am 18. Oktbr. 1809 zu Kettwig an der Ruhr,
begann seine pädagogische Laufbahn 1830 als Hülfslehrer am Seminar zu
Meurs, aus welcher Stellung er bereits nach einjähriger Punktion zum ersten
Lehrer an der dortigen Stadtschule und zum Gesanglehrer am Adolphinum
berufen wurde. Zugleich wirkte er seit 1833 auch als angestellter Organist
in Meurs. In diesen Stellungen hat er sich um die Verbesserung des Schul-
gesanges in der E-heinprovinz und, in Verbindung mit Ludwig Erk (s. d.),
um die Erforschung des Volksliedes in den westdeutschen Gegenden hoch an-
zuschlagende Verdienste erworben. Aus diesen Bemühungen hei'aus, gab er
theils mit Erk, theils selbstständig mehrere Schulliedersammlungen, ein Schul-
choralbuch, geistliche Männercböre, Liederhefte für Männerstimmen u. s. w.
heraus.
Green, James, englischer Kirchencomponist, war um 1710 als Organist
in Hüll angestellt und hat sich durch zahlreiche von ihm in Musik gesetzte
Psalme, Anthems u. dergl. bekannt gemacht.
Grreen, Samuel, berühmter englischer Orgelbauer des 18. Jahrhunderts,
starb im J. 1796 zu Isleworth und hat seinen Namen besonders durch das
schöne Werk in der St. Georgkapelle zu AVindsor verewigt.
Greene, Maurice, englischer Tonkünstler und Componist von grösserem
Rufe als von wirklicher Bedeutung, war der Sohn eines Geistlichen und gegen
Ende des 17. Jahrhunderts zu London geboren. Seine ersten Lehrer waren
King im Gesang und Brind im Ciavier- und Orgelspiel; im letzteren absolvirte
er eine höhere Schule im fleissigen Anhören Händel's, dessen Gunst und Freund-
schaft er 1712 gewonnen hatte. In Folge dessen erhielt er, noch nicht zwanzig
Jahre alt, 1720 das Organistenamt an St. Dunstau in the "West und ein Jahr
darauf, als Purcell's Nachfolger, auch das an St. Andreas zu Holborn in Lon-
don. Nach Brind's Tode berief man ihn sogar zum Organisten der Paulskirche.
Als solcher begann er eine fleissige compositorische Thätigkeit, die er bereits
1714 durch ein beifällig aufgeführtes Schäferspiel »iove's revengevi. inaugurirt
hatte. Er schrieb Clavierconcerte, viele y>Lessons for the Harpsielwrdn, Sonaten,
Quartette für vier Violinen, Orgelfugen, ferner Cantaten, Anthems, Canons,
Songs u. s. w., betheiligte sich an den öffentlichen Aufführungen und wurde
auch Mitglied der Äcademy of ancient music. Händel's Freundschaft opferte
er rücksichtslos, als er von dem "Umgänge mit Buononcini grössere Vortheile
für sich erwartete, und wiederum war er der Erste, der des Letzteren Sturz
vorbereitete, indem er das von demselben als eigene Composition veröffentlichte
Madrigal Lotti's bei der Äcademy of ancient music denuncirte. Sein bei dieser
und bei anderen Gelegenheiten an den Tag gelegter zweideutiger Charakter
vermehrte die Zahl seiner Feinde; er musste sich sogar von jener Akademie
zurückziehen und, um Concerte zu veranstalten, ein eigenes Orchester bilden.
Im J. 1730 zum Doctor der Musik in Cambridge ernannt, wusstc er durch
Verschlagenheit und Intrigue sich alsbald zum öffentlichen Professor an Tud-
way's Stelle zu bringen, ja noch mehr, nach Dr. Croft's Tode seine Ernennung
zum Kapellmeister und Componisten der königl. Kapelle zu erwirken. Seiner
Eifersucht auf Händel's Ruhm gab er seitdem offen Ausdruck und veröffent-
lichte zunächst 40 Anthem's seiner Composition , die eine Reformation der
englischen Kirchenmusik anbahnen sollten. Da dieselben aber in ihrem vor-
wiegend weltlichen Style sich keineswegs die Anerkennung als Musterarbeiten
zu erringen vermochten, so beschränkte er sein Unternehmen auf die Correctur
und "Wiederherstellung älterer, corrumpirter Anthem's und Services, die er in
Partitur setzte und auf deren Ansammlung und Herausgabe er bedeutende
Kosten zu verwenden begann. Jedoch rief ihn der Tod am 1. Septbr. 17.5.5
von dieser Arbeit ab, deren Fortsetzung und Vollendung er bei Zeiten seinem
Schüler Boyce übertragen hatte. — Burney, der G.'s Charakter und Kunst-
kenntnisse scharf aber gerecht beurtheilt, schildert ihn äusserlich, im Gegentheil
Grefinger — Gregor. 343
zu seinen Erfolgen in Bezug auf hervorragende Lebensstellungen, als klein,
unansehnlich und etwas verwachsen und, übereinstimmend mit Hawkins und
Anderen, seine Kirchencompositionen als zu weltlich und opernhaft, seine welt-
liche Musik als zu geistlich.
Greflnger, Johann Wolfgang, auch Grräfinger geschrieben, deutscher
Tonsetzer, geboren in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts, lebte meist in
"Wien und war Verfasser und Herausgeber vieler Psalterien, Antiphonarien
u. s. w., die in der Zeit von 1512 bis 1515 in AVien erschienen. Die Bibliothek
zu Zwickau bewahrt in einer Sammlung vierstimmiger weltlicher Lieder einige
Arbeiten von ihm.
Greger Federfecliter, s. Finckelthaus.
Gregor I, oder der Grosse, römischer Papst von 590 bis 604, einer
der bedeutendsten und merkwürdigsten Kirchenregenten und zugleich ein um
die Musikgestaltung des Mittelalters und der Neuzeit hochverdienter Mann,
stammte aus einer Senatorenfamilie und wurde um das J. 540 zu Rom ge-
boren. Das Amt eines römischen Prätors, zu dem er sich in Folge juristischer
Studien 570 aufschwang, vertauschte er nach dem Tode seines Vaters Gordianus
mit dem Klosterleben, das seinem contemplativen Sinne sehr zusagte, wurde
jedoch schon unter Papst Benedict 577 zum Diaconus in Rom und unter Pe-
lagius II. zum Gesandten in Konstantin opel ernannt. Nach seiner Rückkehr
zog er sich wieder in das von ihm selbst gegründete und dem Apostel Andreas
gewidmete Kloster in Bom zurück, dessen Mönche ihn zu ihrem Abte erhoben.
Nach dem Tode des Pelagius im J. 590 wurde er durch einstimmige "Wahl
der Geistlichkeit, des Senates und Volks zum römischen Bischof ernannt und
verwaltete sein hohes Amt bis zu seinem Tode (604) in kirchlicher und welt-
licher Beziehung mit der grössten Weisheit. In seiner thätigen Sorge für
Kirche, Gottesdienst und religiöses Leben wurde er auch auf das musikalische
Gebiet gelenkt, welchem er denn auch die vollste Aufmerksamkeit schenkte,
mit welcher Aufmerksamkeit sich verschiedene, durch ihn bewirkte ewig denk-
würdige Reformen und Umgestaltungen der Tonkunst verknüpfen. Unbestreit-
bar ihm zuzuschreiben ist in dieser Hinsicht die Neugestaltung des bisherigen
Kirchengesanges (s. Gregorianischer Gesang), ferner die Ausbildung der
Gebräuche bei der Messe und die Ordnung derselben nach einem festen Kanon,
endlich die Stiftung einer Gesangschule (s. Cantorat). Nicht zufrieden mit
diesen Verdiensten, hat ihm der fromme Eifer noch beigelegt: die Einrichtung
des Systems der plagalischen Nebentöne (s. Tonarten), die Notirung mit
Neumen und die Benennung der sieben Octavtöne mit den sieben ersten Al-
phabetbuchstaben (s. Notenschrift). Nimmt man aber auch nur das Ver-
bürgte zusammen, so genügt es, um zu erweisen, dass die Musik diesem Manne
ausserordentlich viel zu verdanken hat , und Ambros sagt in seiner Musikge-
schichte (Bd. 2, S. 67) mit Recht, dass die gesammte Tonkunst »an der ge-
waltigen Lebenskraft der gregoriauisöhen Gesänge erstarkt und herangebildet«
sei, entsprechend der Ansicht Kiesewetter's, welcher ausspiücht, dass das von
G. und dessen Gehülfen hinterlassene System in seiner Einfachheit jeder höheren
Ausbildung fähig war und dass aus demselben eine vollkommene Musik, gleich
unserer heutigen, unmittelbar hätte abgeleitet werden können, wenn sie nicht
später durch die blinde Vorliebe und Verehrung der Scholastiker für alles
Altgriechische und durch das hindernde Element der ihr aufgedrungenen ge-
lehrten altgriechischen Theorien wieder in Verfall gerathen und für lange Zeit
in ihrer Entwickelung gehemmt worden wäre.
Gregor, Christian, begabter Dichter und Componist der Herrnhuter
Brüdergemeinde, geboren am 1. Jan. 1723 zu Dirsdorf in Schlesien, trat 1742
in die Hernhuter Gemeinde und starb am 6. Novbr. 1801 zu Berthelsdorf als
Bischof der Brüderkirche, nachdem er zuvor als Lehrer, Organist, Musikdirektor
etc. derselben thätig gewesen war. Er war die Seele des kirchlichen Gesanges
dieser Gemeinde, da er nicht allein die 1778 zu Barby erschienene neue Aus-
344 Gregor — Gregorianischer Gesang.
gäbe des Brüdergesaiigbuches leitete uud dasselbe mit 106 eigenen Liedern
vermehrte, sondern auch 1787 ein neues geschätztes Choralbuch für dieselbe
herausgab, wodurch er, wie durch sein Orgelspiel »wunderbar gelungen, die
Gemiither der Zuhörer in die Nähe des Herrn zu leiten« vermochte. Bei alle-
dem ist aber auch nicht zu leugnen, dass seine Lieder, trotz ihrer einfachen
und hei'zlichen Sprache und Gesangweisen oft in die den Herrnhutern eigeii'
thümliche Gefühlsspielerei verfallen. f
Greg-or, latinisirt Gregorius. Ein Kanonikus und Lehrer zu Bridling-
ton in England,- lebte zu Anfange des 13. Jahrhunderts und soll 1217 drei
Bücher: i>de arte musiees«. betitelt, geschrieben haben; Possevinus im ersten
Bande seines y>Apparatus sacri« spricht jedoch nur von zweien. Vgl. Hawkins,
Hist. of Music. Vol. IL p. 40 Gregory. — Ein anderer G., (John Gregory),
1607 zu Amsterdam geboren, 1640 in Hindlington als Antiquar und Orientalist
gestorben, verfasste eine •aDissertatio de more caneiidi sijmholum JVicaenum«, in
welcher in einem besonderen Capitel »de organis musicis I/i/drauUcls et pneu-
inaticisd. abgehandelt wird. — Ein dritter G., Peter mit Vornamen (Pierre
Gregoir), geboren zu Toulouse um 1510, der 1574 an der Akademie zu
Gabors und später zu Pont-a-Mousson als Professor und Doctor der Rechte
wirkte, schrieb eine: y>Syntaxis artis mirahilis, libris XL coinpreliensav- (2 Bde.,
Lyon, 1574), welches Werk 1600 und 1610 zu Köln noch zwei neue Auflagen
erlebte. — Endlich ist noch zu nennen: "William G. oder Gregory, Mitglied
der königl. Kapelle zu London, der wahrscheinlich zu Ende des 17. Jahrhun-
derts lebte und sich rühmlich durch die Composition der Anthems: r>Oiit of
the deep have L called'i und »0 Lord tliou hast cast us oicta bekannt machte.
Sein Bild wurde in der Musikschule zu Oxford aufbewahrt. Vgl. Hawkins,
Hist. of Music Vol. IV p. 4:11. t
Gregoras, Nicephorus, ein als Redner und Philosoph berühmter griechi-
scher Geistlicher, der 1295 zu Heraclea in Asien geboren war und 1359 in
einem Kloster zu Konstantinopel gestorben ist, soll die »Harmonia« des Pto-
lemaeus commentirt haben, wie Eabricius in seiner Bibl. graec. lib. 3 c. 10 p. 269
berichtet. f
Greg'ori, Giovanni Lorenzo, italienischer Violinist und Componist des
17. Jahrhunderts, stand im J. 1695 in Diensten der Republik Lucca, und gab
von seinen Arbeiten »Arie in stilo francese a 1 e 2 vocia (Lucca, 1698), »X Oon-
certi a 4 voci (ebend., 1698) und »Gantate da camera a voce sola«, (ebend., 1699)
heraus. t
Gregorianische Bnehstabeu heissen die zur Benennung der sieben natür-
lichen Claves dienenden ersten Buchstaben des Alphabets von A bis G, deren
Einführung oder Autorisirung man dem Papst Gregor I (s. d.) zuschreibt.
Näheres unter Notenschrift.
Gregorianischer Gesaug (latein.: Cantus Grerjorianus, C. planus, 0. cliorälis,
C. romanus, G. vetus) heisst der, seit Gregor dem Grossen (s. d.) beim christ-
lichen Gottesdienst gebräuchliche Choralgesang, aus dem sich die gesammte
christliche Tonkunst entwickelte. In den ersten Jahrhunderten des Bestandes
der christlichen Kirche fehlte es dieser noch an einem gemeinsamen, festge-
regelten Kirchengesange. Gebet und Gesang waren in dieser Zeit schon die
wesentlichsten Bestandtheile des christlichen Gottesdienstes, doch wurden beide
noch nicht in einer, für alle Gemeinden gültigen, feststehenden Ordnung geübt.
Diese unterlag vielmehr anfangs zweifellos nationalen Einflüssen ; jedenfalls in
den Ländern, welche eigene Bibelübersetzungen hatten, wie Aegypten, Aethio-
plen, Persien, Syrien u. s. w. Erst durch die Synodalbeschlüsse in späteren
Jahrhundei'ten wurde allmälig eine, für alle Länder feststehende Ordnung des
Cultus eingeführt. Dadurch gewann dann auch der Kirchengesang eine Ent-
wickelung nach bestimmter Richtung. Bisher waren es natürlich vorwiegend
griechische und hebräische "Weisen, nach welchen der christliche Kircliengesang
geübt wurde, und auch als dieser sich selbstständiger zu entfalten begann,
Gregorianischer Gesang. ß^g
knüpfte er an die griechische Musikpraxis an. Juden und Griechen waren
hauptsächlich die ersten Bekenner des Christenthums, und es ist deshalb nicht
anders denkbar, als dass neben dem althebräischen Psalmengesange, welcher
dem neuen Glauben zunächst vollkommen entsprach, auch die griechische Ge-
sangsweise im ersten christlichen Cultus Eingang fand. Ein selbstständig aus-
gebildetes Tonsystem scheinen die Juden nicht gehabt zu haben; nur die Grie-
chen brachten ein solches der jungen christlichen Kunst entgegen, das sich iji
viel reicherer Mannichfaltigkeit entwickelt hatte, als der neuen Praxis bequem
war; diese vereinfachte es daher zunächst ganz bedeutend: sie legte das grie-
chische Octachord ihrem künstlerischen Schaffen zu Grunde und gewann damit
erst die Möglichkeit der Entfaltung einer selbstständigen Melodik. A¥ohl
kannten auch die Griechen das Octachord, allein ihrer Musikpraxis entsprach
das Tetrachord vielmehr, und so gehen die Theoretiker ebenso wie die Praktiker
immer wieder auf dies zurück. Den Griechen, wie überhaupt den vorchrist-
lichen Völkern, galt der Gesangton noch nicht als Baustein, aus dem klingende
Tonformen zu bilden sind, sondern er war ihnen vielmehr fast ausschliesslich
das geeignetste Hülfsmittel, mit seiner sinnlich zwingenden Naturgewalt der
Sprache grössere Eindringlichkeit zu geben. Namentlich nach dieser Richtung
hat er für die griechische Sprache höchste Bedeutung gewonnen; diese hatte
sich durch die Macht des rein sinnlich wirkenden Tons zu einer, von keiner
andern Sprache erreichten Eülle von äusserst künstlich und echt künstlerisch
gefügten Formen entwickelt. Daher machten auch die griechischen Theoretiker
das Tetrachord zur Grundlage ihrer Untersuchungen und des ganzen Systems,
weil innerhalb eines solchen sich die gewöhnliche Rede hält. Ferner wird
hieraus erklärlich, dass sie den Ton und das Intervall zur Grundlage der
eifrigsten Untersuchungen machten. In dem Bestreben: die Rhythmik der
Sprache immer entschiedener herausbilden zu helfen, wird die Speculation zu
immer erneuter Theilung des Intervalls veranlasst, nicht nur um eine reichere
Modulation der Stimme zu ermöglichen, sondern auch, um immer mehr charakte-
ristische Intervallenverhältnisse zu gewinnen und sie wurden demgemäss auf
die chromatischen und enharmonischen Klanggeschlechter geführt. Innerhalb
der engen Grenzen derselben war natürlich eine freie Entfaltung der selbst-
ßtändigen Melodie nicht möglich. Für das Christenthum gewann der Gesang
allmälig eine ganz andere Bedeutung. Dies gab der Entwickelung der Mensch-
heit eine neue Richtung; erzeugte ein ganz neues Leben, welches dann auch
der Tonkunst erst das rechte Object für eine selbstständige künstlerische Ge-
staltung zuführte. Die wunderbaren Schätze, welche es im Innern des Men-
schen erschloss, drängten nunmehr auch nach künstlerischer Entäusserung in
klingenden Tonformen, und so wurde zunächst die selbstständige Melodie er-
zeugt, bei welcher sich die einzelnen Töne nicht zusammenfügen, um die Re-
citation der Rede zu unterstützen, ^sondern um eine selbstständige Form zu
bilden. So entstanden die ersten gesungenen chi-istlichen Hymnen, die sich
zwar selbstredend auf dem Grunde des alten Systems erhoben, aber unter ver-
änderter Anwendung desselben. Nachdem diese neue Praxis bereits mehrere
der selbstständigen Hymnen erzeugt hatte, erschien es, um eine sichere Basis
für die weitere Entfaltung des Gesanges zu gewinnen, nothwendig, die gewon-
nenen Resultate in ein bestimmtes System zu bringen. Es geschah dies, wie
erwähnt, nach Analogie des griechischen Systems, oder im Grunde dadurch, dass
man aus diesem ausschied, was für diese neue Anschauung nicht förderlich
Avurde. Der heil. Ambrosius (von 374 — 397 Bischof von Mailand) wird als
derjenige genannt, welcher die vier diatonischen Tonreihen:
von D — (als erster Ton*): Protiis; primus),
von E — (als zweiter Ton: Deuterus ; secundus),
*) Ton gleichbedeutend mit Tonleiter.
346 Gregorianischer Gesang.
von F — (als dritter Ton: Tritus; tertius),
und von G — (als vierter Ton: Tetrardus qi.iartus),
festhielt und sie sind als sogenannte Kirchentonarten über 1000 Jahre die
Grundlage für den Kirchengesang geblieben. Sie stimmen mit den entsprechen-
den griechischen Tonleitern überein, aber ihre Anwendung wurde jetzt eine
andere. Dadurch , dass der christliche Geist diese Tonleitern im Grossen an-
schaute und als Ganzes erfasste, und zugleich das Verhältniss der einzelnen
Töne innerhalb derselben genau berücksichtigte, gelangte er zu jenen selbst-
ständigen Melodien, die als erste wirkliche Kunstproducte zu betrachten sind.
Es war hiermit der einzig richtige Wog eingeschlagen, zu einem gemeinsamen
Kirchengesange zu gelangen, und wenn der Ambrosianische Gesang es noch
nicht wurde, so hat das hauptsächlich seinen Grund wohl nur darin, dass Am-
brosius noch die alte sprachliche Rhythmik nicht vollständig aufgab. Guido
von Arezzo nennt die Hymnen des heil. Ambrosius metrische Gesänge, die »so
gesungen wurden, als wenn die Füsse der Verse scandirt werden«. Dadurch
blieb der Gesang noch national beschränkt, die freie Entfaltung der Melodik
noch gehemmt. Diese erfordert ihren selbstständigen Rhythmus, welcher den
sprachlichen zwar berücksichtigt, aber so, dass sie ihn in eigener "Weise dar-
stellt. Gregor der Grosse gab der Entwickelung des kirchlichen Gesanges diese
Richtung, und in dieser neuen Phase heisst er deshalb der Gregorianische Ge-
sang — oder Cantus lüanus (franz.: piain chanf), weil die Töne desselben wenn
auch nicht durchweg von gleichem Zeitwerth, doch der reicheren sprachlichen
Metrik entkleidet sind. Diese bleibt nur noch von geringem Einfluss auf die
Entwickelung der Melodie, bei der schon die Spuren einer musikalisch selbst-
ständigen Rhythmik erkennbar sind. Sie zeigt sich zunächst in den Ver-
zierungen und Melismen, mit denen früh schon die Melodien ausgestattet wur-
den. Auch beim gregorianischen Gesänge erhielt nicht jede Silbe nothwendig
nur einen Ton, sondern einzelne auch mehrere. Die authentische Abschrift
des gregorianischen Antiphouars — die Sammlung der liturgischen Gesänge,
welche Romanus, einer der beiden vom Papst Hadrian 790 an Kaiser Karl
zur Verbreitung des gregorianischen Kircheugesanges gesandten römischen Sänger
— nach St. Gallen brachte, enthielt eine Reihe hierauf bezüglicher Vorschriften.
Ferner sind unter den Notenzeichen jener Zeit, den sogenannten Neumen,
mehrere, welche solche Melismen andeuten. Die Selbstständigkeit der gregoria-
nischen Melodie wurde namentlich schon dadurch gewahrt, dass sie eine neue
Darstellung des strophischen Versgefüges versuchte. Wie die Silben und Worte
zu metrischen Versen und diese wiederum zu Zeilen verbunden werden, so in
der Melodie die Töne zu kleineren Einheiten — in unserm Sinne Takt ge-
nannt — und diese wiederum zu grösseren, so dass diese als eine Nachbildung
des Verses erscheinen; aber innerhalb dieser ganzen Construction verfuhr man
mit grosser Freiheit. Noch viele Jahrhunderte hindurch war das Hauptaugen-
merk der melodieerfindenden, besonders begabten Männer auf die einheitliche
Darstellung des Verses und der Strophe gei*ichtet; während sie das Metrum
in mannichfaltiger Weise musikalisch nachbilden. Dem entsprechend vollzog
sich auch dieser ganze Gestaltungsprocess vorwiegend an den, im Grossen ge-
gliederten Psalmenversen, und dem entsprechend angelegten christlichen
Cultusgesängen und vor Allem an den metrisch gegliederten Hymnen, die
wirklich gesungen wurden. Beim sogenannten Collectengesang oder dem
Chor aliter lesen wurden auch im gregorianischen Gesänge noch anfangs
wenigstens zweifellos Quantität und Accentuation genau beobachtet. Das Va-
terunser, das Glaubensbekenntniss, die Evangelien und Episteln,
wie die Litaneien wurden nicht blos gebetet, sondern auch gesungen, vorherr-
schend auf einem Ton mit Berücksichtigung der Quantität der Silben, weshalb
auch häufig der Text mit Accenten versehen ist. Die Schlussfiille nur sind
durch besondere Intervallenschritte ausgezeichnet; ebenso auch die Interpunction
u. dergl. Bei dieser Art des mehr recitirenden Gesanges machte sich gleich-
Gregorianischer Gesang. 347
falls eine , mehr dem "Wesen der Tonleiter als Octachord entsprechende An-
schauung, wie sie seit Gregor herrschend wurde, geltend. Dieser grosse För-
derer christlichen Gesanges erweiterte das Tongebiet zunächst dadurch, dass
er den vier Tonleitern des heil. Ambrosius — die authentische genannt wur-
den — vier neue — die plagalen — zufügte. Die authentische Tonleiter
erscheint aus zwei Hälften zusammengesetzt , von denen die erste eine Quinto
d—a; die zweite eine Quarte a — d enthält; die plagale Tonleiter gewinnt
man nun dadurch, dass das Yerhältniss umgekehrt, die letzte Hälfte dieser Ton-
leiter zur ersten wird: der erste authentische Ton DJEFGAITCJ)
ergab dem entsprechend als ersten plagalen A H C D E F G Ä; der zweite
authentische FFGAHODF den zweiten plagalen H ö JD F F G
A S; der dritte authentische FGASÖDFF den dritten plagalen
CDFFGAHC; der vierte authentische GASCDFFG den
vierten plagalen D F F G A H C D. In dieser Reihenfolge wurden diese
verschiedenen Töne als Kirchentöne bezeichnet: der erste authentische von
D als erster, der erste plagale von A als zweiter, der zweite authentische
von F als dritter, der zweite plagale von ^ als vierter Kirchenton u. b. f.,
so dass der fünfte Kirchenton seine Tonleiter mit F, der sechste mit O,
der siebente mit G und der achte mit D begann. Dass die spätere Theorie
diese Construction fortsetzte und zwölf, sogar 16 Kirchentöne lehrte, oder sie
auch auf sechs reducirte, kommt hier nicht weiter in Betracht. Die Praxis
beschränkte sich auf die oben erwähnten acht. Namentlich bei dem Collecten-
gesange wurden für jeden dieser Kirchentöne einzelne charakteristische Töne
vorwiegend angewendet und diese gewannen auch bei der selbstständigen Me-
lodiebildung besondere Berücksichtigung. Es wurden gewisse melodische For-
meln für jeden einzelnen Kirchenton (oder Modus) feststehend, welche man
Tropen nannte, und durch welche daher die Tonart leicht zu bestimmen ist.
Diese erkannte mau ferner an der Bepercussion , d. i. das in jeder Kirchen-
tonart am meisten gebräuchliche Intervalle, die sogenannte Choralnote. Es
ist dies im ersten, dritten, fünften und siebenten die Quint, im zwei-
ten und ersten die Terz, im vierten und achten die Quart. Andere
Kennzeichen der Tonart konnten weiterhin der Umfang — Amhitus — der Me-
lodie sein, und der Finalton wie der Anfang. Im Allgemeinen hatten am
Anfange die authentische und die plagale Melodie entgegengesetzte Be-
wegung; jene strebt aufwärts (zu ihrer Quinte), diese abwärts zu ihrem ur-
sprünglichen sie erzeugenden Grundton. So lange man sich bei der Melodie-
bildung innerhalb einer Octave hielt, konnten natürlich Umfang und Finalton
ein sicheres Merkmal der Tonart sein; allein nur zu bald überschritt man die-
sen Umfang, fügte jeder Kirchentonart je einen Ton nach oben und unten zu,
und einzelne Theoretiker lehren von einer 9, selbst 10 tönigen Tonleiter. Wei-
terhin wurde in dem Bestreben, den Tonreichthum für jeden einzelnen Modus
zu erweitern, das Verfahren der Transposition angewendet. Der regelmässige
Finalton ist für den ersten und zweiten Kirchenton D; für den dritten und
vierten F; für den fünften und sechsten F und für den siebenten und achten
G und der Canttis regularis endete auch mit diesem Finalton; allein daneben
übte man auch den Gantus oder tonus transpositus der transponirt ist, am lieb-
sten nach der Quarte oder Quinte des regulären. Die weitere Entwickelung
führte dann auf sogenannte Mischtöne (ioni mivfi) und Neutraltöne (foni neutrales),
die weder völlig authentisch noch völlig plagal geführt sind. Der Misch ton
hält sich im Umfange der beiden verbundenen Tonleiteim, er steigt bis zur
Octave, wohl auch noch höher und fällt auch bis zur Quart des plagalen Tons;
der Neutralton erhebt sich nicht über die Sext und fällt nicht unter die
Terz, so dass er weder die authentische noch die plagale Tonart bestimmt aus-
prägt. Diese Erweiterungen des ursprünglich eng begrenzten Systems gingen
alle aus dem Bestreben hervor: der selbstständig entwickelten Melodie ein
möglichst weites und grosses Gebiet für ihre Entfaltung zu schaffen. Wir
348 Gregorio — Greindl.
zeigten, wie das ambrosianische System schon durch den Drang: Melodien zu
erzeugen, der im Christenthum erst lebendig wurde, geschaffen und wie dann
im gregorianischen Gesauge dies System in sich gefestigt und zugleich macht-
und glanzvoll erweitert wurde. Auf seinem Grunde erhoben sich dann jene
Hymnen und geistlichen Volkslieder, in denen die höchste religiöse Begeisterung
wunderbar ergreifenden Ausdruck findet, und die zugleich als erste Kunstwerke
des in Tönen künstlerisch bildenden Menschengeistes zu betrachten sind.
Länger als ein Jahrtausend haben sie in den Herzen der Gläubigen jene reli-
giöse Begeisterung entzündet, welche sie erzeugte, und heute noch üben sie die-
selbe wunderbare Wirkung, welche namentlich das Mittelalter mit Staunen er-
füllte, so dass man diese Cultusgesänge als direct vom Himmel stammend
betrachtete. Eine Antiphouer in St. Gallen aus dem 10. Jahrhundert enthält
eine Zeichnung, den heiligen Gregor darstellend, einem Schreiber die »Neumen«
— seine Hymnen — dictirend; auf der Schulter sitzt die himmlische Taube, die
göttliche Inspiration darstellend, welche Paulus Diakonus, der Zeitgenosse des
Papstes, auf der Schulter desselben sitzend gefunden zu haben versichert. "Wie
dann im Laufe der Jahrhunderte dieser gregorianische Gesang in ganz conse-
quenter Entwickelung zur Mehrstimmigkeit führen musste , welche wohl keins
der vorchristlichen Völker anders kannte und übte, als höchstens an dem, durch
die natürliche Organisation der Singstimmen bedingten, zunächst wohl nur
antiphonischen Quinten- und Octavengesange; wie das ganze System dadurch
mancherlei Veränderungen erfuhr und wie endlich, namentlich unter dem Ein-
flüsse des Volksgesanges und der selbstständig entwickelten Instrumentalmusik,
unser modei-nes Tonsystem aus ihm emportrieb, das ist hier nicht weiter zu
verfolgen. Erwähnt sei nur noch, dass sich Gregor bei seinem Antiphonar
zur Aufzeichnung der Cultusgesänge der, seiner Zeit üblichen Notenzeichen —
der Neumen bediente. (lieber diese, wie über Gregors Lebensumstände, über
Kirchentonarten u. s. w. siehe die betreffenden Artikel dieses Werkes.)
A. Reissmann.
Gregorio, Annibale, italienischer Tonsetzer, geboren gegen Ende des
16. Jahrhunders zu Siena, war daselbst Kapellmeister an der Kathedrale und
Mitglied der Akademie der Intronati. Er veröffentlichte von seiner Compo-
sition fünfstimmige Madrigale (Venedig, 1617) und y>Sacrae eantiones et lamen-
tationes 2, 3 et 4: vocuma (Siena, 1620).
Gregorius, P., Kirchencomponist zu Anfange des 17. Jahrhunderts, von
dem ein AVerk: i)Enc()mium , verho incarnato, ejusdemque matri musicis numeris
decantatuma (Ingolstadt, 1618) im Drucke erschien. f
Gregory, s. Gregor.
Greibe, Ernst Friedrich Wilhelm, geschätzter deutscher Basssänger,
geboren 1754 zu Hildesheim, debütirte 1778 auf dem Theater zu Eisenach als
Fabricius in dem Singspiel »Lottchen am Hofe«, war später in Braunschweig
und seit 1786 am königl. Nationaltheater zu Berlin engagirt, woselbst er u. A.
1788 den Pedrillo in »Belmonte und Constanze«, 1794 den Basilio im »Figaro«
und den Sprecher in der »Zauberflöte« bei den ersten Aufführungen dieser
Opern sang. Er starb am 9, April 1811 zu Berlin. — Seine Gattin, Maria
Theresia G., geborene Engst, war 1750 zu Berlin geboren und betrat schon
1760 in Colmar zuerst die Bühne. Mit ihrem Gatten zugleich debütirte sie
1786 am Naiionaltheatcr zu Berlin und wurde als Sängerin und Schauspielerin
für das ältere Bollenfach daselbst engagirt. Im J. 1810 pensionirt, starb sie
am 31. Aug. 1820 zu Berlin.
Greindl, Joseph, deutscher Componist, geboren 1758 in Morbach, war
ein Schüler Albrechtsberger's in Wien und wurde später Kapellmeister am
Stephansdome daselbst. Er starb 1826 zu Wien. Man kennt von ihm Sin-
fonien, Sextette, drei Quintette, vier Quartette, ein Monodrama »Hero« u. s. w.
Seine »Wiener Tonschule« hat sein Schüler, der Ritter von Seyfried heraus-
gegeben.
Greiner — Greisen. 349
Oreiner, Johann Karl, deutscher Instrumentenmacher, geboren 1743 zu
Wetzlar und ebenda am 8. Oktober 1798 gestorben, erlernte anfangs das Tisch-
lerhandwerk, welches er jedoch bald mit dem eines Ciavierbauers vertauschte,
indem seine Vorliebe für Mechanik in demselben mehr Spielraum fand. Hohl-
feld's Erfindung des Bogenflügels (s.d.) weiter verfolgend, verband er einen
solchen auf Anregung des Abts Vogler mit einem Fortepiano, so dass dies den
oberen, jenes den unteren Instrumenttheil einnahmen und beide Tlieile ge-
koppelt werden konnten. Der Instrumentkörper hatte eine Länge von 1,11,
eine Breite von 0,17 und eine Höhe von 0,314 Meter. Dies Instrument, welches
den Ruf Gr.'s verbreitete, soll jedoch in seiner Zeit schon wenig befriedigt haben
und ist später auch nicht mehr beachtet worden. Dasselbe führte jedoch G.
zur Absicht, ein Instrument zu bauen, das die Eigenheiten der Orgel, des
Fortepianos und des Bogenclaviers vereinigte, über welches die Frankfurter
Zeitung vom 2. Novbr. 1798 Manches berichtet. Sein Tod verhinderte die
vollendete Darstellung seiner Idee, die sein Vetter und Gehülfe Hans G. nach
G.'s Tode, zu Stande zu bringen versuchte, wahrscheinlich ohne Erfolg, denn
später hat man nichts mehr darüber gehört. f
Greiuer, Johann Martial, deutscher Violinvirtuose, geboren am 9. Febr.
1724 zu Constanz am Bodensee, widmete sich dem Studium der Theologie und
trieb nebenbei Violinspiel. Als er nach dreijähriger Uebung mit einem Violin-
concert sich öflFentlich hören Hess, fand er so grossen Beifall, dass er auf viel-
faches Zureden sich ganz der Kunst zu widmen beschloss. Um dem Einsprüche
seiner Eltern zu entgehen, begab er sich mit geringer Habe heimlich nach
Innsbruck und fand im Jesuitenseminar daselbst, durch seine Kunst eingeführt,
längeren freien Aufenthalt. Ein reicher Dilettant, der im Begriff stand, Italien
zu bereisen, nahm ihn mit nach Padua und Venedig. In letzterer Stadt starb
jedoch dieser Gönner, und G. scheint sich darnach wieder nach Deutschland
gewandt zu haben, denn er befand sich bald darauf zu München bei Ferrandini,
dem Vater des damaligen Kapellmeisters, der ihn drei Jahre lang in seinem
Hause unterhielt. Hier lernte er unter vielen namhaften Künstlern auch Angelo
Colonna aus Venedig kennen, dessen Umgang und Unterricht G. weiter förder-
ten und dessen persönliche Bemühungen ihm einen Ruf nach Padua als ersten
Violinisten verschafften. Sein Dirigent und Vorbild daselbst war Tartini. Von
Padua aus erhielt er eine Anstellung in dem Hoforchester zu Stuttgart, wo
er zunächst unter des Oberkapellmeisters Jomelli Direktion 21 Jahre lang
thätig war und zugleich Schüler wie Hofmeister, Laborde u. v. A. heranbildete.
Im J. 1775 wurde er als fürstl. hohenlohe'scher Hofmusikdirektor nach Kirch-
berg berufen, woselbst er im J. 1792 allgemein geachtet und geehrt sein ruhm-
volles Leben endete. Von Compositionen G.'s ist nie etwas bekannt geworden.
Eine ausführlichere Lebensbeschreibung von ihm schrieb Junker; dieselbe be-
findet sich in Meusel's Museum Band I. Stück 3, reicht jedoch nur bis zu G.'s
Ernennung zum Hofmusikdirektor in Kirchberg. t
Greiner, Johann Theodor, deutscher Instrumentalcomponist, von dem
um 1782 einige Ciaviertrios im Manuscript in Deutschland sich vortheilhaft
bekannt machten. Im J. 1784 erschienen von ihm zu Amsterdam 12 Sinfo-
nien in zwei Heften und sechs Flötenduos.
Greininger, Augustin, ein deutscher Tonsetzer der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, veröffentlichte Oantiones saerae a 1, 2 et 3 voci mit und ohne
Instrumente (Augsburg, 1681). Vgl. Com. a Be^ighem Bihliogr. mathem. p. 56.
t
Greisen, Albert, begabter deutscher Componist, geboren am 24. April
1814 zu Frankfurt a. 0. als Sohn eines Instrumentenmachers, erging sich, ohne
eigentlichen theoretischen Unterricht gehabt zu haben, schon früh in Compo-
sitionsversuchen, deren Frucht Quartette, Quintette und eine Oper »Die Liebe
auf dem Lande« war. Zelter, auf ihn aufmerksam geworden, nahm ihn 1832
nach Berlin und zügelte seineu Schaffensdrang durch contrapunktische Uebungen.
350 Greiter — Greith.
Nach Zelter's Tode fand G. Aufnahme in der Musikschule der Akademie und
wurde Compositionsschüler Rungenhagen's, als welcher er mit einer Motette, so-
wie mit einem Instrumentalsat25 am 3. Juni 1834 den Preis davontrug. Leider
starb er schon am 11. April 1836 und hinterliess ein Oratorium, eine Sinfonie,
Kammermusikwerke u. s. w., Beweise eines sehr bedeutenden schöpferischen
Talentes.
Greiter, Matthias, latinisirt Greiterius, Dichter geistlicher Lieder, der
erst Mönch und von 1524 bis zu seinem am 20. Decbr. 1550 zu Strassburg
erfolgten Tode Musiker war. Er gab laut Gesner's Partit. univ. lib. 7 tit. 3
ein -nJElementale musieumn heraus. Döhring in seiner Choralkunde (1865) be-
richtet Seite 31 und 38 über G., dass zwei bisher Luther zugeschriebene Me-
lodien von ihm herrühren, so wie dass er auch der angebliche Componist der
unter seinen acht Psalmenliedern befindlichen Gesänge »Es sein doch selig alle
die«: f f g a f g ^t' <?» und »0 Herre Gott, begnade mich«: e a a g e g a h,
die zuerst im Strassburger Kirchenamt des Jahres 1525 eine Stelle fanden,
gewesen sei; erstere Melodie findet sich auch in den später erschienenen fran-
zösischen Psalmen. Eine Sa)nmlung weltlicher Lieder für vier Stimmen vom
J. 1548, welche auch einige Gesänge G.'s enthält, befindet sich in der Bibliothek
zu Zwickau. Vgl. ferner das Historische Register des Naumburg. Gesang-Buchs
p. 33 und Wetzel's Lieder-Historie p. 349. t
Greith, Karl, reich begabter, gediegener Tonsetzer und geschickter Diri-
gent, geboren am 21. Febr. 1828 zu Aarau in der Schweiz, verlebte seine
Jugendjahre zu St. Gallen und oblag dort den Gymnasialstudien. Sein Vater.
Joseph G. , Chorregent an der Kathedrale, pflegte des Knaben früh hervor-
tretendes Talent zur Musik und beschäftigte ihn selbst auf dem Chore, wo er
bald als Organist sich bethätigte, bald unter den Instrumentalisten als Flöten-
bläser mitwirkte, Sängerproben leitete, kurz in einem Wirken heranwuchs, das
den Keim legte zu seiner späteren Gewandtheit als Dirigent und ihn mit allen
kirchlichen und liturgischen Gebräuchen vertraut werden Hess. Mit dem 18.
Jahre erwählte G. die Musik zu seinem Lebensberufe und wurde dem Meister
C. Ett nach München in die Scliule gegeben. Nach dessen frühem Ableben
vollendete er bei C. L. Drobisch in Augsburg seine Studien und kehrte nach
zweien Jahren gründlicher und rastloser Arbeit nach St. Gallen zurück. Dort
wurden ihm die Musiklehrerstellen an den städtischen Schulen übertragen, ihm
die Leitung von Gesangvereinen anvertraut, und er selbst vollendete sein
erstes grosses Werk, das Oratorium »Der heilige Gallus«, welches 1849 in
Winterthur unter seiner Direktion aufgeführt, grossen Beifall und die aufmun-
terndste Theiluahme fand. Weitere Aufführungen von G.'s Melodramen »Frauen-
herz«, und »die Waise aus Genf« zu St. Gallen, sowie einer Sinfonie zu St.
Gallen und Basel erhöhten und befestigten mehr und mehr die Gewissheit, dnss
mit diesen AVerken ein bedeutendes Talent sich Bahn gebrochen habe. Im
J. 1854 begab sich G. nach Frankfurt a. M., wo er mehrere Jahre als Musik-
lehrer wirkte und bei kunstsinnigen Freunden und Schülern ein ehrenvolles
Andenken hinterliess, als er als Professor an das Collegium Maria Hilf zu
Schwyz berufen wurde. Dort arbeitete er rastlos an Heranbildung eines guten
und geschulten Kirchencliores und wirkte als echter, künstlerischer Lehrer,
der die Jugend für die Musik und damit für das Schöne und Reine begeistert.
Nur schwer trennte sich G. von solchem Wirken, um dem alternden Vater in
seiner Stellung in St. Gallen als Stütze und Ersatz zu dienen. Als Chor-
direktor an der St. Gallenschen Kathedrale wirkte G. von 1861 an zehn
Jahre lang, kämpfte mit zahllosen Schwierigkeiten und arbeitete und opferte
für Kunst und Gottesdienst nach besten Kräften; denn nichts galt ihm höher,
als die Verschmelzung dieser Beiden. G.'s Werke für die Kirche sind: ein
Requiem, 7 Vocalmessen, 5 Instrumentalmessen, eine grosse Anzahl Marien-
lieder voll süssesten Andachtshauches, 2 Litaneien, 2 Ave Maria, Motetten u.s. w.
Grell. 351
Mit Ausnahme des Requiem (Winterthur, 1857) sind alle diese "Werke seit
1862 entstanden. Liebe und Hingabe für künstlerisches Schaffen, das frei und
still sich bethätigen darf, Hessen Gr. zu dem Entschlüsse gelangen, seine Stellung
in St. Gallen aufzugeben. Seitdem lebt er in München allein seiner Kunst,
und nun wurden in ihm auch Melodien wach zur Belebung geselliger Kreise,
vor allem aber zur Freude , Erhebung und Beseligung der Jugend. Dieser
neuesten Periode G.'s entstammen: 3 Singspiele (Jung Rubens, der Mutter
Lied, der verzauberte Frosch), voll schöner Weisen für Einzel- und Chorvor-
trag, ferner Lieder für zweistimmigen Frauenchor, ausgezeichnet durch die
Wahl der Texte und hinreissend durch den fröhlich edlen Hauch, der über
ihnen allen weht und mehreres Andere dieser Art. In dem zu Fr. Witt's
»Fliegenden Blättern für katholische Kirchenmusik« gehörigen Vereinscata-
loge (Regensburg, 1873) begegnet uns G. auch vielfach als sachkundiger, ge-
diegener und dabei wohlwollender Musikkritiker.
Grell. Ein Ausdruck, der, ursprünglich von Farben und Farbeneffekten
gebraucht, auch auf Töne und tonische Wirkungen übertragen wird. Wie er
dort diejenigen Färbungen bezeichnet, die den Augennerv stark afficiren, so
werden hier diejenigen Klangfarben und Instrumenten - Zusammenstellungen
»grell« genannt, die das Ohr heftig erschüttern. Solche Instrumentalfarben
sind z. B. die der Trompete, der Posaune, der Piccolflöte. Der gute (reschmack
fordert, dass diese Instrumente in Orchestercompositionen in nur massiger Zahl,
nicht zu lange hintereinander und in einer geschickten Satzweise verwendet
werden, welche ihre Kraft und Frische hervortreten lässt, ohne sie als harte
und unangenehme geltend zu machen. Demgegenüber tadelt man als grelle
Instrumentation entweder die Ueberladung des Orchesters mit den ebengenannten
oder anderen Instrumenten von starkem und schneidenden Tone, oder die un-
schöne Setzart, welche die Härte derselben nicht genügend mildert; oder man
will mit diesem Ausdruck die unpassende Verwendung scharfklingender In-
strumente zum Vortrage sanfter Melodien bezeichnen. Fehler dieser Art ent-
springen theils aus einem Haschen nach Effekt, theils aus einer zu starken
Richtung auf die rein sinnliche Seite der Musik, bei Neueren häufig auch aus
einer gewissen Ueberreizung, die an den massigeren und bescheideneren Klang-
farben nicht mehr Grenüge finden lässt. Aber hin und wieder ist auch das
Grelle wohl am Platz, namentlich in Text- und Programm-Musiken; in der
Oper z. B. haben die besten Meister mitunter Veranlassung genommen , Per-
sönlichkeiten von bösem, rohen oder wilden Charakter, oder besonders heftige
Affekte durch grelle Tonwirkungen zu illustriren. In der Militärmusik ist
grelle Instrumentation nicht nur unvermeidlich, sondern wird sogar gefordert;
denn da diese Musik im Freien wirken, und weithin gehört werden soll, so
macht sie sehr starke Tonmassen und die schärfsten Klangfarben nöthig.
W. W.
Grell, Eduard August, einer der grössten Kenner und Verehrer alt-
kirchlicher Tonkunst, namentlich des Palästrinastyls, wurde am 6. Novbr. 1800
zu Berlin geboren, wo sein Vater Organist und (jlockenist an der Parochial-
kirche war. Das musikalische Talent gab sich sehr frühzeitig bei G. kund, in
Folge dessen er schon vor seinem sechsten Jahre beim Organisten Job. Karl
Kaufmann Ciavierunterricht einhielt. Dazu gesellten sich später Gesang und
die Anfangsgründe der Theorie beim Bischof Ritschi, dem damaligen Collabo-
rator am grauen Kloster-Gymnasium , das G. behufs seiner wissenschaftlichen
Ausbildung besuchen musste. Schliesslich übernahm Zelter die vollständige
tonkünstlerische Ausbildung des strebsamen und talentvollen Knaben. Auf
die angelegentliche Empfehlung dieses Meisters hin erhielt G. bereits mit 16
Jahren das Organistenamt an der St. Nicolaikirche, als Nachfolger Joh. Gott-
lieb Lehmann's, Im J. 1817 trat er in die Singakademie, mit welchem In-
stitute er schliesslich auf's Innigste verwuchs, besonders nachdem er 1832 zu
deren Vicedirigeuten (neben Rungenhagen , dem er eine zuverlässige Stütze
352 Grell.
wurde) gewählt worden war. Schon vorher zum königl. Musikdirektor ernannt,
wurde er 1839 nach dem Tode L. Hellwig's auch als Hof-Domorganist ange-
stellt; 1843 ward er zum Lehrer des neu errichteten königl. Domchors berufen,
legte diese Stelle aber 1845 wieder nieder und wurde bei dieser Grelegenheit
mit dem Rothen Adlerorden ausgezeichnet. Bereits 1841 war er zum ordent-
lichen Mitgliede der musikalischen Section der königl. Akademie der Künste
ernannt worden ; später wurde er Lehrer bei der Musikschule derselben und
ertheilte dort noch im J. 1874 Unterricht in der freien Vocal- und Instru-
meutalcomposition. Ebenso war er längere Zeit hindurch Lehrer beim königl.
Institute für Kirchenmusik. Im J. 1852 wurde er zum Mitgliede des Senats
der Akademie und 1853, nach Rungenhagen's Tode, zum ersten Direktor der
Singakademie erwählt. Im J. 1858 erhielt er den Titel eines Professors der
Musik und 18G4, nach Mejerbeer's Ableben, den Orden ^;o«>' le merite.
Hinzugefügt sei, dass alle diese Auszeichnungen nicht blos den wüi'digsten,
sondern auch den stillsten und bescheidensten Künstler trafen. AVas G. als
Lehrer einer unabsehbaren Reihe ausgezeichneter, durch ihn dem Ernsten und
Höchsten zugeführter Schüler, sowie als sorgsamer Dirigent für den reinen,
edlen Chorgesang gethan, wird in Berlin unvergesslich bleiben. Es erübrigt
noch, einen Blick auf seine reiche, ohne Ostentation vollzogene Compositions-
thätigkeit zu werfen, die in der Kirchenmusik ihren Mittelpunkt fand. In den
etwa 60 "Werken dieser Gattung, bestehend aus Motetten, Cantaten, Psalmen,
Hymnen und einem Oratorium »Die Israeliten in der Wüste« interessirt durch-
gängig der in der Neuzeit selten gewordene reine und kunstreiche Satz in
Verbindung mit einer nicht hervorragenden, aber gemüthvollen melodischen
Erfindung. Das mit Recht angestaunte contrapunktische Meisterwerk aus dieser
Sammlung ist jene sechszehnstimmige Messe, welche im J. 1861 wiederholt in
der Singakademie zur Aufführung gelangte und 1874 daselbst neue Bewunde-
rung erregte. Mit ihr hat G. seinem compositorischeu "Wirken ein in die
späteste Nachwelt hinausragendes Denkmal gesetzt. Seine übrigen Compositio-
nen sind zahlreiche Lieder für Männerstimmen (für die Zelter'sche Liedertafel
geschrieben) und für gemischten Chor, sowie ein- und zweistimmige Gesänge
mit Pianofortebegleitung; von den letzteren ist das Duettino »Lorbeer und
Rose« op. 6 in ganz Deutschland beliebt gewesen. Der reinen Instrumental-
musik abhold, ist es erklärlich, dass G. ausser einer Ouvertüre für Orchester
(1824 aufgeführt) und Orgelpräludien nichts für Instrumente geschrieben hat.
An Bearbeitungen vex'öffentlichte er die »Choralmelodien sämmtlicher Lieder
des Gesangbuches zum gottesdienstlichen Gebrauche für evangelische Gemein-
den« (Berlin, 1833), welche für die Ausführung durch Militär-, TJniversitäts-,
Seminar-, überhaupt Männer-Chöre bestimmt sind. — G.'s Oheim, Otto G.,
war ein vielseitig gebildeter Sänger und lange Zeit hindurch zugleich ausüben-
der Künstler. Geboren 1773 zu Berlin, war er seit 1794 Solist der Sing-
akademie und sang 1804 auch Parthien in der Berliner italienischen Oper.
Im J. 1808 wurde er als Kammersänger des Fürsten Esterhazy zu Eisenstadt
angestellt und trat auch mehrere Male auf der Opernbühne zu "Wien auf. Aber
schon 1810 kehrte er nach Berlin zurück, sang den Belmonte in Mozart's
»Entführung«, den Cinna in Spontini's »Vestalin« und andere Rollen auf dem
königl. Theater, beschränkte jedoch später seine Gesangthätigkeit auf die Sing-
akademie, die Zelter'sche Liedertafel und auf Concerte. Nach seinem Rücktritt
von der Bühne war er als Geheimer Hauptbank- Secretair angestellt worden
und starb als solcher am 17. Juni 1831 zu Berlin.
firell, Joseph, ein Tonkünstler und höherer Hausbeamter des Grafen
Potocki, machte 1795 durch den Hamburger Correspondenten eine Erfindung
bekannt, durch die in kürzester Zeit Tonwerkzeuge der verschiedensten Art so
vervollkommnet werden sollten, dass dieselben die besten ihres Gleichen über-
böten. Ein Weiteres ist jedoch über diese seltsame Erfindung nicht bekannt
geworden. Vgl. Gerber's Tonkünstlerlexikon vom J. 1812. — Ein anderer G.,
6ren — Grenser. 353
Joseph Ephraim mit Vornamen, geboren 1771 zu Berlin und gestorben
1821 ebendaselbst als Prediger an der Marienkirche, gab zum Reformations-
jubiläum »Dr. Martin Luther's geistliche Lieder nebst dessen Gedanken über
Musik, von neuem gesammelt« (Berlin, 1817) heraus. t
Gren, Jonas, bex'ühmter schwedischer Orgelbauer, der 1715 zu Stiern-
sund geboren war, 1733 seine Kunst bei Dan. Strähle erlernte und von 1748
bis zu seinem 1765 im März erfolgten Tode zu Stockholm selbstständig wirkte.
Er soll nach Hülpher in Gemeinschaft mit Strähle viele bedeutende Werke in
Schweden gebaut haben. t
Grenerin, Henri, französischer Theorbenvirtu^ose und Musiklehrer aus der
letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts, veröffentlichte in Paris ein Werk itLivre
de theorlea, welches dem Marschall Sully zugeeignet ist.
Grenet, französischer Balletcomponist, war Concertdirektor zu Lyon und
starb 1761 zu Paris. Von seinen Werken kam 1739 »ie triomphe de Vhar-
moniea und 1759 »Apollon, herger d'Admetea in der Grossen Oper zu Paris zur
Aufführung. — Ein französischer Musikliebhaber dieses Namens, Claude de
G., geboren 1771, studirte die Musik besonders bei Kuhrt in Dresden und
veröffentlichte in Paris Concerte, Sonaten und andere Instrumentalwerke seiner
Composition.
Grenie, Gabriel Joseph, französischer Musikliebhaber und Freund mecha-
nischer Beschäftigungen, geboren 1756 zu Bordeaux, gestorben 1837 zu Paris,
ist Erfinder des allgemein beliebt gewordenen Orgue expressif, über welches
Instrument er 1829 im Pariser Journal des debats eine Reihe von Artikeln
veröffentlichte.
Grenier, Name mehrerer französischer Tonkünstler. Der eine derselben
brachte 1767 zu Paris einen Akt der Oper Theonis zu Gehör und 1773 die
Musik zu BelleropJion. — Ein Anderer, Oboevirtuose, führte im Concert spirituel
zu Paris 1787 eine Sinfonie concertante für zwei Oboen von seiner Composition
auf, welche sich Beifall erwarb. — Am bekanntesten ist der Harfenist und
Componist Gabriel G., der zu Ende des 18. Jahrhunderts als Cembalist der
Oper zu Paris angestellt war und 1792 und später verschiedene Werke für
Dilettanten herausgab; bekannter von diesen sind: y>B,ecueil de VI romances
p. le Pfte., op. 2« (Paris, 1793) und y)Premier recueil de divertiss. p. Sarpe et
Viol. ohl. op. 7« (ebendas., 1794), sowie einige Sonaten für Harfe. f
Grenser, eine Familie von Instrumentenbauern und Tonkünstlern, deren
Namensschreibweise früher Gränsser gewesen ist. Der älteste derselben, Karl
Augustin G., Sohn eines Landmannes zu Wiehe in Thüringen, wurde am
11. Novbr. 1720 geboren, erlernte die Blasinstrumentenfabrikation seit 1733 bei
dem Instrumentbauer Pörschmann zu Leipzig, ging 1739 nach Dresden und
gründete daselbst 1744 eine eigene Fabrik für diesen Kunstzweig. Seine Ton-
werkzeuge, besonders die Flöten, welche mit drei bis sieben Mittelstücken und
einer bis vier Klappen gefertigt wurden, galten lange für die besten damaliger
Zeit und verschafften G. den Titel eines kursächsischen Hofinstrumentbauers.
Zu dieser vorzüglichen Bauweise der Instrumente befähigte G. besonders seine
musikalische Bildung, indem er selbst auch die Flöte wie die Clarinette treff-
lich blies. Obgleich G. noch bis zum 4. Mai 1807 lebte, trat er seine Fabrik
schon 1796 seinem Schüler, Neffen und Schwiegersohn, Heinrich G., dem
Sohn seines jüngeren Bruders Johann Friedrich G. (geboren 1726, gestorben
1780, über dessen Leben und musikalisches Wirken nichts weiter bekannt ist),
ab. — Dieser Neffe Augustin G.'s, Johann Heinrich Wilhelm G., geboren
am 5. März 1764 zu Lipprechtsroda in Thüringen und gestorben am 12. Decbr.
1813 zu Dresden, lernte von 1779 bis 1786 die Instrumentbaukunst bei seinem
Oheim und mehrte nach Uebernahme des Geschäfts den grossen Buf der Firma
noch durch mancherlei Erfindungen, besonders durch die des »Clarinettbasses«,
nicht zu verwechseln mit der Bassclarinette (s. d.). Dies Instrument, von
G. 1793 erfunden, fand, trotzdem es in erster Zeit Aufsehen erregte, nie eine
Musihal. Convers. -Lexikon. IV, 23
354 Gienzbacli — Gresham.
weitere Anerkenming, obgleich dessen Tonreich, bis zum II reichend, einer
leichten Behaudlungsweise und eines schönen Klanges sich erfreut haben soll.
Mehr über dasselbe berichtet Gerber's Tonkünstlerlexikon vom J. 1812. —
Sein Sohn Heinrich Otto Gr., geboren am 14. Febr. 1808 erbte das väter-
liche Greschäft, verkaufte es jedoch sehr bald anderweitig. — Der Gründer der
Fabrik, Augustin Gr., hatte zwei Söhne. Der älteste derselben, Karl Augstin
Gr., geboren am 2. Mai 1756 zu Dresden und ebendaselbst am 8. Jan. 1814
gestorben, hatte sich als Instrumentbauer besonders etablirt, doch ist über seine
Thätigkeit nichts Hervorragendes bekannt geworden. Sein jüngerer Bruder,
Johann Friedrich G., 1758 zu Dresden geboren und am 17. März 1794 zu
Stockholm als königl. schwedischer Kammermusiker gestorben, war ein guter
Oboebläser, in Folge dessen er 1780 die Stellung, in welcher er starb, erhielt.
Auch als Oomponist war dieser G. nicht ungeschickt, wofür sechs Flötentrios
von ihm, 1779 bei Hummel in Berlin erschienen, Zeugniss ablegen. Ausser-
dem sind noch mehrere achtenswerthe Compositioncn im Manuscript erhalten ge-
blieben, von denen ein Fagottconcert und einige Sinfonien bekannter geworden
sind. Noch sind drei Söhne des jüngeren Instrumentbauers Karl Augustin G.
zu nennen. Der älteste derselben Karl August G., das berühmteste Glied
der ganzen Familie, wurde am 14. Decbr. 1794 zu Dresden geboren und starb
am 26. Mai 1864 zu Leipzig. Er zeigte frühzeitig Talent zur Musik und
wurde als Wunderkind bekannt, indem er schon im 6. Lebensjahre mit seinem
Vater Duette auf der Flöte a, bec öffentlich vortrug. Bald aber vertauschte
er dies Instrument mit der Querflöte, auf der ihn der herzogl. kurländische
Hofmusiker Knoll unterrichtete. Neun Jahre alt trat er mit diesem Instru-
mente schon in Concerten auf und erfreute sich grossen Beifalls. Von 1806
bis 1808 gab er während der Badezeit Concerte zu Teplitz, und war von 1810
bis 1813 Mitglied des Orchesters des Dresdner Stadtmusikers Krebs, in wel-
chem er die musikalische Literatur in ihren Meisterwerken kennen lernte und
noch Unterricht beim damaligen königl. sächsischen Jagdhautboisten Steudel
nahm, ebenso Violine und Cello zu spielen erlernte. Endlich, 1814, folgte er
einem Hufe nach Leipzig, wo er als erster Flötist des Concert- und Theater-
orchestei's eine seiner Neigung entsprechende Stellung fand. Im J. 1843 wurde
er als Inspector und Lehrer des Leipziger Conservatoriums angestellt und bildete
als solcher viele Schüler auf seinem Hauptinstrumente trefHich aus. G. war
auch wissenschaftlich sehr gebildet. Er war fast aller europäischer Sprachen
mächtig und hat, die Flöte betreffend, der Leipziger musikalischen Zeitung
(Jahi-g. 1824 und 1828) mehrere Aufsätze geliefert, ebenso den Artikel »Flöte«
im »Hauslexikon«, das 1835 bei Breitkopf und Härtel erschien, geschrieben.
Von Compositioncn von ihm ist nur sein op. 1 bekannt: Trois (jrands Duos
■pour deux Flutes. Sein jüngerer Bruder, Friedrich August G., geboren zu
Dresden am 6. Juli 1799, gestorben zu Leipzig am 10. Decbr. 1861, dessen
Hauptinstrument ebenfalls die Flöte war, war als Violinist und Pauker des
Leipziger Oi'chesters bis zu seinem Tode angestellt, und der jüngste dieser
drei Brüder, Friedrich Wilhelm G., geboren zu Dresden am 5. Nov. 1805,
gestorben zu Leipzig am 5. Januar 1859, wirkte in den Jahren von 1827 bis
1856 als Cellist in demselben Orchester. Seine gesellschaftlichen Talente be-
sonders haben ihm ein fi'eundliches Andenken verschafft. t
Orenzhach, Ernst, deutscher Tonkünstler, geboren im J. 1812 und als
Musiklehrer und Dirigent in Kassel thätig, componirte ein- und mehrstimmige
Lieder, sowie eine Oper, betitelt: »Eine Nacht in Smyrna«.
Gresemnnd, Theodor, deutscher Gelehrter, geboren zu Speier und ge-
storben 1512 als Generalrichter des Erzstiftes Mainz, hat unter vielen anderen
Schriften auch einen die Musik mit betreffenden »i'mZo^ws iii Septem artium liberal.
Jefensionema (Mainz, 1494) herausgegeben. t
(xreshani, Sir Thomas, der Gründer der Londoner Börse, geboren 1519
zu London und gestorben am 21. Novbr. 1579 als »königl. Kaufmann« und
Gresham'sclies CoUegium — Gressler. 355
ßitter ebendaselbst, hat sich durch Stiftung eines wissenschaftlichen Collegiums,
dessen Einrichtung in der Schritt: -»The Life of the Professors of Gresham-
Gollege etc.«. genauer beschrieben ist, auch um die höhere Tonkunst verdient
gemacht. Denn unter den sieben aus den Einkünften des Börsengebäudes be-
soldeten Professoren der Anstalt befand sich auch einer der Musik, der wöchent-
lich je zwei Stunden Theorie, Gesang- und Instrumentkunde zu lehren ver-
pflichtet war. Der erste derselben war John Bull, nachdem er zu Oxford die
musikalische Doctorwürde erhalten hatte; derselbe trat 1597 diese Stellung an.
Unter oft ausgezeichneten Lehrern und durch eine Parlamentsakte 1768 neu
organisirt, besteht dieses Institut noch heutigen Tages. f
Greshaui'sches Colleg-iuiü, s. den vorigen Artikel.
Oresnick, Antoine Frederic, ein in Frankreich und England ehedem
beliebter Operncomponist, geboren 1752 zu Lüttich, machte noch sehr jung
seine Musikstudien im Lütticher Collegium zu Rom und vollendete dieselben
bei Sala in Neapel. In der Theaterliste letzterer Stadt vom J. 1780 findet
er sich bereits als Operncomponist verzeichnet, doch ist von seinen damaligen
"Werken nichts mehr vorhanden. Man weiss nur, dass er bald nach diesem
Jahre in London und 1784 wieder in Italien war, wo er in Sargono seine
komische Oper »JZ Francese hizarron aufführte. Ein Jahr später abermals in
London, schrieb er daselbst mit günstigstem Erfolge die Opern -nDemetrioa,
y>Älessandro nelV Indien., y>La donna di cattivo umorea und 1786 für die Mara
»Alceste«, worauf er zum Musikdirektor des Prinzen von "Wales ernannt wurde.
Im J. 1791 besuchte er Paris, von wo aus man ihn als Oi"chesterchef des
grossen Theaters nach Lyon berief. Seine 1793 dort zuerst aufgeführte Oper
y>L'amour exiU de Cytherev. machte die Runde über die französischen Bühnen
und führte ihn nach Paris zurück, wo er von 1795 bis 1799 nicht weniger
als 16 Opern componirte, von denen ri^ponine et Sabinusa, »Z« foret de Sicilev,
i)Les faux mendiants«, nL'heureiciv procesa, y>Rencontres sur reneontres<s. und »ie
revea die namhaftesten sind. Er starb schon am 16. Oktbr. 1799 zu Paris,
aus Kummer, wie man sagt, weil seine Oper y>Leonidas ou les Spartiatesa durch-
fiel und eine andere »ie foret de JSrahmaa nicht aufgeführt wurde. — Seine
Schreibweise war eine einschmeichelnd gefällige, in der Harmonie aber sehr
oberflächliche. Ausser Opern schrieb er auch kleinere Gresang- und Instru-
mentalstücke von keinerlei weiteren Bedeutung.
Gresset, Jean Baptiste Louis de, einer der anmuthigsten und liebens-
würdigsten französischen Dichter, geboren 1709 zu Amiens und als Director
der Akademie und Historiograph ebendaselbst am 16. Juni 1777 gestorben,
verfasste u. A. einen nJDiscours de r harmonier (Paris, 1737), der Aufsehen
machte und in Folge dessen auch zu Amsterdam und Berlin erschien.
Gressler, Friedrich Salomon, ein gefällig schreibender deutscher Com-
ponist, war um 1780 Organist zu Triptis bei Meissen und seit etwa 1791
Cantor, Organist und Lehrer zu Sülza in Thüringen. Die leichtere Musik-
literatur kennt von ihm: Sechs Sonaten für Ciavier (Leipzig, 1781), Ciavier-
stücke und Sonaten (Leipzig, 1787), Sonate per Varpa, Gresänge edler deutscher
Patrioten, in Hinsicht auf Frankreichs Revolution, mit Ciavierbegleitung (1793)
und sechs Lieder beim Ciavier (Camburg, 1802). — Bedeutender in derselben
Compositionsrichtung ist sein Sohn Franz Albert Gr., geboren am 14. Decbr.
1804 zu Suiza. Derselbe erhielt seinen musikalischen Unterricht seit 1810 in
dem gräfl. "Werthern'schen Institute zu Schlossbeichingen, wohin sein Vater
versetzt worden war und von 1822 an aiif dem neu errichteten Seminare zu
Erfurt, in welchem Männer wie M. G-. Fischer (Orgel), L. E. Gebhardi (Theorie)
und J. J. Müller (Pianoforte) unterrichteten. Nach absolvirtem Seminarcursus
wurde er 1826 Hauslehrer bei einer Familie auf Schloss Ellen und 1827 Lehrer
an einer städtischen, 1833 an der Ober-Töchterschule zu Erfurt. Durch Com-
position und Veröffentlichung von instructiven Ciavier- und Orgelstücken, sowie
von einfachen Liedern ist er in seiner Zeit allgemein bekannt geworden.
23*
356 Gretry.
Gr^try, Andre Ernest Modeste, einer der berühmtesten und populär-
sten Componisten der komischen und lyrischen Oper, dessen natürliche und
doch ideale musikalische Ausdrucksweise unübertroffen geblieben ist, wurde am
11. Febr. 1741 zu Lüttich geboren, wo sein Vater Violinist war. Seine erste
musikalische Erziehung erhielt das sehr schwächliche Kind in der Maitrise des
Collegialstifts St. Denis zu Lüttich, an welcher Kirche sein Vater zeitweise
als Vorgeiger fungirte. Von seinen frühesten Lehrern sind Leclerc, der spätere
Musikmeister am Strassburger Münster, und der Organist Kanekin die einzig
bemerkenswerthen. Seltsame autodidaktische Compositionsversuche aber zeigten,
wie mächtig G.'s Talent rang, sich Bahn zu brechen, und die Vorstellungen
einer italienischen Gesellschaft, durch die G. Opern von Pergolese, Galuppi
u. s. w. kennen lernte, boten ihm eine Anregung, die man für sein ganzes
Leben entscheidend nennen kann. Um die Mittel zu einem Studienaufenthalt
in Italien zu gewinnen, componirte er 1759 so gut es anging, eine Messe, die
er dem Domcapitel seiner Vaterstadt widmete, welches sich darauf hin auch
wirklich veranlasst sah, ihn in das Lütticher CoUegium zu Rom zu bringen,
wo er sich fast fünf Jahre hindurch eifrigen Musikstudien bei Casali hingab,
ohne jedoch, wie er selbst naiver Weise zugesteht, in der Harmonie und im
Contrapunkt es sonderlich weit zu bringen. Er hatte in Rom bereits einige
Sinfoniesätze und italienische Scenen componirt, als er von den Unternehmern
des Theaters Alberti beauftragt wurde, das Intermezzo y>Le vendejniatricea (die
"Winzerinnen) in Musik zu setzen. Der enorme Beifall, den dasselbe fand, ver-
anlasste ihn, seine Studien noch einige Jahre in Rom fortzusetzen. Endlich,
im J. 1766, fasste er, begeistert von der Partitur zu y>Bose et Colasa von Mon-
signy, die ihm ein französischer Gesandtschaf tssecretair geliehen hatte, den
Entschluss, nach Paris zu gehen, und er brach am 1. Jan. 1767 von Rom auf,
verweilte jedoch längere Zeit in Genf, um durch Unterrichtgeben die Mittel
zu gewinnen, in der französischen Hauptstadt anständig aufzutreten, was ihm
auch gelang. Dort machte er auch die Bekanntschaft Voltaire's , componirte
Eavart's Operntext zu y>Isahelle et Gertruden und erntete bei Aufführung des
Werkes reichen Beifall. In Paris hatte G. zwei Jahre lang mit den grössten
Schwierigkeiten zu kämpfen. Kaum, dass er von einem ganz unbekannten
Dichter einen Text, »Xes mariacjes Samnitesvi erhalten konnte, den er in Musik
setzte, aber nur um das Werk, welches keine Bühne annehmen wollte, in einer
Concertaufführung beim Prinzen von Conti kalt aufgenommen zu sehen. In
seiner Gemüthsverstimmung nahm sich der schwedische Gesandte, Graf Creutz,
wohlwollend seiner an und verschaffte ihm von keinem Geringeren als Mar-
montel das Textbuch zu der Oper y>Le Huron<i, deren Partitur G. in noch
nicht sechs Wochen herstellte und die bei ihrer duixh Graf Creutz und den
berühmten Opernsänger Cailleau betriebenen Aufführung, im August 1769,
eine enthusiastische Aufnahme fand, welche sich nach der bald darauf erscheinen-
den Tf>Lucile<i (worin das weltbekannte Quartett »O« peut-on etre mieux qu'au
sein de sa famillea) und nach »ie tahleau lyarlantv^ bis zum Unerhörten steigerte.
G.'s Ruhm unter den französischen Operncomponisten war damit fest begründet,
denn Publikum wie Kritik verherrlichten ihn, die alten Anhänger Lulli's und
Rameau's und die Parteigänger Piccini's fanden in seiner Musik Aehnlichkeit
und geistige Verwandtschaft mit der ihrer Ideale, und die früher unzugänglich
gebliebenen Dichter drängten sich an ihn; selbst Voltaire schickte ihm zwei
Stücke zur Composition. Von 1770 bis 1775 lieferte er die Opern: y>Sylvainv.,
»Les deux avares«, »L^amitie ä repreuvea, nZemire et Azor«, »L^ami de la maisonn,
■t>Le Magnifiquea^ »Xo rosiere de Salencijfn und »io faasse magie«, die mehr oder
weniger alle reich an den reizvollsten Nummern sind. Nur für die ernste
Oper gebrach es ihm an durchgi-eif enden Musikfarben, und seine Versuche auf
diesem Gebiete: y>Cephale et Procrisv^ (1775), y>Androinaquev. (1780), y^Aspasiea
und nDenis le tyrana hatten trotz herrlicher Einzelheiten keinen Erfolg. Von
den übrigen , bis 180.3 geBchriebenen Opern , welche die Begeisterung des
Gretsch — Greulich. 357
Publikums rege erhielten, seien als die vorzüglictsten noch genannt: »Z« cara-
vane du Cdire(s., y>Panurge<s., y>Änacreon chez Polycratev. und vor Allen y>Itaoul,
harhe-bleue«. und y>Bic}iard, Coeur de Uon« mit Texten von Sedaine. Die durch
Mehul und Cherubini heraufgeführte neue Opernrichtung veranlasste G., es mit
diesen nervigeren Talenten aufnehmen zu wollen und der Opernbühne die
Partituren zu y>Pierre le grandv., -DLishetliv., y>Gidllaume Telh und r>Misa<i. zuzu-
führen, allein er vermochte damit seine Rivalen nicht zu besiegen und sah
selbst seinen früheren Euhm den Zeitbestrebungen gegenüber dahinwelken, als
es plötzlich der Sänger Elleviou mit wunderbarem Erfolge unternahm, G. in
seinen kostbaren Schöpfungen ytliichard, Coeur de liona, »Le tahleau parlant«,
y>L^ami de la maisona und »Zemire et Äzora wieder zum Liebling des Tages
zn machen, der G. denn auch bis zu seinem Tode blieb. Die Revolution hatte
ihn zwar seines Yermögens und dreier blühender Töchter beraubt, Regierung
aber wie Publikum suchten ihn vielmöglich zu entschädigen. Er wurde Mit-
glied der französischen Akademie, Professor und Mitdirektor des Pariser Con-
servatoriums , Ritter der Ehrenlegion und auch seinen letzten schwächeren
Compositionen fehlte nicht der Beifall der Pietät. G. hat die Declamation
zum Muster des musikalischen Ausdrucks genommen und vornehmlich nach
"Wahrheit der Sprache und gefälligem Gesang mit Glück gestrebt. In diesem
Bestreben erreichte er allerdings weder Gluck an Tiefe, noch Mozart an Fülle,
doch die treffende musikalische Charakteristik seiner Personen und seine an-
muthige, gemüthvolle und fliessende Melodik werden ihn immer als bedeutenden
Tondichter hinstellen. Von seinen 50 Opernpartituren wurden die ersten 34
(bis »Guillaume Telh) in Kupfer gestochen. Auch als Schriftsteller ist er be-
kannt durch die »Memoires ou essai sur la mustqucK (4 Bde., Paris, 1789;
2. Aufl. in 3 Bdn. 1797; 3. Aufl. 1812; neue Ausg., Brüssel, 1829; deutsch:
»Gretry's Versuche über die Musik«, von Karl Spazier, Leipzig, 1800); ferner
durch das politisch - sociale "Werk »iß verite etc.a (Paris, 1801); durch die
Schrift »Methode simple pour apprendre ä preluder etc.a (Paris, 1802) und end-
lich durch die in seinen letzten Jahren gearbeiteten »Reßeocions d^un solitaire«,
die zwar angekündigt, aber nicht erschienen sind. G. starb am 24. Septbr.
1813 zu Ermenonville in J. J. Rousseau's Eremitage, die er käuflich an sich
gebracht hatte. Erst nach einem langwierigen Prozesse erlangte 1828 seine
Vaterstadt Lüttich das Recht, G.'s Herz in das ihm errichtete Denkmal auf-
zunehmen. Eine bronzene Statue wurde ihm im Sommer 1842 auf dem Platze
vor der Universität zu Lüttich errichtet. — - Von den drei Töchtern G.'s zeich-
nete sich die zweite, Lucile G., geboren um 1770 zu Paris, durch ein früh-
reifes Musiktalent, welches ihr Vater selbst sorgfältig ausbildete, besonders aus.
Dreizehn Jahr alt, schrieb sie schon die Operette »Le mariage d'Antoine, welche
sehr beifällig 1786 in der Comedie italienne aufgeführt wurde. Ein Jahr später
folgte von ihr »Toinette et Louis«, welche Oper aber weniger gefiel. Um diese
Zeit trat sie in eine nicht glückliche Ehe und starb schon im J. 1794 in der
Blüthe ihres Lebens,
Gretsch, ausgezeichneter deutscher Violoncellist, war um 1770 in der Ka-
pelle des Fürsten von Thurn und Taxis zu Regensburg angestellt und starb
im J. 1784. Er soll auch in der Composition die gründlichsten Kenntnisse
besessen haben und hinterliess ausser wenigem Gedruckten drei Violoncellcon-
certe und acht Solos in Mauuscript. t
Gretschmar, Johann, s. Kretschmar.
Greulich, Adolph, deutscher Pianist und Claviercomponist, geboren 1819
zu Posen, zeigte frühzeitig ein reges, selbstständiges musikalisches Streben.
Bis zum 17. Jahre sich selbst überlassen, übte er sich autodidaktisch auf dem
Pianoforte und fand dann erst in dem Cantor W. Fischer in Brieg einen guten
Musiklehrer. In Breslau begann er bald darauf theoretische Studien, musste
dieselben aber, weil er das Stundengeld nicht erschwingen konnte, wieder auf-
geben. Nach bitteren Lebensschicksalen erhielt er endlich die Stelle eines
358 Greulich — Griebcl.
Erziehers in einem adligen Hause zu Warschau, Die Bekanntschaft, die er
dort mit einigen Schülern Chopin's machte, regte ihn zu erneuten Studien und
Compositionsversuclien mächtig an, und er hegah sich endlich auf längere Zeit
nach Weimar, wo er in Fr. Liszt einen wohlwollenden Gönner und Berather
fand. Im J. 1858 kam er als Musiklehrer nach Schitomir in Südrussland,
von wo aus er als Professor des Clavierspiels an das Katharinen-Institut nach
Moskau berufen wurde, in welcher Stellung er 1868 starb. Seine Compositionen
sollen von grosser Befähigung Zeugniss ablegen.
Greulich, Karl Wilhelm, vortrefflicher deutscher Pianist und Musik-
lehrer, geboren am 13. Febr. 1796 zu Kuntzendorf unterm Walde bei Löwen-
berg in Schlesien, wo sein Vater Cantor und Organist war und den Sohn seit
dessen fünftem Jahre im Ciavier-, später auch im Orgelspiel unterrichtete. Im
J. 1808 'kam G-. , von seinem Vater zum Theologen bestimmt, auf das Gym-
nasium zu Hirschberg, wo er vom Organisten Kahl mit ausserordentlichem
Erfolge weiter in der Musik unterrichtet wurde und nun diese zum Lebens-
berufe wählte. Zu diesem Zwecke ging er 1812 behufs höherer Ausbildung
nach Liegnitz, und, da er dort sich nicht befriedigt fand, 1816 nach Berlin,
wo ihn B. Romberg, B. A. Weber und L. Berger, die sein Talent und seinen
Feuereifer zu schätzen wussten, mit Rath und That iinterstützten , Letzterer
sogar ihm uneigennützig Unterricht im Ciavierspiel und in der Composition
ertheilte, so dass er bald zu den fertigsten Ciaviervirtuosen Berlins zählte.
Rastlos bildete er sich an Meistern des Pianofortespiels, welche Berlin besuch-
ten und deren pei'sönliche Bekanntschaft er zu machen sich angelegen sein Hess,
weiter und ertheilte selbst einen von weit und breit her in Anspruch genom-
menen Musikunterricht, ebenso wie seine Compositionen die beifälligste Auf-
nahme fanden. Aufgemuntert durch die glänzende Anerkennung seiner Leistun-
gen vollendete er 1828 eine grosse Pianoforteschule in vier Abtheilungen
(Berlin, 1828), die von Gleichmann in der »Cäcilia« Bd. 14 p. 265 u. ff. eine
eingehende und überwiegend günstige Besprechung erfuhr. Unter seinen zahl-
reichen Schülern sind zu nennen: der Prinz Georg von Cumberland (der nach-
malige König Georg V. von Hannover) , von dem er den Titel eines Kapell-
meisters erhielt, ferner der spätere Kapellmeister Karl Eckert (bis 1826) und
die berühmte Henriette Sontag vor ihrer Abreise von Berlin nach Paris. G.
starb zu Berlin im J. 1837. Von seinen Compositionen sind etwa 40 Werke
gedruckt, bestehend in Sonaten für Ciavier mit und ohne Begleitung, in Rondos,
Variationen, Divertissements, Uebungsstücken, Polonäsen, Märschen und Tänzen
für Pianoforte, sowie in einer Anzahl von Liedern, Alles in seiner Zeit sehr
beliebt und gesucht, nach seinem Tode aber der Vergessenheit anheimgefallen.
Greytter, Matthias, s. Greiter.
(Jriebel, eine deutsche Musikerfamilie, deren Glieder bis in die neueste
Zeit hinein der königl. Kapelle in Berlin als Kammermusiker angehörten. Der
Vater derselben ist Johann Heinrich G., geboren 1769 zu Berlin, ein Schü-
ler des berühmten Fagottisten Ritter. Nachdem er sich in Concerten als
fertiger Bläser ausgezeichnet hatte, trat er 1793 in das Orchester des königl.
Nationaltheaters seiner Geburtsstadt, dem er bis 1832 angehörte. In letzterem
Jahre pensionirt, starb er am 1. Novbr. 1852 zu Berlin. — Sein ältester Sohn,
Heinrich G., geboren 1796 zu Berlin, wurde im Oboeblasen vom Kammer-
musiker F. Westenholz unterrichtet und zu einem anerkannten Virtuosen dieses
Instrumentes herangebildet. Schon 1815 gehörte er der königl. Kapelle an
und ertheilte nebenbei auch einen guten Ciavierunterricht. Einige unwesent-
liche Compositionen für Pianoforte und für Oboe von ihm sind auch im Druck
erschienen. Er starb am 1. Aug. 1841 zu Berlin. — Der andere Sohn Johann
Heinrich's, Julius G., geboren am 25. Octbr. 1809, lernte frühzeitig bei seinem
Vater Violoncello und beim Kammermusiker Lehmann Hörn, wählte auch das
letztere, auf dem er sich 1823 mit Beifall öffentlich hören Hess, zu seinem
Hauptinstrumente, gab es jedoch später aus Gesundheitsrücksichten wieder auf
Griechische Musik. 359
und warf sich bei Max Bohrer, so lange derselbe der Berliner Hofkapelle an-
gehörte, aufs Violoncellspiel, worin er sich bald auszeichnete. Am 1. Jan. 1827
wurde er als königl. Kammermusiker angestellt und war in der Folgezeit eine
Stütze der Ries'schen und der Zimmermann'sclien Quartett- Soireen in Berlin,
wie er denn auch erfolgreiche Concertreisen in das Ausland unternahm. Er
wurde im J. 1872 pensionirt und durch einen Orden ausgezeichnet. Componirt
hat er Lieder und einige Yioloncellostücke. — Der jüngste Sohn Johann Hein-
rich's Ferdinand Gr., geboren 1818 zu Berlin, erhielt schon früh im Violin-
spiel den Unterricht Leon de St. Lubin's, der ihn auch in das Orchester des
königsstädtischen Theaters zog. Seine Virtuosenbildung vollendete er bei Ch.
de Beriot und sammelte seitdem auf Kunstreisen, besonders 1842 in Schweden,
Dänemark und England bedeutende Erfolge. Er ging hierauf nach Amei'ika,
liess sich endlich als Concertspieler und Musiklehrer in New-York nieder, starb
aber schon im J. 1847 daselbst.
Griechische Musik. Der Eifer, mit welchem die Philosophen und Kunst-
schriftsteller des alten Griechenland sich über das "Wesen, die Bedeutung und
die Greschichte der Musik aussprechen, beweist, dass diese Kunst in der grie-
chischen Entwickelungsgeschichte einen eben so wichtigen Platz einnahm als
die übrigen Künste. Seit den neueren Forschungen auf diesem Felde durch
Fortlage, Bellermann, "Westphal und Marquardt in Bezug auf die Harmonik,
J. H. H. Schmidt auf die Metrik und Rhythmik ist es möglich geworden, wenn
nicht ein vollständiges Bild, wenigstens einen deutlichen Umriss von der alt-
griechischen Musik zu gewinnen und die äusserlichen Mittel kennen zu lernen,
durch welche sie jene, uns freilich unerklärliche, von den Alten aber nie genug
gepriesene Wirkung hervorbrachte. Die wichtigsten Quellen 2lim Studium der
griechischen Musik sind die drei Sammelwerke: I. des Meibom (Aristoxenus,
320 V. Ohr, Euklid der Mathematiker, 200 v. Chr., Pseudo-Euklid, 1. Jahrb.
n. Chr., Nikomachus, 150 n. Chr., Alypius, 200 n. Chr. [?], Gaudentius, 400 n. Chr.
[?], Bacchius, 250 n. Chx'. [?], Aristides Quintilianus, 250 n. Chr. [?], Martianus
Capella, 350 n.Chr. [?]); IL des Wallis, Opera matliemat. Tom. II, (Ptolemäus,
dessen Commentatot Porphyrius, 250 n. Chr., Bryennius, 1300 n. Chr.); III. des
Vincent, Notices sur divers manuscrits grecs relatifs ä la muslque (Anonymus,
auch von Fr. Bellermann herausgegeben, Pachymeres und diverse kleinere
Schriften); endlich die Werke des Theon von Smyrna (130 n. Chr.), des Boetius
(500 n. Chr.) und des Michael Psellus (1050 n. Chr.). Alle diese Schriftsteller
sind entweder Pythagoräer, welche eine wissenschaftliche Begründung der Musik
versuchen, wie Ptolemäus, Nikomachus, Theon, Euklid der Mathematiker; oder
Aristoxenianer, welche die praktische Seite der Musik ins Auge fassen, wie
Pseudo-Euklid und der Anonymus ; oder Eklektiker wie die übrigen. Sie sämmt-
lich sind sogenannte Harmoniker: von der Bhythmik handeln nur Aristoxenus
in seinen »rhythmischen Fragmenten«, Aristides in seiner Harmonik, Bacchius
und der spätere Martianus Capella; endlich finden sich zahlreiche Stellen von
allgemein musikalischem Interesse in den Schriften des Aristoteles (dessen Cap. 19
der Problemata ausschliesslich die Musik bespricht), Plato, Athenäus, Pollux
und Plutarch (de musica, musikgeschichtlich).
Die griech. Musik zerfällt nach der Eintheilung des Aristoxenus in theo-
retische und praktische Musik. Die erstere handelt von der Harmonik,
Phj^thmik und Meti'ik, die letztere von der Ausführung der verschiedenen
Musikgattungen (Organik) , von der Kunst des Kithara- und Aulos - Spieles
(Kitharistik , Auletik), sowohl allein als zum Gesang, von der Siugekunst für
sich selbst betrachtet (Odik), von der orchestischen und mimischen Darstellung,
von der chorischen und der dramatischen Musik (Hypokritik),
I. Die Harmonik handelt nach der Eintheilung des Aristoxenus 1) vom
Klange (Phtongos), 2) von den Scalen (Systemata), 3) vom Intervall (Diastema),
4) von den Transpositionsscalen (Tonoi), 5) vom Tongeschleclit, G) von der
melodischen Composition (Melopöic) nebst der Modulation (Metabole).
360 Griechisclie Musik.
1) Die Entstehung und Hervorbringung des Klanges bildet den Anfang
der musikalischen Theorie, sowohl des Pythagoras, welcher die Zahlenverhält-
nisse, als auch des Aristoxenus, welcher das Gehör zum Ausgangspunkt nimmt.
2) Die Basis aller griechischen Systeme (Scalen) bildet das Tetrachord,
d. h. eine aufsteigende diatonische, mit dem Halbtou beginnende Folge von vier
Klängen im Umfang der reinen Quarte, z. 'B. h c d e und e f g a. Die Zu-
sammensetzung von vier derartigen Tetrachorden, und zwar so, dass die beiden
ersten wie die beiden letzten den Schluss- und Anfangston gemeinsam haben
(Synaphe), während der zweite und der dritte durch ein Ganzton-Intervall (den
diazeuktischen Ton) getrennt sind, bildet die Grund - Tonleiter der Griechen,
welche, durch ein Ganzton-Iutervall in der Tiefe (Proslambanomenos) erweitert,
fünfzehn Töne umfasst und unsrer Mollscala (absteigend, nicht alterirt) ent-
spricht. Tetr. Tetr. Tetr. Tetr.
A II c d e f g a Diazeuxis h c d e f g a
Dies die Tonleiter des Alterthums, welche auch zur Grundlage der Theorie
des Mittelalters genommen wurde; die Namen ihrer fünfzehn Töne sind, von
der Tiefe angefangen ausser dem schon erwähnten Proslambanomenos (»der
Hinzugenommene«) A: Hypate II (Tiefste), Parhypate c (Neben tiefste) und
Lichanos d (Zeigefinger) des tiefsten Tetrachords oder Hypaton; Hypate e,
Parhypate f und Lichanos g des mittleren Tetrachords oder Meson, Mese a
(Mittelsaite); Paramese h (Nebenmittlere), Trite c (dritte), Paranete d (neben-
höchste) und Nete e (höchste) des unverbundenen Tetrachordes oder diezeug-
menon. Trite f, Paranete g und Nete a des höchsten Tetrachordes oder
Hyperbolaion: Benennungen, welche von den Saiten der Kithara auf die Töne
im Allgemeinen übertragen wurden. Die Tonleiter der älteren Pythagoräer
war nach demselben Princip zusammengesetzt, nur war sie von geringerem Um-
fang, insofern sie nur zwei unverbundene Tetrachorde (eine Octave von e bis e)
umfasste. Ausser der Grund-Scala von fünfzehn Tönen, giebt es noch eine
von elf Tönen, welche durch drei verbundene Tetrachorde (und dem Proslam-
banomenos) gebildet wird und Synemmenon heisst:
AHcdefgahcd,
Dies System wird auch metabolisches genannt, weil es die Modulation in die
Unterdominante vermittelt. Ein drittes System endlich , das sogenannte gi'össte
oder unveränderliche, umfasst nicht allein die fünfzehn Töne des diazeuktischen
Systems, sondern auch die vier des Synemmenon-Tetrachords und besteht somit
aus achtzehn Tönen, unter welchen freilich zwei doppelt gesetzt sind (c und d).
3) Die Intervalle werden von Aristoxenus eingetheilt 1) nach der Grösse,
2) nach Consonanzen und Dissonanzen, 3) nach der Zusammensetzung, 4) nach
Geschlechtern , 5) nach der geraden oder ungeraden Zahl der Vierteltöne
(enharmonischen Diesen), aus denen sie bestehen. Nach der Grösse unter-
scheidet er kleine Intervalle: Halbton (Hemitonion), Ganzton (Tonos), kleine
Terz (Trihemitonion), grosse Terz (Ditonus) — und grosse Intervalle: Quarte
(Diatessaron), Quinte (Diapente), Octave (Diapason), sowie deren "Wiederholung
durch Versetzung in eine höhere Octave: Undecime (Diapason cum Diatessaron),
Duodecinie (Diapason cum Diapente), Doppeloctave (Disdiapason); endlich
kleine Sexte (Tetratonum), grosse Sexte (Tetratonum cum Hemitonion), kleine
Septime (Disdiatessaron oder Pentatonum), grosse Septime (Pentatonum et
Hemitonion). Die älteren Pythagoräer (z. B. Philolaus) bedienten sich auch
der Namen Epogdous für den Ganzton, Harmonia für die Octave, Syllabe für
die Quarte, Dioxeia für die Quinte und Diesis für den Halbton. Unter Con-
sonanzen (SjTiiplionoi) versteht Aristoxenus (wie auch die Schule des Pytha-
goras) die Quarte, Quinte und Octave; unter Dissonanzen (Diaphonoi) alle
Intervalle, welche den Umfang der Quarte nicht erreichen, sowie die grosse
Griechische Musik. 361
Quarte, die kleine Quinte, beide Sexten und beide Septimen. Den Charakter
der Symphonie bezeichnet Aelian durch den Vergleich mit einem aus "Wein und
Honig gemischten Getränk, in welchem weder "Wein noch Honig herauszu-
schmecken sei, während dagegen in der Diaphonie jeder der Bestandtheile seine
Individualität bewahre. Neben dieser Eintheilung der Intervalle lehrten die
Pythagoräer noch eine andere complicirtere, in Homophonien (Einklänge), Anti-
phouien (Octaven) und Paraphonien (Quarte und Quinte, bei Graudentius auch
die grosse Terz und der Tritonus). Ptolemäus, welcher das Pythagoräische
System zum Abschluss brachte, nimmt viererlei Arten der Intervalle an: Homo-
phona (Einklang und Octave), Symphona (Quinte und Quarte), Emmele oder
melodische Intervalle (Terz und Secunde) und Ekmele, unmelodische Intervalle
(Sexte und Septime).
Die unzusammengesetzten Intervalle (asyntheta) werden durch zwei
zusammenhängende Stufen der Tonleiter gebildet, also im diatonischen Geschlecht
durch den Halb- und den Ganzton. Die zusammengesetzten (Syntheta), aus
zwei nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen der Tonleiter und alle diese
Intervalle sind in der Aristoxenischen System -Lehre fähig, ein System zu
bilden; Ptolemaeus dagegen lässt nur die Intervalle von der Grösse der Octave
an als System gelten. Das Charakteristische in jedem System ist die innere
Beschaffenheit der Intervalle, d. h. die Stellung der Halb- und Ganztöne, durch
welche auch die Form des Systems bestimmt wurde; das der Octave erscheint
in sieben verschiedenen Formen, welche Harmonien, Modi, Octavengat-
tungen genannt werden. Die sieben Modal-Scalen sind:
1. die Mixolydische Ji — h, Hypate Hypaton — Paramese
Hcdefgah
2. die Lydische c — e, Parhypate Hypaton — Trite diezeugmenon
cdefgahc
3. die Phrygische d — </, Lichanos Hypaton — Paranete diezeugmenon
defgahcd
4. die Dorische e — g, Hypate Meson — Nete diezeugmenon
efgahcde
5. die Hypolydische f—f, Parhypate Meson — Trite hyperbolaion
fgahcdef
6. die Hypophrygische g—g, Lichanos Meson — Paranete hyperbolaion
galicdefg
7. die Hypodorische od, Lokrische a — a, Mese — Nete hyperbolaion
a h c d e f g a.
Gaudentius erklärt die Zusammensetzung der Octavengattungen aus den Inter-
vallen der Quarte und der Quinte und demzufolge theilt er die erwähnten
sieben Octavengattungen ein in solche, welche die Quarte in der Tiefe, die
Quinte in der Höhe haben, wie die drei ersteren:
Quarte. Quinte.
Hcdefgah Mixolydisch
Quarte. Quinte.
cdefgahc Lydisch
Quarte. Qumte.
d e f g a h cd Phrygisch
und solche, wo der umgekehrte Fall stattfindet, wie die vier letzteren:
Quinte. Quarte.
efgahcde Dorisch
362 Griechische Musik.
Quinte. Quarte.
fgahcdef Hypolydisch
Quinte. Quarte.
gahcdefg Hypophrygisch
Quinte, Quarte.
ahcdefga Hypodorisch.*)
Diese bis jetzt unberücksichtigt gebliebene Eintheilung des Gaudentius ist sehr
wichtig für das richtige Yerständniss der antiken Harmonien , und namentlich
werden dadurch die Westphal'schen Theorien im Wesentlichen bestätigt. Bei
der lydischen und hypolydischen Scala einerseits, der phygischen und hypo-
phrygischen andererseits erscheint das gleiche Quarten- und Quintenverhiiltniss,
nur in umgekehrter Folge: jene beiden sind aus der Quarte c—f und der
Quinte y—c, diese aus der Quarte d—g und der Quinte g — d zusammengesetzt.
Hieraus ist zu schliessen, dass in den beiden lydischen Tonarten der Ton/*,
in den beiden pbrygischen der Ton g den Charakter der heutigen Tonica hatte.
Der Unterschied zwischen den beiden Unterarten derselben Gattung liegt im
Finalton, welcher in den mit »hypo« bezeichneten Scalen Tonica, in den andern
Dominante ist. Im Hypodorisch hat der Finalton (a) wie in den beiden andern
»Hypo«-Tonarten den Charakter der Tonica: dieser Modus entspricht der mo-
dernen diatonischen (herabsteigenden) Mollscala. "Was den dorischen Modus
betrifft, so würde nach der Theorie des Gaudentius auch seinem Finalton (e)
der Tonica-Charakter zukommen; doch ist aus den uns erhaltenen Musikresten
der Alten (insbesondere am Anfang der »Hymne an Helios«) ersichtlich, dass
jener Ton in den meisten Fällen als Dominante zur hypodorischen Tonica (a)
aufzufassen ist. Westphal schreibt dem mixolydischen Fiualton (h) den Cha-
rakter einer Terz zu und stützt seine Behauptung durch den Hinweis auf die
zahlreichen im römischen Kirchengesang noch vorhandenen Reste dieser Octaven-
gattung. Die lokrische Scala endlich unterscheidet sich von der hypodorischen
nur dadurch, dass ihr Finalton die Dominante eines Grundtones d ist. Die
Harmonien hatten in der vor-Alexandrinischen Zeit zum Theil andre Benennun-
gen; die hypodorische (a) heisst noch in Plato's Zeit Aeolisch: die hypophry-
gische (g) Jonisch oder .Tastisch; die hypolydische (f) nachgelassenes Lydisch
(aneimene lydisti). Ferner findet sich bei einigen Schriftstellern eine Harmonie
»Syntonolydisti« erwähnt, deren Finalton nach AVestphal durch die Terz des
ihr nahe verwandten Hypolydisti gebildet wird; auch von ihr haben sich Spuren
im römischen Kirchengesange erhalten. Die Verschiedenheit der Intervalle hat
für jede Harmonie einen eigenthümlichen Ausdruck zur Folge, welcher von
Plato (Republik III), Aristoteles (Politik VIII) und Athenaeus (Cap. 14) als
ihr Ethos bezeichnet wird. Nach ihnen ist die dorische hart und leiden-
schaftslos, dem strengen Zuschnitt des dorischen Staatswesens entsprechend;
die ihr verwandte äolische dagegen ritterlich, zu dem von der Kithara beglei-
teten Gesänge am meisten geeignet. Die phrygische hat einen schwärmerischen,
crgiastischen Ausdruck; sie kam vorzüglich in der Cultusmusik zur Anwendung
Und zwar auf der Flöte, sowohl bei dem asiatischen Cultus der Cybele und
der kretischen Korybanten, als auch in Griechenland, nachdem sie von asia-
tischen Flüchtlingen unter Pelops nach dem Peloponnes verpflanzt war. Zu ihr
steht, wie die äolische zur dorischen, die jonische oder j astische in einem
Verwandtschaftsverhältnis, dem Ausdruck wie der Construction nach. Bei den
Joniern, welche als Küstenbewohner den Einflüssen der Nachbarvölker mehr
ausgesetzt waren als die Hellenen des europäischen Festlandes, musste die phry-
gische Tonart ihre enthusiastische Färbung zum Theil einbüssen und einen
*) Das gleichlautende Lokrisch hat die umgekehrte Eintheilung.
Griechische Musik. 363
ernsteren Ausdruck annehmen, wesshalb sie auch für die tragisclie Monodie am
liebsten angewendet wurde. Die mixolydisclie Harmonie endlich hatte einen
aus Lydischem und Dorischem gemischten Ausdruck, insbesondere, so lange
ihr die fünfte Stufe fehlte, wodurch sie mit der dorischen als eine und dieselbe
Tonart galt; dies aber war zur Zeit ihrer Erfindung durch Sappho der Fall:
Lamprokles, Sophokles' Lehrer, erst vervollständigte sie, und seitdem wurde sie
als selbstständige Tonart in die Theorie aufgenommen. Die lydische Har-
monie soll wie die phrygische durch Pelops aus Asien in Griechenland eingeführt
worden sein ; sie hatte einen sanften, klagenden Ausdruck und eignete sich be-
sonders für die Elegie. Eine ihrer Unterarten, das Syntonolydisch, wurde bei
Todtenklagen angewandt. Nach Aristoteles ist sie vorzugsweise beim Jugend-
unterricht zu benutzen, da sie weder zu hart, wie die dorische, noch zu
schwärmerisch ist, wie die Phrygische. Um die Ansichten der Alten vom
Ethos der Tonarten kurz zusammenzufassen, sei schliesslich noch bemerkt, dass
Plato dieselben in klagende (Mixo- und Syntonolydisch) weichliche, für Gast-
mahle passende (Jonisch und Hypolydisch) und für den Staat brauchbare (Dorisch
im Kriege, Phrygisch beim Gottesdienst) eintheilt, und den Gebrauch der bei-
den ersten Gattungen aus seiner Republik verbannt wissen will, wohingegen
Aristoteles, minder exclusiv, jede Tonart gelten lässt, vorausgesetzt, dass sie
am geeigneten Orte gebraucht wird. Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. ver-
loren sich die griechischen Harmonien; in der Zeit zwischen Gregor und Guido
aber kamen sie aufs Neue in Gebrauch, freilich in entgegengesetzter Ordnung.
4) Die Lehre vom Tonos (von den Transpositionsscalen) erscheint beson-
ders verwickelt durch die verschiedenen Bedeutungen, die diesem Worte von
den Alten beigelegt werden, indem sie es bald für »Stimmung«, bald für »Ganz-
tonintervall«, bald für »Transpositionsscala«, ja sogar für »Octavengattung«
(Aristoxenus) und für »Klang« gebrauchen (die »siebentönige Kithara«).^ Die
strenge Theorie versteht unter Tonos die Transpositionsscalen, deren die Griechen
nach Intervallenfolge des »vollständigen« Systems (St/sfema teleion) auf jeder
Stufe der chromatischen Tonleiter eine errichteten. Im Gegensatze zum römi-
schen Kirchengesang des Mittelalters, welcher sich lediglich der Scala ohne
Vorzeichen bediente und nur daneben das Synemmenon- System benutzte, um
die sieben alten Tonarten auf vier Einaltöne zu reduciren, transponirten die
Alten ihre drei Systeme auf alle Stufen der chromatischen Tonleiter. Die Be-
nennungen der Töne blieb jedoch in allen Transpositionen dieselbe, wie auch
auf Tasteninstrumenten, welche durch Verschiebung in eine andere Stimmung
versetzt werden können, die Namen der Tasten dieselben bleiben. Die so ge-
wonnenen, nur durch die Höhe ihres Ausgangspunktes verschiedenen Tonleitern
hiessen Tonoi (auch Tropoi) , und es hatte diese Benennung bei der schon
erwähnten Vieldeutigkeit des Wortes Tonos eine Verwirrung zur Eolge, die um
so grösser sein musste, als die Namen der Octavengattungen bei den Trans-
positionsscalen wiederkehren. Ihren Höhepunkt erreicht diese Verwirrung bei
den Schriftstellern des späteren Alterthums (Boetius u. A.), und erst Mitte des
17. Jahrhunderts gelang es dem Engländer Stiles, den Schleier theilweise zu
lüften, bis endlich in unsern Tagen durch Böckh, Bellermann und Westphal das
antike System in voller Klarheit dargestellt worden ist. Eür die Uebertragung
der antiken Tonleitern in moderne Notenschrift wurde eine sichere Basis ge-
wonnen im J. 1847, nachdem Portlage und Bellermann durch eine gründliche
Untersuchung der antiken Notenschrift gleichzeitig und unabhängig von einander
entdeckt hatten, dass der hypolydische Tonos der heutigen Tonleiter ohne Vor-
zeichnung entspricht. Doch ist die Methode der Uebertragung nur bei der
Notation anzuwenden: was die absolute Tonhöhe der griechischen Scalen
betrifft, so hat Bellermann aus dem Factum, dass der Umfang der menschlichen
Stimme zu allen Zeiten derselbe war, bewiesen, dass sie beinahe eine kleine
Terz tiefer war, als die antike Notation anzeigt, dass demnach das a der Griechen
ungefähr dem heutigen fis entspricht. In der Blüthezeit der griechischen Kunst
364
Griechische Musik.
waren nur sieben Tonoi in häufigem Gebrauch, nämlich der mixolydische, dorische,
hypodorische, phrygische, hypophrygische, lydische und hypolydische Tonos.
Ncte hj7>erbolalon N. hyp. -*~ „ . N. hyp. .«
I. Mese n: II. Mese 35: III. Mese ZU IV. Mese :^
— ^
^
^^
b-
Proslambanomenos.
Hypolydisch.
Prosl.
Lydisch
^^
-^
Prosl.
Hypophrygisch
^üfe
:^£&-
Prosl.
Phrygisch
V. ±:^
VI. =
^
^a
m
fc
VII. :^
ic
^e
Hypodorisch Dorisch Mixolydisch.
Die Uebereinstimmung ihrer Bennungen mit denen der Harmonien ist nicht
eine blos zufällige, wie schon durch die Reihenfolge beider im Quintencirkel
ersichtlich wird. Schreitet man nämlich von der Mese des Tonos ohne Vor-
zeichen, des hypolydischen (unserm A-moll entsprechend), in Quarten aufwärts
und in Quinten abwärts, so erhält man die Meseu aller sieben Tonoi. Beginnt
man andrerseits vom Schlusston der hypolydischen Harmonie (der Parhypate
Meson /), so erhält man die folgenden durch Abwärtsschreiten in Quarten und
Aufwärtsschreiten in Quinten.
^
^
m
m
Schlusston der Schlusston der Sclilusston der Schlusston der
Hypolydischen Lydischen Hypophryg. Phrygischen
Harmonie. Harmonie. Harmonie. Harmonie.
^
-^ (
§±
§t:
Schlusston der Schlusston der Schlusston der
Hypodoriseheu Dorischen Mixolydischen
Harmonie. Harmonie. Harmonie.
Während sich so schon eine vollständige Uebereinstimmung zeigt in der Auf-
einanderfolge der Tonoi und der Harmonien nur in entgegengesetzter Ordnung,
so wird die Beziehung der doppelten Nomenclatur durch Folgendes völlig ins
Klare kommen: Wenn man vom griechischen Tonarium ausgeht, welches un-
gefähr eine kleine Terz tiefer war als das unsrige, so ist der gemeinsame Um-
fang der Männerstimmen durch die Octave f—f eingeschlossen. In diesem
Umfange können Tenore, Baritone und Bässe ohne Mühe Unisono singen. Wenn
man nun den Ton f '^- '^ als Schlusston sämmtlicher Harmonien annimmt,
d. h. wenn man auf diesen Ton die sieben Octavengattungen baut, so ergibt
sich, dass der mixolydische Tonos (6 Ir) mit der mixolydischen Harmonie zu-
sammenfällt, ebenso der lydische Tonos mit der lydischen Harmonie, wie die
folgende Tabelle es vollständig erweist:
Mixolyd. Harm. l^:.. , Ay —
mixolyd. Tonos. p v -p ■^-
Hyp. hyp.
Mese
Param.
Lydische Harm,
im
1yd. Tonos.
Phryg. Hann.
im
phryg. Tonos.
Dorische Harm.
im
dorischen Tones,
m
Parh. hyp.
Mese
Trite diez.
m^
Si
Mese
Paran. diez.
Hyp. mes.
Mese
Nete diez.
Hypolyd. Harm,
im
-'^T— • »-
^- V-
_„ — :-^==
hypolyd. Tonos.
Parh. mes.
Mese
Trite hyperb.
Hypophryg. H.
im
hypophr. Tonos.
Lieb. mes. Meso
Paran. hyperb.
Griechische Musik.
365
■^.
-^^s=
&
Hypodor. Harm.
im
hypodor. Tonos.
Mese Nete hyperb.
Ein ähnliches Verfahren wird gewöhnlich befolgt bei der Ausführung der
römischen Kirchentonarten, wenigstens in Belgien und in Frankreich, nur mit
dem Unterschied, dass hier nicht die Schlussnote, sondern die sogen. Domi-
nante, d. h. der in jedem Psalme vorherrschende Klang auf dieselbe Tonhöhe
gebracht wird. — Aristoxenos führte sechs neue Tonoi ein, so dass jede chro-
matische Stufe der Octave, f—f, zur Mese eines Tonos wurde. Die neuen
Tonoi erhielten die Namen der ihnen benachbarten alten Tonoi und wurden
nur durch den Zusatz höher und tiefer (oxyteros und baryteros) näher
bezeichnet. Die Wiederholung des hypodorisclien Tonos in der Octave nennt
Aristoxenus Hypermixolydisch.
mm-*- ■■0- -ß-
^
^
^
-CS-
fc^
«
^
m
r
Hypodorisch.
Hypophryg.
baryt.
Hypophr. Hypolyd. baryt. Hypolyd.
Dorisch. Phryg. baryt.
m
m
m^
ffi
Phryg. Phryg. oxyt. Lyd. Mixolyd. Mixol. oxyt. Hypermixolydisch.
Ein drittes System wurde von Aristoxenianern des 1. oder 2. Jahrhunderts
n. Chr. aufgestellt; es umfasste fünfzehn Tonoi, für welche die sieben alten
Benennungen beibehalten waren, mit Ausnahme des Mixolydisch, welches den
Namen Hyperdorisch erhielt. Für die Kreuztonarten wurde die schwerfällige
Nomenclatur des Aristoxenus verlassen und man nahm für sie die zur Zeit
unbenutzten, gleichwohl aber nicht vergessenen alten Namen Aolisch und Jastisch;
auch gewannen die Prädicate hypo und hyper für die Benennungen der Har-
monien eine regelmässige Bedeutung, indem fünf mittlere Tonoi angenommen
wurden, nämlich Dorisch (B), Jastisch (I£), Pbrygisch (c), Aolisch (eis) und
Lydisch (d) und deren Oberquart- Scalen den Zusatz hyper, die TJnterquart-
Scalen den Zusatz hypo erhielten. Für den Chorgesang bediente man sich der
sieben alten Tonoi, vom Hypolydisch bis zum Mixolydisch (Hyperdorisch); für
die Instrumente dagegen scheint man mehr Rücksicht auf die Einfachheit derVor-
zeicbnung genommen zu haben, weshalb die Auloden die Tonoi von 3 p— 3 ö, die
Kitharoden die Tonoi von 2 b — 1 ö, die Hydrauleten der Römerzeit die Tonoi von
3? — 1 jj benutzten. Die Tonoi mit mehr als 3 JJ haben im Alterthum nie eine
wesentliche Rolle gespielt. An die Theorie der Tonoi schliesst sich die der
Topoi an, welche sich mit den Klangregionen der griechischen Tonreihe in ihrer
gesammten Ausdehnung beschäftigt; diese, drei Octaven und einen Ton umfassend
(von dem hypodorischen Proslambanomenos F bis zur hyperlydischen Nete hyper-
bolaion g), wird gewöhnlich dreifach nach Octaven abgetheilt, deren tiefste
Topos hypatoeides, die mittlere Topos mesoeides, die höchste nebst dem
noch übrigen Ton Topos netoeides heisst. Der Umfang der menschlichen
Stimme, für welchen man sich mit zwei Octaven (B — h) begnügte, wird in drei
— - • mesoeides
Topoi eingetheUt: den Topos hypatoeides (0—Ä) -^- — ^-
(G-d)
nehmen
:^^
^
noch
I, netoeides (es — h) ^ ^^ (einige Schriftsteller
einen vierten Topos an, den hyperbolaieides, für die über
liegenden Töne), welche Eintheilung die jeder Stimme charak-
teristischen Töne urafasst, und der unsrigen im Bass, Bariton, Tenor und
Frauenstimmen entspricht. — In der Entwickelungsgescbichte der Tonoi können
366 Griechische Musik.
etwa fünf Absclinitte unterschieden werden : I.Epoche: Man kennt mir drei Tonoi:
den dorischen, phrygischen, lydischen. 2. Epoche: Zwei neue Tonoi kommen
zu den dreien hinzu: der mixolydische, einen halben Ton über dem lydischen;
der hypolydische (damals hypodorisch genannt) einen halben Ton unter dem
dorischen Tonos. Dieses System der fünf Tonoi war zur Zeit des Aristoxenus
noch bekannt; 3. Epoche: die der sieben Tonoi, wahrscheinlich zur Zeit des
Dämon, vielleicht von Dämon selbst aufgestellt; 4. Epoche: die der dreizehn
des Aristoxenus; 5. Epoche: die der fünfzehn des Aristides. In dem Maasse,
wie die Chorgesangmusik durch die monodische und Instrumentalmusik ver-
drängt wird, verlieren die Tonoi, welche weit mehr der Bequemlichkeit der
Sänger, als zur Modulation dienten, ihre Wichtigkeit, und verschwinden nicht
lange vor dem Sturz des römischen Reiches gänzlich, indem ihre Namen von
neuem auf die Harmonien, aber diesmal nicht auf die antiken, sondern auf die
des christlichen Kirchengesauges übertragen werden.
5) Geschlechter und Schattirungen. Geschlecht (genus) ist eine
bestimmte Combination der Klänge, die sich innerhalb des Quartenintervalles
finden. Die dasselbe begrenzenden Töne heissen feststehende (hestotes) und
bleiben in jedem der drei Geschlechter, dem diatonischen, dem chromatischen
und dem enharmonischen unverändert, während die Zwischenklänge, die so-
genannten »beweglichen« (kinumenoi) im chromatischen und enharmonischen
Geschlecht nach dem untern unbeweglichen hinuntergestimmt werden, im Gegen-
satz zum diatonischen (von diateino, anspannen), wo sie das Maximum ihrer
Spannung haben. Das durch Hinunterstimmen der beweglichen Töne nunmehr
grösser gewordene höchste Intervall ist das Charakteristische für jedes der
beiden Geschlechter: es wird im chromatischen zur kleinen Terz, nachdem die
Lichanos um einen halben Ton hinuntergestimmt ist , im enharmonischen zur
grossen Terz, nachdem die Lichanos um einen ganzen Ton hinuntergestimmt
ist und sich nun im Unisono mit der früheren Parhypate befindet, welche
ihrerseits um einen Yiertelston hinuntergestimmt wird. Die durch das Hinunter-
stimmen der beweglichen Töne entstandene Intervallengruppe heisst das Pyknon
(das Gedrängte) und ist hierbei in Bezug auf die Zusammensetzung der Inter-
valle zu bemerken, dass im Pyknon des enharmonischen Geschlechts auch das
Halbtonintervall, weil aus zwei Viertelstönen bestehend, zu einem zusammen-
gesetzten wird, während andererseits die Terz (im chromatischen Geschlecht die
kleine, im enharmonischen die grosse) zu einem unzusammengesetzten (ein-
fachen) wird. In Bezug auf ihre Stellung im Pyknon heissen die Töne eines
chromatischen oder enharmonischen Tetrachords barypyknos der tiefste, meso-
pyknos der zweite und oxypyknos der dritte Ton des Tetrachords, der höchste
des Pyknon. Die äusseren Töne des Systems, welche unter allen Umständen
nicht zum Pyknon gehören (also Nete synemmenon, Nete hyperbolaion , sowie
auch der Proslambanomenos), heissen apyknon. Neben der soeben beschriebenen
Enharmonik erwähnt Aristoxenos noch einer älteren, von Olympos (700 v. Chr.)
erfundenen, welche mit der neueren nur das Intervall der grossen Terz, nicht
aber den Yiertelston gemein hatte, indem ihr Erfinder nur drei Töne des Te-
trachords benutzte. — Sowohl das enharmonische wie auch das chromatische
Geschlecht wurden fast nie allein, sondern nur mit dem diatonischen gemischt
angewendet: in den bei Aristides aufbewahrten Scalen der älteren Musiker das
diatonische und enharmonische innerhalb desselben Tetrachords, bei Ptolemäus
das chromatische und diatonische in verschiedenen aufeinander folgenden Te-
trachorden. Zur Zeit beider Autoreu wurde übrigens das enharmonische Ge-
schlecht nicht mehr praktisch angewendet, nachdem schon 500 Jahre früher
Aristoxenus sein allmähliges Verschwinden constatirt und beklagt hatte.
Wie die Harmonien so hatten auch die Geschlechter jedes ein ihm eigen-
thümliches Ethos und wurden zur Erregung gewisser bestimmter Gemüthszustände
gebraucht. Nach Theon v. Smyrna ist das diatonische männlich und für Jeder-
mann vorständlich, das chromatische klagend und pathetisch; es hat seinen
Griechische Musik. 367
Namen von Chroma (Farbe), weil es die Mitte hält zwischen dem diatonischen
nnd enharmonischen Greschlecht, wie die Farbe zwischen Schwarz und "Weiss;
das enharmoniscbe endlichi ist das künstlichste [tEXVi'ACOTarov), von mystischem
Charakter, nur den erfahrensten Musikern zugänglich. Der Gebrauch des
chromatischen Geschlechts beschränkte sich auf die Kitharistik und die neuere
Dithyrambenpoesie aus der Zeit der peloponnesischen Kriege; dagegen war es
von der Tragödie ausgeschlossen, mindestens bis zu dem Dramaturgen Agathon,
der es zuerst gebraucht haben soll. Das enharmoniscbe Geschlecht, welches ver-
hältnissmässig bequem auf der Flöte auszuführen war (durch theUweises Schliessen
ihrer Löcher mit dem Finger), wurde demgemäss vorwiegend zur Cultusmusik
gebraucht, wo bekanntlich die Flöte das Hauptiustrument war. In Bezug auf
die Harmonien schloss sich die Chromatik vorwiegend an die phrygische und
lydische (unser Dur), die Enharmonik dagegen an die dorische (unser Moll)
an. S chattirungen (Chroai) nennt man die Intonations- Nuancen, welche
durch die drei üblichen Arten, ein Instrument zu stimmen, beim diatonischen
und chromatischen Geschlecht zum Vorschein kommen. Stimmt man nämlich
in der ältesten Weise, in der der Pythagoräer, durch eine Quarten- oder
Quintenfolge (dia symplionias) von der Mese aus — eine Art der Stimmung,
welche bei allen Völkern noch heute in Gebrauch ist — , so wird die grosse
Terz grösser als die natürliche, aus einem grossen und einem kleinen Ganzton
bestehende (8 : 9 und 9 : 10), ihr Verhältniss wird 64 : 81 betragen, ein Komma
mehr als 4 : 5. Stimmt man andererseits die Terz unmittelbar nach dem Gehör,
so erhält man die natürliche, harmonische Terz, deren hoher Ton wie z. B.
in der Hornpassage ^'v " — -■ — ^~~' — ^ — ~ das e gegen seine IJnterquinte
(a) etwas zu tief ist. Hieraus entstand die Nothwendigkeit einer temperirten
Stimmung, welche Aristoxenus zuerst erkannte, so dass es nunmehr drei ver-
schiedene Tonleitern giebt, von denen die erste (die pythagorische) in modernem
Sinne unharmonisch, die zweite (die natürliche) praktisch unbrauchbar ist
(wenigstens wenn man moduliren will), die dritte dagegen (die temperirte) sich
zum gemeinen Gebrauche leicht bequemt und dem Ohr nicht zu unangenehm
ist. Die Enharmonik war es, welche den Archytas das richtige Verhältniss
der grossen Terz 4 : 5 auffinden liess. Gleichwohl entschloss man sich erst
500 Jahre später, zur Zeit Nero's, diese Terz in die diatonische Scala ein-
zufügen, und so entstand das Syntonon diatonos, die regelmässige Gestalt des
diatonischen Geschlechts, die von Didymus festgestellt, von Ptolemäus vervoll-
kommnet, der Tonleiter unserer modernen Theorie entspricht. Diese genaue
Diatonik ist indessen niemals, weder im Alterthum noch in christlicher Zeit
die übliche Scala der Musiker gewesen, da das zu einer solchen Scala noth-
wendige Stimmungsverfahren, wiewohl ohne Schwierigkeit, doch viel zu com-
plicirt war; diese drei Stimmungsarten galten im Alterthum als regelmässig;
sie durften nach Belieben für denselben Zweck benützt werden und hatten das-
selbe Ethos. Neben dem grossen und kleinen Ganzton giebt es noch einen
übermässigen Ganzton (7:8), welcher auf das Verhältniss des siebenten zum
achten Ton basirt ist, aus fünf (Aristoxenischen) Diesen besteht und Ekbole
genannt wird, ein Intervall, welches man auf dem Hörn (zwischen b und c) her-
vorbringen kann. Der Gebrauch dieses Intervalles und seine Stellung im Te-
trachorde charakterisiren die zwei Schattirungen, welche man neben dem regel-
mässigen Diatonon unterscheidet: das Diatonon tonaion oder entonon,
wenn die Ekbole das tiefere, das Diatonon malakon, wenn sie das höhere
Ganztonintervall bildet. Die Ausdehnung der Ekbole hat natürlich die Ver-
kleinerung des benachbarten tieferen Intervalles zur Folge: die Zahl der Diesen
für die Intervalle des Tetrachords ist der Aristoxenischen Theorie zufolge: im
Diatonon syntonon 2, 4, 4, im Diatonon tonaion 1, 5, 4, im Diatonon malakon
2, 3, 5. Das in der letzteren Schattirung vorkommende, aus drei Diesen be-
368 Griechische Musik.
stellende Ganztonintervall heisst entweder Spondeiasmos oder Eklysis, je nach-
dem es aufsteigend oder absteigend genommen wird. — Von diesen Schat-
tirungen war das tonaion im Altertlium besonders beliebt; Archytas kannte
kein anderes Diatonon und Ptolemäus nennt es 680 Jahre später »das einzige,
welches unvermischt gebraucht werden könne«; er nennt es auch Diatonon
raeson, weil es die Mitte hält zwischen dem angespannten (syntonon) und dem
weichlichen (malakon); dies letztere war hauptsächlich zur Zeit des Aristoxenus
in Gebrauch. Die regelmässige Zusammensetzung des chromatischen Tetra-
chordes ist die von Aristoxenus angenommene: sechs Diesen als höchstes In-
tervall und zwei zwischen jedem Halbton. Er nannte es Chroma tonaion und
unterschied neben dem Verhältniss 2, 2, 6 noch zwei Schattirungen: das
Chroma hemiolon I-/2, l^/i, 7 und das Chroma malakon 1^3, l'/a, T'/s. Die
Neu-Pythagoräer nennen das Chroma tonaion Chroma syntonon und unterscheiden
ebenfalls eine Anzahl von Schattirungen, bei deren Bestimmung sie jedoch weder
mit dem Aristoxenus, noch unter einander übereinstimmen. Die Enharmonik
liat keine Schattirungen, was sich von selbst versteht, da ihre Stimmung nur
auf eine Art stattfinden kann (nämlich die unbeweglichen Klänge nur durch
Quinten- und Quartenstimmung, die oxypykna nur durch Terzenstimmung,
endlich die mesopykna nur durch Herabspannung gefunden werden können).
Die Chroai wurden auch vermischt gebraucht; Ptolemäus nennt vier derartige
Mischungen (Migmata), sowie ihre Benennungen bei den Elitharoden und die
Harmonien, welche sich für jede der Mischungen am meisten eignen.
6) Melopöie und Metabole, d. i. Musikalische Composition und Modu-
lation. Das Wort Melos hat eine vierfache Bedeutung; es bezeichnet a) im
engsten Sinne eine einfache Aufeinanderfolge auf- und absteigender musikalischer
Klänge, b) die musikalische Composition mit Ausschluss des Rhythmus und
der Lexis (des Wortes), d. i. die Melodie im heutigen Sinne, c) die vollstän-
dige musikalische Composition (melos to teleion), Melopöie heisst bei den Alten
der praktische Theil der Harmonik, und zwar das Melos vom Rhythmus ge-
trennt betrachtet. Aristides Quintilianus nennt sie die Kunst, das Melos zu-
sammenzufügen (ars conficiendi cantum). Die drei Theile der Melopöie heissen
Lepsis, die Wahl oder Bestimmung der Tonregion (des Topos) für das zu
componirende Musikstück; Mixis die Mischung oder kunstgemässe Vereinigung
der Klänge, Geschlechter, Harmonien, Tonoi und Topoi; endlich Chresis, die
Anwendung oder Kunst der Stimmenführung in melodischem Sinne.
Nicht mit Unrecht nimmt die Lej)sis in dieser Eintheilung die erste Stelle
ein, da sie es ist, die den Stil des Tonstücks bestimmt; denn jeder der drei Topoi
entspricht einem gewissen Gemüthszustand: der Topos mesoeides, von Aristides
hesychastikos genannt, ist ruhig und würdig, zu Dithyramben geeignet; der
Topos netoeides (systaltikos) weiclilich und zu erotischen Gesängen, sowie für
den Nomos brauchbar; der Topos hypatoeides (diastaltikos) endlich ist von er-
habenem, heroischem Charakter und fand in der Tragödie seine Anwendung.
War somit der Stü eines Tonstücks durch die Wahl des Topos bestimmt, so
bestimmte dieser wiederum die Wahl der Harmonien, Tonoi, Geschlechter, des
Rhythmus und der Instrumentirung. Mixis ist die Anwendung der in der
Aristoxenischen Theorie getrennt behandelten Metabole oder Vertauschung;
diese aber ist nichts anderes als eine Veränderung im Affekte der Melodie,
welche einen gleichzeitigen Wechsel ihrer einzelnen Theile (Harmonie, Tonos,
Rhythmus) mit S'cli bringt. Im Anschluss an die Definition des Bacchius ist
»Metabole« kurzweg durch »Modulation« zu übersetzen: sie ist der wichtigste
Theil der Mixis und sie kann nach Aristoxenus auf vielerlei Art angewendet
werden: 1) als Metabole der Geschlechter, Uebergang von einem derselben in
ein anderes, 2) als Metabole der Systeme, Modulationen, welche ohne Umstimmen
der Saiten, durch den blossen Uebergang vermittelst des Diezeugmenon- oder
Synemmenon- Systems möglich sind, also in die Oberquinte und Unterquarte,
3) als Metabole der Tonoi, Modulationen in entferntere Tonarten, nach Aristo-
Griechische Musik. 369
xenus der Uebergang von einem seiner dreizehn Tonoi in einen beliebigen
anderen; die Metabole der Tonoi fällt bei Ptolemäus mit der der Systeme
zusammen, und zu letzterer gehört auch wahrscheinlich die Metabole der Har-
monien (welche in keiner der alten Theorien ausdrücklich erwähnt ist), eine
Vertauschung, die nur durch den veränderten Finalton, nicht durch veränderte
Yorzeichnung bewirkt wurde; im Chorgesang musste die Metabole der Har-
monien mit der der Tonoi ohnehin zusammenfallen, da alle Harmonien im
Umfang der einen Octave F—f oder /— / gesungen wurden (siehe S. 364),
4) als Metabole der Melopöie oder Uebergang von einem der drei topischen
Stile in einen andern. Die Anwendung der Metabole erscheint zuerst bei Sa-
kadas (590 v. Chr.), der einen »Nomos trimeresa componirte, einen Chor mit Flöten-
begleitung in drei verschiedenen Tonoi, die erste Strophe dorisch, die zweite phry-
gisch, die dritte lydisch. Zur Zeit Terpanders war sie noch unbekannt, zu der
des Phrynis dagegen (458 v. Chr.) schon in allgemeinem Grebrauch. — Ausser
der Modulation ist wahrscheinlich auch zur Mixis zu rechnen die Kunst der
Polyphonie, insoweit sie den Alten bekannt war: und dass sie ihnen bekannt war,
dass die in der Mixis erwähnte Zusammenstellung von Tönen nur eine gleich-
zeitige gewesen sein kann, erhellt schon daraus, dass die Aufeinander-
folge der Klänge ausdrücklich als in das Gebiet der Cliresis gehörig bezeichnet
wird. Ebenso wenig ist es ein Beweis für das Nichtexistiren der Polyphonie im
Alterthum, dass die harmonischen Theorien sich nicht über die Intervallenlehre
hinauserstrecken, denn auch die Neuzeit kannte die Polyphonie lange, bevor
Rameau um 1722 — in demselben Jahre, wo Bach's »wohltemperirtes Clavier«
erschien — das moderne harmonische System aufstellte, Dass dagegen die
Polyphonie bei den Griechen nur im frühesten Entwickelungsstadium ^ vor-
handen war, soll nicht bestritten werden, denn nach Aristoteles wurde sie im
Gesänge gar nicht angewendet und erschien überhaupt nur zweistimmig, entweder
im Gesang mit Instrumentalbegleitung, oder beim Zusammenspiel zweier In-
strumente, oder endlich auf einem Instrument. Letzteres beweist eine Stelle
des Ptolemäus, wo er das Monochord tadelt, weil es das Zusammenspiel der
beiden Hände nicht gestatte. Einige beim mehrstimmigen Satz zur Anwendung
kommende Intervalle werden von Plutarch namhaft gemacht; jedoch darf seine
Aufzählung nicht für vollständig gelten, da er bei derselben vom Tropos spon-
daicus ausgeht, der als liturgischer Gesang wohl kaum alle bekannten und ge-
bräuchlichen Combinationen enthielt. Die Frage, ob die Begleitung über oder
unter der Singstimme befindlich war, beantwortet sich durch die Natur des
begleitenden Instrumentes: da die Flöte die höhere, die Kithara die tiefere
Tonregion umfasste, so musste in der Aulodik die Begleitung über, in der
Kitharodik aber unter der Singstimme liegen. Eine weitere Frage ist die, ob
die Begleitung in Noten von gleicher Dauer der Singstimme folgte. Dass dies
nicht der Fall war, beweisen die semantischen Taktarten des Terpander, der
trocJiaios semantos und der orthios, welche sich von dem dreizeitigen Trochäus
und dem Jambus nur dadurch unterscheiden, dass sie statt dreier Achtel drei
halbe Noten enthalten, von denen jede das vierfache der einzeitigen Kürze ist:
Taktarten, deren Erfindung und Gebrauch nur durch die Annahme gerecht-
fertigt erscheint, dass man innerhalb derselben auch Noten von kürzerer Dauer
anwendete. — Der erste Musiker, der eine harmonische Begleitung versuchte,
war Archilochus, doch verlautet nichts von einer Weiterentwickelung der Poly-
phonie in den auf ihn folgenden Jahrhunderten musikalischen Strebens. Bei
dem vorwiegend poetisch -literarischen Sinn der Griechen konnte dieser Zweig
der musikalischen Kunst unmöglich zur Entfaltung gelangen : die polyphonische
Begleitung blieb eine unwesentliche, unselbständige, nur hier und da, beson-
ders bei Schlüssen hervortretende und war, um mit Aristoteles zu reden, nur
eine Würze (Hedysma) der Musik. Erst zur Zeit Karl's des Gr. und Guido's
fing man an, der Polyphonie, nachdem sie im Anfang des Mittelalters voll-
24
Musikal. Coavers.-Lexilion. IV.
370 Griechische Musik.
ständig verloren gegangen war, neue Aufmerksamkeit zuzuwenden, und von
nun an schreitet sie in ihrer Ausbildung stetig vorwärts, trotz der Missgunst
der Poeten und selbst einzelner Musiker, wie z. B. des Caccini, welcher den
Contrapunkt eine Zerfleischung (laceramento) der Poesie nannte.
Die Chresis oder Stimmführung hat drei Theile a) Agoge (ductus, Füh-
rung), eine Aneinanderreihung von Tönen in unmittelbarer Folge, entweder in
aufsteigender Richtung (A. eiitheia) oder in absteigender (A. anaka7nptasa) oder
endlich in auf- und absteigender Richtung (A. peripheres) , wobei auch die
durch Vertauschung der Systeme Diezeugmenon und Synemmenon entstehende
Metabole zur Anwendung kommt, b) Ploke, das sprungweise Fortschreiten der
Töne; sie handelt von den erlaubten und unerlaubten Intervallenschritten,
c) Petteia, die Wiederholung oder häufige "Wiederkehr desselben Tones; nach
Aristides Quiutilianus diejenigen Töne, welche in einer Melodie am häufigsten
erscheinen müssen, um die Harmonie zu bestimmen und die Modulation vor-
zubereiten. Dass dies im Allgemeinen der Grundton der Harmonie oder ihre
Quarte oder Quinte war, erhellt aus der wichtigen Stellung, die Aristoteles
in seinen Problemen der thetischen Mese (die ja immer einer dieser Töne ist)
zuertheilt, sowie aus der Behauptung des Aristides, dass die Petteia das Ethos
eines Tonstückes zum Ausdruck bringe. — Zu der Agoge und der Ploke sind
noch zu rechnen die bei Bryennius und dem Anonymus erwähnten, kleinere
Tongruppen bildenden Fortschreitungen, bei welchen die Töne untereinander
verbunden waren: so das Verlassen eines Tones in aufsteigender Richtung und
Rückkehr zu ihm (Proslepsis) in absteigender (Eklipsis); ferner die ihnen
entsprechenden Fortschreitungen in der Instrumentalmusik, jedoch hier ohne
Bindung der Töne (Prokrusis und Ekkrusis), sowie eine Anzahl anderer Ton-
gruppen, deren Beschaff'enheit zweifelhaft ist, und welche etwa dem modernen
Triller, Mordent etc. entsprechen mögen.
IL Die Rhythmik. Während im Gebiete der Harmonik der Abstand
zwischen dem Alterthum und der Neuzeit ziemlich gross ist, so dass uns nicht
selten jede, das Verständniss vermittelnde Brücke zu fehlen scheint, so hat die
antike Rhythmik durchaus nichts Befremdendes für uns, ja, die Neuzeit darf
sich nicht einmal einer TJeberlegenheit in diesem Theile der musikalischen Kunst
rühmen, vielmehr muss sie an Reichthum der rhythmischen Formen, besonders
in der Reihen-, Perioden- und Systembildung hinter dem Alterthum zurück-
stehen. Bei den Griechen hat der Rhythmus das Uebergewicht über Melodie
und Harmonie und er repräsentirt nach Aristides das männlich -active, die
Harmonie dagegen das weiblich - passive Element. — Im Gegensatz zu den-
jenigen Schriftstellern, welche die Metrik und die Rhythmik zusammen als eine
Disciplin behandeln, stellt Aristoxenus zuerst eine Theoi'ie der musikalischen
Rhythmik gesondert auf. Nach ihm bildet die Rhythmik das einheitliche Band
aller musischen Künste: die Klänge, die Silben der Sprache, die Bewegungen
des Körpers (Ifelos, Lexis, Kinesis) sind die dem Einfluss des Rhythmus zu-
gänglichen Objecto (Rhythmizomena) und können nur durch seine Vermittelung
als Musik, Poesie und Tanz in die künstlerische Erscheinung treten. Rhythmus
ist die Eintheilung der verschiedeneu Elemente eines Tonstückes in symmetrische
Zeitgruppen, in Perioden, Glieder und Takte. Die ersteren müssen in propor-
tionirte Theile, die Glieder und Takte in Theile von gleicher Dauer zerfällt
werden können. Die Urform des Rhythmus, die Bewegung ohne Takt, wie sie
noch heute im römischen Kircheugesang und im Recitativ erscheint, war in
der griechischen Musik, soweit sie uns bekannt ist, nicht in Gebrauch. — Die
von Aristides überlieferte Theorie des Aristoxenus handelt von den Theilen
der Rhythmik in nachstehender Reihenfolge: 1) von den Zeiten, 2) von den
Taktgeschlechtern, 3) vom rhythmischen Tempo, 4) von der rhythmischen
Metabole, 5) von der Rhythmopöie.
1) Unter den Zeiten ist die kleinste, der Clironos protos (erste Zeit,
Kürze), nur von relativer, durch die Agoge (Tempo) bestimmter Länge oder
Griecliische Musik. 371
Kürze, im Allgemeinen der kurzen Silbe entsprechend und durch die moderne
Achtelnote * darzustellen. Dieser Chronos protos liegt aller rhythmischen Ein-
theilung der Alten als Einheit zu Grunde und aus ihm werden die Chronoi
synthetoi zusammengesetzt: aus zweien der Chr. disemos, unserer Viertelnote
entsprechend, aus dreien der Chr. trisemos, die punktirte Viertelnote, aus vieren
der Chr. tetrasemos, die halbe Note; auch sind hier die sogenannten irrationalen
Zeiten zu erwähnen, welche aus einem Chr. protos und einem Bruchtheil des-
selben zusammengesetzt sind. — Den einfachen und zusammengesetzten Zeiten
entsprechen Pausen von gleichem "Werth: Chronoi kenoi (tempora vacua).
2) Von den Taktgeschlechtern. Nicht jede beliebige Reihe einfacher
Zeiten bildet einen Rhythmus: dieselbe muss aus Gruppen von zwei, drei oder
fünf Chronoi protoi bestehen oder auf solche zurückzuführen sein, um für das
Gefühl erfassbar zu werden; auch muss innerhalb der einzelnen Gruppen ein
Accent, ein sogenannter guter Takttheil vorhanden sein, durch welchen der
Takt bestimmt wird; dies ist die Thesis oder Basis, welche zusammen mit der
Arsis (dem schlechten Takttheil) die zwei Theile eines jeden Taktes, des geraden
wie des ungeraden bildet, und dieser Eintheilung gemäss taktirten die Alten
auch den Dreivierteltakt nicht mit drei, sondern mit zwei Schlägen. Die
Vertheilung der Chronoi protoi auf die vier einfachen oder Grundtakte ist
folgende:
der Y* Takt enthält vier Chronoi protoi, 2 für die Thesis, 2 für die Arsis,
» /^ » )) drei „ „ z ,; „ „ 1 ,, „ „
j> /* » » sechs „ ,, 4 „ „ „ 2 „ „ „
» /s V 11 luni ,, ,, o ,, ,, „ Ji ,, ,, „
Diese Grundtakte, sowie die von ihnen abgeleiteten werden von Aristoxenus
noch unterschieden a) nach der Grösse (Megethos), b) nach dem Geschlecht,
c) nach einfachen und zusammengesetzten Takten, d) nach Rationalität und
Irrationalität, e) nach der Gliederung (kata Diairesin), f) nach der Form (kata
Schema), g) nach der Stellung der Thesis und Arsis. — Nach der Grösse
unterscheiden sich die Takte durch die Anzahl einfacher Zeiten, welche sie
enthalten: der kleinste enthält deren drei, der grösste fünfundzwanzig und inner-
halb dieser beiden giebt es einen 78, ^s, Vs, Vs, Vs, '»/s, ^'/s, '^s, ^Vs, ^«/a
und ^"/s Takt, welche sämmtlich entweder im gleichen Verhältniss (Logos isos
1:1) stehen, nämlich Vs (7*), Va, 78, ^78, ^78 (7*), '78, oder im Doppelver-
hältniss (Logos diplasios 1:2) ^/a , ^/i, 7» > ^^Ai ^^hi oder im anderthalbigen
Verhältniss (Logos hemiolos 2:3) 78, 74, '78, 72, '"/a. Der ^73 Takt ist der
grösste des vierzeitigen Taktgeschlechts, der '^/a der grösste des dreizeitigen,
der ^^/s der grösste des fünfzeitigen, denn eine weitere Vermehrung der Chronoi
protoi würde der Sinn nicht erfassen können. Für die Taktgeschlechter,
hat Aristoxenus ihm eigenthümliche, den Grundtypen der metrischen Versfüsse
entnommene Benennungen, nämlich das daktylische — v^ v-/ für den vierzeitigen,
das jambische ^— für den dreizeitigen, das päonische —■^— für den fünf-
zeitigen Takt. — Einfache oder unzusammengesetzte Takte sind der
^/s, */s, ^/8 und ^ji Takt; diese, sowie die kleineren der zusammengesetzten
sind der antiken und der modernen Rhythmik gemeinsam; die grösseren da-
gegen sind in modernem Sinne nicht Takte, sondern Satzglieder. — Zum
hemiolischen Verhältniss ist noch zu bemerken, dass es bei den Alten nicht
die untergeordnete Rolle spielt, wie der ^/4 Takt in der modernen Musik, son-
dern in ihren Theorien als gleichberechtigt mit den zwei anderen Verhältnissen
erscheint. Rationale und irrationale Takte sind solche, die aus ganzen
Chronoi protoi bestehen und solche, welche Bruchtheile desselben enthalten;
das irrationale Verhältniss wird von neueren Gelehrten in das Gebiet der Metrik
verwiesen, von welcher aus es mit Unrecht von den alten Theoretikern
auf die Rhythmik übertragen wurde. — Nach der Gliederung (Diairesis)
unterscheiden sich diejenigen Takte, welche zwar dieselbe Grösse haben, aber
24*
372 Griechische Musik.
nicht demselben Geschlcclite angehören, wie z. B. der '/s und der "/^ Takt,
deren ersterer, im gleichen Vorhültniss (logos isos) stehend, dem daktylischen
Geschlecht, der zweite aber, im Doppelverhältniss (lo(/os diplasios), dem päonischeu
Geschlecht angehört. Ebenso unterscheiden sich der '^/s und ^ji Takt nur
durch die Diairesis vom '/a Takt; jene sind im gleichen Verhältniss, dakty-
lischen Geschlechts, dieser im Doppelverhältuiss, jambischen Geschlechts. Der
"/s Takt gehört bald zum Doppelverhältniss (jamb. Geschl.), bald zum hemi-
olischen (püon, Geschl.), jenachdem sich die fünfzehn Achtel in drei oder fünf
Gruppen gliedern. — Nach der Form (Schema) unterscheiden eich Takte von
gleicher Grösse und demselben Geschlecht, wenn die ihnen zu Grunde liegen-
den einfachen Takte nicht dieselben sind, wie z. B. ^^/s und '^ji, welche von
gleicher Grösse und gleichem Verhältniss sind, auch beide dem daktylischen
Geschlecht angehören, deren ersterer jedoch vier ^/s Takte, der letztere zwei
^ji Takte enthält. — Der Unterschied der Takte nach der Stellung der
Thesis und Arsis (Antithesis) wird in der modernen Notation nicht aus-
gedrückt, da hier jeder Takt mit dem guten Takttlieil beginnt; die Alten da-
gegen übertrugen den poetischen Rhythmus auf den musikalischen und begannen
ihre Takte auch mit dem Auftakt, der Anakrusis, so z. B. beim Jambus und
Anapästus.
3) Das rhythmische Tempo (Agoge) bezeichnet nichts anderes, als die
längere oder küi-zere Dauer der einfachen Zeit und in Folge dessen des ganzen
Tonstücks.
4) Die rhythmische Metabole (Taktveränderung) kann nach Bacchius
und Aristides auf vierfache Weise stattfinden: nach dem Ethos, jenachdem
dasselbe ruhig (hesychastikos) , weichlich (systaltikos) oder erhaben (diastaltikos) ;
nach der rhythmischen Agoge, die Dauer der einfachen Zeiten oder das Tempo
betreffend; nach den Taktfiguren oder der Art, den Takt mit Klängen von
verschiedener Dauer auszufüllen, indem man dieselben bald auflöste, bald wieder
zusammenzog (kata BJ/ytJ/moponas thesin); endlich nach dem Rhythmus (kata
Mhythmon), d. h. alle Taktveränderungen, nicht allein im modernen Sinne, son-
dern auch durch Antithese, sowie durch den Uebergang von einem zusammen-
gesetzten Q^akt zu einem andern , welchem derselbe einfache Takt zu Grunde
liegt.*) Die Metabole kann auch innerhalb einer Strophe, Periode oder selbst
eines Satzgliedes stattfinden; unter den Vertauschungen letzterer Art sind die
gebräuchlichsten die jRliythmoi anaklomenoi, z. B. die Jonici atiaJdomenoi , der
Wechsel von ^/i und 7» Takt, die Dochmieu, ^/s und ^/s Takt etc. — Es gab
zwei Arten zu taktiren: die eine für das Auge und zwar mit der Hand, welche
in jedem Takte zwei Bewegungen (Seineia) machte, eine für die Arsis, eine für
die Thesis; die andere für das Ohr, mit dem Fusse, jedoch nur mit einer
Bewegung in jedem Takt für die Thesis. Die letzte Taktirungsart wurde beim
Chorgesang, als zu wenig bemerkbar, nicht angewendet, wohl aber von den In-
strumentalisten , welche die Taktschläge durch Metallsohlen noch verstärkten.
Ein Semeion hatte nur der kürzeste Takt, der '/s; dieser jedoch kam nur
selten als solcher, sondern meist zur Dipodie erweitert vor. Die zweizeitigen
Takte hatten zwei, die grösseren dreitaktigen drei und die füufzeitigen vier
Semeia, welche letzteren sich so vertheilten, dass auf die zwei ersten Fünftel
zusammen nur ein Semeion kam.
Die musikalische Rhythmik der Griechen lehnt sich eng an das Metrum
der Poesie; die Länge und Kürze der Silben ist für ihre Vocalmusik allein
maassgebend. Die inneren Taktcombinationen der Alten waren bei weitem
nicht so reich wie in der modernen Musik, da ihre rhythmischen Regeln aus
der Vocalmusik abstrahirt waren und diese durch ihre Abhängigkeit von der
Poesie in ihrer Entwickelung beschränkt wurde. Die griechische Musik kannte
*) Z. B. Figaro's Hochzeit, Akt III., die Metabole vom '^^ z^Qi V Takt in der Arie
der Susanna.
Griecliische Musik. 373
in ihren häufigsten Formen nur zweier-lei Werthe, die Kürze (*) und die Länge (i*)
— die dreizeitige Länge (*') und die vierzeitige Länge (| ) sind schon seltener —
und eben so viel Pausenzeichen, aus denen sich alle rhythmischen Comhi-
nationen zusammensetzten; um so mannichfaltiger war dagegen ihre Satz- und
Periodenbildung, d. h. die Vereinigung einzelner Takte zu einem zusammen-
gesetzten Takt (pous synthetos), von den Meti'ikern Kolon genannt (bei uns
Satzglied), und die Grruppirung dieser Kola; aus ihnen werden die Perioden
auf viererlei Art gebildet: 1) indem zwei Sätze von gleicher Ausdehnung ein-
ander entsprechen (die stichische Periode), 2) durch "Wiederholung einer Gruppe
(palinodische P.), 3) durch umgekehrte "Wiederholung einer Gruppe (anti-
thetische P.), 4) durch umgekehrte Anordnung der Sätze um ein Mittelspiel
(mesodische P.). Die Gruppii-ung der Perioden zu Systemen endlich kann
entweder in strophischer oder in kommatischer Form stattfinden, d. h.
derselbe Rhythmus kann sich mit anderen Textworten wiederholen oder der
Text ist durchcomponirt. Die erstere Form hat zwei Untei-arten: die mono-
strophische (deren kleinste das Distichon ist) mit einem Schema nach der
Weise des modernen Liedes, und die perikopische, aus mehreren Gruppen
von Strophen bestehend, jede Gruppe aus zwei oder mehr Systemen zusammen-
gesetzt. Enthält die Perikope zwei Strophen von demselben rhythmischen und
melodischen Schema, z. B.
A ABBOG
Strophe, Antistrophe, Str., Antistr., Str., Antistr.,
so heisst sie die syzygische (jedes Strophenpaar bildet eine Syzygie); enthält
sie dagegen drei Strophen, von denen mindestens zwei dasselbe Schema haben
(wie Pindar's Enkomien) z. B.
A A B A A B
Strophe, Antistrophe, Epode, Str., Antistr., Epode,
so heisst sie die epodische Perikope. Die kommatische Form ist die
des kitharodischen und aulodischen Nomos der Instrumentalmusik und der spä-
teren scenischen Monodie, d. h. da, wo der eigentliche Tanz fehlte, welcher,
als Ursprung der Strophe, auch eine strophische Musik erfordert. Der Tanz
im weiteren Sinne, wenn er als Orchesis den Chor, als Mimesis den Vortrag
der Schauspieler begleitete, war dieser Bedingung nicht unterworfen, wohl aber
das Hyporchema (Tanzlied), wo der Tanz den Vorrang vor dem Gesang hatte. —
In der Geschichte der Rhythmik nimmt Archilochus die wichtigste Stelle ein
durch die künstlerische Ausbildung der dem Volkslied entnommenen strophischen
Form, sowie durch Einführung der populären Rhythmen, welche die fast aus-
schliesslich in Hexametern verfassten Nomoi Terpanders und Klonos' verschmäht
hatten. Ihm folgten Alkäus und Sappho, die Schöpfer der graziösen Form
des lesbischen Liedes, welche noch dem Horaz als Muster galt und dessen
Rhythmen selbst in die christliche Hymnologie übergingen. — Ferner sind
wichtig: Olympus, als Erfinder des päonischen und ionischen Rhythmus (^/4
und ^ji Takt); Tyrtäus, als Erfinder des Anapästus für die spartanischen
Schlachtgesänge; Thaletas, der, wenn auch selbst kein Erfinder, doch das
Verdienst hat, die Pi,hythmen des Olympus und den kretischen Nationalrhythmus
in den Chorgesang eingeführt zu haben; A 1km an, der Erfinder der ent-
wickelten Strophe; Stesichorus, der der perikopischen Form von drei
Systemen (der epodischen Gliederung), welche beide Formen durch Pindar ihre
höchste x^usbildung erhielten. — Die Tragödie, welche sich aus dem durch
Lasus künstlerisch ausgebildeten Dithyrambus entwickelt hatte, bemächtigte
sich aller bis dahin erfundenen rhythmischen Formen und fügte ihnen noch
neue hinzu, wie z. B. die Dochmien (^/s und ^/s Takt), sowie den trochäischen
und jambischen Rhythmus mit vorher unbekannten Dehnungen; dies alles freilich
nur in der melischen Poesie, während sich der recitirte Theil der Tragödie auf
den jambischen Trimeter und — ausnahmsweise meist in der Komödie — den
374 Griechische Musik.
trochäischen Tetrameter beschränkte. Die ältere Tragödie (Aeschylus) zeigt
eiue grössere Mannichfaltigkeit in den Bestandtheilen ihrer chorischen Strophen,
als die spätere des Euripides, wogegen sich diese durch die Vermischung der
kommatischen und strophischen Form im Aufbau des ganzen Melos auszeichnet.
— In der Komödie erhielten eine Menge volksthümlicher Rhythmen aus Liedern
und Tänzen künstlerische Bedeutung; so z. B. die Sikinnis (der Satyrtanz) und
die lascive Kordax. Die Instrumentalmusik endlich begnügte sich nicht mit
den vom Gesänge entlehnten rhythmischen Formen, sondern sie erfand deren ihr
eigenthümliche, wie schon die einfachen Notenbeispiele des Anonymus beweisen.
IIL Musikinstrumente. Die Griechen bedienten sich bei ihrer Kunst-
musik zweier Arten von musikalischen Instrumenten: der Saiten- \iud Holz-
Blasinstrumente. Blechinstrumente wurden nur zu kriegerischen, nicht zu
künstlerischen Zwecken verwendet. 1) Die Saiteninstrumente waren von
verschiedener Grösse und Form, und hatten eine verschiedene Anzahl von
Saiten, durch welche, beim Mangel eines Griffbretts, ihr Tonvorrath bestimmt
war. Diese Mannichfaltigkeit der Instrumente hörte jedoch mit den Perserkriegen
auf; die Barbitos (das Insti-ument Anakreons), die Pektis (das der Sappho)
und andere bei den griechischen Künstlern des 6, vorchristlichen Jahrhunderts
beliebte Instrumente kamen ausser Gebrauch, und die Nationalinstrumente Lyra
und Kithara wurden allein beibehalten, erstere zur Volksmusik, letztere für
höhere Kunstleistungen. Das Spieleu der Lyra erforderte geringere Fertigkeit
als das der Kithara, auf welcher man neben den festen wahrscheinlich noch
harmonische Töne hervorzubringen wusste, wenn wir anders die Nachricht des
Athenäus über den Kitharaspieler Lysander richtig verstehen. Sie wurde auf
den Knien gehalten, und zwar wie bei unserer Harfe die tiefsten Saiten vom
Körper entfernt; die tieferen Saiten spielte man mit der linken Hand, die
höheren mit der rechten; die Erfindung des Plektrums, eines gebogenen Holzes,
mit dem die Saiten geschlagen oder gerissen wurden, ist aus späterer Zeit,
wie der Name Lichanos (Zeigefingersaite) beweist. Bis zur Zeit des Perikles
hatte die Kithara, wie auch die Lyra sieben Saiten, welche folgende Namen
führten: Tiefste (Hypate), Vortiefste (Parhypate), Zeigefingersaite (Lichanos),
Mittelste (Mese), Dritte (Trite), Vorhöchste (Paranete), Höchste (Nete). Dies
ist die sogenannte thetische Benennung (Onomasia Icata Thesin), welche
sich lediglich auf die Ordnung der Saiten, nicht auf ihre Intervallfolge und ihre
Function bezieht. Das alte dorische Heptachord, welches zur Zeit Pindar's noch
in Gebrauch war, wurde nach dem Synemmenonsystem gestimmt e f g a h c d\
eine zweite Stimmung war die nach dem diazeuktischen System e f g a h c d,
wo die drei untersten Töne des getrennten Tetrachords oben der Mese hinzu-
gefügt wurden. Das Bedürfniss, der Scala durch Hinzufügung der Octave
einen Abschluss zu geben, veranlasste Terpander, der Kithara in der Höhe
die Octave der Hypate (e) hinzuzufügen, wofür er jedoch, um die Sieben-
zahl der Saiten nicht zu überschreiten , einen der früheren Töne (den
sechsten) wegliess, mit andern Worten, er stimmte seine höchste und vor-
h ochste Saite um einen Ton höher. Man stimmte die Klänge des alten do-
rischen Heptachords (nach Aristoteles), indem man von der Mese des dorischen
Tons ausging und die übrigen Klänge durch Quarten- und Quintenschritte
auffand: h, f, c, dann wieder l, es, as, des, ges und (im Öynemmenonsystem) ces.
(Dorisches Heptachord im diazeuktischen System: f, ges, as, h, c, des, es, im
Synemmenonsystem: f, ges, as, h, ces, des, es). Die mit den so gefundenen Klängen
mögliche dorische Melodie schloss entweder mit der tiefsten Saite (f), dann
war sie eine authentische, oder mit der Mittelsaite (h), dann war sie eine pla-
galische; im ersten Falle war die Melodie auf das diazeuktische, im zweiten auf
das Synemmenonsystem basirt. Die äolischen (hypodorischen) Melodien waren
bloss mit der diazeuktischen Stimmung ausführbar, und zwar im plagalischen Bau,
Griechisclxe Musik. 375
d.i. mit der Mittelsaite als Schlusston. So lange die dorische und hypodorische
Harmonie allein in Grebrauch waren, stimmte die Folge der Saiten mit deren
Function, die thetische mit der dynamischen Benennung überein; dies hörte
auf, nachdem die phrygische und lydische Harmonie (durch den Lydier Alkman)
in den dorischen Chorgesang eingeführt war. Während bisher die Mese der
dorisch-äolischen Harmonie (b) auch zugleich die mittlere Saite der Kithara
war, und die tiefste Saite mit der Hypate meson zusammenfiel, so kann der
Schlusston dieser neuen Harmonien jetzt nicht mehr mit der Mittelsaite oder
der tiefsten Saite des dorischen Heptacords zusammenfallen. Um dieselbe Com-
bination zu gewinnen, welche wir auf dem dorischen Heptacord constatirt haben,
und die phrygischen Melodien mit der Mittelsaite oder der tiefsten Saite
schliessen zu können, stimmte man die Kithara von der dynamischen Lichanos
hypaton des phrygischen Tonos bis zur Trite diezeugmenon desselben Tonos um.
^ -^ ^=- ^^
3Ö.
ISSI
m
f, g, as, b, c, d, es.
In dieser Gestalt endigten die phrygischen Melodien auf der tiefsten Saite,
d. i. sie waren authentisch; aber die dynamischen und thetischen Benennungen
gehen ganz auseinander, denn die dynamische Hypate ist nicht mehr die tiefste,
die dynamische Mese nicht mehr die mittlere Saite, sondern jetzt fällt die
mittlere Saite oder thetische Mese mit der dynamischen Lichanos meson zu-
sammen, und gleicherweise verändern auch die andern Saiten ihre Benennungen.
Die Piagalmelodien der phrygischen Harmonie wurden ähnlich wie die dorische
mit dem Synemmenon ausgeführt:
mittlere Saite,
phryg. Schlusston.
.Ä. \>t=>. IS
■^^.
~S~
m
f, g, as, b, ces, des, es.
Für lydische Melodien brauchte mau nur dieselbe Disposition festzuhalten; die
tiefste Saite ward auf die Parhypate hypaton des lydischen Tonos gestimmt,
die höchste auf die Paramese im authentischen Bau, auf die Trite synemmenon
im plagalischen Bau. Die drei Grrundtonarten können dann sowohl in authen-
tischer Form als auch in plagalischer ausgeführt werden; die Hypo - Tonarten
dagegen nvir in der plagalischen Form. Die hypodorische steht zur dorischen
Harmonie in demselben Verhältniss, wie das Hypophrygisch zum Phrygisch,
das Hypolydisch zum Lydisch. Von der in der Mitte unvollständigen Octave
des Terpander bis zur Hinzufügung einer neuen, achten Saite zu den bisherigen
der Kithara war nur ein Schritt, und zwar kann Pythagoras als der Urheber
dieser Neuerung betrachtet werden, wenngleich zu seiner Zeit und auch zu der
seines Schülers Philolaus das Octochörd noch nicht in allgemeinem Grebrauch
war. Nun erhalten die vier höchsten Saiten der Kithara, die bisher nach dem
Synemmenon- Tetrachord benannt waren, die Benennungen des diazeuktischen
Tetrachordes: die frühere »Dritte« wird »Nebenmittlere« (Paramese), die »Yor-
höchste« wird »Dritte«, die »Höchste« wird »Vorhöchste«. Mit der Einrichtung
des Octochords fällt auch zusammen die Einführung der sieben Octaven- Gat-
tungen und der ihnen nun genau entsprechenden sieben Tonoi; von den letz-
teren hat jeder zwei vollständige, eine Octave umfassende Scalen: eine dia-
zeuktische für die authentischen, eine nach dem Synemmenonsystem für die
plagalischen Melodien. Die mixolydische Stimmung allein war nur für
authentische Melodien brauchbar; die plagalischen Melodien dieser Harmonie
musste man mit der hypolydischen Stimmung im diazeuktischen System
bilden. Für den Vortrag der Nomen, welche von Solosängern und zwar ge-
wöhnlich von Tenoristen gesungen wurden, fand man die Chorstimmung F—f
zu tief und nahm statt des dorischen Tonos die mittlei'e Octave des lydischen,
376 Griechische Musik.
welcher eine grosse Terz höher war. a, h, c, d, e, f, g, a. Jon von Chios,
ein Zeitgenosse des Sophokles, erfand das Dekachoi'd, indem er der Kithara
wiedenira zwei neue Saiten hinzufügte, welche mit den bisherigen acht in drei
verbundenen Tetrachorden gestimmt wurden: e, f, g, a, h, c, d, es, f, g; nach
ihm Melanippides das Dodekachord, welches aus den vier Tetrachorden hypaton,
meson, diezeugmenon und synemmenon bestand e, f, g, a, h, c, d, es, e, f, g, a
und die Möglichkeit bot, ohne Vertauschung der Tonoi, lediglich durch belie-
bige Anwendung des diazeuktischen und Synemmenon- Systems sämmtliche Har-
monien auszuführen. — Phrynis, der Sieger im Panathenaenfest (456 v. Chr.),
vermehrte zwar nicht die Zahl der Saiten, aber er erfand eine reicher com-
binirte Stimmung.
Die fünfzehn-saitige Kithara, die zur Zelt des Ptolemäus (unter Marc
Aurel) allgemein in Gebrauch war und von ihm seiner Theorie zu Grunde
gelegt wurde, umfasste die Töne von B — h (vom dorischen Proslambanomenos
bis zur dorischen Nete hyperbolaion), nach heutiger Stimmung etwa von G — g.
Von nun an werden die Namen der Saiten des dorischen Tonos für die übrigen
sieben Tonoi gebraucht, und während früher die Benennungen der Saiten (die
Onomasia kata thesin) den Ausgangspunkt für die theoretischen Benennungen
(Onomasia kata dynamin) bildeten, so werden nun umgekehrt die theoretischen
Benennungen auf die Saiten übertragen. Um in den verschiedenen Tonoi zu
spielen, brauchte man nicht das ganze Instrument, sondern nur eine einzige
Saite in jeder Octave umzustimmen (nach dem Princip der modernen Harfe),
wodurch es möglich wurde, in die benachbarte Tonart zu moduliren. In Folge
eines solchen Umstimmens aber wurde, wie auch bei der sieben- und acht-
saitigen Kithara, die dynamische Benennung (das Intervallverhältniss) eines
jeden Tones der Scala eine andere: die tiefste Saite hiess, ausser im dorischen
Tonos, dann nicht mehr Proslambanomenos, die höchste nicht mehr Nete
hyperbolaion. Um aber in einem solchen Falle die in der Höhe oder Tiefe
fehlenden dj'namischen Klänge der Scala wiederzugewinnen, identificirte man in
der Theorie Proslambanomenos und Nete hypei'bolaion und begann von ihnen
aus ein neues »vollständiges System« (S. teleion), z. B.
Mixolydischer Tonos.
Thetische pr„,„„i,. Mese Nete
Benennungen i^ nyperl).
- -r ^t>^»«— te— ^^^-3
^t^^-'°^=-— ==^P^
Dynamische Nete diez. (Proslamb.) '' Mese Nete die-
Benennungen Nete hyperb. zeuRm.
Im 3. Jahrhundert n. Chr., zur Zeit des Anonymus, findet man keine Spur
mehr von der Stimmung des Ptolemäus; von hier an bleibt die Stimmung
der Kithara unveränderlich im lydischen Tonos (D — d) und auf diese Stim-
mung beziehen sich alle späteren Schriftsteller bis auf Boetius.
2) Holz-Blasinstrumente. Die Flöte (Aulos) spielte in der griechischen
Musik eine kaum minder wichtige Eolle als die Kithara, wenngleich durch sie
nicht das sittlich-erhabene Element der Kunst, sondern das menschlich -pathe-
tische repräsentirt war; ferner auch das orgiastische Element des Dionysus-
Cultus, und dies besonders durch die Flöten der Barbaren (Phrygier) , welche
neben den griechischen in Gebrauch waren. Unter den verschiedenen Arten
der Flöte, Monaulos, Diaulos (Doppelflöte), Aulos plagios (Querflöte), Syrinx
(Hirtenflöte), hat nur die erstere künstlerische Bedeutung; sie ist, nach den
Beschreibungen der Alten und den Abbildungen auf Reliefs, Vasen etc. zu
u.rtheilen, eher unserer Clarinette als unserer Flöte zu vergleichen, sowohl was
ihre Gestalt als auch ihre Tonhöhe betrifipt; anfangs hatte sie nur drei bis vier
Löcher, nach und nach aber wurden deren mehrere hinzugefügt, und zur Zeit
des Aristoxenus betrug der Tonumfang der verschieden gestimmten Flöten zu-
Griechlsclie Musik. 377
sammen mehr als drei Octaven; in diesen umfang theilten sich die tiefe Flöte
(Aulos hyperteleios oder andreios) für den Männergesang; die mittlere (A.
teleios) für das Solospiel bei den pythischen "Wettkämpfen in Delphi und zur
Begleitung des chorischen Gesanges; endlich die hohe (Skytalion) zur Beglei-
tung der Jungfrauenchöre und der aus Phrygien und Lydien stammenden
Klagegesänge etwa in folgender Weise:
§EEE
pü
:{=
Die für die Flöte gebräuchlichen Harmonien waren Dorisch, Jastisch (Hypo-
phrygisch) , Phrygisch und Syntonolydisch. — Um in verschiedenen • Tonoi zu
spielen, nahm man entweder verschiedene Flöten (wie z. B. Aristoxenus von
hypophrygischen und anderen Flöten spricht), oder man bediente sich der
Klappen (wie von Pronomos von Theben erzählt wird), oder endlich man be-
deckte die Löcher nur theilweise mit dem Finger, wodurch die bedeutendsten
Flöten -Virtuosen nicht blos jede beliebige Tonart, sondern auch die Yiertels-
töne des enharmonischen G-eschlechts mit Sicherheit hervorbrachten. Ueber-
haupt muss, nach der betreffenden Terminologie zu urtheilen, die Technik der
antiken Flöte ungemein ausgebildet gewesen sein; von Sakadas Wird erzählt,
dass er in seinem Nomos, welcher den Sieg Apollo's über den Drachen Python
feiert, das Zähneknirschen des sterbenden Drachen darstellte, in einer gewissen
"Weise, die dann Odontismos genannt wurde. — Der Ursprung der griechischen
Flöte ist so alt wie der der Kithara, und sie wurde wahrscheinlich nicht von
Olympus eingeführt, sondern nur von ihm durch asiatische Neuerungen
vervollkommnet. Beide Instrumente, die Kithara wie 'die Flöte, fanden ihre
Hauptwirksamkeit im Verein mit der menschlichen Stimme, Der Gesang zur
Kithara, die Kitharodik, entwickelte sich aus den Hymnen, welche an be-
stimmte Cultusstätten , wie Delphi, Delos u. a. gebunden waren, und welche
wegen ihrer stätigen Compositionsform »Gesetze« (Nomoi) genannt . wurden.
Diese Nomoi wurden auch bei musischen Wettkämpfen (Agonen) ausgeführt,
und es werden als Prototypen der agonistischen Kitharoden Chrysothemis
und Orpheus genannt, jener als Vertreter der dorisch - delphischen Sänger-
schule, dieser der äolisch - thrakischen , die sich durch orgiastische Beimischving
von der religiösen Einfachheit der ersteren unterschied. Terpander war der
erste , welcher den Nomosgesängen eine höhere künstlerische Vollendung gab,
indem er einestheils den Inhalt des Epos in seine Lyrik aufnahm und andern-
theils die bisher getrennten Kunstzweige des Dorischen und Aolischen ver-
einigte. Seine Blüthezeit fällt in die ersten Olympiaden; er ahmte, wie Plutarch
sagt, die Gedichte des Homer und die Melodien des Orpheus nach. Die von
ihm eingeführte Tonart der lesbischen Aolier wurde vom spartanischen Staate
sanctionirt, und seine Anordnungen, die mit dem Namen der ersten musika-
lischen Katastasis bezeichnet wurden, behielten unveränderte Gültigkeit bis zur
Zeit nach den Perserkriegen, wo Phrynis einen gekünstelten Stil an die Stelle
der alten Einfachheit setzte. — Die Kitharodik gebrauchte zu Terpanders Zeit
drei Harmonien: Dorisch, Hypodorisch (von Aristoteles »kitharodikotate« , die
zur Kithara geeignetste genannt) und das noch nicht genau festgestellte Böotisch.
Die ursprüngliche Taktart des kitharodischen Nomos war der Hexameter; Ter-
pander erfand noch zwei weitere Taktarten, den Trochäus semantus, eine vier-
fache Verlängerung der einzelnen Theile des '/s-Taktes (^/a) und den Rhythmus
orthios, der dem Trochäus semantus zur Seite steht, wie der Jambus dem ein-
fachen Trochäus, also ein ^/a-Takt mit dem Auftakt beginnend. — Die Ein-
theilung oder Gliederung des kitharodischen Nomos Terpanders war folgende:
Prooimion oder Eparcha (Vorgesang) ; dann der eigentliche Nomos , bestehend
aus Metarcha (Anfang), Katatropa (Wendung), Omphalos (Mitte), Metakata-
tropa"^'(Rückwendung), Sphragis (Schluss, Siegel); endlich Exodion oder Epi-
378 Grieehisclie Musik.
logus (Nacligesang). — Die Instrumentalbegleitung ging im kitliarodischen
Nomos meist mit der Singstimme; die Mehrstimmigkeit beschränkt sich auf
gelegentliches Erklingenlassen eines harmonischen Intervalles in der Begleitung,
Der Terpandrische Nomos blieb ausschliesslich in den Händen der Terpan-
di'iden bis auf Aristokleides von Antissa (zur Zeit der Perserkriege) , von wo
ab die hieratischen Nomoi-Säuger nicht mehr erwähnt werden. Die Aulodik,
die Kunst, den Gesang mit der Flöte zu begleiten, hat ihren mythischen Ver-
treter in Ardalos von Troizene, wie die Kitharodik den ihren in Chryso-
til emis; die erste historische Erscheinung unter den Auloden ist Klonas aus
Tegea in Arkadien, der nach der Zeit Terpanders lebte und für die Aus-
bildung der Aulodik nicht minder wichtig ist, als jener für die Kitharodik.
Plutarch nennt ihn den Erfinder der aulodischen Nomoi und Prosodien, Pro-
cessionslieder, sowie der Elegoi, Klagelieder nach orientalischer Art, in welchen
das Flötenspiel ein charakteristisches Element war. Er componirte auch
Spende- oder Opferlieder (Spondeia), bei welchen ein eigenes, aus vier Längen
gruppirtes Versmaass, das spondäische, zur Anwendung kam. Soviel über
die Vereinigung der Instrumental- und Vocalmusik; ohne die letztere wurde
die Kithara nur wenig benutzt; was wir von der »psile Kitharisis« , der
blossen Kitharamusik wissen, beschränkt sich auf die Angabe des Athenäus, dass
Aristonikos von Argos (700 v. Clir.) der erste war, der diese Musik aus-
führte, und dass Lysander von Sikyon um 586 v. Chr. neue Effekte durch sie
hervorbrachte. Um so glänzender entwickelte sich dagegen das Solospiel auf der
Flöte, die Auletik, welche bald in den musischen "Wettkärapfen eine der Ki-
tharodik gleichberechtigte Stellung einnahm. Die »psile Aulesis« wurde den
Grriechen durch phrygische Musiker bekannt, nachdem die Normen für die Ki-
tharodik und Aulodik durch Terpander und Klonas bereits festgestellt waren;
ihre mythischen Stammväter sind Hyagnis, Marsyas und ein älterer Olym-
pus, als erster histoi'ischer Aulet aber gilt ein jüngerer Olympus, ebenfalls
aus Phrygien, dessen auletische Nomen noch in späten Zeiten in grossem An-
sehen standen. Sakadas (580 v. Chr.), ein echt hellenischer Künstler, war es,
welcher der Auletik die Gleichberechtigung mit der Kitharodik im delphischen
Agon zu verschaffen wusste; seine berühmteste Leistung war der schon erwähnte
Nomos Pythios, welcher in fünf Theilen den Kampf Apollo's mit dem Drachen
Python schilderte und durch das in ihm vorwaltende tonmalerische Element als
Vorläufer der modernen Programmusik gelten kann. Er siegte dreimal bei
den pythischen Spielen und erhielt nach seinem Tode eine (bei Pausanias er-
wähnte) Bildsäiile auf dem Helikon. Er und ein älterer Künstler, Polym-
nastus (640 v. Chr.), werden zusammen mit dem noch früher lebenden cho-
rischen Componisten Thaletas (670 v. Chr.) von Plutarch als Stifter der
zweiten musischen Katastasis bezeichnet, in welcher die Erfindung der neueren
Enharmonik, sowie die sonstige Vermehrung der musikalischen Mittel der naiven
Kunst der olympischen Schule ein Ende macht. Später geräth das Flötenspiel
so sehr in Verfall, dass z. B. Plato es aus dem Jugendunterricht verbannt und
lediglich den Sclaven zugewiesen haben wollte. Die Virtuosen unter den Auleten
freilich wurden unter allen Musikern am meisten geehrt und sie erwarben
auch am meisten, da sie nicht wie die übrigen von den Tragödiendichtern ab-
hingen. Pindar selbst verschmäht es nicht, den Auleten Midas von Agrigent
in einer seiner Epinikien zu besingen. — Neben der monodischen Auletik gab
es auch eine mehrstimmige, z. B. die von Lasus erfundene, bei dem Feste der
Panathenäen vorgetragene Xynaulia; endlich kannte man auch das Zusammenspiel
von Aulos und Kithara, Avie eine darauf bezügliche Stelle bei Strabo beweist.
IV. Chorische Musik. Die chorische Musik entwickelte sich unmittelbar
aus dem Cultus, indem das Lob der Gottheit die Poesie schuf und der im
Verkehr mit der Gottheit gehobene Sprechvortrag einen mannicbfaltigeu Wechsel
der Accente bedingte, sich zur Melodie gestaltete. Zwei Hauptrichtungen sind
hier zu unterscheiden: die sittlich- religiös- nationale, durch Apollo repräsentirt
Griechische Musik. 379
und im dorischen "Wesen begründet, und die menschlich-leidenschaftliche, durch
Dionysos vertreten; diese fand im orgiastischen Charakter der phrygischen
Musik ihren Ausdruck und war anfangs nur in Corinth vertreten. Der
wichtigste Schritt zur Ausbildung des Chorgesanges war die Einführung der
Gymnopädien (s.d.) in Sparta durch den Thaletas aus Kreta, d.h. die von Musik
begleiteten Tänze nackter Jünglinge, bei welchen mit einer pädagogischen auch
eine religiöse Tendenz vereint war; sodann die von Chor und Flöte begleiteten
"Waffentänze (Enoplia) im anapästischen Rhythmus (von denen das noch im
späteren Alterthum bekannte Castorslied des Tyrtäus vielleicht ein Beispiel
ist); das von Thaletas eingeführte Hyporchema (Tanzlied), ein Tanz mit
Solo- und Chorgesang in lebhaftem ^/g oder ^/s Takt; endlich die ebenfalls
von Thaletas ausgehende Vervollkommnung der ältesten Gattungen der cho-
rischen Musik: des Päan, ein Cebet zum Apollo, bald Bittgesang, bald Sieges-
lied (als päanisches Prosodion), des Hymenäus (Hochzeitlied), des Threnos
(Todtenklage), der Epinikien und der Enkomien (Loblieder auf den Sieger
beim Agon). Ihm folgten in der Ausbildung des Chorgesanges Alkman, der
Erfinder der Parthenia, Frauenchöre während einer Procession gesungen,
mit den bei den Böotiern gebräuchlichen Unterarten Daphnephorika und
Oschophorika, jenachdem Lorbeeru oder "Weinranken dabei getragen wurden;
dann Stesichorus von Himera, der Erfinder der strophischen Form, Pindar's
Muster; endlich Simonides und Pindar. — "Wie die Chormusik überhaupt eine
dorische Institution war, so trugen auch die sämmtlichen genannten Gattungen
derselben den Stempel dorischer Gesittung, jener Reinheit und jenes Maasses,
als dessen göttlicher Repräsentant Apollo gilt und dem als musikalischer Stil
der Tropos hesychastikos entspricht. Das dionysische Princip dagegen, der
diastaltische Tropos, ist nur durch den Dithyrambus vertreten, der von Arion
erfunden sein soll und dessen musikalische Formen Lasus von Hermione in
einer "Weise entwickelte, dass die Trennung des dionysischen vom apollinischen
Element offenkundig wird. Bald nach ihm gestaltet Thespis den Dithyrambus
zum Drama um und dessen Nachfolger (Choirilus und Phrynikus, welcher
letztere besonders die musikalischen Formen entwickelte) bilden den Uebergang
zur Glanzperiode der griechischen Tragödie. Aeschylus, dessen Einfachheit
mit der des Oratorium- Stils zu vergleichen ist, Sophokles, welcher eine grössere
Mannichfaltigkeit in seinen Charakteren zeigt, endlich Euripides, der sowohl
die metrischen wie musikalischen Formen in freiester Art erweitert, die
menschlichen Leidenschaften in ihren feinsten Nuancen zum Ausdruck bringt
und dabei die äusserlichen theatralischen Kunstmittel nicht verschmäht, sie
bilden den Höhepunkt des attischen Drama; nach der Zeit des Euripides, unter
den letzten Dithyrambikern Phrynis, Philoxenus, Timotheus, Melanippides,
Kinesias, welche besonders die Virtuosität der Sänger und den musikalischen
Effekt ins Auge fassten, beginnt der unaufhaltsame Verfall der Tragödie.
Der Gesang der Tragödie war entweder Chorgesang ("Wechselgesang) oder
Monodie in der "Weise der späteren Dithyrambiker ; letztere bildeten die
Effektatücke in der Tragödie des Euripides. Auch der recitirte Theil der
Tragödie wurde von Instrumentalmusik begleitet, und eine solche melo-
dramatische Form nannte man Parakataloge. Ueber die Instrumentirung der
Tragödienmusik fehlen alle Nachrichten, doch ist nicht zu bezweifeln, dass
man die vorhandenen Mittel gerade hier im weitesten Umfang zur Anwen-
dung brachte, entsprechend dem Geiste der Tragödie, welche alle Gattungen
der musischen Kunst in sich vereinigte. Die gebräuchlichen Harmonien waren
die hypodorische und hj^pophrygische für die Monodien; sie hatten den Cha-
rakter des »Praktikon« (welchen Aristoteles als den Göttern und Heroen an-
gemessen bezeichnet), indem sie den Eindruck der Aktivität machen, durch
welche das Subject als ein individuelles hervortritt. Für den Chor, der eine
unbestimmte "Willenslosigkeit darstellt, wo die Individualität sich einer höheren
Macht hingiebt und in ihr aufzugehen bestrebt ist, nahm man das Mixolydisch
380 Griechische Tonarten — Grieg.
und Dorisch, welches dem »Aprakton«, der Passivität entsprach. TJnter den
Rhythmen wählte man für die Tragödie nur die allgemein verständlichen und
unter diesen hatten die Tetrapodien das Uebergewicht. Die Zahl der im tra-
gischen Chor mitwirkenden Personen betrug anfangs fünfundvierzig, wurde jedoch
durch Aeschylus auf fünfzehn reducirt, indem er jene abwechselnd in jedem
Theil seiner Trilogien auftreten Hess, Das weltliche Lied erhielt zuerst künst-
lerische Form durch Archilochus; dieser brachte die Elemente des Volksliedes
zur vollen Anerkennung und war so der Vater derjenigen Lyrik, welche später
in Alkeios, Sappho und Anakreon ihren Höhepunkt erreichte. Er gestaltete
den ^/s-Takt zum jambischen Triraeter, zum trochäischen Tetrameter und zu
anderen Versmaassen um und ist der Ei-finder der Parakataloge, des melo-
dramatischen Vortrags, nach Plutarch »die Kunst, bei jambischen Compositionen
die eine Parthie zur Begleitung sprechend vorzutragen, die andere zu singen«,
eine Vortragsweise, die später auch in der Tragödie, und dort auch im ana-
pästischen Rhythmus zur Anwendung kam.
V. Notation. Der Erfinder der Notenschrift ist (nach "Westphal) Po-
lymnastus, welcher sich dazu eines archäischen Alphabets bediente, dessen
Buchstaben sich auf den in Argos entdeckten Inschriften wiederfinden. Diese
Buchstaben erscheinen entweder in ihrer primitiven Form als Ortha (aufrecht-
stehende) und entsprechen dann den Untertasten unseres Klaviers; oder als
Apestrammena (umgekehrte), die durch ein J} erhöhten und unter gewissen
TJmsänden die durch ein [? erniedrigten Töne, oder als Anestrammena (um-
gelegte, liegende), die durch ein [? vertieften Töne (wie auch dastund c),
wenn sie die oberen Töne eines Halbtonintervalls darstellen. Zu Polymnastus'
Zeit notirte man nur die Instrumentalnoten; für die Notirung des Gesanges,
die nicht über Lasus von Hermione rückwärts hinausreicht, benutzte man das
uns bekannte neu-ionische Aljjhabet, wobei die mittlere Octave durch die ein-
fachen Buchstaben, der übrige Theil der Scala durch verstümmelte und vielfach
alterirte bezeichnet war. Da die Töne nicht nur an sich bezeichnet wurden,
sondern auch noch nach ihrem Verhältniss zu anderen ein neues Zeichen er-
hielten, so gab es 68 verschiedene Notenzeichen sowohl für den Gesang als
auch für die Instrumente. Die Dauer der Noten wurde durch die langen
und kurzen Silben des Textes bestimmt und in folgender Weise bezeichnet:
— i_ CD i_Li Bei der Notirung von Gesang und Instrumental-
A A A A A Pausen.
Begleitung erhielt die Singstimme den Platz über dem Instrument, weil, wie
Bacchius der ältere sagt, »der Mund, welcher allein die Worte hervorbringt,
von der Natur über die Hände gesetzt ist, welche die Töne auf dem Instru-
ment hervorbringen«. — Die Bedeutung der ginechischen Musiknoten ist durch
die neueren Arbeiten Bellermann's, Westphal's, Fortlage's so unzweifelhaft fest-
gestellt, dass ihre Lecture ungleich weniger Schwierigkeit macht, als etwa die
eines musikalischen Manuscripts aus dem Mittelalter, und es bedürfte nur
der Auffindung einer antiken Tragödienmusik, um auch die vollständige Re-
producirung derselben zu ermöglichen und uns in den Stand zu setzen, über
ihre eigenthümliche Wirkung aus eigner Erfahrung zu urtheilen.
F. A. Gevaert.
Griechische Tonarten, ) ^ . , . , ,, ■,
^ . , . , , . . s. Griechische Musik.
Griechiscue Instrumente, I
Grieg:, Edvard, einer der hervori'agenden Componisten der Gegenwart,
geboren am lö. Juni 1843 zu Bergen in Norwegen als der Sohn des dortigen
Consuls Alexander G. Als der Knabe sechs Jahr alt war, begann seine
Mutter, ihm den ersten Clavierunterricht zu ertheilen, der ihm grosse Freude
machte und ihn bald auch zu selbstständigen Compositionsversuchen anregte.
Ole Bull, der bei einem Besuche in Bergen 1858 derartige Arbeiten G.'s sah,
rieth, überrascht von dem sich darin kund gebenden aussergewöhulichen
Talente, dringend zur höheren musikalischen Ausbildung des Knaben. Darauf
Grieninger — Griepenkerl. 381
hin bezog Gr. das Conservatorium zu Leipzig, dem er als einer der aufgeweck-
testen und strebsamsten Schüler bis 1862 angehörte, in welchem Jahre ihn
eine schwere Krankheit zur Heimkehr nöthigte. Wieder genesen, besuchte er
1863 Grade in Kopenhagen, dessen E.athschläge und Compositionsweise von
unverkennbarem Einflüsse auf Gr.'s meist nordisch colorirte Folgewerke wurden.
Im J. 1867 Hess sich G. in Christiania nieder und gründete daselbst einen
Musikverein, welcher mit grossem Erfolge die Meisterwerke der älteren und
neuesten Tonkunst in sorgsam vorbereiteten Aufführungen vorführt und wohl-
thätige Wirkungen auf das mehr und mehr erblühende Kunstleben des König-
reichs ausübt. An der Spitze dieses Vereins steht Gr. noch gegenwärtig als
Dirigent. Als Componist hat er bis jetzt etwa zwanzig Werke in Leipzig ver-
öffentlicht, bestehend in einem Pianoforteconcert mit Orchester, 2 Duo-Sonaten,
einer Ciaviersonate, zwei- und vierhändigen Stücken und Liedern, welche
sämmtlich von der Kritik mit grosser Anerkennung aufgenommen wurden.
Grieninger, Augustin, musikkundiger deutscher Gelehrter, war um 1680
Augustinennönch und Doctor der Theologie zu Augsburg und hat daselbst
ausser mehreren Erbauungsbüchern auch eine Compositionssammlung, betitelt:
yiOantiones sacrae 1, 2 et '3 vocibus, cum et sine instrumentis« , herausgegeben.
t
Grieuenwald, N., auch Grunewald geschrieben, ein wandernder deutscher
Volkssänger, welcher zu Anfange des 16. Jahrhunderts lebte und lange Zeit
in den Diensten des Herzogs Wilhelm von Baiern zu München stand. Der um
1550 als Romanschriftsteller blühende Georg Wickram, Stadtschreiber zu Burgheim
im Elsass, erzählt in einer Geschichte »von dem guten Schlemmer« eine Episode
aus G.'s Leben, den er einen »berümpten Musicus vnd Componist«, gleichzeitig
aber auch einen »guten Zechbruder« nennt. Ludwig Achim von Arnim er-
neuerte diese Anecdote im ersten Theile seiner »Kronenwächter« (Berlin, 1817)
und brachte bei dieser Gelegenheit überhaupt Sitten und Gebräuche der Mu-
siker jener Zeit zu trefflicher Anschauung.
Griepenkerl, Friedrich Kon r ad, deutscher Kunstästhetiker und Musik-
schriftsteller, geboren 1782 zu Peine im Braunschweigischen, war längere Zeit
am Eellenberg'schen Institute zu Hofwyl im Canton Bern Lehrer, bis er 1816
als Professor an das Collegium Carolinum zu Braunschweig berufen wurde, in
welcher Stellung er am 6. Apr. 1849 starb. Seine Hauptwerke sind ein
»Lehrbuch der Aesthetik« (2 Thle., Braunschweig, 1827), in welchem die all-
gemeinen Ideen Herbart's systematisch entwickelt erscheinen, und ein »Lehrbuch
der Logik« (2. Aufl., Helmstädt, 1831). Kleinere Aufsätze und Artikel kenn-
zeichnen ihn als tüchtigen Musikfreund, der mit grosser Gründlichkeit beson-
ders in die Werke Joh. Seb. Bach's eingedrungen ist, wie auch sein Antheil
an der Herausgabe der von der Verlagsfirma C. F. Peters in Leipzig besorgten
Edition Bach'scher Instrumentalcompositionen beweist, deren Vorrede ebenfalls
von ihm herrührt. — Sein Sohn, Wolf gang Bobert G., geboren am 4. Mai
1810 zu Hofwyl, erhielt seine wissenschaftliche und musikalische Ausbildung
zu Braunschweig und bezog 1831 die Universität zu Berlin, wo er Theologie
studiren sollte, die seinen Neigungen jedoch so sehr widei'strebte , dass er sie
gänzlich aufgab und sich ausschliesslich literarischen Arbeiten widmete. Diese
letzteren setzte er auch weiter fort, als er 1835 in das väterliche Haus zurück-
kehrte. Im J. 1839 wurde er zum Docenten der Aesthetik und Kunstgeschichte
am Collegium Carolinum, ein Jahr später auch zum Professor der deutschen
Sprache und Literatur am Cadettenhause zu Braunschweig ernannt, gab aber
1847 beide Stellen auf, ging 1848 nach Leipzig, kehrte jedoch noch in dem-
selben Jahre nach Braunschweig zurück, wo er am 17. Octbr. 1868 in dürf-
tigen Umständen starb. Er war ein sehr bedeutendes dramatisches Talent,
wofür seine Trauerspiele »Maximilian Robespierre« (Bremen, 1851) und »Die
Girondisten« (Bremen, 1852), zu denen sein Freund H. Litolff Musik schrieb,
immer zeugen werden. In musikalischer Beziehung assimilirte er sich mit den
382 Griesinger — Griffbrett.
fortsclarittlicheu Bestrebungen der »Neuen Zeitschrift für Musik«, welcher er
einige werthvolle kritische Aufsätze lieferte und strebte mit seiner Novelle
»Das Musikfest oder die Beethovener« (Leipzig, 1838; 2. Aufl. 1841), sowie
durch die Abhandlungen »Ritter Berlioz in Braunschweig« (Braunschweig, 1843)
und »Die O^ier der Gregeuwart« (Leipzig, 1847) noch vor Rieh. Wagner eine
ideale Neugestaltung der Tonkunst an.
Gi'iesiuger, Georg August, Secretair der königl. sächsischen Gresandt-
schaft am österreichischen Hofe, geboren in Wien und ebendaselbst im J. 1828
gestorben, ist der Verfasser von »Biographischen Notizen über Joseph Haydn«
(Leipzig, 1810).
Griessling, J. C, Hof-Blaseinstrumentenmacher in Berlin, fertigte gemein-
schaftlich mit B. Schiott, unter der Firma »Griessling und Schiott«, seit etwa
1808 vortreffliche Blaseinstrumente. Um 1833 producirte er ein neues, von
ihm »Harmonica-Contre-Bass« genanntes Fabrikat, Avelches alle ganzen und
halben Töne vom Contra a bis zum eingestrichenen c leicht, rein und mit
gleicher Stärke hervorbrachte und von G. A. Schneider in der Berliner Voss'-
schen Zeitung anerkennend beurtheilt wurde. G. selbst starb am 31. Mai 1835
zu Berlin, worauf die Fabrik von B. Schiott allein fortgeführt wurde.
Griestopf, Ulrich, aus Magdeburg, war der erste und älteste der 53 Or-
ganisten, welche 1596 zur Prüfung der Schlosskirchenorgel zu Grüningen be-
rufen wurden. Vgl. Werkmeister's riOrganum Gruningense redivivum« §. 11.
t
Griff, in gewöhnlicher Bedeutung das Erfassen eines Dinges mittelst der
Finger einer Hand, wobei stets wenigstens ein Finger und der Daumen der-
selben Hand als zwei entgegengesetzt thätige Faktoren gedacht werden, welche
zwischen sich das Erfasste halten, findet auch in abstrakten Ergehungen eine
diesem Begrifi'e entsprechende Anwendung. In der Musik nennt man im All-
gemeinen einen G. das Fassen eines oder mehrerer Finger, zu dem der die
Fassung mitausführende Faktor ein anderer fester Körper, ein Brett etc., ist,
wenn dies Thun einen Theil eines schwingenden Körpers zu einer gewünschten
Tonzeugung bestimmt abgrenzt. Man spricht demgemäss bei Instrumenten,
deren Ton durch Reissen oder Streichen von Saiten erzeugt wird, wenn durch
festes Aufsetzen eines Fingers auf ein Brett die Länge einer zwischen Finger
und Brett befindlichen Saite scharf begrenzt wird, von einem G.; ebenso wenn
man durch Deckung eines Tonloches mittelst einer Fingerbewegung bei einem
Blasinstrumente die Ausdehnung einer tönenden Luftsäule bestimmt, ja selbst
wenn man bei Tasteninstrumenten durch Niederdrücken einer Taste mit dem
Finger einen Ton erzeugt, aus welcher Wortanwendung mit der Zeit die Rede-
weise entstanden ist: einen Ton greifen. Da nun in der Musik jeder Finger
einen G., und man somit mehrere G. gleichzeitig machen kann, so spricht man
auch bei mehreren gleichzeitig durch G. erzeugten Klängen, je nach der Zahl
derselben, von Doppel- und mehrstimmigen G., und je nach der Schwierig-
keit, die solche G. bereiten, oder der Entfernung der Finger von einander bei
Ausführung derselben von: leichten, schweren, engen oder weiten G.
Der oben angeführten Redeweise: einen Ton greifen, bei Tonzeugungen durch
G., die einer Tonmodification unterliegen können, folgend, bedient man sich in
der Fachsprache auch der Ausdrucksweise: einen Ton rein greifen, besonders
bei Auslassungen über durch Streichinstrumente erzeugte Klänge, während
man bei durch Blasinstrumente geschaffenen Tönen höchstens die Ausdrucks-
weise »rein blasen«, da die Tonreinheit durch die Stärke des Blasens bedingt
ist, angewendet findet. 32.
Griffbrett nennt man bei verschiedenen Tonwerkzeugen, denen der Ton
entweder durch Streichen oder durch Reissen von Saiten entlockt wird, ein
planes oder wenig gewölbtes Bi-ettchen, das zur beliebigen Verkürzung der
Saiten mittelst der Finger der linken Hand dient. Dasselbe findet man ent-
weder auf dem Instrumenthals und einem Theile der Schalldecke geleimt oder
Griffbrett. 383
am Ende des Halses mit dem Instrumentkörper in festem Zusammenhange
und in der Fortsetzung, den Saiten etwas näher geführt, über dem Resonanz-
boden schwebend angebracht. Es wird aus Ebenholz oder bei minder werth-
voUen Tonwerkzeugen aus anderem schwarz gebeiztem harten Holze gefertigt,
damit es durch den Gebrauch nicht so schnell abgenutzt werden kann. Die
Gestalt der G. ist je nach der Instrumentart verschieden. Bei Tonwerkzeugen,
denen durch ßeissen der Saiten der Ton entlockt wird, findet man das G. meist
plan, stets in gleicher Breite gefertigt und unmittelbar dem Schallboden auf-
geleimt, von dem es sich zuweilen, z. B. bei der Zither (s. d.), an dem vom
Sattel (s. d.) entfernteren Ende etwas gegen die Saiten hin erhebt. Bei
Streichinstrumenten hingegen ist das G. rundlich in der Breite geformt, damit
das Streichen der Saiten leichter möglich, nach der dem Sattel abgewandten
Seite hin jedoch breiter werdend, flacher (dem Stege [s. d.] entsprechend) ge-
wölbt und den Saiten flächlich etwas näher gerückt; mit dem Instrumenthals
steht es in festem Zusammenhange und weiterhin über dem Resonanzboden ist
es frei schwebend. Früher erhielten sämmtliche G. Bunde (s. d.), jedoch seit
dem 17. Jahrhundert sieht man dieselben bei Streichinstrumenten nicht mehr;
selten findet man bei grössern derartigen Tonwerkzeugen in den G. an dem Rande,
wo die stärkste Saite befindlich ist, Aushöhlungen. Man schreibt solcher Aus-
höhlung den Vortheil zu, dass beim Niederdrücken der Saite in dieselbe deren
Schwingung schärfer begrenzt wäre und dass bei schmalen G. hiermit einem
Heruntergleiten der Saiten vorgebeugt sei, da man durch das Eindrücken in
die Aushöhlung die Saite fester halten könne. Neuerdings jedoch hat man
auch diese Modification der G. bei Streichinstrumenten verworfen, da dadurch
bei dicken Saiten eine Reibung beim Yibriren kaum zu vermeiden ist, das
sehr oft ein den Ton benachtheiligendes starkes Schnarren erzeugt. Bei allen
Reissinstrumenten findet man, wie ehedem, auch noch heute, auf der ganzen
Ausdehnung des G. Bunde angebracht. Die Länge der G. ist je nach den
Instrumentgrössen verschieden. Gewöhnlich erhält das G. die Ausdehnung der
halben Saitenlänge, auch wohl etwas mehr; seltener zwei Drittheile dieser Aus-
dehnung. Bei Streichinstrumenten endet das G. meist unmittelbar bei den
f-Löchern (s. d.), wenn nicht ein sorgsamer Erbauer für ein besonderes In-
strument gerade eine andere Länge als geeigneter erachtet hat. — Der Name G.
kommt selbstredend von der Auflassung, dass durch einen Griff (s. d.) auf
ein Brett mittelbar ein bestimmter Ton erzeugt wird, wobei jedoch als selbst-
verständlich gedacht wird: dass der Griff' auf das Brett die feste Abgrenzung
einer einen Ton zeugenden Saite bezwecken muss. Obige Auffassung führte
auch wohl dazu, die Claviatur der Tasteninstrumente »das G.« derselben zu
nennen, weil die Töne durch Griffe auf dieselbe erzeugt werden, wenn man
nicht die selbstverständlich gedachte Beschränkung, wie dies jetzt fast durch-
gängig geschieht, als die Auffassung mitbestimmend achtet. Schliesslich sei
noch erwähnt, dass die Erfindung des G. eine uralte ist. Wir finden in China
über 2500 v. Chr. beim Kin (s. d.) das G. unserer Lauteninstrumente und
wenige Zeit danach dasselbe in Indien bei der Vina (s. d.), wie dasselbe fast
gleichzeitig auch wohl auf dem Monochord der alten Aegypter angewandt
worden sein muss, indem sonst wohl nicht in kürzester Folgezeit danach die
Zwei- und Mehrsaiter mit dem unsern Streichinstrumenten ähnlichen G. dort
hätten gepflegt werden können. Siehe hierüber den Artikel »ägyptische Musik«
in diesem "Werke, I. Theil S. 49 und 50. Ob die G. der letzterwähnten Ton-
werkzeuge Bunde hatten oder nicht, lässt sich bis jetzt nicht mit Gewissheit
nachweisen; wahrscheinlich ist jedoch das Vorhandensein von Bunden. Wie
schon oben bemerkt, haben im Abendlande die Streichinstrumente erst mit dem
Beginn des 17. Jahrhunderts die Bunde verloren, indem die oft in diesem
Werke erwähnten geringen Klangunterschiede der gleichbenannten Töne in
den Harmonien der abendländischen Kunst als Erforderniss sich ausbildeten,
deren Darstellung besonders den Streichinstrumenten zufiel, welchem Erfor-
384 Griffi — Grimaldi
derniss jedocli uiemals genügt werdeu könnte, sobald die Gr. dieser Instrument-
gattuug Bunde hätten. 32.
Grii'ü, Orazio, italienischer Tonsetzer der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts, von dessen Compositionen noch fünfstiramige gedruckte Madi'igale
(Venedig, 1Ö8G) übrig geblieben sind.
Griffluj Georg Charles, englischer Claviercomponist und Musiklehrer,
geboren um 1770 zu London, hat daselbst Sonaten, Concerte u. s. w. für Har-
psichord veröflfentlicht.
Grilfiuo, Giacomo, italienischer Opern- und Kircheucomponist, war zu
Ende des 17. Jahrhunderts Kapellmeister an der Kirche zu Lodi und hat
u. A. die Opern: y>La fede nel tradimento<s. (1691), »Za pazzia d'Orlandoa (1692)
und »La Gosmenan (1693) in Musik gesetzt. f
Grifflöcher nennt man die an verschiedenen Blasinstrumenten befindlichen
Löcher, die mittelst der Jb'inger zur Erzeugung von Tönen geschlossen oder
geöffnet werden. 0.
Grifoui, Antonio, italienischer Componist, der meist in Venedig lebte,
woselbst er 1770 als op. 1 seiner Werke Sonate da camera für zwei Violinen
und Violoncello mit Cembalo erscheinen Hess.
Griguy, N. de, französischer Organist, welcher an der Kathedralkirche zu
E,heims augestellt war und ums Jahr 1700 ein Orgelbuch herausgab, in dem
eine Messe und Hymnen auf die vornehmsten Eeste des Jahres enthalten
waren. f
Grill, Franz, deutscher Tonkünstler, welcher um 1795 zu Oedenburg als
Kammermusiker eines ungarischen Edelmannes starb, hat seit 1790 sich durch
mehrere im Haydn'schen Style geschriebene Compositionen bekannt gemacht.
Zuerst in Oflfenbach erschienen von ihm 1790 und 1791: III Soiiates p. le
Clav. av. Viol. ohl. op. 1 , III Sonates ebenso op. 2 , III Quatuors ä 2 Viol.,
A. et Volle., op. 3, Haydn gewidmet, III Sonates op. 4, III Quat. op. 5,
VI Sonates op. 6 und VI Quat. op. 7; in AVien: 1791 Caprice p. le Clav.,
VI Duos conc. p. le Clav, et Viol., 1795 II desgleichen, 1792 III Quatuors
ä 2 V., A. et Vc. und 1795 ein Quatuor. t
Grille, Griovanni Battista, ein aus Frankreich stammender Componist,
wurde am 30. Septbr. 1619 zum ersten Organisten an der St. Marcuskirche zu
Venedig erwählt und verwaltete dies Amt bis 1623. Vgl. v. Winterfeld, »Gabrieli und
sein Zeitalter«, Band I. S. 198, und Doglioni, Cose notahili della citta di Venezia
p. 207. Von seinen Compositionen hat er »Sacri concentusa. (Venedig, 1618)
veröffentlicht. t
Grille, Nicolo, italienischer Kirchencomponist um 1750, von dessen Com-
position besonders Cantaten und die Musik zu neapolitanischen Volkspoesien
über die Grenzen seines Vaterlandes hin hochgeschätzt waren. f
Grimaldi, ein altberühmtes italienisches Geschlecht, ist nächst den Fieschi's,
Doria's und Spinola's die vierte der zum alten Adel gerechneten Familien
Genua's. Im Staate und in der Kirche, nicht minder in der Wissenschaft und
Kunst spielte sie über 500 Jahre laug (der letzte männliche Sprössling starb
1834) eine grosse Eolle. In der Musik zeichneten sich aus: Francesco An-
tonio G., geboren 1740 zu Seminora, gestorben 1784 zu Neapel, woselbst er
Advocat gewesen war, lieferte ausser mehreren geschichtlichen Werken über
Neapel und die Verfassung dieses Landes auch eine kleine Schrift: y>Lettera
sopra la musicaa (Neapel, 1766). — Ritter Nicolini G., um 1685 zu Venedig
geboren, war in seinem Vaterlande bereits als Basssänger der Oper berühmt,
als er 1710 London besuchte, mit dem grössten Erfolge auftrat und u. A. auch
in Handels »ßinaldo« sang. Dort verfasste er auch die Textbücher zu »Ham-
lettt und »Hydaspea, welche Opern 1712 zur Aufführung gelangten. Später
war er wieder in Venedig, wo er zum Ritter von San Marco ernannt worden
war; Quantz hörte ihn daselbst im J. 1726. In Italien kannte man ihn nur
unter dem Namen Nicoliui, — Giovanni Pictro G. , geboren zu Genua,
Grimarest — Grimm. 385
wurde Carmeliter und zuletzt Generalvicar seines Ordens in Rom. Er starb
1631 und galt für einen guten Dichter und Yocal- wie Instrumentalmusiker,
der sich in seinem Wirkungskreise um die Pflege der Musik sehr verdient ge-
macht haben soll. — Luigi G. della Pietra, der letzte Spross dieser Fa-
milie, gestorben am 28. Juni 1834 zu Turin, war ein vortrelflicher Violinist
und auch Componist für sein Instrument.
Griniarestj Jean Leonard le Gallois, s. Gallois.
Grimbaldus, gelehrter französischer Mönch und Priester des 9. Jahrhun-
derts, der vom Könige Alfred 885 nach Oxford berufen wurde, um die Wissen-
schaften daselbst fördei-n zu helfen. Er hielt zwei Jahre nach seiner Berufung
daselbst, oft in des Königs Gregenwart, auch Vorlesungen über Musik. Vgl.
Grerberts Geschichte der Musik und Hist. of Music hy Hawkins Vol. I. p. 413.
t
Grimm, Friedrich Melchior, Baron von, ein geistreicher Kunstkenner,
der während seines langen Aufenthalts in Paris mit den ausgezeichnetsten zeit-
genössischen Persönlichkeiten in naher Verbindung stand, war zu Regensburg
am 25. Decbr. 1723 geboren und erhielt durch seine keineswegs bemittelten
Aeltern eine sehr sorgfältige Erziehung. Er studirte zuletzt in Leipzig und
kam 1747 nach Paris. Hier wurde er Vorleser des damaligen Erbprinzen von
Sachsen- Gotha, allein diese Stelle war nicht so lohnend, um seine Lage zu
einer günstigen zu gestalten. Jedoch lernte er J. J. Rousseau kennen, mit dem
er gleiche Begeisterung für die Musik theilte, und wurde durch diesen bei
Diderot, dem Baron Holbach, der Frau von Epinay und anderen durch Geist
und Geburt ausgezeichneten Personen eingeführt; überall gelang es ihm,
sich in Gunst zu setzen. Als Secretair des Grafen von Friesen, Neffen des
Marschalls von Sachsen, kam er noch mehr in die vornehmen Gesellschaften
lind suchte sich besonders den Frauen dui-cli feines und gewandtes Wesen, so-
wie durch äussere Eleganz zu empfehlen. Als die Ankunft der italienischen
Bouffons in Paris (1752) alle Kenner und Freunde der Musik in zwei Par-
theien spaltete, von denen die eine für LuUi und Rameau, die andei'e für die
italienischen Componisten schwärmte, ei'klärte sich G. entschieden für die letztex'e
und stand an der Spitze des Oohi de la reine, so genannt, weil diese Parthei
sich im Parterre unter der Loge der Königin zu versammeln pflegte, während
die Freunde der französischen Musik den Coin du. roi bildeten. Er schrieb bei
dieser Gelegenheit zuerst die Broschüre y>Lettre sur Omphalea (Paris, 1752),
sodann aber die kleine pikante Schrift voll Geist, Witz und Geschmack »ie
petit prophete de Bömischbroda« (Paris, 1753), und als die Gegner darauf zu
antworten versuchten, schlug er sie durch seine y>Leffre sur la mmiqiie fran-
gaisev. völlig aus dem Felde. Doch gab letztere ein so gewaltiges Aergerniss,
dass anfangs von Verbannung und Bastille die Rede war, bis endlich die Wuth
sich legte und dem Verfasser statt dessen der Beifall aller Freunde der neuen
Musikrichtung und der italienischen " Truppe zu Theil wurde. Die Verbin-
dungen G.'s mit den Encyclopädisten, seine Verhältnisse zu den Grossen Frank-
reichs, seine Kenntnisse, sowie die Geschmeidigkeit seines Geistes öffneten ihm
nun bald eine glänzende Laufbahn. Nach des Grafen von Friesen Tode wurde
er Secretair des Herzogs von Orleans. Damals fing er an, seine literarischen
Bulletins für die Herzogin von Gotha und mehrere andere deutsche Fürsten •
über Gegenstäjde der französischen Literatur, Philosophie, Musik, Malerei
u, s. w. zu schreiben, welche nach seinem Tode gesammelt erschienen, als:
yiCorrespondance Uteraire, philosophique et critiquev. (16 Bde., Paris, 1812, nebst
Supplement von Alex. Barbier, Paris, 1814; neue vervollständigte Ausg., 15 Bde.,
Paris, 1829 fg.; deutsch im Auszuge, 2 Bde., Brandenburg, 1820—1823). Die
geistreichsten Analysen und glänzende, pikante UrtheUe sprechen sich in diesen
Briefen aus; diejenigen über Musik sind voller Geist und Schärfe, aber nicht
frei von Vorurtheilen und Irrthümern. Auch nachdem er 1776 zum Baron
und vom Herzoge von Gotha zu dessen bevollmächtigten Minister am fran-
Miisikal. Couvers.-Lexikou. IV. 25
386 Grimm — Grimmer.
zösisclien Hofe ernannt worden war, setzte er seine literarischen Correspon-
denzen fort. Nach dem Ausbruche der Revolution begab er sich nach Gotha,
wo ihn 1795 die Kaiserin Katharina von Russland zum Staatsrath und zu
ihrem bevollmächtigten Minister in Hamburg ernannte, welchen Posten er be-
kleidete, bis eine Krankheit, in Folge deren er ein Auge verlor, ihn nöthigte,
seine Entlassung zu nehmen. Er ging hierauf wieder nach Grotha und starb
daselbst am 19. Decbr. 1807.
Oriiiim, Heinrich, deutscher Componist und musikalischer Schriftsteller,
lebte in der Wendezeit des 16. und 17. Jahrhunderts und war nach einander
Cantor in Magdeburg und Braunschweig. An theoretischen Werken von ihm,
die aber jetzt sehr selten sind, kennt man: »Z)e monochordon und »Unterricht,
wie ein Knabe nach der alten Guidonischen Art zu solmisiren leicht angeführt
werden könne« (Magdeburg, 1G24); an Compositioneu: -nTirocinia seu exercitia
tironum musica concertaUonihus variis tarn ligatis quam solutis ad tres voces con-
cinnataa (Halle, 1624), ferner mehrere fünf- und sechsstimmige Messen, deutsche
Psalme etc. Gerber besass einige Compositioneu G.'s in Tabulaturschrift; ein
fünfstimmiges Kyrie und Gloria von ihm befindet sich in Becker's »Sammlung
von Kirchengesüngen berühmter Meister aus dem 15. bis 17. Jahrhundert«
(Leipzig, 1834).
Grimm, Johann Friedrich Karl, musikkundiger Mediciner, geboren
1737 zu Eisenach und gestorben als Leibmcdicus und Hofrath zu Gotha, gab
heraus: »Bemerkungen eines Reisenden durch Deutschland, Frankreich, Holland
und England« (Altenburg, 1775), worin mehrere Briefe die damaligen Musik-
zustände so treu schildern, dass Forkel dieselben in seine musikalisch kritische
Bibliothek Band I. S. 232 etc. aufnalim. t
Grimm, Julius Otto, hervorragender deutscher Pianist und Componist
der Gegenwart, geboren um 1830 zu Bernau, machte seine höheren musi-
kalischen Studien auf dem Conservatorium zu Leipzig. Nach Vollendung der-
selben wurde er nach Göttingen berufen, siedelte aber später als Dirigent des
Musikvereins nach Münster über, in welcher Stellung er sich, die edelste Rich-
tung der Kunst pflegend und fördernd, noch jetzt befindet. Nebenbei ertheilt
er auch Unterricht im Gesang und Clavierspiel. Seine im Druck erschienenen
Compositioneu bestehen aus Orchesterwerken verschiedener Art, Pianoforte-
sachen, Gesängen und Liedern. Eine Suite von ihm für Streichinstrumente
in Kanouform hat mit Erfolg die Runde durch die Concertsäle Deutschlands
gemacht.
Grimm, Karl, königl. Hofinstrumentenmacher in Berlin, geboren daselbst
1794, ei'langte durch die von ihm nach dem Vorbilde der besten italienischen
Meister gefertigten Saiteninstrumente, besonders durch seine vorzüglich ge-
bauten klangvollen Harfen, einen sehr ausgebreiteten Ruf. Er starb, auch als
ausgezeichneter Trompetenbläser gerühmt, am 16. Juni 1855 zu Berlin. Die
von ihm während einer dreissigj ährigen Thätigkeit in Flor gebrachte Handlung
übernahm 1851 unter der alten Firma C. Hellmig. — Sein Sohn Karl
Coustantin Louis G. , geboren am 17. Febr. 1821 zu Berlin, widmete sich
von seinem achten Jahre an dem Harfenspiele und brachte es, durch Parish-
Alvars vorzüglich gefördert, zu ausgezeichneter Virtuosität auf diesem Instru-
mente. Nachdem er sich seit 1837 mit grösstem Erfolge öffentlich hatte hören
lassen, wurde er 1844 als königl. Kammermusiker und erster Harfenist der
Hofkapelle in Berlin angestellt und erhielt 1869 bei Gelegenheit seines 25jäh-
rigen Jubiläums den Titel eines königl. Concertmeisters. G. ist auch als
Componist für sein Instrument bedeutend, hat jedoch von seinen Arbeiten
nichts veröffentlicht.
Grimmer, Franz, guter deutscher Sänger und Componist, geboren 1728
zu Augsburg, lernte die Musik bei seinem Vater, einem bischöfl. Trompeter,
und bei Giulini und setzte die Musikübung während seiner akademischen
Studienzeit in Salzburg eifrig fort. Als er im philosophischen und juristischen
Grisar ~ Grisi. 387
Fache keine Anstellung zu finden vermochte, ging er als Sänger zur Kober-
wein'schen, dann zur Berner'schen Schau.spielertruppe. Später gründete er ein
Kindertheater, für das er kleine Opern componirte, die er auch selbst dirigirte.
Als jedoch nach einiger Zeit dies Unternehmen sich nicht mehr halten konnte,
verlegte er sich auf Ertheilung von Unterricht und starb 1807 zu Biberach.
Grisar, Albert, talentvoller belgischer Opern- und E-omanzencomponist,
geboren am 26. Decbr. 1808 zu Antwerpen, erlernte zunächst in seiner Vater-
stadt und in Liverpool die Handlung, nebenbei Musik treibend. Seine Vor-
liebe für die letztere wurde so stark, dass er sich 1830 heimlich nach Paris
begab, wo er eifrige Studien bei ßeicha begann. Die belgische Revolution
rief ihn aber allzu früh zu seiner Familie nach Antwerpen zurück, wo er seine
Compositionsversuche fortsetzte und durch die berühmt gewordene Romanze
•>■> La f olles, seinen Ruf begründete. Auch seine erste komische Oper, »ie ma-
nage imjpossiblea , zu Anfange 1833 in Brüssel gegeben, fand Beifall und ver-
anlasste die Regierung, ihm ein Studienstipendium auszusetzen. Gr. eilte hierauf
wieder nach Paris, wo es ihm gelang, als Componist von Romanzen sehr be-
liebt zu werden. Nun trat er mit Opern und Operetten hervor: 1836 mit
y>Sarah<i, 1837 mit »L^an mih, 1838 mit »ie naufrage de Medusea (gemein-
schaftlich mit Flotow und Piloti) und mit r>L^opera ä la courv. und 1839 mit
y^Lady Melvil«, die sämmtlich so viele aumuthige und ansprechende Nummern
enthielten, dass sie die freundlichste Aufnahme fanden. Seitdem folgten mit
immer mehr sich steigerndem Erfolge: »Xe carülonneur de Brttges«. (1842),
}>L'eau merveilletcsea (1844), y>GiUes ravisseur (1849), »jBoä soir, Monsieur Pan-
talon« (1852), »ies amotirs du diahlea (1853), »ie cJden du jardinier«. (1855),
r>Le joailler de St. James« (1861, die umgearbeitete nLadt/ MelviW) und -»La
chatte metamorphosee« (1862), von denen »das "Wunderwasser«, »Guten Abend,
Herr Pantalon« und »die verwandelte Katze« auch in Deutschland sehr beliebt
wurden. Trotz seines Talentes und seiner Fruchtbarkeit gelang es G-. nicht,
in eine gesicherte Vermögenslage zu kommen , und er starb in dürftigen Ver-
hältnissen am 15. Juni 1869 zu Asnieres bei Paris. In seinem Nachlasse
fanden sich noch sechs vollendete Opernpartituren, die er bei Lebzeiten ver-
geblich den Bühnendirectionen angeboten hatte.
Grisi, zwei Schwestern und beide berühmte italienische Sängerinnen. Die
ältere, Griuditta Gr., geboren zu Mailand im J. 1805, wurde ihrer schönen
Mezzosopranstimme wegen Gesangstudien zvTgeführt, die sie auf dem Conser-
vatorium ihrer Vaterstadt unter Minoja und Bauderali vollendete. Nachdem
sie in den dortigen Couservatoriumsconcerten mit Beifall aufgetreten war, machte
sie 1823 einen erfolgreichen künstlerischen Ausflug nach Wien und sang
darauf auf den Opernbühnen von Mailand, Parma, Florenz, Genua u. s. w.
In Venedig schuf Bellini eigens für sie den Romeo in seinen ytMontecchi e
Capulettifj und diese Rolle besonders -begründete ihr einen ungeheuren Ruf.
Als sie im Novbr, 1832 in Paris als liStraniera« debütirte, fand man sich ihrem
Rufe gegenüber enttäuscht, der Romeo jedoch und der Malcolm in Rossini's
rtBonna del lagov. verschafften ihr vollständige Erfolge. Seit 1833 verblieb sie
in Italien und zwar, da sie sich mit einem Grafen Barni verheirathete, zurück-
gezogen von der Bühne. Sie starb am 1. Mai 1840 auf ihrer Villa bei Ro-
becco, unfern Lodi. Ihr Vater, ein ehemaliger Capitain Napoleons, überlebte
nicht blos sie, sondern auch seine jüngere, noch berühmtere Tochter. — Diese
letztere, Giulia G., war am 28. Juli 1811 zu Mailand geboren. Gemäss den
Traditionen der Familie, denn ihre Tante war die gefeierte Sängerin Grassini
(s. d.), musste auch sie, 11 Jahre alt, obgleich man an ihrem Gesangtalente
zweifelte, das Mailänder Conservatorium beziehen, von wo aus sie jedoch in
das Mantalettenkloster in Florenz gebracht wurde. Drei Jahre später wurde
sie dem Gesanglehrer Giacomelli in Bologna zugewiesen, und dieser wuöste in
der That erst ihre Stimme hervorzulocken und zu bilden, so dass sie, unter-
stützt von grosser Körperschönheit, 1828 als Emma in Rossini's »Zelmira« mit
25*
388 Grisippos — Grob.
glänzendem Erfolge in Bologna debütiren konnte. Alsbald für den Carneval
daselbst engagirt, sang sie im »Barbier«, im y^S^oso di provincia<i. und in »Tor-
valdo e Dorlisca«, Parthien, die den Anfang ihres mit ihrem Ruhm gleich-
massig wachsenden Rollcnkreises bildeten. Hierauf ging sie nach Florenz und
1829 an das Scalatheater in Mailand, wo gerade auch die Pasta sang, die sich
so sehr für die junge, überaus strebsame Collegin iuteressirte, dass sie, ebenso
der Componist Marliani, dieselbe freundlich und uneigennützig in der Vollendung
ihrer Gesangstudien unterstützte. Auch Rossini und Bellini, der für sie die
Parthie der Adalgisa schrieb, näherten sich dem neu aufgehenden Glesangsterne,
und das Publikum scliwärmte für ilir Talent und ihre Jugend. Dadurch selbst-
bewusst geworden, brach sie, als ihr eine höhere Gagenforderung abgeschlagen
wurde, ihren Contrakt mit dem Impresario und ging nach Paris, wo sie durch
Vermittelung ihrer Verwandten alsbald ein Engagement an der italienischen
Oper erhielt. Gleich ihr erstes Debüt daselbst, am 16. Octbr. 1832, in Ros-
sini's »Semiramis« sicherte ihr den weiteren grossartigen Erfolg, zu dem ihre
wahrhaft antike Schönheit, die Reinheit, Leichtigkeit und Grösse ihrer Stimme
nicht das Geringste beitrugen. Dieser Erfolg blendete sie jedoch nicht; sie
setzte ihre Studien noch immer eifrig fort, und mit ihren eminenten Eort-
schritten wuchs auch ihre Popularität und hielt noch drei Jahrzehnte in Paris
und London Stich. Verschiedene Opern, so 1834 die Puritani von Beliini,
wurden in Paris eigens für sie geschrieben; sie führte gewissermassen das
mezza voce-Singen, das ihr kaum Jemand seitdem in gleicher Art nachgemacht,
erst ein. Hochtragische Rollen wie Norma waren ihr Anfangs zwar weniger
vortheilhaft, doch gewann ihre Stimme mit der Zeit an Umfang und Macht,
so dass sie auch als Herrscherin im dramatischen Genre gelten konnte. Wäh-
rend fünfzehn Jahren versah die G. das Amt der Primadonna abwechselnd in
Paris und London, für welche letztere Stadt sie eine besondere Vorliebe hegte.
Zum ersten Male verheirathete sie sich im J. 1836 mit dem Marquis de Melcy;
nach Auflösung dieser Ehe schloss sie im J. 1844 eine zweite Verbindung
mit dem berühmten Tenoristen Mario, der fünf Kinder entsprossen. (Kaiser
Nicolaus nannte sie Grisetten; »nein Marionetten«, erwiederte die geistreiclie
Frau.) Mit Mario unternahm die G., welchen Namen sie auch in ihrer Ehe
stets beibehielt, bis 1862 verschiedene Reisen, auch eine nach Amerika im
J. 1854; das »kostbare Nachtigallenpaar«, wie Heine sagt, erntete, obwohl be-
reits Frische und Glanz seiner Stimmen fast gänzlich gewichen war, wenig-
stens viel Metall. Endlich, im J. 1862, zog sich die Künstlerin definitiv von
der Bühne zurück, zur Freude ihrer Verehrer, die es geschmerzt hatte, den
Verfall der einst so gefeierten Sängerin anzusehen. Auf einer Reise nach
Petersburg zu ihrem Gatten begriffen, ülierfiel sie eine Lungenentzündung und
allein in der fremden Stadt, fern voii ihrer sonnigen Heimath, überraschte die
Künstlerin das Lebensende am 29. Novbr. 1869 zu Berlin. Ihre Leiche wurde
von dort nach Paris übergeführt, wo sie auf dem Pere Lachaise in dem Grabe
ihrer beiden vorangegangenen Töchter imd nicht weit von Rossini, mit welchem
sie im Leben so oft verkehrte, ruht. — Eine Ernestina G., Cousine der
Vorgenannten, 1818 in Mailand geboren, hat sich als Sängerin in Italien gleich-
falls grossen Ruf erworben.
Grisippos, ein Musiker im alten Griechenland, der sich besonders dadurch
bekannt machte, dass er verliebten Leuten Nachtmusiken fertigte; derselbe soll
auch in der Behandlung des Trigono und der Sambuca sehr geschickt gewesen
sein. Vgl. Athen, lib. 14. t
Grob ist ebenso wie gravitätisch (s. d.) ein von früheren Orgelbauern
öfter angewandtes Beiwort zu Registerbenennungen der Orgel, statt dessen man
jetzt, wenn man überhaupt ein solches anwendet, das Wort »gross« gebraucht.
G.-Stimmen sind also sogenannte grosse Orgelstimmen, d. h. solche, die grösser
im Manual oder Pedal sind, als deren normale Grundstimmen (s. d.), die
im Manual 2,5 und im Pedal 5 metrig angenommen werden. So nennt man
Grobgedackt — Grönemann. 389
z. B. G.-Subbass, Gr.-TJntersatz etc. eine lOmetrige Pedalstimme, die ge-
wöhnlicli nur ömetrig gebaut wird, und G.- Gedackt, Gr.-Principal etc. eine
5 metrige Manualstimme, welche nach der Regel 2,5 metrig gefertigt werden
muss. Da unter den einfachen Namen die Eigenheiten der verschiedenen Orgel-
register aufgezeichnet sind, so ist hier nur darauf aufmerksam zu machen, dass
alle Registereigenheiten auch den Zügen eigen sein müssen, welche das Bei-
wort Gr. oder gross führen und dies Beiwort nur anzeigt, dass der Klang
dieses Registers eine Octave tiefer und die Bauart desselben noch einmal so
gross ist, als ein den gleichen Namen ohne diesen Zusatz führendes Register.
0.
Grobg-edackt ist durch die Systematik liebenden Orgelbauer als Name der
Ömetrigen Orgelstimrae Gedackt (s. d.), welche, wenn 2,5metrig, dann stets
letztern Namen erhält, eingeführt. Diese Systematik fordert die Benennung
Still-Gedackt (s. d.) für das ähnliche l,25metrige Register. Oft findet man
jedoch diese Benennung nicht ganz diesem System entsprechend angewandt,
was jedoch nicht zu empfehlen ist. 0.
Groblicz, A., ein Instrumentbauer zu "Warschau in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, soll nach Lohlein 's Zeugniss vorzügliche Violinen nach
Muster der berühmten Stein'schen gefertigt haben. f
Groblicz, Mar, polnischer Instrumentenmacher, vielleicht ein Vorfahre des
Vorigen, über dessen Lebensumstände jedoch gar nichts bekannt ist. Im J. 1861
befand sich auf der Ausstellung polnischer Alterthümer in Lemberg eine aus-
gezeichnete Viola di Gamha von ihm mit der Inschrift: Ad D(ei) G(raUarn)
ukonczyl M. Groblicz r. 1602 (verfertigt von M. Groblicz im J. 1602). Sie
hatte einen Bezug von sechs Saiten: D, G, c, e, a, d, und war meisterhaft ge-
arbeitet, M — s.
Grobstimme ist eine der drei zunftgemässen, wunderlichen Tonbenennungen
der früheren Trompeter für den ersten Aliquotton (s. d.) ihres damals meist
in C- Stimmung geführten Instruments, welcher unserm heutigen kleinen c ent-
sprach. Die andern beiden Benennungen waren: Flattergrob (s. d.) für das
grosse C, und Faulstimme (s. d.) für das kleine g. 2.
Grobstimme, Heinrich, s. Baryphonus.
GröbenscLütz, J., königl. Kammermusiker und Bratschist der Hof- und
Opernkapelle zu Berlin, verband mit dieser Stellung die Führung einer Musi-
kalien-Verlagshandlung, die er 1799 von der Firma »Simon Schropp und Comp.«
in Berlin übernahm und in Gemeinschaft mit seinem Schwiegervater Seiler
unter der Firma »Gröbenschütz und Seiler« bis zu seinem Tode, im J. 1837,
fortführte. Als Kammermusiker hatte er sich bereits 1826 pensioniren lassen.
— Seine Gattin, Amalie G,, geborene Seiler, galt für eine treffliche Ciavier-
spielerin und Musiklehrerin und fand in der Zeit von 1809 bis 1816 in Con-
certen stets grossen Beifall. Sie starb 1845 zu Berlin. Rondos und Tänze
ihrer Composition sind im Vei'lage ihres Mannes im Druck erschienen. —
Der Sohn der beiden Vorgenannten, Felix G., ein tüchtiger Mediciner, der
zuletzt Medicinalrath in Stettin wurde, hat sich als Gesangcomponist nicht un-
rühmlich ausgezeichnet und verschiedene ein- und mehrstimmige Lieder in
Berlin, Leipzig, Hamburg und Kopenhagen herausgegeben.
Groben, s. Groh.
Groene, Anton Heinrich, fürstlich lippescher Kammersecretair zu Det-
mold, gab »Religiöse Lieder historischen Inhalts, von L. F. A. von Colin ge-
dichtet« (Rinteln, 1791), 1792 »Zwölf Serenaden für das Ciavier mit einer theils
obligaten, theils begleitenden Violine vmd Violoncello«, 1789 »Zwei Sonaten
für Ciavier« und »Sechszehn Singstücke« heraus, welche Compositionen in der
Jenaer Literatur- Zeitung von 1792 No. 109 eine nicht unvortheilhafte Be-
sprechung erfuhren. f
Gröuemann, Albert, deutscher Violinvirtuose, Orgelspieler und Componist,
geboren zu Köln, lebte um 1739 zu Leyden , wo man seine Meisterschaft auf
390 Groenevelt — Groll.
der Violine der des berühmten Locatelli, der sich damals gerade in Amsterdam
aufhielt, gleichstellte. Damals veröfiFentlichte er auch mehrere Violinsolos und
Trios für zwei Violinen und Flöte. Um 1750 war er im Haag angestellt und
zwar als Organist an der grossen Kirche. Leider verfiel er in Wahnsinn,
wurde 1758 in eine Irrenanstalt gebracht und starb daselbst bald darauf. —
Sein Bruder, Johann Friedrich Gr., war Flötenvirtuose undichte zu gleicher
Zeit wie sein Bruder zu Amsterdam und dann in London, wo auch mehrei'e
Compositionen für Flöte von ihm ei'schienen.
Groeuevelt, trefflicher Violinist und talentvoller Componist, geboren um
1840, machte seine höheren Musikstudien auf dem Conservatorium zu Leipzig
von 1864 bis 1867 und debütirte als gediegener Musiker mit einem vorzüglich
gearbeiteten Streichquartette. Er ging unmittelbar nach seinen ersten Erfolgen
in Deutschland nach Amerika, liess sich in New- Orleans nieder und wird auch
dort als ausübender Künstler und Musiklehrer sehr geachtet.
Grönland, Johann Friedrich, trefflicher Musikdilettant und Theoretiker,
geboren um 1760 zu Schleswig, studirte, freundschaftlichen Umgang mit Gramer
und Kunze pflegend, von 1780 bis 1782 zu Kiel und betheiligte sich als Mit-
arbeiter eifrig an Cramer's »Magazin der Musik«. Hiernach wurde er Secretair
an der deutschen Kanzlei in Kopenhagen und rückte bis zum Director der
königl. Porcellanfabrik auf. Er starb im Novbr. 1834 zu Altena als Organist
und Musiklehrer. Gr. veröffentlichte ein - und mehrstimmige geistliche und
weltliche Lieder und Gesänge, die interessant in Auffassung und harmonischer
Behandlung sind.
Grob ist der Name zweier deutscher Tonkünstler des 17. Jahrhunderts.
1) Heinrich Gr., welcher herzogl. Kapellmeister zu Merseburg war, gab 1622
»S. W. Marschalcks geistreicher Andachts-Wecker, in Melodien mit vier Stim-
men übersetzt«, und 1676 »Tafel-Ergötzung in zwölf Suiten« heraus. — 2) Jo-
hann Gr., geboren zu Dresden, war um 1623 Organist zu Weissenstein bei
Dresden und machte sich durch verschiedene Compositionen bekannt und be-
liebt. Von seinen Intraden, Paduanen u. s. w. kennt man noch: »36 Intraden«
(Nürnberg, 1603); »30 Newe ausserlesene Padoanen vnd Galliarden auf allen
musikalischen Instrumenten zu gebrauchen« (Nürnberg, 1604); »Bettler-Mantel,
von mancherley guten Fläcklin zusammen geflickt, mit vier Stimmen« (Nürn-
berg, 1607); »30 newe ausserlesene Padoanen vnd Galliarden mit fünf Stimmen,
so zuvor niemals in Truck kommen, sampt einem Quodlibet mit vier Stimmen
componirt« (Nürnberg, 1612) und »der 104. Psalm zu 21 Versiculn gesangs-
weiss gesetzt, vnd nach Art der Mutetten zu 3, 4 — 8 Stimmen« (Nürnberg,
1613). Zu bemerken ist, dass auf dem Titel dieser Werke der Componist oft
Groben oder Krochen geschrieben ist. f
Grohmaun, Johann Christian, erst Professor der Philosophie zu Witten-
berg und später, nach 1812, in gleicher Eigenschaft am akademischen Gym-
nasium in Hamburg thätig, gab u. A. auch »Annalen der Universität Witten-
berg« in drei Theilen (1801 und 1802) heraus, in denen, am Ende des ersten
Theils, die Zustände der Musik zu Wittenberg im 16. Jahrhundert dargestellt
werden. f
Groidl, Karl, trefflicher Violinist und guter Dirigent, geboren 1807 zu
Pressburg, erhielt eine sorgfältige musikalische Erziehung, besonders im Violin-
spiel. Schon mit 20 Jahren konnte er bei dem Theaterunternehmer Stöger
der Orchesterdirektion vorstehen. Er folgte diesem Direktor 1832 nach Wien,
als derselbe die Josephstädter Bühne daselbst übernahm und bekleidete noch
1836 den Posten eines Musikdirektors bei der genannten Bühne, für welclie
er Gelegenheitsmusiken, Melodramen und Singspiele schrieb, die jedoch nur
einen Localruf erlangten.
Groll, Evermodus, deutscher Kirchencomponist, geboren 1756 zu Nit-
tenau in der Oberpfalz, wurde im Benediktinerkloster ßeichenbach , sodann in
Groos — Grose, 391
Kegensburg wissenschaftlich wie musikalisch herangezogen. Er trat hierauf in
das Prämonstratenserkloster Scheftlarn und wurde Musikdirektor und Chor-
regent daselbst. Von seinen Compositionen, unter denen sich auch einige Sin-
fonien und andere Instrumentalwerke befanden, sind nur noch kleine vierstim-
mige Messen bekannt, welche 1790 erschienen sind. Nach Aufhebung seines
Klosters, im J. 1803, lebte G. eine Zeitlang ohne Amt. Erst 1807 erhielt er
die Pfarrei Allershausen, wo er 1809 starb.
Groos, Karl August (nicht Gross), intelligenter Musikfreund und Com-
ponist von volksthümlich gewordenen "Weisen, geboren am 16. Febi'. 1789 zu
Sassmannshausen in der Grafschaft Wittgenstein, studirte Theologie und gab
während eines längeren Aufenthalts in Berlin in den Jahren 1817 und 1818
in Verbindung mit Beruh. Klein heraus: »Deutsche Lieder für Jung und Alt«
(Berlin, 1818). In diesem "Werke befinden sich folgende allgemein bekannt
gewordene Lieder seiner Composition: »Freiheit, die ich meine«, Gred. von
Schenkendorf, »Ach Gott, wie weh thut Scheiden«, altes Volksgedicht, »Ich bin
vom Berg der Hirtenknab'«, Ged. von Uhland, und »Von allen Ländern in der
"Welt«, Ged. von Schmidt v. Lübeck. Als Nx\ 1 in Hoffmann von Fallers-
leben's Volksgesangbuch befindet sich das von G. componirte Lied »Abend wird
es wieder«, G. selbst wurde Consistorialrath und Pfarrer in Coblenz, erhielt
nachmals den Titel eines Regierungsrathes und starb am 20. Novbr. 1861 zu
Coblenz.
Groot, David Eduard de, vorzüglicher holländischer Tonkünstler, ebenso
ausgezeichnet als Clarinettenvirtuose wie als gediegener Componist und Dirigent,
war am 8. April 1795 zu Amsterdam geboren. In seinem Studiengange als
Clarinettist bildete die allgemeine musikalische Ausbildung einen Hauptbestand-
theil. Zum Virtuosen herangereift, fand er nur in Bärmann, Berr und Ca-
vallini ebenbürtige Eivalen, und seine Kunstreisen in den Niederlanden und
Deutschland trugen ihm grossartige Erfolge ein. Seit 1830 lebte er aus-
schliesslich in Frankreich und war einige Zeit hindurch Orchesterdirektor am
Theater zu Marseille, in welcher Eigenschaft er u. A. Spohr's »Faust« zuerst
auf die französische Bühne brachte. Später Hess er sich in Paris nieder, wo
er im Umgänge und geachtet von den bedeutendsten Künstlern seiner Zeit
eine ehrenvolle Stellung einnahm. Er starb am 29. März 1874 zu Paris.
Seine bekannt gewordenen Compositionen bestehen in einer grossen Anzahl
von Originalwerken und von Fantasien, Variationen u. dgl. für Clarinette, die
einen höheren Kunstwerth beanspruchen dürfen. G. hinterliess drei Söhne,
sämmtlich treffliche Musiker, von denen Adolph de G. der bekannteste ist
und als Orchesterchef wie als Componist sich in Paris einen wohlbegründeten
Ruf erworben hat.
Groppetto oder Gruppetto (ital.), der Doppel schlag (s. d.).
Groppo oder Gruppo (ital.), d. i. der Knoten, die Gruppe, bezeichnet in
der Musik eine mordentartige Setzmanier aus vier geschwinden Noten gleicher
Geltung, von denen die erste und dritte auf derselben, die zweite und vierte
auf der nächsthöheren und tieferen Stufe oder umgekehrt stehen, also:
pf-f — -^^^^"rT ' j """^^ Uebrigen sehe man den Artikel Rolle.
Gi'os, Antoine Jean, französischer Tonkünstler, lebte in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts in Paris, wo er Unterricht im Ciavier- und Har-
fenspiel ertheiltc und um 1783 verschiedene seiner Compositionen für diese
Instrumente veröffentlichte, so als op. 4 drei Duos für Claviea- und Harfe, als
op. 5 kleine Airs für Ciavier oder Harfe etc.
Gros, Joseph le, s. Legros.
Grose, Michael Ehregott (Timotheus), deutscher Orgel virtuose und
Componist, war bis 1786 an der St. Gotthardt's- Kirche zu Brandenburg als
392 Gros-fa — Grosheim.
Organist angestellt, ging von dort in gleicher Eigenschaft nach Christiansutid
in Schweden und kam endlich nach Kopenhagen, wo er 1824 noch lebte. Er
galt für einen tüchtigen Künstler auf seinem Instrumente und hat sich auch
als Coraponist hervorgethan, indem er 24 Lieder mit Clavierhegleitung (Leipzig,
1780) und sechs Sonaten für das Ciavier (Berlin, 1785) erscheinen Hess. Noch
andere AVerke von ihm sollen in Kopenhagen herausgekommen sein.
Oros-fa wurden in Frankreich gewisse alte Kirchenstücke genannt, die in
viereckigen, runden und weissen Noten aufgezeichnet waren. Näheres ist bis
jetzt nicht ermittelt worden. Zuerst findet sich dieser Ausdruck im Diction-
naire de musique von J. J. Rousseau aufgezeichnet, jedoch ebenfalls ohne jede
weitere als die eben gegebene Erklärung. Das Wort selbst schleppt sich seit-
dem zwecklos durch die musikalischen Wörterbücher. Wenn nicht endlich
einmal eine gewichtigere Aufklärung über die Bedeutung des Wortes G-. er-
forscht wird, so dürfte das gänzliche Auslassen dieses Ausdruckes vorzu-
ziehen sein. 0.
Groslieim, Georg Christoph, tüchtiger deutscher Tonkünstler und Musik-
pädagoge, geboren am 1. Juli 1764 zu Kassel, war das neunte von zwölf Kin-
dern eines Hofmusikers des Landgrafen Friedrich II. von Hessen. Einen
kümmerlichen Ciavier- und Greneralbassunterricht erhielt er von einem Freunde
seines Vaters, musste sich aber um so mehr als Notenschreiber üben, um dem
kärglichen Verdienste seiner Familie zu Hülfe zu kommen. J. J. Bousseau's
Werke, die er schon früh las, machten einen unauslöschlichen Eindruck auf
ihn und regten ihn an, die Partituren für die Oper und die Kirche, die er zu
copiren hatte, nicht blos anzusehen, sondern auch zu studiren. Achtzehn Jahre
alt, trat er als Bratschist in die Flofkapelle zu Kassel und wurde zugleich
Musiklehrer am dortigen Schullehrerseminar. Die Auflösung der Hofkapelle
und des Theaters nach Friedrich's IL Tode versetzte ihn, da er noch immer
für Eltern und Geschwister zu sorgen hatte, in die traurigste Lage, der ihn
auch die damals erlangte Gesanglehrerstelle an der Bürgerschule nicht völlig
zu entreissen vermochte. Für die Verlagshandlung von Schott in Mainz schrieb
er viele Choralvorspiele, Chorgesänge, sammelte die besten Volkslieder, com-
ponirte »Hector's Abschied« von Schiller und gab die musikalische Zeitschrift
»Euterpe« (4 Thlc.) heraus. Als Kurfürst Friedrich Wilhelm I. ein neues
Theater errichtete, wurde G. Musikdirektor an demselben und schrieb die Opern
»Titauia« und »Das heilige Kleeblatt«, aus denen die einzelnen Nummern bei
Simrock in Bonn erschienen. Doch schon nach IV2 Jahren wurde auch dieses
Theater wieder aufgelöst und G.'s Bedräugniss erneuerte sich und liielt an,
bis er endlich zum Musiklehrer der Königin von Westphalen ernannt wurde,
welche Stelle er auch bei der nachgehends wieder zurückgekehrten Kurfürstin
von Hessen behielt. Seitdem war er überhaupt ein gesuchter Musiklehrer, der
alle freie Zeit der Composition und Schriftstellerei widmete, welche Beschäf-
tigung im freundschaftlichen Umgange mit Seume und dadurch, dass ihm die
Universität Marburg den Doctortitel vei'lieh, einen neuen Aufschwung erhielt.
Er war lange Zeit fleissiger Mitarbeiter an der »Eleganten Zeitung«, dem
»Freimüthigen«, dem in Holland erscheinenden »Araphion« und an der »Cäcilia«,
wie er denn auch für Schilling's »Universallexicon der Tonkunst« zahlreiche
Artikel vcrfasste. An selbstständigen Werken schrieb er: »Ueber den Verfall
der Tonkunst« (Göttingen), »Elementarlehre des Generalbasses«, eine Biographie
der Mara, ein chronologisches Verzeichniss von Meistern und Beförderern der
Musik, Fragmente einer Geschichte der Tonkunst, »Versuch einer ästhetischen
Beleuchtung mehrerer musikalischen Meisterwerke«, »Mein Testament«, »Ueber
die Pflege und Anwendung der Stimme« u. s. w. Componirt hat er ausser
den weiter oben angeführten Werken: Volkslieder für Schulen (9 Thle.), 24
dreistimmige Choräle, vierstimmige religiöse Gesänge mit Orchesterbegleitung,
die zehn Gebote, Messen, Psalme, die französiscl>c Oper iiLes eselai'es d^Alffer«,
das geistliche Drama »die Sympathie der Seelen«, viele Ciavierstücke, Lieder
Grosier — Gross. 393
und Gesänge. Bndlich besorgte er auch ein vollständiges Choralbuch und gab
einen neuen Ciavierauszug von Gluck's »Iphigenia in Aulis«, deren Text er
ebenso wie den zur »Iphigenia in Tauris« übersetzt hatte, heraus. — G. starb
zu Kassel im J. 1847.
Grosier, Abbe Jean Baptiste Gabriel Alexandre, auch Grossier
geschrieben, französischer Schriftsteller, geboren 1743 zu St. Omer, gestorben
1823 zu Paris, gab in seinem grossen "Werke n Description generale de la Ghine<s.
u. A. auch Aufschlüsse y^Sur les pierres sonores de la Oliinev..
Grosjean, Jean Romary, verdienstvoller französischer Orgelvirtuose und
Componist, geboren am 12. Jan. 1815 in Rochesson, einem Dorfe im Departe-
ment der Vogesen, wo sein Vater Handwei'ker war, machte als Musikschüler
des Ortsorganisten Lambert so vorzügliche Fortschritte, dass er schon 1837
als Organist an der Haupt -Pfarrkirche zu Remiremont und 1839 an der Ka-
thedrale von St. Die (in den Vogesen) angestellt werden konnte. Von dort
aus besuchte er häufig Paris, um noch bei Boely auf der Orgel und bei Sta-
maty im Ciavierspiel Anweisungen zu erhalten. Er hat Sammlungen von Orgel-
stücken verschiedener Componisten, untermischt mit eigenen Arbeiten, zum
gottesdienstlichen Gebrauche herausgegeben und 1857 in der Bibliothek von
St. Die auch ein interessantes Manuscript, Tractate von Garlandus, Marchettus
von Padua und Franco von Köln enthaltend, aufgefunden, über das Cousse-
maker in einer Schrift siNotiee sur im manuscrit musical<i (Paris) berichtet hat.
Grosley, Pierre Jean, verdienstvoller französischer Gelehrter, Mitglied
der Akademien zu Paris, Nancy, Chälons u. s. w, , zu Troyes am 19. Novbr.
1718 geboren und ebendaselbst am 4. Novbr. 1785 gestorben, hat u. A. eine
kurze »Geschichte der Musik« herausgegeben, die viele interessante Nachrichten
besonders über damalige italienische Componisten enthielt. Das "Werk erlebte
unter dem Titel: »Nachrichten oder Anmerkungen über Italien und die Italiener
von zween schwedischen Edelleuten« (Leipzig, 1766) eine Uebersetzung in's
Deutsche, aus welcher Hiller die im zweiten Bande seiner »"Wöchentlichen Nach-
richten« enthaltenen Auszüge entnahm. f
Gross, ein Eigenschaftswort, das Hauptwörtern beigefügt wird, die über
die gewohnte Ausdehnung hinausgehende Begriffe bezeichnen sollen, findet auch
als Beiwort in der Fachsprache der Musik mannigfache Anwendung. Häufig
hört man zunächst von Orgelbauern dies "Wort gebrauchen. Die Bedeutung,
welche diese demselben, aus der eben entwickelten Auff'assuug hervorgegangen,
beilegen, ist der von grob (s. d.), wie diese an bezeichneter Stelle ausführlicher
erörtert ist, gleich. — Auch in der Instrumentbaukunst im Uebrigen bedient
man sich dieses Ausdrucks. Man spricht z. B. von einer g. Bassgeige, siehe
Contrabass, im Gegensatze zu der kleinen, dem Violoncello (s. d.); einer
g, Trommel (s. d.) etc., indem man früher nur in einer Grösse gebräuchliche
also benannte Tonwerkzeuge als die. normalen denkt. — In musikalisch -ästhe-
tischen Ergehungen ist die Anwendung des "^^ortes g. ebenfalls eingebürgert,
und man möge in dieser Beziehung den Artikel gross in dem "Werke »All-
gemeine Theorie der schönen Künste« von J. G. Sulzer, sowie die Erklärungen
der "Wörter »erhaben«, »grossartig« u. A. in diesem "W^erke nachlesen. —
Endlich ist noch auf die Anwendung des "VV^ortes g. in Bezug auf allgemeine,
oberflächliche Intervallbezeichnung hier einzugehen, wobei zugleich manche
wankenden oder zum Theil schon veralteten Anwendungen desselben mit zu
erwähnen sind. Es kommen hierbei nur die sieben Grundklange oder ein-
fachen Intervalle der Octave in Betracht, da die zusammengesetzten (s.d.),
None, Decime, Undecime etc., Wiederholungen der Secunde, Terz, Quarte u. s. f.,
nur unter gewissen Umständen von den einfachen Intervallen unterschieden
werden, jedoch stets den Gebrauch des Beiwortes g. ebenso wie das ent-
sprechende einfache Intervall fordern. Vom UrbegrifF des Eigenschaftswortes
g. ist die Anwendungsweise bei den Intervallen insofern abweichend , als man
in der That das normale Intervall einer Scala: das grosse nennt. Am
394
Gross.
klarsten giebt diese kleine AufFassungsverscbiebung der Erklärung G. W. Fink
in seinem »System der musikaliscben Harmonielehre« S. 38, wenn er sagt: »Alle
leitereigenen Klänge einer Tonart heisst man g. Intervalle, im Gegensatz zu
den um einen Halbton erniedrigten oder erhöhten, welche dann kleine (s. d.)
oder übermässige (s. d.) genannt werden.« Jedenfalls würde diese Feststel-
lung, allgemein angenommen, in der Intervallbezeichnuug eine Klarheit schaffen,
die durch die Vermengung mehrerer Bezeichnungsweisen in der Gegenwart sich
noch sehr getrübt breit macht. Man findet nämlich für die normalen Inter-
valle: Quarte, Quinte und Octave meist das Beiwort rein in Gebrauch, und
zwar bei beiden letztern mit g. in gleicher Bedeutung. Von den Quarten
nennt man jedoch die normale c — f eine reine, hingegen f — h eine grosse.
Erstere Quarte wird sogar zuweilen die kleine genannt, wie aus der allge-
meinen Musiklehre von G. "Weber (18.31) S. LXIII. erhellt, und letztere die
g. In der nachfolgenden Tabelle finden sich alle g. genannten Intervalle in
0-dur zusammengestellt und zugleich, um deren Vollständigkeit zu erzielen,
einige Klänge über die Octave hinaus aufgezeichnet, diesen überdies die rein
genannten, je nach der noch gebräuchlichen Anwendung dieses Beiwortes, be-
zugnehmend auf die gleichzeitige oder besondere von g. zugefügt.
0 D E F G A H c d e
grosse
Secunden.
-s — ^-
-«?— ^-
<-5-
^ '^
grosse Terzen.
^^.
^
^ l' -^
3»
grosse Sexten.
c; 1
1 1
1
\ ' "
grosse
Septimen.
1 1 1
.
^ 1
. ... 1...
1 1
grosse Quarte.
1
..^
1
V j ■:
_ 1
1
-(
reine Quarten.
1
^
-e
,
grosse
Quinten.
1
__
auch
reine Quinten
^
< -L_
-
cen.annt. 1
i
-^
reine Octave.
!
1
+ -t--F-h-f--f- + + + +
reinePrimen.
Treten wir der Anwendung des Eigenschaftswortes rein in der Intcrvallbezeich-
nung näher, so ergiebt sich: dass die ausschliessliche Bezeichnungsweise rein
(s. d.) ihre Entstehung und noch fortwährende Anwendung den unveränderlich
erachteten Schwingungsverhältnissen der hiermit ausschliesslich bedachten Inter-
valle zu danken hat, welche diese als vollkommene Consonanzen fordern. Des-
halb spricht man nur von einer reinen Prime, da derselbe Klang nur durch
eine gleiche Anzahl Schwingungen eines gleichen Körpers geschaffen werden
kann, sowie von einer reinen Octave, weil diese durch dopjjelt oder halb so
viel Schwingungen eines gleichen Körpers, als der Klang, von dem aus sie
gemessen wird, erzielt wird. Die Quinte hingegen, da sie eine kleine Aen-
derung des Schwingungsverhältnisses zulässt, ja sogar im Kunstgebrauch oft
Gross. 395
fordert, wird deshalb von einigen rein, von andern g. genannt. Man sieht, die
Einführung der von Fink vorgeschlagenen Vereinfachung der oberflächlichen
Intervallbezeichnung würde ein Fortschritt sein, der nur durch wenige, die
akustischen Eigenheiten der Klänge bezeichnen wollende Theoretiker noch ver-
hindert wird. Hoffentlich wird bald die Zeit kommen, in der auch diese Un-
klarheit schwinden wird, was, wie gesagt, nur zum Heile der Fachsprache in
der Kunst geschähe, da nur zu Viele, den Grund dieser verschiedenen Bezeich-
nungsweise nicht klar wissend, immer eine gewisse Unsicherheit in ihrer Aus-
drucksweise pflegen, welche durch die Anwendung der Wörter »rein« und
»gross« bei der Quarte nur noch gemehrt wird, indem für den Gebrauch dieser
Wörter dort noch andere Beweggründe maassgebend sind, die zu ergründen
dem eigenen Nachdenken überlassen bleiben mag. Diese oberflächliche Inter-
vallbezeichnung, wie die ursprüngliche Bedeutung des Eigenschaftswortes g.
führte auch zur Anwendung dieses Wortes bei kleineren Intervallbenennungen,
d. h. bei solchen, deren Grösse die mathematische Klanglehre (s. d.) be-
stimmt; man spricht dem entsprechend von einer g. Diesis (s. d.) und einem
g. Limma (s. d.). Solche durch die mathematische Klanglehre aufs Genaueste
festgestellten Intervallverhältnisse, die dem menschlichen Ohre zu erkennen fast
nicht möglich, ergeben nun selbst in grösseren — den Ganz- und Halb-
tönen — noch eine Verschiedenheit, die selbst dem Ohre kenntlich werden
kann, und führten zu dem Gebrauch des Wortes g. auch in der Fachsprache
der Musik in dieser Beziehung. Man spricht demgemäss von einem g. Ganz-
ton und einem g. Halb ton, deren genaue Grösse mitzutheilen hier nicht der
Ort ist, weil über diese, wie über alle anderen beachtenswerthen Bedevitungen
des Wortes g. die Specialartikel das Genauere bieten. Vgl. auch »Allgemeine
Musiklehre« von A. B. Marx, S. 41, die Anmerkung. C. B.
Gross, Benedict Franz, voi^züglicher Concertsänger, geboren zu Keu-
kirch in der preussischen Provinz Schlesien am 26. Aug. 1813, fand seiner
ausgezeichnet schönen Stimme wegen als Knabe Aufnahme im Miuoritenkloster
zu Troppau, woselbst er neben dem wissenschaftlichen zugleich einen gründ-
lichen Musikunterricht vom Kapellmeister Schmitz erhielt. Um Philosophie
und Rechtskunde zu studiren, ging er nach Wien und benutzte diese Zeit,
sich auch im Gesang noch weiter vervollkommnen zu lassen. Aus gesellschaft-
lichen Kreisen, in denen er sich zuerst hören Hess, wurde er bald in die
Oeffentlichkeit gezogen, und sein künstlerisch gebildeter Vortrag, in Verbindung
mit seiner schönen, trefflich geschulten Tenorstimme erregten in Concerten den
grössten Beifall, so dass man sich für die Soloparthien bei grossen Auffüh-
rungen mit Vorliebe seiner Mitwirkung vei'sicherte. Obwohl seine Lebens-
stellung ihm nicht gestattete, die musikalische Beschäftigung zur Hauptsache
zu machen, so stellte er sein Talent, wo es nur anging, zuvoi"kommend allen
wichtigeren Aufführungen zu Diensten und behauptete in jeder Beziehung eine
der ersten Stellungen unter den Dilettanten Wiens. — Ein ebenfalls vortreff-
licher Tenorist der Gegenwart ist Ferdinand G., welcher sich jedoch der
Bühne gewidmet hat. Geboren am 8. Mai 1835 zu Wien, war er ursprünglich
für den Kaufmaunsstand bestimmt und bereits im Comtoir thätig, als ihn seine
schöne, überaus kräftige Tenorstimme, wie seine künstlerischen Neigungen be-
stimmten, sich der Bühnenlaufbahn zuzuwenden, für die ihn der Gesanglehrer
Gentiluomo vorbereiten musste. Nachdem er 1857 in Wien debütirt hatte,
wurde er 1858 in Olmütz, und von dort aus nacheinander in Pressburg, Brunn
und Graz engagirt. Gastspiele in Pesth, Wien, Berlin und Leipzig während
dieser Zeit befestigten seinen Ruf. In letztgenannter Stadt fand er eine be-
sonders glänzende Aufnahme, in Folge deren er im Juli 1865 für das dortige
Stadttheater dauernd gewonnen wurde und während eines sechsjährigen Aufent-
haltes in allen Heldenparthien der deutschen, französischen und italienischen
Oper der Liebling des Publikums war, das ihn 1871 nur ungern nach Rotterdam
scheiden sah. Seit 1873 gehört G. der Bühne in Frankfurt a. M. an. Seine
396 G^ross.
unverwüstlichen Stimmmittel, sein einen Kreis von beinahe 80 Rollen um-
fassendes Eepcrtoir, seine vollkommene musikalische Sicherheit und Bildung,
sowie sein verständnissvolles dramatisches Spiel, welchen Vorzügen gegenüber
gewisse Mängel der Stimme und der Scliule weniger in Betracht kommen,
haben ihn zu einem der geschätztesten Mitglieder der heutigen deutschen Opex-n-
bühne gemacht.
Gross, eine Familie von Kammermusikern der königl. Kapelle in Berlin.
Johann Gottlieb Gr., geboren 1748, war ein vortrefflicher Oboebläser (nicht
Violoncellist) und starb am 8. Juni 1820. — Sein Sohn, Schüler und Amts-
nachfolgor, Friedrich August G. , geboi'en am 17. Mai 1780, wirkte schon
1794 im Orchester des königl. Nationaltheaters mit und erhielt ein Jahr später
seine definitive Anstellung. Er galt für einen ausgezeichneten Virtuosen seines
Instrumentes, war übrigens auch zugleich tüchtiger Glavierspielcr und hat auf
beiden Tonwerkzeugen tüchtige Schüler gebildet. Am 6. Mai 1845 feierte er
sein fünfzigjähriges Jubiläum als königl. Kammermusiker, bei welcher Gelegen-
heit er die goldene Medaille für Kunst erhielt und pensionirt wurde. Er er-
reichte ein für einen Oboisten aussergewöhnlich hohes Alter, indem er erst
1861 zu Berlin starb. — Sein Bruder, Heinrich G., war ein vorzüglicher
Violoncellist und als solcher Schüler Duport's. Schon als Knabe liess er sich
mit grossem Beifall in Berlin öffentlich hören, erhielt um 1703 ein Engagement
bei dem schwedischen Grafen de Geer und wurde etwa zwei Jahre später in
der königl. preussischen Kapelle als erster Violoncellist angestellt. Auch als
solcher liess er sich noch oft erfolgreich öffentlich in Concerten hören , starb
aber schon im J. 1806 zu Berlin. Von seinen Compositionen tür Violoncello
ist nur Weniges, unter diesem eine Sonate op. 1 (Berlin, 1804) und ein Heft
Variationen im Druck erschienen.
Gross, Georg August (nicht Gottfried August), trefflich und vielseitig
gebildeter deutscher Tonkünstler, geboren am 28. Septbr. 1801 zu Königsberg,
bildete sich als Violinspieler nach L. Maurer, als Pianist nach J. N. Hummel
und brachte es auf beiden Instrumenten zu hoher Vollkommenheit. Musik-
theorie und Composition studirte er bei Chr. Urban. Bereits 1820 fungirte G.
als Concertmeister bei dem Orchester in Memel, machte 1830 eine grössere
Kunstreise, wirkte dann als Musiklehrer in Lübeck und erhielt bald darauf
einen Ruf als Musikdirektor nach Hildesheini. Von dort siedelte er 1837 nach
Hamburg über und gründete und redigirte daselbst die »Hamburger musikalische
Zeitung«. Er starb im J. 1853 zu Hamburg. Als Componist zeichnete er
sich durch Gediegenheit aus, jedoch sind von seinen musikalischen Arbeiten
nur Psalme und andere geistliche, dann auch weltliche Gesänge und Lieder im
Druck erschienen. Im Manuscript hinterliess er zahlreiche Ciavier- und Violin-
compositionen. — Noch bedeutender als Virtuose und Componist war sein
Bruder Johann Benjamin G. Geboren am 12. Septbr. 1809 zu Elbing,
kam derselbe in jungen Jahren nach Berlin und legte durch Strebsamkeit und
Selbststudium den Grund zu seiner nachmaligen Künstlerschaft. Sein Haupt-
instrument wurde das A^ioloncello , auf dem ihn der königl. Kammermusiker
Ferd. Hansmann unterrichtete, welchem Unterrichte er durch einen wahren
Feuereifer entgegenkam, so dass er seiner Tüchtigkeit wegen schon 1824 im
Orchester des Königstädtischen Theaters angestellt wurde, dem er bis 1829
angehörte. Er begab sich damals nach Leipzig, fand schnell Eingang in alle
musikalischen Kreise und wurde auch öfter als Solist in die Gewandhausconcerte
gezogen. Im J. 1833 trat er als Violoncellist in das Orchester des Stadt-
theaters zu Magdeburg, kehrte jedoch von dort in demselben Jahre nach Berlin
zurück, von wo er der Einladung eines reichen Musikfreundes, von Liphardt,
nach Dorpat folgte, der ihn unter vortheilhaften Bedingungen als Mitglied
seiner Quartettkaiielle engagirte. Als erster Violinist dieses Künstlerkreises
fungirte Ferd. David, mit dem G. innige Freundschaft schloss. Diese Stellung
vertauschte G. 1835 , als sich der Quartettverein auflöste, mit der eines ersten
Gross — Grossbritannien. 397
Violoncellisten des kaiserl. Orchesters in St. Petersburg. Naclidem er 1847
die Pensionsberechtigung erreicht hatte, beabsichtigte er, nach Deutschland
zurückzukehren, Hess sich jedoch, zum Musiklehrer des Grossfürsten Michael
berufen, weiter in Eusslaud fesseln. Leider erlag er schon ein Jahr später,
am 1. Septbr. 1848, der Cholera. "Wie als Yioloncellovirtuose hat er sich als
Componist einen ehrenvollen Ruf erworben; seine "Werke huldigen einer edeln
Richtung und zeichnen sich durch eine gründliche künstlerische Durchführung
aus. Von denselben sind im Druck erschienen: Vier Streichquartette, ein Con-
cert und ein Concertino, Duette, TJebungsstücke , Variationen, Divertissements
u. s. w. für Violoncello, eine Sonate für Violoncello mit Pianoforte und eine
eben solche (op. 1) mit Bass, ein- und mehrstimmige Lieder und Gesänge, ein
Psalm (op. 2) u. s. w., im Ganzen einige vierzig Werke,
Gross, Peter, ein deutscher Instrumentalcomponist, welcher zu Anfang
des 17. Jahrhunderts lebte und von dessen Composition im J. 1616 Paduanen
und Intraden für Instrumentenensemble gedruckt worden sind.
Grossartig, Grossartigkeit bezeichnet überhaupt Alles, was Anderes seiner
Gattung und daher auch uns selbst hoch überragt, wenn wir es wahrnehmen oder
auch nur denken; im ästhetischen Sinne ist es das über den nach TTeberein-
kommen als gross angenommenen Begriff weit Hinausgehende, dem eine bestimmte
endliche Gränze nicht nachgewiesen werden kann und dessen Betrachtung einen
tiefen, ergreifenden und zugleich zur Bewunderung herausfordernden Eindruck
hervorruft. In der Kunst für sich betrachtet, erscheint das G. immer nur als
eine Eigenschaft und besondere Gattung des Schönen, man könnte sagen als
ein Comparativbegriff des Schönen nach dem Erhabenen (s. d.) hin. Streng-
genommen braucht das Schöne im Allgemeinen noch nicht grossartig und das
Grossartige nicht immer schön zu sein. Auch die unförmliche, ungeheure
Grösse, die einen unheimlichen Eindruck hervorruft, ist grossartig, aber nicht
schön. So wie aber auf dem Gebiete der Kunst überhaupt nichts Unförmliches
statthaben kann, so kann auch hier nichts Grossartiges ohne Schönheit zugleich
gebildet werden, wohl aber etwas Schönes ohne Grossartigkeit, denn die Schön-
heit ist Ziel der Kunst ohne Rücksicht auf ihre Gestalt, ob erhaben, gross-
artig oder naiv. Am Tonwerke speciell äussert sich diese ästhetische Eigen-
schaft durch energische Bewegung, kräftige und überraschende Harmonie, klare
aber ungewöhnliche Gliederung der melodischen Theile, gemessene und fest-
gefügte, dabei oft durch weite und kühne Schritte sich fortbewegende Tonfolge.
Im Vortrage erfordert es eine besonders markige Abstufung des Klanges in
allen seinen Graden bis zur mächtigsten Sonorität, im Schnellen wie im Lang-
samen hervorstechend ausgeprägte Betonung und kühne, dem Tongedanken voll
und ganz entsprechende dynamische Scliattirung.
Gross-Bassflöte, eine Gattung der Blockflöte, s. Flöte ä bec.
GrossI)ritannieH. Musik in Euglaud. Das in vieler Beziehung so reich
begabte England ist in Hinsicht der schaffenden Kunst und namentlich der
Tonkunst arm, und der göttliche Funke, der allein den höheren Künstler macht,
scheint in dem feuchten britischen Klima nur glimmend sich zu erhalten, ohne
jemals zu einer wirklichen Flamme aufzugehen. Kein englischer Tonsetzer hat
sich einen europäischen Namen erworben, was um so mehr in Verwunderung
setzen muss, als das Volk in seinem Kerne ein keineswegs unmusikalisches ist,
und als die höheren und höchsten Schichten der Nation von jeher für die
Pflege der Musik und für die Heranziehung ausländischer Tonkünstler Un-
summen gespendet haben. Bei dem leuchtenden Glänze, welchen die letzteren
über das Land ausbreiteten, ging die Nation selbst fast leer aus, und die
eigene Production erborgte ihr Licht mehr oder weniger ausschliesslich von
den Italienern, Franzosen und Deutschen, den im wahren Sinne des Wortes
tonangebenden Nationen Europas. Eigentlich englische Musik ist in
der Zeit der Altbritannier, die mit der keltischen zusammenfällt, weshalb
wir die letztere besonders zu behandeln haben (s. Kelten), zu suchen. Sie
398 Grossbritannien.
erhielt sich am längsten und getreuesten in Wales und in einem Theile von
Schottland und ist selbst heut zu Tage noch nicht ganz erloschen; die Reste
davon erfahren sogar eine gewisse künstliche "WeiterpÜege. Die um 450 n. Chr.
eingewanderten Angelsachsen gaben der Musik ein ganz anderes Gepräge und
zwar in der Art, wie sie dieselbe liebten und übten; das TJrvolk, seine Sprache
und Tonkunst drängten sie in die Hochgebirge. Von dem acht Eigenthüm-
lichen der G-esangsweisen der alten Sachsen ist noch weit weniger auszumitteln,
als wir es von den britischen Kelten vermögen, obwohl die Vermuthung nahe
liegt, dass nach Einführung des Christenthums (Ende des 6. Jahrhunderts),
das sich eng mit dem herrschenden Volke liirte und ihm Concessionen zu-
gestand, wie in keinem anderen bekehrten Lande, die vielschreibendeu Mönche
auf Aufzeichnungen Bedacht genommen hätten. Allein die Geistlichkeit nahm
hier wie anderwärts auf das weltlich Volksthümliche leider keine Rücksicht,
sondern pflegte und beschrieb ausschliesslich ihren kirchlichen Gesaug. Aus
ihren Quellen wissen wir, dass unter dem Apostel der Angelsaclisen , Augu-
stinus, welcher die Landessprache sogar zur Kirchensprache erhob, in welche
er die Bibel übersetzte, vierzig Gehülfen standen, unter denen auch kunst-
geübte Sänger waren. Diese führten den Gregorianischen Gesang (s. d.)
zuerst in Kent ein, wo er auch ganz besonders gepflegt wurde, nicht minder
weiterhin in den geistlichen Schulen zu "Westminster , "Worcester und York.
Auf einer Kirchenversammlung zu Cloveshaven im J. 747 wurde festgesetzt,
dass alle Geistlichen und Klöster der sieben Königreiche den Gregorianischen
Gesang ganz unverändert und überall völlig gleich in allen Kirchen zu erhalten
verpflichtet .sein sollten. Ausserhalb der Kirche aber hielt das Volk an seinen
Sängern (Barden), Croth- und Harfenspielern fest, die bei keinem Gastmahle
oder Eeste fehlen durften und die alten weltlichen Lieder und Balladen vor-
trugen, von denen das Lied von Beowulf als sprachliches Denkmal erhalten
geblieben ist. So sehr auch die Mönchsgewalt in England überhand nahm
und so sehr ihr das Volk, dem der Sinn für das Kirchliche von jeher im
hohen Grade eigen, trotz aller Aussaugung, zugethan war, die Vorliebe für die
•Nationalweisen konnte von ihr nicht ausgerottet werden. Aus der kirchlichen
Musikpflege aber ist nichts von Bedeutung hervorgegangen. Selbst von den
Professoren der Musik, deren es seit 886, dem Jahre der Gründung der Uni-
versität Oxford durch König Alfred und der Ernennung des Joannes Monachus
zum öffentlichen Lehrer dieser Kunst, so viele gab, zeichnete sich nicht Einer
derartig aus, dass er und sein Tlmn namhaft gemacht zu werden vex'diente.
Man war zu conservativ, wie der Engländer es noch immer ist, und zu steif
in einerlei Norm einer und derselben Musikweise festgebannt, gegen welche
auch im Geringsten nichts unternommen werden sollte. Das Eindringen der
Normannen 1066 änderte nur w^enig an diesem Zustande. Die einheimische
Musik blieb da, wo sie stets gewesen, beim Volke, das auch seine Sprache fest-
hielt, während dem Hofe die französisclie Sprache und Kunst gehörte. Hier
galten die Trouveres, der Dichtkunst gelernte Meister, und die Jongleurs, der
Gedichte kundige Sänger, trugen nordfranzösische Rittergesänge und Eabliaux
vor. Das Volk aber behielt seine wandernden Minstrels und mit ihnen seine
heimathlichen Heldensagen und Balladen. Was jedoch in irgend einem anderen
gebildeten Laude im Fache der Tonkunst Grosses oder Auffallendes geleistet
worden war, wurde bald mehr oder minder glücklich durch die normannischen
Könige in England eingeführt und von der Gesammtheit möglichst angenommen.
Unter diesem Einflüsse erst verschwanden mehr und mehr die altnationalen
Elemente und mit ihnen endlich auch die angelsächsische Sprache, welche sich
mit der altfranzösischen zur heutigen englischen verband. Im 13. und 14.
Jahrhundert war es die Mensuralmusik und mit ihr verbunden der mehrstim-
mige Gesang, die, kaum im Auslande entstanden, auch alsbald Eingang und
Anklang fanden, ohne aber grössere Fortschritte zu machen. Aus dem ganzen
15. Jahrhunderte sind nicht mehr als zwei weltliche Lieder übrig geblieben, von
Grossbritannien. 399
denen nur das eine, ein 1447 gesetztes Jagdlied von John Cole, einen einiger-
massen künstlerischen "Werth hat. Die Entwickelungsphase und der ungeheure
Aufschwung, den die Tonkunst gerade damals unter den Meistern der nieder-
ländischen Schule nahm, blieb in England nicht unbeachtet, aber es gehörte
erst der Glanz dazu, den sich die neue "Weise unter anderen Völkern errungen
hatte, ehe Englands Neigung sich ihr zuwandte und sie festhielt. Immer jedoch
wurde die Musik, wie sie eben war, von den Vornehmen und vom Hofe mehr
zum Prunke des Hauses und zur Unterhaltung bei festlichen Veranlassungen
herbeigezogen, oder sie diente dem Gottesdienste. In Folge dessen wurde neben
dem Contrapunkte Orgel- und Lautenspiel sowie Gesang in sehr ausgedehnter
Art betrieben; kein Tonsetzer damaliger Zeit (16. Jahrhundert) wird genannt,
der nicht zugleich Organist, Sänger oder Lauten spieler war. Die übrigen In-
strumente waren den Musikanten überlassen, die sie bei den öffentlichen Festen
und Volksergötzlichkeiten handhabten. Unter der Regierung Heinrichs VII.
und VIII. (1485 bis 1547) treten immer mehr schaffende und ausübende Ton-
künstler nicht blos mit ihrem Namen und Titel als Professoren und Doctoren
der Musik, sondern mit Belegen ihres Wissens und Könnens vor die Nachwelt,
Allen voran in diesem Zeitraum Dr. Hob. Payrfax (s. d.) und neben ihm
Thomas Phelyppes, Robert und John Taverner, sowie John Marbek,
welcher letztere für den Vater der Kirchenmusik in England gilt. Er brachte
die beim öffentlichen Gottesdienste gebräuchlichen Hymnen und Gebete in
Musik und legte sie 1550 gedruckt nieder. Nach diesen Gesängen wird zum
Theil noch jetzt in den Kirchen der Reform gesungen. In letzter Linie der
nationalen Berühmtheiten sind an dieser Stelle noch William Cornysh, John
Dygon und George Etheridge zu nennen. Unter der Regierung Maria's
(1553 bis 1558), der fanatischen Bekennerin der alten Kirche, ist als musi-
kalische That nur zu erwähnen, dass die Lithurgie der Katholiken in Ordnung
gebracht wurde. Der Aufschwung, den der Wohlstand und die materiellen
Kräfte der Nation unter Elisabeth's Scepter (1558 bis 1603) nahmen, äusserte
seine fördernde und belebende Rückwirkung auf die Wissenschaft und die Künste,
nicht zuletzt auf die Musik. Unter den zahlreichen Schulen, die darnals er-
richtet wurden, befand sich auch eine solche für den Contrapunkt, sowie das
Gresham'sche Collegium (s. d.) und Rob. Parsons von Exeter that sich in
harmonischer Behandlung der Kirchenhymnen hervor. Ein ganzer Kranz guter
einheimischer Componisten, Musikschriftsteller und Virtuosen, als solche meist
Mitglieder der Kapelle der Königin, tritt damals wirklich glänzend hervor, so
Dr. John Bull, Will. Bird, Nathanael Giles, Earrant, Cawston, Oakland
u. A., vor Allen aber der von allen zeitgenössischen Dichtern gepriesene, von
Shakespeare gefeierte und verewigte Lautenist und Componist wahrhaft aus-
gezeichneter Madrigale, John Dowland, neben dem mit nicht geringerer Ver-
ehrung Thomas Morley zu nennen ist, welcher letztere auch das berühmte,
dichterisch wie musikalisch hochzuschätzende Sammelwerk zu Ehren der jung-
fräulichen Königin y>The trmmphe of Ärianaa (London, 1601) herausgab, das
in 29 sechs- und fünfstimmigen Madrigalen folgende Namen mit überwiegend
vortrefflichen Compositionen verewigt: John Bennet, Th. Morley, Th. Weelks,
George Kirbye, Rieh. Carlton, Edw. Johnson, Mich. Cavendish, John Lisley,
John Farmer, John Hilton, John Milton, Rob. Jones, G. Croce, Thom. Hunt,
Thom. Bateson, Mich. Este, John Mundy, EUis Gibbons, Rieh. Nicolson, Thom.
Tomkins, John Wylbye, George Marson, John Holmes, Francis Pilkington,
Dan. Norcome und Will. Cobbold. Sind auch nach ihnen noch viele von den
Engländern mit Recht hochgehaltene Tonkünstlernamen bis auf Thom. War-
wick, John Blow und Will. Croft zu nennen, so ist doch keiner darunter,
der die englische Musik zu einer charakteristisch selbstständigen zu erheben
vermochte. Selbst der hochgefeierte jüngere Henry Purcell, der Lieblingscom-
ponist des gesammten Landes, und als solcher der Orpheus Englands genannt,
vermochte dies nicht; er war und blieb in seinen berühmten Anthems und
400 Grossbritannien.
Opernarien ein Nachahmer des italienischen Styls, der vorzüglich durch ihn
zur zeitweisen völligen Herrschaft im Königreiche gelangte und zwar um so
leichter, als sich das durch die grossen politischen Umwälzungen erschöpfte
Volk der Tonkunst der Italiener, welche das irdische Dasein von seiner behag-
lichsten Seite auflfasste, am liebsten zuwenden musste. Allerdings hatten die
Greuel des Bürgerkrieges unter Karl L, die mit einem musikalisclien Ereigniss
eingeläutet wurden, indem den Schotten 1637 die englisch-bischöfliche Lithurgie
mit Gewalt aufgedrängt wurde, hatte der Sieg der Puritaner, der sich sofort
mit finsterem Hass gegen die Orgeln in den Kirchen und gegen alle Theater-
vorstellungen wandte, und Cromwell's zehnjährige Herrschaft der Kunst und
Wissenschaft nichts wie empfindlichen Schaden gebracht, allein die Restauration
unter Karl IL und die Revolution von 1688 dienten um nichts weniger zum
Heile, indem sie die Posseureisserei, den Spektakel und den sittenlosen Hofton
der Musik einimpften und die wirklich selbststäudigen und nationalen Anfänge
in den Productionen für lange Zeit aufhoben. Höchstens, dass der Sinn für
Virtuosität und diese selbst, die nun in aller Welt in London ihr Centrum
sah, zu einer vorher ungeahnten Blüthe trieb. Die italienische Musik wurde,
wie bemerkt, bevorzugt und zum Muster genommen und Carissimi's beliebte
Werke, welche den Madrigalen ein Ende machten, wurden das A und 0 der
englischen Tonsetzer. Dies war der Standpunkt der Musik und der Musik-
pflege in Kirche, Theater, Haus und Schule, als das für die Geschichte der
Tonkunst in England interessante und hochwichtige 18. Jahrhundert begann,
über welches Ch. Burney im vierten Bande seiner y>General history of musica
(London, 1789) die zuverlässigsten Aufschlüsse ertheilt und der wir an dieser
Stelle denn auch in chronistischer Darstellung folgen.
Die Kujist, schulgerecht zu singen, scheint vor 1700 bei beiderlei Ge-
schlecht wenig kultivirt worden zu sein. Roger North in seinem Manuscript
y>Memoirs of Mtisic« spricht zwar von Banister als einem ausgezeichneten Sing-
meister, aber die Darsteller, welche Purcell's allbeliebte Gesänge auf der Bühne
ausführten, hatten als Sänger durchaus keine Kunstmethode. Es waren Bowen,
Harris, Freemanu und Pate, sowie die Damen: Mrs. Davies, Miss Shore, Mrs.
Gross, Bracegirdle und Miss Champion. Bis zur Regierung der Königin Anna
(1702 bis 1714) sangen die Mitglieder der königl. Kapelle gelegentlich auch
auf dem llieater, doch diese Fürstin fand dies unanständig und Hess es streng
verbieten. Es gehörte zu den Seltenlieiten, dass junge Mädchen für die Bühne
gebildet wurden; die Furcht vor Verführung, Verworfenheit und vor der Mei-
nung der Welt schreckte von vornherein die Eltern davon ab. Königlich con-
cessionirte Schauspiel- und Opernhäuser gab es, und zwar auch erst seit 1660,
nur in London, das eine im königl. Theater Drurylane, das andere im Herzogs-
theater von Lincolns- Inn-Fields. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts waren
Weldon und Banister als Componisten am ersteren und Eccles am letzteren
angestellt. John Eccles war ein populärer und talentvoller Bühnencomponist,
und während der Regierung der Königin Anna waren seine Einleitungen (en-
tries) , Stücke und Tänze sehr beliebt, sowie auch, nach Purcell's Tode, seine
Gesänge die bevorzugtesten wurden. Von den Ijekannt gebliebenen Stücken
von ihm haben »A soldier and a saüor«. in Congreve's r>Love for Lovea und
ein r>Rope-dancing tuna (Seiltänzerstück) mit zwei oder drei Rundgesängen
das Verdienst der Originalität. Um das Jahr 1730 wurde er zum Militär-
Musikdirektor (Master of the kinfs band) ernannt; in dieser Eigenschaft ver-
blieb er bis zu seinem Tode, 1735, worauf ihm Dr. Gi-eene folgte. — Im
J. 1701 wurde eine Masque (s. d.), »Acis und Galatea«, verfasst von Mot-
teaux und componirt von Eccles, am Drury-lane-Theater aufgeführt, in welcher
die Sänger Hughs, Leveridge, die Damen Mrs. Lindsey und Campion figurirten.
— Ein Jahr später folgte ebendaselbst Congreve's -nJudginent of Parisa, mit
Musik von Daniel Purcell, Bruder Henry's. Die letztere war bereits im J. 1699
componirt und zwar in Folge eines Aufrufs in der London Gazette, welcher
Grossbritannien. '401
den Componisten bekannt machte, dass 200 Guineen in 4 Preisen (100, 50,
30 und 20 Gruineen) an die besten Compositionen des genannten »Judgement«
zur Aufmunterung in der Kunst vertheilt werden sollten. Von den Concur-
renten erhielt Weldon den ersten, Eccles den zweiten, Dan. Purcell den dritten
und Grodfrey Finger, vielleicht der beste der Caudidaten, den vierten Preis.
Das Jahr 1703 ist besonders dadurch bemerkenswerth, dass von einer öffentlich
auftretenden englischen Virtuosin die Rede ist. Mrs. Champion spielte nämlich
in Lincolns-Inn play-house auf dem Harpsichord ein Stück zu ihrem Benefiz,
solcher Art das erste Kunststück, wie es die damaligen Zeitungen nannten,
und Mrs. Tofts, welche später in den grossen Opern su sehr bewundert wurde,
sang in demselben Concerte mehrere italienische und englische Gesänge. Im
J. 1704 erst wurde Weldon's preisgekröntes -aJudgement of Parisa im Drury-
lane- Theater aufgeführt, in welchem Mrs. Tofts die Parthie der »Pallas« sang.
Ein Benefiz -Concert im Concertsaal York-buildings fand für Corbett damals
statt, welcher sich nachmals Ruf als Kapellmeister der Oper erwarb. Ebenso
gab Godfried Pepusch aus Berlin mit sieben jungen Musikern, welche er von
dort herübergebracht hatte, ein Concert. dessen Musiknummern von seinem
Bruder John Christian, nachmaligem Dr. Pepusch, componirt waren. Das wich-
tigste musikalische Ereigniss im J. 1705 war der erste Versuch einer Oper
im italienischen Styl.
So oft auch schon während des 17. Jahrhunderts Versuche mit dem musi-
kalischen Drama in England gemacht worden, immer war und blieb die Sprache,
in welcher gesungen wurde, die englische. Der y>SHl,o recitativov. war im An-
fang jenes Jahrhunderts durch Nicholas Laniere von Italien herüber gebracht
worden, beruhte aber ebenfalls nur auf dem Englischen. Später fuhren Henry
Lawes und Andere fort, diese Gattung von erzählender Melodie in ihren Dia-
logen und historischen Gesängen nachzuahmen, und dies währte bis zur Zeit
der Restauration, in welcher der Geschmack für französische Musik in den
Concerten und Theatern die Oberhand gewann. Man wollte hauptsächlich damit
dem Könige Karl II. schmeicheln, der alles liebte, was von jener Nation kam.
Ungefähr in der Mitte seiner Regierungszeit, als zwischen den beiden Nationen
grosse Verbindungen unterhalten wurden, gelangten die Berichte über die musi-
kalischen Dramen am Hofe Ludwigs XIV., unter Leitung von Lulli, bis nach
England, in Folge dessen König Karl und seine Höflinge den Wunsch äusserten,
gleiche Vorstellungen iu London ins Leben gerufen zu sehen. Cambert, der
Vorgänger Lulli's, kam diesem Wunsche nach und brachte seine Oper »Pomone«,
welche eigens für den Hof in Versailles componirt worden war, in London zur
Aufführung. Die Vorliebe für französische Musik, oder vielmehr die Parthei-
lichkeit für französische Politik war unter der kurzen Regierung König Jacobs II.
nicht mehr so sichtbar, hätte sich unter König Wilhelm III. und Königin
Marie auch nicht auf die fiüheren Gründe zurückführen lassen. Der Geschmack
für italienische Musik dagegen machte sich schon vor Schluss des 16. Jahr-
hunderts, geltend, und vollends während der Regierung der Königin Elisabeth
standen Dichtung und Musik der Italiener bei den Engländern hoch in Achtung.
Italienische Musik überhaupt war schon längst in England bekannt, ehe man
sie nur singen hörte. Reggio war der erste Singmeister, und nach ihm fasste
der italienische Gesang immer mehr Wurzel in diesem Lande. Die letzte Con-
sequenz dieser Festsetzung war die Gründung der Oper. Bevor ein Versuch
in dieser Art gemacht wurde, florirte eine italienische Sängerin Namens Mar-
garita de l'Epine; sie Hess immerwährend ihr letztes und allerletztes Auftreten
vor ihrer Abi*eise anzeigen, aber sie kam nie fort und blieb in England bis
zu ihrem Tode. Diese Künstlerin war mit einem Deutschen Namens Greber
von Italien nach England gekommen. Im J. 1718, nachdem sie der Bühne
entsagt hatte, heirathete sie Dr. Pepusch. — Wie erwähnt, geschah 1705 der
erste Versuch, die wirkliche italienische Oper englisch übersetzt in England
einzuführen. Cibber schreibt bei dieser Gelegenheit sehr richtig: »Die italienische
Musikal. Convers. -Lexikon. IV. 26
402 Grossbritannien.
Oper hat sich längst bei uns in England eingeschlichen, aber in roher Ver-
kleidung, so viel wie möglich sich unälmlich und in einer lahmen und hum-
pelnden Uebersetzung in unsere Sprache.« Das Werk in Rede mit Recitativen
aber war nArsinoe, Queen of Oyprusa, verfasst von Stanzani in Bologna im
J. 1677. Die englische »Version« der Oper wurde von Thomas Clayton in
Musik gesetzt. Derselbe hatte Italien bereist und liielt sich berufen, dem
vaterländischen Kunstgeschmacke eine Reform geben zu müssen. Die Sänger
waren sämmtlicli Engländer, nämlich die Herreu Hughes, Leveridge und Cook
und die Damen Tofts, Gross und Lyndsey. Die erste Aufführung fand am
16. Januar 1705 im Drury - lane - Theater statt. Die völlige Festsetzung und
die weiteren Fortschritte der italienischen Oper in London sind eng mit der
Biographie Häudel's verflochten und können in dieser allgemeinen TJebersicht
übergangen werden. S. jedoch Händel. — Noch mehr übrigens als die zuletzt
genannten Sänger waren damals Ramoudon und Holcomb, ebenfalls am Drury-
lane-Theater, die Lieblinge des Publikums. Holcomb, in Salisbury Cathedral
erzogen, wurde mit dem Kosenamen y>the boya (der Junge) belegt, so lange er
seine »trehle voicev^ behielt; er veidiess später die Bühne und ertheilte Gesang-
unterricht, in welchem Berufe er, bei beständigem Besuch der italienischen
Oper, sich so auszeichnete, dass er alle anderen Engländer seiner Zeit
übertraf, —
Zugleich mit der Oper gelangte die Instrumentalmusik zu Aufschwung
und Blüthe. Am 29. Septbr. 1709 fand eine Musik- Aufführung in Slationers-
hall zum Benefiz für Mr. Turner statt, merkwürdig deshalb, weil unter den
Nummern des Programms zum ersten Male ein Solo des berühmten Arcangelo
Gorelli, gespielt von Mr. Dean, erwähnt wird. Gorelli's Solo's, obgleich sclion
1700 in Italien publicirt, waren nämlich in England noch nicht gedruckt
herausgekommen. Gleichzeitig erschienen zwei (alsbald zur Berühmtheit ge-
langte) ausländische Musiker, Pepusch (s. d.) und Galliard (s. d.), in den
theatralischen Ankündigungen, beide als dramatische Componisten, der erste
noch ausserdem als Componist von Sonaten für Flöte und Bass und Cantaten,
der andere als Oboevirtuose. Das Jahr 1714 brachte dem Lande einen un-
geheuren Fortschritt im Bereiche der Violine, indem Veracini und darnach
Geminiani eintrafen. Die Geschicklichkeit dieser Virtuosen brachte alsbald das
Instrument zur Herrschaft über alle anderen. Die Compositionen und deren
Ausführung von Nicola Mateis verfeinerten und bildeten die Ohren und lenkten
die allgemeine Vorliebe nur um so mehr auf die Sonaten von Gorelli. Mancher
junge Aristokrat reiste eigens nach Italien, um Unterricht bei diesem grossen
Meister zu nehmen. Aecht italienische Geigen zu erwerben, artete zu einer
wahren Manie aus, so dass man sagte, die Engländer hätten Italien nicht allein
viele seiner Gemälde und Statuen entzogen, sondern ganz besonders die werth-
vollsten Violinen. Nach Gorelli's Tode wurde des Meisters Lieblings-Instrument
von dem Engländer Corbet nach England gebracht und blieb lange Jahre im
Besitz eines Gentleman in Newcastle, nach dessen Ableben es von Mr. Avison
für Giardini gekauft wurde. A'^eraciui, welcher in Europa als der grösste
Meister der Violine seiner Zeit angesehen wurde, hatte sein Benefiz -Concert
in Hickford's room. Seine Compositionen waren jedoch zu wild und flüchtig
für den damaligen englischen Geschmack, zumal Gorelli's Sonaten als Modelle
von Einfachheit, Grazie und Eleganz in der Melodie, von Gorrektheit und
Reinheit in der Harmonie betrachtet wurden. Bis zur Ankunft von Geminiani
blieb er dennoch unübertroffen. Freilich war es dann der Erstgenannte, der
auf den Fortschritt der Instrumentalmusik in Grossbritannien den ungeheuersten
Einfluss ausübte. Im J. 1715 gab INIatthew Dubourg, damals 12 Jahre alt,
ein Benefiz-Goncort im grossen Saale der James-Street; auch Signor Castrucci,
soeben von Italien angelangt, veranstaltete Concerte. Dies war der Anfang
der Laufbahn zweier Virtuosen, welche später eminente Tonkünstler wurden.
Von 1717 bis 1720 gab es keine italienische Oper im königl. Theater,
Grossbritannien. 403
und die musikalisch-dramatisclien Versuche in Lincolns-Inn Fields und Drury-
lane in englischer Sprache waren sehr schwach. Zu dieser Zeit wurden fran-
zösische Komödien im Haymarket - Theater aufgeführt, welche König Georg I.
mit seiner Familie sehr oft besuchte. 1720, in welchem Jahre auch die Royal
Academy of music gegründet wurde, gelangten wieder Opern ixud zwar mit
ungewöhnlichem Grianze und grösster Pracht zur Aufführung. Andere musi-
kalische Aufführungen jedoch scheinen in dieser Periode seltener gewesen zu
sein als in irgend einer früheren oder späteren. Im J. 1722 wurde mit einer
neuen Art von Unterhaltung im Opernhause speculirt, genannt »Ridotto«, eine
Reihe von 24 Gresängen der letzt gegebenen Opern in einer Q-esammtlänge von
2 Stunden.*) Die Sänger waren Seuesino, Baldassari und die Damen Robinson
und Salvai. — In diesem Jahre gab es auch ein Benefiz -Concert für Mr.
Thomson, den ersten Herausgeber einer Sammlung schottischer Melodien in
England. Seine durch Subscription ins Leben gerufene Sammlung rief eine
wachsende Vorliebe für die Nationalweisen des Nachbarvolkes hervor. In die-
selbe Zeit fiel das Abschieds -Concert von Castrucci, der sich bei dieser Ge-
legenheit als ersten Geiger der Oper ankündigte und damit nach einem Aufent-
halte von 6 .Jahren in England dem Publikum Lebewohl sagte, um nach seiner
Heimath Rom zurückzukehren. — Ein anderes Concert, von Carbouelli veran-
staltet, wurde in der Zeitung Daily Courant folgeudermassen augekündigt und
möge als Beispiel der musikalischen Verwöhnung damaliger Zeit dienen: »Act I.
Ein neues Concert für 2 Trompeten, componirt und ausgeführt von Grauo und
Anderen ; Concert von Albinoni ganz neu herübergebracht aus Italien ; Gesang
von Mrs. Barbier; Concerto, componirt vom Signor Carbouelli. Act II. Ein
Concert für 2 Oboen und 2 Flöten, componirt von Dieupart; Concerto für
Bass- Violine von Pippo; Gesang von Mrs. Barbier; auf Verlangen, das 8. Concert
von Corelli. Act III. Concei-t von Carbonelli; Solo auf der »arch-lute« (Laute)
von Signor Vebar; Gesang von Mrs. Barbier; Ein neues Concerto für die kleine
Flöte, componirt von Woodcok und geblasen von Baston etc. etc.« Grano
concertirte an einem und demselben Abende auf Trompete, German- flute und
Common-flute, wie später der junge Burke Thumoth auf Trompete, Flöte und
Harpsichord. — In jener Epoche des Aufblühens der Instrumentalmusik scheint
"William Babel, gestorben 1722 als Organist von Allhallows, Bread Street, und
Mitglied der Privatmusik Georgs I., der erste, in England wenigstens, gewesen
zu sein, welcher die Musik der Tasteninstrumente von der überladenen und
complicirten Harmonie befreite, sie verfeinerte und vereinfachte. Später, nach
der Ankunft Christ. Bach's, als man die ersten Pianofortes baute, mussten die
Spieler der Tasteninstrumente ihre Grundlehren ganz und gar umändern, —
Das denkwürdigste musikalische Ereigniss im J. 1723 war die Ankunft des
ausgezeichneten Oboisten Giuseppe San Martini, dessen Compositionen später
so berühmt wurden. Nicht minder erregte damals der 9 Jahre alte Irländer
John Clegg auf der Violine Aufsehen. — Im März des folgenden Jahres gab
Corbett, der erste Kapellmeister der Oper, zum zweiten Male aus Italien in
die Heimath zurückgekehrt, im Haymarket - Theater eine sogenannte »Musik-
unterhaltung« mit verschiedenen Concerten für Violinen, Oboen, Trompeten,
Germanflöten und Frenchhörnern, sowie mit mehreren Stücken eigener Com-
position für ein Instrument, welches niemals zuvor in England gehört sein sollte.
Damals veröffentlichte George Hayden, Organist von Bermondsey, drei Can-
taten, welche mit Recht lange sich in der Gunst der Freunde reiner englischer
Musik hielten. Seit Purcell waren in der That keine werthvolleren erschienen.
Ein anderes literarisches Denkmal war das im Auftrage des Hofes 1727 zur
Feier der Thronbesteigung Georgs II. componirte Anthera von Händel. — Die
y>Beggar''s Opera«, (s. Bettleroper), welche am Ende des Jahres 1727 auf der
*) Nichts anderes sind die heut zu Tage im Crystal - Palace üblichen italienischen
Opern-Concerte, welche ebenfalls eine Reihe von Gesängen bieten.
26*
404 Grossbritannien.
Bühne erschien, bildete eine denkwürdige Epoche der nationalen englischen
Musik. Obgleich die Arien und Gresänge derselben keineswegs neu und eigens
für dieses »Pasticcio« com]3onirt waren, so stellte sich heraus, dass diese Oper
die beste und wirksamste war, die jemals über die Bretter in England ge-
gangen. Die Moral und Musik darin waren gleich verständlich und passend für
das Publikum der Gralerie, und das merkwürdige Werk ist ein Zugstück bis
auf den heutigen Tag geblieben. — Im .T. 1728 wurde der schon erwähnte
Matthew Dubourg als Componist uud Meister des königl. Orchesters in Irland
angestellt. Dieser ausgezeichnete Künstler, 1703 geboren, war der natürliche
Sohn des berühmten Tanzmeisters Isaac uud erhielt seinen Hauptunterricht
von Geminiani. Er blieb mehrere Jahre in Irland, besuchte aber seit 1735,
nachdem er in den Dienst des Px'inzen von Wales getreten war, regelmässig
England, Irrthümlich wird von ihm behauptet, er wäre kein Componist ge-
wesen. Aber obgleich er nichts veröffentlichte, sclirieb er Oden und unzählige
Solos und Concerte, welche er für seine eigenen Aufführungen benutzte und
seinen Freunden hinterliess. Es befanden sich vortreffliche Werke daruntei*.
Dubourg starb in London 1767. — Im J. 1728 war es auch, als der sammel-
süchtige Corbett den Verkauf seiner Stainer- und Creraona- Violinen und Bässe
nebst vier berühmten Violinen der Meister Corelli , Gobbo , Torelli und Nie.
Cosimi ankündigte, weil er sich von der Oeffentlichkeit zurückzuziehen gedächte.
Man hörte auch wirklich nichts mehr von ihm, bis im März 1741 eine An-
zeige erschien, worin er abermals merkwürdige Compositionen und Instriimente
zusammen mit Gemälden zum Verkauf ausbot. Ob sich nun keine Käufer für
diese Gegenstände fanden, genug, einige Jahre darauf, während seiner Krank-
heit, vermachte er die besten seiner musikalischen Instrumente dem Gresham
College, mit Bestellung eines eigenen Dieners, welcher die Aufsicht darüber
führen sollte, wofür er 10 £ jährlich aussetzte. Gleichwohl gelangten nach
seinem Tode alle seine musikalischen Instrumente und Curiositäten unter den
Hammer,
Unter den miisikalischen Phänomenen jener Zeit figurirt ein gewisser
Joachim Fredr. Creta, welcher 1729 zu London in mehreren Concerten auf
zwei französischen Hörnern zu gleicher Zeit zweistimmig blies; sodann der
siebenjährige Harpsichordspieler Kuntzen aus Deutschland, Dieser blieb viele
Jahre in England, und bevor er nach Lübeck abreiste, woselbst sein Vater
Organist war^ veröffentlichte er ein Heft wahrhaft genialer aber sehr schwie-
riger Uebungen, — Im J. 1730 erschien Miss Rafter, nachmalige berühmte
Mrs, Clive, zum ersten Male auf der Bühne, und zwar zum Benefiz für Hari-y
Carey, welcher ihr Singmeister gewesen zu sein scheint. Die Vorstellung fand
im Drury-lane- Theater statt und in der Ankündigung derselben hiess es: »Heute
Abend findet das Benefiz unseres Freundes Carey statt. Es werden zu seinem
Nutzen und Frommen die Talente der drei Schwesterkünste Musik, Dichtung
und Malerei sich vereinigen. Die musikalische Körperschaft versammelt sich
im Haymarket und bildet einen Festzug, an der Spitze eine prächtige mobile
Orgel, begleitet von allen erdenklichen Instrumenten, welche jemals im Gebrauch
waren, von Tubal Cain an bis auf den heutigen Tag. Buchhändler, Autoren
und Drucker bilden ebenfalls einen Zug am Temple-bar, von wo aus sie in
Ordnung nach dem Covent-garden marschiren, voraus die Druckerei -Lauf-
burschen. Dort angekommen, werden sich den zwei Körperschaften Musik uud
Dichtung die Brüder des Pinsels anschliessen. Nach der Einnahme einiger
Erfrischung im Bierhaus Bedford Arms wird in feierlicher Procession nach
dem Theater marschirt.« Dichtung und Musik bildeten im grauen Alterthum
nur ein Ganzes, uud viele der späteren Gelehrten wehklagten, dass diese Schwester-
künste getrennt sein sollten. Harry Carey und Jean Jaques Rousseau waren
die einzigen Barden ihrer Zeit, welche die Geschicklichkeit besassen , dieselben
miteinander wieder zu versöhnen und zu vereinen. y>The honest Yorkshirmana
von Carey uud >ile Devin du village« von Rousseau sind unbestreitbare Be-
Grossbritannien. 405
weise, dass populäre Weisen, wenn aiich nicht eben gelehrt und elegant be-
arbeitet, einem dramatischen Gedicht sich ganz treflSich anpassen. Carey, der
Dichter ohne tiefere musikalische Bildung, erfand viele liebliche und natürliche
Melodien, welche den Worten richtigen Ausdruck Hessen und leicht verständlich
waren. Die Melodien der Beggar's Opera werden wohl nie mehr in so origi-
naler, einfacher Art anderwärts wiederkehren. — Das nämliche Jahr brachte
das erste Erscheinen der Miss Caecilia Young in einem Benefiz- Concert im
Drury-lane- Theater. Diese Säugerin, nachmalige Gemahlin von Dr. Arne, mit
guter natürlicher Stimme und prächtigem Triller, hatte als Schülerin von
Geminiani eine Ausbildung erlangt, dass sie alle anderen englischen Rivalinneu
ihrer Zeit hoch überragte. Gleichzeitig feierten damals der junge Clegg und
seine Schwester, angeblich Schüler von Bononcini, Triumphe, der eine als
Violinspieler und Componist, die andere als Sängerin. — Wie die italienische
Oper die Veranlassung zu der englischen gab, so gab der ungeheure Erfolg
von Beggar's Opera die Veranlassung zu unzähligen musikalischen Dramen
und Ballad-Possen ähnlicher Art, wie die -oVillage Opera». (1731), verfasst von
Charles Johnson und bestehend aus neuen Texten zu alten Melodien, sowie
Bickerstaff's r>Love in a Village«. Beide wurden sehr beifällig aufgenommen.
Die beliebtesten musikalischen Dramen waren gleichzeitig y>Geor'ge Barnweih
und r>The Devil to paya. Miss Rafter und Mrs. Olive erlangten darin ihre Be-
rühmtheit. Die anerkanntesten ausführenden englischen Musiker dieses Zeit-
raums waren: Dubourg, Clegg, Clarke und Festing auf der Violine, Kytch auf
der Oboe, Jack Festing auf der sogenannten deutschen Flöte (German flute),
Baston auf der gewöhnlichen Flöte, Karba auf dem Fagott, Valentin Snow auf
der Trompete, und auf der Orgel: Roseingrave, Greene, Robinson, Magnus, Jack
James und der blinde Stanley; als der Lieblingssänger auf dem Theater galt Sal-
way und im Concertsaale Mouutier von Chichester. Was die Componisten für die
Nationalbühne betraf, so blieben Pepusch und Galliard ohne Rivalen bis 1732,
in welchem Jahre neue Versuche auf dem Gebiete des musikalischen Drama
in englischer Sprache von zwei Concurrenten, die schon längst hoch in der
Gunst des Publikums standen, gemacht wurden, nämlich von John Frederic
Lampe und Thomas Augustine Arne. Lampe, ein geborener Sachse, war 1726
nach England gekommen und hatte sofort Aufmerksamkeit erregt, indem schon
am 25. Febr. jenes Jahres die Daily Post folgende Anzeige bi'achte: »Wir
hören, dass eine Subscription für eine neue englische Oper, genannt »Amelia«,
im Gange ist, welches Werk binnen Kurzem auf die Bretter des Haymarket-
Theaters gelangen soll und von einem Künstler in Musik gesetzt ist, welcher
dem Publikum bis jetzt noch unbekannt war.« Diese Oper, geschrieben von
H. Carey und zuerst aufgeführt am 13. März 1732, in der Hauptparthie mit
Miss Arne, der später als Mrs. Cibber so berühmt gewordenen tragischen Schg-u-
spielerin , besetzt, war nach der Anzeige »im italienischen Styl« gesetzt und
wurde bald als von Lampe compono-t erkannt. — Der Bruder der eben ei--
wähnten Miss Arne, Thomas Augustine Arne, dagegen debütirte als dramatischer
Componist mit der Musik zu Addison's Oper »Rosamond«, in welcher er seinem
jüngsten Bruder die Parthie des Pagen zuertheilte. Dieselbe kam zuerst am
7. März 1733 im Lincolns-Inn Fields - Theater zur Aufführung, und war fol-
gendermaassen besetzt: Mrs. Barbier — König, Mr. Leveridge — Sir Trusty,
Master Arne — Page (erster theatralischer Versuch), Mr. Corfe — Gesandter,
Mrs. Jones — Königin, Miss Chambers — Grideline, Miss Arne — Rosamond.
Mit grossem Erfolg wurde diese Oper 10 Tage hintereinander aufgeführt,
worauf der Componist im »italienischen Styl« die •>->Opera of Operasv. schrieb,
welche ebenfalls Erfolg hatte. Ausser Lampe und Arne suchten sich in dem-
selben Compositionszweige zur Geltung zu bringen: Mr. John Christ. Smith,
welcher 2 englische Opern, y>Teraminta<-< und y> ZTli/ssesa , in Musik setzte, und
de Fesch mit dem Oratorium »Judith«. — Obschon den Kunstkennern und
Kunstfreunden die Werke von Corelli, Geminiani und Händel obenan in der
406 Grossbritannien.
Werthschätzung standen, so wurden doch auch progressiv zunehmend immer
mehr neue Leckerbissen publicirt und von dem Hof-Musikhändler "Walsh öfifentlich
angepriesen, so Solos für Violine von Tartini, De Santis in Neapel, Berati
und de Fesch; und für German-flute Solos von Bononcini, Quantz, Valentini
und Tessariui. — Im J. 1735 erschien in England und trat mit grossem Er-
folge auf, Caporale, ein ausgezeichneter Violoncellist. Ein Jahr später war es
Mrs. Cibber, welche mit ihrer süssen und ausdrucksvollen Stimme als Sängerin
die Zuhörer wahrhaft bezaubert hatte, die Alles von sich reden machte, da sie
als tragische Schauspielerin, in der Rolle der Zara, im Drury-lane- Theater,
wo ihr Bruder als Componist fungirte, debütirte. Es ist schwer zu sagen,
wer von Beiden in der Folge am meisten gefeiert wurde, sie mit ihrem pathe-
tischen Organ und ihrer impouirenden Haltung, oder er als Componist mit
seinen originalen und angenehmen Musikstücken, von denen insbesondere ein
gewisser Marsch jeden Abend Dacapo verlangt wurde. — Ein neuer gepriesener
Sänger erschien mit Beard auf dem Londoner Schauplatze. Derselbe hatte
seine musikalische Erziehung in der königl. Kapelle erhalten und trat zum
ersten Male im Covent-garden- Theater in der -nRoyal Ghacen auf, um sogleich
durch den Vortrag von Galliard's Jagd-Gesang » With early horna der Liebling
des Publikums zu werden. Fast zur nämlichen Zeit waren die drei Miss
Youngs die beliebtesten englischen Sängerinnen. Caecilia, die älteste, heirathete
später Arne , Isabella verehelichte sich mit Lampe und Esther mit Jones. —
Im J. 1737 war es wieder eine Oper »in italienischer Manier«, welche in
Covent-garden Aufsehen erregte, nämlich der -stDracjon of Wantlei/«, verfasst
von Carey, mit Musik von Lampe. Nachdem das Werk 22 Abende über die
Bühne gegangen war, wurden die weiteren Aufführungen durch den Tod der
Königin Caroline, am 20. November, unterbrochen; es wurde aber im Januar
darauf, bei "Wiedereröffnung der Theater, wieder aufgenommen und erlebte so
viel Aufführungen als Beggars opera. — Arne blieb nicht zurück und be-
festigte seinen Ruf als lyrischer Componist durch die prächtige Musik zu Mil-
ton's y>Comus<i. In diese »Maske« legte er die originellsten und lieblichsten
Melodien, ganz verschieden von denen Händel's und PurceH's, welche von allen
englischen Componisten entweder geplündert oder nachgeahmt wurden. Arne's
Weisen und Vauxhall- Gesänge sind es denn auch, welche eine Aera in der
national- englischen Musik begründeten, im ganzen Königreiche in seltenster
Art beliebt wurden und eine Anregung auf den nationalen Geschmack aus-
übten, wie sie bisher noch nicht zu constatiren war. Bis zu der Zeit, als ein
mehr moderner italienischer Styl in das »Pasticcio« englischer Opern durch
Bickerstaff und Cumberland eingeführt wurde, erhielt sich Arne's Musik als
ein Banner aller Vollkommenheit (nStaiidard of all perfectionn) in allen Theatern
und öffentlichen Gärten. Bemerkenswerth ist das Jahr 1738 noch dadurch,
dass in den Zeitungen Londons die erste Versammlung der Mitglieder der
Gesellschaft zur Ansammlung eines Fonds für erwerbsunfähig gewordene Musiker
und deren Familien angekündigt wurde. Die sich mehr und mehr bewährende
ausgezeichnete Einrichtung dieses Vereins wurde nicht allein in London und
ganz England gebührend anerkannt und unterstützt, sondern sogar in Wien
und anderen Grossstädten Europas. Händel gab schon 1739 Benefiz-Concerte
für diesen Fond und führte am 28. März 1740 zu demselben Zwecke »Acis
und Galatea« auf, ebenso 1741 seine Serenade, genannt r>Farnasso in Festa«,
in welcher Solos für die Oboe (San Martini), German-flute (Wiedemann),
Violine (Clegg), Fagott (Millai-) und Cello (Caporale) vorkommen. Im Herbst
desselben Jahres ging Händel behufs Veranstaltung von Oi'atoricnaufführungen
nach Irland und fand dort die glänzendste Aufnahme, die noch jemals zuvor
einem Musiker zu Theil geworden ist. Er führte dort, bewundert von dem
Publikum, den Messias, Acis und Galatea, Esther, das Alexanderfest, die Hoch-
zeitsserenade und die Ode auf den Cäcilientag auf. Von nun an überschritt
der deutsche Meister die englische musikalische Welt wie ein Coloss, neben
Grossbritannien. 407
dem nichts zu bestehen vermag. Von Irland und Schottland zurückgekehrt,
beschäftigte er sich ausschliesslich nur noch mit geistlicher Musik und schuf
1743 den Samson, 1744 Semele, Susanna, Joseph und die übrigen monumen-
talen Werke bis 1751. Ausser ihm waren auf dem Oratoriengebiete noch
fruchtbar Dr. Arne, Stanley, Dr. Worgan, Giardini, Smith, de Fesch, Dr.
Greene und Dr. Arnold. Keinem von ihnen jedoch gelang es, mit seinen zum
Theil sehr achtungswerthen Wei-ken in einer auch nur annähernd erfolgreichen
Art von Mit- und Nachwelt bewundert zu werden. Dr. G-reene stand damals
an der Spitze der Katbedral- Musik und des königl. Orchesters, Arne und
Boyce betrachteten sich als Nebenbuhler und standen einer dem andern fort-
während an den Theatern im Wege, besonders im Drury-lane. Arne war zudem
sehr ehrgeizig und betrachtete Händel immer als einen Tyrannen und Usurpator,
gegen welchen er sich auch, wo es anging, auflehnte, freilich ohne Erfolg, »ein
Marsyas gegen Apollo« sagt Burney ziemlich streng. Die Oratorienzeit brachte
eine neue Coucertära herauf. Im neuerbauten Concert-Etablissement »Ranelach«
war Chr. Festing (gest. 1752) erster Dirigent, auch Yorgeiger. Die Auffüh-
rungen fanden am Morgen statt, und Chöre aus Oratorien beschlossen dieselben.
Sir John Barnard kam beim Magistrate um Abschaffung dieser Morgen-
Concerte ein, weil die jungen Kaufleute aus der City erweislich dadurch ab-
gehalten würden, ihren Geschäften nachzugehen. Diese Petition hatte Erfolg,
und die Concerte mussten auf den Abend verlegt werden. Alle grösseren
Concertsäle übrigens erhielten von damals an Orgeln. Der erste Orgelspieler
im »ßanelach« war Keeble, der zweite Butler; Caporale war der Lieblings-
violoncellist des Publikums und Miliar der beste Fagottbläser. — So war der
Musikzustand in London im J. 1749, als der grosse Geiger Giardini in Eng-
land ankam. Derselbe behielt vorläufig die Oberhand dem öffentlichen Interesse
gegenüber, bis die immer zahlreicher herbeiströmenden deutschen Künstler und
deren prächtige Leistungen ein teutonisches Interesse hervorriefen und eine
Art germanischer Körperschaft begründeten, welche letztere ziemlich heftig und
nicht ganz gerechtfertigt Giardini und seiner römischen Legion Opposition
machte. Die Privat-Concerte in den Häusern der Reichen, wie sie später gäng
und gäbe wurden, kamen nun auch allmälig auf die Tagesordnung. Das erste
fand bei Latly Brown statt unter Oberaufsicht von Count St. Germain. Diese
Frau war eine beharrliche Gegnerin Händeis und protegirte nur ausländische
Musiker, welche den neuen italienisclien Styl cultivirten. Sie scheute sich
nicht, ihre Fenster in Gefahr zu bringen, da sie Sonntag Abends die Auf-
führungen abhalten liess. Auch im Hause der Mrs. Fox-Lane, später Lady
Bingley, fanden l)emerkenswerthe Akademien statt. Diese Dame war die spe-
cielle Patronin Giardini's. Mrs. Lane spielte daselbst das Harpsichord, ebenso
die Ladies Edgcumbe und Milbank mit grossem Geschick; Lady Rockingham,
die Dowager Lady Carlisle, und Miss Pelhani, Schülerinnen von Giardini, sowie
Signor Mingotti waren die Sänger. Die Benefiz-Concerte von Giardini und von
Mingotti wurden in Folge solcher Connexiouen von der hohen Welt ausser-
ordentlich frequentirt. — Ueber die übrigen Virtuosen und Tonkünstler ist nur
wenig noch zu berichten. Lampe, der geniale Componist, verliess 1749
London, verweilte fast zwei Jahre in Dublin und ging Ende 1750 nach Edin-
burg, wo ihn im Juli 1751 der Tod im Alter von 59 Jahien ereilte. Pas-
quali, ein vorzüglicher Violinspieler, war 1743 nach England gekommen,
siedelte jedoch 1753 nach Edinburg über, woselbst er, als Künstler und Mensch
sehr geachtet, bis zu seinem Tode, im J. 1757, wirkte. Dr. Samuel Howard
war bei den Dilettanten niedrigster Ordnung wegen seiner Balladen überaus
beliebt. Als rechtschaffener Engländer zog er die Schreibweise seines Vater-
landes allen anderen Musikstyleu vor und war fest überzeugt, dass seine Ge-
sänge die besten in ihrer Art wären. De Fesch, welcher schon um 1730
von Deutschland nach England gekommen , war ein guter Contrapunktist und
fleissiger Componist, aber seine Schöpfungen galten mit B,echt meistentheils für
408 Grossbritannien.
trocken und uninteressant. Wiedemann endlich, seit etwa 1726 in England,
war Solobläser auf der German-flute und überhaupt ein guter Musiker.
Im J. 1762 fiel es Arne ein, seinen bisherigen Compositionsstyl, mit
welchem er so trefflich noch den »Conius« gesetzt hatte, zu ändern und das
ganze Königreich von da an mit solchen Gesängen zu beschenken, die dem
raodernisirten Geschmack des nationalen Ohres entsprachen. "Wollte man seine
Hauptwerke analysiren, so würden dieselben weder englisch noch italienisch
erscheinen, wohl aber als ein liebliches Gemisch von italienischen, englischen
und schottischen Musikingredienzien; viele seiner Balladen klingen stark an
schottische Natioualweisen an. Unter den nationalen Componisteu wird er
immerhin eine hohe Stellung beliaupten, denn seit Purcell's Tode gab es keinen
Anderen, der sich eine so grosse Achtung als Künstler verschafft hätte. Von
150 musikalischen Stücken, welche in einem Zeitraum von 40 Jahren über die
Nationalbühnen gegangen, waren allein 30 von ihm componirt worden. — Im
J. 1763 war es das englische Pasticcio y>BiirleUa of Love in a Vülagev. und
1765 »T//e summer\'i Tale«, welche den vollständig italienisirten Geschmack der
Zeit bekundeten. Die »Duenna«, ein anderes engliscJies Pasticcio, kam 1775
dazu, und Dr. Arnold, Dibdin und Shield erklärten sich offen für die neueste
Richtung, so dass sie nicht anstanden, dieselbe anzunehmen und unter ihi-em
Einflüsse zu schreiben. Dadurch wurde entschieden wenigstens die Gesang-
bildung der einheimischen Künstler gehoben. Bis zur Zeit, wo sich die erste
italienische Oper in England einbürgerte, hatte man nämlich äusserst geringe
Ansprüche an die Sänger erhoben und nur Stimme und Gehör verlangt. Ge-
raume Zeit nachher noch würdigte man den feineren Vortrag so wenig, dass
die italienischen Sänger, wie Nicolini, Sencsino, Bernacchi u. s. w, , zu ihrem
Erstaunen keinen Einfluss auf die Geschmacksrichtung ausübten. Der Um-
schwung in dieser Beziehung trat erst ein, als Dr. Arne's Corapositionen und
Anleitungen die englischen Lieder und Gesänge nach Muster des bei canto
merklich verfeinerten. Das Pasticcio der englischen Oper, sowie die Instruc-
tionen von Tedeschini, Cocchi, Vento und (iiardini, welche eigens dazu engagirt
waren, Bühnensäuger heranzuziehen, traten hinzu, und Tenducci's Auftreten
endlich in »Artaxerxes« trug vollends dazu bei, den Geschmack des Publikums
in eine bessere Bahn zu^ leiten, so dass Jeder, der Stimme und Gehör hatte,
sich diese Art zu singen anzueignen suchte. Das Urtheil über Gesang und
Säuger zeigte innerhalb von 30 Jahren genau den Unterschied, wie die Sitten
civilisirter Völker verglichen mit denen von Wilden. — Um 1763 absorbirten
Christ. Bach und Abel fast alles Interesse. Sie eröffneten eine Concert-Sub-
scription, und die besten Künstler Londons Hessen sich in das Orchester ein-
reihen, in Folge dessen diese Concerte ununterbrochen volle 20 Jahre sich mit
grossem Erfolg zu behaupten vermochten und erst durch die ähnlich organi-
sirten sogenannten »Professional-Conceric«, die auf noch grössere Abwechselung
bedacht waren, verdrängt wurden. Fischer, Gramer, Crosdil, Ccrvetto und
andere vorzügliche Künstler stellten ihren Ruf in jenen Concerten fest und
stiegen immer höher in der Gunst des Publikums. Trotzdem die Unterricht
ertheilenden Virtuosen sich mehrten, sah man noch immer das Ausland als die
hohe Schule der Ausbildung in der Musik an, im Instrumentalzweige besonders
Deutschland. Der Earl of Kelly z. B., vielleicht der begabteste Dilettant
seiner Zeit, konnte (wie Pinto mittheilt), bevor er nach Deutschland reiste,
kaum seine Geige stimmen. In Mannheim studirtc er bei Stamitz Composition
und übte das Violin spiel mit solchem Erfolge, dass er nach seiner Zurückkunffc
unter die besten Künstler des Landes gerechnet werden durfte. Auf dem
Violoncello thaten sich als einheimische Concertspieler Gordon und Paxton
hervor. Einen bedeutenden Einfluss als eminenter Musiker und als letzter
Virtuose auf der Viola da Gamba durch sein unnachahmlich gesangreiches
Spiel übte der eben erwähnte Abel aus, der als Kammermusiker in dem neu
errichteten Orchester der Königin mit 200 £ angestellt war. Er wurde das
Grossbritannien. 409
Vorbild aller jungen Künstler auf Saiteninstrumenten und Barthelemon, Cervetto,
Gramer und Crosdil zählen zu seinen begeisterten Anhängern und Trägern
seiner Schule. — Im J. 1785 erschien der berühmte Violinspieler Lolli in
England, Hess sich aber ziemlich selten öffentlich hören. Seine Compositionen
und deren Ausführung durch ihn selbst waren so excentrisch, dass die meisten
seiner Zuhörer ihn für wahnsinnig hielten. Jedoch war sein Ausdruck im
sei'iösen Styl mitunter hochbedeutend. — Mrs. Billington, welche sich in ihrer
frühesten Jugend als eine bedeutende angehende Pianofortespielerin gezeigt
hatte, verwandelte sich 1786 ganz unerwartet zu einer reizend fesselnden Sän-
gerin. Tasteninstrumente übrigens wurden schon damals vielleicht in keinem
Lande der Erde, selbst von Dilettanten, besser gespielt, als zu dieser Zeit in
England. Burney, Clement!, Gramer jun. , Miss Guest, Hülmandel, die zwei
Wesley's, Samuel Schröder und viele andere dürfen als die hervon-agendsten
Vertreter dieser Specialität angesehen worden. Als Oboebläser standen in
dieser Zeitperiode Fischer, die Parks und Patria obenan; auf der Grerman-flute
Elorio, G-raef und Tacet; als Violoncellisten Gervetto und Grosdil; als Fagottisten
Baumgarten und Parkinson; als Glarinettist Mahon. Baumgarten, der Vor-
geiger im Govent-garden-Theater, war so lange in England, dass sein Verdienst
seinen deutschen Landsleuten völlig unbekannt war. Ausser seinen tüchtigen
Leistungen auf der Violine und Oi'gel verdienen seine Instrumental- Compo-
sitionen ehrend hervorgehoben zu werden. — Die Musikübung zu regeln und
zu stärken, entstanden nun immer mehr wohlsituirte Vereine, welche den grössten
Einfluss auf das Kunstleben und den Kunstsinn der Bevölkerung ausübten.
Nur die berühmtesten des 18. Jahrhunderts seien hier genannt. Der Gafcch-
Glub, d. i. die Fugen- oder Rundgesang -Gesellschaft, wurde im J. 1762 vom
Grafen von Eglington, Earl of March (später Herzog von Queensberry) er-
richtet. Der Geist und die edle Gesinnung dieser würdigen Gesellschaft ver-
besserte nicht nur die Art der Ausführung der Fugen, Kanons und Rund-
gesänge der alten Meister, sondern wirkte auch productiv belebend auf unzählige
neue Compositionen dieser Art. Von der Gesellschaft der Professional-Concerte,
denen man Haydn's wiederholten Besuch in England seit 1790 verdankt, war
schon die Rede. Die Errichtung der -nGoncerts of ancient musia geschah 1776
auf das eifrige Betreiben des Earl von Sandwich hin. Seit 1785 frequentirte
die königliche Familie die Concerte dieses Vereins und gab denselben dadurch
einen noch grösseren Aufschwung. Die Werke dahingeschiedener ehrwürdiger
Meister, so namentlich die Purctll's und Händel's, wurden dort von einem
ausgesuchten Orchester mit solcher Vollkommenheit und Energie ausgeführt,
wie sie die Autoren selbst höchstens geahnt, niemals aber gehört hatten. Eine
Institution, gleich ehrenwerth für den, dem sie gilt, wie für die englische
Nation, sind die mit einer ausgesuchten Sorgfalt in Scene gesetzten sogenannten
Commemorations of Händel, die seit 1784 jährlich stattfanden und noch gegen-
wärtig als unübertroffen grossartige Vei-an staltungen unter dem Namen Händel-
Festivals bestehen, wie denn die englisclien Musikfeste der Gegenwart über-
haupt, was den Glanz aller mitwirkenden Mittel betrifft, auf unerreichbarer
Höhe stehen. Das Lokal für jene Erinnerungsfeierlichkeiten war die West-
minster- Abtei in London. Heut zu Tage, wo noch grössere Räumlichkeiten
erforderlich sind, finden sie im Krystallpalaste zu Sydenham statt. Schon im
J. 1787 zählte der Chor und das Orchester 806 Ausübende, wozu noch 22
Solosänger kamen, unter denen die Namen Mara, Rubinelli, Harrison und Mo-
relli hervorstachen.
So ist es die Musikpllege und die praktische Musikausübung, die in Gross-
britannien noch gegenwärtig und vielleicht für immer auf der höchsten Stufe
stehen. Die grössten Tondichter fremder Nationen leihen von ihrem Glänze
und Ruhme gern dem kunstsinnigen England, das sie wie seine Söhne ehrt,
und das einem Haydn, C. M. von AVeber, Mendelssohn, Bellini, Benedict, Spohr,
Meyerbeer, Hiller, Gouuod u. s. w, eine unvergesslich ehrenvolle Aufnahme
410 Grossbritannien.
bereitet hat. Den Dirigenten und ausübenden Künstlern, an denen das Land
übrigens selbst nicht arm ist, galt das Inselreich nicht minder stets als er-
strebenswerthes Eldorado, und der colossale Zuwachs an fremden reproductiven
Kräften und Musiklehrern hat auf diesem Boden, statt wie anderwärts ver-
derblich zu wirken, nur dazu beigetragen, die Vervollkommnung in jedem Fache,
das die ausübende Tonkunst berührt, bis auf die Spitze zu führen und auf
derselben zu erhalten, ein Beweis, dass der Sinn für die Musik hier gesund
und lebenskräftig ist. Die Zahl der namhaften Componisten Grossbritanniens
ist eine verhältnissmässig sehr geringe, und dieser Umstand vorzüglich hat es
bewirkt, dass man die Nation nicht zu den bevorzugt musikalischen rechnet.
Die eigentlich englische Oper, gegenüber der bis zum gegenwärtigen Augen-
blicke glänzend bevorzugten italienischen Oper, pflegten bis 1834: Bishop, zu-
gleich der populärste Tondichter aller Arten von Songs, G. H. Rodwell, J. E.
Loder, John Barnett und John Thomson; und weiterhin bis zur Gegenwart:
Balfe, Hatton, Wallace und von Ausländern besonders Benedict. Die Oratorien-
und Cantatenschöpfung regte seit Händel immer die begabtesten productiven
Kräfte an. Hier sowie auf den anderen Gebieten der Kirchen-, Concert- und
Kammermusik sind zu nennen: George Perry, E. Murdie, John Hullah, Horsley,
Onslow, Sterndale Bennet, H. H. Pierson, Macfarron , W. F. Taylor, Henry
Smart, H. Leslie, Oakley, Cowcn, Will. Calcott, Steph. Glover, Arth. Sullivan,
G. A. Osborne, Barnby, H. Gadsby u. s. w. Solo- und Chorgosang sind stets
mit Fleis und Ausdauer beti'ieben worden und weisen sehr bedeutende Resultate
auf, wie sie ganz besonders, abgesehen von den Aufführungen der berühmten
Singakademien Londons, auf den regelmässigen Musikfesten grossartigsten Maass-
stabes in Birmingham, Bradford, Glocester, Lancaster, Leeds, Manchester, Nor-
wich, Plymouth u. s. w. hervortreten. Um die Ausbildung im Solo-Kunst-
gesangc haben sich in neuerer Zeit die in London habilitirten ausländischen
Gesanglehrcr Lablache, Manuel Garcia und Panof ka grosse Verdienste erworben.
TTnter die vorzüglichsten englischen Sänger werden gerechnet: die Herren
Braham, Fawcett, Harrison, Santley, Patcy, Gummings, Rigby, Lane, Ainsworth,
Civstle. Der Sängerinnen ist Legion, weshalb nur aufgeführt seien: Miss Paton,
Miss Byron, Miss Hayes, Miss Salmor, Mstr. Anna Bishop, Miss Rafter, Miss
Balfe, Miss Louisa Pyne, Miss Dolby, Clara Novello, Mstr. Lemmens-Sher-
rington, Mstr. Parepa-Rosa, Miss A¥ynne, Mstr. Patey, Miss Whinery u. s. w.
— Im Instrumentenspiel sind, gepflegt durch vortreffliche Anstalten, zu denen
in erster Linie die 1822 unter Protektion des Königs und des vornehmen
Adels gegründete, 187.3 neugestaltete Eoyal academy of music in London ge-
hört, sowie durch die besten Lehrer, nicht minder hervorragende Leistungen
erzielt worden. Namentlich gelangte das Pianofortesjiiel , gelehrt von auslän-
dischen Meistern, wie Clementi, J. B. Gramer und Moscheies, zu hoher Blüthe,
und die Pianisten John Field, H. Litolff, Walter Bache, Edw. Dannreuther,
Holmes, F. Barnett, Franklin Taylor, sowie die Pianistinnen Anderson, Dulken,
Arabella Goddard und Bondy haben sich einen wohlbegründeten Virtuosenruf
erworben. An Zahl stehen ihnen ausgezeichnete Orgelspieler nicht nach, als:
Atwood, E. J. Hopkins, J. S. Cooper, Best, Elvey und Cusins. Auf der
Harfe glänzten: Chatterton, Vater und Tochter, Parish-Alvars, John Cheshire,
Aptominas, Wright etc., auf der Violine: Blagrove, Webb, Sainton, .lohn Car-
rodus, Doyle u. s. w. Instrumentenfabrikation, wie Alles, was zu den mecha-
nischen Künsten gehört und wobei der berechnende Verstand vorherrscht, ist
in Grossbritannien stets aufs Beste gediehen, und namentlich stand die Ciavier-
verfertigung von jeher an der Spitze der Gattung. Die berühmtesten Piano-
fortebauer Londons mit zum Theil sehr altem guten Ruf sind jetzt: Broadwood,
Collard, Gramer und Erard. Auch in den Orchestern findet man die schönsten
und bestgearbeiteten Instrumente; die Kunstwerkstätten von Boosey, Chappell,
Distin, Metzler ii. s. w. in London cultiviren gegenwärtig, von der mächtigen
Kirchen- und Concertorgel an , die übrigen Fabrikationezweige. So wirkt Alles
Gross-Contrabassgeige — Grosse. 411
zusammen, um die Leistungen der zahlreichen Musikvereine, deren E,uf zum
Theil noch aus dem 18. Jahrhundert stammt, zu liochbedeutenden zu stempeln.
Als Dirigenten solcher Vereine haben sich neuerdings hervorgethan : Alfr.
Mellon, Wylde, Hullah, J. Ella, Grove, G. Mount u. s. w; Gigantische Ver-
einigungen bis zu 3000 Sängern und Instrumentalisten kommen nur in Eng-
land, vorzüglich bei den Erinnerungsfesten an Händel vor, ixud was auch immer
für eine Meinung über den letzten Zweck derartiger Monstreaufführungen und
deren direkten oder indirekten Einfluss auf die Kunst die Oberhand bebalten
mag, der Erfolg muss unter allen Umständen als beispiellos anerkannt werden.
Dass aber, wo einmal der Hunger des Publikums auf musikalische Schauspiele
von so riesigem Maassstabe gereizt worden ist, etwas dieser Art periodisch
immer wieder aufgethan werden muss , um ihn zu stillen , das leuchtet ein.
Gerade wie in den Spektakel-Opern der königl. italienischen Oper zu London,
wird auch hierin jede folgende Darstellung ihre unmittelbare Vorgängerin an
Massen und Pracht übertreffen müssen, wenn nicht ein Misslingen voraus-
zusetzen sein soll. Das jeweilige Schwanken der Massen, der Mangel an
Stetigkeit, der noch häufigere Mangel an Feinheit der Ausführung, die unter
solchen Verhältnissen unmöglich ist, und das gänzliche Untergehen aller zar-
teren Instrumentation in das furchtbare Klangmeer werden nur aufgehoben
durch die Grossartigkeit und Erhabenheit, die jedes Ohr in Erstaunen setzt
und die Seele mit Bewunderung über die Macht der Musik füllt.
E. Eberwein.
Gross-Contrabassgeige nennt man zum Unterschiede vom heutigen vier-
saitigen (oder dreisaitigen) den alten fünfsaitigen Contrabass. — Grosse Bass-
geige, s. Contrabass (Oontraviolon).
Gross-Gedacktbass ist der Name einer 10 metrigen Pedalstimme, deren
Pfeifen aus Kiefern- oder Eichenholz gefertigt werden. Ueber Bauart und
sonstige Eigenheiten dieses Orgelregisters gilt dasselbe, was über Gedacktbass
(s. d.) gesagt ist. — Gross-Hohlflöte, eine Pedalhohlflöte 2,5 Meter in
der Orgel. — Gross -Mixtur heisst a) der ganze, noch nicht durch Register
getrennte, daher stets zusammen ansprechende Hintersatz der alten Orgeln, oft
aus dreissig bis vierzig Pfeifen bestehend. S. Principal und Orgel. V) Die
grossen, 10-, 12- bis 20fach besetzten Mixturen in den älteren Orgeln. —
Gross-Octav, die Octav 2,5 Meter, auch Aequalprincipal oder Kleinprincipal
im Verhältniss zum Gross -Principal 5 Meter. — Gross-Principalwerk
nennt man eine in manchen Orgelwerken disponirte Orgelabtheilung, die alle
Principalstimmen : 5, 2,5, 1,67 bis 0,3metrige vereinigt. Gross -Principal für
sich ist der Principal 5 Meter. — Gross-Quinte heisst eine Quintstimme in
der Orgel, die stets dem Erscheinen derselben als Aliquotton (s. d.) in der
Natur gemäss disponirt wird. In einem Manuale, das, nach der B,egel gebaut,
als grösste eine 2,5 metrige Principalstimme besitzt, findet man deshalb eine
0,8 Meter grosse Quinte. Giebt man "jedoch dem Manual eine 5metrige so-
genannte Gross -Principal stimme, so setzt man, falls das Werk sonst noch
viele starke Stimmen besitzt, zur Deckung derselben eine 1,67 metrige Quinte,
welche dann den Namen G. erhält. — Gross-B-egal, ein Regal 2,5 Meterton.
— Gross- Schwiegel, der Schwiegelbass zu 2,5 Meter. — Grossunter-
satz, ein Name, den man öfter in älteren Orgeln für eine 10 metrige gedeckte
Flötenstimme im Pedal angewandt findet, deren Mensur wie Intonation durchaus
nicht gleichartig erstrebt worden ist. 2.
Grosse, Name mehrerer auf dem Gebiete der Tonkunst bekannt gewordener
deutscher Männer. 1) Bernhard Sebastian G., um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts Prediger in Ilmenau, ist der Verfasser einer Schrift, betitelt: »Die
heiligen Verrichtungen in dem Hause des Herrn bei der neuen Orgel in der
Ilmenauischen Stadtkirche mit einer kurzgefassten Orgelgeschichte« (Eisenach,
1765). — 2) Gottfried G., geboren zu Bardeleben bei Magdeburg am 12.
Febr. 1745, gestorben als Prediger zu Wolmirsleben, veröffentlichte im vierten
412 Grosse — Grosse Septime.
Stücke dritten Bandes von RoBewitz' »Gedanken zur Verbesserung der öffent-
lichen Erzieiiung« (1782) eine Abhandlung über die Frage: »Inwiefern kann
die Erlernung der Musik etwas zur sittlichen und gelehrten Erziehung bei-
tragen?« — 3) Jolianu G., zu Anfange des 17. Jahrhunderts Gymnasial- Pro-
fessor zu Halle a. S., gab eine Schrift: nMiscella problemafa de musicav^ (Halle,
1638) in den Druck. — 4) Joliann F. Grosse, Organist zu Klosterbergen
bei Magdeburg, gab 1783 in Leipzig sechs Ciaviersonaten heraus, und soll auch
als Lehrer der Musik sich eines achtbaren Rufes erfreut haben. Noch 1802
erschienen von ihm zu Magdeburg »Stunden der Erholung, am Glavier ver-
lebt«. — 5) Johann Heinrich (J., Organist zu Glaucha in Halle, gab ein
Werk »Melodeyen sowohl alter als neuer Lieder« etc. (Halle, 1798) heraus, das
609 Weisen bietet. Dies Choralbuch ist eigentlich nur ein Abdruck der im
Freylinghauscn'schcn Gesangbuche enthaltenen Melodien. ^ — 6) Johann Wil-
helm G., um 1790 Organist zu Kahla im Sachsen-Altenburg'schen, componirte
u. A. sechs Choralvorspicle für die Orgel, die 1787 in Rudolstadt erschienen.
Grosse, Samuel Dietrich, vorzüglicher deutscher Violinvirtuose, geboren
1757 zu Berlin, erhielt seine höhere Ausbihlung auf der Violine durch Lolli
und kam (vor 1770) in die Kapolle des kunstsinnigen Prinzen Friedrich Wil-
helm, nachmaligen Königs von Preussen. Im J. 1780 unternahm er eine
überaus erfolgreiche Kunstreise nach Paris, von der er 1782 zurückkehrte und
sein Ansehen in Berlin begründete. Ein Jahr später gab er sein erstes Violin-
concert heraus, das in Paris bereits allgemeinen Beifall gefunden hatte. Ebenso
wurde von ihm französisch die komische Oper »ie retour desire«. zur Auffüh-
rung gebracht und 1786 in Potsdam eine auf die französische Colonie com-
ponirte Jubiläumscantatc. Nach dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm's II.
1786 kam er mit in die königl. Kapelle, starb aber schon 1789 an einem
Zehrfieber. Von seinen Compositionen für Violine sind in Bei'lin drei Con-
certe, eine Sinfonie concertaute, sechs Duos mit Bratsche und drei Streichtrios
als op. 1 bis 4 erschienen.
Grosse Cadenz, der Ganzscliluss.
Grosse Dicsis ist der Name eines Hilfs- und Temperatur-Intervalls
(s. d.), das nur in der mathematischen Klanglehre in Gebrauch ist; dasselbe
wird durch die Proportion 648 : 625 dargestellt und ist zweiunddreissig pytha-
goräischen Komma's oder dem didy mischen Komma (81:80) und der kleinen
Diesis (128:125) zusammengenommen gleich. Letztere ist nur so gross wie
einundzwanzig pythagoräische Komma's. Mehr über die G., sowie über die
frühere und heutige Anwendung dieses Kunstausdruckes bietet der Artikel
Diesis (s. d.). 0.
Grosse Octave nennt man alle Klänge unseres Tonreiches, welche durch
grosse Buchstaben notirt werden. Dies sind alle die in der abendländischen
Kunst angewandten Töne, welche innerhalb der Klangregion liegen, die durch
die Töne, welche durch ungefähr 65,625 Schwingungen in einer Secunde
und durch ungefähr 131,25 in der gleichen Zeit erzeugt wex'den, begrenzt ist.
0.
Grosse Sccnnde ist ein dissonirendes Intervall, dessen Grösse, genau ge-
nommen, nicht immer eine gleiche ist (s. Ganz ton), das aber, oberflächlich
ausgedrückt, stets aus zwei Halbtönen besteht. In solcher Auffassung kann
man also wohl behaupten, dass alle G. gleich sind. In der diatonischen Folge
von C-ditr giebt es sonach fünf G. , nämlich: G—D, D — -E, 1? — G, G — A und
A — jH", während nur zwei kleine: ^ — F und K—c darin vorkommen. lieber
die harmonische Wirkung sehe man den Artikel: Consonanzen und Diss'o-
nanzen nach. 0.
Grosse Septime nennt man das Intervall zwischen der ersten und siebenten
Stufe der diatonischen Durleiter; in G-dur also G — //. Dasselbe besteht aus
fünf Ganztönen und einem grossen Halb ton (s, d.) und wird durch die
Proportion 15:8 dargestellt. lieber die Eigenheit dieses Intervalls in Zusam-
Grosse Sexte — Grosser Ganzton. 413
menklängen bietet der Artikel Consonanzen und Dissonanzen das Noth-
wendige. 0.
Grosse Sexte ist ein Intervall, das sechs diatonische Stufen der Tonleiter
umschliesst, die vier Ganztöne und einen grossen Halbton vertreten. Dies
Intervall ist eine Consonanz und wird dessen Eigenheit als solche in den Ar-
tikeln »Consonanz und Dissonanz« und »Harmonie« näher erörtert. Die
G-, wird stets durch die Proportion 5 : 3 dargestellt. 0.
Grosse Terz (latein.: JDitonus), ist ein Intervall, das aus drei diatonischen
Stufen, d. h. aus zwei Ganztönen besteht; die mathematische Darstellung des-
selben geschieht durch das Vei"hiiltuiss 5 : 4. Sie ist zudem dasjenige Intervall,
in dem die Klänge in der Unterquinte beider im abendländischen Tonsystem
nur herrschenden Tongattungen, Dur (s. d.) und Moll (s. d.) , verschieden
sind, weshalb man sie als das den Durcharakter besonders kennzeichnende In-
tervall betrachtet. Die consonirenden Eigenthümlichkeiten der G. sind in dem
Artikel Consonanz und Dissonanz ausführlicher besprochen. 0.
Grosse Tonart hört man zuweilen die Durtonart nach der ihr eigenen
grossen Terz nennen; jedoch ist diese Bezeichnung nicht zu empfehlen, da nur
die Vereinfachung der Fachsprache die schnellste Förderung in der Sach-
kenntniss verheisst. 0.
Grosser Basspominer (ital.: Bombardon e) hiess ein jetzt veraltetes Blas-
instrument, das in dem Artikel Bombard (s. d.) näher beschrieben ist. Jener
Beschreibung sei hier ergänzend hinzugefügt, dass dies Tonwerkzeug mittelst
eines Ess (s. d.) wie das Pagott (s. d.) intonirt wurde und einen Tonumfang
von Fl bis f besass. 2.
Grosser Dreiklaug- wird der aus Grundton, grosser Terz und reiner
Quinte bestehende Accord genannt. S. Drei klang.
Grosser Gauztou. Von den durch die mathematische Klanglehre in der
abendländischen Kunst festgestellten Intervallen kennt man der oberflächlichen
Bezeichnung ihrer Grösse nach zwei Gattungen: Ganz- und Halbtöne, und
in jeder dieser Gattungen im allgemeinen wieder zwei Arten, grosse und
kleine benannt. Letztere Bezeichnungen erhalten dieselben je nach dem Grössen-
verhältniss ihrer sie darstellenden Proportionen zu einander. Da nun die Ganz-
töne der diatonischen Folge theilweise durch die Proportion 9:8, theilweise
durch das Verhältniss 10:9 dargestellt werden müssen, so sieht man durch
Vergleichung der Verhältnisse (s. d.), dass nur Intervallen von erst-
erwähnter Grösse die Benennung G. zufallen kann. Derartig sind nun in der
Durfolge die Intervalle von der ersten zur zweiten, von der vierten zur fünften
und von der sechsten zur siebenten Stufe (in der C-durleiter also die Fort-
schreitungen von G—D, F — G und A — S), welche auch in der That bei ge-
nauerer Bezeichnung G. genannt werden, im Gegensatze zu den Intervallen,
welche die zweite und dritte, und die fünfte und sechste Stufe (in C-dur also
die Töne D — F und G — A) bilde:n, die kleine Ganztöne geheissen werden.
Die G. unterscheidet jeder mit feinem Gehör Begabte genau, trotzdem der
Unterschied zwischen beiden Ganztonarten nur ein geringer ist. Der G. be-
steht nämlich aus 10 : 9 -f-81 : 80 = 9 : 8, siehe Addition der Verhältnisse,
d. h. aus dem kleinen Ganzton und dem syntonischen Komma (s. d.), während
der kleine Ganzton um das syntonische Komma kleiner ist. Wenn in unserer
diatonischen Tonfolge sich auch nur zwei Arten der Ganztongattung vorfinden,
so ist hiermit nicht die Artenzahl derselben für den praktisclien Gebrauch für
immer abgeschlossen, denn je nach den Anforderungen, welche eine Tempe-
ratur (s. d.) an die Entfernung der Klänge in einer Scala macht, kennt man
bisher schon noch manche G., die zur Anwendung empfohlen worden sind, und
jede neue Aufstellung eines Tonsystems führt neue solche im Gefolge. Da
aber andere bisher empfohlene Tonsysteme bisher sich keiner allgemeineren An-
erkenniang erfreuten , und noch vielleicht zu erwartende heute nicht betrachtet
werden können, so unterlassen wir hier jode derartige Erwägung. Nur zum
414 Grosser Halbton — Grosses Hallelujah.
Beweise für die eben aufgestellte Behauptung sei auf eine Durchsicht des Mar-
purg'scheu Werkes »Versuch über die musikalische Temperatur etc.« verwiesen.
Seite 58 des Werkes findet man in Ansehung des G. noch besonders folgende
vier aufgezeichnet: a) 144 : 125 = (9 : 8) + (128 : 125); /> 256 : 225 = (9 : 8) +
(2048:2025); c) 1125 : 1024 = (9 :8) + (128 : 125) und d) 729 : 640 = (9 : 8) +
(81 : 80). 2.
Grosser Halbtou wird das in der diatonischen Folge zweimal auftretende
kleinere Intervall (in 0-dur: E — F und S — e) genannt, dessen Grösse man
durch die Proportion 16:15 darstellt. Derselbe entspricht in seiner Grösse
der kleinen Secunde (s. d.) und unterscheidet sich von dem kleinen
Halb ton (s. d.), der wirklich kleinsten Klangstufe unseres praktischen Ton-
systems, wie die kleine Secunde von der übermässigen Prime (s d.), d. i.
wie das Verhältniss 16:15 von dem- Verhältniss 25:24. 2.
Grosser, Henriette, geschätzte deutsche Sängerin, geboren 1818 iu Berlin,
wuchs in einfachen Verhältnissen bis zu ihrem 15. Jahre ohne irgend welchen
Musikunterricht auf, als sie ihrer schönen Stimme wegen dem General -Inten-
danten Grafen von Brühl empfohlen wurde, der sie darauf hin als Choristin
bei der königl. Oper anstellte und durch den Kammermusiker Beutler im Ge-
sänge ausbilden Hess. Im J. 1834 trat sie zum ersten Male in kleinen Solo-
parthien auf; da sie aber nicht hinlängliche Beschäftigung erliielt, verliess sie
1836 die königl. Bühne und nahm ein Engagement als Primadonna in Königs-
berg beim Theaterdirektor Hübsch an, wo es ihr in der That bald gelang, sich
auszuzeichnen. Nachdem sie 1837 auf dem Hoftheater in Berlin Gastrollen
gegeben hatte, erhielt sie zu eben solchen nach Prag Einladungen, wo sie,
trotzdem die gefeierte Lutzer erst kurz vorher an derselben Stelle gesungen
hatte, so gefiel, dass sie als erste Säugerin doi't gewonnen wurde. Ihre Stimme
war damals von grossartigem Volumen und beherrschte einen Umfang vom
kleinen g bis dreigestrichenen d; ihr Gesang zeichnete sich zudem durch i'eine
Intonation und gefühlvollen Vortrag aus. Ihre besten Leistungen waren die
als Donna Anna, Desdemoua, Königin der Nacht, Agathe, Rezia, Anna (Weisse
Dame), Camilla (Zampa), Zerline (Era Diavolo) u. s. w. Um 1850 verliess
sie Prag, gastirte in Dresden und zog sich daselbst in das Privatleben zurück.
Sie sang noch einmal 1855 in einem Concerte des Gustav Adolph -Vereins zu
Berlin, wohin sie auch später übersiedelte und wo sie noch jetzt in Zurück-
gezogenheit lebt.
Grosser, Joseph Aloys, guter deutscher Orgelspieler und vielseitig xind
gründlich gebildeter Tonkünstler, war ein Schüler des Organisten Otto in
Grätz und starb als langjähriger Cantor zu Warmbrunn in Schlesien im April
1821. — Sein Sohn Johann Emanuel G., geboren am 30. Jan, 1799 zu
Warmbrunn, war musikalisch in vorzüglicher Art beanlagt und wurde von
seinem Vater auf's Sorgfältigste unterrichtet. Um sich dem Schulfache zu
widmen, ging er nach Breslau, wurde 1821 als zweiter Lelirer nacli Warmbrunn
zurückberufen und ein Jahr später als Cantor und Organist nach Friedberg
am Queis versetzt. Hier erwarb er sich trotz eines nur kurzen Aufenthaltes
grosse musikalische Verdienste, tlieils durch die Gründung von stehenden
Winterconcerten , theils durch sein treffliches Orgelspiel, nach dem sich viele
junge Talente bildeten. Im J. 1823 kam er als Organist an die katholische
Stadt-Pfarrkirche nach Hirscliberg und endlich 1826 als Rector nacli Polkwitz.
Er hat eine grosse Menge von Messen, Offertorien, Graduale's, Begräbniss-
liedern, sowie von Variationen, Tänzen für Pianoforte u. dgl. ni. componirt;
auch gab er ein musikalisches Wochenblatt und endlicli Biographien von
Haydn, Mozart und Seb. Bach heraus, die nicht ohne Interesse, aber ohne Be-
lang sind.
Grosses Hallelnjah nennen die Juden die Psalme 113 bis 117, weil darin
besondere Wohlthaten Gottes gegen das jüdische Volk gepriesen werden.
Grosses "Limma — Grossi. 415
Dieser Lobgesang wird in den Synagogen am Passah- und Laubhüttenfeste
abgesungen.
Grosses Limma nennt man in der mathematischen Klanglehre ein kleines
Intervall, das entweder als Unterschied zwischen der kleinen Terz und dem
kleinen Ganzton oder dem grossen Ganzton und dem kleinen Halbton angesehen
werden kann. Beider Unterschied ist nämlich gleich gross und wird durch
das Verhältniss 27 : 25 dargestellt, welcher Unterschied ebenfalls gleich ist der
Summe von dem grössern Halbton (16:15) und dem syntonischen Komma
(81:80). Das Verhältniss des G. zum kleinen, darzustellen durch die Pro-
portion 135:128, wie sonst Bemerkenswerthes über das G. bietet der Artikel
Limma (s. d.). 2.
Grosses Orchester ist die Bezeichnung des für die moderne grosse Oper
und die Sinfonie erforderlichen Instrumentenensembles, worin neben dem voll-
ständigen Chore der Bogeninstrumente (Violine I und II, Viola, Violoncello
und Contrabass) alle gewöhnlichen Gruppen der Holzblaseinstrumente, des-
gleichen die Messinginstrumente in mehr Gattungen und zahlreicher besetzt
als im kleinen Orchester, zur Verwendung kommen. Der Holzbläserchor be-
steht im Allgemeinen aus je zwei Flöten, Oboen, Clariuetten und Pagotten,
wozu unter Umständen noch ein dritter Bläser, um die Genannten abzulösen,
eine Piccoloflöte und auch wohl ein Contrafagott kommen; der Messinginstru-
mentenchor aus zwei (resp. vier) Trompeten, vier Hörnern, drei Posaunen und
einer Basstuba (Ophycleide). Ferner gehören zwei Pauken dazu. Das Orchester
der Grossen Oper insbesondere nimmt noch ausserdem mitunter die Harfe und
mehrere andere Holzblaseinstrumente (als Bassethorn, englisch Hörn, Bass-
clarinette) und ebenso noch verschiedene andere Gattungen von Blech- und
Schlaginstrumenten (ital.: Bandd) in Anspruch.
Grossi. Verschiedene Italiener dieses Namens haben sich in der Musik-
welt einen Namen gemacht, — Andrea G. hiess ein Violinist und Tonsetzer,
der 1725 in Diensten des Herzogs von Mantua stand und von dessen Werken
mehrere gedruckt sind. Noch bekannt ist nur sein op. 3 (Bologna, 1696), das
zwölf Sonaten für 2, 3, 4 und 5 Instrumente (Violinen) enthält. — Antonio
Alfonso G., aus Cremona gebürtig, war ums Jahr 1690 in Italien als be-
rühmter Sänger bekannt. — Carlo G., verdienstvoller Sänger, Dichter und
Componist der venetischen Schule, lebte Ende des 17. Jahrhunderts zu Venedig.
Von seinen Werken wui-den daselbst die auch von ihm selbst gedichteten Opern
yGiocaste, regina d^ArmeniaK (1676), »II JSicomede in Britinia<f. (1677) und
»Artaserse«. (1669) aufgeführt. — Giovanni Francesco G. veränderte seinen
Namen in Siface (s. d.) und hat sich unter dem letzteren einen grossen Ruf
erworben. — Noch sei bemerkt, dass die Leipziger musikalische Zeitschrift
Jahrg. II. S. 348 eines Tonkünstlers G. erwähnt, der ums Jahr 1800 in Italien
zu den vorzüglichsten Componisten gezählt wurde. Vielleicht ist damit der
weiter unten folgende Gaetano G. gemeint. t
Grossi, Gaetano, berühmter Fagottist, zu Mailand geboren, wurde 1782
Kammermusiker des Herzogs von Parma, kehrte aber nach dem Tode des
Herzogs Ferdinand nach Mailand zurück, wo er am 14. Febr. 1807 starb.
Mehrere Compositionen von ihm für sein Instrument sind Manuscript geblieben.
— Seine Tochter, ßosalinda G., geboren zu Pai'ma 1782, war eine vortreff-
liche Opernsängerin. Den ersten Unterricht genoss sie bei Giuseppe Colla
und vervollkommnete sich noch unter Fortunato's und Paer's Leitung. Sie
verheirathete sich mit dem Violinisten Prospero Silva und glänzte auf den ersten
Bühnen Italiens, besonders in Mailand und Venedig. Leider starb sie in vollster
Jugendblüthe schon 1804 zu Mailand.
Grossi, Gennaro, intelligenter italienischer Musikliebhaber, war Advocat
in Neapel und veröffentlichte ein Werk: »ie belli arti, opuscoli siorici musicalia
(Neapel, 1820).
416 Grossmann — Grotte.
Grossmauii. 1) Ein Instrumentalcomponist, dessen Vornamen unbekannt
sind, lebte wahrscheinlich zu Wien, Traeg's Katalog vom J. 1799 weist von
ihm drei Quartette für zwei Clarinetten, Viola und Bass auf, die jedoch nur
im Manuscript vorhanden waren. — 2) Burkhard G., von Beruf füi'stl. säch-
sicher Einnehmer zu Jena und Burgau im Anfange des 17. Jahrhunderts,
machte sich um die Musik verdient durch die Herausgabe einer Sammlung
von Tonwerken sächsischer Componisten, 43 an der Zahl, die den Titel »Angst
der Höllen und Friede der Seelen« (Jena, 1623) führte; dieselbe enthielt nur
Compositionen des 116. Psalm, für drei bis fünf Stimmen sehr künstlich ein-
gerichtet. — 3) Johaun Franz G. hiess ein berühmter Orgelbauer, der um
die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Patschkau lebte und u. A. 1754 zu Münster-
berg ein Werk mit 25 klingenden Stimmen, zwei Manualen und Pedal baute.
— 4) Friederike G., deutsche Sängerin und Schauspielerin, s. Unzelmann.
t
Grosthead, Bobert, englischer Gelelirter des 13. Jahrhunderts, geboren
von armen Eltern zu Suffolk, studirte in Oxford und Paris und starb als Bischof
zu Lincoln am 9. Octbr. 1253. Er hat u. A. Commentare zu der Musica et
arithmetica des Boethius geschrieben. Vgl. Hawkins, Hist. of music vol. IL
jj. 83. t
Grotekord, Elias, Organist aus Halberstadt, hiess nach Werkmeister's
Org. Gruning. rediv. §.11 der 27. von den 53 zur Prüfung des Orgelwerks
zu Grüningen 1596 berufeneu Sachverständigen. f
Grotesk (vom ital. yrottesco), d. i. abenteuerlich, phantastisch, ein von der
Malerei auch in die Musik übergegangener Kunstausdruck, bedeutet eine launen-
hafte Ausmalung oder witzige Zusammenstellung scheinbar widersinniger Gegen-
stände. In ersterer Beziehung artet das Groteske leicht in das Bizarre, Wider-
sinnige einer ungezügelten Phantasie aus und wird demnach eine Art von
Zerrbild; in letzterer, wo es mit Absicht und Freiheit dargestellt wird, gehört
es zur Gattung des Komischen und zwar des niedern Komischen. Obgleich
das Groteske noch weniger als das Komische durch die Musik allein darstellbar
ist, so können doch groteske Scenen, vorzüglich in der dramatischen Komik
und in der theatralischen Tanzkunst, durch die Musik wesentlich unterstützt
und gehoben werden. Auf solche Scenen spekulirt daher hauptsächlich eines-
theils die romantische, andereutheils die Buffooper.
Gi'otbe, Heinrich, deutscher Tonkünstler, geboren am 26. Jan. 1796 zu
Berlin, verlor 1804 durch einen unglücklichen Fall das Augenlicht und bildete
sich auf der Berliner Blindenanstalt bei-H. Griebel so erfolgreich zum Pianisten
aus, dass er sich mit Beifall öffentlich hören lassen und 1817 als Ciavierlehrer
dieses Instituts angestellt werden konnte. Als solcher ei'fand er einen mit
Nutzen zur Verwendung gekommenen Notensetzkasten zum Unterrichten der
Blinden in der Musik nach Logier's System. Im J. 1821 unternahm er eine
Kunstreise durch das mittlere Deutschland, starb aber schon am 12. Jan. 1826
zu Berlin.
Grotiiis, Hugo, oder de Groot, einer der vielseitigsten Gelehrten, ge-
boren am 10. April 1583 zu Delft und nach einem sehr romantischen und be-
wegten Leben am 18. Aug. 1645 zu Rostock gestorben, hat auch einige die
Musik betreffende Schriften hinterlassen. In seinem 15. Jahre, als er die
juristische Doctorwürde erhielt, schrieb er zu Paris Anmerkungen zum Mar-
tianus Capelln. Ferner finden sich in seinen Annotationes in vet. et nov. testa-
mentum et in decalogum viele Auseinandersetzungen über fremde und eigene
Anschauungen der hebräischen Musik. Vgl. Gerber's Toukünstlerlexikon vom
J. 1790. t
Grotte, Nicolas de la, als der geschickteste französische Oi'gel- und Spi-
nettspieler seiner Zeit gerühmt, lebte um 1583 als Kammerorganist und Kam-
merdiener König Heinrichs III. zu Paris. Er hat Ronsard's, Bayf's, Besportes',
Sillac's und Anderer Chansons vierstimmig gesetzt (Paris, 1570 bei Adrian
Grotz — Gruber. 417
le Roy) und ausserdem 3-, 4-, 5- und 6 stimmige Airs und Chansons (Paris,
1583 bei Jean Cavellat) herausgegeben. Vgl. Verdier Bibl. f
Grotz, Dionys, gegen Ende des 18. Jahrhunderts Organist und Componist
im Stifte Varnbach in Baiern, hat deutsche Gesänge zur Messe für Sopran,
Alt, Tenor und Bass mit Begleitung der Orgel, 2 Violinen, Altviola, 2 Wald-
hörnern und Violone (Augsburg, 1791) veröffentlicht. f
Gfrua, Gasparo, italienischer Tonsetzer und Organist, lebte in der letzten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, angestellt an der Giovanni Battista- Kirche zu
Monza im Mailändischen. Von ihm erschienen Messen und andere Kirchen-
gesänge (Venedig, 1651).
Orna, Karl Louis Peter, einer der unterrichtetsten Musiker seiner
Zeit, geboren 1700 zu Mailand, begann daselbst seine musikalischen Studien
und vollendete dieselben bei seinem Oheim, dem weiter unten aufgeführten
Wilhelm Grua. Besonders als gewandter Contrapunktist gerühmt, wurde er
kurfürstl. pfälzischer Kapellmeister und dirigirte 1742, in welchem Jahre er
auch die mit glänzendem Erfolge gegebene italienische Festoper »Cambise« für
die Vermählung des Kurfürsten Karl Theodor schrieb, die Oper in Mannheim.
In dieser Stadt starb er im J. 1775. Duetti da camer a von ihm in Manuscript
befinden sich in der königl. Bibliothek zu Dresden. — Sein Sohn, Franz
Paul G., geboren am 2. Febr. 1754 zu Mannheim, erlernte bei seinem Vater
Clavierspiel und Harmonielehre und setzte seine Studien beim Kapellmeister
Holzbauer fort. Der Kurprinz Karl Theodor schickte ihn 1773 zur weiteren
Ausbildung nach Italien, wo G. Unterricht beim Pater Martini in Bologna
und bei Traetta in Venedig nahm. Im J. 1779 kehrte er zurück und erhielt
in München, wohin der pfälzische Hof übergesiedelt war, den Titel eines Hathes
und Kapellmeisters. Am Leben war er noch 1812. Von seinen Compositionen
kennt man zahlreiche Kirchensachen, als 31 Messen, 3 Bequien, 29 Offertorien,
3 Stabat mater, sodann auch Concerte für Ciavier, Flöte, Clarinette u. s. w.
und die italienische Oper »Telemacco«, 1780 in München mit grösstem Erfolge
aufgeführt. — Der Oheim des zuerst Genannten, Wilhelm G., war ebenfalls
in Mailand geboren vmd musikalisch gebildet. Nachdem er Italien bereist hatte,
kam er nach Deutschland und wurde 1697 in Düsseldorf Kapellmeister. Von
dort wurde er 1714 nach Mannheim berufen. Fünfstimmige Messen von ihm
mit Instrumentalbegleitung sind im Druck erschienen (München, 1712).
Grrnbe, Hermann, deutscher Mediciner, geboren zu Lübeck 1637 und
gestorben im Febr. 1698 zu Hadersleben als Arzt, veröffentlichte eine Schrift,
betitelt: y>Conjecturae physico-medicae de ictu tarantulae et vi musices in ejus
curationea (Frankfurt, 1679). f
Grnber, Benno, Benedictinermönch der Abtei Waidenburg, an welcher
er als Musikdirektor fungirte, ist der Componist eines Stabat mater und von
■nAntiphonae Mafianaea (Augsburg, 1793). Er starb im J. 1798. — Ein älterer
Tonkünstler dieses Namens, Erasmus G., war in der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts Surintendant in Begensburg und verfasste eine Vorrede zu dem
1637 daselbst erschienenen Werke y>Syno]}sis musica, oder kurze Anweisung,
wie die Jugend kürzlich und mit geringer Mühe in der Singkunst abzurichten«
(s. Gradenthaler). — Ein Hans G., zu Simitz in Kärnthen 1693 geboren,
wurde 1732 unter den Nürnberger Tonkünstlern mit Achtung genannt, in
Folge dessen auch sein Porträt, in Kupfer gestochen, erschien. Sonst ist
nichts weiter über ihn bekannt geblieben. Vielleicht ist er der Vater des
weiter unten aufgeführten Georg Wilhelm G.
Gruber, Franz, der Componist des bisher Haydn zugeschriebenen weit
verbreiteten Weihnachtsliedes »Stille Nacht, heilige Nacht«, war als Sohn eines
armen Leinwebers am 25. Novbr. 1787 zu Hochburg im Innviertel (Ober-
österreich) geboren. Für die Lehrevlaufbahn vorbereitet, kam er 1808 als
Lehrer iind Organist nach Arnsdorf unweit Salzburg, wo er 22 Jahre lang
wirkte, bis er 1830 nach Berndorf und von dort 1835 als Stadtpfarr- Chorregent
iiuaikal. Couver.s.-l.cxiUon. IV. 27
418 Gruber.
und Organist nach Hallein berufen wurde. Er starb nach einer langen segens-
reichen pädagogischen Thätigkeit am 7. Juni 1863 zu Hallein. Sein beliebtes
"VVeihnachtslied ist eine Gelegenheitscomposition, die auf Wunsch des Dichters
derselben, Joseph Mohr, damaligen Hilfspriesters in Oberndorf (gestorben am
4. Decbr. 1848 als Vicar in "Wagram) entstand. Beide sangen es zum ersten
Male in der Christnacht 1818 mit dem Kirchenchore und mit Cluitarrebeglei-
tung in der St. Nicola -Pfarrkirche zu Oberndorf zum Entzücken der versam-
melten Gemeinde. — G.'s Sohn, ebenfalls Franz Gr. geheissen, geboren am
27. Novbr. 1826 zu Arnsdorf, wurde von seinem Vater schon früh wissen-
schaftlich und musikalisch unterrichtet, so dass er im zehnten Jahre bereits
aushülfeweise den Orgeldienst versehen und mit 15 Jahren in das Lehrer-
seminar zu Salzburg eintreten konnte. Dort erhielt er zugleich vom Kapell-
meister Taux Unterricht in Generalbass und Harmonielehre, vom Musiklehrer
Stummer auf der Violine und erwarb sich ein ehrenvolles Zeugniss vom Mo-
zarteum. 1843 Schullehrergehülfe und Chorverseher in Mauterndorf, ein Jahr
später an der Schule zu St. Andrea in Salzburg, kam er 1846 an die k. k.
Hauptschule zu Hallein. Dort gründete er 1847 einen Musikverein und 1849
eine Liedertafel, mit welchen Instituten er gute Aufführungen veranstaltete.
Daneben wirkte er als pädagogischer Schriftsteller und Compouist. Von einem
Herzleiden schon 1864 heimgesucht, starb er, allgemein geachtet, am 27. April
1871 zu Hallein. Einen Nekrolog auf ihn brachte die damalige Salzburger
Zeitung No. 98. Von seinen Compositionen, etwa 60 an der Zahl und be-
stehend aus 12 Messen, 2 Bequien, etwa 20 Graduales und Offertorien, 12
Tantum ergo, 5 Litaneien, einer Vesper, 4 Te deen, ferner aus Ouvertüren,
Potpourris, Ciavierstücken, Liedern und Gelegenheitscompositionen, gelangten
nur sechs in den Druck. Seine Werke für Männerchor besitzt als Eigenthum
ziemlich vollständig die Liedertafel in Hallein.
Gruber, Georg Wilhelm, einer der bedeutendsten deutschen Violin-
virtuosen und ein gediegener Componist und Dirigent, wurde am 22. Septbr.
1729 zu Nürnberg geboren und musikalisch von den Organisten Dretzel und
Siebenkees, sowie vom Stadtmusiker Hemmerich (Violinspiel) unterrichtet. Seit
seinem siebenten Jahre war er zugleich Kirchendiscantist. Noch nicht 18 Jahre
alt, begab er sich als Violinvirtuose auf seine erste Kunstreise durch Deutsch-
land, auf der er auch schon als Componist grossen Beifall fand. In Dresden
Hess er sich vom gräfl. Brühl'schen Kapellmeister Umstadt im Contrapunkt
noch vollends unterweisen und kehrte dann um 1750 nach Nürnberg zurück,
wo er Anstellung als Violinist erhielt. Ferrari's damaliger Besuch in Nürnberg
wirkte auf die Vollendung seines Violinspiels so wesentlich ein , dass man um
1760 ihn für den ersten Virtuosen seines Instrumentes in Deutschland er-
klärte, und dass seine Vaterstadt, stolz auf seinen Besitz, ihn 1765, als der
Kapellmeister Agrell starb, zu dessen Nachfolger ernannte, wie sie ihn auch
später, um ihn vollends zu fesseln, zum Complimeutarius und Stadtrathsschenk
erhob. G. starb zu Nürnberg am 22. Septbr. 1796. In allen Gattungen der
Musik, bis auf die Gelegenheitscomposition herab, ist er selbstschöpferisch
überaus thätig gewesen. Obenan stehen seine Kirchenwerke verschiedenster
Art, darunter die Oratorien »das selige Anschauen des gekreuzigten Herrn«,
»die Auferstehung Jesu«, »der sterbende Herzog des Lebens«, »die Feier des
Todes Jesu«, »die Hirten bei der Krippe zu Betlehem« (nur letzteres ist im
Druck erschienen) , sowie Trauermusiken auf den Tod der Kaiser Franz I.,
Joseph IL, Leopold IL Dazu kommen Sinfonien, Sextette, Quartette, Trios,
Duette, Ciavier-, Violin- und Hornconcerte, Suiten, Variationen, Lieder u. s.w.
Für sein bestes Werk gilt ein ungedruckt gebliebenes Stabat mater. — Sein
Sohn, Johann Siegmund G., geboren 1759 zu Nürnberg und ebendaselbst
am 3. Decbr. 1804 als Doctor beider Rechte und Rathsconsulent gestorben,
zeichnete sich besonders in den wissenschaftlichen Zweigen der Musik aus, wie,
da Compositionen von ihm nicht bekannt geworden sind, mehrere gründliche
Gruber — Grüger. 419
literarische Arbeiten beweisen. So seine »Literatur der Musik, oder Anleitung
zur Kenntniss der vorzüglicheren musikalischen Büchei-«, welche er 1785 und
1790 durch Nachträge, die in Frankfurt und Leipzig erschienen, ergänzte;
ferner sein alphabetisches Verzeichniss musikalischer, zum Theil sehr seltener
Schriftsteller und endlich eine Sammlung Biographien berühmter Tonkünstler
als Beitrag zur musikalischen Grelehrten - Geschichte (Frankfurt und Leipzig,
1786).
Gruber, Johann Gottfried, gründlicher deutscher Gelehrter, geboren
am 29. Novbr. 1774 zu Naumburg an der Saale, studirte seit 1792 zu Leipzig
Philosophie, Philologie und Geschichte, nachher auch Mathematik und Natur-
wissenschaften und trat 1803 in Jena als Privatdocent und als Schriftsteller
im Fache der Kunstgeschichte, Archäologie und Aesthetik auf. Von dort
siedelte er zuerst nach Weimar, dann nach Dresden über, bis er 1811 die
philosophische Professur an der Universität zu Wittenberg erhielt, worauf er
1815 seine akademische Lehrthätigkeit in Halle fortsetzte. Mit Ersch (s. d.)
verband er sich nach Hufeland's Tode zur Herausgabe des Biesenwerkes »All-
gemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste«, deren erste Section
(A bis G) er nach Ersch's Tode vom 18. Bande an allein zu Ende führte.
Hochgeehrt starb er 1851 zu Halle. Seine zahlreichen ästhetischen Aufsätze
in der schliesslich von ihm auch redigirten »Allgemeinen Literaturzeitung«,
sein unvollendet gebliebenes »Wörterbuch für Aesthetik und Archäologie«
(1. Band, Weimar, 1810) und vor allem seine eifrige Theilnahme an dem be-
reits erwähnten Nationalwerke sichern ihm auch in den Annalen der Musik ein
ehrenvolles Andenken.
Grruber, Karl Anton, Edler von Grubenfels, bemerkenswerther Dilet-
tant und Musikfreund, geboren am 28. Juni 1760 zu Szegedin in Ungarn, er-,
hielt eine gründliche Ausbildung seiner wissenschaftlichen Befähigung und seines
Musiktalentes, so dass er es auf verschiedenen Instrumenten zur grössten Fer-
tigkeit brachte. Zuerst am königl. Bergamte zu Bhonaseker angestellt, dann
als k. k. Verpflegungsof&zier, weiterhin Secretär des Grafen Batthiany zu Wien
und zuletzt Comitats -Assessor und Bibliothekar zu Pressburg, war er 1836
noch am Leben. Seine Liebe zur Tonkunst hat er immerwährend bethätigt,
in seiner Jugend durch eine Abhandlung »Gedanken über Bartl's Tastenhar-
monica« und später als eines der ältesten Mitglieder des rühmlichst bekannten
Pressburger Kirchenmusikvereius.
Oriiel, Eugen (Karl Theodor), ein zu bedeutenden Hoffnungen berech-
tigender junger Tonkünstler, wurde am 5. Octbr. 1847 als der jüngste Sohn
eines Predigers zu Pömmelte, einem Dorfe in dem preussischen Begierungs-
bezirke Magdeburg geboren. Seine Mutter, eine Tochter des 1854 in Magde-
burg gestorbenen Musikdirektors Wachsmann, lenkte das Gemüth des Knaben
schon früh zur Neigung für die Musik, und in Folge dessen kam G., nachdem
er das Magdeburger Klostergymnasium besucht hatte, 1864 nach Berlin, wo
er eifrige Violinstudien beim königl. Concertmeister Zimmermann begann.
Später jedoch befasste er sich ausschliesslich mit musiktheoretischen Studien
und arbeitete zunächst l^a Jahre lang bei H. Bellermann auf dem Gebiete
des strengen Contrapunkts, worauf er sich der Compositionslehre zuwandte.
Was von G.'s Arbeiten bis jetzt im Drucke erschienen ist, beschränkt sich auf
eine Sonate, Ciavierstücke und Lieder, die jedoch ein emporstrebendes ausser-
gewöhnliches Talent bekunden.
(xrüger, Joseph, deutscher Geistlicher, dabei guter Ciavierspieler und
Componist, war um 1780 in der Grafschaft Glatz geboren. Er studirte zu
Glatz und Breslau und war nach einander Kaplan in Mittelsteine und in Ha-
belschwerdt, wo er im Febr. 1814 starb. Als Kirchencomponist war er bei
seinen Landsleuten sehr geachtet; von anderen seiner Arbeiten ist ein Sing-
spiel, »Hass und Aussöhnung«, in Partitur und im Clavierauszuge (Breslau,
1798) erschienen.
27*
420 Grüubaum.
Griinbauiu, Johann Christoph, gründlich gebildeter deutscher Ton-
künstler und Sänger, geboren am 28. Octbr. 1785 zu Haslau bei Eger, erhielt
seine musikalische Bildung als Discantist des Klosters "Waldsassen in der Ober-
pfalz und vom 13. Jahre an am Dome zu Eegensburg, wo er zugleich das
Gymnasium besuchte. Nach Verwandelung seiner Sopranstimme in einen an-
genehmen Tenor, ward er 1804 auf Empfehlung seines Lehrers, des Abbe
Sterkel, beim Regensburger Theater engagirt, das er 1807 mit der Prager
Bühne vertauschte, welcher er 11 Jahre lang als erster Tenorist angehörte.
Im J. 1813 verheirathete er sich mit Therese Müller, der Tochter des be-
liebten Volkscomponisten Wenzel Müller, und wurde mit ihr 1818 an das
Hofoperntheater zu Wien berufen. Den Wiener Aufenthalt gab er 1832 aut
und lebte seitdem als Gesanglehrer und musikalisches Factotum Berliner Musik-
verleger in der preussischen Residenz. In letzterer Eigenschaft hat er gegen
50 italienische und französische Opern und hunderte von Canzonen und Ro-
manzen sehr geschickt und sanggerecht in's Deutsche übersetzt, Yaccaj's Ge-
sangmethode und Berlioz' liTraite d'instrumentationa deutsch bearbeitet und
zahlreiche praktische GesangaiTangements ausgeführt. Auch als Componist ist
er in früherer Zeit mit Gesängen und Operneinlagen, sowie mit zwei komischen
Terzetten aufgetreten. Als Biedermann geachtet, starb er am 10. Jan. 1870
zu Berlin. — Seine Gattin, die einst hochgefeierte Therese G., geborene
Müller, wurde am 24. Aug. 1791 zu Wien geboren und gehörte schon seit
ihrem fünften Jahre der Bühne an. Im J. 1807 kam sie mit ihrem Vater,
der zugleich ihr Lehrer war, nach Prag, wo der letztere die Kapellmeiserstelle
erhalten hatte. Dort vollendete der italienische Sänger Aloisi ihre gesangliche
Ausbildung und führte sie ihrem Ruhme entgegen. Sie wurde der Liebling
des Prager Publikums und erregte, von C. M. v. Weber zudem mit begeisterten
Worten öffentlich empfohlen, auf Kunst- und Gastspielreisen in Wien, München
und Berlin (1817) das grösste Aufsehen. Allgemeine Trauer herrschte in Prag,
als sie 1818 der Berufung als Primadonna der Hofoper in AVien folgte. Auch
hier wurde sie durch ihren kunstfertigen, wahrhaft dramatischen Gesang der
erklärte Liebling der Kunstfreunde, und ihre Desdemona, Donna Anna und
Eglantine galten für unübertreffliche Meisterschöpfungeu. Als im J. 1828 das
Hofopernhaus verpachtet wurde, trat sie in den Pensiousstand und widmete
sich lediglich der Ausbildung ihrer Tochter Karoline, welche in der Folge
eine höchst anmuthige und geistreiche Sängerin wurde. Mit dieser und ihrem
Gatten kam sie 1832 nach Berlin, wo sie noch gegenwärtig (1874) hochbetagt,
aber ziemlich rege und rüstig lebt. — Ihre eben erwähnte Tochter, Karoline
G., wurde am 28. März 1814 zu Wien geboren und debiitirte daselbst, von
ihren Eltern herangebildet, am 22. Aug. 1829 als Emmeline in Weigl's »Schweizer-
familiea, der letzten Aufführung unter Direktion des Componisteii. Alsbald
engagirt, sang sie ein Jahr lang an der Wiener Hofbühne, machte, als dieselbe
auf einige Monate geschlossen wurde, mit ihrer Mutter eine Kunstreise über
Hamburg, Hannover, Braunschweig, Darmstadt, Frankfurt a. M. u. s. w. und
nahm endlich ein Engagement beim Königsstädter Theater zu Berlin an, wo
sie am 15. Febr. 1832 mit glänzendem Erfolge debütirte. Noch in demselben
Jahre wurde sie an die königl. Bühne in Berlin gezogen und trat daselbst als
Amazili in Spontini's »Cortez« zuerst auf. Ihr Hauptfach wurden jedoch die
höheren Soubrettenrollen und Coloraturparthien. Zum allgemeinen Bedauern
entsagte sie, die auch im Privatleben höchster Achtung genoss, im J. 1844
gänzlich der Bühne und verheirathete sich bald darauf mit dem trefflichen Hof-
schauspieler B er cht in Braunschweig, mit dem sie bis zu ihrem Tode, am
26. Mai 1868, in einer musterhaften Ehe lebte. Leider hatte sie den Schmerz,
einen zu den grössten Hoffnungen als Componist berechtigenden Sohn, Alfred
B er cht, der soeben in Berlin seine höheren musikalischen Studien vollendet
hatte, 1866 sich vorangehen zu sehen. Eine Sinfonie dieses letzteren erschien
als nachgelassenes Werk in Partitur zu Braunschweig.
Grünberg — Grützmacher. 421
Grüuberg', Gottlieb, blinder Flötenvirtuose, geboren 1802 zu Hannover,
Hess sich auf Kunstreisen erfolgreich in Deutschland und Dänemark hören.
Im J. 1832 ging er nach "Weimar, woselbst er ein neues, schnell wieder ver-
schollenes Instrument, »Furoria«, erfand. Seine Reisen und sein Leben behan-
delt eine Schrift (Hannover, 1834), welche, wie es in der Vorrede heisst, behufs
seiner und der Seinigen bürgerlichen Existenz erschien.
Grünberger, Theodor, deutscher Geistlicher und Componist, der Ende
des 18. Jahrhunderts in einem schwäbischen Kloster wirkte. Er hat sich durch
mehrere von 1795 bis 1802 im Druck erschienene Compositionen geistlicher
Art nicht unvortheilhaft bekannt gemacht. Gerber in seinem Tonkünstlerlexicon
vom J. 1812 führt die Titel derselben auf. f
Gründig, Christoph Gottlob, deutscher Theologe, geboren am 5. Septbr.
1707 zu Dorfhain, starl) am 9. Aug. 1780 als Superintendent und erster Pre-
diger zu Freiberg und ist der Verfasser einer »Geschichte des Singens beim
Gottesdienste« (Schneeberg, 1753).
Grüneberg, Johann Wilhelm, deutscher Orgel- und Ciavierbauer zu
Brandenburg in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vollendete u. A. 1796
in der Katharinenkirche zu Magdeburg das grosse Orgelwerk, dessen Disposition
man in dem zweiten Jahrgange der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zei-
tung aufgezeichnet findet.
Grünewald, Karl Heinrich, berühmter deutscher Sänger und Componist,
welcher zuerst 1703 bekannt wurde, in welcher Zeit er beim Hamburger
Theater angestellt war. Für dies Institut soll er mehrere Opern componirt
haben, von denen aber nur noch die 1706 sehr beifällig gegebene, Namens
»Germanicus, oder die gerettete Unschuld« bekannt geblieben ist. Von Ham-
burg wurde er als köuigl. Sänger nach Berlin berufen und sang hier 1708 in
der Festoper »Alexander und Roxanen's Hochzeit« die Parthie des Alexander.
Nach dieser Zeit kam er als Vicekapellmeister nach Darmstadt und starb da-
selbst 1739. "Was er in der letzteren Stellung componirt hat, bleibt noch zu
erforschen. Jedenfalls hat er damals dem Pantalon, auf dem er eine sehr be-
deutende Fertigkeit besass, grossen Eifer zugewendet. Denn um 1717 machte
er mit diesem Instrumente mehrere erfolgreiche Kunstreisen durch Deutschland,
auf denen er auch wieder Hamburg berührte.
Grüninger, Erasmus, deutscher Theologe und Musikgelehrter, geboren zu
Winnenda 1566, wurde 1586 zu Tübingen Magister und sechs Jahre später
daselbst Professor der Musik. Endlich, 1614, als erster würtembergischer
Prediger angestellt, starb er am 19. Decbr. 1631. Vgl. Jöcher und Oelrichs.
t
Grüuwald, Professor am Theresianum zu "Wien, brachte sich um 1796 als
beliebter Clavierspieler daselbst zur Geltung. Auch als Componist versuchte
er sich, und es sind von ihm einige Quartette und mehrere andere Stücke be-
kannt geworden, doch kaum über "den Bereich Wiens hinausgekommen. f
Grünwald, Adolph, trefflicher deutscher Violinvirtuose, geboren in Schle-
sien und von den besten Lehrern, u. A. von Böhm in Wien ausgebildet, nahm
1849 seinen bleibenden Aufenthalt in Berlin und erwarb sich daselbst durch
häufige Mitwirkung in Concerten als Solospieler, sowie durch Veranstaltung
von Kammermusikaufführungen einen bedeutenden Localruf. Seit 1862 wirkt
er ausschliesslich als Lehrer seines Instrumentes an der von Theod, Kullak
geleiteten »Akademie der Tonkunst« und hat eine Reihe trefflicher Schüler
gebildet. Als Componist ist er nicht bemerkenswerth hervorgetreten; für Ver-
anstaltung einer Ausgabe von Haydn's Streichquartetten, die er mit Fingersatz
versah, erhielt er den Titel eines königl. Professors der Musik.
Grützmacher, Friedrich (Wilhelm Ludwig), einer der ausgezeichnetsten
Violoncellovirtuosen der Gegenwart, wurde am 1, März 1832 zu Dessau ge-
boren. Sein Vater, Mitglied der herzogl. Hof kapeile, ertheilte dem Sohne
frühzeitig eleu ersten Musikunterricht, übergab ihn aber später, als sich bei G.
422 Grrund.
Neigung zum Violonccllospiele bemerkbar machte, zur weiteren Ausbildung dem
ausgezeiclineten Violoncellisten Kai'l Drechsler, bei dem er so überi'aschend
schnell fortschi'itt , dass er in seinem achten Lebensjahre schon mit grösstem
Beifalle öffentlich auftreten konnte. Den theoretischen Unterricht genoss G.
unter Friedr. Schneider, dem er auch die ernsten, acht künstlerischen Grund-
sätze verdankte, denen er in der Folgezeit unverändert treu geblieben ist. Im
J. 1848 wandte sich G. nach Leipzig und fand dort seine erste bescheidene
Stellung in einem Musikcorps. Aber Ferd. David's Scharfblick erkannte bald
die Begabung G.'s; er verschaffte ihm Gelegenheit zum Solospiele in einem
Gewandhausconcei'te , und von da an Avar ihm der Weg zu B,uhm und Ehre
gebahnt. Durch ein unei'miidliches Streben unterstützt, entfaltete sich sein
grosses Talent nunmehr so schnell, dass man ihm schon ein Jahr später, als
Nachfolger B. Cossmann's, die Stellung eines ersten Violoncellisten und Solo-
spielers der Gewandhauscoucerte, sowie eines Lehrers am Couservatorium über-
trug. In diesen Stellungen wirkte er mit grösstem Eifer und Erfolge bis 1860,
in welchem Jahre er von Jul. Rietz nach Dresden gezogen wurde, um der
Kette vorzüglicher Violoncellisten, welche die dortige Stellung stets bekleideten
(J. F. Dotzauer und F. A. Kummer), als neues Glied beigefügt zu werden.
G., der mit dem Titel eines köuigl. sächsischen Kammervirtuosen ausgezeichnet
wurde, ist jetzt einer der gekauntesten und geschätztesten Vertreter seines In-
strumentes, sowohl als Concert- wie als Kammermusik-Spieler, welche ehrenvolle
Meinung er durch viele Kunstreisen in Deutschland, England, Holland, Däne-
mark, Schweden, der Schweiz etc. fest begründet hat. Auch als schaffender
Künstler hat er sich einen geachteten Namen erworben durch Veröffentlichung
von bereits mehr als sechzig Werken (Concerte, Phantasie- und Unterrichsstücke
für sein Instrument, daneben auch grössere Orchester- und Kammermusik-Com-
positionen, Lieder, Pianefortestücke u. s. w.), sowie durch Uebertragen vieler
classischen Musikstücke auf das Violoncell, endlich durch Ausgrabung alter, der
Vergessenheit anheimgefallener Musikstücke. Als Lehrer seines Instrumentes
endlich gilt er gegenwärtig unbedingt als der erste und der gesuchteste. Stetö
von einer grossen Schülerzahl aus allen Ländern umgeben, hat er auch bereits
viele tüchtige und wieder namhaft gewordene Violoncellisten gebildet, z. B.
seinen jüngeren Bruder Leopold, Th. Krumbholz in Stuttgart, F.Hilpert,
E, Hegar in Leipzig, R. Bellmann in Schwerin, W. Fitzenhageu in
Moskau, AV. Herlitz in Dessau u. v. A. — Der bereits erwähnte Bruder und
Schüler G.'s, Leopold G., geboren am 4. Septbr. 18.35 zu Dessau, begann seine
künstlerische Laufbahn als Mitglied des Gewandhaus- und Theaterorchesters zu
Leipzig und wurde später, nach Weggang der jüngeren Gebrüder Müller von
Meiningen, als erster Violoncellist in die herzogl. meiningensche Hofkapelle be-
rufen. Ausser als tüchtiger Solo- und Orchestei'spieler hat er sich auch be-
reits durch Veröffentlichung einer Reihe ansi^rechender Corapositionen für sein
Instrument vortheilhaft bekannt gemacht. Darunter befindet sich auch ein
Concert mit Orchester.
Grund, zwei Brüder, beide ausgezeichnete deutsche Harfeuvirtuoseu und
zu Prag geboren: Christian G. am 22. Juni 1722 und Eustach G. im
J. 1724. Ihr Vater, ein geschickter Porträtmaler und Musikfreund, lenkte
ihre Neigung der letzteren Kunst zu, und Beide widmeten sich mit Eifer und
Talent der in Deutschland sehr vernachlässigten Harfe, wobei sie die allge-
meinen Musikstudien gleichwohl nicht vernachlässigten. Auf Kunstreisen, die
der ältere nach Süden und Osten (Wien, Warschau u. s. w.), der jüngere nach
Westen (München, Stuttgart, Darmstadt u. s. w.) unternahm, erwarben sie
sich einen glänzenden Ruf, der eine vornehmlich in der Improvisation, der andere
durch sein beispiellos fertiges Spiel. Beide traten in die Dienste des Bischofs
zu Leitmeritz und bald darauf in die des Kurfürsten von Baiern. Weiterhin
waren sie am Hofe des Markgrafen von Anspach bis zu dessen Tode, worauf
Christian nach Würzburg ging und dort am 11. Novbr. 1784 als fürstbischöfl.
Grund — Grundbass. 423
Kammermusicus starb. Eustach dagegen begab sich nacb Auflösung der An-
spacber Kapelle nach Stuttgart und von da nach Tettnang am Bodensee, wo
er in Diensten des Grafen von Montfort gestorben sein soll. Er hatte sich
bereits in München mit einer Hofdame aus der angesehenen Familie von Fugger
verheirathet, die er jedoch wieder verlassen hatte. Diese Ehe blieb kinderlos.
— Eine Tochter Christian's, Elisabeth Gr., hatte sich zur Gruitarre- und
Harfenvirtuosin ausgebildet und lebte in "Würzburg als sehr geachtete Lehrerin
' auf den genannten Instrumenten.
Grnud, Friedrich Wilhelm, rühmlich bekannter deutscher Componist,
Dirigent und Musiklehrer, geboren am 7. Octbr. 1791 zu Hamburg, war der Sohn
eines achtungswerthen Musikers Namens Greorg Friedrich G-., der ihn auf dem
Violoncello ausbildete, während Schwenke ihm einen gediegenen Ciavierunterricht
ertheilte. Auf beiden Instrumenten liess er sich in seinem 17. .Jahre mit dem
grössten Erfolge hören und gab in Folge dessen die wissenschaftliche Studien-
bahn, die er als Lebensberuf verfolgen sollte, ganz auf. Eine Lähmung der
rechten Hand verwies ihn jedoch ausschliesslich auf Unterrichtertheilung und
Composition, und in beiden Beziehungen erwarb er sich einen bedeutenden
Localruf, der sich noch steigerte, als er auch fördernd und hebend in die
Musikzustände Hamburgs mit eingriff. Nach dieser Seite hin gründete er 1819
die Hamburger Singakademie und übernahm 1828 die philharmonischen Con-
certe, zwei Institute, die noch jetzt in Blüthe stehen und einen wohlthätigen
Einfluss auf das Kunstleben der Stadt ausüben; als Dirigent stand er selbst
bis 1862 an der Spitze derselben, darauf bedacht, den Programmen die hervor-
ragendsten Kunstschöpfungen zuzuführen. Noch als 76jähriger Grreis betheiligte
er sich lebhaft an der Begründung eines Hamburger Tonkünstlervereins, dessen
Bestehen er als eine Nothwendigkeit für die Fortdauer gesicherter Musikver-
hältnisse erachtete. Diese Gesellschaft ehrt dankbar in ihm und Karl G. P.
Grädener ihre eigentlichen Stifter. Von seinen zahlreichen gehaltvollen Com-
positionen sind theils gedruckt, theils als Manuscript bekannt geworden: die
Opern »Mathilde« und »die Burg Falkenstein«, die Cantate »die Auferstehung
und Himmelfahrt Christi«, eine achtstimmige Messe a capella, Hymnen von
Krummacher, Sinfonien und Ouvertüren, ein Octett für Pianofoi'te und Blase-
instrumente, Quartette für Pianoforte und Streichinstrumente, Sonaten für
Ciavier allein und mit Violine, ebenso mit Violoncello, Ciavieretüden und andere
Stücke, ein Divertissement für Pianoforte zu vier Händen und Violoncello,
vierhändige Polonäsen, weltliche und geistliche Gesänge und Lieder u. s. w. —
Sein Bruder, Eduard G., geboren am 31. Mai 1802 zu Hamburg, bildete sich
zum Violinvirtuosen aus und machte seine höheren Studien bei Louis Spohr.
Auf mehreren Kunstreisen erwarb er sich als Virtuose sowohl wie als guter
Musiker grosse Anerkennung. Im J. 1829 wurde er Hofkapellmeister in Mei-
ningen und entfaltete eine umfangreiche Thätigkeit bis 1858, in welchem
Jahre er sich pensioniren liess, worauf J. J. Bott sein Nachfolger wurde. Von
seinen Compositionen sind Ouvertüren, ein Quatiior brillant, ein Concert,
ein Concertino und Solo's für Violine, sowie Lieder vortheilhaft bekannt ge-
worden.
Grundabsatz, s. Absatz.
Gruudaccord (französ. accorcl fondamentale) bezeichnet diejenige Accordlage,
in welcher der Grundton zugleich Basston ist, während er in den TJmkehrungen
seinen eigentlich ihm zukommenden Platz als tiefster Ton an ein anderes In-
tervall des Accordes abgiebt. Wesentlich gleichbedeutend ist der Fachausdruck
Stammaccord. Jedoch pflegt man den letzteren mehr in Bezug auf die
Umkehrungsfähigkeit der betreffenden Accorde, den Ausdruck G. hingegen mehr
in Hinsicht auf die Lage des Grundtones im Basse anzuwenden. S. auch
A c c 0 r d.
Grundbass (französ. lasse fondamentale) ist die Reihe der tiefsten Töne
der Tonart, auf welche sich alle einzelnen Accorde einer Grundstimme, durch
424 (iraiidlianiionie -- Grundatimmen.
deren Verbindung das harmouisclie Grewebe eines Tonstückes hervortritt, gründen
müssen, wenn sie als einzelne Glieder des Ganzen die unumgänglich noth-
wendige Beziehung auf die zu Grunde liegende Tonart enthalten sollen. Diese
Fundamentaltöne einer jeden Tonart sind die Tonica mit ihrer Ober- und
Unterdominante. Die Kenntniss des G. dient zur Beurtheilung der Richtuui;'
der Hapmonie in zweifelhaften Fällen, und diese gründet sich auf die Ableitung
der Stamm- und abstammenden Accorde. Eameaxi war der Erste, der ein
System des G.'s (sowie der Harmonie- und Aceordlehre in unserem Sinne
überhaupt) entwickelt hat. Kein Theoretiker vor ihm gedenkt eines Funda-
mentalbasses zur Aufklärung zweifelhafter Sätze oder zur Beurtheilung des
richtigen Gebrauches der Harmonie.
Grundliarmonie, identisch mit Grundaccord (s. d.).
Grundigr, Johann Zacharias, trefflicher und gediegener Sänger und
Gesanglehrer, war in seiner Jugend Tenorist der königl. Kapelle zu Dresden
und später, bis zu seinem Tode im J. 1720, Cantor au der Kreuzschule
daselbst. Zu seinen Gesangschülern zählen auch die beiden Graun, und
seine Methode hat sich besonders an Karl Heinrich Graun vortheilhaft be-
währt.
Grnndig, Christoph Gottlob, s. Gründig.
Grnudke, Johann Kaspar, deutscher Musiker, geboren um 1730 zu
Naumburg in Schlesien, war von 1754 bis 1786 Kammermusiker der königl.
Kapelle zu Berlin, anfangs als Violinist, später als Oboebläser.
Grundiuauu, Jacob Friedrich, einer der vorzüglichsten deutschen Holz-
Blaseinstrumenteubauer des 18. Jahrhunderts, geboren 1727 zu Dresden, er-
lernte die Fabrikation bei Pörschmann in Leipzig. Nach Dresden 1753 zurück-
gekehrt, begründete er sein eigenes Geschäft, das immer mehr in Aufschwung
kam; namentlich waren seine Claiünetten, Oboen und Fagotte, die sich durch
Ton und Ansprache vor allen anderen damaliger Zeit auszeichneten, bis nach
Polen und Russland hin stark begehrte und theuer bezahlte Artikel, G, selbst
starb am 1. Octbr. 1800, und seine Fabrik übernahm sein Schüler und Gehülfe
Joh. Friedr. Floth.
Grunduote, die tiefste Note eines Accords oder einer Tonart, ist gleich-
bedeutend mit Grundton.
Grnndstammaocord, pleonastische Bezeichnung für Grundaccord (s. d.).
Grnudstiiumeu nennt man in der Orgelbaukunst die einfachen Stim-
men (s. d.), welche in dem Manual oder Pedal derselben für gewöhnlich ah
die tiefsten, den Grund und Boden bildenden, erachtet werden, also im Haupt-
manuale die 2,5-, im Oberwerk die 1,25- und im Pedal die 5 metrigen. Dies
hat seine Ursache darin, dass man das Tonreich der Orgel, um es leichter in
rationeller "Weise vei'werthen zu können, in der Art eingetheilt hat, dass die
tiefsten Klänge desselben dem Pedal, die höchsten dem Oberwerk und die
mittleren dem Hauptwerk einverleibt wurden, was eben zur Annahme von G.
in jedem der genannten Orgeltlieile führte, da ausser diesen Stimmen höhere
zu denselben nach Ermessen als selbstverständlich zugehörig angenommen wur-
den. "Wenn nun in der Neuzeit andere Rücksichten auch oft zur Ueberschrei-
tung dieser Hauptregel führten, so beweisen doch alle Orgeldispositionen, dass
nicht die Uebei'schreitungen zur Regel wurden, sondern nur zu einer Modi-
fication derselben führten; man findet nämlich stets oben angegebene Stimmen
in den daneben verzeichneten Orgeltheilen vorherrschend, und nennt deshalb
auch diese die G. der Orgel. In älteren Wei-ken finden sich noch andere Auf-
fassungen verzeichnet. So sagt J. S. Hallen in seiner »Kunst des Orgelbaues«
(1789): »Alle Octavstiramen nennt man G. der Orgel«, fährt aber fort: »In-
dessen nimmt man ein 2,5 metriges "Werk zum Grunde oder eigentlichen Ton
einer Orgel an. Es accordirt mit der natürlichen Menschenstimme und fast
mit allen Instrumenten, mit dem Flügel, Violoncell, mit der Bassgeige, Posaune,
Hautbois und der Flöte. Alle übrigen Orgelstimmen hat man sich blos zur
Grund ton. — Grüner. 425
Unterstützung des 2,5 Metertons, und zur Naclialimung aller mvxsikalischen In-
strumente, zu einem Ganzen ausgedacht. Diese vier Hauptstimmen, nämlich
die 10-, 5-, 2,5- und 1,25 metrige, gehen einer ganzen Orgel ihren Namen, und
man sagt von einer Orgel: es ist "ein 10-, 5-, 2,5- oder l,25metriges Werk.
Diese Stimmen kommen vorn in der Orgel, wenn man dazu Platz hat und die
Kosten aufbringen kann, zu sehen.« Dieser Auflfassung ähnlich ist die Gr. C.
Fr. Schlimbach's in seiner Schrift »TJeher die Orgel« (1801), die folgender-
massen lautet: »G. nennt man solche Orgelstimmen, die jedesmal den Ton an-
geben, den der angeschlagene Clavis besagt, ohne Rücksicht auf Tongrösse.
So ist z. B. Octave 1,25 Meter gross eine G., indem sie, wenn man den Clavis
c anschlägt, richtig den Ton e hören lässt, er sei nun 2,5-, 1,25- oder 0,625-
metrig. "Wollte man in Rücksicht der Tongrösse eine solche Stimme bestimmter
charakterisiren, so könnte man Octav 2,5 Meter eine Mittelgrundstimme, Octav
0,625 Meter eine überkleine G. nennen. Zu den G. gehören also alle Octav-
stimmen; ausgenommen sind Quinte, Terz etc.« — Grundstimme oder Basis
nennt man in theoretischer Beziehung die Bassstimme eines Tonstückes. S.
Bass. 0
Onmdton (französ.: tonique) hat eine verschiedene Bedeutung, je nachdem
der Ausdruck mit Accorden, mit Tonarten oder mit einem bestimmten
Tonstück in Verbindung gebracht wird. 1) Der Grundton eines Accordes
ist derjenige Ton , auf welchem der terzenweise Aufbau des Accordes sich er-
hebt, zu dem also die übrigen Intervalle des Dreiklanges im Verhältnisse von
Terz und Quinte, die des Septimenaccordes von Terz, Quinte und Septime er-
scheinen, wie z. B. e in den Accorden c e g und c e g h. Von den Umkeh-
rungen der Accorde her ist bekannt, dass der G. seinen Platz " als tiefster Ton
mit einem der über ihm liegenden Accord -Intervalle vertauschen kann, ohne
deshalb sein Wesen als G. aufzugeben. — 2) Der G. einer Tonart oder die
Tonica heisst derjenige Ton, auf welchem ihre diatonische Dur- oder Moll-
tonleiter errichtet wird und auf den die ganze Tonbewegung innerhalb der
Tonart sich zurückbezieht; als G. des harmonischen Dreiklanges Ausgangs- und
Endpunkt der Tonart auch im harmonischen Sinne. — 3) Der G. eines Ton-
stückes, richtiger der Hauptton (s. d.) oder die Tonica, ist derjenige Ton,
dessen harte oder weiche Tonleiter die Hauptgrundlage desselben ausmacht,
also der G. oder die Tonica der Hauptonart des Tonstückes. Die Benennung
Hauptton oder Tonica ist vorzuziehen, um diesen G. der Haupttonart des Ton-
satzes von den Grundtönen der verschiedenen Nebentonarten, in welche die
Modulation im Verlaufe des Satzes sich wendet, zu unterscheiden,
Grundtouart, s. Haupttonart.
(rrund- oder Eadicalverhältniss nennt man in der Kanonik (s. d.) der
Musik jedes Verhältniss, dessen Ausdruck nicht durch kleinere ganze Zahlen
bewerkstelligt werden kann. Demgemäss nennt man die Verhältnisse 4 : 3 und
3:2 G., während 6:4, 9:6 u. A." Irradicalverhältnisse genannt werden.
0
Grüner, Johann August, vortrefflicher deutscher Oboebläser, geboren
1730 zu Altenburg, war seit etwa 1766 königl, preussischer Kammermusiker
und starb als solcher am 16. Octbr. 1799 zu Berlin. — Ein gleichnamiger
älterer deutscher Tonkünstler, Joseph G., um 1712 zu Engelsberg geboren,
war Tenorist im Chore der Jesuitenkirche zu Olmütz, woselbst auch 1737 ein
Oratorium seiner Composition, betitelt: -»Passio domini nostri Jesu Christi in
Golgatha consummata<i , aufgeführt wurde. — Der bedeutendste Musiker dieses
Namens ist Nathanael Gottfried G., 1794 zu Gera als Cantor und Musik-
direktor gestorben. Er war, namentlich in Kirchenstücken, einer der belieb-
testen Componisten des 18. Jahrhunderts. Seine auf Cantatenart und durch-
componirten Choräle (etwa 15 an Zahl), seine Motetten, Psalme und die
Passionscantate »Dein Zion streut dir Palmen« galten als vorzüglich in ihrer
Art; gedruckt davon ist nur wenig. Von seinen Ciaviersachen, namentlicli
426 Grupetto — G-ScWÜ8sel.
Concerten und Sonaten, sind einige sogar in Frankreich gedruckt worden,
andere erschienen in Leipzig. Nach seinem Tode kamen noch mehrei'e Hefte
vierstimmiger Gesänge bei Tuch in Dessau heraus.
Gruppetto, s. Groppetto. — Onippo, s. Groppo.
Grätsch, Franz Seraj^h, fleissiger deutscher Componist, geboren am
24. Octbr. 1800, zeichnete sich schon früh als Kirchensänger imd Violinist
aus. Bei den Gebrüdern von Blumenthal trieb er höhere Yiolinstudien und
Harmonielehre. Schon 1815 wurde er als Violinist beim Orchester der ver-
einigten Bühnen von Pressburg und Baden und 1816 beim Theater an der
Wien augestellt. Im J. 1830 wurde er zweiter Dirigent im Hofoperntheater
und ein Jahr später auch Mitglied der k. k. Kapelle. Von seinen zahlreichen
gewandt geschriebenen Arbeiten erschienen im Druck: Stücke für Gesang, für
Ciavier und für Streichinstrumente; ungedruckt blieben: Ouvertüren, Quartette,
Trios, Violinduette, Concertstücke, zwei Opern, Messen, geistliche und weltliche
Gesänge u. s. w.
Grypbius, Andreas, eigentlich Greif, wie sich seine Vorfahren auch
nannten, hervorragender lyrischer, besonders aber dramatischer Dichter, war der
Sohn eines Geistlichen und zu Grossglogau am 2. Octbr. 1616 geboren. Seit
1631 besuchte er die höheren Schulen in Görlitz, Fi-austadt und studirte in
Danzig von 1634 bis 1636 die Rechte. Von 1638 an war er neun Jahre
lang auf Reisen durch Holland, England, Frankreich und Italien. In seine
Heimath zurückgekehrt, wurde er 1647 Landsyndikus des Fürstenthums Glogau,
trat 1662 in die Fruchtbringende Gesellschaft, die ihm den Namen »der Un-
ßterblichea ertheilte, und sarb am 16. Juli 1664 plötzlich inmitten einer Sitzung
der Landstände. Er hat u. A. zwei Singspiele, »Majuna« und »Piastus«, ge-
dichtet, ersteres zur Feier des Westphälischen Friedens, letzteres zu Ehren des
Herzogs Christian von Liegnitz, in denen, entgegengesetzt den später auf-
gekommenen Operntexten, das poetische Element noch kräftig neben dem musi-
kalischen besteht. — Sein ältester Sohn, Christian G., geboren am 29. Septbr.
1649 zu Fraustadt, gestorben am 6. März 1706 als Bibliothekar, Professor und
Rector des Magdalenengymnasiums zu Breslau, war ebenfalls ein verdienstvoller
Dichter, hatte aber seine Hauptstärke in der gründlichen Kenntniss der alt-
griechischen Sprache. Nach Jöcher hat er einen Traktat, »Von den Meister-
singern« betitelt, im Manuscript hinterlassen.
G-Schlüssel (ital. cliiave di sol) nennt man jedes im Anfange oder im Laufe
der Aufzeichnung eines Tonstückes im Notensysteme vorkommende Zeichen,
welches angiebt, dass auf einer Linie desselben, gewöhnlich die zweite von
unten, stets das (/^ zu stellen ist. Dem jetzt in dieser "Weise angewandten Zeichen
1^ giebt man überall eine gleiche Form, deren Gestaltung sich nicht sofort
.,'
durch sich selbst erklärt. Dasselbe ist wahrscheinlich nichts anderes, als eiiie
allmälig aus dem Buchstaben g des deutschen Alphabet's sich entwikelt habende
Arabeske. G. Weber giebt in seiner allgemeinen Musiklehre die Entwickelung
in folgender Art:
ft
0 Ä i
0
^
Jetzt erklärt man die Arabeske gewöhnlich in der Weise, dass der um die
zweite Systemlinie kreisende Zug der noth wendige, die Linie hervorhebensol-
lende Theil des G-Schl. ist, während alle anderen Züge nur Verzierungen
desselben sind. Dieser Schlüssel wurde nach Erfindung der C-Schlüssel (s. d.)
in Gebrauch genommen, um die höhereu durch Instrumente zu gebenden Töne,
in damaliger Zeit die der Violinen, in ähnlicher Weise, wie man die Stimmen
G-8ol-re-ut. 427
notirte, d. h. innerhalb des Systems, aufzeichnen zu können. Diesem ersten
Brauche entsprechend erhielt dieser Schlüssel auch den Namen Violin-
schlüssel und wurde in Frankreich auf die erste, wie auch auf die zweite
Linie gesetzt; dieser Name ist jetzt fast der vorherrschende. Ersterer Brauch
blieb nur local, und man nannte deshalb auch den G-Schl. auf der ersten Linie
den französischen Yiolin- oder G-Schl. In neuerer Zeit ist derselbe ganz
ausser Gebrauch gekommen, und man kennt überall nur den Violin- oder G-Schl.
als auf der zweiten Linie des Systems stehend. Dieser G-Schl. hat sich bisher
der ausgedehntesten Verbreitung vor allen anderen Schlüsseln in der musi-
kalischen Notirungskunst zu erfreuen gehabt, die erst in neuester Zeit wieder
etwas beschränkt worden ist. Zuvörderst notirte man alle Tongänge für Ton-
werkzeuge, die die in und über dem Bereich der Frauenstimmen liegenden
Klänge vertreten, in demselben. Zu hochgelegene Töne, deren Aufzeichnung
in diesem Schlüssel auch noch zu viel Nebenlinien erfordern würden, wie z. B.
die Klänge der Piccoloflöte (s. d.), zeichnete mau sogar um eine Octave
tiefer, und andere, deren Tonreich eigentlich eine Octave tiefer zu notiren wäre,
wie die der Guitarre (s. d.), des Tenors (s. d.), des Hornes (s. d.) u. A.
eine Octave höher, indem man es nicht für nothwendig hielt, sich die eigentliche
Tonhöhe klar zu machen, sondern das Tonreich des eben zu behandelnden
Instrumentes ins Auge fasste. Hierdurch wurde Jedem das Lesen der im
G-Schl. notirten Klänge viel geläufiger, als der in anderen Schlüsseln ver-
zeichneten, und man notirte, um eine leichtere Darstellung zu ermöglichen, in
einfachster "Weise — C-dur — auch Tongänge für Instrumente, deren Grundton
nicht c war, wie z. B. für Clarinette (s. d.), Hörner (s. d.), Trompeten
(s. d.) etc., über welche Notirungsart die Specialartikel genauere Auskunft er-
theilen. Ja, man ging endlich so weit, dass man alle Klänge im G-Schl. aul-
zuzeichnen für vorth eilhaft hielt, indem man die Anwendung von nur einem
Schlüssel in der Kunst für ausreichend und vortheilhaft erachtete. Man findet,
dieser Annahme entsprechend, manche Werke von Eomberg und dessen Zeit-
genossen in dieser "Weise gedruckt. Allgemeiner jedoch hat jetzt die Anschau-
ung wieder Platz gegriffen, die Aufzeichnung der Klänge je nach ihrer wirk-
lichen Höhe so viel als möglich sich zur Aufgabe zu machen, und ist dadurch
die Anwendung des G-Schl. vielfach mehr eingeschränkt worden, was, wie in
dem Artikel Schlüssel (s. d.) gezeigt, durchaus empfehlenswerther ist, als
dilettantischen Gelüsten nach Vereinfachung nachzukommen, durch welche nur
zu leicht einer zunehmenden Unklarheit der Tonverhältnisse im Tondenken
Vorschub geleistet wird. 2.
G-sol-re-ut (ital.) ist der aus der Guidonischen Solmisation stammende
Sylbenname des kleinen sowohl als des eingestrichenen g, indem, wegen der
sogenannten Mutation (s. d.) der Sylben ut, re, mi, fa, sol, la, auf den Tönen
g und g^ entweder sol, re oder ut gesungen werden musste, je nachdem sie
einem natürlichen weichen oder hartfen Hexachorde angehörten. Kamen g oder
g^ im II. oder V. Sexach. naturali, dessen Grundton der Ton c ist, in An-
wendung, so wurden sie mit sol benannt, also : c d e f g a. Bewegte sich
ut re mifa sol la.
dagegen der Gesang im III. oder VI. Sexach. mollari, in welchem die 5- Saite
erforderlich wurde, so fiel auf g die Silbe re, weil es in diesem Falle die zweite
Stufe des auf f begründeten Hexachordes war, auf welche re gesungen werden
musste: f g a h c d. "War endlich der Cantus durus des IV. und VII.
ut re mifa sol la.
Hexachordes, welche den Ton g selbst zum Grundton hatten, herrschend, so
fiel auf ihn, wie stets auf die erste Stufe eines jeden Hexachordes, die Sylbe
ut, also g a h c d e. Indem in den Namen eines jeden Tones alle Sylben,
tlt re mi fa sol la.
welche er in der Mutation erhielt, zusammengezogen wurden, entstand für g
die Benennung G-sol-re-ut, womit auch zugleich der G-Schlüssel bezeichnet
428 Guadagni — Guami.
wurde, indem Gr auch Clavis signata oder Schlüsselton ist. S. Solraisation.
— In der neueren Solmisation der Italiener und Franzosen wird, uaclidem
man durch Hinzufügung der siebenten Sylbe si die Mutation überflüssig ge-
macht hat, der Ton g stets nur sol genannt.
Ouadagiii, Gaetano, einer der berühmtesten Castratensünger des 18. Jahr-
hunderts, geboren zu Lodi um 1725. Als Contr'altist (Hautcontre) erschien
er zuerst 1747 auf der Opernbühne zu Parma, Hess sich 1754 vor dem fran-
zösischen Hofe und im Concert spirituel zu Paris überaus erfolgreich hören und
sang dann wieder in Italien, u. A. auch den Telemacco, welche Parthie Gluck
eigens für ihn geschiüeben hatte. Gluck war es auch, der G.'s Engagement
für Wien veranlasste und ihm dort 1766 den Orpheus in seiner gleichnamigen
Oper anvertraute. Ein Jahr später entzückte G. bis 1770 London, beson-
ders in Bertoni's »Orfeo«, in den er, wie es scheint, die Gluck'sche Tartarus-
sccne einlegte, die Engländer. Hierauf war er wieder in Italien und erregte
in Venedig solchen Enthusiasmus, dass man ihn zum Ritter von San Marco
erhob. Von Verona aus ging er 1771 mit der verwittweten Kurfürstin Marie
Antonie von Sachsen an den Hof von München und wurde dort der bevorzugte
Sänger des Kurfürsten Maximilian Joseph. Im J. 1776 noch Hess er sich vor
König Friedrich II. hören und schied reich beschenkt von Potsdam. Er kehrte
nach Italien zurück und wurde an der Kirche San Antonio in Padua als
Sänger angestellt. Dort starb er 1797 in glänzenden Verhältnissen und hoch-
geehrt als Künstler sowohl wie als freigebiger, wohlthätiger Mensch. Sein
Vortrag des Recitatives sowie der pathetischen und rührenden Stellen soll un-
vergleichlich schön gewesen sein.
Guadagnini, Lorenzo, geschickter italienischer Geigenbauer, Ende des
17. Jahrhunderts zu Piacenza geboren, war ein Schüler des Stradivari zu Cre-
mona und wirkte in seiner Vaterstadt, später in Mailand. Von den Arbeiten
seines Lehrers unterschieden sich die seinigen unvortheilhaft durch die meist
dumpf klingende dritte Saite. — Sein Sohn und Schüler, Giovanni Bat-
tista G., gleichfalls in Piacenza geboren, hielt den Ruf seines Namens aufrecht
und vererbte ihn auf seine Nachkommen. Derselbe starb um 1785 zu Turin.
Noch gegenwärtig existiren Glieder dieser Familie als Instrumentenmacher und
zwar in Neapel.
Guadet, J., französischer Gelehrter und musikalischer Schriftsteller, gegen
Ende des 18. Jahrhunderts zu Bordeaux geboren, ist der Verfasser des be-
merkenswerthen "Werkes i>Les aveugles musiciensa (Paris, 1846).
Gaaitoli, Francesco Maria, italienischer Tonsetzer von Ruf, geboren
1563 zu Carpi und gestorben am 3. Jan. 1628 ebendaselbst als Kapellmeister
an der Kathedralkirche (seit 1593) und der Bruderschaft St. Rochus (seit 1602),
hat in der Zeit von 1600 bis 1618 mehrere Sammlungen von gut gearbeiteten
Kirchengesängen, Madrigalen und Canzonetten zu Venedig veröffentlicht.
Gualtieri, Antonio, italienischer Madrigalencomponist, war zu Anfang
des 17. Jahrhunderts Kapellmeister zu Monsilice, unweit Padua, und gab 1613
fünfstimmige Madrigale zu Venedig heraus. t
Guami, Giuseppe, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Dom-
organist zu Liicca, war zugleich ein berühmter Violinist und Tonsetzer. Von
seinen "Werken kennt man: y>Sacrae cantiones vel motetti 5 — 10 voc.a (Venedig,
1585), y>GanzoneUe francese a 4, 5 <? 8 voci, con un madrigale passeggiafo« (Ant-
werpen, 1613) und y>Madrigali a 5 vocU (Venedig, 1565), die sämmtlich in der
Münchener königl. Bibliothek sich befinden sollen. In der Sammlung r>Ghir-
landa de'madrigali a sei voci di diversi eccelentissimi autori de^ nostri tempin
(Antwerpen, 1601) sind ebenfalls einige Stücke von G. enthalten. — Sein
Bruder, Francesco G., zu Lucca geboren, war gegen Ende des 16. Jahrhun-
derts Kapellmeister an der Kirche San Marcellino, von 1588 bis etwa 1591
auch zweiter Organist an San Marco zu Venedig und hat 1592 und 1593 eben-
falls Motetten seiner Composition veröffentlicht. t
Guarache — Guarneri. 429
Gruarache lieisst einer jener spanischen Nationaltänze, die unverkennbar
der maurischen Empfindungsweise entsprossen sind, indem der Charakter der-
selben, anmuthigste Fröhlichkeit gemischt mit pikanter spanischer Coquetterie
und Grandezza, der Keckheit und kühnen Leidenschaft sich ergiebt. Unsere
Oper, der Stapelplatz des Imposanten aller Erdvölker, hat auch die G. in den
Kreis ihres Materials gezogen, und viele Componisten haben sich in Nachbildung
derselben versucht. Die G. besteht aus einem zweitheiligen Hauptabschnitt
und einem Trio. Der erste Theil des Hauptabschnittes wird im '/s-Takt notirt
(nur Auber hat in seiner »Stumme von Portici« eine G. im ^/s-Takt geschrieben)
und steht in der Tonika. Der zweite Theil weicht anfangs nach der Domi-
nante aus und wiederholt dann correkt den ersten Theil. Das Trio, gewöhnlich
in der Tonart der Subdominante gesetzt, steht im ^jt-Takt. Der Tanz ist im
Hauptabschnitt in massiger Schnelle auszuführen, die sich im Trio etwas stei-
gert. Der Hauptabschnitt, wieder in massiger Bewegung, bildet den Schluss
des Tanzes. In Spanien wird die G. stets von einer Person getanzt, welche
die dazu gehörige Musik selbst auf einer Guitarre ausführt. Zuerst sind die
Bewegungen des Tänzers massig, steigern sich jedoch immer mehr während
des Tanzes. Wenn die G. auch nicht so verbreitet ist, wie der Bolero (s. d.),
der Fandango (s. d.), die Cachucha (s. d.) und andere, so ist sie doch in
einem Theile, Andalusien, noch heute einer der bevorzugten Lieblingstänze.
2.
Guaranita oder Guarana (spanisch), auch Garanita geschrieben, ist der
Name einer Abart der spanischen Guitarre (s.d.), deren schrille Klänge, von
der Handpauke begleitet, in Brasilien und Südamerika die fast einzige Musik
zu den nationalen Tänzen liefert. 2.
(xuardasoni, Domenico, intelligenter italienischer Sänger und Opern-
direktor, taucht erst in seinen Mannesjahren und zwar als Mitglied der ita-
lienischen Oper in Dresden auf. Um 1790 übernahm er die Direktion der
Gesellschaft, welche abwechselnd in Prag und Leipzig italienische Opern auf-
führte und brachte diese durch seine geschickte und umsichtige Führung zu
E.uf und Bedeutung. Später pachtete er das landständische Theater in Prag
und führte dasselbe bis zu seinem Tode im J. 1806. Im Mailänder Indice
de'' spettacoli wird in der Zeitperiode des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts
ein Operncomponist Italiens gleichen Namens aufgeführt, der möglicher Weise
dieser G. ist.
Guarducci, Tommaso, berühmter italienischer Sänger, geboren zu Monte-
fiascone um 1720, wurde in Bologna durch Bernacchi zu einem der grössten
Künstler seines Faches herangebildet, der in der Zeit von ungefähr 1745 bis 1770
auf allen grösseren Opernbühnen seines Vaterlandes, wie auch in London wahr-
haft glänzende Triumphe feierte. Im J. 1771 zog er sich von der Oeffent-
lichkeit zurück und verlebte den Abend seines Lebens in stiller Häuslichkeit
theils zu Florenz, theils zu Montefiascone. Sein Todesjahr ist nicht bekannt
geworden. t
Guaria, Pierre, französischer Gelehrter und Pater der Congregation S.
Mauri des Benediktinerordens, starb 1730 zu Paris während der Herausgabe
seiner -»Grammatica helraica et chaldaicaa (Paris, 1726), deren Vollendung sein
Schüler P. Nie. le Tournois übernahm. Im Tom. II Hb. III cap. I, -ade ac-
centibus, et de Hebraeorum accentuum modulatione« liefert G. Melodiebeispiele
der deutschen, französischen, italienischen und spanischen Synagogengesänge,
wozu er die Notentypen eigens hatte schneiden und giessen lassen. f
Guarneri oder Guarnerio, eine der classisch- berühmten italienischen
Geigenbauer - Familien , deren ältestes Glied Pietro Andrea G., geboren um
1630 zu Cremona, war, der, aus der Schule des Geronimo Amati hervorge-
gangen, wiederum der Lehrmeister Stradivari's wurde. Seine anerkannt vor-
züglichen Instrumente tragen die Jahreszahl von 1662 bis 1680. — Sein Sohn
und Schüler, Pietro G., geboren um 1670 zu Cremona, verlegte um 1700
430 Guarnerio — Guedron.
seine Kunstwerkstätte nach Mantua und war bis zum J. 1717 thätig. Seine
Fabrikate stehen übrigens denen seines Vaters bedeutend nach. — Der aus-
gezeichnetste Künstler seines Namens und Faches ist Antonio Giuseppe G.,
am 8. Juni 1683 zu Cremona geboren und ein Bruderssohn des zuerst ge-
nannten Pietro Andrea. Er soll ein Schüler des Strad^vari gewesen sein und
lieferte seine besten Instrumente während der Jahre 1725 bis 1745, in welchem
letzteren Jahre er gestorben ist.
(iuarnerio, Guglielmo, richtiger wohl Guarnier, latiuisirt Guarne-
rius, ein aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Niederlanden stammender
Contrapunktist und als solcher Mitbegründer der neapolitanischen Schule unter
Ferdinands Regierung in den Jahren 1458 bis 1494. Als Gafori 1478 in
Neapel anlangte, lehrte G bereits dort die Tonkunst öffentlich, Nach Fetis'
Mittheilungen sollen sich auf der Stadtbibliothek zu Cambrai zwei handschrift-
liche Hymnen G.'s befinden.
Gnazzi, Eleuterio, italienischer Tonsetzer, der in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts als Kapellmeister in Diensten der Republik Venedig stand.
Von seinen Compositionen erschienen Arien, Madrigale u. s. w. (Venedig,
1602).
Quazzoni, Federigo, italienischer dramatischer und Kirchencomponist,
im Mailändischen geboren, vollendete seine Musikstudien in Neapel und fungirte
zuerst als Kapellmeister in mehreren kleinen Städten Italiens, bis er 1770
eine eben solche Stelle in Rom ei'hielt, wo er 1787 starb. Seine Opern sind
gänzlich verschollen; Kirchenstücke von ihm waren bis nach Wien gedrungen.
Man bezeichnete den Styl derselben als einen leichten, aber reinen.
Guck oder Gucky, Valentin, deutscher Componist, aus Kassel gebürtig,
war im Anfange des 17. Jahrhunderts als Kapellmeister daselbst und durch
Composition und Herausgabe mehrerer Werke bekannt. Erhalten geblieben
von den letzteren sind: -uTricinia, dreistimmige weltliche Lieder beydes zu
singen vnd auff Instrumenten zu spielen« (Kassel, 1603) und r>Opus musicum,
continens textus metricos sacros festorum Dominicalium et feriarum, 8, 6 e^ 5
vocihus inceptumii (Kassel, 1605). t
Guddok, Gudok oder Guduk, ein bei dem Landvolk in Ruasland sehr
beliebtes Streichinstrument. Dasselbe gleicht unserer Violine, ist jedoch roher
geformt und wird mit einem unseren Bassbögen ähnlichen geschweiften Bogen
behandelt. Der Bezug des G. besteht aus drei Darmsaiten, die in Quinten
gestimmt sind und, auf einem geraden Sattel und Stege ruhend, über ein
planes Griffbrett hinweggehen. Die Einrichtung ist deshalb so getroffen, damit
man, wenn man auf der höchstgestimmten Saite die Melodie spielt, die anderen
Saiten gleichzeitig anstreichen kann, wodurch der Melodie stets ein Bor dun
(ö. d.) zugefügt wird. Natüi'lich wählen die Spieler meist solche Tongänge,
zu denen die Quinte harmonirt. Selten kommt es vor, dass die Melodien in
Tonarten ausweichen, zu denen die offenen Saiten disharmonisch. In solchen
Fällen greift der Spieler (Gudoschnik genannt) mit dem Daumen der linken
Hand über die Bordunsaiten und schafft dadurch eine andere zu der Ab-
weichung harmonirende Quinte. Die Leistungen dieses Tonwerkzeuges sind
somit nicht derartig, dass sie im ausgebildeten abendländischen Tonleben sich
einer Pflege erfreuen dürften, sondern entsprechen eher einer Culturstufe , in
der das AVachwerden des Gefühls für Harmonie mit der allgemeinen Andeutung
einer solchen sich begnügt. 2.
Gue, Philippe du, französischer Tonkünstler und Musiklehrer, der ubi
1750 zu Paris lebte. Er hat mehrere Cantatillen und andere Gesänge, sowie
Stücke für Musette herausgegeben.
Gn^dou des Fresles, französischer Tonkünstler, war im Anfange des
18. Jahrhunderts königl. Kammermusiker zu Paris und hat nach Boivius' Catal.
1729 p. 11 ein Buch Cautaten seiner Composition veröffentlicht.
Guedron, Pierre, französischer Componist, geboren 1565 zu Paris, war
ö
Gueinz — Günther. 431
Anfangs des 17. Jahrhunderts als Musikmeister des Königs Ludwig XIII. an-
gestellt, für dessen Hoffestlichkeiten er in Gemeinschaft mit Bataille, Mauduit
und Bochet mehrere Ballets schrieb. Bedeutender aber war er als Componist
vieler ein- und mehrstimmiger Gesänge (sogenannter Airs de cour), die etwa von
1605 bis 1630 in ganz Frankreich hoch geschätzt waren und von denen Edward
Filmer eine Auswahl, ins Englische übersetzt (London, 1629), hei-ausgab.
Gueinz, Christian, deutscher Gelehrter und Musikliterat, geboren 1592
zu Kola in der Lausitz und gestorben am 3. April 1650 als Magister und
Rektor am Gymnasium zu Halle, hat u. A. eine Disputation: »De musica
puhlica«. (Halle, 1634) und i>Frohlemata de musica^ (Halle, 1635) verfasst
t
Gneit, Marius, guter französischer Orgelspieler und Componist, geboren
um 1810 zu Paris, kam, da er schon früh erblindet war, ins Pariser Blinden-
institut, woselbst er von Mad. Vanderbuch im Ciavierspiel, von Benazet auf
dem Violoncello und später auch von den Organisten Lasceux und Morrigues
unterrichtet wurde. Gründlich ausgebildet, wurde er 1831 Organist an der
Kirche St. Paterne zu Orleans, bis er 1841 in gleicher Eigenschaft an die
Kirche St. Denis au Marais zu Paris berufen wurde. Er hat sich durch Orgel-
und Yocalcompositionen, besonders Motetten, in hervorragend vortheilhafter
Art bekannt gemacht, ist der Verfasser einer Schule für Orgue expressif und
galt für einen vorzüglichen Improvisator.
Gueiiee, Lucas, trefflicher Violinist und Orchesterchef, geboren am 19.
Aug. 1781 zu Cadix, trat im J. V. der französischen Republik in das neu
errichtete Conservatorium zu Paris, wo Gavinies, dann Rode seine Lehrer im
Violinspiel waren. Mit dem ersten Preise gekrönt, kam er als Violinist in das
Orchester des Theaters der rue Louvois und 1809 in das der Grossen Oper,
nachdem er noch bei Mazas Unterricht genommen und die Composition, zuletzt
bei Reicha, eingehend studirt hatte. Als Pensionair der Grossen Oper trat er
1834 als Orchesterchef in das Theater des Palais royal und starb im J. 1847
zu Paris. Er hat Streichquartette und Trios, Violinduette, Concerte, Capricen
u. s. w., sowie die komischen Opern »ia ehambre ä couchern, TuLa eomtesse de
Troun« und » Une visite ä la campagnevi compohirt.
Guenin, Marie Alexandre, französischer Violinvirtuose und geschickter
Instrumentalcomponist, geboren am 20. Febr. 1740 zu Maubeuge, erhielt schon
früh Violinunterricht, zuletzt, seit 1760, in Paris bei Capron, woselbst er
gleichzeitig bei Gossec Composition studirte. Im J. 1765 trat er im Concert
spirituel mit einem Concert eigener Composition unter grossem Beifall auf,
wurde erster Violinist im Orchester der Grossen Oper, alsdann auch der königl.
Kapelle, 1777 Musikintendant des Prinzen von Conde und 1780 Soloviolinist
der Oper, welche letztere Stelle 1800 Kreutzer übernahm. Im J. 1810 pen-
sionirt, fungirte G. noch als Kammervirtuose des in Frankreich lebenden Königs
Karl IV. von Spanien, kehrte 1814 nach Paris zurück und starb daselbst um
1819 in dürftigen Umständen. Mit 14 seit 1770 geschriebenen Sinfonien hat
sich G. in Frankreich einen ausgebreiteten Ruf erworben; sehr geschätzt waren
gleichzeitig Violintrios und Duette, Concerte für Violine und ein Violaconcert,
Ciaviertrios, Sonaten für Ciavier und Violoncello, Violoncelloduette u. s. w.
von ihm. — Sein Sohn, Hilaire Nicolas G., geboren am 4. Juli 1773 zu
Paris, studirte bei Langle, Guichard und Piccini Gesang, bei Gobert Ciavier-
spiel und bei Gossec Composition, worauf er vierzig Jahre lang als angesehener
Gesang- und Clavierlehrer in Paris wirkte. Nur Ciavierstücke von ihm sind
im Druck erschienen. — Von einer Componistin Namens G., die zu Amiens
lebte, weiss man, dass sie 1755, im 16, Lebensjahre, eine Oper tiDaplinis et
Amaltheea in Musik gesetzt hat, die daselbst unter grossem Beifall aufgeführt
wurde.
Güulher, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Organist an
432 Günther — Guerrero.
der neustädter Kirche zu .Dresden und 1789 an der Kreuzkirche ebenda, soll
einer der bedeutendsten Orgelspieler seiner Zeit gewesen sein. f
Günther, F. A., zu Anfange des 19. Jahrhunderts Organist und Pianist
zu Sondershauseu, ist der Verfasser einer daselbst erschienenen »Theorie des
ClavierspielsM.
Günther, Friedrich, namhafter deutscher Sänger, aus dem Hohenstein-
schen gebürtig, wirkte seit 1768 als Bassist am Theater. Die Zeit von 1770
bis 1780 war die seines Glanzes, in der er zu Gotha und "Weimar engagirt
war. Im J. 1790 entsagte er der Bühne, ging nach Basel und verbrachte
seine letzten Jahre daselbst in Zurückgezogenheit. f
Günther, Carl Friedrich, erster Hautboist im sächsischen Infanterie-
Regiment von Zanthier ums Jahr 1788, gab um diese Zeit drei Sammlungen
Märsche und 1798 ein militärisches Quodlibet für Ciavier in Dresden und
Leipzig heraus. Ausserdem sollen noch einige kleinere Stücke von ihm er-
schienen sein. f
Günther, Konrad, imJ. 1617 Vicekapellmcister in Weimar, starb daselbst
als wirklicher Kapellmeister 1638. Seine Wirksamkeit im Berufe muss eine
hervorragende gewesen sein, trotzdem nichts Besonderes darüber sich bis zur
Gegenwart erhalten hat, denn am achten Sonntag nach Triuitatis hielt der
damalige Generalsuperintendent Johann Kromayer ihm zu. Ehren eine solenne
Leichenpredigt. f
Günzer, Marx, geschickter deutscher Orgelbauer zu Augsburg, der nach
Stetten's Kunstgeschichte S. 159 im J. 1611 in der dortigen Barfüsserkirche
und 1613 in der heiligen Kreuz-Kirche daselbst die Orgeln baute. f
Guerillot, Henri, guter französischer Violinvirtuose, geboren 1749 zu
Bordeaux, war um 1786 Violinist und Solospieler im Concert spirituel zu Paris
und starb 1805 als erster Violinist des Opernorchesters daselbst. Durch Com-
position von Violinconcerten und Violinduetten, die 1782 zu Lyon, später zu
Paris gedruckt erschienen, war er auch als Tonsetzer nicht unrühmlich be-
kannt, f
Gueriu, E., französischer Ingenieur, erfand zu Paris im J. 1844 den so-
genannten Pianographe, eine Maschine, welche die auf dem Pianoforte gespielten
Stücke gleichzeitig zu Papier bringt. Diese Erfindung erregte zwar einiges
Aufsehen, hat aber keine Verbreitung gefunden.
Gueriu, Emanuel, genannt G. aine, französischer Violoncellist und Com-
ponist für sein Instrument, geboren 1779 zu Versailles, trat 1796 ins Pai-iser
Conservatorium und war daselbst Levasseur's Schüler. Mit dem ersten Preise
für Violoncellospiel gekrönt, erhielt er 1799 im Orchester des Theaters
Feydeau Anstellung und wurde 1824 als Violoncellist der Komischen Oper
pensionirt. Von seinen Compositionen sind Duette, Sonaten und Variationen
für Violoncello im Druck erschienen.
Gneriui, Francesco, italienischer Violinvirtuose aus Neapel, stand von
etwa 1740 bis 1760 als Kammermusiker in Diensten des Prinzen von Oranien
und lebte nach dieser Zeit in London. Von seinen Compositionen sind in
Amsterdam zehn "Werke im Druck erscliienen, welche in Violinsolos, Trios,
Duos und sechs Violoncellsolos mit Generalbass bestehen. f
Gueroult, französischer Musiker und Componist, besonders von Cantaten
u. s. w. , lebte um 1750 zu Paris. — In neuerer Zeit hat sich ebendaselbst
ein Publicist, Adolphe G. , geboren 1810 zu Radepont im Departement de
l'Eure, ü. A. auch durch musikalische Aufsätze, hervorgethan.
Guerre, Elisabeth de la, s. Laguerre.
Guerrero, Francisco, berühmter spanischer Contrapuuktist aus Sevilla,
woselbst er auch als Kapellmeister, über 72 Jahre alt, im letzten Viertel des
16. Jahrhunderts gestorben ist. Noch heute zeugen für seine tiefe Musik-
kenntniss einige Werke, die in den Archiven Roms, welche Stadt er Studien
hall)er besucht hatte, bewahrt werden. Sechs Messen von ihm, von denen
Guerriero — Guest. 433
Baini eine, genannt »JBeata matera, anfülirt, welche Sebastian, König von Por-
tugal, gewidmet waren, erschienen 1565 in Paris. Ferner erwähnt Baini in
seiner Palestrina- Biographie eines vierstimmigen Miserere G.'s, das er dem
römischen SängercoUegium geschenkt hatte. Die Bibliothek zu München be-
sitzt ein r>Magnificat per 8 musicae modos variatuma, 1563 zu Löwen gedruckt.
In derselben Stadt war 1565 auch noch ein vierstimmiges Magnificat erschienen,
das man am häufigsten von Gr.'s Werken angeführt findet. Vgl. Antonii Bibl.
Hisp. und Draudii Bibl. Class. p. 1631. — Ein anderer Tonsetzer dieses Na-
mens, Pietro Gr., ebenfalls Spanier, lebte im 16. Jahrhundert meistens in
Italien und trug dort, wie es heisst, viel zur Verbesserung der Kunst bei.
t
Guerriero (ital.), Vortragsbezeichuung in der Bedeutung kriegerisch.
Gurr lieh, Joseph Augustin, gründlicher deutscher Musiker und guter
Dirigent, geboren 1761 zu Münsterberg in Schlesien, besuchte die von den
Jesuiten geleitete lateinische Schule in Breslau und trieb dabei eifrig Clavier-
und Orgelspiel. Nachdem er daselbst theologische Collegien gehört hatte, wurde
er um 1779 als Lehrer der katholischen Schule und 1784 auch als Oi'ganist
bei der St. Hedwigskirche in Berlin angestellt. Im J. 1790 trat er als Kam-
mermusiker und Contrabassist in die königl. Kapelle und componirte seitdem
kleine, beifallig aufgenommene Ballets, mehrere italienische Einlagestücke u. s. w.
Bei der Vereinigung der beiden königl. Theater im Juli 1811 ward er neben
r. L. Seidel zum königl. Musikdirektor an der Oper ernannt, als welcher er
die kleineren Opern einstudiren musste. Im März 1816 zum königl. Kapell-
meister befördert, starb er schon am 27. Juni 1817 zu Berlin. Er war auch
als Lehrer der Musiktheorie sehr geschätzt und zählte u. A. L. Berger und
L. Hellwig zu seinen Schülern. Componirt hat er ein Oratorium y>L'oiedienza di
Gionataa, ein De profundis, ein Magnificat, eine nicht zu Ende gekommene
Oper »AKred der Grosse« und drei Singspiele, vier Cantaten, Musik zu Schau-
spielen, 19 zum Theil sehr beliebte Ballets, ein- und mehrstimmige Gesänge
und Ciavierstücke. Angenehme, fliessende Erfindung und harmonisches Geschick
waren ihm im hohen Grade eigen.
Guersan, französischer Geigenbauer, lebte in der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts bis zu Ende der Regierung Ludwigs XIII. zu Paris und ar-
beitete mit bedeutendem Erfolge nach dem Muster Amati's.
Guerson, Guillaume, geboren zu Longueville bei Dieppe in der Nor-
mandie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, ist nach der Ansicht der
Geschichtsforscher einer der ältesten Contrapunktisten und Musikschriftsteller.
Hawkins in seiner Hist. of Music Vol. III p, 239 folgert aus der Schreibart
und den Buchstaben seines "Werkes: nUtilissime musicales regule cunctis sumopere
necessarie plani catus siplisis contrapuncti rem factura tonoru et artis aocen-
tuandi tarn exeplariter quam practice« , -, das bei Michel Thouloze zu Paris ohne
Datum gedruckt worden ist, dass G. noch vor den Zeiten Gafor's gewirkt
habe. Von dem genannten Traktate erschienen noch drei andere, etwas ver-
mehrte und mit veränderten Titeln versehene Ausgaben 1509, 1513 und
1550. t
Gueston, Nicolas, fi-anzösischer Violinvirtuose und guter Musiker über-
haupt, geboren um 1614 zu Chäteaudun, stand als Componist für sein Instru-
ment bei den Zeitgenossen in besonderer Achtung.
Guest, Balph, englischer Tonkünstler, geboren 1742 zu Basely, kam mit
21 Jahren in die Portland -Kapelle zu London, erhielt zugleich bei Frost
Unterricht im Orgelspiel und wurde endlich selbst Organist an der St. Mary-
Kapelle. Einige Sammlungen von Psalmen, Hymnen und Songs von ihm be-
kunden den guten Musiker. — Sein Sohn, George G. , 1771 zu London ge-
boren, in der königl. Kapelle allseitig ausgebildet, erhielt bereits 1787 Anstel-
lung als Organist zu Tye und zwei Jahre später zu Wisbeck bei Cambridge.
Als Orgelspieler und Musiklehrer genoss er eines verbreiteten Rufes, den er
Miiäikal. Couvers.-Lexikon. IV. ^ 28
434 Guet - Gugel.
auch als Componist vieler im Druck erschieneneu Orgelstücke, Hymnen und
Anthems, Catches und Glees, von Quartetten für Flöte und Streichtrio u. s. w.
bewährte. — Eine Pianistin, Jeanne INTarie G., vielleicht eine ältere Schwester
des zuletzt Genannten, hat 1783 als Claviervirtuosin in den grossen Concerten
zu London allgemeine Bewunderung erregt. Auch in der Coniposition be-
wandert, gab sie 1786 vier Ciaviersonaten mit Violinbegleituüg heraus, welche
der König Georg III. als Geschenk entgegennahm.
Guet (französ.), d. i. die AVacht, nennen die gelernten Feldtrompeter ein
Tonstück in Form eines Marsches oder Biciniums, welches bei der Wachtparade
geblasen wird. S. Feldstücke.
Güttlor, Johann Michael, ein Lautenbauer zu Breslau, der nach Ba-
ron's Untersuchung des Instruments der Laute p. 97 vorzüglich die Hervor-
bringung eines starken Tones sich zur Aufgabe stellte. f
Guetwillig', Georg Ludwig, deutscher Theologe und Kirchencomponist
und etwa um 1720 im Bairischen oder Schwäbischen als Klostergeistlicher
thätig, veröffentlichte durch den Druck ein Antiphon: nAlma redemptoris maiera.,
ein -aAve reginav, ein -»Regina coelU und ein y>Salve reginan a voce sola, 2 Viol.
e Bass. gener. als op. 3 zu Augsburg bei Lotter. f
Guevara, Francisco Vellez de, ein musikkundiger portugiesischer Edel-
mann des 15. Jahrhunderts, gab ein Werk: »Z>e la realidad y experiencia de
la musicaa betitelt, heraus; Druckort desselben und Datum, wann es erschienen,
ist unbekannt. Vgl. Machado Bibl. Lus. T. III. p. 765 im Artikel Tristaö da
Sylva. — Ein spanischer Tonkünstler, Pedro G. de Loyola, wird als in der
letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebend genannt. f
Gueyniard, Louis, französischer Bühnentenor von Ruf, geboren am 17. Aug.
1822 zu Chapponay im Departement der Isere, erhielt seine gesangliche Aus-
bildung erst seit 1845, wo er ins Pariser Conservatorium trat und Schüler
Levasseur's wurde. Sofort nach seinem Austritte aus dem Institute, 1848,
wurde er für die Grosse Oper in Paris gewonnen, welcher er auch ununter-
brochen über 25 Jahre lang als erster Heldentenor angehörte, obwohl seine
Stimme schon seit 1863 Spuren des Verfalls aufwies, so dass Meyerbeer ihm
die Rolle des Yasco da Gama in seiner «Africanerin« nicht anvertraut wissen
wollte. Ueberhaupt interessirte bei G. von jeher mehr die robuste Elementar-
gewalt seines Organs, als die feinere, ausdrucksvolle Art zu singen, die ihm
allzusehr abging. — Seine Gattin, Pauline G,, geborene Deligne-Lauters,
1834 in Belgien geboren und auf dem Conservatorium zu Brüssel gebildet,
war in ihrer Blüthezeit eine vortreffliche Sängerin. Sie gehörte 1854 dem
Theätre lyrique zu Paris als erste Sängerin an, wurde aber 1857 für die Grosse
Oper engagirt und wirkte daselbst an der Seite ihres Gatten, mit dem sie
seit 1858 verehelicht ist, als erste dramatische Sängerin beinahe 17 Jahre
hindurch.
Gugel, Joseph und Heinrich, zwei Brüder, ersterer um 1770, letzterer
um 1780 zu Stuttgart geboren, gehörten von etwa 1796 bis 1816 zu den an-
erkannt grössten Waldhornvirtuosen Deutschlands. Ihr Yater war herzogl.
würtembergischer Kapellmeister und starb 1804. Derselbe hatte den älteren
Sohn sehr frühzeitig bei seinem Schwager, dem Waldhornisten Scholl in Wien,
untergebracht, von dem ausgebildet, Joseph der Lehrer des jüngeren Bruders
wurde. Beide waren noch Knaben, als sie der Vater des Gelderwerbes wegen
auf Kunstreisen schickte, auf denen sie viele Zeichen mitleidsvoller Theilnahme
und Aufmunterung fanden, die sie zu rastlosem Fleisse anspornten. Bald galten
sie im Zusammenspiel für unübertrefflich, und die besten Componisten ihrer
Zeit widmeten ihnen eigens für sie geschriebene Duette. Nach langjährigen
Concertreisen traten sie in die sachsen-hildburghausen'sche Hof kapeile, wo der
Oeffentlichkeit weitere Spuren verloren gingen. Man weiss nur, dass der
Jüngere, Heinrich, mit seinem Sohne, der ebenfalls Hornist war, um 1837 als
kaiserl. Kammermusiker in St. Petersburg lebte. Dieser Heinrich G. hat auch
Guggumos — Guglielmi. 435
einige seiner Compositionen für Hörn, nämlicli ein Concert, ein Notturno und
zwölf Etüden, durcli den Druck veröffentliclit.
Guggumos, Gallus, ein Kircliencomponist und im Anfange des 17. Jahr-
hunderts als Hofoi'ganist des Herzogs von Bayern angestellt, gab von seiner
Composition Motetti « 4, 5 e 6 voci (Venedig, 1612) heraus. f
Gugl, Matthäus, deutscher geistlicher Componist und Musiktheoretiker
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, war Organist des Domstifts in Salz-
burg. Sehr geschätzt und verbreitet war noch lange nach seinem Tode sein
Lehrbuch: y>Fundamenta partiturae in compendio data, d. i. kurzer und gründlicher
Unterricht, den Gleneralbass oder die Partitur nach den Regeln recht und wohl
schlagen (spielen) zu lernen« (Salzburg, 1719; 2. u. 3. Aufl. Augsburg, 1747
u. 1777). Von seinen ebenfalls zu ihrer Zeit sehr beliebten Compositionen
hat man bis jetzt noch nichts wieder aufgefunden. — Ein anderer, später
lebender Componist dieses Namens, Georg Gr., figurirt nur noch in der ge-
druckten Literatur, indem von ihm, 1790 zu Mannheim, eine Sinfonie und
sechs Quatuors erschienen. Ueber seine Lebensumstände ist nichts Näheres
bekannt geblieben.
Guglielmi, Pietro, berühmter italienischer Componist, namentlich von
komischen Opern, geboren im Mai 1727 zu Massa Carrara, wurde von seinem
Vater Griacomo Gr. musikalisch unterrichtet, bis er, achtzehn Jahre alt, das
Conservatorio di San Loretto in Neapel besuchen konnte, an dem Durante
unterrichtete. Dieser letztere soll grosse Mühe gehabt haben, G., der für
ebenso ungelehrig als faul galt, den tieferen Studien zuzuführen; schliesslich
aber musste er bekennen, dass aus seinem schlechtesten Schüler einer seiner
besten geworden war. Kaum aus dem Institute entlassen, debütirte G. 1755
in Turin mit seiner Erstlingsoper, die glänzenden Erfolg hatte. Gleiches Glück
hatte er an zahlreichen anderen Bühnen Italiens, von denen er Compositions-
aufträge erhielt, bis er 1762 von Venedig aus als kurfürstl. Kapellmeister nach
Dresden berufen wurde. Nach einigen Jahren vertauschte er Dresden mit
Braunschweig und dieses endlich 1772 mit London, ßuhmgekrönt kehrte er
aus der "Weltstadt 1777 nach Neapel zurück, wo er sein Andenken durch
Paisiello und Cimarosa vollständig verdunkelt sah und nun mit neuen Opern
erfolgreich mit diesen gefeierten Grössen in die Schranken trat. In staunens-
werther Fruchtbarkeit Hess er Oper auf Oper folgen, bis ihn 1793 der Kuf
als päpstlicher Kapellmeister an St. Peter nach Rom führte, von welcher Zeit
an er mit unvermindertem Fleisse der Composition von Kirchenwerken oblag,
mit denen er ebenfalls grosse Ehre einlegte. Er starb am 19. Novbr. 1804
zu Rom. Sein Familienleben war ein nichts weniger als musterhaftes; seine
Gattin hatte er vernachlässigt über Liebschaften oft abenteuerlicher Art, die
er mit dem Degen, den er sehr gut führte, behauptete und seine acht Söhne
der Erziehung fremder Leute überlassen. Der Ausführung seiner "Werke gegen-
über duldete er keinerlei Willkür von Seiten der Musiker oder Sänger, und
berühmten Grössen, wie der Mara und dem Tenoristen Babbini, machte er bei
der geringsten Eigenmächtigkeit klar, dass sie seine Musik und nicht die ihrige
zu singen hätten. Seine "Werke erreichen beingthe die Zahl 200, darunter über
60 Opern, und sind bei der Schnelligkeit, mit der sie gearbeitet wurden, na-
türlich von sehr ungleichem "Werthe, aber es existirt keine einzige Oper von
ihm, die nicht eine Fülle der treflBichsten Inspirationen aufzuweisen hätte. Im
Fache der komischen Oper war er der Bahnbrecher für Paisiello und Cimarosa,
die ihn an "Weichheit und Pathos einestheils, an Eindringlichkeit und fiiessender
Schreibart anderntheils übertrafen, nicht aber an Lebendigk<}it des Styls und
ungezwungener Heiterkeit, welche Vorzüge in der komischen Oper eine glän-
zende Verwerthung fanden. Die werthvoUsten und berühmtesten seiner Opern
sind: -nl due gemelliv, r>I viaggiatorm, nRinaldofi, liÄrtasersev, ^Ärsace«, i^La serva
inamoratavi, r>I fratellia, i^Pappa Moseaa, r>Didone<i, »Eneo e Lavinia«, y>La pasto-
rella nolile«, f>La bella pescatrice«. Die beiden letzteren und noch etwa fünfzehn
28*
436 Guglietti — Guhr.
andere befinden sich in der Partitur auf der königl. Bibliothek zu Dresden.
Von seinen Oratorien wird besonders y>Dehora e Sisaran anerkennend hervor-
gehoben, welches sich ebenfalls in Dresden befindet. Endlich hat er noch In-
termezzi, Serenaden, dann auch Ciavierquartette, Claviersolos und Divertissements
für Ciavier, Violine und Violoncello geschrieben. — Der berühmteste seiner
Söhne war Pietro Carlo G., um 1763 zu Neapel geboren und auf dem dor-
tigen Conservatorio di San Loretto im Ciavierspiel, Gesang und der Compo-
sition ausgebildet. Seine erste Oper wurde am San Carlotheater gegeben und
verschaffte ihm Aufträge von den bedeutendsten italienischen Opernbühnen.
"Wie sein Vater ging auch er nach London, von wo er erst nach 1810 zurück-
kehrte, Kapellmeister der Herzogin Beatrix von Massa Carrara wurde und als
solcher am 28. Febr. 1817 starb. In seinen Opern zeigt er sich als glücklicher
Nachahmer des Styls seines Vaters; die bekanntesten derselben sind: y> Asteria
e Tescon, ytLa fieraa, y>Il naufrajio fortunatofs., -»L^eqtiivoco delli s^osi«, -»La serva
bizarraa, y>L^erede di bei ])rato(s, y>L'isola di Oalipsoa, y>La persuasione corettan,
yJErnesto e Fahniran, y>Don Papiriov^, y> Romeo e GiuUettaa, dLu moglie fjiudice
del maritoa. — Sein jüngster Bruder Giacomo G., geboren am 16. Aug. 1782,
machte vortreffliche Gesangstudien bei Mazzanti und Nicolö Piccini, dem Nefi'en
des gleichnamigen berühmten ComjDonisten, und lernte auch bei Capanna
Violinspiel. Sehr beifällig debütirte er als Tenorist auf dem Argentinatheater
zu Rom, sang hierauf auf den bedeutendsten italienischen Bühnen und endlich
auch in Amsterdam und Paris. In der französischen Hauptstadt war er von
1809 bis 1811 und trat dann noch etwa zehn Jahre lang in Italien auf. Seine
Stimme war durchaus nicht gross, dafür aber sehr angenehm und durch einen
geschmackvollen Vortrag ausgezeichnet.
Oug'lietti, Doraenico, berühmter italienischer Baritonsänger, geboren um
1730 zu Campoli bei Sora im Neapolitanischen, machte in Gizzi's Gesangschule,
sodann auf dem Conservatorio di San Onofrio zu Neapel die gründlichsten
Studien und Hess sich hierauf auf den Hauptbühnen Italiens, in England und
in Dresden mit grossem Erfolge hören. Endlich zog er sich von der Bühne
und nach Neapel zurück, wo er die Anstellung als Sänger der königl. Kapelle
erhielt und im J. 1803 starb.
Guhr, Karl Friedrich Wilhelm, ausgezeichneter deutscher Dirigent
und trefflicher Pianist und Violinist, wurde am 30. Octbi-. 1787 zu Militsch
in Schlesien geboren, wo sein Vater Cantor und Schulcollege an der evange-
lischen Kirche und Hauptschule war. Von diesem empfing der Knabe einen
guten musikalischen Unterricht, besonders im Ciavier- und Violinspiel, so dass
er im 14. Jahre bereits Mitglied der reichsgräfl. Maltzahn'schen Kapelle werden
und für den Grafen Viola da Gamba- Solos, Concex-te und Sextette schreiben
konnte. Auch für die Kirche seines Ortes componirte er mehrere sehr bei-
fällig aufgenommene Stücke. Beim Kapellmeister Faust in Militsch machte er
höhere Violinstudieu, die er bei Janitschek in Breslau eifrig fortsetzte, während
er dort auch bei Berner und "Wölfl Ciavierspiel weiter trieb und vom Kapell-
meister Schnabel einen gediegenen theoretischen Unterricht empfing. Auch
vom Abt Vogler erhielt er damals einige Unterweisungen. Von 1804 bis 1807
fungirte er wieder in seiner früheren Stellung in Militsch, von wo er als Kam-
mermusiker nach "Würzburg berufen wurde, welchen letzteren Posten er jedoch
nicht antrat, da ihm das Amt eines Musikdirektors am Theater zu Nürnberg
winkte, dem er den Vorzug gab. In Nürnberg entfaltete er sein Dii-ektions-
talent und seine vorzüglichen Kenntnisse auf eine das Puljlicum überraschende
Art und sah auch seine beiden auf Kotzebue'sche Texte componirte Opern
»Feodora« und »Deodata« höchst beifällig aufgenommen. Auch in Concerten
hatte er als Violinist grossen Erfolg. In jene Zeit fällt auch seine Vermählung
mit der vortrefflichen Sängerin Epp. Ungern lies.s ihn die Theaterdirektion
nach Ablauf seines Contractes 1813 nach "Wiesbaden ziehen, wo G. die Di-
rektion des fürstl. nassau'schen Theaterorchesters übernahm, und als der Fürst
Gui — Guichai'd. 437
des Krieges wegen noct in demselben Jahre seine Bühne aufhob, das Theater
auf eigene Rechnung weiterführte, bis ihn der Kurfürst von Hessen als Di-
rektor des Hoftheaters und der Kapelle nach Kassel berief. Hier gelang es
G. durch sein seltenes Geschick, die Bühne aus verwahrlosten Zuständen, in
Bezug auf Oper sowohl wie auf Schauspiel, zu einer der ersten in Deutschland
zu erheben. Neben anderen Werken componirte er damals binnen wenigen
"Wochen auch seine beste Oper »die Yestalin« auf den deutsch übersetzten Text
der Spontini 'sehen Oper, da von der letzteren der Kurfürst als Franzosenfeind
nichts wissen wollte. G.'s Werk gefiel sehr, und der Kurfürst nahm die De-
dication desselben an. Unter seinen übrigen im Laufe der Zeit folgenden
Arbeiten ragen eine Messe, eine Sinfonie und die Oper »König Siegmar« (1819),
Text von Eochlitz, hervor. Im J. 1821 folgte er einem vor th eilhaften Rufe
nach Frankflirt, und sein ausgezeichnetes Wirken in der freien Reichsstadt als
Dirigent der Museumsconcerte und als Kapellmeister der Oper, später zugleich
als Mitdirektor des Stadttheaters ist noch gegenwärtig unvergessen. Er starb
hoch verehrt und als viel erfahrener Tonmeister weithin anerkannt am 22. Juli
1848 in Folge eines Schlaganfalles. Von seinen in Frankfurt verfassten Com-
positionen sind nur ein vierhändiges Pianoforterondo, eine Ciavier- Sonate und
ein Violinconcert im Paganini'schen Style bekannt geworden; seine unermüdliche
Direktionsthätigkeit gestattete ihm eben nur selten Compositionsmusse. Ausser-
dem veröffentlichte er 1831 eine Schrift: »Paganini's Kunst die Yioline zu
spielen«, worin er die bis dahin unenträthselt gebliebenen Effekte und Kunst-
stücke des grossen italienischen Virtuosen aufdeckte und erklärte. Einen Ne-
crolog auf G. gab Karl Gollmick heraus (Frankfurt a. M., 1848). — Ein
jüngerer Bruder G.'s, Friedrich Heinrich Florian G., geboren zu Militsch
am 17. April 1791, erhielt gleichfalls den ersten Musikunterricht von seinem
Vater Karl Christoph G. und wurde schon früh als fertiger und geschmack-
voller Violin-, Ciavier- und Orgelspieler geschätzt. Im J. 1807 trat auch er
in die gräfl, Maltzahn'sche Kapelle zu Militsch, widmete sich aber, als dieselbe
1810 aufgelöst wurde, auf dem Seminar zu Breslau dem Schulfache. Nach
Vollendung dieser Studien wurde er seinem Vater in Militsch adjungirt und
1818, zwei Jahre vor dessen Tode, zum wirklichen Nachfolger desselben als
Cantor und Schulcollege ernannt. Er gründete einen Dilettantenvei'ein , den
er in Flor brachte, und mit dem er bemerkenswerthe Aufführungen veranstaltete.
Zu selbstschöpferischer Thätigkeit Hessen ihm seine Berufsgeschäfte keine Zeit;
man kennt daher von ihm nur ein Choralbuch mit dreistimmigen Gesängen,
das auch drei Nummern seiner Composition enthält und einen für den Unter-
richt in Schulen bestimmten »kleinen Gesangscatechismus« (1828).
Gui, ein 1315 gestorbener Mönch zu St. Denis, schrieb ausser anderen
Werken über Musik einen Tractat über die Töne. — Ein etwas später, gleich-
falls im 14. Jahrhundert lebender , Gelehrter dieses Namens war Abbe von
Chalis, einem Cisterzienserkloster in Bourgogne und verfasste eine Schrift über
den Kirchengesang.
Guicciardi, Francesco, ein um 1690 berühmter Opernsänger, der, in
den Diensten des Herzogs von Modena stehend, noch 1718 in den italienischen
Opernaufführungen zu Dresden mitwirkte.
Guichard, Abbe Jean Frangois, geschickter französischer Tonkünstler,
geboren zu Maus am 26. Aug. 1745, war als Knabe Zögling der Kathedral-
Maitrise seiner Vaterstadt und kam um 1787 als Altsänger an Notredame
nach Paris, an welcher Kirche er auch eine geistliche Anstellung erhielt und
zum zweiten Musikmeister aufrückte. Die Revolution beraubte ihn der Vor-
theile dieser Stellungen, und er sah sich auf Ertheilung von Unterricht im
Guitarrespiel und auf Composition für dieses Instrument angewiesen. Er veröffent-
lichte mehrere Sammlungen sehr melodiöser Romanzen und Chansons, eine
Schule und Stücke für Guitarre, Violinduette u. s. w. Früher hatte er Kirchen-
sachen (Messen, Motetten, Hymnen) herausgegeben, sowie y^Essais de nouvelles
438 Guichardt — Guido von Arezzo.
psalmodies ou fauxiourdons ä une, deux ou trois voix, divises en sept tons majeurs
et mineursa (Paris, 1783) und dazu ein -i-^ Supplement transpose en plain-chant
pour faciliter Vexecution des essais de nouvelle psalmodie etc.v. Gr. starb zu Paris
am 24. Febr. 1807. — Ein älterer französischer Tonkünstler desselben Namens,
Henri G., bekannt durch einen heftigen Streit mit LuUi im J. 1675, com-
ponirte 1703 die Oper »Ulysse«.
Guichardt, Daniel, französischer Kirchencomponist, geboren um die Mitte
des 16. Jahrhunderts, war Direktor des Kinderchors der Kirche von Chinon
in der Touraine und erhielt 1588 für seine Motette y>Deum aurora etc.a einen
Preis.
Ouida (ital.; französ. guide) nennt man den Führer (dux) in der Fuge
(s. Fuge), überhaupt die mit dem Thema vorangehende Stimme im Kanon
und in der Imitation; dann aber auch den Gustos (französ.: guidon, ital.:
mostra, deutsch: Notenzeiger), s. d.
GfUi (l'Auxerre, altfranzösischer Theologe, seit 933 Bischof von Auxerre,
als Nachfolger Valdric's, und 961 gestorben, war Verfasser von kirchlichen
Texten und Gresängen.
Gnidetti, Giovanni, italienischer Musikgelehrter und Theologe, geboren
1532 zu Bologna, kam als 'Geistlicher nach Rom und wurde nach Baini's
Zeugniss daselbst Palestrina's Schüler in der Composition. Papst Gregor XIII.
ernannte ihn zum Cleriker des Vaticans und zu seinem Kaplan und ertheilte
ihm 1575 auch eine Präbende in der päpstlichen Kapelle, zugleich aber auch
den Auftrag, den Chordienst an der Peterskirche zu verbessern, und die Voll-
führung desselben, unterstützt von Eifer und reichen musikalischen Kenntnissen,
hat G. zu seiner ausschliesslichen Lebensaufgabe gemacht. Gemeinschaftlich
mit Palestrina und später allein hat er den liturgischen Gesang, wenn auch
nicht seinem ganzen Umfange nach, so doch in seiner Reinheit wiederhergestellt,
so dass er für den Cantus firmus das wurde, was Palestrina für die polyphone
Kirchenmusik war, G.'s emendirte und neu herausgegebene liturgische Gesang-
bücher der päpstlichen Kapelle dürften auch gegenwärtig allein als die authen-
tische Quelle für den gregorianischen Kirchengesang gelten. Diese sind: y>Di-
rectorium chori ad ttsum sacro-sanctae hasUicae Vaticanaea (Rom, 1582; 2. Aufl.
1589 mit dem Zusätze y>ef ad usum omnium ecelesiantma und viele spätere
Ausgaben bis 1737); y>Cantiis ecclesiasticus passionis domini nostri Jesu Christi
etc.« (Rom, 1586); y>öantus ecclesiasticus qfficii majoris liebdomadae etc.a (Rom,
1587); endlich ytPraefationes in cantu ßrmo, juxta o'ituni sanctae Romanae
ecclesiae etc.<i (Rom, 1588; in einer 2. Aufl. mit Verbesserungen von F. Soriano
und Manilio, Rom, 1619). G. selbst starb am 30. Novbr. 1592, 60 Jahre
alt, zu Rom.
Guidetti, Giuseppe, Musiker im Orchester der Petroniuskirche zu Bo-
logna, starb daselbst am 7. Decbr. 1625. Im Munde des Volkes führte er den
Beinamen dal Biabö oder Biambo, nach einem damals wahrscheinlich sehr be-
liebten italienischen Volksinstrumeute, von dessen Beschafi'enheit jedoch keine
Kenntniss erhalten geblieben ist. Sein Ruf in der Behandlung dieses Instru-
mentes zog auch die Aufmerksamkeit der höchsten Gesellschaft auf sich, und
es wird berichtet, dass die Päpste Clemens VIII. und Paul V., sowie andere
Fürsten sich an seinem Spiel erfreuten und ihn reich beschenkten. Vgl. Masini,
Bologna perlust. p. 687. t
Gnidi, Giovanni, italienischer Kirchencomponist, geboren um die Mitte
des 18. Jahrhunderts zu Florenz, hatte seinen Landsmann Magrini, Schüler
Clari's, zum Lehrer und wurde Kapellmeister an der Kirche Santa Maria in
Trastevere zu Rom, welches Amt er noch hochbetagt im J. 1827 bekleidete.
In der Sammlung des Abbate Santini zu Rom finden sich mehrere vier- und
achtstimmige Psalme von ihm, sowie das Oratorium für drei Stimmen mit
Orchester »Ze tre ore di agonia di Giesu Grisfoa.
Guido von Arezzo (Guido Aretinus), ein Mönch des Benedictinerklosters
<iuido yon Arezzo. 439
Poraposa unweit Ferrara und Ravenna, wirkte in der ersten Hälfte des 11.
Jahrhunderts und ist theils durch eigene Verdienste, theils durch die ihm von
seinen Nachfolgern zugeschriebenen musikalischen Erfindungen und Verbesse-
rungen zu einer grösseren Berühmtheit gelangt, als irgend ein anderer Musiker
des Mittelalters. Wie über sein Wirken, so sind auch in Bezug auf sein Leben
die irrthümlichsten Angaben lange Zeit verbreitet gewesen, bis Kiesewetter in
seiner Kritik der von Guido handelnden Dissertation Angeloni's*) und Fetis in
seiner y> Biographie des musiciens« auch hierüber eine gründliche Untersuchung
anstellten. Die einzigen zuverlässigen Nachrichten über sein Leben befinden
sich in einem Briefe, mit welchem er sein Hauptwerk, den Micrologus, dem
Bischof Theodald**) von Arezzo zueignet, und in einem zweiten Briefe an
seinen Freund und Schüler, den Mönch Michael im Kloster Pomposa, mit einer
sein Antiphonar begleitenden Abhandlung über seine Unterrichtsmethode. Aus
diesen Briefen erhellt, dass Gr. sich schon als Mönch des Klosters Pomposa
durch seine Kenntnisse und Fähigkeiten besonders auf musikalischem Gebiete
auszeichnete. Hier erfand er, gedrängt durch die Mängel des damaligen Musik-
unterrichtes, eine Lehrmethode, mittelst welcher, nach seiner Aussage, der
Schüler in einem Monat diejenige Fertigkeit im Singen erwerben sollte, zu
deren Erlangung früher zehn Jahre kaum genügt hatten. Durch die praktische
Bethätigung seiner Erfindung innerhalb des Klosters erweckte er jedoch die
Eifersucht seiner Genossen und selbst seines Vorgesetzten, des Abtes, so dass
er sich genöthigt sah, seinen Aufenthaltsort zu verlassen und weitere Beisen
zu unternehmen. Seine im zweiten der obengenannten Briefe befindlichen
Worte y>inde est, quod me vides prolixis ßnihus exulatuma, sowie die Angaben
des y>Ghronicon slavorumv. und des ■aCJironicon Alherü, dbbatis Stadensis'i haben
zu der Behauptung Anlass gegeben, dass G. um diese Zeit vom Erzbischof
Hermann nach Bremen berufen sei, um dort den Kirchengesang zu reformiren.
Gegen diese Annahme spricht das später zu erwähnende Factum der Berufung
durch den Papst Johann XIX. (von Andern Johann XX. genannt); denn
dieser starb am 8. Novbr. 1033, der Erzbischof Hermann aber gelangte erst
am 24. Aug. 1032***) zu seinem Amte, und bei der Schwierigkeit des Ver-
kehrs in damaliger Zeit erscheint die Annahme einer so weiten Beise innerhalb
der kurzen durch jene beiden Daten bezeichnete Frist allerdings etwas ge-
wagt. Wenn aber dieser Einwand nicht stichhaltig sein sollte — da bekannt-
lich schon lange vor G.'s Zeiten die Sendboten der Kirche unerschrocken
durch halb Europa zogen, und G. durch seinen bei jeder Gelegenheit bewährten
reformatorischen Eifer um so weniger die Beschwerden einer Heise scheuen
musste — so dürften dagegen die Worte des Chronicon Slavorum r>IIermannus
quemdam Guidonem musicum Bremam adduxiU gegründeteres Bedenken erregen,
und zwar wegen des Wortes yquemdamv. ; im J. 1067 geschrieben, konnte jene
Stelle des Chronicon unmöglich den durch die päpstliche Berufung seit 34
Jahren zu hohem Buhme gelangten "Guido im Auge haben, den Guido, von
welchem schon im J. 1028 sein Zeitgenosse Sigebert von Gemblours schrieb :
■siClaruit hoc tempore in Italia Guido Aretinus, multi inter musicos nominis«,
sondern es muss mit jenem »gewissen Guido« ein anderer dieses Namens ge-
meint sein. Neben dieser Quelle über G.'s Reise nach Bremen, welche als die
älteste, von den späteren Chronisten ohne Kritik reproducirte die wichtigste
ist, sei noch der Vollständigkeit wegen die Mittheilung des Hamburger Ge-
schichtschreibers Albert Crantz erwähnt: »Qwo tempore (d. h. zur Zeit des
*) Angeloni „Sopra la vita, le opere ed il sapere di Guido d' Arezzo" Parigi, appresso
Vautore, eine umfangreiche, mehr durch die panegyrische als durch wissenschaftliche Be-
handlung des Stoffes bemerkeuswerthe Arbeit.
**) Bei Augeloni: Tedaldo, bei Gerbert: Teudaldus. Burney wie Fetis schreiben
,,Theobald", ohne jedoch die von Gerbert abweichende Schreibweise zu motiviren._
***) Dem vom Chron. Slavorum und dem Cliron. Alberti Stadensis übereinstimmend
bestätigten Todestage seines Vorgängers Libentius IL
440 Guido von Arezzo.
Kaisers Konrad) floruit Guido musicus per Italiam qui mulfas histrabat pro-
vincias, emendans corruftam et adulterinam musicam, quum traderet pueris per
ßexuras articulorum in manibiis discernere eantum.v. Gerbert führt sie in seinem
"Werke »r/e cantu et musiea sacraa I. S. 283 und II. S. 48 als Beweis für G.'b
Aufenthalt in Bremen an und stützt sich dabei auf die Worte ymultas pro-
vinciasa, scheint jedoch das vorhergehende r>per Italiamv übersehen zu haben,
welches gerade dem Zweifel an G.'s Wirksamkeit ausserhalb Italiens neue
Nahrung giebt und jene »Provinzen« des Albert Crantz, sowie die y^prolixi
ßnesa in G.'s Briefe an Michael in einer engeren, mehr localen Beziehung er-
scheinen lässt. Uebrigens wissen die italienischen Schriftsteller jener Zeit
nichts von G.'s Aufenthalt in Deutschland und ebenso wenig findet sich in
den Annalen deutscher Stifter, die er hätte berühren müssen, eine desfallsige
Angabe, wodurch denn die Glaubwürdigkeit des ganzen Factums auf ein äusserst
geringes Maass reducirt ist.
Das Gebiet der Sage und Hypothese verlassend, finden wir G. im Bene-
dictinerkloster zu Arezzo wieder, woselbst der von Pomposa vertriebene Flücht-
ling eine gastliche Aufnahme gefunden hatte. Hier war es, wo er eine drei-
malige Aufforderung vom Papst Johann XIX. erhielt, zu ihm nach Rom zu
kommen — ntribus me ad se nuntiis invitavit«, wie er in seinem Briefe an
Michael sehreibt — und ihm die Vortheile seiner Gesang- Unterrichtsmethode
zu erklären. Diese Reise hatte einen vollständigen Erfolg, denn alsbald nach
seiner Ankunft wurde G, vom Papst empfangen; der Gesangunterricht begann,
und nach kurzer Zeit schon in der ersten Lection war der hohe Schüler im
Stande, den Ton einer Antiphonie selbst zu finden und zu singen. Darüber
entzückt, drang er sogar in G., Rom zu seinem Aufenthaltsort zu machen,
was dieser jedoch in Anbetracht seiner durch die Sommerhitze gestörten Ge-
sundheit ablehnen musste. Nebenher aber hatte er auch in Rom seinen ehe-
maligen Obern , den Abt von Pomposa wiedergetroffen , welcher ihm sein Be-
dauern ausspi'ach, vor Zeiten den Stimmen der Verläumder Gehör gegeben zu
haben, und ihm gleichzeitig die Vortheile des klösterlichen Lebens so an-
ziehend schilderte, dass sich G. entschloss, mit ihm nach Pomposa zurück-
zukehren. Ob er diesen Entschluss unmittelbar nach seinem Aufenthalt in
Rom ausgeführt, wird dadurch fraglich, dass er in dem zur selben Zeit ge-
schriebenen Brief an den Mönch Michael diesem seine Methode aufs ausführ-
lichste auseinandersetzt, was ihm wohl unnöthig erschienen wäre, wenn er die
Aussicht gehabt hätte, baldigst mit ihm in persönlichen Verkehr zu treten.
Hiermit sind die authentischen Angaben über G.'s Leben erschöpft; alles
Weitere beruht nur auf Conjecturen. Dass G. in Arezzo geboren ist, kann
kaum bezweifelt werden, da er auf fünfunddreissig, seine sämmtlichen Werke
umfassenden Manuscripten als »Guido Aretinus« oder auch nur schlechthin
als »Aretinus« figurirt. Mazzuchelli in seinen y>Scritfori d^Italiaa will sogar
wissen, dass er der Familie Donati angehört habe, und stützt sich dabei auf
eine handschriftliche Note vor einem Exemplar der Sonette des »Fra Guitton
d'Arezzoa. Gleichwohl erhoben sich noch im vorigen Jahrhundert Zweifel über
seinen Geburtsort, nachdem im Jahre 1768 der Italiener Paolo Serra unter
den Handschriften der Königin Christine von Schweden in der vaticanischen
Bibliothek einen y>Tractatm Giiidonis Aujiensisu entdeckt hatte, welcher mit
dem Micrologus seinem Inhalte nach völlig übereinstimmt. Hier liegt aller
Wahrscheinlichkeit nach eine Verwechselung mit dem Abte Berno vor, welcher
in Gerbert's Sammlung den Beinamen Augiensis führt und zwar vom Kloster
Augia dives (Relchenau), wo er Abt war. Wenn ferner aus dem Titel von
vier anderen Handschriften der vaticanischen Bibliothek vGuidonis augensin
aretini lihri de musicaa gefolgert wird, dass G. dem Kloster Auge in der Nähe
der Stadt Eu in der Normandie angehört habe — woraus dann weiter ge-
schlossen wurde, dass G. in der Normandie geboren sei — so ist hier ein
Anachronismus im Spiele, denn das y>Monasterium Äugenaea ist (nach Mabillon's
Guido von Arezzo, 441
»Annalen der Benedictiner«) erst im J. 1059 gegründet. Die Zeit seiner Ge-
burt ist wenigstens annäherungsweise zu bestimmen, sowohl durch das vorhin
erwähnte Zeugniss des Sigebert von Gemblours, nach welchem G. schon im
J. 1028 ein berühmter Mann war, als auch durch das noch präcisere des
Baronius. Dieser nämlich citirt in seinen y>Annales ecclesiaea ein Manuscript,
enthaltend die Briefe G.'s, mit den Worten: lyJExplicit Mierologits Guidonis suae
aetatis anno XXXIV, Johanne XX. romanam guhernante ecclesiarms.. — Jo-
hann XX. (richtiger XIX.) bestieg aber im Aug. 1024 den päpstlichen Stuhl
und starb im J. 1033, so dass die Geburt G.'s in den Zeitraum von den
Jahren 990 bis 999 mit Sicherheit gesetzt werden kann. lieber die Zeit und
den Ort seines Todes gingen und gehen noch heute die Meinungen in ähnlicher
"Weise auseinander, Avie in Bezug auf sein Leben. Höchst glaubwürdig er-
scheint die Angabe der Chronisten des Camaldulenserordens, insbesondere des
Ziegelbauer (CentifoUum camaldulense XXXVIII) und Costadoni (Ännales ca-
maldulenses anno 1034), dass G. als Prior des Camaldulenserklosters Avellana
(monasterium Fontis Ävellanae) am 17. Mai des Jahres 1050 gestorben ist.
Wenn auch jene beiden noch im Manuscript existirenden Quellen in der An-
gabe des Zeitpunktes von G.'s Wahl zum Prior von einander abweichen, so
stimmen sie doch in Bezug auf den oben angegebenen Todestag überein, ebenso
in Bezug auf das Jahr 1030, in welchem G. vom Gründer des Klosters zu
seinem Gehülfen und Stellvertreter erwählt sein soll. Letzteres Zeugniss lässt
nicht allein die Angabe eines älteren Cataloges der Prioren von Avellana,
nach welchem im J. 1025 ein Guido zu dieser Würde erhoben wäre, durchaus
unglaubwürdig erscheinen, sondern es rechtfertigt auch die Behauptung der
Camaldulenser, welche den G. gar nicht als Benedictiner gelten lassen wollen,
ihn vielmehr für sich in Anspruch nehmen. Ein Portrait G.'s im Refectorium
des Klosters von Avellana mit der Inschrift •oBeatus Guido, inventor musicaea
erhöht noch die Wahrscheinlichkeit ihrer Behauptung, auch kann die dem G.
in die Hand gegebene Papierrolle mit der eckigen Choralnote aus einer mehrere
Jahrhunderte späteren Zeit nichts gegen die Echtheit des Bildes beweisen, da
man sich bekanntlich im Mittelalter und noch weit in die Renaissancezeit
hinein nicht scheute, Bilder stückweise zu übermalen und zeitgemäss mit Zu-
thaten auszustatten. Endlich spricht für die Meinung der Camaldulenser das
Factum, dass die Annalen der Benedictiner den G. gänzlich mit Schweigen
übergehen, was schlechterdings nicht zu erklären ist, sobald der Vielgefeierte
ihr Ordensbruder war.
Bietet schon die Untersuchung der Lebensumstände des G. mancherlei
Schwierigkeiten, so werden diese noch grösser, wenn es sich darum handelt,
einen klaren Einblick in seine Wirksamkeit zu erhalten. Denn bei dem Stande
der Wissenschaft im 11. Jahrhundert und bei der ausserordentlichen und ver-
einzelten Stellung G.'s, welcher als der erste die Klosterzelle verliess, um das
Evangelium der musikalischen Praxis nach seinen allerdings schwachen Kräften
»allen Yölkern« zu predigen, konnte es nicht ausbleiben, dass man ihm eine
Menge von Erfindungen zuschrieb, welche theils von seinen Vorgängern, theils
von seinen Nachfolgern ausgegangen sind. Burney (in seiner r>general Mstory
of Musica II.) sagt darüber sehr richtig: »Wenn die grossen Musiker des
Alterthums, deren Namen unserem Ohr so vertraut sind, nicht gleichzeitig
Dichter gewesen wären, so würde die Zeit ihr Andenken längst verAvischt
haben . . . Guido indessen ist einer von jenen durchs Schicksal begünstigten
Namen, für welche die Freigebigkeit der Nachkommen keine Grenzen kennt.
Er wurde lange im Reiche der Musik als Oberherr angesehen, dem alle herren-
losen Sachen zufallen mussten, nicht blos solche, auf die er ein anerkanntes
und selbständiges Recht hatte, sondern auch das, was irgend ein Zufall in
die Hände seiner Verehrer gespielt. Und sind einmal die Menschen in einem
derartigen Zuge von Freigebigkeit, ohne durch Neid oder Nebenbuhler- An-
sprüche zurückgehalten zu werden, so warten sie nicht, bis der Klingelbeutel
442 Guido von Arezzo.
umli ergerei cht wird, sondern sie geben frei und unaufgefordert, was sie oline
Mühe finden und ohne Bedauern entbehren können.« In der That wurde mit
G.'s Namen von Abschreibern und Historiographen der frühesten Zeiten bis
zu den Compilatoren des 17. Jahrhunderts — unter denen der Jesuitenpater
Kircher, Verfasser der •s>Miisurgia universalis«, einer der fieissigsten aber auch
der leichtsinnigsten war — der ärgste Miesbrauch getrieben; selbst noch
Rousseau hat es nicht vermieden, gewisse, mit G-.'s eigenen Worten in Wider-
spruch stehende Traditionen zu wiederholen, und erst der gründlichen Forschung
des vorigen Jahrhunderts, eines Ferkel und Burney, ist es gelungen, die
Verdienste G.'s auf ihr richtiges Maass zurückzuführen. Noch im gegenwär-
tigen Jahrhundert wurde von einem Landsmanne des Aretiners, Luigi An-
geloni (»Sopra la viia etc. di GidJo d'' Arezzoo), der Versuch gemacht, denselben
zum Theil wieder in seine alten Entdeckerwürden einzusetzen, doch auch er
fand in Kiesewetter und Bottee de Toulmont Gegner von solchem Ge-
wicht, dass sein Bestreben erfolglos bleiben musste. Nach Angeloni, der am
liebsten dem G. seinen alten Namen eines »Erfinders der Musik« erhalten
sehen möchte, hatte vor G.'s Zeit in Italien die grösste Unwissenheit und
Finsterniss, wie in allen Culturzweigen , so auch in musikalischen Dingen ge-
herrscht; der Geschichtschreiber Muratori berichtet dagegen nur, »dass die
Musik im Laufe des 11. Jahrhunderts einen Zuwachs erhielt durch Guido
von Arezzo, einen Mönch von Pomposa, der gegen 1022 blühte« und wenn G.
selbst in seiner Epistel an den Mönch Michael von den vielen ihm bekannten
scharfsinnigen Philosophen spricht, »welche mit Hülfe italienischer, gallischer,
germanischer und selbst griechischer Lehrer die Musik studirten«, so erscheint
die ihm von seinen Lobrednern zugewiesene Ausnahmestellung als durchaus
ungerechtfertigt. Vor allem ist nicht zu übersehen, dass seit Gregor dem
Grossen, welcher seinerseits schon die Kirchentonarten als Erbstücke der grie-
chischen Musik vorgefunden hatte, der Gesang in der christlichen Kirche un-
ausgesetzt gepflegt worden war, wie denn auch durch ihn die Benennung der
Töne mittelst der sieben ersten Buchstaben des Alphabets, sowie die Neumen-
schrift mit ilii-en, das Auf- und Absteigen der Stimme versinnlichenden Zeichen
in den Gesangbüchern des lateinischen Ritus eingeführt ist, woselbst sie sich
bis weit über G.'s Zeit hinaus erhalten hat, ja bis ins 14. Jahrhundert, nach-
dem die moderne Notenschrift längst erfunden und ausgebildet war.
Soviel über G.'s Stellung zu seiner Zeit im Allgemeinen. An einzelnen
Erfindungen sind ihm mit Unrecht zugeschrieben: 1) Das Gamma (f), der
tiefste Ton seiner Tonreihe; noch Glarean, der geachtetste Musikschriftsteller
der Renaissancezeit, berichtet in seinem Dodekachordon (Basel, 1547), dass G.
auf die unterste Linie seines Systems den Ton ut gesetzt und ihn den Griechen
zu Ehren Gamma genannt habe, während G. selbst in seinem Micrologus
Cap. II das Gamma als »von den Neueren hinzugefügt« (»ß modernis adjunctum«)
bezeichnet. 2) Die Notation durch Buchstaben des lateinischen Al-
phabets, welche, wie erwähnt, schon von dem big. Gregor zur Bezeichnung
der Töne benutzt wurden. 3) Das Monochord (ist bei Guido kein anderes
als bei Boetius). 4) Die Lehre von den Tropen (Modis oder Tonarten)
stammt von Gregor d. Gr. 5) Die Diaphonie erscheint bei G. kaum weiter
ausgebildet als ein Jahrhundert früher bei Hucbald; nur schien ihm dessen
Quarten-, Quinten- und Octaven-Organum zu hart, und er schlägt eine weichere
Diaphonie vor, welche er die seinige nennt (»nosfra vero moUiora), wo die Quarte
den wichtigsten Platz einnimmt, und sich die Stimmen zum Schluss einander
nähern, um im Einklang auszutöhen. 6) Das Ciavier, Polyplectron oder
Spinett (kann schon deshalb nicht von G. erfunden sein, weil es als Unterrichts-
mittel das Monochord bei ihm verdrängt haben würde). 7) Die Solmisation
oder die Benennung der sechs ersten Töne der Tonreihe durch die Sylben
tif, re, mi, fa, sol, la. Hierüber findet sich in keinem seiner Tractate etwas
Bestimmtes; nur in den r>Musicae regulae rythmicaev. stehen sie über den Tönen
Guido von Arezzo,
443
der Scala von F — aa. G. wollte die bekannte Hymne auf Johannes den
Täufer
GBF DE B
Ut que-ant la - xis
B B 0 B E E
re - so - na - re fi - bris
EEG E B EG B
Mi - ra ges - to - rum
E G a G EEB B
fa - mu - li tu - 0 - rum
Ga GFE F G B
Sol - ve pol - lu - ti
a G a F Ga a
la - bi - i re - a - tum
GF E B GE B
Sanc - te Je - an - nes
lediglich als Hülfsmittel benutzen, um dem Schüler das Intervallverhältniss
der Kirchentonarten (Octavengattungen) einzuprägen, ihm die Fertigkeit bei-
zubringen, jeden gehörten Ton richtig aufzufassen, nicht seiner Tonhöhe, son-
dern seiner proprietas nach, d. h. dem Verhältniss nach, in welchem er zu
den übrigen Tönen einer musikalischen Phrase steht, wie wenn man heute von
einer Tonphrase angeben soll, ob ihr Schlusston die Quinte, Terz etc. ist.
Dass Gr. seinen Silben keine andere Bedeutung gegeben und sie niemals auf
eine bestimmte Tonhöhe bezogen hat, ist von Raymund Schlecht (Caecilia,
Organ für kath. Kirchenmusik, Jahrg. 1873) ausführlich und mit dem Hinweis
auf G.'s eigene Worte dargelegt. Es heisst nämlich im Briefe an Michael:
liSi qiiis itaque uniuscuiusque particulae (des Hymnus) caput ita exercitatus no-
verit, ut confestim quamcti^mque particulam voluerit induhitanter incipiat, easdem
sex voces, ubicumque viderit, secundum suas proprietates facile pronuntim'e poterita^
d. h. »wenn er die sechs Zeilen durcheinander und ausser Zusammenhang
singen kann, dann braucht er, wenn er den Ton A in irgend einer Melodie
sieht, nur das •s>Lahii reatumv., bei F nur das y)famuli tuorumv. sich ins Gre-
dächtniss zu rufen, um die folgenden Intervalle richtig zu treffen. — siAudiens
quoque aliquam neumam sine descriptione, perpende, qiiae Jiarum particularum ejus
ßni melius aptetur, ita ut ßnalis vox neumae et principalis particulae aequisonae
sinf.a Wäre z. B. der Schluss einer »gehörten« Melodie oder eines Melodie-
satzes (neuma) folgender:
M
-i=ä-
-^-
so muss der Schüler versuchen, welche Zeile des Hymnus sich ihm am besten
anpasst. Legt er -»Famuli fuorum« an, so erhält er:
F G
G F E B B
3^S^:
:*
j;|!=i— 1^— jjcj-
Fa - mu - 11 tu
—^
o - rum.
und merkt alsbald die Nicht-Uebereinstimmung; so auch beim Versuch mit den
übrigen Zeilen des Hymnus, ausgenommen bei »Mira gestorumn, wo er fühlen
wird, dass der Schlusston des Neuma und die »principalis particulae«, der An-
fang der Hymnenzeile, gleichklingend (aequisonae) sind:
EFGEBEGB
:^:
^=i=
mi
ra ges - to
rum.
444
Guido von Arezzo.
und wisseu, dass die gehörte Melodie mit S schliesst. 8) Das Solmisations-
System nach Hexachorden und Mutationen, welches sowohl von Engel-
bert von Admont (13. Jahrh.), als auch schon im J. 1112 von Sigebert von
Gemblours als eine Erfindung des G. bezeichnet wurde, ist weder in dessen
eigenen Schriften, noch auch in denen seiner nächsten Nachfolger (z. B. des
Joh. Cotton) erwähnt. Vielmehr sprechen seine eigenen Worte (Micrologus,
Cap. 5) dafür, dass sein System überall auf der Octave beruhte: r>Nam sicut
finitis Septem diebus eosdem repetimus , ut semper primum et octavum diem eum-
dem dicamus; ita octavas semper voces easdem esse figuramus et dieimits, quia
naturali eas concordia consonare sentimus. Unde verissime poeta*) dixit esse
Septem dlscrimina vocum, quia etsi plures ßant, non est adjectio sed earumdem
renovatio et repetitioo. y^Sicut in omni scHptura XX et IUI litteras, ita
in omni cantu Septem tantum habemus voces Septem dicimus graves,
Septem vero vocamus acutus; Septem autem litteris dwpliciter sed dissimiliter de-
signantur, lioc modo:
a h c d
rABODEFGabcdefgabcd.a
Erst Mitte des 12. Jahrhunderts entstand in den Singeschulen folgendes Sol-
misations-Schema:
CS
B
(ee
^
la
dd.
la
sol
cc
sol
fa
Ihh
mi
bb
>
—
fa
1 aa
—
la
mi
re
9
•— —
sol
re
ut
, P
fa
ut
e
la
mi
f
d
la
sol
re
1
1
1
l c
h
b
sol
fa
ut
o
fa
mi
K
a
la
mi
re
—
G>
sol
re
ut
F
fa
ut
ä [
E
la
mi
c
3
D
sol
re
0
fa
ut
1)
B
mi
—
o
J3
A
re
es
r
ut
—
K
Die Hauptschwierigkeit dieses Solmisations-Systeras bestand in der Mutation,
d. h. dem AVechsel der Silben, welcher nöthig wurde, um beim TJebergang
von einem Hexachord in das andere dem mi-fa, welche Silben immer den Halb-
tonschritt bezeichneten, seinen Platz zu erhalten. Ja sogar musste beim Auf-
steigen schon der dem Halbtonschritt vorhergehende Ton, beim Absteigen die
beiden vorhergehenden Töne ihre Namen wechseln. Die Schwierigkeiten dieser
Methode, der verschiedenen Silbenbenennungen für denselben Ton, je nach dem
Hexachord, welchem er angehörte (so hies z. B. der zweite Ton des Hexachor-
*) Virgil.
Guido von Arezzo.
445
ee
dum molle G-sol-re-ut, der dritte a-la-mi-re), wurden schon frühzeitig empfunden,
wie denn ein mittelalterlicher Schriftsteller die Solmisation ein y>crux tenellorum
puerorumi nennt; gleichwohl blieb sie noch bis in den Anfang des vorigen
Jahrhunderts in Gebrauch, wo sie in Buttstedt den letzten Vertheidiger, in
Mattheson dagegen einen Gegner fand, dessen Angriffen sie nicht zu wider-
stehen vermochte.
9) Auch in Bezug auf die sogenannte harmonische oder Guidonische
Hand findet sich in G.'s "Werken nicht die leiseste Andeutung, wenn sie auch
bald nach seinem Tode in einem Werke des Abtes Wilhelm von Hirschau,
r>De musica et tonisa, in folgender Abbildung erscheint:
Die Guidonische Hand bezweckt nichts
weiter, als die Namen und die Reihenfolge
der neunzehn Töne (ohne das tj und das
ee, welches letztere über den Mittelfinger
gesetzt wurde) dem Schüler einzuprägen,
indem man einem jeden derselben seinen
Platz auf einem der neunzehn Gelenke der
Hand anwies: das obere Glied des Daumens
bekam das Gamma, hierauf fuhr man herab,
dann quer hinüber, am kleinen Finger
hinauf, an den oberen Gliedern der fol-
genden drei entlang, am Zeigefinger wieder
herab u. s. w. im Kreise. Auch diese Er-
findung hatte einen unverhältnissmässigen
Erfolg und wurde von Späteren vielfach in
anderer Weise wiederholt, so in Henri Fa-
ber's »Ad musieam practicam introductioa
(1571), wo jeder der drei Mittelfinger einen von unten aufsteigenden Tetrachord
repräsentirt und mit einem Schlüssel versehen ist.
Dies sind die wichtigsten unter den Erfindungen, welche dem G. mit
Unrecht zugeschrieben worden sind; seine wirklichen Entdeckungen oder Ver-
besserungen bestehen:
1) in einer neuen Unterrichtsmethode zum Vom-Blatte- Singen und
2) in der Einführung der Linien sowie der Benutzung der Zwischen-
räume (Spatien) bei Notirung der Gesänge, und es gereicht ihm zu besonderer
Ehre, jene Dinge nicht nur erdacht, sondern auch seine Methode — in dem
»Micrologus«, dem »Briefe an Michael« und in dem Prologe seines Antipho-
nars — mit Klarheit dargelegt zu haben, wenngleich sein Latein, der damaligen
Zeit gemäss, kein elegantes ist — soweit wenigstens dem von dem Fürstabt
Gerbert zu St. Blasien publicirteu und von den unzweifelhaft echten Manu-
scripten der Pariser Bibliothek (vormals in der Abtei St, Evroult) nicht selten
abweichenden Texte zu trauen ist. "
Von den seit Alters her unter G.'s Namen cursirenden Schriften über
Musik — welche begreiflicherweise nicht minder zahlreich waren, als die ihm
zugeschriebenen Entdeckungen und Erfindungen — wählte Gerbert für seine
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts veranstaltete Ausgabe der y>Scriptores
ecclesiastici de musica Sacra potentissimumti (Band II.) die folgenden, von ihm
für echt gehaltenen: 1) Micrologus Guidonis de disciplina artis mu-
sicae, dem Bischof Teudaldus von Arezzo gewidmet, wo in 20 Capiteln eine
Theorie der Musik, nicht wie bei seinen Vorgängern von philosophischen,
sondern von praktischen Gesichtspunkten ausgehend, dargestellt ist. 2) Mit-
sicae Guidonis regiolae rhythmicae in antiphonarii sui prologum
prolatae, Regeln in gereimten Versen, welche den Inhalt des vorigen Werkes
resumiren. 3) Alias Guidonis regulae de ignoto cantu identidem in
antiphonarii sui prologum prolatae, mit angeführtem ausführlicherem
Tractate Epilogus de modorum formulis, welcher letztere, nach seinem
446 Guido von Arezzo.
von dem übrigen abweichenden Styl*) zu urtheilen, nicht von G. ist. 4) Upi-
stola Guidonis Michaeli monacho de ignoto cantu**) directa, giebt
über G.'s Lebensverhältnisse, sowie über seine Lehrmethode mannigfachen
Aufschluss. 5) Tractatus Guidonis corre ctorius multorum errorum,
qui fiunt in cantu gregoriano in multis locis. 6) Quomodo de arith-
metica procedit musica. Die Echtheit dieser beiden Tractate wird allgemein,
die des letzteren sogar von Grerbert bezweifelt. Das wichtigste Guidonische
Manuscript aber war dem Gerbert noch unbekannt: der Cod. Bihlioth. Tlticensis
(der sog. Codex von St. Evroult, gegenwärtig in der Pariser Bibliothek), wel-
cher neben den kleineren Abhandlungen y>De modorum formulisi^, riEpilogus de
modorum formulisi. und y>Mensura Bo(itii<i ein unzweifelhaft von G. stammendes
Antiphonar und Graduale nebst Psalter enthält, letztere nach dem von
G. erdachten und beschriebenen verbesserten System mit Neumen auf vier
Linien (die obere gi'ün, die zweite von unten roth, die übrigen nur mit dem
GriflPel gerissen) und mit Benutzung der Zwischenräume notirt.
Diese Vereinfachung des Liniensystems, verbunden mit der vorhin er-
wähnten Verwendung der Silben ut, re, mi, fa, sol, bildet das ganze Geheimniss
der Guidonischen Unterrichtsmethode. Durch die erstcre wurde allerdings kein
geringer Fortschritt • erzielt, wenn man sich die Schwierigkeiten vergegenwärtigt,
welche das Zuviel oder Zuwenig der Linien dem Lernenden bereiteten,
jenachdem für jede Note eine besondere Linie genommen und dui'ch das Ge-
wirre der Linien eine schnelle TJebersicht unmöglich gemacht wurde, oder aber
man sich mit einer einzigen Linie begnügte, wo dann die richtige Entzifferung
der grösstentheils in der Luft schwebenden Tonzeichen fast nur vom Zufall
abhängig war. Uebrigens ist der Charakter der reformatorischen Bestrebungen
G.'s keineswegs ein radicaler. Mit der zu seiner Zeit gebräuchlichen Noten-
schrift, den Buchstaben für die Schule, den Neumen für die Kirche und die
Choralbücher, hat er keinerlei Veränderung vorgenommen. Er erklärt sich
mit Vorliebe für die Buchstaben:
y>Solis litteris notare optime probavtmusa,
hält aber die Neumen nicht für entbehrlich:
y)Oausa vero breviandi neumae solent fieri
Quae si curiosae fiant habentur pro litteris.fs.
d. h. wenn ihr Steigen und Fallen durch Linien klar gemacht ist:
r>Soc si modo disponantur litterae cum lineisu
a
G —
F
E
D
C
B
Dass Guido den C- und F-Schlüssel, sowie die farbigen Linien erfunden und ein-
geführt habe, glaubt Forkel aus folgenden Worten im Prolog zu seinem Anti-
phonar schliessen zu dürfen:
» TIt proprietas sonor um discernatur clarius
Quasdam lineas signamus variis coloribus
JJt quo loco quis sit tonus, mox discernat oculus.a
Jedenfalls legte G. ein besonderes Gewicht auf die Verdeutlichung der Neumen
durch Buchstabe und Farbe, ohne welche sie einem Brunnen zu vergleichen
*) Kiesewetter.
**) d. h. über die Art und Weise, eine unbekannte Melodie ohne Hülfe des Lehrers
oder eines Instrumentes sich einzuprägen.
Guido von Arezzo. 447
seien, dessen noch so reichliclies Wasser Niemandem nütze, wenn kein Strick
zum Schöpfen vorhanden ist:
y)Ät si littera vel color neumis non intererit
Tale erit, quasi funem dum non habet puteus
Ouius aquae, quamvis multae, nil prosunt videntibus.a
Auch noch die ältere, schon bei Hucbald vorkommende Notation mittelst Tren-
nung und Aufschichtung der Testes - Silben in sieben Linien ohne Benützung
der Spatien findet sich bei Gr. im Microlog; Noten im modernen Sinne hat
er nicht gekannt und eben so wenig Punkte; Angeloni freilich bezieht, wie schon
Pater Kircher, alles, was Gr. von »Neumen« sagt, auf »Noten«, während bei
ihm die Neumen als Notenzeichen stets nur durch den Plural »Neumae« aus-
gedrückt sind, der Singular »Neuma« aber eine melodische Phrase bedeutet.
Auch das bei Gl-, häufig vorkommende "Wort »notaa giebt keinen Anhaltspunkt
zur Widerlegung der obigen Behauptung, da es bald für y>voxK, bald für
■nneuma<i, »Signum«, rilitterav. etc. gebraucht ist.
Gr.'s grosses und unbestreitbares Verdienst besteht darin, dass er zuerst
die Noth wendigkeit erkannte, die philosophischen und mathematischen Specu-
lationen seiner Vorgänger wenigstens theilweise in einer Kunst aufzugeben, in
welcher die Praxis einen so wichtigen Platz einnimmt. Der Eifer für seine
Kunst, der Scharfsinn, mit welchem er die musikalische Noth seiner Zeit be-
griff und das Bedürfniss, den von ihm gefundenen Weg zur Besserung aller
Welt zu zeigen, machen ihn zu einer ebenso achtungswerthen wie sympathischen
Erscheinung der gesammten Musikgeschichte. Sobald er sich über das rein
praktische Gebiet hinausbegiebt, bleibt auch er allerdings nicht frei von jener
Beschränktheit, welche die Geistesarbeit des Mittelalters selbst in den streb-
samsten Epochen kennzeichnet. So empfiehlt er eine Methode, Melodien zu
erfinden, indem man die Vocale a e i o u, die ja in keiner Silbe fehlen, wie-
derholt der Reihe nach unter die Tonzeichen des Monochords schreibt, wonach
dann jedes geschriebene Wort gesungen werden könne (»quod ad cantiim redi-
gUur omne quod scribiturv.) — ein Verfahren, welches heutzutage nur Lächeln
erregen würde. Wenn aber G. trotz dieser »Homunculus-Melodiebildung in der
Betorte der fünf Vocale« (wie sie Ambros im zweiten Theile seiner Geschichte
der Musik sehr treffend benannt hat) verlangt, dass die Töne des Gesanges
den durch die AVorte ausgedrückten Empfindungen entsprechen (y>ut rerum
eventus sie cantionis imitetur effectus, tit in tristibus rebus graves sint neumae«. etc.)
— wenn er ferner mit unerbittlicher Strenge gegen die Oberflächlichkeit des
Virtuosenthums zu Felde zieht,*) welches sich damals wie zu allen Zeiten
durch Eitelkeit und Missgunst gegen Neuerungen unvortheilhaft auszeichnete,
so beweist er damit eine für jene Zeit ungewöhnliche Weite seines künstle-
rischen Horizontes; man wird seinem musikalischen Charakter eine gewisse
Grossartigkeit nicht absprechen dürfen, vielmehr zugeben müssen, dass er, wie
durch seine Leistungen, so auch durch seine Tendenz in der Geschichte der
Culturbestrebungen des Mittelalters einen der wichtigsten Plätze einnimmt,
und dass die ihm bis auf den heutigen Tag erwiesene Ehre — auch ein Mo-
nument ist ihm vor einigen Jahren in seiner Vaterstadt Arezzo errichtet wor-
den — keineswegs eine unverdiente ist.
Näheres über Guido findet man in Angeloni's Dissertation y>sopra la
vita le opere ed il saper e di Guidoa und in der darauf bezüglichen Schrift
Kiesewetter 's, welche letztere das Studium der ersteren beinahe überflüssig
macht. Eerner bei Bottee de Toulmon y>Notice sur Guido d' Arezzo«. tome
XIII. des memoires de la Societe royale des Äntiquaires de Fra^ice. Endlich
*) „Temporibus nostris super omnes liomines fatui sunt cantores" heisst es im Prolog
zu den „regulae de ignoto cantu" und im Anfang des versificirten Prologs:
„Musicorum et cantorum magna est distanfia,
Isti dicunt, Uli sciunt quae componit Musica.
Nam qui facit quod non sapit, definitur bestia."
448 Giiidon — Guillemain.
bei Forkel (allgemeine Greschicbte der Musik, Band II), Burney (a general
Idstory of music II, 2), Fetis fBiograpIdc des musiciensa und De la Borde
»JEssai sur la musiquea III, S. 345, W. Langhaus.
Guidon (frauzös.), der Notenzeiger, s. CustoB.
Onidoiiius, Joannes, holländischer Gelehrter, der um die Mitte des 16.
Jahrhunderts wirkte, schrieb: y>MinervaUa, in quihis scientiae praeconium atque
icjnoranliae socordia consideratur , artium liberalium in musicen äecertatio lejpida
appingiturv. (Mastricht, 1554). f
Guidouische Haud, s. Guido von Arezzo.
Guidouisclie oder aretinische Silbeu, s. Guido von Arezzo.
Guidouisches System, s. GuidovonArezzo.
Guigruou, Jean Pierre, berühmter französischer Violinvirtuose, geboren
am 10. Febr. 1702 zu Turin, trieb zu Paris als Knabe anfangs Violoncello-
übungen, wandte sich aber dann der Violuie mit solchem Erfolge zu, dass er
sogar für Leclair ein Nebenbuhler wurde. Seit 1733 im Dienste des Königs,
wurde er Violinlehrer des Dauphins (nachmaligen Königs Ludwig XV.) und
erhielt 1741 den Titel eines Roi des violons et des menetriers, den er 1773
wieder ablegte, da er selbst im Processwege keines der alten damit verbundenen
Vorrechte behaupten konnte. Mit ihm hörte dieser Titel dann auch gänzlich
auf. G. selbst starb am 30. Jan. 1774 zu Versailles am Schlagflusse. Als
Componist hat er mehrere Bücher Sonaten, Duos, Trios und Concei'te ver-
öffentlicht.
Gaillaaiue de Maehau oder de Machaut, altfranzösischer Dichter und
Musiker, geboi'en um 1284 im Dorfe Machau bei Rethel in der Champagne,
trat 1301 in die Dienste Johanna's von Navarra, Gemahlin Phüipp's des
Schönen von Frankreich, und 1307 als Kammerdiener in die des Königs. Im
J. 1316 wurde er Geheimschreiber Johann's von Luxemburg, Königs von
Böhmen, nach dessen Tode 1346 in der Schlacht von Crecy ihn Bona von
Luxemburg, Herzogin von der Normandie, in Dienst nahm. Nach deren Ab-
leben beim Herzog Johann von der Normandie, nachmaligem Könige Johann
von Frankreich als Geheimschreiber, hatte er diese Stelle auch noch bei dem
Nachfolger desselben, Karl V., inne. Er lebte 1369 noch, da er in seinem
Werke »ia prise d^Älexandriea. noch der Ende jenes Jahres fallenden Er-
mordung des Königs Peter von Jerusalem und Cypern Erwähnung thut. —
Zahh-eiche Compositionen G.'s, als zwei- und dreistimmige französische und
lateinische Motetten, Rondeaux, Balladen, scherzhafte Chansons und eine Krö-
nungsmesse für Karl V. bewahrt die Manuscriptensammlung der Pariser Bi-
bliothek. Perne hat letztere Messe in die moderne Notation übertragen. Ein
gleichfalls erhalten gebliebenes Gedicht G.'s ȟ te^nps pastourv. handelt u. A.
auch von den im 14. Jahrhundert im Gebrauche gewesenen Instrumenten.
Gnillaume, Edme, zu Ende des 16. Jahrhunderts Canonicus zu Auxerre,
erfand um 1590 die Kunst, das Cornett in Schlangenform zu winden. Von
dem ersten Gebrauch eines so gewundenen Instruments in dem Hause G.'s
berichtet der Abbe Lebeuf Tom. I. p. 643 seiner Geschichte von Auxerre.
Diese Erfindung soll die Erbauung des Serpent (s. d.) angebahnt haben.
t
Onilliand, Maximilien, französischer Tonkünstler aus Chälons sur
Saone und als Musiker in der Saint-Chapelle zu Paris angestellt, veröffentlichte
einen ^^Traite de miisique». (Paris, 1554), den er dem damaligen königl. Kapell-
meister zu Paris, Claude de Sermisy, zueignete. Einige seiner Messen findet
man auch noch unter den 12 vierstimmigen Messen, die ebenfalls 1554 zu
Paris erschienen. f
Guillemain, Gabriel, französischer Violinvirtuose und Componist, ge-
boren am 15. Novbr. 1705 zu Paris, scheint seine Tüchtigkeit dem eifrigen
Studium der Werke Corelli's gedankt zu haben. Im J. 1738 wurde er Violinist der
Kapelle und Kammermusik des Königs und coraponirte 1749 für die Bühne
öuillet — Guivaud. 449
das sehr beifällig aufgenommene Divertissement T>La cabale<i, ausserdem noch
für sehr schwer und bizarr erachtete Yiolin- Sonaten, Trios u. s. w. Melan-
cholischen und scheuen Charakters wagte er nicht, im Concert spirituel auf-
zutreten, und als er am 1. Octbr. 1770 in dienstlichen Angelegenheiten sich
von Paris nach Versailles begab , legte er in einem Anfalle von Wahnsinn
sogar Hand an sich selbst, indem er sich in der Nähe von Chäville durch
vierzehn Messerstiche tödtete.
Gnillet, Charles de, flandrischer Componist und Musikgelehrter der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts, lebte zu Brügge, woselbst er wahrscheinlich auch
geboren war, und veröffentlichte 1610 »24 Fantaisies sehn Vordre des douze
modesii, welche gemäss den Regeln des Zarlino gesetzt waren. Die Manu-
scriptensammlung der Hofbibliothek zu Wien besitzt von ihm handschriftlich
eine ^Institution harmonique<s. in drei Büchern.
Guillou, de, vortrefflicher französischer Dilettant, der mit grosser Fertig-
keit Violine und Fagott spielte. Bis zur Zeit der Revolution war er Infan-
terieofl&cier der königl. Armee und gab von seiner Composition, 1780 in Lyon,
später in Paris Violin- Quartette, Duette und Soli heraus. Er hinterliess u. A.
auch ein Fagottconcert, das aber nicht im Druck erschienen sein dürfte.
Gnillou, Albert, geschickter französischer Componist, geboren zu Meaux
im J. 1801 , erhielt seine musikalische Ausbildung auf dem Pariser Conser-
vatorium, wo er für einen der ausgezeichnetsten Schüler galt und mehrere
Compositionspreise davontrug. Auch in der Folge schuf er auf fast allen
Compositionsgebieteu überaus Bemerkenswerthes, starb aber 1854 zu Venedig,
ohne seinem Rufe auch im Auslande Geltung verschafft zu haben.
(fuillon, Henri Charles, französischer Vocal- und Instrumentalcomponist,
lebte um 1730 als praktischer Musiker und Musiklehrer zu Paris und hat
zahlreiche Gesangssachen, Stücke für Violine, Flöte u. s. w. geschrieben und
veröffentlicht.
Gnillou, Joseph, vorzüglicher französischer Flötenvirtuose und Componist
für sein Instrument, geboren 1786 zu Paris, kam mit elf Jahren auf das Con-
servatorium seiner Geburtsstadt und wurde dort von Devienne, später auch
von Wunderlich im Flötenspiel unterrichtet. Mit dem ersten Preise ausge-
zeichnet, verliess er 1808 das Institut, musste aber bis 1815 warten, ehe er
Anstellung als zweiter Flötist im Orchester der Grossen Oper und in der
königl. Kapelle erhielt. Ein Jahr später wurde er Lehrer seines Instruments
am Conservatorium und rückte nach Tulou's Abgange auch zum ersten Flötisten
der Oper auf. Schlechte Vermögensumstände veranlassten ihn 1830 zu Con-
certreisen, und er besuchte Belgien, Berlin, Hamburg, Stockholm u. s. w. In
St. Petersburg liess er sich endlich nieder, betrieb aber weniger die Musik als
die Färberei. Später wandte er sich der Musikschriftstellerei zu und starb im
Septbi". 1853 zu St. Petersburg. Concerte, Duos, Fantasien, Variationen u. s. w.
seiner Composition für Flöte sind iit Paiüs erschienen.
Guiueo ist der Name eines der vielen im 16. Jahrhundert in Aufnahme
gekommenen Tänze französischen oder norditalischen Ursprungs, die ihrer freien
Bewegungen und üppigen Stellungen wegen damals sehr anstössig gefunden,
trotzdem aber von der Menge mit vielem Beifall aufgenommen wurden. Von
allen diesen Tänzen blieb nur die Gaillarde längere Zeit hindurch in der
Mode. Die Musik des G. war wahrscheinlich der zur Gaillarde ähnlich,
die, entweder im ''/e oder ^/4 , seltener im */4 oder */4 Takt geschrieben,
von ausgelassenem lustigen Charakter ohne besondere rhythmische Merk-
male war. 2.
Gnipi ist der Name einer der ältesten einfachen Raga's (s. d.) der Index-,
welche um ein Sruti (s. d.) alterirte Töne haben. 0.
Guiraud, Er n est, talentvoller und geschickter französischer Componist,
der, auf dem Conservatorium gebildet, in unabhängiger Stellung zu Paris lebt.
Von seinen BaUetpartituren hat sich »Der Schmied von Gretna-Green« ausser
Mnsikal. Convera.-Lexikon. IV. 29
450 Guit — Guitarre.
in Paris auch in St. Petersburg, Wien uud Berliu grossen Beifall erworben.
Andere bedeutende Werke von ihm sind eine Concert- Ouvertüre op. 10 und
eine Suite für Orcheater.
Guit, altfranzösischer Dichter und Musiker des 13. Jahrhunderts, lebte zu
Dijon, wo er auch geboren war. Sechszelm seiner Chansons befinden sich in
der Manuscripteusammlung der Staatsbibliotliek zu Paris.
Guitarre (span.: guitarra, ita].: cldtarra, französ.: guitare oder guiterne) ist
der Name eines Ton Werkzeugs, dessen Geschichte hinaufweist bis zur Urzeit
der Tonkunst, die uns Instrumentgestaltungen vorführt, welche oft nur scheinbar
denen der lieutigen Gr. durchaus fremd zu sein scheinen. Unmittelbar entstand
dieselbe aus dem El-Aud (s. d.) der Araber, das etwa 270 n. Ohr. zuerst
vollendet cunstruirt, sich verbreitete. An der Gestaltung dieses Tonwerkzeugs
repartiren das griechisch Mihwa geheissene Instrument und das alte Griffbrett-
instrumeut der Assyrer und Aegypter zu gleichen Theilen. Wie in diesem
Werke Theil I. S. 323 ausführlicher berichtet ist, wurden die Griffbrett-
Instrumente wahrscheinlich in beiden genannten Ländern selbständig erfunden.
Für die assyrische Erfindung derselben sprechende Gründe findet man an eben
angegebener Stelle verzeichnet. Für die Erfindung in Aegypten spricht die
Aehnlichkeit dieses Instrumentes mit der Hieroglyphe, die wahrscheinlich Abbild
eines paraphonen Monochords war, das den ersten Hierophanten zur Fest-
stellung ihrer der Sphärenscala nachgebildeten Tonfolge diente, und deshalb
in die Schrift aufgenommen, dort, doppelt gestellt, eine nachdrückliche Ver-
sicherung der Wahrheit des Gesagten: Ja, ja! bedeutete. Diesen Griffbrett-
instrumenten verliehen die Araber die der m&UQa eigenen Schallkasten in
Schildkrötenschaalenform, wovon dies Instrument den Namen El-Aud erhielt,
worauf unsere Benennung Laute (s. d.) zurückzuführen ist. Trotzdem nun
über den Ort der Fertigung der ersten modernen G. in abendländischer Art
nichts bekannt ist, so lässt sich nach dem ersten Auftreten und der Verbrei-
tuugsweise derselben schliessen, dass Spanien das Heimathland derselben war
und die El-Aud dem Erfinder der G. zum Vorbilde diente. Die erbitterten
ßacenkämpfe in Spanien, 710 — 1274, die zu einem Rückschritt und dem gänz-
lichen Verschwinden der arabischen Kunst daselbst Veranlassung gaben, führten
zur Erfindung der modernen G. Mit der Ausbreitung des Christenthums
nämlich kam auch die durch die Kirche eingeführte und gepflegte abendlän-
dische Musik in Spanien zur Geltung, welche im damaligen Entwickelungs-
gange, wie unsere Musikgeschichte nachweist, von dem Geiste der in Blüthe
stehenden arabischen Kunst sich nichts einzuverleiben vermochte; höchstens
konnten rohe Nachbildungen von arabischen Tonwerkzeugen allmälig als Diener
des neuen Geistes der Musik sich einer Anerkennung erfreuen, die mit der
Fortschreitung der Kunst sich derselben entsprechend änderten und vervoll-
kommneten. Die Verfertiger von arabischen Tonwerkzeugen wurden durch
Fanatismus zwar vertrieben oder vernichtet und die Kirche gestattete nur dem
abendländischen Tongeiste die öffentliche Pflege, doch vermochte sie nicht das
Gedenken an einen wichtigen Faktor des Volkslebens, an die El-Aud, aus der
Allgemeinvorstellung zu vernichten. Das milde Klima Spaniens, das dem Mu-
siktreiben in freier Natur zu jeder Zeit günstig war, der romantische, für
malerisches Erscheinen schwärmende Geist der Spanier, wie die im Volke tief
eingewurzelte Gewohnheit, durch Gesang in romantischer Form seiner Liebe
Ausdruck zu geben, forderte ein leicht behandelbares, zur Gesangbegleitung
wold geeignetes und bequem transportables Tonwerkzeug, das der El-Aud Erb-
theil übernahm. Dies Erbtheil übernahm die G., die aber erst zu Ende des
16. Jahrhunderts zu einer Normalgestaltung gekommen zu sein scheint, denn
erst nach dieser Zeit wurde die G. in Italien und Frankreich bekannt. Die
damalige Gestalt derselben war unserer heutigen G. ziemlich gleich. Der
Schallkasten derselben bestand aus einer planen Decke und einem planen Boden
nebst einer rechtwinklich mit ihnen verbundenen Zarge. Die Ober- und Unter-
Guitarre, 451
flächen des Kastens hatten, ähnlich den fast gleichzeitig sich ausbildenden
Streichinstrumenten, in der Mitte jeder Seite eine Einbiegung, zwisciien wel-
chen Einbiegungen sich in dem Resonanzboden das Schailloch befand. Saiten-
befestigung und Grriffbrettbeschaffenheit waren in der Art unserer heutigen
schlechtesten Gr.; nur zeigten dieselben weniger iiiinde (s. d.) und einen
wenigersaitigen Bezug (s. d.). Wenn das El-Aud in primitivster i'orm nur
vier Saiten besass, so finden wir in erster Zeit die (jr. mit fünfen, von denen
die beiden tiefsten mit dem Daumen der rechten Hand, die andern drei mit
dem Zeige-, Mittel- und Ringfinger derselben tönend erregt wurden. Die
Sicherheit bei der Saitenbehandluug bewirkte mau durch feste Aufstellung des
kleinen Eingers auf die Resonanzbodendecke, wie noch heute. Nachdem die
(j. über 200 Jahre in diesen Ländern in stets steigender Verbreitung sich
eingebürgert hatte, hielt sie endlich durch die Herzogin Amalie von Weimar
im J. 1788 aus Italien ihren Einzug in Deutschland. Der Instrumentbauer
Jacob August Otto zu Jena war während der ersten zehn Jahre darauf allei-
niger Nachbildner dieses importirteu Instrumentes. Er fügte auch dem Bezüge
der G. auf Anrathen des königl. sächsischen Kapellmeisters Naumann die sechste
Saite hinzu. Vgl. darüber seine eigenen Auslassungen in seinem »Ueber den
Bau der Bogeninstrumente etc.« betitelten Werke. Mit dem Anfange des 19.
Jahrhunderts steigerte sich die Liebhaberei für die Gr. in Deutschland zu einer
wahren Wuth, welche erst um 1840 zum Stillstand gelangte zugleich mit der
Verbreitung des verbesserten Pianos und dem aligemeinen Erkennen: dass die
grossen Opfer an Zeit, um die (r. zur Darstellung von Kunstschöpfungen zu
verwenden, durchaus nicht dem sich entwickelnden Kunstsinne entsprechend sich
verhielten. Auch grosse Meister in der Gr. - Behandlung , wie Griuliani und N.
Paganini, konnten sich nur Anerkennung für angeeignete in Erstaunen setzende
Oeschicküchkeit , doch nicht bleibende Verehrung für bereitete Kunstgenüsse
erringen, weshalb denn auch Männer wie Paganini später der Pflege der Gl^.
gänzlich entsagten. Dass die Gr., da sie eben Eolie für viele Virtuosen und
unendlich zahlreiche Dilettanten war, auch massenhafte als Verbesserungen er-
achtete Modificationen im Laufe der Zeit erhielt, erscheint natürlich. Die jetzt
meist überall verbreitete Gr., denn auch in Spanien hat mau die deutsche Ein-
führung eines sechssaitigen Bezuges derselben gutgeheissen, hat überall eine
gleiche Form. Der Schallkasten besteht aus zwei parallelen dünnen Brettern,
das eine, Resonanzboden (s. d.) genannt, aus mit durchsichtigem Eirniss
bestrichenen Tannenholz; das andere. Resonanzdecke geheissen, aus nach aussen
etwas gewölbtem, polirten Ahornholz gefertigt, und einer ebenfalls aus polirtem
Ahornholz gemachten meist 10 Cm. hohen Zarge (s. d.). Decke wie Boden
sind von gleicher Gestalt, der arabischen Ziffer 8 ähnlich. Die höchste Breite
des oberen Theils beträgt 23 Cm. und die des unteren 31 Cm. Etwas über
die Mitte des Schallkastens hinaus sind die Decken an beiden Seiten, wie bei
der Violine, einwärts geschweift, jedoch ohne Ecken zu haben. Die tiefste
Einbiegung derselben ist 17 Cm. unterhalb des Griffbretts gelegen, wo sich
die Ränder bis auf 19 Cm. nähern. Gerade in der Mitte der tiefsten Ein-
biegung befindet sich in der Resonanzdecke das 9 Cm. Durciimesser besitzende
runde Schallloch. Unterhalb des Schallloches, 29 Cm. vom obern Schallkasten-
rande entfernt, liegt ein 9 Cm. langes und 1 Cm. breites Bretteben, das auf
den Resonanzboden aufgeleimt ist; dasselbe trägt den Steg (s. d.) und zeigt
unter demselben sechs runde Löcher, die nach der Schalllochseite m eine
Saiten dicke ofiene, beinahe bis zum Stege gehende Rinne auslaufen. Diese
Löcher dienen zur Befestigung der Saiten. Man macht nämlich am Bude
derselben einen Knoten, der durch das runde Loch gesteckt wird. Indem man
den Knoten dem Stege näher zieht, geht die Saite in die Rinne und der Knoten
im Resonanzkasten hinter dieselbe. Jede Anspannung der Saite nun vom
andern Ende her zieht den Knoten so nahe es angeht an die Rinne, muss
jedoch nicht vermögen, dieselbe durch diese zu ziehen. An diesem Resonanz-
29*
452 Guitarre.
kästen befindet sich ein Hals von 5 Cm. Breite und 31 Cm. Länge, der oben
plan, wie der Resonanzboden, und unten rund ist. Auf der oberen, gewöhnlich
schwarz gefärbten Seite des Halses sind Bunde aus eingelegten Elfenbein- oder
Metallstreifen, welche auf gleich gefärbter, auf dem Schallboden fortgesetzter
Unterlage noch bis in die Nähe des Schallloches fortgesetzt sind. Ein etwas
höherer Bund am Ende des Halses dient als Sattel (s. d.) für die Saiten des
Bezuges. Am Halse stumpfwinklich fest angefügt, befindet sich das Wirbel-
brett (s. d.). Durch dasselbe sind von unten nach oben zweckentsprechend
sechs Löcher für die Wirbel gebohrt, deren walzenförmige Enden, ein Loch
zeigend, durch welches die zu spannende Saite gezogen wird, über dasselbe
hervorragen; die Flügelenden der Wirbel sind unter dem Brette. Einige G.
haben auch statt des Wirbelbx-etts ein Wirbelhaus (s. d.), ähnlich dem bei
den Streichinstrumenten. Zuweilen findet man auch G-., die, um das Zurück-
gehen der Wirbel, also das Verstimmen der Saiten zu vermeiden, statt der
Wirbel eiserne Schrauben von oben herein in den hohlen Wirbelkasten laufen
haben, welche messingne Knöpfchen, die an der äussern Seite sich befinden,
und in denen Spalten zum Einhängen der Saiten gefeilt sind, auf und nieder
winden, was durch Hülfe eines kleinen Schlüssels von Messing, wie an einer
Stutzuhr , bewerkstelligt wird. Auch Vorrichtungen , wie an den Wirbeln der
Contrabässe construirt, findet man bei Gl. vor. Nicht eigentlich zur Gr. ge-
hörig, aber doch allen eigen ist noch, dass sich am äussersten Ende im Wirbel-
brett ein Loch befindet, durch das ein breites Band gezogen werden kann,
dessen anderes Ende dann an einem Knopfe befestigt wird, der in der Mitte
der Zarge, dem Halse gerade gegenüber, befindlich ist. Dies Band, so lang,
dass es, über den Hals des Spielers gelegt, dem Instrumente eine solche Lage
vor der Brust desselben gestattet, dass es zur bequemeren Handhabung des
Tonwerkzeugs dienlich ist und dem Spieler ein malerisches Auftreten erleichtert,
wird von Vielen gern gesehen. Von den sechs den Bezug bildenden Saiten
sind die drei das höhere Tonreich vertretenden: Darmsaiten, die andei-n drei
sind entweder mit Kupfer- oder Silberdraht übersponneue Seidensaiten, oder
zwei solche und eine, die höhere nämlich, eine übersponneue Darmsaite. Diese
Saiten bieten in ihrer Normalstimmung aufsteigend vier Quarten und eine
Durterz, wie folgende Angabe der Klänge der freien Saiten zeigt: E, A, d, g,
h und e^. Zuweilen stimmt man auch, um in F- oder JB-dur gesetzte Tonstücke
leichter ausführen zu können, die tiefste Saite in F und seltener aus ähnlichen
Gründen sogar in G oder As. Beim Spiel der G., deren Saiten durch Reissen
mit den Pingerspitzen der rechten Hand tönend erregt werden , hält man den
Hals derselben so zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand, dass
die Pinger derselben sich bequem auf dem Griffbrett bewegen können. Den
untern G.-Theil stützt man entweder auf das rechte Knie oder die rechte Lende,
so, dass der Resonanzboden abwärts gekehrt ist, oder hält denselben gegen das
untere Ende des rechten Brusttheils, jenachdem man beim G.-Spiel sitzt oder
steht. Das Reissen der Saiten liegt, wie erwähnt, der rechten Hand ob, und
bewirkt man dasselbe, indem man den kleinen Pinger der rechtt-n Hand in der
Nähe des SchalUochs fest auf den Resonanzboden setzt, mit dem Zeige-, Mittel-
und Ringfinger derselben je eine der höheren Saiten zu behandeln sich be-
fleissigt und dem Daumen die auf den drei tieferen Saiten zu erregenden Töne
auferlegt. Bei gewünschtem starkem, arpeggioartigem Anschlage der Saiten
fährt man auch nur mit dem Daumen der rechten Hand allein von der tiefer-
zur höhergestimmten Saite querüber. Die verschiedenen Anschlagsarten, deren
es ausser den angeführten noch einige giebt, sowie die besondern Anschlags-
stellen der Saiten wtrden ebenso wie die verschiedenen Lagen, in der sich die
linke Hand beim Greifen der Töne bewegen muss, in den verschiedenen G.-
Schulen, an denen durchaus kein Mangel ist, gelehrt, wu man sie die Appli-
catur der Hände nennt. — Wenden wir uns nun zur Beleuchtung der An-
wendung der G. im Kunstleben, so kann es derselben Niemand bestreiten, dass
Guitarre. 453
sie sich besonders zur einfachsten Begleitung von Gesangstücken eignet, sobald
dieselben nur accordischee Accompagnement fordern und eine Octave über dem
Tonreicb der Gl. erklingen, also zur Begleitung von Sopranparthien , weniger
zu Tenor- und noch weniger zu Bassgesängenbegleitung. In gleichei- Weise
steht auch der Werth der G-. im Ensemble. Als Soloinstrument, wie man es
in seiner Blüthezeit einzuführen versuchte, hat es sich nicht bewährt, trotzdem
Virtuosen sich mühten, eigens dafür gesetzte Tonstücke, wie Fantasien, Sonaten,
Variationen etc., selbst mit Trillern, Doppeltrillern und Flageolettönen versehen,
auf durchaus vollendete Weise darauf vorzuführen; der Ton des Instruments,
die eigentliche Seele desselben, ist kalt und dürftig und muss in einer Zeit,
wo man sich immer mehr dem gefühlten Ton zuwendet, an Verehrern ver-
lieren. Deshalb ist es nicht ungerecht, zu behaupten, dass seine Vorzüge es
ihm nicht erlauben, in der Kunst eine bedeutende Stelle einzunehmen, wofür
jedoch seine vielfache Anwendung bei niedern Kunst- und Dilettantenleistungen,
wo es fast unentbehrlich gewesen, reichlich entschädigt. Das bedeutende Ton-
reich der G. , welches von IE bis h"^ reicht, kann Jeder leicht zu beherrschen
sich aneignen, und die Stimmung der Grundsaiten dei'selben gestattet in G-,
G-, D-, Ä-, E- und F-dur, sowie in Ä-, E-, Ms-, Oia- und D-moll stehende
Tonstücke bald ausführen zu lernen ; Tonstücke jedoch mit mehr Versetzungs-
zeichen darzustellen ist schwieriger, und gebraucht man hierzu den Gapo iasto
(s. d,). Bei grösserer Beherrschung des Instruments lässt sich oft, ohne der
Natur desselben Gewalt anzuthun , mehr auf demselben herstellen, als man
glauben sollte. TJm dies jedoch zu vermögen, ist eine schulgerechte Behand-
lungsweise desselben durchaus zu empfehlen, die in jeder G.- Schule nachgewiesen
wird; die bekanntesten der letzteren sind: die von Bortolazzi, Bevilaqua, Bern-
hardt. CaruUi, Doisy, Fiedler, Giuliani, Härder, Lehmann, Molino, Pacini, Scheidler,
Sor, Spina, Stählin, Wohlfahrt u, A. Ein vollständigeres Verzeichniss bietet
Whistling in seinem »Handbuch der musikalischen Literatur«, S. 420. Auch
der Compositionen für G. sind nicht Avenige, doch sind auch diese meist altern
Datums. Zwar sind die G.-Schulen auch meist alle einer früheren Zeit ent-
sprossen, doch sind sie um deswillen noch heute die besten, weil man in neuester
Zeit nicht mehr Versuche macht, höchste Kunstleistungen auf dem Instrumente
zu erstreben und auch sonst die G. nur noch in der einfachsten Weise gepflegt
wird und zwar vorzüglich in deren Urheimath: Spanien. TJm dazu befähigt
zu werden, genügt eine einfache Tabulatur der G., die man denn von dort her
auch in Massen beziehen kann, während solche in Deutschland seltener her-
gestellt werden. — Im Orient hat sich übrigens die G. in Anbetracht der
Saitenzahl ihres Bezuges, wie der Zahl ihrer Bunde, in umgekehrter Weise
ausgebildet, wie im Occident. In erster Art, weil bei der Fühnmg einer
Melodie, da der Morgenländer keine Harmonie in unserem Sinne kennt, die
einfache Vertretung der Klänge des Tonreichs ausreichend ist, und in zweiter,
weil innerhalb der Octave in allen " orientalischen Musikkreisen eine grössere
Tonzahl als bei uns in Gebrauch ist. Die heutige arabische Kunst besitzt der
Zahl nach die meisten G.-Arten. Diese theilt man dort in zwei Gattungen,
guitarrenartige Tonwerkzeuge mit Drahtsaiten und solche mit Darmsaiten. Er-
stere nennt man Tanburen (s. d.). Da diese Gattung somit einen besondern
Namen führt und die Benennung G. oder eine ähnliche daraus abgeleitete meist
nur für Griffbrettinstrumente mit Darmsaiten dort wie anderwärts in Gebrauch
ist, so dürfen hier die Arten der Tanburen, die in allen andern orientalischen
Musikkreisen Nachahmung fanden , ganz ausser Acht bleiben. Die G. im ara-
bischen Musikkreise hat fünf Saiten. — In Indien kennt man mehrere Arten
der Schikara (s. d.), von denen zu merken ist, dass sie einige Eigenheiten
der Vi na (s. d.), des Nationalton Werkzeugs, aufweisen, und deren eine, die
Schikära von Madras, bald als Eeiss-, bald als Streichinstrument Anwendung
findet. Alle Arten sind meist nur viersaitig. Die indischen, Sitar (s. d.) ge-
nannten Musikinstrumente dagegen haben sechs- und siebensaitige Bezüge aus
454 Guitarre d'amour.
Metallsaiten, gehöi'en also nach Obigem zur Gattung der Tanburen, und lassen
wir deshalb diese hier trotz der Benennung ausser Acht. — Die persische
Schtäre (s. d.) hat nur vier Saiten. In China kennt man in neuerer Zeit
drei 0-.- Arten: Pun-gum (s. d.), viersaitig; Gut-komm (s. d.), ebenfalls vier-
saitig; und Sam-juu (s. d.), nur dreisaitig. In .Japan kultivirt man zum
Spiel bei Tänzen vorzüglich eine zweisaitige Gr. , von der. ein gutes Bild , das
zugleich über die Nutzanwendung derselben belehrt, in The illustrated London
neion No. 1807 des Jahres 1874 pag. 349 gegeben ist, — Schliesslich seien
hier rioch kurz einige der Bestrebungen, die G. zu vervollkommnen, aufgezeichnet.
Thielemann, Instrumentbauer in Berlin, beschäftigte sich seit dem .T. 1806 mit
Vorliebe mit der Verbesserung der G. und hat die Frucht seiner Bestrebungen
in zwoi Abhandlungen niedergelegt. (Leipziger allgem. musikal. Ztg. 1818
S. 7.56 und 1820 S. 717.) Eine ebenfalls die Verbesserung der G. betre£Feude
Abhandlung befindet sich in derselben Zeitung vom J. 1813, in der der In-
strumentbauer Arzberger seine Erfahrungen mittheilt. Besonders um den
Damen, deren Lieblingsinstrnment die G. in den Zeiten ihrer Blüthe war, die
wunden Fingerspitzen beim Beissen der Saiten zu ersparen, erfand ein Deutscher
in London, dessen Namen nicht bekannt geblieben ist, eine Claviatur mit sechs
Tasten. Durch einen Mechanismus bewirkten diese, dass Tangenten aus dem
Körper der G. duixh ein länglich geformtes Schallloch die Saiten tönend er-
regten. Die Funktion des Greifens der Töne verblieb auch bei dieser G. der
linken Hand. Der Erfinder nannte dies Tonwerkzeug: Pianoforte- oder
Tastenguitarre. Der Hang, der G. eine möorlichst romantische Form zu
verleihen und derselben dabei zugleich die leichteste Behandlungsweise anzu-
weisen , führte einen Franzosen , dessen Namen gleichfalls nicht bekannt ge-
worden ist, dazu, der G. die Form einer Lyra zu verleihen, die mit Griffbrett
versehen war und ausserdem eine Tastatur, gleich der der eben erwähnten
Tastenguitarre, hatte. Dies Instrument, welches sich in den Jahren von 1820
bis 1830 einiger Verbreitung erfreute, nannte sein Erbauer Lyraguitarre.
Im J. 1823 erfand Job. Georg Staufer in Wien die sogenannte Guitarre
d'amour (s. d.). italienisch chitarra con arco und deutsch Bogen- auch
wohl Violoncellguitarre geheiesen, deren genauere Beschreibung in einem
besonderen Artikel gegeben ist. Hier sei nur bemerkt, dass die Erfindung
nicht eine G. bietet, sondern ein Streichinstrument. Ende der zwanziger und
anfangs der dreissiger Jahre dieses Jahrhunderts kam auch eine sogenannte
Guitarren- Harfe (s. d.) in Gebrauch, über die das Bekannte in dem be-
treffenden Artikel gegeben wird. Trotzdem nun in neuester Zeit die G. aus
Künstlerhänden fast sränzlich verschwunden ist und deshalb auch Verbesserungen
derselben fast gar nicht mehr versucht werden , so findet man doch noch hin
und wieder Fabrikate angepriesen, die eine Bereicherunsr derselben an Saiten
zeigen. So bietet die deutsche Musikerzeitung 1874 No. 12 S. 95 in der
Anzeige des Instrumentfabrikanten Georg Heideorger Terz-, Tenor- und
Bass- Guitarren eigener Construktion mit abzuschraubendem Halse und
Stahlspreizen an, die neun, zehn und dreizehn Saiten führen. Diese Bezug-
bereicherung, die eine Resonanzkastenveränderung etc. erfordert, ist nur eine
der Lauteneigenthümlichkeit entnommene Nachbildung und bietet der Kunst
selbst nichts neues Beachtenswerthes. C. Bill*^rt.
Ouitarre d'amour (französ.; Italien, chitarra con a/rco und deutsch Bogen-,
Liebes-, Violoncell- oder Knie-Guitarre) nannte man ein von Job.
Georg Staufer in "Wien im J. 1823 erfundenes Streichinstrument, das der
Guitarre nachgebildet war. Dies Instrument, von dem im ersten Bande der
musikalischen Zeitschrift »Caecilia« S. 168 eine bildliche Darstellung geboten
wird, war der Form nach ein Mittelding zwischen Guitarre und Cello. Von
der Guitarre hatte dasselbe einen Theil der Gestaltung des Resonanzkastens
und das mit Bunden versehene Griffbrett, vom Cello die den Streichinstru-
menten überhaupt eigenen Gestaltungen des Beaonanzbodens, des Saiteuhalters
Guitarrenaufsatz — Guitarren-Harfe. 455
und des Gri£fbretts, nämlich, dass alles dies gewölbt gebaut wurde, damit der
Bogen auch den einzelnen Saiten Töne zu entlocken vermochte. Als Beson-
deres hatte es vom Cello den Steg (s. d.), der dem des Violoncells ganz gleich
war, und die ähnlich den /"-Lö ehern (s. d.) angebrachten zwei Klangöffnungen
statt des einen sonst der Guitarre eigenen runden Schallloches. Diese Er-
findung lehrt wieder recht deutlich, wie lustrumentenbauer oft glauben, eine
neue Schöpfung zu bieten und nur eine Modification eines längst in die Rumpel-
kammer geworfenen Tonwerkzeugs vorführen, weil sie nicht Musikgeschichte
oder Kenntniss der Instrumente der A'^ergangenheit als Berufsnothwendigkeit
erachten. Wie viel Zeit und Mühe würden sich gerade die vorzüglichsten
der Instrumentbauer, die grübelnden, ersparen, wenn ihnen dies Wissen zu
eigen wäre. — Man kann die G. eigentlich nur als eineAbai't der alten Viola
bastarda (s. d.) betrachten. Der Bezug der G. bestand gleich dem der ge-
wöhnlichen Guitarre aus sechs Saiten, die auch gleich denselben in JE^, A, d, g,
h und e'^ gestimmt wurden. Vgl. Leipz. musikal. Zeitung vom J. 1828 S. 813.
Die G. machte in der ersten Zeit grosses Aufsehen und soll sich auch einiger
Verbreitung und Verbesserungen durch den Instrumentbauer Ertl in Wien er-
freut haben, worauf derselbe sogar ein k. k. Patent erhielt. Welcher Art diese
Verbesserungen jedoch waren, ist nicht weiter bekannt, weshalb sich vermuthen
läset, da er und der Erfinder der G. fast nur die einzigen Verfertiger solcher
Instrumente waren, dass dieselben mehr in kleinen Dingen, die gross bekannt
gemacht wurden, um die Aufmerksamkeit auf den Verbesserer zu lenken, be-
stunden. Auch ein Virtuose dieses Instruments ist zu verzeichnen, nämlich
der Musikdirektor Birnbach in Berlin, doch keine G.-Schule. Wiener Berichten
aus jener Zeit zufolge war der Klang der G. bezaubernd schön und einem
Blasinstrument ähnlich singend, in der Höhe dem Oboentone, tieferhin aber
dem Bassethorn ähnlich. Nebstdem gewährte es grosse Leichtigkeit in der
Ausführung schwieriger Passagen, ja selbst schnell nebeneinander folgender
Terzengänge, wie auch chromatischer Läufe, welche letztere freilich auf dem
mit Bunden versehenen Griffbrette mit eben der Leichtigkeit durch blosses
Auf- und Abgleiten der Finger hervorgebracht werden können, wiez. B. auf
dem Claviere auf ähnliche Weise die diatonische C-dttr-T ouleiter gestrichen wird.
Vorzüglich anmuthig, behauptete man, soll es sich unter Begleitung einer ge-
wöhnlichen Guitarre ausgenommen haben. In wie weit diese Berichte der
Wahrheit entsprochen haben oder blos durch Interesse geschaffene waren, lässt
sich heute nicht mehr entscheiden, da das Instrument kaum noch in Raritäten-
sammlungen sich vorfindet; gebaut wird es lange nicht mehr. Die Streich-
instrumente, jene Beherrscher unsei'er Musikwelt, die kleine harmonisch oft ge-
forderte Tonänderungen, ohne derselben zu gedenken, eintreten lassen, und das
Ohr unserer Musikliebhaber, das solche Veränderungen im Genüsse der Kunst,
wenn es angeht, beansprucht, kann mit einer Stereotypscala, wie sie die G.
nur zu bieten vermag, nicht mehr zufriedengestellt werden. C. B.
Guitarrenaufsatz, s. Capo tasto.
Guitarren-Harfe nannte man ein um 1828 von einem Deutschen, dessen
Name nicht bekannt geworden ist, erfundenes Reissinstrument, das in seiner
Behandlungsweise Aehnlichkeit mit der einer Guitarre hatte. Die G. kann als
eine mehrsaitige Guitarre betrachtet werden, welche jedoch aufrecht, wie die
Harfe gestellt wird. Die Saiten der G. werden einzig mit den Fingern der
rechten Hand tönend erregt und können mittelst eines kurzen GriffTsretts durch
die Finger der linken Hand verkürzt werden. Darin bestand wohl auch die
Hauptähnlichkeit mit einer Guitarre. Obgleich man damals fand, dass die G.
sich besonders zur Begleitung des Gesanges in einfachen Accorden eignete und
einen wunderbaren, ätherischen Klang habe, der mehr dem einer Aeolsharfe
als dem einer Guitai-re gliche, so war es dennoch der G. nicht möglich,
dauernder Anerkennung sich zu erfreuen, denn dieselbe, mehr eine Frucht des
kränklichen Zeitgeistes: neue Tonwerkzeuge erfinden zu wollen, sah wenig
456 Gukuk - Gumbert,
Lebenstage. Jetzt ist die Gr. längst verschwunden und nur sehr selten trifft
man eine oder die andere noch in Kunstkabinetten an. C. B.
Gnkuk, s. Cuculus.
Gnldor, Ignaz und Peter, zwei Brüder, die sich Compositionsruf er-
warben, und von denen der erstere 1757, der letztere 1761 zu B.aabburg bei
Steyerburg geboren ist. Messen, Offertorien, Vespern u. s. w. ihrer Compo-
sition standen gegen Ende des 18. Jahrhunderts in besonderer Achtung.
Guloiny, J. C, tüchtiger Violinvirtuose, geboren am 22. Juni 1821 zu
Pernau, machte zahlreiche, von Erfolg begleitete Kunstreisen, bis er 1853 die
feste Stellung als Concertmeister der fürstl. Kapelle zu Bückeburg annahm,
welche er noch gegenwärtig inne hat.
Gumbert, Ferdinand, einer der talentvollsten und beliebtesten Lieder-
compouisten der neuesten Zeit, geboren am 21. April 1818 zu Berlin, erhielt
bei schon früh sich documentirenden musikalischen Anlagen Unterricht auf der
Violine bei Nieber, später bei Ed. Ritz, einem Schüler Rode's. Seine schöne
Sopranstimme, verbunden mit der Sicherheit im Treffen der schwierigsten In-
tervalle, zog, als er gleichzeitig das Gymnasium zum grauen Kloster besuchte,
die Aufmerksamkeit des dortigen Gesanglelirers , Prof. Em. Fischer (s. d.),
auf sich, der ihn darauf hin auch in den Anfangsgründen des Generalbasses
unterrichtete. Da G., dem "Willen seiner Eltern gemäss, sich nicht professionell
der Musik widmen sollte, so trat er als Lehrling in die Buchhandlung von
Veit, setzte aber in den Mussestunden seine Studien in der Musiktheorie und
Composition bei Cläpius eifrig fort, brachte in einem Dilettanten-Orchesterverein
auch sein Violinspiel zu guter Geltung und sang sehr fleissig. Letztere Uebung
führte ihn 1839 der Bühne zu. Zuerst in Sondershausen für jugendliche
Liebhaber- und Naturburschen-Parthien engagirt, ging er 1840 nach Köln, wo
er bis 1842 als Baritonist mit sehr sympathischer Stimme ein ebenso geach-
tetes wie beliebtes Bühnenmitglied war. Auf Conradin Kreutzer's Rath ent-
sagte er dem Theater und widmete sich in seiner Vaterstadt ausschliesslich der
Composition und der Ertheilung von Gesangunterricht und zwar mit ausser-
ordentlichem Erfolge. Von 400 Liedern, die er bis 1874 veröffentlichte und
die sich auf 120 Hefte vertheilen , sind sehr viele nicht nur in Deutschland
überaus beliebt geworden , sondern auch , in die betreffenden Landessprachen
übersetzt, nach Frankreich, England, Schweden und Spanien gelangt. Sie
danken diese seltene Verbreitung ihrer anmuthigen, originellen, sehr sangbaren
und leicht fasslichen Melodik, der gegenüber das harmonische Element und
das, was die jetzige Zeit Vertiefung nennt, allerdings zurücktritt und nur neben-
sächlich erscheint, gemäss G.'s künstlerischem Grundsatze, dass ein gutes Lied
schön bleiben müsse, selbst wenn es der Begleitung ganz entbehre. Auch die
mit Unrecht vernachlässigte Gattung des Liederspiels brachte G. wieder zu
Ehren. Er schuf auf diesem Gebiete: »Die Kunst geliebt zv werden« (1848),
«Der kleine Ziegenhirt« (1854), »Bis der Rechte kommt« (1856) u. s. w., von
denen das erstere mit grossem Erfolge über fast alle deutschen Bühnen ging
und sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Ebenfalls mit Glück ver-
suchte sich G. als Liederdichter und als Uebersetzer französischer und spa-
nischer Romanzen der Frau Viardot- Garcia, der schwedischen Lieder .Jenny
Lind's, der polnischen Lieder von Chopin u. s. w.; ebenso hat er die Opern
»Das Glöckchen des Eremiten«, »Die Africanerin«, »Mignon«, »Der König hat's
gesagt« und fünf Offenbach'sche Operetten ins Deutsche übertragen. Der Musik
und speciell dem Gesänge und der Oper widmete er vortreffliche literarische
Abhandlungen, welche sich in der Berliner Musik/eitung »Echo« (bis 1860),
im »Theaterdiener« (1860 bis 1869) und in der »Gartenlaube« (1873) befinden.
Für die »Neue Berliner Musikzeitung« besorgt er seit 1861 die Opern-Bericht-
erstattung, und die einschlägigen Artikel dürfen den besten und sachkundigsten
beigezählt werden, welche gegenwärtig überhaupt erscheinen. Unter dem Titel
»Musik. Gelesenes und Gesammeltes« (Berlin, 1860) endlich veröffentlichte er
Gumpelzhaimer — Gang*!. 457
eine Reihe von Aussprüchen, Epigrammen und Gedichten über die Tonkunst.
— Vortheilhafte Anerbietungen zu Anstellungen, die ihm im Laufe der Zeit
oft winkten, hat G-. zurückgewiesen; er lebt in unabhängiger Stellung in Berlin,
das er überhaupt selten, nur auf kurze Zeit verlassen hat und ist als Mensch
durch sein liebenswürdiges, freimüthiges und geistvolles Wesen gleich sehr ge-
schätzt und geachtet, wie als Künstler.
Gumpelzhaimer, Adam, deutscher ComponiRt geistlicher und weltlicher
Lieder, geboren um 1560 zu Trostberg in Oberbaiern, erhielt seinen haupt-
sächlichsten Unterricht in der Musik durch den Pater Jodocus Enzmüller im
Kloster St. Ulrich in Augsburg. Im J. 1575 trat er als Musiker in die Dienste
des Herzogs von Würtemberg, übernahm aber 1581, nachdem er sich als frucht-
barer und gediegener Liedercomponist schon einen bedeutenden Namen er-
worben hatte, die Cantorstelle in Augsburg, die er bis zu seinem Tode, An-
fangs des 17. .Jahrhunderts, verwaltete. Seine geistlichen Lieder (meist mehr-
stimmig und bis zu acht Stimmen) stehen denen Lasso's, Hasslers' u. s. w. fast
ebenbürtig da; eine Menge Sammlungen derselben sind in Gerber's Tonkünstler-
Lexicon vom J. 1812 aufgeführt. Auserdem veröffentlichte er ein -nCompenämm
musieae latinum - germanicuma (Augsburg, 1595), welches nach Fetis, der das
Erscheinungsjahr früher setzt, zwölf Auflagen erlebte.
Oumpenhuber, der grösste deutsche Virtuose auf dem Pantalon nächst
Hebenstreit, geboren um 1730 im Bayrischen, war in der Zeit von 1755 bis
1758, wo er Russland wieder verliess, kaiserl. Kammermusiker in St. Petersburg.
Alle näheren Mittheilungen über ihn fehlen. Er hat zahlreiche Concerte, Ca-
pricen u. s. w. für sein Instrument componirt, von denen jedoch sehr wenig
im Druck erschienen ist.
Gnmprecht, Otto, geistvoller deutscher Musikschriftsteller, geboren 1823
zu Erfurt, machte rechtswissenechaftliche Studien zu Bre-slau, Halle und Berlin
und erwarb sich den Titel eines Dr. jur. Seit 1848 musikalischer Bericht-
erstatter der Nationalzeitung, geniesst er eines bedeutenden Rufes als Kritiker,
den er weniger durch tiefe und gründliche musikalische Fachkenntnisse, als
durch unvergleichliche stylistische Gewandtheit, geistreiche Ausschmückung und
grosse Belesenheit rechtfertigt. An selbständigen Schriften veröffentlichte er:
»Musikalische Charakterbilder. (Schubert. — Mendelssohn. — Weber. — Rossini.
— Auber. — Meyerbeer.)« (Leipzig, 1868) und die kritische Studie: »Richard
Wagner und sein Bübnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen"« (Leipzig, 1873).
OnndelweiD, Friedrich, tüchtiger deutscher Contrapunktist, war zu An-
fange des 17. Jahrhunderts Amtsschreiber zu Dambach in der Altmark. Bekannt
geblieben von seinen Arbeiten ist nur noch »Der Psalter mit newen Melodien
auff vier Stimmen, da der Discant die rechte Melodiam führt, in Oonfrajmncto
simplici gegeneinander vbersetzt« (Magdeburg. 1615), welches Werk deswegen
bemerkenswerth ist. weil bis dahin stets in Choralbüchern die Melodie fast
durchweg dem Tenore gegeben wurde. Vgl. Draudii Bibl. class. germ. f
Gung'l, Joseph, einer der beliebtesten Tanzcomponisten und Concert-
dirigenten der Gegenwart, geboren am 1. Decbr. 1810 zu Zsämbek in Ungarn,
war der Sohn eines Strumpfwirkers und zum Lehrer bestimmt, welchem Berufe
er nach bestandenem Gehülfenexamen auch drei Jahre lang oblag. Bereits Lehrer,
nahm er auch den ersten musiktheoretischen Unterricht beim Regens chori
Semann in Ofen. Als Hautboist trat G. in das 4. Artillerie-Regiment zu Graz,
wurde bald Kapellmeister und leitete als solcher acht Jahre lang das Musik-
corps dieses Regiments. Mit dem berühmt gewordenen »Ungarischen Marsch«
op. 1 begann er 1836 seine Compositionsthätigkeit und sah gleich seine ersten
Werke auf Concertreisen, die er mit seiner Kapelle nach München, Augsburg,
Nürnberg, Würzburg und Frankfurt a. M. unternahm, überaus glänzend auf-
genommen. Wahrhaft gefeiert wurde er als Componist und Dirigent in Berlin,
wo er 1843 eine Civilkapolle grihidpite und bis 1848 ununterbrochen Concerte
gab. Im Octbr. 1848 besuchte er mit seinem Orchester die Vereinigten Staaten
458 Guun — Gura.
von Nordamerika, von wo er erst im August 1849 wieder zurückkehrte und
alsbald zum königl. preu8.sischeu Musikdirektor ernannt wurde. Die nächsten
sechs Jahre wurde er für die Sommermonate unter glänzenden Bedingungen
für die Dii'ektion der Concerte in Pawlowsk bei St, Petersburg engagirt, wäh-
rend er im AVinter in gleicher Art iu Berlin, Moskau und Graz thätig war.
Von 1858 an war er Kapellmeister des 23. österreichischen Infanterie-Regiments,
bis er 1864 seinen Aufenthalt iu München nahm, von wo aus er häufige
Kunstreisen nach Berlin, Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam und der Schweiz
antrat. Von besonders glänzendem Erfolge begleitet war sein Auftreten in
London, im Herbst 1873. Bis zum Januar 1874 hat er 300 Tänze und
Märsche (sämmtlich bei Bote und Bock in Berlin erschienen) veröffentlicht,
die sich zum grossen Theil dui*ch gesangreiche, eigenartige Melodik, wie durch
prägnante Rhythmik vor den "Werken anderer Tanzcomponisten vortheilhaft
auszeichnen. — Seine Tochter, Virginia G., ist eine talentvolle, zu bedeu-
tenden Hoffnungen berechtigende Opernsängeriu. In München für die Bühne
gebildet, debütirte sie am dortigen Hoftheater 1871 mit grossem Beifall und
wurde engagirt. Ein Jahr später gehörte sie dem Stadttheater in Köln an,
gastirte im königl. Opernhause zu Berlin und ist seit 1873 grossherzogl. Opern-
sängerin in Schwerin. — Ein Neffe Jos. G.'s, Johann G., hat sich als Com-
ponist von Tänzen, Märschen und Potpourris gleichfalls einen Namen gemacht,
der jedoch nicht an denjenigen seines Oheims heranreicht. Geboren 1819 zu
Zsämbek in Ungarn, gab er ebenfalls seit 1843 beliebte Orchesterconcerte in
Berlin. Während der Sommersaisons von 1845 bis 1854 wirkte er in gleicher
Weise in St. Petersburg, wo er sehr schnell der Liebling des Publikums
wurde. Seit 1862 lebt er gänzlich zurückgezogen zu Fünfkirchen in Ungarn.
Gnun, John, vorzüglicher englischer Violoncellist und Tonsetzer, geboren
1755 zu Edinbiu-g, lebte als geachteter Musiklehrer zu London und seit 1795
wieder in Edinburg. Er veröffentlichte gediegene Werke, als: y>Äj'i of playing
the German Flute oii new principlesa (London. 1793): »School qf the German
Fhdea (ebendas., 1794); nThe theoty and practice qf ßnfjering the Violoncelloa
(ebendas., 1793); i^Select. Scotch airs for the German Flutea; endlich ein ge-
lehrtes Werk y>An historical inguity respecting the performance on the harp in
the highlands of Scotland etc.v. (Edinburg, 1807). Auch seine Violoncelloschule
enthält eine vortrefiftiche Abhandlung über den Ursprung dieses Instruments
und anderer Saiteninstrumente. — Seine Gattin, Anna G., geborene Young,
eine treffliche Pianistin und Ciavierlehrerin , veröffentlichte zur leichteren Er-
lernung der musikalisch - theoretischen Hauptregeln : v-An instruction to musiou
(2. Aufl., Edinburg, 1820).
■"' Gnntersberg, Heinrich Christian Karl, guter deutscher Orgelspieler,
geboren 1772 zu Rossla am Harz, war Organist zu Eisleben und veröffentlichte
ein »Praktisches Handbuch für Organisten, Cantoren u. s. w.« (Meissen,
1823-1827).
Gnntrum, Karl Friedrich, gediegener deutscher Tonkünstler und be-
sonders als Ciavierlehrer hochgeschätzt, geboren um 1810 zu Hamburg als
Sohn eines Schneidei*meisters, zählte zu den besten Musikschülern Clasing's.
Durch rastlosen Fleiss in seinem Berufe hatte er sich ein Vermögen erworben,
dessen Gennss ihm jedoch ein bösartiger Starrkrampf in den Händen ver-
bitterte. Er starb im J. 1867 zu Hamburg und hat sein Andenken dtirch
zahlreiche treffliche Schüler erhalten.
Gnori heisst eine der ältesten einfachen Raga's (s. d.) der Inder, die um
ein Sruti (s. d.) alterirte Töne hat. 0.
Gura ist der Name einer der alten einfachen Ragina's (s. d.) der Inder,
denen ein oder mehrere diatonische Klänge fehlen. 0.
Gnra, Eugen, einer der trefflichsten, intelligentesten deutschen Opern-
sänger der Gegenwart, geboren am 8. Novbr. 1842 zu Pressern bei Saaz in
Böhmen, war der Sohn eines Volksschullehrers, der ihn schon früh zu fleissiger
Guracho — Gusjari. 459
Musikübung anhielt. Da G. jedoch Mechaniker, Chemiker oder Baumeister
werden sollte, so musste er die Realschulen in Komotau und Rackowitz be-
suchen und bezog 1860 das polytechnische Institut in "Wien. In der Kaiser-
stadt erhielt sein empfängliches Gemüth die mächtigsten Eindrücke, die ihn
zunächst der Malerei in die Arme führten, welcher er denn auch nach Be-
seitigung der Schwierigkeiten, die ihm sein Vater in den Weg legte, auf der
Akademie zu Wien oblag. Ein Jahr später trat er in die Malschule des Prof.
Anschütz in München, wo er treffliche Fortschritte machte. Durch schmuck-
losen Vortrag einiger Lieder bei Gelegenheit eines Festes erregte er die Auf-
merksamkeit der Anwesenden, und man bestürmte ihn, seine schöne Bariton-
stimme nicht unaasgebildet zu lassen, ja Anschütz erwirkte ihm auf dem
Münchener Conservatorium einen Freiplatz, und der damalige Direktor des
Instituts, Franz Hauser, sowie der Gesanglehrer Jos. Herger leiteten mit über-
raschendem Erfolge seine neuen Studien, so dass er durch Vermittelung des
General -Musikdirektors Franz Lachner schon 1865 als Graf Liebenau in
Lortzing's »Waffenschmied« debütiren konnte, in Folge dessen er einen drei-
jährigen Engagementscontrakt für die Hofbühne in München erhielt. Wegen
zu geringer Beschäftigung vertauschte G. jedoch schon 1867 diese Bühne mit
dem Stadttbeater in Breslau, welchem letzteren er bis zum Ausbruche des
Krieges 1870 angehörte, der alle Contrakte löste. Bereits im Herbste des-
selben Jahres jedoch wurde er durch den Direktor Haase für das Stadttheater
in Leipzig gewonnen, welchem er. hochgeschätzt und allgemein beliebt, namentlich
in Rollen wie Teil, Templer, Nelusco, Graf Oberthal, Hoel. Wolfram, Hans
Sachs, Belisar u. s. w. noch jetzt angehört. Wie in der Oper, so gilt G.
auch als Oratorien- und Liedersänger für eine Zierde des gesammten Leipziger
Musiklebens.
Guracho, eine spanische Tanzmelodie, s. Guarache,
Gurckhaus, Karl, s. Kistner (Friedrich).
Gurs-elton bezeichnet in der Gesanglehre bald die Tongebung, welche man
häufiger Gaumenton nennt (s. Kehlton), bald aber auch die tiefsten Töne einer
jeden Stimme, welche mit übermässiger Kraftanstrengung, durch ein gewaltsames
Herunterpressen des ganzen Stiramcanals hervorgebracht werden. Dadurch wird
die Stimme rauh und verliert ihren Metallklang. Mau vermeidet diesen Fehler,
wenn man die tiefsten Töne minder stark ansetzt und durch äussere Betastung
des HalstheÜB unmittelbar unter dem sogenannten Adamsapfel das Herunter-
pressen des Kehlkopfes verhindert.
Gurlitt, Cornelius, begabter deutscher Componist von Gesang- und
Karamermusikwerken, geboren 1820 zu Altona, erhielt seine musikalische Aus-
bildung in Hamburg und trat schon früh mit stimmungs- und empfindungsvollen
ein- und mehrstimmigen Liedern, sodann aber auch mit Pianoforte- Trios und
Sonaten und anderen Stücken für Ciavier selbstschöpferisch hervor. Im J. 1857
erhielt er das Diplom eines graduirten Professors der Cäcilien - Akademie zu
Rom. G. lebt als Organist in seiner Geburtsstadt und ist auch als tüchtiger
Lehrer für Pianoforte und Orgel daselbst sehr geschätzt.
Güm ist nach der SänqUa Darpana (s. d.) in der indischen Musik der
Name für das Zeichen des Viertels des angenommenen rhythmischen Grund-
maasses; dasselbe entspricht also unserer Achtelnote. 0.
Gnghahs nannten die alten Perser bei einer Eintheiluug ihrer Tonarten in
drei Klassen die eine davon , welche 48 Arten hatte. Die anderen Klassen
hiessen Perdah's (s. d.) und Schobahs (s. d.). 0.
Gusjari heisst in der indischen Musiklehre die dritte nach der Raga
(s. d.) Megha (s. d.> gebildete unvollständige Ragina (b. d.), deren Grund-
töne durch folgende Noten angedeutet sind (die römische Zahl zeigt an , dass
dieser Klang in der G. von dem notirten um ein Sruti (s. d.) verschieden ist,
nämlich so viel höher);
460 Gusikow — Qussli.
i
-X— =-
^-
-s) —
ri, ga, ma, dha, ni, sa, ri.
Gusikow, Michael Joseph, eine der seltsamsten und oi-iginellten Vir-
tuosenerscheinungen der Neuzeit, war zu Sklow in Polen am 2. Septbr. 1806
von armen jüdischen Eltern geboren und sein früh hervortretendes musikalisches
Talent ein Erbtheil der Familie, die über hundert Jahre zurück lauter Musiker
unter ihren Gliedern zählte. Da eine schwach« Brust es ihm unmöglich
machte, das traditionelle Instrument, die Flöte, weiter zu behandeln, so warf
er sich, um den Erwerb seiner Familie nicht zu unterbrechen, seit 1831 mit
einem wahrhaft fieberhaften Eifer auf die unter dem Volke beliebte Strohficdel,
ein Holz-Stroh-Instrument aus abcrestimmten Fichtenholzstäben (s. Holzhar-
monika), das er verbesserte und im Tonumfange erweiterte. Bald brachte er
es so weit, dass er sich 1832 im italienischen Theater zu Odessa hören lassen
konnte, wo er ungeheuren Beifall fiind. Grleiche Auszeichnung wurde ihm in
Moskau zu Theil. In Kiew hörte ihn Lipinski, der ihn bewunderte und auf-
munterte. Dies trieb ihn mit Aufopferung seiner G-esundheit zu noch fleissi-
gerer. bei Tage und Nacht fortgesetzter TTebung. Er trat nunmehr eine Kunst-
reise durch das übrige Europa an, und überall, besonders in Wien, Deutsch-
land und Frankreich erregte er in seiner polnisch -jüdischen Tracht, mit dem
langen Barte und den bleichen, wehmüthigen, aber geistreichen Zügen, sowie
durch die enorme Fertigkeit, mit welcher er sein fremdartig klingendes In-
strument behandelte, Interesse, Staunen und Bewunderung. Aber die An-
strengung war zu gross für seine schwachen Nerven. Gänzlich entkräftet,
suchte er vergebens in den Bädern von Spaa sich wieder zu stärken und
starb endlich, auf der Rückreise zu den Seinigen begriffen, am 21. Octbr.
1837 zu Aachen.
Onssa^ro, Cesare, auch Gussaco geschrieben, geboren 1530 zu Brescia
und daselbst als General des Hieronymitenordens gestorben, pflegte in jüngeren
Jahren besonders die Musik und that sich sowohl als Sänger, wie als Componist
rühmend hervor. Von seiner Tüchtigkeit in letzterer Beziehung zeugt noch eines
seiner Werke: r>Motetti o 2, 3 e 4 voci« (Venedig, 1560). Vgl. Crozzando, Lihrar.
Brescian. p. IH. f
Oussli, oder Gusse! . ist der Name eines älteren slavischen Musikinstru-
ments, dessen Beschaffenheit erst in neuerer Zeit Gegenstand der Aufmerk-
samkeit von Fachleuten geworden ist. G. Anton in seinem Werke »Versuch
über den Ursprung der Slaven« etc. berichtet S. 145: »G. nennen die Tartaren
ein Instrument in Gestalt eines Halbmonds mit achtzehn Saiten. Dasselbe
Instrument soll bei den Tschuwaschen »Güsslae«, bei den Tscheremisen »Küslae«,
bei den Polen »Gensla«, bei den Böhmen »Hänsle«, bei den Serben »Husslje«
und bei den Bussen »Hussli« genannt werden, welcher Name von »Huss«, die
Gans, abzuleiten. Die jetzt allgemeinere Form der G. ist die einer ziemlich
hochgewölbten rohen Violine mit drei oder mehreren Saiten, deren Wirbel
unterhalb befindlich sind.« In fast allen anderen musikalischen Werken hin-
gegen findet man bisher aufgezeichnet; dass ein besonders in Bussland ge-
bräuchliches Tonwerkzeug, das einer liegenden Harfe ähnlich aussehen soll, G.
genannt werde. Dies Instrument soll in seiner Form deni Olaviere oder Hacke-
brett gleichen, einen Bezug von Metallsaiten führen und mittelst Reissen mit
den Fingern zum Tönen gebracht werden. Dasselbe soll die diatonischen
Klänge zweier Octaven bieten, und Halbtöne, falls solche einmal gefordert wer-
den, durch Niederdrücken der Saiten dicht beim Stege mit den Fingern der
linken Hand oder durch einen Hakenmechanismus, ähnlich dem bei der ge-
wöhnlichen Harfe, auf demselben hervorgebracht wei-den. Die Dämpfung der
Saiten geschieht mit dem untern Daumentheil, der sogenannten Maus. Dies
Gusto — üut-komm. 461
Instrument, berichtet man, wird vorzüglich zur Begleitung des Gesanges bei
den Russen in Gebrauch gefunden, wozu es sich auch mehr eignen muss, als
zur Darstellung melodisch-harmonischer Kunstschöpfungen. — Welche von den
beiden Beschreibungen die richtige ist, lässt sich schwer feststellen. Wahr-
scheinlich ist, dass G, Anton vom G. anfangs die richtige Beschreibung giebt,
jedoch, indem er vielleicht dem Hörensagen folgte und nicht eigene Anschau-
ungen niederschrieb, mit der Schlussbeschreibung ein ganz anderes Tonwerk-
zeug, Guddok (s. d.) oder Gudok benannt, trifft, das, als Streichinstrument,
durchaus von jenem verschieden ist. Beide Tonwerkzeuge haben aber jeden-
falls das gemein, dass sie Naturtunwerkzeuge sind, die, falls sie in der neueren
Musik als besondere sich bemerkbar machen sollten, noch auf ihre Ausbildung
harren. 2.
Gusto (ital.) , der Geschmack; davon das Adjectivum gustoso, welches als
Vortragsbezeichnung in der Bedeutung »geschmackvoll« vorkommt. Häufiger
findet man in derselben Bedeutung con gusto (s. con).
G-ut oder Gamma-ut ist in der Guidonischen Solmisation der Silben-
name des grossen G, als Grundton des I. Hexachordes (zugleich auch des
ganzen damaligen Tonsystems). Weil dieser Ton G in keinem anderen Hexa-
chorde vorkam, wurde seine Silbe auch nicht mutirt, sondern in den Singe-
übungen ohne Text (beim Solmisiren und Solfeggiren) stets ut darauf gesungen.
Näheres s. Gamma und Solmisation.
Guter Takttheil, s. Accent, Niederschlag, Q^'akt und Takttheil.
Guth, Johann, oder Gut he, fürstl. hessen - rheinfeldischer Instrumental-
musiker, der 1675 39 Kanons und Fugen für 2, 3 und 4 Instrumente mit
Generalbass zu Frankfurt a. M, drucken Hess. Mehr über ihn enthält Walther's
Lexikon. t
Gnthmann, Friedrich, Schulrector in Schandau, hat sich Anfangs des
19. Jahrhunderts durch verschiedene musik - schriftstellerische Arbeiten, beson-
ders im 6. Jahrg. der Leipz. Allg. musikal. Ztg. bekannt gemacht. Ausserdem
veröffentlichte er eine »Anweisung, die Guitarre in kurzer Zeit spielen zu
lernen« etc. (Leipzig bei Kühnel) und »Passagen -Sammlung für Pianoforte-
spieler, aus den Werken der besten Meister etc., Heft 1« (ebendas.). — Ein
anderer G. , dessen Vorname unbekannt, war um 1786 zweiter Violinist im
Orchester des italienischen Theaters zu Paris. Derselbe gab daselbst sechs
Violinduos seiner Gomposition heraus. t
Gnthria, Matthias, englischer Schriftsteller, 1807 in St. Petersburg als
kaiserl. ßath gestorben, gab in einer Dissertation »üeber die Alterthümer
Husslands« (St. Petersburg, 1795) interessante Bemerkungen über die Musik
und Instrumente russischer Landleute.
Gut-komm ist der Name eines in China jetzt weit verbreiteten Griffbrett-
instruments. Diese Instrumentgattung, welche daselbst in drei Arten: dem G.,
dem Pungum (s. d.) und dem Sam-jin (s. d.j vertreten, ist wahrscheinlich
von oder über Assyrien (s. Assyrische Musik) eingeführt, da im alten
China kein derartiges Tonwerkzeug bekannt war. Das G. ist in seiner Ge-
stalt einer Mandoline nicht unähnlich. Der untere Theil des Schallkastens
desselben ist aus einem rundgebogenen Holzstücke gefertigt, auf dem die sehr
dünne Resonanzplatte, meist ohne Schallloch, befestigt ist. Der Bezug (s. d.)
besteht aus vier Darmsaiten, die mittelst Wirbel gestimmt werden. Am oberen
Halsende hat die G. fünf halbrund aus Elfenbein geformte Wulste als Bunde,
und von dort bis zur Mitte des Schallkastens hin zehn unseren Guitarrbunden
fast gleiche aus Holz gefertigte Erhöhungen zur Erzeugung der verschiedenen
Klänge der chinesischen Tonleiter; die Halbtöne werden den Ansprüchen des
Spielers entsprechend ohne Bünde erzeugt. Unterhalb jedes Bundes ist der
zu erzeugende Ton bei jeder Saite durch das Notationszeichen angegeben.
Die Saiten des G. werden durch Reissen mit den Jb'ingerspitzen tönend erregt.
462 öutmann — GjTowetz.
Ueber das Alter oder das erste Auftreten des Gr. in China ist bisher nichts
bekannt geworden. 2.
Gutmann, Adolph, vortrefflicher Pianist, 1818 zu Paris geboren und auf
dem dortigen Conservatorium musikalisch gebildet, Hess sich auch in Deutsch-
land mit grossem Beifalle hören. Bekannter noch hat er sich durch einige
seiner Claviercompositionen im Salonstyle gemacht, die zwar keinen tieferen
Ghehalt haben, aber eine nicht gewöhnliche, correkte und saubere b'actur
aufweisen.
Gutnmuu, Aegidius, ein Rosenkreuzer aus dem 16. Jahrhundert, oder,
wie Jöcher behauptet, Stifter dieses Ordens, schi-ieb ein Werk y^Oyclopaedia
Paracelsica christianaa, das Samuel Siderocrates Brettanus, ein speyer'scher
Arzt, deutsch (Brüssel, 1585) herausgab, und in dessen zweitem Buche Meh-
reres von der (resangskunst und dem damaligen Standpunkt derselben zu finden
ist. Vgl. Walther's Lexikon. f
Gattnralton, s. Kehl ton.
Guy, mit dem Beinamen Maitre, ein berühmter niederländischer Orgel-
hauer zu Antwerpen, dessen Wirksamkeit noch in die erste Hälfte des 15.
Jahrhunderts fällt.
Guyou, Jean, französischer Kirchencomponist, war in der ersten Hälfte
des 16. .Jahrhunderts Oanonicus an der Kathedralkirche zu Chartres und ver-
öffentlichte Psalme, Hymnen u. s. w. Rine Messe von ihm befindet sich in der
Sammlung von 12 vierstimmigen Messen (Paris, 1554).
tJnyot, Jean, auch 0-uyoz geschrieben und Castileti, nach seinem Oe-
burtsorte le Chätelet (latein. Castüetum) bei Charleroi, zubenannt, war ein
ausgezeichneter niederländischer Tonsetzer der ersten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts. Um 15U5 Sänger an der Notredame- Kirche zu Antwerpen, erwai'b er
sich 1516 ein Beneficium an der Katharinenkirche, trat 1521 in die Dienste
des Kaisers Ferdinand I. und erhielt 1536 wieder eine Präbende au der Notre-
dame-Kirche zu Antwerpen. In dieser Stadt starb er auch im J. 1551. In
verschiedenen Sammelwerken des 16. Jahrhunderts finden sicli geistliche und
weltliche Gesänge von O.
Guys, Pierre August, rausikkuudiger französischer Kaufmann, geboren
1721 zu Marseille, gestorben 1799 zu Zante, gab in einem grösseren Reise-
werke, betitelt: -oVoyage litter aire de la Grece etc.». (Paris, 1776), Notizen über
den Stand der damaligen griechischen Musik, denen auch neugriechische und
türkische Melodien beigefügt sind.
Guzinger, Johann Peter, um 1740 Kammermusiker des Bischofs vol
Eichstädt, war ein bedeutender Virtuose auf der grand Viole d'amour und eben-
falls Componist für dieses Instrument. f
Gymnopädie (griech. yv^aonaidia) hiesa ein Fechter- oder gymnastischer
Tanz der alten Lacedämonier, welcher zu einem Freudenfeste gehörte, das man
zur Erinnerung an einen Sieg über die Argiver alljährlich feierte. Derselbe
wurde von zweien Chören nur mit einem Unterkleide leicht bekleideter (nicht
nackter) Tänzer, der erste aus Knaben, der zweite aus Männern bestehend,
ausgeführt. Man sang dazu die vorgeschriebenen Hymnen, und die Chorführer
trugen Palmenkränze auf dem Haupte. Die Hymnen, welche man ausführte,
waren dem Apollon, der Tanz selbst dem Bacchos gewidmet.
Gyrowetz, Adalbert, begabter und fleissiger deutscher Componist, treff-
licher Violin- und Pianofortespieler, wurde am 19. Febr. 1763 zu Budweis in
Böhmen geboren. Er entwickelte sehr früh grosse Anlagen für die Musik,
welche sein Vater, der Chordirektor an der Domkirche zu Budweis war, aus-
bildete, und fing schon als Schüler des dortigen Piaristencollegiums an zu com-
poniren. Dabei war er so ausserordentlich fleissig. dass er in jedem der sechs
Jahre, die er auf jenem Gymnasium zubrachte, die erste Prämie erhielt. Um
sich dem Studium der Rechte zu widmen, bezog er die Universität zu Prag,
die er jedoch nach zwei Jahren, von Krankheit und Armuth gedrückt, wieder
H. 463
verliess, um sich ganz der Musik zuzuwenden. Zunächst nahm sich seiner der
Graf Franz von und zu Fünfkirchen an, der ihn als seinen Secretair anstellte,
und durch Mozart wurde er bald darauf dem Wiener Publicum vorgestellt,
welches seine ersten Sinfonien mit rauschendem Beifall aufnahm. Nachdem er
sodann Gelegenheit gefunden hatte, Italien zu besuchen, studirte er zwei Jahre
lang beim Kapellmeister Sala in Neapel Contrapunkt und Fugensatz und schrieli
für den König mehrere concertirende Serenaden. Von Neapel ging er, da sich
inzwischen seine Verhältnisse gebessert hatten, über Mailand nach Paris, wo
er mit vielem Enthusiasmus aufgenommen wurde, an Imbault einen splendiden
Musikverleger fand, wegen der Revolution aber nur kurze Zeit verweilte, und
hierauf nach London, wo er die besondere Auszeichnung des Prinzen von
Wales genoss. Kränklichkeit, durch klimatische Einflüsse hervorgerufen, nöthigte
ihn jedoch, nach drei Jahren nach Deutschland zurückzukehren. In Brüssel
durch die Franzosen aufgehalten, ging er wieder nach Paris und von da später
über Berlin nach Wien, wo er 1804 als Kapellmeister am kaiserl. Hoftheater
angestellt wurde. Bei der Verpachtung dieses Theaters im J. 1827 wul-de
auch G. pensionirt und lebte seitdem, selbst zwar noch immerwährend compo-
nirend, aber dem Musiktreiben der Gegenwart sich mehr und mehr entfrem-
dend, bis zu seinem Tode, der am 19. März 1850 zu Wien erfolgte. — G.
war einer der fruchtbarsten Componisten, welche die Musikgeschichte kennt;
dennoch weiss bereits unsere Gegenwart von ihm kaum mehr, als dass er eine
einst allbeliebte Oper »Der Augenarzt« geschrieben habe. Alle seine Werke
tragen den Stempel jener Zeit, die ein überragenderes Genie, Jos. Haydn, be-
herrschte; leicht, gefällig, gewandt und eingänglich geschrieben, fanden sie die
unbedingte Anerkennung seiner Zeitgenossen, bis eine neue Epoche der Ton-
kunst unter Beethoven, C. M. v. Weber und Fr. Schubert heraubrach, deren
Schöpfungen G., indem er sich jedoch bescheiden zurückzog, ganz übereinstim-
mend mit seinem Freunde Jos. Weigl für »zerrissen, verworren und chaotisch«
erklärte. Er selbst schuf in seiner Art weiter und weiter, aber die heraufgezogene
neue Zeit bereits fand seine Arbeiten schablonenhaft und handwerksmässig
trocken, wandte sich von denselben ab und überlieferte sie der Verschollenheit.
Auf fast allen Gebieten der Tonkunst ist G. schöpferisch thätig gewesen; das
vierzehn Jahre vor seinem Tode erschienene , noch nicht einmal vollständige
Verzeichniss seiner Werke zählt auf: einige 30 Sinfonien, über 70 Streich-
quartette und Quintette, 18 Trios und Duette, gegen 60 Ciavierwerke mit
Begleitung, Concerte, Sonaten u. s. w., 6 Serenaden für Harmoniemusik, eine
Unmasse von Tänzen, Märschen, deutsche und italienische Lieder und Gesänge,
Cantaten, 9 Messen und zahlreiche andere Kirchenstücke, Ouvertüren, Entr'acts,
gegen 20 grosse und 25 kleinere Ballets und Pantomimen und 24 Opern und
Singspiele, darunter als die beliebtesten und am häufigsten gegebenen: »Selico
und Berissa«, >'Helene«, nll finto Stanislaoa^ -»Federica ed Adolfo<i, «der Sammt-
rock«, »das Gespenst«, »die Prüfung«, »das zugemauerte Fenster«, »die Jung-
gesellen-Wirthschaft«, »Ida«, »der blinde Harfner«, »Aladin« und besonders
»Agnes Sorel« und »der Augenarzt«. Seine letzte, für das Josephstädter Theater
in Wien geschriebene Oper, »Hans Sachs«, ist nicht zur Aufführung gelangt.
H.
H (ital, und franz.: si) ist die jetzige Benennung des siebenten Tones in
der modernen abendländischen K^angfolge von G-dur (s. d.), d. h. in dem Klange,
der zum tiefer liegenden c im Vtrhältniss von 15:8 steht. Zur Zeit, wie aus
dem Artikel Alphabet (s. d.) erhellt, als die erste Benennung der Töne,
464 H.
welche in der Kunst Verwendung fanden, die Töne der Männerstimme, mit
Buchstaben Eingang fand, in der Epoclie des Boethius, 470 bis 524 n. Chr.,
nannte man den tieferen jetzt h geheissenen Klang b und dessen Octave h.
Die Alten hatten aus der griechischen Klanglehre es zu übernehmen für gut
befunden, den tiefsten in der Kunst anzuwendenden Klang A zu nennen, der
wahrscheinlich in Tonhöhe dem heutigen F entsprach, und betrachteten den-
selben als den ersten Klang des Tousystems überhaupt. Natürlich benannten
sie die zweite Stufe ihres Tonreiches mit dem zweiten Buchstabennamen ihres
Alphabets, mit B, welcher Klang jedoch unserem heute h genannten Klange
durchaus entspracli. Diese Benennung des von uns h genannten Klanges durch
b, welche Benennung durchgängig noch heute Holländer und Engländer pflegen,
blieb auch noch, trotzdem man die Octave als Grenze des Tonreichs annahm,
und erhielt sich, als selbst c, wie man annimmt, dui'ch Guiseppo Lazarino im
Anfange des 16. Jahrhunderts, als tiefster Klang im Tonreich angesehen wurde.
Man bezeichnete den einzigen in Gebrauch befindlichen chromatischen Klang,
den der Paramese (s, d.) der Griechen entsprechenden, durch b molUs oder
weiches b, im Gegensatze zu dem h durus oder dem harten b, dem jetzigen h.
Bei der steigenden Chromatik glaubte man jedoch diese Unterschiede der b
genannten Klänge durch gesonderte Benennungen kennzeichnen zu müssen und
fand es angemessen, den bisher b durus oder blos b genannten Ton h zu heissen
und dem b mollis genannten die einfache Benennung b zukommen zu lassen.
S. den Artikel B. Ferner sei noch zu lesen empfohlen: in Gottfr. Weber's
Theorie der Tonsetzkunst vom J. 183U bis 1832 Thl. I. S. 38-41 oder in
dessen allgemeiner Musiklehre vom J. 1831 S. XXXVIII bis XLI.
Dass der Gebrauch des Namens b statt h sehr die alphabetische Tou-
benennung vereinfachen würde, wird Jedem einleuchten, der die Praxis der
Holländer und Engländer in dieser Beziehung kennt. Ob aber für Deutsch-
land, wo, wie Fr. Schwanenberg's »Gründliche Abhandlung über die llnnütz-
oder Unschicklichkeit des H im musikalischen Alphabet« (Wien und Leipzig,
1797) und J. J. Klein's Abhandlung über dasselbe Thema im ersten Jahr-
gange, 1798, der Leipz. musikal. Zeitschr. S. 641 u. w. zeigen, auch in diesem
Geiste schon mehrfach Anstrengungen gemacht worden sind, jemals die einmal
eingewurzelte Gewohnheit dem Rationelleren Platz machen wird, ist eine Frage
der Zeit. Wenn es in frühester christlicher Zeit auf h keine Octavfolge gab,
so hatte dies seinen Grund darin, dass in der diatonischen Folge diesem Klange
keine reine Quinte gegeben werden konnte, was auch möglicherweise mit zur
Ueberweisung des Namens b als einzige Benennung für den sonst b mollis oder
B-fa geheissenen Klang beitrug, indem die Octavfolge auf dem b (b mollis)
genannten Ton dann möglich war, die sich als eine Transposition der Octav-
folge von _F ergab. In modernster Zeit, wo alle chromatischen Töne der Octave
in Kunstgebrauch gekommen sind, hat man auch die moderneu Klanggattungen
auf h in Gebrauch genommen, wie die Artikel M-dur (s. d.) und H-moll (s. d.)
beweisen. Die Erweiterung des Tonreichs bis an seine äussersten Grenzen
führte ferner zur Unterscheidung aller h zu nennenden Klänge des Tonreichs
in der Weise, wie dies bei allen anderen Tönen in Gebrauch ist, deren wirk-
liche Tonhöhe man aber auch durch die Angabe der Schwingungen, welche
diese Töne erzeugen, angeben könnte, wie folgende Aufstellung beweist:
das viergestrichene h* wird durch 3937,44 Schwingungen in der Secunde erzeugt.
„ drei
))
¥
»
1968,72
)f
11
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„ zwei
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Ti^
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123,045
»
11
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Bi
ri
11
61,5225
11
11
1
•
11
Wie dieser
Klang
1 je
nachdem
er Leitton
in C-dur
oder
diatonischer
Klang
Haack — Haas. 465
einer anderen Tonfolge ist, kleinere Yerrückuugen ei'duldet, die dem Ohre
zwar wenig aber doch immerhin kenntlich sind, arithmetisch dargestellt jedoch
nach ihrer Reinheit, die leider in der Praxis gewöhnlich nur annähernd ge-
geben wird, viel mehr uns kenntlich ist, wird Jeder zugeben müssen, wenn er
ähnliche Rechnungen, wie sie in den Artikeln Ais (s. d.) und As (s. d.) an-
gestellt sind, ausführt und als zu Recht anerkennt. C, B.
Haack, Karl, deutscher Violinvirtuose und lustrumentalcomponist, geboren
am 18. Febr. 1757 zu Potsdam, genoss den Unterricht Franz Benda's in
Berlin und kam als Violinist in die Kapelle des Prinzen von Preussen, in der
er schon vor 1782 zum Ooncertmeister aufrückte. Mit dem Regierungsantritte
Friedrich Wilhelms II. wurde er königl. Kammermusiker und 1796 königl.
Ooncertmeister. Um 1811 pensionirt, starb er am 28. Septbr. 1819 zu Potsdam.
Bis 1810 hat er sich mit Beifall häufig öffentlich in Berlin hören lassen; auch
als Pianist leistete er Bedeutendes. Von seinen Oompositionen erschienen:
Violinconcerte op. 1 bis 6 (Berlin, 1790, 1791 und 1797) und drei Olavier-
souaten (Berlin, 1793). — Sein Bruder, Friedrich H., geb. 1760 zu Potsdam,
trat als Violinist schon sehr früh in dieselbe Kapelle, studirte aber mit Vorliebe
Olavier- und Orgelspiel, sowie bei Fasch Composition und erhielt in Folge
dessen 1779 die Stelle eines Organisten zu Stargard in Pommern, später die
eines Musikdirektors und Organisten an der Schlosskirche zu Stettin. Im
letzteren Amte fand er, besonders seit 1793, wo er die Direktion des Stettiner
Liebhaberconcerts übernahm und kunsteifrig weiter führte, einen ihm sehr zu-
sagenden "Wirkungskreis und componirte an grösseren Werken mehrere Sin-
fonien, ein Oratorium und die von Grotter gedichtete Oper »Die Geisterinsel«
(1798). Ausserdem erschienen von ihm im Drucke: ein Clavierconcert op. 1
(Berlin, 1793), sechs Ciaviertrios und ein Violincoucert mit Orchester op. 6
(Berlin, 1801).
Haas, Ignaz, berühmter Orgelspieler und Contrapunktist um die Wende
des 18. und 19. Jahrhunderts, von dem man nur weiss, dass er in seiner
Vaterstadt Königgrätz Musikdirektor war. Die von ihm noch vorhandenen
Ciavierwerke entsprechen keineswegs dem grossen Rufe, den er in seinem
Lande bei Lebzeiten genoss.
Haas, Pater Ildephons, gediegener deutscher Musiktheoretiker und Com-
ponist, sowie treflSicher Sänger und Violinspieler, geboren am 23. April 1735
zu Offenburg, erhielt seinen ersten Musikunterricht vom badischen Hofmusiker
und Violinisten Wolbrecht. Im J. 1751 trat er in das Benedictinerkloster
Ettenheimmünster, wo er sich nach vollendeten theologischen Studien und er-
haltener Priesterweihe (1759) besonders mit Compositions- und Violinstudien
befasste, welche letzteren Wenzel Stamitz, der 1755 in diesem Kloster ver-
weilte, bereits sehr gefördert hatte. Biüeflicher Verkehr mit Pater Kaiser, Abt
Vogler und Portmann machte ihn takt- und satzfest, nicht minder die eifrige
Beschäftigung mit den Werken von 'Mattheson und Marpurg, besonders aber
mit Fux' y>Gradus ad Parnassum«, von dem er behauptete, dass jeder Tonsetzer
wenigstens drei Jahre lang »diese strenge Compositionsfolter« aushalten sollte.
Er veröffentlichte von 1764 an Vesperhymnen, Offertorien, Messen, Äntiphonae
Marianae, Kirchenlieder für Landchöre u. dgl. in grosser Menge. Seit 1759
hatte er auch mehrere Schauspiele für Offenburg geschrieben. Zuletzt war
er Bibliothekar in seinem Kloster. Die fortwährenden Anstrengungen in
seinen Studien, zu denen er zuletzt noch die Mathematik gesellte, und die
verschiedenen klösterlichen Aemter, denen er zeitweise vorstand, schwächten
nur zu bald seine Gesundheit, und er starb schon am 30. Mai 1791.
Haas, Johann Martin, deutscher Tonsetzer und Dichter, geboren am
25. Januar 1696 zu Engelthal, trieb als Gymnasiast zu Regensburg und 1714
bis 1718 als Student der Theologie in Altdorf mit Vorliebe Musik, so dass
er 1721 in letzterer Stadt als Cantor und Musikdirektor angestellt wurde und
dieses Amt sehr ehrenvoll bis zu seinem Tode, am 5. Juli 1750, führte. Dis-
Miisikal. Convers.-J-exiUoii. IV. 30
466 llaase — Habeneck.
putationen und Gedichte, die er 1737 der Universität Göttingen zu deren Ein-
weihung gewidmet hatte, verschafften ihm den Titel eines kaiserl, gekrönten
Poeten. Von seinen Werken kennt man: »Des Altdorfiscben Zion harmonische
Freude im Singen und Spielen« (Altdorf, 1722); »Chor -Arien für die Siuge-
schüler« und Texte zu Kirchenmusiken, die er auch meist selbst in Musik
gesetzt hat.
Haase, Ludwig, deutscher Virtuose auf Violine und Waldhorn, geboren
am 25. Decbr. 1799 zu Dessau, war der Sohn und Schüler eines dortigen
Kammermusikers. Neben dem Hörne übte er fleissig die Violine beim Kammer-
musiker Dittmar und setzte diese Uebungen seit 1814 bei den Concertmeistern
Morgenroth und Polledro in Dresden eifrig fort. Als Hornist trat er 1817
in die königl. sächsische Hofkapelle und erregte 1823 auf einer grossen Kunst-
reise durch Deutschland, die er mit seinem Bruder August (s. weiter unten)
unternahm, als Violin- und Hornvirtuose Aufsehen. Nach einem Concerte
1831 in Dessau erhielt er den Titel eines herzogl. Hof-Concertmeisters. Auch
fernerhin trug ihm sein öffentliches Auftreten stets reichen Beifall ein. — Sein
älterer Bruder, August H., geboren am 2. März 1792 zu Koswig, war eben-
falls vom Vater unterrichtet. Seit 1811 als erster Hornist der königl. Hof-
kapelle in Di-esden angestellt, hat er im Dienste und in Concerten sich einen
ausgebreiteten Virtuosenruf auf diesem Instrumente erworben.
Habeueck, eine Musikerfamilie deutschen Ursprungs, deren Name durch
den weiter unten aufgeführten Fran^ois Antoine H. zu unvergänglichem
Ruhme gelangt ist. Das älteste Glied dieser Familie, Adam H., geboren 1756
in der Pfalz, lernte in Mannheim fast alle Instrumente, besonders Fagott und
Violine spielen, und wandte sich, unternehmungslustig wie er war, nach Frank-
reich, um dort in ein Militär - Musikcorps zu treten. In Paris aufgehalten,
nahmen sich seiner die Landsleute Stamitz und Franzi an, die ihn im Violin-
spiel ziemlich weit brachten. Endlich fand er die gewünschte Stelle als Fa-
gottist bei einem Pegimente in Mezieres, das später in Quimpercorentin garni-
sonirte. Er scheint zu Brest bald nach 1800 gestorben zu sein. Als erster
Lehrer seiner talentvollen Söhne hat er sich einen Platz in der Musikgeschichte
erworben. — Der älteste derselben, FrauQois Antoine H. , geboren am
1. Juni 1781 zu Mezieres, machte im Violinspiel so bedeutende Fortschritte,
dass er schon in seinem zehnten Jahre in öffentlichen Concerten auftrat. Zu
Brest, wohin das Regiment seines Vaters in Garnison kam, blieb er mehrere
Jahre, ohne auf einen andern Unterricht als den seiuigen angewiesen zu sein.
Er componirte dort 1798 und 1799 Concerte für Violine und drei Opern,
ohne irgend eine Kenntniss vom Compositionssatz zu besitzen. In seinem
zwanzigsten Jahre kam er endlich auf das Andringen von Musikkennern hin
nach Paris und trat hier als Schüler des Conservatoriuras in Baillot's Klasse.
Im J. 1804 errang er den ersten Violinpreis und wurde Repetitor seiner Klasse.
Die Kaiserin Josephine war, nachdem sie ihn in einem Concerte ein Solo
spielen gehört hatte, so begeistert von seiner Leistung, dass sie ihm eine
Pension von 1200 Frcs. zukommen Hess. Von dem Orchester der komischen
Oper, in das er nach vollendeten Studien eingetreten, gelangte er bald in das
der Grossen Oper als erster Violinist, 1818, nach Kreutzer's Aufrücken in die
Dirigentenstelle, als Solospieler. Ein ungewöhnliches Talent zu dirigiren
aber entfaltete H. schon, als bei dem Conservatorium 1806 der Brauch ein-
geführt wurde, dass die mit einem Preise gekrönten Violinisten abwechselnd
in einem Jahre die Concerte der Schule dirigirten. Hier bewiess er die ent-
schiedenste Superiorität über seine Collegen. In diesen Stellungen wirkte H.
bis zur Schliessung des Conservatoriums 1815, worauf er einige Zeit fast brach
lag. Von 1821 bis 1824 dagegen war er sogar Direktor der Grossen Oper.
Bald darauf wurde er auch zum General -Inspektor des Conservatoriums er-
nannt, in welcher Stellung er neben der Violinklasse Baillot's und Kreutzer's
eine dritte crründete. Im .1. 182G rief man im Conservatorium eine neue
Habengton — Haberbier. 467
Concertgesellscliaft iu's Leben und stellte H; als Direktor derselben an. Damit
beginnt die ruhmvollste Epoche seines Lebens. Denn er verwendete seine
ungewöhnlichen Talente als Orchesterdirigent, um die "Werke der grössten
Meister der Tonkunst in ihrer Ausführung auf die höchste Höhe der Vollendung
zu bringen, wobei er allerdings auch mit den allergrössten Schwierigkeiten zu
kämpfen hatte; denn der von ihm hochverehrte Beethoven, den er in den Pro-
grammen bevorzugte, galt den Pariser Musikern für einen Barbaren, seine
Werke erschienen ihnen als Räthsel voller Extravaganzen. H. aber zwang die
Pariser, Beethoven in möglichster Vollkommenheit zu hören, und er hatte die
Freude, vollständigst durchzudringen. Später unterstützte ihn der Direktor
des Conservatoriums, Cherubini, in seinen acht künstlerischen Bestrebungen,
und er erhielt 1827 ein bestimmtes, passendes Local für seine Concerte. Die
Bewunderung Beethoven's sowie der bis zur Vollendung gesteigerten Leistungen
des Orchesters unter H.'s Leitung stieg bei jedem Concerte, und H. brachte es
dahin, dass kaum der achte Theil derer, die die Concerte besuchen wollten,
den Eintritt erlangen konnte. Auf dieser vom In- und Auslande bewunderten
Höhe erhielt H. seine Concerte volle 22 Jahre. Ein neuer Glanzpunkt dieses
seltenen Dirigenten fiel in die Zeit, wo Meyerbeer's »Robert« und »Hugenotten«
zur Aufführung kamen. Er war es, der die Orchesterdirektion bei diesen Opern
nicht blos in Paris, sondern auch in andern grossen Städten Frankreichs über-
nehmen musste; ebenso interessirte er sich für Halevy's »Jüdin«. H. besass
eine seltene Willenskraft und Charakterfestigkeit und rief durch seine Haltung,
seinen Blick eben so viel Respect wie Autorität hervor. Er wirkte nicht etwa
nur durch ein rauhes und derbes Aeussere, sondern durch die Kraft der TJeber-
zeugung und durch seinen fein musikalischen Geist. Von seinen zahlreichen
Freunden und Schülern wie von seiner Familie wurde er über Alles geliebt;
zu seinen bedeutendsten Schülern gehören Alard und Curillon. Die ganze Kunst-
welt trauerte, als er am 8. Febr. 1849 starb, und keine der Musiknotabilitäten
fehlte, als seine Leiche unter den Klängen des Trauermarsches aus Beethoven's
Eroica- Sinfonie nach dem Montmartre - Kirchhofe geleitet wurde. Von seinen
eigenen Compositionen sind vorzüglich zu nennen: Mehrere Stücke zu der von
Benincourt unvollendet hinterlassenen Oper »ia lampe merveilleuse«, zwei Con-
certe, Variationen, Nocturnes, Capricen für Violine und Violinduette. — Sein
Bruder Joseph H., ebenfalls ein tüchtiger Violinist, geboren am 1. April 1785
zu Quimpercorentin , machte seine höheren Studien gleichfalls auf dem Pariser
Conservatorium und trat 1808 in das Orchester der Opera comique, deren
Direktion ihn 1819 zum zweiten Dirigenten ernannte. — Der jüngste der
Brüder, Cor entin H., geboren 1787 zu Quimpercorentin, kam nach rühmlicher
Vollendung seiner Violinstudien auf dem Conservatorium zu Paris 1814 in das
Orchester der Grossen Oper, war bis zur Julirevolution Kammermusiker der
königl. Kapelle und wurde 1834 zum Nachfolger Launer's bei der ersten
Violine der Äcademie royale de musique ernannt.
Habeugtou, Henry, englischer Tonkünstler, ist der erste, von dem die
Geschichte eine musikalische Px^omotion meldet; er erhielt 1463 auf der
Universität zu Cambridge den Grad eines Baccalaureus der Musik. f
Haberbier, Ernst, ausgezeichneter deutscher Pianofortevirtuose der neuesten
Zeit, wurde am 5. Octbr. 1813 zu Königsberg geboren, wo sein Vater Organist
war, und genoss eine treffliche musikalische Ausbildung. Seit 1832 lebte er
einige Jahre in St. Petersburg, während welcher Zeit er zum kaiserl. Hof-
pianisten ernannt wurde. Hierauf machte er mehrere grössere Kunstreisen
und trat u. A. 1850 in Paris und London mit grossem Beifalle auf. In
Christiania verweilte er ein halbes Jahr lang und ersann dort eine neue Art
des Passagenspiels, welche auf abwechselnde Vertheilung der Figuren auf beide
Hände begründet war. Mit in dieser Manier von ihm componirten Stücken
Hess er sich zuerst in Kopenhagen, Hamburg, Kiel und 1852 auch in Paris
hören, wo er grosse Anerkennung, aber auch eben so viel Widerspruch fand.
30*
468 Haberl — Habert.
Nachdem er hierauf Strasaburg und Baden-Baden besucht hatte, lebte er ab-
wechselnd in Petersburg, Moskau, Kopenhagen und besuchte auch häufig
Deutschland. Im J. 1866 Hess er sich als Musiklehrer zu Bergen in Norwegen
nieder. Dort traf ihn während eines Ciaviervortrages in einem am 12. März
1869 von ihm veranstalteten Concerte ein Schlaganfall, der ihn alsbald darauf
tödtete. Er hat zahlreiche Claviercompositionen im brillanten Style geschaffen,
von denen Vieles im Druck erschienen ist.
Haberl, Franz Xaver, tüchtiger deutscher Tonkünstler, geboren am
12. April 1840 zu Oberellnbach in Niederbaiern, erhielt den ersten Unterricht
von seinem Vater, einem Schullehrer, besuchte dann das bischöfl. Knabenseminar
zu Passau und empfing 1862 die Priesterweihe, Seitdem wirkt er als Musik-
präfect der bischöfl. Seminarien zu Passau, als welcher er auch den dortigen
Domchor zu dirigiren hat und widmete fortgesetzte Studien besonders dem
Chorale und der älteren Kirchemusik. Aus dieser Beschäftigung entsprangen:
«Anweisung zum harmonischen Kirchengesang« (Regensburg, 1864), -»Magister
choralis, theoretisch-praktische Anleitung zum gregorianischen Kirchengesauge«
(Eegensburg, 1865, 2. Aufl. 1866) und »Liederrosenkranz, eine Sammlung
von Marienliedern für drei- und vierstimmigen Männerchor« (2 Hefte, Regens-
burg, 1866).
Habermalz, H. B. K., deutscher Harfenvirtuose, hat sich zu Ende des
18. Jahrhunderts durch mehrere Compositionen für sein Instrument bekannt
gemacht. Es erschienen von ihm: Veränderungen des Liedes »Blühe, liebes
Veilchen« für Harfe und Flöte (1792) und »Neue Sammlung für die Harfe
mit einer Violine« (Leipzig, 1792). Aus seinem Leben weiss man nur, dass
er im J. 1790 Candidat der Theologie war. f
Habermauu, Franz Johann, gediegener deutscher Componist und Com-
positionslehrer, geboren 1706 zu Königswcrth in Böhmen, besuchte die höheren
Schulen zu Klattau und Prag und widmete sich dann ausschliesslich der Musik,
zu welchem Zwecke er sich nach Italien begab und die besten Meister auf-
suchte. Von dort ging er nach Spanien und Frankreich. In Paris zog ihn
1731 der Prinz von Conde in seinen Dienst, nach dessen Tode H. Kapellmeister
des Grossherzogs von Toscana in Florenz wurde. Als Maria Theresia in Prag
gekrönt wurde, ging er dorthin und brachte eine Festoper mit Beifall zur Auf-
führung. Als Musiklehrer in Prag bildete er u. A. Dussek, Misliweczek und
Cajetan Vogel. Später wurde er Musikdirektor an der Theatiner- und 1750
an der Maltheser- Kirche, 1773 endlich Kirchenkapellmeister zu Eger. Als
solcher starb er am 7. April 1783. Gedruckt hinterliess er 12 Messen und
6 Litaneien und im Manuscript die Oratorien nConversio peccatoris«. und »Deo-
datus«, zahlreiche Kirchenwerke aller Art, Sinfonien und Sonaten, Alles in
seiner Zeit hochgeschätzt. — Sein Bruder, Karl H., geboren 1712 zu Königs-
wcrth, gestorben am 4. März 1766 zu Prag, ein vorzüglicher Ciavierspieler,
war ebenfalls als Kirchencomponist sehr geachtet, und sein Sohn, wie der Vater
Franz Johann geheissen, um 1750 zu Prag geboren, war Amtsnachfolger
seines Vaters und fungirte als solcher noch im J. 1800 zu Eger. Seine zahl-
reichen Kirchenwerke sind Manuscript geblieben.
Habermelil, G., deutscher Claviercomponist, lebte in der Wendezeit
des 18. und 19. Jahrhunderts. Man kennt nur noch Variationenhefte von
ihm, als: Zwölf Variationen über »0 wie kurz und flüchtig« (Darmstadt,
1796), zwölf Variationen über »Wohl toben die Völker« (Braunschweig, 1797)
u. s. w. t
Habert, Johann Evander, deutscher Orgelspieler und Componist, ge-
boren am 18. Octbr, 1833 zu Oberplan in Böhmen, bildete sich 1848 bis 1852
in Linz zum Lchrfache aus. Nachdem er neun Jahre lang im Schuldienste
gestanden, wurde er 1801 als Organist in Gmunden angestellt. Früh schon
musikalisch unterrichtet, war er dui'ch die Unterweisungen des Schullehrers
Jos. Lan7. in Waizenkirchen und seines Vetters Joidan Habert so weit gebildet
Habisreutinger — Hackebrett, 469
worden, dass er 1857 mit zwei Messen als Componist hervortreten konnte.
Seit 1861 veröffentlichte er ein Heft Marienlieder, ein Heft alte und neue
katholische Gesänge und einige Hefte Ciavierstücke und Lieder. Für eine
Messe (Brixen, 1866) erhielt er 1866 bei der grossen internationalen Con-
currenz für heilige Musik den dritten Preis.
HaMsreuting-er, Columban, ein in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
als Componist wirkender Benedictinermönch in Zwiefalten, von dessen Arbeiten
sich in der königl. Bibliothek zu München vorfinden: y>Melodiae ariosae zu den
vier Büchern von der Nachfolge Christi« (Augsburg, 1744). f
Hachenlberg, Paul, Doctor der Jurisprudenz, geboren 1652, gestorben
1681 zu Heidelberg als Professor der Geschichte und Beredsamkeit, schrieb
u. A. auch über die Musik der alten Deutschen.
Hachiiieister, Karl Christoj^h, deutscher Tonkünstler, war um die Mitte
des 18. Jahrhunderts Organist an der heiligen Geistkirche zu Hamburg und
hat sich durch Veröffentlichung von für seine Zeit sehr geschmackvollen Ciavier-
übungen vortheilhaft bekannt gemacht.
Hacke, Georg Alexander, deutscher Componist in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts, veröffentlichte: »Musikalisch-Marianische Schatz-Kammer,
58 Arien und Motetten auf alle Feste heatae virf/inis enthaltend« und »Vier-
zehn Arien auf Weihnachten, ingleichen auf unterschiedliche Heiligen, sammt
zwei Trauer- Arien zu Exequien u. s. f. von ein und zwei Stimmen, zwei Violinen,
eine Viole und Generalbass« (Augsburg bei Lotter). f
Hackelbrett oder Cymbal (ital.: Dolce melo, auch Salterio tedesco), ist ein
Schlaginstrument, das seit dem 6. Jahrhundert in "West- und Mitteleuropa ver-
breitet war und noch gegenwärtig in den niedern Volksschichten, besonders
auf Tanzböden, sich in Gebrauch befindet. Die italienische Benennung dieses
Tonwerkzeugs, Salterio tedesco^ giebt Aufschluss über Urstätte und Urgestalt
einerseits, sowie über den Ort der letzten Umformung der Urgestalt, wie nach-
folgende kurze Nachrichten erweisen werden. Im hohen Alterthume nämlich
war schon in Assyrien und Aegypten (s. assyrische Musik, Theil I. S. 323
in diesem Werke) ein Tonwerkzeug in Gebrauch, wie viele assyrische und
aegyptische Bildwerke darthun, das später von den Griechen nachgebildet, an-
gewandt und xiiaXrijQiov geheissen wurde und sich einer besonderen Ausbildung
erfreute. Dasselbe hatte einen mehr dreiseitig gestalteten Resonanzkasten, über
den die Saiten, zehn an der Zahl, ausgespannt wurden, die man mittelst eines
Klöpfels tönend erregte. Es muss einen starken, andauernden Ton gegeben
haben, denn die Abbildungen aus Kuijundschik zeigen schon, dass man in
frühester Zeit sorgfältig die Saiten zu dämpfen sich bemühte. Der Spieler
trug dies Insti'ument beim Gebrauch wohl nur vor sich, indem die schmale
Seite des Schallbodens zwischen Bauch und Brust vor dem Körper durch
Lederriemen festgemacht war. Dasselbe wurde in Italien, Frankreich, Deutsch-
land und England in den Zeiten von 600 bis 1400 n. Chr. bekannt und zeigte
in den verschiedenen Ländern zwar kleine Verschiedenheiten der Form und
Behandlungsweise, trug aber überall den giüechischen Namen latinisirt: Psal-
terium. Im Orient bekam es jedoch in dem qTinon oder känun genannten
arabischen Musikinstrument, wovon F. J. Fetis in seiner ytlTisfoire de la mu-
siqucti, Tome II. pag. 131 und Hermann Weiss in seiner »Kostümkunde«,
Theil III. S. 295 eine schöne Abbildung geben, seine vollendetste Form. Diese
Form wurde während der Kreuzzüge vielen Abendländern bekannt, und diese
veränderten das im Vaterlande gepflegte und beliebte Psalterium jenem
arabischen gemäss, behielten jedoch die alte Tonerregungsart mit Klöjsfeln statt
der arabischen mit an den Fingern sitzenden Plektren bei, was die occidentale
Fortbildung desselben bis zum Pianoforte (s. d.) später ermöglichte. Diese
ersterwähnte occidentale Umformung des Psalteriums soll, der Sage nach, zuerst
in England stattgefunden haben. In Deutschland, wo dies Musikinstrument
wohl gleichzeitig derselben Veränderung unterlag, gab man demselben einen
470 Hackel — Hacker.
neuen Namen: Hackebrett, der ihm bis heute geblieben ist. In Italien hin-
gegen, wo die veränderte Form des Psalteriums zuletzt und zwar durch Ein-
führung von Deutschland aus bekannt geworden zu sein scheint, behielt man
die dem ursprünglichen Namen nachgebildete Bezeichnung: Salterio bei und gab
derselben nur die auf die angenommene Stätte der Umformung des Instruments
deutende Zusatzbezeichnung: tedesco. Dies Tonwerkzeug, jetzt im Abendlandc
meist überall in gleicher Gestalt gepflegt, ist gewöhnlich 1,25 Meter lang,
gegen 0,9 bis 1,05 Meter breit und 0,3 Meter hoch, so dass es einem fast
viereckigen Kasten gleich erscheint. Der Schallboden, die grösste Ausdehnung
des Instruments einnehmend, hat zwei runde, reich verzierte Schalllöcher. Der
Bezug (s. d.) des H.'s besteht aus Drathsaiten, Messing und Stahl, die über
zwei Stege (s.d.) gehen, an der einen Seite mittelst aus denselben geformten
Oesen an Stifte gehangen und an der andern an hölzerne Wirbel, durch welche
sie ihre Stimmung erhalten, befestigt sind. Der Bezug, welcher ehedem ein-
chörig war und nur die diatonischen Klänge aufwies, ist mit der Zeit zwei-
und dreichörig geworden und vertritt alle chromatischen Töne. Dem älmlich
entwickelte sich auch der Ambitus (s. d.) des H.'s; erst besass derselbe kaum
drei Octaven, bald jedoch wuchs er bis zu vieren und stieg dann, bis er alle
diatonischen und chromatischen Klänge von C bis c^ führte. Die Tonerregung
der Saiten ^des H.'s geschieht durch zwei leichte, hölzerne Hämmerchen, die
am Ende mit länglichen Knöpfchen versehen sind, so dass man damit nach
Ermessen zwei auch drei Saiten gleichzeitig schlagen kann. Die eine Seite
der Knöpfchen ist mit Filz oder Tuch überzogen, wähi*eud die entgegengesetzte
ganz kahl ist,. Mit ersterer schlägt man, wenn man leise, mit letzterer, wenn
man stärker tönende Klänge dem H. entlocken will. Dies Instrument entbehrt,
wie man aus der Art der Tonerregung schliessen kann, jede gleichmässige, feine
Art der Klänge. Das Piano desselben klingt gedämpft und das Forte sehr
scharf mit vielen hohen Obertönen gesättigt. Der Anwendung bei Kuustlei-
stungen erfreut sich um deswillen das H. nicht, weil die Art seiner Klänge
durch seine Sprösslinge, Pianoforte und Flügel, in veredelter Weise überall
leicht zu Gebote stehen. Bei lärmenden Volksbelustigungen jedoch, wo oft
das Durchdringen einer Melodie erwünscht, ist noch heute das H. ein nur
zu empfehlendes Tonwerkzeug, wenn nicht andere diese Aufgabe edler erfüllende
vorhanden sind; namentlich auf Tanzböden. In Mitteldeutschland sieht man
das H. oft in Mitte kleiner Banden lieruraziehender Musikanten und Bergleute,
doch auch diese werden bald sich desselben entäussern, da eine durchdringende
Mclodieführung bei ihren Leistungen edler durch die leichter transportable
Stahlharmonika und die Harmoniefüllung durch eine kleine dumpfe Trommel
erreicht wird. Es mag hier noch die Auslassung des Ottomarius Luscinius in
seiner »Musurgia« von 1536 p. 13: i^instrumenium ignohüe fropter ingentum
strepidum vocum«, über das H. eine Stolle finden, um zu beweisen, wie man
schon in Zeiten, wo man für dasselbe noch in leichter Weise keinen Ersatz
hatte und viel rohei-e Kunstleistungen als die heutigen zu den sehr hohen
gerechnet wurden, dennoch schon durch die Klänge des H.'s sehr unangenehm
berührt wurde. C. B.
Hackel, Anton, talentvoller und geschickter deutscher Dilettant, geboren
zu Wien lun 17. April 1799, gestorben ebendaselbst am 1. Juli 1846 als
RechnnnL-s- Adjunkt bei der k. k. Baudirektion, machte seine Compositions-
studien bei Euianuel Förster und gab ein- und mehrstimmige Gesangsconipo-
sitionen in Wien heraus, von denen besonders seine B;ilhxdc »Die nächtliche
Heerschau« ausserordentlich günstig aufgenommen wurde. Auch seine Versuche
in anderen Gattungen, z. B. der Kirchen- und Militärmusik, fielen sehr
glücklich aus.
Hackenbergcr, s. Hakenberge r.
Hacker, Benedict, deutscher Tonsetzer, geboren am 30. Mai 1769 zu
Metten bei Deggendorf in Niederbaiern , entwickelte bei tüchtigem Musik-
Hacquardt — Häffner. 471
unterrichte schon frühzeitig bedeutendes Talent. Ganz durfte er sich der
Kunst, namentlich dem Ciavier- und Orgelspiel erst widmen, als er, einem
Wundarzte in die Lehre gegeben, bei Operationen ohnmächtig wurde, und nun
nahm sich Prof. Schmetterer in Salzburg seiner an, der ihn in sein Haus
zog und ihn auch von Mich. Haydn und Leop. Mozart unterrichten Hess.
Doch schon 1784 starb dieser edle Gönner, und H. erwarb sich kümmerlich
seinen Unterhalt als Violinist im Chore des Nonnenstifts am Nonnenberge und
durch Ertheilung von Unterricht. Im J. 1786 trat er in die Hof- und aca-
demische "Waisenhaus - Buchhandlung zu Salzburg und 1794 als Gehülfe und
Buchhalter in die Mayer'sche Buchhandlung daselbst, bis er 1802 auf eigene
Rechnung eine Musikalienhandlung begründen konnte. Er hat Arbeiten im
Kirchenstyl, ein- und mehrstimmige geistliche und weltliche Lieder seiner Com-
position veröffentlicht und auch eine komische Oper, »List gegen List«, nur
für Männerstimmen gesetzt, aufführen lassen, die in Salzburg grossen Bei-
fall fand.
Hacquardt, Karl, niederländischer Musiker, geboren zu Brügge um 1640,
hat sich in seiner Zeit durch einige Vocal- und Instrumentalcompositionen
auch als schaffender Künstler bekannt gemacht,
Hadlanb, Meister Johannes, schweizerischer Minnesänger, lebte zu Zürich,
wo er auch in der letzten Hälfte des 13. Jahrhunderts geboren war. Dass er
eine Zeit lang dem Berufe eines wandernden Sängers obgelegen habe, lässt
sich aus seinen Gedichten entnehmen, die er um 1290, vielleicht auch schon
früher, verfasste; seine Kunstbildung hatte er vermuthlich in der Singschule
seiner Vaterstadt erhalten. Seinen Tod darf man kaum früher als um das
J. 1325 ansetzen. Seine erhalten gebliebenen Gesänge bestehen in Minne-,
Herbst-, Erndte- und "Wächterliedern und zeichnen sich durch ihre ku.nstmässige
Form aus, die namentlich in den vielreimigen , oft mannigfach verschlungenen
Strophen erscheint. Dieser Strophenbau hat seinen Gedichten eine dem Ge-
sänge angemessene Lebendigkeit aufgedrückt.
Uadraya, oder Hadrawa, Ciavier- und Lautenvirtuose, geboren um 1750
in Ungarn, war um 1774 Legationssecretär des österreichischen Gesandten,
Baron von Swieten, in Berlin, wo er als fertiger Ciavierspieler glänzte. Auf
der Laute bildete er sich in Italien weiter aus, besonders als er sich um 1795
bei der Gesandtschaft in Neapel befand. Erbrachte es auf diesem Instrumente
so weit, dass der König von Neapel Unterricht bei ihm nahm. In Berlin und
Neapel sind mehrere Ciavier- Sonaten seiner Composition erschienen, die für
seine Musikbildung vortheilhaft zeugen.
Hadrianus, Emanuel, s. Adrian,
Hadriauus Castellensis, Cardinal und Bischof zu Hereford in England,
war im 15. Jahrhundert zu Cometo geboren. Neben vielen anderen Schriften
verfasste er auch einen Tractat y>de musica.y> Er starb, der Cardinalswürde
entsetzt, im J. 1518 zu Constantinopel.
Häffner, Johann Christian Friedrich, deutscher Tonkünstler und Com-
ponist, geboren am 2. März 1759 zu Oberschönau bei Suhl als Sohn eines Schul-
meisters. Orgelspiel und Generalbass trieb er bei dem berühmten Organisten
Vierling als Schüler des Gymnasiums zu Schmalkalden, Seit 1776 Student
zu Leipzig, erwarb er sich seinen Unterhalt als Corrector des Breitkopf und
Härtel'schen Musikverlags. Mit reisenden Schauspielgesellschaften begab er
sich hierauf nach Frankfurt a. M., Hamburg u. s. w. und gelangte als Musik-
direktor zu Geschick und einigem Hufe, so dass man ihn 1780, auf Empfehlung
eines deutschen Kaufmanns hin, als Organisten an der deutschen Kirche in
Stockholm anstellte, mit welchem Amte er den Posten eines Accompagnateui'S
an der königl, Oper verband. Für diese Bühne schrieb er die Oper »Elektra«,
welche ihm 1787 den Titel und 1793 die Funktion eines ersten Hofkapell-
raeisters eintrug. Im J. 1808 siedelte er nach Upsala über, wo er 1820 Dom-
organist und Universitäts- Musikdirektor wurde und am 28. Mai 1833 starb.
472 Hähnel — Handel.
— Ausser »Elektra« liat er die Opern »Alcide« und »Renaud«, sännnUicli im
Gluck'schen Style, componirt; eine neuere Compositionsriclitung erkannte er
nicht an und beschuldigte in "Wort und Schrift Mozart, den Verfall der Musik
herbeigeführt zu haben. Ausserdem gab H. schwedische Lieder und Gesänge
heraus, überarbeitete die Melodien zu den von Geijer und Afzclius gesam-
melten dänischen Volksliedern und machte sich um den Kirchengesang in
Schweden durch Herausgabe eines Choralbuchs (2 Theile, 1819 bis 1821) und
Präludien zu den Chorälen (1822) verdient.
HälincI, Amalie, vorzügliche deutsche Opernsängerin, geboren 1807 zu
Grosshübel in Böhmen, kam um 1813 nach Wien, wo sie von ihrem zwölften
Jahre an nach einander die Tochter des Kapellmeisters Gassmanu, Salieri und
Ciccimara im Gesänge unterrichteten. Nachdem sie seit 1825 als Concert-
sängcrin aufgetreten war, debütirte sie 1829 als Rosine im »Barbier«. Ein
Jahr später machte sie eine Gastspielreise nach Berlin, wurde für das dortige
Königsstädter Theater engagii't und gehörte demselben bis zur Auflösung seiner
Oper an, worauf sie 1841 zur königl. Hofoper übertrat, an der sie zur Kam-
mersängerin ernannt wurde. Auch als Sängerin in Kirchenmusiken war sie
in Berlin hochgeschätzt. Im J. 1845 zog sie hIcIi wegen Kränklichkeit von
der Bühne zurück, begab sich nach Wien und starb daselljst am 2. Mai 1849.
Ihre Stimme war ein zwei volle Octaven umspannender, sehr klangreicher
Mezzosopran von vorzüglicher Volubilität und ihre Schule eine in seltener Art
ausciezeichncte.
Hähnel, Jacob, s. Gallus.
Hähuel, Johann Ernst, sächsischer Hoforgelbauer und Instrumenten-
macher zu Dresden, lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und war
einer der hervorragendsten Meister seines Faches. Von den vielen von ihm
gebauten Werken ist mit Bestimmtheit bekannt, dass er zu Oschatz ein Werk
mit 31 Stimmen herstellte, dass er ferner eines zu Cadix vollendete, und dass
er 1737 die Dresdner Schlosscapellenorgel in die Friedrichsstädtcr Kirche da-
selbst versetzte. Auch als Denker über neu erfundene Tonwerkzeuge hat sich
H. hervorgethan. So befleissigte er sich, die Idee eines Oeonhal d^Amour
(s. d.) auszuführen, indem er neben den Tangenten auf beiden Seiten zwei
starke messingene Stifte setzte, welche man nach Belieben durch einen Zug
an- und abschieben konnte. Dies gab den Klang der sogenannten Coelestin-
claviere. Ferner brachte H. bei diesem Tonwerkzeug eine mit Tuch bezogene
lange Leiste an , welche man über dem einen oder andern Rosonanzkasten auf
die Saiten legen konnte, wodurch das Instrument wieder den Klang der ge-
wöhnlichen Clavichorde erhielt. Ausführlicheres über dies Musikinstrument
findet man in Adlung's Musiea mechanica Band IL S. 126. Von Dresden zog
sich H. im Alter nach Hubertusbui'g zurück, wo er auch starb. f
Hänimerpaut.alou oder Hammerwerk nannte man ein pantalonartigcs
Tonwerkzeug, dessen Drahtsaiten durch mittelst einer Tastatur regierte Hämmer
tönend erregt wurden. Das H, war somit der halbe mit Drahtsaiten bezogene
Thcil eines Pantalons (s. d,), der sich nur in der Tonerrcguug von dem-
selben unterschied und die Form eines Clavicymbels (s. d.) oder Clavi-
cytheriums (s. d.) besass. Als Vorläufer unseres Fortepianos (s. d.) in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Gebx-auch , ist das H. nicht weit
über die Grenze des Jahrhunderts hinaus gekommen, sondern schon sehr früh
von dem Fortepiano verdrängt woi'den. Eines der letzten, eigens für das U.
componirten Werke ist Beethoven's grosse Sonate op. 106. 2.
Häminliug, s. Castrat.
Händel, Georg Friedrich, einer der Heroen der Tonkunst, ward am
23. Febr. 1685 zu Halle an der Saale geboren. Fälschlich ist früher von
verschiedenen Seilen der 24. Febr. 1684 als der Tag seiner Geburt angegeben
worden (z. B. in der 1. Ausgabe von Fetis': Biographie universelle des Musiciens
und in Gerber's Tonkünstlerlexikon); durch die Untersuchungen von Forste-
Händel. 473
mann (Leipzig, 1844) stellt sich jedoch 1685 als das Jahr, in welchem er
das Licht der "Welt erblickte und der 24, Pebr. als der auf den Tag seiner
Geburt, nach der Sitte damaliger Zeit, unmittelbar folgende Tauftag heraus.
H.'s Grrossvater war der Kupferschmiedemeister Valentin Händel, der, im
J, 1582 zu Breslau geboren, sich 1609 in Halle das Bürgerrecht erwarb tind
dort ein Mädchen, das ebenfalls der Familie eines Kupferschmiedemeisters ent-
stammte, ehelichte. So ging denn auch H. recht eigentlich aus dem Volke,
und zwar aus dem ehrsamen Handwerkerstande, hervor. Denn auch sein
Vater, Georg Händel (geboren 1622), war ursprünglich Barbier und erhob
sich erst später zum fürstl. sächsischen Kammerdiener und Leibchirurgen zu
Halle. Derselbe verheirathete sich in zweiter Ehe mit Jungfer Dorothea,
Tochter des Pastor Taust, Seelsorger in dem i'omantischen Schloss und Dorf
Giebichenstein an der Saale. Da Dorothea die Mutter unseres H. ist, und
der grosse Tondichter, ähnlich wie andere hervorragende Männer (z. B.
Coriolan, Napoleon, Goethe), zu dieser Mutter, so lange dieselbe lebte, in einer
besonders nahen und innigen Seelengemeinschaft gestanden hat, so fügen wir
noch hinzu, dass dieselbe eine Frau von reichem Gemüth, ungewöhnlich starkem
und klarem Geist, protestantischer Gesinnung und echt bürgerlicher Ehrbarkeit
und Tüchtigkeit gewesen. Dies geht besonders aus einem zu ihren Ehren
auf Kosten des Sohnes gedruckten Leichen-Sermon hervor, von welchem H.'s
Biograph, Chrysander, so glücklich war, noch ein Exemplar aufzufinden. H.
galt lange Zeit als der erste und einzige Sohn aus seines Vaters zweiter
Ehe; es ist aber seitdem erwiesen worden, dass er nicht nur einen älteren
Bruder gehabt, sondern dass ihm auch noch zwei jüngei'e Schwestern ge-
folgt sind.
Von frühester Jugend auf hatte der Knabe H. eine leidenschaftliche Freude
an Musik. Dieselbe ging so weit, dass sein Vater, der hoch mit ihm hinaus
wollte und ihn deshalb zum Juristen bestimmte, alle musikalischen Instrumente
und Noten aus seinem Hause verbannte, um auf solche Weise die die väter-
lichen Pläne kreuzende Neigung des Kindes auszulöschen. Es scheint jedoch,
dass sich eine alte Tante seiner erbarmt habe und dass es ihm gelungen sei,
mit ihrer Hülfe ein kleines Clavichord in eine Dachstube seines Vaterhauses
einzuschmuggeln. Etwa 8 Jahre alt, begleitete H. seinen Vater, dessen Bruder
daselbst Kammerdiener war, an den Hof des Fürsten von Sachsen-Weissenfels.
Das Kind, das hier mit grösserer Freiheit umherschweifen konnte, probirte in
den fürstlichen Zimmern verschiedene vorhandene Claviere und gerieth zuletzt
sogar an die Orgel der Schlosskapelle. Der Fürst kam zum Zuhören herbei
und dies hatte zur Folge, dass er dem Vater des Knaben eine sehr vernünftige
Standrede des Inhaltes hielt: Eltern hätten kein Recht, die ihren Kindern
verliehenen Anlagen zu unterdrücken. Jedenfalls hatte dies Ereigniss die gute
Folge, dass H. von nun an Ilnterriqht in den ersten Elementen der Musik bei
dem trefflichen Organisten Zach au in Halle erhielt und es nach 2 Jahren so
weit gebracht hatte, dass er sich mit Geschick im Contrapunkt, sowie als
Spieler auf der Orgel zu ergehen anfing. — Mit zehn Jahren schon schrieb
H. unter Anderem 6 Sonaten für 2 Oboen und Bass. Demungeachtet ge-
stattete der Vater nicht, dass die übrigen Studien unterbrochen wurden; der
Knabe musste die lateinische Schule besuchen, und die Idee, dass er dereinst
ein Studiosus der Hechte werden sollte, ward durchaus noch nicht aufgegeben.
— Nicht 1698, sondern wahrscheinlicher 1696 (also in seinem 12, Jahr) ward
H. von seinem Vater nach Berlin geschickt, woselbst er seine erste Bekannt-
schaft mit der Oper machte und sich bei Hofe als Virtuos hören liess. Der
Churfüi'st (der spätere König Friedrich I. von Preussen) wollte den kleinen
"Wundermann auf seine Kosten nach Italien senden , was jedoch der alte H.
für seinen Sohn, mit einer damals seltenen Unabhängigkeit der Gesinnung,
ablehnte. Ein Jahr später, 1697, hatte der nach Halle zurückgekehrte H. den
Verlust seines Vaters zu beklagen und bezog einige Zeit darauf die in seiner
474 Händel,
Vaterstadt 1694 gegründete Universität. Nachdem ihn eine 1702 doi't üher-
nommene Orqanistenstelle wahrscheinlich ganz für die Musik entschieden, ging er
1703 nach Hamburg, welche Stadt zu jener Zeit die einzige gute deutsche Oper
im Vaterlande besass. Hamburg verdankte einen solchen Vorzug hauptsächlich
dem Tonsetzer Reinhard Keiser (1673 — 1739), der darum auch mit Recht
in der Geschichte der Musik einen bedeutenden Platz behauptet. Derselbe
soll der Hamburger Bühne für seine Person allein nicht weniger als 116 sowohl
italienische wie deutsche Opern und Singspiele geliefert haben, von denen 76
noch namentlich bekannt geblieben sind. Als Keiser, der zugleich auch Theater-
unternehmer war, Schulden halber eine Zeit lang Hamburg verliess, ward H.
sein Vertreter am Dirigentenpult und an dem damals, sowie noch lange nachher,
im Orchester üblichen Ciavier.
In Hamburg entspann sich ein warmes Freundschaftsverhältniss zwischen
H, und seinen beiden zu ihrer Zeit hervorragenden Fachgenossen Tele mann
(1681—1767) und Mattheson (1681—1764). Der letztere, der sich auch
als musikalischer Schriftsteller hervorthat und als solcher die culturgeschicht-
liche Bedeutung eines Chronisten seiner Zeit besitzt, berichtet in seiner
»Ehrenpforte«: H. habe damals »unendliche Cantaten« geschrieben, welche sich
weder durch Kenntniss der Harmonie, noch durch einen gebildeten Geschmack
ausgezeichnet hätten. Als Organist dagegen besass H. damals schon einen
grossen Ruf. Dies mag Veranlassung zu jener in Gesellschaft Mattheson's von
H. unternommeneu Reise nach Lübeck gegeben haben, mit welcher zugleich
eine Art von Brautschau verbunden gewesen. Es handelte sich nämlich um
Wiederbesetzung der daselbst an der Marienkirche von dem berühmten Buxte-
hude (1637 — 1707) verwalteten Organistenstelle. Buxtehude, dessen Einfluss
auf Sebastian Bach neuerdings durch Spitta in das rechte Licht gesetzt
worden,*) wollte sich, hohen Alters wegen, in den Ruhestand versetzen lassen.
H. war ihm als Nachfolger willkommen, jedoch unter der Bedingung, dass er
seine, wahrscheinlich schon etwas ältliche Tochter heirathe. Da unser jugend-
licher Meister hierauf nicht eingehen wollte, so zerschlug sich diese Ange-
legenheit, und die Freunde kehrten un verrichteter Sache nach Hamburg zurück.
Im J. 1704 erlitt H.'s Verhältniss zu Mattheson eine Unterbrechung durch ein
vorübergehendes Zerwürfniss. Eine kleine Eifersucht um den Dirigentenplatz
veranlasste einen heftigen Wortwechsel zwischen den Freunden, der sich, da
sie beide Hitzköpfe waren und, nach der Sitte damaliger Zeit, Degen an der
Seite trugen, soweit steigerte, dass sie, nachdem sie das Opernhaus verlassen,
mit blanken Klingen einander zu Leibe gingen. Ein breiter Stahlknopf am
Rocke H.'s rettete demselben bei diesem improvisirten Duell das Leben, indem
der auf das Herz seines Gegners gerichtete Degen Mattheson's daran in Stücke
zerbrach. Zum Glück hatte die Sache keine weiteren Folgen, und die jungen
Leute versöhnten sich noch an demselben Abend.
In das Jahr 1704 fällt auch die Composition einer von H. nach dem
19. Cap. des Evang. Johannes für Hamburg geschi'iebenen deutschen Passion,
deren Manuscript sich auf der königl, Bibliothek zu Berlin befindet und deren
Text der Hamburger Singspieldichter Postel in Reime gebracht hatte. Am
8. Jan. 1705 ging in Hamburg H.'s erster theatralischer Versuch, seine deutsche
Oper »Almira« mit vielem Beifall in Scene; ihr schloss sich mit gleichem Er-
folg am 25. Febr. desselben Jahres, also nur ein ])aar Wochen später, seine
ebenfalls deutsche Oper »Nero« an. Von dem letzten Datum bis 1708 ward
keine weitere Oper von H. in Hamburg gegeben. Fetis erklärt sich dies aus
einer Reise H.'s nach Italien, die durch ein y>Laudatea mit der Unterschrift
Rom 1707 beglaubigt wird. Der belgische Kunsthistoriker meint, alle Bio-
graphen hätten diese erste italienische Reise H.'s übersehen. Dies lässt sich
aber jedenfalls nicht von Chrysander sagen, der xins über dieselbe, wenn
*) Johann Sebastian Bach von Philipp Spitta. Leipzig, 1873, Breitkopf und Härtel.
Handel. 475
auch unter anderen Voraussetzungen, aufklärt, indem er darthut, dass H.
in Italien ohne Unterbrechung von 1707 his 1710 gehlieben sei, und seine
deutschen Opern: »Florindo« und »Daphne«, die allerdings erst 1708 in Ham-
burg zur Aufführung gekommen sind, nicht bei einem Zwischenaufenthalte da-
selbst, sondern schon vor seiner italienischen Reise für die Hamburger Bühne
componirt habe. Die Daten scheinen auch in dieser Beziehung unwidersprechlich.
Sie belehren uns, dass H. sich vom Januar bis zum März 1707 in Florenz
befunden; dass er sich vom April bis Juli des gleichen Jahres in Rom auf-
gehalten; hierauf vom Juli 1707 bis Januar 1708 wieder nach Florenz zurück-
gekehrt sei; sich dann vom Januar bis zum März 1708 in Venedig verweilte;
vom März bis Juni 1708 abermals Eom besucht habe; vom Juli 1708 bis
Herbst 1709 in Neapel seine Residenz aufgeschlagen und muthmasslich gegen
Ende des Jahres 1709 zum dritten Mal in Rom gewesen sei, um, nachdem er
die Carnevalszeit 1710 noch in Venedig zugebracht, nach Deutschland zurück-
zukehren. In Rom componirte er, ausser dem schon erwähnten ttLaudatea, ein
dem 109. Psalm entnommenes lateinisches Kirchenstück: y>Divit Dominus«, und
im J. 1708 das italienische Oratorium »Za BesurrezioneK , sowie auch die im
Oratorienstyl gehaltene Cantate: »II Trionfo del Te'm2)o e del Disinganno«,
welche er in den Jahren 1737 und 1757 neuen Bearbeitungen unterwarf, aus
denen schliesslich das englische Oratorium: y>The Triumph of Time and Trutliv.
hervorging. In Florenz setzte er die, italienische Oper y>JR,odrigo«, durch welche
er sich viel Beifall und, ausser goldenem Lohn, auch die Neigung seiner Prima-
donna, der Vittoria Tesi (1690 — 1775), erwarb.
In Venedig ist H., gewissen Traditionen nach, mit Alessandro Scar-
latti, sowie mit Antonio Lotti zusammengetroflPen ; auch schrieb er daselbst
seine Oper -DÄgrippina«. Die Bekanntschaft H.'s mit A. Scarlatti bei einem
seiner Aufenthalte in Rom unterliegt nicht, wie die Eröffnung einer solchen in
Venedig, irgend welchen Zweifeln; auch A. Scarlatti's berühmten Sohn Do-
menico lernte unser deutscher Meister in Rom kennen und Hess sich sogar,
als Virtuose auf dem Flügel und auf der Orgel, mit ihm in Wettkämpfe ein.
Es wird für wahrscheinlich gehalten, dass die beiden Scarlatti, die sich für
den deutschen Fachgenossen künstlerisch und freundschaftlich erwärmt hatten,
unseren Meister nach Neapel begleiteten, woselbst H. das in der Form einer
Cantate componirte Schäferspiel: r>Aci, Galatea e Polifemoa setzte. Sein später
in England über dieselbe Fabel geschriebenes Werk: ttAcis and Galateav. ist
eine vollständig neue Composition und daher in keine Beziehung zu der fast
gleichnamigen italienischen Arbeit zu setzen. Von Venedig aus hatten der
Baron Kielmannsegge und der Kapellmeister Steffani, einer der tüch-
tigsten Componisten seiner Zeit (s. besonders dessen Duette), H. nach Han-
nover entführt. In Halle, bei der Mutter, fand der zurückkehrende Sohn
manches verändert; eine nur 19 Jahre alt gewordene Schwester hatte ihm der
Tod entrissen, eine andere Schwester hatte sich verheirathet. In Hannover
ernannte ihn der Churfürst zu seinem Kapellmeister. H. zögerte auf dies An-
erbieten einzugehen, da er sich vorgenommen hatte, England zu besuchen.
Diese Angelegenheit arrangirte sich dadurch, dass H. ein längerer Urlaub mit
Fortzahlung seines Gehaltes bewilligt wurde.
Der Meister ging nun über Düsseldorf und Holland nach London, woselbst
er im Spätherbst 1710 eintraf und in äusserst kurzer Zeit die italienische
Oper •!>Itinaldo« für das Theater von Hay-Market setzte, die am 24. Febr.
1711 zur ersten Aufführung gelangte. Die Saison ging am 2. Juni desselben
Jahres zu Ende; bald darauf dürfte H. nach Deutschland zurückgekehrt sein.
In Hannover entstand eine Reihe von Kammerduetten, sowie eine Anzahl
deutscher Lieder. Nach ungefähr 9 Monat Aufenthalt daselbst erwirkte sich
H. vom Churfürsten einen zweiten Urlaub nach London, wo er diesmal im
Januar 1712 anlangte. Für die italienische Oper schrieb er daselbst in dem
gleichen Jahre die beiden Opern r>Il pastor fido». und r>Theseus«, sowie eine
476 Händel.
Ode auf den Geburtstag der Königin Anna, aufgeführt den 6. Febr. 1713.
Im Auftrag dieser Königin componirto H. darauf das berülmite Utrechter
•aTe Deuma und ein nJuhilatedi (1713). Das Letztere wird in Deutschland ge-
wöhnlich als der 100. Psalm bezeichnet. Die Aufführung beider "Werke ging
auf königl. Befehl am 7. Juli 1713 in der Paulskirche vor sich, wohin sich
das Parlament durch die festlich erleuchtete Stadt in feierlicher Procession
begab. Sie trug dem Componisten einen Jahrgehalt von 200 Pfund ein, der
ihm, in Verbindung mit den 1500 Thalern seiner Kapellmeisterstelle in Han-
nover, schon damals reichliche Einkünfte dauernd gesichert haben würde, wenn
nicht seine hohe Grönnerin bald darauf (12. Aug. 1714) das Zeitliche gesegnet
und, an ihrer Stelle, H.'s Churfürst als Georg I. König von England geworden
wäre. Für H. hatte dies Ereigniss zunächst keine günstigen Folgen; denn er
hatte nicht nur durch rücksichtslose ITeberschreitung seines ihm für London
bewilligten Urlaubs, sondern weit mehr noch durch die Composition des
Utrecliter Tedeums die Gunst König Georg's völlig verscherzt. Das letztere
war nur zu erklärlich. England, das damals von einem jakobitischeii und daher
im Herzen katholisch gesinnten Ministerium geleitet wurde, hatte im Utrechter
Frieden seine protestantischen Bundesgenossen auf dem Pestlande vielfach
preisgegeben und dadurch auch Hannover's Erwartungen getäuscht. Es musste
den Churfürsteu daher geradezu verletzen , dass sein Kapellmeister zur Ver-
herrlichung eines in seinen Augen so faiücn Friedens ein Te Deum componirt
hatte und sich überhaupt so lange am Hofe der Königin Anna verweilte, die
sich in der letzten Zeit ihrer Regierung ihrem Bruder Jacob, dem Präten-
denten, wieder genähert hatte und nicht zu verhindern gewillt schien, dass eine
mächtige Partei in London den Ausschluss des Hauses Hannover von der eng-
lischen Thronfolge betrieb. Man kann, diesen Verhältnissen gegenüber, H.
höchstens durch die Annahme entschuldigen, dass ihm die Politik damals noch
ein ganz fremdes Feld gewesen ; obwohl ihm freilich seine eigene protestantische
Gesinnung, sowie die öffentliche Meinung in England hätten sagen können,
auf welcher Seite sein Platz sei.
Da es nun H. mit seinem ehemaligen Brodherrn einmal verdorben hatte,
so gewährte ihm der Aufenthalt, den ihm ein Kunstfreund, der Graf von
Burlington, auf seinem Landsitz anbot, in jener Zeit eine bedeutende Er-
leichterung seiner Lage. Daselbst schrieb H. 1714, noch ehe sein Churfürst
zur Königskrönung nach England hinüberkara, die kleine Oper •»Sillaa, welcher
1715 die Oper »Amadis« folgte. Der Beifall, den diese theatralischen Versudie
fanden, machte die Prinzen und Prinzessinnen des königl. Hauses abermals
auf ihn aiifmerksam; dennoch durfte er sich bei Hofe noch nicht wieder blicken
lassen. Erst den Bemühungen seiner einflussreichen Freunde Kielmannseggc
und Burlington gelang es, H. wieder mit dem König zu versöhnen. Eine
in geschmückten Barken mit grosser Pracht auf der Themse veranstaltete
Wasserfahrt, der der König beiwohnte und zu der H. seine berühmte »Wasser-
musik« componirt hatte, gab hierzu die Gelegenheit. Der Meister, der nun
wieder in königl. Dienste getreten war, begleitete den Hof auf einer Reise nach
Deutschland. Hier schrieb er um 1716 für Hamburg eine von Brockes ge-
dichtete deutsche Passion; seine Rückkehr nach England scheint ebenfalls im
J. 1716, wenn auch erst gegen "Weihnachten oder Neujahr, erfolgt zu sein.
Von 1717 — 1720 residirte H. in Gannons- Castle, dem Landsitz des Herzogs
von Chan dos, bei dem er die Stelle eines Musikdirektors angenommen hatte.
Hier entstanden seine 12 berühmten ytÄnthemsv. eine Art meist über Psalmen-
worte componirter, erweiterter Motetten für Chöre, Sologesang und Instru-
mentalbegleitung. Sie können in mancher Beziehung als Vorläufer seiner
Oratorien gelten, und auch in der Gattung dieser letzteren versuchte er sich
bereits in Cannons- Castle. Wir begrüssen sein erstes Oratorium in der da-
selbst um 1720 entstandenen »EsfJier«, an welches sich in demselben Jahre
noch das ebenfalls in der Form eines Oratoriums für den Herzog von Chandos
Händel. 477
geschriebene Scliäferspiel «Äcis and Galatea«. anreilite. Unterdessen hatten sich
aristokratische Kreise der Londoner Gesellschaft zu der Begründung einer
stehenden italienischen Oper in Hay- Market vereinigt und H. mit dem En-
gagement der Sänger beauftragt. Er begab sich zu diesem Zwecke nach
Dresden, wo er den berühmten Senesino engagirte, und schrieb nach seiner
Rückkehr von dort den nüadamistoi (in Hamburg als i^Zenobiaa aufgeführt)
für das neue theatralische Unternehmen. Diesem Werke folgten in der Zeit
von 1721 — 1728 zu gleichem Zwecke die Opern: y^Muzio Scevola«, nFloridaiitev,
yiOttonea, »Flavio«, y>Giulio Cesarev, »Tamerlanea, rißodelindav, y>Scipione<.<:, y>Äles-
sa7idro«, y^Admeto«, y>Iiiccardo jjrimoa, y>Siroe<i und y>Tolomeo<i. Im J. ll'il, also
mitten in seiner Thätigkeit für die italienische Oper, componirte H, auch
seine »Krönungsanthems«.
Die Operngesellschaft, welcher H. eine Reihe von Jahren vorgestanden,
hatte sich in Folge seiner Zerwürfnisse mit den italienischen Sängern, die
seinen höheren Kunstansprüchen nicht genügen wollten, und daraus hervor-
gehender Reibereien mit der Administration aufgelöst. H. liess sich hierdurch
nicht schrecken, sondern gründete in Verbindung mit Heidegger eine so-
genannte »neue Opernakademie«. Da es sich für ihn zunächst um das
Engagement neuer vorzüglicher Sänger handelte, so entschloss er sich zu einer
zweiten italienischen Reise, die er im Herbste 1728 in Gesellschaft seines alten
Freundes und Fachgenossen Steffani antrat. Sein 'Weg ging über Venedig,
Rom und Mailand; auf dem Rückwege, im Juni 1729, sah er seine alte Mutter
zum letzten Mal. Bei seinem damaligen Aufenthalte in Halle wäre es auch
fast zu einer Begegnung mit seinem grossen Zeitgenossen J. S. Bach ge-
kommen. Die Gesellschaft der von ihm engagirten Sänger traf im Septbr. 1729
in London ein. Der Meister schrieb für seine neue Akademie die Opern:
s>Lotliario (1729), y>Parteno'pe(.<i (1730), y^Poro<i. (1731), y^Ezio<s. (1731—1732),
rsSosarmev. (1732) und i>Orlandov. (1732). Leider hatten H.'s Bemühungen nicht
die gewünschten Erfolge, so dass sich die Opernakademie nach nur vierjährigem
Bestehen bereits wieder auflöste. In der Zeit von 1731 — 1734 beginnen die
ersten öffentlichen Aufführungen von H.'s Oratorien zu London und
Oxford. In Folge derselben traten »Acts und Galateaa 1732, yJEsthevi in dem-
selbenJahre, sowie die neu hinzu componirten Oratorien y>Dehora<.< und yiAthalian.
1733 vor das grosse Publicum, welchen Arbeiten 1734 noch das oratorische
"Werk y>Parnasso in Festaa. folgte, dessen Musik zum Theil aus •»Athaliaa ent-
lehnt ist. Nach Fetis, der sich hierbei auf den Engländer Mainwaring
stützt, soll H. nach Auflösung der Opernakademie den Entschluss gefasst haben,
die abermalige Unternehmung einer neuen Oper ganz auf eigene Gefahr und
Kosten zu wagen. Chrysander giebt dies nur bedingungsweise zu. Jeden-
falls schreckte der unerschütterliche Meister nicht davor zurück, diesmal den
Kampf mit der hohen englischen Aristokratie aufzunehmen, deren Häupter
sich zu Beschützern der mit ihnen gegen H. verbundenen Italiener aufgeworfen
hatten. Unseres Meisters Gegner gründeten seinem neuen theatralischen Unter-
nehmen gegenüber ein eben solches, in der ausgesprochenen Absicht, ihn völlig
damit zu ruiniren, so dass sich London damals in den Besitz von zwei italienischen
Operntheatern gesetzt sah. Vor der Eröfi'nung des seinigen war H. abermals
nach Italien geeilt (1733), um sich mit Sängern zu versehen. H. schrieb zu-
nächst für sein Theater die Oper y^Artadne«, arbeitete 1734 seinen m Pastor Fidou.
dafür um, welchem 1734 das Tanzspiel y>Terpsiehore«, ein aus verschiedenen
seiner früheren Opern zusammengestellter ■nOrestes<i, die Oper y>Ariodante«, und
1735 die Oper r)Alcinav~ folgten. Als die letzten Arbeiten H.'s fürs Theater
sind anzuführen: y>Faramondo^ (1737), -nSersev. (1737 — 1738), yJuplter in Argosa
(1739), yyImeneo<i (1738—1740) und r^Beidamia« (1740).
An der Spitze der von H.'s Feinden gegründeten Gegenoper stand der
berühmte italienische Sänger Farinelli, der nicht nur den Adel, sondern auch
die grosse Mehrheit des Publicums der englischen Hauptstadt auf seiner Seite
478 Händel.
hatte. Man bekämpfte H. nicht nur auf theatralischem Felde, sondern
suchte auch auf die gehässigste Weise, wie wir gleich sehen werden, den Auf-
führungen seiner Oratorien entgegenzutreten. So viele vereinte Angriffe er-
reichten endlich ihr Ziel: der Meister trat, nachdem er 20 Jahre lang seine
Hauptthätigkeit dem Theater gewidmet, für immer von diesem zurück. Gre-
müthlich tief verstört, mit einer im hohen Grade erschütterten Gesundheit und
auch finanziell höchst bedrängt, ging er 1737 nach Aachen, um sich in den
dortigen Bädern herzustellen. Von dem gesegneten Aufenthalte auf der vater-
ländischen deutschen Erde datirt in mancher Beziehung der grosse Wende-
punkt in dem künstlerischen Schaffen H.'s, bei dem angelangt, er zu der Er-
kenutniss durchdrang, dass er eigentlich zum Oratorien- und nicht zum
Operncomponisten vom Geschick berufen sei. In den Jahren 1720 — 1751
schuf er, ausser den uns bereits bekannten Werken desselben Styls, folgende
Oratorien: »Das Alexanderfest« (1736), »Israel in Aegypten« (1738), »Saul«
(1738), »Frohsinn und Schwermuth« (1740, ursprünglich eine allegorische Oper),
»Messias« (begonnen den 22. Aug. 1741, beendet den 14. Septbr. desselben
Jahres), »Samson« (1742), »Semele« (1743), »Joseph« (1743), »Herkules« (1744),
»Belsazar« (1744), y^Oecasional Oratorio<j. (1745), »Judas Maccabäus« (1746),
»Alexander Balus« (1747), »Josua« (1747), »Susanne« (1748), »Salomon« (1748),
»Theodora« (1749), »der Triumph der Zeit und der Wahrheit« (1750), »Jephta«
(1751).
Werfen wir einen Blick auf die riesige Schöpferthätigkeit, wie sie sich
uns in den gesammten Werken H.'s darstellt, so unterscheiden wir in der
Masse seiner Compositionen zunächst seine Instrumental- von seiner Vocalmusik.
Zu der letzteren, welcher seine Haupttliätigkeit gewidmet war, gehören:
I, seine Opern, unter denen wir wieder deutsche, italienische und eng-
lische Opern zu unterscheiden haben ; II. seine Oratorien, die von »Esther«
bis »Jephta« ursprünglich zu englischen Texten gesetzt sind; III. seine
Kirchenmusik, zu welcher, ausser den schon genannten hierher gehörigen
Werken und manchen anderen Arbeiten, auch das mit Recht so berühmte
Dettinger »Te Deioma zählt. — Zu seiner Instrumentalmusik dagegen ge-
hören: I. seine Kammermusik, darunter, ausser der schon erwähnten »AVasser-
musik«, seine Geigen- und andere Sonaten mit Bass, seine Trio's, seine
«Goncerti c/rossüi (die sogenannten Oboeuconcerte) , ferner 12 grosse Concerte
für Streichinstrumente (1739) und vieles audere; II. seine Wei-ke für Orgel
und Ciavier, darunter seine grossen Orgelconcertc , seine Suiten und seine
Fugen für Ciavier u. s. w.
Wir haben noch der Erlebnisse der späteren Jahre des grossen Meisters
zu gedenken. H. hatte kaum der Oper den Rücken zugewandt und sich vor-
zugsweise der Schöpfung seiner herrlichen Oratorien gewidmet, als auch das
Glück wieder bei ihm einkehrte. Seine Oratorien bahnten sich schon bei
seinen Lebzeiten ihren Weg und brachten ihm Ruhm, Ehre und Vermögen;
Dinge, an die er sicher bei der Conception dieser aus dem tiefsten Innern
hervorgegangenen erhabenen Schöpfungen kaum gedacht, die ihn aber auch vor
der Welt zu einem hoch angesehenen Mann machten. Man drängte sich in
London zu den Oratorien -Aufführungen H.'s, in welche er Orgelconcerte, in
denen er selber als Virtuose auftrat, einzulegen pflegte. Auch der englische
Hof war bemüht, ihn wieder auf jede AVeise auszuzeichnen. Der Besuch seiner
Oratorien wurde, besonders seit der Aufführung seines »Messias« (1741), Mode
und guter Ton in der gebildeten Gesellschaft Londons und seine Berühmtheit
stieg so hoch, dass ihn der Vicekönig von Irland zu einer Reihe von Oratorien-
Aufführungen nach der grünen Insel einlud. H. langte am 18. Novbr. 1741
in Dublin an und führte dort während der 9 Monate seines Aufenthaltes
unter anderem die Werke »Frohsinn und Schwermuth« (L^Allegro ed il Pen-
seroso), »Acis und Galathca« , »Esther« und »das Alexanderfest« auf. Am 18.
April und 3. Juni 1742 gab er daselbst seinen »Messias«, am 23. Mai seinen
Händel. 479
»Saul« und kehrte am 13. Aug. wieder nach London zurück. So glänzende
Erfolge in beiden Königreichen regten den Hass seiner alten Feinde von
Neuem auf und man Hess kein Mittel unversucht, um den Fortgang derselben
zu kreuzen. Da H.'s Oratorien in der Charwoche und Osterzeit, sowie meist
im Ooventgarden- Theater gegeben wurden, so hoffte man einen vernichtenden
Schlag gegen den Meister zu führen, wenn man ein Verbot derselben, als un-
passender öffentlicher Vergnügungen in so heiliger Zeit, erwirkte. Der Streich
misslang jedoch, da das grosse Publicum schon zu sehr für H. eingenommen
war und der Meister überdies zu verstehen gab, dass seine Oratorien -Auf-
führungen doch wohl etwas Anderes seien, wie sogenannte öffentliche Ver-
gnügungen. Bezeichnend für H.'s menschenfreundlichen Sinn ist es, dass er
seinen »Messias«, so lange er lebte, nur zu wohlthätigen Zwecken aufführte.
Höchst merkwürdig bleibt es, dass der Meister ein "Werk von so unvergäng-
licher Bedeutung in dem verhältnissmässig hohen Alter von 57 Jahren und in
der unglaublich kurzen Zeit von 24 Tagen schuf. Das im Besitze der Königin
von England befindliche Manuscript lässt hierüber keinen Zweifel, indem es
auf seiner ersten Seite die von H. geschriebenen "Worte trägt: »Angefangen
den 22. August 1741«, welchen am Schlüsse des Werkes die ebenfalls von dem
Meister herrührende Notiz folgt: y>Mne delV oratorio. G. F. Handel. Sep-
tember 14, 1741.« "Während der Composition des »Jephta«, 1751, fingen H.'s
Augen zu leiden an und bald darauf sehen wir ihn, gleich seinem grossen
Zeitgenossen Bach, völlig erblinden. Er Hess demungeachtet die von ihm
bisher in der Fastenzeit gegebenen Oratorien- Concerte unter der Direktion
seines Schülers Smith fortsetzen. Am 13. AprU 1759 (nach Anderen am
14. April), nur acht Tage nach einer Aufführung seines »Messias«, schloss der
grosse Meister für immer die Augen.
H. war ein Bürger der grossen "Welt und ein Künstler von so hohem
Selbstgefühl, dass er sich, auch Königen und Fürsten gegenüber, nicht das
Greringste vergab. Der grosse Tondichter blieb unverheirathet und machte mit
den Frauen mitunter sogar zu kurzen Prozess. Es bedarf in dieser Beziehung
nur der Erinnerung an die Scene mit der berühmten Sängerin Cuzzoni, die
der leicht aufbrausende und riesenstarke Mann, als sie eine seiner Arien nicht
singen wollte, wie ein Kind in die Arme nahm und mit den Worten zum
Fenster hinaushielt: »Entweder Sie singen, oder ich lasse Sie auf die Strasse
hinabfallen.« H. war neben dem Künstler auch Greschäftsmann , wusste die
Welt zu behandeln und mit ihr zu verkehren, war rasch in seinen Entschlüssen
und führte sie mit eiserner Energie durch. Auch war unser Meister durchaus
nicht allein als Musiker durch Italien gereist, sondern hatte mit fast gleichem
künstlerischen Interesse sein Auge den Schätzen bildender Kunst, die dies
schöne Land birgt, zugewandt. Seine Liebhaberei in dieser Beziehung war so
entwickelt, dass er, auch später noch in London, der Malerei seine lebhafte
Theilnahme schenkte. Daher begegüen wir ihm als dem Besitzer einer kleinen
Gemäldesammlung, welche zu bereichern er keine Bilderauction versäumt haben
soll. Ein so vorzüglicher evangelischer Christ und Protestant H. auch war,
sowenig beschränkte er sich doch auf einen solchen Geisteshorizont. Seine
Opern und Oratorien beweisen, dass er ebenso sehr in der classischen Mytho-
logie, im griechischen Alterthum und in den nationalen Traditionen der
Israeliten, als in der Welt christlicher Anschauungen zu Hause war.
Seine vielen und damals weiten Reisen trugen hierzu mit bei. Wie hätte auch
H. grosse Ereignisse und die Thaten von Helden und ganzen Völkern schildern,
wie der Welt und dem Erhabenen, das sich in ihr ereignet hatte, oder darin
als Tradition fortlebte, den Spiegel vorhalten können, wenn er nicht diese Welt
im Süden und Norden, in grossen Hauptstädten und an den Höfen bedeuten-
der Fürsten, auf dem Ocean und in den Thälern der Alpen kennen gelernt,
sich mit ihr gemessen und an ihr die eigene Kraft erprobt hätte!
Wir begrüssen in H, den Begründer der epischen Stylform in der
48Ü Händel.
Musik, da das Oratorium in der neuen Gestalt, die der Meister demselben
gegeben, genau dieselbe Stelle in der Tonkunst einnimmt, welche dem Helden-
gedicht oder dem Epos in der Poesie zukommt. Als eine der Hauptwande-
lungen, durch die H. dem Oratorium eine solche, gegen früher veränderte
Stellung verlieli, ist anzuführen, dass er sich in seinen oratorischen Schöpfungen
nicht mehr auf nur kirchliche Stoffe beschränkte. Dies unterscheidet ihn
ganz besonders von seinen Vorgängern in Deutschland. Von den Zeit-
genossen Luther's an, einem Isaak und Senffl, bis zu Heinrich Schütz
(1585 — 1672), oder bis zu den neben H. lebenden Meistern Telemann und
Mattheson, hatten sich die deutschen Oratorien-Componisten fast ausschliess-
lich, oder doch weitaus in ihrer Mehrzahl, auf die musikalische Behandlung
von Christi Passionen beschränkt. Dies that auch noch Sebastian Bach,
der den Passionen, in seinem Weihnachts-Oratorium, zwar noch die Feier der
Geburt des Heilandes hinzufügt, jedoch in einer so lyrischen Form, dass wir
es auch bei ihm, wie bei allen anderen Oratorien-Componisten ausser Händel,
mit christlicher Kirchenmusik zu thun haben. Demungeachtet liegt das
Unterscheidende zwischen den Oratorien H.'s und seiner Vorgänger weniger
darin, dass der Meister, statt christlicher, heidnische und, statt neutestament-
licher, israelitische und nationale Stoffe wählte, als in der bei ihm hervor-
ti'etenden veränderten musikalischen Form und Behandlung seiner Oratorien.
Fast in allen in Deutschland 200 Jahre lang vor H.'s Auftreten componirten
Passions -Oratorien findet sich eine Anzahl der evangelischen Gemeinde wohl-
bekannter Choräle verflochten, wie dies auch noch bei Bach der Fall ist.
Jene "Werke deuten sowohl hierdurch, wie durch die erbaulichen Betrachtungen
für Chöre oder einzelne Stimmen, welche den Fortgang der Erzählung der
Leidensgeschichte unaufhörlich unterbrechen, auf ihre rein kirchliche Be-
stimmung. Erzählung, D-arstellung und Charakterschilderung, die
entschiedensten Kennzeichen des Epos, treten somit hier vor dem lyrischen
Ausdruck der Andacht, oder hinter erbaulichen und religiös-sittlichen
Zwecken in den Hintergrund.
H.'s musikalische Behandlungsweise seiner Oratorien dagegen ist eine von
der geschilderten meist sehr verschiedene. Einmal finden wir aus ihnen den
Choral und die durch denselben gegebene Beziehung auf die Kirche ganz aus-
geschlossen. Ferner nehmen selbst die auch bei ihm vielfach in die Erzählung
eingeflochteneu und dem Chore oder Solostimmen zuertheilten ethischen Be-
trachtungen bereits eine merklich andere Stellung ein, wie in den Oi'atorieu
seiner Vorgänger und Zeitgenossen. Sie halten nämlich den Gang der Er-
zählung weder so häufig, noch in gleicher Ausdehnung auf, wie dies z. B. in
den Bach'schen Passionen geschieht. Nächstdem werden sie weit häufiger den
in der Handlung auftretenden Personen selber, als gleichsam ausser der
Handlung befindlichen idealen Stimmen in den Mund gelegt. So werden
z. B. sämmtliche in H.'s Oratorium »Samson« entlialtene Betrachtungen und
lieflexionen direct durch die in der Erzählung auftretenden Pei'sonen , nämlich
durch Samson, Micah, Manoah, Dalila vorgetragen, oder durch die Chöre der
Israeliten, im Gegensatze zu den Chören der Philister, den Chören der heid-
nischen Priester Dagon's und dem Chore der Jungfrauen Dalila's. Ein Gleiches
gilt von fast allen anderen Oratorien H.'s. Es ist aber in dieser Beziehung
sehr zweierlei, ob irgend eine nicht zur Handlung gehörende ideale Stimme
allgemeine Betrachtungen über den Verlust des Augenlichtes anstellt, oder ob
der erblindete Samson selber ausruft: »Nacht ist's umher!« Der Betrachtung
gewidmete Chöre und Arien, die nicht durch bestimmte, dem Epos, um das
es sich handelt, augehörende Personen ausgesi^rochen werden, finden Avir bei
H., charakteristischer Weise, hauptsächlich im »Messias«, in seinem Oratorium:
»Frohsinn und Schwermuth«, in seinem sogenannten »Gelegenheitsoratorium«
(1745 zur Feier des Sieges bei Culloden geschrieben), sowie in seinem Oi"a-
torium: »Sieg der Zeit und Wahrheit.« Somit also nur in solchen Werken,
Händel. 481
die entweder, wie der »Messias«, sich wieder dem Kirchliclien sehr nähern, oder
mehr symbolischer und allegorischer, als eigentlich epischer Natur sind.
In allen seinen Oratorien dagegen, die der nationalen Heldengeschichte der
Israeliten angehören, nicht weniger in denjenigen dieser seiner "Werke, die
classische oder heidnische Stoffe behandeln, gehen auch die, die Handlung be-
gleitenden Momente lyrischer Stimmung und Erregung aus dem Inneren der
im Mittelpunkt derselben wirkenden Personen hervor.
Aus diesem Grunde rundet sich ihr Bild zu plastischer Fülle und Deut-
lichkeit ab; wir glauben, diesen erhabenen Gestalten bis ins Herz zu schauen,
und sie stehen uns als so abgeschlossene Charaktere gegenüber, dass weder
frühere, noch unsere modernen Oratorien -Componisten etwas geschaffen
haben, das sich mit ihnen vergleichen liesse. Die letzteren schon aus dem
Grunde nicht, weil dieselben vielfach die von H. betretenen Bahnen wieder
vei'lassen haben, um abermals in mehr kirchliche Eichtungen einzulenken. —
Auch die Stellung des Chors ist eine neue und bis dahin ungewohnte in
H.'s Heldengedichten, Es ist nämlich ebenfalls ganz episch von unserem Meister
gedacht, dass er in Tondichtungen, in denen sich's nicht um die Geschicke
Einzelner, sondern um das Wohl und "Wehe ganzer Yölker handelt, diese
letzteren auch eine hervorragende Stimme gewinnen und hierdurch die über
private Ereignisse und Verhältnisse weit hinausgehende Bedeutung eines solchen
"Werkes kenntlich werden lässt. In der Poesie kann dies nur auf Umwegen
geschehen. Die Musik dagegen ist in der glücklichen Lage, uns die grossen
Massen, deren Geschicke das Epos zum Gegenstande seiner Darstellung macht,
nicht blos aufzählend oder in einer erst allmälich zum inneren Bilde sich ge-
staltenden Schilderung vorzuführen, sondern sie sogleich in ihrer ganzen Ge-
walt und Vielgestaltigkeit hinzustellen, und zwar eben im Chore. Diese Be-
deutung hat demselben aber erst H. verliehen, und seine Chöre haben nicht
nur die Bestimmung, das Volk oder die Völker, um die es sich handelt, selbst-
redend einzuführen, sondern der Meister verleiht ihnen auch ein neues Gewicht
dadurch, dass sie ihm dazu dienen, ungeheure, erschütternde oder wunderbare
Ereignisse, die eindringlich genug zu schildern die Stimme des Einzelnen zu
ohnmächtig und schwach scheint, darzustellen und zu malen. Die besondere
"Wirkung und Natur der Chöre H.'s deutlich zu machen, dient vorzüglich auch
ein Vergleich derselben mit den Chören Bach 's. Man kann im Allgemeinen
sagen, dass H.'s Chöre nicht jene breite Entwickelung gewinnen, welche ge-
wisse, dem Ausströmen tiefster religiöser Empfindung dienende Chöre Bach's,
z. B. der Eingangschor seiner Matthäus-Passion, oder viele seiner über Choräle
gebauten Motetten- Chöre besitzen. Ebenso wenig lassen sie jene prägnante
Kürze, daher auch nicht jene nur scharfen oder nur skizzenhaft andeutenden
Umrisse gewahren, welche den oft nur wenige Takte umfassenden Judenchören
in der Matthäus - Passion eigen ist, H.'s Chöre sind weder so lyrisch und in
einer der bewegten Seele nimmer genügenden "Weise ausgiebig, wie gewisse in
Andacht sich auflösende Chöre Bach's, noch so lakonisch -dramatisch, wie des
gleichen Meisters Judenchöre. Sie erscheinen vielmehr einerseits zusammen-
gefasster, weil in plastischer "Weise darstellend, schildernd, betrachtend, ex'-
zählend, andererseits dagegen — wenn sie nämlich dramatisch wirken sollen —
wiederum breiter ausgeführt, als jene, nur fanatischen Ausrufen vergleichbare
Judenchöre der Bach'schen Passion. Sie stehen daher in der Mitte zwischen
beiden Gattungen, d. h. sie sind eben epischer Natur.
"Wenn Bach zu den Meistern gehört, die sich unserem Verständnisse nur
allmälich erschliessen, so ist H. umgekehrt volksthümlich und wirkt sofort auf
grössere Kreise. Seine Melodien haben häufig eine überraschende Verwandt-
schaft mit schwungvollen Volksmelodien; besonders mit solchen, die zu den
vaterländischen oder nationalen Gesängen ganzer Völker gehören. Darum
zünden sie auch wie diese, d. h. ihre "Wirkung erfolgt nicht nur auf den Ein-
zelnen, sondern reisst ganze Massen mit sich fort. Auch in dieser Fähigkeit,
Musikal. Convers.-Lejdkon. IV. 31
482 Händel.
populär zu werden, zeigt sich uns H. als der epische Meister. Der Sänger
der griechischen Heldenzeit und der nordische Barde wandten sich nicht an
Einzelne, sondern an das Verständniss der Menge, um hei ihr durch den
Preis einer ruhmvollen Vergangenheit das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit
und den "Wunsch der Nacheiferung erhabener Thaten zu wecken und zu be-
festigen. Nichts ist daher auch gerechtfertigter und hat sich im Laufe der
Zeiten mehr bewährt, als H.'s Oratorien auf das Programm grosser Musik-
feste zu bringen, wo sie, in oft tausendstimmiger Besetzung vorgetragen, auf
noch grössere Massen Hörender wirken. In dieser Weise haben sie sich seit
mehr als einem halben Jahrhundert auf den nieder rheinisclien Musikfesten
eingebürgert, die alljährlich zu Pfingsten stattfinden und zwischen den drei
Städten: Köln, Aachen, Düsseldorf wechseln.
Es ist jedoch nicht nur das Rheinland, wo H,, als der Epiker, zum Volke
spricht, sondern wir finden seine Oratorien auch bei allen grösseren Gesang-
vereinen Deutschland's, der Schweiz, Amerika's und England's eingebürgert.
Dass England seine zweite Heimath geworden, zeigt sich auch in dieser Be-
ziehung. Ausser in Deutschland werden H.'s Oratorien nirgends in der "Welt
mit gleicher Verehrung gegen den Meister und mit gleicher Präcision und
Begeisterung ausgeführt, wie in England. Dies gilt ebensowohl von den Musik-
festen zu Birmingham, Manchester und Dublin, als von den Monstre-Concerten
des Krystall-Palastes und Exeter-Hall's, oder Edinburg's und Glasgow's. Nicht
ohne innere Berechtigung durfte darum England dem Meister ein Monument
in der Kathedrale von AVestminster, nahe bei den Denksteinen Shakespeare's
und anderer hervorragender Männer Grossbritannien's, errichten. Es hat sich
H. wahrhaft zu eigen gemacht und darf ihn daher mit demselben Hechte unter
die Seinen zählen, wie wir Deutschen Shakespeare den Unsern nennen, —
H. schuf uns in seinen Oratorien übrigens nicht nur ein Epos für die Musik,
sondern regte durch dieselben epischen Geist auch wieder in unserer Lite-
ratur und bildenden Kunst an, in welchen derselbe seit seinem Erblühen
in den Nibelungen verstummt war. So haben die tiefgreifenden Erfolge des
»Messias« unseres Meisters seinen jüngeren Zeitgenossen Klop stock erwie-
sener Maassen zu dessen »Messiade« angeregt, und es ist sehr wahrscheinlich,
dass heroische Oratorien, wie der »Judas Maccabäus« und »Josua«, auch auf
das Entstehen von Klopstock's »Hermannsschlacht« nicht ohne Einfluss ge-
blieben sind.
Die Tiefe und der Umfang von H.'s Genius werden uns ganz deutlich,
wenn wir bedenken, dass er in einer grossen Anzahl seiner Oratorien ein und
denselben Gegenstand bebandelt hat. Die Befreiung nämlich eines geknechteten
Volkes durch einen in seiner Mitte aufstehenden Helden. Ein solcher Vorgang
ist z. B. ebensowohl der Gegenstand des »Samson«, des »Belsazar« (in welchem
Cyrus der befreiende Held ist) und des »Saul«, wie des »Josua«, »Jephta«
und »Judas Maccabäus«. Aber wie verschieden behandelt er diesen Stoff, wie
weiss er ihm immer wieder neue Seiten abzugewinnen und mit der ihm ein-
geborenen Freiheitsliebe zu vertiefen und zu verklären. — Es ist noch zu be-
tonen, dass H. im sogenannten gebundenen oder polyphonen Styl nur einen
Zeitgenossen neben sich hatte, der es ihm darin noch zuvor that. Es braucht
kaum gesagt zu werden, dass dieser noch gewaltigere Meister in der Fuge
und im Contrapunkt Johann Sebastian Bach war. Nehmen wir diesen ein-
zigen Mann aber aus, so erhebt sich H. auch in Beziehung auf Reinheit des
Satzes, auf Stimmführung und auf musikalische Form himmelhoch über alle
übrigen Meister der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts; so hoch, dass wir ihn
in dieser Hinsicht fast ebenso sehr anstaunen müssen, wie den alten Bach,
und dass er uns, mit diesem vereint, als der Gipfel jener reichen Entwickelung
des mehrstimmigen reinen Satzes sich darstellt, die, ein halbes Jahrtausend vor
dem Auftreten unserer beiden deutschen Meister, in den französischen Nieder-
landen begonnen hatte. ITm so wunderbarer ist, bei so viel Tiefe und Kunst,
Händler. 483
die schon von uns erwähnte Volksthümlichkeit H.'s. Der im »Judas« gegen
den Schluss eintretende Siegesgesang: »Seilt, er kommt mit Preis gekrönt«,
ist das herzerhebendste und gewaltigste Triumphlied, das ein Volk einem
Helden, dem es Sieg und Freiheit verdankt, anzustimmen vermag, und dabei
von so fortreissender und allgemein verständlicher Melodie, dass es heute noch,
wie vor mehr als 100 Jahren, die Massen electrisirt und zu stürmischem Jubel
fortreisst. Grleiches gilt vom Halleluja im »Messias«, von den Siegesgesängen
im »Josua« und »Jephta«, oder den gewaltigen Chören im »Alexanderfest«.
Und in dieser Weise wirkt der Meister nicht nur bei uns, sondern bereits
auf die Gebildeten und Besten der verschiedensten Völker; ja sein Ruhm
wächst und steigert sich in dieser Beziehung von Jahr zu Jahr. Uns Deutschen
mag man darum ein Hochgefühl bei dem Gedanken verzeihen, dass wir einen
solchen Heros der Kunst den Unsern nennen dürfen.
Es ist noch zu erwähnen, dass drei der oratorischen "Werke H.'s von
Mozart mit moderner und reicherer Instrumentirung versehen worden sind;
es sind diese der »Messias«, das »Alexanderfest«, sowie »Acis und Galathea«.
In ähnlicher "Weise hat Julius Rietz des Altmeisters »Josua« bearbeitet.
Wohlverstandener Weise ist in keiner der auf solche Art entstandenen neuen
Partituren die ursprüngliche Partitur H.'s ausgelöscht oder in ihrem Grund-
charakter erschüttert worden. Mozart ist hierbei sogar so pietätvoll zu Werke
gegangen, dass er sich, ehe er mit seinen Zusätzen begann, die sämmt-
lichen Orchester- und Vocalstimmen der H.'schen Partitur in das zum Entwurf
der seinigen bestimmte Notenpapier eintragen Hess. — England hat bereits
vor einer längeren Reihe von Jahren eine Gesammtausgabe Händel's veran-
staltet, die von Walsh, Meare und Cluer veröffentlicht wurde und welche
die in London dargestellten italienischen und englischen Opern, die Oratorien,
die italienischen Cantaten, die »Te Deum's«, das y>Jubilate(i, die grossen Anthems
und Orgelstücke enthält. Die zweite englische Gesammtausgabe, die unter
Georg IIL, und durch diesen für H. begeisterten König veranlasst, von Ar-
nold veranstaltet wurde, ist bei weitem nicht so correct, wie die ältere, auch
wurde sie nicht zu Ende geführt. Neuerdings hat auch Deutschland seinem
grossen Sohne das schönste aller Monumente durch eine solche Gesammtaus-
gabe (Leipzig, bei Breitkopf u. Härtel) zu setzen unternommen, die, von
Chrysander angeregt, sich bereits ihrer Vollendung zu nähern beginnt. Ein
von Heidel herrührendes Denkmal aus Erz hat ihm das dankbare Heimath-
land in seiner Vaterstadt Halle gesetzt. — Culturgeschichtlich bedeutsam ist
es, dass sich die ganze musikalische Entwickelung England's an H. ange-
schlossen und um ihn gruppirt hat.
Die Zahl der englischen un* deutschen Quellen zum Leben und über
die Arbeiten H.'s ist zu gross, um hier einen vollständigen Ueberblick der-
selben gewähren zu können. Angeführt sei daher nur: Mainwaring's
»Memoirs of the live of ihe late G. F. HändeU (London, 1760); »G. F. Hän-
del's Lebensbeschreibung, nebst einem Verzeichniss seiner Werke und deren
Beurtheilung« von Mattheson (Hamburg, 1761); -nThe life of HandeU von
Victor Schoelcher (London, Trübner 1857), sowie Chrysauder's treflSiches Werk
»G. F. Händel« (Leipzig, bei Breitkopf und Härtel, 1858, 1860 und 1867),
von welchem leider bis jetzt erst zwei Bände und ein Halbband erschienen
sind. Die Parallele »Händel und Shakespeare« von Gervinus ist ein zwar
immerhin geistvoller, interessanter, aber schon in seinen ersten Voraussetzungen
missglückter Versuch, unseren Meister in einem neuen Lichte zu zeigen.
Emil Naumann.
Händler, Johann Wolfgang, deutscher Componist, geboren gegen Ende
des 17. Jahrhunderts zu Nüi-nberg, studirte Composition und Contrapunkt bei
Pachelbel, der ihn auch im Ciavier- und Orgelspiel unterrichtete und kam
1712 als Bassist in die bischöfl. Kapelle zu Würzburg. Bald darauf zum Hof-
organisten ernannt, schrieV er Zahlreiches für Kirche und Kammer, wovon
31*
484 Häuel — Härtel.
jedocli nur wenig gedruckt ist, und|wurde zum bischöfl. Kapellmeister erhoben.
Als solcher starb er 1742 zu "Würzburg.
Häuel oder Handl, s. Grallus.
Uäuer, Ludwig Wilhelm, rühmlichst anerkannter deutscher Orgelbauer,
erlernte seine Kunst bei seinem Stiefvater, dem berühmten Meister Schmalz
zu Arnstadt, dessen Haus er später nebst Werkstatt erwarb, worauf er mit
dem Titel eines herzogl. gothaischen und fürstl. schwarzburgischen Orgelmachers
daselbst wirkte. Seine vorzügliche Arbeit verschaflPte ihm die Ausführung aller
bedeutender Werke in der Nähe und trug seinen Ruf bis in die weiteste Ferne.
So erhielt er 1797 den Auftrag zu einem Orgelbau in Kopenhagen; die be-
deutende Entfernung dieses Ortes von seiner Werkstatt bewog ihn jedoch, dem
Rufe nicht Folge zu leisten. f
Hansel, Johann Daniel, s. Hensel.
Hilusl; Peter, vortrefflicher deutscher Violinist und Instrumentalcomponist,
geboren am 29. Novbr. 1770 zu Leppe in der preussischen Provinz Schlesien,
wurde im Schul- und Musikfache von einem Oheim in Warschau ausgebildet,
1787 in St. Petersburg im Orchester des Fürsten Potemkin, welches Sarti
dirigirte, und 1791 bei dem Fürsten Lubomirski in Wien als Concertmeister
angestellt, woselbst er auch von 1792 an Compositionsschüler Jos, Haydn's
wurde. Im J. 1795 Hess er seine ersten Quartette erscheinen, die sehr gut
aufgenommen wurden, und 1802 nahm er ein Jahr lang Aufenthalt in Paris.
Nach Wien zurückgekehrt, starb er daselbst am 18. Septbr. 1831 an der
Cholera. Seine Werke bestehen in 55 Streichquartetten, drei Quartetten mit
Flöte und Clarinette, vier Quintetten, neun Violinduetten, Variationen, Rondos,
Polonaisen, Märschen u. s. w. für verschiedene Instrumente.
Hiintze, Joseph Simon, deutscher Violinvirtuose, geboren 1751 zu
Dresden, erhielt daselbst von den Violinisten Neruda und Hundt Violinunter-
richt und gehörte am Ende des 18. Jahrhunderts zu den geschätztesten Meistern
in der Tartini'schen Spielweise. Im J. 1779 wurde er als Concertmeister des
Markgrafen von Schwedt angestellt und kam später nach Berlin, wo er einem
Liebhaberconcerte vorstand und als Solospieler gefeiert wurde. Er starb zu
Berlin Anfangs des J. 1800 in einem Anfalle von Wahnsinn. Gerber nennt
ihn übrigens irrig Hinze oder Heinze; sonst findet man ihn auch Hentze
geschrieben.
Härerins oder Herrerius, Michael, ein sonst unbekannter Componist
des 17. Jahrhunderts, von dem sich nur einige gedruckte Werke erhalten haben.
Walther's Lexikon nennt ein Magnificat a 6 voci (Padua, 1604) und -oHortus
musiealis für 5, 6, 8 und mehr Stimmen« (drei Theile, Augsburg, 1607). f
Härlemiue, A. G., italienischer Componist, hat »/ sacri sdlmi dt David, messi
in rime volgati da Giov. Diotatia (Lucchese, 1664) in Musik gesetzt und heraus-
gegeben. Vgl. Martini, Storia. f
Härtel, Benno, talentvoller deutscher Tonkünstler der Gegenwart, geboren
am 1. Mai 1846 zu Jauer in Schlesien, erhielt seinen ersten Unterricht im
Ciavierspiel und in der Musiktheorie von verschiedenen Lehrern, in Berlin,
wohin der Vater, ein Rechtsanwalt, versetzt worden war, mehrere Jahre hin-
durch von E. Hoppe. Gleichzeitig pflegte er auch noch Violinspiel bei P.
Japsen. In der ComjDosition damals noch Autodidact, schrieb er gleichwohl
über liOO Kanons und grössere und kleinere Sachen für Gesang, verschiedene
Instrumente und Orchester, bis ein sechsjähriger wohlbenutzter Unterricht
Friedr. Kiel's seinen Schaffensdrang in geregelte Bahnen leitete. Seitdem war
er erfolgreich in allen Gattungen der Musik thätig, und der Berliner Ton-
künstlerverein, sowie verschiedene Orchester brachten von Zeit zu Zeit trefflich
gearbeitete Werke von ihm zur Aufführung. Im Druck sind bis jetzt von ihm
nur Ciavierstücke und ein Andante religioso für Alt erschienen; eine mit Fleiss
geförderte Oper harrt ihrer Vollendung. Auch auf pädagogischem Gebiete hat
Härtel — Haser. 485
sich H. bereits bewährt und ist seit 1870 Lehrer der Theorie an der von
J, Joachim geleiteten königl. musikalisch-akademischen Hochschule zu Berlin.
Härtel, Gebrüder Dr. Hermann und Raimund, die gegenwärtigen In-
haber des berühmten Musikverlagsgeschäftes in Leipzig, s. Breitkopf und
Härtel.
Härten, technischer Ausdruck im Orgelbauwesen für das Schlagen der
Pfeifenplatten mit einem hölzernen Hammer.
Häser, Johann Georg, gediegener deutscher Tonkünstler und Musiklehrer
und das Haupt einer tüchtigen Künstlerfamilie, wurde als der Sohn eines
Zimmermanns am 11. Octbr. 1729 zu Gersdorf bei Görlitz geboren. Seinen
ersten Musikunterricht erhielt er in Reichenbach beim Organisten Rönisch und
vervollkommnete sich als Gymnasiast in Löbau im Gesang, Ciavier-, Orgel- und
Violinspiel. Im J. 1752 bezog er die Universität zu Leipzig, um Jurisprudenz
zu studiren, sah sich aber in seiner Mittellosigkeit gleichzeitig auf Ertheilung
von Musikunterricht angewiesen. Hill er, der H.'s Geschick und Talente zu
beobachten Gelegenheit hatte, zog ihn 1763 als ersten Violinisten und Vor-
spieler in das sogenannte grosse Concert (s. Gewandhausconcert), und zu
dieser Stellung, die er 37 Jahre lang ehrenvoll bekleidete, gesellte sich auch
bald die eines Direktors des Stadt- und Theaterorchesters, sowie 1785 die eines
Musikdirektors an der TJniversitätskirche, bis er 1800 wirklicher Universitäts-
Musikdirektor wurde. Geachtet und verehrt starb er am 15. März 1809 zu
Leipzig und hat sich, wenn auch nicht als Componist (auf seine einschlägigen
Arbeiten legte er selbst wenig Werth), so doch als Begründer eines Pensious-
fonds für arme und kranke Musiker zu Leipzig (1786) ein treffliches Denkmal
gesetzt. — Seine von ihm unterrichteten und berühmt gewordenen Kinder
waren der Reihe nach: 1) Johann Friedrich H., ein vorzüglicher Orgel-
spieler, geboren 1775 zu Leipzig, starb daselbst schon 1801 als Organist an
der reformirten Kirche. — 2) Karl Georg H., geboren 1777 zu Leipzig,
war ein vortrefflicher und beliebter Basssänger und Schauspieler, der namentlich
lange in "Würzburg und Wiesbaden engagirt war. Zurückgezogen lebte er
noch um 1840 zu Kassel. — 3) August Ferdinand H., geboren am 15.
Octbr. 1779 zu Leipzig, besuchte die Nicolai- und die Thomasschule daselbst
und bezog 1796 als Theologe die Universität. Schon 1797 aber folgte er
einem Rufe als vierter Gymnasiallehrer und Cantor an der Hauptkirche zu
Lemgo in Westphalen und erhielt 1800 den Titel eines Musikdirektors. Von
1806 l)is 1813 war er als Begleiter seiner Schwester Charlotte (s. weiter
unten) auf Kunstreisen in Italien, Endlich zurückgekehrt, wurde er erst 1815
in Lemgo und zwar als Subconrector und Lehrer der Mathematik und ita-
lienischen Sprache wieder angestellt. Aber schon 1817 folgte er einem Rufe
nach Weimar als Musiklehrer der Prinzessinneu Augusta (jetzigen deutschen
Kaiserin) und Maria (nachmaligen Prinzessin Karl von Preussen), sowie als
Direktor eines neu von ihm zu errichtenden Hoftheaterchors, Zu Ostern 1829
wurde er auch als Musikdirektor an der Hauptkirche angestellt, mit welcher
Stelle später das Gesanglehreramt am grossherzogl. Seminare verbunden wurde.
Höchst verdienstvoll in allen diesen Aemtern wirkend, starb er am 1. Novbr.
1844 zu Weimar. Von seinen Compositionen sind Ouvertüren für Orchester,
Kirchenstücke, Sonaten, Uebungsstücke und andere Sachen für Ciavier, sowie
Lieder und Gesänge im Druck erschienen. Ferner hat er eine treffliche »Chor-
gesangsschule« und einen »Versuch einer systematischen Uebersicht der Ge-
sangslehi'e« herausgegeben, verschiedene musikalische Werke aus dem Fran-
zösischen und Italienischen übersetzt und an der Leipziger allgem. musikal.
Zeitung, an der Cäcilia, an der Encyclopädie von Ersch und Gruber u, s, w.
mitgearbeitet. Handschriftlich hinterliess er das Oratorium »der Triumph des
Glaubens« (1837 in Birmingham aufgeführt), Kirchenwerke aller Art, Cantaten
und Gesänge, die Opern »Die Neger auf St. Domingo« (Text von seinem
Bruder Wilhelm) und »Alphonsine oder der Thurm im Walde« (Text von
486 Häser.
CastcUi) und endlich »Neue musikalische Zeichen- und Notenschrift«, die eine
Vereinfachung des Unterrichts in der Harmonie- und Compositionslehre bezweckte.
Er hatte vier Söhne, von denen zwei sich der Medicin widmeten, zwei
als Schauspieler zur Bühne gingen. Von diesen ist der älteste, Heinrich H.,
geboren am 15. Octbr. 1811 in Rom, musikalisch bemerkenswerth, da er als
Professor in Jena eine Abhandlung veröffentlicht hat, welche den Titel führt:
»Die menschliche Stimme, ihre Organe, ihre Ausbildung, Pflege und Erhaltung«
(Berlin, 1839). — 4) Christian "Wilhelm H., erwarb sich in der Kunst-
welt besonders als Basssänger seinen bedeutenden Namen. Er wurde am 24.
Decbr. 1781 zu Leipzig geboren und erhielt frühzeitig durch den Cantor und
Musikdirektor Schicht regelmässigen Unterricht im Gesänge und gründliche
Anweisung in der Compositionslehre. Auf der Leipziger Universität widmete
er sich dem Studium der Rechtswissenschaft, las daneben mit Vorliebe die
alten Classiker und trieb mit Eifer neuere Sprachen, besonders italienisch.
Seine selten schöne Bassstimme erregte in Gesellschaften und Concerten die
grösste Bewunderung, und als er seine akademischen Studien vollendet hatte,
machte ihm der Direktor der deutschen Operngesellschaft in Dresden und
Leipzig, Joseph Seconda, einen vorth eilhaften Engagementsantrag, den H. endlich
auch annahm. Als Mitglied dieser Gesellschaft trat er zuerst, 1802 in Dresden,
als Pipofolus in Paesiello's »schöner Müllerin«, dann als Sarastro in der »Zauber-
flöte« auf und fand in Dresden sowohl, wie den "Winter darauf in Leipzig den
wärmsten Beifall. Von 1804 bis 1806 sang er unter Guardasoni's Direktion
an der italienischen und hierauf an der deutschen Oper zu Prag und wurde
daselbst der besondere Liebling des Publikums. Im J. 1809 ging er nach
Breslau, 1813 nach "Wien und folgte noch in demselben Jahre einem ehren-
vollen Rufe an das Hoftheater zu Stuttgart, woselbst er lebenslänglich angestellt
wurde, aber durch Gastrollen in Berlin, Frankfurt a. M., Prag, Karlsruhe,
Mannheim, Leipzig, Dresden u. s. w. seinen Künstlerruf erweiterte. Zu seinen
bewunderten Parthien gehörten Don Juan, Leporello, Sarastro, Osmin, Figaro,
Micheli im »"Wasserträger«, Mafferu im »Unterbrochenen Opferfeste« und der
Seneschall in »Johann von Paris«. Die treffliche Schule, die er genossen, der
grosse Umfang seiner Stimme, eine ungewöhnliche Kehlfertigkeit und ein stets
intelligent durchdachtes Spiel drückten allen Gesangsleistungen H.'s den Stempel
der Vollendung auf. Im J. 1844 trat er von der Bühne ab und starb, 86 Jahi-e
alt, 1867 zu Stuttgart. Als Gesanglehrer, Componist (Gesänge und Lieder,
zum Theil mit Orchesterbegleitung, das Intermezzo »Pygmalion«, die Oper
»Der Geburtstag«, Solfeggien u. s. w.) und Schriftsteller (deutsche und ita-
lienische Gedichte, metrische Uebersetzungen und Operntexte) hat er sich gleich-
falls ausgezeichnet. — Seine Tochter, Mathilde H., geboren am 23. Decbr.
1815 zu Stuttgart, von ihm zur Sängerin gebildet, betrat zuerst in "Weimar
die Bühne und war seit 1834 lange Jahre als Hofopernsängerin in Gotha en-
gagirt, während sein Sohn Karl H., geboren am 14. März 1818, ein Violin-
schüler Molique's und von diesem wie von seinem Vater in der Composition
unterrichtet, als geschätztes Mitglied der königl. Kapelle zu Stuttgart angehört.
— 5) Charlotte Henriette H., geboren am 24. Januar 1784 zu Leipzig,
erregte zuerst, von 1800 bis 1803, als Concertsängerin Aufsehen. Durch den
Kapellmeister Gestewitz in Dresden wurde sie 1803 dem kurfürstl. Hofe vor-
gestellt und für die dortige italienische Oper engagirt, worauf Gestewitz und
Ceecarelli sie weiter in der höheren Gesangskunst unterrichteten. Auch Paer,
dessen Gattin damals der Stern der Dresdener Oper war, nahm sich ihrer an.
Im Herbst 1806 ging sie mit ihrem Bruder August Ferdinand (s. oben)
auf Kunstreisen und zwar über Prag und "Wien, wo sie sehr erfolgreich bei-
nahe neun Monate lang an der italienischen Oper und auch bei Hofe sang,
nach Italien. Dort erregte sie auf den ersten Theatern des Landes En-
thusiasmus; man bewunderte ihre herrliche Stimme, Kunstfertigkeit, ihre acht
deutsche Gründlichkeit, ihren bescheidenen, streng sittlichen Lebenswandel und
Hässlein — Hässlich. 487
nannte sie allgemein »Za divina Tedeseaa (die göttliche Deutsche). Sie war
auch die erste Sängerin, welche in Italien in Männerrollen auftrat und es mit
Glück wagen konnte, mit einem Crescentini, Yeluti u. s. w. zu wetteifern. Im
Januar 1812 verehelichte sie sich in E-om mit dem allgemein verehrten Rechts-
gelehrten und Archivar Giuseppe Vera, der später vom Papst in den Adel-
stand erhoben wurde und in den diplomatischen Missionen des Wiener Con-
gresses u. s. w. eine Kolle spielte. Seitdem trat sie nicht mehr öffentlich auf
und lebte nach dem Tode ihres Gatten, am 13. Novbr. 1831, mit drei Söhnen
und einer Tochter zurückgezogen, im Winter in Rom, im Sommer auf einem
Landgute bei Amelia. Sie ist der Gegenstand einer Novelle, »Die Sängerin«,
welche sich im 13. Bande der Zeitschrift »Cäcilia« befindet.
Hässlein, deutscher Gelehrter, geboren am 1. Febr. 1737 zu Nürnberg,
starb als Calculator und Syndicus bei dem Oeconomie- Verbesserungs- und
Rechnungs-Hevisionscollegiums seiner Vaterstadt am 24. Septbr. 1797. Er ist
der Verfasser einer zu seiner Zeit erschöpfenden Abhandlung über die Meister-
sänger, für die ihm die Traditionen und die Archive Nürnbergs das Haupt-
material lieferten.
Kassier, Johann Wilhelm, deutscher Virtuose auf Ciavier und Orgel
und Compohist, geboren am 29. März 1747 zu Erfurt, wurde von seinem
Oheim, dem Organisten Kittel, einem würdigen Schüler Seb. Bach's, im Clavier-
und Orgelspiel schon früh unterrichtet. Auch im Theoretischen machte der
begabte Knabe glänzende Fortschritte, musste sich aber als Lehrling, später
als Geselle dem Geschäfte seines Vaters, eines Mützenmachers, widmen. Vier-
zehn Jahre alt, wählte man ihn zum Organisten an der Barfüsserkirche und
besonders erweckten seine freien Fantasien auf Ciavier und Orgel Staunen und
Bewunderung. Da schickte ihn sein Vater handwerksgemäss auf die Wander-
schaft, musste aber hören, dass der Sohn in Bautzen und Dresden Unterricht
und Concerte gab und dass ihm mehrere Organistenstellen angetragen worden
wären. Er rief ihn nach Erfurt zurück, und H. verwaltete seitdem das väter-
liche Geschäft bis lange nach des Vaters Tode und zwar lediglich im Interesse
der Mutter. Auf Geschäftsreisen lernte er die bedeutendsten Tonkünstler
seiner Zeit kennen, so in Hamburg Phil. Em. Bach, in Leipzig Hiller, deren
Umgang ihm zum höheren künstlerischen Nutzen gereichte. Nach dem Vorbilde
in Leipzig begründete er 1780 auch in Erfurt Winterconcerte, die grossen
Beifall fanden. Er gab darauf seine Mützenfabrik auf, ertheilte Musikunterricht
und schrieb Compositionen mancherlei Art, die sich weniger durch Tiefe als
durch Klarheit und Gefälligkeit auszeichneten. Ausserdem errichtete er eine
Musikalien-Leihanstalt, sah jedoch bald ein, dass ihn seine Fabrik sorgenfreier
hingestellt hatte, als die Kunst und suchte darnach auf Reisen sein Heil. In
Frankfurt a. M., 1790, vermochte er kein Glück zu machen, dagegen wurde
er 1791 in London, wo er auch vor dem Könige spielte, trefflich aufgenommen
und in St. Petersburg 1792 mit 1000 Rubeln Gehalt als kaiserl. Kapellmeister
und Kammervirtuose angestellt. Im J. 1794 wandte er sich nach Moskau,
hatte auch dort als Musiklehrer und Componist ein vorzügliches Auskommen
und machte sich um die Verbesserung des Kunstgeschmackes durch zahlreiche
Aufführungen grosser und guter Musikwerke verdient. Rastlos thätig bis an
sein Ende, starb er zu Moskau am 25. März 1822. Von seinen Ciavier-, Orgel-
und Gesangcompositionen führt Gerber in seinem Tonkünstlerlexicon zwanzig
in Deutschland erschienene Nummern auf. In Russland vermehrte sich diese
Zahl über das Doppelte hinaus; das Wenigste davon ist aber nach Deutsch-
land gelangt. — Seine Gattin und gewesene Schülerin, Sophie H., geborene
Kiel, eine treffliche Pianistin und geschmackvolle Sängerin, sorgte nach seiner
Abreise von Erfurt noch lange musterhaft für den Fortgang der Concerte und
der Musikhandlung.
Hässlich, von Hass abzuleiten, bezeichnet den Gegensatz vom Schönen
und demgemäss Alles, was in Wesen, Gestalt und Handlung durch seine Geist-
488 Häusser — Hilute.
losigkeit, Unc'benm'ässigkeit oder Verzerrtheit und seinen inneren "Widerspruch
das Missfallen und die Abneigung des Beobachters in hohem Grade hervorruft.
Auf die Tonkunst angewandt, ergeben sich die Kriterien einer hässlichen
Musik aus dem eben Gesagten von selbst. Vom Hässlichen selbst als Dar-
stellungsobjekt kann die Dichtkunst den (relativ) weitesten und umfassendsten
Gebrauch machen, die Tonkunst hingegen den beschränktesten. Denn bei ihr
ist die Darstellung des Hässlichen der Natur der Sache nach lediglich auf den
Ausdruck des Gefühls, welches das Hässliche auf den Menschen hervorbringt,
eingeschränkt. Ohne aufzuhören harmonisch zu sein oder selbst hässlich
zu werden, bezeichnet die Musik in Tönen das Hässliche durch widerstrebende,
den inneren Zwiespalt kundgebende Bewegungen, Tonfolgen und Tonmassen
und löst in dieser Art jenen Zwiespalt des Gemüthes gleichsam in dem höheren
Gcmüthszustande des Anschauenden auf.
Häuser, Johann Ernst, deutscher Gelehrter und Tonkünstler, geboren
1803 zu Dittichenroda bei Quedlinburg, machte in Leipzig seine Universitäts-
studien und wurde in seiner Vaterstadt Lehrer der Literaturgeschichte am
Gymnasium. In musikalischer Beziehung verfasste er eine Ciavierschule und
folgende AVei'ke: »Geschichte des christlichen, insbesondere des evangelischen
Kirchengesanges und der Kirchenmusik« (Quedlinburg, 1834); »Musikalisches
Lexicon, oder Erklärung und Verdeutschung aller in der Musik vorkommenden
Ausdrücke u. s. w.« (Meissen, 1828, 2. Aufl. 1833); »Der musikalische Gesell-
schafter, eine Sammlung vorzüglicher Anecdoteu u. s. w.« (Meissen, 1830);
»Musikalisches Jahrbüchlein. 1. Jahrg.« (Quedlinburg, 1833). Ausserdem
componirte er 170 Stücke für Orgel, Clavier-Polonaisen u. s. w.
Häusler, Ernst, deutscher Violoncellovirtuose und Componist, geboren
1766 zu Stuttgart, trieb auf der Karlsschule so erfolgreich die Musik, dass
er schon 1784 auf Kunstreisen sich begeben konnte. In Donaueschingen Hess
er sich als Hofmusicus des Fürsten von Fürstenberg fesseln, ging aber 1791
nach Zürich, wo er als Violoncellist und gewandter Sopransänger sehr ge-
schätzt wurde. In beiden Eigenschaften trat er 1797 auch vor dem Hofe
in Stuttgart auf. Dann Hess er sich als Musiklehrer in Augsburg nieder,
übernahm dort 1802 die Leitung des evangelischen Musikcorps und starb am
28. Febr. 1837. Seine Compositionen waren leicht und sehr gefällig; sie be-
stehen in Concerten, Concertinos und Divertissements für Violoncello, Violin-
und Flötenconcerten , einem Sextett für Streichquartett und zwei Hörner, der
Cantate »die Todtenfeier« (von Schiller), Liedern, Gesängen und Duetten für
zwei Sopranstimmen u. s. w.
Häute, gespannte, werden in allen Musikkreisen seit der grauesten Vorzeit
her zu Tonwerkzeugen verwandt. Im höchsten Alterthume bezogen die Chinesen
ihre aus Thon oder Holz gefertigten fassähnlichen Paukenkörper (s. Tsuku;
Yn-ku; Hiüen-ku u. A.) mit gespannten Thiei'häuten, welche den Grundton
ihres Tonreichs, Hoang-tschung (s. d.) geheissen, geben mussten. Ueber-
haupt bildeten bei diesem Volke die H. in ihrer Naturlehre eins der Elemente,
aus denen Tonwerkzeuge geschaffen wurden. Vgl. Amiot's i) Memoire sur la
musique des Chinoisn. In allen anderen Tonkreisen finden Avir die H. als
Klangmaterial nur zu Tonwerkzeugen verwandt, die unbestimmte Schalle zu
geben die Aufgabe hatten. Diese Tonwerkzeuge erhielten ihre Grösse je nach
ihrer Nutzanwendung. S. Trommel, Pauke, Tambourin etc. Erst im
Abendlande befleissigte man sich wieder, den H. bei manchen Instrumenten,
z. B. bei den Pauken, eine feste Stimmung zu geben. Ob die ebenfalls ge-
bräuchliche Anwendung der H. im abendländischen Musikkreise zu Tonwerk-
zeugen ohne festen Klang mit dem daselbst herrschenden Musikgeiste sich auf
die Dauer vereinigen lässt, ist sehr zu bezweifeln. Es wird wahrscheinlich die
Zeit nicht mehr fern sein, dass alle H., in der abendländischen Musik ver-
wandt, auch einen festen Ton geben müssen. Man sehe in dieser Beziehung
den Artikel Trommel in diesem Werke und im »musikalischen Wochenblatte«
Hafeueder — Hagemann. 489
Jahrg. 1870 No. 37, 47, 49 und 51 die Aufsätze über »die türkische oder
Janitscharenmusik«. Ausser dieser Anwendung bei Musikinstrumenten ver-
wandte man die H. auch als Tonmultiplicatoren. In dieser Art finden wir
sie bei der ältest ägyptischen Harfe (s. d.), der Rabäbe (s. d.), dem Rebab
(s. d.) und in früherer Zeit auch im Abendlande zu Resonanzböden in Piano-
f orte's (s. d.) benutzt. Wenn hier die Einzelninstrumente, welche H. zu ihrer
Tonzeugung bedurften, übergangen werden, so geschieht dies, weil die Special-
artikel über deren Verwendung das Nähere berichten; es sei nur noch auf die
akustischen Eigenheiten der H. aufmerksam gemacht, weil deren Vibrations-
weise sich als eine durchaus verschiedene von allen anderen Klangkörpern er-
giebt. Dieselbe ist in diesem "Werke in dem Artikel Akustik (s. d. Theil I.
S. 108) besprochen, und verweisen wir ausser auf diese Stelle noch auf Chladny's
»Akustik« §. 102 bis 165. B.
Hafeneder, Joseph, deutscher Componist, geboren 1774 (in Mannheim?),
veröflfentlichte 16 Jahr alt bereits eine Sinfonie und ging dann von Mannheim
nach Wien, wo er um 1796 mehrere seiner Violin- und Oboeconcerte heraus-
gab. Im J. 1809 wandte er sich nach Baiern, wo er in Landshut die Orga-
nistenstelle an der St. Martinskirche erhielt und noch Mancherlei für Ciavier,
Orgel und für die Kirche componirte, was aber Manuscript geblieben und jetzt
werthloB geworden ist.
F^ Haffenreffer, Samuel, deutscher Mediciner, geboren 1587 zu Herrenberg
in Würtemberg, war Professor der Heilkunde in Tübingen, als welcher er am
26. Septbr. 1660 starb. Er ist der Verfasser eines Buches, in welchem er be-
hauptete, dass er die Natur einer Krankheit durch die Analogie des Puls-
schlages mit irgend einem musikalischen Rhythmus zu erkennen vermöge.
Haffner, Johann IJlrich, geschickter deutscher Lautenist zu Nürnberg,
hat sich besonders einen Ruf dadurch erworben, dass er 1758 eine Musikalien-
handlung nebst Musikverlag errichtete, der zur Verbreitung vieler gediegener
Werke (u. A. erschien auch 1761 das riOdeon moralea von Mattheson) beitrug.
Er starb 1767 zu Nürnberg. f
Hafls-Adschem, arabischer Gelehrter und Schriftsteller der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, schrieb in einem Abschnitte seines Werkes y>Medinet
al oulouma (Stadt der Wissenschaft) über orientalische Musikinstrumente.
Hafner, Karl, trefflicher deutscher Violinist, geboren am 23. Novbr. 1815
zu Wien, studirte das höhere Violinspiel bei Mayseder und Jansa und siedelte
1839 nach Hamburg über, wo er im J. 1861 als geschätzter Lehrer seines
Instrumentes gestorben ist.
Haften oder Häftenns, Benedict van, niederländischer Theologe, trat
1627 in den Benedictinerorden und nahm statt seines Namens Jacob den obigen
an. Er wurde Abt und zuletzt Probst des Benedictinerklosters zu Afflighem
in Bi-abant, in welcher Würde er am 31. Juli 1648 starb. Unter seinen
Werken befindet sich nach Jöcher eins: y>Faradisum seu viridariuin catecMsti-
ctim, odis seu cantionibics helgico-latinis ad musicos tonos co7isituma. betitelt, das
ausschliesslich Musik behandelt. f
Hag'adah ist der Name einer althebräischen Melodie, die von den Juden
beim Feste zum Gedächtniss des Auszuges aus Aegypten (Passahfest) ge-
sungen wurde. Mehr über dieselbe findet man in Fetis' Sist. de la musique
T. I. p. 465. t
Hagebeer oder Hagelbeer, Jacobus Gatus rau, einer der berühmtesten
Orgelbauer Hollands, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts wirkte. Der zu
Alkmar 1645 vollendete Bau der Orgel, welche lange Zeit als grösste und
beste in ganz Holland galt, begründete seinen weithin verbreiteten Ruf. Mehr
über seine Arbeiten findet man in Gerber's Tonkünstlerlexikon vom J. 1812
und in Hess, Orgeldispositionen. t
Hagemann, Hermann, niederländischer Gesangscomponist, geboren 1812
zu Neei'bosch in Holland, war zuerst Chorsänger, dann Organist in seinem
490 Hagen — Hagius,
Geburtsorte und später Lehrer in Hees bei Nymwegen, wo er einen Gresang-
verein gründete und leitete, für den er verschiedene Werke componirte. Auch
für die Kirche hat er Mehreres geschrieben. Er wird von seinen Landsleuten
als ein strebsamer, tüchtiger Tonkünstler gerühmt.
Hagen, A. van der, s. Vanderhagen.
Hagen, Friedrich Heinrich, gelehrter deutscher Archäologe, geboren
am 19. Febr. 1780 zu Schmiedeberg in der Uckermark, war 1818 Professor
in Breslau und seit 1824 Professor der Philosophie und Mitglied der Akademie
der "Wissenschaften zu Berlin, in welcher Stellung er am 11. Juli 1856 starb.
Von seinen Werken gehören hierher: »Die Minnesänger und Liederdichter des
12., 13. und 14. Jahrhunderts« (3 Bde., Leipzig, 1838), worin sich Facsimiles
der damaligen Notenschrift, Gesänge der berühmtesten alten Dichter und eine
Abhandlung über die Musik der Minnesänger befindet; ferner »(34) Melodien
zu der Sammlung deutscher, flamländischer und französischer Volkslieder«,
herausgegeben mit Büsching (Berlin, 1807).
Hagen, Joachim Bernhard, deutscher Lautenvirtuose, aus Hamburg
gebürtig und Schüler des Kapellmeisters Pfeiffer, wurde im J. 1761 durch
verschiedene Compositionen für die Laute, die sich als Manuscripte Bahn
brachen, bekannt. Er erhielt 1766 in Baireuth die Stellung eines Kammer-
musikers und Lautenisten und beschloss als solcher wahrscheinlich seine künst-
lerische Laufbahn. +
Hagen, Theodor, einer der fähigsten und bekanntesten deutschen belletri-
stischen und Musikkritiker der Vereinigten Staaten von Nordamerika und einer
der dortigen Pioniere für eine gediegene Musikpflege, wurde 1823 in Hamburg
geboren und machte in seiner Vaterstadt, in Dessau und Paris gute musi-
kalische Studien. Hierauf wurde er Mitredacteur des »Hamburger Correspon-
denten«, musste jedoch seiner politischen Bestrebungen wegen 1849 Deutschland
verlassen und kam, nach einem Aufenthalte in der Schweiz und 1852 in
London als Musiklehrer, 1854 in New- York an, wo er sich in gleicher Eigen-
schaft, sowie als Ciavier- und Liedercomponist und als Musikkritiker verschie-
dener Zeitungen einen geachteten Namen erwarb. Zuletzt Redacteur der
»Newyork-Weekly-E-eview« , starb er am 27. Decbr. 1871 zu New- York. Von
seinen selbständigen Schriften sind besonders seine »musikalischen Novellen«
(Halle, 1848) und das geistreiche Buch »Civilisation und Musik« bekannt
geworden.
Hager, Georg, ein deutscher Meistersinger, der, wie sein Vater, noch
ein Schüler von Hans Sachs war und um 1646 zu Nürnberg als Schuhmacher
lebte. Sein Bild, ihn im 82. Lebensjahre darstellend, befindet sich als Holz-
schnitt vor seinem 1720, 1739, 1751 und 1770 gedruckten »Klag- und
Trauerliede«. t
Hagiopolite (griechisch) ist der Name einer Ende des 7. Jahrhunderts
abgefassten Abhandlung ü])er den Gesang in der griechisch-katholischen Kirche.
Diese, eigentlich nur eine Zusammenstellung aus älteren Schriften, führt u. A.
die Lehre von den acht Kirchentonarten als eine längst feststehende auf. Der
vollständige Titel des Buches ist: r^Bip.iov ayionokiriß avyxe-AQOirjut'vov ixnvoov
fiovaixöjv i-ieO^oÖMv.« 2.
Hagiopolites ist der Name des sonst unbekannten Verfassers der Schrift:
nDe musica ecclesiastica recentium Graecorum.<i Vgl. Fahricii Bibl. graec. Lib.
IIL C. 10 p. 269. Gerber in seinem Tonkünstlerlexikon vom J. 1812 spricht
die Vermuthung aus, dass vielleicht hiemit Cosmas Hierosolyraitanus gemeint
sei, der um 730 Bischof zu Majuma war und verweist auf L, Allatius, de libr.
eccl. graec. Wahrscheinlich bezieht sich H. nur andeutungsweise auf den Inhalt.
S. Hagiopolite. t
Hagins, Konrad, geschickter deutscher Tonkünstler, geboren zu Rinteln
im J. 1559, war in der musikalischen Composition sehr bewandert. Er lebte
in seinen jungen Jahren längere Zeit in Polen, wo er sehr geschätzt war und
Hagius — Hahn. 491
starb als gräfl. holsteinisch - scliauinl)urgisclier Kammermusiker. Von seinen
vielen Compositionen haben sich noch mehrere erhalten. Bekannter sind vier-,
fünf- und sechsstimmige Magnificats (DilUngen, 1606) und deutsche Gesänge
für zwei, drei bis acht Stimmen (erster Theil, Lauingen, 1614). Sonst hat
er noch lutraden, Galliarden, Couranten u. s. w. für Instrumente, Fantasien
und Fugen geschrieben, die Gerber in seinem Tonküustlerlexicon einzeln
aufiführt. t
Hagins, Johannes, Magister und Superintendent zu Eger zu Ende des
16. Jahrhunderts, hat verschiedenes Musikalisches in den Druck gegeben. Be-
kannt davon sind: nSyrnbolum Norimhergensium mit vier Stimmen« (Nüi'nberg,
1569); liSymbola magnorum principum mit vier Stimmen« (ebendas., 1570) und
yySymhola der beiden hochberühmten Männer, Lutheri und Melanchthonis, latei-
nisch und teutsch von 5 und 6 Stimmen« (Eger, 1572). Ygl. Gesner's
Bihl. univ. +
Hagne, Charles, englischer Componist und Musikgelehrter, geboren 1769
in der Grafschaft York, erhielt von seinem ältesten Bruder den ersten Musik-
unterricht, wurde dann 1779 zu Cambridge Yiolinschüler eines Italieners
Namens Manini und studirte später bei Hellendaal Harmonielehre. "Weiter
aus bildete er sich unter Salomon in London, wohin er sich 1785 begab. In
Cambridge wurde er 1794 Baccalaureus der Musik, und fünf Jahre später,
nach dem Tode des Dr. Handall, erhielt er an dieser Universität die Professur
der Musik und bald darnach auch den Doctorgrad. Er starb am 18. Juni 1821
zu Cambridge. Glee's, Anthem's u. s. w. seiner Composition und Arrangements
Haydn'scher Sinfonien für Quintett von ihm sind im Druck erschienen.
Hahn ist ein bei der von Chr. Förner, Orgelbauer in "Wettin, Ende des
17. Jahrhunderts erfundenen "Windwage (s. d.) nothwendiger Mechaniktheil,
welcher der sonst in der Mechanik überhaupt angewandten ebenso benannten
Vorrichtung gleich in seiner Einrichtung ist. Er befindet sich auf der Seite
der Windwage und seine Aufgabe ist: durch ihn das Gefäss derselben bis zur
Oeffnung des H.'s hin mit "Wasser zu füllen. — Auch ein Orgelregister führt
zuweilen die Benennung H. Dasselbe dient dazu, einen im Orgelprospectus
befindlichen aus Holz geschnitzten H. nach Ermessen flügelschlagen und krähen
zu lassen. Dies Begister, durch die Leidensgeschichte Christi (Ev. Lucae 22, 61)
angeregt, von einigen Orgelbauern als wünschenswerth erachtet, hat Schilling
noch im J. 1824 im Magdeburger Dome bei der Feier des Pfingstfestes , wie
er in seinem musikalischen Lexicon berichtet, in Gebrauch gefunden. Er theilt
dort mit, dass das Flügelschlagen des H.'s daselbst durch das Ziehen des Re-
gisters bewirkt wurde, das Krähen jedoch ein in die Orgel gestellter Oboen-
bläser ausführte, und dass diese Spielerei nicht allein aus der Stadt und
nächsten "Umgebung, sondern selbst aus weiterer Ferne Landleute in grosser
Zahl zur Kirche lockte. ^ 2.
Hahn, Albert, deutscher Componist und Musikschriftsteller, geboren am
29. Septbr. 1828 zu Thorn, war bereits Officier, als er sich 1856 in Berlin als
Musiklehrer niederliess und zunächst auch als Componist von Liedern und mehr-
stimmigen Gesängen sich bekannt machte. "Um 1860 gründete er einen Concert-
Gesangverein, mit dem er häufige, sehr beifällig beurtheilte Aufi"ührungen ver-
anstaltete, in denen auch seine Gattin, Bertha H., geb. Lenz, eine vortreff-
liche Pianistin, vielfach solistisch mitwirkte. Im J. 1867 folgte H. einem Rufe
als Musikdirektor des Gesangvereins nach Bielefeld, von wo aus er 1870 nach
Königsberg in Pr. übersiedelt, woselbst er den Sängerverein leitet. "Wie als
geschickter Dirigent in diesen Stellungen hat er sich auch als gediegener
musikalischer Schriftsteller rühmlich bemerkbar gemacht, und die Neue Zeit-
schrift f. Musik, die Neue Berliner Musikztg., die Tonhalle, das musikal. "Wochen-
blatt u. s. w. enthalten interessante Artikel seiner Feder. Von seinen Com-
positionen sind nur einige Gesangsachen im Druck erschienen.
Hahn, August, gelehrter deutscher Theologe, geboren am 27. März 1792
492 Hahn.
zu Grossostertausen bei Querfurt, maclite in Eisleben Gymnasial- und seit
1810 in Leipzig TJniversitätsstudien. Er wurde 1819 ausserordentlicher Pro-
fessor der Theologie in Königsberg und zeichnete sich schon damals durch
gelehrte Schriften und Programme über Bardesanes, Marcion und Ephraem
aus, von denen musikalisch bemerkenswertb sind: y>Baräesanes gnosticus, Syrorum
primus liymnologusa und »lieber den Kirchengesang Syi'iens«, Im J. 1826 zum
ordentlichen Professor nach Leipzig und 1833 als Consistorialrath nach Breslau
berufen, erhielt er 1844 unter Beilegung des Prädicats als Oberconsistorialrath
das Amt eines Generalsuperintendenten für die Provinz Schlesien.
Hahn, Bernhard, ein um den katholischen Kirchengesang verdienter
deutscher Tonkünstler, geboren am 17. Decbr. 1780 zu Leubus in Schlesien,
erhielt von seinem Vater, Schulrector und Organist daselbst, guten Unterricht
im Gesang und Violinspiel und wurde, als er das Leopoldinum in Breslau be-
suchte, zugleich Altsänger des dortigen Domchores. Nach Verlust seiner schönen
Knabenstimme und dieser Stellung kam er 1799 als Violinist in das Haus-
quartett des Grafen Matuschka zu Pitschen am Berge, wo ihn der Musik-
direktor Förster kennen und schätzen lernte, unter dessen Leitung seine höhere
Musikausbildung begann. Im J. 1804 begleitete H. zwei Söhne seines Grafen
nach Halle, wo ihn ein fast täglicher Umgang mit Türk sehr förderte. Ein
Jahr später kam er nach Breslau zurück, wurde zuerst Tenorist, dann Signator
am Dome, 1815 Gesanglehrer am katholischen Gymnasium und endlich, nach
Schnabel's Tode, Domkapellmeister, als welcher er im J. 1852 starb. Von
seinen verdienstlichen Werken sind anzuführen: »Handbuch beim Unterricht
im Gesänge für Schüler auf Gymnasien«; »Gesänge zum Gebrauch beim sonn-
und wochentägigen Gottesdienste auf katholischen Gymnasien« (Breslau, 1820);
ferner Schullieder, sechs Messen, Offertorien und Gradualien u. s. w. Sein
Styl ist dem von Jos. Schnabel sehr verwandt; leichte Sangbarkeit und discreter
Gebrauch der Instrumente kennzeichnen grossentheils seine "Werke, jedoch sind
sie zum Theil von "Weichlichkeit nicht freizusprechen.
Hahn, Georg Joachim Joseph, fleissiger theoretischer Schriftsteller
und beliebter Componist des 18. Jahrhunderts, war Senator und Musikdirektor
zu Münnerstädt in Franken. Er veröffentlichte u. A.: »Harmonischer Beitrag
zum Clavier« (2 Thle.), »Der wohlunterwiesene Generalbassschüler« (1751,
2. Aufl. 1768), »Leichte Arien auf die vornehmsten Feste«, ferner Messen,
Psalme, Sonaten und andere Stücke für Clavier u. dgl. m.
Hahn, Johann Bernhard, deutscher Gelehrter, geboren 1722 zu
Königsberg und später daselbst Doctor der Philosophie und Professor der
Beredsamkeit und Geschichte, legte diese Stellung 1778 nieder und las pri-
vatim Collegia. Unter seinen Disputationen findet sich eine: »De vanetate
sonorum specimine sapientiae divinaea betitelt (Königsberg, 1740). f
Hahn, Johann Gottfried, Sprössling einer alten berühmten tliüringischen
Glockengiesser -Familie, geboren um 17G0 zu Gotha, ist der Verfasser des
gründlichen und in seiner Art schätzbaren "Werkes »Campanologie oder
praktische Anweisung, wie Laut- und Uhrglocken verfertigt werden« (Er-
furt, 1802).
Hahu, Theodor, deutscher Componist und Gesanglehrer, geboren am
3. Septbr. 1809 zu Dobers in Schlesien, trieb schon früh beim Organisten
Klein in Schmiedeberg Clavier- und Orgclspiel, sowie Musiktheorie, Studien,
die er später bei Hink und Gotifr. Weber in Darmstadt fori setzte und von
1828 an in Berlin l)ei B. Klein und Zelter vollendete. Als Gesanglehrer bei
mehreren königl. Lehranstalten bereits thätig, ging er 1838, mit Stipendium
vom Hofe versehen, nach Paris, wo er sich von Bordogni und Lablache Rath-
schläge ertheilen Hess und besuchte dann noch Italien, Wien und Prag, um
die dortigen Musik -Lehranstalten kennen zu lernen. Nach Berlin zurück-
gekehrt, wurde er als Organist an der St. Petrikirche und 1840 als Gesang-
lehrer und Repetitor an der königl. Opern -Gesangschule angestellt. Er starb
Hahn — Haine. 493
zu Berlin im J. 1865. Von seinen in keiner Beziehung bedeutenden Com-
positionen sind im Druck erschienen: Cantaten, Motetten, Psalme, ein- und
mehrstimmige Lieder, Schulgesänge und Orgelstücke.
Hahn, Wilhelm, beliebter Pianist, Componist und Musiklehrer in Berlin,
der um 1818 in bedeutendem Ansehen stand und eine Cantate, Sonaten
und verschiedene Stücke für Ciavier, sowie andere Kammermusikeachen veröffent-
licht hat.
Haibel, Jacob, oder Haibl, deutscher Tenorsänger und Componist, ge-
boren 1761 zu Grätz, war seit 1789 Sänger und Schauspieler unter Schika-
neder's Direktion in Wien und schrieb für dessen Theater etwa zehn Operetten
im leichten, gefälligen Style, worunter als beliebt gewesen zu nennen sind:
»Der Tyroler Wastel« und dessen Fortsetzung »Der Landsturm«, »Das medi-
cinische Collegium«, »Papagei und Gans, oder die cisalpinischen Perrücken«,
»Der Einzug in das Friedens- Quartier«, »Tsching! Tsching!«, »Alle Neun und
das Centrum« und »Astaroth der Verführer«. Auch verschiedene Ballets tragen
seinen Namen. Im J. 1804 verliess er Wien und wurde Kapellmeister des
Bischofs von Diakowar in Ungarn. Er starb im J. 1826. — Seine Gattin
war Mozart's dritte und jüngste Schwägerin und seine Tochter, Sophie H.
1829 und 1830 ziemlich beliebte Sängerin in München.
Halden, s. Hey den.
Haigh, Thomas, englischer Componist, war ein Schüler von Jos. Haydn.
Von 1793 an schuf er etwa 25 Werke, bestehend in Arien, Ciaviersonaten
und Stücken für Harfe, die aber mehr den Geist Arne's und Boyce's, als den
Haydn's widerspiegeln.
Haillot, französischer Violoncellovirtuose und Lehrer dieses Instrumentes
zu Paris, gab daselbst 1780 sechs Duos für Violoncello über Melodien aus
komischen Opern als op. 1 heraus. f
Haiudel oder Haindl, auch Heindl geschrieben, war 1793 Hofmusiker
und Musikdirektor am Theater zu Passau und vorher, 1782, Concertmeister
in Innsbruck, als welcher er daselbst die Operette» Der Kaufmann von Smyrna«
in Musik gesetzt hat. f
Haine, Johann, deutscher Musiktheoretiker, im Anfange des 16. Jahr-
hunderts erster College an der Stadtschule zu Lüneburg, lehrte daselbst 1516
zuerst in der Schule Figuralmusik ausführen. Bis zu jener Zeit kannte man
nur den gregorianischen Choralgesang. So berichtet Götze in seinen Eloyiis
Germanorum quorund. Theol. sec. XVI et X.VII (Lübeck, 1708). f
Haine, Karl, tüchtiger deutscher Tonkünstler, geboren am 2. Jan. 1830
zu Augsburg, war der Sohn eines Bühnensängers und dadurch von der Wiege
an und seine ganze Jugend hindurch einem unsteten Wanderleben preisgegeben.
In Nürnberg 1835 begann er Ciavierspiel zu erlernen und zwar mit solchem
Erfolge, dass er 1838 in Bremen bereits öffentlich auftreten konnte. Ein Jahr
später besuchte er zu Lübeck fieissig die höhere Schule und studirte in der
Musik weiter, ebenso seit 1842 zu Frankfurt a. 0., wo die Familie drei Jahre
blieb. Während der Sommer unternahm der Vater mit seinen drei Söhnen
Concertreisen , und H. sah auf diese Weise die Mark Brandenburg, Pommern,
Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Jütland, Hannover u. s. w. Mit 16 Jahren
wurde er als Musikdirektor bei einer Wandertruppe in Westphalen engagirt,
bei welcher die Eltern schauspielerisch fungirten, bis er 1847 in das Theater-
orchester zu Mainz trat. Doch bald folgte er seinem Vater nach Hanau und
Worms, wo er unter den Stürmen des Jahres 1848 seine ganze Familie durch
Ertheilung von Musikunterricht, Notenschreiben u. s. w. erhalten musste. Von
1849 bis 1851 lebte er als Musiklehrer in dem rheinischen Städtchen Bocholt,
war dann Musikdirektor am Theater zu Aurich und Emden und folgte endlich
im Mai 1852 einem Kufe als Domorganist zurück nach Worms, welche Stelle
er 1866 aufgab und dafür 1868 die als Dirigent und Organist an der israe-
litischen Synagoge zu Worms annahm. Im J. 1872 gründete er einen
494 Hainhofer — Haitzingei-,
Orchesterverein, mit dem er regelmässige, sehr bemerkenswerthe Concerte ver-
anstaltet, wie er denn auch als geschätzter Musiklehrer einen vorth eilhaften
Einfluss auf das Kunstleben von "Worms ausübt. Von seinen Compositionen,
unter denen sich uugedruckt eine dreiaktige Oper, »Der Graf von Burgund«,
eine Operette und ein Clavierconcert befinden, sind einige 50 Nummern, be-
stehend in Cluvierstiicken verschiedener Art, ein- und mehrstimmigen Liedern
und Gesängen, veröffentlicht worden. Dieselben haben in der Berliner Musik-
zeitung »Echo«, Jahrg. 1873, eine glänzende ßecension erfahren, und ebenso
haben sich schon früher Lortzing, Reissiger, Liszt u. A. höchst anerkennend
über H.'s Compositionstalent auegesprochen.
Haiühofer oder Hauuhofer, Philipp, ein reicher Musikdilettant, der im
16. Jahrhundert zu Augsburg lebte und nach von Stetten's Bericht die Laute
vorzüglich spielte und für dieselbe componirte. Uffenbach fand in der Bibliothek
zu Wolfenbüttel einen beinahe handbreiten Folianten, eine Sammlung deutscher
Lieder enthaltend, deren Titel lautete: »Vierter Theil Philip Haunhoferi Lauten-
Bücher, darinnen unterschiedliche teutsche Dänze mit ihren darunter geschrie-
benen Texten, laut folgenden B,egister Folio 3 zu finden sein.« In diesem
Folianten waren vortreflliche Kupferstiche von Lucas von Leyden, Münsterer,
Dürer u. A. eingeklebt. Wahrscheinlich hatte mehr diesen als seinem sonstigen
Inhalte der Foliant seine Erhaltung zu danken. Vgl. Uffenbach's Reisebericht
Band I S. 367. f
Uaiul, Georges Frangois, einer der kenntnissreichsten und vorzüg-
lichsten französischen Dirigenten der Neuzeit, geboren am 19. Novbr. 1807 zu
Issoire im Departement Puy-de-Dome, wurde in seiner Jugend auf dem Violon-
cello unterrichtet und zu seiner vollständigen Ausbildung auf diesem Instru-
mente 1829 auf das Pariser Conservatorium gebracht, wo er Norblin's Schüler
wurde. Durch Talent und Fleiss brachte er es dahin, dass er schon 1830 den
ersten Preis im Violoncellospiel davontrug und sich bald darauf auf Concert-
reisen in die französischen Provinzen begeben konnte. Dem Virtuosenleben
entriss ihn 1840 die Anstellung als erster Orchesterchef am Grossen Theater
in Lyon, welches Amt er mit solcher Auszeichnung versah, dass, als 1862 die
Besetzung der ersten Dirigentenstelle an der Grossen Oper zu Paris in Frage
kam, die Wahl einhellig auf ihn fiel. Er nahm den ehrenvollen Posten zum
Bedauern des kunstsinnigen Lyon an und vereinigte damit seit 1863 auch die
Direktion der Conservatoriumsconcerte. Auf der Höhe eines wohlverdienten
Ruhmes stehend, erlag er am 5. Juni 1873 einem Schlaganfalle zu Pai-is.
Verschiedene Compositionen von ihm für Violoncello sind in früherer Zeit im
Druck erschienen und auch schriftstellerisch ist er aufgetreten mit dem Buche
»Z)e la musique ä Lyon depuis 1713 jusqu'en 1852 etc.«. (Lyon, 1852).
Haiuleiu, s. Heinlein.
Uainzmaun, Johann Christoph, musikkundiger Doctor der Medicin,
war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Medicinalassessor zu Augsburg
und veröffentlichte: »Die himmlische Nachtigall, singend gottselige Begierden
der büssenden, heiligen und verliebten Seele, nach den drey Wegen der Reini-
gung, Erleuchtung und Vereinigung mit Gott in hochdeutscher Sprache ver-
fasst, auch mit newen Kupferstichen und anmuthigen Singweisen geziert durch
J. Chr. Hainzmann« (Editio correctior. Augsburg, 1690). Name und Werk
fehlen in den bisherigen Wörterbüchern, sogar bei Gerber und bei Fetis.
Haitziu^er, Anton, berühmter deutscher Tenorsänger, geboren 1796 zu
Wilfersdorf in Oesterreich, wurde von seinem Vater, einem Schullehrer, in den
Elementen des Gesanges und Ciavierspiels unterrichtet und zog schon als
zwöKjähriger Knabe, wo er in der Kirche sang, durch seine schöne Stimme
die Aufmerksamkeit auf sich. Nachdem er sich auf der Schule zu Kronenburg
dem Schulfache gewidmet hatte und als Lehrer zu Wien angestellt worden
war, fuhr er fort, Musikstudien zu treiben und als Sänger in Concerten mit-
zuwirken, bis der Graf von Palffy ihn für das Theater an der Wien gowann
Hakart — Halbe Orgel. 495
und ihn bewog, 1821 die Bühne zu betreten und sich unter Salieri's Leitung
definitiv für den dramatischen Gesang auszubilden. In "Wien und überall, wo
er auf seinen vielen Kunst- und Gastspielreisen auftrat, so in Prag, Pressburg,
Frankfurt a. M., Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe u. s. w., machte er durch
seinen herrlichen Gesang Epoche; selbst in den Jahren 1828 — 1830 in Paris,
wo er neben der Schröder -Devrient und anderen Grössen unter ßöckel's und
Fischer's Direktion sang, 1831 — 1832 in London und 1835 in St. Petersburg,
so dass er hauptsächlich dazu beitrug, der deutschen Gesangskunst neben der
italienischen auch im Auslande die ihr gebührende Anerkennung zu verschaffen.
Seit 1828 war er in Karlsruhe engagirt, und seine Anstellung daselbst wurde
im Laufe der Zeit in eine lebenslängliche verwandelt. Als seit 1850 pensio-
nirter grossherzogl. Hofopernsänger und Gesanglehrer starb er am 31. Decbr.
1869 zu Karlsruhe. Seine Stimme war bis in das Alter hinein kräftig, wohl-
klingend, umfangreich und biegsam und sein Vortrag voll Feuer und Leiden-
schaft. In Bezug auf die Kunst der Darstellung hielt er jedoch nicht gleichen
Schritt mit seiner Ausbildung als Sänger. — Verheirathet war H. mit der
berühmten grossherzogl. baden'schen Hofschauspielerin Amalie Neumann ge-
borene Morstadt, geboren 1800 in Karlsruhe.
Hakart, Carolo, oder Hacquart, geboren um 1649 zu Huy, gestorben
1730 in Holland, war Violdigambist und Componist und gab nach B,oger's
Katalog: Präludien, Allemanden, Couranten etc. für die Yioladigamba und
Basso cont.; Motetti a 3, 4 e 5 voci con Stromenti und X Sonates pour 2
Yioladiganibes et Basse heraus. f
Hake, Hans, deutscher Instrumentalcomponist, war um die Mitte des 17.
Jahrhunderts Violinist und Stadtmusicus zu Stade und veröffentlichte von
seiner Composition Pavanen, Balletten, Couranten und Sarabanden auf 2 Viol.
und Bass (1. Theil, Hamburg, 1648; 2. Theil für 2, 3, 4, 5 bis 8 Instrumente
mit Basso cant., 1654). f
Hakenberger, Andreas, oder Hackenberger, einer der besseren Kirchen-
componisten des 17. Jahrhunderts, war bis etwa 1620 Musikdirektor an der
Marienkirche zu Danzig und veröffentlichte von 1612 bis 1619 verschiedene
Werke in Leipzig, darunter Motetten zu 6 bis 12 Stimmen; ferner: -aSacri
modulorum eoncentus« zu acht Stimmen (Stettin, 1615; 2. Aufl. Frankfurt a. 0.,
1616; 3. Aufl. Wittenberg, 1619).
Halb, Orgelterminus in der Bedeutung von l,25metrich (4-füssig), als der
Hälfte des Normalmaasses 2,5 Meter (8 Fuss). Halbprincipal ist demgemass
ein Principal 1,25 Meter.
Halbcadeuz, s, Cadenz, auch Tonschluss (unvollkommener).
Halbe, Johann August, deutscher Sänger und Componist, geboren zu
Budissin im J. 1755, widmete sich dem Theater und hat sich gegen Ende des
Jahrhunderts durch die Musik zu den Operetten: »Die Liebe auf der Probe«,
»Der Bassa von Tunis«, »Die zwei Geizigen«, sowie durch Arien zu »Lottchen
am Hofe« vortheilhaft bekannt gemacht. f
Halbe Applicatur, s. Mezza manica.
HalbeHig' ist ein veralteter Ausdruck in der Fachsprache der Orgelbauer,
der durch einfüssig und jetzt durch 0,3 me trieb verdrängt ist. 2.
Halbe Note (latein.: Minima) ist die Zweiviertelnote: I, s. Noten-
schrift.
Halbe Orgel ist ein in der Gegenwart seltener gebrauchter Fachausdruck,
der mit der Zeit wohl gänzlich sich verlieren wird, da derselbe durchaus keine
übereinstimmende Auffassung des Begriffes gestattet. Man bezeichnet hiermit
ein nicht umfangreiches Werk mit Pedal, das mehrere Manuale hat und im
Hauptmanuale (s.d.) als gi'össtes Principal (s.d.) ein 2,5 metriches führt,
da man annimmt, dass eine ganze Orgel in diesem Manuale ein 5 metriches
])eBitzen muss. Nach dieser Ansicht spricht man auch von einer viertel
Orgel, wenn nämlich im Hauptmauuale nur ein 1,25 metriches Principal steht.
496 Halbe Parallelen — Halber Ton.
Da jedoch die Disposition einer Orgel durchaus von den Anschauungen des
Erbauers abhängig ist und jedes Werk in sich abgeschlossen, ganz, sein muss,
so hat in der That die Bezeichnungsweise h. 0. keine sichere Basis zu ihrem
Verständniss, weshalb zu rathen wäre, diesen Fachausdruck endlich einmal ganz
ausser G-ebrauch zu setzen. 2.
Halbe Parallelen nennt der Orgelbauer solche Parallelen (s. d.), die zu
halben Stimmen (s. d.) erforderlich sind. 2.
Halbe Pause (latein.: suspirium) ist die Pause der Minima oder Zwei-
viertelnote. S. Notenschrift.
Halber Kreis oder Halbzirkel, CS ist in der Mensuralnotenschrift des
15. und 16. Jahrhunderts das Zeichen des Tempus imperfectiim, der durch zwei
Semihreves gemessenen Brevis. Ein hineingesetzter Punkt {;], die Prolatio
(major, perfecta) zeigt an, dass im Tempus imperfectum die Semihrevis perfect,
d. h. durch drei Minimae zu messen sei. Ist der Halbkreis senkrecht durch-
strichen, (C, oder nach links offen, O, oder nach rechts offen, aber mit einem
Bruche daneben, dessen Zähler den Nenner zweimal enthält, Q^fi, oder statt
dessen mit der Zahl 2, 62, so ist die Bewegung doppelt schnell. Der links
offene oder der nach rechts offene aber durchstrichene Halbkreis mit dem
Bruche */i , also O'^/i oder (CY^j oder der rechts offene mit dem Bruche ^ji,
C*/i, desgleichen der nach links offene durchstrichene, ;D, zeigen Yervierfachung
der Schnelligkeit an. S. Mensuralnotenschrift. — In unserer modernen
abendländischen Musik zeigt dieser Halbkreis, etwas umgestaltet, dem latei-
nischen Versalbuchstaben C ähnlich, C (einfaches, schlechtes C, französ.: O. simple),
den Viervierteltakt, durchstrichen, (ß (französ.: G harre, coupe, faule, tranche;
ital.: C tagliato) den Allabrevetakt an. Er kommt nur noch in diesen beiden
Gestalten vor; die übrigen sind ausser Q-ebrauch, da wir keine Prolatio und
Diminutio mehr haben.
Halber Schlag:, die Hälfte des Zweihalbetaktes, die halbe Note oder Pause.
Halber Tou, Halb ton oder S emiton (griech.: r,iiirövtot) nennt man in
der siebenstufigen Tonleiter das kleinste in Gebrauch befindliche Intervall, das
durch die Entfernung der grossen Terz von der reinen Quarte gebildet wird.
Den Pythagoräern zufolge gab es zwei verhältige Halbtöne, den kleinen im
Verhältniss 256:243, Diesis (s. d.) genannt, und den grossen im Ver-
hältniss 2187:2048, Apotome (s. d.) geheissen. Beide addirt geben den
grossen Ganzton:
256:243+ 2187: 2048
256 243
13122
6144
10935
8192
4374
4096
559872
: 497664
8) 69984
62208
8) 8748
7776
4) 2187
1944
9) 243
216
9) 27
24
3) 9
: 8
Unverhältige Halbtöne finden wir bei den Griechen vier festgestellt, nämlich
in den Verhältnissen 28:27, 10:15, 21:20 und 12:11, die durch die Er-
findung der verschiedenen Tetrachordschattirungen von Archytas, Didymos und
Ptolemäos empfohlen wurden. — Die abendländische Kunst kennt, wie gesagt,
den H. als kleinstes Intervall, indem sie denselben als nur noch mit dem Ohre
genau erkennbar und mit der Menschenstinime bequem darstellbar erachtete.
Halbes Cornet — Halbfünfton, 497
Diese ursprüngliclie Auffassung bewirkte auch, dass man in der Notenschrift
nur diese als kleinste Stufe darzustellen sich befleissigte, und bis heute ist
diese Darstellung für die Praxis ausreichend gewesen, trotzdem die Theoretiker
der Halbtöne mehrere zu unterscheiden, sich bemühen. Sie nehmen ebenfalls
zwei Arten von Halbtönen an: den grossen oder diatonischen, der der
Untex'schied zwischen unserer grossen Terz (5 : 4) und der reinen Quarte (4 : 3)
ist und folglich durch das Verhältniss 16:15 ausgedrückt werden muss, und
den kleinen oder chromatischen H., den Unterschied zwischen der grossen
und kleinen Terz, 5 : 4 — 6 : 5 = 25 : 24. Diese beiden Halbtöne addirt, geben
den kleinen Ganzton 10:9, während der grosse Ganzton aus dem kleinen
Halbton 25:24 und dem theoretischen Intervall 27:25, dem grossen Limma
(s. d.), entsteht. Die Theoretiker der Neuzeit sind nach der Einführung der
chromatischen Scalastufen in den Gebrauch in ihrer Feststellung der einzelnen
Halbtöne in der Octave, indem sie die Eigenheit des menschlichen Ohres:
kleine Tonhöhen nicht scharf unterscheiden zu können, die Anforderung der
abendländischen Harmonie und die Mittel der mathematischen Klanglehre in
gleiche Erwägung zogen, oft sehr verschiedene Wege gegangen, um zu klanglich
ziemlich gleichen Zielen zu gelangen. "Wir verweisen in dieser Beziehung auf
Fr. Wilh. Marpurg's »Versuch über die musikalische Temperatur« (Breslau,
1776), sowie auf die »Theorie der Musik« des berühmten Philosophen K. Chr.
Fr. Krause S. 57, wo derselbe lehrt, wie man mit Hilfe des kleinen H., 25 : 24,
vermittelst Addition (s. d.) und Subtraktion (s. d.) alle chromatischen
Stufen der diatonischen Scala erhält; ferner auf W. Oppelt's »Akustik« und
»die Lehre von den Tonempfindungeii« von H. Helmholtz S. 408 bis 442.
Auf die Praxis hat die theoretische Feststellung der modernen Scala nur ge-
ringe Einwirkung ausgeübt, denn der Musiker von Fach fühlt wohl hie und
da ein Zeitforderniss sich kenntlich machen, wird jedoch mit der längst schon
aufgestellten Regel in Bezug auf die beiden verschiedenen Halbtöne zufrieden-
gestellt: beide Halbtöne unterscheiden sich bei der Aufzeichnung. Der grösste
Unterschied von einer Stufe zur andern ist, wenn die Einzelntöne nach ver-
schiedenen Grundtönen verzeichnet werden, z. B. von c—des oder gis — a] einen
kleinen H. bilden zwei derselben Stufe angehörige Töne, zwischen denen sich
in unserm System kein Mittelton befindet, z. B. c — cis oder as — a. Er be-
fleissigt sich der Schi-eibweise entsprechend, seine Intonation (s. d.) dem
Intervalle zu geben. Wie die geringe Einwirkung der modernen theoretischen
Scalafeststellung sich zeitlich *in der Kunst selbst kenntlich macht, ist in dem
Artikel r>Semitonium modia (s. d.) erläutert. Hier machen wir nur auf die
erste uns in dieser Beziehung bekannt gewordene Bemerkung des verdienst-
vollen Gelehrten H. Helmholtz in seiner »Lehre von den Tonempfindungen«
S. 438 aufmerksam. — Es mag hier auch noch die verbreitete Annahme eine
Stelle finden, dass neun Comma (s. d.) des Didymus oder neun syntonische
Comma's;^ 81:80, einen grossen Ganzton geben, sowie dass fünf dieser Inter-
valle einen grossen H. und vier derselben einen kleinen H. ausmachen. In der
That ist aber das gefundene Intervall stets etwas grösser. 2.
Halbes Coruet oder Discant-Cornet nennt man eine Cornet- (s. d.)
Stimme der Orgel, welche nur der obern Hälfte eines Manuals einvei-leibt ist.
S. halbe Stimme.
Halbe Stimme oder halbes Register nennt man eine solche Orgelstimme,
die nur für die obere oder untere Hälfte des Tonreichs derselben disponirt ist.
Solcher Art sind die Fagott (s. d.), Cornett (s. d.), Vox humana (s. d.),
Oboi (s. d.) u. s. w. benannten Stimmen, da deren Toncharakter allgemein nur
in einer Tonregion bekannt ist. 2.
Halbfüuftou, in der griechischen nlathematischen Tonlehre gebräuchlich
gewesene Bezeichnung, welche der Benennung »grosse Sexte« entspricht. Ebenso
ist Halbsechston = grosse Septime, Hall)ton in der Achte = kleine
Muaikal. Convers. -Lexikon. rV. 3-'
498 Halbgedeckte Stimme — Halbzirkel.
None, Halbzweiton = kleine Terz und Halbzweiton in der Achte =
kleine Decime. 2.
Halbgedeckte Stimme nennt man in der Orgel ein Register, dessen Pfeifen
entweder nach oben hin sich verengend gebaut, oder am Ende mit einem Deckel,
der in der Mitte eine kleine Oeffnung mit einem Köhrchen hat, versehen sind.
Oft befinden sich unterhalb des Deckels in der Schallröhre auch eine oder
mehrere Oeflnungen. Von ersterer Art sind die Pfeifen des Gemshorns
(s. d.), der Spitz-, Spill- und Blockflöte (s. d.) u. A. und letztere Bauart
erhalten alle Schallröhren der Kohr flöte (s, d.). Die Tonhöhe der Pfeife
bei einer h. St. entspricht nicht dem gesetzlichen Maasse, sondern die Länge
derselben moderirt .sich nach Gestaltung des Conus, der Grösse der Deckel-
öffnuug, der Röhrenlänge, sowie auch nach der Grösse und Lage der Löcher
in der Schallröhre; ebenso ist die Tonfarbe des Registers durch diese Eigen-
heiten bedingt. Natürlich erhalten die Pfeifen einer h. St. in sich eine
proportioneile Bauart, um so deren Tonhöhe bestimmen zu können, sowie
deren gleiche Klangzeugung zu bewirken; ebenso ertheilt man ihnen einen
grösseren Aufschnitt (s. d.) und eine breitere Spalte (s. d.) als den offenen
Pfeifen. 2.
Halbiustriunent ist ein erst seit 1843 in Gebrauch gekommener Kunst-
ausdruck für die nach altem Muster eng mensurirten Blechblaseinstrumente im
Gegensatze zu den neuer construirten, Ganzinstrumente (s. d.) genannten.
Die Stärke der konischen Schallröhrenerweiterung zwischen Mundstück und
Schallbecher, in der, wie angedeutet, der Unterschied beider Instrumentgattungen
ruht, ist bei diesen Tonwerkzeugen, nimmt man den Böhrendurchmesser dicht
hinter dem Mundstück als Einheit an und die grösste Weite dicht vor dem
gekrümmten Schallbecher als letzte Schallröhrengrösse (das Verhältniss der
Röhreuweiten in Zahlen dargestellt), bei den H. höchstens wie 1 : 4 oder 1 : 8,
während dasselbe bei Ganzinstrumenten wie 1 : 10 bis 1 : 20 und weiter geht.
Vgl. Schafhäutl's Bericht über die Musikinstrumente auf der Industrieaus-
stellung zu München, S. 170. 2.
Halbirte Wiudlade nennt der Orgelbauer eine aus zwei nebeneinander be-
findlichen Abtheilungen gebaute Windlade (s. d.). 2.
Halbmond, türkischer Halbmond oder Schellenbaum ist die Be-
zeichnung eines Klinginstrumeutes der Militär- und speciell der .Tanitscharen-
musik. Dasselbe ist halbmondförmig aus Messingblech gearbeitet und an den
beiden Hörnern mit Rossschweifen aufgeputzt. *An der unteren Kante des
Halbmondes hängen viele Glöckchen, welche ein kindisches Geklingel von sich
geben, sobald der Träger die Stange, worauf das Instrument hoch getragen
wird, schüttelt. In den deutschen Armeen befindet sich der H, als eine Art
von Auszeichnung nur bei den Regimentsmusikcorps.
Halbpriucipal nannte mau früher ein 1,25 metriges Principal (s. d.),
indem man es damit als nur halb so gross gebaut, wie das gewöhnliche, be-
zeichnen wollte. Dieser Benennungsweise begegnet man öfter in der Fach-
sprache der Orgelbauer (s. halbe Orgel); dieselbe wird jedoch in neuerer
Zeit nicht mehr gepflegt und überhaupt nur deswegen noch angeführt, um sie,
wo sie in älteren Werken vorkommt, recht zu verstehen. 2.
llalbricht-MetaH, s. Orgelmetall.
Halbschluss oder Halbcadenz, s. Cadenz, auch Tonschluss (unvoll-
kommener).
Halbsoprau, s. Mezzosopran.
HalbYiolon, der deutsche Bass (s. d,).
Halbwerk, älterer Fachausdruck in der Orgelbauersprache, bezeichnet ein
Werk mit Principal 2,b und Octav 1,25 Meter im Hauptmanual. Es wird auch
Aequal-Principalwerk genannt. S. Halbe Orgel.
Halhzirkel ist zunächst identisch mit Halbkreis (s. d.). In der mo-
dernen TonsDrocho bezeichnet dieser Ausdruck fiii<- iniB vier geschwinden Tönen
ö'
Haie — Halevy. 499
von gleicher Geltung besteheude Figur, in welcher der zweite und vierte Ton,
sowohl im Auf- als Absteigen, wie bei a und ö, derselbe ist. Zwoi solche H.,
wie bei <?, werden zuweilen auch ganzer Zirkel genannt:
Haie, s. Adam de la Haie.
Haies, Stephan, berühmter englischer Gelehrter, geboren am 7. Septbr.
1677 zu Beckeburn in der Grafschaft Kent und gestorben als Dr. der Theo-
logie und Naturforscher am 4. Jan, 1761, schrieb u. A.: y>Sonormn cloctrina
rationalis et experimentalis etc.a- (London, 1742), ein Werk, das aus Newton's
und Anderer Schriften alles die Akustik Betreffende vereint und vorher
eine Untersuchung über die Luft und die Veränderungen der Atmosphäre
bietet, f
Halevy, Jacques Elie Fromental, einer der ausgezeichnetsten franzö-
sischen Componisten und Lehrer der Tonkunst der neuesten Zeit, wurde am
27. Mai 1799 zu Paris von israelitischen Eltern geboren und empfing, da er
schon sehr frühzeitig ein hervorragendes musikalisches Talent zeigte, einen
guten Gesang- und Pianoforteunterricht. Zu seiner allseitigen musikalischen
Ausbildung wurde er in seinem zehnten Jahre in das Pariser Conservatorium
gebracht, wo er, zunächst unter Cazot's und Lamberts Leitung, gute Port-
schritte machte. Bei Berton studirte er Harmonielehre und endlich unter
Cherubini, zu dessen Lieblingsschüler er sich emporschwang, fünf Jahre lang
Composition und Contrapunkt. Eine Cantate, »Herminie«, brachte ihm 1819
den grossen Compositionspreis und das damit verbundene Staatsstipendium ein,
mit dem ausgerüstet, er sich 1820 auf die vorschriftsmässige Studienreise nach
Italien begab und sich namentlich in Pom unter Baini's Leitung ernst und
anhaltend mit dem Studium der altitalienischen Musik beschäftigte. Ein Jahr
lang (1822 bis 1823) lebte er in Wien, wo er Beethoven's Bekanntschaft
machte und eine Ouvertüre seiner Composition, deren Form man aber veraltet
fand, zur Aufführung brachte und kehrte dann nach Paris zvirück, um sein
Heil als dramatischer Componist zu versuchen. Schwer genug wurde es ihm,
auf der Opernbühne festen Fuss zu fassen. Schon vor seiner italienischen
Reise hatte er eine Oper, »Zes BoJiemiennesa , (1820) componirt, allein weder
diese noch die folgenden Opern y>Fi/gmalion<i (1824) und »Zes deua; pavillons«.
vermochte er zur Aufführung zu bringen. Endlich, 1827, gelang es ihm mit
der einaktigen komischen Oper y>L^artisana, die im Theater Feydeau zu Paris
in Scene ging, aber nur geringen Erfolg hatte. Hierauf folgte die mit Piffaut
zum Geburtstage Karls X. componirte Oper y>Le roi et le hotelier« und 1829
y)Olark, die auf dem italienischen Operntheater aufgeführt wurde und durch die
unvergleichliche Malibran über Wasser gehalten wurde. Noch mehr Glück
machte in demselben Jahre die kleine komische Oper »Le dilettanie (V Ävignonf.
im Theater Feydeau, deren Partitur sogar der Verleger M. Schlesinger zur
grossen Aufmunterung für den Componisten ankaufte und herausgab. H.'s
folgende Werke: ein Ballet »Marion Lescautvi (1830), die Balletoper »La ten-
tationv. (1832) und die Oper »Yellav. (1832) wurden zwar angenommen, aber
nicht aufgeführt. Ein besseres Schicksal hatte die Operette »La langue musi-
caleii, die 1832 in Paris und deutsch (»Die Sprache des Herzens«) im Königs-
städter Theater zu Berlin nicht ohne Erfolg gegeben wurde. Noch mehr gefiel
die kleine einaktige Oper »Les Souvenirs de Laßeura, die 1833 zuerst in
Scene ging und überaus graziös und anmuthig befunden wurde. Nach dem
Tode Herold's erhielt H. den Auftrag, die von jenem Componisten unvollendet
hinterlassene Oper »Ludoviea zu Ende zu bringen, ein Auftrag, dessen er
sich so geschickt entledigte, dass der Erfolg des Werkes seit 1834 in
32*
500 HaMvy.
Frankreich und auch in Deutschland seinen wirksamen Einschaltungen zuzu-
schreiben ist.
Nunmehr erwartete man von H. eine bedeutende, grossartige Leistung,
und in der That trat er durch sein nächstes grosses Werk in die glänzende
Reihe der modernen Operncomponisten ersten Ranges ein. Dies epochemachende
Werk, welches noch jetzt, nach 40 Jahren, zum eisernen Bestände jeder
grösseren Opernbüline der civilisirten Welt zählt, war »Die Jüdin«, Text von
Scribe, die im J. 1835 zum ersten Male im Hause der Grossen Oper zu Paris
erschien. Diese Oper ist durch und durch von ausgezeichnet dramatischer
Wirkung und ein vollgültiger Beweis für H.'s seltenes Compositionstalent.
Denn in ihr herrscht eine dramatische Gewissenhaftigkeit, ein Fleiss in der
technischen Ausarbeitung, vor Allem eine Noblesse und Einheit des Styls, die
überraschen musste. Zudem werden Herzenstöne von so rührender Innigkeit,
leidenschaftliche Rufe von so erschütternder Wahrheit laut, dass es schwer zu
begreifen ist, wie man sie überhören oder geringschätzen kann. Den drama-
tischen Reformen, welche Meyerbeer mit dem seltensten Erfolge vorgezeichnet,
hat sich kein anderer Componist, unbeschadet seiner ausgeprägten Individualität,
talentvoller angeschlossen, wie H. in seinen grossen Opern seit der »Jüdin«.
— Schon das nächste Werk H.'s war wieder ein Meisterwerk, nämlich die
komische Oper nUeclaira (der Blitz), deren Musik überaus gehaltvoll und an-
muthig ist und die seit 1836 ebenfalls noch nicht ganz von den Repertoiren
des In- und Auslandes verschwunden ist. Auch die folgende grosse Oper,
»Guido et Crinevrav, Text von Scribe, am 5. März 1838 zuerst in der Pariser
Grossen Oper aufgeführt, zeigt den Componisten auf dem Höhepunkte seiner
Kraft und seines Talentes, nicht minder y>Le sherifa und r>Les treizea (1839),
»ie drapiera und y>La reine de Ghyprea (1840), »ie guitarreroa (1841),
-nCharles VI.«. (1842), «Xe lazzaronea (1843), »Les mousquetaires de la reina
(1846) und y>Le val d^Ändorrev (1848). In den ferneren Opern tritt H.'s
Energie und Begabung mehr und mehr zurück, und in grösserem Maasse machen
sich die bis dahin verdeckt gewesenen Schwächen geltend. Diese Schwächen
bestehen in einer gewissen Sprödigkeit und Forcirtheit des Melodischen, in
der ausgeprägteren Vorliebe für stark aufgetragene und grelle Farben und in
einer überwiegenden Reflexion und Manierirtheit, selbst unwesentlichen Situa-
tionen gegenüber. In diese Periode fallen die Opern y>Lafee aux ro.ies« (1849),
y>La dayne de piq^ueii (1850), »Za tempestaii (1851 für die Londoner königl.
italienische Oper), »Le juif erranta (1852), »ie Nahohu. (1853), ^ Jaguarita,
l'Indie7ine<i (1855), » Valentine d'Auhignea (1856) und »Za magiciennea (1858).
Die nach der letztgenannten in Angriff genommene grosse Oper »JVoe, ou le
delugefi hat H., durch die Kränklichkeit seiner letzten Jahre bedrückt, nicht
mehr ganz vollenden können und eine 1844 componirte Partitur, r>Le duc d^Alheu,
Text von Scribe, war von der Grossen Oper zu Paris gegen ein Reugeld von
30,000 Francs wieder zurückgelegt worden. Noch früher, 1831, hatte er in Ge-
meinschaft mit Auber, Berten, Berlioz, Cherubini, Herold und Paer eine Oper
unter dem Titel »Za marquise de Brinvilliers« , nach einem Text von Scribe
und Castil-Blaze, geschrieben.
H.'s äusseres Leben war ein an Arbeit, aber auch an Ehren überaus
reiches; dennoch hat er es zu einem bedeutenderen Vermögen nicht zu bringen
vermocht und von seinem Einkommen aus verschiedenen Aemtern, sowie von
den Einkünften seiner Opern keine grösseren Ersparnisse erübrigt. Im J. 1827
war er als Accompagueur in die italienische Oper zu Paris eingetreten und in
demselben Jahre als Nachfolger Daussoigne's zum Professor der Harmonielehre
am Conservatoriuui ernannt worden. Zwei Jahre später erhielt er die Stelle
als Gesauglehrer und Chordirektor an der Grossen Oper, und 1833 wurde er
an Fetis' Stelle Professor der Composition am Conservatorium, als welcher er
viele ausgezeichnete Schüler, unter ihnen die namhaftesten zeitgenössischen
Tondichter in Frankreich, bildete. Im J. 1835 wurde er zum Ritter, 1845
Hall - Hallay. 501
zum Officier des Ordens der Ehrenlegion erhoben, 1836 an Reicha's Stelle in
die Pariser und 1847 als Ehrenmitglied in die belgische Akademie aufge-
nommen. Der Herzog von Orleans ernannte ihn 1840 zum Direktor seiner
Privatmusik und drei Jahre später die Herzogin von Orleans zu ihrem Musik-
direktor. Im J. 1848 war er mit einem Mandate als Abgeordneter der fran-
zösischen Nationalversammlung betraut. Nachdem er bereits 1844 zum Vice-
präsidenten der Pariser Akademie der schönen Künste gewählt worden war,
wurde er 1854 zu deren ständigem Secretär ernannt, wozu ihn seine hervor-
ragende wissenschaftliche Bildung und sein fein gebildeter Geist ganz vorzüglich
befähigten; seine im Institute abgegebenen Jahresberichte sind oratorische und
dialektische Musterstücke, und unter ihnen wird der am 6. Octbr. 1855 dem
Mitgliede George Onslow gewidmete schöne Nachruf einen Ehrenplatz be-
haupten. Ausserdem aber ist H. auch als tüchtiger, geistvoller Schriftsteller
in verschiedenen französischen Journalen aufgetreten. Von einem hartnäckigen
Brustleiden schon lange bedrückt, entschloss er sich endlich im "Winter 1861/62,
an einem klimatischen Kurorte Heilung zu suchen und begab sich nach Nizza,
zu spät jedoch; am 17. März 1862 erlag er daselbst der schleichenden Krankheit.
Ganz Erankreich betrauerte den unersetzlichen Verlust; mit ihm schied ein
grosser Meister der Musik, ein bewährter, treuer Lehrer, ein rastlos fleissiger
Künstler und ein wahrhaft edler, guter Mensch aus dem Leben. Einen warmen
Nachruf hielt ihm in der Jahressitzung des Instituts Beule, sein Nachfolger
im ständigen Secretariate der Akademie. — Ausser Opern hat H. noch Scenen
aus den Dramen des Aischylos, eine Cantate »Zes flages du Nil'x auf die An-
wesenheit des Vicekönigs Ibrahim Pascha von Aegypten in Paris (1846), ferner
eine Eeihe religiöser Tonwerke, unter diesen Gesänge für den israelitischen
Gottesdienst, und viele Bomanzen und Ciaviersachen componirt. Endlich hat
er auch eine Harmonie- und Compositionslehre verfasst, die jedoch nicht im
Druck erschienen ist.
Hall, Henry, englischer kirchlicher Tonsetzer, geboren 1655 zu Neu-
windsor als Sohn eines Hauptmanns, wurde in der königl. Kapelle durch Dr.
Blow erzogen, erhielt später die Organistenstelle in Exeter und wurde dai-auf
Vicarius zu Hereford, als welcher er am 30. März 1707 starb. Verschiedene
von ihm componirte, erhalten gebliebene Kirchengesänge zeugen für seine Com-
positionstüchtigkeit. — Sein Sohn, ebenfalls Henry H., folgte dem Vater als
Organist zu Hereford. Vgl. Hawkins, Hist, of music V. p. 19 und 20. f
Hall, John, 1529 geboren, Wundarzt zu Maidstone in Kent, machte sich
sowohl durch Ausübung seiner Kunst, wie durch Schriften und die Heraus-
gabe von Liedern mit Noten einen Namen in England. Vgl. Eloy, Dict. de la
Med. und Granger's Biogr. Rist. Th. I. S. 256. t
Hall, Samuel, ein scharfsinniger im Anfange des 18. Jahrhunderts leben-
der englischer Gelehrter, zeigt in seiner Schrift: ytÄttempt to shoio that a taste
for the heaidies of nature and fine arts has no inßuence favourahle to morals«.
den nachtheiligen Einfluss des Missbrauchs der schönen Künste. Vgl. Mem.
of the litt, and phil. Society of Manchester (London, 1785) Vol. IL f
Hall, "William, englischer Violinvirtuose, war Ende des 17. Jahrhunderts
erster Violinist in der königl. Kapelle zu London und starb 1700 zu Bichmond.
Mehrere Compositionen von ihm sind gedruckt erschienen. Vgl. Hawkins
Hist. of miisic V. p. 19. t
Hallali bezeichnet in der Waidmannssprache die letzte Jagdfanfare beim Ver-
enden des erlegten Hirsches. Von Haydn in den »Jahreszeitena und von Mehul
in der Ouvertüre zur Oper »X« chasse du jeune Henrik ist dieser Jagdruf be-
nutzt worden.
Hallay, Madame du, bewunderte Sängerin und Ciavierspielerin der fran-
zösischen Aristokratie, lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu
Paris und machte ihr Haus zum Sammelpunkt für die Notabilitäten der Kunst
502 ]Ialle - Hallel.
und Wissenschaft, sowie füi' aufstrebende Talente, die sie durch ihren Einfluss
unterstützte. Sie starb um 1750 zu Paris.
Halle; Johann Samuel, deutscher Grelehrter, geboren zu Bartenstein in
Preusseu im J. 1730, gestorben als Professor der Geschichte beim Cadetten-
corps zu Berlin, schrieb und veröffentlichte ein Werk: »Die Kunst des Orgel-
baues theoretisch und praktisch« nebst acht Kupfertafeln (Brandenburg, 1779).
Ausserdem hat er auch eine deutsche TJebersetzung von Albr. von Haller's
•nElementa phjsiologiaei. geliefert. f
Uall(3, Charles, eigentlich Karl Halle geheissen, ausgezeichneter deut-
scher Pianist der Gregenwart, ward am 11. April 1819 zu Hagen in West-
phaleu geboren und erhielt von seinem Vater, einem Organisten und Musik-
direktor, den ersten Musikunterricht; Compositionsstudien machte er seit 1836
bei Eink in Darmstadt. Hierauf begab er sich 1840 nach Paris und trat
daselbst als Ciavierspieler öffentlich mit sehr bedeutendem Erfolge auf. Er
wusste neben Herz, Chopin, Kalkbrcnner u. s. w. um so mehr anzuziehen und
für sich einzunehmen, als er sich vorzugsweise bemühte, classische Werke der
Pianoforteliteratur, namentlich die Beethoven'schen Sonaten, zur Geltung zu
bringen. Im J. 1848 ging er der politischen Stürme wegen nach England,
das er seitdem nicht wieder verlassen hat. Zunächst feierte er in London als
Concertspieler Triumphe seltener Art und siedelte 1856 nach Manchester über,
wo er die Direktion einer Concertgesellschaft übernahm und mit Geschick und
Umsicht führte. Weiter und weiter strebend, errichtete er selbst Kammer-
musikconcerte, einen Musikverein behufs Pflege des Oratoriums, einen Gesang-
verein u. s. w. , und alle diese Institute stehen noch jetzt in Blüthe. Dann
aber auch war und ist seine Thätigkeit als Virtuose in den bedeutendsten
englischen Städten, namentlich während der Erühjahrssaison in London, sowie
als Musiklehrer eine wahrhaft bewunderungswürdige. Kein Wunder, dass er
im Laufe der Zeit eine der einflussreichsten musikalischen Persönlichkeiten
in Grossbritannien geworden ist. Auch als Componist soll H. ebenso fruchtbar
wie gediegen sein; von seinen Arbeiten ist jedoch nur sehr Weniges durch
den Druck veröffentlicht worden. Unbeirrt durch die mannichfachen Abirrungen
der Neuzeit, ist er als Pianist stets bemüht, die Classiker der Tonkunst in
religiös gewissenhaftem Cultus, ohne Effekthascherei und dünkelhaft-egoistische
sogenannte Verbesserungen in ihrer Reinheit und Ursprünglichkeit mit meister-
haftem Spiele zu Gehör zu bringen.
Uallel (hebräisch: bbn), zu deutsch: »Er hat gelobt oder verehi't«, ist die
hebräische Benennung der sechs Psalmen, die mit dem 113. beginnen und dem
118. enden. Dieselben wurden zu bestimmten Zeiten von den Priestern und
zu andern auch vom Volke gesungen. Von den Leviten wurde das H. an den
drei grossen Festen, dem Passah-, dem Wochen- und dem Laubhüttenfeste aus-
geführt. Beim Passahfeste sangen sie es in der Zeit, in welcher die Opfer-
lämmer geschlachtet wurden, und da die Zahl derselben oft sehr gross war,
so wiederholten sie den Gesang je nach Bedürfniss. Am Wochenfeste sangen
die Leviten das H. im Vorhofe des Tempels und am Laubhüttcufeste alle acht
Tage hintereinander, wie im Traktat vom Laubhüttenfest in der Missna cap. 4
§§ 1 bis 8 näher vorgeschrieben ist; diese Schrift ist ungefähr 120 v. Clir.
aufgezeichnet. Noch ist zu bemerken, dass nach den Zeiten des Judas Macca-
bäus, also ungefähr nach 300 v. Chr., die Juden im Winter acht Tage lang
das Fest der EiuAveihung des Tempels feierten, nämlich vom 20. bis 27. Tage
des Monats Kislev, und an jedem dieser Tage die Leviten gesetzlich verpflichtet
waren, das H. anzustimmen. Die feststehende Tonfolge zum H. wurde von
mehreren Chalil's (s. d.), welche Instrumente einzig zu diesem Gesänge im
Tempel gebraucht wurden, gegeben, und diese mussten vorschriftsmässig hierzu
wenigstens zu zweien und höchstens zu zwölfen angewandt werden. Vgl. im
Uebrigen noch die Mittheilungen in Salomon von Til's »Dicht-, Sing- und
Spielkunst« S. 385 uud 425. 2.
Hallelujah — Halljahr, 503
Ralleliijah oder Alleluja ist das im Deutschen und in anderen Landes-
sprachen gebräuchliche Wort für den hebräischen Ausdruck: <^''"'^bbr|, welcher
so viel als »Lobet den Herrn«, latein.: y>Laudate deuma bedeutet. Derselbe
zeigt sich jetzt fast bei allen christlichen Völkern als feststehender Jubelaus-
druck zum Schluss der Freudenfestgesänge in Gebrauch. Er findet sich ur-
sprünglich vielfach in den Lobgesängen der alten Hebräer. Mit H. beginnt
und schliesst der 130. Psalm; ferner findet man den Ausdruck H. zu Ende
einzelner Hauptabschnitte, sowie auch am Schlüsse vieler Psalmen. Es scheint,
als ob dieser Ausdruck in sich alle möglichen Gott zuwendbaren Vei4ferr-
lichungen concentrirt bieten sollte, und dem entsprechend scheint auch die
musikalische Ausstattung desselben gewesen zu sein. "Wenn alle Psalmen fest
vorgeschriebene Tonfolgen zu ihrem Texte besassen , wie aus dem Geiste der
hebräischen Musik und dem Ausführen der Psalmen nur durch Leviten, die
nach jahrelangen Vorstudien erst dazu fähig wurden, hervorgeht, so scheint
auch dem H. eine solche eigen gewesen zu sein, die als Stereotype mit diesem
Ausdruck überall wiederkehrte. Zu dieser Stereotype gehörte, wenn man die
verschiedenen Andeutungen in den Psalmenüberschriften mit in Erwägung
zieht, die Mitwirkung sämmtlicher bei dem eben ausgeführten Gesänge in Ge-
brauch befindlichen Tonwerkzeuge, die, wie etwa bei unsern Freudenfesten, wenn
ein Hoch ausgebracht wird, mitjubilirten. AVir sehen diesen Geist in ver-
edelter, unserm Musikfühlen entsprechender Art noch heute jeder wirkungs-
vollen Comjjosition des H.'s innewohnen, was uns um so weniger schwer zu
bemerken ist, als fast jeder hervorragende Tonsetzer sich bisher befleissigte,
mindestens ein H. zu comj)oniren. Die Juden, welche diesen Jubelausdruck in
der höchsten Art ihres Fühlens im 113. bis 117. Psalm besitzen, nennen diese
Psalme das grosse H. Dasselbe bildet, wie der Artikel Hallel mittheilt, bei
den drei grössten Festen einen steten unveräusserlichen Theil ihres Cultus.
Die abendländischen Christen haben erst seit dem 5. Jahrhundert das H. als
wesentlichen Theil ihrer Sonntags- und Festgesänge eingeführt. Später unter-
liess man an den Sonntagen in der Fastenzeit das Singen desselben, um die
heilige Trauer nicht zu stören. Am Ostertage jedoch führte man, um der un-
endlichen Freude über die Auferstehung Christi Ausdruck zu verleihen, die
prächtigste Composition dieses Jubelausdrucks aus. Wie erwähnt, hat fast jeder
hervorragende Componist ein H. geschrieben, doch ist von allen Compositionen
wohl die Händel's, welche auf breiten harmonischen, um einen Ton steigenden
Flächen in rhythmischer Gleichheit, von reichen Instrumentalklängen umrankt,
diesen Jubelruf hören lässt, die allgemein hochgeschätzteste und verbreitetste
im Abendlande, und lässt sich fast annehmen, dass dem ursjorünglichen orien-
talischen Geiste in dieser Nummer die angemessenste occidentale Gestaltung
verliehen ist. — Bemerkt sei noch, dass in alten Kirchengesängen durch Weg-
lassung der Consonanten im Worte H. das Wort Äevia (s. d.) Eingang ge-
funden hat. 2.
Haller, Albrecht von, einer der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit
und berühmt als Anatom, Physiolog, Botaniker, Arzt und Dichter, geboren zu
Bern am 16. Octbr. 1708 und gestorben als Mitglied des grossen Baths zu
Bern und Inhaber vieler anderen hohen Aemter am 12. Decbr. 1777 in seiner
Vaterstadt, ist als Verfasser der y>Elementa physiologiae corporis hiMnani<.(. (8 Bde.,
Lausanne, 1757 bis 1766) auch musikalisch zu bemerken. Den Inhalt dieses
Werkes giebt Forkel in seiner »Literatur der Musik« S. 234 an. Eine deutsche
[Jebersetzung unter dem Titel; »Anfangsgründe der Physiologie des mensch-
lichen Körpers« (Berlin, 1759 bis 1776) gab Johann Samuel Halle heraus.
Ebenfalls zum Theil in das akustische Fach schlagen H.'s y>Primae lineae phy-
siologiaea (2. Aufl., Göttingen, 1765). t
Halljahr oder Jubeljahr hiess bei den alten Israeliten jedes 50. Jahr,
in welchem nach 3. Mos. 25, 10 — 13 die Sclaven jüdischer Abkunft freigelassen,
die Schulden gelöscht und die verkauften und verpfändeten Länder an die
504 Halm — Hals.
ersten Besitzer oder deren Erben zurückgegeben werden iiuissten. In einem
solchen Jabre ruhte alle Feldarbeit; man verzehrte, was der Boden von selbst
trug und spendete davon den Armen. Feinde raussten sich versöhnen, Sühn-
opfer wurden gebracht und überall herrschte Friede und Freude. Der Anfang
dieses glücklichen Jahres wurde unter dem Schalle von Hallposaunen oder
Hörnern im Lande verkündigt, daher der Name H. TJebrigens sind die gesetz-
lichen Bestimmungen darüber, wenn auch vielleicht noch von Moses selbst auf-
gestellt, doch erst nach dem babylonischen Exilei zur Anwendung gelangt.
Hnlin, Anton, vortrefflicher deutscher Ciavierspieler und gediegener Musik-
lehrer, geboren am 4. Juni 1789 zu Altenmarkt in Steiermark, trieb von
Jugend auf mit dem grössten Eifer Musik, trat aber als Jüngling in die öster-
reichische Armee, bei welcher er verblieb, bis er 1811 als Lieutenant seinen
Abschied erhielt. Er nahm hierauf seinen bleibenden Aufenthalt in Wien, wo
er sich als Componist und Musiklehrer einen ausgezeichneten Kuf erwarb.
Auch von Beethoven geschätzt, stand er mit demselben in langjährigem, freund-
schaftlichem Verkehr. Bis in sein hohes Alter ununterbrochen didaktisch thätig,
sind aus seiner Schule viele bedeutende Ciaviervirtuosen hervorgegangen.
Hochgeachtet starb er im April 1872 zu Wien. Von seinen Compositionen
ragen namentlich die Pianoforte-Trios als vortrefflich hervor. Aber auch seine
Messe, Streichquartette, sowie Sonaten, Variationen, Bondos u. s. w. für Ciavier
enthalten viel Verdienstliches. Das Meiste davon ist im Druck erschienen.
Halma, Hilarion Emil, französischer Violinvirtuose, geboren 180,3 zu
Sedan in den Ardennen, liess sich nach erfolgreichen Kunstreisen durch die
französischen Provinzen in Paris nieder, wo er als Meister seines Instrumentes
sehr geschätzt war.
Halowin, s. Holowin.
Halphen, Charles Marie, französischer Toukünstler, lebte als Musiklehrer
in Metz und ist der Erfinder eines Spieles mit harmonischen Karten, das als
sehr sinnreich bezeichnet wurde.
Hals nennt man den schmalen, längeren Theil bei Griffbrettinstrumenten,
auf welchem das Verkürzen der Saiten mit den Fingern der linken Hand be-
wirkt wird. Derselbe wird aus hartem Holze gefertigt, damit er durch seine
Benutzung nicht so bald verbraucht wird und erhält gewöhnlich eine dunkle
Färbung. Mit dem einen Ende ist er in festem Zusammenhange mit dem
Resonanzkörper; am andern Ende befindet sich das AVirbelbrett (s. d.) oder
der Wirbelkasten (s. d.) nebst, je nach der Eleganz des Tonwerkzeugs,
daran befindlichen Verzierungen. Die dem Resonanzkörper entgegengesetzt
befindlichen Instrumenttheile des H.es, Wirbelkasten etc., nennt man auch den
Kopf (s. d.). Die Gestaltung des H.es ist oben meist plan und unten rund.
Letzteres ist er deshalb, damit die linke Hand sich beim Umfassen desselben
mittelst des Daumens und der anderen Finger leicht verschiedene Stellungen
aneignen kann, wie es eben die Griffe erfordern. Bei Reissinstrumenten ist
gewöhnlich das eigentliche Griffbrett (s. d.) unmittelbar auf den H. geleimt,
bei Streichinstrumenten hingegen befindet sich dasselbe schwebend über dem-
selben und dem abgewandt den Saiten genähert. Von der Länge und Breite
des H.es hängt die Applicatur (s. d.) des Tonwerkzeugs ab; denn ist der-
selbe lang, so sind die Griffe weiter der Länge nach, und ist er breit, so liegen
die Saiten oft weit von einander und die Griffe sind dem entsprechend breiter.
Kleine von der oben beschriebenen Gestaltung abweichende Formen, wie z. B.
beim H. der Violine, finden stets nach Maassnahme des Verfertigers oder des
das Instrument handhabenden Musikers statt, indem manche Applicaturlagen
dadurch erleichtert werden. Doch zeigen sich solche Abweichungen meist nur
bei Streichinstrumenten, weil die Griffe dort bei schneller Abwechselung die
möglicliste Erleichterung wünschenswerth machen. — Noch ist zu bemerken,
dass die Orgelbauer mitunter den Balgkropf den H. des Balges nennen. S. den
Artikel Balg. 2.
Halt — Hamal. 505
Halt, Halter oder Haltton, deutsche Benennung für Fermate (s. d.).
— Haltzeichen oder ßuhezeichen, s. Fermate.
Halteuberger, deutscher Kirchencomponist, war Ende des 18. Jahrhunderts
Canonicus zu Wayarn in Oberbaiern und hat sich in seiner Zeit durch zahl-
reiche geistliche Musikstücke einen Namen in seinem Lande gemacht. f
Haltenhoff, deutscher Fabrikant von Blaseinstrumenten, lebte in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Hanau und machte sich besonders durch wichtige
Verbesserungen an den Waldhörnern rühmlich bekannt.
Halter, Wilhelm Ferdinand, deutscher Orgelspieler und Componist,
geboren in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts, beschäftigte sich von je
her mit der Musik, obwohl er sich der Kunst nicht ausschliesslich widmen
durfte. Als Secretair in Königsberg i. Pr. veröffentlichte er 1788 sein erstes
Werk, bestehend in sechs Sonaten, welches eine aufmunternde Theilnahme fand.
Im J. 1792 gelangte eine Operette von ihm, »Die Cantons-Revision«, in Königs-
berg zur Aufführung und gewann einen Localruf; auch Gresänge und Lieder
von ihm erschienen im Druck. Um ganz der Musik leben zu können, nahm
er endlich die Organistenstelle an der deutsch-reformirten Kirche in Königsberg
an und starb daselbst am 10. April 1806.
f'"'' Haltiiieier, Johann Friedrich, Hoforganist zu Hannover, hat sich auch
als Musikschriftsteller bemerkbar gemacht. Er schrieb eine Abhandlung: »An-
leitung, wie man einen G-eneralbass oder auch Handstücke in alle Töne trans-
poniren könne«, die 1737 durch Telemann's Vermittelung zu Hamburg, 45
Quartblätter im Umfang, gedruckt worden ist. Diese kurze Schrift findet man
auch im zweiten Bande der Mitzler'schen Bibliothek abgedruckt. f
Haltung bezeichnet in der musikalischen Sprache das Verhalten der Töne
und Tonverbindungen gegen einander als verschiedene Theile eines zu einer
bestimmten Wirkung hinstrebenden Ganzen, und man spricht in diesem
Sinne von einer guten oder schlechten Haltung eines Tonsatzes oder Musik-
stückes.
Hamaaloth oder Hammaaloth (hebr.), d. h. Lieder der Stufen oder
Stufenlieder, nennen die Juden die 15 Gesänge vom 120. bis zum 134.
Psalm, welche einst die Leviten und die Tempelsänger abendlich an allen acht
Tagen des Laubhüttenfestes nach dem Abendopfer unter den vorgeschriebenen
Ceremonien singen mussten. Der Name selbst schreibt sich daher, weil die
Sänger dabei nicht auf der Singbühne des Tempels, sondern auf den 15 Stufen
der Morgenpforte desselben standen, welche den Vorhof der Männer von dem-
jenigen der Frauen trennten. Die Instrumente, auf welchen der Gesang dieser
Lieder begleitet wurde, waren hauptsächlich Harfe, Nabel, Cymbeln und Trom-
peten, mit welchen letzteren auch von zwei Leviten das Zeichen zum Anfange
des Gesanges gegeben wurde.
Hainal, Henri Guillaume, belgischer Kirchencomponist, geboren 1685
zu Lüttich, war ein Musikschüler von Lambert Pietkin und wurde in jungen
Jahren bereits Musikmeister an der Kirche St. Trond, später an der Kathedral-
kirche St. Lambert in seiner Vaterstadt. Er starb zu Lüttich am 3. Decbr.
1752 und hinterliess zahlreiche Kirchenwerke, Cantaten u. s. w. im Manuscript.
— Von grösserer Bedeutung ist sein Sohn, Jean Noel H., geboren am 23.
Decbr. 1709 zu Lüttich, der zuerst Sängerknabe an St. Lambert war und von
seinem Vater und dem Kapellmeister Dupont musikalisch unterrichtet wurde.
Zu seiner höheren Ausbildung sandte ihn der Kirchenvorstand 1728 nach Rom.
wo H. bei Giuseppe Amadori die Composition studirte. Von dort zurück-
gekehrt, erhielt er eine Präbende an St. Lambert und wurde 1738 Kapell-
meister an dieser Kirche. Er starb zu Lüttich am 26. Novbr. 1778. Ausser
vielen Kirchenwerken und den beiden nicht im Druck erschienenen Oratorien
»Judith« und »Jonathan« hat er auch zahlreiche weltliche Compositionen ge-
schrieben, nämlich mehrere Opern im Lüttich er Dialect, sechs als op. 1 be-
zeichnete Streichquartette (Lüttich, 1753), sechs vierstimmige Sinfonien als
506 Hamanu — Hamel.
op. 2 (LütticL, 1759) u. s. w. Fast scheint es aber, als ob die letztgenannten
Werke von seinem NeflPen, Henri H. , componirt sind, welcher ihm im Amte
eines Kapellmeisters an St. Lambert gefolgt ist.
Hnmauu, Johann Georg, ein geistreicher und eigenthümlich tiefer
deutscher Denker und Schriftsteller, von Moser der Magus im Norden ge-
nannt, welchen Namen er selbst auf dem Titel einiger seiner Schriften annahm,
ist als der Begründer der modernen Aesthetik anzusehen und in dieser Be-
ziehung einflussreich auf Kant, Schiller, selbst auf Goethe, -vornämlich aber auf
Herder gewesen, welcher letztere H.'s dunkle, mystische Aussprüche zuerst auf
klare Sätze zurückführte. Auf diesem Gebiete von H.'s Thätigkeit ist die kleine
Schrift r>Äesfhetica in micen auszeichnend zu nennen, welche einen Abschnitt
seines "Werkes »Kreuzzüge des Philologen« (Königsberg, 1762) bildet. Geboren
am 27. Aug. 1730 zu Königsberg i. Pr., widmete er sich seit 1746 der
Theologie, dann der Rechtsgelehrsamkeit, endlich, nirgends Genüge findend,
der Philologie und den schönen Wissenschaften. Nach einem unstäten, reich
bewegten Leben starb er am 21. Juli 1788 zu Münster.
Hamboys, John, englischer Musikgelehrter des 15. Jahrhunderts, wird
von einigen Histox'ikern als erster creirter Doctor der Musik in England an-
gesehen. In den vierziger Jahren seines Jahrhunderts galt er für den ge-
lehrtesten Musiker des Königreichs, und zwei erhalten gebliebene, lateinisch
geschriebene Abhandlungen von ihm: y>Summum artis musicesv. und r>Quatuor
principalia musicaen, sowie die Compositionen: y^Cantiones artißcales diversi ge-
nej'isa legen hierfür Zeugniss ab. Vgl. Hawkins, Ilist. of Music A^ol. II. p. 345
und 346. " t
Hambuch, August Karl, trefflicher deutscher Tenorsänger und guter
Musiker, geboren 1797 zu Berlin, wurde seiner schönen, hellen Sopranstimme
wegen schon früh Chorschüler. Als solcher horte ihn der Yiolinist Hummrich,
unterrichtete ihn auf diesem Instrumente und brachte ihn so weit, dass H.
1813 Berlin verliess, um eine Orchesterstellung zu suchen. Auf dieser Reise
kam er nach Aachen, wo er durch Liedervortrag zur Guitarre mehr Aufsehen
wie als Violinspieler machte, so dass er sich, dazu ermuntert, entschloss, bei
der dortigen Schauspielergesellschaft als Säuger einzutreten. Er fand Beifall,
der sich auf anderen Theatern, so in Köln, Düsseldorf, Wien u. s. w., noch
ungemein steigerte, so dass er 1819 als königl. Hofopernsänger nach Stuttgart
berufen wurde, wo er eine lebenslängliche Anstellung fand, trotzdem aber
mehrere erfolgreiche Gastspiel- und Concertreisen, auch nach Berlin, unternahm.
Enthusiasmus erregte er besonders, wenn er als Blondel in Gretry's »Richard
Löwenherz« das Violin- Solo selbst ausführte. Seit 1833 kränkelnd und in
Karlsbad und Kissingen nur vorübergehend geheilt, starb der als Elorestan,
Gussmann, Masaniello, Blondel u. s. w. wahrhaft gefeierte Sänger am 25. Aug.
18.M zu Stuttgart. Er hinterliess eine bedeutende Musikalienbibliothek und
eine schöne Sammlung werth voller Geigen. Auch componirt hat er, und zwei
seiner Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleituug sind in Stuttgart
erschienen.
Hamdcn, Lord, ein trefflicher englischer Dilettant und vorzüglicher Flöten-
bläser, lebte um die AVende des 18. und 19. Jahrhunderts zu London und
besasB die vorzüglichste und umfangreichste musikalische Bibliothek in Eng-
land, t
Hainel, Eduard, vorzüglicher, vielseitig gebildeter deutscher Tonkünstler,
geboren 1811 zu Ifamburg und daselbst musikalisch gründlicii unterrichtet,
begab sich 1835 nach Paris, wo er mehrere Jahre hindurch im Orchester der
Grossen Oper als Violinist angestellt war. Im J. 1846 kehrte er wieder
daaernd nach Hamburg zurück und zählt noch gegenwärtig daselbst zu den
geschätztesten Violin- und Clavierlehrern. In den letzten .Jahren hat er sich
auch als Local- Musikreferent bekannt gemacht. Auch seine Compositionen,
bestehend in Streich- und Ciavierquartetten, Pianofortestücken und Sonaten,
Hamel — Hamm. 507
Liedern und einer Oper »Malvina«, bekunden ihn als phantasievollen, tüchtigen
Tondichter.
Htiuiel, Katharina Josephe, gute deutsche Sängerin, geboren am 3.
Pebr. 1779 zu Mainz, debütirte am 9. Jan. 1795 am königl. Nationaltheater
.^u Berlin als Klizia im »Baum der Diana« und wurde daselbst engagirt. Be-
reits Anfangs des 19. Jahrhunderts verliess sie die Bühne wieder, verheirathete
sich an einen Privatmann Namens Dietrich und starb am 16. Decbr. 1840
zu Berlin. — Ihre Schwestern waren die berühmten Sängerinnen Margarethe
Schick (s. d.) und Lanz (s. d.), geborene Hamel.
Hainel, Marie Pierre, ein ausgezeichneter französischer Kenner des Orgel-
baues, geboren am 27. Febr. 1786 zu Arneuil, war Magistratsmitglied zu
Beauvais und ist der Verfasser des gründlichen Buches ^Manuel complet du
facteur d'orques, ou traite theorique et pratiq^iie de Vart de construire les orgues«
(Paris, 1849).
Hamerikj Asger, einer der bedeutendsten dänischen Tonkünstler der
Gl-egenwart, geboren am 8. April 1843 zu Kopenhagen, zeigte schon früh ausser-
gewöhnliches Talent zur Musik und lenkte, noch Knabe, die Aufmerksamkeit
und das Interesse der Notabilitäten der dänischen Hauptstadt durch Compo-
sition von Cautaten und complicirterer "Werke auf sich. Er lag hierauf seit
1859 gründlichen Musikstudien in Schweden, Deutschland und England ob
und nahm 1868 Aufenthalt in Paris. Die bedeutendsten Erüchte dieser Studien-
reisen waren die grossen vaterländischen Opern »Toveble« und »Hjalmar und
Ingeborg«, deren Texte er ebenfalls selbst verfasst hatte. "Was davon, sowie
von seinen übrigen grösseren Werken gelegentlich zur öffentlichen Aufführung
gelangte, wurde von der Kritik als eigenthümlich erfunden und vortrefflich ge-
arbeitet, sehr hoch gestellt. Bald nach dem Ausbruche des französisch-deutschen
Krieges begab sich H. nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und
erhielt 1872 die Berufung als Direktor der musikalischen Abtheilung des
Peabody- Institutes iu Baltimore, welchem Amte er mit vorzüglicher Umsicht
und mit einer seltenen Energie vorsteht. Er wirkt in demselben nach anzu-
erkennenden Kunstgrundsätzen und verfolgt ausserdem die fernere Aufgabe,
Musikverständniss auch in weiteren Kreisen einerseits zu wecken, andererseits
mit aller Macht zu fördern, letzteres besonders durch trefflich organisirte Con-
certe mit den besten Kräften des eigenen Institutes, denen er die edelsten und
gehaltvollsten Tonschöpfungen zuführt, welche er mit der grössten Sorgfalt und
Liebe einstudirt und dirigirt. Die in jenem Lande schwer zu realisirende
Aufgabe, der Tonkunst eine Pflanz- und Pflegestätte zu gründen, erfüllt er
mit entschiedenem Talent und Geschick.
Hamortou, William Henry, englischer Componist und Gesanglehrer, ge-
boren 1795 zu Nottingham, ist ausser durch Gesänge seiner Composition be-
sonders durch seine Schule bekannt geworden, welche den Titel führt: » Vocal
instructiojis comhined xviili tJie tlieory and practice of Fianoforte aceompanimentv
(London, 1824).
Hamiltoii, J. A., geschätzter englischer Musiktheoretiker, geboren 1805 zu
London, veröffentlichte mehrere theoretisch -didaktische Werke, sowie Schulen
für Ciavier, Orgel, Gesang, Composition u. s. w. , ausserdem englische Ueber-
setzungen deutscher und französischer musikalischer Lehrbücher. Er starb im
J. 1848 zu London.
Hainiltou-Bird, William, geboren 1741 zu Glasgow, veröffentlichte als
die Frucht eines langjährigen Aufenthaltes in Indien eine grössere Anzahl dort
gesammelter National- und Volksmelodien, die er selbstständig mit einer werth-
losen Pianoforte- und Guitarrebegleitung versehen hatte.
Hamu;, Johann Valentin, fleissiger und beliebter deutscher Componist
von Tänzen, Märschen, Potpoiirris u. dgl., wurde am 11. Mai 1811 zu Winter-
hausen in Unterfranken geboren. Seine höhere musikalische Ausbildung erhielt
508 Hamma — Hammel.
er seit 1830 auf dem unter Frölilich's Leitung stehenden rühmlichst bekannten
Musikinstitute zu AVürzburg, woselbst er sich eifrigen theoretisch- und praktisch-
musikalischen Studien (besonders Yiolin- und Clavierspiel) hingab. Schon
1831 wurde er als Bratschist in das Würzburger Theatcrorchester gezogen,
rückte aber später in die erste Violine und wurde endlich Concertmeister und
Musikdirektor, als welcher er noch gegenwärtig fungix't. Ausserdem giebt er
einen guten Pianoforte- Unterricht. H. hat als Componist in allen Musikgat-
tungen gewirkt, Sinfonien, Ouvertüren, Militairmusikstücke, Quintette, Quartette,
ein- und mehrstimmige Lieder und Gesänge und die Oper »Die Gräfin Plater«
(1832 in Würzburg ziemlich beifällig aufgeführt) geschrieben, aber nur seine
mehrstimmigen Gesänge, Märsche uud Tänze haben auch in weiteren Kreisen
grösseren Anklang gefunden.
nanima, Fridolin, geschickter, vielseitig gebildeter deutscher Tonkünstler
und Musiklehrer, geboren am 16. Decbr. 1818 zu Friedingen an der Donau
im Königreiche Würtemberg, war 1840 Musikdirektor in Schaffhausen und
1842 Stadtorganist zu Meersburg am Bodensee. Dort entdeckte er in dem
Credo einer alten Messe von Holtzbauer den Ursprung der Melodie zur Mar-
seillaise, theilte diese Entdeckung öffentlich mit und rief einen Sturm der An-
sichten und Meinungen hervor. Glühender Eepublikaner, begab sich IT. beim
Ausbruche der Revolution in Italien dorthin und betheiligte sich lebhaft an
den Kämpfen in Neapel, ebenso ein Jahr später an dem Aufstande in Baden.
Er rettete damals sein Leben nur durch Uebertritt in die Schweiz, bis er
endlich amnestirt wurde uud zuletzt auch wieder eine amtliche Stelle in Baden
erhielt. Mittlerweile war er Professor an der Cantonsgcsangschule in Burg-
dorf, hierauf iu Genf gewesen, war nach Stuttgart übergesiedelt, wo er als
Kritiker und gesuchter Gesanglehrer gewirkt und hatte hierauf wieder eine
Organisteustelle, und zwar zu Ettlingen bei Karlsruhe angenommen. Gegen-
wärtig fungirt er als Direktor und Ciavier- uud Gesanglehrer an einem musi-
kalischen Lehrinstitute zu Neustadt an der Haardt. Componirt hat er Ballets,
Opei'etten, Gesänge und zahlreiche Freiheitslieder. — Sein jüngerer Bruder,
Benjamin H. , geboren am 10. Octbr. 1831 zu Friedingen, machte seine
höheren theoretischen und Compositionsstudien bei Lindpaintner in Stuttgart,
nahm auf Studienreisen einen längeren Aufenthalt zu Paris und Rom und
widmete sich in letzterer Stadt dem eindringenden Yerständniss des grego-
rianischen Choralgesanges und der altitalienischen Kirchenmusik. Nach Königs-
berg i. Pr. berufen, zeichnete er sich viele Jahre hindurch als Dirigent der
dortigen Concertgesellschaft und des Sängervereins, sowie des ostpreussischen
Sängerbundes aus, bis er nach dem Kriege von 1870 alle diese Stellungen
niederlegte und sich auf die Ertheilung von Ciavier- und Gesaiigunterricht be-
schränkte, in welchen Fächern er ebenfalls hervorragend und sehr geschätzt
ist. Als fleissiger Componist hat er eine Oper, »Zarrisco«, viele grössere und
kleinere Werke für Männer- wie für gemischten Chor, ausserdem Lieder und
Ciavierstücke geschaffen. — Der jüngste Bruder der beiden Vorhergehenden,
Franz H., geboren am 4. Octbr. 1835 zu Friedingen, ist ein bedeutender
Orgel- und Ciavierspieler und ebenfalls talentvoller Componist. Früher Organist
an der St. Annakirche und Direktor des Cäcilien Vereins in Basel, wirkt er
gegenwärtig als Organist zu Oberstadion im Königreiche Würtemberg. Er ist
der Verfasser einer Gesangschule und einer trefflichen Liedersammlung und hat
ausserdem noch verschiedene Kirchenmusikstücke und gute Orgelsachen ge-
schrieben.
Hammanlotli, s. Hamaaloth.
Hammel, Stephan, tüchtiger deutscher Orgelspieler und Componist, ge-
boren am 21. Decbr. 17.56 zu Gissigheim, bildete sich in der Benedictinerabtei
St. Stephan zu Würzburg, in welche er später als Ordensbruder eintrat, musi-
kalisch trefflich aus. Nach der Klosteraufhebung wurde er Pfai'rer zu Veits-
höchheira, als welcher er am 1. Febr. 1830 starb. Er componirte viele Kirchen-
Hammer. 5()9
und Instrumental-, auch Ciavierstücke, von denen aber nur Weniges veröffentlicht
worden ist.
Hammer (franz.: sautereaux, ital.: salterelli) wird zur Fertigung musi-
kalischer Instrumente, sowie in besonderer Form bei vielen Tonwerkzeugen
selbst, um die tönende Vibration eines festen Körpers zu bewirken, gebraucht.
Erstere Art H. unterscheiden sich von den im gewöhnlichen Leben in An-
wendung gebrachten fast gar nicht, weshalb eine Beschreibung derselben hier
überflüssig ist; nur einzig bedienen sich die Orgelbauer eines vorschriftsmässig
anders gestalteten. Folgen wir in der Beschreibung dieses H.'s den Angaben
Hallen's in seiner »Kunst des Orgelbaues« S. 3, so muss derselbe 47» Pfund
oder zwei Kilo und 250 Gramm wiegen, sein Kopf rund, sehr wenig convex,
wohl verstählt, gehärtet und polirt, sowie vier- oder achteckig gestaltet, und
sein Stielloch verhältnissmässig etwas gross sein. Neben diesem H. führt jeder
Oi'gelbauer noch mehrere kleinere, gewöhnliche H.
Die zur Tonerregung angewandten H. sind, je nach dem festen Körper,
den sie in tönende Schwingungen versetzen sollen, zieht man den Stoff in Be-
tracht, aus welchem sie gemacht werden, in ihrer Masse verschieden. Die H.,
womit man Metallstäbe, wie z. B. die der Stahlharmonika, zu diesem Zwecke
schlägt, haben einen stählernen Kopf und gewöhnlich einen Stiel aus Bambus-
rohr. Der Kopf derjenigen H., womit die Stäbe der G-lasharmonika (s. d.),
des Kinderinstruments, tönend erregt werden, wird aus Kork gefertigt; in den-
selben steckt man eine entspi'echende Fischbeinstange als Stiel. Indische
Schlaginstrumente mit Metallseele, wie der Gong (s. d.), Gambang (s. d.)
und ähnliche, behandelt man mit solchen H.n, wie bei uns die Membrane; man
traktirt sie mit hölzernen oder mit hölzernen mit einem Lederballen versehenen
Keulen. Endlich bestehen die H. , die zur Tonerregung von Stahlsaiten ver-
wandt werden, welche H. gerade in unserem Musikkreise von hervorragender
Bedeutung sind, aus einem mit einem Holzkern versehenen stark belederten
oder hefilzten Kopf und einem Holzstiel; alle solche H. werden mittelst einer
Tastatur regiert. Die Form des Holzkernes dieser H. , der dem weichereu
H.matei'ial, Leder und Filz, zum harten Fundamente dient, ist theoretisch nicht
fest bestimmbar; nur die Praxis kann hierin als Lehrerin dienen. Der Stiel
dieses H.'s besteht entweder aus einem oder häufiger aus zwei sehr unterschied-
lichen Theilen. Ersterwähnte Stielart ist die einfachste: eine kleine runde
Stange, die mit dem einen Ende dem H.kern eingeleimt und am andern durch
einen Stift — derselbe dient dem H. zur Axe — mit einem fest im Mecha-
nismus befindlichen Theile verbunden, ist dessen einziger Bestandtheil. Letztere
Stielart hat ebenfalls eine kleine runde Stange, die, wie vorher erwähnt, mit
dem H.kern zusammenhängt. Am entgegengesetzten Theile ist dieselbe jedoch
in ein zweckentsprechendes Holzklötzchen eingeleimt. Das Holzklötzchen bildet
somit einen nothwendigen Theil des H.'s. Die Gestaltung dieseS' Klötzchens
ist in der Jetztzeit noch jsehr verschieden, theils gefordert durch die Lage des
H.'s in der Buhlage und der ihm zufallenden Aufgabe, von unten nach oben,
von vorn nach hinten oder von oben herab zu wirken, theils nach den ver-
schiedenen Erfahrungen und den daraus gezogenen Lehren der Instrument-
bauer. Besonders bedingt ist die Form des Klötzchens durch den Bau und die
Construktion des Stössers (s. d.)^ und zeigt deshalb fast jede Mechanikai't
eine besondere Gestaltung desselben. Auch sind diesem Klötzchen oft zweck-
entsprechende Beigaben eigen, wie bei der Piano- (s. d.) Mechanik an dem
den Saiten zugewandten Theile zwei Lederläppchen, zwischen denen eine Feder
ruht, die den H. zur Huhlage drängt. Der dem H. zur Axe dienende Stift
verbindet bei dieser H.art dies Klötzchen mit einem fest anzunehmenden Instru-
menttheil; oft ist diese Verbindung ganz aus Metall gefertigt.
Betrachtet man nun die Grösse dieser H., so findet man, dass, je länger
und stärker die anzuschlagende Saite ist, der Kopf des H.'s dicker beledert
und befilzt und je nachdem auch der H.kern etwas stärker gefertigt werden
510 Hammer.
muss, um einen schönen Ton zu erzielen. Die H.stiele hingegen sind bei allen
H.n gleich laug, und zwar vou der Spindel bis zum Kopfe gewöhnlich 10,5
Centimeter. Diese gleiche Stiellänge hat in der Annahme: dass mau die Be-
wegungsweite und Schnellki-aft bei allen H.n als gleich für nothwendig erachtet,
ihren Grund. Mau hat als Bestes gefunden, dass man den H. in seiner E.uh-
lage so anbringen muss, dass der Stiel mit den Saiten ungefähr einen Winkel
von fünfzehn Grad bildet und der H.kopf 39,24 bis höchstens 43,6 Millimeter
von denselben ontfei'nt ist, wenn kräftig wie leise die vorzüglichste Tonzeugung
stattfinden soll. Solche Tonbildung dauernd mit Leichtigkeit zu erzielen,
kann nur durch die grösstmöglichste Vermeidung der i'riction hervorgebracht
werden, welche zu erlangen eben zu den vielen Varianten in den Formen und
Stellungen des H.'s führten. Man darf jedoch nicht ausser Acht lassen, dass
die Construktion des Clavis, des Stössers und anderer Mechaniktheile viel be-
deutender auf die dauernd schöne und leichte Tonzeugung nachtheilig einzu-
wirken vermögen, und deshalb gleichzeitig den Bau dieser Mechaniktheile mit
in Betracht gezogen werden muss, wenn man endgiltig ein Urtheil über H.form
und H.lage sich zu machen sucht. Um sich überhaupt in dieser Beziehung
ein Urtheil bilden oder wii'klich wesentliche Verbesserungen vornehmen zu
können, ist die Keuntniss der Gesetze der Schwere und des Hebels, sowie die
der Akustik durchaus nothwendig, welche Kenntniss leider den meisten In-
strumentbauern abgeht. Dass dies der Fall, beweisen viele kleine Dinge, von
denen nur ein Beispiel hier als Beweis angeführt sei, das bisher noch nie in
Erwägung gezogen ist.
Dies betrifft die Anschlagsstelle des H.'s bei der Saite, bisher nach
Gutdünken zwischen dem achten und neunten Saitentheil in Gebrauch. All-
gemein ist die akustische Lehre anerkannt, dass in unserm Tonreich die Klänge,
welche die Primzahl 7 in ihrem Verhältnisse haben, durchaus unbrauchbare
Töne geben, wonach zu empfehlen wäre, stets die H. so zu stellen, dass sie auf
den 7. Theilungspunkt der Saite anschlagen. Das Streben, die Tasteninstru-
mente so zu bauen, dass deren Ton so stark als möglich erzielt werden kann,
bewirkt selbstredend eine steigende Bildung von Ober- oder Aliquottönen
(s. d.). Diese, sobald sie unserm Tonreich angehören, werden als reiche Aus-
stattung der Grundtöne betrachtet, was die gebräuchliche Bezeichnungsweise:
volle Klänge, documentirt. Legt man nun die Anschlagstelle des H.'s auf den
achten oder neunten Saitentheilpunkt, so raubt man dem Klange den sich an
dieser Stelle bildenden Oberton, die Oberoctave oder Oberquinte, und lässt
jeder sonstigen Obertonbilduug, also auch dem vom Siebentel sich bildenden,
freien Spielraum, Stellt man aber den H. so, dass er auf dem Siebentel der
Saite anschlägt, so raubt man dadurch dem Klange den sich hier bildenden
unliebsamen Oberton die Möglichkeit des Werdens. Aehnliche Fälle, die bisher
weniger auffielen, weil eben die Ansprüche an die Touwerkzeuge mit H.n ge-
ringer gestellt waren, werden mit der Zeit sich immer bemerkbarer machen
und immer mehr fordern, dass die Insti'umentbauer sich befleissigen, die oben
angeführten Naturgesetze neben ihren sonstigen Kenntnissen sich vollkommen
anzueignen. Sonstiges, besonders den Zusammenhang des H.'s mit anderen
Mechaniktheilen Betreffendes, enthält der Artikel Mechanik (s. d.). 2.
Hammer, Franz Xaver, einer der berühmtesten Violoncellisten des 18.
Jahrhunderts und guter Violinist, aus Oettingen gebürtig, war bis 1785, wo
er herzogl. mecklenburgischer Kammermusiker wurde, im Orchester des Car-
dinais Batthiany in Pressburg. Concerte und Soli seiner Composition hat er
aaf seinen Kunstreisen vielfach hören lassen und damit stets grossen Beifall
erzielt.
Hammer, Georg, fieissiger deutscher Componist und guter Musiklehi'er,
geboren am 1. Mai 1811 zu Herlheim in Unterfranken, zeigte bei einem noth-
dürftigen Elementarunterrichte bereits bedeutende Anlagen zur Musik, deren
höhere Ausbildung ihm, als er sich von 1826 an auf dem Schullehrer- Seminare
Hammer — Hammersclimidt. 511
zu Würzburg befand, durch Fröhlich und durch fleissigen Besuch von dessen
Musikinstitut ermöglicht wurde. Er entsagte in Folge dessen dem Schulfache
und widmete sich gänzlich der Tonkunst. Im J. 1830 wurde er Assistent
an genanntem Musikinstitute und 1837 an der Seminariumskirche zu St. Michael
in Wüi'zburg. Componirt hat er Kirchenstücke aller Art, Cantaten, mehrere
Singspiele, Männerquartette, Lieder mit Pianoforte oder Guitarre; im Druck
erschienen sind von ihm ein- und mehrstimmige Schul- und Kirchenlieder,
Tänze und Märsche. Ausserdem hat er ein Orgelbuch zum Würzburger
Diöcesangesangbuche herausgegeben.
Hammer, Kilian, Schulmeister und Organist zu Vohenstrauss in der
Mitte des 17. Jahrhunderts, soll zuerst zu den gebräuchlichen sechs Solmi-
sationssylben (s. d.) die siebente »Si« hinzugethan haben, wie wenigstens
seine Singeschüler Printz (Mus. hist. cap. 17 § 5) und Mattheson (Ehrenpforte
S. 259) behaupten. Diese sieben Sylben zusammen heissen daher auch mitunter
die nvoces hammerianae«.
Hammerciavier nannte man ehedem das Fortepiano zur Unterscheidung
von den älteren Ciavieren. S. Pianoforte.
Hammermeister, vortrefflicher deutscher Baritonsänger, geboren um 1800,
war Anfangs in Braunschweig engagirt, gastirte 1827 in Berlin und wurde
hierauf Opernmitglied des Stadttheaters zu Leipzig, wo er u. A. mehrere
Parthien in Marschner'schen Opern, wie den Vampyr und Templer, für die
Bühne schuf. Yon Leipzig aus kam H. 1832 an die königl. Oper zu Berlin,
der er bis 1835 angehörte. Ln letzteren Jahre betheiligte er sich bei dem
deutschen Opernunternehmen in Paris und ging später an das Hamburger
Stadttheater. Seit 1840 wird er als Sänger nicht mehr genannt und tauchte
überhaupt erst später in New- York als Cigarrenhändler auf, wo er 1860 in
dürftigen Umständen starb.
Hammer-Piirgstall, Joseph Freiherr von, einer der berühmtesten deutschen
Orientalisten, geboren 1774 zu G-rätz in Steiermark, erhielt seine Bildung in
Wien, wo er seit 1788 die vom Fürsten Kaunitz gestiftete orientalische Akademie
besuchte. Um die Tonkunst hat er sich als Vermittler einer genaueren .
Kenntniss der türkischen, persischen und arabischen Musik verdient gemacht.
Er starb im J. 1856.
Hammerschmidt, um die Mitte des 18. Jahrhunderts Orgelbauer zu Zittau,
hat in der dortigen Jolianneskirche ein 2,5 metriges und ausserdem noch ein
1,25 metriges Werk gebaut. t
Hammerschmidt, Andreas, einer der geschicktesten deutschen Contra-
punktisten des 17. Jahrhunderts, der Begründer einer neuen Art des Kirchen-
gesanges, war 1611 zu Brüx in Böhmen geboren und erlernte handwerksmässig
die Musik beim Cantor Stephan Otto zu Schandau. Seit 1635 Christoph
Schreiber'« Nachfolger als Organist an der St. Peterskirche zu Freiberg, wurde
H. auch in Zittau an der Johanneskirche am 26. April 1639 der Nachfolger
desselben Vorgängers, als dieser kurz vorher daselbst gestorben war. In ver-
dienstvoller Weise, fruchtbar und einflussreich als Tondichter, wirkte H. unter
gesicherten Vermögensumständen in Zittau bis zu seinem Tode, welcher am
29. Octbr. 1675 erfolgte. Er hinterliess drei Töchter, die bei ihrer Verhei-
rathung aus dem Vermögen der Kirchenkasse jede einen Ehrenwein, in An-
sehung, wie es ausdrücklich heisst, der Verdienste ihres Vaters erhalten hatten.
— Von H.'s gedruckten Compositionen dürfte der »Instrumentalische erste
Fleiss« (1636) als das erste der herausgegebenen Werke zu betrachten sein
und früher datirte Arbeiten auf falsch gedruckten Jahreszahlen beruhen. Das
erste vollständige Verzeichniss der Messen, Motetten, Lieder u. s. w. H.'s über-
haupt giebt, Walther, Gerber, Fetis und die übrigen Lexicographen vielfach
ergänzend und vervollständigend, Dr. Anton Tobias in seiner im Selbstverlage
erschienenen Schrift »Andreas Hammerschmidt aus Brüx, Componist und Or-
ganist in Zittau« (Zittau, 1871). Derselbe sagt zur kritischen Würdigung des
512 Hammerschmidt.
Meisters u. A.: Seine Hauptthätigkeit bestand nach dem Vorbilde des Kapell-
meisters Heinricb Schütz in Dresden in freien coucertmässigen geistlichen
Tonschöpfungen, in welchen er die Gesprächsform anwandte; dadurch wusste
er zwischen dem alten Kirchengesang und dem geistlichen Kunstgesang, die
durch Schütz und Rosenmüller ganz von einander gelöst waren, wieder an-
zuknüpfen und durch Einflechtung von kirchlichen Weisen den Gemeindegesang
eindringen zu lassen, und zwar mit Kraft und Bedeutsamkeit. Dem ganz in
der Form des Concertes redegemäss betonten Schriftwort setzt er nämlich häufig
irgend ein Kirchenlied mit seiner Singweise, das er am passenden Ort ein-
schaltet, in lebendigem Gespräch gleichsam als Antwort entgegen. Damit wahrt
er nicht allein die Liedform im kirchlichen Kunstgesang, sondern stellt eben
durch den Gegensatz ihre Bedeutsamkeit in das hellste Licht. Manchmal setzt
er auch ein Kirchenlied und dessen Weise einem andern Kirchenlied mit einer
von ihm selbst erfundenen kunstmässig ausgestatteten Weise gegenüber und
verflicht die Melodien beider Kirchenlieder. So giebt er z. B. eine concert-
mässig figurirte, von ihm erfundene Melodie zu dem Kirchenlied: »Ach wie
nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Leben«, und vei'webt in dieselbe
die alte Kirchenmelodie: »Mitten wir im Leben sind«, die er bald da, bald
dort unter Posaunenbegleitung eintreten lässt, oder giebt er zuerst die alte
Kirchenweise: »Allein zu dir, Herr Jesu Christ«, und verwebt dann in sie eine
eigene concertmässige Behandlung des Schriftwoi'tes: »Fürchte dich nicht, ich
bin dein Schild und sehr grosser Lohn«.
Dadurch ist er historisch bedeutsam geworden, denn Viele folgten ihm im
Laufe des Jahrhunderts auf diesem Wege. Bei dem coucertmässigen Satz, in
welchem er diese Lieder giebt, sind die Lieder oder Gesänge strophisch be-
handelt, freilich aber nicht so, dass die Betonung sich blos auf die erste Strophe
beschränkte und dann zu jeder weitern einzelnen Strophe unverändert wieder-
kehrte, sondern sie dehnt sich auf mehrere Strophen aus; er bildet aus meh-
reren Strophen ein einziges grösseres Gesätz, innerhalb dessen die einzelnen
Bestandtheile oder Strophen durch ihre Behandlung dennoch eigenthümlich,
durch Taktart, Begleitung, Besetzung unterschieden, hervortreten, vermöge einer
entschieden kenntlichen Beziehung aber nicht nur als neben einander gestellte,
sondern als innerlich und wesentlich verknüpfte und zusammengehörende er-
scheinen. Zugleich sind überall die Gegensätze des Einzelgesangs und Chor-
gesangs angebracht. Der concertmässige Schmuck, den er dabei seinen Weisen
giebt, besteht mehr blos in wix'kungsreichem Entgegenstellen von Starkem und
Leisem, von Licht und Schatten, von grösserer oder minderer Stimmfülle, und
ist also leicht abzustreifen, so dass die Gemeinde, wenn ihr diese vom Chor
herab erklingenden, kunstgeschmückten Liedergesänge gefielen, gar leicht den
Kern seiner Melodien sich zurecht machen konnte, um sie dann förmlich in
ihren Gesang aufzunehmen. So kam es denn auch, dass, während H., wo er
unmittelbar für den Kirchengesang schuf, keinen Anklang fand, von seinen
ursprünglich concertmässig geschafi"enen Weisen aber gar manche in den kirch-
lichen Gebrauch übergingen. (Koch, Bd. 4.)
Besonders förderlich musste für H. der damalige Zittauer Rector Christian
Keiuianu, der bekannte Liederdichter, werden, dessen geistliche Oden in reicher
Anzahl vorhanden sind. Mit diesen diente er dem berühmten Componisten,
so oft er US verlangte. Allerdings soll Keimann schliesslich Undank von ihm
zum Lohn erhalten haben, so dass er sich über die von H. erlittenen Ver-
kleinerungen und Verfolgungen öfters seufzend beklagte. Von H.'s Melodien
seien aufgeführt: 1, Ach, was soll ich Sünder machen (d, d, f, f, g, g, a, a).
2. Freut euch, ihr Christen alle (h, h, a, g, fis, fis, e, e). 3. Meinen Jesum
lass ich nicht (g, g, a, a, h, h, c). 4. Hosianna Davids Sohne. 5. Meine Seele
Gott erhebt (d, d, d, d, d, c, d). G. Triumph, Triumph, Victoria. 7. Ich will
den Herrn loben (g, g, g, a, h, c, c, //, c). 8. Mein Gott, nun bin ich abermals
Hamraig — Hampel. 513
(a, d, ff, T), c, d, d, eis). 9. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig. 10. Bis hin an
des Kreuzes Stamm (e, c, d, d, es, es). 11. Schmückt, schmüclct das Fest mit
Marien (eis, eis, eis, eis, d, eis, h, a). Der ebenfalls aus Zittau gebürtige Leip-
ziger Cantor Yopelius hat H.'sche Melodien in sein 1682 herausgegebenes
Leipziger Gesangbuch mit aufgenommen.
Hammig:, Friedrich, geschickter Instrumentbauer zu "Wien, fertigte und
verkaufte zu Ende des 18. und Anfangs des 19. Jahrhunderts alle Sorten von
Holzblasinstrumenten, seit 1801 auch türkische Becken, wozu ihm ein beson-
deres Privilegium ertheilt worden war. f
Hammond, Henry, englischer Theologe und Kaplan König Karls I., ge-
boren 1605, gestorben am 25. April 1660; hat ein "Werk: y)Para])hrase and
annotations upon the hook of the Psalmsv. veröffentlicht, worin ein Abschnitt
»Aecount of tlie use of musis in divine servioe«. vorkommt. Vgl. Jöcher. f
Hanipe, Johann Samuel, deutscher Orgel- und Clavierspieler, Componist
und theoretischer Schriftsteller, geboren am 11. Novbr. 1770 zu Lucine im
Fürstenthum Oels, wo sein Vater evangelischer Schullehrer und Organist war
und den Sohn in den Schulwissenschaften und in der Musik unterrichtete, bis
derselbe zu seiner höhereu Ausbildung nach Breslau gehen, das er aber schon
1786 wieder verlassen konnte, um sechs Jahre lang als Hauslehrer in der
Familie des Kammerherrn Ziemitzky auf einem Gute bei Tarnowitz zu fungiren.
Seit 1792 war er Secretair bei der Steuerkanzlei zu Tarnowitz, und 1796
wurde er ßegistrator bei der königl. Zolldirektion zu Glogau, wo er mit
E. T. A. Hoffmann, den Dichtern von Holbein und Jul. von Voss, sowie dem
Maler Molinari einen gesellschaftlichen Zirkel bildete, der auf das künstlerische
und 'literarische Leben jener Stadt einen bleibenden Einfluss ausübte. H. seines
Theils gründete und übernahm die Leitung eines Singinstitutes, aus welchem
1807 ein stehendes Concertunternehmen wurde, bei dem er ziemlich häufig er-
folgreich als Pianist auftrat und für welches er Vocal- und Instrumentalwerke
componirte. Im März 1809 wurde H. nach Liegnitz versetzt und wirkte neben
seinem eigentlichen Berufe im Steuerfache auch als Musiklehrer an der ßitter-
akademie überaus anregend und fördernd. Endlich, 1816, kam er als Regie-
rungsrath nach Oppeln, wo er eine Gesellschaft zur Unterredung über musi-
kalische Gegenstände errichtete, aber immer mehr kränkelnd, am 9. Juni 1823
an einer Halsentzündung starb. Yon seinen Compositionen sind besonders
Cantaten und Festgesänge, sowie die Oper »die Rückkehr« (1816) zu nennen.
Unter seinen nachgelassenen Papieren fanden sich mehrere schätzenswerthe
theoretische Abhandlungen, namentlich: »Beiträge zu einer Methodologie für
den Musikunterricht, insbesondere zur Erlernung des Clavierspiels«.
Hampel, Anton Joseph, einer der grössten deutschen Hoimvirtuosen
des 18. Jahrhunderts, war um 1748, unter Hasse's Direktion, in der Kapelle
zu Dresden angestellt und ist der Erfinder der besten Art der sogenannten
Inventions-Hörner, die der Instrumentenmacher Joh. Werner in Dresden nach
seiner Angabe zuerst verfertigte, sowie auch der Dämpfer oder Sordinen für
das Hörn. Unter H.'s Schülern ragt Punto (Stich) als besonders berühmt
hervor. H. selbst scheint bald nach 1766 gestorben zu sein.
Hampel, Hans, deutscher Pianist und Componist, geboren am 5. Octbr.
1822 in Prag, zeigte schon frühzeitig beachtenswerthe Anlagen zur Musik,
weshalb ihn seine Eltern sorgfältig unterrichten Hessen. Nachdem er bedeu-
tende Fortschritte im Pianofortespiel gemacht hatte, nahm er nach absolvirten
Gymnasialklassen im J. 1837 bei "Wenzel Tomaschek Unterricht im höheren
Ciavierspiel und der Composition und bildete sich zu einem bedeutenden Vir-
tuosen und Componisten. Ueber H.'s Ciavierspiel schrieb im J. 1845 der
rigorose Tomaschek wie folgt: »H. zeichnet sich durch einen schönen Anschlag
und eine seltene Leichtigkeit in Behandlung der schwierigsten Passagen, sowie
durch sein ausgezeichnetes Bravourspiel und seelenvollen Vortrag aus und kann
ohne Bedenken den Heroen im Pianospiel angereiht werden.« Als Componist
Musikal. Convers.-T.exikon. IV. 33
514 Hampelu — Hand.
gehört H. zu der kleinen Scliaar von Tonkünstlern, die sich das Sprichwort:
Non multa sed multum zum Grundsatz nahmen. Unter seinen Claviercompo-
sitionen, die fast alle vom düstern Schleier der Schwermuth umflort sind,
ragen vorzüglich hervor: »Das Entzücken« (op. 8), ein würdiges Seitenstück zu
R. Schumann's Frühlingsnacht, eine Ciavierfuge (op. 21), Cadenzen zu Beet-
hoven's 3. Clavierconcert, r>Theme varien in G (op. 23) und besonders: »Lieb-
Annchen«, Fantasiestück in vier Bildern (op. 10), das sich durch treffliche
Charakteristik und geistreiche Durchführung auszeichnet, viele ergreifende
Momente enthält und als Unicum in der Clavierliteratur gelten dürfte. Ausser
den Claviercompositionen, die sämmtlich im Drucke erschienen sind, schrieb H.
ein Requiem und anderes wenig Bekanntes, Er lebt in Prag in grosser Zurück-
gezogenheit. M — s.
Hampeln, Karl vou, berühmter deutscher Violinist, namentlich Quartett-
spieler, und Componist für sein Instrument, geboren am 30. Jan. 1765 zu
Mannheim und dort wie in München musikalisch gebildet. Noch sehr jung,
übernahm er die Direktion der Hofkapelle des Fürsten von Fürstenberg zu
Donaueschingen, nach dessen Tode er in gleicher Eigenschaft an den Hof von
Hechingen kam. Im J. 1811 folgte er einem Rufe als Hof-Musikdirektor nach
Stuttgart, welchem Amte er anerkannt und hochgeschätzt bis zu seiner Pen-
sionirung am 31. Decbr. 1825 vorstand. Er starb am 23. Novbi'. 1834 zu
Stuttgart. Von seinen Compositionen sind nur eine concertirende Sinfonie für
vier Violinen und ein Violinconcert in Es-dur im Druck erschienen.
Hau, Gerardo, Glockenist und Tonsetzer, an dem Stadthause zu Amsterdam
im J. 1730 angestellt, liess bei Roger »Sonate a tre, op. 1« seiner Composition
erscheinen. -f
Hauakisch nannte man in Deutschland einen polonaisenartigen Tanz im
■''/4-Takt, der ähnliche Vorhaltschlüsse in der Musik, wie die Polonaise besitzt,
jedoch in schnellerer Art als diese ausgeführt werden musste. Er soll eine
Erfindung der Hanaken, der ältesten slavischen Bewohner Mährens, die an den
Uf«rn der Hanna ihre Wohnsitze hatten und noch haben, gewesen sein, nach
ihnen, die Musik und Tanz sehr liebten, seinen Namen erhalten und selbst
einige Zeit hindurch in Deutschland Verehrer gefunden haben. Die Prager
Tanzmeisterzunft erwähnt übrigens in einem von ihr 1788 herausgegebenen
Werke, das ungefähr neunzig Namen böhmischer Tänze bringt, des H. mit
keiner Sylbe. 2.
Hanard, Martin, Canonicus an der Katbedralkirche zu Cambrai, wird
unter den besseren Kirchencomponisten des 15. Jahrhunderts genannt.
Hanbnrg', William, ein sonst unbekannter Engländer, liess nach v. Blanken-
burg's Zusätzen zum Sulzer Band II S. 412: tiAnecdot. of tJie five music,
meatings at Ghurch-Langtona (London, 1768) im Druck erscheinen. f
Hanc, Andreas, ein Nürnberger Oi-gelbauer, der sich im 17. Jahrhundert
in Krakau und anderwärts in Polen aufhielt. Sonst ist von seinem Leben
und Wirken nichts bekannt geblieben. f
Hauck, Johann, Ende des 17. Jahrhunderts Cantor zu Strehlen in
Schlesien, setzte aus der vom Magister Kieschen 1679 herausgegebenen Esels-
stimme einige geistliche Lieder in Musik. f
Hand oder harmonische Hand, s. Guido von Arezzo.
Hand, Ferdinand Gotthelf, Geheimer Hofrath und Professor der grie-
chischen Literatur zu Jena, geboren am 15. Febr. 1786 zu Plauen im säch-
sischen Voigtlande, besuchte das Lyceum in Sorau und seit 1803 als Philologe
die Universität in Leipzig, an welcher er sich auch 1809 als Docent habilitirte.
Im J. 1810 wurde er Professor am Gymnasium zu Weimar und 1817 an der
Universität zu Jena, als welcher er vielfach ausgezeichnet wurde. Neben seinen
Berufsarbeiten erwarb sich H. durch mehrjährige Leitung der akademischen
Concerte und durch die in seinem Hause veranstalteten musikalischen Abend-
cirkel einen nachhaltigen fördersamen Einfluss auf die akademische Jugend,
Haudbassl — Hanisch. 515
überhaupt auf das Kunstleben Jena's. Von seinen Sclirlften behauptet seine
»Aesthetik der Tonkunst« (2 Bde., Jena, 1837 und 1841) einen noch immer
unübertroffenen Werth und wäre einer Neubearbeitung wohl würdig. H. selbst
starb am 14. März 1851 zu Jena.
Haudbassl, s. Fagottgeige.
Haudgrriffe oder Knöpfe nennt man diejenigen Theile der Registerzüge
in der Oi'gel, welche zu beiden Seiten der Claviatur angebracht sind, damit
sie der Orgelspieler anziehen und zurückschieben kann. Auf oder über den
H. sind zugleich die verschiedenen Orgelstimmen mit ihrer Tongrösse ver-
zeichnet.
Haudklappern, s. Castagnetten.
Handl, s. Gallus.
Handleiter oder Handbildner, s. Chiroplast.
Haudlo, Robert de, englischer Musiker des 14. Jahrhunderts, soll über
die Regeln des Franco von Cöln 1326 einen Commentar geschrieben haben,
weshalb man ihn für den Erfinder des Cantus mensurahilis (s. d.) ansehen
kann; wenigstens wies man ihm in Folge dessen die Stelle neben de Muris an.
Vgl. Hawkins Hist. of music Vol. II p. 16, 17, 175 bis 179 und Gerber's
Tonkünstlerlexikon vom J. 1812. f
Handrock, Julius, tüchtiger Pianist und beliebter Pianofortecomponist,
geboren am 22. Juni 1830 zu Naumburg a. S., erhielt einen vortrefflichen
Musikunterricht, auf Gruud dessen er in Leipzig seine höheren Studien ab-
solviren konnte. Er Hess sich in Halle a. S. als Musiklehrer nieder und erwarb
sich als solcher, wie als Componist zahlreicher frisch erfundener und auf den
Unterricht berechneter Ciaviersachen allseitige Anerkennung.
Handstücke oder Handsachen nennt man die kleinen, leichten, vorzugs-
weise zur technischen TJebung dienenden Stücke für Anfänger im Ciavier- oder
im Spiel anderer Instrumente. Eine zweckmässige Beschäftigung der Hände
resp. der Finger, sowie fassliche Behandlung des Lehrstoffes sind die Haupt-
erfordernisse dieser Art von Etüden.
Haudtasten, s. Manual.
Handtronnnel, s. Tambourin.
Hanemann, Moritz, guter Violoncellist der königl. Kapelle in Berlin,
geboren am 28. Febr. 1808 zu Löwenberg, erhielt von seinem Vater, einem
pensionirten Stabshautboisten, und später von dem Violoncellisten Taschenberg
in Breslau Musikunterricht. Im J. 1828 begab er sich mit einflussreichen
Empfehlungen nach Berlin, wo ihn Türrschmidt in der Musiktheorie und Hans-
mann im Violoncellspiel weiter ausbildeten. Bald darauf wurde er Accessist
der königl. Opernkapelle und 1830 als Kammermusiker angestellt. Nebenbei
ertheilte er Unterricht auf dem Claviere, Violoncello und der Flöte und ver-
anstaltete in seinem Hause häufige Quartettversammlungen. Componirt hat er
nicht, aber in vielen Gelegenheitsaufsätzen, welche die Berliner Musikzeitungen
brachten, gesunden Witz und Laune offenbart, Eigenschaften, die ihn überhaupt
als Gesellschafter weithin beliebt gemacht haben. Obwohl seit etwa 1870
kränkelnd und in letzter Zeit vom Dienste dispensirt, ist er dennoch als actives
Mitglied der königl. Kapelle noch im J. 1874 aufgeführt.
Hanf, Johann Nicolaus, deutscher Vocal- und Instrumentalcomponist,
geboren um 1630 zu Wechmar, war zuerst Kapelldirektor zu Eutin und endlich
Domorganist zu Schleswig, als welcher er um 1706 starb. Von seinen
Arbeiten waren besonders Claviercompositionen in jener Zeit vortheilhaft
bekannt.
Hang-est, Hieronymus, französischer Geistlicher und Gelehrter, geboren
zu Compiegne und gestorben 1538 als oberster Vikar und Canonicus der
Kirche zu Maus, hat durch seine Schrift ride proportionibus« sein Andenken
erhalten. t
Hanisch, Franz, guter Oboebläser und Componist für sein Instrument,
33*
5 Iß Hanisch - Hankel.
weboren in Böhmen, war seit 1790 als Kammermusiker in der Kapelle des
Fürsten von Thurn und Taxis in Regensburg angestellt. Von seinen Compo-
sitionen erschienen Concerte, Rondos und Variationen für Oboe, sowie einige
Lieder mit Guitarrebegleitung. — Unter gleichem Namen machte sich ein
ebenfalls aus Böhmen gebürtiger Posaunenvirtuose von Prag aus rühmlich be-
kannt, der nachgehends Anstellung in der kaiserl. Kapelle in Wien erhielt.
Hanisch, Joseph, vortrefflicher deutscher Orgelspieler und Kirchencom-
ponist, geboren zu Regensburg, erhielt Musikunterricht von seinem Vater
Anton H., welcher Organist an der alten Kapelle daselbst war, und wurde
nach dessen Tode 1836 sein Nachfolger im Dienste. Vorzüglich gewann seine
höhere Musikbildung durch Proske, der ihn auch auf seiner ersten Reise nach
Italien als Grehülfen und Mitarbeiter berief. Im J. 1840 trat H. als Organist
zur Domkirche in Regensburg, wo er noch gegenwärtig wirkt. Von seinen
geistlichen Compositionen sind in Regensburg und Einsiedeln im Druck er-
schienen: »Quatuor hymni pro festo sacrosancti corporis Christi, 4 üoc«, »Fünf
lateinische Predigtgesänge für vier Singstimmen mit Orgel ad Ub.«i und »Missa
auxilium Christianorum, 4 vocibus et Org.<s.
Hauisch, W. M., guter Pianist und beliebter Pianofortecomponist, geboren
1828 zu Pirna, widmete sich anfangs dem öchulfach, bis er sich, allseitig dazu
ermuntert, der Tonkunst ausschliesslich hingab und das Leijjziger Conservato-
rium bezog, wo Hauptmann und Rietz seine höheren Studien leiteten. Nach-
gehends fixirte er sich in Leipzig als Musiklehrer und trat auch als Componist
mit mehreren Liederheften, besonders aber mit gefälligen Salon- und instruc-
tiven Ciavierstücken nicht ohne Glück an die Oefi'cntlichkeit.
Hauitscli, Georg Friedrich, deutscher Tonkünstler, geboren am 1. April
1790 zu Grossensee in Sachsen- Weimar, erhielt zur Zeit der deutschen Frei-
heitskriege Anstellung als Cantor zu Eisenberg und componirte Gesänge für
Kirche, Schule und für Männerchor, von welchen letzteren das Bundeslied
»Sind wir vereint zur guten Stunde«, Gedicht von E. M. Arndt, im besten
Sinne bekannt und Eigenthum der deutschen Nation geworden ist.
Hanke, Karl, gewandter deutscher Bühnencomponist und Musikdirektor,
geboren 1754 zu Rosswalde, war, 22 Jahre alt, Dirigent der Kapelle des
Grafen Albrecht von Haditz ebendaselbst und schrieb für dieses Orchester und
das damit in Verbindung stehende Theater Cantaten, Sinfonien, Quartette und
die fünf Ballets: »Pygmalion«, »Die Jäger«, »Die Wassergötter« , »Phöbus und
Daphne« und »Die Dorfschule«, wodurch er sich weithin Ruf verschaffte. Als
1778 der Graf zu Potsdam gestorben war, verheirathete sich H. mit seiner
Schülerin, der Sängerin Stormkin, und folgte derselben an die Bühnen von
Brunn, Warschau, Breslau, Berlin, an das Seylei-'sche Theater in Hamburg
u. s. w., wo überall H. als Musikdirektor und als Componist von Ballets,
Zwischenaktsmusiken (zu Schiller's »Fiesco« u. s. w.) und Opern sein Ansehen
vermehrte. Besonders fand seine 1781 in Warschau geschriebene Operette
»Robert und Haunchen« die beifälligste Aufnahme. Im J. 1786 erhielt er
einen Ruf an das damalige Hoftheater zu Schleswig. Dort starb am 20. April
1789 seine Gattin. Zwei Jahre später verheirathete er sich mit der Sängerin
Berwald, einer Schülerin Naumann's, und ging mit derselben 1791 nach
Flensburg, wo er eine Singschule und ein Concertinstitut gründete und nach
Overbeck's Tode Cantor und Musikdirektor wurde. Zuletzt war er Stadt-
musikdirektor in Hamburg und starb als solcher um 1835. — Ausser den
schon aufgeführten Werken kennt man von ihm viele Kirchenmusiken, Sinfonien,
die Opern »Haphire«, »Hüon und Amande«, »Doctor Faust's Leibgürtel« und
die Chöre zu »Rolla's Tod«, endlich gegen 100 Hornduette; zahlreiche einzelne
Gesangstücke u. s. w.
Hankel, Anton, Instrumentenmacher in Wien, hat sich 1821 als Erfinder
der Physharmonica einen dauernden Ruhm erworben.
Hanmüller — Hanslick. 5]^ 7
Hanmüller, Joseph, deutscher Hornvirtuose und Sänger, geboren am
20. Septbr. 1774 zu Diggendorf, war in diesen beiden Eigenschaften in der
königl. Kapelle und Oper in München angestellt und machte sich auch ausser-
halb der baierischen Hauptstadt durch Kuustreiseu vorthellhaft bekannt.
Hauuibal Pataviuus, s. Annibal Patavino.
HanOD, Charles Louis, französischer Tonkünstler, geboren 1820 zu
ßemsure, lebt als Organist zu Boulogne-sur-Mer und veröffentlichte ein selt-
sames Buch, dessen voller Titel ist: »Systeme nouveau pour apprendre ä aecom-
pagner tout plain-chant ä premiere vue, au moyen d'un clavier tratispositeur, sans
savoir la musique et sans qu'il soit necessaire de recourir ä aucun maUre«
(2. Aufl., Boulogne, 1860).
Hanot, Frangois, belgischer Tonkünstler, geboren um 1720 zu Tournay,
veröffentlichte von seiner Composition zwei Bücher Sonaten für die Flöte
allein.
Haus ist der Name eines indischen Rhythmuszeichens, das anzeigt, dass es
sich um zwei Takte, wovon leder drei Yiertel in sich schliesst: ~--^--\—^^-\
handelt; dasselbe hat folgende Grestalt: //• 2.
Hansel, Jacob, Cantor in Zittau um die Mitte des 17. Jahrhunderts,
war im Contrapunkt sehr gewandt, wofür eine Ode seiner Composition »Fleug
mein Seelgen auf zu Gott«, für vier Stimmen gesetzt, spricht; dieselbe ist von
Laur. Erhard in sein Compendmm Musices aufgenommen worden. H. war ein
jüngerer Zeitgenosse und College Hammerschmidt's. f
Hansen, Jan. Fil., ein sonst unbekannter dänischer Gelehrter, der zu
Anfang des 18. Jahrhunderts zu Kopenhagen lebte, hat daselbst herausgegeben:
•aJDisputatio physica prior de so}iorum quorundam in chordis conspiratione ad prin-
cipia physicorum sxplicata etc.a (Kopenhagen, 1707). t
Hansen, Johann Nicolaus, dänischer Mediciner, geboren im Aug. 1808
zu Hingkiöping, wo sein Vater Arzt war, besuchte das Gymnasium zu Schleswig,
studirte 1827 zu Kiel Theologie und Philologie und hierauf in Berlin Medicin.
Er veröffentliclite: y>De musicae in corpus humanum effectu dissertatio inaiiguralis
psycJiologico-medicaa (Berlin, 1833).
Hansen, Niels, dänischer Gelehrter, wird zu den Musikschriftstellern ge-
rechnet, weil er ein Werk: »Musikens forste Grundspetninger anvendte paa
Syngekonsten i Sperdelshed« betitelt (Grundsätze der Musik auf den Gesang
angewendet) (Kopenhagen, 1777) herausgab. Passelbe bietet jedoch grössten-
theils nur die Hiller'sche Anweisung zum Gesänge übersetzt. f
Haaser, "Wilhelm, guter deutscher Orgelspieler und Componist, geboren
am 12. Septbr. 1738 zu Unterzeil in Schwaben, trat sehr früh in den Pi'ämon-
stratenser- Orden und wurde in der Abtei Scheussenried auch musikalisch prak-
tisch (auf Clavier, Orgel, Violine und Violoncello) wie theoretisch tüchtig aus-
gebildet. Im J. 1775 kam er in die Abtei Lavaldi eu in den Ardennen und
gründete daselbst eine Musikschule, aus der u. A. Mehul hervorgegangen ist,
der vier Jahre lang sein Schüler war. H. war eben mit Verbesserung des
Antiphonars und der Gesänge für die Prämonstratenser beschäftigt, als die
grosse französische Revolution ausbrach, deren Schrecken ihn wieder nach
Deutschland zurücktrieben, wo er verschollen ist. Erschienen sind von ihm
Vesperpsalmen und andere Kirchenstücke, sowie Sonaten für Clavier mit Violin-
und Bassbegleitung. Im Manuscript fanden sich von ihm noch Messen, Mo-
tetten und Orgelfugen vor.
Hanslick, Eduard, vortrefflicher Ciavierspieler und einer der feinsinnigsten
und geistreichsten Musikschriftsteller der Gegenwart, wurde am 11. Septbr. 1825
zu Prag geboren und erhielt durch seinen Vater, den rühmlichst bekannten
Bibliographen Joseph H., eine sorgfältige Bildung, welche auch die Musik
mit umfasste, indem H. als Gymnasiast bei Tomaschek Ciavierspiel und Theorie
518 TTanslick.
studirte. Um sich für den Staatsdienst vorzubereiten, bezog er 1846 die Uni-
versität zu Wien, vollendete daselbst 1847 die juridischen Studien und erwarb
1849 den Doctortitel der betreffenden Facultät. In diesem Berufskreise brachte
er es nach und nach bis zum Ministerialconcipisten im österreichischen Staats-
ministerium, welches Amt er bis um 1866 bekleidete, seit welcher Zeit er sich
der musikalischen Kritik, die schon längst als seine eigentliche Lebensaufgabe
sich erwiesen hatte, uneingeschränkt hingab.
Mit wahrer Kunstbegeisterung nämlich und durch seine vorangegangenen
musikalischen und philosophischen Studien dazu vorzugsweise befähigt, war H.
seit seiner Ankunft in Wien den dortigen überaus matt und flach gewordenen
Musikzuständen mit Wort und Feder gegenüber getreten, und die eindringliche
Schärfe, die überzeugende Logik, welche er trotz jugendlichen Ungestüms gleich
in seinen ersten Aufsätzen für die Frankl'schen »Sonntagsblätter«, die Schmidt'-
sche »Musikzeitung«, die österreichischen »Litcraturblätter« und die »Neue
Berliner Musikzeitung« entwickelte, bahnten hauptsächlich die allmälige Ver-
besserung des Kunstcultus in der österreichischen Hauptstadt und im Reiche
an. Am wichtigsten und einflussreichsten aber erwiesen sich seine stehenden
Referate in den politischen, von aller Welt gelesenen Zeitungen: in der »Wiener
Zeitung« (1848 und 1849), in der »Presse« (seit 1855) und besonders in der
»Neuen freien Presse« (seit 1864). Das letztgenannte grosse Blatt zählt ihn
noch gegenwärtig zu seinen geistvollsten Hauptmitarbeitern, dessen Stimme
niemals ungehört verhallt. Einen bleibenden literarischen Namen erwarb sich
H. durch sein epochemachendes Buch: »Yom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag
zur Revision der Aesthetik der Tonkunst« (Leipzig, 1854; 2. Aufl. 1858;
3. Aufl. 1865; 4. Aufl. 1873). Diese Schrift hat durch ihre philosophisch
klare Form, vorzügliche Ausführung und die Tendenz, das Unberechtigte in
der Tonkunst in seine natürlichen Grenzen einzudämmen, überaus anregend
gewirkt und die Musiker dahin geführt, tiefer über das Wesen ihrer Kunst
nachzudenken. Die nothwendig gewordene vierte Auflage, ein bei musikwissen-
schaftlichen Publicationen seltenes Ereigniss, beweist an und für sich schon,
dass das Aufsehen, welches das vortrcfiliche Buch von vornherein erregte, sich
trotz vieler Anfeindungen, besonders von Seiten der neudeutschen Musikrichtung
her, zu einem dauernden Erfolge gestaltet hat. Eine nicht minder gründliche,
verdienstliche und sowohl vom specifisch musikalischen, als vom allgemeinen
culturhistorischen Standpunkte aus höchst wichtige Arbeit ist H.'s »Geschichte
des Wiener Concertwesens« (Wien, 1869), die auf jeder Seite den ausdauernden
Fleiss und die reiche Erfahrung des Verfassers offenbart.
Im J. 1856 habilitirte sich H. als Privatdocent »für Aesthetik und Ge-
schichte der Tonkunst« an der Wiener Universität, 1861 ward er zum ausser-
ordentlichen, 1870 zum ordentlichen Professor an derselben ernannt, und es
ist so durch H. zum ersten Male die höhere wissenschaftliche Behandlung der
Musik an einer deutschen Universität ins Leben getreten. In den Jahren
1859, 1860 und 1863 hielt H. jedesmal einen Cyclus öffentlicher Vorlesungen
für Herren und Damen über »Geschichte der Musik«. Bei diesen sowohl wie
bei seinen Universitätsvorträgen führte er als der Erste consequent die Methode
durch, die Vorträge durchgehends durch Aufführung pr actis eh er Beispiele
(am Ciavier oder durch Säuger) zu erläutern, ein bemerken swerther Fortschritt
gegenüber der bisher üblichen trocken -theoretischen Musiklehre. Im Winter
1860 wurde H. zum artistischen Beirathe des Hofoperntheaters in AVien er-
nannt, legte diese Stelle aber wegen Zerwürfnisse mit dem Direktor Salvi,
»neben dem für das Interesse der wahren Kunst zu wirken er sich ausser
Stande fühlte«, bald nieder. 1867 als Juror für die musikalische Abtheihing
der Pariser Welt- Ausstellung erwählt, erwarb er sich allseitig grosse Anerken-
nune: und wusste namentlich das Interesse der österreichischen Instrumenten-
bauer so thatkräftig zu wahren, dass ihm von den Letzteren nach dem Schlüsse
der Ausstellung eine prachtvoll ausgestattete Dankadresse überreicht wurde
Hansmann — Hanssens. 519
Dasselbe Amt wurde ihm auch 1872 in der Fachcommission der "Wiener "Welt-
Ausstellung übertragen und von ihm mit gleicher Umsicht und Sorgfalt ge-
handhabt.
Hausmaun, Ferdinand, vortrefflicher Violoncello -Virtuose, geboren am
1. Aug. 1761 zu Potsdam, war auf seinem Instrumente ein Schüler von J. P.
Duport und fand in Folge dessen 1784 Anstellung in der Kapelle des Prinzen
von Preussen und nach dessen Thronbesteigung in der königl. Kapelle. Als
Violoncellist durch seinen grossen markigen Ton besonders ausgezeichnet, war
er auch als Lehrer sowie als Mensch in seiner Zeit hochgeschätzt. Nachdem
er sich im J. 1828 hatte pensioniren lassen, starb er am 26. Decbr. 1843
zu Berlin.
Hansmann, Otto Friedrich Gustav, deutscher Tonkünstler, geb. zu Berlin
am 30. Mai 1769 als der Sohn des Cantors der Louisenkirche Georg Ben-
jamin Otto H., wurde 1791 Inspektor der Choristen der königl. italienischen
Oper zu Berlin und später Chordirektor. Ausserdem wirkte er seit 1796 als
Organistenadjvinkt und seit 1798 als wirklicher Organist an der Petrikirche,
nachdem er schon vorher, um sein Einkommen zu vergrössern, auch eine An-
stellung bei der Registratur des Berliner Magistrats angenommen hatte, welche
ihn später in das Calculaturfach führte. Hier stieg er zum Geheimen expedi-
renden Secretair des Finanzministeriums und 1833 zum königl. Rechnungsrathe
auf. Mit einem vom ihm 1804 errichteten Gesangvereine trat er 1816 zuerst
vor die Oeffentlichkeit und erhielt für die Aufführungen desselben die Dom-,
weiterhin die Garnisonkirche eingeräumt. Als dieser Verein am 28. Octbr. 1829
sein silbernes Jubiläum feierte, wurde H. zum Ehrenbürger der Stadt Berlin
ernannt. Sein vornehmstes, aber nicht unbeanstandet gebliebenes Verdienst ist
es, dass er einen wahrhaften Cultus der Graun'schen Passionscantate »Der Tod
Jesu« in Berlin ins Leben gerufen hat, welches "Werk bis 1873 au jedem Grün-
donnerstage durch den H.'schen Verein, für dessen Fortbestand sein Sohn, der
am 21. Aug. 1873 als Geheimer Rechnungsrath im Finanzministerium ge-
storbene Karl Eduard H. , und dessen Schwager, der Musikdirektor und
Professor Jul. Schneider sorgten, zur Aufführung gelangte. H. selbst starb
am 4. Mai 1836 an einem Lungenschlage zu Berlin, nachdem er noch kurz
zuvor, am 30. April, der Vorführung seines Lieblingswerkes beigewohnt hatte.
Von seinen Compositionen ist keine gedruckt worden. — Eine Tochter von ihm,
Gesangschülerin Tombolini's, ist 1813 als Frau Schubert in Kirchenconcerten
aufgetreten.
Hanssens, Charles Louis Joseph, zur Unterscheidung von dem Nach-
folgenden auch H. der ältere genannt, stammte aus einer in Belgien schon
lange rühmlichst bekannten Musikerfamilie und war am 4. Mai 1777 zu Gent
geboren. Von Vauthier im Violinspiel und von Verheym, dem Kapellmeister
der Kathedrale, in der Harmonielehre unterrichtet, machte er in Paris bei
Berten Compositionsstudien und vollendete bei seinem älteren Bruder Joseph
H. und bei dem Violinisten Femy seine Ausbildung. Hierauf fungirte er
mehrere Jahre lang an holländischen Bühnen als Musikdirektor und kam 1825
mit einem ausgezeichneten Dirigentenrufe nach Brüssel, wo ihm 1827 die
Direktion der königl. Privatkapelle und ein Jahr später auch das Inspectorat
an der Musikschule, aus der bald darauf das Conservatorium hervorging, über-
tragen wurde. Von 1831 an lebte er einige Jahre zurückgezogen, erhielt aber
1835 die königl. Dirigentenstelle wieder und wurde sjDäter sogar Mitdirektor
des Theaters de la Monnaie. Es starb am 6. Mai 1852 zu Brüssel. Seine
tüchtige Kunstbildung hat er auch als Kirchen- und Operncomponist bewährt.
Man kennt von ihm Messen und viele Gelegenheitscantaten, sowie die Opern
ToLes dotsd, »ie solitaire de Formenterad, -nLa parthie de trictracd und »^Z-
cibiadcd.
Hanssens, Charles Louis, auch als der Jüngere bezeichnet, zählt nicht
minder wie der Vorige zu den belgischen Musiknotabilitäten. Geboren zu
520 Haranc — Haider.
Gent am 10. Juli 1802, verlebte er seine Jugend in Holland und bildete sich
meist durch Selbststudien zu einem tüchtigen Violoncellisten und Componisten
aus, so dass er schon 1812 im Orchester des Nationaltheaters zu Amsterdam
Anstellung fand und zehn Jahre später ebendaselbst Orchesterchef wurde.
Dennoch begnüwte er sich 1824 wieder mit einer Violoncellisten stelle im Theater
zu Brüssel, freilich um schon nach sechs Monaten in Folge einer von ihm zum
Benefiz der Griechen componirten Cantate zum zweiten Orchesterchef und 1827
zum Professor der Harmonielehre an der königl. Musikschule ernannt zu wer-
den. Die Revolution von 1830 trieb ihn wieder nach Holland, von wo aus
er 1834 als Solovioloncellist an das Theater Ventadour in Paris berufen, drei
Monate später aber schon zweiter Dirigent und Componist dieses Theaters
wurde. Der Bankerutt der Direktion im J. 1835 führte H. abermals nach
Holland, wo er im Haag die Musikdirektion der französischen Oper übernahm.
Ein Jahr sj)äter war er wieder in Paris, fand jedoch keine Anstellung und
ging 1837, von Noth bedrängt, nach Brüssel. Dort führte er sich mit einem
Requiem seiner Composition glänzend ein und wurde zum Professor am Con-
servatorium ernannt, später in die Akademie der Künste gewählt und endlich
als königl. Kapellmeister der Oper angestellt. Von Auszeichnungen überhäuft,
starb er am 17. April 1871 zu Brüssel. Man kennt von ihm Messen, Can-
taten, Sinfonien, 10 Balletj^artituren, zwei nicht zur Aufführung gelangte Opern
und Concerte für Violine, Violoncello und für Clarinette. Fetis rühmt von H.,
dass er, ehrenhaft und tüchtig in seinem Streben, der Mode nie Concessionen
gemacht habe und so unbekümmert um den Beifall der Menge gewesen sei,
dass er kein Werk seiner Composition habe drucken lassen.
Haranc, Louis Andre, französischer Violinvirtuose und Instrumental-
componist, geboren 1738 zu Paris, soll schon in seinem 6. Jahre die schwersten
Sonaten von Tartini fei-tig gespielt haben. Von 1758 bis 1761 war er auf
Reisen in Italien, wurde, nach Paris zurückgekehrt, 1770 in der königl. Ka-
pelle als erster Violinist angestellt und 1775 zum Direktor der Privatconcerte
der Königin ernannt. Durch die französische Revolution um diese Aemter
gebracht, musste er 1790 als Violinist an das Theater Montansier gehen. Er
starb 1805 zu Paris. Von seinen Compositionen sind Violin- Sonaten mit Bass-
begleitung und Violinduette im Druck erschienen.
Haravi ist der Gattungsname für mexikanische lyrische Gesänge; jeder
einzelne erhielt, je nach seiner Nutzanwendung, noch einen besonderen Namen.
2.
Harbordt, Johann Gottfried, deutscher Flötist, der zu Ende des 18.
und Anfangs des 19. Jahrhunderts in Braun schweig lebte, gab daselbst einige
seiner Compositionen heraus, nämlich: Elf Variationen über Bornhard's Lied
»Ich lobe mir den frischen Quell« (1796); zwei Hefte, enthaltend je III Duos
tres faciles pour 2 Flutes als op. 2 (1796) und drei gleiche Duos als op. 16
(1799). t
Hard, Johann Daniel, deutscher Virtuose auf der Violdagamba, geboren
am 8. Mai 1696 zu Frankfurt a. M., war zuerst Kämmerer und Gambist am
Hofe des Königs Stanislaus zu Zweibrücken, dann vier Jahre lang Kammer-
musiker des Bischofs von Würzburg und endlich 1725 in der würtembergischen
Hofkapelle, in welcher ihn Herzog Karl Alexander zum Concertmeister und
Herzog Karl Eugen zum Kapellmeister ernannte. Er starb um 1770 zu
Stuttgart.
Härder, August, allbeliebter deutscher Gesangcomponist, geboren 1774
zu Schönerstädt bei, Leisnig in Sachsen, erhielt von seinem Vater, einem Schul-
meister, den ersten wissenschaftlichen und musikalischen Unterricht. Um Theo-
logie zu studiren, besuchte er das Gymnasium zu Di'esden und die Universität
in Leipzig. Hier kam er als Musiklehrer und Componist in Flor und gab
deshalb um 1800 die Theologie ganz auf. Seine gegen 50 Hefte betragenden
Lieder und Gesänge machten enormes Glück; einige Nummern derselben
Hardig — Harfe. 521
haben sicli bis beute beliebt erhalten und befinden sich in den Erk'schen
Liedersani mhmgen. Als Leipzig am 19. Octbr. 1813 erobert wurde, lag H.
am Nervenfieber darnieder; die mit diesem Ereigniss verbundene Aufregung
beschleunigte seinen Tod, der zehn Tage darauf, am 29. Octbr. erfolgte.
Hardig-, s. H artig.
Hardonin, Henri, französischer Geistlicher und Kirchencomponist, geboren
1724 zu Grandpre als der Sohn eines Hufschmieds, erhielt seine erste musi-
kalische Bildung als Chorknabe an der Kathedrale zu Rheims, wo er auch nach
seiner Priesterweihe Kapellmeister und Canonicus wurde. Er starb am 13. Aug.
1808 zu Grandpre und hinterliess mehr als 40 Messen und erstaunlich viele
andere Kirchenwerke im Manuscript, die sich sämmtlich durch wackere Arbeit
auszeichnen. Auch ein Lehrbuch des liturgischen Gesanges für die Diöcese
Rheims hat er (Rheims, 1762) herausgegeben, welches mehrere Auflagen
erlebte.
Hardt, Hermann von der, deutscher Gelehrter, geboren zu Molle in
"Westphalen am 15. Novbr. 1660 und vor seinem Tode, der am 28. Febr. 1746
erfolgte, Professor der morgenländischen Sprachen zu Helmstädt, war einer jener
Vielschreiber, die zwar Bewunderung von ihren Zeitgenossen, doch nicht von
der Nachwelt erhalten haben. Unter seinen unzähligen Schriften befindet sich
auch eine musikalischen Inhalts, nämlich y>Ärion CitJiaroedusv. (Helmstädt,
1719). t
Hardy, ein zu Anfange des 19. Jahrhunderts zu London lebender Yiolon-
cellist, veröfi'entlichte daselbst um 1800: y> Violoncello -preceptor xvith scales for
ftngering in tJie various Icei/s.a — Ein französischer Oberst gleichen Namens,
der als Tonkünstler und Maler ein bemerkenswerthes Talent besass, fiel 1856
im Krimkriege. Man kennt von ihm u. A. zwei Opern, von denen die eine:
y>Les ßlles d'Jw?ineur de la reinea 1854 zu Algier mit Beifall zur Aufi'ührung
gelangt war.
Harenlberg', Johann Christoph, deutscher Gelehrter, geboren am 28.
April 1696 zu Langenholzen bei Hildesheim, war der Sohn eines armen Bauern
und erhielt vom Ortsschullehrer guten Ciavier- und Orgelunterricht, der ihn
befähigte, als er die Gelehrtenschule in Hildesheim und die Universität in
Göttingen besuchte, selbst auch Musiklectionen zu ertheilen. Nachgehends
wurde er Professor am Carolinum zu Braunschweig und starb als Probst des
St, Lorenzstifts zu Schöningen, am 12. Novbr. 1774. Die Ergebnisse seiner
tiefen und scharfsinnigen Forschungen über die alte, namentlich hebräische
Musik befinden sich in folgenden seiner Abhandlungen: y>Veri divinique natales
circumcisionis judaici, templi Salomonei, musices Davidicae in sacris et haptismi
Christianorumv. (Helmstädt, 1720) und »Cojmnentatio de re musica vefustissima,
ad illustrandum scriptores sacros et exteros accommodatav. (im 9. Stück der Leipz.
gelehrten Ztg. von 1753). Ferner hat man von ihm einen vortrefflichen Auf-
satz: »Yen der Reformation der Kirchen- und übrigen Musik im 11. Jahr-
hundert« (im 50. Stück der Braunschweig. Anzeigen von 1748, pag. 1001 fi".)
und endlich auch in denselben Anzeigen von 1747, 60. Stück, einen Artikel,
in welchem er darthut, dass der im 2. Buche Samuelis 1, 18 erwähnte Bogen
kein Streit-, sondern ein musikalischer Bogen gewesen sei.
Harfe (ital. arpa, franz. Tiarpe) ist der Name eines Saiteninstruments, der
nach Einigen vom griechischen anm], Sichel, nach Anderen von «((77«gro, ich
reisse, abgeleitet sein soll. "Weit älter jedoch als dieser im Abendlande ge-
bräuchliche Name und dessen Entstehung aus dem Griechischen ist dies In-
sti'ument selbst. Es ist, wenn man nach seiner Gestaltung urth eilen darf, ein
ursprünglich im assyrischen sowohl wie im ägyptischen Musikkreise je selbst-
ständig erfundenes Tonwerkzeug, das im chinesischen und indischen durch ander-
weitige früher oder gleichzeitig erfundene Saiteninstrumente, die dem Geiste
der dort herrschenden Tonkunst entsprachen, unnöthig erscheinen rausste, wenn
es selbst diesen Völkern bekannt wurde. In Assyrien (s. assyrische Musik
522 Harfe.
und die dazu gehörige Abbildung) erfreute sicli jedoch dies Tonwerkzeug einer
besonders sorgsamen Pflege. Zur Reguliruug des Gesanges in grosser Menge
fast bei allen grösseren pomphaften Aufzügen in Gebrauch, erhielt es seine
diesem Zwecke entsprechende Gestaltung. Man baute die dort gebräuchlichen
H.n in sehr verschiedenen Grössen und gab denselben wahrscheinlich den
Namen Magadis (s. d.). Nach einer Auslassung Anakreon's, geboren 530
V. Chr. zu Teos in Kleinasien, die in einem Bruchstück des Athenäus angeführt
wird, die früheste diesbezügliche Quelle, ist dies wenigstens zu verrauthen.
Der Resonanzboden der Magadis befand sich, wenn das Instrument gespielt
wurde, oberhalb der Saiten und der Stock, an welchem durch verschiebbare
Wülste, wie dies noch heute im Morgenlande üblich ist, die Saiten gestimmt
wurden, hatte eine von den Hüften ab horizontale Lage. Ein Trageriemen,
über die Schulter zu legen, dessen Enden an dem Resonanzboden und dem
Stocke befestigt waren, bewirkte die feste Stellung des Instruments vor dem
Oberkörper des Spielers ohne Anwendung der Hände, welche somit frei
zum Eeissen der Saiten bei jeder Körperbewegung demselben zu Gebote
standen.
"Wie nach den im Artikel assyrische Musik angestellten Betrachtungen
wahrscheinlich, kannte man in Assyrien nur IMetallsaiten im Bezug (s. d.)
der Magadis. Viele der arischen Völker, die in ihren Wanderungen dies Kul-
turvolk mehr oder weniger berühren mussten, scheinen von dieser H. Kenntniss
genommen zu haben und sie in mehr unausgebildeter Art, oder ihrer Verwen-
dung derselben angemessen modificirt, gepflegt zu haben. Für diese Annahme
spricht wenigstens die meist bei diesen Völkern in Anwendung gewesene
Saitenart, Metallsaiten. S. Germanen und Kelten, Natürlich ist eine Ein-
wirkung von griechischer und römischer Seite her, wo die H. mehr der ägyp-
tischen ähnlich gestaltet und bespannt war, nicht ausgeschlossen. Die Aegypter
nämlich hatten ebenfalls die H. schon in frühester Zeit in den verschiedensten
Grössen und Gestaltungen in Gebrauch (s. ägyptische Musik, besonders die
Abbildung daselbst), und wahrscheinlich haben sie' alle die Tonwerkzeuge, wenn
man nach den Angaben Eosellini's in seinem Werke »/ Monumenti delV Egittov.
t. III p. 23 und Tafel XCV Fig. 2 und 5 schliesst: Buni geheissen. Von
der Magadis unterschied sich die Buni durch die Lage des Resonanzbodens
zu den Saiten beim Gebrauch, die Grösse, die der gewünschteren Tonstärke
wegen entstanden zu sein scheint, den Bezug, der aus Darmsaiten bestand und
dem Stimmungsapparate, der Wirbel (s. d.) zeigt.
Das zeitweise in beiden vorerwähnten Musikkreisen gelebt habende Volk
der Hebräer, das in seinem Cultus der Musik eine so hervorragende Stellung
einräumte, pflegte vor allen Instrumenten die H. in vielerlei Gestalt als Füh-
rerin des Gesanges, die sie mit dem Gattungsnamen Negina (s. d.), nD'^M,
bezeichneten, wenn man den Untersuchungen Fetis' in seiner -nHistoire de la
Musiquea Tome I p. 391 folgt, welche im Bezug und in der Bauart denen in
jenem Musikkreise verwandt waren. Einzig neu scheint bei den Hebräern die
harfenartige Behandlung der citherai'tig gebauten Tonwerkzeuge, wenn die frü-
heren Ansichten, denen die Abbildungen des Psalters (s. d.) und Kinnor's
(s. d.) in Forkel's Geschichte der Musik, Tlieil I, Tafel II No. 28 und 29 zu
verdanken, nicht Irrthümer sind. Neuere Forschungen scheinen diese älteren
Ansichten nicht bestätigen zu können, wie die Specialartikel nachweisen. Da
über die antiken Tonwerkzeuge oft nur nach einzelnen Aussprüchen älterer
Schriftsteller Schlüsse in Bezug auf die Gestaltung derselben zu machen sind
und diese je nach dem Denken und Wissen der Forscher bis heute noch sehr
auseinandergehen: so durfte diese ältere Anschauung hier nicht mit Still-
schweigen übergangen werden.
Die bildlichen Nachrichten, welclie von den frühesten H. Kunde geben,
stammen in Assyrien ungefähr aus der Zeit 1000 v. Chr. und in Aegypten
2000 V. Chr. Dieselben findet man in sehr grosser Zahl und sie zeigen,
Harfe. 523
besonders die ägyptischen, eine Eleganz und Ausbildung, welche andeutet, dass
man mindestens Jahrhunderte lang schon an der Vervollkommnung derselben
gearbeitet haben muss. Man sehe nur die Abbildungen im Berliner ägyptischen
Museum, die vier Bilder in G. W. Finh's »erster Wanderung der ältesten Ton-
kunst« und V. Drieberg's AVörterbuch der griechischen Musik, und die ober-
flächlichste Betrachtung derselben wird Jedem lehren, wie sehr die H. im ganzen
Alterthum eins der höchstgeachtetsten und gepflegtesten Tonwerkzeuge in diesen
Musikkreisen gewesen sein muss. Ja, dass dies überhaupt überall stattfand,
lässt sich ausser nach dem Pomp, welchen man hier mit den H.n trieb, auch
daraus entnehmen, dass die H. selbst bei den barbarischen Völkern in jener
Zeit in Ansehen stand, wovon die Gesetzgebung derselben vielfach sichere
Kunde giebt. So durfte man z. B. in Irland und England dem Schuldner
Alles nehmen, nur die H. war und blieb bei hoher Strafe unantastbar, und bei
den Pranken fühlte die ganze Schwere des Gesetzes derjenige, welcher einen
H.nspieler an der Hand verletzte. Wenn aber in Ländern die Gesetzgebung
von diesem Musikinstrumente schon so hervorragend Notiz nahm, wo diese
Tonwerkzeuge nach unserem Wissen sich lange nicht einer solchen Ausbildung
erfreuten, wie in Assyrien und Aegypten, um wie viel mehr wird man in
Aegypten diese Instrumente hoch gehalten haben. Dass sich die H. im Abend-
lande nicht einer so grossen Ausbildung erfreute, wie im Morgenlande, lässt
sich zwar nicht nach monumentalen Darstellungen beurtheilen, da eben solche
fast gar nicht vorhanden sind, jedoch die geringe Kunde aus Sagen und Be-
richten fremder Schriftsteller berechtigen zu diesem Ausspruche. Das Wenige,
was über die Beschafi'enheit und Bauart der occidentalen antiken H.n bekannt ist,
bieten die Specialartikel, weshalb nunmehr auf die mehr modernen occidentalen
H.n Rücksicht genommen werden darf.
Spitz-, Draht-, Flügel- oder Zwitscherharfe, Arpanetta (ital.),
nennt man eine alte abendländische H.nart, die wahrscheinlich aus einer hebrä-
ischen entstanden ist und den Uebergang von jener antiken zur modernen H.
bildet. Diese H. könnte man eine zitherartige nennen, denn sie hat mit der
Zither (s. d.) gemein, dass die Saiten über dem Resonanzboden ausgespannt
sind und mit den Fingernägeln oder einem plektrumartigen Instrument tönend
erregt werden. Der Schallkasten hat zwei Resonanzböden von gleicher Gestalt,
nämlich der eines rechtwinklichen Dreiecks, dessen längster Schenkel beinahe
1 Meter und dessen kleinerer Schenkel etwa halb so lang ist. Die Dicke des
Kastens, dessen grössere Flächen die beiden Resonanzböden bilden, ist überall
gleich gross. Auf beiden Seiten des Schallkastens über den Resonanzböden
befinden sich zusammen 49 Di^ahtsaiten , ebensoviel verschiedene Klänge zu
geben bestimmt, und zwar sind die tiefer klingenden von diesen aus Messing
und die Discantsaiten aus Stahh Der Spieler setzt beim Gebrauch dies In-
strument mit der Seite, die den kürzeren Schenkel des Dreiecks bildet, so auf
einen Tisch, dass die Seite des grösseren Schenkels seiner Brust zu- und die
der Hypothenuse derselben abgewandt ist. Die Saiten stehen dann perpen-
diculär und werden, wie erwähnt, die an einer Seite des Schallkastens befind-
lichen mit den Fingern, welche mit einem mit einer Spitze versehenen Finger-
hute bewaffiiet sind, behandelt, und zwar je eine Bezugseite mit den Fingern
nur einer Hand. Dies Instrument, ursprünglich gewiss nur zur Leitung des
Gesanges angewandt, ist jetzt längst aus dem Bereich der abendländischen
Tonwerkzeuge geschwunden, da bei dem geänderten Zeitbedürfniss für Melodie-
führung dasselbe nicht mehr genügte und zu Harmoniegaben bereits viel bessere
ähnliche Instrumente erfunden sind.
Dieser ähnlich und wahrscheinlich nicht länger in Gebrauch gewesen, ist
die sogenannte irische H., von der die Leipziger allgemeine musikalische
Zeitung des Jahres 1826 in ihrer .39. Nummer eine Abbildung gicbt. Sie
unterschied sich von der vorhererwähnten nur dadurch, dass sie einen doppel-
chörigen Bezug von 28 bis 30 Saiten besass, und darnach ein Tonreich von
524 Harfe.
14 bis 15 Klängen unifasste. Die älteste irische H. soll, so behauptet die
Sage, nur vier Klänge gegeben haben. Von der alten irländischen H. über-
haupt finden sich noch zwei Exemplare vor; das eine wurde 1460 von einer
Lady des Hauses Lamont aus Argyleshire nach dem Hause von Lude in den
Hochlanden von Perth gebracht, und soll sich dort noch heute befinden. Es
soll ungefähr die Höhe eines Meters halben und 30 Saiten im Bezüge geführt
haben. Die andere H. wird in demselben Hause aufbewahrt und soll von der
Königin Maria einer Miss Beatrix Gardyn geschenkt worden sein. Dieselbe
hat nicht ganz die Höhe der vorigen und konnte nur mit 28 Saiten bezogen
werden. Auch die irländische H. scheint bis zu ihrem Verschwinden haupt-
sächlich zur Führung des Gesanges dienlich gewesen zu sein, jedoch schon zu
harmonischen Gaben Verwendung gefunden zu haben. Das Festhalten jedoch
der Barden an dem TJeberkommeneu, wie die allmälige Verbreitung anderer
H.n, scheint endlich das gänzliche Verschwinden dieser Species befördert zu
haben. Wie sehr diese H. mit der vorherigen verwandt ist, ergiebt die Be-
schreibung "W. Schneider's in seiner »historisch -technischen Beschreibung der
musikalischen Instrumente« vom J. 1834 S. 96, wo er letztere beschreibt und
derselben den Namen der ersteren beilegt.
Diesen beiden H.narten scheint, durch den abendländisch sich entwickeln-
den Musikgeist bedingt, die sogenannte Doppelharfe, italienisch Arpa dop-
pia genannt, auch Davidsharfe geheissen, des späteren Mittelalters ent-
sprossen zu sein. Leider kann mau sich von dieser H. keine klare Vorstellung
machen, indem alle Beschreibungen so abgefasst sind, dass sie der Fantasie
weiten Spielraum lassen. Hoffentlich dürfte es noch einmal gelingen, auch
diese Wissenslücke zu füllen. »Diese H. ist, wie es in einer jener Beschrei-
bungen heisst, mit Stahl- und Darmsaiten bezogen, hat zwei Resonanzböden,
deren einer ganz durchgeht und den Haupttheil der H. ausmacht; der andere
geht nur etwas über die Hälfte des Instruments. Man setzt sie vor sich, dass
der Resonanzboden nach aussen hin steht. An der rechten Seite oben ist für
die rechte Hand eine Cymbal von Stahl saiten angebracht. Der Umfang der-
selben ist von c^ bis f^ , der TJmfang der Darmsaiten rechter Hand von d bis
c', und linker Hand ebenfalls der Darmsaiten von J5i bis b^ , aber nur ein-
chörig bezogen. Sie ist zum Accompagniren sehr geschickt.«
Die zitherartigen H.'n, wahrscheinlich dem hebräischen Musikkreise ent-
sprossen und durch die Phönicier bis in die weitesten Regionen hin bekannt
geworden, fanden mit letztgenannter H.nart weit von der Heimath, im fernen
Abendlande, erst ihren Abschluss in der Ausbildung. Der Hauch des abend-
ländischen Kunstgeistes, nachdem er vergebens sich durch Umformungen des
uralten Instrumentes dasselbe dienstbar zu machen versucht hatte, verwehte die
letzte Frucht an diesem Kunstbaume, so dass, wie oben angedeutet, nicht allein
die letztgenannte H.nart sich gänzlich aus dem Kunstgebrauch wie dem Völker-
leben des Abendlandes verlor, sondern mit derselben auch überhaupt diese
Gattung von Tonwerkzeugen aus dem Tonleben aller Völker verschwand.
Dies Verschwinden beförderte vor allen Dingen die immer grössere Aus-
breitung der abendländischen H., welche, unter dem Namen grosse Davids-
harfe bekannt, der ägyptischen ähnlich gebaut war. Die abendländische H.
unterscheidet sich von der vollendetsten ägyptischen fast nur durch das Voi'-
handensein des sogenannten Vorderholzes, auch wohl Baronstange genannt.
Eine kurze Betrachtung über die Urform und die Ausbildung der ägyptischen
H., sowie über die wahrscheinliche Urform und Entwickelung der abendlän-
dischen, mag, da dieselbe noch sonst manches Merkenswerthe bietet, hier eine
Stelle finden. Blickt man noch einmal zurück auf die Urform, Ausbildung
und vollendetste Gestaltung der ägyptischen H., so bemerkt man zuletzt, dass
ausser einer zeitentsprecheuden, nach Anwendung und Gestalt vielfachen, höchst-
gesteigerten Ausbildung derselben, neben der vollkommensten Form derselben
in Volkshänden dieselbe noch in der Urform fortlebte. Ja, nicht allein, als
Harfe. 525
die vollendetste H. längst unter die Wogen des politischen Völkerlebens be-
graben worden war, wucherte sie in der Urform dort, wo nur noch ein Füuk-
chen des Geeistes antiker Kunst glühte, im Leben üppig fort, sondern sie er-
freute sich weit von ihrer Urstätte im fremden Lande auch noch in lünirerer
Zeit einer neuen Ausbildung, die wie ein Wurzeltrieb eines längst verwesten
Baumes uns entgegenragt.
Die fast im ganzen Morgenlande, Aethiopien und den Negerlanden gepflegte
Rabäbe (s.d.) nämlich, die daselbst in den Händen der niedrigsten Musiker sich
befindet, hat noch heute dieselbe Construktion, wie vor 4000 Jahren und früher
die ägyptische H. Dies beweisen die im Londoner Museum befindlichen Reste
altägyptischer Tonwerkzeuge, welche M. Salt in einem Grabe Oberägyptens
fand. Diese Reste, dem Gestell einer Rabäbe wie ein Ei dem andern ähnlich,
haben das Besondere, dass sie drei, vier oder fünf Wirbel besitzen, während
die Rabäbe AVülste nur für mindestens fünf Saiten hat. Zuerst erwähnte die
Rabäbe Capitain Speke, der im J. 1861 zu Karage auf seiner Reise nach den
Quellen des Nils auf dieselbe aufmerksam wurde. Nach dieser Zeit hat fast
jeder Orientreisende dieselbe häufig gesehen und sich wo möglicli ein Exemplar
mitgebracht. Auch Professor Lepsius in Berlin besitzt eine Rabäbe. Dieselbe
ist aus einem Stücke Holz geformt und einer grossen löfielartig gearbeiteten
Schaufel mit krummem, der innern Schaufelfläche zugeneigtem Stiele nicht un-
ähnlich, dessen grösste Ausdehnung ungefähr einen Meter beträgt. Die Schaufel
zeigt sich dem Stiele zugewandt, kesselartig ausgehöhlt und aussen wie der
Resonanzkasten der abendländischen Laute (s. d.) geformt. lieber der kessel-
artigen Oeffnung wurde ein Fell gespannt, über das, unmittelbar von dem vom
Kessel ausgehenden Stiele ab, den Durchmesser des Kessels entlang, befindet
sich im festen Zusammenhange mit dem Membran eine Holzleiste. Diese diente
als Saitenhalter und zur Uebertragung der Tonschwingungen auf das als Re-
sonanzfläche dienende Membran. Zu beiden Seiten dieser Leiste befinden sich,
kreisförmig geordnet, mehre kleine Löcher durch das Membran, Schalllöcher.
Das Ende des Stiels besitzt verschiedene Vertiefungen , gewöhnlich fünf, in
denen Wülste sich bewegen, mittelst welcher die Darmsaiten um den Stiel ge-
wickelt und gespannt werden. In der Jetztzeit wird dies Instrument noch wie
ursprünglich zur Regulirung des Gesanges gebraucht, nur findet man gegen-
wärtig noch ausserdem, dass es oft im Vereine mit einer oder mehreren schwach-
tönenden Trommeln geschieht.
Vergleicht man mit dieser Urform der H. alle auf ägyptischen Bildern
sich vorfindende H.n, so bemerkt man, wie mehr oder weniger, aber stets, dieser
kesselartige Resonanzkasten bei allen diesen Tonwerkzeugen hervortritt. Wenn
dieser kesselartige Schallkasten in dem sich allmälig erst verengenden Stiel-
anhange eine Verlängerung erhielt, welche Form in der im Gehen gebrauchten
auf der Schulter zu tragenden H. eine allgemein fast gleiche Bildung zeigte,
wenn selbst mit der Zeit dieser Stielansatz die Gestalt eines vierseitigen Kastens
annahm und an dessen schmalerem Ende erst diesem eine Wirbelstange winklich
fest eingesetzt wurde, so findet man doch bei allen, besonders den grössten,
ägyptischen H.n am weiteren Ende des eckigen Schallkastens stets eine mit
den reichsten Schnitzwerken und Verzierungen geschmückte kesselartige Er-
weiterung, die an die Wurzelform der H. erinnert. Dass bei der Anfertigung
des Grundgestells dieser H.n stets die grösste Festigkeit desselben angestrebt
werden musste, wird man selbstredend finden, indem man, die Urform erwei-
ternd, die Einzelutheile derselben vergrösserte und umbildete, jedoch nicht in
Erwägung zog, dass durch Dreiecksgestaltung des Gestells sölbst bei geringerer
Sorgfalt dennoch eine grössere Dauerhaftigkeit zu erreichen möglich war.
Nachdem man Jahrtausende die H. ohne Vorderholz zu bauen und zu schauen
gewohnt war, und die so gebauten H.n stark genug waren, der Saitenspannung
dauernd zu trotzen, schloss man nach dieser Seite hin die Vervollkommnung
dieses Tonwerkzeugs ab.
526 Harfe.
Alle jene Prachtbauten, wie erwähnt, überdauerte diese H. in ihrer Ur-
form, ja sie gewann selbst für sich noch neue Verehrer und Verbesserer. So
findet man, wo sich der chinesische und indische Musikkreis berühren, mit der
Ausbreitung des Islams dort dieselbe nicht allein vor — während in beiden
Musikkreisen in deren Blüthezeit, wie noch heute, diese H. verschmäht ist —
sondern sie sogar in einer edleren Form und stärker besaitet, eingebürgert.
Dort, vorzüglich im Königreich Ava, führt dies Tonwerkzeug den Namen Sum
(s. d.) und hat einen Bezug von dreizehn Drahtsaiten. In Assyrien, wo man
hauptsächlich bei pomphaften Aufzügen H.n in Anwendung brachte, befleissigte
man sich, ausser den H.n noch andere Tonwerkzeuge zu schaffen, die im Gehen
leicht behandelt werden konnten und die man der Lyra (s. d.), deren Saiten
in einem vier- oder dreiseitigen Rahmen ausgespannt wurden, der ganz oder
th eilweise Schallkasten war, nachbildete; jede Variante sah man wohl als eine
besondere Instrumentgattung an. Auch die leichteste Bauart eines solchen
Rahmens verlieh diesen Tonwerkzeugen eine Dauerhaftigkeit, welche anders
schwer zu erreichen war. Diese Tonwerkzeuge sind von den semitischen Völ-
kern und besonders von den Grriechen, von denen sie oft wieder eigene Namen,
wie Psalter (s. d,), Trigonon (s. d.), Sambuke (s. d.) u. A. erhielten,
gepflegt worden.
Die bei den Assyrern und Gi'iechen vorbeiziehenden Arier fanden sicherlich
gerade diese Tonwerkzeuge am geeignetsten zum Gebrauch in ihrem Wander-
leben, weil man ohne grosse Kunst dieselben nachbilden konnte und sie bei
den stets im Wanderleben geringer werdenden Musikansprüchen den jeweiligen
Kunstbedürfnissen zu genügen vermochten. Erst nachdem im fernen Westen
das Meer den Menschenströmen ein Halt gebot und das Stauen der Massen
gesellschaftliches Wohlbehagen und gesteigerte Kunstgenüsse forderte, ver-
grösserten sich diese Tonwerkzeuge und unterlagen, ausser einer geringen Be-
einflussung von Griechenland aus (s. Harpinella), einer den Verhältnissen
entsprechenden eigenthümlichen Ausbildung. Man schuf allmälig mehrere Arten
dieser Tonwerkzeuge, die leicht transportabel waren, solche, die im Arm ge-
tragen werden konnten und solche, die gestellt werden mussten, wenn ihr Khuig
in höchster Fülle sich erzeugen sollte.
Diese Musikinstrumente, stets in den Händen der Musikkundigsten,
Priester und Weisen der europäischen Volksstämme, erhielten in der Zeit der
Völkerwanderung wahrscheinlich annähernd gleiche Bauart und mit dem Ein-
zug des Christenthums allmälig den Namen H. Das grösste derselben scheint
sehr früh, entsprossen dem frommen Sinne der ersten Christen, zum Andenken
an den Sänger und Heldenkönig der Hebräer, der wahrscheinlich das Kinnor
(s. d.) gespielt hat, welches, wenn es eine Baronstange gehabt, unserer gewöhn-
lichen H. am ähnlichsten ausgesehen hätte: Davidsharfe genannt worden zu
sein. Die ersten H.n dieses Namens, von denen Nachricht vorhanden, sind
wohl die Alfred's des Grossen, Königs von England, geboren 849, und Karl's
des Kahlen, 843. Dieselben waren jedoch der heutigen Davidsharfe vielleicht
noch sehr unähnlich, da anzunehmen ist, dass erst mit dem 16. Jahrhundert
allgemein eine ganz gleiche Form derselben sich verbreitete, an der später, im
18. Jahrhundert, dann in regster Weise Verbesserung auf Verbesserung vor-
genommen wurde.
An dieser allgemein gleichen Form fiel vor Allem die dreieckige Gestalt
in die Augen, die aus dem Schallkasten oder Körper, dem Hals oder Wirbel-
holze und der Vorder- oder Baronstange gebildet wurde. Der Schallkasten,
vierkantig und nach unten hin breiter und tiefer werdend, wird aus drei Ahorn-
brettern und einer Platte von Fichtenholz, dem Sangboden, gebildet. Der
Sangboden ist mit zwei runden, verzierten Löchern, Schalllöchern, versehen,
welche der Aussenluft Zusammenhang mit der Luft in dem Körper gewähren.
In der Mitte des Sangbodens ist eine schmale Leiste von oben bis unten auf-
geleimt, in welcher sich der Reihe nach Löcher befinden. Diese Löcher sind
Harfe. 527
dazu bestimmt, die in einem Knoten abschliessenden Saitenenden aufzunehmen,
deren Festhalten in dei- Leiste durch ein hölzernes Stöppelchen, Patrone
(s. d.) genannt, bewirkt wird. Der Schallkasten erhält in neuerer Zeit eine
kleine Aussenbiegung des stärksten Theils. Vom oberen Ende des Schall-
kastens aus, demselben fest eingefügt, geht fast rechtwinldich der Hals oder
das Wirbelholz ab, das in neuerer Zeit an dem dem Schallkasten abgewandten
Ende etwas gewunden nach Aussen gebogen ist. In dem Halse stecken eiserne
Wirbel, welche an dem einen Ende rund sind und Löcher haben, durch die
andern Saitenenden gezogen werden. Das andere Ende des Wirbels ist vier-
kantig und passt in einen Schlüssel, durch dessen Hilfe das Insti'ument be-
zogen und gestimmt wird. Damit aber der Hals auch der bedeutenden Span-
nung der Saiten genügenden Widerstand zu verleihen vermag und sich nicht
etwa herabsenkt oder abbricht, läuft zu dessen Unterstützung von dem äussersten
Ende des Halses zu dem des Körpers eine hölzerne Stange, die zuweilen mehr
oder weniger verziert ist. Beide Theile, Hals wie Vorderstange, sind massiv.
Diese drei beschriebenen Theile bilden, wie gesagt, ein rechtwinkliches Dreieck,
dessen längster Schenkel vom Schallkasten, dessen kürzerer vom Halse und
dessen Hypothenuse von der Baronstange gebildet wird. Die Saiten der
Davidsharfe gehen vom Schallkasten zum Halse, parallel mit dem Vorder-
holze.
Beim Gebrauch setzt man das etwa 1,2 Meter hohe Tonwerkzeug mit der
breiten Seite des Schallkastens, woran sich gewöhnlich ein oder zwei hölzerne
oder eiserne Spitzen befinden, so auf den Boden, dass die Saiten perpendiculär
stehen und die Theilenden, welche die Spitze des rechten Winkels bilden, die
Brust berühren. Gewöhnlich wird dies Instrument im Sitzen gespielt, seltener
im Stehen, stets jedoch behandelt die linke Hand die Bass- und die rechte
die Discantsaiten. Der Bezug der Davidsharfe, erst wahrscheinlich nur den
Klängen der Männerstimme entsprechend, hat sich mit dem Wachsen des in
die Kunst gezogenen Tonreichs ebenfalls vergrössert, so dass er jetzt die dia-
tonische Eolge von C bis c^ oder d^ bietet. Die Einführung der Halbtöne
in den abendländischen Kunstgebrauch Hess die Davidsharfe unberührt. Um
jedoch den Zeitansprüchen zu genügen, erfand man bei der Behandlung der-
selben einen eigenthümlichen Kunstgriff. Um nämlich Halbtöne zu erzeugen,
drückte man mit dem Daumen der einen Hand an der Stelle der Saite, dem
Halse zunächst, so dass dadurch die Saitenlänge um so viel vei-ringert wurde
und dieselbe einen um einen Halbton höheren Klang gab. Wollte man z. B.
fis haben, so drückte man mit dem Daumen an die entsprechende Stelle der
y- Saite. Weitgehende Modulationen aus C-dur oder Tonstücke in von dieser
entfernteren Tonarten waren somit sehr schwer, ja oft gar nicht auszuführen,
da jeder erhöhte Ton die Thätigkeit des Daumens der einen Hand in An-
spruch nahm.
Um nun alle chromatischen TÖhe leicht und ohne Daumenhilfe andauernd
hervorbringen zu können, kam man auf den Gedanken, zwischen den c- und
d'^ f- und g-^ und g- und a- Saiten Häkchen (franz.: erocliets) von Draht in
den Hals zu schrauben, welche so gedreht werden konnten, dass sie sich statt
des Daumens au die Saiten legten und in dieser Stellung nach Belieben ver-
blieben. Tyroler sollen Ende des 17. Jahrhunderts statt der Häkchen drehbare
Scheibchen mit Stiften bei der H. angebracht haben, durch welche die Saiten-
verkürzung rasch und präcise bewirkt werden konnte. Hierdurch war es
möglich, die Töne eis, des, dis, es, fis, ges, gis, h und als je nach Belieben auch
für längere Zeit als der H. eigene zu haben, wodurch Tonstücke in den C-dur
zunächst verwandten Tonarten auszuführen, fast ebenso leicht wurde, als Musik-
stücke aus C-dur selbst. Später setzte man sogar zwischen allen Saiten, wo
es irgend erforderlich sein konnte, solche Häkchen als Tonbildner. Diese
Davidsharfe befindet sich in der Jetztzeit in jedem der erwähnten Entwicke-
lungsstadien noch im Volksleben in Gebrauch und wird besonders von wan-
528 Harfe.
dernden Musikanten, meist Mädchen, als Erwerbszweig gepflegt. Besonders
liefert Böhmen jährlich sehr viele solcher Harfenistinnen, die bis in entfernte
Länder wandern.
Nicht unbemerkt darf es bleiben, dass man früher auch schon Wege ge-
sucht hat, der H. einen möglichst starken Klang zu verleihen, was bei dem
damals nur geringen Umfang des Tonreichs in der Kunst und der langsamen
Sangweise für die Praxis zu erreichen auch möglich war. Man weiss wenigstens,
dass 1605 Antonio Eustachio Luco, Kämmerer des Papstes Pius V., eine
Anstrengung nach dieser Richtung hin machte. Derselbe erfand nämlich eine
dreichörige H., die jedoch nicht dauernden Anklang gefunden zu haben scheint,
da mau nur zu bald nichts mehr von derselben hörte. In späterer Zeit, d. h.
nach 1700, suchte man die Verbesserung der H. darin, dass man entweder die
Anwendung von Häkchen bei derselben gänzlich zu umgehen trachtete, oder
dieselben anders als bisher zu dirigix'eu sich bemühte. Alle diese Vei'besserungen
gingen in der Mehrzahl darauf hinaus, die Häkchen oder die Substitute dafür
systematisch durch Züge zu regieren, welche mit den Füssen getreten wurden.
Letzterer Eigenschaft halber gab man dieser H.ngattung den Namen Pedal-
harfe. Der erste, welcher diesem Namen für seine Erfindung Eingang ver-
schaffte und denselben für alle Nachfolger erdachte, war der geschickte Harfenist
Hochbrucker in Donauwörth. Derselbe trat 1720 mit seiner verbesserten H.
vor die Oeffcntlichkeit. Er verlieh nämlich seinem Instrumente fünf Züge und
fünf Tritte, die er mit den Füssen dirigirte. Um dies zu vermögen, baute er
das Vorderholz inwendig hohl und legte die Züge, welche von den Basssaiten
aus Häkchen dirigirten, in diese Höhlung. Die Züge, welche von den Discant-
saiten aus Häkchen in Bewegung setzten, brachte er im Schallkasten an.
Jeder Zug drehte alle gleichgestellten Häkchen, deren fünf in der Octave,
nämlich zu der c-, d-, f-, g- und a-Saite waren, wenn der mit dem Zuge ver-
bundene Tritt niedergedrückt wurde, an die entsprechenden Saiten, so dass
alle gleichnamigen Klänge um einen Halbton höher ertönten. Die Häkchen
liegen bei dieser H. so lange an der Saite, wie der Fuss den Tritt niederhält;
wird der Fuss gehoben, so drücken hinter den Häkchen befindliche Federn
dieselben von der Saite ab. Wir übergehen hier die vielfachen kleinlichen
Verbesserungen, welche die Pedalharfe von da an sich gefallen lassen musste
und wenden uns der nächsten wesentlichen zu.
Dies war die Cousineau's. Dieser, Harfenist der Königin von Frankreich
und der Gräfin von Artois, fügte zu den fünf vorhandenen Tritten der be-
kannten Pedalharfe noch einen hinzu, durch welchen er ein sehr unterschied-
liches starkes und schwaches Spiel auf der H. in seiner Gewalt hatte. — Diese
Erfindung, welche im J. 1782 bekannt wurde, suchte J. B. Krumpholz, ein
Böhme von Geburt, der um 1787 in Paris lebte und dort als vorzüglicher
Harfenspieler sich einen Namen gemacht hatte, noch dadurch zu verbessern,
dass er an die nach Cousineau gebaute Pedalharfe noch zwei weitere Tritte
anbrachte. Der eine derselben bewirkte, die möglichst höchste Klangkraft der
H. geben zu können; der andere, welcher einen Streifen Leder über die tiefer
erklingenden Saiten oder über die höher ertönenden ein seidenes Band, je nach
dem Ermessen des Spielers, zu decken die Aufgabe hatte, ermöglichte die all-
mälige Klangkraftverminderuug von der höchsten Stärke bis zum leisesten,
hauchenden Tone, oder dessen ähnliche Klangkraftvermehrung. Diese H.nver-
besserung soll sich einer allgemeineren Anerkennung erfreut haben, so dass
man selbst in Deutschland H.n dieser Art nachbaute. — Es wird gemeldet,
dass C. Wilh. Ferd. Binder, Instrumentbauer zu AVeimar, um 1797 ebenfalls
Pedalharfen mit sieben Tritten baute, von denen beiläufig zu bemerken, da von
nun au der Preis solcher Tonwerkzeuge bei ihrer Verbreitung bedeutend mit-
sprach, dass das Stück 25 Louisd'ors kostete.
Mit dieser Erfindung schliessen die H.nverbesserungcn des 18. Jahrhunderts.
Da in jener Zeit jedoch auch andere Anstrengungen gemacht wurden, die H.
Harfe. 599
den Zeitansprücben angemessen zu gestalten, so seien, der klareren TJebersicbt
wegen, alle andern damaligen bemerkenswerthen H.nverbesserungen ebenfalls
in Kürze erwäbnt. Der "Weimar'scbe Kammermusikus Job. Hausen, gestorben
1733, Hess sich eine H. bauen, die für die Halbtöne besondere Saiten führte,
welche, so viel man weiss, nicht in derselben Fläche wie die andern Saiten
lagen und deshalb die gewöhnliche Spielart wenig beeinflussten. Diese Erfin-
dung hat jedoch fast gar keine Verbreitung gefunden. Ein gleiches Schicksal
erlebte die H.nverbesserung des Berliner Instrumentbauers Bothe. Derselbe
fertigte in den Jahren von 1787 bis 1789 eine sogenannte chromatische H.,
die etwas grösseres Format als die gewöhnliche besass und im Bezug Saiten
für alle chromatischen Klänge von C bis /' hatte. Die Saiten derselben, alle
in einer Ebene geordnet, mussten der Zahl wegen sehr enge gestellt werden,
was das klare Behandeln derselben sehr erschwerte. Hierzu gesellte sich noch
der TJebelstand, dass diese Saitenordnung eine durchaus neue Applicatur bei
der Behandlung dieser H. forderte.
Trotz dieser Misserfolge der chromatischen H.n im 18. Jahrhundert, trat
dennoch gleich im Anfange des folgenden, im J. 1808, ein praktischer Arzt
zu Schleusingen im Henneberg'schen, D. G-. C. Pfranger, mit einer neuen der-
artigen Erfindung hervor. Seine chromatische H. hatte für alle chromatischen
Klänge von Ä bis a^ besondere Saiten. Die diatonischen Töne der C-dur-
leiter wurden von weissen und alle andern von röthlich - dunkelblauen Saiten
gegeben. Die Applicatur auf dieser H., obgleich von der auf der gewöhnlichen
verschieden, war vim deswegen doch eine empfehlenswerthe zu nennen, weil sie
bei zwölf Tonarten die gleiche war. Zudem war der Preis eines solchen In-
struments, sieben Louisd'ors, den sonst üblichen nach, ein geringer, was also
gewiss der grösseren Verbreitung desselben auch nicht hinderlich sein konnte.
Ausserdem hatte der Erfinder zum Bekanntwerden seiner H.nverbesserung die
damals schon ziemlich bedeutend wirkende Macht der Fachpresse in Anspruch
immen.
Im 18. Jahrg. der Leipz. allgemeinen musikal. Ztg. No. 21 findet sich
ein Aufsatz über diese chromatische H. aus der Feder des Erfinders. In
diesem beleuchtet er die Nachtheile der verbreiteten Haken-, sowie die der
Pedalharfen. Er findet den Mechanismus besonders der letzteren zu verwickelt,
indem entstehende Fehler nicht allerorts gehoben werden könnten. Er hebt
ferner hervor, dass die Saiten durch das Peiben der Häkchen sowohl, als auch
durch das Andrücken der metallenen Sättel stark abgenutzt würden, so dass
sie leicht schnarrende Klänge bedingen und dass diese H.n, um allgemein ver-
breiteter zu werden, viel zu hoch im Preise stünden. Trotz alledem hatte
Pfranger doch mit seiner neuerfundenen H. bei der Mit- und Nachwelt kein
Glück. Nur der Ruhm ist ihm geworden, dass er bis heute als Letzter in
der Musikgeschichte verzeichnet ist, der durch Bereicherung des Bezuges der
H. dieselbe unsern Kunstansprüchen" entsprechend zu construiren versuchte.
Hier sei alsbald noch ein letzter Versuch einer H.nverbesserung bemerkt. Das
Nähere über diesen Versuch Ferdinand Kaufmann's in Dresden bietet die
Leipz. allgem. musikal. Ztg. vom J. 1815 in einem Aufsatze von Lebrecht
Nauwerk in Eisleben, woraus erhellt, dass es sich nur um eine Verbesserung
des Mechanismus au der Hakenharfe handelt, der jedoch, wie angedeutet, als
Verbesserung nicht dauernde Anerkennung gefunden hat.
Aehnlichen Erfolg erlebte der Londoner Harfenbauer Light im J. 1820
mit seiner »Faient digital Jiar^«. "Wahrscheinlich durch die grosse Beliebtheit
der H.n in England und durch die Kostspieligkeit der in seiner Zeit sich
ebenda schon verbreitenden H.n mit Doppelbewegung, ä double mouvemenf,
welche weiter unten beschrieben ist, angeregt, construirte Light eine kaum ein
Drittheil so grosse H., als die damals geschätzte Pedalharfe, die in der Leich-
tigkeit ihrer Behandlung, in ihrer Tonstürke und Billigkeit diese überbieten
sollte. Die Behandlungsart unterschied sich von der der Pedalharfe, wie der
Musikal. Convers. -Lexikon. IV. 34
530 Harfe.
Name andeutet, dadurch, dass die Halbtöne nicht durch Pedale, sondern durch
mit den Fingern zu behandelnden Mechanismus erzeugt wurden. Die grössere
Tonstärke sollte eine etwas weitere Bauweise des Schallkastens bewirken. Dass
diese Verheissungen durch die That bestätigt wurden, lässt sich, nach den Er-
folgen zu urtheilen, kaum annehmen. Die Billigkeit jedoch hatte diese H.
jedenfalls für sich, denn der Preis derselben, 16 bis 20 Guineen, war zu dem-
jenigen anderer bester H.n, der oft bis weit über 100 Guineen hinausging,
gewiss ein geringer zu nennen.
TJeberhaupt hat gerade um diese Zeit die Ausbildung des H.nmechauismus
die Instrumentbauer und H.nisten in bedeutendstem Maasse und mit bis heute
noch nich überbotenem Erfolge beschäftigt. Dies Tonwerkzeug, in der Bibel
Karl's des Kahlen, 840, in der abendländisch ursprünglichsten Eorm dargestellt,
wovon in dem Werke; y>Viel Oastel, Costumes etc. pour servir ä Vhistoire de
Francen (Paris, 1827) eine Abbildung, das, wie in Zamminer's »Akustik« S. 393
ein aus dem 12. Jahrhundert aufgeführter Vers beweist, die mehr als die
deutschen Spielleute geachteten französischen Menetriers ausser vielen andern
Tonwerkzeugen als Fachleute pflegten , und das in seiner schon gesteigerten
deutschen Ausbildung als Pedalharfe ums J. 1740 in Frankreich fast gar nicht
bekannt war: führte Gluck auf die sich zur Weltmacht ringenden Bühne zu
Paris in seiner Oper »Orpheus« zuerst öfifentlich vor Augen. Bald fand er
hierin Nachahmer, unter denen besonders Lesueur zu bemerken, der in seinen
»Barden« die H.n in grösserer Zahl auf der Bühne forderte. Diese Anschau-
ungen, sowie die Eigenthümlichkeit der Tongaben der H.n und deren ma-
lerisches Aeussere verschafften derselben immer grössere Verbreitung selbst bis
in Laienkreise hinein. Nicht mehr als geschichtliche Momente, sondern die
modernen abendländischen Tonwerkzeugen innewohnende Eigenthümlichkeit der
H. wurde immer mehr in den Opern der Neuzeit hervorgekehrt und forderte
dem entsprechende Verbesserungen, die eben in den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts sich nicht allein am meisten und erfolgreichsten in Frankreich
bemerkbar machten, sondern auch bald in Frankreich sowie in England durch
die Hände reicher Privatleute den Verbesserungen klingenden Lohn für die
gehabten Anstrengungen zuwandte.
Zuerst mögen hier des berühmten belgischen H.nvirtuosen Dizi Verdienste
erwähnt werden. Derselbe trat im J. 1818 mit einer Pedalharfe mit dop-
pelter Bewegung an die Oeffentlichkeit, die sehr einfacher und sinnreicher
Natur war. Die H. mit doppelter Bewegung, schon seit Anfang dieses Jahr-
zehnts in Frankreich bekannt, unterschied sich von der gewöhnlichen Pedal-
harfe dadurch, dass jede Saite mittelst einer kleinen, statt der Häkchen an-
gebrachten Drehscheibe, in der sich zwei Stifte befanden, zweimal verkürzt
und somit deren Klang zweimal um einen Halbton erhöht werden konnte.
(Der Erfinder der doppelten Bewegung ist noch immer nicht bekannt.) Dies be-
wirkte ein und dasselbe Pedal, indem man es zweimal antrat. Erhöhung wie
Erniedrigung fand bei dem von Dizi construirten H.nmechauismus, wie bei der
gewöhnlichen Pedalharfe, durch alle Octaven gleichzeitig statt. Beides, An-
drücken und Ablösen der Scheibenstifte geschali durch den Zug selbst, indem
die Abziehfedern, Sj)iralfedern , nicht unten am Pedal, sondern am Kopfe des
Wirbelstockes lagen. Der Wirbelstock dieser H. hatte eine rinnenartige Ver-
tiefung, welche die Saiten aufnahm und in der auch der Mechanismus an-
gebracht war. Ferner hatte Dizi die Dämpfung der Klänge in gleich schneller
Art wie die Tonveränderung in der Gewalt und wirksamer als man es bisher
gewohnt. Ja, selbst um in manchen Tonarten leichter spielen zu können,
konnten an vielen Saiten dreifache Halbtonveränderungen hervorgebracht
werden.
Diese Andeutungen mögen genügen, um die selbstständigen Verdienste
Dizi's in dieser Beziehung, sowie seine Theilnahme an der weiteren Form-
vollendung der H. bemerkbar zu machen. Näheres über Dizi's Erfindung enthillt
Harfe. 531
ein Aufsatz in der Leipz. allgem. musikal. Ztg. des J. 1824 No. 2. — In
London, welclies 1820 die grössten und vorzüglichsten H.nbauer des Abend-
landes besass, fertigte man damals überall Kunstharfen nur mit doppelter Be-
wegung an. Man baute dieselben meist mit einem einander ähnlichen, höchstens
in Kleinigkeiten verschiedenen Mechanismus, wie die Instrumente Stumpfs,
Pleyel's u. A. aus jener Zeit beweisen. Nur wenige gerade nicht hervorragende
H.nfabrikanten suchten für kleinere Verbesserungen Patentschutz, ohne dadurch
den geringsten Erfolg zu erringen.
Uebergehend alle Namen anderer Verbesserer des Mechanismus der H.,
die nur in der Patentgültigkeitsperiode zu Paris und London um diese Zeit
gekannt wurden, wenden wir uns nun zu der letzten ums J. 1822 zu London
patentirten H.nverbesserung der Instrumentbauer Erard, die, wenn auch noch
von ihnen selbst später mehrfach modificirt, bis heute der Anerkennung aller
Sachkenner sich im höchsten Grrade erfreut. Dieselbe schliesst die Vorzüge
aller bisher gemachten Erfindungen in diesem Bereiche in sich, was die Ge-
brüder Erard leichter wie jeder andere vermochten, da sie schon seit langen
Jahren die gerühmtesten H.nbauer Frankreichs und Englands waren und Preise
(110 bis 160 Guineen) wie kein Anderer für ihre Fabrikate erzielten. Ihre
unausgesetzte Bemühung um die Verbesserung der H. war also bekannt, das
Patent jedoch führte ihnen auch noch den Weltruf zu. Jeder, der eine vor-
zügliche H. kaufen wollte und den Preis nicht scheute, wandte sich in Folge
dessen an Erard und die andauernde gleiche Anstrengung, das Beste zu fabri-
ciren, hat diesen ßuf bis heute den Nachkommen erhalten. Wie schon oben
angedeutet bei der Patent digital harp, hatten die Gebrüder Erard manchen
Kampf auf diesem industriellen Felde zu bestehen, gingen jedoch stets aus jedem
als gefeierte Sieger hervor.
Besonders in dieser Beziehung erwähnenswerth erscheinen die Bemühungen
des H.nbauers und Virtuosen F. G. Nadermann, der auch im J. 1833 eine
H.nschule herausgab, die nach stattgefundener Prüfung im Pariser Conserva-
torium als Lehrbuch zur Anwendung gelangte. Derselbe wandte sich in jeder
Beziehung gegen das System der H. mit doppelter Bewegung, der er das mit
einfacher Bewegung vorzog, indem er behauptete, dass das der H. Eigenthüm-
liche auf dieser viel besser ausgeführt werden könne, als auf jener. Seine An-
sichten, deren Hauptzüge in der Leipz. allgem. musikal. Ztg., Jahrg. 1833
No. 34 aufgezeichnet sind, riefen in der krittelnden Welt die Meinung hervor,
dass Nadermann nur deshalb H.n mit einfacher Bewegung baue und lobe, weil
er die geringen Schwierigkeiten zu überwinden scheue, die die H. mit doppelter
Bewegung ihm bei der Behandlung auferlege. Ruhiger urtheilten die Sach-
kenner.
So entgegnete in derselben Zeitung, Jahrg. 1834 No. 5, dem Nadermann
auf seine Ansicht eine frühere Schülerin desselben, Therese von Winkel, H.n-
virtuosin in Dresden, und belegt ihre Widerlegung mit triftigen Gründen: »wie
nämlich gerade das Gegentheil von Nadermann's Ansicht zeitentsprechend zu
nennen wäre.« Die Gegenwart, für die Nadermann's Lehre und Fabrikate nur noch
musikgeschichtlichen A¥erth haben, hat immer nur für Erard'sche H.n mit
doppelter Bewegung oder denen ähnliche in der Kunst Interesse gezeigt. Be-
sonders tritt dies thatsächlich in England und Frankreich zu Tage, wo diese
H.n in den höchsten Kreisen fast Lebensbedürfniss geworden sind. In Deutsch-
land hingegen und anderen europäischen Ländern findet man weniger häufig
H.n mit doppelter Bewegung; gleichwohl gebietet grösseren Kunstinstituten
und Theatern die Nothwendigkeit deren Anschaff'ung. Im Volksleben Deutsch-
lands vorzugsweise, wo man den H.nklang gerade mehr als sonstwo begehrt
und die Mittel zur Erwerbung der vorzüglichsten Instrumente dieser Art gerade
nicht über die Maassen sich vorfinden, sieht man dagegen die H. mit einfacher
Bewegung noch in grosser Zahl in Gebrauch.
Wie nur Deutsche und Fi*anzosen zur Ausbildung der H. als Kunst-
34*
532 Ilarfeubass — llarfeuuhr.
instrumeut beigetragen haben, so haben diese auch, wie die vorhandenen H.n-
schulen beweisen, in Bezug auf die Erlernung der Behandlung der H. fast
ausschliesslich sich Verdienste erworben. Die besten H.nschulen sind noch
heute die von: Jac. Meyer (Paris, 1770), Wernich (Berlin, 1772), Backofen
(Leipzig bei Breitkopf), Bochsa (Bonn, 1831), Coinpon (Paris), Cousineau
(Paris), Krumpholz (Paris), Nadermaun (ebendas.) u. A. C. Bill er t.
Harfeubass oder arpeggirter Bass, soviel wie Alberti'scher Bass
(s. d.) ist der Kunstausdruck für alle in der Bassregion zu einer Melodie
gesetzten gebrochenen Accorde, die motivartig sich bemerkbar machen, weil
diese Tonfolgeart zu geben eben nur der Harfe eigenthümlich ist. Der Um-
stand, dass mau dieser Anwendung der gebrochenen Accorde einen besonderen
Kunstnamen verlieh, deutet einerseits genugsam auf das bisherige vielfaclie
Anwenden dieser Bcgleitungsart in Tonsätzen durch Instrumente au, denen
diese Begleitungsart eben nicht eigenthümlich ist, besonders solchen, die für
das Piano gesetzt sind, sowie andererseits auch darauf, dass man diese scha-
blonenartige Tonfolgeart, deren erste Phrase die Folge fast dictatorisch vor-
schreibt, zu ändern als Noth wendigkeit fühlt. In der That bemerkt man, als
Beleg für die erste Annahme, in Wei^ken aller alter wie neuerer Meister die
häufigste Verwendung des H.es. Für letztere Behauptung scheint zu zeugen,
dass in jüngster Zeit bei bahnbrechenden Componisten meist das Bemühen zu
Tage tritt, die Harfenbässe in ihren Werken durch inhaltvolle Tongänge zu er-
setzen, damit die als Bedürfuiss gefühlte rhythmische Bewegung nicht leide, aber
dennoch in einer zeitentsprechend erachteten Art gegeben werde. Vgl. Nocturne
von F. Chopin op. 55 No. 2 u. a. m. 2.
Harfeiiclavier nannte man ein jetzt schon längst veraltetes, in den acht-
ziger Jahren des 18. Jahrhunderts aufgetauchtes Tonwei'kzeug, dessen Erfinder
nicht bekannt ist. Dasselbe war ein Tasteninstrument mit Darmsaitenbezug,
das ein Tonreich von nur drei bis vier Octaveu besass. Die Tasten desselben
bewegten Stifte, welche die Saiten durch Reissen töneud erregten. Die Töne
des H.'s zeigten häufig einen schnarrenden Beiklang, der sich mit Sicherheit
nicht vermeiden Hess. Das H. hatte nur durch seine Neuheit die Aufmerk-
samkeit in nicht weitem Kreise auf sich zu lenken vermocht und war zehn
Jahre nach seinem Bekanntwerden schon so gut wie nicht mehr gekannt.
Häufig hört man noch den Namen H. für Pianoforteeinrichtungen, die man
besser mit der Benennung Harfen zug (s. d.) kennzeichnete, da dieselben nur
eine durch einen Zug bewirkte Veränderung an dem Pianoforte ist. 2.
Harfenet, eine kleine, mit der Spitze in die Höhe stehende Harfe, sonst
auch Spitz-, Zwitscher- oder Flügelharfe genannt. S. Harfe.
Harfenprincipal, eine Principalstimme der Orgel, wahrscheinlich von etwas
schnarrendem Klange. Prätorius erwähnt sie (Syntagma II. 162), jedoch ohne
nähere Bezeichnung der Grösse und Klangfarbe.
Harfenregal nannte man vor Alters ein Schnarrwerk (s. d.) der Orgel,
das auch damals nur zuweilen in diesem Instrumente als kleines gewöhnliches
Regal (s. d.) eine Stelle fand. Die Zeit, wo mau zum Lobe Gottes diesem
Kircheninstrumeut alle möglichen Klänge zu Gebote zu stellen sich zur Auf-
gabe gemacht hatte, war die der Entstehung dieses Orgclregisters, das jedoch
nicht lange dem Orgelklange zuzufügen als geeignet erachtet wurde. In der
Neuzeit wird das H. nirgends mehr gebaut und findet sich selbst in sehr alten
Orgeln nur noch äusserst selten vor. Es scheint zu 5 und zu 2,5 Meterton
vorgekommen zu sein. 2.
Harfeuschlüssel, dasselbe wie Clavierschlüssel, denn wie bei dem Piano-
forte werden die Tonstücke für die Harfe im G- und im F- Schlüssel auf-
gezeichnet.
Harfenstimmliaiinner, s. Stimmbammer.
Harfemihr nannte man eine grosse Pendeluhr, in deren Gehäuse eine
Harfe angebracht war, welche zu bestimmten Zeiten Tonstücke hören liess, die
Harfenzug — Harmonica, 533
durch das Heissen der Saiten mittelst eines Regierwerkes hervorgebraclit wurden.
Das leichte Verstimmen der Saiten scheint dies Tonwerkzeug allmälig unbeliebt
gemacht zu haben, denn lange schon ist man von dieser Stubenzierde gänzlich
abgekommen. 2.
Harfenziigr war in früherer Zeit der Name für einen Zug am Pianoforte,
der die gewöhnliche Tastatur etwas verrückte und für dieselbe vor den Häm-
mern oder auch zuweilen über den Saiten befindliche Häkchen einschob, welche
die Saiten tönend erregten. Diese Tonzeugung verlieh dem Saitenklange ein
Schnarren als Beigabe, das an die Töne der älteren Harfen erinnerte, doch
gewiss auch bei diesen nicht gerade schön gefunden wurde. Der Zeitgeschmack
empfand sehr bald an diesem Zuge keinen Gefallen mehr und verbannte den-
selben, wie auch das Harfenclavier (s. d.), aus der Reihe der Tonwerkzeuge.
Hin und wieder tauchen wohl noch Aehnliches bezweckende Versuche in anderer
Form auf. So wurde 1871 zu Magdeburg auf dem Musikertage eine von
London aus importirte eigene Mechanik vorgeführt, die jedem Pianoforte in
wenig Stunden einverleibt werden konnte und durch welche das Pianoforte
eine Harfe vollkommen ersetzen sollte. Diese Mechanik, welche der Erfinder
ebenso wie die Einfügung derselben geheim hielt, scheint, dem Klange nach
zu urtheilen, die frühere Mechanik in einer neuen Form gewesen zu sein.
Abgesehen davon, dass Metallsaiten einen viel weniger dem Harfenton ähnlichen
Klang zu geben vermögen, gelang es selbst durch die Neuheit des Klanges dem
Erfinder, der sein "Werk im Kreise vieler Sachverständigen klingend vorführte,
nicht, für dasselbe ein Interesse wachzurufen. Von einer Kunstanwendung dieser
Erfindung hat bis heute auch nichts verlautet. 2.
Harlass, Helena, ausgezeichnete deutsche Sängerin, geboren um 1786 zu
Danzig, kam bald nach ihrer Gleburt nach München, wo der kurfürstl. Hof-
musiker Labik ihre Erziehung übernahm, bis sie um 1801 in ein Nonnenkloster
treten konnte, das sie jedoch bald wieder verliess, um, unterstützt durch den
Kurfürsten Max Joseph, Gresangstudien bei dem Hofsänger Lasser in München
zu machen. Der Schleier, der auf ihrer Abkunft ruht, ist niemals gelüftet
worden. Zuerst trat sie in Hofconcerten, dann im Theater in der italienischen
Oper auf und behauptete sich ehrenvoll neben den damaligen ersten Q-esangs-
grössen Münchens, bis sie den königl. General- Secretär von Geiger heirathete
und die Bühne verliess. Diese Ehe musste jedoch getrennt werden, und, zum
Theater zurückgekehrt, blieb sie unter ihrem ursprünglichen Namen bis zu
ihrem Tode, am 21. Octbr. 1818, der erklärte Liebling des Münchener Publi-
curas. Auch in anderen deutschen Residenzstädten, namentlich in Wien, errang
sie sich unbedingte Anerkennung; nur in Italien, das sie 1815 besuchte, ver-
mochte sie keinen tieferen Eindruck hervorzurufen.
Harmatios (griech.), ein dactylischer Nomos (s. d.) der alten Griechen,
der vom älteren Olympos aus Phrygien erfunden sein soll.
Harniodion (griech.) ist der Name einer Hymne, welche die Athenienser
aus republikanischem Patriotismus dem Harmodius zu Ehren sangen, weil der-
selbe durch Ermordung des Hipparchus 514 v. Chr. den Sturz der Tyrannen-
herrschaft der Pisistratiden veranlasst hatte. Noch jetzt besitzen wir den Text
eines sehr schönen H. in den auf uns gekommenen griechischen Tafelliedern
oder Skolien (s. d.).
Harmonica (latein.) ist der Name eines Musikinstruments, das schon über
hundert Jahre im abendländlsclien Musikkreise sich die Gunst vieler Musik-
verehrer erworben und erhalten hat. Den Namen erhielt dies Instrument durch
seinen Erfinder, weil derselbe die einzelnen, wie mehrere gleichzeitig erklingende
Töne desselben in einer so innigen, angenehmen Weise die Innern menschlichen
Gefühlsnerven erregend fand, wie die Klänge keines bis dahin bekannten andern
Tonwerkzeugs. Veranlassung zur Erfindung der H, gab das Glas spiel (s. d.),
das bereits im 17. Jahrhundert allgemeiner bekannt war, wie eine in Ath.
Kircher's y>Phomii'(jia novam von 1673 p. 191 gegebene Abbildung und Be-
534 Harmonica.
sclireibuiig desselben beweist. Der Buchdrucker, Pliysiker, Plillosopli und
Staatsmann Benjamin Franklin hörte eines Tages, wie ältere Berichterstatter
erzählen, einen Irlündcr, Puckeridge, in einem AVirthshause auf dem ölasspiel
zur Unterhaltung der Anwesenden einige Melodien vortragen. Andere, wie
Schilling in seinem musikalischen Lexikon, erzählen, dass nicht Puckeridge,
welcher, nebenbei bemerkt, 1750 selbst sammt seinem Glasspicl im grossen
Brande Londons seinen Untergang fand, die Anregung zu der Erfindung Prank-
lin's gegeben, sondern dass Delaval in London, der 1762 ein Glasspiel mit
besonders dazu geeigneten ausgewählten Gläsern öffentlich hören Hess, der
erste war, von dem Franklin ein derartiges Spiel vernahm. Noch Andere be-
haupten, ohne es jedoch nachzuweisen, dass Franklin gar nicht der Erfinder,
sondern nur der Verbesserer der H. gewesen sei. So viel ist aber gewiss, dass
durch Franklin die H. zuerst bekannt wurde und er dem Bau derselben eine
besondere Sorgfalt zugewandt hat. Interessantes darüber bietet ein Brief an
den Pater Beccaria in Turin, der in Franklin's, von Binzer 1829 ins Deutsche
übersetzten Werken, in welchen Werken auch sonst noch Manches, was den
Verfasser als mit der Musik wohlvertraut legitimirt, sich vorfindet.
Man weiss, dass Franklin selbst eine H. derartig gebaut hat, dass er Glas-
glocken im Centrum mit runden Löchern versah und, ihrem Klange nach ge-
ordnet, auf eine horizontale, drehbare Stange so ineinandergeschoben befestigte,
das nur deren Bänder in Etwas über Fingerbreite dem Auge sichtbar waren.
Vermöge eines Schwungrades, das mit der Stange in Zusammenhang stand
und mit dem Fusse in Bewegung gesetzt wurde, drehte der Spieler die Glocken
sich zu und legte seine angefeuchteten Fingerspitzen auf den freistehenden
Band derjenigen Glocken, welche er tönend zu erregen beabsichtigte. Die
Glocken hatten je nach ihrem Klange eine besondere Farbe: c war roth, d
orange, e gelb,/" grün, (j blau, a indigofarbig und li violett, die sich bei der
Octave Aviederholte. Man sieht hierin die Fai'benscala verwerthet. Alle durch
Obertasten beim Piano gegebenen Klänge, die sogenannten Halbtöne, gab
Franklin durch weisse Glocken.
Genauere Beschreibung der von Franklin selbst oder derselben nachge-
fertigten H. findet man mit auch ohne Abbildung im Hannovor'schcn Magazin
von 1766, in Hill, Nachrichten Bd. I, S. 71, in Forkel's musikal. Almanach
für Deutschland 1782 S. 30 und in Göking's Journal für Deutschland. »Die
Vorzüge dieses Instruments« schreibt Franklin selbst, »sind: seine Töne sind
so sanft, dass sie mit keinem andern verglichen werden können; seine Töne
können nach Belieben an- und abgeschwellt werden, indem man den Finger
stärker oder schwächer auf die Gläser setzt; man kann sie nach Willkühr aus-
halten, und wenn das Instrument einmal gestimmt ist, darf es nie wieder ge-
stimmt werden. Zur Ehre Ihrer musikalischen Sprache habe ich von ihr den
Namen dieses Instruments hergenommen und heisse es Harmonica.« Berichtet
wird ferner, dass Franklin im J. 176.3 die erste H. vollendet und selbst das-
selbe im engeren Familienkreise fleissig gespielt habe. Geschichtlich sicher ist,
dass eine Miss Davis (s, d.), eine Anverwandte Franklin's, von demselben eine
H, zum Geschenk erhielt, sich bald die virtuose Behandlung derselben aneignete
und seit 1764 in London sowie auf grossen Kunstreisen in vielen Concerten
dies Instrument dem Urtheile des grösseren Publicums unterbreitete und die
stürmischste Anerkennung erntete.
Die Art der Tonzeugung bei diesem Instrument durch Theile des Men-
schenkörpers, die Fingerspitzen, unmittelbar bewirkt, die je nach der innigeren
oder weniger innigen körperlichen Anlehnung derselben an die Glocken die
Intensität des Tones schafft, verleiht dem Klange der H., die in ihren Beitönen
sich als denen der Menschenstimme sehr ähnlich ergiebt, eine nervenerschüt-
ternde, den fabelhaften Sii'enenklängon innewohnend gedachte ähnliche Gewalt,
welche Gewalt dem Hörer einen andauernden Genuss derselben gesundheits-
gefährlich macht. Die Macht der H.klänge wirkt 'auf manche Menschen, vor-
Harmonica, 535
zugsweise Frauen, so gewaltig, dass schon ein einziger in gefühltester Weise
erzeugter Ton eine Ohnmacht hervorzurufen vermag. Gefährlicher als dem
Hörer wird aber dem H.spieler selbst eine anhaltende Ausübung seiner Kunst.
Jedenfalls wirkt die Glasvibration in direkter innigster Weise durch die Finger-
spitzen auf das Nervensystem noch angreifender, als die durch den Gehörssinn,
diesem zartesten Gewebe des Menschenkörpers; der Spieler erduldet nun gleich-
zeitig beide Einwirkungen auf seine Nerven, die in gespanntester Geistesan-
strengung über die erscheinenden Klänge wachen, dass sie dem Selbstempfinden
gemäss sich geben und ist dem angemessen die Folge. Ein Beleg hierfür zeigt
sich darin, dass alle Virtuosen, welche vorzugsweise die H. spielen, bald dies
Spiel aufgeben müssen, wenn sie nicht nervös ruinirt werden wollen. Miss
Davis z. B. zog sich schon in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts ganz
ins Privatleben zurück, hat also höchstens zehn Jahre nebenbei nur sich dem
H spiel widmen können.
Trotz dieser Gesundheitsfähi-lichkeit verlockten die Sireneuklänge der H.
dennoch viele Hörer dazu, sich selbst mit dem Spiele derselben zu befassen.
Natürlich mussten bei der grossen Beliebtheit des H.spiels bald Anstrengungen
platzgreifen, welche Vielen dasselbe so leicht als möglich zugänglich zu machen
sich zur Aufgabe stellten und vor Allem die Gefahren desselben zu verringern
suchten.
Die erste derartige Erfindung bezweckte, Vorrichtungen zu treffen, die die
direkten Vibrationseinflüsse der Glasglocken auf den H.spieler unmöglich machten.
Jos. Ph. Frick, ehemaliger Hoforganist des Markgrafen zu Baden-Baden und
später als Musiker zu London wirkend, war einer der Ersten, der sich nach
Miss Davis durch öffentliche Vorführung und Behandlung der H. einen Namen
machte. 1769 machte er mit der H. eine Kunstreise durch Deutschland. Der-
selbe war auch der Erste, welcher über Mittel nachdachte, die Tonzeugung der
Glasglocken mittelbar zu bewerkstelligen, und zwar wo möglich in einer der
ursprünglichen Tonzeugungsweise nahekommenden Art. Indem er nun Men-
schenhaut als nothwendiges Peibungsmaterial erachtete, baute er eine Tastatur,
vermittelst der er mit einem feuchten, der Menschenhaut ähnlichem Stoffe
überpolsterte Hölzchen nach Ermessen auf die rotirenden Glocken niederzu-
drücken vermochte. Diese Erfindung scheint jedoch keine weiteren Erfolge er-
lebt zu haben, denn man weiss fast nichts weiter darüber. Die Fährlichkeit
des H.spiels scheint jedoch selbst Frick in alter Weise sich genaht zu haben.
Er hat somit entweder selbst nicht Gebrauch von seiner Erfindung gemacht,
oder er hat in ihr keinen Schutz crefunden. Biester berichtet nämlich in der
Berliner Monatsschrift, dass Frick wegen der nervenerschütternden Eigenschaft
des H.spiels seit 1786 dasselbe gänzlich aufgegeben habe und zu London
müssig lebe.
Das Wohlgefallen an der H. verbreitete sich aber trotzdem immer mehr
im abendländischen Musikkreise und führte nicht allein zu neuen Anstrengungen,
die Tonzeugung indirekt hervorzubi'ingen , sondern auch dazu, andere feste
Körper in gleicher Weise als Tonquellen anzuwenden. Einen Namen in dieser
Beziehung machte sich der Abt Mazzuchi. Forkel meldet in seinem Almanach
von 1782 und in seiner Bibliothek (1779) über die Anstrengungen desselben
Folgendes: Die Glocken seiner H. befestigte Mazzuchi in ursprünglicher Art
auf einer Stange, die er innerhalb eines Kastens von ungefähr 0,6 Meter Länge
anbrachte, dessen Breite sich nach dem Durchmesser der Glocken richtete.
Die Weite der Glocken von einander, sowie die Stellung des Kastens zum
Spieler betrachtete der Erfinder als unwesentlich und überliess die Bestimmung
hierüber dem Ermessen des Disponirenden. Den Ton entlockte Mazzuchi den
Glocken mittelst eines Violinbogens und wandte deren bei einem Instrumente
zwei oder noch mehrere an. Die Haare der Bogen wurden mit einer Masse,
aus Colophonium und Terpentin oder Wachs oder auch nur aus Seife be-
stehend, bestrichen. Der durch diese Tonzeugungsart gewonnene Klang war
536 Harmonica.
sanft und angenehm, und es sprachen auch alle Glocken gleichmässig an, selbst
diejenigen, welche durch die Finger schwer oder gar nicht zur Ansprache ge-
bracht werden konnten. Nicht zufrieden damit, Glasglocken als tönende Körper
in der H. zu verwenden, fertigte er auch solche Instrumente an, die je ein-
zeln verschiedene Metallglocken führten; selbst hölzerne benutzte er zu einer
H. Der Ton letzterer soll sich dem der Flöte, also fast ohne Beitöne ziemlich
gleich ergeben haben. Auch diese wirklich beachtenswerthen Bestrebungen
Mazzuchi's aber erfreuten sich weder der Anerkennung noch der Pflege, sondern
man fertigte die H. entweder wie gewohnt oder griff wieder auf die ursprüng-
liche Bauart dieses Tonwerkzeugs und die Tonerregungsart der Glasglocken mit
Ausschluss jedes andern Materials als Tonkörper zurück.
Da nun die H., trotz ihres liohen Preises, allgemein begehrt wurde, so
fanden sich bald Musikkundige, die aus der Fertigung solcher Instrumente
einen Beruf machten , und einige derselben fühlten sich auch getrieben , kleine
Verbesserungen bei ihrem Fabrikate anzubringen. Unter allen diesen hat sich
in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts Jos. Aloys Schmittbauei', Kapell-
meister des Grafen von Baden, mit Glück bekannt gemacht und wird selbst
noch heute musikgeschichtlich beachtet, trotzdem er weiter nichts zur Ver-
besserung der H. beitrug, als dass er die Glocken seines Fabrikats aus Krystall-
glas fertigte und seinen Instrumenten einen Tonumfang von e bis /"" chro-
matisch verlieh, welcher Umfang sonst diesen Tonwerkzeugen noch nicht ge-
geben worden war. Mit zu Schmittbauer's verbreitetem Rufe trug wohl auch
noch seine eigene Tüchtigkeit in der Behandlung der H. bei, sowie seine Ver-
dienste als Lehrer vorzüglicher Schüler. Die Erfolge, welche z. B. Frau
Kirchgassern und seine eigene Tochter errangen, waren in ihrer Zeit ausser-
ordentliche zu nennen. Ausserdem wäre über Schmittbauer noch zu bemerken,
dass er die Annahme: dass das H.spiel gesundheitsgefiihrlich sei, durch sein
Leben nicht bestätigt hat. Von seinem 54. Lebensjahre an bis ins hohe Alter
hin (er starb 1809 im 91. Lebensjahre) erfreute er sich und andere durch
sein H.spiel. Ob dies seinen Grund darin hatte, dass Schmittbauer erst in
den reiferen Mannesjahren das H.spiel erlernte und pflegte, oder darin, dass er
eine ausnahmsweise starke Nervenconstitution besass, ist nicht bekannt. Seine
Verbesserungen der H., Anwendung von vorzüglichstem Stoff zu den Glocken
und Vergrösserung des Umfangs, wurden allmälig Gesetz und erfreuten sich
jederzeit einer Beachtung und Fortbildung.
Viel mehr Aufsehen aber als alle bisherigen Verbesserungen der H. machten
mehrere sich fast gleichzeitig in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts
verbreitenden. Ein für gewöhnlich in Petersburg sesshafter deutscher Mecha-
niker, Hessel, erfand 1785 in Berlin, mittelst einer Tastatur die Glocken der
H. zu behandeln und nannte diese seine Erfindung: Clavier-Harmonica.
Sein Instrument, dem er die Gestalt eines kleinen Schreibpultes verlieh, zeigte
auf drei nebeneinander sich befindenden Stangen die Glasglocken, welche ein
Tonreich von vier Octaven, G bis ff, vertraten, die durch einen Fusstritt be-
wegt wurden. Die Tastatur des Instruments befand sich an der linken Seite
desselben. Der Glockenkasten konnte offen oder verdeckt beim Spiel gehalten
werden. In ersterem Falle erklang der Ton der H. hell, dem wirkliclion H.ton
ähnlich, im andern mehr dem einer gedeckten Orgelpfeife oder, wie man meinte,
einer Gambe (s. d.) gleich. Durch die Tasten konnte ein beliebiger Druck
auf die Glocken ausgeübt werden, der der Modification, welche durcli die Finger-
spitzen erreichbar, ziemlich nahe kam. Die Ton -An- und Abschwellungen
waren somit durch diese Verbesserung dem Instrumente als zu eigen erhalten,
wenn auch diese Tonzeugung sich nicht in so vollendeter Art als die ursprüng-
liche ergab. Der einzige sich kund gebende grössere Nachtheil dieser Ver-
besserung soll gewesen sein, dass die Ansprache der Glocken sich oft mangel-
haft erwies. Diese Clavicr-H. erfreute sich jedoch überall einer enthusiastischen
Aufnahme. •
Harmonica. 537
Berlin scheint um diese Zeit der Ort gewesen zu sein, wenn man die
hier angestrebten Verbesserungen der H, als Zeichen hierfür gelten lassen will,
in welchem dies Instrument die meisten Verehrer aufzuweisen hatte. Wahr-
scheinlich durch obenerwähnte Verbesserung der H. angeregt und besonders
getrieben, den Nachtheil der Hessel'schen Clavier-H., die TJnzuverlässigkeit der
Tonangabe u. s. w. zu beseitigen, fühlte sich der Berliner Tonkünstler Bö 11 ig
(s. d.) zu einer selbstständigen Verbesserung der H. veranlasst, mit der er 1786
hervortrat. Eine genaue Beschreibung nebst Abbildung steht in Biester's
Berliner "Wochenschrift vom J. 1787, die Professor Gramer im 2. Jahrgange
seines Magazins der Musik S. 1389 wörtlich abgedruckt hat.
Nach der Abbildung zu urtheilen, hängt die linke, schwere Seite des
Kastens, wo sich die Bassschaalen befinden, in seidenen Schnüren. Diese
Schaalen selbst hängen auf einer und derselben Welle, so dass man sie nach
Belieben mittelst einer Tastatur oder den blossen Fingern behandeln kann.
In Bezug auf die leichte Kennzeichnung der Töne hielt Böllig es für besser,
die bisher mehr oder weniger noch gebräuchliche Kennzeichnungsart Franklin's
zu beseitigen. Er gebrauchte zu seinem Instrumente nur weisse Glocken,
indem er andere Färbungen derselben als nachtlieilig für den Ton erachtete,
und gab den sogenannten Halbtonglocken goldene Eändei", TJeberhaupt suchte
er so viel als möglich congruente Glocken zu erhalten und bereiste zu dem
Zweck die berühmtesten Glashütten. Die Kunst der Glasfabrikation ist jsdoch
bis heute noch nicht so weit vorgeschritten, dass überall gleichdicke und gleich-
gebogene Glocken geschaffen werden könnten. Von Böllig's Werken mag hier
erwähnt werden ein Fragment »über die Harmonica« (Berlin, 1787). Böllig
selbst war ein sehr geschätzter Virtuose auf seinem Instrument, wie die Ur-
theile des Kapellmeisters Naumann und dfs Kapellmeisters Schulz in verschie-
denen Zeitschriften darthun, und er war auch, wie man aus seinen 1789 bei
Breitkopf in Leipzig erschienenen »kleinen Tonstücken für die Harmonica«
sieht, der Begründer einer Literatur dieses Tonwerkzeugs. Die Verbreitung,
welche Böllig's H. Verbesserung davontrug, hat Viele verleitet, ihn als den Erfinder
der durch Tastatur behandelten H. anzusehen.
Von einem andern Berliner Virtuosen, Dussik, wird um dieselbe Zeit be-
richtet, dass er Kunstreisen mit einer Tastenharmonica in Deutschland machte
und 1785 überall die Aufmerksamkeit der Kunstkenner auf sich zog. Nach
der Beschreibung des Instruments war dies entweder eine Hessel'sche Clavier-
H. oder eine nach dieser selbst construirte. Es heisst über dieselbe: »Sie
war von der gewöhnlichen H. durch nichts unterschieden, als dass sie die
Glocken durct einen Fusstritt, der durch eine Schnurre mit ihnen verbunden
war, in Bewegung setzte, und dass die Glocken statt an einer, an drei
Wellen nebeneinander liefen , um sie wegen der Tasten näher beisammen zu
haben.«
Noch wird erwähnt und zwar von Müller in seiner historischen Einleitung
im zweiten Theile S. 140, dass der Organist und Orgelbauer D. F. Nicolai zu
Görlitz eine H. mit Claviatur baute. Ob er dieselbe nach Hörensagen fertigte
oder selbstständig erfunden hat, ist nicht erwähnt. Bis heute hat jedoch Nico-
lai's Bemühung nirgend sonst Beachtung gefunden. — Mehr in jener Zeit die
Aufmerksamkeit von Sachkennern in Anspruch nehmend erwies sich die Ver-
besserung der H. durch den französisclien Instrumentbauer Deudon. Derselbe
führte 1787 der Akademie der Künste zu Paris eine Tasten -H. zur Begut-
achtung vor, die in der ursprünglich Franklin'schen Art gebaut war. Die Ver-
besserung bestand nur in der Tonerregungsart. Man wandte nämlich dabei
einen feuchten Tuchstreifen an, der zwischen den Clavesenden und den Glocken
placirt war. Hierdurch vermied Deudon die direkte Einwirkung der Glas-
vibration auf die Fingernerven und soll in präcisester Art einen volleren Ton
aus den Glocken gezogen haben, als dies ohne Tuchstreifen möglich gewesen
wäre. Ausserdem hatte Deudon seine H. mit einem A^erschiebungszug. Trans-
538 Harmonlca.
porteur von ihm geheisseii, versehen, der das Spiel in verschiedenen Tonarten
durchaus leicht machte. Wer in C-dur und Ä-moll spielen konnte, vermochte
alle anderen Tonarten zu behandeln, denn er bewegte den Zug entsprechend;
der neue Grundton erhielt die Stelle des alten unter der Tastatur und die
Applicatur war wie in A-moll oder C-dur. Trot;^ aller dieser Vorzüge, trotz
der warmen akademischen Empfehlung dieser H. und trotz der angestrengten
Bemühungen Cousineau's um deren Verbreitung (vgl. Calendr. mus. univ. 1789
p. 4) hat diese H. es doch nicht vermocht, sich allgemeine Anerkennung zu
erringen.
Noch um die Verbesserung der Tasten -H. suchte sich der ordentliche
Professor der Musik, Heinrich Klein zu Pressbui'g, ein Verdienst zuzuwenden.
Er hielt es für geboten, dass, um einer präcisen und edeln Tonzeugung sicher
zu sein, die kleineren Glocken sich öfter um ilire Axe drehen mussten als die
grösseren. Um dies zu ermöglichen, befestigte Klein die Glocken auf drei ver-
schiedenen Wellen, die er mittelst einer Drehscheibe so regierte, dass die die
grössten Glocken tragende Welle eine Umdrehung machte, wenn die, auf der
die kleinsten sich befanden, drei und die mit den mittleren vier ausführten.
Zur Touerregung verwandte er kleine Stückchen gewöhnlichen Badeschwamms,
welche auf kleine Polster von Eosshaaren oder Filz an den Tangenten befestigt
waren. Dieselben wurden vor und während des Spiels feucht erhalten. In der
äussern Form unterschied sich diese H., welche das Tonreich von F bis f^
vertrat, nicht von der bisher gebräuchlichen; dieselbe war die eines Schreib-
pultes. Eine mehr auf die Einzelnheiteu dieses Tonwerkzeugs eingehende Be-
schreibung desselben findet man im ersten Jahrgange der Leipz. allgem. musikal.
Ztg. von 1799, No. 42 S. 675.
Noch mag erwähnt werden, dass die stete Zähigkeit und Schwerfälligkeit
der H.töne, trotz der grossen eigenthümlichen Schönheit derselben, doch bald
als nicht vollkommen geeignet für Kunstzwecke gefühlt wurde. Der Zeit-
geschmack forderte schon Ton Werkzeuge , die in schnellerer und langsamerer
Weise ihr Reich zu Gebote zu stellen vermochten, um im Concertsaal dauernd
zu erbauen. Um auch diese Vollkommenheit der H. zuzuwenden, sind An-
strengungen gemacht worden. Die Erfahrung, dass die H.klänge selbst nicht
in einer Weise zu schaffen waren, die diese Kunstansprüche zufrieden zu stellen
vermochten, sowie die, dass diese Klänge denen einer Flöte sehr nahe kamen,
führte den Dr. Wilh. Chr. Müllei', Musikdirektor am Dom zu Bremen, in den
achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts darauf, die gewünschte Tonflexibilität
durch Täuschung zu erzielen. Er vereinigte eine gewöhnliche H. mit
einem Flötenregal (s. d.) und nannte dies Tonwerkzeug: Harmonicon
(s. d.). ..."
Eine abermalige Verbesserung der H. erreichte ein gewisser Krassa oder
Grassa im J. 1798, die darin bestand, dass derselbe einer Tasten-H. ein Pedal
zufügte, das er mit dem linken Fusse spielte. Des Namens Krassa giebt es
nun aber wahrscheinlich zwei H.virtuosen, die in jener Zeit an verschiedenen
Orten Aufsehen erregten. Der eine wirkte zu Paris und liess sich 1796 im
Lycee des arts auf einer von ihm vervollkommneten H. hören, die er r>Instru-
ment du Parnasse« nannte und für seine virtuose Leistung und Instrument-
verbesserung ausser einer pompösen lobenden Anerkennung eine goldene Me-
daille erhielt. Die Ansichten jedoch über den Werth dieses Tonwerkzeugs
waren sehr getheilt. Der andere Krassa soll, nach dem Bericht im ersten
Jahrgange der Leipz. allgem. musikal. Ztg. von 1799, No. 26 S. 404, im letzten
Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zu Madrid Priester an der Spitalkirche
gewesen sein, Krassa oder Grassa geheissen haben und aus Böhmen gebürtig
gewesen sein. Von diesem allein wird berichtet, dass er der Tastenharmonica
ein Pedal zufügte. Die Vermuthung, dass beide Virtuosen eine und die-
selbe Person gewesen, ist schwer anzunehmen, und Beweise haben sich bisher
nicht auffinden lassen.
Harmonica. 539
Auch eine Schule, aber auch nur eine wurde für die H. geschrieben. Dies
ist die von J. C Müller verfasste »Anleitung zum Selbstunterrichte auf der
Harmonica« (Leipzig, 1788). Und von der Literatur über die H, wären nur
noch ausser den schon erwäbnten Schriften die Aufsätze in: Halle's natürlicher
Magie IIL Bd. S. 173 und Yollbeding's »Archiv nützlicher Erfindungen und
Entdeckungen«, 1792, S. 189 und Suppl. 82 anzuführen. Mit dem 18. Jahr-
hundert endet auch die beinahe leidenschaftlich zu nennende Sucht, Verbesse-
rungen der H. zu erzielen , gänzlich und man findet nach einigen E-uhejahren
in der Folge immer mehr sich die ursprüngliche Franklin'sche Form und
Spielart der H. wieder Bahn brechen. Dies hatte in der Kunstentwickelung
seinen Grund. Der Zeitgeschmack, welcher zur Erfindung /les Harmonicon
führte, steigerte sich immer mehr und mehr mit der Zeit und war wohl mit
der Hauptgrund, dass die H., welche sich nur als geeignet erwies, die schwär-
raei'ischsten schwermüthigen Gefühle auszudrücken , bis in das Kämmerlein
der vorzüglich nur in Tonschwellungen empfindenden Laien zurückgedrängt
wurde.
Mit der Eisenbahnzeit zog ins Abendland ein Yirtuosenthum, das Sinnig-
keit im Tonleben auf die Dauer verbannte und somit anhaltend H.klänge gar
nicht zu gebrauchen vermochte: die Ausgeschlossenheit dieses Ton Werkzeugs
aus dem Concertsaal wurde stereotyp. Erst in allerjüngster Periode tauchen
hie und da einzelne Tonschwellungen verehrende Schwärmer auf und suchen
im Concertsaal für diese Kunstspecies einen Boden zu gewinnen, doch noch
immer scheint die H. nur den Kunstansprüchen einiger Naturen anhaltender
genügen zu können. Bemerkenswerth ist dabei nur, dass alle versuchten Ver-
besserungen der H. bei Seite geworfen wurden und Franklin's Tonerzeugungsart
als die einzig richtige wieder zu Ehren kam. Weniger, wie man zuerst an- -
nahm, das Reibungsmaterial, die Menschenhaut, scheint noth wendig zu sein,
die Tonstärkenveränderungen so reichhaltig zu gestalten, als das Polster und
dessen Beschaffenheit. Die Finger der Menschen haben an der Spitze, den
Nägeln entgegengesetzt, eine eigene polsterartige Erhöhung, die beim Druck auf
die Glocke angewandt wird. In dem Zustande dieses organischen Polsters und
dessen sachgemäss höchster Verwerthung scheint das Geheimniss der Tonbildung
seinen Hauptsitz zu finden. Die in nächster Nähe dieses Polsters, gedeckt vom
Nagel, befindliche Gcfühlsnervenansammlung schliesst in sich, wie die Gefahr
für den Organismus, so auch wohl die Möglichkeit der schnellsten Abwägung
der geschmackvollsten Tonbildung.
Ausser dieser Annahme fanden sorgfältige Beobachter der H.töne, dass
eine vollendetst gefühlte Klanggabe nur durch in Dicke wie Gestaltung voll-
kommen gleich regelmässig geformte Glocken zu erzielen wäre. Da, wie er-
wähnt, auch heute noch nicht die Glasfabrikation so weit gelangt ist, mit
Sicherheit diesen Ansprüchen genügen zu können , so sind diese nur durch
sorgfältigste Auswahl annähernd zu erhalten. Jede Unterschiedlichkeit der
Glasglocken aber hat, wie die Wissenschaft lehrt, eine wirkliche tonbeeinflussende
Wirkung. Die Schwingungen der Glocken sind transversal, d. h. die einzelnen
Abtheilungen derselben bewegen sich pendelartig gegen die Axe der Glocke
und von derselben fort. Zamminer in seiner »Akvistik« schliesst daraus, dass
wahrscheinlich durch den tangentialen Druck des Fingers die Glockeuwand
aus- und einwärts gebogen wird. Was hierbei durch die Fortbewegung des
Fingers bewirkt wird, der Umlauf der Knotenlinien nämlich, stellt sich bei
dem Geläute der Glocken in ähnlicher Weise von selbst her, wie man dies
auch bei schwingenden Kreisscheiben an dem Fortrücken des Sandes beobachten
kann. Das eigenthümliche Summen der Glocken beim Abklingen, das abwech-
selnde Anschwellen und Abnehmen der Tonstärke hat keine andere Ursache,
als das Rotiren der Knotenlinien, welche einander folgend an der Richtung,
in welcher das Ohr den Schall empfängt, vorüber wandern. Da nun eine
ungleiche Gestaltung in der Masse wie in der Kugelfläche einer Glocke un-
540 Harmonioa.
gleicte Pendel und ungleiche Rotirung der Knotenlinien ergeben müssen, so
ist die vollendetst gefühlte Tongabe nur mit vollendetst geformten Glocken
selbstredend möglich.
"Wenn nun auch im neuen Jahrhundert die Yerbesserungsversuche der H.
nicht fortgesetzt wurden, so ist doch ein Einfluss der Erfindung der H. über-
haupt auf die abendländische Musik nicht abzuleugnen. Derselbe machte sich
besonders kenntlich durch Erfindung von Musikinstrumenten, die der Ton-
erzeugungsart und TJnverstimmbarkeit der H. ihre Entstehung verdanken. Wir
nennen in dieser Beziehung nur Chladni's Enphon (s. d.) 1791 und Clavi-
cylinder (s. d.) 1799; Eieffelsen's Melodicon (s.d.) 1800 und 1803; Franz
Leppich's Panmelodicon (s. d.) 1810; Buschmann's Uranion (s. d.) 1810
u. A. Ferner bemerkt man diesen Einfluss auch noch in der Benennung man-
cher anderer Tonwerkzeuge. So nennt man z. B. die Stiftgeige: Stahlhar-
monica (s. d.), die Aeoline: Physharmonica (s. d.), die Maultrommel:
Mundharmonica (s. d.) etc. In gleichem Yerhältniss zur H. befinden sich
auch das Kinderinstrument: Grlasstabharmonica , die Zieh-, Holz- und
die Steinharmonica, deren Beschaffenheit deshalb auch in den entsprechen-
den Specialartikeln dargestellt ist.
Blicken wir nun noch auf die moderne H., so finden wir, dass dieselbe
gewöhnlich einen Umfang von c bis c* erhält, und dass die grösste Glocke der-
selben einen Durchmesser von ungefähr 26 und die kleinste einen von 7,8
Centim. hat. Die Glocken, welche die diatonischen Klänge geben, sind ge-
wöhnlich von Milchglas, und die, welche die sogenannten Halbtöne geben, von
grünem. Diese Glocken sind in einem hölzernen Kasten von 1 bis 1,3 Meter
Länge und 0,5 Meter Breite, auf einer eisernen "Welle befestigt, ineinander-
geschoben befindlich, so dass sie fürs Auge einem Glaskegel ähneln, dessen
Basis links und dessen Spitze rechts ist. Durch eine über Rollen gehende
Saite oder einen Lederriemen ist die "Welle mit einem Schwungrade, welches
durch den rechten Fuss mittelst eines Tritts in angemessene Bewegung gesetzt
werden kann, in Zusammenhang.
Man sieht hieraus, dass die moderne Gestalt der Urform fast gleich ist.
Der Spieler muss, ehe er an das Spiel geht, seine Hände sorgfältig durch
Waschen von Fett und Schweiss befreien. Am besten bewirkt dies ein nach-
trägliches Trocknen der Hände in Kleie. Nachdem man nun die Glocken-
ränder mit einem nassen Badeschwamm überstrichen und durch den Tritt in
sanfte Botirung gegen den Spieler gebracht hat, legt man das angefeuchtete
erste Glied des gestreckten Fingers mit dem Polster auf die Glocke, welche
man zum Tönen bringen will. Je nach dem schnelleren oder langsameren
Rotiren der Glocken und dem sanfteren oder stärkeren Druck mit dem Finger
auf dieselbe ergiebt sich dem Willen des Spielers gemäss die Tonnüancirung.
Auch die Behandlung in Franklin'scher Zeit wird schwerlich von der der Neu-
zeit abgewichen haben. In Bezug auf die für die H. zu wählenden Tonstücke
hat man gefunden, dass man nur solche wählen muss, die lang dauernde Töne
und diese, wo möglich, in nicht strengem Takt fordern , und dass sich auf der
H. es am dankbarsten ergiebt, wenn die Harmonie dieser Tonstücke in zer-
streuter Lage genommen wird.
Was nun endlich noch die Gesundheitsgefährlichkeit des H.spicls anbetrifift,
in Betreff deren sich Rochlitz schon verpflichtet fühlte, besondere Regeln auf-
zustellen, welche diesen Spielern als Gesetze zu empfehlen wären, so seien hier
noch die vorzüglichsten Gesetze aufgezeichnet. Vor allen Dingen wäre nerven-
kranken Personen das H.spielen durchaus zu untersagen. Nervenschwachen
wäre zu empfehlen, nur selten sich dieser Beschäftigung hinzugeben, Nerven-
starken hingegen, in schwermüthiger Stimmung nur heitere Tonstücke aus-
zuführen und zur Nachtzeit womöglich niemals dieser Kunst obzuliegen, da zu
dieser Zeit das ganze Nervensystem des Menschen ausserordentlich sensibel
und somit leicht zu schädigen ist. Befolgt man diese Regeln, so wird das
Harmonicello — Harmonichord. 541
H.spiel nicht mehr und nicht weniger schädlich auf den Organismus des H.-
spielers wirken als Alles, was überhaupt unsere Empfindung stark aufregt.
C. Billert.
Harinonicello (ital.) nannte Johann Carl Bisch off, Kammermusiker zu
Dessau, ein von ihm erfundenes Tonwerkzeug, das dem Violoncell (s. d.)
ähnlich gebaut war. Der Bezug (s. d.) desselben, in dem es sich eben haupt-
sächlich nur vom Yioloncell unterschied, bestand aus fünf Darmsaiten, unter
denen sich zehn Drahtsaiten befanden, welche nicht allein durch Mitklingen
die Klangfarbe der Darmsaitenklänge bereicherten, sondern auch auf einem
eigenen Griffbrette besonders behandelt werden konnten. Nach Mittheilungen
in Gerber's Tonkünstlerlexikon vom J. 1812 in dem Artikel Johann Carl
Bisch off soll die Bereicherung dies^^s Instruments mit Stahlsaiten älteren
ähnlichen Einrichtungen nachgebildet sein, doch sollen Nachrichten, welche von
unter dem Stege desselben noch befindlichen Stahlstäben sprechen, nur erfunden
sein, um das Interesse für dies Instrument zu erhöhen. Zuerst soll von Bischoff
das H. in Hamburg im J. 1797 öffentlich vorgeführt sein; dasselbe hatte da-
mals jedoch, nach der Beschreibung, nur drei Darmsaiten. Der Aufsatz des
Professors Siebigk im dritten Jahrg. der Leipz. musikal. Ztig. S. 366 jedoch
giebt die ganz oben gemachte Beschreibung desselben als die des vollendeten
H.'s und ist deshalb die mit drei Darmsaiten wohl nur als eine Entwickelungs-
form desselben zu betrachten. Es scheint, als ob ausser dem Erfinder Niemand
sonst Grebrauch von diesem Tonwerkzeug gemacht habe, und es wird deshalb
wohl schwerlich noch ein Exemplar desselben irgendwo zu finden sein. "Wenn
dies Auftauchen von Erfindungen im Bereiche der Instrumentbaukunst, deren
Beschreibungen, wie z. B. obige, häufig manches dunkel lassen, bisher im All-
gemeinen fast gar nicht beachtet worden ist, und wir es erleben, wie in der
Gegenwart Viele in diesem Felde Denkende ihre besten Lebensjahre oft daran
setzen, um längst abgethane Musikinstrumente neu zu entdecken, so wird man
zu der Frage gedrängt: Wann wird der Staat endlich eine Sammlung der noch
vorhandenen alten Erfindungen zu veranstalten suchen, um in einem Museum
systematisch geordnet Allen dieselben zugänglich zu machen? Manches noch
vorhandene derartige Tonwerkzeug könnte vor gänzlichem Untergange bewahrt
werden. Man sehe in dieser Beziehung »Echo« Jahrg. 1870 den Aufsatz
»Musik und Museen« in der Beilage der Nummern 23 bis 31. 2.
Harmouichord nannten die Mechaniker und Tonkünstler F. und C. Kauf-
mann in Dresden ein von ihnen ungefähr ums J. 1810 erfundenes Tonwerk-
zeug, das sich als Spätling jener Instrumentgattung im 18. Jahrhundert ergiebt,
bei der man Saiten durch Reibung erklingen Hess und die Reibung mittelst
einer Tastatur bewirkte. Siehe Bogenclavier und die dem ähnlichen Instru-
mente, welche die Streichinstrumente ersetzen sollten. In der äussern Form
ist das H. einem aufrechtstehenden Flügelfortepiano gleich, dessen abgestumpfte
Dreieckspitze zur Linken des Spielers befindlich ist. Der Bezug des H. be-
steht aus Drahtsaiten, die über einem Resonanzboden ausgespannt sind. Die
Claviatur desselben ist jeder andern gleich gebaut. Der Deckel über der Cla-
viatur, sowie beide Seitentheile über derselben sind walzentheilförmig , wie die
Ueberwölbung der Schreibplatte eines Cylinderbüreaus, gestaltet. In diesen
walzentheilförmig gestalteten Instrumenttheilen befindet sich der eigentliche
Tonerregungsmechanismus. Die Tasten drücken einen mit Leder überzogenen
rotirenden Cylinder, dessen Belederung mit Colophonium durcharbeitet ist, nach
Wunsch des Spielers gegen die zum Erklingen zu bringende Saite. Je nach-
dem die Modificatiou des Fingerdruckes auf die Taste wirkt, wird der Cylinder
gegen die Saite gedrängt und lockt den Ton derselben stärker oder weniger
stark und in der gewünschten, dem Ab- und Zunehmen des Druckes ent-
sprechenden Art hervor. Die Rotirung des Cylinders wird durch Hebel, welche
mit den Füssen getreten werden, bewirkt, indem diese ein Schwungrad in
Gang setzen. Hebel wie Schwungrad befinden sich unterhalb der Tastatur.
542 HarmoDici — Harmonicon.
Auf beiden Seiten nämlich unterhalb der Tastatur hat das H. eine spindartige
Ausstattung bis zum Boden hin gehend, die in der Mitte nur eine Oeflfnung
zeigt, in der sich die Fusstritte befinden. Die rechte Spindseite ist leer und
wird gewöhnlich als Notenkasten in Grebrauch gezogen; die linke birgt das
Schwungrad.
Gleich nach Erfindung des H. machten die Erfinder mit demselben eine
grössere Reise durch Deutschland, auf welcher sich der Sohn zugleich als Vir-
tuose auf dem neuen Instrumente zeigte. Nach der Keise erst gingen die
Erfinder an die Erbauung eines zweiten H.'s, das in Bezug auf Ton vorzüg-
licher sich ergeben haben soll; besonders soll es, ausser einem allgemein kräf-
tiger und voller zu nennenden Klang, eine weniger spitz klingende Höhe ge-
habt haben. TJeberhaupt scheint das H. in der Reihe der von Kaufmann
(s. d.) erfundenen und cultivirten automatischen Musikinstrumente nur einen
Bruchtheil des Ganzen gebildet zu haben, und nichts deutet auf die Absicht
der Erfinder, dieses Instrument dem allgemeinen häuslichen oder künstlerischen
Gebrauch zu widmen. Diese Absonderung in der dem Erfinder eigenen Samm-
lung besonderer, meist mit mechanischen Einrichtungen versehenen Touwerk-
zeuge, verschaff'te dem H. eine von der Pflege Kaufmann's abhängig sich ge-
staltende Wirkungszeit, die sich bis zu den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts
hin öfter bemerkbar machte. Man lese in dieser Beziehung die betreffenden
Artikel der Petersburger Zeitung No. 24 vom J. 1838 und No. 36 desselben
Jahrg. der Jahrbücher für Musik und ihre Wissenschaften nach. Hier sagt
der Verfasser, Hofrath Dr. Schilling, u. A.: »Nichts Sangreicheres lässt sich
denken, nicht beschreiben lässt sich der Eindruck — ein Sphäreugesang! nur
erwarte man nicht die Künste heutiger Virtuosität zu hören, dessen ist das
H. in seiner musikalischen Himmelsreinheit nicht fähig. Dem schönen, reinen,
heiligen Traume der Cherubim- Chöre nur dient es und vermag es zu dienen.«
In wie weit solche überschwängiiche Auslassungen begründet sind, lässt sich
kaum noch untersuchen, doch so viel ist gewiss, dass bis heute in der abend-
ländischen Kunst sich das H. keine bleibende Stellung errungen hat. 2.
Hariuouici (latein.) oder Harmoniker ist ein Beiname der Anhänger
des Aristoxenos, welche, im Gegensatze zu den Canonici genannten An-
hängern des Pythagoras, bei Beurtheilung der Tonverhältuisse dem Gehör den
Vorrang vor der Rechnung einräumten. yiEt qui quidem Pythagorae plaeidis
adJicti erant, voeabantiir Canonici, quod musicae sonos ad proporiionis sive
rationis canonem rigide examinarent. Qui vero Aristoxenum sequebantur, Har-
monici, quod aaribiis in harmonia jiuUcanda plus ßderent, quam ralioni.fi (Vgl.
Calvisius, Exercit. II., 1600, pag. 92.)
Harinouicou nannte Dr. W. Chr. Müller, Vorsteher einer Erziehungs-
anstalt in Bremen und Musikdirektor am Dome daselbst, ein von ihm in den
achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfundenes Tonwerkzeug, das eine Har-
monica (s. d.) mit Tastatur und ein Flötenregal (s. d.) vereint besass.
Der Uebelstand der Tastenharmonica, dass man durch dieselbe Töne mit
scharfer Begrenzung nicht hervorbringen konnte, also 'kein forzato und kein
staccato, dass man ferner selbst Tongänge im legato stets in gleicher Tonstärke
nicht zu geben vermochte, sodann schnellere Melodien damit gar nicht herzu-
stellen waren, und diesem Instrumente die höchsten Klänge des in der Kunst
anzuwendenden Tonreichs nicht eigen waren: brachte Müller auf die Construi-
rung des H. AVas der Harmonica in dieser Beziehung abging, vermochte das
Flötenregal zu leisten, und die absolute Klangfarbe der Töne beider Tonwerk-
zeuge war zum Verwechseln ähnlich. Zuerst fügte Müller der Harmonica nur
zwei Flötenstimmen , eine 2,5 und eine 1,25 metrige bei, deren Pfeifen er aus
Buchsbaum fertigen Hess , später noch ein drittes 0,6 metriges aus Ebenholz
und eine 2,5 metrige oboeartige Stimme, Letztere erhielt in der Tiefe einen
fagottartigen Klang. Zur Behandlung des H.'s diente eine Tastatur aus zwei
Manualen. Der Instrumentkasten des H.'s hatte die Grösse eines gewöhnlichen
Harmonides — Harmonie. 543
Harmouicakastens und war demselben unmittelbar unten ein Blasebalg angefügt,
der die Luft für das Flötenregal schaffte. Beides, Balg und Glockenwelle,
wurde durcb einen Tritt, den der rechte JFuss behandelte, in Bewegung gesetzt.
Später soll Müller seinem H. noch einen Tremulant (s. d.) zugefügt haben.
Auch dies Tonwerkzeug, welches nur als eine Verbesserung der Harmonica
anzusehen, ist mit dem Abschluss des Jahrhunderts, wie alle andern Harmoniea-
verbesserungen, der Yerschollenheit anheim gefallen. 2.
Harmonides, ein altgriechischer Flötenspieler, dessen Lucian Erwähnung
thut, der ihn einen Schüler des Timotheus nennt.
Harmonie (von dem griechischen »Harmoneia«, latein. : harmonia — »Ein-
tracht«, »Uebereinstimmung«) ist im weitesten Sinne in allen Künsten ge-
bräuchlich. Diese Thatsache verleitete Grathy (»Musikal. Conversations-Lexikon«)
und Andere zu folgender Annahme: »Die Tochter der Venus: »Harmoneia«
(auch »Hermione« genannt) brachte als Kadmus' Gemahlin zuerst die Musik
nach Griechenland, wodurch die Griechen veranlasst wurden, den Namen »Har-
moneia« auf Gegenstände der Kunst selbst und insbesondere auf alle einzelne
zur Melopöie gehörigen Theile zu übertragen.« Die griechische Literatur aber
giebt zu einer derartigen Annahme keine Veranlassung; ausserdem erklärt
sich die Anwendung des Ausdrucks H. aus dem Inhalte des Begriffs ganz
von selbst.
In der Musik selbst wird der Ausdruck H. in mehrfachem Sinne ange-
wendet. 1. Im allerengsten Sinne ist H. gleichbedeutend mit »Accord«, also
als die Zusammenfassung verschiedener verwandter Töne zu einem Gesammt-
klange. Man spricht daher von »Septimenharmonien«, von einer »Dominant-
harmonie« u. s. f., sowie von »enger« und »weiter« resp. »zerstreuter H.« (s.
»Enge Harmonie«). Diesen Sinn hat der Ausdruck H. z. B. in den Zu-
sammensetzungen »Harmoniefolge«, »Harmonieschritt« etc. (s. d.). — 2. In
einem weiteren Sinne versteht man unter H. die Gesammtheit der in einem
mehrstimmigen Musikstücke entstehenden Zusammenklänge. Man findet daher
in Tonstücken: interessante Harmonie, gute und schlechte Harmonisirung u. s. f.,
und spricht von der BT. als von einem Gegensatze der Melodie, da sich die
letztere nur um die gegenseitigen Beziehungen zwischen den einzelnen Tönen
einer einstimmigen Tonreihe zu kümmern habe. So erklärt Gathy: »Die H.
unterstützt und stärkt den Ausdruck der Melodie, bestimmt klar jede zweifel-
hafte Beziehung derselben, und benutzt deren TJngewissheit oder Mehrdeutigkeit
zu vielfacher und mannigfaltiger Veränderung einer und derselben melodischen
Folge.«
In diesem Sinne konnte der Begriff H. erst angewendet werden seit Ent-
stehung der mehrstimmigen Musik, deren Anfange bekanntlich in der Dia-
p ho nie (s. d.) und in dem Organum des Hucbald zu suchen sind. Somit wäre
der höchst unfruchtbare und zwecklose Streit darüber, was früher gewesen sei,
H. oder Melodie, zu Gunsten der letzteren zu entscheiden, wenn nämlich der
Begriff H. nicht auch noch andere Bedeutungen hätte, wie es doch thatsächlich
der Fall ist. Zuerst bestand die H. aus der Folge von lauter Consonanzen,
und erst nach und nach gelangte man zum Gebrauche von Dissonanzen (s.
Consonanz und Dissonanz). — -3. In einem noch weiteren Sinne bedeutet
der Ausdruck H. in Beziehung auf Tonstücke das vernunftgemässe und darum
das Schönheitsgefühl befriedigende Verhältniss der einzelnen Töne hinsichtlich
ihrer Tonhöhe. In diesem Sinne muss man auch von H. in jeder guten
Melodie sprechen können, da ja die Zusammenfassung der Töne einer Melodie
voi'zugsweise auch auf einer harmonischen Verwandtschaft (s. d.) beruht.
— 4. Im weitesten Sinne heisst H., auf die Musik angewendet, so viel als
die Uebereinstimmung und schöne Ordnung, in welcher die einzelnen Theile
einer Composition sowohl unter sich selbst, als auch mit dem Ganzen und mit
der zu Grunde liegenden Idee stehen müssen, wenn die Composition ein
wirkliches Kunstwerk sein soll. Man spricht dabei- von einer H. zwischen
544 Harmonie der Sfrtiären — Harmoniefortsclireitun
D*
Inhalt und Form, von H. in der rhythmischen Gruppirung ü. s. f. — Endlich
ist der Ausdruck H. im technischen Sinne noch gehräuchlich: 5. im Sinne von
»Klanggehalt« (in der Orgelbaukunst), so dass man von »voller« oder »dumpfer«
H. einer Orgelstimnic spricht; 6. als Bezeichnung für jede blos von Blase-
instrumenten ausgeführte Musik, sowie für die zur Ausführung einer solchen
Musik vereinigten Bläser. 0. Tiersch,
Harmonie der Sphären, s. Sphärenmusik.
Harmonioeasprung' oder Harmoniesprung ist die unmittelbare und un-
vermittelte Folge zweier nur fern verwandter Accorde. Die alte Lehre erklärte
solche Schritte (s. Fortschreitung) dadurch, dass sie annahm, es sei zwischen
je zwei solchen Accorden ein Zwischenglied ausgelassen, woraus sich die Ent-
stehung des Namens ganz von selbst ergiebt. Wie wenig stichhaltig jene
Annahme ist, wurde scliou an der erwähnten Stelle nachgewiesen; der Aus-
druck H. mag aber immerhin für ungewöhnliche Harmonieschritte angewendet
werden. 0. T.
Ilarmouiefolg'e heisst jede Verbindung von Harmonien oder Accorden,
ganz abgesehen von ihrem Umfange und von ilirer Gestaltung. — Aus dem
Schlüsse des Artikels »Fortschreitung« und aus dem Artikel »Harmonieschritt«
ist ersichtlich, dass die Zahl der vollkommen berechtigten, nach ihrer Wirkung
aber sehr verschiedenartigen Fälle von Verbindungen je zweier Accorde eine
ziemlich ansehnliche ist. Die Zahl der möglichen H.n von mehr als zwei
Accorden wächst aber geradezu ins Unbegrenzte, da sie mit der Zahl der ver-
bundenen Accorde in geometrischer Progression zunimmt. Wollte man als
Zahl der in einer Tonart möglichen Grundharmonien , welche eine unbedingte
Verbindung mit einander eingehen können, nur auf 10 veranschlagen, so würden,
wenn jeder Accord immer nur einmal und aiich stets nur in der Stammform
erscheinen dürfte, bei leitereigener Modulation dennoch
1.2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10 = 3628800
einzelne H.n möglich sein, von denen sich mindestens die grössere Hälfte als
unter Bedingungen berechtigt nachweisen Hesse. Dazu denke man sich nun
die möglichen Veränderungen, welche durch Anwendung der Umkehrungen,
durch Einfügen harmoniefremder Töne (s. d.) und zufälliger Dissonanzen, durch
den Gebrauch der harmonischen Figuration (s. d.), durch das Einwirken des
rhythmischen Elements u. s. w., angebracht werden können , so wird man sich
die Unerschöpflichkeit des Materials zu verschiedenartigen H.n schon bei leiter-
gleicher Modulation vorstellen können. Ganz unberechenbar vergrössert wird
aber die Zahl der möglichen H.n noch bei Anwendung der leiterfremden Mo-
dulation. In einem Artikel des »Echo« habe ich vor einigen Jahren Herrn
J. C. Lobe, der da behauptete (s. J. C. Lobe, »Consonanzen und Dissonanzen«
S. 346), in der »Kunst der Modulation sei die Grenze erreicht«, »das Menschen-
mögliche geleistet worden«, im Scherze nachgerechnet, dass die Manuscripte
der verschiedenen möglichen ausweichenden Modulationen mehrere Tausend
Eiscnbahnwageuladungen ausmachen würden, selbst dann noch, Avenn in jeder
Ausweichung jede Tonart nur einmal vorkommen und nur auf eine und die-
selbe Weise zur Darstellung gelangen dürfte. — Dass die Wirkung der ver-
schiedenen möglichen H.n eine verschiedenartige ist und sein muss, leuchtet
Jedem ein, der sich nur die Mühe geben will, drei oder vier nahe verwandte
Accorde in verschiedenartiger Aufeinanderfolge seinem Ohre vorzuführen. Das
Dargelegte beweist, dass die musikalischen Darstellungsmittel wenigstens nach
der Seite des harmonischen Materials nie und nimmer erschöpft werden können.
Eine solche Erschöpfung ist aber um so weniger zu befürchten, als gewisse
H.n und gewisse Ausweichungen nicht blos bei ein und demselben Componisten
immer und immer wieder vorkommeu, sondern oft auch gleichsam als Mode-
sache die sämmtlichen Componisten einer ganzen Zeitepoche zu beherrschen
scheinen. 0. T.
Harinonlefortsclireilung, s. Fortschreitung und Harmonieschritt.
Harmoniefrerrd — Harmoulegang-.
545
Harmooiefreind heisst jeder Ton, welcher nicht Bestandtheil des Accordes
ist, zu dem er erklingt. So sind in dem folgenden Beispiele bei a die an-
gekreuzten Töne harmoniefremd, weil sie nicht zum (7-?woZMreiklange gehören.
Solche harmoniefremde Töne können auf sehr verschiedenen Wegen eingeführt
werden. Sie können wie bei a blose Nachbartöne von harmonischen Tönen
sein, d. h. als blose Durchgänge. Neben-, JEilfs- und Zwischentöne, oder als
Vorschläge und unvorbereitete Vorhalte und dergl. eintreten; sie können aber
auch durch Anwendung von eigentlichen Vorhalten und Vorausnahmen, von
nachschlagenden Tönen, von Orgelpunkten und liegenden Stimmen entstehen.
Näheres findet man in den betreffenden speciellen Artikeln, als Durchgang
u. s. f. — Solche harmoniefremde Töne können nun ebensowohl consonirend
als dissonirend sein. Hieraus ergiebt sich, dass auch ganz einfache und an
sich berechtigte Harmoniefolgen durch blose Einführung von harmoniefremden
Tönen entstehen können. Im Beispiele & ergiebt sich der 5-OToZZquartsext-
accord durch Einführung harmoniefremder Töne, und in der bei Organisten
sehr gebräuchlichen Schlussformel unter c wird der C-J^rquartsextaccord auf
dieselbe Weise gebildet. Man erkennt dieses sofort daraus, dass man im Bei-
spiele 5 d" statt des" , bei c aber es' statt e' nehmen kann, ohne den H^pr-
moniegehalt wesentlich zu ändern.
a. (Chopin).
ttttt ttt
m
h. (Mozart).
^ÖE^EEE^t
=!=£
^
Fed.
8va.
0. T.
Hariuoiiiefreinde Dissonanzen heissen alle zufälligen Dissonanzen
(s. d. und Consonanz und Dissonanz).
Harnioniegang- ist eine ohne Unterbrechung leicht und fliessend fortschrei-
tende Harmoniefolge ohne festen Abschluss tmd ohne bestimmte periodisch-
rhythmische Gliederung. Jede Accordreihe, die nicht in Satzform abschliesst,
kann im Allgemeinen ein H. heissen. Entschiedenere H.e entstehen, wenn
man einen und denselben Accord in seinen verschiedenen TJmkehrungen und in
jedesmaliger Verbindung mit seiner Auflösung anwendet, oder wenn man bei
einer Folge gleichartiger Accorde die einzelnen Stimmen gleichmässig fortführt
(Gänge in Sextaccorden u. s. f.), oder endlich, indem man zwei oder drei
Accorde zu einem Harmoniemotive (s. d.) verbindet, und mehrere solcher
Motive in consequenter Weise einander folgen lässt. Die letztere Art der H.e
gehört zu den harmonischen Sequenzen (s, d. und Sequenz). — Die
H.e sind »wesentlicher Bestandtheil grösserer Kunstformen, durchgreifendes
Mittel für Fortbewegung und Verknüpfung musikalischer Sätze und Grund-
Muäikal. Convera.-Lexikou. rv. 35
546 Harmonielehre.
läge unzähliger Melodien und Satzbildungen« (vgl. Marx, »Die Lehre von der
musikal. Comp.« I. S. 117). »Unzählige Melodien beruhen auf Gängen, grössere
Compositionen und Üiessende Schreibart überhaupt sind ohne das Element der
Bewegsamkeit und Verknüpfung eines Gedanken mit einem andern nicht denkbar
und erlangbar.« 0. T.
Harmonielehre (die Lehre von der Harmonie oder die Harmonik) erhält
je nach der weiteren oder engeren Fassung des Begriffs Harmonie (s. d.)
eine andere Aufgabe. Die Einen, welche diesen Begriff im engsten Sinne
fassen, verlangen von der H. nichts weiter, als dass sie für rein praktische
Zwecke mit den verschiedenen Accordbildungen und mit deren Umkehrungen
und Umlagerungen bekannt machen soll; die Andern dagegen, indem sie den
betreffenden Begriff im weitesten Sinne nehmen, wollen, dass die H. nicht blos
alle Gesetze und Regeln für Tonverbindungen aufsuchen soll, sondern sie er-
warten von dieser Wissenschaft, dass sie zwischen der sinnlichen und der
geistigen Seite der Tonkunst für die Erkenutniss eine Brücke schlagen und
die allgemeinen Gesetze nachweisen soll, nach denen die Musik auf unsere
Empfindung wirkt. Bei der ersten Parthei vei'liert die H. alle und jede wissen-
schaftliche Bedeutung, und es ist daher nur consequent, wenn z. B. A. B. Marx
von einem gesonderten Unterricht in der H. nichts wissen will. Die andere
Parthei dagegen schiesst mit ihrer Forderung weit über das Ziel hinaus, und
alle Harmoniker, welche dieser unberechtigten Forderung gerecht werden wollten,
geriethen aus dem festen Geleise wissenschaftlicher Forschung in ein zweck-
und zielloses metaphysisches Phantasiren.
Die H. Avird zwar, ähnlich der Grammatik für die Sprache, für die Musik
die Gesetze nachzuweisen haben, nach denen sich Töne zu Melodien, Accorden
und Harmoniefolgen zusammensetzen, sie hat aber nicht den Nachweis zu führen,
wie gewisse Tonverbindungen mit den Regungen unseres Seelenlebens in Ver-
bindung stehen. »Nichts ist betrüglicher, als allgemeine Gesetze für unsere
Empfindungen. Ihr Gewebe ist so fein und verwickelt, dass es auch der be-
hutsamsten Speculation kaum möglich ist, einen einzelnen Faden rein auf-
zufassen und durch alle Kreuzfäden zu verfolgen. Gelingt es ihr aber auch
schon, was für Nutzen hat es? Es giebt in der Natur keine einzelne, reine
Empfindung; mit einer jeden entstehen tausend andere zugleich, deren geringste
die Grundempfindung gänzlich verändert, so dass Ausnahmen über Ausnahmen
erwachsen, die das vermeintlich allgemeine Gesetz endlich selbst auf eine blose
Erfahrung in wenig einzelnen Fällen einschränken« (Lessing, »Laokoon«). Sind
aber schon die Empfindungen an sich so unberechenbar, wie will man Gesetze
für ihre sinnliche Darstellung und für ihre Erregung durch äussere Vorgänge
aufiinden, und noch dazu mit Rücksicht auf ein Darstellungsmaterial, welches
unter allen Kunstmitteln das flüssigste und am wenigsten begrifflich festzu-
stellende ist? Und doch ist dieses wiederholt und auf das ernsteste versucht
worden.
Gleich die ersten Begründer der harmonischen Wissenschaft geriethen
in dieses eine Extrem. Die Pythagoräer hatten die einfachen Verhältnisse der
Saiteulängen bei den Consonanzen erforscht; sie meinten, damit sei dem Gehör
eine ebenso zuverlässige Stütze gegeben, wie sie das Gesicht an Zirkel, Richt-
scheit und Diopter besass. Als sie nun erkannten, dass jene Verhältnisse sich
in ihr Vierzahlensystem einfügen Hessen, »so warf sich ihr wühlender Scharf-
sinn auf die rilthselhaften Beziehungen zwischen dieser Ordnung in dem sinn-
lichen Theile der Töne und ihren geistigen, seelischen Eigenschaften; sie
meinten nun in der musikalischen Harmonie nicht allein das Mittel zur Aus-
gleichung dieses inuern Gegensatzes in der Musik, sondern überhaupt aller
Geyensätze oefunden zu haben; sie umschlangen mit ihr Himmel und Erde,
Natur und Geist; sie setzten in sie das Wesen der Seele, der menschlichen
wie der AVeltseele; sie trugen aus ihr die Tonverhältnisse des Heptachords auf
die sieben Wandelsterne des Himmels über, die, da sie gleich den Tönen ver-
Harmonielehre. 547
schiedene Grössen, Abstände und Geschwindigkeiten haben, in ihrem Umschwünge
im Weltenraume eine Sphärerausik bilden sollten.« (Gervinus, »Händel und
Shakespeare«.)
Diese symboKsche Weisheit der Pythagoräer wirkte , mit neuen Träume-
reien vermehrt, bis tief ins Mittelalter hinein. Ihre heilige Vierzahl galt als
Schlüssel zu den verschiedensten musikalischen Erscheinungen. Die Verhält-
nisse der Consonanzen wie die Zahl der vier ächten Kirchentöne wurden aus
ihr erklärt; die letzteren erinnerten wieder an die vier Kardinaltugenden, und
mit ihren vier Nebentönen an die acht Seligkeiten der Bergpredigt. Man fand
»zwischen den Tetrachorden (s. d.) und dem Leben Christi eine geheimniss-
volle Verwandtschaft: das Tetrachord der Tieftöne (gr avium) entspricht vor-
bildlich (typice) der vom Evangelisten Matthäus beschriebenen Menschheit
Christi, wie er arm war, dass er nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege; das
Tetrachord der Endtöne (finalium) bedeutet seinen Tod, wo er nicht allein das
Ende seines Lebens erreichte, sondern auch der Tempelvorhang, die Festigkeit
der Eelsen, die Klarheit der Sonne und Unbeweglichkeit der Erde ein Ende
nahm« u. s. w. — »Man fühlt sich dabei an die Schilderung der mittelalterlichen
Alchymie gemahnt, oder an die alte Astrologie mit ihren Planetenhäusem,
Gegenscheinen u. s. w. Wie sich jene Alchymie der Chemie, die Astrologie
der Astronomie hindernd in den Weg stellte und die Weisen, statt einfach die
Natur der Sache zu befragen, sich in Mysterien verloren, die an alles und an
nichts mahnten, die um so tiefsinniger schienen, je unverständlicher und inhalt-
loser sie waren: so zahlte, wie wir sehen, auch die Musik diesen Tribut der
Zeit und konnte zuweilen vor lauter Visionen den einfachen geraden Weg nicht
sehen.« (Ambros, »Gesch. d. Musik« IL S. 212.)
Finden wir doch bei einem so verständigen Theoretiker, wie Andreas
Werckmeister (allarmonologia musica oder Kurtze Anleitung zur musikal. Com-
position«, Eranckfurt und Leipzig 1702), noch folgende Auslassungen: »Dass
nun die himmlischen Corpora (Körper) in solcher harmonischen Ordnung be-
stehen, bezeugen wie gemeldet nicht allein die Astronomie und Philosophie;
sondern auch die h. Schrift selber, wie insonderheit in dem Buch Hiob C. 38
V. 37 enthalten ist. Da wir nun die Harmonien der himmlischen Corporum
mit leiblichen Ohren nicht hören können, so wissen wir doch durch unsere
musikalische proportiones (Verhältnisse), wie die harmonia der himmlischen
corporum beschaflfen und durch den allweisen Schöpfer geordnet sei, weiL sie
eben in den musikalischen proportionibus bestehet, und wissen daher etlicher
massen, wie die Welt gemacht ist, dass ich also mit dem Salomo in seinem
Buche der Weissheit am 7. C. V. 17 und 19 reden mag. Ist nun die grosse
Welt Macrocosmus also beschaffen, so muss der Mensch als Microcosmus auch
eine Verwandschafft mit derselben haben: daher Pythagoras und Plato gesagt:
die Seele der Menschen sei eine harmonia; dieses wird nicht allein von vielen
Philosophis bekräfftiget und erwiesen, sondern man hat es auch erfahren, dass
an eines wohlproportionirten Menschen Leibe und Gliedern die proportiones
musicae zu finden sein, daher sehen wir dass auch der Mensch nach seinen
Gliedern harmonice erschaffen sei. Nichts desto weniger befinden wir in der
h. Schrifft, dass Gott der Herr alles harmonisch zu bauen befohlen habe: Denn
die Kaste Noä war 300 Ellen lang, 50 breit und 30 hoch. Wenn wir diese
Zahlen durch den verjüngten Massstab auf ein Monochordum tragen, und auf
die Musik appliciren, so haben wir eine perfecte harmoniam (einen Durdrei-
klang) in Clavibus C. g^ e^. Die Hütte des Stiffts, der Tempel Salomonis
und alle Gebäu, so Gott in der h. Schrift zu bauen befohlen, waren wie gesagt,
harmonisch gebaut. Solte dieses ohnegefehr von Gott also verordnet sein?
Ich halte wohl nicht. Also sehen wir, wie die Ordnung Gottes lauter har-
monisches und liebliches Wesen sei, woraus auch unsere Musik ihren Grund
und Ursprung hat. Nun köimen wir auch etlicher massen finden warum der
Mensch durch die Musik erfreuet werde. Weil danneuhero die Musik ein
35*
548 Harmonielehre.
ordentlich und deutliches Wesen, und solchergestalt nichts anderes als ein
formular der AVeissheit und Ordnung Gottes ist, so muss ja ein Mensch (wenn
er nicht ein Klotz ist) billig zur Freude bewogen werden, wann ihm die
Ordnung und AVeissheit Gottes seines gütigen Schöpfers durch solche Numeros
souoros ins Gehör, und folgendes ins Hertze und Gemüthe getragen wird. Der
selige Lutherus sagt: wer die Musik liebet, der ist guter Art, wer dieselbe
verachtet der ist ein grober Klotz u, s. w. Die Verachtung aber käme aus
der Ungleichheit, weil das Gemüthe desselben Menschen 'nicht nach der Ord-
nung des weisen Schöpfers in den harmonischen Proportionen stehet.«
Ganz anders stehet der Sache Joh. Mattheson gegenüber; das erkennt man
z, B. aus seinen Anschauungen über die Lehre von dem Charakter der grie-
chischen Octavengattungen, welche Lehre recht eigentlich jener mystisch -sym-
bolischen Auffassung entsprach, »Es mag gleichgültig sein, ob die Phrygische
und Lydische Siug-Arten ihre notam finalem (Endtöne) im E und F gehabt
haben u. s. w. Allein, dass durch diese Constitutionem Octavae (Anordnung
der Octave) alle Wunder und Künste verrichtet worden, ist nicht natürlich
zu glauben, sondern streitet mit der gesunden Vernunft,« »AVie könnte denn
dieser Unterschied allein, ob er wohl grössere physikalische Würkuug hat, als
mancher meinet, Ursach seyu, dass deswegen die Phrygischen Lieder barbarisch
und ausländisch gelautet?« »Wie vermöchte doch die Constitutio Lydii (Ein-
richtung der lydischen Octavengattung) , den Verstand zu schärffen, und den
mit irrdischen Begierden beschwerten Seelen das himlische Verlangen einzu-
flössen? Da gehört wahrhafftig mehr zu, als ein Ton an und für sich, wenn
er auch noch so genau anatomirt würde.« »Denn, obgleich ein jeder Ton
speciem cantus (die Art des Gesanges) schon im Grunde und auf das gröbste
ändert, so bald nur die geringste Erhöh- oder Erniedrigung vorgehet. So thut
doch die übrige Einrichtung eines Stückes ungezweifelt ein gar grosses, ja das
meiste und feineste dabei. Ich meyne z, E. die verschiedene Taktarten, das
Mouvement (Bewegung), die Geltung der Noten, Figuren, Manieren und dergl.,
mit einem Worte, die Mores, daraus so viel tausendmahltausend Modi modu-
landi (Modulationsweisen) erwachsen.« (Mattheson, »Grosse Generalbassschule«
S, 30 und 31 der »theoretischen Vorbereitung«,) Wie vortheilhaft sticht diese
Klarheit ab gegen die Phantastereien eines Schubart (s. »Charakter der Ton-
arten«) und selbst gegen die Phrasen eines A. B. Marx, der noch immer von
einem »tröstlichen Dur«, von der »Ueberreiztheit und schmerzlichen Aufge-
rissenheit des übermässigen Dreiklanges« und dergl. zu sprechen weiss.
Nachdem man das Unhaltbare jener Speculationen, als deren letzten Ver-
treter hier Andr. AVerckmeister aufgeführt ist, eingesehen hatte, gingen die
Bestrebungen derjenigen, welche das AVesen der Tonkunst wissenschaftlich zu
ergründen suchten, nach zwei Kichtungen auseinander. Die Einen warfen sich
ganz auf das innere AVesen der Musik, Sie suchten dasselbe aus den Be-
ziehungen der Musik zu der Sprache, zu den Künsten überhaupt und zum
Gemüthsleben des Menschen aufzuhellen. Dagegen warfen sich die Physiker
und Physiologen, welche sich mit der musikalischen Harmonik befassten, ganz
und gar auf den physikalischen Theil jener Lehre; sie suchten und fanden
Vergleichungspunkte in den exacten AVissenschaften. Einige versuchten eine
physikalische Begründung der Tonverhältnisse, indem sie die sieben Grundtöne
mit den sieben Grundfarben verglichen.
Kepler frischte die Vermuthung der Pythagoräer von einer Sphärenmusik
wieder auf. Er und andere Forscher meinten, indem sie den einfacheren oder
verwickeiteren Schwingungsverhältnissen der Tonverbindungeu sinnliche Gefäl-
ligkeit oder Widrigkeit zusprachen, alle Gründe für die Wirkung der Tonkunst
erklärt zu haben. Kepler behauptet: das Unterscheiden der harmonischen Töne
sei »unbewusst ein Gefühl von Verhältnissen ohne Gefühl«, Nach Leibnitz
besteht der Genuss, den die Musik gewährt, »in dem unbewusst von der Seele
angestellten Zählen der Schwingungen der tönenden Körper«. Euler (»Tentamen
Harmouielelirf. 5^9
novae theoriae musicae«) glaubt, dass alles Vergnügen, welches Musik gewähre,
von der "Wahrnehmung der Quantität der Töne nach ihrer Höhe, Tiefe und
Dauer herrühre; für ihn ist derjenige der beste Beurtheiler, der das unbewusste
Zählen in ein bewusstes umwandele. Andere Denker dagegen (Kant, Herder,
Krause) setzten sich dieser Auffassung entgegen, — und neuerdings finden
sich Anklänge an dieselbe nur noch bei Drobisch und Opelt. Die neuere
Forschung ist überzeugt, dass damit höchstens über die Einwirkung des sinn-
lichen Theils der Musik einiger Aufschluss gegeben sei. Aber auch schon
Kepler, Leibnitz und Euler erkennen das Unzureichende ihrer Aufi'assungs-
weise an, Leibnitz spricht von der Gewalt der Töne auf die Q-emüthsbewe-
gungen der Menschen; Kepler erklärt, er rede nur als Physiker; Euler setzt
den G-enuss an der Musik schliesslich auch mit in das Vergnügen, welches das
Errathen der Absichten und Empfindungen des Componisten gewähre.
Eine der letzteren verwandte Ansicht finden wir übrigens bei Helmholtz
wieder. Nachdem er auseinandergesetzt, dass die Bewusstlosigkeit des G-esetz-
mässigen, was durch Anschauung im Kunstwerke wahrgenommen werden kann,
»gerade die Hauptsache und der springende Punkt in der "Wirkung des Schönen
auf unseren Geist ist«, fährt er (»Tonempfindungen« S, 554) fort: »Eingedenk
des Dichterwortes: „Du gleichst dem Geist, den Du begreifst", fühlen wir die-
jenigen Geisteskräfte, welche in dem Künstler gearbeitet haben, unserm be-
wussten verständigen Denken bei weitem überlegen, indem wir zugeben müssen,
■ dass mindestens, wenn es überhaupt möglich wäre, unübersehbare Zeit, TJeber-
legung und Arbeit dazu gehört haben würde, um durch bewusstes Denken
denselben Grad von Ordnung, Zusammenhang und Gleichgewicht aller Theile
und aller inneren Beziehungen zu erreichen, welchen der Künstler, allein durch
sein Taktgefühl und seinen Geschmack geleitet, hergestellt hat, und welchen
wir wiederum mittelst unseres eigenen Taktgefühls und Geschmackes zu schätzen
und zu fassen wissen, längst ehe wir angefangen haben, das Kunstwerk kritisch
zu analysiren. Es ist klar, dass wesentlich hierauf die Hochschätzung des
Künstlers und des Kunstwerks liegt. Wir verehren in dem ersteren einen
Genius, einen Funken göttlicher Schöpferkraft, welcher über die Grenzen un-
seres verständig und selbstbewusst rechnenden Denkens hinausgeht. Und doch
ist der Künstler wieder ein Mensch wie wir, in welchem dieselben Geisteskräfte
wirken, wie in uns selbst, nur in ihrer eigen thümlichen Richtung reiner, ge-
klärter, in ungestörterem Gleichgewichte, und indem wir selbst mehr oder
weniger schnell und vollkommen die Sprache des Künstlers verstehen, fühlen
wir, dass wir selbst Theil haben an diesen Kräften, die so Wunderbares her-
vorbrachten. Darin liegt offenbar der Grund der moralischen Erhebung und
des Gefühls seliger Befriedigung, welches die Versenkung in ächte und hohe
Kunstwerke hervorruft.«
(Der Schluss dieses Artikels- folgt im nächsten Bande. 0. T.)
Verzeicliniss
der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
Fortschreitung Seite 1.
Fortuila, Jean 7.
Fortuuati, Giovanni l'Van
cesco 7.
Fortunatianus 7.
Fortunatus, Venantius 7.
Fortuni, Amelia Aiigles de
7.
Forza 8.
Forzando 8.
Forzato 8.
Foschi, Carlo 8.
Fossa, Joannes de 8.
FoBsa 8.
Fossembroue, Ottavio da,
8. Petrucci 8.
Fossis, Pietro de 8.
Fossius, Anton 9.
Fossoni, Tomniaso 9.
Forthiarghiali 9.
Fouchetti 9.
Pouquö, Friedricii de la
Motte 9.
Fourchette tonique s.
Stimmgabel 9.
Fourneaux, Napoleon 9.
Fournes, P. J. 10.
Fournier, Pierre Simon 10.
Fournier, Antoinc 10.
Fourniture 10.
Fournival, Richard de 10
Foy, James 10.
Foyta, Franz 10.
Foyta, Joseph 1<^.
Fp. 8. Abbreviatur für
Fortepiano 10.
Fradel, Karl 10.
Franzi, Ferdinand 11.
Franzi, Igua.' 11.
Fragmengo, Filippo 11.
Fragnier, Claude Franfois
13.
Framery, Nicolas Etienne
13.
Franc, Guillaume 12.
Fraui,-aise 12.
Franceschi, Francesco 12.
Francesclüni 13.
Franeeschini, Giovanni 13.
Francesehini, Petronio 13.
Fraueeschini, Giov. 13.
Francesco Cieco s. Lan-
dino 13.
Francesco da Milano 13.
Francesco da Pesaro 13.
Francesco degli Organi s,
Landino 13.
Francesco la Femara 13.
Franche, Louis Joseph 13,
Franehetti-Walzel 13.
Franchetti-Walzel,Luisa 13
Franchezza 13.
Frauchi.Giovanni Pietro 13
Franc'hinus s. Gafori 13.
Franchomrae, August 13,
Franeia, Gregorio Seite 14.
Franciscello oder Franci-
schello 11.
Francisci, Erasmo 14.
Francisco, Ludovico a Sau
14.
Franeisconi, Giovanni 14.
Franeisque, Antoiue 14.
Franck, Cösar Auguste 14.
Frauck, Joseph 15.
Franck, Eduard 15.
Franck, Johann Wolfgang
15.
Franck, Melchior 15.
Franck, Johannes 16.
Franck, Michael 16.
Franck, Sebastian 16.
Frauckc, Wilhelm 16.
Franeke oder Franck, Jo-
hann 16.
Franekenau, Georg Franck
von 16.
Franekenau, Gerhard Ernst
von 17.
Franco von Köln 17.
Fraacoeur 17.
Franooeur, Louis 17.
Fraucoeur, Franfois 17.
Francoeur, Louis Joseph
18.
Francois, Florent des 18
Frauco-Mendes, Jacques 19.
Franco-Mendes, Joseph 19.
Franeus, Elabetus 19.
Francus, Wolfgang Ammo-
nius 19.
Frank, Georg 19.
Franke, F. C. 19.
Franke, Ilermann 19.
Franke, Leopold 19.
Franke, Ilermann 20.
Frankenberg, Franz 20.
Frankenberg, Gräfin von 20.
Franklin, Benjamin 20.
Frankreich 20.
Frantz, Klamef Wilhelm 43.
Franz, J. H. 43.
Franz, Ignaz 43.
Franz, Joachim Friedrich
44.
Franz, Joachim Ludwig 44,
Franz, Johann Christian 41,
Franz, Karl 44.
Franz, K. Honeamp 44.
Franz, Robert 45.
Franz, Stephan 47.
Französische Musik s
Frankreich 48.
Französische Posaune 48.
Französische Stimmung s.
Kammerton 48.
Französischer Violinschlüs-
sel 48.
Franzoni, Amando 48.
Franchini, Gaetano 48.
Frasi, Feliee Seite 48.
Frasi, Miss 48.
Frassini, Nathalie 49.
Frauenchor 49.
Frauenlob, Heinrich 49.
Frech, Johann Georg 50.
Frcddi, Amadeo 50.
Freddi 51.
Fredosi, Bartoloraeo 51.
Freeke oder Freake, John
51.
Fregoso, Antonio Fileremo
51.
Freher 51.
Freher, Marquard 51.
Freher, Paul 51.
Frei 51.
Freie Dissonanz s. Conso-
nauz und Dissonanz und
Vorbereitung 51.
Freie Fantasie s. Fantasie
51.
Freie Fuge s. Fuge 51.
Freie Künste 51.
Freier oder Freyer, August
52.
Freie Sehreibart, freier Styl
8. frei und Styl 52.
Freig, Johannes Thomas 52.
Frcillon - Poneein, Jean
Pierre 52.
Freislich, Maximilian Theo-
dor 52.
Preislich, Johann Balthasar
Christian 52.
Freitag, Adam 52.
Freitag, Friedrich Gotthilf
52.
Freitoft 52.
Frömart, Henri 53.
Fr^maux, Jean 53.
Freneuse s. Leeerf de la
Vieville 53.
Frengi-tschiu 53.
Freno, Marcus 53.
Frenzel, Johann Theophi'
lus 53.
Frere, Alexandre 53.
Freres de la passion 53.
Prdron, Elie Catherine 53
Frescamente, frcseo 53.
Fresehi, Giovanni Dome
nico 53.
Frescobaldi, Girolamo 54.
Fresne du Cange, Charles
de 8. Cange 54.
Frestcle, Fretel, Fretian 54,
Fretzdorir, Hugo 54.
Fretta 55.
Freubel, Johann Ludwig
Paul 55.
Freudemann, Johann 55.
Freudenberg, Fräulein von
55.
Freudenberg, Johann 55.
Freudenberg, Karl Göttlich
Seite 55.
Freudenberg, Wilhelm 55.
Freudenthal, Julius 56.
Freudenthalcr, Johann Wil-
helm 50.
Freund, Cornelius 56.
Freund, Philipp 50.
Frcundthaler, Cajetan 56.
Frey, Hans 56.
Frey, Johann 57.
Frey, M. 57.
Freylinghausen, Johann
Anastasius 57.
Freylinghausen,Theophilu8
Anastasius 57.
Freymuth 57.
Freystüdler, Franz Jacob
57.
Freytag s. Freitag 57.
Frezza, Giuseppe 57.
Frezza, (Jiovanni 57.
Frezzolini, Erminia 58.
Frias, Herzogin von 58.
Friberth, Karl 58.
Friberth, Thcrese 58.
Frichot, Fran90i8 58.
Frick, G. F. 5D.
Frick, Johann Adam 59.
Frick, J. L. F. 59.
Frick, Christoph 59.
Frick, Elias 69.
Frick, Philipp Joseph 59.
Fricke, A. 59.
Frictions - Instrumente s.
Instrumente 60.
Fridzerioder Fritzcri, Ales-
saudro Maria Antonio
60.
Friedel, Beruhard 60.
Friedel, Sebastian Ludwig
60.
Friedel, Kaspar 60.
Friedel, Johann Franz 60.
Friedel, Zacharias 61.
Friederiei, Christian Ernst
61.
Friederiei, Johann 61.
Friederiei oder Friederich,
Daniel 61.
Friederiei auch Friderici,
Valentin (il.
Friederick oder Friederieh
61.
Friedlowsky, Joseph 61.
Friedlowsky, Franz 61.
Friedlowsky, Anton 61.
Friedlowsky, Eleonore 62.
Friedlowsky, Marie 63.
Friedrieh II. Landgraf von
Hessen-Kassel 62.
Friedrich II. König von
Preusscn 62.
Friedrich Wilhelm II. Kö-
nig von Preussen 63.
Verzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
551
Friedrich Wilhelm Con-
stantiu, Fürst vonHohen-
zollerii-Hechingen Seite
63.
Friedrich, Markgraf von
Brandenburg - Culmbach
64.
Friedrich von Hausen 64.
Friedrich von Sounenburg
oder Suonenburg 64.
Friedrich, E. Ferdinand 64.
Friedrich, Ignatz 64.
Friedrich, Johann Jacob 65.
Friedrieh, Joseph 65.
Friedrichs, Mad. geb. Holst
65.
Fries, Johann 65.
Friese, Christian Friedrich
65.
Friese, Friedrich Franz
Theodor 65.
Friese, Heinrieh 65.
Friker, Johann Ludwig 65.
Frisehliu, Nieodemus 65.
Frischmuth, Johann Chri-
stian 65.
Frischmuth, Leonhard 66.
J''risius s. Fries 66.
Frisoni, Lorenzo 66.
Fritelli, Fausto 66.
F"ritsch, Balthasar 66.
Fritsch, Louis 66.
Fritsch, Thomas 66.
Fritsehe, Gottfried 66.
Fritz, Berthold 66.
Fritz, Joachim Friedrich 67.
Fritz, Kaspar 67.
Fritzeri s. Fridzeri 67.
Fritzseh, E. W. 67.
Fritzsch, Martin 67.
Frivolo 67.
Frizzi, B. 67.
Frobcse 68.
Fröhlich, Friedrich Theo-
dor 68.
Fröhlich, Georg 68.
Fröhlich, Joseph 68.
Fröhlich, Nanette 69.
Fröhlich, Barbara 69,
Fröhlich 69.
Frösehcl 69.
Frohberger, Johann Jacob
69.
Frohnleichnam oder Fron-
leichnam 70.
Frohnleichnamfest 71.
Froid 71.
Fromm, Andreas 71.
Fromm, Emil 71.
Fromman, JohannChristian
72.
Fromme, Valentin 72.
Frommelt, A. 72.
Fronduti, Giovanni Bat-
tista 72.
Front 8. Orgelfront 72.
Front 72.
Front-, Prospect-, Facade-
Pfeifen 72.
Frontispice oder Fronton
s. Principal 72.
Frontori, Luigi 72.
Frosch 72.
Frosch, Johann 73.
FroBchatier, Johann 73.
Frovo, Joad Alvarez 73.
Früh, Gottlieb 74.
Früh, Armin Leberecht 74.
Frühof, Heinrich Wilhelm
74.
Frühwald, Joseph 74.
Fruytiers, Jan 74.
Fry, William 74.
F-Schlüssel 75.
Fuchs, Aloys 75.
Fuchs, Georg Friedrich 75.
Fuchs, Heinrich 76.
Fuchs, Julius Seite 76.
Fuchs, Karl Dorius Johan-
nes 76.
Fuchs, Peter 77.
Fuchsschwanz 77.
Füehs, Ferdinand Karl 77.
Führer 77.
Führer, Eobert 77.
Fuellana oder Fuenllana,
Michael de 78.
Füllpfeife 78.
Füllquinte 78.
Füllsack, Zacharias 78.
Füllstimmen 78.
Fünf 79.
Fünfer 79.
Füufstimmig 79.
Fünftheilige Tactarten 79.
Fünf- Tonleiter oder fünf-
stufige Tonleiter 79.
Fuenllana s. Fuellana 80.
Fuentes,Francisco deSanta-
Maria 80.
Fuentes, Pascal 80.
Fürstenau 80.
Fürstenau, Kaspar 80.
Fürstenau, Anton Beruhard
81.
Fürstenau, Moritz 81.
Fürstner, Adolph 82.
Füssig s. Fuss 82.
Fuetsch, Joachim Joseph
82.
Füttern 83.
Fütterung 83.
Fuga 83.
Fuga aequalis motus 83.
Fuga recta 83.
Fuga a due 83.
Fuga a tre soggetti 83.
Fuga authentica 83.
Fuga canonica 83.
Fuga totalis 83.
Fuga composita 83.
Fuga contraria 83.
Fuga per motum eoutra-
rium 83.
Fuga doppia 83.
Fuga homophona 83.
Fuga impropria 83.
Fuga irregularis 83.
Fuga incomposita 83.
Fuga in consequenza 83.
Fuga in contrario tempore
83.
Fuga inversa 83.
Fuga libera 83.
Fuga soluta 83.
Fuga sciolta 83.
Fuga mixta 83.
Fuga obligata 83.
Fuga per arsin et thesin
83.
Fuga per augmentationem
83.
Fuga per contrarium Sim-
plex 83.
Fuga per contrarium re-
versum 83.
Fuga per dimiuutionem 83.
Fuga per imitationcm in-
terruptam 83.
Fuga perßdiata 83.
Fuga obstinata 83.
Fuga periodic» 83.
Fuga partialis 83.
Fuga per motum contra-
rium 83.
Fuga contraria 83.
Fuga plagalis 83.
Fuga propria 83.
Fuga regularis 83.
Fuga reale 83.
Fuga recta 83.
Fuga aequalis 83.
Fuga reditta 83.
Fuga retrograda 83.
Fuga retrograda per motum
contrarium Seite 83.
Fuga ricercata 83.
Fuga soluta 83.
Fuga sciolta 83.
Fuga tonale 83.
Fugara 84.
Fugato 84.
Fuge s. Kanon und Fuge
84.
Fuger, Theophilns Chri-
stian 84.
Fuggire la eadenza s. Ca-
denz undTrugschluss 84.
Fughetta 84.
Fugirt 84.
Fugs, St. 84.
Fuhi 8. Fohi 84.
Fuhrmann, Martin Heinrich
84.
Fulbert, Bischof von Char-
tres 85.
Fulda s. Adam de Fulda 86.
Fullsack s. Füllsack 85.
Furaagali, Antonio 85.
Fumagalli, Adolfo 85.
Fumagallo, Catarina 85.
Funck, David 85.
Funck, Friedrich 86.
Fundameutalbass oder Fun-
damentalstimme 86.
Fundamental- oder Funda-
mentbrett 86.
Fundameutalis s. Principal
86.
Fuuebre 86.
Funk, Gottfried Benedict
86.
Funk, Christian Benedict
86.
Funzioni 86.
Fuoco 87.
Furchheim, Johann Wil-
helm 87.
Furetiere, Antoine 87.
Furioso 87.
Furlanetto, Bonaventura
genannt Musin 87.
Furtaris, Gregorius 88.
Fusa s. Notenschrift 88.
Fusäe 88.
Fusellaoder Fusellala 88.
Fuss 88.
Fussclavier s. Pedal 89.
Fuss, Johann 89.
Fussloch 89.
Fuss, Kicolaus 89.
Fusston s. Fuss 89.
Futterholeu 90.
Fux, Ernst 90.
Fux, Johann Joseph 90.
Fux'sche Wechseluote 92.
Fz. 92.
G.
G 92.
Ga93.
Ga 93.
Gaa 93.
Gabbiani 93.
Gabel 93.
Gabelgriff 93.
Gabelkoppel 94.
Gabellone, Gasparo 94.
Gabelton 94.
Gabler 94.
Gabler, Christoph August
94.
Gabler, Jeanette 94.
Gabler, Matthias 95.
Gaborg 95.
Gabram 95.
Gabriele, Domenieo 95.
Gabrielj, Andrea 95.
Gabriel!, Giovanni (.Johan-
nes) 96.
Gabrieli, Catterina s. Ga-
brielli Seite 98.
Gabrieli, Domenico 98.
Gabrieli, Francesca 98.
Gabrielli, Catterina 98.
Gabrielli, Nicolö Graf von
99.
Gabrielski, JohannWilhelm
99.
Gabrielski, Julius 99.
Gabrielski, Adolph 99.
Gabusi, Giulio Cesare s.
Gabuzio 99.
Gabussi, Vincenzo 99.
Gabussi, Rita 100.
Gabuzio, Giulio Cesare 100.
Gaces Brulds oder Brulez
100.
Gade, Niels W. 100.
Gaebler,ErnstFriedrich 101.
Gäde, Theodor 102. -
Gähler, von 102.
Gährich, Wenzel 102.
Gämmrich, Heinrich 102.
Gänsbaeher, Johanu Bap-
tist 102.
Gärtner, Johann 103.
Gärtner, Johanu Peter 104.
Gärtner, Joseph 104.
Gaertner, Karl 104.
Gaetaui 104.
Gaetano 105.
GafTarel, Jacques 105.
Gaffi, Bernardo 105.
Gafforini, Elisabetta 105.
Gafori oder Gaforio, Fran-
chino 105.
Gaggi, Giovanni 106.
Gagliano, Alexandre 106.
Gagliano, Nicolo 106.
Gagliano, Ferdinando 106.
Gagliano, Giuseppe 106.
Gagliano, Gennaro 106.
Gagliano, Zanobi de 106.
Gagliano, Marco de 106.
Gagliano, Giovanni Bat-
tista de 107.
Gagliarde oder Gaillarde
107.
Gagliardi, Dionisio Poliani
107.
Gagni, Augelo 107.
Gail, Jean Baptiste 107.
Gail, Sophie geb. Garre 108.
Gail, Jean Franfois 108.
Gaillarda s. Gagliarde 108.
Gaillard, Johann Ernst 108.
Gaillard, Karl 109.
Gakschojin 109.
Galante oder galantemeute
109.
Galante Fuge s. Kanon und
Fuge 109.
Galanterie-Stimme 109.
Galante Schreibart 109.
Galanter Styl 109.
Galariui, Pietro Antonio
109.
Galaurone 109.
Galavotti, Geronimo 109.
Galeazzi 109.
Galeazzi," Antonio 109.
Galeazzi, Tommaso 109.
Galeazzi, Francesco 110.
Galempung 110.
Galeno, Giovanni Batti^ta
110.
Galeotti, Stcfifano 110.
Galetti 110.
Galetti, Giovanni Andrea
110.
Galetti, Elisabeth 110.
Galetti, DomenicoGiuseppc
110.
Galibert, Pierre Christophe
Charles 110.
Galilei, Vincenzo 110.
552
Vevzeichniss der im vieileu J3aude enthaltenen Artikel.
Galilei, Galileo Seite 111.
Galilei, Michole Angrelo 111.
Galimberti, Fernando 111.
Galin, Pierre 111.
Galit/.in, Georg, Fürst von
111.
Gall, Ferdinand Freiherr
von 112.
Gall, Joseph 112.
Galland, Antoinc 112.
Gallay, Jacques Fraufois
112.
Galle, Daniel 113.
(Jalleazzi s. Galeazzi 113.
Gallecius auch Gallesius
oder Galletius, Francis-
cus 113.
Gallemart, Jean de 113.
Gallen, JohannMichael 113.
Gallenberg, Wenzel Kobert
Graf von 113.
Gallerano, Leandro 113.
Galletti s. Galetti 114.
Galley s. Gallay 114.
Galli, Filippo 114.
Galli, Francesco Scotto 114.
Galli, Vincenzo 114.
Galliard s. Gaillard 114.
Galliculus, Johann 114.
Gallieulus de Muris, Mi-
chael 114.
Gallimard, .Tean Eduard 11 5.
Gallimberti s. Galimberti
115.
Gnllino, Grcgorio 11.5.
Gallische oder keltische
Trompete 115.
Gallitz, Georg 115.
Gallo 115.
Gallo, Giovanni Pietro 115.
Gallo, Domenico 115.
Gallo, Ignazio 115.
Gallo, Catarina 115.
Gallois, Jean le 115.
Gallois-Gourdin H5.
Galluccio, Gerardo 115.
Gallus, Jacob 115.
Gallus, Johann 116.
Galopp oder Galoppade 116.
Galot 116.
Galoubet oder Flutet 116.
Galtruchius oder Gaul-
truche, Pierre 117.
Galtus, Germer 117.
Galuppi, Baldassai-re 117.
Galvi-Neuhaus 118.
Gama IIS.
Gambale, Emanuele 118.
Gambang 118.
Gambang Kayu 119.
Gambara, Carlo Antonio
119.
Gambarini, Miss 119.
Gambaro, Giovanni Bat-
tista 119.
Gambe 119.
Gambenbass oder Violdi-
gambenbass 120.
Gambenwerk 120.
Gamberini, Antonio 121.
Gamberiui, MicheleAngelo
121.
Gambini, Carlo Alberto 121.
Gambist 121.
(Jamble, John 121,
Gambold 121.
Gamma 121.
Gamme 122.
Gamme-ut, Gamma-ut oder
Gammut 122.
Gammersfelder, Johann 122
(lana 122.
Ganassi, Silvestro 122.
Gancaldi, Carlo 122.
Gander 122.
Gandhära 123.
Gündhara-grüma 123.
Gandhärbas Seite 123.
Gandini, Antonio, Ritter
von 123.
Gandini, Isabella 123.
Gandini, Salvatore 123.
Gando, Nicolas 123.
Gandrika 123.
Gang 123.
Gangris 124.
Gannassi, Jacopo 124.
Ganspekh, Wilhelm 124,
Gauswind 124.
Gantez, llannibal 124.
Gantzland, Christian 124.
Ganz 124.
Ganz, Adolph 124.
Ganz, Moritz 124,
Ganz, Leopold 124,
Ganz, Eduard 125.
Ganz, Wilhelm 125.
Ganze Applieatur 125.
Ganze Cadenz oder Ganz-
schluss s. Cadenz 125.
Ganze Doppelznnge 125.
Ganze Note oder Ganze
Taktnote 125.
Ganze Orgel 125.
Ganzer Takt 125.
Ganziustrumente 125.
Ganz-Ton 126.
Ganzwerk 127,
Garani, Nunziata 127.
Garat, Pierre Jean 127.
Garat, Joseph Dominique
Fabry 128.
Garaud^, Alexis Adelaide
Gabriel de 128,
Garaudö, Alexis Albert
Gauthier 128,
Garbini, Mad, 128,
Garbo 129.
Garbrecht 129.
Garcia 129.
Gareia, Manoel, del Popolo
Vicente 129.
Gareia, Manoel 130.
Garcia, Maria 131.
Gareia, Pauline 131.
Garcius, Laurent 131.
Garczinska,Wilhelmine von
131.
Gardano, Antonio 131,
Gardano, Angele 131,
Gardano, Alessandro 131.
Garde, de la s.Lagardel31.
Gardeton, Cesar 131.
Gardi, Francesco 131.
Gardiner, William 132,
Gareis, R. 132,
Gargano, Tcofilo 132.
Garghetti, Silvio 132.
Gargross s. Garklein 132.
Gärikä 133.
Garilieff 132.
Garinding 132.
Garke, Heinrich 132,
Garklein 132,
Garlandc, Jean de 132,
Garnerius oder Guarnerius,
Guilielmus 132.
Garnier 133.
Garnier, Andrieu 133.
Garnier, Fran^ois 133.
Garnier, llonon^ 133.
GarthofDurhara, John 133.
Garschavim 133.
Garulli, Bcrnardino 133.
Garzoni, Tommaso 133,
Gas 134,
Gasehin-Rosenberg, Fanny
Gräfin von 134.
Gaseogne, Matthieu 134,
Gas-Harmoniea oder Gas-
Accord-Harmonica 134.
Gaspard, Michel 135,
Gaspard de Salö 8, Gasparo
da Salö 135.
Gaspard, Mr. Seite 135.
Gaspard auch Gaspar 135.
Gaspari, Gaetano 135.
Gaspr.rini 135.
Gasparini, Francesco 135.
Gasparini, Miohelo Angelo
1.36.
Gasparini, Quirino 136,
Gasparo da Salö 136,
Gasse, Ferdinand 136.
Oasseau 136,
Gassend, Pierre 136.
Gassenhauer oder Gassen-
lied 8. Volkslied 136.
Gassitzius, Georg 136.
Gassmann, Florian Leopold
137,
Gassmann, Maria Anna 138.
Gassmaun, Maria Theresia
138,
Gassner, Ferdinand Simon
138.
Gasteritz, Michael 139.
Gastinel, L^on Gustave Cy-
prien 139.
Gastoldi, Giovanni Gia-
como 139.
Gastorius, Severus 140,
Gastayes, Guillaume Pierre
Antoine 140,
Gastayes, Löon Joseph 140.
Gastayes, Fdlicien 140,
Gates, Bernard 140.
Gatby, August 140.
Gattermann, S. M. D. 142.
Gatti, Luigi 142.
Gatti, Simone 142.
Gatti, Teobaldo di 142.
Gattoni, Giulio Cesare 142.
Gattungen oder Geschlech-
ter 142.
Gatzmann, Wolfgang 143.
Gaubert, Denis 143.
Gauehe 143.
Gaucquier, Alard Dunoyer
du 143,
Gaude, Theodor 143,
Gaudentius 143,.
Gaudi 144,
Gaudimel s. Goudimel 144.
Gaudio, Antonio del 144.
Gaudio del Mels, Goudimel
144,
Gaultier, Abbö Alois Edou-
ard 144,
Gaultier, Pierre 144.
Gaumentou s. Kchlton 144.
Gaus, Karoline 144,
Gauspeck, Giuseppe 145.
Gauther5t, Louise geb. Des-
charaps 145.
Gauthier, Gabriel 145,
Gauthier, Pierre 145,
Gautier, Denis 145.
Gautier, Denis 146,
Gautier, Jacques 145,
Gautier, Jean Andrö 145.
Gautier, Jean Franpois
Eug&ne 145,
Gauzargues, Abbö Charles
146,
Gavassi, Giaeomo 146.
Gavaudan, Jean Baptiste
Sauveur 146,
Gavaudan, Jeanne geb.Du-
camel 146.
Gavaudan, Mlle., verheira-
thete Lainez 147,
Gavaudan, Mlle., genannt
Spinette 147,
Gavaudan, Erailie, verh.
Gaveaux 147,
Gaveaux, Pierre 147.
Gaveaux, Emilie 147.
Gaveaux, Simon 147.
Gavinids, Pierre 147.
Gavotte 148.
Gawet s. Saal Seite 149.
Gawler 149.
Gawthorn, Nathaniel 149.
Gay 149.
Gäyatri 149.
Gaye, Henri Ic 149,
Gaye, Jean 149,
Gaver, Johann joseph Georg
150.
Gayl, Johann Conrad 150,
Gazcachweller s. Crescendo-
zug 150.
Gazon, IjouIsc Rosalie du
s. Dugazon 150.
Gazzaniga, Giuseppe 150,
Gazzotti, liorenzo 150,
G-dur 150.
Ge 153.
Gebauer 153.
Gebauer, MichclJoseph 153.
Gebauer, Fran^oisRi^nö 153.
Gebauer, Pierre Paul 153.
Gebauer, Etienne Fran^ois
153,
Gebaucr, Franz Xaver 153.
Gebel, Georg 154.
Gebel, Georg jun. 1.54.
Gebel, Georg Sigismund
154.
Gebel, Franz Xaver 154.
Gebhard, Johann Gottfried
155.
Gebhard, Karl Maria Franz
155.
Gebhardi,LudwigErnst 155.
Gebhart, Anton 155.
Gebläse s. Orgel 155.
Gebohrte Windlade 155.
Gebrochene Accorde 156.
Gebrochene Arbeit 156.
Gebrochenes Ciavier 156,
Gebrochener oder gekröpf-
ter Kanal 156.
Gebrochene Octave s. Orgel
156,
Gebrochene Parallelen oder
Schleifen 156.
Gebrochene Register 156.
Gebrochene Wellen 156.
Gebunden 156.
Gebundenes Ciavier 156.
Gebundene Dissonanz 156.
Gebundene Sehreibart 157.
Gebundene Violine 157.
Gedackt 157.
Gedaektbass 168.
GedaeUtflöte 158.
Gedacktflötenchormaas od.
Unterchormaas 158.
Gedackt-Pommer 158.
Gedaekt-Quinte 158.
Gcdaekt-Regal s. Regal 158.
Gedämpft 158.
Gedämpft-Regal s. Regal
159.
Gedanke 159.
Gedeckt 161.
Gedoppelte Intervalle s.
Doppelte Intervalle 162,
Gefährte 162.
Gerällig 162,
Gefühl 162.
Gefüllte Note s. Viertelnote
164.
Gegenbewegung s, Bewe-
gung 164,
Gegenfuge 164,
Gegeuharmonie s, Kanon
und Fuge 164.
Gegensatz 161.
Gegittertes B 165.
Gehäkelte Notenschrift s.
Note, Neume und Noten-
schrift 165.
Gehe, Eduard Heinrieh 165,
Gehend 165.
Gehirne, Pranz 165,
Verzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
553
Gehör Seite 165.
Gehörbildung 169.
Gehörenipfindung' 169.
Gehörquinten s. Ohren-
quiuten 169.
Gehörquinten s. Fortsehrei-
tung 169.
Gehot, John 169.
Gehra.JohannHeinrieh 170.
Gehra, Johann Gottlieb 170.
Gehring, Franz 170.
Gehring, Johann Michael
170.
Gehring, Johann Wilhelm
170.
Gehring, Ludwig 170.
Gehse s. Walker 170.
Geibel, Friedrich 170.
Geibel, Konrad 170.
Geier, Martin 171.
Geige 171.
Geigenbogen s. Bogen 171.
Geigenclavicymbel s. Bo-
genclavier 171.
Geigenclavier s. Bogencla-
vier 171.
Geigenharz s. Colophonium
171.
Geigeninstrument s. Geige
und Streichinstrument
171.
Geigenprincipal 171.
Geigenregal 171.
Geigenwerk, nürnberg'sches
s. Gambenwerk 171.
Geiger, Joseph 173.
Geiger, Constanze 172.
Geiger oder Jäger, Konrad
172.
Geigerkönig s. König der
Geiger 172.
Geijer, Erik Gustaf 172.
Geissler, Johann Gottlieb
172.
Geissler, Karl 172.
Geist; geistreich; geistvoll
173.
Geistliche Musik ) s. Kir-
Geistliches Lied S chen-
musik, Kirchengesang u.
Lied 174.
Geistreich s. Geist 174.
Gekröpfte Pfeifen 175.
Gekünstelt 175.
Gelais, Merlin oder Mellin
de St. 176.
Gelasius I. 175.
Geleitsmann, Anton 175.
Gelenke s. Tactglied 175.
Gelinde Gedackt 175.
Gelinek, Hermann Anton,
genannt Cervetti 175.
Gelinek, Johann 176.
Gelinek, Abt Joseph 176.
Geltende Noten 176.
Gellius, Aulus 176.
Geltung der Noteu und
Pausen 176.
Geltungsstriche oder Gel-
tungsrippen 177.
Geizmann, Wolfgang 177.
Gemälde, musikalisches s.
Tonmalerei 177.
Gemein 177.
Gemeiner Contrapunkt 177.
Gemengter Contrapunkt
»■ 178.
Gemengtes Metrum 178.
Geminatae s. Solmisation
178.
Geminiani, Francesco 178.
Gemischtes Metrum 178,
Gemischte Stimmen 179.
Gemraingen, Eberhard
Friedrich Freiherr von
179.
Gemshorn 179.
Gemshornquinte Seite 180.
Gemünder, Georg 180.
Gemüth 180.
Genast, Eduard Franz 180.
Geuder, 181.
Genee, Johann Friedrieh
181.
Geni^e, Kichard 181.
Genera densa s. Genera
spissa 182.
Generalbass 182.
Geueralbassschrift s. Bezif-
ferung 183.
Generalbasssehule s. Gene-
ralbass 183.
Generalbassspiel s. General-
bass 183.
Generalbassstimme s.Orgel-
stimme 183.
Generali, Pietro 183.
General-Musikdirektor 184.
Generalpause 184.
Generalprobe 184.
Generalventil 184.
Genera spissa oder densa
184.
Generoso 184.
Genet, Eliazar oder Elziar
184.
Gengenbaeh, Nicolaus 185.
Genie; genial 186.
Genitscha, Iwan 188.
Genlis, Stephanie Fölicitö
Ducrest de Saiut Aubin,
Marquise von Sellery,
Gräfin von 188.
Genoves, Tommaso 189,
Genre 189.
Genst, Auguste de 189.
Gentile 189.
Gentili, Giorgio 189.
Gentili, Serafino 189.
Genus 189.
Genus chromaticura I
Genus diatonicum > s,
Genus cnliarmonicumJ
Klanggeschlecht 190.
Genus inflatile 190.
Genus percussibile 190.
Genus rarum 190.
Genus syntonum 190.
Genus tensile 190.
Genus isou 190.
Genus diplasion 190.
Geometrische Theilung 190.
Georg V., FriedrichAlexan-
der, Exkönig' von Han-
nover 190.
Georg, Markgraf von Bran-
denburg 190.
Georg, Joseph 191.
Georg, Sebastian 191.
Georg, Paul 191.
Georges s. Saint Georges
191.
Georgi,JohannGottliebl91.
Gerade Bewegung 191.
Gerade oder geradfüssige
Stimmen 191.
Gerader Takt, gerade Takt-
arten B. Takt 191.
Görard, Henri Philippe 191.
Gerardini, Arcangelo 191.
Geraubtes Zeitmaas 191.
Geräusch 191.
Gerber, Christian 192.
Gerber, Heinrich Nicolaus
192.
Gerber, Ernst Ludwig 192.
Gerber, Karl 193.
Gerbert von Hornau, Mar-
tin 193.
Gerdy, P. N. 194.
Gerhard 194.
Gerhard, Jacob 194.
Gerhard, Johann Heinrieh
194.
Gerhard, Justin Ehrenfried
Seite 194.
Gerhard, Wilhelm 194.
Gerhard, Livia 194.
Gerissene Zunge 195.
Gerke 195.
Gerke, Anton 195.
Gerke, August 195.
Gerke, Otto 195.
Gerl oder Görl, Franz 195.
Gerl oderGerle, Konrad 195.
Gerl, Hans 195.
Gerl, Hans jun. 195.
Gerlaeh, Leocadie geb.
Bergnehr 195.
Gerlande oder Garlande,
Jean de 196.
, Gerli, Giuseppe 196.
Germain, Sophie 196.
Germanen, Germanische
Musik 196.
Gern, Johann Georg 205.
Gern, Michael 205.
Gernadieh 205.
Gernlein 205.
Gernsheim, Friedrich 205.
Gero, Giovanni de 206.
Geroni, Christoph 207.
Gerosi 207.
Gersbach, Anton 207.
Gersbaoh, Joseph 207.
Gerson, Jean de 208.
Gerson, Nicolaus 208.
Gerstäcker, Friedrich 208.
Gerstel, Heinrich Wilhelm
209.
Gerstenberg, J. D. 209.
Gerstenbüttel, Joachim 209.
Gervaesius 209.
Gervais 209.
Gervais, Claude 210.
Gervais, Charles Hubert
210.
Gervais, Laurent 210.
Gervais, Pierre Noel 210.
Gervasi, Luigi 210.
Gervasoni, Carlo 210.
Gervinus, Georg Gottfried
211.
Ges 212.
Gesang-212.
Gesangbuch 224.
Gesanglehre 236.
Gesanglehrer s. Singlehrer
226.
Gesanglichter 226.
Gesangmethode s. Gesang
226.
Gesangsehule s. Singsehnle
226.
Gesangübungeu oder Sing-
übungeu s. Solfeggien
226.
Gesaugton s. Voealton 226.
Gesangverein s. Siugvereiu
226.
Geschichte der Musik s.
Musikgeschichte 226.
Geschlecht s. Gattung, Ge-
nus, Klang- und Tonge-
schlecht 226.
Geschleift 226.
Geschleifter Doppelschlag
s. Doppelschlag 226.
Geschlossener Kanon s.
Kanon 226.
Geschnellter Doppelschlag
s. Doppelschlag 226.
Geschmack 226.
Geschränkte oder ge-
schweifte Wellen s. ge-
brochene Wellen 227.
Geschwänzt s. gestrichen
227.
Ges-Dur 227.
Gese, Bartholomäus s. Ge-
sius 227.
GesellschaftstänzeSeite227.
Gesicht der Orgel s. Orgel-
front 227.
Gesiohtspfeifen s. Front-
pfeifeu 227.
Gesius, Bartholomäus 227.
Geslin, Filippo Marc-Anto-
nio 227.
Ges-Moll 227.
Gessinger, Georg Martin
227.
Gessner, Johann Matthias
228.
Gestewitz, Friedrich Chri-
stoph 228.
Gestohlenes Zeitmaass s.
Tempo rubato 228.
Gestrichen s. Notensclirift
und Tabulatur 228.
Gesualdo, Carlo 228.
Getheilt 228.
Getheiltes Accompagne-
ment 228.
Getheilte Violinen s. Divisi
229.
Getragen s. Appoggiato
239.
Getragene Zunge s. Pauke
und Zunge 229.
Getrennte Bewegung 229.
Gevaert, Fraufois Auguste
229.
Gewandhausconcert 232.
Geyer, Flodoard 232.
Geyer, Johann Egidius 333.
Geyer, Johann Ludwig 233.
Gezwungen 233.
Gherardesea, Filippo 234.
Gherardeschi, Giuseppe 235.
Gherardi, Blasio 235.
Gherardo, Pietro Paolo 235. •
Gherasch 235.
Gherasohaim 235.
Gheresch 236.
Ghersem, Gaugeric de 236.
Ghezzi, Ippolito 236.
Ghinassi, Stefano 236.
Ghiretti, Gasparo 236.
Ghiribizzo s. Capriccio 236.
Ghiselin oder Ghiselain,
Jean 236.
Ghisvaglio, Girolamo 237.
Ghizzola, Giovanni 237.
Gholam Rusul 237.
Ghro, Johann 237.
Ghuza 237.
Ghys, Joseph 237.
Ghys, Henri 237.
Gi 237.
Giaccio, Girolamo 237.
Giacobbi, Girolamo 237.
Giacomelli, Geminiano238.
Giacomelli, Giuseppe 238.
Giacomelli, Genevi&ve So-
phie geb. BüU 238.
Giacomini, Bernardino238.
Giai, G. A. 238.
Gialdini, Luigi 238.
Giamberti, Giuseppe 239.
Gianella, Luigi 239.
Gianelli, Abbate Pietro 239.
Gianettini, Antonio 239.
Giangiacomo, Perino 239.
Gianotti, Pietro 239.
Giansetti, Giovanni Bat-
tista 240.
Giardini, Feiice 240.
Giardini, Violenta geb.
Vestris 241.
Giardiuieri 241.
Giarnovichi s. Giornoviohi
241.
Gibbons 241.
Gibbons, Roland 211.
Gilibons, Christophor 241.
Gibbons, Edward 241.
Gibbons, Ellis 241.
554
Yerzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
Gibel, Otto Seite 243.
Gibelll, Lorenzo 242.
Gibellini, Eliseo 242.
Gibcllini, Girolatno 242.
Gibellini, Nicola 242.
Gibert, Paul Cesar 242.
Giboui, Gilbert 212.
Gibson, Edward 242.
Gide, Casimir 243.
Giehne, Heinrieh 243.
Giese, Theophil Christian
243.
Giesskannenknorpcl ».
Kehlkopf 243.
Giesslade 243.
Giga s. Gigue 243.
Gigault, Niclas 243.
Gigli, Giulio 243.
Gigli, Tommaso 243.
Gigli, GiovanniUattista 243.
Gigue auch Gi(iue243.
Gil 245.
Gil, Francisco d'Assisi 245.
Gilbort, Alfons 245.
Gilbert, Marie 245.
(iilbertus 245.
Giles, Nathaniel 245.
Gillern, Hugo von s. Krü-
ger 245.
Gilles, Henry Noel 245.
Gilles, Jean 246.
Gimeno, Giovachino 246.
Ginestet, l'rosper de 246.
Ginestet, Emil de 24G.
Ginglarus s. Flöte 246.
Gingria oder Gingras 246.
Gingriua 246.
Ginguen(5, Pierre Louis 246.
Gini, GiovanniAntonio 247.
Ginistet, Prosper de s. Gi-
nestet 247.
Giocoudo 247.
(Jiocoudaniente 247.
Gioeondezza 247.
Gioconditä 247.
Giocoso oder Giojoso 247.
Gioja, Gaetano 247.
Giordani, Antonio 247.
Giordani. Giacomo 247.
Giordiui, Giuseppe 247.
Giorgetti, Ferdinande 248.
Giorgi, Filippo 248.
Giorgi, Giovanni 248.
Giorgio, Giuseppe 248.
Giornovichi, Giovanni
Mane, genannt Jaruovich
248.
Giovanelli, Rugiero 24».
Gippenbusch, Jacob 250.
Giquc s. Gigue 250.
Giraffe 250.
Giraldus Cambrensis, Syl
vester 250.
Giranek, Anton 250.
(iirard 250.
Girard, Philippe Henri de
250.
Girard, Narcisse 250.
Giraud, Fran9oi3 Joseph
251.
Girbcrt, Christoph Heinrieh
251.
Girelli, Sautino 251.
(Hrkeh oder Girkah 251.
Girolamo di Navarra 251.
Girolamo da Monte del
Olmo 251.
Girolamo da Udine 251.
Giroust, Kranpois 252.
Girschner, Karl 252.
Gis 252.
Gis-Dur 252.
Gis-moll 252.
(iith 253.
(ihithith 253.
(iiti oder Udgätha 253.
Gitter, Joseph 253.
Giubilei, Pater Andrea Seite
253.
Giubilo 253.
Giubiloso 253.
Giucante oder giuchevole
253.
Giudetti, Giovanni 253.
Giuglini, Antonio 264.
Giuliani 254.
Giuliani, Antonio 254.
Giuliani, Cecilia, geb. Bi-
anchi 254.
Giuliani, Francesco 254.
Giuliani, Francesco 254.
(iiuliani, Mauro 255.
Giuliauo Tiburtino 255.
Giuliui, Andreas 255.
Giusti, Maria s. Bulgarclli
255.
Giustiani 255.
Giustini, Lodovico 255.
Giusti Komania, Maria 255.
Giusto 255.
Gizzi, Doraenico 255.
Gizziello s. Conti 250.
Giusto, Paolo 256.
Gläser, Franz 250.
Gläser, K.irl Ludwig Trau-
gott 256.
Glaser, Karl Gotthelf 257.
Gläser, Michael 257.
Glanncr, Kaspar 257.
Glanz, Georg 257.
Glaphyros 257.
Glarean, Heinrich 257.
Glas 258.
Glasehord 259.
Glasenap, Joachim von 259.
(ilaser, Johann Adam 259.
Glaser, JohannMioliacl 259.
Glaser, Konrad 200.
Glasspiel 260.
Glasstabharmonica 280.
Glaucus 2G0.
Gleieii, Ferdinand 260.
Glcichauf, Franz Xaver 260.
Gleichen, Andreas 261.
Gleicher Contrapuukt 261.
Gleichheit der Stimme 261.
Gleichmann, Johann An-
dreas 261.
Gloichmann, Johann Georg
261.
Gleiehschwebend, gleich
schwebende Temperatur
s. Temperatur 261.
Gleichzeitige Bewegung s
Bewegung 261.
Gleissner, Franz 261.
Glcitsmann, Anton s. Ge^
leitsmann 262.
Gleitsmann, Paul 261.
(ilettinger, Johann 262.
Glettle, Johann Melchior
262.
Glied- oder (Jliedtheilac
cent s. Accent 262.
Glieder oder Taetglieder
262.
Glimes, Jean Baptistc Jules
de 262.
Glinka, Michael von 263.
Gliro, Giovanni Francesco
263.
Gliss, Johannes 263.
(ilissando 263.
Glissato 263.
Glissicando 263.
Glissieato 263.
(iloeken 263.
tflockencyrabcl 266.
Glockengut, Glockenspeise
oder Glockenmctall 266.
Glockcnschlag s. Glöeklcin
267.
Glockenspiel 267.
Glockeuton 267,
Glockenwngen oder Fah-
nenwagen Seite 267,
Glöekcben 268.
Glöckleinton oder Glooken-
ton 268.
Glöggl, Franz Xaver 268.
G lösch, Karl Wilhelm 269.
Gloria 269.
Glottis 269.
Glower, Stephen 269.
Glowatz, Heinrich 269.
Gloy, JohannChristoph 269.
Gluck, Christoph Willibald
Ritter von 270.
Gluck, Marie Anna 279,
Glück, Johann 280.
(ilück, Johann Ludwig
Friedrich 280.
Glycaeus, Joannes 280.
Glycibaritou 280.
G-moll 280.
Gnaccare 282.
Gnecco, l'^rancesco 282.
(incsippos 282.
Gnocchi, Giovanni Battista
282.
(iobatti, Stefano 292.
Gobdas 283.
Gobcrt, Thomas 283.
(Jockei, August 283.
Goclenius, Rudolph 283.
Goddard, Arabella 283.
(ioduau, Antoine 284.
Godecbarle, Eugene Charles
Jean 284.
Godecbarle, Lambert Fran-
f!0is 284.
Godecharle.Joseph Antoine
284.
Godecharle, Louis Joseph
Melchior 284.
Godefroid 284.
Godefroid, F^licien 284.
Godefroid, Jules.Tosoph 285.
Godendag oder Godendach
285.
Godfrey, Daniel 285.
God savo the king 285.
Göbel, Johann Ferdinand
285.
Göbel, Karl 285.
Göpel, Johann Andreas 285
(iöpfert, Karl Andreas 286.
Göpfert, Karl Gottlieb 286.
Göpfert, Johann Gottlieb
286.
Görl, Franz s. Gcrl 287.
Görmar, Christian August
287.
Görner, Johann Valentin
287.
Göroldt, Johann Heinrich
287.
Görrah 287.
tiörres, Jacob Joseph 287.
Goes, Damiaö de 287.
Goethe, Walther Wolfgang
von 288.
Götting, Heinrich 288.
Götting, Valentin 288.
Göttle, Johann Melchior
288.
Götz, Franz 288.
Götz, Hermann 288.
Götz, Franz 288.
Götze, Georg Heinrich 289.
(;ötze,JohannMelehior 289.
Götze, Johann Nicolas
Konrad 289.
Götze, Karl 290.
Götze, Nicolaus 290.
(iöt/.el, Franz Joseph 290.
Göz 290.
(ioffner, Johann 290.
Gogavin, Anton Hermann
290.
Goguet, Antoine Yves 290.
Gola s. Halsstimme Seite
290.
Gold, Leonhard 290.
Goldast, Melchior genannt
von Heimingsfeld 291.
Goldbach, Christian 291.
Goldbeek, Robert 291.
(Joldberg 291.
Golde, Johann Gottfried
292.
Golde, Joseph 292.
Golde, Adolph 292.
Goldhorn, Johann David
292.
Goldiugham, John 292.
Goldmark, Karl 292.
Goldner, Auguste von s.
Krüger - Aschenbrenner
293.
Goldschad, Gotthilf Konrad
293.
Goldschmidt, Adalbert von
293.
Goldsehmidt, Jenny s.Liud
293.
Goldschmidt, Otto 293.
Goldschniidt, Sigismund
294.
Goldwin oderGolding.John
294.
Golen, Johann 294.
Gollcr, Martin 294.
(iollmcrt, August Wilhelm
294.
Gollmiok, Friedrieh Karl
295.
Gollmick, Karl 295.
Goltermann, Georg Eduard
296.
Goltermann, Louis 296.
(iomant, Abbe 296.
(ioniart, Charles Marie Ga-
briel 296.
Gombert, Jean 296.
Gombert, Nicolas 296.
Gomes, A. Carlos 297.
Gomes, Joao 297.
Gomes da Silva, Albrecht
Joseph 297.
Gomis, JosephMelchior 297.
Gomolka, Nicolas 299.
Gompertz, Karoline geb.
Bettelheim 299.
Gonella, Giuseppe 209.
Gonet, ValiSrien 299.
Gonetti, Vittorio 300.
Gonfalonc 300.
Gong 300.
(Jonsalvcs, Joäo 301.
Günstaisi 301.
Gonthier, Rose geb. Carpen-
tier 302.
Gonzales, Antonio 302.
Goodban, Thomas 302.
Goodgroome, John 302.
Goodman, John 302,
Goodson, Richard 302.
Goodson, Richard jun. 302.
(ioodwin 302.
(Jooldwin, John s. Cioldwin
302.
Gopi-.jandar 302.
Gorczycki,Abb6Gregor303.
Gorczynski, Johann Ale.xan-
der genannt de Gorczin
303.
Gordigiani, Giovanni Bat-
tista 303.
Gordigiani, Antonio .303.
Gordigiani, Luigi 303.
Gordon, William 303.
Gore, Katharina geb. Fran-
cis 303.
Gore, Arthur 304.
Gorgon 304.
Gorgheggiare 304.
Gorgheggiamento 304.
Verzeicliniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
555
Gori, Antonio Francesco
Seite 304.
Goria, Alexandre Edouard
304.
Gorlier, Simon 304.
Goronczkiewicz, Vincent
304.
Gorzani, Giaeomo 304.
Gosba 304.
Gosse, le Maistre 304.
Gosse, Etienne 306.
Gossec, Fran(?ois Joseph
305.
Gosselin, Jean 306.
Gosscr 306.
Gossraann, Johanna Chri-
stiana geb. Weinzierl 306.
Gosson, Stephan 307.
Gostena, Giovanni Battista
dolla 307.
Gostling, William 307.
Goswin, Anton 307.
Gotter, Friedrich Wilhelm
307.
Gottfried von Nifen 307.
Gottfried von Strassburg
308.
Gotthard, J. F., Pazdirek
genannt 308.
Gotthold, Friedrich August
308.
Gottiero, Giovanni Vin-
cenzo 308.
Gottling, Elias 309.
Gottschaldt, Johann Jacob
309.
Gottsehalg, Alexander Wil-
helm 309.
Gottschalk, Louis Moritz
309.
Gottschalk, Clara 309.
Gottsched, Johann Chri-
stoph 309.
Gottsched, Louise Adel-
gnnde Victoria geb. Cul-
mus 310.
Gotschovius, Nicolas 310.
Gottwald, Heinrich 310.
Gottwald, Joseph 311.
Gottwalt, J. 311.
Goubillet, Andr6 311.
Goudar, Auge 311.
Goudar, Sara 311.
Goudimel, Claude 311.
Gouet 312.
Gougelet, Pierre Marie 312.
Gough, John 312.
Goujet, Abbö 313.
Goulet 313.
Goulin, Pierre 313.
Gounod, Charles FrauQois
313.
Goupillet, Andr6 316.
Gournav, B. C. 316.
Goussu, Robert 316.
Goust, Jean de 316.
Gouvy, Theodor 317.
Gouy, Jean de 317.
Gow, Neil 317.
Gowa, Albert 317.
Grabau, Henriette Eleonore
318.
Grabau, JohannAndrea8318.
Grabe 318.
Grabeier, Peter 318.
Grabea-Hoffmann, Gustav
318.
Grabowska, Clementine
Gräfin von 319.
Grabowski, Stanislaus 319.
Grabut, Louis 319.
Gracieux 319.
Gradation 319.
Gradehand, Friedrich 320.
Gradenigo, Giovanni 320.
Grade der Verwandsohaft
s. Verwandschaft 320.
Gradenthaler, Hieronymus
Seite 320.
Gradevole oder gradevol-
mente 320.
Graditamente 320.
Grado 320.
Graduale 320.
Gradus 321.
Gradus ad Parnassum 321.
Gräbuer oder Gräbener 321.
Gräbner, Johann Christoph
321.
Gräbner, Johann Heinrieh
321.
Gräbner, Johann Gottfried
321.
Gräbner, Wilhelm 321.
Grädener, Karl G. P. 321.
Grädener, Herrmann 322.
Graf, Johann 322.
Graf, Maria Magdalena 322.
Gräfe, JohannFriedrieh 322.
Graefenhahn,WolfgangLud-
wig 323.
Graefeuthal 323.
Graefenthal, Johann 323.
Graefeuthal, Georg 323.
Graefenthal, Martin 323.
Graefenthal, Christian 323.
Graefestein, Johann 323.
Graeff, J. G. 323.
GraefFer, Anton 323.
Graefin, Sophia Regina 323.
Graeser, Johann Christoph
Gottfried 333.
Graeser, Johann Friedrich
324.
Grätz, Joseph 324.
Graf, Johann 324.
Graf, Christian Ernst 324.
Graf, Friedrich Hartmann
325,
Graff, Charlotte geb. Bö-
heim s. Böheim 335.
Graft', Conrad 325.
Graft", Johann 326.
Graffigna, Aehille 326.
Graffus, Valentinus 326.
Graffte 326.
Gragnani, Filippo 326.
Graham, George F. 326.
Grahl, Andreas Traugott
326.
Grahl, Friedrich Benjamin
326.
Graichen, Abraham 326.
Graichen, JohannJaoob 327
Grain, du 327.
Grain, Johann du 327.
Grainvillc, Jean Baptiste
Christoph 327.
Gräma-giya-gäna 327.
Gramaye, Johann Baptist
327.
Grammatik der Tonspraehe
musikalische Grammatik
337.
Grammatischer Accent s
Accent 330.
Grammont, Mad. de geh
Renaud d'Allew 330.
Gramont, Henri de 330.
Grams, Anton 330.
Granara, Antonio 330.
Granata, Giovanni Battista
330.
Grancini, Michele Angelo
330.
Grancino oder Granzino 330.
Grancino, Giovanni 330.
Grancino, Paolo 330.
Cirancino, Giovannijun.331
Grancino, Giovanni Bat
tista 331.
Grancino, Francesco 331.
Grand 331.
Grand barrö s,Capotasto331
Grand jeu Seite 330.
Grand, Monsieur le s. Cou
perin und Legrand 331.
Grandfond, Eugene 331.
Grandi, Alessandro 331.
Grandi, Vincenzo 331.
Grandi, Guido 331.
Grandioso 331.
Grandis da Monte Albotto,
Vincenzo s. Grandi 331,
Grandval, Nicolas Ragot de
331.
Graneiro s. Grancino 331.
Granger, James oder John
331.
Grani, Aloisio 332.
Granier, Louis 332.
Granier, Fran(;'ois 333.
Granier, Matthias 332.
Granjou, Robert 332.
Granom 332.
Granzin, Louis 332.
Graphaeus,Hieronymus 332.
Grapp 333.
Gras, Julie Aim<5e geb. Do-
ms s. Dorus 333.
Grasemann, Karl Friedrich
Eduard 333.
Grassbach, Valentin 333.
Grasse, Balthasar 333.
Grasser 333.
Grasset, Jean Jaques 333.
Grasseyement oder parier
gras 333.
Grassi 333.
Grassi, Bernardo Pasqnino
333.
Grassi, Cecilia s. unter Jo-
hann Christian Bach 333.
Grassi, Francesco 333,
Grassi, Luigi 334.
Grassi, Maddalena 334.
Grassine, Francesco Maria
334.
Grassineau, Jacques 334,
Grassini, Giuseppa 334.
Gratia s. Graziani 334,
Grau, H, 334,
Graul, Marcus Heinrich 335.
Graumann, Johann 335.
Graun, Karl Heinrich 335.
Graun, August Friedrich
335.
Graun, August 335.
Graun, Johann Gottlieb 337.
Graun'sche Sylben s. Da
menisation 338.
Gratia, Pietro Nicolö s
Grazia 338.
Graupner, Christoph 338.
Gravc 338,
Grave 339.
Gravc, Johann Jacob 339.
Gravccymbalum 339.
Graves claves oder graves
voces auch gravia loca
339,
Graviealis 339,
Gravina, Domenico 339,
Gravina, Giona Vincenzo
339.
Gravis s. Accentus ecclc-
siasticus 339.
Gravissimus locus 339.
Gravitätische Mensur 339.
Gravitätische Stimmen 339
Gravitätisches Principal
339.
Gravitätische Cymbel 339.
Gravitätisches Gedackt 339.
Gravius, Johann Hierony-
mus 339.
Gravius, Abraham 310.
Gravrand oder Graverand,
Nicolas 340.
Grawe, David Heinrich 340.
Grawunder, Karl 340,
Grazia, Pietro Nicolö Seite
340,
Graziani 340,
Graziani, Bouifacio 340,
Graziani, Nicolö Francesco
341.
Graziani, Tommaso 341,
Grazie s. Anmuth 341.
Grazioli, Domenico 341.
Grazioli, Giovanni Battista
341,
Grazioso 341,
Graziosamente 341,
Greating, Thomas 341,
Greaves, Thomas 341,
Greber, Jacob 341.
Greca, 'Antonio la 3tl.
Greco, Gaetano 341.
Greco, Giovanni 341,
Greef, Wilhelm 342,
Green, James 342,
Green, Samuel 342.
Greene, Maurice 342.
Grefinger,JohanuWolfgang
343.
Greger Federfechter s. Fin-
ckelthaus .343.
Gregor I. oder der Grosse
343.
Gregor, Christian 343.
Gregor oder Gregorius 344.
Gregor, John 344.
Gregor, Peter 344.
Gregor, William 344.
Gregoras, Nicephorus 344.
Gregori, Giovanni Lorenzo
344.
Gregorianische Buchstaben
344.
GregorianischcrGosang344
Gregorio, Annibale 348. •
Gregorius P. 348.
Gregory s. Gregor 348.
Greibe, Ernst FriedrichWil-
helm 348.
Greibe, Maria Theresia geb.
Engst 348.
Greindl, Joseph 348.
Greiner, Johann Karl 349.
Greiner, Hans .349.
Greiner.JohannMartial 349,
Greiner, Johann Theodor
349,
Greininger, Augustin 349.
Greisen, Albert 349.
Greiter, Matthias 350.
Greith, Karl 350.
Grell 351.
Grell, Eduard August 351.
Grell, Joseph 352.
Grell, Joseph Ephraim 353.
Gren, Jonas 353.
Grenerin, Henri 353.
Grenet 353.
Grenet, Claude de 353.
Greniö, Gabriel Joseph 353.
Grenier 353.
Grenier, Gabriel 353.
Grenser 3.53.
Grenser, Karl Augustiu 353.
Grenser, Heinrich 353.
Grenser, Johann Friedrich
353.
Grenser, Johann Heinrich
Wilhelm 353.
Grenser, Heinrich Otto 354.
Grenser, Augustin 354.
Grenser, Karl August 354.
Grenser, Friedrich August
354.
(Jreuser, Friedrich Wilhelm
354.
Grenzbach, Ernst 354.
Grcsemund, Theodor 354.
Gresham, Sir Thomas 354.
Gresham'schesCollcgium s.
Gresham 355.
556
Verzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
Gresnick, Antoine Frödörie
Seite 355.
Gresset, Jean BaptisteLouis
de 355.
Grassier, FriedrichSalomon
355.
Gressler, Franz Albert 355.
GriStry, Andr(5 Ernest Mo-
deste 356.
Gr(5try, Lueilo 357.
Gretseh 357.
Gretschmar, Johann s.
Kretsehmar 357.
Greulich, Adolph 357.
Greulich, Karl Wilhelm
358.
Grejtter, Matthias s. Greiter
358.
Griebel 358.
(iriebel, Johann Heinrich
358.
Grirbcl, Heinrich 358.
Griebel, Julius 358.
Griebel, Ferdinand 359.
Griechische Musik 359.
Griechische Tonarten K
Griechische Instrumente/
Griechische Musik 380.
t irieg, Edward 380.
Grieningcr, Augustin 3S1.
Griencnvvald, N. auch Grü-
newald 381.
Griepenkerl,Friedrich Kon-
rad 381.
Griepenkerl, Wolfgaug Ro-
bert 381.
Griesinger, Georg August
382
Griessling, J. C. 382.
Griestopf, Ulrich 382.
GrifT 382.
Griffbrett 382.
Grifft, Orazio 384.
Griffln, Georg Charles SS-t.
Griffino, Giacomo 384.
Grifflöcher 384.
Grifoni, Antonio 384.
Grigny, N. de 384.
Grill, Franz 384.
Grillo, Giovanni Battista
384.
Grillo, Nicolö 384.
Grimaldi 384.
Grimaldi, Francesco An-
tonio 3S4.
Grimaldi, Ritter Nicolini
384.
Grimaldi, Giovanni Pietro
384.
Grimaldi, LuigidellePietra
385.
Grimarest, Jean Leonard le
Gallois s. Gallois 385.
Grimbaldus 385.
Grimm, Friedrich Melchior
Baron von 385.
Grimm, Heinrich 386.
Grimm, Johann Friedrich
Karl 386.
Grimm, Julius Otto 386.
Grimm, Karl 3S6.
Grimm, Karl Constantin
Louis 386.
Grimmer, Franz 386.
Grisar, Albert 387.
Grisi, Giuditta 387.
Grisi, Giulia 387.
Grisi, Ernestina 388.
Grisippos 388.
Grob 388.
Grobgedaekt 389.
Groblicz, A. 389.
Groblicz, Mar. 389.
Grobstimme 389.
Grobstimme, Heinrich s.
Baryphonus 389.
Gröbenschütz, J. 389.
Gröbenschiitz, Amalie geb.]
Seiler Seite 389.
Gröbenschütz, Felix 389
Gröhcn s. Grob 3S9.
Groene, Anton Heinrich
389. !
(irocucniann, Albert 389.
Grocnemann, JohannFried-
rich 390.
Groenevolt 390.
Grönland, Johann Friedrich
390.
Grob 390.
Grob, Heinrich 390.
Grob, Johann 390.
Grohniann, Johann Chri-
stian 390.
Groidl, Karl 390.
Groll, Evcrmodus 390.
Groos, Karl August 391.
Groot, David Eduard de
391.
Groot, Adolph de 391.
(Jroppctto oder Gruppetto
s. Doppelschlag 391.
Groppo oder Gruppo 391.
Gros, Antoine Jean 391.
Gros, Joseph le s. Legros
391.
Grose, Michael Ehregott
391.
Gros-fa 392.
Grosheim, Georg Christoph
392.
Grosicr, Abb^ Jean Bap-
tiste Gabriel Alexandre
393.
Grosjean, Jean Romary 393.
Groslcy, Pierre Jean 393.
Gross 393.
Gross, Benedict Franz 395.
Gross, Ferdinand 395.
Gross 396.
Gross, Johann Gottlieb 396.
Gross, Friedrich August
396.
Gross, Heinrich 396.
Gross, Georg August 396.
Gross, Johann Benjamin
396.
Gross, Peter 397.
Grossartig, Grossartigkeit
397.
Gross -Bassflöte s. Flöte ä
bee 397.
Grossbritannien. Musik in
England 397.
Gross - Contrabassgeige s.
Contrabass 411.
Gross-Gedacktbass 411.
Gross-Hohlflöte 411.
Gross-Mixtur 411.
Gross-Octav 411.
Gross-Principal 411.
Gross-Quinte 411.
Gross-Regal 411
Gross-Schwiegel 411.
Grüss-Uutersatz 411.
Grosse 411.
Grosse, Bernhard Sebastian
411.
Grosse, Gottfried 411.
Grosse, Johann 412.
Grosse, Johann F. 412.
Grosse, Johann Heinrich
412.
Grosse,
412.
Grosse,
412.
Grosse Cadenz s. Ganz-
schluss 412.
Grosse Diesis 412.
Grosse üctave 412.
Grosse Secunde 412.
Grosse Septime 412.
Grosse Sexte 413.
Johann Wilhelm
Samuel Dietrich
Grosse Terz Seite 413.
Grosse Tonart 413.
Grosser Basspommer 413.
Grosser Drciklang s. Drei-
klang 413.
Grosser (ianzton 413.
Grosser Halbton 414.
Grosser, Henriette 414.
Grosser, Joseph Aloys 414.
Grosser, .Tohann Emanucl
414.
Grosses Hallelujah 414.
(Jrosses Limma 415.
Grosses Orchester 415.
Grossi 415.
Grossi, Andrea 415.
Grossi, AntonioAlfonso 41,').
Grossi, Carlo 415.
Grossi, Giovanni Francesco
415.
Grossi, Gaetano 415.
Grossi, Rosalinde 415.
(irossi, Gennaro 415.
(irossmaun 416.
Grossmann, Burkhard 416.
Grossmann, Johann Franz
416.
Grossmann, Friederike 416.
Grosthead, Robert 416.
Grotekord, Elias 416.
Grotesk 416.
Grothe, Heinrich 416.
GrotiuSjHugo oder deGroot
416.
Grotte, Nicolas de la 416
Grotz, Dionys 417.
Grua, Gasparo 417.
Grua, Karl Louis Peter
417.
Grua, Franz Paul 417.
Grua, Wilhelm 417.
Grube, Hermann 417.
Gruber, Benno 417.
Gruber, Erasmus 417.
Gruber, Hans 417.
Gruber, Georg Wilhelm4l7.
Gruber, Franz 417.
Gruber, Franz jun. 418.
Gruber, (teorg Wilhelm 41S.
Gruber, Johann Siegmund
418.
Gruber,
419.
Gruber, Karl Anton Edler
von Grubenfels 419.
Grüel, Eugen 419.
G rüger, Joseph 419.
Grünbaum, Johann Chri-
stoph 420.
Grünbaum, Therese geb.
Müller 420.
Grünbaura, Karoline 420.
Grünberg, Gottlieb 421.
Grünbergcr, Theodor 421.
Gründig, Christoph Gottlob
421.
Grüneberg, JohannWilhelm
421.
Grünewald, Karl Heinrich
421.
Grüninger, Erasmus 421,
Grünwald 421.
Grüuwald, Adolph 421.
Grützmacher,Friedrich421.
Grützmacher, Leopold 422.
Grund 422.
Grund, Christian 422.
Grund, Eustach 422.
Grund, Elisabeth 423.
Grund, Friedrich Wilhelm
423.
Grund, Eduard 423.
Grundabsatz s. Absatz 423.
Grundaccord 423.
Grundbass 423.
Grundharmonie s. Grund-
accord 424.
Johann Gottfried
Orundig. Johann Zacharias
Seite 424.
Grundig, C'hristophGottlob
s. Gründig 424.
Grundke, Johann Kaspar
424.
Grundmann, Jacob Fried-
rich 424.
Grundnote 424.
Grundstaramaccord s.
Grundaccord 424.
Gruudstirameu 424.
Grundton 425.
Grundtonart s. Hauptton-
art 425.
Grund- oder Radicalvcr-
hältnisse 425.
Grüner, Johann August 125.
Grüner, Joseph 425.
Gruner.NathanaelGottfried
425.
Gruppetto s. Groppetto 426.
Gruppo s. Groppo 426.
Grutseh, Franz Seraph 426.
Gryphius, Andreas, eigent-
lich Greif 426.
Gryphius, Christian 426.
G-Sehlüsscl 426.
G-sol-re-ut 427.
Guadagni, Gaetano 428.
Guadagnini, I.orcnzo 428.
Guadagnini, Giovanni Bat-
tista 428.
Guadet, J. 428.
Guaitoli, Francesco Maria
428.
Gualtieri, Antonio 428.
Guami, Giuseppe 428.
Guami, Francesco 428.
Guarache 429.
Guaranita oderGuarana429.
Guardasoni, Domenico 429.
Guarducci, Tommaso 429.
Guarin, Pierre 429.
Guarneri oder Guarnerio
429.
Guarneri,PietroAndrea429.
Guarneri, Pietro 429.
Guarneri, AntonioGiuseppe
430.
Guarnerio, Gugliclmo 430.
Guazzi, Eleuterio 430.
Guazzoni, Federigo 430.
Guck oder Gucky, Valentin
430.
Guddok, Gudok oder Gu-
duk 430.
Gn6, Philippe du 430.
Gu^don des Fresles 430.
Guedron, Pierre 430.
Gueinz, Christian 431.
Gueit, Marius 431.
Guen^e, liUeas 431.
Guenin, Marie Alexandre
431.
Guenin, Hilaire Nicolas 431.
Günther 431.
Günther, F. A. 432.
Günther, Friedrich 432.
Günther, Karl Friedrich
432.
Günther, Konrad 432.
Günzer, Marx 432.
Gu(5rillot, Henri 432.
GuMn, E. 432.
Guörin, Emanucl 432.
Guerini, Francesco 432.
Guöroult 432.
Guöroult, Adolphe 432.
Guerre, Elisabeth de la s.
Lagucrre 432.
Guerrero, Francisco 432.
Guerrero, Pietro 433.
Guerriero 433.
Gürrlich, Joseph Augustin
433.
Guersan 433.
Verzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
557
Guerson,OuillaumeSeite433
(iueston, Nicolas 433.
(iuest, Ealph 133.
Uuest, George 433.
Guest, Jeanne Marie 434,
Guet 434.
(iüttler,JohaunMichael434.
Guetwiilig, Georg' Ludwig
434.
Guevara, Francisoo Vellez
de 434.
Guevara, Pedro de Loyola
434.
Gueymard, Louis 434.
Gueymard, Pauline geb. De-
ligne-Lauters 434.
Gugel, Joseph 434.
Gugel, Heinrich 434.
Guggumos, Gallus 435.
Gugl, Matthäus 435.
Gugl, Georg 435.
Guglielmi, Pietro 435.
Guglielmi, Pietro Carlo 436^
Guglielmi, Giacomo 436. ;
Gnglietti, Domenico 436.
Guhr, Karl Priedrioh Wil-
helm 436.
Guhr, Friedrich Heinrich
Florian 437.
Guhr, Karl Christoph 437.
Gui 437.
Gui, Abb(j von Chalis 437.
Guicciardi, Francesco 437.
Guichard, Abbe Jean Fran-
(^ois 437.
Guichard, Henri 438.
Guiehardt, Daniel 438.
Guida 438.
Guide 438.
Gui d'Auxerre 438.
Guidetti, Giovanni 438.
Guidetti, Giuseppe 438.
Guidi, Giovanni 438.
Guido von Arezzo 438.
Guidon s. Gustos 448.
Guidonius, Joannes 448.
Guidonische Hand s. Guido
von Arezzo 448.
Guidonische oder areti
nische Silben s. Guido
von Arezzo 448.
Guidonisches System s
Guido von Arezzo 448.
Guignon, Jean Pierre 448.
Guillaume de Machau oder
de Maohaut 448.
Guillaume, Edme 448.
Guilliaud, Maximilien 448.
Guillemaiu, Gabriel 448.
Guillet, Charles de 449.
Guillon, de 449.
Guillon, Albert 449.
Guillon, Henri Charles 449.
Guillon, Joseph 449.
Guineo 449.
Guipi 449.
Guiraud, Ernest 449.
Guit 450.
Guitarre 450.
Guitarre d'amour 454.
Guitarrenaufsatz s. Capo-
tasto 455.
Guitarrenharfe 455.
Gukuk s. Cuculus 456,
Guldor,, Ignaz 456.
Guldor, Peter 456,
Gulomy, J. C. 456.
Gumbert, Ferdinand 456.
Gumpel/.haimer, Adam 457.
Gumpenhuber 457.
üumprecht, Utto 457.
Gundelwein, Friedrich 457.
Guugl, Joseph 457.
Gungl, Virginia 458.
Gungl, Johann 458.
Gunii, John 458,
Guun, Anna geb.Young 458.
Gunsterberg,lleinrich Chri-
stian Karl Seite 458.
Guntrum, Karl Friedrich
458.
Guori 458.
Gura 458.
Gura, Eugen 458,
Guracho s. Guaraoho 459.
Gurekhaus, Karl s. Kistuer
459.
Gurgelten 459.
Gurlitt, Cornelius 459.
Guru 459.
Gushahs 459.
Gusjari 459.
Gusikow, Michael Joseph
460.
Gussago, Cesare auch Gus-
saco geschrieben 460.
Gussli oder Gussei 460.
Gusto 461.
Gustoso 461.
G-ut oder Gamma-ut 461.
Guter Takttheil s. Accent
461.
Guth, Johann oder Güthe
461.
Guthmaun, Friedrich 461.
Guthmanu 461.
Guthria, Matthias 461,
Gut-komm 461.
Gutmann, Adolph 462.
Gutmann, Aegidius 462.
Gutturalton s. Kehlton 462.
Guy mit dem Beinamen
Maitre 462.
Guyon, Jean 462.
Guyot, Jean auch Guyoz
geschrieben 462.
Guys, Pierre August 462.
Guzinger, Johann Peter 462.
Gymnopädie 462.
Gyrovvetz, Adalbert 462.
H.
H463,
Haack, Karl 465,
Haack 465.
Haas, Ignaz 465.
Haas, Pater Ildephons 465
Haas, Johann Martin 465,
Haase, Ludwig 466.
Haase, August 466.
Habeueck 466.
Habeueck, FrauQois An-
toine 466.
Habeneck, Joseph 467.
Habeneck, Coreutiu 467.
Habengton, Henry 467,
Haberbier, Ernst 467.
Haberl, Franz Xaver 468.
Habermalz, H. B. K. 468.
Habermann, Franz Johann
468.
Habermaun, Karl 468.
Habermann, Franz Johann
468.
Habermehl, G. 468,
Habert, Johann Evander
468.
Habisreutinger, Columbau
469.
Hachenberg, Paul 469.
Haohmeister, Karl Chri-
stoph 469.
Hacke, Georg Alexander
469.
Hackebrett 469.
Hackel, Anton 470.
Hackenberger s. Haken-
berger 470.
Hacker, Benedict 470.
Hacquardt, Karl 471.
Hadlaub, Meister Johannes
471.
Hadrava oder Hadrawa 471.
Hadrianus, Emanuel
Adrian Seite 471.
Hadrianus Castellensis 471.
Häfl'ner, Johann Christian
Friedrich 471.
Hähnel, Amalie 472.
Hähnel, Jacob s. Gallus
472.
Hähnel, Johann Ernst 472.
Hämmerpautalon oder
Hammerwerk 472.
Hämmling s. Castrat 472.
Händel, Georg Friedrich
472.
Händler, Johann Wolfgang
483.
Hänel oder Hand] s. Gallus
484.
Häner, Ludwig Wilhelm
484.
Häusel, Johann Daniel s.
Hensel 484.
Hänsl, Peter 484.
Häntze, Joseph Simon 484
Härerius oder Herrerius,
Michael 484.
Härlemme, A. G. 484.
Härtel, Benno 484.
Härtel, Dr. Hermann 485.
Härtel, Raimund 485.
Härten 485.
Häser, Johann Georg 485.
Häser, Johann Friedrich
485.
Häser, Karl Georg 485.
Häser, August Ferdinand
485.
Häser, Charlotte 485.
Häser, Heinrich 486.
Häser, Christian Wilhelm
486.
Häser, Mathilde 486.
Häser, Charlotte Henriette
486.
Hässlein 487,
Hässler, Johann Wilhelm
487.
Hässler, Sophie 487,
Hässlich 487.
Häuser, Johann Ernst 488.
Häusler, Ernst 488.
Häute 488.
Hafeneder, Joseph 489,
üafleurefFer, Samuel 489.
Haflner, Johann Ulrich
489.
Hafis-Adschem 489.
Hafner, Karl 489.
Haften oder Häftenus,Bene
dict van 489.
Hagadah 489.
Hagebeer oder Hagelbeer,
Jaeobus Gatus van 489.
Hagemann, Hermann 489.
Hagen, A. vanders.Vauder
hagen 490.
Hagen, Friedrich Heinrich
490.
Hagen, Joachim Bernard
490.
Hagen, Theodor 490,
Hager, Georg 490.
Hagiopolite 490.
Uagiopolites 490.
Hagius, Konrad 490.
Hagius, Johannes 491.
Ilague, Charles 491.
Hahn 491.
Hahn, Albert 191.
Hahn, August 491.
Hahn, Bernhard 492.
Hahn, Georg Joachim Jo-
seph 492.
Hahn, Johann Bernhard
492.
Hahn, Johann Gottfried
492,
Hahn, Theodor Seite 492.
Hahn, Wilhelm 493,
Haibel, Jacob oder Haibl
493.
Haibel, Sophie 493.
Halden s. Heyden 493,
Haigh, Thomas 493,
Haillot 493.
Haindel oder Haindl 493,
Haine, Johann 493.
Haine, Karl 493.
Hainhofer oder Haunhofer,
Philipp 494.
Hainl, Georges Fran^ois
494.
Hainleiu s. Heinlein 494,
Hainzmanu, Johann Chri-
stoph 494,
Haitzinger, Anton 494.
Hakart, Carolo oder Hac-
quart 495.
Hake, Hans 495.
Hakenberger, Andreas 495.
Halb 495,
Halbcadenz s. Cadenz 495.
Halbe, Johann August 495.
Halbe Applicatur s. Mezza
manica 495.
Halbeilig 495.
Halbe Note 495.
Halbe Orgel 495,
Halbe Parallelen 496.
Halbe Pause 496.
Halber Kreis oder Halb-
zirkel 496.
Halber Schlag 496.
Halber Ton, Halbton oder
Semiton 496.
Halbes Cornet oderDiscant-
Cornet 497.
Halbe Stimme oder halbes
Register 497.
Halbfünfton 497.
Halbgedeckte Stimme 498.
Halbinstrument 498.
Halbirte Windlade 498.
Halbmond 498.
Halbpriuclpal 498.
Halbrich-Metall s. Orgel-
metall 498,
Halbschluss oder Halb-
cadenz s. Cadenz 498,
Halbsopran s. Mezzosopran
498.
Halbviolon s. Bass 498.
Halbwerk s. Halbe Orgel
498.
Halbzirkel 498.
Haie s. Adam de la Haie
499.
Haies, Stephan 499.
Halevy, Jacques Elie Fro-
raeutal 499.
Hall, Henry 501.
Hall, Henry jun. 501.
Hall, John 501.
Hall, Samuel 501,
Hall, William 501.
Hallali 501.
Hallay, Mad. du 501,
Halle, Johanu Samuel 502.
llallö, Charles 502.
Hallel 502,
Hallelujah oderAIlelujaSOS.
Haller, Albrecht von 503.
Halljahrodcr Jubeljahr 503,
Halm, Anton 504.
Halma, llilarion Emil 504.
Ualowiu s. Holowin 504,
Halphen, Charles Marie
504.
Hals 504.
Halt s. Fermate 505.
Haltenbergcr 505.
Haltenhoff 505.
Halter, Wilhelm Ferdinand
505.
558
Verzeichniss der im vierten Bande enthaltenen Artikel.
Haltmeier, JohannFriedrieh
Seite 505.
Haltung 505.
Hamaaloth oder Hammaa-
loth 505.
Ilamal, Henri Guillaume
505.
Hamal, Jean Noel 505.
Hamal, Henri 508.
Hamana.Johaan Georg 506.
Hamboys, John 506. '
Harabuch, August Karl 506.
Hamden, Lord 506.
llamel, Eduard 50C.
llamcl, Katharina Josephe
507.
Hamcl, Marie Pierre 507.
Hamerik, Asger 507.
Hamerton, William Henry
507.
Hamilton, J. A. 507.
Hamilton-Bird, William 507.
Hamm, Johann Valentin
507.
Hamma, Fridolin 508.
Hamma, Benjamin 508.
Hamma, Franz 508.
llammaaloth s. Hamaaloth
508.
Hammel, Stephan 508,
Hammer 509.
Hammer, Franz Xaver 510.
Hammer, Georg 510.
Hammer, Kilian 511.
Hammerclavicr s. Piauo-
forte 511.
Uammermeistcr 511.
Hammer-Purgstall, Joseph
Freiherr von 511,
Hammerschmidt Seite 511.
Hammerschmidt, Andreas
511.
Haramig, Friedrich 513.
Hamihoiul, Henry 513.
Hampe, Johann Samuel
513.
Hampel, Anton Joseph 513.
Hampel, Haus 513.
Ilauipeln, Karl von 514.
llan, Gerardo 511.
Hanakisch 514.
Hanard, Martin 514.
Hanburg, William 514.
Hanc, Andreas 514.
Hanck, Johann 514.
Hand oder harmonische
Hand 514.
Hand, Ferdtnand Gotthclf
514.
Handbassl s. Fagottgeige
515.
Handgriffe oder Knöpfe 615.
llandklapperu s. Castag-
netten 515.
Handl s. Gallus 515.
Handleiter oder Handbild-
uer s. Chiroplast 515.
Handlo, Robert de 515.
llandrock, Julius 515.
Handstücke oder Hand-
sachen 515.
Handtasten s. Manual 515.
Handtrommel s. Tambouriu
515.
Hanemann, Moritz 515.
Hanf, Johann Nicolaus 515.
Hangest, llierouymus 515.
Hauisch, Franz 515.
Hanisch, Joseph Seite 516.
Hanisch, W. M. 516.
Hanitsch, Georg Friedrich
516.
Hanke, Karl 516.
Hankel, Anton 516.
Haumüller, Joseph 517.
Haiinibal Pataviuus s.Anni-
bal Patavino 517.
Hanon, Charles Louis 517.
Ilanot, Fran9oi8 517.
Hans 517.
Hansel, Jacob 517.
Hansen, Jan. Fil. 517.
Hansen, Johann I^'icolaus
617.
Hansen, Niels 517.
Hanser, Wilhelm 517.
Hanslick, Eduard 517.
Hausmann, Ferdinand 519.
Hausmann, Otto Friedrich
Gustav 619.
Hansmann, KarlEduard 519.
Hausmann (Frau Schubert;
519.
Hanssens, Charles Louis
Joseph 519.
Hanssens, Charles Louis
(der jüngere) 519.
Haranc, Louis Andre 620.
Haravi 520.
Harbordt, Johann Gottfried
520.
Hard, Johann Daniel 520.
Härder, August 520.
Hardig s. Hartig 521.
Hardouin, Henri 521.
Hardt, Hermann von der
621.
Hardy Seite 521.
Hareuberg, Johann Chri-
stoph 521.
Harfe 521,
Harfenbass oder arpeggirter
Bass 532.
Harfenclavier 532.
Harfenet 532.
Harfenprincipal 532.
Uarfeuregal 532.
Harfensclilüssel 532.
Harfeustimrahammcr b.
Stimmharamcr 532.
Harfeuuhr 532.
Ilarfenzug 533.
Harlass, Helena 533,
llarmatios 533.
Harmodion 533.
Harmonica 533.
Harmonicello 541,
Harmonichord 541.
Ilarmonici oder Harmo-
niker 542.
Harmonicon 542.
Harmonides 543.'
Harmonie 543.
Harmonie der Sphären s.
Sphärenmusik 644.
Harmonieensprung oder
Harmoniespruug 544.
Harmoniefolge 544.
Harnioniefortschreitung s.
Fortschreitung und Har-
mouieschritt 544.
Harmoniefremd 545.
Harmoniefremde Dissonan-
zen 645.
Harmoniegang 545.
Harmonielehre 646.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
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