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Full text of "Musikalisches Conversations-Lexikon. Eine Encyklopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften. Für gebildete aller Stände"

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Brandeis  University 
Library 


Gift  of 

a  Life  meniber  of  the 

National  Women's  Committee 

Brandeis  University 


lusikallsclies 

CONVEßSATIONS-LEXIKON. 

Eine  Enc}  klopädie 

der 

gesatnmten  musikalischen  Wissenschaften. 

Für  Gebildete  aller  Stände, 

unter  Mitwirkung 
der 

fitcrarifificu  fioniuiiffiou  des  Uevtinci"  l'0U^iui|lfcrt)ereiji8, 

sowie 

der  Herren  Musikdir,  C.  Billei't,  Gustos  A.  Dörifel,  Kapellmeister  Prof.  Doru, 
Prof.  G.  Engel,  Direktor  Oevaert,  L.  Hartmann,  Dr.  F.  Hiiffer,  Prof.  F.  W. 
Jahns,  Dr.  W.  Langhans,  Professor  E.  Mach,  Professor  Dr.  E.  Naumann, 
Dr.  Oscar  Paul,  A.  Reissraann,  Prof.  E.  F.  Richter,  Prof.  W.  H.  Riehl, 
Musikdirektor  Dr.  W.  Rust,  Geh.  Eatli  Schlecht,  0.  Tlersch,  Direktor 
L.  Wandelt,  Dr.  H.  Zopff  u.  s.  w.,  u.  s.  w. 

bearbeitet  und  herausgegeben 


von 


Hermann  Mendel. 


Vierter  Band. 


BERLIN, 

Verlag  von  Robert  Oppenheim. 

1874. 


MLiöO 


Fortschreituug. 


1 


Fortsclireitiiug".  (Schluss  des  in  Bd.  III  begonnenen  Art.).  Wie  aus  meinen 
Artikeln:  Auflösung,  Cadeuz,  Consonanz,  Verwandtschaft  der  Klänge 
(s.  d.)  hei-vorgeht,  nehme  ich  zwei  Arten  von  Tonverwandtschaft  an.  Nach  meiner 
Bezeichnung,  die  sich  aber  nur  anderen  Benennungen  anschliesst,  sind  dieses  l.die 
»harmonische  Tonverwandtschaft«,  2.  die  »Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in 
der  Tonhöhe«  (nach  Helmholtz).  Harmonisch  verwandt  sind  zwei  Töne,  wenn  das 
Ohr  zur  Bestimmung  des  zweiten  Tones  von  dem  ersten  Tone  aus  die  drei 
Grundintervalle  (reine  Octave,  reine  Quinte  und  grosse  Terz)  einzeln  oder  in 
Verbindung  mit  einander  abzumessen  hat.  So  lassen  sich  die  Töne  in  den  Bei- 
spielen bei  a  als  harmonisch  verwandt  nachweisen.  —  Durch  Nachbarschaft  da- 
gegen sind  zwei  Töne  verwandt,  wenn  dieselben,  wie  in  den  Beisp.  bei  &,  nur  einen 
Halbton  oder  höchstens  einen  Ganzton  von  einander  entfernt  sind,  wobei  die  ge- 
ringere Entfernung  der  engeren  Verwandtschaft  entspricht.  Die  Verwandtschaft 
durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  wird  für  sich  nur  erkannt  von  Hörern,  deren 
Ohren  an  derartige  Schritte  durch  häufiges  Anhören  gewöhnt  sind,  sie  vermag  aber 
bei  andern  Hörern  harmonisch  verwandte  Töne  noch  enger  zu  verbinden.  Die 
harmonische  Tonverwandtschaft  ist  um  so  leichter  erkennbar,  also  um  so  enger,  je 
einfachere  Verbindungen  der  Grundintervalle  das  Gehör  abzumessen  hat,  und  je 
mehr  diejenigen  Töne  im  Ohr  liegen,  von  denen  aus  jene  Intervalle  abzumessen 
sind.  Nur  verwandte  Klänge  können  einander  unmittelbar  folgen,  wenn  eine  F. 
nicht  als  ein  jäher,  unvermittelter  Sprung  empfunden  werden  soll.  Sobald  das 
Ohr  nicht  durch  vorausgehende  und  folgende  Töne  oder  durch  die  Begleitung  daran 
gellindert  wird,  so  stützt  sich  dasselbe  immer  auf  diejenige  Art  der  Verwandtschaft, 
welche  es  am  leichtesten  erkennt.  Andererseits  misst  es  aber  auch  alle  Intervalle 
so  lange  von  ein  und  demselben  Tone  ab,  so  lange  ihm  dies  überhaupt  möglich  ist. 
Diese  Sätze  ergeben  sich  als  einfache  Schlüsse  ganz  von  selbst  und  bedürfen  daher 
keines  weiteren  Beweises.  Aus  ihnen  folgt  aber  Alles,  was  über  die  melodischen 
und  harmonischen  F.n  gesagt  werden  kann,  als  einfachste  Consequenz.  Es  gilt 
dies  dann  für  Tonsysteme  mit  richtigen  Quinten  und  Terzen  ebenso  wie  für 
alle  an  sich  berechtigten  temperirten   Tonsysteme. 


a. 

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Ueber  melodische  F.n  ergiebt  sich  nun  folgendes:  Melodische  F.n  erscheinen  nur 
unter  folgenden  Bedingungen  als  zusammenhängend:  1.  wenn  zwei  harmonisch 
verwandte  Töne  einander  folgen,  2.  wenn  die  F.  aus  zwei  durch  Nachbarschaft 
in  der  Tonhöhe  mit  einander  verwandten  Tönen  besteht,  3.  wenn  zwischen  zwei 
harmonisch  verwandten  Tönen  solche  Töne  eingefügt  werden,  die  mit  beiden 
Tönen  oder  wenigstens  mit  dem  zweiten  Tone  durch  Nachbarschaft  verwandt 
sind.  Das  Letztere  ist  nur  gestattet,  wenn  die  beiden  harmonisch  verwandten 
Töne,  zwischen  denen  die  andern  Töne  liegen,  sehr  nahe  mit  einander  verwandt 
sind;  überhaupt  dürfen  durch  Nachbarschaft  verwandte  Töne  in  einem  Tonstücke 
nur  vorkommen  in  Verbindung  mit  solchen  Tönen,  deren  Erscheinen  sich  auf 
die  harmonische  Verwandtschaft  gründet.  —  Die  harmonische  Verwandtschaft 
zwischen  den  Tönen  einer  melodischen  F.  ist  entweder  eine  »direkte«  oder  eine 
»mittelbare«.  Direkt  verwandt  sind  zwei  Töne,  wenn  sie  beide  Bestandtheile 
eines  und  desselben  Grundintervalls  sind  (d);  mittelbar  verwandt  sind  zwei  Töne, 
wenn  beide  Töne  mit  demselben  dritten  Tone  direkt  oder  mittelbar  verwandt 
sind  (h). 

a.  b. 


355 


Huäik 


n.     IV. 


6'?'683 


Povtschreitung. 


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Die  direkte  Verwandt scliaft  ist  am  leichtesten  zu  erkennen,  und  zwar  ist  die 
Octavvcrwandtschaf't  die  nächste,  die  Quintverwandtscliaft  die  folgende  und  die 
Terzverwandtscliai't  die  fernste.  Die  mittelbare  Verwandtscliaft  ist  um  so  leichter 
zu  erkennen,  je  kleiner  die  Zahl  derjenigen  Intervalle  ist,  welche  das  Ohr  ab- 
zumesseu  hat.  Das  Ahmessen  der  Octave  maclit  keine  Schwierigkeit;  demnach 
hiliiirt  der  Grad  der  Verwandtschaft  im  Wesentlichen  nur  von  der  Zahl  der  ah- 
zumessenden  Quinten  und  Terzen  ab,  und  zwar  ist  die  durch  Quinten  vermittelte 
Verwandtscliaft  auch  hier  enger,  als  wenn  Terzen  abgemessen  werden  müssen. 
Hiernach  würden  sich  die  möglichen  mittelbaren  F.n  in  Beziehung  auf  ihre 
einfachste  Vermittelung  nach  dem  Grade  der  Verwandtschaft  so  ordnen,  wie  es 
die  folgende  Uebersicht  angibt.  Jeder  Schritt  ist  nur  nach  einer  Richtung  ge- 
geben, weil  die  Umkehrung  jedes  Schrittes  nur  die  Richtung  der  abzximessenden 
Intervalle  umkehrt,  aber  nicht  ihre  Zahl  vermehrt. 


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Nun  wirken  aber  verschiedene  Bedingungen  darauf  ein,  diese  Reihenfolge  abzu- 
ändern. Zunächst  kann  die  Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in  der  Ton- 
höhe zwei  harmonisch  nur  fernverwandte  Töne  als  näher  verwandt  erscheinen 
lassen.  So  sind  die  Töne  bei  Ganz-  und  Halbtonschritteu  viel  näher  verwandt 
als  bei  allen  Erweiterungen  jener  Schritte  (kleine  und  grosse  Septime  uud  None). 
Ferner  werden  weitere  Schritte  meist  so  klingen,  als  folgten  die  Töne  eines 
Zusammenklanges  direkt  auf  einander;  aus  diesem  Grunde  müssen  Schritte  in 
verminderten  und  übermässigen  Octaven  fast  immer  wie  falsch  klingen,  und  auch 
der  Schritt  einer  übermässigen  Quinte  darf  nur  mit  grosser  Vorsicht  gebraucht 
werden.  Dann  können  fernverwandte  Töne  auch  dadurch  in  jiäherer  Verwandt- 
schaft zu  stehen  scheinen,  dass  einer  derselben  nur  enharmonisch  verschieden  ist 
von  einem  Tone,  welcher  in  näherer  Verwandtschaft  zu  dem  andern  Tone  des 
betreffenden  Schrittes  steht;  so  können  as  —  e^,  as  —  h,  h — as^,e  —  as  unter  Um- 
ständen wie  yis  —  e^,  fjis — //,  h  —  gis^,  e—gis  resp.  wie  as—fes^,  as — ces^,  ces^  —  as^, 
fes — as  wirken.  Endlich  aber  und  vor  allen  Dingen  hängt  die  Verständlichkeit 
eines  Schrittes  auch  davon  ab,  ob  die  Töne,  von  denen  aus  die  Intervalle  abzu- 
messen sind,  sehr  im  Ohr  liegen,  oder  nicht.  Deshalb  ist  der  Charakter  eines  und 
desselben  Schrittes  in  Tonstücken  oft  ein  sehr  verschiedener.  Es  sind  nämlich  neben 
der  einfachsten  Vermittelung  eines  Schrittes  oft  noch  verschiedene  andere  Ver- 
mittelungen  möglich.   So  lässt  der  Secundenschrittc  — (/folgende  Vei-mittelungen  zu: 


Fortschreitung. 


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u.  s.  f. 


"Welche  von  diesen  Yermittelungen  das  Ohr  auffasst,  das  hängt  nun  davon  ab, 
welche  Töne  ihm  am  meisten  gegenwärtig  sind,  welche  Töne  also  in  den  vor- 
anfgehenden  und  folgenden  Tonfolgen  oder  in  der  etwaigen  Begleitung  besonders 
hervortreten.  Wird  das  Ohr  durch  nichts  davon  abgehalten,  so  legt  es  immer 
die  einfachste  Vermittelung  zu  Grunde,  und  diese  findet  hier  am  Tone  y  statt, 
da  (j  mit  c  und  (/  so  gut  wie  direkt  verwandt  ist.  In  andern  Fällen,  wenn 
z.  B.  a,  e  oder  f  vielmehr  im  Ohr  liegen  als  </,  so  zieht  dieses  eine  ferner  liegende 
Yermittelung  jener  einfachen  vor.  Ueberhaupt  erschwert  ein  zu  häufiger  Wechsel 
der  Töne,  von  denen  aus  die  Intervalle  abzumessen  sind,  das  Erkennen  der 
Verwandtschaft  sehr.  Eine  längere  Reihe  von  melodischen  Schritten  hat  des- 
halb nur  wirklich  einheitlichen  Charakter,  wenn  die  vermittelnden  Intervalle 
alle  von  demselben  Tone  oder  von  nahe  verwandten  Tönen  aus  gemessen  werden 
können.  Bei  F.n  zwischen  den  unter  a  angegebenen  Tönen  können  alle  Inter- 
valle von  dem  Tone  g  aus  abgemessen  werden ;  bei  F.n  zwischen  den  Tönen 
der  Beispiele  h  resp.  e  sind  es  die  nahe  verwandten  Töne  c—g,  resp.  c  —  e—g 
und  c  —  es—g,  von  denen  aus  die  vermittelnden  Intervalle  abzumessen  sind. 
Wenn  sich  eine  Melodie  in  den  Tönen  dieser  Leitern  bewegt,  so  können  alle 
Schritte  an  ein  und  demselben  Tone  oder  doch  an  nahe  verwandten  und  sehr 
im  Ohr  liegenden  Tönen  vermittelt  werden;  die  Töne  einer  solchen  Melodie 
bilden  also  gewissermassen  eine  Tonfamilie.  Die  Leitern  bei  a  und  b  sind  die 
sogenannten  »fünfstufigen  Leitern«,  welche  in  der  Volksmusik  einzelner  Nationen 
ausschliesslich  im  Gebrauch  sind ;  die  Leitern  bei  c  sind  unsere  Dur-  und  Moll- 
tonartleiter. Von  selbst  erklärt  sich,  warum  diese  Leitern  eine  Grundlage  für 
melodische  F.n  bilden  müssen.     (Siehe  auch   Tonart.) 


c. 


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In  solchen  Fällen  nun  können  Schritte  von  gleicher  Grösse  doch  sehr  verschie- 
dene Vermittelungen  haben;  der  Grad  der  Verständlichkeit  kann  daher  bei  gleich 
grossen  Schritten  noch  sehr  verschieden  sein,  und  demnach  auch  Charakter 
und  Wirkung.  Die  Ganztonschritte  (a)  von  der  ersten  zur  zweiten  Stufe  (in 
0-dur  und  C-moll  der  Schritt  c  —  d)  und  von  der  fünften  zur  vierten  Stufe  (in 
C-dur  und  C-moll:  g  —  f)  sind  leichter  verständlich,  als  die  gleichgrossen  Schritte 
von  der  2.  zur  3.  und  von  der  5.  zur  6.  Stufe  in  Dur  (d—e,  g  —  a)  resp.  von 
der  3.  zur  4.  Stufe  in  Moll  (es—f),  weil  in  den  letzteren  Schritten  mehr  In- 
tervalle abzumessen  sind,  als  in  den  ersten ;  noch  schwieriger  ist  dieser  Schritt 
von  der  6.  zur  7.  Stufe  in  Dur  (a  —  h),  weil  die  Intervalle  von  nicht  sehr  im 
Ohr  liegenden  Tönen  aus  abzumessen  sind.  Aus  ganz  ähnlichen  Gründen  sind 
die  Halbtonschritte  (b)  zwischen  der  3.  und  4.  Stufe  in  Dur  {e—J)  resp.  von 
der  2.  zur  3.  und  der  5.  zur  6.  Stufe  in  Moll  {d—es,  g  —  as)  viel  leichter  ver- 
ständlich, als  zwischen  der  7.  und  8.  Stufe  (k~-e^)  namentlich  in  der  Folge 
6.,  7.,  8.  (a  —  h  —  e^).  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  allen  anderen  F.n.  Hieraus 
ergiebt  sich,  wie  thörigt  viele  Gesanglehrer  handeln,  wenn  sie  ihre  Uebungen 
nach  Intervallen  abstufen.  Am  schwersten  verständlich  sind  auch  hier  die  F.n 
in  verminderten  und  übermässigen  Intervallen  (c).  Deshalb  gelten  solche  Schritte 
bei  den  meisten  Theoretikern  für  unmelodisch,  selbst  wenn  sie  aus  diatonischen 

1* 


Fortschreitnng. 


Tönen  bestehen.  Sie  sind  aber  nach  meinen  Auseinandersetzungen  durchaus  nicht 
unmelüdisch,  sondern  nur  schwer  verständlicli  und  daher  in  einfacher  und  leicht 
sangbarer  Musik  möglichst  zu  meiden,  wenn  sie  nicht  als  Ausdrucksmittel  noth- 


wendig 


sind. 


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Zu  der  harmonischen  Verwandtschaft  tritt  nun  noch  mitunter  die  Verwandt- 
schaft durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe;  zwei  harmonisch  verwandte  Töne 
erscheinen  dadurch  enger  verwandt,  als  es  nacli  ihrer  Vermittelung  der  Fall 
sein  könnte.  Daraus  folgt,  dass  die  stufenweise  F.  das  Natürlichere  ist,  und 
dass  man  bei  Anwendung  von  Sjirüngen  viel  vorsichtiger  sein  muss  (siehe 
»Springende  Bewegung«),  —  Zwischen  diesen  diatonischen  Tönen  können  nun 
auch  noch  andere  nicht  diatonische  Töne  auftreten.  So  führte  man  zur  Um- 
gehung des  fremdartigen  Schrittes  zwischen  der  6.  und  7.  Stufe  in  Moll  (as^  —  h^) 
aufwärts  eine  erhöhte  sechste  Stufe  (a^),  abwärts  eine  vei'tiefte  siebente  Stufe 
(h^)  ein,  indem  man  aufwärts  zwischen  .'3  u.  7,  abwärts  zwischen  8  und  6  einen 
Durchgangston  (s.  d.)  einfügte.  Dadurch  entstand  die  sogenannte  alte  (auch 
wohl  »melodische«)  Molltonartleiter.  Auf  ähnliche  Weise  entstehen  die  chro- 
matische Scala  und  überhaupt  alle  chromatischen  F.n.  Hieraus  ergiebt  sich 
eine  zweite  Grundlage  für  melodische  F.n.  Näheres  über  die  Einfügung  von 
Durchgängen,  Neben-,  Hülfs-  und  Zwischentönen  findet  man  in  den  specielleren 
Artikeln.  —  Eine  Melodie  kann  aber  auch  aus  einer  Verbindung  gebrochener 
Accorde  entstehen,  und  hieraus  ergiebt  sich  eine  dritte  Grundlage  für  melodische 
F.n.  Hierbei  sind  auch  die  Bedingungen  der  harmonischen  F.  zu  beachten. 
Näheres  gehört  in  die  Artikel:  Harmonische  Figuration,  Harmonische 
Brechung,  Stimmige  Brechung.  —  Was  nun  die  Lehre  von  den  harmo- 
nischen F.n  anlangt,  so  ergiebt  sich  aus  meiner  Auffassung  Alles  in  ebenso  un- 
gezwungener und  natürlicher  Weise,  wie  in  Beziehung  auf  die  melodischen  F.n. 
Zwei  Accorde  .sind  verwandt,  wenn  die  Töne  des  zweiten  Accordes  von  den 
Tönen  des  ersten  Accordes  aus  durch  das  Abmessen  von  Grundintervallen  auf- 
zufinden sind.  Der  Grad  der  Verwandtschaft  hängt  auch  hier  ab  von  der  Zahl 
der  abzumessenden  Intervalle  und  davon,  ob  diejenigen  Töne,  von  denen  aus 
die  vermittelnden  Intervalle  abgemessen  werden  müssen,  sehr  im  Ohr  liegen, 
oder  schwer  zu  finden  sind.  Im  Wesentlichen  sind  auch  hier  nur  die  abzu- 
messenden Quinten  und  Terzen  zu  beachten.  Bei  den  Schritten  zwischen  con- 
sonirenden  Accorden  finden  sich  zunächst  zwei  Gruppen:  I.  die  Intervalle  sind 
von  vorhandenen  Tönen  abzumessen,  II.  sie  sind  von  erst  zu  suchenden  Tönen 
aus  abzumessen.  In  der  ersten  Gruppe  würden  sich  die  F.n  wie  bei  a,  b  und  c 
nach  dem  Grade  der  Verständlichkeit  (Verwandtschaft)  anordnen  lassen,  indem 
*die  Intervalle  abzumessen  sind  1.  von  hervortretenden  vorhandenen  Tönen  (a), 
2.  von  weniger  hervortretenden  vorhandenen  Tönen  (b),  3.  nur  thcilweise  von 
vorhandenen  Tönen  (c).  In  der  zweiten  Gruppe  könnte  man  zwei  Fälle  unter- 
scheiden, iudem  1.  beide  Intervalle  von  dem  gefundenen  Tone  aus  abgemessen 
werden  (d),  2.  für  das  zweite  Intervall  erst  noch  der  Ausgangston  zu  suchen 
ist  (e).  Dass  der  Unterschied  zwischen  den  F.n  der  ersten  und  der  zweiten 
Gruppe  ein  sehr  grosser  sein  muss,  ergiebt  sich  von  selbst.  Die  Reihenfolge 
in  den  einzelnen  Gruppen  und  in  den  einzelnen  Theilen  dieser  Gruppen  ist 
natürlich  nicht  unbedingt  massgebend  in  Beziehung  auf  die  Grade  der  Ver- 
wandtschaft,   da    verschiedene  Bedingungen    verändernd    einwirken  können,    wie 


Fortschreitung. 


z.  B.  Verwandtschaft  durch  Nachbarschaft  in   der  Tonhöhe,  enharmonische  Ver- 
schiedenheit u.  s.  f. 


A.     Schritte  von  einem  Duraccorde  aus 


c. 


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B.     Schritte  von  einem  Mollaccorde  aus: 

b. 


Von  zwei  enharmonisch  verschiedenen  Accorden  ist  immer  nur  einer  aufgeführt, 
und  zwar  derjenige,  bei  dem  die  Vermittelung  am  leichtesten  erkennbar  ist.  — 
In  ähnlicher  Weise  erklären  sich  die  F.n  von  und  zu  dissonirenden  Accorden 
(s.  Consonanz  und  Dissonanz),  von  denen  die  leicht  verständlichen  Schritte 
als  Vorbereitungen  und  Auflösungen  (s.  d.)  besonders  besprochen  sind. 
Eine  Anordnung  aller  möglichen "  Schritte  von  und  zu  den  Dissonanzen  nach 
dem  Grade  der  Verständlichkeit  würde  hier  zu  weit  führen  und  noch  viel  weniger 
massgebend  sein  können,  als  bei  den  Verbindungen  zwischen  consonirenden 
Accorden.  Näheres  findet  man  übrigens  noch  unter  Harmonieschritt  und 
in  des  Verf.  »System  und  Methode  der  Harmonielehre«.  —  Auf  die  harmoni- 
schen F.n  haben  nun  ebenfalls  noch  verschiedene  Umstände  einen  bedingenden . 
und  verändernden  Einfluss.  So  kann  ein  an  sich  schwer  verständlicher  Schritt 
dadurch  sehr  leicht  verständlich  sein,  dass  die  einzelnen  Töne  beider  Accorde 
durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  verwandt  sind.  Die  E.  bei  a  ist  an  sich 
schwer  verständlich;  weil  aber  jeder  Ton  des  zweiten  Accordes  ein  Nachbarton 
zu  einem  Tone  des  ersten  Accordes  ist  und  umgekehrt,  so  klingt  die  E.  viel 
weniger  hart.  Zwei  Accorde  werden  also  inniger  verbunden,  wenn  die  Ver- 
wandtschaft durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  möglichst  ausreichend  mit 
benutzt  wird.  Dieses  ist  besonders  bei  fernverwandten  Accorden  nothwendig. 
Hieraus  gingen  verschiedene  Stimmführungsregeln  (s.  d.)  hervor,  und 
namentlich  war  dieser  Umstand  die  Ursache  zum  Vei-bote  der  Quintenparal- 


Fortschreitung. 


lelen  (s.  d.).  —  Ferner  kann  zwischen  zwei  nahe  verwandten  Accorden  ein 
Zusammenklang  eingeschoben  werden,  der  nur  oder  doch  theilweise  durch  blosse 
Nachbartöne  entsteht  (s.  Beispiel  h  III.  Bd.  S.  290).  Diese  Zusammenklänge 
können  zunillig  die  Gestalt  wirklicher  Accorde  annehmen,  und  so  ergeben  sich 
neue  F.u  und  neue  Erklärungen  für  bekannte  F.u.  Diese  Zahl  der  Möglich- 
keiten wird  noch  vermehrt  dadurch,  dass  ein  Hauptton  zum  Nebenton  (ft),  oder 
ein  Nebenton  zum  Hauptton  gemacht  werden  kann  (c).  Hierüber  findet  man 
in  den  Artikeln  Nachbartöne,  Durchgang*),  Neben-,  Hülfs-  und  Zwi- 
schen töne  das  Nähere.  --  Es  bleibt  nur  noch  zu  erwähnen,  dass  unter  Be- 
dingungen, aber  auch  nur  unter  diesen  Bedingungen,  alle  möglichen  F.u  ge- 
stattet sind. 


b. 


(Beeth.,  Op.  35.) 


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c.     (Rieh.  Wagner,  Lohengrin). 

Der       Dei 


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11 


Bei  einer  Folge  von  mehreren  Accorden  gilt  nun  ganz  dasselbe,  was  in  Be- 
zieliung  auf  eine  längere  Reihe  von  melodischen  F.n  zu  sagen  war.  Auch  hier 
hält  das  Ohr  den  Ton,  von  dem  aus  die  vei'mittelnden  Intervalle  abzumessen 
sind,  so  lange  als  möglich  fest,  und  deshalb  lässt  auch  hier  ein  und  derselbe 
Schritt  unter  verschiedenen  Bedingungen  verschiedene  Vermittelungen  zu,  und 
er  hat  verschiedenen  Charakter.  Wenn  nun  in  einem  mehrstimmigen  Satze  die 
Verwandtschaft  zwischen  allen  Accorden  sich  dadurch  erkennen  lässt,  dass  das 
Ohr  die  Grundiutervalle  alle  von  den  Tönen  eines  und  desselben  Dreiklanges 
aus  abzumessen  hat  (s.  Tonart),  so  wird  eine  Tonart  harmonisch  zur  Dar- 
stellung gebracht.  Dieses  ist  nur  möglich,  wenn  alle  vorkommenden  Accorde 
aus  Tönen  der  Tonartleiter  bestehen,  also  leitereigene  Accorde  sind.  Für  C-dur 
würden  sich  die  Schritte  zwischen  consonirenden  Accorden  nach  dem  Grade 
der  Verständlichkeit  etwa  wie  folgt  anordnen  lassen. 


P 


-m^ 


cra    s=;- 


-S2- 


S-- 


m 


i 


¥ 


gju. 


s.  f. 


Die  vier  ersten  Schritte  heissen  auch  Cadenzen   (s.  d.).    Ueber  die  einfachsten 


*)  Für  die  in  don  Beispielen  dieses  ^Lrükels  stehen  gebliebenen  Druckfehler  bitte  ich 
mich  nicht  veiantwoitlich  zu  machen,  da  ich  durch  besondere  Verhältnisse  an  derLisung 
der  Correctui-  verhindert  war.  1'« 


Fortuila  —  Fortuni.  7 

Schritte  von  und  zu  den  Dissonanzen  einer  Tonart  sind  die  Artikel  Auf- 
lösung, Cadenz,  Consonanz  und  Dissonanz  und  Vorbereitung  nach- 
zulesen. Otto   Tiersch. 

Fortoila,  Jean,  französischer  Tonkünstler  des  15.  Jahrhunderts,  von  dessen 
Comj^ositionen   ein  vierstimmiger  Chanson   erhalten  geblieben  ist. 

Fortuuati,  Giovanni  Francesco,  italienischer  Gomponist  besonders  von 
Opern,  geboren  am  24.  Febr.  1746  zu  Parma,  widmete  sich  schon  als  Knabe 
dem  eingehenderen  Studium  der  Musik  und  zwar  zuerst  bei  Nicolini,  dem  Vater 
des  nachmals  berühmt  gewordenen  Operncomponisten  gleichen  Namens.  Von 
den  Eltern  jedoch  zum  Advocaten  bestimmt,  musste  F.  bei  den  Jesuiten  und 
Bencdictinern  die  höheren  "Wissenschaften  tractiren,  bis  der  Hof  von  Parma 
für  seine  Musikueigung  eintrat  und  ihn  drei  Jahre  lang  beim  Pater  Martini 
in  Bologna  Composition  und  Contrapunkt  studiren  liess.  Mit  seiner  Erstlings- 
oper »J  cacciatori  e  la  vendilatte<.<.  legitimirte  er  1769  zu  Parma  den  Erfolg 
dieses  Studienaufenthalts  in  befriedigender  Art  und  wurde  zum  Hofkapellmeister, 
sowie  zum  Cesanglehrer  der  Erzherzogin  Amalia,  Fürstin  von  Parma,  ernannt. 
In  dieser  Zeit  componirte  er  für  verschiedene  Theater  Italiens  ernste  und 
komische  Opern  und  begab  sich  auf  längere  Frist  nach  Deutschland,  wo  er  in 
Dresden  mehrere  seiner  Compositionen  zur  Aufführung  brachte,  in  Berlin  im 
Auftrage  Königs  Friedrich  Wilhelm  II.  mehrere  Vocal-  und  Instrumentalstüeke 
vollendete.  In  seine  Stellung  zu  Parma  zurückgekehrt,  verwaltete  er  seine 
Funktionen  als  Dirigent  bis  zum  J.  1802.  Bei  Gründung  der  italienischen 
Akademie  der  Künste  und  "Wissenschaften  im  J.  1810  wurde  er  Mitglied  der 
musikalischen  Section.  Von  seinen  Opern  haben  yiLHncontro  inaspettatov.  und 
»ia  contessa  per  equivocov.  den  meisten  Erfolg  gehabt.  Andere  seiner  Opern 
führt  der  mailändische  Indice  de^  spettacoU  von   1783  bis   1791  auf. 

Fortunatianus,  ein  sonst  unbekannter  musikalischer  Schriftsteller  des  10. 
Jahrhunderts  n.  Chr.,  von  dem  sich  unter  den  Handschriften  der  Bibliothek 
des  Klosters  St.  Emmeran  zu  Regensburg  eine  Abhandlung  r>Scolica  Enchiriadis 
Fortunatianivi  Saec.  10  befindet.  Vgl.  Bibl.  princij^alis  ecclesiae  et  monast.  Ord. 
S.  Bened.  ad  8.  Emmeran  episc.  Ratishonae  1748  Bd.  II  p.   133.  f 

"f^Fortunatus,  Venantius,  im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  Bischof  in  der  Lom- 
bardei, begab  sich  später  nach  Frankreich  und  starb  daselbst  569  zu  Celles. 
Von  diesem  Bischof  sind  noch  mehrere  an  den  Pariser  Clerus  gerichtete  Verse 
vorhanden,  in  denen  er  von  den  musikalischen  Instrumenten,  den  Orgeln,  Flöten, 
Trompeten  etc.  spricht,  welche  die  Priester  der  Notre  Dame-Kirche  zu  Paris 
zu  seiner  Zeit  beim  Gesänge  der  Psalmen  gebrauchten.  Vgl.  Gerbert,  de  mus. 
eccl,  I.  p.  217.  t 

Fortuui,  Amelia  An  gl  es  de,  eminente  spanische  Gesangvirtuosin,  geboren 
1834  zu  Madrid,  machte  ihre  Studien  im  Conservatorium  Maria  Christina  da- 
selbst und  erregte  noch  jung  in"  Hofconcerten  und  auf  der  Bühne  das  grösste 
Aufsehen ,  so  dass  sie  zur  Professorin  der  oberen  Gesangklassen  am  Conserva- 
torium ernannt  wurde.  Im  J.  1853  besuchte  sie  Italien,  wo  ihre  Stimme,  Kunst- 
fertigkeit und  geschmackvolle  Technik  ungetheilte  Anerkennung  fanden,  so  dass 
sie  im  December  1854  bei  der  Grossen  Oper  in  Paris  engagirt  wurde.  Da 
sich  jedoch  ihr  Stimmvolumen  den  von  grossen  Räumen  beanspruchten  An- 
strengungen nicht  gewachsen  zeigte,  so  kehrte  sie  bald  in  ihre  Heimath  zurück. 
Im  J.  1856  war  sie  auch  in  Deutschland,  sang  im  März  in  "Wien,  im  Juni  in  Berlin 
und  feierte  namentlich  in  letztgenannter  Stadt,  wo  sie  bei  Hofe,  in  Concerten 
und  im  königl.  Opernhause  als  Coloratursängerin  auftrat,  vollgültige  Triumphe. 
Im  August  desselben  Jahres  sang  sie  auf  dem  Theater  in  Aachen ,  liess  sich 
auf  fünf  Monate  bei  der  italienischen  Oper  in  Jassy  engagiren  und  kehrte  im 
September  1857  nach  Berlin  zurück,  wo  sie  im  Verein  mit  dem  Violinvirtuosen 
Bazzini  überaus  erfolgreiche  Concerte  gab  und  im  Vortrage  von  italienischen 
Arien  und  spanischen  Liedern  glänzte.  Im  März  1858  war  sie  in  Pesth,  im 
Mai  in  Köln  und  im  "Winter  genannten  Jahres  wieder   in  Madrid.     Noch  ein- 


3  Forza  —  Fossis. 

mal  zog  es  sie  nach  Deutschland,  wo  sie  eine  so  ehrenvolle  Aufnahme  gefunden 
hatte,  und  in  Begleitung  ihres  jungen  Gatten  hrach  sie  dorthin  auf,  Sie  kam 
aher  nur  bis  Stuttgart,  wo  sie  in  Folge  einer  Entbindung  am  3.  Juni  1859 
einen  frühen  Tod  fand.  —  Diese  Künstlerin  zählte  zu  jenen  phänomenalen 
Erscheinungen,  die,  von  der  Natur  mit  den  reichsten  äusseren  und  inneren 
Gaben  ausgestattet,  noch  jenes  nicht  erklärbare  Etwas  mitbringen,  das  sie  jedem 
Beobachter  unvergesslich  macht.  Ihr  glockenreiner  Gesang  erklang  •  in  allen 
Lagen  des  Soprans  leicht,  duftig  und  zart;  ihre  zwar  kleine,  aber  leicht  an- 
gebende, unbeschreiblich  süsse  und  sympathische  Stimme  durchzog  jede  ihrer 
Darstellungen  wie  ein  Silberfädchen ,  lieblich  und  den  Hörer  unwiderstehlich 
fesselnd.  Ihre  Coloraturen  und  Fiorituren,  stets  in  höchster  technischer  Voll- 
endung gegeben,  glichen  den  Arabesken  und  Blumeuguirlanden,  welche  die 
Poesie  hervorzaubert.  Zu  dem  Allen  kam  eine  reizende,  kindlich -schöne  Er- 
scheinung, die  gar  köstlich  mit  ihrer  künstlerischen  Vollkommenheit  harmonirte. 
Die  Hauptparthien  dieser  merkwürdigen  Sängerin  waren  die  Rosina  im  »Barbier 
von  Sevilla«,  die  Amina  in  der  »Nachtwandlerin«,  die  Königin  in  den  »Huge- 
notten«, Lucia  von  Lammermoor  u.   s.  w. 

Forza  (ital.,  franz.:  force),  die  Stärke,  die  Kraft,  wird  als  Vortragsbezeich- 
nung, in  Verbindung  mit  der  Präposition  con  (s.  d.),  gleichbedeutend  mit  der 
Vorschrift  yor^e  (s.  d.)  gebraucht, 

Forzando  oder  forzato,  oder  sforzando,  slorzato  (ital.),  abgekürzt  Fz  oder 
sfz,  ist  die  Bezeichnung  für  die  mit  verstärktem  Tone  hervorgehobene  Accen- 
tuirung  einer  Note,  ähnlich  wie  beim  Fp  (s.  Portepiano).  Vom  Forte  unter- 
scheidet sich  das  P.  dadurch,  dass  ersteres  für  eine  ganze  Tonreihe,  letzteres 
nur  für  die  einzelne  Note,  welche  diese  Bezeichnung  trägt,   Geltung  hat, 

Foschi,  Carlo,  italienischer  Tonsetzer  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts, war  Kapellmeister  an  der  Kirche  Santa  Maria  in  Trastevere  zu  Rom 
und  hat  durch  den  Druck  Cantaten  für  eine  Singstimme,  sowie  vierstimmige 
Messen  u.nd  Offertorien  seiner  Composition   (Rom,   1690)  veröffentlicht. 

Fossa,  Joannes  de,  zuweilen  auch  Defossa  geschrieben,  ein  aus  den  Nie- 
derlanden gebürtiger  Tonsetzer  des  16.  Jahrhunderts,  erhielt  1569  eine  An- 
stellung als  Unterkapellmeister  am  Hofe  zu  München  und  wirkte  in  diesem 
Amte  an  der  Seite  des  Meisters  Orlandus  Lassiis  bis  zu  dessen  Tode,  worauf 
er  zum  Oberkapellmeister  ernannt  wurde  und  als  solcher  von  1594  bis  1602 
thätig  war.  Laut  einer  vorhanden  gebliebenen  Rechnung  erhielt  er  damals  für 
eine  auf  herzoglichen  Befehl  componirte  Messe  sechs  Gulden.  Diese  Messe, 
sowie  einige  Motetten  seiner  Composition  bewahrt  die  Münchener  Bibliothek. 
Wie  sehr  übrigens  P.  in  seinem  Amte  geschätzt  war,  dafür  liefert  den  Beweis, 
dass  der  Herzog  Maximilian  IL  den  Gehalt,  welchen  P.'s  Vorgänger  bezogen 
hatten,  für  ihn  um  mehr  als  die  Hälfte  erhöhte.  Neben  der  Leitung  der  Hof- 
kapelle war  P.  auch  der  Unterricht  und  die  Aufsicht  über  die  zu  diesem  In- 
stitute gehörigen  Chorknaben  übertragen.  P.  gehörte  der  niederländischen  Schule 
an;  seine  Compositionen  bekunden  Zartheit  und  eine  originelle  Aufifassung.  Er 
starb  zu  München  um  Pfingsten  des  Jahres  1603.  —  Ein  Guitarrevirtuose 
Namens  Possa  lebte  im  dritten  Jahrzehnt  des  19,  Jahrhunderts  als  Componist 
und  Musiklehrer  zu  Paris  und  hat  für  sein  Instrument  gegen  40  Werke,  theils 
mit,  theils  ohne  Begleitung  veröffentlicht, 

Fossemhrone,  Ottavio  da,  s,  Petrucci, 

Fossis,  Pietro  de,  auch  de  (la)  Possa  geschrieben,  der  älteste  bekannte 
Kapellmeister  an  der  Kathedrale  San  Marco  zu  Venedig,  bekleidete  dies  Amt, 
laut  im  Kirchenarchive  vorhandenem  Anstellungsdecrete,  datirt  vom  ;U.  Aug. 
1491,  seit  dem  1.  Septbr.  desselben  Jahres,  wofür  er  70  Ducaten  jährlich  be- 
zog und  die  Kapellmeisterwohnung  in  der  Canonica  erhielt.  Sonst  erhellt  aus 
den  neuesten  Nachforschungen  nur,  dass  er  ein  geborener  Plamländer  war  und 
schon  am  19.  Septbr.  1485  als  Sänger  an  der  Marcuskirehe  angestellt  gewesen 
ist.     Seine    Zeitgenossen    Pier  Contarini    und  Angelo  Gabrieli    geben    ihm    in 


Fossius  —  Fourneaux.  9 

scliwungvolleu  Worten  das  Lob  eines  ausgezeichneten  Tonkünstlers,  sowie  eines 
in  allen  Wissenschaften  bewanderten  Mannes,  und  die  Procuratoren  seiner  Kirche 
gestanden  ihm,  wie  aus  einem  Decret  des  Kirchenarchivs  vom  20.  April  1520 
hervorgeht,  unbedingte  Disciplinargewalt  über  die  ihm  unterstellten  Musiker  zu. 
Von  Krankheit  seit  1525  am  Dienste  verhindert,  erbat  und  erhielt  er  am 
10.  Oktbr.  1525  den  Sänger  Pietro  Lupato  zum  interimistischen  Stellvertreter. 
Aber  schon  zwei  Jahre  darauf,  im  December  1527,  starb  er.  Als  Nachfolger 
in  seinem  Amte  wurde  auf  Befehl  des  Dogen  Andrea  Gritti  der  Niederländer 
Adrian  Willaert  installirt,  nachdem  die  Procuratoren  in  der  Wahl  zwischen 
Pietro  Lupato  und  dem  Organisten  an  San  Marco,  Alvise  Arciero,  geschwankt 
hatten.  Dass  F.  wirklicher  Kapellmeister  und  als  solcher  der  erste  Nichtitaliener 
gewesen,  ist  jetzt,  gegenüber  Kiesewetter's  Ansicht,  der  ihn  für  eine  Art  geist- 
lichen Vorstehers  der  Sänger  seiner  Kirche  hielt,  erwiesen.  Von  F.'s  Compo- 
sitionen  ist  leider  bisher  noch  nichts  aufzufinden  gewesen.  Angelo  Gabrieli 
erwähnt  von  denselben  ausdrücklich  einer  im  J.  1502  zu  Ehren  Anna's  von 
Frankreich,  der  Gemahlin  des  Königs  Ladislaus  von  Ungarn  und  Böhmen,  ge- 
schriebenen wohlklingenden  Cantate,  deren  Text  von  Fra  Armonio,  dem  Orga- 
nisten der  St.  Marcuskirche,  gedichtet  war.  Diese  Cantate  hat  F.  selbst  der 
Königin  während  deren  Anwesenheit  zu  Venedig  in  dem  genannten  Jahre  über- 
reicht, und  durch  dieselbe  muss  sie  nach  Ungarn   oder  Böhmen  gelangt  sein. 

Fossius,  Anton,  dänischer  Cantor  und  Pastor,  geboren  1646,  gestorben 
am  29.  April  1696,  hat  ein  lateinisch  geschriebenes  Buch  r>De  arte  musicaa 
hinterlassen. 

Fossoni,  Tommaso,  italienischer  Carmelitermönch  und  um  die  Mitte  des. 
17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der  erzbischöflichen  Kirche  zu  Ravenna,  hat 
Motetten  zu   2,  3,  4  und  5   Stimmen   (Venedig,   1642)  veröffentlicht. 

Fothiarghiah  ist  der  Name  für  den  dritten  Ton  der  sieben  vorzüglichsten 
Klänge  der  von  a  aufwärts  gedachten  persisch- türkischen  Tonfolge  (unserm  c 
entsprechend),  welcher  von  den  Völkern  jenes  Musikkreises  auch  durch  eine 
dunkelblaue  Farbe  gekennzeichnet  wird.  Mehr  darüber  berichtet  der  Artikel 
Persisch-türkische  Musik.  0. 

Fouchetti,  französirt  Fouquet,  Lehrer  der  Mandoline  in  Paris,  veröffent- 
lichte eine  r>Metliode  pour  apprendre  facilement  ä  jouer  de  la  Mandoline  ä  4c  et 
ä  6  cordesK  (Paris,  1770).  Ob  er  identisch  mit  dem  gleichzeitig  lebenden,  gleich- 
namigen Organisten  au  der  St.  Eustachekirche  gewesen  ist,  den  Burney  1770  als 
vierten  Organisten  an  der  Notredamekirche  fand,  ist  nicht  mehr  festzustellen.  Der 
letztere  hat  um  1750  drei  Bücher  Ciaviersuiten  seiner  Composition  herausgegeben. 

Fouqne,  Friedrich,  Freiherr  <le  la  Motte,  der  bekannte  phantasievolle 
Dichter  der  deutschen  romantischen  Schule,  ein  Enkel  des  Generals  Friedrichs 
des  Grossen,  war  geboren 'am  12.  Febr.  1777  zu  Neu-Brandenburg  und  starb 
am  23.  Januar  1843  in  Berlin.  Er  erhielt  in  seiner  Jugend  eine  tüchtige 
Musikbildung,  die  ihn  befähigte,  auch  als  musikalischer  Schriftsteller  mehrfach 
aufzutreten,  z.  B.  mit  Artikeln  in  Schilling's  » Universall exicon  der  Tonkunst«, 
ferner  in  der  Zeitschrift  »Cäcilia«  mit  dem  Aufsatze  »Melodie  und  Harmonie« 
(Bd.  7,  S.  223  u.  f.)  und  der  Erzählung  »der  unmusikalische  Musiker«  (Bd.  2, 
S.  169  u.  f.)  u.  s.  w.  Sein  zartes,  sinnvolles,  in  fast  alle  europäische  Sprachen 
übei'setztes  Märchen  »Undine«  (Berlin,  1813)  diente  mehreren  Opern  z.  B.  von 
E.  T.  A.  Hoffmann,  Lwoff  und  Lortzing,  und  verschiedenen  Ballets  zum  Stoffe. 

Fourchette  touique  (franz.),  die  Stimmgabel  (s.  d.). 

Fourneaux,  Napoleon,  geschickter  französischer  Mechaniker  und  Instru- 
mentenmacher, geboren  am  21.  Mai  1808  zu  Leard,  gestorben  am  19.  Juli  1846 
zu  Paris,  wo  er  seine  rühmlichst  bekannte  Werkstätte  hatte,  hat  u.  A.  die  Re- 
percussionstafeln  beim  Harmonium,  wenn  nicht  erfunden,  so  doch  zuerst  einge- 
führt und  zur  allgemeinen  Anerkennung  gebracht.  —  Sein  Sohn,  Napoleon 
F.,  geboren  1830    zu  Paris,    führte    als   tüchtiger  Orgelbauer  das  Geschäft  des 


10  Foui-nes  —  FradeL 

Vaters  fort  und  ist  der  Verfasser  einer  technischen  Schrift,  betitelt:  r> Petit  traite 
de  Vorgue  expressif  etc.v- 

Fournes,  P.  J.,  ein  guter  Violoncellist  und  Quartettspieler,  geboren  1764 
in  Leipzig  und  daselbst  von  Hiller  unterrichtet,  war  später  Botenmeister  zu 
Gera  und  gab  in  Verbindung  mit  Kleeberg  um  1790  zu  Leipzig  verschiedene 
Clavierstiicke  lieraus,  sowie  später  selbstständig  zwei  Sammlungen  von  Q-esängen 
mit  Clavierbegleitung,  die  ihn  als  einen  begabten  Dilettanten  erkennen  lassen. 

Fonrnier,  Pierre  Simon,  berühmter  französischer  Schriftschneider  und 
Schriftgiesser .  geboren  am  16.  Septbr.  1712  zu  Paris,  hat  sich  um  die  Ver- 
besserung und  Eleganz  der  Notentypen  nicht  zu  unterschätzende  Verdienste  er- 
worben. Die  von  Breitkopf  in  LeijDzig  1755  publicirte  neue  und  vortliellhafte 
Art  des  Nutendrucks  usurpirte  F.  als  seine,  lange  vorher  schon  gemachte  Er- 
findnno:  und  suchte  dies  in  zwei  grösseren  Abhandlungen:  r>JSssai  d'un  nouveau 
caracfere  de  fönte  pour  Vimpression  de  la  musique  etc.v.  und  ytTraife  hisforique 
et  critique  sur  Vorigine  et  le  progres  des  car  acter  es  de  fönte  pour  Vimpression  de 
la  musique  ete.K  darzuthun.  Während  aber  Breitkopf  die  Notenlinien  mit  den 
Köpfen  auf  bestimmte  Brucbtheile  zusammenschnitt  und  den  TTebelstand  nicht 
beseitigen  konnte,  dass  die  Zusammensetzung  dem  Auge  ersichtlich  blieb,  setzte 
F.  erst  die  Linie  und  dann  die  Noten  darauf,  musste  das  Ganze  also  auch  zwei 
Mal  drucken,  wodurch  er  denn  schliesslich  nichts  weiter  zeigte,  als  die  grösseren 
Vorzüge  des  Breitkopfschen  Systems  vor  dem  seinigen,  das  später  übrigens 
der  Buchdrucker  Gando  in  Paris  noch  wesentlich  vei'besserte.  F.  selbst  starb 
zu  Paris  am  8.  Oktbr.  1768.  —  Sein  Sohn  Antoine  F.  Avirkte  als  Musik- 
lehrer zu  Paris  und  hat  daselbst  1782  eine  Operette  seiner  Composition  »Zes 
deux  aveugles  de    Haqdadv.  zur  Aufführung  gebracht. 

Fouruitnre  (franz.;  ital.:  Fornitura^  soll  nach  Agricola's  Behauptung  in 
Frankreich  die  grössere  Mixtur  geheissen  haben.  In  Bedos  de  Oelle's  facteur 
d^Orgues  heisst  jedoch  überhaupt  jede  Mixtur  F.  —  Nach  Samber  stand  in 
Sendomir  eine  1,25  Meter  grosse,  F.  genannte  Principalstimme.  —  Jetzt  baut 
man  unter  diesem  Namen  keine  Orgelstimme  mclir.  2. 

Fournival,  Richard  de,  altfranzösischer  Dichter  und  Musiker,  war  zur 
Zeit  Ludwig  des  Heiligen  Kanzler  der  Kathedralkirche  zu  Amiens.  Zwanzig 
von  ihm  verfasste  Chansons  haben   sich  bis  jetzt  erhalten. 

Foy,  James,  englischer  Componist  und  Pianofortevirtuose,  geboren  1802 
zu  Dorchester,  machte,  von  seinem  Vater,  einem  Musiklehrer,  im  Ciavierspiel 
unterrichtet,  schon  als  zwölfjähriger  Knabe  in  Concerten  Aufsehen.  Höhere 
Musikstudien  trieb  er  bis  1820  in  London,  worauf  er  in  seine  Vaterstadt  zu- 
rückkehrte und  daselbst  als  Componist  und  Lehrer  wirkte.  Er  hat  u.  A.  Sin- 
fonien, Ouvertüren,  Ciavier-  und  Harfenstücke,  Lieder  und  Gesänge  geschrieben 
und  mehrfach   aufgeführt. 

Foyta,  Franz,  auch  Foita  geschrieben,  Violinvirtuose,  war  längere  Zeit 
Musikdirektor  an  dem  Theaterorchester  und  Violinist  an  der  Kreuzherrenkirche 
zu  Prapf  und  starb  daselbst  im  64.  Lebensjahre  1776.  —  Joseph  F.,  wahr- 
scheinlich ein  Verwandter  des  Vorigen,  wurde  um  1750  als  Sohn  eines  Orga- 
nisten zu  Prag  geboren,  war  längere  Zeit  Violinist  am  Theaterorchester  und 
in  der  Kreuzherrenkirche  daselbst,  und  ging  auf  einen  Eiif  hin  nach  Peters- 
burg, lebte  aber  seit  1791  wieder  in  Prag  als  Lehrer  an  der  Theiner  Hauptschule. 
Er  hat  Sinfonien   und  Kirchenmusikwerke  im  Manuscript  hinterlassen,      f 

Fp.,  Abbreviatur  für  Fortepiano   (s.  d.). 

Fradel,  Karl,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1821  zu  "Wien,  woselbst  er 
auch  seine  musikalische  Ausbildung  erhielt.  Im  J,  1850  Hess  er  sich  in  Ham- 
burg nieder  und  veröffentlichte  eine  Reihe  von  Claviercomjjositionen  und  Liedern, 
die  ein  angenehmes,  leicht  schaffendes  Talent  verriethen.  Von  Hamburg  aus 
ging  F.  1858  nach  London,  und,  da  er  dort  den  von  ihm  gesuchten  Wirkungs- 
kreis nicht  fand,  ein  .Jahr  später  nach  New- York,  wo  er  gegenwärtig  als  Musik- 
lehrer und  Componist  lebt. 


Franzi  —  Fragmengo.  1 1 

Franzi,    Ferdinand,    ausgezeichneter    deutscher  Violinvirtuose    und  treff- 
licher Componist,  geboren  am   24.  Mai   1770  zu  Schwetzingen  in  der  Pfalz,  war 
der    Sohn    des    angesehenen    Violinisten    und    Musikdirektors    Ignaz  F.,    unter 
dessen  musikalischer  Leitung  der  Knabe  so  schnell  und  kräftig  sich  entwickelte, 
dass  er  mit  sieben  Jahren  in  einem  Hofconcert  zu  Mannheim  durch  sein  Spiel 
alle  Hörer  zum  Erstaunen  hinriss.  Fünf  Jahre  später  schon  wurde  er  als  Violinist 
der  Hofkapelle    ebendahin    berufen.     Auf    einer    mit  dem  Vater  hierauf   unter- 
nommenen Kunstreise  spielte  er   1785  mit  grösstem  Beifall    am  Hofe  zu  Mün- 
chen, 1786  an  dem  zu  Wien.     Einen  längeren  Aufenthalt  in  Strassburg  benutzte 
er,    um    bei    den  Kapellmeistern    Pleyel    und  Richter    höhere  Musikstudien    zu 
treiben,    ging  dann   durch  die   Schweiz  nach  Paris    und  1790  nach  Italien,    wo 
er  bei  dem  Pater  Mattei   in  Bologna   Contrapunkt    studirte    und   als  Violinvir- 
tuose zu  Bora,  Neapel  und  Palermo  ungeheures  Aufsehen  erregte.     Im  J.  1792 
wieder    in  Deutschland,   nahm    er   zuerst   die  Concertmeisterstelle   in  Frankfurt 
a.  M.  und   zwei  Jahre   später    die  Direktion    der  Privatkapelle    des  Kaufmanns 
Bernard  in   Offenbach  an.     Ein  längerer  Urlaub  führte  ihn  1799  nach  London, 
Hamburg,  dann  auch  wiederholt  nach  "Wien  und  München,  und  überall  sah  er 
sich   als  Concertspieler  geehrt  und  gefeiert.     Nachdem  er  seine  Stelle  in  Offen- 
bach  ganz    aufgegeben    hatte,    bereiste    er  1803  Polen  und  Bussland,  hielt  sich 
längere  Zeit  in  Moskau  und   St.  Petersburg  auf,  wo  er  reiche  Einnahmen  hatte 
und    folgte   von    dort    aus  Ende    1806    einem  Rufe  als  Hof-Musikdirektor  nach 
München,  um  als  Nachfolger  Karl  Cannabich's  einzutreten.     Hier  übernahm  er 
auch  die  Leitung  der  deutschen  Oper  und  zeigte  sich  der  schwierigen  Stellung 
mehr  als  gewachsen.     Glänzende   Concertreisen  unternahm  er  von  Zeit  zu  Zeit 
auch  von  München  aus,    so  nach  Frankfurt  a.  M.,    Offenbach,   Mannheim,    um 
1810    nach  Amsterdam    und  Paris,    1814    nach  Wien    und  1816    nach  Leipzig. 
Im  J.   1823  war  er  wieder  in  Italien,  wo  man  ihn,  besonders  in  Mailand,  aus- 
zeichnete.    Zwei  Jahre  später,  nachdem  er  die  Leitung  der  deutschen   Oper  in 
München  niedergelegt  hatte,  wurde  er  zum  wirklichen  bairischen  Hofkapellmeister 
ernannt,  Hess  sich   1827   als  solcher  pensioniren  und  begab   sich  nach   Genf,  wo 
er  das  Musikwesen    ungemein  hob,    so    dass    man  ihn    im  April  1831    mit  dem 
grössten  Bedauern  nach  Mannheim  scheiden  sah.     Bald  darauf,  im  Novbr.  1833, 
starb  er  in  Mannheim.    —    Als  Violinvirtuose  hat  F.   durch  ungemeine  Fertig- 
keit und   Sauberkeit,  Reinheit  des  Tons  und  ausdrucksvollen,  jeder  Nuance  ge- 
recht werdenden  Vortrag  geglänzt,  als   Componist  durch  Fruchtbarkeit  und  Ge- 
diegenheit.     Man    kennt    von    ihm    die    Opern    und   Singspiele:    »Die  Luftbälle« 
(1788  in  Strassburg),  »Adolph  und  Clara«   (1800  für  Frankfurt),  »Carlo  Fioras« 
(1800  für  München).    »Haireddin   Barbarossa«,   der  Kaiserin  von  Russland  ge- 
widmet   (1815    für  München),    »die  Weihe«,    dramatisches   Festspiel    (1818    für 
München)  und  »der  Fassbinder«   C1824  für  München);  ferner  9   Violinconcerte, 
ein  Doppelconcert   für   zwei  Violinen,    »das    Reich    der   Töne«,    Concertino   für 
'Violine  mit  fünf    Solosingstimraen,    Chor    und   Orchester,  concertirende  Violin- 
duette und  Violintrios,  viele  Violinstücke,  italienische  Canzonen,  eine  Sinfonie, 
mehrere   Ouvertüren  u.  s.  w.  —   Sein  Vater,  Ignaz  F.,  v/ar  ebenfalls  als  einer 
der    geschicktesten    Violinvirtuosen    in    Deutschland    anerkannt.      Geboren    war 
derselbe  am   3.  Juni  1734  zu  Mannheim,  war  1750  als  Violinist  in  das  dortige 
berühmte  Hoforchester  getreten  und  darin  bis  zum   Concertmeister  und  Musik- 
direktor emporgestiegen,  in  welcher  letzteren  Eigenschaft  er  seit  1768  auch  in 
München  wirkte.     Mit  seinem  Sohne  ging  er   1784  auf  Reisen,  nahm   1790  die 
Stelle    eines    ersten  Direktors    der  Theaterkapelle  in  Mannheim  an   und  wirkte 
als  solcher  bis  zu  seinem  Tode  daselbst  im  J.  1803.      Seine  Violincompositionen, 
von  denen  an   20,  bestehend  in  Concerten,   Quartetten,  Trios,  erschienen,  waren 
im    engeren    Umkreise    beliebt,    vermögen    aber    nicht    den    Vergleich    mit    den 
gleichartigen    fantasiereichen    und    geschickten    Arbeiten    seines    Sohnes    auszu- 
halten. 

Fragmengo,  Filippo,  spanischer  Componist,  der  in  der  letzten  Hälfte  des 


12  Fraguier  —  Franceschi. 

16.  Jahrhunderts  in  Italien  lebte  und  von  dessen  Composition  Madrigale  für 
fünf  Stimmen  (Venedig,   1584)   erschienen  sind. 

Fragruier,  Claude  Fran^ois,  Abbr,  französischer  Gelehrter,  geboren  am 
28.  Aug.  1666  zu  Paris,  gestorben  als  Mitglied  der  Akademie  ebendaselbst  am 
31.  Mai  1728,  hat  über  die  Musik  der  Alten,  besonders  nach  Plato,  Forscliungen 
angestellt  und  deren  Resultate  in  zwei  Schriften  veröfFentliuht,  deren  eine  Frau 
Gottsched  für  die  Marinirg' sehen  Beiträge  zur  Musik  (Bd.  2)  übersetzt  hat. 

Framery,  Nicolas  Etienne,  französischer  Componist  und  gediegener 
MusikschriftstelliT,  geboren  am  2.5.  März  1745  zu  Ronen,  war  noch  sehr  jung, 
als  ihn  schon  der  Graf  von  Artois  zum  Surintendanten  seiner  Hofmusik  er- 
nanute. Vor  der  Revolutionszeit  war  er  besonders  dadurch  vortheilhaft  bekannt, 
dass  er  mehreren  italienischen,  in  ihrer  Dichtung  veralteten  Opern  neu  umge- 
staltete Texte  soiner  Feder  untergelegt  hat,  so  der  Sacchini'schcn  Musik  zu 
nlüola  iPamore<i  sein  Libretto  »Za  coloniaa',  in  ähnlicher  Art  entstanden  nL'Olym- 
piadea,  •nL^infaute  de  Zatnoravi  und  r>Les  deux  comtessesv^.  Im  J.  1783  trat  er 
selbst  als  Dichter-Componist-  mit  der  komischen  Oper  »ia  sorciere  par  Ij^sard'i 
auf,  die  jedoch  nur  den  Beifall  der  Kenner  davontrug.  Bald  dai'auf  erhielt  F. 
für  eine  Operudichtung  -nMedcen.  den  ausgesetzten  ersten  Preis  und  coraponirte 
auch  nachträglich  die  Musik  dazu,  da  sein  Freund  Sacchini  während  der  musi- 
kalischen Bearbeitung  dieses  Textbuches  1786  gestorben  war.  F.  selbst  starb 
zu  Paris  am  26.  Novbr.  1810.  —  Von  seinen  musikalischen  Schriften  kennt 
man  eine  gegen  Gluck  gerichtete  Brochure  ^^Lettre  ä  Vauteur  de  Mercuren  (Paris, 
1776),  ferner  eine  TJebersetzung  aus  dem  Italienischen  des  Azopardi,  betitelt 
»ie  musicien  pratiqaa  (Paris,  1786);  sodann,  in  Gemeinschaft  mit  Guingene 
und  Abt  Feyton  gearbeitet,  das  später  von  J.  J.  de  Momigny  vollendete  Werk 
'«Encyclopedie  methodique'i.  vol.  I;  y^Avis  aux  poetes  lyriques  de  la  necessite  du 
rhythme  et  de  la  cesure  dans  les  hymnes  ou  ödes  destincs  ä  la  musiquea  (Paris, 
1796);  die  akademische  Preisschrift  Ȁ7ialyse  des  rapports  qui  existent  eutre  la 
musique  et  la  dcclamation  etc.«  (Paris,  1802);  •s>Notice  sur  Joseph  Haydim  (Paris, 
1810).  Endlich  gab  er  zwei  Jahrgänge  des  »Oalendrier  miisical  aniversel<i  (Paris, 
1788  und  1789)  heraus,  redigirte  einige  Jahrgänge  der  von  Etienne  Honore 
de  Framicourt  (gestorben  1781)  begründeten  Musikzeitung  y>Joiirnal  de  musiqueK 
und  lieferte  Beiträge  für  den  von  der  Akademie  herausgegebenen  y>Diotionnaire 
des  heaiix  arts.i  F.'s  Eifer,  Fähigkeiten  und  Enthusiasmus  für  italienische 
Musik  haben  grossen  Eiufluss  auf  die  Ausbildung  der  französischen  National- 
musik gehabt. 

Franc,  Guillaume,  französischer  Tonkünstler  des  16.  Jahrhunderts,  soll 
nach  Bayle  der  wirkliche  Componist  der  Melodien  zu  den  Marot'schen  Psalmen 
gewesen  sein,  was  von  Beza  schon  1552  durch  eine  eigene  Schrift  bestätigt 
wird.  Auch  die  verschiedenen  Ausgaben  der  Psalmen  von  1543  und  1564  mit 
den  einfachen  Melodien  bekräftigen  diese  häufig  angefochtene  Annahme.  Vgl. 
Baylc,  Dict.  (Art.  Marot)  und-Burney,  Hist.  III,  p.  43.    S.  auch  Franckc.    f 

Fraiiraise  hiess  ein  französischer  Rundtanz ,  der  in  munterer  Weise  nach 
einer  im  'Y»  gesetzten  Melodie  aufgeführt  wurde.  In  den  dreissiger  Jahren 
dieses  Jahrhunderts  war  dieser  Tanz  sehr  verbreitet  und  auch  in  Deutschland 
überaus  beliebt,  kam  jedoch  bald  darnach  aus  der  Mode  und  jetzt  kennt  man 
denselben  kaum  noch  in  Frankreich.    S.  auch  Anglaise  und  Contredanse.    f 

Frauceschi,  Francesco,  italienischer  Gelehrter,  ist  als  Verfasser  einer  in 
Lucca  erschienenen,  von  kunstrichterlichem  Scharfsinn  zeugenden  Schrift  t>Apo- 
loyia  delle  opere  drammatiche  dl  Metastasio<i  bekannt  geblieben,  die  später,  1789, 
dem  letzten  Bande  der  zu  Lucca  herausgekommenen  Opere  drammatiche  del  Äbate 
Pietro  Metasfasio,  Foeta  Cesarea  etc.  angehängt  wurde.  In  derselben  befanden 
sich  folgende,  die  Musik  speciell  betreffende  Abschnitte:  1.  von  der  nachahmen- 
den Musik  der  Oper,  2.  über  die  Sujet's  der  Oper  in  Rücksicht  auf  die  Musik, 
3.  von  den  Recitativen  des  Metastasio  in  Bezug  auf  Musik  und  4.  von  den 
Arien.     Vgl.  Literarische  Zeitung  von  1792  Nr.  192.  t 


Franceschini  —  Franchomme.  13 

rrauceschini.  Dieses  Namens  haben  mehrere  italienische  Tonkünstler  des 
17.  und  18.  Jahrhunderts  um  die  Musik  sich  verdient  gemacht,  Giovanni 
Battista  F.,  ein  vorzüglicher  Sänger,  der  um  1690  am  Hofe  des  Herzogs  von 
Modena  wirkte.  —  Petronio  F.  lebte  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  in 
seiner  Geburtsstädt  Bologna  als  dramatischer  Componist,  und  starb  daselbst 
1681.  Seine  Opern  -nOronte  di  Memfia  (1676),  rtArsinoe«  (1677),  y>Äpollo  in 
Tessaliaa  (1679)  und  y^Dionisioa  (1681),  in  Bologna  aufgeführt,  wurden  von 
Kennern  besonders  des  reinen  Stils  halber  geschätzt.  —  Giov.  F.,  geboren  um 
1760  zu  Neapel,  ist  durch  verschiedene  von  ihm  in  Musik  gesetzte  Theater- 
stücke, sowie  durch  1777  in  Amsterdam  herausgegebene  sechs  Violinduos,  die 
als  op.  2  erschienen,  bekannter  geworden.  —  Antonio  F.,  geboren  zu  Neapel, 
wird  in  dem  mailändischen  IncUee  de^  Spettac,  von  1783  bis  1791  als  Opern,- 
componist  angeführt.  f 

Francesco   Cieco,  s.  Landin o. 

Francesco  «la  Milane,  italienischer  Orgel-  und  Lautenspieler  des  16.  Jahr- 
hunderts, zu  Mailand  geboren  und  als  Organist  daselbst  angestellt.  Nach  Doni 
und  Piccinelli  ist  er  der  Verfasser  mehrerer  1537  bis  1540  zu  Venedig  und 
Mailand  erschienener  Sammlungen  von  Orgel-  und  Lautenstücken,  von  denen 
sich  hin  und  wieder  ein  Exemplar  noch  vorfindet. 

Francesco  da  Pesaro,  einer  der  berühmtesten  altitalienischen  Organisten, 
aus  Pesaro  gebürtig,  der,  als  Nachfolger  Zucchetto's,  von  1337  bis  1368  an 
der  Kirche  San  Marco  zu  Venedig  angestellt  war. 

Francesco  deg-li  Organi,  s.  Landino. 

Francesco  la  Fornara,  italienischer  Castrat  mit  vielbewunderter  Contr'alt- 
stimme,  geboren  1706  im  Königreiche  Neapel,  war  seit  1719  mit  dem  Rufe' 
eines  geschickten  und  geschmackvollen  Sängers  in  der  königl.  französischen 
Kapelle  zu  Paris  und  lebte  pensionirt  daselbst  noch  1780,  nachdem  er  in  seiner 
Blüthezeit  auf  dem  Fechtboden  in  Folge  eines  in  den  Hals  erhaltenen  Fleuret- 
stosses  seine  schöne   Stimme  eingebüsst  hatte. 

Franche,  Louis  Joseph,  französischer  Violinspieler,  der  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  zu  Paris  lebte,  und  1749  ein  Buch  von  ihm  componirter 
Violinsonaten  veröffentlicht  hat. 

Frauchetti-Walzel,  eine  vortreffliche,  in  Italien  geborene  Coloratursängerin, 
war  1841  am  Hoftheater  in  Braunschweig  und  später,  bis  zu  ihrem  Rücktritt 
von  der  Bühne,  am  Stadttheater  zu  Leipzig  engagirt.  Nähere  Nachrichten 
fehlen.  —  Ihre  Schwester,  Luisa  F.,  in  Wien  1812  geboren  und  daselbst  für 
die  Opernbühne  ausgebildet,  debütirte  1831  so  erfolgreich,  dass  sie  ein  Jahr 
darauf  für  das  Königsstädter  Theater  in  Berlin  engagirt  wurde,  dessen  Mitglied 
sie  bis  1839  blieb.  Von  dort  aus  wurde  sie  nach  Bremen,  dann  nach  Hannover 
berufen  und  glänzte   seit  1841   in  Stuttgart  noch  lange  in  Soubretten-Parthien, 

Fraucliezza  (ital. ;  hanz.'.  fr ancMse),  die  Freimüthigkeit,  Dreistigkeit,  kommt 
als  Vortragsbezeichnung  in  Verbindung  mit  der  Präposition   con  vor. 

Franclii,  Giovanni  Pietro,  italienischer  Tonkünstler,  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  zu  Pistoja  geboren,  war  Concertmeister  des  Herzogs  von  Ros- 
pigliosi  und  hat  von  seiner  Composition  nSonate  a  trev.  (Bologna,  1687)  und 
r>DueUi  da  Cameraa  (Bologna,  1689)  veröffentlicht.  Das  erstgenannte  Werk 
erschien   etwa  zwanzig  Jahre  später  auch  bei  Roger  in  Amsterdam. 

Franchinus,  s.  Gafori. 

Franchomme,  August,  berühmter  französischer  Violoncellovirtuose  der  Ge- 
genwart, geboren  1809  zu  Lille,  erhielt  bei  einem  Violoncellisten,  Namens  Mas, 
seinen  ersten,  ziemlich  ungenügenden  Unterricht.  Im  J.  1825  kam  F.  nach 
Paris  und  trat  im  März  desselben  Jahres  in's  Conservatorium,  wo  Levasseur 
und  Norblin  sein  hervorragendes  Talent  mit  solchem  Erfolge  ausbildeten,  dass 
er  noch  in  demselben  Jahre  den  ersten  Preis  für  Violoncellospiel  davontrug. 
Alsbald  trat  er  auch  in  das  Orchester  des  Theaters  Ämbigti-cornique,  1827  in 
das  der  Grossen  Oper  und  ein  Jahr  später  in  das  der  Italienischen  Oper,  welche 


1 4  Prancia  —  Pranck. 

Stelle  er  sehr  lange  inne  hatte  und  schliesslich  mit  derjenigen  eines  Professors 
am  Pariser  Cunservatorium  vertauschte.  Seine  Coucerte  nahmen  in  Paris  eine 
hohe  Stellung  ein,  und  noch  jetzt  stehen  seine,  mit  anderen  Virtuosen,  beson- 
ders mit  dem  Violinisten  Alard,  veranstalteten  Winter-Soireen,  ihrer  überwiegend 
gediegenen  Programme  wegen  im  besten  Ruf.  Aus  denselben  ist,  besonders 
für  classische  Musik,  eine  erfolgreiche  Propaganda  ausgegangen.  —  F.  ist  ein 
Virtuose  von  enormer  Fertigkeit  und  geschmackvoller  Vortragsart,  Vorzüge,  die 
sich  auch  in  seinen  Coiupositionen  wiederspiegeln,  welche  in  einem  Concert  mit 
Orchester  und  zahlreiclien  beliebten  und  dankbaren  Fantasien,  Salonstücken, 
Etüden,  Capricen,  Variationen  u.  s.  w.  für  Violoncello  bestehen.  Aus  seiner 
Klasse  am  Conservatorium  ist  eine  ganze  Reihe  der  tüchtigsten  Violoncellisten 
hervorgegangen. 

Frnucia,  (Tregorio,  italienischer  Tonkünstler  aus  Rom,  lebte  zu  Anfange 
des  17.  .Fahrhunderts  und  gab  nacli  Walther:  »Afofef/i  «  2,  3  e  4  vociu  (Neapel, 
1611)  heraus.  f 

Kraiiciscello  oder  Fraucischelio,  der  grösste  Violoncellovirtuose  der  ersten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  über  dessen  Leben  fast  alle  nähereu  Nachrichten 
fehlen.  Er  taucht  zuerst  in  Rom  auf,  befand  sich  11 '2b  in  Neapel  und  trat 
darauf  in  die  Hofkapelle  zu  Wien.  Später  war  er  wieder  in  Italien  und  zwar 
in  Grenua,  wo  er  auch  um  1750  gestorben  sein  soll,  (^uantz,  der  ihn  in  Nea- 
pel, und  Franz  Benda,  der  ihn  in  Wien  hörte,  sprechen  ihm  übereinstimmend 
eine  unübertreffliche  Meisterschaft  auf  dem  Violoncello  zu,  und  öeminiani  be- 
richtet, dass,  als  F.  in  Rom  einst  eine  Cantate  mit  obligatem  Violoncello  von 
Alessandro  Scarlatti  accorapagnirt  habe,  der  Componist,  der  den  Flügel  hielt, 
entzückt  aufgesprungen  und  ausgerufen  habe,  so  könne  nur  ein  Engel  in  Men- 
schengestalt spielen.  Fetis  behauptet,  was  Corelli  für  die  Violine,  das  sei  F. 
für  das  Violoucellospiel  gewesen,  und  ihm  hauptsächlich  verdanke  man  es,  dass 
das  Violoncello  die  Bassviola  aus  den  italienischen   Orchestern  verdrängte. 

Fraucisci,  Erasm  o,  ein  aus  altadligem  italienischem  Greschlechte  stammen- 
der Gelehrter,  geboren  zu  Lübeck  am  19.  November  1627,  studirte  die  Rechte, 
wurde  dann  Hofmeister  und  machte  als  solcher  grössere  Reisen ,  nach  deren 
Beendigung  er  als  Hohenlohe'scher  Rath  zu  Nürnberg  seinen  bleibenden  Auf- 
enthalt "'nahm  und  als  Schriftsteller  bis  an  sein  am  12.  December  1684  erfolgtes 
Ende  wirkte.  Unter  seinen  vielen  Schriften  befindet  sich  auch  eine:  »Wunder- 
reicher Ueberzug  unserer  Niederwelt,  oder  Erd-umgebender  LufFt-Kreys«  (Nürn- 
berg, 1680)  betitelt,  die  im  dritten  Kapitel  von  Seite  474  bis  516  vom  Echo 
und  von   Sprachröhren  handelt.  f 

Fraucisco,  Ludovico  a  San,  gelehrter  portugiesischer  Franciscanermönch, 
der  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  lebte  und  ein  Werk,  nGlobus  canonum 
et  arcanorum  linguae  sanctae  ac  divinae  scripturaea  (Rom,  1586)  veröffentlichte, 
in  dessen  10.  Buche  im  9.  Kapitel  über  Musik  im  Geiste  des  alten  Testaments 
abgehandelt  wird.     Vgl.   Fossevini  Bibl.  select.  p.   223.  f 

Fraucisconi,  Giovanni,  italienischer  Tonkünstler,  geboren  zu  Neapel,  war 
in  seinen  Mannesjahren  Kammervirtuose  des  Grafen  von  Hessenstein  und  hat 
sich  damals  durch  sechs  Violinduo's,  die  zu  Amsterdam  gedruckt  wurden,  und 
sechs  Violiuquatuors,  welche  ums  Jahr  1770  zu  Paris  erschienen,  bekannter 
gemacht.  f 

Francisqne,  Antoine,  französischer  Lautenspieler,  veröffentlichte  1600  ein 
Werk  unter  dem   Titel  »Ze  tresor  iVOrpheev.,  welches  Lautenstücke  enthielt. 

Fraitck,  Cesar  Auguste,  tüchtiger  belgischer  Tonkünstler,  geboren  am 
10.  Decbr.  1822  zu  Lüttich,  besuchte  als  Knabe  das  Conservatorium  seiner 
Vaterstadt,  wurde  aber  1837  zu  seiner  höheren  musikalischen  Ausbildung  auf 
das  von  Paris  gebracht,  wo  er  Ciavierspiel  bei  Zimmermann  und  Contrapunkt 
bei  Lebome  studirte.  Hierauf  liess  er  sich  ganz  in  Paris  nieder  und  erwarb 
sich  schnell  den  Ruf  eines  gediegenen,  keimtiiissreichen  Musiklehrers  und  Com- 
pouisten.     Von   seinen    Compositionen    werden    besonders    Trios   für    Pianoforte, 


Franck.  15 

Claviei'  und  Violoncello  geschätzt;  ausser  diesen  veröffentlichte  er  Claviercom- 
positiouen  aller  Art  und  brachte  auch  1846  ein  Oratorium  »Ruth«  in  Paris 
nait  Beifall  zur  Aufi'iihrung,  das  1869  mit  unvermindertem  Erfolge  wiederholt 
öffentlich  zu  Gehör  gelangte.  ■ —  F.'s  älterer  Bruder,  Joseph  F.,  geboren  um 
182U,  begann  seine  Studien  ebenfalls  auf  dem  Conservatorium  zu  Lüttich  und 
vollendete  sie  auf  dem  in  Paris.  Früher  Organist  und  Kapellmeister  au  der 
Kirche  des  missions  etrangeres  und  an  Saint  Thomas  d'Aquin,  bekleidet  er  jetzt 
diese  Aemter  hochgeachtet  an  Sainte  Clotilde.  Daneben  ertheilt  er  Unterricht 
in  der  Composition,  im  Ciavier-  und  Orgelspiel,  für  welches  letztere  Fach  er 
auch  als  Professor  am  Conservatorium  angestellt  ist.  Von  seinen  Compositionen 
sind  im  Druck  erschienen:  Messen  und  andere  Kirchenwerke,  Orgel-  und  Ciavier- 
stücke, ein  Pianoforte-Concert  u.   s.  w. 

Frauck,  Eduard,  vorzüglicher  Pianist  und  gediegener  Componist,  geboren 
1824  zu  Breslau,  wo  er  aucli  seine  musikalische  Ausbildung  und  eine  tüchtige 
wissenschaftliche  Erziehung  erhielt,  nahm  1843  einen  mehrjährigen  Studienauf- 
enthalt in  Italien  und  kehrte  1846  in  sein  Vaterland  zurück,  wo  er  sich  zu- 
nächst in  Berlin  niederliess  und  als  Concertspieler  und  Componist  vortlieilhaft 
bekannt  machte.  Von  dort  aus  erhielt  er  einen  Ruf  als  Lehrer  des  Clavier- 
spiels  an  die  Rheinische  Musikschule  in  Köln,  in  welchem  Amte  er  bis  1859 
wii'kte,  nachdem  er  1856  den  Titel  eines  königl.  preussischen  Musikdirektors 
erhalten  liatte.  Hierauf  als  Musikdirektor  nach  Bern  berufen,  widmete  er  seine 
Thätigkeit  mit  schönem  Erfolge  der  Pflege  und  der  Hebung  der  dortigen  Musik- 
zustände, nach  Seite  des  Pädagogischen  sowohl,  wie  nach  der  der  öffentlichen 
Aufführungen  hin.  Ln  J.  1867  trat  er  als  erster  Lehrer  des  Pianofortespiels 
an  Louis  Brassin's  Stelle  in  das  Stern'sche  Conservatorium  der  Musik  zu  Bei'lin, 
welches  Amt  er  zum  Vortheil  des  genannten  Instituts  noch  gegenwärtig  inne 
hat.  —  Von  P.'s  hervorragender  compositorischer  Befähigung  zeugen  Sinfonien, 
Ouvertüren,  Streichquartette,  Clavierconcerte  und  andere  Pianofortewerke,  sowie 
Gesänge  und  Lieder,  von  denen  manches  mit  Beifall  öffentlich  aufgeführt  wurde, 
weniges  aber  nur  im  Druck  erschienen  ist. 

Fraück,  Johann  Wolfgang,  seines  Berufs  ein  Arzt,  dabei  aber  zugleich 
einer  der  fruchtbarsten  und  berühmtesten  deutschen  Componisten  seiner  Zeit, 
geboren  um  1640  und  wahrscheinlich  ebenfalls  in  Hamburg,  woselbst  er  von 
1678  bis  1686  eine  ganze  Reihe  seiner  Opern  mit  grossem  Beifall  zur  Auf- 
führung brachte,  von  denen  die  Titel  von  vierzehn  noch  bekannt  geblieben  sind, 
nämlich:  »Michael  und  David«,  »Perseus  und  Andromeda«,  »die  Mutter  der 
Makkabäer«,  »Aeneas«,  »Don  Pedro«,  »Jodelet«,  »Seraele«,  »Hannibal«,  »Chari- 
tine«, »Diocletianus«,  »Attila«,  »Vespasianus«,  »Kara  Mustapha  1.  Theil«  und 
derselben  Oper  zweiter  Theil.  Um  1687  ging  er  nach  Spanien,  wo  er,  seiner 
ausgezeichneten  Kenntnisse  und  Fertigkeiten"  halber  der  Günstling  Karl's  II. 
wurde,  dieses  Umstands  wegen  aber  bei  der  Hofpartei  verhasst,  schliesslich 
ein  Opfer  des  Giftmords  geworden  sein  soll.  —  Von  seinen  Opern  sind  ein- 
zelne Stücke  im  Druck  erschienen,  sodann  auch  Sonaten  für  zwei  Violinen  mit 
JBasso  continuo,  welche  Roger  in  Amsterdam  herausgab.  Mattheson  berichtet 
in  seiner  »Ehrenpforte«  auch  von  Kirchenwerken  F.'s,  namentlich  von  einer 
Sammlung  derselben,  die  unter  dem  Titel  »Kirchliche  Andachten  «  herausgekom- 
men sein  soll.  Alle  Forschungen  danach  sind  bis  jetzt  aber  vergeblich  ge- 
blieben. 

Frauck,  Melchior,  deutscher  Kirchencomponist  und  Dichter  geistlicher 
Lieder,  geboren  um  1580  zu  Zittau  in  der  Lausitz,  wurde  1603  Kapellmeister 
am  coburg'schen  Hofe  und  starb  in  dieser  Stellung  am  6.  Juni  1639  (nicht 
1689).  Das  älteste  der  von  ihm  bekannt  gebliebenen  Werke  sind  r>Sacrae  me- 
lodiae  4,  5,  6,  7  eif  8  voeum.  Tomiis  i}rimus<i.  (München,  1600  bei  G,  Willer); 
die  Titel  der  übrigen  Psalme,  Lieder,  Motetten,  44  Sammlungen  Tänze  u.  dergl. 
befinden  sich  sorgfältig  zusammengestellt  in  Gerber's  Lexikon.  Davon  werden 
die  Choralweisen  »Jerusalem,  du  hochgebaute  Stadt«    und  »Sag',   was  hilft  alle 


\Q  Franck  —  Franckenau. 

Welt«  jetzt  noch  hier  und  da  gesungen.  Entnommen  sind  dieselben  aus  F.'s 
grösserem  \Verke  »Teutsclie  Psalmen  und  Kirchengesänge  auflP  die  gemeinen 
Melodeyen,  mit  vier  Stimmen  gesetzet«  (Nürnberg,  1608).  Ehemals  sang  man 
in  den  Kirchen  auch  noch  die  Choralwoisen  »0  Jesu,  wie  ist  deine  Q-estalt«, 
»Der  Bräutigam  wird  bald  ruflFen«  u.  s.  w.,  von  denen  auch  die  Texte  F.  zuge- 
schrieben werden.  —  Von  einem  im  Uebrigen  unbekannten  Zittauer  Lands- 
mann und  Zeitgenossen  F.'s,  Namens  Johannes  F.,  existirt  ein  Werk  y>Oan- 
tiones  sacrarum  melotliarum  5,   6,   7   ö^  8  vocmna  (Auyustae,   1600,   Seb.  Mylius). 

Franck,  Michael,  gekrönter  kaiserlicher  Dichter  und  Componist,  geboren 
am  16.  März  1609  zu  Schleusingen,  erhielt  auf  der  Schule  zu  Coburg  eine 
gute  wissenschaftliche  Bildung  und  wurde  um  1625  zu  einem  Bäcker  gebracht, 
um  dessen  Handwerk  zu  lernen.  Schon  1628  wurde  er  Meister  in  Schleusin- 
gen, büsste  aber  während  der  Drangsale  des  dreissigj ährigen  Kriegs  sein  gan- 
zes Besitzthum  ein,  sodass  er  arm  und  hülflos  mit  seiner  zahlreichen  Familie 
1640  nacli  Coburg  zurückwanderte,  wo  er  einige  Unterstützung  und  1644  eine 
Lehrerstelle  am  G-ymnasium  fand.  In  diesen  bedrängten  Umständen  studirte 
er  noch  Musik  und  Poesie  und  zwar  mit  solchem  Erfolge,  dass  er  mit  den 
besten  Dichtern  seiner  Zeit  Reimepisteln  wechselte,  Compositionen  veröffent- 
lichte und  1659  zum  gekrönten  Poeten  ernannt  und  in  Folge  dessen  unter  dem 
Namen  Staurophilus  von  dem  berühmten  Johann  Rist  in  den  Schwauen-Orden 
aufgenommen  wurde.  Er  starb  am  24.  Septbr.  1667  zu  Coburg.  Von  seinen 
Compositionen  kennt  man:  »Geistliches  Harfenspiel  aus  dreissig  vierstimmigen 
Arien  nebst  Generalbass«  (Coburg,  1657)  und  die  Choralweisen  »Kein  Stünd- 
lein geht  dahin«,  »Ach,  wie  nichtig,  ach,  wie  flüchtig«  und  »Sey  Gott  getreu, 
halt'  seinen  Bund«,  deren  Texte  wenigstens  bestimmt  von  ihm  herrühren.  — 
Sein  älterer  Bruder,  Sebastian  F.,  geboren  zu  Schleusingen  am  18.  Januar 
1606,  war  in  musikalischer  Beziehung  ein  Schüler  des  Theologen  Theophilus 
Grossgebauer  und  starb  als  Magister  und  Diaconus  zu  Schweinfurt  am  13.  Api'. 
1668.  Er  wird  in  Wetzel's  »Liederhistorie«  als  einer  der  vortrefllichsten  Mu- 
siker seiner  Zeit  bezeichnet,  jedoch  hat  sich  kein  einziges  seiner  Werke  bis  auf 
die  neuere  Zeit  erhalten. 

Francke,  Wilhelm,  ein  elsässischer  Tonkünstler  des  16.  Jahrhunderts,  hat 
50  von  Marot  für  die  reformirte  Kirche  gedichtete  Psalme  in  Musik  gesetzt 
und  1543  zu  Strassburg  veröffentlicht.  Nach  dem  AussiDruche  von  Fetis  sind 
dies  dieselben  Psalmenweisen,  welche  sich  bei  den  Reformirten  Frankreichs  und 
der  Niederlande  im  Gebrauch  erhalten  haben  und  von  Bourgeois,  Goudimel 
und   Claudin  le  jeune  eine  vierstimmige  Bearbeitung  erfahren   haben.  S.  Franc. 

Francke  oder  Frauck,  Johann,  ein  Dichter  und  Componist  des  17.  Jahr- 
hunderts, geboren  am  1.  Juni  1618  zu  Guben,  studirte  daselbst  sowie  in  Cott- 
bus, Thorn,  Stettin  und  Königsberg  die  Rechte  und  die  Poesie,  verfasste  welt- 
liche und  geistliche  Dichtungen  und  starb  am  18.  Juni  1677  in  seiner  Vater- 
stadt, woselbst  er  Bürgermeister  und  Landesältester  geworden  war.  Von  ihm 
ist  n.  A.  das  Gesangbuchlied  »Jesu,  meine  Freude«  gedichtet  und  angeblich 
auch  coraponirt;  aber  nur  die  Johann  Crüger'sche  Melodie  des  Liedes  ist  be- 
kannt geblieben.  Von  F.'s  Compositionen  erschien:  »Geistliches  Zion,  d.  i. 
neue  geistliche  Lieder  und  Psalmen,  nebst  beygefügten  theils  bekannten,  theils 
lieblichen  neuen  Melodien,  sammt  Vaterunsers-Harfen«  (Guben,  1648). 

Frauckouan,  Georg  Franck  von,  deutscher  musikalischer  Schriftsteller, 
geboren  zu  Naumburg  am  3.  Mai  1644,  studirte  zu  Leipzig,  Jena  und  Strass- 
burg Heilkunde,  Physik,  Philologie  und  die  Rechte  nebst  andern  schönen  Wis- 
senschaften und  wurde  zu  Heidelberg  zum  Professor  der  Medicin  ernannt.  Er  ver- 
sah darauf  lange  Zeit  zu  Strassburg  und  an  kleinen  Höfen  in  Süddeutschland 
die  Stelle  eines  obersten  Curators  in  Kirchensachen  neben  der  eines  Leibarztes, 
und  folgte  endlich  einem  Rufe  als  Justizrath  und  erster  Leibarzt  nach  Kopen- 
hagen, in  welchem  Amte  er  bis  zu  seinem  am  16.  Juni  1704  erfolgten  Tode 
verblieb.     Musikwissenschaftlich    hat  F.    sich   durch   seinen  im  J.  1672  in   Hei- 


Franco  von  Köln  —  Francoeur.  17 

delberg  gehaltenen  Yortrag  bemerkbar  gemacht,  in  dem  er  darüber  sich  erging, 
wie  die  Musik  sich  bei  verschiedenen  medicinischen  Kuren  dienlich  erweise.  Die- 
sen Vortrag  findet  mau  seinen  gedruckten  zwanzig  medicinischen  Satyren  als 
Anhang  beigefügt.  Mehr  über  F.'s  Leben  berichtet  Walther  in  seinem  musi- 
kalischen Lexikon.  —  Sein  Sohn  Grerhard,  Ernst  von  F.,  der  1676  geboren 
war,  starb  im  73.  Lebensjahre  als  königlisch  dänischer  Justizrath  und  Gesandter 
am  kaiserlichen  Hofe  zu  Wien.  Derselbe  ist  musikgeschichtlich  zu  erwähnen, 
weil  er  33,712  geistliche  Lieder  in  300  Bänden  gesammelt  hatte,  die  er  nach 
seinem  Tode  der  Universitätsbibliothek  zu  Copenhagen  zuwandte.  Wahrschein- 
lich hatte  sein  Vater  den  Grund  zu  dieser  Sammlung  in  Strassburg  gelegt. 
Ob  dieselbe  noch  vorhanden  oder  später,  der  königlichen  Bibliothek  einver- 
leibt, mit  dieser  durch  den  am  26.  Februar  1794  stattgefundenen  Schlossbrand 
vernichtet  wurde,  ist  nicht  mehr  bekannt.  t 

Frauco  von  Köln  (Franco  de  Colonia),  genannt  Parisiensis  magister, 
der  älteste  bekannte  Schriftsteller,  der  über  Mensuralmusik  etwas  hinterlassen 
hat,  und  einer  der  geschichtlich  merkwürdigsten  Tonlehrer  des  Mittelalters, 
welcher  fast  zuerst  Ordnung  auf  dem  theoretischen  Gebiete  der  Musik  ge- 
schafft hat.  Das  wenige  Zuverlässige,  was  über  sein  Leben  bis  jetzt  erforscht 
ist,  beschränkt  sich  darauf,  dass  er,  laut  eigener  Aussage  in  seinem  »Compe«- 
dium  de  discantws.,  in  Köln  geboren  ist.  Die  Frage  nach  der  Zeit  seines  Wir- 
kens zunächst  ist  noch  immer  nicht  endgültig  gelöst,  wenn  auch  Fetis,  der  ge- 
neigt ist,  F.  in  das  11.  Jahrluindert  zu  versetzen,  als  weitere  Resultate  seiner 
Forschungen  meldet,  dass  derselbe  seine  Studien  in  Lüttich  gemacht  habe  und 
als  Nachfolger  seines  Lehrers  Adelman,  eines  Mönches  der  Abtei  Stavelot,  da- 
selbst Unterricht  ertheilt  habe.  Diese  Angaben  bedürfen  der  sorgfältigsten ' 
Prüfung;  Zweifel  gegen  dieselben  erregt  bereits  die  ungefähr  festgestellte  Lebens- 
zeit, die,  conform  der  bis  lange  nach  Forkel  allgemein  gültig  gebliebenen  An- 
nahme, kui"z  nach  Guido  von  Arezzo,  also  um  die  Mitte  und  gegen  das  Ende 
des  11.  Jahrhunderts  fallen  soll.  Dagegen  gründete  viel  annehmbarer  Kiese- 
wetter auf  den  Zusammenhalt  der  in  der  vom  Fürstabt  Gerbert  in  der  Biblio- 
thek zu  Mailand  aufgefundenen  Schrift  F.'s  »Musica  et  cantios  mensurabilisa 
gegebenen  Musiktheorie  mit  dem  möglichen  Stande  der  Entwickelung  der  Ton- 
kunst im  12.  und  13.  Jahrhunderte  die  Behauptung,  dass  F.  nicht  im  11., 
sondern  zu  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  in  seiner  Blüthe  gestanden  haben 
müsse.  Vgl.  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  Jahrg.  1828,  S.  893  u.  ff.  Die  eben- 
falls allgemein  gewesene  Annahme,  F.  sei  der  Erfinder  des  Mensuralgesangs 
gewesen,  welche  man  auf  die  Aussprüche  der  Verbesserer  und  Beförderer  dieses 
Kunstzweigs,  Marchettus  von  Padua  und  Johann  der  Muris,  gründete,  die  F. 
ihren  Lehrer  nannten,  wurde  durch  den  von  Gerbert  aufgefundenen  und  dem 
dritten  Theile  seiner  y>Scriptores  de^  musica«  einvei'leibteu  wichtigen  Tractat  hin- 
reichend widerlegt.  F.  selbst  nennt  diesen  Tractat  ein  Compendium,  also  eine 
Zusammenstellung  der  zur  Zeit  seiner  Abfassung  geltenden  Grundsätze  der 
mensui-irten  Musik;  vor  ihm  habe  es  viele  Aeltere  und  Neuere  gegeben,  die 
treffliche  Regeln  in  dieser  Sache  geschrieben,  welche  er  nur  von  den  Irrthümern 
und  Fehlern  in  Nebendingen  reinigen  wolle,  damit  die  Kunst  nicht  Schaden 
leide  u.  s.  w.  Mit  Recht  sagt  daher  A.  W.  Ambros  in  seiner  Geschichte  der 
Musik  Bd.  2,  S.  361  von  F.:  »Er  wurde  eine  Autorität  fast  wie  Guido;  spätere. 
Schriftsteller  nennen  ihn  mit  hoher  Achtvmg.«  ^ 

Fraucoenr,  eine  französische  Tonkünstlerfamilie,  die  sich  durch  zwei  ihrer 
Glieder  besonders  verdient  und  berühmt  gemacht  hat.  Der  älteste  dieses  Na- 
mens, Louis  F.,  genannt  Vhonnete  Jiomme,  war  königl.  Kammermusiker  und 
Violinist  an  der  Oper  zu  Paris  und  starb  am  17.  Septbr.  1745.  —  Sein  Bruder 
Frangois  F.  war  ein  hochgeschätzter  Violinvirtuose.  Geboren  am  22.  Septbr. 
1698  zu  Paris,  wurde  er  schon  1710  Violinist  der  Oper,  wo  er  mit  Rebel  eine 
Freundschaft  schloss,  die  erst  mit  dem  Tode  endete.  Bald  nach  dieser  Zeit 
erhielt  er  auch  Anstellung  in  der  Privatmusik  des  Königs  und  kaufte  sich  nach 

Musikal.  Convers.-Lexlkon.    IV.  2 


1 8  i'raufois. 

zwanzigjähriger  Dienstzeit  die  Charge  eines  der  24:  Violons  du  roi,  worauf  er 
1733  auch  zum  Kammercompositeur  ernannt  wurde.  Vorher  soll  er,  vielleicht 
auf  Kosten  des  Königs,  eine  Studienreise  nach  Deutschland  unternommen  und 
längere  Zeit  in  Frag  und  Wien  geweilt  haben,  wo  damals  J.  J.  J^^'ux  wirkte. 
Im  J.  1733  noch  wurden  F.  und  der  in  allen  Unternehmungen  und  musikali- 
schen Arbeiten  eng  mit  ihm  liirte  ßebel  Inspectoren  und  1752  Directoren  der 
Grossen  Oper,  welches  Amt  sie  bis  1765  führten,  worauf  Bcrtou  und  Trial  in 
dieser  Eigenschaft  eintraten.  Inzwischen  war  F.  als  Nachfolger  Collin  de  Bla- 
mont's  auch  Surintendaut  der  Hofmusik  geworden  und  hatte  den  Orden  des 
heiligen  Michael,  eine  für  einen  Musiker  bis  dahin  unerhörte  Auszeichnung, 
erhalten.  Mit  der  Operndirektion  gab  er  auch  seine  übrigen  Stellungen  auf 
und  lebte  privatisirend  bis  zu  seinem  Tode,  der  am  7.  Aug.  1785  zu  Paiis 
erfolgte.  Noch  in  seinem  SO.  Lebensjahre  hatte  er  eine  sehr  schmerzhafte  Stein- 
operation glücklich  überstanden,  ein  Fall,  der  für  seine  robuste  Natur  spricht. 
In  seiner  Jugend  hatte  er  zwei  Bücher  Violin-Sonaten  veröffentlicht,  die  einzi- 
gen bekannt  gewordenen  Compositionen  von  ihm,  au  denen  Hebel  nicht  mit- 
arbeitend betheiligt  gewesen  war.  Mit  dem  letzteren  verbunden  schrieb  er  für 
die  Grosse  Ojjer  mit  bald  grösserem,  bald  geringerem  Erfolge:  ^^Pyrame  et  Thishev. 
(1720),  r>Tarsis  et  Zelie«  (1728),  y>Scanderhe(ji.  (1735),  »ie  hüllet  de  la  paixv. 
(1738),  ferner  i>Les  Augustalesu  (ein  Prolog  von  Montcrif),  »Ismenea,  y>Zelindorv., 
»La  trophte«,  v.Les  genies  tutelairesa  und  »ia  princesse  de  Noisg»,  welche  Opern 
und  Divertissements  in  der  Zeit  bis  1760  auf  <lie  Bühne  gelangten.  —  Sein 
Neffe,  Louis  Joseph  F.,  genannt  le  neveu,  Sohn  des  zuerst  genannten  Louis 
F.,  wurde  am  8.  Oktbr.  1738  zu  Paris  geboren.  Kaum  7  Jahr  alt,  verlor  er 
seinen  Vater,  weshalb  ihn  sein  Onkel,  der  kinderlos  war,  adoptirte  und  wie 
einen  Sohn  ausbilden  Hess.  Derselbe  brachte  ihn  schon  1747  zu  den  soge- 
nannten Musikpagen  des  Königs,  von  wo  aus  er  1752  als  Violinist  in  das 
Operuorchester  kam.  Nachdem  er  1764  zum  zweiten  Opernorchesterdirektor 
ernannt  worden  war,  folgte  er  1767  Berton  als  erster  Orchesterchef  und  wurde 
1776  sogar  einziger  Direktor  der  Oper.  In  demselben  Jahre  erhob  ihn  der 
König  zum  Kapellmeister  seiner  Privatmusik  und  einige  Jahre  darauf  sogar 
zum  Suriutendanten  derselben.  Als  Organisator  zu  Gunsten  tüchtiger  musi- 
kalischer Autführungen  hochbegabt ,  hatte  F.  einen  Orchesterausschuss  zuerst 
in's  Leben  gerufen,  der,  von  Allen  gewählt,  über  die  das  Orchester  betreffenden 
Angelegenheiten  vollgültig  zu  entscheiden  hatte.  Dieser  Einrichtung,  me  über- 
haupt der  Musikdirektion  F.'s,  spendet  Laborde  das  wärmste  Lob.  Im  J.  1792 
nahm  er  in  Gemeinschaft  mit  Cellerier  die  Grosse  Oper  in  Entreprise,  wurde 
aber  in  der  Schreckenszeit  als  royalistischer  Gesinnung  verdächtig  festgenommen, 
nach  dem  9.  Thermidor  erst  wieder  freigelassen  und  ihm  noch  einmal,  zusam- 
men mit  Denesle,  die  Oberleitung  der  Grossen  Oper  übergeben.  Doch  bald 
wurde  er  mit  dem  letzteren  ab-  und  dafür  Devismes  und  Bonnet  de  Treiches 
eingesetzt.  Seitdem  entsagte  F.  allen  Geschäften  und  lebte  mit  einer  Pension 
von  Jerome  Bonaparte  in  dem  Hause  seines  Sohnes,  eines  ausgezeichneten  Mathe- 
matikers. Er  starb  zu  Paris  am  10.  März  1805.  Als  Componist  ist  er  mit 
in  Paris  erschienenen  Violin -Solos  und  Trios  aufgetreten,  sowie  mit  der  ein- 
aktigen Oper  nismene  et  Lindora  (1766)  und  der  Bearbeitung  einer  älteren, 
nAjaxd  (1770).  Andere  Opern  und  Kirchenwerke  hinterliess  er  im  Manuscript; 
dieselben  sind  seit  1821  zum  grössten  Theil  im  Besitz  der  Bibliothek  des  Pariser 
Conservatoriums.  Seine  beste,  von  der  studirenden  Jugend  noch  lange  nach 
seinem  Tode  eifrig  benutzte  Arbeit  ist  die  Schrift:  r>Diapason  general  de  tous 
les  instrumens  ä  vent,  avec  des  observations  sur  chacun  d'eiu-a  (Paris,  1772), 
von  der  Chorou  eine  neue  Ausgabe  veranstaltete.  Jetzt,  nach  der  totalen  Um- 
formung der  Blasinstrumente  hat  dieses  Buch  natürlich  keinen  praktischen, 
Sündern   nur  noch  historischen  Werth. 

Frau(^'ol9,   Florcnt  des,    französischer   Tonküustler,    um  die  Mitte  des   17. 
Jahrhunderts   Kapellmeister   an    der   Kathedralkirche    zu    Noyon,    hat   mehrere 


Franco-Mendes  —  Franke.  19 

seiner  Messen    veröffentlicht,    die    sich   in    der  1633    von  Ballard  veranstalteten 
Sammlung  vorfinden. 

Franco-Meudes,  Jacques,  ein  vorzüglicher  Violoncello-Virtuose,  geboren 
1812  zu  Amsterdam  von  israelitischen  aus  Portugal  geflüchteten  Eltern,  erhielt 
seinen  ersten  Unterricht  auf  dem  Violoncello  von  Präger  und  in  der  Harmonie- 
lehre von  Bertelmann.  Seine  technische  Ausbildung  vollendete  er  seit  1829 
bei  Merk  in  Wien  und  concertirte  1831  in  Geimeinschaft  mit  seinem  Bruder 
Joseph  in  London  und  Paris  mit  grossem  Beifall.  Der  König  der  Niederlande 
verlieh  ihm  in  demselben  Jahre  den  Titel  eines  Hof- Violoncellisten  und  ernannte 
ihn  1834  zu  seinem  ersten  Solospieler.  Mittlerweile  war  F.  mit  seinem  Bruder 
1833  in  Deutschland  gewesen,  und  hatte  Avifsehen  erregt.  Von  1836  bis  1841 
lebte  er  in  Paris,  dann  in  Holland  und  unternahm  erst  1845  wieder  Kunst- 
reisen in's  Ausland.  Seitdem  theilte  er  seinen  Aufenthalt  zwischen  seinem 
Vaterlande  und  Paris  und  ist  besonders  als  Concertspieler  in  letztgenannter 
Stadt  hochgeschätzt.  In  seinen  Concerten  hat  er  Violoncellostücke  verschiedener 
Art  und  Streichquartette  seiner  Composition  hören  lassen,  die  auch  zum  Theil 
gedruckt  worden  sind.  —  Sein  Bruder,  Joseph  F.-M.,  geboren  zu  Amsterdam 
am  4.  Mai  1816,  wurde  von  Präger  auf  der  Violine  mit  dem  grössten  Erfolge 
ausgebildet,  so  dass  er  auf  den  Kunstreisen  seines  Bruders  1831  und  1833 
alle  Ehren  desselben  theilte.  Mit  demselben  Hess  er  sich  1836  in  Paris  nieder, 
wo  sich  Baillot  seiner  sehr  annahm  und  ihn  auf  das  Quartettspiel  hinwies,  in 
welcher  Gattung  sich  F.  dann  gleichfalls  einen  Namen  machte.  Er  starb  jedoch 
schon  am  14.  Oktbr.  1841  zu  Amsterdam.  Von  seinen  Compositionen  kennt 
man  Violinstücke  und   Streichquartette. 

Fraucus,  Elabetus,  deutscher  Tonsetzer  aus  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts, Hess  nach  Draudius  Bibl.  Class.  p.  755:  »Newe  Teutsche  vnd  lateinische 
Lieder  mit  3  Stimmen«  zu  Frankfurt  a.  0.  ums  Jahr  1599  drucken.  —  Die- 
selbe Quelle  berichtet,  dass  ein  Joannes  F.  im  Jahre  1600  zu  Augsburg 
r>Cantiones  sacrae  5,  Q,  1  et  S  vocuma  herausgab,  —  Der  von  Gerber  in  seinem 
Lexikon  von  1790  noch  angeführte  Wolfgang  Ammonius  F.,  der  ein  Choral- 
buch in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  herausgegeben  haben  soll,  ist 
wahrscheinlich  Wolfgang  Ammon  (s.  d.),  der  nach  seiner  Geburtsstätte  in 
Franken  den  Zunamen  Francus  führte.  t 

Frank,  Georg,  vortrefHicher  und  talentvoller  Violinist  und  Dirigent,  ge- 
boren 1845  in  Wien,  bildete  sich  unter  Jos.  Hellmesberger's  Leitung  musika- 
lisch in  ausgezeichneter  Art  aus.  Wiederholt  Hess  er  sich  in  Wien,  dann  auch 
in  Pesth,  Bukarest,  Odessa  u.  s.  w.  öffentlich  hören  und  erwarb  sich  durch 
seinen  schönen  Ton  und  seine  vorzügliche  Technik  den  grössten  Beifall,  ja, 
sein  Spiel  und  der  sich  zugleich  kund  gebende  künstlerische  Ernst  erweckte 
die  allgemeine  Sympathie  für  ihn  iü  dem  Maasse,  dass  u.  A.  die  Fürstin  Wo- 
ronzoflf  ihn  mit  einer  kostbaren  Guarneri- Geige  beschenkte.  F.  trat  als  Violinist 
in  das  Hofopernorchester  in  Wien,  gab  aber  nach  kurzer  Zeit  diese  Stelle 
wieder  auf,  um  einem  Rufe  nach  Odessa  zu  folgen,  wo  man  ihm  das  Amt  eines 
Direktors  der  russischen  Gesellschaft  der  Musikfreunde  übertrug.  Dieser  Stel- 
lung stand  er  mit  Fleiss,  Talent  und  Geschick  vor,  leider  aber  ebenfalls  nur 
ganz  kurze  Zeit,  da  er  am  13.  April  1871  in  der  ersten  Blüthe  seiner  Jahre 
einem  Brustleiden  erlag,  das  er  schon  lange  mit  sich  herumgetragen  hatte  und 
dem  selbst  das  schöne  Klima  Odessa's  keine  Heilung  mehr  zu  bx'ingen  ver- 
mochte. 

Franke,  F.  C,  Pianist  und  Virtuose  auf  dem  Contrabass,  1841  in  Quedlin- 
bürg  lebend,  ist  der  Verfasser  einer  »Anleitung,  den  Contrabass  zu  spielen«.  — 
Andere  Instrumentalisten  dieses  Namens  sind:  Hermann  F.,  ein  tüchtiger 
Violinist,  der  auf  Kosten  des  Königs  von  Sachsen  1870  seine  letzte  Ausbildung 
bei  J.  Joachim  in  Berlin  erhielt  und  gegenwärtig  erster  Violinist  des  gräfl. 
Hochberg'schen    Streichquartetts    in  Dresden    ist;    Leopold  F.,    Oboevirtuose, 

2* 


20  Franlie  —  Frankreich. 

um   18:50  lebend  und  S.  F.,  Clariiiettist  in  Weimar  1833.     Von  allen  Genann- 
ten  existiren   auch   Compositionen  für  die  betreffenden  Instrumente. 

Frauke,  Hermann,  trefllicher  deutscher  Tonkünstler,  lebt  als  Oantor  zu 
Crossen  und  liat  werthvolle  Milnnorchöre  geschi'ieben ,  für  deren  einem  (mit 
Solo  und  Orchester)  er  auf  dem  Sängerfeste  1869  zu  Baltimore  den  ersten 
Preis  erhielt.  F.  ist  auch  der  Verfasser  eines  »Handbuchs  der  Musik«  (Glogau, 
18(57),  des  vorzüglichsten  aller  kleineren  Musiklexica. 

Frankeuberg:,  Franz,  ausgezeichneter  und  berühmter  Opernsänger,  geboren 
zu  Mattighofen  in  Bayern  im  J.  1759,  hatte  eine  vorzügliche  Bassstimme,  welche 
ihn  veranlasste,  dass  er  auf  Anrathen  Kaiser  Josephs  IL,  als  er  in  Wien  seinen 
Studien  oblag,  sich  der  theatralischen  Laufbahn  widmete.  Im  Jahre  1779  be- 
trat F.  zuerst  als  Tobys  im  »Jahrmarkte«  zu  Wien  die  Bühne,  ging  von  dort 
1784  nach  Prag,  dann  nach  Weimar,  war  hierauf  5  Jahre  lang  in  Frankfurt 
a.  M.  engagirt  und  kam  1788  nach  Berlin,  wo  er  am  Nationaltheater  als  Stössel 
in  »Doctor  und  Apotheker«  überaus  beifällig  debütirte  und  eine  dauernde  An- 
stellung fand,  aus  der  ihn  aber  schon  am  10.  September  1789  ein  plötzlicher 
Tod  riss.  Als  Sänger  und  Mensch  gleich  ausgezeichnet,  wie  man  aus  der 
kleinen  »Leben  und  Charakter  Frankenberg's«  betitelten  lesenswerthen  Schrift, 
der  sein  Bild  beigegeben  ist,  ersieht,  betrauerte  man  in  Berlin  allgemein  den 
so  frühen  Verlust.  Der  betreffende  Bericht  in  den  Annalen  des  Theaters  vom 
Jahre  1789,  V.  Heft  Seite  03  und  93  betont  die  Theilnahme,  Avelche  der  Hof 
und  die  gesammte  Einwohnerschaft  diesem   Trauerfalle  schenkten.  f 

Fraukenberg,  Gräfin  von,  zuletzt  Stiftsdame  im  Hradschin  zu  Prag,  wurde 
ums  Jahr  1796  daselbst  als  vorzügliche  Sängerin,  Ciavierspielerin  und  Musik- 
kennerin  sehr  geschätzt.  Mehr  über  sie  berichten  die  Jahrbücher  der  Tonkunst 
vom  Jahre  1796   Seite  116.  t 

Fi'ankliu,  Benjamin,  einer  der  ausgezeichnetsten  Männer  seines  Jahr- 
hunderts, eine  Zierde  des  Menschengeschlechts,  berühmt  als  Physiker,  Philosoph 
und  Staatsmann,  wurde  auf  dem  zu  Boston  gehörigen  Govornors -Eiland  am 
17.  Jan.  1706  von  unbemittelten  Eltern  geboren  und  starb,  von  seinen  Zeit- 
genossen und  der  Nachwelt  bewundert,  am  17.  April  1790  zu  Philadelphia. 
Ein  ausführliches  biographisches  Denkmal  ist  ihm  in  anderen  Werken  gesetzt. 
Hier  ist  er  nur  zu  erwähnen  als  Vervollkommner  der  Harmonica  (s.  d.),  füi- 
deren  Erfinder  er  noch  immer  vielfach  fälschlich  ausgegeben  wird,  und  in  sofern, 
als  er  in  mehreren  seiner  Werke,  die,  von  Binzer  in's  Deutsche  übersetzt 
(4  Bde.,  Kiel,  1829)  erschienen  sind,  die  musikalische  Kunst  in  einer  Weise- 
berührt, die  eine  gründliche  Einsicht,  hauptsächlich  in  ihren  ästhetischen  und 
akustischen  Theil  bekundet.  Dahin  gehören  namentlich  seine  eigenen  Nach- 
richten von  der  Erfindung  und  Verbesserung  der  Harmonica  in  einem  Briefe 
an  den  Pater  Beccaria  in  Turin,  sodann  seine  Betrachtungen  über  das  Volks- 
lied und  das  schicklichste  Versmass  dazu,  und  endlich  seine  Bemerkungen  über 
die  unrichtige  Declamation   in  vielen  der  beliebtesten  Arien. 

Frankreich.  Französische  Musik.  Die  ersten  Anfänge  der  französischen 
Musik  sind  in  der  Geschichte  der  Gallier  zu  suchen ,  insoweit  sie  uns  durch 
die  Mittheilungen  Caesar's  und  Diodor's  bekannt  ist;  und  wenn  auch  diese 
Mittheilungen  nicht  von  specifisch-musikalischem  Interesse  sind,  so  können  sie 
immerhin  als  Anhaltspunkte  dienen,  zur  Beurtheilung  der  musikalischen  Ent- 
wickelung  in  Frankreich.  Wie  bei  allen  Völkern  auf  einer  primitiven  Ent- 
wickelungsstufe  finden  sich  auch  bei  den  Galliern  Religion  und  Kunst  eng 
verbunden.  Die  Druiden,  Häupter,  Priester  und  Richter  des  A'olkes  pflanzten 
ihre  Gesetze,  welche  niederzuschreiben  streng  vei'boten  war,  durch  auswendig 
gelernte  Gedichte  und  Gesänge  fort,  und  dieser  Gesänge  gab  es  eine  so  grosse 
Anzahl,  dass  nicht  wenige  der  Schüler  zwanzig  Jahre  zu  ihrer  Erlernung  be- 
durften —  ein  Beispiel  von  Beharrlichkeit,  von  Beschränkung  auf  ein  engbe- 
grenztes Gebiet,  wie  es  unter  den  modernen  Nationen  nur  bei  den  Franzosen 
seines   Gleichen    findet.     Eine    zweite   Art   von    gallischen    Musikern    waren    die 


Frankreich.  21 

Barden,  von   denen  Diodor  erzählt,  dass  sie  mit  lyraähulichen  Instrumenten  ihre 
Gesänge  begleiteten,  Gesänge,  welche  bald   dem  Lobe  der  Helden  galten,   bald 
die  Feiglinge    tadelten    und    sie  der  Verachtung  preisgaben.     Mit  der  Zeit  soll 
aber    die    letztere    Tendenz    bei   ihren    Leistungen    derart    in    den    Vordergrund 
getreten   sein,    und  zwar    mit  Hinzuziehung  des  komischen  Elementes,    dass  sie 
mehr    und    mehr    zu  Possenreissern    herabsanken:    wiederum  ein    Charakterzug, 
den  die  heutige  französische  Kunst  nicht  verleugnen  kann,   und  den  die  Worte 
des  Dichters  bestätigen:    »Xe  frangais,  ne  malin,  inventa  le  vaicdevülea.     Wenn 
endlich  Diodor  das  Singorgan  der  Gallier  grobtönend  und  rauh  nennt  ((/raviso- 
nam  et  horrendam),  wenn  Eckehard  die  unter   Gregor  zur  Erlernung  des  römi- 
schen Kirchengesanges  nach  Rom  gekommenen  gallischen  Sänger  unfähig  nennt, 
denselben  zu  erlernen,  »sei  es,  dass  sie   aus  Leichtsinn    immer   etwas   von    dem 
ihrigen  dazu  mischten ,   oder   dass    ihre  natürliche  Wildheit  sie  daran  hinderte« 
—    so  würden  beide  den  heutigen  Franzosen  gegenüber  ihr  TJrtheil  nicht  wesent- 
lich modificiren,  da  sowohl  die  Schwierigkeiten,  welche  die  Nasallaute  der  fran- 
zösischen  Sprache    einer   gesunden   Stimmbildung    entgegensetzen,    als    auch  die 
Eigenmächtigkeit    in    der    musikalischen  Reproduction    noch  immer  ihren  nach- 
theiligen Einfluss   auf   die    musikalischen  Leistungen    geltend    machen.     Nichts- 
destoweniger hat  F.  vom  frühen  Mittelalter  an  bis  auf  die  neueste  Zeit  in  der 
Entwickelungsgeschichte  der  Musik  eine  hochwichtige  Rolle  gespielt,  denn  was 
ihm  an  musikalischer  Begabung  im  Vergleich    zu  den  Nachbarnationen  abging, 
das  ersetzte  es  durch  seinen  Eifer,  sich  deren  Errungenschaften  zu  assimiliren, 
durch  den  ihm  eigenen  Geist  der  Initiative,  ohne  welchen  der  allgemeine  musi- 
kalische Fortschritt  in  mehr  als  einem  Falle  um  unberechenbare  Zeit  verzögert 
worden  wäre.     Schon  Klodwig,  der  erste  christliche  König  der  Franzosen,  em- 
pfindet, nachdem  er  zum   Christenthum  übergegangen  ist  (496),  das  Bedürfniss 
nach    einer   auf  römische  Weise    ox-ganisirten  Hofkapelle   und  ■^wendet    sich  des- 
halb an   den   Gothenkönig   Theoderich  in  Ravenna,    der  dann  auch  seinem -Mi- 
nister   Boetius    den   Auftrag    giebt,    einen    geeigneten  Kitharöden    aufzutreiben 
und    nach  Frankreich   zu    senden.     Gleichzeitig   führt    der  Bischof   Gregor    von 
Tours  den  gregorianischen  Kirchengesang  in  Frankreich  ein.     Auch  Pipin  sucht 
(758)   bei   dem  Papste  Paul  Hülfe   gegen    die   immer    wieder    einreissende  Ver- 
nachlässigung des  Kirchengesanges  und  erhält  ebenfalls  einen  italienischen   Ge- 
sanglehrer, welcher  die  Mönche  des  heil.  Remigius  unterrichtete,  die  dann  ihrer- 
seits   die  Kunst    des   römischen    Gesanges    über    ganz  Frankreich    verbreiteten. 
Die  grössten  Verdienste  aber  für  die  Ausbildung  des  musikalischen  Geschmackes 
in  Frankreich  erwarb  sich  Carl  der  Grosse.     Von  ihm  wissen  wir  durch   seinen 
Geschichtsschreiber   Eginhard,    dass    er    den    Gesang    nicht   allein    hochschätzte, 
sondern    auch    selbst   im   Singen    sehr   geübt  War,    und  dass  kein   Geistlicher  es 
wagen  durfte,  ihm  vor  die  Augen  za  kommen,  der  nicht  gründliche  musikalische 
Kenntnisse  besass.     Er  zog  nicht  allein,  wie  seine  Vorgänger,  römische  Gesang- 
lehrer an  seinen  Hof,  sondern  er  sandte  auch  eingeborene  Geistliche  nach  Rom, 
um  sich   dort  in  der  Musik  auszubilden,    und    endlich   gründete   er   in  den  be- 
deutendsten  Stählten  F.'s  Gesangschulen ,  '  unter   denen  besonders  die  von  Metz 
so   berühmt   wurde,    dass   man    den   schönsten    und  reinsten  Kirchengesang  den 
Metzer    Gesang    (cantilena    Metensis)   nannte.      Karls   Beispiel    musste    natürlich 
auf  seine  Nachfolger    fortwirken,    und    die  Musik  erfreute  sich  auch  unter  den 
folgenden  fränkischen  Königen  einer  solchen  Achtung,  dass,  wie  Forkel  erzählt, 
ein   Graf  von  Anjou    dem  König  Ludwig  IV.    (940)    schreiben  konnte  r>sachez, 
sire,   qu'un    roi    saus    musique   est   un    äne    couronnea,    nachdem    ihn   nämlich  der 
König  wegen  seiner  Mitwirkung  beim  Messgesange  ein  wenig  verspottet  hatte. 
Unabhängig  von  diesen  Bestrebungen  der  Grossen    und  der  Geistlichkeit  hatte 
sich   inzwischen    die    Volksmusik    in    einer    Richtung    entwickelt,    welche    in 
Frankreich    noch    bis   in    die  neueste  Zeit  mit  Vorliebe  verfolgt  ist:    die  kurze, 
unter   dem  Namen    chansoii    bekannte  Liedform,   welche    der  Dichtung   vor    der 
Musik    stets    das  Uebergewicht   lässt    und    eben  deswegen  in   die  geselligen  und 


22  Frankreich. 

politischen  Beziehungen    des  Volkes    unmittelbar    eingreift,    erscheint  zuerst  in 
einem  Preisgesang   auf  Clotar  IL,   nachdem  derselbe  im  Jahre  623  einen   Sieg 
über    die   Sachsen    errungen.      Obschon    noch   in    lateinischer    Sprache    und    mit 
barbarischen  Reimen  verfasst,  fand  sich  dennoch  dies  Lied,  von  dem  Hildegard, 
unter  Karl   dem  Kahlen   Bischof  von  Meaux,    einige  Strophen   aufbewahrt  hat, 
in  aller  IMunde,  und  auch  Frauen  sangen  es  öffentlich,  während  sie  dazu  tanzten 
und    in    die  Hände   klatschten.     Noch    berühmter    ist    das   Rolandslied,   welches 
bis  in  das  14.  Jahrhundert  überall  gesungen  wurde,  wo  es  galt,  den  kriegerischen 
Sinn  zu  beleben,  von  dessen  achtzehnhundert,  nach  anderer  Angabe  sogar  zehn- 
tausend Versen  jedoch   nichts  mehr  bekannt  ist,  es  sei  denn,    dass  man   gewisse 
bei  den  Pyrenäenbewohnern    forterbende   Gesänge   als  Fragmente    desselben  an- 
sehen   will.      Auch   von    einem    französischen    Tyrtäus    berichtet   die    Geschichte 
des  Mittelalters,   von   Taillefer    -nqni    moult   Inen    chanfoita,    der  in   der   Sclilacht 
von  Hastings  unter  Wilhelm  dem  Eroberer  die  Truppen   durch   die  Macht  seines 
Gesanges   zum   Siege   führte.     Neben    diesen  kriegerischen   Gesängen,    -»chansons 
de  gestea  genannt,  sang  man  auch  Lieder  erotischen  Inhalts,  den  Taroman  d'aven- 
turesa,  in  welchen   die  Thaten  der  irrenden  Ritter   (chevaliers  erransu)  besungen 
wurden,    das  lai,   auch  vire-lai  .genannt,    eine  ausführliche  Erzählung  von  meist 
tragischen    Liebesabenteuern     in   regelmässig   gebauten    Strophen,     den    Fahliau 
(Märchenerzählung)  und  die  Hotruenge  (Rundgesang).     Dichter,  Componist  und 
Vortragender  war  meist  in   einer  Person  vereinigt,   in    dem  Menetrier,    der  als 
Nachkomme  des  gallischen  Barden  einerseits,    des  römischen  Komödianten  und 
scurris  andrerseits  betrachtet  werden  mus.    Diese  Musiker  durchzogen  mit  ihrer 
Harfe,  Vielle  (Viole),  Rota,   Chifonie,  Organistrum  (Drehleiher)  oder  Cornemuse 
(Musette,   Sackpfeife)    das  Land    und    suchten    ihr  Brod,    ohne    die  Würde  der 
Kunst    auch    nur    entfernt   im  Auge    zu    halten.     Und    ebenso  wenig  waren  die 
ersten  Versuche  dramatischer  Darstellung,  welche  in  diese  Zeit  fallen,  geeignet, 
veredelnd  auf  das  Volk  zu  wirken.     Es  sind  dies  die  sog.  Mysterien  oder  Mo- 
ralitäten,   Spiele  biblischen   Inhalts,  die  ursprünglich  von  der  G-eistlichkeit  ver- 
anstaltet waren,  um  das  Volk  mit  den  Religionsgeheimnissen  bekannt  zu  machen, 
die  indessen  bald  in  geschmacklose  Mummereien  voll  plumper  übscönitäten  aus- 
arteten.    Den    Gipfel    dieser  Art    künstlerischen  Auswuchses   aber   bildeten    die 
Narren-  und  Eselsfeste,  bei  welchen  ersteren  das  Volk  in  den  abenteuerlichsten 
Verkleidungen  in  die  Kirche  drang,    sich  dort  wie  unsinnig  geberdete  und  so- 
gar vor  den  Augen   des  seine  Amtspflicht  erfüllenden  Priesters  Unsittlichkeiten 
aller  Art  vollführen  durfte.     Bei  den  letzteren,  welche  für   noch   älter    gehalten 
werden,  führte  man  einen  Esel,  mit  einem  Chorrock  behangen,  unter  Begleitung 
vieler   Geistlicher  und  des  Volkes  durch  die   Strassen    in   die  Kirche    und  sang 
dazu  Lieder    von    nichts    weniger    als   kirchlichem    Gepräge,    nach    der   von  du 
Gange  überlieferten  und  bei  Forkel  (II,  720)  mitgetheilten  Probe  zu  urtheilen. 
Wenn    nun    gleich    diese  Feste   noch   bis   ins    15.  Jahrhundert  gefeiert  wurden 
—  noch   1479  wurde  zu  Rheims  eine  Erlaubniss  dazu  ertheilt    — ,  so  wich  doch 
der  soeben  geschilderte  Zustand  der  Barbarei  schon  weit  früher  einer  Periode 
geistigen  Aufschwungs,  dessen  Früchte  nicht  zum  geringsten   Theil  der  Poesie 
und  der  Musik  zu  gute  kamen.     »Denn  als  die  Christenheit«,  um  mit   Gevaert 
zu  reden,   »nach  dem   Schrecken    des  Jahres   1000  wieder  zum  Bewusstsein  er- 
wachte, erstaunt  und  entzückt,   sich  noch  am  Leben    zu  finden,    da  fühlte  sich 
flas    Menschengeschlecht    aufs    Neue    verjüngt.     Kunst,    Literatur    und    Unter- 
nehmungsgeist  belebten    sich    in    ungeahnter    Weise,    die   französische    Sprache 
stammelte  ihre  ersten  Poesien;  die  Spitzbogenarchitektur  bedeckte  den  Norden 
F.s  mit  ihren  ersten  Meisterwerken;  normannische  Barone  ziehen  aus,  um  Eng- 
land  zu    erobern    und    gründen    ein   französisches  Königreich   in    Italien.«     Be- 
sonders die  Kreuzzüge  mussten  sowohl  die  Phantasie,  durch  die  Berührung  mit 
dem   Orient,  als  auch  das  Gemüth  in  Folge    der  mannichfachen  Drangsale  und 
Leiden  für  Ausziehende  wie  Daheimgebliebene  zu  reicherer  Thätigkeit  anregen, 
und   es   ist    begreiflich,    dass    auch    den   Grossen  und    den    Rittern    die    seichte 


Frankreich.  23 

TJnterhaltungsweise    der  Menetriers    nicht   mehr    genügt,    dass    sie    nunmehr  zu 
eigenen  künstlerischen  Kundgebungen  gedrängt  werden.     Unter  dem  lieblichen 
Himmel   der  Provence,   welche   an    Naturreiz   dem  Nachbarlande  Italien    nichts 
nachgiebt    und    ausserdem   um    diese    Zeit  von    den   politischen  "Wirren,   welche 
Italien  zerfleischten,  unberührt  war,  konnte  die  für  die  Entwickelung  der  Musik 
und    überhaupt    der  Civilisation    so    hochwichtige  Kunst    der   Troubadours 
sich  in  ganzer  Pracht  entfalten.     Eine  blühende  und  anmuthige  Melodie,  welcher 
nur  eine  ausgebildete  Harmonie  fehlte,    um    sie    zu  festen  unvergänglichen   Ge- 
bilden   zu    gestalten,    ist    das  Charakteristische    dieser  Kunst,   welche  sich  eben 
dadurch  von  der  kriegerisch  rauheren ,  der  nordfranzösischen   Trouveres  unter- 
schied.   Als  der  erste  Troubadour  wird  Graf  Wilhelm  von  Poitiers  (1087  —  1127) 
bezeichnet;    die    bedeutendsten    unter  seinen  künstlerischen   Zeitgenossen  waren 
Guicum  Faidit,  Blondel,  der  Erretter  Richard  Löwenherz'  und  der  durch   seine 
Liebe  zur  Dame  von  Faiel,  sowie  durch  sein   tragisches  Ende  bekannte   Chate- 
lain  de  Coucy.     Im  Verhältniss  zu  der  bis  zu  einem  gewissen  Grade  noch  starren 
und  unbeweglichen  Melodie  dieser  Zeit  zeigt  die  des  Thibaut,  Königs  von  Na- 
varra,  kaum  ein  Jahrhundert  später  eine  Anmuth  und  Leichtigkeit,  eine  Sym- 
metrie   des  Rhythmus,    welche    sie   auch    dem    modernen    Ohr   völlig   geniessbar 
macht,  und,  was  das  Bemerkenswertheste  ist,    die  moderne   Tonalität  (Dur  und 
Moll)    findet    sich    schon   in   ihr    deutlich    ausgeprägt,    während  die  Theoretiker 
erst  Jahrhunderte    später    sich  von  den  Fesseln  der  Kirchentonarten  befreiten. 
Nur   selten    trugen    die   französischen   Troubadours    ihre  Lieder    selbst  vor;    sie 
betrachteten  sich  eben  als  Erfinder  (von  trohar,  trouver)  und  überliessen  es  den 
Sängern    und  Instrumentisten   von  Profession,    den  sogenannten  Jongleurs  (Jo- 
culatores,  später  Joiieurs),  ihre  "Werke  zu  verbreiten.     Dass  sich  die  gesellschaft- 
liche Stellung  dieser  letzteren  in  solcher  Abhängigkeit  nicht  heben  konnte,  ist 
kaum  zu  verwundern;  ein  rechter  Jongleur  musste  mindestens  neun  Instrumente 
spielen  können  und  war  natürlich  nicht  im   Stande,  es  auf  einem  derselben  zu 
einem  höheren   Grade   der  Ausbildung   zu   bringen.     Die  Darstellung   in  einem 
Manuscript  der  Cottoniana,  wo  auf  einem  Bilde  neben  einer  Anzahl  Instrumen- 
tisten auch  ein  Kugel-  und  ein  Messerwerfer  figuriren,  lässt  kaum  einen  Zweifel 
in  Bezug  auf   die  niedrige   Stellung,   welche  in   jener  sangreichen  Zeit  die  In- 
strumentalmusik   einnahm;    und   als    nun    gar   bei    fortschreitender   bürgerlicher 
Ordnung  der  wandernde  Menetrier  nicht  selten  mit  der   Obrigkeit  in   Collision 
gerieth  und  faktisch  rechtlos  wurde    —    z.  B.  fiel  bei  seinem  Tode  seine  etwaige 
Hinterlassenschaft  an  die  Gemeinde  —  da  blieb  auch  ihm  nichts  übrig,  als  sich 
den  neuen  Verhältnissen  zu  fügen,  sich  sesshaft  zu  machen  und  in  zunftmässiger 
Vereinigung  das  Musikhandwerk  zu  betreiben.    —  Die  erste  derartige  Musiker- 
zunft   war    die  -DÖonfrerie   de  S.  Julien  ßes  Menetriersa ,    welche    sich    1.330    in 
Paris  bildete    und  trotz   mannichfachen   Spaltungen   in    ihrem  Innern   doch  mit 
der  Zeit    so    erstarkte,    dass  Karl  VI.    sie    und   ihren  Vorsteher,  den    -dBoI   des 
Menestrels«  im  Jahre  1401  durch  officielles  Decret  bestätigte.     Die  interessan- 
teste  künstlerische  Persönlichkeit    dieser  Epoche   jedoch   ist  Adam  de  la  Haie, 
1240  in  Arras  geboren,  der  nicht  allein  als  Liederdichter  und  Componist  seine 
Zeitgenossen  weit  überragt,    sondern  auch   durch  sein  Pastorale  y>Jus  de  JRohin 
et  Mariona    den  Weg    betrat,    auf   welchem  F.   später    seine  schönsten  musika- 
lischen Erfolge  erringen  sollte,  denn  hier  treten  zuerst  die  Keime  hervor,    aus 
denen    sich    mit    der  Zeit   die  französische  komische  Oper  entwickelte,  und  mit 
Recht  gilt  Adam  de  la  Haie  als  einer  der  Begründer  der  dramatischen  Kunst 
in  F.     Wie  in  den  Liedern  des  Königs  Thibaut  von  Navarra,    so  ist  auch  in 
der  Musik  zu  dem  erwähnten  Liederspiel  die  Herrschaft  der  modernen  Tonalität 
unverkennbar;    gleichwohl    aber    ist  Adam,    eben    so   wie    sein   Zeitgenosse,    der 
durch  seine  Tanzlieder  (balletes,    hallades)  und  sein   für  die  Krönung  Karls  V. 
1364  componirtes   Gloria  bekannte   Guillaume  de  Machaud,  unfähig,  die  eigent- 
lich schulgemässe  Musik  auf  eine  höhere  Entwickelungsstufer  zu  erheben :  beide 
versuchten   sich  im  mehrstimmigen   Satz,    ohne    indessen    die  Rohheit  und  TJn- 


24  Frankreich. 

beholfenheit  verleugnen  zu  können,  welche  den  übrigen  Productionen  der  Zeit 
anhaftet.  —  Das  neue  Jahrtausend,  welches  den  Geist  der  Poesie  wiederum  zu 
so  herrlicher  Blüthe  gebracht  hatte,  welches  in  der  Malerei,  der  Architektur, 
in  den  das  tägliche  Leben  verschönernden  und  veredelnden  Künsten  dem  Schön- 
heitssinne des  neu  erstarkten  Menschengeschlechts  eine  Fülle  von  Ausdrucks- 
raitteln  bot,  es  sollte  auch  die  Fesseln  sprengen,  welche  das  freie  Aufblühen 
der  Musik  hinderten,  und  F.  sollte  an  dieser  Culturarbeit  einen  hervorragenden 
Antheil  nehmen.  Der  erste  Herold  der  neuen  Zeit  ist  Hucbald,  ein  Benedictiner- 
raönch  des  Klosters  St.  Araand  sur  VElnon,  in  der  Diöcese  Tournay  in  Flan- 
dern, auch  monachus  Elnonensis  genannt,  welcher  930  in  hohem  Alter  starb, 
nachdem  er  mit  ebenso  vieler  Schtärfe  des  Verstandes,  als  liebevoller  Aufopferung 
für  seine  Kunst  gewirkt  hatte.  Er  ist  der  eigentliche  Erfinder  des  mehrstim- 
migen Gesanges,  wenn  überhaupt  das  Wort  »Erfinder«  auf  diejenigen  ange- 
wendet werden  kann,  welche  eine  Kunst  in  dem  Zeitpunkt  vertreten,  wo  sie 
sich  aus  dem  Gröbsten  herausgearbeitet  hat  und  als  brauchbares  Ausdrucks- 
mittel sich  der  kunstbedürftigen  Menschheit  darbietet.  Freilich  ist  Hucbald's 
einziges  Bestreben,  dem  Geiste  seiner  Zeit  gemäss  unmittelbar  an  die  Traditio- 
nen des  Alterthums  anzuknüpfen,  insbesondere  sich  mit  ßoethius,  der  ersten 
und  einzigen  musikalischen  Autorität  jener  Zeit,  in  Uebereinstimmung  zu  setzen, 
und  demgemäss  beschränkt  sich  auch  seine  Mehrstimmigkeit  auf  den  Gebrauch 
der  von  den  Alten  empfohlenen  Consonanzeu,  der  Octave,  Quinte  und  Quarte, 
ausser  welchen  hier  und  da,  doch  nur  im  zweistimmigen  Gesang  und  nur  beim 
Liegenbleiben  der  einen  Stimme,  die  Secunde  und  Terz  erscheinen  dürfen. 
Neben  den  Anweisungen  zum  Gebrauche  des  Organum  oder  der  Diaphonie,  wie 
er  seine  Erfindung  des  »einträchtigen  zwiespältigen  Gesanges«  ijennt,  enthält 
sein  Hauptwerk,  die  musiea  JEiichirlacHs ,  noch  die  Anleitung  zu  einer  Noten- 
schrift, welche  gegenüber  der  bis  dahin  üblichen  Neumenschrift  einen  wesent- 
lichen Fortschritt  bezeichnet,  insofern  sie  das  Auf-  und  Absteigen  der  Töne 
versinnlicht.  Hucbald  bedient  sich  dazu  einer  Anzahl  von  Linien,  deren  Ton- 
höhe, durch  auf  altgriechische  Art  umgewendete  und  umgelegte  Buchstaben, 
sowie  nach  Intervallen  durch  die  Buchstaben  t  (Tonus)  und  s  (Semitoniuni)  be- 
zeichnet ist,  und  in  deren  Zwischenräumen  die  Textessilben  sich  auf  und  ab 
bewegen  —  eine  Schrift,  welche  zwar  an  Lesbarkeit  vieles  zu  wünschen  übrig 
Hess,  die  jedoch  erst  ein  Jahrhundert  später  durch  die  des  Guido  von  Arezzo 
verdrängt  wurde.  Der  Zeitraum  zwischen  Hucbald  und  Guido  und  selbst  noch 
über  diesen  hinaus  liegt  in  einem  Dunkel,  welches  die  historische  Forschung 
bisher  vergebens  zu  durchdringen  versuchte.  So  viel  ist  sicher,  dass  die  Kunst 
des  mehrstimmigen  Gesanges  mit  Eifer  betrieben  und  fortentwickelt  wurde.  In 
eben  dem  Maasse  aber  machte  sich  nun  auch  das  Bedürfniss  geltend,  die  von 
den  verschiedenen  Stimmen  vorgetragenen  Töne  ihrem  Werthe  nach  zu  be- 
zeichnen, und  so  der  Willkür  des  Einzelnen  im  Interesse  des  Ganzen  einen 
Zügel  anzulegen;  die  diesem  Bedürfniss  entsprungene  neue  Musikgattung  aber, 
welche  recht  eigentlich  den  Bruch  mit  den  Traditionen  des  Alterthums  voll- 
endete und  die  Pforten  einer  neuen  Musikwelt  erschloss,  ist  die  Mensural- 
musik.  Ob  F.  sich  die  Ehre  dieser  Erfindung  zuschreiben  darf,  ob  France 
von  Köln,  oder  Franco  von  Paris  derjenige  war,  welcher  zuerst  die  neue 
Botschaft  verkündete,  darüber  herrscht  allerdings  noch  Meinungsverschiedenheit. 
Dagegen  ist  mit  Gewissheit  zu  behaupten,  dass  keines  der  europäischen  Cultur- 
völker  sich  mit  gleichem  Eifer  auf  die  Ausbildung  dieses  neugewonnenen  Kunst- 
zweiges geworfen  hat,  wie  F.  Der  Discantus  (Dechant)  und  der  Faux-hoiirdon 
waren  die  ersten  Früchte  der  neu  eingeschlagenen  Riclitungen,  Gattungen  des 
Organum,  welche  recht  eigentlich  den  Uebergang  von  diesem  zum  modernen 
Contrapunkt  bilden.  Die  erstere,  der  Discantus,  bestand  ursprünglich  nur  aus 
zwei  Stimmen,  dem  Tenor  (von  tenere,  halten,  weil  er  als  cantus  ßrmus  das 
übrige  zu  tragen  ftnd  zu  halten  hatte)  und  dessen  Gegengesang,  den  Discantus, 
zu  welchem    später    übrigens    noch   weitere    Stimmen,    Motetus,    Triplura    und 


Frankreich.  25 

Quadruplum  hinzukamen.  Man  unterschied  ihn  in  einfachen  und  verzierten 
(Fleiireftes) ;  beim  ersteren  sang  die  Gegenstimme  meist  im  Einklang  mit  dem 
Tenor,  und  beschränkte  sich  höchstens  darauf,  eine  Stufe  aufwärts  zu  schreiten, 
wenn  der  Tenor  abwärts  ging,  ein  Verfahren,  in  welchem  das  für  die  spätere 
Harmonielehre  so  wichtige  Gesetz  der  Gegenbewegung  schon  unbewusster  Weise 
zur  Anwendung  kommt;  im  verzierten  Discantus  wurden  dem  Sänger  grössere 
Freiheiten  gestattet  und  er  konnte  sich  in  beliebigen,  lediglich  durch  seine 
musikalische  Einsicht  geregelten  Figuren  über  dem  Tenor  ergehen.  Der  Faux- 
Bourdon  (ital.:  Falso  Bordone),  dessen  Name  bald  vom  lateinischen  burdo,  Maul- 
esel, abgeleitet  wird,  weil  er  halb  cantus  ßrmus,  halb  cantus  figuratus  ist,  bald 
von  hordone,  was  eine  Hummel,  die  Verbrämung  der  Kleider  oder  auch  einen 
Pilgerstab  bedeuten  kann ,  bezeichnet  einen  bedeutenden  Fortschritt  gegen  das 
Organum,  insofern  er  den  Gebrauch  der  Sexte  gestattet,  und  somit  durch  sein 
Erscheinen  das  Missverständniss  beseitigt  ist.  dessen  Folgen  das  Mittelalter  bis 
dahin  nur  zu  schwer  zu  tragen  gehabt  hatte,  dass  nämlich  die  Alten,  indem 
sie  nur  die  Octave,  Quinte  und  Quarte  als  Consonanzen  gelten  Hessen,  den 
Gebrauch  der  übrigen  Intervalle  überhaupt  nicht  gestattet  hätten.  Die  Hin- 
zufügung einer  dritten  Stimme,  welche  mit  der  Oberstimme  eine  Quarte  bildete, 
war  eine  zweite  Ausbildungsstufe  des  Faux-Bourdon ;  doch  erst  in  noch  späterer 
Zeit,  als  man  den  Tenor  von  zwei  höheren  und  einer  tieferen  Stimme,  Note 
georen  Note,  in  lauter  Consonanzen  begleiten  liess,  gelangte  er  zur  eigentlichen 
Blüthe  und  konnte  der  Ausgangspunkt  werden  für  die  Entwickelung  des 
Kirchencf esaneres  in  Rom.  wohin  er  von  Avignon  aus  durch  die  Päpste  ver- 
ptlanzt  war.  Diese  beiden  neuen  Gattungen  des  mehrstimm'gen  Gesanges  nun 
wurden  in  F.  mit  besonderer  Liebe  gepflegt,  der  König  errichtete  für  sie  die 
•acJiapelle  musique  du  roh;  Kirchengesangschulen  wTirden  in  jeder  grösseren  Stadt 
des  Reiches  einsrerichtet,  die  sog.  maifrises,  an  welchen  die  Jugend  regelmässigen 
Unterricht  im  Dechant  erhielt:  ein  Jean  de  Muris  lehrte  an  der  pariser  Uni- 
versität die  Gesetze  der  neuen  Kunst  und  Johannes  Gerson,  der  Kanzler  der 
Universität,  entwirft  selbst  den  Plan  zur  Einrichtung  der  Gesangscbule  in  der 
Kirche  Notre  dame.  Dass  aber  die  pariser  Universität,  in  damaliger  Zeit  der 
Centralpunkt  der  wissenschaftlichen  Bestrebungen  von  ganz  Europa,  auch  die 
Hauptpflanzstätte  für  die  Musik  werden  musste,  erklärt  sich  dadurch,  dass  diese 
in  ihrem  derzeitigen  Entwickelunorsstadium  mehr  dem  Gebiete  der  "Wissenschaft 
und  der  Religion  —  Roger  Bacon  erklärt  sie  als  einen  Theil  der  Religion,  zu 
der  sie  sich,  wie  die  übrigen  "Wissenschaften  verhalte,  w^e  die  Finger  zur  Hand 
—  als  dem  der  Kunst  ansfehörte.  Gleichwohl  konnte  sich  aber  die  Musik  in 
die  ihr  angewiesene  Stellung  nicht  recht  hineinfinden,  und  der  Drang  nach 
Selbstständigkeit  und  freierer  Bewegung  führte  sie  auf  solche  Abwege,  dass 
der  Papst  Johann  XXII.  in  einer  Verordnung  vom  Jahre  1322  den  Gebrauch 
des  Discantus  im  Kirchengesansr  gänzlich  verbot.  Nicht  allein  setzten  die 
dechantirenden  Sänger  in  ihren  freien  Phantasien  über  dem  cantus  firmu^  mit 
virtuosenhafter  Eitelkeit  alles  Maass  bei  Seite,  sondern  auch  die  Componisten 
ffingen  in  ihrem  contrapunktischen  Streben  mit  solchem  Leichtsinn  zu  "Werke, 
dass  sie  ohne  Bedenken  weltliche,  nicht  selten  leichtfertige  Melodien  auf  die 
kirchlichen  Gesänge  pfropften,  wobei  sie.  naiv  genug,  sogar  den  profanen  Text 
neben  den  heiligen  Worten  beibehielten,  und  ebensowenig  scheuten  sich  die 
Trouveres.  als  Gegenstimme  zu  den  von  ihnen  erfundenen  Chansons  ein  kirch- 
liches Motiv  zu  benutzen.  Diese  Umstände,  noch  mehr  aber  die  politischen 
und  religiösen  Stürme,  welche  F.  in  dem  folgenden  Jahrhundert  heimsuchten 
und  die  Kunst  zwanofen.  sich  einen  ruhigen  Zufluchtsort  zn  suchen,  waren  die 
Ursache,  dass  es  die  Früchte  seiner  Arbeit  nicht  geniessen  sollte  und  den 
Ruhm,  die  Mensuralmusik  auf  die  höchste  Stufe  gebracht  zu  haben,  den  Nieder- 
ländern überlassen,  oder  ihn  wenigstens  mit  ihnen  theilen  muss.  Okeghem 
aus  Termond  im  ostlichen  Flandern,  Josquin  de  Pres.  1445  im  Hennegau,  wahr- 
scheinlich   in  Conde    geboren.    Roland    de    Lattre    (Orlando  Lasso)    aus   Mens 


26  Frankreich. 

würden,  der  beutigen  politischen  und  Spracagrenze  nach,  unbedenklich  als  Fran- 
zosen bezeichnet  werden  können;  aber  auch  bei  der  damaligen  schärferen  Tren- 
nung der  Niederlande  von  F.,  bei  aller  nordischen  Eigenart,  welche  sich  in  den 
Forschungen  und  Arbeiten  der  niederländischen  Tonsetzerschule  ausspricht, 
muss  diese  doch  als  direkte  Erbin  der  altfranzösischen  angesehen  werden,  und 
ihre  ersten  Vertreter,  Dufay  und  Binchois,  fussen  unmittelbar  auf  den  von 
Paris  überkommenen  Lehren.  Cousscmaeker's  Verdienst  ist  es,  durch  Entdeckung 
und  Publicirung  eines  reichen  Schatzes  mittelalterlicher  Musikstücke,  besonders 
der  altfranzösischen  Schule,  jenen  Zusammenhang  dargethan  und  die  bisher 
verbreitete  Meinung  widerlegt  zu  haben,  als  sei  die  Kunst  des  Contrapunktes  eine 
Tochter  des  niederländischen  Volksliedes.  Ein  Jahrhundert  voll  schwerer  innerer 
Kämpfe  hatte  F.  noch  vor  sich,  als  das  Nachbarland  Italien  mit  Beendigung 
seiner  politischen  Wirren,  sich  wiederum  dem  Cultus  des  Schönen  widmen, 
und  wie  in  den  ührigen  Künsten,  so  auch  in  der  Musik  die  Führerschaft  unter 
den  Nationen  Europa's  übernehmen  konnte.  Freilich  war  es  der  Musik  nicht 
vergönnt,  sobald  zur  Blüthe  zu  gelangen  wie  die  Poesie,  die  Malerei  und  die 
Architektur,  w^elche,  indem  sie  sich  mit  Hülfe  der  voi-handenen  Denkmäler  des 
Alterthums  verjüngten,  zuerst  von  der  Sonne  der  Renaissance  zu  neuem  Lehen 
erweckt  wurden;  erst  durch  den  Einfluss  der  niederländischen  Schule,  welche 
zur  Zeit  ihrer  reichsten  Blüthe  eben  in  Italien,  sowohl  am  päpstlichen  Hof 
als  auch  bei  den  Herzögen  von  Florenz  und  Mailand  ihren  Schwerpunkt  fand, 
konnte  die  Musik  als  ebenbürtig  in  den  Kreis  der  Schwesterkünste  treten,  und 
die  Tonsprache  diejenige  Ausdrucksfähigkeit  gewinnen,  deren  sie  bedurfte,  um 
dem  neuerwachten  Geiste  als  Werkzeug  zu  dienen.  Erst  mit  dem  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  beginnt  die  Renaissance  sich  auch  in  der  Musik  geltend 
zu  machen;  die  Tonkunst  schreitet  aus  ihrem  bindenden  Verhältniss  zur  Re- 
ligion in  die  grosse  freie  Welt  hi.naus,  und  wie  mit  dem  Abschluss  des  Mittel- 
alters statt  der  bisherigen  gemeinsamen  Hingebung  das  Selbstgefühl  des  Ein- 
zelnen in  den  Vordergrund  tritt,  so  muss  auch  der  mehrstimmige  Gesang,  die- 
jenige Musikgattung,  welche  man  bisher  allein  als  Kunst  hatte  gelten  lassen, 
dem  Einzelgesange,  der  Monodie  weichen.  Caccini,  der  Herausgeber  einer  Samm- 
lung von  Canzonen  und  Madrigale  unter  dem  Titel  r»iuove  musichea  und  Peri 
wurden  die  wichtigsten  Förderer  dieser  Kunstgattung  und  zugleich  des  musi- 
kalischen Drama's,  der  modernen  Oper,  welche  zunächst  dem  Bestreben  der 
florentiner  Alterthumsfreunde,  die  antike  Tragödie  wieder  zu  erwecken,  ihre 
Entstehung  verdankt.  Das  Beispiel  Italiens  konnte  natürlich  für  F.  nicht 
lange  wirkungslos  hleiben.  Schon  im  16.  Jahrhundert  hatten  sich  hier  zwei 
namhafte  Meister  gezeigt,  welche  ihre  Thätigkeit  nicht  ausschliesslich  der  Kirche 
widmeten,  Arcadelt,  zuerst  Mitglied  der  päpstlichen  Kapelle,  später  im  Dienste 
des  Cardinais  von  Lothringen  in  Paris  wirksam,  ist  nebst  Willaert  einer  der 
Begründer  des  Madrigals  (der  mehrstimmigen  Gesänge  weltlichen  Inhalts)  und 
hatte  mit  einer  1538  in  Venedig  erschienenen  Sammlung  dieser  Musikstücke 
einen  beispiellosen  Erfolg;  der  andere,  Claude  Goudimel,  bekannt  als  der  Lehrer 
Palestrina's,  componirte  die  von  Clement  Marot  ins  Französische  übersetzten 
Psalmen  Davids;  ein  für  die  Ausbildung  des  französischen  Volksgesanges  viel- 
versprechender Versuch,  da  hier  wie  in  den  übrigen  katholisch  gebliebenen 
Ländern  in  Folge  der  neuen  Kunstrichtung  eine  scharfe  Souderung  zwischen 
Kirchlichem  und  Weltlichem  eintrat,  und  eine  musikalische  Theilnahme  der 
Gemeinde  beim  Gottesdienst,  wie  sie  bei  den  Germanischen  Nationen  in  Folge 
der  Reformation  eingeführt  wurde,  der  katholischen  Kirche  nach  wie  vor  fremd 
blieb.  Doch  musste  Goudimel's  trauriges  Schicksal  allerdings  die  Nachahmer 
abschrecken.  Denn  obwohl  die  Sorbonne  sein  Werk  geprüft  hatte  und  nichts 
dem  katholischen  Glauben  Widerstreitendes  darin  nachweisen  konnte,  so  wusste 
es  die  Partei  des  religiösen  Fanatismus  doch  dahin  zu  bringen,  dass  sein  Name 
auf  die  Liste  der  Proscribirten  der  Bartholomäusnacht  gesetzt  und  er  am  24. 
August  1572  in  Lyon  ermordet  wurde.  —  Natürlich  erhielt  unter  solchen  Ver- 


Frankreich.  27 

hältnissen  die  musikalische  Bewegung  in  F.  einen  vorwiegend  weltlichen  Cha- 
rakter. Schon  im  16.  Jahrhundert  gehörte  die  Fähigkeit  zu  singen  und  den 
Gesang  mit  der  Laute  zu  hegleiten  unter  die  nothwendigen  Eigenschaften  der 
Leute  von  Geschmack;  Lieder  im  Volkston  mit  Begleitung  der  Laute,  theils 
airs  de  cour,  theils  voix  de  ville  (später  vaudeville)  genannt,  wurden  in  zahl- 
reichen Sammlungen  veröffentlicht,  und  unter  Franz  I.  und  Heinrich  IL  strömten 
italienische  Künstler  so  massenhaft  an  den  französischen  Hof,  dass  die  Haupt- 
stadt aufs  Neue  in  künstlerischem  Glänze  strahlte  und  im  Begriffe  war,  ihre 
frühere  Stellung  als  Centralpunkt  des  europäischen  Kunstlehens  wieder  einzu- 
nehmen. Zur  völligen  Entfaltung  gelangten  jedoch  diese  musikalischen  Keime 
unter  Ludwig  XIV.,  in  dem  Zeitalter,  welches  die  Franzosen  noch  heute  als 
das  ruhmvollste  ihrer  Geschichte  hezeichnen,  dessen  allgemeinen  Kunstcharakter 
Gustave  Chouquet  in  seiner  y>Jiisfoire  de  la  musiqae  franpaiseai  in  folgender  Weise 
zeichnet:  »Das  Werk  Richelieu's  ist  vollendet,  das  Parlament  besiegt,  die  Aristo- 
kratie unschädlich  gemacht;  Ludwig  XIV.,  schön,  edel,  majestätisch  und  trium- 
phirend  regiert  F.,  nicht  als  gemeiner  Despot,  aber  als  Herrscher,  welcher  alle 
Elemente  der  Nation  auf  sich  zu  concentriren  weiss.  Der  jugendliche  Monarch, 
wenn  er  ausrief  y>Vetat  c^est  moü«,  konnte  mit  demselben  Rechte"  sagen  r)la 
litteratiire  c^est  moi«,  -nVart  c^esf  moia,  denn  Dichter,  Schriftsteller,  Architekten, 
Maler,  Bildhauer  und  Musiker,  alle  Hessen  sich  durch  ihn  inspiriren,  alle  arbei- 
teten für  ihn.  Das  ist  es,  was  den  Kunstwerken  dieser  Epoche  jenen  Charakter 
völliger  Einheit  giebt,  wie  ihn  keines  der  späteren  Zeiten  in  gleichem  Grade 
aufweisen  kann.  Die  Musik  ist  feierlich  wie  die  Dichtungen  Racine 's  und 
Boileau's;  an  Grossartigkeit  und  pomphafter  Majestät  erinnert  sie  ebensowohl 
an  die  Bilder  Charles  Lebrun's,  wie  an  die  von  le  Notre  gezeichneten  Schloss- 
gärten und  die  Fa^ade  des  Versailler  Schlosses  von  Jules  Hardouin  Mansard. 
So  sieht  man  die  beiden  Ströme,  welche  bisher  die  Musik  befruchtet  hatten, 
ohne  sich  zu  vermischen ,  die  gelehrte  und  religiöse  Musik  auf  der  einen, 
die  Volksmusik  auf  der  andern  Seite ,  sich  endlich  hai'monisch.  vereinigen 
und  zwar  so  vollständig,  dass  der  Kirchengesang  sich  von  dem  des  Theaters, 
was  die  Form  betrifft,  in  keiner  Weise  unterscheidet;  der  geistliche  Lalande 
und  der  weltliche  Lulli  sind  nicht  nur  Zeitgenossen :  sie  sind  auch  ge- 
meinsame Vertreter  des  religiösen  und  monarchischen  Gefühls,  von  dem  ihre 
Zeit  erfüllt  ist.«  Dieser  Zeit  konnte  zum  musikalischen  Ausdruck  ihrer  Em- 
pfindungen weder  die  vom  gallischen  Volkshumor  inspirirte  Chanson  genügen, 
noch  auch  die  erst  kaum  geborne  und  doch  schon  bald  nach  Monteverde  (1568 
— 164.3)  sich  verflachende  italienische  Musik;  und  während  auf  den  Theatern 
Italiens  die  dramatische  Wahrheit  zu  Gunsten  des  Virtuosenthums  der  Sänger 
schon  jetzt  zurücktreten  musste,  bildet  sich  in  Paris  eine  Geschmacksrichtung 
heran,  welche  die  Musik  nur  als  ein  Hülfsmittel  zur  Steigerung  des  dramati- 
schen Pathos  betrachtet  und  dem  rhetorischen  Element  das  Vorrecht  vor  dem 
musikalischen  vindicirt.  Dieser  Geschmacksrichtung  verdankt  die  grosse  Oper 
der  Franzosen  ihre  Entstehung,  eine  Gattung  der  dramatischen  Poesie,  aut 
welche  Frankreich  mit  Recht  stolz  sein  kann,  da  sie  besser  als  alle  früheren 
Versuche  die  Aufgabe  einer  Wiedererweckung  der  antiken  Tragödie  gelost  hat; 
und  wenn  einerseits  nicht  unerwähnt  bleiben  darf,  dass  die  bedeutendsten  För- 
derer der  grossen  Oper  Ausländer  waren,  so  ist  andrerseits  die  Macht  des  na- 
tionalen Geistes  der  Franzosen  zu  bewundern,  der  es  vermochte,  die  bedeutend- 
sten Talente  Italiens  und  Deutschlands  seinen  Zwecken  dienstbar  zu  machen, 
und  sich  zu  assimiliren.  Der  Florentiner  Jean  Baptiste  Lully  wurde  der  Schöpfer 
der  grossen  Oper,  nachdem  er  1672  von  Ludwig  XIV.  das  Privilegium  erhielt, 
die  zur  Aufführung  bei  den  Hoffesten  bestimmten,  mit  höchstem  Luxus  an  Bal- 
letts, Costümen  und  Decorationen  ausgestatteten  musikalischen  Dramen  auch 
vor  dem  Publicum  gegen  Bezahlung  aufzuführen  und  die  Akademie  royale  de 
Musique  zu  eröffnen,  welche  noch  bis  heute  der  Centralpunkt  des  musikalischen 
Frankreichs  geblieben  ist.     Zwei  Umstände  waren  es  vornehmlich,  welche  Lully 


28  Frankreich. 

in  den  Stand  setzten,  in  so  umfassender  Weise  auf  die  Nation  zu  v/irken:  Die 
Mitarbeiterschaft  Quinault's,  dessen  Tragödien  so  sehr  der  damaligen  Anschauungs- 
weise entsprachen,  dass  sie  auch  ohne  Musik  ihre  Wirkung  auf  das  Publikum 
nicht  verfehlten;  sodann  sein  eignes  Verdienst,  den  deklamatorischen  Accent 
der  Sprache  richtig  erfasst  utkI  in  seiner  Musik  consequent  wieder  gegeben  zu 
haben,  eine  Fähigkeit,  welche  auffallender  Weise  den  Franzosen  selbst  in  der 
Regel  abgeht,  wie  ein  Vergleich  der  Vocalcompositionen  französisclier  Musiker 
mit  denen  von  Lully,  Gluck,  Gretry  genügend  beweist.  Bei  diesem  Bestreben, 
der  dramatischen  Situation  und  dem  AVortaccent  getreu  zu  folgen,  musste  aller- 
dings die  Musik  auf  gewisse  Grenzen  beschränkt  bleiben,  und  so  begnügt  sich 
auch  Lully  meist  mit  dem  liecitativ,  welches  nur  hin  und  wieder  durch  das 
Air  —  gewöhnlich  eine  Tanzraelodie  —  unterbrochen  wird.  Rechnet  man 
hinzu,  dass  das  begleitende  Orchester  eine  höchst  untergeordnete  Rolle  in  sei- 
nen Opern  spielte  und  lediglich  die  volle  Harmonie  zum  Grundbass  anzugeben 
hatte,  so  begreift  man  das  geringschätzige  Urtheil,  welches  LuUy's  Opern  bei 
den  Freunden  der  italienischen  Musik  hervorriefen;  so  sagt  z.  B.  Grimm  in 
seiner  eorr.  litt,  von  der  Oper  Atys  y>mise  en  musique  ou  plutot  en  plainchant 
fo/r  Lullyv.  um  die  an  den  römischen  Kirchengesang  streifende  Monotonie  der 
Lully'schen  Compositionsweise  zu  bezeichnen.  Dennoch  hielten  sich  Lully's 
Opern  ein  volles  Jahrhundert  auf  dem  Repertoire  der  grossen  Oper,  bis  mit 
der  letzten  Aufführung  des  yyThesee«  im  Jahre  1778  seine  Aera  abgeschlossen 
wurde  und  das  Aufti'eten  Gluck's  eine  neue  Entwicklungsepoche  für  die  grosse 
Oper  eröffnet.  Nur  einem  Componisten  gelang  es,  mit  der  Lully'schen  Musik 
zeitweilig  zu  rivalisiren  und  sogar  einen  wesentlichen  Schritt  über  sie  hinaus 
zu  thun.  Jean  Philippe  Rameau,  1683  in  Dijon  geboren,  wurde  zunächst  durch 
seinen  1722  veröffentlichten  -»Tratte  de  VTiarmoniev.  bekannt  und  berühmt,  ein 
um  so  bedeutungsvolleres  Werk,  als  hier  zuerst  die  Grundsätze  ausgesprochen 
und  zusammengefasst  sind,  auf  welchen  die  moderne  Musiktheorie  basirt.  Auoh 
Rameau's  Opern,  deren  erste  -ollippolyte  et  Ariden  im  Jahre  1732  aufgeführt 
wurde,  legen  von  der  harmonischen  Begabung  und  dem  gründlichen  Studium 
des  Componisten  ein  glänzendes  Zeugniss  ab;  die  Stimmen  bewegen  sich  freier 
und  beginnen,  der  vorgeschrittenen  Kunst  des  Sologesangs  Rechnung  zu  tragen; 
die  Begleitung  beschränkt  sich  nicht  mehr  wie  bei  Lully  auf  die  Ausfüllung 
eines  bezifferten  Basses,  sie  wird  reicher  und  mannichfaltiger,  auch  das  Orchester 
nimmt  eine  selbständige  Haltung  an  und  die  Individualität  der  einzelnen  In- 
strumente fängt  an  sich  geltend  zu  machen.  Dass  diese  Eigenschaften  der  Ra- 
meau'schen  Musik  ihr  dieselben  Vorwürfe  zuzogen,  welche  die  nach  ihm  kom- 
menden Musikreformatoren  bis  auf  die  neueste  Zeit  zu  dulden  hatten,  braucht 
kaum  besonders  erwähnt  zu  werden:  die  Kritik  des  Baron  Grimm  könnte  den 
conservativen  Musikkritikern  aller  Zeiten  zur  Schablone  dienen.  »Dieser  be- 
rühmte Mann  weiss  alle  seine  Vorgänger  durch  den  Aufwand  von  Harmonien 
und  Noten  todt  zu  machen.  Lully  begnügte  sich,  eine  psalmodirende  Sing- 
stimme durch  den  Bass  zu  unterstützen;  Rameau  fügt  allen  seinen  Gesang- 
stücken eine  Orchesterbegleitung  hinzu,  die  meistentheils  geschmacklos  ist  und 
fast  immer  die  Singstimme  übertönt  statt  sie  zu  heben ,  wodurch  dann  die 
Sänger  gezwungen  werden,  in  einer  für  zarte  Ohren  unerträglichen  Weise  zu 
schreien  und  zu  brüllen«.  Dennoch  beherrschte  Rameau  zwanzig  Jahre  hin- 
durch mit  Lully  die  pariser  Opernbühne  in  unumschränkter  Weise,  bis  im  August 
1752  eine  italienische  Gesellschaft  in  Paris  ankam  und  die  Erlaubniss  erhielt,  in 
der  Academie  royale  de  musique  komische  Opern  aufzuführen.  Der  grosse  Er- 
folg dieser  sogenannten  houjfons  alsbald  bei  ihrem  Auftreten  war  das  Signal 
zu  einem  erbitterten  Kampfe  zwischen  der  nationalen  Partei  und  derjenigen, 
welche  dem  gespreizten  Wesen  der  grossen  Oper  schon  längst  abhold  war  und 
in  dem  Vorherrschen  des  Wortes  auf  Kosten  der  Musik  den  Ruin  der  Kunst 
erblickte.  Der  Hof  selbst  nahm  Stellung  in  diesem  Kampfe,  welchen  man  nach 
den  Plätzen  der  Parteihäupter  unter  der  Loge  des  Königs  und  der  der  Koni- 


Frankreich.  29 

gin,  dem  coin  du  roi  und  dem  coin  de  la  reine  benannte,  und  der  schliesslich 
—  hauptsächlich  durch  die  Bemühungen  der  Mitglieder  der  grossen  Oper,  welche 
ihre  materiellen  Interessen  gefährdet  sahen  —  zu  Gunsten  der  nationalen  Par- 
tei entschieden  wurde,  wenngleich  die  Gegenpartei,  die  der  Italiener,  Namen 
wie  Grimm  und  J.  J.  Rousseau  zu  den  ihrigen  zählte.  Rousseau,  der  durch 
den  grossen  Erfolg  seines  Dictionnaire  de  Musique  und  seiner  Oper  »ie  devin 
du  villageis.  als  theoretischer  wie  als  praktischer  Musiker  eine  unbestrittene  Au- 
torität errungen  hatte,  ging  so  weit,  den  Beweis  zu  führen,*  dass  die  französi- 
sche Sprache  zur  musikalischen  Composition  ungeeignet  sei,  und  es  überhaupt 
keine  französische  Musik  geben  könne.  —  Die  nächste  Zukunft  sollte  jedoch 
die  IJnhaltbarkeit  seiner  Behauptung  darthun.  Die  AVirkung  der  italienischen 
Bouffons  auf  den  Geschmack  des  pariser  Publikums  war  eine  zu  intensive  ge- 
wesen, als  dass  mau  sich  nach  ihrer  Vertreibung  im  März  1754  nicht  um  einen 
Ersatz  für  sie  bemüht  hätte.  Um  der  auf  den  Grundsätzen  der  poetisch  dra- 
matischen Darstellung  beruhenden  grossen  Oper  ein  specifisch  musikalisches 
Element  entgegenzusetzen,  griff  man  zunächst  zu  den  Productionen  des  Nach- 
barlandes, welche  man  in  französischer  Bearbeitung  dem  Publikum  vorfühi-te. 
Bald  jedoch  veranlasste  der  andauernde  Erfolg  dieser  Versuche  Dichter  wie  Fa- 
vart,  Sedaine,  Marmontel,  selbständige  Arbeiten  dieser  Gattung  zu  liefern,  und 
als  sich  nun  auch  der  neapolitanische  Componist  Duni  1757  nach  Paris  ge- 
wendet hatte  und  sein  anmuthiges,  leichtes  Talent  während  dreizehn  Jahren 
mit  dem  der  genjannten  Dichter  vereinigte,  da  konnten  die  Gegner  der  grossen 
Oper  mit  Recht  triumphiren,  denn  die  französische  opera  comique,  noch  ungleich 
enger  mit  dem  Volkscharakter  verwachsen  als  jene,  war  ins  Leben  getreten  — 
allerdings  wiederum  nicht  ohne  Mithülfe  des  Auslandes,  mindestens  was  den 
musikalischen  Theil  betrifft.  Dass  aber  auch  in  der  komischen  Oper  auf  die  dra- 
matische Seite  ein  unverhältnissmässig  grösseres  Gewicht  gelegt  wurde  als  auf  die 
musikalische,  davon  liefert  der  meist  geringe  theoretische  Bildungsgrad  ihrer 
Vertreter  einen  Beweis:  Monsigny,  der  Nachfolger  Duni's  in  der  Gunst  des 
Publikums,  componirte  ohne  alle  vorhergegangenen  Studien,  lediglich  durch  die 
Leistungen  der  Bouffons  angeregt  und  durch  die  Frische  seiner  melodiösen  Er- 
findung unterstützt.  Philidor,  der  mit  jenen  beiden  die  komische  Oper  be- 
herrschte, bis  Gretry  das  Scepter  ergriff,  stand  zwar  als  geschulter  Musiker 
ungleich  höher  als  Monsigny,  betrachtete  aber  dennoch  das  Componiren  als  eine 
Nebensache  —  es  ist  bekannt,  dass  er  seiner  Meisterschaft  im  Schachspiel  Ruhm 
und  Vermögen  zu  verdanken  hat  —  und  zog  sich  willig  von  der  Bühne  zurück, 
als  er  in  Gretry  einen  Meister  erkannte,  dem  er  nicht  gewachsen  war.  Gretry 
konnte  es  gelingen,  der  komischen  Oper  diejenige  Vollkommenheit'  zu  geben, 
deren  sie  bedurfte,  um  als  Repräsentantin  der  nationalen  dramatischen  Musik 
in  F.  zu  gelten.  Obwohl  auch  er  sich  an  Tiefe  des  Studiums  mit  den  musi- 
kalischen Grössen  seiner  Zeit  keineswegs  messen  konnte,  so  wusste  er  dafür 
seine  Fähigkeiten  um  so  geschickter  und  gewissenhafter  auszunutzen  und  dem 
Compositionsprincip  treu  zu  bleiben,  welches  er  in  seinen  Memoiren  ausspricht: 
»um  seine  Empfindungen  riclitig  und  wahr  auszudrücken,  muss  man  die  Melodie 
aus  der  Declamation  hervorgehen  lassen  und  das  Orchester  nur  als  eine  äussere 
Zuthat  betrachten«.  Der  italienischen  Schule  war  er  unbedingt  ergeben;  er 
nannte  sie  sowohl  für  Composition  als  für  Gesang  die  beste,  welche  existire.  Gleich- 
wohl Hess  er  sich  durch  die  Sorgfalt,  mit  welcher  er  seine  Melodien  bildete, 
niemals  verleiten,  dem  Wortaccent  einen  Zwang  anzuthun;  seine  Aeusserung, 
»dass  das  wahre  Element  des  musikalischen  Ausdrucks  schon  in  der  Betonung 
im  Sprechen  gegeben  sei  und  der  Componist  dasselbe  nur  fixiren  müsse«,  seine 
Bemühungen,  an  dem  Vortrag  der  Schauspieler  des  Theätre  frangais  den  rich- 
tigen musikalischen  Ausdruck  zu  studiren,  beweisen  hinlänglich,  wie  sehr  ihm 
eine  richtige  Declamation  am  Herzen  lag.  Endlich  drängte  ihn  sein  weniger 
grossartig  als  vielmehr  lebhaft  und  geistreich  angelegtes  Naturell  zu  einer  Er- 
weiterung des  engbegrenzten   Gebietes  der  Opera  huß'a,  und  hier    kam    ihm    die 


30  Frankreich. 

von  (leu  Encyclopiulisten  verbreitete  Kiiustauschauuug  zu  Hülle,  nach  welcher 
eine  strenge  Scheidung  der  seriösen  und  komischen  Gattung  die  künstlerische 
Wahrheit  verfehle,  und  das  allein  Richtige  vielmehr  in  der  Mitte,  in  einer 
Vermischung  der  beiden  Stile  zu  suchen  sei.  So  konnte  denn  die  komische 
Oper,  von  allem  conveutionellen  Zwange  befreit,  den  ganzen  Kreis  der  mensch- 
lichen Leidenschaften  in  ihren  Bereich  ziehen,  und  in  dieser  dramatischen  Viel- 
seitigkeit liegt  die  Hauptttrsache  des  Erfolgs  der  komischen  Oper  und  ihres 
berühmten  Vertreters,  welcher  selbst  während  der  Hitze  des  Streites  zwischen 
Gluckisten  und  Piccinisten  die  Genugthuuug  hatte,  nicht  nur  nicht  vergessen, 
sondern  auch  von  beiden  Parteien  enthusiastisch  applaudirt  zu  werden,  —  Die 
grosse  Oper  hatte  sich  inzwischen  von  den  Zeitströmuugen  völlig  unberührt 
erhalten  und  das  in  manchen  Beziehungen  nur  zu  neuerungssüchtige  pariser 
Publikum  hatte  diesmal  den  Beweis  der  äussersten  Stabilität  und  Genügsamkeit 
geliefert,  indem  es  sich  nunmehr  fast  ein  Jahrhundert  hindurcli  mit  LuUy  und 
Rameau  begnügte.  Die  Geschmacksrichtung,  welche  in  der  komischen  Oper 
zur  Geltung  gelangt  war,  das  Streben  nach  Wahrheit  im  Ausdruck  und  die 
von  denEncyclopädisten  ausgegangene  Opposition  gegen  das  Conventionelle  mussten 
jedoch  auch  dort  zu  einem  entscheidenden  reformatorischen  Schritte  hindrängen; 
und  wie  die  Zeit  dazu  durchaus  günstig  war,  so  fand  sich  auch  der  geeignete 
Mann  in  Gluck.  Die  Grundsätze,  welche  ihn  bei  der  Composition  seiner  spä- 
teren Opern  leiteten  —  bekanntlich  war  er  schon  zwanzig  Jahre  lang  als  Opern- 
componist  thätig  gewesen,  bevor  er  zu  dem  Entschluss  kam,  den  hergebrachten 
Missbräuchen  der  italienischen  Oper  den  Krieg  zu  erklären  —  hat  er  selbst  in 
dem  Dedicationsschreiben  vor  der  »Alceste«  in  klarster  Weise  dargelegt,  und 
sie  fallen  so  genau  mit  denjenigen  zusammen,  auf  welchen  die  französischen  Na- 
tionalloper ihrem  Wesen  nach  basirt,  dass  die  dahingehörigen  Stellen  hier  wört- 
lich mitgetheilt  zu  werden  verdienen:  »Ich  habe  mir  vorgenommen,  die  Musik 
von  all  den  Missbräuchen  zu  reinigen,  welche  theils  durch  die  falsch  speculireude 
Eitelkeit  der  Sänger,  theils  durch  die  übergrosse  Nachgiebigkeit  der  Compo- 
nisten  sich  in  die  italienische  Oper  eingeschlichen  haben  und  aus  dem  präch- 
tigsten und  schönsten  aller  Schauspiele  das  lächerlichste  und  langweiligste 
machen.  Es  war  meine  Absicht,  die  Musik  auf  ihren  eigentlichen  Wirkungs- 
kreis zu  beschränken  als  Dienerin  der  Poesie,  deren  Ausdi'uck  sie  zu  verstär- 
ken hat,  ohne  die  Handlung  zu  unterbrechen  oder  das  dramatische  Interesse 
durch  unnütze  Zierrathe  abzuschwächen,  und  ich  ging  von  der  Ansicht  aus, 
dass  sie  zur  Dichtkunst  in  demselben  Verhältniss  stehen  müsse,  wie  die  Farbe 
zu  einer  wohlangelegten  Zeichnung,  deren  Umrisse  dadurch  wohl  belebt,  aber 
nicht  verändert  werden.  Ich  musste  es  also  vermeiden,  den  Sänger  in  der 
grössten  Erregung  des  Dialogs  anzuhalten,  um  das  Ende  eines  langweiligen  Ri- 
tornells  abzuwarten,  oder  ihn  in  der  Mitte  eines  Wortes  auf  einem  günstigen 
Vocal  den  Ton  aushalten  zu  lassen,  oder  ihm  Gelegenheit  zu  geben,  in  einer 
langen  Passage  die  Geläufigkeit  seiner  Stimme  zu  zeigen,  oder  endlich  das  Or- 
chester spielen  zu  lassen,  damit  er  Zeit  gewinne,  um  für  seine  Cadenz  Athem 
zu  holen.  Ich  hielt  es  für  unrichtig,  den  zweiten  Theil  einer  Arie  schnell  und 
ohne  Berücksichtigung  der  etwaigen  Wichtigkeit  des  dramatischen  Inhaltes  zu  ab- 
solviren,  einzig  im  Interesse  der  vier  herkömmlichen  Textwiederholungen  des 
ersten  Theiles,  welche  ihrerseits  nur  den  Zweck  haben,  die  Fähigkeit  des  Sän- 
gers im  kunstvollen  Variiren  einer  und  derselben  musikalischen  Phrase  bewun- 
dern zu  lassen  —  kurz,  ich  habe  gesucht,  alle  jene  Missbräuche  zu  verbannen, 
gegen  welche  der  gute  Geschmack  und  der  gesunde  Sinn  schon  seit  langer  Zeit 
laut  protestirt.  —  Die  Ouvertüre  soll  nach  meiner  Absicht  den  Zuhörer  auf 
die  darzustellende  Handlung  vorbereiten  und  gleichsam  das  Resume  (V argomento) 
derselben  bilden;  die  fernere  Wirksamkeit  der  Orchester-Instrumente  soll  mit 
dem  Interesse  und  den  Leidenschaften,  welche  die  Darstellung  ausspricht,  im 
Verhältniss  stehen,  und  weder  zwischen  der  Arie  und  dem  Recitativ  einen  ge- 
waltsamen Einschnitt  bilden,  noch  überhaupt  den   Gang  der  Handlung  unzeiti- 


Frankreich.  31 

gei-weise  unterbrechen.     Icli  habe  endlich  geglaubt,  dass  mein  eifrigstes  Streben 
einer  edlen  Einfachheit  gelten  müsse  und   habe    es    zu    vermeiden    gesucht,   mit 
künstlichen  Combinationen  auf  Kosten    der  Klarheit   zu   prunken.     Auch   habe 
ich  mein  Augenmei-k  nie  auf  neue  Effekte  gerichtet,  ausser  wenn  dieselben  durch 
die  dramatische  Situation  und  den  Ausdruck  geboten  waren ;  übrigens  aber  giebt 
es   keine  Regel,    welche   ich   nicht    der   musikalischen  Wahrheit    zu  Liebe   gern 
geopfert  hätte«.  —  Liegt  in  diesen  Worten  die  Tendenz  der  grossen  Oper  klar 
gezeichnet    ebenso    wie    der  Weg,    welchen    sie,    um    ihren    Traditionen    treu   zu 
bleiben,  einschlagen  musste,  so  sind  sie  andrerseits  ein  der  italienischen   Partei 
hingeworfener  Fehdehandschuh,    und    es  darf  kaum   überraschen,   wenn  die  von 
Gluck  in  Aussicht  gestellte  Musikreform  in  den  Salons  und   rthureaux   d'esprit^ 
des  damaligen  Paris  einen  Meinungsaustausch,  ein  Aufeinanderplatzen   der  Gei- 
ster hervorrief,    welche  an  Lebhaftigkeit  dem  zwanzig  Jahre  zuvor  entbrannten 
Streite  der  Nationalen  und  der  italienischen  Bouifonisten  noch  überboten.    Yon 
der  Aufregung,  welche  sich  schon  nach  der  zweiten  Aufführung  der  »Iphigenie 
in  Aulis«  (Februar  1774)   der  gebildeten  Kreise  der  Hauptstadt  bemächtigte,  lie- 
fert Grimm's    Corr.  litt,    ein    anschauliches  Bild.      »Seit    vierzehn    Tagen    denkt 
und  träumt  man  in  Paris  nichts  als  IMusik;   sie  ist  der  Gegenstand  aller  unsrer 
Untei'haltungen  und  Disputen,  die   Seele  unsrer  Soupers,  und  es  würde  lächer- 
lich erscheinen,  sich  für  etwas  anderes   zu    interessiren.      Soll    ich  noch    hinzu- 
fügen, dass  es  die  Iphigenie  des  Ritters   von  Gluck  ist,  welche  diese   ungemeine 
Gährung    hervorgebracht   hat  ?     Diese    Gährung   ist    aber   um    so    lebhafter,    als 
die  Meinungen  durchaus  getheilt    und    alle  Partheien   von    demselben  Eifer   be- 
seelt sind.    Unter  ihnen  unterscheiden  sich  besonders  drei:  die  der  alten  franzö- 
sischen  Oper,  welche  keine  anderen   Götter  anerkennen  will  als  Lully   und  Ra- 
meau;    die    der   rein    italienischen    Musik,   welche   zu    den    Fahnen    der    Jomelli, 
Piccini  und   Sacchini  schwört;  endlich  die  des  Ritters  Gluck,  welche  behauptet, 
die  für  die  theatralische  Darstellung  allein  geeignete  Musik  gefunden  zu  haben, 
eine  Musik,  deren  Principien  einzig  aus    der  unerschöpflichen   Quelle    der  Har- 
monie und  aus  dem  innigen  Verhältniss  unserer  Gefühle  zu    unsern    sinnlichen 
Empfindungen    geschöpft    sind;    eine   Musik,   welche   keiner    Nation    vorwiegend 
angehört,  deren   Stil  indessen    durch    den   Genius    des   Componisten    dem   Geiste 
unsrer    Sprache    angepasst    ist«.      Auch    die   Vorwürfe,   welche    der    Gluck'schen 
Musik  von   Seiten  der  italienischen  Partei  gemacht  wurden,  hat  Grimm  in  sei- 
ner Correspondenz  vollständig    registrirt;    sie   gleichen,   wie    schon  zu  Rameau's 
Zeit,  bis  aufs  Wort  den  Kritiken,   welche    vor    und   nach   Gluck   keinem    musi- 
kalischen  Reformator    erspart  worden    sind.     Man  gesteht  ihm  eine  gründliche 
Kenntniss  der  Geheimnisse  der  Harmonie  zu,  spricht  ihm  jedoch  die  Fähigkeit 
ab,  eine  Melodie  zu  erfinden;  mau  findet  seine  Motive  fast  ausnahmslos  gemein 
oder  bizarr  —  seine  Musik    ist  nur  ^ein  Lärm,    seine  Ideen    sind   barock,    ohne 
Geschmack,   ohne   Genie,  selbst  ohne   Gefühl  —  der   Stil  der  Iphigenie  erinnert 
an  die  Kneipe  {style  de  guingette)  —  was  Gluck  eine  neue  Musikgattung  nennt, 
ist  nichts  weiter  als  eine  Aufwärmung  der  Lully'schen,  abgerechnet  die  Noblesse, 
die  Grazie  und  die  Mannigfaltigkeit,  Avelche  Lully's  bessere  Werke  auszeichnet  — 
mit  Ausnahme  von  zwei  oder  drei  Arien  im  italienischen   Styl  und  einigen  Re- 
citativen    von    durchaus    barbarischem    Charakter    ist    seine   Musik    französische 
Musik,  so  französisch,    wie    es  jemals    eine   gegeben  hat,    nur   ist  Gluck  minder 
natürlich  als  Lully  und  minder  rein    als  Rameau,   weil   er    alle  Hilfsmittel  und 
alle   Schönheiten    seiner   Kunst   dem    theatralischen  Effekte    opfert    —   u.    s.    av. 
woraus  man  ersieht,  dass  Gluck's  Aussichten  auf  Unsterblichkeit  im  Jahre   1775 
nicht  besser  standen  als  etwa  heute  die  von  Richard  Wagner.     Noch  erbitterter 
und  persönlicher  wiu'de  der  Streit,  als   Gluck  den  muthigen  Entschluss  gefasst 
hatte,   die  von  Lully  componirten   Operntexte,    Quinault's   Roland    und  Armide, 
auch  seinerseits  in  Musik  zu  setzen,    und  als   um    dieselbe  Zeit   die  italienische 
Partei    es    durchsetzte,   dass  Piccini,   damals   der   gefeiertste  Componist  Italiens, 
nach  Paris  berufen  wurde,  um  gleichfalls   einen  »Roland«  an  der  grossen   Oper 


32  Frankreich. 

zur  Aufführung  zu  bringen.  Dies  war  das  Signal  zum  Ausbrucli  des  offenen 
Krieges  der  (iluckisten  und  Piccinisteu,  bei  welchem  sich  alles  betheiligte,  was 
Paris  an  geistreichen  Köpfen  und  gespitzten  Federn  in  sich  schloss.  An  der 
Spitze  der  Piccinisteu  kämpften  Marraontcl  und  Laharpe,  der  Gluckisten  der 
Abbe  Arnaud  und  Suard,  ja,  selbst  J.  J.  Rousseau  war  trotz  seiner  früheren 
Parteinahme  für  die  Italiener  durch  die  Macht  der  Gluck'schen  Musik  besiegt 
und  mischte  sich  unter  dem  Namen  des  »Anonymus  von  Yaugirard«  in  die 
Reihen  der  Gluckisten,  wie  er  denn  auch  gegen  Grimm  offen  bekannte,  dass  er 
bis  zum  Erscheinen  der  Gluck'schen  Opern  im  Irrthum  gewesen  sei,  dass  sie 
seine  bisherigen  Meinungen  beseitigt  liaben,  und  dass  er  nunmehr  die  franzö- 
sische Spruche  für  ebenso  geeignet  zur  musikalischen  Comjjositiou  halte  wie 
jede  andere.  Zur  Einigung  in  diesem  Streite  —  dessen  Acten  in  den  r>me- 
moires  pour  servir  ä  Vhistoire  de  la  rcoolution,  operee  dans  la  miistque  par  M. 
le  chev.  Glucka  vollständig  erhalten  sind  —  konnte  es  natürlich  nicht  so  bald  kom- 
men, um  so  weniger,  als  der  Parteifanatismus  auf  beiden  Seiten  das  richtige  Maass 
verfehlen  Hess.  Nach  einer  Zeit  so  lebhafter  Erregung  musste  ein  Zustand 
der  Erschöpfung  eintreten,  auch  begannen  bald  nachher  die  am  politischen  Ho- 
rizont aufsteigenden  düstern  "Wolken  ihre  Schatten  auf  die  lebenslustige  paiüser 
Gesellschaft  zu  werfen  und  die  Discussion  auf  ganz  andere  Themata  zu  lenken 
als  Theater  und  Musik.  Sobald  sicli  jedoch  F.  wieder  einer  relativen  Ruhe 
erfreute,  konnte  man  die  Früchte  von  Gluck's  reformatorischem  AVirken  herr- 
lich erblühen  sehen:  Cherubini,  dessen  Medea  im  Jahre  1797  zuerst  aufgeführt 
wurde,  und  weiterhin  Spontini,  die  letzten  eigentlichen  Vertreter  der  französi- 
schen grossen  Oper,  beweisen,  indem  sie  der  von  Gluck  vorgezeichneten  Bahn 
gewissenhaft  folgten,  wer  aus  jenem  Kampfe  als  Sieger  hervorgegangen  ist;  denn 
von  einem  nachhaltigen  Einfluss  Piccini's  ist,  trotz  des  glänzenden  Triumphes, 
den  er  mit  seinem  1778  aufgeführten  Roland  erlebte,  in  der  späteren  französischen 
Musik  keine  Spur  zu  finden.  —  Die  französische  Revolution  mit  ihrer  Hohl- 
tönigkeit  und  ihrem  gespreizten  Antikisiren  war  der  künstlerischen  Production  wenig 
günstig,  und  obschon  die  Machthaber  von  damals  es  nicht  an  Ermunterungen, 
Anordnung  nationaler  Feste,  Bestellungen  von  Freiheitshymnen  u.  s.  w.  fehlen 
Hessen,  obschon  es  nicht  an  Talenten  mangelte,  welche  die,  auf  dem  Gebiet  der 
grossen  wie  der  komischen  Oper  so  ruhmvoll  begonnene  Arbeit  hätten  fortsetzen 
können,  so  scheint  doch  der  Kunst  und  speciell  der  Tonkunst  die  rechte  Le- 
benslust zeitweilig  abhanden  gekommen  zu  sein.  Dafür  dankt  F.  dem  Revolu- 
tionszeitalter eine  für  seine  musikalische  Zukunft  höchst  folgenreiche,  bald  auch 
für  ganz  Europa  mustergültige  Einrichtung,  nämlich  das  Conservatorium 
der  Musik,  welches  zunächst  bestimmt  war,  die  republikanischen  Armeen  mit 
Musikchören  zu  versorgen,  weiterhin  aber  als  höchste  musikalische  Unterrichts- 
behörde seinen  Einfluss  auf  die  musikalische  Erziehung  der  ganzen  Nation  aus- 
breitete. Die  nächste  Anregung  dazu  gab,  wie  es  in  Cheniers  y>Bapport  sur 
Vecole  nationale  de  musique«  vom  10.  Thermidor  des  Jahres  III  an  den  Cou- 
vent  heisst,  die  Unterdrückung  der  mit  den  ehemaligen  Kathedralen  und  Ca- 
piteln  in  Verbindung  stehenden  Musikschulen  {maitrises),  wodurch  eine  Summe 
von  mehr  als  fünfzehn  Millionen  in  den  Staatsschatz  floss;  sodann  der  schon 
erwähnte  Mangel  an  Militärmusikern,  denn  »die  Tyrannen  von  ehedem«  hatten 
ihre  Militärmusik  ausschliesslich  aus  Deutschen  rekrutiren  müssen.  Der  Rap- 
port von  Leclerc  vom  3.  Frimaire  des  Jahres  VII  führt  auch  allerlei  ästhe- 
tische Gründe  für  die  Einrichtung  einer  nationalen  Musikschule  ins  Feld:  »Das 
Erscheinen  der  Musik  in  unsrer  vaterländischen  Geschichte  datirt  hauptsächlich 
von  den  Glanzepochen  der  Revolution,  von  den  Arbeiten  auf  dem  Marsfelde. 
Damals  berechneten  die  Philosophen  den  Grad  der  Erregung,  welchen  frohe  Ge- 
sänge und  volksthümliche  Concerte  dem  Freiheitsstreben  verleihen  können.  Die 
Feste  des  Alterthums  erschienen  vor  ihrer  Phantasie,  und  sie  verhiesseu  die 
Zeit,  wo  das  republikanische  F.  jene  Tage  des  Glanzes  und  der  Glückseligkeit 
aufs   neue   beleben    würde«.     Auch    der   Befreiung   des   nationalen    Bodens    vom 


Frankreich.  33 

Joche  der  Fremden  wird  gedacht,  der  Bataillone,  welche  so  zu  sagen  durch  den 
Klang  der  Marseillaise  erschaffen  seien,    und  wie  mannichfache  Mittel  die  Musik 
dem  geistlichen  Stande  gewährt  habe  »um  die  Gemüther  der  citoyens  zu  knechten«. 
So  exaltirt  nun  auch  die  Sprache  dieser  Männer  erscheint,  so  praktisch  gingen 
sie  in    der   That  zu  Werke,   nachdem   die    einleitenden   Schritte  beendet  waren, 
und  besonders  mit  Hilfe  von   Sarrette  gelang  es,    der  jungen   Schöpfung  die- 
jenige   Gestalt    zu   geben,    welche    sie   im   wesentlichen    bis    heute   bewahrt    hat. 
Sarrette  bezeichnet  in  seinen  nObservations  sur  Vetat  de  la  musique  en  Francea 
vom  5.  Ventose  des  Jahres  X   als    das    hauptsächliche  Hinderniss    des   musika- 
lischen   Fortschritts   in  F.,    dass    die   musikalische   Erziehung    ausschliesslich    in 
den  Händen  der  Geistlichen  gewesen    sei,    denen    die    Ausbildung   von    dramati- 
schen  Künstlern    selbstverständlich    fern    liegen   musste.      Während   Italien    die 
vocale  und  instrumentale  Musik  nach  allen  Seiten  hin  ausbildete,  wurde  in  den 
französischen  y>mattrises(i  nur  die  Kirchencomposition,  und  von  Instrumenten  nur 
Orgel  und  Serpent  gelehrt;    die   Sänger  forcirten   ihre   Stimme,    um    die  weiten 
Räume  der  Kirche   bis  in    den  entferntesten  Winkel   zu   füllen;    die   weiblichen 
Stimmen  waren  vollständig  vom  Musiciren  ausgeschlossen.     Allen  diesen  TJebel- 
ständen   wurde    abgeholfen    durch   Sarrette's  Plan,    die  1783    errichtete  Gesang- 
und  Declamationsschule,  an  welcher  Piccini,  Langle  und  Guichard  gewirkt  hat- 
ten,  mit   der,   nach  Auflösung    der   maitrises  allein    übrig  gebliebenen    »ecole  de 
musique  de  la  garde  nationalem,  zu  einem   Conservatorium  der  Musik  zu  vereini- 
gen,   welches    zunächst    den  Unterricht    in   allen  Zweigen    der    Tonkunst    durch 
Herausgabe    einer    vollständigen    Sammlung    methodischer   TJnterrichtswerke    zu 
regeln  habe.     Ferner  sollte  eine  Anzahl  von   Vorbereitungsschulen  in  der  Pro- 
vinz  errichtet   werden,    welche    die,   mit  Stimmen    oder    sonstigen  musikalischen 
Anlagen  begabten  Individuen  aufzunehmen,  und  in  besondern  Fällen  der  pariser 
Schule  zu    überweisen  haben.     Das  Gesetz  vom   16.   Thermidor  des  Jahres  III 
(1795),  wodurch  die  Gründung  des  Conservatoriums  endgültig  beschlossen  wurde, 
enthielt  auch  einen  Artikel,   die  Bildung   einer    nationalen  Musikbibliothek  be- 
treffend, welche    nicht    allein    eine   vollständige    Sammlung   von  Partituren    und 
musikalischen   Schriften,    sondern    auch    die  Musikinstrumente    aller  Zeiten   und 
aller  Völker  enthalten  sollte,  insofern  sie  für  die  Gegenwart  als  Muster  dienen 
könnten.    Von  Napoleon  wurde  durch  das  sogenannte  Decret  de  Moscou  die  An- 
stalt noch  durch  ein  Pensionat  vergrössert,  in  welchem  neun   Schüler  beiderlei 
Geschlechts  gratis  aufgenommen  wurden,  zunächst  nur  solche,  die  sich  der  De- 
clamation  widmeten,  um  später  dem  theatre  frangais  anzugehören,  im  Laufe  der 
Zeit   jedoch    auch    Schüler    in    anderen  TJnterrichtszweigen.     Obwohl    nun    die 
Gründer  der  Anstalt,  insbesondere    der  unermüdliche   und  opferwillige   Sarrette 
mannichfachen  Angriffen  von  Seiten  der  Gegner  des  jungen  Unternehmens  aus- 
gesetzt waren,  so  bedurfte  es  doch  nur  verhältnissmässig   kurzer  Zeit,    um    alle 
hervorragenden   Talente    der  Hauptstadt,   bald   auch    des  Landes,   für   das    Con- 
servatorium  zu   gewinnen    und    den   wohlthätigen   Einfluss   geltend   zu    machen, 
den  es  unter  solchen  Umständen  auf  die    musikalischen   Studien,    sowie  auf  die 
mit  der  Musik  zusammenhängenden  Industriezweige   haben  musste.     Unverzüg- 
lich wurde  die  im  allgemeinen  Programm  vorgesehene  Ausarbeitung  instructiver 
Werke  in  Angriff   genommen.     Catel,  Cherubini,  Mehul,   späterhin  Reicha  wid- 
meten   sich    dem    theoretischen   Theile    dieser  gewaltigen  Aufgabe   und   bildeten 
das  bisher  in  F.  allein  gültige  Harmoniesystem  Rameau's  in  zeitgemässer  Weise 
um;  Rode,  Baillot  und  Kreutzer  gaben  die  berühmte  Violinschule,  welche  noch 
heute  die  Grundlage  des  Unterrichts  für  die  ganze  violinspielende  Welt  bildet, 
heraus.  Die  Gesangskunst  machte  nicht  geringere  Fortschritte  unter  Garat's  Lei- 
tung; die  Beziehungen  zum  italienischen   Gesang,  welche  in  Paris  nie  dauernd 
unterbrochen  worden  sind   —    schon  im  Jahre  1801   öffnete  wiederum  eine  ita- 
lienische Truppe  ihre  Vorstellungen  in  der  rue  Ghantereine,  und  das  Jahr  darauf 
wurde  Paisiello  zur  Direction  der  Kapelle  des  ersten  Consuls  berufen  —  bildeten 
jetzt  ein  wichtiges  Hülfsmittel    zur  Verbesserung  der   Stimmen,    und  wenn  vor 

Musikal.  Convers. -Lexikon.    Vi.  3 


34  Frankreich. 

Jahren  Gluck  seinem  Collegen  Piccini  im  Vertrauen  gestanden  hatte  »Zes  Franpais 
sont  de  honnetes  gens;  mais  il  me  faut  dire:  ils  veulent  gu'on  leur  fasse  du  chcmt, 
et  ils  ne  savent  pas  chanterm  —  so  konnte  schon  im  Jahre  1805  ein  Schüler 
Garat's,  der  ältere  Nourrit,  mit  den  berühmtesten  italienischen  Gesangskünstlern 
in  die  Schranken  treten.  Und  nicht  allein  auf  die  Jugend,  sondern  auch  auf 
diejenigen  Künstler,  die  schon  eine  gewisse  Stellung  hatten,  wirkte  die  mit  der 
Errichtung  des  Conservatoriums  herbeigeführte  Vertiefung  des  musikalischen 
Studiums,  so  dass  z.  B.  Mehul  sich  ernstlich  mit  contrapunktischen  Studien 
beschäftigte,  nachdem  er  schon  eine  Anzahl  von  Opern  mit  Erfolg  aufgeführt 
und  mehrere  Jahre  eine  der  Inspectorstellen  des  Conservatoriums  bekleidet  hatte. 
Die  Frucht  dieser  überaus  anerkennenswerthen  Selbsterkenntniss  war  der  »Joseph 
in  Egyten«;  seinem  Beispiel  aber  ist  es  zu  danken,  dass  Dilettantenerfolge,  wie 
noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  der  Monsigny's,  fortan  in  F.  nicht  mehr  mög- 
lich waren.  —  Der  Einfluss  des  Conservatoriums  zeigt  sich  ferner  noch  in  dem 
Aufschwung,  welchen  die  Fabrikation  musikalischer  Instrumente  um  eben  die 
Zeit  genommen  hat.  Lugot  verfertigt  seine  noch  jetzt  gesuchten  und  theuer 
bezahlten  Streichinstrumente  nach  den  Modellen  des  Stradivarius;  Tourte  er- 
findet die  Schraube,  vermittelst  welcher  die  Haare  des  Violinbogens  nach  Be- 
lieben angespannt  und  gelockert  werden  können;  in  den  Vogeseu  entwickelt 
sich  eine  Industrie,  welche,  ähnlich  wie  das  sächsische  Voigtland  für  Deutsch- 
land, Instrumente  geringerer  Qualität  für  ganz  Frankreich  liefert.  Auch  die 
Fabrikation  von  Ciavieren  wird  energisch  in  Angriff  genommen,  nachdem  man 
zuvor  seinen  Bedarf  ausschliesslich  von  England  bezogen  hatte,  und  bald  ist 
auch  sie  im  Stande  mit  den  namhaftesten  Rivalen  des  Auslandes  die  Concur- 
renz  auszuhalten.  —  Die  Geschichte  der  musikalischen  Entwickelung  F.s  im 
gegenwärtigen  Jahrhundert  ist  mit  der  des  pariser  Conservatoriums  eng  ver- 
wachsen, insofern  sie  kaum  einen  berühmten  Namen  nennt,  dessen  Träger  nicht 
dieser  Anstalt,  sei  es  als  Lehrer  oder  als  Schüler  angehört  hätte.  Auch  die 
liebevolle  Pflege  der  Instrumentalmusik,  eine  der  charakteristischen  Seiten  des 
heutigen  französischen  Musiklebens,  ist  vorwiegend  durch  das  Conservatorium 
bewirkt,  theils  indirect  durch  den  sorgfältigeren  Unterricht,  theils  direct  durch 
die  Einrichtung  von  öffentlichen  Kammermusik-Aufführungen  durch  Baillot  im 
Jahre  1814,  sowie  durch  die  von  Cherubini  ins  Leben  gerufene  societe  des  Gon- 
certs,  welche,  indem  sie  die  sämmtlichen  aus  dem  Conservatorium  hervorgegan- 
genen Kräfte  in  sich  aufnahm  und  bei  ihren  Aufführungen  verwendete,  binnen 
kurzem  alle  derartigen  Institute  der  "Welt  an  virtuosem  Glanz  übertraf.  Stehende 
Concerte  waren  zwar  nichts  eigentlich  Neues  in  Paris:  schon  1725  hatte  sich 
ein  nConcert  spiritueU  gebildet,  welches  gegen  eine  Abgabe  von  sechstausend 
Livres  die  Erlaubniss  hatte,  von  sechs  bis  acht  Uhr  den  Saal  der  Tuilerien 
für  seine  Zwecke  zu  benutzen;  1775  musste  dies  Unternehmen  zu  Gunsten  der 
y>Concerts  des  Ämateursn  im  Hutel  de  E,ohan  zurücktreten,  welches  der  junge 
Gossec  dirigirte,  und  diese  gingen  wiederum  1779  in  die  Concerte  der  r>societe 
de  la  löge  Olympiquevi  (unter  Navoigille's  Leitung)  über,  welclie  abermals,  und 
zwar  unter  dem  Schutze  der  Königin  Marie  Antoinette  ihren  Sitz  in  den  Tui- 
lerien aufschlugen;  diese  Concerte  waren  es,  für  welche  Haydn  sechs  seiner 
Symphonien  componirte  und  in  denen  Virtuosen  wie  Viotti,  Clementi,  Dussek, 
Cramer  sich  beim  französischen  Publikum  einführten.  Auch  nach  den  Stür- 
men der  Revolution  bildeten  sich  aufs  Neue  Concertgesellschaften  wie  im  Jahre 
VIII  (1800)  die  der  rue  de  Glery,  welche  eine  Dankes-Medaille  auf  Haydn  prä- 
gen liess,  und  die  der  r>concerfs  d'amateursvi  in  der  rue  de  Grenelle  (1815)  — 
keine  von  diesen  Unternehmungen  konnte  jedoch  in  dem  Grade  auf  die  Ge- 
schmacksrichtung des  Publikums  wirken  wie  die  Conservatoire-Gesellschaft,  und 
die  Ursache  davon  ist  nicht  allein  in  den  obenerwähnten  günstigen  Verhält- 
nissen zu  suchen,  als  auch  in  dem  Umstand,  dass  eben  damals  die  Instrumen- 
talcomposition durch  Mozart  und  Beethoven  in  einer  vorher  ungeahnten  Weise 
bereichert  und  vervollkommnet  war.     Nachdem   nun    die  Werke   dieser  Meister 


Frankreich.  35 

in  Habeneck  einen  begeisterten  Verehrer  gefunden  hatten,  und  es  seinen  An- 
strengungen gelungen  war,  zuerst  die  Musiker,  dann  auch  das  grosse  Publikum 
für  seine  Sache  zu  gewinnen,  musste  sich  der  Geschmackshorizont  natürlich 
um  ein  Bedeutendes  erweitern.  Trotz  alle  dem  nahm  aber  die  Bühne  das  In- 
teresse des  Publikums  nach  wie  vor  hauptsächlich  in  Anspruch,  um  so  mehr 
als  es  nicht  an  Männern  fehlte,  um  auf  der  im  vorigen  Jahrhundert  betretenen 
Bahn  mit  Erfolg  vorwärts  zu  schreiten:  im  Grebiete  der  grossen  Oper  Cheru- 
bini und  nach  ihm  Spontini,  die  beide  den  von  Gluck  theoretisch  und  praktisch 
überlieferten  Grundsätzen  treu  blieben,  wenngleich  der  erstere  in  der  Fülle  sei- 
ner mvTsikalischen  Begabung  sich  gelegentlich  verleiten  lässt,  dem  Ton  die  Herr- 
schaft über  das  Wort  einzuräumen,  und  so  mit  Gluck's  Grundsätzen  in  Colli- 
sion  zu  gerathen.  Auch  Mehul  dürfte  unter  den  Förderern  der  grossen  Oper 
genannt  werden,  wenn  ihm  gleich  die  Empfindung  für  das  musikalisch  Grosse 
mangelte  —  welche  nun  einmal  dem  französischen  Charakter  überhaupt  abzu- 
gehen scheint.  Boieldieu,  Nicolo  Isouard  und  Adam  theilten  sich  dagegen  in 
die  Erbschaft  Gretry's  und  bereiteten  der  komischen  Oper,  indem  sie  sie  im 
nationalen  Geiste  ausbildeten,  nicht  allein  in  F.,  sondern  auch  bei  allen  Nach- 
barnationen die  glänzendsten  und  dauerndsten  Triumphe.  —  Die  politisch- sociale 
Bewegung  der  dreissiger  Jahre  veränderte  noch  einmal  die  musikalische  Phy- 
siognomie F.'s.  Der  Geist  der  Romantik,  welcher  damals  Europa  durchzog,  fand 
in  den  Gemüthern  des  jungen  F.  einen  besonders  fruchtbaren  Boden  und  machte 
seinen  Einfluss  nicht  allein  auf  die  Poesie,  sondern  auch  auf  die  Tonkunst  gel- 
tend. Allein  auch  hier  musste  die  schon  so  oft  zu  Tage  getretene  Unfähigkeit 
der  Franzosen,  Maass  zu  halten  und  ihrem  Umwälzungseifer  Zügel  anzulegen, 
den  an  sich  legitimen  und  gesunden  Charakter  der  Bewegung  alteriren  und  sie 
zu  jenen  Excessen  drängen,  welche  auch  ihr  begabtester  Vertreter,  Victor  Hugo, 
auf  dem  Felde  der  Dichtkunst  nicht  zu  vermeiden  gewusst  hat.  Dasselbe  gilt 
von  Hector  Berlioz,  dem  Repräsentanten  der  französischen  Romantik  auf  mu- 
sikalischem Gebiete.  Durch  Beethoven  in  die  geheimnissvolle  Welt  der  Instru- 
mentalmitsik  eingeführt,  derjenigen  Kunst,  die  mehr  als  jede  andere  die  intim- 
sten Regungen  des  menschlichen  Gemüthes  zum  Ausdruck  zu  bringen  vermag, 
mit  einer  glühenden  Phantasie  und  unumschränkter  Herrschaft  über  die  orche- 
stralen Mittel  begabt,  versenkte  sich  Berlioz  in  sein  innerstes  Ich  und  wurde 
der  Schöpfer  einer  Musik,  deren  Kühnheit  und,  Genialität  mit  Staunen  erfüllt 
der  es  jedoch  bisher  nur  ausnahmsweise  gelungen  ist,  einen  Widerhall  im  Ge- 
müthe  des  Hörers  zu  erwecken.  Insbesondere  in  seinem  Vaterlande  stand  ihm 
das  grosse  Publikum  kalt  gegenüber,  vind  selbst  seine  Versuche,  seinen  Lands- 
leuten auf  dem  von  ihnen  bevorzugten  Felde  der  dramatischen  Musik  näher  zu 
treten,  blieben  erfolglos,  obwohl  er  sich  in  seinen  »Trojanern«  streng  auf  dem 
von  Gluck  betretenen  Wege  hielt.  Man  könnte  indessen  vielleicht  mit  dem- 
selben Rechte  eben  diesem  Festhalten  an  der  Tradition  den  Misserfolg  seiner 
Opern  zuschreiben,  denn  schon  seit  Jahren  hatte  das  französische  Opernpubli- 
kum unzweideutige  Beweise  gegeben  von  einem  bedenklichen  Rückgange  seines 
musikalischen  Geschmackes.  An  die  Stelle  der  grossartigen  Einfachheit,  ehe- 
dem eine  Hauptbedingung  für  die  Stoffe  der  französischen  o'pera  seria,  war 
jetzt  das  bunte  Allerlei,  die  auf  raffinirte  Weise  herbeigeführten  Situationen 
und  bis  ins  kleinste  Detail  verfolgte  Charakter-Individualisirung  der  Scribe- 
schen  Texte  getreten,  und  für  alle  diese  Züge  der  modernen  Oper  hatte  sich 
in  Meyerbeer  der  geeignete  Mann  gefunden,  sie  musikalisch  zu  illustriren. 
Anstatt  dem  haltlos  umherirrenden  Geschmack  einen  bestimmten  Weg  zu  wei- 
sen, opferte  er  vielmehr  ohne  Bedenken  die  Einheit  des  Stiles  und  ergab  sich 
jenem  schrankenlosen  Eclecticismus,  welcher  seit  seinem  Erscheinen  die  Pro- 
ductionen  der  französischen  Operncompouisten  kennzeichnet;  sein  Beispiel  musste 
aber  um  so  nachtheiliger  wirken,  als  die  Geschicklichkeit  mit  welcher  er  alle 
Mittel  für  seine  Zwecke  zu  benutzen  wusste,  ja  die  Genialität,  welche  sich  m 
seinen  besseren  Werken  ausspricht,  nur  zu  leicht  die  grosse  Zahl  seiner  Nach- 

3* 


36  Frankreich. 

ahmer  über  die  Abschüssigkeit  des  von  ihm  eingeschlagenen  "Weges  täuschen 
konnte.  Ein  anderer  Vertreter  des  modernen  Eclecticismus,  Halevy,  beweist, 
obschon  musikalisch  minder  reich  begabt  als  Meyerbeer,  doch  ein  ungleich  feineres 
Grefühl  in  Bezug  auf  die  Stileinheit,  und  seinem  "Wirken  als  Componist  wie  als 
langjähriger  Lehrer  am  Conservatorium  ist  es  ohne  Zweifel  zuzuschreiben,  wenn 
die  heutige  Componistengeneration  in  F,  sich  idealeren  Zielen  zugewandt  hat. 
—  Nur  im  Vorübergehen  berührten  Auber  und  Rossini  die  grosse  Oper,  beide 
ohne  Zweifel  durch  den  Zeitgeist  der  dreissiger  Jahre  influirt;  der  erstere, 
durch  Anlage  und  Neigung  weit  eher  zum  Nachfolger  von  Grretry  und  Boiel- 
dieu  designirt  als  von  Grluck  und  Cherubini,  schuf  seine  »Stumme  von  Portici«, 
welche  an  innerem  Gehalt  und  dramatischer  Grrösse  alle  seine  sonstigen  Arbeiten 
überragt,  Rossi  den  »"Wilhelm  Teil«,  mit  welchem  er  gleicherweise  seinem  ange- 
bornen  Naturell  untreu  wurde,  nichtsdestoweniger  aber  eine  Kraft  entwickelte, 
welche  gerade  dieser  Oper  eine  weit  grössere  Lebensfähigkeit  sicherte  als  seinen 
eigentlich  italienischen,  den  »Barbier«  allenfalls  ausgenommen;  gewiss  ein  über- 
zeugender Beweis  von  der  Kraft  des  französischen  Nationalgeistes,  dass  es  ihm 
gelingen  konnte,  eine  so  ausgeprägte  Natur  wie  die  Rossini's,  wenn  auch  nur 
zeitweilig,  so  doch  mit  entschiedenem  Erfolg  von  ihren  Bahnen  abzulenken  und 
in  seine  Kreise  zu  ziehen.  Die  letztgenannte  Oper,  sowie  eine  Anzahl  anderer 
Opern  ßossini's  wurden  übrigens  für  die  Entwickelung  der  komischen  Oper  in 
F.  insofern  bedeutsam,  als  sie  wesentlich  auf  die  Ausbildung  und  Greschmacks- 
richtung  Auber's  wirkten,  nachdem  derselbe  schon  in  den  zwanziger  Jahren  — ■ 
anfangs  im  Verein  mit  Herold  —  die  Hinterlassenschaft  Gretry's,  Dalayrac's, 
Mehuls  und  Boieldieu's  angetreten  hatte.  Dass  diese  italienischen  Einflüsse  der 
französischen  komischen  Oper  im  Allgemeinen  keine  Förderung  gebracht  haben, 
lehrt  schon  ein  oberflächlicher  Vergleich  der  "Werke  Auber's  mit  denen  seiner 
soeben  erwähnten  Vorgänger.  Denn  wenn  es  Auber  auch  gelungen  ist,  das 
fremdländische  Element  in  nationalem  Sinne  umzubilden  und  die  von  ihm  ver- 
tretene Kunstgattung  auf  diese  "Weise  zu  bereichern,  so  lässt  sich  andrerseits 
nicht  verkennen,  dass  die  aus  der  französisch-italienischen  Allianz  hervorgegan- 
genen komischen  Opern  an  innerem  Grehalt  gegen  die  der  älteren  Meister  weit 
zurückstehen,  und  dass  Auber  durch  seine  Bevorzugung  eines  leichtfasslichen 
Rhythmus  den  Weg  bahnte  zum  genre  sautillant,  welcher  mit  seinen  Tanzrhyth- 
men die  heutige  komische  Opernbühne  fast  ausschliesslich  beherrscht.  G-leicher- 
weise  konnte  Auber  als  Director  des  Conservatoriums,  welchem  Amte  er  vom 
Tode  Cherubini's  (1842)  bis  zu  seinem  eignen  (1871)  mit  höchstem  Eifer  vor- 
stand, den  Ruf  der  Anstalt  nicht  allein  erhalten,  sondern  auch  durch  den  Grlanz 
seines  Namens  noch  erhöhen,  unmöglich  aber  konnte  er  durch  sein  Beispiel 
die  Q-ründlichkeit  und  Vertiefung  des  Studiums  fördern,  wie  dies  auch  von  den 
ernster  strebenden  Franzosen  erkannt  wird  und  vom  TJnteri-ichtsminister  Jules 
Simon  bei  einer  officiellen  Grelegenheit  ausgesprochen  ist.  —  Es  erübrigt  noch, 
durch  einen  Blick  auf  die  gegenwärtigen  Musikzustände  F.'s  das  Bild 
seiner  musikalischen  Entwickelung  zu  vervollständigen  und  abzuschliessen.  Nach 
wie  vor  liegt  die  dramatische  Musik  den  Franzosen  besonders  am  Herzen ;  sie 
ist  es,  die  unter  sonst  gleichen  Umständen  vor  allen  andern  Musikgattungen 
den  Vortritt  hat,  sie  wendet  sich  nicht  blos  an  den  intelligenten  Theil  des 
Publikums,  sondern  an  die  Gesammtheit  desselben;  bei  ihr  versucht  jeder  Com- 
ponist sein  Heil,  mag  ihn  auch  Neigung  und  Individualität  mehr  zur  reinen 
Instrumentalmusik  oder  Kammermusik  hinleiten;  sie  endlich  bietet  allein  den 
von  ihr  Auserwählten  nennenswerthe  materielle  Vortheile,  ein  Umstand  der  bei 
den  Franzosen  ungleich  schwerer  ins  Gewicht  fällt  als  anderwo.  Trotz  dieser 
exceptionellen  Stellung  jedoch,  trotz  der  Bemühungen  der  gesammten  musika- 
lischen Productionskraft,  hat  sie  es  —  die  grosse  Oper  mindestens  —  seit  40 
Jahren  nicht  zu  einer  wahrhaft  originellen,  epochemachenden  Leistung  bringen 
können.  Selbst  Gounod  erhebt  sich  streng  genommen  nicht  über  das  Niveau 
eines  achtungswerthen  Eclecticismus  und  kann  erst  dann  als  Haupt  einer  Schule 


Frankreich.  37 

gelten,  wenn  er  seinem  »Faust«  eine  Anzahl  von  Werken  gleichen  "Werthes  hat 
nachfolgen   lassen,    wozu    freilich    bei    der   verhältnissmässigen    Schwäche    seiner 
spätem  Werke  geringe  Aussicht  vorhanden  ist.     Dasselbe  gilt  von  Ambroise 
Thomas,  der  mit  seinem  »Hamlet«   zwar  bedeutenden  Erfolg  gehabt  hat,    die- 
sen   jedoch  in  weit    grösserem  Maasse    seiner    Geschicklichkeit    in  Handhabung 
der  harmonischen,   vocalen    und    instrumentalen    Mittel,    als    eigentlicher  Erfin- 
dungsgabe verdankt.      Thomas  hat  sich  auch  für  die  komische  Oper  durch  sei- 
nen »Caid«    und  »Sommernachtstraum«    in   anerkennenswerther    Weise   verdient 
gemacht,  neben  ihm  Victor  Masse,  Aime  Maillart,  Erneste  Eeyer  und 
Grevaert,  letztere  beiden  ebenfalls    für  die    grosse  Oper.     Die  Erfolge    sämmt- 
licher   Genannten  werden    jedoch    durch    die    begeisterte   Aufnahme    verdunkelt, 
welche   Offenbach's  Leistungen  in    den    letzten   zwanzig  Jahren  gefunden  ha- 
ben.    Er  allein  hat  es  verstanden,  das  musikalische  Bedürfniss  seiner  Zeit  klar 
zu  erkennen  und  zu  befriedigen,   und    indem    er    durch  seine  tänzelnden  leicht- 
fasslichen  Rhythmen  ungleich  mehr  auf   die  Beinmuskeln    als    auf   das   Gemüth 
des  Hörers  wirkt,  kann   er  als  der  eigentliche   Nachfolger  Aubers   in  der  Aus- 
bildung des  bei  Gelegenheit  des  letzteren   schon  erwähnten  genre  sautillant  gel- 
ten.  Nicht  minder  als  er  wurden  seine  Mitarbeiter  Meilhac  und  Ludovic  Halevy, 
welche  die  Parodirung  mythologischer    und   historischer   Stoffe   zu  ihrer  alleini- 
gen Aufgabe  machten  und  dabei  selbst  die  ehrwürdigsten  Traditionen  nicht  ge- 
schont haben,  die  getreuen  Interpreten    der    durch    das  zweite  Kaiserreich  her- 
vorgerufenen skeptisch-materiellen  Eichtung.  Dieser  Erfolg  OflPenbachs,  sowie  die 
durch  den  Einfluss  des  damaligen  F.  motivirte  Verbreitung  seiner  Musik  über 
den  ganzen  Erdball  machte  es  möglich,  dass  er  sogar  eine  Schule  bilden  konnte, 
deren  Leistungen  jedoch,  wie  die  des  Meisters,  nur  als  Ausdruck  einer  vorüber- 
gehenden   Zeitströmung    gelten    können    und   mit   ihnen   vom    Schauplatz    ver- 
schwinden werden.  —  Dass  die  Production  auf  dem  Felde  der  Instrumental- 
musik   im    Durchschnitt   keine   reicheren    Resultate    liefert,    als    die    soeben    in 
Bezug  auf  die  Oper  erwähnten,  erklärt  sich  schon  aus  ihrer  minder  bevorzugten 
Stellung  zum  grossen  Publikum.      Saint-Saens,    der  mit  einer  unglaublichen 
Leichtigkeit  des   Schaffens  eine  gründliche  Keuntniss  und  Verehrung  der  deut- 
schen Meister  verbindet,    der  sich  auch  der  jüngsten    musikalischen  Bewegung 
in  Deutschland  mit  Ueberzeugung  und  Verständniss  angeschlossen  hat,  scheint 
die   meisten   Aussichten    zu    haben,    die   französische    Orchester-    und   Kammer- 
musik   auf    einen    höheren  Bang  zu   erheben,    als  sie  bisher  inne  hatte;    neben 
ihm  wären  noch  Beber  und  Adolphe  Blanc  zu  nennen,  als  Vertreter  eines 
leichteren,   in    der  Empfindungsweise    an  Haydn    sich    anlehnenden   Genre's  von 
mehr  nationaler  Färbung.     Aus  der  grossen  Anzahl  von  Quartetten,  Trio's  etc., 
welche    übrigens   in    F.    die  Presse   verlassen,    erhebt   sich   nur    selten    das  eine 
oder  das   andere    über  das  Niveau  der  Mittelmässigkeit,    trotz  des  pretentiösen 
Stiles,  dessen  sich  die  Mehrzahl  der  jung-französischen  Componisten  befleissigen. 
Die  Ursache  dieser  Unfruchtbarkeit  liegt  aber  nicht  sowohl  in  mangelnder  Be- 
gabung, als  vielmehr  im  ungenügenden  Studium  der  Harmonie  und  des  Contra- 
punktes, welchen  Disciplinen  erst  in  letzter  Zeit,  seit  Ambroise  Thomas  an  Auber's 
Stelle  das  Directorat  des   Conservatoriums  und  zugleich  den  theoretischen  Un- 
terricht   übernommen    hat,   grössere    Sorgfalt   zugewendet  wird.     Vor    ihm   war 
eine  gründliche  Beschäftigung  mit  der  Compositionslehre  beinahe  ausschliesslich 
Sache  desjenigen  Schülers,  der  sich  um  den  prix  de  Borne  bewarb,  während  die 
ungeheure  Mehrzahl  der  übrigen  sie  kaum  einer  oberflächlichen  Berücksichtigung 
würdigte.     Die  Erfahrung  aber  hat  gelehrt,  wie  die  preisgekrönten  Schüler  im 
Verlauf   ihrer  Weiterentwickelung    die    auf    sie    gesetzten    Hofi"nungen    nur    zu 
häufig  nicht  erfüllten,  wie  hingegen  mancher  der  anderen  erst  später  eine  seiner 
Anlage  entsprechende  Bahn  gefi^nden  hat  und  dann  unter  der  Vernachlässigung 
seiner  Erziehung  schwer  büssen  musste;  deshalb  hat  man  die  Verallgemeinerung 
des  theoretischen   Studiums  als  erste  Bedingung  zur  Hebung  der  musikalischen 
Productionskraft  erkannt,  und  im  Interesse  dieser  Verallgemeinerung  kann  selbst 


38  Frankreich. 

die  in  neuester  Zeit  mehrfach  angeregte  Beseitigung  des  Römerpreises,  wie  er 
bisher  zur  Anwendung  kam,  nur  gebilligt  werden.  Im  Gegensatz  zu  dieser 
schwachen  Seite  des  Pariser  Conservatoriums  werden  auf  allen  übrigen  Gebieten 
die  glänzendsten  Erfolge  erzielt,  wie  sich  Jedermann  bei  den  alljährlich  im 
Sommer  stattfindenden  öffentlichen  Prüfungen  überzeugen  kann.  Der  Kunst- 
gesang erfreut  sich  einer  Pflege,  wie  ausserdem  nur  in  Italien,  und  wenn  auch 
die  Stimmorgane  der  modernen  Franzosen,  wie  die  ihrer  gallischen  Vorfahren, 
von  der  Natur  minder  begnadigt  sind  als  die  der  Italiener,  so  hat  doch  die 
Kunst  eines  Bordogni,  Garcia,  Panseron,  sowie  ihrer  Nachfolger  Delsarte,  E.e- 
vial,  Wartel  die  natürlichen  Hindernisse  zu  überwinden  gewusst,  und  es  ist 
durch  diese  Männer  die  französische  Gesangschule  so  zu  Ehren  gekommen,  dass 
unter  den  vocalen  Berühmtheiten  der  letzten  fünfzig  Jahre  kaum  eine  ihrer 
Hülfe  zur  höheren  Ausbildung  hätte  entbehren  mögen.  Auf  eine  correcte 
Textes-Aussprache  legt  die  französische  Gesangschule,  gemäss  den  Jahrhunderte 
alten  Traditionen  der  französischen  Oper  ein  besonderes  Gewicht,  so  dass  z.  B. 
die  deutsche  Gewohnheit,  die  Texte  der  vorzutragenden  Gesänge  den  Concert- 
programmen  beizugeben,  den  Franzosen  völlig  unerklärlich  ist,  denn  dies  würde 
bei  ihnen  als  ein  anticipirtes  Misstrauensvotum  gegen  den  Sänger  gelten,  der 
ja  seinen  Beruf  verfehlt  hätte,  wenn  seine  "Worte  unverstanden  geblieben  wären. 
Einen  ferneren  Beweis,  wie  hohen  Werth  man  darauf  legt,  die  Zöglinge  des 
Conservatoriums  in  den  Geist  der  Sprache  eindringen  zu  lassen,  giebt  die  Er- 
richtung eines  Cursus  für  Geschichte  und  Literatur  für  diejenigen  Schüler, 
welche  sich  der  Oper  oder  dem  theätre  frangais  widmen,  bei  dessen  Eröffnung 
der  Lehrer  der  Declamationsklasse,  Samson,  eines  der  gefeiertsten  Mitglieder 
des  theätre  frangais,  auf  das  Beispiel  des  Demosthenes  und  Cicero  hinwies, 
welche  beide,  als  Schüler  der  Schauspieler  Satyrus  und  Hoscius,  der  dramati- 
schen Kunst  in  erster  Linie  ihre  Erfolge  verdankten.  Wenn  so  der  französische 
Sänger  ungleich  besser  geschult  ist  als  der  deutsche  —  denn  auch  in  der  Fähig- 
keit im  Treffen  und  im  sofortigen  Auffassen  unbekannter  Musikstücke  zeigt 
sich  die  üeberlegenheit  des  französischen  Gesangunterrichts  —  so  steht  dagegen 
der  Chorgesang  auf  einer  weit  niedrigeren  Stufe  als  in  Deutschland,  und  hier 
liegt  die  Ursache  nicht  sowohl  in  der  musikalischen  Organisation,  als  vielmehr 
in  einem  Charakterfehler  der  Franzosen,  die  sich  bekanntlich  im  täglichen  Leben 
eben  so  ungern  unterordnen,  als  sie  im  politischen  dazu  bereit  sind.  Niemand 
liebt  es,  sein  Licht  unter  den  Scheffel  zu  stellen,  jeder  möchte,  bei  aller  äusseren 
Bescheidenheit,  seine  musikalische  Persönlichkeit  zur  Geltung  kommen  lassen, 
aus  seinem  Musikfonds  möglichst  viel  Kapital  schlagen,  und  so  ist  es  gekom- 
men, dass,  während  die  Zahl  der  tüchtigen  Solosänger  Legion  ist,  doch  alle 
Bemühungen  (meist  von  deutscher  Seite),  in  F.  Dilettanten- Chöre  nach  dem 
Vorbild  der  deutschen  Städte  zu  bilden,  erfolglos  geblieben  sind,  dass  Chor- 
aufführungen, an  denen  es,  in  Paris  besonders,  natürlich  nicht  ermangelt,  nur 
durch  bezahlte  Kräfte,  Sänger  von  Profession  möglich  werden,  kurz,  dass  ein 
wichtiges  Mittel  für  die  Veredelung  des  musikalischen  Geschmackes  dem  heuti- 
gen F.  abgeht.  Zwar  hat  es  besonders  in  den  letzten  Jahrzehnten  nicht  an 
Bestrebungen  gefehlt ,  diesem  kunstgefährlichen  Partikularismus  entgegenzu- 
wirken; die  unter  dem  Namen  Orpheon  in  allen  Städten  F.'s  errichteten  Män- 
nergesangvereine, sowie  die  Pflege  des  Chorgesanges  in  der  Schule  verheissen 
die  besten  Erfolge  in  dieser  Richtung,  wenngleich,  in  Bezug  auf  den  Schul- 
unterricht nicht  verschwiegen  werden  darf,  dass  die  Sucht,  auf  mechanischem 
"WegQ  in  möglichst  kurzer  Zeit  zu  überraschenden  Resultaten  im  Vomblattlesen, 
Treffen  schwieriger  Intervalle  etc.  zu  gelangen,  eine  neue  Gefahr  für  die  ge- 
sunde musikalische  Entwickelung  der  Jugend  mit  sich  bringt.  Von  den  zahl- 
reichen, zu  diesem  Zwecke  erdachten  Gesangsmethoden,  welche  z.  B.  die  Zahlen 
an  die  Stelle  der  heutigen  Notationsweise  setzen,  oder  wie  der  Galin'sche  Me- 
loplast  mit  einem  leeren  Notensystem  operiren,  unterscheidet  sich  die  von 
Dessivier  aufs  Vortheilhafteste.     Auch  sie  verschmäht  nicht  die  mechanischen 


Frankreich.  39 

Mittel,  nämlich  Handbewegungen,  benutzt  jedoch  dieselben  nur,  um  das  Q-efühl 
der  Tonalität  bei  den  Schülern  zu  befestigen,  denen  übrigens  das  Erlernen  der 
heutigen  Notenschrift  nicht  erspart  bleibt.  Dessivier's  Methode  ist  sowohl  in 
Paris,  wo  er  selbst  am  Conservatorium  als  Lehrer  wirkt,  wie  auch  in  Brüssel 
bei  den  wichtigsten  TJnterrichtsanstalten  eingeführt  und  hat  sich  an  beiden 
Orten  als  ein  wirksames  Mittel  bewährt,  die  Jugend  nicht  allein  äusserlich, 
sondern  auch  innerlich  musikalisch  zu  machen.  In  der  Instrumentalmusik 
macht  sich  der  oben  erwähnte  französische  Charakterfehler  weit  weniger  geltend, 
obschon  auch  auf  diesem  Gebiete  die  Ausbildung  der  individuellen  Fähigkeit 
mit  besonderem  Eifer  betrieben  wird.  Das  Haupt  der  heutigen  französischen 
Violinschule  ist  Alard,  ein  Schüler  Baillots,  der  sowohl  durch  Unterricht  als 
auch  durch  öffentliches  Quartettspiel  seit  mehr  als  einem  Vierteljahr  hundert 
die  Traditionen  seines  Lehrers  lebendig  erhält  und  unter  dessen  Schülern  nicht 
wenige,  vor  allem  Maurin  und  Armingaud,  schon  ihrerseits  eine  Meister- 
stellung einnehmen.  Massart,  ebenfalls  Lehrer  am  Conservatorium,  ein  Schüler 
Kreutzer's,  hat  sich  als  Spieler  schon  seit  geraumer  Zeit  von  der  Oeflfentlich- 
keit  zurückgezogen,  wirkt  aber  um  so  eifriger  auf  seine  Schüler,  und  zwar  in 
einem  noch  gediegeneren  Sinne  als  Alard.  —  Neben  Alard  steht  der  Cellist 
Franchomme  sowohl  als  erster  Lehrer  am  Conservatorium  —  wo  ein  Jac  — 
quart  und  ein  Poencet  zu  seinen  Schülern  gehörten  —  wie  auch  als  Mits 
glied  seiner  Quartettproductionen  von  ihrem  Anfang  an;  Chevillard,  ebenfallt 
Lehrer  am  Conservatorium  und  hochgeachteter  Quartettspieler,  ist  ihm  nicht 
allein  als  Virtuos  und  Componist  ebenbürtig,  sondern  er  hat  sich  auch  durch 
die,  von  ihm  im  Verein  mit  Maurin  veranstalteten  und  jahrelang  fortgesetzten 
Aufführungen  der  späteren  Beethoven'schen  Quartette  besondere  Verdienste  um 
die  Geschmacksrichtung  seiner  Landsleute  erworben.  —  Es  würde  zu  weit  führen, 
die  Namen  aller  derer  zu  nennen,  die  als  Lehrer  oder  Virtuosen  auf  den  Blas- 
instrumenten zum  Ruhme  der  pariser  Orchesterleistungen,  vor  allen  der  der 
Conservatoriums- Gesellschaft  beigetragen  haben  und  noch  beitragen;  hingegen 
dürften  einige  Bemerkungen  hinsichtlich  des  Claviers  —  in  F.  wie  überall  einer 
der  Hauptfaktoren  des  Musiklebens  —  sowie  seiner  Vertreter,  am  Platze  sein. 
Auf  Zimmermann  und  Kalkbrenner,  welche  man  die  Altmeister  der  fran- 
zösischen Ciaviertechnik  nennen  kann,  führen  die  dortigen  Pianisten  fast  aus- 
nahmslos ihren  Stammbaum  zurück,  so  Saint- Saens  durch  seinen  Lehrer 
Stamaty,  einen  Schüler  Kalkbrenners,  so  Delaborde  durch  seinen  Lehrer 
Alkan,  einen  Schüler  Zimmermanns.  Marmontel  und  Lecouppey,  die 
gegenwärtig  gesuchtesten  Lehrer  in  Paris  und  zugleich  Verfasser  der  meisten 
vom  Conservatorium  adoptirten  Unterrichtswerke,  stammen  sogar  direkt  von 
jenen  Altmeistern  ab  und  haben  insofern  eine  besonders  erfolgreiche  Thätig- 
keit  für  die  Verbreitung  der  guten  Traditionen  entfalten  können.  Als  Com- 
ponist für  das  Ciavier  überragt  jedoch  Alkan  bei  weitem  die  sämmt- 
lichen  Genannten.  Mit  einer  überreichen  Phantasie  begabt,  von  einer  Un- 
abhängigkeit gegenüber  dem  Geschmack  des  Tages,  die  nicht  selten  ans  Son- 
derlinghafte streift,  endlich  von  Jugend  auf  dem  solidesten  Studium  ergeben, 
wurde  er  der  Schöpfer  einer  grossen  Anzahl  von  Werken,  die  in  der  Ciavier- 
literatur den  ersten  Rang  einzunehmen  beanspruchen  dürfen.  Auf  ihn  hat 
Chopin,  der  ja  auch  halb  und  halb  unter  die  französischen  Pianisten  zählt, 
einen  bemerkbaren  Einfluss  ausgeübt,  doch  hat  sich  Alkan's  Individualität  stark 
genug  erwiesen,  sein  Gefühlshorizont  weit  genug,  um  die  Fesseln  der  Romantik 
abzustreifen  und  sich  über  Chopin  hinaus  in  eine  Beethoven'sche  Geistesatmo- 
sphäre emporzuschwingen.  —  Schon  an  einer  früheren  Stelle  ist  des  Impulses 
erwähnt  worden,  welchen  in  Folge  der  Errichtung  des  Conservatoriums  die  In- 
strumentenfabrikation erhielt;  diese  hat  sich  nun  im  Verlaufe  unseres  Jahr- 
hunderts zu  einer  unglaublichen  Höhe  emporgehoben,  und  besonders  die  Fabriken 
von  Erard  und  Pleyel  versorgen  seit  geraumen  Jahren  die  ganze  civilisirte 
Welt   mit  Instrumenten,   so    dass   ihre  Besitzer  gegenwärtig  zu  den  ersten  In- 


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dustriellen  F.'s  zählen.  —  Bescheidener  in  Bezug  auf  die  Ausdehnung  des  Be- 
triebes zeigt  sich  selbstverständlich  die  Fabrikation  von  Streich-  und  Blas- 
instrumenten, wenn  sie  gleich  an  künstlerischer  Wichtigkeit  der  Ciavierfabri- 
kation in  keiner  Weise  nachsteht,  ja  sie  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  noch 
übertrifft,  und  zwar  in  Anbetracht  der  individuellen  künstlerischen  Thätigkeit, 
welche  hier  eine  unerlässliche  Bedingung  ist.  Obenan  unter  den  Geigenbau- 
Künstlern  steht  Vuillaume,  von  dessen  ausserordentlicher  Fähigkeit,  alt- 
italienische Geigen  zu  imitiren,  der  Vorfall  zeugt,  dass  Paganini,  der  ihm  seinen 
Stradivarius  zur  Reparatur  übergeben  hatte  und  nach  der  festgesetzten  Frist 
zwei  ganz  gleiche  Geigen  von  ihm  zurückerhielt,  nicht  im  Stande  war,  die 
seinige  herauszuerkennen.  Nachdem  aber  Vuillaume  durch  dieses  Kunststück 
eine  Probe  seiner  Fähigkeiten  gegeben  hatte,  warf  er  sich  mit  allem  Ernst  auf 
die  Erforschung  der  akustischen  Principien,  deren  Anwendung  den  Arbeiten 
der  italienischen  Meister  des  17.  Jahrhunderts  den  Stempel  jener  Vollkommen- 
heit aufprägte,  welche  man  noch  heute  als  unerreicht  an  ihnen  bewundert.  Mit 
richtigem  Takte  erkannte  er  die  Erfolglosigkeit  aller  Neuerungsversuche  in 
Bezug  auf  die  Struktur  der  Geige  und  hielt  sich  deshalb  streng  an  die  Modelle 
jener  Meister,  nebenbei  aber  richtete  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  Wahl 
des  Holzes,  sowie  des  Firniss  zur  Bekleidung  desselben  und  vermied  gewissen- 
haft den  Fehler  mancher  seiner  Collegen,  durch  gewaltsame  Mittel,  wie  z.  B. 
künstliches  Austrocknen  des  Holzes,  Entfernung  des  Lackes  an  gewissen  Stellen 
der  Geige,  einen  vorzeitigen  Erfolg  zu  erstreben,  der  in  den  meisten  Fällen 
schon  nach  kurzer  Zeit  mit  dem  Buin  des  Instruments  bezahlt  wird.  Ein 
späteres  Jahrhundert  muss  entscheiden,  wie  nahe  Vuillaume  seinen  grossen 
Vorgängern  gekommen  ist;  schon  jetzt  hat  er  die  Ehre,  einzelne  seiner  Geigen 
von  Virtuosen  wie  Vieuxteraps,  David  u.  A.  in  Gebrauch  genommen  zu  sehen, 
unter  deren  Händen  sie  selbst  alte  Instrumente,  insoweit  dieselben  nicht  gerade 
ersten  Banges  sind,  an  Fülle  und  Gesundheit  des  Tones  übertreffen.  Von 
seinen  zahlreichen  Schülern  ist  besonders  Miremont  zu  erwähnen,  der  eine 
feinsinnige  Künstlernatur  mit  ungewöhnlicher  Arbeitskraft  und  Geschicklichkeit 
verbindet.  —  Die  Fabrikation  von  Blasinstrumenten  hat  im  Gegensatz  zur 
Geigenbaukunst  eine  gewaltige  Umwälzung  von  F.  aus  erfahren,  und  zwar  durch 
den  genialen  Erfinder  Adolf  Sax;  auch  er  ging  bei  der  Construction  seiner, 
nach  ihm  genannten  und  nunmehr  von  allen  Orchestern  und  Militärkapellen 
Frankreichs  und  des  Auslandes  adoptirten  Messing-Instrumente  von  der  Er- 
forschung der  physikalischen  Bedingungen  der  Tonerzeugung  aus,  und  auf  Grund 
des  von  ihm  gefundenen  Gesetzes  eines  Proportions-Verhältnisses  zwischen  der 
Luftsäule  und  dem  Instrumentenkörper,  welcher  sie  einschliesst,  gelang  es  ihm, 
die  verschiedenen  Klangfarben,  wie  sie  in  der  menschlichen  Stimme  und  im 
Streichquartett  repräsentirt  sind,  auch  in  die  Familie  der  Blasinstrumente  ein- 
zuführen. Der  musikalische  Werth  seiner  Erfindungen  und  die  Energie,  mit 
welcher  er  sie  zu  verbreiten  suchte,  erweckten  bald  die  Theilnahme  der  be- 
deutendsten Musikautoritäten ,  und  Männer  wie  Berlioz ,  Halevy,  Auber  unter- 
stützten ihn  mit  Rath  und  That,  wogegen  andererseits  die  Zunft  der  Blas- 
instrumentenmacher sich  wie  ein  Mann  gegen  ihn  erhob  und  ihn  noch  bis  in 
die  letzten  Jahre  zwang,  durch  zahllose  und  langwierige  Processe  seine  Patent- 
rechte vor  ihren  Angriffen  zu  wahren.  —  Auch  die  französische  Orgelbaukunst 
hat  einen  Vertreter,  welcher  wie  die  soeben  Genannten  mit  praktischem  Genie 
eine  künstlerische  Auffassimg  seines  Berufes  vereint:  es  ist  Cavaille- Coli, 
in  dessen  grossartigen  Werkstätten  sich  zu  Zeiten  alles  versammelt,  was  in 
Paris  und  ganz  F.  an  der  Entwickelung  dieses  Kunstzweiges  Antheil  nimmt 
—  BO  z.  B.  beim  Versuche  neuer ^  den  Orgelbau  betreffender  Erfindungen  — 
wie  denn  überhaupt  Cavaille-CoU  im  fortwährenden  persönlichen  Verkehr  mit 
den  hervorragenden  Organisten  der  Hauptstadt  steht  und  bei  allen  Verbesse- 
rungen an  dem  Mechanismus  seiner  Instrumente  mit  ihnen  Hand  in  Hand  zu 
gehen  bestrebt  ist.     Was  übrigens  den  Zustand  der  französischen  Kirchenmusik 


Frankreich.  41 

im  Allgemeinen  betrifft,  so  erscheint  der  Vorwurf  der  Leichtfertigkeit,  welcher 
der  französischen  Kunst  so  häufig  gemacht  wird,  hier  vielleicht  noch  am  ehesten 
gerechtfertigt:  denn  nur  zu  häufig  muss  das  deutsche  Ohr  sich  verletzt  fühlen 
durch  die  profane  Behandlung  der  Orgel  in  den  meisten  Kirchen,  und  unwill- 
kürlich erinnert  man  sich  des  im  vorigen  Jahrhundert  berühmten  Organisten 
Marchand,  welcher  von  Rameau  als  unvergleichlich  befähigt  s^'pour  manier  la 
fuguea  gepriesen  wurde,  gleichwohl  aber,  als  er  sich  in  Dresden  mit  J.  S.  Bach 
messen  sollte,  es  vorzog,  bei  Nacht  und  Nebel  die  Stadt  zu  verlassen.  Wenn 
nun  aber  auch  die  modernen  Marchand's  in  der  französischen  Organistenwelt 
die  Majorität  bilden,  so  fehlt  es  doch  nicht  an  Künstlern,  welche,  was  Fertig- 
keit, Ernst  des  Strebens  und  gründliche  Kenntniss  der  classischen  Orgelliteratur 
betrifft,  den  Vergleich  mit  jedem  ihrer  deutschen  Collegen  aushalten  können, 
wie  z.  B.  Chauvet  an  der  Kirche  St.  Trinite  (starb  im  Verlaufe  der  Belage- 
rung von  Paris  1870),  Saint- Saens  an  der  Madeleine,  Cesar  Auguste 
Franck  an  St.  Clotilde,  letztere  beide  auch  durch  gediegene  Kirchencompo- 
sitionen  bekannt.  Als  besonders  eifriger  Förderer  der  Kirchenmusik  ist  noch 
Vervoitte  zu  nennen,  der  als  Kapellmeister  der  Kirche  St.  Roch  und  (seit 
1862)  Director  der  y>societe  academique  de  musique  religieuse  et  classiquea,  auch 
durch  Herausgabe  liturgischer  Compositionen  in  nachdrücklichster  Weise  der 
Apathie  entgegenwirkt,  welche  diesem  wichtigsten  Theile  der  Tonkunst  gegen- 
über nur  zu  allgemein  herrscht.  Er  war  es  auch,  der  in  einer  1854  veröffent- 
lichten Abhandlung  für  die  musikalische  Selbstständigkeit  der  einzelnen  Diö- 
cesen  auftrat,  als  man  den  römischen  Kirchengesang  an  die  Stelle  der  ver- 
schiedenen localen  Gesangsweisen  setzen  wollte,  und  ebenso  gab  er  schon  früher 
als  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  von  Bouen  durch  Veranstaltung  historischer 
Concerte  einen  Beweis  seiner  umfassenden  musikgeschichtlichen  Kenntnisse  und 
seiner  Fähigkeit,  dieselben  auf  praktischem  Wege  fruchtbringend  zu  machen. 
Wie  eifrig  man  überhaupt  in  F.  die  musik- historische  Forschung  be- 
treibt, davon  legt  eine  lange  Reihe  bedeutender  Werke,  zum  Theil  noch  aus 
dem  vorigen  Jahrhundert,  vollgültiges  Zeugniss  ab.*)  De  Laborde's  im  Jahre 
1780  erschienener  -nJEssai  sur  la  musique  ancienne  et  modernen,  steht  noch  heute 
als  ein  Muster  von  Gründlichkeit  da  und  bildet  einen  unentbehrlichen  Bestand- 
theil  jeder  musikalischen  Bibliothek;  Villoteau,  einer  der  Gelehrten,  welche 
sich  der  Expedition  Bonaparte's  nach  Aegypten  angeschlossen,  bereicherte  die 
Musikwissenschaft  durch  eine  Reihe  von  Dissertationen  über  die  ägyptische 
Musik,  sowie  später  durch  eine  TJebersetzung  von  Meibom's  y>musici  graecia.  In 
neuester  Zeit  haben  die  musik-philosophischen  Arbeiten  Kastner's,  und  noch 
mehr  die  von  Vincent  über  die  Musik  der  Griechen  die  Aufmerksamkeit  der 
Gelehrtenwelt  erregt;  die  Kenntniss  der  mittelalterlichen  Musik  ist  durch  die 
Werke  von  Coussemaker  u.  A.,  y>scriptores  de  mtisica  medii  aevü<.  und  Stephan 
Morelot  -aDe  la  musique  au  XV  sieclev.  in  ein  neues  Stadium  gerückt.  End- 
lich sind  noch,  als  ihrer  Bildung  nach  F.  angehörig,  Fetis,  der  jüngst  ver- 
storbene Director  des  Brüsseler  Conservatoriums  der  Musik,  und  sein,  wenn 
auch  weniger  fruchtbarer,  doch  ungleich  gründlicherer  Nachfolger  Gevaert  zu 
erwähnen,  welcher  letztere  die  reichsten  philologischen  Kenntnisse  mit  seinen, 
schon  bei  Gelegenheit   der   modernen   Operncomposition  hervorgehobenen    mtisi- 


*)  Ambros  bemerkt  in  seiner  „Geschichte  der  Musik"  IT,  350:  „Es  ist  eine  Freude, 
den  Ernst,  die  Gründlichkeit,  die  gewissenhafte  Forschung  der  französischen  Gelehrten  im 
Fache  der  Musikgeschichte  zu  sehen  gegenüber  dem  gewissenlosen  Treiben,  der  anmass- 
lichen  Halbwisserei  im  ,gründlichen'  Deutschland ,  wo  Musikgeschichte  mit  Hülfsmitteln 
geschrieben  wird,  die  man  für  den  Lesegroschen  aus  der  Leihbibliothek  haben  kann,  wo 
sie  sogar  anfängt,  Gegenstand  seichten  Feuilletongeschwätzes  zu  werden,  das  sich  für 
geistreich  hält,  weil  es  frivol  ist,  und  in  studentenhaftem  Tone  über  die  Grössen  aller 
Zeiten  zu  Gericht  sitzt.  Zum  Glücke  aber  können  wir  den  Franzosen  auch  Männer  ent- 
gegenstellen, wie  die  beiden  Bellermann  und  0.  Lindner  in  Berlin,  O.  Kade  in 
Schwerin,  Julius  Maier  in  München,  G.  Nottebohm  in  Wien  u.  A.  m.  Was  Proske 
und  Commer  für  nie  genug  zu  dankende  Verdienste  haben,  weiss  alle  Welt." 


42  Frankreich. 

kaliBchen  Fähigkeiten  verbindet.  Dass  der  Geist  wissenschaftlichen  Ernstes 
sich  auch  der  musikalischen  Journalistik  mitgetheilt  hat,  ist  bei  der  Lebhaftig- 
keit des  öffentlichen  Lebens  in  F.  beinahe  selbstverständlich.  Nicht  allein  die 
musikalischen  Kritiken  des  i^ Journal  des  Debatsi  zuerst  von  Berlioz,  dann 
von  d'Ortigues,  dem  Redacteur  der  Zeitung  für  Kirchenmusik  »Za  mattriseu, 
jetzt  von  ßeyer,  sondern  auch  der  wissenschaftliche  Theil  der  Musikzeitungen 
y^Gazette  musicale«  und  nMenestreh,  jene  von  Fetis,  diese  von  Grevaert  besonders 
unterstützt,  erheben  sich  weit  über  die  derartigen  Leistungen  anderer  Länder. 
Auch  für  die  heutigen  musikalischen  Bestrebungen  der  deutschen,  italienischen 
und  englischen  Nachbarn  zeigt  sich  in  Paris  eine  rege  Theilnahme,  welcher  in 
Bezug  auf  deutsche  Musik  die  Verleger  Flaxland  und  Maho  durch  die 
Publication  fast  sämmtlicher  Werke  von  Mendelssohn,  Schumann,  Wagner  etc. 
entgegengekommen  sind.  Auch  die  deutsche  Vocalmusik  findet  in  F.  mehr  und 
mehr  Freunde,  Dank  den  vortrefflichen  Textes-TJebersetzungen  des  dramatischen 
Dichters  und  Musikkritikers  Victor  Wilder,  der  mit  deutscher  Sprache  und 
deutscher  Musik  völlig  vertraut,  diese  Aufgabe  ungleich  besser  gelöst  hat,  als 
alle  seine  Vorgänger;  der  auch  als  germanischer  Belgier  den  Sinn  für  die  Ge- 
setze der  musikalischen  Deklamation  besitzt  und  in  allen  seinen  Arbeiten  aufs 
Gewissenhafteste  bethätigt,  und  so  die  Zahl  der  Ausländer  vermehrt,  welche 
der  schon  bei  Gelegenheit  der  Gluck'schen  Oper  erwähnten  und  in  diesem 
Punkte  nicht  wegzuleugnenden  Leichtfertigkeit  der  französischen  Vocalcompo- 
nisten  ein  wirksames  Gegengewicht  bieten.  Was  nun  das  französische  Publi- 
kum betrifft,  so  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  raannichfachen  soeben  erwähnten 
Anregungen  an  ihm  nicht  spurlos  vorübergehen  konnten,  und  in  der  That  ver- 
dient es  seinen  Buf  der  Oberflächlichkeit  nur  sehr  bedingungsweise.  Wenn 
es,  seiner  alten  Neigung  zur  Chanson  gemäss,  den  leichten  Melodien  Nadaud's 
mit  Entzücken  zuhört,  wenn  es  sich  gelegentlich  an  der  derb  gallischen  Lustig- 
keit einer  Theresa  oder  sonstiger  Cafe-chantant- Sängerin  ergötzt,  so  ist  ihm 
dies  so  wenig  zu  verübeln,  wie  seine  zeitweilige  Sympathie  für  die  Muse  Offen- 
bachs, worin  ihm  übrigens  das  Publikum  anderer  Nationen  nichts  nachgiebt. 
Dagegen  beweist  die  Zuhörerschaft,  welche  während  des  Winterhalbjahres  an 
jedem  Sonntag  Nachmittag  den  Concertsaal  des  Conservatoriums  und  den  für 
die  Pasdeloup'schen  Volksconcerte  bestimmten  Circus  bis  auf  den  letzten  Platz 
füllt,  wie  sehr  andererseits  der  Sinn  für  classische  Musik  vorhanden  und  ge- 
weckt ist.  Ganz  besonders  aber  offenbart  sich  dieser  Sinn  durch  die  Pflege, 
man  könnte  sagen,  den  Cultus  der  Kammermusik,  sowohl  öffentlich  als  inner- 
halb der  Häuslichkeit,  seitens  der  französischen  Dilettantenwelt.  Die  allabend- 
lich gefüllten,  kleinen,  aber  für  den  Genuss  der  Kammermusik  um  so  mehr 
geeigneten  Säle  der  Ciavierfabrikanten  Erard,  Pleyel  und  Herz  zeugen  von  dem 
noch  bis  heute  nachwirkenden  Einfluss  der  französischen  Violin-Heroen,  von 
Leclair  an,  dem  Gründer  der  französischen  Schule,  und  Viotti,  der  neben  seinen 
Pflichten  als  Theaterdirektor  die  des  Virtuosen  und  Lehrers  keineswegs  vernach- 
lässigte*), bis  auf  Bode,  Kreutzer  und  Baillot,  welche  eine  neue  glänzende  Epoche 
des  französischen  Violinspiels  bezeichnen.  Die  Ursache,  warum  sich  das  fran- 
zösische Publikum  dem  musikalischen  Fortschritt  im  Allgemeinen  langsamer 
anschliesst  als  das  deutsche,  liegt  weit  weniger  in  der  geringeren  Empfänglich- 
keit, als  vielmehr  in  dem  Mangel  an  Geduld,  welcher  es  ihm  unmöglich  macht, 
eine  ihm  antipathische  —  weil  mit  seinen  bisherigen  Schönheitsbegriffen  wider- 
streitende Musik  ohne  Opposition  an  sich  vorübergehen  zu  lassen.  Hieraus 
erklärt  sich  die  Opposition  gegen  die  Gluck'sche  Opernreform,  die  ausserordent- 
liche Schwierigkeit,  welche  Habeneck  hatte,  um  die  Beethoven'schen  Sympho- 
nien   den  Franzosen    geniessbar    zu    machen,    endlich    auch    der  Misserfolg   des 

*)  Viotti  gründete,  nachdem  er  eine  Reihe  von  Jahren  in  Paris  wirksam  gewesen  war, 
um  1791  im  Verein  mit  Leonard  Autie,  dem  Haarkünstler  der  Königin  Marie  Antoinette, 
das  Theater  „de  Monsieur". 


Frantz  —  Franz.  43 

Ricliard  "Wagner'schen  Tannhäuser  im  Jahre  1861,  welcher  übrigens  noch  einen 
weiteren  Erklärungsgruud  findet  in  der  Abneigung  des  Meisters,  dem  nationalen 
G-eschmacke  Concessionen  zu  machen,  wie  es  z.  B.  selbst  Gluck  durch  seine 
Rücksicht  auf  das  Ballet  und  gelegentliche  Einlage  einer  brillanten  Bassarie 
in  einer  seiner  Opern  thun  zu  müssen  glaubte.  —  "Wenn  in  der  vorstehenden 
Skizzirung  der  französischen  Musikzustände  fast  nur  von  der  Hauptstadt  die 
Rede  war,  so  durfte  sich  dies  aus  der  straffen  Centralisirung  erklären,  welche, 
seitdem  Richelieu  die  französische  Einheit  begründete,  nicht  allein  die  politischen, 
sondern  auch  die  wissenschaftlichen  und  künstlerischen  Verhältnisse  beherrscht. 
"Wohl  mangelt  es  nicht  an  tüchtigen  Kräften  und  regem  musikalischem  Treiben 
in  den  grossen  Provinzialstädteu  E.'s  —  insbesondere  in  denen,  welche  Pflanz- 
schulen des  pariser  Conservatoriums  besitzen,  wie  Marseille,  Lille,  Nantes  u.  a. 
—  wohl  giebt  es  Bevölkerungen,  die  sich  durch  die  Pflege  uralter  musikalischer 
Traditionen  auszeichnen,  wie  die  der  Provence  und  der  Bretagne,  deren  Un- 
mittelbarkeit im  Verständniss  und  musikalisches  Ohr  gerühmt  wird,  wie  die  von 
Toulouse  —  ja,  von  Zeit  zu  Zeit  bringen  die  musikalischen  Blätter  Kunde 
von  einer  neuen  Oper,  Symphonie  oder  Kammermusik,  die  in  Bordeaux  oder 
Lyon  mit  immensem  Erfolg  aufgeführt  ist  —  alles  dies  aber  hat  nur  eine  lokale 
Bedeutung,  so  lange  nicht  der  Pariser  Areopag  sein  TJrtheil  gesprochen  hat; 
und  aus  eben  diesem  Grunde  kann  nur  von  Paris  aus  ein  richtiges  Bild  der 
französischen  Musikzustände  gewonnen  werden,  bis  einmal  das  communale  Ge- 
fühl der  Provinzialstädte  genügend  erstarken  wird,  um  sich  von  der  Geistes- 
und Geschmackstyrannei  der  Hauptstadt  zu  befreien.  W.  L. 

Frantz,  Klamer  "Wilhelm,  trefflich  musikalisch  gebildeter  Theologe,  ge- 
boren 1774  zu  Halberstadt,  war  1802  Collaborator  an  der  Domschule  daselbst 
und  später  Prediger  in  Osnabrück.  Er  hat  ein  Choralbuch  mit  135  der  be- 
kanntesten protestantischen  Kirchenmelodien  (Halberstadt,  1811)  veröffentlicht 
und  ausserdem  folgende  nicht  unbeachtenswerthe  Schriften  über  Orgelspiel  und 
Kirchenmusik:  »Anweisungen  zum  Moduliren  für  angehende  Organisten,  Dilet- 
tanten der  Musik  u.  s.  w.,  in  Beispielen  dargestellt«  (Leipzig,  Breitkopf  und 
Härtel);  »lieber  die  älteren  Kirchenchoräle,  durch  Beispiele  erläutert«  (Qued- 
linburg, Basse)  und  »lieber  Verbesserungen  der  musikalischen  Liturgie  in  den 
evangelischen  Kirchen,  besonders  auf  dem  Lande«  (Quedlinburg,  1819).  Ferner 
brachte  die  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  mehrere  schätzbare  Artikel  seiner  Feder, 
von  denen  besonders  diejenigen  aus  dem  Jahrg.  1802  Nr.  41  und  42:  »Heber 
die  Gemüthsstimmung  in  musikalischer  Hinsicht«  und  »Singchöre,  eine  nütz- 
liche Anstalt«,  hervorzuheben  sind.  Endlich  hat  er  sich  auch  als  Componist 
mehrerer  in  Dresden  erschienener  Lieder  mit  Clavierbegleitung  bemerkbar  ge- 
macht. 

Franz,  J»  H. ,  pseudonym  für  Graf  Hochberg,  ein  bemerkenswerther 
Vocalcomponist  der  Gegenwart,  von  dem  zahlreiche  Lieder,  sowie  eine  1862  in 
Schwerin  mit  Beifall  aufgeführte  Oper  »Claudine  von  Villa  Bella«  im  Druck 
erschienen  sind.  Er  lebt  meist  in  Dresden  und  unterhält  daselbst  auch  das 
rühmlichst  bekannt  gewordene  Hochberg'sche   Streichquartett. 

Franz,  Ignaz,  kenntnissreicher  Pädagog  und  eifriger  Verbesserer  des 
katholischen  Kirchengesangs,  geboren  am  12.  Oktbr.  1729  zu  Protzau  bei 
Frankenstein  in  Schlesien,  besuchte  Schule  und  Seminar  zu  Glatz  und  Breslau 
und  wurde  schon  1742  zum  Priester  geweiht,  gleichzeitig  zum  Kaplan  in  Gross- 
Glogau  und  1743  zum  Erzpriester  in  Schlawa  ernannt.  Auf  einer  unmittelbar 
darauf  unternommenen  Reise  nach  Rom  sammelte  er,  der  von  jeher  Musik  mit 
Vorliebe  studirt  hatte,  vorzügliche  musikalische  Kenntnisse,  welche  ihn  befähig- 
ten, den  Kirchengesang  zu  verbessern.  Zu  diesem  Behufe  verfasste  und  ver- 
öffentlichte er  neben  vielen  religiös-pädagogischen  Schriften:  »Schlesisches  Ge- 
sangbuch zum  Gebrauch  der  Römisch-Katholischen,  nebst  den  dazu  gehörenden 
Melodien    und  Noten«    (Breslau,  1768)    und  »Choralbuch    oder  Melodien    zum 


44  Franz. 

Gesangbuch  ii.  s.  w.«  (Breslau,  1778).     F.  starb  als  Director  der  Hauptschulen 
des  Seminars  und  Rector  des  Alumnats  in  Breslau  im  J.  1791. 

Franz,  drei  Brüder,  Söhne  eines  Stadtorganisten  und  Instrumentenmachers 
zu  Havelberg,  deren  ältester,  Joachim  Friedrich  F.,  in  der  letzten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  Organist  zu  EathenoAV,  dabei  ein  gründlicher  Kenner 
seines  Instruments,  gediegener  ContraiDunktist  und  theoretischer  Musiklehrer 
war.  Er  hat  sich  nur  mit  der  Composition  von  Cantaten  befasst,  deren  werth- 
voUßte  die  der  »Tageszeiten«  von  Zachariä  gewesen  sein  soll  und  wurde  auch 
als  treflflicher  Tenorsänger  gerühmt.  Er  starb  am  13.  Febr.  1813  zu  Rathenow. 
—  Sein  Bruder,  Joachim  Ludwig  F.,  geboren  um  1750  zu  Havelberg,  ge- 
storben 1789,  war  ein  wegen  seines  vorzüglichen  Orgelspiels  angesehener  Cantor 
und  Organist  zu  Kyritz,  den  selbst  Marpurg  hochschätzte.  Viele  seiner  Kirchen- 
musiken, von  denen  aber  keine  gedruckt  ist,  wurden  bis  in  die  Gegenwart  hin- 
ein noch  hier  und  da  im  Brandenburg'schen  gern  aufgeführt.  —  Der  jüngste 
und  berühmteste  der  Brüder,  Johann  Christian  F.,  ein  Gesangschüler  Con- 
cialini'ß,  geboren  am  9.  Juni  1763,  war  Anfangs  Theologe,  Hess  sich  aber  seiner 
überaus  schönen  Stimme  wegen  überreden,  sich  ganz  dem  Gesangfache  zuzu- 
wenden. Zu  diesem  Behufe  engagirte  ihn  1782  der  Minister  und  Oberstall- 
meister Graf  von  Schwerin  zu  Potsdam,  wo  F.  in  den  Kapellmusiken  und 
Oratorien  des  Kronprinzen  Friedrich  "Wilhelm  die  Bass-Soloparthien  sang.  Der 
Graf  unternahm  viele  für  F.'s  weitere  Ausbildung  sehr  vortheilhafte  Reisen  und 
verschaffte  ihm  darnach  die  Stelle  eines  TJnterbibliothekars  bei  der  königl. 
Bibliothek  zu  Berlin,  aus  welchem  Amte  ihn  1787  der  ehemalige  Kronprinz, 
nunmehrige  König  Friedrich  Wilhelm  II.,  zum  ersten  Bassisten  der  italienischen 
und  komischen  Oper  berufen  Hess.  Er  war  der  erste  deutsche  Sänger  an  diesem 
Institute.  Im  J.  1791  wurde  er  von  der  komischen  Oper  dispensirt  und  beim 
Nationaltheater  in  Berlin  angestellt,  wo  er  am  10.  Novbr.  als  «Axur«  in  Salieri's 
Oper  zuerst  und  mit  kaum  vorher  dagewesenen  Erfolge  auftrat.  Er  starb  am 
28.  Febr.  1812  zu  Berlin,  nachdem  er  sich  auch  als  geschmackvoller  Dichter- 
Componist  einer  Operette,  «Edelmuth  und  Liebe«,  die  1805  mit  Beifall  zur 
Aufführung  kam,  gezeigt  hatte. 

Franz,  Karl,  ausgezeichneter  Virtuose  auf  Hörn  und  Baryton,  geboren 
1738  zu  Langenbielau  bei  Reichenbach,  wurde  bei  seines  Vaters  Bruder,  welcher 
"Waldhornist  und  zugleich  Haushofmeister  beim  Grafen  Zerotin  war,  für  Musik 
und  Landwirthschaft  erzogen.  Zwanzig  Jahre  alt,  engagirte  ihn  der  Fürst- 
bischof von  Eck  in  Olmütz  als  Waldhornist,  und  hier  fand  F.  Gelegenheit,  sich 
auf  seinem  Instrument  derartig  zu  vervollkommnen,  dass  er  keinen  Rivalen  zu 
scheuen  brauchte.  Nach  dem  Tode  des  Fürstbischofs  nahm  ihn  der  Fürst  von 
Esterhazy  in  seinen  Dienst  und  hatte  ihn  vierzehn  Jahre  lang  in  seiner  durch 
Haydn's  Direktion  berühmten  Kapelle.  In  dieser  Zeit  erlernte  F.  durch  Selbst- 
studium deu  Baryton,  das  Lieblingsinstrument  seines  Fürsten,  und  brachte  es 
auch  auf  diesem  Instrumente  bis  zur  höchsten  Virtuosität.  Als  ihm  von  seiner 
Herrschaft  der  Heirathsconsens  verweigert  wurde,  nahm  er  seinen  Abschied  und 
ging  zum  Cardinal  Bathiany  in  Pressburg,  bei  dem  er  blieb,  bis  nach  acht 
Jahren  diese  Kapelle  auf  Befehl  des  Kaisers  Joseph  IL  aufgelöst  wurde.  F. 
machte  hierauf  grössere  Concertreisen  durch  ganz  Deutschland  und  wurde  überall  als 
der  bedeutendste  Virtuose  seiner  Instrumente  anerkannt.  Von  Wien  ausge- 
gangen, kam  er  zuletzt  nach  München,  wo  er  1787  die  Anstellung  als  Hof- 
musikus erhielt.  Er  starb  im  J.  1802  in  München.  Der  von  ihm  benutzte 
Baryton  hatte  16  Darmsaiten  über  dem  Halse  und  sieben  andere  über  dem 
GriöTjrette  und  soll  unter  seinen  Händen  bisher  ungeahnte  schöne  Wirkungen 
hervorgebracht  haben. 

Franz,  K.  Hon  camp,  tüchtiger  Tonkünstler  und  Philologe,  geboren  am 
24.  Mai  1805  zu  Welver  bei  Soest  in  Westphalen,  besuchte  die  Universität 
und  gleichzeitig  zu  seiner  musikalischen  Ausbildung  das  königl.  Musikinstitut 
in  Berlin.     Schon  1825  wurde    er   als  Lehrer  der  Musik  am  katholischen   Se- 


Franz.  45 

minar  zu  Büren  angestellt  und  wirkte  als  Seminarlelirer  überhaupt  sehr  ver- 
dienstlich bis  zum  J.  1851.  Im  J.  1866  wurde  er  zwar  pensionirt,  der  Genuss 
eines  Ruhegehalts  aber  blieb  ihm  versagt,  da  er  am  6.  Jan.  desselben  Jahres 
zu  Büren  starb.  Ausser  mehreren  musikalischen  Gresangswerken  hat  er  auch 
sprachliche  Werke  geschrieben  und  war  auf  philologischem  Gebiete  ein  An- 
hänger des  grossen  Sprachforschers  C.  F.  Becker  in  Offenbach.  Näheres  über 
F.'s  Leben  und  Thätigkeit  liefern  in  Form  eines  Necrologs  Diesterweg's  Rhei- 
nische Blätter  1866,  S.  204. 

Franz,  Robert,  der  bedeutendste  Liedercomponist  der  Gregenwart  und 
auf  dem  von  ihm  gepflegten  Felde  einer  der  Meister  neben  Schubert,  Mendels- 
sohn und  Schumann,  wurde  am  28.  Juni  1815  zu  Halle  an  der  Saale  geboren. 
Er  stammt  aus  einer  der  dortigen  Salzsieder-(Halloren-)Familien,  in  der  nichts 
weniger  als  Sinn  für  Kunst  und  Wissenschaft  zu  finden  war.  Dennoch  sorgte 
sein  Vater  für  eine  treffliche  Schulbildung  des  Sohnes,  wozu  die  Bürger-  und 
dann  die  lateinische  Schule  der  Francke'schen  Stiftungen  in  Halle  eine  Jedem 
erreichbare  Gelegenheit  darboten.  F.  war  bereits  14  Jahr  alt  geworden,  als 
ihm  ein  altes,  in  der  Wohnung  eines  Verwandten  aufgefundenes  Ciavier  zuerst 
die  unbezwingliche  Sehnsucht  einflösste,  in  dem  Gebiete  der  Töne  Heimath- 
rechte zu  erwerben.  Da  dem  Vater  ausgesprochenermassen  alles  Musikanten- 
thum  zuwider  war,  so  sträubte  er  sich  energisch,  dem  Sohne  Musikunterricht 
ertheilen  zu  lassen,  so  dass  dieser  selbst  ohne  jede  fremde  Beihülfe  und  unter 
Mühe  die  ersten  Elemente  des  Ciavierspiels  sich  anzueignen  genöthigt  sah ;  erst 
später  wurde  er  durch  einen  geregelteren  aber  dürftigen  Unterricht  weiter  ge- 
bracht und  fand  in  den  städtischen  Kirchen  auch  Gelegenheit,  sich  mit  dem 
Orgelspiel  einigermassen  bekannt  zu  machen.  Seine  Musikliebe,  die  Allen  selt- 
sam und  bedenklich  erscliien,  sowie  seine  ihm  angeborene  Verschlossenheit  und 
Neigung  zur  Zurückgezogenheit  entfremdeten  ihm  die  Herzen  seiner  Umgebung 
und  seiner  Genossen,  so  dass  er  sich  gemieden,  ja  sogar  von  Spott  verfolgt 
sah,  während  im  Elternhause  darauf  gedrungen  wurde,  dass  er  mit  allem  Eifer 
an  ein  bestimmtes  Fachstudium  denken  sollte.  In  dieser  Vereinsamung  kam 
dem  jungen  F.  Hülfe  in  der  Gestalt  des  ehrwürdigen  Cantors  Abela,  des  Ge- 
sanglehrers der  Francke'schen  Stiftungen,  der  Gefallen  an  dem  begabten  und 
bescheidenen  Schüler  fand,  ihm  nutzenbringende  musikalische  Anweisungen  er- 
theilte  und  das  Amt  eines  Begleiters  der  Chorgesänge  übergab,  die  er  mit  den 
fähigsten  der  Gymnasiasten  übte.  Dadurch  ging  F.  eine  neue,  schönere  Welt  auf; 
die  Werke  Händel's,  Haydn's  und  Mozart's  erschlossen  sich  ihm,  und  er  ver- 
senkte sich  in  ihre  Reize,  bis  er  begeistert  selbst  zur  Compositionsfeder  griff 
und  als  Naturalist  Tonstücke  schuf,  die  vor  dem  kritischen  Forum  allerdings 
nicht  bestehen  konnten.  Aber  die  Bahn  war  gebrochen,  F.  selbst  zum  Kampfe 
gestählt,  und  so  besiegte  er  endlich  den  zähen  Widerstand  seiner  Familie,  die 
ihn  im  J.  1835  höchst  ungern  zu  Friedr.  Schneider  nach  Dessau  ziehen  Hess, 
bei  welchem  Meister  er  seine  praktischen  Uebungen  auf  Ciavier  und  Orgel 
fortsetzte,  vor  Allem  aber  eingehend  Harmonielehre  und  Contrapunkt  studirte. 
Nach  zweijährigem  Studium  kehrte  F.  nach  Halle  zurück,  musste  aber  sechs 
lange  Jahre  warten,  ehe  er  eine  feste  Anstellung  zu  erlangen  vermochte.  Diese 
Ungunst  des  Schicksals,  die  Ablehnung,  die  seine  Compositionen  erfuhren,  in 
Vei'bindung  mit  seiner  Schweigsamkeit  und  seinem  in  sich  gekehrten  Wesen 
bestärkte  Diejenigen,  welche  von  jeher  dem  reellen  Nutzen  seiner  Bestrebungen 
gemisstraut  hatten,  in  ihren  argwöhnischen  Zweifeln.  F.  benutzte  diese  traurige 
Zeit,  um  die  Werke  Bach's,  Beethoven's  und  Schubert's  genau  nnd  liebevoll 
zu  studiren  und  aus  ihnen  prüfend  und  vergleichend  ein  richtiges  Urtheil  über 
die  Bedingungen ,  denen  das  echte  Kunstwerk  genügen  muss ,  zu  gewinnen. 
Seiner  eigenartigen  Natur  entsprechend,  gewann  er  aus  dieser  Beschäftigung 
die  Ueberzeugung,  dass  sein  Können  gegen  jene  Manifestationen  einer  gross- 
artigen Schöpferkraft  gehalten,  unzureichend  und  nicht  werth  sei  in  die  Schran- 
ken  wetteifernden  Ringens   zu   treten.     Das  Gefühl   der   eigenen  Unzulänglich- 


46  Franz. 

keit  verliess  ihn  niemals  mehr  und  ist  die  Ursache,  dass  er  ausser  in  dem 
engbegränzten  Liederfache  sich  niemals  schöpferisch  hervorgethan  hat,  eine  Zu- 
rückhaltung, die  nichts  weniger  als  Lob  und  Preis  verdient.  Hand  in  Hand 
mit  jenen  tiefen  Studien  gingen  wissenschaftliche  Bestrebungen,  die  in  der  da- 
maligen, durch  Arnold  Enge  und  dessen  Halle'sche  Jahrbücher  hervorgerufenen 
o-eistigen  Bewegung  einen  philosophischen  Boden  fanden,  den  er  sich  behufs  eigener 
universeller  Weiterbildung  nutzbar  machte.  Sein  Verkehr  mit  einer  Gesellschaft 
geistvoller  Gelehi-ter,  welche  ihre  Forschungen  bis  auf  Gebiete  erstreckte,  die 
damals  auf  den  Feldern  anderer  Universitäten  noch  brach  lagen,  brachte  F.  u. 
A.  auch  in  eine  intime  Verbindung  mit  dem  Professor  Hinrichs,  der  ihn  in 
seine  Familie  zog,  woselbst  F.  seine  nachmalige  Gattin,  Marie  Hinrich's,  kennen 
und  lieben  lernte.  Als  glücklicher  Bräutigam  schuf  und  veröffentlichte  er  1843 
das  erste  Heft  jener  gedankentief en  und  formvollendeten  Lieder,  die  bald  als 
Elleinodien  der  Literatur  anerkannt  wurden,  nachdem  Bob.  Schumann  über  sie 
das  gewichtige  "Wort  geschrieben  hatte:  »Man  findet  kein  Ende,  immer  neue, 
feine  Züge  an  ihnen  zu  entdecken.«  Diesem  Urtheile  schloss  sich  zunächst 
Mendelssohn,  sodann  Gade,  Liszt,  Chopin  und  Henselt  laut  und  öffentlich  an. 
Dem  ersten  Hefte  folgte  denn  auch  bald  das  zweite,  Schumann  gewidmete,  und 
die  Hoffnungen,  welche  diese  poesieerfüllten  Gesangspenden  in  immer  weiteren 
Künstlerkreisen  erregten,  fanden  in  dem  dritten  —  Mendelssohn  —  und  dem 
vierten,  Liszt  gewidmeten  Hefte  ihre  reiche  Erfüllung.  Solchen  Erfolgen  gegen- 
über sahen  sich  endlich  auch  die  Behörden  in  Halle  veranlasst,  den  Sohn  ihrer 
Stadt  nicht  ohne  Anstellung  zu  lassen  und  sie  ertheilten  ihm  das  Amt  eines 
städtischen  Organisten  der  Ulrichskirche  und  Dirigenten  der  Singakademie, 
während  in  weiterer  Folge  der  Zeit  ihm  das  Ministerium  das  Prädicat  eines 
köniffl.  Musikdirectors  und  die  Halle'sche  Universität,  an  der  er  docirte,  1861 
ihm  für  seine  Verdienste  um  "Wiederbelebung  der  alten  geistlichen  Vocalwerke 
Bach's  und  Händel's  den  Doctortitel  verlieh.  Eine  lange  Reihe  von  Schülern 
und  Schülerinnen  in  des  Wortes  höherer  Bedeutung,  sowie  die  unter  seiner 
Leitung  mächtig  eraporgeblühte  und  bis  zum  Gipfel  der  höchsten  Leistungs- 
kraft geführte  Singakademie  preist  F.  als  den  vorzüglichsten  und  sachkundigsten 
Lehrer.  Leider  befiel  den  berühmten  Künstler  schon  im  J.  1841  ein  Gehör- 
leiden, das  sich  in  Verbindung  mit  einer  gesteigerten  Nervenkrankheit,  seit 
1853,  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  verschlimmerte  und  1868  einen  Grad  erreichte, 
dass  er  gezwungen  war,  ein  Amt  nach  dem  andern  niederzulegen  und  seine 
musikalischen  Arbeiten  endlich  ebenfalls  ganz  einzustellen.  Von  einem  grau- 
samen Geschick  ausserdem  noch  der  drückendsten  materiellen  Sorge  preisgegeben, 
haben  seine  künstlerischen  Freunde  und  Verehrer:  Jos.  Joachim  in  Berlin,  Franz 
Liszt  in  Pesth  und  Helene  Magnus  in  Wien  in  hochherziger  Pietät  1872  die 
Initiative  ergriffen  und  durch  Benefizconcerte  in  Deutschland,  Ungarn  und  Eng- 
land ein  Capital  von  etwa  30,000  Thlrn.  zusammen-  und  als  Ehrengabc  dar- 
gebracht, welclies  von  dem  Lebensrest  des  schwer  leidenden  Meisters  wenigstens 
die  Noth  fern  halten  wird.  —  F.'s  im  Druck  erschienene  Compositionen  be- 
stehen in  44  Heften  Liedern  für  eine  Singstimme  mit  Pianofortebegleitung, 
ferner  in  einem  vierstimmigen  Kyrie  a  capella,  dem  117.  Psalm  achtstimmig 
und  12  Vocalquartetten,  zu  wenig  und  zu  geringfügig  für  sein  grosses  Talent, 
aber  genug  für  seinen  festbegründeten  Ruhm  als  musikalischer  Lyriker.  Seiner 
Bewunderung  für  Bach  und  Händel  sind  folgende  Bearbeitungen  oder  vielmehr 
»stylgerechte  und  nothwendige  Ergänzungen«,  wie  Ambros  sie  nennt,  entspros- 
sen: Die  Matthäus-Passion,  das  grosse  Magnificat,  die  Trauerode,  zehn  Cantaten, 
sechs  Duette  und  zahlreiche  Arien  von  Bach,  das  Jubilate,  il  AUerfro  etc.,  24 
Opernarien  und  12  Duette  von  Händel.  Diesen  Bearbeitungen  schlössen  sich 
an:  Das  Stabat  mater  von  Astorga  und  Durante's  Magnificat.  Fr.  Liszt's 
Gesammturtheil  in  der  Brochüre  »Rob.  Franz«  darüber  lautet:  »Es  bedürfte 
einer  ausführlichen,  neuen  Schrift,  Franz  nach  dieser  Seite  seiner  künstlerischen 
Thätigkeit  hin  gründlich  gerecht  zu  werden,  nur  so  viel  sei  hier  gesagt,    dass 


Franz.  47 

unter  den  Lebenden  noch  der  gefunden  werden  soll,  der  mit  gleicher  Selbst- 
verleugnung, mit  gleicher  künstlerischer  Potenz  und  gleicher  Pietät  sich  dieser 
mühevollen  und  doch  so  nothwendigen  Arbeit  unterzöge.  Diese  Meisterbe- 
arbeitungen können  dem  Privatstudium,  wie  den  öffentlichen  Concertaufführun- 
gen  nicht  genug  empfohlen  werden.«  F.  selbst  hat  sich  in  einer  eigenen  Schrift, 
betitelt:  »Offener  Brief  an  Eduard  Hanslick  über  Bearbeitungen  älterer  Ton- 
werke, namentlich  Bach'scher  und  Händel'scher  Vocalmusik«  (Leipzig,  1871)  in 
scharfsinniger  Art  über  die  Grundsätze  ausgesprochen,  nach  welchen  heutzutage 
die  Bearbeitung  des  Accompagnements  solcher  Compositionen  herzustellen  sei. 
Einen  ähnlichen  Zweck  verfolgt  die  ästhetisch-kritische  Schrift  F.'s:  »Mitthei- 
Itingen  über  J.  S.  Bach's  Magnificat«  (Halle,  1863).  —  lieber  F.'s  Lieder  darf 
dasselbe,  was  über  E,ob.  Schumann's  Lieder  gilt,  nur  in  gesteigerter  Art  als 
bezeichnend  angenommen  werden.  Sie  tragen  durch  eine  reich  ausgeführte 
Clavierbegleitung  und  durch  eine  gewählte  Harmonisirung  hauptsächlich  der 
Stimmung  Rechnung  und  zwar  in  solcher  Art,  dass  die  eigentliche  Gesangs- 
weise, die  Melodie,  sich  häufig  in  das  blos  Declamirte,  ja  sogar  TJnsangbare 
verliert,  oder  doch  an  Interesse  gegen  das  Accompagnement  zurücksteht,  wäh- 
rend nach  natürlichem,  von  dem  VolksUede  und  den  älteren  Meistern  aufge- 
stelltem Gesetze,  im  Liede  die  Stimmung  ausschliesslich  oder  doch  wenigstens 
vorzugsweise  in  der  Melodie  sich  aussprechen  und  Begleitung  oder  harmonische 
Unterlage  nur  nachhelfend  und  accidentell  sich  verhalten  sollen.  Zu  Gunsten 
der  F.'schen  Lieder  in  ihrer  Eigenart  spricht  jedoch,  dass  die  Gedanken  poetisch 
und  neu,  die  Harmonien  nicht  erkünstelt  sind,  kurz,  dass  fast  jedes  einzelne 
derselben  als  Kunstwerk  dasteht,  und  Ambros  hat  nicht  Unrecht,  wenn  er  in 
seiner  Studie  »Robert  Franz«  von  ihnen  sagt:  »In  diesen  Liedern  gebietet  er 
(F.)  über  die  höchsten  und  letzten  Mittel  der  Kunst.  Mag  er  für  die  Technik 
seiner  Ciavierbegleitung  die  ganze  Vollendung  in  Anspruch  nehmen,  zu  der  die 
moderne  Behandlung  des  Instrumentes  sich  gestaltet  hat,  mag  Alles  und  Jedes 
zudem  mit  miniaturartiger  Feinheit  durchgebildet  sein,  seine  Lieder  sehen  doch 
aus,  als  seien  sie  gleichsam  von  selbst,  ohne  Mühe  und  Reflexion  einem  reichen 
und  schönen  Seelenleben  entströmt.«  Fest  steht ,  dass  F.  als  musikalischer 
Lyriker  epochemachend  eine  neue  Geschmacksrichtung  auf  einem  der  Special- 
gebiete der  Tonkunst  eröffnet  hat  und  dass  er  für  eine  bedeutende  Anzahl  der 
jüngeren  Componisten  mustergültig  geworden  ist.  —  F.'s  schöpferische  Thätig- 
keit  haben  in  besonderen  Schriften  Jul.  Schäffer,  A.  W.  Ambros  und  Fr.  Liszt 
kritisch  beleuchtet. 

Franz,  Stephan,  vorzüglicher  deutscher  Yiolinist  und  Componist,  geboren 
1785  in  "Wien,  wurde  von  seinem  Vater,  einem  gründlichen  Musiker,  schon 
früh  im  Violinspiel,  wie  im  Gesang  unterrichtet.  Da  er,  trotz  seiner  schönen 
Sopranstimme  als  Hofkapellknabe  nicht  angenommen  wurde,  so  kam  er  als 
Discantist  in  das  Piaristenkloster  "der  Josephstadt  in  Wien,  wo  er  zugleich 
Humaniora  studiren  musste.  Einige  gute  Violinlehrer  der  Stadt  unterrichteten 
ihn  ebenfalls  weiter  und  bei  dem  trefflichen  Dominik  Ruprecht,  der  ihn  wiederum 
bei  Albrechtsberger,  behufs  Studiums  des  Generalbasses  und  der  Composition 
einführte,  erlernte  F.  das  Clavierspiel.  Auch  Jos.  Haydn,  ein  Freund  seines 
Vaters,  ertheilte  ihm  oft  und  gern  Rathschläge  zur  Composition.  F.  hatte  be- 
reits das  erste  Jahr  seiner  philosophischen  Studien  hinter  sich,  als  ihn  der 
Vater,  der  noch  mehr  Kinder  zu  versorgen  hatte,  der  schnelleren  Gewinn  ver- 
sprechenden kaufmännischen  Laufbahn  zuführte,  die  ihn  wieder  zur  Tonkunst 
zurückleitete,  indem  ein  reicher  Edelmann,  bei  dem  er  in  den  Geschäfts-Musse- 
stunden  im  Quartett  mitspielte,  ihm  die  Hauslehrerstelle  bei  seinen  Kindern 
und  einen  festen  Platz  als  erster  Violinist  seines  Privatquartetts  anbot.  Von 
1803  bis  1806  verweilte  F.  auf  diesem  Posten,  worauf  er  eine  ähnliche  An- 
stellung in  Pressburg  annahm,  jedoch  schon  1807  mit  der  eines  Musikdirektors 
bei  der  kleinen  Kapelle  eines  Gutsbesitzers  im  Stuhlweissenburger  Comitate 
vertauschte.     Als   solcher   hatte  er  viele  Müsse  für  fortgesetztes  Violinstudium 


48  Französische  Musik  —  Frasi. 

und  für  Compositionen  aller  Art.  Er  concertirte  mit  grossem  Beifall  in  Press- 
burg, Pesth  und  anderen  ungarischen  Städten,  verheirathete  sich  1810  und 
kehrte  nach  Ablauf  seines  sechsjährigen  Contracts  nach  Wien  zurück,  wo  er 
sofort  Engagement  als  erster  Violinist  am  Theater  an  der  Wien  erhielt.  Der 
k.  k,  Hofintendant  Graf  Kuefstein  und  der  Hofkapellmeister  Salieri,  die  ihn 
damals  hörten,  wurden  seine  Grönner  und  verschafften  ilim  1816  eine  Violinisten- 
stelle in  der  k.  k.  Hofkapelle.  Bis  1820  Hess  sich  F.  noch  häufig  hören  und 
brachte  zugleich  auch  stets  neue  Arbeiten  seiner  Composition  zur  Aufführung. 
Da  er  als  Musiklehrer  sehr  gesucht  war,  so  gab  er  schon  1818  seine  Theater- 
stellung und  1820  auch  das  Concertgeben  auf.  Dennoch  übernahm  er  1824 
das  Amt  als  Secretär  des  Tonkünstler-Unterstützungsvereins  »Haydn«,  sowie 
die  Direktion  der  beiden  jährlichen  Concerte  dieses  Instituts,  was  wiederum 
zur  Folge  hatte,  dass  er  auf  Empfehlung  des  Grafen  Moritz  von  Dietrichstein, 
des  Präses  und  Protectors  des  Vereins,  1828  die  Stelle  des  Orchesterdirektors 
der  Musik  im  Burgtheater  erhielt,  welche  Stellung  F.  bis  zum  J.  1850  ein- 
nahm. Während  dieser  Periode  hat  er,  ausser  einer  Sinfonie,  für  das  Bedürf- 
niss  jener  Bühne  15  Ouvertüren  und  ungefähr  90  Entr'acts,  unter  welchen 
letzteren  sich  viele  für  Orchester  arrangirte  Sätze  von  Beethoven,  Onslow, 
Blies  «u.  s.  w.  befinden,  geschrieben.  Seine  übrigen  Compositionen  bestehen  in 
einer  grossen  Messe,  sammt  Graduale  und  Offertorium,  einem  Streichquintett, 
mehreren  Quartetten,  Concertstücken ,  Variationen,  Solos  u.  s.  w.  für  Violine, 
ferner  einem  Septett  für  Flöte,  Violine,  Oboe,  Fagott,  Hörn,  Violoncello  und 
Bass,  einem  Quintett,  Quartetten,  Trios,  Duos  für  Flöte,  endlich  einem  Rondo 
für  Harfe  und  Orchester,  zwei  Ciaviertrios,  Variationen  für  Pianoforte,  Ge- 
sängen und  Liedern.  Wenig  davon  ist  gedruckt,  zeigt  aber  frische  Erfindung 
und  klare,  melodische  und  wirkungsvolle  Setzweise.  Sehr  bedeutend  war  auch 
sein   Talent  als  Orchesteranführer  und  als  Dirigent. 

Französische  Musik,  s.  Frankreich.  'fln 

Französische  Posaune  hiess  ein  fünfmetriges  Orgelregister  von  sanfterem 
Klange  als  die  Bassposaune. 

Französische  Stimmung,  s.  Kammerton. 

Französischer  Violinschlüssel  hiess  der  früher  mehrfach  in  Frankreich  ge- 
bräuchlich gewesene  G-  oder  Violin- Schlüssel  auf  der  ersten  Linie  des  Noten- 
systems.    S.  Notenschrift. 

Franzoui,  Amando,  italienischer  Tonsetzer,  geboren  um  1575  zu  Mantua, 
hat  ein  erstes  Buch  seiner  fünf  stimmigen  Madrigale  (Venedig,  1608),  sowie 
dreistimmige  Gesänge  veröffentlicht.  t 

Fraschini,  Gaetano,  berühmter  italienischer  Opernsänger,  geboren  zu 
Pavia  im  J.  1815,  studirte  anfangs  Medicin,  folgte  aber  dann  dem  Rathe,  seine 
schöne,  starke  Tenorstimme  für  die  Bühne  zu  verwerthen  und  Hess  dieselbe 
von  dem  Gesanglehrer  Moretti  ausbilden.  Im  J.  1837  debütirte  er  denn  auch 
mit  Glück  auf  der  Opernbühne  seiner  Vaterstadt,  von  welcher  aus  er  nach 
und  nach  die  bedeutendsten  Theater  Italiens  betrat  und  bald  ungeheure  Er- 
folge aufzuweisen  hatte.  Auch  in  Wien,  Madrid,  Paris  und  London  hatte  man 
während  der  italienischen  Saisons  Gelegenheit,  sein  mächtiges  und  klangreiches 
Organ  zu  bewundern,  wenngleich  daselbst  seine  Manier  und  Schule  mancherlei 
Anfechtungen   erfuhren. 

Frasij  Feiice,  italienischer  Componist  und  Dirigent,  um  1805  in  der 
Lombardei  geboren,  vollendete  seine  musikalischen  Studien  auf  dem  Conser- 
vatorium  zu  Mailand  und  erhielt  alsbald  darnach,  erst  20  Jahr  alt,  die  Stelle 
als  Kapellmeister  an  der  Kathedralkirche  zu  Vercelli.  Im  J.  1845  wurde  er 
als  Nachfolger  Vaccaj's  zum  Direktor  des  Conservatoriums  zu  Mailand  ernannt, 
starb  als  solcher  aber  schon  im  J.  1849.  Er  hat  Ciavier-  und  Orgelstücke 
veröffentlicht  und  1827  zu  Mailand  auch  eine  Oper  y>La  selva  di  Hermannstadta. 
nicht  ohne  Erfolg  zur  Aufführung  gebracht. 

Frasi,    Miss,    englische  Sängerin,    Schülerin  Burney's    und   um   1748    zu 


Frassini  —  Frauenlob.  49 

London,  vorzüglich  als  Concertsängeriu,  hochgeschätzt,  erwarb  ihren  Ruf  be- 
sonders durch  die  treffliche  Ausführung  der  ihrer  Stimme  entsprechenden  Par- 
thien  in  Händel'schen  Oratorien,  die  sie  unter  des  Meisters  eigener  Direktion 
sang.  t 

frassiui,  Nathalie,  eine  treffliche  und  gewandte  Coloratursängerin,  ge- 
boren 1829  zu  Mannheim  als  die  Tochter  des  dortigen  Concertmeisters  Karl 
Joseph  Eschborn  (s.  d.),  der  sie  auch  musikalisch  ausbildete.  Ihre  höheren 
Gresangstudien  machte  sie  in  Florenz  und  Paris,  woselbst  ihr  u.  A.  Rossini 
praktische  Rathschläge  ertheilte.  Als  sie  1850  ein  Engagement  am  San  Carlo- 
Theater  in  Neapel  erhielt,  italienisirte  sie  ihren  Namen  Eschborn  in  Frassini 
und  trat  unter  letzterem  Namen  in  Stuttgart,  Hamburg,  Berlin  (im  Mai  1858) 
und  vielen  anderen  Operntheatern  Deutschlands  mit  grossem  Erfolge,  zuletzt  in 
Grotha  auf,  wo  sie  zur  herzogl.  Kammersängerin  ernannt  wurde.  Hier  verhei- 
rathete  sie  sich  mit  dem  Herzog  Ernst  von  Württemberg  und  nahm,  von  dem 
öffentlichen  Ijeben  zurückgezogen ,  ihren  ferneren  Aufenthalt  in  Wiesbaden. 
Hiernach  ist  auch  die  unter  Eschborn  gegebene  irrthümliche  Notiz  zu  ver- 
bessern. Sie  war  im  Besitz  einer  weichen,  biegsamen,  umfangreichen  und  wohl- 
klingenden Sopranstimme  von  grossem  Ausdrucksvermögen,  und  eine  Bravour- 
sängerin  von  Rang.  Auch  ihr  Vortrag  und  Spiel  waren  gewandt  und  lebendig. 
Die  technische  Behandlung  und  die  Art  der  dramatischen  Charakteristik  er- 
schienen von  den  Einflüssen  der  modernen  italienischen  Schule  bestimmt,  was 
ihr  mehrfach  zum  Vorwurf  gemacht  wurde.  Ihre  Hauptparthien  waren  die 
Lucia,  Amina  (Nachtwandlerin),  Isabella  (Robert  der  Teufel),  Constanze  (Bel- 
monte  und  Constanze)   u.  s.  w. 

Fraiieuchor,  ein  mehrstimmiger,  nur  mit  Frauen-  oder,  diesen  entsprechend, 
mit  Knaben-Stimmen  besetzter  Chor  (s.  d.).  In  der  Regel  ist  er  drei-  oder 
vierstimmig,  in  jenem  Falle  gewöhnlich  für  zwei  Soprane  und  einen  Alt,  in 
diesem  für  zwei  Soprane  und  zwei  Alte,  und  zwar  tritt  er  entweder  ganz  selbst- 
ständig für  sich  auf  oder  in  gemischten  Chören  als  mit  anderen  Stimmencom- 
binationen  abwechselnde  Gruppirung.  In  selbstständiger  Verwendung  dient  er 
meist  nur  für  kürzere  Sätze,  Chorlieder  u,  dergl.,  kann  aber  auch  in  den 
grösseren  musikalisch-dramatischen  Werken,  durch  die  Situation  bedingt,  wirk- 
sam sein;  im  TJebrigen  ist  sein  Kreis  beschränkt,  grosse  Aufgaben  darf  man 
ihm  nicht  stellen.  Denn  sein  Gesammtumfang  ist  nur  klein,  die  gedrängte 
Lage  und  Klangähnlichkeit  der  Stimmen  lassen  eine  kunstvolle  und  dabei  klare 
Durchführung  kaum  zu,  der  Gesammtklang  ist  auf  die  Dauer  monoton  und 
dabei  marklos,  weil  die  sonore   Gravität  der  männlichen   Stimmen  fehlt. 

Fraueulob,  oder  altdeutsch  Yrouwenlop,  Heinrich,  der  richtige  und  wirk- 
liche Name,  nicht  der  Beiname  des  sonst  Heinrich  von  Meissen  genannten 
alten  deutschen  Meistersingers.  Um  das  Jahr  1260  zu  Meissen  geboren,  übte 
er  seine  Dicht-  und  Singkunst  lange  an  den  nord-  und  süddeutschen  Fürsten- 
höfen aus  und  Hess  sich  etwa  1311  oder  1312  in  Mainz  nieder,  wo  er  sich 
wahrscheinlich  auch  verheirathete.  Dort  soll  er,  wie  die  Meistersingerzunft 
geflissentlich  durch  Tradition  forterben  Hess,  als  der  heiligen  Schrift  Doctor 
die  erste  Meistersingerschule  gegründet  haben.  Es  haben  gewiss  schon  früher 
Vereinigungen  von  Dichtern  und  Sängern  stattgefunden,  aber  dieselben  waren 
doch  mehr  zufällig,  vorübergehend  und  ohne  bestimmte  Formen;  dagegen  mag 
F.  allerdings  einen  Verein  gegründet  haben,  dem  er  festere  Formen  gab,  wenn 
auch  nicht  in  der  Weise,  wie  sie  bei  den  späteren  Meistersingern  gefunden 
werden,  und  es  mag  also  jene  Sage  dahin  gedeutet  werden,  dass  sich  aus  dem 
von  F.  gestifteten  Vereine  im  Laufe  der  Zeiten,  und  zwar  schon  ziemlich  bald, 
die  eigentlichen  Schulen  der  Meistersinger  entwickelten.  Diese  zählen  ihn 
übrigens  überall  zu  den  zwölf  ersten  Meistern ,  denen  sie  die  Gründung  ihrer 
Genossenschaft  verdankten.  Er  war  einer  der  fruchtbarsten  Dichter  in  der 
Zeit  von  1150  bis  1350.  Obgleich  ein  grosser  Theil  seiner  Gesänge  verloren 
gegangen    oder    wenigstens    noch    nicht  wieder  aufzufinden  gewesen  ist,    besitzt 

Musikal.  Convers.-Lexikou.    IV.  4 


50  Frech  —  Freddi. 

man  von  ihm  noch  drei  grosse  Leiche,  viele  Sprüche  in  448  Strophen  und 
13  Lieder  in  51  Strophen.  Ebenso  fruchtbar  war  er  in  Erfindung  von  neuen 
Tönen,  deren  ihm  in  den  Meistergesangbüchern  35  zugeschrieben  werden.  F. 
starb  am  30.  Novbr.  1318  zu  Mainz.  Er  hatte  sich  bei  seinen  Mitbürgern 
und  namentlich  bei  den  Erauen,  die  er  mehrfach  wahrhaft  liebenswürdig  und 
warm  besungen  hat,  Verehrung  und  hohes  Ansehen  erworben,  Mainzer  Frauen 
sollen  denn  auch  seinen  Leichnam  in  die  Domkirche  getragen,  ihn  beweint  und 
seinen  Grabstein  durch  "Weinspenden  geehrt  haben;  statt  des  letzteren,  der  im 
J.  1744  zertrümmert  worden  war,  wurde  ihm  1842  ein  neues  Denkmal  gesetzt. 

Frech,  Johann  Georg,  trefflicher  Orgelspieler  und  Componist,  geboren 
am  19.  Jan.  1790  zu  Kaltenthai,  einem  Dorfe  unweit  Stuttgart,  als  der  Sohn 
des  Orgel-  und  Uhrmachers  Jolninn  Michael  F.,  besuchte  bis  1802  die  Dorf- 
schule, nebenbei  nebst  seinem  älteren  Bruder  durch  Privatunterricht  gefördert. 
Für  Musik  zeigte  er  weder  Sinn  noch  Neigung,  und  nur  mit  Mühe  und  auf 
beharrlichen  Wunsch  des  Vaters  lernte  er  auf  der  von  demselben  gefertigten 
Hausorgel  einige  Stücke  auswendig  spielen.  Für  den  Lehrerstand  bestimmt, 
musste  er  endlich  doch  neben  seinen  Vorbereitungsstudien  für  das  Gymnasium 
auch  Ciavierspiel  treiben,  und  mit  dieser  Beschäftigung  fand  sich  denn  auch 
die  Lust  dermassen  ein,  dass  er  bald  Pleyel'sche,  Knecht'sche,  Kotzeluch'sche 
und  andere  Compositionen  mit  vieler  Fertigkeit  spielte.  "Während  er  2^2  J^^hre 
täglich  das  weit  entfernte  Stuttgarter  Gymnasium  besuchen  musste,  hörte  der 
Ciavierunterricht  auf,  aber  F.  übte  selbst  nächtlicher  "Weile  so  eifrig  weiter, 
dass  ihn  sein  Vater  oft  mit  strengen  Worten  zur  Ruhe  treiben  musste.  Im 
J.  1806  erhielt  er  die  Stelle  als  Lehrergehülfe  zu  Degerloch,  ganz  nahe  bei 
Stuttgart,  und  nun  konnte  er  in  der  Hauptstadt  selbst  bei  Knecht  Harmonie- 
lehre, bei  Sutor  Composition,  beim  Stiftsmusiker  Nanz  Violin-,  beim  Kammer- 
musiker Krüger  Flöten-  und  beim  Hofmusiker  Scherzer  Violoncellospiel  studiren ; 
das  Beste  that  aber  auch  diesmal  die  fleissige  Selbstübung  und  das  Anhören 
guter  Musikaufführungen,  wozu  endlich  noch  eine  fruchtbringende  Bekanntschaft 
mit  C  M.  von  Weber  kam.  Im  J.  1811  wurde  er  als  Schulgehülfe  nach  Ess- 
lingen versetzt,  an  dessen  Schullehrer-Seminare  er  gleichzeitig  Ciavier-  und 
Violinunterricht  ertheilte,  in  Folge  dessen  er  1813  definitiv  für  diese  Fächer 
angestellt  wurde.  Als  1820  die  Stelle  des  Organisten  und  Musikdirektors  an 
der  Hauptkirche  in  Esslingen  vacant  wurde,  erhielt  sie  F.  Um  das  Musik- 
leben der  Stadt  wirksam  zu  heben,  gründete  er  1827  den  noch  jetzt  bestehen- 
den Liederkranz  und  dirigirte  die  seit  1828  dort  jährlich  stattfindenden  Lieder- 
feste. Im  J.  1831  ernannte  ihn  die  Regierung  noch  ausserdem  zum  Revisor 
der  im  Neckarkreise  vorkommenden  Orgelbausachen.  F.'s  grosser  und  segens- 
reicher Einfluss  auf  die  Musikbildung  von  ganz  Württemberg  erhellt  schon 
daraus,  dass  mehr  als  tausend  Lehrer  aus  seinem  Seminar  hervorgingen,  die 
ausschliesslich  nur  seinen  Musikunterricht  empfangen  hatten.  Er  wirkte  hoch- 
geachtet bis  1860,  nahm  dann  einen  ehrenvollen  Abschied  und  starb  in  Ess- 
lingen im  J.  1864.  —  Seine  Compositionen  waren  meist  für  die  Kräfte  und 
die  Bedürfnisse  seiner  Schüler  und  seines  Vereins  berechnet.  Gedruckt  sind 
davon:  Viele  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge,  Orgelstücke,  ein 
Choralbuch  (in  Gemeinschaft  mit  Silcher  und  Kocher  bearbeitet),  eine  deutsche 
Messe  für  Männerstimmen,  das  Vater  Unser  von  Mahlmann  u.  s.  w. ,  während 
im  Manuscript  verblieben:  Cantaten,  das  Oratorium  «Abraham  auf  Moria«,  die 
Oper  »Montezuma«,  eine  deutsche  Messe  für  gemischten  Chor,  Gesänge,  Lieder, 
Ciavier-  und  Orgelstücke,  einige  Instrumentalsachen,  eine  Ouvertüre  als  Ein- 
leitung zu   Schiller-Rombcrg's  »Glocke«  u.  s.  w. 

Freddi,  Amadeo,  italienischer  Priester  und  Componist,  geboren  im  letzten 
Viertel  des  16.  Jahrhunderts  zu  Padua,  war  erst  Kapellmeister  an  der  Haupt- 
kirche zu  Treviso,  sodann  an  der  Kathedrale  seiner  Vaterstadt.  Von  seinen 
gedruckten  Compositionen  sind  bekannt  geblieben:  4  Sammlungen  Madrigale 
(Venedig,  1601,  1602  und  1609):  Sacrae  modulationes  (Motetten)  zu  zwei,  drei 


Freddo  —  Freie  Künste.  51 

und  vier  Stimmen  (Venedig,  1617);  Divinae  laudes  a  2,  3,  4  vocibus  cum  hasso, 
Über  4;  Sinni  concertati  a  2,  3,  4  e  6  voei  con  due  stromenti  acuti  ed  uno 
Grave  per  le  nnfonie;  Antifone  a  4  voci  (1642).  —  Ein  Violinvirtuose  gleichen 
Namens  aus  der  Tartini'schen  Schule  soll  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
ziemlich  bejahrt  schon  in  Rom  gelebt  haben.  Näheres  ist  von  demselben 
nicht  bekannt. 

Freddo   (ital.),  Vortragsbezeichnung  in   der  Bedeutung  kalt,  frostig. 

Fredosi,  BartolomeO;,  italienischer  Sänger,  aus  Pistoja  gebürtig,  stand 
um  1655  als  Diskantist  in  des  deutschen  Kaisers  Ferdinand  III.  Diensten. 
Vgl.  Bucelinus.  t 

Freeke  oder  Freake,  John,  der  muthmassliche  Erfinder  der  sogenannten 
Eantasirmaschine,  starb  im  J.  1717  zu  London  als  Wundarzt  am  St.  Bartho- 
lomäus-Hospital. Lange  nach  seinem  Tode  druckte  man  in  den  daselbst  er- 
scheinenden FUl.  Transact.  Vol  XXXXIV  for  the  year  1747,  //.  p.  445;  y>A 
Letter  to  the  President  of  the  royal  Society,  inclosing  a  Paper  of  the  late  Jßev. 
Mr.  Greed,  concerniny  a  Machine  to  ivrite  down  Extempore  Voluntaries,  or  other 
Pieces  of  Music«,  von  ihm  ab.  f 

Fregoso,  Antonio  Fileremo,  italienischer  Dichter  aus  Genua,  hat  unter 
der  latinisirten  Benennung  Fregosius  y>Dialoghi  di  fortuna  e  musica«.  (Ve- 
nedig, 1521)  in  italienischer  Sprache  veröffentlicht.  Zuweilen  findet  man  F. 
auch  Fulgosius  genannt.     Vgl.  Adoini,  Ateneo  ligustico.  f 

Frelier.  Zwei  Männer  dieses  Namens  haben  in  ihren  Werken  die  Musik 
Berührendes  hinterlassen.  Marquard  F.,  geboren  zu  Augsburg  am  26.  Juli 
1565  und  nach  vielen  Beisen  als  Bechtsgelehrter  und  verdienter  Historiker 
zu  Heidelberg  am  13.  Mai  1614  gestorben,  bringt  in  seinen  y>Scriptores  rerum 
germanicarum<i  (Frankfurt,  1600  bis  1602  und  Hanau  1611,  drei  Bde.),  viele 
zerstreute  Nachrichten  über  Musik;  und  —  Paul  F.,  zu  Nürnberg  1611  ge- 
boren und  später  daselbst  als  Arzt  thätig,  giebt  in  seinem  ebenda  1688  er- 
schienenen y>Theatrum  virorum  eruditione  clarorumv.  Tom.  I  und  II  viele  Lebens- 
nachrichten von  musikalischen  Schriftstellern  und  Tonkünstlern.  Vgl.  Gerber's 
Tonkünstlerlexikon  vom  Jahre   1812.  t 

Frei,  ein  in  verschiedener  Bedeutung  im  Gebrauche  befindliches  Beiwort. 
Man  gebraucht  es  z.  B.  in  Bezug  auf  Einführung  mancher  Dissonanzen,  denen 
unter  gewissen  Umständen,  abweichend  vom  eigentlich  geforderten  gebundenen 
oder  vorbereiteten  Eintritte,  ein  freier  gestattet  ist,  also  ohne  dass  sie  vorher 
als  Consonanzen  gehört  worden  sind.  Dazu  gehören:  die  kleine  Septime  in 
vielen  Fällen,  die  verminderte  Septime  gewöhnlich,  die  verminderten  Intervalle 
überhaupt  sehr  häufig,  ebenso  manche  Vorhalte,  alle  Wechselnoten,  deren  Wesen 
im  freien  dissonanten  Eintritte  beruht,  die  Durchgänge  u.  s.  w.  Hiermit  in 
Verbindung  gebraucht  man  das  Beiwort  f.  auch  bezüglich  auf  weniger  strenge 
Befolgung  der  für  den  strengen,  gebundenen  oder  contrapunktischen  Satz  über- 
haupt geltenden  und  von  der  Natur  der  Harmonie  und  richtigen  Vocalität  ab- 
geleiteten Regeln,  in  Tonsätzen  freieren  Styls.  Daher  die  Unterscheidung 
zwischen  strenger  und  freier  Schreibart.  S.  Styl.  Endlich  spricht  man  von 
f.  in  Bezug  auf  die  ganze  Entwickelung  der  Form  im  Grossen,  insofern  die 
von  der  strengen  Regel  befreite  Schreibart  Formbildungen  nach  sich  gezogen 
hat,  die  von  denen  der  gebundenen  erheblich  abweichen.  Der  Unterschied 
zwischen  strengen  und  freien  Formen  fällt  aber  mit  demjenigen  zwischen  nur 
strenger  und  freier  Schreibart  nicht  völlig  zusammen;  denn  ein  Tonstück  in 
freier  Form,  z.  B.  eine  Ouvertüre  kann  gleichwohl  in  gebundener  Schreibart 
gesetzt  sein.     Näheres  ergiebt  sich  aus   den  Artikeln   Styl  und  Musik. 

Freie  Dissonanz,  s.  Consonanz  und  Dissonanz  und  Vorbereitung. 
Freie  Fantasie,  s.  Fantasie. 
Freie  Fuge,  s.  Fuge. 

Freie  Künste,  (lat.:  artes  liberales,  artes  ingenuae  oder  bonae)  nannten  die 
Alten    diejenigen    Kenntnisse    und    Fertigkeiten,    die    zu    dem  Unterrichte    des 

4* 


52  Freier  —  Freitoft. 

Freien  gehörten  und  die  man  eines  freien  Mannes  würdig  erachtete,  im  G-egen- 
satze  der  Beschäftigungen  der  Sclaven,  der  artes  illiherales,  worunter  man  haupt- 
sächlich mechanische  Arl)eiten  verstand.  Grewöhnlich  zählt  man  sieben  fr.  K., 
nämlich:  Grammatik,  Arithmetik  und  Geometrie,  Musik,  Astronomie,  Dialektik 
und  Rhetorik,  von  denen,  nach  der  gewöhnlichen  Annahme,  die  ersteren  drei 
in  den  Schulen  des  Mittelalters  das  Trioium,  die  letzteren  vier  das  Quadrivium 
genannt  wurden,  während  Andere  die  Grammatik,  Dialektik  und  Rhetorik  zum 
Trivium,  die  anderen  Künste  zum   Quadrivium  rechnen. 

Freier  oder  Freyer,  August,  trefflicher  Organist,  geboren  1806  im  Säch- 
sischen, bildete  sich  auf  Grund  seines  Clavierspiels  von  1824  an  durch  Selbst- 
studium zu  einem  vorzüglichen  Orgelspieler  aus,  als  welcher  er  auch  im  J.  1834 
von  Warchau  aus,  wo  er  sich  als  Musiklehrer  niedergelassen  hatte,  eine  Kunst- 
reise durch  Norddeutschland  machte  und  an  verschiedenen  Orten  ehrende  An- 
erkennung fand.  F.  ist  noch  gegenwärtig  als  angestellter  Organist  in  War- 
schau thätig. 

•^  Freie  Schreibart,  freier  Styl,  s.  zunächst  frei,  dann  Styl. 
r^^  Freig-,  Johannes  Thomas,  latinisirt  Freigius,  deutscher  Philosoph 
und  Schriftsteller,  1.543  zu  Freiburg  im  Breisgau  geboren,  1.576  als  Rektor 
nach  Altdorf  berufen,  starb  daselbst  am  16.  Januar  1583.  In  seinem  -»Paeda- 
gogiumi.  (Basel,  1582)  findet  man  von  Seite  157  bis  218  in  Frage  und  Ant- 
wort einen  Unterricht  in  der  Musik.  Ebenso  sind  in  folgenden  seiner  Werke: 
r)Pet,  Rami  Professio  regia,  h.  e.  Septem  Artes  liberales  per  Freigium  in  tabulas 
perpetuas  relatae«  (Basel,  1576);  y>Quaestiones  physic.  oeconomicae  et  politicae  etc.<i 
(Basel,   1576)  ästhetisch-musikalische  Fragen  erörtert.  f 

Freillon-Pouceiu,  .Jean  Pierre,  französischer  Musiker,  war  Vorsteher  der 
Oboisten  in  der  Kapelle  Ludwig's  XIV.  in  Paris  und  Versailles,  und  ist  der 
Verfasser  einer  Methode  für  Oboe,  welche  zu  den  ältesten  Schulen  für  dieses 
Instrument  gerechnet  werden  darf. 

Freislich,  Maximilian  Theodor,  einer  der  besseren  Componisten  aus 
der  Wendezeit  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Immelborn  im  Mei- 
ningen'schen  am  7.  Febr.  1673,  war  als  Kapellmeister  in  Danzig  augestellt  und 
starb  daselbst  am  10.  April  1731.  Nähere  Kenntniss  über  seine  Lebensum- 
stände, sowie  über  seine  Compositionen  fehlt.  —  Etwas  mehr  biographischen 
Stoflf  liefert  sein  Neffe  Johann  Balthasar  Christian  F.,  ebenfalls  aus  Im- 
melborn gebürtig,  wurde  1720  als  fürstl.  schwarzburg'scher  Kapellmeister  nach 
Sondershausen  berufen,  übernahm  1731  das  Amt  seines  Oheims  in  Danzig  und 
starb  daselbst  um  1768.  Eine  lustige  Anecdote  aus  F.'s  Leben  am  Hofe  des 
Fürsten  Günther  von  Schwarzburg  erzählt  Gerber  in  seinem  älteren  Ton- 
künstlerlexikon. F.  war  ein  fruchtbarer  Componist  auf  dem  Gebiete  der  Kirchen- 
und  Kammermusik  und  seine  Arbeiten  wurden  als  originell  und  sehr  gefällig 
gerühmt.  Erhalten  geblieben  ist  von  denselben  jedoch  nur  ein  Clavier-Trio, 
welches  ungedruckt  im  Besitz  der  Musikverlagsfirma  Breitkopf  und  Härtel  in 
Leipzig  war. 

Freitag,  Adam,  richtiger  wohl  Freytag,  Schulmann  und  Gelehrter,  war 
von  1598  bis  1621  Professor  am  Gymnasium  zu  Thorn,  und  nennt  sich  selbst 
Auetor  Symphoniaruin,  nämlich  Componist  der  in  dem  thornischen  Cantional 
von  1601  befindlichen  80  vierstimmigen  Melodien,  von  denen  ihm  einige  in 
der  That  mit   Gewisslieit  zuzuschreiben  sind.  f 

Freitag',  Friedrich  Gotthilf,  gelehrter  Bibliograph,  Sohn  des  Rectors 
zu  Schulpforte  und  daselbst  1723  geboren,  studirte  die  Rechte  und  Avurde 
später  Bürgermeister  zu  Naumburg,  als  welcher  er  am  12.  Febr.  1771  starb. 
In  seiner  Dissertation  r>Quid  sit  musice  vivere?<.i  (.Jena,  1750),  die  während  des 
Streites  zwischen  Biedermann  und  Doles  erschien,  findet  sich  viel  die  Musik 
Angehendes  vor.     Vgl.  Adelung,  fortgesetzt  von  .Töcher.  f 

Freitoft,  dänischer  Violinvirtuose,  war  als  solcher  um  1746  in  seinem 
Vaterlande  gefeiert  und  als  Secretair   und  Kammermusiker   beim  König  Fried- 


Fremart  —  Freschi.  53 

rieh  y.  von  Dänemark  angestellt.     Er  hatte   sich  auf  Reisen,  besonders  in  Ita- 
lien, künstlerisch  wie  wissenschaftlich  gebildet.  t 

Fremartj  Henri,  französischer  Kirchencomponist,  hatte  sich  in  Paris,  wo 
er  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  Canonicus  zu  St.  Anian  und  Vicar  der 
Kirche  Notre  Dame  war,  durch  seine  Compositionen  viele  Verehrer  erworben, 
wie  die  im  J.  1649  daselbst  gedruckte  Lebensbeschreibung  Mersenne's  p.  66 
berichtet.  Messen  von  I'.'s  Composition  befinden  sich  in  einer  1642  bis  1645 
von  Ballard  in  Paris  edirten  grösseren   Sammlung. 

Fremaux,  Jean,  altfranzösischer  Dichter  und  Musiker,  dessen  Lebenszeit 
in  das  13.  Jahrhxindert  fällt. 

Freneuse,  8.  Lecerf  de  la  Yieville. 

Freugi-tscliin  heisst  in  der  persisch-türkischen  Musik  eine  Tonfolge,  welche 
sich  gehend  im  zweiviertel  Takt  bewegt  und  eine  siebentaktige  Periode  bildet. 
Siehe  persisch-türkische  Musik.  0. 

Freuo,  Marcus,  A^iolin virtuose  und  Mitglied  der  Hofkapelle  zu  München 
im  J.  1794,  wurde  seiner  Fertigkeit  wegen  sehr  gerühmt  und  war  ein  Schüler 
und  College  Joh.  Friedr.  Eck's.  t 

Freuzel,  Johann  Theophilus,  deutscher  Gelehrter,  geboren  zu  Schönau 
in  der  Oberlausitz  am  19.  Febr.  1725,  gab  als  Magister  der  Philosophie  und 
Advokat  zu  Budissin  1754  zu  "Wittenberg  und  Zerbst  einen  Predigtkatechis- 
mus heraus,  der  eine  Anweisung,  wie  eine  Predigt  gut  und  wohl  zu  behalten 
sein  solle,  enthielt  und  auch  Gedanken  von  dem  schuldigen  Verhalten  in  An- 
sehung der  Kirchenmusik  brachte.     Vgl.  Meusel's  gelehrtes  Teutschland,     f 

Frere,  Alexandre,  französischer  Musikschriftsteller,  war  um  1710  Mit- 
glied der  Akademie  der  Musik,  wie  die  Grosse  Oper  hiess,  zu  Paris  und  hat 
eine  grössere  Schrift;  siTranspositions  de  miisique,  reduites  au  naturel,  par  les 
secours  de  la  modulation  etc.v.  (Amsterdam,  1700  bei  Eoger)  veröffentlicht.  Er 
starb  im  J.  1753  zu  Paris. 

Freres  de  la  passion  (franz.)  nannte  sich  lange  Zeit  hindurch  eine  der 
im  Mittelalter  zu  Paris  befindlichen  und  für  dramatische  Aufführungen  geist- 
licher Schauspiele  (Passionen,  Mysterien)  eigens  concessionirten  Gesellschaften. 
Durch  einen  besonderen  Vertrag  traten  sie  1548  ihr  Theater  und  ihre  Privilegien 
an  die  neue  Gesellschaft  der  Oomediens  ab. 

Freron,  Elie  Catherine,  französischer  Kritiker  des  18.  Jahrhunderts, 
geboren  zu  Quimper  1719,  kam  jung  in  den  Jesuitenorden  und  war  als  Ordens- 
bruder einige  Zeit  Lehrer  am  College  Louis-le-grand  zu  Paris.  Schon  1739 
jedoch  trat  er  aus  dem  Orden  und  beschäftigte  sich  nur  mit  schriftstellerischen 
Arbeiten,  von  denen  seine  riLettres  sur  quelques  ecrits  de  ce  tempsv.  (2  Bde.,  Genf, 
1749)  u.  A.  eine  weitläufige  Kritik  über  Remond  de  St.  Mard's  »Essai  sur 
l'ojoeraa  enthalten.  Ausserdem  schrieb  er  noch  y>Deux  lettres  sur  la  musique 
frangoise,  en  reponse  a  eelle  de  J.^J.  Soiisseaun  (Paris,  1753),  was  Alles  für 
mittelmässig  und  oberflächlich  gelten  muss.     F.  starb  zu  Paris  am  10.  März  1776. 

Frescamente,  fresco  (ital.,  franz.:  fraidiemeni),  Vortragsbezeichnuug  in  der 
Bedeutung  frisch,  munter. 

Freschi,  Giovanni  Domenico,  italienischer  Priester  und  hervorragender 
Kirchen-  und  Operncomponist,  geboren  zu  Vicenza  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  lebte  meist  in  Venedig  und  hat  von  seiner  Composition 
Messen  und  Psalme  mit  Instrumentalbegleitung  (Venedig,  1660  und  1663)  ver- 
öffentlicht. Später  scheint  er  sich  ganz  der  Oper  zugewandt  zu  haben,  denn 
von  1677  bis  1685  entstammen  seiner  Feder  folgende  musikalisch-dramatische 
Arbeiten:  »Elena  rapitav^  (1677),  •»Sardanapalei  (1678),  i)Circev.  (1679),  »Tullia 
superha  (1678),  »Berenicev.  (1680),  »Olimpia  vendicataa  (1681),  »Fompeo  magnov. 
(1681),  »Giulio  Cesare  trionfantev-  (lßS2), »L^ineoronazione  di  Dario».  (1684),  »Silla«. 
(1683),  »Teseo  tra  le  rivali  (1685)  und  »Dario  il  re«  (1685).  Ein  15 stimmiges 
»Oraiorio  della  GiudeUa'i  von  ihm,  47  Blätter  stark,  bewahrt  die  Manuscripten- 
sammlung  der  Hofbibliothek  in  AVien,  eine  gelehrte  musikalische  Arbeit,  aber 


54  Frescobaldi  —  Fretzdorff. 

ohne  hervorstechende  Züge,  die  nur  behufs  Kenntnissuahme  des  Styls  jener 
Blusikepoche  im  höheren  Grade  interessant  ist.  —  Ein  Gelehrter  des  16,  Jahr- 
hunderts, Namens  Giovanni  F.,  veröffentlichte  das  in  Laborde's  und  Bure's 
»Bibliographie  instructive«  als  genial  gerühmte  Buch  nRerum  musicalium  opiis- 
culumi  (Argeutorati,  1535). 

Frescobaldi,  Girolamo,  einer  der  ausgezeichnetsten  Meister  der  Tonkunst 
aus  älterer  Zeit,  gleich  berühmt  als  der  vorzüglichste  Orgelspieler  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrb.,  wie  als  gediegener  Componist  und  Lehrer  der  Musik, 
wurde  im  J.  1587  oder  1588  (nach  Gerber  erst  1591)  zu  Ferrara  geboren. 
Was  man  bis  jetzt  von  seinen  Lebensumständen  erforscht  hat,  ist  leider  nur 
wenig  und  dabei  zum  grossen  Tlieile  noch  unsicher.  Seinen  Ruhm  als  Sänger, 
Orgelvirtuose  und  Tonsetzer  erlangte  er  schon  sehr  früh.  Nach  Superbi  und 
Quadrio  war  Alessandro  Milleville  in  Ferrara  sein  Lehrer,  und  damals  war  es 
sein  überaus  schöner  Gesang,  der  alle  Welt  entzückte  und  Enthusiasten  ver- 
anlasste, ihm  von  Ort  zu  Ort  nachzureisen.  Der  erstgenannte  Gewährsmann 
behauptet  auch  noch,  dass  F.  in  noch  jungen  Jahren,  aber  als  ausgebildeter 
Künstler,  nach  den  Niederlanden,  damals  noch  immer  eine  Hochschule  der 
Musik,  gekommen  sei  und  daselbst  bis  1608  gelebt  habe.  Nach  dieser  Zeit 
war  F.  wieder  in  Italien  und  zwar  in  Mailand.  Um  1627  liess  er  sich  in  Rom 
nieder  und  erhielt  etwas  später  (1630  wie  allgemein  behauptet  wird,  gegenüber 
Fetis,  der  auf  1614  besteht)  das  Amt  des  ersten  Organisten  an  der  St.  Peters- 
kirche. Die  Kunde  von  dieser  Anstellung  Avurde  wie  ein  beglückendes  Ereig- 
niss  in  Rom  begrüsst,  so  dass,  wie  Baini  in  seinen  Memor.  stör,  crit.,  gestützt 
auf  die  besten  Quellen,  behauptet,  30,000  Zuhörer  zugegen  waren,  als  er  zum 
ersten  Male  in  St.  Peter  spielte.  Aus  allen  Theilen  des  katholischen  Erd- 
kreises strömten  Andächtige  und  Neugierige  nach  Rom  und  zum  guteu  Theil 
nur,  um  den  als  unvergleichlich  und  unübertrefläich  in  allen  Ländern  anerkann- 
ten Meister  der  Orgel  zu  hören.  Da  er  als  der  erste  unter  den  Italienern 
genannt  wird,  welcher  sich  des  fugenartigen  Vortrags  befleissigte  und  denselben 
einführte,  so  ist  anzunehmen,  dass  er  gerade  dieser  Neuerung  im  Orgelspiele 
seinen  Weltruhm  mit  verdankte.  Als  Lehrer  hat  er  sich  besonders  durch 
seinen  grossen  Schüler  Job.  Jac.  Fr  oh  berger  verewigt,  der  sich  ganz  und 
voll  die  grossartige  und  kunstvolle  Technik  seines  Meisters  angeeignet  hat. 
Von  F.'s  Compositionen,  als  deren  erste  veröffentlichte  ein  Buch  fünfstimmiger 
Madrigale  (Antwerpen,  1608)  gilt,  und  die  in  Canzonen,  Motetten,  Hymnen, 
Magnificats,  sodann  in  Toccate,  Ricercari,  Capricci  u.  s.  w.  für  Orgel  bestehen, 
findet  man  die  speciellen  Titel  in  den  Lexiken  von  Walther,  Gerber  und  Fetis 
aufgeführt.  Die  k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien  besitzt  von  ihm  auf  52  Blättern 
zehn  Ricercax'i  und  fünf  Canzoni  im  Manuscript,  deren  Werth,  dem  kunstge- 
schichtlichen Ruhme  ihres  Componisten  gegenüber,  aber  nur  als  ein  unter- 
geordneter zu  erachten  ist.  F.'s  Todesjahr  ist  mit  Bestimmtheit  bis  jetzt  noch 
nicht  ermittelt.  Fetis,  der  diesen  Zeitpunkt  um  1654  setzt,  combinirt  dieses 
Datum  wahrscheinlich  aus  dem  Aufenthaltsterniine  Frohberger's  bei  F.  und  wird 
mit  seiner  Angabe  schwerlich  stark  irren. 

Fresue  du  Cange,  Charles  de,  s.  Gange. 

Frestele,  Fretel,  Fretian  (altfranz.),  eine  Art  Panspfeife,  deren  im  12. 
und  13.  Jahrhundert  die  französischen  Menetriers  zum  Aufspielen,  oder  um 
auf  ihre  Künste  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken,  sich  bedienten. 

Fretzdorff,  Hugo,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  26.  Aug.  1821  zu 
Berlin,  war  für  den  Buchhandel  bestimmt,  welchem  Fache  ihn  aber  seine  von 
jeher  gepflegte  Vorliebe  zur  Musik,  deren  theoretischen  Theil  er  zuletzt  bei 
C.  Böhmer  in  Berlin  studirte,  entfremdete.  Er  widmete  sich,  unterstützt  durch 
eine  schöne  Tenorstimme  und  durch  einen  trefflichen  declamatorischen  Vortrag, 
zunächst  dem  Gesänge.  Eigenes  Nachdenken,  Ausüben  und  Hören  vorzüglicher 
Sänger  befähigten  ihn,  eine  eigene  Gesangsmethode  zu  bilden,  über  die  er  sich 
in  Artikeln  verschiedener  Fachblätter  näher  ausliess,  und  die  sich  in  Wien,  wo 


Fretta  —  Freudenberg.  55 

sich  F.  einige  Jahre  hindurch  aufhielt,  bewährt  haben  soll.  Seit  1858  lebt  F. 
als  Componist  und  Gesanglehrer  wieder  in  Berlin.  Von  seiner  Composition 
sind  Lieder  für  eine  Singstimme  mit  Pianoforte,  sowie  einige  Ciavierstücke  im 
Druck  erschienen. 

Fretta  (ital.),  die  Eile,  kommt  als  Vortragsbezeichnung  in  Verbindung  mit 
der  Präposition  con  vor, 

Freubel,  Johann  Ludwig  Paul,  ein  tüchtiger  deutscher  Violinist  und 
Componist,  geboren  um  1770  zu  Berlin,  wurde  im  J.  1802  als  Orchesterchef 
nach  Amsterdam  berufen,  in  welcher   Stadt  er  auch  gestorben  sein   soll. 

Freudemaun,  Johann,  Organist  aus  Braunschweig,  figurirte  als  der  zweite 
auf  der  Liste  der  53  Sachverständigen,  welche  das  im  J.  1596  in  der  Schloss- 
kirche zu  Grüningen  vollendete  Orgelwerk  begutachten  mussten.  Vgl.  Werk- 
meister's   Org.  Gruning.  rediv.  §.11.  f 

Freudenberg,  Fräulein  von,  eine  deutsche  Tonkünstlerin,  wird  als  die  Ver- 
fasserin einer  anonym  erschienenen  musikalisch-theoretischen  Schrift:  »Kurze 
Anführung  zum   Generalbass  u.  s.  w.«  (Leipzig,   1728)  genannt. 

Freudeuberg,  Johann,  ein  gründlicher  und  gelehrter  deutscher  Tonkünst- 
ler, geboren  1590  in  Breslau,  trieb  neben  den  musikalischen  auch  wissenschaft- 
liche Studien  auf  den  Hochschulen  zu  Strassburg,  Paris  und  zu  Siena  und 
starb  am  25.  Novbr.  1635  zu  Danzig.  Die  lange  und  schwülstige  Inschrift 
auf  seinem  Grabsteine  in  der  Katharinenkirche  zu  Danzig,  theilt  Hofmann  in 
seinem  Werke,  »die  Tonkünstler  Schlesiens«,  mit.  —  -Zu  den  ausgezeichneten 
Tonkünstlern  Schlesiens  gehört  auch  der  als  Musiker  und  Biedermann  gleich 
hoch  zu  schätzende  Organist  Karl  Gottlieb  F.  Geboren  am  15.  Jan.  1797 
in  einem  schlesischen  Dorfe,  machte  derselbe  nach  vollendeten  Gymnasialstudien 
als  Freiwilliger  den  deutsch-französischen  Feldzug  von  1814  und  1815  mit  und 
nahm  nach  seiner  B,ückkehr  in  die  Heimath  das  Studium  der  Theologie  wieder 
auf,  das  er  jedoch  bald  ganz  aufgab,  da  ihn  seine  Vorliebe  für  die  Musik  auf 
das  tonkünstlerische  Gebiet  drängte.  Er  liess  sich  daher  zunächst  beim  Cantor 
Klein  in  Schmiedeberg  im  Orgelspiel,  sowie  in  der  Theorie  unterrichten  und 
begab  sich  hierauf  nach  Breslau,  wo  er  bei  Berner  und  Schnabel  auf's  Eifrigste 
weiter  übte.  Seine  letzte  Ausbildung  erhielt  er,  vom  Staate  unterstützt,  auf 
der  neu  gegründeten  Organistenschule  in  Berlin,  wo  er  bei  Zelter  Harmonie 
und  Composition  und  bei  Beruh.  Klein  Contrapunkt  studirte.  Auch  mit  der 
Kenntniss  des  damals  gerade  Aufsehen  erregenden  Logier'schen  Unterrichts- 
Systems  machte  er  sich,  unter  des  Erfinders  Aufsicht,  genau  bekannt  und 
gründete  auf  Basis  dieser  Methodel823  in  Breslau  ein  Musikinstitut.  Im  J.  1826 
unternahm  er  eine  Heise  nach  Italien,  von  wo  zurückgekehrt,  er  1827  nach 
dem  Tode  Neugebauer's  die  Ober -Organistenstelle  an  der  Kirche  St.  Maria- 
Magdalena  zu  Breslau  erhielt,  die  er  mit  musterhafter  Treue  und  Hingebung 
bis  in  das  hohe  Alter  hinein  verwaltete.  Er  starb  hoch  angesehen  und  ver- 
ehrt am  13.  April  1869  zu  Breslau.  Von  seinen  Compositionen  sind  Clavier- 
und  Orgelstücke,  Psalmen,  Lieder  und  Gesänge  für  eine,  sowie  für  mehrere 
Stimmen  bekannt  geworden.  Ein  biographisches  Denkmal,  welches  seine  an- 
spruchslose Thätigkeit  als  Musiker  und  Mensch  in  herzlicher  Art  verewigt, 
hat  ihm  W.  Viol  durch  das  mit  Porträt  und  Facsimile  geschmückte  Buch 
»Karl  Gottlieb  Freudenberg,  Erinnerungen  aus  dem  Leben  eines  alten  Orga- 
nisten« (Breslau,  1870)  gesetzt. 

Freudenberg,  "Wilhelm,  Tonkünstler  von  trefflichem  Wissen  und  Können, 
geboren  1838  zu  Baubacher-Hütte  bei  Neuwied,  hatte  bereits  in  Heidelberg 
das  theologische  Studium  begonnen,  als  ihn  die  unbezwingliche  Neigung  zur 
Musik  bestimmte,  sich  ganz  der  Kunst  zu  widmen.  Zu  diesem  Behufe  ging 
er  1858  nach  Leipzig  und  nahm  dort  mit  Eifer  die  tonkünstlerischen  Studien 
auf,  so  dass  er  schon  1861  befähigt  war,  das  Erlerute  als  Theater-Musikdirektor 
praktisch  zu  verwerthen.  Vier  Jahre  lang  fungirte  er  in  dieser  Eigenschaft 
an    verschiedenen  Bühnen,    zuletzt    am  Stadttheater  in  Mainz,    worauf   er    sich 


56  Freudenthai  —  Frey. 

bleibend  in  "Wiesbaden  niederliess.  Hier  dirigirte  er  mehrere  Jahre  hindurch 
den  Cäcilien verein,  welche  Stellung  er  jedoch  1870  aufgab,  um  ein  Musik- 
institut zu  begründen,  welches  jetzt  schon,  nach  kurzem  Bestehen,  im  erfreu- 
lichsten Aufschwünge  begriffen  ist.  Daneben  führt  er  noch  die  Direktion  des 
Synagogenvereins  und  das  Amt  eines  musikalischen  Local-Berichterstatters. 
Auch  in  letztgenannter  Eigenschaft  hat  er  sich  durch  intelligent  geschriebene 
und  massvoll  gehaltene  Zeitungsartikel  einen  geachteten  Namen  erworben.  Von 
seinen  Compositiouen  sind  im  Druck  erschienen:  Die  vollständige  Musik  zu 
Sbakespeare's  Tragödie  »Romeo  und  Julie«  im  Clavierauszuge,  eine  Ouvertüre, 
eine  Concertsonate,  einige  Hefte  Lieder  u.  s,  w, 

Freudeuthai,  Julius,  ein  guter  Violinist,  Flötist  und  Dirigent,  geboren 
am  5.  April  18U5  zu  Braunschweig,  bildete  sich  in  seiner  Vaterstadt  unter 
Leitung  des  Concertmeisters  Karl  Müller  trefflich  aus  und  trat  in  die  herzogl. 
Hof  kapeile,  in  welcher  er  bis  zum  Musikdirektor  aufstieg,  in  welcher  Eigen- 
schaft er  1860,  seiner  Gesundheit  wegen,  pensionirt  wurde.  Componirt  hat  er 
mehrere  Grelegenheitsmusiken  und  andere  Stücke.  Hervorragendes  Talent  be- 
kundete er  für  den  humoristischen  und  komischen  Genre  der  Musik.  Seine 
komischen  Lieder  für  Bass  oder  Bariton ,  humoristischen  Mäunerquartette  und 
besonders  seine  Operetten  und  Opern-Travestien  (»die  Barden«,  »Gans  und 
Richter«  u.  s.  w.) ,  vortreffliche  Satyren  auf  modei'ne  (besonders  italienische) 
Opern,  sind  mit  Auszeichnung  zu  nennen.  Die  letzteren  wurden  von  den  Män- 
nergesangvereinen Deutschlands  vielfach  mit  grossem  Erfolge  aufgeführt.  Ausser- 
dem kennt  man  noch  von  ihm  Stücke  für  Flöte  und  für  Violine,  sowie  für 
Violine  und  Pianoforte. 

Freudeuthaler,  Johann  Wilhelm,  berühmter  deutscher  Pianofortebauer, 
geboren  1761  zu  Neckargartach  bei  Heilbroun,  erlernte  bei  einem  Instruraen- 
tenmacher  in  Strassburg  den  Ciavierbau  und  trat  dann  in  die  emporblühende 
Fabrik  Erard's  in  Paris.  Nachdem  er  1788,  während  eines  längeren  Aufent- 
halts in  London,  sich  mit  den  Geheimnissen  der  englischen  Mechanik  genau 
bekannt  gemacht  hatte,  begründete  er  in  Paris  eine  eigene  Werkstätte  und  er- 
warb sich  ziemlich  schnell  durch  die  Tonfülle  und  Solididät  der  aus  derselben 
hervorgegangenen  Instrumente  einen  weit  verbreiteten  Ruf.  Er  starb  am  25. 
März  1824  zu  Paris  und  hinterliess  seine  blühende  Fabrik,  aus  der  über  2000 
Instrumente  hervorgegangen  waren,  seinen  Söhnen,  welche  dieselbe  jedoch  etwa 
zehn  Jahre  später  eingehen  Hessen. 

Frenud,  Cornelius,  geistlicher  Tondichter  des  16.  Jahrhunderts,  geboren 
zu  Borna  und  gestorben  zu  Zwickau  als  Cautor  und  Compouist,  soll  nach 
Gerber  zu  den  ersten  Choralcomponisten  zu  zählen  sein,  wofür  dieser  das  Naum- 
burg'sche  Gesangbuch  anführt.  G.  Döhring  in  seiner  1865  zu  Danzig  erschie- 
nenen Choralkunde  jedoch  nennt  keinen  Componisten  dieses  Namens.  —  Ein 
Anderer,  Philipp  F.,  als  Pianist  und  Componist  zu  Ende  des  18.  und  zu 
Anfange  des  19.  Jahrhunderts  zu  Wien  lebend,  veröffentlichte  daselbst:  VII 
Variat.  p.  il  Fortep.,  1798;  VIII  Variat.  über:  Seit  ich  so  viele  Weiber  sah, 
op.  4  Nr.  2,  1799;  Gr.  Trio  p.  le  OL,  V.  et  Vc,  op.  16  Nr.  1;  III  Quat  p. 
2  F.,  Ä.  et  Vc,  op.  17;  Grand  Trio  p.  F.,  Ä.  et  Vc,  op.  5,  1802  und  VII 
Variat.  p.  le  Pf.,  op.  22,  1803;  ferner  Trios,  noch  3  Streichquartette  und  Ciavier- 
variationen, t 

Freandthaler,  Cajetan,  ein  Wiener  Toukünstler,  der  in  Paris  um  die 
Wende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  gelebt  zu  haben  scheint,  gab  nach  Träg's 
Catal.  von  1799  viele  Kircbenwerke,  als  Messen  ^lotetten,  Litaneien,  Hymnen 
u.  B.  w.  mit  Orchester,  vier  Sinfonien,  ein  Quintett  für  vier  Bratschen  und 
Violoncello,  Stücke  für  Harmoniemusik  und  verschiedene  Sammlungen  von  Tänzen 
heraus.  t 

Frey,  Hans,  geschickter  deutscher  Lautenspieler  des  15.  Jahrhunderts 
aus  Nürnberg,  war  Albrecht  Dürer's  Schwiegervater  und  wurde  nicht  allein 
als  ein  vorzüglicher  Tonkünstler  und  Lautenist,  sondern  auch  als  ein  berühmter 


Frey  —  Frezza.  57 

Lautenfertiger,  der  1475  in  Bologna  thätig  gewesen  war,  genannt.  Ygl.  Baron's 
»Untersuchung  der  Laute«.  —  Sein  Sohn,  Johann  F.,  der  sich  seiner  vor- 
züglichen Holzarbeiten  halber  eines  ausgebreiteten  Rufes  erfreute,  soll  ebenfalls 
ein  achtenswerther  Musiker  gewesen  sein.  Derselbe  starb  1523  zu  Nürnberg. 
Vgl.  Fuessli's  Künstlerlexikon  Suppl.  III.  und  das  Todtengeläutbuch  zu  Nürn- 
berg von   St.   Sebald.  -j- 

Frey,  M.,  deutscher  Tonkünstler  und  Dirigent,  starb  am  10.  Aug.  1832 
als  Hofkapellmeister  in  Mannheim.  Er  scheint  nur  praktisch  wirksam  gewesen 
zu  sein,  denn  von  Compositionen  von  ihm  ist  blos  eine  Operette  »Jery  und 
Bätely«,   Text  von   Goethe,  in  weiteren  Kreisen  bekannt  geworden. 

Freylinghausen,  Johann  Anastasius,  deutscher  Kirchenliederdichter, 
geboren  am  2.  Decbr.  1670  zu  Gandersheim  im  Fürstenthum  Wolfenbüttel  und 
gestorben  am  12.  Febr.  1739  als  Pastor  zu  St.  Ulrich  und  Direktor  des  Wai- 
senhauses zu  Halle,  in  welchem  letzteren  Amte  er  seines  Schwiegervaters,  des 
berühmten  Aug.  Herrn.  Francke  Nachfolger  geworden  war.  Er  wird  als  ein 
guter  Musikverständiger  gerühmt,  der  einen  wesentlichen  Antheil  an  manchen 
der  in  dem  von  ihm  herausgegebenen  Gesangbuche  aufgenommenen  Lieder  be- 
anspruchen darf.  —  Sein  Sohn,  Theophilus  Anastasius  F.,  geboren  am 
12.  Oktbr.  1718  zu  Halle,  gestorben  daselbst  am  18.  Febr.  1785,  war  ebenfalls 
musikalisch  gut  gebildet  und  hat  u.  A.  die  Vorrede  zu  einem  Gesangswerke 
verfasst.  f 

Freyniutli,  ein  geschickter  deutscher  Musiker,  der  im  letzten  Viertel  des 
17.  und  im  ersten  des  18.  in  Homburg  lebte  und  die  Oboe  wie  die  Querflöte 
in  vorzüglicher  Weise  zu  spielen  verstand.  Mattheson  berichtet  in  seiner  Grit. 
Mus.  T.  I  p.  113:  dass  F.  nicht  etwa  ein  blosser  Instrumentist,  sondern  auch 
in  höhern  musikalischen   Sachen  ziemlich  curieux  sei.  f 

Frey  städtler,  Franz  Jacob,  auch  Freystädler  geschrieben,  fruchtbarer 
Claviercomponist  und  trefflicher  Musiklehrer,  geboren  am  13.  Septbr.  1760  zu 
Salzburg,  war  der  Sohn  des  dortigen  Chorregenten  an  der  Pfarrkirche  bei  St. 
Sebastian  und  kam.  7  Jahr  alt,  in  das  fürstl.  Kapellhaus.  Als  seine  Stimme 
mutirte,  trat  er  aus  und  widmete  sich  bei  dem  zweiten  Hoforganisten,  Georg 
Lipp,  Mich.  Haydn's  Schwiegervater,  dem  Orgelspiele  mit  solchem  Erfolge,  dass 
man  ihn  32  anderen  Concurrenten  um  die  Organistenstelle  am  Domstifte  zu 
St.  Peter  vorzog.  Nach  sechs  Jahren  gab  er  diesen  karg  besoldeten  Posten 
auf  und  lebte  zwei  Jahre  lang  als  Musiklehrer  in  München,  worauf  er  1786 
nach  Wien  ging  und  durch  seinen  Landsmann  und  Jugendfreund  Mozart  für 
den  Unterricht  warm  empfohlen  wurde.  Grosse  Beschäftigung  sicherte  ihm 
bald  ein  reichliches  Auskommen.  Er  scheint  bald  nach  1836  gestorben  zu  sein. 
Seine  Claviercompositionen  sind  meist  didaktischer  Art,  entweder  für  Anfänger 
oder  Vorgeschrittenere  berechnet  und  bestehen  in  Sonaten,  Concertinos,  Va- 
riationen, Etüden  und  charakteristischen  Programmstücken  (»die  Belagerung 
von  Belgrad«,  »Mittag  und  Abend«,  »der  Frühlingsmorgen«  u.  s.  w.).  Auch 
Lieder  und  Gesänge  von  ihm  sind  im  Druck  erschienen.  Im  Manuscript  hin- 
terliess  er  noch  über  60,  zum  Theil  bedeutendere  Werke,  als  Concerte,  Fanta- 
sien, Orgelpräludien  und  Cadenzen ,  eine  Ciavier-  und  eine  Generalbass- 
schule u.  s.  w. 

Frey  tag,  s.  Freitag. 

Frezza,  Giuseppe,  genannt  dalle  Grotte,  ein  italienischer  Franciscaner- 
mönch  und  Professor  der  Theologie  seines  Ordens,  aus  Grotte  in  Sicilien,  der 
zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts  in  Padua  lebte,  gab  ein  von  ihm  verfasstes  Buch: 
r>Il  cantore  ecclesiasticoa  (Padua,  1698  und  spätere  Auflagen)  heraus,  welches 
in  vier  Theilen  die  Noten,  die  Kirchentöne,  die  Ausführung  des  Gesangs  und 
seine  Verbindung  mit  der  Orgel,  zuletzt  die  Composition  des  Canfus  ßrmus  sehr 
praktisch  und  eingehend  behandelt.  —  Ferner  hiess  Giovanni  F.  ein  aus 
Treviso  gebürtiger,  vortrefflicher  italienischer  Componist  des  18.  Jahrhunderts, 
der    sich    grossen  Beifalls    seiner  vorzüglichen  Instrumentation  und  klingenden 


58  Frezzolini  —  Frichot. 

Kunstarbeit  wegen  erfreute.  Von  seiner  Arbeit  führte  man  zu  Venedig  die 
Oper  r>La  Fede  creduta  tradimentoa.  auf.  f 

Frezzolini,  Erminia,  ausgezeicimete  und  berühmte  italienische  Sängerin 
der  Neuzeit,  geboren  1818  zu  Orvieto,  erhielt  von  ihrem  Vater,  einem  Bufib- 
sänger  der  Oper,  den  ersten  Musikunterricht  und  machte  hierauf  ihre  G-esang- 
studien  bei  Meistern  wie  Nuncini  in  Florenz,  bei  Ronconi  (dem  Vater),  Manuel 
Garcia  und  Tacchinardi  zu  Florenz.  Im  J.  1838  debütirte  sie  in  Florenz  mit 
bedeutendem  Erfolge,  sodann  in  Turin  und  Mailand,  wo  sie  bereits  Triumphe 
feierte.  Die  italienische  Saison  1840  über  war  sie  in  Wien,  wo  sie  als  neu 
aufgehender  Stern  begrüsst  wurde,  alsbald  hierauf  in  Turin,  wo  sie  sich  mit 
dem  deutschen  Componisten  Otto  Nicolai  zwar  verlobte,  aber  doch  schliesslich 
den  Tenoristen  Poggi  heirathete.  Im  J.  1841  sang  sie,  den  Namen  F.  auch 
für  die  Zukunft  beibehaltend,  mit  ungeheurem  Beifall  in  London.  Von  dort 
kehrte  sie  nach  Italien  zurück  und  trat  in  verschiedenen  der  ersten  Theater 
ihrer  Heimath  auf,  sodann  auch  in  St.  Petersburg  und  endlich,  im  November 
1853,  mit  fast  unerhörtem  Erfolge  in  der  Italienischen  Oper  in  Paris.  Hier- 
mit hatte  sie  den  Gipfelpunkt  ihres  Ruhms  erreicht;  denn  ihre  glänzenden 
Stimmmittel  nahmen  mehr  und  mehr  ab,  und  die  grossen  europäischen  Opern- 
theater öffneten  sich  ihr  nicht  mehr.  Da  begab  sie  sich  nach  Amerika,  wo 
sie  noch  einmal  hochgefeiert  wurde;  als  sie  aber  Anfangs  1862  abermals  in 
Paris  aufzutreten  wagte,  hatte  sie  einen  sehr  zweifelhaften  Erfolg.  Noch  einige 
Zeit  lang  sang  sie  an  Provinzialbühnen  Italiens  und  scheint  sich  dann  noth- 
gedrungen  in  das  Privatleben  zurückgezogen  zu  haben. 

Frias,  Herzogin  von,  talentvolle  und  musikalisch  trefflich  gebildete  Sängerin, 
war  die  Tochter  des  englischen  Operucomponisten  M.  AY.  Balfe.  Geboren  1838, 
trat  sie  1857  im  Lyceumtheater  zu  London  mit  grossem  Erfolg  auf,  glänzte 
jedoch  nur  kurze  Zeit,  da  sie  sich  mit  dem  Lord  Crampton  verheirathete.  Von 
diesem  Hess  sie  sich  nach  einigen  Jahren  scheiden,  um  sich  mit  dem  spanischen 
Herzoge  von  F.  verbinden  zu  können.  Als  Herzogin  starb  sie  am  21.  Januar 
1871  zu  Madrid. 

Friberth,  Karl,  geschätzter  deutscher  Kirchencomponist  und  angesehener 
Gesanglehrer,  geboren  am  7.  Juni  1736  zu  WuUersdorf  in  Niederösterreich, 
wurde  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  mit  wissenschaftlichen  und  musi- 
kalischen Vorkenntnissen  wohl  versehen,  nach  Wien  geschickt,  wo  er  unter  der 
Einwirkung  der  damaligen  Hofcomponisten  Bono  und  Gassmann  sich  in  der 
Musik  weiter  ausbildete.  Im  J.  1759  nahm  der  Fürst  Esterhazy  in  Eisenstadt 
ihn  als  Tenorsänger  in  Dienst  und  entliess  ihn  erst,  als  er  als  Chordirigent 
an  der  untern  und  obern  Jesuitenkirche  nach  Wien  berufen  wurde,  mit  welchen 
Stellungen  er  bald  auch  noch  die  an  der  wälschen  Kapelle  vereinte.  Er  starb 
am  6.  Aug.  1816  zu  Wien.  Seinen  Compositionen,  meist  Kirchensachen,  wird 
nachgerühmt,  dass  sie  in  gefälliger  Manier  gesetzt  gewesen  seien  und  fliessen- 
den Gesang,  glänzende  Instrumentation  und  reinen  Satz  gezeigt  hätten,  ohne 
überladen  zu  sein.  Bekannt  von  denselben  sind  nur:  9  Messen,  5  Motetten, 
1  Stabat  mater,  1  Requiem,  mehrere  Graduale's  und  Offertorien.  —  Therese 
F.,  wahrscheinlich  eine  Schwester  des  vorher  Erwähnten,  lebte  um  dieselbe  Zeit 
in  Wien  und  wurde  als  vorzügliche  Pianofortespielerin  anerkannt.  Schon  in 
ihrer  Jugend  unterrichtete  sie  im  Clavierspiel  bei  den  dortigen  Salesianerinnen. 
Ueber  Beide  berichtet  das  »Jahrbuch  der  Tonkunst«  des  Jahres  1796.  —  Jo- 
seph von  F.  hiess  ein  ums  Jahr  1770  zu  AVien  wirkender  beliebter  Sänger 
der  kaiserlichen  Hofkapelle,  der  um  1780  zu  Passau  als  Kapellmeister  thätig 
war,  wo  er  mehrere  Operetten  componirte,  die  aber  sämmtlich  nach  seinem  in 
die  Anfangsjahre  dieses  Jahrhunderts  fallenden  Tode  vom  Repertoir  verschwan- 
den. Diese  Operetten  sind:  »das  Loos  der  Götter«,  »die  Wirkung  der  Natur«, 
»Adelstan  und  Röschen«  und  »die  kleine  Aehrenleserin«.  t 

Frichot,  Fran^ois,  ein  französischer,  seit  etwa  1790  in  London  lebender 
Musiker  und  Instrumentbauer,    der  in  Frankreich    und   England   als  der  erste 


Frick  —  Fricke.  59 

Erfinder  des  Basshorns  (s.  d.),  der  späteren  Ophicleide,  betrachtet  wird,  hat 
diesen  E,uf  dadurch  erhalten,  dass  er  jedem  Käufer  eines  solchen  Instruments 
eine  Schrift:  y>Ä  compleat  Scale  arid  Gammut  of  the  Bass-Hbrn,  a  new  Instru- 
ment, invented  hy  Mr.  Fricliot,  and  manufactured  hy  G.  Astor,  Music  and  In- 
strument Seiler  (London,  1800)  mit  einhändigte,  die  ausser  einer  Applicatur- 
tabelle  des  Instruments  noch  die  Mittheilung  enthielt,  dass  F.  der  Erfinder 
desselben  sei.  Grerber  hat  über  den  Werth  dieses  Tonwerkzeugs  als  Erfindung 
sich  im  6.  Jahrg.  der  allgem.  musikal.  Zeitung  Nr.  2  eingehend  geäussert,  und 
glaubt,  dass  nicht  die  Erfindung  des  Basshorns  überhaupt  F.  zuzuschreiben 
sei,  sondern  nur  diese  nicht  sehr  zu  schätzende  Umformung  eines  fagottähn- 
lichen  Serpents,  wie  ihn  zuerst  der  Italiener  Regibo   (s,  d.)  baute.  f 

Frick  ist  der  Name  mehrerer  um  die  Musik  wohl  verdienter  Künstler:  G.  F., 
ein  Hornvirtuose,  gab  zu  Paris  1769  sechs  Quartette  heraus.  —  Johann 
Adam,  F.,  ums  Jahr  1740  Direktor  der  E,athsmusikanten  zu  Hamburg,  wird 
von  Mattheson  in  seiner  »Ehrenpforte«  ein  guter  Componist  genannt.  Von 
den  Arbeiten  F.'s  ist  jedoch  keine  erhalten  geblieben.  —  J.  L.  F.,  sonst  nicht 
mehr  bekannt,  gab  1788  zu  Rinteln  »Oden  und  Lieder  aus  Rüling's  Gredichten 
zum  Singen  und  Clavierspielen«  heraus.  —  Christoph  F.,  latinisirt  Friccius, 
geboren  1577  zu  Bux-gdorfi'  im  Lüueburg'schen,  starb  1640  als  Pastor  und 
Superintendent  zu  Bardowick.  Derselbe  hat  in  seinen  Schriftchen:  -DMusica 
christianan,  oder  Predigt  über  die  Worte  des  98.  Psalms:  »Lobet  den  Herrn 
mit  Harfen  und  Psalmen  etc.«  (Burgdorff,  1615)  und;  Musik-Büchlein,  oder 
nützlicher  Bericht  vom  Ursprünge ,  Grebrauch  und  Erhaltung  der  christlichen 
Musik«  (Lüneburg,  1631),  den  damaligen  Zeitgedanken  über  Musik  Ausdruck 
gegeben.  Vgl.  Mattheson's  Ehrenpforte,  Seite  86,  —  Elias  F.,  geboren  zu 
Ulm  am  2.  November  1673,  woselbst  er  auch  als  Professor  der  Theologie, 
Senior  des  Ministeriums  am  Münster,  Assessor  des  Consistoriums  und  erster 
Bibliothekar  am  7.  Febr.  1751  gestorben  ist,  hat  unter  vielen  anderen  Schrif- 
ten auch  eine:  »Beschreibung  von  Anfang,  Fortgang  und  Beschafi'enheit  des 
Münstergebäudes  zu  Ulm«  (Ulm,  1718)  veröffentlicht,  welche  die  ziemlich  aus- 
führliche Greschichte  der  Orgel  des  Münsters  enthält.  Adlung  in  seiner  Musica 
mechanic.  Seite  276  giebt  einen  Auszug  aus  diesem  Abschnitte.  —  Philipp 
Joseph  F.,  auch  Fricke  geschrieben,  geboren  am  27.  Mai  1740  zu  Willanz- 
heim  bei  "Würzburg,  wurde  zuerst  als  Hoforganist  des  Markgrafen  zu  Baden- 
Baden  bekannt,  welche  Stellung  er  jedoch  nicht  lange  verwaltet  zu  haben  scheint. 
Wahrscheinlich  verleitete  ihn  das  Bekanntwerden  mit  der  Franklin'schen  Grlas- 
harmonika  (s.  d.)  dazu,  sich  selbst  eine  solche  zu  fertigen  und  damit,  als 
erster  deutscher  Virtuose  auf  derselben,  1769  eine  Kunstreise  zu  machen,  die, 
nachdem  die  grössten  Städte  Deutschlands  von  ihm  besucht  waren,  ihn  nach 
London  führte.  Die  nervenaufreibende  Spielart  der  Glasharmonika  rief  in  ihm 
den  Gedanken  wach,  eine  Erfindung  zu  machen,  um  mittelst  einer  Tastatur 
die  tönende  Erregung  der  Glasglocken  bewirken  zu  können,  welche  Erfindung 
ihm  jedoch  nicht  gelang.  Seiner  Gesundheit  wegen  gab  er  daher  das  Spielen 
der  Harmonika  gänzlich  auf  und  nährte  sich  darnach  durch  Musik-  und  Clavier- 
unterricht,  Componiren  und  musikschriftstellerische  Arbeiten  bis  zu  seinem  am 
15.  Juni  1798  zu  London  erfolgten  Tode.  Die  bekannteren  seiner  gedruckten 
Werke  sind:  Treatise  on  the  Thorough-Bass  (London,  1786),  On  Modulation 
and  Accompaniment  (London,  1782),  Dictionnaire  für  die  Harmonie,  Duetts  for 
2  performers  on  a  Pf.  toitJi  additionel  Keys  (London,  1796)  und  III  Trios  for 
the  Sarpsicliord  icith  Acc.   (1797). 

Fricke,  A.,  einer  der  vorzüglichsten  deutschen  Opernsänger  der  Gegen- 
wart, geboren  um  1833,  betrat  1852  die  Bühne  zu  Königsberg  in  Pr.  und 
erregte  dort,  sowie  in  Stettin,  wo  er  hierauf  engagirt  war,  in  ernsten  Bass- 
parthien  Aufsehen,  sodass  man  ihn  1854  bei  der  königl.  Oper  in  Berlin  als 
ersten  Bassisten  anstellte,  in  welcher  Stellung  er  sich  noch  gegenwärtig  be- 
findet und  eine  feste   und    solide  Stütze  des  Repertoirs  der  Hofbühne  abgiebt. 


60  Frictions-Instrumente  —  Friedel. 

F.  besitzt  eine  sehr  umfangreiche,  bis  in  die  höhere  Baritoulage  hinaufreichende 
echte  Bassstimme,  die  in  allen  Lagen  wohl  ausgeglichen  ist  und  die  allen  In- 
tentionen willig  und  geschmeidig  folgt.  Seine  Darstellung  und  sein  Spiel  sind 
gewandt  und  routinirt  und  sein  Eepertoir  ist,  da  er  in  fast  sämmtlichen  zur 
Aufführung  kommenden  ernsten  wie  komischen  Opern  beschäftigt  ist,  ein  er- 
staunlich reiches  und  umfassendes. 

Frictious-Iustruinente,  s.  Instrumente. 

Fridzeri  oder  Fritzeri,  Alessandro  Maria  Antonio,  auch  Frizeri  und 
verunstaltet  Frixer  geschrieben,  ein  vielseitiger  Virtuose  und  Componist,  ge- 
boren am  16,  Jan.  1741  zu  Verona,  erblindete  schon  früh  und  erlernte  deshalb 
in  Vicenza  JMusik,  namentlich  Violinspiel.  Auch  der  Selbstverfertigung  von 
Instrumenten  befleissigte  er  sich.  So  machte  er  sich,  eilf  Jahr  alt,  eine  Man- 
doline,  auf  der  er  fertig  zu  spielen  erlernte,  ebenso  wie  nach  und  nach  auf 
Viele  d'amour,  Orgel,  Flöte,  Hörn  u.  s.  w.  Er  wirkte  drei  Jahre  lang  als 
Organist  an  der  Kapelle  der  Madonna  del  Monte  Berico  zu  Vicenza  und  be- 
gab sich,  24  Jahr  alt,  als  Violin-  und  Mandolinspieler  auf  Reisen,  zunächst 
durch  Italien  nach  Paris,  wo  er  zwei  Jahre  lang  verweilte,  dann  auch  weiter 
hinauf  bis  nach  Belgien  und  an  den  Rhein,  überall  sehr  beifällig  aufgenommen. 
In  Strassburg,  woselbst  er  sich  hierauf  länger  als  ein  Jahr  aufhielt,  componirte 
er  zwei  Opern,  die  aber  nicht  zur  Aufführung  gelangten.  Dagegen  veröffent- 
lichte er  1771  in  Paris  seine  ersten  sechs  Streichquartette  und  sechs  Mandolin- 
sonaten,  und  Hess  daselbst  auch  1772  seine  einaktige  komische  Oper  »Les  deux 
miliciensa,  die  sehr  beifällig  aufgenommen  wurde,  aufführen.  Er  concertirte  hier- 
auf in  Südfraiikreich  und  versuchte  sich,  nach  Paris  zurückgekehrt,  noch  er- 
folgreicher mit  der  Auffühning  seiner  Oper  y>Les  soidiers  mordoresa  (177G). 
Bald  nach  diesem  Ereigniss  zog  ihn  der  Graf  von  Chateaugiron  auf  seine 
Güter  in  der  Bretagne,  wo  F.  zwölf  Jahre  lang,  bis  zum  Ausbruch  der  Revo- 
lution, die  den  Grafen  aus  Frankreich  trieb,  verblieb  und  nur  dann  und  wann 
noch  in  Paris  erschien,  wo  er  noch  seine  komische  Oper  «Lucette«  aufführen 
Hess  und  Violinconcerte  veröffentlichte.  Die  politischen  "Wirren  führten  F.  1790 
nach  Nantes,  wo  er  eine  philharmonische  Akademie  begründete,  und  der  Ven- 
deekrieg  1794  wieder  nach  Paris,  wo  er  eine  ähnliche  Akademie  in's  Leben 
rief  und  vom  Lycee  des  arts  zum  Mitglied  ernannt  wurde.  Die  Explosion  der 
Höllenmaschine,  welche  im  December  1801  gerade  vor  seiner  AVohnung  in  der 
Rue  Nicaise  stattfand,  brachte  ihn  um  seine  Habseligkeiten,  weshalb  er  sich 
mit  seinen  beiden  kunstgebildeten  Töchtern,  einer  Sängerin  und  einer  Violin- 
spielerin, von  Neuem  auf  Kunstreisen  (nach  Nordfrankreich  und  Belgien)  begab. 
In  Antwerpen  Hess  er  sich  als  Musiklehrer  nieder  und  begründete  einen  In- 
strumenten- und  Musikalienhandel.  In  dieser  Thätigkeit  starb  er  daselbst  im 
J.  1819.  Ausser  den  schon  erwähnten  Werken  hat  er  noch  herausgegeben  für 
Violine:  Quartette,  Duos  u.  s.  w.  und  ferner  Romanzen  für  eine  Singstimrae 
und  den  Ciavierauszug  einer  Sceue  aus  »ies  Thermopyles(si,  welche  Oper  nicht 
zur  Aufführung  gelangt  ist.  jQrf;  >?   'i/'V  ■. 

Friedel,  Bernhard,  Inhaber  einer  der  grösseren  deutschen  Musikalien- 
handlungen der  Gegenwart,  welche  sich  in  Dresden  befindet  und  1858  den  "\V. 
Paul'schen  Verlag  in  sich  aufgenommen  hat,  ebenso,  zehn  Jahre  später,  den- 
jenigen von  G.  Heinze  in  Leipzig,  dessen  Besitzer  als  Geschäftstheilnehmer  in 
die  F.'sche  Firma  trat. 

Friedel,  Sebastian  Ludwig,  Violoncellist  der  königl.  preussischen  Hof- 
kapelle in  Berlin  und  Virtuose  auf  dem  Bariton,  geboren  am  15.  Febr.  1768 
zu  Neuburg,  trat  1798  als  Componist  von  drei  Sonaten  für  Violoncello  und 
Bass  hervor,  die  als  op.  1  in  Offenbach  erschienen  und  dem  berühmten  Violon- 
cellisten Duport,  dem  Lehrer  F.'s,  gewidmet  sind.  Aus  seiner  Familie  sind 
noch  Kaspar  F.,  geboren  am  29.  .Tan.  1702,  gestorben  den  19.  April  1761 
(vielleicht  sein  Grossvater)  und  Johann  Franz  F.  als  tüchtige  ausübende 
Musiker  bekannt  gewesen. 


Friedel  —  Friedlowsky.  61 

Friedel,  Zacharias,  ein  Orgelbauer  aus  Zittau,  der  im  Anfange  des  17. 
Jahrhunderts  wii'kte,  hat  seinen  Namen  durch  den  von  ihm  1611  bewerkstelligr- 
ten  Ausbau  der  Zittauer  St.  Johanueskirchenorgel  bekannt  erhalten:  Vgl.  D. 
Joh.  Benedicti  Carpzovii  Analecta  Fastor.  Zittav.  I.  p.  &1.  f 

Friederici,  Christian  Ernst,  tüchtiger  und  erfindungsreicher  deutscher 
Insti'umentenbauer,  geboren  1712  zu  Merane  in  Sachsen,  war  ein  Schüler  Silber- 
mann's  und  herzogl.  gothaischer  und  altenburg'scher  Hot-  und  Landorgelbauer. 
Er  erfand  u.  A.  das  Fortbien  (s.  d.),  welches  sein  Sohn  genau  beschrieb, 
ferner  eine  Vorrichtung,  wodurch  der  Ton  des  Claviers  bebend  gemacht  werden 
konnte  (1761)  u.  s.  w.  Eür  seine  Kunst  im  Orgelbau  sprechen  gegen  50 
grössere  Werke,  unter  diesen  die  anerkannt  vorzüglichen  in  Chemnitz  und  Zeitz. 
Er  starb  im  J.  1779.  —  Sein  eifriger  Mitarbeiter  bei  vielen  seiner  Arbeiten 
war  sein  Bruder  Johann  F.,  Orgelbauer  in  Merane,  von  dem  hauptsächlich 
das  merkwürdige,  1753  erbaute  Orgelwerk  jenes  Orts  herrührt,  in  welchem 
sich  das  Register  Don  (s.  d.)   befindet. 

Friederici  oder  Priederich,  Daniel,  ein  fleissiger  und  einflussreicher  Com- 
ponist  und  Musikschriftsteller  des  17.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Eisleben,  war 
Magister  und  erster  Cantor  zu  Rostock.  Seine  Compositionen,  die  man  zu 
ihrer  Zeit  rühmte,  sind  bis  auf  zwölf  Titel,  die  AValther,  Forkel  etc.  aufführen, 
verschollen,  aber  von  seinen  theoretischen  Werken  erlebte  eine  Gresangschule, 
y>Musica  ßguralisa  betitelt,  bis   1677   sechs  verschiedene  Auflagen. 

Friederici,  Valentin,  auch  Friderici  geschrieben,  deutscher  Theologe  und 
Philologe,  geboren  am  28.  April  1630  zu  Schmalkalden,  starb  als  Assessor  der 
philosophischen  Pacultät,  Baccalaureus  der  Theologie  und  College  des  grossen 
FürstencoUegiums  zu  Leipzig  am  28.  April  1702.  Nach  Jöcher's  Mittheilungen 
befindet  sich  unter  F.'s  gedruckten  Dissertationen  auch  eine  musikalische,  be- 
titelt:  »De  fiUa  vocisd. 

Friederick,  richtiger  wahrscheinlich  Friederich,  ein  Hornvirtuose  deutscher 
Abstammung,  der  um  die  Wende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  in  Paris  lebte 
und  einer  der  ersten  Lehrer  seines  Instruments  an  dem  neu  gegründeten  Pa- 
riser Conservatorium  war.  Zugleich  war  er  Mitglied  des  Orchesters  der  Grossen 
Oper  und  wegen  der  ganz  eigenthümlichen  Bchandlungsweise  seines  Instruments 
Gregenstand  des  Interesses  der  Kenner  und  Musiker. 

Friedlowsky,  Joseph,  ausgezeichneter  Clarinettenvirtuose,  geboren  zu  St. 
Margareth  bei  Prag  am  11.  .Juli  1777,  hatte  bis  zu  seinem  16.  Lebensjahre 
eine  selten  schöne  Sopranstimme,  die  durch  den  Schullehrer  Wodizca  in  dem 
Nachbardorfe  Auchonitz  einige  Ausbildung  erhielt  und  für  den  Kirchendienst 
in  und  um  Prag  vielfach  in  Anspruch  genommen  wurde.  Durch  letzteren  Um- 
stand gewann  F.  die  Mittel,  sich  im  Violin-  und  Clavierspiel  und  auf  einigen 
Blaseinstrumenten  mit  und  ohne  Lehrer  zu  üben  und  schliesslich  bei  Nejebse, 
dem  ersten  Clarinettisten  am  Theaterorchester  zu  Prag,  Unterricht  auf  Clari- 
nette  und  Bassethorn  zu  nehmen,  worauf  er  selbst,  tüchtig  durchgebildet,  als 
erster  Clarinettist  beim  Musikcorps  der  Prager  Stadtgarde  eintrat.  Als  man 
auch  in  Wien  von  seiner  Virtuosität  hörte,  wurde  ihm  ein  bevorzugter  Platz 
im  Orchester  des  Theaters  an  der  Wien  angeboten,  den  er  auch  im  J.  1802 
annahm.  Als  Concertspieler  erregte  er  viele  Jahre  hindurch  in  Wien  die 
höchste  Bewunderung,  und  sofort  nach  Gründung  des  Conservatoriums  daselbst 
wurde  er  zum  Professor  seines  Instruments  an  dem  neuen  Institute  ernannt. 
Im  J.  1832  wurde  er  endlich  auch  in  die  k.  k.  Kapelle  gezogen,  auf  welche 
Stelle  ihm  schon  1821  die  Anwartschaft  ertheilt  worden  war,  und  starb  hoch- 
betagt am  14.  Jan,  1859  in  Wien.  —  Seine  Kinder  sind:  1,  Franz  F.,  noch 
in  Prag,  am  27.  März  1802  geboren,  bildete  sich  unter  Böhm  und  Moscheies 
zu  einem  tüchtigen  Violinisten  und  Pianisten  heran  und  lebte  bis  in  sein  Alter 
als  Musiklehrer  in  Wien.  Daneben  ist  er  ein  vorzüglicher  und  berühmter 
Kalligraph  und  ein  anerkanntes  Sprachgenie.  —  2.  Anton  F.,  geboren  den 
2.  Aug.  1804  zu  Wien,  war  anfangs  neben  seinem  Vater  und  Lehrer  als  Clari- 


62  Friedrich  11. 

nettist  im  Orchester  des  Theaters  an  der  "Wien  angestellt,  wurde  aber  später 
Solospieler  im  Orchester  des  Hofburgtheaters  und  ist  als  ausgezeichneter  Bläser 
nicht  minder  hochgeschätzt  wie  sein  Yater.  —  3.  und  4.  Eleonore  und  Marie 
F.,  beliebte  Sängerinnen  im  Concertsaale  wie  in  der  Kirche;  Erstere,  geboren 
den  2.  April  1803,  hatte  sich  auch  für  kurze  Zeit  der  Bühne  gewidmet,  Letztere 
war  am   21.  Decbr,   1806   geboren. 

Friedrich  II.,  Landgraf  von  Hessen-Kassel,  geboren  am  14.  Aug.  1729 
zu  Kassel,  war  ein  feinsinniger  Kenner,  Liebhaber  und  Beschützer  der  Ton- 
kunst. Alsbald  nach  Antritt  seiner  Regierung  (1760)  errichtete  er  1762  eine 
vorzügliche  Musikkapelle.  Diese  nebst  einer  italienischen  und  französischen 
Oper  erhielt  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  31.  Oktbr.  1785,  auf  höchst  achtungs- 
werthem  Fusse.  Er  selbst  beschäftigte  sich  täglich  mit  Musik  und  übte  sich 
auf  der  Violine,  die  er  mit  Geschmack  und  Fertigkeit  spielte.  Auch  den  Opern- 
proben wohnte  er  stets  bei,  und  man  bewunderte  sein  feines  Ohr  und  seine 
Kenntnisse,  indem  er  nicht  allein  jeden  Fehler  augenblicklich  hörte,  sondern 
auch  zu  verbessern  wusste. 

Friedrich  II.,  König  von  Preussen  1740  bis  1786,  der  Begründer  des 
politischen  Weltruhms  seines  Vaterlandes,  und  deshalb  von  der  Geschichte  der 
Grosse  genannt,  war  auch  ein  fein  gebildeter  Kenner  der  Musik  und  ein 
ziemlich  fertiger  Flötenbläser.  Geboren  zu  Berlin  am  24.  Jan.  1712  als  Sohn 
König  Friedrich  "Wilhelm's  I.  und  der  hannöver'schen  Prinzessin  Sophie  Doro- 
thea, wurde  er  unter  dem  Drucke  einer  strengen  militärischen  Erziehung  her- 
angebildet. Trotz  des  einseitig-pedantischsten  Unterrichts,  der  ihm  vorschrifts- 
mässig  zu  Theil  wurde,  entwickelte  sich  in  ihm  doch  frühzeitig  Neigung  für 
Poesie  und  Musik,  besonders  durch  den  Einfluss,  welchen  seine  erste  Pflegerin, 
die  geistreiche  Frau  von  EocouUe  und  sein  frühester  Lehrer  Duhan  auf  ihn 
gewannen,  indem  sie  mit  der  Königin  insgeheim  eine  Opposition  wider  die 
väterlichen  Erziehungsgrundsätze  bildeten.  In  Folge  dessen  erhielt  F.  beim 
Domorganisten  Heine  in  Berlin  einigen  Unterricht  im  Clavierspiel,  wandte  sich 
aber  seit  1728,  heimlich  unterwiesen  von  dem  grossen  Virtuosen  Quantz,  der 
seitdem  bis  an  sein  Lebensende  sein  Liebling  blieb,  mit  Leidenschaft  dem 
Flötenspiel  zu.  Diesem  Instrumente  blieb  er  auch,  trotz  der  Anfeindungen 
und  strengen  Verbote  seines  Vaters,  treu  und  von  ihm  aus  liess  er  sich  in  das 
Gesammtgebiet  der  Tonkunst  leiten.  Während  seines  Aufenthalts  in  Bheins- 
berg  seit  1734  wählte  er  sich  den  Flötisten  Fredersdorf  zum  Kammerdiener, 
um  mit  demselben,  ohne  Verdacht  zu  erregen,  musiciren  zu  können.  Erst 
1739  gelang  es  ihm,  sich  die  Vergünstigung  zu  erwirken,  in  Rheinsberg  eine 
Kapelle  halten  zu  dürfen,  und  alsbald  versammelte  er  zu  täglichen  Musik- 
übungen einen  Künstlerkreis  um  sich,  in  dem  die  Gebrüder  Graun,  die  drei 
Benda's  und  Quantz  die  Sterne  ersten  Rangs  waren.  Der  Letztere  trat  1741, 
ein  Jahr  nach  F.'s  Thronbesteigung,  als  Lehrer  und  Kammercomponist  in  die 
recht  eigentlich  persönlichen  Dienste  des  Königs  und  setzte  für  denselben  bei- 
nahe 300  Flötenconcerte  und  200  Solosätze  nebst  den  Uebungen,  die  F.  regel- 
mässig alle  Morgen  übte.  In  seinen  Abend-Kammerconcerten  spielte  F.  oft 
bis  zu  sechs  Nummern  selbst  und  soll  für  seinen  Gebrauch  im  Laufe  der  Zeit 
an  100  Solo's  selbst  geschrieben  haben.  Schon  1740  liess  F.  den  Bau  eines 
eigenen  Opernhauses  in  Berlin  durch  Knobelsdorff  beginnen,  und  gleichzeitig 
musste  der  Kapellmeister  Graun  nach  Italien  reisen,  um  eine  Gesellschaft  der 
besten  Sänger  und  Sängerinnen  zusammenzubringen.  Mit  dieser  wurde  am 
5.  Decbr.  1743  das  dem  Apollo  und  den  Musen  gewidmete  Haus  feierlich  ein- 
geweiht und  dem  unentgeltlichen  Genüsse  geöffnet.  Hasse,  den  nach  Berlin  zu 
ziehen  ihm  nicht  gelungen  war,  musste  gleich  nach  dem  Einzüge  F.'s  in  Dres- 
den bei  Beginn  des  siebenjährigen  Kriegs  seinen  r>Armiiiiov  aufführen  und  fand 
in  dem  Könige  seinen  aufrichtigen  Bewunderer,  der  mit  Faustina  und  dem 
vortrefflichen  Orchester  dessen  Lobsprüche  theilte.  Weder  in  Sachsen,  noch 
in  Schlesien,  noch  im  Feldlager  selbst  ruhten  F.'s  Musikübuugen  und  Concert- 


Friedrich  Wilhelm  II.  —  Friedrich  Wilhelm  Constantin.  63 

Unterhaltungen;  Accompagnisten  hatte  er  fast  stets  in  seiner  Nähe,  oder  er 
liess  die  Musiker  der  Städte,  in  denen  er  gerade  war,  einladen.  Graun's  Opern 
und  Kirchenwerke  schätzte  er  zu  dem  Höchsten,  was  die  Tonkunst  hervorge- 
bracht habe,  und  Quantz's  Flötencompositionen  waren  sein  unentbehrliches 
Vademecum,  bis  ihm  das  Alter  die  Lippenkraft  raubte  und  die  Zähne  schädigte, 
so  dass  er  nothgedrungen  von  seinem  besten  Freunde^  wie  er  die  Flöte  nannte, 
Abschied  nahm.  Für  Quantz  sorgte  er  bis  an  dessen  Ende,  liess  ihm  in  der 
letzten  Krankheit  Arzeneien  und  Pflege  angedeihen  und  setzte  ihm  ein  Denk- 
mal mit  sinniger  Inschrift  bei  Potsdam,  über  welches  jetzt  die  Stadterweiterung 
rücksichtslos  hinweggefluthet  ist.  F.'s  Flötenspiel  soll  im  Adagio,  das  er  em- 
pfindungsvoll ,  einfach  und  edel  gegeben  habe,  bemerken swerth  gewesen  sein; 
im  Allegro  fehlte  es  ihm  meist  an  ausreichender  Fertigkeit.  Mit  Tempo  und 
Takt  sprang  er  so  willkürlich  um,  dass  es  für  eine  besondere  Kunst  galt,  ihn 
auf  dem  Flügel  zu  begleiten.  Ausser  Flötensolo's  werden  ihm  als  Componisten 
Märsche  (u.  A.  zu  Lessing's  »Minna  von  Barnhelm«),  die  Oper  »JZ  re  Pastorev., 
die  Ouvertüre  zu  y>Acis  e  Galateaa  und  Sopranarien ,  von  denen  sich  zwei  im 
Manuscript  auf  der  Dresdener  Bibliothek  befinden,  zugeschrieben.  Beichardt 
mag  aber  Becht  haben,  wenn  er  behauptet,  der  König  habe  niemals  etwas 
Anderes  wie  die  Oberstimme  gesetzt  oder  angedeutet  und  Agricola  die  ganze 
Ausarbeitung  überlassen.  Es  ist  dies  die  üblich  gewordene  Manier,  welcher 
fürstliche  Dilettanten  mit  wenigen  Ausnahmen  überhaupt  ihren  über  Gebühr 
gepriesenen  Componistenruhm  verdanken.  Mit  F.'s  Bedeutung  in  musikalischer 
Beziehung  beschäftigt  sich  eine  Schrift  von  C.  F.  Müller,  betitelt:  »Friedrich 
der  Grosse  als  Kenner  und  Dilettant  auf  dem  Gebiete  der  Tonkunst  u.  s.  w.« 
(Potsdam,   1847). 

Friedrich  Wilhelm  II.,  König  von  Preussen  1786  bis  1797,  Bruderssohn 
und  Nachfolger  des  Vorigen,  geboren  am  25.  Septbr.  1745  zu  Berlin,  war 
ebenfalls  ein  leidenschaftlicher  Musikliebhaber  und  ein  Violoncellist,  der  es  unter 
Lehrern  wie  Graziani  und  Duport  bis  zu  einer  gewissen  Virtuosität  gebracht 
hatte.  In  seinem  Musikgeschmacke  war  er  nicht  so  eigensinnig  einseitig  und 
viel  toleranter  wie  sein  gi-osser  Vorgänger,  iind  eine  längere  Begierung  würde 
für  das  Kunstwesen  seines  Landes  gewiss  von  eingreifenderer  Bedeutung  ge- 
worden sein. 

Friedrich  Wilhelm  Constantin,  Fürst  von  Hohenzollern-Hechingen  1838 
bis  1849,  in  welchem  letzteren  Jahre  er  zu  Gunsten  der  hohenzollern'schen 
Königslinie  abdankte,  war  am  16.  Febr.  1801  geboren  und  erhielt  unter  der 
Leitung  seines  hochgebildeten  Vaters,  des  Fürsten  Friedrich  Hermann  Otto, 
den  geschickte  Lehrer  unterstützten,  eine  für  die  Ausbildung  seines  Herzens 
und  Geistes  gleich  vortheilhafte  Erziehung.  Seine  Vorliebe  für  die  Musik  be- 
stimmte ihn  zunächst  schon  als  Erbprinz,  die  Hofkapelle  in  kunstwürdiger  Art 
zu  reorganisiren.  Dieses  Institut  bestand  seit  den  fi-anzösischen  Kriegen  nur 
noch  aus  wenigen  pensionirten  Musikern,  denen  nunmehr,  um  alle  Fächer  aus- 
zufüllen. Dilettanten  zusfesellt  wurden.  Im  J.  1827  aber  berief  F.  wirkliche 
Kunstkräfte  nach  Hechingen  und  stellte  den  Virtuosen  und  Componisten  Tho- 
mas Täglichsbeck  als  Kapellmeister  an.  Die  Pflege  seiner  Kapelle  war  die 
Hauptfürsorge  dieses  edlen  Fürsten  bis  an  sein  Ende,  und  sein  geselliger  Hof 
bot  den  hervorragenden  Componisten  sowohl  wie  Virtuosen  einen  gastfreund- 
lichen Aufenthalt.  Nach  seiuer  Abdankung  und  noch  mehr  nach  seiner  IJeber- 
siedelung  mit  dem  ganzen  Hofhalte  nach  Löwenberg  in  Schlesien  im  J.  1852 
waren  Musik  und  Musikpflege  die  Factoren,  welche  den  verloren  gegangenen 
Glanz  der  Herrschaft  reichlich  ersetzten.  Im  J.  1857  übernahm  Max  Seifriz 
das  Kapellmeisteramt,  und  von  da  an  datirt  die  Anerkennung,  dass  die  fürstl. 
hohenzollern'sche  Kapelle  die  tüchtigste,  wohlgeübteste  und  leistungsfähigste  in 
Deutschland  sei,  ein  Buhm,  den  sie  zum  guten  Theile  der  hauptsächlichen  Be- 
schäftigung mit  "Werken  der  neuesten  Schule  von  Berlioz ,  Volkmanu ,  Liszt 
u.  s.  w.  verdankt,  die  in  Vollendung  nur  von  einem   Tonkörper    ersten  Banges 


64  Fraguier  —  Franceschi. 

auszuführen  sind.  Da  der  gastfreie  Haushalt  des  Fürsten  unausgesetzt  die 
ausgezeichnetsten  Tonkünstler  nach  der  lileineu  schlesischen  Stadt  zog,  und  da 
der  Besuch  der  Aufführungen  der  Kapelle  Jedermann  unentgeltlich  frei  stand, 
so  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  von  dort  aus  auch  ein  vort heilhafter  Eiufluss  auf 
das  Musiklehen  der  ganzen  Provinz  vermittelt  wurde.  F.'s  Munificenz  über- 
haupt in  allen  künstlerischen  Dingen  war  unbegrenzt  und  wurde  von  den  An- 
hängern der  von  ihm  begünstigten  neuen  Musikrichtung  vielfach  stark  in  An- 
spruch genommen.  Aber  alle  diese  Herrlichkeit  endete  wie  mit  einem  Schlage 
und  wurde  bald  beinahe  zum  Märchen,  als  der  Fürst  am  3.  Septbr.  1869  kin- 
derlos auf  seinem  Grute  Polnisch-Nettkow  in  Schlesien  starb  und  die  Mitglieder 
der  berühmten  Kapelle  nach  allen  Richtungen  hin  zerstoben.  —  F.  selbst  be- 
sass  übrigens  eine  tiefere  musikalische  Bildung,  die  weit  über  das  Maass  ge- 
wöhnlicher Kunstkennerschaft  hinausging.  In  seinen  früheren  Jahren  ist  er 
zudem  ein  vortrefflicher  Sänger  und  ebenso  Coraponist  melodiöser  und  aus- 
drucksvoller Lieder  gewesen,  die  zum   Theil  im  Druck  erschienen  sind. 

Friedrich,  der  letzte  Markgraf  zu  Brandenburg-Culmbach,  gestorben  1771, 
war  Virtuose  und  Cumponist  auf  der  Flöte  und  als  solcher  ein  Schüler  des 
berühmten  Döbbert.  Kaum  war  er  zur  Selbstständigkeit  gelangt,  als  er  eine 
Kapelle  von  auserlesenen  Sängern  und  Virtuosen  gründete  und  bis  zu  seinem 
Tode  unterhielt.  Ausser  einem  grossartigen  Opernhause  errichtete  er  in  Bai- 
reuth  eine  Akademie  der  Musik,  an  welcher  er  selbst  als  Mitglied  unter  Döb- 
bert's  Direktorium  Theil  nahm.  Von  seinen  Compositionen  ist  ein  Lauten- 
concert  mit   Quartettbegleitung  erhalten  geblieben. 

Friedrich  von  Uauseu,  deutscher  Minnesinger  aus  der  letzten  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts,  war  vom  Rheine  gebürtig,  begleitete  den  Kaiser  Friedrich  I., 
mit  dem  er  in  vei'trauteren  Verhältnissen  gestanden  zu  haben  scheint,  nach 
Italien  und  auf  dessen  Kreuzzug  nach  Palästina,  fand  aber  schon  in  dem  Treffen 
bei  Philomelium  in  Kleinasien  1190  seinen  Tod.  Viele  seiner,  die  Minne  und 
die  Kreuzfahrt  besingenden  Lieder  sind  erhalten  geblieben  und  zeigen  bei  an- 
sprechenden Gredanken  die  Kunstform  der  höfischen  Dichter  in  einem  noch 
hoffnungsvollen  Entwickelungszustande. 

Friedrich  von  Sonueuburg'  oder  Suoueuburg-,  ein  deutscher  fahrender  Säuger 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  in  alten  Liederhandschriften 
»Meister«  genannt  und  daher  wohl,  trotz  seines  Namens,  weder  adelig,  noch 
den  eigentlichen  Minnesingern  zuzuzählen.  Die  Zahl  seiner  erhalten  gebliebenen 
Gresänge  ist  ziemlich  beträchtlich;  sie  beziehen  sich  theils  auf  die  Fürsten  und 
Höfe,  die  er  auf  seinen  vielen  Wanderungen  besuchte  und  deren  Kargheit  gegen 
die  Sänger  und  die  Kunst  er  heftig  tadelt,  theils  sind  sie  religiösen  und  be- 
schaulichen Inhalts. 

Friedrich,  E.  Ferdinand,  hervorragender  deutscher  Ciavierspieler  und 
fleissiger  Saloucomponist,  geboren  1816  zu  Wiedrau  bei  Leipzig,  erhielt  in 
letzterer  Stadt  seine  erste  musikalische  Ausbildung  und  kam  dann  zu  einem 
mehrjährigen  Aufenthalte  nach  Paris,  wo  er  einigen  Unterricht  von  Chopin 
erhielt.  In  den  Jahren  1844  bis  1846  machte  er  einige  Kuustreisen,  ohne 
indessen  grösseres  Aufsehen  zu  erregen  und  Hess  sich  1847  in  Hamburg  nieder, 
wo  er  auf  Bestellungen  der  Verleger  hin  eine  grosse  Reihe  von  modernen  Cla- 
vierstücken  besserer  Ai-t  nach   und  nach   schuf. 

Friedrich,  Ignatz,  Benedictinermönch  und  Violin-  und  Violoncellovirtuose, 
geboren  1719  zu  Prag,  entstammte  der  dortigen  altadeligen  Familie  von  Friede- 
berg und  erhielt  eine  sorgfältige  Erziehung,  sowie  den  Musikunterricht  des 
berühmten  Johann  Stamitz.  Nach  Vollendung  seiner  theologischen  Studien 
wurde  er  Senior  des  Convents  zu  Wahlstadt  in  Schlesien  und  Chordirektor 
daselbst.  Seine  Virtuosität  wurde  auch  von  Friedrich  dem  Grrossen  in  schmeichel- 
hafter Art  anerkannt.  Als  Componist  italienisirte  F.  seinen  deutschen  Staram- 
namen  in  Pacemonti  und  soll  zahlreiche  Concerte  und  Parthien  für  seine 
Instrumente    geschrieben    haben,    die    aber  verloren   gegangen  zu  sein  scheinen. 


Friedrich  —  Frigchmuth.  65 

da  man  ausser  zweien  Offertorien  in  Walilstadt  nichts  mehr  von  seinen  Wei-lcen 
aufgefunden  hat.  F.  starb  am  8.  Jan.  1788  zu  Prag,  wo  er  in  der  letzten 
Periode  seines  Lebens  als   Gesang-  und  Yiolinlehrer  thätig  gewesen  wai-. 

Friedricli,  Johann  Jacob,  ein  deutscher  Fagottvirtuose,  der  1727  als 
Mitglied  der  kaiserl.  Hofkapelle  iu  Wien  aufgeführt  wird. 

Friedrich,  Joseph,  deutsche]-  Oi'gelvirtuose,  geboren  am  14,  Octbr.  1764 
zu  Neisse,  widmete  sich,  nach  Absolvirung  des  (jrymnasialcursus  in  seiner  Vater- 
stadt von  1782  bis  1784  wissenschaftlichen  Studien  auf  der  Universität  zu 
Breslau.  Jedoch  folgte  er  endlich  seiner  lange  gehegten  Vorliebe  für  die  Musik 
und  nahm  ernstliche  Kuuststudien  auf.  Schon  im  J.  1790  erhielt  er  die  zweite 
Organistenstelle  au  der  vereinigten  Dom-  und  Kreuzldrche  zu  Breslau,  und 
1819  wurde  er  erster  Organist  an  der  so  eben  zur  Pfarrkirche  erhobenen  Kirche 
zum  heiligen  Kreuze.  Nächst  Grottwald  galt  er  damals  für  den  grössten  Orgel- 
virtuosen Schlesiens,  und  erst  das  siegreiche  Auftreten  Friedr.  Wilh.  Berner's 
drängte  auch  ihn  in  den  Hintergrund.  Jedoch  überlebte  er  seinen  gefeierten 
Nebenbuhler  noch  lange,  denn   er  war  noch   1836   am  Leben. 

Friedrichs,  Madame,  geborene  Holst,  eine  ausgezeichnete  und  berühmte 
Harfe nvirtuo sin,  geboren  1808  in  London,  trieb  schon  frühzeitig  Ciavierspiel, 
bis  die  Kenntnissnahme  der  Harfe  in  Concerten  ihr  eine  begeisterte  Vorliebe 
für  dieses  Listrument  einflösste,  in  Folge  dessen  sie  bei  Bochsa  einen  erfolg- 
reichen Unterricht  nahm.  Ihr  erstes  öffentliches  Auftreten,  1828  in  London, 
war  ein  so  glänzendes  und  beifallbelohntes,  dass  sie  ei*muntert  wurde,  der  Kunst 
treu  zu  bleiben  und  auch  nach  ihrer  Verheirathung  1832,  auf  Kunstreisen  durch 
Deutschland  (1835),  Bussland  (1837),  Frankreich,  Italien  und  Holland  (seit 
1839),  wo  sie  als  Virtuosin  gefeiert  wurde,  niemals  Grund  fand,  ihren  Ent- 
schluss  zu  bereuen.  In  London,  wo  sie  ihren  festen  Wohnsitz  hatte,  liess  sie 
sich  noch   sehr  häufig  hören  und  bildete  auch  einige  talentvolle   Schüler  aus. 

Fries,  Johann,  Theologe  und  Schriftsteller,  geboren  1505  zu  Greiffensee 
bei  Zürich,  gestorben  1565  zu  Zürich,  hat  u.  A.  speciell  im  musikalischen  In- 
teresse veröffentlicht:  y>Isa(joge  musicae  etc.a  (Basel,   1554). 

Friese,  Christian  Friedrich,  deutscher  Violinist,  der,  gemäss  dem  Di'es- 
dener  Hof-  und  Staatskalender  von  1729,  in  damaliger  Zeit  Mitglied  der  königi. 
polnischen  und  kurfürstl.  sächsischen  Hof  kapeile  war. 

Friese,  Friedrich  Franz  Theodor,  Organist  zu  Doberan,  ist  der  Her- 
ausgeber des  Choralwerks  »Die  gebräuchlichsten  Choräle  der  Mecklenburg- 
Schwerin'schen  Kirche,  vierstimmig  mit  Zwischenspielen«  (Leipzig,   1841). 

Friese,  Heinrich,  Organist  zu  Nordhausen  zu  Anfange  des  18.  Jahr- 
hunderts, stellte  zusammen  und  veröffentlichte  ein  Choralgesangbuch  (Nord- 
hausen,  1712). 

Friker,  Johann  Ludwig,  aucb  Fricker  geschrieben,  um  1750  als  Prediger 
im  Herzogthume  Württemberg  angestellt,  hat  eine  »auf  authentischen  Principien 
beruhende  Theorie  der  Musik«  aufgestellt,  die  von  der  Euler'schen  wesentlich 
verschieden  war.  —  Ein  anderer,  nicht  näher  bekannter  F.  aus  älterer  Zeit 
wird  als  Componist   der   bekannten  Melodie   zu   dem   Choraltext   »0    dass  doch 

bald  dein  Feuer  u.  s.  w.«  (d  g  fis  g  ßs  a  c  a  fis  g  d  genannt. 

Frischliu,  Nicodemus,  ein  berühmter  deutscher  Philolog  und  lateinische!' 
Dichter  des  16.  Jahrhunderts,  geboren  am  22.  Septbr.  1547  zu  Balingen  in 
Württemberg  und  nach  einem  bewegten  Leben  als  Gefangener  am  29.  Novbr. 
1590  auf  dem  Schlosse  Hohenurach  gestorben,  hat  u.  A.  eine  «Oratio  de  encomio 
musicaev.  geschrieben.     Vgl.  das  compr.  Gelehrten-Lexikon.  t 

Frisclimuth,  Johann  Christian,  deutscher  Componist  und  Dirigent,  ge- 
boren 1741  zu  Schwabhausen  im  Gothaischen,  erwarb  sicli  seine  musikalische 
Bühnenpraxis  als  Musikdirektor  verschiedener  herumreisender  Schau^pielerge- 
sellschafteu  und  kleinerer  Theater.  Einige  Jahre  lebte  er  liierauf  in  Gotha, 
bis  er  nach  Berlin  zog,  wo  er  1785  Musikdirektor  des  Dö])blin'scheu  Theaters 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    IV.  5 


66  Frisiua  —  Fritz. 

und  1787  Kapellmeister  neben  Wessely  am  Nationaltlieater  wurde.  In  dieser 
ehrenvollen  Stellung  starb  er  am  31.  Juli  1790  zu  Berlin.  Für  das  Theater 
hat  er  mehrere  beifällig  aufgenommene  Operetten  und  Singspiele,  als:  »Die 
kranke  Frau«,  »Clarisaa«,  »Das  Modei-eich«  u.  s.  w.,  ausserdem  aber  noch  Ciavier- 
sonaten, Violiiiduette  und  kurz  vor  seinem  Tode  nocli  »12  Airs  poiir  deux  Vio- 
lonsv.  componiit.  —  Ein  künstlerischer  Zeitgenossi-.  war  Leonhard  F.,  der 
um  1770  in  Amsterdam  lebte  und  als  Clavierlehier  und  Coniponist  daselbst 
sehr  geschätzt  war.  Derselbe  vc^rüffentlichte  u.  A.  eine  Elementar-Clavierschule 
in  holländischer  Sprache,  ferner  melirere  Sammlungen  kleiner  Ciavierstücke, 
Trios  für  Ciavier,  Flöte  und  Bass,  für's  Ciavier  arrangirte  Violincuncerte  von 
Tartini   ii.  s.  w. 

Frisins,  s.  Fries. 

Frisoni,  Lorenzo,  italienischer  Priester  und  Componist  zu  Mailand  zu 
Anfange  des  17.  Jahrluuuhirts,  gab  Goncerti  a  1,  2,  3  ^  4  voci  (Mailand,  1625) 
und  einen  -»Trattato  ild  (Janto  fermu«.  (Mailand,  1G28)  heraus.  Vgl.  FicinelU, 
Ateneo  dci  Letterati  Milanrsiu.  p.  399.  t 

Fritelli^  Fauste,  italienischer  Minoritenmönch  und  Kirchenkapellmeister 
zu  Siena  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  errichtete  daselbst  um 
1740  eine   öffentliche   Musikscliule. 

Fritst'li,  Balthasar,  um  l.'')80  in  Leipzig  geboren  und  zu  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  als  Instrumentalmusiker  wirlouid,  hat  nach  Draudii  Bibl. 
Class.  auch  zwei  Musikwerke:  nFrimitiae  musicales<.(.  (Frankfuit  h.  M.,  1606) 
und  »Newe  Teutsche  Gesang,  nach  Art  der  welschen  Madrigalien  mit  fünf 
Stimmen«   (Lcäpzig,    1608)  veröflFentlicht.  f 

Fritsch,  Louis,  fertiger  deutscher  Pianist,  geboren  am  28.  Juli  1809  zu 
Eisleben,  machte,  nachdem  er  in  seiner  .Tugend  bereits  Ciavierspiel  gründlich 
getrieben  hatte,  seine  höheren  musikalischen  Studien  bei  Friedr.  Schneider  in 
Dessau,  in  welcher  letzteren  Stadt  er  sich  auch  als  Musiklehrer  niederliess. 
Seine  Unteirichtsmethode  war  eine  so  gediegene,  dass  von  fernher  Schüler  zu 
ihm  kamen,  und  dass  er  auch  mit  dem  Titel  eines  Hofpianisten  als  Ciavier- 
lehrer der  herzoglichen  Kinder  angestellt  wurde.  Er  starb  im  J.  1862  zu 
Dessau  und  soll  viele  Compositiouen  liinterlassen  haben.  Im  Drxick  erschienen 
sind  von   deraitigen   seiner  Arbeiten  nur  zwei  Idyllen  für  Pianoforte. 

Fritsch,  Thomas,  deutscher  Geistlicher  und  zugleich  eigner  der  vorzüg- 
lichsten Tonkünstler  des  ganzen  16.  Jahrhunderts,  geboren  am  25.  Aug.  1563 
zu  Görlitz,  wo  sein  gleichnamiger  Vater  Physicus,  Doctor  der  Medicin  und 
Philosophie  war.  Nach  dem  Tode  des  Joh.  Hencius  wurde  F.  vom  Convente 
seiner  Vaterstadt  nach  vorangegangenen  gelehrten  Studien  zum  Magister  er- 
nannt, vom  Erzbischof  von  Prag  bestätigt  und  hierauf  in  ein  böhmisches  Kloster 
versetzt.  Aus  demselben  kam  er  später  Jiach  Breslau  und  starb  daselbst  als 
Kreuzherr  mit  dem  rothen  Stern  im  Matthiaskloster.  Cunradus  u.  A.  besangen 
schwungvoll  seine  ausgezeichnete  musikalische  Begabung  und  Thätigkeit;  von 
allen  seinen  Werken  findet  sich  aber  nur  noch  ein  r>Opus  musiciim  von  5,  6,  8, 
9   und  mehreren  Stimmeu,   auf  alle  Festtage  zu  gebr.iuchena  (Leipzig,  1614)  vor. 

Fritsche,  Gottfried,  kurfürstl.  sächsicher  Orgelbauer  zu  Dresden,  zählte 
beim  Beginn  des  17.  .lahrhunderts  zu  den  berühmtesten  Meistern  seiner  Kunst, 
aus  dessen  Händen  die  grossen  "Werke  in  der  Schlosskirchc  zu  Dresden  (1614), 
in  der  Trinitatiskircho  zu  Sondershausen  (1616),  welches  aber  schon  am  3.  Juni 
1630  verbrannte,  und  dus  in  der  Marie-Magdalenenkirche  zu  Hamburg  (1629) 
hervorgingen.  Nach  dem  Zeugnisse  des  Prätorius  u.  A.  waren  dies  zugleich 
die  besten   Orgeln  im  ganzen  damaligen  Deutschland. 

Fritz,  Berthold,  deutscher  Ciavierbauer,  geboren  1697  auf  einem  kleinen 
Dorfe  bei  Braunschweig,  wo  sein  Vater  Müller  war  und  den  Sohn  für  die 
gleiche  Lebensbeschäftiguiig  bestimmte.  F.'s  ungewöhiüiches  Talent  für  Mechanik 
brach  aber  bald  sich  Bahn,  sodass  er  in  seinen  Freistunden  sich  ohne  jed- 
wede Anweisung  Weber.stühle,  kleine  Positive,   Uhren   mit  Flötenwerken  u.  dgl. 


Fritz  —  Frizzi  67 

anfertigte.  Darauf  folgteu  Claviere  und  endlich  gar  Flügel  mit  Federn  und 
Hämmern.  Schliesslich  zog  er,  nachdem  er  schon  400  solcher  Instrumente 
verfertigt  hatte,  nach  Braunschweig  und  Hess  sich  daselbst  als  Instrumenten- 
macher und  Mechanicus  nieder.  Bis  zu  seinem  Tode,  am  17.  .Juli  1776,  war 
er  unablässig  auf  die  Verbesserung  der  Ciavier-  und  Flügelmechanik  bedacht, 
und  seine  Instrumente  waren  bis  weit  nach  Hussland  hinein  stark  begehrt. 
Eine  wichtige  Schrift  von  ihm,  betitelt:  »Anweisung,  wie  man  Orgeln,  Clavecins 
u.  s.  w.  nach  einer  mechanischen  Art  in  allen  zwölf  Tönen  ganz  rein  stimmen 
könne«  (Braunschweig,  1757,  weitere  Auflagen  1758  —  1780)  war  noch  lange 
nach  seinem  Tode  ein  gesuchter  und  geschätzer  Buchartikel. 

Fritz,  Joachim  Friedrich,  ein  aus  Brandenburg  gebürtiger  deutscher 
Componist  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  hat  nacli  Draudii  Bibl. 
Class.  nFia  commonef actio  vom  Jüngsten  Gericht,  für  fünf  Stimmen«  (Grraitz, 
1588),  den  94.  Psalm  für  fünf  Stimmen  (Grraitz,  1588)  und  »New  geistliche 
Tricinia,  mit  drei  Stimmen  zu  singen«  (Nürnberg,  1594)  herausgegeben.  Von 
den  beiden  erstgenannten  Werken  sind  in  der  königlichen  Bibliothek  zu  Mün- 
chen noch  Exemplare  befindlich.  t 

Fritz,  Kaspar,  ein  vorzüglicher  Violinist  des  18.  Jahrhunderts,  geboren 
1716  zu  Genf,  war  ein  Schüler  von  Somis  in  Turin  und  wegen  d(T  Energie 
und  des  Feuers  seines  Spiels  weithin  berühmt.  Er  starb  1782  in  seiner  Vater- 
stadt Genf  und  hinterliess  Sinfonien,  Streichquartette,  Solos  und  Duos  für 
Violine,  ein  Clavierconcert,  Variationen  für  Ciavier  u.  s.  w.,  die  schon  bei  seinen 
Lebzeiten  im  Druck  erschienen  sind.  Ein  ihm  vielfach  zugeschriebenes  theo- 
retisches Werk,  betitelt  nObservaiions  sur  les  principes  de  Vharmoniev.  hat,  nach 
Fetis,    Jean  Adam  Serre    zum  Verfasser. 

Fritzeri,  s.  Fridzeri. 

Fritzsch,  E.  W.,  eine  im  J.  1866  gegründete  Musikverlagshandlung  in 
Leipzig,  die  mit  Eifer  und  Erfolg  bestrebt  ist,  den  Werken  von  jüngeren  Ta- 
lenten der  neuesten  Richtung  in  der  Musik  Bahn  zu  brechen.  Werthvolle 
Compositionen  von  J.  ßheinberger,  Svendsen,  Thieriot,  Grieg,  H.  von  Herzogen- 
berg, Cornelius  u.  s.  w.  haben  daselbst  nicht  blos  ihren  Verlagsort,  sondern 
auch  eine  Stätte  gefunden,  von  der  aus  sie  energisch  in  die  OefFentlichkeit  ge- 
führt wurden.  Von  Buchartikeln  dieser  Firma,  die  ausserdem  seit  1870  eine 
den  entschiedensten  fortschrittlichen  Tendenzen  huldigende  Zeitsclirift  unter  dem 
Titel  »Musikalisches  Wochenblatt«  herausgiebt,  dürften  die  1873  zum  Abschluss 
gelangten  »Gesammelte  Schriften  und  Dichtungen«  von  Rieh.  Wagner  (9  Bde.) 
die  wichtigsten  sein.  Der  Gründer  und  Inhaber  der  Handlung,  Ernst  Wil- 
helm F.,  geboren  am  24.  Aug.  1840  zu  Lützen,  besuchte  von  1857  bis  1860 
das  Leipziger  Conservatorium,  lebte  hierauf  als  praktisclier  Musiker  in  Bern 
und  übernahm  1866  die  Musikalienhandlung  von  C.  Bomnitz  in  Leipzig.  Zu 
gleicher  Zeit  trat  er  als  Mitglied  in  das  Orchester  des  Gewandhauses.  Seiner 
rückhaltlosen  Verehrung  für  Rieh.  Wagner  und  der  daraus  hervorgegangenen 
engen  geschäftlichen  Verbindung  mit  diesem  Meister  verdankt  F.  hauptsächlich 
den  weit  verbreiteten  Ruf,  den  er  sich  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  er- 
worben hat. 

Fritzsch,  Martin,  ein  ums  Jahr  1593  zu  Dresden  lebender  Musiker,  gilt 
als  Componist  des  dem  Caspar  Fugger  zugeschriebenen  Choraltextes:  »Wir 
Christenleut  etc.«  dessen  Melodie:  g  h  a  y  beginnt.  Der  erste  Einzelnabdruck 
des  Liedes  stammt  aus  dem  J.  1589  als  Nummer  einer  »Comödie  von  der  Ge- 
burt Christi«,  die  am  Brandenburger  Hofe  unter  Johann  Georg  im  genannten 
.Tahre  aufgeführt  worden  ist.  Zuerst  als  Choral  findet  sich  dieses  Lied  im 
Dresdner  Gesangbuch  von  1594. 

Frivolo  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  leicht,  leicht- 
fertig. 

Frizzi,  B.,  Arzt  und  Ingenieur  zu  Triest,  ist  musikalisch  bekannt  durch 
seine   Schrift:   nDisserfazione  di  bioijrajla  mnsicale<   (Triest,   1805). 

5* 


68  Frobese  —  Fröhlich. 

Frobese,  ein  Sänger,  der  in  den  Jahren  von  1706  bis  1708  zu  Berlin  in 
königl.  preussischen  Diensten  stand  und  bei  Gelegenheit  der  damals  begangenen 
Hochzeitsfestliclikeiten  bei  Hofe  namhaft  gemacht  wird. 

Fröhlich,  Friedrich  Theodor,  talentvoller  und  fruchtbarer  Componist, 
geboren  am  25.  Febr.  1803  zu  Brugg  im  schweizerischen  Canton  Aargau,  er- 
hielt durch  seinen  Vater,  einen  Lehrer  der  dortigen  Stadtschule,  eine  sorg- 
fältige wissenschaftliche  Erziehung,  Musik  nebenbei  betreibend.  Vom  Gym- 
nasium zu  Zürich  ging  F.  im  Herbst  1822  nach  Basel,  um  auf  dortiger  Hoch- 
schule die  Rechte  zu  studiren.  Seine  Musikliebc  trieb  ihn  schon  damals  dazu, 
in  Concerten  mitzuwirken,  Lieder  und  Ciavierstücke  zu  setzen,  ja  sogar  als 
Naturalist  ein  Passiousoratorium  zu  componii-en.  Zu  Ostern  1823  bezog  er 
die  Universität  zu  Berlin,  wo  er  so  mächtige  musikalische  Anregungen  fand, 
dass  er  in  den  heftigsten  Zwiespalt  zwischen  Neigung  und  Lebensberuf  gerieth, 
in  Folge  dessen  erkrankte  und  im  Sommer  1825  in  seine  Heimath  reisen 
musste.  Hier  gab  er  sich  der  Tonkunst  ganz  hin ,  componirte  fleissig  und 
gründete  einen  Gesaugverein,  den  er  leitete,  sowie  eine  Streichquartett-Gesell- 
schaft, in  welcher  er  mitwirkte.  Dadurch  auf  ihn  aufmerksam  geworden,  schickte 
ihn  die  Regierung  seines  Cantons  auf  ihre  Kosten  nach  Berlin,  wo  er  von 
1826  bis  1830  bei  Zelter,  Beruh.  Klein  u.  s.  w.  gründliche  musikalische  Stu- 
dien machte  und  überhaupt  die  künstlerischen  Genüsse  der  Hauptstadt  ganz 
und  voll  auf  sich  einwirken  lassen  konnte.  Als  städtischer  Musikdirektor 
wurde  er  hierauf  nach  Aarau  zurückberufen  und  docufaentirte  seine  Geschick- 
lichkeit und  seinen  Fleiss  dadurch,  dass  er  nicht  allein  einen  Vocal-  und  einen 
Instrumentalverein  heranzog  und  leitete,  den  Gesangunterricht  an  der  Canton- 
und  Stadtschule  gab  und  viele  Privatlectionen  ertheilte,  sondern  sich  auch  nocli 
eifrig  mit  compositorischen  Arbeiten  befasste  und  Sinfonien,  ein  Passions-  und 
AVelhnachts-Oratorium,  eine  Pfingstcantate,  ein  zwölfstimmiges  Miserere,  20 
Motetten,  50  Chorlieder  und  zahlreiche  ein-  und  mehrstimmige  Gesänge  schrieb, 
welche  letzteren  auch  zum  Theil  im  Druck  erschienen.  Bewundernswerth  er- 
scheint diese  Leistungsfähigkeit,  wenn  man  bedenkt,  "dass  F.  nur  eine  sechs- 
jährige amtliche  Thätigkeit  vergönnt  war,  denn  er  starb  schon  am  16.  Oktbr. 
1836  zu  Aarau. 

Fröhlich,  Georg,  ein  musikliebender  Dilettant  des  16.  Jahrhunderts,  um 
1500  zu  Läunitz  geboren,  war  anfänglich  in  kurpfälzischen,  und  dann  zehn 
Jahre  in  nürnbergischen  Kanzleidiensten.  Darauf  lebte  er  zwölf  Jahre  als 
Stadtschreiber  und  Kanzleidirektor  zu  Augsburg,  wurde  jedoch  1548  vom  Kaiser 
Karl  V.  entlassen,  privatisirte  längere  Zeit  in  Kaufbeueru  und  wurde  1554 
wieder  nach  Augsburg  berufen.  Der  Tod  muss  ihn  aber  in  jener  Zeit  ereilt 
haben,  denn  er  hat  letzterwähnte  Stellung  nicht  angetreten.  F.  hat  eine  Ab- 
handlung »Vom  Preiss,  Lob  und  Nutzbarkeit  der  lieblichen  Kunst  Musika« 
(Augsburg,  1540)  veröffentlicht,  die  in  Beyschlag's  r>Sylloge  variorum  ojmsculorumv. 
(Halle,    1728),    im    dritten  Fascikel    des   ersten  Bandes   abgedruckt   sich    findet. 

t 
Fröhlich,  Joseph,  gediegener  deutscher  Componist  und  hochbedeutender 
didaktischer  und  theoretischer  Musikschriftsteller  wurde  am  28.  Mai  1780  zu 
Würzburg  geboren.  Nachdem  er  seinen  Vater,  einen  Schulrector  und  gründ- 
lichen Musikkenner,  schon  um  1784  vei-loren  hatte,  wurde  er  1792  in  das  Er- 
ziehungsinstitut für  arme  Studirende  im  Juliushospitale  zu  Würzburg  gebracht, 
wo  er  auch  tüchtigen  musikalischen  Unterricht  erhielt,  so  dass  er  1801  als 
wirkliches  Mitglied  in  der  fürstbischöfl.  Hofkapelle  Aufnahme  fand  und  seine 
musikalisciien  Uebungen  gründlich  weiterführen  konnte.  Jedoch  vernachlässigte 
er  seine  wissenschaftlichen  Studien,  Philosophie  und  Rec])tskunde,  keineswegs. 
Im  J.  1804  wurde  er  in  Folge  dessen  zum  Direktor  des  Harmonie-Musik- 
instituts an  der  Universität  erhoben  und  trat  zugleich  als  Privatdocent  in  die 
Section  der  allgemeinen  Wissenschaften  ein.  Dies  Musilcinstitut  verdankt  ihm 
seine    hohe  Blüthe,    indem    er    es    nach   mehreren  Jahren  zu  einer  allgemeinen 


Fröhlich  —  Frohberger.  69 

Landesschule  der  Musik  umgestaltete,  welche  seitdem  viele  tüchtige  Musiker 
heranerzog  und  auf  die  musikalischen  Zustände  in  Baiern,  die  durch  Aufhebung 
der  Klöster  (1811)  sehr  herabgekommen  waren,  segensreich  und  hebend  mit 
einwirkte,  dies  nicht  allein  durch  Unterricht  von  Seminarlehrern  und  Musik- 
talenten überhaupt,  die  sich  in  manchem  Studienjahre  bis  zu  300  Zöglingen 
zusammenfanden,  sondern  auch  durch  Musterauffülirungen  auf  dem  Gebiete  der 
geistlichen  und  weltlichen  Tonkunst.  Um  der  Gesammtbildung  die  nöthige 
Einheit  und  nachhaltige  Einwirkung  zu  ermöglichen,  schrieb  er  eine  umfassende, 
von  der  Regierung  adoptirte  und  empfohlene  allgemeine  Musik methode, 
welche  sich  auf  alle  Musikzweige,  auf  Harmonie,  Gesang,  die  Lehre  aller 
Orchesterinstrumente  und  die  Direktion  von  Instrumental  -  und  Vocalchören 
ausdehnt.  Auf  wissenschaftlichem  Gebiete  war  F.  bereits  1811  zum  ausser- 
ordentlichen Professor  der  philosophischen  Facultät  und  im  Laufe  der  Folge- 
zeit zum  ordentlichen  Lehrer  der  Aesthetik  und  Pädagogik  an  der  "Würzburger 
Universität,  sowie  zum  Mitgliede  des  Kreis- Scholarchats  im  unteren  Mainkreise 
ernannt  worden.  In  seinen  Vorlesungen  verfehlte  er  nie,  den  Einfluss  der 
Musik  auf  Erziehung  und  Rhetorik  zu  betonen  und  zu  beleuchten ;  sein  System 
einer  Encyclopädie  der  Musik-  und  Gymnasialstudien  verdient  noch  heute  der 
Berücksichtigung  des  Staats  empfohlen  zu  werden.  F.  starb  als  Rector  und 
Professor  bei  der  philosophischen  Facultät  zu  Würzburg  am  5.  Januar  1862. 
—  Von  seinen  Compositionen  sind  erschienen:  eine  Serenade  für  Yioline,  Flöte, 
Clarinette  und  Fagott,  Duos  für  Olarinette  und  Violine,  ein  vierhändiges  Clavier- 
concert,  Sonaten  für  Pianoforte  und  Violine  u.  s.  w.  Ausser  diesen  Instru- 
mentalwerken hinterliess  er  im  Manuscript:  Sinfonien,  eine  Oper,  zahlreiche 
Cantaten  u.  s.  w.  Gediegene  Musikartikel  und  Recensionen  von  ihm  befinden 
sich  in  der  Leipz.  allgem.  musikal.  Zeitung,  in  der  Zeitschrift  »Cäcilia«  und 
in   der  grossen  Encyclopädie  von  Ersch  und  Gruber. 

Fröhlich,  Nanette,  treffliche  und  talentvolle  Pianistin  und  Sängerin,  ge- 
boren 1797  zu  "Wien,  erhielt  ihren  ersten  musikalischen  Unterricht,  ebenso  wie 
ihre  beiden  weiterhin  genannten  Schwestern  beim  Chorregenten  Hanss  und 
machte  bei  Siboni  gründliche  Gesangstudien.  Nachdem  sie  als  Ciavierspielerin 
vielfach  öffentlich  mit  Beifall  aufgetreten  war,  wurde  sie  1819  als  Gesanglehrerin 
an  das  "Wiener  Conservatorium  berufen  und  wirkte  auch  in  diesem  Fache  lange 
mit  ausgezeichnetem  Erfolge.  —  Ihre  Schwester,  Barbara  F.,  geboren  1799 
in  "Wien,  als  Altsängerin  hochgeschätzt,  verheirathete  sich  mit  dem  Flöten- 
vii'tuosen  Ferd.  Bogner  und  wurde  später  Musikmeisterin  am  adeligen  Fräu- 
leinstift zu  Heruals  bei  Wien.  —  Die  jüngste  Schwester,  geboren  1805  in 
Wien,  machte  ihre  höheren  Gesangstudien  im  Wiener  Conservatorium,  wo  ihre 
Schwester  Barbara  zugleich  ihre  Hauptlehrerin  war.  Nicht  ohne  Erfolg  debütirte 
sie  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Institute  als  Bühnensängerin  in  Sopran- 
parthien  und  begab  sich  hierauf,  um  sich  noch  mehr  zu  vervollkommnen ,  zu 
Siboni,  der  in  Kopenhagen  ansässig  geworden  war.  Nach  erneutem  zweijährigem 
Studium  trat  sie  mit  grösstem  Beifalle  auf  Kunstreisen  durch  Dänemark,  Schwe- 
den und  Norwegen  als  Concertsängerin  auf  und  wandte  sich  1829  nach  Italien, 
wo  sie  besonders  in  den  Theatern  zu  Venedig  (1829)  und  Mailand  (1831)  sich 
mit  ausserordentlichem  Erfolge  hören  Hess.  Mit  dem  Titel  einer  königl.  däni- 
schen Kammersängerin  kehrte  sie  hierauf  nach  Wien  zurück,  wo  sie  Gesang- 
unterricht ertheilte  und  bei  grösseren  Aufführungen  sich  als  Solistin  betheiligte. 

Fröschel,  ein  in  London  wirkender  deutscher  Mechanikus,  der  ums  J.  1795 
der  Harmonika  einen  Klangboden  zufügte,  wodurch  er  nicht  nur  dem  Basse 
derselben  eine  ungemeine  Stärke,  sondern  auch  allen  andern  Tönen  des  In- 
struments eine  grössere  Klarheit  verlieh.  Die  erste  in  dieser  Art  gebaute 
Harmonika  wurde  von  Marianne  Kirchgässner  1796  öffentlich  vorgeführt.  Vgl. 
Hamburger  Correspond.  vom  November  1796.  t 

Frohberger,  Johann  Jacob,  neben  Buxtehude  der  ausgezeichnetste  und 
berühmteste    deutsche  Orgel-    und  Clavierspieler   des  17.  Jahrhunderts  und  als 


70  Prolinleichnam. 

Virtuose  der  Vorläufer  Joh.  Seh.  Bach's,  sowie  seines  Landsmannes  Händel, 
wurde  um  1(i35  zu  Halle  geboren,  wo  sein  Vater  Stadtcantor  war  und  dem 
Sohne  walirsclunnlioli  auch  den  ersten  Musikunterricht  crtheilt  hat.  Durch  Ver- 
niitteluii.t,'  des  schwodischcii  Gesandten  Ijoim  deutschen  Reiche,  welcher  auf  seiner 
Durchreise  den  Knaltjüii  hörte  und  von  der  schönen  Sopranstirame  desselben 
entzückt  war,  kam  F,  um  1550  nach  AVien,  wo  sich  der  Kaiser  Ferdinand  III. 
seiner  annahm  und  ihn  behufs  höherer  Musikausbildung  nach  Rom  zu  Fresco- 
baldi  schickte.  Was  F.  diesem  unvergleichlichen  Meistor  verdankte,  war  hoch- 
bedeutend,  so  dass  er  alsbald  nach  seiner  Rückkehr  aus  Italien  1655  vom  Kaiser 
zum  jloforganisten  in  Wien  ernannt  wurde.  Sein  Spiel  war  grossartig,  wie  man  es 
in  DeutschhiiHl  l)isher  noch  niemals  gehört,  und  die  Kunst,  sämmtlicho  Register 
zu  verbinden,  das  Pedal  wirkungsvoll  anzuwenden  und  über  ein  Thema  stunden- 
lang in  den  kunstreiclisten  Combiiiationcn  zu  präludiren,  soll  in  hohem  Grade 
sein  ausschliessliches  Eigenthum  gewesen  sein.  Auch  -das  Ciavier  verstand  er 
nicht  minder  kunstfertig  zu  behandeln,  wie  er  denn  auch  zu  den  Ersten  gehört, 
die  für  dieses  Instrument  geschmackvoll  zu  setzon  verstanden.  Sein  Künstlor- 
ruhm verbreitete  sich  von  Wien  aus  so  schnell  und  weit,  dass  fremde  Höfe 
häufige  Einladungen  an  ihn  ergehen  Hessen.  So  Hess  er  sich  auch  in  Dresden 
vor  dem  Kurfürsten  .lohann  Georg  II.  hören,  dem  er  zugleich  die  zum  Vor- 
trag gebrachton  18  Stücke,  als  Suiten,  Toccaten,  Capriceu  und  Ricercaten  im 
Manuscript  überreichte  und  dafür  mit  einer  goldenen  Ehrenkette  belohnt  wurde. 
Im  J.  1602  nahm  F.  in  Wien  einen  längeren  Urlaub,  um  in  Paris  und  Lon- 
don aufzutreten.  Von  dieser  Kunstreise  weiss  man  mit  Gewissheit  nur  soviel, 
dass  sie  mit  Abenteuern  verknüpft  war,  indem  der  junge  Meister  zweimal,  auf 
französischem  Gebiete  und  in  der  Nordsee,  Räubern  in  die  Hände  fiel  und  im 
ärmlichsten  Aufzuge  endlich  in  London  anlangte.  Was  eine  gespreizte  Phan- 
tasie mit  den  dürftigsten  Notizen  zu  beginnen  vermag,  und  wie  eine  solche 
wissenschaftliche  Werke  blasphemirt,  das  beweist  die  behaglich  breite  Darstel- 
lung dieser  Reise  bis  auf  Fetis  und  noch  weiter,  ganz  besonders  in  Schilling's 
Universallexikon.  In  London  soll  F.  unerklärlicher  Weise  erst  längere  Zeit 
als  Balgtr(!ter  beim  Hoforganiston  gedient  haben,  ehe  er  erkannt  und  mit  den 
grössten  Ehren  überhäuft  wurde.  Fest  steht,  dass  er  mit  englischem  Golde 
reich  beladen  nach  AVien  zurückkehrte,  dort  jedoch  erfahren  niusste,  dass  er 
die  Gunst  des  Kaisers  vollständig  verloren  habe.  Im  höchsten  Grade  gekränkt, 
forderte  er  selbst  seine  Entlassung,  die  er  unter  ehrender  Anerkennung  seiner 
Wirksamkeit  als  Hoforganist  und  Lehrer  schnell  erhielt  und  zog  sich  nach 
Mainz  zurück,  wo  er  verschollen  und  von  der  Welt  fast  vergessen,  um  1695 
starb.  —  Von  seinen  Compositioncn  hat  F.  keine  einzige  voröJBFentlicht.  Erst 
nach  seinem  Tode  erschienen  im  Druck:  »Diverse  curiose  e  rarissime  partitc  di 
Toccate,  Ricercaie,  Gapricce  e  Fantasie  etc.  per  gli  amatori  (H  cemhali,  organi  ed 
isfromcntidi  (Mainz,  1695,  2.  Aufl.  1699)  und  ^Diverse  ingejnosissime,  rarissime 
c  noii  mai  pih  eiste  curiose  partile  di  Toccate,  Canzone,  Micercate,  Allemande  c 
Gigue  di  cemhali,  organi  ed  istromenfiu  (Mainz,  1714).  Ausserdem  besass,  wie 
Gerber  lichauptot,  Mattheson  handschriftlich  ein  merkwürdiges  Werk  in  vier 
Theilon ,  in  welchem  F.  »seine  wundersamen  Fata  und  Reise- Aventüren  musi- 
kalisth  exprimiret«.  Den  grössten  Schatz  F.'scher  Compositioncn  besitzt  die 
Hofbibliuthek  in  Wien  im  Manuscript,  nämlich:  VII  Toccate,  V  Oapricce  e 
Canzone  in  155  Blättern  und  Lihro  secondo,  tcrzo  c  quarto  di  Toccate,  Fantasie, 
Canzone,  Allemande  ed  altre  Partite,  zusammen  222  Blätter,  von  denen  ganz 
besonders  bemerken swerth  die  letzte  Partite  des  zweiten  Buchs,  eine  Art  Va- 
riationen, überschrieben   »Auf  die  Mayerin«   sein  möchte. 

Frohiileichaam  oder  Fronleiehuam  (altdeutsch),  d.  i.  des  Herrn  Leib  (lat.: 
corpus  domini  Jesu  Christi),  bezeichnet  die  geweihte,  nach  dem  Lehrbegriffe  der 
katholischen  Kirche  in  den  wirklichen  Leib  Jesu  verwandelte  Hostie.  Die  zu- 
folge dieser  Lehre  seit  dem  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  herrschend  gewordene 
Anbetung  der  geweihten  Hostie  und  insbesondere  eine  Erscheinung,  welche  die 


Froid  —  Fromm.  71 

belgische  Nonne  Juliana  gehabt  haben  wollte,  veranlasste  zunächst  den  Bischof 
Robert  von  Lüttich  1246,  die  Hostienverehrung  durch  ein  Fest  für  seine  Diöcese 
anzuordnen,  worauf  Papst  Urban  IV.  durch  eine  Bulle  vom  J.  1264  der  ganzen 
Christenheit  befahl,  jenes  Fest  als  Frohnleic  hnamsfest  (Festum  corporis 
Okristi)  zu  feiern.  Ausgeführt  wurde  dieser  Befehl  aber  erst,  nachdem  er  auf 
dem  Concil  zu  Vienne  im  J.  1311  durch  Papst  Clemens  V.  von  Neuem  ein- 
geschärft worden  war.  Seitdem  ist  das  Fest  des  F.  das  glänzendste  unter  den 
Festen  der  katholischen  Kirche  geworden.  Der  Natur  der  Sache  nach  müsste 
dasselbe  auf  den  Grründonnerstag  fallen;  da  es  aber  auf  ein  Freudenfest  abge- 
sehen war,  das  sich  zur  Gharwoche  schlecht  schickte,  so  wurde  als  feststehender 
Tag  der  Donnerstag  nach  dem  Trinitatisfeste  festgestellt.  Grosse  Prozessionen, 
auf  welche  allerlei  Lustbarkeiten  folgen,  sollen  diesem  Feste  sein  besonderes 
Grepräge  verleihen.  Nach  allgemeiner  Annahme  rührt  das  poetisch-musikalische 
Officium  der  ganzen  Festlichkeit  von  Thomas  von  Aquinum  her,  welcher  vom 
Papste  eigens  damit  betraut  worden  war.  Die  F.-Prozession  ist  die  feierlichste 
im  ganzen  Jahre  und  wird  am  Festtage  nach  dem  Hochamte,  dann  am  achten 
Tage  und  an  vielen  Orten  auch  am  Sonntage  nach  dem  Donnerstag  liegangen 
und  zwar  in  der  Art,  dass  sie  sich  bei  günstiger  Witterung  auch  ausserhalb 
der  Kirche  durch  die  Strassen  und  Fluren  bewegt.  Die  Betheiligung  des 
Säugerchors  daran  besteht  in  der  Absingung  von  bezüglichen  Hymnen,  von 
denen  die  Ritualien  namentlich  nPaiigc  lingual.  ^  aSacris  solemniis«,  nVerhitm 
swpernum  prodtens«.  und  nSalufis  humanae  satora  bezeichnen.  In  Deutschland 
und  einigen  anderen  Ländern  ist  es,  trotzdem  das  römische  Ritual  es  keines- 
wegs vorschreibt,  Gebrauch,  das  sogenannte  Allcrheiligste  während  des  Festzugs 
an  vier  geschmückten,  altarähnlichen  Tischen  (Stationen)  niederzusetzen,  die 
Anfangsverse  der  vier  Evangelien  zu  singen,  darauf  kurze  Gebete  zu  verrichten 
und  ehe  der  Zug  weiter  sich  bewegt,  den  Segen  zu  ertheilen.  ■ —  Das  Rituale 
Ratisbonense  bezeichnet  das  Amt  des  Sängerchors  bei  dieser  Prozession  folgen- 
dermassen:  nChorim  musicus,  deinde  crax  saemdarisa,  d.h.  vor  dem  Kreuze,  das 
dem  Säcularclerus  vorgetragen  wird,  gehen  die  Sänger  (in  Chorkleidung);  ynluvi 
sacerdos  discedit  ah  altari,  clerus  vel  sacerdos  cantare  incipii  hymnutn:  Fange 
lingua.  Absoluta  hymno,  possunt  cani  psalmi  aliquot,  huic  festo  congruentes,  uH: 
Gredidi,  Laudate  dotimium  de  coelis  etc.,  vel  Sequentia:  Lauda  Sion.  Qutim  ad 
primum  (secundum)  altare  perventum  fuerit,  canitur  aliquod  Mottetum  vel  Be- 
sponsorium.fi  Hierauf  hat  der  Chor  nur  auf  die  l)ekannten  Versikel  zu  ant- 
worten. Beim  Weggang  vom  ersten  Altare  singt  der  Chor  den  Hymnus: 
■nSacris  solemniisu,  beim  Verlassen  des  zweiten  und  dritten  Altars  die  Hymnen: 
»  Verhum  supernumt   und   »Salutis  humanae  satorn. 

Froid,  ein  französischer  Componist  und  Musiklehrer  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts,  über  den  der  Mercure  galant  vom  J.  1678  p.  55  be- 
richtet: y-iUn  komme  fort  consomme  vn  musique  et  qui  fait  de  tres  habiles  ecoliers, 

t 
Fromm,  Andreas,  ein  deutscher  Theologe,  der,  geboren  um  1620  in  der 
Mark  Brandenburg,  gestorben  als  Magister  und  Musiklehrer  zu  Strahow  am 
16.  Octbr.  1683,  ein  l)ewegtes  Leben  führte,  dessen  Binzelnheiten  das  comp. 
Gelehrten-Lexikon  miitheilt.  Er  veröffentlichte  an  dem  Orte  seiner  ersten  Be- 
rufsthätigkeit,  Stettin,  1649  einen  musikalischen  Actus  »öe  Dioite  et  Lazarov 
mit  14  Stimmen  für  zwei  Chöre  und  einen  nDialogum  Fentecostalem<t  für  zehn 
Stimmen.  f 

Fromm,  Emil,  irefflielier  deutscher  Orgelspieler  und  Componist,  geboren 
am  29.  Januar  1835  zu  Sprcmberg  in  der  Niederlausitz,  machte  seine  höheren 
musikalischen  Studien  auf  dem  königl.  Institute  für  Kirchenmusik  in  Berlin, 
unter  der  speciellen  Leitung  von  A.  W.  Bach,  Grell  und  Schneider,  worauf  er, 
mit  vorzüglichen  Zeugnissen  ausgestattet,  1859  Cantor  an  der  OI)crkirchc  und 
Geeanglehrer  am  Gymnasium  zu  Cottluis  wurde.  In  dieser  Stellung  zeichnete 
er  sich  zugleich    als  Couipouist    und  Dirigent   eines  von  ihm  gegründeten  Ge- 


72  Frommann  —  Frosch. 

sangvereius  so  aus  und  erwarb  sich  um  daß  musikalische  Leben  in  der  Stadt 
seines  Berufs  solche  Verdienste,  dass  ihm  vom  Ministerium  1866  der  Titel 
eines  königl.  Musikdirektors  verliehen  wurde.  Im  J.  1869  erhielt  F.  den  Ruf 
als  Organist  an  St.  Nicolai  in  Flensbui'g,  in  welcher  Stadt  er  abermals  einen 
ergiebigen  Wirkungskreis  für  seine  echt  künstlerischen  Bestrebungen  fand.  Von 
seinen  zahlreichen  Compositionen  kennt  man  ein  Oratorium  »die  Kreuzigung 
des  Herrn«,  zwei  Passionscantaten,  Gesänge  und  Lieder  und  besonders,  da  durch 
den  Druck  verbreitet  und  vortheilhaft  bekannt  geworden,  Stücke  verschiedener 
Schwierigkeit  und   Studienwerke  für   Orgel. 

Frommann,  Johann  Christian,  deutscher  Arzt  und  als  koburgischer 
Landphysikus  und  Professor  angestellt,  veröffentlichte  einen  lateinisch  geschrie- 
benen Tractat  »De  Fasciiiatio7ie«  (Nürnberg,  1675),  in  dessen  erstem  Buche 
P.  I.  Sect.  IL  Cap.  3:  »De  musicae  vi  in  animata,  hrufa,  homines,  spiritus  et 
morhosoi  wissenschaftlich  erörtei't  wird.  t 

Fromme,  Valentin,  deutscher  Theologe,  geboren  am  22.  Febr.  1601  zu 
Potsdam,  studirte  zu  Wittenberg  und  starb  als  Superintendent  am  2.  April 
1679  zu  Alt-Brandenburg.  In  seiner  1665  herausgegebenen  Schrift  •nlsagoge 
philosopJiicaK  im  3,  Buche  handelt  er  u.  A.  auch  ausführlicli  über  Musik,     f 

Frommelt,  A.,  Prediger  an  der  Garnisonkirche  zu  Berlin,  ist  der  Compo- 
uist  von  Liedern  und  zahlreichen,  in  der  Zeit  von  1821  bis  1835  erschienenen 
angenehmen  Rondos,  Potpourris,  Tänzen  u.  s.  w.  für  Pianoforte,  die  zu  ihrer 
Zeit  bei  den  Dilettanten  sehr  beliebt  waren.  Ausserdem  hat  er  eine  Schrift 
über  die  Würde  und  den  civilisatorischen  Beruf  der  Musik  veröffentlicht. 

Frondnti,  Giovanni  Battista,  ein  italienischer  Compouist  aus  Gubbio, 
der  1709  für  das  Theater  zu  Terni  die  Musik  zu  dem  Drama:  r>Impegna  degli 
dei  per  le  glorie  cVEnea^i  geliefert  hat.  f 

Front  (vom  \ai.  frons^  d.  i.  Stirn),  s.  Orgelfront. 

Front  nennt  man  ein  kurzes  Feldstück,  das  bei  den  Waffenübungen  in  der 
deutschen  Armee  in  folgender  Klaugweise  seine  Verwerthuug  findet: 


^^^-^ 


2. 

Front-,  Prospect-,  Fj^ade-rfeifen  nennt  man  alle  in  der  Anschauungsfläche 
einer  Orgel  aufgestellten  Schallröhren,  die  derartig  geordnet  werden,  dass  sie, 
in  Feldern  und  Thürraen  gruppirt,  auf  das  Auge  architektonisch  einen  wohl- 
gefälligen Eindruck  machen.  Die  F.,  wenn  sie  klingend  sind,  fertigt  nian  ge- 
wöhnlich aus  reinem  englischen  Zinn  mit  aufgeworfenen  Labien  an  und  polirt 
sie  recht  hell,  damit  sie  den  Einflüssen  der  Luft  mehr  trotzen;  seltener  finden 
blinde,  versilberte,  aus  Holz  nachgebildete  Pfeifen  hierzu  Anwendung.  AVenii 
man  in  frülierer  Epoche  aus  den  verschiedensten  Orgclstimmen  einzelne  TiügQ 
als  F.  benutzte,  so  hat  man  dagegen  in  neuerer  Zeit  dieser  Gewohnheit  ent- 
sagt und  setzt  nur  offene  Principalpfeifen  dahin,  weil  diese  in  der  Orgel  herr- 
schenden Register  am  stärksten  wirken  sollen  und  von  hier  aus  unbehindert 
ihren  Klang  an  den  Schallraum  geben  müssen.  Besonders  trieb  man  im  17. 
Jahrhundert  einen  Luxus  in  der  Ausputzung  der  F.  Man  vergoldete  oft  die 
in  jedem  Hauptfelde  befindliche  grösste  Pfeife  und  formte  Aufschnitt  (s.  d.) 
und  Labien  (s.  d.)  wie  ein  hässliches  Mcnschenantlitz,  weshalb  solche  Pfeifen 
gewöhnlich  Monstres  genannt  wurden;  jetzt  sucht  man  durch  die  einfachste 
Gestaltung  und  Anordnung  der  F.  dem  veredelten  Zeitgeschmacke  zu  genügen. 

2. 

Frontispice  oder  Fronton  (franz.,  ]Ai.:  froniispicium),  s.  Principal. 

Frontori,  Luigi,  italienischer  Tonkünstler,  geboren  1805  zu  Cento,  war 
Kapellmeister  in  Frosinone  und  hat  als  solcher  im  J.  1831  ein  Buch  ver- 
öffentlicht, welches  den   Titel  führt:  y>Le  trenta  Ire  giornate  musicali  etc.v 

Frosch  (franz.:    hausse)   ist   die  Benennung   eines  Theiles   des  bei  Geigen- 


Frosch  —  Frovo.  73 

Instrumenten  verwendeten  Bogens.  Dieser  am  unteren  Ende  befindliche,  ge- 
wöhnlich aus  Ebenholz  oder  Elfenbein  gefertigte  Bogentheil,  der  in  früherer 
Zeit  wahrscheinlich  die  Gestalt  eines  E.'s  hatte,  dient  dazu,  die  Pferdehaare, 
welche  in  demselben  eingeleimt  sein  müssen,  nach  Belieben  spannen  zu  können, 
was  mittelst  einer  Schraube  geschieht,  die,  sich  in  einer  in  dem  F.  befindlichen 
Mutter  bewegend,  eine  bis  ins  Kleinste  gewünschte  Regelung  gestattet.  Die 
Grösse  des  E.  ist  bedingt  durch  die  Grösse  des  ißogens.  —  Eerner  wenden  die 
Orgelbauer  diesen  Ausdruck  für  kleine  hölzerne,  keilförmige  Klötze  an,  durch 
welche  die  Koppelung  zweier  Manuale  bewirkt  wird.  Diese  Klötzchen,  zwischen 
den  Manualen,  die  sie  koppeln  sollen,  beweglich  befestigt,  haben  die  Breite 
einer  Taste,  erhalten  zur  Höhe  die  Entfernung  der  beiden  zu  koppelnden  Ma- 
nuale und  an  einem  Ende  die  volle  Breite  der  Entfernung,  welche  die  bei  der 
Koppelung  vorwärts  oder  rückwärts  zu  schiebende  Tastatur  zwischen  den  bei- 
den Ruhelagen  zeigt.  Durch  die  Tastaturverschiebung  müssen  sich  die  be- 
weglich befestigten  E.  zwischen  beiden  Manualen  hoch  richten  und  den  ganzen 
Raum  zwischen  denselben  ausfüllen,  damit,  wenn  man  auf  eine  Taste  des  Ober- 
manuals drückt,  die  darunter  befindliche  des  TJntermanuals  sich  ebenso  tief 
nieder  bewegt.  Ausführlicheres  über  die  Anwendung  der  E.  in  der  Orgelbau- 
kunst findet  man  in  dem  Artikel  Schiebekoppel.  Erösche  mit  bis  über 
ihre  Mitte  hinausgehenden  Einschnitten  nennt  man  Gabeln  oder  aucli 
Scheeren-Koppelhölzer  und  spricht  demgemäss  auch  von  einer  Gabel- 
koppel (s.  d.).  2. 

Frosch,  Johann,  latinisirt  Eroschius,  deutscher  Theologe,  ist  der  Ver- 
fasser eines  Tractats:  r>Rerum  musicalum  opusculum  rarum  ac  insigne  etc.« 
(Strassburg,  1535),  welches  wahrscheinlich  nach  seinem  Tode  erschienen  ist.  Der- 
selbe, für  den  Jugendunterricht  bestimmt,  giebt  in  neunzehn  Kapiteln  nur  den 
Gesang  Betrefi'endes  und  wird  von  Eorkel  als  theilweise  sehr  gut  gearbeitet 
bezeichnet.  Wichtig  sind  die  am  Ende  angefügten,  überdies  auch  prachtvoll 
gedruckten  vier-  und  sechsstimmigen  Beispiele.  —  Auch  ein  Componist  Namens 
F.  ist  aus  jener  Zeit  anzuführen,  von  dem  eine  Sammlung  weltlicher  Lieder 
1548  erschienen  ist,  wovon  sich  ein  Exemplar  noch  in  der  Zwickauer  Bibliothek 
vorfindet.  Wahrscheinlich  war  der  erstgenannte  E.  der  bekannte  Carmeliter- 
mönch  aus  Bamberg  und  Doctor  der  Theologie,  der  1533  als  Pastor  zu  Nürn- 
berg an  St.  Sebald  gestorben  ist,  doch  lassen  sich  gegen  diese  Annahme  fast 
ebensoviel  berechtigte  Gründe  als  dafür  anführen.  f 

Froschauer,  Johann,  dessen  deutschen  Namen  statt  des  in  den  Wörter- 
büchern corrumpirten  Frosche ure  erst  Eetis  retabliren  musste,  war  einer  der 
ältesten  deutschen  Notendrucker.  Er  arbeitete  in  der  Zeit  von  1496  bis  1501 
in  Augsburg,  wo  er  auch  sein  erstes  Notenwerk,  Mich.  Kiensbeck's  oder  Kein- 
speck's  •üLilium  musicae  planaev.  druckte,  welches,  wie  Stetten  in  seiner  Kunst- 
geschichte behauptet,  mit  in  Holz  geschnittenen,  unbeweglichen  Noten  ange- 
fertigt gewesen  sei. 

Frovo,  Joao  Alvarez,  portugiesischer  Musikgelehrter  und  Kirchencom- 
ponist,  geboren  1608  zu  Lissabon  und  daselbst  1671  als  Kapellan  und  Biblio- 
thekar des  Königs  Johann  IV.  gestorben,  hat  folgende  theoretische  Werke 
geschrieben:  Speculum  universale,  in  quo  eooponuntur  omnium  ibi  contentormn 
auctorum  loci,  uhi  de  quolihet  musices  genere  disserimt,  vel  agunt.a  Tom.  I.  IL 
(1651);  fiTheorlca  e  Practica  da  Musicaa;  ytBreve  explicagad  da  Musicaa  und 
nDiscorsos  soire  la  perfegao  do  diatessaron  etc.a  (Lissabon,  1662).  Nur  das 
letztere  seiner  Werke  scheint  gedruckt  zu  sein,  die  andern  befinden  sich  als 
Manuscript  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Lissabon.  Auch  als  Componist  hat 
F.  sich  durch  mehrere  Hymnen,  Messen,  Lamentationen,  Psalmen  und  Respon- 
sorien  hervorgethan,  jedoch  scheinen  nur  wenige  derselben  noch  in  Bibliotheken 
versteckt  zu  sein.  Vgl.  Machado  Bibl.  Lus.  Tom.  II  p.  586  und  v.  Blanken- 
burg's  Zusätze  zu  Sulzer  Band  IL  Seite  517.  t 


74  Früh  —  Fry. 

Früh,  Grottlieb,  ein  guter  Ciavier-  und  Orgelspieler,  geboren  zu  Mühl- 
hausen um  1750,  war  daselbst  Organist  an  der  Hauptkirche  zu  St.  Blasius 
und  gab  1783  sechs  leichte  Ciaviersonaten  seiner  Coraposition  heraus.  Im 
Manuscript  findet  man  von  ihm  in  Thüringen  noch  hin  und  wieder  einige 
Harfenconcerte,  Sonaten  und  Orgelvorspiele  vor.  —  Aus  seiner  Familie  stammt 
Armin  Leberecht  F.,  geboren  am  15.  Septbr.  1820  zu  Mühlhausen.  Derselbe 
erhielt  neben  der  höheren  Gymnasialbildung  in  seiner  Vaterstadt  einen  guten 
musikalischen  Unterricht.  Um  Theologie  zu  studiren,  bezog  er  1840  die  Uni- 
versität zu  Jena  und  ein  Jahr  später  die  zu  Berlin.  Die  musikalischen  An- 
regungen, die  in  Berlin  auf  ihn  einwirkten,  äusserten  einen  so  starken  Ein- 
druck auf  ilm,  dass  er  sein  Fachstudium  aufgab  und  sich  ganz  der  Musik 
widmete,  zu  welchem  Zwecke  er  u.  A.  bei  S.  W.  Dehn  Unterricht  im  Contra- 
punkt nahm.  Nach  Vollendung  seiner  Vorbereitung  liess  er  sich  in  Berlin 
als  Gresanglehrer  nieder  und  beschäftigte  sich  eifrig  mit  der  Composition.  Im 
J.  1857  erfand  er  einen  Apparat,  von  ihm  Semeio-Melodicon  genannt,  der 
den  Elcmentar-Musikunterricht,  besonders  in  Schulen,  durch  Vereinigung  der 
sichtbaren  Notengestalt  mit  ihrer  hörbaren  Bedeutung  erleichtern  sollte.  Durch 
einen  Druck  des  Fingers  nämlich  auf  den  Notenkopf  wurde  der  Ton  der  Note 
hörbar,  und  dem  lernenden  Gesangschüler  wurde  so  durch  die  Wahrnehmung 
des  Gesichts  und  Gehörs  zugleich  der  Ton  und  seine  Lage  eingeprägt.  Ge- 
nauer über  diese  Erfindung  ergeht  sich  ein  Artikel  in  der  Neuen  Bei'liner 
Musikztg.,  Jahrg.  1857  Nr.  23  und  24.  F.  begab  sich  mit  diesem  Apparate 
auf  Reisen,  und  es  gelang  ihm,  überaus  günstig  lautende  Gutachten  von  Fetis, 
Moscheies,  Steph.  Heller,  Auber,  Halevy,  Dreyschock,  Gathy,  dem  Berliner  Ton- 
künstlerverein, dem  Pariser  Conservatorium  u.  s.  w.  zu  erhalten,  auf  welche 
gestützt,  er  im  Frühjahr  1858  nach  Dresden  zog,  um  eine  eigene  Fabrik  für 
seine  Apparate  zu  gründen.  Dieses  Unternehmen  scheint  jedoch  an  der  Gleich- 
gültigkeit der  musikalischen  Welt  gegen  diese  Erfindung  gescheitert  zu  sein. 
F.  selbst  lebt  seit  jener  Zeit  in  Dresden  als  Componist  und  Musiklehrer.  Von 
seinen  Compositionen  sind  durch  den  Druck  oder  durch  öffentliche  Vorführungen 
bekannt  geworden:  eine  Sinfonie,  Gesänge  und  Lieder  und  die  Opern:  »Die 
Bergknappen«,  »Die  beiden  Figaro«,  »Der  Stern  von  Granada«,  »Nachtigall  und 
Savoyarde«. 

Friihof,  Heinrich  Wilhelm,  ein  musikgebildetcr  Dilettant,  geboren  am 
15.  Jan.  1800  zu  Rudolstadt,  zeichnete  sich  als  guter  Ciavier-  und  Orgelspieler 
aus  und  hat  auch   Claviercompositionen  verschiedener  Art  veröffentlicht. 

Friibwald,  Joseph,  trefflicher  deutscher  Gesanglehrer,  geboren  am  19.  Jan. 
1783  im  Pfarrbezirk  der  niodcrösterreichischen  Stiftsherrschaft  Göttweih,  war 
seit  seinem  10.  Jahre  Chorknabe  in  der  Benedictiner-Abtei  Göttweih,  wo  er 
gleichzeitig  musikalischen  Unterricht  erhielt.  Im  J.  1798  kam  er  nach  Wien, 
wo  er  bald  darauf  für  kleine  Tenorparthien  im  Leopoldstädter  Theater  engagirt 
wurde,  hauptsächlich  aber  als  Kirchensänger  wirkte.  Von  Salieri  empfohlen, 
wurde  ihm  1807  ein  Platz  im  Personal  der  Hofoper.  Zehn  Jahre  später  er- 
hielt er  die  Stelle  eines  Professors  der  Gesang-Elementarklassc  am  Wiener 
Conservatorium  und  später,  nach  Philipp  Körner's  Tode,  zugleicli  diejenige 
eines  Gesanglehrcrs  der  Sängirknaben  der  k.  k.  Hofkapelle  und  eines  ersten 
Choralisten. 

Frnytiers,  Jan  (oder  Jean),  flamändischer  Dichter  und  Musiker  der  zwei- 
ten Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  lebte  um  1565  zu  Antwerpen,  und  veröffent- 
lichte u.  A.  daselbst:  n Ecclesiasticus  oft  the  irise  sproken  Jesu  des  soons  Si/rach 
etc.i-i  (Antwerpen,   1565). 

Fry,  William,  einer  der  vorzüglichsten  der  national-amerikanischen  Com- 
ponisten,  geboren  1815  zu  New- York,  schrieb  zahlreiche  Orchesterwerke  und 
Opern,  die  in  seiner  Heimath  liochgtschätzt  waren,  aber  nicht  bis  nach  Europa 
gelangt  sind.     F.  selbst  starb  im  J.  1865  in  Havanna. 


P.-ScUüssel  —  Fuchs.  75 

F.-Schlilssel  (franz.:  clef  de  fa;  ital.:  cUave  di  fa),  ein  Zeichen,  welches 
aus  einem  kreisförmigen  Zuge  besteht,  um  die,  von  unten  gez<ählt,  vierte  Linie 
des  Notensystems  geschlungen  wird  und  anzeigt,  dass  auf  dieser  Linie  das  f 
zu  notiren  ist.     Da  dadurch,    dass  f  auf  einer   oberen  Linie    notirt  wird,   den 

f  r  f  f 

-T)-Ht •- 


^S^c,>ftr:^^^-z=|pggg^zc^^-^^ 


gangbarsten  tiefei'en  Tönen  (Bass)  des  Tonreichs  die  Möglichkeit  geschaffen 
ist,  meist  innerhalb  des  Systems  eine  Stelle  zu  erhalten,  so  giebt  man  dem  F. 
auch  den  Namen  Bassschlüssel.  Ehemals  setzte  man  diesen  Schlüssel  auf 
die  dritte,  vierte  oder  fünfte  Linie,  je  nachdem  die  Klänge,  welche  notirt  wer- 
den sollten,  höher  oder  tiefer  lagen,  und  nannte  dem  entsprechend  den  letzteren 
den  tiefen-,  den  ersteren  den  hohen-  und  den  mittleren  schlechtweg  den 
Bassschlüssel.  Alle  drei  Schlüssel  findet  man  noch  häufig  in  Notendrucken 
aus  dem   16.  und  17.  Jahrhundert  vertreten.      S.  auch  Notenschrift.        0. 

Fuchs,  Aloys,  einer  der  gründlichsten  deutschen  Musikkenner  und  aus- 
übenden Dilettanten,  geboren  am  23.  Juni  1799  zu  Naase  im  österreichischen 
Schlesien,  war  der  Sohn  eines  Schullehrers,  von  dem  F.  die  Anfangsgründe 
des  Singens  und  Ciavierspiels  erlernte.  In  seinem  11.  Jahre  wurde  er  als 
Sängerknabe  in  das  Minoritenkloster  zu  Troppau  gebracht,  woselbst  er  sechs 
Jahre  hindurch  neben  den  Schulwissenschaften  auch  Generalbass,  Orgel-  und 
Violoncellospiel  treiben  durfte  und  wegen  seines  vom  Blattlesens  und  seines 
unfehlbaren  Treffens  im  Gesang  in  Ansehen  stand.  Im  J.  1816  bezog  er  die 
Universität  zu  Wien,  um  die  Rechte  und  Philosophie  zu  studiren.  Als  armer, 
auf  sich  selbst  angewiesener  Student  gab  er  vielfach  Unterricht  und  machte 
sich  durch  sein  Musiktalent  bei  Gesangvereinen  und  öffentlichen  Aufführungen 
sehr  nützlich.  Dies  brachte  ihn  in  den  Verkehr  mit  zahlreichen  einheimischen 
und  fremden  Künstlern,  die  sein  Musikwissen  sehr  förderten.  Auch  im  Clavier- 
und  Violoncellospiel  brachte  er  es  damals  bis  zur  Bedeutsamkeit.  Im  J.  1823 
fand  F.  eine  Anstellung  im  Staatsdienste  und  wurde  im  Laufe  der  Zeit  Con- 
cept-Adjunkt  im  k.  k.  Hofkriegsrath  zu  Wien.  Als  Beamter  musste  er  seine 
Musikübung  auf  die  wenigen  Freistunden  verlegen,  erübrigte  aber  dennoch 
noch  Zeit,  um  auch  Musikgeschichte  zu  studiren.  Die  anhaltende  Beschäftigung 
mit  dem  biographischen  Theil  derselben  brachte  ihn  auf  die  Idee,  sich  eine 
Autographensammlung  besonders  der  Musikwerke  berühmter  Componisten  aller 
Völker  und  Zeiten  anzulegen.  Mit  beharrlicher  Geduld,  mit  Geldopfern  und 
wissenschaftlich  systematisch  verfahrend,  gelang  es  ihm,  einen  Manuscriptenschatz 
und  nebenbei  eine  Porträtsammlung  von  Musikern,  Dilettanten,  Instrumenten- 
machern u.  s.  w.  zusammenzubringen,  wie  sie  fast  einzig  in  ihrer  Art  dasteht. 
Aus  diesen  Sammlungen  schöpfte  er  zugleich  vielfach  einen  werthvollen  Stoff 
zu  bisher  ganz  unbekannt  gewesenen  Mittheilungen  über  verschiedene  Meister, 
besonders  über  Gluck,  Mozart,  Haydn  und  Beethoven,  die  er  in  Wiener  und 
Berliner  Musikzeitungen  verwerthete.  F.  und  seine  Sammlungen  wurden  ein 
Centralpunkt  für  den  Wien  besuchenden  Musikforscher,  der  einem  solchen  oft 
reiche  Ausbeute  bot.  F.  starb  am  20.  März  1853  zu  Wien.  Viele  Jahre  hin- 
durch war  er  auch  als  Basssänger  Mitglied  der  Hofkapelle  gewesen.  Seine 
mühsam  zusammengebrachten  Sammlungen  wurden  leider  durch  Einzelverkauf 
überall  hin  zerstreut. 

Fuchs,  Georg  Friedrich,  geschickter  deutscher  Harmoniemusik-Compo- 
nist,  geboren  am  3.  Decbr.  1752  zu  Mainz,  wurde  schon  als  Knabe  zu  fleissi- 
gen  Uebungen  auf  Clarinette,  Fagott  und  Hörn  angehalten  und  erhielt  im 
vorgerückteren  Jugendalter  bei  Cannabich  Compositionsunterricht.  Bald  darauf 
wurde  er  Militär-Musikmeister  in  Zweibrücken,  welche  Stelle  er  1784  aufgab, 
um  sein  Heil  in  Paris  zu  versuchen.     Dort  erwarb  er  sich  durch  seine  Fähig- 


76  Fuchs. 

keiten  und  Kenntnisse  einen  so  guten  Ruf,  dass  er  bei  Gi  ündung  des  Conser- 
vatoriums  den  ersten  zwölf  Lehrern  beigesellt  wurde,  welche  die  Musiker  für 
die  Armeen  der  französischen  Republik  zu  bilden  hatten.  Bei  der  Reform 
dieses  Instituts  im  J.  X.  der  Republik  wurde  er  seiner  Lehrerstellung  enthoben 
und  sah  sicli  ausschliesslich  auf  kümmerliche  Einkünfte  durch  Arrangements 
für  Harmoniemusik  angewiesen.  .  Er  starb  am  9.  Oktbr.  1821  zu  Paris,  fast 
vergessen,  nachdem  er  noch  zwei  Jahrzehnte  zuvor  unter  den  Ersten  seines 
Fachs  geglänzt  hatte.  Seine  Compositionen  bestehen  in  Stücken  aller  Art,  be- 
sonders Märschen  für  Harmouieorchester,  Concerten  für  Flöte,  Clarinette  und 
Hörn,  Quartetten,  Trios  und  Duos  für  Blaseinstrumente  und  auch  sechs  Streich- 
trioB.  Seine  Arrangements  repi'äsentiren  eine  auch  nicht  annähernd  zu  be- 
stimmende gi'osse  Zahl. 

Fuchs,  Heinrich,  vorzüglicher  deutscher  Hornvirtuose  und  fruchtbarer 
Componist  für  sein  Instrument,  geboren  am  18.  Febr.  1791  zu  Dessau,  war  in 
seiner  Vaterstadt  als  herzog],  Kammermusiker  angestellt,  als  welcher  er  am 
14.  März  1849   starb. 

Fuchs,  Julius,  Pianist  und  Organist,  bekannt  als  Organisator  und  Leiter 
von  Monstre-Musikaufführungen ,  wurde  1836  zu  Potsdam  als  Sohn  des  ver- 
dienstvollen Ciavierlehrers  und  Organisten  am  Cadetteninstitut  Greorg  Leberecht 
Dorius  F.  geboren.  Schon  1846  liess  er  sich  als  Pianist  mit  Mendelssohn's 
Gr-moll-Concert  öfiPentlich  in  seiner  Vaterstadt  hören  und  bildete  später  mehrere 
Vereine,  in  deren  Concerten  seine  ersten  Compositionen  zur  Aufführung  gelang- 
ten. Von  1852  bis  1856  Lehrer  und  Organist  beim  königl.  Cadettencorps  zu 
Potsdam,  wurde  er  hierauf  in  derselben  Eigenschaft  nach  Berlin  berufen  und 
machte  sich  dort  durch  eine  zur  150jährigen  Jubiläumsfeier  des  Berliner  Ca- 
dettencorps geschriebene  Festmusik  für  Soldatenchöre  und  Militärmi;sik  in 
weiteren  Kreisen  bekannt.  F.  stiftete  in  Berlin  den  Berliner  Dilettanten-Or- 
chesterverein, sowie  einen  Gesang-  und  Orchesterverein  bildender  Künstler,  mit 
denen  vereinigt  er  grosse  Aufführungen  für  patriotische  Zwecke  und  bei  patrio- 
tischen Gelegenheiten  (1866  beim  Einzüge  der  Truppen  aus  dem  österreichischen 
Kriege  u.  s.  w.)  veranstaltete  und  durch  öffentliche  Aufrufe  auch  das  grosse 
Publikum  zu  thätiger  Mitwirkung  anzuspornen  suchte.  Er  gründete,  um  die 
Massen  für  musikalische  Aufführungen  heranzubilden,  ein  besonderes  Musik- 
institut, dessen  grossartige  Anlage  aber  auf  Capitalien  zählte,  wie  sie  ihm  nicht 
zu  Gebote  standen.  Die  von  Fr.  INIücke  gestiftete  Berliner  Akademie  für 
Männei'gesang  wählte  F.  zum  Direktor,  der  hierauf  in  mehreren  Kirchencon- 
certen  des  Vereins  auch  als  Orgelspieler  öffentlich  auftrat.  Beim  14.  Märki- 
schen Volks- Gesangfeste  1867  wurde  F.  von  64  Vereinen  zum  Direktor  des 
Gesammt-Sängerbunds  erwählt  und  1868  als  Delegirter  zum  nordamerikanischen 
Gesaugfeste  nach  Chicago  entsendet.  Den  vorübergehenden  Aufenthalt  in  Chi- 
cago verwandelte  F.  in  einen  bleibenden,  gründete  eine  Sinfoniekaj^elle  und 
stand  bei  Gelegenheit  der  Humboldt-,  sowie  der  Beethovenfeier  an  der  Spitze 
des  Allgemeinen  Sängerbunds,  mit  dem  er  auch  grosse  Musikaufführungen  zum 
Besten  der  Verwundeten  im  deutsch-französischen  Kriege  veianstaltete.  Bei 
dem  grossen  Brande  in  Clücago  1871  rettete  F.  nichts  als  das  Werk  einer 
fast  zwanzigjährigen  Thätigkeit,  eine  Monographie  über  die  musikalische  Lite- 
ratur. Mit  weiteren  Organisationsplänen  beschäftigt,  lebt  er  noch  gegenwärtig 
in  Chicago.  —  Sein  Halbbruder,  Karl  Dorius  Johannes  F.,  geboren  am 
22.  Oktbr.  18.38  zu  Potsdam,  ist  ein  vorzüglicher  Pianist  und  hat  sich  bereits 
durch  selbstständige  philosophische  Untersuchungen  bedeutende  Verdienste  um 
die  Kunstästhetik  erworben.  Nachdem  er  von  1852  bis  1859  das  Gymnasium 
besucht  hatte,  bezog  er  die  Universität  zu  Berlin  und  studirtc  bis  1864  erst 
Theologie,  dann  Philosophie.  Inzwischen  trieb  er  auch  mit  dem  grössten 
Fleisse  höhere  Ciavierstudien  bei  H.  v.  Bülow  iind  Harmonielehre  bei  Weitz- 
mann,  später  Composition  bei  Kiel.  Als  Hauslehrer,  u.  A.  beim  Maler  Steffek, 
wirkte  er  bis  1869  und  gab  gleichzeitig  an  der  Neuen  Akademie  der  Tonkunst 


Fuchs  —  Führer.  77 

Clavierunterricht.  •  Dort  lernte  er  seine  nachmalige  Gattin  Clara  Werner,  eine 
befähigte  Sängerin,  kennen,  mit  der  er  in  Berlin  und  in  den  Provinzen  Schle- 
sien und  Pommern  Concerte  gab.  Im  Juli  1869  übernahm  F.  die  Organisten- 
stelle an  der  St.  Nicolaikirche  in  Stralsund,  wo  er  seine  auf  Schopenhauer 
begründeten  musikphilosophischeu  Priucipien  ausbaute  und  durch  eine  gehalt- 
volle Dissertation  »Präliminarien  zu  einer  Kritik  der  Tonkunst«  (Stralsund, 
1869)  sich  den  philosophischen  Doctortitel  der  Universität  Grreifswald  erwarb. 
Im  J.  1871  kehrte  F.  nach  Berlin  zurück,  ist  daselbst  als  Pianofortelehrer  und 
als  musikalischer  Schriftsteller  thätig  und  in  Concerten  mit  ausgezeichnetem 
Erfolge  als  geistvoller  Interpret  älterer  und  neviester  Ciavierwerke  aufgetre- 
ten. Als  Mitarbeiter  des  Musikalischen  Wochenblatts  hat  er  sich  in  längeren 
Artikeln  mehrfach  polemisch  gegen  die  moderne  Aesthetik  vernehmen  lassen. 
Ausser  der  genannten  Dissertation,  welche  1870  in  zweiter  Auflage  zu  Leipzig 
erschien,  veröffentlichte  er  an  selbstständigen  Schriften:  »Ungleiche  Vwwandte 
unter  den  Neudeutschen«  (Berlin,  1868)  und  »Virtuose  und  Dilettant,  Ideen 
über  Clavierunterricht  und  über  reproductive  Kunst«  (2.  Aufl.  Leipzig,  1870), 
welche  letztere  eine  zum  Theil  glänzende  Aufnahme  fand.  Der  Veröffentlichung 
entgegen  geht  ein  technisches  Ciavierwerk  F,'s,  betitelt  »Logik  der  Hände«, 
ein  Lexikon  der  elementaren  clavieristischen  Thätigkeit  (Pentachord,  Scalen, 
Drei-  und  Viergriffe),  geordnet  nach  den  Principien  der  Symmetrie  der  Claviatur, 
ferner  nach  dem  der  Congruenz  zwischen  ortsverschiedenen  Tastanlagen  des 
Claviers,  endlich  nach  dem  der  Gradation  der  Schwierigkeiten  und  immer- 
währenden geistigen  Selbstthätigkeit  der  Uebenden.  Anerkennend  hervorzu- 
heben ist  noch,  dass  F.,  obwohl  von  der  sogenannten  neudeutschen  Parthei  in 
der  Musik  begünstigt,  kein  Partheigänger,  sondern  überzeugungsgemäss  nur 
der  Wahrheit  zu  dienen  beflissen  ist. 

Fuchs,  Peter,  trefflicher  Violinvirtuose,  geboren  um  1750  in  Böhmen, 
bildete  sich  in  Prag  aus,  woselbst  er  bereits  1768  eine  Rolle  spielte  und  be- 
gab sich  hierauf  nach  Ungarn.  Im  J.  1794  wurde  er  als  Violinist  der  Hof- 
kapelle in  Wien  angestellt  und  ertheilte  nebenbei  einen  gründlichen  Unterricht 
auf  seinem  Instrumente,  der  ihm  viele  Schüler,  zuführte,  von  denen  mehrere  sich 
später  eines  guten  Rufs  in  der  Musikwelt  erfreuten.  F.  starb  im  J.  1804  zu 
Wien  und  hat  als  Componist  ein  Violinconcert,  Sonaten  für  Violine  und  Vio- 
loncello und  Variationen  für  Violine  hinterlassen,  die  auch  sämmtlich  im  Druck 
erschienen   sind. 

Fnchsschwauz,  ist  der  Name  eines  Vexirregisters,  welches  an  alten  Orgeln 
häufig  vorkam.     Näheres  siehe  unter  Noli  me  tätigere. 

Fiichs,  Ferdinand  Karl,  talentvoller  deutscher  Componist,  geboren  am 
11.  Febr.  1811  zu  Wien,  absolvirte  seine  musikalischen  Studien  am  Conser- 
vatorium  seiner  Vaterstadt  und  trat  zuerst  mit  zahlreichen  Liedern  hervor,  die 
zwar  nicht  von  Tiefe,  aber  von  Sangbarkeit  und  Geschmack  Zeugniss  ablegten, 
so  dass  sie  beliebt  und  in  weiten  Kreisen  bekannt  wurden.  Auch  seine  in  Wien 
zur  Aufführung  gelangte  Oper  »Gutenberg«  bekundete  viele  treffliche  Eigen- 
schaften nach  Seite  des  Angenehmen  und  Fliessenden  hin,  ermangelte  aber 
origineller  Schöpferkraft  gänzlich.  Aehnliches  gilt  von  seiner  zweiten  Oper 
»der  Tag  der  Verlobung«,  die  1842  gegeben  wurde.  F.  vollendete  noch  die 
Oper  »die  Studenten  von  Salamanca«,  die  jedoch  keine  Aufführung  erfuhr,  da 
der  Componist  selbst  schon  am  7.  Jan.  1848  zu  AVien  starb.  Er  hinterliess 
den  Ruf  eines  wahrhaft  edlen  Künstlers,  dessen  Lieder  gänzlicher  Vergessen- 
heit vielleicht  trotzen  werden. 

Führer  (lat.:  dux  oder  suhjectum,  ital.:  guida,  franz.:  sujet)  nennt  man  den 
Hauptsatz  der  Fuge,  das  Fugenthema,  im  Gegensatz  zum  sogenannten  Gefähr- 
ten.    Näheres  unter  K-anon  und  Fuge. 

Führer,  Robert,  vortrefflicher  Orgelspieler  und  hochbegabter  Tonkünstler 
überhaupt,  geboren  am  2.  Juni  1807  zu  Prag,  wo  er  auch,  besonders  unter 
Leitung  Wittasek's,  seine  Musikstudien  machte.     Noch  .Jüngling,  erhielt  er  die 


Y8  Fuellana  —  Füllstimmen. 

Stelle  als  Organist  an  der  Kirche  St.  Veit,  wurde  1830  zum  Lehrer  an  der 
Prager  Organistenschule  und  zehn  Jahre  später  als  Nachfolger  Wittasek's  zum 
Domkapellmeister  ernannt.  Leider  brachte  ihn  ein  fortgesetzt  regelloser  Lebens- 
wandel schon  1843  auch  um  das  letztgenannte  ehrenvolle  Amt,  und  er  begab 
sich,  in  Prag  gemieden,  nach  Salzburg,  Baiern  und  Oesterreich.  Nach  seiner 
Ausweisung  aus  Baiern  brachte  er  einige  Zeit  zu  Braunau  am  Inn  zu,  bis  er 
1857  die  Organistcnstelle  in  Gmunden  und  Ischl  erhielt,  die  er  aber  wieder 
nicht  lange  inne  hatte.  Unstät  weiter  wandernd,  nahm  er  endlich  in  Wien 
einen  bleibenden  Aufenthalt  und  suchte  als  Lehrer  und  Musikschriftsteller  zu 
wirken.  In  bedrängten  Umständen  starb  er  in  einem  Hospitale  zu  Wien  am 
28.  Novbr.  18G1.  —  Von  seinen  Compositionen  erschienen  zahlreiche  Kirchen- 
sachen aller  Art  und  Orgelstücke  im  Druck,  ebenso  theoretisch-didaktische 
Werke,  als:  »Praktische  Anweisung  zum  regelrechten  Erlernen  des  Pedalge- 
brauchs auf  der  Orgel«;  »Musikalisch-liturgisches  Handbuch  zum  Gebrauch  für 
Chordinktoren«;  »Praktische  Anleitung  zu  Orgelcompositionen«;  »Die  melodisch- 
harmonische Verbindung  der  Tonarten  nach  den  einfachsten  und  natürlichsten 
Formen«;  »Lehrgang  zur  Erlernung  der  Hai'monie  und  des  Oeneralbasses«; 
»Anweisung  zum  Präludiren«  u.  s.  w.  Ausserdem  sind  noch  Musikzeitungs- 
artikel über  ähnlich(!  Fragen  von  ihm  zu  verzeichnen.  Di(>  Leichtfertigkeit, 
welche  sein  Leben  und  Schaifen  bezeichnet,  hat  dem  Wei'the  seiner  Arbeiten 
grossen  Abbruch  gethan, 

Fnellaua,  Michael  de,  auch  Fuenllana  geschrieben,  ein  spanischer,  von 
seiner  Jugend  an  blinder  Tonkünstler  des  1(5.  Jahrhunderts  aus  Navalcarnero 
bei  Madrid,  veröffentlichte  Stücke  für  Viola  unter  dem  Titel:  nOrfenica  lyra, 
lihro  (Je  Musica  para    Viguelaa  (Sevilla,  1554).  t 

FUUpfeife  ist  die  häufig  gebrauchte  Benennung  für  eine  nicht  klingende 
(blinde)  Pfeife,  die  nur  zur  Ausfüllung  des  Raumes  oder  als  Zierrath  mit  in 
der  Orgelfront  steht. 

Fiillquiutc  hiess  und  heisst  noch  jetzt  mitunter  eine  1,66  Meter  gross  ge- 
fertigte Principalstimme,  die  wahrscheinlich  ihrer  Grösse  und  ihres  scharfen 
Klanges  wegen  diese  Benennung  erhielt.  Diese  Stimme  muss  in  ein  Haupt- 
manual gesetzt  werden,  das  viele  starke  Stimmen  führt,  indem  es  diesen  eine 
vorzügliche  Fülle  zu  verleihen  vermag.  Schilling  in  seinem  »TJniversallexikon 
der  Tonkunst«  sagt  von  der  Wirkung  der  F.,  dass  diese  Stimme  in  Verbindung 
mit  Principal,  1  und  1,25  Meter  gross,  in  schnellen  Passagen  benutzt,  einen 
2,5  Meterton  von  ganz  eigenthümlichem  und  nicht  unangenehmem  Charakter  gebe. 

2. 

Fiillsack,  Zacharias,  oder  Fullsack,  ein  deutscher  Musiker,  der  zu  An- 
fange des  17.  Jahrhunderts  lebte  und  in  Gemeinschaft  mit  Hildebrand  »Aijs- 
erlesene  Paduanen  vnd  Galliarden  zu  5  Stimmen,  auff  allerley  Instrumenten 
zu   gebrauchen   etc.«  (Hamburg,   1607)  herausgegeben  hat.  t 

Füllgtiniiueu  sind  Stimmen,  welche  in  Tonstücken,  worin  nicht  sämmtliche 
Stimmen  Hauptstiramen  sind,  den  Hauptstimmen  beigesellt  werden,  um  die 
Harmonie  zu  füllen  und  den  Klang  abzurunden.  So  kann  ein  z.  B.  vier- 
stimmiger Satz  zwei  Hauptstimmen  enthalten,  die  etwa  einen  Kanon  (s.  d.) 
führen;  dazu  ist  ein  Bass,  ausserdem  noch  eine  vierte  Stimme  gesetzt,  welche 
ihren  ganz  eigenen  Gang  nimmt  und,  ohne  an  dem  Kanon  weiter  sich  zu  be- 
theiligen oder  sonst  irgend  als  selbstständige  Melodie  hervorzutreten,  nur  den 
Zweck  hat,  die  Harmonie  vollständig  auszudrücken.  Diese  vierte  Stimme  ist 
eine  F.  Aehnlich  in  freien  Orchestersätzen  die  den  Hauptmelodien  beigegebe- 
nen untergeordneten  Harmonie-  und  Klangausfüllungen;  desgleichen  in  älteren, 
meist  nur  für  eine  Singstimme,  ein  obligates  Instrument  und  Bass  gesetzten 
Arien,  die  Harmonieausfüllungen  durch  die  begleitende  Orgel  oder  das  Ciavier. 
Zu  bemerken  ist  noch,  dass  man  den  Bass  an  und  für  sich,  auch  wenn  er 
nicht  eigentlich  Hauptstimrae  ist,  nicht  F.  zu  nennen  pflegt.  —  Von  dieser 
Art  F.,  welche,  wenn  auch  als  Melodien  unselbstständig,  doch  ihre  eigenen,  von 


Fünf  —  Fünftonleiter.  79 

den  Hauptstimmen  verscliiedenen  Intervallenfortschreitungen  haben,  hat  man 
die  Verdoppelungsstimmen,  welche  man  auch  mitunter  schlechtweg  F. 
nennt,  zu  unterscheiden ;  Verdoppelungsstimmen  haben  nicht  ihre  eigenen  In- 
tervalle, sondern  nur  den  Zweck,  grössere  Schallmasse  und  Klangmischungen 
zu  erzeugen,  so  z.  B.  die  Verstärkungen  der  Chorgesangstimmen  durch  Or- 
cheslerinstrumente  im  Einklang  oder  in  Octaven;  die  Hinzufiigung  von  Trom- 
peten, Hörnern,  Posaunen  u.  s.  w.,  oder  der  Orgel  an  gewissen  Stellen,  nur 
zur  Entwickelung  einer  grossartigen  Klangmasse,  nicht  zur  Completirung  der 
in  den  Hauptstimmen   schon  vollständig  ausgedrückten  Harmonie. 

Fünf  als  Ziffer  (5)  bezeichnet  in  der  G-eneralbassschrift  die  fünfte  Klang- 
stufe, in  der  Kunstsprache  Quinte  genannt.  lieber  eine  Note  gesetzt  bedeutet 
diese  Ziffer  wohl  auch,  ebenso  wie  3,  den  Dreiklang,  und  in  der  Instrumente- 
praxis bei  der  Applicatur  den  fünften  oder  kleinen  Finger. 

Fünfer  (lat. :  Numerus  quinarius),  heisst  eine  aus  fünf  Takten  bestehende 
Satzbildung  im  Periodenbau  (s.  d.). 

Füufstinimig:  neunt  man  einen  Tonsatz  aus  fünf  obligaten  Stimmen.  Einiges 
Nähei'e  sehe  man  unter   Quintett  und  Vielstimmig. 

Fünftheilige  Taktarten  sind  diejenigen,  welche  aus  fünf  Achtel-  oder  fünf 
Viertelnoten  zusammengesetzt  sind.  Das  moderne  Gefühl  sträubt  sich  unwill- 
kürlich gegen  derartige  Zusammensetzungen ,  die  ebenso  wie  die  fünftaktigen 
Rhythmen  der  Melodie  einen  zwar  absonderlichen,  aber  hinkenden  Charakter 
verleihen.  In  der  altgriechischen  Musik  ist  diese  Taktart  entschieden  weit 
häufiger  in  Anwendung  gewesen,  als  in  der  jetzigen  abendländischen.  Als  be- 
rühmt gewordenes  Curiosum  der  fünftheiligen  Taktart  ist  das  bezügliche  Sätz- 
chen in  der  Tenorarie  des  zweiten  Akts  der  Oper  »Die  weisse  Dame«  von 
Boieldieu  anzuführen. 

Fünf-Tonleiter  oder  fünfstuflge  Tonleiter.  Nichts  lag  einer  systematischen 
Feststellung  bestimmter  Klänge  in  einer  Oktave  näher,  nachdem  man  Saiten 
als  Tonzeuger  entdeckt  hatte,  als  durch  Theilung  einer  Saite  in  zwei,  und 
durch  gleiche  Theilung  eines  jeden  dieser  Theile  in  wieder  zwei  gleich  grosse 
Abschnitte  Versuche  zu  machen,  ob  mau  nicht  einen  neuen  Klang  erhielte, 
der  sich  dem  Grefühle  als  ungleich  von  dem  Grrundklange  kundgäbe.  Jeder 
einzelne  der  kleineren  Theile,  wie  auch  zwei  derselben,  geben  jedoch  einen 
Klang,  eine  höhere  Octave,  der  sich  von  dem  Grrundtone  kaum  unterscheiden 
lässt  und  deshalb  auch  seit  frühester  Zeit  als  ein  gleicher  Klang  betrachtet 
wurde.  Liess  man  jedoch  drei  Viertel  der  ganzen  Saitenlänge  tönend  schwingen, 
so  erhielt  man  die  Quarte  (s.  d.).  Ist  also  der  Ton  der  ganzen  Saite  z.  B. 
H,  so  ist  der  von  Dreivierteln  der  Saite  e.  Die  Saitenlänge,  welche  e  ergiebt, 
als  Grundsaite  betrachtend  und  ebenso  tonzeugend  weiter  verfahrend,  erhält 
man  den  Klang  a,  der  mit  den  beideoi  früher  gewonnenen  Tönen  zusammen  die 
Dreitonleiter  (s.  Lyra,  dreisaitige)  giebt.  Da  selbst  dem  ungeübtesten 
Ohre  die  Zahl  dieser  Klänge  in  der  Octave  bald  zu  gering  erscheinen  musste, 
und  man  zwischen  diesen  gelegene  in  der  Kunst  zu  verwerthende  Klänge  fest- 
zustellen nicht  der  Willkür  überlassen  zu  dürfen  glaubte,  so  hat  man  wohl,  um 
noch  andere  Klänge  in  derselben  Octave  zu  erhalten,  die  Länge  der  den  Ton 
a  gebenden  Saite  verdoppelt,  mit  der  A  angebenden  dieselben  Theilungen  an- 
gestellt, und  die  neugewonnenen  Klänge:  d  und  g,  den  vorhandenen  zugefügt. 
Dadurch  erhielt  man  die  F.:  S,  d,  e,  g  und  a.  —  Erwägt  man,  dass  die  Grie- 
chen ihre  Musikgesetze  durch  Ueberlieferung  erhalten  haben  wollen,  dass  der 
eine  ihrer  Musikgelehrten  diesen,  der  andere  jenen  Theil  der  Theorie  als  ältesten 
erklärte,  der  eine  diese,  der  andere  jene  Erklärung  für  die  Theorien  versuchte;  dass 
ferner  die  bekannten  Vorforscher  derselben,  die  Aegypter,  wie  auch  andere 
Culturvölker,  die  Assyrer,  Indier,  Chaldäer  und  Perser,  nur  durch  ihre  Mythen 
und  Gebräuche  ein  System  der  Klangentwickelung  ahnen  lassen,  und  endlich 
dass  bei  den  Chinesen  und  Kelten  in  ihrem  weiten  räumlichen  Auseinander- 
leben   die  Anwendung   der  F.  sich    in   Gebrauch    befand:    so  ist  es  fast  gewiss. 


80  Fuenllana  —  Fürstenau. 

dass  ein  vorhistorisches,  sehr  aufgeklärtes  Geschlecht  dies  Princip  der  Ton- 
zeugung kannte  und,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  hin  verwerthet,  für  das  da- 
malige Geschlecht  als  anwendbar  erachtete:  dass  aber  bei  seiner  Auflösung  die 
zerstreuten  Ueberreste  des  Geschlechts  einzelne  Bruchstücke  mehr  praktisch 
als  theoretisch  mit  sich  genommen  und  mittelst  Geheimlehre  bewahrt  haben. 
Für  diese  Annahme,  so  wie  dafür,  dass  die  F.  einen  Bildungsabschnitt  der 
frühesten  Geschlechter  kennzeichnete,  spricht  der  noch  heute  stattfindende  Ge- 
brauch dieser  Tonleiter  in  China,  die  Verwerthung  derselben  durch  die  Kelten 
bis  zu  ihrem  Verschwinden  als  Volk,  das  theilweise  Vorhandensein  derselben 
in  der  indischen  Musik,  sowie  die  in  der  der  historischen  zunächst  liegenden 
Zeit  bei  allen  arischen  Völkern  nachzuweisende  Auslassung  auch  einzelner 
anderer  Scalatöne  der  heutigen  diatonischen  Folge.  Der  Urgrund  einer  all- 
gemeineren Einführung  der  F.  ist  derselbe,  wie  der  unserer  diatonischen  Folge, 
denn  sie  besitzt,  wie  diese,  nur  zwei  annähernd  gleiche  Intervalle  (s.  d.),  die 
jedoch  ihrer  geringeren  Zahl  wegen  den  mit  Klängen  umzugehen  ungewohnten 
Menschen  gleiche  Geistes-  wie  Körperschwierigkeiten  bereitet!  mussten,  wie  etwa 
heute  die  unsrige  uns.  Diese  in  grösserer  Einfachheit  vorhandene  Gleichheit, 
so  wie  noch  andere  mit  der  eigenen  Kunstanschauung  eng  verbundene  Neben- 
bedingungen bei  der  Tonzeugung,  worüber  die  Artikel:  Aegyptische-,  Kel- 
tische-, Assyrische-  und  Indische  Musik  theilweise  belehren,  so  wie  ferner 
die  angeborene  Ehrfurcht  vor  dem  Uralten:  haben  dies  früheste  Product  der 
Musikcultur  bis  in  unsere  Zeit  erhalten.  Dass  übrigens  selbst  dem  abend- 
ländischen Kunstgeschmacke  nichts  gerade  Ungeniessbares  geboten  wird,  wenn 
nur  aus  Elementen  der  F.  zusammengesetzte  Kunstschöpfungen  vorgeführt 
werden,  beweisen  viele  schottische  Lieder,  die  sich  einer  fast  ungetheilten  An- 
erkennung erfreuen.  Im  Ganzen  sind  dies  jedoch  aussergewöhnliche  Tondich- 
tungen, die  nur  in  ihrer  Melodie  diese  Elemente  aufweisen,  in  der  Begleitung 
derselben  findet  man  stets,  wie  Beethoven's  Bearbeitungen  solcher  Weisen  dai'- 
thun,  alle  Klänge  des  abendländischen  Tonkreises  verwerthet.  Wenn  auch 
somit  im  Abendlande  die  F.  jetzt  nur  als  Seltenheit  noch  Anwendung  findet, 
so  denkt,  wie  schon  erwähnt,  das  ganze  Volk  der  Chinesen  noch  heute  Musik 
in  dieser  Tonfolge,  aber  auch  dort  schon  nagt  der  Zahn  der  Zeit  an  diesen 
überkommenen  Grundpfeilern  der  Kunst  und  ein  baldiges  Verschwinden  der- 
selben aus  dem  dortigen  öfi'entlichen  Gebrauche  ist  nur  noch  eine  Frage 
der  Zeit.  C.  Billert. 

Fuenllaua,  s.  Fuellana. 

Fueutes,  Francisco  de  San ta-Maria,  ein  spanischer  Mönch  des  Jerusa- 
lemordens, gab  ein  theoretisches  Werk,  betitelt:  »Dialectos  Musicos  eic.u.  oder 
»Dialectes  de  Musiqtie,  ou .  Von  ea-pose  les  principaux  elemens  de  V Harmonie, 
dejjuis  les  regles  du  plain-chant,  jusqu^  ä  la  Oompositionn  (Madrid,  1778)  heraus. 

t 
Fnentes,  Pascal,  hervorragender  spanischer  Kirchencomponist,  geboren  zu 
Albaida  in  der  Provinz  Valencia  zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts,  war  zuerst 
an  der  St.  Andreaskirche  in  Valencia  und  von  1757  an  Kapellmeister  an  der 
dortigen  Kathedralkirche.  Er  starb  am  26.  April  1768  und  war  noch  lange 
nach  seinem  Tode  als  Coraponist  zahlreicher  Kirchenstücke  in  ganz  Spanien 
sehr  angesehen  und  geschätzt. 

Fiirstenan,  ein  ausgezeichnetes  deutsches  Musikergeschlecht,  dessen  Glieder, 
soweit  sie  hier  in  Betracht  kommen,  sämmtlich  Flötenvirtuosen  ersten  B-anges 
sind.  Als  der  älteste  ist  Kaspar  F.  zu  verzeichnen,  geboren  am  26.  Febr. 
1772  in  Münster,  dessen  Vater  ebenfalls  Musiker  und  als  solcher  Mitglied  der 
dortigen  bischöflichen  Kapelle  war.  F.'s  Erziehung  lief  auf  eine  gleiche  Be- 
rufswahl hinaus,  denn  er  musste  bei  seinem  Vater  Oboeblasen  erlernen.  Er 
hatte  sich  auch  bereits  eine  bemerkenswerthe  Fertigkeit  auf  diesem  Instrumente 
erworben,  als  sein  Vater  starl),  und  Anton  Romberg  F.'s  musikalische  Weiter- 
bildung übernahm.     Gegen  das  Fagott,  welches  ihm  Bomberg  aufdrängte,  zeigte 


Fürstenau.  .81 

F.  die  grösste  Abneigung,  wogegen  er  mit  13  Jahren  das  Flötenspiel  mit  solchem 
Eifer  zu  üben  begann,  dass  er  bald  in  das  Militär-Musikcorps  und  als  sechs- 
zehnjähriger  Jüngling  sogar  in  die  bischöfliche  Kapelle  treten  und  dadurch 
seiner  bedrängten  Familie  Subsistenzmittel  verschaffen  konnte.  Neben  den 
praktischen  Studien,  die  er  fleissig  weiter  betrieb,  widmete  er  sich  damals  zu- 
erst auch  bei  Jos.  Antony  in  Münster  der  Composition.  Seine  erste,  sehr  er- 
folgreiche Kunstreise  unternahm  F.  1793  durch  Deutschland;  dieselbe  brachte 
ihm  1794  die  Stelle  eines  ersten  Flötisten  der  Hof  kapeile  in  Oldenburg,  in  welcher 
Eigenschaft  er  später  auch  Lehrer  des  Herzogs  wurde.  Als  1811  diese  Ka- 
pelle aufgelöst  wurde,  begab  sich  F.  mit  seinem  Sohne  und  Schüler  Bernhard 
(s.  weiter  unten)  auf  weite  Kunstreisen,  die  ihm  als  Virtuosen  und  geschickten 
Componisten  für  sein  Instrument  einen  Weltruf  verschafften.  Er  starb  am 
11.  Mai  1819,  als  ihn  der  Zufall  zum  Besuche  seiner  Familie  nach  Oldenburg 
geführt  hatte.  Von  seinen  zahlreichen  Compositionen  kennt  man  Concerte, 
Fantasien,  Rondos,  Variationen,  Potpourris  u.  s.  w.,  im  Ganzen  etwa  60  ver- 
schiedene Werke.  —  Sein  Sohn,  Anton  Bernhard  F.,  geboren  am  20.  Octbr. 
1792  zu  Münstei',  überstrahlte  noch  den  Vater  an  Geschicklichkeit  und  B,uhm. 
Seine  ersten  Spolien  errang  derselbe  in  einem  Hofconcerte  zu  Oldenburg,  in 
welchem  er,  kaum  sieben  Jahr  alt,  als  Solist  auftrat.  Der  Herzog  beschenkte 
ihn  in  Anerkennung  seiner  Leistungen  mit  einer  kostbaren  Flöte,  auf  der  er 
sich  seitdem  häufig  in  Oldenburg  und  Bremen  hören  liess.  Der  Unterricht  in 
der  Compositionslehre,  den  er  seit  seinem  neunten  Jahre  genoss,  war  mangel- 
haft; ein  eifriges  Selbststudium  hat  ihn  in  dieser  Beziehung  am  Meisten  ge- 
fördert. Im  J.  1803  reiste  er  mit  seinem  Vater  zu  sehr  einträglichen  Con- 
certen  nach  Hamburg  und  Kopenhagen,  1805  durch  das  nordöstliche  Deutsch- 
land nach  St.  Petersburg  und  in  ähnlicher  Art  fast  in  jedem  Jahre  nach  anderen 
näher  oder  entfernter  gelegenen  Musikstädten,  die  F.'s  Talent  und  Fertigkeit 
enthusiastisch  anerkannten.  Von  Auflösung  der  Hofkapelle  in  Oldenburg  an, 
der  er  seit  1804  als  wirkliches  Mitglied  angehört  hatte,  datirt  der  europäische 
Ruhm  F.'s.  Den  Anstrengungen  vieler  und  weiter  Reisen  aber  nicht  gewachsen, 
nahm  er  1817  eine  feste  Anstellung  im  städtischen  Orchester  zu  Frankfurt 
a.  M.,  wo  ihn  der  Umgang  mit  Vollweiler  in  theoretisch-musikalischer  Hinsicht 
stark  vorwärts  brachte.  Sein  reiselustiger  Vater  entriss  ihn  aber  schon  1818 
der  Frankfurter  Müsse,  und  er  liess  sich  in  jenem  Jahre  in  Aachen,  wo  gerade 
der  Congress  tagte,  Süddeutschland  und  Holland,  1819  noch  in  Ostfriesland 
hören,  als  sein  Vater  starb  und  die  ihm  bald  darauf  angetragene  Stellung  als 
königl.  sächsischer  Kammermusiker  ihm  endlich  Ruhe  und  einen  gesicherten 
Posten  verhiess.  Nachdem  er  ein  gefährliches  Scharlachfieber  in  Oldenburg 
überstanden  hatte,  siedelte  er  1820  mit  der  Mutter  und  der  zahlreichen  Familie 
nach  Dresden  über,  wo  er  sehr  ehrenvoll  aufgenommen  wurde.  Auch  seitdem 
noch  liess  er  sich  auswärts  oft  hören  und  bewundern,  während  er  in  Dresden 
seinem  Amte  und  der  Heranbildung  talentvoller  Schüler  lebte,  unter  denen  sein 
Sohn  Moritz  obenan  steht.  Seine  merkwürdigste  und  historisch  berühmt  ge- 
wordene Kunstreise  war  diejenige,  welche  er  im  J.  182G  mit  C.  M.  v.  Weber 
nach  London  unternahm,  und  von  welcher  der  letztere  nicht  mehr  wiederkelu'en 
sollte.  F.  selbst  starb  als  erster  Flötist  der  königl.  sächsischen  Hofkapelle  am 
18.  Novbr.  1852  in  Dresden.  Er  war  ebenfalls  ein  sehr  fruchtbarer  Componist 
und  Bearbeiter  für  sein  Instrument,  und  es  sind  seit  1820  etwa  150  Werke 
von  ihm,  bestehend  in  Concerten,  Fantasien,  Rondos,  Variationen,  Etüden,  Traus- 
scriptionen,  Duetten,  Trios,  Quartetten  u.  s.  w.  erschienen,  die  meist  einen 
hohen  Rang  in  der  modernen  Flötenliteratur  einnehmen.  Auch  zwei  vortreff- 
liche und  praktische  Flötenschulen  verdanken  ihm  die  angehenden  Virtuosen. 
Mehrere  gediegene  Aufsätze  über  Flötenspiel  und  Einschlägiges  hat  er  ausser- 
dem für  die  Allgemeine  musikal.  Zeitung  verfasst.  —  In  seinem  bereits  ge- 
nannten Sohne  Moritz  F.  findet  sich  die  musikhistorische  Gelehrsamkeit  als 
unterscheidendes  Merkmal  von  seinem  berühmten  Vater  und  Grossvater,  neben 

Musikal,  Convers. -Lexikon.    IV,  6 


32  Fürstner  —  Puetach. 

der  Virtuosität  auf  der  Flöte  vorzüglich  ausgeprägt.  Geboren  zu  Dresden  am 
26.  Juli  1824,  erhielt  er  eine  vorzügliche  wissenschaftliche  und  musikalische 
Ausbildung  und  trat  zuerst  am  26.  Oktbr.  1832  als  Flötist  in  einem  Concerte 
seines  Vaters  in  Dresden  mit  grossem  Beifalle  öffentlich  auf.  Seitdem  machte 
er  mit  seinem  Vater  fast  jährlich  erfolgreiche  Concertreisen,  bis  er  am  1.  Jan. 
1842  als  Flötist  in  die  Dresdener  Hofkapelle  trat.  Nicht  allein,  dass  er  dort 
in  die  erste  Stelle  bei  seinem  Instrumente  aufrückte,  also  den  seiner  Tüchtig- 
keit entsprechenden  Platz  als  würdiger  Nachfolger  seines  Vaters  erhielt,  so 
blieben  seine  gründlichen  Forschungen  auf  musikliterarischem  Gebiete,  die 
hauptsächlich  der  Musikgeschichte  Sachsens  galten,  nicht  unbemerkt,  und  er 
wurde  1852  zum  Gustos  der  Musikaliensammlung  des  Königs  von  Sachsen  er- 
nannt und  später  auch  durch  das  Ehrenkreuz  des  Albrechtsordens  ausgezeichnet. 
Seine  eingreifende  Thätigkeit  in  dieser  Stellung,  sowie  als  Lehrer  am  Consei'- 
vatorium  ist  von  lokaler  sowohl  wie  auch  von  allgemeiner  Bedeutung.  Zahl- 
reiche seiner  Abhandlungen  in  Fach-  und  anderen  Zeitungen  haben  manchen 
dunklen  Punkt  in  der  Kunstgeschichte,  nicht  blos  Sachsens,  zuerst  in  das  rechte 
Licht  gerückt.  Von  grösseren  seiner  literarischen  Arbeiten  erschienen:  »Bei- 
träge zur  Geschichte  der  königl.  sächsischen  musikalischen  Kapelle«  (Dresden, 
1849)  und  »Zur  Geschichte  der  Musik  und  des  Theaters  am  Hofe  zu  Dresden« 
(2  Bde.,  Dresden,  1861   und  1862). 

Fürstuer,  Adolph,  Inhaber  einer  der  grösseren  deutschen  Musikverlags- 
handlungen, geboren  am  2.  Jan.  1835  zu  Berlin,  begründete  daselbst  am  1.  Jan. 
1868  sein  Geschäft.  Durch  grosse  Regsamkeit,  Umsicht  und  technische  Kennt- 
niss  brachte  er  dasselbe  schnell  zu  hervorragender  Blüthe,  hauptsächlich  mit 
dadurch,  dass  er  als  der  Erste,  durch  Uebernahme  von  Commissionslagern  der 
renommirtesten  Verlagsfirmen  in  Paris  und  London,  einen  regeren  internatio- 
nalen Musikverkehr  anbahnte.  Im  August  1872  vereinigte  er  durch  Ankauf 
den  C.  F.  Meser'schen  Verlag  in  Dresden  mit  dem  seinigen,  wodurch  er  Eigen- 
thümer  der  Wagner'schen  Opern  »Rienzi«,  »der  fliegende  Holländer«,  »Tann- 
häuser«  und  vieler  älterer  gediegener  Compositionen  wurde.  Der  Verlagscatalog 
F.'s  weist  in  Folge  dessen  gegen  1800  Nummern  auf,  unter  denen  sich,  dem 
internationalen  Charakter  entsprechend,  auch  die  Hauptwerke  von  Gounod, 
Ambr.  Thomas,  Gevaert  und  einiger  russischen  Operncomponisten  befinden. 
Von  hervorragender  Bedeutung  ist  ausserdem  die  bis  auf  48  Nummern  ange- 
wachsene und  in  vielen  deutschen  Musikschulen  für  den  Unterricht  eingeführte 
»Bibliothek  älterer  und  neuerer  Ciaviermusik«,  kritisch  revidirt  von  Franz  Kroll, 
ein  gründliches  und  gediegenes  Sammelwerk  deutschen  Fleieses  und  deutscher 
Sorgfalt,  geworden. 

FUssig,  s.  FusB. 

Fuetsch,  Joachim  Joseph,  vortrefflicher  deutscher  Violoncellist  und 
gründlicher  Componist,  geboren  zu  Salzburg  am  12.  Aug.  1766,  erlernte  beim 
Chon-egenten  der  städtischen  Pfarrkirche  Jacob  Freistädtler  die  Elemente  des 
Gesangs,  worauf  er  1775  als  Chorknabe  Aufnahme  im  Kapellhause  fand  und 
acht  Jahre  hindurch,  bis  zur  Mutation  seiner  schönen  Altstimme,  den  mit  dieser 
Anstalt  verbundenen  Unterricht  in  wissenschaftlichen  und  künstlerischen  Dis- 
ciplinen  genoss,  so  im  Violinspiel  den  des  Hofviolinisten  Hafeneder,  später 
Leopold  Mozart's.  Nachdem  er  1784  aus  dem  Kapellhause  entlassen  worden 
war,  übte  er  sich  autodidaktisch  auf  dem  Violoncello  und  zwar  mit  solchem 
Erfolge,  dass  er  nach  dem  Tode  des  Hofvioloncellisten  Ant.  Ferrari  dessen 
Stelle  erhielt,  gleichzeitig  aber  noch  auf  erzbischöflichen  Befehl  bei  Luigi  Zar- 
donati, der  eigens  auf  ein  Jahr  aus  Verona  verschrieben  worden  war,  die  höheren 
Studien  auf  seinem  Instrumente  machen  musste.  Nun  studirte  auch  F.  beim 
Abbate  Luigi  Gatti  Generalbass  und  empfing  die  Unterweisungen  Mich.  Haydn's 
in  der  Compositionslehre.  Er  selbst  schrieb  im  Laufe  der  Zeit  Concerte,  So- 
naten, Uebungsstücke,  Solos  u.  s.  w.  für  Violoncello  und  für  Violoncello  und 
Bass,    die    aber    nicht    im  Druck    erschienen   sind.     Veröffentlicht  hat  er  über- 


Füttern  —  Puga.  83 

haupt  nur  drei-  und  vierstimmige  Gresänge  für  Männerchor,  mit  denen  er  sich 
in  die  Reihe  derjenigen  Componisten  stellt,  die  zuerst  diese  Stylgattung 
pflegten. 

Füttern,    ein  Reitersignal,    welches   in    der   preussisclien  Armee  durch  die 
Trompete  in  folgender  Art  gegeben  wird: 


m 


Fütterung  nennen  die  Greigenbauer  schmale  Streifchen  Holz  in  dem  Coi-pus 
der  Violine,  die  oben  und  unten  an  die  Zarge  geleimt  sind.  Dieselbe  ist  noth- 
wendig,  damit  die  Decke  und  der  Boden  desto  fester  an  dieselbe  geleimt  wer- 
den können.     In  schlechten  Instrumenten  fehlt  die  F.  0 

Fuga,  die  lateinische  und  italienische  Benennung  der  Fuge  (s,  d.)  Die 
Musiksprache  liat  im  Laufe  der  älteren  Zeit  folgende  fremdländische  mit  F. 
zusammengesetzte  Namen  adoptirt:  F.  aequalis  motus  oder  F.  recta,  eine 
Fuge  mit  Nachahmung  in  der  gewöhnlichen  ähnlichen  Bewegung.  —  F.  a  due, 
a  tre  soggetti,  mit  zwei,  drei  Subjecten.  —  F.  authentica,  wenn  die  Noten  des 
Fugenthema's  aufwärts  schreiten.  —  F.  canonica  oder  F.  totalis,  der  eigent- 
liche Kanon  (s.  d.).  —  F.  composita  (recta),  das  Thema  schreitet  stufenweise 
fort.  —  F.  contraria  oder  F. per  motmn  contrarium,  die  Gegenfuge;  die  Nach- 
ahmung geschieht  gleich  von  vornherein  in  der  Gegenbewegung.  —  F.  doppia, 
die  DoppeKuge,  eine  Fuge  mit  zwei  Themep.  —  F.  homophona,  mit  im  Ein- 
klang erfolgender  Beantwortung  und  Nachahmung.  —  F.  impropria  oder  F. 
irregularis ,  uneigentliche,  nicht  ganz  streng  gearbeitete  Fuge,  mit  willkür- 
licher Einrichtung.  —  F.  incomposita,  das  Thema  schreitet  sprungweise  fort. 
' —  F.  in  conseguenza,  soviel  als  Kanon  (s.  d.).  —  F.  in  contrario  tem- 
pore,  eine  Fuge  auf  entgegengesetztem  Takttheile,  soviel  wie  F.  per  arsin  et 
thesin  (s.  weiter  unten).  —  F.  in  versa,  die  von  Anfang  bis  Ende  mit  allen 
Zwischenharmonien  nach  dem  doppelt  verkehrten  Contrapunkt  gearbeitet  ist, 
also  mit  Verkehrung  der  Stimmen  in  die  Gegenbewegung  gebracht  werden  kann. 
—  F.  lihera  oder  F.  soluta,  F.  sciolta,  mit  freien  Zwischensätzen. — F.  mixta, 
in  welcher  mehrere  Arten  der  Beantwortung  (Verkehrung,  Vergrösserung  u.  s.w.) 
untermischt  augewendet  sind.  —  F.  ohligata,  strenge  Fuge,  allein  aus  dem. 
Hauptsatze  (und  Gegensatze)  entwickelt.  —  F.  per  arsin  et  thesin,  mit 
Nachahmung  im  vermischten  Takttheile.  —  F.  per  augmentationem,  mit 
Nachahmung  in  der  Vermehrung.  —  F.  per  contrarium  simplex,  in  welcher 
das  Thema  ohne  besondere  Berücksichtigung  nur  einfach  auf  anderen  Tonstufen 
beantwortet  wird.  —  F.  per  contrarium  reversum,  in  welcher  bei  Umkeh- 
rung des  Themas  der  Werth  der  einzelnen  Noten  stets  derselbe  bleibt.  —  F. 
per  diminutionem,  mit  Nachahmung  in  der  Verminderung.  —  F.  per  imi- 
tationem  interruptam,  mit  untei'brochener  Nachahmung.  —  F.. perfidiata 
oder  ohstinata,  in  welcher  hartnäckig  nur  eine  Form  verfolgt  wird.  —  F. 
periodica  oder  F.  partialis,  mit  freier  periodischer  Nachahmung  (im  Gegen- 
satze zum  Kanon)  die  gewöhnliche,  regelrechte  Fuge.  —  F.  per  motum  con- 
trarium, s.  oben  F.  contraria.  —  F.  plagalis,  wenn  das  Thema  herunter- 
wärts  schreitet.  —  F.  propria  oder  F.  regularis,  die  eigentliche,  regelrechte 
Fuge.  —  F.  reale,  s.  Tonale  Fuge.  —  F.  recta,  s.  oben  F.  aequalis 
motus.  —  F.  reditta,  der  Fugensatz  wird  am  Ende  oder  in  der  Mitte  von 
allen  oder  einigen  Stimmen  auf  kanonisclie  Art  geführt.  —  F.  retrograda, 
der  Gefährte  tritt  in  rückgängiger  (von  hinten)  und  F.  retrograda  per  mo- 
tum contrarium,  der  Gefährte  tritt  noch  ausserdem  in  verkehrter  Bewegung 
auf.  —  F.  ricercata,  eine  künstlich  und  weitläufig  durchgearbeitete  Kunst- 
oder Meisterfuge.  —  F.  soluta  oder  F.  sciolta,  s.  F.  lihera.  —  F.  tonale, 
s.  Tonale  Fuge.  —  F.  totalis,  s.  oben  F.  aanonica. 

6* 


84  Fugarn  —  Fuhrmann. 

Fngara  (ital.),  welche  Benennung  man  auch  zuweilen  in  der  verstümmelten 
Form:  Foijara  oder  Vogara  vorfindet,  ist  der  Name  einer  gewöhnlich  im 
Manuale  befindlichen  flötenartigen  Orgelstimme,  die  in  neuerer  Zeit  weit  weniger 
gebaut  wird  als  früher,  was  wohl  in  der  sehr  engen  Mensurirung  derselben 
seinen  Grund  hat,  welche  veranlasst,  dass  die  Pfeifen  derselben  nur  mit  vieler 
Mühe  gut  intonirend  hergestellt  werden  können.  Die  Pfeifen  der  F.,  in  Men- 
sur (s.  d.)  und  Höhe  des  Aufschnitts  (s.  d.)  der  Viola  da  Gamha  (s.  d.) 
genannten  Orgelstimme  am  nächsten  stehend,  nur  dass  beide  Eigenschaften  bei 
derselben  um  ein  Geringes  kleiner  sind,  werden  am  Besten  aus  reinem  eng- 
lischen Zinn  gefertigt.  Man  findet  diese  weichklingende,  ofiene  Labialstimme 
selten  2,5 metrig  gebaut,  in  welcher  Grösse  sie  sich  nur  zum  Vortrage  lang- 
samer Stückchen  eignet,  häufiger  1,25  metrig.  Letz;tere  gestattet  die  Ausfüh- 
rung selbst  schnellerer  Tonsätze.  Genauer  bekannt  ist  die  F.  der  St.  Nikolai- 
kirchorgel zu  Spandau;  dieselbe  ist  1,25  Meter  gross.  2. 

Fugrato  (ital. ;  lat. : /«^ffi  irregularis)  d.i.  das  Fugato,  der  fugirte  Satz, 
nennt  man  ein  fugenartiges  Tonstück,  in  welchem  jedoch  die  zu  einer  eigent- 
lichen Fuge,  zu  einer  Fuga  regularis,  gehörenden  Theile  mehr  oder  weniger  frei 
und  willkürlich  behandelt  werden.  Man  findet  dergleichen  F.'s  häufig  in  Sin- 
fonien, Sonaten,  Quartetten  u.  s.  w.,  so  im  Trauermarsch  der  Eroica-  und  im 
Andantesatz  der  ^ -(/?«*- Sinfonie  von  Beethoven.  Ein  interessantes  Vocal-F. 
innerhalb  einer  Oper  bietet  der  sogenannte  Spottchor  im  dritten  Akte  der 
»Hugenotten«  von   Meyerbeer  dar. 

Fuge  (lat.  und  iidX.:  fuga,  h-anz.:  fugue),  s.  Kanon  und  Fuge. 

Fug'er,  Theophilus  Christian,  geschickter  deutscher  Clavierspieler,  ge- 
boren am  3.  Juli  1749,  liess  sich  1782  als  Musiklehrer  in  Tübingen  nieder 
und  veröfientlichte  von  seiner  Composition  Charakteristische  Ciavierstücke,  eine 
Stylgattung,  welche  in  damaliger  Zeit,  ganz  im  Gegensatz  zu  später,  Anspruch 
auf  die  grösste   Seltenheit  erheben  konnte. 

Fugrgire  la  cadenza  (ital.),  d.  i.  der  Cadenz  entfliehen  oder  ausweichen. 
S.   Cadenz  und   Trugschluss. 

Fughetta  (ital.),  eine  kleine,  leicht  ausgeax'beitete,  nicht  weit  ausgeführte 
Fuge,  meist  weniger  tiefen  und  ernsten  Inhalts  und  dem  entsprechend  auf  eine 
einzige  Durchführung  beschränkt.  Für  F.  findet  sich,  aber  sehr  selten,  auch 
der  Name  Fuglietta. 

Fngirt  nennt  man  einen  Satz,  der  in  Form  der  Fuge  oder  des  Fugato 
gearbeitet  ist.  Dem  Orgelmeister  Frescobaldi  wird  nachgerühmt,  er  sei  der 
Erste  gewesen,  der  fugirt  gespielt  habe. 

Fugs,  St.,  nach  Forkel's  Vermuthung  ein  Mönch  aus  dem  Mittelalter,  von 
dem  ein  Werk  »De  Musica  ecclesiasticaa  betitelt,  noch  um  1780  als  Manuscript 
vorhanden  war,  da  für  dasselbe  im  Magazin  des  Buch-  und  Kunsthandels,  Leipzig 
1780,  3,  Stück  Seite  241  ein  Verleger,  aber,  wie  es  scheint,  vergeblich  gesucht 
wurde.  f 

Fühi,  s.  Fohi. 

Fuhrmann,  Martin  Heinrich,  gelehrter  Tonkünstler  und  tüchtiger  Mu- 
sikpädagog,  geboren  um  1670,  war  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  bis  zu 
seinem  Tode  um  1736  Cantor  am  Friedrich- Werder'schen  Gymnasium  zu  Berlin. 
Er  war  ein  grosser  Verehrer  Mattheson's  und  hat  durch  mehrere  musikalische 
Schriften  die  Aufmerksamkeit  seiner  Zeit  auf  sich  gelenkt,  allerdings  haupt- 
sächlich durch  seine  scheinbar  Avitzigen,  in  der  That  aber  mehr  rohen  litera.- 
rischen  Klopffechtereien ,  welche  jedoch  eine  gewisse  Gelehrsamkeit  im  Stofi" 
bargen.  Von  seinen  Werken  sind  die  verbreitetsten :  »Musikalischer  Trichter« 
etc.  (Frankfurt  a.  0.,  1706);  »Mtisica  vocalis  in  nuce,  d.  i.  richtige  und  völlige 
TFnterweisung  zur  Singkuust«  (Berlin,  1728);  beide  Werke,  umsichtig  gearbeitete 
Singschulen,  sprechen  überaus  günstig  für  ihren  Verfasser,  weit  weniger  jedoch 
folgende  Schriften:  »Jf.  11.  F.  G.  F.  G.,  Musikalische  Strigel,  herausgegeben 
zu  Athen  an  der  Pleisse«  ohne  Jahreszahl;  »Gerechte  Wag-Schal«  etc.  (Altona, 


Fulbert  —  Punck.  35 

1728);  »das  in  unsern  Opern-Theatrie  und  Comoedien-Bülinen  siechende  Christen- 
thum  und  singende  Heidenthum«  etc.,  gedruckt  zu  Canterbury,  1728;  »die  an 
der  Gotteskirche  gebaute  Satans-Capelle«  etc.  (1729)  und  »die  von  den  Pforten 
der  Hölle  bestürmte,  aber,  vom  Himmel  beschirmte  Evangelische  Kirche«  (1730) 
u.  v.  a.  f 

Fulbert,  Bischof  von  Chartres,  gestorben  1029,  nicht  zu  verwechseln  mit 
seinem  Zeitgenossen,  dem  Trierer  Mönch  Flobertus  oder  Flopertus,  hat  Kirchen- 
hymnen gedichtet  und  componirt,  von  denen  eine  im  Text  erhalten  gebliebene 
r>In  deum  triunum«  betitelt  ist. 

Fnlda,  s.  Adam  de  Fulda. 

Fnllsack,  s.  Füll  sack. 

Famag'ali)  Antonio,  ein  hervorragender  italienischer  Violinvirtuose  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  der  um  1782  auf  einer  Concertreise  in 
das  Ausland  sich  auch  in  Deutschland  hören  liess. 

Fnmagalli,  Adolfo,  einer  der  ausgezeichnetsten  italienischen  Pianoforte- 
virtuosen  und  Saloncomponisten  der  jüngsten  Zeit,  geboren  am  19.  Oktbr.  1828 
zu  Inzago  im  österreichischen  Oberitalien,  erhielt  seine  musikalische  Ausbildung 
auf  dem  Conservatorium  zu  Mailand,  wo  speciell  im  Ciavierspiel  Angeleri  sein 
Lehrer  wurde  und  trat  1848  unter  enormem  Beifall  zuerst  in  Mailand  in  die 
Oeffentlichkeit.  Auf  den  nun  folgenden  Kunstreisen  durch  Italien,  Frankreich 
und  Belgien  machte  er  ein  ungeheures  Aufsehen  und  erfuhr  Huldigungen  der 
ausgesuchtesten  Art.  Nach  Italien  zurückgekehrt,  hatte  er  am  24.  April  und 
1.  Mai  1856  zu  Florenz  eben  erst  zwei  glänzende  Concerte  gegeben,  als  er 
zwei  Tage  nach  dem  letzten,  am  3.  Mai,  plötzlich  und  unerwartet  starb.  Von 
seinen  Compositionen  erschienen  gegen  hundert  Ciavierwerke ,  bestehend  in 
Fantasien,  Salonstücken,  Etüden,  Saloutänzen  und  Arrangements  für  den  Con- 
certgebrauch;  dieselben  sind  auf  die  glänzendste  Bravour  und  Technik  berechnet 
und  tragen  in  der  Ei-findung  einen  zwar  beschränkt  sentimentalen,  immerhin 
jedoch  originellen  Charakter,  —  Eine  Tochter  von  ihm,  Emma  F.,  die  auf 
dem  Conservatorium  zu  Mailand  ebenfalls  zur  Pianistin  ausgebildet  worden, 
ist  im  December  1872  zum  ersten  Male  mit  grossem  Beifall  in  die  Oeffentlich- 
keit getreten. 

Fniuagallo,  Catarina,  eine  vortreffliche  italienische  Sängerin  aus  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  deren  Laborde  Erwähnung  thut. 

Fiinck,  David,  geschickter  Virtuose  auf  verschiedenen  Saiteninstrumenten 
und  gründlich  gebildeter  Componist,  wird  von  Mattheson  und  Walther  zu  den 
ausgezeichnetsten  Tonkünstlern  seiner  Zeit  gerechnet,  der  als  Kirchencomponist 
von  Bedeutung,  dabei  ein  geschmackvoller  Dichter  und  Mann  von  umfassenden 
wissenschaftlichen  Kenntnissen  war,  aber  an  einem  ungeregelten,  ausschweifen- 
den Leben  elend  zu  Grrunde  ging.  "Geboren  um  1630  zu  Reichenbach,  fungirte 
er  zuerst  als  Cantor  daselbst,  einige  Jahre  später,  um  1660,  als  Secretär  der 
Fürstin  von  Ostfriesland,  berühmt  bereits  als  Virtuose  auf  der  Violine,  der 
Bassviola,  dem  Clavichord  und  der  Guitarre.  Mit  der  Fürstin  war  er  von 
1682  an  in  Italien  und  kehrte,  als  dieselbe  1689  starb,  nach  Deutschland  zu- 
rück, wo  er  ein  bewegtes  Wanderleben  führte,  bis  er,  etwa  sechzig  Jahre  alt, 
die  Stelle  eines  Organisten  und  Mädchenscliullehrers  zu  Wohnsiedel  erhielt. 
Unsittliche  Attentate  gegen  seine  Schülerinnen  nöthigten  ihn  noch  vor  Jahres- 
frist bereits  zur  Flucht.  In  Schleiz,  wo  er  von  Allem  entblösst  ankam,  nahm 
sich  der  regierende  Graf,  der  ihn  Ciavier  spielen  hörte,  seiner  an,  und  versah 
ihn,  als  ihm  die  Steckbriefe  auch  dorthin  folgten,  mit  Reisegeld.  F.  ging  zu- 
nächst in  das  Schwarzburg'sche,  wurde  aber  schon  wenige  Wochen  später  auf 
freiem  Felde  bei  Arnstadt  todt  aufgefunden.  —  Von  seinen  Kirchencompositionen 
besass  ein  von  ihm  auch  selbst  gedichtetes  Drama  passionale,  das  jedoch  Ma- 
nußcript  blieb,  damals  grossen  Ruf  in  Deutschland.  Im  Druck  erschien  über- 
haupt nur  von  ihm  eine  Sammlung  von  Stücken  für  vier  Bassviolen,  betitelt: 


gg  Funok  —  Funzioni. 

nStricturne  violae  di  gamhieae  ex  Sonatis,  Anis  etc.v.  (1660)  und  ein  theoretisches 
Werk  ytGompendium  musiccs«. 

Fnnck,  Friedrich,  latinisirt  Funccius,  deutscher  Tonkünstler,  war  1664 
Cantor  an  der  Johannisschule  zu  Lüneburg  und  darf  als  ein  in  der  Musik 
sehr  bewanderter  Mann  angesehen  werden,  wofür  auch  seine  Beworbung  um 
die  in  Hamburg  durch  Thomas  Seile's  Tod  erledigte  Cantorstelle  Zeugniss 
ablegt.  Von  seinen  Werken  ist  ein  Elementarbuch:  nJanua  latino- germanica 
ad  artem  mudcam«  erhalten  geblieben.  f 

Fntidamentalbuss  oder  Fundaincutalstimme  (lat.:  fundamentam,  ital.:  fonda- 
mento),  s.  Grundbass,  Generalbass.  —  Fundamentalis  sonus  (lat.),  der 
Grundton  des  Dreiklangs;  auch  der  Basston  der  Zusammenklänge  überhaupt. 
Als  Fundamental  töne  bezeichnet  man  auch  mitunter  die  Touica,  Quinte 
und   Quarte  einer   Tonart. 

Fundamental-  oder  Fundamoutbrett  nennt  man  bei  der  Orgel  das  obere, 
aus  mehreren  Stücken  zusammengesetzte  Brett  einer  Windladc  oder  eines  Po- 
sitivs, das  1,30  bis  1,74  Centimeter  dick  ist,  und  so  viel  runde  Löcher  enthält, 
als  Pfeifen  auf  dasselbe  gestellt  werden  sollen.  Durch  diese  Löcher  liat  das 
F.  ein  siebartiges  Aussehen  und  wird  deshalb  auch  Sieb  oder  Crihrum  ge- 
nannt. Letztere  Benennung  ist  jetzt  veraltet,  war  aber  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert, wo  man  glaubte,  alle  Begriffe  nur  scharf  durch  lateinische  oder  grie- 
chische Wörter  bezeichnen  zu  können,  allgemein  gebräuchlich.  Dieser  Annahme 
entsprang  auch  die  griechisch-lateinische  Benennung  des  F.  durch  Polystomati- 
cum,  welche  Kircher  einführte.  Die  Haupteigenschaften  des  F.  müssen  sein, 
dass  es  aus  festem  Holze  gefertigt  ist,  damit  es  sich  nicht  so  leicht  wirft,  und 
dass  es  luftdicht  die  Lade  schliesst.  2. 

Fuudamentalis  (lat.),  s.  Principal. 

Fnnebrc  (franz.;  \a.t.:  funebre,  itsil.:  ftmerale),  d.  i.  zum  Leichenbegängniss 
gehörig,  traurig,  düster,  ein  Beiwort  für  Trauermusiken  überhaupt,  für  ein- 
schlägige Messen,  Märsche  u.  s.  w.  insbesondere.  Die  Jfissa  funebre  oder 
Todtenmesse  wird  übrigens  nicht  minder  häufig  Requiem   (s.  d.)   genannt. 

Funk,  Gottfried  Benedict,  ein  verdienter  deutscher  Schulmann  und 
einsichtsvoller  Kenner  der  Musik,  geboren  1734  zu  Hartenstein  in  der  säch- 
sischen Grafschaft  Schönburg,  war  der  Sohn  des  dortigen  Diaconus  und  em- 
pfing seine  wissenschaftliche  Ausbildung  auf  dem  Gymnasium  zu  Freiberg  und 
auf  der  Universität  zu  Leipzig.  Im  J.  1756  wurde  er  Lehrer  und  Erzieher 
der  Kinder  des  Hofpi'edigers  J.  A.  Cramer  in  Kopenhagen,  1769  Lehrer  an 
der  Domschule  zu  Magdeburg,  1772  Rector  an  dieser  Schule  und  erhielt  1785 
den  Titel  eines  Consistoi'ialraths.  Fast  vergöttert  von  seinen  Schülern,  die 
später  seine  Büste  in  der  Domkirche  zu  IMagdeburg  aufstellten  und  eine  wohl- 
thätige  Stiftung  unter  seinem  Namen  an  der  Domschule  begründeten,  starb  er 
am  18.  Juni  1814  zu  Magdeburg.  Ein  vielseitig  und  gründlich  gebildeter  und 
dabei  aufgeklärter  Theologe  voller  Berufstreue  und  Humanität,  war  er  zugleich 
auch  ein  guter  Sänger,  fertiger  Clavierspieler  und  überhaupt  ein  erfahrener 
Kenner  der  Tonkunst,  wie  auch  drei  Abhandlungen  in  seinen  gesammelten 
»Schriften«  (2  Bde.,  Berlin,  1820  und  1821)  bekunden,  welche  die  Ueberschriften 
führen :  »Von  der  Musik  als  einem  Thcile  einer  guten  Erziehung«,  »Von  der 
Musik  überhaupt«  und  «lieber  die  Musik  l>eim  Gottesdienste«.  —  Sein  Bruder, 
Christian  Benedict  F.,  geboren  am  3.  Juli  1736  zu  Hartenstein,  war  seit 
1773  Magister  und  Professor  der  Naturlehre  zu  Leipzig  und  starb  daselbst 
am  10.  April  1786.  Er  ist  der  Verfasser  einer  lateinisch  geschriebenen  physi- 
kalischen Abhandlung:  »7)c  sono  et  tono«.  (Leipzig,  1779),  die  später  auch  iu's 
Deutsche  übersetzt  worden  ist. 

Fnnzioiii  (ital.),  die  Funktionen  oder  kirchengesetzlich  vorgeschriebenen 
Amtsverrichtungen,  Zu  diesen  gehören  in  musikalischer  Hinsicht  die  Messen, 
Hymnen,  Psalmc,  Sprüche  und  Oratorien,  soweit  sie  dem  Gottesdienste  der 
katholischen  Kirche  als  wesentliche  Bestandtheile  zugeordnet  sind. 


Fuoco  —  Furlanetto.  87 

Fnoco  (ital.),  s.  Gon  fuoco.  Für  letztere  Yortragsbezeichnung  findet  sich 
auch  mitunter  das  Adjectivum  fuocoso. 

Furchheim,  Johann  Wilhelm,  deutscher  Componist  des  17.  Jahrhunderts, 
war  zuerst  Organist  iind  Oberinstrumentist  des  Kurfürsten  Johann  Georg  II. 
und  dann  Vicekapellmeister  von  dessen  Nachfolger  Johann  Greorg  III.  am  Hofe 
zu  Dresden.  Von  seinen  Compositionen  sind  nur  noch  zwei  Instrumentalwerke 
vorhanden,  nämlich:  »Auserlesenes  Violin-Exercitium  aus  verschiedenen  Sonaten, 
Ai-ien,  Balletten,  Allemanden,  Couranten,  Sarabanden  und  Griguen  von  fünf 
Parthien  bestehend«  (Dresden,  1687)  und  »Musikalische  Tafelbedienung  von 
8  Instrumenten,  als  2  Violinen,  5  Violen,  1  Violon  nebst  dem  Generalbass« 
(Dresden,  1674). 

Furetiere,  Antoine,  ein  französischer  Benediktiner,  der  1688  im  69. 
Lebensjahre  als  Abt  zu  Chalivoy  starb,  gab  einen  y> Dietionnaire  universell  heraus, 
der  mehrere  Auflagen  erlebte  und  auch  Manches  über  Musik  enthält.       f 

Fnrioso  (ital.),  d.i.  rasend,  wild,  wofür  auch  häufig  con  furia  als  gleich- 
bedeutende Vortragsbestimmung  vorgeschrieben  ist,  bezeichnet  in  der  Musik 
nicht  sowohl  eine  Art  der  Bewegung,  als  vielmehr  eine  Art  des  Ausdrucks 
und  wird  in  solchen  Fällen  als  Beiwort  gebraucht,  z.  B.  Ällegro  furioso.  Das 
erforderliche  Wilde  in  Ausdruck  sowohl  wie  in  Bewegung  wird  aber  kunst- 
mässig  nicht  durch  eine  jähe  übermässige  Geschwindigkeit  befördert;  ein  rauher, 
schroffer  Accent  im  Vortrage  entscheidet  hier  mehr  als  die  rapideste  Bewegung, 
und  dieser  wird  von  Seiten  des  Tonsetzers  durch  verschiedene  aufgewendete 
Kunstmittel  begünstigt.  Dahin  gehört  die  Anwendung  übermässiger  oder  ver- 
minderter Intervallenschritte,  weitgespannter  Sprünge  und  ebenso  chromatischer 
Fortschreitungen  in  der  Melodie;  ferner  unerwartete,  plötzliche,  äusserste  Klang- 
verstärkungen, besonders  accentloser  Taktglieder,  endlich  auch  Gebrauch  vieler 
scharfen  Dissonanzen,  fremder,  harter  Ausweichungen,  anscheinend  regelloser 
Periodenbau  u.  s.  w. 

Fnrlauetto,    Bonaventura,    genannt    Musin,    kenntnissreicher    und    ge- 
schickter italienischer  Tonsetzer,    dessen  Name  sich  bei  Burney,   Gerber,  Win- 
terfeld u.  s.  w.  vielfach   corrumpirt  in:    Furnaletti,    Furlante  u.  s.  w.  vor- 
findet.    Geboren  am  27.  Mai   1738  zu  Venedig,  genoss  er  seinen  ersten  Musik- 
unterricht   bei    seinem    Oheim,    dem    trefflichen    Orgelspieler    Nicola  Fromenti, 
studirte    später  Generalbass    bei    dem  Priester  Giacomo  BoUa  und  beschäftigte 
sich  autodidaktisch    mit  Contrapunkt    und  Fuge.     Wissenschaftlich  daneben  im 
JesuitencoUegium    ausgebildet,    empfing    er  früh    schon  die  Priesterweihen,    be- 
harrte   aber    bei    der  Musik    und    schrieb    als  Jüngling    für    die  verschiedenen 
Kirchen  Venedig's  Musiken,  die  seinen  Namen  bald  allgemeiner  bekannt  mach- 
ten.    In  der  Praxis  des  strengen  Satzes  scheint  ihm  damals  Galuppi  zur  Hand 
gegangen    zu    sein.     Bald  vertraute    man    ihm  die  Stelle  als  Musikmeister  der 
Mädchenklassen  am  Conservatorio  deUa  pietä  an,  welcher  Posten  sonst  nur  von 
älteren  würdigen  Lehrern  bekleidet  wurde.     Seine  Auflführiangen  mit  Orchester- 
begleitung  in    einer    ausschliesslichen  Besetzung   durch  Damen   wurden    so    be- 
rühmt,   dass    man    sich   von   nah   und   fern    nach  Zuhörerplätzen  drängte.     Bei 
der   Besetzung    der    Organistenstelle    am   Dome    San    Marco   wurde    ihm    zwar 
Bianchi  vorgezogen,  doch  F.   selbst  1794  durch  die  Ernennung  zum  provisori- 
schen und  am  23  Decbr.   1797  zum  definitiven  Vicekapellmeister   an  derselben 
Kirche  entschädigt.     Endlich  folgte  er  auch  dem  ersten  Kapellmeister  Bertoni 
im  Amte.     Im  J.   1811   als  Lehrer  des  Contrapunkts  am  philharmonischen  In- 
stitute   in  Venedig    angestellt,   verfasste    er  für   Schulzwecke  ein  Lehrbuch  des 
Contrapunkts    und    der  Fuge,   das  sich  jedoch  nur  in  Abschriften  unter  seinen 
Schülern    verbreitete.     F.    starb    am    6.  April   1817  zu  Venedig.     Eine  biogra- 
phische   AVürdigung   widmete    ihm    Francesco    CaflQ   in   einem    Buche,    betitelt: 
t>Della   vita   e   del  comporre   di  Bonaventura  Furlanetto  detto  Musin    Venezianovi 
(Venedig,   1820).    —    Von  F. 's  Werken,    die  sich,    wie  schon  Burney  bemerkt, 
nicht  eben  durch  eine  originelle  Erfindungskraft  auszeichnen,  wohl  aber  durch 


88  Furtarus  —  Fuss. 

Gelehrsamkeit,  verbunden  mit  Klarheit  und  Natürlichkeit  des  Styls,  können 
angeführt  werden  die  Oratorien  riLa  caduta  delle  mure  di  Gericoi-j  nLa  sposa 
de'  sacri  canticia,  nll  Tohia«,  »JZ  voto  di  Jefte<i;  ferner  die  dramatische  Cantate 
■nGalateaa,  zwei  Miserere,  ein  dreistimmiges  Laudate  ^;«eri  mit  einer  für  Drago- 
netti  geschriebenen  obligaten  Contrabassparthie ;  endlich  die  religiöse  Cantate 
»/Z  San  Giovanni  Nepomuceno«.  und  viele  Psalme,  Die  AViener  Hofbibliothek 
besitzt  von  ihm  ein  Miserere  für  zwei  Chöre  mit  Orchester,  sehr  pathetisch 
gehaltene  Composition,  ein  vierstimmiges  Magnificat  mit  Instrumentalbegleitung, 
ein  eben   solches  sechsstimmiges  Kyrie  und  mehreres  Andere. 

Furtarus,  Gregorius,  ein  aus  Bayern  gebürtiger  Tonkünstler  und  wahr- 
scheinlich im  16.  Jahrhundert  wii'kend,  Hess  nach  Walther  eine  y^Missa  ad 
modidum  Exoptata  etc.a  des  Scandelli  drucken.  f 

Fnsa,  (lat.),  der  alte  Name  der  Achtelnote,  s.  Notenschrift. 
Fus6e    (franz.),    eigentlich    die  Rakete,    sodann    der    Sprunglauf,   d.  i.    ein 
schneller  Lauf  in  stufenweise  auf-  und  abwärts  steigenden  gleichen  Noten. 

Fusella  oder  Fusellala  (lat.),  der  alte  Name  der  Zweiunddreissigtheil-  und 
Vierundsechzigtheil-Note, 

Fuss,  ein  Längenmaass,  das  bisher  fast  in  jedem  Staate  Deutschlands  eine 
andere  Grösse    hatte,    war    ursprünglich    in  seiner  Feststellung  in  Sachsen  das 
Normalmaass  in  der  Orgelbaukunst.     Dieser  F.  wurde  besonders  bei  Fertigung 
der  Schallröhren  von  Wichtigkeit,  indem  diese  stets  nach  einem  festen  Maasse 
gebaut  und  bezeichnet  werden  mussten.     Da  aber  in  Bezug  auf  die  Länge  der 
Scliallröhre,    weil   je    nach    der  Weite    derselben   sich  ihre  Länge  um  Weniges 
verändert,    die  Verschiedenheit    der    F.  nicht    von    sehr    bemerkbarer  Wirkung 
war,  so  machte  es  sich   sehr  bald,  dass  man  überall  nur  der  landesüblichen  F 
gedachte,  wenn  man   über  die  Länge  der  Schallröhre  sprach,  indem  man  danach 
deren  Weite  gestaltete.     Durch   diese  aus  der  Praxis  hervorgegangene  nominelle 
Gleichheit,  so  wie  dadurch,  dass  eine  offene  Labialpfeife  von  32'  stets  den  Ton 
Cj ,  eine  von  16'  das  grosse  G,  eine  von  8'  das  kleine  c  u.  s,  w.  erzeugte,  jede 
höhere  Oktave  also  durch  eine  halb   so  grosse  Pfeife   als  die  nächst  tiefere  ge- 
bildet wurde,  kam   es,  dass  man  Register,   welche  mit  einem  dieser  Klänge  be- 
gannen, nach  der  Grösse  der  ersten  Pfeife  benannte,  und  demgemäss  von  einer 
32-,  16-,  8-  u.  8.  w.  füssigen  Orgelstimme  sprach.     Aus  dieser  Erfahrung  ent- 
sprang   ferner    der  Gebrauch,    dass    man    jede   Octave    des  Tonreichs    nach  der 
Röhrenlänge  benannte,  welche  eine  offene  Labialpfeife  vom  Kern  bis  zur  Mün- 
dung erhalten  musste,    die  das    tiefe  c  derselben  angab.     Man   nannte  hiernach 
die  Töne  von  (7^  bis  G  die  32-,    die  von  G  bis  e  die  8-,    die  von  c  bis  c^  die 
4-,  die  von  c^  bis  c~  die  2-füssige  Octave  u.  s.  w.,  und  sagt  ferner  von  irgend 
einem  Klange,  um  zu  bezeichnen,  in  welcher  Octave  derselbe  vorkommt,  er  habe 
einen  16-,  8-,  4-  u.  s.  w.  Fuss  ton.     Letzte  Bezeichnung  hat  besonders  in  der 
Fachsprache  der  Orgelbauer  eine  praktische  Wichtigkeit,   da  alle  Orgelregister 
ausser    denen    mit  Labialpfeifen,    gedeckte    wie  Rohrstimmen,    nach  dem   Tone, 
welchen    sie    angeben ,    benannt   werden ;    die    Röhrenlängcn    derselben    weichen 
nämlich  stets  sehr  von   den  der  offenen  Labialpfcifen  ab,  wie  aus  den  Artikeln 
Gedeckt  (s.  d.)  und  Rohrwerke  (s,  d.)  zu  ersehen  ist.     Nachdem  allgemein 
im  Deutschen  Reiche    seit    1872    das   französische  Längenmaass   eingeführt   ist, 
gemäss  welchem  der  INIeter  (s.  d.)    als   Giundgrösse  angenommen  wird,    so  ist 
von  Anfang  an  in  diesem  Werke  jede  auf  F.  sich  beziehende  Bezeichnung  unter- 
lassen.     Statt    der  Ausdrücke  32-,    16-,    8-füssig  ist  h-,    2,5-,    1,25-metrig  und 
überall    für  Fusston    die  Bezeichnung  Meterton    adoptirt.     —     Zweitens  führen 
einige  Theilo  von   Tonwerkzeugen  den  Namen  F.     Die  Orgelbauer   gebrauchen 
diesen  Ausdruck    für    einen  Theil    einer    metallenen  Pfeife   aus  der  Klasse  des 
Flötenwerks.    Den  kegelförmigen  Untertheil  einer  solchen  Pfeife  nämlich,  welcher 
stets  aus  stärkerem  Metall  als  die  Pfeife  selbst  gefertigt  werden  muss,  den  das 
unten    etwas    gerundete  Mundloch  (s.  d.)    erhält,    damit    er    luftdicht    in   das 
kesselförmige  Loch  des  Pfeifenstocks  sich  einfügt  und  der  oben  mit  der  Schall- 


Pussclavier  ~  Fusston,  89 

röhre  verlöthet  ist,  nennt  der  Orgelbauer:  den  Fuss  der  Pfeife.  Auch  der 
untere  Theil  der  Flöte  (s.  d.),  auf  welchem  die  Dis-  und  ^s-Klappe  befind- 
lich, führt  bei  Instrumentbauern  wie  Musikern  diese  Benennung.  —  Drittens 
trägt  diese  Bezeichnung  in  der  Poesie  ein  kleines  aus  mehreren  8ylben  be- 
stehendes Versglied.  Ein  solcher  Verstheil  kann  in  der  Musik  zu  einer  be- 
stimmten rhythmischen  Schöpfung  Veranlassung  geben,  ja  er  schafft  sogar  nach 
neuester  Anschauung  in  Bezug  auf  die  Cäsur  (s.  d.)  der  Töne,  die,  besonders 
in  der  dramatischen  Kunst  mit  "Worten  eng  verbunden  vorkommen,  gewisse 
melodische  Gestaltungen.  Die  Anforderungen  dieser  F.  in  Bezug  auf  Ordnung 
der  mit  ihnen  eng  verbundenen  Klänge  ist  jedoch  so  umfassender  Natur,  dass 
nur  das  Wesentlichste  in  den  Artikeln  Metrik  und  Takt  angedeutet  werden 
kann.  C.  B. 

Fussclavier,  s.  Pedal. 

Fuss,  Johann,  ein  begabter  tüchtiger  Componist,  geboren  1777  zu  Telna 
in  Ungarn,  zeigte  schon  frühzeitig  musikalische  Talente  und  wurde  zunächst 
in  Baja  zum  Sängerknaben  herangebildet.  Da  er  Schullehrer  werden  sollte, 
so  gingen  im  Laufe  der  Jahre  immer  mehr  die  musikalischen  Studien  neben 
den  wissenschaftlichen  her.  Seine  erste  Stelle  war  die  eines  Hofmeisters  der 
Kinder  auf  einem  Oute  im  Stuhlweissenburger  Comitate,  und  da  er  dort  im 
Hause  auch  ein  kleines  Theater  vorfand,  so  befleissigte  er  sich,  kleine  drama- 
tische Compositionen  zu  schaffen,  ebenso  wie  er  die  Leitung  des  Dorfgottes- 
dienstes übernahm.  Die  musikalische  Uebung,  die  ihm  in  dieser  Stellung  ge- 
stattet war,  befähigte  ihn,  das  Amt  eines  Musikmeisters  in  Pressburg  zu  über- 
nehmen und  sich  mit  Aufführung  eines  Duodramas  »Pyramus  und  Thysbe«  bis 
in  das  städtische  Theater  wagen  zu  dürfen.  Der  glückliche  Erfolg  übertraf 
seine  kühnsten  Hoffnungen  und  feuerte  ihn  an,  nach  Wien  zu  gehen  und  bei 
Albrechtsberger  eine  strenge  theoretische  Schule  durchzumachen.  Nach  und 
nach  trat  er  nun  mit  Oesang-,  Ciavier-  und  anderen  Instrumentalstücken,  die 
selbst  Haydn's  Interesse  erregten  und  denselben  zu  gutgemeinten  praktischen 
Winken  veranlassten,  erfolgbelohnt  hervor.  Als  Kapellmeister  an  das  Theater 
nach  Pressburg  zurückberufen,  zeigte  er  auch  als  Dirigent  Geschicklichkeit  und 
hob  die  dortigen  Opernverhältnisse  wesentlich.  Endlich  wählte  er  Wien  zum 
bleibenden  Wohnsitz  und  wirkte  dort  ohne  feste  Anstellung  als  geschätzter 
Musiklehrer,  sowie  als  dramatischer  und  Kirch encomponist;  auch  soll  er  Cor- 
respondenzartikel  in  die  Leipziger  allgem.  musikal.  Zeitung  geliefert  haben. 
Schon  lange  kränkelnd  und  von  nicht  gerade  festem  Körper,  musste  er  seines 
Nerven-  und  Hämorrhoidalleidens  wegen  die  Bäder  in  Ofen  aufsuchen,  wo  er 
scheinbar  Besserung  und  Aussicht  auf  Genesung  fand.  In  Wien  aber  raffte 
ihn  am  19.  März  1819  ein  bösartiges  Nervenfieber  hinweg.  —  Im  Druck  sind 
von  seinen  Compositionen,  die  wirksam  und  correkt  sind,  erschienen:  Quartette 
und  Trios  für  Blaseinstrumente,  Duos  für  Ciavier  und  Violine,  Pianoforte- 
sonaten zu  zwei  und  vier  Händen,  Rondos,  Variationen  und  Tänze  für  Ciavier, 
Gesänge,  Lieder  und  eine  Pantomime.  Ausserdem  sind  von  ihm  eine  Messe 
und  Kirchenstücke  verschiedener  Art,  eine  Ouvertüre  zu  Schiller's  »Braut  von 
Messina«,  die  Parodie  »Pandora's  Büchse,  die  Duodramen  »Watwort«,  »Isaak«, 
»Judith«,  »Jacob  und  Rahel«,  ferner  die  Operette  »der  Käfig«,  Melodramen  mit 
Chören  und  Gesängen  und  Gelegenheitscantaten  bekannt  geworden. 

Fassloch  nennt  man  in  der  Mechanik  der  Orgel  die  Oeffnung  eines  Pfeifen- 
fusses  oder  Schallbechers,  mit  der  sie  im  Pfeifenkessel  stehen,  und  durch  welche 
der  Wind  in  den  Pfeifenfuss  oder   Schallbecher  geht. 

Fuss,  Nicolaus,  schweizerischer  Gelehrter,  geboren  am  30.  Januar  1755 
zu  Basel  und  zuletzt  Adjunkt  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  St.  Petersburg,  gab  eine  »Lobrede  auf  Euler«  (Basel,  1786)  heraus,  die  als 
Anhang  ein  Verzeichniss  sämmtlicher   Schriften  desselben  enthält.  t 

Fusstou,  s.  Fuss. 


90  Futterholen  —  F\ix. 

Futterholen,    zum,    oder  zum  Fouragireu,    ein  Reitersignal,    welches    in 
der  preussischen  Armee  durch  die  Trompete  folgendermaassen  geben  wird: 


2. 

Fnx,  Ernst,  Organist  und  Musiklehrer  zu  Wien,  lebte  daselbst  gegen 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  und  hat  sicli  nach  Traeg's  Katalog  (Wien,  1799) 
als  Componist  von  drei  Sonaten  für  Violine  und  Bass  und  einem  Solo  für  die 
Violine  bekannt  gemacht,  welche  Stücke  jedoch  nur  im  Manuscript  vorhanden 
waren.  —  Andere  Träger  dieses  Namens  sind  noch:  .lohann  F.,  ein  Violinist, 
der  1788  als  Mitglied  der  fürstl.  Esterhazy'schen  Kapelle,  welcher  Haydn  als 
Kapellmeister  vorstand,  aufgeführt  wird.  —  Mattliäus  F.,  einer  der  ge- 
schicktesten und  berühmtesten  Meister  des  Instrumentenbaues  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  war  um  jene  Zeit,  wie  Baron  in  seinen  »Unter- 
suchungen von  der  Laute«   Seite  96   mittheilt,  Hof-Lautenmacher  zu  Wien. 

Fnx,  Johann  Joseph,  berühmter  und  ausgezeichneter  Theoretiker  und 
Componist  für  Kirche,  Kammer  und  Theater,  wurde,  wie  Anton  Schmid  er- 
mittelt hat,  im  J.  1660  und  zwar,  gemäss  den  gründlichen  Untersuchungen  L.  von 
Köchel's,  zu  Hirtenfeld  bei  Marein  in  Steiermark  geboren.  Dass  er  von  niedrig- 
ster Herkunft  gewesen,  unterliegt  keinem  Zweifel,  aber  über  seine  Jugend  und 
Lehrjahre  breitet  sich  ein  dichter  Schleier  aus,  den  alle  Forschungen  und  An- 
strengungen nicht  zu  lüften  vermochten.  F.  begegnet  uns  zuerst  wieder  1696, 
also  36  Jahre  später,  zu  Wien  als  ein  bereits  fertiger  Mann  und  Künstler,  in 
der  Stellung  eines  Organisten  an  der  Schottenkirche,  dessen  Ruf  als  Musiker 
bereits  so  hoch  gestiegen  ist,  dass  zwei  Jahre  später  (1698)  Kaiser  Leopold  1. 
ihn  mit  einem  monatlichen  Gehalte  von  40  Thalern  zu  seinem  Hofcompositeur 
ernannte,  welche  Besoldung  schon  1701  auf  60  Thaler  erhöht  wurde.  Ueber 
den  vorangegangenen  muthmaasslichen  Bildungsgang  F.'s  stellt  L.  von  Köchel 
einige  sehr  annehmbare  Vermuthungen  aul',  welche  darauf  hinauslaufen,  dass 
derselbe  von  seiner  Heimath  direkt  nach  Wien  gegangen  und  sich  dort  allmälig 
emporgearbeitet  und  die  nöthige  Protection  verschafft  habe.  Dlabacz's  Mit- 
theilungen, F.  habe  seine  musikalische  Erziehung  in  Böhmen  erhalten  und 
später  seine  Kenntnisse  auf  Reisen  durch  Deutschland,  Frankreich  und  Italien 
vermehrt,  werden  durch  Köchel  gründlich  widerlegt.  Das  Amt  als  Hofcompositeur 
bildete  die  erste  Stufe  zu  einer  weiteren  Beförderung  des  Meisters;  seine  Fähig- 
keit und  sein  Diensteifer  hatten  ihn  in  den  höchsten  Kreisen  so  beliebt  ge- 
macht, dass  er  1704  zum  Domkapellmeister  bei  St.  Stephan  und  1713  zum 
Vice-Hofkapellmeister  des  Kaisers  Joseph  I.  als  Nachfolger  Antonio  Ziani's 
ernannt  wurde.  Ausserdem  leitete  er  noch  die  Kapelle  der  Kaiserin  Amelie, 
Gremalin  und  bald  darauf  Wittwe  Joseph's  I.  Als  1715  der  Hofkapellmeister 
Ziani  starb,  und  der  schon  alternde,  mit  chronischen  Leiden  behaftete  F.  sich 
um  die  Stellung  desselben  bewarb,  wurde  ihm  diese  auch  sofort  übertragen. 
Denn  der  prachtliebende  Kaiser  Karl  VI.  war  zu  sehr  musikalisch  gebildet, 
als  dass  er  den  Werth  des  fleissigen  und  hochverdienten  Meisters  nicht  hätte 
ebenso  schätzen  sollen,  wie  es  seine  beiden  Vorgänger  gethan.  Damit  hatte  F. 
das  höchste  und  ehrenvollste  Amt  erreicht,  welches  damals  einem  Toukünstler 
offen  stand.  Der  Kaiser  fuhr  fort,  ihn  mit  Q-unstbezeugungen  zu  überhäufen, 
wovon  ein  eclatanter  Beweis  ist,  dass,  als  er  bei  seiner  Königskrönung  zu  Prag 
1723  die  von  F.  componirte  Festoper  »ia  eostanza  e  la  fortezza».  mit  aller  er- 
denklichen Pracht  zur  Erhöhung  des  Festes  aufführen  liess,  auf  seinen  Befehl 
der  am  Podagra  darnieder  liegende  Componist  in  einer  Sänfte  von  AVien  nach 
Prag  getragen  \vurde  und  in  der  Nähe  des  Kaisers  einen  Sitz  einnehmen  musste, 
um  der  Aufführung  seines  Werks  bequem  beiwohnen  zu  können.  Quantz, 
welcher  mit  dem  Lautenspieler  Weiss  und  dem  späteren  Kapellmeister  Graun 
damals  in  dem  Riesenorchester  mitwirkte,  schrieb:  ')Die  Composition  war  mehr 


Fiix.  91 

kirchenmässig  als  theatralisch,  aber  sehr  prächtig.  Das  Concertiren  und  Binden 
der  Violinen  gegen  einander,  welches  in  den  Ritornellen  vorkam,  ob  es  gleich 
grösstentheils  aus  Sätzen  bestand,  die  auf  dem  Papier  steif  und  trocken  genug 
avxssehen  mochten,  that  dennoch  hier  im  Grossen  bei  so  zahlreicher  Besetzung 
und  in  freier  Luft  eine  sehr  gute,  ja  viel  bessere  Wirkung,  als  ein  galanterer, 
mit  vielen  kleinen  Figuren  und  geschwinden  Noten  gezierter  Gesang  in  diesem 
Falle  gethan  haben  würde.«  Ausserdem  wurden  übrigens  noch  bei  dieser  Ge- 
legenheit das  grosse  Te  deum  am  Krönungstage,  sowie  einige  andere  Compo- 
sitionen  von  F.  aufgeführt.  Die  Musik  bildete  überhaupt  die  Quintessenz  aller 
der  vielen  Festlichkeiten,  in  denen  sich  damals  die  Prachtliebe  der  deutscheu 
Kaiser  gefiel.  Sie  war  nicht  etwa  der  Gegenstand  einer  blos  flüchtigen  Lieb- 
haberei oder  gar  eine  Modesache,  sondern  in  Wahrheit  ein  Lebensbedürfniss; 
eine  Opernvorstellung  galt  damals  als  eine  Kunstaufgabe,  zu  deren  würdiger 
Lösung  man  keine  Kosten  scheuen  zu  dürfen  glaubte.  F.'s  Zauberoper  »Alcina«, 
am  21.  Febr.  1716  ebenfalls  im  Freien  und  zwar  in  dem  weitläufigen  Park 
des  Lustschlosses  Favorita  bei  Wien  aufgeführt,  bot  unter  Anderem  auch  das 
Schauspiel  eines  Seetreffens,  welches  zwei  Flotten  von  vergoldeten  Schiffen  dar- 
stellten. Die  Stellung  eines  Hofkapellmeisters  selbst  hatte,  namentlich  für  einen 
Deutschen,  ihre  grossen  Klippen  bei  dem  Ansehen,  in  welchem  die  italienischen 
Künstler  an  allen  Höfen  standen.  F.,  ein  gediegener  deutscher  Charakter,  der 
sich  mit  eigener  Kraft  zu  der  höchsten  musikalischen  Stellung  emporgearbeitet 
hatte,  wusste  diese  Stellung  trotz  mannichfacher  körperlicher  Leiden,  die  ihn 
in  der  letzten  Zeit  meist  an  sein  Bett  fesselten  und  inmitten  einer  bevorzugten 
intriguesüchtigeu  italienischen  Künstlerschaft  25  Jahre  hindurch  energisch  zu 
behaupten,  ohne  jemals  zu  unwürdiger  Reclame  oder  noch  unwürdigerer  Gegen- 
inti'igue  seine  Zuflucht  zu  nehmen,  und  mit  Eifer,  Charakterfestigkeit  und  Klug- 
heit stand  er  seinen  vielfältigen  Pflichten  in  der  Kirche,  der  Hofkapelle  bis 
hinunter,  widerspenstigen  Hofscholaren  gegenüber,  vor.  F.'s  Ruhm  strahlte 
denn  auch  weit  hinaus  über  die  Grenzen  des  Reichs,  und  seine  zahlreichen 
Compositionen  in  allen  Fächern  der  Tonkunst  brachten  den  deutschen  Genius 
zu  Ehren  gegenüber  den  berühmten,  überall  den  Ton  angebenden  wälschen 
Zeitgenossen.  Freilich  sind  dieselben  längst  verhallt  und  von  Besserem  über- 
boten, aber  ein  theoretisches  Werk,  ein  Lehrbuch  des  Contrapunkts,  der  y>Gra- 
dus  ad  Farnassumv.  (Wien,  1725)  liat  vollkommen  hingereicht,  seinen  Namen 
glanzvoll  bis  in  die  Gegenwart  hinüberzutragen  und  ihn  bei  allen  Denen  in 
Achtung  zu  erhalten,  welche  der  Musik  ein  tieferes  und  ernstes  Studium  wid- 
men. Die  Geldmittel  zur  Herausgabe  dieses  in  ziemlich  gutem  Latein  ge- 
schriebenen Lehrbuchs  gab  Kaiser  Karl  VT.  selbst  her,  und  es  wurde  1742 
in's  Deutsche  durch  Mitzier,  1761  in's  Italienische  durch  Manfredi,  1773  in's 
Französische  durch  Denis  und  1797  in's  Englische  durch  Preston  übersetzt; 
der  vollständige  lateinische  Originaltitel  lautet:  -nGradus  ad  Parnassum,  sive 
manuductio  ad  compositionem  musicae  regulärem,  methoda  nova  ac  certa,  non  dum 
ante  tarn  exacto  ordine  in  lucevi  edita,  elahorata  a  Joanne  JosepJio  Fux.<s.  Als 
F.'s  letztes  grösseres  Werk  wird  die  Oper  -nEnea  negli  Elisi«,  1731  in  Wien 
componirt,  genannt.  Er  selbst  starb  nach  vieljährigen  schmerzhaften  Leiden 
am  14.  Febr.  1741  zu  Wien  kinderlos  und  wurde  am  Friedhofe  der  Metro- 
politankirche  von  St.  Stephan  neben  seiner  vorangegangenen  Gattin  beigesetzt. 
—  In  seinen  Compositionen  war  F.  zunächst  und  vor  Allem  Meister  des  Satzes 
im  Sinne  jener  Zeit,  welche  in  der  correkten  Ausführung  künstlicher  contra- 
punktischer  und  fugirter  Stimmenverflechtung  das  höchste  Ideal  der  Musik  er- 
blickte. Seine  Opernrausik,  so  viel  davon  überhaupt  noch  einigermassen  bekannt 
ist  (in  der  Dresdener  Bibliothek  befinden  sich  u.  A.  die  Manusciüpte  von  »Elisa« 
und  »Pulcheria«),  erhebt  sich  nicht  über  das  Niveau  des  damals  beliebten  ita- 
lienischen Geschmacks;  höher  steht  seine  Kirchenmusik,  welclier  F.  mit  ent- 
schiedener Vorliebe  und  unermüdlicher  Fruchtbarkeit  oblag.  Die  k.  k.  Hof- 
bibliothek in  Wien,  der  reichste  Fundort  für  die  AVerke  dieses  Meisters  über- 


92  Fux'ache  Wechselnoten  —  G. 

haupt,  bewahrt  in  dieser  Gattung  und  zwar  meist  in  Originalhandschriften  u. 
A.  auf:  Messen  mit  Instrumentalbegleitung,  ein  Oratorium  y>La  cena  del  Signorei. 
(1720),  Mysterien  verschiedenen  Charakters,  Offertorien,  Motetten  und  Psalme, 
in  ihrer  Art  zum  grossen  Theil  höchst  ausgezeichnete,  ja  geistreiche  "Werke 
von  ausnehmender  Feinheit,  so  besonders  die  Missa  constantiae.  Bezeichnend 
genug  für  sein  Ideal  von  geistlicher  Musik  ist  es  übrigens,  dass  F.  selbst  für 
sein  Meisterwerk  in  diesem  Fache  die  von  Anfang  bis  zum  Ende  im  Kanon 
geschriebene,  Karl  YI.  gewidmete  berühmte  Missa  canonica  erklärt.  Man 
könnte  dieses  »Kunststück«  füglich  den  lebendig  gewordenen  Gradus  ad  Par- 
nassttm  nennen.  Yon  den  Arbeiten  reiner  Instrumentalmusik  F.'s  ist  der  i>Oon- 
centus  musico-instrumentalis  in  Septem  jyartitas  divisusa  (Nürnberg,  1701)  am 
bekanntesten.  Hätte  F.  neben  seiner  Grelehrsamkeit  und  contrapunktischen 
Tausendkünstlerschaft  die  Genialität  besessen,  mit  welcher  seine  jüngeren  Zeit- 
genossen Händel  und  Bach  jene  starren  Formen  beseelten  und  durchgeistigten, 
wäre  er,  gleich  diesen,  bei  dem  allen  auch  ein  grosser  musikalischer  Erfinder 
und  Poet  gewesen,  so  würden  seine  Compositionen  unmöglich  so  schnell  und 
so  vollständig  in  totale  Vergessenheit  gerathen  sein.  Das  Beste,  was  F.  ge- 
schaffen, kann  die  Wahrheit  des  Satzes  nicht  umstossen,  dass  erst  mit  Bach 
und  Händel  unsere  lebendige  und  lebensfähige  Musik  beginnt,  und  dass  durch 
diese  beiden  Meister  alle  vorhergehenden  deutschen  Tonsetzer  für  alle  Folgezeit 
auf  ein  ausschliessliches  historisches  Interesse  herabgedrückt  worden  sind.  In 
neuester  Zeit  hat  es  Ludwig  Ritter  von  Köchel  mit  eminentem  Forscherfleiss 
und  einer  unermüdlichen  Arbeitskraft  unternommen,  aus  den  mit  Gewissen- 
haftigkeit, Genauigkeit  und  Gründlichkeit  durchstöberten  Documenten  öster- 
reichischer Archive  eine  Biographie  F.'s  (Wien,  1871)  herzustellen.  Dieselbe 
enthält  im  Anhange  neben  einem  vollständigen  Register  aller  von  1631  bis 
1740  am  kaiserl.  Hofe  zu  Wien  zur  Aufführung  gekommenen  Opern,  Oratorien, 
Serenaden,  Fest-  und  Schäferspielen  auch  noch  ein  überaus  werthvolles  thema- 
tisches Verzeichniss  sämmtlicher  F.'scher  Compositionen  (mehr  als  400  an 
der  Zahl). 

Fux'sche  Wechseluoten  sind  vier  Dissonanzen  oder  Wechselnoten,  von  denen 
man  im  formalistischen  strengen  Satze  nur  stufenweise  auf-  oder  abgehen  durfte, 
von  welchen  aber  der  Kapellmeister  Joh.  Jos.  Fux  in  der  dritten  Gattung  des 
Contrapunkts  das  Wegspringeu  gestattete  und  einführte.  Seitdem  wurden  diese 
vier  Noten   nach  ihm  die  F.  W,  genannt. 

Fz. ,  Abkürzung  oder  Abbreviatur  für  die  dynamische  Vorschrift  F  o  r  - 
zando   (s.  d.). 


G. 


G.  (ital.  und  franz. :  sol).  Diesen  Buchstaben  setzt  man  in  der  Jetztzeit 
eben  so  als  Tonzeichen,  wie  die  Benennung  desselben  als  alphabetischen  Klang- 
namen für  die  fünfte  diatonische  oder  die  derselben  gleicherklingende  achte 
chromatische  Ton  stufe  aufwärts  von  c  ab.  Siehe  C.  Auch  ehedem,  sicher  von  des 
Boetius  Zeit  (470  bis  526  n.  Chr.)  an,  wahrscheinlich  jedoch  schon  viel  früher, 
gebrauchte  man  für  denselben  Klang,  der  jedoch  als  siebente  Stufe  der  Grund- 
leiter gedacht  wurde,  das  gleiche  Zeichen  und  denselben  Namen,  welcher  Ge- 
brauch der  griechischen  Tonbezeichnung  und  deren  TTrwurzel  entwachsen  ist. 
Siehe  Alphabet.     Um   die  verschiedenen,   G   zu  nennenden  Klänge  zu  kenn- 


Ga  —  öabelgrifF.  93 

zeichnen,  bedient  man  sich,  wie  in  dem  Artikel  Alphabet  für  alle  alphabeti- 
schen Tonbezeichnungen  erläutert  ist,  kleiner,  die  Octave  andeutenden  Zusätze. 
Man  findet  dem  entsprechend  folgende  Tonbezeichnungen  und  Benennungen 
für  die  verschiedenen  G.'a  in  Gebrauch.  Der  tiefste  G  genannte  Klang  wird 
durch 

6^2  oder  G  bezeichnet  und  das  Subcontra-G^  genannt;  das  nächsthöhere  wird 

G^    oder    G  bezeichnet  und   Contra-G'  geheissen;  die  anderen: 

G,  das  grosse  G; 
g,  das  kleine  g; 

g^  oder  g,  das  eingestrichene  g; 

g^  oder  g,  das  zweigestrichene  g ; 

g^  oder  g,  das  dreigestrichene  g  u.  s.  w. 

Was  die  jetzt  festgestellte  Tonhöhe  der  verschiedenen  Klänge  dieses  Namens 
anbetrifft,  so  kann  man  dieselbe  nicht  schärfer  bezeichnen,  als  wenn  man  die 
Zahl  der  Schwingungen  des  g^  angiebt,  die  393,75  in  einer  Sekunde  betragen, 
und  es  den  Wissbegierigen  selbst  überlässt,  sich  nach  den  Regeln  der  Akustik 
(s.  d.)  die  Schwingungszahleu  aller  Octaven  davon  zu  suchen.  Noch  sei  be- 
merkt, dass  in  der  syllabischen  aretinischen  Benennung  sol  für  den  alphabetisch 
g  genannten  Klang  gebraucht  wurde  und  die  verschiedenen  so  zu  nennenden 
Klänge  der  Menschenstimme  später  durch  die  Benennungen  g  —  sol  —  re — ut  und 
g — ut  unterschieden  wurden,  worüber  die  besonderen  Artikel  das  Nähere  bieten; 
und  dass  später  Versuche  stattfanden,  die  Sylben  lo  (s.  d.),  ge  (s.  d.)  und  tu 
(s.  d.)  beim  Singen  der  g  zu  nennenden  Töne  zu  gebrauchen.  Diese  Versuche 
erfreuten  sich  jedoch  keiner  allgemeineren  Anerkennung.  —  Schliesslich  sei 
noch  erwähnt,  dass  man  g  auch  noch  als  Abkürzung  der  französischen  Worte 
main  gauche,  d.  i.  linke  Hand,  in  Anwendung  findet.  Im  TJebrigen  sehe  man 
in  dieser  Beziehung  auch  noch  den  Artikel  G'-Schlüssel.  C.  B. 

Ga  ist  in  der  von  Waelrant  (1517  —  1595)  aufgestellten  Bocedisation 
(s.  d.)  oder  Bohisation  (s.  d.)  der  Name  für  den  alphabetisch  f  zu  nennenden 
Klang.  0. 

Ga  ist  in  der  indischen  Musik  die  syllabische  Benennung  eines  diatonischen 
Klanges  der  Scala,  nämlich  des  dritten,  der  unserm  eis  fast  gleich  klingt;  der- 
selbe führt  den  Namen  Gandhdra  (s.  d.)  und  wird  durch  folgendes  Zeichen 
notirt:  H  0. 

Gaa,  Gr.  M.,  oder  Gah,  ein  um  die  Wende  des  18.  u.  19.  Jahrhunderts 
zu  Heidelberg  ansässiger  tüchtiger  Violin-  und  Ciavierspieler,  von  dessen  Com- 
position  »Sechs  ausgesuchte  Lieder«  ^Mannheim,  1798)  im  Druck  erschienen  sind. 

Gabbiani,  Massimiliano,  italienischer  Mönch  und  Organist  zu  Gassino 
im  Piemontesischen,  veröffentlichte  1630  von  seiner  Composition:  -aVespri  e 
versetti  per  comodo  del  coro  a  4  vocia. 

Gabel  ist  in  der  Orgelbaukunst  der  Name  für  gabelförmig  gestaltete  Hölzer, 
die  zur  Koppelung  zweier  Manuale  Anwendung  finden.  Stets  wendet  man  diesen 
Namen  für  die  gabeKörmig  gestalteten  Hölzchen  bei  der  Gabel-  oder  Zug- 
koppel (s.  d.)  an,  doch  findet  man  zuweilen  ihn  auch  für  die  gespaltenen 
Klötzchen  der  Frosch-  oder  Druckkoppel  (s.  d.)  in  Gebrauch.  Diese 
letzteren,  auch  wohl  G.  genannten  Klötzchen  bezeichnet  man  besser  durch  die 
Benennung  Fröschchen,  s.  Frosch.  Die  ersterwähnten,  G.  genannten  Koppel- 
theile  sind  Holzleisten,  die  oberhalb  der  zu  spielenden  Tastatur  befindlich  sind 
und  deren  dem  Organisten  zugewandtes  Ende  einen  3,2  Ceutimeter  langen 
Schlitz  haben.  Die  Einfügung,  Befestigung,  Bewegungsart  und  Vei'werthung 
dieser  G.  lehrt  der  Artikel   Gabelkoppel. 

Gabelgriff,  ein  Kunstgriff  der  Ciavierspieler  und  Holzblase-Instrumenta- 
listen,  um  die  Behandlung  dieser  Instrumente  in  gewissen  Fällen  bequemer  zu 


94  Gabelkoppel  —  Gabler. 

machen,  nennen  die  Pianisten  das  Greifen  einer  Terz  oder  Quarte  mit  dem 
dritten  und  vierten,  oder  mit  dem  vierten  und  fünften  Finger,  wodurch  das 
Ueberschlagen  der  Finger  erspart  wird;  die  Bläser  sprechen  dagegen  vom  G., 
wenn  sie  einen  auf  ihrem  Instrumente  nicht  vorhandenen  Ton  durch  Deckung 
und  gleichzeitige   Oeffnung  anderer   Tonlöcher  künstlich  hervorbringen. 

Öabelkoppel  nennt  man  eine  überall  fast  gleichcoustruirte  Art  der  Koppel 
(s.  d.).  Auf  jedem  der  Clavesverlängerungen  des  oberen  der  zu  koppelnden 
Manuale  liegt  hinter  den  Abstrakten  eine  leistenförmige  Gabel  (s.  d.)  mit  ihren 
Zinken  dem  Orgelspieler  zugewandt.  Sämmtliche  Gabeln  nennt  man  in  der 
Fachsprache  ein  blindes  oder  Koppelclavier.  Hinterwärts  sind  alle  Gabeln  an 
einer  Welle  (s.  d.)  so  befestigt,  dass  sie  insgesammt  vor-,  auf-  und  niederbe- 
wegt werden  können.  Mittelst  eines  Registers  (s.  d.)  oder  einer  Verschiebung 
eines  Manuals  kann  das  Koppelclavier  vorwärts  geschoben  werden.  Auf  den 
Claves  des  Oberclaviers,  dicht  hinter  dem  Vorsatzbrette  befinden  sich  belederte, 
sanft  sich  erhebende  Klötzchen,  auf  die  die  Gabeln  hinaufgleiten,  wenn  der 
Rahmen  (s.  d.)  mit  dem  Koppelclavier  vorwärts  bewegt  wird.  Die  Tasten 
des  Unterclaviers  haben  fest  eingeschrobene  Väterchen,  Drähte,  die  mit  den 
Abstrakten  verbunden  oben  ein  Mütterchen  von  Letler  führen.  Nach  der  Kop- 
pelung nun  befinden  sich  die  Gabeln  zwischen  den  Väterchen  und  Mütterchen, 
und  zwar  so,  dass  sie,  die  Väterchen  umfassend  den  Raum  zwischen  der  blinden 
Taste  und  dem  Mütterchen  ausfüllen.  Spielt  man  nun  auf  dem  Unterclaviere, 
so  ziehen  die  Abstrakten  desselben  die  Mütterchen  auf  die  Gabeln ,  diese 
drücken  die  Klötzchen   und   mit   denselben  die  Claves   des  Oberclaviers  nieder. 

0. 

Oabellone,  Gasparo,  neapolitanischer  Tonsetzer,  um  1730  in  Neapel  ge- 
boren und  daselbst  auch  musikalisch  gebildet,  war  ein  tüchtiger  Kirchencom- 
ponist  und  einer  der  besten  Gesanglehrer  Italiens.  Die  Musikschule  San  Pietro 
in  Majella  zu  Neapel  besitzt  eine  Messe,  eine  Passion,  Fugen  u.  dergl.  von  ihm 
im  Manuscript. 

Gabeltou,  der  Stimmton  (gegenwärtig  «^),  welcher  als  feste  Norm  zur  Re- 
gulirung  der  Tonhöhen  in  der  Vocal-  und  Instrumentalmusik  angenommen  ist. 
Die  Benennung  stammt  von  einem  Tonwerkzeuge,  der  Stimmgabel,  dessen  man 
in  neuerer  Zeit  zur  Fixirung  eines  Stimmtones  sich  bedient.  S.  Chorton, 
Kammerton,  Stimmgabel. 

Gabler,  einer  der  vorzüglichsten  deutschen  Orgelbauer  des  18.  Jahrhunderts, 
lebte  zu  Ravensburg  und  starb  um  1784.  Von  ihm  gebaut  sind  u.  A.  die 
Orgeln  in  der  Abtei  Weingai'ten  in  Württemberg  und  in  der  Kirche  zu  Ochsen- 
hausen, von  denen  die  erstere  eines  der  schönsten  und  grössten  Oi'gelwei'ke  in 
ganz  Deutschland  ist,  indem  es  vier  Manuale  und  76  klingende  Stimmen 
aufweist. 

Gabler,  Christoph  August,  tüchtiger  deutscher  Ciavier  Spieler  und  frucht- 
barer Componist,  geboren  um  1770  zu  Mühldorf  im  Voigtlande,  war  der  Sohn 
eines  Prediges  und  von  seinem  Vater  gleichfalls  für  das  Studium  der  Theologie 
bestimmt.  Nach  in  Leipzig  vollendeten  Studien  kam  G.  1794  als  Secretär 
zum  Grafen  von  Kospoth.  Nach  einiger  Zeit  kehrte  er  jedoch  nach  Leipzig 
zurück,  um  dort  von  Neuem  und  zwar  die  Rechte  zu  studiren,  während  welcher 
Zeit  er  zugleich  eifrig  Musik  trieb.  Im  J.  1800  war  er  als  Musiklehrer  in 
Reval  ansässig,  wo  er  sich  auch  häufig  als  Clavierspieler  mit  grossem  Beifall 
öfiFentlich  hören  Hess.  In  gleicher  Stellung  wirkte  er  seit  1836  in  St.  Peters- 
burg und  starb  daselbst  am  15.  April  1839.  An  Corapositionen  kennt  man 
von  ihm  ein  Oratorium  »der  Pilger  am  Jordan«,  ein-  und  mehrstimmige  Ge- 
sänge und  Lieder,  vier-  und  zweihändige  Ciaviersonaten,  ferner  Variationen  und 
Rondos  für  Ciavier,  sowie  für  Violine,  Sonaten  und  Fantasien  für  Harfe,  Va- 
riationen für  zwei  Waldhörner  u.  s.  w.  —  Seine  Tochter  und  Schülerin,  Jea- 
nette G.,  wirkte  seit  1820  gleichfalls  in  Reval  als  anerkannte  Pianistin  und 
Clavierlehrerin  und  hat  auch  Mehreres  componirt. 


Gabler  —  Gabrieli.  95 

Gabler,  Matthias,  vorzüglicher  Orgel-  und  Clavierspieler  und  gründlich 
gehildeter  Musiker  überhaupt,  geboren  am  22.  Febr.  1736  zu  Spalth,  war  um 
1769  als  Jesuit  Doctor  der  Theologie  und  Philosophie  und  ordentlicher  Lehrer 
der  Weltweisheit  zu  Ingolstadt,  dann  kurbairischer  wirklicher  ßath  und  end- 
lich seit  1788  Pfarrer  zu  Membdingen  in  Baiern,  woselbst  er  am  30.  März 
1805  starb.  Yon  seinen  musikalischen  Arbeiten  sind  nur  noch  bekannt:  »Ab- 
handlungen von  dem  Instrumentaltone«  (Ingolstadt,   1776). 

Gaborgr,  französischer  Physiker  zu  Paris,  gab  ein  Buch:  y>Manuel  utile  et 
curieiix  sur  la  mesure  du  temsa  (Paris,  1771)  heraus,  in  dem  er  zum  Messen 
der  Zeit  den  Gebrauch  eines  Pendels  empfiehlt.  f 

Gabram,  vorzüglicher  Instrumentbauer,  erlernte  seine  Kunst  bei  Kirsch- 
nigk  (s.  d.)  zu  Petersburg  und  etablirte  sich  ebendaselbst  in  den  letzten  Jahren 
des  18.  Jahrhunderts.  Besonders  wurden  die  Fortepianos  desselben  gerühmt. 
Vgl.  Koch's  Journal  der  Tonkunst  Seite  195.  f 

Gabriele,  Domenico,  italienischer  Tonkünstler,  wird  von  Baini  in  seinem 
Werke  über  Palestrina  als  Kapellmeister  an  der  Kirche  San.Petronio  in  Bo- 
logna aufgeführt,  als  welcher  er  von  1487  bis  1512  gewirkt  hat.  Alle  sonsti- 
gen Nachrichten  über  ihn  fehlen.  Nicht  zu  verwechseln  mit  ihm  ist  der  Violon- 
cellovirtuose und  Operncomponist  des  17.  Jahrhunderts  Domenico  G-abrieli 
aus  Bologna,  der  gleichfalls  als  Kircheukapellmeister  an  San  Petronio  ange- 
stellt gewesen  ist. 

Gabrieli,  Andrea,  auch  nach  einem  Theile  seiner  Geburtsstadt  Venedig 
Andrea  del  Canareggio  (oder  Canareio)  genannt,  war  einer  der  grössten 
italienischen  Contrapunktisten,  der  würdige  Erbe  aller  Weisheit  der  nieder- 
ländischen Schule  und  der  Hauptträger  des  Ruhms  der  venetianischen  Musik- 
schule. Geboren  etwa  1512  zu  Venedig,  war  er  der  Sprössling  der  altadlichen 
Familie  der  Gabrieli  (früher  Cavobelli  genannt).  Seine  musikalische  Ausbildung 
erhielt  er  ganz  oder  zum  grössten  Theile  von  dem  berühmten  Kapellmeister 
der  St.  Marcuskirche,  Adrian  Willaert,  und  er  trat  1536  als  Sänger  in  die 
Kapelle  des  Dogen  ein.  Sein  Hauptruhm  datirt  von  1566  an,  in  welchem 
Jahre  er  als  Nachfolger  Claudio  Merulo's,  zweiter  Organist  an  San  Marco  ge- 
worden war.  Als  erster  Organist  dieser  Kirche  und  als  hochgefeierter  Ton- 
lehrer starb  er  im  J.  1586.  Sein  Name  wurde  nicht  blos  in  Italien,  sondern 
auch  in  Deutschland  den  glänzendsten  beigezählt,  was  bei  dem  lebhaften  Ver- 
kehre Venedigs  mit  den  grossen  deutschen  Handelsstädten,  namentlich  Augs- 
burg und  Nürnberg,  nicht  Wunder  nehmen  kann.  Einen  der  wärmsten  Gönner 
und  Verehrer  fand  er  in  Folge  dessen  an  dem  reichen  Grafen  Fugger  zu  Augs- 
burg, und  zahlreiche  deutsche  Tonkünstler  wanderten  nach  Venedig,  um  sich 
bei  ihm  in  der  Musik  vollends  auszubilden,  so  besonders  Hans  Leo  Hassler 
aus  Nürnberg,  der  1584  noch  G.'s  Unterricht  genoss  und  zugleich  ein  inniges 
Freundschaftsbündniss  mit  dessen  Neffen  und  Schüler,  Johannes  (Giovanni)  G., 
schloss.  Verschiedene  Staats-  und  Siegesfestlichkeiten  der  Republik  boten  G. 
Gelegenheit,  in  kirchlichen  und  weltlichen  Compositionen  die  Grösse  seines 
schöpferischen  Genius  hervortreten  zu  lassen,  und  stets  erhob  gerade  er  sich 
vor  allen  Mitbewerbern  auf  den  Glanzpunkt  der  Ehre,  so  bei  der  Anwesenheit 
des  Königs  Heinrich  III.  von  Frankreich  in  Venedig  im  J.  1574,  zu  dessen 
feierlichem  Empfang  G.  mit  Composition  einer  glänzenden  Festmusik  betraut 
war.  Zu  diesem  Zwecke  schrieb  er  zwei  Stücke,  beide  für  zwei  Chöre,  eines 
zu  12  und  das  andere  zu  8  Stimmen,  beide  in  der  Sammlung  y>Gemme  musicalia 
(Venedig,  1587)  mit  abgedruckt.  Was  die  Würdigung  G.'s  nach  seinen  Wer- 
ken überhaupt  betrifit,  so  ist  zunächst  der  Standpunkt  und  die  Epoche,  in 
welcher  er  wirkte,  nicht  aus  dem  Auge  zu  lassen.  Venedig  besass  damals  be- 
reits eine  Musikschule,  welche  vor  der  römischen  den  Vorzug  des  Alters  hatte 
und  Männer  in  ihrer  Mitte  zählte,  welche  zu  den  hervorragendsten  Tonkünst- 
lern ihrer  Zeit  gehörten.  G.  selbst  war  einer  der  jüngeren  aus  ihnen;  nach 
einem  Adrian  Willaert,  neben  einem  Cyprian  de  Rore,  Zarlino,   Costanzo  Porta 


96  Gabrieli. 

der  Bewunderung  Venedigs  würdig  zu  werden,  war  die  schwierigste  Aufgabe 
für  einen  Tonsetzer,  und  er  löste  sie  mit  überraschendem,  mit  dem  glänzend- 
sten Erfolge.  Mehr  als  seine  Vorgänger  besass  er  die  Kunst,  in  den  compli- 
cirtesten  Tonmassen  klar  und  wahrhaft  schöpferisch  zu  bilden;  vielstimmige, 
mannigfach  gegliederte  Chöre  wusste  er  mit  einander  zu  verbinden  und  zu  im- 
mer neuen,  höheren  Effekten  auszuprägen.  Doch  war  alles  dies  nicht  auf  eitlen 
Sinnenprunk  berechnet,  sondern  mit  dem  hohen  Ernste  wahrhaft  religiöser  Würde 
und  Begeisterung,  wie  sie  gewissermassen  auch  der  Verfassung  und  Volksge- 
sinnung Veuedig's  eigen  war,  geschmückt.  Und  hierin  ragte  Gr.  über  seine 
venetianischen  Zeitgenossen  weit  hervor;  majestätisch  feierlich,  oft  tiefbeschau- 
lich, setzte  er  sich  niemals  über  die  hohen  Anforderungen  der  Kirche  hinaus 
und  verdient,  vor  allen  Venetianern,  mit  dem  damals  in  Rom  aufgegangenen 
mächtigen  Kunstgestirn  verglichen,  «der  Palästrina  Venedigs«  genannt  zu  wer- 
den. Das  würdigste  Zeugniss  seiner  Künstlergrösse  bieten  wie  in  einem  Brenn- 
punkte die  y>Psalmi  poenitentialesv.  (Busspsalme)  Venedig,  1583),  welche  in  ab- 
weichender Auffassung  von  der  Behandlung  früherer  Tonsetzer  dieser  Psalmen 
den  Gipfel  religiöser  Ausdrucksweise  erreichen  und  von  ihrem  Componisten 
selbst  seinen  übrigen  Werken  vorgezogen  wurden.  Von  seinen  Gesang-  und 
Instrumentalwerken  seien  hier  summarisch  aufgeführt:  r>Motetti  a  cinque  voci« 
(Venedig,  15G5,  2.  Ausg.  1584);  ein  Buch  sechsstimmiger  Messen  (Venedig, 
1570);  fünfstimmige  Madrigale  (Venedig,  1572);  y)Madri<jali  a  cinque  e  sei  voei 
con  un  dialotjo  ad  oUoa  (Venedig  und  Nürnberg,  1572);  »II  pri7no  lihro  de'  ma- 
driyali  a  tre  vocia  (Venedig  und  Nürnberg,  1575);  «Liher  I  eantionum  ecclesiast. 
4  voc.  Omnibus  sanetor.  solennitatihiis  deservientiii,m<i  (Venedig,  1576);  r>Gantiomiin 
sacrarum  pars  I,  6  —  16  voc.«  (Venedig,  1578);  y>MadrigaU  a  .'3  —  6  voci  Hb.  II 
e  III».  (Venedig,  1582  und  1583);  »Ganzoni  alla  francese  per  Vonjanov.  (Venedig, 
1571,  2.  Aufl.  1605);  y>l^onate  a  cinque  per  i  stro?nenti(i  (Venedig,  1586).  Ferner 
befinden  sich  noch  viele  einzelne  Stücke  von  ihm  in  dem  von  seinem  Neffen 
herausgegebenen  Werke  y>CanU  concerti  di  Atidrea  e  Giovanni  Gabrieli,  organisti 
della  serenissima  siynoria  di  Venezia,  eontinenti  musica  di  chiesa,  madrigali  ed 
altri  per  voci  e  stromenti  musicali  a  6,  7,  8,  10,  12  e  16«  (Venedig,  1587)  und 
ebenso  in  vielen  anderen  Sammlungen  der  damaligen  Zeit;  Orgelstücke  von 
Andrea  G.  endlich  sind  mit  solchen  seines  Nefien  in  folgenden  Sammlungen 
erschienen:  i>Intonazioni  d'organo  lib.  /«  (Venedig,  1593)  und  nRicercari  per 
Vorgano  lib.  2  e  3«  (Venedig,  1587).  —  Andrea  G.'s  eben  erwähnter,  noch  be- 
rühmterer Neffe  und  Schüler,  Giovanni  (Johannes)  G.,  geboren  im  J.  1557 
zu  Venedig,  genoss  schon  in  jungen  Jahren  eines  nicht  unbedeutenden  An- 
sehens, da  in  eine  Sammlung  y^ll  secondo  libro  di  madrigali  a  5  voci  de^  floridi 
virtuosi  del  serenissimo  duca  di  Baviera,  con  una  a  diecia  (Nürnberg,  1575) 
auch  bereits  Stücke  von  ihm  als  Jüngling  aufgenommen  sind.  Im  J.  1585 
wurde  er,  nach  Claudio  Merulo's  gänzlichem  Rücktritt  vom  Kircheudienst  in 
Venedig,  neben  seinem  Oheim  als  Organist  der  Marcuskirche  angestellt.  Wie 
dieser,  stand  auch  er  mit  den  deutschen  Musikkapellen  in  lebhaftem  Verkehre; 
namentlich  bewahrte  sein  berühmter  Mitschüler  L.  Hassler  ihm  treue  Freund- 
schaft. Unter  seinen  Gönnern  zählte  er  in  Deutschland  besonders  den  Herzog 
Albrecht  V.  von  Baiern  und  dessen  Söhne,  sowie  das  gräfl.  Fugger'sche  Haus 
in  Augsburg.  Er  voi'zugsweise  war  zu  Ausgange  des  16.  Jahrhunderts  einer 
der  von  den  Deutschen  am  meisten  geschätzten  und  geehrten  Tonmeister,  was 
aus  sieben  verschiedenen  Sammlungen  meist  geistlicher  Gesänge  hervorgeht,  von 
denen  bis  1609  sechs  in  Nürnberg  gedruckt  wurden  und  worin  seine  Compo- 
sitiouen  der  Zahl  und  dem  Werthe  nach  weitaus  den  ersten  Rang  einnehmen. 
Später  sind  ausser  dem  Florileg.  port.  von  Bodenschatz  noch  zwei  neue  Samm- 
lungen hinzugekommen.  Auch  als  Lehrer  der  T'onkunst  war  G.  weit  und  breit 
gesucht.  So  sandte  der  Kurfürst  Moritz  von  Sachsen  den  Juristen  und  treff- 
lichen Sänger  Heinrich  Schütz,  der  sich  ganz  der  Musik  widmen  wollte,  nach 
A  enedig  zu  G.,  um  bei  diesem  die  bereits  gewonnene  Musikbildung  zu  erweitern. 


Gabrieli.  97 

Schütz  blieb  vier  Jahre  lang,  bis  zum  Todesjahre  G-.'s  (1613)  dessen  Schüler 
und  rühmt  später  von  seinem  Lehrer:  »Als  ich  wieder  nach  Venedig  kam,  ging 
ich  dort  vor  Anker,  wo  ich  als  Jüngling  unter  dem  grossen  Grabrieli  die  ersten 
Lehrjahre    meiner  Kunst    zugebracht    hatte.     Ja,    Gabrieli!    Ihr    unsterblichen 
Götter,  welch'  ein  Mann  war  der !  Hätte  ihn  das  wortreiche  Alterthum  gekannt, 
den  Amphionen  würde    es   ihn    vorgezogen   haben;    oder   wünschten    die  Musen 
Vermählung,  so  besässe  Melpomene  keinen  anderen   Gemahl  als  ihn,    solch'   ein 
Meister  des  Gesanges  war  er.     Das  verkündet  der  Ruf,   aber  der  beständigste. 
Ich  selbst  war  dess  reichlich  Zeuge,  der  ich  ganzer  vier  Jahre  lang  seines  Um- 
ganges genoss,  gar  sehr  zu  meinem  Frommen.«    Unter  G.'s  Schülern   sind  noch, 
als  von  ihnen   selbst  bezeugt,  zu  nennen:    Aloys   Grani  und  Michael  Prätorius, 
der  im  dritten  Theile  seines   Syntagma  musicum  dieses  seines  Lehrmeisters  mit 
den    ehrenvollsten    und    bewunderndsten  Ausdrücken    gedenkt.     G.  selbst  starb, 
wie    seine   Grabschrift    in    der  Kirche    zu   San   Stefano    zu  Venedig   verkündet, 
am  12.  Aug.  1613,  i¥)ch  heute  geehrt  als  ein  Meister,    der  am  Markstein  der 
Zeit  der  älteren  Musik  blüht  und  in  den  Anfang  einer  neuen  Periode  hinein- 
reicht, ohne  seine  Selbstständigkeit  und  Wirksamkeit    für  das  Bestehende  und 
Werdende  zugleich  zu  schwächen.     Weder  hing  er  sich  zäh  an   das  Alte,  noch 
gab    er    sich    dem  Neueren    in  überstürzender  Hast   hin;    er   suchte  aus  Allem 
heraus,    was    ihm    das  Beste    schien,    folgte    der    natürlichen  Entwickelung    der 
Musik  und  hatte  keineswegs  an   dieser  Entwickelung  einen  unbedeutenden  An- 
tlieil;    in    ihm    zeigte    sich    die  vollste    und  reichste  Entfaltung  der  Musik  der 
früheren    venetianischen   Schule,    ihre    ganze  Eigenthümlichkeit    und  man  kann 
von  ihm  ähnlich,  nur  noch  in  gesteigertem  Maasse  wie  von  seinem  Oheim,  be- 
haupten,    dass    die    Pracht    und    Grossartigkeit    des    damaligen    venetianischen 
Staats-  und  Volkslebens  sich  in    seinen  Werken    abspiegelt.     »Hatte  Willaert«, 
sagt  Winterfeld,    »in    seinen    getheilten   Chören  die   Tonart  zuerst  als  harmoni- 
schen Grundgedanken    ahnen    lassen    (da  die  gegen  einander    und  mit  einander 
arbeitenden  Tonmassen  sich  wenig  geeignet  zeigten  zu  künstlicher  Entwickelung 
der  Melodien,  wie  sie  der  niederländischen  und  römischen  Schule  eigen  waren), 
war  Cyprian  de  Höre  weit  hinausgeschweift  über  die  damals  bestehenden  Gren- 
zen des  Tonsystems  nach  neuen  Ausdrucksmitteln  für  seine  Gedanken,  so  sehen 
wir  die  tiefste  Eigenthümlichkeit  der  Tonarten,  die  zartesten  Beziehungen  der 
einen  zur  anderen  hei'vortreten    in   Gabrieli's  Werken.     Das  Herkömmliche,  die 
unmittelbare  Beziehung  auf  die  überlieferte  Kirchenweise,  da  ausgenommen,  wo 
er    seine  Gesänge    dem  Kirchengebrauche    gemäss    durch    sie   anstimmen  lassen 
musste,  hat  er  ganz  verlassen,  um  so  inniger  aber  in  dem  zuvorgedachten  Sinne 
sich   der  Grundform  angeschlossen,    in  welcher   jene  alten  Kirchenweisen  durch 
innere    Nothwendigkeit    bedingt    erschienen    waren.     Ebenso    tritt    die    strenge 
kanonische  Form  nirgends  mehr  absichtlich  und  als  solche  bei  ihm  hervor;  be- 
lebend überall,  nicht  bedingend,  soll  der  bewegende   Grundgedanke  sein.      Jene 
sinnreiche  Verflechtung   der   alten   kirchlichen  Kunst  aber,   sofern  sie  das  Ohr 
nicht  mehr  zu  vernehmen  vermag,   ist  ganz  bei  ihm  ausgeschlossen.«     Die  von 
Cyprian  de  Rore  zu  Gunsten   eines  lebendigen  und  leidenschaftlichen  Ausdrucks 
im  Madrigal  in  Anspruch  genommene    und  auf    seinen  Vorgang    hin    bald  nah 
und    fern    aufgefasste   Chromatik    fand    in   G.  einen    der    ersten  entschiedensten 
Vertreter.     Von    seinen    bedeutendsten  Werken    sind    ausser    den    bereits  oben 
angeführten    zu    nennen:    y>Sacrae  symphoniae  7,    8,    10,    12,    14,    15    et    16    tarn 
vocihus  quam  instrumentisK  (Venedig,  1597,  neue  Ausg.  1615),  von  denen  noch 
eine  ältere  Ausgabe  existircn  soll;  y>Tieliqidae  sacrorwm  concenhmm  Giov.  Gabrielis 
et  Leonis  Hassleri  etc.  motettae  6,  7,  8,  9,  10,  13,  14,  16,  18,  19  vocumi  (Nürn- 
berg,  1619).     Letztere    Sammlung,    welche    19   Compositionen    von  G.  enthält, 
gab  ein  Freund  G.'s,  der  Nürnberger  Kaufmann   Georg   Gruber,  heraus.    Seine 
sämmtlichen  Arbeiten  überhaupt    in  geordneter  Zusammenstellung,    sowie  Ein- 
gehenderes über  beide  Gabrieli's  findet  sich  in  dem  schätzbaren  Buche  von  K. 
von  Winterfeld  »Johannes  Gabrieli  und  sein  Zeitalter«  (Berlin,  1834). 

Musikal.  Convers.-Lexikou.    rv.  7 


98  Gabrieli  —  Gabrielli. 

Gabrieli,  Catterina,  s.  Gabrielli. 

Gabrieli,  Domenico,  italienischer  Violoncellovirtuose  und  Operncomponist, 
geboren  um  1640  zu  Bologna,  hatte  an  der  dortigen  Kirche  San  Petronio 
Anstellung,  kam  aber  dann  in  die  persönlichen  Dienste  des  Cardinais  Pamfili 
zu  Rom.  Nach  seiner  Geburtsstadt  zurückgekehrt,  ist  er  um  1G9Ü  gestorben. 
Von  seinen  Opern  lassen  sich  noch  folgende  Titel  aufführen:  r>Glearco  in  Ne- 
(/7'oponte«,  TiCiro  in  Lidia«,  nRodoaldo  re  Wltalia^,  »Teodora  Auffiista«,  »La  gene- 
rosa  gara  tra  Gesare  e  Pompeoa,  »Carlo  il  grandea  und  »Maurizioa,  welche  von 
1683  bis  1691  auf  verschiedenen  Bühnen  Italiens  in  Flor  waren.  Ausser 
Opern  erschienen  aus  dem  Nachhissc^  G.'s:  »Cantate  a  voce  solan  (Bologna,  1691, 
mit  einer  G.  feiernden  Vorrede  von  Marino  Silvani);  »Vexillum  pacis  a  Alto 
solo  con  sfromenti».  (in  einer  Sammlung  von  Motetten,  Bologna,  1695);  »GiyJie, 
correnti  e  sarabande  a  due  Violini  e  Violoncello  con  Basso  eontinuoa  (Bologna, 
1703). 

Gabrieli,  Francesca,  vorzügliche  italienische  Sängerin,  genannt  la  Ga- 
brielina oder  von  ihrer  Geburtsstadt  la  Ferrarese,  ist  im  J.  1755  zu 
Ferrai'a  geboren.  Ihrer  schönen,  geschmeidigen  Stimme  wegen  wurde  sie  schon 
früh  in  das  Conservatorium  Ospedaletio  in  Venedig  gebracht,  welches  damals 
unter  Direktion  Sacchini's  stand.  Im  J.  1774  debütirte  sie,  vollständig  aus- 
gebildet, auf  dem  Theater  San  Samuele  in  Venedig  mit  solchem  Erfolge,  dass 
sie  als  Primadonna  buffa  angestellt  wurde,  in  welcher  Eigenschaft  sie  auch 
auf  anderen  Opernbülmen  ihres  Vaterlandes  mit  dem  grössten  Beifall  saug, 
so  noch  1778  in  Florenz  und  1782  in  Neapel.  Im  J.  1786  war  sie  in  London 
engagirt  und  trat  dort  u.  A.  mit  der  Mara  zusammen  auf.  Erst  1789  kehrte 
sie  aus  England  in  ihre  Heimath  zurück,  woselbst  sie  noch  in  Turin  sang, 
sich  aber  bald  darauf  von  der  Bühne  zurückzog  und  1795  in  Venedig  starb. 
Bei  einer  einnehmenden  Persönlichkeit,  aber  allzu  freien  Umgangsart  besass  sie 
in  ihrer  Blüthezeit  glänzende  und  gut  geschulte  Stimmmittel,  denen  im  ge- 
tragenen Gesänge  jedoch  ein  tieferer  Ausdruck  abging. 

Gabrielli,  Catterina,  hochgefeierte  italienische  Sängerin,  eine  der  be- 
rühmtesten Künstlerinnen  des  18.  Jahrhunderts  überhaupt,  wurde  am  12.  Novbr. 
1730  zu  Rom  geboren  und  war  die  Tochter  eines  Kochs  des  Fürsten  Gabrielli, 
von  dem  sie,  da  er  sie  hatte  ausbilden  lassen,  den  Namen  annahm,  während 
die  Italiener  sie,  in  Erinnerung  des  Gewerbes  ihres  wirklichen  Vaters,  la 
Guochettina  (das  Kind  des  Kochs)  nannten.  Ihren  Gesangunterricht  über- 
nahmen in  Folge  der  Munificenz  des  genannten  Fürsten  Garcia  (mit  dem  Bei- 
namen lo  Spagnoletto)  und  Poi'pora,  und  sie  selbst  sang  seit  1747,  wo  sie  so- 
fort in  Lucca  als  Sofonisbe  in  Galuppi's  gleichnamiger  Oper  Bewunderung  er- 
regte und  selbst  den  berühmten  Sänger  Guadagni  in  den  Schatten  stellte,  auf 
verschiedenen  grossen  Bühnen  ihres  Vaterlandes.  Im  J.  1750  war  sie  das 
Entzücken  der  Neapolitaner,  besonders  als  Didone  in  der  Oper  von  .Tomelli, 
deren  grosse  Arie  »Son  regina  e  sono  amantea  sie  so  styl-  und  ausdrucksvoll 
sang,  dass  Alles  für  sie  schwärmte.  Auf  Metastasio's  Veranlassung  ging  sie 
nun  nach  Wien,  wo  sie  von  diesem  Meister  noch  Unterricht  in  Declamation 
und  im  Spiel  erhielt  und  von  Franz  I.  zur  Kammersängerin  ernannt  wurde. 
Im  J.  1765  verliess  sie  Wien  und  erregte  zunächst  in  Palermo  das  grösste 
Aufsehen,  voran  natürlich  durch  ihren  vollendeten  Gesang  und  ihr  anmuthiges 
Spiel,  dann  aber  auch  durch  ihre  Launenhaftigkeit  und  durch  die  Widerspenstig- 
keit, mit  der  sie  selbst  dem  Vicekönig  Trotz  bot.  In  Parma  1767  gewann  sie 
ausser  der  allgemeinen  Bewunderung  auch  noch  die  besondere  Liebe  des  In- 
fanten Don  Philipp,  so  dass  sie  ein  Jahr  später  heimlich  entweichen  musste, 
um  dem  eifersüchtigen  Fürsten  zu  Gefallen  nicht  ihre  Bühnenlaufbahn  zu 
unterbrechen.  Sie  folgte  hierauf  dem  schon  lange  an  sie  ergangenen  Rufe  der 
Kaiserin  Katharina  II.  nach  St.  Petersburg,  blieb  daselbst  mehrere  Jahre  unter 
glänzenden  Verhältnissen  und  sang  erst  1777  wieder  in  Venedig  an  der  Seite 
Pachiarotti's,  der    aus   Scheu  vor  einer  solchen  Rivalin   zuerst  gar  nicht  aufzu- 


Gabrielli  —  Gabussi.  99 

treten  wagte.  Nach  einem  erfolgreichen  Aufenthalte  in  London  begab  sie  sich 
1780  nach  Mailand,  wo  sie  es  mit  dem  berühmten  Marchesi  noch  immer  auf- 
nehmen konnte.  Sie  sang  jedoch  nur  noch  eine  Saison,  zog  sich  darauf  nach 
Rom  in  das  Privatleben  zurück  und  starb  daselbst  im  April  1796.  Ihr  emi- 
nentes Talent  war  ebenso  sehr  mit  Eigensinn  und  Launenhaftigkeit,  als  mit 
sprudelndem  Greist  und  mit  Wohlthiltigkeitssinn  gepaart,  so  dass  sie  in  gleichem 
Maasse  verehrt  und  gefeiert,  wie  gescheut  und  gefürchtet  war. 

(nrabrielli,  Nicolo,  Graf  von,  talentvoller  italienischer  Componist-Dilettant, 
einer  altadeligen  Familie  entstammend  und  um  1810  zu  Neapel  geboren,  machte 
bei  Busti  Gresangs-  und  bei  Donizetti  Compositionsstudien.  Seit  1835  trat  er 
in  Neapel  vielfach  als  Ballet-  und  Operncomponist  auf,  und  bis  1847  zählte 
man  an  70  Partituren,  von  denen  einige  ziemlich  grossen  Beifall  fanden,  so  von 
seinen  Opern:  »J  dotti  per  fanatismoa,  f>Il  <padre  della  debufante«,  y>La  lettera 
'perdutafi^  y)Ij  affamato  senza  danarov.^  v>Il  condannato  di  Saragossati,  y>GiuUa  di 
Tolosaa,  y>Il  (jemellov-  u.  s.  w.  Seit  1850  lebt  er  in  Paris,  wo  seine  Ballet- 
musiken  [y^Gemmaa,  1854,  y>Les  elfesa,  1856  und  besonders  y>L'etoile  de  Messine«, 
1861)  ganz  bedeutenden  Erfolg  hatten  und  seine  Oper  »Dow  Gregorio«  (1859) 
und  r>Le  petit  cousina.  (1860)   mit  Beifall  aufgenommen  wurden. 

Gabrielski,  Johann  Wilhelm,  vortrefflicher  Flötist,  geboren  am  27.  Mai 
1791  zu  Berlin,  war  der  Sohn  eines  TJnterofficiers  der  Artillerie,  der  dem  Sohn 
schon  frühzeitig  einigen  Violinunterricht  ertheilte,  so  dass  derselbe,  noch  Knabe, 
im  Stande  war,  bei  Tanzmusiken,  die  der  Nebenerwerb  der  Familie  waren,  mit- 
zuwirken. Neun  Jahr  alt,  wurde  er  durch  einen  Schulkameraden  ermuntert, 
Flötenspiel  zu  treiben  und  fand  auf  diesem  Instrumente  bei  einem  Artillerie- 
Hauptmann,  Namens  Vogel  und  bei  dem  Kammermusiker  A.  Schröck  hin- 
i'eichende  Unterweisung,  so  dass  er  1810  schon  öffentlich  auftreten  und  auch 
als  Lehrer  fungiren  konnte.  Im  Begriff  1813  dem  Aufrufe  des  Königs  gegen 
Frankreich  als  freiwilliger  Cavallerist  zu  folgen,  brach  er  beim  ersten  Proberitt, 
in  Folge  eines  Sturzes  vom  Pferde,  den  Arm  und  musste  zurückbleiben.  Er 
Hess  sich  1814  als  Flötist  beim  Theater  in  Stettin  engagiren  und  beschäftigte 
sich  dort  nebenbei  als  Naturalist  vielfach  mit  Composition;  eigentliche  theo- 
retische Studien  machte  er  erst  seit  1816  in  Berlin,  wo  er  königl.  Kammer- 
musiker geworden  war,  und  zwar  beim  Kapellmeister  Gürrlich,  später  beim 
Kapellmeister  Seidel  und  zuletzt  beim  Musikdirektor  Birnbacli.  Als  Flötist 
hat  er  sich  auf  Kunstreisen  durch  Norddeutschland  von  1812  an,  1822  auch 
in  Warschau,  vortheilhaft  bekannt  gemacht  und  als  Componist  ist  er  mit  Con- 
certen  und  Solos,  Duos,  Trios  und  Quartetten  für  Flöte,  sowie  mit  einigen 
Gesangstücken  aufgetreten.  Er  starb  am  18.  Septbr.  1846  zu  Berlin.  —  Sein 
Bruder  und  Schüler  Julius  G.,  geboren  am  4.  Decbr.  1806  zu  Berlin,  erregte 
schon  seit  seinem  11.  .Jahre,  wo  er^  zuerst  öffentlich  auftrat,  als  talentvoller 
Flötist  die  öffentliche  Aufmerksamkeit.  Als  Hautboist  im  zweiten  Garderegi- 
ment zu  Fuss  seit  1821  studirte  er  eifrig  die  Theorie  der  Musik.  Vom  Militär 
1825  entlassen  und  als  Musiklehrer  thätig,  blies  er  vieKach  aushülfsweise  in 
der  königl.  Kapelle,  worauf  er  auch  bald  die  definitive  Anstellung  als  Kammer- 
musiker erhielt.  Er  Hess  sich,  namentlich  in  Berlin,  häufig  öffentlich  mit  Bei- 
fall hören  und  fand  auch  als  Componist  für  sein  Instrument  grosse  Anerkennung. 
Im  Druck  erschienen  sind  jedoch  nur  zwei  Fantasien.  Nach  langjährigem  Dienste 
pensionirt  und  durch  den  Rothen  Adlerorden  ausgezeichnet,  lebt  er  in  Zurück- 
gezogenheit noch  gegenwärtig  in  Berlin.  —  Ein  Sohn  Johann  AVillielm's,  Na- 
mens Adolph  G.,  wirkt  gegenwärtig  als  erster  Flötist  der  Hof-  und  Operu- 
kapelle  zu  Berlin. 

Gabiisl,  Giulio  Cesare,  s.  Gabuzio. 

Gabussi,  Vincenzo,  trefflicher  italienischer  Gesangcomponist  und  Sing- 
lehrer, ist  um  1804  zu  Bologna  geboren,  woselbst  er  gründliche  Musikstudien 
beim  Padre  Mattei  trieb.  Im  J.  1825  ging  er  nach  London,  wo  er  sich  als 
Gesanglehrer  und  als  Instructor  und  Accompagnateur  bei  der  italienischen  Oper 

7* 


100  Gabuzio  —  Gade. 

Ansehen  und  ein  Vermögen  erwarb,  ebenso  als  Coraponist  von  Canzonen  und 
Duetten  [zur  Beliebtheit  gelangte.  Um  1840  kehrte  er  in  sein  Vaterland  zu- 
rück und  suchte  durch  die  Oper  »Clemenfina  di  Valoism,  welche  1841  in  Vene- 
dig und  Mailand  zur  Aufiführuug  kam,  sich  einen  grösseren  Ruf  zu  vei'schaffeu, 
allein  vergebens.  Um  so  mehr  Glück  machten  auch  dort  seine  zahlreichen 
Arietten,  Duette  und  KammermusiKsaclien,  die  sich  durch  ihre  angenehme  Me- 
lodik und  dankbare  Gesangweise  einschmeichelten  und  auch  in  Deutschland 
zahh'eiche  Verehrer  fanden.  —  Jedenfalls  eine  nahe  Verwandte  von  ihm  war 
die  Sängerin  Rita  G.,  geboren  1818  zu  Bologna  und  eine  Schülerin  Teresa 
Bertlnotti's.  Sie  sang  seit  18.36  auf  den  grössten  Bühnen  Italiens,  1840  auch 
in  Wien   mit  bedeutendem  Erfolge. 

(liabuzio,  Giulio  Oesare,  auch  Gabutio  und  Gabusi  geschrieben,  ita- 
lienischer Tonsetzer  aus  Bologna,  war  in  der  zweiten  Hälfte  de»  16.  Jahrhun- 
derts Kapellmeister  am  Dom  zu  Maihvnd.  Von  seinen  Ai'beiten  findet  mau  in 
Joan.  B.  Bergamo  Parnasso  uiusic.  Ferdinand.  (Venedig,  1615)  einige  Motetten; 
andere  Motetten  und  Kirchenstücke  soll  er  1586  und  1587  selbststäudig  in 
Venedig  und  Mailand  haben   erscheinen  lassen. 

Oaces  Brules  oder  liralo/,  einer  der  besten  und  fruchtbarsten  französischen 
Troubadours  des  1.3.  Jahrhunderts,  lebte  um  1235  in  der  Bretagne.  Da  er  in 
einigen  Manuscripteu  Gaste  Ble  sich  geschrieben  findet,  so  vermuthet  man,  dass 
er  aus  der  adeligen  Familie  gleichen  Namens  aus  der  Champagne  stamme.  Von 
seinen  Liedern  sind  79  übrig  geblieben,  und  63  davon  befinden  sich  in  ver- 
schiedenen Manuscripteu  (einige  davon  mit  ihren  Melodien)  in  der  grossen 
Staatsbibliothek  zu  Paris. 

Gade,  Niels  W.,  einer  der  begabtesten  und  tüchtigsten  Tondichter  der 
Gegenwart,  geboren  am  22.  Oktbr.  1817  zu  Kopenhagen,  war  der  Sohn  eines 
Instruiiientonmachers  und  von  seiner  Familie  für  denselben  Beruf  bestimmt. 
Die  grossen  Fortschritte  aber,  die  der  junge  G.,  trotz  anfänglich  ungenügenden 
Unterrichts  auf  dem  Pianoforte,  der  Guitarro  und  Violine  machte,  bewogen 
doch  endlich  den  Vater,  eine  gründlicliere  Ausbildung  der  Anlagen  seines  Sohnes 
zu  veranlassen,  und  späterhin  legte  derselbe  dem  Wunsche  des  Letzteren,  sich 
ganz  der  Tonkunst  widmen  zu  dürfen,  kein  Hinderniss  mehr  in  den  Weg.  Bald 
war  G.  in  der  technischen  Fertigkeit  so  weit  gelangt,  dass  er  als  Violinist  in 
die  Hofkapelle  treten  konnte,  und  nun  wagte  er  es  auch  fleissig  mit  Compo- 
sitionsversuchen,  von  denen  aber  vorläufig  nur  einer,  dieser  aber  auch  auf's 
Vollkommenste  glückte.  Eine  »Nachklänge  an  Ossian«  betitelte  und  später  so- 
gar berühmt  gewordene  Ouvertüre  erhielt  nämlich  1841,  gemäss  dem  Ausspruche 
Ludwig  Spohr's  und  Friedr.  Schneider's  als  Preisrichter,  den  vom  Kopenhagener 
Musikverein  ausgesetzten  Preis.  Mendelssohn  brachte  bald  darauf  dies  allge- 
mein als  gelungen  anerkannte  Werk  im  Gewandhause  zu  Leipzig  zur  Auffüh- 
rung und  verschaffte  dadurch  zuerst  dem  jungen  Componisten  einen  geachteten 
Namen  in  Deutschland,  welcher  durch  die  Reproduction  der  mit  wahrem  Enthu- 
siasmus aufgenommenen  Sinfonie  Nr.  1  in  C-moU  noch  mehr  Gewicht  erhielt. 
Mendelssohn  hatte  hierzu  ebenfalls  wieder  die  uneigennützige  Hand  geboten 
und  ihm,  dem  in  seltenem  Grade  edel  und  grossdenkenden  Meister,  war  es  ein 
Hochgenuss,  dass  einer  seiner  jüngeren  talentvollen  Collegen  vom  kritischen 
Leipziger  Publikum  glänzend  aufgenommen  wurde.  Durch  die  ansehnliche 
Unterstützung  des  Königs  Christian  VIII.  von  Däneiuark,  seines  Landesherrn, 
wurde  es  G.  möglich,  zu  höherer  Ausbildung  das  Ausland  zu  besuchen,  und 
zwar  nahm  er  aus  Dankbarkeit  gegen  Mendelssohn  seinen  Weg  zuerst  nach 
Leipzig,  wo  ihm  1843  von  seinen  Freunden  und  dem  Publikum  die  freund- 
lichste Aufnahme  zu  Theil  ward.  Die  bald  darauf  bewerkstelligte  Autführung 
des  Ossian'schen  Gedichts  »Comala«,  von  G.  für  Soli,  Chor  und  Orchester  ge- 
setzt, befestigte  nur  die  hohe  Achtung,  welche  man  dem  jungen  Tondichter 
zollte  und  trug  nicht  wenig  dazu  bei,  dass  man  ihm  nach  der  Rückkelir  von 
seiner  von  Leipzig  aus  unternommenen  italienischen  Reise,  im  Herbst  1844   die 


Gaebler.  101 

Leitung  der  Gewandhausconcerte  anvertraute,  da  Mendelssohn  während  dieser 
Zeit  in  Berlin  und  Frankfurt  a.  M.  verweilte.  Nachdem  Gr.  im  Sommer  1845 
seine  Heimath  besucht  hatte,  war  er  im  "Winter  1845  auf  1846  neben  Mendels- 
sohn Concertdii'igent  in  Leipzig,  und  nach  dessen  Tode  führte  er  die  Direction 
allein,  bis  er  im  Frühjahr  1848  nach  Kopenhagen  zurückkehrte,  wo  er  eine 
Organistenstelle,  die  Leitung  der  Concerte  des  dortigen  Musikvereins,  1861, 
nach  Gläser's  Tode,  auch  interimistisch  das  Amt  eines  Hofkapellmeisters  über- 
nahm und  zum  Professor  der  Musik  ernannt  wurde.  In  dieser  Wirksamkeit 
und  einer  ununterbrochenen  Lehr-  und  Compositionsthätigkeit  lebt  er  noch 
gegenwärtig  zu  Kopenhagen.  —  Niels  W.  Gade  gehört  in  der  heutigen  Zeit 
des  Neuromanticismus  in  der  Musik  zu  den  schlagfei'tigsten  und  talentvollsten 
Vertretern  der  älteren  Romantik,  die  vorwiegend  den  Mendelssohn'schen  Formen 
huldigt.  Jedoch  zeigt  er  so  viel  Originalität  und  Selbstständigkeit,  dass  er 
nicht  als  sclavischer  Nachahmer  seines  grossen  Vorbilds  bezeichnet  werden  kann. 
Nur  die  Art  und  Weise  des  formellen  Baues,  die  äussere  feine,  graziöse  Gestalt 
der  Schöpfungen  Mendelssohn's  zogen  ihn  unwiderstehlich  mit  sich  fort  und 
gaben  seinem  Künstlergemüth,  seinem  einfachen  klaren  Geiste  die  nöthige  Festig- 
keit, Hin  sich tlicli  der  Erfindung  besitzt  G.  eine  entschieden  hervorstechende 
Individualität,  welche  sich  besonders  durch  einen  gewissen  nationalen  Typus 
und  durch  ein  nordisches  Colorit  kundgiebt.  Er  ist  mit  Becht  als  musikalischer 
Interpret  der  nordischen  Sage  und  namentlich  der  Poesie  Ossian's  (soweit  die- 
selbe wirklich  vorhanden  ist)  zu  bezeichnen,  indem  er  bei  geschickter  und 
farbenreicher  Behandlung  des  Orchesters  in  plastisch-schöner  Ausarbeitung  die 
alten  Heldengestalten  gewissermassen  in  Tönen  vorführt  und  hauptsächlich  in 
den  beiden  Ouvertüren  »Nachklänge  von  Ossian«,  »Im  Hochland«,  in  der  ersten 
Sinfonie  (O-moll)  und  in  der  Cantate  »Comala«  seine  von  der  nordischen  Sage 
genährte  Natur  in  origineller  und  interessanter  Weise  offenbart.  Die  Nord- 
laudspoesie  füllte  mit  ihrem  Lebensquell  das  Strombett  seiner  Empfindung;  sie 
floss  hinein  in  seine  Melodik  und  Harmonik  und  gab  seinen  Tonbildern  sowohl 
die  duftige,  zarte,  als  auch  die  kräftige,  frische  Färbung,  welche  die  Gedanken 
des  Künstlers  in  so  reichem  und  ästhetisch  geordnetem  Wechsel  zeigt.  Nicht 
minder  als  jene  oben  augeführten  und  ganz  besonders  in  diesem  Geiste  ge- 
schaffenen Werke  sind  auch  einige  seiner  übrigen  Schöpfungen  im  besten  Sinne 
des  Wortes  populär  in  Deutschland  geworden,  und  die  Concertsäle  haben  schon 
oft  wiederholt  erlebt,  welche  Sympathien  das  musikalisch  feingebildete  Publikum 
auch  G.'s  jB-dur- Sinfonie,  der  Ballade  »Erlkönigs  Tochter«  für  Sologesang,  Chor 
und  Orchester,  der  »Frühlingsphantasie«  für  vier  Singstimraen ,  Orchester  und 
Pianoforte  entgegen  trägt,  während  seine  ^-moll- Sinfonie  und  die  in  (r-moU 
(Nr.  6),  seine  Ouvertüren  »Hamlet«  und  »Michel  Angelo«,  sowie  seine  grosse 
dramatische  Cantate  »die  Kreuzfahrer«  weniger  Anklang  im  Publikum  finden. 
Auch  auf  dem  Gebiete  der  Kammer-  und  Salonmusik  ist  G.  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  sehr  thätig  gewesen,  und  besonders  sind  hier  ein  Quintett,  ein  Octett 
für  Streichinstrumente,  eine  Sonate  für  Ciavier  und  Violine,  zahlreiche  Lieder 
für  eine  Singstimme,  Chorgesänge  für  gemischten  und  für  Männerchor,  seine 
Aquarellen  für  Pianoforte,  sowie  andere  zwei-  und  vierhändige  Stücke,  meist 
in  kleinerer  Form,  aber  um  so  reizender  und  anmuthiger,  u.  s,  w,  hervorzu- 
heben, in  welchen  dieser  Tondichter  stets  seine  edle  Denkungsart  und  Beherr- 
schung der  Form  kundgegeben  hat.  Von  den  im  Druck  erschienenen  Werken 
der  letzten  Jahre  hat  die  höchst  anmuthige  und  feine  »Frühlingsbotschaft«  für 
Chor  und  Orchester  mit  Becht  aller  Orten  den  Preis  ei'rungen. 

Gaebler,  Ernst  Friedrich,  verdienstvoller  Musikpädagog  und  Componist 
von  Schul-  und  Kirchenstücken,  geboren  1815  zu  Bunzlau,  einhielt  dort  auch 
seinen  ersten  musikalischen  Unterricht  und  zwar  beim  Oberlehrer  am  königl. 
Seminar,  C,  Karow,  dessen  bester  Schüler  im  Ciavier-  und  Orgelspiel  er  war. 
Zu  weiterer  Ausbildung  begab  er  sich  nach  Berlin,  wo  er  Zögling  des  von 
A.  W.  Bach  geleiteten  königl.  Instituts  für  Kirchenmusik  wurde  und  die  Vor- 


102  Gäde  —  Gänsbacher. 

lesungen  des  Professors  A.  B.  Marx  an  der  Universität  fleissig  besuchte,  welche 
namentlich  auf  seine  Conipositionsübungen  von  anregender  Einwirkung  waren. 
Als  Nachfolger  Köhler's  wurde  G.  an  das  Pädagogium  und  "Waisenhaus  zu 
Züllicliau  berufen  und  wirkt  noch  jetzt  daselbst  in  sehr  anzuerkennender  Art 
in  der  Eigenschaft  eines  Musikdirektor  und  Musiklehrers  dieser  Institute.  Von 
seinen  zahlreichen  compositorischeu  Arbeiten  sind  Motetten,  der  für  Männer- 
stimmen gesetzte  34.  Psalm,  Schullieder,  andere  Gesangsachen  und  Orgelstücke 
im  Druck  erschienen. 

Gäde,  Theodor,  ein  Tanzcomponist  von  localer  Bedeutung,  lebte  im  ersten 
Viertel  des  19.  Jalirhundcrts  zu  Berlin  und  liat  ausser  der  Musik  zu  einem 
Ballet  »die  Eifersüchtigen  auf  dem  Lande«  zahlreiche,  zum  Theil  beliebt  ge- 
wesene Märsche  und  Tänze  aller  Art,  sowie  einige  Gesänge  und  Ciavierstücke 
coniponirt. 

(rähler,  voji,  Conferenzrath  und  erster  Bürgermeister  von  Altona,  ein  aus- 
gezeichneter Dilettant  und  Musikkenner,  ist  1748  zu  Delmenhorst  geboren  und 
starb  im  J.  1825  zu  Altona.  Er  war  als  Ciavierspieler  ein  Schüler  Phil.  Em. 
Bach's.  Zahlreiche  Abhandlungen  und  Beccnsionen  von  ihm  in  verschiedeneu 
Jahrgängen  der  Leipziger  allgemeinen  musikalischen  Zeitung  bekunden  seine 
hervorragende  allgemeine  Intelligenz  und  seine  tiefe  Einsicht  in  das  Wesen 
der  Tonkunst. 

Gährich,  "Wenzel,  ein  gewandter  und  talentvoller  Componist,  geboren  am 
16.  Septbr.  1794  zu  Zerchowitz  in  Böhmen,  besuchte  bis  zu  seinem  zwölften 
Jahre  die  Schule  seines  Geburtsorts  und  kam  dann  auf  das  Piaristen-Gymna- 
sium  zu  Prag,  wo  er  sich  nebenbei  im  Violinspiel  ausserordentlich  vervoll- 
kommnete. Im  J.  1813  bezog  er  die  Universität  zu  Leipzig,  um  die  Bechts- 
wissenschaften  zu  studiren.  Er  sah  sich  jedoch  bald  genöthigt,  dieses  Fach- 
studium wegen  mangelnder  pecuniärer  Mittel  aufzugeben  und  sich  als  Violinist 
des  Leipziger  Theaterorchesters  engagiren  zu  lassen.  Bereits  war  er  23  Jahr 
alt,  als  er  dort  anfing,  sich  mit  eingehenden  Musikstudien  zu  befassen.  Um 
1825  wurde  er  als  königl.  Kammermusikus  in  die  Hofkapelle  zu  Berlin  berufen, 
und  im  J.  1845,  nachdem  er  sich  bereits  durch  eine  Anzahl  sehr  gelungener 
Ballet-Compositionen  bekannt  gemacht  hatte,  zum  Ballet-Dirigenten  der  königl. 
Oper  ernannt.  Als  solcher  im  J.  1860  pensionirt,  starb  er  im  J.  1865.  — 
G.  hatte  sich  einen  gewissen  localen  Buhm  erworben,  hätte  aber,  dem  "Werthe 
seiner  compositorischeu  Arbeiten  nach,  einen  weit  ausgedehnteren  Ruf  verdient. 
Denn  er  besass  ein  bemerkenswerthes  melodisches  Talent  und  war  ein  geschickter 
Künstler  in  Bezug  auf  Ausgestaltung  und  Ausarbeitung  seiner  Ideen,  sowie 
der  Instrumentation.  Er  hat  mehrere  Sinfonien,  Ouvei'türen  und  Zwischen- 
aktsstücke für  das  königl.  Schauspiel  in  Berlin,  ferner  Musiken  zu  Vaudevilles 
und  Localpossen,  Gelegenheits-Cantaten,  Kirchenstücke,  ein-  und  mehrstimmige 
Lieder,  Streichquartette  und  Märsche  und  Tänze  aller  Art  geschrieben,  von 
denen  nur  das  "Wenigste  im  Druck  erschienen  ist.  Unbestreitbare  Bedeutung 
gebübrt  ihm  als  Balletcomponisten,  iiud  für  sein  grosses  Talent  auf  diesem 
Gebiete  sprechen  seine  Partituren  zu  Taglioni'schen  und  Hoguet'schen  Tanz- 
poemen, als  »Don  Quixote«,  »die  Insel  der  Liebe«,  »der  Seeräuber«,  »Aladin« 
u.  s.  w.  Auch  zwei  Opern  existiren  von  ihm  im  Manuscript:  »die  Creolin« 
und  »der  Freibeuter«,  welche  das  volle  Lob  näherstehender  Sachverständiger 
erfahren  haben,  aber  von  seinen  Erben  vergebens  behufs  Aufführung  ausgeboten 
worden  sind.  —  Ein  Sohn  von  ihm,  Georg  G.,  hat  sich  in  Berlin  als  Pianist 
vortheilhaft  bekannt  gemacht  und  wirkte  bis  1870  als  Bratschist  in  der  Hof- 
und  Opernkapelle. 

Gännnrich,  Heinrich,  einer  der  trefflichsten  schlesischen  Orgel-  und  Violin- 
spielcr  der  ersten  Hälfte  des  18,  Jahrhunderts,  starb  im  J.  1775  als  Cantor 
an  der  Pfarrkirche  in  Bunzlau,  welche  Stellung  er  beinahe  fünfzig  Jahre  hin- 
durch in  Ansehen  und  mit  Ehren  bekleidet  hatte. 

Gäusbiicher,    Johann   Baptist,    fruchtbarer    und    geschickter  Componist, 


Gärtner.  103 

besonders  von  Kirchenwerken,  wurde  am  8.  Mai  1778  zu  Sterzing  in  Tyrol 
geboren.  Sein  Vater,  Regens  cliori  und  Schullehrer  des  Orts,  unterrichtete  ihn 
schon  frühzeitig  im  Gesang,  Ciavier-,  Orgel-  und  Violinspiel,  und  in  solcher 
Art  gut  vorgebildet,  kam  G-.  mit  acht  Jahren  als  Chorknabe  zuerst  nach  Inns- 
bruck, dann  nach  Hall.  Von  1780  au  besuchte  er  das  Gymnasium  zu  Botzen, 
wo  ihn  der  Organist  Reiner,  Musikdirektor  Neubauer  und  Pater  Fendt  im 
Orgel-,  Violin-  und  Violoncellospiel  noch  weiter  ausbildeten,  während  er  selbst, 
um  genügende  Subsistenzmittel  sich  zu  verschaffen,  zugleich  eine  Art  Haus- 
lehrerstelle versah.  Schon  1795  konnte  er  in  Innsbruck  die  höheren  philo- 
sophischen Studien  beginnen  und  wirkte  auch  dort  nebenbei  als  Musik-  und 
Nachhülfelehrer,  sowie  als  Kirchensänger.  In  jene  Zeit  fallen  auch  seine  ersten 
ernstlicheren  Compositionsversuche.  In  der  Kriegsbedrängniss  des  Jahres  1796 
diente  er  als  Freiwilliger  im  Landsturm,  befehligte  bald  sogar  eine  Truppe 
von  300  Mann  und  erhielt  nach  erfolgtem  Friedensschlüsse  die  goldene  Tapfer- 
keitsmedaille für  Officiere.  Im  -J.  1802  suchte  er  Abt  Vogler  in  "Wien  auf, 
der  ihn  in  sein  Harmoniesystem  einweihte  und  auf  seine  theoretisch-musikalische 
Fortbildung  wohlthätig  einwirkte.  Wohlwollende  Gönner,  unter  ihnen  beson- 
ders der  Graf  Firmian  und  sein  Schüler,  Graf  Erdödy,  unterstützten  ihn  kräftig 
in  seinen  musikalischen  Bestrebungen,  so  dass  er  bei  Albrechtsberger  das  Stu- 
dium des  Contrapunkts  gründlich  absolviren  konnte.  Nach  einem  längeren 
Aufenthalte  in  Innsbruck  und  bei  seiner  Mutter  in  Sterzing,  trieb  es  ihn  1810 
abermals  zu  seinem  Lehrer  Abt  Vogler  in  Darmstadt,  wo  er  mit  seinen  jüngeren 
hochbegabten  Mitschülern  K.  M.  v.  Weber  und  Meyerbeer  das  berühmt  ge- 
wordene Freundschaftstriumvirat  schloss,  welches  erst  der  Tod  auflöste.  Nach- 
dem G.  in  den  Freiheitskriegen  wiederholt  eine  Jäger-Oberlieutenantsstellung 
bekleidet  hatte,  die  ihn  bis  nach  Neapel  gegen  Murat  führte,  in  welchem  Amte 
er  bei  seinem  Regimente  auch  ein  Musikcorps  organisirte  und  mit  seinen  Gom- 
positionen  vei'sah,  erhielt  er  1817  die  grosse  goldene  Vei'dienstmedaille.  Seinen 
militärischen  Verdiensten  vorzüglich  verdankte  er  es  auch,  dass  er  1823,  nach 
Preindl's  Ableben,  unter  mehreren  Mitbewerbern  das  angesehene  Amt  eines 
ersten  Kapellmeisters  am  St.  Stephansdome  in  Wien  erhielt.  Sein  ferneres 
Leben  verfioss,  einer  fleissigen  compositorischen  Thätigkeit  gewidmet,  gemäss 
den  regelmässigen  Geschäften  seiner  Stellung,  ruhig  und  ohne  Aufregung.  Er 
starb  am  13.  Juli  1844  und  ruht  auf  dem  St.  Marxer  Friedhof  in  Wien.  — 
Zahlreiche  Arbeiten  aller  Art,  theils  im  Druck  erschienen,  theils  im  Manuscript 
hinterlassen,  bezeichnen  sein  ausgiebiges  Compositionstalent.  Man  zählt  17 
Messen,  4  Requieme,  27  Gradualien,  Offertorien,  Motetten,  Psalme  und  Hymnen, 
Adventslieder,  Processions-Sequentien,  5  Litaneien,  9  Tantum  ergo  u.  dergl.; 
ferner  Sonaten,  Variationen,  Divertissements,  Märsche  u.  s.  w.  für  Pianoforte 
allein  und  mit  Begleitung;  Serenaden,  Parthien  und  Märsche  für  Harmonie- 
musik; eine  Sinfonie,  ein  Concert  "-für  Clarinette,  die  vollständige  Musik  zu 
Kotzebue's  Schauspiel  »die  Kreuzfahrer«,  ein  Liederspiel  »des  Dichters  Geburts- 
fest«, Lieder  und  Gesänge  für  eine  Singstimme,  italienische  Terzette,  Cantaten, 
Vocalquartette  u.  s.  w.  Dem  Werthe  nach  stehen  die  zuerst  aufgeführten  Werke 
für  die  Kirche  am  höchsten.  Dennoch  widerspricht  der  überwiegende  Theil 
derselben,  wenn  auch  Einzelnes  davon  edel  und  würdig  gehalten  ist,  dem  kirch- 
lichen Geiste,  besonders  durch  ein  gemüthliches,  joviales  Wesen,  wie  es  dem 
Wiener  Volkscharakter  zwar  eigenthümlich  ist,  mit  Erhabenheit  und  religiösem 
Ernst  sich  jedoch  nicht  vereinbaren  lässt. 

Gärtner,  Johann,  deutscher  Flötenvirtuose,  geboren  1740  auf  dem  Peters- 
berge bei  Fulda,  erhielt  seine  technisch-musikalische  Ausbildung  durch  die  Für- 
sorge des  kunstsinnigen  Fürstabts  Heinrich  VIII.  von  Fulda,  der  ihn  bei  dem 
berühmten  Weudling  in  Mannheim  ausbilden  Hess,  ihn  dann  auf  Reisen  durch 
Deutschland  schickte  und  endlich  als  ersten  Flötisten  in  seine  Hof  kapeile  zog. 
In  dieser  Eigenschaft  starb  G.  im  J.  1789.  Auch  als  Componist  ist  G.  für 
seine  Zeit    bemerkenswerth    gewesen,    indem    er,    laut    Henkel's   Mittheilungen, 


104  Gärtner  —  Gaetani. 

ausser  Solos  für  sein  Instrument  auch  Operetten  und  Cantaten  componirt  haben 
soll.  —  Ein  anderer  Musiker  desselben  Namens,  Joliaun  Peter  G.,  findet 
sich  um  1665  in  der  Reihe  der  kurbrandenburgischen  Kammermusiker  in  Berlin 
aufgeführt. 

(fürtncr,  Joscpli,  ein  vorzüglicher  Orgelbauer,  geboren  im  J.  1796  zu 
Tacliau  in  Böhmen.  Sein  Vater,  Anton  Gr.,  geboren  um  1730,  der  Erbauer 
der  grossen  Drgel  im  St.  Veitsdome  zu  Prag  (1763),  wie  sein  TJrgrossvater 
waren  schon  Orgelbauer  gewesen  und  auch  er  widmete  sieh  dieser  Kunst.  Seine 
Lehrzeit  machte  er  im  eltcrliclieu  Haiise  durch,  arbeitete  dann  längere  Zeit  iu 
Prag,  zuletzt  beim  Orgelbauer  Kolb  auf  der  Klcinseite.  Im  J.  1820  etablirte 
er  sich  selbstständig.  In  seiner  ersteji  Meisterzeit  entwickelte  G.  eine  ausser- 
ordentliche Thätigkeit.  Abgesehen  davon,  dass  er  fast  sämmtliche  Orgeln  der 
Hauptstadt  Prag  reparirte  und  stimmte,  für  welche  letztere  Funktion  er  ein 
ungemein  feines  Geliör,  viel  Geschick  und  Gewandtheit  besass,  baute  er  aucli 
die  grössten  AVerke  daselbst  um,  wie  die  Oi'gel  iu  iler  Strahover  Kirclie,  ferner 
die  Tejner  Orgel  im  J.  1833,  die  grosse  Orgel  zu  St.  Niclas  u.  s.  w.  Mehrere 
ganz  neue,  von  ihm  liergestellte  AVerke  besitzen  die  Kirchen  bei  Mariaschnee 
und  die  Piaristenkirche.  Zum  Hoforgclbauer  wurde  G.  auf  Grund  der  aner- 
kannten Vorzüglichkeit  seiner  Instrumente  im  J.  1825  ernannt.  Bei  der  1831 
stattgehabten  Gewerbeausstellung  in  Prag  erhielt  er  die  silberne  Verdienst- 
medaille, die  ihm  im  J.  1833  feierlichst  übei'geben  wurde.  G.  verfasste  auch 
eine:  »Kurze  Belehrung  über  die  innere  Einrichtung  der  Orgeln  und  die  Art, 
selbe  im  guten  Stand  zu  erhalten«,  die  im  J.  1832  in  Prag  erschien,  3  Auf- 
lagen erlebte  und  vom  Verfasser  auch  in  böhmischer  Sj)rache:  »Krätke  pona- 
uceni  o  varhanäch«  im  J.  1834  herausgegeben  wurde.  G.  starb  am  30.  Mai 
1863  in  Prag.  M— s. 

Gaertner,  Karl,  vielseitig  gebildeter  deutscher  Tonkünstler,  seit  Jahren 
ein  hervorragender  Vertreter  der  classischen  Musik  in  den  Vereinigten  Staaten, 
wurde  zu  Stralsund  geboren  und  zeichnete  sich  schon  als  Knabe  durch  musi- 
kalisches Talent  aus.  Vom  14.  bis  zum  21.  Jahre  machte  er  in  Greifswalde 
eine  strenge  Schule  beim  Direktor  Abel  durch,  dessen  Unterricht  G.  zu  einem 
gründlichen  Künstler  erzog.  Der  Trieb  nach  weiterer  Ausbildung  führte  ilin 
hierauf  nach  Leipzig,  wo  er  seine  Studien  bei  Mendelssohn,  David  und  Haupt- 
mann fortsetzte.  Darnach  ging  er  auf  Reisen  und  Hess  sich  als  Virtuose  auf 
der  Violine  hören,  1852  nach  Amerika.  Da  er  ein  grosses  Feld  für  eine  ein- 
flussreiche Arbeit  in  der  neuen  Welt  fand,  entschloss  er  sich  zu  bleiben.  In 
Boston  und  an  andern  Orten  erweckte  er  eineu  nachhaltigen  Eifer  für  die 
eigentliche  Kunst  und  siedelte  endlich  nach  Philadelphia  über,  wo  er  sich  mit 
gewissenhafter  Treue  der  Verbesserung  des  dortigen  Geschmacks  in  der  Musik 
widmete,  zuerst  im  Februar  1850  dui-ch  Veranstaltung  von  classischen  Concer- 
ten,  die  ersten  dieser  Art,  die  überliaupt  in  Pliiladelpliia  gegeben  worden  sind. 
Seitdem  hat  er  mit  jedem  Jahre  dem  intelligenten  Publikum  neue  Kunstgenüsse 
bereitet.  Mit  Beihülfe  seines  Quintett-Clubs  gab  er  einen  Winter  hindurch 
25  Nachmittagsconcerte  und  ausserdem  einige  Soireen,  worin  er  die  ausgewähl- 
testen Meisterwerke  zur  Aufführung  brachte.  Als  sorgsamer  Dirigent  wie  als 
gediegener  Violinist  zeichnete  er  sich  bei  derartigen  Veranstaltungen  in  gleicher 
Weise  aus.  Nicht  minder  einflussreich  hat  er  als  Lehrer  im  Gesänge,  der 
Violine  und  des  Pianoforte  gewirkt.  Während  des  Jahres  1867  gründete  er 
ein  Conservatorium,  das  gegenwärtig  in  Blütlie  steht.  Seine  eigenen  Compo- 
sitionen  sind  bedeutend;  diejenigen  für  Orchester  sind,  obgleich  in  Concerten 
aufgeführt,  noch  nicht  im  Druck  erschienen,  wohl  aber  einige  seiner  ansprechen- 
den, empfindungsvoUen  Lieder.  Auch  hat  er,  zunächst  für  die  Zwecke  seines 
Instituts,  eine  Clavierschule  und  eine  Violinschule  für  Anfänger,  sowie  eine 
vortreffliche  Gesangsschule  (Boston,  1871)  verfasst. 

Gaetaui)    ein    ausgezeichneter  italienischer  Theorbenvirtuose,    der  zu  Ende 


Gaetano  -—  Gafori.  105 

des  17.  Jahrhunderts  zu  Rom  lebte  und  in  Matthesou's  Grit.  Mus.  Tom.  I 
p.   159  aufgeführt  wird.  f 

Gtictano,  italienischer  Componist,  der  in  der  zweiten  Hälfe  des  18.  Jahrh, 
als  Kapellmeister  angestellt,  am  Hofe  des  Königs  Stanislaus  Poniatowski  von 
Polen  lebte,  woselbst  er  u.  A.  auch  eine  polnische  Oper  »Zolniertz  Czarno- 
sicznik«  in   Musik  setzte  und  zur  Aufführung  bruchte. 

Gaffarel,  Jacques,  französischer  Gelehrter,  Doctor  der  Theologie  und  des 
Kirchenrechtes,  Prior  und  Bibliothekar  des  Cardinais  Richelieu  in  Paris,  war 
zu  Mannes  in  der  Provence  1601  geboren  und  hat  in  noch  jungen  Jahren  einen 
Ti'aktat:  y>De  mnsica  ILehraeormn  stupe,ndav.  verfasst,  der  jedoch  nur  im  Manu- 
script  sich  vorfindet.  G.  starb  1681  zu  Sigonce.  In  den  Observ.  miscell.  T.  II 
p.  121  wird  berichtet,  dass  das  genannte  Werk  nach  1623  gedruckt  worden  sei. 

t 
Grafifi,  Bernardo,    italienischer   Ciaviervirtuose    und    guter  Componist  aus 

der  Wendezeit  des   17.  und   18.  Jahrhunderts,  war  aus  Rom  gebürtig  uud  dort 

ein  Schüler  des  Bernardo  Pasquini  gewesen.     Von  seinen  Compositionen   besitzt 

das   fürstl.  Musikarchiv    zu   Sondershausen    zwei   Cantaten    für  eine   SinsTstimme 

mit    Ciavierbegleitung    im    Manuscript.     Ausserdem    kennt    man    von    ihm    das 

Oratorium  y>Tnnoce)iza  yloriosa<i. 

Gafforini,  Elisabetta,  berühmte  italienische  Sängerin,  die  aber  erst  1789 
und  zwar  als  Debütantin  in  der  Oper  zu  Wien  auftaucht.  Bis  179.5  sang  sie 
auf  den  Bühnen  zu  Venedig,  Bologna  und  Neapel  mit  grossartigem  Ei-folge. 
Darauf  erhielt  sie  Anstellung  an  der  Hofoper  zu  Madrid  und  begab  sich  von 
dort  nach  Lissabon,  wo  sie  zwei  Jahre  lang  neben  Crescentini  sang  und  das 
Publikum  zur  Bewunderung  hinriss.  Zu  Ende  des  J.  1800  war  sie  wieder  in 
Italien  und  trat  dort  bis  1812  in  verschiedenen  grossen  Theatern  auf.  Ihr  in 
Mailand  im  Stich  erschienenes  Bildniss  ziert  eine  überschwänglich  gefasste  In- 
schrift in  Versen,  dergemäss  sie  eben  so  schön  als  kunstfertig  gewesen  sein 
muss. 

Gafori  oder  Gaforio,  Franchino,  auch  häufig  latinisirt  Franchinus 
Gafurius  oder  Gaforus,  ein  bedeutender  und  gelehrter  Musikliterat  aus 
Lodi,  woselbst  er  am  14.  .Fan.  1451  geboren  war.  Da  G.  sich  in  Folge  dessen 
in  seinen  lateinischen  Abhandlungen  Laudensis  nannte,  so  vermuthete  man 
früher  lange  mit  Unrecht,  er  sei  Franzose  und  aus  Laon  gebürtig  gewesen. 
Von  seineu  Eltern,  Bettino  G.,  einem  gewöhnlichen  Soldaten,  und  Catterina 
Fixaraga,  für  den  geistlichen  Stand  bestimmt,  studirte  er  Theologie  uud  Kir- 
chengesang, letzteren,  sowie  Musik  überhaupt  bei  Goodendag  mit  dem  latini- 
sirten  Namen  Bonadies.  Nach  erhaltener  Priesterweihe  ging  G.  nach  Mantua. 
wo  sein  Vater  in  Diensten  Ludovico  Gonzaga's  stand.  Dort,  sowie  zwei  Jahre 
später  in  Verona,  lag  er  auf's  Eifrigste  musik-theoretischen  Studien  ob.  Nach 
abermals  zwei  Jahren  begab  er  sieb  mit  Prospero  Adorno  nach  Genua  und 
folgte  dem  dort  bald  darauf  vertriebenen  Dogen  auch  nach  Neapel.  Dort  pflog 
er  mit  Job.  Tinctor,  Guil.  Garnerius,  Beruh.  Hycaert  Umgang  und  hielt  mit 
Filippo  Bononio  (Philippus  von  Caserta)  öffentliche  Disputationen  über  musi- 
kalische Fragen.  Durch  seinen  ersten  Tractat  über  Musik  machte  er  sich  hier- 
auf alsbald  vortheilhaft  bekannt.  Krieg,  Pest  und  materielle  Bedrängniss 
nöthigten  ihn  jedoch,  nach  wenigen  Jahren  nach  Lodi  zurückzukehren,  von  wo 
aus  er,  auf  Empfehlung  des  Canoiiicus  Barni,  die  Stelle  als  Chordirector  des 
Bischofs  Carlo  Pallavicini  in  Monticello  erhielt.  Drei  Jahre  sjDäter  ging  G. 
jedoch  als  Kirchensänger  und  Lehrer  der  Musik  nach  Bergamo  und  endlich 
nach  Mailand,  wo  er  1484  als  Domsänger,  Lehrer  der  Chorknaben,  sowie  als 
Kapellsänger  Ludovico  Sforza's  angestellt  wurde  und  als  öffentlicher  Tonlehrer 
bis  zu  seinem  Tode,  am  25.  Juni  1522  sehr  verdienstvoll  wirkte.  — ■  G.'s  Wirk- 
samkeit ist  nicht  ohne  bedeutenden  Einfluss  auf  die  musikalischen  Studien  seiner 
Zeit,  sowie  der  nächstfolgenden  Periode  geblieben,  deren  Schriftsteller  ihn 
häufig  als  Autorität  citiren.     Obwohl  er  sich  mit  der  altgriechischen  Tonwissen- 


106  Gaggi  —  Gagliano. 

Schaft  viel  beschäftigte  und  deren  Systeme  als  Hauptgrundlage  aller  Musiklehre 
ansali,  verlor  er  sich  duch  nicht,  wie  andere  Grleichgesinnte  in  unfruchtbare 
Speculationen,  sondern  suchte  ernstlich,  die  praktische  Entwickelung  der  Musik 
seiner  Zeit  zu  fördern.  Seine  bekannt  gewordenen  und  erhalten  gebliebenen, 
übrigens  sehr  unpolirt  geschriebenen  und  von  gelehrtem  Dünkel  strotzenden 
Schriften  sind:  1)  «Glarissimi  et  praestantissimi  musici  Franchitii  Gafori  Lau- 
densis  theoricmn  ojnis  musicae  disciplinaevi  (Neapel,  1480).  Gerber  und  andere 
citiren  zwei  Capitelüberschriften  dieses  Werks  irrthümlich  als  besondere,  1480 
erschienene  Bücher  G.'s.  In  gänzlicher  Umarbeitung  erscliien  genanntes  Haupt- 
werk in  zweiter  Auflage  unter  dem  Titel:  r>Theorica  musica  Franch.  Gaf.  Laud.<i 
(Mailand,  1492).  Es  ist  in  fünf  Bücher  abgethcilt,  wovon  die  ersten  vier  eine 
Art  Auszug  des  Boethius'schen  Tractats,  das  letzte  eine  Auseinandersetzung  der 
griechischen  Tonalität  und  der  Guidoni'schen  Solniisation  enthalten.  2)  Practica 
musicae  sive  musicae  actiones  in  4  Uhrisa  (Mailaiid,  1490,  fernere  Ausg.  1497, 
1502,  1512),  eines  der  besten  alten  musikjilischen  Werke  und  dasjenige,  dem 
Gl.  seinen  Hauptruhm  verdankt,  behandelt  den  Gantus  j'lamcs,  die  Notirung, 
den  Contrapunkt,  die  Proportionen,  das  Tempus  u.  s.  w.  Die  Proske'sche 
Sammlung  besitzt  von  den  beiden  genannten  und  sehr  selten  gewordenen  Werken 
eine  ausserordentlich  schöne  Ausgabe  mit  dem  Titel:  »Jifusica  utriusque  cankts 
practica<i  (Brixen,  1497).  3)  Angelicum  ac  divinum  opus  musice  Fr.  Gafitrii 
Laud.,  rerjH  musici  ecclesiaequc  Jifediolanensis  phonasci:  materna  lirigua  scriptum 
etc.«  (Mailand,  1508).  Italienisch  geschrieben,  enthält  dies  Buch  fünf  kleine 
Tractate,  Uebersetzungen,  ausgezogen  aus  den  zuvor  genannten  grossen  Werken. 
4)  Fr.  Gafurii  Laud.  reg.  mus.  publice  prqfitentis  deluhrique  Mediolanensis  pho- 
7iasci:  de  harmonia  musicorum  instrumentoritm  opus  etc.«.  (Mailand,  1518).  Die- 
sem Werke  sind  von  Pantaleone  Meleguli  biographische  Notizen  G.'s  angehängt, 
aus  denen  ersichtlich  ist,  dass  G.  viele  Tractate  für  seine  Schüler  geschrieben, 
aber  nur  diejenigen  hat  drucken  lassen,  welche  er  selbst  für  die  wichtigsten 
hielt;  ebenso,  dass  er  auf  seine  Kosten  die  musikalischen  AVerke  des  Aristides 
Quintilianus ,  Bryennius,  Bacchius  und  Ptolemaeus  aus  dem  Griechischen  hat 
in's  Lateinische  übersetzen  lassen,  woraus  mau  später  nicht  mit  Unwahrschein- 
lichkeit  schloss,  dass  G.  des  Griechischen  unkundig  gewesen  sein  müsse.  5) 
Apologia  Fr.  Gafurii  adversus  Joannem  Spatarium  et  complices  musicos  Bono- 
nienses«,  eine  überaus  selten  gewordene  Streitschrift,  aus  der  Hawkins,  der  ein 
Exemplar  davon  besass,  im  zweiten  Baude  seiner  Musikgeschichte  Auszüge  mit- 
theilt. Auf  dem  Titel  dieses  Buchs  fehlt  die  Jahreszahl,  doch  datirt  es  G. 
selbst  vom  20.  April  1520. 

Gag'g'i,  Giovanni,  italienischer  Organist  und  Musiklehrer,  im  letzten 
Viertel  des  18.  Jahrhunderts  zu  Siena  geboren,  studirte  Mathematik  und  Musik, 
letztere  bei  Lapini.  Im  J.  1802  wurde  er  als  Lehrer  am  Collegium  Tolomei 
zu  Siena  und  als  Organist  am  Consistorium  angestellt.  Gervasoni  erwähnt 
seiner  als  Kirchencomponist,  führt  bezügliche  Werke  von  ihm  auf  und  lobt  die- 
selben sehr.  —  Eine  Namensverwandte  von  ihm,  Lucia  G. ,  wird  im  J.  1718 
als   Sängerin  der  italienischen   Oper  in  Dresden   angefülirt. 

Gagliauo,  Alexandre,  französischer  Lautenvirtuose  des  17.  Jahrhunderts, 
Hess  sich  in  Neapel  nieder  und  gründete  daselbst  eine  zur  Blüthe  gelangte 
nFcole  de  lufhcrie«,  als  dei'en   Chef  er  von   10(15  bis  nach    1725  thätig  war. 

fiEg-liano,  eine  ausgezeichnete  und  berühmte  italienische  Geigenbauerfamilie 
in  Neapel,  deren  Weltruf  Nicolo  G.,  geboren  um  1675  zu  Neapel,  Ijegründete 
und  dessen  Sölme  Ferdinando  G.  (1736  — 1781)  und  Giuseppe  G.,  geboren 
1726,  gestor])en  1793,  befestigten.  —  Ein  Bruder  Nicolo's,  mit  Namen  Gen- 
naro  G.,  im  .1.  1680  zu  Neai^cl  geboren,  machte  sich  gleichfalls  durch  vor- 
treffliche Geigenfabrikate  rühmlich  bekannt. 

dlagliano,  Zanobi  de,  ist  der  Familienname  zweier  Brüder,  die  sich  als 
Madrigal-  und  Kircliencomponisten  ausgezeichnet  haben.  Der  ältere,  Marco 
de  G.,  wurde   in    der   letzten  Hälfte   des   16.  Jahrhunderts  in  Florenz  geboren 


GagUarde  —  Gail.  107 

und  musikalisch  vou  Luigi  Bati,  Schüler  Corteccia's  und  Kapellmeister  am 
mediceischen  Fürstenhofe  ausgebildet.  G.  selbst  wurde  Canonicus  und  Kapell- 
meister an  der  Basilica  San  Lorenzo  und  war  auch  unter  dem  Namen  VAffanato 
Mitglied  der  Akademie  der  Elevati  zu  Florenz.  Er  starb  daselbst  am  24.  Febr. 
1642.  Von  seinen  Compositionen  können  angeführt  werden:  nMisse  a  cinque 
voci  Üb.  I«  (Venedig,  1579);  y>Responsorio  della  settimana  santa  a  q^uattro  vocia 
(Venedig,  1580);  y>Il  primo  lihro  de'  madrigalU  (Venedig,  1602);  y>Musiche  a 
una,  due  e  tre  voci  con  hasso  continuo«  (Venedig,  1615)  und  vor  Allem  die 
Oper  y>Dafne<i,  1607  in  Mantua  aufgeführt  und  1608  in  Florenz  gedruckt,  eine 
der  ersten  Schöpfungen  dieser  Gattung  überhaupt.  —  Sein  Bruder,  Giovanni 
Battista  de  G.,  um  1580  zu  Florenz  geboren,  stand  in  Diensten  des  Hofes 
der  Medicis  und  war  von  1613  an  zugleich  als  Singmeister  an  der  Basilica 
San  Lorenzo  angestellt.  Er  hat  von  1603  bis  1643  Motetten  zu  vier,  sechs, 
acht  Stimmen  und   1606  fünfstimmige  Madrigale  durch  den  Druck  veröffentlicht. 

Gagliarde  oder  Graillarde  (ital.:  Gagliarda,  franz.:  Gaillard  oder  Gaillardise, 
vom  lat.  validus,  d.  i.  stark,  abstammend),  ein  älterer,  in  der  Jetztzeit  nicht 
mehr  gebräuchlicher  Tanz  italienischen  und  zwar,  wie  man  annimmt,  römischen 
Ursprungs,  deshalb  ehedem  auch  Romanesca  genannt.  Er  hatte  ein  straffes, 
fröhliches  und  kräftiges  Wesen,  »vnd  weil  demnach«,  sagt  von  ihm  Prätorius 
{Syntagma  III,  24),  »der  Gaillard  mit  geradigkeit  vnd  guter  Disposition  mehr, 
als  andere  Täntze,  muss  verrichtet  werden,  als  hat  er  ohne  zweiffei  den  Namen 
daher  bekommen.«  Er  stand  stets  in  Dreivierteltakt  (fünf  Tritte  daher  ein 
Cinque  pas  genannt)  und  hatte  wie  die  Pavane  drei  Reprisen  von  je  vier,  acht 
oder  zwölf  Takten,  aber  nicht  weniger  und  nicht  mehr.  "Wie  viele  der  älteren 
Tänze  diente  auch  er  sowohl  zum  Singen  als  zum  Tanzen,  »da  bissweilen«,  meint 
Prätorius  a.  a.  0.,  »amorosische  Texte  darunter  gesetzet  seyn,  welche  sie  in 
Mascaraden  selbst  singen,  vnd  zugleich  tantzen,  obgleich  keine  Instrumenta  dar- 
bey  vorhanden.« 

Gagliardi,  Dionisio  Poliani,  talentvoller  italienischer  Operncomponist, 
geboren  1811  zu  Neapel,  erhielt  seine  musikalische  Ausbildung  auf  der  dortigen 
königi.  Musikschule  und  trat  schon  1829  mit  seiner  Erstlingsoper  y^L^antiquario 
e  la  modistav.  nicht  ohne  Beifall  in  die  Oeffentlichkeit.  Bis  zum  J.  1835,  in 
welchem  Jahre  er  bereits  starb,  entwickelte  er  eine  grosse  Fruchtbarkeit,  indem 
er  nach  und  nach  folgende  Opern  zur  Aufführung  gelangen  Hess:  »I  due  gemelle«, 
yZia  strega  di  Dernegleuchu,  y>Il  langravio  di  Thioringia<i  (später  auch  unter  dem 
Titel  tiQandida  e  Liiigioa  wiedergegeben),  y>Casa  da  vendere»  und  »fulcinello 
condannato  alle  ferriere  di  Marenunaa  (1835).  Die  letztgenannte  hatte  auf 
dem  Teatro  del  fondo  in  Neapel  einen  durchgreifenden  Erfolg  und  wurde  oft 
wiederholt. 

Gagui,  An  gel  o,  italienischer  Operncomponist  aus  Florenz,  den  wenigstens 
der  Indice  de'  Spettac.  teatr.  von  1783  bis  1791  wiederholt  in  dieser  Eigen- 
schaft aufführt,  ebenso  wie  er  ersehen  lässt,  dass  seine  Oper  •aPazzi  gloriosia 
1783  in  Mailand  und  1785  zu  Bologna  au.fgeführt,  und  »/  matti  gloriosia  1786 
zu  Salo  gegeben  worden  ist.  Es  ist  dem  Titel  nach  anzunehmen,  dass  die 
zweite   Oper  dieselbe  wie  die  erste  ist.  t 

Gail,  Jean  Baptiste,  einer  der  gelehrtesten  französischen  Hellenisten 
neuerer  Zeit,  geboren  am  4.  Juli  1755  zu  Paris,  glänzte  seit  1791  als  Pro- 
fessor der  griechischen  Literatur  am  College  royal  de  France  sowohl  durch  seine 
Voi'lesungen  wie  durch  literarische  Arbeiten.  Später  wurde  er  Mitglied  des 
Instituts,  dann  auch  Conservateur  der  königi.  Bibliothek  und  starb  am  5.  Febr. 
1829  zu  Paris.  Unter  seinen  zahlreichen  philologischen  Werken  befindet  sich 
auch  eine  Ausgabe  der  Oden  des  Anakreon,  griechisch,  mit  französischer  und 
lateinischer  Uebersetzung  und  mit  kritischen  Randglossen,  welcher  der  Verfasser 
als  Anhang  noch  die  Musik  von  Gossec,  Lesueur,  Mehul  und  Cherubini  zu 
griechischen  Oden  und  eine  Dissertation  über  griechische  Musik  angehängt  hat 
(Ppris,   1799).     Die  letztere  ist  übrigens  sehr  schwach  und  zumeist  auch  noch 


108  Gaillarda  —  Gaillard. 

der     Voyage    du   jeune    Anarchasis    entnommen.    —     Seine    geistreiche    Grattin, 
Sophie   G.  geborene   Garre,    darf   auf  Bedeutung    als   Conipouistiu  Anspruch 
erheben.      Geboren    1776    zu  Melun    als    die  Tochter  eines  geschickten  AVund- 
arztes,    verkehrte    sie    schon  früh  viel  mit  Künstlern  und   Gelehrten,   trieb  mit 
Eifer    schöne  Wissenschaften    und  Musik    und  wurde    in    ilirem    zwölften    Jahr 
bereits  als  fertige   Clavicrspielerin    und  geschmackvolle   Sängerin  gerühmt.     Im 
J.   1790  machte   sie    sich    zudem  mit  Herausgabe  von  Romanzen  ihrer  Compo- 
sition   bekannt  und  verheirathete  sich   in  ihrem   18.  Jahre,   welche  Ehe  aber  in 
wenigen  .fahren  schon  getrennt  werden   musste.      Sie  nahm   hierauf  ihre  Musik- 
studien wieder  auf,  besonders  den   Gesang  unter  Leitung  Mengozzi's,  und  gab 
in   Siidfrankreich  und   Spanien  sehr  erfolgreiche  Concerte.     Nach  Paris  zurück- 
gekehrt, machte  sie  zunächst  als  Componistin  im  Druck  erschienener  Romanzen 
grosses  Glück    und    schrieb,    nachdem    sie  schon    1797   einige  Musikstücke  zum 
Drama  »Montoni«,  aufgeführt  im   Theater  der  Cite,  verfasst  hatte,  für  ein  Pa- 
riser Privattheater    ihre    einaktige  Erstlingsoper;    über    die    sich    selbst    Mehul 
sehr    günstig    äusserte.     Um    für    das    höchste  Ziel    der  Tonkunst   befähigt  zu 
sein,  nahm  sie  bei  Fetis  noch  Unterricht  in  der  Harmonielehre  und  im  Contra- 
punkt und  setzte  diese   Studien,  als  Fetis  auf  Reisen  ging,    bei  Neukomm   und 
Perne  fort^     Im   J.   1813    brachte    das  Theater  Feydeau  von    ihr  die   einaktige 
komische   Oper  -nLes  deux  jaloux«,   welche  wegen    ihrer  Anmuth,  Natürlichkeit 
und  Melodienfülle    sehr    gefiel,    so    dass  noch  in  demselben  Jahre  ebendort  die 
gleichfalls  einaktige  komische  Oper  y>Mademoiselle  de  Lannay  ä  la  Basfillea  er- 
schien,   welche    aber    trotz    des  Lobes  der  Kenner,    das    grosse  Publikum    weit 
weniger  ansprach.     Nicht  besseren  Erfolg  hatten  zwei   1814  aufgeführte  Opern: 
»Antfela  ou  Vatelier  de  Jean  cousina,  die  sie  in   Gemeinschaft  mit  Boieldieu  ge- 
arbeitet   hatte,    und    »La  mejn'isea.     Im  J.   1816    entzückte    sie    als  Romanzen- 
sängerin London,  während  sie,  nach  Paris  zurückgekehrt,  als  Componistin  zahl- 
reicher französischer  und  italienischer  Nocturnes  und  Romanzen  die  Heldin  des 
Tages  wurde.     Ihre    letzte    zur  Aufführung    gelangte    grössere   Schöpfung    war 
die  Oper  »i«  serenadev    (1818),    die  vollständig    beim  Publikum    durchschlug. 
Die   G.    sell)st    vereinigte    sich    hierauf   mit   der  Catalani    zu    einer  Concertreise 
nach  Deutschland;    von    derselben    nach    ganz    kurzer  Abwesenheit  nach  Paris 
zurückgekehrt,    starb    sie   am  24.  Juli  1819,    nachdem   sie  kaum  die  Arbeiten 
an    mehreren    neuen   Opern    wieder    aufgenommen  hatte.     —     Ihr   Sohn,    Jean 
Frangois   G.,    geboren    am    28.   Oktbr.   1795    zu  Paris,    war,    wie  sein  Vater, 
Philologe    und  Historiker.     Blusikalisch    hat    er    sich    gleichfalls    hervorgethan, 
indem    er    in    mehreren  .Journalen  Kunstartikel  veröffentlichte  und  eine  kleine 
Schrift:  nReßexions  sur  le  goüt  musical  en  France«  (Paris,  1832)  herausgab. 

(liaillarda,  s.  Gagliarda. 

<waillard,  Johann  Ernst,  von  Burney  und  Hawkins  Galliard  geschrie- 
ben, ein  in  hervorragender  Weise  verdienstvoller  Tonkünstler  und  Componist, 
wurde  im  J.  1687  zu  Celle  geboren  und  war  der  Sohn  eines  französischen 
Friseurs.  Seinen  ersten  Musikunterricht  erhielt  er  auf  Flöte  und  Oboe  und 
zwar  bei  einejn  gewissen  Marschall,  während  er  von  1702  an  in  Hannover  beim 
Concertmeister  Farinelli  und  dem  Abbate  Steffani  eingehenderen  tcnkünstleri- 
schen  Studien  sich  unterzog.  Hierauf  trat  er  als  Kammermusiker  in  die  Ka- 
pelle des  Prinzen  Georg  von  Dänemark  und  folgte  1708  diesem  Fürsten,  der 
sich  mit  der  nachmaligen  englischen  Königin  Anna  verehelichte,  auch  nach 
London.  Dort  wurde  er  als  Nachfolger  G.  B.  Draghi's  Kapellmeister  der 
Wittwe  Karl's  IL,  der  Königin  Katharina,  von  welcher  Zeit  an  er  bis  zu  seinem 
Tode,  Anfangs  des  J.  1749,  sich  auch  einen  bedeutenden  Componistenruf  er- 
warb. Man  kennt  von  ihm  Anthems,  ein  Te  dcum  und  ein  Jubilate,  ferner 
die  Opern  y>Fan  and  )Si/rin.ra,  nCalypso  and  Telemackus«,  nOreste  e  Piladeu  (un- 
vollendet geblieben),  die  Musik  zu  den  Dramen  «Oedipus«,  »Brutus«,  »Julius 
Cäsar«  und  die  Pantomimen  »Jw^jVer  and  Europaa,  nThe  necrotnajicer  Dr.  Faustus«, 
yi Apollo  and  Daphnev.  und  »TÄe  royal  chaceoi',  endlich  noch  Kammercantaten,  eiu- 


Gaillard  —  Galeazzi.  109 

und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge,  eine  Hymne  aus  Milton's  »verlorenem 
Paradiese«,  Solos  für  Flöte,  Violoncello,  Fagott  u.  dgl.  m.  Für  Schulzwecke 
übersetzte  er  Tosi's  Singschule  in's  Englische  (London,  1742)  und  beschäftigte 
sich  mit  Anlegung  einer  selbst  gefertigten  Abschriftensammlung  von  Partituren 
fremder  Meister.  Gr.  ist  aucli  der  Gründer  und  Direktor  der  Äcademy  of  ancient 
music  (1710),  die  zehn  Jahre  später  Händel  und  Buonoucini  übernahmen,  je- 
doch schon  1727  eingehen  Hessen,  bis  sie  1776,  nach  Bate's  Plane  neu  in's 
Leben  gerufen,  wieder  erstand,  zur  Blüthe  kam  und  noch  jetzt  unter  den  An- 
stalten Londons  existirt. 

(:iaillar(l,  Karl,  begabter  dramatischer  und  lyrischer  Dichter  und  Musik- 
schriftsteller, geboren  am  13.  Jan.  1813  zu  Potsdam,  war  Mitbesitzer  der  Musik- 
haudlung  von  Challier  und  Comp,  in  Berlin  und  gab  von  1844  bis  1847  die 
»Berliner  musikalische  Zeitung«  heraus,  welcher  er,  untijrstützt  von  talentvollen 
Künstlern,  mit  grossem  Freirauth  und  Humor  vorstand,  bis  sie  1848  in  die 
»Neue  Berliner  Musikzeitung«  aufging.  Von  seinem  scharfen  und  treffenden 
musikkritischen  Urtheil  zeugen  viele  Aufsätze  der  älteren  Zeitung,  und  es  ist 
bemerkenswerth,  dass  G.  als  einer  der  Ersten  für  Eich.  Wagner  in  die  Schran- 
ken trat.  Wegen  seiner  Geradheit  im  Denken  und  Handeln  wurde  er  in 
schwieriger  Zeit  auch  mit  Vertretung  der  städtischen  Interessen  betraut,  starb 
aber  schon  am   10.  Jan.  1851. 

Gakschojiu  (hebr.)  nennt  der  Autor  des  im  Artikel  Gherasch  (s.  d.) 
citirten  Werkes  einen  hebräischen  Accent,  der  folgende  Tonfolge  erfordern  soll: 


0. 

Cfalaute  oder  galautemeute  (ital),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung 
artig,  gefällig. 

Galante  Fug-e  oder  freie  Fuge,  als  Gegensatz  zur  eigentlichen  strengen 
Fuge,  s.  Kanon  und  Fuge. 

Gralanterie-Stimme  nannte  man  ehedem  in.  der  Orgelbausprache  jede  2,5- 
metrige  Manual-Flötenstimme. 

Gralante  Schreibart  oder  galanter  Styl,  der  Gegensatz  zur  contrapunkti- 
schen,  sogenannten  gebundenen   Schreibart.      S.   Styl. 

Galarini,  Pietro  Antonio,  hiess  nach  Laborde  ein  italienischer  Compo- 
nist,  von  dem  1690  zu  Ferrara  unter  dem  Titel  »Dellsm  ein  dramatisches 
Divertissement  aufgeführt  worden  ist.  t 

Galaurone  (ital.)  ist  der  Name  eines  Brummeisens,  über  dessen  nähere 
Beschaffenheit  Bisciula,  Horar.  Suhcesio.   T.  II  lih.   2  c.   18  berichtet.       2. 

Oalavotti,  Geronimo,  italienischer  Tonsetzer  zu  Ende  des  17.  Jahrhun- 
derts, war  Kapellmeister  an  der  Kirche  Santa  Maria  in  Trastevere  zu  Kom 
und  hat  Messen  zu  4,  5,  6  und  8  Stimmen  (Rom,  1690)  von  seiner  Composion 
veröffentlicht. 

Galeazzi  hiessen  mehrere  italienische  Componisten,  die  im  Laufe  des  18. 
Jahrhunderts  gewirkt  haben.  Antonio  G. ,  aus  Brescia  gebürtig,  war  beson- 
ders in  Rom  und  Venedig  thätig,  in  welcher  letzteren  Stadt  von  seinen  Opern 
1729  y^Zehnira  in  Cretav.  und  1731  »/Z  Trionfo  della  costanza  in  Statirm  auf- 
geführt wurden.  Von  seinen  Kirchensachen  sollen  sich  noch  viele  in  der 
Bibliothek  der  Kirche  Santa  ]\laria  Maggiore  zu  Rom  vorfinden,  wie  Baini  in 
seinem  Werke  über  Palestrina  berichtet.  —  Tommas o  G.,  geboren  zu  Rom 
1757,  ein  Castrat  und  als  solcher  einer  der  geschätztesten  Sopransänger  seiner 
Zeit,  der,  als  ihn  der  damalige  Landgraf  von  Hessen-Kassel  in  Rom  hörte,  von 
diesem  für  seine  Hofbühne  gewonnen  wurde.  Er  sang  jedoch  nicht  lange  zu 
Kassel,  denn  er  ergab  sich  Ausschweifungen,  die  für  ihn  die  mannigfaltigsten 
und  bösartigsten  Krankheiten  zur  Folge  hatten  und  endlich,  1780,  sogar  den 
Verlust  des  Gehörs.    Im  J.  1783  kehrte  G.  nach  Italien  zurück  und  verschwand 


110  Galerapung  —  Galilei. 

damit  gänzlich  aus  der  Oeffentlichkeit.  —  Francesco  G-.,  geboren  1738  zu 
Turin,  lebte  später  als  erster  Violinist  am  Teatro  Valle,  sowie  als  Musiklehrer, 
Componist  und  musikalischer  Schriftsteller  zu  Rom.  Ein  "Werk  von  ihm  stEle- 
menti  teorico-pratici  <H  musica  con  un  saggio  sopra  Varte  di  suonare  il  Violino« 
(2  Bde.,  Rom,  1791  und  179G),  welches  durch  Fiänzl  auch  in  Deutschland 
bekannt  wurde,  hat  seinen  Namen  elucnvoll  erhalten.  Der  erste  Band  handelt 
von  den  Elementen  der  Musik  und,  durch  Beispiele  unterstützt,  von  der  Kunst 
des  Violinspielens;  der  zweite  enthält  nach  einer  langen,  gut  geschriebenen 
Vorrede  einen  Abriss  der  Musikgeschichte,  eine  Abhandlung  über  Harmonie- 
lehre und  Contrapunkt,  sowie  über  Melodiebildung,  lerner  Paititurregeln  und 
Anweisungen  über  die  Natur  der  Instrumente,  nebst  Notcmbeispielen. 

draleiiipuug  heisst  das  vollkommenste  der  auf  Java  gepflegten  Saiteninstru- 
mente. Dasselbe  hat  einen  Bezug  von  10  bis  1.')  Darmsaiten  und  erinnert  in 
seinem  Bau   an  das  cliiuesische  Kin   (s.  d.).  2. 

(ilaleiiO;  Giovanni  Battista,  tüchtiger  italienischer  Madrigalencomponist 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  von  dessen  Arbeiten  nach  Draudii 
Bibl.  Exot.  y>Il  primo  libro  de^  Madrigali  «5^6  vocW  (Antwerpen,  1594)  ge- 
druckt worden  sind.  Gr.  selbst  stand  von  Jugend  auf  in  Diensten  des  deutschen 
Kaisers  Rudolph   II. 

Oaleotti,  Steffano,  auch  Galiotti  geschrieben,  italienischer  Violoncello- 
Virtuose  und  Instrumentalcomponist,  geboren  um  1730  zu  Velletri,  liess  sich 
nach  grösseren  Kunstreisen  in  Holland  nieder,  kehrte  aber,  da  das  dortige 
Klima  seine  Gesundheit  bedrohte,  über  Paris  nach  Italien  zurück,  von  welcher 
Zeit  an  weitere  Nachrichten  über  ihn  fehlen.  In  Amsterdam  erschienen  von 
ihm  1762  sechs  Streichtrios  als  op.  2,  in  Paris  1785,  mit  op.  4  bezeichnet, 
sechs  Solos  für  Violoncello  und  1790  bei  Hummel  in  Berlin,  wahrscheinlich 
als  Nachdruck,  abermals  sechs  Violintiios  op.  3. 

Galetti,  eine  berühmte  italienische  Sängerfamilie,  deren  vorzüglichstes  Glied 
Giovanni  Andrea  G.  war.  Derselbe,  um  1715  zu  Cartona  im  Grossherzog- 
thum  Toscana  geboren,  hatte  seit  1750  am  herzogl.  Hoftheater  zu  Cxotha  Stel- 
lung als  Baritonist  und  galt  allgemein  für  einen  angenehmen,  dabei  auch  viel- 
seitig und  gründlich  gebildeten  Sänger.  Im  -J.  1765  verfasste  er  den  Text 
nCiro  riconnosciiito«,  welche  Oper  von  Georg  Benda  componirt  wurde.  G.  selbst 
starb  hochgeschätzt  in  Gotha,  am  25.  Oktbr.  1784.  —  Seine  Gattin,  Elisabeth 
G.,  nicht  minder  gebildet  und  ausgezeichnet  als  Sängerin,  war  um  1730  in 
Durlach  geboren,  frühzeitig  in  Gotha  engagirt  iind  seit  1754  mit  G.  verheirathet. 
An  den  mehrfach  bekannt  gewordenen  Poesien  ihres  Gatten  soll  sie  einen  be- 
deutenden dichteiischeu  Antheil  gehabt  haben.  —  Für  einen  älteren  Bruder 
G.'s  gilt,  vielleicht  nicht  mit  Unrecht,  Domenico  Giuseppe  G.,  dessen  Ruhm 
als  Sänger  an  den  bedeutendsten  Opernbühnen  Italiens  zwischen  1730  bis  1740 
sehi-  gross  war.      Näheres  ist  über  denselben   nicht  bekannt  geworden. 

Ualibert,  Pierre  Christophe  Charles,  ein  begabter  französischer  Ton- 
künstler, geboren  am  8.  Aug.  1826  zu  Pcrpignan,  kam,  in  seiner  Vaterstadt 
musikalisch  gut  vorbereitet,  1845  auf  das  Pariser  Conservatorium ,  wo  Bazin, 
Elwart  und  Halevy  in  den  verschiedenen  theoretischen  Fächern  seine  Lehrer 
waren.  Die  Cantate  »Les  rocJiers  d^Appet^zelU  verschaffte  ihm  1853  den  ersten 
Compositionspreis  und  verbunden  damit  die  Mittel  zu  einem  dreijährigen  Studien- 
aufenthalt in  Italien.  Nach  Paris  1857  zurückgekehrt  debütirtc  er  als  Com- 
ponist ziemlich  glücklich  mit  der  Operette  nAprt's  Voragea,  welche  die  Jßouffes 
parisiens  aufführten.  G.  selbst  aber  starb  nach  kuizer  Krankheit  schon  in  den 
ersten   Tagen  des  August  1858. 

Galilei,  Vincenzo,  einer  der  Mitbegründer  der  Oper  in  Italien,  Compo- 
nist der  ersten  IMonodien  und  musikalischer  Schriftsteller,  geboren  um  1540 
zu  Florenz  als  der  Sohn  eines  Edelmanns,  gehörte  mit  Girolamo  Mei  zu  den 
eifrigsten  Verfechtern  einer  Musiki-eformation  nach  altgriechischen  Grundsätzen, 
welche  Bestrebungen    in    dem    Gelehrtenkreise    des    gräflich  Bardi'schen  Hauses 


Galimberti  —  Galitzin.  1 1 1 

in  Florenz  ihren  Mittelpunkt  fanden.  S.  Oper.  Gr.  als  Musikschüler  Zarlino's, 
als  guter  Sänger  und  Lautenspieler,  sowie  als  vielseitig  gebildeter  Mann  über- 
haupt, verstand  es,  seine  Ideen  theoretisch  und  praktisch  zur  Anwendung  zu 
bringen.  Er  hatte  sich  bereits  einen  Namen  durch  das  von  ihm  verfasste  "Werk 
vll  Fronimo,  dialogo  sopra  Varte  del  hene  intavolare  e  retfamente  suonare  la  musica 
negli  stromenti  artificiali,  si  di  corde  come  di  fiato  et  in  partioolare  nel  liutod 
(Venedig,  1569,  dann  158.3)  geschaffen,  als  er  im  Eifer  für  die  neu  gewonnenen 
Principien  es  sogar  unternahm ,  gegen  das  streng  contrapunktische  Harmonie- 
system seines  berühmten  Lehrers  Zarlino  aufzutreten  und  in  diesem  Sinne  das 
Buch  yiDiscorso  intorno  all'  opere  di  ZarU7io<i  (Florenz,  1581)  veröffentlichte, 
dem  das  grössere  Werk  -nDialogo  dclla  mtisica  antica  e  moderna,  i?i  sua  difesa, 
contra  G-iuseppe  Zarlinov.  (Florenz,  1581,  1602)  folgte.  Gr.  und  seine  Freunde 
als  Anhänger  des  declamatorisch-recitirenden  Styls  in  der  Musik  führten  hier- 
auf einen  erbitterten  Kampf  gegen  Alles,  was  dem  Contrapunkt  huldigte  und 
sicherten  ihren  Gri'undsätzen  einen  nachhaltigen  Einfluss  auf  die  Musikübung, 
indem  sie  denselben  praktisch  greifbare  Grestalt  verliehen.  So  componirte  G^., 
um  zu  zeigen,  auf  welche  Weise  man  ein  richtiges  Verhältniss  zwischen  den 
Worten  eines  Gedichts  und  der  Musik  dazu  herstellen  könne,  die  Episode  des 
Ugolino  aus  Dante  und  sang  sie  unter  dem  grössten  Beifall  dem  Kreise  beim 
Grrafen  Bardi  mit  Begleitung  von  Laute  und  Viola  vor.  Aehnlich  verfuhr  er 
mit  den  Klageliedern  des  Jeremias,  für  die  man  ebenfalls  nur  Lob  fand,  so 
dass  hiermit  die  Bahn  gebrochen  wurde,  auf  der  zunächst  Peri  und  Caccini 
fortschritten.  —  G.'s  Sohn  war  der  weltberühmte,  um  die  Naturlehre  durch 
seine  Entdeckungen  unsterblich  Verdiente  Galileo  G.,  geboren  am  18.  Febr. 
1564  zu  Pisa,  gestorben  am  8.  Jan.  1642  zu  Florenz.  Eifriger  Musikfreund, 
der  selbst  mehrere  Instrumente  mit  Fertigkeit  spielte,  hat  er  u.  A.  auch  durch 
gründliche  Darstellungen  Licht  verbreitet  über  die  Schwingungen  der  Saiten, 
über  die  Natur  und  die  gegenseitigen  Verbältnisse  der  Töne,  über  die  Fort- 
pflanzung des  Schalls  u.  s.  w.  Wichtig  für  die  Untersuchungen  der  Folgezeit 
nach  dieser  Seite  hin,  waren  seine  y^Discorsi  e  dimostrazioni  matematichea  (Flo- 
renz, 1638),  die  sich  auch  im  zweiten  Baude  seiner  gesammelten  Werke  (Bo- 
logna, 1655)  befinden.  Die  vollständigste  Ausgabe  seiner  schriftstellerischen 
Arbeiten  erschien  erst  im  19.  Jahrhundert  (13  Bde.,  Mailand,  1808).  —  Ein 
naher  Verwandter  und  Zeitgenosse  G.'s  war  Michele  Angelo  G.,  der  zu 
Florenz,  wo  er  auch  geboren  war,  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  17.  Jahr- 
hunderts als  geschickter  Lautenspieler  sich  einen  Namen  erworben  hatte.  Nach 
Printz  soll  er  sich  auch  in  Deutschland  aufgehalten  haben,  und  für  diese  Be- 
hauptung spricht  eine  daselbst  erschienene  und  ihm  zugeschriebene  Lauten- 
tabulatur  (Ingolstadt,  1620). 

(xalimberti,  Fernando,  italienischer  Violinvirtuose,  der  um  1740  in  seiner 
Geburtsstadt  Mailand  als  Künstler  sehr  angesehen  war  und  auch  als  Gomponist 
von   Sinfonien  u.  s.  w.  genannt  wird. 

(xaliu,  Pierre,  tüchtiger  französischer  Mathematiker,  geboren  1786  zu 
Samatan,  lebte  als  Professor  seiner  Disciplin  zu  Boi'deaux  und  beschäftigte  sich 
in  späteren  .Jahren  damit,  wie  in  verschiedenen  Wissenschaften,  so  auch  in  der 
Musik  verbesserte  Lehrmethoden  zu  schaffen. 

Galitzin,  Georg,  Fürst  von,  ein  kunstbegeisterter  Dilettant  und  Musik- 
kenner,  wurde  etwa  1825  zu  St.  Petersburg  geboren  als  ein  Sohn  jenes  Kunst- 
gönners Fürst  Nicolaus  von  G.  (gestorben  1866  auf  seinem  Gute  im  Kurski'- 
schen  Gouvernement),  für  welchen  Beethoven  seine  letzten  Streichquartette 
schrieb.  Sorgfältig  wissenschaftlich,  musikalisch  und  gesellschaftlich  ausgebildet, 
gründete  G.  im  J.  1842  zu  Moskau  eine  Vocalkapelle,  bestehend  aus  etwa  70 
zehn-  bis  zwölfjährigen  Knaben,  die  er  gleichmässig  kleidete,  nährte  und  körper- 
lich wie  geistig  bildete.  Den  musikalischen  Unterricht  versah  er  selbst  und 
erzielte  damit  so  überraschende  Resultate,  dass  diese  Kapelle,  für  die  er  auch 
mehrstimmige  Gesänge    verschiedener  Art    schrieb,    über  zwei  Jahrzehnte  lang 


112  Gall— Galley. 

zu  den  musikalisclien  Merlcwürdigkeiten  Moskau's  gerechnet  wurde.  Ende  der 
ISGOer  Jahre  sammelte  (r.  eine  lustriimentalkapelle,  die  er  selbst  einübte  und 
mit  der  er  erfolgreiche  Kunstreisen  durch  Russland  unternahm.  Im  J.  1872 
concertirte  er  mit  derselben  in  den  Vereinigten  Staaten,  wo  man  jedoch  die 
Bizairerien  (t.'s  als  Instrumentalcomponist  und  Dirigent  vielfach  bemängelte. 
Im  Begriff,  mit  dieser  Kapelle  zu  Concerten  nach  Deutschland  abzureisen,  starb 
Fürst  G,  schnell  und  unerwartet  im  Mai  1873  zu  New- York, 

(xall,  Ferdinand,  Freiherr  vou,  Hof- Theater-Intendant  in  Stuttgart,  ein 
gi-ündlicher  Kunstkenner  und  Musikfreund,  geboren  am  13.  Oktbr.  1809  zvr 
Battenberg  (Grrossherzogth.  Hessen),  erhielt  seine  ex'ste  Erzieimng  durch  Hof- 
meister, besuchte  dann  das  Gjannasium  zu  Darmstadt  und  studirte  in  den 
Jahren  1826  bis  1830  zu  Giessen  und  Heidelberg  Rechtswissenschaft,  zeigte 
aber  schon  früh  viele  Hingebung  für  die  Kunst,  besonders  für  die  Schauspiel- 
kunst. 1834  trat  er  in  den  Hofdienst  des  (Irossherzogs  von  Oldenburg,  wo- 
selbst ihm  Zeit  genug  blieb,  seine  Lieblingsstudien  wieder  aufzunehmen  und 
fortzusetzen,  sowie  durch  grössere  Reisen  seinen  Gesichtskreis  zu  ci'weitern. 
Diese  Reisen  führten  ihn  1838  durch  einen  grossen  Theil  des  Nordens  von 
Europa  und  später  nach  dem  Süden,  namentlich  nach  Frankreich  und  Paris. 
Auf  beiden  Reisen  war  sein  vorzügliches  Streben,  sich  immer  mehr  in  das 
Wesen  der  Kunst  zu  vertiefen  und  seinen  Geschniack  mehr  und  mehr  auszu- 
bilden. Die  Reise  nach  dem  Norden,  namentlich  durch  Schweden,  beschi'ieb 
er  in  einem  eigenen  Werk,  das  1838  in  zwei  Bänden  zu  Bremen  erschien  und 
in  mehi-ere  Sprachen  übersetzt  ward,  die  in  dem  Süden  in  dem  Buche  »Paris 
und  seine  Salons«  (Oldenburg).  Ziemlich  gleichzeitig  mit  letzterem  Werk  er- 
schien »Der  Bühnen  vorstand«.  Es  hatte  zur  Folge,  dass  G.  1846  nach  Stutt- 
gart als  Intendant  des  Königl.  Hoftheaters  berufen  ward,  wo  er  über  20  Jahre 
lang  in  dieser  Stelle  wirkte.  Unter  seine  Vei-waltuug  fällt  die  glänzendste 
erste  Aufführung  des  »Nordstern«  in  Deutscldand,  und  die  der  »Dinorah«,  beide 
von  Meyerbeer  selbst  einstudirt.  Dabei  kümmerte  sich  G.  viel  um  eine  ein- 
heitliche Gestaltung  des  gesammtcn  deutschen  Bühnenvereins,  und  er  gehört 
mit  zu  den  Gründern  des  deutschen  Bühnenvereins,  der  Kartellverträge  und 
anderer  gemeinsamen  Massregeln  und  namentlich  der  jährlichen  Conferenzen 
der  bedeutendsten  Bühnenvorstände.  Mehrmals  war  er  Vorstand  des  deutschen 
Bühnenvereins  und  Präsident  dieser  Conferenzen.  Als  er  in  den  Ruhestand 
trat,  übertrug  ihm  der  König  von  Württemberg  die  Stelle  eines  Ceremouien- 
meisters;  schon  lange  vorher  war  er  zum  Königl,  Kammerherrn  ernannt  wor- 
den. In  den  Kriegsjahren  1870  und  1871  wirkte  G.  mit  grosser  Hingebung 
als  Johanniter  und  erhielt  für  seine  Thätigkeit  als  solcher  das  Eiserne  Kreuz, 
welches  er  von  da  an  fast  allein  noch  von  seinen  vielen  Ordens-  und  Ehren- 
zeichen trug.     G.  starb  am   30.  Novbr.  1872  zu   Stuttgart, 

(»all,  Joseph,  Instruraentenmacher,  der  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts 
zu  Wien  lebte,  ist  der  Vei'fasser  eines  Clavierstimmbuchs. 

dlallaud,  Antoine,  französischer  Philologe,  geboren  1646  von  armen  Eltern 
zu  Rollet  in  der  Picardie,  war  zu  Anfange  des  18,  Jahrhunderts  Professor  der 
arabischen  Sprache  an  dem  College  royal  und  Mitglied  der  Academie  der  In- 
schriften zu  Paris,  als  welcher  er  daselbst  am  17.  Februar  1715  starb.  Von 
ihm  ist  eine  Abhandlung,  y^V Histoire  de  la  Trompette  et  de  ses  usages  chez  les 
anciensa  betitelt,  in  der  Gescliichte  der  Acadeinie  der  Inschriften  Seite  104 
abgedruckt,  die  manches  Eigenthümliche  über  Ursprung  und  Arten  dieses  In- 
struments bietet.  Madame  Gottsched  übersetzte  dieselbe  ins  Deutsche  und 
Marpurg  hat  im  zweiten  Bande  seiner  Beiträge  einen  Auszug  daraus  gegeben. 

t 
Gallay,  Jacques  Frangois,  berühmter  französischer  Virtuose  und  Lehrer 
des  Horns,  geboren  am  8.  Decbr.   1795  zu  Peipignan,  trieb  seit  seinem  zwölf- 
ten  .Jahre  bei  seinem  Vater,  einem  guten  Dilettanten,  Hornstudien,  so  dass  er 
sich  bald  öffentlich  hören  lassen  konnte.     Erst   1820  aber  konnte  er  es  ermög- 


Galle  —  Gallerano.  \\^ 

liehen,  nach  Paris  zu  gehen,  um  das  Conservatoriura  zu  besuchen,  dessen  In- 
spektor Ferne  sich  aber  nur  mit  Mühe  bereit  finden  Hess,  einen  Zögling,  der 
das  vorschriftsmässige  Alter  so  weit  überschritten  hatte,  aufzunehmen.  G.  wurde 
an  dieser  Anstalt  Dauprat's  Schüler  und  erhielt  bereits  nach  einem  Jahre  den 
ersten  Preis.  Im  J.  1825  trat  er  in  das  Orchester  der  italienischen  Oper  zu 
Paris,  nachdem  er  einige  Zeit  in  dem  des  Odeon  gewesen  war,  und  wurde  als- 
bald hierauf  auch  in  die  königl.  Kapelle  gezogen,  der  er  unter  Karl  X.  und 
Louis  Philippe  angehörte;  im  J.  1842  wurde  er  Nachfolger  seines  Lehrers 
Dauprat  am  Pariser  Conservatorium,  Er  hat  für  sein  Instrument  ein  Concert, 
ein  Rondo,  Fantasien,  Solos,  concertante  Duos,  Etüden,  leichte  Kocturnen  für 
zwei  Hörner,  Duos  für  Hörn  und  Pianoforte  oder  Harfe  geschrieben  und  ver- 
öffentlicht.    G.  starb  im  J.  1864  zu  Paris. 

Galle,  Daniel,  deutscher  Gelehrter,  der  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
wahrscheinlich  in  den  Niederlanden  lebte  und  eine  Dissertation  y>De  Jiymnis 
ecclesiae  veteris  publice  disputaviU  (Wittenberg,  1736)  veröffentlichte,  wovon 
E.  L.  Gerber  1812  ein  Exemplar  besass.  f 

Oalleazzi,  s.  Galeazzi. 

Oallecius,  Pranciscus,  auch  Gallesius  oder  Galletius  geschrieben,  ein 
belgischer,  aus  Mons  im  Henuegau  gebürtiger  Musiker  und  Gelehrter,  der  nach 
des  Draudius  Bibl.  class.  y>Hi/mnos  communes  Sanctorum  a  A,  6  et  Q  voca 
(Douay,  1586)  herausgab.  In  demselben  Jahre  erschienen  noch  von  ihm: 
y)Oantiones  sacr.  3  et  plurium  vocm  (2.  Aufl.  Douay,  1600),  welche  beiden  Werke 
sich  auf  der  königl.  Bibliothek  zu  München  befinden.  f 

Gallemart,  Jean  de,  Doctor  der  Theologie  und  Eector  des  königlichen 
Collegiums  zu  Douay,  starb  1625  im  Hennegau  an  der  Pest.  Er  war  auch  in 
der  Musik  wohl  bewandert  und  hat  sich  nach  Savertii  Äthenas  Belgicas  um 
dieselbe  sehr  verdient  gemacht.  t 

Grallen,  Johann  Michael,  Magister  und  Kapellmeister  des  Bischofs  und 
Domkapitels  zu  Costnitz  um  1687,  gab  von  seinen  Compositionen  einen  'f>Or' 
fheus  coelestis,  seu  concentus  musici  in  Dei,  Deiparae  Divorumque  laudes  ador- 
nati  a  2  vocibus  cum  2  Violinis  necessar.  ac  a  S  Violinis  ad  lihit.;  adhibendis, 
nee  non  ß  3,  4,  5    Viol.  cum  vel  sine  instrumentisv^  heraus.  t 

Gallenberg,  Wenzel  Robert  Graf  vou,  beliebter  Modecomponist  der 
ersten  Jahrzehnte  des  19.  Jahrhunderts,  geboren  1783  zu  Wien,  erhielt  eine 
feine,  auch  auf  das  Musikalische  gerichtete  Erziehung.  Nachdem  er  seit  1801 
Claviercompositionen  in  Wien  und  Leipzig  veröffentlicht  hatte,  ging  er  auf 
längere  Zeit  nach  Italien,  wo  er  mit  dem  Theaterdirector  Bai'baja  in  Verbin- 
dung tretend,  leichte,  ansprechende  Musik  zu  zahlreichen  Ballets  schrieb  und 
aufführen  Hess.  Als  Barbaja  die  italienische  Oper  in  Wien  übernahm,  wurde 
G.  Mit-Administrator  und  zugleich  Präses  des  Operncomites.  Im  J.  1829  über- 
nahm er  die  k.  k.  Hofoper  im  Kärnthnerthor-Theater  für  eigene  Rechnung, 
vermochte  sich  aber  nicht  zu  halten.  Seitdem  verweilte  er  abwechselnd  in 
Frankreich  und  Italien  und  schrieb  noch  zahlreiche  Balletcompositionen.  End- 
lich zog  er  sich  zu  gänzlichem  Stillleben  nach  Rom  zurück,  wo  er  im  Mai  1839 
auch  starb.  Von  seinen  etwa  50  Ballets  war  besonders  »Alfred  der  Grosse« 
weithin  sehr  beliebt.  Sonst  veröffentlichte  er  noch  vierhändige  Ciaviermärsche, 
eine  Sonate,  Fantasien,  Rondos,  Variationen,  Polonäsen  u.  s.  w.  für  Pianoforte. 
Verewigt  aber  hat  G.'s  Namen  Beethoven,  der  über  eines  von  dessen  Walzer- 
themen berühmt  gewordene  Variationen  schrieb.  —  G.'s  Gattin  war  die  ehe- 
malige Geliebte  Beethoven's,  jene  Gräfin  Giulietta  Guicciardi,  welcher  die  Gis- 
moll-Sonate  gewidmet  ist. 

Oallerano,  Leandro,  auch  Galerano  geschrieben,  italienischer  Kirchen- 
componist,  geboren  zu  Brescia  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  war  erst 
Organist  an  der  San  Francescokirche  und  unter  dem  Namen  »VInvolatoa  Mit- 
glied der  Akademie  der  Occulti  zu  Brescia,  später  Kapellmeister  an  der  Kirche 
San  Antonio   zu  Padua.     Von  ihm:    Missa  e  Salmi  concertati   a   3,  5  c  8  voci 

Musikal.  Gouvurs. -Lexikon,    iv.  8 


114  Galletti  —  Galliculus  de  Muris. 

con  ripienh  (Venedig,  1629);  Motetti  a  1,  2,  3,  4  e  5  voci;  Motetti  a  voce 
sola;  Compieti  e  Letanie  a  8  voci  con  istromenti,  sümmtlich  in  Venedig  er- 
schienen. 

Galletti,  s.  Galetti. 
Oalley,  s.  (lallay. 

Oalli,  Filippo,  l)crühinter  italienischer  OpernBiluger,  geboren  1783  zu  Rom, 
wo  sein  Vater  T)irector  der  päpstliclien  Floreria  oder  Garderobe  war,  erhielt 
eine  sorgfältige,  auf  das  Geistliche  gerichtete  Erziehung.  Doch  G.,  bereits  mit 
zehn  Jahren  ein  ziemlich  tüchtigor  Clavier^pielcr,  cultivirte  mit  Vorliebe  seine 
schöne  Stimme,  besonders  als  sie  sich  zu  einem  prächtigen  Tenor  umgesetzt 
hatte.  Achtzehn  Jahr  alt  verheirathete  er  sich  und  von  Zwang  befreit,  wie 
er  nun  war,  beschloss  er  zur  Bühne  zu  gehen.  Im  Carneval  1804  debütirte 
er  zu  Bologna  in  (Touerali's  »Gaccia  di  Enrico  JF.«  mit  ausserordentlichem 
Erfolge,  ebenso  sang. er  an  anderen  Bühnen  Italiens,  bis  nach  sechs  Jahren 
eine  Krankheit  seinen  Tenor  in  einen  Bariton  verwandelte,  den  er  auf  Paisiello's 
Rath  gleichfalls  ausbildete  und  zu  einer  entzückenden  Klangfarbe  brachte.  Nun 
debütirte  er  höchst  glücklich  auf  dem  Teatro  San  Mose  zu  Venedig  1812  in 
Rossini's  y)Tnganno  felicc^,  sang  1813  zu  Mailand  unter  Enthusiasmus  den  Sl- 
gillaro  in  der  »Pietra  del  Paragone«,  welche  Rolle  er  auf  originelle  Art  auf- 
fasste  und  weiterhin  in  Italien  und  Barcellona  besonders  den  Bey  in  der 
nItaUana  in  Algeri<i  und  den  Türken  im  y>Turco  in  Italiaa  (1814).  Rossini 
schrieb  eigens  für  G.  1817  die  Rolle  des  Fernando  in  der  nGazza  ladraa,  und 
1820  trat  derselbe  zu  Neapel  im  y>Maometto<s.  auch  zum  ersten  Male  in  der 
ernsten  Oper  und  zwar  mit  unvermindertem  Beifall  auf.  In  den  Jahren  1821 
und  1825  bis  1828  war  G.  in  Paris  engagirt;  sonst  sang  er  in  Italien  und 
Spanien,  bis  er  sich  von  1831  bis  1836  für  die  Oper  in  Mexico  gewinnen  Hess. 
Als  er  hierauf  nach  Italien  zurückkehrte,  war  seine  Glanzzeit  vorüber,  und  er 
sank  in  Madrid  und  Lissabon  bis  zum  Opernchoristen  herab.  Im  J.  1842 
begab  er  sich,  furchtbar  zurückgekommen,  nach  Paris,  wo  man  ihm  eine  der 
untergeordneten  Gesanglehrerstellen  am  Conservatorium  übertrug.  Er  starb 
am  3.  Juni  1853  zu  Paris. 

Qalli,  Francesco  Scotto,  italienischer  Franziscanermönch  und  Kirchen- 
componist,  geboren  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Cesena,  war  Kapell- 
meister an  der  Kathedrale  zu  Fano  im  Kirchenstaate,  als  welcher  er  einige 
Motetten  u.  s.  w.  veröffentlichte.  —  Sein  Zeitgenosse  und  Franziscaner-Amts- 
bruder  war  Vincenzo  G.,  lateinisch  Gallus,  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Sicilien  geboren  und  an  der  Kathedrale  zu  Palermo  als  Kapell- 
meister angestellt.  Von  ihm:  y>Il  primo  libro  di  Madrigali  a  5  voci«^  (Palermo, 
1589)  und  »D«e  Misse  «  8  e  12  voci'.i  (Rom,  1596);  die  erste  dieser  Messen 
ist  zweichörig  (achtstimmig),  die  andere  dreichörig  (zwölfstimmig).  Von  dem 
Ertrage  seiner  Compositionen  Hess  G.  sein  Kloster  erweitern  und  an  eine  Säule 
die  Inschrift  setzen:  nMusica  GalU«. 
Oalliard,  s.  Gaillard. 

Galliculus,  Johann,  deutscher  geistlicher  Componlst  und  musiktheoreti- 
scher Schriftsteller  aus  der  Reformationszeit,  lebte  1520  zu  Leipzig  und  soll 
zahlreiche  Hymnen  und  Psalme  in  Musik  gesetzt  haben,  von  denen  aber  nur 
einzelne  in  Sammelwerken  des  16.  Jahrhunderts,  wie  im  y>Nov2im  et  insigne 
opus  musicum«  u.  s.  w.  erhalten  geblieben  sind.  Dagegen  kennt  man  seine 
ungemein  verbreitet  und  beliebt  gewesene  Abhandlung  -nlsagoge  de  compositione 
cantusv.  (Leipzig,  1520),  welche  unter  dem  Titel  nLibellus  de  compositione  cantusn 
("Wittenberg,  1538  und  1546)  in  einer  zweiten  und  dritten  Auflage  erschien 
und  bald  unter  dem  einen,  bald  unter  dem  anderen  Titel  noch  eine  vierte,  fünfte 
und  sechste  Auflage,  der  beste  Beweis  der  Nützlichkeit  dieser  Schrift  (1548, 
1551  und  1553)  erlebte.  Dieselbe  enthält  jedoch  mehr  eine  Anweisung  für 
Erlernung  des  Contrapunkts  als  der  eigentlichen   Gesangscomposition. 

Gallionlns  <1e  Mnris,  Michael,  ein  musllcgelehi'ter  Cistercienaermönch,  der 


Gallimard  —  Gallus.  115 

um  die  Wendezeit  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  in  Altenzelle  lebte  und  einen 
Tractat  »De  vero  modo  s'pallendW  verfasste,  der  sich  im  Manuscript  auf  der 
Bibliothek  zu  Oxford  befindet. 

Oallimard,  Jean  Eduard,  französischer  Mathematiker  und  Musikliterat, 
geboren  1683  zu  Paris  und  gestorben  1771  ebendaselbst,  verfasste  und  ver- 
öffentlichte eine  r>Theorie  de  sons  applicables  ä  la  musique,  oü  Von  demonfre  les 
rapportes  et  tous  les  intervalles  diatoniques  et  chromatiques  de  la  ffamme^t  (Paris, 
1754). 

Gallimberti,  s.  Galimberti. 

(xallino,  Gregorio,  italienischer  Tonsetzer,  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts als  Kirchenkapellmeister  zu  Gemona  im  Friaul  angestellt,  gab  von 
seinen  Conipositionen  Messen  und  Psalme  (Venedig,  1654)  heraus. 

Gallische  oder  keltische  Trompete  nannte  man  ehemals  eine  kurze  Trom- 
pete mit  gerader  Schallröhre  und  von  enger  Mensur,  die  einen  hohen,  durch- 
dringenden Ton  hatte.  Einige  bringen  diese  Trompete  der  Klangart  halber 
mit  der  Caruyx  der  Griechen  in  Zusammenhang,  welcher  Zusammenhang  jedoch 
sich  nur  aus  den  bis  zum  Mittelalter  hin  noch  nicht  ganz  festgestellten  Be- 
griffen der  Instrumentnamen:  Trompete,  Hörn  und  Posaune  erklären  lässt. 
Siehe  hierzu  den  Artikel  Trompete.  2. 

Gallitz,  Georg,  latinisirt  Gallitzius,  Schulmann,  dabei  aber  auch  ge- 
lehrter Musiker  und  geschätzter  Componist,  geboren  1652  zu  Berscwitz  in  Un- 
garn und  gestorben  1694  als  Rector  des  Gymnasiums  zu  Bremen,  hat  sich  um 
die  Musikübung  an  seiner  Schule  grosse  Verdienste  erworben. 

Gallo.  Dieses  Namens  sind  einige  italienische  Componisten  und  eine  Sängerin 
bekannter  geworden.  1.  Giovanni  Pietro  G.,  der  im  16.  Jahrhundert  lebte 
und  von  dessen  Arbeit  man  in  dem  Sammelwerke  des  de  Äntiquis  r>Primo  lihro 
a  2  voci(s.  (Venedig,  1585)  mehrere  Motetten  findet.  2.  Domenico  G.,  ge- 
boren um  1730  zu  Venedig,  der  als  Violinvirtuose  und  Kirchencomponist  in 
Italien  sich  eines  grossen  B-ufes  erfreute  und  auch  in  Deutschland,  um  1760 
durch  verschiedene  Sinfonien  und  Violinconzerte  im  Manuscripte  bekannt  wurde. 
3.  Ignazio  G.,  ein  Schüler  Scarlatti's,  der  um  das  J.  1751  am  Conservatorio 
della  piietä  de^  Turchini  in  Neapel  Lehrer  war  und  meist  Kirchencompositionen 
schrieb.  4.  Catarina  G.,  geboren  zu  Cremona,  wui'de  in  ihrem  Vaterlande, 
besonders  zu  Bom,  sowie  zu  Paris  von  1750  bis  1760  als  ganz  vorzügliche 
Sängerin  gefeiert. 

GalloiS;  Jean  le,  Abbe  und  französischer  Gelehrter,  geboren  1632  zu 
Paris,  war  ein  Meister  im  Griechischen  und  Hebräischen  und  starb  1707.  Unter 
seinen  Schriften  sind,  als  die  Musik  betreffend  anzuführen:  -^Lettre  ä  Mlle. 
Regnault  de  Saullier  touchant  la  musiqttea.  (Paris,  1680)  und  ein  »Auszug  aus 
einem  Briefe  des  Don  Quesnel,  betreffend  die  aussergewöhnlichen  Wirkungen 
des  Echos. 

Oallois-Gourdin,  französischer  Musiker  des  15.  Jahrhunderts,  der  zu  Paris 
lebte  und  von  dem  nur  noch  bekannt  geblieben,  dass  er  als  erster  Kapellmeister 
des  Königs  Ludwig  XI.  von  Frankreich  angestellt  gewesen  ist. 

(xalluccio,  Gerardo,  italienischer  Kirchencomponist,  der  zu  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  als  Kapellmeister  in  Pavia  lebte,  hat  von  seinen  Arbeiten  Misse, 
Salmi,  Gompiete,  Litanie  della  Mado7ina  e  falsi  bordoni  a  quattro  voci  durch  den 
Druck  veröffentlicht. 

(xallus,  Jacob,  einer  der  bedeutendsten  deutschen  Contrapunktisten  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  hiess  eigentlich  Hähnel  oder  in  der 
Volksmundart  Handl.  Um  1550  zu  Krain  geboi'en,  wurde  er  Kapellmeister 
des  Bischofs  Stanislaus  Pawlowski  von  Olmütz,  darauf  kuiserl.  Kapellmeister 
und  starb  sehr  berühmt  am  4.  Juli  1591  zu  Prag.  Die  zahlreichen  Trauer- 
gedichte auf  seinen  Tod  bilden  in  der  Strahover  Bibliothek  zu  Prag  eine  eigene 
Sammlung.  —  G.'s  Ansehen  als  Tonsetzer  war  sehr  gross,  und  er  verdiente 
auch    das  Lob    vollständig,    welches    ihn    den    besten  italienischen   Tonmeistern 


116  Gallus  —  Galoubet. 

seiner  Zeit  würdig  zur  Seite  stellte.  Vom  deutschen  Ktiiser  erhielt  er  1588 
zur  Herausgabe  seiner  Werke  ein  Privileginm  auf  zehn  Jahre,  und  diese  sind: 
•nMusicum  opus  5,  ß  et  8  vocumfn  (4  Theile,  Prag,  1586,  1587  und  1590;  in 
Frankfurt  a.  M.  und  Nürnberg,  trotz  des  Privilegiums  schon  1588  und  1591 
nachgedruckt);  im  4.  Theile  befindet  sich  u.  A.  ein  Gesang  für  24  Stimmen, 
in  vier  sechsstimmige  Chöre  getheilt;  ferner  r>Moralia  5,  6  e^  8  vocihus  concin- 
natu,  atque  tarn  seriis  quam  festivis  cantibus  voluptati  humanae  accommodafaa 
(Nürnberg,  1586)  mit  47  Stücken  verschiedener  Art;  y>IIarmo7iiae  variae  4 
vocum«  (Prag,  1591);  ■nSarmoniariim  moraliiim  4  vocum  liher  3«  (Prag,  1591); 
r>Sacrae  canfiones  de  praecipuis  festis  per  totum  annum  4,  5,  6,  8  et  pltirUms 
voeilmsv.  (Nürnberg,  1597);  y^Moteitae  qiiae  pirostant  omnes<i(FvsinMnvti\..M..,  1610). 
Endlich  befinden  sich  noch  in  Bodenschatz's  rtFlorilef/iiim  portensea  33  Gesänge 
von  ihm,  unter  diesen  das  berühmte  y^Ecce  quomodo  moritur  justusu,  welches 
neuerdings  Repertoirstück  des  Berliner  Domchors  geworden  ist. 
Gallus,  Johann,  s.  Mederitsch. 

Galopp  oder  Galonpade  (franz.:  galop,  ital.:  galoppo),  in  Deutschland  früher 
auch  Hopser  oder  Rutscher  genannt,  weil  man  beim  Tanzen  auf  den  Fuss- 
spitzen  rutschte,  ist  einer  der  ausgelassensten  Rundtänze  der  Neuzeit,  dessen 
Musik  im  lebhaften  ^/^  Takt  gesetzt  ist.  In  der  Regel  besteht  die  Musik  zum 
Gr.  aus  zwei  Th eilen,  in  moderner  Art  componirt,  die  in  der  Tonika  (s.  d.) 
enden,  und  aus  zwei  Triotheilen,  ebenso  in  einer  verwandten  Tonart  gesetzt. 
In  allerjüngster  Zeit  verschwindet  dieser  Tanz  immer  mehr  aus  dem  Gebrauch, 
ja  man  kann  fast  sagen,  er  wird  gar  nicht  mehr  getanzt,  und  dennoch  findet 
man  ganz  neue  Tonschöpfungen,  die  diesen  Titel  führen.  Diese  Tonschöpfungen 
zeigen  eine  mehr  künstlerisch-phantastische  Form,  indem  sie  nicht  zur  Praxis, 
sondern  nur  zum  geistigen  Durchleben  geschaffen  worden  sind.  Sie  zeigen 
eine  Einleitung,  einen  mehr  dem  Tanze  entsprechenden  Abschnitt,  und  eine 
Coda  (s.  d.)  oder  Finale  (s.  d.),  das  die  Tanzeigenheiten  in  höchster  Be- 
schleunigung sinnlichen  Rasens  darzustellen  sich  bemüht.  Diese  sinfonische 
Ausbildung  des  G.,  der  Zeitströmung  entflossen,  jeden  aus  dem  Leben  scheiden- 
den Tanz  den  monumentalen  Tonschöpfungen  einzuverleiben,  scheint  jedoch 
wenig  Lebensdauer  erhoffen  zu  dürfen,  da  sie  dem  wirklichen  Tonlebeu  nur 
geringen  Spielraum  gestattet,  weshalb  Ton  werke  dieser  Art  ziemlich  schnell 
der  Vergessenheit  anheim  fallen.  2. 

Galot  hiess  nach  Printz's  Mus.  Hist.  ein  in  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  sehr  berühmt  gewesener  französischer  Lautenist,  welchen  Froli- 
berger  im  J.  1653  in  Paris  aufsuchte,  um  aus  seiner  Spielmanier  für  die  Be- 
handlung des  Claviers  zu  profitiren.  t 

Galoubet  oder  Flutet  nennt  man  eine  in  einzelnen  Theilen  Frankreichs 
nur  vom  Volke  noch  gepflegte  Querflöte  mit  drei  Tonlöchern,  die  mittelst  der 
linken  Hand  behandelt  wird.  Durch  verschiedenartige  Anblasung,  welche  zu 
erlernen  angestrengte  Studien  erfordert,  können  diesem  Instrumente  die  Töne 
von  d^  bis  a^  in  chi'omatischer  Folge  entlockt  werden,  die  die  Spieler  oft  mit 
grosser  Virtuosität  anzuwenden  verstehen.  Im  9.  Jahrhundert  werden  in  einem 
Manuscripte  von  Aymeric  de  Peyrac,  das  die  Pariser  Staats])ibliothek  unter  den 
Nummern  5944  und  5945  führt,  zwei  Flöten,  »Flahuta«  und  »Fistula«,  er- 
wähnt, welche  wahrscheinlich  als  Vorgängerinnen  des  G.  zu  betrachten  sind. 
Es  lässt  sich  vermuthen ,  dass  diese  Flöten  der  alten  durch  die  Römer  sehr 
gepflegten  Doppelflöte  ihre  Entstehung  verdankten,  und  zwar  der  mit  ungleich- 
langen Schallröhren.  Da  beide  Röhren  der  Doppelflöte  gesondert  waren  und 
auch  einzeln  angeblasen  werden  konnten,  so  scheint  nichts  natürlicher,  als  dass 
aus  der  grösseren  Röhre  die  Flahuta  und  aus  der  kleineren  die  Fistula  oder 
Frestele  entstand.  Für  diese  Vermuthung  sprechen  auch  die  gleiche  Anzahl 
der  Tonlöcher  des  G.  und  seine  Spielweise,  die  deswegen  wohl  der  der  Flahuta 
und  Fistula  als  gleich  zu  erachten  ist,  weil  später  alle  in  Gallien  oder  Frank- 
reich in  Gebrauch  befindlichen  Flöten  auch  nur  drei  Tonlöcher  hatten  und  wie 


Galtruchius  —  Galuppi.  111 

jede  Einzelnröhre  der  Doppelflöte  mit  einer  Hand  behandelt  wurden.  Es  lässt 
sich  fast  mit  öewissheit  annehmen,  dass  das  Volk,  welches  allein  bis  zum  16. 
Jahrhundert  hin  Elöten  gebrauchte,  wohl  bei  einer  eigenen  Erfindung  einer 
solchen  mehr  denn  drei  Tonlöcher  zu  geben  als  nothwendig  erachtet  hätte, 
wenn  nicht  eine  ältere  Erfindung  auf  die  Grestaltung  ihrer  Flöte  eingewirkt 
hätte.  Die  Gr.  war,  wie  erwähnt,  früher  in  ganz  Frankreich  in  Gebrauch  und 
führte  wahrscheinlich  zu  dem  Bau  der  mit  einer  Hand  zu  behandelnden  Quer- 
flöten, welche  beim  Fussvolk  die  Trommler  erhielten,  um  den  Marsch  der  Trup- 
pen durch  dieselben  mit  Begleitung  der  Trommel  zu  beleben;  diese  Anwendung 
im  18.  Jahrhundert  verschwand  jedoch  sehr  bald  aus  dem  Leben.  Jetzt  findet 
man  die  G.  nur  noch  in  der  Provence  bei  ländlichen  Festen  cultivirt,  wo  dann 
oft  deren  einige  zwanzig  gleichzeitig  einstimmig  eine  heitere  Melodie  geben, 
deren   Takt  durch  das  Tambourin  markirt  wird.  .  B. 

Galtruchius  oder  Gaultruche,  Pierre,  gelehrter  französischer  Jesuit,  ge- 
boren zu  Orleans  im  J.  1602,  war  Doceut  zu  Caen,  in  welcher  Stadt  er  am 
30.  Mai  1681  starb.  Er  hat  u.  A.  eine  die  Musik  berührende  Schrift:  »Mathe- 
maticae  totius,  hoc  est  Arithmeticae,  Geometriae,  Astronomiae,  Ghronolocjiae^  Gno- 
monicae,  GeograpJiiae,  Opticae,  Musicae  clara  et  accurata  institutioo.  (Wien,  1661) 
herausgegeben.     Vgl.   Grruber's  Beiträge  II.   St.  S.  27.  f 

Galtns,  Germer,  holländischer  Orgelbauer,  lebte  um  die  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  zu  Amsterdam  und  hat  sich  durch  den  Bau  bedeutender  Wei'ke 
in  seinem  Vaterlande  einen  grossen  Ruf  erworben.  Die  bedeutendsten  derselben 
sind:  ein  Werk  zu  Monnikendam  (1640)  mit  zwei  Manualen  und  angehängtem 
Peda],  dessen  Principal  und  Trompete  3,7  metrig  sind,  indem  sie  erst  vom  F 
anfangen,  und  die  Orgel  in  der  neuen  Kirche  zu  Amsterdam,  die  er  in  seinem 
Todesjahre,  1650,  zu  bauen  begann  und  die  der  Orgelbauer  Hagelbeer  1651 
vollendete.     Vgl.  Hess,  Disposit.  f 

Oaluppi,  Baldassarre,  berühmter  italienischer  Opern-  und  Kirchencom- 
ponist,  sowie  guter  Clavierspieler,  geboren  am  18.  Oktbr.  1706  auf  der  unweit 
Venedig  gelegenen  Insel  Burano,  weshalb  G.  selbst  ml  Buranellotn  genannt 
wurde,  erhielt  den  ersten  Musikunterricht  von  seinem  Vater,  einem  Barbier, 
und  seine  höhere  Ausbildung  auf  dem  Gonservatorio  degV  incwrahiU  in  Venedig, 
wo  Lotti,  dessen  Stelle  er  nachmals  erlangte,  sein  Hauptlehrer  wurde.  Seine 
Erstlingsoper  -aGli  amici  rivaUa  fiel  bei  ihrer  ersten  Aufi'ührung  1722  in  Venedig 
total  durch.  Um  so  glänzender  war  sein  Erfolg  als  dramatischer  Componist, 
namentlich  auf  dem  Gebiete  der  Opera  hvffa,  von  1729  an,  wo  er  die  Oper 
'üDorindaa,  Text  von  dem  musikberühmten  Marcello  zur  Aufführung  brachte, 
bis  zu  seinem  Tode.  In  dieser  Eigenschaft  wurde  er  auch  1741  eigens  nach 
London  berufen,  wo  er  bis  1744  mehrere  Pasticcios  und  die  Opern  yyPenelope«. 
(1741),  nScipione  in  Cartaginea  (1742),  yy^nricoa  (1743)  und  yiSlrbace«.  (1743) 
componirte,  auff'ühren  Hess  und  in  den  Druck  gab.  Nach  Italien  zurückgekehrt, 
vergrösserte  sich  seine  Routine  und  sein  Ruhm  immer  mehr.  Am  6.  April 
1762  wurde  er  zum  Nachfolger  Giuseppe  Saratelli's  als  Kapellmeister  an  der 
San  Marcokirche  in  Venedig  gewählt  und  zeichnete  sich  auch  in  diesem  wich- 
tigen Amte  ehrenvoll  aus.  Jedoch  folgte  er  schon  1765  einer  Berufung  als 
Orchesterchef  an  das  Hoftheater  in  St.  Petersburg,  mit  welcher  Stellung  4000 
Rubel  Jahresgehalt,  freie  Wohnung  u.  s.  w.  verbunden  war.  Namentlich  hob 
er  dort  das  kaiserl.  Orchester  aus  einem  jämmerlichen  Zustande  bis  zu  be- 
deutender Leistungsfähigkeit  empor,  führte  die  italienische  Kirchenmusik  in 
Russland  ein  und  erwarb  sich  durch  seine  Opern  y>Didone  ahhandonata<s.  (1766) 
und  y>Ifigenia  in  Tauridea  (1768)  immensen  Beifall  und  Auszeichnungen  aller 
Art.  Nach  dreijährigem  Aufenthalte  in  Russland  kehrte  er  in  sein  Amt  an 
der  Marcuskirche  zurück,  welches  ihm  offen  gehalten  war,  und  führte  dasselbe 
hochgeehrt  und  hochberühmt  bis  zu  seinem  Tode,  im  Januar  1785.  Wie  als 
Künstler,  so  stand  auch  als  Mensch  G.  wahrhaft  gross  da,  und  ein  Vermächt- 
niss  von  50,000  Lires  für  die  Armen  Venedigs  spricht  für  seinen  Wohlthätig» 


118  Galvi-Neuhaus  —  Gambang. 

IceitsBinn.  —  Man  führt  von  ihm  gegen  70  Opern  an,  von  denen  die  komischen 
Inhalts  und  von  diesen  wieder  besonders  »7Z  mondo  della  lunav,  i>Il  cavaliere 
delle  piumea  und  nll  mondo  alla  rovesciaa  (Klavierauszug  Leipzig,  1752)  zu 
ihrer  Zeit  für  unübertreffliche  Meisterwerke  galten.  Die  zuletzt  genannte  Oper 
befindet  sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden,  ebenso  wie  folgende  von 
(t.'s  Opern:  nAdriano  in  Siriat,  y>Alessa}idro  nelV  Indien,  y>Li  tre  amanti  ridicolif, 
-nUamante  di  tuttea,  nAntigona«,  r>Astianettev.,  »Attalov,  y>Il  Demofoontea.  (1756), 
Till  Demofoont&n  (1758),  »//  filosofo'i,  y>Gustavo  /.,  re  di  Sveziaa,  i>L'inimico  delle 
donne«,  y^Tssipilev^,  -nll  fnarchese  villano(t,  n]\feUta«,  y)3Iontezmna«,  -nOIimpiade«, 
■nLa  partenza  ed  il  ritorno  r/e'  marinariv:,  t>II  re  alla  eaccia«,  yiSesostriv,  nll 
Siroe«.  Ebenfalls  wie  diese  im  Manuscript  bewahrt  die  Wiener  Hofbibliothek 
die  droiaktige  Oper  r>Il  villano  tjeloso«.,  welche  Gr.  in  Gemeinschaft  mit  Gass- 
raann,  Scarlatti,  Marcello,  Sacchini,  Franchi,  Monza  und  Venti  componirt  hatte 
und  welche  einzelne,  noch  heute  vortrefflich  zu  nennende  Stücke  enthält.  G.'s 
Styl,  wie  er  sich  in  allen  diesen  "Werken  zeigt,  ist  ein  sehr  geschmackvoller 
und  gewandter,  birgt  eine  Fülle  einfacher,  schöner  und  herzlicher  Melodien 
mit  schlichtem  aber  doch  eindringlichem  Ausdruck  und  verbindet  sich  mit  zier- 
licher, angemessener  Instrumentation.  Weniger  hoch  gestellt  wurden  seine 
Kircheuwerke,  die  auch  meist  Manuscript  geblieben,  immerhin  aber  der  Be- 
achtung werth  sind,  sei  es,  dass  darin  die  burleske  Ausdrucksweise  durchblickt, 
sei  es,  dass  sie  eich  an  die  strengen  Contrapunktisten  oder  an  Palästrina  an- 
lehnen. Die  meisten  davon  besitzt  die  k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien,  nämlich: 
ein  nCredo  a  4  voci  con  stromentia  (25  Blätter),  ein  ^Gloria  a  4  voci  con  ström.« 
(40  BL,  Autograph),  ein  r>Motetto  a  Soprano  solo  con  strom.v.  (22  Bl.),  eine 
y>Missa  a  4  voeiv.  (18  Bl.)  und  ein  r>Kyrie  e  Gloria  a  4  voci«  (10  Bl.).  Ausser- 
dem bewahrt  die  Pariser  Bibliothek  von  ihm  ein  r>Salve  regina«  und  die  Samm- 
lung des  Abbate  Santini  zu  Rom  drei  vierstimmige  Messen,  den  fünfstimmigen 
Psalm  »/«  te ,  domine«,  -nVictimae  paschali«  und  vierstimmige  Motetten.  Eine 
und  die  andere  dieser  Nummern  werden  in  Venedig  an  Sonn-  und  Festtagen 
noch  immer  aufgeführt. 

GalTi-Neuhans,  eine  rühmlich  bekannte  italienische  Sängerin,  von  deren 
Jugend  Näheres  nicht  bekannt  ist.  Etwa  20  Jahr  alt,  verheirathete  sie  Bich 
1825  mit  dem  Deutschen  Neuhaus  und  sang  erfolgreich  auf  den  grössten  Büh- 
nen Italiens,  1828  auch  in  Paris  und  1829  in  London.  Zuletzt  trat  sie  in 
Neapel  und  Lissabon  auf  und  starb  in  letzterer  Stadt  am  22.  Juli  1838  in 
Folge  allzugrosser  Anstrengungen,  die  sie  ihrem  Körper  zugemuthet  hatte. 

Oama  ist  der  Name  zweier  Brüder,  welche  als  Pianofortefabrikanten  zu 
Nantes  wirkten  und  1827  durch  Publication  ihrer  Erfindung  eines  Schlag- 
instruments, von  ihnen  Plectro-Euphonium  genannt,  einiges  Aufsehen  machten. 
Dieses  Instrument  besass  wohl  schöne  und  glockenmässige  tiefe  Töne,  war  aber 
in  der  Höhe  nicht  entfernt  dem  Violinton  gleich.  Da  dasselbe  überhaupt  keinem 
Bedürfnisse  entgegen  kam,  so  gerieth  es,  ohne  weiter  als  in  Prankreich  einiger- 
massen  bekannt  zu  werden,  bald  genug  in  Vergessenheit. 

Gambalc,  Emanuele,  italienischer  Tonkünstler,  welcher,  zu  Anfange  des 
19.  Jahrhunderts  geboren,  als  Musiklehrer  in  Mailand  lebte  und  sich  ange- 
legentlich mit  einer  Reform  des  ganzen  modernen  Musiksystems  in  Bezug  auf 
Zeichen  und  Regeln  nach  vermeintlich  neuen  und  vereinfachten  Grundsätzen 
beschäftigte.  Trotz  der  grössten  Regsamkeit  und  Thätigkeit  hat  er  diesem 
System  irgend  welche  dauernde  Anerkennung  nicht  zu  verschaffen  vermocht. 

Oambang  ist  im  neueren  chinesischen,  indischen  und  indo- chinesischen 
Musikkreise  der  (xattungsname  einer  Klasse  von  Schlaginstrumenten,  deren  ton- 
gebende Körper  aus  Metall  oder  Holz  bestehen.  Als  Metall  zu  denselben  findet 
man  verschiedene  Mischungen  Glockengut  in  Gebrauch,  sowie  ähnliche  Compo- 
sitionen  als  die  sind,  woraus  der  Tamtam  (s.  d.),  Gong  (s.  d.)  und  andere 
Tonwerkzeuge  gleicher  Art  gefertigt  werden.  Die  tongehenden  Körper  der  G.'s, 
gestimmt  im  landesüblichen  Tonreich,  sind  auf  einem  sophaähnlichen  Gestellplan 


Gambaug-Kayu  --  Gambe.  119 

nebeneinaiuier,  seiteuer  an  einem  Gerüst  hängend,  wie  die  Steinplatten  des  Kiu 
(s.  d.),  geordnet,  und  werden  mittelst  zweier,  vorn  keulen-  oder  kugelartig  ge- 
formter Metall-  oder  Holzklöpfel  töuend  erregt.  Auch  der  Gen  der  (s.  d.) 
gehört  in  diese  Instrumentklasse.  Man  vereinigt  auf  Java,  in  Indien,  China 
und  den  verwandten  Musikländern  oft  mehrere  Instrumente  dieser  Art  zu  einem 
Ensemble  im  Unisono,  Gambangspiel  genannt,  das  einen  harmonischen,  schwer- 
müthigen  Ausdruck  tragen  soll,  der  durch  in  Abschnitten  zugefügte  Gongschläge 
noch  erhöht  wird.  Ein  solcher  Eindruck  ist  wenigstens  der  den  Abendländern 
gewordene,  während  die  landeseigene  Auffassungsweise  des  Gambangspiels  den 
Eingeborenen  gewiss  ganz  anders  und  zwar  wohl  so,  wie  dieselbe  sich  in  dem 
Artikel  chinesische  Musik  (s.  d.)  angedeutet  findet,  geltend  macht.  Vergl. 
JÜfr.  de  la  JJouhere,  Descrijjtion  du  royaume  de  Slam  T.  I  p.  208  und  T.  II 
p.  104 ;  wie  ferner  die  Abbildungen  in  Fetis,  Sist.  de  Musique  T.  II  p.  309, 
339,  340  und  346,  so  wie  in  Zamminer's  Akustik  Seite  184.  Diese  Abbildun- 
gen besonders,  von  denen  zwei  ein  Sortiment  Tonkörper  zeigen,  deren  Fabrika- 
tion ähnlich  der  des  Gong  stattgefunden  haben  muss,  werden,  sobald  einmal 
erst  die  barbarische  Anwendung  der  orientalischen  Becken  (s.  d.)  im  abend- 
ländischen Musikkreise  allgemein  als  nicht  unserer  Kunst  entsprechend  aufge- 
fasst  werden  wird,  den  Weg  zeigen,  der  zu  betreten  ist,  um  diese  Klangwir- 
kungen etwa  als  Ersatz  unserm  Tonreiche  ebenbürtig  einzufügen.  S.  auch 
Janitscharenmusik.  C.  B. 

Oanibang'-Kayu  heisst  im  indisch-chinesischen  Musikkreise  eine  Gambang- 
Art,  deren  Tonköx'per  Holzplatten  sind.  Dasselbe  hat  einen  Umfang  von  drei 
Octaven  und  einer  grossen  Terz  und  führt  dazu  trotzdem  nur  18  Platten.  2. 
Oambara,  Carlo  Antonio,  tüchtiger  und  fleissiger  italienischer  Componist 
aus  adliger  Familie,  geboren  1774  zu  Venedig,  bereitete  sich  in  Parma  für  die 
wissenschaftliche  Laufbahn  vor,  durfte  jedoch  endlich  seiner  Vorliebe  für  Musik 
folgen  und  studirte  bei  Melegari  Violin-,  bei  Ghiretti  Violoncellospiel  und  bei 
Colla  in  Parma  Contrapunkt.  In  Brescia  beim  Kapellmeister  Cannetti  compo- 
sitorisch  weiter  arbeitend,  erhielt  er  eine  feste  Anstellung  an  der  dortigen 
Kathedrale  und  schiieb  Sinfonien,  Bogentrios  und  Quartette,  ein  Quintett  füi* 
Harfe,  Violine,  Mandoline,  Viola  und  Violoncello,  sowie  Gesangstücke,  die  aber 
sämmtlich  Manuscript  geblieben  sind.  Nur  ein  Lobgedicht  von  ihm  auf  Haydn : 
r>IIaydn  coronato  in  SUconea  (Brescia,  1819)  ist  im  Druck  erschienen. 

(xambarini,  Miss,  eine  italienische  Tonkünstlerin,  welche  um  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  als  Musiklehrerin  in  London  lebte  und  auch  als  Malerin 
sehr  geschätzt  war.  Ein  Porträt  von  ihr,  gestochen  von  N.  Hone,  erschien 
1748  in  London. 

Gambaro,  Giovanni  Battista,  vorzüglicher  italienischer  Virtuose  auf 
der  Clarinette,  geboren  1785  zu  Genua,  war  Musikmeister  bei  einem  italienisch- 
französischen Regimente  und  lebte  seit  1814  in  Paris,  wo  er  eine  IMnsikalien- 
und  Instrumentenhandlung  begründete  und  zugleich  im  Orchester  der  dortigen 
Italienischen  Oper  wirkte.  Er  starb  im  Sommer  des  Jahres  1828  und  ist  als 
Componist  mit  verschiedenartigen  Clarinetten stücken,  Harmoniepiecen  und  Quar- 
tetten für  Blaseinstrumente  aufgetreten. 

Gambe  ist  die  in  Deutschland  gebräuchliche  Abkürzung  für  die  italienische 
Benennung  Viola  di  Gamha  (s.  d.),  eines  jetzt  veralteten  Streichinstruments, 
das  auch  Kniegeige  geheissen  wurde.  Wo  die  G.  zuerst  gebaut  wurde,  ist 
nicht  bestimmt  nachzuweisen,  wahrscheinlich  jedoch  in  England,  denn  man  weiss, 
dass  dort  die  G.  zuerst  bekannter  und  beliebt  wurde  und  vermuthet,  dass  sie 
aus  dem  dort  nationalen  Gruit  (s.  d.)  hervorgegangen  und  ebenso  zuerst  auch 
benannt  worden  sei.  Von  England  aus  verbreitete  sich  die  G.  durch  Italien, 
wo  sie  ihren  bekanntesten  Namen:  Viola  di  Gamha  erhielt,  sodann  über  Frank- 
reich, dort  Basse  de  Viele  geheissen,  Deutschland  und  das  ganze  civilisirte 
Europa.  Besonders  fand  dies  Instrument  in  Frankreich  viele  Verehrer  und 
dadurch  vielfache  Umgestaltungen.     Dies  hatte  seinen  Grund  in  den  damals  m 


120  Gambenbass  —  Gambenwerk. 

der  Kunst  ausschliesslich  verwertheten  Klängen.  Die  Töne  der  Männerstimme, 
welche  durch  die  Gr.  Vertretung  finden,  bildeten  dies  Tonreich,  welches  man 
hauptsächlich  in  zwei  Theile,  Tenor  (s.  d.)  und  Bass  (s.  d.),  sonderte  und 
dem  entsprechend  wieder  Unterabtheilungen  annahm.  Diesem,  der  Gr.  eigenen 
Tonumfange  hatte  dieselbe  bis  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  hin  ihre  stete 
Anwendung  bei  Musiken,  sowohl  in  der  Kirche  wie  in  der  Kammer,  zu  danken. 
Sie  hatte  das  ausschliessliche  Recht,  von  Anfang  bis  zu  Ende  eines  Tonstücks 
gehört  zu  werden,  wie  heute  das  Streichquartett  im  grossen  Orchester,  was 
wiederum  zu  einer  vielfach  verschiedenen  Bauweise  derselben  führte.  G.cn  in 
allen  Grössen  und  prächtig  mit  Schnitzwerk,  Grold,  Silber,  Elfenbein  und  Edel- 
steinen ausgelegt,  zu  bauen,  war  an  der  Tagesordnung.  Hin  und  wieder  findet 
man  noch  in  Museen,  z.  B.  in  Weimar,  derartige  PrachtcKemplare  aulbewahrt. 
Zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  wurde  dies  Tonwerkzeug  allmälig  durch  das 
Violoncello  (s.d.),  dessen  Ton  schärfer  im  Klange  und  nicht  so  aufdringlich 
näselnd  war,  verdrängt.  Die  Erfahrung,  dass  die  Länge  des  Gebrauchs  eines 
Instruments  die  Liebe  zu  demselben  erkalten  lässt,  fand  in  der  praktischen 
Verwerthung  der  G.  keine  Bestätigung;  denn  in  dem  vermuthlicheu  Vaterlande 
derselben,  England,  hatte  man  noch  Gefallen  an  derselben,  als  sie  schon  überall 
der  Vergessenheit  überantwortet  worden  war,  und  der  letzte  G.n-Virtuose,  der 
eine  achtbare  B,eihe  allgemein  verehrter  Künstler,  von  denen  nur  Granier, 
Hertel,  Hesse,  Höller  und  Marais  genannt  seien,  schloss,  war  im  luselreiche 
Karl  Friedrich  Abel  aus  Köthen,  gestorben  1787  in  London.  Der  oben  be- 
rührten Tonreichstheilung  entsprechend,  findet  man  in  der  Blüthezeit  der  G. 
vorzüglich  zwei  Arten  derselben  in  Gebrauch:  eine  kleinere  fünfsaitige,  die  die 
italienische  Benennung  Viola  hastarda  (s.  d.)  führte,  und  eine  grössere,  deren 
Bezug  aus  sechs  Saiten  bestand,  die  man  schlechtweg  Viola  di  rjamha  (s.  d.) 
nannte.  Die  Stimmung  der  fünfsaitigen  G.  war  nach  Albrechtsberger:  C,  c,  e, 
a  und  d^]  und  die  der  sechssaitigen :  D,  G,  c,  e,  a  und  d^.  Letzterer  fügte 
Roland  Marais,  der  im  ersten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  wirkte,  noch  eine 
siebente  Saite :  ^*  hinzu.  Von  ihm  rührt  auch  der  Gebrauch  her,  dass  die  drei 
tiefsten  Saiten  der  G.  mit  Kupferdraht  übersponnen  geführt  wurden.  Vergl. 
Praetorii  Syntagma  mus.  Tom.  II.  c.  21.  Ergänzend  beizufügen  ist  noch,  dass 
das  Griffbrett  der  G.,  wie  das  der  Laute,  Bunde  (s.  d.)  zeigte,  die  Notirung 
für  dieselbe  im  Violinschlüssel  geschah,  und  dass  der  Ton  derselben  von  Mat- 
theson:  »säuselnd,  schön  und  delicat«  genannt  wird.  —  Sonst  nennt  man  auch 
noch  in  der  Neuzeit  ein  meist  im  Pedal,  seltener  im  Manual  vorkommendes  Orgel- 
register  G.  Es  ist  dies  ein  oflFenes  Flötenregister  (s.  d.),  dem  die  Töne 
des  vorgedachten  veralteten  Streichinstruments  wiederzugeben  obliegt.  Die  in's 
Pedal  gesetzte  G.  pflegt  man  Gambenbass  (s.  d.)  oder  Violdigambenbass 
zu  nennen.  Meist  wird  dies  Register  2,5 metrig  ganz  aus  Zinn  gebaut,  und 
zeigt  den  Umfang  von  y  oder  g  bis  c^  oder  e-;  seltener  findet  man  es  1,25  metrig. 
Die  grösseren  Pfeifen  dieses  Registers  aus  Holz  zu  bauen,  wie  hin  und  wieder 
geschieht,  ist  nicht  zu  empfehlen.  Die  Pfeifen  dieser  Stimme  construirt  man 
cylindrisch,  oben  um  ein  Dritttheil  enger  als  unten,  eng  mensurirt  und  ver- 
sieht sie  mit  engen  Labien  (s.  d.),  Barten  (s.  d.)  und  engem  Aufschnitt 
(s.  d.).  Diese  Orgelstimme  ist  eine  der  zartesten  in  der  Orgel,  hat  einen 
schmelzenden  einschmeichelnden  Ton,  und  wird  nur  zur  Darstellung  langsamer 
Tonsätze  im  Vereine  mit  andern  schwachen  Registern  gebraucht.  S.  hierzu 
auch  den  Artikel:  Schweizerflöte.  C.  B. 

Gambenbass  oder  Tioldigambenbass  nennt  man  eine  in's  Pedal  der  Orgel 
gesetzte  Gambe  (s.  d.),  welche  gewöhnlich  5 metrig  gebaut  ist.  Dieselbe  findet 
sich  nicht  so  oft  vor  wie  die  Gambe,  ißt  aber  in  Klangweise  und  Bauart  der- 
selben gleich.     S.  auch   Schweizer  flöte.  t 

Gambenirerk,  Gambenflüg-el,  Ciaviergambe,  nürnbergisches  Gei- 
genwerk, Bogenclavier  und  noch  viele  andere  Namen  finden  sich  für  ein 
Tasteninstrument    angewandt,    das,    1609    von    dem  Nürnberger  Hans   Hayden 


Gamberini — Gamma.  121 

erfunden,  anstrebte,  Darmsaiten  mittelst  Reibung  Klänge  zu  entlocken.  Mit 
feinem  Leder,  das  mit  Kolophonium  bestrichen  ward,  überzogene  ßäderchen  ver- 
traten die  Stelle  des  Bogens  der  Streichinstrumente  und  wurden  in  verschieden- 
ster Art  zweckentsprechend  verwendet.  Das  sich  geltend  machende  Verlangen, 
die  Streichinstrumente  zu  ersetzen,  führte  zur  Erfindung  des  O,,  weckte  viel- 
fache Bemühungen,  diese  Erfindung  zu  verbessern,  die  in  dem  Artikel  Bogen- 
k lavier  (s.  d.)  genauer  beschrieben  sind,  machte  aber  auch  bald  der  Erkennt- 
niss  Platz,  dass  diesem  Verlangen  auf  dem  versuchten  Wege  nicht  genügt 
werden  könne.  Die  letzte  derartige  Bemühung  machte  Karl  Leopold  E-öllig  in 
Wien  1797  mit  seiner  Xänorphica,  deren  Beschreibung  in  dem  eben  angeführ- 
ten Artikel  sich  vorfindet;  später  ist  jedes  G.  ausser  Gebrauch  gekommen. 
Leider  findet  man  aber  noch  oft  strebsame  Instrumentbauer  mit  ähnlichen  Be- 
mühungen sich  herumtragen,  die  ihre  Gedanken  als  durchaus  neue  betrachten 
und  denselben  viel  Zeit  und  geistige  Kraft  zuwenden.  Vor  solchen  L'rgängen 
wären  dieselben  nur  zu  wahren,  wenn  endlich  ein  Museum  gegründet  würde, 
das  die  verschiedensten  noch  vorhandenen  derartigen  Schöpfungen  übersichtlich 
besässe.  2. 

Oamberini,  zwei  zu  verschiedenen  Zeiten  lebende  italienische  Tonsetzer. 
Antonio  G,,  aus  San  Remo  führen  die  mailändischen  Theaterverzeichnisse  der 
Jahre  1783  bis  1791  als  Operncomponisten  auf,  und  Michele  Angelo  G., 
geboren  zu  Cagli,  war  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der 
Stiftskirche  des  heiligen  Venantius  zu  Fabriano.  Von  dem  letzteren  existirt 
eine  in  Venedig  1655   herausgegebene  Motettensammking.  t 

Grainbini,  Carlo  Alberto,  italienischer  Pianist  und  Componist,  geboren 
um  1818  in  Genua,  trat  zuerst  seit  1838  mit  Claviercompositionen  verschiedener 
Art,  meist  Fantasien,  in  der  damals  durch  Thalberg  beliebt  gewordenen  Art 
auf.  Spätere  seiner  Arbeiten  in  diesem  Fache  bekunden  jedoch  gediegenere 
künstlerische  Grundsätze,  so  besonders  seine  Etüden  op,  36  und  ein  Pianofoi'te- 
trio  op.  54.  Weiterhin  hat  er  auch  Cantaten,  die  Musik  zu  einigen  Dramen 
und  die  Oper  r>Eufemio  di  Messinm  geschrieben,  welche  letztere  bei  ihrer  Auf- 
führung 1853  in  Mailand  grossen  Beifall  fand. 

Grambist,  kurze  Benennungsweise  für  Gambenspieler. 

Gamble,  John,  ein  hervorragender  englischer  Violinvirtuose  und  Compo- 
nist des  17,  Jahrhunderts  zu  London,  der  die  Musik  bei  dem  berühmten  Am- 
brosius  Beyland  studirt  hatte,  fand  früh  in  einem  Theaterorchester  eine  An- 
stellung, welche  er  verliess,  als  er  in  die  königliche  Kapelle  berufen  wurde,  in 
der  er  zuletzt  als  Kammervirtuose  des  Königs  Carl  IL  glänzte.  Von  vielen 
Tonstücken,  die  G.  fürs  Theater  geschrieben  haben  soll,  sprechen  alle  damaligen 
Berichte,  bekannt  sind  jedoch  nur  zwei  Sammlungen  Arien  und  Gesänge  mit 
Begleitung  der  Theorbe  und  des  Basses,  welche  1657  und  1659  zu  London 
gedruckt  erschienen.  Vor  dem  ersten  Hefte  derselben  befindet  sich  sein  von 
T.  Gross  gestochenes  Bildniss.  t 

eambold,  Lehrer  am  Pädagogium  zu  Niesky,  Hess  1787  zu  Leipzig  »sechs 
kleine  Ciaviersonaten«  drucken,  die  wegen  ihrer  originellen  und  muntern  Laune 
unter  den  damaligen  Compositionen    dieser  Art  bemerkt   zu  werden  verdienen. 

t 

Oamma  (das  griech.  T,  d.  i.  Tocpiixa)  ist  der  Name  des  dritten,  unserm  g 
entsprechenden  Buchstaben  des  Alphabets  der  Griechen  und  wurde  von  den- 
selben in  der  Musik  zur  Notirung  und  Benennung  des  Klanges  unter  dem 
Proslamhanomenos  angewandt.  Dieser  Benennung  und  Notirung  folgte  man  in 
frühester  Zeit  auch  im  Abendlande.  Dem  entsprechend  findet  man  zuerst  von 
dem  Benediktinerabt  Odo  zu  Clugny  in  Burgund,  der  ums  Jahr  920  lebte,  in 
dem  Traktat  de  musica  den  Klang  der  ganzen  Saite  des  Monochords  durch  G. 
bezeichnet,  trotzdem  er  die  Klangleiter  mit  A  anfängt.  Demselben,  oder  einem 
Allgemeingebrauch  folgend,  nannte  Guido  von  Arezzo,  hundert  Jahre  später, 
in    seinem    System    den    tiefsten  Klang    G.    und     notirte    denselben    mit    dem 


122  Gamme  —  Gander. 

gi'iechißcheu  Buchstaben.  Seinem  Hexachord- System  wurde  iu  späterer  Zeit 
der  Name  dieses  Klangbuchstaben  als  Eigenname,  indem  man  unter  Gl.  alle 
Klänge  des  Guidonischen  Systems  verstand.  Nach  dem  Untergänge  dieses 
Systems  führte  die  mit  der  Einführung  des  Octavsystems  stattfindende  Waudel- 
barkeit  jener  Tonurafangsbezeichnuug  oft  zu  Missverständnissen  und  verschwand 
deshalb  in  dieser  Beziehung  aus  dem  Gebrauche.  Die  Gewohnheit  jedoch  und 
vielleicht  auch  eine  schon  bald  nach  Guido's  Zeit  stattgefundene  ähnliche  An- 
wendung des  Fachausdrucks  G.,  als  Name  für  das  ganze  Tonreich  eines  In- 
struments oder  einer  Stimme,  bewirkte  den  ferneren  Gebrauch  des  "Wortes  G. 
bei  den  romanischen  Völkern  und  deren  Nachtretern  in  diesem  Sinne,  Dieser 
neueren  Anwendung  gemäss  nennt  man  eine  Aufzeichnung  aller  Töne  eines 
Instruments  in  chromatischer  Folge  vom  tiefsten  bis  zum  höchsten  mit  Angabe 
der  Erzeugungsart  derselben:  G.  des  Instruments,  sonst  auch  Applicaturtafel 
geheissen.  Da  die  Tonerzeugung  anzugeben  jedoch  nur  bei  Blasinstrumenten 
wichtig  ist,  so  spricht  man  meist  nur  bei  diesen  von  deren  G.,  selten  bei  andern. 
Eine  Erweiterung  des  Begriffs,  welche  durch  Anwendung  des  Wortes  G.  für 
TJebungsstücke,  Etüden  (s.  d.),  von  Blaseinstrumenten  stattfand,  und  die  einige 
Zeit  hindurch  sich  fast  einbürgerte,  ist  jetzt,  xind  wohl  nicht  zum  Nachtheil 
der  Kunst,  wieder  verschwunden,  wie  denn  überhaupt  für  Deutsche  der  Aus- 
druck G.  sich  immer  mehr  als  der  Geschichte  angehörig  gestaltet.  Vgl.  Vinc. 
Galilei  Dialogo  della  musica  antica  e  moderna  p.  94  sq.  und  Gibel:  de  Vocibus 
mus.  p.  28.  —  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  die  französische  Aussprache  dieser 
Benennung: 

(üamme)  selbst  im  Octavsystem  seit  der  Beeinflussung  der  abendländischen 
Musik  durch  die  Franzosen  sich  Geltung  verschafft  hat.  Man  nennt  (vgl.  J.  J. 
Rousseau's  Dictionaire  de  mus.  und  J.  Mattheson's  critica  mus.  T.  II.  p.  122) 
jede  Tonleiter  einer  Tonart  deren  G.,  und  findet  für  das  Guidonische  System 
die  Namen : 

(ramme'Ut,  Gaiuiua-ut  und  (i aiiimut  in  Gebrauch ,  welcher  Name  zugleich 
daran  erinnern  soll,  dass  der  tiefste  Klang  des  Systems  nur  auf  die  Sylbe  ut 
nach  den  Regeln  der  Mutation  (s.  d.)  gesungen  werden  konnte.  C.  B. 

Gammersfelder,  Johann,  Dichter  und  Tonkünstler  des  16.  Jahrhunderts, 
der  als  Bürger  zu  Burghausen  in  Oberbaiern  lebte,  war  einer  der  Ersten,  der 
Psalrae  für  einstimmigen  Gesang  componirte,  wie  folgendes  Werk  beweist: 
jiDer  gantze  Psalter  Davids  in  Gesangsweiss  gestellt  durch  Hansen  Gammers- 
felder, also,  dass  sich  die  Psalmen  alle  durchaus  in  mannigfaltiger  Melodei  her- 
nach angezeigt,  fein  und  lieblich  singen  lassen  etc.«  (Nürnberg,  1542).  Vgl. 
Will's  uürnbergisches  Gelehrtenlexikon.  f 

Gana  (indisch),  d.  i.  Gesang,  heisst  in  der  indischen  Musik  der  erste  Theil 
der  Musiklehre,  dem  noch  die  Lehren  vom  Rhythmus,  Vadya  (s.  d.),  und  vom 
Tanz,  Nytria  (s.  d.),   beigesellt  wurden.  0. 

Ganassi,  Silvestro,  italienischer  praktischer  und  theoretischer  Musiker, 
aus  Fontego  im  Venetianischen,  welchem  Flecken  er  auch  den  Beinamen  dcl 
Fontego  verdankte,  wirkte  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  ange- 
stellt bei  der  Instrumentalmusik  der  Signoria  von  Venedig,  und  ist  der  Ver- 
fasser zweier  schätzbarer,  jetzt  sehr  selten  gewordener  Werke:  1)  »Za  JFonte- 
gara  la  quäle  insegna  di  suonare  il  flauto  e  di  diminuire  coti  esso  le  compodzionea 
(Venedig,  1535)  und  2)  r>Segole  JRuhertine  per  la  prattica  di  suonare  il  violone 
d'arco  tastato  e  la  viola  d^arco  senza  tastiv-  (Venedig,  1543).  Das  erstere  ist 
das  älteste  Lehrbuch,  welches  Regeln  enthält,  wie  bei  einer  Melodie  verschiedene 
Verzierungen  gesanglich  wie  auf  Instrumenten  anzubringen  sind,  das  zweite  ist 
eine  Art  Schule,  um  das  Violaspiel  zu  erlernen. 

Gancaldi,  Carlo,  Advocat  zu  Bologna,  woselbst  er  1788  geboren  war,  ist 
musikalisch  nur  als  Verfasser  einer  Lobschrift,  betitelt:  yJElogio  cT Feiice  Ra- 
dicali,  maestro  di  musicaa  (Bologna,   1829)  bemerkenswerth. 

Gander  heisst  ein  malaiisches  Schlaginstrument,  das  dem  Gamhang  (g.  d.) 


Gandhara  —  Gang. 


123 


gleich  gebaut  ißt  und  in  derselben  Weise  gespielt  und  gebraucht  wird,  wie 
jener.  Dasselbe  unterscheidet  sich  von  jenem  nur  dadurch,  dass  es  Platten  aus 
Zinn,  die  auf  Bambus  liegen,  als  tönende  Körper  besitzt,  welche  man  mit 
Bambusklöpfel  schlägt.  Diese  Bettung  und  Klöppelart  soll  einen  matteren, 
angenehmeren  Klang  bewirken.  0. 

Gandhära  (indisch)  ist  der  Name  einer  der  sieben  Swaras  (s.  d.),  Nym- 
phen der  indischen  Götterlehre,  deren  Namen  den  sieben  diatonischen  Klängen 
der  Octave  beigelegt  wurden.  G.  hiess  der  unserm  eis  fast  gleichklingende  Ton, 
der  dritte  Klang  ihrer  Normalleiter.  0. 

Gändhara-gräma  (indisch)  ist  nach  der  Sdngita  Darpana  (s.  d.)  der 
Name  eines  der  drei  Modi  der  indischen  Musik,  dessen  diatonische  Klänge 
nach  der  in  der  folgenden  Tabelle  verzeichneten  Sruti-Zd^x\  (s.  d.)  festge- 
stellt sind: 


sa 


ri 


ga 


ma 


V< 


1.  2.  3.  4. 


1.  2.      1.  2.  3. 


1.  2.  3.  4. 


dlia 
1.  2.       1.  2.  3.  4. 


Hb 


sa 


1.  2.  3. 


ungefähr  \inserm 
h  + 


a 


eis 


d 


/  + 


—  9  « 

entsprechend, 
0. 

Oandhärbas,  unsterbliche  himmlische  Musiker,  deren  man  in  der  indischen 
Götterlehre  sieben  annahm,  waren  die  symbolischen  Vertreter  der  Elemente  der 
idealen  Kunst,  wie  die  sterblichen  Kinnaras  (s.  d.)  die  der  irdischen.       0. 

Gaudini,  Antonio,  Ritter  von,  italienischer  Operncomponist,  geboren  um 
1780  zu  Bologna,  war  ein  Compositionsschüler  des  Pater  Mattei  und  fand 
später  Anstellung  als  herzogl.  Kapellmeister  zu  Modena.  Ausser  mehreren 
Cantaten  hat  er  folgende  bis  zum  J.  1842  in  Turin  und  Modena  zur  Auffüh- 
rung gelangte  Opern  geschrieben:  y>Ruggero<i,  »Erminia  ed  Antigonov,  -»Zdirav, 
y>Isabella  de  Lara«,  i>Maria  di  Srabanfea  und  vAdelaida  di  Borbognaa.  ' —  Eine 
Sängerin,  Namens  Isabella  G.,  aus  Venedig  gebürtig,  blühte  vim  1750  als 
hervorragend  in  ihrer  Kunst. 

Gandini,  Salvatore,  italienischer  Kirchencomponist  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts,  von  dessen  Arbeiten  gedruckt  erschienen  sind:  Psalme 
(Venedig,  1654),  eine  Messe  und  andere  Kirchengesänge  (Venedig,  1685). 

Gaudo,  Nicolas,  berühmter  Buch-  und  Notendrucker,  Anfangs  des  18. 
Jahrhunderts  zu  Genf  geboren,  zuerst  in  Bern,  um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts, endlich  in  Paris  wirksam,  gab  1766  y>Ohservations  sur  le  Traite  histo- 
rique  et  critique  de  Monsieur  Fournier  le  jeune,  sur  VOrigine  et  les  Progres  des 
Garacteres  de  Fönte  pour  Vimpression  de  la  Musiquev^  heraus,  worin  er  die  Er- 
findung Fournier's  als  eine  Nachahniung  der  Breitkopf'schen  Typendruckart 
darstellte.  Er  gab  in  diesem  Werke  auch  eine  Probe  einer  eigenen  Erfindung 
unter  dem  Titel:  y>Pseaume  GL,  petit  Motet,  par  M.  VAhhe  Poussier,  des  nou- 
veatix  Garacteres«,  die  in  der  That  von  in  Kupfer  gestochenen  Noten  kaum  zu 
unterscheiden  ist.  Ferner  führt  das  Werk  noch  als  Beigabe  die  sechserlei 
Notentypen,  welche  vor  1695  zu  Paris  gebräuchlich  waren,  so  wie  die  von 
Ballard  angewendeten.  f 

Gandrika  (indisch)  ist  der  Name  einer  der  indischen  musikalischen  Rhyth- 
musarten,  deren  Zeit-  und  Sylbenzahl  genau  vorgeschrieben  ist.  Die  G.  muss 
in  jedem  Abschnitt  52  Sylben  haben,  welche  in  vier  metrisch  gleiche  Theile 
zerfallen,  die  sich  wie  folgt  gestalten  müssen: 


Einschnitt. 


-®— •- 


0. 


Gang  (ital.:  passaggio,  franz.:  passage)  wird   in  der  Musiksprache  am  häu- 
figsten   für  Lauf  und  Passagle    gebraucht,    zuweilen   auch  für  die  Bewegung 


124  Gangris  —  Ganz. 

und  Fortsclireitung  (s.  d.)  der  Intervalle.  Einige  Theoretiker,  an  ihrer 
Spitze  A.  B,  Marx,  bezeichnen  mit  G.  jede  melodisch  organisirte  Tonfolge,  die 
keinen  in  sich  befriedigenden  Abschluss  hat,  im  Gegensatz  zum  Satz,  als 
einer  Melodie,  die  durch  Anfang  und  Schluss  als  ein  Ganzes  sich  giebt.  S. 
auch  Periodenbau. 

OangriS;  der  syrische  Name  für  die  antike  Flöte, 

Gauuassi,  Jacopo,  italienischer  Tonkünstler,  Anfangs  des  17.  Jahrhun- 
derts zu  Treviso  geboren,  war  daselbst  Franciscanermönch  und  Kirchen-Kapell- 
meister. 

Gauspeckh,  Wilhelm,  deutscher  Tonsetzer  des  18.  Jahrhunderts,  geboren 
1691  zu  München,  machte  sich  besonders  durch  Composition  zahlreicher  Messen 
bekannt. 

Gaus^yiud,  vortrefflicher  Virtuose  auf  der  Viole  d'amour,  geboren  um  1775 
in  Böhmen,  lebte  in  Prag  und  darf  als  der  letzte  Componist  von  Bedeutung 
für  sein  Instrument  angesehen  werden. 

Gautez;  Hannibal,  auch  Gantes  geschrieben,  französischer  Tonsetzer,  der, 
zu  Marseille  geboren,  als  Canouicus  und  Kirchenkapellmeister  zu  Aix,  Arles, 
Auxerre  u.  s.  w.,  zuletzt  in  Paris  lebte.  Er  veröffentlichte  eine  Messe,  der  er 
die  Melodie  eines  Volksliedes  zu  Grunde  gelegt  hatte  und  ein  jetzt  seltenes 
aber  noch  geschätztes  Werk:  »Untretien  familier  des  miiaiaiensa  (Auxerre,  1643), 
sowie  59  Briefe  über  die  Kirchenmusik   in  Frankreich. 

Gautzlaud,  Christian,  deutscher  Rechtsgelehrter,  veröffentlichte  als  Stu- 
dent in  Jena  eine  Prüfungsarbeit,  betitelt:  "Juristische  luaugural-Dissertation 
über  die  Hornbläser  und  ihr  Recht«   (Jena,   1711). 

Ganz,  eine  aus  Mainz  stammende  Tonkünstlerfamilie,  die  sich  auf  dem 
Gebiete  der  Composition  nicht  nennenswerth,  um  so  mehr  aber  auf  dem  der 
technischen  Virtuosität  ausgezeichnet  hat.  Zunächst  sind  es  drei  Brüder,  die 
von  ihrem  als  praktischen  Musiker  in  Mainz  rühmlichst  bekannten  Vater  unter- 
richtet, die  öffentliche  Aufmerksamkeit  auf  sich  zogen.  1)  Adolph  G.,  ge- 
boren am  14.  Oktbr.  1796,  wurde  von  seinem  Vater  im  Violinspiel  und  der 
Theorie  ziemlich  weit  gefördert,  so  dass  er  befähigt  war,  sich  durch  Selbst- 
unterricht auf  allen  gangbaren  Orchesterinstrumenten  Fertigkeit  anzueignen. 
Im  Generalbasse  und  in  der  Harmonielehre  erhielt  er  durch  Seb.  Holbusch  die 
für  einen  Musiker  nothwendige  höhere  Ausbildung  und  wurde  1819  Musik- 
direktor am  Stadttlieater  seiner  Vaterstadt,  welches  Amt  er,  seit  1825  mit  dem 
Titel  eines  grossherzogl.  hessischen  Kapellmeisters  belohnt,  bis  gegen  1845  inne 
hatte,  zu  welcher  Zeit  er  sich  nach  London  begab,  wo  er  am  11.  Novbr.  1869 
starb.  Als  Componist  ist  er  ziemlich  bedeutungslos  mit  Ouvertüren,  Märschen, 
einem  Melodrama,  Liedern  und  Gesängen  aufgetreten,  von  welchen  auch  Einiges 
im  Druck  erschienen  ist.  —  2)  Moritz  G.,  ein  vorzüglicher  Violoncellist  der 
älteren  Schule,  geboren  am  13.  Septbr.  1806,  wurde  durch  Styassni  auf  seinem 
Instrumente  völlig  ausgebildet,  von  Gottfried  Weber  auch  theoretisch  einiger- 
massen  unterrichtet  und  trat  hierauf  in  das  von  seinem  Bruder  dirigirte  Mainzer 
Theaterorchester  als  erster  Violoncellist,  von  wo  aus  er  1827  als  königl.  Kam- 
mermusiker nach  Berlin  berufen  wurde.  Dort  erhielt  er  1836  den  Charakter 
eines  Concertmeisters  und  wirkte  zugleich  als  Lehrer  seines  Instruments  bis 
zu  seinem  Tode  im  J.  1868.  Auf  Kunstreisen,  besonders  nach  London  und 
Paris,  sowie  in  Concerten  zu  Berlin  hat  sein  äusserst  fertiges  und  reines  Spiel 
grossen  Beifall  gefunden.  Seine  wenigen  im  Druck  erschienenen  Compositionen 
und  Arrangements  für  Violoncello  documcntiren  in  naiver  Art  den  musikalischen 
Naturalisten.  —  3)  Leopold  G.,  geboren  am  28.  Novbr.  1810,  hatte  als  Vio- 
linist seinen  Vater,  seinen  Bruder  Adolph  und  Fritz  Bärwolf,  einen  Schüler 
Spohr's,  zu  Lehrern.  Er  trat  gleichfolls  in  das  Mainzer  Theaterorchcster  und 
wurde  zugleich  mit  seinem  Bruder  Moritz,  mit  dem  er  im  Zusammeuspiele 
innig  verwachsen  war,  1827  in  die  Berliner  Hofkapelle  berufen,  wo  er  1836 
den  Titel  und  1840  die  Stelle  als  königl.  Concertmeister  erhielt.     Beide  Brüder 


Ganze  Applicatur  —  Ganzinatrumente,  ]  25 

ersetzten  so  das  ähnliche  Brüderpaar  Bohrer  (s.d.)  und  führten  zugleich  ihre 
Doppelvirtuosen-Thätigkeit  in  Kammermusikconcerten  weiter.  Als  Lehrer  wirkte 
übrigens  Leop.  Gr.  ungleich  erfolgreicher  wie  als  Virtuose,  da  seine  Technik 
und  Reinheit  keineswegs  tadellos  waren.  Er  starb  zu  Berlin  am  15.  Juni 
1869.  —  Zwei  Söhne  des  zuerst  genannten  Adolph  G.  kommen  hier  noch 
in  Betracht:  a)  Eduard  Gr..  geboren  am  29.  April  1827  zu  Mainz,  Hess  sich 
schon  in  seinem  11.  Jahre  als  Pianist  öifentlich  hören  und  erhielt,  nachdem 
er  mit  seinem  Vater  nach  London  gekommen  wai'^  einigen  Unterricht  von  Thal- 
berg. Im  J.  1851  siedelte  er  nach  Berlin  über,  wurde  ein  Jahr  später  Bratschist 
der  königl.  Kapelle  und  wirkte  besonders  tüchtig  als  Pianofortelehrer.  Um 
18G2  gründete  er  nach  vortrefflichen  Grundsätzen  eine  Schule  für  Pianoforte- 
spiel, die  zu  einer  gewissen  Blüthe  gelangte  und  der  er  bis  zu  seinem  schon 
am  26.  Novbr.  1869  erfolgten  Tode  als  sachkundiger  Direktor  vorstand.  Dieses 
Institut  be.steht  noch  gegenwärtig,  von  dem  gleicherweise  umsichtigen  H. 
Schwantzer  geleitet.  —  b)  Wilhelm  G.,  ein  vorzüglicher  Pianist,  1830  in 
Mainz  geboren,  lebt  in  höchst  geachteter  Stellung  als  Virtuose  und  Lehrer,  zu 
Ijondon.  Von  ihm  ist  eine  Reihe  von  Ciavierstücken  im  modernen  Salonstyle 
im  Druck  erschienen,  von  denen  mehrere  bei  den  Dilettanten  in  grosser  Gunst 
stehen. 

Ganze  Applicatur  pflegen  die  Streichinstrumentspieler,  zum  Unterschiede 
von  der  mezza  maniea  oder  halben  Applicatur,  diejenige  fortgerückte  Lage 
der  Hand  zu  nennen,  bei  welcher  die  Töne,  die  sie  in  der  gewöhnlichen  Lage 
mit  dem  dritten  Finger  zu  greifen  haben,  mit  dem  ersten  gegriffen  werden 
müssen.  Sie  wird  nöthig,  theils  wenn  man  das  d^  erreichen  will,  theils  auch 
bei  verschiedenen  melodischen  Sätzen  und  Passagen,  die  sonst  nicht  wohl  her- 
ausgebracht werden  können,  z.  B. 

3  111       4  2  12 


f#       • ,-ß ß *-m ß-B 


Im  weiteren  Sinne  versteht  man  unter  g.  A.  auch  jede  noch  höhere  Lage  der 
Hand,  bei  welcher  der  erste  Pinger  Noten  zu  greifen  hat,  die  auf  den  Linien 
stehen. 

Oanze  Cadenz  oder  Ganzschlass,  s.  Cadenz. 

Ganze  Doppelzunge  nennt  man  eine  Doppelzunge  (s.  d.)  in  höchster 
Vollendung,  welche  Kunst  jetzt  selten  geübt  wird  und  zur  Zeit  der  Trompeter- 
zunft Geheimniss  war.  —  Auch  eine  Schlagart  der  Pauke,  wahrscheinlich  eine 
die  G.  durch  die  Trompete  nachahmende  Tongebung,  führte  in  der  Fachsprache 
diesen  Namen.     Siehe  Trompete  und  Pauke,  0. 

Ganze  Note  oder  Ganze  Taktnote  wird  die  Vierviertelnote  (Semihrevis) 
genannt. 

Ganze  Orgel  nannte  man  früher  und  nennt  man  wohl  noch  zuweilen  jetzt 
solche  Werke  mit  drei  oder  vier  Manualen,  deren  Hauptmanual  eine  5 metrige 
und  deren  Pedal  eine   lOmetrige   Stimme  besitzt.      S.    Orgel. 

Ganzer  Takt,  eine  Benennung  des  modernen  Viervierteltakts,  wahrschein- 
lich daraus  hervorgegangen,  dass  die  Semihrevis,  welche  als  heutige  Ganze  Note 
die  Einheit  dieser  Taktart  ausmacht,  früher  schon  als  ganzer,  d.  h.  durch  Nie- 
derfallenlassen und  Erheben  der  Hand  gemessener  Schlag  oder  Tactus  galt, 
auch  der  Tactus  genannt  wurde.  Gegenwärtig  ist  die  Semihrevis  die  grösste 
der  allgemein  im  abendländischen  Musikkreise  üblichen  Notengattnngen;  in  ihr 
als  dem  Ganzen,  sind  bekanntlich  alle  übrigen  Notengattungen  als  Theile  ent- 
halten.     S.  auch   Takt  und   Taktzeichen. 

Ganzlnstrnniente  nennt  man  eine  Klasse  der  Blechblaseinstrumente  in  Be- 
zug auf  ihre  Schallröhrenconstruktion.  Bemühungen,  die  grossen  Blechblase- 
instrumente  leichter  zu  bauen  und  deren  Grundton  hörbar  zu  machen,  führten 
zur   Verwerthung   des    akustischen    Gesetzes:     dass    jede    konische   Erweiterung 


126  Gauzton. 

einer  Schallröhre  den  Grundton  tiefer  legt  und  leicht  hörbar  macht.  Da  in 
der  Nähe  des  Mundstücks  die  Mensur  eines  Instruments  nicht  geändei't  werden 
kann,  so  vergrösserte  man  die  Durchmesserverhältuisse  der  konischen  Erweite- 
rung der  Schallröhrc  zwischen  Mundstück  und  Schallbecher  nach  Möglichkeit 
und  entdeckte,  dass  man  ausser  der  Erreichung  oben  genannter  AVünsche  noch 
einen  weicheren  und  volleren  Ton  solchen  Schallröhren  zu  entlocken  vermochte. 
Während  sonst  die  Durchmesserverhältnisse  wie  1  :  6,  höchstens  wie  1  :  8  Avaren, 
machte  man  sie  wie  1  :  10,  selbst  wie  1  :  20  und  grösser.  Das  erste  demgemäss 
gefertigte  G-.  war  das  1843  von  Sommer  Euphonium  oder  Baryton  ge- 
nannte,   das  in  J?j   stand    und  nur  2,8  Meter  Länge   hatte.     Seitdem  gründete 

V 

Cerveny  in  Königsgrätz  auf  die  Durchführung  dieses  Naturgesetzes  manche 
Instrumenterfiudung,  machte  sich  dadurch  einen  europäischen  Ruf  und  hat 
ausserdem  noch  das  Verdienst,  dass  durch  diese  seine  Bemühungen  allmälig  der 
Bau  der  Blechblasinstrumente  beeinflusst  worden  ist  und  jedenfalls  ferner  noch 
mehr  beeinflusst  werden  wird.  Vgl.  Schafhäutl's  Bericht  über  die  Musikinstru- 
mente auf  der  Münchener  Industrieausstellung,  Seite  170  und  Zamminer's 
Akustik,  Seite  313  und  314.  2. 

Gauz-Tou  oder  ganzer  Ton  heisst  jetzt  in  der  diatonischen  Klangfolge 
jedes  grössere  Intervall  (s.  d.)  im  Gegensatze  zu  dem  kleineren,  Halb  ton 
(b.  d.)  genannten.  Der  Name  G.  oder  ein  ähnlicher  repräsentirt  nur  eine  neuere 
Intervallaufifassung,  da  in  frühester  Zeit  in  den  verschiedenen  Musikkreisen,  wo 
eine  genauere  Feststellung  des  Tonreichs  stattgefunden  hat,  eine  ähnliche  nicht 
angewendet  wurde,  worüber  die  Artikel  über  die  Musikkreise  belehren.  Siehe 
z.  B.  ägyptische,  chinesische  etc.  Musik.  In  Griechenland  findet  man  zu- 
erst den  G.  durch  Tovog  gekennzeichnet  und  wurde  speciell  das  diaphonische 
Intervall,  um  welches  die  Quinte  grösser  als  die  Quarte  ist,  also  benannt.  Dies 
Intervall  hatte  Pythagoras  (um  530  v.  Chr.)  nur  in  einem  Verhältniss,  9  :  8, 
festzustellen  für  richtig  erachtet.  In  späterer  Zeit  zeigen  sich  jedoch  von 
anderen  griechischen  Theoretikern  noch  andere  Verhältnisse  für  den  G,  als 
nothwendig  erachtet,  wie  sie  die  Schattirungen  der  Tetrachorde  (s.  d.)  nach 
ihrer  Aufifassung  forderten.  Architas  (um  406  v.  Chr.),  hatte  ausser  dem  Py- 
thagoräischen  G.  noch  den  im  Verhältniss  von  8  :  7  festgestellt.  Didymos  (38 
v.  Chr.)  verwarf  die  Architatische  Erweiterung  und  stellte  dafür  eine  neue  Lehre 
auf;  sein  Tetrachordsystem  zeigte  einen  G.  im  Verhältniss  9  :  8  und  einen 
solchen  10  :  9.  Beinahe  zweihundert  Jahre  später,  150  n.  Chr.,  berechnete 
Ptolomaeus  die  G.  in  den  verschiedenen  Tetrachordschattirungen  so,  dass  alle 
früheren  Verhältnisse  und  noch  das  11  :  10  darin  vertreten  waren.  Im  Abend- 
lande fand  nur  die  pythagoräische  Feststellung  des  G.  Eingang,  welche  Glocken- 
spiele der  Niederlande  noch  bis  ins  17.  Jahrhundert  hören  Hessen,  trotzdem 
die  Wissenschaft  schon  eine  andei'e  Feststellung  des  G.  empfohlen  und  durch- 
geführt hatte.  Siehe  Akustik  der  Alten.  Man  hat  in  der  Klangfolge  einer 
Octave  zwei  Arten  von  G.n,  die  im  Verhältniss  9  :  8  und  10  :  9,  als  richtig 
erachtet.  Die  erste  Art,  auch  der  grosse  G.  genannt,  erhält  man  durch  Ab- 
ziehen zweier  addirter  Quarten  von  der  Octave  als  Rest,  und  die  andere,  klei- 
nerer G.  geheissen,  dadurch,  dass  man  Quinte  und  kleine  Terz  addirt  und  die 
Summe  der  Verhältnisse  umkehrt,  d.  h.  von  der  Octave  abzieht.  Dieser  wissen- 
schaftlichen Feststellung  des  G.'s,  die  in  der  diatonisch  genannten  Tonfolge 
abwechselnd  Verwerthung  findet,  hat  man  bei  deren  Anwendung  in  Zusammen- 
klängen manche  TJebelstände  abempfunden.  Dies  führte  erst  zu  einer  theilweisen 
und  dann  zu  einer  gleichschwebenden  Temperatur,  welche  Veränderungen  die 
Feststellung  des  G.'s  vielfach  modificirt.  Im  Notiren  kennen  wir  jedoch  nur 
einen  G.  und  sprechen  demgemäss  gewöhnlich  auch  nur  über  beide  grössere 
diatonischen  Intervalle  der  Scala  in  dem  Sinne.  In  der  That  jedoch  kommt 
nur  selten  in  harmonischen  Kunstvorträgen  ein  G.  nach  der  Berechnung  zu 
Gehör,  was  unserer  Oluvigenheit  wegen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  hin  auch 
nicht  störend  wirkt.     Aufgabe  der  Praxis  ist  es  nämlich,  wo  möglich  es  in  die 


Ganzwerk  —  Gai'at.  127 

Macht  des  Tongebers  zu  stellen,  das  diatonische,  das  gleichtemperirte  oder  ein 
dazwischenliegendes  Intervall  geben  zu  können,  denn  jenachdem  wir  durch  den 
Zusammenklang  des  vorgeschriebenen  Tons  mit  den  andern  gleichzeitig  er- 
klingenden befriedigt  werden,  sprechen  wir  von  einem  reinen  Spiel  und  wissen, 
dass  diese  Reinheit  gerade  darin  besteht,  dass  der  Vortragende  dem  berechneten 
Gr.  nicht  strikte  gerecht  zu  werden  strebt.  Der  G.  der  Neuzeit  ist  wie  ein 
Abschnitt  eines  Menschenlebens;  Jedes  Jugend  ist  Jugend  und  doch  ist  jede 
von  der  andern  verschieden.  B. 

Ganzwerk,  ein  in  der  älteren  Orgelsprache  gebräuchlich  gewesener  Aus- 
druck zur  Bezeichnung  eines  Werks  mit  Principal  5  und  Octav  2,5  Meter  im 
Hauptmanual.     Ein  solches  Werk  heisst  auch  Hauptprincipalwerk. 

Garaiii,  Nunziata,  italienische  Sängerin,  geboren  zu  Bologna,  hat  sich 
als  sehr  treffliche  Künstlerin,  die  zugleich  in  der  dramatischen  Darstellung  Vor- 
zügliches leistete,  hervorgethan ;  sie  war  1758  in  Petersburg  bei  der  dortigen 
komischen   Oper  thätig.  f 

Garat,  Pierre  Jean,  einer  der  ausgezeichnetsten  französischen  Tenoristen 
des  18.  und  selbst  des  19.  Jahrhunderts,  wurde  am  25.  April  1764  zu  Ustaritz, 
Departement  der  Basses-Pyrenees,  geboren.  Seine  Mutter  war  seine  erste  Gre- 
sanglehrerin,  sodann  Lamberti  in  Bayonne,  und  als  die  Familie  nach  Bordeaux 
übersiedelte,  Frangois  Beck.  Sein  Vater,  ein  Advocat,  verwies  den  Sohn  gleich- 
falls auf  die  juristische  Laufbahn  und  sandte  ihn,  um  die  dazu  nothwendigen 
Studien  zu  absolviren,  1780  nach  Paris.  Dort  lebte  aber  G.  nur  seiner  musi- 
kalischen Ausbildung  und  vernachlässigte  sein  Fachstudium  derartig,  dass  er 
sich  mit  seinem  Vater  entzweite,  der  ihm  hierauf  alle  Unterstützung  entzog. 
Dafür  fand  G.  in  dem  Grafen  von  Artois  einen  Bewunderer  seines  Talents, 
welcher  ihn  zu  seinem  Privatsecretär  ernannte  und  in  die  musikalischen  Cirkel 
der  Königin  einführte.  Seinen  Vater  söhnte  er  nach  vielen  vergeblichen  Ver- 
suchen erst  mit  sich  aus,  als  ihn  derselbe  bei  Gelegenheit  eines  Besuchs  des 
Grafen  von  Artois  in  Bordeaux  in  einem  Benefizconcert  für  Frangois  Beck 
singen  hörte  und  Zeuge  der  Bewunderung  war,  die  seinem  Sohne  gezollt  wurde. 
G.'s  Wohlleben  in  den  höchsten  Kreisen  von  Paris  hatte  aber  mit  dem  Fort- 
schreiten der  Revolution  und  namentlich  als  die  Schreckensregierung  1793 
niedergesetzt  wurde,  ein  jähes  Ende,  und  in  der  ungünstigsten  politischen  Zeit 
wieder  ganz  auf  sich  selbst  angewiesen,  folgte  er  gern  der  Einladung  des  be- 
rühmten Violinvirtuosen  P.  Kode,  zu  Concertreisen  mit  in  das  Ausland  zu 
gehen.  Widrige  Winde  führten  sie  zuerst,  statt  nach  England,  nach  Hamburg, 
wo  sie  grenzenlosen  Beifall  fanden.  Um  dem  Verdachte,  Emigranten  zu  sein, 
zu  entgehen,  kehrten  sie  noch  im  J.  1794  in  ihre  Heimath  zurück.  Im  näch- 
sten Jahre  wurde  G.  für  die  berühmten  Theater  -  Feydeau  -  Concerte  engagirt, 
und  der  Enthusiasmus,  den  er  als  Sänger  aller  Genres  erregte,  war  unbeschreib' 
lieh;  man  behauptete,  einen  vollendeteren,  hinreissenderen  Sänger  habe  Frank- 
reich niemals  gehört,  noch  weniger  besessen.  An  das  neu  entstandene  Pariser 
Conservatorium  wurde  er  sofort  1795  als  erster  Gesangsprofessor  berufen,  und 
Gesangssterne  erster  Grösse  wie  die  Barbier-Walbonne,  die  Branchu,  die  Bo- 
land,  wie  Nourrit,  Ponchard,  Levasseur  u.  v.  A.,  die  sich  seine  Schüler  nann- 
ten, bezeichnen  auch  seine  Lehrthätigkeit  in  unvergesslicher  Art.  Oeffentlich, 
zuletzt  in  den  Concerten  der  Strasse  Clery  und  in  St.  Petersburg,  sang  G.  nur 
bis  etwa  1802,  jedoch  erregte  er  bis  zu  seinem  50.  Jahre  die  ungetheilteste 
Bewunderung,  und  Kenner,  wie  Ci'escentini,  Piccini,  Sacchini,  Marchesi  u.  s.  w. 
gestehen  zu,  dass  die  Register  seiner  umfangreichen  Stimme  in  vollendetster 
Art  ausgeglichen,  dass  sein  Geschmack  in  den  Verzierungen,  seine  Manier  des 
Ausdrucks  und  Vortrags,  kurz  die  ganze  Behandlung  seines  klangschönen  und 
biegsamen  Tenors  eine  unvergleichliche  gewesen  sei,  wozu  noch  ein  feiner  mu- 
sikalischer Sinn  für  Reinheit,  Tempo,  Takt  u.  s.  w.  kam.  Auch  als  Romanzen- 
componist  war  G.  zeitweilig  sehr  beliebt  und  die  TiBelisairev-,  y>Le  menestreU, 
r>Je  faime  tanU   betitelten    einstimmigen   Tondichtungen    von   ihm  wurden    bei- 


J28  Gavaud^  —  Garbinl. 

nahe  weltbekannt.  Um  1817  verlor  er  seine  Stimme,  und  die  Wahrnehmung, 
dass  er  mit  den  letzten  Resten  derselben  nicht  kunstschön  mehr  zu  wirken 
vermochte,  ging  ihm  tief  zu  Herzen  und  beschleiinigte,  trotz  der  sonstigen  ge- 
sichertsten und  unabhängigsten  Existenz  seinen  Tod,  welcher  am  1.  März  1823 
zu  Paris  erfolgte.  —  Sein  Bruder,  Joseph  Dominique  Fahr 3^  G.,  geboren 
1774  zu  Bordeaux,  besass  gleichfalls  einen  schönen  Tenor,  den  er  aber  erst, 
nachdem  er  einige  Jahre  Militair  gewesen  war,  Ende  der  1790er  Jahre,  aus- 
bilden Hess.  Als  Dilettant  im  Gesang  und  in  der  Composition  von  Romanzen 
Avar  er  immerhin  bemerkenswerth,  so  dass  er,  als  er  seine  seit  1808  in  Belgien 
bekleidete  Stelle  im  Finanzministerium  verloren  hatte,  ganz  erfolgreich  als  Con- 
certsänger  und  Gesanglehrer  auftreten  konnte,  bis  er  schliesslich  durch  ein  Amt 
im  französischen  Finanzministerium  entschädigt  wurde. 

ßartui(16,    Alexis  Adelaide   Gabriel  do,    gediegener  französischer  Ton- 
künstler und  Musikpädagog,  wurde  als  der   Sohn  eines  Parlamentsraths  am   21. 
März    1779    zu  Nancy    geboren    und    erhielt    eine    sorgfältige  Erziehung.     Die 
Stürme  der  Revolution  zwangen   ihn,  auf  eigenen  Füssen  stehen  zu  lernen,  und 
nach   diesem   Ziele  hin   studirte  er  bei  Gambini   in  Paris,  später  sehr  eingehend 
und  gründlich  bei  Reicha  Harmonielehre  und  Composition,  sowie  Gesangskunst 
bei  Crescentini    und  Garat.     Vom  J.  1808    an    bis   zur  Julirevolution  fungirte 
er    in    der    kaiserlichen,    dann    königlich    gewordenen    KajDelle    als    angestellter 
Sänger;   wichtiger   und    eiuflussreicher  war  aber  seine  Berufung   1810  als  Pro- 
fessor   des   Gesangs    an    das  Pariser  Conservatorium ,   welches  Amt    er    mit  vor- 
züglichem Erfolge  bis   1841   verwaltete,  worauf  er  sich  pensioniren  Hess.    Wäh- 
rend   dieser    lehrthätig    verbi'achten    Zeit    hat    er    sich    durch    Herausgabe    der 
folgenden   Lehrbücher    hoch    anzuschlagende  Verdienste  erworben:    y>Methode  de 
chanU    (Paris,    1809    und   in    späteren    umgearbeiteten    Auflagen);    y>Solfege   011 
Methode  de  musique«;  y>8olfeges  progressifs,  oii  nouveau  cours  de  lecture  mi(sicale<f 
(mehrmals  aufgelegt);  »  Vocalises  ou  etudes  characteristiques  de  Vart  da  chant  etc.«.; 
yiMefhode  complete  de  Pianoa;   y>L'harmonie  rendue  facile,  ou  theorie  pratique  de 
cette  sciencea  und  noch  mehreres  Einschlägige.    Ausserdem  schrieb  er  die  zwar 
nicht  zur  Aufführung  gelangte,    aber    im   Clavierauszuge    erschienene  Oper  r>La 
lyre  enchanteea,  eine  dreistimmige  Messe,  über  200  französische  und  italienische 
Romanzen,  Nocturnen,  Arien  und  Duette,  ferner   Sonaten  und  Variationen  für 
Pianoforte,   Streicliquintette,  Duos  und  Variationen   für  Violine,  für  Violoncello, 
Stücke   für   Harfe    und  Clarinette,   für  Flöte   u.  s.  w.     G.    starb    am    2.3.  März 
1852    zu    Paris.     —     Sein    natürlicher,    später    adoptirter    Sohn    war   Alexis 
Albert  Gauthier  G.,   geboren   am   27.   Oktbr.   1821   zu  Choisy-le-Roi,  welcher 
der  Verbindung  G.'s  mit    der   Sängerin   Clothilde   Colombelle,   genannt  Coreldi, 
entsprossen  ist.     Derselbe  studirte  dreizehn  Jahre  lang,  von   1829  bis   1842  im 
Pariser  Conservatorium  hauptsächlich   Clavierspiel  und  Gesang  und  voirde  wäh- 
rend   dieser  Zeit   zu    öfteren  Malen    durch    Preise    ausgezeichnet.     Nachdem    er 
das  Institut   verlassen    hatte,   war   er    mehrere  Jahre  hindurch  geschätzter  Ac- 
compagnateur  an   der   Opera  comique,  starb  aber  schon    zu  Paris  am   6.  August 
1854.     Als  Componist  ist  er  nur  mit  modei-nen  Ciaviersachen  von  zweifelliaftem 
Werthe  aufgetreten;    wichtiger  geworden   sind  seine   Ciavierauszüge  von   Opern, 
welche    in    der    Grossen    und    Komischen    Oper    als   Novität    erschienen.      Seine 
letzte    derartige  Arbeit   war   der  Ciavierauszug    der  Oper    »der  Nordstern«    von 
Meyerbeer. 

Garbini,  Madame,  eine  vorzügliche  Sängerin  und  Violinvirtuosin  aus  Ita- 
lien, glänzte  im  J.  1791  zu  Paris  auf  dem  Theätre  de  Monsieur  mit  ihren 
Kunstleistungen  als  Sängerin  und  trug  in  den  Zwischenakten  auch  Violincon- 
certe  von  Viotti  u.  A.  mit  dem  grössten  Beifall  vor.  Nach  dieser  Zeit  war 
sie  auch  an  anderen  Pariser  Theatern  engagirt  und  wurde  überhaupt  noch 
etwa  zehn  Jahre  hindurch  mit  Auszeichnung  genannt.  Ihre  Stimme  war  ebenso 
angenehm  als  selten  voll  und  kräftig  und  bekundete  treffliche  Schulung,  ihr 
Violinspiel  zudem   im   höchsten  Grade  präcis,  fertig,  ausdrucks-  und  geschmack- 


Garbo  —  Garcia.  129 

voll,    verbunden    mit  einer  leichten  Bogenführung.     "Weitere  oder  eingehendere 
Nachrichten  über  ihre  Lebensverhältnisse  fehlen  leider. 

Garbo  (ital.),  Artigkeit,  Anmuth;  daher  die  musikalische  Vortragsbezeich- 
nung con  g.,  d.  i.  mit  anmuthigem  Ausdruck. 

Garbrecht,  gegen  Ende  des  18,  Jahrhunderts  Mechanicus  zu  Königsberg 
i.  Pr.,  fertigte  in  Gemeinschaft  mit  dem  Diaconus  Wasiansky  1795  einen  in 
mancher  Beziehung  eigenthümlich  construirten  Bogenfiügel  an  und  suchte  den- 
selben später  noch  zu  verbessern,  wie  Chladni  in  den  Beiträgen  zu  Koch's 
Journal  Seite  194  und  in  der  Leipz.  allg.  musikal.  Ztg.  Jahrg.  II  Seite  309 
näher  berichtet,  f 

Garcia,  eine  berühmte,  vielfach  verzweigte  spanische  Sänger-  und  Gresang- 
lehrei'familie ,   deren  wichtigste  Glieder   hier  folgen.     Manoel  G,  del  Popolo 
Vicente    wurde    am  22,  Jan.   1775  zu  Sevilla  geboren    und    bekundete  schon 
früh,  von  einer  herrlichen  reinen   Stimme  unterstützt,  seltene  musikalische  An- 
lagen.    Als  Sängerknabe  der  Kathedrale  seiner  Vaterstadt  seine  Laufbahn  be- 
ginnend, erhielt  er  den  besten  Musikunterricht,  in  der  Compoaition  u.  A.  von 
den    Kapellmeistern  Don  Antonio  Ripa    und  Don  Juan  Almarcha.     In    einem 
Alter    von    17  Jahren  war    er    bereits    als  Sänger,    Componist  und  Orchester- 
dirigent   rühmlich  bekannt,    so  dass  er  ein  Jahr  später  eigens  nach  Cadix  be- 
rufen   wurde,    um    in    einem    Intermezzo    (spanisch  Tonadilla    genannt)    seiner 
eigenen  Composition  aufzutreten.     Der  Beifall,  den  er  als  Sänger  und  Compo- 
nist dort  fand,  ermuthigte  ihn,  auch  in  Madrid   in  verschiedenen  seiner  Tona- 
dillas  zu  debütiren  und  damit  seinen  Ruhm  zu  begründen,  der  sich  immer  mehr 
steigerte,  als  er  französische  Operetten  in  spanischer  Bearbeitung  und  neu  von 
ihm    componirt,    zur  Aufführung   brachte.     Von    diesen  kleinen   Sachen  musste 
das  einaktige  Monodram  y>El  poeta  calcuUstaa  lange  Zeit  hindurch  immer  wieder 
repetirt  werden    und    das  Lied    y^M  contrabandistaa    daraus  wurde  zum  wahren 
Volksliede.     Nachdem  sein  Ruf  die  Pyrenäen  überschritten  hatte,  ging  er  1808 
auch    selbst    nach  Paris    und    sang  zuerst  in  der  italienischen  Oper  »Griselda« 
von  Paer    mit    sehr    bedeutendem  Erfolge.     Seine  Regsamkeit   und  sein  Feuer 
führten    ihn    schon    nach  Monatsfrist  an  die  Spitze  der  Gesellschaft  und  seine 
Leitung    brachte    neues  Leben    in    das  Personal  wie    in  das  Repertoir.     Jenes 
spanische  Monodram  arbeitete  er  nun  italienisch  um,   führte  es   1809  auf  und 
erzielte   damit   beim  Publikum,   das  zum  ersten  Male  acht  spanische  Musik  zu 
hören  bekam,  ungeheure  Erfolge.     Im  J.  1811  war  er  in  Italien,  wo  ihn  Turin, 
Rom  und  Neapel   im  höchsten  Maasse  feierten,    so    dass  ihn  der  König  Murat 
durch  eine  Anstellung  als  ersten  Tenor  seiner  Kapelle  zu  fesseln  suchte.    Mit 
der    schon    in  Paris    von   ihm  begonnenen  Oper    »/Z  califfo  de  Bagdad«^,    1812 
auf  dem  San  Carlo-Theater  zu  Neapel  sehr  beifällig  gegeben,  befestigte  er  zu- 
gleich   seinen  Componistennamen    in  Italien    und    damit   noch    nicht  zufrieden, 
studirte  er  bei  Anzani  auf's  Eingehendste  die  italienische  Gesangskunst  praktisch 
wie   theoretisch    und  eignete  sich   jene  treffliche  Methode  an,    deren  Fortdauer 
später  seine  zahlreichen  berühmt  gewordenen  Schüler  sicherten.     In  der  Saison 
von  1816  und  1817  trat  er  wieder  in  Paris  unter  der  Direktion  der  Catalani, 
sodann  in  London  auf,    woselbst  er  neben  der  Fodor  Triumpfe  feierte.     Seine 
Glanzzeit    aber    füllt  die  Jahre  1819  bis  1824  aus,    wo  er  in  Paris  nicht  nur 
als  Sänger  der  italienischen  Oper  verherrlicht  wurde,  sondern  auch  jene  Sänger- 
schule begründete,  die  ihn  an  die  Spitze  aller  Gesanglehrer  seiner  Zeit  stellte. 
Als  er  in  der  Frühjahrssaison   1824    als  erster  Tenor  der  königl.  italienischen 
Oper  in  London  angestellt  wurde,  vereinigte  er  bald  über  80  Schüler,  die  ihn 
mit  Bedauern    1825    als  Theaterdirektor    nach    New- York    ziehen    sahen.     Mit 
einem    auserlesenen  Künstlerensemble,    darunter    sein  Sohn  Manoel    und    seine 
Tochter  Maria,  langte  er  in  der  neuen  Welt  an  und  erwarb  sich  in  New- York 
und  seit  1827  in  Mexico  nicht  blos  enthusiastische  Anerkennung,  sondern  auch 
Reichthümer.     Im   Begriff   nach   Europa    zurückzukehren,    wurde    er    auf   dem 
Wege    nach  Vera  Cruz    von  Räubern    ausgeplündert    und  musste   seinen  Plan, 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    IV.  9 


130  Garcia. 

sich  von  der  Oeffentlichkeit  zurückzuziehen,  aufgeben.     Er  sang  noch  in  Paris 
den  Almaviva  im  »Barbier  von  Sevilla«  und  den  Don  Ottavio  im  »Don  Juan«, 
gelangte    aber    als    einsichtsvoller  Künstler    zu    der  TJeberzeugung,    dass    seine 
Stimme    dem    jähen  Klimawechsel    unwiederbringlich  erlegen    sei    und  widmete 
sich  seitdem  ausschliesslich    der  Composition   und  der  Ertheilung  von   Gesang- 
unterricht.    Hochverehrt  von  der  ganzen  Musikwelt   und  besonders  von  seinen 
Schülern,  deren  berühmteste  seine  bereits  genannten  Kinder,  sowie  die  Damen 
Biuiz-Garcia,  Kimbault,  Meric-Lalande,  Favelli,  Gräfin  Merlin,  die  Sänger  Nourrit, 
Geraldi  u.  s.  w.  sind,    starb  G.  am  2.  Juni  1832    zu  Paris.     Seine   sehr  zahl- 
reichen  Gesangcompositionen    aller  Art    ermangeln  mehr  oder  weniger  der   Ge- 
nialität   der  Erfindung    und    des    höhereu    künstlerischen   Gehalts,    weshalb  sie 
schon   jetzt  der  Vergessenheit  anlieimgefallen  sind,    wogegen  die  von  ihm  ver- 
fasste  vortreflüche  Gesangschule  y)Metodo  de  canto  o  arte  de  a^pprender  a  cantan<. 
seinen  Namen    verewigt.   —   Der    würdige  Erbe    seines  Lehrerruhms    war    sein 
Sohn    und    Schüler    Manoel    G.,    mit    dessen   Auftreten    eine    neue  Aera    des 
rationellen  Gesangunterrichts,  nämlich  desjenigen  nach  physiologischen  Grund- 
sätzen, beginnt.     Geboren  am  17.  März  1805  zu  Madrid,  erhielt  derselbe  seine 
erste    musikalische  Erziehung    in  Neapel,    wo    er    mit    seinem  Vater  von  1811 
bis  1816  verweilte.     In  Paris,    wohin  hierauf   sein  Vater  ging,    erhielt  er,    15 
Jahr  alt,    u.  A.  bei  Fetis  Unterricht    in    der  Composition    und    zog    auch  mit 
nach  London,    New- York   und   Mexico,    ohne  jedoch   als  Sänger  (Bassist)   be- 
deutenderen Erfolg  zu  erringen.     Nach  Paris  1829  zurückgekehrt,    widmete  er 
sich    fast    ausschliesslich  dem  Gesangunterriche,    für  welche  Disciplin  er  durch 
unablässige  Forschungen    feststehende    physiologische    Gesetze    aufzufinden    be- 
müht   war.     Während   vor    ihm    fast    allgemein    die    Gesanglehrer    theils    nach 
empirisch    überlieferten    Regeln,    theils    nach    angeborenem  oder  ausgebildetem 
Kunstgeschmack    die    Praxis ,  des  Unterrichts    übten    und    damit    allerdings    in 
vielen  Fällen  Ausreichendes    leisteten,    ohne  indessen   jemals    sich  des  sicheren 
Bewusstseins    rühmen  zu  können,    das  überhaupt  mögliche  Ideal  des  Gesanges 
gelehrt  und  geübt  zu  haben,  war  G.  als  einer  der  Ersten  bestrebt,  die  innersten 
Geheimnisse  der  Entstehung  der  menschlichen  Stimme,  ihrer  Register,  Klang- 
verschiedenheiten   u.  s.  w.    zu  erforschen   und  darauf   eine  wissenschaftlich  un- 
umstössliche  Gesanglehre  zu  begründen,  sowie  eine  objective,  allgemein  gültige 
Gesangübung  zu  entwickeln.     Eine  Frucht  dieser  Untersuchungen  war  der  nach 
ihm  benannte  Kehlkopfspiegel  (s.  d.),  mit  dem  es  zum  ersten  Male  gelang, 
die  Vorzüge  der  Beobachtungen  am  Kehlkopf   mit  denen    der  praktischen  Er- 
fahrung zu  vereinigen.     In  diesem  Sinne  vcrfasste  er  die  Abhandlung  TaStir  la 
voix  hamainev.,    welche    er    1841    in    der    Pariser  Akademie    vorlas.     In   Folge 
dessen  bald  darauf   zum  Professor   am  Conservatorium    ernannt,    veröffentlichte 
er  den  berühmt  gewordenen  y>Traite  complet  de  Vart  du  chantv.  (2  Theile,  Paris, 
1847),    welcher    als    die    beste    und    gründlichste  Gesangschule    der  Gegenwart 
anerkannt  wurde.     Im  J.  1850   liess  G.  sich   in  London  nieder,    wo  er  seinen 
Ruhm,    der    angesehenste    Gesanglehrer    der  Neuzeit    zu    sein,    befestigte.     Die 
Anerkennung  der  gelehrten   Welt  erwarb   er  sich  von   dort  aus,  nachdem  er  in 
einem  Vortrage  »über  die  Entstehung  der  Stimme«,  gehalten  am  24.  Mai  1854 
in    der  Royal  soeiety    und    abgedruckt  in  y>The  London,    Edinburgh  and  Duhlin 
philosophical  Magazine  and  Journal  of  science,  Juli  —  Dec.  1855«  die  wichtig- 
sten   und    bestrittensteu  Punkte  der  Gesangtheorie   in  ganz  neuer  Art  wissen- 
schaftlich   erörtert    hatte.     G.  ist    in  seinem  Berufe  noch  gegenwärtig  überaus 
erfolgreich    in  London    wirksam.     Unter    den    italienischen    Gesanglehrern    der 
Zeit  ist  er  anerkanntermaassen  der  berühmteste;    er  ist  der  letzte,    wenn  auch 
dem  Kunstgeschmacke  der  Gegenwart  ergebene  Nachkomme  jener  Männer,  die 
man  als  die  ersten  Meister  des  Gesanges  zu  nennen  pflegt.     Andererseits  sind 
seine    physiologisch -wissenschaftlichen    Untersuchungen    so    eigenthümlich    und 
bleibend  werthvoU,    dass   sie  ihm  auch  in  der  Wissenschaft  eine  hervorragende 
Stelle    verschafft    haben.     Indem    er,    in    dem  Mittelpunkte   beider  Richtungen 


Garciua  —  Gardi.  131 

stehend,  von  der  Physiologie  zur  Gesangspraxis  einen  neuen  Weg  bahnte,  hat 
er  seinen  Namen  auch  für  alle  Zukunft  verewigt.  Unter  seinen  Schülerinnen 
strahlen  Gesangsterue  erster  Grösse,  so  u.  A.  Jenny  Lind,  Henriette  Nissen, 
Johanna  "Wagner  und  seine  Gattin  Eugenie  G.,  welche  letztere  nach  ihrem 
Abgange  von  der  italienischen  Opernbühue,  um  1848,  sich  in  Paris  niederliess 
und  daselbst,  getrennt  von  ihrem  Manne,  lange  Jahre  als  geschätzte  Gesang- 
lehrerin wirkte,  —  Die  hochberühmten  Töchter  des  ganz  oben  genannten  G. 
waren:  Maria  G.  (s.  Malibran)  und  Pauline  G.  (s.  Viardot-Garcia). 

Garcius,  Laurent,  französischer  Kunstliterat,  der  von  1734  bis  1788  in 
Paris  lebte,  veröffentlichte  u.  A.  eine  Abhandlung  »lieber  das  Melodrama  oder 
Reflexionen  über  die  dramatische  Kunst«  (Paris,  1772). 

Garczinska,  Wilhelmine  von,  rühmlich  bekannte  deutsche  Sängerin,  war 
die  Tochter  des  Musikdirektors  Benedict  Bierey  (s.  d.)  und  von  ihrem  Yater 
musikalisch  so  trefflich  herangebildet  worden,  dass  sie  noch  sehr  jung,  1816, 
in  ihrer  Geburtsstadt  Breslau  in  Concerten  mit  Beifall  auftreten  konnte.  Gründ- 
lich vorbereitet,  debütirte  sie  ebendaselbst  am  25.  März  1819  als  Rosalieb  in 
Boieldieu's  »ßothkäppchen«.  Der  Erfolg  war  ein  aussergewöhnlich  glänzender, 
und  sie  wurde  in  Soubretten-Parthien  überhaupt  der  erklärte  Liebling  des 
Publikums.  Schon  1821  verliess  sie  in  Folge  ihrer  Vermählung  mit  einem 
Herrn  von  Garczinski  das  Theater,  trat  aber  bereits  nach  zwei  Jahren,  durch 
besondere  Umstände  veranlasst,  in  ihr  früheres  Engagement  zurück.  Wiederum 
fand  sie  die  beifälligste  Aufnahme  und  zeichnete  sich  bis  zu  ihrem  Abgange 
an  das  Stadttheater  zu  Mainz  im  J.  1829  gleichermaassen  als  dramatische  wie 
als  Concertsängerin  aus.  Von  Mainz  aus  scheint  sie  sich  nach  etwa  sechs 
Jahren  dauernd  in  das  Privatleben  zurückgezogen  zu  haben. 

Gardauo,  Antonio,  oder  Gardaiii,  italienischer  Tonkünstler,  Noten-  und 
Buchdrucker,  von  Walther  in  seinem  musikalischen  Lexikon  unter  dem  Namen 
Antoine  Gardaue  aufgeführt,  besass  und  führte  von  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts an  bis  1571  zu  Venedig  eine  Buch-  und  Notendruckerei  und  befasste 
sich  besonders  mit  Herausgabe  damals  schätzbarer  musikalischer  Werke.  Von 
seinen  derartigen  Leistungen  sind  die  bekanntesten:  y>Mofetti  del  Fruttoa  (1539), 
ein  Sammelwerk  in  mehreren  Bänden,  worin  auch  Compositionen  von  ihm  selbst 
enthalten  sind,  ferner  y>Frim,o,  secondo  e  terzo  lihro  de''  Capricci  di  Jachetto 
Berchem'i  (1561),  nBiscinia  gallicai  (1564)  u.  v.  A.  Verdier  berichtet  über 
G.  noch,  dass  er  25  vierstimmige  französische  Chansons  verschiedener  Compo- 
nisten  (1538)  herausgegeben  habe.  In  der  Münchener  Bibliothek  finden  sich 
Musikwerke  vor,  die  wahrscheinlich  zum  Theil  noch  von  ihm  herrühren,  ob- 
wohl sie  bereits  unter  dem  Namen  seines  Sohnes  und  Nachfolgers  Angelo  G. 
geführt  werden.  Vgl.  Dr.  Burney  Hist.  of  Mm.  Tom.  III  p.  305  und  Draudii 
Bibl.  Class.  p.  1610  und  1623.  Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  man  Angelo 
G.  die  erste  gedruckte  Partitur  zuschreibt,  die  er  im  Jahre  1577  geschaffen 
haben  soll;  von  derselben  befindet  sich  ein  Exemplar  in  der  königl.  Bibliothek 
zu  Berlin,  die  den  Titel:  r>Tutti  i  Madi'igali  di  Gipriano  di  Bore  a  quattro  voci<t 
trägt.  Ein  Bruder  Angelo's,  dessen  Officin  noch  1650  bestand,  Alessandro 
G.,  war  seit  1580  in  Eom  etablirt.  f 

Garde,  de  la,  s.  Lagarde. 

Gardetou,  Cesar,  ein  thätiger  französischer  Musikdilettant,  geboren  1786 
zu  Marseille  und  daselbst  vielseitig,  auch  musikalisch  gebildet,  Hess  sich  1814 
zu  Paris  nieder,  wo  er  sich  mit  Compilationen  und  Uebersetzungen  musikalisch- 
literarischer Werke  beschäftigte.  So  erschienen  von  ihm  zwei  Jahrgänge  eines 
Almanachs,  betitelt  »Annales  de  la  musiquea  (Paris,  1819  und  1820),  ferner 
anonym:  »Bibliographie  musicale  de  la  France  et  de  Vetrangera  (Paris,  1822), 
ein  aller  Ordnung  und  Genauigkeit  entbehrendes  Werk.  G.  selbst  starb  im 
J.  1831  zu  St.  Germain  bei  Paris. 

Gardi,  Francesco,  italienischer  Operncomponist  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts,  von  dessen  Werken   der  Mailändische  Indice  de^  Spettac. 


132  Gardiner  -    Garnerius. 

(1785  bis  1800)  aufführt:  die  Opera  seria  y>Mtiea  nel  Lazio<i  (1786  zu  Modena 
gegeben),  die  Opera  bujfa  y>Il  convitato  di  pietrav.  (1787  in  Venedig),  die  Opera 
hvffa  nifl  fata  capricciosa<i  (1789  zu  Venedig),  die  Opera  seria  y>Teodolinda«. 
(1790  ebenda)  und  die  Op.  huffa  r>Il  nuovo  convitato  di  pietraa  (1791  zu  Bo- 
logna); ausserdem  noch:  »L^ncantesimo  senza  magia  (1784),  »ia  muta per  amore» 
(1785),  y>La  hella  Laurettaa.  (1786)  und  y>La  hottega  di  caffe».  (1790). 

Gardinor,  William,  musikalisch  gebildeter  englischer  Schriftsteller,  ge- 
boren 1770,  hat  auch  tonkünstlerische  Gregenstände  behandelt,  wie  sein  Buch 
■nMusic  and  Friends»-  beweist. 

Gareis,  E.,  liolländischer  Orgelbauer,  der  1732  in  der  grossen  Kirche  zu 
Maassluys  ein  "Werk  vollendete,  das  fünfmetrig  disponirt  war  und  42  klingende 
Stimmen,  drei  Manuale  nebst  Pedal  besass.     Vgl.  Hess,  Disposit.  f 

Gargrano,  Teofilo,  italienischer  Castrat,  zu  Grallese  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  geboren,  war  vom  Jahre  1601  ab  Contraaltist  in  der 
päpstlichen  Kapelle  zu  Rom  und  starb  ebenda  1648.  Baini  erwähnt  mit  Lob 
eines  von  demselben  componirten  Miserere,  von  welchem  zwei  Versette,  eines 
zu  vier,  das  andere  zu  fünf  Stimmen  gesetzt  sind.  Gi-,  selbst  hinterliess  ein 
Legat  für  vier  junge  Leute  aus  Gallese,  welche  in  Rom  Musik  studiren  sollten. 

Garghetti,  Silvio,  Componist  der  römischen  Schule  aus  Rimini,  war  1689 
als  Kapellmeister  der  Kirche  San  Sudario  zu  Rom  angestellt.  Von  seinen 
Werken  wusste,  trotz  mehrfacher  Nachforschungen,  auch  Baini  nichts  Bestimmtes 
mitzutheilen. 

GargToss,  s.  Gar  kl  ein. 

Gärikä  ist  einer  der  drei  Sanskritnamen  für  den  Bogen  bei  Streichinstru- 
menten, welche  Benennungen  Werken  entnommen  sind,  die  zwischen  1500  und 
2000  Jahre  alt  sind,  wodurch  zugleich  die  früheste  Bekanntschaft  der  Inder 
mit   Streichinstrumenten  sicher  gestellt  ist.  0. 

Garilieflf,  ein  russischer  Kirchencomponist,  der  in  seinem  Vaterlande  sich 
ums  Jalir  1800  eines  bedeutenden  Rufes  erfreute.  Näheres  über  G.'s  Leben 
und  Werke  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt  geworden.  Vgl.  Leipz.  Allgem.  mueikal. 
Zeitung,  Jahrg.  III,  Seite  657.  t 

Garinding-  nennt  man  auf  den  indischen  Inseln  eine  Bambusflöte  von  un- 
gefähr 0,35  Meter  Länge,    die    mittelst   eines  Blattmundstückes   intonirt   wird. 

0. 

Garke,  Heinrich,  deutscher  Tonkünstler,  lebte  zu  Halberstadt  und  ver- 
öffentlichte einen  »Musikalischen  Katechismus  nebst  einem  Anhange,  für  kleine 
Singinstitute  eingerichtet«  (Halberstadt,  1820). 

Garkleiu  war  ein  Zusatz,  den  man  früher  manchen  Benennungen  0,3  metriger 
Orgelstimmen  gab,  z,  B.  Gar  kl  ein -Flöte  im  Gegensatze  zu  einer  Gargross- 
Flöte,  die  stets  10 metrig  gebaut  war.  Neuerdings  wird  dieser  Ausdruck  in 
der  Fachsprache  nicht  mehr  geführt.  t 

Garlaude,  Jean  de,  altfranzösischer  Musikschriftsteller  des  12.  Jahrhunderts, 
von  dessen  Lebensumständen  nichts  bekannt  geblieben  ist. 

Garnerius,  Guilielmus  oder  Guaruerins,  italienisirt  Garnerio,  gelehr- 
ter Tonkünstler  und  Scholastiker,  der  um  und  nach  1450  in  Folge  'seiner 
öffentlichen  Vorlesungen  einer  grossen  Berühmtheit  in  Italien  genoss.  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  aus  Belgien  stammt  und  ursprünglich  Garnier 
oder  Guarnier  geheissen  hat;  in  einem  aus  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
überkommenen  Manuscript  mit  französischen  und  flaraländischen  drei-  und  vier- 
stimmigen Chansons,  welches  dem  Lord  Spencer  gehört,  findet  sich  in  der 
That  ein  Stück,  welches  den  Componistennamen  Guil.  Guarnier  trägt,  welcher 
Name  gleichfalls  auf  einer  Motette  der  von  Attaignant  in  Paris  1520  heraus- 
gegebenen Sammlung  steht.  Hauptwirkungsstätte  G.'s  war  Mailand,  dann 
Neapel,  wo  er  um  1480  das  Lehramt  an  der  vom  König  Ferdinand  gegrün- 
deten Musikschule  bekleidete,  wie  dies  aus  einer  Stelle  in  Pantaleone  Mele- 
guli's  Lebensbeschreibung  Gafori's  hervorgeht. 


Garnier — Gavzoni  133 

Garnier  ist  der  Name  einer  ganzen  Reihe  französischer,  im  18.  Jahrhun- 
derte rühmlichst  bekannter  Musiker.  1.  Adrien  Gr.,  ein  geschickter  Violinist, 
geboren  um  1740  zu  Lyon,  kam  1775  mit  bedeutendem  Künstlerrufe  nach 
Paris  und  wurde  zwei  Jahre  später  in  das  Orchester  der  Grossen  Oper  ge- 
zogen. In  Lyon  erschienene  Violinsolo's  kennzeichnen  ihn  auch  als  Componisten 
für  sein  Instrument.  —  2.  Frangois  Gr.,  berühmter  Oboevirtuose  geboren 
1759  in  dem  Dorfe  Lauris  in  der  Provence,  war  ein  Schüler  Salentin's  wurde 
1778  als  zweiter  und  1785  als  erster  Oboist  im  Orchester  der  Pariser  Grrossen 
Oper  angestellt,  in  welcher  Stellung  er  auch  seit  1783  bei  der  Kammermusik 
des  Königs  thätig  war.  Die  Revolution  brachte  ihn  um  alle  diese  Posten;  es 
gelang  ihm  jedoch,  als  Commissaire  ordonnateur  bei  der  Kriegsverwaltung  an- 
gestellt und  der  Rheinarmee  zugesellt  zu  werden.  Unter  Moreau  kam  er  u.  A . 
nach  Frankfurt  a.  M,  und  trat  daselbst  in  einem  von  Kreutzer  gegebenen  Con- 
certe  mitwirkend  unter  grossem  Beifall  auf,  ebenso  in  Offenbach.  Später  einem 
italienischen  Armeecorps  unter  Championnet  zugetheilt,  sah  er  auch  Rom  und 
Neapel.  Nach  seinem  Rücktritt  aus  der  Armee  zog  er  sich  auf  sein  Gleburts- 
dorf  Lauris  zurück,  woselbst  er  1825  starb.  Er  ist  der  Verfasser  einer  Oboen- 
schule und  hat  ausserdem  Concerte  für  Oboe,  Duos  für  zwei  Oboen  und  für 
Oboe  und  Violine,  sowie  Trios  für  Oboe,  Flöte  und  Fagott  geschrieben,  die 
auch  zum  Theil  im  Druck  erschienen  sind.  Sein  Bruder  Joseph  G.,  auch 
G.  le  jeune  genannt,  war  seit  1789  Oboist,  später  Flötist  im  Orchester  der 
Grossen  Oper  zu  Paris  und  trat  nach  25jähriger  Dienstzeit  1814  in  den  Pen- 
sionsstand. Derselbe  ist  Verfasser  einer  Flötenschule  und  veröffentlichte  von 
seiner  Composition  ein  Flötenconcert,  Trios  für  Flöte,  Hörn  und  Fagott,  Duos 
für  zwei  Flöten  und  Etüden  für  Flöte.  —  3.  Honore  G.,  geboren  um  1701, 
war  vierter  Organist  zu  Versailles,  sodann  Accompagnist  des  Königs  Stanis- 
laus  von  Polen,  lebte  als  solcher  grösstentheils  in  Paris  und  starb  im  J.  1769 
zu  Nancy,  als  tüchtiger  Musiker  allgemein  geschätzt.  Herausgegeben  hat  er: 
lyMethode  pour  V accompagnement  du  clavecin,  aussi  bonne  pour  les  personnes  qui 
pincent  de  la  liarpeu.  (Paris,  1766). 

Garth  of  Dnrham,  John,  ein  englischer  Instrumental-Componist  aus  der 
letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  der  wahrscheinlich  in  London  als  Organist 
einer  der  dortigen  Kirchen  lebte,  gab  daselbst  sechs  Violinconcerte  als  op.  1 
und  sechs  Ciaviersonaten  mit  Violin-  und  Violoncellbcgleitung,  ausserdem  mehrere 
Violoncelloconcerte  und  eine  Sammlung  von  Fantasien  (Voluntaries)  für  die 
Orgel  heraus,  die  in  England  sehr  geschätzt  waren.  Am  bekanntesten  ist  er 
durch  die  englische  Uebersetzung,  welche  er  den  Psalmen  des  Marcello  unter- 
legte, geworden,  welche  Arbeit  in  acht  Foliobänden  gleichfalls  zu  London 
erschien. 

Garschavim,  ein  hebräischer  Accent,  welchem  Naumburg  in  seinem  in  dem 
Artikel  Gerasch  (s.  d.)  angegebenen  "Werke  in  dem  Abschnitte  zur  Lesung 
der  fünf  Bücher  Mose  am  Neujahrs-  und  Versöhnungstage  folgende  musikalische 
Phrase  unterlegt: 


Garnlli,  Bernardino,  italienischer  Tonsetzer  aus  Cali,  war  Chordirigent 
an  der  Kathedrale  zu  Fano  im  Kirchenstaate  und  hat  zu  Venedig  1565  fünf- 
stimmige Motetten  und  andere  Gesänge  herausgegeben.  Vgl.  Draudii  Bibl. 
Class.  p.  1612.  t 

Garzoui,  Tommaso,  italienischer  Kunstgelehrter,  geboren  1549  zu  Bag- 
nacavallo  im  damaligen  Herzogthum  Ferrara  und  gestorben  am  6.  Juni  1589 
zu  Ravenna  als  Canonicus  regularis  Lateranensis,  ist  der  Verfasser  eines  Werks, 
»iß  Piazza  universale  de  tutte  le  professioni  del  Mondov-  betitelt  (Venedig,  1589), 
das    in    seinem    42.  Abschnitt  von    der  Musik,    sowohl  von   der  Vocal-    als  der 


J^34  Gras  —Gas -Harmonika. 

InstrumentalmUBik ,    besonders    von    der    der  Pfeifer,    handelt.     Vgl.  das  comp. 
Gelehrten-Lexikon.  t 

Gas  dient  in  neuester  Zeit  als  Hauptinittel,  die  Wellenbewegung  bei  der 
Klangbildung  zur  Anschauung  zu  bringen;  Flammen  (s.  d.),  durch  einen 
G-asstrom  genährt,  geben  das  Bild.  Dies  Bild  gestaltet  sich  den  Tönen  gemäss 
dadurch,  dass  man  die  Tonwellenschwingung  auf  eine  in  die  Wand  eines  Gas- 
rohrs eingeschaltete  Membran  wirken  lässt.  Zu  diesem  Behufe  steht  die  Mem- 
bran mit  einem  Kautschukrohre  in  Verbindung,  in  welches  man  die  Ton- 
schwingung hineinleitet,  indem  man  z.  B.  ganz  einfach  hineinsingt.  Die  Mem- 
bran wird  dann  dem  Sänge  entsprechend  bewegt  und  wirkt  auf  den  Gasstrom; 
die  Flamme  erhebt  und  senkt  sich  der  Wellenbewegung  gemäss  in  der  Secunde 
einige  hundertmal.  Um  die  Ei'hcbungen  und  Senkungen  der  Flamme  getrennt 
zu  sehen,  muss  man  den  Kopf  schnell  hin-  und  herbewegen  oder  sich  eines 
drehenden  Spiegels  bedienen.  Man  sieht  dann  eine  Reihe  feuriger  Zungen, 
aus  deren  Anblick  die  Natur  der  G.schwingungen  crrathen  werden  kann.  Eine 
treffliche  Darstellung  eines  solchen  Apparates,  wie  die  Flammenbilder  der  Töne 
<?',  g^  und  c^  sich  gestalten,  welche  auf  die  Vocale  n,  o  und  a  gesungen,  findet 
man  in  E,.  Radau's  »Lehre  vom  Schall«  (München,  1869),  Seite  280  und  281. 
Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  G.  durch  einen  an  beiden  Seiten  offenen, 
vertical  placirten  Cylinder  (Glas)  begrenzt,  mittelst  einer  unter  dem  Cylinder 
angebrachten  Flamme  in  tönende  Schwingungen  versetzt  werden  kann.  Diese 
Erfahrung  führte  Einige  zur  Erfindung  neuer  Tonwerkzeuge,  die  sie  Gas- 
Harmonika  (s.  d.)  nannten;  dieselben  erfreuen  sich  jedoch  bisher  noch  keiner 
Einführung  in  der  Kunstwelt.  2. 

Gaschiii-Rosenberg:,  Fanny  Gräfin  von,  eine  begabte  Dilettantin,  geboren 
1818  zu  Thorn,  war  eine  Ciavierschülerin  Liszt's,  Thalberg's  und  Henselt's 
und  erlangte,  von  solchen  Meistern  ausgebildet,  einen  hohen  Grad  der  Virtuo- 
sität auf  diesem  Instrumente.  Sie  hat  sich  auch  in  Pianofortecompositionen 
versucht,  die  im  Salonstyl  gehalten  und  Chopin  nachempfunden,  viele  Lieb- 
haber fanden. 

Gascogne,  Matthien,  französischer  Contrapunktist  des  16.  Jahrhunderts, 
von  dessen  Arbeiten  in  Salblinger's  »Ooncentus  a  4 — 8  voc.«  (Augsburg,  1545) 
und  in  einer  der  Sammlungen  von  Attaignant  sich  noch  einige  Proben  vor- 
finden. Baini  sagt  von  G.  in  seinem  Buche  über  Palestrina,  dass  er,  Zeitge- 
nosse Ockenheims,  um  die  Kunstvorgänger  zu  überstrahlen,  die  Erfindung 
schwierigerer  Toncombinationen  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  wodurch  in  der  Kunst 
jedoch  keine  Fortentwickelung  möglich.  —  Derselbe  Schriftsteller  erwähnt  in 
demselben  Werke  an  einer  vorangehenden  Stelle  noch  eines  andern  französischen 
Tonsetzers  Namens  G.  aus  dem  15.  Jahrhundert,  von  dessen  Werken  Messen 
über  französische  Chansons  in  der  päpstlichen  Kapelle  aufgeführt  worden  sein 
sollen.  —  Anzuführen  ist  noch,  dass  in  der  königl.  Bibliothek  zu  München  sich 
ein  Manuscript:  i>Missae  4  voc.  von  Gascong«  befindet,  das,  wie  Gerber  in 
seinem  Tonkünstlerlexikon  von  1812  ohne  Angabe  der  Quelle  angiebt,  von 
einem   Contrapunktisten  des  16.   Jahrhunderts,  Johann   G.,  herrührt.  f 

Gas-Harmonika  oder  Gas-Accord-Harmonika  nennt  der  Mechaniker  C.  A. 
Grüel  in  Berlin  ein  von  ihm  erfundenes  Tonwerkzeug,  das  seine  Entstehung 
den  instruktiven  Versuchen  über  die  chemische  Harmonika  des  Grafen  von 
Schaffgotsch  zu  verdanken  hat.  Dies  Ton  Werkzeug,  mehr  akustischen  als  Kunst- 
zwecken zu  genügen  bestimmt,  besteht  aus  Glasröhren  mit  verschiebbaren  Auf- 
sätzen, in  deren  TJntertheile  durch  Hähne  regulirbare  Flammen  brennen.  Eine 
genauere  Beschreibung  dieser  G. ,  wie  eingehendere  Erörterungen  über  die 
physikalischen  Vorgänge  bei  der  Tonbildung,  findet  man  in  Poggendorff's  An- 
nalen  der  Physik  und  Chemie  Jahrgang  1858  von  dem  Erfinder  selbst  gegeben. 
—  In  neuester  Zeit  kam  durch  französische  Fachblätter  die  Kunde,  dass  der 
Sohn  des  durch  seine  Geschichte  der  Militärmusik  und  viele  andere  meist  in- 
struktive Musikschriften  berühmte  Dr.  Kastner  in  Paris  ein  für  die  Kunst  be- 


Gaspard  —  Gasparini.  I35 

achten swerthea  Instrument,  das  seine  Töne  einei'  ähnlichen  Tonschwingungs- 
erzeugung zu  danken  habe,  construirt  hätte.  Mehr  die  Sache  selbst  BetreflFen- 
des  steht  demnächst  zu  erwarten.  2. 

Gaspard,  Michel,  ein  holländischer  Arzt,  der  seiner  Kunst  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  vermuthlich  zu  Utrecht  oblag,  veröffentlichte  ein  lateini- 
sches "Werkchen  über  die  Anwendung  der  Musik  in  der  Heilkunst,  welches  den 
Titel  führt  y>De  arte  medendi  aptid  priscos  musices,  epistola  ad  Anton.  Helhana 
und  1783  zu  London  in  zweiter  vermehrter  Auflage  erschien. 

Gaspard  de  Salö,  s.  Gasparo  da  Salo. 

Gaspard,  Mr.,  deutscher  Clarinettvirtuose,  der  um  1775  Kammermusikus 
des  Prinzen  von  Conti  zu  Paris  war,  ist  der  Componist  von  sechs  Quartetten 
für  Clarinette,  Violine,  Alt  und  Violoncello  op.   1   (Paris,  1777), 

Gaspard,  auch  Gl a spar  geschrieben,  ein  gelehrter,  aus  Frankreich  oder 
Belgien  stammender  Tonsetzer  und  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  geboren, 
wird  als  Componist  zahlreicher  Kirchengesänge  aufgeführt. 

Gaspari,  Caetano,  ausgezeichneter  italienischer  Componist,  Dirigent  und 
Musikschriftsteller,  geboren  am  14,  März  1807  zu  Bologna,  machte  seine  ton- 
künstlerischen Studien  auf  dem  Liceo  communale  seiner  Vaterstadt,  woselbst 
Donelli  sein  Hauptlehrer  war.  Von  1828  bis  1836  war  G,  Kapellmeister  in 
Cento,  hierauf  in  Imola  und  endlich  Chordirector  am  Theater  und  Lehrer  am 
Liceo  in  Bologna.  Im  J.  1856  wui'de  er  auch  noch  Conservator  der  musika- 
lischen Bibliothek  letztgenannter  Anstalt  und  ein  Jahr  später  Kirchenkapell- 
meister an  San  Petronio  zu  Bologna.  —  Die  wenigen  seiner  im  Druck  er- 
schienenen Kirchencompositionen  bekunden  Gediegenheit  und  Sinn  für  Erhaben- 
heit und  einen  würdigen  Styl.  Seiner  ernsten  und  eingehenden  Beschäftigung 
mit  der  Geschichte  und  Literatur  seines  Vaterlandes  und  seiner  Vaterstadt 
entsprangen  ebenso  wichtige  wie  interessante  Aufsätze  und  Abhandlungen, 
welche  er  meist  in  der  Oazzetfa  musicale  di  Milano  veröffentlichte  und  von 
denen  der  »über  die  Musik  in  Bologna«  ganz  besonders  hervorgehoben  zu 
werden  verdient. 

Gasparini,  einer  der  gewandtesten  und  geistreichsten  französischen  FeuUle- 
tonisten  und  Musikschriftsteller  der  neuesten  Zeit,  lebte  als  Theater-  und  Musik- 
referent zu  Paris  und  suchte  durch  zahlreiche  Artikel,  wiewohl  vergebens,  den 
musikalisch-dramatischen  Principien  und  den  Werken  Rieh,  "Wagner's  die  Bahn 
jenseits  des  Bheins  zu  ebnen.  Mitten  in  dieser  seiner  Lebensaufgabe  starb  er 
1869  zu  Paris, 

Gasparini,  Francesco,  hervorragender  italienischer  Componist,  geboren 
um  1665  zu  Lucca,  erhielt  seine  musikalische  Ausbildung  zu  Rom  bei  CoreUi 
und  Bernardo  Pasquini  und  wirkte  hierauf  als  Lehrer  am  Conservatorio  della 
pieta  und  Äcademico  filarmonico  zu- Venedig,  Im  J.  1725  zum  Kapellmeister 
der  Kirche  San  Giovanni  in  Laterano  zu  Rom  ernannt,  musste  er  schon  1726 
wegen  seiner  angegriffenen  Gesundheit  von  diesem  Amte  zurücktreten  und  starb 
Ende  März  des  Jahres  1727,  Sein  Nachfolger  war  der  ihm  schon  früher  bei- 
gesellte Girolamo  Chiti.  —  Als  Theoretiker  und  geschickter  Componist  war 
G.  von  seinen  Zeitgenossen  sehr  hoch  geschätzt,  nicht  minder  als  gediegener 
Lehrer;  zu  seinen  Schülern  zählt  u.  A,  der  venetianische  Patricier  Benedetto 
Marcello.  Zwölf  Kammercantaten  seiner  Composition  erschienen  1697  zu  Lucca, 
sechs  andere  befanden  sich  handschriftlich  in  der  ehemaligen  Breitkoprschen 
Sammlung.  Von  1703  an  verlegte  er  sich  auf  die  Composition  von  Opern, 
deren  er  nach  und  nach  gegen  dreissig  schuf  und  von  denen  die  meisten,  so 
u.  A.  »L^Äjace«,  r>Tiberiov  u.  s.  w,  mit  grossem  Erfolge  in  Italien  aufgeführt 
wurden.  Nachhaltiger  noch  war  sein  Ruf  als  Verfasser  einer  vortrefflichen 
Accompagnements-  oder  Generalbassschule,  betitelt:  y>Jß^armonico  prattico  al 
Cembalo,  ovvero  regole,  osservazioni  ed  avertimenü  per^hen  suonare  il  hasso  e  ac- 
compagnare    aopra    il    cembalo,    spinetta    ed  'organoa    (Venedig,   1683).     Weitere 


J^36  Gasparini  —  Gassitzing. 

Auflagen    von    diesem    geschätzten  Werke    erschienen   1708,    1715,  1754,  1764 
und  sogar  noch  1802  in  Venedig. 

Gasparini,  Michele  Angelo,  berühmter  italienischer  Contr'altist  und  ge- 
schickter Componist  aus  Lucca,  war  ein  Zeitgenosse  und  wahrscheinlich  auch 
ein  naher  Verwandter  des  Vorigen.  Von  Lotti  musikalisch  ausgebildet,  grün- 
dete er  zu  Venedig  eine  zu  hoher  Blüthc  gelangte  Gcsangsschule,  aus  welcher 
unter  vielen  ausgezeichneten  Gesangskünstlern  auch  die  berühmte  Faustina 
hervorging.  Von  G.'s  Opern  sind  zu  nennen:  y>Il  princli)e  Selvaggiov.  (1695), 
fill  Badamante<-<  (1714),  »Ärsacea  (1718),  i>La  mano«  (1719),  y>Il  piu  fedel  fra 
gli  amich  (1721).     Er  selbst  starb  um  1732  zu  Venedig. 

Oasparini,  Quirino,  vortrefläicher  italienischer  Violoncellist  und  Kirchen- 
componist,  lebte  zu  Turin  als  königl.  sardinischcr  Kopellmcister  und  veröffent- 
lichte viele  zu  ihrer  Zeit  geschätzte  Tonstücke  für  die  Kirche.  Seinen  Na- 
men tragen  übrigens  auch  Streichtrios,  welche  in  London  herausgekommen  sind. 

Gasparo  da  Sal5,  einer  der  ausgezeichnetsten  und  berühmtesten  italieni- 
schen Geigenbauer  des  16.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Salo  am  Gardasee,  lebte 
und  betrieb  seine  Kunstwerkstätte  etwa  von  1565  bis  1615  zu  Brescia.  Er 
scheint  mit  Vorliebe  Violen  und  Gamben  gebaut  zu  haben,  da  Violinen  von 
ihm  sich  nur  sehr  selten  vorfinden. 

Gasse,  Ferdinand,  trefflicher  Violinist  und  Componist,  geboren  im  März 
1780  zu  Neapel,  kam  früh  nach  Frankreich  und  wurde  im  J.  VI.  der  Republik 
Schüler  des  Pariser  Conservatoriums,  wo  er  bei  Kreutzer  Violinspiel,  bei  Catel 
Harmonie  und  bei  Gossec  Coraposition  studirte.  Oft  durch  Prämien  ausge- 
zeichnet, wurde  er,  nachdem  er  auch  1805  den  grossen  Preis  der  Akademie 
erhalten  hatte,  auf  Staatskosten  nach  Rom  geschickt,  von  wo  er  u.  A.  1807 
ein  Te  deum  für  zwei  Chöre,  ein  Christe  eleison,  fugenartig  mit  drei  Themen 
für  sechs  Stimmen  a  capella  gesetzt  und  eine  Opern scene  dem  Institut  de 
France  zur  Beurtheilung  übersandte  und  sich  von  Mehul  ausserordentlich  be- 
lobt sah.  Eine  Opera  hvffa,  die  er  im  Januar  1812  einsandte,  betitelt  i>La 
finta  zingarai  gelangte  in  Paris  zur  Aufführung.  Noch  in  demselben  Jahre 
kehrte  er  auch  selbst  zurück  und  nahm  seine  schon  früher  inue  gehabte  Stelle 
als  Violinist  im  Orchester  der  Grossen  Oper  wieder  ein,  bis  er  1835  pensionirt 
wurde.  In  Paris  sind  folgende  Opern  von  ihm  aufgeführt  worden:  y>Le  voyage 
incognitod  (einaktig  1819),  nL^idiote«  (dreiaktig  1820),  liUne  nuit  de  Gustave<a 
(zweiaktig  1825).  Ausserdem  hat  er  mehrere  Serien  Violinduette  und  leichte 
Sonaten  für  Violine  und  Bass  in  Paris  veröffentlicht. 

Gassean,  französischer  Flötist  und  Clarinettist,  war  als  Hautboist  in  der 
königlichen  Schweizergarde  zu  Versailles  angestellt  und  hat  in  den  Jahren  von 
1788  bis  1797  mehrere  Ensemblestücke,  Suiten  von  Opernarien  für  2  Flöten, 
für  2  Violinen,  Viola  und  Violoncello  und  für  2  Clarinetten  in  Paris  heraus- 
gegeben, t 

Gassend,  Pierre,  latinisirt  Petrus  Gassendus  (Gassendi),  französischer 
Physiker,  Mathematiker  und  Philosoph,  wurde  zu  Chantersier  in  der  Provence 
am  22.  Januar  1592  geboren  und  starb  am  24.  Oktober  1655  als  Probst  der 
Kathedralkii'che  zu  Digne.  Längere  Zeit  wirkte  er  zu  Paris  als  Professor  der 
Mathematik  am  College  royal  de  France,  in  welcher  Stellung  er  auch  einen 
ziemlich  werthlosen  Traktat:  ryjfanuduciio  ad  theoriam  musices«  betitelt  (Paris, 
1654)  verfasste,  der  sich  auch  im  fünften  Bande  der  Gesammtausgabe  seiner 
Schriften  (6  Bde.,  Lyon,  1658  und  Florenz,  1728),  befindet. 

Gassenhauer  oder  Gassenlied,  s.  Volkslied. 

Gassitzias,  Georg,  gelehrter  und  musikalisch  gebildeter  Schulmann,  ge- 
boren zu  Berzewitz  in  Oberungarn  am  22.  Februar  1652,  gestorben  am  15. 
April  1694  als  Rector  des  Gymnasiums  zu  Bremen,  besass  ziemlich  bedeutende 
musikalische  -Kenntnisse.  Mehrere  seiner  Compositionen  wurden  zu  Bremen 
und  an  verschiedenen  anderen  Orten  Deutschlands  unter  grossem  Beifall  auf- 
geführt, t 


Gaasmann,  137 

Gassmann,  Florian  Leopold,  fruchtbarer  deutscher  Componist  und  tüch- 
tiger Dirigent,  wurde  am  4.  Mai  1723  zu  Brüx  in  Böhmen  geboren  und  fand 
im  Chorregenten  Johann  Woborzil  seinen  ersten  Musiklehrer  und  den  Förderer 
seines  sich  schon  frühzeitig    kund   gebenden  musikalischen  Talents.     Mit  zwölf 
Jahren  galt  er  bereits  für  einen  trefflichen  Sänger  und  Harfenspieler  und  dar- 
auf  gestützt,    entfloh    er   1736  seinem  Vater,    da    ihn    derselbe  zwingen  wollte, 
Kaufmann  statt  Musiker  zu  werden.     Mit  seiner  Harfe  gelangte  er  nach  Karls- 
bad, wo  er  sich  mit  solchem  Erfolge  hören  Hess,  dass  er  binnen  zwei  "Wochen 
gegen  1000  Thaler  einnahm.     Schnell  entschlossen  wandte    er  sich  mit  diesem 
Baarschatze    nach  Venedig,    stand   jedoch    daselbst    nur    zu   bald  entblösst  von 
allen    Mitteln    da.     Der    italienischen    Sprache    zudem    unkundig,    wäre    er    im 
fremden  Lande  verloren  gewesen,  wenn  sich  nicht  ein  mitleidiger  Priester,  dem 
er  lateinisch  seine  Schicksale  mittheilte,  seiner  väterlich  angenommen,  ihn  unter- 
richtet   und    sogar    behufs    weiterer    Ausbildung    seiner    grossen    musikalischen 
Fähigkeiten    nach    Bologna    zum    Pater  Martini    geschickt    hätte.     Zwei  Jahre 
lang    unterrichtete   ihn    dieser  Meister,    worauf  Gr.  nach  Venedig    zurückkehrte 
und  als  Organist  bei  einem  dortigen   Nonnenkloster  angestellt  wurde.     In  die- 
ser  Stellung    lernte    ihn    der    kunstsinnige   Grraf  Leonardi  Veneri    kennen    und 
schätzen,  zog  ihn  in  seinen  Palast  und  räumte  ihm  bei  reichlicher  Unterstützung 
daselbst  eine  grosse  Wohnung  mit  Bedienung  ein.     In  die  feinsten  Kreise  der 
Stadt  eingeführt    und  von  diesen  gestützt  und  empfohlen,   bemühten  sich  bald 
die  Kirchen    wie    die  Theater    um    seine   Compositionen.     In  den  glücklichsten 
Verhältnissen  traf  ihn  1762  ein  Huf   als  Balletcomponist  nach  Wien,    dem  er 
ein  Jahr  später  folgte.     Auch  in  dieser  Stellung  war  der  Erfolg  seiner  Werke 
so    bedeutend,    dass    man    ihn    lebenslänglich    mit  einem  jährlichen   Gehalt  von 
400  Ducaten  engagirte,  wofür  er  eine  bestimmte  Anzahl  von   Opern  schreiben 
musste.     Kaiser  Joseph  II.   ernannte    ihn    zum  Hof-    und  Kammercomponisten 
und   1771   mit  800  Ducaten   Gehalt  zum  wirklichen  Hofkapellmeister  als  Nach- 
folger Reuter's.     Gewissenhaft  und  pünktlich  in  Erfüllung  seiner  Amtspflichten, 
glücklich  in  seinen  Unternehmungen,    edel  und  wohlthätig  als  Mensch,    wusste 
sich  G.  die  höchste  Achtung  seiner  Zeitgenossen  zu  verschafi"en,  und  aus  diesen 
Eigenschaften  heraus  v/urde  er  der  Begründer  einer  Anstalt,  die  noch  heutigen 
Tages    sehr    segensreich  in  ihrem  Lokalbezirk  wirkt,    nämlich  der  sogenannten 
nSocietät    für  Wittwen    und  Waisen    der  Tonkünstler  Wiens«.     Anregung   zur 
Stiftung    dieses  Vereins    gab    ihm   1771   der  Anblick  der  bittern  Noth,    welche 
häufig  genug  die  Familien  der  Tonkünstler  nach  Ableben  ihrer  Ernährer  heim- 
zusuchen pflegt.     Hatte  er  selbst  doch  schon  als  Kind  den  harten  Kampf  mit 
der  Noth    bestehen    müssen;    er    mochte    sich  in  seinen   damaligen  behaglichen 
Lebensverhältnissen  oft  das  Bild  aus  seiner  Jugendzeit  vorhalten,    wie  er  wei- 
nend und  verzweifelnd  auf  einer  Brücke  in  Venedig  stan^  und  von  jenem  gut- 
herzigen Geistlichen  aufgenommen  und  weiter  gefördert  wurde.     Möglich  auch, 
dass    das    Beispiel    eines    unter    den    deutschen    Tonkünstlern    in    London    seit 
längerer  Zeit  bestehenden  Hülfsvereins  dazu  beigewirkt  hat.    Das  Unternehmen 
ging,    einmal  begonnen,    rasch  von   Statten;    ein  kleines   Capital,    das   Gnaden- 
geschenk   der  Kaiserin  Maria  Theresia  und  Kaiser  Josephs  II.,  sicherten  dem 
Verein  die  erste  materielle  Basis  zu  seiner  Entfaltung   und  zu  seinem  Wachs- 
thum.     Zur  Vermehrung    der    pecuniären  Mittel    wurden    zudem    an    je    einem 
Tage  der  Weihnachts-    und   Osterzeit,    wo  die   Theater  Wiens  geschlossen  sein 
müssen,    Akademien    (Concerte)    im    k.  k.  Burgtheater  bewilligt,    welches  Vor- 
recht der  Verein  noch  zur  Stunde  geniesst.     Die  Statuten   belasteten  die  Bei- 
tretenden   mit    keinen    drückenden    Opfern    und    waren    zugleich    mit    Vorsicht 
gegen    etwaige  Missbräuche    verfasst.     Heutigen  Tages  besitzt  der  Verein,    der 
1871   sein  hundertjähriges  Jubiläum  feierte,  ein  Vermögen  von  über  Vg  Million 
Gulden  und  theilt  an  Wittwen-  und  Waisen-Pensionen  jährlich  ungefähr  16,000 
Gulden    aus.     Wie  die  Humanität  verdankt  auch  die  Kunst  selbst  diesem  älte- 
sten Concertinstitute  in  Wien  eine  wesentliche  Förderung.     S.  Tonkünstler- 


138  Gassner. 

vereine.  —  Italien  besuchte  G-.  in  treuer  Anhänglichkeit  zu  öfteren  Malen; 
bei  einem  dieser  Besuche  war  es,  dass  die  Pferde  mit  ihm  durchgingen,  er 
selbst  aus  dem  "Wagen  geworfen  wurde  und  eine  schwere  Rippenverletzung  da- 
vontrug, die  nach  längeren  Leiden  seinen  Tod  l)eschleunigte.  Er  stai'b  zu 
Wien  am  21.  Januar  1774  und  wurde  auf  dem  damaligen  Montferrat  (Schwarz- 
spanier-) Kirchhof  begraben.  —  So  fruchtbar  und  fleissig  und  so  angesehen 
G-.  als  Componist  gewesen  ist,  so  haben  seine  Werke  ihn  dennoch  nicht  lange 
überdauert.  Er  schrieb  23  ernste  und  komische  italienische  Opern,  von  denen 
■f>Olimpiade<s.,  i>Il  viaggiator  ridieolo«  und  -nL^amor  artigiano<.<  die  werthvollsten 
sein  mögen.  Die  zuletzt  genannte  ist  unter  dem  Namen  »die  Liebe  unter  den 
Handwerlcsleuten«  von  Neefe  auch  für  die  deutschen  Bühnen  bearbeitet  worden, 
eine  andere,  y>La  contessinau,  von  Hiller  unter  dem  Titel  »die  junge  Gräfin«. 
Für  die  Kirche  componirte  er  mehrere  Messen ,  ein  Oratorium  »Z«  BetuUa 
Uheratati,  ein  -aStahat  matevi,  eine  Motette  auf  den  Cäcilientag,  ferner  Hymnen, 
Psalme  und  kurz  vor  seinem  Tode  ein  -nDies  iraev,  das  für  sein  Meisterstück 
gilt.  Von  diesen  Werken  behauptete  Mozart  in  einem  Gespräche  mit  Doles, 
dass  viel  daraus  zu  lernen  sei.  An  Kammermusikwerken  von  G.  erschienen 
im  Druck:  sechs  Quartette  für  Flöte,  Violine,  Viola  und  Bass,  sechs  Streich- 
quartette mit  obligater  Violoncelloparthie  und  sechs  Streichquartette,  jedes  mit 
zwei  Fugen  (Wien,  180.3);  ungedruckt  blieben  u.  A.  fünfzehn  Sinfonien.  — 
Obgleich  G.  der  erklärte  Lieblingscoraponist  Maria  Theresia's  sowohl  wie  Jo- 
seph's  II.  war,  erlangte  er  unter  Schwierigkeiten  doch  erst  1768  die  von  dem 
Letzteren  den  Beamten  überhaupt  nitr  ungern  ertheilte  Erlaubniss  zum  Hei- 
rathen.  Seine  Ehe  w-ar  eine  überaus  glückliche,  und  es  entsprossen  derselben 
zwei  Töchter:  Maria  Anna  G.,  geboren  1769  und  Maria  Theresia  G., 
geboren  1774,  nach  dem  Tode  des  Vaters.  Die  Kaiserin  ernannte  sich  selbst 
zur  Taufpathin  bei  der  letzteren,  der  sie  auch  ihre  eigenen  Namen  gab  und 
setzte  für  die  ganze  hinterbliebene  Familie  eine  Pension  aus.  Weiterhin  nahm 
sich  auch  Salicri,  G.'s  berühmtester  Schüler,  der  Töchter  seines  Lehrers  aufs 
Uneigennützigste  an  und  bildete  sie  für  die  Bühne  aus,  auf  der  sie  später  als 
gründlich  ausgebildete  Opernsängerinnen  glänzten,  besonders  Maria  Theresia, 
nachmalige  Frau  Rosenbaum  (s.  d.),  welche  bis  1812  der  gefeierte  Liebling 
des  Wiener  Theaterpublikums  war. 

Gassner,  Ferdinand  Simon,  vortrefflicher  deutscher  Violinist,  Musik- 
schriftsteller und  Componist,  geboren  am  6.  Januar  1798  in  Wien,  war  der 
Sohn  eines  Decorationsmalers.  Seine  Musikaidagen  bekundeten  sich  früh,  in- 
dem er,  ohne  Unterricht,  auf  der  Violine  anderwärts  gehörte  Stücke  richtig 
und  rein  nachspielte.  Eigentliche  Lectionen  auf  diesem  Instrumente  erhielt 
er  erst  in  Karlsruhe,  wo  sein  Vater  Hoftheatermaler  geworden  war;  gleichzeitig 
besuchte  er  das  dortig  Gymnasium,  da  er  zu  einer  der  wissenschaftlichen  Facul- 
täten  übergehen  sollte.  Statt  aber  endlich  die  Universität  zu  beziehen,  trat 
G.  als  Accessist  in  die  Hofkapelle.  Dort  erweckten  seine  technischen  Leistun- 
gen, sowie  sein  Compositionsversuch  mit  einer  Operette  »der  Schiffbruch«  das 
Interesse  der  Hofmusiker  Danzi,  Fesca  und  Brandl,  die  von  da  ab  für  eine 
geregeltere  musikalische  Ausbildung  G.'s  sorgten.  Derselbe  wurde  1816  erster 
Violinist  des  neu  errichteten  Nationaltheaters  in  Mainz  und  alsbald  nach  seinem 
Eintritte  stellvertretender  Musikdirector  und  Correpetitor.  In  Gottfried  Weber 
fand  er  dort  einen  Freund  und  Lehrer,  der  sein  theoretisches  Wissen  unge- 
mein förderte.  Ein  in  Giessen  1818  veranstaltetes  Concert  verschaffte  ihm 
unmittelbar  darauf  die  daselbst  erledigte  Stelle  eines  Universitäts-Musikdirectors, 
und  dadurch  angefeuert,  nahm  er  die  höheren  wissenschaftlichen  Studien  mit 
solchem  Erfolge  -wieder  auf,  dass  er  1819  die  philosophische  Doctorwürde  er- 
werben und  als  Privatdocent  für  Musikvorlesungen  zugelassen  werden  konnte. 
Während  sechs  Jahren  wirkte  er  nun  nutzenbringend  und  anregend  für  das 
ganze  Land  als  Universitätslehrer,  Dirigent  und  Organisator  von  Musikfesten, 
veranlasste    die  Gründung   der  später  von  Gottfr.  Weber  redigirten  Zeitschrift 


Gasteritz  —  GastoWi.  139 

»Cäcilia«  und  gründete  und  redigirte  selbst  sechs  Jahrgänge  des  beliebt  ge- 
wordenen »musikalischen  Hausfreunds«;  ausserdem  war  er  literarisch  wie  als 
Componist  überaus  thätig.  Eine  grössere  Cantate  von  ihm  »die  Auferweckung 
des  Jünglings  von  Nain«,  in  Giessen,  Marbui'g,  Mainz  und  Karlsruhe  aufge- 
führt, hatte  durchgreifenden  Erfolg,  und  dass  seine  Opern,  deren  eine,  betitelt 
«das  Ständchen«  Spohr's  Lob  fand,  nicht  zur  AuflFührung  gelangten,  dürfte  zu 
bedauern  sein.  Viel  Glück  hatten  dagegen  mehrere  seiner  Ballets,  die  in  Karls- 
ruhe und,  wie  »die  Müller«,  auch  anderwärts  aufgeführt  wurden,  nicht  minder 
seine  im  Druck  erschienenen  Lieder.  Im  J.  1826  kehrte  er  als  Mitglied  der 
Hofkapelle  nach  Karlsruhe  zurück,  wurde  1829  Gesanglehrer  am  Hoftheater 
und  1830  Chor-  und  Musikdirector,  wirkte  aber,  wenn  er  nicht  dirigirte,  stets 
am  ersten  Geigenpulte  mit.  Unablässig  fleissig  und  thätig,  starb  er  am  25. 
Febr.  1851  zu  Karlsruhe.  —  Aus  seiner  Beschäftigung  mit  dem  theoretischen 
Theil  der  Tonkunst  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  entsprang  ein  Lehr- 
buch der  Partitur-Kenntniss  in  zwei  Bänden,  das  sich  als  sehr  brauchbar  er- 
wies; ferner  gründete  und  redigirte  er  die  »Zeitschrift  für  Deutschlands  Musik- 
vereine und  Dilettanten«  und  endlich  bearbeitete  er  einen  Auszug  aus  Schil- 
ling's  »Universallexikon  der  Tonkunst«  (1  Bd.  mit  einem  Nachtragshefte,  Stutt- 
gart, 1849). 

Gasteritz,  Michael,  auch  Gastritz  geschrieben,  deutscher  Tonsetzer,  war 
ums  J.  1580  Organist  zu  Amberg  und  hat  nach  der  Jenaischen  Lit.  Zeitung 
die  Melodie:  a  g  a  b  a  g  g  f  (1571)  zu  dem  Kirchenliede  »Herzlich  lieb  hab' 
ich  dich,  o  Herr«  geschrieben,  die  jedoch  keine  grössere  Verbreitung  fand.  Was 
sonst  noch  von  seinen  Werken  übrig  geblieben  ist,  befindet  sich  auf  der  Mün- 
chener Bibliothek.  Gerber  spricht  in  seinem  Tonkünstlerlexikon  die  Ver- 
muthung  aus,  dass  dieser  Michael  G.  und  Matthias  Castricius  oder 
Castritz  (s.  d.)  dieselbe  Person  gewesen  seien,  welche  Vermuthung  bis  jetzt 
jedoch  noch  nicht  erhärtet  ist.  t 

Gastinel,  Leon  Gustave  Cyprien,  französischer  Componist  der  Gegen- 
wart, geboren  am  13.  Aug.  1823  zu  Villers  les  Pots  bei  Auxonne  im  Departe- 
ment Cote  d'or,  erhielt  zuerst  Unterricht  Im  Flöten-  zu  Lyon,  wohin  seine 
Eltern  gezogen  waren,  bei  Mercier  im  Violin-  und  bei  Senart  im  Pianoforte- 
spiel. Seit  1840  besuchte  er  das  Conservatorium  in  Paris,  wo  er  bei  Halevy 
Gomposition  studirte  und  mit  der  Cantate  »Velasquez«  1846  den  grossen  Staats- 
preis erwarb,  der  ihm  die  Mittel  zu  der  vorschriftsmässigen  Studienreise  nach 
Italien  an  die  Hand  gab.  Von  dort  1849  nach  Paris  zurückgekehrt,  veröffent- 
lichte er  Violinstücke  und  Ciaviertrios,  führte  einige  seiner  Ouvertüren  auf 
und  brachte  1853,  jedoch  ohne  grösseren  Erfolg,  seine  Oper  »X«  miroir«  auf 
die  Bühne.  Dagegen  fanden  Streichquartette  von  ihm  und  Arbeiten  für  die 
Kirche  den  Beifall  der  Kenner.  Im  Opernfache  brachte  er  noch  1860  bei  den 
Bouffes  parisiens  «Titus  et  Berenice«  und  ein  Jahr  später  y^Vopera  aux  fenetresv. 
zur  Aufführung,  von  denen  die  letztere  unter  dem  Titel  »Die  Oper  am  Fenster« 
auch  in  Deutschland  einiges  Glück  machte. 

Gastoldi,  Giovanni  Giacomo,  fruchtbarer  und  zu  seiner  Zeit  sehr  be- 
liebter italienischer  Componist,  zu  Caravaggio  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhun- 
derts geboren,  war  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  als  Kirchenkapellmeister  an 
Santa  Barbara  in  Mantua  angestellt  und  wurde  hierauf  für  das  gleiche  Amt 
an  den  Dom  zu  Mailand  berufen.  Gegen  dreissig  im  Druck  erschienene  Com- 
positionen  seiner  Arbeit,  als  Messen,  Madrigale,  Balletti  (Balladen)  a  5  und 
a  3 — 9  voci,  Canzonetten,  Choräle  u.  s.  w,,  deren  genauere  Titel  Gerber  und 
Fetis  in  ihren  lexikographischen  Werken  aufführen,  sind  erhalten  geblieben. 
Das,  was  G.  BaUeUi  und  zwar  mit  dem  Zusätze  rxla  stwnare,  cantare  e  hallaren 
nennt,  sind  weder  Tanzstücke,  noch  auch  Balladen  im  modernen  Sinne  des 
Worts,  sondern  Musikweisen  zu  Tänzen,  bei  welchen  auch  gesungen  wurde. 
Es  sind  dies  also  Balladen  in  ihrer  ersten  und  ursprünglichen  Form.  Unter 
diesen  Balletti  G.'s,    1591  und  1595  zu  Venedig  und  1596  zu  Antwerpen  er- 


■[40  Gastorius  —  Gathy. 

schienen ,  befinden  sich  zwei  Nummern ,  deren  Textworte  Burney  in  seiner 
Musikgeschichte  mittheilt  und  deren  Melodien  keine  andei*en  sind,  als  die  zu 
den  noch  jetzt  bekannten  Kirchenliedern  »Jesu,  wollst  uns  weisen«  und  »In 
dir  ist  Freud'  bei  allem  Leide«.  Beide  Gesangweisen  sind  zuerst  von  Linde- 
mann, einem  deutschen  Zeitgenossen  G-.'s,  zu  Chorälen  benutzt  worden. 

Grastorius,  Severus,  deutscher  Tonsetzer,  ums  J.  1670  Cantor  zu  Jena, 
hat  insbesondere  sich  einen  B-uf  durch  die  Choralweise:  »Was  Gott  thut,  das 
ist  wohlgethan« ,  —  dgaJicdcJi,  1675  —  erworben,  über  deren  Ent- 
stehung G.  Döhring  in  seiner  Choralkunde  S.  109  Interessantes  berichtet. 
Ausserdem  sind  von  G.  noch  folgende  gedruckte  Werke  bekannt:  »Klag-  und 
Trauerlieder  von  zwei  Cant.,  Alt,  Ten.  und  Bass  (Jena,  1674);  »Klag-  und 
Trauer- Gespräche  zwischen  Mutter  und  Sohn«  (Jena,  1679)  und  »M.  Klesch's 
Andächtigen  Elends  Stimme«  (Jena,  1679).  Die  Melodien  des  letzten  Werkes 
hat  G.  mit  Johann   Hauk,  Kantor  in   Strehlen,  gemeinschaftlich  gesetzt,     f 

Gatayes,  Guillaurae  Pierre  Antoine,  französischer  Guitarrist  und 
Harfenist,  sowie  Coraponist  für  diese  Instrumente,  geboren  am  20.  Decbr.  1774 
zu  Paris,  war  ein  natürlicher  Sohn  des  Prinzen  von  Conti  und  einer  Marquise 
und  für  den  geistlichen  Stand  bestimmt.  Von  Vorliebe  zur  Musik  getrieben» 
entwich  er  1788  aus  dem  theologischen  Seminar  und  sah  sich  um  so  mehr 
auf  sich  allein  angewiesen,  als  die  Revolution  von  1789  seine  Eltern  zur  Emi- 
gration zwang.  G.  verlegte  sich  nun  auf  Composition  von  Romanzen  mit 
Guitarrebegleitung,  die  sehr  beliebt  wurden  und  verfasste  eine  Giiitarreschule 
(Paris,  1790),  die  lange  Zeit  hindurch  als  die  einzig  brauchbare  in  Prankreich 
galt.  Von  1793  an  vervollkommnete  er  sich  auch  auf  der  Harfe  und  veröffent- 
lichte 1795  eine  Harfenschule,  ausserdem  aber  im  Laufe  der  Zeit  noch  zahl- 
reiche Compositionen  für  Harfe  sowohl  wie  für  Guitarre.  —  Sein  ältester  Sohn 
und  Schüler,  Leon  Joseph  G..  geboren  1805  zu  Paris,  brachte  es,  im  Har- 
fenspiel weiterhin  von  Cousineau,  sodann  von  Labarre  unterrichtet,  bis  zu  her- 
vorragender Virtuosität  und  erwarb  sich  als  Componist  und  als  Lehrer  dieses 
Instruments  einen  bedeutenden  Ruf,  nicht  minder  auch  durch  Journalartikel 
für  verschiedene  Zeitungen  als  Musikschriftsteller.  —  Dessen  jüngerer  Bruder, 
Felicien  G.,  1809  zu  Paris  geboren,  machte  zuerst  um  1836  Aufsehen  als 
Pianist  und  Componist,  führte  aber  ein  regelloses  und  unstätes  Leben,  das  ihn 
auf  Reisen  durch  Europa,  Amerika  und  Australien  trieb,  ohne  dass  er  weiter- 
hin noch  etwas  Erspriessliches  für  die  Kunst  geleistet  hätte. 

Gates,  Bernard,  englischer  Tonkünstler,  geboren  1686  und  gestorben 
1773  in  London,  war  um  1710  Lehrer  der  königlichen  Kapellknaben  und  Mit- 
glied der  Gesellschaft,  welche  die  Academy  of  ancient  Music  (s.  Galliard) 
stiftete.  G.  führte  im  J.  1731  mit  seinen  Schülern  das  Oratorium  Esther 
von  Händel  in  seinem  Hause  auf,  wodurch  er  den  Impuls  gegeben  haben  soll, 
dass  Händel  auch  weiterhin  diese   Gattung  der  Composition  pflegte.  f 

Gathy,  August,  deutscher  Musikschriftsteller  und  geistvoller  Kritiker, 
geboren  am  14.  Mai  1800  (1804?)  zu  Lüttich,  erhielt  in  Deutschland,  das  er 
stets  als  sein  eigentliches  Vaterland  ansah,  eine  feine,  vielseitige  Erziehung 
und  Bildung.  Frühzeitig  prüfte  ihn  das  Schicksal:  eine  Wärterin  liess  ihn  zu 
Boden  fallen  und  in  Folge  des  Sturzes  blieb  er  zeitlebens  verwachsen.  Heftige 
Jugendkämpfe  bezeichnen  auch  die  fernere  Zeit,  bis  er  sich  ungestört  der 
Tonkunst  widmen  durfte,  und  von  da  an  war  sein  ganzes  Leben  ein  Auf-  und 
Absteigen  auf  der  Leiter  edelsten  Strebens.  Wider  Willen  musste  er  zunächst 
als  Lehrling  in  eine  Hamburger  Buchhandlung  treten,  setzte  es  dann  aber 
durch,  dass  er  von  1828  bis  1830  bei  Friedr.  Schneider  in  Dessau  Musik 
studiren  durfte.  Er  that  dies  mit  Erfolg,  denn  der  Meister  überraschte  ihn 
selbst  einmal  mit  der  kunstvollen  Ausführung  eines  Chorals,  den  G.  unter 
seiner  Leitung  componirt  hatte.  Von  1830  bis  1841  lebte  G.  in  Hamburg, 
redigirte    ein    »Musikalisches  Conversationsblatt,  Musikfreunden  und  Künstlern 


öathy.  141 

geweiht«,    eine  Art  Musikzeitung,    und    gab  im  Verein  mit  mehreren  Anderen 
jenes  kurzgefasste  «Musikalische  Conversations-Lexikon«  (Hamburg,  1835,  2.  Aufl. 
1840)    heraus,    das    an  Gründlichkeit    und  Gediegenheit    bis    heute  von  keiner 
lexikographischen  Arbeit  ähnlichen  gedrängten  Umfangs  übertroffen  worden  isi. 
Eine  dritte  Auflage    dieses  Werks,    von  A.  ßeissmann    nur  nominell  herausge- 
geben,   erschien    1870    in  Berlin;    die  Flüchtigkeit    und  TJngenauigkeit   in    der 
Ueberarbeitung    und    den   Zusätzen    hat    jedoch  die  Vortrefflichkeit  des  eigent- 
lichen Werks  stark  verwischt.     G.  selbst  hatte  sich  bei  Lebzeiten  mit  der  ge- 
wissenhaftesten Correctur  und  Umarbeitung   der  alten  Auflage  beschäftigt  und 
eine  vollständige  Neugestaltung  des  nützlichen  Buchs  in  Aussicht  gestellt,  und 
in  der  That  verstand  es  kaum  Jemand  besser,  sich  in  fremde  Künstlernaturen 
zu  versetzen,  als  er;  war  es  ihm  doch  von  vornherein  weniger  darum  zu  thun 
gewesen,    ein  Buch    zu   schreiben,    als  die  Verdienste  derer,    die  für  die  Kunst 
gewirkt  haben,  darzustellen.      So  kam  es  auch,  dass  er  während  der  Ausarbei- 
tung   der    neuen  Auflage    keinen  Anstand    nahm,    Fetis,    der  gerade  auch  eine 
zweite  Auflage    seines    grossen    musikalisch-biographischen  "Werks   veranstaltete, 
die    mühsam   zusammengesammelten  Resultate  seiner  Forschungen  mitzutheilen. 
Neben    den   literarischen  Interessen,    die  G.  in  Hamburg  mit  seinem  Freunde, 
dem  Buchhändler  Jul.  Campe  verfolgte,  hat  er  daselbst  viel  für  die  Ausbreitung 
des  musikalischen  Geschmacks    gethan.     Er  war    einer    der  Stifter  der  grossen 
Hamburger  Musikfeste,    wie    er    auch,    mit    anderen   kunststrebenden  Freunden 
vereint,    jene    zahlreichen    Musikgesellschaften    in    Norddeutschland    begründen 
half,   welche    so    viel   zur  Pflege  der  Kunst  in  jenem  Theile  des  Reichs  beige- 
tragen haben.     Während  einer  langen  Reihe   von  Jahren  war  G.  auch  Haupt- 
mitarbeiter   an    der    von  Rob.  Schumann    begründeten    »Neuen  Zeitschrift  für 
Musik«    und    seine    in    diesem  Blatte   nach  und  nach  veröffentlichten  Arbeiten 
würden    gesammelt  mehrere  Bände  ausmachen.      Seit  1841  lebte  er,  literarisch 
unausgesetzt    thätig,    in  Paris.     Bei  dem  hohen  Interesse,    welches  er  an  allen 
Zweigen  des  gesellschaftlichen  Lebens  nahm,    konnte  er  dort  auch  der  Politik 
nicht  lange   fremd   bleiben.     Seine   zahlreichen  Verbindungen   in   Norddeutsch- 
land brachten  es  mit  sich,  dass  im  J.  1849  die  bedrängten  Schleswig-Holsteiner 
seine   Thätigkeit  in  Paris  in  Anspruch  nahmen,     G.  wirkte  einerseits  auf  dem 
Wege    der    damals    noch    freien    französischen    Presse    für    die    Herzogthümer, 
andererseits  wandte  er  sich  in  Schrift  und  Wort  an  diejenigen,  welche  direkter 
für  das  Schicksal  jenes  deutschen  Volksstammes  wirken  konnten.     In  den  letz- 
ten Jahren    seines  Lebens    beschäftigte    er  sich  vielfach  mit  Magnetismus.     Er 
war  Mitglied    der    unter  Leitung    des  Barons    von  Dupotet    stehenden   Gesell- 
schaft   und  Mitarbeiter    des  Journals,    das    unter    dessen  Mitwirkung   in  Paris 
erschien.     Unwiderstehlich    war   der    Zauber,    den    das  Uebersinnliche    für    ihn 
hatte;  seine  im  irdischen  Leben  so  wenig  befriedigte  Natur  schien  des  Trostes 
in  den  Beweisen  von    dem  Hereinragen   einer  höheren  Welt   in  die  niedere  zu 
bedürfen.     Aber  seine  schwächliche  Körperconstitution,   sein  angestrengtes  Ar- 
beiten, sein  Aufenthalt  in  einer  Parterrestube  der  Rue  Labruyere  untergruben 
seine   Gesundheit.     Ende   1857  wollte   er    eine   längere  Reise  nach  Deutschland 
antreten,  um  daselbst,    weniger  gestört,  die  neue  Ausgabe  seines  musikalischen 
Lexikons  endlich  vollenden  zu  können.     Die  Umstände  hielten  ihn  aber  zurück, 
und    mit    unverwüstlicher    Theilnahme    an    Allem,    was    seine    Freunde    thaten, 
schrieb    er    in    den    letzten  Monaten    die    französische  Vorrede    zu    dem  Buche 
y>IIistoire  diplomatique  de  la  crise  orientalea    (Brüssel,   1858),    die    er    aus    zeit- 
weiligen politischen  Rücksichten  nur  mit  den  Anfangsbuchstaben  seines  Namens, 
A.  G.  d.  L.  (de  Liege),  unterzeichnete.     Es  war  dies  seine  letzte  abgeschlossene 
Arbeit,    die    von    der  Durchbildung    seines  Urtheils    zugleich    Zeugniss    ablegt. 
Die  Bitten    eines  Freundes    hatten   G.    endlich    dazu  bewogen,    das  Anerbieten, 
während    des   Sommers    dessen  Gartenwohnung    zu  benutzen,    anzunehmen,    als 
eine  Brustentzündung  ihn  nach  furchtbarem  Todeskampfe  hinwegraffte.   G.  starb 
zu  Paris  am  8.  April  1858. 


142  Gattermann  —  Gattungen. 

Gatterinanu,  S.  M.  D.,  deutscher  Schulmann,  um  1782  Conrektor  zu  Berlin, 
hat  sich  in  der  Musik  durch  Composition  mehrerer  Choräle,  welche  im  Kühnau'- 
schen  Choralbuche  eine  Stelle  fanden,  einen  Namen  gemacht.  t 

Gatti,  Luigi,  italienischer  Abbate,  geboren  am  11.  Juli  1740  zu  Castro 
Lacizzi  bei  Mantua,  ist  mehr  wie  als  Geistlicher  als  Tonsetzer  für  Theater, 
Kirche  und  Kammer  berühmt  geworden.  Von  seinen  dramatischen  Arbeiten 
wurden  die  Opern  yOlimpiadeis.  1784  zu  Piacenza  und  y>Demofoonte>s.  1788  zu 
Mantua  mit  Beifall  aufgeführt.  G.  selbst  war  1782  als  wirklicher  Hof-  und 
Dom-Kapellmeister  des  Erzbischofs  von  Salzburg  angestellt  worden,  in  welcher 
Stadt  er  am  1.  März  1817  starb.  Auch  dort  war  er  noch  in  der  Composition 
sehr  thätig,  wie  die  Menge  seiner  Arbeiten  beweist,  welche  jetzt  der  Salzburger 
Domchor  besitzt;  bekannter  sind  von  seinen  Werken  nur  noch  geworden:  y>La 
morte  d' Abele«,  ein  Oratorium,  das  1788  zu  Mantua,  »Ninetta»,  eine  Opera  seria 
und  ein  Duetfo  a  2  Sopv.  con  Ob.  öorn.  V.  etc.,  das  zu  Paris  im  Druck  erschienen 
ist.  Einige  Solostücke  für  Sopran  von  ihm  befinden  sich  in  der  Bibliothek 
des  Königs  von   Sachsen.  t 

Gatti,  Simone,  italienischer  Tonsetzer  zu  Venedig,  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  geboren,  war  Kapellmeister  des  Erzherzogs  Karl  von  Oester- 
reich  und  dann  an  der  Kapelle  des  Herzogs  Albrecht  V.  von  Baiern  augestellt. 
Man  findet  von  ihm  in  der  königl.  Bibliothek  zu  München:  y>Missae  tres,  5  et  6 
voc.  decantandaeti  (Venedig,  1579).  Für  Herzog  Albrecht  schrieb  er  die  Musik 
zu  mehreren  geistlichen  Dramen  oder  Mysterien,  in  welchen  er  auch  selbst  als 
Säuger  mitwirkte. 

Gatti,  Teobaldo  di,  hervori-agender  italienischer  Gambenvirtuose  und 
Vocalcomponist,  geboren  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  zu  Florenz,  bildete 
sich  musikalisch  in  seiner  Vaterstadt  aus.  Während  seiner  Studien  begeisterte 
er  sich  so  sehr  für  die  Schöpfungen  des  damals  von  Paris  aus  die  Welt  be- 
herrschenden LuUy,  dass  er  sich  getrieben  fühlte,  um  denselben  persönlich 
kennen  zu  lernen  und  ihm  seine  Bewunderung  auszusprechen,  nach  Paris  zu 
gehen.  Lully,  sehr  geschmeichelt  durch  diese  Huldigung  seines  Landsmannes, 
bewirkte  dessen  Anstellung  als  königlicher  Kammermusiker  zu  Paris,  welcher 
Stellung  G.  bis  an  sein  1727  erfolgtes  Lebensende  vorstand.  Von  seinen  Com- 
positionen,  in  denen  er  sich  als  Nachahmer  Lully's  zeigte,  sind  bekannter  ge- 
worden: ein  Schäferspiel,  »Coronis«  (1691)  und  die  grosse  Oper  »Sylla«  (1701). 
Ausserdem  sind  von  ihm  noch  12  italienische  Gesänge,  darunter  zwei  zwei- 
stimmige (Paris,   1696)  im  Druck  erschienen.  t 

Gattoui,  Giulio  Cesare,  als  Abbate  und  Canonicus  an  der  Kathedrale 
zu  Como  in  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  wirkend,  erfand  1785  eine 
meteorologische  Harmonika.  Dies  physikalische  Instrument  zeigte  durch  Her- 
vorbringung harmonischer  Töne  die  geringste  Wetterveränderung  an,  und  zwar 
je  nach  der  Stärke  der  Veränderung  gestaltete  sich  die  Intensität  der  Klänge. 

t 
Gattuug:eu  oder  Geschlechter  (latein.:  (jenera)  heissen  die  beiden  nur  noch 
iin  Abendlande  gebräuchlichen  Octavsysteme  Dur  (s.  d.)  und  Moll  (s.  d.). 
Wenn  hin  und  wieder,  besonders  in  Chorälen,  noch  andere  G.  vorkommen,  so 
stammen  diese  aus  der  Entwickelungszeit  der  abendländischen  Kunst,  wo  man 
alle  griechischen  Oktavsysteme  zu  verwerthen  strebte.  Bei  den  Griechen  waren 
in  der  Blüthezeit  ihrer  Kunst  die  Ausdrücke  Geschlecht  und  Gattung  Namen 
für  gesonderte,  einander  untergeordnete  Kunstbegrifife.  Geschlecht,  ;'^r//, 
erste  und  allgemeinste  Eintheilung  der  Musikelemente,  war  der  weitere  Begriff 
und  führte  zur  Feststellung  von  drei  harmonischen:  dem  diatonischen,  chro- 
matischen und  enharmonischen ;  von  drei  rhythmischen:  dem  daktylischen, 
jambischen  und  päonischen  und  von  drei  organischen  Geschlechtern:  dem 
der  Saiten-,  Blas-,  und  Schlaginstrumente.  Das  dritte  Geschlecht,  stets  aus 
der  Vereinigung  der  beiden  ersten  geschaffen,  war  hermaphroditischer  Natur 
und    erst    in    späterer  Zeit    angenommen.     In  frühester  Zeit,    vor  Pythagoras, 


Gatzmann  —  Gaudentius.  143 

kannten  die  Griechen  nur  zwei  Geschlechter  in  jeder  Eintheilung  der  Musik- 
elemente. Als  Klauggeschlechier  kannten  sie  nur:  Dur  und  Moll,  als  rhyth- 
mische: daktylische  und  jambische  und  als  organische:  durch  Blasen  oder 
Schlagen  erzeugte  Töne.  Gattung,  USij,  Euch  p.  13  sq.,  Gestaltung  eines 
und  desselben  Systems  (s.  d.)  wurde  von  den  alten  Autoren  nur  in  Bezug 
auf  die  symphonischen  Systeme,  die  Halbtonlage  in  derselben  bezeichnend, 
angewendet.  Hiernach  unterschieden  sie  drei  Quarten-,  vier  Quinten-  und 
sieben  Octavgattungen.  Später  gesellten  sich  zu  diesen  die  G.  der  diaphoni- 
schen  Systeme:  Terzen-,  Sexten-,  Septimen-  und  Tritonus- Gattungen. 
Aus  diesen  letztgenannten  G.  findet  man  als  letztes  Symptom  der  Wirkung 
griechischer  Theoreme,  durch  die  Zeitforderungen  der  Kunst  jedoch  schon  be- 
einflusst,  von  Guido  v.  Arezzo  (s.  d.)  die  Hexachord  (s.  d.)  -Lehre  allge- 
mein im  Abendlande  empfohlen  und  eingeführt,  die  dann  endlich  durch  die 
Annahme  von  nur  zwei  G.,  Dur  und  Moll,  einen  Abschluss  fand.  Beide  Kunst- 
ausdrücke, Gattungen  und  Geschlechter,  sind  seitdem  nur  als  Namen  für 
ein  und  denselben  Begriff  in  Gebrauch,  der  als  Unterabtheilung  nur  Arten 
(s.  d.)  kennt,  und  zwar  in  der  Auffassungsart  des  griechischen  yivTj.     G.  B. 

Gatzmauu,  Wolfgang,  deutscher  Tonsetzer,  der  zu  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts zu  Frankfurt  a.  M.  lebte,  hat  nach  des  Draudius  Bibl.  class.  p.  1648 
y^Phantasiarum  seu  cantionum  lih.  jjrimus  (Prankfurt,  1610)  veröffentlicht.      f 

Gaubert,  Denis,  französischer  Gesanglehrer,  wirkte  zu  Anfang  des  19. 
Jahrhunderts,  angestellt  am  Conservatorium  zu  Paris,  und  gab  dort  im  Jahre 
1802  y>Nouv.  Recueil  de  VI  Bomanc.  av.  acc.  etc.v.  und  1803  »Cinquieme  Eglogtte 
de  Virgile,  et  IV  Homances  av.  acc.  de  Fp.a  heraus.  Auch  musikalisch-litex^a- 
risch  war  er  um  diese  Zeit  vielfach  thätig.  f 

Gauche  (französisch),  abgekürzt:  G.  oder  M.  G.  (main  gauche),  d.  i.  linke 
Hand,  eine  in  Clavierwerkeu  vorkommende  Bezeichnung,  welche  vorschreibt,  wo 
die  linke  Hand  eingreifen  soll,  gewöhnlich  über  Stellen  gesetzt ,  bei  denen  der 
Spieler  in  Zweifel  gerathen  kann,  welche  Hand  er  anzuwenden  hat. 

Gauequier,  Alard  Dunoyer  du,  auch  Alardus  Nicaeus  genannt, 
flandrischer  Tonsetzer,  geboren  zu  Ryssel,  lebte  im  Anfange  des  16.  Jahrhun- 
derts als  Kapellmeister  des  Erzherzogs  Matthias  von  Oesterreich  zu  Wien  und 
war  ein  gewandter  Contrapunktist,  von  dessen  Werken  nur  noch  vorhanden 
sind:  »IV  Missae  5,  6  ei(  8  vocumvi  (Antwerpen).  Vgl.  Nie.  'Älardi  Deead. 
Alardor.  Script,  dar.  in  Fraefat.  und  Draudii  Bibl.  class.  p.  1635.  f 

Gaude,  Theodor,  vorzüglicher  deutscher  Guitarrenvirtuose  und  Coraponist 
für  dieses  Instrument,  geboren  am  3.  Juni  1782  zu  Wesel  am  B,hein.  Er  war 
bereits  Lehrling  eines  Kaufmanns,  als  er  von  unwiderstehlicher  Liebe  zur  Musik 
getrieben,  heimlich  entwich  und  sich  auf  der  Guitarre  unterrichten  Hess.  Höhere 
Studien  in  der  Behandlung  dieses  Instruments  und  in  der  Composition  machte 
er  in  Paris,  wo  er  als  Virtuose  und  Lehrer  schnell  zu  Ruf  und  Ansehen  ge- 
langte. Im  J.  1814  trat  er  eine  Concertreise  nach  St.  Petersburg  an,  und 
wo  er  sich  auf  dem  Wege  dahin  hören  Hess,  erndtete  er  immensen  Beifall  und 
bedeutenden  klingenden  Lohn.  Im  Begriff,  sich  von  Hamburg  aus  nach  der 
russischen  Hauptstadt  einzuschiffen,  hielt  ihn  eine  Krankheit  fest;  auch  nach- 
dem er  genesen  war,  blieb  er  in  Hamburg  und  wirkte  daselbst  als  trefflicher 
Lehrer  seines  Instruments.  Seine  Thätigkeit  als  Componist  bezeichnen  einige 
80  im  Druck  erschienene  Werke. 

Gaudentius,  ein  altgriechischer  Philosoph  und  Musikschriftsteller,  dessen 
Leben  und  Lebenszeit  gänzlich  unbekannt  ist;  vermuthlich  wirkte  er  in  der 
zweiten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.,  war  Aristoxenianer,  und  hat 
in  seiner  erhalten  gebliebenen  Schrift  »AfJfiovix?)  dgciyoiy/ja,  seines  Meisters 
Lehren  wiedergegeben.  Marc.  Meibom  übersetzte  dies  Werk  ins  Lateinische 
mit  Benutzung  älterer  üebersetzuugen  und  verschiedener  Handschriften  und 
gab  es,  mit  eigenen  Bemerkungen  versehen,  in  seinen  »Antiquae  musieae  auetores 
Septem^'.   (1652)   heraus.     Vgl.  rorkel's  Literatur  der   Musik.  t 


;144  Gaudi — Gaus. 

Oaiidi  heisst  in  der  indischen  Musik  die  zweite  nach  der  ßaga  (s.  d.) 
Malava  (s.  d.)  gebildete  unvollständige  Ragina  (s.  d.),  deren  Klänge  unge- 
fähr durch  beifolgende  Notation  dargestellt  werden;  eine  laoch  um  Sruti's 
(s.  d.)  stattfindende  Erhöhung  des  Klanges  ist  durch  eine  über  die  Note  ge- 
stellte römische  Ziffer  anzugeben: 

I. 


ui,       sa,       ri,   x  ma,     pa,   x  ni. 

Oandimel,  s.  Goudimel. 

OaudiO)  Antonio  del,  italienischer  Componist,  welcher  einer  römischen 
adligen  Familie  entstammte,  war  Ende  des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  des 
Prinzen  von  Gronzaga.  Von  seinen  Compositiouen  wurden  zu  Venedig  im  J. 
1674  die  Oper  »Almerice  in  Oi^roa  und  1681  »  Tflisse  in  Feaciav.,  letztere  mit 
Wachspuppen,  aufgeführt.  t 

Oaudlo  del  Mel,  s.  Groudimel. 

Oaultier,  Abbe  Alois  Edouard,  ein  Italiener  von  Geburt,  studirte  1755 
in  Frankreich  und  lebte  später  abwechselnd  in  Italien,  Paris,  Holland,  London 
u.  s.  w.  Er  ist  der  Erfinder  einer  Methode,  Kindern  auf  mechanischem  Wege 
die  Notenkenntniss  beizubringen  und  starb  zu  Paris  im  Septbr.  1818.  —  Viel- 
leicht ist  er  identisch  mit  jenem  G.,  Canonicus  der  Congregation  Christi  und 
Professor  der  Mathematik  bei  den  Cadetten  des  Königs  Stanislaus  von  Polen 
zu  Nancy,  welcher  y>Observations  snr  la  lettre  de  Mr.  Rousseau  de  Genhie,  « 
Mr.  Grimma  veröfi"entlicht  hat. 

Gaultier,  Pierre,  fälschlich  auch  Gautier  und  Gauthier  geschrieben, 
französischer  Operncomponist  und  tüchtiger  Clavierspieler,  geboren  1664  zu  la 
Ciotat,  erhielt  als  noch  ganz  junger  Künstler  gegen  Erlegung  einer  stipulirten 
Summe  von  Lully  die  Erlaubuiss,  in  den  Städten  Marseille  und  Montpellier 
Opei'nbühnen  zu  errichten  und  begann  1682  seine  Thätigkeit  mit  Aufführung 
der  von  ihm  componirten  Oper  y>Le  triomphe  de  la  paix»..  Nach  Lully's,  im 
J.  1687  erfolgtem  Tode  erwirkte  er  sich  ein  gleiches  Privilegium  für  Toulouse, 
hatte  aber  das  Unglück,  auf  der  Meerfahrt  von  Cette  dorthin  1697  mit  seiner 
ganzen  Truppe  zu  verunglücken  und  den  Tod  in  den  Wellen  zu  finden.  Als 
Clavierspieler  hatte  er  die  Manier  des  Chambonniere  gepflegt,  mit  dessen  bestem 
Schüler  Hardelle  er  auch  eng  befreundet  war;  dem  letzteren  folgte  er  selbst 
auch  in  der  Stellung  eines  Ciavierspielers  bei  der  Kammermusik  des  Königs. 
—  Ausser  Opern  sind  in  Marseille  erschienene  Duos  und  Trios  für  Flöten  von 
G.  bekannt  geworden, 

Gaumentou,  s,  Kehlton. 

Gaus,  Karoline,  eine  ausgezeichnete  dramatische  Sängerin,  wurde  am  3. 
Septbr.  1761  zu  Stuttgart,  wo  ihr  Vater,  Namens  Huth,  Stadtlieutenant  war, 
geboren  und  auf  Wunsch  des  Herzogs  Karl  von  Württemberg,  der  sie  als 
junges  Mädchen  singen  hörte,  für  die  Kunst  erzogen.  Demgemäss  erhielt  sie 
von  1775  an  als  Schülerin  des  mit  der  Karlsschule  verbundenen  Musikinstituts 
den  Unterricht  Mazzandi's  und  Boroni's  und  wurde  unmittelbar  hierauf  Sängerin 
des  Stuttgarter  Hoftheaters  mit  der  Verpflichtung,  ausserhalb  Württemberg's 
niemals  aufzutreten.  Obwohl  demgemäss  nur  von  localer  Bedeutung,  hatte  sie 
schon  1782  den  Ruf,  eine  der  grössten  deutschen  Opernsängerinnen  zu  sein, 
ein  Ruf,  der  durch  das  Zeuguiss  Zumsteeg's,  der  besonders  ihre  vorzügliche 
Declamation  der  Recitative  und  ihre  deutliche  Aussprache  rühmte,  getragen 
wurde.  Im  J,  1786  verheirathete  sie  sich  mit  dem  Säuger  und  Schauspieler 
Gaus,  der  aber  schon  1794  starb.  Mehrere  schnell  auf  einander  folgende 
Wochenbetten  hatten  ihre  Stimme  dauernd  angegriffen  und  derselben  ziemlich 
früh  die  kräftige  Fülle  und  ausnehmende  Klangschönheit  geraubt.  Der  grosse 
Umfang  derselben  und  ihre  seltene  Kehlfertigkeit  blieben  jedoch  und  erhielten 


Gauspeck  —  Gautier.  145 

sie  als  Concert-    und  Kirchensängerin    bis    zum  J.  1809  in  grossem  Ansehen. 
Darnach  pensionirt,  starb  sie  im  J.  1836. 

Ganspeck,  Giuseppe,  ein  musikkundiger  Augustinermönch  des  16.  Jahr- 
hunderts, hat  »Missae  brevesa  geschrieben,  die  sich  in  der  königl.  Bibliothek 
zu  München  befinden. 

Gautherot,  Louise,  geborene  Deschamps,  eine  der  vorzüglichsten  fran- 
zösischen Violinvirtuosinnen,  tritt  zuerst  um  1783  als  vielbewundertes  Mitglied 
des  Concert  spirituel  zu  Paris  hervor.  Beim  Ausbruch  der  französischen  Re- 
volution verweilte  sie  als  gefeierte  Concertspielerin  in  London  und  erhielt 
1791  einen  glänzenden  Ruf  nach  Dublin.  Ein  Jahr  später  befand  sie  sich 
wieder  in  London,  wo  sie  in  den  angesehensten  Concerten  mit  Auszeichnung 
wirkte.  Sie  scheint  überhaupt  England  nicht  wieder  verlassen  zu  haben  und 
zu  London  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  gestorben  zu  sein. 

Gauthier,  Gabriel,  französischer  Orgel-  und  Klavierspieler  und  Musik- 
schriftsteller, geboren  1808  in  einem  Dorfe  des  Departements  der  SaOne  et 
Loire,  erblindete  in  Folge  der  Blattern  schon  in  seinem  ersten  Lebensjahre. 
Seit  1816  verwaist,  kam  er  1818  in  das  Blindeniustitut  zu  Paris.  Praktisch 
und  theoretisch  in  der  Musik  daselbst  unterrichtet,  konnte  er  schon  1827  als 
Musildehrer  dieser  Anstalt  angestellt  werden,  einen  Posten,  den  er  bis  1840 
einnahm,  worauf  er  einige  Jahre  später  Organist  an  St.  Etienne-div-Mont  wurde. 
Als  Musikschriftsteller  hat  er  sich  durch  Journalartikel  bekannt  gemacht,  so- 
dann durch  die  Schrift  y>Considerations  sur  la  question  de  la  reforme  du  plain- 
cTiant  etc.fs.  (St.  Denis,  1843),  ferner  durch  das  grosse  Sammelwerk  -nltepertoire 
df"  maltres  de  cJiapelle  etc.a  (5  Bde.,  Paris,  1842  bis  1845)  und  endlich  durch 
die  didaktische  Arl^eit  r>Le  mecanisme  de  la  composition  instrumentale  etc.ii 
(Paris,  1845). 

Ganthier,  Pierre,  französischer  Theaterdirektor  und  Tonkünstler  zu  Ronen, 
wo  er  auch  geboren  war,  starb  in  seiner  Vaterstadt  im  J.  1711.  Er  veröffent- 
lichte zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  mehrere  Gesangsachen  (Arien  u.  s.  w.) 
seiner  Composition. 

Gautier,  Denis,  mit  dem  Beinamen  Vancien,  geschickter  und  berühmter 
französischer  Lautenvirtuose,  geboren  um  1640  zu  Lyon,  kam  um  1660  nach 
Paris,  wo  er  als  Kammermusiker  des  Königs  angestellt  wurde  und  ein  -oLivre 
de  tablature  de  pieces  de  luth  sur  diß^erens  modesa  (Paris,  1674)  veröffentlichte. 
Gestorben  ist  er  wahrscheinlich  kurz  vor  1680.  —  Aus  derselben  Eamilie 
war  der  nicht  minder  voi^zügliche  Lautenspieler  Denis  G.,  mit  dem  Beinamen 
le  jeune,  gleichfalls  in  Lyon  geboren,  seit  1669  bei  der  Kammermusik  des 
Königs  angestellt  und  vor  1680  gestorben.  Zwei  Bücher  Lautenstücke  von 
ihm  sind  in  Paris  ohne  Jahreszahl  erschienen.  Eine  diesen  beiden  G.'s  mehr- 
fach zugeschriebene  Sammlung  von  Lautenstücken,  betitelt  »ie  tombeau  de  MXle. 
de  Lenclosts.  muss  einen  dritten  G.,  vielleicht  jenen  Jacques  G.  aus  Lyon  zum 
Componisten  haben,  dessen  der  Mercure  galant  in  seinem  Märzhefte  von  1678 
rühmend  erwähnt.  Denn  die  beiden  Denis  G.  waren  zur  Zeit  des  Todes  der 
berühmten  Ninon  de  Lenclos,  am  17.  Oktbr.  1706,  schon  längst  nicht  mehr 
am  Leben. 

Gautier,  Jean  Andre,  französischer  Flötenvirtuose,  wirkte  in  der  Zeit 
von  1754  bis  in  die  ersten  Jahre  der  Revolution  hinein  zu  Paris  als  ange- 
sehener Musiklehrer  und  Componist  für  sein  Instrument. 

Gautier,  Jean  Frangois  Eugene,  trefltlicher  französischer  Violinist  und 
Componist  von  Opern  und  Kirchenwerken,  geboren  am  27.  Febr.  1822  zu 
Vaugirard  bei  Paris,  kam  schon  1831  in  das  Pariser  Conservatorium,  wo  ihn 
u.  A.  Habeneck  im  Violinspiel  und  Halevy  in  der  Composition  unterrichteten. 
Im  J.  1848  wurde  er  zweiter  Orchesterchef  am  Theätre  national,  nachherigem 
Theätre  lyrique,  und  trat  nicht  ohne  Erfolg  mit  folgenden  zur  Aufführung  ge- 
kommenen Opern  hervor:  nL^anneau  de  Marie«,  y>Les  harricades«  (mit  Piloty 
zusammen   componirt),  y^Murdok  le  landitv,   r>Flore  et  Zephire«,  nGhoisi/   le  roia, 

Muaikal.  Convers. -Lexikon.    IV.  10 


146  G.auzar£»nef?  —  Gavaiidan. 

•oLe    mariage    extrnvaganU,    -^Lr,    docteiir  31iroholanti.     Ausserdem   hat  er  einige 
Violin-  und  Kirclieucompositionen  veröfiFeutliclit. 

(xauzarg'nes,  Abbe  Charles,  französischer  Kirchencomponist,  geboren  um 
1720  zu  Tarascon  in  der  Provence,  erhielt  als  Chorknabe  zugleich  eine  musi- 
kalische Ausbildung  und  wurde  Chorprilfect  zu  Nimes  und  Montpellier.  Seit 
1756  war  er  Schüler  Rameau's  in  Paris  und  blieb  bis  zu  seinem  Tode  ein 
fanatischer  Anhänger  dieses  Meisters.  Motetten  seiner  Composition  verschafften 
Ct.  1757  die  Protection  des  Dauphins  und  des  Bischofs  von  Kennes,  damaligen 
Directors  der  königl.  Kapelle,  und  schon  1758  wurde  er  in  Folge  dessen  künigl. 
Kapellmeister  zu  Versailles.  Als  solcher  schrieb  und  fülirte  er  u.  A.  40  Kir- 
chenstücke (Motels)  mit  Orchesterbegleitung  auf.  Im  J.  1775  zog  er  sich  von 
seinem  Amte  nach  St.  (lermain  zurück,  wurde  während  der  Revolution  ver- 
haftet aber  durch  die  Reaktion  des  9.  Thermidor  wieder  befreit.  Er  starb  im 
J.  1790  zu  Paris.  Sein  letztes  bekannt  gewordenes  AVerk  war  das  nach  Ra- 
meau'schen  Grundsätzen  abgefasste  Lehrbuch  y>Traite  de  Vharmonie  ä  Ja  porh'e 
de  iout  le  mondeu.  (Paris,  1798). 

(iavassi,  (liacomo,  italienischer  Tonsetzer  aus  der  ersten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts,  war  Priester  und  Kapellmeister  an  der  Kathedralkirche  zu  Bel- 
luno im  Venetianischcn  und  hat  auch  einige  seiner  Compositionen  durch  den 
Druck  veröffentlicht,  von  denen  jedoch  nur  »JiJecles.  Missarum  Frtieiusy>  (Vene- 
dig, 1634)  bekannt  geblieben  sind.  t 

(xavandan,  Jean  Baptiste  Sauveur,  französischer  Opernsänger,  geboren 
am  8.  Aug.  1772  zu  Salon  in  der  Provence,  war  der  Solin  eines  Musiklehrers, 
mit  dem  er  erst  nach  Nimes,  dann  nach  Paris  zog,  wo  die  älteren  Töchter 
der  Familie  die  Laufbahn  als  Opernsängerinnen  beginnen  sollten.  Schon  in 
seinem  siebenten  Jahre,  als  sein  Vater  und  Lehrer  daselbst  starb,  sah  sich  G. 
von  aller  Welt  verlassen,  trat  deshalb  als  Schiffsjunge  in  das  Marinegeschwader 
des  Grafen  von  Grasse  und  diente  als  solcher  bis  nach  1783  abgeschlossenem 
Frieden.  Nach  Paris  zurückgekehrt,  trieb  er  wieder  eifrig  Musik  und  fand 
eine  Schreiberstelle  in  den  Bureaus  der  Grossen  Oper.  Persuis,  der  sich  seiner 
annahm,  bildete  ihn  für  die  Opernbühne  aus,  und  als  er  1791  am  Theater 
Montansier  debütirte,  war  sein  Erfolg  ein  so  bedeutender,  dass  er  sofort  für 
das  mit  französischen  und  italienischen  Vorstellungen  abwechselnde  Thcülre  de 
Monsieur  engagirt  wurde,  an  dem  er  sich  eine  aussergewöhnliche  Sängerroutine 
erwarb.  Aus  diesen  Verhältnissen  riss  ihn  das  Recrutirungsgesetz  vom  23.  Aug. 
1793,  und  nur  die  Hülfe  einiger  im  Wohlfahrtsausschusse  wirkenden  Gönner 
befreite  ihn  bald  wieder  vom  Militairdienste.  Er  trat  nun  1794  in  den  Ver- 
band der  Opera  comique  in  der  Salle  Favart,  wo  er  als  Spieltenor  grosses 
Glück  machte.  Diesem  Institute,  welches  sich  1801  mit  dem  Theätre  Feydeau 
vereinigte,  gehörte  er  als  überaus  beliel)ter  Sänger  bis  1816  an,  wo  er  in  Folge 
seiner  politischen  Ansichten  den  Abschied  nehmen  musste.  Er  wandte  sich 
nach  Brüssel,  wurde  Director  des  königl.  Theaters  daselbst  und  besuchte  hier- 
auf gastirend  die  grossen  Provinzstädte  Frankreichs.  Noch  einmal  wurde  er 
1824  für  die  Pariser  Opera  comique  engagirt,  zog  sich  aber,  da  er  mit  seinen 
Stimmresten  nicht  mehr  zu  wirken  vermochte,  1828  in  das  Privatleben  zurück 
und  starb  zu  Paris  am  10.  Mai  1840.  So  mangelhaft  es  mit  G.'s  eigentlicher 
Gesangs])ildung  und  Intonation  bestellt  gewesen  sein  soll,  so  soll  er  durch 
Feuer,  Leidenschaft  und  vorzügliche  Darstellung  seine  Fehler  reichlich  aufge- 
wogen haben.  Auch  als  Componist  von  Vaudevilles  hat  er  sich  versucht  und 
mit  liBrefignae  ou  fantnsmagorievi ,  das  1799  auf  dem  Pariser  Theätre  des  trou- 
hadours  öfter  aufgeführt  wurde,  sogar  ziemlich  glücklich.  —  Seine  Gattin, 
Joanne  G.,  geborene  Ducamel,  Avar  zu  Paris  am  15.  Septbr.  1781  geboren, 
und  seit  1798  ein  hochg(!schätztes  und  sehr  verwendbares  Mitglied  des  Theaters 
Favart,  der  nachmaligen  Opera  comiqite,  die  bis  1822,  wo  sie  sich  von  der  Bühne 
zurückzog,  beim  Publikum  in  Gunst  und  Anseilen  stand.  Sie  starb  am  24. 
Juni  1850  zu  Passy  bei  Paris.    —    Von  den  oben  erwähnten  Schwestern  G.'s, 


Gaveaux  —  Gavinies.  147 

drei  an  der  Zahl,  debütirte  die  ülteste  1778  an  der  Pariser  Grossen  Oper,  aber 
trotz  angenehmer  Persönlichkeit  ohne  Erfolg,  so  dass  sie  nur  in  Chor-  und 
Aushülfsrollen  Verwendung  fand.  Sie  heirathete  den  Sänger  Lainez  und 
starb  zu  Paris  am  15.  Juni  1810.  Die  zweite  Schwester,  genannt  Spinette, 
wegen  ihrer  geschickten  Darstellung  der  gleichnamigen  Rolle  in  der  Oper 
»Tarare«,  war  bis  1783  gleichfalls  Choristin  der  G-rossen  Oper,  schwang  sich 
aber  plötzlich  als  Julie  in  Gavinie's  y>Les  predentus«.  aus  dem  Dunkel  hervor 
und  wurde  wegen  ihrer  frischen  Stimme  und  feinen  Spiels  sehr  gerühmt.  Als 
die  Revolution  ausbrach,  ging  sie  nach  Deutschland  und  starb  1805  zu  Ham- 
burg. Die  dritte  Schwester,  Emilie  G.,  war  Choristin  am  Theätre  Feydeau 
und  heirathete  den  Opernsänger  und  Componisten  Pierre  Gaveaux  (s.  d.),  der 
ihr  kleinere  Opernrollen  verschaffte,  ohne  dass  sie  mit  denselben  zu  wirken 
vermochte.     Sie  starb  um  1840  zu  Paris. 

Gaveaux,  Pierre,  beliebter  französischer  Operncomponist  und  dramatischer 
Sänger,  geboren  im  August  1761  zu  Beziers  im  Nieder-Languedoc,  sang  seit 
seinem  siebenten  Jahre  mit  Auszeichnung  beim  Kathedralchor  seiner  Vater- 
stadt und  erhielt  mit  der  miisikalischen  zugleich  eine  höhere  wissenschaftliche 
Ausbildung.  Seine  Absicht,  in  Italien  Musik  zu  betreiben,  hintertrieb  der 
Bischof  von  Beziers,  der  einen  so  tüchtigen  Solisten  nicht  entbehren  wollte; 
jedoch  ging  G.,  1779  als  Sänger  an  die  Kirche  St.  Severin  berufen,  nach 
Bordeaux,  wo  er  zugleich  bei  Frangois  Beck  sich  eifrigen  Compositionsstudien 
unterzog,  so  dass  er  mit  verschiedenen  von  ihm  componirten  Kirchenmusiken 
sehr  erfolgreich  hervortreten  konnte.  Ganz  unerwartet  vertauschte  er  die  Kirche 
mit  dem  Theater,  trat  als  Tenorist  in  Bordeaux,  1788  auch  in  Montpellier 
und  anderen  Städten  Südfrankreichs  mit  bemerkenswerthem  Erfolge  auf  und 
wurde  darauf  hin  1789  als  erster  dramatischer  Sänger  am  Theätre  de  Monsieur 
in  Paris  engagirt.  Zwei  Jahre  später  trat  er  zum  Theater  Feydeau  und  kam 
dadurch  1801  mit  zur  Opera  comique,  bei  welcher  ihn  jedoch  Elleviou  und 
Martin  bedeutend  verdunkelten.  Eine  vorübergehende  Geistesstörung  entzog 
ihn  1812  der  Bühne;  im  J.  1819  trat  ein  Rückfall  ein,  und  G.  starb  im  völ- 
ligen Wahnsinn  am  5.  Febr.  1825  in  einer  Irrenanstalt  zu  Paris.  Als  Sänger 
hat  er  sich  im  Anfange  seiner  dramatischen  Laufbahn  durch  eine  höchst  an- 
genehme und  biegsame  Stimme,  welche  er  als  guter  Musiker  sehr  ausdrucksvoll 
und  wirksam  zu  behandeln  wusste,  ausgezeichnet,  Vorzüge,  die  er  auch  als 
Componist  von  etwa  33  Opern  und  Operetten  bewährte,  die  trotz  des  Mangels 
an  ausgeprägter  Originalität  meist  sehr  beliebt  und  häufig  gegeben  wurden,  so 
»La  famille  indigentei-,  -iiDelmon  et  Nadinevi,  yyL^amour  ßlial  ou  la  jambe  de 
JjoisK  und  »ie  petit  matelota,  welche  letzteren  übersetzt  wurden  und  auch  auf 
deutsche  Bühnen  gelangten.  Historisch  bedeutsam  wurde  seine  harmlose  Oper 
■aLeonore  ou  Vamour  conjugaU,  Text  von  J.  N.  Bouilly  (Paris,  1798),  insofern, 
als  der  einfach-rührende  Stoff  derselben  von  Beethoven  für  seinen  »Fidelio« 
wieder  aufgenommen  worden  ist.  Die  vielleicht  grösste  und  vollständigste 
Sammlung  der  sehr  schön  gestochenen  Partituren  G.'s  befindet  sich  in  der 
hinterlassenen  Musikbibliothek  Meyerbeer's.  Ausserdem  hat  G.  eine  Sammlung 
italienischer  Canzonetten  und  eine  andere  mit  französischen  Romanzen  ver- 
öffentlicht und  auch  den  »Pygmalion«  von  Rousseau  componirt,  der  aber  Ma- 
nuscript  geblieben  ist.  —  Seine  Gattin,  Emilie  G.,  ist  in  dem  Artikel  Ga- 
vaudan  (s.  d.)  behandelt  worden.  Sein  ältester  Bruder,  Simon  G.,  geboren 
1759  zu  Beziers,  war  ein  gewandter  und  erfahrener  Tonkünstler,  als  Opern- 
souffleur und  Correpetitor  am  Theater  Feydeau  zu  Paris  angestellt  und  Ver- 
fasser einer  Flageolet- Schule.  Mit  seinem  Bruder,  Guillaume  G.,  einem  tüchtigen 
Clarinettisten,  errichtete  er  1793  eine  Musikalienhandlung  zu  Paris,  die  bis  in 
den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  hinein  bestanden  hat, 

Gaviuies,  Pierre,  einer  der  grössten  und  berühmtesten  französischen 
Violinvirtuosen,  von  Viotti  der  französische  Tartini  genannt,  wurde  am  26.  Mai 
1726  (nach  Laborde  erst  am  11.  Mai  1728)  zu  Bordeaux  geboren.     Ohne  dass 

10* 


148  Gavotte. 

man  weiss,  von  wem  er  unterrichtet  worden  ist,  tauchte  er  1741  im  Ooncert 
spirituel  zu  Paris  auf,  erregte  sofort  Bewunderung  und  Enthusiasmus  und  wurde 
als  erster  Solospieler  bei  diesem  Institute  augestellt.  Als  solcher  hat  er  wäh- 
rend einer  dreissigjährigen  Thätigkeit  über  Yirtuoseugrössen  wie  Pugnani,  Do- 
menico Ferrari  und  Stamitz  den  Sieg  davongetragen.  Seine  ungezügelte  Nei- 
gung für  die  Frauen  trug  ihm  stürmische  und  gefährliche  Auftritte  ein,  ja, 
die  Anklage  eines  Cavaliers  vom  Hofe,  mit  dessen  Gattin  er  sich  in  ein  ehe- 
bi-echerisches  Verhältniss  eingelassen  hatte,  brachte  ihn  ein  Jahr  lang  in's  Ge- 
fängniss.  Dort  soll  er  u.  A.  jenes  Tonstück  compouirt  haben,  das  lange  Zeit 
unter  dem  Namen  »Bomance  de  Gavinies<ü  weltberühmt  war,  und  welches  er 
noch  in  seinem  73.  Jahre  mit  dem  rührendsten  Ausdrucke  zu  spielen  wusste. 
Von  1773  bis  1777  war  er  mit  Qossec  zusammen  Director  des  Ooncert  spirituel, 
und  niemals  zuvor  hatte  die  Leitung  dieses  Instituts  solches  Lob  erfahren  wie 
damals.  Im  J.  1794  zum  Professor  an  dem  so  eben  errichteten  Pariser  Con- 
servatorium  ernannt,  trat  G.  dieses  Amt  1796  au,  zeichnete  sich  als  Lehrer 
nicht  minder  aus,  starb  aber  schon  am-  9.  Septbr.  1800.  Im  lajcee  des  arts 
las  im  J.  1801  Madame  Constance  Pipelet,  uachherige  Fürstin  Salm,  eine  Lob- 
rede auf  G.  vor,  welche  unter  dem  Titel  »Möge  Mstoriqiie  de  Pierre  Gavinies» 
(Paris,  1801)  im  Druck  erschien.  —  G.'s  Compositionen,  so  weit  sie  veröffent- 
licht sind,  bestehen  in  sechs  Violinconcerten,  Violinsunaten  mit  Bassbegleitung, 
Studien  für  Violine  in  allen  Tonarten,  betitelt  »Les  24  matineesv.  und  in  drei 
nachgelassenen  Violinsonaten  (Paris,  1801),  von  denen  eine  in  F-moll  mit  dem 
Titel  y>Le  tomheau  de  Gaviniesv.  bezeichnet  ist.  Ausserdem  liat  er  eine  drei- 
aktige,  beliebt  gewesene  komische  Oper  y>Les  predentus«.  (Paris,  1760)  compo- 
nirt,  welche  auch  in  Deutschland  unter  dem  Namen  »der  vorgegebene  Zufall« 
zur   Aufführung  gelangt  ist. 

(iavotte  (franz.:  Gavote,  ital.:  Gavotta),  ein  graziöser  Tanz,  der  wahrschein- 
lich als  Nationaltanz  der  Gavots,  wie  die  Bewohner  eines  Theils  der  Dauphine, 
Departement  des  Hautes-Alpes  in  Frankreich,  hiessen,  seinen  Namen  erhielt. 
Die  ruhigen  und  schönen  Körperbewegungen,  wie  sie  dieser  Tanz  erforderte, 
so  wie  die  für  sich  allein  gleichfalls  ansprechende  Musikweise  dazu  war  Grund, 
dass  man  die  G.  schon  zu  Ende  des  17.  Jahi'hunderts  in  die  französische  Oper 
und  in  das  Ballet  aufnahm  und  dadurch  schnell  eine  sehr  weite  A'^erbreitung 
derselben  bewirkte.  Andere,  mehr  die  Sinnlichkeit  anregenden  Tänze  jedoch 
verdrängten  die  G.  noch  vor  der  Menuet  aus  dem  gesellschaftlichen  Leben, 
und  selbst  die  Bühne  beachtete  sie  aus  gleichen  Gründen  bald  fast  gar  nicht 
mehr;  nur  hin  und  wieder,  um  eine  Abwechselung  zu  schaffen,  griff  man  zu 
diesem  soliden  Tanze  zurück,  und  suchte  dann  der  Musik  desselben  einen  an- 
genommenen Urchavakter  zu  geben.  Dennoch  wurde  derselbe  durch  die  viel- 
fachen Wandlungen  sehr  verwischt,  namentlich  als  man  mit  dem  Verschwinden 
desselben  aus  dem  öffentlichen  Leben  die  Musik  auch  noch  als  Grundform  zu 
sinfonischen  Sätzen  anzuwenden  begann.  Man  findet  demgemäss  in  Sonaten, 
Suiten  und  anderen  Tonwerken  des  18.  Jahrhunderts  unter  dem  Titel  G,  ganze 
Tonsätze  ausgesponnen.  Als  am  meisten  in  Deutschland  bekannt  und  so  ziem- 
lich auch  die  Epoche  dieser  Compositionsart  beginnend  und  abschliessend  könnte 
auf  J.  S.  Bach's  und  Mozarts  Gavotten  hingewiesen  werden,  denn  die  neueren, 
Aehnliches  bietenden  Compositionen  sind  nicht  Folgen  eines  natürlichen  Dranges, 
sondern  speculativer  Natur.  AVas  den  angenommenen  TJrcharakter  der  G.  an- 
betrifft, so  wird  derselbe  in  der  Formenlehre  der  Musik  also  etwa  gelehrt.  Die 
G.  wird    im  (j;  -  Takt    geschrieben    und    zeigt   als  Grundrhythmus  folgende  Be- 


wegung: 


(B 


J     J     J     J        J     J 


mit  merklichem  Einschnitte  im  zweiten  Takte.  Da  die  Bewegungen  in  diesem 
Tanze  wohl  munter,  selbst  zuweilen  rasch,  doch  nie  sehr  schnell  sein  dürfen, 
so    soll    die  Musik    zu  demselben    als  kleinste   Zeitwerthe  auch  nur  Achtel  er- 


Gawler— Gaye.  149 

halten,  niemals  punktirte  Achtel.  Die  Gr.  besteht  aus  zwei  Theilen,  welche 
wiederholt  werden.  Der  erste  Theil  zeigt  vier  Takte  und  schliesst  in  einer 
Verwandten  der  Haupttonart;  der  zweite  Theil  mit  acht  Takten  endet  in  der 
Tonica.  Eigen  der  G.  ist  noch,  dass  sie  stets  im  Auftakt  mit  dem  dritten 
Viertel  beginnt.  Diese  Vorschriften  der  musikalischen  Formenlehre  machen  die 
Gr.  noch  heute  gewissermassen  zum  steten  lebendigen  Gliede  der  Kunstlehre, 
indem  dieselbe  als  Prüfstein  der  musikalischen  Begabung  betrachtet  wird.  Die 
Schüler  sind  gezwungen,  was,  ohne  monoton  zu  werden,  nicht  leicht  ist,  Ton- 
empfindungen anhaltend  in  ruhigster  Art  sich  ergiessen  zu  lassen,  da  jede  Ab- 
wechselung durch  pikante  Rhythmen  vorschriftswidrig  wäre.  Im  höheren  Kunst- 
tanze unterschied  man  in  der  Blüthezeit  dieser  Gattung  mehrere  Arten,  z.  B. 
G.  de  Sceaux  (1713),  G.  de  la  ßore  (1713),  G.  ä  la  Vesfris  u.  s.  w. ;  in  den 
Gluck'schen  Opern  finden  sich  zahlreiche  zu  der  letzteren  Art  gesetzte  Ballet- 
nummern.  Die  G.  ist  übrigens,  als  Allegro  der  Menuet  folgend,  gleich  dieser 
dem  besseren  Tanzunterrichte  bis  auf  die  heutige  Zeit  erhalten  geblieben.       2. 

Gawet,  s.  Saal. 

Gawler,  englischer  Tonsetzer,  welcher  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  in 
London  als  Organist  angestellt  war,  hat  daselbst  mehrere  seiner  Compositionen 
herausgegeben.  Bekannter  von  diesen  sind:  vHarmonica  sacra,  a  Oolleetion  of 
Psalm  Tunes,  with  Inferludes,  with  a  tliorougli  Bass,  forming  a  most  complete 
Work  of  sacred  Musiea;  i>Dr.  Watts  divine  Psalms,  op.  15«;  y>Lesson  for  the 
Harpsichordii  und  II  single    Voluntaries  for  the  Organ.  f 

Gawthorn,  Nathaniel,  englischer  Musiker  und  Verbesserer  der  Harmo- 
nica,  der  um  1730  zu  London  eine  -nSarmonica  perfecta^  veröfientlichte. 

Gay,  ein  französischer  Mechanicus,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts in  Paris  lebte,  war  einer  der  vielen  Verbesserer  des  Bogenclaviers. 
Er  liess  Darmsaiten  mittelst  eines  mit  Pferdehaaren  bezogenen  Rades  behandeln. 
Eine  genauere  Beschreibung  der  von  ihm  empfohlenen  Verbesserungen  enthält 
die  lEstoire  de  VÄcademie  de  Paris  des  Jahres  1762  p.  192.  f 

Gäyatri  ist  nach  Th.  Benfey's  Handbuch  der  Sanskritsprache  2.  Abth. 
1  Theil  der  Name  einer  der  acht  verschiedenen  indischen  Phrasenrhythmen. 
Diese  Rhythmusart  theilt  sich  in  drei  Abschnitte,  jeder  Abschnitt  hat  acht 
Glieder.  Die  beiden  ersten  Abschnitte  sind  einer  an  den  anderen  gebunden; 
der  dritte  ist  dem  Inhalte  und  Rhythmus  nach  von  den  andern  gesondert.  Die 
vier  letzten  Sylben  des  dritten  Abschnittes  fordern  zweimal  eine  kurze  und 
eine  lange  Zeit  und  müssen  somit  in  der  Musik  so: 

h-f-^-f-^-^  oder   so:  -p-f-p-p-'^-p-^ 

gesetzt  werden.  Zum  besseren  Verständniss  diene  folgendes  Beispiel  dieses 
Phrasenrhythmus : 

Agnim         i  -  le  pu  ■  ro      hi  -  tam        ya  -  gna     -     sya  de  -  vam  ri  -   tri-gam 

—  i—  i  \J         J.  'U       J. 

ho  -  tä  -  ram  rat    -    nad  -  ha  -  ta  -  ram. 

e-p-p4-f-|"~'rl-f-p-r-|— p-1  o. 

Gaye,  Henri  le,  Musikdirektor  am  französischen  Theater  und  stellver- 
tretender herzoglicher  Kapellmeister  zu  Braunschweig  in  den  Anfangsjahren 
des  19.  Jahrhunderts,  war  auch  ein  achtenswerther  Virtuos  auf  dem  Ciavier,  wie 
er  in  einem  1802  ebenda  gegebenen  Concerte  bewies.  —  Seine  Gattin,  eine 
geborene   Schäfer,  war  an  demselben  Theater  als  Sängerin  angestellt.        t 

Gaye,  Jean,  bemerkenswerther  französischer  Sänger,  geboren  um  1640 
auf  einem  Dorfe  bei  Toulouse,  war  zuerst  Chorknabe  in  den  Kathedralen  von 
Toulouse  und  Beziers  und  ging,  als  seine  Stimme  sich  zu  einem  sehr  schönen 
Tenore    umwandelte,    nach  Paris,    wo    ihn  Lully  1666    bei    der  Kammer-    und 


150  Gayer  —  G-dur. 

Kapellmusik  des  Königs  anstellte  und  später  als  ersten  Tenor  an  sein  eigenes 
Opernunternelimen  zog.  Nach  Lully's  Tode,  im  J.  16f->7,  verliess  auch  G-.  das 
Theater  wieder  und  sang  nur  noch  am  Hofe.  Er  wurde  hierauf  Kammerdiener 
der  Dauphiue  und  starb  1701  zu  Versailles.  —  Sein  Sohn,  Jacques  Gr.,  eben- 
falls Tenorist  und  als  solcher  in  der  königl.  Kapelle  angestellt,  wurde  nach- 
mals Kammerdiener  der  Herzogin  von  Bourgogne. 

Gayer,  Johann  Joseph  Georg,  tüchtiger  deutscher  Violinvirtuose  und 
geschmackvoller  Componist,  geboren  am  17.  April  1748  zu  Engelhaus  in  Böh- 
men, trieb  als  Knabe  Gesang,  Violin-  und  Clavierspicl,  erlernte  in  benachbarten 
Städten  Trompete  und  Hörn  und  studirte  endlich  gründlich  Generalbasslehre, 
so  dass  man  ihn  in  seinem  Geburtsorte  als  Organisten  anstellte.  Nach  zwei 
Jahren  gab  er  dieses  Amt  auf  und  studirte  ein  Jahr  hindurch  zu  Prag  bei 
Pichl  das  höhere  Violinspiel  und  bei  Loos  die  Composition.  8o  vorbereitet, 
unternahm  er  eine  sehr  erfolgreiche  Kunstreise,  die  ihn  auch  nach  Darmstadt 
führte,  wo  er  sich  mehrere  Monate  durch  den  lehrreichen  Umgang  mit  Enderle 
fesseln  Hess.  Dort  traf  ihn  1774  ein  B,uf  als  landgräü.  Concertmeister  nach 
Homburg,  dem  er  folgte.  Er  starb  zu  Homburg  im  J.  1811.  Seine  Conipo- 
sitioncn,  von  denen  nur  wenige  gedruckt  sind,  bestehen  in  einem  Passions- 
oratorium »der  Engel,  Mensch  und  Feind«,  in  mehreren  Messen  und  Motetten, 
30  Sinfonien,  40  Violin-,  15  Hörn-,  drei  Fagott-  und  je  einem  Oboe-  und 
Flötenconcert,  6  Doppelconcerten  für  zwei  Clarinetten,  vier  Ciaviersonaten  und 
einer  Menge  von   Solls  und  kleineren   Stücken  für  verschiedene  Instrumente. 

Gayl,  Johann  Conrad,  Musikalienhändler  zu  Frankfurt  a.  M.,  hatte  Ende 
des  18.  und  Anfangs  des  19.  Jahrhunderts  eine  der  grössten  Niederlagen  in 
ganz  Deutschland,  wie  seine  Kataloge  aus  den  Jaliren  1789,  1794,  1800  und 
1803  beweisen.  Diese  Kataloge,  welche  oft  sämmiiichc  Ausgaben  eines  Werkes 
aufweisen,  sind  wichtige  Nachschlagebücher  für  die  Musikliteratur  jener  Zeit 
geworden.  f 

Gazesch^v eller,  s.  Crescendozug. 

GazoD,  Louise  Rosalie  du,  s.  Dugazon. 

Ga/zauigii,    Giuseppe,   berühmter  italienischer  Opern-   und  Kirchencom- 
ponist,    gelieren    im  Oktober  1743  zu  Verona,    war   für  den  geistlichen  Stand 
bestimmt,  folgte  aber  in  seinem   17.   Jahre,  als  sein  Vater  gestorben  war,  offen 
seiner  Vorliebe    für   das  Mvxsikstudium.     Er   wurde  Musikschüler  Poi'pora's   in 
Venedig,    der    ihn    auch    mit    sich    auf    das  Conservatorium   San   Ouofrio    nach 
Neapel  nahm.    Dort  studirte  G.  bis   1767  und  dann  noch  drei  Jahi-e  bei  Piccini. 
Nach  Venedig  zurückgekehrt,    schloss  er  1770  Freundschaft  mit  Sacchini,    der 
auch  die  Aufführung  seiner  Erstlingsoper  -i^ll  finlo  ciecov.  in  Wien  vermittelte. 
Von   1776  an  bereiste  (1.  die  bedeutendsten  Städte  Italiens  und  compouirte  für 
dieselben  bis   1791   27   ernste  und  komische  Opern,  so:  »CeVce«,  y^Didonov^,  r>ldo- 
meneo«,   nJJou   GiovannU   u.  s.  w.     Im   letztgenannten    Jahre  wurde   er  Kapell- 
meister   an    der  Kathedrale  von   Crema  und  schrieb  seitdem  fast  nur  noch  für 
die  Kiixhe.    Sein  Todesjahr  ist  unbekannt;  im  J.  1813  war  er  noch  am  Leben. 
—    Seine  Opern  waren  geföllig  im  Sinne  seiner  Zeit;  eine  selbstständigere  und 
individuellere  Bedeutung  ist  aus  denselben  nicht  ersichtlich.     Die  königl.  säch- 
sische Bibliothek    besitzt    davon  an    Manuscript-Partituren :    «L'isola  d^Alcina», 
»La  loeandav-,    y^La  mofjlie  eapriccioswi,    y>La  rendemmiau,    »Xa  contessa  di  nuova 
luna<i    und    r>2l  cala/idronev.  .  Das    zuletzt    genannte  dreiaktige  Dramma  giocoiso 
befindet  sich  auch  unter  den  Manuscripten  der  k.  k.  Hofbibliothek  zu  Wien. 

Ga/zotti,  Lorenzo,  italienischer  Sänger  aus  Fano,  war  in  den  Jahren 
1670  bis  1680  seiner  Stimme  und  seiner  Kunstfertigkeit  wegen  in  Italien  hoch 
anerkannt  und  gefeiert. 

G-diir  (ital.:  Sol  marjcjiore^  franz.:  861  inajeiir,  engl.:  G  major),  eine  der 
am  häufigsten  angewandten  von  den  abendländischen  24,  oder  genauer  gesagt, 
13  Durarten  (s.  d.),  nennt  man  diejenige  derselben,  deren  Grundklänge  von 
dem  G    genannten  Tone  ab  nach  der  Durregel  (s.  Durtonlciter)  festgestellt 


G-dur. 


151 


werden.  Die  alphabetischen  Namen  der  Grundklänge  von  G.  eind  denen  der 
C-Durleiter  bis  auf  einen  gleich.  Der  in  C-dur  f  genannte  Klang  nämlich 
muss  in  G.  um  einen  Halbton  (s.  d.)  erhöht  und  dem  entsprechend  j^s  ge- 
heissen  werden,  wenn  man  der  eingebürgerten  Praxis  folgend,  der  leichtesten 
Kennzeichnung  der  in  G.  zu  verwendenden  Klänge  sich  befleissigt.  Hiernach 
ergeben  sich  als  Namen  der  Grundklänge  von  G. :  _^,  «,  ä,  c^,  d^,  e\  fis^  und  g^. 
Die  gleiche  alphabetische  Benennung  der  meisten  Grundklänge  in  C-  und  (x-dur 
lässt  vermuthen,  dass  die  gleichbenannten  Klänge  auch  stets  durchaus  gleich 
erklingen,  wie  das  Pianoforte  uns  dieselben  in  der  That  bietet.  In  der  mathe- 
matischen Feststellung  der  Grundklänge  beider  Durarten  ergeben  jedoch,  sowohl 
in  der  gleichschwebenden  wie  diatonischen  Folge,  die  Schwingungszahlen 
(s.  d.)  eine  merkliche  Abweichung  von  einander,  wie  beifolgende  Tabelle,  wenn 


Alpliabetische 

Benennung 

der 

Töne. 

Schwingungen  der  Töne  nach  dem  jetzigen 
Kammerton 

diatonisch 

gleichtemperirt 

relativ 

absolut 

relativ              absolut 

9^ 

2,000 

393,750 

2,000 

1,887 

393,750 

fis^ 

1,875 

369,140 

371,503 

e' 

1,677 

330,159 

1,681 

330,946 

cV- 

1,500 

295,312 
262,434 

1,498 
1,335 

294,918 

c» 

1,333 

262,828 

h 

1,250' 

246,093 

1,259 

247,865 

a 

1,125 

221,484 
190,875 

1,122 

220,893 

9 

1,000 

1,000 

196,875 

man  sie  mit  der  von  C-dur  vergleicht,  darlegt.  Dass  diese  wissenschaftlich 
festgestellten  Klangunterschiede  der  gleichbenannten  Töne,  wenn  auch  nur  ge- 
übteren Ohren  theilweise  vernehmbar,  in  der  Kunstausübuug  zuweilen  Berück- 
sichtigung finden,  z.  B.  bei  Darstellung  der  Klänge  durch  Streich-  oder  Blas- 
instrumente, lehrt  der  Fachausdruck,"  mit  dem  man  eine  den  wissenschaftlichen 
Anforderungen  sich  annähernde  Tongebungsart  bezeichnet:  der  Spieler  hat  eine 
reine  Intonation  (s.d.).  Die  reine  Intonation  in  G.,  noch  erschwert  durch 
die  wissenscliaftlich  darstellbaren  Klangunterschiede  der  gleichbenannten  Klänge 
in  den  in  sich  verschiedenen  diatonischen  und  gleichtemperirten  Leitern  der- 
selben, ist  leider  eine  durchaus  nicht  festbestirambare  abendländische  Kunst- 
eigeuheit.  Von  der  subjektiven  Begabung  des  Darstellers  und  Urtheilsbefähigung 
des  Hörers  abhängig,  vermag  sie  nur  instinktiv  beurtheilt  zu  werden,  da  die 
Tonverschiebungsgrenzen  ja  von  dem  Erkenntnissvermögen  bedingt  sind.  Diese 
Tonverschiebungsgrenzen  desselben  Klanges  sind  in  der  Mitte  der  durch  die 
Menschenstimme  darstelllmren  Tonregion  durch  die  Fähigkeit  des  Ohres  enger 
als  anderswo,  und  jedes  Produkt  dieser  Fähigkeit  fordert  in  der  Multii^lication, 
der  Octave,  die  gleiche  Darstellung.  Sind  nun  die  festen  Töne  (s.  d.)  einer 
Tonart,  die  in  der  Harmonie  (s.  d.)  sehr  häufig  Verwerthung  finden,  in 
engster  Grenze  erkennbay  und  werden  stets  in  derselben  geboten,  so  hat  da- 
durch die  Tonart  eine  scheinbare  Unwandelbarkeit  der  Elemente.     Diese  giebt 


152  0-dur. 

dem  Hörer  eine  Klarheit  im  Durchleben  eines  Kunstwerkes,  die  durch  die 
ebenso  geschätzte  Eigenheit  der  abendländischen  Musik,  die  in  diesen  Ton- 
regionen mögliche  vollendetste  Darstellung  des  gefühlten  Tones,  noch 
erhöht  wird  Dadurch  werden  den  sonst  in  den  Intervallen  gleichgebauten 
Tonarten  Unterschiede  zu  Theil,  die  man  früher,  die  Urbedingungen  nicht  be- 
achtend, glaubte  nur  ästhetisch  bestimmen  zu  können.  Die  Folgerungen  aus 
Obigem  lassen  sich  leicht  aus  den  in  den  Artikeln  i'^-dur,  (7-dur  etc.  aufge- 
stellten Sätzen  ziehen,  wenn  man  die  sogen.  Toncharakteristik  von  G.  gewissen- 
haft begründen  möchte.  Hier  kommt  noch  besonders  die  Lage  und  Wirkung 
des  der  Tonart  ö-dur  eigenen  semitonium  modi  (s,  d.),  ßs^,  in  Betracht. 
Dasselbe  wird,  an  der  Grenze  des  Tonreichs  liegend,  in  seiner  Leittoneigenheit 
sich  stets  in  scharfer  Stimmung  offenbaren  und  den  Dur-Eigenheiten  in  G. 
grossen  Eingang  verschaffen.  Auch  die  Aufiassungsweise  der  Tonarteneigen- 
heiten hat  ihre  Geschichte,  die  beachtet,  die  Erkenntniss  nur  läutern  kann. 
Nachdem  aus  den  Octavengattungen  der  Griechen  sich  Dur  und  Moll  die 
Alleinherrschaft  im  Abendlande  erkämpft  hatten,  führte  man  die  Kunstwerke, 
damals  noch  nur  Gesangstücke,  stets  in  einer  Tonhöhe  auf,  wie  sie  die  zu  Ge- 
bote stehenden  Sänger  gestatteten,  ohne  zu  beachten,  ob  durch  Veränderung 
des  Grundtons  eine  andere  Ausdrucksweise  sich  kund  that.  Die  darauf  statt- 
findende Einführung  der  Halbtöne,  die  späteren  Aufstellungen  verschiedener 
Temperaturen  und  selbst  Tonleitern  (die  Zeit  des  Chaos  in  dieser  Beziehung) 
haben  bis  über  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hin  kaum  hie  und  da  dem  Ge- 
danken Raum  gelassen,  der  im  alten  Griechenland  schon  eine  fast  penibel  zu 
nennende  Gestaltung  gefunden  hatte.  Die  Veränderung  der  Tonreiche  und  die 
Auswahl  nur  zweier  Octavgattungen  bewirkte,  dass  diese  Kunstbegriffe  als  ganz 
unanwendbar  im  Abendlande  allgemein  gefühlt  wurden.  Tongattungseigenheiten 
fand  man  zuerst  selbstredend,  doch  in  einer  andern  als  in  der  antiken  Passung. 
Die  sehr  vorgeschrittene  Instrumentalaüsbildung,  jedes  Tonwerkzeug  mit  eigenem 
Tonreich  und  eigenthümlicher  Klangfarbe,  machte  erst  Klangunterschiede  der 
Tonarten  bemerkbar,  welchem  Bemerken  man,  oft  durch  die  Klangfarben  der 
Töne  einzelner  Instrumente  mitbestimmt,  nur  glaubte  in  mystischer  Weise  ge- 
nügen zu  können,  indem  man  Gattungsgefühle  in  poetischer  Einkleidung  den 
Tonarten  beilegte.  Die  weitschichtige  Kunstauffassungsart,  erst  ganz  und  gar 
auseinandergehend,  fand  im  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  durch  stillschweigen- 
des TJebereinkommen  eine  festere  Form,  die  am  kürzesten  von  Schubart  in 
seinen  »Ideen  zu  einer  Aesthetik  der  Tonkunst«  p.  377  u.  ff.  gefasst  wurde. 
Diese  Zeit  kann  man  die  der  Blüthe  der  Charakterisirung  des  psychischen 
Ausdrucks  der  Tonarten  nennen.  Später  wurde  diese  Charakteristik  immer 
weniger  allgemein  hervorgehoben.  In  neuester  Zeit  findet  man  nur  noch  etwa 
von  jungen  Tonschöpfern  diese  Feststellungen  in  Ehren  gehalten,  die  überhaupt 
allen  möglichen,  die  Begeisterung  beeinflussenden  Momenten  Einwirkung  auf 
ihre  musikalische  Produktion  gestatten.  Er  möge  daher  die  Charakteristik  der 
Tonart  G.,  wie  sie  in  der  Blüthezeit  dieser  Kunstauffassung  stattfand,  hier  im 
Auszuge  folgen.  Schubart,  nachdem  er  allgemein  bestimmend  angeführt  hat, 
dass  jeder  Ton,  gekennzeichnet  durch  alphabetische  oder  alphabetisch-syllabische 
Benennung,  entweder  als  ungefärbt  oder  gefärbt  anzusehen  sei,  dass  ferner  die 
Kreuztöne  wilde  und  starke  Leidenschaften  malen,  sagt  speciell  über  G.: 
»Alles  Ländliche,  Idyllen-  und  Eklogenmässige,  jede  ruhige  und  befriedigende 
Leidenschaft,  jeder  zärtliche  Dank  für  aufrichtige  Freundschaft  und  treue  Liebe; 
mit  einem  AVorte,  jede  sanfte  und  ruhige  Bewegung  des  Herzens  lässt  sich 
trefflich  in  diesem  Tone  ausdrücken.  Schade !  dass  er  wegen  seiner  anscheinen- 
den Leichtigkeit  heut  zu  Tage  so  sehr  vernachlässigt  wird.  Man  bedenkt  nicht, 
dass  es  im  eigentlichen  Verstände  keinen  schweren  und  leichten  Ton  giebt; 
vom  Tonsetzer  allein  hängen  diese  scheinbaren  Schwierigkeiten  und  Leichtig- 
keiten ab.«  —  Umfangreichere  Ergehungen  über  dies  Thema  bieten  J.  J.  Wag- 
ner's  »Ideen  über  Musik«,  die  Leipziger  Allgem.  musikal.  Zeitung,  Jahrg.  1823 


Ge  — Gebauer.  153 

p.  715,  Schilling's  TJniversal-Lexikon  der  Tonkunst  und  andere  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  geschriebene  "Werke.  C.  Bill  er  t. 

Ge  nannte  Dan.  Hitzler  (gestorben  1635)  in  der  von  ihm  aufgestellten 
Tonbezeichnungsweise  (s.  Bebisation)  den  alphabetisch^  zu  nennenden  Klang. 

0. 

Gebauer,  eine  französische  Musikerfamilie,  von  welcher  vier  Brüder  sich 
über  den  engeren  Kreis  hinaus  ausgezeichnet  haben,  nämlich:  1)  Michel 
Joseph  G.,  ältester  Sohn  eines  Regimentsmusikers,  geboren  1763  zu  La  Fere 
im  Departement  der  Aisne,  erhielt  eine  treffliche  technische  Ausbildung  auf 
der  Violine  und  fast  allen  gangbaren  Blaseinstrumenten,  so  dass  er  schon  im 
14.  Lebensjahre,  als  sein  Vater  starb,  die  Sorge  für  dessen  Familie  übernehmen 
konnte ,  indem  er  als  Hautboist  in  die  Schweizergarde  zu  Versailles  trat.  In 
seinem  20.  Jahre  erhielt  er  die  Anstellung  als  Bratschist  der  königl.  Kapelle, 
nach  deren  Auflösung  er  1791  als  Oboist  in  die  Pariser  Natiönalgarde  kam. 
Im  J.  1794  als  Lehrer  an  das  neu  errichtete  Conservatorium  berufen,  musste 
er  1802  bei  Verringerung  des  Lehrerpersonals  wieder  ausscheiden,  wurde  dafür 
jedoch  Musikmeister  der  Consular-,  dann  der  Kaisergarde,  in  welcher  Eigen- 
schaft er  während  des  Feldzugs  1812  in  Russlaud  sein  Leben  verloi'.  Man 
kennt  von  ihm  als  im  Druck  erschienen:  Duos  für  zwei  Violinen,  Bratsche 
und  Violine  und  für  verschiedene  Blaseinstrumente;  ferner  Quartette  für  Flöte, 
Clarinette,  Hörn  und  Fagott,  über  200  Märsche  für  Harmoniemusik,  zum  Theil 
auch  für  Ciavier  arrangirt;  endlich  zahlreiche  Fantasien,  Variationen,  Potpourris 
über  Opernmelodien  u.  s.  w.,  theils  für  Militärmusik,  theils  für  das  Ensemble 
verschiedener  Instrumente.  —  2)  Frangois  ßetie  Gr.,  geboren  1773  zu  Ver- 
sailles, wurde  zuerst  von  seinem  Bruder  unterrichtet,  dann  von  Devienne  aus- 
gebildet. Im  J.  1788  Fagottist  der  Schweizer-,  trat  er  in  Folge  der  Revolution 
1791  in  die  Nationalgarde,  wurde  1795  gleichfalls  Lehrer  am  Conservatorium 
und  musste  1802  ebenso  ausscheiden.  Dafür  hatte  ihn  das  Orchester  der 
Grossen  Oper  schon  1801  aufgenommen,  und  er  blieb  bei  demselben  bis  1826. 
Ein  Jahr  vorher,  nach  Delcambre's  Abgang,  berief  man  ihn  abermals  als  Lehrer 
des  Fagotts  an  das  Conservatorium.  Zugleich  war  er  Kammermusiker  der 
kaiserl.,  später  königl.  Kapelle  bis  zur  Julirevolution  1830  und  seit  1814  auch 
Ritter  der  Ehrenlegion.  Er  starb  am  6.  Juli  1845  mit  dem  Ruhme,  einer  der 
grössten  Virtuosen  in  Bezug  auf  Technik  und  einer  der  fruchtbarsten  Com- 
ponisten  für  sein  Instrument  gewesen  zu  sein.  Man  kennt  von  ihm:  13  Fagott- 
Concerte,  Quintette,  Quartette,  Trio's  für  Blaseinstrumente,  Märsche  für  Har- 
moniemusik, Unmassen  von  Duos  für  Fagotts,  Flöten,  Clarinetten  u.  s.  w., 
endlich  Sonaten,  Solo's,  Uebungen  für  Fagott  und  andere  Blaseinstrumente 
und  eine  gute  Fagottschule. —  3)  Pierre  Paul  G.,  geboren  1775  zu  Versailles, 
ein  Hornvirtuose,  dessen  Ruf  ein  beschränkter  blieb,  da  er  in  noch  jungen 
Jahren  starb.  Er  hinterliess  20  Duos  für  zwei  Hörner.  —  4)  Etienne 
Frangois  G. ,  geboren  1777  zu  Versailles,  wurde  zuerst  ebenfalls  von  seinem 
ältesten  Bruder  unterrichtet,  dann  aber  auf  der  Flöte  von  Hugot  ausgebildet. 
Er  war  1801  zweiter  und  seit  1813  erster  Flötist  im  Orchester  der  Pariser 
Opera  comique,  das  er  1822  Kränklichkeits  halber  verliess,  um  wenige  Monate 
später  zu  sterben.  Veröffentlicht  hat  er:  Duette  für  Violinen,  für  Flöten,  zahl- 
reiche Fantasien,  Solos,  Variationen  u.  dgl.  für  Flöte,  Sonaten  für  Flöte  mit 
Bassbegleitung,  Variationen  für  Clarinette  u.  s.  w. 

Getaner,  Franz  Xaver,  ein  sehr  bemerkenswerther  deutscher  Tonkünstler 
und  Förderer  der  Musikübung,  geboren  1784  zu  Eckersdorf  in  der  Grafschaft 
Glatz,  wurde  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  unterrichtet  und,  jung  noch, 
als  Organist  in  Frankenstein  angestellt.  Im  J.  1810  besuchte  er  "Wien,  wo 
er  als  Virtuose  auf  der  Mundharmonika  und  als  Violoncellist  Aufsehen  machte, 
durch  angenehme  TTmgangsart  für  sich  einnahm  und  endlich  bewogen  wurde, 
ganz  zu  bleiben.  Er  wurde  noch  in  demselben  Jahre  Chordirektor  an  der 
Augustiner-Hofpfarrkirche,  hob  die  dort  sehr   gssunkenen  Musikzustände  euer- 


154  Gebel. 

gisch  und  gab  nebenbei  guten  Ciavierunterricht.  Zugleich  war  er  eines  der 
thätigsteu  Mitglieder  der  berühmten  Gesellschaft  der  Musikfreunde  und  be- 
gründete in  edlem  Kunsteifer  1819  die  vortreJlliclieu,  gegenwärtig  noch  be- 
stehenden CoHccrls  apiritaels,  welche  die  Meisterwerke  der  Vocal-  und  Instru- 
mentalmusik in  vollendeter  Art  zur  Aufführung  brachten.  Von  einer  Ver- 
gnügungsreise in  die  Schweiz  erst  spät  im  Herbst  und  krank  zurückgekehrt, 
starb  er  am  13.  Dccbr.  1822  zu  Wien.  Von  seinen  für  seine  Kirche  geschrie- 
benen Compositionen  fanden  sich  ein  grosser  Chor,  ein  Tantum  enju  u.  A. 
ungedrucki  in   seinem   Nachlasse. 

(wobol,  Greorg,  deutscher  Orgelvirtuose  und  Tonsetzer,  geboren  1685  zu 
Breslau,  war  der  Sohn  eines  IMusketicrs  und  sollte  Schneider  werden.  Im  J. 
1703  vei'liess  er  jedoch  seinen  Lehrherrn  und  liess  sich,  eifrig  Musik  treibend, 
von  dem  damals  berühmten  Organisten  Tiburtius  Winkler  und  dessen  noch 
tüchtigeren  Nachfolger  Krause  in  der  Musiktheorie  und  im  Orgelspiel  unter- 
richten, so  dass  er  1709  das  Organistenamt  an  der  Pfarrkirche  zu  Brieg  über- 
nehmen konnte,  wo  ihn  noch  der  nachmalige  Gothaische  Kapellmeister  Stölzel 
musikalisch  sehr  förderte.  Seit  ITlo  war  G.  als  Organist  in  Breslau  angestellt, 
zuletzt,  1750,  in  seinem  Todesjahre,  an  der  St.  Christophori-Kirche.  G.  war 
der  Erfinder  eines  Clavichords  mit  Viertelstöneu  und  eines  Claviercymbals  mit 
Manual,  Pedal  imd  sechs  Octaven  Umfang,  welche  Instrumente  zu  den  ver- 
schollenen zählen.  Als  Componist  trat  er  auf  mit  einigen  70  Choi'älen,  zwei 
Sammlungen  davon  untermischt  mit  Arien,  ferner  mit  fünf  Dutzend  Cantaten, 
zwei  Dutzend  Psalms,  einem  Passions-Oratorium,  einer  Sammlung  von  Kanons 
(darunter  einer  von  30  Stimmen),  einem  zweichörigen  Psalm,  einer  Messe  mit 
Orchester,  endlich  mit  zwei  Dutzend  Clavierconcerten,  vier  Dutzend  anderen 
Concert-  und  sonstigen  Tonstücken  u.  s.  w.  Eine  Selbstbiographie  G.'s  enthält 
Mattheson's  »Ehrenpforte«  auf  S.  407  u.  ff.  —  G.'s  ältester  Sohn ,  gleichfalls 
Georg  G.  geheissen,  wurde  am  25.  Oktbr,  1709  zu  Brieg  geboren  und  von 
seinem  Vater  frühzeitig  musikalisch  unterriclitet,  da  er  hervorstechende  Anlagen 
für  die  Tonkunst  zeigte.  Im  Violin-  und  Orgelspiel,  im  Generalbass  und  der 
Composition  gelangte  er  bis  zur  Meisterschaft  und  stand  seinem  Vater  als  Or- 
ganist zur  Seite,  bis  er  ein  gleiches  Amt  an  der  Kirche  Maria  Magdalena  zu 
Breslau  übernehmen  konnte.  Dort  schrieb  er  nebst  einer  grossen  Pestmessc 
viele  Kirchenstücke,  Sinfonien,  Trios,  Duos,  Concerte  für  Flöte,  Laute,  Gambe, 
Ciavier,  Violine  u.  s.  av.,  ausserdem  für  den  Herzog  von  Oels,  welcher  ihm  den 
Kapellmeistertitel  verliehen  hatte,  zwei  Jahrgänge  Kirchenmusiken  und  ausser- 
ordentlich viele  Kammermusiksaclien.  In  die  gräflich  Brüld'sche  Kapelle  zu 
Dresden  1735  gezogen,  erlernte  G.  das  Pantalonspiel  bei  dem  Erfinder  Heben- 
ötreit.  Im  J.  1747  wurde  er  fürstl.  rudolstädtischer  Concert-  und  Kapellmeister, 
und  er  schrieb  als  solcher  in  noch  nicht  sechs  Jaliren:  100  Sinfonien  und  viele 
Concerte  und  Solostücke  für  die  verschiedensten  Instrumente,  zwölf  Opern 
(»Medea«,  »Oedipus«,  »Tarquinius  Superbus«,  »Sophonisbe«,  »Marcus  Antonius« 
u.  s.  w.),  ferner  zwei  Passionsmusikeu,  Weihnachtscantaten,  vollstilndige  Kirchen- 
musik-Jahrgänge u.  B.  w.  Unter  einem  so  ungeheuren  Fleisse  litt  seine  Ge- 
sundheit, und  er  starb  am  24.  Septbr.  1752  zu  Budolstadt  an  einem  Nerven- 
schlage. —  Sein  jüngerer  Bruder,  Georg  Sigismund  G.,  war  zuerst  Unter- 
orgauist  aji  der  Haiiptkirche  St.  Elisabeth  in  Breslau,  dann  1748  Organist  an 
der  Trinitatiskii-chc  und  seit  1749  erster  Organist  an  St.  Elizabeth.  Als 
solcher  starb  er  1775,  nachdem  er  sich  auch  als  Componist  von  Präludien  und 
Fugen  für  Orgel  bekannt  gemacht  hatte. 

(liebel,  Franz  Xaver,  talentvoller  deutscher  Componist  und  Pianist,  ge- 
boren 1787  zu  Fürstenau  bei  Breslau,  erhielt  zuerst  Ciavierunterricht  und  zwar 
bei  seinem  Vater  und  studirte  später  Theorie  bei  Abt  Vogler,  seit  1806  Com- 
position bei  Albrechtsberger.  Im  J.  1810  wurde  er  Kapellmeister  am  Leopold- 
städtischen Theater  zu  Wien,  1813  am  städtischen  Theater  zu  Pesth  und  end- 
lich   in  Leraberg.     An    den    genannten  Bühnen  gelangten  Oj)ern  von  ihm  mit 


Gebhard  —  Gebohrte  Windlade.  155 

Beifall  zur  Aufführung.  Im  J.  1817  siedelte  G.  nach  Moskau  über  und  er- 
warb sich  neben  Field  eine  sehr  geachtete  Stellung  als  Lehrer  des  Pianoforte- 
spiels. Auf.  Veranlassung  des  letzteren  schrieb  er  auch  geschätzte  Claviercou- 
certe  u,  dgl.  Seine  übrigen  Compositiouen  bestehen  in  einer  Messe,  vier 
Sinfonien,  Ouvertüren,  vielen  Streichquartetten  und  Quintetten.  G-.  starb  im 
J.   1843  in  Moskau. 

(xebhard,  Johann  G-ottfried,  von  1784  bis  1790  Amtsactuarius  und 
Musikdirektor  am  Seminar  zu  Barby,  gab  im  Selbstverlage  eine  Ciaviersonate 
(1784)  und  eine  Sammlung  vermischter  kleiner  und  leichter  Ciavierstücke, 
nebst  einer  Zugabe  von  etlichen  Orgelstücken  (1.  Theil  1786,  2.  Theil  1788) 
heraus.  f 

Cirebhard,  Karl  Martin  Franz,  ein  deutscher  Gelehrter,  welcher  als 
ordentlicher  Professor  der  Theologie  um  1785  an  der  Universität  zu  Erfurt 
lehrte,  war  auch  in  der  Musik  wohl  bewandert.  Am  4.  August  1796  hielt  er 
an  der  kurfürstlichen  Akademie  zu  Mainz  eine  Vorlesung,  deren  Disposition 
Gerber  in  seinem  Tonküustlerlexikon  von  1812  giebt:  »von  den  Grenzen  der 
Musik,  in  Hinsicht  auf  die  ihr  zugeschriebene  Allgewalt  über  das  menschliche 
Herz«;  aucli  veranstaltete  G.  eine  neue  Ausgabe  des  AVeimar'schen  Clioralbuches 
(1803)  mit  von  J.  Ch.  Kittel  gesetzten  Grundbässen  und  einer  langen,  ziem- 
lich interessanten  Vorrede.  t 

Gebhardi,  Ludwig  Ernst,  verdienstvoller  deutscher  Musiker  und  Musik- 
pädagoge, geboren  1787  in  Nottleben,  besuchte  seit  1801  das  Erfurter  Gym- 
nasium, studirte  von  1809  bis  1812  Theologie  zu  Jena  und  erhielt  bald  darauf, 
da  er  ein  tüchtiger  Organist  und  Musikgelehrter  war,  die  Lehrerstelle  am 
königl.  Seminar.  Zugleich  Organist  an  der  Predigerkirche  iind  königl.  Musik- 
director,  starb  er  am  4.  Septbr,  1862  zu  Erfurt.  Als  Componist  wurde  ihm 
Incorrectheit  der  Schreibart  vorgeworfen,  jedoch  dürften  seine  zwei-,  drei-  und 
vierstimmigen  Schulgesänge  (2  Hefte),  sein  evangelisches  Choralbuch  nebst  In- 
tonationen, Vaterunser,  Eiusetzungsworteu  u.  s.  w.,  sein  grosses  Hallelujah  für 
gemischten  Chor,  seine  Orgelschule,  seine  Orgelpräludien  und  seine  in  mehreren 
Sammlungen  erschienenen  Orgelstücke  überhaupt  (etwa  40  an  der  Zahl)  der 
Beachtung  werth  sein.  G.'s  Hauj)twerk  ist  eine  treffliche  »Geueralbassschule, 
oder  vollständiger  Unteriücht  in  der  Harmonie-  und  Tousatzlehre  u.  s.  w.« 
(2  Bände),  die  sich  als  Unterrichtswerk  vielfach  bewährt  hat.  Von  dem  ersten 
Bande  derselben  erschien  (Brieg,  1866)  nach  G.'s  Tode  die  dritte  vermehrte 
und  verbesserte  Auflage. 

Gebhart,  Anton,  deutscher  Musikgelehrter  und  Kirchencomponist,  geboren 
1817  zu  Sonthofen  in  Baiern,  erhielt  den  ersten  Musikunterricht  von  seinem 
Vater,  einem  Schullehrer,  und  fand  weitere  Ausbildung  auf  der  lateinischen 
Schule  in  Kempten  und  seit  1833  auf  dem  Schullehrerseminar  zu  Dillingcn. 
In  letzterem  war  besonders  Anton  Schmid  sein  Lehrer,  dessen  Nachfolger  er 
1842  als  Organist  und  Musiklehrer  der  Anstalt  wurde-  Im  J.  1858  berief 
man  ihn  auch  zum  Chorregenten  an  der  Stadtpfarrkirche  Dilliugen's.  Ver- 
schiedene seiner  bei  ihrer  Aufführung  beifällig  aufgenommenen  Kirchenwerke 
sind  im  Druck  erschienen,  so  ein  Requiem,  eine  Messe,  ein  Stabat  mater,  Mi- 
serere, Pangue  lingua  u.  s.  w.  Auch  als  musikalischer  Schriftsteller  ist  er  in 
Heindl's  pädagogischem  Repertorium  und  in  der  Neuen  Müuchener  Zeitung 
(1850)  aufgetreten  und  gab  das  »Repertorium  der  musikalischen  Journalistik 
und  Literatur«  (4  Hefte,   1850  und   1851)  heraus. 

Gebläse  ist  der  Gesammtname  sämmtlicher  Bälge  der  Orgel.     S.  Orgel. 

Gebohrte  Windlade  ist  der  Fachname  derjenigen  Orgel-Windlade,  welche 
nicht  aus  Rahmenschenkeln,  sondern  aus  einer  sehr  starken  eichenen  Bohle 
besteht,  in  welche  die  Cancellen  hineingebohrt  werden.  Da  aber  das  trockenste 
und  gesundeste  Holz  mit  der  Zeit  Windrisse  erhalten  kann,  die  Durchstecher 
erzeugen,  so  sind  die  G.  "W.  als  untauglich  verworfen  und  durch  die  allgemein 
bekannten  Laden  gänzlich  verdrängt  worden. 


156  Gebrochene  Accorde  —  Gebundene  Dissonanz. 

Gebrochene  Accorde  (ital. :  Arpeggi)  nennt  man  solche  Accorde,  deren  Töne 
nicht  gleichzeitig,  sondern  nach  einander  angegeben  werden.  S,  auch  Ar- 
peggio. 

Gebrochene  Arbeit  nennen  ältere  Musikschriftsteller  die  Zerlegung  melo- 
discher Hauptnoten  in  allerhand  Figuren,  die  Figuration  oder  Colorirung  einer 
Melodie. 

Gebrochenes  Clayier  heisst  in  der  Orgelbaukunst  eine  Einrichtung,  welche 
die  blinden  Tasten  eines  Manuals,  die  aus  zwei  mittelst  eines  Gelenkes  ver- 
bundenen Theilen  bestehen  oder  mit  einer  anderen  wippenartigen  blinden 
Tastatur  zweckentsprechend  verbunden,  betrifft.  Diese  Einrichtung  wird  da 
angewendet,  wo  sie,  wenn  sie  durch  die  einfache  Claviatur  wirken  sollte,  zu 
lang  werden  würde  und  dadurch  leicht  schadhaft  werden  könnte  oder  eine  zu 
schwere  Spielart  im  Gefolge  hätte.  0. 

Gebrochener  oder  gekröpfter  Kanal  nennt  man  einen  solchen  Kanal  (s.  d.) 
in  der  Orgel,  der,  um  in  eine  andere  Richtung  verlegt  zu  werden,  in  kurzen 
Enden  von  der  geraden  Richtung  winklich  abweicht.  Diese  kui'zen  Enden, 
Knie  genannt,  sind  dem  Kanal  ähnliche  Röhren,  Kniestück  oder  Kropf- 
stück  geheissen,  die  etwas  weiter  gebaut  werden,  deren  Inneres  oft  zweckent- 
sprechend durch  Einlagen  abgerundet  ist  und  die  in  ihrer  Zusammenfüguug 
auf  das  Sorgfältigste  construirt  werden.  0. 

Gebrochene  Octave  beim  Orgelspiel,  s.  Orgel. 

Gebrochene  Parallelen  oder  Schleifen  nennt  der  Orgelbauer  zwei  Parallelen- 
theile,  die,  einer  Stimme  angehörig,  durch  einen  Zug  regiert  werden.  S.  Ge- 
brochene Register.  0. 

Gebrochene  Register,  auch  halbirte  oder  getheilte  genannt,  sind  solche 
Register  (s.  d.)  der  Orgel,  die  ein  getheilt  stehendes  Pfeifenwerk  eines  Re- 
gisters mittelst  eines  oder  zweier  Züge  öffnen.  Die  getrennte  Stellung  der 
Pfeifen  einer  Orgelstimme  ist  öfter  durch  Bescliaffenheit  der  Lade  gefordert, 
und  stehen  dann  gewöhnlich  die  Diskantpfeifen  auf  einer  und  die  Basspfeifen 
auf  einer  andern  Lade  (s.  d.),  zuweilen  auch  gemäss  anderen  Anforderungen. 
Die  Behandlung  so  gestellter  Pfeifen  durch  zwei  Züge,  von  denen  der  eine 
dann  zur  rechten,  der  andere  zur  linken  Seite  des  Spielers  befindlich,  wie  deren 
innere  Construktion,  ist  eine  einfache  Register  führung  (s.  d.).  Einen  Zug 
jedoch,  der  ein  G.  führt,  zu  behandeln  wie  zu  construiren,  ist  schwieriger.  Die 
Behandlung  desselben  bedingt,  dass  man  die  zwei  Gebrauchstellungen  desselben 
kennt  und  diese  nach  seinem  Verlangen  regiert.  Die  Construktion  desselben, 
durch  eine  eigene  Koppelung  (s.  d.)  bewirkt,  ist  je  nach  den  örtlichen  Ver- 
hältnissen verschieden,  weshalb,  da  selbst  die  genaueste  Beschreibung  einer  der- 
selben nicht  einen  TT  eberblick  gewährt,  in  dieser  Beziehung  auf  das  Studiren 
derselben  in  der  Praxis  verwiesen  werden  muss.  0. 

Gebrochene,  geschränkte,  gefächweifte  oder  getheilte  Wellen  heissen  in 
der  Fachsprache  der  Orgelbauer  "Wellen  (s.  d.),  die  nicht  einfach  gebaut  sind, 
sondern  die  deren  zwei  oder  drei  erfordern,  um  eine  Orgelstimme  zu  offnen.  Die 
Beinamen  sind  von  der  Construktion  der  Wellen  abhängig.  Diese  Einrichtung 
der  Orgel  ist  durch  die  örtliche  Aufstellung  der  Orgelpfeifen  bedin.t?t,  indem 
eine  weite  Entfernung  oder  eine  seitliche  Stellung  derselben  zu  lange  Abstrakten 
ei'forderte  und  dadurch  eine  zu  schwere  Spielart  erzeugte,  oder  die  Regierung 
mittelst  gerader  Abstrakten  unmöglich  macht.  Ueber  Construktion  und  Zu- 
sammenhang sehe  man   den  Artikel  Wellatur.  0. 

Gebunden  (ital.:  legato,  franz.:  lic),  s.  Ligatur  und  Bogen  (als  Schiüft- 
zeichen). 

Gebundenes  Clayier  nennt  man  ein  solches,  das  für  mehre  Töne  nur  ein 
Saitenchor  besitzt.  Der  Ausdruck,  geschichtlich,  wurde  in  der  früheren  Zeit 
des  Clavier.s  (s.  d.)  nur  gobrauclit  und  ist  seitdem  verschwunden.  0. 

Gebundene  Dissouanx    nennt    man    eine  solche  vorbereitete  Dissonanz,    die 


Gebundene  Schreibart  —  Gedackt.  157 

nur  in  der  vorbereitenden  Consonanz,  nicht  dann  aber  weiter  als  Dissonanz  von 
Neuem  angegeben,  sondern  nur  ausgehalteu  werden  soll. 

Gebuudeue  Schreibart  nennt  man  den  Styl,  in  welchem  Vorhalte  und 
andere  Bindungen  häufig  angewendet  und  alle  Dissonanzen  auf  regelrechte  Art 
voi'bereitet,  gebunden  und  aufgelöst  werden.     Näheres  unter   Styl. 

Gebundene  Yioliue  nannte  man  in  früherer  Zeit  eine  bei  Schülern  ange- 
wandte Veränderung  der  Saitenstimmung  der  Violine.  Diese  Veränderung  be- 
wirkte man  durch  ein  um  Saiten  und  Hals  des  Instruments  fest  gebundenes 
Band,  das  die  Mensur  der  Saiten  verkürzte  und  die  Stimmung  derselben  um 
eine  grosse  Terz  erhöhte.  Grund  dieser  TJnterrichtsart  war,  den  Schüler  in 
den  höheren  Lagen  eine  Sicherheit  zu  verschaffen  und  in  denselben  einen  schar- 
fen Bogenstrich  von  vornherein  zu  erzielen.  0. 

Gedackt,  früher  auch  häufig  Gedakt  oder  Gedact  geschrieben,  ist  ein, 
wahrscheinlich  durch  Aufnahme  der  schwäbischen  Aussprache  von  gedeckt 
(s.  d.)  in  die  Schriftsprache  entstandener  Ausdruck,  der  als  Gattungsname  für 
eine  Klasse  von  Orgelstimmen  gebraucht  wird.  Diese  Stimmen  baut  man  in 
den  verschiedensten  Grössen  und  findet  oft  mehrere  derselben  in  einem  Werke, 
ja  nicht  selten  in  jedem  Manuale  und  im  Pedal  derselben  Orgel,  wovon  dann 
eine  selbst  als  Grundstimme  (s.  d.)  betrachtet  wird.  Je  nach  der  Grösse 
der  Stimme  oder  deren  Klangweise  erhält  dieselbe  den  Namen  G.  mit  einem 
entsprechenden  Zusatz  oder  einen  Eigennamen  als  Artbeneunung.  Demgemäss 
findet  man  für  grössere  G.-Stimmen  die  Benennungen:  Untersatz  (s.  d.), 
Subbass  (s.  d.),  Grosssubbass  (s.  d.),  Contrabass  (s.  d.)  u.  dgl.,  und  für 
nach  ihrer  Mensur  oder  Intonation  benannte  die  Namen:  Grobgedackt  (s.  d.), 
Stillgedackt  (s.  d.),  Kleingedackt  (s.  d.)  etc.  Andere  wenden  für  ganz 
gleich  gebaute  Stimmen  durchaus  verschiedene  Namen  an.  So  findet  man  oft 
bei  Einem  Stillgedackt  benannt,  was  der  Andere  durch  Kleingedackt 
bezeichnet,  und  noch  ein  Anderer  Musicirgedackt  oder  Humangedackt 
nennt.  Sämmtliche  G.  zu  nennende  Arten  der  Oi'gelstimmen  gehören  zu  den 
Plötenregistern  (s.  d.)  und  führen  demgemäss  nur  Labialpfeifen  (s.  d.). 
Von  den  Pfeifen  werden  gewöhnlich  die  der  grösseren  Register  aus  Kiefern- 
oder Fichtenholz,  die  der  mittleren  aus  Zinn,  und  die  der  kleineren  aus  Eichen-, 
Birnbaum-,  Buchsbaum-,  Kirschbaum-,  Pflaumenbaum-  oder  anderem  harten 
Holz  gefertigt.  Die  Wahl  des  Materials  unterliegt  keinem  Gesetze,  Eine 
hölzerne  G.-Pfeife  erhält  gewöhnlich  einen  runden,  röhrenartig  geformten,  in 
den  Pfeifenstock  (s.  d.)  befestigten  Puss  (s.  d.),  der  in  einen  Windkasten 
(s.  d.)  nebst  Vorschlag  (s.  d.),  welcher  mit  Schrauben  befestigt  wird,  führt. 
Beide  letztgenannten  Pfeif  entheile  bilden  die  Licht  spalte  (s.  d,).  Oberhalb 
dieser  Theile  erhebt  sich  der  Pfeifenkörper,  viereckig  oder  rund  geformt,  mit 
seinem  Labium  (s.  d.)  und  einem  hohen  Aufschnitte  (s.  d.).  Gedeckt  wei-- 
den  solche  Pfeifen  mittelst  eines  Stöpsels,  der  nach  Ermessen  höher  oder  tiefer 
in  der  Bohre  gestellt  werden  kann.  Die  Stellung  des  Stöpsels  bewirkt  die 
Tonhöhe.  Eine  metallene  gedeckte  Pfeife  unterscheidet  sich  von  der  rund  ge- 
bauten hölzernen  hauptsächlich  durch  den  die  Deckung  bewirkenden  Theil. 
Dieser  gleicht  einem  Hute  (s.  d.),  der  in  Deutschland  in  seinem  übergreifenden 
Rande  mit  weissem  Leder  gefüttert,  in  Frankreich  jedoch  nur  mit  einer  weichen 
Papierzwischenlage  versehen  wird.  Der  Hut  bewirkt  nach  seiner  Stellung  die 
Tonhöhe.  Die  akustische  Wirkung  der  Deckung  einer  Schallröhre  ist  in  dem 
Artikel  Akustik  (s.  d.)  ausführKcher  besprochen.  Hier,  um  nur  diese  Wirkung 
ins  Gedächtniss  zurückzurufen,  mag  bemerkt  werden:  dass  die  wirkliche  Länge 
der  Tonröhre  der  grössten  Pfeife  eines  G.-Registers  stets  doppelt  so  lang  an- 
gegeben werden  muss,  als  sie  in  der  That  ist,  da  deren  Ton  um  eine  Octave 
tiefer  erklingt,  als  der  einer  gleich  langen  offenen  Labialpfeife.  Wie  reichhaltig 
die  Benennung  der  G.-Arten  ist,  nw-g  folgende  Aufzeichnung  einiger  oben  noch 
nicht  angeführter  Namen  beweisen.  Gross- Gedacktbass,  10  M.;  Pileata 
maxima,  10  M.;  Gross-Untersatz,  10  M.;  Majorbass,  10  M.;  Gedackt- 


158  Goflacktbass  —  GedüiTipft 

bass,  5  M.;  Plicata  major,  5  M.;  Bordun,  5  und  2,5  M.;  Sanft-,  G-e- 
linde-,  Musik-,  Kammer-  und  Lieblich-Gedackt,  2,5  BI.;  Gedackt- 
flöte,  2,5  M.;  Barem,  2,5  M.;  Gedacktquinte,  1,67  -  0,83  -  und  0,41  M.; 
Mittel-Uedackt,  1,25  M;  Fileata  minor,  1,25  M.;  GedacktflÖte  oder 
Flöte,  0,G  M.  und  Gedackt  oder  auch  wohl  Bauern  flöte  0,3  M.  genannt, 
sind  nicht  selten  vorkommende  Namen.  Was  nun  diese  Benennungen  anbe- 
trifft, so  wie  die  mehr  oder  minder  feststehenden  Gesetze,  nach  denen  die  ver- 
schiedenen G. -Register  gebaut  zu  werden  pflegen,  so  sehe  man  die  besonderen 
Artikel  nach.  —  Den  einfachen  Namen  (^edackt  gebrauchte  man  früher  haupt- 
sächlich für  eine  1,25  metrige,  zuweilen  auch  Barem  gchcissene  gedeckte  Flöten- 
stimme, deren  Pfeifen,  von  C  bis  h  aus  Kiefernholz  und  von  c^  ab  aus  Zinn 
gefertigt,  nach  dem  Ermessen  des  Pertigers  in  Mensur  und  Intonation  dem 
Werke  gemäss  gebaut  wurde.  Ebenso,  oder  auch  wohl  schlechtweg  Flöte  und 
in  kleinster  Bauart,  Bauernilöte,  nannte  man  5-,  2,5-,  0,6-  und  0,3 metrige 
gedeckte  Flötenstimmen  aus  Zinn,  von  enger  Mensur  und  sanfter  Intonation. 
In  neuester  Zeit  ist  die  Benennung  G.  umgekehrt  mehr  für  die  Stimmen  von 
den  grösseren  Maassen  gebräuchlich.  C.  B. 

(iadacktbass  nennt  man  eine  5  metrige  gedeckte  Flötenstimme,  deren  Pfei- 
fen, meist  aus  Kiefernholz  gefertigt,  in  ihrer  Mensur  sehr  verschieden  gebaut 
werden.  Auch  die  Quantität  wie  Qualität  des  Klanges,  so  wie  die  Stellung  — 
Pedal  oder  Manual  —  dieses  Orgelregisters  ist  fast  so  vielfach,  wie  dasselbe 
überhaupt  vorhanden  ist,  so  dass  man  nur  als  feststehende  Eigenheit  des  G. 
es  bezeichnen  kann;  dass  er  eine  fünf  Meter  grosse  gedeckte  Flötenstimme  ist. 

0. 

Oedacktflöte  oder  auch  nur  Flöte  nannte  man  vorzüglich  eine  gedeckte 
Flötenstimme  der  Orgel  von  0,6  Meter  Grösse,  die  aus  Metall  gebaut  wurde 
und  deren  Pfeifen  eine  enge  Mensur  und  sanfte  Intonation  erhielten.  Man 
findet  jedoch  diesen  Namen  auch  für  sanftklingende  Stimmen  in  Gebrauch,  die 
5  oder  2,5  oder  1,25  Meter  gross  gebaut  sind.  Alle  diese  Stimmen  erhalten  in 
neuester  Zeit  meist  den  Namen  Gedackt  (s.  d.).  —  Ebenso  benennt  man 
auch  eine  2,5  Meter  gross  gebaute  Manualstimme  aus  Kiefernholz.  0. 

Gredacktflöteucüormaass  und  Unterchormaass  sind  ältere  Orgelstimmennamen, 
die  mit  den  Tönen  der  Menschenstimme  in  Beziehung  gedacht  wurden.  Die 
Töne  der  2,5  metrigen  Octave  bezeichnete  man  als  das  Chormaass  habende, 
und  nannte  demgemäss  eine  so  grosse  gedeckte  Flötenstimme  G.  —  Unter- 
chormaass war  der  Name  einer  gleichen  5  metrigen  Stimme  der  Orgel.        0. 

(xedackt-rommer,  eine  auch  unter  der  Benennung  Bombard  (s.  d.)  ge- 
führte Orgelstimme,  ist  ein  gedecktes  Rohrwerk  von  2,5  oder  5  Meter  Grösse, 
das  vorzüglich  im  Pedal  geführt  wurde.  Es  hatte  einen  sanfteren  Ton  als  die 
Posaunen  und  entstand,  indem  man  der  Orgel  den  Klang  des  veralteten  Ton- 
werkzeugs: Brummer  oder  Basspommer,  das  den  Bass  zu  den  Schalmeien 
abgab,  einzuverleiben  sich  bemühte.  Dass  dieser  Orgelregistername  nicht  all- 
gemein für  ähnlich  gebaute  Orgelstimmen  gebraucht  wurde,  beweist,  wie  Ad- 
lung  berichtet,  die  Görlitzer  Orgel.  Nach  Boxberg's  Beschreibung  derselben 
findet  sich  in  derselben  eine  G.  geheissenc  Stimme,  die  ein  starkes  Quinta- 
tön  (s.  d.)  ist.  0. 

(ledacktqnintc,  eine  1,67,  0,83  oder  0,41  Meter  grosse  gedeckte  Flöten- 
stimme, findet  man  in  vielen  Orgeln,  aus  Kiefernholz  gefertigt.  In  Mensur 
und  Intonation  sind  die  Pfeifen  der  so  genannten  Stimme  jedoch  sehr  ver- 
schieden, da  jeder  Orgelbauer  dieselben  nach  seinem  Ermessen  dem  zu  schaffen- 
den Werke  anpasst.  Die  grössere  G.  findet  man  bei  grösseren  Orgeln  meist 
im  Manual,  bei  kleineren  im  Pedal.  0. 

(Tredacktrosral,  s.  Regal. 

Oedämpn  heisst  ein  Klang,  dessen  natürliche  Stärke  oder  Dauer  vermin- 
dert ist.  Die  Sordinen  (s.  d.)  bei  Geigen,  Trompeten  u.  s.  w.  massigen  die 
Klangstärke;    der    Dämpfer    (s.    d.)    am    Pianoforte    verkürzt    die    Dauer    des 


Getlämpftregal  —  Gedanke.  159 

Klanges,  sobald  er  zur  Yerhinderung  des  Nachklanges  auf  die  Saite  niederge- 
lassen wird.  Man  braucht  den  Ausdruck  mitunter  auch  für  einen  Vortrag,  in 
welchem  nur  gemässigte  Klangstärke  angewendet  wird. 

Gedjimpftregal,  s.  Regal. 

tredauke.     Man    nennt    in    der  Musik   »Gedanken«    die    kleinsten  Glieder, 
aus  denen  ein  Tonstück  sich  zusammenfügt.    Dies  beruht  auf  Folgendem.    Ein 
Musikstück    ist    gleichsam    ein    organisches   Gebilde,    welches    sich    aufbaut  aus 
unzähligen    einzelnen    Theilen,    deren    jeder  wiederum  ein   kleines  Ganzes,    ein 
kleiner  Organismus  ist.     Die  musikalischen  Kunstwerke  gleichen  in  dieser  Be- 
ziehung sehr  genau  den  sprachlichen,  den  literarischen  und  dichterischen.    Ein 
Aufsatz  z.  B.  lässt  sich  ebenfalls  in  solche  kleinste  Theile,  kleinste  Ganzheiten 
zerlegen,  in  die  einzelnen  »Gedanken«  nämlich,  die  sich  durch  die  logische  oder 
poetische  Idee  des  Ganzen    zu  einem  Gesammtorganismus  verknüpfen.     Wegen 
dieser  Aehnlichkeit  nennt  man  in  tonischen  Kunstwerken  die  kleinsten  Glieder 
ebenfalls  »Gedanken«.     Ein    zweiter  Grund    zu   dieser  Benennung  liegt  in  der 
Aehnlichkeit,  dass  sprachliche  sowohl  wie  musikalische  Gedanken  ihrem  Inhalte 
nach  etwas  Geistiges  darstellen.     Der  Sprachgedanke  repräsentirt  einen  Ver- 
standesinhalt,  der  Tongedanke  einen  Gefühlsinhalt;   beide  fliessen  also  aus  den 
Sphären    unseres    geistigen  Lebens    hervor.    —    Bei  Betrachtung  des  letzteren 
Umstandes    tritt  eine  Frage  nahe,    die  zu  den  wichtigsten  und  tiefgreifendsten 
der  musikalischen  Aesthetik  gehört,  ja,  man  könnte  sagen,  die  allei-bedeutungs- 
vollste  dieser  Wissenschaft  ist,  da  sie  die  Wesenheit  der  Musik  überhaupt  an- 
belangt;   es  ist  die  Frage:    »drückt  die  Musik  ausser  tonischen,    also  Gefühls- 
gedanken,   auch    eigentliche    Gedanken,    Yerstandesgedanken ,    wirklich    Ge- 
dachtes,   nicht    nur  Gefühltes,    oder    mit    anderen   Worten:    Objektives, 
Begriffliches    aus?«     Dies    ist    die  Frage,    welche    die    ästhetische  Wissenschaft 
noch  stark  beschäftigt,  über  welche  unter  den  Künstlern  manche  und  oft  weit- 
gehende Meinu,ngsverschiedenheiten  herrschen;  es  ist  aber  namentlich  die  Frage, 
welche    als    die    brennendste  von  Dilettanten  unzählige  Mal    aufgeworfen  wird; 
denn  diese,  sofern  sie  ein  höheres  Interesse  an  der  Musik  nehmen,   haben  das 
entschiedenste  Verlangen,    die  Werke  dieser  Kunst  nicht  blos  mit  den   Sinnen 
und    mit    dem    absoluten  Gefühl,    sondern    auch    mit  dem  Geiste  zu  erfassen, 
das    sogenannte  »Verständniss«    für    dieselben    zu    gewinnen.     Bei  diesem  Ver- 
langen   nach  »Verständniss«    setzen    sie    unwillkürlich    die   Mitbethätigung    des 
»Verstandes«    dabei    voraus.      Daher    interessirt    sie    natürlich    vorwiegend    die 
Frage*,  ob  für  die  Auffassung  durch  den  Verstand  auch  wirklich  der  geeignete 
Stoff,    nämlich  wirklich  Verstandesgedanken,    Begriffliches,   in  der  Musik  ent- 
halten sei.  —  Dieser  Punkt,  dessen  gründlichste  und  umfassendste  Erörterung 
allerdings    ein    weitausgeführtes  Kapitel    ausmachen  müsste,    sei  hier  in  Kürze 
möglichst    klar    beleuchtet.     Und    zwar    sei    er  zunächst   in  Beziehung  auf    die 
reine  Musik,    d.  i.    auf   die    absolute  Instrumentalmusik,    die    sich   jeder  Ver- 
schwisterung  mit  dem  Wort  enthält,  die  also  weder  einen   Text  (Vocalmusik), 
noch    eine    begriffliche  Ueberschrift    (Programmmusik)    zu   ihren  tonisclien  Ge- 
bilden   hinzuzieht,    betrachtet.    —    Die    entsprechende  Ausdrucksform  für  »Ge- 
dachtes« ist  einzig  und  allein  die  Sprache,  das  Wort,  oder  solche  Bezeichnungen, 
die    die  Stelle    der  Wortsprache  vertreten  können,    also  die  Gebehrdensprache, 
Fingersprache    der    Taubstummen,    Blumensprache  u.  a.     Diese   letzteren    sind 
sogenannte  conventioneile  Ausdrucksmittel,  bei  denen  in  Folge  äusserer  TJeber- 
einkunft  ein  bestimmtes  Zeichen  für  einen  bestimmten  Gegenstand  oder  (be- 
danken   gesetzt    wird,    wo    also  das    natürliche  Wort  durch  eine  künstliche, 
angenommene  Bezeichnung  ersetzt  wird.     Die  Musik  nun  hat  als  Ausdrucks- 
mittel den  Ton,  welcher  an  und  für  sich  durchaus  unfähig  ist,  einen  Gedanken, 
ein  Begriffliches    auszudrücken,    der  vielmehr  die  entsprechende  Ausdrucksform 
für  das  Gefühl,  für  einen  Gemüth.sinhalt,  und  nur  für  einen  solchen  ist.     Dies 
wird  den  Kunstfreunden    durch    blosses  Anhören  von  Musik  bereits  klar.     Da 
ihnen    aber    der   Ton    an    und    für   sich    eben    nichts  Begriffliches  sagt,    nichts 


IGO 


Gedanke. 


Gegenständliches  erzählt,  so  hegen  viele  Dilettanten  den  Glauben,  dass  unter 
den  Leuten  von  Fach  eine  gewisse  geheime  Kenntniss  existire,  derzufolge  man 
aus  den  Tönen  ausser  Gefühlen  auch  objektive  Gedanken  herauszulesen  ver- 
möge, dass  also  der  Ton  gleichsam  als  Hieroglyphe,  als  symbolische  Schrift 
für  einen  (ledankeninhalt  zu  betrachten  sei.  Dies  beruht  aber  auf  einer  Täu- 
schung. Denn  da  der  Ton  an  und  für  sich  kein  (Jedankenausdruck  ist,  so 
könnte  er  es  nur  durch  Convention,  durch  äussere  willkürliche  Verab- 
redung werden;  eine  solche  existirt  aber  nicht,  und  wenn  sie  existirte,  so 
würde  sie  das  Wesen  der  Musik  vollständig  verdrehen  und  aufheben;  das  natür- 
liche Ausdrucksmittel  würde  zu  einem  künstlichen  erniedrigt  und  verunstaltet; 
und  während  der  Ton,  als  natürliches,  den  vollkommensten  und  unvergleichlich 
schönen  Ausdruck  unseres  Gefühlslebens  bewirkt,  so  würde  er,  zur  Zeichen- 
sprache für  den  Gedanken  verwendet,  nichts  erreichen,  als  dasjenige  höchst 
unvollkommen  auszudrücken,  was  die  Poesie  allein  vollkommen  aussprechen 
kann.  —  Dieser  Auseinandersetzung  zufolge  scheint  nun  jeglicher  Gedanken- 
inhalt aus  der  Musik  verwiesen.  Gleichwohl  ist  die  allgemeine  und  eifrige 
Nachfrage  der  Dilettanten  nach  einem  solchen  keine  unmotivirte  Erscheinung, 
sondern  gründet  sich  auf  ein  richtiges  (lefühl.  Sie  berulit  nämlich  auf  der 
Wahrnehmung,  dass  (iefühle,  gänzlich  ohne  Mitwirkung  von  (bedanken,  nicht 
vorhanden,  und  auch  nicht  denkbar  sind.  Es  ist  klar,  dass  unser  Gemüths- 
leben  nicht  die  Entwicklung  nehmen  würde,  die  es  in  Wirklichkeit  nimmt,  ja, 
dass  ein  eigentliches  Gemütlisleben  gar  nicht  existiren  würde,  wenn  nicht  unser 
Bewusstsein  und  die  Thätigkeit  der  Denkkräfte  aufs  Innigste  an  ihm  theil- 
nähmen,  aufs  Entschiedenste  in  dasselbe  hineinwirkten.  Hieraus  folgt  aber, 
dass  die  Musik,  die  ja  Darstellung  des  Gefühlslebens  ist,  einen  gewissen  (ire- 
dankeninhalt  nothwendigerweise  mitenthalten  und  zum  Ausdruck  bringen  müsse. 
Dieser  Schluss  erweist  sich  auch  in  der  Wirklichkeit  als  richtig.  Jedoch  — 
und  hierauf  ist  der  Nachdruck  zu  legen  —  eben  nur  der  Gedanke,  der  mit  dem 
reinen  Gemüthsleben  in  Verbindung  steht,  der  aus  dem  Gemüthsleben 
selber  entspringt,  und  sich  innerhalb  desselben  bewegt,  muss  und  kann 
in  der  Musik  eine  Stelle  finden,  nicht  aber  der  Gedanke,  der  in  die  äussere  Welt 
der  Gegenstände  hinausschweift,  und  von  daher  Vorstellungen  und  Heflexionen 
lierbeiholt,  die  mit  dem  reinen  Gefühlsleben  gar  nichts  zu  thun  haben,  —  Ein 
Beispiel  aus  der  Beetlioven'schen  0-moUS'mfonie  möge  das  hier  Erörterte  an- 
scliaulich  machen.  Der  erste  Satz  dieser  grossartigen  Tonschöpfung  zeichnet 
in  den  bestimmtesten  und  gewaltigsten  Zügen  einen  Kampf  der  Gefühle,  einen 
Zustand  tiefen  Unglücks,  gegen  welches  das  Gemüth  sich  emporzuringen  strebt. 
Man  lenke  nun  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  Stelle  dieses  Satzes.  Im  52. 
Takt  erreicht  die  aufgeregte  Stimmung  zum  ersten  Mal  einen  Höhepunkt,  sie 
steigert  sich  bis  zu  wilder  Verzweiflung;  hier  bricht  der  Tonstrom  ab  —  ein 
einzelner,  höchst  energischer  Accordschlag  ertönt  —  und  darauf,  in  vollständi- 
gem  Umschwung  der  Stimmung,  erklingt  ein  freudiges  und  muthvolles  Horn- 
motiv.     In  folgenden  Noten  ist  die  Skizzirung  der  Stelle  gegeben: 


Allegro 


con 


Volles  Orchester. 


Ill*=f*f 


it*si^igii&^ 


i?^rr?frE}^^g="rii^j 


tt=^g 


^ 


Gedeckt. 


161 


Hörner 


fe=^ 


P^=^ 


t£j2: 


3^^: 


|g=I^ 


•/. 


Die  "Wendung  ist  höchst  überraschend;  der  Abbruch,  der  vereinzelte  Accord, 
die  totale  Verwandlung  der  Stimmung:  das  Alles  giebt  beim  Anhören  unwill- 
kürlich zu  denken,  regt  die  Frage  an:  Wie  ist  diese  Combination  zu  begreifen? 
welches  ist  die  Ursache  dieser  plötzlichen  abrupten  Erscheinungen?  Und  man 
fühlt,  dass  diese  Ursache  nicht  aus  dem  blossen  unmittelbaren  Grefühl  herzu- 
leiten, sondern  in  einer  Mitwirkung  der  Gedankenthätigkeit  zu  suchen  ist. 
Die  Erklärung  der  Stelle  ist  einfach  folgende:  der  bis  zur  höchsten  Heftigkeit, 
bis  zum  Unerträglichen  gesteigerte  Seelenschmerz  regt  die  Willenskraft  auf, 
dem  Schmerz  mit  ganzer  Macht  entgegenzutreten:  jener  eine,  höchst  gewaltige 
Accord  ist  dieses:  »Ich  will!  Ich  will  mich  aufraffen,  will  den  Schmerz  ab- 
werfen, ich  will  grösser  sein  als  mein  Schmerz!«  Und  dieser  eine  machtvolle 
Willensmoment  schlägt  in  der  That  die  Uebergewalt  des  Schmerzes  nieder,  die 
Seele  gewinnt  ihre  Kraft,  ihre  Freiheit,  und  aus  dem  Grefühl  dieses  Sieges 
quillt  ihr  sufort  Freude  und  Lebensmuth  wieder  hervor.  —  Dieses  Beispiel 
mag  erweisen,  dass,  und  in  welcher  Weise,  in  den  Gefühlsschilderungen  der 
Musik  der  Gedanke  mitenthalten  ist.  —  Wie  eben  aufgezeigt  worden,  so  ist  der  in 
der  Tonkunst  enthaltene  Gedanke  rein  innerlicher  Natur;  er  ist  nur  auf  das 
eigne  Gemüthsleben  gerichtet,  bewegt  sich  lediglich  in  der  Sphäre  der  die  Seele 
erfüllenden  Empfindungen.  Die  reine  Instrumentalmusik  giebt  also  ausschliess- 
lich reine  Seelengemälde,  d.  i.:  durchaus  Lyrisches,  Subjektives,  Will 
nun  aber  die  Musik  auch  den  objektiven  Gedanken  und  die  objektive  Welt 
der  Gegenstände  mit  in  ihr  Bereich  ziehen,  so  vermählt  sie  sich  zu  diesem 
Behufe  mit  dem  Wort,  denn  nur  dieses  spricht  objektive  Gedanken  und  Be- 
griffe aus;  so  entsteht  die  Textmusik  und  die  Programmmusik.  Hier  verändert 
sich  natürlich  die  Aufgabe  der  Tonkunst;  sie  besteht  nunmehr  darin,  das  in 
dem  Texte  oder  der  Ueberschrift  Gesagte  oder  Angedeutete  in  Tönen  lebendig 
auszuführen.  Wie  aber  kann  dies  geschehen,  da  doch  durch  Töne  nicht  Ge- 
danken und  Gegenstände,  sondex'n  nur  Gefühle  ausgedrückt  werden  können? 
Es  geschieht  eben  in  der  Weise,  dass  die  mit  den  Gedanken  verknüpften  Ge- 
fühlsmomente von  der  Musik  dargestellt  werden.  Wenn  in  der  Oper  »Don 
Juan«  Leporello  zu  singen  beginnt:  i>NoUe  e  fjiorno  faticarvi  (»Keine  Huh'  bei 
Tag  und  Nacht«),  so  wird  man  in  "seinen  Tönen  allerdings  vergeblich  nach 
dem  Ausdruck  von  »Tag  und  Nacht«  oder  von  »fatiguirender  Arbeit«  suchen, 
aber  die  Empfindung,  die  in  Leporello  waltet,  während  er  diese  Worte  spricht, 
seinen  Unmuth,  seinen  Aerger,  diesen  drückt  die  Musik  aus.  So  bringt  sie 
das  mit  den  Gedanken  des  Textes  verbundene  Gefühlsmoment  zur  vollen, 
lebendigen  Darstellung.  —  Wenn  endlich  die  Musik  Gegenständliches  zu 
ülustriren  unternimmt  (wie  z.  B.  in  Haydn's  »Jahreszeiten«:  den  Sonnenauf- 
gang, die  Frühlingslandschaft  u.  s.  w.),  so  verfährt  sie  zunächst  nach  demselben 
Prinzip,  indem  sie  das  mit  den  Gegenständen  verknüpfte  Gefühl  —  nämlich 
das  Gefühl,  welches  diese  Gegenstände  in  unserer  Seele  erregen  —  zum 
Ausdruck  bringt;  doch  hat  die  Musik  auch  eine  gewisse  malerische  Fähigkeit, 
durch  welche  sie  Gegenstände  der  Körperwelt  andeutungsweise  auch  sinnlich 
schildern  kann.  Diesen  Punkt  näher  auszuführen,  ist  Aufgabe  der  Artikel 
Charakter  und  Tonmalerei  (s.  d.).  William  Wolf. 

Gedeckt  nennt  man  in  der  Orgelbaukunst  jede  Schallröhre,    deren  Mün- 
dung (s.  d.)  verschlossen  ist.     Solche  Pfeifen  werden   stets  einem  ganzen  Re- 

Muaikal.  Convers.-Lexikon.    IV.  1 1 


1 62  Gedoppelte  Intervalle  —  Gefühl. 

gister  gegeben.  Da  man  auch  Register  mit  halb  oder  nur  theilweise  geschlossenen 
Pfeifen  baut,  so  redet  man  auch  von  halb  oder  theilweise  g.en  Orgelstimmen. 
Als  Name  für  solche  g.e  Register  ist  der  Ausdruck  Gedakt  (s.  d.)  in  Ge- 
brauch. Einige  Orgelbauer  bemühen  sich,  statt  des  Fachausdrucks  g. ,  gedakt 
einzuführen.  Die  Ableitung  des  Eigenschaftswortes  von  einem  von  ihm  selbst 
abgebildeten  Eigennamen  kann  aber  leicht  missdeutet  werden  und  ist  deshalb, 
sowie  seiner  Ableitungsart  halber,  zu  verwerfen.  Man  müsste  deshalb  eine 
Flötenstimme  mit  g.en  Pfeifen  eine  gedeckte  und  nicht  eine  gedakte  Flöte 
nennen,  könnte  aber  nach  bisherigem  Brauch  diese  sehr  wohl  Gedaktflöte  heissen. 

2. 
Gedoppelte  lutervalle,  s.  Doppelte  Intervalle. 

Gefährte  (lat.:  comes,  ital.:  risj)osta,  franz.:  rcponse),  in  der  Fuge,  s.  Ka- 
non und  Fuge. 

Gefällig'  (ital.:  piacevole).  Mit  diesem  Ausdruck  bezeichnet  man  eine  Nuance 
des  Anmuthigen,  welche,  wie  die  Abstammung  des  Wortes  andeutet,  das  Wohl- 
gefallen besonders  leicht  erweckt.  Im  Gefälligen  treten  die  im  Anmuthigen 
enthaltenen  tieferen  und  ideelleren  Momente  etwas  zurück,  um  der  leichtesten 
Heiterkeit,    der  Einfachheit  und  dem  mühelos  Ansprechenden  Eaum  zu  geben. 

Gefühl.  Das  Wesen  und  die  Aufgabe  der  Musik  besteht  darin,  Gefühle 
zum  künstlerischen  Ausdruck  zu  bringen.  Diese  Wahrheit  ergiebt  sich  jedem 
für  Musik  Empfänglichen  durch  blosses  Anhören  von  Tonwerken.  Denn  indem 
die  Töne  in  unser  Ohr  dringen ,  erregen  sie  zugleich  unser  Gemüth,  und  er- 
wecken darin  eine  Reihe  von  Gefühlen,  stets  wechselnd,  je  nachdem  die  Ton- 
gebilde wechseln.  Und  hierin  eben,  in  der  Erfüllung  unseres  Gemüthes  mit 
einem  Gefühlsiuhalt  (selbstverständlich  einem  schönen  Gefühlsinhalt),  besteht 
der  Genuss,  der  uns  aus  diesem  Anhören  entspringt  und  um  dessentwillen  die 
Tonkunst  der  Gegenstand  einer  so  allgemeinen  Liebe  und  Begeisterung  ist. 
Die  Wahrheit  also,  dass  in  der  Gefühlsdarstellung  der  Kernpunkt  alles  Mu- 
sikalischen beruht,  wird  durch  die  thatsächliche  Erfahrung  bereits  er- 
wiesen, bedarf  demnach  keines  weiteren  theoretischen  Beweises.  Für  die  Theorie 
bleibt  hingegen  die  Frage  zu  beantworten,  wie  es  zu  begreifen  sei,  dass 
Gefühle  durch  Töne  dargestellt  werden  können,  da  Gefühle  etwas  Seelisches, 
Töne  aber  etwas  Sinnliches  sind?  Diese  Frage  lässt  sich,  dem  Wesentlichen 
nach,  in  Folgendem  beantworten.  Gefühle  sind  Bewegungen  unserer  Seele; 
Töne  sind  ebenfalls  nichts  anderes  als  Bewegungen,  an  Körpern  hervorgebracht. 
Zwischen  körperlichen  und  seelischen  Bewegungen  besteht  nun  eine  genaue 
Analogie,  welche  sich  schon  dadurch  kundgiebt,  dass  wir  die  sprachlichen  Be- 
zeichnungen für  Gefühlsbewegungen  von  körperlichen  Bewegungen  entnehmen. 
So  spricht  man  von:  »Erhebung«,  »Versenkung«  des  Gefühls,  von  »Erregung«, 
»Aufregung«,  »Erschütterung«,  »Rührung«  u.  a.  Dies  alles  sind  zunächst  Be- 
zeichnungen verschiedener  Formen  körperlicher  Bewegung,  in  denen  wir  aber 
eine  Analogie  mit  gewissen  Bewegungsformen  unseres  Gemüthes  entdecken, 
daher  wir  diese  Worte  auch  für  die  letzteren  in  Anwendung  bringen.  Durch 
diese  Analogie  erklärt  es  sich,  dass  in  Tönen  (körperlichen  Bewegungen)  ge- 
naue Abdrücke  jeder  Art  von  Gefühlen  (Seelen-Bewegungen)  gegeben  werden 
können.  Jedoch  bleibt  hierbei  noch  unerklärt,  wie  der  sinnliche  Ton  eine 
geistige  Wirkung  hervorbringen,  wie  der  körp  erli che  Abdruck  der  Gemüths- 
bewegungen  die  Seele  des  Höi'ers  afficiren  kann.  Dies  wird  dadurch  begreif- 
lich, dass  der  Ton  im  Grunde  genommen  kein  eigentlich  Materielles  ist,  son- 
dern vielmehr  ein  Geistiges  am  Materiellen.  Denn  von  dem  Stoffe,  der 
bewegt  wird,  gelangt  nichts  zu  unserer  Wahrnehmung;  der  Ton,  ob  er  auch 
von  Holz  oder  Metall  gewonnen  wird,  ist  doch  nur  die  wahrgenommene  reine 
Bewegung  selbst,  das  Holz  oder  Metall  als  solches  hören  wir  nicht;  in  dem 
bestimmten  Ton  mit  seiner  bestimmten  Höhe  oder  Tiefe  und  seiner  speciellen 
Klangfarbe    vernehmen    wir    nur    diese    bestimmte    Art    der    Bewegung, 


Gefühl.  163 

durchaus  aber  niclit  den  Stofif  selbst,  an  welchem  sie  vor  sich  geht.*)  Somit 
ist  der  Ton,  obwohl  vom  Materiellen  herstammend,  doch  an  sich  frei  von  der 
Materie;  er  ist  nur  dargestellte  Bewegungsform,  welche  letztere  ebensogut  an 
einem  körpei'lichen  Wesen  als  an  dem  geistigen  Wesen  des  menschlichen  Ge- 
müthes  zur  Erscheinung  kommen  kann.  Da  also  die  im  Ton  dargestellte  Be- 
wegung beiden  Sphären,  der  körperlichen  und  der  geistigen,  gemeinsam  ist, 
so  kann  sie,  obwohl  durch  körperliche  Organe  erzeugt,  dennoch  in  der  Seele 
empfunden  werden.  —  Wie  dieser  Voi'gang  physischers  eits  vermittelt  wird 
—  durch  die  Nerven  — ,  diese  Frage  schlägt  in  das  Grebiet  der  Physiologie, 
und  möge  man  sich  darüber  in  den  dahin  bezüglichen  Artikeln  Grehör,  Ohr 
u.  s.  w.  unterrichten.  —  Wir  gehen  nun  auf  den  oben  ausgesprochenen  Grund- 
satz, dass  das  Wesen  der  Musik  in  Gefühlsdarstellung  bestehe,  zurück.  Der 
absoluten  Geltung  dieses  Grundsatzes  scheinen  mehrere  Momente  zu  wider- 
sprechen. Zunächst  waltet  in  den  intelligenteren  Musikfreunden  das  Verlangen, 
in  Tonwei-ken  ausser  einem  Gefühlsiuhalt  auch  einen  Gedankeninhalt  zu  finden, 
und  diesem  Verlangen  entspricht  auch  die  Musik.  Aber  —  wie  in  dem  Artikel 
»Gedanke«  ausgeführt  ist  —  die  in  der  Musik  mitenthaltenen  Gedanken  sind 
lediglich  solche,  die  mit  den  Gefühlen  in  innigster  Verbindung  stehen,  die 
aus  den  Gefühlen  selbst  hervorgehen;  der  Gedanke  ist  also  hier  ein 
secundäres,  abhängiges  Element,  ein  blosses  Accidens,  und  das  Gefühl  ist 
durchaus  die  Hauptsache.  Einen  anderen  Widerspruch  gegen  jenen  Grundsatz 
scheint  die  »Tonmalerei«  zu  begründen.  Allerdings  hat  die  Musik  eine  gewisse 
schildernde  Kraft,  vermittelst  deren  sie  auch  Sinnlich-Gegenständliches  in  einer 
gewissen  Weise  malen  kann,  tind  sie  macht  von  dieser  Fähigkeit  nicht  selten 
Gebrauch,  Zuvörderst  aber  ist  die  malerische  Schilderung  nur  eine  Neben- 
richtung der  musikalischen  Production;  denn  diese  Tonbilder  sind  nur  an- 
deutende, also  sehr  unvollkommene,  so  dass  sie  sogar  nicht  erkannt  werden 
können,  wenn  nicht  ein  erklärendes  Wort  des  Textes  oder  der  üeberschrift 
sich  dabei  befindet;  hingegen  Gefühlsdarstellung  kann  die  Musik  vollkommen 
leisten;  diese  bleibt  also  ihre  eigentliche  Sphäre.  Hierzu  kommt  noch,  dass 
selbst  bei  schildernden  Musiken  eine  Gefühlsdarstellung  mit  enthalten  ist,  ja, 
dass  diese  sogar  die  Hauptsache  ausmachen  muss,  —  wie  dies  in  den  Artikeln 
Charakter  und  Tonmalerei  begründet  wird.  Also  auch  hier  erweist  sich 
das  aufgestellte  Prinzip  nicht  nur  nicht  als  aufgehoben,  sondern  vielmehr  als 
bestätigt.  —  Wir  wollen  endlich  noch  die  Folgen  entwickeln,  die  sich  aus 
jenem  Grundsatze  für  die  musikalische  Production  und  Reproduction  ergeben. 
Da  Gefühle  den  Inhalt  tonischer  Schöpfungen  zu  bilden  haben,  so  wird  jede 
Musik,  die  einen  solchen  Inhalt  überhaupt  nicht  giebt,  oder  ihn  in  zu  unbe- 
deutendem Maasse  repräsentirt,  verwerflich  sein.  Zwar,  da  der  Ton  schon  an 
und  für  sich  Gefühlsausdruck  ist,  so  kann  es  eine  gänzlich  gefühllose  Musik 
nicht  geben.  Aber,  wenn  der  Componist,  statt  aus  seinem  warm  und  lebhaft 
angeregten  Gemüthe  heraus  zu  schaffen,  mit  kaltem,  reflektirendem  Verstände 
seine  Toncombinationen  ersinnt,  so  werden  diese  ein  natürliches,  wahres 
Gefühl  nimmer  ausdrücken,  und  die  Folge  wird  sein,  dass  der  Hörer  nichts 
oder  äusserst  wenig  dabei  empfindet.  Es  gehören  zwar  zu  einer  vollkommen 
musikalischen  Composition  mehrfache  Eigenschaften:  gewandte  Handhabung  der 
compositorischen  Technik  (der  Harmonielehre,  des  Contrapunkts  u,  s.  w.), 
Mannichfaltigkeit  der  Erfindung,  schöne  und  sinngemässe  Anordnung  der  Theile 
(die  sogenannte  Form)  u.  a.;  aber  das  erste  und  unerlässlichste  Erforderniss 
bleibt  ein  echter  Gefühlsinhalt;  wo  dieser  fehlt,  da  können  andre,  an  sich  noch 
so  glänzende  Vorzüge  dem  Werk  keinen  eigentlichen  Kunstwerth  verleihen. 
Dasselbe  Prinzip    gilt    für    die    reproductive  Darstellung.     Sänger  und  Instru- 


*)  Allerdings  wird  die  Wahrnehmung  der  Bewegung  durch  die  Luft  vermittelt;  aber 
auch  die  Luft  als  solche  vernehmen  wir  nicht,  hören  wir  nicht.  Sie  ist  nur  der  neutrale 
Stoff,  der  uns  die  Bewegung  zuträgt. 

11* 


164  Gefüllte  Note  —  Gegensatz. 

mentisten  werden  walirbaft  Künstlerisclies  nur  leisten,  wenn  sie  durch  ihren 
Vortrag  das  Gefühl  der  Hörer  anregen,  was  natürlich  nur  der  Fall  sein  kann, 
wenn  ihnen  der  Vortrag  aus  eigenem,  warmem  und  regem  Gefühle  hervorquillt. 
Der  Besitz  der  wohlklingendsten  und  umfangreichsten  Stimme,  geschickte  Ton- 
bildung, Ivehlfertigkeit,  das  Alles  sind  für  den  Säuger,  welcher  der  Kunst  im 
Geist  und  in  der  AVahrheit  dienen  will,  nur  Mittel  zum  Zweck;  den  letzteren 
aber  sieht  er  vor  Allem  in  dem  Ausdruck  des  seelischen  Momentes.  Ebenso 
kann  die  grösste  Virtuosität  und  äussere  Eleganz  des  Spiels  den  Instrumentisten 
nicht  zum  wahren  Künstler  erheben,  als  welchen  er  sich  vielmehr  in  erster 
Linie  durch  Gefühlsausdruck  seines  Vortrages  bekundet.  —  Ferner  aber  hat  der 
Vortragende  nicht  nur  Gefühl  im  Allgemeinen  zum  Ausdruck  zu  bringen,  son- 
dern vielmehr  die  speci eilen  Arten  des  Gefühls,  welche  der  Componist  in 
seinen  Tönen  verkörpert  hat,  er  hat  das  richtige  Gefühl  darzustellen.  Dieses 
ist  Sache  der  Auffassung,  zu  welcher  es  ausser  der  geeigneten  Gefühlsanlage 
auch  des  Geistes,  der  Phantasie  und  gewisser  Kenntnisse  bedarf.  Wir  berühren 
hiermit  ein  Kapitel,  welches  an  dieser  Stelle  nicht  mehr  erörtert  werden  kann, 
sondern  dessen  Ausführung  in  den  Artikeln  Auffassung  und  Vortrag  ge- 
geben ist.  William  Wolf, 
Gefüllte  Note  (franz.:  note  noire),  so  viel  als  Viertelnote  (s.  d.). 
Gegenbeweguug'  (lat.:  motus  coiitrarius),  s.  Bewegung. 
Gegeufuge  (lat.:  fuga  contraria),  genauer  ausgedrückt  Fuge  in  der  Ge- 
genbewegung (lat.:  contraria,  per  motum  contrarium)  ist  eine  Fuge,  in  der 
die  Nachahmung  gleich  von  vorn  herein  in  der  Gegenbewegung  stattfindet. 
Beispiele  dieser  Art  findet  man  in  J.  S.  Bach's  »Kunst  der  Fuge«.  * 

Geg-enliarmouie,  auch  Gegensatz  in  der  Fuge,  s.  Kanon  und  Fuge. 
Gegensatz.     Der  Gegensatz  spielt  in  der  Musik,   wie  in  jeder  Produktion 
schöner  Künste  eine  bedeutende  ßolle.     Auf   dem  Gegensatz  beruht  einer  der 
wichtigsten  Momente    der  Schönheit.     Da    nämlich   jede   Erscheinung    an    sich 
einseitig  ist,  so  fordert  das  Schönheitsprinzip,  dass  ihr  Gegensatz  herbeigezogen 
werde,  damit  sie  sich  zur  Vollständigkeit  ergänze.    Jedes  Werk  unsrer  grossen 
Meister  bietet,  in  seinen  grösseren   und  kleineren  Abschnitten,  ja  in  jeder  Zeile, 
Beispiele   von    diesem  bis  in    die  feinsten   Theile  des  künstlerischen  Baues  hin- 
einwirkenden   Prinzipe    des    Gegensatzes.      Auf   eine   Partie    von    mildem    Ge- 
fühlsausdruck   folgt    eine  Abtheilung  von    kraftvollem  Charakter;    auf   lebendig 
Bewegtes  folgt  ruhig  Hiufliessendes ;  Heftiges  wechselt  mit  Besänftigtem,  Traurig- 
keit mit  trostvollem  Gefühl,  Heiterkeit  mit  Ernst,  Einfachheit  mit  complicirterer 
Gestaltung,    und    so    in  tausendfacher  Weise.     Die  sogenannten  Formen,    die 
Gesetze  der  Anordnung  für   Sonaten,  Rondos,  Fugen  u.  s.  w.,  wie   sie  sich  im 
Laufe  der  Musikentwicklung  festgestellt  haben,  weisen  vor  Allem  dieses  Prinzip 
auf.     In   Sjanphonien,    Sonaten,    Quartetten  u.  A.  ist    in    der  Regel    der   erste 
Satz   von  lebhaftem  und  kräftigem   Charakter,    während  der  zweite,   in  ruhiger 
und  sanfter  Stimmung  gehalten,  den  Gegensatz  bringt;  in  den  einzelnen  Sonaten- 
sätzen folgt  der  ersten  Abtheilung,  welche  das  Thema  in  stetiger  ordnungsvoller 
AYeise    entwickelt,    der    sogenannte  Modulationstheil,    welcher    sich    durch    sein 
chaotisches   Gepräge    als  Gegensatz    manifestirt;    im  Rondo  findet  etwas  Aehn- 
liches  statt,    und    so   in  allen  Compositiousformen.     Der  Gegensatz  ist  so  sehr 
der  Nerv  des  musikalischen  Lebens,  dass  er  sich  schon  im  rhythmischen  Grund- 
bau, im  Takte,  bethätigt:  in  diesem  wechseln  gewichtige,  betonte  Takttheile  mit 
gewichtloseu,    leichten.  —  Wenn    die  Differenz    zwischen  den  beiden  entgegen- 
gesetzten Partien  eine  sehr  grosse  ist,   so    nennt   man  dieses  Verhältniss  Con- 
trast.     Der  Contrast  ist  solchen   Componisten,  die  gern  auf  den  »Effekt«  hin- 
arbeiten, ein  vielbeliebtes  und  gesuchtes  Mittel;  denn  durch  Aneinanderfügung 
von   Contrastischem  wird  stets  eine  überraschende  und  starke  Wirkung  erzielt, 
zumal  auf  die  weniger  feingebildeten  Hörer.     Andrerseits   aber  finden  wir  den 
Contrast  nicht  selten  in  den   Schöpfungen  der  grüssten  Tondichter,  denen  kein 
eitles  Effektstreben,  sondern   der  Sinn  und  künstlerische  Geist  ihrer  Werke  am 


Gegittertes  B  —  Gehör.  165 

Herzen  lag.  Sie  sahen  sich  zum  Contrast  oft  durch  ein  Natur-  und  Schön- 
heitsgesetz veranlasst;  und  zwar  durch  das  Gesetz,  welches  sich  in  dem  bekann- 
ten Sprüchwort  ausdrückt:  Les  extremes  se  touclient  (die  Contraste  berühren 
sich);  das  ist:  wird  etwas  sehr  stark  nach  einer  Seite  hin  getrieben,  so  springt 
es  plötzlich  ab  und  ebenso  weit  nach  der  entgegengesetzten  Seite  über.  Dieses 
Gesetz  ist  in  Bezug  auf  die  Kunstschönheit  nichts  Anderes  als  die  unmittel- 
bare Folge  des  obigen  Gegensatz-Prinzipes.  Da  der  Gegensatz  die  Ergänzung 
der  Einseitigkeit  bewirken  soll,  so  muss,  je  stärker  einseitig  die  erste  Erschei- 
nung war,  um  so  schroffer  der  Gegensatz  die  andere  Seite  vorkehren.  Da 
"Weiches  durch  Starkes  ergänzt  wird,  so  wird  sehr  Weiches  durch  sehr  Starkes 
ergänzt:  je  extremer  in  der  einen  Art,  desto  extremer  der  Uebersprung  in  die 
andre.  Daher  findet  man  in  den  Meisterwerken  von  grossartigem  Inhalt  die 
Contraste  ziemlich  häufig,  und  um  so  schärfere  Contraste,  je  gewaltiger  der 
Inhalt  ist.  William  Wolf. 

Gegittertes  B  (lat. :  h  cancellattim)  ist  eine  der  Bezeichnungen  für  das  {}. 
S.  Kreuz,  Notenschrift,  Versetzungszeichen,  Vorzeichnung. 

Gehäkelte  Notenschrift,  s.  Note,  Notenschrift,  Neume. 

Gehe,  Eduard  Heinrich,  deutscher  Dichter  von  Dramen  und  Opern, 
geboren  1793  zu  Dresden,  gestorben  1850,  ist  der  Verfasser  der  trefflich  und 
geschickt  angelegten  Textbücher  zu  » Jessonda«,  »Maja  und  Alpino  oder  die  be- 
zauberte Hose«  (Leipzig,  1826),  »das  Schloss  Candra«  (Dresden,  1834),  »Prinz 
Lieschencf  u.  s.  w.,  die  zu  dem  Besten  in   dieser  Gattung  gehören. 

Gehend,  in  Bezug  auf  das  Tempo  eines  Musikstücks,  gilt  von  einer  massi- 
gen Bewegung;  theoretisch  bezeichnet  dieser  Ausdruck  die  Fortschreitung  einer 
Stimme  von  einem   Tone  zum  nächstliegenden  anderen. 

Gehirne,  Franz,  begabter  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  1752,  war 
Regens  chori  und  Mitglied  des  Stifts  St.  Matthias  zu  Breslau  und  starb  ohne 
vorhergegangene  Krankheit  am  13.  März  1811  zu  Breslau.  Das  ist  das  Wenige, 
was  man  von  den  Lebensumständen  dieses  zu  seiner  Zeit  hochgeachteten  Ton- 
künstlers erfahren  hat.  Auch  Hoffmann  wusste  in  seinem  Werke  »die  Ton- 
künstler Schlesiens«  dem  nur  noch  hinzuzufügen,  dass  G.  von  den  Ober-Orga- 
nisten J.  G.  Hoffmann  und  Berner,  dem  Vater,  in  Breslau  musikalisch  ausge- 
bildet worden  sei ,  und  dass  aus  seinen  für  die  Matthiaskirche  geschriebenen 
und  Manusci'ipt  gebliebenen  Compositionen  Talent  und  contrapunktisches  Ge- 
schick hervorleuchte,  wenn  auch  Mancherlei  darin  mehr  dem  Zeitgeschmacke 
als  dem  Wesen  ächter  Kirchenmusik  huldige. 

Gehör  (lat.:  auditus)  ist  die  Fähigkeit,  mittelst  eines  zu  diesem  Zwecke 
besonders  eingerichteten  Sinnesorgans  gewisse  Bewegungen  der  Körper  wahr- 
zunehmen. Das  Organ,  welches  diese  Wahrnehmungen  vermittelt,  ist  das  Ge- 
hörorgan oder  das  Ohr.  lieber  die  Beschaffenheit  und  Wirkung  der  wahrzu- 
nehmenden Bewegungen  geben  die  Artikel:  Akustik  und  Schall  Aufschluss; 
über  den  Vorgang  des  Hörens  selber  lese  man  unter  Hörorgan  resp.  Ohr 
nach.  —  Die  Empfänglichkeit  des  Gehörs  für  musikalische  Eindrücke  heisst: 
»musikalisches  Gehör«.  lieber  diesen  Begriff  ist  noch  nicht  genügende  Klar- 
heit vorhanden,  weil  dei'selbe  in  der  Regel  bald  zu  eng,  bald  zu  weit  gefasst 
wird.  —  Zu  eng  fassen  ihn  viele  Physiker  und  Physiologen,  wenn  sie  unter 
musikalischem  Gehör  nur  diejenige  Fähigkeit  des  Gehörorgans  verstehen,  welche 
die  Wahrnehmung  eines  Klanges  und  seiner  besonderen  Eigenschaften  ver- 
mittelt. Zu  weit  dagegen  wird  dieser  Begriff  von  vielen  Musikern  gefasst, 
wenn  sie  ihn  mit  Musikanlage  verwechseln,  wenn  sie  also  alle  diejenigen  Fähig- 
keiten und  Fertigkeiten  des  G.'s  einschliessen,  welche  bei  Beschäftigung  mit 
der  Musik  zu  Tage  treten  können.  —  Bestimmter  definirt  man  den  Begriff 
»musikalisches  G.«  als  diejenige  Fähigkeit  unserer  Seele,  durch  G.organ,  Nerven 
und  Gehirn  die  Jdeen,  Gedanken,  Empfindungen  und  Gefühle  Anderer  zu  ver- 
nehmen, sobald  dieselben  durch  Tonverbindungen  zur  Darstellung  gelangen. 
Das  musikalische  G,  hat  es  also  nicht  mit  der  Wahrnehmung  einzelner  G.em- 


166  Gehör. 

p findungen  (s.  d.)  zu  thun,  sondern  damit,  solche  Einzelwahrnehmungen  zu 
einheitlichen  Tonbiklern  zusammen  zu  fassen  und  die  in  diesen  Bildern  darge- 
stellten seelischen  Regungen  der  Componisten  auf  unsern  eigenen  psychischen 
Mechanismus  zu  übertragen.  —  Ausgeschlossen  sind  dann  zunächst  diejenigen 
Fertigkeiten,  welche  mehr  auf  dem  Gedächtuiss  und  der  Erinnerungskraft  be- 
ruhen, als  specifisch  musikalisch  sind.  Hierher  geliört  z.  B.  die  Fertigkeit,  ab- 
solute Tonhöhen,  Intervalle  und  Accorde  nach  blossem  Anhören  genau  be- 
stimmen zu  können,  oder  gehörte  Ton-  und  Accordverbindungen  längere  Zeit 
festhalten  und  aus  dem  Gedächtniss  (nach  dem  G.)  wieder  geben  zu  können. 
Diese  Fertigkeiten,  die  man  in  der  Regel  als  Tonsinn  (s.  d.)  bezeichnet,  sind 
zwar  für  einen  Musiker  von  grossem  Nutzen;  es  kann  sie  aber  Jemand  in  einem 
hohen  Grade  besitzen,  ohne  eigentlich  musikalisch  beanlagt  zu  sein,  ohne  also 
wirklich  musikalisches  G.  zu  haben.  —  Ausgeschlossen  ist  ferner  das  sinnliche 
Vorstellungsvermögen,  die  Einbildungskraft  (Imagination)  oder  die  Phantasie  im 
weitesten  Sinne,  d.  h.  die  Fähigkeit,  ohne  sinnliche  Eindrücke  sich  die  "Wir- 
kung von  Tonverbindungen  u.  s.  f.  vorstellen  zu  können,  (Siehe  Einbildung 
und  Phantasie.)  Dem  productiven  wie  dem  rcproducirenden  Musiker  muss 
diese  Fähigkeit  sinnlicher  Anschauung  in  hohem  Grade  beiwohnen,  wenn  er 
Anspruch  auf  Genialität  machen  will ;  der  blos  passiv  geniessende  Musikfreund 
kann  auch  ohne  diese  Gabe  für  die  Musik  sehr  empfänglich  sein.  Sie  gehört 
also  nicht  zu  der  Fähigkeit,  welche  man  mit  dem  Ausdrucke  »musikalisches  G.« 
bezeichnet.  —  Sollen  aber  in  unserer  Seele  bei  Anhörung  eines  Tonstückes 
dieselben  Vorgänge  in  demselben  Grade  hervorgerufen  werden,  wie  sie  in  der 
Seele  des  Componisten  bei  Conception  seiner  Schöpfung  statt  hatten,  so  ist 
zunächst  erforderlich,  dass  unser  psychischer  Mechanismus  dieselbe  Regsamkeit 
und  Empfänglichkeit  besitze,  wie  derjenige  des  Componisten.  Diese  Empfäng- 
lichkeit muss  angeboren  sein,  wenn  auch  Erziehung  und  Bildung  nicht  ohne 
Einfluss  auf  sie  ist.  Das  musikalische  Genie  muss  sie  im  höchsten  Grade  be- 
sitzen. Zum  höchsten  Grade  dieser  Erregbarkeit  sind  nur  sehr  wenige  be- 
gnadigte Naturen  befähigt.  Von  diesem  höchsten  Grade  bis  herab  zur  Unem- 
pfindlichkeit  gegen  derartige  Einwirkungen  ist  ein  grosser  Zwischenraum,  in 
welchem  noch  viele  Grade  der  Empfänglichkeit  zu  unterscheiden  sind.  Hier- 
aus ergiebt  sich  von  selbst,  warum  dasselbe  Tonstück  auf  verschiedene  Hörer 
so  verschiedenartig  wirken  kann.  Aber  auch  auf  dieser  langen  Stufenleiter 
sind  viel  weniger  Musiktreibende  anzutreflPen,  als  man  gemeinhin  annimmt. 
Zunächst  muss  man  von  allen  denen  abschen,  welche  aus  irgend  welchen  Grün- 
den eine  Empfänglichkeit  heucheln,  ohne  sie  zu  besitzen.  Dann  sind  alle  die- 
jenigen auszusondern,  bei  denen  die  Empfänglichkeit  durch  Gründe  erregt  wird, 
die  gänzlich  ausserhalb  der  Tonstücke  selbst  liegen.  Solche  Gründe  sind  z.  B. 
die  Freude  über  den  schönen  Ton  einer  Sängerin  oder  eines  Instruments,  die 
Bewunderung  für  Virtuosenkünste  und  stark  aufgetragene  Effekte,  die  Lust 
am  Komischen  oder  am  Entsetzlichen  und  Graulichen  u.  s.  f.  Die  Uebrig- 
bleibenden  würden  eine  sehr  kleine  kunstverständige  Gemeinde  bilden;  das 
musikalische  Gehör  in  diesem  weiteren  Sinne  würde  demnach  nur  wenigen 
für  die  Musik  empfänglichen  Personen  eigen  sein.  —  Diese  zu  einem  eingehen- 
deren Verständnisse  der  Musik  erforderliche  Empfänglichkeit  sollte  man  indessen 
nicht  in  den  BcgriflP  »musikalisches  G.«  einschliessen,  denn  dieselbe  ist  nicht 
specifisch  musikalisch,  sondern  vielmehr  die  allgemeine  Vorbedingung  für  das 
künstlerische  Verständniss  überhaupt.  »Musikalisches  G.«  im  engeren  Sinne 
ist  demnach  die  Fähigkeit,  die  zu  einem  Tonstücke  verbundenen  Töne  und 
Zusammenklänge  so  unterscheiden,  vergleichen  und  zusammenfassen  zu  können, 
wie  der  Componist  sie  unterschieden,  verglichen  und  zusaramengefasst  haben 
will.  In  diesem  Sinne  ist  das  »musikalische  G.«  nach  meiner  Auffassung,  der 
freilich  noch  andere  Auffassungen  gegenüberstehen,  eine  allen  vollsinnigen 
Menschen  angeborene,  entwickelungsfähige  aber  auch  entwickelungsbedürftige 
Anlage.     "Will  mau  erkennen,  worin  diese  Anlage  besteht  und  wie  sie  sich  ent- 


Gehör,  167 

wickeln  lässt,  so  rnuss  man  die  Thätigkeit  des  G-.'s  bei  Auffassung  von  Ton-  und 
Accordverbindungen  genauer  betrachten.  Das  Gr.  hat  es  hierbei  nur  mit  Klängen 
zu  thun.  Ein  Klang  (s.  d.)  ist  ein  Schall,  der  durch  regelmässige,  periodische 
Bewegungen  hervorgerufen  wird,  d.  h.  durch  Bewegungen,  die  nach  genau  den- 
selben Zeitabschnitten  in  genau  derselben  Weise  wiederkehren.  Solche  Be- 
wegungen heisseu  Schwingungen  (s.  d.).  Fast  alle  Schwingungen,  die  musi- 
kalisch verwerthbare  Klänge  ei'zeugen,  sind  aus  einfachen  Schwingungen  zu- 
sammengesetzt. An  einer  zusammengesetzten  periodischen  Bewegung  lässt  sich 
nur  ein  Fünffaches  unterscheiden,  nämlich:  1)  wie  lange  jede  Gresammtschwingung 
dauert  (s.  Schwingungsdauer),  resp.  wie  viel  Schwingungen  auf  eine  be- 
stimmte Zeit  kommen  (s.  Schwingungszahl),  2)  wie  lange  die  ganze  Be- 
wegung anhält  (Bewegungsdauer),  3)  wie  gross  der  Weg  (die  Schwingungs- 
weite) ist,  den  der  schwingende  Körper  bei  jeder  Schwingung  durcheilt,  4)  aus 
welchen  Einzelschwingungen  sich  jede  Schwingung  zusammensetzt,  5)  wie  diese 
Einzelschwingungen  innerhalb  jeder  Periode  gegeneinander  zu  liegen  kommen. 
—  Zur  Auffiissung  des  letztern  (der  sogenannten  Phasenunterschiede,  s.  d.) 
besitzt  das  Ohr  nach  eingehenden  Untersuchungen*)  keine  Fähigkeit.  Dem- 
nach vermag  das  Gehör  bei  einer  Klaugwahrnehmuug  nur  ein  Vierfaches  zu 
unterscheiden.  Jeder  Klang  hat  also  nur  vier  verschiedene  Eigenschaften,  durch 
die  er  von  andern  Klängen  unterschieden,  mit  ihnen  verglichen  und  zusammen- 
gefasst  werden  kann.  Dieses  sind:  1)  Höhe  oder  Tiefe  (Tonhöhe),  abhängig 
von  der  Schwingungszahl  resp.  der  Schwingungsdauer,  2)  Länge  oder  Kürze 
(Tondauer),  abhängig  von  der  Bewegungsdauer,  3)  Stärke  oder  Schwäche  (Ton- 
stärke), abhängig  von  der  Schwingungsweite,  4)  Klangfarbe  (s.  d.),  abhängig 
von  Zahl,  Art  und  Stärke  der  Einzelschwingungen,  aus  denen  jede  einzelne 
Schwingung  besteht.  —  Nach  diesen  vier  Eigenschaften  hat  das  »musikalische 
Gr.«  die  einzelnen  Bestandtheile  eines  Tonstückes  zu  unterscheiden,  zu  ver- 
gleichen und  zusammenzufassen.  —  Die  absolute  wie  die  verhältuissmässige 
Tonstärke  der  einzelnen  Klänge,  so  weit  dieselbe  nicht  als  bloses  Mittel  zur 
Abgrenzung  von  Tondauermaassen  (s.  Metrum)  benutzt  wird,  hängt  so  innig 
mit  dem  Inhalte  eines  Tonstückes  zusammen,  dass  nur  ein  wirklich  künstleri- 
sches Verständniss  die  Intentionen  des  Componisten  zu  erkennen  vermag,  um 
so  mehr,  als  dieses  Moment  von  den  Componisten  nur  annäherungsweise  und 
ganz  im  Allgemeinen  angegeben  werden  kann  (s.  Dynamik).  Aehnlich  ver- 
hält es  sich  in  Rücksicht  auf  die  Eigenschaft  der  Klangfarbe  (s.  Ausdruck 
und  Vortrag).  Die  Grabe  der  Auffassung  nach  diesen  Seiten  hin  gehört  also 
mehr  zu  dem  auf  S.  166  besprochenen  Theile  unserer  Musikanlage,  als  zum 
musikalischen  Gr.  im  engeren  Sinne.  Dass  eine  Ausbildung  des  G.'s  zur  Auf- 
fassung und  Unterscheidung  feinerer  Nuancen  in  dieser  Beziehung  möglich, 
natürlich  und  nothwendig  ist,  bedarf  gar  keines  Nachweises;  eben  so  selbst- 
verständlich ist,  dass  diese  Ausbildung  nur  durch  aufmerksames  Beobachten 
beim  Anhören  künstlerisch  ausgeführter  Musik  zu  erlangen  ist.  —  Die  Fähig- 
keit, in  Beziehung  auf  absolute  und  relative  Tondauer  die  Intentionen  des 
Componisten  zu  erkennen,  bezeichnet  man  in  der  Hegel  mit  dem  Ausdrucke 
rhythmisches  Grefühl  oder  Taktsinn  (s.  d.).  Auch  diese  Fähigkeit  rechnet 
man  also  nicht  zu  dem  »musikalischen  Gr.«  im  engsten  Sinne.  Der  Ausdruck 
»mvisikalisches  Gr.«  wäre  in  diesem  engsten  Sinne  also  zu  definiren  als  die 
Fähigkeit,  die  einzelnen  Bestandtheile  eines  Tonstückes  rücksichtlich  ihrer  Ton- 
höhe nach  den  Intentionen  des  Componisten  unterscheiden,  vergleichen  und 
zusammenfassen  zu  können.  —  Dass  das  Vermögen  zur  Unterscheidung  von 
hoch  und  tief,  von  höher  und  tiefer,  einer  Ausbildung  f;lhig  und  bedürftig  ist, 
könnte  leicht  nachgewiesen  werden;  indessen  ist  diese  Seite  des  »musikalischen 
Gr.'s«  im  engsten  Sinne  doch  von  zu  untergeordneter  Bedeutung  für  die  musi- 
kalische Auffassung.     Wichtiger    ist    das  Vermögen    zur  Vergleichung  und  zur 


*)  Helmholtz,  „Die  Lehre  von  den  Tonempfindungen",  S.  190  ff. 


168  Gehör. 

Zusammenfassung  der  einzelnen  Tonhöhen  zu  einheitlichen  Tonbildern.  Es 
handelt  sich  hierbei  nicht  um  das  bewusste  Erkennen,  dass  die  verglichenen 
Töne  dies  oder  jenes  Intervall,  diesen  oder  jenen  Accord  bilden,  sondern  nur 
um  das  Erkennen  einer  Aehnlichkeit  in  der  Tonhöhe  und  um  die  Empfindung 
für  den  Grad  dieser  Aehnlichkeit,  die  man  Tonhöhenverwandtschaft  zu  nennen 
pflegt.  Zu  dieser  Vergleichung  und  Zusammenfassung  bedarf  das  Ohr  be- 
stimmter Maasse,  an  denen  es  die  Tonverwandtschaft  messen  kann.  Diese  Maasse 
sind  nach  meiner  Auffassung,  deren  Begründung  man  in  meinen  andern  Ar- 
tikeln nachlesen  mag:  1)  die  drei  Grundintervalle  (reine  Octave,  reine  Quinte 
und  grosse  Terz),  zu  deren  Auffassung  die  Anlage  angeboren  ist,  wie  die  An- 
lage zur  Auffassung  einfacher  Verhältnisse  überhaupt;  2)  der  Ganz-  und  Halb- 
ton, zu  deren  Auffassung  das  Ohr  erst  durch  häufiges  Anhören  dieser  Schritte 
entwickelt  und  ausgebildet  werden  muss.  Hieraus  ergeben  sich  zwei  Arten 
von  Tonhöhen  verwand  tschaft  (s.  d.):  a)  die  harmonische,  b)  die  Ver- 
wandtschaft durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe.  Das  Ohr  erkennt  beide 
Arten  durch  Abmessen  der  betreffenden  Intervalle.  Das  musikalische  G.  im 
engsten  Sinne  reducirt  sich  demnach  darauf,  die  vermittelnden  Intervalle  (reine 
Octave,  reine  Quinte,  grosse  Terz,  Ganz-  und  Halbton)  in  allen  möglichen 
Verbindungen  und  Zusammensetzungen  genau  und  schnell  abmessen  zu  können. 
Aus  den  Artikeln  Consonanz  und  Dissonanz,  Fortschreitung  u.  s.  w, 
ergiebt  sich,  dass  die  Zahl  der  möglichen  Verbindungen  jener  Intervalle  eine 
ganz  unbegrenzte  ist,  und  dass  diese  möglichen  Intervallcombinationen  bald 
sehr  einfach,  bald  sehr  zusammengesetzt  sein  können.  An  derselben  Stelle 
findet  man  ferner,  dass  die  Verwandtschaft  durch  Nachbarscliaft  in  der  Ton- 
höhe für  sich  nur  erkannt  wird  von  solchen  Hörern,  die  sich  schon  viel  mit 
Musik  beschäftigt  haben,  weil  erst  die  Gewöhnung  des  G.'s  an  die  Ganz-  und 
Halbtonschritte  zu  dem  Besitze  der  erfordex'lichen  Maasse  führt.  Da  nun  nach 
meiner  Auffassung  nur  die  Anlage  zur  Auffassung  der  drei  Grundintervalle 
den  Menschen,  und  zwar  allen  vollsinnigen  Menschen,  angeboren  wird,  so  muss 
zur  Auffassung  solcher  Tonhöhenverwandtschaften,  in  denen  das  Ohr  compli- 
cirtere  Intervallverbindungen  abzumessen  hat,  erst  gebildet  werden.  Dass  diese 
Ausbildungsfähigkeit  wirklich  vorhanden  und  nothwendig  ist,  ergiebt  sich  hier- 
aus von  selbst.  Beachtet  man  das,  was  unter  Fortschreitung  mitgetheilt  wurde, 
so  wii'd  klar  werden,  warum  ein  Ohr,  welches  die  Verwandtschaft  zwischen  den 
Tönen  im  Beispiele  a  zu  erkennen  vermag,  noch  nicht  befähigt  zu  sein  braucht, 
das  Beispiel  b  richtig  aufzufassen. 

a.  („Freiheit,  die  ich  meine",  Karl  Gross).  b.  („0  du,  mein  holder  Abendstern", 


-rijz 


nt: 


^^^^^^m^^i^mm^^ 


R.  Wagner). 


Diese  Ausbildungsfähigkeit  ist  eine  ganz  unbegrenzte,  weil,  wie  aus  meinen 
früheren  Artikeln  zu  ersehen  ist,  die  Zahl  der  möglichÄi  Intervallverbindungen 
und  deren  Verschiedenheit  eine  ganz  unbegrenzte  ist.  —  Unser  musikalisches 
G.  im  engeren  Sinne  lässt  sich  nun  nach  zwei  verschiedenen  Seiten  entwickeln. 
Zunächst  kann  es  geübt  werden,  die  vermittelnden  Intervalle  immer  genauer 
abmessen  zu  lernen.  Von  einem  Geiger  oder  Sänger,  der  dies  im  hohen  Maasse 
versteht,  sagt  man,  er  habe  eine  gute  oder  reine  Intonation.  Wer  Fehler  in 
der  Intonation  leicht  erkennt,  dem  spricht  man  ein  »gutes«  oder  »feines«  G.  zu. 
Ein  solches  ist  für  einen  Musiker  von  grosser  Wichtigkeit,  da  die  reine  In- 
tonation ein  nicht  zu  unterschätzendes  Moment  der  Schönheit  in  der  Musik 
ist.     Theils    durch    besondere  Uebungen,    theils    durch    häufiges  Anhören    rein 


Gehörbildung  —  Gebot.  169 

ausgeführter  Musik,  kann  dasselbe  zu  einer  grossen  Schärfe  entwickelt  werden. 
Für    die    eigentliche  musikalische  Aufifassung  ist  diese  Fähigkeit  aber  von  nur 
untergeordneter  Bedeutung;    zu    einem    feinen  Gr.  gelangen    auch    oft  ganz  un- 
musikalische Personen,  so  z.  B.  Akustiker,  Mechaniker  und  Instrumentenstimmer, 
die  Veranlassung  zu  häufiger  Uebung  in  dieser  Beziehung  haben.    Zum  grossen 
G-lücke    für    unsere  jetzige  Musikentwickelung   ist  das   Gr.  der  meisten  Musiker 
nicht  so  fein,  dass  es  allzu  grossen  Anstoss  an  den  unreinen  Intervallen  unserer 
temperirten  Stimmung    nähme.    —    Das   musikalische  Gr.  lässt  sich  aber  ferner 
auch    dahin    entwickeln,    dass  es  immer  zusammengesetztere  Verbindungen  der 
Grundintervalle    und    immer    ferner  liegende  Anwendungen  der  Verwandtschaft 
durch  Nachbarschaft  in  der  Tonhöhe  in  ihre  Einzelbestandtheile  auflösen  lernt, 
die  Tonhöhenverwandtschaft  also  auch  in  schwierigen  Fällen  leicht  und  schnell 
erkennt.     "Wer  diese  Fähigkeit  in  hervorragendem   Grade  besitzt,  der  hat  nach 
meiner  Bezeichnung    ein    »gebildetes«  musikalisches  G.     Die  Ausbildung  dieser 
Anlage    sollte  Gegenstand    eines    bis   jetzt    leider    vernachlässigten  Theiles   des 
praktischen  Musikunterrichts  sein,  nämlich  der  »Gehörbildungslehre«.     Einigen 
Ersatz   verschafft    man    sich    in    dieser  Beziehung  dadurch,    dass  man  sich  ein- 
gehend mit  der  Musik  aller  Zeiten    und   Style  beschäftigt.    —    Aus  der   That- 
sache,  dass  die  Verbindungen  der  drei  Grundintervalle  unbegrenzt  mannigfaltig 
sind,    und    dass    diese  Mannigfaltigkeit  durch  Zuziehung  der  Nachbarschaft  in 
der  Tonhöhe  noch  unendlich  vermehrt  wird,  ergiebt  sich  folgende  beherzigens- 
werthe    Consequenz:    »Tonverbindungen,    deren  Auffassung    eine    grössere    Ge- 
wandtheit   des   Gehörs    in  Zerlegung    von  Intervallverbindungen    erfordert,    als 
man    sich    augenblicklich  erworben    hat,  klingen  zusammenhangslos  und  darum 
unangenehm.     Dazu  kommt,  dass  das   Ohr  sich  in  gewisse  Wendungen  so   ein- 
gewöhnt,   dass    ihm    andere  unangenehm    und  störend  werden.     Der  Grad  der 
Bildung  unseres  musikalischen  G.'s  wirkt  also  auf  unsern  Geschmack  bedingend 
ein,  und  zwar  in  allererster  Linie.     Die  Möglichkeit  einer  solchen  Entwickelung 
gebietet  daher  Jedem,  in  seinen  Urtheilen   sehr  vorsichtig  zu  sein.     Man  meide 
deshalb    die    unter  Musikern    wie    unter  Dilettanten    sehr    verbreitete  Unsitte, 
über  die  Compositionen  eines  Meisters  ohne  längere  Prüfung  ein  absprechendes 
TJrtheil    zu  fällen,    sobald    seine  Musik  »»nicht  zu  klingen««   scheint.     Die  ab- 
sprechenden TJrtheile  über  bahnbrechende  Tonschöpfungen,  und  namentlich  über 
die  Leistungen    neuerer  Componisten,    beruhen    grösstentheils  nicht  auf    einem 
Verletzen  musikalischer  Gesetze  von   Seiten  der  Componisten,  sondern  auf  der 
eigenen  unzui'eichenden ,  weil  einseitigen  musikalischen  Bildung  der  Urtheilen- 
den«.     (Vgl.    des  Verf.    »Elementarbuch    der   Harmonie    und  Modulationslehre« 
S.  23).  Otto  Tiersch. 

Gehörbildung-.  Alle  Sinnesorgane  lassen  sich  durch  Uebung  und  Gewöh- 
nung entwickeln  und  verschärfen,  also  für  bestimmte  Wahrnehmungen  bilden. 
Dasselbe  ist  mit  dem  Gehörorgane  der  Fall.  Von  G.  spricht  man  indessen 
nur  in  musikalischer  Beziehung  und  versteht  darunter  die  Entwickelung  der- 
jenigen Anlage,  welche  musikalische  Eindrücke  zu  vermitteln  hat.  Näheres 
sehe  man  in  dem  Art.  »Gehör«  nach.  0.  T. 

Gehörempflndung    ist    die    durch  gewisse  Bewegungen  der  Körper  hervor- 
gerufene Reizung  der  Gehörnerven.     Die  Wahrnehmung  einer  solchen  Empfin- 
dung heisst  ein   Schall  (s.  d.  und  Akustik).  0.   T. 
Gehörquinten,  s.  Ohrenquinten. 

Geliörquinten,  s.  Fortschreitung  (der  Intervalle). 
Gehet,  John,  belgischer  Violinvirtuose,  Instrumentalcomponist  und  didak- 
tisch-musikalischer Schriftsteller,  um  1756  geboren,  besuchte  auf  Concertreisen 
England,  Deutschland  und  Frankreich,  lebte  aber  zumeist  in  London.  Seine 
verschiedeuzeitig  in  Sammlungen  zu  Paris,  Berlin  und  London  erschienenen 
Quartette,  Trios  und  Duos  für  Streichinstrumente  waren  sehr  beliebt.  Ausser- 
dem hat  er  eine  Violinschule,  betitelt  r>Ärt  of  hoiving  the  Violin«,  eine  Instru- 
mentationsmethode:   r>The    complete   instructor   for    every    instrumenU    (London, 


170  Gehra  —  Geibel. 

1790)    und    ein  Lehrbuch:    »A    treatise    on    the    theory  and  practice  of   musia 
(London,   1784)  veröffentlicht. 

Gehra,  Johann  Heinrich,  deutscher  Orgelspieler  und  Kirchencomponist, 
geboren  um  1715  zu  Langenwiese  bei  Ilmenau,  war  gräfl.  reuss'scher  Kammer- 
musiker und  Organist  an  der  Hauptkirche  zu  Gera  und  stai'b  am  26.  Septbr. 
1785.  Seine  damals  sehr  gerühmten  Kirchencantaten  und  übrigen  Arbeiten 
sind  Manuscript  geblieben.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Johann  Gottlieb  G., 
geboren  um  1745  zu  Gera,  erwarb  sich  auf  Kunstreiseu  1770  durch  Deutsch- 
land und  Prankreich  einen  glänzenden  Ruf  als  Harfen-  und  Ciaviervirtuose. 
Seit  1772  lebte  er  in  Lyon  als  Musiklchrer  und  Inhaber  einer  Musikhandlung 
und  Notenstecherei,  starb  aber  daselbst  schon  um  1778.  In  Frankreich  sollen 
Plötenconcerte  und  kleinere  Harfen-  und  Ciavierstücke  seiner  Composition  er- 
schienen sein. 

Gehring-,  Franz,  liervorragender  deutscher  Musikfeuilletonist,  verfasste, 
in  Bonn  lebend,  seit  Bischofs  Tode  die  Theater-  und  Concertberichte,  sowie 
die  musikliterarischen  Besprechungen  für  die  Kölnische  Zeitung,  bis  er  1871 
nach  Wien  übersiedelte  und  in  gleicher  Thätiglceit  für  dortige  Blätter  seinen 
Ruf  als  tüchtiger  Kritiker  befestigt  und  vergr()ssert  hat. 

Geliring',  Johann  Michael,  einer  der  grössten  Hornvirtuosen  des  18. 
Jahrhunderts,  geboren  am  14.  Aug.  1755  zu  Dürrfeld  im  Würzburg'schen,  be- 
suchte von  1763  an  die  Klosterschule  zu  Ebrach,  wo  er  u.  A.  im  Gesang  und 
Violinspiel  unterrichtet  und  ziemlich  weit  gebracht  wurde.  Als  er  in  Würz- 
burg Theologie  studirtc,  lernte  er  Abt  Vogler  kennen,  in  dessen  Umgange  er 
sich  der  Tonkunst  so  entschieden  zuwandte,  dass  er,  um  seinem  Fachstudium 
entsagen  zu  dürfen,  zu  seinem  Vater,  einem  Jägermeister,  zurückkehrte  und 
mit  demselben  das  Waidwei'k  betrieb.  Daneben  übte  er  das  Hornblasen  mit 
einem  Erfolge,  dass  seine  Technik  den  Grad  gewöhnlicher  Kunstfertigkeit  bald 
hoch  überragte.  Der  Graf  Bender  in  Dresden,  welcher  ihn  nach  dem  Tode 
seines  Vaters  als  Jäger  in  den  Dienst  nahm,  liess  ihn  deshalb  durch  Hummel 
musikalisch  weiter  ausbilden  und  nahm  ihn  um  die  Zeit  des  bairischen  Erb- 
folgekriegs mit  nach  Wien,  wo  G.  als  Virtuose  in  den  Kreisen  der  Aristokratie 
ein  solches  Aufsehen  erregte,  dass  ihn  der  Erzherzog  Maximilian  als  ersten 
Hornisten  des  Orchesters  der  italienischen  Oper  anstellen  liess.  Im  J.  1781 
vertauschte  G.  diese  Stelle  mit  einer  eben  solchen  in  der  Privatkapello  des 
Fürsten  Graschalkowitz,  machte  mit  Tyrei  1785  eine  sehr  erfolgreiche  Kunst- 
reise durch  Deutschland  und  die  Schweiz  und  wurde  nach  seiner  Rückkehr, 
1787,  vom  Fürsten  zum  Kammermusiker  und  ersten  Kammersänger  ernannt. 
Er  starb  zu  Anfang  des   19.  Jahrhunderts  zu  Wien. 

Gehriug,  Johann  Wilhelm,  ausgezeichneter  deutscher  Fagottvirtuose 
und  guter  Musiker,  war  seit  1753,  als  Amtsnachfolger  Gebel's,  fürstl.  schwarz- 
burg'scher  Kapellmeister  und  starb  als  solcher  1787  zu  Rudolstadt.  Auch  als 
Componist  war  er  vorthcilhaft  bekannt;  seine  Compositionen  sind  jedoch  Ma- 
nuscript geblieben.  —  Sein  Sohn,  Ludwig  G.,  geboren  um  1762  zu  Rudol- 
stadt, kam  1780  mit  dem  Rufe  eines  vorzüglichen  Flötisten  in  das  Hoforchester 
zu  Wien  und  erlangte  die  besondere  Gunst  des  Kaisers  Joseph  IL,  der  ihn 
auf  seine  Kosten  zu  Kunstreisen  nach  Franki-eich  und  Italien  schickte,  wo  G. 
Beifall  und  Bewunderung  fand.  G.  starb  1821  zu  Wien  als  pensionirter  kaiserl. 
Kammermusiker. 

Gehse,  s.  Walker. 

Geibel,  Friedrich,  ein  vorzüglicher  deutscher  Orgelbauer,  der  trotz  allzu 
kurz  bemessener  Lebenszeit  sehr  verdienstvoll  in  seinem  Fache  in  Dessau  ge- 
wirkt hat.  Geboren  1803  zu  Wetzlar,  starb  er  schon  am  ö.Decbr.  1840  zu  Dessau. 

Geibel,  Konrad,  trefflicher  deutscher  Orgelspieler  und  Pianist,  geboren 
1813  zu  Lübeck,  war  ein  Bruder  des  berühmten  lyrischen  Dichters,  Emanuel 
Geibel,  mit  dem  zusammen  er  in  seiner  Vaterstadt  eine  tüchtige  Schulbildung 
erhielt.     Er  folgte  schliesslich  seinem  Drange  zur  Tonkunst,  für  welchen  Zweck 


Geier  —  Geigenwerk.  171 

er  sich  praktisch  und  theoretisch  auf's  Beste  unterweisen  liess.  Selbstständig 
geworden,  trat  er  mit  Liedern,  Kirchengesängen,  Ciavier-  und  Orgelstücken 
hervor  und  übernahm  die  Organistenstelle  an  der  reformirten  Kirche  zu  Lübeck, 
die  er  bis  zu  seinem   Tode,  am  24.  April  1872,  inne  hatte. 

Geier,  Martin,  deutscher  Musiker,  geboren  1614  zu  Leipzig,  gestorben 
1680  zu  Freiberg,  war  ein  Schüler  von  Heinrich  Schütz  in  Dresden  und  hat 
über  diesen  seinen  Lehrer  interessante  Aufschlüsse  und  Mittheilungen  ge- 
geben. 

Geige  ist  der  Geschlechtsname  aller  derjenigen  Saiteninstrumente,  bei  wel- 
chen der  Spieler  die  Saiten  als  Klangerreger  durch  Anstreichen  mit  einem 
Bogen  in  Schwingungen  versetzt,  während  er  den  gewünschten  Tonhöhen  ent- 
sprechende Theile  von  der  Saite  durch  Aufsetzen  der  Finger  abgrenzt.  Die 
Benennung  G-.  ist  romanischen  Ursprungs,  von  gigue  (franz.)  oder  guigua  (ital.), 
d.  i.  Schenkel  abgeleitet  und  nicht  vor  1200  im  Mittelhochdeutschen  an  die 
Stelle  des  deutschen  Namens  Fiedel  (s.  d.)  getreten.  Die  gegenwärtig  allein 
noch  bekannten  von  den  in  Art  und  Grösse  sehr  verschiedenen  Geigen 
sind:  1)  die  Discantgeige  oder  Violine  (ital.:  Violino,  franz.:  Violon); 
2)  die  Altgeige,  Bratsche  oder  Armgeige  (ital.:  Viola  alta  oder  Viola  da 
braccia,  franz.:  Viele);  3)  die  Tenor-  oder  kleine  Bassgeige  (itah:  Violon- 
cello); 4)  die  grosse  Bassgeige,  Contrabassgeige,  Contrabass  oder 
Contraviolon  (ital.:  Violone,  franz.:  Basse  de  Violon);  5)  die  älteren,  gegen- 
wärtig ausser  Gebrauch  gekommenen  Arten:  a)  der  Liebesgeige  (ital.:  Viola 
d^amore,  franz.:  Viole  d'amour);  b)  der  Kniegeige  (ital.:  Viola  da  gamba), 
des  Vorläufers  unseres  Violoncellos;  c)  einige  andere  Arten  der  Viola,  als: 
Viola  bastarda  (veraltete  Gattung  der  Viola  da  gamba),  ferner  Viola  di 
bordone  (Baryten),  dann  Viola  pomposa,  endlich  Viola  da  spalla  (Schultergeige) ; 
6)  die  Tromba  marina  oder  der  Trumbscheit  und  noch  mehrere  andere. 
Alle  die  zuletzt  genannten  Geigenarten  sind,  ihrer  grösseren  oder  geringeren 
UnVollkommenheiten  wegen  und  weil  sie  der  modernen  Technik  nicht  Genüge 
zu  leisten  vermochten,  von  den  vier  ersten  völlig  verdrängt,  welcher  Verlust, 
ausgenommen  höchstens  die  Viola  d^amore,  kaum  zu  beklagen  ist.  —  Allen 
Geigengattungen  gemeinsame  Theile  sind  folgende:  die  Saiten  mit  dem  Sai- 
tenhalter, Hals,  Griffbrett  und  "Wirbelkasten;  der  Resonanzkörper 
(Decke,  Boden  und  Zargen);  der  Steg,  die  Stimme  und  der  Balken; 
der  Bogen.  Alle  diese  Gattungen  sowohl,  wie  Instrumenttheile  finden  in  den 
betreffenden  Einzelartikeln  Erledigung;  über  Bau,  Technik,  Umfang,  Charakte- 
ristik u.  s.  w.  unserer  modernen  Geigen  insbesondere  sehe  man  die  Artikel 
Violine,  Viola,  Violoncello  und  Contrabass. 

Geigenbogen,  s.  Bogen. 

Geigenclavieymbel,  s.  Bogenclavier. 

Geigenclavier,  dasselbe  was  Bogenclavier  (s.  d.). 

Gelgenharz,  s.   Colophonium. 

Geigeninstrument,  s.  Geige  und  Streichinstrument. 

Geigenprincipal,  nennt  man  ein  selten  vorkommendes,  durch  seinen  schnei- 
denden geigenartigen  Klang  sehr  angenehmes  1,25-  auch  2,5  metrig  aus  Zinn 
gefertigtes  Orgelregister.  Dasselbe,  eine  Flötenstimme  (s.  d.)  ist  enger  men- 
surirt  als  das  gewöhnliche  Principal,  hält  im  Klange  ungefähr  die  Mitte  zwi- 
schen diesem  und  der  Gambe  (s.  d.) ,  und  wird  meist  im  Manual  gesetzt  ge- 
funden. In  der  "Waltershausener  Orgel  steht  ein  G.  ^,5  metrig  im  Prospekt 
des  Oberwerks.  0. 

Geigenregal  ist  ein  Regal  (s.  d.)  der  Orgel,  das,  ein  Rohrwerk  (s.  d.), 
in  neuerer  Zeit  fast  gar  nicht  mehr  gebaut  wird.  Mehr  berichtet  "W.  "Wolf- 
ram in  seinem  Werke  über  die  Orgel  (Gotha,  1815),  Seite  181.  Für  diese 
Orgelstimme  findet  man  auch  die  Namen  Jungfernregal  und  Singend- 
regal  in  Gebrauch.  0. 

Geigen  werk,  nürnberg'sclies,  s.  Gambenwerk. 


172  Geiger  —  Geissler. 

Geiger,  Joseph,  Pianist  und  Componist,  geboren  1814  im  Niederöstreich'- 
schen,  lebte  als  vom  Kaiserhofe  wie  vom  Publikum  geschätzter  Musiklehrer  zu 
Wien  und  veröffcntliclite  Clavicr-  und  Kirchencompositionen.  Eine  Oper  von 
ihm,  »Wlasta«  gelangte  1840  daselbst  zur  Aufführung,  verschwand  aber  alsbald 
wictlcr,  ohne  Erfolg  gehabt  zu  haben.  Gr.  selbst  starb  am  30.  Decbr.  1861  zu 
Wien.  —  Seine  Tochter,  Constanze  Ct.,  1836  zu  Wien  geboren,  erhielt  sehr 
früh  von  ihrem  Vater  Clavieruntei'richt  und  erregte  als  sogenanntes  musikalisches 
Wunderkind  seit  ihrem  sechsten  Jahre  in  Wien  und  auf  mehreren  Concert- 
reisen  Aufsehen.  In  nicht  geringerem  Grade  machten  sich  auch  ihre  Com- 
positionsanlagen  bald  geltend  und  im  Laufe  der  Zeit  sind  von  ihr  Ciavierstücke, 
sowie  Gresänge  und  Lieder  geistlichen  und  weltlichen  Lihalts  im  Druck  er- 
schienen.     Sie  lebt  gegenwärtig  als  Pianistin  und  Musiklehrerin  zu  Wien. 

Geiger  oder  Jäger,  Konrad,  einer  der  berühmtesten  deutschen  Meister- 
singer des  13.  Jahrhunderts,  der  in  einem  alten  Meistergesang  und  in  andern 
älteren  Schriften  als  der  zehnte  von  den  zwölf  ältesten  Meistern  aufgeführt 
wird.  Diese  Quellen  nennen  ihn  auch  einen  Musikanten  und  als  seinen  Ge- 
burtsort Würzburg.     Alle  näheren   Mittheilungen  fehlen. 

Geigerköuig,  s.  König  der  Geiger. 

Geijer,  Erik  Gustaf,  vorzüglicher  schwedischer  Tonkünstler,  Dichter 
und  Geschichtsforscher,  geboren  1783  zu  Ransätter  in  der  Provinz  Wermeland, 
war  Professor  der  Geschichte  an  der  Universität  zu  TJpsala  und  starb  daselbst 
im  J.  1847.  Gesänge  und  Ciavierstücke  seiner  Composition  sind  im  Druck 
erschienen  und  auch  weiter  vortheilhaft  bekannt  geworden.  Sein  Hauptwerk 
ist  jedoch  eine  mehrbändige  Sammlung  alter  schwedischer  Nationallieder,  die 
Frucht  bedeutenden  Fleisses,  welche  er  in  Verbindung  mit  A.  A.  Afzelius 
unter  dem  Titel  »Svenska  follcvisora  (3  Bde.,  Stockholm,  1814 — 1816)  herausgab. 

Geissler,  Johann  Gottlieb,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1776  und 
gestorben  1827  als  Musiklehrer  zu  Zittau.  Er  ist  der  Verfasser  einer  »Be- 
schreibung und  Geschichte  der  neuesten  und  vorzüglichsten  Insti'umente 
und  Kunstwerke  für  Liebhaber  und  Künstler«,  welches  Buch  1811  in  zweiter 
Auflage  erschien. 

Geissler,  Karl,  tüchtiger  deutscher  Componist  und  Musikpädagog,  ge- 
boren am  28.  April  1802  zu  Mulda  bei  Frauenstein  in  Sachsen,  vei'dankte 
seine  wissenschaftliche  und  musikalische  Bildung  seinem  Vater,  dem  dortigen 
Organisten  und  Cantor  K.  B.  Geissler,  dem  er  auch  schon  mit  neun  Jahren 
den  Orgeldienst  zum  Theil  abnehmen  konnte.  Zwölf  Jahre  alt,  wurde  G.  auf 
das  treffliche  Gymnasium  zu  Freiberg  gebracht,  wo  ihn  zugleich  der  damalige 
Domorganist  im  Ciavier-  und  Orgelspiel,  sowie  der  Cantor  und  Musikdirektor 
Fischer  in  der  Harmonie-  und  Compositionslehre  weiter  unterrichteten.  Als 
er  18  Jahre  alt  war,  wurde  er  Präfect  des  Freiberger  Stadtsingechors  und 
fand  sich  dadurch  zu  eigenen  Compositionen  sehr  angeregt,  wie  er  denn  gleich- 
zeitig sich  in  der  Direktion  und  in  der  Partiturenkenntniss  üben  und  vervollkomm- 
nen konnte.  Als  Pianist  trat  er  zu  gleicher  Zeit  in  den  Gewandhausconcerten 
zu  Freiberg  wiederholt  auf  und  versah  endlich  mehrere  Jahre  lang  auch  den 
Orgeldienst  in  der  St.  Petrikirche.  Im  J.  1822  wurde  er  bereits  als  Organist 
und  dritter  Lehrer  an  die  Stadtschule  nach  Zschopau  berufen,  rückte  später 
zum  zweiten  Lehrer  auf  und  übernahm  damit  zugleich  die  Leitung  der  Kirchen- 
aufführungcii  und  Concerte  der  Stadt.  In  dieselben,  nur  einträglicheren  Stellen 
wurde  er  1854  nach  Bad  Elster  gezogen  und  starb  auch  daselbst  im  J.  1869. 
—  Seine  Compositionen  bestehen  in  zahlreichen  instruktiven  Ciavierstücken, 
vielen  Präludien,  Fantasien,  Fugen  für  Orgel,  kleinen  Kirchengcsangsachen, 
mehrstimmigen  Gesängen  u.  s.  w..  Alles  gediegen  und  von  Werth.  Ausserdem 
redigirte  er  ein  »Museum  für  Orgelspieler«,  das  »Repertorium  für  üeuschlands 
Kirchenmusiken«  und  den  »jungen  Pianofortespieler«,  Sammlungen,  die  viele 
Tonstücke  von  ihm  mitenthalten.  Endlich  hat  er  auch  ein  Choralbuch  mit 
340  Melodien  herausgegeben. 


Geist.  173 

Geistj  greistreich;  geistvoll.  Von  jeder  Leistung  im  Grebiet  schöner  Künste 
wird    Geist  verlangt,   von   musikalischen  Productionen    nicht    minder    als    von 
denen  der  Poesie,  der  Malerei  und  anderer  höherer  Künste.    Mit  dieser  Forde- 
rung kann  zweierlei  gemeint  sein,  je  nachdem  das  Wort  »Geist«  in  einer  wei- 
teren   oder    einer    engeren  Bedeutung    gefasst  wird.     Nimmt   man  es  im  allge- 
meinsten Sinne  —  als  Inbegriff  aller  geistigen  Kräfte  und  Eigenschaften,  als 
Gegensatz    zum  »Materiellen,    Sinnlichen,    Körperlichen«   —   so  ergibt  sich  die 
Nothwendigkeit  obiger  Forderung  bereits  aus  dem  Urwesen  der  Künste.     Denn 
alle"  Künste    sind  Darstellungen    eines    geistigen  Inhalts    in  sinnlicher  Form: 
die  Poesie  drückt  durch  "Worte   Gedanken,  die  Musik  durch   Töne  Gefühle,  die 
Malerei    durch    sichtbare    Gebilde   Handlungen,    Situationen,    Stimmungen  aus, 
u.  s.  f.     Obiger  Grundsatz    verlaugt    also    vom   Künstler,    dass    er    des    eigent- 
lichen und  wahren  Wesens  der  Kunst  eingedenk  sein,   und  die  sinnliche   Seite 
derselben    stets    als  Mittel    zum  Au.sdruck    eines    Geistigen,    niemals    aber    als 
Zweck  ansehe  und  behandle.    Für  den  Componisten  fliesst  hieraus  das  Princip, 
dass  er  es  nie  bei  blossen  leeren  Toncombinationen,    die  nichts    ausdrücken, 
bewenden  lassen  dürfe;  füi-  den  vortragenden  Musiker:  dass  äussere  Richtigkeit 
und  selbst  äussere  Schönheit  (Wohlklang)  seiner  Leistung  noch  keinen  Kunst- 
werth  verleihen,  sondern  erst  die  Darstellung  des  geistigen  Gehaltes  der  Com- 
position,  der  »Vortrag«;  ferner,  dass  technische  Geschicklichkeit,  Virtuosität  an 
sich  auf  künstlerische  Bedeutung  keinen  Anspruch  machen  kann,  sondern  nur 
als    das  Handwerk    der  Kunst    zu    betrachten    ist,    das   ihrem  geistigen  Wesen 
dienstbar    werden   soll.     Es    sind   dies   jene  Principien,    deren   speciellere  Aus- 
führung bereits  in  den  Artikeln  »Charakter«  und  »Gefühl«  gegeben  ist,    daher 
füglich    hier    übergangen  werden    kann.    —    Nimmt    man    hingegen  »Geist«  im 
engeren  Sinne,  speciell  als  denkenden  Geist  —  im  Gegensatz  zum  Gefühl  — , 
so  würde  obiger  Satz  bedeuten:    dass  in  jeder  Kunstproduction  ein  Gehalt  an 
»Gedanken«  vorhanden  sein  solle.    Auch  diese  Forderung  hat,  wie  für  die  Kunst 
überhaupt,  so  für  die  Musik  ihre  Giltigkeit,    selbst  für  die  reine,  wortlose  In- 
strumentalmusik.    Die  Erörterung    dieses   Grundsatzes    kann   jedoch    hier  eben- 
falls unterbleiben,   da    dieselbe  in  dem  Artikel  »Gedanke«  ihre   Stelle  gefunden 
hat.  —  Nun  wird  aber  das  Wort  »Geist«  noch  in  einer  dritten  Bedeutung  ge- 
braucht,   in  welcher   es  eine  bestimmte  Art    des  Geistes,    oder  eine  bestimmte 
Anwendung    geistiger    Fähigkeiten    bezeichnet,    und    mit    demjenigen    Begriff 
übereinkommt,  der  sich  in  dem  französischen  y>esprit<i  und  dem  deutschen  »geist- 
reich« ausspricht.     Das  »Geistreiche«    gehört   zunächst  der  Poesie  an,    als  der- 
jenigen Kunst,  die  es  überhaupt  mit  dem  speciell  Geistigen,  mit  dem  Gedanken 
und   seinem  Ausdruck   zu  thun  hat.     Hier  bekundet  sich  der  ytesprita.  in  erfin- 
dungsreichen, phantasievollen,  interessanten,  überraschenden  Wendungen  sowohl 
des   Gedankens  als  des  Ausdrucks.     Ein  speciell  geistreicher   Schriftsteller,  wie 
z.  B.  Heine,  wählt  zur  Darstellung  seiner  Gedanken  nie  die  nahe  liegenden,  die 
sich    durch    die  Sache    selbst  anbietenden  Ausdrücke,    auch    keineswegs   immer 
solche  Bilder  und  Metaphern,    die  durch  ihre   Schönheit  wirken,    und  die  man 
als  »poetische«  preisen  würde,  sondern  zumeist  solche,  die  überraschen,  die  durch 
Seltsamkeit,  durch  Offenbarung  einer  originellen  Denkart,    durch  bunte  Unter- 
einanderwürfelung   verschiedenartiger,   meist   contrastischer  Begriffe,    einen   leb- 
haften,   blendenden  Effekt    machen;    ebenso    geben  seine  Gedanken  selbst  nicht 
diejenigen  Bemerkungen    über    die  Dinge,    die    durch    einfach  -  folgerichtige  Be- 
trachtung gewonnen  werden,  auch  meistens  nicht  jene  »tiefen«  Wahrheiten  und 
Ideen,    welche    der    eigentliche   Denkergeist,    der   geistvolle    Dichter    aus    dem 
Schachte  der  Gedankenwelt  ans  Licht  führt,    —  sondern  er  weiss  mit  ausneh- 
mender Geschicklichkeit  und  Erfindungskraft  an  den  Dingen  solche  Eigenschaften 
und    Beziehungen    zu    entdecken,    die    durch    ihre    Sonderbarkeit    eine    pikante 
Wirkung  machen,   die  uns  neu,   eigenthümlich  erscheinen,   uns  die  Originalität 
des  Autors  bewundern  lassen,    oft  auch  uns  zum  Lachen  bringen,    oder,  durch 
contrastische  Zusammenfügung  des  Traurigen  und  Lustigen,  ein  trübes  Lächeln 


174  üeist  —  Geistreich. 

erregen  —  in  welchem  letzteren  Falle   der  Dichter  sich   in  dem  speciellen  Ge- 
biete des  »Humors«  bewegt.  —  Man  sieht,   das  Geistreiche  manifestirt  sich  im 
Allgemeinen,  bei  reicher  und  lebendiger  Erfindungskraft,  durch  ein  freies,  will- 
kiu-liches,  launenhaftes  und  launiges  Schalten  des  Geistes;  es  ist  ein  springendes 
Verfahren    mehr    als    ein    entwickelndes,    mehr  auf  Yielgestaltigkeit  und  phan- 
tastische  Combination,  als  auf  plastische  Ausbildung  hinzielend,  mehr  lebendig 
als  tief,  mehr  durch  einzelne  Momente,  dm-ch  Einfälle  blitzartig  wirkend,  als 
grosse  Formen  nach  dem  Prinzip    der  Consequenz    aufbauend,  —  Dies  Ver- 
fahren kann  sich  nun  in  genau  derselben  Weise   auch  in  der  Musik,    selbst  in 
der  absoluten  Instrumentalmusik,  kundgeben:  wie  dort  auf  dem  Boden  des  Ge- 
dankens   und   des    begrifflichen  Ausdrucks,   so    hier  in  der  Sphäre  des   Gefühls 
und  der   Tonformationen.     Der  »geistreiche«   Componist  liebt  es,    Themata  und 
Motive    zu    erfinden,    die    durch   Seltsamkeit    der   Gestalt    oder  des  ihnen  inne- 
wohnenden  Gefühles    iuteressiren    und   verwundern    machen.      Statt  sein   Thema 
in  einer  consequenten,  gleichsam  logischen  Weise  zu  entwickeln,  gestaltet  er  es 
zu  gänzlich  unerwarteten  Formen  um,  oder  verlässt  es  auch  plötzlich  ganz  und 
gar,    um  es  nach  längerer  Zeit  ebenso    so  plötzlich  wiederzubringen;    statt  des 
üiessenden  Uebergehens  von  einer  Gestaltung  zur  andern    in    allmälig    steigern- 
der Weise    herrscht    das  Abgebrochene,    das    Hinüberwerfen    zu  Fei-nliegendem, 
und    das  vielfältige    und   vielfarbige  Durcheinandermengen  der  Gedanken.     Die- 
selbe Behandlung  erfahren  die   Motive:    ein  Motiv  wird  verlassen,    ehe  man  es 
vermutliet,    taucht  wieder  auf   mitten  unter  fremden   Gestalten,    oder,    trotzdem 
sich   viele  Motive  zur   Verarbeitung  anbieten,   wird  doch  kein  einziges  benutzt, 
sondern  man  schweift  von  Figur  zu  Figur  in  ewigem,  kaleidoskopischem  Wechsel 
u.  s.  f.     Den  Gefühlsinhalt  selbst    anlangend,    so  werden   z.  B.  solche  Gefühls- 
nüancen  aneinandergereiht,  welche  als  nicht  innerlich  zusammengehörig  erschei- 
nen,  oder   gar    ineinaudergeschmolzen,   was    sich   wesentlich    fremd   und  gegen- 
seitig abstossend  ist,  wie  Ernstes  und   Spielendes  u.  s.  w.    Während  in  tief  und 
gedankenvoll   angelegten   Compositionen    die    aufgerollte  E-eihe   der    Stimmungs- 
phasen gleichsam  als  Stamm,  Zweige,  Blätter,  Blüthen,  die  aus  dem  Samenkorn 
des  Hauptgedankens  hervorwachsen,  erscheint,    mit  einem  Wort   als  ein   orga- 
nisches Gebilde,  so  ist  ein  Tonwerk  dieser  Art  ein  Blumenstrauss  oder  Kranz 
von  einzelnen   Gefühlsmomenten,    welche,   nach  Inhalt  und  Form,  von  vorzugs- 
weise   frappirender   Wirkung  sind.    —    Der  Vertreter    des    Specifisch- Geist- 
reichen   unter    den  Componisten    der    letztvergangenen  Periode,    und  überhaupt 
der   Schöpfer  dieser   Schreibart,  ist  Chopin.     Bei  ihm  wird  man  alle  die  ange- 
führten   Merkmale    und     die     mit    ihnen    verwandten    antreffen.       Seine    Werke 
i'epräsentu-en    jene  Principien    in    ihrer    höchsten  Ausbildung,    und  zugleich  in 
der  einseitigsten  Bevorzugung  und  Zuspitzung;  daher  finden  sich  in  ihnen  alle 
Schönheiten  dieses   Styls,    aber  auch  alle  Fehler  und  Extravaganzen,    zu  denen 
derselbe  verleiten  kann.    (Weitex*es  über  diesen  Punkt  sehe  man  im  Art.  Styl.) 
—    In    der  Vocalmusik    und   Programmmusik,    woselbst   sich   ein    dichterisches 
Element  mit  dem  musikalischen  vereinigt,  kann  sich  selbstverständlich  das  Geist- 
reiche auf  beiden   Seiten  bekunden:    auf    der   musikalischen  Seite    durch  Erfin- 
dung und  Formung  nach  der  oben  beschriebenen  Weise,  auf  der  dichterischen 
durch  geistreiche  Auslegung  des  Textes  oder  der  Programmbestimmungen.    Da 
das  Geistreiche  doch  im  Wesentlichen  ein   Spiel  des   Geistes  ist,  und  sich  da- 
her am  natüilichsten  mit  dem  Heiteren,  Witzigen,  Komischen  und  Humoristischen 
verbindet,    so    findet    es    einen    besonders    geeigneten  Boden    an  der  komischen 
Oper.    Hier  tritt  es  am  stärksten  ausgebildet  bei  den  französischen  Componisten 
(z.  B.  Auber)  hervor,  welche,  mit  ihrem  nationalen  y>espriU  l^egabt,  diesen  eben- 
sowohl durch  witzreiche  Auffassung  der   Textvorlagen  als  durch  pikante  rhyth- 
mische und  melodische  Erfindung  offenbaren.  William  Wolf. 

Geistliche  Musik,  1        ^^.    ,  ^^     -rr-    ^.  t  •  j 

Geistliches  Lied,    j   ^-  Kirchenmusik,  Kirchengesang,  Lied. 

Geistreich,  s.  Geist. 


Gekröpfte  Pfeifen  -  Gelinek.  175 

Gekröpfte  Pfeifen  sind  Orgelpfeifen,  denen  oben  ein  Theil  abgeschnitten 
und  unten,  gewöbnlicb  in  einem  rechten  Winkel,  wieder  angesetzt  ist.  Dies 
geschieht  jedoch  nur  dann,  wenn  die  grössten  Pfeifen  keinen  Eaum  haben,  in 
ihrer  Länge  aufrecht  zu   stehen.     S.  auch  unter  Kropf. 

Gekünstelt  (Künstelei)  bezeichnet  jenes  Fehlerhafte  in  Kvinstwerken,  welches 
durch  Abweichen  vom  Natürlichen,  oder  durch  Uebertreibung  des  Kunstvollen, 
oder  durch  ein  TJebermaass  au  detaillirter  Ausarbeitung  entsteht.  In  ersterer 
Beziehung  würde  man  z.  B.  eine  solche  Melodie  gekünstelt  nennen,  die  in  ihren 
Wendungen  das  vom  natürlichen  ästhetischen  Grefühle  an  die  Hand  Gegebene 
verleugnet,  ohne  einen  tieferen  Grund  als  den,  etwas  Apartes,  und  dadurch 
Ueberraschendes  und  Interessantes  geben  zu  wollen  —  ein  häufiger  Fehler  der- 
jenigen Componisten,  denen  es  in  erster  Linie  ums  Geistreiche  oder  Oi'iginelle 
zu  thun  ist.  Der  zweite  Fall  findet  z.  B,  in  Fugen  statt,  in  welchen  sich  die 
kunstreichen  Verarbeitungen  der  Themen,  die  Engführungen,  Umkehrungen 
u.  s.  w.,  so  häufen  und  culminiren,  dass  das  Maass  des  Aesthetisch  -  Geniess- 
baren  überschritten  wird,  —  die  Folge  einer  zu  starken  Vorliebe  des  Compo- 
nisten für  die  technischen  Geschicklichkeiten  des  Componirens.  Der  dritte 
Fehler  entspringt  aus  Kleinlichkeit  oder  zu  grosser  Sorgsamkeit;  der  Autor 
legt  hier  das  hauptsächliche  Interesse,  statt  in  die  wesentlichen  Züge  seines 
Werkes,  in  die  Nebendinge  und  Einzelheiten,  die  er  auf  subtile  Weise  glättet 
oder  möglichst  fein  und  eigenartig  ausgestaltet,  wodurch  natürlich  dem  Haupt- 
inhalte seiner  Schöpfung  die  Einfachheit  und  Klarheit  des  Gepräges  in  höherem 
Grade  entzogen  wird,  als  dies  selbst  in  Kunstwerken  des  feinen  Styls  zu- 
lässig ist.  W.  W, 

GelaiS)  Merlin  oder  Mellin  de  St.  G.,  französischer  Musikliebhaber,  ge- 
boren 1490  zu  Angouleme  und  gestorben  1558  als  Abt  von  Eeclus  und  königl. 
Almosenier  und  Bibliothekar,  war  ein  vorzüglicher  Lautenist,  der  seine  eigenen 
Gedichte  stets  mit  eigener  Composition  vortrug.  t 

Gelasius  I.,  römischer  Papst,  geboren  in  Afrika,  wurde  492  erwählt  und 
starb  am  21.  November  496  zu  Rom.  Er  war  auch  in  der  Musik  bewandert 
und  hat  mehrere  Hymnen  in  der  Art  derer  des  heiligen  Ambro  sius  (s.  d.) 
geschafi'en.  f 

Geleitsmann,  Anton,  trefflicher  deutscher  Lautenist,  Dichter  und  Ton- 
setzer, war  1740  Mitglied  der  bischöfl.  würzburg'schen  Hofkapelle.  Von  ihm 
sind  drei   Suiten  für  die  Laute  in  Mauuscript  erhalten  geblieben.  f 

Gelenke,  so  viel  als   Taktnoten,  Takttheile,  s.   Taktglied. 

Gelinde-Gedakt  bezeichnet  eine  gedeckte  2,5  Meter  grosse  Stimme  im  Ma- 
nual   der  Orgel   von    enger  Mensur   und    sanfter  Intonation.      S.  auch   Gedakt. 

Gelinek,  Hermann  Anton,  genannt  Cervetti,  geschickter  Violin-  und 
Orgelspieler,  auch  Componist,  geboren  am  8.  Aug.  1709  zu  Horzeniowecs  in 
Böhmen,  trat  1728  in  die  Prämonsträtenser-Abtei  zu  Seelau  und  studirte,  nach- 
dem er  die  Priesterweihe  empfangen  hatte,  kanonisches  B-echt  zu  Wien.  Als 
Lehrer  und  Musikdirektor  seines  Klosters  kehrte  er  hierauf  nach  Seelau  zurück, 
fand  jedoch  das  Leben  daselbst  unerträglich  und  entfernte  sich  endlich  heim- 
lich, um  seinem  Triebe,  sich  als  Virtuose  bekannt  zu  machen,  unbeengt  folgen 
zu  können.  Auf  ruhelosen  Wanderungen  gelangte  er  1760  auch  nach  Paris, 
wo  er  vom  Könige,  der  ihn  spielen  hörte,  eine  goldene,  mit  Brillanten  besetzte 
Dose  erhielt.  In  der  Folgezeit  lebte  er  unter  dem  Namen  Cervetti  in  Italien, 
namentlich  in  Neapel.  Seine  Klosterbehörde  ermittelte  ihn  jedoch  endlich  da- 
selbst, und  er  musste  abermals  nach  Seelau  zurückkehi'en.  Nach  einigen  Jahren 
erst  trug  man  seinem  Drange  nach  künstlerischer  Freiheit  in  so  weit  Bechnung, 
als  man  ihn  nach  Prag  schickte,  wo  er  im  Hause  des  Grosspriors  des  Maltheser- 
ordens  sehr  angenehm  lebte,  bis  er  1779  wiederum  zurückberufen  wurde.  In 
Seelau  setzte  er  einen  zweiten  Fluchtversuch  ins  Werk,  gelangte  glücklich  bis 
Italien,  starb  aber  zu  Mailand  am  5.  Decbr.  desselben  Jahres  (1779).  —  Der 
grösste   Theil  seiner  Kirchen-  und  Orgelcompositioneu  befindet  sich  im  Kloster 


176  Gelinek  —  Geltang  der  Noten  und  Pausen. 

Seelau  als  Manuscript;  einige  seiner  Concerte  und  Sonaten  sind  dagegen  auch 
im  Druck  erschienen.  —  Sein  Bruder,  Johann  G.,  gestorben  1780,  war  ein 
Meister  auf  der  Orgel  und  Laute  und  wirkte  bis  zu  seinem  Tode  als  Organist 
an  St.  Wenzel  auf  der  Kleinseite  und  an  der  Barnabitenkirche  zu  Prag. 

Gelinek,  Abt  Joseph,  einer  der  fruchtbarsten  und  zu  seiner  Zeit  be- 
liebtesten Claviercomponisten,  besonders  im  Fache  der  Variationen,  geboren  am 
3.  Decbr.  1758  zu  Selcz  in  Böhmen,  erhielt  seinen  ersten  Unterricht  im  G-e- 
sang,  Clavierspiel  und  Generalbass  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  welchen 
Kenntnissen  und  Fertigkeiten  er,  als  er  in  Prag  Theologie  studirte,  noch  Orgel- 
spiel und  Compositiou,  die  er  bei  Segert  trieb,  hinzufügte.  Als  Zögling  des 
Priesterseminars  daselbst  empfing  er  1786  die  Weihen  und  kam  alsbald  daraxif, 
von  Mozart  empfohlen,  der  ihn  mit  Interesse  improvisiren  gehört  hatte,  als 
Kaplan  und  Musikdirektor  in  das  Haus  des  Grafen  von  Kinsky  in  Prag,  mit 
welchem  letzteren  er,  nach  Reisen  in  Italien,  auch  nach  AVien  zog.  Dort  soll 
er  noch  bei  Albrechtsbcrger  studirt  haben;  fest  aber  steht,  dass  er  der  be- 
schäftigtste Clavierlehrer  Wiens  war,  und  dass  seine  seichten,  leicht  hinge- 
worfenen Ciavierstücke  bis  1810  bei  den  Dilettanten  höchst  gesuchte  Artikel 
waren.  Dadurch  zur  Masseufabi'ikation  veranlasst,  war  kein  beliebtes  Thema 
des  Tages  melir  vor  seiner  Variationssucht  sicher;  man  zählt  etwa  125  Hefte 
dieser  Art,  die  seinen  Namen  tragen.  Daneben  schrieb  er  auch  massenhaft 
Fantasien,  Potpourris  u.  dergl.  über  beliebte  Motive,  ferner  Tänze,  Märsche, 
Sonaten  für  Ciavier  mit  und  ohne  Begleitung,  endlich  auch  einige  Trios  und 
Gesangsachen.  G.  sah  noch  seinen  schnell  erworbenen  Ruhm  als  Modecomponist 
mehr  und  mehr  wieder  erbleichen,  denn  er  starb  erst  am  13.  Aj^ril  1825  als 
Hauscaplan  des  Fürsten  von  Esterhazy  in  AVien,  in  dessen  Diensten  er  seit 
1795   gestanden  hatte. 

Geltende  Noten  werden  im  Gegensatze  zu  den  durchgehenden  oder  Neben- 
vmd  Wechselnoten  auch  die  Hauptnoten,  die  bezifferten  oder  anschlagenden 
Noten  genannt. 

Gellius,  Aulus,  berühmter  römischer  Schriftsteller,  der  ums  Jahr  165  n. 
Chr.  lebte,  hat  in  seinem  20  Bücher  umfassenden  AVerke  »Noctes  atticae«.  Lib. 
I  c.  11,  Lib.  IV  c.  13  und  17,  Lib.  XVI  c.  19  und  Lib.  XVIII  c.  14  etc. 
musikalisch  interessante  Auszüge  aus  älteren,  verloren  gegangeneu  Quellen  mit- 
getheilt.  t 

Geltung  der  Noten  und  Pausen.  Alle  Notengattungen  haben  eine  zwei- 
fache Bedeutung:  durch  den  Ort,  welchen  sie  auf  dem  Liniensysteme  einnehmen, 
bezeichnen  sie  die  Höhe  und  die  Tiefe;  durch  ihre  äussere  Gestalt  die  Dauer 
des  Tons.  Die  Pausen  können  nur  eine,  auf  die  Dauer  des  durch  sie  ausge- 
drückten tonleeren  Raumes  sich  beziehende  Bedeutung  haben;  ihre  Stellung 
auf  dem  Liniensysteme  ist  an  und  für  sich  gleichgültig.  Die  Zeitdauer  der 
Noten  und  Pausen  nennt  mau  ihre  Geltung.  Diese  ist  zweifacher  Art:  bestimnjt 
und  unbestimmt,  absolut  und  relativ.  Absolut  ist  sie  in  Betreff  des  Verhält- 
nisses der  verschiedenen  Notengattungen  zu  einander,  sofern  ein  Ganzes  seinen 
verschiedenen  Arten  von  Theilen  gegenüber  immer  das  Ganze,  die  Theile  ihm 
gegenüber  immer  dieselben  Theile  bleiben,  also  die  ganze  Note  (^)  stets  den 
Werth  von  zwei  Halben  (  |  1),  vier  Vierteln  (J  J  J  J  )  u.  s.  w.  hat,  ab- 
gesehen von  einzelnen  Ausnahmen,  der  Triole,  Quiutole  und  anderen  ungeraden 
Theilungen,  in  denen  die  Ganze  drei  Halbe,  die  Halbe  drei  A'^iertel,  das  Viertel 
fünf  Sechszehntheile  (Quintole)  gilt,  zu  deren  Darstellungen  man  sich  aber 
auch  der  gewöhnlichen  geradtheiligen  Notengattungen  bedienen  muss,  da  man 
keine  anderen  dafür  hat.  Die  relative  Geltung  oder  Dauer  der  Noten  wird 
bestimmt  durch  den  Grad  von  Schnelligkeit  oder  Langsamkeit  der  Bewegung 
des  Tonstücks,  den  man  das  Tempo  nennt,  und  ist  in  jedem  Tonstücke  von 
anderem  Tempo  auch  eine  andere,  denn  die  Ganze  Note  z.  B.  nimmt  im  Adagio 
einen  bei  AVeitem  grösseren  Zeitraum  ein,  als  im  Allegro  oder  Presto,  Das 
Nähere  findet  man  unter  Notenschrift  und  unter  Tempo. 


Geltungsstriclie — Gemeiner  Contrapunkt.  177 

Greltungsstriche  oder  Oeltung-srippen  nennt  man  die  in  Eins  zusammen- 
gezogenen Falinen  mehrerer  Achtel,   Sechzehntheile  u.  s.  w. 

Gelzinanu,  Wolf  gang,  deutscher  Orgel-  und  Ciavierspieler,  der  zu  An- 
fange des  17.  Jahrhunderts  als  Organist  in  Frankfurt  angestellt  war,  woselbst 
auch  1613   Orgelcompositioneu  von  ihm  im  Druck  erschienen. 

Greinälde,  musikalisches,  s.  Tonmalerei. 

Gemein.  Das  »Gemeine«  ist  der  Gregensatz  des  »Edlen«.  Zwischen  Beiden 
steht  das  »Grewöhnliche«.  Bezeichnet  das  »Edle«  dasjenige,  welches  auf  einer 
besonderen  Höhe  sittlicher  oder  ästhetischer  Würde  steht,  so  ist  das  »Gremeine« 
dasjenige,  was  unter  dem  Niveau  selbst  der  unerlässlichsten  Forderungen  an 
moralische  oder  ästhetische  Hoheit  zurückbleibt,  ja,  was  diesen  Forderungen 
geradezu  widerspricht,  das  sittliche  oder  Schönheits-Grefühl  durch  direkte  Auf- 
lehnung gegen  das  Pi'incip  des  Edlen  verletzt.  In  der  Kunst  —  deren  Inhalt 
allüberall  das  »Schöne«  ist  —  sollte  das  Gremeine  natürlich,  für  sich  allein, 
niemals  eine  Stelle  finden;  als  Theil  jedoch  oder  als  ein  Element  in  der  Ver- 
mischung mit  mehreren  darf  es  in  ,der  Poesie  und  den  bildenden  Künsten  ver- 
wendet werden,  und  es  ist  in  solchen  Fällen  oft  nothwendig,  sowie  oft  von  der 
grössten,  echt-künstlerischen  Wirkung.  (Man  denke  an  Shakespeare's  Richard  III., 
an  den  Mohr  in  Schiller's  Fiesco  oder  an  seine  »Räuber«,  sowie  andererseits 
an  mehrere  Gestalten  auf  Kaulbach's  »Zerstörung  des  babylonischen  Thurmes« 
oder  auf  Raphael's  Carton:  »Die  Steinigung  des  Stephanus«.)  Gänzlich  unzu- 
lässig aber  ist  das  Gemeine  in  der  reinen  Instrumentalmusik.  Ein  Werk  dieser 
Kunst  giebt  stets  die  Darstellung  eines  Gefühlsprocesses ;  ein  solcher  kann  aber 
nicht  anders  als  in  einer  Person  vor  sich  gehend  gedacht  werden;  in  Folge 
dessen  muss  jeder  unedle,  gemeine  Zug  absolut  verletzend  wirken:  er  kann  nur 
als  ein  gemeines  Moment  in  jener  substituirten  einen  Persönlichkeit  aufgefasst 
werden,  also  als  ein  Makel,  eine  hervorragende  Unvollkommenheit  an  derselben, 
welche,  wie  viel  edle  Züge  sich  auch  an  anderen  Stellen  des  Kunstwerks  aus- 
sprechen mögen,  doch  immer,  als  Fehler,  als  Widerspruch  gegen  das  Ideal  der 
sittlichen  und  Gefühls- Schönheit,  bestehen  bleibt.  (Wenn  bei  Richard  III.  sich 
Elemente  der  Gemeinheit  mit  gewissen  sittlichen  und  intellectuellen  Voi'zügen: 
der  Tapfe i'keit  und  einem  starken  Verstände,  in  einer  Person  vereinigen,  so 
ist  dieser  Fall  doch  dem  musikalischen  nicht  gleichzusetzen ;  Richard  tritt  nicht 
allein  in  der  Tragödie  auf,  viele  Personen  erscheinen  neben  ihm,  manche  bildet 
ein  Gegenstück  zu  seinem  Charakter;  auf  der  Person  Richard's  ruht  wohl  das 
hauptsächliche,  aber  nicht  das  ausschliessliche  Interesse  des  Stückes;  das  letztere 
als  Ganzes  entspricht  dem  sittlichen  und  künstlerischen  Ideal,  wie  sehr  auch 
die  Hauptperson  demselben  widerspricht.  Dies  Alles  kann  nicht  statthaben  bei 
einem  rein  musikalischen  Kunstwerke,  in  welchem  es  sich  immer  um  ein  durch- 
aus einheitliches  Gefühlsbild,  um  die  Vorgänge  in  einem  Gemüth  handelt.) 
In  den  gemischten  Musikgattungen  hingegen  ist  die  Darstellung  des  Gemeinen 
öfter  wohl  am  Platz,  da  hier  dasselbe  Verhältniss  obwaltet  wie  im  Drama  und 
in  den  schildernden  Künsten.  Weber  hatte  im  Caspar  des  »Freischütz«  und 
im  Lysiart  der  »Euryanthe«  gemeine  Charaktere  zu  schildern,  und  er  hat  sie 
mit  entsprechenden  musikalischen  Zügen  ausgestattet,  ebenso  Beethoven  im 
Pizarro  seines  »Fidelio«.  Doch  wird  man  bemerken,  dass  diese  Meister  beim 
Auftragen  des  gemeinen  Elementes  sparsam  und  gemässigt  zu  Werke  gingen, 
—  aus  gutem  Grunde;  denn  da  die  Musik  das  Seelische  durch  ihre  Töne 
gleichsam  verkörpert  und  zu  unmittelbarer  sinnlicher  Anschauung  bringt,  so 
wirken  ihre  Darstellungen  sowohl  der  edlen  wie  der  gemeinen  Individualitäten 
viel  stärker  und  intensiver  als  die  der  Poesie,  bei  welchen  sich  die  Gefühle 
durch  die  schwächeren  Medien  des  sprachlichen  Ausdrucks  und  der  Gebehrde 
äussern ,  daher  im  gesprochenen  Drama  die  Einmischung  des  Gemeinen  in 
stäi'kerem   Grade  statthaft  ist  als  im  gesungenen.  William  Wolf. 

Gemeiner  Coutrapunkt  wird  mitunter  gleichbedeutend  mit  »Einfacher  Con- 
trapunkt« gebraucht. 

Musikal.  Convers. -Lexikon,    iv.  12 


178  Gemengter  Contrapunkt  —  Gemischtes  Metrum. 

Geineugter  C'outrapuiikt,  gleichbedeutend  mit  verzierter  Contrapunkt 
(Contrappunto  ßorito). 

Gemengtes  Metrum,  eine  Zusammensetzung  gerader  und  ungerader  Takt- 
maasse,  bestehend  in  stets  wiederkehrender  Abwechselung  zwei-  und  dreitheiliger 
Zeitmomente,  wie  z.  B.  im   ^/^-Takte. 

Gemiiiatae  sc.  claves  (latein.),  heissen  die  fünf  höchsten  Töne  im  System 
der  Hexachorde  aa  ee  (a^  —  e^),  weil  sie  mit  doppelten  Buchstaben  geschrieben 
werden.     ]Man  nennt  sie  auch  superacutae.     S.   Solmisation. 

Gemiuiani,  Francesco,  bedeutender  italienischer  Violinvirtuose,  Instru- 
mentalcomponist  und  musikalisch -didaktischer  Schriftsteller,  geboren  um  1666 
(nach  Anderen  um  1680)  zu  Lucca.  war  zuerst  ein  Violinschüler  des  Mailänders 
Carlo  Ambrogio  Lunati,  genannt  il  Gohbo,  der  für  einen  Meister  seines  In- 
struments galt.  Bei  Corelli  beendete  er  seine  Studien  und  wm-de  als  Orchestei'- 
direktor  (Concertmeister)  in  Neapel  angestellt.  .  Burney  behauptet,  dass  Gl-,  vor- 
her von  Alessandro  Scarlatti  im  Contrapunkt  unterrichtet  worden  sei.  Im  J. 
1714  verliess  Gr.  Neapel  und  begab  sich  nach  London,  wo  er  ein  gefeierter 
Virtuose  und  gesuchter  Lehrer  wurde,  den  auch  Kfhiig  Georg  I.  und  der  Adel 
in  hohem  Maasse  begünstigten.  Mit  der  Heraiisgabe  von  »12  Sonate  a  Violino, 
Yioloncello  e  Cemhalo  op.  1«  (London,  1716),  dem  einflussreichen  Kammerherrn, 
Baron  von  Kielmannsegge  gewidmet,  begründete  Gr.  zugleich  seinen  Componisten- 
ruhm  in  England  und  sah  sich  in  dieser  Beziehung  eine  Stelle  neben  Händel 
eingeräumt,  mit  welchem  Meister  zusammen  er  auch  sehr  häufig  in  Hofconcerten 
wirkte.  Eine  unglückselige  Liebhaberei  für  Gemälde,  die  er  von  seinem  Lehrer 
Coi'elli  ererbt  zu  haben  scheint,  verwickelte  ihn  in  Schulden  und  kostete  ihm, 
der  nur  ein  geringes  Verständniss  für  die  Malerei  hatte,  das  Vermögen,  so  dass 
er  die  Schuldhaft  antreten  musste,  aus  welcher  ihn  erst  sein  Schüler,  der  Graf 
von  EsseX;  befreite.  Durch  den  letzteren  erhielt  er  auch  1727  als  Nachfolger 
Cousser's  die  Kapellmeisterstelle  in  Dublin.  Nach  Fetis  soll  er  in  diesem  Amte, 
weil  er  Katholik  war,  vom  Minister  Walpole  nicht  bestätigt  worden  sein.  Im 
J.  1730  war  er  abermals  in  London,  machte  als  Componist  von  Violinconcer- 
ten  wieder  grosses  Glück  und  arrangirte  Corelli'sche  Solos;  bis  zu  einem  mehr 
als  guten  Auskommen  brachte  er  es  jedoch  mit  diesen  und  anderen  Arbeiten 
nicht;  im  Drurylane- Theater  1748  veranstaltete  Concerte  erst  warfen  ihm  wie- 
der reichere  Einnahmen  ab,  die  er  dazu  verwendete,  nach  Paris  zu  reisen,  um 
daselbst  Ausgaben  seiner  Werke  zu  veranstalten.  Nach  London  1755  zurück- 
gekehrt, Hess  er  ein  Tongemälde  nThe  enchanted  forest^  (nach  Tasso's  befreitem 
Jerusalem,  13.  Gesang)  erscheinen,  dessen  erwarteter  Erfolg  jedoch  ausblieb, 
weshalb  er  sich,  seiner  Productionskraft  misstraueud,  nur  noch  mit  Umarrangi- 
rung  seiner  früheren  Compositionen  und  mit  literarischen  Arbeiten  beschäftigte. 
Namentlich  setzte  er  grosse  Hoffnungen  auf  ein  grösseres  theoretisch-musikalisches 
Werk,  dessen  Manuscript  er  1761  mit  nach  Dublin  nahm,  um  es  seinem  ehe- 
maligen Schüler,  dem  dortigen  Kapellmeister  Matthew  Dubourg  vorzulegen. 
Dasselbe  kam  ihm  jedoch  in  Irland  abhanden  und  dieser  Umstand  beschleunigte 
seinen  Tod,  der  zu  Dublin  im  Hause  seines  Freundes  und  Schülers,  am  17. 
Septbr.  1762,  erfolgte.  —  G.'s  in  den  Jahren  1716  bis  1758  erschienene  Com- 
positionen bestehen  aus  Goncerti  grossi,  Sonaten,  Trios,  Violiu-  und  Violoncell- 
Solos,  die  nach  Bumey's  Urtheil  mehr  freien  Fantasien  als  noi-mal  gebauten 
Tonwerken  glichen;  ähnlich  soll  er  in  seinem  höchst  kunstfertigen  Violinspiel 
ein  ausschweifendes,  allerdings  imponirendes  Tempo  ruhato  begünstigt  haben. 
Ausserdem  schrieb  er  noch  Lessons  für  Ciavier,  eine  werthvolle  Violinschule 
(London,  1740),  eine  nGuida  armonicaa,  eine  Guitarrenschule  und  einige  Lehr- 
bücher der  Harmonie. 

Gemischtes  Metrum  ist  dasjenige  Metrum,  dessen  Grundeintheilung  in  zwei 
und  in  späteren,  aus  jener  entspringenden  Zerlegungen,  in  drei  Zeittheile  zer- 
fällt, oder  auch  die  Verdoppelung  einer  ungeraden  Taktart,  z.  B.  ^/g,  ^^/g, 
Vs  u.  s.  w. 


Gemischte  Stimmen — Gemshorn.  179 

Gremischte  Stimmen  nennen  die  Orgelbauer  alle  melirchörige  Stimmen,  als 
Sesquialtera  und  andere  Mixturarten.  S.  Mixtur.  —  Im  mehrstimmigen  Solo- 
und  Chorsatz  bezeichnet  man  mit  gemischten  Stimmen  die  Vereinigung  von 
Männer-  und  Frauen-  (Knaben-)  Stimmen,  Ein  Satz  für  gemischte  Stimmen 
enthält  also  nicht  nur  Männer-  und  Frauenstimmen  allein,  sondern  entweder 
alle  vier  Hauptstimmengattungen  (Sopran,  Alt,  Tenor  und  Bass)  oder  doch 
solche,  die  beiden  Greschlechtern  angehören.  Den  mit  den  vier  Hauptstimmen- 
gattungen besetzten  Chor  pflegt  man  gemischten  Chor  zu  nennen.  S.  Chor. 
Den  Gegensatz  zum  gemischten  Chor  bildet  derjenige,  welcher  nur  aus  Frauen- 
oder nur  aus  Männerstimmen  besteht.  Man  sagt  von  Tonsätzen,  welche  von 
Stimmen  gleicher  Gattung  gesungen  werden,  dass  sie  vocihus  aequalihus  ausge- 
führt werden. 

Gemmingen,  Eberhard  Friedrich  Freiherr  von,  bekannt  als  Dichter 
von  Oden,  Epigrammen  und  Sprüchen,  war  zugleich  ein  vorzüglicher  Ciavier- 
spieler, der  alle  seine  Mussestunden  der  Musikübung  widmete.  Geboren  am 
5.  Novbr.  1726  zu  Heilbronn,  schlug  er  die  juristische  Laufbahn  ein  und  starb 
am  19.  Jan.  1791  zu  Stuttgart  als  Regierungspräsident,  welche  Stellung  er 
seit  1767  inne  gehabt  hatte.  Von  seinen  Compositionen,  die  bis  auf  drei  vier- 
händige Ciaviersonaten  fast  sämmtlich  Manuscript  geblieben  sind,  kennt  man: 
beachtenswerthe  Clavierconcerte,  sechs  Sinfonien,  mehrere  Quartette,  Trios  und 
Duos  für  verschiedene  Instrumente,  viele  Arien,  Lieder  u.  s.  w.  Als  Ciavier- 
spieler soll  G.  sich  besonders  durch  einen  empfindungsvollen  Vortrag  des  Adagio 
und  durch  eine  seltene  Präcision  und  Deutlichkeit  der  Passagen  ausgezeichnet 
haben, 

Gemshorn  ist  der  häufig  vorkommende  Name  für  Arten  einer  sehr  belieb- 
ten, angenehm  klingenden  Familie  von  Orgelregistern,  deren  Glieder  sich  durch 
die  Grösse  der  Bauart  und  Klang  von  einander  unterscheiden ;  zuweilen  erhalten 
sie  je  nach  dem  auch  eine  veränderte  oder  andere  Benennung.  Der  Name 
dieses  Registers  ist  wahrscheinlich  durch  die  phantastisch  aufgefasste  Klang- 
weise desselben  entstanden,  die  man  in  Beziehung  brachte  mit  den  Tönen  eines 
aus  dem  Hörne  einer  Gemse  gefertigten  Blasinstruments,  das  man  im  Gebirge 
aus  der  Ferne  hörte.  Diesem  Klange  suchte  man  durch  eine  eigene  Pfeifen- 
construction  nahe  zu  kommen,  der  jedoch,  wie  weiter  unten  anzuführen  ist,  da 
man  das  Register  in  Grössen  von  5  bis  0,3  Meter  variirend  baut,  durchaus 
nicht  gleichartig  ist.  Dem  Idealklange  am  meisten  entsprechend  scheinen  die 
Register  von  2,5  und  1,25  Meter  Grösse  zu  sein,  die  man  denn  auch  am 
häufiofsten  vorfindet.  In  dieser  Grösse  haben  die  Töne  des  G.'s  wirklich  einen 
weichen  und  angenehmen  Hornklang,  während  dieser  Klang  bei  kleiner  gebauten 
Reg-istern  mehr  dem  der  Bogeninstrumente  sich  nähert.  Die  eigene  Pfeifen- 
construction  dieser  Orgelstimme  ist  eine  theoretisch  feststehende.  Von  den 
halbgedeckten  Flötenstimmen,  welche  man  in  drei  Familien  theilen  und  nach 
den  charakteristischsten  Artennamen  durch  Spillflöte  (s.  d.),  G.  und  Quer- 
flöte andeuten  kann,  bildet  das  G.  die  mittlere  Klasse.  Diese  mittlere  Klasse 
wird  seltener  durch  Pfeifen  aus  Holz,  häufiger  durch  Metallpfeifen  vertreten, 
erhält  Schallröhren  in  konischer  Form  mit  weiter  Mensur  und  einem  engen 
Aufschnitt  (s.  d.).  Die  Pfeifenlänge,  angegeben  nach  der  Länge  der  gleich- 
klingenden Principalpfeife,  ist  kürzer  als  solche,  da  sie  konisch  gebaut  ist.  Die 
Mündung  des  Konus  hat  ^/g  oder  %  der  Kernweite.  Die  fast  in  allen  Orgel- 
grössen  stattfindende  Bauart  dieses  Registers  erlaubt,  dass  man  dasselbe  sowohl 
ins  Pedal  als  Manual  gesetzt  findet.  Was  die  Benennung  der  Arten  dieser 
Stimme  anbetrifft,  so  ist  zu  bemerken,  dass  man  die  2,5  metrige  stets  G.  heisst, 
welche  Benennung  sich  auch  für  andere  Grössen,  doch  nicht  durchgängig,  in 
Anwendung  findet.  Am  häufigsten  findet  man  für  dies  Register  noch  folgende 
Namen  vertreten:  0,6  metrig  nennt  man  es  Octav-Gemshorn;  l,66metrig: 
grosse,  0,88metrig:  kleine  und  0,44metrig:  kleinste  Gemshorn-Quinte; 
enger  wie  ihre   Grundstimme  (s.  d.)  mensurirt:  liebliche  Gemsborn- Quinte, 

12* 


180  Gemsliornquinte  —  Genast. 

Nasat  oder  Nasard  (s.  d.);  wenn  sie  mit  andern  Stimmen  auf  einem  Stocke 
steht:  Koppeli'löte;  und  5 metrig  Gemshornbass  (s.  d.).  Wenn  es  auch 
schwer  ist,  den  meist  autodidaktischen  Erzeugnissen  der  Orgelbauer  eine 
wissenschaftliche  Feststellung  zu  unterbreiten,  so  mag  Obiges  beweisen,  dass 
die  Gr.  zu  nennenden  Orgelstimmeu,  durch  eine  ullmälig  erworbene  Gattungs- 
eigeuheit  in  Bau-  und  Klangart  befördert,  nicht  allein  für  die  Gattung,  sondern 
sogar  schon  für  die  Arten  eine  solche  Feststellung  annähernd  gestatten,  die 
jedenfiills  mit  der  Zeit  sich  immer  bestimmter  begrenzen  wird,  da  das  Zeitbe- 
dürfnisö  eine  Ausbildung  dieser   Orgelregister  fordert.  2. 

Gemshornquiiite  heisst  eine  halbgedeckte  Flötenstimme  der  Orgel,  die  sich 
in  drei  Grössen:  1,66-,  0,88-  und  0,44 metrig  vorfindet.  Die  Pfeifen  dieser 
Stimmen  werden  aus  Metall  gefertigt;  die  der  grössten  zuweilen  theilweise  aus 
Holz,  lieber  die  Bauart  der  Pfeifen  und  sonstigen  Eigenheiten  der  G,  belehi't 
der  Artikel  Gemshorn  (s.  d.).  Zuweilen,  vorzüglich  in  der  Grösse  von  0,44 
Meter,  findet  man  diese  Stimme  Nasat  oder  Nasard  benannt. 

Oemüuder,  Georg,  einer  der  vorzüglichsten  Geigenbauer  der  Gegenwart, 
geboren  1816  zu  Ingelfiugen  im  Königreiche  "Würtemberg,  erlernte  die  höhere 
Fabrikation  bei  Yuilleaume  in  Paris  und  siedelte  1849  nach  New- York  über, 
wo  seine  Kunstwerkstätte  jetzt  in  dem  höchsten  Ansehen  steht.  Seine  Erzeug- 
nisse sind  seit  1851  (London)  auf  allen  grossen  Ausstellungen  prämiirt  worden, 
da  sie  sich  durch  saiibere  Ai'beit  und  schönen,  edlen  Ton  vortheilhaft  aus- 
zeichnen. Durch  tiefer  gehende  mathematische  und  akustische  Studien  hat  es 
G.  dahin  gebracht,  dass  er,  ohne  das  Holz  chemisch  zu  präpariren,  Violinen 
verfertigt,  die  an  Kraft  und  Güte  des  Tons  den  altitalienischen  Instrumenten 
nur  wenig  nachgeben.  Auch  im  Reparaturfache  ist  er  einer  der  ersten  jetzt 
lebenden  Meister.  Wie  denkend  er  in  seinem  Industriezweige  vorwärts  strebt, 
beweisen  ausserdem  auch  einige  Fachartikel  aus  seiner  Feder,  welche  sich  in 
der  New-Yorker  und  in  der  Schubei^th'schen  kleinen  Musikzeitung  Jahrg.  1870 
bis  1872  befinden. 

Gemiith.  Unter  »Gemüth«  wird  die  Fähigkeit  des  Fühlens  im  menschlichen 
Wesen  verstanden.  Das  Gemüth  ist  mithin  die  Sphäre,  aus  der  die  Musik 
ihren  Inhalt  fast  ausschliesslich  entnimmt,  denn  Musik  ist  im  Wesentlichen 
und  fast  ausnahmslos  Gefühlsdarstellung.  Zum  echten  musikalischen  Künstler 
gehört  daher  vor  Allem  ein  eignes  reiches  und  reges  Gemüth,  sodann  die 
Fähigkeit,  sich  in  die  Gemüthslagen  anderer  Menschen  oder  erdichteter  Per- 
sonen zu  versetzen.  Die  obersten  Principien,  welche  für  die  Darstellung  des 
Gemüthsinhalts  durch  die  Musik  maassgebend  sind,  sind  bereits  in  mehreren 
Artikeln  abgehandelt  worden;  es  sei  namentlich  auf  die  Artikel  Gefühl  und 
Gedanke  hingewiesen. 

Genast,  Eduard  Franz,  vortrefilicher  und  berühmter  Sänger  und  Schau- 
spieler, geboren  zu  Weimar  1797,  betrat  die  dortige  Hofbühne,  deren  Regisseur 
sein  Yater  war,  bereits  1814  mit  dem  glücklichsten  Erfolge  und  ging  hierauf 
1816  nach  Stuttgart,  um  durch  Häser's  Unterricht  im  Gesänge  seine  schöne 
Baritonstimme  vollends  ausbilden  zu  lassen.  Im  folgenden  Jahre  wurde  er  in 
Dresden,  1818  in  Hannover  und  sodann  in  Danzig  engagirt.  Nachdem  er  von 
1828  bis  1829  die  Direktion  des  Stadttheaters  in  Magdeburg  geführt  hatte, 
kehrte  er  nach  Weimar  zurück,  wo  er  ein  Engagement  auf  Lebenszeit  erhielt. 
Seitdem  unterbrach  er  seinen  Aufenthalt  daselbst  nur  durch  Gastrollen,  auf 
denen  er  aller  Orten  den  grössten  Beifall  erntete.  G.  war  in  der  Zeit  seiner 
Blüthe  in  Gesang  und  Spiel  gleich  ausgezeichnet  und  mithin  eine  in  Deutsch- 
land seltene  Erscheinung;  besonders  war  sein  »Don  Juan«  eine  mustergültige 
Leistung,  aber  aucli  im  recitirenden  Schauspiele,  das  er  von  etwa  1843  bis  zu 
seiner  Pensionirung  allein  nocli  cultivirte,  wirkte  er  vortrefflich.  Seine  Aus- 
bildung kam  seinen  reichen  Mitteln  gleich;  sein  Organ  erschien  voll,  trefflich 
ausgeglichen  und  kraftvoll,  seine  Gestalt  schön  und  männlich.  Auch  als  Com- 
ponist    hat    er    talentvolle    Gaben    im    Fache    des    Liedes,    des    vierstimmigen 


Gender  —  Genee.  181 

Männerchors  und  sogar  der  Oper  zu  Tage  gefördert;  namentlicli  haben  seine 
in  Weimar  aufgeführten  Opern  »Die  Sonnenmänner«  und  »Die  Verrätlier  in  den 
Alpen«  grossen  Beifall  gefunden.  G.  starb  im  J.  1868.  Kurz  vor  seinem 
Tode  bat  er  noch  sehr  interessante  Memoiren  unter  dem  Titel  »Aus  dem  Tage- 
buche eines  alten  Schauspielers«  (4  Thle.,  Leipzig,  1862—1866)  veröffentlicht. 
—  Seine  Gattin,  Karoline  Christine  Gr.,  geborene  Böhler,  am  20.  Febr. 
1804  zu  Kassel  geboren,  seit  1818  in  Leipzig  engagirt,  wo  sie  sich  1820  mit 
Gr.  verheirathete,  war  im  Soubrettenfache  eine  beliebte  Sängerin  und  ausge- 
zeichnete Schauspielerin,  die  ihren  Mann  auf  seinen  Gast-  und  Kunstreisen 
begleitete.  —  Die  Tochter  Beider,  Emilie  G.,  war  in  den  Jahren  von  1850 
bis  1860  eine  sehr  beliebte  Concertsängerin,  die  auch  auf  der  Bühne  Glück 
gemacht  hatte.      Sie  lebt  verheirathet  in  Weimar. 

Gender,  ein  auf  Java  gebräuchliches,  akustisch  merkwürdiges  Schlaginstru- 
ment, bei  welchem  die  Besonanzen  von  Luftsäulen ,  die  in  dem  "Verhältnisse 
des  Einklangs  stehen,  angewendet  werden,  um  die  Töne  schwingender  metallener 
Platten  nicht  sowohl  zu  verstärken,  als  vielmehr  hörbar  zu  machen.  Die  Zahl 
dieser  Platten  ist  elf;  ihre  Töne  stimmen  überein  mit  den  Noten  der  diatoni- 
schen Scala,  wenn  ihr  die  Quarte  und  Septime  genommen  und  sie  durch  zwei 
Octaven  ausgedehnt  wird.  Die  Art  und  AVeise,  wie  diese  Platten  schwingen, 
ist  die  durch  zwei  transversalschwingende  Knotenlinien ;  die  Platten  sind  hori- 
zontal schwebend  aufgehängt  vermittelst  zweier  Drahtsaiten,  von  denen  die  eine 
durch  zwei  an  jeder  Platte  angebrachte  Löcher  in  der  Richtung  der  einen 
Schwingungsknotenlinie,  die  andere  durch  zwei  ähnliche  Löcher  einer  jeden 
Platte  in  der  Richtung  der  anderen  Schwingungsknotenlinie  durchgeht.  Unter 
jede  Platte  ist  ein  aufrecht  stehendes  Bambusrohr  gestellt,  welches  eine  Luft- 
säule enthält,  die  die  angemessene  Länge  hat,  tim  den  leisesten  Ton  der  Platte 
zu  resoniren.  Wird  nun  die  Oeffnung  des  Bambusrohrs  mit  einem  Pappen- 
deckel bedeckt  und  wird  dann  die  dazu  gehörige  Platte  mit  einem  eigens  dazu 
verfertigten  Klöppel,  womit  überhaupt  das  Instrument  gespielt  wird,  angeschlagen, 
so  hört  man  blos  eine  Anzahl  scharfer  Töne,  die  von  den  mehr  oder  weniger 
zahlreichen  TJnterabth eilungen  der  Platte  abhängt;  aber  entfernt  man  den 
Pappendeckel,  so  wird  ein  neu  hinzixkommender  tiefer  und  voller  Ton  durch 
die  Resonanz  der  in  der  Röhre  des  Bambus  enthaltenen  Luftsäule  hervorge- 
bracht. Das  Instrument,  welches  nach  der  Zahl  der  Platten  eine  diatonische 
Tonreihe  von  zwei  Octaven,  jedoch  mit  Auslassung  der  fünften  und  siebenten 
Stufe,  wie  schon  oben  bemerkt,  enthält,  und  nach  der  Lage  der  Platten  viel 
Aehnlichkeit  mit  der  böhmischen  Holzharmonica  hat,  wurde  zuerst  von  Stam- 
ford  Raffles  nach  England  gebracht,  von  wo  es  dann  durch  eine  Beschreibung 
in  dem  yQuarterly  Journal  of  science«  von  1828  auch  in  Deutschland  bekannt 
wurde,  indem  die  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  Jahrg.  1828  Seite  602  jene 
Abhandlung  nebst  einer  Abbildung  des  Instrviments,  übersetzt  mittheilte  und 
nachgehends  E.  H.  Weber  und  Gottfr.  Weber  dieselbe  ebenfalls,  nebst  einer 
Abbildung  in  der  »Cäcilia«  Bd.  8  Seite  225  u.  ff.  anzeigten,  woselbst  auch 
mehr  diesen   Gegenstand  Betreffendes  zu  finden  ist. 

(xenee,  Johann  Friedrich,  trefflicher  deutscher  Sänger  und  Schauspieler, 
geboren  1795  zu  Königsberg,  wurde  durch  seine  schöne  Bassstimme  schon 
frühzeitig  zum  Theater  geführt  und  war  seit  1824  ein  beliebtes  Mitglied  des 
Königstädter  Theaters  in  Berlin.  Im  J.  1829  kam  er  mit  jener  auserlesenen 
Operngesellschaft  nach  Paris,  welche  dort  viel  Aufsehen  erregte,  aber  nur  zu 
bald  aus  Mangel  an  einer  umsichtigen  Direktion  elend  zu  Grunde  ging.  Dar- 
nach war  G.  seit  1830  wieder  in  seinem  früheren  Engagement  zu  Berlin,  das 
er  erst  1841  verliess,  um  die  Oberleitung  des  Stadttheaters  in  Danzig  zu  über- 
nehmen. Im  J.  1855  verfiel  er  in  eine  Geisteskrankheit  tind  starb  in  diesem 
Zustande  am  4.  Mai  1856.  —  Sein  Sohn,  Richard  G.,  geboren  am  7.  Febr. 
1824  in  Danzig,  machte  in  Berlin  eingehendere  musikalische  Studien  und 
wurde  1848  als  Operndirigent  in  Reval  angestellt.     Zwei  Jahre  darauf  fungirte 


132  Genera  densa  —  Generalbass. 

er  in  gleicher  Eigenschaft  in  Riga  und  von  1851  bis  1856  als  Kapellmeister 
au  den  Theatern  in  Köln,  Düsseldorf,  Aachen  und  Danzig.  In  letzterer  Stadt 
führte  er  im  November  1856  seine  erste  grössere  komische  Oper  »Polyphem 
oder  Ein  Abenteuer  auf  Martinique«  (in  vier  Akten)  auf,  welche  mit  Glück 
den  Lortzing'schen  Bahnen  folgt  und  nach  Text  und  Musik  hin  grossen  Bei- 
fall fand.  Im  J.  1857  nahm  G.  die  Kapellmeisterstelle  am  Stadttheater  in 
Mainz  an  und  veröfientlichte  die  von  ihm  selbst  gedichtete  und  componirte 
Oper  «der  Geiger  von  Tyrol«,  welche  bis  1859  mit  gutem  Erfolge  über  mehrere 
deutsche  Bühnen  ging.  Er  privatisirte  hierauf  bis  1861  in  Mainz,  woselbst  er 
nur  den  Verein  für  Kirchenmusik  dirigirte,  daneben  sich  aber  besonders  mit 
der  Composition  von  einstimmigen  Liedern  und  humoristischen  Mäunerchor- 
gesängen  beschäftigte,  welche  letztere  eine  glänzende  Aufnahme  von  Seiten  der 
deutschen  Vereine  erfuhren  und  ihm  zahli-eiche  Prämien  und  Ehrensolde  ein- 
trugen. Auch  einige  französische  Operntexte  übertrug  er  damals  sehr  geschickt 
in's  Deutsche.  Dadurch  kam  er  in  Verbindung  mit  F.  v.  Flotow,  auf  dessen 
Empfehlung  er  im  Novbr.  1861  interimistisch  die  Hof  kapellmeisterstelle  in 
Schwerin  übernahm.  Nachdem  er  hierauf  als  Dirigent  der  deutschen  Oper  in 
Amsterdam  eine  Saison  hindurch  gewirkt  hatte,  wurde  er  1864  an  das  Landes- 
theater zu  Prag  berufen,  wo  er  mit  den  Opern  »der  Musikfeind«,  »Ein  Trauer- 
spiel« und  »der  schwarze  Prinz«  (1867)  abermals  durchaus  glücklich  hervortrat. 
Im  Herbst  1868  übernahm  (1.  die  Musikdirektion  im  Theater  an  der  Wien  zu 
"Wien,  hat  aber  seitdem  nur  noch  einige  Possenmusiken  geschrieben.  G.  ist 
ein  routinirter  Componist,  der  die  Anforderungen  der  Bühne  auf's  Genaueste 
kennt  und  beachtet,  und  es  darf  im  Interesse  der  deutschen  komischen  Oper 
bedauert  werden,  dass  seine  grössei*en  "Werke  vom  Theaterrepertoire  wieder 
verschwunden  sind. 

Genera  deusa  (latein.),  s.  Genera  spissa. 

Qeueralbass  ist  eine  Art  Kurzschrift  in  der  Musik,  eine  Bassstimme 
nämlich,  welche  unter  Beihülfe  von  Zififern,  oder  ohne  solche,  die  harmonische 
Entwickelung  eines  Musikstückes  erkennen  lässt.  Da  eine  Musik  aus  zwei  oder 
mehreren  selbsständigen  Stimmen  ohne  Bass  überhaujit  nicht  denkbar  ist,  so 
muss  eigentlich  jede  Bassstimme  das  Musikstück,  zu  welchem  sie  gehört,  in 
nuee  darstellen;  jedes  Musikstück  dieser  Art  müsste  aus  der  Bassstimme  er- 
kennbar, lesbar  und  darstellbar  sein*).  In  der  That  lassen  sich  einige  wenige 
Accord- Verbindungen  durch  die  Bassstimme  allein  genügend  markiren.  Durch 
die  Ziffer  wird  dann  die  Deutlichkeit  ausserordentlich  vermehrt.  Je  mehr  aber 
Anspruch  an  Deutlichkeit  in  der  Darstellung  erhoben  Avird,  desto  reicher  muss 
die  Bezifferung  ausfallen  und  desto  überflüssiger  erscheint  die  Fixirung  des 
Musikgebildes  durch  ein  anderes  Mittel  als  die  Note.  Es  hat  deshalb  das 
Studium  des  Generalbasses,  insofern  damit  nur  ein  Verständuiss  der  musika- 
lischen Kurzschrift  gemeint  ist,  nur  einen  relativen  Werth.  Den  Generalbass, 
den  man  auch  Partiturbass  nennen  könnte,  muss  verstehen,  resp.  schreiben, 
lesen,  sjjielen  können,  wer  in  das  Verständniss  der  Componisten  eindringen 
will,  welche  von  dieser  Kurzschrift  einen  häufigen  Gebrauch  machten,  oder  wer 
bezifferte  Bässe  zu  benutzen  gezwungen  ist,  wie  der  Organist.  Für  diesen  hat 
das  Studium  des  Generalbasses  beziehentlich  den  meisten  Werth,  weil,  wenn 
z.  B.  der  Choral  zu  spielen  ist,  ein  Generalbass  oder  bezifferter  Bass  vollständig 
ausreicht,  die  Erfindung  einfachster  und  kunstvollster  Stimmführungen  zu  diri- 
giren  und  immer  von  Neuem  zu  befruchten.  Der  AVerth  dieser  Kunstfertigkeit 
leuchtet  sofort  ein,  wenn  man  zwei  Organisten  vergleicht,  von  denen  der  Eine 
die  verschiedenen  Strophen  eines  Chorals  immer  nach  derselben  Harraonisiiung 
abspielt,  während  der  Andere  die  besondere  Grundstimmung  jeder  Strophe,  ja 
auch  wohl  einer  Zeile  auf  sich  wirken  lässt    und  aus  dieser   Stimmung  heraus, 


*)  Prätorius,  welcher  Ludovico  Viadana  als  Erfinder  des  Generalbass  bezeichnet,  nennt 
letzteren  eine  Geueralstimme,  welche  „die  gantze  Motet  oder  Concert"  enthält. 


Generalbassschrift  —  Generali.  183 

ohne  weseutliche  Abweichungen  von  seinem  bezifferten  Bass,  die  Harmonieschritte 
und  die  Bewegung  der  Mittelstimmen  immer  neu  zu  schaffen  scheint  und  so 
gewissermaassen  zum  Interpreten  des  Textes  wird.  In  dieser  Beziehung  ist 
mit  Händel  und  Bach,  in  deren  Partituren  (Passionen,  Cantaten  etc.)  sich  die 
bezifferte  Bassstimme  (Basso  contiiiuo)  zur  Benutzung  an  der  Orgel  sehr  häufig 
findet,  insofern  eine  besondere  Kunstgattung  ganz  ausgestorben,  als  sich  gar 
nicht  absehen  lässt,  in  welchem  Grade  der  Oomponist  sein  eigenes  Werk  durch 
freie  Benutzung  des  bezifferten  Basses  unterstützte,  ob  nur  durch  hie  und  da 
ausserordentlich  wirksame  breite,  ruhige  Accorde,  oder  durch  neue  contra- 
punktische  Bereicherungen,  wie  sie  der  augenblicklichen  Begeisterung  entström- 
ten. Grewiss  ist  Beides  geschehen,  aber  nur  wer  den  Geist  dieser  Heroen  be- 
griffen, kann  sagen,  in  welcher  Yertheilung.*)  —  Ausser  dem  Organisten 
participirt  an  dem  A^ortheil  der  Harmoniebezeichnung  durch  bezifferten  Bass 
namentlich  der  Partiturspieler  am  Ciavier  und  der  Musikdirigent.  Für  diese 
erweist  sich  die  Kurzschrift  als  praktisch  und  eigentlich  unentbehrlich.  So 
leicht  auch  Manchem  die  Uebersicht  und  Controle  der  einzelnen  Stimmen 
werden  mag,  —  nicht  selten  wird  durch  gehäufte  Vorhalte  und  feine,  unge- 
v?-öhnliche  Accordschritte,  z.  B.  bei  Bach  und  in  noch  viel  höherem  Grade  bei 
den  Neuerern,  auch  das  geübteste  Ohr  getäuscht.  Da  präcisirt  eine  einfache 
Ziffer  in  gar  willkommener  "Weise  der  Sache  Kern  und  lässt  das  Unwesent- 
liche, Fremdartige,  häufig  zugleich  Charakteristische  unschwer  erkennen.  —  Ton 
einer  Geschichte  des  Generalbasses  lässt  sich  deshalb  nicht  reden,  weil  eine 
Entwickelung  nicht  vorhanden  ist.  Jedenfalls  ist  die  Anwendung  der  Zahl, 
geschrieben  oder  nicht,  so  alt  wie  die  Harmonie,  resp.  Notenschrift,  und  es 
erscheint  unerheblich,  wann  die  Bezeichnungen  Basso  continuo,  Basso  osti- 
nato,  Generalbass,  bezifferter  Bass  zum  ersten  Male  auftreten.  Winter- 
feld's  »Gabrieli  und  sein  Zeitalter«  (Berlin  1834)  enthält  12  Hegeln  (II,  59), 
welche  dem  1603  in  Venedig  erschienenen  5 bändigen  Werke:  Genta  concerti  etc. 
von  Ludovico  Viadana  entnommen  sind.  Diese  12  Regeln  beziehen  sich  auf 
die  Ausführung  des  Basso  continuo,  sagen  aber  Nichts  von  Bezifferung.  Von 
dieser  handelt  zuerst  und  lehrt  dieselbe  Agostino  Agazzari  (um  1620),  später 
Sabbatini  (Venetia,  1644),  Andreas  Werkmeister  (Aschersleben,  1715),  Mattheson 
(grosse  Generalbassschule,  Hamburg  1751),  F.  W.  Marpurg  (Berlin,  1755), 
Kirnberger  (Berlin,  1781),  D.  G.  Türk  (Halle  und  Leipzig,  180J),  neuerdings 
noch  Gebhardi  (3.  Aufl.,  Brieg,  1866),  F.  W.  Schütze  (3.  Aufl.,  Leipzig,  1860), 
0.  Kolbe  (Leipzig,  1862,  2.  Aufl.  1872)  und  endlich  Ph.  E.  Bach  in  seinem 
»Versuch  über  die  wahre  Art  das  Ciavier  zu  spielen«.  (Weiteres  unter  Har- 
monie, Signatur,  Bezifferung.)  Th.  Kr. 

Generalbassschrift,  eine  Bezeichnung,  die  in  derselben  Bedeutung  wie  Be- 
zifferung gebraucht  wird. 

Geueralbassscliule,  ein  Lehrbuch,  in  welchem  der  Generalbass  behandelt 
wird.     S.  Generalbass. 

Geueralbassspiel,  das  Spiel  nach  bezifferten  Bässen  zum  Zweck  der  Ver- 
stärkung der  Harmonie,  der  genaueren  Bestimmung  der  Modulation  und  Unter- 
stützung der   Sänger  im  Becitativ.      S.   Generalbass. 

Generalbassstimme,  s.  Orgelstimme. 

Generali,  Pietro,  hervorragender  italienischer  Componist,  namentlich  von 
Opern,  geboren  am  4.  Oktbr.  1783  zu  Masserano  bei  Vercelli,  hi^ss  eigentlich 
Mercandetti,  welchen  Namen  jedoch  schon  sein  Vater,  ein  zum  Buin  ge- 
langter und  deshalb  aus  Vercelli  und  Born  flüchtiger  Kaufmann,  abgelegt  hatte. 
Compositionsunterricht  erhielt  G.  bei  Giovanni  Massi,  einem  Schüler  Durante's, 
und  Messen,  Psalme  und  andere  Kirchenstücke  waren  die  ersten  Früchte  seines 
Musikstudiums,  denen  schon  1800  die  Oper  y>Gli  amanti  ridicolm,  in  Born  auf- 
geführt,   folgte.     Nach    einem  Ausfluge    nach  Süditalien  trat  er  1802  abermals 


*)  „Orgel  laut!'-  schreibt  Händel  za  dem  Continuo  einer  seiner  Partituren. 


184  •  General-Musikdirektor  —  Genet. 

in  Kom  und  zwar  mit  der  Cantate  y>Roma  Uberata^i,  mit  der  komischen  Oper 
»7Z  duca  Nottolone<i.  und  mit  einer  Farce  hervor,  AVerke,  welche  Gr.'s  grosses 
Talent  unzweifelhaft  bekundeten.  Ein  ausschweifender  Lebenswandel  trug  jedoch 
mit  bei,  die  trefflichen  Aussichten,  welche  sich  dem  junj^en  Meister  eröffneten, 
nicht  zur  vollen  Verwirklichung  kommen  zu  lassen.  Bis  1817,  wo  er  Theater- 
kapellmeister in  Barcelona  wurde,  lebte  er,  mit  Composition  von  ei-nsten  und 
komischen  Opern,  von  Farcen  und  Intermezzi  beschäftigt,  in  den  Hauptstädten 
Italiens  und  hatte  besonders  in  Venedig  grossartige  Erfolge,  die  sich  vorzüg- 
lich mit  seiner  berühmt  gewordenen  Oper  »J  haccanali  di  Homaa  verbanden. 
Als  Gr.  1821  nach  Italien  zurückgekehrt  war  und  die  Laufbahn  eines  Opern- 
componisten  wieder  aufnehmen  wollte,  sah  er  sich  durch  Rossini  so  verdunkelt 
und  zurückgedrängt,  dass  er,  ohne  seinen  Styl  zu  ändern,  auf  keinen  Bühnen- 
erfolg mehr  rechnen  konnte.  Er  nahm  daher  die  ihm  dargebotene  Stelle  eines 
Kapellmeisters  am  Dom  zu  Novara  an  und  componirte  einige  Jahre  hindurch 
nur  noch  für  die  Kirche.  Als  aber  1827  auf  dem  Pergolatheater  zu  Florenz 
sein  Oratoriu.m  y>Il  voto  di  Jefte<.<.  eine  beifällige  Aufnahme  fand,  suchte  er,  in- 
dem er  die  Rossini'sche  Schreibweise  annahm,  noch  einmal  von  der  Bühne  aus 
zu  wirken.  Er  führte  1829  in  Triest  die  komische  Oper  »JZ  dicorzio  persianoa 
und  in  Venedig  die  ernste  Oper  y>Francesca  di  JRiminiK  auf,  fiel  aber  mit  beiden 
Werken  gänzlich  durch.  Bitter  enttäuscht  kehrte  er  nach  Novara  zurück  und 
starb  daselbst  am  3.  November  1832.  Als  die  bedeutendsten  seiner  übrigen 
Partituren  sind  zu  nennen:  »ie  la^rime  d\ina  vedovaa  (ebenso  wie  •>■>!  haecantiv~ 
auch  deutsch  ei'schienen),  y>JElena  e  Älfredoa  und  nAdelinav..  Seine  Kirchen- 
compositioncn  verdienen  ihrer  blühenden  Melodik  wegen  noch  immer  Be- 
achtung. 

General-Musikdirektor,  ein  Titel,  der  zur  Bezeichnung  der  höchsten  Würde 
in  musikalischen  Angelegenheiten  vom  preussischen  Könige  Friedrich  Wilhelm 
III.  eigens  für  Spontini  im  J.  1820  geschaffen  wurde  und  seitdem  in  imd 
ausser  Preussen  mehrmals  anerkannten  und  hervorragenden  Meistern  der  Ton- 
kunst von  deutschen  Landesherren  verliehen  worden  ist.  Bis  jetzt  sind  mit 
diesem  Titel  noch  ausgezeichnet  worden:  Meyerbeer  und  Mendelssohn 
(1842)  vom  Könige  von  Preussen,  Franz  Lachner  (1852)  vom  Könige  von 
Baiern,  Spohr  (185G)  vom  Kurfürsten  von  Hessen  und  Marschner  (1860) 
vom  Könige  von  Hannover.  Von  diesen  ist  nur  Lachner  als  gegenwärtig  einziger 
Inhaber  der  General-Musikdirektorwürde  noch  am  Leben. 

Geueralpause  nennt  man  eine  von  allen  vorhandenen  Stimmen  eines  Ton- 
stücks zugleich  gemachte  Pause  von  mehr  als  einem  Takttheile,  deren  Gi-eltung 
aber  nach  der  Notirung  sich  richtet.  Die  Bewegung  des  Taktes  wird  also 
nicht  durch  längeres  Anhalten  unterbrochen,  wie  bei  der  Fermate  geschieht, 
sondern  geht  im  Flusse  fort.  Indem  die  Gr.  auf  eine  bedeutsame  AVeise  den 
Gang  eines  Tonstücks  unterbricht,  erregt  sie  zugleich  Spannung  und  Erwartung 
auf  das  Folgende. 

Generalprobe  heisst  die  einer  öffentlichen  Musikaufführung  vorangehende 
letzte  Probe,  in  welcher  alles  zum  Vortrag  Gelangende  noch  einmal  genau  und 
im  Zusammenhange  durchgenommen  wird.      S.  Probe. 

Generalventil,  auch  Hauptsperrventil  genannt,  s.  Hauptcanal. 

Genera  spissa  oder  densa  (lat.),  die  dichten  Klanggeschlechter  der  alten 
Griechen,  nämlich  das  chromatische  und  enharmonische,  in  deren  Tetrachorde 
die  drei  unteren  Intervalle  chromatische  Halb-  und  enharmonische  Viertelstöne 
ausmachten.     S.  Tetrachord. 

Geueroso  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  edel,  mit  edlem 
Ausdruck. 

Genet,  Eliazar  oder  Elziar,  französischer  Geistlicher  und  Contrapunktist, 
in  der  letzten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  zu  Carpentras  geboren  und  daher 
auch  unter  seinem  Beinamen  Carpentras  oder  il  Garpentrasso  bekannt,  trat 
unter  Leo  X.  als  Sänger  in  die  päpstliche  Kapelle  und  componirte  für  dieselbe 


Gengenbacli  —  Genie.  _  185 

Magnificats  und  die  Klagelieder  des  Jeremias.  Im  J.  1515  wurde  er  zum 
obersten  Kapellsänger,  bald  darauf  zum  Kapellmeister  und  1518  sogar  zum 
Bischof  in  partibus  ernannt.  Gegen  Ende  des  J.  1521  schickte  ihn  Papst 
Leo  X.  in  geistlichen  Angelegenheiten  nach  Avignon,  von  wo  Gr.  erst  nach 
Hadrian's  VI.  Tode  nach  Rom  zurückkehrte.  Die  schon  erwähnten  Lamen- 
tationen G.'s,  Leo's  X.  Lieblingswerk,  wurden  in  der  päpstlichen  Kapelle  regel- 
mässig gesungen,  bis  1587  Papst  Sixtus  Y.  die  des  Palestrina  an  ihre  Stelle 
setzte.  —  Im  ersten  Buche  der  von  Petrucci  da  Possombrone  1514  herausge- 
gebenen r)Motetti  clella  coronav.  befindet  sich  ein  vierstimmiges  -nBonitatem  fecisti 
cum  servo  tnoa,  im  dritten  Buche  derselben  Sammlung  (1519  erschienen)  ein 
i>Cantate  dominoa  und  im  vierten  (ebenfalls  1519  gedruckt)  ein  Miserere,  sämmt- 
lich  von  der  Composition  Gr.'s.  Ausserdem  wird  ein  Band  von  Gr.'s  Messen  im 
Manuscript  auf  der  k.  k.  Hofbibliothek  zu  "Wien  aufbewahrt.  Dieselben  sind 
für  den  musikalischen  Historiker,  trotz  der  ziemlich  starren  Porm,  die  sie  auf- 
weisen, sehr  beachtenswerth ,  da  sie  bereits  aus  dem  blossen  Contrapunkt  her- 
ausstreben. 

Geugenbach,  Nicolaus,  deutscher  Tonkünstler,  zu  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts zu  Colditz  geboren,  war  Cantor  zu  Zeitz  und  schrieb  und  veröffent- 
lichte ein  Buch,  betitelt:  y>Jl£usica  nova,  newe  Singkunst,  sowohl  nach  der  alten 
Solmisation  als  auch  newen  Bobisation  und  Bebisation.«   (Leipzig,   1626). 

Geuiej  genial.  Die  Alten  hielten  jede  hervorragende  Befähigung  eines  Men- 
schen für  die  Wirkung  eines  über  ihm  waltenden  hülfreichen  Geistes  (genius). 
In  Polge  dessen  ging  später  die  Bezeichnung  genius  (latein.)  oder  genie  (franz.) 
auf  diese  Befähigung  selbst,  oder  auf  den  Menschen,  dem  sie  innewohnte,  über. 
Es  verband  sich  aber  nach  und  nach  ein  immer  bestimmterer  Begriff  mit  dem 
Worte  Genie,  indem  man  dieses  von  dem  ähnlichen  Begriffe  Talent  (s.  d.) 
unterschied.  Denkt  man  sich  unter  Letzterem  überhaupt  eine  bedeutende  An- 
lage zu  Leistungen  auf  irgend  einem  Gebiete,  so  wird  G.  fast  ausschliesslich 
für  geistige  Anlagen  gebraucht,  wird  aber  namentlich  darin  als  das  Höhere 
gegenüber  dem  »Talent«  betrachtet,  dass  es  die  Befähigung  entweder  als  quan- 
titativ grössere,  umfassendere,  oder  als  der  Art  nach  vorzüglichere,  gründlichere, 
vollkommnere  bezeichnen  soll.  Die  häufigste  Anwendung  erhält  das  Wort  G. 
im  Gebiet  der  Künste,  und  zwar  mit  einer  Bedeutung,  in  welcher  der  Begriff 
der  qualitativen  Yollkommenheit  entschieden  vorwaltet.  Zwar  wird  hin  und 
wieder  auch  ein  quantitativ  enormes,  wenn  auch  mit  starken  Fehlern  behaftetes 
Talent  G.  genannt,  —  wie  z.  B.  Manche  E-ossini  wegen  der  grossen  Leichtig- 
keit, Unmittelbarkeit  und  Fülle  seines  Schaffens  als  G.  bezeichnen,  obwohl  seine 
Werke  neben  dem  schätzenswerthesten  Schönen  und  Eigenthümlichen  auch  die 
grössten  Versündigungen  gegen  die  Kunst  und  den  guten  Geschmack  aufweisen ; 
—  doch  ist  dies  nicht  die  allgemein -gebräuchliche  Anwendung  des  Wortes; 
■  in  letzterer  wird  es  vielmehr  solchen  Kunstpersönlichkeiten  beigelegt,  bei  denen, 
wie  bei  einem  Beethoven  oder  Mozart,  neben  der  Schönheit  des  gegebenen  In- 
haltes auch  das  Princip  des  Vollendeten,  Abgerundeten  in  ihren  Leistungen 
hervortritt,  in  denen  also  eine  Durchdringung  mehrerer  Vollkommenheiten  sich 
manifestirt.  Welcher  Art  diese  das  Genie  ausmachenden  Vollkommenheiten 
sind ,  das  mögen  folgende  Betrachtungen  klarlegen.  —  Als  G.'s  in  der  Musik 
werden  mit  allgemeiner  Einstimmigkeit  die  ebengenannten  Meister,  sowie  auch 
Gluck,  Haydn,  Bach  u.  A.  bezeichnet;  hingegen  herrscht  über  manche  andere 
hervorragende  Componisten  eine  Spaltung  der  Meinungen:  ein  Mendelssohn, 
Schumann,  Wagner  z.  B.  werden  von  dem  Einen  als  G.'s  augesehen,  während 
Andere  diese  Männer,  indem  sie  wesentliche  Fehler  oder  Lücken  in  ihrem 
Künstlerthume  zu  erkennen  glauben,  nur  in  den  Bang  mehr  oder  weniger  be- 
deutender Talente  setzen.  Man  erhält  nun  am  besten  Aufschluss  über  das 
Wesen  des  künstlerischen  G.'s,  wenn  man  den  Umständen  und  Gründen  nach- 
spürt, welche  bei  den  erstgenannten  Künstlern  die  allgemeine  Einstimmigkeit 
der  Meinung,  und  bei  den  letzteren  die  Zweifelhaftigkeit  derselben  veranlassten. 


186  Genie. 

Im  Folgenden  ist  dieser  Punkt  in  Bezug  auf  Beethoven  betrachtet;  und  zwar 
ist  der  Verlauf  der  Entwicklung  ausführlicher  beschrieben,  um  ein  Bild  zu 
geben  von  den  vielen  Phasen,  welche  die  öffentliche  Meinung  einem  Künstler 
gegenüber  durchzumachen  hat,  ehe  sie  zur  vollen  und  festen  Anerkennung  seines 
Gr.'s  gelangt.  —  Als  Beethoven  mit  seinen  ersten  Leistungen  auf  den  Gebieten 
des  Ciavierspiels,  der  Composition  und  der  Improvisation  auftrat,  erregten  die- 
selben das  Interesse  etlicher  Künstler  und  einer  kleinen  Anzahl  gebildeter 
Musilvfreunde.  Man  sah  oder  ahnte  aus  diesen  ersten  Pi'oductionen  noch  nicht 
im  entferntesten  jenen  hohen  Geist  und  jene  als  einzig  und  unermesslich  ange- 
staunte Kunstgrösse,  als  welche  er  heute  vor  uns  dasteht,  sondern  man  erkannte 
ein  bedeutendes  Talent  in  ihm;  er  ging  auf  den  Wegen,  welche  vorhex-gehende 
Meister  als  die  Wege  der  echten  Kunst  gebahnt  hatten,  und  zeigte  dabei  ent- 
schieden Geschick  und  Geschmack.  Bei  fortschreitendem  Schaffen  trat  der 
Reichthum  seiner  Phantasie  hervor,  und  zugleich  bekundete  sich  von  AVerk  zu 
Werk  immer  mehr  das  Abgerundete,  die  künstlerische  Einheit  und  Geschlossen- 
heit seiner  Darstellungen,  die  Vollkommenheit  der  Form.  Beides  musste  die 
Zahl  seiner  Bewunderer  und  die  Grösse  ihrer  Bewunderunor  l)edeutend  ver- 
mehren.  Bis  dahin  hatte  der  Inhalt  seiner  Schöpfungen  zwar  eine  eigenthüm- 
liche  Färbung  gehabt,  doch  immerhin  eine  solche,  welche  nur  als  Variante  des 
bisher  bekannten  und  beliebten  Inhaltes  musikalischer  Meisterwerke  gelten 
konnte.  Jetzt  aber  trat,  bei  weiterem  Produciren,  auch  Eigenthümlichkeit 
seines  künstlerischen  Inhalts,  Originalität,  immer  schärfer  heraus;  und  nun 
begannen  sich  die  Meinungen  zu  spalten.  Die  Einen,  denen  dieser  eigenthüm- 
liche  Inhalt  sympathisch  war,  oder  denen  Neuheit,  Eigenthümlichkeit  überhaupt 
schon  als  ein  höchst  Werthvolles  in  der  Kunst  galt,  proklamirten  Beethoven 
als  G.,  während  die  Andern,  die  sich  in  den  neuen  Inhalt  nicht  finden  konnten, 
in  ihm  ein  bedauerlich  verirrtes  Talent  sahen.  Durch  die  offenbarte  Originalität 
wurde  die  Aufmerksamkeit  eines  immer  grösseren  Kreises,  und  bald  der  ge- 
sammten  deutschen  musikalischen  Welt  auf  ihn  gelenkt;  er  wurde  Gegenstand 
eines  allgemeinen  Interesses,  aber  keineswegs  einer  allgemeinen  Anerkennung; 
verhältnissmässig  wenigen,  wiewohl  eifrigen  und  innigen  Verehrern  stand  die 
grosse  Mehrzahl  der  gegnerisch  Gesinnten  gegenüber ;  und  wenn  Letztere  ihn 
mitunter  ebenfalls  ein  »G.«  nannten,  so  wollten  sie  dieses  Wort  mit  dem  Bei- 
geschmack des  »Zügellosen«  oder  »Barocken«  verstanden  wissen,  indem  sie 
Beethoven  eine  zwar  reiche,  aber  allzu  eigenthümliche,  überschwängliche  und 
absonderliche  Phantasie  zuschrieben,  die  ihn  die  Grenzen  der  künstlerischen 
Schönheit  überspringen  oder  gänzlich  verfehlen  Hesse.  Dies  Verhältniss  blieb 
im  Wesentlichen  während  Beethoven's  ganzer  Lebenszeit  dasselbe.  Die  kleine 
Gemeinde  seiner  Anhänger  wuchs  zwar  mit  den  Jahren,  und  influirte  schliess- 
lich auf  einen  grösseren  Theil  des  Publikums  derart,  dass  ihm  von  demselben 
Hochachtung  und  eine  Art  anstaunender  Bewunderung  gezollt  wurde,  aber 
diese  war  weder  mit  Verständniss  noch  mit  wahrer  Sympathie  verknüpft,  und, 
indem  in  seinen  letzten  Zeiten  die  Seltsamkeit  seiner  Tonwerke  sich  vergrösserte, 
so  trat  der  andere  Theil  des  Publikums  und  die  herrschende  Tageskritik  immer 
schroffer  und  feindseliger  gegen  ihn  auf.  —  Als  der  Meister  gestox'ben  war, 
läuterten  sich  die  Urtheile  zunächst  von  dem  Persönlich-Tendenziösen,  welches 
sich  erklärlicherweise  bei  Lebzeiten  des  Mannes  geltend  gemacht  hatte.  Es  lag 
nun  aber  auch  der  Umkreis  des  Beethoven'schen  Schaffens  abgeschlossen  vor 
den  Augen  der  Welt:  man  überschaute  jetzt  die  ganze  Persönlichkeit  dieses 
Künstlers  und  nur  Wenige  konnten  sich  dem  Eindruck  des  Grossen,  den  dieser 
Ueberblick  erregte,  entziehen.  Mit  gesteigertem  und  reinerem  Interesse  wurden 
nunmehr  seine  AVerke,  und  zwar  zunächst  die  leichter  zugänglichen  seiner  ersten 
und  zweiten  Lebensperiode,  gespielt,  studirt  —  und  warm  und  wärmer  geliebt. 
Das  Verständniss  und  die  Würdigung  derselben  erhöhte  und  verbreitete  sich 
in  ungemeinem  Grade.  Man  suchte  sodann  auch  die  Werke  aus  seiner  letzten 
Lebenszeit  hervor.     Diese  erregten  jedoch  von  Neuem  Widerspruch;  gar  Viele 


Genie.  187 

fanden  sie  bizarr  und  erblickten  in  ihnen  die  Geburten  einer  bereits  ermatte- 
ten oder  entarteten  genialen  Schöpferkraft.  Aber  die  G-esammtpersönliclikeit 
Beetboven's,  die  schon  allgemein  die  Glorie  als  »Genie«  erworben  hatte,  übte 
auf  die  Gemüther  eine  Gewalt  aus,  welche  auch  diesen  Widerspruch  nach  und 
nach  zum  Schweigen  brachte.  Man  machte  nunmehr  folgende  Schlüsse:  »Beet- 
hoven steht  so  hoch,  er  zeigt  sich  in  der  überwiegenden  Zahl  seiner  Werke 
so  entschieden  im  Vollbesitz  eines  sicheren  Schönheitsgefühles,  eines  tiefen, 
stets  das  Wahre  treffenden  Kunstgeistes,  dass  es  widersinnig  wäre,  anzunehmen, 
es  sei  ihm  im  letzten  Drittel  seines  Lebens  diese  Vollkommenheit  plötzlich 
entschwu.nden ;  die  Unvollkommenheit  wird  vielmehr  auf  unsrer  Seite  liegen: 
auch  die  Werke  der  letzteren  Zeit  werden  als  schöne  zu  gelten  haben,  wir  aber 
sind  nicht  reif  zum  Erfassen  ihrer  Schönheit;  in  diesen  Werken  wird  gerade 
das  Tiefere  und  Entwickeltere  gegenüber  den  früheren  enthalten  sein,  daher 
stehen  sie  über  unserer  Verständnisskraft.  Haben  uns  die  früheren  unmittelbar 
gefallen,  so  ist  es  jetzt  an  uns,  das  Gefallen  an  denselben  uns  zu  erwerben; 
wir  müssen  uns  mit  ihnen  vertraut  macheu,  bis  uns  ihre  Schönheiten  aufgehen.« 
Ein  solche  Art  zu  schliessen  hatte  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Man  er- 
füllte die  aufgestellte  Forderung,  man  suchte  sich  in  die  Eigenthümlichkeiten 
jener  Tonschöpfungen  hineinzuleben;  Vielen  gelang  es,  —  und  heute  steht 
Beethoven  als  eine  über  allem  Zweifel  und  allem  Einzelurtheil  überhaupt  er- 
habene Grösse  vor  uns,  und  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  in  den  gebil- 
deten Kreisen  aller  Nationen.  Das  allgemeine  Urtheil,  welches  ihn  für  eine 
vollkommene  Kunsterscheinung  —  für  ein  »Genie«  —  erklärt,  hat  jetzt  die 
Bedeutung  eines  objektiven  Urtheils  gewonnen,  welches  der  Einzelne  einfach 
anzunehmen  hat;  und  dies  mit  voller  Berechtigung;  denn  die  Stimme  einer  so 
enormen  Majorität  von  gebildeten  Kunstfreunden  nicht  nur  einer  Epoche, 
sondern  mehrerer  aufeinanderfolgender  Generationen,  darf  und  muss 
den  Werth  einer  Autoritäts- Stimme  beanspruchen.  Demzufolge  gilt  die 
Vollkommenheit  seiner  Kunstwerke  (einige  wenige  ausgenommen,  welche  die 
allgemeine  Stimme  mit  sicherem  Instinkte  ausscheidet)  als  so  fest  und  für  alle 
Zeit  bewiesen,  wie  nur  irgend  ein  logisch  unanfechtbarer  Satz.  In  der  Kunst, 
welche  im  Wesentlichen  Gefühls- Sache  ist,  giebt  es  eben  keinen  unbedingten 
logischen  Beweis;  daher  muss  die  Einstimmigkeit  einer  gebildeten  Majorität, 
welche  sich  im  Laufe  langer  Zeiten  ansammelt,  als  Beweiskraft  auftreten.  — 
Der  Hergang  der  Meinungsentwickelung  über  Beethoven,  wie  er  eben  geschil- 
dert worden,  hat,  den  Hauptpunkten  nach,  in  gleicher  Weise  aucb  bei  allen 
Andern  allgemein  anerkannten  Kunstheroen,  bei  einem  Bach,  Mozart  u.  s.  w., 
stattgefunden;  er  giebt  also  die  allgemeine  Regel,  und  es  lässt  sich  klar  aus 
ihm  entnehmen,  welche  Momente  zusammenkommen  müssen,  um  eine  Kunst- 
persönlichkeit zum  »G.«  zu  erheben.  Wie  aufgezeigt  worden,  so  offenbarten 
Beetboven's  Werke  zuerst  geschmackvolle  Erfindung,  also  Schönheitssinn  |in 
Bezug  auf  den  Inhalt,  bald  auch  ein  sicheres  Gefühl  für  schöne  künstlerische 
Anordnung,  für  die  Form,  und  endlich  eine  Eigenartigkeit  seines  Inhaltes, 
Originalität.  Von  diesen  drei  Momenten  der  genialen  Begabung  erwarben 
sich  die  ersten  beiden  baldige  Anerkennung,  wogegen  die  Originalität  zunächst 
Widerspruch  erweckte  und  erst  sehr  spät  die  allgemeine  Stimme  für  sich  ge- 
wann. Und  dies  ist  nicht  so  ungerecht,  als  es  auf  den  ersten  Blick  scheinen 
mag.  Denn  Originalität  an  sich  ist  noch  keine  künstlerische  Vollkommenheit; 
als  Original  kann  sich  auch  das  Hässliche,  das  Widernatürliche  aufstellen;  und 
wegen  seiner  blossen  Neuheit  kann  ihm  ebenso  wenig  wahrer  Werth  zuge- 
schrieben werden,  da  das  Neue  ja  mit  der  Zeit  aufhört,  neu  zu  sein.  Daher 
muss  die  Frage  aufgestellt  werden,  ob  dieses  Neue  auch  eine  neue  Schönheit 
und  zwar  eine  allgemeingültige  Schönheit  darstellt,  und  dies  ist  erst  nach 
langen  Zeiten  durch  eine  Majorität  zu  entscheiden.  Um  aber  endlich  dem 
Künstler  die  volle  Sanction  des  »G.'s«  zu  verleihen,  dazu  bsdarf  es  nicht  nur 
der    günstigen    Einstimmigkeit    in    einer  Generation,    sondern   in   mehreren; 


183  Genitscha  —  Genlis. 

und  dieses  giebt  Aufschluss  übex'  die  besondere  Art  der  Originalität,  welche 
dem  Genie  innewohnt:  wo  nämlich  in  einer  Zeitperiode  so  viele  Personen,  von 
jedenfalls  vielfach  verschiedener  Individualität,  in  der  Sympathie  für  einen 
Künstler  übereinstimmen,  sodann  eine  zweite  Generation,  in  welcher  ein  ganz 
anderer  Zeitgeist  waltet,  gleichwohl  in  diesem  Urtheil  mit  der  ersten  Ge- 
neration übereinkommt,  und  endlich  eine  dritte,  wieder  anders  geartete  Epoche 
die  Bestätigung  giebt,  da  ist  es  vmbestreitbar  dargethan,  dass  der  Inhalt  jener 
Kunstpersönlichkeit  die  Grenzen  einer  gewöhnlichen  Individualität  weit  über- 
schreitet, dass  derselbe  eine  ganze  Hauptseite  des  allgemeinen  mensch- 
lichen Wesens  umfasst,  mit  anderen  AVorten,  dass  ein  allgemein-menschlicher 
Typus  in  ihm  zur  Erscheinung  kommt.  Und  als  solche  typische  erweisen 
sich  in  der  That  die  Persönlichkeiten  aller  anerkannten  Genien.  Wie  diese 
bei  Beethoven  in  dem  scharf-individuellen  Erfassen  aller  verschiedensten 
Lebensinhalte  besteht  —  weswegen  seine  Werke  so  durchaus  von  einander 
verschieden  sind  — ,  so  zeigt  sich  dieselbe  bei  Mozart  als  gleichzeitiges  harmo- 
nisches Zusammenwirken  aller  Kräfte  und  Triebe  des  Gemüthes,  woraus  jene 
gleichsam  »blühende«  Schönheit  seiner  Tonwerke  resultirt;  und  so  offenbart 
sie  sich  bei  Bach  als  tiefsinnige,  unbedingt  religiöse  Lebensanschauung,  bei 
Haydn  als  absolut  frohe  Empfindung  des  Daseins  u.  s.  f.  Diese  typische 
Art  und  Bedeutung  der  Persönlichkeit  ist  das  letzte  und  wesentlichste  der 
Momente,  durch  welche  das  Genie  sich  charakterisirt.  —  —  Man  werfe  nun 
noch  einen  Blick  auf  jene  Verschiedenheit  der  Meinungen,  wie  sie  beispiels- 
weise einem  Mendelssohn,  Schumann,  Wagner  gegenüber  waltet,  so  wird  die- 
selbe nach  dem  Erörterten  leicht  erklärlich  werden.  Mendelssohn  hat  eine 
zahlreiche  Anhängerschaft  gewonnen,  von  welcher  der  eine  Theil  den  Inhalt 
seiner  Werke  als  einen  vorzüglich  schönen  und  eigenartigen  preist,  ein  anderer 
in  die  schöne  Formung  derselben  seine  Grösse  setzt,  ein  dritter  ihm  alle  diese 
Vorzüge  zugleich  zuschreibt.  Dem  gegenüber  erklären  Viele  seinen  Inhalt  als 
nicht  originell  genug,  oder  als  nicht  eigentlich-schön,  nicht  die  Tiefe  des  Ge- 
müthes treffend.  Der  Streit  kann  heute  endgültig  noch  nicht  entschieden 
werden,  denn  Mendelssohns  Person  steht  uns  zeitlich  noch  zu  nahe.  Es  lässt 
«ich  wohl  ein  Wahrschein lichkeits-Urtheil  aufstellen,  welches  auf  dereinstige 
allgemeine  Anerkennung  seiner  als  eines  Genies  lautet;  aber  unbedingte  Gültig- 
keit hat  diese  Annahme  nicht;  erst  die  folgende  Generation  kann  und  wird 
das  letzte  Wort  sprechen.  Zeitlich  ebenso  nahe  steht  uns  Schumann.  An 
seinen  Schöpfungen  wird  von  Vielen  grosse  Originalität  des  Inhaltes,  sowie 
eine  besondere  Tiefe  des  Gefühls  gerühmt,  von  sehr  Vielen  hingegen  •  wird  ihm 
Mangel  an  Formschönheit  vorgeworfen;  hier  ist  also  der  Ausfall  des  dereinsti- 
gen Endurtheils  noch  zweifelhafter.  Bei  Wagner  endlich,  als  einem  Zeitge- 
nossen, der  noch  im  Weiterwirken  begriffen  ist,  kann  von  abschliessendem  Ur- 
theil noch  weit  weniger  die  Bede  sein.  Pflicht  des  Einzelnen  ist  es  natürlich, 
sein  individuelles  Urtheil  über  den  Meister  zu  klären,  und  wo  er  es  als  be- 
rechtigt und  begründet  glaubt,  Partei  zu  ergreifen;  ein  jeder  Einzelne  kann 
eine  Stimme  bilden  in  der  grossen  Majorität  der  Menschheit,  welche  dereinst 
zu  entscheiden  hat,  ob  dem  Künstler  der  Bang  des  Genies  zukommt,  ob  seine 
Persönlichkeit  schönen  Gehalt,  Formsinn,  Originalität  und  typische  Eigenthüm- 
lichkeit  umfasst,  oder  ob  ihm  von  diesen  künstlerischen  Vorzügen  nur  einer 
oder  einige  zugesprochen  werden  können.  William  Wolf. 

Genitscha,  Iwan,  trefflicher  russischer  Tonkünstler,  geboren  um  1810  in 
Bussland,  lebte,  angesehen  als  Pianist  und  Violoncellist,  zu  Moskau  und  wurde 
1837  Dirigent  eines  Gesangvereins.  Auch  als  Componist  hat  er  sich  nicht 
unvortheilhaft  durch  grössere  Instrumentalwerke  bekannt  gemacht. 

Genlis,  Stephanie  Felicite  Ducrest  de  Saint  Aubin,  Marquise  von 
Sillery,  Gräfin  von,  die  berühmte  Erzieherin  des  Königs  Ludwig  Philipp, 
war  eine  fein  gebildete  und  in  Kunst  und  Wissenschaft,  namentlich  auch  in 
der  Musik    bewanderte  Frau.      Geboren    am    25.  Jan.   1746    zu   Champceri   bei 


Genoves  —  Genus.  189 

Autun  in  Bourgogne,  aus  einer  vornehmen,  aber  herabgekommenen  Familie, 
war  sie  schon  als  Mädchen  ihrer  Schönheit  und  geistigen  Ausbildung,  sowie 
ihres  ausgezeichneten  Harfenspiels  wegen  in  die  vornehmsten  Pariser  Familien 
eingeführt  und  sehr  gern  gesehen.  Auch  Ciavier  und  andere  Instrumente 
spielte  sie  fertig,  sang  sehr  geschmackvoll  und  componirte  nicht  ohne  Geschick. 
Sie  ist  auch  Verfasserin  einer  Harfenschule  (Paris,  1802),  deren  zweite  Auflage 
in  Paris  1805  unter  folgendem  Titel  erschien:  nNouvelle  methode pour  apprendre 
ä  jouer  de  la  liarpe  en  moins  six  mois  de  legons  etc.n.  Unter  sehr  wechselvollen 
Schicksalen,  besonders  während  der  Revolution  von  1789,  lebte  sie  in  Paris, 
in  der  Schweiz,  in  Altona.  Unter  dem  Consulate  kehrte  sie  nach  Paris  zurück 
und  bezog  von  Napoleon  eine  Jahresrente.  Nach  wie  vor  schickte  sie  in  rascher 
Folge  ein  Buch  nach  dem  anderen  in  die  "Welt  und  starb  am  31.  Decbr.  1830 
zu  Paris.  Ihr  Musikübung  hat  gleich  ihrer  literarischen  Thätigkeit  die  Grrenz- 
linie  der  Mittelmässigkeit  im  Denken  und  Empfinden  niemals  überschritten, 

Genoves,  Tommaso,  in  Spanien  Genues  geschrieben,  italienischer  Opern- 
componist  spanischer  Abkunft,  geboren  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  in 
Sevilla,  schrieb  1831  für  die  italienische  Operbühne  in  Madrid  »ia  rosa  Bianca 
e  la  rosa  rossaa  und  begab  sich  im  J.  1834  nach  Neapel,  wo  er  in  dem  Zeit- 
räume von  zehn  Jahren  an  verschiedenen  Theatern  zur  Aufführung  brachte: 
»Zelma«  (in  Bologna  1835),  y>La  hattaglia  di  liepantov.  (in  Hom  1835),  -»Bianca 
di  Behnonte'i,  y^Iginia  d'Asti«,  y>Luisa  della  VaUiere«.  u.  s.  w.,  ohne  dass  er  sich 
einen  weitergehenden  Huf  mit  diesen  "Werken  zu  erringen  vermochte.  Auch 
andere  Gesangstücke  componirte  er  in  jener  Zeit;  bekannter  von  diesen  ist 
eine   Sammlung  geworden,  betitelt:  y>Le  sere  d^autunno  al  monte  Pincio<s.. 

Genre  (franz.;  lat.:  genus\  ital.:  genere),  eigentlich  die  Ab  stammung,  das 
Geschlecht  (Klanggeschlecht),  dann  auch  in  der  Bedeutung  »die  Art«,  »das 
Fach«  gebraucht,  zu  dem  der  näher  bezeichnete   Gegenstand  gehört. 

Genst,  Auguste  de,  treflSicher  belgischer  Componist,  geboren  1801  zu 
Brüssel,  wurde  zunächst  zu  einem  guten  Pianisten  ausgebildet.  Als  solcher 
machte  er  sich  durch  Composition  von  Fantasien,  Variationen  und  anderen 
Salonstücken  vortheilhaft  bekannt.  In  der  Folge  ist  er  auch  mit  grossen 
Werken,  als  Opern,   Sinfonien  u.  s.  -w.  bemerkenswerth  hervorgetreten. 

Gentile  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  anmuthig,  edel;  dem 
entsprechend  con  gentilezza  mit  anmuthigem  Ausdrück. 

Gentili,  Giorgio,,  italienischer  Violinist  und  Instrumentalcomponist,  ge- 
boren um  1668  zu  Venedig,  war  in  seiner  Vaterstadt  als  Instrumentalist  in 
der  Kapelle  des  Dogen  angestellt  und  hat  von  seiner  Composition  in  der  Zeit 
von  1701  bis  1708  zu  Venedig  Sonaten  für  zwei  Violinen  und  Violoncello 
mit  dem  Basso  continuo  der  Orgel,  ferner  Sonaten  für  Violine  und  Basso  con- 
tinuo  und  Concerte  veröflPentlicht. 

Gentili,  Serafino,  einer  der  berühmtesten  italienischen  Opernsänger  aus 
dem  ersten  Viertel  des  19.  Jahrhunderts,  geboren  1786  auf  einem  Landgute 
bei  Venedig,  Hess  sich  in  Venedig  und  Mailand  für  die  Bühne  ausbilden  und 
erregte  durch  Stimme,  Schule  und  dramatische  Begabung  das  grösste  Aufsehen, 
sodass  ein  Haupttheater  seines  Vaterlandes  nach  dem  andern  sich  seinen  Besitz 
streitig  machte.  Vorzüglich  und  am  längsten  glänzte  er  als  erster  Tenor  des 
Fenice- Theaters  zu  Venedig,  wo  ihn  auch  Rossini  kennen  und  hochschätzen 
lernte,  der  denn  auch  mehrere  Hauptparthien  in  seinen  Opern,  so  in  der  »Ita- 
lienerin in  Algier«,  eigens  für  ihn  schrieb.  Gichtische  Leiden,  die  durch  den  Auf- 
enthalt auf  den  dem  Zug  ausgesetzten  Bühnen  sich  immer  mehr  verschlimmerten, 
nöthigten  ihn,  schon  1828  sich  in  das  Privatleben  zurückzuziehen.  Er  Hess 
sich  in  Mailand  nieder  und  starb   daselbst  am   26.  Mai  1835. 

Gemis  (lat.;  ital.:  genere;  franz.:  genre)^  in  der  ursprüngUchen  Bedeutung 
das  Geschlecht,  in  der  Musik  also  das  Ton-  oder  Klanggeschlecht  (s.  d.), 
sodann  die  Gattung  (s.  d.).  Bei  den  alten  Theoretikern  findet  sich  dieser 
Begriff   mit   folgenden  näheren  Bezeichnungen  zusammengesetzt  vor:    G.  chro- 


190  Geometrische  Th eilung  —  Georg. 

maticum,  G.  diatonicum  und  G.  enJiarmonicum,  s.  Klanggeschlecht, 
ferner  Chromatisch,  Diatonisch,  Enharmonisch.  (Bei  den  Griechen  s. 
Tetrachord.)  G.  epitriton,  d.  i.  das  dreischlägige  Tongeschlecht,  war  bei 
den  Griechen  eine  Art  von  Rhythmus  oder  Takt,  der  aus  uugeradzähligen 
Theilen  bestand  und  der  mit  dem  in  neuerer  Zeit  mehrfach  versuchten,  aber 
für  praktisch  unbrauchbar  befundenen  '  j-  oder  "/^-Takt  Aehnlichkeit  hatte 
(s.  Rhythmus,  griechischer).  G.  inflatile,  die  Gattung  der  Blaseinstru- 
mente. G.  2Jercussihile,  die  Gattung  der  Schlaginstrumente.  G.  rarum,  s. 
Genera  spissa  und  Tetrachord.  G.  syntomim,  die  diatonische  Tonfolge. 
G.  tensile,  die  Gattung  der  Saiteninstrumente.  G.  ison  (äquale)  und  G. 
diplasion   (duplum),  s.  Ison  und  Diplasion. 

Geometrische  Theilnng  heisst  diejenige  der  harmonischeu  Rechnungsarten, 
welche  gleiche  geometrische  Rationen  erzeugt,  deren  Glieder  jedoch  ungleiche 
Differenzen  haben ;  sie  schafft  eine  geometrische  Proportion,  in  der  der  Quotient 
jeder  folgenden  zwei  Zahlen  dem  Quotienten  der  zwei  vorhergehenden  gleich 
ist.  Diese  Theilung  wird  vollzogen,  wenn  man  aus  dem  Product  zweier  ge- 
gebener Verhältnissglieder  die  Quadratwurzel  zieht  und  diese  als  Mittelglied 
zwischen   jene    stellt.     Hat    man    z.  B.    das  Verhältniss    18  :  8,    so   würde    die 

Rechnung  folgende  sein:  18X8  =  144;  |/^144=12;  giebt  als  Ergebniss  die 
Proportion  18  :  12  :  8.  Dass  diese  Rechnung  nicht  immer  ganze  Zahlen  als 
Mittelglieder  ergiebt,  sondern  meist  Bruchzahlen,  ist  fast  selbstredend;  ja  oft 
führt  sie  zu  Irrationalzahlen,  d.  h.  zu  nur  annäherungsweise  durch  Zahlen  dar- 
stellbare Grössen.  Obgleich  es  somit  nicht  möglich  ist,  aus  jedem  Verhältniss 
eine  vollkommene  Proportion  zu  schaffen  und  überall  vollkommen  geometrische 
Progressionen  zu  erhalten,  so  ist  dieser  Mangel  der  praktischen  Anwendung 
dieser  Rechnungsart  in  der  Musik  nicht  von  Nachtheil,  da  die  sich  ergebenden 
Zahlen  einer  verlangten  Proportion  so  wenig  von  den  den  vollkommenen  Werth 
ausdrückenden  differiren,  dass  eine  praktische  Darstellung  derselben  dem  Ohre 
durchaus  unbemerkbar  bleibt.  S.  auch  Theilung  d  er  Intervallenverhält- 
nisse. 32. 

Georg  V.,  Friedrich  Alexander,  Exkönig  von  Hannover,  geboren  am 
27.  Mai  1819  zu  Berlin,  erhielt  als  Prinz  von  Cumberlaud  daselbst  eine  auch 
auf  das  Musikalische  gerichtete  Erziehung.  Seine  Hauptlehrer  in  der  Compo- 
sition  waren  K.  W.  Greulich  und  später  Friedr.  Kücken ,  nachdem  er  von 
Dulken  in  London  von  1829  bis  1833  im  Clavierspiel  unterrichtet  worden 
war.  Er  versenkte  sich  um  so  leidenschaftlicher  in  die  Geheimnisse  der  Ton- 
kunst, als  ein  Augenübel  ihn  seiner  Sehkraft  beraubte.  Nach  der  Thronbe- 
steigung seines  Vaters  im  J.  1838  siedelte  auch  er  nach  Hannover  über  und 
vollendete  dort  unter  E.  Wenzel  seine  Studien  auf  dem  Pianoforte  und  in  der 
Composition.  Von  seiner  mehr  als  gewöhnlichen  Produktionskraft  legen  im 
Druck  erschienene  Kirchenstücke,  ein-  und  mehrstimmige  Gesänge,  Tänze  und 
Märsche  Zeugniss  ab;  einige  seiner  Männerchöre  sind  sogar  mit  Auszeichnung 
zu  nennen.  Seiner  vertrauten  und  innigen  Beschäftigung  mit  der  Musik  ent- 
sprang auch  eine  kleine  ästhetische  Schrift,  die  er  anonym  erscheinen  Hess  und 
die  den  Titel  führt:  »Ideen  und  Betrachtungen  über  die  Eigenschaften  der 
Musik«  (Hannover  1858).  Am  meisten  aber  ehrt  das  Aufblühen  der  Kunst 
und  der  musikalischen  Thätigkeit  in  der  Residenzstadt  Hannover,  eine  Folge 
der  Pflege,  die  G.  als  König  seiner  Lieblingskunst  zuwandte,  den  hohen  Di- 
lettanten. Der  unglückliche  Krieg  von  1866,  in  den  ihn  Trotz  und  Eigensinn 
mit  dem  mächtigen  PreuSsen  verwickelten,  brachte  ihn  um  Krone  und  Land. 
Er  lebt  seitdem  zu  Hietzing  bei  "Wien  und  soll  mit  der  Sammlung  und  Her- 
ausgabe seiner  "Werke  beschäftigt  sein. 

Georg,    Markgraf   von    Brandenburg,    ist    der    Componist    des    geistlichen 

Liedes:    »Da  Israel  aus  Egypten  zog  etc.«,    dessen  Melodie:    d  a  g  a  c  a  gf  e 
beginnt,  und  welches  zuerst  1537  in  dem  »Teutsch  Kirchenamt  etc.«  von  "Wolff 


Georg  —  Geräusch.  191 

Köpphl  veröffentlicht  wurde.  Auch  das  einem  Akrostichon  ähnlich  gestaltete 
Lied:  »Grenad'  mir  Herr,  ewiger  Gottcf  ist  entweder  zu  Ehren  Gr.'s,  oder  gar 
von  diesem  selbst  geschaffen  worden.  f 

Georg,  Joseph,  deutscher  Tonkünstler  aus  Oesterreich,  war  um  1835 
erst  Violinist,  dann  Musikdirektor  am  Stadttheater  zu  Nürnberg  und  hat  sich 
daselbst  als   Componist  von  Yiolinconcerten  und  einer  Messe  hervorgethan. 

Georg,  Sebastian,  tüchtiger  deutscher  Pianist  aus  Mainz,  lebte  zu  An- 
fange des  19.  Jahrhunderts  als  angesehener  Ciavierlehrer  zu  Moskau,  woselbst 
er  auch  starb.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Paul  G.,  zeichnete  sich  ebenfalls 
als  Ciavierspieler  und  Musiklehrer  in  Moskau  aus,  hat  sich  aber  weiter  hin 
auch  als  Componist  von  Sonaten,  Etüden  u.  s.  w.  für  Pianoforte  bekannt 
gemacht. 

Georges,  s.  Saint  Georges. 

Georgi,  Johann  Gottlieb,  trefflicher  deutscher  Musikpädagog,  war  aus 
der  Gegend  bei  Eisenach  gebürtig  und  sollte  wie  sein  Vater  Landschullehrer 
werden.  Um  1710  erhielt  er  die  zweite  Cantorstelle  in  Kassel,  mit  der  auch 
der  Unterricht  an  einer  der  unteren  Klassen  des  vom  Landgrafen  Friedrich  II. 
gegründeten  Lyceums  verbunden  war.  An  dem  ebenfalls  dazu  gehörigen  Schul- 
lehrer-Seminare rückte  G.  zum  Inspector  hinauf  und  errichtete  aus  seinen  Ge- 
sangschülern einen  Singchor,  der  bald,  40  Knaben  und  Jünglinge  stark,  seine 
Funktionen,  namentlich  in  den  Kirchen,  ausüben  konnte.  Dieser  Chor  wurde 
seiner  vorzüglichen  Schulung  wegen  später  auch  vielfach  für  den  Dienst  des 
Hoftheaters  benutzt  und  bestand  noch  lange  nach  G.'s  Tod,  bis  zu  den  deutschen 
Freiheitskriegen,  die  auch  diesem  Institute  ein  Ende  machten. 

Gerade  Bewegung  oder  Parallelbewegung  (lat.:  mofus  rectus),  die  gleich- 
zeitig steigende  oder  fallende  Fortbewegung  zweier  oder  mehrerer  Stimmen. 
S.  Fortschreitung  der  Intervalle. 

Gerade  oder  geradfüssige  Stimmen  nennt  man  in  der  Fachsprache  der 
Orgelbauer  solche  Stimmen,  deren  Grösse  durch  ganze  Zahlen  ohne  Bruch  be- 
stimmt wird,  z.  B.  10 metrig  (=  32füssig),  5 metrig  (=  16füssig)  u.  s.  w. 
Ungerade  Stimmen  sind  demnach  diejenigen,  zu  deren  Bestimmung  eine 
ganze  Zahl  und  ein  Bruch  nöthig  ist,  also  2,5inetrige,  1,25  metrige  u.  s.  w. 

Gerader  Takt,  gerade  Taktarten,  s.  Takt. 

Gerard,  Henri  Philippe,  belgischer  Vocalcomponist  und  Gesanglehrer, 
geboren  1763  zu  Lüttich,  war  zuerst  Chorknabe  an  der  Kathedralkirche  seiner 
Vaterstadt,  wurde  aber  dann,  da  er  bedeutendes  Musiktalent  zeigte,  nach  Rom 
geschickt,  wo  er  am  Lütticher  Collegium  während  eines  fünfjährigen  Studiums 
bei  Ballabene  die  höhere  Ausbildung  erhielt.  Kurz  vor  der  französischen  He- 
volution  Hess  er  sich  in  Paris  nieder  und  erwarb  sich  als  Gesanglehrer  einen 
so  grossen  Buf,  dass  man  ihn  in  gleicher  Funktion  an  das  neu  errichtete  Con- 
servatorium  zog,  an  welchem  er  hierauf  über  30  Jahre  lang  lehrte.  Die  Früchte 
dieser  Stellung  sind  eine  gute  Gesangschule  (2  Theile,  Paris),  ferner  ein  Buch, 
betitelt:  nOonsiderations  sur  la  musique  en  gener  dl  et  particulierement  sur  tout 
ce  qui  a  rap'port  ä  la  vocale  etc.«  (Paris,  1819),  endlich:  y>Traite  methoäique 
cfharmonie,  oü  Vinstruction  est  simplifiee  et  mise  ä  la  portee  des  commengansa 
(Paris,  1833).  Von  seinen  zahlreichen  Compositionen  für  Gesang  sind  nur 
kleine  Bomanzen  und  Chansons  von  ihm  veröffentlicht  worden.  Er  starb  hoch- 
geachtet am  11.   Septbr.  1848  zu  Paris. 

Gerardini,  Arcangelo,  italienischer  Servitenmönch,  geboren  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  zu  Siena,  lebte  zu  Mailand  und  hat  von  seiner  Compo- 
sition   17   Motetten  für  acht  Stimmen   (Mailand,   1587)  veröffentlicht. 

Geraubtes  Zeitmaass,  wörtliche  Uebersetzung  und  mitunter  angewendete 
Bezeichnung  des  Tempo  ruhato  (s.  d.). 

Geräusch  heisst  ein  Schall,  dessen  Tonhöhe  nicht  bestimmbar  ist,  indem 
seine  Luftwellen  weder  an  Form  einander  gleichartig  sind,  noch  in  regelmässi- 
gen Zeiträumen  aufeinanderfolgen.     S.  auch  Klang. 


192  Gerber. 

Gerber,  Christian,  musikkiiudiger  deutscher  Theologe,  geboren  um  1660 
zu  Görnitz,  gestorben  1731,  war  Pfarrer  und  Magister  in  Lockwitz  und  hat 
einige  musikalische  Abhandlungen  veröffentlicht. 

Gerber,  Heinrich  Nicolaus,  verdienstvoller  deutscher  Componist  und 
Musiklehrer,  geboren  am  6.  Septbr.  1702  im  Schwarzbux'g'scheu,  wo  sein  Vater 
Landwirth  war,  besuchte  die  Elementarschule  in  Mühlhausen,  dann  das  Gym- 
nasium in  Sondershausen  und  trieb  mit  Vorliebe  zugleich  auch  luusikalische 
Studien.  Seine  TJniversitätsjahre  in  Leipzig  brachten  ihn  seit  1724  mit  Joh. 
Seb.  Bach  zusammen,  der  ihn  weiter  ausbildete.  Im  J.  1728  wurde  er  Orga- 
nist zu  Heringen  in  der  goldenen  Aue,  welche  Stadt  jedoch  gänzlich  nieder- 
brannte. Seines  schlanken  Ivörperwuchses  wegen  sah  sich  G.  unablässig  von 
den  Werbern  Friedrich  Wilhelm's  I.  beunruhigt,  bis  er  1731  als  Schlossorganist 
und  fürstlicher  Musiklehrer  in  Sondershausen  angestellt  wurde.  Neben  TJnter- 
richtgeben,  Composition  und  Verwaltung  seines  Amtes  befasste  er  sich  mit  Ver- 
suchen, musikalische  Instrumente  zu  verbessern.  So  ging  u.  A.  aus  seiner 
Hand  eine  Art  Strohfiedel  in  Form  eines  Flügels  hervor,  ein  vieroctaviges  In- 
strument, dessen  Töne  vermittels  der  Tasten  durch  Anschlagen  hölzerner  Kugeln 
an  Holzstäbe  hervorgebracht  wurden.  Im  J.  1749  wurde  er  zum  Hofsecretair 
ernannt,  stellte  jedoch  seine  eifrigen  Musikübungen  erst  mit  dem  Tode  ein, 
der  am  6.  Aug.  1775  zu  Sondershausen  erfolgte.  Seine  Compositionen  bestehen 
in  Motetten  und  Cantaten,  zahlreichen  Concerten,  Suiten  und  TJebungen  für 
Ciavier,  Präludien  und  Fugen  für  Orgel,  Stücken  für  Harfe  u.  s.  w.,  Alles  meist 
Manuscript  geblieben.  Auch  ein  vollständiges  Choralbuch  mit  beziffertem  Basse 
und  variirte  Choräle  schrieb  er,  welche  letztere  einst  sehr  geschätzt  wurden.  — 
Sein  Sohn  Ernst  Ludwig  G.  hat  sich  als  Lexikograph  Ruhm  und  ein  un- 
schätzbares Verdienst  erworben.  Geboren  wurde  derselbe  am  20.  Septbr.  1746 
zu  Sondershausen  und  erhielt  von  seinem  siebenten  Jahre  an  bei  seinem  Vater 
Unterricht  im  Clavierspiel  und  Gesang.  Seiner  schönen  Stimme  wegen  musste 
er  noch  in  seinen  Schuljahren  häufig  Soli  bei  musikalischen  Aufführungen  über- 
nehmen. Theoretische  und  musikhistorische  "Werke  wurden  ihm  gleichfalls  früh 
in  die  Hand  gegeben  und  ermuthigten  ihn  zu  Compositionsversuclien.  Von 
1765  an  studirte  er  in  Leipzig  die  Rechte,  gab  aber  dieses  Studium  im  In- 
teresse der  Musik  und  schönen  Wissenschaften  auf,  als  er  mit  einigen  Compo- 
sitionen Beifall  fand,  die  im  Concert  und  im  Theater,  in  dessen  Orchester  er 
als  Violoncellist  mitwirkte,  aufgeführt  wurden.  Wie  als  Violoncellist  wurde  er 
auch  als  Ciavierspieler  in  Concerten  sehr  beliebt.  Um  seinem  Vater  zur  Seite 
zu  stehen,  kehrte  er  nach  Sondershausen  zurück  und  rückte  nach  dem  Tode 
desselben  auch  definitiv  in  dessen  Stellungen  ein.  Neben  der  Composition  be- 
schäftigte er  sich  nach  wie  vor  mit  musikliterarischen  Studien  und  mit  Samm- 
lungen von  Musikerporträts,  die  er  mit  Biographien  versah.  Hierbei  wurde 
ihm  klar,  dass  das  Walther'sche  Lexikon  als  Nachschlagebuch  dem  Zeitbedürf- 
nisse nicht  mehr  genüge,  und  er  kam  auf  die  Idee,  eine  gleiche  Arbeit  aufzu- 
nehmen, für  welchen  Zweck  er  Correspondenzen  eröffnete,  Nachforschungen 
begann  und  Reisen  unternahm,  die  ihm  eine  goldene  Ausbeute  brachten.  Diese 
Vorarbeiten,  die  Sichtung  und  Zusammenstellung  des  reichen  Materials,  die 
Abwägung  des  Nothwendigen  und  Entbehrlichen  u.  s.  w.  füllten  zehn  lange  Jahre 
hindurch  alle  seine  Mussestunden  aus  und  der  Frucht  dieser  anstrengenden, 
mühsamen  Anstrengungen,  dem  «Historisch-biographischen  Lexikon  der  Ton- 
künstlera  (Leipzig,  1790  —  1792)  kann  auch  die  Nachwelt  das  ehrende  Urtheil 
nicht  versagen,  dass  es  ein  vollkommenes,  klar  disponirtes  und  mit  Umsicht, 
Redlichkeit  und  grosser  Zuverlässigkeit  gearbeitetes  Werk  gewesen  ist.  Gleich- 
zeitig veröffentlichte  G.  auch  in  verschiedenen  Zeitschriften  Abhandlungen  über 
Kunstfrageu  und  schrieb  mehrere  Jahre  hindurch  Recensionen  für  die  Erfurter 
Gelehrten-Zeitung.  Schon  im  J.  1796  ging  er  an  die  Zusammenstellung  eines 
neuen  Tonkünstlerlexikons,  da  ihm  auf  Grund  des  schon  erschienenen  Werks, 
das  übrigens  von   Choron  in  das  Französische  übersetzt  wurde,  Berichtigungen, 


Gerber—  Gerbert  von  Hornau.  193 

Zusätze  und  Ergänzungen  in  Masse  zugingen.  Die  so  eben  in  das  Leben  ge- 
tretene Leipziger  allgemeine  musikalische  Zeitung  verband  ihn  enger  mit  der 
äusseren  Musikwelt  und  stellte  einen  Zusammenhang  zwischen  ihm  und  sonst 
schwerer  zu  erreichenden  Tonkünstlern  her.  Durch  das  »Neue  historisch- 
biographische Lexikon  der  Tonkünstler«  (Leipzig,  1812 — 1814)  ist  das  ältere 
Werk  übrigens  nicht  überflüssig  geworden,  indem  vielmehr  vielfach  auf  dasselbe 
hingewiesen  wird,  so  dass  beide  in  Wahrheit  erst  ein  Glanzes  ausmachen.  Für 
lange  hinaus  wird  das  Gerber'sche  Lexikon  ein  fleissig  gearbeitetes  Muster 
und  die  Quelle  für  alle  ähnlichen  Unternehmungen  abgeben.  Alle  anderen 
musikalischen  Bemühungen  Gr.'s  schrumpfen  dieser  grossen  lexikographischen 
That  gegenüber  mehr  oder  weniger  zusammen.  Sonaten  für  Ciavier,  Märsche 
für  Harmoniemusik,  Choralvorspiele  für  Orgel  u.  s.  w.  legen  ein  Zeugniss  für 
sein  Können  als  Componist  ab.  Andere  seiner,  sammt  den  bereits  aufgeführten, 
Schriften  finden  sich  in  C.  F.  Beckers  »Literatur«  verzeichnet.  Als  Künstler 
und  Beamter  geachtet,  durch  Fleiss  und  Ordnungsliebe  ausgezeichnet  und  als 
Mensch  und  Familienvater  geliebt,  verbrachte  Gr.  in  unausgesetzter  Thätigkeit 
den  Rest  seiner  Tage  in  Sondershausen  und  starb  daselbst  am  30.  Juni  1819 
als  Hofsecretär.  Seine  Sammlungen  an  Büchern  und  Musikalien  kaufte  das 
Conservatorium  der  Gresellschaft  der  Musikfreunde  in  Wien  an  und  legte  damit 
den   Grundstein  zu  seiner  Bibliothek. 

Gerber,  Karl,  deutscher  Pianist  und  Componist,  geboren  um  1830  zu 
Altenburg,  war  der  Sohn  eines  Musikdirektors  und  erhielt  seine  künstlerische 
Ausbildung  in  Prag.  Im  J.  1866  wurde  er  als  Lehrer  des  Mozarteuins  in 
Salzburg  angestellt,  in  welcher   Stellung  er  gegenwärtig  sich  noch  befindet. 

Gerbert  von  Hornau,    Martin,    ein   um   die  Geschichte   der  Musik  hoch- 
verdienter Theologe,  geboren  zu  Horb   am  Neckar  in  Württemberg,  am  12.  Aug. 
1720,  erhielt  eine  gelehrte  Erziehung,  zu  der  sich  grosse  Vorliebe  für  die  Ton- 
kunst und  eifrige  Uebung  derselben  seinerseits  gesellten.    Zum  geistlichen  Stande 
berufen,  trat  er,  nachdem  er  die   Schule  in  Ludwigsburg  durchlaufen,    1736  in 
das  berühmte  Benedictinerstift   St.  Blasien  im  Schwarzwalde,  wo  auch  sein  Hang 
zu    geschichtlicher  Forschung    die    gediegenste    Richtung    erhielt.     Im  J.    1744 
empfing    er    die  Priesterweihe,    wurde   wenige  Jahre    später  zum  Professor  der 
Theologie  und  Philosophie  ernannt  und  1764  sogar  zum  gefürsteten  Abt  dieses 
Klosters    erhoben.     Als    solcher    starb  er   am  13.   (nach  Anderen  am   14.)  Mai 
1793  nach    einem    langen,    im  Dienste  fleissiger    und    tüchtiger  geschichtlicher 
Untersuchungen    hingebrachten    Leben.     Seine    unbegrenzte    Musikliebe    ist    es 
besonders  gewesen,  die  ihn  1759  bis  1765  auf  eine  grosse  Reise  durch  Deutsch- 
land, Prankreich  und  Italien  geführt  hat,  auf  welcher  er  sein  besonderes  Augen- 
merk   auf    die    öfi^entlichen    und  Klosterbibliotheken    richtete,    zu  dem  Zwecke, 
bisher    brach    gelegenes  Material    für    eine  Geschichte    des  Kirchengesanges   zu 
gewinnen.      Ausserordentlich    förderlich     für     dieses    immer    mehr    in's    Grosse 
wachsende  Unternehmen  wurde  ihm  die  Bekanntschaft  mit  dem  kunstgelehrten 
Pater  Martini  in  Bologna,    die  bald  in  innige  Freundschaft  überging,    so   dass 
ihm    die    kostbare    Bibliothek    und    die    umfassenden    musikalischen  Kenntnisse 
desselben  zur  vollsten  Verfügung  standen,  ebenso  wie  Martini's  Sammlung  durch 
G.'s  Mittheilungen  wesentlich    bereichert  wurde.     Diesem  Bunde  entsprang  der 
Plan,  Martini  solle,  während  G.  die  beabsichtigte  Geschichte  der  Kirchenmusik 
ausarbeite,    eingreifend    und    vervollständigend    eine    allgemeine   Geschichte    der 
Tonkunst    in  Angriff   nehmen.     Im  J.   1762    machte  G.  die  Welt    mit    seinem 
Plane  bekannt  und  bat  um  Beiträge,    ein  Gesuch,    dem  im  vollen   Maasse  ent- 
sprochen wurde.     Leider  jedoch  zerstörte  1769  eine  Feuersbrunst  die  Bibliothek 
und    das  Archiv    des  Klosters   St.  Blasien    und   damit  alle  zu  jener  Geschichte 
mühsam  gesammelten  Materialien,  ein  Unglück  übrigens,  welches  nur  die  Her- 
ausgabe des  Werks  mit  erheblicher  Verzögerung    traf,    da  der    erste  Band  be- 
reits   im  Druck  erschienen  war    und  von    den  wichtigsten   Stücken  Abschriften 
bei   ihm   befreundeten  Männern,    besonders   beim  Pater  Max-tini,  sich  befanden. 

Musikal.  Convers.-Lesikon.    IV.  13 


194  Gerdy—  Gerhard. 

Mit  ungebeugtem  Gelehrteneifer  und  Fleiss  ging  Gr.  an  das  "Werk  erneuerter 
Vor-  und  Ausarboitung,  und  fünf  Jahre  später  erschien  das  vollständige  Werk 
in  zwei  starken  mit  40  Kupfern  ausgestatteten  Bänden  unter  dem  Titel:  »De 
cantu  et  musica  sacra  a  prima  ecclesiae  aetate  usque  ad  praesens  tempusa  (St. 
Blasien,  1774).  Dieses  Buch,  ohne  welclies  Forkel's  Geschichte  der  Musik  wohl 
kaum  erschienen  sein  würde,  ist  noch  fort  und  fort  für  jeden  Musikgelehrten 
fast  uncntbelirlich  und  bildet  eine  unei'schöpflicbe  Quelle  der  werthvollsten 
Nachrichten  über  die  kirchliche  Tonkunst  aller  vorangegangenen  Zeiten,  wenn 
auch,  wie  nicht  anders  möglich,  noch  immer  viele  Unrichtigkeiten  und  TJnge- 
nauigkciten  von  den  Forschern  der  Folgezeit  ausgemerzt  werden  müssen,  hier 
nicht  minder  wie  in  G.'s  zweitem  Hauptwerke:  y>Scriptores  ecelesiastici  de  musica 
Sacra  potissimaa  (3  Bände,  St.  Blasien,  1784).  Diese  hochwichtige  Sammlung 
von  Tractaten  der  bedeutendsten  Musikschriftsteller  wird  von  Coussemaker 
(s.  d.)  in  würdigster  Art  fortgesetzt  und  ergänzt.  Auch  die  übrigen  Schriften 
G.'s  enthalten  viele  für  den  Musikgelehrten  wichtige  Aufsclilüsse  und  AVinke, 
so  der  Reisebericht  niter  alemannicum,  italicum  et  gallicunm  (St.  Blasien,  1765 
und  1773),  von  welchem  auch  eine  deutsche  Uebersetzung  erschien,  ferner  die 
rtVetus  Uturgia  alemannicaa  (2  Bde.,  St.  Blasien,  1776)  und  die  i>Monumenta 
veteris  liturgiae  alemannieae<.<.  (2  Bde.,  St,  Blasien,  1777).  Audi  für  die  allge- 
meine Weltgeschichte  hat  er  einige  wichtige  Bücher  verfasst,  so  eine  Geschichte 
des  Schwarzwaldes  u.  s.  w.  Dass  G.  zudem  als  Componist  thätig  gewesen,  be- 
weisen  einige  von  ihm  in   Augsburg  in   den  Druck  gegebene   Oflfertorien. 

Crerdy,  P.  N.,  ausgezeichneter  französischer  Pliysiologe,  geboren  1797  zu 
Loches  im  Departement  Aubln,  lebte  als  Professor  der  Medicin  zu  Paris  und 
hat  u.  A.  wichtige  und  interessante  TJntersuchungsergebnisse  über  den  Kehl- 
kopf und  die  übrigen  Werkzeuge  der  menschlichen  Stimme  theils  in  Fachzeit- 
schriften, theils  selbstständig  veröffentlicht. 

Gerhard.  Unter  diesem  Namen  sind  mehrere  um  die  Musik  verdiente 
deutsche  Künstler  aufzuführen.  1)  Jacob  G.,  Cantor  zu  Brandenburg,  lebte 
im  16.  Jahrhundert  und  wird  als  hervorragender  Componist  seiner  Zeit  mehr- 
seitig genannt.  —  2)  Johann  Heinrich  G.,  Cantor  zu  St,  Nicolai  in  Brieg, 
geboren  am  4.  April  1708  zu  Gross- Weigelsdorf  in  der  schlesischen  Herrschaft 
Oels,  war  der  Sohn  des  Magisters  Martin  Benjamin  G.  und  für  das  Studium 
der  Theologie  bestimmt.  Schon  als  Gymnasiast  in  Brieg  trieb  G.  eifrig  Musik, 
nicht  minder  als  Student  in  Jena,  1730  bis  1734  und  ging  nach  Vollendung 
seiner  Studien  endlich  ganz  zur  Kunst  über.  Er  wurde  1739  als  Cantor 
an  die  Nicolaikirche  zu  Brieg  berufen,  wirkte  auch  als  Musiklehrer  mit  Aus- 
zeichnung und  starb  um  1785  zu  Brieg.  —  3)  Justin  Ehrenfried  G.,  treff- 
licher Orgelbauer  des  18.  Jahrhunderts,  war  aus  dem  Weimar'schen  gebürtig 
und  baute  unter  anderen  gerühmten  Werken  auch  die  grosse  Orgel  zu  Ilmenau, 
die  aber  schon,  noch  ehe  sie  ganz  vollendet  wurde,  am  3.  Novbr.  1752  sammt 
der  Kirche  wieder  abbrannte.  —  4)  Wilhelm  G.,  geboren  am  29.  Novbr.  1780 
zu  Weimar,  ist  unter  den  Liedercomponisten  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts 
zu  nennen,  da  von  ihm  Gesänge  in  Leipzig  erschienen  sind.  Bekannter  ist  er 
freilich  als  formgewandter  lyrischer  und  dramatischer  Dichter  und  als  Ueber- 
setzer  der  Sacuntala  geworden ,  die  er  in  aller  ihrer  Anmuth  deutsch  wie- 
dergab. Von  seinen  Gedichten  hat  sich  das  bekannte,  von  Aug.  Pohlenz  com- 
ponirte  »Auf,  Matrosen,  die  Anker  gelichtet«  als  Volkslied  Bahn  gebrochen. 
G.  lebte  als  Kaufmann  und  Legationsrath  zu  Leipzig  und  starb,  von  einer 
Schweizerreise  zurückkehrend,  am   2.   Oktbr.   1858  zu  Heidelberg. 

Gerhard,  Li  via,  rühmlich  bekannte  deutsche  Sängerin,  geboren  am  13. 
Juni  1818  zu  Gera,  erhielt  ihre  Erziehung  in  Leipzig  und  Musik-,  namentlich 
Gesangunterricht  daselbst  bei  Aug.  Pohlenz.  Höchst  talentvoll,  wie  sie  war, 
konnte  sie  schon  1833  die  Bühne  in  Leipzig  betreten  und  empfing  aufmuntern- 
den Beifall.  Ein  Jahr  später  begab  sie  sich  auf  Kunstreisen  und  erregte  über- 
all durch   ihre  frische,    angenehm  klingende    und  wohlgeschnlte   Stimme,    sowie 


Gerissene  Zunge  —  Gerlach.  195 

durch  ihre  anmuthige  Persöulichkeit,  die  auch  auf  ihre  Leistungen  influirte, 
Aufsehen.  Ein  mehrmonatlicher  Aufenthalt  in  Dresden  gab  ihr  damals  Ge- 
legenheit, im  A''^erkehr  mit  der  Schröder-Devrient  sich  vollends  auszubilden. 
Von  1835  bis  1838  gehörte  sie  zu  den  OjDernmitgliedern  des  köuigstädtischen 
Theaters  zu  Berlin  und  wurde  vom  Publikum  ehrenvoll  ausgezeichnet.  Sie 
verheirathete  sich  hierauf  mit  dem  Professor  Frege  in  Leipzig  und  trat  nur 
noch  zeitweise  als  geschätzte  und  verehrte  Concertsängerin  auf.  Ihr  Haus 
wurde  ein  Herd  der  reinen  Kunstpflege  und  ein  Sammelplatz  der  Künstler 
und  distinguirter  Musikfreunde.  Der  dort  mit  Vorliebe  verweilende  Mendels- 
sohn erklärte  Livia  Gr.  für  die  anmuthigste  Interpretin  seiner  Lieder  und  ver- 
kehrte mit  ihr  in  der  aufrichtigsten  Freundschaft.  Mit  dem  bis  1850  in  seiner 
höchsten  Blüthe  stehenden  Musikleben  Leipzig's  nach  allen  Seiten  hin  innig 
verwachsen ,  hat  sie  auch  auf  zahlreiche  emporstrebende  Musiktalente  einen 
fördernden  Einfluss  ausgeübt  und  sich  auf  lange  hinaus  ein  ehrenvolles  An- 
denken gesichert. 

Gerissene  Zunge  y  eine  Schlagmanier  bei  den  Pauken.  S.  Pauke  und 
Zunge. 

Gerke  ist  der  Name  einiger  trefflicher  deutscher  Tonkünstler  der  Neuzeit. 
1)  Anton  G.,  1814  in  Polen  geboren,  lebte,  als  Pianist  wie  als  Musiklehrer 
sehr  geschätzt,  in  St.  Petersburg,  woselbst  er  auch  am  27.  Aug.  1870  starb. 
—  2)  August  G.,  ein  in  den  ersten  Jahrzehnten  dieses  Jahrhunderts  rühm- 
lich bekannter  A'^iolinvirtuose  und  Componist.  Von  seinen  Compositionen  er- 
schienen mehrere  Ouvertüren,  einige  Polonäsen  für  Orchester,  Streichtrios, 
Duette,  Variationen  und  Potpourris  für  Violine,  Stücke  für  Harmoniemusik, 
kleinere  Pianofortesachen  u.  s.  w.  —  3)  Otto  G.,  ebenfalls  ein  tüchtiger  Violin- 
virtuose, geboren  am  13.  Juli  1807  zu  Lüneburg,  erhielt  seine  erste  musika- 
lische Ausbildung,  namentlich  auf  der  Violine,  von  seinem  Vater  und  ging 
1822  zu  höheren  tonkünstlerischen  Studien  nach  Kassel,  wo  Spohr  und  Haupt- 
mann, der  Letztere  in  der  Harmonielehre  und  in  der  Composition,  seine  Lehrer 
wurden.  Auf  Kunstreisen,  die  er  hierauf  unternahm,  fand  er  als  Virtuose 
grosse  Anerkennung  und  nahm  von  1837  an  einen  neunjährigen  Aufenthalt  in 
Russland.  Seit  1847  hat  er  seineu  Wohnsitz  nach  Paderborn  verlegt,  wo  er 
sich  mit  Unterricht  und  Composition  beschäftigte.  Er  hat  etwa  40  seiner 
Werke,  bestehend  in  Arbeiten  für  Violine,  auch  für  Ciavier  veröflFeutlicht,  von 
denen  ein  Violinconcert  und  mehrere  grössere  Violinduette  als  hervorragend  in 
der  bezüglichen  Literatur  zu  bezeichnen  sind. 

Gerl  oder  Görl,  Franz,  deutscher  Operettencomponist  und  Schauspieler, 
war  bis  1794  Mitglied  des  Schikaneder'schen  Theaters  in  Wien,  welches  er 
verliess,  um  eine  Anstellung  beim  Nationaltheater  in  Brunn  anzunehmen.  Die 
bekanntesten  seiner  zahlreichen  Singspiele  sind:  «das  Schlaraffenland«,  die  Wiener 
Zeitung«,  «der  Stein  der  Weisen«,  «der  dumme  Gärtner«  und  »Graf  Baibarone 
oder  die  Maskerade«,  von  denen  das  letztere  mehrfach  mit  Glück  zur  Auf- 
führung kam. 

Gerl  oder  Gerle,  Konrad,  auch  Gerla  geschrieben,  der  älteste  der  be- 
rühmt gewordenen  Nürnberger  Lautenmacher,  von  denen  noch  einige  Kunde 
vorhanden  ist,  starb  im  J.  1521  zu  Nürnberg.  —  Sein  Sohn,  Hans  G.,  war 
als  Geigen-  und  Lautenmacher,  als  Virtuose  auf  diesen  Instrumenten  und  auch 
als  musikalischer  Schriftsteller  über  seine  Vaterstadt  hinaus,  in  welcher  er  um 
1570  starb,  berühmt.  —  Ein  jüngerer  Bruder  des  Letzteren,  gleichfalls  Hans 
G.  geheissen,  war  als  Geigen-  und  Lautenmacher  nicht  minder  hochgeschätzt 
wie  sein  Vater  und  sein  Bruder. 

Gerlacb,  Leocadie,  geb.  Bergnehr,  vortreffliche  dramatische  Sängei'iu, 
geb.  am  26.  Jan.  1827  zu  Stockholm,  erhielt  ihren  ersten  Gesanguuterricht 
bei  Rung  in  Kopenhagen,  vollendete  ihre  Studien  bei  Garcia  in  Paris  und 
wi;rde,    nachdem   sie  in  Kopenhagen  mit  grossem  Erfolge  debütirt  hatte,    1848 

13* 


196  Gerlande — Germanen. 

als  kÖnigl.  dänische  ilofopernsüngerin  engagirt.  Zehn  Jahre  später  erhielt  sie 
den   Titel  einer  königl.  Kammersängerin  daselbst. 

Oerlaude  oder  (xarlaude,  Jean  de,  mit  dem  lateinischen  Gelehrtennaraen 
Gerlandus  oder  de  Garlandia,  ein  französischer  Geistlicher  des  11.  oder 
12.  Jahrhunderts,  welcher  neben  anderen  Wissenschaften  auch  die  Tonkunst 
in  Paris  lehrte.  Fragmente  seiner  musikalischen  Schriften  finden  sich  in  Ger- 
bert's  -nScriptores  eecles.a.  unter  dem  Titel  »GerJandi  fragmenta  de  miisicaa  und 
handeln  hauptsächlich  de  ßstuUs  und  de  notis.  Den  Forschungen  Coussemaker's 
ist  es  neuerdings  gelungen,  noch  einen  vollständigen  Tractat  G.'s  über  den 
Choralgesang  aufzufinden,  den  er  seinen  »Scriplores  music.  medii  aevi<.<  einver- 
leibt hat. 

Gerli,  Giuseppe,  italienischer  Säuger  (Bassist)  und  Componist,  debütirte 
in  letzterer  Eigenschaft  zur  Zeit  des  Carnevals  von  1834,  wo  er  eine  ßuffo- 
oper  zu  Mailand  zur  Aufführung  brachte.  Er  war  hierauf  als  Orchesterdirigent 
an  mehreren  Opernbühnen  seines  Vaterlandes,  1846  auch  bei  der  italienischen 
Oper  des  königstädter   Theaters  zu  Berlin  angestellt. 

Genuain,  Sophie,  eine  französische  Gelehrte,  die  sich  besonders  in  der 
Mathematik  in  selbstständigeu  und  tiefgehenden  Untersuchungen  erging  und 
u.  A.  über  Vibration  der  Luft  und  der  schwingenden  Körper  schrieb.  Geboren 
1776  zu  Paris,  starb  sie  daselbst  im  J.   1831. 

Germaueu.  Geriiiauische  Musik.  Germanen  war  nach  den  älteren  römi- 
schen Schriftstellern  der  gemeinsame  Name  aller  in  Sprache  und  Sitten  mit 
einander  verwandten  Völkerschaften  jenseits  des  E-heins  und  der  Donau  bis 
nördlich  hinauf  nach  Skandinavien  und  östlich  bis  jenseits  der  Weichsel  weit 
hinein  in  das  Land  der  Sarmaten.  lieber  die  richtige  Ableitung  des  Namens 
sind  die  Historiker  nicht  einig.  Jacob  Grimm  (Gesch.  d.  deutschen  Sprache, 
S.  786)  findet  weder  in  f/er  (hasta)  und  man,  noch  in  irman,  irinin  den  Ur- 
sprung desselben;  auch  hält  er  es  für  unwahrscheinlich,  dass  die  ßömer  die 
ihnen  so  feindlichen  Barbaren  schmeichelnd  als  (/crinani  (Brüder)  bezeichnet 
hätten.  Am  richtigöten  scheint  ihm,  diese  Benennung  von  den  Galliern  aus- 
gehen zu  lassen,  welche  unsere  Altvordern  damit  als  »Ausrufer«  nach  dem 
keltischen  Worte  gairm  (ßuf,  Ausruf)  kennzeichnen  wollten,  wie  auch  die  ersten 
über  den  Rhein  gedrungenen  Deutschen  die  Tunger  (vorgl.  alid.  ziingar  =  li7iguosus, 
clamosus)  dem  entsprechend  hiessen.  Ist  diese  Ableitung  die  richtige,  so  er- 
innern uns  schon  die  Namen  der  Tunger  und  Germanen,  welche  Tacitus  (Germ. 
Cap.  2)  nur  geographisch  unterscheidet,  daran,  unserer  ältesten  Tonfreude  so 
weit  wie  möglich  nachzuspüren,  am  wenigsten  aber  dieselbe  auf  die  roheren 
Kundgebungen  des  Tongefühls  zu  beschränken,  welche  die  Gallier  und  Römer 
nur  als  Feinde  unserer  Altvordern  kennen  lernten.  —  Vor  Allem  hat  uns  hier 
der  Grundzug  des  germanischen  Charakters,  dessen  bewusstes  und  unbewusstes 
Streben  nach  idealen  Zielen,  zu  leiten.  Finden  wir  dieses  Streben  in  den 
Sitten  und  Gebräuchen,  wie  in  den  Mythen  und  Dichtungen  der  ältesten 
deutschen  Vorzeit,  so  weit  sich  diese  uns  durch  die  neueren  germanistischen 
Studien  erschlossen,  wieder,  so  werden  wir  dieselben  ebenso  wie  die  verein- 
zelten historischen  Nachrichten  und  Schlüsse  zu  berücksichtigen  haben,  wenn 
wir  zu  einer  befriedigenderen  Vorstellung  über  eine  altgerraanische  Musik 
gelangen  wollen,  als  wir  sie  bis  jetzt  für  möglich  hielten.  Das  Material  für 
die  dazu  erforderlichen  Erwägungen  wird  jedoch  erst  von  einer  künftigen  histo- 
rischen Musikforschung  ausgenutzt  werden  können;  der  nachfolgende  Artikel 
kann  sich  nur  auf  die  Andeutung  einzelner  Gesichtspunkte  beschränken,  von 
denen  aus  wenigstens  die  Fruchtbarkeit  einer  gründlicheren  Forschung  zu  er- 
messen ist.  —  Tacitus  hält  die  alten  Germanen  für  Eingeborene  (indigenae). 
»Wer  hätte«,  fragt  er,  »Asien,  Afrika  oder  Italien  verlassend,  nach  dem  bergigen, 
rauhen,  unwirthbaren  Germanien  verlangt,  wenn  es  nicht  sein  Geburtsland  ge- 
wesen?« Hiermit  aber  trat  an  ihn  auch  nicht  die  Frage  heran,  in  welchen 
Beziehungen  dieses  ihm  vorzugsweise  durch  Treue,    die    keuscheste  Frauenver- 


Germanen.  197 

ehrung,  Freilieitsliebe  und  einen  unversiegbaren  Heldenmuth  imponirende  Volk 
in  frühesten  Zeiten  zu  anderen  CulturvÖlkern  der  Erde  gestanden,  und  was 
es  an  Sitten  und  Gebräuchen,  an  Wissen  und  Können  theils  von  jenen  ange- 
nommen, theils  seinem  eigensten  Ingenium  zu  verdanken  hatte.  AVas  bei  der 
damaligen  Weltherrschaft  der  Römer  und  zugleich  bei  ihrem  näheren  Verkehr 
mit  einzelnen  deutschen  Stämmen ,  die  sogar  in  ihren  Heeren  vertreten  waren, 
einem  römischen  Geschichtschreiber  noch  leicht  zu  ermitteln  gewesen  wäre, 
verblieb  das  Geheimniss  jener  Gesänge,  von  denen  Tacitus  in  seiner  Germania 
eben  nichts  Genaueres  zu  erzählen  weiss,  als  dass  die  alten  Germanen  in  ihnen 
die  einzige  Art  geschichtlicher  Erinnerungen  und  Ueberlieferun - 
gen  besassen  und  u.  A.  den  erdentsprossenen  Gott  Tuisko  und  seinen  Sohn 
Manuus  als  Stammväter  des  Volkes  feierten.  Mehr  ersieht  man  schon  die  Be- 
deutung ihrer  historischen  Gesänge  aus  der  Mittheilung  in  seinen  Annalen, 
dass  auch  das  Andenken  Armin's  in  Liedern  fortgelebt  habe.  Wie  spärlich 
indessen  auch  diese  und  ähnliche  Hinweise  anderer  römischer  Schriftsteller  auf 
eine  alte  geistige  Cultur  der  Germanen  ausfallen,  sie  lassen  uns  deren  Leben 
und  Sitten  viel  reiner  und  schöner  aufifassen,  als  dieses  der  damaligen  üppigen, 
fast  aller  alten  Tugend  und  deren  Verständnisses  verlustig  gewordenen  Römer- 
welt möglich  geworden  wäre.  Während  diese  aus  den  Mittheilungen  des  Tacitus 
und  Anderer  in  den  Germanen  nur  ein  wildes,  urwüchsiges  Jäger-  und  Kriegs- 
volk kennen  lernte,  das  unter  einem  rauhen  Himmel  und  in  tiefen  Waldungen 
sich  ebenso  an  die  Entbehrung  aller  Culturfreuden ,  wie  an  den  Kampf  und 
seine  Lust,  gewöhnte,  ersehen  wir  vor  Allem  aus  der  nahen  Verwandtschaft, 
in  der  sich  unsere  Urväter  zu  ihrem  höchsten  Gotte  fühlten,  und  aus  der  Art, 
ihr  Angedenken  auf  spätere  Geschlechter  zu  vererben,  die  ersten  und  sichersten 
Bedingungen,  durch  welche  sie  zu  einem  ebenso  sittlichen,  wie  poetisch  schönen 
Leben  gelangen  mussten  —  zu  einem  Dasein  des  innersten,  durch  kein  Un- 
gemach und  keinen  Tod,  wohl  aber  durch  ein  unwürdiges  Verhalten  zu  stören- 
den Gottes-  und  Unsterblichkeitsbewusstseins.  Wie  hätten  sie  bei  dem  er- 
hebenden Glauben,  direkte  Abkömmlinge  ihres  ersten  Gottes  zu  sein,  was 
Anderes  als  Göttliches  erstreben  mögen;  wie  hätte  sie  aber  auch  jemals  eine 
Furcht,  ausser  der  vor  dem  Ungöttlichen,  vor  dem  Gemeinen,  beschleichen 
können!  Der  Kampf  um's  Leben  war  ihnen  eine  Lust;  der  Tod  keine  Ver- 
nichtung. Sie  durften  ihn,  frei  von  dem  Gefühl  einer  dämonischen  Grausam- 
keit, ebenso  über  ihre  Feinde  verhängen ,  als  sie  ihn  selber  muthig  entgegen- 
nahmen. Darum  aber  war  auch  der  Gesang  —  der  ursprüngliche  Gemüths- 
ausdruck  aller  edlen,  gut  gearteten  Menschennaturen  —  ihr  treuster  Gefährte 
in  Freud  und  Leid,  im  Frieden  und  im  Kriege.  Selbst  in  die  Schlacht  be- 
gleiteten sie  nach  Tacitus  Lieder  (carmi)ia);  und  wenn  auch  einige  durch  ihren 
nharitustx.  genannten  Vortrag  (relatu,  quem  haritmn  vocant)  zur  Erregung  der 
Gemüther  sich  zu  dem  rauhsten  Ausdruck  erhoben,  so  hatten  doch  auch  andere 
•nipso  canfuK,  d.  h.  durch  ihren  Ton  und  ihre  Melodie  warnend  selbst  ein  Bangen 
kundzugeben  und  das  Schicksal  eines  bevorstehenden  Kampfes  ahnen  zu  lassen, 
mithin  mehr  als  ein  rohes  Kriegsgeschrei  zu  bieten.  Sogar  ihren  Signalen  — 
auf  einen  anderen  Zweck  lässt  sich  ohne  Widerspruch  mit  den  anderen  An- 
gaben ihr  schliesslich  noch  von  Tacitus  erwähntes  Anschwellenlassen  der  Stimme 
durch  an  den  Mund  gehaltene  Schilde  (objectis  ad  os  scutis)  nicht  zurück- 
führen —  sogar  diesen  ihren  Signalen  lag  noch  Sanges  Klang  und  Sanges 
Bedeutung  zu  Grunde.  Schön  kennzeichnet  auf  Grund  der  vorliegenden  historischen 
Quelle  Karl  Simrock  unsere  Altvordern  und  zwar  als  ein  Volk  wahrer,  echter 
Poesie,  »die  sie  nicht  erlernt,  die  sie  mit  sich  auf  die  Welt  gebracht  und  von 
der  ihr  Leben,  ihr  ganzes  Dasein  durchdrungen  war«.  Zu  wichtigeren  Schlüssen 
für  die  Würdigung  einer  altgermanischen  Gesangslust  führt  uns  jedoch  die 
vergleichende  Sprachforschung,  insofern  sie  mit  Zuziehung  der  Sage  und  histo- 
rischer Nachrichten  nicht  allein  die  Verwandtschaft  und  zum  Theil  den  Ver- 
kehr   der    alten  Völker  mit    einander  in  einer  Urzeit  meist  sicher  festzustellen 


198  Germanen. 

im  Stande  war,  sondern  uns  dabei  auch  über  den  allgemeinen  Culturstand 
unserer  Altvordern,  mit  welchem  die  musikalische  Cultur  in  einen  nothwendigen 
Zusammenhang  zu  bringen  ist,  um  so  günstiger  zu  urtheilen  gestattet,  als  sie 
als  nähere  und  weitere  Stammverwandte  der  alten  Grermanen  sogar  Völker 
nachweist,  die  in  Vielem  sogar  den  kunststolzen  Griechen  ebenbürtig  waren. 
Die  bedeutendsten  Aufschlüsse  in  den  hierbei  zunächst  interessirenden  Fragen 
sind  der  sprachhistorischen  Forschung  J.  Grrimm's  zu  verdanken,  welche  er  in 
seiner  »Greschichte  der  deutschen  Sprache«  niedergelegt  hat.  In  erster  Linie 
haben  nach  demselben  die  Geten  und  Thraker,  deren  schon  Herodot  sehr 
rühmend  erwähnt,  die  Aufmerksamkeit  zu  fesseln  —  erstere  als  ein  den  Ger- 
manen, bezugsweise  den  später  in  der  Geschichte  auftretenden  Gothen  unzweifel- 
haft sehr  nahe  verwandtes  Volk,  letztere  aber,  in  so  weit  sie  —  um  mit  Grimm's 
eigenen  Worten  (vergl.  S.  185  des  genannten  Werkes)  zu  reden  —  »in  der 
ganzen  Weltordnung  den  Raum  zwischen  den  Germanen  und  Griechen  ein- 
nehmen und  beide  vermitteln,  wie  zwischen  Germanen  und  Thrakern  die  Geten 
in  der  Mitte  halten.«  »Ich  stemple«,  sagt  er  weiter  (S.  196),  »die  Thraker 
nicht  zu  Deutschen,  sondern  suche  nachzuweisen,  wie  sich  durch  Vermittelung 
der  Geten  zwischen  Thrakern  und  Germanen  nähere  Berührung  annehmen  lässt, 
als  man  bisher  einräumte.«  Hiermit  aber  sind  auch  zugleich  einige  der  wich- 
tigsten Momente  geboten,  welche  für  eine  ähnliche  geistige  Cultur  und  insbe- 
sondere für  ein  übereinstimmendes  Musikwissen  dieser  und  der  ihnen  wenigstens 
geographisch  nahe  liegenden  verwandten  Völker  sprechen.  Die  Thraker  standen 
in  ihrer  Gottes-  und  Lebensanschauung,  in  ihrer  Poesie  und  Prosa  des  Daseins 
nicht  höher  als  ihi'e  Nachbarn  im  Süden  und  im  Norden;  blühte  unter  ihnen 
aber  ein  Orpheus,  Thamyris  (vergl.  Homer,  II.  Üb.  IL  595)  und  andere  mythi- 
sche und  historische  Dichter  und   Säuger,  deren  Kunst  die  Griechen  entzückte, 

—  wie  sollten  nicht  Germanen,  die  selbst  in  den  rauhsten  Ländern  des  alten 
Europa  Poesie  und  Musik  zu  pflegen  wussten,  nicht  eine  gleiche  Empfänglich- 
keit für  thrakischeu  Sang  und  Klang  gehabt  haben!  Zu  unpsychologischen 
Folgerungen  wäre  hier  auch  die  entschiedenste  Skepsis  nicht  berechtigt.  In- 
dessen lassen  sich  deutliche  Spuren  eines  Einflusses  der  Thraker  auf  die  Ger- 
manen auch  aus  der  Sagenkunde  nachweisen,  selbst  in  Bezug  auf  zarter5  lyrische 
Fragen.  Ein  Beweis  hierfür  ist  u.  A.  der  Umstand,  dass  die  gemüth volle 
deutsche  Sage,  nach  der  Hirten,  die  auf  dem  Grabe  eines  Sängers  geruht,  Ge- 
sangeskunde überkam,  fast  vollständig  mit  einer  von  Pausanias  erzählten,  sich 
auf  die  Wirkung  des  Orpheus'schen  Grabes  beziehenden  Sage  der  Thraker 
übereinstimmt,  und  dass  ebenso  Thraker  und  Germanen  sich  in  dem  Volks- 
glauben, die  Seele  des  Sängers  lebe  in  der  Nachtigall  fort,  begegneten.  Was 
aber  hier  von  dem  Inhalt,  muss  am  Ende  auch  von  der  Form  gelten,  denn 
wo  im  entfernten  Alterthum  eine  Sage  oder  ein  Glaube  lebten,  lebten  sie  vor- 
zugsweise im  Liede  und  im  Sänge,  und  wir  haben  keinen  Grund  für  die  etwaige 
Annahme,  dass  hier  Liedes-  und  Sangesform  bei  den  alten  Germanen  eine  durchaus 
rohe  im  Vergleich  zu  der  thrakischen  gewesen  sei.  Dass  indessen  die  Sage  von  den 
gesangskundigen  Hirten  bis  nach  demalten  Skandinavien  vordringen  konnte,  dürfte 
wohl  darin  die  einfachste  Erklärung  finden,  dass  schon  »vor  undenklichen  Zeiten« 

—  auch  hierin  folgen  wir  den  historischen  Folgerungen  G.  Grimm's  —  Stamm- 
angehörige der  Daken,  welche  die  nächsten  Nachbarn  der  Geten  waren,  nach  dem 
hohen  Norden  gewandert  waren  und  dort  die  Stammväter  der  Dänen  wurden. 
Nicht  minder  beachtenswerth  ist  ferner  die  Mittheilung  des  Aristoteles  (Prohlem. 
sect.  XIX.  28),  dass  die  Agathyrsen,  welche  schon  zu  Herodot's  Zeiten  nörd- 
lich von  den  Geten,  in  den  heutigen  siebenbürgischen  Karpathen,  lebten,  selbst 
ihre  Gesetze  singend  vortrugen.  Ist  es  auch  unentschieden,  welchen  Ursprungs 
dieses  Volk  war,  —  sie  standen  wenigstens  geographisch  mehreren  germanischen 
Völkerschaften  so  nah,  dass  auch •  zwischen  diesen  beiden  Theilen  eine  gewisse 
Uebereinstimmung  im  musikalischen  Wissen  und  Vermögen  anzunehmen  ist. 
Was  endlich  die  deutschen  Geten  betrifft,  die  durch  ihr  Unsterblichkeitsbewusst- 


Germanen,  ]^99 

sein  selbst  den  stolzen  Grriechen  imponirten  und  daher  von  diesen  auch  willig 
»Unsterblich  lebende«  [a&ava^ovvrs.q)  genannt  wurden,  so  musste  namentlich  ihr 
Musikwissen  ein  sehr  hervorragendes  gewesen  sein,  wenn  wirklich  ihr  weiser 
Gresetzgeber  und  Lehrer  Zamolxis  ein  Freund  des  Pythagoras  gewesen  und 
dessen  mit  Zahlen  und  Tönen  so  innig  zusammenhängende  Kosmologie  in  sich 
aufgenommen.  Andererseits  müssen  ihre  Gesänge  nicht  wenig  eindringlich  dem 
Ohr  und  dem  Herzen  gewesen  sein,  wenn  trotz  der  feindlichen  Einfälle,  welche 
ihr  Land  später  von  mehreren  rohen  Horden  erlitten,  sich  dort  dennoch  mancher 
alte  Gesang  und  manche  damit  verbundene  Kunde  sogar  bis  in  das  6.  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  erhalten  und  dem  Mösegothen  Jordaues  oder 
Jornandes  Stoff  zu  seinem  Werke  y>De  Getarum  sive  Gothorum  origine  et  rebus 
gestisv.  bieten  konnte.  Freilich  war  es  dem  Jornandes,  wie  allen  damaligen 
christlichen  Gelehrten  und  Priestern,  durchaus  nicht  darum  zu  thun,  die  ger- 
manisch-heidnische Art,  die  Gottheit,  die  Geschichte,  die  Liebe,  die  Tugend 
u.  s.  w.  zu  singen,  auf  seine  Glaubensgenossen  zu  übertragen.  Mehr  und  mehr 
bildete  sich  bei  jenen  in  Uebereinstimmung  mit  der  kosmopolitischen  Idee  des 
Christenthums  eine  viel  einfachere,  allen  Nationen  zugängliche  musikalische 
Form  für  dasjenige  aus,  was  sie  fortan  und  zwar  vor  Allem  kirchlich  empfinden 
sollten.  Drum  erfahren  wir  auch  nichts  von  jenem  wackeren  Gothen,  worin 
die  eigentliche  Tonkunst  seiner  Landsleute  in  alter  und  zu  seiner  Zeit  bestand. 
Desto  gewissenhafter  erzählt  er  aber  nach  einer  geschichtlichen  TJ  eberlief  er  ung, 
dass  dem  Philippos,  Alexanders  Vater,  als  derselbe  einst  die  Geten  mit  Krieg 
bedrohte,  aus  den  plötzlich  geöffneten  Thoren  einer  Stadt  Pi'iester  mit  Cithern 
(wahrscheinlich  Lauten  oder  Harfen)  und  in  weissen  Gewändern  entgegentraten, 
zugleich  mit  einem  bittenden  Gesang  ihre  heimathlichen  Götter  drum  angehend, 
dass  sie,  ihnen  gnädig,  die  Macedonier  zurückdrängten  (unde  et  sacerdotes 
Gothomm  aliqui,  Uli  qui  Fii  vocalatiir ,  subito  patef actis  portis,  cum  citharis  et 
vestibus  candidis  obviam  sunt  egressi  paternis  diis ,  ut  sibi  propitii  Macedones 
repellerenf,  voce  suppUci  modulantes),  eine  Mittheilung,  welche  auch  noch  besonders 
durch  die  des  Alhenaeus  (14,  24),  dass  die  Geten  die  Cither  spielend  Unter- 
handlungen pflogen  [Ferai,  cprjai.,  xiüdgag  '^/ovtsq  xai  xe&agi^ovreg  rccg 
hmy.riQvxdaq  noLOVvrcci)  unterstützt  wird.  Nicht  minder  wichtig  ist  auch  die 
Mittheilung  des  Jornandes,  wonach  die  Westgothen  einen  Klagegesang  um  ih^-en 
König  Theodorich,  der  451  bei  Chalons  fiel,  unter  Harfenbegleitung  anstimmten. 
—  Zur  Zeit  des  Augustus  scheinen  die  Geten ,  wahrscheinlich  schon  in  Folge 
fremder  störender  Einflüsse,  die  Musik  als  Weihe  ihres  religiösen  und  socialen 
Lebens  eingebüsst  zu  haben;  wenigstens  weiss  Ovid,  der  unter  ihnen  fünf  Jahre 
in  der  Verbannung  gelebt  und  selbst  ein  getisches,  leider  verloren  gegangenes 
Gedicht  verfasst  hatte,  nichts  davon  zu  einzahlen.  Indessen  hat  man  auch  hier 
den  Glanz  und  Wohlleben  liebenden  Römer  nicht  zu  vergessen,  dem  es  am 
Ende  in  seinem  einsamen  Aufenthalt  "zu  Tomi  am  schwarzen  Meere  nicht  um 
eine  unparteiische  Auffassung  getischer  Culturzustände ,  sondern  vielmehr  um 
eine  Klage  über  dieselben  zu  thun  war,  um  die  Theilnahme  seiner  Landsleute 
für  sich  zu  gewinnen.  —  Die  bedeutendste  Quelle  für  das  Studium  der  Gottes- 
und  Lebensanschauungen,  sowie  der  Tonfreude  der  alten  Germanen,  eröffnet 
sich  in  den  Sammlungen  altnordischer  Lieder  und  Sagen,  die  in  Island  im 
11.  Jahrhundert  von  dem  christlichen  Priester  und  Weisen  Sämund  Sigfusen 
und  ein  Jahrhundert  später  von  dem  Statthalter  Snorri  Sturluson  veranstaltet 
sein  sollen  und  unter  dem  Namen  »ältere  und  jüngere  Edda«  (Urgross- 
mutter,  aber  auch  Wissenschaft,  Lehre)  bekannt  sind,  wie  endlich  in  der  zum 
Theil  auch  von  Snorri  verfassten  »Heimskringla« ,  einer  mit  Mythen  und 
Skaldenliedern  untermischten  Geschichte  der  nach  dem  Norden  gewanderten 
Gotho-Germanen.  Nach  der  Heimskringla  waren  Odin,  der  erste  aller  Äsen, 
als  ein  grosser  Heer-Mann  und  alle  Diar  (Götter)  von  Asgard  in  Asien  zuerst 
nach  Garda-riki  (dem  späteren  Russland)  und  dann  nach  Saxland  (Sachsen) 
gezogen.    Nachdem  er  hier  in  allen  Reichen  seine  Söhne  zur  Landesbeschirmung 


200  Germanen. 

zurückgelassen,  gelangte  er  endlich  nach   Seeland    und   Schweden.     »Er  sprach« 
—  vergl.  "Wächter's  wortgetreue  TJebersetzung  jenes  Werkes  —  »alles  in  Versen 
(hendujiin  von  hending,    eine  metrisch  verfasste   Strophe),    so  wie    nur  gesunrijen 
wird,    was    skaldsicapr    (Dichtkunst)    heisst.     Er    und    seine  Hofdogen   (Teinpel- 
priester)    heissen    liöda  smuUr    (Liederkünstler)    darum,    dass    diese  Kunst  sich 
anhob  von  ihnen  in   den  Nordlanden.«     Und  endlich:    »Aber  als  er  (Odin)  ge- 
kommen war  zum   Tode,    Hess    er  sich  marken  mit   Spiesses-Spitze  und  eignete 
sich  zu  alle  waffentodten  Menschen;    er  sagte,    er  verde  fahren    nach   Godheim 
und    empfangen   dort  seine  Freunde.     Nun  dachten  die   Schweden,    dass  er  ge- 
kommen wäre    in    das   alte  Asgard    und  würde  dort   leben  zum  Ewigleben.«  — 
Schon  diese  wenigen  Hinweise  des  isländischen  Historikers  und  Skalden  auf  den 
erst  durch    den   Tod    zur  Unsterblichkeit  sich  erhebenden  Liederkünstler   Odin 
können  unser  Urtheil    über    die    nordische   und  speciell  germanische  Tonfreude 
sicherer    leiten,    als  Alles,    was    über    dieselbe  die   RöJuer    und  ihre  kritiklosen 
Nachbeter,    vor  allen  jedoch  der  Kaiser  Julian,    der  Apostat,  der  den   Gesang 
der  alten  Germanen  sogar  mit  dem  Gekrächze  wilder  '^Phiere  verglicli,  in  feind- 
licher Weise  gefabelt  haben.     Odin  und  die  anderen  ihn  auf  seinen  Heerzügen 
begleitenden  Äsen    und  Helden    kehren    nach    dem  alten  Asgard    zurück,    und 
welche   Gesangsfreude    nun    besonders    in  Walhall    herrschte,    darüber   nährten 
alle  germanischen  Völker    nicht  weniger  lebendige  Vorstellungen    als  über  jede 
andere  Götterlust.     Ist  es  aber  eine  unbestreitbare  Wahrheit,  dass  der  Mensch 
seine  Gefühle  und  Gedanken  nicht  ohne  deren  gleichzeitige  Veredelung  in  einen 
Himmel  versetzt,  so  kann  auch   der  erträumte  Gesang  in  den  Hallen  der  Götter 
nicht    ohne    einen    bildenden  Einfluss    auf    den   Geschmack  und  die    Gestaltung 
des  irdischen    geblieben    sein.     Vor  Allem  kennzeichnet  sich  dessen  Pflege  und 
Begünstigung    bei    den    alten  Normannen    als    eine  wichtige  Angelegenheit  der 
Könige.     Jeder    derselben    unterhielt    an    seinem    Hofe    Skalden,    welche    seine 
Thaten  zu  besingen  hatten.     Dass,    beiläufig  bemerkt,    diese  Thateu    eines  Ge- 
sanges stets  würdig  blieben,  darauf  musste  er  um  so  sorgsamer  Bedacht  nehmen, 
als  ein  bloss  schmeichlerisches  Lied  nie  von  den  Lippen  des  Volkes  erklungen 
wäre  und  es  schon  deshalb  kein  Avahrer  Sänger  jemals  augestimmt  hätte.  Ausser- 
dem bemühten  sich  auch  manche  Fürsten   selber  um  die  hohe  Kunst  der  Skal- 
den.    Wahrhaft    Grosses    muss    darin    aber    ein    dänischer    Prinz    Horand,    ein 
echter  Orpheus  des  Nordens,  geleistet  haben,  da  er  —  folgen  wir  hierfür  einer 
Schilderung  des  altnorddeutschen  Gudrunliedes  —  durch  den  Zauber  seiner  AVei- 
sen    nicht    allein    die   Thiere    des  Waldes  aufhorchen  machte    und  das  Gemüth 
der    rauhsten  Krieger    weich    und    menschenfreundlich    zu    stimmen    vermochte, 
sondern  sogar  das  Herz  einer  sittigen  Königstochter,    nachdem  ihr    »die  aller- 
schönste  Weise,  die  sie  je  vernommen«,  in's  Ohr  geklungen,  heimlich  und  gegen 
den  Willen  ihres  Vaters  für  die  Minne  eines  ihr  fremden  Helden  zu  gewinnen 
wusste.     Diese   Sage    konnte    nur    auf  der  lebendigsten  Vorstellung  eines  voll- 
endeten Gesanges  im  Gegensatz  zu  weniger  das  Gemüth  ergreifenden  Gesangs- 
leistungen beruhen.     Wie  indessen  das  Lied  und  seine  schönste  Vortragsweise, 
so  wurde    ferner    auch    eine  Instrumentalmusik    von    den  Normannen    gepflegt. 
Der  Harfe  wird    in    den   Skaldenliedern    vielfach    erwähnt.     Ausserdem    erzählt 
noch  die  Heimskringla.  dass  ein  alter   Schwedenkönig  Hugleik  kein  Heermann 
gewesen,  sondern  nur  Wohlgefallen  an   aller  Art  von   Spielmännern,  wie  Harf- 
nern und  Fiedlern,    gefunden,    wie  denn  auch  an  einer  andern   Stelle,    dass  ein 
König  Skiöld  selber  Strandsignale  geblasen  habe.    Als  eines  Säugerinstrumentes 
scheint    die  Fiedel,    gleichzeitig    bemerkt,    bei    den    alten  Deutschen    vervVendet 
worden    zu    sein,    wenn  wir  dieses    aus  einer   Schilderung  des  Nibelungenliedes 
(Vers  6835:    er  videlt  süse  done  und  sang  ir  sinu  liet)    entnehmen  dürfen.  — 
Was  nun  die  Eddalieder  insbesondere  betrifft,  so  finden  wir,  dass  sie  das  oben 
Angeführte  nicht   nur    bestätigen,    sondern    sogar    auch    auf    eine    künstlerisch 
durchdachte  Behandlung  des  altgermanischen  Gesanges   schliessen  lassen.     Edel 
in    der    ganzen  Bedeutung    des  Wortes    entfaltet    sich  vor  uns   ihr  Inhalt  und 


Germanen.  201 

ihre  Form.  Konnte  mit  diesen  ihre  gesangliche  Vortragsweise,  ihre  Melodik, 
wohl  in  einem  so  argen  Widerspruch  gestanden  haben ,  dass  dieselbe  jeder 
inneren  künstlerischen  Wahrheit  entbehrt  hätte!  Eher  ist  es  denkbar,  dass  heut 
zu  Tage  mancher  gebildete  Isländer  jene  Lieder  mit  durchaus  falschen  Be- 
tonungen recitirt,  als  dass  sie  damals,  wo  sie  im  Geist  und  Gremüth  des  Volkes 
lebendig  waren,  falsch  und  demnach  auch  im  eigentlichen  Sinne  unkünstlerisch 
von  einem  Sänger  vorgetragen  wären.  Um  so  mehr  ist  zu  bedauern,  dass  ein 
Anhang  der  jüngeren  Edda  uns  zwar  in  dem  Skaldskaparmal  (Skaldschafts- 
Reden,  Dichtkunst-Reden)  viel  über  die  Gesetze  der  Dichtkunst  erzählt,  wie 
auch  in  dem  Hättali/lcill  (clavis  metrica)  oder  Bratjarhaettir  (clavis  poetica)  an 
Liederbeispielen  über  hundert  darin  abwechselnde  Versmaasse  vorführt,  den- 
noch über  die  Regeln,  nach  welchen  die  Edda-  und  Skaldenlieder  gesungen 
wurden,  nicht  den  geringsten  Aufschluss  giebt.  Als  gehöre  der  gesangliche 
Ausdruck  dieser  Lieder  zu  sehr  zu  ihrem  eigensten  Wesen  und  Leben,  um 
überhaupt,  sei  es  durch  das  geschriebene  Woi't,  sei  es  durch  besondere  Zeichen 
(etwa  Runen)  gekennzeichnet  werden  zu  können,  hatten  die  Verfasser  jenes 
Anhangs  an  eine  diese  Frage  betreffende  Erörterung  so  wenig  gedacht,  wie  an 
eine  ähnliche  Aufgabe  die  griechischen  Musikschriftsteller,  welche  sogar  bei 
ihren  vielen  Hinweisen  auf  die  Bedeutung  ihrer  Klanggeschlechter  und  Ton- 
gattungen (Tropen),  ihre  Melodik  und  Rhythmik,  es  nicht  einmal  für  nöthig 
hielten,  ihren  Zeitgenossen  eine  Anwendung  alles  dessen  auf  einzelne  ihrer 
Lieder,  etwa  mit  der  Pythagoräischen  Tonbezeichnung  und  einigen  metrischen 
Zeichen,  vorzuführen.  Wie  man  aber  demnach  zur  Gewinnung  einer  leitenden 
Vorstellung  über  die  Rhythmik  wie  Melodik  der  griechischen  Gesänge  meist 
nur  Conjecturen  (vergl.  die  darauf  bezüglichen  Arbeiten  von  Rudolph  West- 
phal  und  Moritz  Schmidt)  eintreten  lassen  konnte,  so  würden  wir  am  Ende 
auch  nichts  Besseres  zu.  einem  TJrtheil  über  den  gesanglichen  Vortrag  der 
nordischen  Lieder  zu  erwarten  haben,  wenn  es  zur  Ermittelung  desselben  kein 
sichereres  Verfahren  gäbe  (s.  unten).  Ausserdem  lassen  besonders  die  ältesten 
Eddalieder  schon  ihrem  Wesen  nach  • —  und  zwar  durch  ihre  meist  nur  in 
Andeutungen  einzelner  Vorgänge  und  Empfindungen  sich  bewegenden  Form, 
welche  jede  erläuternde  Breite  ausschliesst,  vv^ie  nicht  minder  durch  ihre  in 
Beiordnung  und  Gegenstellung  der  Gedanken  sich  kennzeichnenden  Strophen, 
deren  Verse  zugleich  noch  in  Hebungen  und  Senkungen  stets  taktmässig  vor- 
wärts schreiten,  und  endlich  durch  ihre  Stabreime  —  auf  die  Möglichkeit  einer 
melodiösen  Vortragsweise  schliessen,  die  in  Vielem  mit  dem  zusammentreffen 
dürfte,  was  eine  spätere  Musiktheorie  nur  als  eine  auf  dem  Wege  der  Kunst- 
entwickelung zu  findendes  oder  gar  zu  erfindendes  Gesetz  hervorzuheben  pflegt. 
—  Gehen  wir  nunmehr  zu  einer  Betrachtunsr  der  Gesangslust  der  alten  Deut- 
schen kurz  vor  und  nach  Einführung  des  Christenthums  über,  so  sehen  wir 
zunächst,  dass  sich  hier  die  Verhältnisse  für  die  Erhaltung  heidnischer  Lieder 
durchaus  ungünstiger  gestalteten.  Die  neue,  mit  der  Religion  der  allgemeinen 
Menschenliebe  gleichzeitig  von  Rom  ausgehende  Cultur  und  Kunst,  welche  eben 
nur  jener  Liebe  und  deren  hoher  Selbstverleugnung  dienen  sollte,  konnte  sich 
am  allerwenigsten  mit  der  deutsch-heidnischen  Gesangspflege  versöhnen.  Daher 
sollten  unsere  ersten  christlichen  Altvordern  auch  nur  die  kirchliche  Gesangs- 
art üben  und  zwar  diejenige,  welche  Papst  Gregor  der  Grosse  allen  christlichen 
Völkern  in  einfachster,  choralmässiger  Form  vorgeschrieben  hatte,  sogar  in  voll- 
ständiger Abweichung  von  dem  älteren  Ambrosianischen  Gesang,  wo  derselbe 
sich  noch  in  seiner  metrischen  Einrichtung  der  damals  üblichen  weltlichen 
Musik  näherte  (vergl.  Forkel,  allg.  Gesch.  der  Musik,  Bd.  IL  S.  164).  So- 
wohl Pepin  als  auch  Karl  der  Grosse  begünstigten  die  Pflege  des  Gregoriani- 
schen Gesanges  durch  Errichtung  von  Schulen  in  Gallien  und  Deutschland, 
während  von  Seiten  der  Kirche  nichts  untei'lassen  wurde,  das  Volk  gegen 
seine  alten,  mit  Namen  wie  y>psahni  plebeji  vulgares,  cantica  rustica  et  inepfa, 
laicorum    cantus   obscoenus,    carmina    diaholicav.  etc.    bezeichneten  Lieder    einzu- 


202  Germanen. 

nehmen.  Besser  erging  es  den  Heldenliedern;  diese  hatten  einen  geschicht- 
lichen "Werth,  den  auch  die  damalige  G-eistlichkeit  nicht  verkannte.  So  benutzte, 
wie  früher  .Tornandes  die  getischen  Yolksgesänge,  Paulus  Diaconus,  der  um 
das  J.  780  am  Hofe  Karl's  lebte,  als  Historiker  und  zwar  für  seine  lombardi- 
sche Geschichte  diejenigen  Lieder,  die  des  Longobardenkönigs  Alboin  Kriegs- 
fahrten, Tapferkeit  und  Freigebigkeit  schilderten  und  nach  dem  Zeugniss  des 
genannten  Geschiohtschreibers  noch  zu  seiner  Zeit  von  deutschen  Völkern  ge- 
sungen wurden.  Karl  der  Grosse  suchte  sogar  noch  diese  vereinzelten  rhapso- 
dischen Gesänge  dadurch  zu  erhalten,  dass  er  sie  sammeln  Hess,  wie  es  sein 
Schwiegersohn  und  Geschiclitschreiber  Eginhard  in  der  Vita  Caroli  imperatoris 
Cap.  29  in  den  für  uns  sehr  beachtenswerthen  Worten:  y>Ite7n  barbare  et  anti- 
quissima  carmina,  quibus  veterum  regum  actus  et  bella  canebantur ,  scripsit 
memoriaeque  mandavitis.  meldet.  Leider  wurden  einige  dieser  niedergeschriebenen 
Lieder  später  in's  Lateinische  übersetzt ,  dem  sich  die  Tongänge  und  der 
Bliytlimus  des  deutschen  Gesanges  nicht  mehr  anpassen  konnten,  während  die 
deutsche  Sammlung  unbeachtet  blieb  und  in  Folge  dessen  auch  verloren  ge- 
gangen ist.  Schon  im  12.  -Jahrhundert  kannte  man  dieselbe  nicht  mehr,  da 
bei  der  in  dieser  Zeit  begonnenen  Abfassung  der  Nibelungen,  der  Gudrun  und 
anderer  kleinerer  epischer  Dichtungen  zu  diesen  den  Stoff  nur  noch  solche  Yolks- 
gesänge lieferten,  welche  theils  unter  dem  Einfluss  neuer  Lebensanschauungen 
und  Verhältnisse,  theils  mit  der  "Wandlung  der  alten  Sprache  in  die  mittel- 
hochdeutsche nicht  allein  in  Vielem  eine  wesentliche  Veränderung  ihres  ur- 
sprünglichen Inhalts,  sondern  auch  ihrer  alten  poetischen  Form  und  der  damit 
zusammenhängenden  gesanglichen  Vortragsweise  eingebüsst  hatten.  Aehnliches 
würde  endlich  auch  von  dem  gesanglichen  Vortrag  des  angelsächsischen  Beowulf 
gelten,  zu  dem  ebenfalls  ältere  deutsche  Gesänge  nur  den  Stoff  geboten  haben. 
Anders  verhielt  es  sich  jedoch,  was  die  Melodik  betraf,  mit  den  kürzeren,  mehr 
in  einem  Ausdruck  des  Gefühls  sich  bewegenden  Liedern  der  alten  Germanen. 
Von  diesen  konnten  mit  der  Zeit  wohl  die  alten  Texte,  doch  nicht  die  alten 
Weisen  vollständig  vergessen  werden ,  nachdem  nun  einmal  dieselben  das  Herz 
und  das  Ohr  des  deutschen,  stets  gesangsfrohen  Volkes  für  sich  eingenommen. 
Letzteres  wird  ganz  besonders  durch  die  gerade  gegen  jene  Gefühlslieder  ge- 
richteten Verbote  bestätigt,  die  sich  sogar  in  die  ersten  christlichen  Kirchen 
und  Klöster  hineingedrängt  hatten.  Nicht  ohne  gewichtige  Gründe  schrieb 
der  h.  Bonifacius:  r>Non  licet  in  eeclesia  ehoros  secularium  et  puellarum  cantica 
exercerev.  und  verbietet  andererseits  ein  öapitulare  von  789  den  Klosterfrauen 
die  Abschrift  von  winileocles  (aus  winja  =  Geliebte,  Freundin  und  leod  oder  liud  = 
Lied).  —  Diese  und  ähnliche  Verbote  werden  in  den  meisten,  die  älteste  deutsche 
Poesie  behandelnden  Werken  näher  besprochen;  für  uns  haben  nur  die  musi- 
kalischen Gründe  Bedeutung,  nach  welchen  in  der  ersten  Zeit  sich  selbst  noch 
die  nächsten  Angehörigen  der  christlichen  Kirche  für  die  betreffenden  Lieder 
erwärmen  konnten.  Was  jedoch  das  Wesen  ihrer  Melodien  betrifft,  so  würde 
sich  uns  dasselbe  am  einfachsten  erschliessen ,  wenn  wir  von  einigen  unserer 
heutigen  Volksmelodien  den  Nachweis  liefern  könnten,  dass  wir  sie  als  Nach- 
klänge jener  betrachten  dürfen,  welche  schon  unsre  heidnischen  Altvordern 
entzückten,  und  so  mögen  zur  Klärung  auch  dieser  Frage  hier  einige  Er- 
wägungen dienen.  »Im  Volk«  —  sagt  u.  A.  der  Kapellmeister  Schletterer  in 
seiner  »Geschichte  der  geistlichen  Dichtung  und  kirchlichen  Tonkunst«  S.  119  — 
»pflanzten  sich  die  Heldensagen  fort,  kannte  man  die  Lieder  der  Nibelungen 
und  die  Mären  von  Dietrich  von  Bern;  im  Volk  entstanden  zahllose  Spott- 
und  Liebeslieder,  deren  so  manche  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten 
haben.  Kein  anderes  Volk  hat  den  Gesang  als  Gemeingut  so  besessen  oder 
besitzt  ihn  noch  so,  wie  das  deutsche;  bei  keiner  anderen  Nation  hat  er  sich 
ohne  äussere  Pflege  so  aus  dem  Volke  selbst  herausgebildet,  wie  hier.«  Trat 
in  Anbetracht  dessen  für  ein  Lied  und  die  gleichzeitige  Bildung  einer  ihm 
entsprechenden  und  allgemein  gefälligen  Melodie  nun  auch  stets  das  Genie  des 


Germanen.  203 

Einzelnen  ein,  —  sympathisch  und  somit  recht  eigentlich  gehörten  seine  Ton- 
empfindungen und  die  innere  Gesetzmässigkeit  ihres  Ausdrucks  dem  Volke  an, 
dessen  Charakter  und  Empfindungsweise  wir  nicht  bloss  nach  Jahrhunderten 
bemessen  dürfen.  Demnach  aber  ist  es  nicht  allein  eine  gebotene  Voraus- 
setzung, dass  wir  heute  wohl  noch  manche  Melodieen  besitzen,  welche,  freilich 
mit  durchaus  anderen  Texten,  auf  die  Tonfreude  unserer  heidnischen  Vorzeit 
zurückzuführen  wären,  sondern  zugleich  eine  der  erspriesslichsten  Aufgaben, 
ihren  sicheren  Kriterien  nachzuforschen.  Was  diese  betrifi"t,  so  können  zunächst 
die  eigenthümlich  schönen,  oft  weit  ausschreitenden  Tongänge,  welche  einige 
unserer  beliebtesten  Volksmelodien  auszeichnen,  wie  gleichzeitig  auch  deren 
natürliche  organische  Structur  die  Annahme  eines  mehr  als  tausendjährigen 
Alters  derselben  eher  unterstützen  als  widerlegen,  wenn  man  bedenkt,  dass 
eigentlich  nur  derartige  Melodien  sich  als  unvergessbare  von  Munde  zu  Munde 
fortzupflanzen  im  Stande  waren  und  dass  andererseits  weder  wirklich  zutreffende 
psychologische  noch  historische  Beweise  bisher  geboten  werden  konnten,  welche 
uns,  wie  schon  oben  angedeutet,  die  nothwendigen  Bedingungen  einer  schönen, 
allgemein  ansprechenden  Melodik  nur  als  Sache  einer  späteren  Erfindung  auf- 
zufassen gestatten.  Vielmehr  gälte  wohl  auch  von  diesen  Bedingungen,  was 
ein  so  hervorragender  Musikhistorikei",  wie  Kiesewetter,  von  einer  vor  aller 
Musiktheorie  stets  correcten  alten  Musikpraxis  wiederholt  behauptet  hatte  und 
nachträglich  auch  noch  von  Ambro s  zu  einer  gerechten  Würdigung  dessen,  was 
das  musikalische  Ingenium  zu  allen  Zeiten  selbst  in  Bezug  auf  eine  richtige 
Theorie  vor  einer  dieselbe  nur  mit  einem  schwerfälligen  Calcül  erstrebenden 
Schule  voraus  gehabt  hat  (vergl.  u.  A.  Ambros,  Greschichte  der  Musik  Bd.  I. 
S.  56  und  57).  Endlich  lässt  uns  auch  eine  Betrachtung  der  alten  deutschen 
Volkslyrik,  wie  sie  besonders  Wilmar  in  seiner  »Greschichte  der  deutschen  Na- 
tionalliteratur«  (Bd.  I,  S.  392  u.  ff.)  beleuchtet,  auf  eine  fortdauernde  Belebung 
derjenigen  Volksmelodien  schliessen,  welche  seit  Alters  her  das  Gemüth  unserer 
Altvordern  mit  Sangeslust  erfüllten.  Gestaltete  sich  diese  Volkslyrik  auch, 
wenn  wir  hier  zugleich  der  Limburgischen  Chronik  aus  dem  14.  Jahrhundert 
folgen,  vorzugsweise  nach  dem  Wechsel  der  Zeitinteressen,  —  die  aus  ihnen 
hervorgegangenen  Volkslieder  vermochten  dann  nur  um  so  sicherer  eine  allge- 
meine Verbreitung  zu  gewinnen ,  wenn  sie  sich  in  die  alten  beliebten  Weisen 
kleideten,  wo  sie  sofort,  wie  Wilmar  bemerkt,  auf  allen  Strassen  und  in  allen 
Herbergen,  von  B.ittern  und  Knechten,  zu  Stadt  und  Land  gesungen  und  ge- 
pfiffen werden  konnten,  zumal  dieser  Umstand  durchaus  noch  nicht  die  damals 
schon  übliche  Composition  für  eine  freiere  Tonbewegung  ausschloss  —  eine 
Composition,  in  der  sich,  wie  ebenfalls  die  Limburgische  Chronik  andeutet, 
u.  A.  auch  ein  Mönch  ganz  besonders  ausgezeichnet  hatte.  —  Hiermit  gelangen 
wir  endlich  zu  der  wichtigsten  Frage  für  die  Vorstellung  eines  altgermanischen 
Gesanges.  Konnte  derselbe  schon  als  ein  sicheres  Traditionsmittel  für  alles 
Wichtige,  was  die  alten  Weisen  und  Gesetzgeber  in  der  vorschriftlichen  Zeit 
dem  Geiste  und  Gemüthe  des  Volkes  einzuprägen  wünschten  (vergl.  Wuttke, 
Entstehung  und  Umwandlung  des  Schriftthums)  nicht  den  Charakter  der 
freieren,  oft  ganz  individuellen  Tonbewegung  besitzen,  welche  unseren  heutigen 
Liedern  ihren  musikalischen  Ausdruck  und  Heiz  verleiht,  so  musste,  wie  wohl 
bei  allen  Völkern  des  höheren  Alterthums,  auch  bei  den  Germanen  die  Sprache 
und  Musik  in  der  innigsten  Beziehung  zu  einander  gestanden  haben,  und  zwar 
der  Art,  dass  es  jedem  Gesangskundigen  nie  zweifelhaft  bleiben  konnte,  wie  er 
ein  Helden-,  ein  religiöses,  ein  erotisches  Lied  u.  s.  w.  sofort  richtig,  d.  h,  in 
dem  innigsten  Zusammenhange  von  Sprache  und  Musik,  zu  behandeln  hatte, 
selbst  wenn  sich  mancher  Gesang  auch  in  den  kühnsten  Intervallen  bewegte. 
Giebt  es  nun  aber,  wie  es  sich  historisch  und  durch  praktische  Versuche  nach- 
weisen lässt  (vergl.  u.  A.  den  Artikel  »Arabische  Musik«  und  des  Verfassers 
»Sprachgesang  der  Vorzeit«  etc.),  zunächst  nur  zwei  Möglichkeiten  für  die  Regelung 
einer    solchen  Sprachmusik,    und    zwar  die    schwierigere,    sich  in  den   Ton- 


204  Germanen, 

gänf]fen  lediglich  von  den  Worten,  bezugsweise  von  den  Gefühlen  und  Vor- 
stellungen des  Textes  leiten  zu  lassen,  und  die  ungleich  leichtere,  die  Töne 
durch  die  Laute  der  AVörter  und  nur  ihre  Höhe  und  Tiefe  nach  den  Empfin- 
dungen z.  B.  der  Freude  und  des  Schmerzes,  der  Ruhe  und  der  Leidenschaft 
zu  bestimmen,  so  liegen  die  entscheidendsten  Gründe  für  die  Annahme  vor, 
dass  bei  unseren  Altvordern  einzig  und  allein  die  leichtere,  durch  Laute  be- 
stimmte Melodik  der  einzelnen  Lieder  seit  Alters  her  üblich  gewesen  und  sich 
bis  zur  Einführung  des  Chi'istenthums  bei  ihnen  erhalten  hatte.  Ob  ihr  eigenes 
Ingenium  auf  diese  Art,  die  Musik  in  die  engste  Beziehung  zur  Sprache  und 
umgekehrt  zu  bringen,  verfallen  war,  oder  ob  sie  dieselbe  in  ihren  ehemaligen 
asiatischen  Ursitzen  direct  oder  indirect  von  denjenigen  semitischen  Völkern, 
welche  sie  nachweisbar  pflegten,  erhalten  hatten,  dürfte  selbst  noch  nach  Ge- 
winnung eines  grösseren  positiven  Materials  für  die  Erkenntuiss  der  ältesten 
Musik  nicht  so  leicht  zu  entscheiden  sein.  Immerhin  bliebe  hier  für  die  An- 
nahme eines  semitischen  Einflusses  der  Umstand  beaclitenswerth ,  dass  selbst 
die  Runen,  und  zwar  von  einigen  unserer  bedeutendsten  Paläographen ,  wie 
u.  A.  von  dem  Leipziger  Prof.  Wuttke,  auf  einen  semitischen  Ursprung,  die 
altphönizische  Lautbezeichnung,  zurückgeführt  werden.  »Zu  den  Indogermanen« 
—  sagt  ferner  Friedrich  Spiegel  in  der  Vorrede  seiner  Avesta  Bd.  1  —  »ge- 
hörten die  Perser  vermöge  ihrer  Herstammung  und  Grundanschauung,  zu  den 
Semiten  vermöge  ihrer  Bildung.«  Nun  aber  standen  die  Perser  auch  verwandt- 
schaftlich den  alten  Germanen  so  nahe,  dass  diesen  zur  Zeit  ihres  asiatischen 
Asenthums  (s.  oben)  schon  durch  persische  Vermittlung  das  so  einfache  Mittel, 
Sprache  und  Musik  aufs  innigste  mit  einander  zu  verschmelzen,  bekannt  wer- 
den musste,  wubei  für  sie  dann  nur  der  Versuch  geboten  war,  wie  weit  ihre 
Sprache  das  dichterische  und  gleichzeitig  musikalische  Genie  in  der  Bildung 
von  Versen  unterstützte,  welche  in  ihrer  Lautfolge  und  Rhythmik  zugleich  den 
wohlgefälligsten  Tongängen  einer  Stroplienmelodik  entsprechen  konnten.  Alle 
diese  berechtigten  Schlüsse  würden  uns  jedoch  noch  nicht  den  wahren  sprach- 
lichen Charakter  unserer  ältesten  Melodien  erkennen  lassen,  wenn  nicht  sämmt- 
liche  uns  bekannte  altgermanische  Lieder  und  Liederreste,  mögen  sie  den  alten 
I>eutschen  oder  Normannen  angehört  haben,  in  der  Alliteration  den  sicher- 
sten Hinweis  dahin  böten,  dass  sie,  ganz  entgegengesetzt  dem  etwaigen  musi- 
kalischen oder  poetischen  Zweck  moderner  alliterirender  Verse,  mit  der  Wieder- 
kehr der  gleichen  Laute  auch  die  Wiederkehr  gleicher  Töne  forderte,  schon 
um  dadurch  die  Uebereinstimmung  eines  längeren,  sich  in  seiner  Strophen- 
melodie durchaus  nicht  wiederholenden  Volksgesanges,  den  unsere  Altvordern 
stets  mit  Liebe  gepflegt  haben,  zu  ermöglichen.  Unter  den  Germanisten  hat 
sich  Wilmar  in  seinem  oben  erwähnten  Werke  (S.  34  und  .35)  zuerst  für  diese 
musikalische  Bedeutung  der  Alliteration  ausgesprochen,  wobei  er  noch  den 
musikalisch  nicht  minder  wichtigen  Umstand  hervorhebt,  dass  »der  Gebrauch 
dieser  alliterirenden  Versform  eine  Fülle  von  stehenden,  aus  der  Sache  ge- 
schöpften, nicht  dem  Dichter,  sondern  dem  ganzen  Volk  angehörenden  Foi'meln 
und  Redensarten  voraussetzt«,  mithin  also  selbst  in  grössere,  meist  nur  recita- 
tivisch  zu  behandelnde  Gesangstexte,  Redewendungen  und  Aussprüche  hinein- 
zubringen gestattete,  welche  durch  ihre  allgemein  bekannten  und  beliebten 
Toiigänge  jenen  Texten  mitunter  sogar  den  Reiz  eines  mannigfaltigeren  Ton- 
wechsels verleihen  mussten.  —  So  weit  ein  historisches  und  sprachwissenschaft- 
liches Ermessen  der  altgermanischen  Gesangslust;  das  Uebrige  aber  Hesse  sich 
hernach  wohl  nur  noch  auf  dem  Wege  der  praktischen  Versuche  ermitteln. 
Gelänge  es  uns  nämlich,  durch  eine  deklamatorisch  richtige  Recitation  und  durch 
gleichzeitig  musikalische  Experimente  aus  jenen  Alliterationen  die  alte  Laixt- 
und  Tonscala,  welche  die  Sänger  bei  dem  gekennzeichneten  Sprachgesang  noth- 
wendig  geleitet,  zu  gewinnen,  so  wäre  damit  auch  das  Geheimniss  der  ursprüng- 
lichen Melodik  gefunden,  in  welcher  sich  u.  A.  die  bekannten  Merseburger 
Zaubersprüche,    das  Lied    von  Hildebrand  und  Hadubrand  und  wohl  auch  die 


Gern  —  Gernsheim.  205 

älteren  Eddalieder  bewegten,  überhaupt  derjenigen  altgermanischen  Lieder,  welche 
sich  noch  als  vollständig  frei  von  jedem  späteren  Einfluss  einer  christlichen 
Kunstanschauung  erkennen  lassen.  Das  Kriterium  für  die  Echtheit  jener  Me- 
lodik läge  vor  Allem  in  ihr  selber,  in  ihrer  nothwendig  organischen  Structur 
und  Wohlgefälligkeit,  ohne  welche  Bedingungen  am  allerwenigsten  wahre,  von 
Mund  zu  Munde  sich  fortpflanzende  Volksweisen  denkbar  sind.  Indessen  wäre 
bei  einer  grösseren  Anzahl  so  wieder  hergestellter  uralter  Melodien  auch  die 
Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  sie  hier  und  da  Tongänge  zeigten,  welche 
manchen  heutigen,  voraussetzlich  uralten  Yolksmelodien  ihren  besonderen  Keiz 
verleihen  —  ein  Umstand,  der  schliesslich  sogar  noch  zu  Versuchen  führen 
müsste,  aus  diesen  oder  jenen  charakteristischen,  als  Compositionen  nicht  nach- 
weisbaren Volksmelodien  altgermanische  Verse  zu  reconstruiren.  —  Wie  viel 
in  derartigen  musikalischen  und  sprachlichen  Versuchen  in  neuester  Zeit  ge- 
schehen, würde  sich  hier  erst  dann  für  eine  nähere  Darlegung  eignen ,  wenn 
zur  Vergleichung  der  Eesultate  sich  bereits  mehrere  an  den  betrejBfenden  Ar- 
beiten betheiligt  hätten.  Leider  ist  für  dieselben  von  unseren  derzeitigen 
Musikhistorikern,  denen  in  den  vorliegenden  Fragen  das  leichtere  Spiel  von 
blossen  Conjecturen  und  Vermuthungen  ungleich  mehr  zuzusagen  scheint,  wenig 
zu  erwarten,  und  so  wird  es  wohl  vorzugsweise  die  Aufgabe  der  musikkundigen 
Grermanisten  bleiben,  uns  die  letzten  und  wichtigsten  Aufschlüsse,  welche  eine 
altgermanische  Tonfreude  betrefi'en,  zu  ertheilen.  —  Was  schliesslich  eine  In- 
strumentalmusik der  alten  heidnischen  Germanen  betrifft,  so  ist  das  Wenige, 
was  über  eine  solche  oben  angedeutet  worden,  zugleich  auch  das  historisch 
Glaubwürdigste,  Wo,  wie  überhaupt  im  Alterthum,  die  Tonfreude  vorzugs- 
weise an  das  Wort  gebunden  war,  konnte  eine  besondere,  gleichzeitig  Harmonie 
bedingende  Instrumentalmusik  auch  nie  zur  Entwicklung  gelangen;  dagegen 
mögen  zumeist  Harfe  und  Fiedel  zur  Erleichterung  eines  zumal  in  schwierigeren 
Intervallen  sich  bewegenden  Gesanges  unseren  Altvordern  die  wesentlichsten 
Dienste  geleistet  haben.  L.  Arends. 

Geru,  Johann  Georg,  einer  der  vortrefflichsten  deutschen  Opernsänger, 
geboren  am  20.  März  1757  zu  Eottendorf  bei  Würzburg,  wo  sein  Vater, 
Michael  G.,  gestorben  1804,  Schulmeister  war.  Mit  schöner  sonorer  Bass- 
stimme begabt,  erhielt  der  junge  G.  in  Würzburg  eine  gute  gesangliche  Aus- 
bildung und  debütirte  am  dortigen  Theater  mit  Erfolg.  Von  1780  bis  1785 
war  er  am  Nationaltheater  zu  Mannheim  engagirt,  wo  er  ein  bevorzugter  Lieb- 
ling des  Publikums  war.  Als  kurfürstlicher  Hofsänger  folgte  er  1795  einem  Rufe 
nach  München  und  ging  endlich  1801  an  das  Hof-  und  Nationaltheater  zu 
Berlin.  Hier  fand  er  einen  lohnenden,  ruhmbringenden  Wirkungskreis  und 
Auszeichnungen,  die  seiner  umfangreichen,  angenehm  vollen  Stimme,  wie  seinen 
gründlichen  musikalischen  Kenntnissen  überliaupt  galten.  Seit  1816  trat  er 
nur  noch  selten  auf,  wurde  aber  erst  1829  in  den  wohlerworbenen  Ruhestand 
versetzt  und  starb  am   11,  März   1830  zu  Berlin. 

Geruadieh  ist  in  der  persischen  Musik  der  Name  für  die  siebente  diato- 
nische, unserm  g  entsprechende  Stufe  der  Tonleiter.  In  ihrer  Weise,  durch 
Farben  die  diatonischen  Klänge  darzustellen,  gaben  die  Perser  den  G.  genann- 
ten  Ton  durch  Hellblau  wieder,  0. 

Geruleiu,  trefflicher  Guitarrespieler  und  Componist  sentimentaler,  zu  ihrer 
Zeit  beliebter  Lieder,  lebte  in  Berlin  und  hat  sich  auch  als  Schriftsteller  durch 
seine  »Musikantenbilder«   (Leipzig,  1836)  bekannt  gemacht. 

Gerusheiiii,  Friedrich,  vortrefflicher  deutscher  Pianist,  hei'vorragender 
Componist  und  Dirigent,  wurde  am  17.  Juli  1839  zu  Worms  geboren  und  war 
der  Sohn  eines  Arztes.  Musikalische  Anlagen,  die  G.  schon  im  dritten  Lebens- 
jahre zeigte  und  die  von  seiner  Mutter,  einer  clavierspielenden  Dilettantin, 
genährt  wurden,  erregte  die  Aufmerksamkeit  der  Kenner,  besonders  als  sie  in 
Gestalt  frühzeitiger  Compositionsversuche  sich  geltend  machten,  und  von  allen 
Seiten  wurden    die  Eltern    bestürmt,    den   Sohn   der   Musik    ausschliesslich    zu 


206  öero. 

■widmen.     Der    damalige  Musikdirektor  Liebe    in   Worms    übernahm  den  ersten 
Musikunterricht  G.'s,    der   1849  in  Mainz  bei  Pauer  und  sodann  in  Frankfurt 
a.  M.  bei  Kosenhain   sich  bis  zur  teclinischen  Virtuosität  vervollkommnete.    In 
letzterer  Stadt,    welche    die  Eltern   der   Stürme  der  Revolutionszeit  wegen  auf- 
gesucht   hatten,    studirte  Gr.  auch  A'ioliiispiel    und   ganz  besonders  unter  J.   C. 
Hauffs  Leitung  Theorie    der  Musik,     Schon    1850    trat    er    in    einem   Concert 
im   Stadttheater    als  Pianist    und  als   Componist  einer  Ouvertüre  unter  ermun- 
terndem grossen  Beifall  auf  und  machte  alsbald  hierauf   eine  Kunstreise  durch 
die  Rheingegenden,  auf  welclier  er  besonders  in   Strassburg  und  Cöln  Aufsehen 
erregte.     Von  wohlmeinenden  Autoritäten   der  Kunst  gut  berathen,  unterbrach 
er   1852   plötzlich   die  Virtuosenlaufbahn   und  gab   sich   auf  dem  Couservatorium 
zu  Leipzig  bei  Moscheies,    Hauptmann,    Rietz    und  Richter   von  Neuem    mehr- 
jährigen   gründlichen   Studien    hin ,    nach    deren  Beendigung    er    1855    weitere 
künstlerische  Anregungen  in  Paris  suchte,  woselbst  er  bald  auch  als  Pianist  und 
Lehrer  im  Interesse  der  guten  Musik  wirkte.    Als  einor  der  besten  Interpreten 
Chopin's    und   Schumann's    dort    anerkannt    und    hochgeschätzt,    richteten    sich 
dennoch  seine  Blicke  nach  einem  Wirkungskreise  im  Vaterlaude,  und  er  nahm 
die  erste  Musikdirektorstelle  an,    die    ihm  von  dort  aus  geboten  wurde    —    die 
in   Saarbrücken  im  J.   1861.     Ein   Künstler    von   Gi.'s  Begabung    und  Tüchtig- 
keit   konnte    hier    freilich    nicht    lange  Genüge  finden,    jedoch    brachte  er,    als 
Dirigent,  Lehrer  und  Componist  jugendfreudig  wirkend  und  schaffend,  bald  die 
musikalischen  Verhältnisse  dieses  Ortes,  die  in  den  Concerten  gipfelten,  zu  einer 
ansehnlichen  Blüthe.     Im   J.   18G5    endlich  bot   ihm   Cöln  eine  entsprechendere 
und  wichtigere   Stellung.     Er  wurde  Lehrer  des  Pianofortespiels,  bald  auch   des 
Contrapunkts    und    der  Fuge  am   dortigen   Conservatorium,    und  man  übertrug 
ihm    in    der  Folgezeit    auch  die  Direktion    der  musikalischen   (lesellschaft,    des 
städtischen  Gesangvereins  und  des  Sängerbundes,  endlich,   im  Herbst  1873,  zum 
grössten  Vortheil  für  das  Stadttheater  und  dessen  Ruf,  die  des  Opernorchesters. 
Ausserdem  wirkte  G.  in  den  Musikabenden  für  Kammermusik  und  in  den  Con- 
certen des  Cölner  Tonkünstlervereins  mitunter  als  Pianist  mit  und  fesselte  und 
bewegte  die  Hörer  durch   die  edle  Classicität  seines  Spiels  und  die  Cougenialität 
in  treuester,  reproductiver  Wiedergabe  der  Meisterwerke.      G.'s  Bedeutung  ruht 
indessen  hauptsächlich  in   seiner  eigenen   Gestaltungskraft,  die  auf  dem  Gebiete 
der  Pianoforteliteratur  und  Instrumentalmusik,  von   der  Claviersouate  in  F-moll 
an,    nur  liebenswürdige  Blüthen  getrieben  hat.     Ein  frisches,    seelenvolles  Ge- 
müthieben  entfaltet  sich  in  allen  seinen  Wei'ken,  reizvolle  Melodik,  oft  gesteigert 
zu  wahrhaft  dramatischem  und  farbenreichstem  Ausdrucke  in  dui'chaus  charakte- 
ristischen Tonbildern   und  Stimmungen  treten  dem  Hörer  in  anregend  poetischer 
Weise  daraus  entgegen.    Beweis  dafür  sind  seine  Clavierconcerte,  von  denen  das 
in  C-moll,  von  G.  selbst  1870  in  einem  der  Conservatoriumsconcerte  in  Paris  vor- 
getragen, auch  im  Auslande  bewundernde  Anerkennung  fand,  ferner  seine  Clavier- 
und   Streichquartette  und  Violin-    und  Violoncello- Sonaten  und  von  chorischen 
Werken  sein  «Salve  regina«  für  Sopran,    Frauenchor  und   Orchester,  sowie  die 
schwungvollen   Männerchöre  »Salamis«,  »AVächterlied«    und  »Römische  Leichen- 
feier«, sämmtlich  mit   Orchester.     Den  ersten  Rang   nehmen    aucli   seine  poesie- 
vollen  Tonstücke  für   Ciavier  allein,    bestehend  in   Sonaten,   Suiten,  Präludien, 
Variationen    u.    s.    w.    ein.      Zurücktretend    sind    einige    Liederhefte    und    eine 
Ouvertüre  zu  »Waldmeisters  Brautfahrt«  zu  bezeichnen,  welche  letztere  offenbar 
den    Stempel    der    Gelegenheitscomposition    trägt.     —     Durch    die    Plastik    und 
Klarheit    seiner    Tonschöpfungen    und    die    ihnen    inne    wohnende    Poesie    und 
Frische  erscheint  G.  unter  den  Componisten  der  Gegenwart  besonders  befähigt, 
bei  weiterer    künstlerischer  Entwickelung    berufen    zu    sein,    im  edelsten   Sinne 
des  Wortes  zu  voller  Popularität  und  Anerkennung  seiner  AVerke  zu  gelangen. 
(Jero,    Giovanni  de,    einer  der  bemerkenswertheren  italienischen   Compo- 
nisten  in  der  Zeit  unmittelbar  vor  Palestrina,    ist  zu   Ausgange  des   15.  Jahr- 
hunderts geboren.     Als   Tonsetzer  kennt  man   ihn    seit  1519,  da  sich  in   einem 


Geronc  —  Gersbach.  207 

Sammelwerke  dieses  Jahres  aucli  eine  Motette  seiner  Composition  befindet. 
Madrigalen-  und  Motettensammlungen  von  ihm  selbst  erschienen  aber  erst 
während  der  Jahre  1541  bis  1582  und  zumeist  in  mehreren  Auflagen,  so  »Jfo- 
drigali  e  canzoni  alla  francesi  a  2  vocia  (Venedig,  1552,  2.  Aufl.  1559)  und 
y>Madrigali  a  3  ■yoc»«  (Venedig,  1556,  2.  Aufl.  1570).  G.  war  in  seiner  Blüthe- 
zeit  Kaj)ellmeister  an  der  Kathedralkirche  zu  Orvieto  und  trat  von  dort  aus  in 
die  Dienste  des  Herzogs  von  Perrara.  In  Frankreich,  Deutschland  und  den 
Niederlanden  war  G.,  und  dies  bezeugt  seinen  damaligen  Weltruf,  allgemein 
unter  dem  Namen  Maistre  Jan  oder  Ihan  bekannt,  wie  denn  seine  Compositionen 
sich  auch  in  den  meisten  deutschen,  französischen  und  italienischen  Sammel- 
werken jener  Zeit  aufgenommen  finden. 

Geronc,  Christoph,  einer  der  tüchtigsten  französischen  Flötisten  neuerer 
Zeit,  geboren  1797  zu  Paris,  machte  seine  Studien  im  Conservatorium  seiner 
Vaterstadt  und  wirkte  später  als  Mitglied  des  Oj)ernorchesters,  sowie  als  Lehrer 
seines  Instrumentes  in  verdienstvoller  Art.  Zahlreiche  Compositionen  von  ihm 
für  Flöte  sprechen  auch  für  sein  schaflFendes   Talent. 

Gerosi,  einer  der  besten  italienischen  Orgelbauer  neuerer  Zeit,  ist  aus 
Bergamo  gebürtig  und  verewigte  seinen  Namen  in  mehreren  grossen  Orgel- 
bauten Oberitaliens ,  z.  B.  in  der  Hauptkirche  zu  Piacenza,  deren  Instrument 
eines  der  vorzüglichsten  seiner  Art  sein   soll. 

(rersbach,  Anton,  trefflicher  deutscher  Musikpädagoge,  geboren  am  21. 
Febr.  1803  zu  Säckingen  am  Rhein,  wurde  von  seinem  ältesten  Brvider,  Joseph 
Gr.  (s.  unten)  und  zweien  Geistlichen  seiner  öeburtsstadt,  Pfarrer  Hempfer  und 
dem  Cantor  der  Stiftskirche  in  Orgel-  und  Clavierspiel,  sowie  im  Gesang  unter- 
richtet. Mit  zehn  Jahren  kam  er  nach  Zürich,  wo  sein  Bruder  als  Musik- 
lehrer lebte,  durchlief  das  Gymnasium,  studirte  die  alten  Sprachen  und  war 
ein    eifriges    Mitglied    des   Singinstitut  Nägeli's.     Mit    seinem  Bruder    ging    er 

1821  nach  Nürnberg,  wo  er  sich  für  den  philosophischen  Cursus  der  Universität 
vorbereitete  und  einigen  Musikunterricht  ertheilte.    Hierauf  bezog  er  im  Herbst 

1822  die  Universität  zu  Halle  und  wollte  ein  Semester  später  eben  nach  Berlin 
abgehen,  als  ihn  Krankheit  nöthigte  nach  Nürnberg  und  dann  nach  der  Schweiz 
zurückzureisen.  In  Zürich,  wo  er  nun  nur  noch  als  Privatmusiklehrer  wirkte, 
fand  er  auch  Heilung,  verlebte  den  Winter  auf  1825  bei  seinem  Bruder  in 
Karlsruhe  und  kehrte  dann  in  seine  frühere  Clavierlehrerstellung  in  Zürich 
zurück,  in  welcher  Stadt  er  sich  auch  bei  den  öffentlichen  Kundgebungen  der 
Vereine  mitwirkend  vielfach  betheiligte  und  mit  Compositionen  für  Ciavier  und 
Gesang  hervortrat.  Als  1830  sein  Bruder  als  Musiklehrer  am  Seminar  zu 
Karlsruhe  gestorben  war,  wurde  er  als  Nachfolger  desselben  in  die  erledigte 
Stelle  berufen  und  ertheilte  von  Ostern  1831  an  daselbst  den  Unterricht  im 
Gesang,  Orgelspiel  und  der  Harmonielehre.  Später  wurde  er  noch  Dirigent 
eines  Vereins  für  Chormusik  und  erwarb  sich  Verdienste  um  Ausbreitung  des 
Geschmacks  für  classische  Musik.  Mitten  in  verdienstlicher  Thätigkeit  starb 
er  am  17.  Aug.  1848  zu  Karlsruhe.  Von  seinen  musikalischen  Arbeiten  sind 
im  Druck  erschienen:  Variationen  und  Uebungsstücke  für  Ciavier,  25  ein-  und 
zweistimmige  Kinderlieder  für  Volksschulen,  sechs  vierstimmige  Gesänge,  Männer- 
chöre, Lieder  für  eine  Singstimme  mit  Pianoforte  und  Anhang  zu  seines  Bi  uders 
»Singvögelein«;  ferner  hat  er  nach  Plänen  und  Entwürfen  seines  Bruders  eine 
»Tonlehre  oder  System  einer  elementarischen  Harmonielehre«  und  eine  theo- 
retisch-praktische Clavierscliule  veröffentlicht.  —  Sein  bereits  mehrfach  erwähnter, 
um  die  Elementar-Gesangmethodik  verdienter  Bruder,  Joseph  G.,  geboren  am 
22.  Decbr.  1787  zu  Säckingen,  studirte,  nachdem  er  von  1800  bis  1805  das 
Gymnasium  zu  Villingen  im  Schwarzwalde  besucht  hatte,  Philologie,  Philosophie 
und  speciell  Pädagogik  zu  Preiburg  im  Breisgau.  Im  J.  1808  verliess  er  die 
Universität  und  ging  als  Musiklehi-er  in  eine  Privat-Erziehungsanstalt  nach 
Gottstadt  in  der  Schweiz,  von  wo  aus  er  einen  der  Zöglinge,  Hirzel  aus  Zürich, 
1810  nach  Lausanne    und   Stuttgart  begleitete.     Von   1811   bis   1810  lehrte  er 


208  Gerson  —  Gerstäcker. 

nach  einer  eigenen  rationellen  Methode  Olavierspiel,  Clesang  und  Harmonielehre 
in  Zürich  und  beschäftigte  sich  nebenbei  auch  unausgesetzt  mit  Philosophie, 
Mathematik  und  Aesthetik.  Im  J.  1816  unterrichtete  er  an  einer  Erziehungs- 
anstalt in  Würzburg,  1817  an  einer  eben  solchen  in  Yfferten,  wodurch  er  in 
Berührung  mit  Pestalozzi  kam  und  1818  am  katholischen  Schullehrerseminar 
zu  Rastatt.  Aber  schon  ein  Jahr  später  ging  er  als  Musiklchrer  an  eine 
Knabenerziehungsanstalt  in  Nürnberg  und  verblieb  daselbst  bis  Ende  1823, 
wo  er  einen  ehrenvollen  Ruf  an  das  neu  errichtete  Schullehrerseminar  in  Karls- 
ruhe erhielt.  Hochgeschätzt  starb  er  in  der  Stellung  eines  Musiklehrers  da- 
selbst am  3.  Decbr.  183U.  Von  seinen  musikalischen  Arbeiten  finden  sich  ge- 
druckt vor:  »Singvöglein,  30  zweistimmige  Lieder  für  die  Jugend«;  »Wander- 
vöglein, 60  vierstimmige  Lieder  für  Jung  und  Alt«;  »Anleitung  zur  Singschule«; 
»Eeihenlehre  oder  Elementar-Rhythmik«  und  »Liedernachlass  mehrstimmiger 
(i-esänge«.      Seine  Lieder  sind  von  kräftiger,  frischer  Melodie  und  Harmonie. 

Gersou,  Jean  de,  eigentlich  Jean  Charlier,  altfranzösischer  Oelehrter 
und  Musikschriftsteller,  erhielt  den  Beinamen  »(xerson«  von  einem  Dorfe  in 
der  Diöcese  Rheims,  wo  er  1363  geboren  war.  Er  war  nicht  allein  später  als 
Kanzler  der  Universität  Paris,  sondern  auch  durch  sein  kirchliches  AVirken 
namentlich  auf  den  Synoden  von  Pisa  und  Constanz  berühmt  geworden,  und 
sein  aussergewöhnlicher  Ruf  von  Gelehrsamkeit  und  Frömmigkeit  erwarb  ihm 
den  ehrenvollen  Namen  -oDoctor  christianissimusv..  Nach  dem  Concil  von  Con- 
stanz aber  traf  ihn  lebenslängliche  Landesverweisung,  verhängt  vom  Hei'zoge 
von  Burgund,  welchen  Jean  Petit  wegen  des  am  Herzoge  von  Orleans  verübton 
Mordes  zu  Constanz  öflFentlicli  vertheidigt,  C  hingegen  scharf  angegriffen  hatte. 
Einige  Zeit  brachte  er  zu  Rattenberg  in  Tyrol  zu  und  schrieb  daselbst  das 
Erbauungsbuch  »i>e  consolatione  theologiaen]  später  veilebte  er  noch  10  Jahre 
im  Cölestinerkloster  zu  Lyon,  in  welchem  sein  Bruder  Prior  war.  Hier  über- 
nahm er  den  Jugendunterricht  und  gab  sich  beschaulichen  Betrachtungen  und 
Studien  hin,  bis  er  am  12.  Juli  1429  in  grösster  Abgeschiedenheit  und  Armuth 
starb.  —  In  seinen  gesammelten  Werken  (5  Bde.,  Amsterdam,  1706)  befindet 
sich  ein  lateinisches  Gredicht  »De  laude  musicaev^,  ferner  eine  kleine  Abhand- 
lung y>De  canticorum  oriffinali  ratioiiea,  welche  einige  in  der  Bibel  genannte 
Instrumente  beschreibt,  endlich  zerstreut  viele  Andeutungen  und  Belehrungen 
über  würdigen  Cesang.  Nicht  unwichtig  ist  auch  ein  kleiner  Tractat  »De 
disciplma  puerorum«.  aus  den  dem  Gr.  als  Verfasser  zugeschriebenen  Werken 
(Haag,  1728,  Bd.  4  Seite  717  u.  ff.),  welcher  die  Statuten  mittheilt,  die  er 
für  die  Singknaben  an  der  Hauptkirche  zu  Paris  aufgestellt  hatte  und  nicht 
blos  angiebt,  was  gesungen  werden  darf,  sondern  auch  Vorschriften  über  guten 
Gesang  und  die  Erhaltung  der  Stimme  enthält. 

Gerson,  Nicolaus,  dänischer  Tonkünstler,  geboren['gegen  Ausgang  des 
18.  Jahrhunderts,  wurde  1820  Kapellmeister  in  Kopenhagen  und  hat  sich  durch 
grössere  und  kleinere  Gesangwerke  eine  locale  Bedeutung  erworben. 

Gerstäcker,  Friedrich,  einer  der  grössten  und  berühmtesten  deutschen 
Bühnensänger,  geboren  am  15.  Novbr.  1790  zu  Schmiedeberg  in  Sachsen,  wo 
sein  Vater  Chirurg  war.  Für  das  Studium  der  Medicin  bestimmt,  entwickelte 
sich  auf  der  Kreuzschule  zu  Dresden  sein  Älusiktalent,  welches  schon  im  Eltern- 
hause durch  Ciavierunterricht  die  erste  Nahrung  erhalten  hatte ,  so  auflfallend, 
dass  er  sich  der  Tonkunst  ganz  zuwenden  durfte.  Besuch  und  häufige  Mit- 
wirkung im  Chor  der  italienischen  Oper,  sowie  der  Geschmack,  den  er  für  das 
Sängerleben  gewann,  bestimmten  ihn,  seine  umfangreiche  und  biegsame  Tenor- 
stimme bei  Benelli  ausbilden  zu  lassen  und  zur  Bühne  zu  gehen.  Er  debütirte 
mit  Erfolg  bei  der  Nitz'schen  Schauspielertruppe  in  Chemnitz ,  die  auch  das 
Privilegium  für  Freiberg  hatte.  Von  dort  kam  er,  gewandter  und  ausgebilde- 
ter, zur  Seconda'schen  Operngesellschaft,  welche  abwechselnd  in  Dresden  und 
Leipzig  Vorstellungen  gab,  und  von  da  an  datirt  sein  grosser,  von  dem  Enthu- 
siasmus der  Kritik  und  des  Publikums  getragener  Ruf,    welcher    der    schönen 


Gerstel  —  Gervais.  209 

Stimme  und  der  ergreifenden  Vortragsweise  G.'s  das  höchste  Lob  ausstellte. 
Gastspielreisen,  ein  längeres  Engagement  in  Hamburg  und  Kassel,  Wanderun- 
gen durch  Dänemark,  Holland,  Frankreich  u.  s.  w.  verbreiteten  seinen  Sänger- 
ruhm über  ganz  Europa.  Von  1816  bis  1824  stand  er  auf  dem  Gipfel  seiner 
Grösse,  und  sein  Tamino  ,  Belmonte ,  Sargino  u.  s.  w.  galten  als  musterhafte 
Schöpfungen  seiner  Künstlerschaft,  die  im  Vortrage  des  Recitativs  und  der 
Cantilene  ihr  Höchstes  leistete.  Leider  starb  er  bereits  am  1.  Juni  1825  zu 
Kassel,  wo  er  noch  lange  unvergessen  blieb. 

Gerstel,  August,  ein  vortrefSicher  deutscher  Buffosänger,  geboren  1807 
zu  Boitzenburg  in  Mecklenburg  und  in  Prag  erzogen ,  war  von  seinem  Vater, 
dem  Schauspieler  und  Sänger,  späterem  Theaterdirektor  Wilh.  G.  für  das 
Baufach  bestimmt,  was  den  Sohn  jedoch  nicht  verhinderte,  seiner  Neigung  zur 
Bühne  zu  folgen  und  in  Meissen  1825  als  Schauspieler  zu  debütiren.  Erst 
später  nahm  sich  der  Musikdirektor  Hörger  in  Bamberg  auch  seiner  schönen 
sonoren  ßassstimme  an,  die  G.  von  1828  an  bei  mehreren  reisenden  Gesell- 
schaften denn  auch  für  die  komische  Oper  verwerthete.  In  München  1833 
engagirt,  vervollkommnete  er  seine  Gesangweise  bei  den  Kapellmeistern  Orlandi 
und  Aloys  Pentenrieder,  ging  1836  an  das  Stadttheater  zu  Zürich  und  1837 
an  die  Hofoper  zu  Stuttgart,  der  er  als  sehr  geschätztes  Mitglied  bis  1842 
angehörte.  Eine  längere  Zeit  lebte  er  auf  Gastspieli'eisen,  kehrte  aber  dann 
nach  Stuttgart  zurück,  wo  er  sich  wieder  mehr  dem  recitirenden  Schauspiel 
widmete  und  noch  jetzt  als  B-egisseur,  Sänger  und  Schauspieler  erfolgreich 
thätig  ist. 

Gersteuberg',  Heinrich  "Wilhelm,  hervorragender  deutscher  Dichter  und 
Kritiker,  geboren  am  3.  Jan.  1737  zu  Tondern  in  Schleswig,  gestorben  als 
pensionirter  Mitdirektor  des  dänischen  Lottojustizwesens  zu  Altona  am  1.  Novbr. 
1823,  ist  nicht  bloss  durch  seine  Liederdichtungen,  Melodramen  und  Cantaten- 
texte  der  Musik  nahe  getreten,  sondern  ganz  besonders  wegen  seiner  1770  ge- 
schriebenen und  in  mehrere  Zeitschriften  aufgenommenen  Abhandlang  »lieber 
die  schlechte  Einrichtung  des  italienischen  Singgedichtes«  und  sodann  wegen 
der  im  J.  1783  verfassten  Abhandung  »Vorschlag  zu  einer  neuen  Art,  den 
Generalbass  zu  beziffern«,  die  ebenfalls  vielfach  abgedruckt  wurde,  aber  ohne 
nachhaltige  Wirkung  vorüberging.  Bleibenderen  Werth  beanspruchen  seine 
»Briefe  über  Merkwürdigkeiten  der  Literatur«  (4  Sammlungen,  1766  bis  1770), 
welche  manche  verdienstvolle  ästhetisch-kritische  Arbeit  G.'s  und  besonders 
manche  für  damalige  Zeit  beachtungswerthe  Ansicht  zu  Gunsten  des  Volksliedes 
enthalten. 

Gersteiiberg',  J.  D.,  deutscher  Ciavierspieler  und  Componist,  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  in  Gotha  geboren  und  daselbst  musikalisch  ausgebildet, 
lebte  um  1791  längere  Zeit  in  Russland,  nahm  aber  1796  seinen  bleibenden 
Aufenthalt  in  seiner  Geburtsstadt.  Als  Tondichter  ist  er  durch  Ciaviersonaten, 
Lieder  u.  dgl.  bekannt  geworden. 

Gerstenbüttel,  Joachim,  einer  der  durchgebildetsten  deutschen  Tonkünst- 
ler des  17.  Jahrhunderts,  geboren  um  1650  zu  Wismar,  studirte  zwar  zu  Wit- 
tenberg Theologie,  Hess  sich  aber,  da  er  schon  damals  fertiger  Ciavier-  und 
Violinspieler  und  auch  als  angenehmer  Basssänger  in  gesellschaftlichen  Kreisen 
angesehen  war,  bestimmen,  sich  der  Musik  ganz  zu  widmen.  Er  Hess  sich  in 
Hamburg  nieder,  wo  er  Gesang-,  Ciavier-  und  Violinunterricht  ertheilte  und, 
nach  Bernhardt's  Abgange,  zum  Cantor  ernannt  wurde.  In  diesen  Stellungen 
erwarb  sich  G.  bei  seinen  Mitbürgern  und  den  jüngeren  Musikern  grosse 
Achtung  und  starb  am  17.  April  1721  zu  Hamburg.  Von  seinen  Compositionen 
ist  nur  Weniges  und  nicht  gerade  Bedeutendes  im  Druck  erschienen. 

Gervaesius,  ein  deutscher  Gelehrter  des  13.  Jahrhunderts,  ist  der  Ver- 
fasser des  Codex  »Z)<?  inventione  musicae  et  mitltorum  artificiorumv. ,  welchen 
Coussemaker  in  seinen  vScript.  medii  aevia  mittheilt. 

Gervais,   ein  seit  drei  Jahrhunderten  ziemlich  häufig  vorkommender  Name 

Musiknl.  Oonvers.-Lexikon.     IV.  14 


210  Gervasi  —  Gervasoni. 

französischer  Musiker,  von  denen  hier  die  hervorragendsten  berücksichtigt  seien. 
1)  Claude  (1.  war  ein  Yiolaspieler  in  der  Kapelle  des  Königs  Franz  I.  zu 
Paris  und  hat  eine  Sammlung  von  Stücken  für  Viola  von  seiner  Composition 
(Paris,  155G)  herausgegeben,  —  2)  Charles  Hubert  G.,  geboren  am  19.  Febr. 
1671  zu  Paris,  verdankte  einflussreicher  Protection  seine  Ernennung  zum  Musik- 
meister des  Regenten,  Herzogs  von  Orleans,  und  später  zum  Kapellmeister  des 
Königs  von  Frankreich.  Als  solcher  starb  er  am  15.  Jan.  1 744  zu  Paris.  Mit  dem  Re- 
genten von  Frankreich  gemeinschaftlich  soll  er  die  Opern  -DPantJieev.  und  y^Hyper- 
mnentre«.  componirt  haben.  Ausschliesslich  seine  eigene  Arbeit  sind  die  Opern 
•s)Medve«.  und  nLes  amoura  de  Profeefs.^  deren  Musik  aber  von  sehr  untergeord- 
netem Werthe  ist,  wie  nicht  minder  diejenige  von  45  Motetten  G-.'s,  welche 
die  Staatsbibliothek  zu  Paris  im  Manuscripte  aufbewahrt.  —  .3)  Laurent  C, 
geboren  um  1695  zu  Ronen,  war  Anfangs  Musiklehrer  und  Mitglied  der  Akade- 
mie zu  Lille,  Hess  sicli  aber  später  bleibend  in  Paris  nieder,  wo  er  eine  Mu- 
sikalienhandlung errichtete  und  als  Componist  von  Chansons  a  hoire,  Romanzen 
und  Cantaten  bekannt  machte.  Man  hat  auch  ein  theoretisches  "Werk  von  ihm, 
welches  den  Titel  führt:  -nMitliode  pour  Vaccomparjnement  dtt  clavecin,  qui  peut 
servir  dHntroduction  ä  la  composition  et  apprendre  ä  hicn  chiffrer  les  hassest 
(Paris,  17.34).  —  4)  Pierre  Noel  Gr.,  Sohn  eines  im  Dienste  des  Kurfürsten 
von  der  Pfalz  stehenden  französischen  Musikers,  geboren  um  1756  zu  Mann- 
heim, war  ein  Violinschüler  von  Iguaz  Franzi.  Im  J.  1784  ging  er  nach  Paris 
imd  liess  sich  ein  Jahr  später  daselbst  im  Concert  spirituel  mit  grossem  Bei- 
fall hören.  Als  erster  Violinist  im  Orchester  des  grossen  Theaters  wurde  er 
1791  nach  Bordeaux  berufen,  begab  sich  aber  1801  noch  einmal  nach  Paris, 
Tim  als  Mitbewerber  um  die  durch  Gavinie's  Tod  erledigte  Professur  am  dortigen 
Conservatoi'ium  aufzutreten.  Fetis,  der  ihn  damals  hörte,  bezeichnet  seinen 
Ton  als  klein,  sein  Spiel  als  kalt.  Als  G.  die  gewünschte  Stelle  nicht  erhielt, 
begab  er  sich  nach  Bordeaux  zurück  und  starb  daselbst  wenige  Jahre  darauf 
(um  1805).  Von  seinen  Compositionen  sind  drei  Violinconcerte  im  Druck  er- 
schienen. 

Gervjisi,  Luigi,  italienischer  Operncomponist,  geboren  im  ersten  Jahrzehnt 
des  19.  Jahrhunderts  zu  Neapel  und  daselbst  musikalisch  ausgebildet,  brachte 
1834  zu  Rom  seine  Erstlingsopcr  r^I  promessi  sposi«.,  welcher  glückliche  Stoß" 
Manzoni's  später  noch  vielfach  für  das  lyrische  Theater  benutzt  wurde,  auf  die 
Bühne.  Auch  weiterhin  ist  er  noch  mit  Operncompositionen  in  verschiedenen 
Städten  Italiens  aufgetreten,  ohne  jedoch  nennenswerthe  Erfolge  zu  erzielen. 

Gervasoni,  Carlo,  italienischer  Musiktheoretiker,  geboren  am  4.  Novbr. 
1762  zu  Mailand,  sollte  sich  nach  Wunsch  seiner  Eltern  dem  geistlichen  Stande, 
dann  dem  Ingenieurwesen  widmen,  versuchte  sich  sogar  in  der  kaufmännischen 
Sphäre,  aber  überall  mit  Unlust  und  ohne  Erfolg,  da  ihn  ein  unwiderstehlicher 
Trieb  zur  Musik  zog,  die  er  auf  Violine,  Ciavier  und  Laute  übte.  Nach  deni 
Tode  seines  Vaters  machte  er  von  seinem  Selbstbestimmungsrecht  Gebrauch 
und  begab  sich  zu  seiner  gründlichen  musikalischen  Ausbildung  nach  Neapel. 
Nachdem  er  dort  mehrere  Jahre  hindurcli  mit  musikalisch-theoretischen  und 
historischen  Studien  und  mit  Unterrichtsertheilung  in  Gesang  und  Ciavier 
zugebracht  hatte,  erhielt  er  1788  die  Kapellmeisterstelle  an  der  Hauptkirche 
zu  Borgo  Taro.  Im  J.  1807  auch  zum  Mitgliede  der  italienischen  Gesellschaft 
für  Wissenschaften  und  Künste  ernannt,  starb  er  am  4.  Juni  1819  zu  Mai- 
land. —  G.'s  beachtungswerthe  theoretische  Schriften  sind:  y>La  scuola  della 
musica  in  tre  parte  divisaoi.  (Piacenza,  1800),  ein  Buch,  welches  dem  i>Manuel 
complet  de  mustquev  von  Choron  und  Lafage  grösstentheils  zur  Grundlage  diente; 
ferner:  y>Oarteggio  musicale  di  C.  Gervasoni  con  diver si  sui  amici  professori, 
mai'Stri  di  capella  etc.,  in  cui  si  dimostra  Vutilitä  della  scuola  della  musica  etc.v- 
(Parma,  1804,  2.  Aufl.  Mailand,  1804),  ein  gelehrter  Briefwechsel,  der  im  In- 
teresse der  weiteren  Verbreitung  des  zuerst  genannten  Werkes  zusammengestellt 
und  veröffentlicht    ist;    endlich:    nNiiova    teoria    di  musica  ricavata  dalV  odierna 


Gervimis.  211 

pratica  etc.«.  (Parma,  1812),    welches  Buch   unter  den   Schriften   Gr.'s  an  AVerth 
und  Interesse  obenan  steht. 

Crerviuus,  G-eorg  G-ottfried,  einer  der  grössten  Cultur-  und  Literatur- 
historiker der  Neuzeit  und  ein  eifriger  Vermittler  der  dramatischen  und  musi- 
kalischen Kunst  im  deutschen  Volke,  wurde  am  20.  Mai  1805  zu  Darmstadt 
geboren  und  von  seinen  Eltern  zum  Kaufmann  bestimmt,  auf  welchen  Beruf 
hin  denn  auch  seine  ganze  Jugendbildung  zugespitzt  war.  Auch  nachdem  er 
in  einem  Detailgeschäfte  in  Darmstadt  ausgelernt  hatte,  blieb  er  noch  auf  dem 
Comptoir  seines  Lehrherrn,  bis  er  aus  innerem  Drange  zum  Gelehrtenstande 
überging.  Was  ihm  an  gründlichen  Schulkenntnissen  abging,  holte  er  mit 
grosser  Anstrengung  durch  Selbststudium  nach,  so  dass  er  im  Stande  war, 
1826  die  Universität  zu  beziehen.  Er  studirte  in  Marburg,  Giessen  und  Heidel- 
berg Philologie  und  Geschichte  und  gewann  dabei  eine  begeisterte  Vorliebe 
für  Schlosser,  sodass  er  durch  seine  Nacheiferung  auf  literarhistorischem  Ge- 
biete in  der  That  später  Das  wurde,  was  Schlosser  in  der  politischen  Geschichte 
war.  Aus  Noth  musste  Gr.  1828  eine  Privatlehrerstelle  in  Frankfurt  a.  M. 
annehmen,  kehrte  aber  18.30  zur  akademischen  Laufbahn  zurück  und  habilitirte 
sich  in  Heidelberg.  Wissenschaftliche  Zwecke  veranlassten  ihn  zu  einer  Reise 
nach  Italien,  welches  Land  er  auch  später  noch  zweimal  besuchte.  Nach  seiner 
Rückkehr  18.35  nach  Heidelberg  wurde  er  ausserordentlicher  Professor  daselbst 
und  ging,  von  Dahlmann  empfohlen,  1836  als  ordentlicher  Professor  nach  Göt- 
tinnen. Nur  ein  Jahr  docirte  er  als  solcher;  dann  unterschrieb  er  als  einer 
der  Sieben  die  bekannte  Erklärung  gegen  die  Aufhebung  der  hannover'schen 
Verfassung  und  musste  binnen  drei  Tagen  das  Land  verlassen.  Er  begab  sich 
wieder  nach  Italien  und  veröffentlichte  bis  1844,  wo  er  abermals  Professor  in 
Heidelberg  wurde,  hochbedeutende  politische,  cultur-  und  literarhistorische  Werke, 
welche  einen  Ehrenplatz  in  der  deutschen  Nationalliteratur  einnehmen.  Als 
Vertrauensmann  der  Hansestädte  beim  Bundestage  und  als  Reichsabgeordneter 
1848  in  Frankfurt  a.  M.  suchte  er,  wie  schon  früher  für  die  Deatschkatholiken 
und  für  die  Schleswig-Holsteiner,  für  das  ganze  deutsche  Volk  praktisch  zu 
wirken,  und  als  er  den  reactionären  Zeitumständen  weichen  musste,  verfasste 
er  im  engsten  Anschlüsse  an  Schlosser's  Geschichte  des  18.  Jahrhunderts  eine 
»Geschichte  des  19.  Jahrhunderts  seit  den  Wiener  Verträgen«,  die  ihn  wegen 
ihrer  demokratischen  Richtung  1854  einen,  in  letzter  Instanz  verunglückten 
Process  auf  Hochverrath  zuzog.  Seine  scharfe  und  zersetzende  negative  Kritik, 
sein  unversöhnlicher  Hass  gegen  das  Preussenthum  in  Deutschland,  seine  oflFene 
Parteistellung  überhaupt  gegen  Alles,  was  die  Gegenwart  in  der  Kunst,  Lite- 
ratur und  staatlichen  Entwicklung  bot,  entfremdete  ihn  den  Bestrebungen  der 
Zeit  immer  mehr,  und  heftig  angefochten  und  angegriffen  starb  er  am  18.  März 
1871  zu  Heidelberg.  Auch  um  die  Musik  hat  er  sich  verdient  gemacht,  aller- 
dings in  der  ihm  einmal  eigenthümli^hen  herben,  absti'akten,  einseitigen  Art, 
die  ihm  auch  von  diesem  Kunstgebiete  her  Anfeindungen  in  Menge  zuzog. 
Wie  ihm  auf  literarischem  Boden  Goethe  gewissermaassen  als  die  Schlusssäule 
in  dem  Riesenbau  einer  grossen  Literaturperiode  dastand,  so  auf  musikalischem 
HändeL  Nach  diesen  beiden  Meistern  sollte  von  keinem  würdigen  Fortbau 
und  Fortbauer  mehr  die  Rede  sein.  Mit  solchen  Ansichten  verdarb  er  es  zu- 
nächst mit  den  fehdelustigen  Anhängern  der  neudeutschen  Richtung  in  der 
Musik,  die  nach  beiden  Seiten  hin  in  Wagner  den  prädominirenden  Wort- 
und  Tondichter  erblickten  und  in  einer  zumeist  Maass  und  Ziel  überschreiten- 
den Weise  über  G.  und  sein  geistreiches  Buch  »Händel  und  Shakespeare.  Zur 
Aesthetik  der  Tonkunst«  (Leipzig,  1868)  herfielen.  Mit  bewundernswerthem 
Scharfsinn  aber  ist  in  diesem  Werke  der  berühmte  Verfasser  in  den  Kern  der 
Objecte  gedrungen  und  hat  eine  Tiefe  der  Auffassung,  eine  Fülle  der  Sach- 
kenntniss  und  eine  Präcision  der  Darstellung  entwickelt,  die,  unbeschadet  der 
individuellen  Ansicht,  denn  doch  schwerer  in's  Gewicht  fallen,  als  die  Gegner 
zugestehen    wollten.     Die   unpartheiische  musikalische  Gegenwart  darf  ilim  den 

14* 


212  Ges  — Gesang. 

Dank  nicht  versagen  für  seine  Bestrebungen,  Häudel's  Touwerke  in  Deutsch- 
land populär  zu  machen,  füi'  seine  Anregung  und  Bemühungen  um  Aufrichtung 
der  Händelstatue  zu  Halle  und  zur  Stiftung  der  Händelgesellschaft  in  Leipzig, 
welche  letztere  durch  seine  und  Chrysander's  thatkräftige  Mitwirkung  eine 
äusserlich  und  innerlich  würdige  Gesammtausgabe  der  AVerke  Händel's  veran- 
staltet. Hat  auch  Gr.  die  Bethätigung  der  Dankbarkeit  der  musikalischen  Welt 
leider  eingebüsst,  so  hat  er  doch  nicht  das  Recht  auf  ein  dankbares  Andenken 
derselben  verloren. 

Oes  (ital.:  sol  bemolle,  franz.:  sol  hemol,  engl.:  G  ßaf)  ist  die  alphabetisch- 
syllabi^che  Benennung  des  um  einen  Halbton  erniedrigten,  in  der  abendländischen 
Musik  alphabetisch  g  (s.  d.)  genannten  Tones.  In  der  diatonisch-chromatischen 
Tonfolge  von  c  ab  aufwärts  heisst  Ges,  wenn  man  die  alphabetisch-syllabisch 
verschieden  bezeichenbaren  Klänge  eis,  des;  dis,  es  etc.  nur  als  eine  Stufe  be- 
trachtet, wie  es  gewöhnlich  geschieht:  die  siebente.  In  der  That  müsste  dies 
eigentlich  anders  sein,  indem  diese  Klänge,  also  auch  (jes  und  das  gewöhnlich 
als  dieselbe  Tonstufe  betrachtete  fis  (s.  d.),  durchaus  von  einander  verschiedene 
Töne  sind,  deren  Lage  zu  dem  zunächst  darunter  liegenden  c  man  arithmetisch 
durch  Verhältnisse  (c  :  ges  =  36  :  25  und  c  :ßs  =  25  :  18)  genau  darstellt  und 
deren  Klangunterschiede  sich  selbst  dem  für  geringe  Verschiedenheit  unempfind- 
lichen menschlichen  Ohre  häufig  sehr  bemerkbar  machen.  Die  Kunst  scheint 
hier  eine  neue  Bildung  anzubahnen,  der  eben  ei'st  die  Wissenschaft  nach  deren 
Vollendung  nachzukommen  vermag.  Die  bemerkbaren  Klangunterschiede  von 
ges  und  ßs  bei  der  Darstellung  in  harmonischen  Kunstwerken  fordern,  was 
eben  der  vorher  erwähnten  wahrscheinlichen  Wandlung  halber  nicht  oft  genug 
bemerkt  werden  kann,  bei  der  Aufzeichnung  von  Tonwerken  die  grösste  Ge- 
nauigkeit (s.  Orthographie),  wenn  man  eine  reine  Intonation  zu  erzielen 
wünscht,  und  zwar  dies  noch  um  so  mehr,  als  schon  jeder  derselben,  je  nach- 
dem er  als  Terz,  Quart,  Quinte  oder  sonstiges  Intervall  in  einem  Tonstücke 
vorkommt,  noch  wieder  in  sich  verschieden  ist.  Diejenigen,  welche  diese  Ver- 
schiedenheit des  ges  geheissenen  Klanges  näher  in  Erwägung  ziehen  wollen, 
seien  auf  den  Artikel  ais  (s,  d.)  verwiesen.  2. 

Gesang  (latein.:  cantus,  franz.:  cliant).  G.  ist  die  von  der  Menschenstimme 
ausgeführte  Musik.  Diese  Definition  ist  in  voller  Genauigkeit  zu  verstehen. 
Bewegt  sich  die  Menschenstimme  nicht  in  den  musikalisch  anerkannten  Ton- 
stufen, so  ist  das,  was  sie  producirt,  nicht  mehr  G.  zu  nennen.  Andererseits 
aber  ist  es  nur  die  Menschenstinime  —  im  Gegensatz  namentlich  zum  Pfeifen  — , 
welche  G-.  hervorbringt;  und  sie  wix'd  auch  in  dem  Fall  gesanglich  verwendet, 
wenn  sie,  anstatt  sinnvoller  Worte,  blosse  Laute  mit  dem  abgestuften  Ton  ver- 
bindet, z.  B.  in  der  Brummstimmen-Bcgleitung,  oder  wenn  sie  sich  darauf  be- 
schränkt, den  Empfindungslauten,  dem  Tra  la  la  u,  s.  w.  einen  breiteren  musi- 
kalischen Ausdruck  zu  geben.  Für  G.  componiren,  heisst  somit:  musikalische 
Sätze  für  die  menschliche  Stimme  schreiben;  und  es  ist  somit  die  erste  Forde- 
rung, welche  an  den  Gesangcomponisten  gestellt  werden  muss,  dass  er  von  dem 
Umfang  der  menschlichen  Stimme  und  von  den  auf  den  Registerverschieden- 
heiten beruhenden  Eigenthümlichkeiten  der  Kraft  und  Klangfarbe  Kenntniss 
genommen  habe.  Unsere  bisherige  Definition  hat  das,  woran  man  bei  G.  zu- 
nächst zu  denken  pflegt,  die  sinnvolle  Verschmelzung  des  Tons  mit  dem  Wort, 
vorläufig  als  nebensächlich  abgelehnt;  der  G.  würde  sich,  insofern  er  auch  ohne 
das  verständige  Wort  bestehen  kann  —  und  das  kann  er  gewiss  —  von  anderer 
Musik  nicht  anders  unterscheiden,  als  instrumental,  wie  etwa  Clarinetten-Musik 
von  Flöten-Musik;  es  kommt  nun  aber  darauf  an,  den  Begriff  der  Menschen- 
stimme schärfer  zu  fassen  und  zu  sehen,  was  in  ihm  Weiteres  Hegt.  Die 
Meuschenstimme  ist,  äusserlich  betrachtet,  nichts  Anderes,  als  eine  Fähigkeit, 
Töne  von  verschiedener  Höhe  und  Tiefe,  von  verschiedenem  Stärkegradu  und 
von  verschiedenem  Khingcharakter  hervorzubringen,  wobei  sich  noch  die  Eigen- 
thümlichkeit  zeigt,    dass    diese  Klangfarben  einen  ganz  besondern  als  Vocallaut 


Gesaüg.  213 

zu  Tage  tretenden  Charakter  haben  und  sich  in  ungezwungener  Weise  mit 
andern  der  musikalischen  Behandlung  theils  fügsamen,  theils  widerstrebenden 
Sprachlauten  (siehe  den  Artikel:  Consonanten)  zu  verbinden  vermögen.  Diese 
zunächst  äusserliche  Fähigkeit  ist  aber  im  Laufe  der  Entwicklung  der  Mensch- 
heit zu  einer  innei'lichen  geworden:  zu  der  Fähigkeit,  allen  Vorstellungen,  Em- 
pfindungen und  Bestrebungen,  welche  die  Seele  erfüllen,  einen  vollständig 
deutlichen  Ausdruck  zu  geben;  und  es  wird  dalier  die  Menschenstimme  nicht 
in  ihrer  ganzen  Bedeutung  erfasst,  wenn  diese  innerliche  Seite  fortgelassen  wird. 
Offenbar  können  wir  vom  menschlichen  Standpunkte  aus  die  äusserlichen  Fähig- 
keiten der  menschlichen  Stimme  nur  als  Mittel  zum  Zweck  betrachten.  Das 
wahre  Wesen  der  Menschenstimme  liegt  nicht  in  ihren  akustischen  Eigenthüm- 
lichkeiten,  sondern  in  dem,  was  sie  bedeutet;  und  der  Gr.,  als  von  der  Menschen- 
stimme ausgefühi'te  Musik,  ist  nicht  ohne  das  verstandene  Wort  und  ohne  die 
innigste  Beziehung  des  Tons  zu  dem  Sinn  dieses  Wortes  zu  denken.  So  wenig 
also  dei'jenige  ein  rechter  Gesaug-Componist  genannt  werden  kann,  der  nicht 
mit  den  instrumentalen  Eigenthümlichkeiten  der  menschlichen  Stimme  hin- 
reichend vertraut  ist,  so  wenig  ist  es  derjenige,  dem  menschliches  Empfinden 
eine  unbekannte  Welt  ist  und  der  die  Brücke  von  der  Tonwelt  zu  dem  mannig- 
faltigen Spiel  der  Vorstellungen,  welche  die  Menschenseele  erfüllen,  nicht  zu 
schlagen  weiss.  Während  also  die  Instrumentalmusik  entweder  ein  blosses  Ton- 
spiel ist,  das  theils  durch  Wohlklang,  theils  durch  Erregung  des  Gefühls,  theils 
durch  innere  Gesetzmässigkeit  interessirt,  oder  ein  bedeutungsvolles  Abbild 
realer  Verhältnisse,  wobei  aber  der  Hörer  meist  auf  seine  eigene  Verantwortung 
dieses  oder  jenes  wirkliche  Ereigniss,  das  ihm  gerade  vorschwebt,  hineinlegt, 
wird  in  der  Gesaugmusik  diese  Beziehung  zu  der  realen  Welt  von  dem  Com- 
ponisten  selber  ausgesprochen;  er  will,  dass  der  Hörer  bei  einem  bestimmten 
Tonstücke  an  einen  Innern  seelischen  Vorgang  denke,  und  andererseits,  dass 
ihm  dieser  seelische  Vorgang  durch  Vermittelung  der  Tonwelt  zum  Bewusst- 
sein  gebracht  werde.  Es  kann  dabei  der  Zweifel  entstehen,  ob  diese  Verbin- 
dung geschlossen  wird,  damit  die  Musik  oder  damit  das  Wort  —  in  der  Regel, 
aber  nicht  mit  Nothwendigkeit,  das  in  poetischer  Form  ausgesprochene  Wort 
—  dadurch  gefördert  werde.  Der  Absicht  nach  offenbar  beides;  denn  wenn 
jedes  von  beiden,  für  sich  betrachtet,  etwas  Gutes  ist,  so  muss  das  jedem  eigen- 
thümliche  Gute  dem  Andern  eine  Förderung  gewähren.  Der  Hinzutritt  des 
Wortes  verschafft  nun  der  Musik  den  Vortheil,  dass  die  nie  ganz  zu  unter- 
drückende Sehnsucht  des  Hörers,  zu  wissen  was  die  Töne  bedeuten,  auf  welche 
Seite  des  gegenständlichen  Lebens  er  sie  zu  beziehen  habe,  nun  endlich  ihre 
Befriedigung  findet.  Daraus  ist  mit  leichter  Mühe  abzuleiten,  welchen  Vor- 
theil die  Musik  dem  Worte  bringt.  Sie  verstärkt  nicht  etwa  die  dichterische 
AVirkung,  sondern  sie  mildert  die  Schärfe  und  Bestimmtheit  des  Wortes;  mit 
ihrem  sich  Verlieren  in  ein  unbestimmtes,  inhaltloses  Jenseits  breitet  sie  ein 
seliges  TJnbewusstsein  über  die  sonnenklaren  Gegensätze  der  Wortsprache;  der 
aufregenden  Gewalt  des  blossen  Wortes  wird  durch  den  Ton  ihr  Stachel  ge- 
nommen; jene  harmonische  Ausgleichung  der  Leidenschaften,  welche  alle  Künste 
erstreben,  leistet  keine  Kunst  augenscheinlicher;  als  die  Tonkunst.  Der  G.  ist 
daher  ein  stetes  Schweben  zwischen  der  realen  Bestimmtheit  des  Daseins  und 
dem  Zerfliessen  ins  Unendliche;  zur  reinen  Poesie  verhält  er  sich  ähnlich,  wie 
sich  die  im  AVasserspiegel  erscheinende  Landschaft  zu  der  wirklichen  verhält; 
er  ist  eine  Erscheinung  des  Wirklichen  in  der  Welt  reiner  Formen.  Ob  darum 
nun  wirklich  der  G.  ein  Höheres,  als  die  reine  Poesie,  ist  damit  nicht  erwiesen 
und  muss  hier  unerörtert  bleiben,  weil  es  ohne  tieferes  Eingehen  auf  das  Ver- 
hältniss  der  Künste  zu  einander  nicht  ausgemacht  wei'den  kann.  Für  unsern 
Zweck  erhellt  aber,  dass  eine  echte  Gesangcomposition  die  Aufgabe  haben  wird, 
auch  den  leidenschaftlichsten  Inhalt,  den  sie  darzustellen  unternimmt,  zu  ideali- 
siren;  und  dass  sie  dies  auch  nicht  gar  anders  kann,  so  lange  sie  sich  in  den 
Grenzen  des  Musikalischen  hält.     Nun  sind  aber  nach  eben  dem  Gesagten  ver- 


214  Ge3aii<. 


(->• 


schiedune  Entwicklungsstufen  des  G.'s  möglich;  diis  rein  Musikalische  kiiun  so 
vorwalten,  dass  der  Ausdruck  des  B,ealen  gar  nicht  zu  seinem  Recht  kommt; 
oder  der  Ausdruck  zersprengt  die  musikalische  Form;  oder  endlich  es  findet 
eine  Ausgleichung  zwischen  den  beiden  entgegengesetzten  Seiten  statt.  Die 
strengsten  Formen,  Fuge  und  Kanon,  sind  nicht  bloss  in  der  Kirchen-,  sondern 
auch  in  der  Opernmusik  zur  Anwendung  gekommen,  oft  auf  Kosten  des  geistigen 
Ausdrucks,  nicht  selten  aber  auch  als  Trager  desselben,  wofiir  der  Quartett- 
Kanon  im  «Fidelio«  ein  glänzendes  Beispiel  ist;  andererseits  aber  hat  auch  die 
formloseste  Erscheinung  des  G.'s,  das  Recitativ,  welches  die  Form  an  ihrer 
"Wurzel,  am  taktmässigen  Rhythmus,  angreift,  sich  frühzeitiges  Bürgerrecht  in 
der  Kunst  erworben.  Die  gesammte  Entwickelung  des  G.'s  lässt  sich  an  der 
Geschichte  der  Oper  verfolgen,  welche  viele  Formen  für  sich  allein  hat,  aber 
alle  sonstigen  Gresangsformen ,  das  ein-  und  mehrstimmige  Lied,  so  wie  den 
kirchlichen  Satz  gelegentlich  auch  zur  Anwendung  bringt.  Da  ist  es  nun 
merkwürdig,  dass  die  Oper  in  ihren  ersten  geschichtlichen  Anfängen  von  den 
beiden  Extremen  ausging,  von  dem  Recitativ  einerseits,  von  der  strengen  Ma- 
drigalform andererseits ,  welche  beiden  unvermittelt  neben  einander  gestellt 
wurden.  Allmählicli  kamen  Arie  und  Duett,  später  der  grössere  Ensemble- 
satz dazu,  der  sodann  in  die  freiere  sogenannte  Sccuenform  überging,  bis  wir 
in  neuester  Zeit  zu  einem  Versuch  gelangt  sind,  welcher  den  taktmässig  dekla- 
matorischen Gesang  auf  Grundlage  instrumentaler  Motive,  die  dem  Orchester 
eine  gewissermaassen  symphonische  Formfestigkeit  geben  sollen,  als  Grund- 
princip  aufstellte.  Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  dass  diese  taktmässige 
Deklamation  ein  Mittleres  zwischen  Recitativ  und  gegliederter  Melodie  ist; 
allzu  starr  und  einseitig  festgehalten,  führt  sie  aber  den  Uebelstand  mit  sich, 
dass  weder  das  AVort  noch  die  Musik  zu  rechter  Freiheit  kommt;  nicht  nur 
das  Mittlere,  sondern  auch  die  Gegensätze  haben  ihr  Recht;  und  es  kann  die 
Gesang-  oder,  was  dasselbe  ist,  die  Opernmusik  nur  dort  auf  ihrem  höchsten 
Gipfel  erscheinen,  avo  jene  taktmässige  Deklamation  nur  beansprucht,  das  ver- 
bindende Mittelglied  zu  sein,  welches  die  starren  Abstufungen  der  einzelnen 
musikalisch  gegliederten  Sätze  lockert  und  dadurch  einen  zusammenhängenden 
dramatischen  Fortgang  ermöglicht,  ohne  das  Princip  musikalischer  Gestaltung, 
an  dem  allein  die  idealisirende  AVirkung  der  Musik  hängt,  aufzugeben.  Seine 
speciellere  Erörterung  kann  der  hier  berührte  Gegenstand  nur  in  der  Philo- 
sophie der  Musik  finden;  wir  müssen  uns  darauf  beschränken,  das  Grundprincij! 
liingestcllt  zu  haben.  Dieses  Grundprincip  rauss  sich  nun  auch  bewähren,  wenn 
wir  es  auf  die  Gesangkunst  anzuwenden  versuchen.  Als  Erstes  halten  wir 
fest,  dass  der  Sänger  sein  Instrument  richtig  zu  behandeln  verstehe;  als  das 
Höhere  tritt  dann  die  Yerschmelzung  des  richtigen  musikalischen  mit  dem 
richtigen  poetischen  Vortrag  hinzu.  Das  diese  beiden  Seiten  mit  einander  Ver- 
mittelnde ist  das  Wort;  die  Kunst  des  Sängers  besteht  daher  darin,  einerseits 
das  A¥ort  musikalisch  schön  zu  behandeln,  andererseits  das  Sinnvolle  darin 
festzuhalten.  Nun  beschränkt  sich  aber  das  musikalisch  Schöne  nicht  auf  den 
AVohlklang  eines  einzelnen  Tons,  sondern  es  gewinnt  einen  lebendigeren  Grad 
der  Schönheit  durch  die  A^erbindung  einer  Reihe  von  Tönen  zur  Melodie; 
andererseits  geht  der  sinnvolle  Vortrag  eines  AVortes  ebenfalls  erst  aus  dem 
Ganzen,  dem  er  entnommen  ist,  hervor.  Der  Sänger  hat  demnach  die  Aufgabe, 
sich  von  dem  Sinn  einer  Dichtung  wie  der  dieser  Dichtung  gegebenen  Melodie 
gleichzeitig  zu  durchdringen  und  dieses  Ganze  in  sorgfältig  gestalteten  Tönen 
zur  sinnlichen  Erscheinung  zu  bringen.  Die  Verbindung  des  AVorts  mit  musi- 
kalischem AVohlklang  ist  nicht  etwas  so  Einfaches,  wie  es  auf  den  ersten  Blick 
scheint.  Namentlich  ist  die  Einfügung  der  A^ocale  in  die  musikalische  Scala 
nur  innerhalb  gewisser  Grenzen  möglich  (s.  Vocal);  aber  auch  die  Consonan- 
ten  müssen  sich  gewissen  Modificationen,  je  nach  der  Natur  des  Registers  und 
der  Klangfarbe,  unterwerfen  (s.  Consonanten).  Eine  wesentliche  Seite  der 
Gesangstechuik  besteht  eben  darin,  die  günstigsten  Bedingungen,  die  es  in  dieser 


Gesaug.  215 

Beziehung  giebt,  sich  zu  eigen  zu  machen.  Eine  weitere  Complikatiou  kommt 
durch  den  sinngemässen  Vortrag  der  Melodie  hinzu.  Wenn  es  sich  bei  dem 
Studium  des  einzelnen  Tons  liur  darum  handelte,  die  in  dem  Vocal  liegende 
Klangfarbe  angemessen  zu  treffen  und  den  Ton  in  verschiedeneu  Graden  der 
Stärke  an-  und  abschwellen  zu  lassen  —  denn  eben  so  sehr,  als  in  der  Stärke, 
liegt  in  der  Zartheit  des  Tons  der  Werth  einer  Stimme,  der  ganze  Werth  der- 
selben also  in  der  Uebergangsfähigkeit  von  dem  Einen  zum  Andern  — ,  so 
kommt  es  jetzt  darauf  an,  jeden  Ton  in  dem  Grade  der  Stärke  zu  singen,  der 
ihm  nach  dem  melodischen  Zusammenhang  gebührt;  und  dies  erfordert  einer- 
seits melodisches  Verständniss  und  Gefühl ,  andererseits  eine  eigenthümliche 
technische  Uebung.  Als  Letztes  kommt  nun  die  Verschmelzung  des  melodischen 
Vortrags  mit  dem  declamatorischen,  aus  der  Dichtung  sich  ergebenden,  hinzu. 
Es  kann  nicht  scharf  genug  betont  werden,  dass  der  Sänger  niemals  seine 
Vortrags-Intentionen  aus  dem  Gedicht  allein  schöpfen  soll.  Allerdings  zwar 
ist  die  Dichtung  des  Erste,  wie  sie  denn  auch  der  Composition  selber  zu  Grunde 
lag;  und  wenn  die  Thätigkeit  des  Sängers  im  Unterschiede  von  der  Pro- 
duction  des  Componisten  eine  Heproduction  ist,  so  könnte  mau  sagen,  dies 
sei  erst  die  wahre  Reproduction,  wenn  der  Sänger  genau  da  anfange,  wo  der 
Componist  angefangen  hat,  nämlich  bei  dem  Gedicht.  Es  ist  aber  dabei  zu 
beachten,  dass  ein  und  dasselbe  Gedicht  auf  verschiedene  Naturen,  verschieden 
zu  wirken  vermag;  und  davon  giebt  eben  die  Geschichte  der  Musik,  namentlich 
des  Liedes,  den  bündigsten  Beweis.  Dieselben  Texte  finden  wir  in  so  ver- 
schiedenen Auffassungen  von  dem  Musiker  behandelt,  dass  ganz  unwiderleglich 
daraus  hervorgeht,  wie  ganz  anders  sich  ein  und  dasselbe  abspiegelt,  je  nach 
der  Individualität  und  zufälligen  Stimmung.  Die  wahre  Beproduction  des 
Sängers  besteht  also  darin,  dass  er  nicht  bloss  das  Gedicht  erfasst,  sondern  in 
die  Auffassung  sich  hineinzufühlen  versteht ,  von  der  der  Componist  durch- 
drungen war,  dessen  Werk  er  vortragen  will.  Dies  ist  aber  nur  durch  ein 
unmittelbares,  von  dem  Text  gewissermaassen  absehendes  gefühlvolles  Verständ- 
niss dessen,  was  in  Tönen  ausgesprochen  ist,  zu  erreichen;  und  erst,  •  nachdem 
dies  geschehen,  kommt  es  darauf  an,  die  Stimmung  des  Gedichts  mit  der  der 
Composition  in  Einklang  zu  bringen,  wobei  bald  das  Declamatorische  durch 
das  Melodische,  bald  das  Melodische  durch  das  Declamatorische  ergänzt  und 
belebt  oder  auch  eingeschränkt  wird  —  ein  etwas  complicirter  Vorgang,  bei 
dem  übrigens  der  Individualität  des  Ausführenden  eben  darum  ein  ziemlich 
weiter  Spielraum  bleibt.  Als  Beispiele  für  das  Gesagte  seien  hier  noch  Mendels- 
sohn's  und  Schubert's  Compositionen  der  Goethe'schen  Suleika  >5ach  um  deine 
feuchten  Schwingen«,  die  Compositionen  des  »Erlkönig«  durch  Reichard,  Schu- 
bert und  Löwe,  und  die  des  Mignonliedes  durch  Reichard,  Beethoven  und  Liszt 
angeführt.  Auch  an  Mozart's  »Don  Juan«  mag  erinnert  werden,  in  welcher 
Oper  der  Charakter  der  Musik  eine  "allzu  realistische  Auffassung  Don  Juan's, 
Zerlinen's  und  Leporello's,  die  vom  Standpunkt  des  blossen  Textes  aus  mög- 
lich wäre,  durchaus  verbietet.  AVenn  daher  oft  dem  Gesangschüler  gerathen 
wird,  die  Texte  erst  zu  deklamiren,  bevor  er  die  Musik  kennen  lernt,  so  ist 
das  nicht  ganz  richtig.  Denn  er  hat  nicht  mehr  die  Wahl,  wie  er  sie  decla- 
miren  will,  sondern  er  findet  sich  in  der  Musik  einem  bereits  von  dem  Com- 
ponisten daclamirten  Texte  gegenüber  und  ist  verpflichtet,  dessen  Declamation 
sich  anzuschmiegen,  selbst  wenn  sie  irrthümlich  oder  einseitig  sein  sollte.  So 
sind  z.  B.  die  ersten  Worte  des  oben  erwähnten  Suleikaliedes  )5ach,  um  deine 
feuchten  Schwingen,  West,  wie  sehr  ich  dich  beneide«  von  Mendelssohn  mit 
einem  Zug  des  Leidens,  von  Schubert  mit  einer  sinnlichen  Begehrlichkeit  ge- 
sprochen; und  dergleichen  in  vielen,  ja  in  den  meisten  Fällen  voll  berechtigte 
Abweichungen  muss  der  wahrhaft  reproducirende  Sänger  in  sich  aufzunehmen 
wissen,  was  ihm  aber  nur  durch  ein  unmittelbar  musikalisches  Nachempfinden 
möglich  sein  wird.  Da  dieses  aber  gerade  das  Entlegenere  für  die  allgemeine 
menschliche  Anlage  ist,    so  wird  es  bei  dem  angehenden   Sänger  sich  in  erster 


216  Gesang. 

Linie  darum  handeln,  dafür  den  Sinn  zu  wecken.    Auf  dieser  Grundlage  bringen 
dann    die    aus    dem    poetischen    Verstäudniss    hervorgehenden    declamatorischen 
Accente,    welche    sich    in    den  musikalischen  Vortrag  wie  ein  Hinzukommendes 
hineinsenken,  eine  Belebung  hervor,    in  welcher  kein  musikalisches  Instrument 
mit  der  menschlichen   Stimme  wetteifern  kann;    deshalb  wird  ein  bloss  musika- 
lischer Sänger    uns    immer    der    höchsten  AVärme   des  Ausdrucks  zu  entbehren 
scheinen,    während  der  bloss  declamatorische  keinen  rechten  Grund  und  Boden 
unter    den  Füssen    hat.    —    Der  Naturalismus    des    Singen«    beruht    auf    unge- 
schicktem Gebrauch  der  natürlichen  Begabung  oder  auch  auf  einer  unzureichen- 
den Begabung    selbst    und    kann    sich   auf   die  verschiedenste  Art  aussprechen. 
So    hören    wir    den    Einen    widerlich    schreiende    oder    mühsam    gequälte  Töne 
hervorbringen ,    während  ein  Anderer  es  nur  zu  heiseren ,    kaum  vernehmbaren 
Tönen  bringt;    Dieser  singt  unrein.  Jener  misshandelt  die   Sprache;    bald  fehlt 
der  Umfang    der   Stimme,    bald    die    Fähigkeit,    die    verschiedenen   Tonregister 
mit   einander    zu  verschmelzen;    nach  welchem   Gesichtspunkt  wir   eben  das  Ge- 
biet des  Gesangs  auch  betrachten  mögen,  überall  öffnen  sich   die  "Wege  zu  un- 
künstlcrischeu  Verirrungen.     Die  Hauptrichtungen    ergeben    sich    aus    der  De- 
finition  des   G.'s;    es  giebt  eine  melodische,  eine  declamatorische  und  eine  diese 
beiden    Seiten  verschmelzende  Richtung.     Die  Italiener  bevorzugen  die  erstere, 
die  Franzosen    die    zweite,    den  Deutschen  scheint    es  vorbehalten,    die  höhere 
Einheit  zu  vertreten.     Die  Geschichte  des  G.'s  ist  eine  unsichere  Wissenschaft. 
Dass  die  Berichte,  welche  wir  über  die  Leistungen  einzelner  Sänger  aus  früheren 
Zeiten  hie  und  da  finden,  als  ganz  sichere  Grundlage  nicht  dienen  können,  ist 
kaum    zweifelhaft;    denn    wir  wissen    aus   eigener  Erfahrung,    dass  ein  objectiv 
gültiges  Urtheil  selten  ausgesprochen  wird.     Sie  sind  aber  auch  nicht  ganz  zu 
verwex-fen,    wenn    sie  mit  Vorsicht  benutzt  werden.     Ergänzt  werden   sie  durch 
theoretische  Werke,  in  welchen  Gesanglehrer  ihre  Grundsätze  niedergelegt  haben, 
unter  denen  namentlich  Tosi's  Gesangschule  eine  wichtige  Quelle  für  die  Kennt- 
niss    des    italienischen   G.'s  in   der    ersten  Hälfte    des  vorigen  Jahrhunderts  ist, 
vor  Allem  aber  durch  die  Geschichte  der  Gesang-Composition  selbst,  einschliess- 
lich der   Solfeggien-Literatur.     Diese  verräth    allerdings    dem  verständnissvollen 
Betrachter    die  Gesangsweise    früherer  Zeiten    fast   vollständig,    denn    sie    zeigt 
uns  die  Aufgaben,    an  deren  Ueberwindung  die   Sänger  rangen,    und  die    idea- 
len  Ziele,    welche    sie    sich    gestellt    hatten.     In    Palestrina's    Musik    z.  B.    er- 
kennt man   Sänger,  welche  in   einem   gewissen   mittlem  Umfang  der   Stimme  in 
einem  hohen  Maasse    die  Kunst  des   Tonschwellens  besassen,  so  wie  die  Kunst 
des     weichen    Uebergangs    von    Ton    zu    Ton,     ohne    weitere    Virtuosität    und 
ohne     Individualität     des    Ausdrucks.       Der     deutsche     G.     derselben    Periode 
wird    rauher,    unebener  gewesen  sein;    aber  er    ging  dafür  lebendiger  auf    den 
AVortausdruck  ein.     Die  Oper  erweiterte  den  G.  zur  Virtuosität,    zur  Ausbeu- 
tung des  gesammten   Stimmumfangs    und    zu    entwickelteren  Vortrags-Nüancen, 
die  aber ,  insgemein    von   Castraten    ausgeführt ,    etwas    Einstudirtes ,    künstlich 
Nachempfundenes  behalten  mussten.  Gesanglehrer  lieben  es,  das  der  Gluck 'sehen 
Reform  vorangehende  Zeitalter  als  das  verloren  gegangene  Paradies  des  guten 
G.'s    darzustellen    und    berufen    sich    dabei    meistens    auf   einzelne    mitgetheilte 
Beispiele  ungeheurer  Alhemdauer    oder    Tonkraft.     Dass    im    Technischen    die 
Castraten  Ausserordentliches  geleistet  haben  und  dass  auch  das  geistige  Element 
des   G.'s  bereits    bis    zu    einem    gewissen    Grade    geweckt    war,    soll    nicht    ge- 
leugnet werden.     In   Graun's  »Tod  Jesu«  imd  in   den    Mazzoni' sehen    Solfeg- 
gien,  welche  letzteren  noch  heute  zu  den  vorzüglichsten  Grundlagen  der  Stimm- 
ausbildung gehören,    giebt  sich  eine  sehr  gesunde  Beliandlung  der   Stimme   zu 
erkennen,  in  der  Verschmelzung  des  Kernigen   mit  dem  Biegsamen,    des  Kräf- 
tigen mit  dem   Gefühlvollen,  des  Natürlichen  mit  dem  Schwierigen.    Es  ist  eine 
natürliche  Empfindung  des  Gesang-  und  Stimmgemässen  darin,  was  man  z.B.  von 
Garcia's  Etüden,    die  nicht  aus  einer  unmittelbaren  Intuition,    sondern    aus 
zersetzender  Reflexion  hervorgegangen  sind,  nicht    behaupten    kann.     Dennoch 


Gesanon.  217 


-■» 


kam  jene   Gesangweise  über  eine  gewisse  formelle  Schablone  nicht  hinaus ;  auch 
ist  nicht  Alles  so  untadelhaft  und  gleichmässig  vollendet  gewesen,  wie  es  neuere 
Gesanglehrer  in  den  Lehrbüchern,  die  sie  für  G.  schreiben,  darzustellen  lieben. 
Einen  sehr  klaren  Einblick  in  jene  Zeit  liefert  die  Autobiographie  von  Quantz. 
Der  berühmte  Elötenvirtuose  Priedrich's  d.  Grossen  zeigt  sich  in  allen  Urtheilen, 
die  er  über  die  von  ihm  gehörten  Sänger  seiner  Zeit  ausspricht,  als  ein  Mann, 
der  eben  so  frei  ist  von  blindem  Enthusiasmus    als    von    ausklügelnder    Tadel- 
sucht, als  ein  wahrer  Kritiker ,  der  besonnen  abwägt  und  sein  Fach  gründlich 
versteht.     Da  seine  Notizen  in  neueren  Werken  noch  nie  zur  Mittheilung    ge- 
kommen sind,  so  mögen  sie  hier  Platz  finden.     Die  ersten  italienischen   Opern 
und  die  ersten  italienischen   Sänger  hörte  Quantz  im  Jahre  1719  und  berichtet 
folgendermassen   darüber.     »Francesco    Bernardi,    Senesino    genannt,    hatte 
eine  durchdringende,  helle,  egale  und  angenehme  tiefe  Sopranstimme  (mezzo  so- 
prano),  eine  reine  Intonation  und  schönen   Trillo.     In    der    Höhe    überstieg    er 
selten  das  zweigestrichene  /.      Seine  Art ,  zu  singen  ,    war  meisterhaft  und  sein 
Vortrag  vollständig.    Das  Adagio  überhäuft  er  eben  nicht  zu  viel  mit  willkür- 
lichen Verzierungen:    dagegen  brachte  er    die    wesentlichen    Manieren    mit    der 
grössten  Feinigkeit  heraus.  Das  Allegro  sang  er  mit  vielem  Feuer  und  wusste 
er  die  laufenden  Passagien  mit  der  Brust,  in  einer  ziemlichen  Geschwindigkeit, 
auf  eine  angenehme  Art  heraus  zu  stossen.    Seine  Gestalt  war  für  das  Theater 
sehr  vortheilhaft  und  die  Action  natürlich.     Die    Eolle    eines    Helden    kleidete 
ihn  besser,  als  die  von  einem  Liebhaber.     Matteo  Berselli  hatte    eine    ange- 
nehme, doch  etwas  dünne,  hohe  Sopranstimme,  deren  Umfang  sich  vom  einge- 
strichenen c  bis  ins  dreigestrichene  f  mit  der  grössten  Leichtigkeit  erstreckte. 
Hierdurch  setzte  er  die  Zuhörer  mehr  in  Verwunderung,  als  durch  die  Kunst 
des   Singens.     Im  Adagio  zeigte  er  wenig  Affekt,  und  im  Allegro  Hess  er  sich 
nicht  viel  in  Passagien  ein.     Seine  Gestalt  war  nicht  widrig ,    die  Action  aber 
auch  nicht    feurig.     Die   Santa  Stella  Lotti,    Ehegenossin    des    Capellmeisters 
Lotti,  hatte  eine  völlige  starke  Sopranstimme,  gute  Intonation  und  guten  Trillo. 
Die  hohen   Töne  machten  ihr  einige  Mühe.  Das  Adagio  war  ihre   Stärke.  Das 
Tempo  rubato  habe  ich    von  ihr  zum  erstenmale  gehöret.      Sie  machte  auf  der 
Schaubühne  eine  sehr  gute  Figur  und  ihre  Action  war  besonders  in  erhabenen 
Charakteren  unvei'besserlich.«      Schon  hier  sehen  wir,  dass  die  berühmten  Sän- 
ger jener  Zeit  nicht  vollkommen  waren;  der  Eine  besass,  was  dem  Andern  ver- 
sagt war;  auch  damals  gab  es   Sänger,  denen  die  Höhe  Mühe  machte  oder  die 
zwar  viele  Höhe  hatten,  aber  dafür  wenig  Affekt  im  Vortrag  u.  s.  w.    —   Alles 
so,  wie  heute.     Wir  wollen   Quantz  weiter  hören.    »Gaetano   Orsini,  einer  der 
grössten  Sänger,  die  jemals  gewesen ,   hatte  eine    schöne ,    egale    und    rührende 
Contraaltstimme    von    einem    nicht    geringen    Umfange;    eine    reine    Intonation, 
schönen   Trillo  und  ungemein  reizenden  Vortrag.  Im  Allegro  articulirte  er  die 
Passagien,  besonders  die   Triolen,  mit  der  Brust,  sehr  schön.     Und  im  Adagio 
wusste  er,  auf  eine  meisterhafte  Art,  das  Schmeichelnde  und  Rührende  so  an- 
zuwenden, dass  er  sich  dadurch  der  Herzen  der    Zuhörer    im    höchsten    Grade 
bemeisterte.    Seine  Action  war  leidlich;  und  seine  Figur  hatte  nichts  widriges.« 
»Domenico  hatte  eine  der  schönsten   Sopranstimmen,    die    ich   jemals    gehört 
habe.     Sie  war  völlig  durchdringend  und  rein  intonirt,  im  Uebrigen  aber  sang 
und  agirte  er  eben  nicht  mit  sonderlicher  Lebhaftigkeit.«    Von  Braun,  einem 
Deutschen,  heisst  es:  »er  war  ein  angenehmer  Baritonist,  welcher  besonders  das 
Adagio  so  rührend  ausführte,  als  man  irgend  von   einem  braven   Contraaltisten 
hatte  erwarten  können.»     »Die   Tesi  war  von    der  Natur    mit    einer    männlich 
starken   Contraaltstimme  begäbet.     Im  Jahre   1719  zu  Dresden    sang    sie   meh- 
rentheils  solche  Arien,  als  man  für  Bassisten  zu  setzen  pfleget.    Jetzo  aber  (1725) 
hatte  sie  über  das  Prächtige  und  Ernsthafte  auch  eine  angenehme  Schmeichelei 
im  Singen  angenommen.    Der  Umfang  ihrer  Stimme  war  ausserordentlich  weit- 
läuftig.     Hoch  oder  tief  zu  singen,  machte  ihr  beides  keine  Mühe.    Viele  Pas- 
sagien waren  eben  nicht  ihr  AVerk.    Durch  die  Action  aber  die  Zuschauer  ein- 


218  Gusaug. 

zunclimcu,  scliioii  sie  geboren  zu  sein,  absonderlich  in  Manuesrolleii :  ala  welche 
sie,  zu  ihrem  Vorthelle,    fast  am  natürlichsten    ausfiihrete.«     Diese   Specialitüt 
hat  also  der    altitalienischen  Periode    auch    nicht    gefehlt.     Von    Sängern ,    die 
Quantz   in  Venedig  hörte,  urtheilte  er  nicht  übermässig    günstig.     »Der  Cava- 
lier  Nicolino,  ein   Contraalt,  und  die  Romanina,  eine  tiefe  Sopranistin,  wa- 
ren beide  mittelmässig  im   Singen ,    aber    vorti'effliche  Acteurs.     Der    berühmte 
Tenorist  Paita  hatte  eine    nicht    gar    starke,    doch    angenehme    Tenorstimme, 
welche  zwar  von  Natur  nicht  so  schön  und  egal  gewesen  sein  würde,  wenn  er 
nicht  selbst,  durch  die  Kunst ,  die  Bruststimmc  mit  der  Kopfstimme  zu  verei- 
nigen gewusst  hätte.      Seine  Art    zu    singen  war    im  Adagio    meisterhaft ,    sein 
Vortrag  rührend  und  die  Auszierungen  vernünftig.   Das  Allegro  sang  er  eben 
nicht  mit  dem  grössten  Feuer,  doch  aber  auch  nicht   matt.     Mit  vielen  Passa- 
gien  gab  er  sich  nicht  ab.    Seine  Action  war  ziemlich  gut.«     Wie  ganz  anders 
lautet  das  Urtheil  über  den  berühmtesten   Säuger  jeuer  Zeiten,  über   Farinelli. 
»Farinello   (mit  seinem  eigenen  Namen    Carlo    Broschi)    hatte    eine    durch- 
dringende, völlige,  dicke,    helle   und    egale    Sopx'an stimme,    deren    Umfang    sich 
damals  (1726)  vom  ungestrichenen  a  bis  ins    dreigestrichene  d  erstreckte,    we- 
nige Jahre  hernach  aber  sich  in  der  Tiefe  noch  mit  einigen  Tönen,  doch  ohne 
Verlust  der  hohen  vermehret  hat:     dergestalt,  dass  in  vielen   Opern  eine  Arie, 
meistens  ein  Adagio,  in  dem  Umfange  des  Contraalts,  und  die  übrigen  im  Um- 
fange des   Soprans  für    ihn    geschrieben    worden.      Seine    Intonation    war    rein, 
sein  Trillo  schön,  seine  Brust,  im  Aushalten  des  Athems,  ausserordentlich  stark, 
und  seine  Kehle  sehr  geläufig,    so   dass  er  die  weitentlegensten  Intervalle    ge- 
schwind   und    mit    der    grössten    Leichtigkeit    und     Gemässheit    herausbrachte. 
Durchbrochene  Passagien  machten  ihm,    sowie    alle    andern    Läufe,    gar    keine 
Mühe.     In  den  willkürlichen  Auszierungen  des  Adagios  war  er  sehr  fruchtbar. 
Das  Feuer  der  Jugend ,    sein    grosses   Talent ,    der  allgemeine  Beifall    und    die 
fertige  Kehle  machten,  dass  er  dann  und  wann  zu  verschwenderisch  damit  um- 
ging.     Seine  Gestalt  war  für  das  Theater  vortheilhaft :     die  Action    aber    ging 
ihm  nicht  sehr  von  Herzen.«    »Carcstini  hatte  damals  (1726)   eine  starke  und 
völlige   Sopranstimme,  welche  sich  in   den  folgenden  Zeiten,  nach  und  nach,  in 
einen  der  schönsten,  stärksten  und  tiefsten  Contraalte  verwandelt  hat.     Damals 
erstreckte  sich  ihr  Umfang  ohngefähr  vom  ungestrichenen  h  bis  ins  dreigestri- 
chene <7,  aufs  höchste.     Er  hatte  eine  grosse  Fex'tigkeit  in  den  Passagien  ,    die 
er,  der  guten   Schule  des  Bernacchi  gemäss,  so  wie  Farinello,  mit  der  Brust 
stiess.     Er  unternahm  in  willkürlichen  Veränderungen  sehr  vieles,  meistentheils 
mit  gutem  Erfolg,  doch  auch  bisweilen   bis    zur  Ausschweifung.     Seine  Action 
war  sehr  gut,  und  so  wie  sein   Singen,  feurig.     Nach    der  Zeit  hat  er  im  Ad- 
agio noch   sehr  zugenommen.«     Wir    knüpfen  an   dies  letztere  Urtheil  eine  Be- 
merkung. Man  beachte  wohl,  dass  Carestini  zuerst   Sopranist,  später  Altist  war. 
Will  man  nun  nicht  annehmen,  dass  auch  Bernacchi,  der  berühmteste   Gesang- 
lehrer aller  Zeiten ,    eine  Stimme  zu  verkennen    und    falsch    zu    behandeln    im 
Stande  war,  so  muss  man   doch   zugeben,    dass  solche  Phänomene  der  Variabi- 
lität einer   Stimme  vorkommen.     Carestini  konnte  eben  Beides  sein ,    Soprauist 
und  Altist,    je  nachdem  er  das  tiefe  oder  das  hohe  Stimmregister  mehr  bevor- 
zugte;   so  lange  er  das  erstere  bei  sich    noch    nicht    entdeckt    oder    entwickelt 
hatte,  war  er   Sopx'anist;    nach    der    Entdeckung    der    eigentlichen  Bruststimme 
zog  er  es  vor,  Altist  zu  sein.     Auch  von    einem    nicht    ganz    reinlichen,    aber 
sonst  doch  tüchtigen  Sänger  berichtet   Qunntz.     »Antonio  Pasi   hatte  eine  ge- 
fällige Sopranstimme,  deren  Umfang  sich  aber  nicht  bis  in   die  äusserste  Höhe 
erstreckte.    Seine  Art  das  Adagio  zu  singen  war  meisterhaft,  und  sein  Vortrag 
bündig.     Die  hohen   Töne  machten  ihm  einige  IMühe,  und  sprachen  nicht  alle- 
mal gleich  an:    wodurch    die  Reinigkcit  der  Intonation    dann  und  wann    etwas 
mangelhaft  wurde.    Zum  Allegro  fehlete  ihm  die  Leichtigkeit  der  Kehle.«   Von 
Paris  ist  Quantz    nicht    sehr    erbaut.     »Ungeachtet    mir    der    französische    Ge- 
schmack eben  nicht  unbekannt  war ,  und  ich  ihre  Art ,   zu  spielen ,    sehr  wohl 


Gesang.  219 

leiden  konnte:  so  gefielen  mir  docli,  in  ihren  Opern,  weder  die  aufgewärmten, 
noch  abgenutzten  Gedanken  ihrer  Componisten ,  und  der  geringe  Unterschied 
zwischen  Eecitativ  und  Arien;  noch  das  übertriebene  und  affectirte  Geheul  ihrer 
Sänger  und  besonders  ihrer  Sängerinnen.  An  schönen  Stimmen  fehlte  es  den 
französischen  Sängerinnen  eben  nicht,  wenn  sie  dieselben  nur  recht  zu  brauchen 
gewusst  hätten.  Auch  die  Stimmen  der  Mannspersonen ,  so  wie  sie  die  Natur 
gegeben  hatte,  waren  nicht  schlecht.«  In  London  hörte  Quantz  die  Cuzzoni 
und  Faustina  Hasse.  »Die  Cuzzoni  hatte  eine  sehr  angenehme  und  helle 
Sopranstimme,  eine  reine  Intonation  und  schönen  Trillo.  Der  Umfang  ihrer 
Stimme  erstreckte  sich  vom  eingestrichenen  c  bis  ins  dreigestricheue  e.  Ihre 
Art  zu  singen  war  unschuldig  und  rührend.  Ihre  Auszierungen  schienen  we- 
gen ihres  netten,  angenehmen  und  leichten  Vortrags  nicht  künstlich  zu  sein: 
indessen  nahm  sie  durch  die  Zärtlichkeit  desselben  doch  alle  Zuhörer  ein.  Im 
Allegro  hatte  sie  bei  den  Passagien  eben  nicht  die  grösste  Fertigkeit;  doch 
sang  sie  solche  sehr  rund,  nett  und  gefällig.  In  der  Action  war  sie  etwas  kalt- 
sinnig; und  ihre  Figur  war  für  das  Theater  nicht  allzu  sehr  vortheilhaft.  Die 
Faustina  hatte  eine  zwar  nicht  allzuhelle  (vielleicht  also  das  angeblich  erst 
in  diesem  Jahrhundei't  von  Duprez  erfundene  Timbre  obscure) ,  doch  aber 
durchdringende  Mezzosopranstimme,  deren  Umfang  sich  damals  vom  ungestri- 
chenen h  nicht  viel  über  das  zweigestrichene  g  erstreckte  (auch  dies  spricht  für 
T.  obscure) ,  nach  der  Zeit  aber  sich  noch  mit  ein  paar  Tönen  in  der  Tiefe 
vermehret  hat.  Ihre  Art  zu  singen  war  ausdrückend  und  brillant  (un  cantar 
granito).  Sie  hatte  eine  geläufige  Zunge,  Worte  geschwind  hinter  einander 
und  doch  deutlich  auszusprechen ,  eine  sehr  geschickte  Kehle  und  einen  schö- 
nen und  fertigen  Trillo,  welche  sie,  mit  der  grössten  Leichtigkeit,  wie  und  wo 
sie  wollte,  anbringen  konnte.  Die  Passagien  mochten  laufend  oder  springend 
gesetzt  sein,  oder  aus  vielen  geschwinden  Noten  auf  einem  Tone  nach  einander 
bestehen,  so  wusste  sie  solche,  in  der  möglichsten  Geschwindigkeit,  so  geschickt 
heraus  zu  stossen ,  als  sie  immer  auf  einem  Instrumente  vorgetragen  werden 
können.  Sie  ist  unstreitig  die  erste,  welche  die  gedachten ,  aus  vielen  Noten 
auf  einem  Tone  bestehenden  Passagien,  im  Singen,  und  zwar  mit  dem  besten 
Erfolge,  angebracht  hat.  Das  Adagio  sang  sie  mit  vielem  Afi'ekt  und  Aus- 
drucke; nur  musste  keine  allzutraurige  Leidenschaft,  die  nur  durch  schleifende 
Noten  oder  ein  beständiges  Tragen  der  Stimme  ausgedrückt  werden  kann,  darin 
herrschen.  Sie  hatte  ein  gut  Gedächtniss  in  den  willkürlichen  Veränderungen 
und  eine  scharfe  Beurtheilungskraft,  den  "Worten,  welche  sie  mit  der  grössten 
Deutlichkeit  vortrug ,  ihren  gehörigen  Nachdruck  zu  geben.  In  der  Action 
war  sie  besonders  stark;  und  weil  sie  der  Verstellungskunst  in  einem  hohen 
Grade  mächtig  war  und  nach  Gefallen,  was  für  Mienen  sie  nur  wollte,  anneh- 
men konnte,  kleideten  sie  sowohl  die  ernsthaften,  als  verliebten  und  zärtlichen 
Rollen  gleich  gut:  mit  einem  Worte,  sie  ist  zum  Singen  und  zur  Action  ge- 
boren." Wenn  oben  gesagt  wurde ,  dass  aus  den  Compositionen  sich  der  Ge- 
sangstyl  einer  Zeit  in  der  Hauptsache  erkennen  lässt;  so  zeigen  die  Bemer- 
kungen von  Quantz  dem  Leser,  dass  dieser  Satz  doch  nur  unter  einer  gewissen 
Einschränkung  wahr  ist ,  nämlich  insofern  dabei  abgesehen  wurde  von  den 
»willkürlichen  Veränderungen  und  Ausschmückungen«,  welche  für  die  Gesangs- 
kunst zu  den  Zeiten  Farinelli's  und  Bernacchi's  besonders  charakteristisch  wa- 
ren. In  diesen  Veränderungen  feierte  nicht  blos  die  musikalische  Bildung, 
worin  die  Castraten  des  vorigen  Jahrh.  den  Sängern  des  heutigen  im  Ganzen 
überlegen  waren,  sondern  auch  die  technische  Virtuosität  der  damaligen  Sänger 
ihre  höchsten  Triumphe.  Auch  der  massvoll  geschriebene  und  sachlich  unter- 
scheidende Bericht  von  Quantz,  der  wohlthuend  von  andern  mehr  dilettantisch 
klingenden  Mittheilungen  über  dieselbe  Epoche  absticht,  wird  gewiss  eine  hohe 
Meinung  von  der  italienischen  Gesangskunst  während  der  ersten  Hälfte  des 
vorigen  Jahrh.  ei'wecken;  aber  Eines  ruft  doch  schon  beim  Lesen  einen  unan- 
genehmen, fast  widrigen  Eindruck  hervor:  im  Vordergrunde  der  ganzen  Gesell- 


220  Gesang. 

Schaft  stellen  die  Herren  Sopranisteii  nnd  Altisten.  Es  ist  und  bleibt  das 
Zeitalter  des  Castratengesanos ,  also  das  Zeitalter  der  unfreien ,  unter  einem 
Wust  von  Vorurtheilcn  noch  darnieder  gehaltenen  Gesangskunst:  die  Sitten 
Avaren  noch  nicht  verfeinert  genug ,  um  dem  weiblichen  Greschlecht  das  unbe- 
dingte Heiraathsrecht  auf  dem  Theater  zu  gestatten.  Nun  hatte  dieser  Ca- 
stratengesang  auch  seine  Vort heile.  Denn  es  verband  sich  die  männliche  Le- 
bendigkeit des  Geistes  mit  einem  biegsameren  und  klangvolleren  Tonmaterial, 
als  es  das  männliche  ist:  die  ein-  und  zweigestrichene  Oktave,  die  ja  auch 
der  Violine,  dem  königlichen  Instrumente ,  eignet ,  ward  nun  den  Männern 
zum  Eigentlium ;  was  Wunder,  dass  sie  eine  grössere  Virtuosität,  eine  grössere 
Klangfülle  zu  erreichen  vermochten,  als  die  heutigen  Sänger  und  Sängeriimen 
es  im  Stande  sind,  da  jenen  die  vorth eilhafte  Stimmlage ,  diesen  die  TJeber- 
legenheit  des  männlichen  Geistes  fehlt.  Die  Erziehung  der  Castraten  für 
Musik  und  Gesang  begann  im  frühen  Knabenalter  und  wurde  weder  durch 
Mutation  noch  durch  andere  Studien  unterbrochen ,  ruhig  und  systematisch  zu 
Ende  geführt;  heute,  wo  der  Beruf  zum  Sänger  sich  immer  erst  nach  vollen- 
deter Geschlechtsreife  entscheidet,  muss  die  Ausbildung  nach  Möglichkeit  be- 
schleunigt werden.  Der  Casträt,  der  ein  so  grausames  Opfer  seiner  Kunst  hatte 
bringen  müssen,  fand  kein  anderes  Lebensglück  weiter,  als  in  ihr;  ein  hinrei- 
chendes Motiv,  um  seinen  Ehrgeiz  und  seine  Arbeitskraft  nach  dieser  Richtung 
hin  auf  das  Aeusserste  zu  spannen.  Das  Alles  sind  Vortheile;  auf  der  andern 
Seite  wird  aber  —  wir  lassen  das  Moralische  ganz  unberücksichtigt  —  die 
nothwendigste  Grundlage  des  G.'s,  die  wahrhafte  menschliche  Empfindung,  preis- 
gegeben. Die  Castratenkehle  ist  eine  verstümmelte  Kehle ,  ein  künstlich ,  ja 
gewaltsam  hergerichtetes  Instrument.  Wenn  der  G.  sich  dadurch  von  der  In- 
strumentalmusik unterscheidet,  dass  er  die  Beziehung  der  Musik  zu  dem  realen 
Seelenleben  herstellt,  so  ist  der  Castrat  gar  nicht  im  Stande,  dieser  Beziehung 
vollen  Ausdruck  zu  geben,  weil  er,  der  scheusslich  verstümmelte  Mensch  ,  das 
gesunde  Empfinden  gar  nüjht  kennt.  Der  Castratengesang  ist  darum  so  weit 
entfernt,  dem  wirklichen  Wesen  des  Gesanges  zu  genügen,  dass  er  vielmehr  nur 
als  eine  Art  IJebergangsstufe  von  der  Instrumental-  zur  Vocalmusik  gelten 
kann,  als  eine  Ausbildung  der  Menschenstimme  nach  ihrer  bloss  äusserlichen, 
instrumentalen  Seite;  das  Zeitalter  des  wahren  G.'s  kann  erst  von  dem  Augen- 
blick an  datirt  werden,  als  die  Castraten  von  der  Bühne  verschwanden.  Trotz 
vieler  berühmten  Sängernamen  hat  indess  keine  spätere  Periode  einen  so  glän- 
zenden Nachruf  hinterlassen ,  als  das  von  Quantz  geschilderte  Zeitalter  Ber- 
nacchi's.  Namentlich  eegenwärtig  werden  die  Klagen  über  den  Verfall  der 
Gesangskunst  immer  lauter;  und  wenn  zu  der  Zeit  Rossini's  auch  freilich  die 
italienische  Schule  einen  neuen  Aufschwung  nahm,  indem  sie  sich  dabei  meist 
an  Aufgaben  bewährte,  die  der  äusserlichen  Seite  der  Gesangskunst  zugewandt 
waren ,  so  ist  neuerdings  auch  der  italienische  G.  im  Verfall  begriffen.  Wir 
haben  zu  untersuchen,  welche  Ursachen  diese  Erscheinung  haben  mag.  Wie 
die  gesammte  Opernliteratur,  an  welcher  die  Herrlichkeit  des  Castratengesangs 
zu  Tage  kam,  durch  Gluck's  Schöpfungen  und  die  andern,  welche  darauf  folg- 
ten, in  Vergessenheit  gebracht  worden,  so  hat  sich  auch  der  G.  selbst  in  ganz 
neuen  Bahnen  zu  entwickeln  angefangen.  An  die  Stelle  der  äusserlichen  Scha- 
blone und  der  übermässigen  Kunstfertigkeit  trat  der  Ausdruck  der  Empfindung 
und  des  Charakters;  so  kam  es  zunächst,  dass  der  G.  mehr  als  ein  Geschenk 
der  Natur,  als  eine  Gabe  des  lebhaften  Gefühls,  denn  als  eine  Kunstübung  be- 
trachtet werden  konnte;  ausserdem  wurden,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  die 
vieljährigen  Gesangsstudien  durch  die  Verbannung  des  Casti-atengesangs  zu  einer 
Unmöglichkeit ;  endlich  aber  —  und  dies  ist  das  Wichtigste  —  über  den 
grossen  Musikern  traten  die  Sänger ,  welche  bis  dahin  der  eigentliche  Mittel- 
punkt der  Opernbühue  gewesen  waren,  in  den  Hintorgrund.  An  Feinheit  des  Ge- 
schmacks und  in  der  Subtilität  der  Ausführung  kamen  wahrscheinlich  die  Sänger 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrh.  denen  der  ersten    nicht    gleich;    in 


Gesang.  221 

der  unmittelbaren  Wärme  des  Ausdrucks  werden  aber  diejenigen,  die  an  G-luck 
und  Mozart  sich  heranbildeten,  eben  so  wahrscheinlich  ihren  Vorgängern  über- 
legen gewesen  sein.  Im  Ganzen  blieb  noch  lange  eine  grosse  musikalische 
Tüchtigkeit  und  Zuverlässigkeit  den  Sängern  zu  eigen.  Gerade  je  weniger  sie 
sich  auf  Feinheiten  einliessen,  um  so  fester  blieben  sie  in  allem  Wesentlichen ; 
in  den  zwanziger  Jahren  dieses  Jahrh.  verlieh  die  Eleganz  Rossini's  der  Ge- 
sangskunst einen  neuen  Glanz;  seitdem  sind  eigenthümliche  Umstände  einge- 
treten, welche  ihr  verderblich  zu  werden  zunächst  den  Anschein  haben.  Es 
entwickelte  sich  der  moderne  dramatische  Styl  und  der  romantische  Styl  in 
der  Lyrik.  Manches,  was  in  diesen  Richtungen  aufgetaucht  ist ,  überschreitet 
die  natürlichen  Grenzen  des  G.'s;  die  Leidenschaften  werden  weiter  getrieben, 
als  es  die  Gesetze  der^Schönheit  gestatten.  Die  Sucht,  immer  stärker  zu  in- 
strumentiren,  unterdrückt  das  Vermögen  der  Stimme;  die  immer  grösser  wer- 
denden Bühnenräume  sind  ebenfalls  dem  Wohllaut  verderblich;  vor  Allem  aber 
hat  die  Tenor-  und  Altstimme  unter  dem  fast  krankhaften  Bestreben  der  Com- 
ponisten,  ihr  nach  Tiefe  und  Höhe  des  Stimmumfanges  Ungebührliches  zuzu- 
muthen,  erheblich  Schaden  gelitten.  Einzelne  besonders  bevorzugte  Individuen, 
welche  mit  diesem  oder  jenem  noch  nicht  gehörten  Ton  Effekt  machen  konn- 
ten, gaben  die  Veranlassung  dazu;  sofort  wurde  der  neugewonnene  Ton  ein 
Modeartikel;  jeder  spätere  Componist  glaubte  dasselbe  Recht  auf  diesen  Ton 
zu  haben;  und  was  einem  Sänger  gelungen  war,  daran  mussten  sich  nun  tau- 
send folgende  erfolglos  abquälen  und  mit  solcher  Quälerei  zugleich  ihre  guten 
Töne  verderben.  Weniger  übel  erging  es  der  Sopran-  und  Bassstimme,  obgleich 
auch  hier  die  überhand  nehmende  Neigung,  das  weibliche  Geschlecht  zu  eman- 
cipiren,  zu  dem  Kokettiren  mit  männlichen  Brusttönen  führte ,  wodurch  der 
Ton  der  Demi-monde  sich  auch  in  der  Gesangsmethode  einbürgerte.  Wenn 
wir  indess  aus  den  letzten  dreissig  Jahren  uns  der  Namen  Jenny  Lind,  Pau- 
line Viardot- Garcia,  Pauline  Lucca,  Mathilde  Mallinger,  Adeline  Patti,  Amalie 
Joachim,  Roger  und  Stockhausen  erinnern ,  so  glauben  wir  nicht  Ursache  zu. 
einer  allzutrüben  Auffassung  zu  haben.  Vielmehr  ergiebt  eine  speciellere  Ver- 
gleichung  der  eben  genannten  Gesangs-Celebritäten  mit  denen  früherer  Zeit, 
dass  wir  in  einer  aufsteigenden  Periode  uns  befinden.  Die  bedeutenden  Sänger 
neuerer  Zeit  begnügen  sich  nicht  mehr  mit  der  blossen  musikalischen  Tüchtig- 
keit, mit  angenehmem  oder  starkem  Stimmklang,  mit  den  noth wendigsten 
Nuancen  des  Vortrags,  sondern  es  ist  das  Streben  erkennbar,  das  geistige  Ele- 
ment immer  tiefer  mit  dem  Stimmklang  zu  durchdringen  und  dem  letztern  die 
feinsten  Modulationen  abzugewinnen  ,  um  theils  den  musikalischen  Organismus 
in  seinen  subtilsten  Verzweigungen,  theils  die  Poesie  des  Worts  zu  vollkommen- 
ster sinnlicher  Erscheinung  zu  bringen.  Wenn  es  bis  jetzt  auch  nur  einzelne 
Gesangskräfte  sind ,  die  sich  dieser  Kirnst  bemächtigt  haben ,  so  sind  sie  es 
doch,  welche  allein  die  grossen  Wirkungen  hervorbringen;  und  die  guten  und 
zuverlässigen  Sänger  von  ehemals  würden  den  ersten  Platz  heute  nicht  mehr 
einzunehmen  im  Stande  sein,  der  ihnen  früher  zufiel.  Daraus  scheint  hervor- 
zugehen ,  dass  wir  am  Beginn  einer  Periode  der  höchsten  Gesangverfeinerung 
stehen,  die  sich  aber  von  der  Bernacchi'scheu,  welche  die  Biegsamkeit  des  Tons 
mehr  nach  der  blos  instrumentalen  Seite  cultivirte ,  durch  die  höchste  geistige 
Biegsamkeit  unterscheiden  wird.  Der  Charakter  der  modernen  Musik  mit  ihrer 
vielgestaltigen  Modulation  und  ihrem  Farbenreichthum  drängt  dahin ;  wir  leben 
in  dem  Zeitalter,  wo  die  Virtuosität  der  Klangfarbe,  welche  der  frühere 
Gesang  kaum  kannte,  das  herrschende  Element  wird.  Um  diesen  Schatz  ganz 
zu  heben  und  in  immer  weitere  Kreise  zu  verbreiten ,  wird  aber  die  Beihülfe 
des  Staats  —  oder  sagen  wir,  des  Reichs  —  kaum  zu  umgehen  sein.  Die 
heutige  Gesangausbildung  leidet  unter  der  jagenden  Unruhe  des  Zeitalters,  das 
den  Dampf  und  den  elektrischen  Telegraphen  erfunden  hat.  Wenn  ein  Castrat 
am  Anfang  des  achtzehnten  Jahrh.  seine  10  Jahre  sich  für  den  Gesang  vor- 
zubereiten Zeit  hatte,     so  bildet  sich    eine    heutige    Conscrvatoriums-Schülerin 


222  Gesang. 

ein,  dass  sie  nach  70  Lectioncn    reif    sein  könne ,    eine   Stelle    als  Primadonna 
bei  einem  Hoftheatcr    einzunehmen.     Das    ist    keine  Uebertreibung.     Denn  bei 
unsern  Musik-Conservatorien  pflegen  drei  Damen  gemeinschaftlich  zwei  Stunden 
die  "Woche  zu  bekommen ;    dies  giebt ,    wenn  man  die  Ferien  und  die  TJnpäss- 
lichkeiten  abrechnet,  70  Stunden  jährlich.  Da  nun  aber  drei  Damen  an  diesen 
70  Stunden  participircn,  so  hat  jede  Einzelne  von  ihnen  erst  nach  drei  Jahren 
volle  70  Stunden  unter  der  Aufsicht  des  Lehrers  gesungen  und  will  in  dieser 
Zeit  nicht  nur  schön  singen  gelernt,    sondern    auch   15  grosse  Tartieen    —    so 
vieler  bedarf  es  in    der    Regel    zum    Antritt    eines    Engagements   —   cinstudirt 
haben.     Solche  unglaubliche  Ansprüche  können  natürlich  nicht  erfüllt  werden; 
aber  im  Ganzen  ergiebt  sich  doch  daraus  eine   zu    grosse  Hast  im  Unterricht. 
Der  Lehrer  hat  nicht  die  Ruhe,    sich  bei  jeder  Kleinigkeit  so  lange  aufzuhal- 
ten, als  es  im    Interesse    der    Sache    nothwendig    wäre ,    und    die    Vorübungen 
gründlich  genug  anzustellen;  iind  selbst  wenn  dies  geschieht,  so  fehlt  ihm  das 
Gefühl  der  Müsse,  das  so  unendlich  fruchtbar  in  der  Hervorbringung  von  man- 
chen kleinen  TJebungen  ist,  die  nicht  durchaus  nothwendig,  aber  sehr  nützlich 
sind.     Der  sorgfältigere  und  kräftigendere  Unterricht  ist  derjenige,  bei  dem  es 
nicht  so  überaus  eilig  zugeht;  das  liegt  aber  nicht  im  Geist  unseres  Zeitalters. 
Mehr  als  drei  Jahre  können  zur  Ausbildung  für    die    Bühne    im    Allgemeinen 
nicht  verwandt  werden;    mehr  als  zwei  Stunden  täglich  darf  kein    Sänger  sein 
Organ  gebrauchen  (und  auch  dieser  Zeitraum  kann  nur  als  Maximum  gelten); 
zwei  wöchentliche   Stunden  unter  Aufsicht  des  Lehrers  werden  als  das  normale 
Maass  gelten  können ,    wenn  die   häusliche  Ucbung    zu    der    Unterrichtszeit    in 
dem  richtigen  Verhältniss  stehen  soll.     Das  zu    lösende  Problem    besteht    nun 
darin,  dass  der  angehende  Sänger  die  drei  Jahre,  die  ihm  gegeben  sind ,  ganz 
und    voll    zu    seiner    Gesangsausbildung    verwende,    ohne    doch    mehr    als    zwei 
Stunden  täglich  zu  singen;  indem  er  alle  andern  Fächer,  die  zu  seiner  Gesangs- 
ausbildung beitragen  können  (Theorie  der  Musik,  Ciavier,  Violine,  Cello,  Theorie 
des  Gesangs,  Italienisch,  Declamation,  Plastik,  Kenntniss  der  schönen  Literatur, 
namentlich  der  lyrischen  und  dramatischen,  schauspielerische  Uebungen  u.  s.  w.), 
mit    hineinzieht.     Die    meisten    heutigen  Sänger  werden  viel    zu    einseitig  aus- 
gebildet, um  volle  Künstler  zu  werden;  nur  eine  vollständige  Durchdringung  mit 
der  Kunst  nach  allen  ihren  Richtungen  hin,  nur  ein  vollständiges  Hinausdrängen 
des  bürgerlichen  AUtagsraenschen  durch  Ueberhäuftsein  mit  künstlerischer  Thätig- 
keitkann  uns  künstlerische  Sänger  erziehen.  Der  angehende  Sänger  muss  während 
der  drei  Jahre  seines  Studiums  vom  Morgen  bis  Abend  im  Aether  der  Kunst  leben, 
so  dass  dies  seine  ganze  Welt  wird;  dann  ist  etwas  zu  erwarten.   Dazu  kann  aber 
nur  der  Staat  helfen,  indem  er  freigebig  spendet,  wo  Talent  vorhanden  ist;  denn  der 
Einzelne  wird  in  den  allerseltensten  Fällen   die  Geldmittel  besitzen,  die  zu  einer 
Ausbildung,    wie    sie    uns  vorschwebt,    nothwendig  wären.    —    Noch  einen  Um- 
stand haben  wir  als  charakteristisch  für  den  Zustand  des  G.'s  und  insbesondere 
des  Gesangunterrichts  in  unserer  Zeit  hervorzuheben.     Im  Wesentlichen  ist  der 
G.  ein    unbewusstes  Erzeugniss    unseres  Gefühls,    unserer  Phantasie.     Wie  wir 
gehen,    essen    und  trinken    lernen,    ohne   uns  um  den  Muskelappai'at ,    den  wir 
dabei    in   Thätigkeit    setzen,    zu  bekümmern,    so    reden    und    singen    wir    nach 
unserm  Gefühl,  ohne  zu  wissen,  wie  wir  es  anfangen.      Schon  die  Natur  bringt 
dabei   CoiTecturen  hervor.     Indem  unser   Gefühl  sich  veredelt,    vervollkommnen 
wir  unser  Singen,  rein  von  Innen  heraus;  oder,  wenn  wir  uns,  wie  das  in   der 
Regel  vorkommt,    darüber  täuschen  und  uns  einbilden,  viel  schöner  zu  singen, 
als  es  wirklich  der  Fall  ist,  so  belehrt  uns  der  Eindruck,  den  wir  auf  Andere 
machen,    indem    uns    diese    entweder    geradezu  die  Wahrheit  sagen  oder  durch 
ihr  Stillschweigen  zu  erkennen  geben,  dass  ihnen  unsere  Leistung  nicht  sonder- 
lich   zugesagt    hat,    eines  Besseren.     Wir  werden    dann  aufmerksamer  auf    uns, 
ahmen  Andere    nach,    welche  Beifall    finden;    und   in    diesem  Zustande   mag  es 
denn  wohl  auch  zuerst  sein,  dass  wir  über  den  Mechanismus  der  Stimme  nach- 
zudenken beginnen  und,  anstatt  von  Innen  heraus,  von  Aussen  uns  des  schönen 


Gesang^.  223 

Gesangs    zu    bemächtigen  suchen.     Es  liegt  nun  auf    der  Hand,    dass  dies  von 
Aussen  her  nie  ganz  möglich  sein  wird,  selbst  wenn  uns  der  Stimmorganismus 
in  allen  seinen  Theilen,  wie  ein  vom  Menschengeiste  erfundenes  Uhrwerk,  durch- 
sichtig   wäre    und    wenn    wir    alle  die  kleinen  vielverzweigten  Muskeln,    welche 
dabei  thätig  sind,  jeden  einzeln  in  voller  Gewalt  hätten.    Denn  im  Allgemeinen 
würden  Avir  wohl  auf    diesem  Wege  dahin   gelangen  können,    schön  zu  singen; 
aber    für    die    in   jedem    einzelnen  Fall    richtige  Anwendung    des   so   Gelernten 
würde  es  uns  nicht    das  Mindeste   nützen  können;    wir  werden  vielmehr  immer 
wieder    auf   das    verfeinerte  Kunstgefühl    und    auf    die    unmittelbare    Wirkung, 
welche    dasselbe    durch    die  magische   Gewalt  des  Willens  auf  die  Muskeln  des 
Körpers  übt,  d.  h.  auf  das   Singen  von  Innen  heraus,    als  auf  das  Wesentliche 
zurückgeführt.     Und  wenn  der  Anatom  uns  bis  auf  den  tausendsten  Theil  des 
Millimeter  ausgerechnet  hätte,    bis  zu  welcher  Länge  für   jeden  einzelnen   Ton 
der  Scala  die  Stimmbänder  des  Basses,  des  Tenors  u.  s.  w.  gespannt  sein  müssen, 
was    würde    das    nützen?    Kein  Mensch    hätte  darüber    eine  Gewalt.     Er  muss 
den   Ton    mit  absoluter  Schärfe  vorstellen,    und   sodann    ist  es  die  Schärfe  der 
Vorstellung,  welche  auf  eine  uns  unbewusste  Weise  oft  schon  bei  dem  Anfänger 
ganz  genau  und  schon  im  ersten  Augenblick  die  richtige  Spannung  der  Stimm- 
bänder   sich    schafft.     Aber    das   Singen  von  Innen  heraus  ist  nicht  unfehlbar; 
daraus  entsteht  das  Verlangen  nach  einer  Kenntniss  der  äussern  Bedingungen, 
welchen  der  schöne  Gesang   unterworfen  ist;    die  physiologische  Kenntniss  der 
menschlichen   Stimme    ergiebt    sich    also  als  eine  sehr  wichtige  Hülfs- Wissen- 
schaft für  den   Sänger  und  namentlich  für  den  Gesanglehrer.      Schon  seit  alten 
Zeiten  haben  sich   Sänger  und  Gesanglehrer  ihre  Hypothesen  darüber  gebildet, 
über  Tonansatz,   Stimmregister,  Mundöffnung,  Zungenhaltung,  Athmen  u.  s.  w. 
—  Hypothesen,    die    bei    dem    vollständigen  Mangel    an  wissenschaftlicher    Be-- 
handlung    des  Gegenstandes,    sehr    mangelhaft    waren,    sich    aber    mit  manchen 
Abweichungen  im  Einzelnen  traditionell  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  forterbten. 
Seit  etwa  dreissig  Jahren  hat  sich  die  Physiologie  ernstlicher  mit  dem  mensch- 
lichen Stimmorgan    zu    behandeln    angefangen;    und    es    ist    nun  das  Charakte- 
ristische   für    den   Gesangunterricht  der  Gegenwart,    dass  die  alten'  Hypothesen 
zu  wanken    beginnen    und  den  neuen  Anschauungen  Platz  machen ,    ohne  aber 
dass  etwas  Entscheidendes,  Anerkanntes,  Bahnbrechendes  bis  jetzt  daraus  her- 
vorgegangen   ist.     Die  Physiologen    stehen    in  der  Hegel  dem  Kunstgesang  zu 
fern,  um  ihre  Untersuchungen  nach  dieser  Seite  hin  vollkommen  nutzbar  machen 
zu  können,  wie  denn  z.  B.  der  sorgfältigste  Specialist  auf  diesem  Gebiet  allein 
durch  den  leidenschaftlichen  Eifer,  mit  dem  er  das   Gaumen-B,  vertheidigt,  bei 
jedem  Kenner  des  Kunstgesanges  Misstrauen  erweckt.    Die  Gesanglehrer,  welche 
selbst    zu    physiologischen    Combinationen    ihre    Zuflucht    nehmen,    sind    meist 
wissenschaftlich    zu    dilettantisch    gebildet,    um  Eichtiges  vorzutragen.     Manuel 
Garcia,    der    geniale  Erfinder    des  Kehlkopfspiegels,    ist  vielleicht  am  weitesten 
in  der  Verschmelzung  der  physiologischen  Beobachtung  mit  dem  unmittelbaren 
Gefühl  für  schönen   G.  gedrungen;    aber  auch   sein   Standpunkt  ist  heute  über- 
holt, und  manche  unhaltbare  Ansicht  über  Stimmregister,  Klangfärbungen  u.  s.  w. 
ist    die  Folge    davon    gewesen.     So    leben    wir    heute    in    einem    Zeitalter    des 
Suchens  und  der   Skepsis;  die  Ansichten  gehen  unendlich  weit  auseinander;  je 
ernster  es  Einer  nimmt,  desto  mehr  ist  er  geneigt,  sich  seine  eigene  meist  sehr 
unzureichende  Theorie  zu  bilden;    und  von  jenen  bäurischen  Vorstellungen  an, 
die  sich  etwa  mit  den  medicinischen  Kenntnissen  eines  alten  Schäfers  vergleichen 
lassen,    bis  zu  den  complicirtesten,    aber  dennoch  unfertigen  Gebilden  ist   jede 
Richtung    in    der    heutigen  Gesanglehrerwelt    vertreten.     Als  Hülfswissenschaft 
ist    nun    aber    die    physiologische  Erkenntniss    des   Stimmorgans    nicht  zu  ent- 
behren;   wir  müssen  also  weiter  suchen,    bis  wir   gefunden  haben.     Es  scheint, 
dass   wir    uns    dem    Ziel    nähern.     Merkel,    der  Verfasser    der    umfangreichen 
Anthropophonik,    hat  in  seinem  neuesten  Werk  (der  Kehlkopf,    Leipzig, 
J.  J.  Weber,  1873)  sich  in  mehreren  wesentlichen  Punkten   den  in  der  Gesang- 


224  Gesangbuch. 

weit  herrschenden  Ansichten  erheblich  genähert  und  eine  physiologische  Be- 
gründung für  dasjenige,  was  hier  als  richtig  empfunden  wird,  zu  geben  gesucht. 
Wenn  auch  noch  nicht  der  Gegenstand  als  abgeschlossen  beti'achtet  werden 
kann,  so  scheint  hier  doch  ein  Werk  vorzuliegen,  das  beanspruchen  darf,  als 
Vereinigungspunkt  für  die  verschiedenartigsten  Bestrebungen  und  Untersuchun- 
gen längere   Zeit  liindurch  zu  gelten.  (}.  E. 

Gesangbuch  nennt  man  die  Sammlung  der  in  einer  Kirchengemeinde  zum 
praktischen  Gebrauche  bestimmten  religiösen  Dichtungen.  Man  theilt  die  Ge- 
sangbücher nach  dem  ihnen  zuertheilten  Zweck  in  öffentliche  und  in  Pri- 
vatge  sang  buch  er,  je  nachdem  sie  in  eine  oder  mehrere  Kirchen  eingeführt 
oder  nur  für  die  häusliche  Andacht,  nicht  für  den  allgemeinen  gottesdienst- 
lichen Gebrauch  bestimmt  sind.  Der  deutsche  evangelische  Kirchengesang  der 
Gemeinde  ist  eine  Frucht  und  Schöpfung  der  Reformation  Luther's,  der 
selbst  Dichter  geistlicher  Lieder  (37,  ausser  einigen  ungewissen)  war  und  auch 
zu  einigen,  wenigstens  zu  dreien  unbestritten  («Jesaia  dem  E'ropheten«,  »Wir 
glauben  All'«  und  »Ein'  feste  Burg«)  die  Singweisen  (Melodien)  erfunden  hat. 
Er  überi'agt  in  dieser  Hinsicht  die  Reformatoren  Zwingli  und  Calvin,  wie  denn 
überhaupt  die  reformirte  Kirclie  an  Liedern  und  Choralweisen  viel  ärmer  ist, 
als  die  lutherische.  Die  Thatsachc,  der  Schöpfer  des  deutschen  Kirchengemeinde- 
gesanges  zu  sein,  ist  dem  AVittenberger  Reformator  zwar  häufig  abgesproclien 
worden  mit  Berufung  auf  einzelne  Beispiele  solchen  Gesanges  vor  ihm,  allein 
mit  Unrecht,  da  jene  Beispiele,  wie  z.  B.  des  Peter  von  Dresden  (Petrus  Dres- 
densis),  gestorben  1440  in  Prag,  welcher  einige  halb  deutsche,  halb  lateinische 
Lieder  dichtete,  vereinzelt  waren  und  niemals  allgemeinen  Eingang  in  die  Kirche 
fanden.  Der  lateinische  Kirchengesang  des  Chores  wurde  durch  sie  nicht  auf- 
gehoben. Höchstens  kann  das  Vorbild  des  Johann  Huss  als  maassgebend  für 
Luther  citirt  werden,  da  der  Erstere  unter  den  böhmischen  ßrüd;^rn  den  Kir- 
chengesang in  böraischer  Sprache  eingeführt  und  die  erste,  jetzt  noch  vorhandene 
Sammlung  böhmischer  geistlicher  Lieder  veranlasst  hatte,  die  1531  von  dem 
Pfarrer  Mich.  Weiss  zu  .Tungbunzlau  in's  Deutsche  übersetzt  worden  ist.  Die- 
selbe war  400  Gesänge  stark;  jedocli  sind  davon  nur  zwei  in  spätere  Gesang- 
bücher gekommen.  Nach  Luther  stieg  die  Zahl  der  evangelischen ,  für  die 
ganze  Gemeinde  bestiinmten  Kirchenlieder  im  Laufe  der  Zeit  bis  zu  einer 
enormen  Ziffer;  um  di(3  AVende  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  wurden  aus 
diesem  Vorrathe  bereits  verschiedene  Sammlungen  herausgeschöpft,  die  mit 
revidirtem  und  zeitgemäss  verändertem  Texte  ganzen  Bezirken  oder  einzelnen 
grösseren  Städten  für  den  gottesdienstlichen  Gebrauch  vorgeschrieben  wurden, 
so  dass  man  jetzt  auch  Legionen  von  verschiedenen  kirchlich  anerkannten  Ge- 
sangbüchern in  Deutschland  hat;  im  Grossherzogthum  Sachsen- Weimar  allein 
z,  B.  sind  gegenwärtig  nicht  weniger  als  acht  verschiedene  Gesangbücher  ein- 
geführt, von  denen  jeder  Bezirk  sein  eigenes  besitzt.  Aus  den  Massen  von 
Gesangbüchern  wird  am  Besten  die  steigende  Zahl  der  evangelischen  Kirchen- 
lieder klar.  Während  nämlich  das  erste  deutsche  Gesangbuch,  das  Wittenberger 
vom  J.  1524,  nur  aclit  Lieder  enthielt,  hatte  das  Erfurter  Euchiridion  von 
1525  schon  37,  das  Klug'sche  von  1533  schon  52,  das  Köpfl'sche  von  1544 
148,  das  Dresdner  von  1593  241  mit  nicht  weniger  als  180  Melodien  und  das 
Lüneburger  von  1686  2056  Lieder  mit  100  grösstentheils  ganz  neuen  Melo- 
dien. Nach  Thilo's  Tabellen  waren  1545  bereits  145  verschiedene  Sammlungen 
allein  von  Luther's  Liedern  erscliienen.  Grosse  Verwirrung  richtete  in  dem 
Kirchengesange  die  Entwickelung  der  IMusik  überhaupt  an,  welche  zur  Zeit 
der  Reformation  sich  noch  in  den  alten  Kirchentonarten  bewegte;  die  letzteren 
gaben  den  Chorälen  eine  später  unerreicht  gebliebene  Einfachheit,  Erhabenheit 
und  Feierlichkeit.  Schwungvoll  hebend  und  belebend  trat  dazu  der  Rhythmus. 
Fast  gleichzeitig  mit  dem  Falle  der  Kiichentonarten  fiel  auch  der  Gebrauch, 
im  mehrstimmigen  Gesänge  die  Melodie  dem  Tenor  zu  ertheilen,  und  Lucas 
Osiander  gab  in  seinem   Choralbuche   (Nürnberg,   1586)    grundsätzlich    und  zu- 


Gesangbuch.  225 

erst  die  Melodie  der  Oberstimme  nicht  allein  den  neuen,  sondern  aucli  den 
alten  Chorälen.  Kunstgemäss  verfuhr  in  dieser  neuen  "Weise  nach  ihm  der 
Meister  Johannes  Eccard.  Bis  1687  aber  noch  blieben  die  Melodien  in  ihrer 
ursprünglichen  i'hythmischen  Gestalt.  In  jenem  Jahre  erschien  Wolfg.  Karl 
Briegel's  Darmstädter  Gesang-  und  Choralbuch,  in  welchem  der  Rhythmus  ver- 
wischt und  abgestreift  war.  Aus  Italien  war  auch  bereits  der  Sologesang,  das 
Recitativ,  die  chromatische  Tonleiter,  der  Geueralbass  und  die  Instrumental- 
musik in  Deutschland  eingewandert  und  äusserten  ihre  Einflüsse  mehr  zum 
Vortheil  des  Kunst-  wie  des  Gemeindegesanges,  Durch  die  sogenannten  Halle'- 
schen  Pietisten  mit  ihren  gefühlvollen  Liedertexten  und  zärtlichen  Melodien,  die 
aus  dem  Darmstädter  Gesangbuche  von  1698  in  das  von  Freylinghausen  (Halle, 
1704  und  1714)  übergingen  und  in  Sachsen,  Thüringen,  Brandenburg  und 
Württemberg  Verbreitung  fanden,  schien  sich  der  evangelische  Kirchengesang 
heben  zu  wollen,  aber  jene  Melodien  waren  arienmässig,  meist  in  Moll  gesetzt, 
ohne  Rhythmus,  zweistimmig  und  zu  süsslich  und  tändelnd.  Dagegen  ver- 
sprachen Geliert's  Lieder  mit  ihren  Melodien  von  Bach,  Doles,  Quantz,  Hiller, 
Kühnau,  Kii'nberger,  Haydn,  Schicht,  Beethoven  u.  s.  w.  das  zu  bewirken,  was 
jene  nicht  vermocht  hatten.  Allein  es  geschah  auch  nicht  in  allgemeiner  Weise, 
denn  sie  waren  und  wurden  nicht  alle  kirchlich.  Aber  die  Verfertigung  und 
Einführung  neuer  Gesangbücher  brach  sich  durch  Geliert's  Beispiel,  dem  die  besten 
lyi'ischen  Dichter  folgten,  immer  mehr  Bahn,  und  zählte  schon  der  dänische 
Etatsrath  Moser  1750  in  seiner  Sammlung  350  Gesangbücher  und  ein  Register 
von  über  50,000  Liedern,  so  würde  man  gegenwäi-tig  ungefähr  100,000  Lieder 
mit  2000  Melodien  in  800  verschiedenen  Gesangbüchern  zusammenrechnen 
können.  —  Zu  Geliert's  Zeit  schied  sich  auch  das  Gesang-  und  Choralbuch 
in  zwei  verschiedene  Bücher,  während  beides  bis  dahin  in  einem  vereinigt' 
gewesen  war,  wie  es  die  Verwandtschaft  der  Sache  mit  sich  brachte.  Und 
beide  Bücher  wurden  immer  localer  und  relativer,  während  sie  früher  allgemein 
waren.  Jedes  Land,  jede  Stadt,  ja,  manches  Dorf  bekam  sein  eigenes  (vex'- 
schiedenes)  Gesang-,  bezüglich  Choralbuch,  mit  Aenderung  im  Texte  und  in 
der  Melodie,  wie  das  weiter  oben  angeführte  Beispiel  aus  Sachsen- Weimar  be- 
legt. Je  nachdem  die  Kirchenbehörden  in  •  diesem  ganzen  Zeiträume  bis  zur 
Jetztzeit  in  dem  Bestreben  aufklärender  Reinigung  der  Texte  vorgingen  oder 
nicht,  haben  manche  Gemeinden  schon  ein  zweites  und  drittes  neues  Gesang- 
buch empfangen  oder  das  ursprünglich  eingefühx'te  behalten.  Sind  Geliert's 
»Oden  und  Lieder«  (1757)  als  das  erste  der  am  meisten  verbreiteten  Privat- 
gesangbücher anzusehen,  so  brach  zuerst  Zollikofer  in  dem  im  Vereine  mit 
Chr.  Er.  Weisse  für  die  reformirte  Gemeinde  in  Leipzig  1766  herausgegebenen 
Gesangbuche  der  dort  verfolgten  Richtung  auch  in  den  öffentliclien  Gesang- 
büchern die  Bahn.  Diesem  Beispiele  folgten  1767  die  reformirten  Gemeinden 
in  Bremen  und  Lüneburg,  1773^  auch  die  protestantische  Gemeinde  in  der 
Kurpfalz,  1778.  die  Domgemeinde  zu  Bremen,  1779  Braunschweig,  1780  Schles- 
wig-Holstein,  dann  Berlin,  1782  Kopenhagen,  Ansbach,  Dresden,  Hildburg- 
hausen, Gei'a  und  viele  andere  Gegenden  und  Orte.  Indess  war  es  erst  einer 
noch  späteren  Zeit  aufbehalten,  Gesangbücher  nach  richtigen  Grundsätzen  zu- 
sammenzustellen, indem  man  eine  Menge  bisher  unbeachtet  gebliebener  Kern- 
lieder aufnahm,  aus  anderen  Geschmacklosigkeiten  und  Widersinniges  entfernte, 
ebenso  solche  Lieder,  denen  aller  lyrischer  Schwung  abging.  Bunsen,  Grün- 
eiseu.  Knapp,  Stier,  Stipp,  Wackernagel  u.  A.  haben  für  Anwendung  dieser 
Grundsätze  sehr  verdienstlich  gewirkt,  sind  aber,  wo  dieselben  praktisch  durch- 
geführt werden  sollten,  auch  vielfach  auf  hartnäckigen  Widerstand  von  Seiten 
derjenigen  gestossen,  die  das  Bisherige  unter  allen  Umständen  gewahrt  wissen 
wollten  und  in  diesem  Sinne  agitirten.  Der  sogenannte  Gesangbuchstreit, 
welcher  1868  und  später  in  verschiedenen  Gegenden  namentlich  Preussens  heftig 
loderte,  war  eine  Folge  dieses  Zusammengerathens  liberaler  und  orthodoxer, 
vernunftgemässer  und  glaubenbefangeuer  Grundsätze  und  stellt  fernere  Kämpfe 

Mu.sikal.  Couvers.-Lexikon.    IV.  15 


226  Gesanglehre  —  Geschmack. 

in  Aussicht.  —  Auch  in  der  römisch-katliolischen  Kirche  hat  man  in  neuerer 
Zeit  deutsche  Gresangbücher  eingeführt,  z.  B.  das  von  Wessenberg  für  das 
Bisthum  Constanz  (1812)  und  das  vom  bairischeu  Domdechauten  Boxleidtner 
herausgegebene.  Es  scheint  ausser  Zweifel  zu  stehen,  dass  der  seit  1873  in 
Deutschland  sich  mächtig  ausbreitende  Altkatholicismus  ebenfalls  dergleichen 
adoptiren  wird.  —  Selbst  für  den  rcformirten  jüdischen  Cultus  wurden  neuer- 
dings deutsche  Gesangbücher  von  Johlson  (181'.»),  Kley  (1821),  Stern  und 
Holdheim  (1844)  ausgearbeitet  und  in  einigen  grossen  Gemeinden  wie  zu  Bres- 
lau, Hamburg,  Leipzig,  Berlin,  Frankfurt  a.  M.  u.  s.  w.  eingeführt.  In  Berlin 
hat  man  bereits  zugleich  mit  der  Orgel  zwei  solcher  Gesangbücher  angenommen: 
in  der  Reformgemeinde  das  von  Stern  und  in  der  neuen  Synagoge  das  von 
Horwitz.  Die  orthodox- jüdischen  Gemeinden  dagegen  bekämpfen  hartnäckig- 
derartige  den  hebräischen   Gottesdienst  verändernde   Neuerungen. 

(iesanglehre  ist  der  Inbegriff  aller  derjenigen  Regeln,  welche  von  der  in- 
nigsten Verbindung  der  Musik  und  Sprache  zu  künstlerischem  Zwecke  handeln. 

Gesauglehrer,  s.   Singlehrer. 

Gesanglichter  hiessen  im,^deutschen  Reiche  zur  Zeit  des  Mittelalters  Spott- 
lieder, die  man  bei  Licht  vor  den  Hausthüren  schlecht  beleumundeter  Leute 
absang,  diesen  selbst  zur  Beschämung,  Anderen  zur  AVarnung. 

Gesangrmethode  ist  die  Art  und  Weise,  nach  diesen  oder  jenen  Kunstregeln 
singen  zu  lernen  oder  zu  lehren,     S.  Gesang. 

Gesangschule,  s.  Singschule. 

Gesaugsübungen  oder  Slugübungen,  s.  Solfeggien. 

Gesangton,  s.   Vocalton. 

Gesangyereiue,  s.  Singvereine. 

Geschichte  der  Musik,  s.  Musikgeschichte. 

Geschlecht,  s.  Gattung,  Genus,  Klang-  oder  Tongeschlecht. 

Geschleift  und  auch  Geschweift  wird  mitunter  für  Gebunden  (s.  d.)  ge- 
braucht. 

Geschleifter  Doppelschlag,  s.  Doppelschlag, 

Geschlossener  Kanon,  s.  Kanon. 

Geschnellter  Doppelschlag,  s.  Doppel  schlag. 

Geschmack  (ital. :  gtisto,  franz.:  goüt).  Dieses  "Wort  wird  in  der  Kunst 
ziemlich  gleichbedeutend  mit  »ästhetischer  Schönheit«  oder  mit  »Sinn  für  ästhe- 
tische Schönheit«  gebraucht.  Eine  Speise,  welche  dem  Geschmackssinn  nichts 
bietet,  wird  als  fade,  reizlose  verworfen ;  ebenso  wird  ein  künstlerisches  Gebilde, 
welches  dem  inneren  Schönheitssinne  keine  Befriedigung  gewährt,  für  werthlos 
erachtet.  Aus  dieser  Parallele  erklärt  sich  die  figürliche  Anwendung  des  Wortes 
G.  Wie  aber  »G.«  in  seiner  ursprünglichen  Bedeutung  ein  durchaus  Sinnliches 
bezeichnet,  so  wird  es  auch  in  der  bildlichen  Redeweise  nur  für  das  Aeussere, 
für  das  sinnlich  Erch  ein  ende  am  Kunstwerk,  nicht  für  den  geistigen  Inhalt 
desselben  gebraucht.  Von  einem  geschmackvollen  Gedanken  oder  Gefühl  kann 
man  nicht  sprechen,  wohl  aber  von  einem  geschmackvollen  Ausdruck  Beider. 
Und  ferner:  wie  beim  Schmecken  das  Augenehme  nur  aus  einejn  unmittelbaren 
Empfindungseindrucke  entspringt,  so  beschränkt  sich  auch  der  ästhetische  Ge- 
schmacksbegriff  auf  dasjenige  Schöne,  welches  Gegenstand  des  unmittelbaren 
Eindrucks  ist,  und  kann  nicht  auf  das  bezogen  werden,  was  erst  in  Folge 
von  Vernunftreflexionen  als  Schönes  erkannt  und  gefühlt  wird.  Demgemäss 
wird  z.  B.  in  der  Dichtkunst  von  geschmackvoller  Versification ,  in  der  Bau- 
kunst von  geschmackvoller  Anordnung  und  Dekorirung,  in  der  Malerei  von 
geschmackvoller  Färbung  gesprochen  —  sämmtlich  Schönheitsäusserungen,  die 
in  die  Sinne  fallen,  die  beim  Sehen  oder  Hören  unmittelbar  empfunden  werden. 
In  Analogie  hiermit  kann  in  der  Musik  von  G.  in  der  Instrumentirung,  oder 
in  Läufen  und  Verzierungen  die  Rede  sein:  bei  Ersterer  handelt  es  sich  um 
die  äussere  Darstellung  der  musikalischen  Gedanken,  bei  Letzteren  um  den 
äusserlichen  Schmuck  derselben.  Hingegen  wird  weniger  gut  von  geschmack- 


Geschränkte  oder  geschweifte  Wellen  —  Gessinger»  227 

voller  Melodie  oder  Harmoniefolge  gesprochen,  denn  diese  Beiden  sind  zu  sehr 
inhaltliche  Momente  der  Composition ,  und  ihre  Schönheiten  sind  mehr 
seelische  als  sinnliche,  sie  bestehen  zwar  zum  Theil  auch  in  angenehmen 
Reizen  für  den  Grehörssinn,  zum  wesentlicheren  Theil  jedoch  in  schönen  An- 
regungen für  das  Gemüth.  "Wohl  am  häufigsten  hört  man  G.  im  »Vortrag« 
erwähnen,  und  hier  ist  der  Ausdruck  sehr  zutreffend,  da  der  Vortrag  ja  nichts 
Anderes  ist  als  das  sinnliche  Zur-Erscheinung-B ringen  des  Inhaltes; 
natürlich  aber  kann  auch  hier  nur  die  äusserlichere  Seite  der  Leistung  gemeint 
sein :  schöne   Tonbildung,  Abrundung,  Eleganz  u.  s.  w.  W.  W. 

Geschränkte  oder  Geschweifte  Welleu,  s.  Grebrochene  Wellen. 

Geschwänzt,  s.  des  trieben, 

Ges-Dur  (ital.:  sol  hemolle  maggiore,  franz.:  sol  hemol  majeiir,  engl.:  G.  flat 
major)  ist  diejenige  der  24  Tonarten  unseres  modernen  abendländischen  Ton- 
systems, welche  durch  Transposition  der  Durtonart  auf  den  Ton  Ges  als  Grund- 
ton gebildet  wird.  Im  von  G  aufsteigenden  Quarten-  oder  absteigenden  Quin- 
teucirkel  ist  Ges-Dur  die  sechste  Tonart  (mit  sechs  b  Vorzeichnung).  Als 
Haupttonart  eines  Tonsatzes  selten  gebräuchlich,  wird  diese  Tonart  meist  durch 
das  enharmonische  Fis-Dur  ersetzt  und  gewöhnlich  nur  im  Laufe  der  Modu- 
lation und  Ausweichung  gebraucht.  Sehr  schön  und  zum  Vortheil  des  Stimm- 
klangs für  den  Tenor  ist  sie  mitunter  in  neueren  italienischen  Opern,  sowie 
in  der  Cantilene  des  Duetts  im  vierten  Acte  der  »Hugenotten«  von  Meyerbeer 
angewendet.  Der  Durregel  entsprechend,  heisst  die  Scala  von  Ges-Dur:  6??, 
Ä),  B,  G\>,  D?,  Ey,  F.  —  Als  man  sich  noch  ästhetisirenden  Studien  über  das 
Wesen  der  Tonarten  hingab,  glaubte  man,  und  Schubart  drückt  dieö  am  Prä- 
gnantesten aus,  Ges-Dur  verkünde:  »Triumpf  in  der  Schwierigkeit,  freies  Auf- 
athmen  auf  überstiegenen  Hügeln,  Nachklang  einer  Seele,  die  stark  gerungen' 
und  endlich  gesiegt  hat«.  Diese  schönrednerische  Phrase,  über  welche  das  citirte 
Beispiel  aus  den  »Hugenotten«  unbekümmert  hinweggeht,  fand  ihre  letzte  Zu- 
spitzung in   Schilling's  Universal-Lexikon. 

Gese,  Bartholomäus,  s.  Gesius. 

Gesellschaftstänze  sind  solche  Tänze,  welche  in  geselligen  Kreisen,  auf 
Bällen  u.  s.  w.  zur  Erheiterung  und  Unterhaltung  ausgeführt  werden,  im  Gegen- 
satz zu  den  Kunst-  oder  Ballettänzen. 

Gesicht  der  Or^el,  dasselbe  was  Orgelfront  (s.  d.). 

Gesichtspfeifen  (franz.:  montres),  s.  Frontpfeifen. 

Gesius,  Bartholomäus,  thätiger  deutscher  Kirchencomponist  aus  der 
Wendezeit  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  war  um  1600  Cantor  zu  Frankfurt 
a.  0.  und  stammte  aus  Müncheberg.  Er  war  zu  seiner  Zeit  einer  der  fleissig- 
sten  und  angesehensten  Tonsetzer  für  die  Kirche ,  so  dass  auch  nach  seinem 
um  1613  erfolgten  Tode  noch  Werke  von  ihm  gedruckt  wurden.  Seine  Ar- 
beiten erschienen  überhaupt  in  der  Zeit  von  1588  bis  1624  und  bestanden  in 
einer  Passion,  zahlreichen  mehrstimmigen  Hymnen,  Psalmen,  Motetten,  Messen 
und  Kirchengesängen  aller  Art,  unter  letzteren  viele  Lieder  von  Luther,  die 
G.  als  Choräle  vier-  und  fünfstimmig  setzte  (Frankfurt  a.  0.,  1600).  Auch 
theoretische  Schriften  hat  er  verfasst,  von  denen  die  oft  aufgelegte  -nSyiiopsis 
musicae  practicaea  (1609,   1615,   1640)  bekannt  geblieben  ist. 

Geslin,  Filippo  Marc-Antonio,  französischer  Musiklehrer,  war  1788 
in  Bom  geboren  und  machte  als  Schüler  Pierre  Galin's  in  Paris  Propaganda 
für  dessen  Meloplasten  (s,  d.),  den  er  auch  während  seiner  Lehrthätigkeit 
in  der  französischen  Hauptstadt  zu  einer  gewissen  Anerkennung  brachte. 

Ges-Moll  (ital.:  sol  bemoUe  minore,  franz.:  sol  hemol  mineur,  engl.:  G.  flat 
minor)  ist  die  Transposition  der  Molltonart  auf  den  Ton  Ges  als  Grundton. 
Als  Haupttonart  des  durch  die  vielen  b  der  A'^orzeichnung  erschwerten  Lesens 
halber  ungebräuchlich,  wird  sie  meist  durch  die  enharmonische  Tonart  Fismoll 
ersetzt  und  kommt  höchstens  nur  als  Ausweichungstonart  dann  und  wann  vor. 

Gessinger,  Georg  Martin,  berühmter  deutscher  Orgelbauer  des  18.  Jahr- 

15* 


228  Gessner  —  Getheiltes  Accompaguement. 

Hunderts,  lebte  mit  dem  Titel  eines  fürstl.  Anspach'schen  Hof-  und  Landorgel- 
bauers zu  Rottenburg  an  der  Tauber  und  war  ein  seiner  Kunstfertigkeit  wegen 
Aveit  und  breit  gcsucliter  Meister.  Seine  Hauptwerke  sind  die  vortreftlicben 
Instrumente  in  den  Kirchen  zu  Laugenburg  im  Hohenlohe'schen  (1764)  und 
zu  Burgbernheim   (17G8). 

Gessner,  Joliann  Matthias,  eifriger  deutscher  Musikdilettant  und  be- 
rühmter Humanist,  geboren  1691  zu  Roth  bei  Nürnberg,  war  Professor  und 
Bibliothekar  zu  Weimar,  von  1730  bis  1734  Rector  der  Thomasschule  in 
Leipzig  und  starb  als  Bibliothekar  der  Universität  zu  Göttingen  am  4.  Aug. 
1761.  Seinen  grossen  Geschmack  und  seine  ausgebreiteten  Kenntnisse  bekundete 
er  auch  vielfach  in   musikalischen  Dingen. 

Geste wilz,  Friedrich  Christoph,  deutscher  Componist  und  Dirigent, 
geboren  am  8.  Novbr.  1753  zu  Prieschka  im  Meissen'schen,  kam  1770  nach 
Leipzig  und  liess  sich  daselbst  von  seinem  nachmaligen  Schwager  J.  A.  Hiller 
musikalisch  ausbilden.  In  der  Folgezeit  fungirte  er  als  Musikdirektor  bei  der 
Bondiui'schen  deutschen  Schauspiclgesellschaft  und  trat  in  derselben  Eigenschaft 
1790  an  das  italienische  Hoftlieater  zu  Dresden.  Seine  ersten  Compositionen 
bestanden  in  einzelnen  Arien  und  Chören,  von  denen  Hiller  einzelne  in  seine 
Sammlung  von  Arien  und  Duetten  (Leipzig,  1780  bis  1783)  aufnahm;  ferner 
erschien  eine  Messe  und  eine  Hymne  (J.'s  im  Druck,  während  andere  Manuscript 
blieben.  Im  J.  1781  componirte  er  die  einaktige;  Operette  »Die  Liebe  ist  sinn- 
reich« und  1790  zu  Dresden  die  italienische  komische  Oper  y^L'orfanella  ame- 
ricana«,  aus  welcher  die  Ouvertüre  iind  eine  Cavatine  im  Clavierauszuge  er- 
schienen sind,  die  Original-Partitur  dagegen  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden 
sich  befindet.  Von  seinen  vielen  Claviercompo.sitionen  ist  nur  eine  Sonate  be- 
kannt geworden. 

Gestohleues  /eitiiuiass,  s.  Tempo  rubato. 

Gestrichen,  eingestrichen,  zweigestrichen  u.  s.  w.,  s.  Notenschrift 
und  Tabulatur. 

Gesualdo,  Carlo,  begabter  italienischer  Musikdilettant  und  Madrigalcom- 
ponist,  geboren  um  16.50,  war  Fürst  der  neapolitanisclien  Herrschaft  Venosa 
und  ein  NefiFe  des  Cardinal-Erzbischofs  von  Neapel,  AlfonsoG.  Sein  Musik- 
lehrer war  Pomponio  Nenna  gewesen  und  zu  der  seitdem  von  ihm  mit  leiden- 
schaftlicher Vorliebe  betriebenen  Musikübung  trat  ein  bemerkenswerthes  schaflPen- 
des  Talent,  das  seinen  Ausdruck  in  vielen  meist  fünfstimmigen  Madrigalen  fand, 
die  als  originell  und  überaus  feinsinnig  sich  aus  den  erhalten  gebliebenen  der- 
artigen Arbeiten  des  16.  Jahrhunderts  vortheilhaft  herausheben.  Der  ihnen 
eigenthümliche  Charakter  zarter  Schwermuth  macht  sie  ganz  besonders  interes- 
sant. Die  ältesten  Sammlungen  derselben  sind  1.585  in  Genua  hersusgekommen. 
Achtundzwanzig  Jahre  später  veranstaltete  Simone  Molinara,  Kapellmeister  an 
der  Kathedralkirche  zu  (ienua,  ciuc  Gesammtausgabe  unter  dem  Titel  -nPar- 
titura  della  sei  lihri  de^  madrirjali  a  cinque  voci  delV  illiistrissimo  cd  eccelleniis- 
simo  principe  di    Venosa,   D.  Carlo  Gesualdo^  (Genua,   1613). 

Getheilt,  ein  Ausdruck,  der  in  der  Fachsprache  der  Orgelbauer  in  ver- 
schiedenen Zusammensetzungen  und  dadurch  bedingten  verschiedenen  Bedeu- 
tungen vorkommt.  Man  hat  z.B.  Getheilte  Wellen  (s.  Gebrochene  Wellen), 
g.  Registerzüge,  g.  Laden  oder  Windladen,  g.  Parallelen,  g.  Schlei- 
fen, g.  Stimmen,  g.  Hauptk anale  u.  s.  w.  Man  sehe  in  Bezug  hierauf 
die  Hauptartikcl  nach. 

Getheiltes  Accoiiipng-uemeiit  nennt  man  bei  der  Generalbassbegleitung  die 
gleichmässige  Vertheilung  der  Accordintervalle  an  beide  Hände,  so  dass  nicht 
die  linke  Hand  den  Grundl)ass  allein  und  die  rechte  die  drei  Oberstimmen, 
sondern  jede  der  beiden  Hände  zwei  Stimmen  auszuführen  hat,  wie  solches 
l)ei  einer  ausgebildeteren  Begleitung  und  in  der  weiten  Lage  der  Harmonie, 
um  Fülle  und  Kraft  hervorzubringen,  oft  nothwendig  wird.     Vgl.  Phil.  Eman. 


Getheilte  Violinen  —  Gevaert.  229 

Bacli's    »Versuch  über  die  wahre  Art  das  Ciavier  zu  spielen«,  2.  Aufl.,   Th.  2, 
Cap.  32,  §.  10. 

Getheilte  Violinen,  s.  Divisi, 

Getrag-eu,  s.  Aiypoggiato. 

Getragene  Zunge,    eine    Schlagmanier    bei    den    Pauken.      S.  Pauke    und 
Zunge. 

Getrennte    Beueg-ung    (franz.:    mouvement   interrompio),    die    durch    Pausen 
unterbrochene  Bewegung. 

Gevaert,  Frangois  Auguste,  berühmter  belgischer  Componist,  wurde 
geboren  am  31.  Juli  1828  in  dem  ostflandrischen,  eine  Meile  von  Oudenaarde 
gelegenen  Dorfe  Huysse,  wo  sein  Vater  Bäcker  war.  Bestimmt,  dem  Stande 
des  Vaters  zu  folgen,  setzte  der  junge  Gr.,  durch  seinen  musikalischen  Instinkt 
getrieben,  es  doch  durch,  im  Knabenchor  der  Kirche  mitsingen  zu  dürfen  und 
vom  Organisten  des  Dorfes  Unterricht  im  römischen  Kirchengesang  zn  erhalten. 
Nachdem  er  einige  Zeit  darauf  in  einem  Winkel  des  elterlichen  Hauses  ein 
musikalisch  -  theoretisches  Manuscript  in  vlämischer  Sprache  gefunden  hatte, 
machte  er  sich  mit  den  Elementen  der  Harmonielehre  vertraut  und  componirte 
eine  Menge  von  Messen,  Motetten  und  Cla vierstücken ,  die  im  Pamilienkreise 
bewundert  wurden  und  in  der  That,  trotz  der  Fehler  aller  Arten,  den  geborenen 
Mvisiker  und  zukünftigen  Tonkünstler  deutlich  erkennen  Hessen.  Auf  die  Bitten 
des  Arztes  der  Gemeinde,  welcher  die  Fortschritte  des  jungen  G.  mit  Interesse 
verfolgte,  wurde  dieser  von  seinen  Eltern  1841  auf  das  Conservatorium  nach 
Gent  geschickt,  wo  er  nach  zweijährigem  Studium  unter  Sommere  den  ersten 
Preis  für  Clavierspiel  erhielt  und  gleichzeitig  unter  Mengal  die  Composition 
studirte.  Die  Stelle  des  Organisten  an  der  Jesuitenkirche,  welche  er  um  eben 
diese  Zeit  einnahm,  erhöhte  seinen  Eifer  für  das  ernste  Studium  der  Musik:  die. 
Leetüre  der  theoretischen  Werke  eines  Cherubini,  Fetis,  Marpurg,  Beicha,  der 
häufige  Besuch  des  Theaters  und  die  Kenntnissnahme  der  Partituren  von  Gluck 
und  Mozart  setzten  ihn  in  den  Stand,  schon  1846  mit  einer,  am  Weihnachts- 
abend unter  grossem  Erfolg  in  einer  der  Genter  Kirchen  aufgeführten  Cantate 
vor  das  Publikum  zu  treten.  Im  Beginne  des  folgenden  Jahres  erhielt  er  bei 
einer  von  der  Gesellschaft  der  schönen  Künste  ausgeschriebenen  Preisbewerbung 
für  seine  Composition  der  vlämischen  Cantate  »Belgie«  den  ersten  Preis,  und 
hierdurch  ermuthigt,  bewarb  er  sich  bei  dem  nationalen  Wettkampf  in  Brüssel 
im  Mai  1847  um  den  grossen  Compositionspreis,  welcher  ihm  mit  Einstimmig- 
keit zugesprochen  wurde.  Das  J.  1847  war  noch  ausserdem  ein  wichtiges  für 
seine  Laufbahn  als  Componist,  indem  bei  einem  Miisikfest  des  deutsch-vlämi- 
scheu  Gesangvereins  »Zangverbond«  ein  von  ihm  für  diese  Gelegenheit  compo- 
nirter  Psalm  -asuper  flumina  Bahi/loiiisa  in  trefflicher  Weise  zur  Ausführung 
kam,  ein  AVerk,  welches  nicht  blos  auf  das  Publikum  bedeutenden  Eindruck 
machte,  sondern  auch  G.  selbst  die  Glückwünsche  des  gerade  anwesenden  Spohr 
eintrug.  —  Der  damals  neunzehnjährige  Gevaert  hätte  nach  den  Bestimmungen 
der  Regierung  als  Inhaber  des  grossen  Compositionspreises  eine  Reise  ins  Aus- 
land zur  A'ollendung  seiner  Studien  unternehmen  müssen.  Doch  suchten  seine 
Eltern,  um  sich  nicht  so  früh  von  ihrem  Sohne  zu  trennen,  einen  Aufschub 
von  zwei  Jahren  nach,  der  ihnen  auch  zugestanden  wurde,  und  diese  Zeit  be- 
nutzte G.  zur  Composition  der  Oper  ytHugues  de  SomergJtema,  zum  ersten  Male 
aufgeführt  im  Theater  zu  Gent  am  23.  März  1848,  doch  ohne  sonderlichen 
Erfolg,  da  die  überströmende  Schöpferkraft  des  Componisten  und  seine  mangelnde 
Bühnenerfahrung  ihn  das  richtige  Maass  hatten  verfehlen  lassen.  Nur  die 
Ouvertüre  fand  Beifall  und  ist  auch  später  in  mehreren  Genter  Concerten  auf- 
geführt worden;  auch  wurde  der  Ciavierauszug  veröffentlicht,  nachdem  G.  mit 
der  Partitur  wesentliche  Veränderungen  und  Kürzungen  vorgenommen  hatte. 
Ungleich  mehr  Glück  machte  eine  am  Ende  desselben  Jahres  in  Gent  und 
1852  in  Brüssel  aixfgeführte  Oper  y>La  Gomedie  ä  la  villcu  in  welcher  G.  die 
zuvor  gemachten   und  durch    das   Studium  der  gediegenen  französischen   Opern, 


230  Gevaert. 

insbesondere  der  Gretry'schen,  bereicherten  Erfahrungen  benützt  hatte.  —  Nach- 
dem im  Jahre  1849  die  vom  Minister  des  Innern  gewährte  Aufschubsfrist 
abgelaufen  war,  reiste  G.  zunächst  nach  Paris  (wo  er  bis  zum  Februar  1850 
vei-weilte)  und  von  da  nach  Spanien;  ein  Bericht  über  die  dortigen  Musik- 
zustände, den  er  nach  längerem  Aufenthalt  an  den  Belgischen  Minister  des 
Innern  sandte  und  welcher  1851  in  den  y>Bulletins  de  VÄcadcmie  royale».  publicirt 
wurde,  lässt  den  Künstler  Gr.  auch  als  vielseitig  gebildeten  Mann  und  scharf- 
sinnigen Beobachter  erkennen.  Unter  den  ComjTositioncn,  welche  während  seines 
Aufenthaltes  in  Spanien  entstanden  —  meist  Instrumentalmusik  —  zeichnet 
sich  eine  Art  i^hantastischer  Ouvertüre  mit  Benutzung  spanischer  National- 
melodien aus,  ein  auf  der  ganzen  Halbinsel  populär  gewordenes  Musikstück, 
dessen  Erfolg  seinem  Autor  noch  ausserdem-  den  Orden  IsabcUa's  der  Katholi- 
schen einbrachte  (in  Partitur  gestochen  in  Gent).  —  Nachdem  Gr.  Spanien  ver- 
lassen ,  besuchte  er  das  von  den  E-evolutionsstürmen  noch  kaum  beruhigte 
Italien  (1851)  und  kehrte  endlich  im  Frühjahr  1852  über  Deutschland  nach 
Gent  zurück.  Schon  bei  seiner  Abreise  von  Paris  nach  Spanien  im  Jahre 
1850  hatte  G.  ein  von  seinem  Landsmann  Vaez  verfasstes  Libretto  einer  ein- 
aktigen komischen  Oper  mitgenommen,  zu  welchem  dann  während  der  Reisen 
die  Musik  entstanden  war.  Nach  beendigter  Heise  war  es  sein  eifrigstes  Streben, 
dies  Werk  in  Paris  zur  Aufführung  zu  bringen,  und  zwar  schien  ihm  das  so- 
eben eröffnete  -nTheätre  li/nque<i  dazu  die  günstigste  Gelegenheit  zu  bieten;  da 
indessen  eine,  der  seinigen  im  Zuschnitt  ähnliche  Operette  gerade  von  der 
Direction  zur  Aufführung  angenommen  war,  so  musste  er  auf  die  Realisirung 
seines  Planes  verzichten.  Zum  Glück  jedoch  konnte  Vaez  seinem  Freunde 
noch  ein  zweites  Libretto  einer  einaktigen  Oper  zur  Verfügung  stellen  »Geor- 
gette«, welche  denn  auch  am  27.  Nov.  1852  im  lyrischen  Theater  zur  Auf- 
führung gelangte.  Dies  Werk,  sowie  noch  mehr  die  folgende,  im  Oktober  1854 
aufgeführte  dreiaktige  komische  Oper  f>Le  Billet  de  JiTargtieritea,  Text  von 
Leuven  und  Brunswick,  lenkten  auf  G.  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  und 
fanden  bald  nach  ihrem  Erscheinen  den  Weg  zu  den  hervorragenden  Bühnen 
Frankreichs.  G.'s  dritte  komische  Oper  y>Les  Lavandieres  de  Santarema  wurde 
am  28.  Oktbr.  1855  an  demselben  Theater  ohne  besonderen  Erfolg  aufgeführt. 
Ihr  folgte  eine  vlämische  Cautate  {de  Nationale  verjaerdag)  zum  25.  Jahrestag 
der  Regierung  Leopold's  I.,  Königs  der  Belgier,  eine  der  bedeutendsten  Com- 
positionen  G.'s,  infolge  der  er  mit  dem  Leopoldsorden  decorirt  wurde.  In  der 
Pariser  Opera  comique  kamen  sodann  von  ihm  zur  Aufführung:  »Quentin  Dur- 
ward«, lyrisches  Drama  in  drei  Akten  (25.  März  1858),  dessen  Erfolg  den  aller 
übrigen  G.'schcn  Opern  übertraf,  sowie  die  dreiaktigen  komischen  Opern  »Ze 
Chdteau-Trompcttevt.  (1860)  und  »Ze  Capitaine  Senriotv.  (1865).  —  Folgende  sind 
die  im  Druck  erschienenen  Werke  G.'s:  1)  »Sugues  de  Somerghemtn,  grosse 
Oper  in  drei  Akten,  Ciavierauszug  mit  deutscher  Uebersetzung,  Gent  bei  Ge- 
vaärt  (dem  Bruder  des  Componisten);  2)  »Xa  comedie  ä  la  vilhf,  komische 
Oper  in  einem  Akt,  Ciavierauszug  (ebenda) ;  3)  »Georgette«,  komische  Oper  in 
einem  Akt,  Ciavierauszug  und  Orchesterstimmen  (Paris,  Harand);  4)  »ie  Billet 
de  Marijueritea,  komische  Oper  in  drei  Akten,  Partitur  und  Ciavierauszug  (Paris, 
Lemoine  et  Harand);  5)  riLes  Lavandieres  de  Santaretnv,  komische  Oper  in  drei 
Akten,  Ciavierauszug  (Paris,  Alexandre  Grus):  6)  »Quentin  Durward«,  lyrisches 
Drama  in  drei  Akten,  Partitur  und  Ciavierauszug  (ebenda);  7)  r>Siipcr  ßumina 
Bahi/lonis«,  Motette  für  Männerstimmen  mit  Orchester,  Partitur  und  Ciavier- 
auszug (Gent,  Gevaert);  8)  y>Adieicx  ä  la  mera,  Meditation  von  Lamartine,  Chor 
mit  Begleitung  von  Streichinstrumenten,  Ciavierauszug  (ebenda);  9)  «Fantasia 
sohre  motivos  espaholesa ,  Partitur  und  Ciavierauszug  für  zwei  und  vier  Hände; 
10)  i>Missa  pro  defunctis  quatuor  vocihusu  (zwei  Tenore  und  zwei  Bässe)  ciom 
instrumentorum  concentu  cantanda,  Partitur,  Stimmen  und  Orgelarrangement 
(ebenda);  11)  »De  Nationale  verjaerda(/<.<.  Cantatc  für  Männerstimmen  und  Or- 
chester  (ebenda);   IIb)   Jacob   von  Artevelde,   Cantato   für   Chor   und   Orchester, 


Gevaert.  231 

Partitur  und  Ciavierauszug  (Gent,  Grevaert);  12)  Eine  grosse  Anzahl  von  Män- 
nercliören  mit  vlämischem  und  französischem  Text,  Cantaten,  Motetten,  Com- 
positionen  für  Militärmusik  und  einige  Romanzen  bei  Gevaert  in  Gent;  13) 
y>Leerhoek  van  den  Gregoriaenschen  Zang  etc.ts.  (Gent,  1856)  bei  Gevaert,  welcher 
auch  eine  französische  TJebersetzung  dieses  Werkes  veröffentlicht  hat;  14)  Be- 
richt über  die  Musikzustände  in  Spanien  (veröffentlicht  in  den  Bulletins  der 
y>Academie  royale  de  Belgiquev.)]  15)  Lehrbuch  der  Instrumentation  (Gent,  1863). 
Im  J.  1866  übernahm  G.  die  seit  länger  als  zwanzig  Jahren  (seit  Halevy)  un- 
besetzt gewesene  Stelle  eines  »Musikdirektors«  der  Grossen  Oper  in  Paris,  und 
in  diesem  Amte,  welches  er  bis  zur  Schliessung  des  Institutes  in  Folge  der 
Kriegsereignisse  von  1870  verwaltete,  konnte  er  die  Vielseitigkeit  seines  Ta- 
lentes, sowie  seine  hervorragenden  Charaktereigenschaften  um  so  besser  bewäh- 
ren, als  die  Oberaufsicht  über  den  gesammten  Organismus  des  Theaters  (den 
Kapellmeister  nicht  ausgeschlossen)  mit  dieser  Stellung  verbunden  ist.  Die 
Zeit  der  unfreiwilligen  Müsse,  durch  welche  die  politischen  Wirren  G.'s  praktische 
Thätigkeit  unterbrachen,  sollte  jedoch  von  ihm  nicht  ungenützt  bleiben,  indem 
er,  in  seine  Vaterstadt  zurückgezogen,  sich  ausschliesslich  den  schon  in  Paris 
eifrig  betriebenen  musikhistoi'ischen  Forschungen  widmete.  Hier  vollendete  er 
seine  Theorie  und  Geschichte  der  antiken  Musik,  ein  Werk,  dessen  Veröffent- 
lichung die  Musikwelt  mit  gerechter  Spannung  erwarten  darf,  da  dieser  Gegen- 
stand bisher  von  den  praktischen  Musikern  selten  oder  nie  behandelt  wurde, 
und  ein  Mann ,  welcher  wie  G.  die  reichsten  musikalischen  Erfahrungen  mit 
einer  gründlichen  philologischen  Schulung  und  einer  eleganten  Schreibweise 
vereint,  über  diesen  bisher  noch  ziemlich  verworrenen  Theil  der  Alterthums- 
kunde  voraussichtlich  manche  Auflilärung  zu  geben  im  Stande  ist.  —  Im  J. 
1871  wurde  G.  an  Stelle  des  verstorbenen  Fetis  zum  Direktor  des  Brüsseler 
Conservatoriums  ernannt,  nachdem  er  schon  zu  dessen  Lebzeiten  als  sein  einsti- 
ger Nachfolger  von  der  musikalischen  öffentlichen  Meinung  einstimmig  designirt 
war.  Dass  es  ihm  nach  der  kurzen  Zeit  seiner  neuen  Wirksamkeit  gelungen 
ist,  die  mannigfachen  Uebelstände  zu  beseitigen,  welche  sich  unter  seinem,  mit 
literarischen  Arbeiten  überhäuften  Vorgänger  im  Conservatorinrnsunterricht 
eingeschlichen  hatten,  ist  ein  neuer  Beweis  seiner  genialen  Begabung  und  seiner 
Arbeitskraft,  wie  denn  die  Resultate  der  letzten  öffentlichen  Schülerprüfungen 
bewiesen  haben,  dass  seine  Bemühungen  auf  pädagogischem  Gebiete  von  Erfolg 
gekrönt  sind.  Selbst  die,  auf  den  Ruhm  ihres  Conservatoire  so  eifersüchtigen 
Franzosen  haben  die  musikalische  Superiorität  Brüssels  in  mehr  als  einer  Be- 
ziehung anerkannt  und  betrachten  G.  als  Autorität  im  Fache  der  musikalischen 
Pädagogik.  Dieser  dagegen,  als  ech  ter  Germane,  untcrlässt  selbstverständ- 
lich nicht,  auch  seinerseits  die  fremdländischen  Einflüsse  zu  benützen,  soweit 
es  im  Interesse  seiner  Anstalt  liegt ;  so  z.  B.  wurde  auf  seine  Veranlassung 
dem  berühmten  Sänger  der  Pariser  Oper  Faurc  das  Amt  eines  Gesangs- 
inspektors am  Brüsseler  Conservatorium  übertragen,  welches  denselben  vei-- 
pflichtet,  dieser  Anstalt  viei'teljährlich  einen  Besuch  abzustatten  und  die 
Leistungen  der  Gesanglehrer  und  Schüler  zu  controliren.  Im  J.  1873  ernannte 
die  französische  »Äcademie  des  heaux  artsa  G.  an  Stelle  des  verstorbenen  Nea- 
peler Conservatorium-Direktors  Mercadante  mit  28  von  30  Stimmen  zum  aus- 
wärtigen Mitglied,  und  spricht  sich  die  Pariser  Musikzeitung  »Menestrel«  bei 
dieser  Gelegenheit  folgendermaassen  aus:  »Diese  Ernennung  ehrt  das  musikali- 
sche Belgien  und  sichert  der  französischen  Akademie  der  schönen  Künste  einen 
schätzbaren  Zuwachs.  Gevaert  ist  nicht  allein  der  gelehrteste  Musiker  seiner 
Zeit,  sondern  auch  ein  bedeutender  Comj)onist,  wie  seine  Opern  y>Le  Billet  de 
Margiierite«,  »Quentin  Durward«,  »ie  Capitaine  IlenrioU  u.  andere  beweisen. 
Seine  Instrumentationslehre  ist  allgemein  in  Gebrauch  genommen,  und  eben 
jetzt  hat  er  eine  Anzahl  von  Unterrichtswerken  für  die  Conservatorien  von 
Frankreich  und  Belgien  beendet,  »welche  dem  musikalischen  Studium  ,  einen 
neuen  Impuls  zu  geben  geeignet  sind«.  AV.  L. 


232  Gewandhausconceit  —  Geyer. 


Geivaudhangconcert  ist  der  im  Königreich  Sachsen  hin  und  wieder  vor- 
kommende und  von  dem  Local,  in  welchem  die  Veranstaltungen  abgehalten 
werden ,  abzuleitende  Name  von  Concertinstituten.  Das  berühmteste  derselben 
ist  das  G.  in  Leipzig.  Die  Direktion  desselben  giebt  während  des  Winters 
an  Donnerstagsabenden  20  Abonnements-  und  2  Extraconcerte  (das  eine  zum 
Besten  des  Orchester-Pensionsfonds,  das  andere  für  die  Armen  der  Stadt),  in 
denen  vorzugsweise  die  grossen  Instriimental-Meisterwerke  von  einem  ausge- 
zeichneten Orchester  aufgeführt,  ausserdem  Solospiel  und  Sologesang  (nicht 
jedoch  auch  Chorgesang)  gepflegt  werden.  Nebendem  finden  noch  acht  Abend- 
unterhaltungcn  für  Kammermusik  statt.  —  Das  erste  Abonnementconcert  in 
Leipzig  überhaupt  wurde  abgehalten  am  11.  März  1743  unter  Leitung  des 
naclimaligcn  Cantors  Doles,  im  Saale  zu  den  drei  Schwanen  am  Brüld.  Der 
siebenjährige  Krieg  hob  dieses  kunstwürdige  Unternehmen  ganz  auf  .xmd  erst 
nach  geschlossenem  Frieden  erneuerte  man  es  unter  J.  A.  Hiller's  Leitung, 
welcher  die  IMusikauflführungen  später  für  eigene  Rechnung  unter  dem  Namen 
Liebhaberconcerte  im  Saale  des  Königshauses  am  Markte  fortsetzte.  In  den 
Jahren  1779  und  1780  wurden  die  unbenutzten  Räume  des  ehemaligen  Zeug- 
hauses (Gewandhauses)  zu  einem  Ball-  und  Concertsaal  umgeschaffen,  und  am 
20.  Septbr.  1781  fand  das  erste  Concert  in  diesem  neuen  Locale  statt.  Es 
bildete  sich  ein  Directorium  von  zwölf  Personen ,  welches  die  geschäftliche 
Leitung  in  die  Hand  nahm,  und  Local  wie  Verwaltungsform  sind  bis  auf  den 
heutigen  Tag  dieselben  geblieben.  Hill  er  war  der  erste  der  vom  Diiektorium 
angestellten  Musikdirektoren;  auf  ihn  folgte  1785  bis  1817  der  nachmalige 
Cantor  an  der  Thomasschule  Schicht,  doch  wurde  ihm  um  1810  Christian 
Schulz  zur  Seite  gestellt.  Der  letztere  hatte  dann  die  Leitung  bis  zu  seinem 
Tode,  im  J.  1827,  inne,  worauf  dieses  Amt  von  Aug.  P  ohlenz,  Musikdirektor 
und  Organisten  an  der  Thomaskirche,  bis  18.35  verwaltet  wurde.  Von  da  an 
beginnt  der  Weltruhm  der  Leipziger  Gewandhauscoucerte  unter  Felix  Mendels- 
sohn-Bartholdy  bis  1843,  in  welcher  Zeit  kein  Gesangs-  und  Instrumental- 
virtuose für  ausreichend  legitimirt  galt,  wenn  er  nicht  im  Gewandhause  erfolg- 
reich aufgetreten  war;  die  Zulassung  zu  diesen  Concorten  war  bereits  ein  halber 
Erfolg  für  den  Künstler.  Der  Nachhall  jener  goldenen  Tage  währte,  nachdem 
N.  W.  Gade  und  Ferd.  Hiller,  jeder  ein  Jahr  (1844  und  1845)  dirigirt 
hatten,  noch  bis  auf  Jul.  Rietz  fort.  Derselbe  stand  dem  Concerte  (mit  ein- 
zelnen Unterbrechungen)  bis  1860  vor,  worauf  der  jetzige  Dirigent  Karl 
Reinecke  folgte.  Concertmeister  der  Gewandhausconcerte  waren  Häser  von 
1781  bis  1796,  Villaret  aus  Berlin  bis  1797,  Campagnoli  bis  1817,  Mat- 
thäi,  den  das  Direktorium  zur  Ausbildung  nach  Paris  gesendet  hatte,  bis  1835 
und  von  da  an  bis  zu  seinem  Tode  (1873)  Ferd.  David.  Das  Orchester, 
gebildet  aus  dem  Stadtorchester  mit  Hinzuziehung  von  Schülern  des  Conser- 
vatoriums  und  Privatmusikern,  besteht  gegenwärtig  aus  70  Künstlern.  Der 
Saal  des  Gewandhauses  fasst  1000  Personen,  ist  mithin  für  eine  Grossstadt  zu 
klein  und  auch  in  Bezug  auf  äussere  Einrichtung  und  Ausstattung  weit  liinter 
den  Ansprüchen   der   Gegenwart  zurückgeblieben. 

Geyer,  Plodoard,  bemerkenswerthcr  deutscher  Componist,  Lehrer  der 
Musiktheorie  und  Scliriftsteller,  geboren  am  1.  März  1811  zu  Berlin,  studirte 
daselbst  von  1829  an  Theologie,  verliess  aber,  von  Vorliebe  zur  IMusik  ge- 
trieben ,  dieses  Studium  und  nahm  bei  A.  B.  Marx  Compositionsunterricht. 
Als  schaffender  Tonkünstler  machte  er  1836  durch  sein  lyrisches  ]\Ielodrama 
»Maria  Stuart«  für  Alt-Solo,  Chor  und  Orchester,  wofür  ihm  von  der  königl. 
Akademie  der  Künste  in  Berlin  der  erste  Preis  zuerkannt  wurde,  grosses  Auf- 
sehen. Im  J.  1842  gründete  er  den  akademisclien  Männergesangverein;  ein 
Jahr  später  befand  er  sich  unter  den  Mitstiftern  des  Berliner  Tonkünstlerver- 
eins, zu  dessen  Vorsitzendem  er  auch  später  gewählt  und  zehn  Jahre  hindurch 
von  Neuem  bestätigt  wurde.  Seine  Thätigkeit  als  Componist  (besonders  von 
Werken  im  Kammerinusikstyl),  als  Musikschriftsteller. und  als  Lehrer  der  Theorie 


Gej-er  —  Gezwungen.  233 

war  von  bemerk enswerthen  Erfolgen  begleitet;  fast  kein  Militär-Musikmeister 
wurde  von  Berlin  aus  bestätigt,  wenn  er  nicht  nachweislicli  einen  theoretischen 
Cursus  bei  G.  absolvirt  hatte.  Von  1852  bis  1854  ertheilte  G.  den  theoreti- 
schen Unterricht  an  dem  von  Kullak,  Marx  und  Stern  gegründeten  Conser- 
vatorium  in  Berlin,  später  an  dem  von  Stern  geleiteten  Institute  gleichen 
Namens,  worauf  er  1856  den  Titel  eines  königl,  Professors  erhielt.  Als  Mit- 
arbeiter, besondei-s  der  Neuen  Berliner  Musikzeitung  und  der  Spener'schen 
Zeitung  fast  ein  volles  Vierteljahrhundert  hindurch,  endlich  auch  des  Deutschen 
Reichsanzeigers,  hat  er  unzählige  werthvolle  Abhandlungen  und  Kritiken  von 
vortrefflichem  Inhalte,  zuletzt  einiger maassen  getrübt  durch  einen  allzu  lehrhaften 
Styl,  geschrieben.  Als  geborener  Lehrer  suchte  er  auch  für  dieses  Fach  jüngere 
Kräfte  heranzubilden  und  hat  sich  als  Berichterstatter  der  Spener'schen  Zeitung 
durch  Kritikbeflissenc  von  neuestem  Datum,  wie  Gr.  Brahmüller,  H.  Mendel, 
Em.  Breslaur  und  Schulz-Schwerin  oft  und  anhaltend  vertreten  lassen.  Sein 
Hauptwerk  ist  die  auf  drei  Theile  berechnete  musikalische  Compositionslehre, 
von  der  jedoch  nur  der  erste  Theil,  »das  elementare  Gebiet«  umfassend  (Berlin, 
1861)  erschienen,  das  ITebrige  sehr  gegen  den  Willen  des  Verfassers  Manuscript 
geblieben  ist.  Als  Künstler  und  Mensch  geachtet  und  geehrt,  starb  G-.  am 
30.  April  1872  zu  Berlin.  —  Seine  Compositionen,  meist  ungedruckt  geblieben, 
sind  sehr  zahlreich ;  sie  bestehen  in  sechs  Opern,  vier  Sinfonien,  sechs  Sinfo- 
nietten,  acht  Ouvertüren,  vielen  Kammermusikwerken,  Kirchenstücken,  Cantaten, 
Chorgesängen,  Liedern,  Ciavier-  und  Orgelstücken  u.  s.  w.  Die  Form  der  Sin- 
foniette  darf  als  G,  eigenthümlich  angehörig  betrachtet  werden;  sie  hat  in  Con- 
certen  und  als  Theaterzwischenaktsmusik  in  Berlin  vielen  Beifall,  aber  keine 
Nachahmung  gefunden.  Ein  vollständiges  Verzeichniss  von  G.'s  nachgelassenen, 
nicht  im  Druck  erschienenen  Werken  befindet  sich  in  den  Beilaaen  der  Ber- 
liner  Musikzeitung  »Echo«   Jahrg.   1872  Nr.   23  und  24. 

Geyer,  Johann  Egidius,  fleissiger  deutscher  Componist- Dilettant  und 
guter  Ciavier  Spieler,  geboren  im  fränkischen  Gebiete  um  1760,  widmete  sich 
dem  Rechtsstudium  und  starb  als  Advokat  zu  Leipzig  im  August  des  Jahres 
1808.  Gedruckt  sind  von  ihm  viele  kleinere  zwei-  und  vierhändige  Ciavier- 
stücke, mehrere  Ciaviersonaten  zu  vier  Händen  und  einige  Sammlungen  von 
Tänzen,  Liedern  und  Gesängen. 

Geyer,  Johann  Ludwig,  einer  der  grössten  Fagottvirtuosen  aus  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Unter-Siema  im  Coburg'schen 
am  25.  Jan.  1695,  erlernte  sein  Instrument  und  Musik  überhaupt  beim  Stadt- 
musicus  Zwickern  in  Coburg,  kam  1715  an  den  Hof  von  Meiningen,  von  wo 
aus  ihn  später  der  regierende  Herzog  Anton  Ulrich  mit  nach  Wien  nahm  und 
noch  fünf  Jahre  hindurch  von  dem  ersten  k.  k.  Fagottisten  Joh.  Jac.  Friedrich 
unterrichten  Hess.  Hierauf  trat  G.  1734  in  Sachsen- Weimar'sche ,  dann  aber 
wieder  in  Meiningen'sche  Dienste,  wirkte  mit  grossem  Erfolge  als  Solist,  Or- 
chesterspieler und  Lehrer  und  stai'b  um  1760  zu  Meiningen. 

Gezwuugeu.  Jede  Kunstleistung  sollte  die  Frucht  einer  leichten,  mühe- 
losen Bethätigung  künstlerischer  Kräfte  sein.  Denn  wo  Mühe  herrscht,  kann 
Anmuth  und  Schönheit  nicht  walten;  wo  Schwierigkeiten  zu  bekämpfen  sind, 
da  ist  die  Bethätigung  der  Kräfte  durch  diese  Schwierigkeiten  beherrscht  und 
in  Banden  gehalten,  sie  kann  nicht  frei,  nur  dem  Princip  des  Schönen  und 
dem  Willen  der  künstlerischen  Phantasie  unterthan  sein.  Nun  ist  aber  in 
jeder  Kunst  die  Verwirklichung  des  künstlerischen  Willens  durch  die  eigen- 
thümliche  Natur  des  Stoffes,  mit  welchem  er  es  zu  thun  hat,  vielfach  beschränkt. 
So  kann  z.  B.  der  Bildhauer  eine  Figur,  deren  Vorstellung  er  in  seinem  Geiste 
trägt,  keineswegs  in  jeder  beliebigen  Stellung,  die  er  ihr  etwa  geben  möchte, 
im  Steine  oder  Erzgusse  darstellen;  die  in  letzteren  Stoffen  waltenden  Gesetze 
der  Schwere  lassen  vielmehr  nur  solche  Stellungen  zu,  bei  welchen  der  untere 
Theil  der  Figur  dem  oberen  eine  gehörige  Unterstützung  nach  Breite  und 
Schwere  darbietet,    damit  der  obere  Theil  nicht  ein  Uebergewicht  erhalte,  und 


234  Gherardesoa. 

die  Statue  zusammeubi'ecbe.  Gegenüber  solcben  Schranken  siebt  sieb  der 
Künstler  oft  geuötbigt,  die  ersten  freien  Entwürfe  seiner  Phantasie  umzu- 
modeln, um  sie  der  Natur  des  StoflPes  anzupassen;  und  dies  ist  mitunter  eine 
grosse  Scbwierigkeit  und  die  Ursache  vieler  Mühe.  Hier  ist  es  aber  Pflicht 
des  Künstlers,  die  Schwierigkeit  nicht  nur  nothdürftig,  sondern  so  gründlich 
zu  besiegen,  dass  von  dem  ehemaligen  Vorhandensein  von  Hindernissen  und 
Mühen  nichts  zu  merken  bleibt;  obwohl  von  jenen  Schranken  eingeengt,  soll 
er  sich  doch  in  ihnen  in  einer  solchen  geschickten  Weise  bewegen,  dass  es 
scheint,  als  ob  er  sich  völlig  frei,  und  durch  nichts  Aeusseres  beeinflusst,  er- 
gehe. Besitzt  er  technische  Geschicklichkeit  und  künstlerische  Gewissenhaftig- 
keit genug,  um  dieser  Pflicht  nachzukommen,  so  wird  sein  "Werk  nirgends  jener 
Anmuth  entbehren,  welche  die  AVirkung  der  Freiheit,  und  deren  Herstellung 
in  allen  Theilen  und  allen  Bewegungen  das  erste  und  allgemeinste  Princip 
für  Productionen  der  «schönen«  Künste  ist.  Bleibt  diese  Pflicht  aber  unerfüllt, 
so  entspringt  daraus  der  Eindruck  des  Gezwungenen;  man  Avird  alsdann  den 
Zwang  unangenehm  gewahr,  welchem  die  Idee,  dem  Stoffe  zu  Liebe,  sich  unter- 
ziehen musste;  es  berührt  unschön,  diese  beiden  Elemente  nicht  ineinander  auf- 
gehen, sondern  sie  miteinander  in  Streit  befindlich  zu  sehen.  In  jenem  der 
Skulptur  entlehnten  Beispiel  müsste  also  eine  solche  Stellung  gewählt  werden, 
welche,  bei  aller  Hücksicht  auf  das  Gesetz  der  Schwere,  diese  Rücksicht  doch 
nicht  ahnen  lässt,  indem  die  Stellung  als  eine  leichte  und  durchaus  natürliche 
erkannt  wird.  —  In  der  Musik  spricht  man  z.  B.  von  einer  »gezwungenen« 
Modulation.  Es  liegt  oft  die  Absicht  vor,  von  der  Tonart,  in  der  man  sich 
gegenwärtig  befindet,  in  eine  bestimmte  andere  überzugehen  (zu  moduliren); 
und  dies  geschieht  mit  Hülfe  einer  Combination  von  Harmonien.  Hier  ist  nun 
eine  solcbe  Folge  von  Harmonien  zu  wälilen ,  deren  Eindruck  ein  schöner  ist; 
jene  Absicht  soll  nicht  nur  in  trockener,  äusserlich  zweckentsprechender  AVeise 
erreicht  werden,  sondeni  mit  dem  Zweckmässigen,  Nothwendigen  soll  sich  dus 
Aesthetische ,  Anmuthige  verknüpfen.  Eine  besonders  starke  technische  Ein- 
engung gegenüber  der  schaffenden  Phantasie  des  Musikers  bietet  der  »contra- 
punktische«  Styl.  Er  besteht  bekanntlich  in  dem  gleichzeitigen  Auftreten 
mehrerer  selbstständiger,  melodischer  Stimmen  (Tonreiheu).  Da  diese  gleicli- 
zeitigen  Melodien  sich  zu  einander  harmonisch  verhalten  müssen,  so  sind  sie 
durch  die  Hai'raoniegesetze  in  ihrer  freien  Bewegung,  namentlich  bei  einer 
grösseren  Zahl  von  Stimmen,  ausserordentlich  beschränkt.  In  diesen  engen 
Grenzen  sich  gleichwohl  mit  dem  Scheine  der  Freiheit,  mit  melodischer  Run- 
dung, und  sogar  mit  Mannigfaltigkeit  zu  bewegen,  ist  eine  der  schwersten 
Aufgaben,  deren  Vollführung  ausser  speciellem  Talent  eine  äusserst  fleissige 
technische  Ausbildung  erfordert:  erklärlicherweise  wird  sich  daher  auf  diesem 
Gebiet  am  Häufigsten  Veranlassung  finden,  den  Tadel  des  Gezwungenen  aus- 
zusprechen. —  —  Gezwungen,  in  einem  anderen  Sinne  genommen,  ist  gleich- 
bedeutend mit  »gekünstelt«;  es  bezeichnet  dann  jenes  tadelnswerthe  Verfahren, 
die  einfach-natürlichen  Forderungen,  welche  sich  aus  der  Sache  und  aus  dem 
Schönheitsprinzip  ergeben,  geflissentlich  nicht  zu  erfüllen,  sondern  statt  dessen 
etwas  Berechnet-Eigenthümliches  zu  machen,  zu  keinem  anderen  Zwecke,  als 
um  phantasievoll  und  originell  zu  erscheinen.  Während  also  in  jener  ersten 
Bedeutung  ein  Zwang  gemeint  ist,  den  der  Stoff  auf  den  Künstler  ausübt,  so 
ist  hier  von  einem  solchen  die  Rede,  den  die  AVillkür  des  Künstlers  der  Natur 
anthut.  W.  Wolf. 

Gherardesca,  Filippo,  oder  Gherardeschi,  italienischer  Opern-  und 
Kirchencomponist,  geboren  1738  zu  Pistoja,  begann  seine  musikalischen  Studien 
beim  Kapellmeister  Bosamelli  in  seiner  Vaterstadt  und  beendete  diesell)en  beim 
Padre  Martini  zu  Bologna,  bei  dem  er  1754  eingetreten  war.  Mit  der  Buffa- 
oper  ■nUamore  artigianoi  (1763  für  Lucca)  beginnend,  schrieb  er  für  verschie- 
dene italienische  Bülmen  eine  Reihe  von  komischen  Opern,  wie  vll  eurioso  in- 
discreto<i,  y>l  visionär i«,  y>La  contessinau,  »Uasfiizia  feliccv-  (1767),  »/  (hie  gohbiu, 


Gherardeschi  —  Gheraschaim. 


235 


die  meist  grossen  Beifall  fanden.  Letztgenannte  Oper,  zur  Feier  der  Anwesen- 
heit des  Grossherzogs  Leopold  von  Toskana  in  Pisa  gegeben,  verschaffte  ihm 
eine  Kirchenkapellmeisterstelle  daselbst  und  bald  darauf  das  Amt  eines  grossherz. 
Musikdirektors  und  Dirigenten  der  Hofmusik,  als  welcher  er  auch  den  Prinzen 
und  Prinzessinnen  Ciavierunterricht  ertheilte.  Als  Ciavier-  und  Orgelspieler 
war  er  überhaupt  damals  in  ganz  Italien  gerühmt.  Als  der  Grossherzog  Leo- 
pold seinem  Bruder  Joseph  II,  als  Kaiser  von  Oesterreich  folgte,  blieb  G.  bei 
Ferdinand  III.  von  Toskana  und  wurde  zur  Zeit  der  französischen  Invasion 
Kapellmeister  des  Königs  Ludwig  I.  von  Etrurien,  für  dessen  Obsequien  er 
1803  ein  Requiem  schrieb,  welches  allgemeines  Lob  fand.  Bald  darauf  pensio- 
nirt,  zog  er  sich  nach  Pisa  zurück  und  starb  daselbst  im  J.  1808.  —  Man 
kennt  ausser  Kirchenstücken  noch  von  ihm  Sonaten  für  Clavier  mit  Yiolin- 
begleitung  (Florenz,   1782),  die  zu  ihrer  Zeit  überaus  beliebt  waren. 

Grherardeschi,  Giuseppe,  der  Neffe  des  Vorigen,  ein  gewandter  Clavier- 
und  Orgelspieler,  sowie  tüchtiger  Componist,  wurde  am  4.  Novbr.  1759  zu 
Pistoja  geboren  und  erhielt  seinen  ersten  Musikunterricht  von  seinem  Vater, 
der  daselbst  Domkapellmeister  war.  Zur  weiteren  Ausbildung  in  der  Compo- 
sition  begab  er  sich  dann  unter  Sala's  Leitung  nach  Neapel.  Nach  seiner 
B,ückkehr  erhielt  er  das  Amt  seines  Vaters  und  schrieb  viele  Kircheustücke 
und  Instrumentalwerke,  die  sehr  geschätzt  waren,  aber  Manuscript  geblieben 
sind.  Eine  Oper  seiner  Composition  liL^apparenza  incjannaa.  wurde  1782  in 
Mantua  und  1784  in  Florenz  aufgeführt.  G.'s  Todesjahr  ist  unbekannt;  1812 
lebte  er  noch  in  Pistoja. 

Gherardi,  Blasio,  italienischer  Kirchencomponist,  war  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  zu  Verona,  Bekannt  ge- 
blieben sind  von  seinen  Compositionen  fünf-  und  achtstimmige  Motetten  (Ve- 
nedig, 1650).  Walther  nennt  auch  von  ihm  einige  achtstimmige  Psalme  mit 
Instrumentalbegleitung. 

Gherardo,  Pietro  Paolo,  einer  der  besten  italienischen  Orgelspieler,  ge- 
boren 1756  zu  Pisa,  war  ein  Schüler  des  Kapellmeisters  an  San  Stefano  da- 
selbst, Giuseppe  Lidarti,  wurde,  zwanzig  Jahr  alt,  Hoforganist  zu  Florenz,  dann 
auch  Kapellmeister  der  Hofmusik.  In  gleicher  Stellung  auch  noch  beim  Könige 
•Ludwig  I.  von  Etrurien,  trat  er  nach  dessen  Tode  in  den  Dienst  der  Herzogin 
Elisa  von  Lucca  und  Piombino,  Schwester  Napoleons  I.  Noch  1814  Hess  er 
sich  öffentlich  als  Orgelspieler  hören;  sein   Todesjahr  ist  jedoch  nicht  bekannt. 

Gherascb,  125"]X  Diesem  hebräischen  Accentzeichen  giebt  M.  Naumbourg 
in  seinem  "Werke:  riChants  religieux  des  Israelites,  contenant  la  liturgie  complete 
de  la  synagogue,  des  temps  les  plus  reeules  jusqu^  ä  nos  joursa  (Paris,  1847)  als 
Notenzeichen  für  das  zweite  Buch  Mose  folgende  Tonphrase: 


I 


=t= 


0. 


Gheraschaim,  Dl'ttJ'l!^,  oder  Schenegherischaim,  DlitÖ^^^iTÜ :  ^  Die  Ton- 
phrase für  diesen  hebräischen  Accent  ist  dem  des  Gheresch  (s.  d.)  sehr  ähn- 
lich in  der  orientalischen  TJeberlieferung ,  wenn  man  die  Ausschmückung  dem- 
selben rauben  würde: 


Kircher,  welcher  dies  Zeichen  Schena  gerislti  nennt,  giebt  für  dasselbe  folgende 


Tonfolge: 


-/-v — ^»- 

-SS- 

Z^~ 

=^I 

-^- 

-H-f 

-ffr) i 1 +i 

c/ 

■    ■ 

Als  den  englischen  Juden  entlehnt,    bezeichnet  Nathan    eine  sehr  schnelle  Va- 
riation dieses  Motivs: 


*  *  •  <    '-^ii"*— p 


0. 


236  Gheresch  -  Ghiselin. 

Gherescli,  T1J"15:  ''~^.  Dies  schwere  Acceutzeichtii ,  das  sich  stets  bei  dem 
ersten  Buchstaben  eines  AVortes  vorfindet,  betrachten  die  ägyptischen  Juden 
nach  A'^illoteau  als  Notation  folgender  Klangfigur: 


:'s11; 


Sl^^^^ 


welche  Deutung    auch    in   Syrien    in    gleicher  Weise  stattfindet,    nur  dass  man 
die  Tonfolge  colorirt  giebt: 


-^■H^ — -— — ^— -^ — ^^ •  -• 5 a- 


Bemerkenswerth  ist  es,  dass  Kircher  sowohl,  als  Guarin  und  Nathiin  in  ihren 
Werken  diesem  Accent  gar  keine  musikalische  Deutung  gegeben  haben.       0. 

Gherseiii,  Glaugeric  de,  niederlündischer  Kirchcncoinponist,  geboren  in 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Touruay,  war  Chorknabe  an  der 
Kathedrale  seiner  Vaterstadt  und  wurde  von  dem  Kapellmeister  dieser  Kirche, 
an  welcher  er  um  1590  als  angestellter  Sänger  fungirte,  von  Georges  de  la 
Hele,  unteri'ichtet.  Als  Letzterer  als  Kapellmeister  Philip's  II.  nach  Spanien 
ging,  folgte  ihm  G.  und  wurde  dort  ebenfalls  als  Kapellmeister  angestellt. 
Heimweh  führte  ihn  in  sein  Vaterland  zurück,  und  er  trat  als  Kapellmeister 
in  die  Dienste  des  Erzherzogs  Albert  und  der  Infantin  Isabella,  bis  er  end- 
lich eine  Präbende  zu  Tournay  erhielt.  Als  von  ihm  componirt  werden  Messen, 
Motetten  und  in  Spanien  gedruckte  Villancicos  (Gesänge  auf  das  Weihnachts- 
fest und  den  Dreikönigstag)  genannt. 

(xhezzi ,  Ippolito,  musikgelehrter  italienischer  Augustinermönch,  war 
Baccalaurcus  der  Theologie  und  Kapellmeister  an  der  Kathedralkirche  von 
Monte-Pulciano  und  wirkte  als  solcher  zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts.  Von 
ihm  erschienen  nOratori  sacri  a  Ire  voci,  cavati  dalla  scrittura  .sacran  (Bologna, 
1700),  Das  erste  dieser  Oratorien  heisst  nÄhelea  und  ist  für  zwei  Soprane 
und  Bass  geschrieben,  das  zweite  y^Adamoa  und  das  dritte  »11  Davidde  triotifanfe«, 
beide  für  Sopran,  Alt  und  Bass. 

Grhiuassi,  Stefano,  italienischer  Operncomponist  und  Dirigent,  geboren 
1751  zu  Brescia,  wurde  in  der  Musik  von  Andrea  Labella,  einem  gelehrten 
Franziscaner  unterrichtet  und  erhielt  sodann  die  Stelle  eines  Cembalisten  am 
Theater  San  Samuele  in  Venedig.  TJm  1784  wurde  er  als  Musikdirektor  der 
italienischen  Oper  nach  Dresden  berufen  und  brachte  dort  von  seiner  Compo- 
sition  die  Opern  »JZ  governatore  delV  isole  Canarien  (1785),  y>Il  seranlio  d'Osmanoa 
(1787)  und  r)Lo  stravagante  imßesev-  (1790)  zur  Aufführung.  Das  Manuscript 
der  erstgenannten  Oper  befindet  sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden. 
Von  Dresden  kam  G.  zur  italienischen  Oper  nach  Warschau,  wo  er  wiederum 
als  Cembalist  fungirte.  Zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  aber  kehrte  er  nach 
Italien  zurück,  wo   er  bald  darauf  gestorben  sein   soll. 

Ghiretti,  Gasparo,  italienischer  Violinvirtuose  und  Componist,  geboren 
1747  zu  Neapel,  besuchte  mit  seinem  Bruder,  der  ein  treffliclier  Gesanglehrer 
wurde,  das  Conservatorio  della  Pieta  und  erhielt  um  1774  die  Anstellung  als 
Kammermusicus  des  Herzogs  Ferdinand  von  Parma,  in  welchem  Berufe  er  im 
J.  1797  starb.  Von  seinen  Compositionen,  bestehend  in  Messen  und  Litaneien, 
einem  dreistimmigen  Stabat  mater,  sowie  in  zahlreichen  Sonaten  und  Capricen 
für  Violine  ist  nichts  im  Druck  erschienen. 

Ghiribizzo  (ital.),  der  grillenhafte  oder  bizarre  Einfall,  also  so  viel  wie 
Capriccio  (s.  d.). 

Ghiselin  oder  Ghiselain,  Jean,  ein  Meister  aus  der  Schule  der  nieder- 
ländischen Contrapunktisten,  lebte  und  wirkte  zu  Ende  des  15.  und  zu  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  und  stammte  aller  Wahrsclieinlichkeit  nach  aus  dem 
Hennegau.  Von  seinen  Lebensumständen  ist  leider  nichts  bekannt  geblieben; 
Glarean,    der    in    seinem  »Dodecachordona    einen  Gesangssatz    von  G.  mittheilt, 


Ghisvaglio  —  Giacobbi.  237 

nennt  ihn  y^SympJionetaa,  woraus  zu  schliessen,  dass  Gr.  Sänger  bei  einem  Kir- 
chenchore gewesen  ist.  In  der  von  Petrucci  da  Fossombrone  herausgegebenen 
Sammlung  -nMissae  diversorum  auctorum  quatuor  vocibusa.  (Venedig,  1503)  be- 
finden sich  fünf  von  G.'s  Messen;  andere  Drucke  Petrucci's,  desgleichen  der 
Codex  Basevi  u.  s.  w.  bewahren  noch  eine  beträchtliche  Anzahl  seiner  Mo- 
tetten und  Canti,  aus  denen  die  contrapunktische  Meisterschaft  ihres  Compo- 
nisten  hervorgeht. 

Gliisvaglio,  Girolamo,  italienischer  Madi-igalencomponist,  geboren  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Eimini,  ist  mit  zahlreichen  Gesängen 
hervorgetreten,  von  denen  besonders  fünfstimmige  Madrigale  auch  weiterhin 
bekannt  geblieben  sind. 

Gliizzola,  Giovanni,  ein  angesehener  italienischer  Kirchencomponist  aus 
Brescia,  war  um  1619  Kapellmeister  des  Cardinais  Aldobi'andini  zu  E-avenna. 
Compositionen  von  ihm  sollen  in  einigen  zwanzig  grossen  Lieferungen  erschienen 
sein;  vier  davon,  gedruckt  zn  Venedig  von  1619  bis  1622,  existiren  noch  und 
enthalten  Messen,  Psalme,  Litaneien,  Falsi  bordoni  u.  s.  w. ;  andere  Stücke  von 
ihm  befinden  sich  in  Bergameno's  y^Parnassus  musicus«  (Venedig,  1615). 

Grlioltim  Riisul  war  der  Name  eines  im  18.  Jahrhundert  in  Indien  von 
Eingeborenen  wie  von  europäischen  Kennern  der  dort  heimischen  Musik  sehr 
gerühmten   Sängers  von  altindischen  Dichtungen.  0. 

Gfhro,  Johann,  deutscher  Oi'gelspieler  und  Gesangscomponist  des  16.  Jahr- 
hunderts, war  als  Organist  an  der   Stadtkirche  zu  Meissen  angestellt. 

Ghuza  nannten  nach  der  Sängita  rätlinalcara  (s.  d.)  die  alten  Inder 
diejenige  ihrer  vier  Instrumeutgattungen,  welche  die  Tonwerkzeuge,  die  nur  zu 
zweien  gebraucht  werden,  aufwiess,  wie  Gastagnetten,  Becken  etc.  0. 

Ghys,  Joseph,  ausgezeichneter  belgischer  Violinvirtuose  und  Componist' 
für  dieses  Instrument,  geboren  1804  zu  Gent,  erhielt  schon  sehr  früh  Musik- 
unterricht und  wurde  in  seiner  technischen  Ausbildung  besonders  durch  Lafout 
auf  die  höchste  Stufe  gebracht.  Kaiam  zwanzig  Jahr  alt,  begab  er  sich  auf 
Kunstreisen,  die  ihn  rühmlichst  bekannt  machten.  Nach  einem  längeren  Auf- 
enthalte in  Amiens,  sodann  in  Nantes,  wo  er  Violinunterricht  ertheilte,  nahm 
er  im  J.  1832  seine  Concertreisen  wieder  auf,  die  seinem  im  höchsten  Grade 
zierlichen  und  eleganten  Spiele  auch  in  England  und  Deutschland  ausserge- 
wöhnliche  Anerkennung  verschafi"ten.  Auf  einer  ebenfalls  überaus  erfolgbelohn- 
ten Kunstreisc  durch  Bussland  begriffen,  wmxle  er  am  22.  Aug.  1848  zu  St. 
Petersburg  von  der  Cholera  dahingerafft.  Als  Componist  war  G.  ohne  Bedeu- 
tung; seine  im  Druck  erschienenen  Fantasien,  Variationen  u,  s.  w.  behaupteten 
sich  einige  Zeit  hindurch  als  wohlklingende  Salonstücke.  Werthvoller  waren 
seine  mit  Applicatur  und  Ausdruckszeichen  neu  versehenen  Stücke  anderer  Violin- 
componisten.  —  Sein  Sohn,  Henri  G,,  lebt  als  Violinist  und  Componist  in  Paris. 

Cfi  nannte  Dan.  Hitzler  (gestorben  1635)  in  der  von  ihm  Bebisation 
(s.  d.)  genannten  Tonbezeichnungsart  den  alphabetisch-syllabisch  jetzt  gis  heissen- 
den  Klang.  0. 

Giaccio,  Girolamo,  italienischer  Componist,  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts (wahrscheinlich  in  Neapel)  geboren,  gehört  mit  seinen  Compositionen, 
von  denen  dreistimmige  Canzonetten  erhalten  geblieben  sind,  der  neapolitanischen 
Schule  an. 

Giacobbi,  Girolamo,  classischer  italienischer  Componist  der  Bolognesischen 
Schule,  geboren  um  1575  zu  Bologna,  wurde  in  seiner  Vaterstadt  1604  zweiter 
und  später  erster  Kapellmeister  an  der  Kirche  San  Petronio.  Er  gründete 
um  1622  die  Akademie  der  y>Filomush,  die  Zweitälteste  gelehrte  Musikgesell- 
schaft in  Italien  (s.  Akademie),  welche  sich  aber  alsbald  nach  G.'s  Tode,  der 
am  30.  Novbr.  1630  zu  Bologna  erfolgte,  in  Folge  der  damals  furchtbar  wüthen- 
den  Pest  wieder  auflöste.  Erst  1666  (vgl.  Jahn,  Mozart  I.  207)  scheint  sich 
diese  Gesellschaft  im  Sinne  ihres  Gründers  von  Neuem  constituirt  zu  haben. 
Sie  veranstaltete    feierliche   musikalische  Aufführungen  (eine   Beschreibung  der- 


238  Giacoinelli  —  Gialdini. 

selben  bringen  Burney's  Reisen  I.  166)  und  ernannte  ausgezeichnete  Coni- 
ponisten  zu  Mitgliedern.  Diese  Aufnahme  galt  aber  nicht  nur  als  eine  Aus- 
zeichnung für  künstlerische  Bedeutung,  sondern  hatte  später  auch  Einfluss  bei 
Anstellungen.  Denn  laut  einem  von  Papst  Benedict  XIV.  um  1749  erlassenen 
Breve  waren  nur  Mitglieder  dieser  Akademie  zur  Bekleidung  von  Kapellmeister- 
stellen in  Bologna  berechtigt,  ausserdem  aber  genügte  die  Mitgliedschaft,  um 
ohne  -weitere  Prüfung  au  allen  übrigen  Kirchen  des  päpstlichen  (Tebietcs  zuge- 
lassen zu  werden  (vgl.  auch  Grretry,  Mem.  I.  91).  —  G.  selbst  hat  auch  das 
Verdienst,  eine  der  ersten,  wenn  nicht  gar  die  ei'ste  Oper  für  Bologna,  »Andro- 
meda<i  geschrieben  und  daselbst  1610  zur  Aufführung  gebracht  zu  haben.  Eine 
Arie  daraus:  »/o  di  .'j/t'do,  o  mosfro  infame<i.  war  noch  la^ige,  nachdem  die  Oper 
selbst  verschollen  war,  in  ganz  Italien  ])prührat  und  viel  gesungen.  Ausserdem 
liat  Gr.  viele  Werke  für  die  Kirche  geschrieben ,  deren  Manuscripte  in  dem 
Besitz  des  Padre  Martini  sich  befanden,  nach  dessen  Tode  dieselben  in  die 
Bibliothek  des  Klosters   San  Francesco   zu  Bologna  übergingen. 

(rincoiiielli,  Geniin iano,  fruchtbarer  italienischer  Operncomponist,  geboren 
1686  zu  Parma,  trieb  seine  Studien  im  Gesang,  Ciavierspiel  und  Contrapunkt 
beim  Kapellmeister  Capelli  daselbst.  Erst  achtzehn  Jahr  alt,  konnte  er  be- 
reits mit  einer  Oper  i> Ipermestrav.  debütiren  und  zwar  so  erfolgreich,  dass  ihm 
der  Herzog  die  Directiou  seiner  Hofmusik  anvertraute  und  ihn  bald  darauf  zu 
einem  Studienaufenthalt  bei  Scarlatti  nach  Neapel  entsandte.  Zahlreiche  Opern 
brachte  G.  nun  aiif  die  Bühne,  und  alle  italienischen  Theater  von  Bedeutung 
bewarben  sich  um  den  Besitz  derselben.  Kaiser  Karl  VI.  zog  ihn  nach  Wien, 
und  für  die  dortige  italienische  Oper  schi-ieb  er  die  Partituren  zu  -aöato  in  Ufica<i, 
fiL^Arrenionei.  u.  s.  w.  Etwa  1730  kehrte  er  nach  Neapel  zurück  und  Hess 
dort  1731  ytEpaminonda«.  auf  der  Bühne  erscheinen  und  im  weiteren  Verlaufe 
■s>Merope<i  in  Venedig  (1734)  und  y^Gesare  in  EgittovL  in  Turin  (1735),  welche 
letztere  Oper  allgemein  für  sein  Hauptwerk  angesehen  wurde.  Turin  erhielt 
auch  1736  seine  letzte  Oper,  die  »^rs«ce«  hiess.  G.  selbst  starb  am  19.  Jan. 
1741  zu  NeapeL  Zwölf  Arien  seiner  Composition  mit  Clavierbeglcitung  be- 
finden sich  unter  den  Manuscripten  der  Bibliothek  zu  Dresden. 

(riaeomelli,  Giuseppe,  italienischer  Gesanglehrer  und  Vocalcomponist, 
geboren  1759  zu  Novara,  Hess  sich  um  1790  als  Gesanglehrer  in  Paris  nieder 
und  componirte^  hauptsächlich  für  die  Praxis  des  Unterrichts,  Romanzen,  von 
denen  einige  Hefte  im  Druck  erschienen  sind.  Er  starb  im  J.  1822  zu  Paris. 
—  Seine  Schülerin  und  nachmahge  Gattin,  Genevieve  Sophie  G.,  geborene 
Bille,  war  eine  talentvolle  Dilettantin  in  Bezug  auf  Gesang,  Composition  und 
Malerei.  Nachdem  sie  1808  einige  Erfolge  als  Concertsängerin  gewonnen  hatte, 
versuchte  sie  sich,  auf  Antreiben  G.'s.  auch  auf  dem  Theater,  aber  ohne  Glück, 
da  ihre  Stimme  für  die  Oper  zu  schwach  erschien.  Nicht  besser  kam  sie  bei 
wiederholtem  Auftreten  1813  in  der  Pariser  italienischen  Oper  davon  und  auch 
in  der  Ojjera  comique  hatte  sie  seit  1815  keinen  bedeutenden  Erfolg.  Der 
Bühnengesang  hatte  aber  neben  ihrer  Stimme  auch  ihre  Gesundheit  scharf  an- 
gegriffen. Sie  musste  sich  vom  Engagement  zurückziehen  und  starb  am  11. 
Novbr.  1819  zu  Paris.  Von  ihren  Compositionen  sind  sechs  zweistimmige 
italienische  Notturni  mit  Pianofortebegleitung  im  Druck  erschienen. 

Giacoiniui,  Bernardino,  italienischer  Madrigalencomponist  des  16.  Jahr- 
hunderts, aus  dem  Friaul  gebürtig,  über  den  jedoch  weitere  Mittheilungen  nicht 
bis  auf  die   Gegenwart  gelangt  sind. 

Giai,  G.  A.,  italienischer  Operncomponist  des  18.  Jahrhunderts,  von  dessen 
Lebensumständen  nichts  mehr  zu  ermitteln  war.  Eünf  Arien  aus  seiner  Oper 
■nÄdriano  in  Siriatu  befinden  sich  im  Manuscript  auf  der  königl.  Bibliothek  zu 
Dresden.  Sechs  andere  Arien  von  ihm  wurden  1756  zu  Nürnberg  gedruckt. 
Vgl.  übrigens   Gini,    mit  dem   G.  identisch  zu  sein  scheint. 

Gialdiiii,  Luigi,  italienischer  Virtuose  auf  der  Oboe,  dem  englischen 
Hörne,    der  Flöte,    dem  Pagott    und  Instrumentalcomponist,    geboren    1762  zu 


Giamberti  —  Gianotti.  239 

Pescia,  erhielt  auf  den  genannten  Instrumenten  von  Michele  Sozzi  zu  Florenz 
Unterricht  und  wurde  als  erster  Oboist  am  Theaterorchester  in  Livorno  ange- 
stellt, in  welcher  Stellung  er  auch  1817  gestorben  ist.  Als  Componist  war  er 
im  ersten  "Viertel  des  19.  Jahrhunderts  weiterhin  bekannt  durch  ein  Flöten- 
concert,  ferner  durch  Trios  für  verschiedene  Instrumente  und  durch  Duette  für 
Flöte  und  Violine,  für  Flöte  und  Fagott  u.  s.  w.  sämmtlich  im  Druck  erschienen. 

Giamberti,  Giuseppe,  italienischer  Kii'chencomponist ,  geboren  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Hom,  machte  die  musikalische  Schule 
Bernardino  Nanini's  und  Paolo  Agostini's  durch  und  wurde  zweiter  Kapell- 
meister an  der  Kathedralkirche  von  Orvieto.  Später  wurde  er  neben  Gregorio 
Allegri  und  Tarditi  als  zweiter  Kapellmeister  an  Santa  Maria  Maggiore  nach 
Rom  berufen,  rückte  daselbst  1629  zum  ersten  Kapellmeister  auf,  starb  aber 
schon  im  J.  1630.  Von  seinen  Compositionen  sind  bekannt  geblieben:  tiDue 
lihri  di  poesie  varie  in  musicais.  (Rom,  1613);  y>Duetfi  per  solfeggiarea  (Rom, 
1657);  y>Sacrae  moclulationes  2,  3,  ^  et  h  vocihus  cum  litanüs  heatae  virginis 
Mariaev.  (Rom,  1627).  In  Florido's  y>Baccolta<.<i  (Rom,  1662)  befindet  sich  von 
G.  ein  dreistimmiges  y^Laudaten.  G.'s  Verdienst  aber  gipfelt  in  der  wesentlichen 
Theilnahme  an  der  Verbesserung  des  Antiphonars,  welches  zwanzig  Jahre  nach 
seinem  Tode  erschien  und  den  Titel  führt:  ryAtitipliona  et  motecta  festis  omnibuft 
propria  et  communia  juxta  formam  hreviarii  romani  etc.a  (Rom,   1650). 

Giauella,  Luigi,  italienischer  Flötenvirtuose,  der  um  1800  seinen  Auf- 
enthalt in  Paris  nahm  und  als  erster  Flötist  in  das  Orchester  der  Komischen 
Oper  in  der  Rue  de  la  victoit'e  gezogen  wurde.  Im  J.  1805  componirte  er  mit 
Dumonchau  gemeinschaftlich  die  Oper  y>L^ofßcier  cosaque«,  welche  grossen  Bei- 
fall fand  und  oft,  unter  dem  Namen  »der  Kosakenhauptmaun«  auch  in  Deutsch- 
land, aufgeführt  wurde.  Ein  Jahr  später  erschien  das  Ballet  y>Avis  et  Galatheea 
mit  Mvisik  von  G.  auf  der  Bühne,  wovon  das  Arrangement  für  Harmoniemusik 
auch  gedruckt  wurde.  G.  selbst  starb  im  J.  1817  zu  Paris.  —  Von  seinen 
übrigen  Compositionen  sind  herausgegeben:  Concerte  für  Flöte,  Quintette  für 
Flöte  und  Streichquatuor,  Trios  für  Flöte,  Violine  und  Violoncello ,  Duos  für 
zwei  Flöten,  für  Harfe  und  Flöte,  Romanzen  für  eine  Singstimme  u.  s.  w. ; 
namentlich  sind  seine  Flötenstücke  ausserordentlich  geschickt  gearbeitet. 

Giauelli,  Abbate  Pietro,  italienischer  Musikschriftsteller,  geboren  um 
1770  im  Friaul,  trieb  in  Padua  neben  den  theologischen  auch  musikalische 
Studien  und  lebte  fernerhin  vorzugsweise  in  Venedig.  Er  gab  ein  •i>Dizio7iario 
della  musica  sacra  e  profanav.  (Venedig,  1801,  2.  Aufl.  1810,  3.  Aufl.  1820), 
eine  ungenaue  und  unzuverlässige  Compilation,  aber  doch  das  erste  "Werk  dieser 
Art  in  Italien,  heraus.  Sodann  erschienen  aus  G.'s  Feder:  -nGrammatica  ragionata 
della  musica  etcM  (Venedig,  1801,  2.  Aufl.  1820)  und  endlich  y>Biografia  degV 
nomini  illustri  della  musica,  ornata  de''  loro  respettivi  ritrattiv.  (Venedig,  1820), 
welche  umfangreicher  angelegte  Arbeit  jedoch  über  die  erste  Lieferung  nicht 
hinaus  kam,  da  G.'s   Tod  die  Fortsetzungen  verhinderte. 

Giauettini,  Antonio,  italienischer  Operncomponist,  der  sich  gegen  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Hamburg  aufhielt,  wo  er  sich  durch  »ia  scldava  for- 
tunata'i  (1693  aufgeführt),  »J/e^ea«  und  -nT^rmionev.  (beide  1695  gegeben)  einen 
Namen  machte.  Nach  Italien  zurückgekehrt,  brachte  er  1709  zu  Modena  seine 
Oper  »7  presagi  di  Melissav.  auf  die  Bühne.  Im  Catalog  der  im  Breitkopf - 
sehen  Besitze  befindliche  Manuscripte  fand  sich  auch  ein  fünfstimmiges  Kyrie 
mit  Instrumentalbegleitung  von  G.  angeführt. 

Giaug-iacomo,  "Perino,  italienischer  Componist  von  Madrigalen,  war  um 
die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  zu  Modena  geboren,  lebte  zu  Mailand,  wo  auch 
Gesänge  von  ihm  im  Druck  erschienen  sind  und  starb  daselbst  im  J.   1607. 

Giauotti,  Pietro,  italienischer  Instrumentalcomponist  und  Musiktheoretiker, 
geboren  um  1720  zu  Lucca,  kam  in  jungen  Jahren  nach  Paris  und  studirte 
bei  Rameau  Harmonie  und  Composition.  Im  J.  1739  fand  er  im  Orchester 
der  Grossen  Oper  Anstellung    als  Contrabassist,    gab    nebenbei    auch   sehr  ge- 


240  Giausetti  —  Giai'dini. 

schätzten  theoretischen  Unterricht  und  zählte  unter  seinen  Schülern  den  be- 
rühmt gewordenen  Opcrncomponisten  Moasigny.  Im  J.  1758  wurde  er  von 
der  Operudirektion  peusionirt  und  starb  am  19.  Juni  1765  zu  Paris.  Sein 
Hauptwerk  ist  eine  nach  Rameau'schen  Principien  verfasste  Harmonie-  und 
Compositionslehre,  betitelt:  »Le  guide  du,  comjjositeur,  contenaiit  des  regles  süres 
pour  trouvcr  d^ahord  par  les  consonnances  ensuite  par  les  dissonnances  la  hasse 
fondamentdle  de  tous  les  chants  posslblesv.  (Paris,  1759).  Seine  Compositiouen, 
bestehend  in  Violin- Sonaten  ohne  Begleitung,  Duetten  für  zwei  Violinen,  Streich- 
trios, Sonaten  für  Violoncello,  Duos  für  zwei  Musetten  und  Cantatillen,  sind 
ziemlich  werth-  und  bedeutungslos. 

Giausetti,  Griovanni  Battista,  auch  Grianzetti  geschrieben,  italienischer 
Componist  der  römischen  Schule,  trat  1667  das  Amt  als  Kapellmeister  an  San 
Giovanni  in  Laterano  zu  ßom  an,  welches  er  bis  zum  Septbr.  1675  iune  hatte. 
In  dieser  Zeit  veröffentlichte  er  zugleich:  56  Motetten  für  zwei,  drei  und  vier 
Stimmen  (Born,  1670),  Motetten  für  drei  Sopranstimmen,  und  acht-  und  zehn- 
stimmige Messen  (Bom,  1671).  Besonders  berühmt  wurde  er  jedoch  durch 
eine  12 chörige  (48 stimmige)  Messe,  welche  am  4.  Aug.  1675  in  der  Kirche 
Santa  Maria  sopra  Minerva  zu  Bom  zur  allgemeinen  Bewunderung  zur  Aus- 
führung gelangte. 

Giardiui,  Fclice,  einer  der  grössten  italienischen  Violinvirtuosen  des  18. 
Jahrhunderts,  guter  Clavierspieler  und  zugleich  fruchtbarer  und  berühmter 
Componist,  wurde  im  J.  1716  zu  Turin  geboren  und,  da  er  mit  schöner  Stimme 
begabt  war,  jung  noch  den  Chorknaben  des  Domes  zu  Mailand  zugeordnet, 
wodurch  er  Gelegenheit  hatte,  bei  Paladini  eine  vortrefläiche  Ausbildung  in 
Gesang,  Clavierspiel  und  Composition  zu  erhalten.  Da  G.  aber  seine  Vorliebe 
der  Violine  schenkte,  so  wurde  er  von  seinem  Vater  dem  berühmten  Somis  in 
Turin  zum  Unterrichte  auf  diesem  Instrumente  übergeben.  Der  Erfolg  der 
Methode  dieses  grossen  Lehrers  und  des  Fleisses  G.'s  war  in  kurzer  Zeit  ein 
wunderbarer,  und  G.  ging  nach  Bom,  um  eine  Concertmeisterstelle  zu  finden 
und  zu  übernehmen;  man  wdes  ihn  jedoch  in  dieser  Beziehung  seiner  grossen 
Jugend  wegen  überall  ab.  Mehr  Glück  hatte  er  in  Neapel,  wo  er  die  ge- 
wünschte Orchesteranstellung  alsbald  fand.  Seine  Sucht ,  im  Solo  wäe  im 
Accompagnement  die  schwierigsten  und  gewagtesten  Vei'zierungen  anzubringen, 
fand  bei  der  grossen  Menge  rauschenden  Beifall ,  soll  ihm  jedoch  in  einer  Jo- 
melli'schen  Oper  von  Seiten  des  Componisten  eine  Ohrfeige  eingetragen  haben, 
die  ihn  von  dieser  uakünstlerischen  Angewohnheit  heilte.  Im  J.  1744  erschien 
G.  in  London  und  erregte  als  Violinist  ein  Aufsehen,  wie  es  bis  zu  des  Schau- 
spielers Garrik's  Zeiten  unerhört  gewesen  war;  zugleich  verschaffte  er  sich 
durch  Compositionen  der  verschiedensten  Art  Eingang  beim  englischen  Publikum. 
Vier  Jahre  später  begab  er  sich  zu  einem  achtzehnmonatlichen  Aufenthalt  narh 
Paris,  wo  er,  nachdem  er  im  Goncert  spiritucl  Alles  für  sich  begeistert  hatte, 
der  erklärte  Liebling  des  Hofes  wie  des  Publikums  war.  In  dieser  Zeit  soll 
er  auch  erfolgreich  in  Deutschland  aufgetreten  sein.  Nach  London  1750  zu- 
rückgekehrt, benutzte  er  sein  Ansehen,  um  einen  bleibenden  Einfluss  zu  er- 
langen. Wie  sehr  ihm  dies  gelang,  bewiesen  die  Morgenconcerte  in  seinem 
Hause,  zu  denen  sich  die  feine  Welt  drängte  und  die  theuer  aufgewogenen 
Unterrichtsstunden  im  Violinspiel  und  Gesang,  die  er  ertheilen  musste.  Als 
Concertmeister  1755  führte  er  überdies  eine  neue  Disciplin  und  bessere  Manier 
des  Vortrags  ein.  Zweimal,  1756  und  1763,  machte  er  den  Versuch  als  Unter- 
nehmer der  italienischen  Oper  Glück  und  Glanz  im  grösseren  Maassstabe  an 
sich  zu  fesseln,  bezahlte  aber  schliesslich  das  Wagniss  mit  Verlust  seines  ganzen 
Vermögens,  und  weder  die  Wiederaufnahme  seiner  Concerte  vmd  seiner  Lectionen, 
noch  die  vermehrte  Herausgabe  der  verschiedenartigsten  Compositionen  ver- 
mochte ihn  wieder  in  die  Höhe  zu  bringen.  Hatte  er  früher  seine  Nebenbuliler 
Festing  und  Brown  vcx-dunkelt,  so  wurde  er  selbst  jetzt  durch  Wilh.  Gramer 
in  den   Schatten  gestellt.     Er  verliess  in  Folge  dessen   1784  England  und  ver- 


Giardinieri  —  Gibbons.  241 

weilte,  unterstützt  von  dem  (xesandten  Sir  William  Hamilton,  einige  Jahre  in 
Neapel,  bis  er  sich  hochbetagt  zu  einer  Kunstreise  nach  Kussland  aufraffte,  auf 
welcher  er  jedoch  im  September  1796  zu  Moskau  starb.  —  Als  Vii'tuose  zeich- 
nete sich  G-.  durch  edlen  schönen  Ton  und  vollendete  Fertigkeit,  sowie  durch 
feinen  Geschmack  und  elegante  Haltung  aus,  während  er  als  Instrumentalcom- 
ponist  warhaft  unerschöpflich  in  Exfindung  von  Variationen,  Solos,  Concerten 
und  Duetten  für  Violine  erschien.  Zu  den  52  im  Druck  erschienenen  Werken 
auf  instrumentalem  Gebiets  kommen  noch  Trios,  Quartette  und  Quintette  für 
Streichinstrumente,  Sonaten  für  Ciavier  und  Violine  u.  s.  w.  Ferner  erschienen 
von  ihm  noch  Italian  songs,  englisli  songs,  sogenannte  catclies  und  eine  Samm- 
lung von  Duetten.  Ein  Oratoiium  »Huth«  gelangte  1772  (auch  1787  noch 
einmal)  ohne  grösseren  Erfolg  in  London  zur  Aufführung,  wie  schon  früher 
seine  Opern  -nEnea  e  Lavinia(s.  (1746),  ȧoswitaa  (1757)  und  nSiroea  (1764). 
Auch  an  dem  Pasticcio  yiOieonicea.  (1764)  hatte  er  compositoi'ischen  Antheil 
und  in  der  englischen  Operette  versuchte  er  sich  mit  der  »Liebe  auf  dem  Dorfe«, 
aufgeführt  im  J.  1747.  Die  Bibliothek  in  Dresden  bewahrt  von  ihm  im  Ma- 
nuscript  zwei  Arien  und  ein  Hondo  für  Sopran.  —  Seine  Gattin,  Violeuta 
G.,  geborene  Vestris,  die  er  175ü  in  Paris  heimgeführt  hatte,  war  eine  vor- 
zügliche Sängerin,  welche  ihrem  Manne  in  London  bei  der  Ertheilung  von 
Gesangunterricht  erfolgreich  zur   Seite  stand, 

Giardinieri    (ital.),    Gärtnerlieder,    Gesänge,    deren    sich    die  Gärtner   zum 
Lobe  ihrer  Kunst  bedienen. 

Giarnovichi,  s.  Giornovichi. 

Gibbons,  eine  englische  Tonkünstlerfamilie,  deren  weit  verbreiteter  Ruf  auf 
folgende  drei  Brüder  zurücliführt.  1)  E-oland  G.,  der  sich  italienisirt  Or- 
lando G.  nannte,  der  berühmteste  Träger  dieses  Namens,  wurde  1583  zu' 
Cambridge  geboren,  wo  er  so  tüchtige  musikalische  Studien  machte,  dass  er, 
erst  21  Jahr  alt,  zum  Organisten  der  königl.  Kapelle  ernannt  wurde  und  1622 
die  musikalische  Doctorwürde  der  Universität  zu  Oxford  sich  erwarb.  Er  starb 
aber  schon  im  J.  1625  zu  Canterbury  an  den  Blattern,  als  er  eben  die  ihm 
aufgetragene  Festmusik  zur  Vermählungsfeier  Karls  I.  mit  Henriette  von  Frank- 
reich vollendet  hatte.  Wie  hoch  verehrt  er  als  Kirchencomponist  dasteht,  zeigt 
der  Umstand,  dass  fast  keine  der  zahlreichen  englischen  Kirchenmusik-Samm- 
lungen Anthem's  und  Services  von  ihm  vermissen  lässt.  Lessons  for  ihe  Vir- 
ginal  von  ihm  weist  die  Sammlung  »Parthenia«  und  Orgelstücke  Smith's  nMusica 
antiquat.  auf.  Er  selbst  hat  Madrigale  (London,  1612)  veröffentlicht.  Am 
Meisten  rühmt  man  noch  jetzt  sein  »Hosianna«.  Sein  Porträt  befindet  sich 
im  vierten  Bande  von  Hawkin's  Musikgeschichte.  —  Sein  Sohn,  Christopher 
G.,  wurde  hauptsächlich  von  seinem  Oheim  Ellis  G.  zum  tüchtigen  Musiker 
gebildet,  erhielt  ebenfalls  früh  Anstellung  in  der  Kapelle  Karl's  I.  und  wurde 
nach  der  Restauration  Organist  jjn  der  AVestminsterabtei.  König  Karl  II. 
selbst,  dessen  Günstling  er  seiner  bewährten  royalistischen  Gesinnungen  wegen 
war,  erwirkte  ihm  1664  die  musikalische  Doctorwürde  von  Oxford.  G.,  von 
dem  man  sonst  nur  einige  Anthem's  kennt,  starb  am  20.  Oktbr.  1676  zu 
London.  Eine  verbreitete  Sage  nennt  ihn  als  denjenigen  Organisten,  bei  dem 
Joh.  Jac.  Frohberger  nach  seiner  Ankunft  in  London  unter  unwürdiger  Be- 
handlung Balgtreterdienste  verrichten  musste.  —  2)  Edward  G. ,  der  ältere 
Bruder  ßoland's,  etwa  1571  zu  Cambridge  geboren,  war  in  seinen  jüngeren 
Mannesjahren  Baccalaureus  der  Musik  an  der  Universität  seiner  Geburtsstadt, 
sowie  seit  1592  an  der  von  Oxford.  Bald  darauf  wurde  er  Organist  und 
Musikdirektor  an  der  Kathedralkirche  zu  Bristol  und  endlich  Organist  und 
Mitglied  der  königl.  Kapelle  zu  London.  Seiner  Ergebenheit  für  die  königl. 
Familie  wegen  wurde  er  mit  seinen  Söhnen  vom  Dictator  Cromwell  aus  Eng- 
land verbannt  und  starb  im  J.  1640.  Compositionen  von  ihm,  die  sehr  werth- 
voll  sein  sollen,  bewahrt  die  Universitätsbibliothek  zu  Oxford  auf.  —  3)  Ellis 
G.,  der  jüngste  Bruder  der  Vorgenannten,    war  einer  der  berühmtesten   Orgel- 

Musikal.  Couvers.-Lexikdu.    IV.  16 


242  Gibel  — Gibson 

Spieler  seiner  Zeit  und  als  Organist  in  Salisbury  xind  Bristol  angestellt.  Er 
starb  im  J,  1650.  Ein  fünf-  und  ein  sechsstimmiges  Madrigal,  beide  in  der 
Sammlung  -stThe  triumph  of  Orianaa  des  Thomas  Morley  enthalten,  scheinen 
die  einzigen  Ueberbleibsel  seiner  sehr  gerühriiten  Compositionsthätigkeit  zu  sein. 

Oibel,  Otto,  latinisirt  Gibelius,  gelehrter  (Mattheson  sagt  »grundgelehi-- 
ter«)  deutscher  Tonkünstler,  war  der  8ohn  eines  Geistlichen  und  1612  zu  Borg 
auf  der  Insel  Femern  geboreu.  Der  Pest  wegen  wanderte  er  als  Knabe  nach 
Braunschweig  zu  Verwandten,  die  seine  Erziehung  übernahmen.  Die  Bekannt- 
schaft und  der  mehrjährige  Musikunterricht  des  1631  aus  Magdeburg  verwie- 
seneu berühmten  Cantors  Heinr.  Grimm  bestimmten  G.'s  Lebensrichtung.  Schon 
1634  wurde  er  zum  Cantor  zu  Stadthagen  in  der  Grafschaft  Schauen  bürg  er- 
nannt. Als  Subrector  der  Sctiule  wurde  er  1642  von  dort  nach  Minden  be- 
rufen, woselbst  er  nach  Scheffer's  Ableben  Cantor  und  Musikdirektor  wurde 
und  bis  zu  seinem  eigenen  Tode,  im  J.  1682,  in  ausgezeichneter  Art  wirkte. 
Seine  Werke  führt  ziemlich  vollständig  das  Gerber'sche  Lexikon  vom  J.  1812 
auf.  Ueberwiegend  theoretischen  Inhalts,  sei  von  denselben  hier  genannt:  y>Pars 
generalis  introductionis  musicae  theoreticae  didactieae  vol.  I.  (Bremen,  1660).  Die 
Herausgabe  des  zweiten  Theils  dieses  wichtigen  Werks  verhinderte  der  Mangel 
an  Mitteln  für  den  Stich  der  dazu  erforderlichen  Figuren.  Ferner  veröffent- 
lichte er:  »Geistliche  Harmonien  von  einer  bis  fünf  Stimmen,  theils  ohne,  theils 
mit  Instrumenten«  (Hamburg,  1671).  G.  schlug  auch,  statt  der  bisher  gebräuch- 
lichen ut,  re,  mi,  fa,  sol,  la  auf  dem   Ciavier  die  natürlichen   Claves  vor*. 

Gibelli,  Lorenzo,  italienischer  Kirchencomponist  aus  Bologna  und  in  seiner 
Vaterstadt  als  Kapellmeister  an  der  Kirche  San  Bartolomeo  angestellt,  in  wel- 
cher Stellung  er  hocbbetagt  im  J.  1811  starb.  Er  war  zugleich  Mitglied  der 
berühmten  philharmonischen  Akademie  von  Bologna  und  galt  für  einen  der 
letzten  Schüler  des  Padre  Martini.  Jedoch  findet  sich  sein  Name  in  P.  della 
Valle's  -»Memorie  storicJte  del  P.  Martini«  an  betreffender  Stelle  nicht  mit  auf- 
geführt. Burney,  der  auf  seiner  italienischen  Reise  G.  in  Bologna  besuchte, 
bezeichnet  ihn  als  einen  gelehrten,  aber  melodiearraen  Musiker.  G.'s  hinter- 
lassene  Compositionen  befinden  sich  in  der  Bibliothek  seiner  Kirche ;  ein  Kyrie 
und  Gloria  von  ihm  war  im  Besitz  der  Rellstab'schen  Familie  in  Berlin. 

Gibellini,  Eliseo,  italienischer  Componist  aus  der  römischen  Schule,  wirkte 
um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts,  da  1548,  1552  und  1565  zu  Venedig  und 
Rom  fünfstimmige  Motetten,  dreistimmige  Madrigale  und  fünfstimmige  Messen 
von  ihm  erschienen.  —  Etwa  ein  halbes  Jahi-hundert  später  lebte  ein  anderer 
Kirchencomponist,  Namens  Girolamo  G.,  von  dem  eine  Sammlung  nSalmi 
spezzati  a  due  e  tre  roeiv.  (Venedig,  1624)  erhalten  geblieben  ist.  —  Noch 
später  findet  man  einen  Augustinermönch  und  Kapellmeister  am  St.  Stephans- 
dom zu  Wien,  Nicola  G.  geheissen.  Derselbe  war  aus  Norica  im  Kirchen- 
staate gebürtig  und  veröflFentlichte  liMotetti  a  piii  voci  coiicertatin  (Wien,  1655). 

Gibert,  Paul  Cesar,  französischer  A'^ocalcomponist ,  war  der  Sohn  eines 
königl.  Hausofficianten  zu  Versailles,  woselbst  er  1717  geboren  wurde.  Seine 
musikalische  Ausbildung  erhielt  er  von  anerkannten  Meistern  in  Italien.  Er 
wirkte  als  Musiklehrer  in  Paris,  von  welcher  Thätigkeit  seine  fSolfeges  ou 
legons  de  musique  sur  toutes  les  clefs  et  dans  tous  les  tons,  modes  ei  genres  avec 
accompagnement  d^une  hasse  chiffree  etc.«  (Paris,  1783)  Zeuguiss  ablegen.  Ausser- 
dem hat  er  Opern  und  Divertissements  componirt,  als:  r>La  Syhille«  (1758), 
r>Le  carneval  d^ete«  (1759),  »io  fortune  au  villaje«  (1760),  »Apelle  et  Gampaspe« 
(1763),  r>Deucalion  et  Fyrrhe«  (1765)  u.  s.  w.  G.  selbst  starb  im  J.  1787  zu 
Paris. 

Giboui,  Gilbert,  französischer  Orgelspieler  und  Componist,  war  zu  An- 
fang des  17.  Jahrhunderts  Organist  an  der  Katliedralkirche  zu  Orleans  und 
hat  Arien,  Chansons  u.  s.  w.  seiner  Composition  veröflTentlicht. 

Gibson,  Edward,  ein  gründliclier  und  zu  seiner  Zeit  hochgeachteter  eng- 


Gide  —  Gigue.  243 

lischer  Musikgelehrter,    geboren    1669    zu    Knip,    gestox-ben    1748    zu    London, 
hat  u.  A.  ein  treffliches  Werk  über  englische  Kirchenmusik  verfasst. 

Gide,  Casimir,  französischer  dramatischer  Componist,  geboren  1798  zu 
Paris,  war  der  Sohn  eines  Buchhändlers  und  für  denselben  Stand  bestimmt. 
Die  Musikstudien  im  Pariser  Conservatorium  sagten  ihm  jedoch  weit  mehr  zu, 
und  er  schrieb  auch  bald  Vaudevilles  und  Musik  für  Dramen.  Dennoch  hatte 
er  mit  einer  grösseren  Oper  »Ze  roi  de  Sicile«,  1830  in  der  Ojyera  comique 
aufgeführt,  keinen  Erfolg,  um  so  grösseren  jedoch  schon  1832  mit  dem  grossen, 
mit  Halevy  gemeinschaftlich  componirten  Ballet  »i«  tenfationa,  dessen  beliebt 
gewordene  Tanzstücke  meist  von  G.  herrührten.  Die  darauf  folgende  einaktige 
Oper  y)L''an(jeli(S(i,  1834  gegeben,  missfiel  nicht  gerade,  behauptete  sich  aber 
auch  nicht.  Grossen  Ei'folg  hatte  er  wieder  1836  mit  der  Musik  zu  dem  Ballet 
r>Le  diahle  hoiteux^i.  Damals  übernahm  G.  durch  Erbschaft  das  Geschäft  seines 
Vaters  und  schwieg  lange  Zeit.  Er  ist  überhaupt  hierauf  nur  noch  einmal 
und  zwar  1847  an  der  Grossen  Oper  mit  dem  Ballet  fOzdii  öffentlich  hervor- 
getreten. 

Giebiie,  Heinrich,  vortrefflicher  deutscher  Tonkünstler  und  Dii-igent, 
lebt  in  Karlsruhe  in  dem  Amte  eines  Direktors  des  grossherzogl.  Kirchenchors 
und  der  Hofkirchenmusik,  sowie  des  Vereins  Cäcilia,  welchen  er  durch  gedie- 
gene Aufführungen  zu  E,ang  und  Bedeutung  erhoben  hat.  Er  ist  auch  der 
Verfasser  einer  kleinen  werthvollen  Schrift,  betitelt:  »Zur  Ei-innerung  an  Ludw. 
Spohr,  ein  kunstgeschichtlicher  Vortrag  über  dessen  Leben  und  Wirken«  (Karls- 
ruhe, 1860). 

Giese,  Theophil  Christian,  ein  tüchtiger  Kenner  des  Orgelwesens,  zu 
Crossen  1721  geboren  und  ebendaselbst  1788  gestorben,  gab  nicht  unwichtige 
historische  Nachrichten  über  die  Orgeln  der  Petri-  und  Pavilkirche  in  Görlitz 
heraus,  wie  er  denn  auch  noch  mehrere  einschlägige   Schriften  veröffentlichte. 

Giesskauuenknorpel,  ein  bewegliches  Glied  im  menschlichen  Kehlkopfe.  S. 
Kehlkopf  und   Stimmorgan. 

Giesslade  heisst  das  Gestell,  in  welchem  die  Orgelbauer  die  Platten  zu 
den  metallenen  Pfeifen  der  Orgeln  giessen.  Nachdem  der  flache  Guss  der- 
selben vollendet  ist,  werden  sie  gehobelt,  in  cylindrische  Form  gebracht  und 
gelöthet. 

Giga  (ital.),  s.  Gigue  (französ.). 

Giganlt,  Nie  las,  trefflicher  französischer  Orgelspieler  und  fleissiger  Com- 
ponist für  sein  Instrument,  geboren  um  1645  zu  Claye  en  Brie,  genoss  den 
Unterricht  des  Organisten  Titelouze  zu  Paris  und  versah  nach  einander  das 
Organistenamt  an  mehreren  Pariser  Kirchen.  Er  veröfi'entlichte :  r>Livre  de 
musiqiie  pour  Vorgue,  contenant  plus  de  180  ineces  de  tous  les  caracteres ,  dedie 
ä  la  Viergea  (Paris,  1685);  ferner:  r>Livre  de  noels  diversifies  ä  2,  3  e^  4  par- 
tiesa  (Paris,  1685). 

Gigli,  Giulio,  italienischer  Vocalcomponist  des  16.  Jahrhunderts,  aus 
Imola  gebürtig,  hat  von  sich  und  27  andern  Componisten  (München,  1585) 
eine  Sammlung  mehrstimmiger  Gesangstücke  über  einen  und  denselben  Text 
veröffentlicht.  —  Ein  Zeitgenosse  von  ihm  war  Tommaso  G.,  ein  Madrigaleu- 
componist,  der  Sicilien  zur  Heimath  hatte  und  von  dessen  Composition  sich 
Stücke  in  der  Sammlung  ninfidi  lumia  (Palermo,  1603)  befinden.  —  Etwa 
hundert  Jahre  später  lebte  und  wirkte  als  Componist  und  ausübender  Musiker 
Giovanni  Battista  G.,  genannt  ü  Tedeschino,  M^elcher  in  den  Diensten  des 
Grossherzogs  von  Toscana  stand  und  Kirchen-  und  Kammer- Sonaten  seiner 
Composition   (Bologna,   1690)   herausgab. 

Gigue,  auch  Gique  geschrieben  (franz.;  ital.:  Giga),  ein  alter,  bis  tief  in 
das  18.  Jahrhundert,  damals  besonders  auf  der  Opernbühne  gepflegter  Tanz, 
sowie  eine  in  älteren  Suiten  und  Partiten  anzutreftende  Musikform  im  Charakter 
dieses  Tanzes,  von  überwiegend  lebhaftem  und  munterem  Gepräge,  über  dessen 
Ursprung    noch    immer    nichts   Gewisses    ermittelt  ist.     Nach  Mattheson   (vergl. 

16* 


244 


Gigue. 


dessen  »Kern  melod.  Wissensch.«)  gab  es  zu  Anfange  des  18.  Jahrhunderts 
vier  Arten  von  Gr/s:  die  englischen,  spanischen,  canarischen  und  welschen.  Die 
englischen  oder  gewöhnlichen  Giguen  »haben  zu  ihrem  eigentlichen  Affect 
einen  hitzigen  und  flüchtigen  Eifer,  einen  Zorn,  der  bald  vergehet«.  Die 
spanischen  G.'s,  auch  Loures  genannt,  werden  langsamer  genommen  und 
zeigen  »ein  stolzes,  aufgeblasenes  Wesen,  deswegen  sie  bei  den  Spaniern  sehr 
beliebt  sind«.  Die  canarischen  Gr.'s  dagegen  »müssen  grosse  Begierde  und 
Hurtigkeit  mit  sich  führen,  aber  dabei  ein  wenig  einfältig  sein«.  Die  welschen 
G-.'s  endlich  dienten  nicht  zum  Tanzen,  sondern  nur  zum  Geigen,  wovon  denn 
auch  Wühl  ihr  Name  (Giga,  d.  i.  Geige)  herkommen  mag  und  »neigen  sich 
gleichsam  zu  der  äussersten  Schnelligkeit  oder  riüchtigkeit,  doch  mehrentheils 
auf  eine  fliessende  und  keine  ungestüme  Art,  etwa  wie  der  Strom-Pfeil  eines 
Baches«.  —  Für  die  anfangs  schon  angedeutete  Schnelligkeit  der  Bewegung 
spricht  die  in  den  Ciaviersuiten  Häuders  den  betrefi'enden  Stücken  öfter  vor- 
gesetzte Tempobezeichnung  Presto.  Meist  stehen  die  G.'s  in  gerader  Taktart, 
aber  mit  ungei'ader  (dreitheiliger)  Gliedtheilung ,  also  z.  B.  im  ^^/^-  oder  im 
^/^-Takt  mit  Triolen.  Im  ^^/^^-Takt  bewegen  sich  grossentlieils  die  G.'s  Hän- 
del's,  die  beinahe  ausnahmslos  für  Musterstücke  dieser  Gattung  gelten  dürfen; 
doch  finden  sich  bei  ihm  auch  Beispiele  von  ^^k;'  ^^^^  "^/kj"'  ^^^  "^'  ^-  ßach 
auch  von  ^/,j-  und  ^1,^-l^dtki.  Beispiele  im  '^/y-Takt  sind  ziemlich  häufig,  be- 
sonders bei  Gluck  und  den  Balletcomponisten  derselben  Zeit,  im  einfach  oder 
zusammengesetzt  dreitheiligen  Metrum  seltener  (im  '^j^  z.  B.  deutsche  Händel- 
ausgabe Bd.  2,  Samml.  7  Nr.  7;  im  **/,,.  Bachausg.  III).  Als  eigentliche  Tanz- 
weise besteht  die  G.  aus  zwei  B,epetitionen  von  je  acht  Takten  und  pflegt 
kürzere  Noten  als  Achtel  nicht  zu  verwenden.  In  Tonsätzen  im  Charakter 
der  G.  ist  jedoch  ihre  Länge,  wie  auch  der  aller  übrigen  Tanzarten  in  dieser 
Verwendung,  weder  an  eine  bestimmte  Taktzahl  noch  an  ein  strenges  Metrum 
gebunden,  indem  zuweilen  das  zweite  Achtel  des  Taktes  in  zwei,  oder  die  zwei 
ersten  Achtel  in  vier  Sechszehntheilen  zertheilt  erscheinen,  z.  B.: 


In    der    langsamer    zu    nehmenden  Loure  (s.  d.),    die    im    Tanz    fast    nur    im 
^/^-Takt  vorkommt,  erscheint  das  erste  Achtel  in  der  Regel  punktirt,  also: 


^^^^E^ 


und  ebenso  auch  in  den  canarischen  G.'s,  nur  dass  letztere  kurz  sind,  im  ^j^- 
Takt  stehen  und  sehr  geschwind  vorgetragen  werden.  In  Händel's  Muster- 
giguen zeigt  sich  nirgends  eine  Theilung  der  ersten  Achtel  in  Sechszehntheile, 
vielmehr  erscheint  fast  immer  eine  in  gleichen  Noten  (Achteln  oder  Sechszehn- 
theilen) fortlaufende  Bewegung,  selten  nur,  dass  andere  Metren  vorkommen. 
Dieselbe  metrische  Gleichförmigkeit  findet  sich  bei  J.  S.  Bach  gleichfalls,  ist 
aber  ebenso  häufig  zu  Gunsten  einer  mannigfaltigeren  Rhythmik  bei  Seite  ge- 
lassen. Die  Abtheilung  des  ganzen  Satzes  in  zwei  Repetitionen  ist  auch  in 
den  G.'s  der  Suiten  fast  immer  respectirt;  es 'kommen  jedoch  auch  Ausnahmen 
vor,  in  denen  der  Satz  ohne  Wiederholungszeichen  in  einem  Zuge  fortlaufend 
bis  zu  Ende  geschrieben  ist  (vgl.  deutsche  Händelausg.  IL  G).  AVie  die  Be- 
nennungen der  meisten  Tanzweisen  diente  auch  der  Ausdruck  a  tempo  dl  Giga 
als  Tempo-  und  Voitragsbezeiclinung  für  andere  Sätze,  die  keine  wirklichen 
G.'s,  sondern  nur  im  Charakter  derselben  geschriebene  Gesänge,  fugirte  Ton- 
stücke oder  a.  m.  waren.  —  Ein  Saiteninstrument  mit  Namen  Gigue  oder 
Giga  führton  die  Menestrels  des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  jedoch  ist  die 
Beschafi'enheit  und  Spielart  desselben  längst  in  völlige  Vergessenheit  geratlien. 
Im  12.  Jahrhundert  dürfte  das  Wort  erst,  an  Stelle  der  deutschen  Benennung 
Fiedel,  auf  die  Geige  übertragen  worden,  vordem  aber  ein  zither-  oder  lauten- 


GU  —  GlUes.  245 

artiges  Instrument  gewesen  sein.     Dass  es,  wie  Einige  beliaupten,  eine  Flöten- 
art gewesen,  lässt  sicli  ebenso  wenig  haltbar  beweisen. 

Gil,  portugiesischer  Franciscanermöncb  und  Kirchencomponist ,  geboren  in 
Lissabon  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  studirte  die  Musik  bei  Duarte  Lobo 
und  versah  später  bis  zu  seinem  Tode,  im  J.  1640,  das  Amt  eines  Kapell- 
meisters in  einem  Kloster  seines  Ordens  zu  Guarda.  Machado  (in  der  Bibl. 
lusit.  II.  ■]).  380)  führt  mehrstimmige  Messen,  Motetten  und  Psalme  von  Gr.'s 
Composition  auf. 

Gil,  Francisco  d'Assisi,  hervorragender  spanischer  Musiktheoretiker 
und  Componist  der  Gregenwart,  geboren  1829  zu  Cadix,  machte  seine  musika- 
lischen Studien  in  seiner  Heimath.  Als  er  sich  im  J.  1850  damit  beschäftigte, 
den  Tratte  ä^harmonie  von  Fetis  in's  Spanische  zu  übersetzen,  entbrannte  in 
ihm  das  Verlangen,  den  direkten  Unterricht  dieses  Tonlehrers  zu  geniessen. 
Er  begab  sich  zu  diesem  Zwecke  noch  in  demselben  Jahre  nach  Brüssel  und 
führte  seinen  Wunsch  aus.  Nach  einem  dreijährigen  Cursus  der  Harmonie- 
und  Compositionslehre  kehrte  er  nach  Spanien  zurück  und  wurde  zum  Professor 
der  theoretischen  Fächer  am  Conservatorium  zu  Madrid  ernannt.  In  dieser 
Stellung  brachte  er  mehrere  spanische  Opern  und  Zarzuelas  auf  die  Bühne, 
betheiligte  sich  als  der  gelehrteste  Mitarbeiter  an  den  Leitartikeln  der  Gaceta 
musical  de  Madrid  und  verfasste  einen  rtTrattado  elemental  de  armoniaa  (Ma- 
drid, 1856). 

Gilbert,  Alfons,  französischer  Orgelvirtuose  und  Kirchencomponist,  ge- 
boren 1805  zu  Pai'is,  studirte  die  Musik  sehr  erfolgreich  auf  dem  Conservato- 
rium seiner  Geburtsstadt  und  wurde  wegen  seiner  Compositionen  von  diesem 
Institute  wie  von  der  Akademie  wiederholt  durch  Preise  ausgezeichnet.  Zum 
Organisten  der  Hauptkirche  von  Notredame  in  Paris  ernannt,  veröffentlichte' 
er  eine  Reihe  von  Messen,  Motetten,  Cantaten  u.  dergl.,  sowie  von  Orgel- 
stücken. 

Gilbert,  Marie,  tüchtige  und  intelligente  nordamerikanische  Pianistin,  ge- 
boren 1845  zu  New-Haveu,  erhielt  einen  gründlichen  wissenschaftlichen  Unter- 
richt und  wurde  im  Clavierspiel  vom  Prof.  Barber  unterwiesen.  Von  1861  bis 
1866  besuchte  sie  das  Conservatorium  der  Musik  zu  Leipzig  und  Hess  sich 
hierauf  als  Musiklehrerin  in  New- York  nieder.  Auch  als  Compouistin  und 
musikalische  Schriftstellerin  hat  sie  ein  angenehmes  Talent  bekundet;  ihre  Ge- 
sänge und   Ciavierstücke  sind  jedoch  noch  nicht  im  Druck  erschienen. 

Gilbertus,  französischer  Geistlicher,  war  anfangs  Mönch  zu  Fleury  in  Bur- 
gund,  später  Erzbischof  zu  Pheims  und  Bavenna  und  endlich,  von  999  an  bis 
zu  seinem  im  J.  1003  erfolgten  Tode,  unter  dem  Namen  Sylvester  II.  Papst 
der  römisch-katholischen  Christenheit.  Er  ist  auch  musikalisch  höchst  merk- 
würdig, da  er  nach  Bernardino  Baldi's  u.  A.  Zeugnisse  Orgeln,  die  durch  Dampf 
Töne   erzeugten,  erfunden  haben  soll. 

Giles,  Nathaniel,  ausgezeichneter  englischer  Kirchencomponist  und  Orgel- 
spieler, geboren  1558  zu  Worcester,  war  um  1585  Baccalaureus  der  Musik, 
sowie  Organist  und  Chordirekter  an  der  St.  Georgskapelle  zu  Windsor.  Nach 
Ableben  "William  Hunni's  im  J.  1597  wurde  G.  die  Oberleitung  der  königl. 
Chorschüler  und  nicht  lange  darauf  auch  das  Organistenamt  an  der  königl. 
Kapelle  übertragen.  Gestützt  auf  das  Baccalaureat  bewarb  er  sich  1607  um 
die  musikalische  Doctorwürde,  die  ihm  aber  erst  im  J.  1622  ertheilt  wurde. 
Er  starb  im  hohen  Greisenalter  am  24.  Jan.  1633  zu  London.  Seine  Com- 
positionen zählt  Hawkins  den  classischen  des   17.  Jahrhunderts  bei. 

Gillern,  Hugo  von,  deutscher  Opernsänger,  s.  Krüger. 

Gilles,  Henri  Noel,  französischer  Oboevirtuose,  geboren  1779  zu  Paris, 
trat  1796  in  das  neu  gegründete  Conservatorium  seiner  Geburtsstadt  und  ge- 
noss  daselbst  auf  Oboe  und  englischem  Hörn  den  trefflichen  Unterricht  Salentin's. 
Preisgekrönt  wurde  er  1799  in  das  Orchester  des  Theaters  Feydeau  gezogen, 
von  wo  er  1803   in  das  der  Italienischen   Oper  überging,    welchem  letzteren  er 


246  Gilles  —  (jriugucno. 

bis  1814  angehörte.  Auch  uls  Concertspieler  war  er  in  dieser  Zeit  sehr  ge- 
schätzt und  sein  schöner  Ton,  seine  fertige  und  dabei  elegante  Technik  fanden 
die  höchste  Anerkennung.  Da  er  entschiedener  Imperialist  war,  so  verliess  er 
mit  Eintritt  der  Restaurationsepoche  Frankreich,  wanderte  nach  Amerika  aus 
und  nahm  seinen  i\.ufeuthalt  zuerst  in  New- York,  darauf  in  Philadelphia,  — 
Als  Componist  ist  er  nur  mit  Variationen  für  Oboe,  Stücken  für  Guitarre  und 
einigen  Romanzen,  die  in  Paris  erschienen  sind,  hervorgetreten, 

Gilles,  Jean,  bedeutender  französischer  Kirchencomponist,  geboren  1669 
zu  Tarascon,  studirte  die  Musik  bei  Poitevin,  Kapellmeister  zu  Aix  in  der 
Provence,  welcher  zu  derselben  Zeit  auch  Lehrer  Campra's  war.  Nach  seines 
Lehrers  Tode  trat  er  in  dessen  Amt  ein,  vertauschte  dasselbe  jedoch  bald  mit 
einem  gleichen  in  Ayde.  Später  kam  er  als  Kapellmeister  der  St.  Stephaus- 
kirche nach  Toulouse,  staib  aber,  als  Meister  der  Composition  im  ganzen  süd- 
lichen Frankreich  anerkannt,  daselbst  schon  im  J,  1705.  Seine  Werke,  nament- 
lich ein  Requiem  von  ihm,  wurden  hochgeschätzt  und  befinden  sich  im  Manu- 
script  auf  der  Staatsbibliothek  zu  Paris. 

(irimeno,  Griovachiuo,  hervorragender  spanischer  Tonkünstler  der  neuesten 
Zeit,  1817  geboren,  hat  sich  durch  seine  Cantaten,  Ave  Maria's  und  andere 
geistliche  und  weltliche  Gesangwerke  einen  bedeutenden  Ruf  in  seinem  Vater- 
lande erworben, 

(xinestet,  Prosper  de,  französischer  Componist  und  Musikschriftsteller 
wurde  um  1796  als  Sohn  eines  Beamten  zu  Aix  in  der  Provence  geboren. 
Vom  Musikstudium  sprang  er  ab,  als  ihm  ein  Officierspatent  in  der  Garde 
Ludwigs  XVIII,  winkte.  Jedoch  trat  er,  wenn  auch  nicht  erfolgreich,  1827 
mit  der  Oper  rtL'orphelin  et  le  hrifjadiern  und  1830  mit  y>Frangois  1.  ä  Gham- 
borda  zu  Paris  in  die  Oeffentlichkeit.  Da  er  Anhänger  der  älteren  Bourbonen- 
linie  war  und  blieb,  so  nahm  er  nach  der  Julirevolution  seinen  Abschied  vom 
Militär,  trat  zur  legitimistischen  Opposition  und  betheiligte  sich  mit  politischen, 
sowie  auch  mit  musikalischen  Artikeln  an  der  Redaktion  des  yyL^aoenira,  Or- 
gans dieser  Partei.  Im  J.  1833  brachte  er  noch  seine  Oper  »Le  mort  ßancea 
zur  Aufführung.  Sonst  hat  er  noch  Sonaten  für  Pianoforte  und  VioUne  und 
für  Pianoforte  und  Violoncello  geschrieben,  —  Sein  Bruder,  Emil  de  G.,  war 
ein  trefflicher  Dilettant  auf  dem  Violoncello  und  hat  für  dieses  Instrument  mit 
Pianofortebegleitung  Verschiedenes  componirt  und  veröffentlicht. 

Oiugrlarns,  s,  Flöte. 

filiugria  oder  Gingras  (griech.:  yiyyQaq)  ist  der  Name  einer  kleinen,  etwa 
eine  Spanne  langen,  mit  einem  Kernmundstück  versehenen  Pfeife  der  alten 
Phönicier  oder  Syrier,  die  des  melancholischen  Charakters  ihrer  Töne  wegen 
bei  Trauermusiken  im  Gebrauche  (vgl,  Marpurg ,  krit.  Einleit.  S.  217)  und 
vielleicht  identisch  mit  dem  altägyptischen,  von  den  Griechen  Giglaros,  cor- 
rumpirt  Ginglaros  (s,  Flöte),  genannten  Instrumente  war.  —  Gingrina 
wurde  auch  die  Schalmei  genannt,  wie  Mattheson  sagt:  »von  dem  Kaken,  so 
sie  von  sich  giebt,  gleich  einer  Gans,  deren  projjrium  ist  (jhKjrirea.  In  Till's 
Dicht-,  Sing-  und  Spielkunst  befindet  sich  eine  Abbildung  dieses  Instruments. 
Vgl.  auch  Äthenaeus  Üb.  4. 

Ging:nene,  Pierre  Louis,  verdienstvoller  französischer  Literarhistoriker, 
Kritiker  und  Musikschriftsteller,  geboren  am  25,  April  1748  zu  Rennes  in 
Bretagne,  eignete  sich  früh  grosse  Spraclienkenntniss  und  Fertigkeit  in  der 
Dichtkunst,  Malerei  und  Musik  an.  Die  letztere  namentlich  studirte  er  in 
Paris  überaus  gründlich,  wie  dies  gleich  anftings  die  polemischen  Schriften  be- 
wiesen, in  denen  er  während  der  Fehde  der  Gluckisten  und  Picciuisten  als 
Verfechter  der  italienischen  Musik  auftrat.  Nach  einem  sehr  wechselvollen, 
von  1794  bis  1802  auch  verschiedenen  Staatsämtern  gewidmeten  Leben,  wäh- 
rend dessen  er  seinen  Studien  niemals  ungetreu  wurde,  starb  er  am  16.  Novbr, 
1816  zu  Paris.  Als  vortrefflicher  musilcalischer  Schriftsteller  legitimirte  er  sich 
mit  folgenden  interessanten  Werken:  »Lettren  et  articles  sur  la  musique,  inneres 


Giui  —  Giordani.  247 

dans  les  journaux  sous  le  nom  de  Melophile  pendant  nos  dernieres  (juerelles  mu- 
sicales,  en  1780,  81,  82,  83«  (Paris,  1783);  r>Notice  sur  la  vie  et  les  ouvrages 
.de  Ficcinm  (Paris,  1800);  »Dictionnaire  de  musique  de  Veucyclopedie  metJiodique<s. 
(2  Bde.,  Paris,  1791  bis  1818).  Letztgenanntes  Werk  ist  von  G.  und  Fra- 
mery  begonnen  und  vom  Abbe  Peyton  vollends  herausgegeben  worden;  G.  selbst 
hat  nur  die  historischen  Artikel  für  den  ersten  Band  verfasst.  Endlich  findet 
man  in  seinem  Hauptwerke,  der  y>IIistoire  litter aire  d''Italie<s.  (8  Bde.,  Paris, 
1811  bis  1819),  welcher  Salfi  noch  einen  neunten  Band  hinzufügte,  gründliche 
und  interessante  Nachweise  über  italienisches  Musikweseu  des  11.  Jahrhunderts, 
über  Guido  von  Arezzo,  über  die  provengalischen  Trobadors,  über  einige  be- 
rühmte italienische  Tonkünstler  des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  besonders  über 
Francesco   Landino  u.  A.,  über  die  Anfänge  der   Oper  u.  s.  w. 

Giiui,   Giovanni  Antonio,  italienischer  Operncomponist,  geboren  zu  Aus- 
gange des   17.  Jahrhunderts  im  Piemontesischen,    war    um   1728  Kapellmeister 
zu   Turin  und  führte  daselbst  seine   Opern  y>Mitridate(s.  und  riTmnerlanon.  auf. 
Giuistet,  Prosper  de,  s.  Ginestet. 

Giocoudo,  als  Adverbium  giocondamente  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in 
der  Bedeutung  ausgelassen,  lustig.  In  Verbindung  mit  der  Präposition 
con  wird  das  von  G.  abgeleitete  Substantiv  giocondezza  oder  gioeonditä  in 
derselben  Bedeutung  gebraucht. 

Giocoso  oder  Giojoso  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  »fröh- 
lich«, scherzend«,  »tändelnd«. 

Gioja,  Gaetano,  italienischer  Balletcomponist  von  E-uf,  1810  als  Orchester- 
direktor in  Turin  und  1815  in  gleicher  Eigenschaft  am  Pergolatheater  zu  Flo- 
renz angestellt,  starb,  nachdem  er  kaum  das  dreissigste  Lebensjahr  überschritten 
hatte,  im  J.  1826  zu  Mailand.  Von  seinen  Balletpartituren  haben  den  meisten 
Erfolg  gehabt:  y>Gesare  in  JSgittovi,  «Le  nozze  di  Figaro'.'.,  ■nGundehergav-,  «I Mor- 
laccMii,  r>Niohe<i,  -DOdaacreti,  lyTamerlanoa  u.  s.  w. 

Giordani,  Antonio,  italienischer  Kirchencomponist,  war  zu  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der  Kirche  der  zwölf  Apostel  zu  B,om  und 
hat  von  seiner  Composition  23  zweistimmige  Ofifertorien  (Rom,  1724)  veröffent- 
licht. —  Ein  älterer  Componist  dieses  Namens,  Giacomo  G.,  lebte  um  die 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  und  ist  der  Autor  einer  dreistimmigen  Passions- 
musik mit  Instrumentalbegleitung,  die  sich  im  Manuscript  in  der  Santini'schen 
Sammlung  in  Rom  befindet,  vielleicht  dasselbe  ziemlich  kunst-  und  werthlose 
Tonwerk,  welches  unter  dem  Titel  «Uagonia  di  nostro  signorea  sammt  einem 
Offertorium  in  zwanzig  Manuscriptblättern  die  k.  k.  Hofbibliothek  in  "Wien 
aufbewahrt. 

Giordani,  Giuseppe,  fruchtbarer  italienischer  Componist,  besonders  von 
Opern,  wurde  im  J.  1753  zu  Neapel  geboren  und  kam  sehr  jung  auf  das  Con- 
servatorio  di  Loreto,  wo  er  Mitschüler  Cimarosa's  und  Zingarelli's  wurde.  Sein 
Vater,  seine  zwei  Brüder  und  <irei  Schwestern  bildeten  eine  kleine  Truppe, 
welche  in  einem  Miniaturtheater  Neapels  ohne  fremde  Beihülfe  komische  Ope- 
retten, Farcen  u.  dergl.  aufführte.  Im  J.  1762  ging  diese  Gesellschaft  nach 
London,  wo  sie  in  einer  Bude  am  Haymarket  in  solcher  Art  Furore  machte, 
dass  sie  bald  eigens  für  das  Coventgarden- Theater  engagirt  wurde.  G.  musste 
damals  noch  zurückbleiben  und  sich  fleissigen  Musikstudien  widmen.  Achtzehn 
Jahr  alt,  zeichnete  er  sich  denn  auch  als  Clavierspieler  und  Violinist  sehr 
ehrenvoll  aus  und  schrieb  bereits  für  das  Theater  in  Pisa  seine  erste  Oper, 
betitelt  y>L^astuto  in  imbroglioa.  So  weit  vorgerückt,  beschied  ihn  sein  Vater 
1771  nach  London,  und  dort  debütirte  er  als  Componist  1772  erfolgreich  mit 
einem  Pasticcio,  dem  er  alsbald  seine  Oper  «Antigonoi  folgen  Hess.  Um  zu 
Vermögen  und  Unabhängigkeit  zu  gelangen,  ertheilte  er  Ciavier-  und  Gesang- 
unterricht, gab  mehrere  seiner  Vocal-  und  Instrumentalcompositionen  heraus 
und  trat  auch  noch  einmal  als  dramatischer  Componist  mit  einer  komischen 
Oper  »II  hacciov.  (1779)  auf.    Nachdem  er  seinen  Zweck  in  London  nach  Wunsch 


248  Giorgetti  —  Giornovichi. 

erreicht  hatte,  ging  er  gegen  Ostern  1782  wieder  nach  Italien  und  führte  noch 
in  demselben  Jahre  zu  Mantua  seine  Oper  y>Il  ritorno  d^ülisse«.  auf;  dieser  Hess 
er  bis  1792  für  verschiedene  andere  Hauptbühnen  seines  Vaterlandes  nicht 
Aveniger  als  22  andere  folgen,  z.  B.  yyJ^rißlea,  y>Osmanev,  y>Scipione«,  »La  Vestale«. 
u.  s.  w.,  beschäftigte  sich  jedoch  auch  mit  der  Composition  von  Oratorien.  Im 
J.  1793  wurde  er  als  Kapellmeister  der  königl.  italienischen  Oper  nach  Lissabon 
berufen,  starb  aber  daselbst  schon  im  Mai  1794.  Ausser  Opern  und  Oratorien 
hat  er  noch  Quintette,  Quartette,  Trios  für  Ciavier  und  Bogeninstiumente, 
Streichquartette,  "Violinconcerte,  Sonaten  und  TJebungsstücke  für  Ciavier,  ita- 
lienische Canzonetten,  englische  Songs,  Duette  für  zwei  Sopranstimmen  u.  s.  w. 
componirt  und  grossentheils  veröffentlicht.  Auch  mehrere  Psalme  und  Lita- 
neien seiner  Composition  sind  bekannt  geworden.  —  Sein  älterer  Bruder  Tom- 
mas o  G.,  zu  Neapel  um  1744  geboren,  war  bei  den  oben  erwähnten  Familien- 
vorstellungen Buffosänger  und  lebte  hierauf  als  Musiklehrer  und  Componist  zu 
London.  Im  J.  1779  verband  er  sich  mit  Leoni,  um  in  Dublin  eine  italienische 
Oper  zu  begründen,  welches  Unternehmen  aber  total  missglückte.  Gr.  blieb  in 
Dublin,  verheirathete  sich  daselbst  und  lebte  noch  im  J.  1816.  Er  ist  der 
Componist  des  Oratoriums  -nlsaccov.  und  der  englischen  Oper  y>Perseverance,  or 
the  third  time  is  tJie  besh,  1789  in  Dublin  aufgeführt.  Ferner  schrieb  und 
veröflPeutlichte  er  theils  in  London,  theils  in  Haag  Trios  für  zwei  Flöten  und 
Violoncello,  Flötenduette,  Ciavierstücke,  englische  Gesänge  und  Duettini  italiani. 
Viele  Werke  seines  Bruders  gingen  irrigerweise  unter  seinem  Namen,  so  auch 
besonders  die  obengenannte  Oper  »JZ  haccioa. 

Giorgetti,  Ferdinande,  italienischer  Violinvirtuose  und  Componist  für 
sein  Instrument,  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  in  Florenz  geboren,  hat 
von  seinen  musikalischen  Arbeiten  ein  Violinconcert,  Duette  und  Variationen 
für  Violine,  Clarinette  und  Violoncello  u.  A.  in  Italien  und  zum  Theil  auch 
in  Deutschland  veröffentlicht. 

Giorgi,  Filippo,  ein  vorzüglicher  italienischer  Operntenorist,  der  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  auf  dem  Gipfel  der  Gunst  stand.  Seine  Haupt- 
Avii'kungsstätten  waren  das  Theater  Argentina  in  Rom  und  das  italienische 
Theater  in  St.  Petersburg.  —  Ein  älterer  Zeitgenosse  von  ihm  war  Giovanni 
G.,  Componist  der  römischen  Schule  und  seit  1719  Kapellmeister  an  der  Kirche 
San  Giovanni  in  Laferano.  Derselbe  starb  im  Januar  1725  zu.  Rom  und  liin- 
terlicss  seine  Manuscripte,  bestehend  in  Messen,  Psalmen,  Offertorien  u.  s.  w., 
den  Kirchen  San   Giovanni  in  Laterano  und  Santa  Maria  maggiore. 

Giorgio,  Giuseppe,  angesehener  italienischer  Violinvirtuose,  geboren  1777 
zu  Turin,  war  ein  Schüler  CoUa's,  erschien  1807  in  Paris  als  Concertspieler, 
ohne  jedoch  aussergewöhnliche  Beachtung  zu  finden.  Auf  Empfehlung  Blangini's 
kam  er  in  die  Kapelle  des  Königs  von  Westphalen  in  Kassel  und  seine  (-iattin, 
eine  Sängerin,  an  die  dortige  Hofoper.  Nach  Auflösung  des  westphäli sehen 
Königreichs,  im  J.  1813  machten  Beide  erfolgreiche  Concertreisen,  bis  sich  G. 
1820  endlich  bleibend  in  Paris  niederliess,  wo  er  von  1823  bis  1834  erster 
Violinist  im  Orchester  der  Opera  comiqne  war.  Seine  "Wirksamkeit  als  Com- 
ponist bezeichnen  Trios  für  Streichinstrumente,  Violinduette,  Variationen  und 
Potpourris  für  Violine,  welche  in  Paris  gedruckt  ei'schienen  sind. 

Giornoviclii,  Giovanni  Mane,  in  Deutschland  Jarnovich  genannt,  aus- 
gezeichneter und  berühmter  Violinvirtuose  und  guter  Componist  für  sein  In- 
strument, wurde  1745  zu  Palermo  geboren,  erhielt  seinen  Musikunterricht  von 
Lolli  und  galt  bald  als  Lieblingsschüler  dieses  Meisters.  Seine  erste  grosse 
Kunstreise  führte  ihn  um  1770  nach  Paris,  wo  er  im  Conccrt  spirituel  mit  dem 
sechsten  Violinconcerte  seines  Lehrers  auftrat,  jedoch  nur  einigen  äusseren  Bei- 
fall hatte.  Erst  in  einem  zweiten  Concert  und  durch  eine  eigene  Composition 
gewann  er  die  Gunst  der  Pariser  ganz  und  voll  und  zwar  in  dem  Maasse,  dass 
seine  vornelime  und  elegante  Art  zu  spielen  für  mustergültig  erklärt  wurde, 
so    dass    sich    lange   jeder  Virtuose,    um  zu  gefallen,    darnach   richten    musste. 


GiovaneUi,  249 

Gleichzeitig  wurden  seine  Compositionen  sehr  beliebt.  Im  J.  1779  folgte  er 
einem  Rufe  nach  Berlin  und  gehörte  dort  der  Kapelle  des  Kronprinzen  bis 
1783  an,  in  welchem  Jahre  er  seine  von  grossartigen  Erfolgen  gekrönten  Con- 
certreisen,  zunächst  nach  St.  Petersburg,  Warschau,  "Wien  (1786)  und  anderen 
Hauptstädten  antrat.  In  London  war  er  1792  und  bis  zur  Ankunft  Viotti's 
der  Alleinherrscher  im  Reiche  des  Violinspiels,  und  er  würde  sich  auch  neben 
diesem  Rivalen  noch  behauptet  haben,  wenn  nicht  sein  ungeregeltes  Leben,  sein 
arrogantes,  streitsüchtiges  Auftreten,  welches  ihn  schon  in  Paris  und  Berlin 
unmöglich  gemacht  hatte,  auch  hier  ihm  den  dauernden  Aufenthalt  verdorben 
hätte.  Ein  Ehrenhandel  mit  J.  B.  Gramer,  der  mit  einer  von  G.  nicht  ange- 
nommenen Herausforderung  endigte,  gab  seiner  Popularität  den  Rest,  und  er 
begab  sich  1796  nach  Hamburg,  wo  er  als  Concert-  und  —  Billardspieler  Lor- 
beeren und  Gold  gewann.  Von  dort  aus  besuchte  er  1797  und  1802  noch  einmal 
Berlin  und  fand  unverminderten  enthusiastischen  Beifall.  Ende  des  letzteren 
Jahres  reiste  er  nach  St.  Petersburg  und  war  bis  zu  Rode's  Ankunft  der  Löwe 
des  Tages.  Vom  Schlage  getroffen,  starb  er  aber  dort  plötzlich  bei  seiner 
Lieblingsbeschäftigung,  dem  Billardspiele,  am  21.  Novbr.  1804.  Von  seinem 
Spiele  sagt  Dittersdorff,  der  ihn  1786  hörte  und  über  Franzi,  Scheller  und 
Lolli  setzt:  »Er  (G.)  entlockt  seinem  Instrumente  einen  schönen  Ton,  hat  reine 
Intonation,  überwindet  Schwierigkeiten  spielend,  singt  vortrefflich  im  Adagio, 
hat  hie  und  da  gewisse  pikante  Eigenthümlichkeiten ,  spielt  degagirt,  ohne  zu 
grimmassiren,  mit  einem  "Wort:  er  spielt  für  Kunst  und  Herz«.  —  G.'s  zu  ihrer 
Zeit  sehr  beliebte  Compositionen  bestehen  in  16  Violinconcerten ,  7  Sinfonien, 
sechs  Streichquartetten,  16  Violinduetten,  Violin- Sonaten  mit  Bassbegleitung 
und  Variationen. 

(riovanelli,  Rugiero,  berühmter  Componist  der  römischen  Schule,  geboren 
um  1.560  zu  Velletri,  weshalb  er  auch  oft  G.  da  Velletri  genannt  wurde. 
Nanini  soll  sein  Lehrer  gewesen  sein;  jedenfalls  stand  er  noch  ziemlich  jung 
auf  einer  solchen  Stufe  der  Meisterschaft,  dass  er  1587  zum  Kapellmeister  an 
der  Kirche  San  Luigi  de'  Francesi,  dann  an  der  des  Collegium  germanicum  in 
Rom  ernannt  und  nach  dem  Tode  Palästrina's  würdig  befunden  wurde,  1594 
dessen  Nachfolger  zu  Sanct  Peter  im  Vatican  zu  werden;  fünf  Jahre  später 
wurde  er  auch  in  das  Sängercollegium  der  päpstlichen  Kapelle  aufgenommen. 
Sein  Todesjahr  (jedenfalls  erst  nach  1615)  ist  nirgends  verzeichnet.  —  G.  rauss 
zu  den  ersten  Spitzen  der  von  Palästrina  und  Nanini  begründeten  römischen 
Schule  srerechnet  werden.  Seine  Werke,  sagt  Proske,  zeichnen  sich  durch  An- 
muth,  Reinheit  des  Styls  und  harmonischen  AVohlklang  in  einem  Grade  aus, 
dass  nur  die  edelsten  Tonbildner  sich  mit  ihm  vergleichen  lassen.  Der  ge- 
läutertere  Geschmack  jener  Zeit  befreundete  sich  auch  alsbald  mit  G.'s  Com- 
positionen, wie  die  zahlreichen  Originalausgaben  und  Anthologien  bei  italieni- 
schen, deutschen  und  niederländischen  Verlegern  zur  Genüge  beweisen.  Dem- 
ungeachtet  ist  noch  immer  ein  grosser  Theil  derselben  ungedruckt  geblieben. 
Von  den  Arbeiten  G.'s  überhaupt  theilt  Baini  in  seinem  Werke  über  Palästrina 
ausführliche  Notizen  mit ;  dieselben  bestehen  hauptsächlich  in  mehreren  Büchern 
fünfstimmiger  Madrigale,  fünf-  bis  achtstimmi^er  Motetten  ,  dreistimmiger  Can- 
zonetten,  Vilanellen  u.  s.  w.,  die  in  der  Zeit  von  1586  bis  1594  zu  Venedig 
und  Rom  gedruckt  worden  sind.  Mehrere  Motetten  und  Psalme  von  ihm  sind 
in  den  von  Fabio  Costantini  1615  bis  1617  herausgegebenen  Sammlungen 
enthalten,  ebenso  Madrigale  in  vielen  anderen  aus  dem  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts stammenden  Sammlungen.  Unter  den  in  verschiedenen  Musikarchiven 
Roms  befindlichen  Kunstschätzen  aus  der  Feder  G.'s,  wovon  besonders  die 
päpstliche  Kapelle  einen  reichen  Vorrath  von  handschriftlichen  Messen,  Motetten 
und  Psalmen  aufweist,  hebt  Baini  zwei-  und  mehrchörige  Compositionen,  ferner 
ein  vierstimmiges  Miserere  mit  achtstimmigem  Schlussversett,  das  sehr  lange 
in  der  päpstlichen  Kapelle  gesungen  wurde,  sowie  eine  achtstimmige  Messe 
über  Palästrina's  Madricjal  » Vestiva  i  colli«,  mit    besonderer  Auszeichnung  her- 


250  Gippciibusch  —  Girard. 

vor.  Proske  kennt  noch  eine  Anzahl  der  auserlesensten,  von  Baini  ungenannt 
gebliebenen  Coinpositioneu  in  zwei-  bis  zwölfstimmigem  Satze,  die  durchgängig 
werthvoll  sein  sollen  und  wovon  eine  zwölfstimmige  Messe  von  höchster  Schön- 
heit und  geistreichstem  Gepräge  ist.  Bemerkt  sei  noch,  dass  nach  Baini's 
Verrauthung  die  von  Papst  Paul  V.  angeordnete  Correctur  des  Graduelle  roma- 
num,  welches  hierauf  in  einer  Prachtausgabe  der  Medicei'schen  Druckerei  in 
E,om  in  den  Jahren  1614  und  1G15  erschien,  die  Frucht  vieljährigen  Fleisses 
G.'s  gewesen  ist.  Jedenfalls  hat  derselbe  die  Herausgabe  des  zweiten  Theiles 
dieses  Werks  (1615)   noch  selbst  besorgt. 

Gippeiibusch ,  Jacob,  musikgelehrter  deutscher  Jesuit,  1612  zu  Spcicr 
geboren,  trat  1629  in  seinen  Orden  und  lehrte  nachgehends  in  Köln  altclassische 
Literatur,  zugleich  als  Chordirektor  fungirend.  Er  starb  am  3.  Juli  1664  und 
hinterliess  an  gedruckten  Corapositionen:  »Canttones  musicae  quatuor  vocumn; 
yyPsalteriolum  liarmoiiicitm  cantionam  catholicarum  per  anniim  quatuor  vocihus 
conciniiatuma  (Köln,   1612);  yCantiones  et  motettac  selectissimaa. 

Gique,  s.  Gigue. 

Giraffe,  ein  nach  Art  des  Clavicytherium  aufrechtstehender  Flügel,  eine 
Erfindung  der  Ciavierbaukunst  des  18.  Jahrhunderts,  welche  noch  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  gebräuchlich  gewesen  ist,  dann  aber  durch 
die  verbesserten  aufrechtstehenden  Pianofortes,  die  Vorläufer  der  Pianinos, 
gänzlich  verdrängt  wurde. 

Giraldiis  Cambreusis,  Sylvester,  englischer  Gottes-  und  Musikgelehrter, 
geboren  zu  Mainarpa  im  Cambrischen  im  J.  1146,  widmete  sich  dem  Priester- 
stande und  erwarb  hervorragende  Kenntnisse  in  der  Philosophie  und  Mathe- 
matik. Zuerst  Archidiaconus  zu  Brechiu  im  Norden  Schottlands,  wurde  er 
von  dort  als  Bischof  von  Mans  nach  Prankreich  versetzt.  Da  G.  seiner  Ge- 
lehrsamkeit wegen  vom  Könige  von  Irland  auch  als  Erzieher  der  königlichen 
Kinder  berufen  wurde,  so  setzte  es  der  Neid  seiner  Standesgenossen  durch, 
dass  G.  sein  Bisthum  verlor.  Er  starb  im  J.  1210  oder  1214.  Unter  seinen 
Werken  befinden  sich  auch  einige,  die  über  Musik  handeln,  nämlich:  in  seiner 
y>TopoijrapMa  Hyberniadj  sive  de  mirahilibus  ILjherniae^  (Frankfurt,  1602)  die 
Capitel  11,  12,  13,  14  und  15,  deren  Inhalt  Walther  in  seinem  musikalischen 
Lexikon  kurz  angiebt;  und  i)Camhriae  descriptio<i,  worin  viel  über  die  Musik 
der  Wallenser  mitgetheilt  und  sogar  behauptet  wird,  dass  man  dort  schon  länget 
mehrstimmig  gesungen  habe.  + 

Giranek,  Anton,  Violinist,  Ciavierspieler  und  Componist,  geboren  um 
1712  in  Böhmen,  lebte  einige  Jahre  in  Prao-,  begab  sich  dann  nach  Warschau, 
wo  er  in  der  königl.  Kapelle  als  erster  Violinist  angestellt  wurde  und  starb 
als  Musikdirektor  zu  Dresden  am  16.  Jan.  1761.  —  Seine  Compositionen,  meist 
ungedruckt  geblieben,  bestehen  in  24  Violinconcerten  und  mehreren  Concerten 
für  Ciavier,  Flöte  und  für  Gambe.  G.  ist  der  Vater  der  berühmten  Sängerin 
und  Tänzerin  Francisca  Koch  (s.  d.). 

Girard,  französischer  Violoncellovirtuose  und  Componist,  geboren  um  1735 
zu  Paris,  war  seit  1762  im  Orchester  der  Grossen  Oper  und  als  Kammer- 
musiker des  Königs  von  Frankreich  angestellt.  Ausser  einer  Oper  hat  er 
Sonaten  und  kleinere  Stücke  für  Violoncello  componirt.  —  Ein  Pariser  In- 
genieur, Namens  Philippe  Henri  de  G.,  geboren  1775,  gestorben  1845,  ist 
der  Erfinder  der  sogenannten   Pianos  octaviants. 

Girard,  Narcisse,  vorzüglicher  französischer  Violinist  und  Dirigent,  ge- 
boren am  27.  Jan.  1797  zu  Nantes,  besuchte  von  1817  bis  1820  das  Pariser 
Conservatorium,  an  welchem  Baillot  auf  der  Violine  und  Cherubini  im  Contra- 
punkt seine  Hauptlehrer  waren.  Darnach  bekleidete  er  nach  einander  und 
zwar  mit  grosser  Auszeichnung  die  Orcliesterchefstellungen  an  der  Italienischen 
Oper,  an  der  Opera  co7}iiqioe  und  seit  Habeneck's  Tode  1849  an  der  Grossen 
Oper,  bei  welcher  letzteren  er  sich  mit  Meyerbeer's  »Propheten«  vortheilliaft 
einführte.     Seit  1847  war  er  auch  Professor   des  Violiuspiels  am  Pariser  Con- 


Giraud  —  Girolamo  di  Navarra.  251 

servatoriiim.  Ex*  starb  am  15.  Jan,  1860;  sein  Nachfolger  als  erster  Orchester- 
direktor  der  grossen  Oper  war  Greorges  Hainl.  Von  G-.'s  "Werken  kennt  man  nur 
die  kleine  komische  Oper  y>Les  äeux  voleurs<s.,  welche  bei  ihrer  Aufführung  in 
der   Opera  coinique  (1841)  viel  Glück  machte, 

Girand,  Francois  Joseph,  französischer  Violoncellist  und  Componist, 
war  von  1762  bis  Ende  1767  Mitglied  des  Orchesters  der  Grrossen  Oper  in 
Paris  und  zugleich  Kammermusiker  der  königl.  Kapelle.  Sein  Ruf  als  Com- 
ponist datirt  jedoch  schon  lange  vor  dem  J.  1762,  indem  er  sehr  erfolgreich 
Kirchenstücke  im  Goncert  spirituel  zur  Aufführung  brachte,  von  denen  ein  »i2e- 
qina  coelU  besonders  gerühmt  wurde,  wie  er  denn  auch  gemeinschaftlich  mit 
Berton  dem  Aelteren  die  Oper  »Deucalion  et  Pyrrlia's.  schrieb,  welche  1755  ge- 
geben wurde.  Allein  componirte  er  noch  die  1762  aufgeführte  Oper  -Dljopera 
de  societev.  Ausserdem  hat  er  ein  Buch  Violoncello-Sonaten  seiner  Composition 
veröffentlicht.     Er  starb  um   1790  zu  Paris, 

Girbert,  Christoph  Heinrich,  talentvoller  und  fleissiger  Componist, 
wurde  als  der  Sohn  eines  armen  Dorfpredigers  am  8.  Juli  1751'  zu  Fröhn- 
stockheim  bei  Crailsheim  in  "Würtemberg  geboren.  Sein  Vater  starb  früh  und 
Gr.'s  zeitig  hervortretendes  musikalisches  Talent  erhielt  erst  einige,  wiewohl 
mj^ngelhafte  Pflege,  als  sich  die  Mutter  mit  einem  Geistlichen  zu  Alten- Schön- 
bach bei  Kloster  Ebrach  wieder  verheirathete,  der  den  Stiefsohn  in  Gesaug, 
Ciavier-  und  Orgelspiel  unterwies.  Bald  versah  G.,  so  gut  es  anging,  den  Orgel- 
dienst in  der  Kirche  und  erweckte  die  Theilnahme  des  Cantors  Stadler  in 
Limbach,  der  ihn  einen  Sommer  hindurch  gründlich  unterrichtete.  Durch 
Selbststudium  brachte  sich  G.  hierauf  zu  ungewöhnlicher  Fertigkeit  im  Ciavier- 
spiel und  Tonsatz,  so  dass  er  sich  1769  in  Bayreuth  niederlassen  und  mit 
gutem  Erfolge  Musikunterricht  ertheilen  konnte.  Im  J.  1784  trat  er  in  die 
Stellung  eines  Musikdirektors  der  Schmidt'schen  ambulanten  Gesellschaft  und 
brachte  sieben  seiner  meist  schon  früher  componirten  Operetten  zur  Aufführung. 
Zwei  Jahre  später  trennte  er  sich  von  dieser  Truppe  und  blieb,  ausschliesslich 
mit  Musikunterricht  und  Composition  beschäftigt,  in  Bayreuth,  wo  er  um  1826 
starb.  Er  hat  Sinfonien,  Quartette,  viele  Clavierconcerte,  an  20  Sonaten  und 
Sonatinen  u.  dergl.  geschrieben,  die  einen  leichten  und  gefälligen  Styl  bekunden, 
aber  ohne  grössere  Tiefe  und  künstlerische  Bedeutsamkeit  sind. 

Girelli,  Santino,  italienischer  Tonsetzer  aus  Brescia,  von  dessen  Com- 
position fünf-  bis  achtstimmige  Messen  (Venedig,  1627)    übrig    geblieben  sind. 

Girkeh  oder  Girkäli  nennen  die  Araber  den  etwa  uuserm  ff  entsprechenden 
Klang  ihrer  Scala.  Die  Klänge  der  arabischen  Tonleiter,  ungefähr  denen  der 
Männerstimme  gleich  kommend,  benennt  man  nämlich  in  der  kleinen  Octave 
jeden  mit  einem  besonderen  Namen.  Jede  tiefere  Octave  heisst  wie  die  höhere, 
nur  erhält  der  Name  das  Vorwort  Qah  (s.  d.),  was  so  viel  als  »Haupt«,  «Erstes« 
bedeutet.  Jede  höhere,  durch  Instrumente  darstellbare  Octave  bezeichnet  man 
mit  dem  einfachen  Tonnamen,  ohne  Eücksicht,  welcher  Octave  er  angehört. 
So  nennt  man  z.  B.  bei  Zamr-el-soghayr  (s.  d.)  das  y^,  (ß  und /^  nur  schlecht- 
weg GirJceh.  0. 

Girolamo  di  Navarra,  berühmter  spanischer  Tonsetzer  aus  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts,  der  aber  in  Italien  lebte  und  dort  auch  zu  Euf  und  Bedeu- 
tung gelangte.  So  berichtet  Arteaga,  ohne  den  dieser  Name  ganz  unbekannt 
geblieben  wäre,  in  seiner  Geschichte  der  Oper.  Gerber  in  seinem  Tonkünstler- 
lexikon von  1812  hält  G.  für  identisch  mit  Girolamo  da  Monte  del  Olmo, 
dessen  Autorname  auf  einem  gedruckten  Motettenwerke  steht  und  von  dem 
man  ebenfalls  nichts  mehr  weiss.  —  Ein  Zeitgenosse  G.'s  war  G,  da  TJdine, 
der  sich  auf  seinem  didaktischen  Werke  »J^  vero  modo  di  diminuire  con  tuttc 
le  sorti  di  strometitivi  (Venedig.  15  ?  ?)  Capo  de''  concerti  delli  stromenti  di  fiato 
della  illnstr.  signoria  di  Venezia,  d.  i.  Bathsconcertmeister  in  Venedig,  nennt, 
und  nach  Garzoni's  y> Piazza  universale  di  tutte  le  professioni  del  mondoa  (Venedig, 


252  Giroust  —  Gis-moll. 

1585)  ein  treffliclier  Componist  gewesen  sein  soll,  was  übrigens  auch  Motetten 
von  ihm   (Yeneclig,   1551)   darthun. 

Gironst,  Fi-angois,  französischer  Kirchencomponist,  geboren  am  9.  April 
1730  zu  Paris,  erhielt  seinen  Musikunterricht  vom  siebeuten  Jahre  an  als  Chor- 
knabe der  Maitrise  der  Kirche  Notredame  bei  Goulit.  Neunzehn  Jahr  alt, 
wurde  er  Musikmeister  an  der  Kathedrale  zu  Orleans.  Als  1768  der  Preis 
einer  goldenen  Medaille  für  die  beste  Coraposition  des  Psalms  -nSuper  ßuminaa 
ausgeschrieben  wurde,  erkannte  Dauvergne,  Direktor  der  Goneerts  npirituels  in 
Paris,  zwei  von  einigen  zwanzig  Arbeiten  als  preiswerth;  beide  waren  von  G., 
der  in  Folge  dessen  1769  die  Musikdirektorstelle  an  der  Kirche  de^  Innocents 
zu  Paris  erhielt  und  1775  auch  als  Nachfolger  des  Abbe  Gauzargues  zum  königl. 
Kapellmeister  zu  Versailles,  bald  darauf  auch  zum  Intendanten  d.Qf^  Hofmusik 
ernannt  wurde.  Die  Revolution  beraubte  ihn  aller  dieser  Aemter,  und  er  starb 
in  Dürftigkeit  am  28.  April  1799  zu  Versailles.  —  Seine  zablreichen  Kirchen- 
werke, sowie  die  Originalpartitur  seines  Oratoriums  »Der  Durchgang  durch  das 
rothe  Meer«  sind  im  Besitz  des  Pariser  Conservatoriums;  Ft'tis  bezeichnet  diese 
Arbeiten  als  erbärmlich  und  werthlos  gegenüber  älteren  kritischen  Stimmen, 
welche  dieselben  den  besten  beizählen. 

Girsehner,  Karl,  deutscher  Gesangscomponist,  geboren  1803  zu  Spandau, 
machte,  besonders  unter  Zelter  und  Beruh.  Klein,  seine  Musikstudien  in  Berlin, 
wo  er  auch  1824  nach  Logier's  System  ein  Musikinstitut  errichtete.  Im  J. 
1833  begann  er  die  Herausgabe  einer  musikalischen  Zeitung,  die  nach  einjäh- 
rigem Bestehen  wieder  einging.  G.  selbst  wurde  in  demselben  Jahre  Organist 
an  der  neuen  Kirche,  ging  aber  schon  1835  als  Theaterkapellmeister  nach 
Danzig,  bald  darauf  nach  Basel,  von  dort  nach  Aachen,  wo  er  die  Liedertafel 
dirigirte  und  endlich  1842  nach  Brüssel,  in  welcher  Stadt  er  Organist  an  der 
evangelischen  Kirche  und  Direktor  des  Gesangvereins  »Z'eco  deV  Allemagneat. 
wurde.  Als  er  auch  Brüssel  wieder  verlassen  hatte ,  wusste  man  lange  Zeit 
nichts  über  ihn,  bis  er  in  Südfrankreich  wieder  auftauchte,  wo  er  zu  Libourne 
im  Departement  der  Gironde  im  August  1860  starb.  —  G.  war  ein  ebenso 
begabter  als  gewandter  Componist,  schrieb  viele  ein-  und  mehrstimmige  Lieder 
und  Gesänge,  Ciavierstücke,  sowie  die  Opern  »TJndine«,  «der  Vetter  aus  Bremen«, 
«Kuss  und  Schuss«  u.  s.  w.  Ausserdem  ist  er  der  Verfasser  einer  Schrift  über 
Logier's  System  und  mehrerer  Aufsätze  in  der  Berliner  musikalischen  Zeitung 
von  Marx. 

Gis  (ital.:  sol  diesis,  franz.:  sol  diese,  engl.:  g  slmrp),  alphabetisch-syllabische 
Benennung  des  als  chromatische  Halbtonserhöhung  von  g  erscheinenden  und 
die  neunte  Stufe  unserer  durch  Kreuze  dargestellten  diatonisch-chromatischen 
Scala  ausmachenden  Tones,  welcher  zu  e  im  Verhältniss  der  grossen  Terz,  zu 
eis  im  Verhältnisse  der  reinen  Quinte  u.  s.  w.  steht.  Zum  Grundtone  c  ver- 
hält er  sich  als  übermässige  Quinte  eigentlich  wie  25  :  16;  auf  gleichschwcbend 
temperirten  Instrumenten  aber  muss  er,  da  er  auch  zugleich  als  kleine  Sexte 
von  c  und  kleine  Terz  von  f,  also  als  as  zu  dienen  hat,  gleich  allen  anderen 
Tönen  eine  gewisse  Modification  (s.  Temperatur)  seiner  Stimmung  erleiden. 
Als  Grundton  einer  als  Haupttonart  eines  Tonstücks  auftretenden  Durtonart, 
also  Gis-diir,  wird  er  der  vielen  Vorzeichnungen  (acht  Kreuze)  wegen ,  welche 
seine  Scala  erfordert,  um  gemäss  der  Durregel,  als  diatonische  Durscala  zu 
erscheinen,  nicht  verwendet;  seine  Durtonart  tritt  nur  im  Laufe  der  Modu- 
lation als  Nebentonart  auf.  Seine  Mollscala  jedoch  ist  gebräuchlich.  Siehe 
Gis-moll. 

Gis-dnr  (ital.:  Sol  diesis  maggiore .  franz.:  sol  diese  majeur,  engl.:  G  sharp 
major),  die  auf  dem  gis  genannten  Tone  als  Grundton  errichtete,  ihrer  vielen 
Vorzeichnungen  (acht Kreuze)  wegen  aber  nicht  gebräuchliche  Durtonart  (s.  Gis), 
deren  Scala  ^«s.  ais.  his,  eis,  dis,  eis,  fisfis  heisst;  im  von  C  aufsteigenden  Quinten- 
cirkel  würde   Gis-dur  die  neunte   Tonart  sein. 

Gis-moll  (ital.:    Sol  diesis  minore,   h'anz.:    sol  diese  mineur,  engl.:    G  sharp 


Gith  —  Giudetti.  253 

minor)  ist  der  Name  der  auf  dem  Tone  (jis,  gemäss  der  Mollregel  erricliteten 
Molltonart.  Damit  ihre  Stufenfolge  die  natürliche  Beschaffenheit  der  weichen 
Tonleiter  erhalte,  müssen  die  Töne  f,  c,  d  und  a  um  einen  halben  Ton  erhöht, 
also  in  ßs,  eis,  dis  und  ais  verwandelt  werden,  und  die  Tonart  Gis-tnoU  erscheint, 
als  Mollijarallele  von  H-dur  mit  fünf  Kreuzen  Vorzeichnung  hinter  dem  Schlüssel. 
Ausserdem  wird  die  siebente  Tonstufe,  fis,  wenn  sie  als  Leitton  zu  dienen  hat, 
folglich  grosse  Septime  sein  muss,  durch  ein  Doppelkreuz  um  einen  zweiten 
halben  Ton  erhöht,  also  in  fisfis  verwandelt.  —  In  den  Zeiten  seit  Mattheson, 
als  man  durch  ästhetische  Interpretation  jeder  Tonart  eine  besondere,  charakte- 
ristische Färbung  ablauschen  zu  müssen  glaubte,  entging  auch  Gis-moll  diesem 
Schicksale  nicht.  Am  prägnantesten  fasst  sich  Schubart,  wenn  er  in  seinen 
»Ideen  zu  einer  Aesthetik  der  Tonkunst«  phantasirend  sagt:  »Griesgram,  ge- 
presstes  Herz  zum  Ersticken;  Jammerklage,  die  im  Doppelkreuz  hinseufzt, 
mit  einem  Wort:  was  mühsam  durchdringt  ist  dieses  Tones  Farbe«.  Noch  in 
Schilling's  und  Gathy's  altem  Lexikon  ist  diese  Auslegung  wörtlich  adoptirt 
und  sogar  durch  einige  Nuancen  bereichert,  trotzdem  in  jener  Zeit  bereits  die 
Ueberzeugung  von  der  Nichtigkeit  einer  Charakteristik  der  Tonarten  allgemeiner 
Platz  gegriffen  hatte. 

(jith  (indisch)  führt  Willard  in  seinem  Werke:  A  Treatise  on  the  Music 
of  Sindostan  etc.  pag.  87  als  Namen  einer  der  sieben  altindischen  Sangarten 
auf,  deren  uralte  Melodien  jetzt  kaum  noch  annähernd  wiederzugeben  sind.     0. 

Gliithith,  tr^r!»  (hebräisch),  eine  in  mehreren  Psalmüberschriften  der  Bibel 
sich  vorfindende  Bezeichnung,  haben  verschiedene  Ausleger  als  Namen  der 
Macjadls  (s.  d.),  eines  der  grossen  assjrrischen  Harfe  ähnlichen  Tonwerkzeugs, 
betrachtet,  welche  Ansicht  jedoch  gar  keine  haltbaren  Grründe  aufweist,  denn 
die  Hebräer  kannten  diese  Harfe  zur  Zeit  Davids  wohl  noch  gar  nicht.  Nichts' 
überhaupt  beweist  mit  Bestimmtheit,  dass  G.  der  Name  eines  gewisse  Psalme 
begleitenden  Musikinstruments  war,  und  selbst  die  TJebersetzung  in's  Griechische 
giebt  für  G.  h^voi  und  die  Yulgata  lateinisch  torcularia,  was  so  viel  als  .»Presse«, 
»Kelter«  bedeutet  und  Pfeiffer  in  seinem  Werke  »lieber  die  Musik  der  alten 
Hebräer«  p.  XXXIII  dahin  führt,  dies  Wort  als  Titel  für  eine  Dichtung  zum 
Fest  der  Weinlese  zu  erklären,  welche  Auslegung  auch  wahrscheinlich  als  richtig 
zu  erachten  ist.  2. 

Giti  oder  Udgätha  (s.  d.)  ist  in  der  indischen  Musik  der  Name  für  eine 
Hhythmusgattung,  in  der  alte  Heldenlieder  gedichtet  worden  sind.  0. 

Gitter,  Joseph,  ausübender  Musiker  und  Instrumentalcomponist,  war  von 
1780  bis  1795  Mitglied  der  Hofkapelle  in  Mannheim  und  hat  von  seiner  Com- 
position  Duos  für  Violine,  für  Flöte,  drei  Quartette  für  Flöte  u.  s.  w.  in  Mann- 
heim und  Mainz  veröffentlicht. 

Giubilei,  Pater  Andrea,  italienischer  Contrapunktist  und  Tonsetzer  der 
römischen  Schule,  war  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  Kapellmeister  au 
der  Kirche  des  Klosters  del  San  Bambino  Gesu  zu  Rom  und  wird  von  Baini 
als  vortrefflicher  Comi^onist  aufgeführt,  dessen  Werke  im  Manuscripte  sich  im 
Archive  der  päpstlichen  Kapelle  befinden. 

Giubilo  (ital.),  die  jauchzende  Freude,  der  Jubel,  wird  mit  vorgestellter 
Präposition  con,  ebenso  wie  das  Adjectivum  giuhiloso,  als  Bezeichnung  für 
den  jubelnden,  schwungvollen  Vortrag  der  damit  bezeichneten  Stelle  eines  Musik- 
stücks angewendet. 

Giucante  oder  g-iiielievole  (ital.),  schäkernd,  fröhlich,  ist  vollkommen  iden- 
tisch mit  dem  häufiger  gebrauchten  giocoso  (s.  d.). 

Giudetti,  Giovanni,  musikgelehrter  italienischer  Geistlicher,  geboren  1532 
zu  Bologna,  war  Kaplau  Gregor's  XIII.  zu  Rom  und  erhielt  von  diesem  Papste 
1575  ein  Beneficiat  an  der  Hauptkirche  des  Vaticans.  Wie  Baini  behauptet, 
war  G.  ein  Schüler  Palestrina's  und  übernahm  mit  diesem  vereinigt  einen  Theil 
der  Verbesserung  des  Gregorianischen  Kirchengesangs,  eine  Arbeit,  der  er  sich 
später  ausschliesslich  widmete   und  in   deren  Interesse  er  vier  Werke  veröffent- 


254  Giuglini  —  Giviliaiii. 

lichte,  nämlich:  y>Direcforiiim  chori«,  'oGantiis  eccles.  passionisa,  y>Cantus  eccles. 
ojßcii  maj.  hehdomadae  etc.a  und  y>I'raefationes  in  canto  fermo  juxta  ritum  sanctae 
rom.  eccles.  emendataea.  Von  erstgenanntem  AVerke  erschien  1589,  von  G.  selbst 
besorgt,  die  zweite  Auflage,  vom  letzten  1619  durch  Francesco  Suriano.  Gr. 
starb  am  öO.  Novbr.  1592  zu  Rom. 

Giuglini,  Antonio,  einer  der  vorzüglichsten  italienischen  Tenorsänger 
der  neuesten  Zeit,  wurde  im  J.  1833  zu  i^^ermo  geboren  und  seiner  schönen 
Stimme  wegen  der  Metropolitankirche  seiner  Vaterstadt  als  Chorknabe  zuge- 
führt, in  Folge  dessen  er  zugleich  eine  treffliche  musikalische  Ausbildung  nach 
vocaler  wie  instrumentaler  Seite  hin  erhielt.  Als  sich  in  seinen  Jünglingsjahren 
die  schöne  Sopran-  in  eine  wahrhaft  herrliche  Tenorstimme  umgewandelt  hatte, 
wuchs  die  Aufmerksamkeit,  die  er  von  jeher  erregt  hatte,  und  es  fehlte  nicht 
an  Versuchen,  ihn  dem  Dienste  der  kirchlichen  Muse  zu  entziehen  und  ihn 
unter  Vorhaltung  der  Aussicht  auf  Ruhm  und  Lebensgenuss  der  weltlichen 
Kunst  zuzuführen.  Aber  Gr.  widerstand  beharrlich  den  glänzenden  Anerbietungen, 
bis  der  Zufall  bewerkstelligte,  was  alle  List  nicht  zu  vollbringen  vermochte. 
Ein  Orchestermitglied  des  Theaters  zu  Fermo  nämlich  wurde  krank,  Gr.  nahm 
aus  Gefälligkeit  interimistisch  dessen  Platz  ein  und  vertauschte  bald  nachher, 
in  Folge  einer  plötzlichen  Krankheit  des  ersten  Tenors  das  Notenpult  des  Or- 
chesters mit  den  Coulissen  der  Bühne  bei  einer  Auflführung  der  »beiden  Fos- 
cari«.  Nach  einer  Reihe  glänzender  Erfolge  an  verschiedenen  Theatern  seines 
Vaterlandes,  feierte  er  seinen  grössten  Triumph  in  der  Scala  zu  Mailand.  Kaiser 
Franz  Joseph  von  Oesterreich,  der  ihn  damals  hörte,  war  von  G.'s  Leistungen 
so  entzückt,  dass  er  ihn  zum  k.  k.  Kammersänger  ernannte  und  ihn  für  das 
Hofoperntheater  zu  Wien ,  da  der  Impresario  Lumley  in  London  ihn  bereits 
für  drei  Jahre  gewonnen  hatte,  im  Voraus  für  das  Jahr  1860  engagirte.  In 
London  trat  G.  im  Theater  der  Königin  am  14.  April  1857  zuerst  in  Donizetti's 
»Favoritin«  als  Fernando  auf,  ein  Abend,  welcher  ihn  sofort  zum  ersten  Teno- 
risten der  Saison  stempelte.  Sodann  sang  er  den  Fldgardo  in  »Lucia  von  Lam- 
mermoor« so  gut  wie  einst  Rubini  und  spielte  ihn  bessei\  Jede  neue  Rolle, 
in  der  sein  Auftreten  angekündigt,  wurde  mit  der  grössten  Begierde  erwartet. 
Als  gefeierter  Künstler  verliess  G.  England,  um  in  Verbindung  mit  den  ersten 
Gesangkräften  der  Lumley'schen  Gesellschaft  in  Deutschland  aufzutreten.  Im 
November  1857  war  er  in  Bei'lin,  wo  er  im  königl.  Opernhause  unter  enthu- 
siastischer Anerkennung  sang.  In  der  Saison  1858  trat  er  wieder  in  London 
mit  unvermindertem  Beifall  und  im  August  desselben  Jahres  in  den  grösseren 
Städten  Grossbritanniens  und  Irlands  auf.  Seit  1860  entzückte  er  Wien,  ent- 
sagte aber  auf  dem  Gipfel  seines  Ruhms  dem  rauschenden  Bühnenleben  und 
zog  sich  mit  seinen  bedeutenden  Ersparnissen  in  seine  Heimath  zurück.  Die 
ausgezeichnete  Beschafi^enheit  seiner  im  höchsten  Grade  reinen  und  wohllauten- 
den Stimme,  die  seltene  Vollkommenheit  seines  Vortrags  und  die  Innerlichkeit 
seines  Ausdrucks  lassen  es  bedauern,  dass  er  meteorartig  nur  auf  kurze  Zeit 
erschien,  um  unerwartet  schnell  wieder  zu  verschwinden. 

Giuliani,  ein  in  der  Musikgeschichte  ziemlich  häufig  vertretener  Name  von 
italienischen  Toukünstlern,  von  denen  hier  die  bekannter  gebliebenen  folgen. 
1)  Antonio  G.,  war  Cembalist  im  Orchester  des  Theaters  zu  Modena  und 
brachte  dort  1784  die  von  ihm  componirte  komische  Oper  r^Guerra  in  pacev^ 
beifällig  zur  AufiFührung.  2)  Cecilia  G.  geborene  Bianchi,  eine  vorzügliche 
Sängerin,  deren  Blüthezeit  in  das  letzte  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  fällt. 
Im  J.  1790  war  sie  die  Primadonna  des  Scalatheaters  in  Mailand,  von  1791 
bis  nach  1796  sang  sie,  vom  Publikum  wegen  ihrer  vortrefflichen  Stimme  und 
Schule  gefeiert,  in  der  italienischen  Oper  zu  Wien  und  leitete  zugleich  den 
Gesangunterricht  der  Erzherzoginnen.  3)  Francesco  G.,  zu  Vicenza  gegen 
Ausgang  des  16.  Jahrhunderts  geboren,  ist  als  Herausgeber  einer  Sammlung 
von  Messen  (Venedig,  1630)  bekannt  geblieben.  4)  Francesco  G.,  ein  viel- 
seitig gebildeter  Musiker,  geboren  1760  zu  Florenz,  war  im  Violinspiel  Nardini's 


Giuliauo  Tiburtino  —  Gizzi.  255 

und  in  der  Composition  Bartol.  Fellce's  Schüler,  In  jungen  Jahren  bereits 
wurde  er  als  erster  Violinist  im  Orchester  eines  Theaters  seiner  Geburtsstadt 
angestellt  und  war  später  auch  als  Lehrer  des  Gesangs,  Ciavier-,  Harfen-  und 
Violiuspiels  sehr  angesehen.  Als  Componist  hat  er  Streichquartette  und  Violin- 
duette herausgegeben,  die  auch  zum  Theil  in  Deutschland  gedruckt  erschienen. 
Im  J.  1812  war  er  zu  Florenz  noch  am  Leben  und  in  voller  Thätigkeit. 
5)  Mauro  Gr.,  berühmter  Guitarrenvirtuose  und  sehr  beliebter  Componist  für 
dieses  Instrument,  geboren  1796  zu  Bologna,  kam  bereits  1807  nach  Wien, 
wo  er  sehr  bald  als  ausführender  Musiker  wie  als  Componist  das  grösste  Auf- 
sehen machte,  so  dass  seine  Concerte  stai'k  frequentirt,  seine  Unterrichtsstunden 
sehr  gesucht  und  seine  Arbeiten  begehrte  Artikel  waren.  Mit  Ausnahme  einiger 
Besuchsreisen  in  sein  Vaterland ,  verliess  er  Wien  nicht  mehr  und  starb  da- 
selbst schon  im  J.  1820.  Seine  zahlreichen  Compositionen  für  Guitarre  stehen 
ihrem  Werthe  nach  in  der  einschlägigen  Literatur  obenan;  sie  bestehen  in  drei 
Concerten,  Sonaten,  Etüden,  Bondos,  Variationen,  Potpourris  für  eine  Guitarre, 
Liedern  mit  Begleitung  der  Guitarre,  zahlreichen  Duetten,  Divertissements, 
Fantasien,  Tänzen  für  zwei  Guitarren ,  einer  concertirenden  Serenade  für  Gui- 
tarre, Violine  und  Violoncello,  einem  Quintett  für  Guitarre,  zwei  Violinen,  Viola 
und  Violoncello  u.  s.  w.  G.  ist  auch  der  Verfasser  einer  guten  Guitarrenschule, 
welche  mit  italienischem  und  deutschem   Text  zu  Wien  erschienen  ist. 

Griuliauo  Tiburtiuo,  berühmter  italienischer  Tonsetzer  des  16.  Jahrhunderts, 
von  dem  sich  in  einer  1579  erschienenen  Sammlung  von  Madrigalen,  Ricercaren 
u.  s.  w.  Willaert's,  Cj'prian  Bore's  u.A.  dreistimmige  Eicercaren  und  Fantasien 
mit  der  beigedruckten  Bemerkung  ■naccommodate  da  cantare  e  sonare  per  ogni 
istromentU  befinden. 

Ginlial,  Andreas,  beliebter  deutscher  Kirchcomponist  und  tüchtiger  Musik- 
pädagoge des  18.  Jahrhunderts,  war  der  Sohn  eines  aus  Italien  stammenden 
Sprachlehrers  iind  fungirte  bis  1771  am  Dom  zu  Augsburg  als  Kapellmeister. 
Er  besass  gründliche  theoretische  Kenntnisse  und  eine  vorzügliche  Methode 
für  den  Gesangunterricht,  in  Folge  dessen  er  zahlreiche  gute  Sänger  für  seinen 
Kircheuchor  heranbildete.  Als  Componist,  namentlich  von  Kirchenstücken,  war 
er  weit  und  breit  sehr  geschätzt,  ohne  dass  jedoch  eine  seiner  Arbeiten  in  den 
Druck  gekommen  ist. 

Griusti,  Maria,  s.  Bulgarelli. 

Ginstiuiani  waren,  wie  Demantius  in  seiner  y>Isagoge  artis  musicae«  (Ap- 
pendix der  Ausg.  Jena,  1656)  angiebt,  »sonderliche  Buhlenliedlein  in  dor  Stadt 
Bergamo«  und  wie  Prätorius  {Syntagma  III.  18)  hinzusetzt,  »meistlich  mit  drei 
Stimmen«. 

Ginstiui,  Lodovico,  italienischer  Componist  aus  Pistoja,  von  dessen  Ar- 
beiten um  1736  zwölf  Ciaviersonaten  zu  Amsterdam  im  Druck  erschienen  sind. 

t 
Giusti  Roiuauia,  Maria,  italienische  Opernsängerin,  die,  wie  der  Beiname 
andeutet,  aus  Born  gebürtig  war,  kam  1725  mit  einer  Operngesellschaft  nach 
Breslau  und  ging  im  nächsten  Jahre  nach  Prag.  An  beiden  Orten  wurde  sie 
als  bedeutende  Sängerin  gefeiert.  Vgl.  Mattheson  »Musikal.  Patriot.«,  43.  Be- 
trachtung, t 

Giusto  (ital.),  Adjectivum  in  der  Bedeutung  richtig,  angemessen, 
kommt  als  musikalische  Vortragsbedeutung  nur  in  Verbindung  mit  einem  näher 
bezeichnenden  Hauptworte  vor,  am  häufigsten  mit  dem  Substantiv  Tempo. 
Tempo  giusto  bezeichnet  daher  ein  dem  Charakter  des  Tonstücks  entsprechen- 
des Zeitmaass,  das  herauszufinden,  dem  richtigen  Gefühle  des  Spielers  oder 
Sängers  überlassen  bleibt. 

Gizzi,  Domenico,  berühmter  italienischer  Sänger,  bewährter  Gesanglehrer 
^und  Componist,  geboren   1684  zu  Arpino  im  Königreich  Neapel,  erhielt  seinen 
^rsten  gediegenen  Musikunterricht  bei  seinem  Landsmann  Angelio  und  studirte, 
3reits    zum    geschickten   Sänger  herangebildet,    noch  auf    dem  Gonservatorio  di 


256  Gizziello  —  Gläser. 

San  Onofrio  in  Neapel  neben  Porpora  und  Durante  unter  Aless.  Scarlatti  Com- 
position .  und  Contrapunkt.  Er  war  auch  schon  als  Componist  für  Kirche  und 
Kammer  mehrfach  aufgetreten,  als  er  auf  den  B,ath  öcarlatti's  hin  eine  eigene 
Singschule  errichtete,  aus  welcher  in  der  Folge  Säuger  ersten  Ranges,  wie  u.  A. 
Feo  und  der  Sopranibt  Conti,  der  aus  Dankbarkeit  für  seinen  Lehrer  den  Bei- 
namen Gizziello  adoptirte,  hervorgingen.  Im  J.  1740  entsagte  G.  dem  Unter- 
richtgeben,  zog  sich  in  seine  Geburtsstadt  zurück  und  starb  daselbst  im 
J.  1745. 

Gizitiello,  s.  Conti. 

Giusto,  Paolo,  italienischer  Orgelspieler,  wui'de  sm  15.  Septbr.  1591  zum 
zweiten  Organisten  an  der  St.  Marcuskirche  zu  Venedig  erwählt  und  verwaltete 
diese  Stelle  bis  zum  J.  1624.  Vgl.  v.  "Winterfeld,  »Gabrieli  und  sein  Zeitalter« 
Band  I.  Seite  199.  t 

Gläser,  Frauz,  Componist  und  Operndii'igent,  geboren  am  19.  April  1798 
zu  Ober-Georgenthal  in  Böhmen,  wurde  im  elften  Jahre,  seiner  schönen  Alt- 
stimme wegen ,  als  Chorknabe  in  die  Hofkapellc  zu  Dresden  gebracht  und  er- 
hielt einen  gut  musikalischen  Unterricht,  im  Gesänge  namentlich  von  Mieksch. 
In  den  Jahren  1814  und  1815  studirte  er  nocli  auf  dem  Conservatorium  zu 
Prag,  u.  A.  auch  das  höhere  Viclinspiel  bei  Pixis,  und  vollendete  seine  Vor- 
bereitung bei  Heydenreich  in  Wien  durch  Studium  des  Contrapunkts.  Als 
stellvertretender  Dirigent  trat  er  hierauf  1817  zum  Josephstädter  Theater  in 
Wien  und  rückte  schon  ein  Jahr  später  in  die  Stelle  des  wirklichen  Kapell- 
meisters, die  er,  alle  Bedürfnisse  dieser  Vorstadtbühne  durch  seine  Compositioneu 
deckend,  bis  1830  einnahm,  in  welchem  Jahre  er  einem  Rufe  als  Kapellmeister 
des  Königstädtischen  Theaters  nach  Berlin  folgte.  Hier  schrieb  er  u.  A.  1833 
auf  einen  Text  von  Holtei  sein  Hauptwerk,  die  Oper  »des  Adlers  Horst«,  welche 
erfolgreich  über  fast  alle  Bühnen  Deutschlands  ging  und  noch  1856  im  königl. 
Opernhause  zu  Berlin  mit  Johanna  Wagner  und  1872  im  dortigen  Reunion- 
Theater  aufgeführt  wurde.  Wie  in  Wien  schuf  er  auch  als  Kapellmeister  in 
Berlin  eine  grosse  Menge  von  Gelegenheits-Ouvertüren,  Singspielen,  Zauber- 
und  Lokalpossen,  Melodramen,  Einlagestücken  u.  s.  w.,  die  zum  Theil  jedoch 
höchstens  eine  vorübergehende  Bedeutung  gewannen.  Im  J.  1842  wurde  er 
zum  königl.  Kapellmeister  in  Kopenhagen  ernannt,  in  welcher  Stellung  er  noch 
einige  Opern  schrieb,  von  denen  »die  Hochzeit  am  Comer  See«  (Bryllupet  ved 
Como  soen),  Text  von  Andersen,  im  Clavierauszuge  erschien.  G.  starb  am 
29.  Aug.  1861  zu  Kopenhagen.  Ausser  den  beiden  schon  genannten,  hat  er 
an  Opern  noch  componirt ;  den  »Bernsteinring«,  »die  Brautschau«,  den  »Ratten- 
fänger von  Hameln«  und  »Das  Auge  des  Teufels«,  Werke,  die  wie  die  meisten 
anderen  von  ihm  z.  B.  »Heliodor«,  »die  steinerne  Jungfrau«,  »Peter  Stieglitz« 
u.  s.  w.,  zu  den  verschollenen  zählen.  G.  war  ein  sehr  befähigter  und  ge- 
wandter Musiker,  ^ber  als  Componist  doch  höchstens  nur  ein  Routinier,  der 
mit  Anstand  die  Kunst  der  Instrumentation  und  Stimmbehandluiig  zu  handhaben 
wusste,  woher  es  denn  auch  gekommen  ist,  dass  keine  einzige  seiner  vielen  Ar- 
beiten   sich   auf  die  Dauer  zu  halten  gewusst  hat. 

Gläser,  Karl  Ludwig  Traugott,  deutscher  Componist  und  gründlicher 
Musikpädagoge,  geboren  1747  zu  Ehrenfriedensdorf  bei  Annaberg,  gestorben 
als  Cantor,  Musikdirektor  und  Seminarlehrer  zu  Weissenfeis  am  31.  Jan.  1797, 
war  ein  erfahrener  und  vielgebildeter  Musiker,  der  sich  innerhalb  seines  eng 
umschriebeneu  Berufskreises  bemerkenswerth  auszeichnete.  Aussor  zahlreichen 
Kircheustücken,  die  jedoch  nicht  im  Druck  erschienen  sind,  componirte  er  eiiui 
Sammlung  von  Menuetten  und  Polonaisen  aus  allen  Tonarten,  die  mit  einei- 
empfehlenden  Vorrede  von  J.  F.  Doles,  G.'s  Freund  und  Lehrer,  versehen, 
unter  dem  Titel  »Kurze  Ciavierstücke  zum  Gebrauche  beim  Unterricht«  im 
J.  1794  herauskamen.  Allgemein  bekannt  geworden  ist  von  ihm  die  Melodie 
zu  dem  Liede  »Feinde  ringsum!«  1791  auf  einen  Text  aus  Karl  (i ottlob  Cra- 
mer's  Roman  »Hermann  von  Nordenschild«  componirt,  welche  sich  bis  auf  de' 


Gläser  —  Glarean.  257 

heutigen  Tag  volksthümlicli  erhalten  hat  und  zu  der  1814  Joh.  Heinr.  Christ. 
Nonne  den  nicht  minder  viel  gesungenen  Text  »Flamme  empor!«  gedichtet  hat. 
—  Gr.'s  Sohn,  Karl  Grotthelf  Gr.,  geboren  am  4.  Mai  1784  zu  "Weissenfeis, 
erhielt  den  ersten  Musikunterricht  vom  Vater  und  vervollkommnete  sich  in 
der  Tonkunst  als  Schüler  der  Thomasschule  zu  Leipzig,  wo  neben  Joh.  Ad. 
Hiller  noch  Aug.  Eberh.  Müller  im  Ciavierspiel  und  in  der  Harmonielehre, 
und  der  Concertmeister  Campagnoli  im  Yiolinspiel  seine  Lehrer  waren.  Im 
J.  1801  bezog  er  behufs  ßechtsstudiums  die  Leipziger  Universität,  verliess  aber 
aus  Liebe  zur  Musik  bald  die  akademische  Laufbahn  und  siedelte  als  Compo- 
nist  und  Musiklehrer  nach  Barmen  über.  Dort  übernahm  er  auch  eine  Mu- 
sikalienhandlung,'die  er  bis  zu  seinem  Tode,  am  16.  Apr.  1829,  führte.  Yon 
seinen  Compositionen  sind  einige  zwanzig  Werke,  bestehend  in  Motetten,  Cho- 
rälen, Kinderliedern,  Sonaten,  Fantasien  und  Variationen  für  Ciavier  u.  s.  w. 
im  Druck  erschienen,  ebenso  ein  Gesangbuch  für  das  Grrossherzogthum  Nieder- 
rhein mit  leichten  Zwischenspielen.  Hervorragende  Tüchtigkeit  darf  seinen 
Elementarwerken:  einem  Liederbuch  für  Schulen,  einer  praktischen  Clavier- 
schule,  einer  Anweisung  zum  Orgelspielen,  einer  kurzen  Anweisung  zum  Singen 
(für  Volksschulen),  einem  Schulgesangbuch  und  einer  kurzgefassten  Harmonie- 
lehre zuerkannt  werden. 

Crläser,  Michael,  berühmter  deutscher  Orgelbauer,  geboren  1692  zu  Gre- 
lenau,  gestorben  1772,  fertigte  zwar  nur  Positive  und  diesen  ähnliche  kleine 
Werke,  war  aber  in  seiner  SpeciaUtät  so  ausgezeichnet,  dass  weithin  die  vor- 
züglichsten Instrumeutenmacher,  wenn  sie  mit  grösseren  Werken  Positive  oder 
kleine  Brustwerke  zu  verbinden  hatten,  dieselben  nur  von  ihm  bezogen. 

Grlanuer,  Kaspar,  deutscher  Componist,  von  welchem  vier-  und  fünf- 
stimmige geistliche  und  weltliche  Gresänge  (München,  1578  und  1580)  im  Druck 
erschienen  sind.  Diese  und  andere  Arbeiten  Gr.'s,  welcher  als  Organist  in  Salz- 
burg angestellt  war,  findet  man  noch  in  der  Münchener  Bibliothek.  f 

Glauz,  Greorg,  deutscher  Violinvirtuose  aus  der  letzten  Hälfte  des  18. 
Jahrhunderts,  war  anfangs  herzogl.  württembergischer  Kammermusiker,  verliess 
diese  Stellung  jedoch,  um  Kunstreisen  in  Deutschland  zu  unternehmen.  Auch 
als  Componist  hat  Gr.  sich  öffentlich  bekannt  gemacht.  Wenigstens  weiss  man, 
dass  er  auf  einer  seiner  Reisen  in  Nürnberg,  1763,  verschiedene  Solo's  eigener 
Composition  auf  seinem  Hauptinstrumente  vortrug.  f 

(xlaphyros ,  altgriechischer  Kitharöde,  dessen  in  der  sechsten  Satyre  des 
Juvenal  Erwähnung  geschieht.  f 

Glareau,  Heinrich,  berühmter  Philologe  und  Musikgelehrter,  einer  der 
grossen  Männer  aus  der  Schlusspeiiode  des  Mittelalters,  die  am  unermüdlich- 
sten und  eingreifendsten  zur  Hebung  von  Kunst  und  Wissenschaft  beigetragen 
haben,  hiess  eigentlich  Heinrich  Loris,  latinisirt  Loritus  und  war  im  J.  1488 
im  Canton  Grlarus  in  der  Schweiz  geboren,  von  v/elchem  Geburtslande  er  den 
Gelehrtennamen  Loritus  a  Glarea,  kurzweg  Glareanus  annahm.  Seine  Jugend- 
geschichte ist  leider  in  Dunkel  gehüllt,  und  man  weiss  aus  derselben  mit  Sicher- 
heit nur,  dass  er  Musikunterricht  von  Johann  Cochläus,  im  Theoretischen  so- 
wohl wie  im  Praktischen  erhalten  hat.  Dafür,  dass  er  auch  als  ausübender 
Musiker  wohl  bewandert  gewesen,  spricht  die  Thatsache,  dass  er  im  J.  1512 
dem  Kaiser  Maximilian  eine  lateinische  Ode  eigener  Dichtung  und  Composition 
vorsang  und  dazu  selbst  die  Musikbegleitung  führte.  Von  demselben  Kaiser 
ist  er  auch  zum  kaiserl.  gekrönten  Poeten  ernannt  worden.  Nachdem  er  seit 
1515  zu  Basel  Mathematik  gelehrt  und  zu  Paris,  wohin  er  auf  des  Erasmus 
Empfehlung  berufen  worden  war,  Vorlesungen  über  Philosophie  und  schöne 
Wissenschaften  gehalten  hatte,  ging  er  abermals  als  Lehrer  nach  Basel,  zog 
sich  aber,  als  1529  dort  religiöse  Unruhen  ausbrachen,  nach  Freiburg  im  ßreis- 
gau  zurück.  Auch  in'  dieser  Stadt  hielt  er  noch  lange  öffentliche  Vorträge 
über  Literatur  und  Geschichte  und  zog  mit  dem  Klange  seines  Namens  aus 
ganz  Deutschland    her  viele  Schüler    an  sich.     Mit  zunehmendem  Alter  stellte 

Musikal.  Convers. -Lexikon.    IV.  17 


258  Glas. 

er  jedoch  seine  Lehrthätigkeit  ein  und  starb  in  gänzlicher  Zurückgezogenheit 
am  28.  Mai  1563  in  der  zuletzt  genannten  Stadt.  —  Seine  musikalisch-theo- 
retischen "Werke,  welche  Klarheit,  Schärfe  und  streng  logischer  Zusammenhang 
höchst  bedeutsam  aus  der  betreffenden  Literatur  des  16.  Jahrhunderts  hervor- 
heben, sind  von  dem  grössten  und  vortheilhaftesten  Einfluss  auf  das  Musik- 
wesen ihrer  Zeit  gewesen  und  haben  ihren  "Werth  und  ihre  Wichtigkeit  bis 
auf  die  Jetztzeit  bewahrt.  Es  sind:  1)  r>Isagoge  in  musicena  (Basel,  1516,  laut 
Dedicationsvorwort),  welches  über  Solmisation,  Mutation,  Intervalle,  Tonarten 
u.  dgl.  sich  auslässt  und  mit  einem  Lobgedicht  auf  die  Musik  schliesst;  2)  das 
berühmte  Dodecachordon«  (Basel,  1547),  in  welchem  die  bis  dahin  schwankende 
Lehre  von  den  zwölf  Tonarten  zum  ersten  Male  festgestellt  und  in  TJeberein- 
stimmung  mit  derjenigen  von  den  Modis  der  griechischen  Musik  gebracht  ist. 
Im  ersten  der  drei  Bücher,  in  welche  das  "Werk  getheilt  ist,  wird  die  Lehre 
von  den  acht  Kirchentönen,  auf  welche  man  sich  damals  beschränkte,  ausein- 
ander gesetzt  und  commentirt;  im  zweiten  stellt  der  Verfasser  durch  Hinzu- 
nahme von  G  Jonisch  und  A  Aeolisch  seine  zwölf  Octavgattungen  auf  und  im 
dritten  ist  die  Anwendung  derselben  auf  die  harmonische  und  mensurirte  Musik 
gemacht.  Hier  befinden  sich  zahlreiche  Beispiele  aus  Musikwerken  des  15.  und 
16.  Jahrhunderts,  die  sonst  ganz  verschollen  sein  würden  und  für  die  Einsicht 
in  die  Compositionsweise  von  Meistern  wie  Ockenheim,  Hobrecht,  Josquin 
u.  s.  w.,  zugleich  aber  als  Produkt  ältesten  Notendrucks  unschätzbar  sind. 
Einen  Auszug  aus  dem  Dodecachordon  gab  Litavicus  Wonegger  heraus  unter 
dem  Titel  -»Musicae  epitome  ex  Glareani  Dodecacliordo<j<  (Freiburg,  1557);  der 
zweiten  Auflage  dieses  Auszugs,  welche  schon  1559  erschien,  war  der  Lob- 
gesang auf  die  dreizehn  Schweizerstädte,  gedichtet  von  Glarean,  und  von  Man- 
fred Barbarin  fünfstimmig  in  Musik  gesetzt,  angehängt.  Auf  des  Draudius 
Autorität  hin  wurde  vielfach  noch  ein  anderes  "Werk  Gr. 's  aufgeführt,  welches 
betitelt  »De  musices  divisione  ac  deßnitionev.  und  1549  zu  Basel  erschienen  sein 
sollte.  Da  aber  niemals  ein  Exemplar  dieses  Buches  ermittelt  worden,  der 
Titel  auch  identisch  mit  der  Capitel Überschrift  des  Anfangs  des  Dodecachordon 
ist,  so  ist  mit  allem  Grrund  ein  Irrthum  voi'auszusetzen.  Gr.  selbst  veranstaltete 
übrigens  auch  eine  sehr  gute  Ausgabe  der  erhalten  gebliebenen  "Werke  des 
Boethius,  die  sieben  Jahre  nach  seinem  Tode  (Basel,  1570)  erschien  und  welche 
für  alle  späteren  Ausgaben  des  griechischen  Theoretikers  benutzt  wurde.  — 
Die  grossen  Verdienste  G.'s  um  die  theoretische  Feststellung  der  Musik  sind  in 
neuester  Zeit  mehrfach  bemängelt,  G.  hinsichtlich  seiner  praktischen  Entwicke- 
lungen  theilweise  des  Dilettantismus  beschuldigt  und  seine  Werke  weit  hinter 
die  des  Seth  Calvisius  gestellt  worden;  es  dürfte  aber  doch  allzu  billig  sein, 
einen  Nachkommen  auf  Kosten  des  Vorfahren  zu  verherrlichen,  wenn  man  die 
Antwort  schuldig  bleiben  muss,  ob  der  vom  letzteren  erreichte  Fortschritt  ohne 
den  ersteren  möglich  gewesen  wäre.  Hätte  Gl,  nichts  wie  die  Lehre  von  den 
zwölf  statt  der  bisherigen  acht  Tonarten  (Octavgattungen)  aufgestellt,  so  würde 
er  uneingeschränkt  den  grössten  Theoretikern  der  älteren  Zeit  beigezählt  wer- 
den müssen. 

(jlas  (lat. :  vitrum),  dieses  durch  Zusammenschmelzen  verschiedener  Metall- 
oxyde mit  Kieselsäure  entstehende  Naturprodukt,  welches  fast  allen  Erdvölkern 
bekannt  ist,  und  das  für  die  Culturentwicklung  des  Menschengeschlechts,  selbst 
heute  noch,  nächst  dem  Eisen  die  höchste  Bedeutung  hat,  ist  auch  in  der  uns 
nahe  liegenden  Zeit  in  der  musikalischen  Kunst  verwerthet  worden.  Die  Er- 
findung des  G.'s,  wahrscheinlich  herbeigeführt  durch  das  Schmelzen  von  Me- 
tallen oder  Brennen  der  Thongefässe,  muss  in  sehr  früher  Zeit  an  verschiedenen 
Culturstätten  selbstständig  stattgefunden  haben.  Schon  2000  v.  Chr.  kannten 
die  Chinesen  das  G.  und  besassen  eine  ausnehmende  Geschicklichkeit  im  For- 
men desselben.  Zu  Ben-Hassan  und  Theben  in  Aegypten  findet  man  auf  Wand- 
gemälden, die  ums  Jahr  3500  v.  Chr.  geschaffen  sind,  Glasbläser  dargestellt, 
und    in    vielen    der    frühesten    Gräber    daselbst    haben    sich    Glasbrocken    und 


Glaschord  —  Glaser.  259 

Thränengläser  erhalten.  Von  den  Phöniziern  weiss  man,  dass  ihnen  die  Grlas- 
bereitungskunst  wahrscheinlich  schon  ums  Jahr  1000  v.  Chr.  bekannt  war  und 
vermuthet,  dass  sie  dieselbe  von  den  Priestern  des  Vulkans  zu  Theben  und 
Memphis  gelernt  hatten.  Wahrscheinlicher  jedoch  ist  ihre  Bekanntschaft  mit 
dieser  Kunst  von  der  ägyptischen  wie  indischen  Culturstätte  her.  Dafür,  dass 
auch  in  letzterer  das  Gr.  in  sehr  früher  Zeit  bekannt  war  und  von  hieraus  her 
wahrscheinlich  sich  die  Benennung  dieses  Stoffes  über  den  Erdball  nebenher 
ausbreitete,  zeugt  der  jetzt  demselben  fast  überall  beigelegte  Name  G.;  im 
Sanskrit  heisst  Kelasa  soviel  als  Demant  oder  Krystall.  Durch  die  Phönizier 
lernten  bald  alle  auf  niedrigerer  Culturstufe  stehenden  Völker,  mit  denen  sie 
in  Berührung  kamen,  Schmucksachen  aus  Glas  kennen.  Die  Kunst  der 
Glasbereitung  breitete  sich  allmälig  von  einem  Volke  zum  anderen  allgemeiner 
aus  und  erreichte  im  13.  Jahrhundert  zu  Venedig  einen  noch  heute  in  mancher 
Beziehung  bewundernswürdigen  Grad  der  Vollkommenheit,  indem  sich  die  Wissen- 
schaft schon  theilweise  derselben  dienstbar  erwies.  Im  18.  Jahrhundert  jedoch 
erlangte  diese  Kunst,  indem  sich  die  Wissenschaft  als  vollkommene  Erläuterin 
der  Zusammensetzung  ausgebildet  hatte,  eine  Vollkommenheit,  die  bis  zur  Gegen- 
wart sich  stets  bereicherte  durch  gleiche  Ausbildung  der  Mechanik  und  Theorie. 
Genauere  Kenntniss  über  diesen  Industriezweig  geben  folgende  Bücher:  Loysel, 
Versuch  einer  ausführlichen  Anleitung  der  Glasmacherkunst,  aus  dem  Franzö- 
sischen (Frankfurt,  1808  und  1818),  Knapp,  Lehrbuch  der  chemischen  Techno- 
logie (Braunschweig,  1847),  Lenz,  Vollständiges  Handbuch  der  Glasfabrikation 
(Weimar,  1851)  und  andere.  In  neuerer  Zeit  fanden  sich  auch  denkende 
Köpfe,  die  besonders  Wohlgefallen  daran  fanden,  das  G.  zur  Tonzeugung  in 
der  Kunst  zu  verwerthen  und  zu  solchem  Zwecke  diesen  Stoff  in  Glocken-, 
Stab-  oder  Saitenform  anwandten.  Besonders  hat  sich  Benjamin  Franklin, 
(s.  d.)  in  dieser  Beziehung  hervorgethan.  Obgleich  man  nun  musikalische  In- 
strumente, deren  Tonzeuger  aus  G.  waren,  in  mehrfacher  Art  fertigte  und  die 
Elasticität  der  Moleküle  des  Glases  auch  in  der  That  eine  der  Erzeugung  des 
gefühlten  Tones  sehr  fördernde  Struktur  offenbart:  so  hat  dennoch  nur  eins 
derselben,  die  Harmonica  (s.  d.),  sich  dauernd  zu  erhalten  vermocht.  Alle 
anderen  Tonwerkzeuge  dieser  Art,  wie  das  Glaschord  (s.  d.),  das  Euphon 
(s.  d.)  und  der  Clavicylinder  (s.  d.),  sind  nur  kurze  Zeit  über  ihre  Er- 
findung hinaus  in  Gebrauch  gewesen,  und  das  Glasspiel  (s.  d.)  konnte  bisher 
nur  als  angenehme  Spielerei  zuweilen  die  Aufmerksamkeit  einiger  Klangverehrer 
auf  sich  lenken.  B. 

tüaschord  ist  die  von  Benjamin  Franklin  einem  der  Tasteninstrumente 
gegebene  Benennung.  Das  von  Bejer  oder  Beyer,  einem  gebornen  Deutschen, 
im  J.  1785  zu  Paris  erfundene  Tonwerkzeug  selbst  hatte  Glöckchen  von  Glas, 
welche  von  kleinen  mit  Tuch  überzogenen,  durch  die  Claviatur  regierten  Häm- 
mern angeschlagen  wurde.  Von  dem  Gebrauch  des  G.  weiss  man  nur,  dass 
der  Erfinder  es  einige  Zeit  öffentlich  in  Paris  ausstellte,  und  dass  der  Musik- 
lehrer Schack  daselbst  es  gespielt  haben  soll.  lieber  die  innere  Bauart  des 
G.'s,  die  wahrscheinlich  der  der  Claviere  ähnlich  war,  ist  nichts  bekannt  ge- 
worden; auch  hat  sich  bisher  Niemand  bewogen  gefühlt,  ein  ähnliches  Instru- 
ment zu  bauen.  2. 

Glasena}),  Joachim  von,  ein  aus  Pommern  gebürtiger  deutscher  Ton- 
künstler, ist  als  Autor  des  Werks  »Evangelischer  Weinberg  mit  anmuthigen 
Symphonien  gezieret  etc.«   (Wolfenbüttel,  1651)  bekannt  geblieben.  f 

Glaser,  Johann  Adam,  deutscher  Philolog,  schrieb  ums  Jahr  1686  zu 
Leipzig  eine  Dissertation:  y>Exercitatio  philologica  de  instrumentis  Ebraeorum 
musicis  ex  Psalmo  IV  et  Va,  die  man  in  ügoUni  Tkes.  antiquit.  sacrar.  T. 
XXXII  p.  157  abgedruckt  findet.  Vgl.  Forkels  Geschichte  der  Musik.  — 
Johann  Michael  G.,  geboren  1725  zu  Erlangen,  war  bis  1774  Violinist  der 
Anspach'schen  Hofkapelle,  wurde  jedoch  1775  Kammer-  und  Stadtmusiker  in 
seiner  Vaterstadt,    wo    er   wahrscheinlich    in    den    neunziger  Jahren    des  Jahr- 

17* 


260  Glaser  —  Geichauf. 

hunderts    starb.     Von    seinen  Compositioneu    ist    als    gedruckt    nur   das  op.  1, 
welches  sechs  Sinfonien  enthält  (Amsterdam,  1748),  übrig  geblieben.        f 

Glaser^  Konrad,  Inhaber  eines  grösseren,  1832  begründeten  Musikverlags 
in  Schleusingen,  der  sich  besonders  mit  Herausgabe  von  Compositionen  für 
den  Männerchor  beschäftigt  und  durch  die  Pflege  dieser  Specialität  Ansehen 
und  Bedeutung  in  Deutschland   erlangt  hat, 

Glasspiel  nennt  man  die  Darstellung  einer  Melodie  durch  abgestimmte,  in 
geeigneter  Folge  auf  ein  Resonanz  gebendes  Gestell  geordnete  Trinkgläser. 
Die  Abstimmung  der  Gläser  bewirkt  man  durch  theilweise  Füllung  derselben 
mit  Wasser  und  die  Tonerregung  entweder  durch  Streichung  des  entsprechen- 
den Glasrandes  mit  nassem  Finger  oder  Schlagen  der  "Wandung  des  Glases 
mit  einem  betuchten  Klöpfel.  In  der  Kunst  hat  sich  das  G.  bisher  keine 
Bedeutung  erringen  können.  2. 

Glasätabharmonica  nennt  mau  ein  zum  Kinderspielzeug  dienendes  Ton- 
werkzeug, dessen  Klangkörper  gleichbreit  geschnittene  Glasstreifen  sind.  Diese 
Glasstreifen  werden,  diatonisch  oder  chromatisch  geordnet,  neben  einander, 
jedoch  so,  dass  sie  sich  nicht  berühren,  auf  zwei  parallel  gespannte  Seiden- 
fädchen  geklebt  und  in  einem  aus  kienenem  Holze  gefertigten  Klangkasten,  der 
an  der  obern  Seite,  in  Breite  der  gespannten  Fädchen,  eine  Oefifnung  hat,  hori- 
zontal ausgebreitet.  Den  Klang  erzeugt  man  durch  Schlagen  auf  die  freiliegende 
Stelle  der  Glasstreifen  mit  einem  Kork,  der  an  einer  Fischbeinstange  befestigt 
ist.  Der  Klang  dieses  Instruments  ist  dürftig,  und  es  lässt  sich  kaum  erwarten, 
dass  dasselbe  je  für  geeignet  zu  Kunstzwecken  erachtet  wird.  2. 

GlaacuS)  altgriechischer  Philosoph  aus  Rheginus  (Reggio)  gebürtig,  schrieb 
nach  Plutarch's  »Z><?  musicaa  einen  Kommentar  über  die  älteren  Dichter  und 
Tonkünstler,  der  jedoch  zu  den  verloren  gegangenen  Schriften  des  Alterthums 
zählt.  t 

Gleich,  Ferdinand,  deutscher  musikalischer  Schriftsteller  und  Componist, 
geboren  am  17.  Decbr.  1816  in  Erfurt,  folgte,  drei  Jahr  alt,  seinen  Eltern 
nach  Leipzig,  in  welcher  Stadt  er  den  ersten  Schul-  und  Musikunterricht  er- 
hielt. In  Altenburg,  wohin  die  Familie  1831  gezogen  war,  besuchte  er  das 
Gymnasium  und  setzte  die  Musikübung  unter  C.  G.  Müller  fort,  bis  er  1842 
die  Universität  in  Leipzig  bezog  und  sich  gleichzeitig  musikalisch  von  Fink 
noch  unterweisen  Hess.  Nach  Vollendung  seiner  Studien  war  er  einige  Zeit 
hindurch  in  Kurland  als  Hauslehrer  thätig,  machte  dann  eine  grössere  Reise, 
die  sich  bis  in  das  südliche  Frankreich  erstreckte  und  kehrte  endlich  zu  längerem 
Aufenthalt  nach  Leipzig  zurück.  Als  Theatersecretär  siedelte  er  mit  dem 
Direktor  Wirsing  zu  Anfange  des  Jahres  1864  nach  Prag  über,  nahm  aber 
1866  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Dresden,  wo  er  ein  Theatergeschäfts- 
bureau eröffnete,  mit  welchem  verbunden  er  eine  Theaterzeitung  redigirt  und 
herausgiebt.  Schon  früher  veröffentlichte  er:  »Wegweiser  für  Opernfieunde, 
erläuternde  Besprechung  der  wichtigsten  auf  dem  Repertoire  befindlichen  Opern 
nebst  Biographien  der  Componisten  u.  s.  w.«  (Leipzig,  1857);  »Handbuch  der 
modernen  Instrumentirung  für  Orchester  und  Militär -Musikcorps  u.  s.  w.« 
(Leipzig,  1860,  3.  Aufl.  1872);  »Die  Hauptformen  der  Musik,  populär  darge- 
stellt« (Leipzig,  1862);  »Charakterbilder  aus  der  neueren  Geschichte  der  Ton- 
kunst« (2  Bdchn.,  Leipzig,  1863);  »Aus  der  Bühnenwelt,  biographische  Skizzen 
und  Charakterbilder«  (2  Bdchen,  Leipzig,  1866).  Ein  höherer  historischer, 
kritischer  oder  ästhetischer  Werth  ist  diesen  Schriften  nicht  beizumessen.  G.'s 
im  Druck  erschienene  Comi^ositionen ,  bestehend  in  leichten  Pianofortestücken, 
Ciavierduos  und  Liedern,  sind  ebenfalls  nur  für  Dilettanten  berechnet. 

Gleicbauf,  Franz  Xaver,  geschickter  deutscher  Tonkünstler,  lebte  als 
Musiklehrer  in  Frankfurt  a.  M.  Seinen  geachteten  Namen  verdankte  er  haupt- 
sächlich den  von  ihm  veröffentlichten  trefflichen  Arrangements  der  AVerke  Haydn's, 
Mozart's,  Beethoven's  für  das  Pianoforte  zu  vier  Händen.  G.  starb  im  J.  1856 
zu  Frankfurt  a.  ^l. 


Gleiclien  —  Gleissner.  261 

Gleichen,  Andreas,  deutscher  Musiktheoretiker  und  Pädagoge,  geboren 
zu  Erfurt  am  4.  Februar  1625,  wurde  vierter  Lehrer  und  Musikdirektor  am 
Gymnasium  zu  Gera,  welchen  Aemtern  er  bis  zu  seinem  Tode  am  23.  Februar 
1693  vorstand.  Von  ihm  erschien  1651  zu  Leipzig  ein  y>Compendium  musicum 
instrumentalea ,  dem  1657  ein  y>Compendium  musicuvi  vocalea  folgte.  —  Sein 
Sohn,  Johann  Andreas  G.,  sammelte  nach  des  Vaters  Tode  alle  auf  den- 
selben bezüglichen  Auslassungen  und  gab  dieselben,  mit  den  Bildnissen  seiner 
beiden  Eltern  geziert,  1714  zu  Dresden  heraus.  f 

Gleicher  Contrapunct  (latein.:  Gontrafunctus  aequalis)  wird  derjenige  Con- 
trapunct  (s.  d.)  genannt,  dessen  Noten  von  gleichem  "Werthe  mit  denen  des 
Cantus  ßrmus  sind. 

Gleichheit  der  Stimme  nennt  man  die  künstliche  Verbindung  der  ver- 
schiedenen Register  der  menschlichen  Stimme,  welche  Fertigkeit  den  Sänger 
befähigt,  einen  gleichmässigen  Ansatz  in  allen  Lagen  seines  Stimmorgans  mühelos 
zu  bewerkstelligen.  Von  Natur  hat  nämlich  jede  Stimme  verschiedene  Register, 
welche  sich  wie  bei  der  Orgel,  von  welcher  her  diese  Bezeichnung  übernommen 
ist,  durch  wesentliche  Klangverschiedenheit  geltend  machen.  Wird  diese  Klang- 
verschiedenheit der  Stimmregister  durch  ein  sorgfältiges  Studium  der  von  der 
Gesanglehre  aufgestellten  Regeln  gegenseitig  ausgeglichen,  d.  h.  unmerklich 
gemacht,  spricht  die  Stimme  in  allen  Lagen  gleichmässig  an,  so  erhält  die 
Stimme  die  erforderliche  Gleichheit. 

Gleichmann,  Johann  Andreas,  guter  deutscher  Componist  und  musika- 
lischer Schriftsteller,  geboren  am  13.  Febr.  1775  zu  Bockstadt,  erhielt  von 
früh  auf  eine  gediegene  wissenschaftliche  wie  musikalische  Bildung,  so  dass  er 
schon  1794  als  Hofmusikdirektor  in  Hildburghausen  angestellt  wurde.  Im 
Druck  erschienen  von  seinen  Compositionen  zwei  Liedersammlungen,  verbesserte 
Melodien  der  Einsetzungsworte  des  Abendmahls  mit  Orgelbegleitung  und  Duo 
für  Pianoforte  und  Clarinette  oder  Violine.  Andere  Lieder  und  Kirchenstücke 
von  ihm  sind  Manuscript  geblieben.  Gediegene  Aufsätze  von  ihm  befinden 
sich  in  der  Leipz.  allgem.  musikal.  Zeitung  und  in  der  Cäcilia.  ^-  G.  starb 
am   12.  Juni  1842  zu  Meiningen. 

Gleichmann,  Johann  Georg,  vortrefflicher  deutscher  Orgelspieler,  sowie 
Erfinder  und  Verbesserer  von  Musikinstrumenten,  wurde  am  22.  Decbr.  1685 
zu  Steltzen  bei  Eisfeld  geboren.  Sein  Lehrer  im  Ciavier-  und  Orgelspiel  war 
der  Stadtorganist  Zahn  zu  Hildburghausen.  Musikalisch  und  für  mechanische 
Arbeiten  sehr  begabt,  verfertigte  er  sich  schon  als  zwölfjähriger  Knabe  ohne 
alle  Anleitung  ein  kleines  Ciavier  und  bald  auch  noch  mehrere  andere  Instru- 
mente. Als  Organist  zu  Schalkau  bei  Coburg  seit  1706,  nahm  er,  auf  Antrieb 
seines  Schwagers,  eines  Geistlichen,  die  lange  vernachlässigten  mechanischen 
Arbeiten  wieder  auf  und  wurde  bei  seinen  derartigen  Versuchen  der  erste  Ver- 
besserer des  Geigenwerks  (s.  Bogenclavier).  Ein  Verwandter  von  ihm, 
Namens  Risch,  stellte  dasselbe  1758  auf  Reisen  öffentlich  aus  und  verkaufte 
u.  A.  ein  Exemplar  davon  an  den  Fürsten  von  Sondershausen.  G.  selbst  bauete 
nach  dem  glücklichen  Erfolge  seiner  Verbesserungen  einige  Lauten claviere  ohne 
Bekielung  mit  einem  sogenannten  Harfenzuge,  die  bei  ihrem  Erscheinen  Auf- 
sehen machten  und  theuer  bezahlt  wurden  u.  m.  A.  Mittlerweile  war  G.  1717 
als  Organist  und  Schulcollege  nach  Ilmenau  berufen  worden.  Dort  wurde  er 
1744  zugleich  auch  zum  Bürgermeister  ernannt  und  starb  als  solcher  hoch- 
betagt um   1770.     Als   Componist  ist  er  in  keiner  "Weise  bekannt  gewesen. 

Gleichschwehend,  gleichschwebende  Temperatur  nennt  man  die  Stimmung, 
welche  erzielt  wird,  wenn  man  die  zu  1000  angenommene  Octave  in  zwölf  ein- 
ander völlig  gleich  grosse  Halbtöne  von  je  83,3.3  Stufenweite  theilt.  S.  Tem- 
peratur. 

Gleichzeitige  Bewegung  oder  gleiche,  gerade  Bewegung,  s.  Be- 
wegung. 

Gleissner,    Franz,    deutscher    Tonkünstler    und  Erfinder    der  Notenlitho- 


262  Gleitsmaun  —  Glimes. 

graphie,  geboren  1760  zu  Neustadt  an  der  Waldnaab,  entwickelte  als  Seminarist 
zu  Amberg  bemerkenswerthe  Anlagen  für  Musik  und  Poesie.  Achtzehn  Jahre 
alt,  componirte  er  bereits  ein  Requiem  für  die  Funeralien  des  Kurfürsten 
Maximilian  Joseph  von  Baiern.  In  München  vollendete  er  seine  philosophischen 
und  nicht  minder  seine  musikalischen  Studien  und  fand  endlich  auch,  um  1800, 
Anstellung  in  der  kurfürstlichen  Kapelle;  1815  war  er  noch  am  Leben.  Man 
kennt  von  ihm  Instrumentalcompositionen  verschiedener  Art,  namentlich  6  Sin- 
fonien, ein  Oratorium  »Lazarus«,  Messen  und  Offertorien,  die  Operette  »der 
Pachtbrief«,  ein  Melodram  »Agnes  Bernauerin«  u.  s.  w.  Gr.  war  ausserdem  der 
Erste,  welcher  Seunefelder's  Erfindung  der  Lithographie  auch  auf  die  Verviel- 
fältigung von  Musikalien  in  Anwendung  brachte.  Mit  dem  Musikverleger 
Falter  in  München  zu  diesem  Zwecke  verbunden,  gab  er  1798  als  erstes  Pro- 
dukt seiner  Idee  ein  Heft  Lieder  mit  Ciavierbegleitung  heraus.  Im  J.  1799 
richtete  er  dem  Verleger  J.  Andre  in  Offenbach  eine  Noten-Steindruckerei  ein 
und  besuchte  nachmals  auch  im  Interesse  seiner  Erfindung  Wien  zu  wieder- 
holten Malen. 

Irleitsmanu,  Anton,  s.  Geleitsmann. 

Oleitsmauu,  Paul,  auch  Gleitzmann  geschrieben,  möglicher  "Weise  der 
Vater  des  berühmten  Lautenisten  Anton  Gleitsmann,  geboren  um  1660  als  der 
Sohn  des  damaligen  Stadtmusikus  von  Weissenfeis,  war  ein  Compositionsschüler 
des  Concertmeisters  Beer  und  wurde  1690  Kammerdiener  und  Kapellmeister 
beim  Grafen  von  Schwarzburg  zu  Arnstadt,  in  welcher  Stellung  er  am  ll.Novbr. 
1710  starb.  Obwohl  zu  den  gebildetsten  Tonkünstlern  und  beliebtesten  Com- 
ponisten  seiner  Zeit  gerechnet,  ist  kein  Werk  von  ihm  mehr  vorhanden,  welches 
diesen  Ruf  auch  jetzt  noch  begründen  könnte. 

Glettiug'er,  Johann,  tüchtiger  deutscher  Orgelspieler  und  Virtuose  auf 
mehreren  anderen  Instrumenten,  wurde  als  Sohn  eines  Hülfsbeamten  an  der 
Maria-Magdalenenkirche  zu  Breslau  am  20.  Aug.  1661  geboren.  Musikalisch 
trefflich  unterrichtet,  behandelte  er  Ciavier,  Orgel,  Violine,  Harfe,  Viola  da 
Gamba,  Viola  di  Bordone  und  mehrere  Blaseinstrumente  so  fertig,  dass  er  1684 
eine  erfolgreiche  Kunstreise  durch  Litthauen,  Preussen  und  Pommern  unter- 
nahm, in  Folge  deren  er  Rathsmusicus  in  Danzig  wurde.  Aber  schon  1690 
folgte  er  einem  Rufe  als  Ober-Organist  an  St.  Elisabeth  in  Breslau  und  starb 
als  solcher  xmd  mit  dem  Namen,  einer  der  besten  Orgelspieler  Schlesiens  ge- 
wesen zu  sein,  im  J.  1739. 

Glettle,  Johann  Melchior,  einer  der  fleissigsten  und  beliebtesten  Com- 
ponisten  seiner  Zeit,  gebürtig  aus  Breragarten  in  der  Schweiz,  war  nach  Printz' 
Mus.  Hist.  um  1680  Kapellmeister  zu  Augsburg  und  hat  sich  als  solcher  seinen 
ausgebreiteten  Ruf  erworben.  Gerber  führt  in  seinem  alten  Tonkünstlerlexikon 
G.'s  noch  bekannt  gebliebenen  Messen,  Motetten,  Psalme,  Vocalconcerte  mit 
und  ohne  Instrumentalbegleitung  vollständig  an.  Darunter  befinden  sich  auch 
»36  Trompeter  -  Stücklein  auf  2  Trompeten  Marinen«  welche  dem  heutigen 
Musikforscher  vielleicht  von  besonderem  Interesse  sein  dürften.  t 

Glied-  und  GliedtLeilaccent,  s.  Accent. 

Glieder  oder  Taktglieder,  so  viel  als  Takttheile. 

Glimes,  Jean  Baptiste  Jules  de,  beliebter  belgischer  Vocalcomponist 
und  guter  Gesauglehrer,  geboren  am  24.  Jan.  1814  zu  Brüssel,  war  von  früh 
auf  Zögling  der  Musikschule  seiner  Vaterstadt,  betrieb  nebenbei  noch  Harmonie- 
lehre bei  Hanssens  und  vollendete  seine  Studien  auf  dem  neu  errichteten 
Brüsseler  Conservatorium  unter  Fetis.  Im  J.  1837  wurde  er  selbst  Gesang- 
lehrer an  diesem  Institute,  das  er  jedoch  schon  1840  verliess.  Zwei  Jahre 
später  Hess  er  sich  in  gleicher  Eigenschaft  in  London  nieder,  bis  er  nach 
zwanzigjährigem  Aufenthalte  in  der  Weltstadt  nach  Brüssel  wieder  zurückkehrte. 
Als  Componist  von  Liedern  und  Romanzen  hat  G.  vieles  geschaffen,  was  in 
Belgien  und  Fi'ankreich  sehr  beliebt  und  auch  populär  geworden  ist.  Im 
TJebrigen    kennt    man    von    ihm    noch    einige    Ouvertüren    und    die    Musik    zu 


Glinka  —  Glocken.  263 

dem  Ballet    »Xa    maison    hihaJnteea,    was    alles    in  Brüssel,    wo  er  noch  immer 
als  Gesanglehrer  wirkt,  zur  Aufführung  gelangt  ist. 

Glinka,  Michael  von,  ausgezeichneter  russischer  Componist  und  zugleich 
der  Begründer    der    nalional-russischen  Oper,    geboren  im  J.  1803  unfern  von 
Nowospask,    zählte  Field,  der  ihn  zu  einem  trefflichen  Pianisten  ausbildete,    zu 
seinen  ersten  Musiklehrern.     Im  J.  1830  wandte  er  sich  behufs  höherer  Musik- 
studien in's  Ausland  und  ging  zuerst  nach  Italien,  wo  er  an  den  besten  Quellen 
Gesang  und  die  alte  Tonkunst  auf  sich  einwirken  Hess.    Um  die  grossen  Lücken 
in  seiner  Kenntniss  des  Generalbasses  und  Contrapunkts  auszufüllen,  nahm  er 
1833  einen  mehrmonatlichen  Aufenthalt    in  Berlin,    den  er  als  Schüler  S.  "W. 
Dehn's    vortheilhaft    verwerthete.     Er  kehrte  hierauf   in  sein  Vaterland  zurück 
und  wurde  kaiserl.  Kapellmeister  und  Direktor  der  Oper  und  des  Kirchenchors 
in  St.  Petersburg,  in  welchen  Stellungen  er  eingreifend  für  die  Läuterung  und 
Hebung    des    künstlerischen   Geschmackes   in  der  russischen  Hauptstadt  wirkte. 
Von    1840  bis   1850    war    er    wiederum    grösstentheils    auf  Reisen,    die  er  bis 
Spanien    ausdehnte,    und  auf  denen  er  besonders  in  Paris  sich  wiederholt  vor- 
theilhaft bekannt  machte.     Im  Herbst  1856  kam  er   in  Berlin  an,    wo  er  sich 
im  Umgange  mit  seinem  früheren  Lehrer  Dehn  mit  den  alten  Kirchengesängen 
der    oströmischen  Kirche    beschäftigte.     Ganz    unerwartet  starb   er  daselbst  am 
15.  Febr.  1857.   —    G.  war  mit  seinen  in  seinem  Vaterlande  mit  Enthusiasmus 
aufgenommenen    und    auch   in  der  Folgezeit  gepflegten  Opern  »Das  Leben  für 
den  Czaren«  (1837)  und  »Eusslan  und  Ludmilla«,  in  denen  einerseits  der  Ein- 
fluBS  des   Studiums  Beethoven's,    andererseits  der  Meyerbeer's  hervorragend  er- 
sichtlich   ist,    der  Begründer  einer  russischen   Operncomponistenschule,    welcher 
im  weiteren  Verlaufe  Lwoff,  Dargomischky,  "Werskowsky,  Seroff  u.  s.  w.  ange- 
hörten.    Von    seinen    übrigen    bei   seinen  Landsleuten  hoch  angesehenen   Com- 
positionen  sind  auch  in  Deutschland  einige  Ouvertüren  und  kleinere  Orchester- 
stücke, sowie  Romanzen  und  Lieder  vortheilhaft  bekannt  geworden. 

Gliro,  Giovanni  Francesco,  ein  italienischer  Contrapunktist  des  16. 
Jahrhunderts,  von  dessen  Arbeiten  einige  in  de  Antiquis,  Frimo  libro  a  2  voei 
de  diversi  autori  dl  BarU  (Venedig,   1585)   sich  vorfinden.  t 

Crliss,  Johannes,  tüchtiger  deutscher  Orgelbauer  zu  Nürnberg  in  der 
ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  hat  nach  Sponsel's  Orgelhistorie  Seite  135 
in  den  Jahren  1736  und  1737  in  der  Lutherischen  Stadtkirche  zu  Erlangen 
ein  AVerk  mit  31   Stimmen  gebaut.  t 

Glissando  oder  (jlissato,  glissicando,  glissicato  (ital.;  französ.:  glisse), 
Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  sanft  schleifend,  gleitend,  glatt  dahin- 
fliessend  und  mit  Vermeidung  aller  starken  Accente.  Auf  Streichinstrumenten 
kann  das  Glissicato  (sowie  das  Flautando)  durch  grössere  Entfernung  des 
Bogens  vom  Stege,  wodurch  ein  reicherer  und  schmelzenderer  Klang  hervor- 
gerufen wird,  auf  das  Beste  bewerkstelligt  werden.  "Wo  sich  dieser  Ausdruck 
in  Salon-  oder  Virtuosenstücken  "für  Pianoforte  findet,  zeigt  er  an,  dass  die 
betreffende  Stelle,  eine  rapid  schnelle  auf  den  Untertasten  auf-  oder  abwärts 
laufende  Passage  in  der  diatonischen  Tonleiter,  nicht  mit  gewöhnlichem  Finger- 
satze, sondern  mit  einem  schnell  über  die  Tasten  streichenden  oder  reissenden 
Finger  (gemeiniglich  dem  Daumen,  zweiten  oder  dritten  Finger)  ausgeführt 
werden  soll.  Man  wendet  diese  werthlose  Spielart  auch  mitunter  auf  die  chro- 
matische Tonleiter  an;  an  solchen  Stellen  streicht  der  Mittelfinger  der  einen 
Hand  glissando  über  die  Untertasten,  während  die  Finger  der  anderen  Hand 
die  Obertasten  schnell  und  geschickt  hineinspielen.  Dergleichen  Passagen  setzt 
der  Componist  auch  oft  statt  G.  die  Bezeichnung  con  ttn  dito,  d.  i.  mit  einem 
Finger,  bei. 

Glocken,  (lat. :  campanae,  nolae;  ital.:  eampane;  fvanz.:  cloches),  diese  kegel- 
förmig-cylindrischen,  gedeckten,  aus  den  verschiedensten  elastischen  Stoffen  be- 
stehenden Hohlkörper,  die  in  allen,  von  der  kleinsten  bis  zur  möglichst  grössten 
Ausdehnung    zu  verschiedenen  Zwecken  gefertigt  werden,    kannten  bereits  fast 


264  Glocken. 

alle  Völker  der  Erde,  die  über  die  sogenannte  Steinzeit  hinaus  waren.  Die 
Tonzeugung  bei  den  verschiedenen  G.  wird  auf  zweierlei  Art  ausgeführt, 
entweder  mittelst  in  denselben  pendelartig  sich  bewegender  Klöpfel,  indem  man 
die  Gr.  selbst  bewegt,  oder  durch  Hämmer,  mit  denen  man  gegen  die  Aussen- 
seite  derselben  schlägt;  ersteres  Verfahren  nennt  man  das  Läuten  der  G.,  letzteres 
das  Schlagen.  Die  Geschichte  der  G.  zeigt,  nach  dein  bisher  Bekannten 
keinen  steten  Zusammenhang  der  Erfindung  und  Nutzanwendung  derselben  und 
ist  besonders,  je  nachdem  die  Völker  dieselben  zu  Kunstzwecken  oder  als 
Signalinstrumente  anwandten,  verschieden.  In  frühester  Zeit  findet  man  die 
G.  bei  den  Chinesen  in  Gebrauch,  die  dieselben  zu  reinen  Kunstzwecken  einzig 
in  der  damaligen  "Welt  verwertheten.  Die  Geschichte  derselben  berichtet,  dass 
sie  vom  J.  2255  bis  250  v.  Chr.  nur  den  Kunstgebrauch  der  G.  kannten, 
während  sie  später  die  G.  nebenbei,  um  Signale  zu  geben,  ohne  Stimmung  ge- 
brauchten; letztere  Anwendung  ist  in  neuester  Zeit  fast  die  einzige  geworden. 
Die  Chinesen  fertigten  die  G.  nur  aus  Metall  an,  das  sie  als  eins  der  fünf 
Elemente  erachteten,  die  die  Natur  gebrauchte,  um  die  "Wesen  der  anderen 
Körper  daraus  zu  bilden.  Im  hohen  Alterthura  gaben  sie  ihren  G.n  einen  vier- 
eckigen und  später  einen  cylindrischen  Körper  und  zwar  nach  feststehenden 
Gesetzen,  die  entstanden,  indem  sie  jedem  Theile  derselben  eine  symbolische  Be- 
deutung beilegten.  Vgl.  Amiot,  r>Memoire  sur  la  musique  des  Chinoisu  (Paris, 
1779).  Der  Grösse  nach  unterschieden  sie  drei  Arten  der  G.,  die  sie  Po-,  Te- 
und  Fieyi-Tschung  (s.  d.)  nannten.  Tschicng  heisst  Glocke.  Die  kleinste  G.art 
wandten  sie  zu  Musikinstrumenten  an,  die  dem  King  (s.  d.)  ähnlich  gebaut 
wurden.  Die  Alten  hatten  diese  Instrumente  mit  zwölf  Lü  (s.  d.)  in  der 
Octave,  während  man  später  nur  in  derselben  sieben  führte,  was  besonders  seit 
dem  Kaiser  Sui,  1550  n.  Chr.  der  Fall  war.  Die  Masse,  aus  der  die  Chinesen 
ihre  G.  gössen ,  bestand  nach  des  Gelehrten  Tschuly  INIittheilung  aus  sechs 
Th eilen  rothem  Kupfer  und  einem  Theile  Zinn.  Man  weiss  nicht,  ob  diese 
Erfindung  der  Chinesen  sich  über  die  Grenzen  des  Reiches  ausbreitete,  oder 
ob  man  an  den  andern  Culturstätten  der  Erde  dieselbe  selbstständig  machte. 
In  Indien  findet  man  die  G.  meist  nur  als  Klangwerkzeuge;  nur  in  einem 
Musikinstrumente,  Patlcong  (s.  d.)  genannt,  sind  sie  in  einer  dem  chinesischen 
King  ähnlichen  "Weise  in  Gebrauch.  Assyrien,  eine  der  Urquellen  abendländi- 
scher Musik,  führte  bronzene  G.  M.  Layard  fand  in  den  Ruinen  des  Nim- 
rud-Palastes  deren  ungefähr  24,  von  denen  die  grössten  8,5  Cm.  Höhe  und 
6,5  Cm.  Durchmesser  zeigten.  lieber  die  Nutzanwendung  der  G.  bei  den 
Assyrern  haben  bisher  die  Keilinschriften  wie  Abbildungen  nichts  verrathen. 
Aegypten,  die  andere  Urquelle  abendländischer  Kunst,  kannte  ebenfalls  im 
hohen  Alterthume  schon  bronzene  G.  und  soll  sich  derselben  bei  Opfern  zu 
gewissen  Signalen  bedient  haben.  Zu  ähnlichen  Zwecken  haben  auch  wohl  die 
Assyrer  dieselben  benutzt  und  scheint  dieser  Brauch  bis  zum  Mittelalter  an  allen 
übrigen  Culturstätten  der  einzige  gewesen  zu  sein.  Bei  den  Hebräern  findet 
man  die  G.  in  den  Händen  der  Priester  im  Tempel,  um  den  Anfang  besonderer 
Ceremonien  anzudeuten,  wie  noch  heute  etwa  im  katholischen  Gottesdienst  dies 
der  Eall  ist;  ebenso  bei  den  Griechen,  Etruskern  und  Römern,  bei  letzteren 
ausserdem  auch  ein  Klapperinstrument,  Bomhulum  (s.  d.)  geheissen,  das  mit 
vielen  kleinen  Glöckchen  versehen  war.  Erst  im  Anfange  der  Ausbreitung  des 
Christenthums  hat  man  den  G.  eine  neue  Beachtung  zugewandt ,  die  zur 
Schaffung  der  grösstmöglichsten  Bauart  derselben  führte.  Man  fand  den  Klang 
der  G.  höchst  geeignet,  die  Gemeindeglieder  zur  Versammlung  zu  rufen  und 
versah  deshalb  die  Gotteshäuser  zur  schaulichen  Auszeichnung  mit  Thürmen, 
die  in  sich  G.  bargen,  bestimmt,  klangliche  Eigenthümlichkeiten  zu  bieten. 
Es  geht  die  Sage,  dass  im  4.  Jahrhunderte  der  Bischof  Paulinus  zu  Nola  in 
Campanien  zuerst  seine  Gemeinde  durch  G.klang  versammelte,  und  dass  des- 
halb die  G.  lateinisch  campanae  genannt  würden.  "Wahrscheinlicher  ist 
jedoch,    dass  dies      Name  nur  daher  entstanden,    dass   man    das  Metall    zu  G. 


Glocken.  265 

aus    den  Bergwerken  Campaniens    bezog,    weil    es  besonders  wohlklingend  war. 
In  frühester    cbristlicber  Zeit  rief   man  die  Gemeinde,    wie  schon  die  Hebräer 
gethan,     durch    Trompetenrufe    zusammen,    später,    wie    noch    heute    in    vielen 
griechischen  Gemeinen,  durch  Schlagen  an  metallene  Schienen  oder  aber  eines 
frei    hängenden    hölzernen  Brettes  etc.     Erst  im  6,  Jahrhundert   sollen  in  den 
Klöstern    der   Benediktiner    im  Abendlande    G.    in    Gebrauch    gekommen    sein, 
sehr  bald  reichere  Stadtgemeinden  daran  Gefallen  gefunden  und  für  ihre  Gottes- 
häuser grössere  sich  angeschafft  haben,     Papst  Sabinianus,  603  bis  605  regie- 
rend, bestimmte,  dass  täglich  sechsmal  geläutet  werde,  was  auf  eine  schon  weite 
Ausbreitung    der    G.    zu    diesem  Zwecke    schliessen    lässt.     In    der    griechisch- 
katholischen Kirche    findet    man   die  gleiche  Anwendung    der  G.  erst    von   der 
letzten  Hälfte    des  9.  Jahrhunderts    an    herrschend,    und  es  beginnt  mit  dieser 
Zeit    sich    ein  Luxus  hierin  zu  entfalten,    der  nicht  allein  zur  Production  der 
grössten   G.  führte,    sondern    auch  zur  Erschaffung  einer  Menge  für  besondere 
Zwecke  anzuwendenden  G.  an  demselben   Orte,    die  man  dem  entsprechend  be- 
nannte.     Man    kannte    Ehren-,    Schand-,    Sturm-,    Eeuer-,    Feierabend-,    Bet-, 
Armensünder-G.  und    andere.     Von    den    grössten  G.  der  Erde    seien  hier  nur 
wenige    angeführt,    da    diese    genügend    belegen,    wo    bis    jetzt    die  Grenze  der 
G.grösse  ist;  jedes  Reich  hat  in  dieser  Beziehung  viele  bemerkenswerthe  Beispiele 
aufzuweisen.     Die  grösste  Moskauer  Glocke,  wahrscheinlich  auch   die   der  "Welt, 
Iwan  Wielke  genannt,  wog  240,000  Kilogramm,  hatte  eine  Höhe  von  7,5  Meter, 
eine  Dicke  von  0,6  Meter  und  einen  Umfang  von  20  Meter;  sie  war  aus  Bronze. 
Peking  besitzt  eine  eiserne  G.,  die  62,500  Kilogramm  schwer  und  4,55  Meter 
hoch  ist;  Kaiser  Yong-lo  Hess  dieselbe  1403  giessen.     Die  grösste  G.  Deutsch- 
lands soll  im  mittleren  Domthurme  zu  Olmütz  hängen  und  17,900  Kilogramm 
schwer  sein,    —    Zieht  man  nun,  nach  dieser  Entwickelung    der  G.  als   Signal- 
instrumente im  Abendlande,    deren  Anwendung    zu  Kunstzwecken  in  Betracht, 
so  ergibt  sich,    dass  umgekehrt  wie  im  fernen  Osten,    wo  in  grauester  Vorzeit 
die  G.  nur    zu  Kunstzwecken    in   Gebrauch  genommen  wurden,    allmälig  dieser 
Brauch  sich  verlor,   um  deren  Benutzung  als  Signalwerkzeuge  ohne  festgestell- 
ten  Ton  Platz    zu    machen    und   jetzt    nur    noch    selten  die  ursprüngliche  Ge- 
brauchsweise modificirt  stattfindet:  im  Abendlande  die  Nutzanwendung  derselben 
sich    entfaltet    hat.     Zuerst   wandte    man    den  G.  im  Abendlande    in    der  Zeit 
von   1000  bis   1400  die  Aufmerksamkeit  in  Bezug  auf  Tonhöhe  zu.     Das  Cym- 
halum  (s,  d.)    erhielt  um  diese  Zeit  gestimmte   Glocken,    die  von  dem  Instru- 
mentisten  mit  hölzernem  Schlägel  tönend  erregt  wurden  und  bald  darauf  einen 
Mechanismus,    der     die    Thätigkeit     des    Spielers    ausführte    und    den    Namen 
Flagellum.     Dies  Instrument  bahnte  den  sich  im   15.  Jahrhundert  auf  Kirch- 
thürmen  einbürgernden  Glockenspielen   oder  Carillons  (s.  d.)  den  "Weg.    Wenn 
man  in  neuester  Zeit  an   diesen,  in  den  reichen  Niederlanden  besonders  zu  deren 
Blüthezeit    sehr   gepflegten    Glockenspielen    auch    nicht   mehr    das    "Wohlgefallen 
wie  ehemals  findet,  so  sucht  man  doch  die  einmal  vorhandenen  derartigen  Kunst- 
werke als  Absonderlichkeiten  zu  erhalten.   —   Beachten  wir  die  Fabrikation 
der  abendländischen   G. ,    so  ergiebt  sich,    dass    fast  überall  jetzt   dieselben  aus 
gleicher  Masse,  Glocken  gut  (s.  d.)  genannt,    durch  Guss  stattfindet.     In  der 
Zeit  von   600  bis  1000  unterschied  man  gegossene  (vasa  fusilia)  und  geschmie- 
dete (producUUa)  G.,  berichtet  Mönch    von   St.  Gallen  Tom.  I  c.  29.     Erstere 
waren    aus  Bronze    und   Silber,    letztere    aus  Eisen.     Man    producirte    letztere, 
indem    man    sie  aus  mehreren  Blechen  mit  kupfernen  Nägeln  zusammennietete. 
Eine    solche    genietete    G.    befindet    sich    unter    dem  Namen  »Saufang«    in    der 
Cäcilienkirche  zu  Köln;  sie  datirt,  der  Heb  erlief erung  zufolge,  aus  dem  Anfange 
des    7.  Jahrhunderts.     Sie    ist  40,6   Cm.    hoch    und    oval    gebaut,    so  dass  ihre 
Weite    am    untern  Rande    36  zu  23   Cm.  beträgt.     Auch    mag  hier  dessen  ge- 
dacht werden,  dass  man  in  einzelnen  katholischen   Gegenden  in  der  Charwoche 
mit  hölzernen   G.  läutete,    so  wie    dass  man  in  Abyssinien  auch    G.  von   Thon 
oder  Stein    in    Gebrauch    hat.     Man    hat    durch    Erfahrung    und  Wissenschaft 


266  Glockeucymbel  —  Glockengut. 

gefunden,  dass  ein  richtiges  Verhältniss  zwischen  den  Ausdehnungen  der  Einzeln- 
theile  der  Gr.  hinsichtlich  der  Erzeugung  des  Schalles  von  hoher  Wichtigkeit 
und  keineswegs  unwesentlich  ist,  weshalb  von  den  in  Bezug  auf  die  Gestalt 
der  G.  festgestellten  Regeln  im  Abendlande  gar  nicht,  oder  nur  in  unbedeu- 
tendem Grade  abgewichen  wird ,  ganz  gleich ,  in  welcher  Grösse  dieselben  ge- 
schaffen werden.  Die  wesentlichsten  dieser  Regeln,  allgemein  ausgedrückt,  sind 
etwa  folgende;  die  grösste  "Weite  erhält  eine  Glocke  an  ihrer  Mündung.  Die 
grösste  Metalldicke  haben  die  Glocken  in  ihrem  Schlagringe  oder  Kranze, 
jenem  Theile,  gegen  welchen  der  Klöpfel  schlägt.  Im  Obersatze  beträgt  die 
Metalldicke  nur  ein  Dritttheil  der  des  Kranzes.  Der  Durchmesser  des  Haube 
oder  Platte  genannten  G.rjtheils  steht  zu  dem  der  Mündung  im  A-^erhältniss 
von  1:2.  Der  Klöpfel  oder  Schwengel  richtet  sich  in  seiner  Schwere  nach 
dem  Gewicht  der  Glocke,  zu  der  er  gebraucht  werden  soll;  er,  aus  Schmiede- 
eisen gefertigt,  erhält  ^i^f^  des  Glockengewichts.  Ausführlicheres  über  die  Ge- 
staltung der  G.  bietet  Zamminer  in  seiner  »Akustik«  (Giessen,  1855),  Seite 
430  nebst  Abbildung.  Ferner  weiss  man,  dass  sich  der  Ton  der  G.  nach  den 
einfachen  Gesetzen  der  Plattenschwingungen  bestimmt.  Bei  G.  von  geometrisch 
ähnlicher  Gestalt  aus  gleicher  Substanz  verhalten  sich  daher  die  Schwinguugs- 
zahlen  derselben  umgekehrt  wie  entsprechende  lineare  Ausdehnungen,  oder  um- 
gekehrt wie  die  Kubikwurzeln  ihrer  Schwere.  Eine  G.,  die  die  höhere  Octave 
einer  andern  aus  gleichem  Gut  geben  soll,  muss  daher  in  der  Form  derselben 
ähnlich  ijfestaltet  werden,  in  Weite,  Höhe  und  Dicke  die  halben  Ausdehnungen 
zeigen  und  im  Gewicht  achtmal  geringer  sein.  Von  allen  nach  diesen  Regeln 
gegossenen  G.  aus  der  gebräuchlichen  G.nspeise  kann  man,  mit  Hilfe  der 
akustischen  Gesetze:  Schwere,  Durchmesser,  Höhe  etc.  und  Eigenton  bestimmen. 
Wenn  nun  eine  G.  von  0,834  Meter  unterem  Durchmesser  320  Kilogramme 
Gewicht  haben  muss  und  einen  Ton,  der  dem  c^  sehr  nahe  kommt,  erzeugt, 
so  lassen  sich  hiernach  Durchmesser  und  Gewicht  der  Octaven  dieses  Klanges 
mit  Leichtigkeit  feststellen,  wie  nachfolgende  Uebersicht  darlegt: 

Ton.  Durchmesser.  Gewicht  der  Glocke.  Gewicht  des  Klöpfels, 

c  3,33    Meter  20480  Kilogramme  512  Kilogramme. 

c^  1,66        „  2560             „  64 

c2  0.83        „  320             „  8             „ 

c^  0,415      „  40             „  1 

Mit  Zuratheziehen  einer  Verhältnisstabelle  der  Klänge  innerhalb  einer  Octave 
wird  man,  wie  leicht  zu  erkennen  ist,  die  Eigenheiten  jeder  G.,  je  nachdem 
der  Eigenton  derselben  sein  soll,  festzustellen  vermögen,  was  in  so  fern  von 
grosser  Bedeutung  ist,  da  man  gern  harmonische  Geläute  schafft.  Noch  Ge- 
naueres über  die  G.  und  deren  Fertigung  findet  man  in  Lannay's  »vollkom- 
menem Glockengiesser«  (Quedlinburg,  1834);  Otte's  »Glockenkunde«,  (Leipzig, 
1858)  und  Hartmann's  »Handbuch  der  Metallgiesserei«  (Weimar,  1863). 

C.  Billert. 

Glockencymbel,  nennt  man  mitunter  das  bei  den  Hebräern  unter  der  Be- 
nennung Methsiloih  (s.  d.)  geführte  Tonwerkzeug.  —  Auch  heisst  jetzt  der 
kurzweg  Oymbel  oder   Cymbalum  (s.  d.)  genannte  Orgelzug  öfter  G.       2. 

Glockengut,  Glockenspeise  oder  Glockenmetall  (ital.:  hronzo,  franz.:  hronce) 
nennt  man  das  Material,  aus  dem  Glocken  gegossen  werden.  Ehe  man  in  der 
Mischung  des  G.'s  zu  einem  festen  Abschluss  gelaugte,  hat  dasselbe  verschiedene 
Wandlungen  durchgemacht;  stets  waren  jedoch  Kupfer  und  Zinn  die  Haupt- 
bestandtheile  desselben  und  nur  die  Verhältnisse  derselben  verschieden.  Einige 
dieser  Wandlungen  mögen  hier  eine  Stelle  finden.  Thomson's  Analyse  alt- 
englischen G.'s  ergab,  dass  dasselbe  aus  80  Proc.  Kupfer,  10,1  Proc.  Zinn, 
5,6  Proc.  Zink  und  4,3  Proc.  Blei  bestand.  Heyl  untersuchte  das  G.  des 
Glockenspiels  zu  Darmstadt,  1670  gegossen,  und  fand  in  einer  h^  gebenden 
Glocke    73.94    Proc.   Kupfer,    21,67    Proc.    Zinn,    1,19  Proc.  Blei,    2,11  Proc. 


Glockenschlag  —  Glockenwagen.  267 

Nickel  und  0,15  Proc.  Eisen.  Derselbe  Forschier  behauptet,  dass  ein  Gr.  von 
79  Proc.  Kupfer  und  20  Proc.  Zinn  durchaus  nicht  die  Klangfarbe  obigen 
Gutes  besass.  Mag  nun  später  das  Bekanntwerden  der  Analyse  des  Gutes, 
aus  dem  die  Chinesen  ihre  Gongs  (s.  d.)  und  Becken  (s.  d.)  fertigen,  auf  die 
Zusammensetzung  des  G.'s  eingewirkt  haben  oder  nicht,  genug,  in  neuester 
Zeit  befleissigt  man  sich,  nur  dieselbe  Metallmischung  als  G.  zu  verwerthen; 
diese  besteht  aus  78  Proc.  Kupfer  und  22  Proc.  Zinn.  Zusätze  anderer  Me- 
talle benachtheiligen  gewöhnlich  nur  die  Qualität  des  Klanges.  Blei  und  Zink 
allein  ergeben  sich  als  am  wenigsten  den  Ton  benachtheiligend  und  werden 
deshalb,  wenn  mau  die  Kosten  der  Masse  etwas  verringern  will,  öfter  zugesetzt. 
G.  zu  kleineren  Glocken  pflegt  man  aus  Specialgründen  auch  wohl  anders  zu- 
sammenzusetzen. So  besteht  z.  B.  das  Metall  zu  Uhrglocken  aus  75  Proc. 
Kupfer  und  25  Proc.  Zinn;  das  zu  weissen  Tischklingeln  aus  80  Proc.  Zinn 
und  17  Proc.  Kupfer;  und  das  gewöhnlicher  Hausglocken  aus  80  Proc.  Kupfer 
und  20  Proc.  Zinn.  Ja,  man  kennt  auch  noch  unter  besonderer  Benennung 
eingeführte  Glocken  von  ganz  abnormer  Mischung,  wie  das  Metal  d^ Alger,  in 
Frankreich  sehr  beliebt,  welches  aus  19  Proc.  Zinn,  1  Proc.  Kupfer  und  etwas 
Antimon  besteht;  so  wie  von  Autoritäten  empfohlene  Mischungen  zu  G.,  wie 
die  von  Dr.  Kastner  empfohlene:  SOO  Proc.  Zinn,  17  Proc.  Kupfer,  5  Proc. 
Wismuth,  7  Proc.  Zink  und  1  Proc.  eisenfreies  Antimon.  Diese  Mischung 
sollte  ein  G.  bilden,  das  einen  vollen  reinen  Glasklang  habe.  Mögen  Sonder- 
zwecke und  Kunstbestrebungen  bisher  noch  so  viel  Legirungen  empfohlen 
haben,  so  hat  dennoch  keine  dem  oben  erwähnten  normalen  G.  den  Rang 
streitig  machen  können,  besonders  wenn  man  es  zu  Glocken,  die  zu  Kunst- 
zwecken verwandt  werden  sollten,  benutzen  wollte.  2. 

(xlockenschlag,  s.  Glöcklein. 

Glockenspiel  (franz.:  Carillon,  Camp  an  et;  ital. :  Campanetta).  Das 
"Wesentlichste  über  die  also  genannten  Schlaginstrumente  suche  man  unter  dem 
Artikel  Carillon  (s.  d.),  weil  diese  Instrumente  meist  unter  letzterem  Namen 
bekannt  sind.  Die  deutsche  Benennung  G.  oder  Glockenzug  findet  man 
jedoch  fast  einzig  für  ein  E-egister  in  Gebrauch,  das  zu  den  Nebenstimmen  der 
Orgel  gezählt  wird.  Viele  in  der  Front  der  Orgel  angebrachte  abgestimmte 
Glocken,  oder  in  dem  Werke  befindliche,  die  auf  einer  vierkantigen  eisernen 
Stange  befestigt  sind,  ähnlich  den  Glocken  einer  Harmonica,  werden  durch 
Hämmer,  welche  mittelst  der  Tastatur  regiert  werden,  tönend  erregt.  Gewöhn- 
lich beginnen  die  Glocken  erst  mit  dem  c  oder  g  und  gehen  dann  in  chroma- 
tischer Folge  bis  zum  höchsten  Orgelklange.  Oft  hat  man  aber  auch  tieferen 
Tönen  den  Glockenbeiklang  verliehen  und  findet  dann,  dass  die  grössten  Glocken 
doppelt  benutzt  werden;  erstens  mit  den  gleichen  Orgelklängen  und  zweitens 
mit  der  nächst  tieferen  Octave.  Das  Glockengut  (s.  d.)  zu  den  in  den  G.n 
der  Orgel  verwandten  Glocken  ist  meistens  die  allgemeine  unter  diesem  Namen 
bekannte  Metalllegirung,  seltener  Silber  und  noch  seltener  Messing.  Zuweilen 
findet  man  in  G.n  gläserne  oder  porzellanene  Glocken,  die  dann  schaalenförmig 
geformt  und  wie  in  der  Harmonica  geordnet  sind.  In  jüngster  Zeit  wird  auch 
dies   Orgelregister  nicht  mehr  gebaut.  2. 

(Jlockenton  (ital.:  nota  sostenuta),  eine  Gesangmanier,  die  in  einer  viel- 
fachen, vom  Piano  schnell  zum  Forte  übergehenden  Messa  di  voce,  oder  einem 
rasch  abwechselnden  An-  und  Abschwellen  oder  Schwingen  auf  dem  einzeln 
getragenen  Ton  besteht  und,  besonders  von  einer  gut  geübten  weiblichen 
Stimme  ausgeführt,  eine  glockenähnliche  Wirkung  auf  das  Gehör  ausübt. 

Grlockeuwagen  oder  Falinenwagen  (ital.:  Carroccio)  hiess  in  mittelalter- 
licher Zeit  ein  Palladium,  das  zur  Anfeuerung  der  Heere  in  kritischen  Mo- 
menten benutzt  wurde  und  zugleich  zur  Zierde  einer  Streitmacht  diente.  Dies 
Palladium  bestand  aus  einem  Wagen,  der  von  kostbar  aufgeschirrten  Bindern 
gezogen  wurde  und  in  einem  Gestell  eine  Glocke  trug,  die  geläutet  wurde, 
wenn  entweder  Gefahr  diesem  Palladium  drohte,    oder  das  ganze  Heer  fromme 


268  Glöckchen  —  Glöggl. 

Handlungen  verrichten  sollte.  Dazu  kamen  noch  Fahnen,  welche  als  die  gröss- 
ten  Heiligthümer  der  Streitmacht  betrachtet  wurden,  geharnisclite  Krieger  zur 
letzten  Yertheidigung  desselben,  und  Trompeter,  die  Kriegssignale  für  Alle  zu 
geben  hatten.  Unter  den  italienischen  Wagen  dieser  Art  zeichnete  sich  beson- 
ders der  der  Mailänder  aus,  dessen  Erfindung  und  Einrichtung  zu  einem  wahren 
Prunkgeräth  ums  Jahr  1138  man  dem  Mailändischen  Erzbischof  Aribert  zu- 
geeignet hatte.  Vgl.  die  Beschreibung  dieses  Heillgthums  bei  F.  v.  Raumer, 
Geschichte  der  Hohenstaufen  V.   S.  569.  0. 

Glöckchen  (ital.:  campanelli;  franz.:  clochettes)  nennt  man  sehr  kleine  Grlocken. 
Die  an  der  sogenannten  türkischen  Fahne  befindlichen  führen  auch  den  Namen 
Clochettes,  und  die  an  der  "Welle  des  Cymbalsterns  der  Orgel  schlechtweg 
Cymbeln.  —  G.  oder  Glockenschlag  nennt  man  auch  eine  Klangart  bei 
den  kleinen  Streichinstrumenten.  "Wenn  man  auf  der  Violine  oder  Viola  eine 
freie  Saite  recht  kräftig  und  rein  anstreicht,  den  Bogen  aufhebt  und  die  Ton- 
zeiigung  mittelst  sanften  Reissens  der  Saite  mit  einem  Finger  unterstützt,  so 
hört  man,  bei  einem  gutgearbeiteten  Instrumente,  einen  dem  Klange  einer 
Glocke  ähnlichen  Ton.  Kann  man  G.  auf  allen  Saiten  eines  Instruments  er- 
zeugen, so  geben  diese  Zeugniss  für  die  vorzüglich  gleichmässige  Ausarbeitung 
und  für  den  guten  Bezug  desselben.  2. 

Glöckleinton,  Glockenton  (lat.:  sonus  faber,  richtiger  sonus  fahri) 
nannten  die  alten  Orgelbauer  ein  weit  mensurirtes,  ofi"enes  Pfeifeuwerk  von 
Metall,  das  0,6-metrig  gebaut  wurde  und  dem  Tone  einer  schönen  Glocke  nahe 
kommende  Klänge  erzeugt  haben  soll.  "Walther  sagt,  dass  in  der  Görlitzer 
Orgel  eine  solche  Stimme  noch  in  seiner  Zeit  vorhanden,  die  klänge,  »als  ob 
man  mit  einem  Hammer  auf  einen  wohlklingenden  Amboss  schlüge«.  Von 
guter  "Wirkung  soll  diese  Orgelstimme  gewesen  sein,  Avenn  man  sie  mit  Quinta- 
tön  (s.  d.)  5  Meter  gross,  zog  und  zu  schnellen  Passagen  unter  schwacher 
Begleitung  mittelst  eines  andern  Manuals  anwandte.  So  behaupten  Walther 
und    Boxberg.     Jetzt    findet    man    diese    Stimme    fast    in    keiner    Orgel    mehr. 

2. 

Glöggrl,  Franz  Xaver,   theoretischer  und  praktischer  deutscher  Musiker, 
geboren    am    21.  Febr.   1764    zu  Linz,    erhielt   eine  gründliche  Ausbildung  im 
Singen    und    auf  mehreren   Orchesterinstrumenten    und  wurde  nachgeheuds  Di- 
rigent   des  Theaterorchesters    seiner  Vaterstadt.     In    dieser  Stellung    gründete 
er  zuerst  eine  Musikalien-Leihbibliothek,  sodann   eine  Musikalienhandlung  und 
betheiligte    sich    sowohl   mit   Geldmitteln    als  auch  schriftstellerisch  an   einer  in 
Linz    damals    erscheinenden    musikalischen   "Wochenschrift.     Im   J.   1790  wurde 
er  zum  Stadtmusikdirektor  und  1798  zum  Domkapellmeister  in   derselben  Stadt 
ernannt,  nachdem  er  inzwischen  auf  eigene  Rechnung  das  Theater  daselbst  so- 
wie   in    Salzburg    geführt    hatte.     Im  J.   18.32    feierte    er    sein    fünfzigjähriges 
Künstlerjubiläuni  und  mag  wohl  noch  einige  Jahre  darüber  hinaus  gelebt  haben. 
Man    hat    mehrere    theoretisch-    und    didaktisch-musikalische  "Werke    von    ihm, 
darunter  z.  B.  »Allgemeine  Anfangsgründe  der  Tonkunst«  (Ofi'enbach  bei  Andre) 
und  »Erklärung   des    musikalischen  Hauptcirkels«  (Linz,   1810).  —  Von  seinen 
Söhnen  war  Franz   G.,  Musikalienhändler  in  Wien,  ferner  Archivar,  Concert- 
arrangeur  und  Factotum  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde,  der  hervorragendste. 
Geboren  im  J.   1797  zu  Linz,    kam  er  nach  Wien,    wo  er  Chordirektor  wurde 
und  gründete  1843   eine  Musikalienhandlung,  die  er  in  den  letzten  Jahren  seines 
Lebens    an  Ad.  Bösendorfer    übergehen    Hess.     Mit  seinem  Verlage  verbunden, 
gab    er   von    1852  bis  1860   die  »Neue  Wiener  Musikzeitung«    heraus,    die  er 
auch  selbst  redigirte.     Mit    Musik  eng  und    liebevoll  verwachsen,    hat    er    sich 
auch  um  den  Musikunterricht  vielfach  verdient  gemacht.     Er  begründete  u.  A. 
im  J.   1849   die  Akademie  der   Tonkunst    in  Wien,  die    bis    zum    J.    1853  be- 
stand.    Die  von  ihm  ebenfalls  in  das  Leben  gerufene  Gesangschule  »Polyhymnia«, 
welcher    er    bis    zu    seinem   Tode  als  Lehrer  vorstand,    erfreut  sich  sogar  noch 
gegenwärtig  vieler  Theilnahme.     Auch  der  Wiener  Chorregenten- Wittwen-  und 


Glösch  -  Gloy.  269 

"Waisen-Pensionsverein  verdankt  Gr.  sein  Entstehen.  Die  "VVelt  dankte  dem  für 
die  Tonkunst  in  aufopfernder,  rastlos  thätiger  Weise  überall  eintretenden  Manne 
durch  zahlreiche  Auszeichungen ;  so  wurde  er  im  Laufe  der  Zeit  zum  Ehren- 
mitglied des  Mozarteums  in  Salzburg,  der  Philharmonischen  Gresellschaft  in 
Graz  und  mehrerer  Musikvereine  ernannt.  Gr.  starb  nach  längeren  Leiden  am 
23.  Januar  1872  zu  Wien. 

Glöscli,  Karl  Wilhelm,  bedeutender  deutscher  Virtuose  auf  der  Flöte 
und  dem  Claviere,  wurde  1732  zu  Berlin  geboren  und  von  seinem  Yater,  dem 
von  Telemann  sehr  geschätzten  königl,  Preussischen  Kammermusiker  und  Oboe- 
virtuosen Peter  Gr.,  musikalisch  ausgebildet.  Seit  1765  war  er  als  Kammer- 
musiker und  Musiklehrer  der  Prinzessin  Ferdinand  von  Preussen  angestellt 
und  behauptete  bis  zu  seinem  am  21.  Oktbr.  1809  zu  Berlin  erfolgten  Tode 
den  Ruf,  auf  seinen  Instrumenten  einer  der  fertigsten  Virtuosen  seiner  Zeit 
zu  sein.  Er  componirte  Concerte  und  Trios  für  Flöte,  Claviersonatinen ,  die 
Operette  »der  Bruder  Graurock  und  die  Pilgerin«  ( Ciavier auszug,  Berlin,  1788 
bei  Rellstab),  die  lyrische  Komödie  ytL'oracle  ou  la  fete  des  vertust  (1773)  u.  s.  w. 
Gloria  (lat.).  Nach  diesem  Anfangsworte  wird  kurz  der  ganze,  sogenannte 
»englische  Lobgesang«  (richtiger  der  Lobgesang  der  Engel,  lat.  Jiymnus  angelicus) 
genannt,  welcher  in  der  Messe  der  katholischen  Kirche  nach  dem  Kyrie  ein- 
gefügt ist  und  der  Reihenfolge  nach  den  zweiten  Chor  der  heiligen  Handlung 
bildet.  Er  wird  auch  die  grosse  Doxologie  genannt  und  besteht  aus  dem 
Hymnus,  welchen  nach  Luc.  2,  14  die  himmlischen  Heerschaaren  bei  der  Ge- 
burt Christi  gesungen  haben  sollen:  rtGloria  in  excelsis  deo  et  in  terra  pax 
hominibiis  honae  voluntatis«  mit  verschiedenen  Zusätzen,  deren  Urheberschaft 
theils  dem  Papste  Telesphorus,  gestorben  139,  welcher  zugleich  die  Vorschrift 
ertheilte,  dass  das  G.  bei  der  Messe  gesungen  werde,  theils  dem  heiligen  Hi- 
larius  (Ende  des  4.  Jahrhunderts)  zugeschrieben  wird,  letzterem  jedoch  nur 
insofern,  als  er  diesen  Lobgesaug  aus  dem  Griechischen  übersetzt  habe.  An- 
fangs war  in  der  Choralmelodie,  wie  auch  das  Graduale  Sanofi  Gregorii,  gemäss 
dem  Zeugnisse  Radulf's  von  Tungern,  ausweisen  soll,  jeder  Sylbe  nur  ein  Ton 
zuertheilt;  später  wurden  zur  Ausschmückung  bei  grösseren  Feierlichkeiten  an 
manchen  Stellen  mehrere  verzierende  Noten  oder  Neumen  angebracht.  Wie 
bei  anderen  abgesungenen  Gebetsgesängen,  so  glaubte  man  auch  dem  G.  Zu- 
sätze und  Paraphrasen,  sogenannte  Tropen  (s.  d.)  verleihen  zu  dürfen,  was 
jedoch  bald  verboten  wurde.  Das  G.  wird  in  allen  Messen  gesungen;  ausge- 
nommen sind  einige  Votivmessen,  dann  die  Missa  de  Requiem,  sämmtliche 
Ferialmessen  und  die  an  den  Sonntagen  der  Advent-  und  in  der  Fastenzeit, 
überhaupt  diejenigen  Messen,  welche  in  violetter  oder  schwarzer  Farbe  gelesen 
werden.  Im  kirchlichen  Gebrauche  sind  vier  Melodien  des  G.:  die  in  dupUcihus, 
die  in  festis  heatae  virginis  Mariae,  die  in  semiduplicihus  und  die  in  simplicihus, 
deren  Intonationen  jedes  römische  Missale  aufweist.  —  G.  nennt  man  auch 
noch  mitunter  an  der  Orgel  den  mittleren,  au  älteren  AVerken  mit  musicirenden 
Engeln,  einem  König  David  und  ähnlichen  Zierrathen  gewöhnlich  reich  ausge- 
schmückten  Theil  des  Prospectes. 

Glottis  (griech.),  d.  i.  die  Stimmritze  (s.  Stimmorgan).  Davon  ab- 
geleitet nannten  schon  die  Griechen  gleichermaassen  auch  das  Rohr,  mit  wel- 
chem die  Rohrinstrumente,  ähnlich  wie  bei  uns  Oboe,  Fagott  u,  s  w.  ange- 
blasen wurden. 

Glovex*,  Stephen,  fruchtbarer  und  beliebter  englischer  Gesangscomponist, 
geboren  1813,  hat  sich  durch  zahlreiche  Gesänge  und  Lieder  leichterer  Gat- 
tung einen  Namen  in  seinem  Vaterlande  gemacht.  Er  starb  am  7.  Decbr.  1870 
zu  Bayswater. 

Glowatz,  Heinrich,  deutscher  Orgelbauer  zu  Rostock,  fertigte  daselbst 
im  J.  1593  ein  Werk  mit  39  Stimmen  an,  dessen  Disposition  Praetorius  in 
seiner  Synt.  Mus.   T.  II  p.   164  aufgezeichnet  hat.  t 

Gloy,    Johann  Christoph,    sehr    geschätzter   devitscher  Basssänger  und 


270  Gluck. 

Schauspieler,  geboren  am  10  Febr.  1794  zu  Lübeck,  sollte,  trotz  ausgesprochener 
Neigung  für  Theater  und  Musik,  Theologie  studiren.  Diesem  Zwange  zu  ent- 
gehen, floh  er  im  Winter  1810  zu  Fuss  nach  Hamburg,  wurde,  nachdem  er  in 
Altona  einen  der  Knaben  in  der  »Zauberflöte«  gesungen  hatte,  auf  vier  Jahre 
engagirt  und  söhnte  sich  erst  nach  dieser  Zeit  und  nach  einem  bunten  Reise- 
leben in  Holstein  mit  seinen  Eltern  aus,  die  den  Sohn  seinem  "Willen  nun 
folgen  Hessen.  Im  J.  1815  sang  er  in  Hamburg  den  »Jacob  in  Mehul's  Joseph« 
mit  solchem  Erfolge,  dass  er  sofort  engagirt  wurde.  Als  eines  der  vielseitigsten 
und  umsichtigsten  Mitglieder  dieser  Bühne  geschätzt,  war  und  blieb  er  seitdem 
der  Liebling  des  Publikums.  Als  besonders  ausgezeichnet  galt  er  in  Bufi"o- 
parthieu  der  Oper  und  in  den  sogen.  Väterrollen  des  recitirenden  Schauspiels. 
Auf  Gastspielreisen  hat  er  diesen  guten  Huf  auch  in  andern  Städten  Nord- 
deutschlands bewährt. 

Gluck)  Christoph  Willibald  Ritter  tou,  der  Reformator  der  Oper  und 
Vater  des  musikalischen  Dramas,  wurde  am  2.  Juli  1714  zu  Weidenwnng  bei 
Neumarkt  in  der  Oberpfalz,  unweit  der  bairisch-böhmischen  Grenze,  geboren. 
Seine  Eltern  nahmen,  wie  so  häufig  die  Erzeuger  unsterblicher  Söhne,  eine 
höchst  bescheidene  Lebensstellung  ein.  Der  Vater:  Alexander  G.,  war  an- 
fänglich Büchsen  Spanner  des  berühmten  Prinzen  Eugen  von  Savoyen  nud  endete 
als  Förster  des  Fürsten  Lobkowitz.  Von  seiner  Mutter  Walburga  weiss  man 
nicht  viel  mehr  wie  ihren  Namen.  Jedenfalls  durfte  sich  Gr.,  als  der  Sohn 
eines  Jägers  und  seiner  Eheliebsten,  einen  echten  Sohn  des  Volkes  nennen.  — 
Wie  das  Kind,  das  die  Welt  von  sich  reden  machen  sollte,  drei  Jahre  alt  war 
(1717),  siedelte  sein  Vater  nach  Böhmen  über.  Den  Eltern  gebührt  das  Ver- 
dienst, dafür  gesorgt  zu  haben,  dass  der  Knabe,  trotz  ihrer  beschränkten  Ver- 
hältnisse, eine  für  die  damalige  Zeit  sehr  gute  Erziehung  erhielt.  Von  seinem 
12.  bis  zu  seinem  18.  Jahre  (1726  —  1732)  besuchte  der  junge  G.  das  der 
Lobkowitz'schen  Herrschaft  Eisenberg  benachbarte  Städtchen  Kommotau.  Er 
absolvirte  auf  dem  dortigen  Jesuiten-Seminar  nicht  nur  seine  Gymnasialstudien, 
sondern  erhielt  auch  daselbst  seineu  ersten  Unterricht  auf  der  Geige,  dem 
Ciavier,  der  Orgel  und  im  Gesänge.  Die  Musikertribüne  der  mit  dem  Seminar 
verbundenen  Ignatiuskirche  war  der  Schauplatz  dieser  seiner  frühesten  musi- 
kalischen Thätigkeit,  Die  guten  patres  Jesuitae  liessen  sich  wohl  nicht  träu- 
men, dass  ihr  fleissiger  Zögling  zu  einem  Wiedererwecker  der  Herrlichkeit 
classischen  Heidenthums  und  des  mit  ihm  verbundenen  Cultus  des  Schönen, 
Erhabenen  und  rein  Menschlichen  heranwachsen  werde.  Das  Jahr  1732  führte 
den  begabten  Jüngling  nach  Prag.  So  lange  die  spärlichen  Beiträge  aus  dem 
Elternhause  noch  flössen,  setzte  er  hier  sowohl  seine  höhere  tonkünstlerische 
Ausbildung,  wie  seine  wissenschaftlichen  Studien  fort;  als  jene  Zuschüsse  aus 
der  Heimath  aber  ausblieben,  sah  er  sich  genöthigt  zur  Fristung  seiner  Existenz 
selber  Unterricht  zu  ertheilen.  Durch  die  Familie  der  Brodherren  seines  Va- 
ters, der  Fürsten  Lobkowitz,  wurden  ihm  die  Thüren  der  Häuser  des  kunst- 
sinnigen hohen  österreichischen  Adels  erschlossen.  Zunächst  fand  er  im  Jahre 
1736,  als  ihn  seine  Lie1)e  zur  Tonkunst  von  Pi'ag  weiter  nach  Wien  getrieben, 
im  Lobkowitz'schen  Palaste  selber  freundliche  Aufnahme.  Der  loml^ardische 
Fürst  von  Melzi,  der  ihn  dort  musiciren  hörte,  fasste  ein  lebhaftes  Interesse 
für  ihn  und  nahm  ihn  (etwa  um  1737  oder  1738)  mit  sich  nach  Mailand, 
woselbst  der  Organist  Battista  Sammartini  seinen  Unterricht  in  der  Har- 
monielehre und  im  Contrapunkt  vervollständigte.  Nach  vier  Jahren  eifrigen 
Studiums  fühlte  sich  G.  der  Aufgabe  gewachsen,  seine  erste  Oper  zu  schreiben. 
Der  Gegenstand  derselben  war  der  von  Metastasio,  dem  berühmtesten  und 
fruchtbarsten  aller  Librettisten  jener  Zeit,  gedichtete  yArfasersea ,  der  1741, 
also  im  28.  Lebensjahre  des  Tondichters,  in  Mailand  in  Scene  ging.  Ihm 
folgten  bis  zum  J.  1745,  dem  letzten  seines  ersten  Aufenthaltes  in  Italien,  für 
Venedig:  riDemefriov  und  r>Ipermnestra«,  beide  1742;  für  Cremona:  »Ärtamene« 
1743;    für    Turin:    »Alesmndro   nelV  Indie«  1745;    und   abermals  für  Mailand: 


Gluck.  271 

y)Demofoonte<i,  y>Siface(i  und  ^Fedraa  (1742,  43  und  44);  also  acht  Opern  in 
fünf  Jahren.  G-.  erntete  mit  diesen  Erstlingen  seiner  dramatischen  Muse  fast 
überall  in  Oberitalien  einen  ungetheilten  Beifall;  die  genannten  "Werke  selber 
aber  scheinen  sich  noch  durch  nichts  von  dem  Durchschnittscharakter  des 
Styles  und  Zuschnittes  der  damaligen  opera  seria  unterschieden  zu  haben. 
Anhaltepunkte  hierfür  geben  zwei  Nummern  aus  der  Oper  »Alexander  in  Indien«, 
welche  aus  dem  Nachlass  ß.  G-.  Kiesewetter 's  in  das  Musikarchiv  der  k.  k.  Hof- 
bibliothek zu  "Wien  übergegangen  sind.  Die  für  Mailand  geschriebenen  Opern 
sind  leider,  wahrscheinlich  in  Folge  eines  Theaterbrandes,  von  den  Flammen 
verzehrt  worden.  Die  in  Italien  erlangte  Berühmtheit  verschaffte  G.  1745 
einen  Ruf  an  das  Haymarket- Theater  in  London.  Hier  führte  er  1746  seine 
Oper  »ia  Caduta  de^  Gigantia.  auf,  deren  Buch  wahrscheinlich  wieder,  wie 
das  seiner  sämmtlichen  früheren  Opern,  von  Metastasio  herrührt.  Ihr  Hess  er 
seine  für  Cremona  geschriebene  Oper  nÄrtamenev.  folgen.  Der  grosse  Meister 
Händel,  der  den  Aufführungen  dieser  "Werke  beiwohnte,  soll  sich  etwas  ge- 
ringschätzig darüber  geäussert  haben.  Sehr  bekannt  ist  die  Händel  zugeschrie- 
bene Aeusserung,  dass  sein  Schuhputzer  einen  bessern  Contrapunkt  schreibe, 
als  Gr.  Wie  wenig  oder  wie  viel  aber  auch  hiervon  auf  historischer  Wahrheit 
beruhen  mag,  solche  Aussprüche  Händel's  würden  uns  weder  befremden,  noch 
dem  neidlosen  Charakter  des  grossen  Oratoriensängers  Abbruch  thun  können; 
denn  der  Gr.,  den  Händel  damals  hörte,  war  keineswegs  schon  jener  spätere 
Meister,  dem  unsere,  der  Nachgeborenen  Bewunderung  gilt.  Es  würde  im 
Gegentheil  höchst  verzeihlich  scheinen,  wenn  ein  Mann  wie  Händel,  der  sich 
selbst  zwei  Jahrzehnte  hindurch  (1720  bis  1740)  mit  der  Idee  einer  Refor- 
mation der  Oper  getragen,  von  dem  in  England  angelangten  deutschen  Ton- 
setzer|  Höh  eres  erwartet  hätte,  als  von  den  damaligen  italienische  n  Operncompo- 
nisten,  gegen  deren  Tendenzen  er  einen  so  langen  und  vergeblichen  Kampf  in 
London  geführt  hatte.  TJm  so  glücklicher  traf  es  sich,  dass  die  Wirkungen, 
die  umgekehrt  die  Anhörung  Händel'scher  Oratorien  auf  Gr.  ausübten,  die  aller- 
segensreichsten  für  diesen  letzteren  sein  sollten.  Er  selber  gesteht,  dass  von 
seinem  englischen  Aufenthalte  ein  neuer  Abschnitt  in  seinem  Künstlerleben 
datirt,  und  wir  wissen,  dass  es,  neben  anderen  Erfahrungen,  vor  allem  die 
Wahrheit  und  Gewalt  musikalischen  Ausdrucks,  wie  sie  aus  Händeis  Schöpfungen 
zu  uns  sprechen,  gewesen  sind,  die  G.  begreifen  Hessen,  welche  Aufgabe  sich 
die  Musik  in  ihrer  Verbindung  mit  der  Poesie  eigentlich  zu  stellen  habe. 
"Unter  den  erwähnten  Erfahrungen  anderer  Art,  die  G.  in  London  gemacht, 
und  die  seine  spätere,  das  gesammte  musikalische  Drama  umwälzende  Richtung 
mit  vorbereiten  helfen  sollten,  gehört  folgende  Thatsache.  Man  hatte,  nach 
dem  massigen  Erfolg  seiner  beiden  Opern,  ein  sogenanntes  Pasticcio  (wörtlich 
»Pastete«)  von  ihm  zu  hören  gewünscht;  eine  Art  von  dramatischem  Potpourri, 
wie  es  damals  vielfach  Mode  geworden.  G.  hoffte  durch  eine  Auswahl  und 
Zusammenstellung  aller  derjenigen  Nummern  seiner  früheren  Opern ,  die  in 
Italien  einen  besonderen  Beifall  davongetragen,  auch  das  englische  Publikum 
zu  erwärmen.  Statt  dessen  Hess  das  Pasticcio:  -nPiramo  e  Tisbea,  zu  des  Com- 
ponisten  grosser  Enttäuschung,  die  Menge  gleichgültig,  ja  kalt.  Wie  aber  nur 
das  Talent  bei  Misserfolgen  leicht  kleinmüthig  wird,  während  das  Genie 
meist  dadurch  vorwärts  kommt,  so  ging  es  auch  hier.  G.  musste  sich  sagen, 
dass  die  Anerkennung,  die  jene  ausgewählten  Stücke  früher  gefunden,  haupt- 
sächlich auf  den  Zusammenhang  zurückzuführen  sei,  in  welchem  jedes  von 
ihnen  in  den  Opern,  denen  sie  entnommen,  mit  anderen  Musikstücken  ursprüng- 
lich gestanden,  und  dass  es  überdies  auf  der  Bühne  ebenso  sehr  darauf  an- 
komme,  an  welchem  Orte,  in  welchem  Momente  und  von  welcher  Person 
etwas  gesungen  werde,  als  wie  ein  solcher  Gesang  an  und  für  sich,  d.  h.  von 
einem  nur  specifisch-musikalischen  Standpunkte  aus  beurtheilt,  beschaffen 
sei.  Dies  führte  ihn  natürlich  weiter,  nämlich  zum  Nachdenken  über  das 
musikalische  Drama    überhaupt,    sowie    über    die  Wirkungen,    die    darin   durch 


272  C^l^ck. 

scharfe  Charakterzeiclinung,  oder  mittelst  Steigerung  der  einen  Scene  durch 
die  andere,  zu  erreichen  seien  —  kurz  zu  der  Ueberzeugung,  dass  die  Oper 
zu  mehr  befähigt  sei,  als  ein  lediglich  sinnliches  Wohlgefallen  an  Ton  Ver- 
bindungen, Rhythmen  und  Melodien  zu  erregen.  —  Von  London  aus  (nach 
Anderen  schon  vor  London,  nämlich  auf  seinem  Wege  dahin)  hatte  Gr.  einen  kurzen 
Ausflug  nach  Paris  unternommen,  um  dort  die  Opern  ßameau's  zu  hören, 
welche  ebenfalls  nicht  ohne  Einfluss  auf  seine  Ideen  einer  Umgestaltung  der 
dramatischen  Musik  bleiben  sollten,  indem  sie  mit  dazu  beitrugen,  seine  Ge- 
danken über  musikalische  Declamation  und  über  das  ßecitativ  zu  klären.  Von 
England  ging  er  Ende  1746  über  Hamburg  und  Dresden  (wo  er  für  kurze 
Zeit  in  die  kurfürstliche  Kapelle  eintrat)  zum  zweiten  Mal  nach  Wien.  Hier 
schrieb  er  u.  a.  auch  einige  Sinfonien;  d.  h.  Instrumentalstücke,  die  man  da- 
mals mit  diesem  Namen  beehrte,  welche  aber  nicht  etwa  den  heutigen  Begriflfen 
von  dieser  Kunstform  entspi'achen ,  sondern  vielmehr  jenen  Tonsätzen  ähnelten, 
wie  wir  ihnen  in  den  meisten  vormozart'schen  Opern  des  18.  Jahrhunderts, 
ja  selbst  in  mancher  Beziehung  noch  in  der  »Enttührung  aus  dem  Serail«,  an 
Stelle  der  Ouvertüre,  begegnen.  (Ein  thematischer  Catalog  von  6  dieser  Sin- 
fonien erschien  1862  im  Verlage  von  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig).  Die 
Vertiefung  und  geistvolle  Durchbildung  der  Formen  und  des  Inhaltes  einer 
selbstständigen  Instrumentalmusik  waren  jedoch  nicht  die  eigentliche  Bestimmung 
des  G-.'schen  Genius;  derselbe  gelangte,  selbst  in  den  Zeiten  seiner  vollen  Reife, 
immer  nur  dann  zu  seiner  ganzen  machtvollen  Entfaltung,  wenn  sich  die  Musik 
mit  einem  dramatischen  Stoffe,  also  mit  Dichtung  und  Diction,  sowie  zugleich 
mit  einer  wahrhaft  tragischen  und  erschütternden  Handlung  verband.  In  sol- 
chen Fällen  freilich  belebte  sich  auch  sein  Instrumeutalsatz  in  einer  neuen  und 
noch  nicht  dagewesenen  Weise;  er  individualisirte  dann  die  Instrumente  in 
einem  Grrade  und  bediente  sich  ihrer  Tonfarben  in  einer  so  eindringlichen  und 
bezeichnenden  Manier,  dass  es  ihm  gelang,  auch  durch  sein  Orchester  mächtig 
zum  Verständniss  der  Charaktere  und  Situationen  mit  beizutragen.  —  Auch 
diesmal  wandte  sich  Gr.  bald  wieder  ausschliesslich  der  pathetischen  Oper  zu, 
und  so  ging  schon  1748  ein  neues  von  Metastasio  gedichtetes  Musikdrama 
von    ihm:    »ia  Semiramide   riconnosciuta'i.    in  Wien    über    die    Bühne.     Das  J. 

1749  nennt  unser  Meister  selber  »das  glücklichste  und  zugleich  unglücklichste« 
seines  Lebens.  Er  vei'lor  in  demselben  sein  Herz  an  die  liebenswürdige  Ma- 
ri an  na  Pergin,  deren  Vater  jedoch,  als  ein  reichbemittelter  und  geldstolzer 
Kaufherr,  der  überdies  ausser  Stande  war,  G.  zu  beurtheilen,  nichts  von  der 
Verbindung  seines  Kindes  mit  einem  Musicus  hören  wollte.  Zum  Theil  wohl 
mit  die  Vei'zweiflung  hierüber  trieb  G.  Ende  des  J.  1749  abermals  nach  Ita- 
lien, wo  er  für  das  Theater  Argentina  in  Rom  den  y>Telemaccov.  schrieb.  Doch 
lange    sollte    diesmal    seines  Bleibens    hier    nicht  sein,    denn   als  Anfang  des  .1. 

1750  der  alte  Pergin  starb,  eilte  G.  unaufhaltsam  nach  Wien  zurück,  wo  er 
sich  mit  Mariannen,  deren  Herz  nie  aufgehört  hatte  für  ihn  zu  schlagen,  am 
15.  Septbr.  vermählte.  Diese  Gattin  blieb  von  nun  an  seine  unzertrennliche 
Begleiterin  auf  seinen  Kunstreisen,  wie  sie  denn  auch  in  Beziehung  auf  Bildung 
und  Geist  weit  über  die  Durchschnittslinie  der  damaligen  Frauenwelt  hinaus- 
geragt zu  haben  scheint  und  so  in  jeder  Weise  würdig  war,  die  treue  Gefährtin 
und  Freundin  eines  Mannes  wie  G.  zu  sein.  Es  sei  gleich  hier  erwähnt,  dass 
beide  Gatten,  deren  Ehe  kinderlos  blieb,  späterhin  eine  Nichte  G.'s  an  Kindes 
statt  adoptirten;  ein  junges  Mädchen,  das,  nach  Dr.  Burney's  und  anderer 
Zeitgenossen  Schilderung,  eine  ebenso  anmuthige  Erscheinung  war,  als  sie  sich 
durch  ungewöhnliches  musikalisches  Talent,  eine  zum  Herzen  dringende  Stimme 
und  durch  ein,  bei  ihrem  Vortrage  von  Compositionen  des  geliebten  Oheims 
überraschendes  Eingehen  auf  dessen  künstlerische  Intentionen  auszeichnete. 
(S.  Gluck,  Anna.)  Auch  dies  holde  Kind,  das  leider,  kaum  zur  Jungfrau 
erblüht,  der  Erde  schon  wieder  entrissen  ward,  gehörte  während  mehrere  Jahre 
zu  G.'s  Reisebegleitung  und  trug  viel  mit   dazu  bei,  das  Leben  und  Haus  ihrer 


■^o" 


Gluck.  •  273 

Pflegeeltern    mit  Jugend,    Sonnenschein  und  Poesie  zu  erfüllen  und  zu  erwär- 
men.   —    Das  J.  1751    lässt    uns  G-.  mit    seiner  Gattin  in  Neapel  finden,    für 
das  er  eine  Oper:    »ia  Clemenza  di  Tito«,  schrieb.     Interessant  ist  es,    dass  er 
daselbst   auch    in  Verkehr   mit  dem  bedeutenden  italienischen  Tonmeister  Du- 
rante  trat,    der    ihm    eine  ungewöhnliche  Anerkennung  zu  Theil  werden  Hess. 
Ende  1751    treflfen    wir  G-.  wieder    in  Wien  an,    wo  er  eine  Zeit  lang  ruhiger 
seinem    noch    so    jungen    häuslichen  Glücke    und  einer  gewissen  künstlerischen 
Beschaulichkeit   lebte,    wie   bisher.     Dennoch  konnte   er  es  nicht  ablehnen,    zu 
einem    glänzenden  Feste    in  Schlosshof,    das  der  Besitzer  desselben,    ein  Prinz 
von   Sachsen-Hildburghausen,  zu  Ehren  der  Kaiserin  Maria  Theresia  und  ihres 
Gemahls    im  J.   1754   veranstaltete,    ein    von  Metastasio    gedichtetes  Festspiel: 
»£e  öinesii    in  Musik   zu    setzen.     Er    durfte  sich  einem  solchen  Auftrage  um 
so  weniger  entziehen,  als  ihn  die  Kaiserin  bereits  im  Juni  des  gleichen  Jahres 
zu  ihrem  Hofkapellmeister  mit  einem  Gehalte  von   2000  Gulden  ernannt  hatte. 
Vom    J.   1754    an    bis  Ende   1756    beginnt    überhaupt    wieder    eine    lebhaftere 
Periode  in  der  schöpferischen   Thätigkeit  G.'s     Er  schrieb  in  diesem  Zeitraum 
für  Rom,  wo  er  sich  auch  persönlich  einfand,  die  Opern :  »ZZ  Trionfo  di  Oamüloa 
und  y)Äntigono<i,  wofür  er  vom  Papste  zum  Ritter  vom  goldenen  Sporen  ernannt 
wurde.     Von    da  an  nannte  er  sich    auf    den   Titelblättern    der  von  ihm  publi- 
cirten  "Werke:    »Der  Ritter  von   Gluck«.     Für  Wien  und    den  Hof    componirte 
er  die  Festspiele  und  Opern:  »ia  Danzaa.  und  y>L^Innocenza  giusfificata<n  (beide 
1755),  sowie  y>Il  Be  Fastore«   (1756).  —  Von  1756  bis   1760  lebte  er,   soweit 
es  ihm    seine   Stellung  in  kaiserlichen  Diensten  erlaubte,  wieder  stiller  und  zu- 
rückgezogener von  dem  lauten  Treiben  der  Bühne  und  der  grossen  Oeffentlich- 
keit,    was    sich    auch    in  seiner  beschränkteren  Productivität  zeigt.     Die  ganze 
Ausbeute  dieser  Jahre  sind  seine  Airs  nouveaux,  Gesänge  mit  einfacher  Glavier- 
begleitung    im  leichten  französichen   Style,    und  einige  Versuche  oder  Gelegen- 
heitsstücke im  Charakter  der    französischen   Operette.     Sein  Haus  dagegen  soll 
in  jener  Zeit    ein  Sammelplatz  vieler  Künstler,    Männer  der  Wissenschaft  und 
bedeutender    in  Wien    sich    gerade    aufhaltender  Fremden  gewesen    sein,    wozu 
ihn  auch  die  reichlichen  Mittel,  die  ihm  das  Vermögen  seiner  Frau  in  die  Hand 
gelegt,  in  den   Stand  setzten,    und  wir  wissen,,    dass  er  sich   damals  mit  beson- 
derer Vorliebe  dem   Studiu.m  der  schönen  Literatur,  der  Antike,  sowie  Klop- 
stock's,  seines  späteren  Lieblings  unter  den  vaterländischen  Dichtern,  hingab. 
Von  diesen  Neigungen   G.'s  muss  man  Notiz  nehmen,  wenn  man  die  bald  dar- 
auf eintretende  bedeutendste  Periode  seines   Schaffens,  durch  welche  er  die  ge- 
waltigste Umwälzung,  die  die  gesammte  Geschichte  der   Oper  kennt,  hervorrief, 
nach    allen    Seiten    hin    begreifen,    oder    sich  den  ungeheueren  Abstand    seiner 
bisherigen  Werke,    von    den    ihnen    folgenden    späteren,    erklären    will.  — 
Im    J.   1760    erhielt  G.    den  Auftrag,    zur  Vermählung    des  Erzherzogs  Joseph 
von   Oesterreich    (nachmaligen  Kaisers)    mit  Isabella    von  Bourbon,    Prinzessin 
von  Parma,  eine  damals  bei  solchen   Gelegenheiten  übliche  sogenannte  Serenata 
zu    componiren,    unter    dem   Titel  »Tetidea,    welche    in    prachtvoller    scenischer 
Ausstattung    und    in   Gegenwart  der  Majestäten  im  grossen  Redoutensaale  auf- 
geführt   ward.     Diesem  Festspiel    folgte    im  J.   1761    das    grosse  ernste  Ballet 
des  Meisters:    »Don  Juan  oder   das  steinerne   Gastmahl«,    das,    als  Vor- 
läufer von  Mozart's  »Don  Juan«,  dessen  Stoff  es  behandelt,  ein  ganz  ungewöhn- 
liches Interesse    in  Anspruch    nimmt.     Der  Ciavierauszug  dieses  merkwürdigen 
Opus    ist    nachmals    bei  Trautwein    in   Berlin    im    Druck    erschienen.     Zu    der 
1762   stattfindenden  Eröffnung  des  neuen  Opernhauses  von  Bologna  componirte 
G.  Metastasio's:    »II  Trionfo  di  Cleliaa.     Er    fand    sich    selber    bei    dieser  Ge- 
legenheit dort  ein,    und  zwar    in  Begleitung  seines  talentvollen   Schülers  Dit- 
tersdorf,  der  damals  ein  trefflicher   Geigenvirtuos  war  und  späterhin,  wie  be- 
kannt, einen  classischen  Namen  im   Gebiete    der    komischen  Oper    gewann.     Es 
ist    von    kuiistgeschichtlichem  Interesse,    dass  Meister  und  Schüler  in  Bologna 
auch    in    ein    näheres  Verhältniss    zu    dem    alten  Farinelli,    dem   in  früheren 

Musikal.  Convers. -Lexikon.    IV.  18 


274  Gliick. 

Jahren  in  London  an  der  Spitze  von  Händel's  Widersachern  stehenden  bekannten 
Sänger,  sowie  zu  dem  in  seiner  Zeit  weltberühmten  Pater  Martini  traten. 
"Wichtiger  aber  noch  ist  es,  zu  constatiren,  dass  auch  die  hier  von  G-.  dirigirte 
Festoper,  obwohl  es  die  letzte  war,  die  er  vor  dem  Eintritt  des  entscheidenden 
Wendepunktes  in  seinem  künstlerischen  Schaffen  schrieb,  sich  in  nichts,  nach 
allem  was  wir  davon  wissen,  über  die  Manier  ihrer  Zeit  erhob.  Der  Meister 
war  sicher  in  seinem  Inneren  damals  schon  ein  Anderer  geworden,  will  aber 
seinen  früheren  Bewunderern  nicht  ungefällig  erscheinen,  oder  ihnen  gerade  in 
einer  bei  ihm  bestellten  Gelegenheitsoper  unverständlich  werden.  So  gibt  er 
für  die  alten  Anhänger  noch  der  Manier  einer  Zeit  nach,  deren  Schwächen  er 
selber  bereits  verdammt  hatte  und  durch  Besseres  zu  ersetzen  entschlossen  war. 
Begegnen  wir  doch  Anwandlungen  zu  solchen  Concessionen  (wenn  auch  nur 
vorübergehend)  selbst  dann  noch  bei  ihm,  als  er  durch  ein  gewaltiges  Werk, 
im  Style  des  von  ihm  aufgefundenen  neuen  Kunstprincips,  mit  der  Vergangen- 
heit eigentlich  bereits  gebrochen  hatte.  Dieses  erste  Werk  aber,  das  ihm 
die  Bahn  zu  eröffnen  bestimmt  war,  auf  welcher  er  sich  die  Krone  der  höch- 
sten Meisterschaft  aller  Zeiten  im  pathetischen  und  tragischen  Styl  erwerben 
und  das  musikalische  Drama  schaffen  sollte,  war  der  »Orpheus«.  G.  ward, 
was  wichtig  ist,  bei  dieser  Oper  zum  ersten  Mal  auch  Metastasio  untreu, 
und  wandte  sich,  behufs  Beschaffung  eines  Textes  wie  er  ihn  wünschte,  an  den 
k.  k.  Bath  Raniero  von  Calzabigi,  der  sich  in  der  schönen  Literatur  einen 
Namen  erworben  und  mit  dem  er  schon  seit  zwei  Jahren  befreundet  war. 
»Orpheus  und  Euridice«  ging  am  5.  Oktbr.  1762  in  Wien  zum  ersten 
Mal  in  Scene,  und  wenn  der  ungewohnte  und  neue  Styl  des  Werkes  die  Hörer 
auch  anfänglich  stutzen  machte,  so  war  seine  Gewalt  und  Schönheit  doch  so 
gross,  dass  sich  im  weiteren  Verlaufe  Freund  und  Feind  davon  hingerissen 
und  besiegt  fühlten.  Uns  Deutschen  bleibt  somit  der  Ruhm,  G.  auf  der 
neuen  von  ihm  betretenen  Bahn  zuerst  anerkannt  und  gefeiert  zu  haben,  um 
so  mehr,  da  auch  »Alceste«,  sowie  »Paris  und  Helena«  in  Wien  zuei'st 
das  Licht  der  Lampen  erblickten.  Es  ist  darum  entweder  Tendenz,  oder 
Unwissenheit,  wenn  behauptet  wird,  der  Meister  habe  seine  späteren  Opern, 
durch  welche  er  der  Welt  eine  Reihe  noch  nicht  wieder  erreichter  Vorbilder 
im  musikalisch-tragischen  Styl  geliefert,  für  Frankreich  schreiben  müssen, 
da  man  in  seinem  Vaterlande  noch  nicht  reif  dafür  gewesen.  Zwar  durften 
sich  Alceste  und  Paris  und  Helena  nicht  eines  gleich  enthusiastischen 
Erfolges  bei  den  Wienern  rühmen,  wie  er  dem  Orpheus  zu  Theil  geworden; 
dem  stehen  jedoch  ähnliche  Kämpfe  gegenüber,  die  G.  auch  in  Frankreich 
lange  Zeit  hindurch  mit  dem  verbildeten  Geschmack  der  Menge  zu  bestehen 
hatte.  AVas  man  in  Wien  am  Orpheus  mit  am  meisten  bewunderte,  war  die 
Wiedereinführung  des  Chors  in  die  Handlung,  und  die  daraus  für  die  Musik 
und  das  Drama  hervorgehenden  neuen  und  erschütternden  Wirkungen.  Nicht 
weniger  ergriffen  die,  an  Stelle  der  mit  Coloraturen  überfüllten  conventionellen 
Coucert- Arien  der  Italiener  tretenden  einfach  erhabenen,  aus  der  dramatischen 
Situation  gleichsam  hervorwachsenden  und  unwiderstehlich  auf  ein  rein  ge- 
bliebenes menschliches  Gefühl  wirkenden  Gesänge  des  Helden  der  Oper.  Orpheus 
ward  damals  unzählige  Mal  in  Wien  gegeben  und  des  Meisters  Feinde  waren 
so  empört  über  einen  solchen  unerwarteten  und  durchschlagenden  Erfolg,-  dass 
sie  keck  behaupteten,  nicht  G.,  sondern  der  in  der  Titelrolle  wirkende  italie- 
nische Sänger  Guadagni  habe  die  Oper  componirt.  Die  zwei  Bände  starke, 
geschriebene  Partitur,  aus  welcher  G.  den  Orpheus  dirigirt  hat,  befindet  sich 
auf  der  Wiener  Hofbibliothek  und  trägt  den  charakteristischen  Titel:  fOrfeo. 
Dramma  per  Musica  in  (lue  Affüu  Die  alte  Bezeichnung  opera  seria  ist  hier 
also  offenbar  absichtlich  vermieden.  Der  Orpheus  existirt  in  zwei  Bearbeitungen; 
in  der  einen  ist  die  Titelrolle  für  eine  Alt-,  in  der  anderen  für  eine  Tenor- 
stimme gesetzt.  Der  für  Alt  geschriebene  Orpheus  ist  der  ursprüngliche 
und  ältere,  wie  schon  allein  daraus  hervorgeht,   dass  er,  bei  der  ersten  Auf- 


Gluck.  275 

führung  in  Wien,  von  Guadagni  gesungen  ward,    der  Castrat  war.     Erst  bei 
der  im  J.  1774    in  Paris    erfolgenden  Umarbeitung    der  Oper   für    die  dortige 
Bühne,    der    es  an  einem  Contra- Alt  fehlte,    verwandelte  Gr.  die  Rolle  des  Or- 
pheus   in    eine    Tenorpartie.    —    Dem  Orpheus    folgten,    wie    schon    gesagt, 
mehrere  Arbeiten  in  G.'s  früherer  Manier.    So  1763  eine  wieder  von  Metastasio 
gedichtete  Oper    y>Ezio<f.    und    im  J.   1764    sogar  ein  komisches   Singspiel:    »ia 
Reneontre  imprevue«.,    ein   Genre,    das  wir    uns    mit  G.,    dem  grossen   Tragiker 
unter  den  Tondichtern,  kaum  in  Beziehung  denken  können.     Zum  Namensfeste 
des  Kaisers  Franz  lieferte  G.  1765   eine  Äzione  teatrale  unter  dem  Namen  »La 
Corona«,    in  welcher  vier    österreichische  Erzherzoginnen    Partien    übernommen 
hatten    und    die    nur  vor  einem  intimen    und  auserwählten  Kreise  in  der  Hof- 
burg zur  Darstellung  gelangen  sollte;    alles  wurde   jedoch  durch  den   Tod  des- 
jenigen,   dem   die   ganze  Ovation  gelten  sollte,    vereitelt:    der  Kaiser  starb  am 
18.  August  1765.    —    G.  verband    sich    hierauf  zum    zweiten    Mal    mit    seinem 
poetischen  Freunde  Calzabigi,    und    das   Resultat    ihrer    gemeinschaftlichen  Be- 
mühungen war  die  Oper  »Alceste«,  die  am  16.  Decbr.  1767  ihre  erste  Auf- 
führung in  Wien  erlebte.    Das  Libretto  schloss  sich  dem  gleichnamigen  Trauer- 
spiel des  Euripides  an;    G.'s  Musik    aber   strebt  hier  noch  viel  consequenter 
und  bewusster,  als  im   Orpheus,    dem  erhabenen  Ziele  zu,    das  er  sich  für  die 
Oper  gesteckt.     Eine  solche,    selbst   jene  massigen   Concessionen  an  das  Publi- 
kum,   wie  sie  der  Orpheus  stellenweise    noch  enthält,    verbannende   Stylstrenge 
mochte  wohl  mit  dazu  beitragen,  die  Wiener  betreffs  ihres  TJrtheils  über  Alceste 
anfänglich  in  zwei  entgegengesetzte  Parteien  zu  scheiden.    Während  die  Freunde 
der    neuen   Tonschöpfung    dieselbe    für  eine  Arbeit    erklärten,    welche    erst  die 
Nachwelt    ihrem  vollen  Werthe    nach  zu  würdigen  wissen  werde,    meinten    die 
Gegner  des  Werkes,  dasselbe  gleiche  mehr  einem  Requiem,  als  einer  Oper,  und 
es  sei  doch  etwas  zu  viel  verlangt,    sich  für  seine  zwei  Gulden,    statt  erheitert 
zu  werden,    einen    ganzen  Abend    lang    so  heftig  aufregen    und  erschüttern  zu 
lassen.    Den  guten  Leuten  solchen  Schlages,  die  das  Theater  bis  dahin  lediglich 
als  ein  leichtes,  oberflächliches  Vergnügen  angesehen,  ward  es  bange  zu  Muthe, 
als  sie  plötzlich  die  nie  gehörte  Sprache  titanischer  Naturen  und  ungeheuchelter 
tiefer  Leidenschaft    vernahmen.     Was  G.    mit    seiner  Alceste    gewollt ,    sagt    er 
selber    am    treffendsten    in    der    an    den   Grossherzog  von   Toskana    gerichteten 
Zueignung,    die  er  der  1769  erschienenen  Partitur  dieser  Oper  vorausschickte. 
Es  heisst  darin  u.  A.:  »Ich  suche  die  Musik  zu  ihrer  wahren  Bestimmung  zu- 
rückzuführen,   das    ist:    die  Dichtung    zu   unterstützen,    um  den  Ausdruck  der 
Gefühle  und  das  Interesse  der   Situationen  zu  verstärken,    ohne  die  Handlung 
zu    unterbrechen«  —    —    »Ich    habe    mich    demnach  gehütet,    den   Schauspieler 
im  Feuer  des  Dialogs  zu  unterbrechen,  und  ihn  ein  langweiliges  Ritornell  ab- 
warten   zu    lassen    oder    plötzlich    mitten    in  einer  Phrase  bei  einem  günstigen 
Yocale  aufzuhalten,    damit  er  entweder  in  einer  laugen  Passage  die  Beweglich- 
keit   seiner    schönen   Stimme    zeigen  könne,    oder  abwarten,    bis  das  Orchester 
ihm  Zeit  lasse,  Luft  zu  einer    langen  Fermate  zu  schöpfen.     Auch  glaubte  ich 
nicht  über    die    zweite  Hälfte  einer  Arie  rasch  hinweggehen    zu    dürfen,    wenn 
diese  vielleicht    die    leidenschaftlichste    und  wichtigste  ist,    nur  um  regelmässig 
viermal    die  Worte    der  Arie  wiederholen  zu  können;    ebenso  wenig-  erlaubte 
ich  mir  die  Ai'ie  dort  zu  schliessen,  wo   der  Sinn  nicht  schliesst,  nur  um  dem 
Sänger  Gelegenheit    zu    verschaffen,    seine  Fertigkeit    im  Yariiren    einer   Stelle 
zeigen  zu  können.     Genug,    ich  wollte  alle  jene  Missbräuche  verbannen,  gegen 
welche  der  gesunde  Menschenverstand  und  der  wahre  Geschmack  schon  so  lange 
vergebens    kämpfen.«    —    Wie    bedeutend    die  Wirkung    der  Alceste    sjjäter  auf 
einen    Genius,    wie  Mozart,    gewesen    ist,    beweisen,    ausser    manchen    anderen 
Zügen,  besonders  der  »Orakelspruch«  und  der  »Opfermarsch«  in  der  genannten 
Oper   G.'s.     Die  Antworten  der  Reiterstatue  des  Comthurs  an  Don  Juan,  und 
der  Priestermarsch  in  der  Zauberflöte  würden,    ohne  die  angeführten   Tonsätze 
aus  Alceste,  sehr  wahrscheinlich  gar  nicht  existiren,  oder  doch  in  einem  völlig 


276  Glück. 

anderen  Charakter  ausgeführt  worden  sein.  So  wirkt  das  Epoche  machende 
Grenie  befruchtend  auf  die  ersten  Geister  einer  kommenden  Zeit  ein,  und  wir 
dürfen,  indem  wir  ein  bekanntes  Dichterwort  in  einem,  seiner  ursprünglichen 
Fassung  entgegengesetzten  Sinne  brauchen,  ausrufen:  »Das  ist  der  Segen  hehren 
Thuns,  dass  es,  foi-tzeugend,  Grosses  muss  gebären!«  —  G.  zählte  48  Jahre, 
als  er  den  Orpheus  und  52  Jahre,  da  er  die  Alceste  schrieb;  er  hatte  somit 
21  Jahre  laug  seine  Kräfte  der  Oper  gewidmet,  ehe  er  au  die  Reformation 
derselben  ging.  Auch  dass  der  Meister  ein  halbes  Jahrhundert  verlebte,  ehe 
Werke  von  ihm  ausgingen,  die  seinen  Namen  dauernd  und  für  alle  Zeiten  auf 
die  Nachwelt  brachten  (denn  alle  seine  vor  Orpheus  geschriebenen  Opern 
haben  eigentlich  nur  noch  ein  kunsthistorisches  Interesse),  gehört  zu  den 
ausserordentlichen  Fällen  in  der  Geschichte  der  Künste.  —  Der  Alceste  folgte 
1769,  als  dritte  Reformationsoper:  »Paris  und  Helena«,  ein  Werk,  das 
im  Allgemeinen  viel  zu  wenig  bekannt  und  geschätzt  ist  und  welchem  man, 
meist  wohl  einer  blossen  TJeberlieferung  folgend,  bisher  nicht  die  Ebenbürtig- 
keit neben  den  übrigen  dem  Orpheus  folgenden  Opern  G.'s  hat  einräumen 
wollen.  Dramatische  Handlung  und  Wechsel  contrastirender  dramatischer  Si- 
tuationen sind  allerdings  reicher  und  mannigfaltiger  in  Orpheus  und  Alceste, 
so  wie  später  in  den  beiden  Ipliigenien  vertreten.  Um  so  spannender  und 
verzehrender  im  Ausdruck  hat  dagegen  der  Tondichter  in  Paris  und  Helena 
den  wachsenden  Couflict  zwischen  Pflicht  und  Leidenschaft,  oder  zwischen  einer 
in  fast  jungfräulichem  Gefühl  vor  sich  selber  erschreckenden  und  erröthenden 
holden  Weiblichkeit  und  dem  in  ihrem  Herzen  sich  entzündenden  Feuer  der 
ersten  Liebe  geschildert.  Es  handelt  sich  in  dem  ganzen  Werke  mehr  um 
eine  innerliche  und  vergeistigte,  als  um  eine  auch  äusserlich  hervor- 
tretende Dramatik,  daher  um  tragische  Conflicte  rein  seelischer  Natur,  und 
von  diesem  Standpunkte  aufgefasst,  ist  die  Oper  eine  würdige  Vorläuferin  — 
ja,  bei  ihrer  doch  wieder  ganz  anders  gearteten  und  selbstständigen  Natur  — 
selbst  Nebenbuhlerin  von  G.'s  Armide,  die  ebenfalls  als  ein  grosses  scenisches 
Liebesgedicht  wirkt,  während  das,  was  in  einem  mehr  vulgären  Sinne  dra- 
matische Handlung  genannt  wird,  auch  dort  nach  dem  ersten  Akte  mehr  und 
mehr  zurücktritt.  Als  wahrer  Perlen  von  Schönheit  in  Paris  und  Helena  sei 
hier  nur  des  Terzetts  im  2.  Akt,  nicht  weniger  der  mit  zu  dem  Empfunden- 
sten,  was  G,  geschrieben,  gehörenden  Arie  des  Paris:  »ie  helle  imagini  d'tai 
dolce  amorev.,  dann  des  wunderbar  ergreifenden  Terzetts  zwischen  Amor,  Helena 
und  Paris:  y^Ah,  lo  veggoa,  sowie  endlich  der  gewaltigen  Scene  der  Unheil  ver- 
kündenden Pallas  Athene,  mit  dem  sich  ihr  anschliessenden  höchst  tragisch 
wirkenden  Finale  gedacht,  in  welchem  auch  der  Chor  (wie  schon  früher  einige 
Mal)  zu  herrlicher  Wirkung  gelangt.  Wir  begrüssen  in  dem  letzteren  über- 
dies einen  alten  Bekannten,  denn  er  ist  ein  und  derselbe  mit  dem  Schlusschor 
von  Iphigenie  auf  Tauris,  und  dass  G.  dieses  reifste  und  letzte  aller  seiner 
Werke  mit  nichts  Schönerem  zu  schliessen  wusste,  mag  seinen  Werth  darthun. 
Die  Partitur  von  Paris  und  Helena  erschien  im  J.  1770  im  Druck,  und  G. 
sagt  in  der  ihr  vorausgehenden  Widmung  an  den  Herzog  von  Braganza  u.  A. : 
»Eure  Hoheit  werden  das  Drama  »Paris«  bereits  gelesen  und  dabei  bemerkt 
haben,  dass  es  der  Einbildungskraft  des  Tonsetzers  jene  starken  Leidenschaften, 
jene  grossartigen  Gemälde,  jene  tragischen  Situationen  nicht  darbietet,  welche 
in  der  Alceste  die  Gemüther  der  Zuschauer  erschüttern,  und  zu  ernsten 
Affekten  Gelegenheit  bieten.  Hier  wird  man  dieselbe  Kraft  und  Stärke  in  der 
Musik  eben  so  wenig  erwarten,  als  man  in  einem,  in  hellem  Licht  gemalten 
Bilde  dieselbe  Kraft  des  Halbdunkels  oder  dieselben  grellen  Gegensätze  fordern 
würde,  die  der  Maler  bei  einem  Gegenstande  anwenden  kann,  der  ihm  nur  zur 
Wahl  eines  halben  Lichtes  Raum  gewährt.«  —  Enttäuscht  darüber,  dass  seine 
Opern  neuen  Styls  in  Deutschland  und  Italien  nicht  so  rasch  allgemein  zün- 
deten und  verstanden  wurden,  wie  er  nach  seinem  grossen  Erfolge  in  Wien 
mit  Orpheus    hoffen    zu    dürfen    geglaubt    hatte,    wandte    G.    seine    Blicke    auf 


Gluck.  277 

Frankreicli.  Dies  Land  schien  ihm  durch  Lully  und  Rameau,  durch 
einen  Corneille  und  Racine,  und,  vor  allem,  durch  die  lebhafte  und  geist- 
volle Erörterung  musikalischer  Principienfragen ,  wie  sie  damals  sowohl  im 
Publikum  als  bei  den  Kennern  stattfand,  und  an  der  selbst  Männer  wie 
Kousseau  und  Laharpe  eifrig  th eilnahmen,  in  mancher  Beziehung  mehr 
darauf  vorbereitet,  als  das  eigene  Vaterland,  seine  neuen  Ideen  vorurtheilslos 
zu  prüfen  und  den  Geist  wahrhafter  Dramatik,  der  in  seinen  musikalischen 
Tragödien  waltete,  zu  erfassen.  Er  wurde  in  diesen  seinen  Anschauungen 
durch  den  der  französischen  Gesandtschaft  in  "Wien  attachirten  Bailly  du  Rollet 
mächtig  bestärkt.  Dieser  Mann  hatte  ausserordentlich  viel  Geschmack  und 
Geist  und  besass  überdiess  ungewöhnliche  theatralische  Kenntnisse  und  Erfah- 
rungen. Er  ward,  ungeachtet  seiner  Eingenommenheit  für  die  französische 
Oper,  lebhaft  von  den  Ideen  ergriffen,  die  G.  ihm  entwickelte.  In  Folge  da- 
von suchten  beide  nach  einem  Stoffe,  der  ihnen  geeignet  schien,  das  spannende 
und  erschütternde  Interesse  der  Tragödie  mit  den  Wirkungen  einer  leiden- 
schaftlichen und  unmittelbar  an  das  Herz  appellirenden  Musik  zu  vereinigen. 
Racine's  »Iphigenie  in  Aulis«  erschien  ihnen  als  ein  Drama,  das  solchen 
Ansprüchen  genüge ;  sie  machten  sich  daher  voll  Feuer  und  Begeisterung  an's 
"Werk,  und  schon  1772  hatte  G.  das  neue  Opus  im  Geiste  so  gut  wie  voll- 
endet, wenn  auch  erst  wenige  Scenen  davon  zu  Papier  gebracht  waren.  Mehrere 
Versuche  der  Anknüpfung  mit  der  Pariser  Grossen  Oper  durch  den  Bailly  du 
Rollet  und  von  G.'s  Seite  selber  führten  zu  keinem  rechten  Ziel,  bis  es  end- 
lich den  Empfehlungen  von  G.'s  Gönnerin  Maria  Theresia  und  ihres  Sohnes, 
des  damaligen  römischen  Königs,  späteren  Kaiser  Joseph  II.,  sowie  dem  An- 
theil,  den  die  Dauphine  Marie  Antoinette,  die  nachmals  so  unglückliche  Königin 
von  Frankreich,  an  dem  Meister  nahm,  gelang,  die  Aufführung  von  G.'s  »Iphi- 
genie in  Aulis«  bei  der  Administration  der  Pariser  Oper  durchzusetzen.  Die- 
selbe fand  am  19.  April  1774,  im  60.  Lebensjahre  G.'s,  zum  ersten  Mal  statt. 
Diese  ausdrucksvolle,  hochtragische  Musik,  von  deren  Möglichkeit  man  bis 
dahin  keine  Vorstellung  gehabt,  rief,  wie  früher  Alceste  in  Wien,  bei  einem 
Theil  der  Hörerschaft  einen  tiefen  unauslöschlichen  Eindruck  hervor,  während 
sowohl  die  italienische  Partei,  wie  die  specifisch  französische  Schule,  die  an 
den  Traditionen  Lully's  und  Rameau's  hing,  Opposition  machte.  Der  einfluss- 
reiche und  viel  Kunstgeschmack  besitzende  Adel  der  französischen  Hauptstadt 
stand,  weil  der  Hof  G.  protegirte,  in  seiner  Majorität  auf  G.'s  Seite.  Aus 
allen  vorliegenden  Aktenstücken  und  Zeugnissen  der  Zeitgenossen  jener  Tage 
geht  jedoch  hervor,  dass  der  erste  Erfolg  der  Iphigenie  kein  ganz  zweifelloser 
war.  Nach  Iphigenie  brachte  G.  Orpheus  und  Alceste  in  neuen  Bearbeitungen 
in  Paris  zur  Aufführung.  Alceste  hatte  anfänglich  in  Paris  dieselben  Kämpfe 
zu  bestehen,  wie  früher  in  Wien.  Dies  muss  uns  übrigens  heute  fast  natürlich 
erscheinen,  denn  die  Brücken,  die  den  Orpheus  wenigstens  stellenweise  noch 
mit  der  früheren  italienischen  Oper  verbinden,  hat  G.  hier  völlig  hinter  sich 
abgebrochen.  Alceste  mahnt  mehr,  wie  jede  andere  Oper  G.'s,  an  die  dämo- 
nische Leidenschaft  und  strenge  Erhabenheit  des  Aeschylos.  Die  Gestalten 
dieser  Tragödie  in  Tönen  lassen  alles,  was  die  Bühnen  Deutschlands,  Frank- 
reichs und  Italiens  bis  dahin  an  Charakteren  geschaffen,  pygmäenhaft,  typisch 
oder  conventioneil  neben  sich  erscheinen.  Alceste,  Admet,  der  Oberpriester, 
Herkules  sind,  von  der  ersten  bis  zur  letzten  Note,  wie  aus  einem  Guss,  sie 
erinnern  in  ihrer,  wie  in  Lapidarschrift  gemeisselten  Tonsprache,  an  die  mar- 
mornen Halbgötter-  und  Göttergestalten  der  Plastik  der  Alten  und  gehen 
auch  in  ihrem  Empfinden  und  Thun  in's  Uebermenschliche.  Die  Arie  der 
Alceste:  »Götter  ewiger  Nacht!«  ist  von  einer  Grösse  heroischer  Gesinnung 
und  prometheischen  Trotzes  gegen  das  Geschick,  von  deren  Möglichkeit  in  der 
Frauennatur  uns  G.  überhaupt  erst  überzeugt  hat.  —  Aber  auch  in  Paris 
vertiefte  sich  das  Verständniss  für  Alceste  mit  jeder  neuen  Vorstellung,  wäh- 
rend Orpheus  unmittelbar  ansprach,    und  beide   Opern  brachen,  im  Bunde  mit 


278  Gluck. 

wiedei'liolteu  Darstellungen  der  Iphigenie ,  dem  Meister  in  immer  weiteren 
Kreisen  der  französischen  Hauptstadt  Bahn,  bis  sich  die  Vorliebe  für  seine 
Musik  endlich  zu  einem  wahren  Enthusiasmus  steigerte.  Man  di'ängte  sich 
sogar  —  ein  bis  dahin  in  Paris  unerhörter  Fall  —  zu  den  Proben  seiner  Opern, 
und  der  Zutritt  zu  denselben  ward  von  den  vornehmsten  und  angesehensten 
Personen  als  eine  hohe  Vergünstigung  betrachtet.  Diese  Proben  boten  übrigens, 
bei  G.'s  Unerbittlichkeit  in  gewissen,  von  seinem  dramatischen  Gefühl  ihm 
dictirten  Forderungen  an  Sänger  und  Orchester,  sowie  andererseits  durch  das 
Feuer,  mit  dem  er  dirigirte  und  durch  die  von  ihm  ausgehenden  warmen  Worte, 
mit  welchen  er  bei  gelungenen  Stellen  die  Ausführenden  belohnte,  ein  kaum 
geringeres  Interesse  dar,  als  die  Aufführungen.  Fürsten  und  grosse  Herren 
drängten  sich  wetteifernd  herbei,  um  G.,  wenn  er  seinen  Taktstock  niederlegte. 
Perrücke  und  Ueberrock  zuzureichen;  denn  er  hatte  die  Gewohnheit,  diese 
Gegenstände,  ehe  er  zum  Dirigeutenpult  hinaufstieg  und  mit  dem  Einstudiren 
begann,  abzulegen  und  sich  dagegen  eine,  ihn  gegen  den  Zug  von  der  Bühne 
her  schützende  höchst  originelle  Kopfbedeckung  aufzusetzen.  Im  J.  1775  ging 
eine  Oper:  »La  Ct/tJiere  assiegeea  von  ihm  in  Scene,  die  einen  nur  geringen 
Erfolg  katte.  Der  Abbe  Arnaud  sagte  davon,  mit  Anspielung  auf  den  Meister: 
»Herkules  sei  geschickter  im  Gebrauche  der  Keule,  als  des  Rockens.«  Natür- 
lich schwiegen,  solchen  Erfolgen  des  deutschen  Tondichters  gegenüber,  wie  wir 
sie  oben  erwähnten,  Neid,  Eifersucht  und  Kabale  nicht  lange.  Die  italienische 
Partei  hob  den  übrigens  durchaus  nicht  etwa  talentlosen  Piccini  auf  ihre 
Schultern,  und  es  entbrannte  bei  Hofe,  im  Salon,  in  den  Foyers  der  Grossen 
Oper,  in  den  Kaffeehäusern,  auf  den  Boulevards,  in  Flugschriften,  Feuilletons, 
ja  selbst  auf  Bällen  und  Redouten  jener  grosse  AViderstreit  der  Meinungen, 
der  unter  dem  Namen  des  Kampfes  der  Gluckisten  und  Piccinisten  in  die  An- 
nalen  der  Kunstgeschichte  verzeichnet  worden  ist.  Besonders  lebhaft  betheilig- 
ten sich  die  geistreichen  und  galanten  Frauen  der  höchsten  Gesellschaft  an 
demselben,  und  die  damals  modischen  Soupers,  bei  welchen  die  Gegner,  noch 
hingerissen  von  den  eben  erhaltenen  Eindrücken  vor  der  Bühne,  zusammen- 
trafen, wurden  zum  Kampfplatz  der  mit  Hitze,  ja  oft  selbst  mit  Raserei  und 
in  wilden  Ausrufungen  vertheidigten  entgegengesetzten  Meinungen.  Unter  den 
Journalisten  und  Männern  von  Geist  und  Genie  gehörten  Rousseau,  Suard 
und  der  Abbe  Arnaud  zu  den  Gluckisten;  dagegen  Marmontel,  LaHarpe, 
Ginguene  und  d'Alembert  zu  den  Piccinisten.  Dieser  Zustand  der  Dinge 
erhielt  sich  bis  1780,  und  es  ist  wohl  niemals  vorher  oder  nachher  in  der 
Kunstgeschichte  wieder  dagewesen,  dass  eine  Stadt  von  der  Grösse  von  Paris 
so  anhaltend  für  und  wider  einen  grossen  Tondichter  Partei  genommen  und 
neue  Werke  von  demselben  mit  lebliafterer  Spannung  und  grösserem  Interesse 
verfolgt  hätte,  als  die  wichtigsten  politischen  Ereignisse.  G.,  der  verschiedent- 
lich nach  Wien  zurückkehrte  und  von  dort  wieder  zu  neuen  Kämpfen  oder 
Triumphen  nach  Paris  eilte,  kam  im  Anfang  des  Jahres  1777  mit  seiner 
Armide  zum  Abschluss.  Dieselbe  ging  am  23.  Septbr.  desselben  Jahres  in 
Paris  in  Scene,  hatte  jedoch  anfänglich  nicht  den  Erfolg,  den  sich  ihr  Autor 
davon  versprochen  hatte.  Besser  erging  es,  von  ihrer  ersten  Vorstellung  an, 
die  am  18.  Mai  des  Jahres  1779  stattfand,  des  Meisters  vorletzter  herrlicher 
Oper:  »Iphigenie  auf  Tauris«.  Ganz  Paris  ward  davon  hingerissen, 
und  auch  die  Gegner  des  grossen  Künstlers,  darunter  —  zu  seiner  Ehre  sei 
es  gesagt  —  Piccini  selber,  erklärten  sich  für  überwunden.  In  der  Iphigenie 
auf  Tauris  hat  der  Meister  —  ganz  abgesehen  von  allen  übrigen  Vorzügen 
dieses  unvergleichlichen  Werkes  —  den  kühnen  Wurf  gethan,  zwei  entgegen- 
gesetzte Nationalitäten ,  und  in  ihnen  zugleich  die  Empfiudungsweise  eines 
civilisirten  und  eines  barbarischen  Volkes ,  musikalisch  einander  gegenüber  zu 
stellen  und  zu  charakterisiren.  Es  gehören  in  dieser  Beziehung  die  fanatischen 
Scythenchöre,  mit  ihren  einfachen  und  doch  so  furchtbar  wirkenden  Rhythmen, 
mit    den    zum    drohenden  Gesang  der  Krieger   unablässig  erschallenden  grellen 


Gluck.  279 

Becken-  und  dumpfen  Paukenschlägen  und  den  sie  unterbrechenden  wilden 
Tänzen  der  Barbaren,  zu  dem  Ergreifendsten,  was  die  Musik  jemals  auf  einem 
solchen  Felde  gewagt.  Doppelt  contrastirend  wirken,  diesen  Elementen  gegen- 
über, die  Milde  und  Schönheit  griechischer  Empfindungsweise,  wie  sie  sich  in 
Iphigenie  und  ihren  Priesterinnen  personificirt,  oder  die  hohe  antike  Gesittung 
und  geläuterte  Heldengrösse,  wie  sie  in  des  Meisters  Pylades  und  Orest  lebt. 
Alles  was  Spontini  seitdem,  durch  seine  Gegenüberstellung  von  Spaniern  und 
Mexikanern  im  »Cortez«,  Rossini,  mit  seinen  Schweizern  und  Oesterreichern 
im  »Teil«,  Meyer  beer,  durch  Darstellung  des  Confiiktes  von  Papstthum  und 
Lutherthum  in  den  »Hugenotten«,  in  gleicher  Richtung  versucht  haben,  ist  eben 
nur  eine  Folge  des  von  G.  in  der  Ijihigenie  auf  Tauris  gegebenen  Anstosses, 
und  hat  das  vom  Altmeister  dort  Gebotene  weder  an  Erhabenheit,  noch  an 
Idealität  wieder  erreicht.  G.  zählte  65  Jahre,  als  er  seine  Iphigenie  auf  Tauris 
schuf,  deren  Jugendfeuer  uns,  wenn  die  Zeit  ihrer  Entstehung  unbekannt  ge- 
blieben, eher  auf  das  Werk  eines  gottbegnadeten  Jünglings,  wie  auf  das  eines 
Greises  schliessen  lassen  würde.  —  Des  Tondichters  letzte  grössere  Arbeit  war 
»Echo  und  Narziss«,  die  mit  nur  wenig  Erfolg  am  21.  Septbr.  1779  über 
die  Pariser  Bühne  ging.  Der  Abstand  gegen  Iphigenie  auf  Tauris  war  frei- 
lich ein  ziemlich  bedeutender,  doch  enthält  auch  dieses  Werk  noch  einzelne 
Züge,  die  des  Genies  eines  G.'s  würdig  sind;  so  z.  B.  einen  köstlichen  Chor: 
»Der  Gott  von  Paphos  und  von  Knid.«  Das  von  unserem  Meister  projectirte 
Tondrama:  »Die  Danaiden«,  womit  er  seine  Künstlerlaufbahn  abschliessen 
wollte,  kam  nicht  mehr  zur  Ausführung:  er  ward  plötzlich  hinfällig  und  starb 
nach  einem  mehrjährigen  Siechthum  in  Wien  am  15.  Novbr.  1787.  Es  muss 
hier  auch  noch  erwähnt  werden,  dass  G.  eine  Reihe  Klo  pst  ock' scher  Oden 
in  Musik  setzte  und  die  Composition  der  Hermannsschlacht  desselben  Dich- 
ters im  Kopfe  vollendet  hatte,  so  dass  er  sie  Freunden  fast  in  ihrem  ganzen 
Umfang  am  Ciavier e  vortrug.  Leider  kam  er  nicht  mehr  dazu,  sie  in  Partitur 
zu  setzen  und  so  für  die  Nachwelt  festzuhalten.  Die  Oden  dagegen  sind  im 
Druck  erschienen.  Es  sind,  ihren  Namen  nach,  folgende:  A^aterlandslied ;  Wir 
und  Sie;  Schlachtgesang;  der  Jüngling;  die  Sommernacht;  die  frühen  Gräber; 
die  Neigung  und  »Willkommen,  o  silberner  Mond«.  Die  Partituren  der  Opern 
Iphigenie  in  Aulis,  .  Orpheus,  Alceste,  Armide,  Iphigenie  auf 
Tauris,  Das  belagerte  Cythera  und  Echo  und  Narciss  erschienen,  mit 
französischem  Text,  in  denselben  Jahren  bei  Deslauriers,  in  denen  diese 
Werke  zum  ersten  Mal  in  Paris  in  Scene  gingen.  Simrock  in  Bonn  gab  zu- 
erst die  Alceste  mit  deutschem  Texte  heraus.  Die  italienische  Alceste  erschien 
zu  Wien  1769;  Exemplare  davon  sind  sehr  selten  geworden.  Bei  Thomas  von 
Trattern  in  Wien  erschien  1770  Paris  und  Helena.  Eine  Orchesterpartitur 
eines  von  G.  componirten  De  Frofundis,  welches  nebst  dem  8.  Psalm:  Domine 
Dominus  noster  und  einem  Theil  der  von  S alier i  vollendeten  Cantate:  Le 
Jugement  dernier  die  einzige  Arbeit  geistlichen  Styls  von  G.  blieb,  erschien 
ebenfalls  bei  Simrock  in  Bonn.  Ein  Bildniss  des  unsterblichen  Meisters 
trägt  die  Unterschrift:  II  prefera  les  Muses  aux  Sirenes.  Es  würde  schwer 
halten,  die  kunstumgestaltende  hehre  und  unermüdliche  schöpferische  Thätig- 
keit  G.'s  kürzer  und  schöner  zu  bezeichnen.  Seine  Werke  sind  Denkmale,  die 
er  seinem  Namen  und  seiner  Nation  gesetzt  und  die  so  lange  wirken  werden,  als 
der  Sinn  für-  echte  Kunst  unter  den  Menschen  nicht  ausgestorben  sein  wird. 

Emil  Naumann. 
(xluck,  Marie  Anna,  Adoptivtochter  und  Nichte  des  gleichnamigen  Mei- 
sters, war  eine  talentvolle,  zu  den  glänzendsten  Hoffnungen  berechtigende  Novize 
auf  der  Laufbahn  einer  Sängerin.  Geboren  im  J.  1759  zu  Wien,  wurde  sie 
im  Gesang  und  in  der  Musik  überhaupt  vom  Abbate  Millico  ausgebildet,  da 
ihr  berühmter  Oheim  wohl  ihrem  grossen  Talente  sein  volles  Intei'esse  schenkte, 
allein  für  ihre  Unterweisung  weder  Müsse  noch  Geduld  besass.  Alle,  die  in 
ihre  Nähe  kamen,    rühmten  ihren  Geist,    ihre  feine  Bildung,  ihren  Geschmack 


280  Glück  —  G-moll. 

und  ihr  vortreffliches  Herz;  zudera  wusste  sie  sich  in  vier  Sprachen  geläufig 
auszudrücken  und  erregte,  als  sie  ihren  Oheim  nach  Paris  begleitete,  am  fran- 
zösischen Hofe  allgemeine  Bewunderung.  Nicht  minder  war  sie  ein  Liebling 
der  Kaiserin  Maria  Theresia  und  ihres  Sohnes  Joseph  II.  Bühne  und  G-e- 
sellschaft  verloren  durch  ihren  allzu  frühzeitigen  Tod,  am  21.  April  1776  zu 
"Wien,  eines  ihrer  vielversprechendsten   Talente. 

Glück,  Johann,  deutscher  musikkundiger  Theologe,  geboren  zu  Plauen, 
wurde  Diaconus  zu  Mark-Schwärtzenbach  an  der  Saale  und  Hess  1660  zu 
Leipzig  erscheinen :  »Septalogum  Christi  musicum,  musicae  ecclesiasticae  prodro- 
mum,  oder  musikalische  Betrachtung  der  heiligen  sieben  Worte  Christi  am 
Kreuz  gesprochen,  als  ein  Yortrab  einer  geistlichen  Kirchenmusik.«  Er  ver- 
suchte also  in  ähnlicher  Weise,  wie  später  Joseph  Haydn  dies  durch  sieben 
Sonaten  beabsichtigte,  durch  sieben  in  Art  der  Madrigale  gesetzte  Motetten 
jene  Worte  zu  verherrlichen.  t 

Cflück,  Johann  Ludwig  Friedrich,  deutscher  musikkundiger  Theologe 
neuerer  Zeit,  geboren  am  27.  Septbr.  1793  zu  Ober-Ensingen  bei  Nürtingen, 
gestorben  als  Pfarrer  zu  Schornbach  bei  Schorndorf  am  1.  Oktbr.  1840,  hat 
sich  durch  gemüthreiche  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  seiner  Composition  ein 
freundliches  Andenken,  besonders  beim  deutschen  A^olke,  gesichert,  welches  seine 
Melodien  auf  »In  einem  kühlen  Grunde«  (1814),  »Herz  mein  Herz,  warum  so 
traurig«  (1814)  und  »Siehst  du  am  Abend  die  Wolken  zieh'n?«  noch  heutigen 
Tages  mit  Vorliebe  singt. 

Glycaeus,  Joannes,  oder  richtiger  Glyce,  ist  der  Name  eines  griechischen 
Musikschriftstellers,  von  dem  ein  Manuscript  im  Excurial  aufbewahrt  wird.  Vgl. 
Fäbricii  Bihl.  Gr.  Üb.  III.  c.  10  p.  269.  t 

Glycibarifon  (ital.-griech.),  ein  von  Catterino  Catterini  zu  Monselice  (Ita- 
lien) im  J.  1833  erfundenes  Blasinstrument,  welches  seinem  Erfinder  die  gol- 
dene Medaille  als  Auszeichnung  einbrachte.  Catterini  reiste  mit  diesem  Instru- 
mente in  Italien  umher  und  concertirte  auf  demselben  in  vielen  Städten, 
namentlich  in  Mailand,  Parma  (1837),  Modena  und  Bologna  (1838)  mit  grossem 
Beifall.  Das  Instrument  besteht  im  Wesentlichen  aus  zwei  parallelen,  unten 
vereinigten  Röhren,  wovon  die  eine  oben  mit  einem  kleineren  ßöhrchen,  woran 
ein  S  wie  beim  Fagotte  befestigt,  versehen  ist,  die  andere  aber  trichterförmig 
wie  das  Hörn  endigt.  Das  ganze  Instrument  ist  ungefähr  8  Decimeter  hoch; 
die  Luftsäule  aber  beträgt,  der  Verdoppelung  der  Röhre  wegen,  1  Meter  und 
6  Decimeter.  Die  erste  Hälfte  vom  Mundstück  abwärts  ist  cylindrisch,  die 
andere  bis  zum  Trichter  aber  konisch.  Vorn  hat  das  Instrument  9  Klappen 
und  2  ofifene  Tonlöcher;  hinten  5  Klappen  und  ein  oflfenes  Tonloch.  Der  Ton 
ahmt  die  Clarinett-  und  Fagottstimme  nach  und  kann  also  von  der  einen  in 
die  andere  übergehen.  Bei  dem  ersten  Erscheinen  dieses  Instrumentes  hiess 
es  Polifono  (Vielstimmiges  Tonwerkzeug).  M — s. 

G-moll  (ital.:  Sol  minore;  franz.:  sol  mineur ;  engl.:  G  minor)  ist  diejenige 
der  Mollgattung  des  abendländischen  Tonsystems  angehörige  Tonart,  welche 
ihren  Sitz  auf  dem  g  genannten  Klange  hat.  Die  Eigenheit  dieser  Gattung 
erfordert,  wie  in  dem  Artikel  Moll  (s.  d.)  näher  erörtert  ist,  die  Erniedrigung 
der  Terz  und  Sexte  um  einen  Halbton,  wonach  sich  als  Grundklänge  von  G. 
die  Töne:  g,  a,  h,  c,  d,  es,  f  und  g  erge1)en.  lieber  die  möglichen  Verände- 
rungen dieser  Grundklänge  im  Bereiche  der  obersten  Quarte  der  Tonleiter, 
welche  nach  dem  Ermessen  der  Tonsetzer  noch  verschieden  sein  können,  ist 
bei  der  Normaltonart  dieser  Gattung,  A-moll  (s.  d.),  ausführlicher  die  Rede 
gewesen,  weshalb  auf  jenen  Artikel  hingewiesen  sei.  Um  festzustellen,  wie  in 
der  Tonart  G-7noll  geschriebene  Stücke  auf  das  menschliche  Musikgefühl  wirken, 
müsste  man  zunächst  eine  Ansicht  zu  gewinnen  suchen,  wie  die  Gefühlsein- 
drücke der  Grundklänge  von  G.  in  Bezug  auf  den  Grundton  sich  äussern  und 
wie  die  des  Grundtons  im  Tonreiche  überhaupt  auf  den  Gehörsinn  wirkt.  Den 
Eindruck  der  aus  diesen  Elementen  bestehenden  Zusammenklänge  in  Erwägung 


G-moU.  281 

zu  ziehen,  würde  allerdings  erst  nach  erlangter  Klarheit  im  ersterwähnten  Be- 
reich   fruchtbringend    sein    können.     Betrachtungen    auf    dieser  G-rundlage  (der 
des   Tonfühlen s)    begründet,    dürften  in  der  Jetztzeit  noch  zu  den  gewagten 
gehören,    da    die   verbindenden   Glieder  zwischen  dem  innern   Tastsinn   und  der 
Psyche    noch    durchaus    eine  terra  incognita    sind.     Ja    noch    nicht    einmal    die 
Kenntniss    der  Theile  des  innern   Tastsinnes  und  die  Funktionen    mancher  der 
bekannten   Theile  desselben    sind    durch   die  "Wissenschaft  uns  ganz  erschlossen. 
Aber  ganz  ohne  Leuchte  ist  man  denn  doch  nicht  auf   diesem  TJntersuchungs- 
felde,    das    sich    nur  schwärmerische  Aesthetiker  anders   zu  erklären  suchen  als 
die  Naturmenschen,  welche  letzteren  doch  durch  die  Bezeichnung:   Gefühl,  längst 
bevor    die  "Wissenschaft    daran    denken   konnte,    auch  nur  etwas  über  die  Ver- 
bindung   der  Körperschwingungen    und    der  Psyche   ahnend  zu  äussern,    einen 
'genau    bezeichnenden  Ausdruck    auffanden.      Siehe    hierzu    die  Artikel  Gehör, 
Ohr    und  Anlage.     Das   Tonfühlen    nun    ist    eine  Eigenheit    der  Psyche,    die 
sich    direkt    und  vollkommen  über  die  Klänge  des   Tonreichs  erstreckt,    welche 
durch  mit  der  Psyche  im  innigsten  Zusammenhange  stehende  Organe  geschaffen, 
erwogen    und    nach    jeder  Seite    hin    begriffen  werden  —  also    über  die   Töne, 
welche    durch    die  Menschenstimme  hervorgebracht  werden  können  —  während 
alle    anderen   Töne    nur    nach    der    organischen  Betheiligung  bei  der   Schaffung 
derselben,   oder  nach  der  Eigenheit  der  zunächstliegenden  im  Gefühle  ähnlichen 
Octave  (s.  d.)  in  erwähntem   Tonreich   eine  Beurtheilung  der  Psyche  zulassen. 
Beweis  hierfür  ist,  dass  die  Klänge  der  höchsten   Tonregion  sich  der  tonlicheu 
Erkenntniss  durch  die  Psyche  entziehen.     Betrachtungen  über  die  Grundklänge, 
speciell  auch  von   G.,  werden  sich  somit  am  geeignetsten  nur  an  die   Töne  der 
Menschenstimme  knüpfen  lassen  und  zwar  je  nachdem  man  die  Mitleidenschaft 
der  Theüe  des  Organismus  und  der  Psyche  bei  Schaffung  derselben  in  Betracht 
zieht,  indem  durch  diese  Faktoren    auch  das  Empfängniss  solchen  Erzeugnisses 
von  der  Psyche    anderer   ähnlicher  Organismen    bedingt  ist.     Bemerkt  sei  nur, 
dass,  mögen  diese  Betrachtungen  nun  an  den  Tönen  der  Männer-  oder  Frauen- 
stimme angestellt  werden,  dieselben,  da  beide   Tonreiche  nur  in   Octaven  unter- 
schieden,   in    ihren  Ergebnissen    durchaus    gleiche  sind.     Hier  sind,    besonders 
weil  eine  längere  derartige  Erfahrung  an  Männerstimmen  gemacht  ist,  stets  die 
Töne  dieser  zu  Grunde  gelegt.     Die  Klangregion  (die  in  der  obern  Octave  der 
Psyche,  der  innigeren   Theilnahme  aller  Tonzeugungsfaktoren  halber,  klarer  als 
in  der  tieferen  sein  muss,    und  deren  Reflexion  die   Tonverhältnisseindrücke  in 
der  tiefern   Octave  beeinflussen),    in  der    die  festen   Töne  dieser  Tonart  liegen: 
c  als   Quarte  und  d  als   Quinte,    ist    eine    durch  die  Psyche  inniger  auffassbare 
als  fast   jede  andere,    weil    erstens    diese  Klänge  oft  meist  beinahe  unverändert 
angewandt  werden,  und  zweitens  dieselben  nicht  in  die  Bruchlage  einer  Normal- 
stimme fallen.    Diese  Klarheit  und  Innigkeit  der  festen  Klänge  vermögen  Sänger 
auch  nur  über  die  Töne    der    daran   grenzenden  Oberquarte    der  Tonart  auszu- 
breiten,   und    machen    diese    durch^  das   Sichfortbewegen  in  vielen  aufeinander- 
folgenden Halbtönen,    die,    je  nachdem   sie  als  Semitonium  modi  (s.  d.)  nach 
oben  oder  unten  hin  wirken,  in  peinlichster  vom   Gefühle  geforderter  Genauig- 
keit zu  geben  möglich  sind,    oft  auf   das  Gehör  die  "Wirkung,    als  seien  sie  zu 
sehr    von    der    ursprünglichen    Stelle    vei-rückt.      Diese    "Wirkung    wird    jedoch 
paralysirt    durch    die  stets   fast  wiederkehrenden   Grundklänge  der  Tonart,    be- 
sonders   des  Grundtons.     Derselbe,    der    nächste  Nachbar  des  Richtklanges  im 
Tonreich  aller  Culturvölker  der  "Welt  ausser  den  Abendländern,  die  Musik  als 
Kunst  pflegten,    ist  bei  diesen,    obgleich  nicht  besonders  gekennzeichnet,    doch 
aus    gleichem    Grunde     unwandelbar.      Mittlere    Stimmen    (tieferer    Tenor    und 
tieferer   Sopran)    nämlich,    haben    in    dem  Klange    g  die    oberste   Grenze    ihres 
Bi-ustregisters  und  in  der  Octave  desselben   zugleich    den  Mittelton  ihres   Ton- 
reichs überhaupt.     Von  den  Klängen  der  "ünterquarte  dieser  Tonart  scheint  a, 
mehr    als    aufwärtsstrebendes  Semitonium   modi  wirkend,    bei  Tongängen    durch 
das  Fühlen    der  Sänger    eher    kleinen    Höhenänderuugen    unterworfen    zu    sein 


282  Gnaccare  —  Gobatti. 

als  h,  das,  obgleicli  als  niederwärtsstrebendes  in  der  Schrift  gekennzeichnet,  von 
fast  allen  Sängern  in  beinahe  unveränderter  Tonhöhe  dargestellt  wird.  Wie 
nun  diese  Elemente  in  Tonstücken  von  G.  zuweilen,  zu  einander  Grundverhält- 
niese  annehmend,  kleine  Intervallverrückungen  fordern,  die,  in  Zahlen  ausdrück- 
bar, auch  theilweise  in  der  Darstellung  sich  kundgeben,  wird  leicht  einleuchten, 
wenn  man  die  Artikel  Ais,  As  und  Cis  in  IVütbetracht  zieht.  Obige  Andeu- 
tungen aber  über  die  Naturerfordernisse  der  Elemente  werden  genügen,  um 
Jedem  in  diesem  Bereiche  der  Kunst  Forschenden  die  nöthigen  Handhaben  zu 
bieten ;  derartigen  Forschungen  können  sich  dann  erst  Betrachtungen  über  die 
Zusammenklänge  von  G-.  anreihen.  Solche  Betrachtungen  aber  würden  nicht 
allein  fordern,  die  gleichzeitig  stattfindenden  Eindrücke  mehrerer  Elemente, 
sondern  auch  die  "Wirkung  der  sich  deckenden  oder  nicht  deckenden  Beitöne 
derselben  in  Erwägung  zu  ziehen.  Weitergehende,  dies  Feld  berührende  Hin- 
weisungen hier  zu  geben  ist  unmöglich,  da,  wie  der  Schluss  des  Artikels 
»Akustik«,  das  Werk:  »die  Lehre  von  den  Tonempfindungen«  von  Helmholtz 
und  andere  Aehnliches  berührende  Bücher  lehren,  solche  eine  eigene  umfang- 
reiche Schrift  erfordern.  —  Vom  ästhetischen  Gesichtspunkte  aus  betrachtete 
man,  als  nach  Feststellung  der  anzuwendenden  Klänge  in  der  abendländischen 
Kunst,  diese  Kunstwissenschaft  zu  einer  schablonenmässigen  Ausdrucksweise 
über  dieselbe  gelangte,  Gr.  für  geeignet:  Missvergnügen,  TJnbehaglichkeit,  Zerren 
an  einem  verunglückten  Plane,  missmuthiges  Nagen  am  Gebiss,  mit  einem 
Worte,  Groll  und  Unlust  darzustellen,  wie  Schubart  in  seinen  »Ideen  zu  einer 
Aesthetik  der  Tonkunst«  pag.  377  &.,  und  alle  nach  ihm  folgenden  Aesthetiker 
auszusprechen  sich  bemüssigt  fanden.  C.  B. 

Gnaccare  (span.;  ital.:  nacchere),  die  Castagnetten. 

Guecco,  Franc  esco,  fleissiger  italienischer  Operncomponist,  geboren  1769 
zu  Genua,  zeigte  schon  früh  bedeutende  musikalische  Anlagen,  sollte  aber 
Kaufmann  werden  und  erwirkte  nur  mit  Mühe,  dass  er  sich  vom  Kapellmeister 
Mariani  ausbilden  lassen  durfte.  Nach  vollendeten  Studien  componirte  er  für 
verschiedene  Bühnen  seines  Vaterlandes  Opern,  von  denen  y>La  prova  d'itn^  opera 
seHuK  bedeutenderen  Erfolg  hatte;  nächst  dieser  gefielen  hier  und  da:  y>GU 
braminiv,  •oArgetev.,  »ie  nozze  de''  Sannitiv,  »Le  nozze  di  Laurettaa,  yyCarolina  e 
Filandroa,  y>Il  pignaifaroa ,  »La  cena  senza  cena«.,  »Gli  ulüini  due  giorni  di 
carnevale«,  y>Gli  amanti  ßlaniionici».  u.  s.  w.  Geschick  und  dramatische  AVirk- 
samkeit  überwiegen  in  allen  diesen  Werken  die  Erfindung.  Mit  Composition 
der  Oper  »La  conversazione  filarmotiica<i.  beschäftigt,  starb  G.  unerwartet  zu 
Mailand  im  J.  1810. 

Onesippos,  altgriechischer  Dichter,  von  dem  Athenäus  behauptet,  dass  er 
auch  zu  den   Tonsetzern  gezählt  werden  müsse. 

Guocchi,  Giovanni  Battista,  italienischer  Kirchencomponist  des  17.  Jahr- 
hunderts, von  dessen  Arbeiten  eine  zu  Venedig  erschienene  Sammlung  vier- 
stimmiger Messen  übrig  geblieben  ist. 

Gobatti,  Stefano,  ein  vielversprechender  Italienischer  Operncomponist, 
geboren  am  5.  Juli  1852  in  Bergantino,  einem  kleinen  Dorfe  im  Venetianischeo, 
hatte,  dem  Willen  seiner  Eltern  gemäss,  bereits  die  Laufbahn  eines  Ingenieurs 
betreten,  als  die  Liebe  zur  Tonkunst  so  heftig  bei  ihm  durchschlug,  dass  er, 
zumal  auch  von  allen  Seiten  ihm  musikalisches  Genie  zugesprochen  wurde,  es 
durchsetzte,  dass  er  die  Studiumsfächer  dem  entsprechend  vertauschen  durfte. 
Sein  Vater  schickte  ihn  zu  diesem  Zwecke  nach  Mantua,  wo  Campioni  G.'s 
Musiklehrer  wurde.  Später  studirte  G.  unter  Giuseppe  Busi  im  Lyceum  zu 
Bologna  Generalbass.  Er  hatte  bei  diesem  Lehrer  eine  ziemlich  strenge  Schule 
durchzumachen,  da  derselbe  nur  die  alten  Meister  als  Vorbilder  gelten  Hess 
und  von  dem  auflodernden  Talente  G.'s  Fugen  und  nichts  wie  gut  gearbeitete 
Fugen  verlaugte.  Von  Bologna  wandte  sich  G.  nach  Parma,  wo  er  unter  Lauro 
Bossi  lernte,  welchem  trefflichen  Künstler  er  auch  nach  Neapel  folgte,  als  dieser 
daselbst  als  Nachfolger  Mercadante's  zum  Direktor  des  Conservatoriums  ernannt 


Gobdas  —  Goddard.  ^83 

wurde.  Dort  schrieb  G.  auch  seine  Erstlingsoper  »J  Goii«.,  welche  das  Lob 
seines  Lehrers  fand,  und  man  rieth  ihm,  diesem  Werke  von  Bologna,  der  Kunst- 
und  Gelehrtenstadt  Italiens  aus,  eine  empfehlende  Legitimation  des  Publikums 
zu  verschaffen.  G.  reiste  in  Folge  dessen  im  Herbst  1873  nach  Bologna,  und 
seine  Familie  machte  die  äussersten  Anstrengungen,  die  Kosten  der  Inscenirung, 
die,  italienischer  Sitte  gemäss,  stets  der  Componist-Debütant  tragen  muss,  auf- 
zubringen. Am  30.  Novbr.  1873  erschien  diese  Oper  zum  ersten  Male  im 
Communaltheater  jener  Stadt,  und  G.'s  Talent  feierte  den  glänzendsten  Triumph, 
der  sich  denken  lässt  und  bei  jeder  Wiederholung  sich  erneuerte.  »7  GoHk 
waren  und  blieben  die  Hauptoper  der  betreffenden  Saison  und  bereits  nach 
der  zweiten  Aufführung  derselben,  welche  der  Theaterkasse  eine  nie  zuvor  da- 
gewesene Einnahme  einbrachte,  schloss  das  Verlagshaus  Lucca  in  Mailand  mit 
dem  jungen  Componisten  unter  den  allervortheilhaftesten  Bedingungen  einen 
Contrakt,  welcher  das  Eigenthumsrecht  dieser  und  der  folgenden  Oper  dem 
ersteren  sicherte.  Die  Blicke  aller  italienischen  Opernfreunde  sind  in  Folge 
dieser  Ereignisse  auf  den  jugendlichen  Meister  gerichtet,  und  seiner  Begabung 
eröffnet  sich  eine  geebnete  grosse  Bahn,  da  seine  Erstlingsoper  auf  den  gross- 
artigen Erfolg  in  Bologna  hin  in  der  Carnevalssaison  1874  gleichzeitig  im 
Apollotheater  zu  Rom,  in  der  Scala  zu  Mailand  und  im  Fenicetheater  zu  Ve- 
nedig erscheinen  soll. 

Gobdas  wird  in  Lappland  die  Trommel  genannt,  deren  bis  vor  Kurzem 
sich  die  dortigen  Wahrsager  bei  Ausübung  ihrer  Kunst  bedienten,  um  die 
Menge  heranzulocken.  Sie  hat  die  Gestalt  unserer  Handtrommel  ohne  Schellen, 
ist  hinten  mit  zwei  Stricken  als  Handhabe  versehen  und  wird  mit  einem  zwei- 
spitzigen Hammer  geschlagen.  Die  Zauberer  bemalten  sie  mit  verschiedenen 
Charakteren,  denen  das  abergläubische  Volk  eine  grosse  Kraft  zuschrieb. 

Gobert,  Thomas,  französischer  Tonsetzer  und  Dirigent,  wahrscheinlich 
aus  der  Picardie  stammend,  war  erst  Kapellmeister  in  Peronne  und  dann  in 
derselben  Stellung  der  Hofkapelle  Ludwig's  XIII.  und  Ludwig's  XIV.  von 
Frankreich  vorgesetzt.  Er  veröffentlichte  im  vierstimmigen  Satze  Melodien  zu 
den  vom  Bischöfe  Antoine  Godeau  übersetzten  Psalmen  (Paris,  1659). 

Gockel,  August,  trefflicher  deutscher  Pianist  und  Componist  für  sein 
Instrument,  geboren  1831  zu  Willibadessen,  besuchte  seit  1845  das  Conser- 
vatorium  zu  Leipzig,  wo  Mendelssohn  und  Plaidy  seine  Hauptlehrer  waren. 
Nachdem  er  sich  in  Deutschland  mehrfach  mit  Beifall  öffentlich  hatte  hören 
lassen,  machte  er  von  1853  bis  1856  sehr  erfolgreiche  Kunstreisen  durch  die 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika.  Nach  dieser  Zeit  trat  er  wieder  in 
seinem  Vaterlande  auf,  jedoch  hielt  seine  Gesundheit  den  ihr  zugemutheten 
Anstrengungen  gegenüber  nicht  Stand,  und  brustkrank  kehrte  er  in  seinen 
Geburtsort  zurück,  den  er  auch  nicht  wieder  verliess,  da  er  daselbst  im  J.  1861 
starb.  Während  seines  kurzen  Künstlerlebens  hat  er  zahlreiche  Claviercompo- 
sitionen  im  eleganten  Modestyle,  ebenso  einige  Hefte  Lieder  geschrieben  und 
veröffentlicht.  Höheren  Werth  als  alle  diese  Werke  beansprucht  sein  Concert- 
stück  für  Pianoforte  mit  Orchester,  welches  in  Erfindung  und  Arbeit  auf  be- 
deutende künstlerische  Eigenschaften  hinweist. 

Goclenius,  Rudolph,  deutscher  Dichter  und  Philosoph,  war  aus  Corbach 
in  der  Grafschaft  Waldeck  gebürtig.  In  einem  von  ihm  herausgegebenen  phi- 
losophischen Lexikon,  das  1613  zu  Frankfurt  erschien,  finden  sich  auch  die 
jener  Zeit  eigenen  Ausdrücke  in  der  Musik  vor  und  erklärt.  G.  starb  am 
8.  Juni  1628.     Mehr  über  ihn  enthält  das  comp.  Gelehrten-Lexikon.        f 

Goddard,  Arabella,  die  vorzüglichste  englische  Pianistin  der  Gegenwart, 
geboren  1840  in  London,  wurde  von  Mosch eles  und  den  besten  Lehrern  ihrer 
Vaterstadt  mit  dem  grössten  Erfolge  im  Cla vierspiel  unterrichtet,  sodass  sie 
bei  ihrem  frühesten  Auftreten  bereits  als  bedeutende  künstlerische  Erscheinung 
begrüsst  wurde,  ein  TJrtheil,  welches  sie  im  J.  1855  durch  Concerte  in  Berlin, 
Leipzig,  Paris  u.  s.  w.  auch  im  Auslände  vollgültig  bestätigen  Hess.    Im  J.  1859 


284  Godeau  —  Godefroid. 

verheirathete  sie  sich  mit  Davis on,  dem  einflussreichsten  und  angesehensten 
Musikkritiker  Londons,  welcher  durch  die  Times  und  die  von  ihm  redigirte 
Musical  World  ihren  Weltruf  begründete  und  ihre  Stellung  in  England  zu 
einer  unanfechtbaren  gestaltete.  Ihre  grossartigste  Kunstreise  unternahm  sie 
im  J.  1873,  indem  sie  in  dieser  Zeit  concertirend  die  Städte  Australiens  be- 
suchte, in  Ostindien  sich  hören  Hess  und  reich  an  Schätzen  und  Triumpfen 
zu  Anfang  1874  nach  London  zurückkehrte. 

Oodeaa,  Antoine,  französischer  Geistlicher,  geboren  1605  zu  Dreux  und 
gestorben  als  Bischof  zu  Venceara  2,  April  1672,  hat  u.  A.  Paraphrasen  zu 
Davids  Psalmen«  geschrieben,  welche  bei  Roger  in  Amsterdam  sowohl  für  eine 
als  für  vier  Stimmen  gestochem  worden  sind.  Ob  diese  Musik  von  Gr.  selbst 
herrührt,  ist  nicht  bekannt.  S.  übrigens  Gobert.  Vgl.  auch  das  comp,  Ge- 
lehrten-Lexikon, f 

Crodecharle ,  Eugene  Charles  Jean,  trefflicher  belgischer  Yiolin-  und 
Harfenspieler  und  talentvoller  Componist,  wurde  am  If).  Jan.  1742  zu  Brüssel 
geboren  und  von  seinem  Vater,  der  Basssänger  in  der  Kapelle  des  Statthalters 
der  Niederlande,  des  Prinzen  Karl  von  Lothringen,  sowie  Musikmeister  an  der 
Kirche  St.  Nicolas  war,  musikalisch  unterrichtet.  Der  Prinz- Statthalter  zog 
G.  schon  früh  ebenfalls  in  seine  Kapelle  und  liess  ihn  später  in  Paris  weiter 
ausbilden.  Nach  Vollendung  dieser  Studien,  wurde  G.  1773  Bratschist,  1788 
erster  Violinist  der  prinzlichen  Kapelle  und  fungirte  seit  1776  zugleich  als 
Musikmeister  an  der  Kirche  St.  Gery  in  Brüssel.  Gestorben  1814  zu  Brüssel, 
hinterliess  er  zahlreiche  treffliche  Kirchenwerke  im  Manuscript,  Gedruckt 
wurden  bei  seinen  Lebzeiten  nur  Instrumentalsachen  seiner  Composition,  näm- 
lich Sinfonien  für  kleines  Orchester,  ein  Notturno  für  zwei  Violinen,  Piccol- 
flöte,  zwei  Oboen,  zwei  Hörner  und  Trommel,  Sonaten  für  Violine  mit  Bass, 
für  Harfe  mit  Violine  und  für  Pianoforte  und  Violine.  —  Von  seinen  Brüdern 
war  Lambert  Erangois  G.  der  bedeutendste.  Geboren  am  12.  Eebr.  1751 
zu  Brüssel,  war  er  anfangs  gleichfalls  Chorknabe  in  der  Kapelle  des  Prinzen- 
Statthalters  und  wurde  vom  Kapellmeister  Croes  in  der  Composition  unter- 
richtet. Von  1771  an  bis  zur  Franzosenzeit  war  er  Bassist  dieser  Kapelle 
und  als  Nachfolger  seines  Vaters  seit  1782  auch  Musikmeister  an  St.  Nicolas. 
Als  solcher  starb  er  am  20.  Oktbr.  1819  zu  Brüssel  und  hinterliess  gleichfalls 
gute  Kirchencompositionen  im  Manuscript.  —  Die  beiden  anderen  Brüder  der 
eben  aufgeführten  G.'s  waren:  Joseph  Antoine  G,,  geboren  am  17.  Jan. 
1746  zu  Brüssel,  erster  Oboist  der  mehrfach  erwähnten  Kapelle  und  Louis 
Joseph  Melchior  G.,  geboren  den  5.  Jan.  1748,  Basssänger  dieser  Kapelle 
und  zugleich  Lehrer  an  der  Zeichnenschule  zu  Brüssel.  Unglückliche  Ver- 
hältnisse veranlassten  den  Letzteren,  seinem  Leben  durch  Selbstmord  ein  Ende 
zu  machen. 

Godefroid,  nach  seiner  Vaterstadt  de  Furnes  genannt,  ein  berühmter 
altfi'anzösischer  Orgelspieler,  war  als  Organist  bis  1382  in  Eouen  angestellt, 
worauf  er  bis  zu  seinem  Tode  hoch  angesehen  als  Virtuose  seines  Instruments 
in  Paris  lebte. 

Godefroid,  Dieudonne  Joseph  Giiillaume  Felicien,  der  ausgezeichnetste 
französische  Harfenvirtuose  der  Gegenwart,  wurde  am  24.  Juli  1818  zu  Namur 
geboren  und  frühzeitig  auf  dem  Pianoforte  unterrichtet,  auf  welchem  er  es  im 
Laufe  der  Zeit  zu  ganz  vorzüglicher  Fertigkeit  brachte.  Von  seinem  11.  Jahre 
an  wandte  er  seine  Vorliebe  und  seinen  Fleiss  der  Harfe  zii,  die  auch,  als  er 
1830  auf  das  Pariser  Conservatorium  gebracht  wurde,  sein  Hauptinstrument 
blieb.  Dort  waren  Nadermann  und  Labarre  bis  1834,  wo  er  vollkommen  aus- 
gebildet in  die  Welt  trat,  seine  Lehrer  und  Vorbilder.  Durch  Concerte  in 
Paris  und  Kunstreisen  hat  er  seinen  Ruf,  einer  der  allerersten  Meister  seines 
Instrumentes  zu  sein,  befestigt  und  noch  1873  wurden  ihm  in  Wien,  wo  er 
auf  der  Weltaustellung  Erard'sche  Harfen  neuester  Construction  producirte, 
reiche  Huldigungen    dargebracht,      G.  lebt    in    unabhängiger   Stellung  in  Paris. 


Godendag  —  GöpeL  285 

Er  hat  sich  auch  als  geschmackvoller  Componist  für  Harfe  sowohl  als  für 
Pianoforte  bewährt.  Sonaten,  Etüden  und  zahlreiche  Salonstücke  für  diese  In- 
strumente von  ihm  sind  zu  Paris  und  zum  Theil  auch  in  Mainz  und  ander- 
wärts in  Deutschland  erschienen.  Auch  Opern  hat  er  geschrieben,  von  denen 
»die  Zauberharfe«  1856  einigen  Erfolg  hatte.  —  Sein  älterer  Bruder,  Jules 
Joseph  Gr.,  1811  zu  Namur  geboren  und  musikalisch  gleichfalls  auf  dem  Pa- 
riser Conservatorium  ausgebildet,  war  ein  ebenso  tüchtiger  Harfen  virtuose  als 
besonders  ein  vielversprechender  Componist.  Seiner  wenig  festen  Gesundheit 
wegen  lebte  er  theils  in  Boulogne,  theils  in  Paris,  starb  aber  in  letzter  Stadt 
schon  am  27.  Febr.  1840,  nachdem  er  seine  Opern  r>Le  Diadesiea  und  y>La 
chasse  royalev.  zur  Aufführung  gebracht  hatte, 

Godendag  oder  Godendach,  genannt  Pater  Giovanni  Bonadies,  ein 
musikkundiger,  um  1450  lebender  Carmelitermönch ,  war  der  Lehrer  des  be- 
rühmten Tonlehrers  Gafori.  Von  seinen  Compositionen  kennt  man  nur  noch 
ein  zweistimmiges  Kyi-ie  vom  J.  1473,  welches  Forkel  im  zweiten  Bande  seiner 
Geschichte  der  Musik  (Seite  670)  aus  Martini's  »Storia«  aufgenommen  hat. 

Godfrey,  Daniel,  englischer  Tonkünstler,  Musikdirektor  des  Gardecorps 
in  London,  hat  sich  durch  beliebt  gewordene  Tanz-  und  Marschcompositionen 
auch  in  Prankreich  und  Deutschland  einen  Namen  gemacht. 

God  save  the  kingr  (the  queen),  die  englische  Nationalhymne,  gedichtet  und 
componirt  (1743)  von  Henry  Carey  (s.  d.),  wie  aus  Fr.  Chrysander's  For- 
schung über  diesen  Gesang  mit  grösster  Sicherheit  hervorgeht.  Vgl.  die  be- 
zügliche Abhandlung  in  dessen  Jahrbüchern  für  musikal. "Wissenschaft  I.  287  u.  ff. 
Den  deutschen  Text  dieser  Hymne,  mit  den  Worten  »Heil  dir  im  Siegerkranz« 
beginnend,  dichtete  1790  der  holstein'sche  Pfarrer  Heinrich  Harries,  während 
der  Vicar  des  Hochstifts  Lübeck,  Balthasar  Gerhard  Schumacher  das  Verdienst 
hat,  dieselbe  1793  in  Deutschland  eingeführt  zu  haben. 

Göbel,  Johann  Ferdinand,  guter  deutscher  Violin spieler,  Componist 
und  Dirigent,  geboren  1817  zu  Baumgarten  in  Schlesien,  besuchte,  nachdem 
er  das  Gymnasium  in  Glatz  durchlaufen,  das  Conservatorium  in  Prag,  wo  Pixis 
im  Violinspiel  und  Dionys  Weber  seine  Hauptlehrer  in  der  Composition  waren. 
Im  J.  1840  wurde  er  als  erster  Violinist  im  Theaterorchester  zu  Breslau  an- 
gestellt und  rückte  1844  zum  Musikdirektor  dieses  Instituts  auf.  Componirt 
hat  er  Werke  für  Violine,  Ouvertüren  für  Orchester,  ein-  und  mehrstimmige 
Lieder  und  Gesänge. 

Göbel,  Karl,  trefläicher  deutscher  Pianist  und  tüchtiger  Componist,  von 
dessen  Arbeit  stylvolle  Kammermusikwerke  sich  bedeutende  Anerkennung  er- 
worben haben.  Mit  dem  Titel  eines  königl.  Preussischen  Musikdirektors  aus- 
gezeichnet, lebt  G.  zu  Bromberg  als  Ciavierlehrer  und  musikalischer  Bericht- 
erstatter der  Bromberger  Zeitung.  Im  J.  1873  trat  er  mit  zwei  Opern,  »Chry- 
salide«  und  »Frithjof«  hervor,  welche  dem  Vernehmen  nach  1874  am  Stadttheater 
zu  Danzig  zur  Aufführung  gelangeil  sollen.  Die  Ouvertüren  zu  diesen  Opern 
sind  bereits  von  verschiedenen  Orchestern  (in  Berlin  von  der  Bilse'schen  Ka- 
pelle) mit  Beifall  ausgeführt  worden.  G.  ist  auch  der  Verfasser  einer  kleinen 
didaktischen  Schrift,  betitelt:  »Compendium  für  den  Musikunterricht,  insbesondere 
für  das  Ciavierspiel«  (Bromberg,  1862). 

Göpel,  Johann  Andreas,  vielseitig  gebildeter  und  tüchtiger  deutscher 
Tonkünstler,  geboren  am  13.  Oktbr.  1776  zu  Pferdnigsleben  bei  Gotha,  erhielt 
in  seiner  Heimath  einen  gründlichen  Unterricht  im  Oi'gelspiel  und  in  der  Musik 
überhaupt.  In  Lübeck  bildete  er  sich  vollends  aus  und  versah  mehrere  Jahre 
hindurch  das  Präfectenamt  beim  Stadtsingchor,  bis  er  1808  als  Organist  an 
der  St.  Jacobikirche  in  E-ostock  angestellt  wurde,  in  welcher  Stadt  er  sich 
auch  als  Gesang-  und  Clavierlehrer  sehr  verdient  machte.  Seit  1818  dirigirte 
er  auch  einen  von  ihm  gegründeten  Gesangverein  und  veranstaltete  1819,  bei 
Gelegenheit  der  Aufstellung  des  Blücherdenkmals,  mit  200  Sängern  und  100 
Instrumentalisten    ein    zweitägiges  grosses  Musikfest,    welches  der  Jacobikirche 


286  Göpfert. 

einen  Ertrag  von  über  800  Thalern  zuführte.  Nachdem  er  noch  1821  XJni- 
versitäts-Musiklehrer  geworden  war,  starb  er  schon  am  26.  Jan.  1823.  Von 
seinen  Compositionen  ist  nichts  in  die  grössere  Oeffentlichkeit  gedrungen;  dafür 
ist  ihm  der  Ruf  geblieben,  ein  ausgezeichneter  Musiker  und  Lehrer,  ein  vor- 
trefflicher Ciavier-,  Violin-,  Violoncello-  und  Harmonicaspieler  gewesen  zu  sein, 
der  unablässig  thätig  für  das  Gedeihen  der  Tonkunst  gewesen  ist. 

Göpfert,  Karl  Andreas,  ausgezeichneter  deutscher  Clarinettvirtuose  und 
tüchtiger  Componist  für  Harmouiemusik,  wurde  am  16.  Jan.  1768  zu  Rimpar 
bei  Würzburg  geboren,  wo  sein  Vater  Amtschirurg  war.  Der  dortige  Schul- 
lehrer unterrichtete  ihn  zugleich  im  Gesang,  Ciavier-  und  Orgelspiel,  bis  er 
diese  Hebung  auf  der  Schule  zu  "Würzburg  seit  1780  mit  Lectionen  auf  der 
Clarinette  beim  Kammermusiker  Ph.  Meissner  vertauschte.  Bereits  wurde  er 
als  Clarinettist  allgemein  angestaunt,  als  er  sich  auch  mit  Harmonie-  und  Com- 
positionslehre  zu  befassen  anfing.  Als  erster  Clarinettist  ward  er  1788  in  die 
Hofkapelle  nach  Meiningen  gezogen  und  bald  darauf  auch  als  Musikdirektor 
des  Militaircorps  daselbst  angestellt.  Urlaubs-  und  Abschiedsgesuche,  die  er, 
als  ihm  vortheilhaftere  Stellungen,  besonders  in  Wien,  winkten,  wiederholt  ein- 
reichte, wurden  unter  Vorhaltung  von  Gehaltsaufbesserungen  stets  abgeschlagen, 
so  dass  G.  nur  als  fleissiger  und  tüchtiger  Componist,  nicht  aber  als  Virtuose  im 
Auslande  nach  Gebühr  gewürdigt  werden  konnte.  Indessen  erkannte  König 
Friedrich  Wilhelm  III.  von  Preussen  G.'s  Verdienste  durch  ein  gnädiges  Hand- 
schreiben mit  beigefügter  grosser  goldener  Medaille  für  Kunst  und  Wissen- 
schaft au,  als  G.  eine  grosse  Fantasie  für  Harmoniemusik  zur  Feier  des  18. 
Octobers  den  vei'bündeten  Monarchen  1815  zugeeignet  hatte.  Als  achtuugs- 
werther  Künstler  und  als  liebenswürdiger  biederer  Mensch  hochgeehrt,  starb 
G.  am  11.  April  1818  zu  Meiningen  an  gänzlicher  Entkräftung  in  Folge  hef- 
tiger und  anhaltender  Brustkrämpfe.  —  Seine  Compositionen,  von  denen  etwa 
40  AVerke  gedruckt  erschienen  sind,  bestehen  in  der  Oper  »der  Stern  des 
Nordens«  (1805),  Concerten  und  Doppelconcerten  für  Clarinette  und  für  andere 
Blaseinstrumente,  Variationen  für  Flöte,  Harmoniemusiksätzen,  Quartetten  für 
Clarinette  und  Sti'eichinstrumente,  Clarinettenduos  und  Uebungen,  Stücken  für 
Guitarre,  Liedern,  einer  Ouvertüre  für  Orchester,  einem  Quartett  für  vier 
Hörner,  Sonaten  für  Ciavier  und  Hörn  u.  s.  w.  Ausserdem  hat  er  u.  A.  »die 
Schöpfung«  von  Haydn  und  mehrere  Opern,  Sinfonien  u.  s.  w.  für  zwölfstim- 
mige Harmoniemusik  arrangirt. 

Göpfert,  Karl  Gottlieb,  vorzüglicher  deutscher  Violinvirtuose,  geboren 
1733  zu  W^eesenstein  bei  Dresden  als  der  Sohn  des  Cantors  und  Musikdirektors 
Johann  Gottlieb  G.,  eines  für  seine  Zeit  nicht  unbedeutenden  Kirchencom- 
ponisten,  besuchte  die  Kreuzschule  in  Dresden  und  wurde  seiner  schönen 
Sopranstimme  wegen  zugleich  in  den  Kirchenchor  gezogen.  Sein  Lieblings- 
instrument war  die  Violine,  die  ihn  1753  auch  auf  die  Universität  nach  Leipzig, 
wo  er  unter  Entbehrungen  juristischen  Studien  oblag,  begleitete.  Um  der 
Kaiserkrönung  beizuwohnen,  reiste  er  1764  nach  Frankfurt  a.  M.  Dort  lernte 
er  u.  A.  Dittersdorff  kennen,  der  auf  sein  Violinspiel  den  vortheilhaftesten 
Einfluss  ausübte,  so  dass  G.,  nach  Leipzig  zurückgekehrt,  allgemein  bewundert 
und  bewogen  wurde,  sich  ausschliesslich  der  Musik  zu  widmen.  Von  1765  bis 
1769  war  er  zuerst  Solospieler  in  dem  sogenannten  grossen  Concert,  das  da- 
mals in  den  drei  Schwanen  stattfand  (s.  Gewandhaus)  und  dann  Direktor 
und  Vorgeiger  in  dem  sogenannten  Gelehrten-  und  Richter'schen  Concerte  in 
Leipzig.  Keiner  der  grossen  Virtuosen,  die  sich  damals  in  Leipzig  hören 
Hessen,  soll  ihn  in  gesangreichem  Ton  und  gewandter  Bogenführung  erreicht 
haben.  Im  J.  1769  besuchte  er  Berlin,  wo  er  sich  ein  Jahr  lang  fesseln  Hess. 
Hierauf  im  BegriflP,  nach  London  zu  reisen,  Hess  er  sich  von  der  verwittweten 
Herzogin  von  Sachsen-Weimar  bestimmen,  als  Kammermusiker  in  die  dortige 
Hofkapelle  zu  treten.  Wenige  Monate  darauf  wurde  er  Orchesterdirektor  und 
Concertmeister,    in  welchen  Stellungen    er  sich  sehr  auszeichnete.     Einen  zwei- 


Görl  —  Goes.  287 

maligen  Schlaganfall,  der  ihn  1798  traf,  überlebte  er  nicht  lange;  er  starb  am 
3.  Oktbr.  desselben  Jahres  zu  "Weimar.  Von  seinen  vielen  Schülern  hat  ihm 
Joh.  Priedr.  Kranz  am  meisten  Ehre  gemacht.  Als  Compositionen  von  Gr. 
führt  Gerber,  der  ihn  auch  persönlich  kannte,  sechs  im  Druck  erschienene 
Polonäsen  für  Violine  an,  die  zu  ihrer  Zeit  für  fast  unüberwindlich  schwer 
gehalten  wurden. 

Görl,  Franz,  s.  Gerl. 

Gförmar,  Christian  August,  deutscher  Orgelspieler  und  Componist  für 
sein  Instrument,  war  um  die  Wendezeit  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  Organist 
zu  Cölleda  in  Thüringen  und  hat  von  seinen  musikalischen  Arbeiten  leichte 
Präludien  für  die   Orgel  veröffentlicht,  welche  in  Leipzig  erschienen  sind. 

6iörner>  Johann  Valentin,  Bruder  des  Organisten  Joh.  Grottl.  Gr.  an 
der  Thomaskirche  zu  Leipzig,  geboren  am  26.  Febr.  1702  zu  Pönig  im  Erz- 
gebirge, machte  nach  angestrengten  wissenschaftlichen  Studien  sich  als  Ciavier- 
virtuose durch  seine  Reisen  an  verschiedene  deutsche  Höfe  bekannt;  er  soll  auch 
Compositionen  für  sein  Instrument  geschrieben  haben,  jedoch  sind  nur  Lieder  von 
ihm  bekannt  geblieben.  G.  war  Musikdirektor  an  der  Domkirche  zu  Hamburg,  f 
Göroldt,  Johann  Heinrich,  trefflicher  deutscher  Tonkünstler  und  Musik- 
pädagoge, geboren  am  13.  Decbr.  1773  zu  Stempede  in  der  G^rafschaft  Stol- 
berg, war  ein  Musikschüler  Georg  Friedr.  "Wolfs  und  lebte  seit  1803  als 
Kirchen-Musikdirektor  zu  Quedlinburg.  Choräle  für  vier  Männerstimmen,  klei- 
nere Ciavierwerke  und  folgende  Bücher  von  ihm  sind  im  Druck  erschienen: 
»Leitfaden  zum  Unterricht  im  Generalbass  und  in  der  Composition«  (2  Thle.. 
Quedlinburg,  1815  und  1816;  2.  Aufl.  1828;  3  Aufl.  Leipzig,  1832);  »die 
Kunst,  nach  Noten  zu  singen,  |oder  praktische  Elementar- Gesanglehre«  (Qued- 
linburg, 1832).  Seine  sonstigen  Kirchenwerke  sind  Manuscript  geblieben.  Im 
J.  1832  war  er  noch  am  Leben. 

Görrah,  ein  südafrikanisches  Instrument,  das,  einer  Aeolsharfe  nicht  un- 
ähnlich, über  einen  Resonanzboden  ausgespannte  Saiten  zeigt,  welche  durch 
Blasen   durch  ein  Bohr  in  Vibration  gesetzt  und  tönend  erregt  werden. 

Görres,  Jacob  Joseph,  berühmter  deutscher  Gelehrter  und  eifi'iger  Musik- 
liebhaber, geboren  am  25.  Jan.  1776  zu  Coblenz,  starb  1848  als  Doctor  und 
Professor  der  Philosophie  zu  München  und  ist  der  Verfasser  eines  Buches 
unter  dem  Titel:  »Aphorismen  über  die  Kunst«  (Coblenz,  1814),  in  welchem 
eine  gereifte,  nichtsdestoweniger  aber  ziemlich  phantastische  Musikanschauung 
sich  documentirt. 

Goes,  Damiao  de,  berühmter  portugiesischer  Diplomat  und  Historiker, 
geboren  1501  in  der  Villa  de  Alempuez,  kam  in  seinem  neunten  Jahre  als 
Hofjunker  in  die  Residenz  des  Königs  Dom  Manoel,  wo  er  auch  musikalisch 
trefflich  ausgebildet  wurde,  so  dass  er  mehrere  Instrumente  spielte  und  sogar 
componirte.  Unter  den  Königen  Sebastian  und  Johann  III.  war  er  als  Ge- 
schäftsträger in  Flandern,  Italien,  an  den  Höfen  von  Polen,  Dänemark,  Eng- 
land u.  s.  w.  und  verfolgte  nebenbei  eifrig  wissenschaftliche  und  künstlerische 
Zwecke.  Von  Löwen,  seinem  Lieblingsaufenthalt  aus,  besuchte  er  1542  auch 
Holland  und  Deutschland  und  lernte  dort  den  Erasmus  und  hier  den  Glarean 
kennen.  Im  J.  1544  in  sein  Vaterland  zurückberufen,  erhielt  er  zwei  Jahre 
später  das  Amt  als  Archivar  beim  Staatsarchive.  Von  der  Inquisition  der 
Ketzerei  beschuldigt  und  verfolgt,  verlor  er  um  1570  alle  öffentlichen  Aemter 
und  seine  Güter  und  wurde  in  das  Kloster  Batalha  verwiesen.  Sein  Todes- 
jahr ist  ungewiss;  man  fand  ihn  in  seinem  eigenen  Hause,  worin  er  Arrest 
hatte,  todt  und,  wie  man  annimmt,  schwerlich  auf  natürliche  Art  gestorben, 
vor.  In  Glarean's  Dodecachordon  befindet  sich  eine  dreistimmige  Motette,  y>Ne 
laeteris  inimica  meaa.  von  ihm,  die  in  dem  Style  des  Josquin  componirt  ist; 
viele  andere  seiner  Tonsätze  bewahrt  die  Bibliothek  zu  Lissabon.  Seine  zahl- 
reichen lateinischen  und  portugiesischen  Schriften  sind  meist  chronistischen 
und  historischen  Inhalts. 


288  Goethe  —  Götze. 

Goethe,  Walther  "Wolfgang  von,  der  Enkel  des  unsterblichen  deutschen 
Dichterfürsten  Joh.  Wolfg.  v.  G.,  geboren  1817  zu  "Weimar,  erhielt  eine  sorg- 
fältige Erziehung  und  befleissigte  sich,  nachdem  er  bereits  ein  fei'tiger  Pianist 
geworden  war,  eines  tieferen  Eindringens  in  die  Geheimnisse  der  Tonkunst  bei 
Mendelssohn  und  AVeinlig  in  Leipzig,  später  bei  Karl  Löwe  in  Stettin.  Als 
Componist  trat  er  mit  den  kleinen  Opern  »das  Fischermädchen«,  1839  in  Wei- 
mar beifällig  aufgenommen,  und  »Elfriede«,  sowie  mit  Ciavierstücken  und  Liedern 
nicht  gerade  bedeutsam,  aber  auch  nicht  unvox'theilhaft  hei'vor.  Wie  sehr  ihm 
damals  die  Tonkunst  am  Hei'zen  lag,  zeigte  er  durch  seine,  vorzugsweise  musi- 
kalischen Zwecken  gewidmeten  Reisen  in's  Ausland  und  durch  einen  längeren 
Aufenthalt  (bis  1850)  in  Wien,  wo  er  mit  allen  bedeutenderen  Tonküustlern 
in  fi-eundschaftliclie  Verbindung  trat.  Seine  Aufsätze  und  Correspondenzen 
aus  letzterer  Stadt  in  der  »Neuen  Berliner  Musikzeitung«  (Jahrg.  1849)  be- 
kunden ein  achtes  und  intelligentes  Künstlergemüth.  Als  ein  mehr  revolutio- 
näres Treiben  als  Nachhall  der  politischen  Bewegung  von  1848  auch  im  Musik- 
gebiete Platz  griff,  wandte  er  sich  mehr  und  mehr  von  eigener  künstlerischer 
Bethätigung  ab.  Gegenwärtig  lebt  er  seit  einer  Reihe  von  Jahren  als  gross- 
herzoglicher Kammerherr  im  grossväterlichen  Hause  zu  Weimar,  ohne  irgend- 
wie für  die  doi't  cultivirte  Kunstrichtung  hemmend  oder  fördernd  einzutreten. 

Oötting",  Heinrich,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  war  Pastor  zu 
Clettstädt  bei  Frankfurt  a.  0.  und  gab  heraus:  »Dr.  Luther's  Catechismus  von 
Wort  zu  Wort  in  vier  Stimmen  schön  und  lieblich  componiret«  nebst  einem 
»Bericht,  wie  junge  Knaben  und  Mädchen  innerhalb  zwölf  Stunden  in  musicam 
begreifen  können«  (Frankfurt  a.  0.,  1605).  —  Nicht  zu  verwechseln  mit  ihm 
ist  sein  älterer  Zeitgenosse  Valentin  G.,  geboren  zu  Witzenhausen  in  Thü- 
ringen, ein  befähigter  Musikschriftsteller  des  16.  Jahrhunderts,  von  welchem 
ein  ■s>Gompendium  musicae  modulativaea  (Erfurt,   1587)    im  Druck  erschienen  ist. 

Göttle ,  Johann  Melchior,  deutscher  Kirchencomponist ,  war  in  der 
letzten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der  Kathedralku'che  zu 
Augsburg.  Eine  Messe  seiner  Composition,  welche  er  daselbst  aufführte,  hat  ge- 
schichtliche Erwähnung  gefunden  und  befindet  sich  in  der  Bibliothek  zu  München. 

Götz,  Franz,  talentvoller  deutscher  Violinvirtuose  und  Instrumentalcom- 
ponist,  geboren  1755  zu  Straschitz  in  Böhmen,  kam  als  Chorknabe  in  die 
Jesuiten  schule  zu  Pribram  und  erhielt  dort,  sowie  auf  dem  Seminar  St.  Wenzel 
und  auf  der  Universität  zu  Prag  eine  gute  wissenschaftliche  Ausbildung.  Be- 
reits Baccalaureus  der  Theologie',  wollte  er  in  den  Benedictinerorden  treten, 
ging  aber  plötzlich  als  erster  Violinist  an  das  Theaterorchester  zu  Brunn. 
Nach  einigen  Jahren  machte  er  von  dort  aus  Kunstreisen  durch  Böhmen  und 
Schlesien,  hier  und  da  in  Orchestern  von  Klosterkirchen  verweilend.  Die  Be- 
kanntschaft mit  Dittersdorff,  die  er  in  Breslau  machte,  verschaffte  ihm  die  Vor- 
geigerstelle in  der  Johannisberger  Kapelle,  nach  deren  Auflösung  G.  wieder 
in  Breslau  verweilte  und  sich  u.  A.  auch  während  der  Krönung  des  Königs 
Friedrich  Wilhelm  IL  hören  Hess.  Als  Orchesterdirektor  des  Theatei'S  ging 
er  bald  darauf  abermals  nach  Brunn,  wurde  aber  nach  kurzer  Funktion  daselbst 
Kapellmeister  des  Erzbischofs  von  Olmütz  und  lebte  als  solcher  noch  1799. 
Im  Manuscript  hat  man  von  ihm  Sinfonien,  Concerte  und  Sonaten  für  Violine, 
Duos,  Trios  u.  s.  w. 

Götz,  Hermann,  talentvoller  Tonkünstler,  geboren  1842,  ist  als  Organist 
in  Winterthur  angestellt  und  hat  sich  durch  Lieder  und  ein  bemerkenswerthes 
Ciaviertrio,  welche  im  Druck  erschienen  sind,  in  mehr  als  gewöhnlicher  Weise 
hervorgethan. 

Götze,  Franz,  vortrefflicher  deutscher  Gesanglehrer,  geboren  am  10.  Mai 
1814  zu  Neustadt  a.  d.  Orla,  ward  schon  früh  zu  Violinstudien  angehalten 
und  1829  nach  Kassel  geschickt,  wo  Spohr  seine  technische  Ausbildung  voll- 
endete. Bereits  1831  wurde  er  als  erster  Violinist  der  Hofkapelle  in  Weimar 
angestellt,  warf  sich  nun  aber  mit  Eifer  auf  das   Studium  des  Gesanges,  sodass 


Götze.  289 

er  das  Greigenpult  mit  der  Stelle  eines  ersten  Tenors  jener  Hofbühne  vertau- 
schen konnte.  Von  1836  bis  1852  galt  er  als  lyrischer  Tenor  für  eine  Hauptzierde 
des  Weimarer  Theaters.  Durch  seine  vorzügliche  musikalische  Bildung  und  Sing- 
manier war  er  mehr  wie  viele  Andere  zum  G-esanglehrer  geschickt,  nahm  daher  1853 
eine  Berufung  in  dieser  Eigenschaft  an  das  Conservatorium  zu  Leipzig  an  und 
wirkte  daselbst,  1855  auch  vom  Grossherzoge  von  "Weimar  mit  dem  Professor- 
titel beehrt,  bis  1867  mit  grosser  Auszeichnung.  Als  Sänger  trat  er  auch 
noch  in  dieser  Zeit  in  Concerten  zu  Leipzig  und  in  Hofconcerten  zu  Weimar 
vielfach  auf  und  erregte  durch  seinen  geschmackvollen  und  gediegenen  Vortrag, 
ganz  besonders  von  Liedern,  das  lebhafteste  Interesse.  Nach  seinem  Abgange 
vom  Leipziger  Conservatorium  1868  zog  er  sich  in  das  Privatleben  zurück,  gab 
jedoch  die  ihm  lieb  gewordene  Beschäftigung,  junge  Gresangstalente  für  die 
Bühne  und  den  Concertsaal  vorzubereiten,  nicht  auf  und  gehört  noch  immer  zu 
den  gesuchtesten  Lehrern  Norddeutschlands,  Leipzigs  insbesondere.  lieber  sein 
Wirken  als  Professor  am  Conservatorium  hat  er  selbst  in  einer  kleineu  Schrift: 
»Fünfzehn  Jahre  meiner  Lehrthätigkeit  u.  s.  w.«  (Leipzig,  1868)  Aufschlüsse 
gegeben. 

Götze,  Georg  Heinrich,  deutscher  Theologe,  geboren  1667  zu  Leipzig, 
gestorben  1728  zu  Lübeck  als  Professor  und  Prediger,  figurirt  in  der  Geschichte 
des  deutschen  Kirchengesangs  durch  ein  Sendschreiben,  welches  er  an  Joh.  Christ. 
Olearius,  dessen   evangelischen  Liederschatz  betreffend,  richtete. 

Götze,  Johann  Melchior,  deutscher  Theologe,  nicht  mit  dem  gleich- 
namigen polemisirenden  Gottesgelehrten  von  Hamburg,  dem  sogenannten  Zions- 
Wächter  zu  verwechseln,  war  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  im  Thüringen'- 
schen  geboren  und  starb  1728  als  Prediger  in  Halberstadt.  Er  hat  einen 
Necrolog  auf  Andreas  Werkmeister  (Halberstadt,  1707)  verfasst,  der  wichtiges  Ma- 
terial zur  Biographie  und  Charakteristik  jenes  ausgezeichneten  Organisten  enthält. 

Götze,  Johann  Nicolaus  Konrad,  gründlicher  und  gediegener  deutscher 
Tonkünstler,  geboren  am  11.  Pebr.  1791  zu  Weimar  als  Sohn  eines  Hofmusikers 
der  dortigen  herzogl.  Kapelle,  erhielt  von  seinem  Vater  mit  so  trefflichem  Er- 
folge Unterricht  im  Violin-  und  Ciavierspiel,  sowie  im  Generalbasse,  dass  er 
vom  Kapellmeister  Kranz  bei  der  Herzogin  Amalia  eingeführt  und  von  dieser 
wiederum  unter  besondere  Protection  genominen  wurde.  Kaum  15  Jahr  alt, 
wurde  er  von  dem  in  Leipzig  lebenden  polnischen  Grafen  Augustowsky  für 
dessen  Hauskapelle  gewonnen  und  trat  seitdem  auch  in  öffentlichen  Concerten 
beifällig  auf.  Im  J.  1806  erhielt  er  Anstellung  in  der  Weimar'schen  Hof- 
kapelle und  durch  die  Muuificenz  der  Ei'bgrossherzogiu  Maria  Paulowna  Ge- 
legenheit, sich  bei  Spohr  in  Gotha  im  Violinspiel  und  bei  Aug.  Eberhard 
Müller  in  Weimar  in  der  Composition  weiter  auszubilden.  Die  Prinzessin 
sandte  ihn  sogar  1813  nach  Paris,  wo  er  die  Bevorzugung  erlangte,  das  Con- 
servatorium zu  besuchen  und  Cherubini's  und  Kreutzer's  Unterricht  zu  ge- 
messen. Nach  acht  Monaten  kehrt«  er  reich  an  Erfahrungen  und  Anregungen 
nach  Weimar  zurück  und  ti-at  zunächst  als  dramatischer  Componist  mit  der 
einaktigen  Operette  »der  Zwiebelmai-kt«  und  hierauf  mit  der  grossen  Oper 
»Alexander  in  Persien«  auf,  welche  letztere  noch  1819  mit  vielem  Beifall  ge- 
geben wurde.  Damals  erregte  er  auch  als  Violinvirtuose  auf  einer  Kunstreise 
den  Rhein  entlang,  durch  Tyrol,  Oberitalien,  Oesterreich  und  Ungarn  grosses 
Aufsehen  und  brachte  nach  seiner  Rückkehr  1822  eine  neue  Oper,  »das  Orakel« 
mit  Erfolg  auf  die  Scene.  Im  J.  1826  wurde  er  grossherzogl.  Musikdirektor 
und  Correpetitor  am  Hoftheater  und  Hess,  durch  angestrengte  Berufsgeschäfte 
in  Anspruch  genommen,  erst  1834  wieder  als  Operncomponist  von  sich  hören, 
indem  er  die  vieraktige  Partitur  »der  Gallego«,  Text  von  Fischer,  einreichte, 
ein  Werk,  welches  die  Achtung  des  Publikums  wie  der  Kritik  davonti'ug. 
Ausser  den  genannten  Opern  schrieb  er  im  Laufe  der  Zeit  noch  viele  Werke 
für  den  Hoftheaterdienst,  so  u.  A.  eine  Ouvertüre  »Xe  printempsa  betitelt,  und 
eine  andere  zu  Holtei's  »Majoratsherrn«,  ausserdem  aber  auch   Streichquai'tette, 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    IV.  19 


290  Götze— Gold. 

Concerte  und  kleinere  Stücke  für  Violine,  für  Pianoforte  sowie  Gesangssacten, 
von  welchen  aber  nur  das  "Wenigste  erschien.  Als  Componist  bekundete  G. 
trotz  mangelnder  Originalität,  ein  ernstes  künstlerisches  Streben,  als  Violinist 
die  Vorzüge  der  Spohr'schen,  vereinigt  mit  der  soliden  französischen  Schule. 
G.  starb  zu  Weimar  am   5.  Decbr.  1861. 

Götze,  Karl,  talentvoller  deutscher  Tonkünstler,  geboren  1840  zu  Weimar 
und  in  seiner  Vaterstadt  in  anregender  künstlerischer  Umgebung  besonders  für 
die  Dirigentenlaufbahn  herangebildet,  brachte  als  Chormeister  und  Correpetitor 
des  dortigen  Hoftheaters  (1866)  die  Oper  »die  Corseu«  und  1868  »Gustav  Wasa, 
oder  der  Held  des  Noi'dens«  zur  Aufführung,  in  welchen  er  den  Bahnen  Rieh. 
Wagner's  folgt.  Es  gelaug  ihm,  durch  letzteres  Werk,  Aufmerksamkeit  zu  erregen 
und  Aufmunterung  zu  finden.  Er  wurde  für  die  Wintersaison  1869 — 1870  als 
Kapellmeister  der  neu  errichteten  Oper  am  Nowacktheater  zu  Berlin  angestellt 
und  fand  daselbst,  sowie  unmittelbar  darauf  bei  den  Opern  des  Kroll'schen 
und  des  Walhallatheaters,  Gelegenheit,  sein  sehr  bemerkenswerthes  Geschick 
als  Dirigent  von  Vocalkräfteu  und  des  Orchesters,  sowie  als  Bearbeiter  grosser 
Werke  für  die  geringeren  Mittel  kleinerer  Bühnen  iu  ein  helles  Licht  zu  setzen. 
Seit  dem  Winter  1871  befindet  sich  G.  als  Kapellmeister  und  Chordirektor 
beim  Stadttheater  iu  Breslau  und  wirkt  auch  dort  mit  grosser  Auszeichnung. 
Er  hat  Ouvertüren  für  Orchester,  Ciavierstücke  und  Lieder  geschrieben,  welche, 
da  sie  nicht  gedruckt,  leider  so  gut  wie  apocryph  sind. 

Götze,  Nicolaus,  deutscher  Violinspieler  und  Componist,  war  bis  etwa 
1740  in  der  fürstl.  Hof  kapeile  zu  Rudolstadt  angestellt,  worauf  er  sich  in 
Augsburg  niederliess.  Er  ist  durch  eine  Sonate  für  Ciavier  mit  Violinbeglei- 
tung vortheilhaft  über  seine  Zeit  hinaus  bekannt  geblieben. 

Götzel,  Franz  Joseph,  deutscher  Flötist  und  Componist  für  sein  In- 
strument, trat  1756  in  die  Hof  kapeile  zu  Dresden  und  hat  ungedruckt  geblie- 
bene Concerte,   Trios,  Duette  u.  s.  w.  für  Flöte  hinterlassen. 

Göz,  deutscher  Orgelbauer,  um  1680  im  Anspach'schen  lebend,  wird  als 
ein  sehr  geschickter  Meister  seines  Fachs  erwähnt. 

GolFner,  Johann,  deutscher  Orgelbauer  aus  der  ersten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts,  lebte  in  Striegau  und  hat  u.  A.  1632  eine  Orgel  in  Reichen- 
bach  aufgerichtet. 

Gograviu,  Anton  Hermann,  auch  Gogava  geschrieben,  ein  mailändischer 
Arzt  hoUändisch-brabantischer  Abkunft,  der  seine  Studien  in  Wien  gemacht 
hatte,  hat  Ende  des  16.  und  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  verschiedene  Samm- 
lungen griechischer  und  lateinischer  Musikschriftsteller  herausgegeben,  die  sich 
jetzt  jedoch  nur  noch  sehr  selten  vorfinden;  sie  sollen  zudem  von  untergeord- 
netem Werthe  sein.     Vgl.  Forkels  Literatur  der  Musik   Seite  46,  Aristoxenus. 

t 
Goguet,  Antoine  Yves,  französischer  Historiker,  geboren  am  18.  Jan. 
1716  zu  Paris,  hat  sich  auch  als  Musikschriftsteller  einen  Namen  gemacht  und 
zwar  ganz  besonders  durch  das  mit  seinem  Freunde  Fugere  gemeinschaftlich 
herausgegebene  gründliche  und  gediegene  Werk:  y>I>e  Vorujine  des  lois,  des  arts 
et  des  sciences  et  de  lews  progres  chez  les  anciens  peuples«.  (3  Bde.,  Paris,  1758; 
6  Bde.,  1759  und  öfter),  welches,  als  meisterhaft  anerkannt,  auch  in's  Deutsche 
und  Englische  übersetzt  wurde.  G.  selbst  starb  am  2.  Mai  1758  zu  Paris  an 
den  Blattern. 

Gola  (lat.  und  ital.),  eigentlich  die  Kehle,  Gurgel,  s.  Halsstimme. 
Gold,  Leonhard,  talentvoller  Violinvirtuose  und  Componist,  geboren  1818 
zu  Odessa,  erhielt  daselbst  bei  sich  schon  früh  bekundeten  grossen  Anlagen 
seinen  ersten  Musikunterricht  und  wurde  dann  zu  seiner  höheren  Ausbildung 
auf  das  Conservatorium  in  Wien  gebracht,  wo  er,  besonders  unter  Jos.  Böhm's 
Leitung,  zu  einem  ausgezeichneten  Geiger  heranreifte.  Im  Laufe  dieser  Studien- 
zeit dreimal  preisgekrönt,  kehrte  er  1836  nach  Odessa  zurück  und  brachte  da- 
selbst   eine    noch    in  Wien    componirte    italienische    Oper   mit   grossem    Beifalle 


Goldast  —  Goldberg.  291 

1837  zur  Aufführung.  Ein  Jahr  später  unternahm  er  eine  grössere  Kunst- 
und  Bildungsreise  in  das  Ausland,  von  welcher  er  1839  zurückkehrte,  um  als 
erster  Violinist  im  Theaterorchester  zu  Odessa  zu  wirken.  Neueren  Nachrichten 
zufolge  lebt  er  daselbst  noch,  zurückgezogen  vom  öffentlichen  Kunstleben  zwar, 
aber  in  sehr  glänzenden  Verhältnissen. 

Ooldast,  Melchior,  genannt  G-.  von  Heimingsfeld,  deutscher  Publicist 
und  Historiker,  geboren  am  6.  Januar  1576  zu  Espen  bei  Bischoffszell  in  der 
Schweiz,  starb  nach  einem  bewegten  und  unsteten  Leben  im  J.  1635  als 
Kanzler  der  Universität  zu  Griessen.  Er  veröffentlichte  u.  A.:  »Scriptorum  verum 
alemanniearum  etc.K  (3  Bde.,  Frankfurt,  1606;  neue  Ausg.  1730),  worin  er  auch 
von  der  Erfindung,  Umgestaltung,  Verbesserung  und  Vollendung  der  Musik 
handelt. 

(xoldbach,  Christian,  hervorragender  Mathematiker  aus  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts,  war  in  preussischen  Diensten  zu  Königsberg  angestellt 
und  ist  der  Verfasser  der  Schrift  r>Temj)eramentum  musicum  universale«,  welche 
in  der  Sammlung  r>Acta  eruditorumv.  von   1717   enthalten  ist. 

Goldbeck,  Robert,  talentvoller  Pianist  und  Componist  der  Gegenwart, 
geboren  1835  zu  Potsdam,  erregte,  von  Steinmann  auf  dem  Pianoforte  unter- 
richtet, schon  früh  in  weiteren  Kreisen  Aufmerksamkeit  und  Theilnahme,  in 
Folge  deren  er,  von  einflussreicher  Protection  unterstützt,  nach  Braunschweig 
gehen  und  bei  Henry  Litolff  weiter  studiren  konnte.  Dieser  sowie  Meyerbeer 
riethen  ihm  1851,  den  feineren  musikalischen  Schliff  in  dem  Kunstleben  von 
Paris  zu  suchen.  G.  folgte  mit  grossem  Glück  diesem  Rathe  und  machte  sich 
während  seines  mehrjährigen  Aufenthalts  in  der  französischen  Hauptstadt,  den 
einflussreiche  Empfehlungen  an  die  besten  Familien  sehr  angenehm  gestalteten, 
höchst  vortheilhaft  als  tüchtiger  Claviervirtuose  und  strebsamer  Componist  be- 
kannt. Im  J.  1856  begab  sich  G.  nach  London,  wo  er  durch  Alexander  von 
Humboldt  beim  Herzog  von  Devonshire  eingeführt  wurde,  der  ihm  glänzende 
Concerte  arrangirte  und  im  Drurylane- Theater  die  Aufführung  der  Operette 
y>The  soldier''s  returiia,  zu  welcher  G.  den  Text  wie  die  Musik  geschrieben  hatte, 
ermöglichte.  In  dieser  Zeit  erschienen  denn  auch  in  rascher  Folge  von  G.'s 
Composition  elegante  und  brillante  Salon-  und  Concertstücke  für  Pianoforte, 
sowie  Lieder  und  Gesänge  für  eine  Singstimme  im  Druck.  Als  sehr  werthvoll 
zeichnete  sich  ein  Claviertrio  aus,  welches  allenthalben  den  Beifall  selbst  der 
strengeren  Kritik  fand.  Im  J.  1857  Hess  G.  sich  in  New-York  nieder  und 
entfaltete  dort  als  Componist  und  Musiklehrer  eine  rühmliche  Tbätigkeit,  bis 
er  sich  zehn  Jahre  später  nach  Boston  wandte,  wo  er  ein  trefflich  eingerichtetes 
Conservatorium  gründete.  Die  Leitung  dieser  Anstalt  legte  er  1868  in  die 
Hände  eines  seiner  Lehrer  und  begab  sich  nach  Chicago.  Auch  dort  richtete 
er  und  zwar  in  grossartigem  Maassstabe  ein  Conservatorium  ein .  dessen  Di- 
rektion er  noch  gegenwärtig  mit  Eifer,  Umsicht  und  Geschick  führt  und  in 
welchem  in  allen  praktischen  und  "theoretischen  Musikfächern  von  den  besten 
Lehrkräften  ein  gediegener  Unterricht  ertlieilt  wird.  Mit  der  Chorgesang-  und 
der  Orchesterciasse  veranstaltet  G.  von  Zeit  zu  Zeit  grosse  Concerte,  welche 
auf  den  Musiksinn  und  die  Musikpflege  Chicago's  einen  wohlthätigen  Einfluss 
ausüben.      Unter     seiner    Redaction     erscheint    auch     seit    1870    eine    englische 

O 

musikalische  Monatsschrift,  betitelt  nThe  musical  Independenü^ ,  welche  neben 
der  Tagesgeschichte  treffliche  Abhandlungen  und  Kritiken  neuer  Erscheinungen, 
sowie  angehängt  ausgewählte  Originalcompositionen,  meist  für  Pianoforte  sowie 
für  Gesang  bringt.  Unter  den  letzten  Compositionen  G.'s  befinden  sich  Sin- 
fonien und  Clavierconcerte ,  welche  sich  in  Amerika  einen  guten  Ruf  erAvorben 
haben. 

Goldberg,  einer  der  vorzüglichsten  Ciavier-  und  Orgelvirtuosen  des  18. 
Jahrhunderts,  dessen  Geburtsjahr,  Geburtsort  und  Lebensschicksale  in  das 
tiefste  Dunkel  gehüllt  sind;  ja,  seinen  Vornamen  kennt  man  nicht  einmal. 
Nach  Reichardt's  Behauptung    lebte  G.  in  der  Zeit  von  1730    bis  1769.     Um 

10* 


292  Golde  —  Goldmark. 

die  Zeit  des  siebenjährigeu  Krieges  war  er  Kammermusiker  des  Grafen  Brühl 
in  Dresden.  Seb.  Bach  soll  ihn  für  den  talentvollsten  und  fleissigsten  Clavier- 
und  Orgelspieler  erklärt  haben,  den  er  jemals  gebildet.  Gr.  wurde  aber  nicht 
blos  als  Virtuose,  sondern  auch  als  unerschöpflicher  Improvisator  bewundert, 
sowie  als  Notenleser,  der  auch  die  schwersten  Stücke,  sogar  wenn  die  Noten 
umgekehrt  auf  dem  Pulte  lagen,  vom  Blatte  spielte.  Seine  elgenthümlichsten 
und  kunstvollsten  Compositionen  erklärte  er  für  Kleinigkeiten,  die  höchstens 
für  Damen  und  Dilettanten  einigen  Werth  haben  könnten  und  Hess  daher  nichts 
davon  im  Druck  erscheinen.  Im  Original  oder  Abschrift  sind  von  denselben 
noch  zu  Gerber's  Zeiten  bekannt  gewesen:  Einige  Trios  für  Flöte,  Violine  und 
Bass,  zwei  Concerte,  eine  Sonate,  etwa  24  Polonäsen  und  Variationen  für 
Ciavier,  Präludien  und  Fugen  für  Ciavier  und  für  Orgel  u.  s.  w.  Tiefe  Me- 
lancholie und  Eigensinn  werden  als   G.'s  Haupteigenschaften  bezeichnet. 

Golde,  Johann  Grottfried,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  zu  Kreische 
bei  Dresden,  Schüler  des  Kammermusikers  und  Hoforgauisten  Wilten  zu  Gotha 
und  dessen  Amtsnachfolger,  gab  1768  daselbst  eine  in  Musik  gesetzte  »Ode 
auf  den  Sterbemorgen  der  Herzogin  Louise  von  Gotha«  heraus,  die  harmonisch 
manches  Beachtenswerthe  bieten  soll.  Seine  Tochter  bildete  1784  Forkel  in 
Göttingen  im  Gesänge  aus.  G.  starb  Ende  der  achtziger  Jahre  des  18.  Jahr- 
hn,nderts.  Vgl.  Marpurg's  kritische  Beiträge  Band  I.  Seite  271  und  E.  0. 
Lindner's  Gesch.  des  deutsch.  Liedes  im  18.  Jahrb.   S.   143.  f 

Golde,  Joseph,  tüchtiger  Musiker  und  Dirigent,  geboren  um  1800  in 
der  Nähe  von  Gotha,  zeichnete  sich  besonders  als  Musikmeister  des  Musikcorps 
des  preussischen  32.  Infanterieregiments  in  Erfurt  aus,  in  welcher  Stellung  er 
den  Titel  eines  königl.  Musikdirektors  erhielt.  Nach  erfolgter  Pensionirung 
übernahm  er  die  Leitung  des  SoUer'schen  Gesangvereins,  welche  er  bis  1872 
führte,  in  welchem  Jahre  dieselbe  aus  seinen  Händen  in  die  seines  Sohnes 
überging.  —  Dieser  letztere,  Adolph  G.,  geboren  am  22.  Aug.  1830  zu  Er- 
furt, wurde  vom  Vater  früh  im  Ciavier-,  Clarinett-  und  Violinspiel  unterrichtet. 
Nachdem  er  seit  1849  seiner  Militairpflicht  im  Musikcorps  seines  Vaters  als 
freiwilliger  Hautboist  genügt  hatte,  kam  er  1851  nach  Berlin,  wo  er  bei  A.  B. 
Marx  noch  in  der  Composition  und  bei  Haupt  und  Hauer  auf  der  Orgel 
Studien  machte.  Nach  zweijähriger  fleissiger  Uebung  Hess  er  sich  dauernd  in 
Berlin  nieder  und  übernahm  später  auch  den  Unterricht  in  einer  Clavierklasse 
des  Stern'schen  Conservatoriums.  Nebenher  machte  er  sich  in  Concerten  als 
fertiger  und  solider  Pianist  bekannt.  Im  J.  1872  verliess  er  Berlin,  um  als 
Nachfolger  seines  Vaters  die  Direktion  des  SoUer'schen  Gesangvereins  in  Er- 
furt zu  übernehmen.  Von  seinen  Compositionen  erschienen  im  Druck  elegante 
Salonstückc,  Tänze  und  Märsche  für  Pianoforte.  Orchesterwerke  von  ihm, 
u.  A.  eine   1858  aufgeführte   Sinfonie  in   H-moll,  sind  Manuscript  geblieben. 

Goldhorn,  Johann  David,  deutscher  Theologe,  geboren  1774  zu  Püchau 
bei  Würzen  im  Kurfürstenthum  Sachsen,  gestorben  als  Professor  und  Prediger 
an  der  Nicolaikirche  zu  Leipzig  im  J.  1836,  veröffentlichte  als  Dissertation  die 
Abhandlung:  »Ein  Wunsch  für  die  kirchliche  Jubelfeier  der  Augsburgischen 
Confession  in  musikalischer  Hinsicht«,  welche  1829  in  der  Zimmermaun'schen 
Kirchenzeitung  abgedruckt  wurde. 

Goldingham,  John,  englischer  Officier,  der  als  Genie-Major  1823  in  Madras 
umfangreiche  Versuche  mit  24-pfündigen  Kanonen  anstellte,  um  im  Interesse 
der  Akustik  die   Geschwindigkeit  des   Schalles  zu  bemessen  und  festzustellen. 

Goldmark,  Karl,  einer  der  hervorragendsten  und  talentvollsten  öster- 
reichischen Tonsetzer  der  Gegenwart,  wurde  am  18.  Mai  1832  zu  Keszthely 
in  Ungarn  von  israelitischen  Eltern  geboren  und  erhielt,  da  er  bedeutende 
musikalische  Anlagen  bekundete,  seit  1843  einen  geregelten  Unterricht  auf  der 
Violine  und  zwar  im  Oedenburger  Musikvereine.  Seine  i'apideu  Fortschritte 
veranlassten  die  Eltern,  ihn  behufs  höherer  Ausbildung  auf  diesem  Instrumente 
1844  zu  Jansa  nach  AVieu  zu  schicken.      Seit   1847  besuchte  er  die  Harmonie- 


Goldner  —  Goldschmidt.  293 

und  Violinlektionen  des  "Wiener  Conservatoriums,  sah  sicli  aber  in  Folge  der 
politischen  Stürme  von  1848  auf  das  Selbststudium  angewiesen.  Seinem 
Schaflfensdrange  folgte  er  in  dieser  Zeit  frank  und  frei  und  in  nicht  eben  ge- 
regelter Art.  Ehe  er  Wien  verliess,  führte  er  in  einem  Concerte  mit  eigenen 
Compositionen  1857  dem  Publikum  eine  Ouvertüre,  einen  Psalm  für  Chor, 
Soli  und  Orchester,  ein  Pianofortequartett  und  kleinere  Werke  als  beachtens- 
werthe  Früchte  seiner  ernsten  Musikübung  vor.  Seit  1858  lebte  G.  in  Pesth 
und  trieb  daselbst  mit  Eifer  neben  philosophischen  Studien  Contrapunkt,  Fuge 
und  Instrumentation.  Auch  dort  gab  er  ein  Jahr  später  ein  Concert  mit 
Compositionen,  die  er  seitdem  geschaffen;  jedoch  führte  ihn  schon  das  nächste 
Jahr,  indem  er  dem  Bedürfnisse  grösserer  künstlerischer  Anregung  und  Be- 
thätigung  folgte,  nach  Wien  zurück,  wo  er  zunächst  mehrere  mit  grossem  Bei- 
fall aufgenommene  Kammermusikwerke  schrieb,  die  in  Hellmesberger  einen 
Grönner  fanden,  der  sie  mit  seinem  Quartettvereine  zu  wiederholten  Malen  vor- 
führte, wie  denn  auch  Gr.  selbst  nicht  versäumte,  durch  eigene  Concerte  (1861 
und  später)  von  seiner  Thätigkeit  öffentlich  Rechnung  abzulegen.  Seine  Suite 
für  Ciavier  und  Violine,  ein  Scherzo  und  die  Concertouvertüre  >3Sacuntalaa  wurden 
auch  in  dem  übrigen  Deutschland  als  charaktervolle  Manifestationen  eines  hoch- 
bedeutenden Talentes  aufgenommen.  Seine  Schöpfernatur  tritt  in  diesen,  sowie 
in  allen  späteren  Arbeiten  in  freien  aber  festen  Formen,  selbstständig  ausge- 
prägt und  äusserlich  wie  innerlich  fertig  auf.  Seit  1865  beschäftigte  sich  0. 
mit  der  Composition  einer  grossen  Oper,  betitelt  »die  Königin  von  Saba«, 
welche  von  der  Direktion  der  k.  k.  Hofoper  in  Wien  1873  zur  Aufführung 
zwar  angenommen  wurde,  die  aber  zu  Anfange  1874,  trotz  des  Drängens  der 
Localkritik  und  der  gesinnungsvolleren  Kunstfreunde,  noch  nicht  zur  Vorfüh- 
rung gelangt  war.  C's  glänzende  Instrumentationsweise  bekundet  allerdings 
den  entschiedenen  Beruf  zu  orchestralem,  besonders  dramatischem  Schaffen,  und 
aus  seinen  Liedern,  die  überwiegend  dem  declamatorischem  Principe,  jedoch 
auf  breiter  melodischer  Grundlage  huldigen,  darf  man  einen  günstigen  Schluss 
auf  die  Behandlung  des  Gesanglichen  in  dieser  Oper  ziehen.  Die  Zahl  der 
bis  jetzt  im  Druck  erschienenen  Compositionen  G.'s  ist  verhältnissraässig  zwar 
nur  gering,  aber  man  darf  behaupten,  dass  der  Componist  auf  jede  einzelne 
hohen  Ernst  gesetzt,  sich  ganz  in  die  betreffende  Aufgabe  versenkt  und  überall 
Formenklarheit  mit  wahrem  Gefühlsausdruck  zu  vereinen  gesucht  habe.  Sie 
bestehen  in  Ouvertüren  und  einem  Scherzo  für  Orchester,  einem  Quintett  und 
einem  Quartett  für  Streichinstrumente,  einem  Trio  und  einem  Duo  für  Piano- 
forte  u.  s.  w.,  ferner  zwei-  und  vierstimmigen  Ciavierstücken ,  sowie  endlich 
ein-  und  mehrstimmigen   Gesängen. 

Groldner,  Auguste  von,   s.  Krüger- Aschenbrenner. 

Goldschad,  Gotthilf  Konrad,  deutscher  Theologe  und  Schulmann,  ge- 
boren 1719  zu  Leubnitz  bei  Dresden,  schrieb  1751  als  Rector  der  St.  Anna- 
schule zu  Di-esden  ein  akademisches  Programm,  betitelt:  »Ohorus  musicus  gloriae 
Christi  celehransd. 

Goldschmidt,  Ad  albert  von,  talentvoller  österreichischer  Tonkünstler, 
geboren  1853  zu  Wien,  woselbst  er  auch  seine  musikalische  Ausbildung  erhielt. 
Einen  über  seine  Geburtsstadt  weit  hinausgehenden  Ruf  erhielt  er  1873  durch 
den  hochbegabten  Dichter  Roh.  Hamerling,  der  eigens  für  ihn,  Aach  einem  von 
G.  selbst  gegebenen  Plan  und  Umrisse  eine  Cantate  in  drei  Theilen,  betitelt 
»die  sieben  Todsünden«  verfasste  und  veröffentlichte,  deren  Composition  durch 
G.,  als  dem  alleinigen  Eigenthümer  der  Dichtung  noch  entgegenzusehen  ist. 
Wenn  sich  der  Letztere  seiner  Aufgabe  in  gleichem  Maasse  gewachsen  zeigt 
wie  der  Dichter,  so  wird  die  musikalische  Literatur  um  ein  wahrhaft  gross- 
artiges Werk  bereichert. 

Goldschinidt,  Jenny,  s.  Lind. 

(Joldschmidt,  Otto,  guter  deutscher  Pianist  und  Componist,  geboren  1829 
zu  Hamburg,  erhielt  seinen   ersten  Pianoforteunterricht  bei   Jacob   Schmitt  und 


294  Goldschmidt  —  GoUmert. 

besuchte  dann  das  Conservatorium  zu  Leipzig,  wo  er  bei  Mendelssohn  und 
Hauptmann  Compositions-  und  contrapunktische  Studien  trieb.  Im  J.  1851 
vereinigte  sich  die  berühmte  Sängerin  Jenny  Lind  mit  ihm  zu  Kunstreisen 
durch  Nordamerika  und  reichte  ihm  ein  Jahr  später  sogar  die  Hand  zum  ehe- 
lichen Bunde.  In  glücklicher  Ehe  mit  der  grossen  Künstlerin  lebte  Gr.,  künst- 
lerisch sich  nur  selten  bethätigend,  von  1853  bis  1858  in  Dresden  und  Düssel- 
dorf, dann  bis  1868  bei  und  in  London,  wo  er  auch  seit  1866  eine  Zeit  lang 
Mitdirektor  des  Conservatoriums  war  und  endlich  abwechselnd  in  Hamburg 
und  London.  Gr.'s  Compositionen  bestehen  in  Clavierconcerten ,  Quartetten, 
Pianofortestücken  verschiedener  Art,  Liedern  und  einem  Oratorium  »Ruth«, 
welches  letztere  mit  seiner  Gattin  in  der  Titelparthie  in  einigen  grösseren 
Städten  zur  Aufführung  gelangte,  aber  niemals  mehr  als  einen  Achtungserfolg 
sich  verschaffte. 

(ioldschmidt,  Sigismund,  vorzüglicher  Pianist  und  trefflich  begabter 
Componist,  geboren  am  28.  Septbr.  1815  zu  Prag,  woselbst  er,  besonders  durch 
Tomaschek,  eine  universale  und  gediegene  musikalische  Ausbildung  erhielt,  kraft 
deren  er  während  eines  Aufenthaltes  in  Paris  von  1845  bis  1849  die  Blicke 
der  Musikwelt  auf  sich  lenkte.  Seine  Ciavier-  wie  seine  Orchestercorapositionen 
bekundeten  Reichthum  an  Erfindung,  Inspiration  und  orosses  technisches  Ge- 
schick und  namentlich  wurden  seine  Concerte,  Sonaten  und  Etüden  dem  Besten 
auf  diesem  Compositionsgebiete  zur  Seite  gestellt.  Trotz  so  glänzender  Anspielen 
verschwand  Gr.  meteormässig  vom  öffentlichen  Schauplatze,  indem  er  das  wohl- 
situirte  kaufmännische  G-eschäft  seines  Vaters  in  Prag  übernahm  und  seitdem 
nur  noch  als  Mäcen  der  Kunst,  nicht  als  ausführender  Künstler  sich  bethütigte. 

Goldwin  oder  (xolding-,  John,  englischer  Kirchencomponist,  geboren  um 
1660,  war  ein  Schüler  Child's,  welchem  Meister  er  auch  1697  als  Organist  der 
St.  Georgskapelle  in  Windsor  folgte.  Im  J.  1703  vereinigte  er  mit  dieser 
Stelle  noch  die  eines  Chormeisters  an  derselben  Kapelle  und  starb  am  7.  Novbr. 
1719.  Von  seinen  Compositionen  kennt  man  nur  noch  Anthems;  zwei  der- 
selben befinden  sich  in  der  Sammlung  i^Harmonia  sacrav.  von  Page  und  ein 
anderes  hat  Dr.  Boyce  mitgetheilt. 

Groleu,  Johann,  deutscher  Instrumentalmusiker,  geboren  im  ersten  Jahr- 
zehnt des  17.  Jahrhunderts  als  der  Sohn  eines  kurfürstl.  Tafeldeckers  zu 
Berlin.  Er  wurde,  da  er  musikalisch  beanlagt  erschien,  auf  Kosten  des  Kur- 
fürsten Friedrich  Wilhelm  ausgebildet  und  1633  als  Kammermusiker  in  der 
Hofkapelle  zu  Berlin  angestellt. 

Geller,  Martin,  tüchtiger  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  am  20. 
Febr.  1764  zu  Layen,  einem  Dorfe  in  Tyrol,  erhielt  seine  gründliche  Musik- 
bildung von  seinem  Vater,  der  Organist  und  Schullehrer  war,  sodann  als  Chor- 
knabe des  königl.  Damenstiftes  zu  Hall,  und  trat,  16  Jahre  alt,  in  das  Bene- 
dictinerstift  St.  Georgenberg  bei  Fiecht,  wo  er  alsbald  als  Componist  einer 
Messe  sehr  beifällig  auftrat.  Im  J.  1811  wurde  er  Musiklehrer  bei  dem  neu 
errichteten  Musikverein  zu  Innsbruck,  wobei  er  auch  den  Musikchor  in  der 
Universitätskirche  zu  besorgen  hatte.  Er  starb  am  13.  Jan.  1836.  Seine  Ma- 
nuscript  gebliebenen  Kirchenwerke  fanden  in  Mich.  Haydn  einen  sehr  günstigen 
Beurtheiler. 

Gollmert,  August  "Wilhelm,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  15.  Dec. 
1816  zu  Berlin,  erhielt  von  seinem  dritten  Jahre  an  bei  seinem  Vater,  welcher 
Stabshautboist  des  Kaiser  Franz  Grenadierregiment  war,  Unterricht  auf  der 
Flöte  und  erlernte  später  nach  und  nach  Hörn,  Pauke,  Violine,  Ciavier  und 
Gesang.  Nachdem  er  das  Joachimsthal'sche  Gjonnasium  in  Berlin  durchlaufen 
hatte,  bezog  er  1836  die  Universität  und  studirte  sieben  Semester  hindurch 
Philosophie,  Mathematik  und  alte  Sprachen.  Gleichzeitig  ti'ieb  er  mit  dem 
grössten  Eifer  Ciavier-  und  Violinspiel  und  componirte  Lieder,  Sonatensätze 
und  Tänze  aller  Art.  Diese  Beschäftigung  veranlasste  ihn,  dem  wissenschaft- 
lichen Fachstudium  zu  entsagen  und  sich  ganz    der  musikalischen   Composition 


Gollmick.  295 

zu  wiclmen.  Er  hat  sicLi  in  jeder  Gattung  der  G-esangs-  und  Instrumental- 
composition erfolgreich  versucht  und  in  eigenen  Concerten,  in  den  Sinfonie- 
concerten  der  Liebig'schen  Kapelle,  sowie  an  den  Musikabenden  des  Berliner 
Tonkünstlervereins  viele  seiner  den  guten  Musiker  bekundenden  Werke  zur 
Aufführung  gebracht. 

Gollmick,  Friedrich  Karl,  sehr  geschätzter  deutscher  Opernsänger  und 
guter  Musiker,  geboren  am  27.  Septbr.  1774  zu  Berlin  als  Sohn  eines  unbe- 
mittelten Militärhautboisten,  musste  sich  schon  früh  die  Mittel  für  seinen 
Lebensunterhalt  durch  Singen  im  Currendechor  erwerben.  Righini  fand  sich 
bewogen,  seine  Stimme  auszubilden,  und  der  Graf  Schwerin  liess  ihn  erziehen, 
nahm  ihn  in  sein  Haus  und  machte  ihn  zu  seinem  Secretair.  Häufiger  Besuch 
der  Oper  in  dieser  Zeit  erweckte  in  G.  die  Neigung  für  das  Theater,  und  als 
sein  Wohlthäter  gestorben  war,  trat  er  1792  als  Chorist  zum  Nationaltheater 
in  Berlin,  welche  Stellung  er  bald  darauf  mit  einer  nicht  viel  besseren  bei  der 
Bossau'schen  Gesellschaft  in  Dessau  vertauschte.  Dort  aber  fand  seine  schöne 
schmelzende  Tenorstimme,  sein  ebenso  inniger  wie  gewandter  Vortrag  und  sein 
bedeutendes  musikalisches  Talent  die  richtige  Würdigung,  und  er  erhielt  1797 
eine  Anstellung  als  erster  Tenorist  des  Theaters  in  Hamburg.  Sein  Ruf  ver- 
breitete sich  immer  weiter,  und  er  wanderte  von  einer  Bühne  zur  anderen. 
Bewunderung  erregte  es,  wenn  er  als  Tamino  zugleich  die  Flöte  blies  oder  als 
Blondel  in  »Richard  Löwenherz«  die  Geige  spielte.  Als  Regisseur  der  Oper 
zu  Kassel  trat  er  unter  der  Regierung  Jeröme  Bonaparte's  auch  in  französischen 
Spielopern  mit  grösstem  Erfolge  auf.  Nach  Auflösung  des  Königreichs  West- 
phalen  sang  G.  noch  an  den  Bühnen  in  Würzburg,  Düsseldorf,  Köln  und 
Coblenz.  Hiernach  übernahm  er  die  Theaterdirektion  in  Colmar,  setzte  jedoch 
bei  diesem  Unternehmen  sein  ganzes  Vermögen  zu.  Von  diesem  Unglücksfalle 
erholte  er  sich  nicht  wieder;  halb  erblindet  liess  er  sich  in  Köln  und  endlich 
bei  seinem  Sohne  in  Frankfurt  a.  M.  nieder,  war  aber  nicht  mehr  zu  bewegen, 
das  Theater  zu  besuchen.  In  tiefster  Zurückgezogenheit  starb  er  am  2.  Juli 
1852  zu  Frankfurt.  Einen  ehrenvollen  Nachruf  widmete  ihm  Schmid  in  seinem 
»Necrolog  der  Deutschen«.  —  G.'s  Sohn,  Karl  G.,  wurde  am  19.  März  1796 
zu  Dessau  geboren,  erhielt  in  Köln  eine  treffliche  Erziehung  und  wuchs  da- 
selbst u.  A.  mit  Beruh.  Klein  auf.  Die  Wanderungen  seines  Vaters  von  Bühne  zu 
Bühne  unterbrachen  jedoch  einen  geregelten  Ausbildungsplan,  und  erst  1812, 
wo  sich  G.  in  Strassburg  für  das  Studium  der  Theologie  vorbereiten  wollte, 
gewann  er  genügende  Zeit,  seine  wissenschaftlichen  und  künstlerischen  Fähig- 
keiten zu  concentriren.  Schon  seit  seinem  elften  Jahre  hatte  er  Lieder  com- 
ponirt,  die  er,  gereifter  geworden,  gleichwohl  noch  für  werth  befand,  bei  Andre 
in  Offenbach  erscheinen  zu  lassen.  Geregelten  Compositionsunterricht  über- 
haupt erhielt  er  erst  während  dieses  Strassburger  Aufenthalts  und  zwar  beim 
dortigen  Kapellmeister  Spindler.  G.  selbst  ertheilte  gleichzeitig  Unterricht  im 
Lateinischen,  Französischen  und  im  Clavierspiel,  welche  Thätigkeit  ihn  schon 
früh  selbstständig  machte.  Als  Pianist  erwarb  er  sich  sogar  einen  gewissen 
Ruf,  und  bald  fungirte  er  auch  als  Organistenadjunct  in  der  Thomaskirche. 
Im  J.  1815  bezog  er  die  Strassburger  Universität  und  dirigirte  als  Student 
auch  die  sogenannten  Klosterconcerte.  Theologische  und  politische  Händel 
unter  den  Commilitonen ,  die  zu  offenen  Feindseligkeiten  führten  und  Rele- 
gationen hervorriefen,  verleiteten  G.  das  Weiterstudium.  Er  begab  sich  nach 
Frankfurt  a.  M. ,  wo  er  privatisirend  der  Musik  lebte  und  Sprachunterricht 
ertheilte.  Spohr  lernte  ihn  damals  kennen  und  engagirte  ihn  als  Paukenschläger 
für  das  Frankfurter  Stadttheater,  mit  welcher  Stelle  er  später  die  eines  Cor- 
repetitors  an  der  Oper  vereinigte,  bis  er  nach  langjähriger  ehrenvoller  Dienst- 
zeit 1858  in  den  Pensionsstand  trat.  Neben  diesen  Berufsgeschäften  gab  er 
Musikunterricht  und  gewann  noch  Müsse  für  eine  ausgedehnte  Compositions- 
und  schriftstellerische  Thätigkeit.  Er  starb  am  3.  Oktbr.  1866  zu  Frankfurt. 
Die  Zahl    seiner    im  Druck    erschienenen    Compositionen    für  Ciavier    und    für 


296  Goltermann  —  Gombert. 

Gesang  errreicht  die  Zahl  124;  meist  in  einem  angenehmen,  leicht  fasslichen 
Style  geschrieben,  sind  sie  schneller  Yergänglichkeit  geweiht.  Viele  dieser 
Arbeiten  sind  übrigens  für  instructive  Zwecke  bestimmt,  für  welchen  Zweck 
er  auch  eine  »Praktische  Gresangschule«  (Offenbach,  Andre)  und  einen  »Leit- 
faden für  junge  Musiklehrer«  verfasste.  Dies  führt  zu  einer  Uebersicht  der 
zahlreichen  schriftstellerischen  Werke  G.'s,  von  denen  an  diesem  Orte  nur  die 
musikalischen  in  Betracht  kommen.  Uebersetzt  hat  er  an  zwanzig  Operntexte 
und  selbst  gedichtet  wohl  ebenso  viele.  Unter  den  letzteren  befindet  sich  ein 
solcher  zu  einer  bis  auf  die  Ouvertüre  und  den  Schlusschor  vollendeten  Oper 
von  Mozart,  deren  ursprüngliche  Dichtung  von  Schachner  ist  und  die  G,  mit 
Beibehaltung  des  Planes  umgearbeitet  und  mit  dem  Titel  »Zaide«  versehen 
hat  (Vgl.  Otto  Jahn's  »Mozart«,  Leipzig,  1856,  II.  S.  440  u.  ff.).  Ausser 
theoretischen  und  kritischen  Aufsätzen  in  musikalischen  und  anderen  Zeit- 
schriften (besonders  in  der  Neuen  Zeitschr.  f.  Musik)  erschienen  von  G.  noch 
folgende  selbstständige  Schriften:  »Karl  Guhr,  Necrolog«  (Frankfurt,  1848); 
»Herr  Fetis,  Vorstand  des  Brüsseler  Conservatoriums,  als  Mensch,  Kritiker, 
Theoretiker  und  Componist  u.  s.  w.«  (Leipzig,  1852);  Handlexikon  der  Ton- 
kunst« (2  Thle.  in  1  Bde.,  Offenbach,  1858)  und  »Auto-Biographie.  Nebst 
einigen  Momenten  aus  der  Geschichte  des  Frankfurter  Theaters«  (Frank- 
furt, 1866). 

Grolterm.inu,  Georg  Eduard,  ausgezeichneter  Vi olon cellovirtuose  und  ge- 
wandter Componist,  geboren  1825  in  Hannover,  erhielt  seine  musikalische  Aus- 
bildung in  seiner  Vaterstadt  und  in  München.  Nachdem  er  sich  auf  Reisen 
seit  1850  als  reproducireuder  Künstler  höchst  vortheilhaft  bekannt  und  nament- 
lich in  Leipzig  1851  als  Virtuose  wie  als  Componist  Furore  gemacht  hatte, 
erhielt  er  1852  in  München,  wohin  er  zurückgekehrt  war,  einen  Ruf  als  Musik- 
direktor nach  "Würzburg  und  bald  darauf  die  Stelle  eines  Kapellmeisters  in 
Frankfurt  a.  M.  In  der  letzteren  Stadt  lebt  er  noch  gegenwäi-tig.  Seine 
Compositionen  zeigen  ein  achtbares  Talent  und  ein  edles  Streben;  namentlich 
um  die  sonst  nicht  gerade  reich  bedachte  Violoncello-Literatur  bat  er  sich  hoch 
anzuschlagende  Verdienste  erworben.  Im  Druck  erschienen  sind  von  seinen 
Arbeiten:  Sinfonien,  Ouvertüren,  Concerte  und  Solostücke  für  Violoncello, 
Sonaten  für  Pianoforte  und  Violoncello,  endlich  auch  Lieder,  welche  den  l)esseren 
Erzeugnissen  dieser  Gattung  angehören.  —  Nicht  zu  verwechseln  mit  ihm  ist 
Louis  G.,  gleichfalls  ein  trefflicher  Violoncellist  und  ebenfalls  1825,  aber  in 
Hamburg  geboren.  Derselbe  erhielt  1850  die  Stelle  als  Professor  seines  In- 
struments am  Conservatorium  der  Musik  zu  Prag,  die  er  bis  1861  iune  hatte, 
in  welchem  Jahre  er  als  erster  Violoncellist  an  die  Hofkapelle  nach  Stuttgart 
berufen  wurde.     Auf  diesem  Posten  ist  er  auch  gegenwärtig  noch  thätig. 

Gomaut,  Abbe,  geistreicher  und  intelligenter  französischer  Musikfreund 
zu  Paris,  veröffentlichte  ein  »Manuel  du  chantrea  (Paris,  1837),  ein  Werk, 
welches  durch  seinen  Text,  in  welchem  u.  A.  eine  neue  Methode  für  den  Ge- 
sangunterricht dargelegt  wird,  wie  durch  seine  zahlreichen  Musikbeispiele  an- 
ziehend und  belehrend  zugleich  ist. 

Gomart,  Charles  Marie  Gabriel,  musikgelehrter  französischer  Dilettant, 
geboren  1805  zu  Hara  im  Departement  der  Somme,  schrieb  u.  A.  über  die 
musikalischen  Zustände  und  die  berühmten  Tonkünstler  von  Saint- Quentin,  in 
welchem  Werke  wichtige  Aufschlüsse  und  interessante  Notizen  über  die  Musik 
im  nördlichen  Franki'eich  während  des   16.  Jalirhunderts  enthalten  sind. 

Gombert,  Jean  (Giovanni),  jedenfalls  ein  niederländisclier  Tonkünstler, 
der  nach  Baini's  Zeugniss  um  1460  als  Sänger  der  päpstlichen  Kapelle  in 
Rom  angestellt  war.     Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Folgenden: 

Gombert,  Nicolas,  einer  der  grössten  niederländischen  Contrapunktisten, 
war  ein  Schüler  des  Josquin  des  Pres.  Von  seinen  Lebensumständen  weiss 
man  bis  jetzt  nur,  dass  er  in  seinen  späteren  Mannesjahren  als  Nachfolger  des 
Clemens  non  papa  Kapellmeister  des  Kaisers  Karl  V.  war,  und  dass  er  um  die 


Gomes  —  Gomis.  297 

Mitte  des  16.  Jahrhunderts  zu  den  fruchtbarsten  und  gefeiertsten  Componisten 
gehörte.  Seine  Arbeiten  bestehen  in  zahh'eichen  Messen  und  Motetten,  Yocal- 
fugen  und  Canzonetten.  Yon  den  ersteren  sind  mehrere  Sammlungen  von 
Antoine  Gardane  zu  Venedig  in  der  Zeit  von  1550  bis  1564  herausgegeben; 
ausserdem  enthalten  die  zu  Löwen  und  Antwerpen  von  Tilman  Susato  bis 
1563  veröffentlichten  Sammlungen  verschiedene  Gompositionen  G-.'s,  und  sowohl 
in  der  Bibliothek  zu  München  wie  in  der  des  britischen  Museums  zu  London 
werden  gedruckte  und  ungedruckte  "Werke  von  ihm  aufbewahrt.  Das  voll- 
ständigste Verzeichniss  der  noch  vorhandenen  gedruckten  Ausgaben  der  Werke 
G.'s  findet  sich  in  Fetis'  r>Biographie  universellem;  nur  zwei  Ausgaben  aus  Ve- 
nedig vom  J.  1564  fehlen  in  derselben.  Baini's  TJrtheil  über  G.  lautet:  er 
gehöre  nicht  unter  diejenigen,  welche  Josquin  blos  mechanisch  und  sclavisch 
nachahmten,  wie  dies  vor  Allen  Ghiselin,  P.  de  la  Rue  und  Agricola  als  die 
ängstlichsten  Nachahmer  thaten  und  daher  mehr  für  Instrumentalisten  als  für 
Sänger  waren,  denen  sie  vielmehr  Schaden  brachten,  sondern  er  gehörte  unter 
diejenigen,  welche,  obgleich  Josquin's  Schüler,  den  Weg  Ockenheim's  verfolgten 
und  der  musikalischen  Kunst  einen  weit  besseren,  wenn  auch  nicht  fehlerfreien 
Dienst  erwiesen. 

Gomes,  A.  Carlos,  hervorragender  Operucomponist  der  neuesten  Richtung 
der  italienischen  Musik,  geboren  von  portugiesischen  Eltern  um  1850  in  Bra- 
silien, machte  seine  höheren  musikalischen  Studien  in  Mailand  und  wusste  mit 
seiner  vieraktigen  Erstlingsoper  i^Il  Guaranya,  welche  1871  erschien  und  die 
Runde  über  die  italienischen  Bühnen  des  In-  und  Auslandes  machte,  sofort 
die  Augen  aller  Kunstfreunde  auf  sich  zu  lenken.  Auch  strenge  Kritiker 
sagten  dieser  Partitur  nach,  dass  sie  geistreich ,  warm  erfunden  und  technisch 
gewandt  gearbeitet  sei.  Wie  bedeutend  der  Erfolg  des  »Guarany«  war,  beweist 
der  Umstand,  dass  G.,  zum  Fortarbeiten  ermuntert,  ein  Textbuch  von  Ghis- 
lanzoni,  einem  der  ersten  Dichter  Italiens,  erhielt,  und  dass  das  Scalatheater 
in  Mailand  mit  reichen  Mitteln  und  den  besten  Kräften  das  in  Musik  gesetzte, 
»Fosca«  betitelte  Werk  am  16.  Febr.  1873  zur  ersten  Aufführung  brachte. 
Auch  diese  Oper  fand  grossen  Beifall,  wenn  auch  nicht  in  dem  gleichen  Maasse 
wie  die  vorangegangene.  Das  Jahr  1874  bereits  verspricht  eine  neue  grosse 
Oper  (y>Salvator  Rosav)  G.'s,  der,  sobald  er  selbstständiger  und  musikalisch 
individuell  hervortreten  wird,  sehr  Bedeutendes  verspricht.  Angelehnt  an  Verdi 
und  Meyerbeer,  hat  er  überraschend  früh  eine  geebnete  Bahn  gewonnen. 

Groiues,  Joao,  ein  tüchtiger  portugiesischer  Tonkünstler  des  17.  Jahr- 
hunderts, von  dem  man  weiss,  dass  er  zu  Beiros  geboren  ist,  und  dass  er  zu- 
letzt in  den  Diensten  des  Prinzen  von  Villaviciosa  stand.  Zu  Villaviciosa  ist 
er  auch  im  J.  1653  gestorben.  Von  seinen  Kirchencompositionen,  die  eine 
gute  Factur  erkennen  lassen,  bewahrt  die  königl.  portugiesische  Bibliothek  zu 
Lissabon  mehrere  im  Manuscript  auf. 

Oomez  da  Silva,  Albrecht  Joseph,  portugiesischer  Organist  und  Ton- 
setzer des  18.  Jahrhunderts,  lebte  und  wirkte  zu  Lissabon  und  gab  in  einem 
1758  daselbst  veröffentlichten  Buche  Regeln  über  eine  zweckmässige  Begleitung 
des  Gesanges  durch  Instrumente,  namentlich  durch   Ciavier  oder  Orgel. 

Gtomis,  Joseph  Melchior,  vorzüglicher,  leider  aber  nicht  nach  Gebühr 
gewüi'digter  französischer  Operucomponist  spanischer  Abkunft,  wurde  1793  zu 
Anteniente  in  der  spanischen  Provinz  Valencia  geboren  und  erhielt  seine  erste 
künstlerische  Bildung  als  Chorknabe  und  Musikzögling  des  Domherrenstifts  in 
Valencia,  aus  welchem  einst  auch  der  berühmte  Componist  Vicente  Martin 
hervorgegangen  war.  G.'s  Fortschritte  waren  so  rapid,  dass  er,  noch  nicht 
16  Jahre  alt,  als  Gesanglehrer  in  diesem  Stifte  angestellt  wurde.  Um  dieselbe 
Zeit  nahm  er  Unterricht  in  der  Composition  und  im  Contrapunkt  bei  dem 
gründlich  bewanderten  Catalonier  P.  Pous,  unter  dessen  Anleitung  er  sich 
vorzugsweise  dem  strengen  Style  der  Kirchenmusik  widmete.    Namentlich  musste 


298  Gomis. 

er  an  den  Werken  Mozart's  und  Haydn's  seinen  eigenen  Geschmack,  seine 
Compositions-  und  Instrumentirweise  bilden;  die  Vorliebe  für  Haydn ,  dessen 
geistliche  Werke  er  auswendig  wusste,  hat  ihn  niemals  verlassen.  In  seinem 
21.  Jahre  wurde  er  Militärmusikdirektor  bei  der  Artillerie  zu  Valencia  und 
dadurch  in  einen  seinen  bisherigen  Studien  ganz  heterogenen  AVirkungskreis 
versetzt.  Er  schrieb  nun  viele  Parade-  und  Geschwindmärsche  und  arrangirte 
mehrere  Sinfonien  von  Haydn,  sowie  dessen  Oratorium  »Die  sieben  Worte« 
für  Harmoniemusik.  Da  inzwischen  seine  Neigung  zur  dramatischen  Musik 
mehr  Und  mehr  die  Oberhand  gewann,  so  gab  er  1817  seine  Stelle  auf  und 
begab  sich  nach  Madrid ,  wo  es  ihm  auch  gelang ,  mehrere  kleine  einaktige 
Opern  zur  Aufführung  zu  bringen ,  von  denen  besonders  »ia  aldeanav.  (die 
Bäuerin)  überaus  günstig  aufgenommen  und  oft  wiederholt  wurde.  Auf  diese 
und  andere  Componistenerfolge  hin  erhielt  er  die  Stelle  als  Musikdirektor  der 
königl.  Garde.  In  Folge  der  Ereignisse  von  1823  und  der  Invasion  der  Fran- 
zosen aber  musste  er  Spanien  verlassen  und  ging  zuerst  nach  Paris,  um  sich 
dort  ganz  der  dramatischen  Composition  zu  widmen.  Allein  seine  Hoffnungen 
scheiterten  hier  an  Theaterintriguen  und  Künstlerneid;  konnte  er  doch  in 
vollen  drei  Jahren  nicht  einmal  einen  Text  von  einem  französischen  Dichter 
erhalten.  Auf  Kossini's  Rath  und  mit  dessen  kräftigen  Empfehlungen  versehen, 
begab  sich  G.  1826  nach  London,  wo  er  sich  als  Gesanglehrer  und  durch 
Composition  von  Romanzen,  Boleros  u.  s.  w.  eine  ziemlich  angenehme  und 
sorgenfreie  Stellung  bereitete.  Auch  schrieb  er  ein  Quartett  »der  Winter« 
(l'inveriio)  betitelt,  welches  mit  ausserordentlichem  Beifalle  von  der  dortigen 
philharmonischen  Gesellschaft  aufgeführt  wurde.  Ebenso  verfasste  und  ver- 
öffentlichte er  eine  »Jifethode  et  solfege  de  chantv.,  worüber  sich  Rossini  und 
Boieldieu  auf  die  schmeichelhafteste  Weise  in  Briefen,  die  diesem  Werke  vor- 
gedruckt sind,  aussprachen.  Die  gründlichste  Kenntniss  des  Gesanges  ist  auch 
in  allen  Werken  von  G.  deutlich  zu  erkennen;  Alles  ist  bei  ihm  Gesang,  die 
Vocalstimme  sowohl  wie  die  Behandlung  der  Instrumente.  Sein  verhängniss- 
voller Hang  zur  dramatischen  Musik  trieb  ihn  schon  1827  abermals  nach  Paris. 
Diesmal  gelang  es  ihm ,  einen  Text  zu  erhalten ;  er  eilte  damit  nach  London 
zurück  und  war,  trotz  seiner  Unterrichtsstunden,  bald  im  Stande,  seine  Partitur 
der  Direktion  der  Opera  comique  einzusenden.  Er  folgte  der  Einladung,  die 
Proben  selbst  zu  leiten,  aber  schon  nach  der  ersten  Probe  verweigerte  der 
Direktor  die  Aufführung.  G.  musste  gerichtlich  gegen  ihn  einschreiten  und 
erhielt  zwar  eine  Entschädigung  von  3000  Francs,  aber  seine  Oper  wurde  nicht 
aufgeführt.  Durch  die  Verzögerung  des  Prozesses  und  durch  seine  öfteren 
Reisen  ging  er  nicht  allein  seiner  Ersparnisse,  sondern  auch  seiner  günstigen 
Stellung  in  London  verlustig  und  gerieth  in  eine  missliche  Lage.  Inzwischen 
wurde  nach  mehrjährigem  Harren,  Dank  der  Bemühung  Rossini's,  diese  Oper, 
betitelt  »Ze  diable  ä  Seville<i  1831  im  Theater  Ventadour  aufgeführt.  Sie 
machte  zwar  Glück  und  erschien  auch  in  Deutschland,  brachte  indess  doch 
G.'s  Namen  mehr  bei  Kennern  als  im  grossen  Publikum  in  Aufnahme.  Als- 
bald hierauf  erhielt  er  den  Auftrag,  der  Grossen  Oper  in  Paris  eine  Partitur 
zu  liefern,  deren  Aufführung  jedoch  wiederum  die  Kabale  mittelraässiger  Com- 
ponisten  hintertrieb.  Endlich  setzte  er  1833  die  Aufführung  der  komischen 
Oper  »ie  revenanU  (das  Gespenst),  die  anerkanntermassen  ausgezeichnet  schöne 
Nummern  enthält,  durch.  Die  überaus  beifällige  Aufnahme  dieses  Werkes  in 
Paris  war  eine  der  glänzendsten  Proben  für  das  hochbedeutende  Talent  seines 
Componisten.  Allein  die  vielfachen  Kränkungen  und  Chicanen,  die  ihm  das 
Einstudiren  desselben  bereitete,  wurden  seiner  Gesundheit  so  verderblich,  daes 
er  die  Sprache  verlor.  In  diesem  Zustande  schrieb  er  noch  die  vortreffliche 
Oper  »ie  portefaixa  (der  Lastträger),  Text  von  Scribe,  die  jedoch  minder 
günstig  aufgenommen  wurde,  als  sie  nach  dem  Urtheile  der  Kenner  verdiente. 
Eine  Pension  der  französischen  Regierung  sicherte  ihn  in  der  letzten  Zeit 
seines  Lebens  wenigstens  vor  Nahrungssorgen.     Er  starb  zu  Paris  am  26.  Juli 


Gomolka  —  Gonet.  299 

1836  an  der  Halsschwindsucht.     In  seinem  Nachlasse  fand  sich  die  Oper  Rock- 
le-Barbu  nebst  noch  drei  unbeendigten  dramatischen  Partituren. 

Gomolka,  Nicolas,  polnischer  Componist,  geboren  um  das  J.  1564  in 
Krakau,  lernte  die  Musik  in  Italien  wahrscheinlich  bei  Palestrina,  weil  er  dieses 
Meisters  Styl  nachahmte.  Im  J.  1580  gab  er  in  Krakau  die  von  Joh.  Kocha- 
nowski  in's  Polnische  übersetzten  Psalme,  die  er  für  4  Stimmen:  Sopran,  Alt, 
Tenor,  Bass  oder  auch  2  Soprane,  Alt  und  Bass  componirt  hatte,  unter  dem 
Titel:  ftMelodyje  na  psalterz  polskia  gedruckt  heraus.  Dieses  "Werk  ist  nur  in 
3  Exemplaren  noch  vorhanden;  das  eine  befindet  sich  in  der  Universitätsbibliothek 
zu  Krakau,  das  zweite  in  der  Staatsbibliothek  zu  Warschau  und  das  dritte  in 
Kielce.  Einige  Psalme  Gr.'s  gab  im  J.  1838  Joseph  Cichocki  mit  Hilfe  des 
Joh.  Zandmann,  der  sie  auf  das  moderne  Notensystem  übertrug,  in  seinem 
Werke:  T>Spieiuy  Icoscielny  na  Mika  glasow  dawnych  kompozytoroiv  polskich  {Ghants 
d^eglise  ä  plusieurs  voix  des  anciens  compositeurs  p)olonais)<i  heraus.  Das  1.  Heft 
dieses  "Werkes  enthält  10  Psalme  G-.'s.  G-.  selbst  starb  am  5.  März  1609  und 
ist  in  Jazlowec  begraben.  Wie  es  scheint,  ist  sein  Geburtsjahr  allgemein  irrig 
angegeben,  denn  es  ist  unwahrscheinlich,  dass  er  sein  berühmtes  Werk,  das  im 
J.  1580  im  Druck  erschien,  schon  in  seinem  16.  Lebensjahre  geschaffen  haben 
sollte.  M  —  s. 

Gompertz,  Karoline,  geborene  Bettelheim,  eine  der  stimmbegabtesten 
und  geschicktesten  deutschen  Sängerinnen  der  Gegenwart,  wurde  im  J.  1843 
zu  Wien  geboren.  Ihre  früh  hervortretenden  musikalischen  Anlagen  fanden 
in  der  fleissigen  Uebung  auf  dem  Pianoforte  bei  guten  Lehrern  den  günstigen 
Boden  der  Entwickelung.  Als  Pianistin  wirkte  sie  in  ihrem  14.  Jahre  bereits 
in  einem  öffentlichen  Concerte  ausserordentlich  beifällig  mit.  Der  Cantor 
Lauffer  erkannte  damals  mit  dem  Blicke  des  sachverständigen  Musikers  ihre 
ungemeine  Begabung  und  eröffnete  ihr  den  Weg  zur  höheren  Fortbildung, 
indem  er  ihre  Aufnahme  in  das  Wiener  Conservatorium  bewirkte,  woselbst  sie 
bald  auch  ein  bedeutendes  Talent  für  den  Gresang  entwickelte.  Nachdem  sie 
das  Institut  als  ausgebildete  Künstlerin  verlassen  hatte,  gewann  sie  durch  ihre 
schöne  Stimme,  welche  vom  kleinen  d  bis  zum  dreigestrichenen  c  reichte,  sowie 
durch  ihren  seelenvollen  Vortrag  im  Gresang  .  und  Ciavierspiel  die  Grünst  des 
Wiener  Publikums  im  Sturme.  Ihren  Ruf  als  Sängerin  befestigte  sie  in  grösserer 
Ausdehnung  in  London  und  auf  verschiedenen  deutschen  Musikfesten,  so  dass 
sich  die  Direktion  der  k.  k.  Hofoper  zu  Wien  veranlasst  sah,  unter  glänzenden 
Bedingungen  die  nunmehr  gefeierte  Künstlerin  für  ihr  Institut  zu  gewinnen. 
In  diesem  Engagement  entfaltete  Karoliue  Bettelheim  auch  eine  sehr  be- 
deutende dramatische  Begabung;  vor  allen  Dingen  aber  war  es  die  eminente 
Stärke  und  die  Klangfarbe  ihrer  schönen  blühenden  Stimme,  hinsichtlich  deren 
keine  Rivalität  ihr  gegenüber  namhaft  gemacht  werden  konnte.  Es  erregte 
daher  das  grösste  Bedauern  in  der  musikalischen  Welt,  als  die  Künstlerin  ihre 
erfolgreiche  Laufbahn  unterbrach  und  in  Eolge  ihrer  Verheirathung  mit  dem 
Banquier  Grompertz  in  G-ratz  schon  1867  in  das  Familienleben  trat.  Nicht 
völlig  aber  entbehrten  die  Musikfreunde  auch  in  der  Folge  dieses  Doppel- 
talentes; im  Gegentheil  ist  die  echt  künstlerische  Bereitwilligkeit,  mit  welcher 
Frau  Gompertz-Bettelheim  auch  nach  ihrem  Scheiden  von  der  Bühne  ihre 
unschätzbaren  Kräfte  ungesäumt  und  uneigennützig  in  Gratz  und  Wien  zur 
Verfügung  stellt,  wo  es  sich  um  die  Aufführung  eines  Meisterwerkes  im  Con- 
certsaale  oder  um  die  Bethätigung  der  Wohlthätigkeit  handelt,  des  höchsten 
Lobes  werth. 

Gonella,  Giuseppe,  italienischer  Componist  aus  dem  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts, über  dessen  Leben  bisher  noch  nichts  festgestellt  ist.  Einige  für 
seine  Kunstfertigkeit  sprechende  Werke  findet  man  im  zweiten  Theile  der 
Arte  pratica  des  Paolucci,  nämlich  ein  y>Dona  eis  requiem«,  4-stimmig  mit  zwei 
Violinen,  Viola  und   Orgel,  sowie  zweistimmige  Fugen  u.  s.  w.  f 

Gonet,    Valerien,    französischer    Kirchencomponist ,    geboren    im    letzten 


300  Gonetti  —  Gong. 

Viertel  des  16.  Jahrhunderts  zu  Arras,  war  ursprünglich  Chorknabe  an  der 
Kathedralkirche  seiner  Vaterstadt,  an  welcher  er  es  bis  zum  Chordirektor 
brachte,  wie  aus  dem  Titel  eines  erhalten  gebliebenen  Magnificat  seiner  Com- 
position  vom  J.  1615  hervorgeht. 

Gonetti,  Vittorio,  ein  italienischer  Tonsetzer,  der  wahrscheinlich  von 
früh  auf  zu  London  wirkte,  hat  daselbst  1790:  Siege  of  Gibraltar  and  III 
grand  Sonates  for  the  Sarpsich.  or  Pfte.  veröffentlicht.  f 

Gonfalone  (ital.),  d.  i.  das  Panier,  die  Fahne,  s.  Gompagnia  del  gon- 
falone. 

Gong:  scheint  der  Allgeraeinname  eines  im  chinesischen,  indischen  und  den 
diesen  benachbarten  Musikkreisen  gebräuchlichen  Schlaginstruments  eigenthüm- 
licher  Art  zu  sein,  das  daselbst  in  zwei  Formen  gepflegt  wird;  jede  dieser 
Formen  besitzt  auch  einen  besonderen  Namen.  Die  eine  derselben  ist,  wie  ein 
Metallkessel  von  1  Meter  Durchmesser  mit  sehr  breitem  Rande  gestaltet,  einem 
Matrosenhute  nicht  unähnlich  und  führt  gewöhnlich  den  Namen  Tamtam  (s.  d.). 
Die  anders  gestalteten  Gr.'s  sind  wie  eine  nach  der  Mitte  hin  gehöhlte  Scheibe 
von  ungefähr  0,7  Meter  Durchmesser ,  deren  Ränder  0,04  Meter  rechtM-inklich 
über  die  concave  Fläche  aufwärts  gebogen  sind  und  tragen  meist  die  Benennung 
Kum'pxil  (s.  d.);  im  Abendlande  ist  letztere  CLart  die  häufigere.  Jeder  G. 
hat  nicht  weit  vom  Rande  ein  Loch.  Um  dem  Tonwerkzeuge  seinen  Ton  zu 
entlocken,  hängt  mau  dasselbe  mittelst  eines  durch  dies  Loch  gezogenen  Strickes 
frei  schwebend  an  ein  Gestell  und  behandelt  es  mit  einem  leinwand-  oder  leder- 
umwundenen Schlägel  oder  einer  Holzkeule.  —  Wann  und  wo  die  G.'s  zuerst 
erfunden  oder  in  Gebrauch  gekommen  sind,  ist  bisher  vinbekannt  geblieben; 
nur  so  viel  steht  fest ,  dass  deren  Erfindung  in  einer  uns  nicht  sehr  fernen 
Zeit  stattfand.  Die  zuweilen  in  China  noch  gebräuchlichen  Benennungen  für 
das  G.:  Tschung  (s.  d.)  und  Lu  oder  Lit  (s.  d.)  sind  die  einzigen  Anhalte 
für  die  Geschichte  dieser  Tonwerkzeuge.  Es  lässt  sich  danach  fast  mit  Ge- 
wissheit annehmen,  dass  dies  Instrument  eine  Erfindung  der  Chinesen  ist.  Die 
Aufgabe,  welche  bei  den  Ceremonien  dieses  Volkes  dem  Po-tschung  (s.  d.) 
zufiel,  konnte  in  der  Verfallepoche  der  alten  chinesischen  Kunst,  der  wahr- 
scheinlichen Erfindungszeit  der  G.'s,  weiter  durch  diese  hörbar  und  klangeigen - 
thümlich  gegeben  werden,  was  wohl  in  jener  Zeit  besonders  erwünscht  war. 
Dass  man  in  der  frühesten  Zeit  den  G.'s  häufig  den  Hoang-tschung  (s.  d.) 
als  Eigenton  verlieh,  scheint  die  weiter  erwähnte  Benennung:  LH  anzudeuten. 
Die  Verbreitung  jedoch  der  G.'s,  fern  über  die  Grenzen  des  eigentlich  chinesi- 
schen Musikkreises,  der  in  jenen  Ländern  allmällg  entwickelte  Geschmack  an 
blossen  Klangfreuden  und  die  diesen  huldigende  Anwendung  der  G.'s  im  prakti- 
schen Leben,  Hess  die  früheste  Anwendung  derselben  ganz  in  Vergessenheit 
gerathen  und  führte  dazu,  dass  man  in  neuerer  Zeit  meist  den  Eigenton  der 
G.'s  ganz  ausser  Acht  lässt.  Einige  Momente  scheinen  auch  für  Indien  als 
Erfindungsstätte  der  G.'s  zu  sprechen.  Wie  weiterhin  zu  ersehen,  fordert  die 
Fertigung  der  G.'s  eine  grosse  Gewandtheit  in  der  Bearbeitung  der  Metalle. 
Solche  Gewandtheit  ist  in  Indien  —  der  Sanscrit  kennt  in  seinem  Wörter- 
schatze nur  cinsylbige  Metallnamen  —  schon  in  sehr  früher  Zeit  zu  Hause 
gewesen.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  man  in  Indien,  besonders  im  indischen 
Archipel,  verschieden  grosse,  den  G.'s  ähnliche  Tonwerkzeuge,  welche  eine  be- 
stimmte Tonreihe  zu  vertreten  haben ,  in  einem  sophaähnlichen  Gestell  zusam- 
menfügt (siehe  den  Artikel  Yunglü);  diese  Anwendung  kann  auch  eine  Nach- 
bildung des  chinesischen  King  (s.  d.)  sein.  So  unsicher  unser  Wissen  somit 
über  die  erste  Erfindung  ist,  so  gewiss  ist  es,  dass  aus  Indien  die  ersten  G.'s 
nach  Europa  kamen.  Im  Abendlande,  gefesselt  durch  die  ganz  eigenthümliche 
Klangweise  der  G.'s.  wendet  man  dieselben  zur  Unterstützung  schauerlicher 
musikalischer  oder  dramatischer  Eindrücke  tonmalerisch  an,  und  fanden  in 
dieser  Weise,  so  viel  bekannt,  diese  Klänge  ihre  erste  Benutzung  in  der 
Pariser  Oper  durch   Spontini  in  der   »Vestalin«.     Auch  im  »Cortez«,  in  Meyer- 


Gousalves  —  Gonstatsi.  301 

beer's  »Robert  der  Teufel«  und  »Afrikanerin«,  sowie  in  Ciierubini's  »Requiem« 
ist  dem  G.  eine    liöchst    effectvolle  Rolle  zugetheilt.     Leider  hat  jedoch  bisher 
im  Abendlande    noch  Niemand    die  Nothwendigkeit    empfunden,    ein   Sortiment 
G.'s,    nach  unserer   Scala  gestimmt,    in  Anwendung  zu  bringen,    trotzdem  dies 
unser  Musiksystem  fordert  und  die  Möglichkeit  solcher  Verwendung  im  Tunglü 
vorliegt,    das    von    den    indischen   Schiffern    sehr    hoch    geschätzt    und   zur  Er- 
leichterung   der    schweren  Ruderarbeit  gepflegt  wird.     Die  eigeuthümliche    und 
starke  Klangart  der  Gr.'s,  deren  G-rundton  in  Stärke  und  Höhe  in  sehr  schwanken- 
der Art  in  Mitte  einer  grossen  Zahl  tieier  nicht  greller  Beitöne  erklingt,    ist 
eine  so  besondere,    dass  man  behaupten  kann:    es  sei  dies   Tonwerkzeug  durch 
kein  anderes  zu  ersetzen,  und  dennoch  ist  es  bisher  nicht  bekannt,  dass  Jemand 
eine  "Werkstätte  besucht  hätte,    wo   G.'s  fabricirt  wurden,  weshalb  wir,  wie  bei 
der  Geschichte    derselben,    nur    auf  Vermuthungen    in    dieser  Beziehung    ange- 
wiesen   sind.     Nach    wissenschaftlicher  Untersuchung    soll    die  Metallmasse  der 
G.'s    aus    einer  Legirung  von  Kupfer,    Zinn  und  Wismuth  in  dem  Yerhältniss 
von    10  :  3  :  1    bestehen.     Man    vergl.    hierzu    Sist.    de    Musique  par    F.  Fetis 
Tome    I  p.  74    und    r>Traite  de  Fhysic[ue<i  par  Biot  T.  II  p.   185.     Aus    dieser 
Metallmischung  wird  wahrscheinlich  nach  der  Grösse  des  zu  fertigenden  G.  ein 
verhältnissmässiger  allmälig    dünner  werdender  Draht  gezogen,    der  in  der  Ge- 
stalt lose  neben  einander  spiralförmig  so  gelegt  wird,  wie  er  später  fest  anein- 
gefügt   werden    soll.     Die  Metallmasse    der   G.'s    soll    nach  Biot    die  Eigenheit 
besitzen:  nach  schnellem  Abkühlen  leicht  dehnbar  und  nach  langsamem  Erkalten 
elastisch,  spröde  und.  sonor  zu  werden.     Es  scheint  somit,    dass  durch  die  ver- 
schiedene Abkühlung  der  Masse  dem  Molekülsystem  derselben  eine  verschiedene 
Struktur  wurde.     Darcet  soll  bei  einer  Verarbeitung  solcher  Legirung  entdeckt 
haben,    dass  dieselbe  sehr  leicht  gelingt,    wenn  man  die  nach  dem   Gusse  eben 
gehörig    erstarrte  Masse    in    einen    Ofen-  bi'ingt,    bis    zum  Rothglühen    erhitzt, 
dann  zwischen    eiserne   Scheiben  einfügt,    in  Wasser  taucht  und  erkalten  lässt. 
So    bearbeitet    lässt    sich    dies  Metall    dann  leicht  durch   den  Hammer  formen. 
Denkt  man  sich  nun,  dass  ein  wie  oben  angegeben  gefügtes  Drahtgewinde  mit 
dem  Hammer    so    lange    behandelt  wird,    bis    die  aneinandergrenzenden  Draht- 
theile    sich    vereinigt    haben,    so  wird  man  für.  die  nicht  durchaus  gleichartige 
Gestaltung    der   G.'s    und  den  daran  bemerkbaren  Hammerschlägen  eine  Erklä- 
rung haben.     Die  spätere   Sprödigkeit  der  Masse  nach  der  Formvollendung  des 
Tonwerkzeug    ergiebt    sich    nach    einer    ruhigen  Abkühlung,    wie    oben  gesagt. 
Durch  solche  Fabrikation  entsteht  eine  in  ihren  Theilen  ungleichdichte  Metall- 
masse,   die  in  der  Spirale,    wie  die  Masse  proportionell    in  der  Dichtigkeit  ab- 
nimmt   und    in  den  seitlichen  Verbindungen  der   Spirale  weniger  und  ungleich 
dicht    ist,    welche  Massenbeschaffenheit  wahrscheinlich    die  Bildung    des    eigen- 
thümlichen,    dem  Donnerrollen    ähnlichen   Klanges  bewirkt.     AVenn   man  durch 
Vermuthungen    und  Folgerungen    somit  über  die  Fertigung  der   G.'s  wohl  eine 
Theorie  gewonnen  hat  und  nun  auch  in  neuester  Zeit  im  Abendlande  sich  G.'s 
in  Gebrauch    finden,    die    daselbst    gemacht    sind,    so    ist  dennoch  deren  Klang 
sehr    verschieden    von    denen    des   Orients,    die  von    allen  Kennern  stets  leicht 
erkannt  und  immer  bevorzugt  werden.  C.  Biller t. 

Gonsalves,  Joao,  portugiesischer  Kirchencomponist  aus  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts,  geboren  zu  Elvas  in  der  Provinz  Transtagana,  wirkte 
als  Musiker  an  der  Kathedralkirche  zu  Sevilla  und  hat  mehrere  Compositionen 
hinterlassen,  die  auf  der  königlichen  Bibliothek  zu  Lissabon  bewahrt  werden, 
wie  schon  das  bei  Crasbeek  1649  gedruckte  Verzeichniss  derselben  nachweist. 
Vgl.  Machado  Bibl.  Lusit.  T.  II  p.  673.  t 

Göustaisi  heisst  in  Indien  die  dritte  nach  der  Raga  (s.  d.)  Malava 
(s.  d.)  gebildete  unvollständige  Ragina  (s.  d.),  deren  Klänge  ungefähr  durch 
beifolgende  Aufzeichnung  dargestellt  werden  können;  die  römische  Zahl  zeigt 
an,  dass  dieser  Klang  einen  ganzen  Sruti  (s.  d.)  höher  sein  muss  als  der 
durch   die  Notation  vorgeschriebene: 


302  Gonthier  —  Gopi-jandar. 


^t^ 


sa,       n,      ga,      ma,     pa,  m,       sa.  q 

Gonthier,  Rose,  geborene  Carpentier,  sehr  beliebte  französische  dra- 
matische Sängerin,  geboren  im  J.  1750  zu  Metz,  debiitirte  in  ihrem  zwanzig- 
sten Jahre  an  der  Oper  zu  Brüssel  und  wurde  in  Folge  dessen  für  die  Ge- 
sellschaft des  Prinzen  Karl  von  Lothringen ,  Statthalters  der  Niederlande, 
gewonnen ,  der  sie  bis  1778  angehörte.  In  letzterem  Jahre  trat  sie  in  der 
Comedie  üalienne  zu  Paris  auf,  bei  der  sie  dann  bis  1804  engagirt  war,  als 
dieses  Theater  bereits  das  Nationalinstitut  der  0£)era  comique  geworden.  Ge- 
storben ist  sie  hochbetagt  zu  Paris  am  8.  Decbr.  1829  als  Gattin  des  Sängers 
Allaire.  Weder  durch  Stimme  noch  durch  Gesangbildung  ausgezeichnet,  sang 
sie  declamirte  Parthien  überaus  geistvoll  und  ausdrucksvoll  lebendig.  Enthu- 
siasmus erregte  sie  besonders  in  Boieldieu's  r>Ma  tante  Aurore«. 

(xouzales )  Antonio,  italienischer  Componist,  geboren  1764  zu  Gromo, 
unweit  Bergamo,  machte  seine  musikalischen  Studien  bei  Pocaccia  und  Quaglia 
und  wurde  nachgehends  Lehrer  des  Clavierspiels  am  Musikinstitut  und  zugleich 
Organist  an  der  Kirche  Sarita  Maria  maycjiore  zu  Bergamo.  In  diesen  Stellungen 
wirkte  er  noch  im  J.  1814.  Er  hinterliess  Kirchenwerke  verschiedener  Art, 
sowie  die  Partitur  einer  in  Venedig  zur  Auflführung  gelangten  Farce,  betitelt 
y>Il  calandrinod. 

Goodban,  Thomas,  bedeutender  englischer  Violin-  und  Clavierspieler,  um 
1780  zu  Canterbury  geboren,  erlaugte  seine  ausgezeichnete  technische  Fertig- 
keit als  Schüler  des  Organisten  an  der  dortigen  Kathedralkirche,  Samuel  Porter. 
G.  war  auch  als  der  Verfasser  von  TJebungsstücken  und  von  instructiven 
Werken  für  seine  Instrumente  in  England  sehr  geschätzt. 

Goodgroome,  John,  englischer  Tonkünstler  der  letzten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts,  war  erst  Chorschüler  zu  Windsor,  dann  Organist  an  der  St. 
Peterskirche  in  Cornhill  (London)  und  zuletzt,  zu  König  Karl's  II.  und  Wil- 
helm's  Zeiten,  königlicher  Kapellmusiker  zu  London.  Er  soll  auch  als  Ton- 
setzer sich  einen  Ruf  erworben  haben;  mehrere  seiner  Werke  sind  gedruckt 
worden.     Vgl.  Haiokins  Sist.  of  Music.    Vol.    V.  p.  \Ü.  t 

Goodman,  John,  soll  ein  ums  Jahr  1505  zu  London  thätiger  berühmter 
Componist  geheissen  haben,  wie  Gerber  in  seinem  Tonkünstler-Lexikon  von 
1790  berichtet,  ohne  weitere  Belege  für  diese  Behauptung  beizubringen.      f 

Goodsou,  Richard,  Vater  und  Sohn,  zwei  gelehrte  englische  Tonkünstler, 
waren  beide  nach  einander  Professoren  der  Musik  an  der  TJnivsrsität  zu  Oxford 
und  zugleich  Organisten  an  der  Christuskirche  daselbst.  Der  Vater  starb  am 
13.  Januar  1717  und  der  Sohn  am  9.  Januar  1740  oder  1741.  Mehr  über 
diese  Künstler  findet  man  in  Hawkins  Hist.  of  Music.  Vol.  V.  p.  18  und  19.  — 
Miege  im  ersten  Theil  seiner  Geschichte  des  Gross-Britannischen  Staates  c.  7 
p.  109  ff.  führt  noch  an,  dass  Richard  G.  alle  Donnerstage  Mittags  nach 
1  TJhr  öffentliche  Vorlesungen  über  Musik  gehalten  habe,  lässt  aber  zweifelhaft, 
welcher  von  beiden  dies  gewesen  sei.  t 

Goodwiii,  englischer  Componist  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts, 
welcher  mehrere  musikalisch-dramatische  Partituren  für  das  königl.  Theater  in 
London  schrieb,  von  denen  jedoch  nur  einige  Operetten,  als:  y>Ilarleqiiin  Faustusa, 
y>Mago  and  Bagoa.  u.  s,  w.,  um  1788  im  Druck  erschienen,  bekannt  geblieben 
sind.  Zu  gleicher  Zeit  veröffentlichte  er,  ebenfalls  in  London,  auch  eine  Can- 
tate,  riGontemplatioHv.  betitelt. 

Gooldwiii,  John,  s.   Goldwin. 

Gopi-jaudar  heissen  im  indischen  Musikkreise  zwei  durch  eine  Schnur 
miteinander  verbundene  Metallschaalen,  die  zur  Markirung  des  Rhythmus  von 
dem   Spieler  aufeinandergeschlagen  werden.  0. 


Gorczycki  —  Gore.  303 

Oorczycki,  Abbe  Grregor,  polnischer  Tonsetzer  des  18.  Jahrhunderts, 
lebte  zumeist  in  Krakau,  wo  er  auch  im  J.  1794  starb.  Seine  Kirchencompo- 
sitionen ,  meist  Messen ,  sind  deshalb  merkwürdig,  weil  sie  mit  gewissenhafter 
Treue  sich  im  Style  der  classischen  Meister  Italiens  aus  der  "Wendezeit  des 
IG.  und  17.  Jahrhunderts  bewegen. 

Gorczynski,  Johann  Alexander,  genannt  de  Gorczin,  polnischer  Tou- 
künstler  und  Musikschriftsteller,  lebte  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  zu 
Krakau  und  veröffentlichte  u.  A.  eine  »Tabulatura  muzyTca  aho  zoprano  muzykolna 
etc.a  (Krakau,  1647). 

Gordigiani,  Giovanni  Battista,  vortrefflicher  italienischer  Gesanglehrer 
und  Componist,  geboren  im  Juli  1795  zu  Modena,  war  ein  Sohn  des  als  Kam- 
mersänger des  Kaisers  Napoleon  bekannt  gewordenen  Antonio  G.,  welcher 
ihm  auch  den  ersten  Gesangunterricht  ertheilte.  Acht  Jahr  alt,  sang  der 
junge  G.  auf  dem  Theater  in  Monza  in  einer  Cantate  von  Asioli,  welche  die 
Bückkehr  des  Vicekönigs  von  Italien,  Eugen  Eeauharnais,  feierte,  so  fest  und 
notensicher  mit,  dass  ihm  der  erfreute  Componist  eine  Freistelle  im  Conser- 
vatorium  zu  Mailand  verschaffte.  Diesem  eben  erst  eröffneten  Institute  gehörte 
G.  die  nächsten  sechs  Jahre  an  und  sang  hierauf  au  der  Seite  seines  Vaters 
im  Pergolatheater  zu  Florenz,  nebenbei  Singunterricht  ertheilend.  Nachdem 
er  erfolgreich  an  mehreren  italienischen  Bühnen  aufgetreten  war,  kehrte  er 
1818  nach  Mailand  zurück,  wo  ihn  jedoch  ein  Huf  als  Concertsänger  und  Ge- 
sanglehrer des  Musikvereins  in  Regensburg  traf.  Er  folgte  dem  Rufe  und 
errichtete  in  dieser  deutschen  Stadt  eine  Gesangschule,  die  schnell  zu  Bedeutung 
gelangte  und  zahlreich  besucht  wurde.  Ein  Ehebündniss  fesselte  ihn ,  seiner 
ursprünglichen  Absicht  entgegen,  bald  gänzlich  an  Deutschland,  und  als  die 
Stelle  des  Gesangprofessors  am  Conservatorium  zu  Prag  erledigt  war,  bewarb 
er  sich  um  dieselbe  und  erhielt  sie  alsbald.  In  diesem  Amte  war  er  mit  Aus- 
zeichnung bis  1861  thätig,  in  welchem  Jahre  er  sich  pensioniren  Hess.  Er 
starb  zu  Prag  am  1.  März  1871.  Als  Componist  beschäftigte  er  sich  mit 
geistlichen  Werken,  von  denen  ein  ^Ave  Maria».,  -nPater  nosfer«,  -nRegina  coelia. 
u.  s.  w.  auch  im  Druck  erschienen  ist  und  einen  gesangreichen,  melodischen 
Styl  bekundet.  Ausserdem  kennt  man  noch  von  ihm  die  in  Prag  mit  der 
Alboni  aufgeführte  dreiaktige  Oper  »Consuelo«  und  zwölf  Aufzüge  für  vier 
Trompeten  und  Pauken.  —  Bedeutender  und  berühmter  als  Yocalcomponist 
war  jedoch  sein  jüngerer  Bruder  Luigi  G.  Derselbe  wurde  im  J.  1814  zu 
Florenz  geboren  und  empfing  dort  auch  seine  musikalische  Ausbildung.  Er 
versuchte  sich  in  den  Jahren  1837  bis  1847  als  Operncomponist  und  schrieb 
für  verschiedene  Theater  die  Partituren  zu  nFaustov-,  y>GU  Arragonesi  i7i  Napoli«, 
y>I  ciarlataniv. ,  » Z7n'  ereditä  in  Corsicam  u.  s.  w.,  welche  jedoch  entweder  gar 
keinen  oder  einen  kurz  vorübergehenden  Erfolg  hatten,  Weltruhm  dagegen 
erwarb  er  sich  als  Componist  von  Arietteu,  Romanzen  und  Canzonetten,  die 
ihrer  lieblichen  Melodik  und  dankbaren  Singweise  wegen  auch  in  Frankreich, 
Deutschland  und  England  die  weiteste  Verbreitung  fanden.  G.  selbst  lebte 
meist  in  seiner  Geburtsstadt  und  nur  vorübergehend  auch  einige  Zeit  hindurch 
in  London.     Leider  starb  er  schon  am   1.  Mai  1860  zu  Florenz. 

Gordon,  William,  Flöteuvirtuose  englischer  Abkunft,  aber  in  der  Schweiz 
gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  geboren,  unternahm  grosse  Reisen  und  Hess 
sich  dabei  zugleich  in  Paris,  München,  London  u.  s.  w.  hören.  Wichtiger  wie 
als  ausübender  Künstler  war  er  als  auf  die  Verbessei-ung  seines  Instrumentes 
unablässig  bedachter  Techniker,  der  sich  um  die  moderne  Flötenfabrikation 
durch  Wort  und  That  grosse  Verdienste  erworben  hat.  —  Unter  gleichem 
Familiennamen  ist  ein  englischer  Musikgelehrter,  John  G.  bekannt,  der  als 
der  eKte  der  am  Gresham'schen  Collegium  zu  London  angestellten  Professoren 
genannt  wird  und  im  December   1739  zu  London  gestorben  ist. 

Gore,  Katharina,  geborene  Francis,  bekannt  als  englische  Novellen- 
und  Bühnenschriftstellerin,    war  1799    in    der  Grafschaft  Nottingham    geboren 


304  Gorgon  —  Gosse. 

und  seit  1823  mit  Cajjitain  Arthur  Gr,  verheirathet.  Dass  sie  ein  scliönes 
und  beachtenswerthes  Talent  auch  für  Musik  und  CümjDOsition  besass,  bewies 
sie  in  den  Melodien  zu  Burns'  »And  ye  shall  walk  in  silk  attire<i  und  in  dem 
G-esang  »0/*  tlie  IHyMandchurchi-,  die  beliebte  Volksweisen  geworden  sind. 

Gorgou  (griech.)  ist  der  Name  eines  in  der  griechisch-katholischen  Kirche 
angewandten  Notationszeichens,  über  dessen  Ursprung  und  Einführung  im  Ar- 
tikel Alphabet  (s.d.)  Näheres  gesagt  ist  und  dessen  Gestalt:  r  dem  demotischen 
Schriftzeichen  der  Aegypter    r   entlehnt  sein  soll,  0. 

Gorgheg^iare  (ital.),  mit  der  Gurgel  trillern.  Davon  abgeleitet:  Gorgheg- 
giamento,  der  Gurgeltriller,  eine   fehlerhafte   Gesaugmanier.      S.   Triller. 

Gori,  Antonio  Francesco,  italienischer  Philologe  und  Schriftsteller, 
geboren  zu  Florenz  am  9.  Decbr.  1691  und  gestorben  ebendaselbst  als  Pro- 
fessor der  Geschichte  am  21,  Jan.  1757,  hat  sicli  durch  von  ihm  veranstaltete 
Ausgaben  der  Tractate  von  Giovanni  Battista  Doni  auch  um  die  Musik  ver- 
dient gemacht.     Ygl.  Gerber's   Toukünstler-Lexikon  vom  J.   1790,  f 

Goria,  Alexandre  Edouard,  geschickter  und  fruchtbarer  französischer 
Compouist  von  Ciavierstücken  im  Salonstyl,  wurde  am  21.  Jan.  1823  zu  Paris 
geboren.  Seine  Mutter,  eine  nicht  ganz  unbedeutende  Bühnensäugerin  aus  der 
Zeit  des  ersten  Kaiserreichs,  unterrichtete  ihn  schon  zeitig  in  den  Anfangs- 
gründen der  Musik,  so  dass  er  bereits  1830  in  das  Pariser  Conservatorium 
treten  konnte,  wo  im  Clavierspiel  Zimmermann ,  in  der  Harmonielehre  und 
Composition  Durlen  und  Reicha  und  auf  der  Orgel  Benoist  seine  Lehrer  waren. 
Nach  Beendigung  seiner  Studien  beschäftigte  er  sich  mit  Ertheiluug  von  Musik- 
unterricht und  gehörte  bald  zu  den  gesuchteren  Clavierlehrern  von  Paris.  Mit 
dem  Rufe  eines  fertigen  Pianisten  verband  er  auch  bald  den  eines  leicht,  elegant 
gestaltenden  und  praktisch  schreibenden  Componisten,  dessen  Salonstücke,  Fan- 
tasien über  Opernthemas  und  Etüden  im  In-  und  Auslande  sich  bei  den  clavier- 
spielenden  Dilettanten  Eingang  und  Beliebtheit  verschafften.  G.  starb  am 
6.  Juli  1860  zu  Paris;  selbst  seine  besseren  Arbeiten  werden  ihn  nicht  lange 
überleben. 

Gorlier,  Simon,  französischer  Buchdrucker  und  Musiker  zu  Lyon  aus 
der  Mitte  des  16.  Jahi-hunderts,  der  sich  durch  Herstellung  verschiedener  Ta- 
bulaturen  um  die  Musik  in  seiner  Zeit  Verdienste  erwarb.  Man  kennt  von 
seinen  Ausgaben  durch  Verdier  und  des  Draudius  Bibl.  exot.:  »Tabulatur- 
Sachen  vor  Teutsche  Flöten«  (Lyon,  1558)  und  »den  ersten  Theil  der  vor's 
Spiuett,   Guiterne  und   Cistre  gesetzten   Tabulatur-Piecen«   (Lyon,  1560).     0. 

Gorouczkiewicz,  A^incent,  polnischer  Toukünstler,  geboren  zu  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  zu  Ki-akau,  wo  sein  Vater  Organist  an  der  Domkirche 
war.  Als  später  der  letztere  als  Organist  und  Orchesterdirektor  an  die  Katlie- 
dralkirche  in  Warschau  berufen  wurde,  folgte  ihm  G.  und  übernahm  nach  dem 
Tode  desselben  auch  selbst  diese  Aemter.  Von  ihm  sind  Choralgesänge  der 
römisch-katholischen  Kirche   (Warschau,   1848)  im  Druck  erschienen. 

Gorzaui,  Giacomo,  italienischer  Lautenist  des  16,  Jahrhunderts,  schrieb 
ein  y>Libro  JelV  Intaholatura  del  Liidot,  wovon  noch  Abschriften  sich  hin  und 
wieder  in  Bibliotheken  vorfinden.  f 

Gosba  nennen  die  Araber  des  nördlichen  Afrikas  eine  Flöte,  deren  Schall- 
röhre aus  einem  Schilfrohre  in  der  Länge  einer  europäischen  Querflöte  ge- 
fertigt wird.  Man  hat  zwei  Arten  dieser  Flöte.  Die  eine  ist  mehr  ursprüng- 
lich, hat  drei  Tonlöcher  am  untern  Bohrende,  bringt  somit  vier  verschiedene 
Grundklänge  hervor,  die  mit  ihren  Quintüberschlagungen  zusammen  die  Ein- 
theilung  der  Octave  geben,  und  wird  dem  Beb  ab  (s,  d,)  gleich  zur  Leitung 
des  Gesanges  angewandt.  Die  andere  Art  der  G.  ist  grösser,  hat  sechs  Ton- 
löcher an  dem  oberu,  engern  Bohrende,  ein  Doppelloch  an  der  Mitte  der  Kehr- 
seite und  wird  durch  ähnliches  Anblasen  wie  die  Flöte  ä  bec  intonirt.        0. 

Gosse,  le  Maistre  oder  le  Maitre,  altfranzösischer  Musiker  aus  der  Zeit 


Gosse  —  Gossec.  305 

Heinrich's  IL,    componirte  Motetten,    von    denen   sich  noch  einige  in  der  Ma- 
nusriptensammlung  der  Pariser  Staatsbibliothek  vorfinden. 

Gosse,  Btienne,  französischer  Literat  und  Mitglied  dev  Societe  philotechnique 
in  Paris,  war  1773  in  Bordeaux  geboren  und  starb  1834  zu  Toulon.  Er  war 
u.  A.  der  Verfasser  einer  Aufsehen  erregenden  Broschüre  (Paris,  1830),  in 
welcher  er  Abschaffung  der  alten  Bühnenprivilegien  und  Emancipation  der 
französischen   Theater  forderte. 

Gossec,  Frangois  Joseph,  ausgezeichneter  französischer  Componist  und 
Musikpädagoge,  wurde  am  17.  Jan.  1733  zu  Vergnies,  einem  Dorfe  im  Henue- 
gau  geboren.  Sieben  Jahre  alt,  brachte  man  ihn  als  Chorknabe  an  die  Dom- 
kirche zu  Antwerpen,  wo  er  acht  Jahre  hindurch  blieb  und  im  Violinspiel 
einigen  Unterricht  erhielt.  Früh  schon  drängte  es  ihn  jedoch  zur  Composition, 
und  aus  Mangel  an  einem  Lehrer  in  diesem  Fache  übte  er  sich  autodidactisch, 
indem  er  die  Natur  und  die  Partituren  grosser  Meister  auf  sich  einwirken 
Hess.  Auf  den  Rath  wohlmeinender  Freunde  hin,  die  sein  Talent  mit  Theil- 
nahme  bemerkten,  wandte  G.  sich  1751  nach  Paris  und  fand  nicht  lange  darauf 
eine  Anstellung  als  Orchesterdirektor  in  der  Privatkapelle  des  Generalpächters 
La  Popeliniere.  Hier  debütirte  er  als  Componist  mit  seinen  ersten  Sinfonien, 
eine  Musikgattung,  die  man  bisher  in  Frankreich  noch  nicht  gekannt  hatte. 
Nach  Auflösung  dieses  Orchesters  wurde  G.  auf  die  Empfehlung  Rameau's  hin 
Musikdirektor  beim  Prinzen  von  Conti.  Seine  ersten  Quartette  (Paris,  1759) 
und  seine  berühmte  Todtenmesse  (Paris,  1760),  von  welcher  letzteren  nach 
ihrer  Aufführung  in  der  Kirche  St.  Roch  der  berühmte  Philidor  sagte,  er 
gäbe  für  ein  solches  Werk  seine  sämnitlichen  Werke  dahin,  waren  die  ersten 
Früchte  dieser  Stellung.  Von  1764  an  wandte  sich  G.  auch  zur  dramatischen 
Musik.  Gleich  seine  Operette  »Le  faux  lordu.  gefiel  sehr  und  die  darnach 
folgende  grössere  Oper  r>Les  pecheursvi  (1766)  wurde  ein  lange  vorhaltendes 
Zugstück.  Mit  den  weiterhin  folgenden  Partituren  y>Le  double  deguisemenU, 
y>Toinon  et  Toinette'^,  y^Sahinusis.  (1773,  G.'s  dramatisches  Meisterwerk),  »Alesis 
et  Daphnie,  nBaucis  et  Fhilemon«,  y>JIi/las  et  Sylphiei,  ^-»La  fete  du  villacjea, 
ytTMsee».  und  -s^Rosinev.  trat  er  an  die  Spitze  der  damaligen  französischen  Opern- 
componisteu.  Im  J.  1770  stiftete  er  ein  berühmt  gewordenes  Liebhaberconcert, 
und  1773  übernahm  er  gemeinschaftlich  mit  Gavinies  und  Leduc  das  berühmte 
öoncert  sjjirituel,  das  ihm  aber  schon  1777  in  Folge  von  Intriguen  wieder 
entzogen  wurde.  Durch  gediegene  Programme,  Herbeiziehung  fremder  Künstler 
und  durch  seine  glänzend  gesetzten  Orchesterwerke,  die  von  den  mager  iustru- 
mentirten  Arbeiten  der  Zeitgenossen  auffallend  abstachen,  hat  G.  in  dieser 
Zeit  einen  ungeheuren  Einfluss  auf  die  Cultur  der  Instrumentalmusik  in  Frank- 
reich ausgeübt.  Seit  1784  war  er  Vorsteher  der  Gesangschule,  welche  der 
Baron  von  Breteuil  unter  dem  Namen  «^cole  roi/ale  de  chant».  errichtet  hatte, 
und  aus  welcher  auf  G.'s  Betreiben  ^1795  das  weltberühmte  Pariser  Conser- 
vatorium  hervorging.  Nebst  Mehul  und  Cherubini  wurde  er  Oberaufseher 
letzterer  Anstalt  und  Professor  der  Composition,  in  welcher  Eigenschaft  er  bis 
1814  fungirte.  Gleichzeitig  war  er  während  der  Eevolutionszeit  Musikmeister 
der  Nationalgarde,  als  welcher  er  auch  alle  Nationalfeste  durch  die  Musik 
illustriren  musste.  Das  Geschick,  mit  dem  er  dies  Mandat  erfüllte,  ist  der 
Bewunderung  werth.  Er  schuf  für  seine  patriotischen  Hymnen,  vierzehn  an 
der  Zahl,  zu  denen  noch  einige  Trauer- Sinfonien  kommen,  als  der  Erste  ein 
Orchester  von  lauter  Blaseiustrumenten,  mit  dem  allein  Wirkungen  im  Freien 
zu  erzielen  war.  Die  Compositionen  selbst,  namentlich  die  Hymne  auf  die 
Vernunft  und  die  zum  Feste  der  Wiedereinsetzung  des  höchsten  Wesens  (Ht/mne 
ä  la  diviniie),  ferner  die  Apotheose  Voltaire's  und  die  Todtenfeier  Mirabeau's 
erregten  durch  Kraft  der  Gedanken  und  Grösse  der  Anlage  Enthusiasmus,  und 
G.  wurde  in  Anerkennung  dafür  am  Feste  der  Bepublilc  vom  Direktorium  als 
Componist  ersten  Ranges  ausgerufen.  Während  der  Revolutionszeit  schrieb 
und  veröffentlichte  er  auch  die   Opern  y>Le  camp  de  grandprtv.  und  »ia  reprise 

Musikal.  Couvers.-Lexikou.    IV.  20 


306  Gosaelin  —  Qossmann. 

de  Toulona;  letztere  ist  berühmt  durch  die  eingeflochtene  interessant  harmonisirte 
und  glänzend  instrumentirte  Marseillaise.  In  seiner  Stellung  am  Conservatoi  ium 
betheiligte  er  sich  an  der  Abfassung  der  meisten  eigens  für  diese  Anstalt  zu 
schaffenden  Lehrbücher,  namentlich  der  grossen  rtMethode  de  ehanU  (1804). 
Das  Institut  de  France  ernannte  ihn  alsbald  nach  seiner  Gründung  zum  Mit- 
gliede  der  musikalischen  Section ,  und  von  Napoleon  erhielt  er  das  Kreuz  der 
Ehi'enlegion.  Nach  der  zeitwelligen  Auflösung  des  Conscrvatoriums,  aus  dem 
als  sein  ausgezeichnetster  Schüler  Catel  hervorgegangen  ist,  im  J.  1815,  wurde 
er  pensionirt,  besuchte  aber,  von  jugendlicher  Liebe  zur  Tonkunst  bis  zu  seinem 
Ende  beseelt,  regelmässig  die  Sitzungen  der  Akademie  der  schönen  Künste 
bis  zum  J.  1823.  Hierauf  zog  sich  der  neunzigjährige  Meister  nach  Passy  bei 
Paris  zurück  und  starb  daselbst  in  einem  Alter,  welches  keine  der  Berühmt- 
heiten in  der  Musik  erreicht  hat,  am  16.  Febr.  1829.  —  Wenn  etwas  G.  ehrt 
und  vor  allen  Anderen  auszeichnet,  so  ist  es  der  Umstand,  dass  er  den  hohen 
Rang,  den  er  unanfechtbar  in  der  Geschichte  der  französischen  Musik  einnimmt, 
lediglich  eigenem  tüchtigen  Streben  zu  danken  hat.  Dank  welchem  er  sich 
ohne  Hülfe  von  Gönnern  oder  Lehrern  aus  der  Dunkelheit  emporarbeitete  und 
das  ihm  innewohnende  Talent  zu  meisterhafter  Bethätigung  entfaltete.  Beson- 
ders sind  es  seine  Kirchenwerke,  welche  als  vorzügliche  Tonschöpfungen  noch 
lange  dem  Zahne  der  Zeit  trotzen  werden,  so  das  oben  erwähnte  B,equiem, 
andere  Messen  und  Motetten,  ein  grossartiges  Te  deum,  ein  dreistimmiger  a 
Capella-Q^eBSing  »O  salutaris  hostiaa  und  von  seinen  Oi'atorien  besonders  das  »de 
la  nativitea  (1780)  mit  einem  unvergleichlich  schönen  Doppelchor  der  Engel 
und  Hirten.  Gleich  hinter  seinen  Opern,  die  oben  gleichfalls  angeführt  sind, 
ist  seine,  aus  Chören  und  Melodramen  bestehende  Musik  zu  Kacine's  »Athalie« 
zu  nennen  und  endlich  auch  seine  Instrumentalcompositionen,  die  epochemachend 
in  die  Geschichte  der  Entwickelung  der  Instrumentalmusik  jenseits  des  Rheins 
eingriffen.  Es  sind  dies  29  Sinfonien  für  Orchester,  eine  concertirende  Sin- 
fonie für  11  Instrumente,  Harmonieniusiken  verschiedener  Art,  Ouvertüren, 
Streich-  und  Flötenquartette,  Trios,  Violinduette,  Serenaden  für  Flöte,  Violine, 
Hora,  Fagott,  Viola  und  Bass  u.  s.  w.  Alle  diese  Werke  haben  zum  wenigsten 
einen  bedeutenden  historischen  Werth,  wenn  sie  auch  einer  strengeren  kritischen 
Beurtheiluug  nicht  immer  Stich  halten  und  seine  sogenannten  Sinfonien  z.  B. 
mit  Haydn's  derartigen  AVerken  gar  nicht  zu  vergleichen  und  überhaupt  schon 
in  der  Form  etwas  Anderes  sind.  Den  grössten  Beifall  der  Zeitgenossen  haben 
seine  Werke  im  Kammerstyle,  besonders  die  Quartette  gefunden. 

Gosseliu,  Jean,  französischer  Tonkünster,  gegen  1506  zu  Vire  in  der 
Normandie  geboren,  war  in  seinen  Mannesjahren  Bibliothekar  der  Könige  Karl 
IX.  und  Heinrich  III.  von  Frankreich  und  hatte  in  sehr  hohem  Alter  1604 
das  Unglück,  in  ein  Kamrain  zu  fallen  und  in  Folge  der  Brandwunden  zu 
sterben.  Musikgeschichtlich  ist  G.  durch  sein  Wei'k:  nLa  main  harmonique  ou 
les  principes  de  musique  antique  et  modernen  (Paris,  1571),  »darinnen  die  Eigen- 
schaft so  die  Music  von  den  sieben  Planeten  herhaben  soll,  bemercket«  fügt 
die  alte  deutsche  Uebersetzung  hinzu,  bekannt.  Vgl.  Verdier  Bibl.  —  Ein 
altenglischer  Tonkünstler  dieses  Namens,  latinisirt  Gosselinus  geschrieben, 
lebte  im  11.  Jahrhundert  als  Mönch  zu  Canterbury,  wie  Gerbert's  (beschichte 
nach  den  englischen   Quellen  des  AVill.  Malmesbury  mittheilt.  f 

Gosser  ist  der  Name  eines  als  hervorragend  bezeichneten  schlesischen  Orgel- 
bauers, der  ums  Jahr  1770  in  gi'osseni  Ansehen  stand.  Vgl.  Burney's  Reise- 
bericht Band  III.  zweites  Register.  f 

Oossmuuu,  Johanna  Christina,  geborene  Weinzierl,  ausgezeichnete 
deutsche  Concertsängerin  und  geschickte  Clavierspielerin ,  wurde  am  10.  Febr. 
1807  zu  München  geboren  und  erhielt  in  Würzburg,  wohin  ihr  Vater  1816 
als  königl.  baierischer  Regimentsquartiermeister  versetzt  worden  war,  und  zwar 
besonders  auf  dem  königl.  Musiklehrinstitute  von  Fröhlich  und  Eisenhofer,  eine 
sorgfältige,  ihre  bedeutenden  Naturanlageu   glücklich  entwickelnde  musikalische 


Gosson  —  Gottfried  von  Nifen.  307 

Ausbildung.  Später  wurde  sie  selbst  als  Lehrerin  des  Pianofortes  und  Gesangs 
bei  dieser  Anstalt  angestellt,  und  ihre  Intelligenz  und  anspruchslose  Bescheiden- 
heit erwarben  ihr  auch  einen  grossen  Privats'chülerkreis.  Gleichzeitig  wurde 
sie  in  den  Concerten  des  Würzburger  Musikvereins  als  Pianistin  und  Sängerin 
der  entschiedene  Liebling  des  Publikums.  Auch  die  Bühne  betrat  sie  in  hohen 
Sopranparthien  mit  bedeutendem  Erfolge,  vermochte  daselbst  jedoch  ihre  an- 
geborene decente  Schüchternheit  nicht  ganz  zu  überwinden.  Ihre  im  J.  1833 
erfolgte  Verheirathung  mit  dem  Literaten  und  Lehrer  an  der  königl.  Studien- 
anstalt in  Würzburg,  Dr.  J.  B.  Gossmann,  gab  sie  wieder  ausschliesslich  dem 
Kirchen-  und  Concertgesange  zurück;  jedoch  starb  sie  schon  am  13.  Oktbr. 
1840  an  einer  Brustkrankheit  zu  Würzburg.  —  Ihre  Stimme  wird  als  sehr 
umfangreich,  überaus  wohlklingend  und  volubil  und  ihr  Vortrag  als  echt 
musikalisch  bezeichnet. 

Gosson,  Stephan,  englischer  Theologe,  geboren  1556  zu  Kent  und  in 
seiner  Jugend  grosser  Verehrer  des  Theaters,  starb  als  Prediger,  der  in  geist- 
licher Schwärmerei  sich  besonders  durch  Stra^x'edigteu  einen  Namen  erwarb. 
Eine  solche,  gegen  die  Dichter  und  Tonkünstler  geschrieben,  deren  Titel  Gerber 
in  seinem  Tonkünstlerlexikon,  1812,  abdruckt,  veranlasste  den  letzteren,  ihn 
als  Musikschriftsteller  zu  beachten.  f 

Gostena,  Giovanni  Battista  della,  ein  italienischer  Tonsetzer,  um  die 
Mitte  des  IG.  Jahrhunderts  zu  Genua  geboren,  hat  sich  als  Madrigalencomponist 
einen  Namen  geschaffen;  siMachngali  a  4  vocü<^  (Venedig,  1582)  von  ihm  findet 
man  noch  in  der  königl.  Bibliothek  zu  München.  f 

Gostling,  William,  ein  englischer  Tonsetzer,  der  sich  an  der  Herausgabe 
von  Dr.  Boyce's  Cathedral  Music  betheiligte.  Mehr  über  ihn  findet  man  im 
dritten  Bande  des  angeführten  Werkes  und  in  Gerbert's  Geschichte.         f 

Goswin,  Anton,  in  der  £ibl.  class.  des  Draudius  latinisirt  als  Antonius 
Gostuinus  aufgeführt,  deutscher  Tonsetzer  der  letzten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts, war  erst  Hofmusikus  der  Kapelle  zu  München,  dann  nach  einander 
Kapellmeister  der  Bischöfe  zu  Lüttich,  Hildesheim  und  Preising  und  endlich 
des  Pfalzgrafen  Ernst  bei  Khein.  Von  seinen  Compositionen  sind  als  gedruckt 
noch  dreistimmige  »newe  teutsche  Lieder«  (Nürnberg,  1581),  fünf-  und  sechs- 
stimmige geistliche  Lieder  (1583)  und  fünfstimmige  Madrigale  (1615)  in  der 
königl.  Bibliothek  zu  München  vorhanden. 

Gotter,  Friedrich  Wilhelm,  deutscher  Dichter,  geboren  am  3.  Septbr. 
1746  zu  Gotha,  studirte  seit  1763  in  Göttiugen  die  Rechte,  wurde  daselbst 
mit  Eckhof  bekannt  und  in  Folge  dessen  für  das  Theater  begeistert.  Als 
zweiter  geheimer  Archivar  1766  in  Gotha  angestellt,  ging  er  ein  Jahr  später 
als  Legationssecretär  nach  Wetzlar  und  begleitete  1768  zwei  junge  Edelleute 
nach  Göttingen  zurück,  wo  er  mit  seinem  Freunde  Boje  den  ersten  »Musen- 
almanach« begründete.  Im  J.  1769  kehrte  er  nach  Gotha  und  1770  auf  seinen 
Posten  nach  Wetzlar  zurück.  Er  starb  am  18.  März  1797  zu  Gotha  als  Ge- 
heimsecretär  und  Legatiousrath.  Durch  praktische  Ausübung  auf  einem  Ge- 
sellschaftstheater mit  den  Bedürfnissen  und  Forderungen  der  Bühne  genau 
vertraut,  dichtete  G.  u.  A.  wirksame  Singspiele  (Leipzig,  1779),  die  unter  den 
deutschen  Operntexten  seiner  Zeit  eine  hervorragende  Stelle  einnahmen,  von 
den  besten  Componisten  in  Musik  gesetzt  wurden  und  vielfach  zur  Aufführung 
kamen.  Am  wenigsten  gelungen  sind  diejenigen,  welche  er  nach  Shakespeare'- 
schen  Dramen  bearbeitete,  wie  »Romeo  und  Julia«  und  »Die  Geisterinsel«;  es 
fehlte  ihm  bei  allen  trefflichen  Dichtereigeuschaften  zu  sehr  an  Reichthum 
der  Phantasie ,  um  diese  Stoffe  glücklich  behandeln  zu  können.  Dagegen 
zeichnen  sich  durch  natürliche  Leichtigkeit,  Feinheit  und  Anmuth  insbesondere 
sein  »Jahrmarkt«  und  »Die  Dorfgala«  aus.  Auch  einige  Cantatentexte  hat  er 
geschrieben,  von  denen  »Maria  Theresia  bei  ihrem  Abschied  von  Frankreich« 
der  bedeutendste  ist. 

Gottfried  von  Nifen,    deutscher  Meistersinger  des  13.  Jahrhunderts,    ent- 

20* 


308  Gottfried  von  Strassburg  —  Gottiero. 

stammte  dem  gleiclmamigen  Adelsgeschlechte,  dessen  Burg  bei  dem  Städtchen 
Neufen  unweit  Tübingen  stand  und  das  in  unverbrüchlicher  Anhänglichkeit  zu 
den  Hohenstaufen  stand.  G.'s  erhalten  gebliebene  Gesänge  bewegen  sich  in 
dem  damals  gewöhnlichen  Kreise  von  Minne-  und  Mailust  und  elegischer  Liebes- 
klage, zeichnen  sich  aber  vortheilhaft  durch  das  Gepräge  des  Volksmässigen 
aus,  so  dass  sie  zum  Theil  fast  wie  reine  Volkslieder  erscheinen.  Dem  hoch- 
geborenen Sänger  gereicht  es  zu  nicht  geringer  Ehre,  dass  der  Volksgesang 
nicht  ohne  Einfluss  auf  ihn  geblieben  ist  und  dies  zu  einer  Zeit,  wo  die 
höfischen  Lieder  noch  an  der   Tagesordnung  waren. 

Gottfried  von  Strassburg:,  einer  der  bedeutendsten  und  vielleicht  der  mit 
reichstem  Talente  begabte  Dichter  und  Sänger  der  mittelhochdeutschen  Zeit, 
war  ohne  Zweifel  aus  der  Stadt  im  Elsass  gebürtig,  deren  Namen  er  trägt, 
obwohl  kein  Zeugniss,  die  überhaupt  über  seine  äusseren  Lebensumstände 
fehlen,  es  besagt.  Er  lebte  um  die  Wendezeit  des  12.  und  13.  Jahrhunderts, 
gehörte  dem  bürgerlichen  Laienstande  an  und  wird  daher  nirgend,  wie  Ritter 
und  Geistliche  »Herr«,  sondern  nur,  seiner  Kunst  zu  Ehren,  »Meister«  genannt. 
Sein  Hauptwerk  ist  das  um  1207  begonnene  epische  Gedicht  »Tristan  und 
Isolt«  über  welchem  er  starb,  nachdem  er  über  zwei  Drittel  der  Sage  in  fast 
20,000  Versen  gedichtet  hatte.  Ausser  diesem  sind  von  G.  einige  wenige 
lyrische  Gesänge  erhalten  geblieben,  unter  denen  das  schon  von  Kourad  von 
Würzburg  sehr  hoch  gestellte  »geistliche  Minnolied«  und  ein  anderes,  in  welchem 
er  das  Glück  der  Armuth  preist,  vortrefflich  zu  nennen  sind.  In  seinen  Dich- 
tungen fehlt  im  Uebrigen  die  Kraft  wahrhaft  künstlerischer  Gestaltung,  und 
der  glänzende  Schmuck  der  Darstellung  überwuchert  die  Gedanken  und  Em- 
pfindungen. 

Gotthard,  J.  P.,  eigentlich  mährisch  Pazdirek  geheissen,  talent-  und 
verdienstvoller  österreichischer  Tonkünstler,  ward  am  19.  Januar  1839  zu 
Drahanowitz  in  Mähren  geboren.  Mit  sieben  Jahren  erhielt  er  seinen  ersten 
musikalischen  Unterricht,  wurde  vier  Jahre  darauf  Kirchenchorknabe  in  Alt- 
wasser und  endlich  Solosopranist  am  Dom  zu  Olmütz.  Seine  wissenschaftlichen 
Studien  führten  ihn  später  an  das  akademische  Gymnasium  zu  Wien,  wo  er 
sich  für  Coraposition  und  Contrapunkt  gleichzeitig  dem  gediegenen  Unterrichte 
Simon  Sechter's  anvertraute.  Eine  grosse  Messe,  welche  durch  die  k.  k.  Hof- 
kapelle zur  Aufführung  gelaugte  und  Aufsehen  erregte,  sowie  die  Zuerkennung 
des  Künstlerstipendiums  von  Reicliswegen  waren  die  Errungenschaften  von  G.'s 
gewissenhafter  Musikübung.  Bald  darauf  trat  er  als  Componist  von  Piano- 
fortesachen und  besonders  von  feinsinnigen  Liedern  mit  so  bedeutendem  Er- 
folge in  die  Oeffentlichkeit,  dass  die  ersten  deutschen  Musikverloger  deren  Her- 
ausgabe übernahmen.  Im  J.  1868  begründete  G.  selbst  eine  Kunst-  und  Mu- 
sikalienhandlung, der  er  bis  zu  Anfang  des  J.  1874  vorstand.  In  dieser  Stellung 
erstrebte  und  gewann  er  einen  wohlthätigen  Einfluss  auf  das  Musikleben  Wiens 
besonders  dadurch,  dass  er  in  seinen  Sälen  Novitätenconcerte  veranstaltete  und 
in  denselben  jungen  Talenten  wie  Goldmark,  Herrn.  Riedel,  Jul.  Zellner  u.  B.  w., 
deren  Erstlingswerke  er  auch   druckte,  Anerkennung  verschaffte. 

Gotthold,  Friedrich  August,  musikgebildeter  deutscher  Pädagoge,  ge- 
boren um  1790,  war  noch  1854  Direktor  des  Friedrichs- Colleg's  zu  Königsberg 
i.  Pr.  und  beschäftigte  sich  als  Mitarbeiter  des  Volksschulfreundes  und  anderer 
Fachblätter  angelegentlich  mit  Verbesserung  des  Schulgesanges,  welchem  Be- 
streben auch  folgende  selbstständige  Schriften  von  ihm  entstammen:  »Gedanken 
über  den  Unterricht  im  Gesänge  auf  öffentlichen  Schulen«  (Königsberg,  1811) 
und  »Soll  der  bit;hei-ige  Kirchenchoral  mit  dem  rhythmisch -vierstimmigen  ver- 
tauscht werden?«  (Königsberg,  1852).  Andere  Schriften  musikalischen  Inhalts 
von  ihm  sind:  »Ueber  Fürst  Anton  Radziwill's  Composition  zu  Goethe's  Faust« 
(Königsberg,  1839)  und  »Ueber  Richard  Wagner's  Tannhäuser  und  seine  erste 
Aufführung  in  Königsberg«   (Ebd.,   1854). 

Gottiero,  Giovanni  Viucenzo,  italienischer  Contrapunktist  des  16.  Jahr- 


Gottling  —  Gottsched,  309 

hunderte,  von  dem  sich  jedoch  nichts  weiter  als  einige  Satzproben  in  des  de 
Äntiquis  vFrimo  lihro  a  2  voei  de  diversi  autori  di  Bari«  (Venedig,  1585)  vor- 
finden, t 

CrOttling',  Elias,  deutscher  Violinist,  war  in  der  Hofkapelle  zu  Berlin 
seit  1572  als  kurfürstl.  brandenburg'scher  Kammermusiker  angestellt.  Ein 
anderer  kurfürstl.  Geiger  dieses  Namens,  vielleicht  sein  Sohn,  findet  sich  in 
den  Listen  des  Hofhaushalts  vom   J.  1638. 

Gottschaldt,  Johann  Jacob,  musikkundiger  deutscher  Theologe,  geboren 
zu  Eybenstock  am  21.  April  1688,  wo  er  auch  später  Magister  und  Diakonus 
ward,  starb  am  15.  Februar  1759  als  Pastor  zu  Schönebeck  in  Sachsen.  Von 
seinen  im  Druck  erschienenen  "Werken  sind  durch  musikalischen  Inhalt  be- 
merkenswerth :  »Allerhand  Lieder-ßemarquen«,  von  denen  sieben  Theile,  all- 
jährlich einer  von   1737  an,  erschienen.  f 

Gottschalg,  Alexander  Wilhelm,  geboren  am  14.  Febr.  1827  in  Mechel- 
roda  bei  "Weimar,  jetzt  Hoforganist  und  Musiklehrer  am  grossherzogl.  Seminar 
zu  "Weimar,  genoss  seine  erste  musikalische  Bildung  beim  Cantor  "Wirth  in 
Oettern,  kam  dann  1842  auf  das  Seminar  zu  "Weimar^  wo  er  Prof.  Dr.  Topf  er 's 
Unterricht  im  Orgelspiel  und  in  der  Harmonielehre,  und  den  des  Kapellmeisters 
Carl  Wettig  im  Ciavierspiel  empfing.  Später  nahm  sich  seiner  Dr.  Eranz 
Liszt  in  uneigennützigster  Weise  an  und  förderte  namentlich  seine  Ausbildung 
im  Orgelspiel.  G.  vergalt  dieses  Entgegenkommen  durch  dankbar  ergebene 
und  treue  Gesinnungen  gegen  den  Meister,  dessen  Correspondenzlast  er  zum 
grossen  Theile  auf  sich  genommen  hat.  Gegenwärtig  redigirt  G.  die  weit  ver- 
breitete Orgelzeitung  Urania  und  zwar  im  musikalisch-fortschrittlichen  Sinne. 
Ausserdem  ist  er  an  mehreren  grossen  Musikzeitungen  (N.  Zeitschr.  f.  Musik 
u.  s.  w.)  sehr  geschätzter  Correspondent  und  Mitarbeiter.  Componirt  hat  G. 
Orgel-,  Ciavier-  und  Gesangsachen.  Als  Schriftsteller  veröffentlichte  er  selbst- 
ständig  ein  »Kleines  Handlexikon  der  Tonkunst,  insbesondere  für  Deutschlands 
Lehrer-Seminarien,  Organisten,  Cantoren  u.  s.  w.«  (Erfurt,  1863),  von  dem  bis 
jetzt  jedoch  nur  das  erste  Bändchen,  enthaltend  die  Erklärung  der  hauptsäch- 
lichsten musikalischen  Fremdwörter,  Kunstausdrücke  und  Abbreviaturen,  er- 
schienen ist,  sowie  eine  biographische  Skizze  Job.  Gottl.  Töpfer's  (Weimar,  1867). 

Gottschalk,  Louis  Moritz,  ein  glänzender  Ciaviervirtuose  der  jüngsten 
Vergangenheit,  geboren  1829  zu  New-Orleans,  machte  seine  pianistischen  Stu- 
dien von  1841  bis  1846  bei  Meistern  wie  Ch.  Halle  und  Chopin  in  Paris  und 
unternahm  von  1847  au  sehr  erfolgreiche  Kunstreisen  durch  Frankreich,  die 
Schweiz,  Italien  und  Spanien.  Im  J.  1853  kehrte  er  in  seine  überseeische 
Heimath  zurück  und  beschränkte  seitdem  seine  Concertreisen  auf  Nord-  und 
Südamerika,  wo  er  allenthalben  gefeiert  wurde,  namentlich  1866  in  Californien 
und  Brasilien.  Auf  einem  abermaligen  Besuch  des  zuletzt  genannten  Landes 
begriffen,  starb*  er  am  18.  Decbr.  1869  zu  Rio  de  Janeiro.  Aeusserlich  glän- 
zend wie  sein  Spiel  waren  seine  lediglich  auf  Bravour  und  effektvolle  Technik 
berechneten  Compositionen  für  Ciavier ,  die ,  weil  sie  entweder  amerikanische 
Melodien  behandelten  oder  nationale  Eindrücke  ziemlich  charakteristisch  schil- 
derten, namentlich  in  Frankreich  eine  vorübergehende  Beliebtheit  sich  gewan- 
nen. —  Eine  jüngere  Schwester  von  ihm,  Clara  G. ,  machte  sich  in  ihrem 
Vaterlande  gleichfalls  als  fertige  Pianistin  vortheilhaft  bekannt  und  bewährte 
diesen  Ruf  in  der  Saison  1873  —  74  auch  in  Paris,  wo  sie  im  Concertsaal  und 
in  den  Salons  besonders  mit  Compositionen  ihres  Bruders  unter  grossem  Bei- 
fall auftrat. 

Gottsched,  Johann  Christoph,  der  bekannte  deutsche  Gelehrte  und 
Dichter,  welcher  sich  namentlich  um  die  deutsche  Literatur  und  Sprache  einer- 
seits ebenso  verdient  als  durch  seine  pedantischen  Grundsätze  und  Abge- 
schmacktheiten berüchtigt  gemacht  hat ,  gehört  hierher ,  weil  er  in  scharfen 
Kritiken  das  zu  seiner  Zeit  wuchernde  geschmacklose  Opernwesen  bekämpfte 
und  weil  er  fast  zuerst  den  Componisten  die  richtige  Anweisung  gab,  wie  Oden 


310  Gotscbovius  —  Gottwald. 

und  Lieder  kunstgeraäss  und  ansprechend  in  Musik  zu  setzen  seien.  Geboren 
am  2.  Febr.  1700  zu  Juditenkirch  bei  Königsberg  in  Preussen ,  konnte  er, 
durch  seinen  Vater,  einen  Prediger,  vorgebildet,  schon  1714  die  Universität  in 
Königsberg  beziehen,  wo  er  sich  erst  theologischen,  dann  philosophischen  und 
philologischen  Studien  widmete.  Seit  1724  wirkte  er  fortdauernd  in  Leipzig, 
wurde,  nachdem  er  mit  Vo)lcsuugcn  über  die  schönen  AVissenschaften  begonnen 
hatte,  1730  zum  ausserordentlichen  Professor  der  Philosophie  und  Dichtkunst, 
1734  zum  ordentlichen  Professor  der  Logik  und  Metaphysik  ernannt  und  starb 
als  Decemvir  der  Universität  und  als  Senior  der  philosophischen  Facultät  und 
des  grossen  Fürstencollegiums  am  12.  Decbr.  1765.  Folgende  seiner  zahlrei- 
chen kritischen  Abhandlungen  botreffen ,  und  zwar  in  meist  scharfsinniger  Ai't 
die  Musik:  »Gedanken  von  den  Opern  und  Singspielen«  (in  seiner  »Kritischen 
Dichtkunst«  Bd.  II,  Leipzig,  1730);  »Gedanken  von  den  Cantaten«  (ebendas. 
und  auch  in  Mitzler's  Bibl.  Bd.  I);  »Gedanken  vom  Ursprung  und  Alter  der 
Musik«  (in  ]\litzler's  Bibl.  vom  J.  1738);  »Antwort  auf  Dr.  Hiidemann's  Ab- 
handlung von  den  Vorzügen  der  Oper  vor  Tragödien  und  Komödien«  (in  Mitz- 
ler's Bibl.  Bd.  III).  —  Seine  Gattin,  Louise  Adelgunde  Victoria  G.,  ge- 
borene Culmus,  geboren  zu  Danzig  am  11.  Apr.  1713,  eine  durch  Geist  und 
Gelehrsamkeit  in  seltenster  Art  ausgezeichnete  Frau  und  Schi-iftstelleriu,  besass 
auch  in  der  Tonkunst  ganz  vorzügliche  Fertigkeiten.  Sie  stand  ihrem  Manne, 
den  sie  in  vielen  Stücken  übersah,  in  seinen  literarisch-kritischen  Bestrebungen 
wesentlich  bei,  ohne  über  ihre  gelehrte  Thätigkeit  ihre  häuslichen  Pflichten  ir- 
gend zu  vernachlässigen.  Verehrt  und  hochgeachtet  starb  sie  am  26.  Juni  1762 
zu  Leipzig.  In  Mai-purg's  krit.  Beiträgen  befinden  sich  zwei  von  ihr  aus  dem 
Französischen  übersetzte  musikalische  Aufsätze. 

Gotschovius,  Nicolaus,  Componist  geistlicher  Gesänge,  geboren  um  1575 
zu  Rostock,  war  Organist  an  der  Marienkirche  daselbst  und  veröffentlichte: 
liDeean  musicalis  prima  sacrarum  odarum  für  4,  5  bis  10  und  mehr  Stimmen 
(Rostock  1G03)«  und  -n^acrarum  cantionum  et  motectarmn  centuriaea  (eben- 
das. 1608  und  in  Hambui'g  gedruckt).  Vgl.  Draudius,  Bibl.  Class.  p.  1638 
und  1642.  t 

Gottwald,  Heinrich,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler  und  geistvoller  Mu- 
sikschriftsteller, geboren  am  24.  Octbr.  1821  zu  Reichenbach  in  Schlesien,  er- 
hielt schon  frühzeitig  von  seinem  Vater,  dem  Cantor  und  Organisten  Franz 
G.,  Musikunterricht,  so  dass  er  mit  12  Jahren  denselben  aushülfsweise  in  der 
Kirche  vertreten  konnte.  Im  J.  1839  kam  er  auf  das  Schullelirerseminar  in 
Breslau,  das  er  jedoch,  entschlossen  sich  ganz  der  Musik  zu  widmen,  bald  wie- 
der verliess,  worauf  er  in  das  Prager  Conservatorium  eintrat,  in  welchem  er  bis 
1843  eifrig  den  tonkünstlerischen  Studien  oblag  und  namentlich  die  Violine  bei 
Pixis,  sodann  auch  das  Hörn  als  seine  Hauptinstrumeute  pflegte.  Als  Musik- 
direktor ging  er  1844  nach  Hohenelbe  in  Böhmen  und  von  da  %wei  Jahre  spä- 
ter nach  Wien ,  wo  er  als  erster  Hornist  im  Orchester  des  Theaters  an  der 
Wien  wirkte,  in  Concerten  öffentlich  auftrat  und  bei  Gentiluomo  sich  eingehend 
noch  mit  Gesangstudien  beschäftigte.  Im  J.  1847  kehrte  er  in  die  frühere 
Stellung  in  Hohenelbe  zurück,  siedelte  aber  1857  nach  Breslau  über,  wo  er 
sich  als  Pianist,  Clavieilehrer  und  musikalischer  Schriftsteller,  der  mit  Gewandt- 
heit und  Geist  die  Grundsätze  der  neudeutschen  Richtung  in  der  Kunst  ver- 
trat, eine  geachtete  Stellung  erwarb  und  noch  gegenwärtig  inne  hat.  Als  Com- 
ponist ist  er  mit  Sinfonien,  Ouvertüren,  Messen,  Concertstücken  für  Hörn  und 
für  Pianoforte  zu  wiederholten  Malen  ehrenvoll  hervorgetreten ,  im  Druck  er- 
schienen sind  jedoch  von  seinen  Arbeiten  nur  ein  Claviertrio,  eine  Sonate  für 
Pianoforte,  ein  Lied  ohne  Worte  für  Hörn,  eine  Messe,  eine  Cantate  und  Lie- 
der, sowie  treffliche  Arrangements  Mozart'schcr  Sinfonien  für  Pianoforte  und  Vio- 
line. Seine  dem  Fortschritte  in  der  Musik  im  Sinne  Wagner-Liszt's  huldigen- 
den Ansichten  vertrat  er  seit  1850  in  Aufsätzen,  die  sich  in  der  Neuen  Zeit- 
schrift für  Musik  befinden  und  in  der  polemischen,  gegen  Dr.  Viol  gerichteten 


Gottwald  —  Goudimel.  311 

Schrift    »Ein    Breslauer    Augenarzt    und     die    neue    Musikrichtung a    (Leip- 
zig, 1859). 

Gottwald,  Joseph,  hervorragender  deutscher  Orgelspieler  und  Kirchen- 
componist,  geboren  am  6.  August  1754  zu  "Wilhelmsthal  in  der  Grafschaft 
Glatz ,  erhielt  von  seinem  Vater ,  einem  Müller ,  den  ersten  Ciavierunterricht. 
Seine  Ausbildung  in  den  Scliulgegenständen ,  wozu  sich  etwas  Orgelspiel  ge- 
sellte, übernahm  der  Lehrer  in  AVölfelsdorf  bei  Habelschwerdt.  Da  der  Knabe 
keinerlei  Neigung  zum  Müllerhandwerke ,  welches  er  beim  Vater  zu  erlernen 
anfing,  bekundete,  so  wurde  er  1766  als  Chorknabe  an  die  Dominicanerkirche 
nach  Breslau  gebracht  und  zeigte  sich  dort  so  musikeifrig,  dass  man  ihm  schon 
nach  drei  Jahren  den  Organistendienst  an  dieser  Kirche  zuwies.  Auf  O.'s  fer- 
nere Bildung  wirkte  der  Umgang  mit  einem  jungen  Arzte,  der  schätzbare  theo- 
retisch-musikalische Kenntnisse  besass,  höchst  vortheilhaft.  Im  J.  1783  wurde 
G.  Oberorganist  an  der  Kreuzkirche  zu  Breslau,  1819  am  Dome  und  starb  am 
25.  Juni  1833.  In  seineu  Mannesjahren  galt  G.  für  den  ersten  Organisten 
Schlesiens;  ebenso  waren  seine  Kirchenwerke,  bestehend  in  zehn  Hymnen,  zwei 
Vespern ,  drei  Messen ,  sechs  Offertorien  u.  s.  w.  sehr  beliebt.  Hauptantheil 
hatte  G.  auch  an  der  Herausgabe  der  »Melodien  zum  Gebrauch  bei  dem  Gebet- 
und  Liederbuche  für  die  lernende  Jugend  in  katholischen  Stadt-  und  Land- 
schulen« (Breslau,  1804). 

Gottwalt ,  J.,  ein  deutscher  Violinist  und  Instruraentalcomponist  des  18. 
Jahrhunderts,  der  vorwiegend  in  Paris  lebte,  woselbst  er  auch  Sonaten ,  Trios 
und  Duette  für  Streichinstrumente  (Paris ,  1754)  veröffentlichte.  Noch  um 
1800  erschienen  von  ihm  8  Ciaviervariationen  bei  Breitkopf  und  Härtel  in 
Leipzig. 

Goubillet,  Andre,  französischer  Kirchencomponist,  wurde  1683  als  Musik- 
direktor der  königl.  Kapelle  zu  Versailles  angestellt  und  schrieb  Motetten, 
Hymnen  u.  s.  w.     Richtiger  wird   er   übrigens  Goupillet  (s.  d.)   geschrieben. 

Goudar,  Ange,  gewandter  französischer  Schriftsteller  aus  Montpellier,  wo 
er  in  der  ersten  HäKte  des  18.  Jahrhunderts  geboren  war.  Er  ist  in  musika- 
lischer Hinsicht  der  pseudonyme  Verfasser  der  pikanten  Schrift  »Das  Brigan- 
tenthum  in  der  italienischen  Musik«  (Amsterdam  und  Paris,  1780)  und  starb 
etwa  1786  zu  London.  —  Seine  Gattin,  Sara  G. ,  eine  geborene  Engländerin 
aus  London  und  um  1800  zu  Paris  gestorben ,  veröffentlichte  u.  A.  »Bemer- 
kungen über  die  Tanzmusik  in  Briefen  an  Milord  Pambroke«  (Paris,  1773). 

Gondimel,  Claude,  einer  der  gelehrtesten  und  berühmtesten  Tonmeister 
des  16.  Jahrhunderts,  den  Niederländer  und  Franzosen  als  ihren  Landsmann 
reclamiren.  Er  ist  wahrscheinlich  gegen  1510  in  der  Franche  -  Comte  geboren 
und  vielleicht  noch  ein  Schüler  des  greisen  Josquin  gewesen.  Auch  wissen- 
schaftlich rauss  er  eine  feine  und  gelehrte  Erziehung  genossen  haben,  denn  seine 
in  gutem,  reinem  Latein  geschriebenen  Briefe,  die  Paul  Melissus  in  seinen  Ge- 
dichten abdrucken  Hess,  bekunden  den  hochgebildeten  Mann.  Im  J.  1540  war 
G.,  wie  Baini  festgestellt  hat,  in  Rom  und  stand  an  der  Spitze  einer  von  ihm 
begründeten  Musikschule,  aus  welcher  als  seine  Schüler  u.  A.  Palestrina,  Gio- 
vanni Animuccia,  Stefano  Bettini,  Aless.  Merulo  und  Giov.  Maria  Nanini  hervor- 
gingen. Seine  enorme  Bedeutung  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  classi- 
schen  italienischen  Kirchenmusik  steht  dadurch  ausser  Zweifel.  Von  Rom  aus 
scheint  er  sich  wieder  nach  Frankreich  gewendet  zu  haben,  denn  1555  befand 
er  sich  in  Paris,  wo  er,  doch  nur  ein  Jahr  lang,  mit  Nicolas  du  Chemin  eine 
Notendruckerei  betrieb.  Um  1562  trat  er  zur  reformirteu  Kirche  über,  der  er 
seitdem  seine  tonkünstlerischen  Kräfte  epochemachend  zuwandte.  Dass  er  sich 
dadurch,  sowie  durch  die  von  ihm  betriebene  Einführung  von  weltlichen  Volks- 
melodien in  den  Kirchengesang,  worin  man  eine  Entweihung  der  Religion  und 
Kirche  sah ,  den  Hass  der  katholischen  Geistlichkeit  im  vornehmlichen  Grade 
zuzog,  ist  leicht  erklärlich,  und  diesen  Hass  büsste  er  denn  auch  mit  dem  Le- 
ben ,    indem  er  als  Hugenott  in  Lyon  in  der  Bartholomäusnacht  (24.  August) 


312  Gouet  —  Goujet. 

1572  eines  der  ersten  Opfer  der  Yolkswiith  wurde.  —  Von  Seinen  zahlreichen 
Werken  dürfte  glücklicherweise  das  Meiste  erhalten  cfehlielien  sein.  Messen 
und  Motetten,  die  er  während  seines  Aufenthaltes  in  Rom  componirte,  befinden 
sich  zahlreich  dort  noch  handschriftlich  in  Kirchenarchiven,  gedruckte  Motetten 
und  Chansons  in  verschiedenen  Sammlungen,  so  im  r>Liher  quartus  ecclesiasticarum 
cantionuma  (Antwerpen,  1554)  und  in  den  y>Chansons  nouvellcment  composees  en 
musique  elc.a  (Paris,  1564).  Andere  mehrstimmige  Gesänge  von  ihm  wurden 
zugleich  mit  solchen  des  Oi'lando  Lasso  unter  dem  Titel  y>La  ßeur  des  chan- 
sons  des  deux  phis  excellens  musiciens  de  notre  temps  etc.v.  (Paris,  1567)  heraus- 
gegeben. Ausserdem  veröffentlichte  G.  von  ihm  in  Musik  gesetzte  Horaz'sche 
Oden  unter  dem  Titel:  »Horatii  Flacci  odae  omnes  (juotqiiot  carminmn  generihiis 
diff'erunt  ad  rhjthmos  musicos  redactaei(.  (Paris,  1555,  in  der  (t. 'sehen  Druckerei 
erschienen);  ferner  r>Ghansons  spirituelles  de  Marc-Antoine  de  Muret  mises  en 
musique  ä  4  partiesa  (Paris,  1555) ;  y>Magiiificat  ex  octo  modis  quinque  vocihusK 
(Paris,  1557)  und  eine  Sammlung  von  Messen  von  Claudin  Sermisy  und  Jean 
Maillard,  die  auch  eine  Messe  von  G.'s  eigener  Composition  mit  enthält,  betitelt: 
TüMissae  tres  a  Claudio  Gou,dimel  praesfantissimo  musico  auctore  nunc  primum  in 
lucem  editae  efc.a  (Paris,  1558).  Bald  nach  der  Herausgabe  seiner  y>Les  psaumes 
de  David  mis  en  musiqiies  ä  4  parties,  en  forme  de  motetsv  (Paris,  1562)  er- 
schien sein  von  der  calvinistischen  Kirche  mit  Recht  bis  auf  den  heutigen 
Tag  hochgehaltenes  Werk:  y>Les  psaumes  de  David  mis  en  rime  frangaise  par 
Clement  Marot  et  Theodore  de  Beze;  mis  en  musique  ä  4  parties  par  Claude 
GoudimeU  (1.,  2.  u.  3.  Aufl.,  Paris,  1565;  Genf,  1580;  4.  Aufl.,  Cliarenton, 
1607  und  später).  Die  Melodien  dieser  Psalme,  welche  damaligem  Zeitgebrauche 
gemäss,  meist  im  Tenore  liegen,  werden  noch  gegenwärtig  in  der  französischen 
reformirten  Kirche  gesungen ,  zum  Theil  auch  von  den  deutschen  Reformirten, 
da  die  Texte  im  Yersmaasse  des  Originals  von  Ambrosius  Lobwasser  deutsch 
übersetzt  worden  sind.  Auch  die  lutherische  Kirche  hat  einige  Melodien  davon 
aufgenommen,  näralicli:  »Fx-eu'  dich  sehr,  o  meine  Seele«  (Mel.  des  42.  Psalms), 
»Herr  Gott,  dich  loben  wir«  (Mel.  des  134.  Psalms)  und  »Wenn  wir  in  höcli- 
sten  Nöthen  sind«  (Mel.  des  140.  Psalms).  —  Es  ist  noch  zu  bemerken ,  dass 
G.  seines  Vornamens  wegen  häufig  mit  Claude  le  Jeune  und  Claudin  Sermisy, 
seinen  Zeitgenossen,  verwechselt,  und  dass  der  Name  G.  selbst  durcl)  Abschrei- 
ber seiner  Manuscripte,  leichtfertige  Schriftsteller  u.  s.  w.  vielfach  corrumpirt 
worden  ist.  So  findet  man  ihn  Gaudio  del  Mel,  Gaudimelus,  Gaudimel ,  Gon- 
dimel,   Guidomel,   Gaudioraelj  Condinellus,   Godmel  u.  s.  w.  geschrieben. 

Gouet,  französischer  Componist  des  17.  Jahrhunderts,  wirkte  als  Musikdi- 
rektor eines  Nonnenklosters  zu  Lougchamp.  Dreistimmige  Chansons  von  ihm 
enthält  der  Jahrg.   1678   des  Merc.  galant  vom  November.  f 

Gougelet,  Pierre  Marie,  französischer  Tonkünstler,  geboren  1726  zu  Chä- 
lons  und  in  der  Maitrise  der  Kathedrale  daselbst  musikalisch  gebildet.  Er 
wandte  sich  später  nach  Paris ,  wo  er  Organist  an  St.  Martin  des  Champs 
wurde  und  am  27.  Jan.  1790  starb.  Er  veröffentlichte  zwei  Sammlungen  fran- 
zösischer Opernarien  mit  Guitarrebegleitung  (Paris,  1768),  sowie  später  ein 
Lehrwerk,  betitelt:  -»Methode  oic  abrege  des  regles  d^accompagnement  de  clavecin, 
et  recueil  d^airs  avec  acc.  d^un  nouveau  genrea  (Paris,  ohne  Datum).  Auch  für 
die  Kirche  hat  er  IMehreres  geschrieben. 

Gough ,  John,  englischer  Physiker  und  Mathematiker,  dessen  Lebenspe- 
riode in  die  Wendezeit  des  18.  und  10.  Jahrhunderts  fällt,  veröffentlichte  meh- 
rere naturwissenschaftliche  Werke ,  in  denen  sich  auch  wichtige  musikalisch- 
physikalische Untersuchungen  und  Ergebnisse  befinden ,  vor  Allem  in  seinem 
Jauche   y>The  nature  of  the  grave  Jiarmoniesa   (London,  1807). 

Goujet,  Abbe,  französischer  Aesthetiker,  der  nach  v.  Blankenburg's  Ansicht 
auch  unter  dem  erdichteten  Namen  Carbasus  schrieb,  ist  wahrscheinlich  der 
Verfasser  der  »Lettre  d  un  ami  sur  le  temple  du  goitt«.  (Paris,  1733).  Die 
Schrift  ry Lettre  ä  Mr.  de  .  .  .,  auteur  du  temjtle  du  goüt,  sur  le  mode  des  itistru- 


Goulet  ~  Gounod.  313 

mens  de  mustquea  (Paris,  1739),  dessen  Verfasser  sich  Carbasus  nennt-  scheint 
nur  eine  spätere  Auflage  des  erstgenannten  Werkes  zu  sein.  f 

Croulet,  französischer  Tonsetzer,  1755  Capellmeister  an  der  Notre  Dame- 
Kirche  zu  Paris,  wird  als  Componist  verschiedener  nicht  unbedeutender  Kir- 
chensachen genannt.  f 

Gonlin,  Pierre,  altfranzösischer  Musikgelehrter,  war  um  1412  Lehrer  des 
Kinderchors  am  College  zu  Saint-Quentin,  woselbst  sich  auch  noch  ein  Traktat 
von  ihm  im  Manuscript  befinden  soll. 

Gounod,  Charles  Frangois,  einer  der  namhaftesten  und  berühmtesten 
französischen  Componisten,  der  namentlich  im  Fache  der  Oper  und  des  Liedes 
unter  seinen  Landsleuten  gegenwärtig  unübertroffen  dasteht,  wui-de  am  17.  Juni 
1818  zu  Paris  geboren.  Seine  schon  früh  hervortretende  aussergewöhnliche 
musikalische  Befähigung  und  sein  auf  das  Grosse  und  Ernste  gerichteter  Sinn 
wiesen  ihn ,  wie  verschiedene  Autoritäten  begutachteten  ,  auf  tonkünstlerische 
Studien,  und  so  erschloss  sich  ihm  bald  das  Pariser  Conservatorium,  wo  er  bei 
Zimmermann,  mit  dessen  Tochter  er  sich  nachmals  (1847)  verheirathete ,  das 
höhere  Ciavierspiel  und  bei  ßeicha,  Lesueur  und  Halevy  den  Tonsatz  studirte, 
nebenbei  auch  von  Ferd.  Paer  mit  praktischen  Rathschlägen  unterstützt.  Nach- 
dem er  1837  mit  dem  zweiten  Preise  belohnt  worden  war,  gelang  es  ihm  1839, 
den  grossen  Compositionspi'eis  davonzutragen ,  in  Folge  dessen  er  die  vorge- 
schriebene Ausbildungsreise  nach  Italien  unternahm.  Seine  Neigung  zur  Kirche, 
die  ihn  auch  später  nicht  verliess,  und  in  Folge  dessen  seine  Vorliebe  für  die 
classische  Kirchenmusik  fand  in  Ilom  unmittelbare  Nahrung  und  fesselte  ihn 
dergestalt  an  die  ewige  Stadt,  dass  er  den  Aufenthalt  in  der  Villa  Medicis  mit 
dem  "Wohnsitze  in  einem  Priesterseminai'e  vertauschte  und  nahe  daran  war,  die 
Weihen  zu  nehmen ,  um  sich  ganz  dem  geistlichen  Stande  zu  widmen.  Die 
Frucht  seiner  eingehenden  musikalisch-theologischen  Beschäftigungen  und  Stu- 
dien alter  Werke  waren  mehrere  grosse  und  kleinere  geistliche  Arbeiten  ,  von 
denen  er  in  Wien,  das  er,  als  die  subventionirten  Studienjahre  zu  Ende  gin- 
gen, auf  einige  Monate  besuchte ,  ein  Requiem  und  eine  Vocalmesse  aufführen 
Hess.  Nach  Paris  zurückgekehrt,  übernahm  Gr.,  seiner  kirchlichen  Richtung  zu 
Liebe,  das  Organisten-  und  Kapellmeistei'amt  an  der  Kirche  der  Missions  etran- 
geres,  ohne  aber  während  der  sechs  Jahre,  die  er  in  dieser  Stellung  verweilte, 
bemerkenswerth  hervorzutreten.  Noch  voll  von  den  in  Deutschland  empfangenen, 
seiner  in  sich  gekehrten  Natur  verwandten  Eindrücken,  beschäftigte  er  sich 
angelegentlich  mit  deutscher  Musik,  besonders  mit  der  von  C,  M.  von  Weber 
und  Mendelssohn,  von  welchem  Studium  denn  auch  sichtbare  Spuren  in  seine 
eigenen  Werke,  nicht  zu  deren  Nachtheil,  übergingen.  Seinen  ersten  eigent- 
lichen Erfolg  in  Paris  hatte  G.  mit  einer  Hochamtsmesse,  welche  1849  in  der 
Kirche  St.  Eustache  zur  AufiFührung  gelangte.  Nicht  lange  darauf  brachte 
man  auch  in  London  einige  Compositionen  G.'s  zu  Gehör,  und  unmittelbar 
hinterher  erschien  im  dortigen  »Athenäum«  ein  Louis  Viardot,  dem  Gatten  der 
berühmten  Sängerin  Pauline  Viardot-Garcia  zugeschriebener  Musikbericht,  wel- 
cher diese  Werke  mit  ungewöhnlicher  Wärme  besprach  und  dem  Talente  ihres 
Componisten  eine  glänzende  Zukunft  prophezeite.  Fest  steht,  dass  die  genannte 
Sängerin  durch  ihren  Einfluss  damals  G.  die  Pforten  der  Grossen  Oper  in 
Paris  eröffnete,  woselbst  am  16.  April  1851  mit  ihr  selbst  in  der  Titelrolle, 
die  erste  Oper  desselben,  »Sappho«,  Text  von  Em.  Augier,  aufgeführt  wurde. 
Dieses  ernste  Werk  brachte  G.  viele  Anerkennung,  auch  jenseits  des  Rheins 
besonders  in  der  BischofTschen  Rheinischen  Musikzeitung,  aber  keinen  bedeuten- 
deren, anhaltenden  Erfolg.  Man  tadelte  und  zwar  mit  Recht,  das  ungünstige, 
larmoyante  Textbuch,  das  einem  G.  allerdings  damals  zusagen  konnte,  und  die 
TJnkenntniss  der  musikalisch-dramatischen  Bühneneffekte,  dann  aber  auch,  ge- 
mäss der  damaligen,  das  Ungewöhnliche  beargwöhnenden  Geschmacksrichtung, 
die  Länge  der  Recitative  und  die  Neuerungssucht  in  den  musikalischen  Formen. 
G.  Hess    sich    dadurch    nicht  beirren  oder  irgendwie  zu  Concessionen  verleiten, 


314  Gounod. 

wie  die  im  Juni  1852  im  Theätre  frangais  aufgeführte  Tragödie  Ponsard's 
»Ulysse«  bewies,  deren  Chöre  er  charakteristisch  und  der  antiken  Localfärbung 
möglichst  entsprechend,  in  Musik  gesetzt  hatte.  Das  Stück  selbst  verschwand 
bald  wieder,  aber  die  Chöre,  welche  die  Kenner  cinraüthig  für  gediegen  er- 
klärten, erschienen  später  noch  oft  im  Concertsaale.  Zu  gleicher  Zeit  wurde 
G.  zum  Direktor  der  Pariser  Normal-Gcsangschule  (Orphcon)  und  1857  als  be- 
reits allgemein  anerkannter  Meister  zum  Ritter  der  Ehrenlegion  ernannt.  Mittler- 
weile hatte  er  1853  der  Grossen  Oper  die  fünfaktige  r>Nonne  sanglante<.<.  über- 
lassen, die  bei  ihrer  Aufführung  im  nächsten  Jahre  wohl  Anerkennung  fand, 
aber  auf  mehr  als  die  üblichen  Wiederholungen  verzichten  musste.  Grossen 
Beifall  gewann  dagegen  eine  Cantate  von  ihm,  welclie  1855  bei  Gelegenheit  des 
Besuchs  der  Königin  von  England  in  Pai'is  aufgeführt  wurde.  Da  man  bisher 
immer  die  unglückliche  "Wahl  seiner  Texte  beklagt  hatte,  so  entnahm  G.  den 
Stoff  für  seine  nächste  Oper  aus  dem  classischen  Lustspiel  »Ze  medecin  malgre 
liiia  (der  Arzt  wider  Willen)  von  Moliere,  das  jedoch  in  seiner  derben  Possen- 
haftigkeit  weder  der  musikalisclien  Behandlung  überhaupt,  noch  dem  individuel- 
len Talente  G.'s  günstig  war.  Für  den  Mangel  an  komischer  Ki'aft  entschädigt 
die  Musik  durch  einige  überaus  graziöse  Nummern.  Das  Werk  erschien  1858 
im  Theätre  lyrique,  dem  Hauptschauplatz  von  G.'s  späteren  Triumpfen,  am 
hundertjährigen  Geburtstage  Moliere's,  und  gefiel,  so  dass  es  noch  1867  von 
Neuem  einstudirt  und  gegeben  wurde.  Alle  bisherigen  Erfolge  stellte  aber 
Gounod's  nächste  Partitur,  der  fünfaktige  »Faust«  (in  Deutschland  meist  »Mar- 
garethe«  benannt),  die  ihn  mit  einem  Schlage  zu  einem  der  populärsten  Ton- 
dichter der  Gegenwart  erhob,  tief  in  den  Schatten.  Der  gescliickte,  kurz  vor- 
her noch  als  Träger  des  Fortschritts  des  Chorgesanges  in  Frankreich  öffentlich 
belobte  Dirigent  des  Orpheon  de  Paris  entpuppte  sich  damit  auf  einmal  als 
berufener  Operncomponist,  der  in  die  Erbschaft  der  älteren  nationalen  Ton- 
meister einzutreten,  für  würdig  befunden  wurde.  Die  Glanzepoche  des  Theätre 
lyrique  unter  Carvalho's  Direktion  erreichte  mit  dieser  Oper  den  Gipfelpunkt, 
und  Frau  Miolan  und  der  Tenor  Michot  als  Margarethe  und  Faust  wurden 
durch  dieselbe  gefeierte  Künstler,  noch  gefeierter  jedoch  G.  selbst,  dessen  Lauf- 
bahn von  damals  an  der  Weltruhm  schmückte.  Der  grossartige  Erfolg,  den 
diese  Oper  seit  dem  19.  März  1859  in  Paris  erranp-,  wurde  nur  durch  die 
Erfolge  in  dem  übrigen  musikalischen  Europa,  namentlich  in  Deutschland,  wo 
sie  sich  noch  heutigen  Tages  auf  allen,  selbst  den  kleinsten  Bühnen  unge- 
schwächt behauptet,  überboten.  Die  leidenschaftliche  teutonische  Opposition, 
welche  Goethe  entweiht  sah  und  den  französischen  Componisten  nicht  gelten 
lassen  wollte,  heftete  sich  zwar  an  alle  Bühnen,  die  nach  der  glänzenden  ersten 
deutschen  Aufführung  zu  Darmstadt  im  Febr.  1861  nach  G.'s  »Faust«  griffen, 
musste  aber  endlich  der  Gewalt  eines  allenthalben  seltenen  Erfolgs  gegenüber 
verstummen.  Die  Vorzüge  und  Schwäclien  von  G.'s  musikalisch-dramatischer 
Begabung  zeigen  sicli  am  klarsten  im  »Faust«.  G.  ist  kein  sogenanntes  Original- 
genie,  aber  ein  Eklektiker  im  besseren  Sinne  des  AVortes.  Seine  Erfindung 
weist  auf  höher  liegende  Quellen,  namentlich  auf  C.  M.  v.  Weber  und  Meyer- 
beer, die  er  beinahe  nachahmt,  ohne  sie  jedoch  an  Eigenthümlichkeit  und 
Energie  zu  erreichen;  auf  deutscher  Seite  schweift  sie  weiter  bis  zu  Richard 
Wagner,  auf  französischer  bis  zu  Auber  und  Halevy.  Diese  fremden  Elemente 
haben  sich  aber  mit  G.'s  künstlerischer  Individualität  so  glücklich  assimilirt, 
dass  etwas  Neues  und  Eigenthümliches  daraus  hervorging,  wie  die  einschlagende 
Wirkung  dieser  Partitur  darthut.  Es  spricht  sich  am  ungetrübtesten  auf  dem 
Felde  des  Sentimentalen  aus,  zunächst  in  den  Liebesscenen,  wo  G.  unvergleich- 
liche Töne  der  Zärtlichkeit  und  Sehnsucht  zu  Gebote  stehen.  An  die  höchste 
Steigerung  der  Leidenschaft  reicht  seine  Kraft  nur  ausnahmsweise  einmal  heran; 
für  das  Dämonisclie  oder  für  das  erhaben  Grosse  versagt  sie  fast  immer.  Da- 
für besitzt  er  für  die  leichter  erregte  Empfindung  und  deren  wechselnde  Lichter 
einen  bedeutenden  Reichthum   feiner  und  überzeugender  Farben.     G.'s  musika- 


Gounod.  315 

lisches  Schaffen  findet  eine  mächtige  Hülfe  in  seiner  ausgezeichneten  Kenntniss 
alles  Technischen,    sowohl    im  Gesang    wie    besonders    auch  im  Orchester.     Er 
giebt    sich    stets    mit    voller  Wärme    seinem  Gegenstande    hin,    und  wenn  sein 
Flug    nach    dem    höchsten  Aufschwung    schnell    ermattet,    weiss    seine  Bildung 
und    eine    feine    poetische  InteUigenz  wenigstens  Passendes   und  Wirksames  zu 
finden.     Sein  Streben  ist,  wo  er  nicht  gerade  absichtlich  dem  Tagesgeschmacke 
Concessionen    macht,    immer   redlich  und   auf  Wahrheit  des  dramatischen  Aus- 
drucks gerichtet,  und  Alles  in  Allem  hat  seine  Musik  mehr  innere  Verwandt- 
schaft   mit    der    deutschen,    als    die   irgend   eines  anderen  Franzosen.   —  Nach 
dem  ungeheuren  Erfolge  des  »Faust«  schien  sich  das  Glück  wieder  von   G.  ab- 
wenden zu  wollen,  obgleich  sich  bei  ihm  selbst  wohl  eine  gesteigerte  Produktion, 
nicht    aber    ein  Rückschritt    in    dem   Gehalte    des   von  ihm  Geschaffenen  nach- 
weisen   lässt.     Fast    gleichzeitig  wurde   1860    in  Baden-Baden  seine  zweiaktige 
Oper    i>La    colombev    und    im   Theätre  lyrique    zu    Paris    »PkUemoti  et  Baucisa, 
aufgeführt,  von  denen  die  erstere  einigen,  die  letztere  mit  ihrem  undramatisch- 
idyllischen   Text  aber  fast  gar  keinen  Beifall  fand;    kaum,    dass  die  Kritik  die 
zahlreichen  Feinheiten    und    schönen  Details  der  Musik  gebührend  anerkannte. 
Die  nächste  Oper  war  dazu  bestimmt,  der  Decorationspracht  und  den  Maschi- 
nerieeffekteu    ausgedehnt  Rechnung    zu    tragen,    da   sie  wieder   für   die   Grand- 
Opera  geschrieben  war.     Dieselbe,  r>La  reine  de  Sahn«  betitelt,  erlebte  die  erste 
von    etwa    zehn  Aufführungen    am    28.  Febr.  1862    und  wurde    nachmals  auch 
deutsch,  unter  des  Componisten  Leitung,  in  Darmstadt  aufgeführt.    Das  mangel- 
hafte Textbuch  von  M.  Carre   und  J,  Barbier   machte  ihre  Repertoirefähigkeit 
aber    dort    wie    hier    unmöglich.     In    dieser   Oper   findet  man    jenes  gestaltlose 
Wogen  und  Wiegen  der  Cantilene  schon  stark  ausgebildet,  welches  an  R.  Wag- 
ner's  »unendliche  Melodie«  erinnert  und  in  der  Partitur  des  nachmaligen  »Romeo 
und  Julie«  noch  bewusster  ausgeprägt  ist.     Zu  grösserem  Erfolge  schwang  sich 
wieder  G.'s  nächste  dreiaktige  Oper  »Mireille«   emjDor,    welche   seit  ihrem  Auf- 
erstehungstage im  Theätre  lyrique,  am  19.  März  1864,  häufige  Wiederholungen 
erlebte,  die  sie  lediglich  ihrer  in  den  meisten  Nvimmern  sehr  bedeutenden  und 
charakteristischen  Musik  verdankte,    während   der  einer  provengalischen  Volks- 
sage entnommene  Stoff  wieder  einen   Missgriff  documentirte.     Die  folgende  Ar- 
beit  des   trefflichen  Componisten,    auf    die    er  grosse  Hoffnungen  gesetzt  hatte, 
nämlich  die  Musik  zu  der  Tragödie  »Les  deuoa  reines  de  France»,  von  Legouve 
(1865)  war  eine  vergebliche,    da  die  Censur  das   Stück  verbot  und  trotz  eines 
pikanten  und  piquirten  Briefes  des  Dichters  an  den  Minister  nicht  wieder  frei 
gab.     G.  wandte  sich,  vielleicht  in  Folge  dessen,  vorläufig  anderen  Arbeiten  zu, 
von  denen  die  bedeutendste  ein  kleineres  Oratorium,  »Tobias«  ist,  welches  1866 
in  London    mit    den  besten   Gesang-    und  Orchesterkräften  zur  Auffühi'ung  ge- 
bracht wurde.     In   diese  Zeit  fällt  auch  eine  Reise  nach  Aegypten,  die  ihn  mit 
neuen  Ideen    und  Anregungen    befruchtete.     Endlich    trat   er  wieder  mit  einer 
.  Oper  und  abermals  im  Theätre  lyrique,  -nltomeo  et  Juliette«,  nach  Shakespeare's 
gleichnamigem  Drama  bearbeitet  von  Barbier  und  Carre,    hervor.     Der  Erfolg 
dieses  Werks,  welches  am   27.  April   1867  zuerst  erschien,  war  ein  dem  »Faust« 
nahe  kommender  und  zwar  nicht  blos  in  Paris,    sondern  auch  in  London,    St. 
Petersburg  und  in  fast  ganz  Deutschland.     Die  wahre  dramatische  Gestaltungs- 
kraft   mangelt    der  Partitur,    die  von    einem  ewig  schönen    und  auch  geschickt 
bearbeiteten   Stoff  getragen  wird,    empfindlicher    als  im  »Faust«,    aber  der  fein 
gebildete  Musiker  mit  seiner  trefflichen  und  geschmackvollen  Technik,  Formen- 
gewandtheit und  gewählten,  geistvollen  Instrumentationsweise  lässt  diesen  Mangel 
oft    vergessen.      Er    interessirt    fortdauernd    durch    pikante    und    überraschende 
Harmonien  und  Modulationen,  sowie  durch  ansprechende,  sympathische  Melodik 
und    sinnige  Details;    namentlich    sind    die   lyrischen  Empfindungen  und   Stim- 
mungen mit  poetischer  Auffassung  wiedergegeben  und  mit  reizendem,  charakte- 
ristischem Toncolorit    illustrirt.     Das  Vorherrschen    dieser  Elemente  aber  frei- 
lich ist  es,  welches  auf  die  Dauer  erschlaffend  und  abspannend  wirkt,  entgegen 


316  Goupillet  -  Goust. 

der  Steigerung,  welche  wirkliche  Dramatiker  hervorzurufen  wissen.  —  Gt.'b 
ausserordentliche  Erfolge  bewogen  die  Direktion  der  Grossen  Oper  1870,  den 
»Faust«  mit  glänzender  Ausstattung  in  ihr  Repertoire  zu  ziehen;  dies  Unter- 
nehmen erfuhr  jedoch  bald  darauf  durch  den  deutsch-französischen  Krieg  eine 
langwierige  Unterbrechung.  G.  selbst  verlegte  während  der  für  Frankreich  so 
traurigen  Zeitereignisse  seinen  Wohnsitz  nach  London,  wo  er  einen  in  Ansehen 
und  Flor  gelangten  Gesangverein  gründete,  mit  dem  er  von  Zeit  zu  Zeit  durch 
Programm  und  Ausführung  Sensation  machende  Concerte  in  Albcrts-Hall  ver- 
anstaltet. Auf  einer  Concert-  und  Erholungsreise  machte  er  im  Sommer  1871 
Belgien  mit  seinen  neuesten  Compositionen  bekannt.  Seinem  Vaterlande  wid- 
mete er  nach  Beendigung  des  Krieges  eine  Trauercantate  {Lamentation),  »Gallia« 
betitelt,  die  in  Paris  und  dem  übiigen  Frankreich  eine  warme  Aufnahme  fand; 
zwei  angeblich  längst  vollendete  Opern,  »Sardanapal«  und  »Francesca  di  Rimini« 
dagegen  hat  er  noch  nicht  veröffentlicht.  Seine  letzte  grössere,  aber  in  ihrem 
Gehalte  leider  nicht  bedeutende  Kundgebung  ist  die  Musik  zu  J.  Barbier's 
patriotischem  Trauerspiel  »Jeanne  d'Arc«,  welche  mit  dem  Drama  in  Offen- 
bach's  Theatre  de  la  Gaite  zu  Paris  im  November  1873  zur  Aufführung  kam. 
Gesuchte  Einfachheit,  die  bis  zur  Aermlichkeit  herabsinkt,  Banalität,  Formel- 
wesen und  böse  Eeminiscenzen,  das  sind  die  Eigenschaften,  welche  die  Pariser 
Kritik  dieser  Partitur  unter  gleichzeitiger  Anerkennung  einiger  weniger  Licht- 
blitze vorwirft,  und  der  reich  begabte  Meister  hat  alle  Ursache,  sich  zu  be- 
eilen, um  mit  einem  neuen  glänzenden  AVerke  zu  zeigen,  dass  er  im  frommen, 
grüblerischen  Eifer  nicht  auf  einen  Abweg  geralhen  ist,  der  für  seine  ferneren 
Erfolge  verhängnissvoll  werden  könnte.  —  G.'s  Fleiss  und  Begabung  hat  sich 
in  fast  allen  Gebieten  der  Composition  und  ganz  besonders  noch  im  Fache  des 
Liedes  und  des  mehrstimmigen  Gesanges  bewährt.  Hier  sind  es  mehrere  reizende 
lyrische  Perlen,  die  seinen  Namen  tragen  und  immer  gern  gesungen  und  ge- 
liört  werden.  Ausserdem  schrieb  und  veiöffentlichte  er  auch  meist  durch  den 
Druck  Messen,  Hymnen,  Cantaten,  ein  sechsstimmiges  Stabat  matcr,  drei  Sin- 
fonien, Märsche  und  kleinere  Sachen  für  Orchester,  sowie  Charakterstücke  für 
Pianoforte  und   Sätze  für  Harmonium   mit  und  ohne  Begleitung. 

Gonpillet,  Andre,  auch  Coupillet  geschrieben,  französischer  Tonkünst- 
ler, war  erst  Musikmeister  an  einer  Kirche  zu  Meaux.  Durch  Einsendung 
von  Motetten  betheiligte  er  sich  1683  an  der  Bewerbung  um  die  vier  zu  be- 
setzenden königl.  Kapellmeisterstellen  zu  Versailles.  Von  30  eingegangenen 
Wei'ken  gelangten  1,5  auf  die  engere  Wahl,  aus  der  schliesslich  vier  Compo- 
uisten,  nämlich  Lalande,  Colasse,  Minoret  und  G.  für  die  vacanten  Aemter 
bestimmt  wurden.  Bald  jedoch  verbreitete  sich  das  Gerücht,  G.'s  Composition 
sei  von  Desmarets,  und  König  Ludwig  XIV.  wusste  G.  selbst  das  Geständ- 
niss,  dass  Demarets  gegen  Geldentschädigung  die  Motette  geschrieben ,  zu  ent- 
locken. G.  verlor  in  Folge  dessen  die  ebenerworbeue  Kapellmeisterstelle,  scheint 
jedoch  die  königliche  (ilunst  nicht  verloren  zu  haben,  da  er  ausser  einer  jähr- 
lichen Pension  später  sogar  noch  ein  einträgliches  Kanonicat  erhielt,  während 
Demarets  nicht  mehr  bei  Hofe  erscheinen  durfte.  G.  selbst  stai'b  bald  nach 
dieser  Verleihung.  Motetten  von  ihm  (vielleicht  die  von  Desmarets  componirten) 
befinden  sich  auf  der   Staatsbibliothek  zu  Paris.  f 

Gouruay,  B.  C,  musikgelehrter  französischer  Dilettant,  gestorben  1794  als 
Parlaments-Advocat  zu  Paris,  ist  der  Verfasser  einer  theoretischen  Schrift, 
betitelt:  ^heMre  sur  iine  nouvelle  rhßc  de  Voctave  que  propose  Mr.  le  marqiiis 
de  Cidand«  (Paris,  1785).  Vgl.  Blankenburg's  Zusätze  zu  Sulzer,  Bd.  II,  S.  430. 

t 
Gonssu,  Robert,  französischer  Componist,  dessen  Lebenszeit  in  die  letzten 
Jahrzehnte    des    16.    Jahrhunderts    fällt,    war    Kapellmeister    des    Herzogs    von 
Aumale  und  hat  viele  mit  Preisen  gekrönte  Motetten,  Hymnen,  Airs,   Chansons 
und  andere  Gesangsachen  in  Musik  gesetzt. 

Goust,  Jean  de,  französischer  Flötenvirtuose  und  Componist  für  sein  In- 


Gouvy  —  Gowa.  317 

strument,  war  1753  und  später  erster  Flötist  im  Orcliester  des  Theätre  frangais 
zu  Paris  und  hat  von  seinen  Arbeiten  Solostücke  und  Duette  für  zwei  Flöten 
veröffentlicht. 

Gouvy,  Theodor,  gediegener  und  geschmackvoller  Componist  der  Gegen- 
wai't,  geboren  1822  zu  Goffontaine  bei  Saarbrück,  war  der  Sohn  eines  sehr 
begüterten  Besitzers  von  Eisengiessereieu  und  wurde,  trotz  von  früh  auf  be- 
kundeter "Vorliebe  und  grossem  Talente  für  die  Musik,  für  das  Rechtsstudium 
bestimmt.  Zu  diesem  Zwecke  musste  G-.  von  1840  an  die  Tlcole  des  droits  zu 
Paris  besuchen.  Der  Genuss  der  dortigen  Conservatoriumsconcerte  jedoch  be- 
festigte in  ihm  den  Entschluss,  sich  ausschliesslich  der  Tonkunst  zu  widmen, 
und  er  begann  alsbald  damit,  dass  er  sich  bei  Elwart,  dem  angesehenen  Pro- 
fessor der  Harmonielehre  am  Conservatorium,  eifrigen  Compositionsstudien  hin- 
gab. Seine  Yermögensumstände  gestatteten  ihm,  seiner  weiteren  Ausbildung 
im  Auslande  nachzugehen,  und  er  besuchte  zimächst  Deutschland,  auf  welcher 
Reise  er  ein  volles  Jahr  in  Berlin  verweilte  und  sodann  beinahe  IV3  Jahre 
lang  Italien.  Nach  Paris  1847  zurückgekehrt,  veranstaltete  er  alsbald,  um 
sich  dem  französischen  Publikum  vorzustellen,  ein  Concert,  in  welchem  er  u.  A. 
eine  Sinfonie  und  zwei  Ouvertüren  seiner  Composition  zur  Aufführung  brachte, 
von  denen  die  Kritik  mit  der  grössten  Achtung  sprach.  G.  nahm  seitdem 
seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Paris  und  beschenkte,  in  unabhängigen  Ver- 
hältnissen lebend,  die  musikalische  Welt  jahraus  jahrein  mit  grösseren  und 
kleineren  Orchester-  und  Kammermusikwerken,  von  denen  mehrere  Sinfonien 
und  Ciaviertrios  auch  in  Köln,  Leipzig  und  Berlin  zu  erfolgreicher  Aufführung 
gelangten.  In  neuester  Zeit  lässt  es  sich  die  Direktion  des  Concert  national 
zu  Paris  angelegen  sein,  durch  häufige  Vorführung  der  neuesten  Arbeiten  des 
noch  immer  fleissig  schaffenden  Componisten,  den  Namen  desselben  auf  dem 
Laufenden  zu  erhalten,  und  in  der  That  hat  man  in  ihnen  stets  von  Neuem, 
wenn  auch  keine  überwältigenden  Bindrücke  und  Kühnheiten  der  Conception, 
auch  keine  ausgesprochene  Neuheit  der  Erfindung,  doch  eine  geistreiche  Leben- 
digkeit, feine,  pikante  Harmonisirung  und  lustrumentirung,  sowie  Sinn  für  Foi'm 
und  fliessende  Melodik  gefunden.  Bekannt  geworden  sind  von  seinen  Compo- 
sitionen  etwa  acht  Sinfonien,  eben  so  viele  Goncertouvertüren ,  eine  Reihe  von 
Trios  für  Pianoforte,  Violine  und  Violoncello,  ein  Ciavierquintett,  eine  Sonate 
und  Serenaden  für  Pianoforte,  mehrere  Streichquartette,  eine  Vocalmesse  für 
Männerchor  u.  s.  w.,  von  denen  Vieles  auch  im  Drucke  erschienen  ist.  Nur 
durch  das  vorwiegend  rhythmische  Element  in  diesen  Werken  bekundet  G,  den 
geborenen  Franzosen;  die  sich  darin  aussprechende  Kunstgesinnung  ist  echt 
deutsch,  und  es  ist  nicht  minder  bezeichnend,  dass  G,  das  Deutsche  so  spricht, 
dass  der  Ausländer  in  ihm  nicht  zu  erkennen  ist. 

Gony,  Jean  de,  auch  de  Goui  geschrieben,  französischer  Componist  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  hat  Airs,  Chansons  u.  dergl.  geschrieben, 
die  noch  sehr  lange  hin  in  Frankreich  ebenso  berühmt  wie  populär  waren  und 
sich  zahlreich  in  den  ältesten  Vaudevilles  finden. 

Gow,  Neil,  ist  der  Name  eines  in  den  schottischen  Hochlanden  bei 
Dunkeid  sehr  geschätzt  gewesenen  Sackpfeifenspielers,  der  ums  Jahr  1800  im 
72.  Lebensjahre  stand.  In  Garnet's  »Observations  an  a  tour  through  the  High- 
lands  of  Scotlanda  (London,  1800)  befindet  sich  im  2.  Bande  sein  in  Kupfer 
gestochenes  Bildniss.  t 

Gowa,  Albert,  vortrefflicher  deutscher  Violoncellist,  geboren  am  14.  April 
1843  zu  Hamburg,  vollendete  seine  musikalischen  Studien  im  Conservatorium 
zu  Leipzig  besonders,  was  sein  Instrument  anbetrifft,  bei  Davidoff  und  Grütz- 
macher und  Hess  sich  hierauf  in  Bei'lin  und  andern  deutschen  Städten,  1867 
auch  in  London  und  ein  Jahr  später  in  Kopenhagen  mit  grossem  Beifall  hören. 
Von  1867  bis  1868  war  er  bei  der  philharmonischen  Gesellschaft  in  Hamburg 
engagirt  und  wurde  hierauf  als  Solovioloncellist  des  Fürsten  in  die  schaiira- 
burg-lippe'sche  Hofkapelle  gezogen.     Gegenwärtig    lebt    er  wieder    in  Hamburg 


318  Grabau  —  Graben-Hoffmann. 

und  ist  hauptßilchlich  als  Quartettspieler  sehr  geschätzt.  Sein  Spiel  kenn- 
zeichnet sowohl  nach  der  technischen  Seite  hin,  wie  in  Bezug  auf  Auffassung 
und  Vortragsmanier  den  gediegenen  und  intelligenten  Künstler. 

Grabau,  Henriette  Eleonore,  rühmlich  bekannte  und  beliebte  deutsche 
Concertsängerin ,  geboren  am  29.  März  1805  zu  Bremen,  empfing  nebst  zwei 
jüngeren  Schwestern  von  ihrem  Vater  einen  guten  Gresangunterricht,  auf  GSrund 
dessen  sie  später  bei  Mieksch  in  Dresden  ihre  Studien  vollenden  konnte.  Schon 
1825  erhielt  sie  in  Leipzig  ein  festes  Engagement  als  Concertsängerin  und 
nahm  nach  ihrer  Verheirathung  den  Doppelnamen  Bünau-G.  an.  Als  solche 
sang  sie  auch  in  anderen  Städten  die  Soli  bei  grösseren  Aufführungen,  hat 
aber  besonders  in  Leipzig,  wo  sie  am  28.  Novbr.  1852  starb,  einen  ehrenvollen 
Künstlernamen  hinterlassen.  —  Ihr  jüngerer  Bruder,  Johann  Andreas  G., 
geboren  am  19.  Oktbr.  18U9  zu  Bi'emen,  bildete  sich,  besonders  bei  Kummer 
in  Dresden,  zu  einem  tüchtigen  Violoncellisten  aus,  der  namentlich  als  Quartett- 
spieler hoch  geschätzt  wird.  In  der  Nähe  Leipzigs  lebend,  ist  er  seit  einer 
langen  Reihe  von  Jahren  den  Winter  hindurch  im  Gewandhausorchester  zu 
Leipzig  thätig. 

Grabe,  deutscher  Kirchencomponist,  um  1770  in  Baiern  geboren,  lebte 
bis  1806  als  Stiftsbeamter  zu  Neuenzelle  in  der  Niederlausitz  und  hat  viele 
Psalme,  Messen,  Hymnen,  ein  Te  deum  und  andere  Kirchenstücke  für  den 
Chor  seiner  Kirche  componirt,  die  sich  zu  ihrer  Zeit  Beifalls  erfreuten.       f 

Grabeier,  Peter,  deutscher  Violinist  und  Componist,  geboren  am  10.  Aug. 
1796  zu  Bonn,  zeigte  schon  frühzeitig  bedeutende  Anlagen  für  Musik,  welche 
zunächst  durch  Unterricht  auf  Guitarre,  Harfe  und  Violine  ausgebildet  wurden. 
Seit  seinem  zehnten  Jahre  als  Violinist  im  Orchester  seiner  Vaterstadt  thätig, 
lernte  er  nach  und  nach  alle  gangbaren  Instrumente  spielen  und  erhielt  auch 
einen  tüchtigen  theoretischen  Unterricht  von  dem  kurfürstl.  Hofmusicus  Steg- 
niann,  der  ihn  zu  eigenen  Compositionen  anregte.  Als  Regimeuts-Musikraeister 
zog  G.  1815  mit  dem  preiissischen  Heere  über  den  Rhein,  wurde  aber  nach 
der  Schlacht  bei  Waterloo  nach  Posen  versetzt,  wo  er  die  deutsche  Oper 
dirigirte,  bis  sein  Regiment  in  Breslau  Garnison  nehmen  musste.  In  letzterer 
Stadt  Hess  er  sich  häufig  als  Soloviolinist  hören,  kehrte  1821  nach  Bonn  zu- 
rück und  versuchte  darnach,  aber  erfolglos,  sich  in  Amsterdam,  wohin  er  unter 
Vorspiegelungen  gelockt  war,  eine  feste  Stellung  zu  begründen.  Missmuthig 
über  seine  fehlgeschlagenen  Hoffnungen,  übernahm  er  1824,  nach  seines  Vaters 
Tode,  dessen  Bierbrauerei,  ohne  jedoch  der  Musik  und  der  Composition  ganz 
zu  entsagen.  Im  Gegeutheil  ertheilte  er  Unterricht  im  Generalbass,  Gesang 
und  Ciavierspiel  und  förderte  das  musikalische  Vereinsleben  seiner  Vaterstadt. 
Ein  ihm  auf  die  Brust  gefallenes  Bierfass  hatte  für  ihn  die  Lungenschwind- 
sucht zur  Folge,  welcher  er,  da  auch  der  Gebrauch  der  Bäder  von  Aachen 
nicht  nützte,  nach  fünfjährigen  Leiden,  am  16.  Decbr.  1830  zu  Bonn  erlag. 
Componirt  hat  er  u.  A.  das  Oratorium  »Salomo's  Urtheil«  (1829  in  Bonn  auf- 
geführt), die  Cantate  »An  die  Hoffnung«,  Text  von  Ludwig,  König  von  Baiern, 
für  Solostimmen,  Chor  und  Orchester,  den  145.  Psalm  und  andere  Kirchen- 
gesänge, ferner  das  Singspiel  »Schöuthal« ,  INIänuerehöre ,  Pianofortestücke, 
Märsche  u.  s.  w. 

Grabeu-Hofliuaun,  Gustav,  deutscher  Vocalcomponist  und  Gesangspädagoge 
der  Gegenwart,  geboren  am  7.  März  1820  zu  Bnin  unweit  Posen,  war  der 
Sohn  eines  Cantors  und  Lchrei's.  Früh  verwaist,  wusste  er  sich  die  Aufnahme 
in  die  höhere  Bürgerschule  auf  dem  Graben  zu  Posen  zu  verschaffen.  Seine 
Fähigkeiten  und  sein  Fleiss  erregten  das  Intei'esse  seiner  Lehrer,  sodann  auch 
mehrerer  Familien,  die  auf  dem  Graben  wohnten,  dermaassen,  dass  letztere  seine 
Erziehung  und  später  auch  sogar  seine  künstlerische  Ausljildung  vermittelten, 
weshalb  sich  Gustav  Hoffmann  (so  hiess  er  eigentlich)  in  dankbarer  Er- 
innerung daran  Graben  -  Hoffmanu  nannte.  Um  die  Musik  gründlicher 
treiben  zu  können,  trat  er  nach  genügender  wissenschaftlicher  Vorbereitung  in 


Grabowska  —  Gradation.  319 

das  Schullehrerseminar  zu  Bromberg.  Sodann  wurde  er  Cantor  und  Lehrer 
zu  Schubin  bei  Bromberg  und  bald  darauf  Lehrer  an  der  Stadtschule  auf  dem 
Graben  zu  Posen,  welches  Amt  er  nach  den  absolvirten  drei  Jahren,  zu  denen 
er  für  die  auf  dem  Seminar  genossenen  Beneficien  verpflichtet  war,  niederlegte, 
um  sich,  da  er  auch  mit  einer  schönen  Baritonstimme  begabt  war,  in  Berlin 
wirklich  künstlerisch  auszubilden.  Dort  genoss  er  1843  den  Unterricht  des 
Hofopernsängers  Heinr.  Stümer  und  wagte  sich  mit  seinen  ersten  Compositionen 
im  Liedfache  hervor,  die  wohlwollende  Aufmunterung  erfuhren.  Bald  gewann 
er  als  Concertsänger  und  Liedercomponist  einen  Namen,  besonders  mit  seiner 
Ballade  »500,000  Teufel«,  die  in  viele  fremde  Sprachen  übersetzt,  die  Bunde 
um  die  Welt  antrat.  Eine  gefährliche  Krankheit  unterbrach  1848  auf  zwei 
Jahre  seine  hoffnungsvoll  begonnene  Laufbahn,  und  erst  seit  1850  konnte  er 
als  Musiklehrer  und  Vorsteher  einer  von  ihm  gegründeten  Gresangakademie  für 
Damen  in  Potsdam  seine  künstlerische  Thätigkeit  weiter  fortsetzen.  Seine 
beliebt  gewordenen  Compositionen  verschafften  ihm  1856  die  Protection  der 
kunstsinnigen  Grafen  Friedrich  und  Clemens  von  Schönburg- Glauchau,  die  ihn 
auf  ihre  Güter  in  Steiermark  und  Sachsen  zogen  und  ihm  hochherzig  die 
Mittel  zur  Vollendung  seiner  Compositionsstudien  bei  Moritz  Hauptmann  in 
Leipzig  gewährten.  Dies  geschehen,  Hess  G.  sich  1858  als  Gesanglehrer  in 
Dresden  nieder.  Nach  zehnjährigem  Aufenthalte  daselbst  wurde  er  zum  Ge- 
sanglehrer der  Grossherzogin  von  Mecklenburg  nach  Schwerin  berufen  und 
dort  zum  Professor  ernannt.  Im  J.  1870  gründete  er  eine  Gesangakademie 
für  Damen  in  Berlin,  kehrt  aber  Ende  1873,  durch  den  Grafen  Clemens  von 
Schönburg-Glauchau  bewogen,  dessen  Palast  er  bezog,  wieder  in  den  früheren 
Wirkungskreis  in  Dresden  zurück.  —  G.'s  Compositionen  umfassen  95  Hefte, 
bestehend  in  ein-  und  zweistimmigen  Liedern,  drei-  und  vierstimmigen  Gesängen 
für  Erauenchor,  vier  Mazurkas  für  Pianoforte  und  einem  musikalischen  Genre- 
bilde »Ein  grosser  Damenkaffee«.  Sangbarkeit  und  eine  gefällige  Melodik 
zeichnen  diese  Arbeiten  aus.  Höher  sind  jedoch  G.'s  gesangpädagogische  Be- 
mühungen anzuschlagen,  für  welche  folgende  Schriften  und  Lehrbücher  rühm- 
lich sprechen:  »Die  Pflege  der  Singstimme  und  die  Gründe  von  der  Zerstörung 
und  dem  frühzeitigen  Verluste  derselben  u.  s.  w.«  (Dresden,  1865);  »Das  Stu- 
dium des  Gesanges  nach  seinen  musikalischen  Elementen«  (3  Thle.  mit  zahl- 
reichen TJebungen,  Leipzig,  1872)  und  »Praktische  Methode  als  Grundlage  für 
den  Kunstgesang  und  eine  allgemeine  musikalische  Bildung  u.  s.  w.«  (Dres- 
den, 1874). 

Grabowska,  Clementine  Gräfin  vou,  fertige  Clavierspielerin  mit  einem 
ansprechenden  Talente  zur  Composition,  geboren  1771  im  Posen'schen,  lebte 
seit  1813  in  Paris,  wo  sie  nach  1830  starb.  Sonaten,  Variationen,  Polonäsen 
u.  ß.  w.  von  ihr  sind  im  Druck  erschienen. 

(JrabOTVSki,  Stanislaus,  polnischer  Pianist  und  Componist  für  sein  In- 
strument, lebte  seit  1828  in  Wieif  und  starb  daselbst  im  J.  1852.  Er  ver- 
öffentlichte eine  Beihe  von   Saloucompositionen  leichtesten   Gehalts. 

Grabut,  Louis,  auch  Grabu  geschrieben,  französischer  Componist,  der 
Kapellmeister  König  Karls  IL  von  England  wurde  und  dem  die  Direktion  der 
Musik  im  Conventgarden-Üperntheater  zu  London  um  1680  und  später  oblag, 
fand  in  dieser  Stellung,  wahrscheinlich  seiner  Nationalität  wegen,  viele  Wider- 
sacher und  wenig  Anerkennung.  Von  seinen  Compositionen  kennt  man  zwei 
Opern:  »Ariadne,  or  the  marriage  of  Bacchus(.i,  die  1674  zu  Aufführung  kam 
und  »Albion  and  Albaniusa,  1685  dargestellt.  f 

Gracieux  (franz.;  ital.:  grazioso),  Vortragsbezeichnung,  s.  grazioso. 

Oradatiou  (lat.:  gradatio,  franz.:  gradation,  ital.:  gradazione),  die  Steigerung, 
beziehungsweise  allerdings  auch  der  Fall,  überhaupt  also  die  Abstufung,  vom 
latein.  gradus,  d.  i.  Schritt,  Stufe  abzuleiten.  In  der  Musik,  wie  überhaupt  in 
den  schönen  Künsten  und  in  der  Bhetorik  schliesst  der  Begriff  der  G.  immer 
die  Bedeutung  einer  Steigerung  ein,    also    des  stufenweisen  Fortschreitens  von 


320  Gradehand  —  Graduale. 

dem  Niederen  zum  Höheren,  von  dem  Schwächeren  zum  Stärkeren,  conform 
dem  in  dieser  Beziehimg  ebenfalls  häufig  gebrauchten  griechisch- lateinischen 
Ausdrucke  climax,  d.  i.  die  Leiter,  die  Treppe.  In  der  Bede  bezeichnet  dem- 
nach G.  die  Verstärkung  des  Ausdrucks  durch  Fortsclireitung  zu  immer  nach- 
drücklicheren Bezeichnungen,  Bildern,  Figuren  u.  dergl. ,  in  der  Musik  die 
mehrmals  aufeinanderfolgende  aber  immer  um  eine  Tonstufe  höher  versetzte 
Wiederholung  eines  Mclodietheils  oder  einer  Accordfolge,  Allgemeiner  gehalten 
kann  in  der  Musik  in  Ansehung  der  Anordnung  der  Gegenstände,  des  Objekts 
des  Ausdrucks  sowohl  als  seiner  selbst,  von  einer  G.  die  Rede  sein:  wenn  die 
Folge  der  Gedanken  und  Ideen,  nach  ihrer  inneren,  wie  nach  ihrer  äusseren 
Beziehung,  so  beschaffen  ist,  dass  der  Ausdruck  immer  stufenweise  zunimmt, 
immer  massenhafter,  heftiger  wird,  wie  sein  Objekt,  das  Gefühl  immer  be- 
stimmter und  lebendiger.  Die  Wirkung  der  G.  ist  demzufolge  Spannung  und 
gesteigerte  Erregung.  Die  G.  muss  übrigens  in  allen  Darstellungsiiütteln : 
Ton,  Rhythmus  u.  s.  w.  zugleich  und  in  gleichem  Verhältnisse  statthaben. 
S.  auch  Steigerung. 

firadehaud,  Friedrich,  deutscher  Componist,  geboren  1812  zu  Brehna 
in  der  prcussischen  Provinz  Sachsen,  empfing  seine  musikalische  AuH])ildung 
als  Zögling  der  Thomasschule  in  Leipzig  beim  Cantor  Weiulig.  Er  übernahm 
später  eine  Organistenstelle  in  Leipzig,  ertheilte  trefilichen  Pianoforteunterricht 
und  starb  im  J.  1842.  Als  Componist  war  er  durch  gute  Motetten,  Orgel- 
und  Instrumentalwerke  vortheilhaft  bekannt. 

Gradenigo,  Giovanni,  italienischer  Tonkünstler  zu  Venedig,  lebte  in  der 
letzten  Hälfte  des  IG.  Jahrhunderts  und  liat  fünfstimxnige  Madrigale  seiner 
Composition  (Venedig  bei  Gardane,  1574)  hinterlassen. 

Grade  der  Verwandtschaft,  s.  Verwandtschaft. 

Gradenthaler,  Hieronymus,  irrthümlicli  auch  mitunter  Gnadenthaler 
geschrieben,  deutscher  geistlicher  Componist,  besonders  von  Kirchenliedern  mit 
deutschem  und  lateinischem  Text,  war  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts Organist  in  Regensbui'g.  Seine  meist  in  Nürnberg  von  1G75  bis 
1695  erschienen  Werke,  die  ziemlich  vollständig  Gerber  in  seinem  Tonkünstler- 
lexikon von  1812  mittlieilt,  tragen,  der  Zeitsitte  entsprechend,  die  seltsamsten 
Titel.  Auch  eine  theoretische  Schrift  existirt  von  ihm,  betitelt:  nHorologium 
omisicum,  oder  treu  wohlgemeinter  Rath,  vermittels  dessen  ein  Knabe  von  9  bis 
10  Jahren  den  Grund  der  edlen  Musik  und  Singkunst  mit  Lust  und  leichter 
Mühe  kürzlich  erlernen  kann«  (Regeusburg,   1676;   2.  Aufl.  Nürnberg,   1687). 

Gradevole  oder  gradevolmente  (ital.),  Vortragsbezeichnung  in  der  Be- 
deutung anmuthig,  gefällig,  freundlich. 

Graditameiite  (ital.),  auf  gefällige  Art. 

Grado  (ital.;  latein.:  gradiis),  die  Stufe,  bezeichnet  in  der  Musik  den  Schritt 
von  einer  Linie  zum  nächsten  Spatium  und  umgekehrt.  Dem  entsprechend: 
di  grado  ascendente,  stufenweise  aufsteigend  (z.  B.  c,  d,  e,  f)  und  di  g.  descen- 
dente,  stufenweise  absteigend  (f,  e,  d,  c). 

Gradnale  (latein.)  ist  die  Benennung  eines  katholischen  Gesanges,  der 
wahrscheinlich  schon  in  den  ersten  Zeiten  der  Kiichn  üblich  war  und  auf  die 
Lesung  der  biblischen  Bücher  oder  Episteln  folgte.  Er  hat  noch  jetzt  seinen 
Platz  in  der  Messe  nach  der  abgesungenen  Lection  zwischen  dem  Gloria  und 
Credo  und  besteht,  während  er  ursprünglich  gewiss  ein  Psalm  Avar,  aus  einigen 
der  heil.  Schrift,  meist  dem  Psalterium  entnommenen  Versen.  Ehedem  wurde 
dieser  Gesang  Besponsum  oder  Cantus  (Psalmus)  respousorius  genannt,  weil  der 
Vorsänger  (Cantor)  ihn  eröffnete,  der  Chor  aber  einstimmend  respondirte.  Die 
Abstammung  des  AVortes  G.  selbst  liegt  im  Dunkel.  Die  Meisten  leiten 
das£i'll)e  von  dem  erhöhten  Orte  ab,  den  der  Vorsänger  einnahm  (in  Rom 
diejenige  Stufe,  auf  welcher  der  Lector  stund).  Job.  Beleth,  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts,  schreibt  dem  entsprechend  in  seiner  nDivinorum 
officiorum   e.rpUcatio»,    dass    sich    der  Cantor    an    gewöhnlichen   Tagen    auf    die 


Gradus  —  Grädener.  321 

Stufen  vor  dem  Altar,  an  höheren  Festen  aber  auf  den  Ambon,  von  dem  aus 
das  Evangelium  abgelesen  wurde,  stellte.  Etwas  später  berichtet  Durandus  in 
seinem  »Bationale<f,  das  G-.  werde  in  der  Mitte  des  Chores  vor  den  Stufen 
des  Altars  und  nur  an  Festtagen  auf  den  Stufen  desselben  gesungen.  Andere 
Ausleger  leiten  die  Benennung  daher,  dass  der  Glradualgesang  ertönt,  während 
der  Diacon  die  Stufen  (gradm)  zum  Ambo  behufs  Lesung  des  Evangeliums 
hinaufsteigt  oder  noch  an  den  Stufen  des  Altars  steht.  lieber  denselben  Gegen- 
stand ergehen  sich  in  Vermutliungen  Aurelianus  in  seiner  -»Reomensis  mitsicaa 
und  Gerbert  in  seinen  Script,  eccles.  I.  60.  —  Wer  den  Gradualgesang  einge- 
führt, ist  gleichfalls  nicht  bekannt;  Durandus  nennt  Gregor  den  Grossen,  Am- 
brosius  und  Gelasius  als  Verfertiger  von  Gradualien,  die  den  zur  Zeit  des 
Augustinus  in  Afrika  und  in  Rom  im  5.  Jahrhundert  noch  üblichen  ganzen 
Psalm  ersetzten.  Im  6.  Jahrhunderte  bereits  hatte  das  G.  seine  der  jetzigen 
ähnliche  Gestalt.  Die  Melodien  sind  bei  grosser  Einfachheit  ernst  und  feier- 
lich, mit  häufig  wiederholten  Neumen  auf  Textworten,  die  einen  besonderen 
Nachdruck  erhalten  sollen.  Unmittelbar  an  das  G.  reiht  sich  an  festlichen 
Tagen  das  Alleluja,  an  anderen  die  Sequenz;  zu  bestimmten  Zeiten  tritt  an 
die  Stelle  des  G.  der  Tr actus,  ein  Gesang  in  langsamer  gedehnter  Weise 
ohne  responsorienartigen  Wechsel,  von  einem  oder  zwei  Sängern  allein  ohne 
Unterbrechung  vorgetragen.  Die  Hauptsache  ist,  dass  die  vom  Chore  gesungenen 
G.  in  ihrem  Texte  stets  in  Beziehung  zum  vorangegangenen  Lesevortrage  des 
Priesters  am  Altare  stehen  müssen.  Vgl.  Mich.  HermesdorlF,  -t>Gr aduale  juxta 
usum  ecclesiae  cathedralis  Trevirerisis  disposiüim  etc.a  (Trier,  1863).  —  Eine 
ähnliche  Art  »Stufengesang«  haben  übrigens  bereits  die  Juden  im  Tempel  zu 
Jerusalem  gehabt.  Es  sollen  Lobgesänge  gewesen  sein,  welche  am  ersten  Oster- 
festtage auf  den  15  Stufen,  welche  aus  dem  Atrium  der  Männer  in  das  der 
Frauen  führten,  gesungen  wurden.  Vgl.  Walther,  musikal.  Lex.  unter  Cantica 
graduum.  —  Mit  dem  Namen  G.  bezeichneten  die  Katholiken  auch  das  Buch, 
worin  die  Gesäuge,  welche  der  Chor  während  der  Feier  der  Messe  abzusingen 
hatten,  als  z.  B.  Kyrie,  Gloria,  Introitus,  Graduale,  Offertorium  u.  dergl.  auf- 
gezeichnet waren. 

Graäus  (latein.),  eigentlich  die  Stufen,  hiessen  bei  den  älteren  Theoretikern 
die  Maasse  der  vier  grösseren  Notengattungen  Maxima,  Longa,  B?'evis  und 
Semibrevis.     S.  Mensuralnotenschrift. 

Gradus  ad  Parnassum  (latein.),  wörtlich  die  Stufen  zum  Parnass,  ein  be- 
rühmtes Ciavier-Etüdenwerk  von  Muzio   Clementi   (s.  d.). 

Gräbner  oder  Gräbener,  eine  deutsche  Orgelbauer-  und  Instrumenten- 
macher-Familie, als  deren  ältestes  Glied  Johann  Christoph  G.  bekannt  ist, 
der  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  zu  Dresden  lebte  und  u.  A.  1692  die 
Orgel  in  der  Johanniskirche  daselbst  mit  11  klingenden  Stimmen  und  drei 
Bälgen  erbaut  hat.  —  Sein  Sohn,  Jahann  Heinrich  G.,  war  Hoforgelbauer 
und  Instrumentenmacher  zu  Dresden  und  starb  hochbejahrt  im  J.  1777.  Den 
weitverbreiteten  Huf,  dessen  er  sich  erfreute,  hat  er  sich  besonders  durch 
Fabrikation  von  für  die  damalige  Zeit  sehr  vorzüglichen  Clavecins  erworben. 
Sein  ziemlich  umfangreich  gewordenes  Geschäft  übernahmen  seine  beiden  Söhne 
Johann  Gottfried  G.,  geboren  1736  und  Wilhelm  G.,  geboren  1737  in 
Dresden,  die  auch  den  Titel  als  Hofinstrumentenmacher  ererbten.  Bis  1786 
bauten  sie  ebenfalls  hauptsächlich  nur  Claviere,  dann  aber  auch  Fortepianos, 
Flügel  und  Doppelflügel  und  zwar  so  erfolgreich,  dass  sie  bis  1796  schon  über 
170  solcher  Instrumente  gefertigt  und  weithin  versandt  hatten.  —  Ihr  Stief- 
bruder, ein  dritter  Sohn  Job.  Heinrich  G.'s,  geboren  1749  zu  Dresden,  erlernte 
zwar  gleichfalls  beim  Vater  seine  Kunst,  errichtete  aber  nach  dessen  Tode  eine 
Werkstätte  für  sich  und  baute  von  1787  an  Fortepianos  aller  Formen  und 
Arten,  die  denen  seiner  Brüder  in  keiner  Weise  nachstanden,  nur  dass  es  ihm 
nicht  gelang,  einen  auch  nur  annähernd  so  grossen  Ruf  sich  zu  erwerben. 

Grädener,  Karl  G.  P.,    bedeutender  und  geistvoller  deutscher  Componist, 

Musikal.  üonvera. -Lexikon.     IV,  21 


322  Graf-  Gräfe. 

besonders  im  Kammeniiusikstyle,  geboren  Im  J.  1812,  wii'kte  lange  Jahre  hin- 
dui'ch  in  Hamburg  als  sehr  geschätzter  Dirigent  und  Musiklehrer,  bis  er  1862 
einem  Rufe  nach  AVien  folgte,  der  ihn  als  Gesangsprofessor  an  das  dortige 
Conservatorium  zog.  Diese  Stellung  gab  er  jedoch  schon  1865  wieder  auf, 
kehrte  nach  Hamburg  zurück  und  verwaltete  an  der  Stockhausen'schen  Gesang- 
und  Musikschule  bis  zu  deren  Eingehen  das  Amt  eines  Lehrers  der  Harmonie- 
lehre. Im  J.  1867  begründete  er  im  Verein  mit  F.  W.  Grund,  Direktor  der 
Singakademie,  den  Hamburger  Tonkünstlerverein,  dem  er  die  ersten  Jahre  hin- 
durch als  Präsident  vorstand  und  noch  gegenwärtig  als  Ehrenmitglied  angehört. 
G.'s  Ruf  als  Componist  von  Streichquartetten,  Sinfonien,  Ouvertüren,  Ciavier- 
stücken, Liedern  u.  s.  w.,  die  zusammen  über  50  AVerke  bilden,  ist  ein  hervor- 
ragender, der  besonders  durch  eine  ausgeprägte  individuelle  und  interessante 
Eigenthümlichkeit  begründet  ist.  Erfindung  und  Melodik  derselben  weisen 
nicht  gerade  auf  einen  frei  und  frisch  strömenden  Tonquell  hin,  aber  die  Har- 
monik ist  originell  und  geschickt  verwendet  und  die  Form  mit  selbstständiger 
Meisterschaft  gehandhabt.  Dass  sich  G.'s  reiche  Fantasie  häufig  in's  Phan- 
tastische verliert,  sich  in  Seltsamkeiten  gern  ergeht  und  dann  spröde,  herbe 
Tonbilder  zu  Tage  fördert,  hat  der  Eingänglichkeit  seiner  AVerke  bisher  mehr 
geschadet  wie  genützt,  obwohl  die  allgemeine  Zeitrichtung  es  mit  solchen  Aus- 
wüchsen anderen  Componisten  gegenüber  keineswegs  so  genau  nimmt.  G.'s 
achtbare  Musikgesinnung  documentiren  auch  folgende  von  ihm  vorfasste  Schrif- 
ten: nBach  und  die  Hamburger  Bachgesellschaft.  Ein  Beitrag  zur  Kunstkritik« 
(Hamburg,  1856)  und  »Rede,  gehalten  zur  hundertjährigen  Geburtstagsfeier 
Ludwig  V.  Beethoven's«  (Hamburg,  1871),  —  Der  Sohn  G.'s,  Hermann  G., 
ein  vorzüglicher  Orgelspieler,  folgt  als  Componist,  wie  die  wenigen  von  ihm 
bisher  veröffentlichten  Arbeiten  beweisen,  den  Spuren  seines  Vaters,  der  zu- 
gleich sein  Lehrer  war.  Geboren  1843  zu  Hamburg,  ging  er  1862  mit  seinem 
Vater  nach  Wien  und  Hess  sich  daselbst  als  Organist  und  Musiklehrer  bleibend 
nieder.     Bedeutende  AVerke  dürften  von  ihm  noch   zu   erwarten   sein. 

Graf,  Johann,  ein  wahrscheinlich  zu  Lobenstein  ansässiger  Orgelbauer 
aus  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  der  in  den  Jahren  von  1734  bis 
1740  in  der  Michaelskirche  daselbst  unter  Sorge's  Direktion  die  Orgel  mit 
35  Stimmen  und  drei  Manualen  baute ;  die  Disposition  derselben  giebt  Adlung 
in   seiner  Man.  mechan.  S.   251.  f 

Graf,  Maria  Magdalena,  ein  musikalisches  AVunderkind  des  18.  Jahr- 
hunderts, geboren  1754  zu  Mainz,  war  Ciavierspielerin  und  Harfenistin  und 
soll  als  zehnjähriges  Mädchen  auf  ihren  Instrumenten,  sowie  in  der  freien  Im- 
provisation und  allerlei  Kunsistückchcn  in  Concertcn  Staunenerregendes  ge- 
leistet haben.  Mit  behaglicher  Breite  ergeht  sich  hiei-über,  gestützt  auf  die 
Erzählungen  im  «neuen  histoi'ischen  Schauplatz«  (Erfurt,  1764  S.  753),  Gerber 
in  seinem  älteren  Tonkünstlerlexikon.  Nach  1764  ist  von  diesem  frühreifen 
Talente  nichts  weiter  gehört  worden. 

Gräfe,  Johann  Friedrich,  musikgebildeter  Dilettant,  geboren  1711  zu 
Braunschweig,  lebte  anfangs  zu  Halle  und  Leipzig,  sjiäter  aber  als  herzogl. 
braun schweigischer  Kammer-  und  Postrath  wieder  in  seiner  Vaterstadt.  Seine 
gesellschaftliche  wie  musikalische  Bildung  und  seine  Talente,  die  ihn  in  seinen 
Tonsatzversuchen  zu  einer  neuen  Art  der  Liedercomposition ,  sowie  zu  andern 
Musikwerken  führten,  haben  ihm  eine,  wenn  auch  zu  seiner  Zeit  vielfach  über- 
schätzte Stellung  unter  den  Gesangscomponisten  angewiesen.  G.'s  gedruckte 
AV^erke  sind  folgende:  Sammlungen  von  Oden  mit  Melodien  (1.  Theil,  Halle, 
1737;  2.  Theil  ebendas.  1739;  3.  Theil,  ebendas.  1741;  4.  Theil,  1743);  Oden 
und  Schäfergedichte  in  Musik  gesetzt  (Leipzig,  1744);  Sonnet:  II  trionfo  della 
fedeltä,  in  zwei  Melodien  gebracht  und  zugleich  mit  einer  neuen  Art  Noten 
gedruckt  (Leipzig,  1755);  Fünfzig  Psalme,  Oden  und  geistliche  Lieder  mit 
Musik  (Braunschweig,  1760);  »Z'öoto?«-,  Caiitate  j)ar  Destoucliea,  mine  an  musiquefn 
(Berlin,  1765;  Hamburg,  1767);  sechs  geistliche  Oden  und  Lieder  in  Melodien 


Graefenhahn  —  Graeser,  323 

gesetzt  (Leipzig,  1762);  Oden  und  Lieder  des  Herrn  v.  Hagedorn  mit  Melo- 
dien (1.  Theil,  1767;  2.  Thell,  1768);  und  viele  Stücke  im  13.,  24.,  28.  und 
50.  Stück  von  ßich's  musikalischem  Vielerlei  (Hamburg,  1770).  Er  starb  am 
7.  Febr.  1787  zu  Braunschweig.  lieber  mangelnde  Anerkennung  bei  seinen 
Zeitgenossen  hatte  sich  G.  nicht  zu  beklagen.  Kritische  Aeusserungen  über 
die  erstgenannte  Oden-Sammlung,  die  seinen  Ruf  begründete,  findet  man  in 
der  Mitzler'schen  Mus.  Bibliothek,  in  Scheibe's  krit.  Musicus,  in  Marpurg's 
krit.  Briefen  und  in  E.  0.  Lindner's  Gesch.  des  deutsch.  Liedes  im  18.  Jahrb., 
in  welchem  letzteren  Werke  G,  mit  vorurtheilsfreiem  Blick  unmittelbare  Wärme 
abgesprochen  wird,  an  deren  Stelle  steife  Phrasen,  Ciaviergänge  und  tanzartige 
Weisen  sich  breit  machen.  t 

Cri-aefenhahn,  Wolfgang  Ludwig,  Magister  und  Lehrer  an  dem  Christian- 
Ernst- Collegium  zu  Baireuth,  geboren  1719,  gestorben  1767,  veröffentlichte 
vier  in  diesem  Institute  gehaltene  Reden  unter  dem  Titel:  »Wettstreit  der 
Malerey,  Musik,  Poesie  und  Schauspielkunst«  (Bayreuth  und  Hof,  1746).  Seine 
Rede  über  Musik,  gehalten  von  einem  gewissen  Ferd.  Ludw.  Braun  aus  Wei- 
mar, befindet  sich  auch  im  4.  Bande  der  Mitzler'schen  Bibliothek.  f 

Oräfenthal,  eine  Familie  von  Organisten  in  Zwickau,  als  deren  ältestes 
Glied  Johann  G.,  an  der  Catharinenkirche  daselbst  angestellt  und  1547  ge- 
storben, dem  Namen  nach  bekannt  ist.  Sein  muthmasslicher  Enkel,  Georg  G., 
hatte  dieselbe  Stellung  inne  und  starb  im  J.  1633.  Der  bekannteste  Spross 
war  Martin  G.,  vielleicht  der  Yater  des  Vorigen,  geboren  1532  und  gestorben 
1604,  welcher  43  Jahre  lang,  nachdem  er  vorher  kuvfürstl.  sächsischer  Hof- 
musicus  gewesen  war,  in  Zwickau  amtirte  und  zwar  erst  als  Organist  an  der 
Catharinen-  und  später  an  der  Marienku-che  daselbst.  Dessen  Sohn,  Christian 
G.,  latinisirt  Graefinthalius,  war  der  16.  der  53  Organisten,  die  1596  zur 
Abnahme  der  Orgel  in  der  Schlosskirche  zu  Grüningen  berufen  worden  waren. 
Geboren  1571  zu  Zwickau  und  von  seinem  Vater  im  Orgelspiel  unterrichtet, 
vollendete  er  seine  wissenschaftlichen  wie  musikalischen  Studien  zu  Leipzig 
und  wurde  Organist  zu  Wittenberg,  sodann  1594  Magister  und  1613  Protono- 
tarius  des  dortigen  Hofgerichts  und  Schöppenstuhls.  Er  starb  im  J.  1634  zu 
Wittenberg.  t 

Graefestein ,  Johann,  Organist  aus  Erfurt,  war  der  achte  von  den  53 
zur  Abnahme  der  Schlosskirchenorgel  zu  Grüningen  1596  berufenen  Fachmänner. 
Vgl.  Wei'kmeister,   Org.  Gruning.  rediv.  §.11.  t 

Graeff,  J.   G.,    deutscher  Flötist    und  Instrumentalcomponist,   Hess   sich  in 
den  letzten  Jahren    des    18.  Jahrhunderts  in  London   nieder    und  gab  daselbst 
bei   Clementi    als    op.   11   Ouvertures  in   Parts   und  1799    als  op.  12  III  Duets 
for  tlie  Pf.  ä  4  m.  hei-aus,    Arbeiten,    die  sich  durch  Reinheit  des   Satzes  aus- 
zeichnen sollen.  t 

Gräflfer,  Anton,  deutscher  Guitarrevirtuose  und  Componist  für  sein  In- 
strument, geboren  um  1780  in  Wien,  lebte  in  seiner  Vaterstadt  mit  dem  Titel 
eines  Professors  der  Musik.  Ausser  verschiedenen  Compositionen  veröffentlichte 
er  eine  »Systematische  Guitarreschule«  und  ein  Fragment  »lieber  Tonkunst, 
Sprache  und  Schrift«   (Wien,  1830). 

Graeflu,  SophiaRegina,  eigentlich  wohl  Gräfe  geheissen,  dichtende  und 
musicirende  Dilettantin,  war  die  Tochter  eines  Priesters  in  Leipzig.  Wetzel 
sagt  von  ihr  in  seiner  Liederhistorie  Band  I  S.  340:  »Sie  habe  die  sonn-  und 
festtäglichen  Evangelia,  nach  denen  anno  1714  loco  exordii  in  der  Predigt  an- 
geführten Sprüchen,  in  angenehme  Melodien  gebracht,  welche  ohne  ihrem  Be- 
wust,  unter  dem  Titel  gedruckt  worden:  Eines  andächtigen  Frauenzimmers 
S.  R.  G.  ihrem  Jesu  im  Glauben  dargebrachtes  Liebes-Opfer«  (Leipzig,  1715). 

t 

Graeser,  Johann  Christoph  Gottfried,  talentvoller  Dilettant,  geboren 
1766  zu  Arnstadt  im  Schwarzburg'schen,  wählte  zum  Berufe  den  geistlichen 
Stand,  starb  jedoch  schon  1790  auf  Schloss  Erbach  als  Hauslehrer  und  Candidat 

21* 


324  Grätz  -  Graf, 

des  Predigtamtes.  Yon  seinem  tüchtigen  musikalischen  Können  zeugen  drei 
leichte  geschmackvolle  Claviersonateu ,  die  1786  zu  Leipzig  erschienen  und 
denen  bis  Ende  1787  noch  zwei  andere  Hefte  folgten;  ferner  Gesänge  mit 
Ciavierbegleitung  (Leipzig,  1785);  sechs  kleine  und  leichte  Ciaviersonaten 
(Leipzig)  und  Ciaviersonaten  mit  obligater  Violine  (Dresden,  1793).  Vgl. 
Hesse's  »Nachrichten  von  schwarzburgischen  Gelehrten«.  —  Ein  anderer  G., 
Johann  Friedrich  mit  Vornamen,  wirkte  als  Organist  zu  Breslau  an  der 
Maria- Magdalenakirche  von  1791  an  bis  zu  seinem  Tode  179G,  nachdem  er 
seit  1757  Unterorganist  an  der  St.  Elisabethkirche  daselbst  gewesen  war.  Sein 
Spiel  wurde  als  ein  vorzügliches  in  ganz  Schlesien  gerühmt.  Dass  er  auch 
Componist  gewesen,  ist  nicht  bekannt.  t 

Grätz,  Joseph,  ausgezeichneter  deutscher  Musiktheoretiker  und  Lehrer 
der  Harmonie  und  Composition,  geboren  am  2.  Decbr.  1760  zu  Vohburg  an 
der  Donau  in  Baiern,  erhielt  seinen  ersten  musikalischen  Unterricht  im  Kloster 
Rohr  bei  Abensberg.  Nachdem  er  während  der  darauf  folgenden  Zeit  seiner 
philosophischen  und  juristischen  Studien  zu  Neuburg  und  Ingolstadt  Organisteu- 
dienste  an  den  betreffenden  Seminar-  und  Stadtkirchen  geleistet,  ging  er  nach 
einem  Jahre  juristischer  Praxis  beim  Landgerichte  zu  Vohburg  nach  Salzburg, 
wo  er  durch  den  Unterricht  Mich.  Haydu's  in  seinem  Entschlüsse,  sich  ganz 
für  die  Musik  zu  bilden,  befestigt  wurde.  Ein  reicher  Gönner  ermöglichte  es 
ihm,  später  auch  noch  die  Unterweisungen  Bertoui's  in  Venedig  zu  geniessen 
und  die  Städte  Padua,  Verona,  Vicenza  u.  s.  w.  in  Oberitalien  zu  besuchen. 
Im  J.  1788  kehrte  er  in  das  baierische  Vaterland  zurück  und  liess  sich  bleibend 
in  München  nieder,  das  er  auch  bis  zu  seinem  Tode,  welcher  ihn  am  17.  Juli 
1826  ganz  unerwartet  auf  einem  Spaziergange  in  Gestalt  eines  Schlaganfalls 
überraschte,  nicht  wieder  verliess.  Er  hatte  zwar  den  Titel  eines  Hofclavier- 
meisters,  mit  welchem  aber  keinerlei  Obliegenheiten  verbunden  waren,  wie  er 
denn  überhaupt  seit  seiner  Rückkehr  niemals  ein  Amt  bekleidete.  Als  Com- 
ponist war  er  so  trocken  und  erfinduagsarm,  wie  es  nur  ein  eingefleischter 
Theoretiker  sein  kann.  Beweise  hierfür  sind  seine  Messen,  sein  Oratorium  »der 
Tod  .Jesu«  und  besonders  seine  Opern  »das  Gespenst  mit  der  Trommel«  und 
»Adelheid  von  Velthcim«,  die  bei  der  ersten  Vorstellung  schon  vom  Publikum 
für  ungeniessbar  erachtet  wurden  und  durchfielen.  Dagegen  finden  sich  unter 
seinen  Chorälen,  Präludien,  Versetten  und  anderen  kleineren  Kirchenstücken 
auch  anerkenuenswerthe  Leistungen,  Konnte  er  sich  dadurch  keinen  Ruhm 
verschaffen,  so  genoss  er  desto  ausgezeichnetere  Hochschätzung  und  Anerkennung 
als  Harmonie-  und  Conipositionslehrer,  und  Männer  wie  K.  Cannabich,  Ett, 
HoflPmann,  Ladurner,  Lauska,  Lindpaintner,  Moralt  u.  v.  A.,  schon  zu  Künst- 
lern gereift,  schlössen  sich  an  ihn  an  und  nahmen  noch  bei  ihm  Unterricht. 

Graf,  .Johann,  tüchtiger  deutscher  Violinist  und  Componist,  gegen  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Nürnberg  geboren,  erhielt  auf  mehreren  Instrumenten, 
insbesondere  auf  der  Violine  und  in  der  Composition  einen  gründlichen  Unter- 
richt, wurde  jung  noch,  Violinist  im  Orchester  des  sogenannten  deutschen 
Hauses  in  Nürnberg  und  kam  dann  als  Instructor  und  Musikmeister  des  Löfi'el- 
holz'schen  Regiments  mit  nach  Ungarn.  Mehrmaliger  AuA.nthalt  in  Wien, 
und  der  Verkehr  mit  anerkannton  Meistern  der  Tonkunst  daselbst  förderte 
ihn  noch  ungemein.  Darauf  ward  er  1718  kurfürstl.  mainz'scher  und  fürstl. 
bamberg'scher  Hofmusicus  und  erhielt  endlich  einen  Ruf  als  Concertmeister  an 
den  Hof  nach  Rudolstadt,  woselbst  er  um  1745  als  Kapellmeister  starb.  Er 
hatte  sechs  Söhne,  die  er  sämmtlich  zu  tüchtigen  Musikern  erzog;  die  beiden 
weiter  unten  folgenden  haben  sich  aber  ganz  besonders  ausgezeichnet.  Von 
G.'ß  Compositionen  führt  Gerber  12  Sonaten  für  Violine  und  sechs  Parthien 
für  Streichquartett,  gedruckt  in  Bamberg  und  Rudolstadt,  als  sehr  bemerkens- 
werth  und  geschätzt  auf.  —  Sein  Sohn,  Christian  Ernst  G.  (auch  unter 
dem  Namen  Christian  Friedrich  Graaf  in  Catalogen  verzeichnet),  geboren 
1723  zu  Rudolstadt,    war    der    Schüler  und  auch   der  Nachfolger  seines  Vaters 


Graff.  325 

im  Kapellmeisteramte.  Im  J.  1762  jedoch  erhielt  er  einen  Euf  als  königl. 
Kapellmeister  nach  dem  Haag.  Dort  soll  er  1802  gestorben  sein,  nachdem  er 
kui'z  zuvor  noch  eines  seiner  Oratorien  in  der  lutherischen  Kirche  daselbst 
aufgeführt  hatte.  Er  war  ein  ebenso  tüclitiger  Violinist  als  fleissiger  Componist. 
Namentlich  in  Holland  sind  zahlreiche  Sinfonien,  Ouvertüren  und  andere  Or- 
chesterwerke, ferner  Ciavier-  und  Violinsonaten,  Variationen,  Duos  für  ver- 
schiedene Instrumente,  Gesänge,  Lieder  u.  s.  w.  im  Druck  erschienen,  mehr 
noch  sind  unveröffentlicht  geblieben.  Endlich  gab  er  holländisch  ein  Lehrbuch 
heraus,  betitelt:  »Prüfung  der  Natur  der  Harmonie  im  Generalbasse,  nebst 
Unterricht  über  eine  kurze  imd  regelmässige  Bezifferung.  Mit  sechs  Kupfer- 
tafeln« (Haag).  —  Sein  jüngster  Bruder,  Friedrich  Hartmann  (Hei-mann) 
G.,  geboren  1727  zu  Rudolstadt,  studirte  bei  seinem  Vater  Violine,  Flöte  und 
Tonsatz  und  beim  Hofmusiker  Käsemann  von  1743  bis  1746  das  Paukenspiel. 
Als  Pauker  trat  er  darnach  in  ein  holländisches  Regiment  und  gerieth  bei 
Berg  op  Zoom  in  englische  Kriegsgefangenschaft.  Endlich  auf  freien  Fuss 
gesetzt,  vcrliess  er  England  wieder  und  ging  1759  auf  fünf  Jahre  nach  Ham- 
burg, wo  er  als  Flötist  und  Componist  so  grosse  Anerkennung  fand,  dass  ihm 
Telemann's  Stelle  in  Aussicht  gestellt  wurde.  Er  zog  es  jedoch  vor,  eine  grosse 
Kunstreise  durch  England,  Holland,  Deutschland,  die  Schweiz  und  Italien  zu 
machen  und  sich  auf  derselben  ebenso  sehr  zu  vervollkommnen  wie  seinen 
Virtuosenruf  auszubreiten.  Von  1769  an  war  er  unter  Direktion  seines  Bruders 
als  erster  Flötist  in  der  königl.  Kapelle  im  Haag,  folgte  aber  schon  1772  einem 
Rufe  als  Musikdirektor  nach  Augsburg.  Sein  Name  als  Componist  von  Flöten- 
concerten  und  anderen  Stücken  für  dies  Instrument,  sowie  des  Oratoriums 
»die  Sündfluth«  war  damals  schon  ein  glänzender,  und  das  in  Augsburg  com- 
ponirte  Oratorium  »der  verlorene  Sohn«  fand  w^eit  und  breit  die  höchste  An- 
erkennung, so  dass  ihm  die  Direktion  der  deutschen  Oper  in  Wien  1779  eigens 
die  Composition  eines  dramatischen  Werkes  übertrug.  In  Wien  traf  ihn  die 
Einladung,  die  grossen  Concerte  der  Saison  von  1783  und  1784  in  London 
zu  dirigiren  und  für  dieselbe  grössere  Arbeiten  zu  componiren.  Reich  belohnt 
und  mit  Erfolgen  übei'häuft,  kehrte  er  unter  dem  Titel  eines  Kapellmeisters 
in  sein  früheres  Amt  nach  Augsburg  zurück.  Dorthin  sandte  ihm  die  Uni- 
versität Oxford  1789  das  Doctordiplom  nach,  das  ihm  ohne  vorangegangene 
Prüfung  und  mit  Beiseitesetzung  aller  sonst  üblichen  Formalitäten  ertheilt 
worden  war.  Seine  Productivität  war-  noch  in  seinen  letzten  Lebensjahren 
eine  sehr  bedeutende,  und  selbst  die  strenge  Kritik  kann  an  seinen  gediegenen 
Werken,  die,  wenn  sie  in  einer  anderen  Epoche,  als  der  Mozart-Haydn'schen, 
entstanden  wären,  gewiss  nachhaltiger  gewirkt  hätten,  nichts  auszusetzen  finden. 
Hatte  schon  seine  Cantate  nlnvocation  of  Neptune  and  Ms  attendani  Nereids  of 
Britanniav-  in  London  einen  beispiellosen  Beifall  gefunden,  so  düi-fen  sein  29. 
Psalm ,  die  heroische  Cantate  »Andromeda«  und  eine  andere  »die  Hirten  bei 
der  Krippe  zu  Betlehem«,  Gedicht  von  Ramler,  sowie  seine  Quintette  und 
Quartette  als  nicht  minder  vortreffliche  Arbeiten  nicht  unbemerkt  bleiben,  wenn 
man  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  18.  Jahrhunderts  zurücksteigt.  G.  selbst 
starb  am  19.  Aug.  1795  zu  Augsburg. 

Graff,  Charlotte,  geborene  Böheim,  s.  Böheim. 

(xraff,  Conrad,  auch  Graf  geschrieben,  einer  der  geschätztesten  deutschen 
Ciavierbauer  der  Neuzeit,  geboren  am  17.  Novbr.  1782  (nicht  1783)  zu  Ried- 
lingen im  Württemberg'schen ,  erlernte  das  Tischlerhandwerk  und  begab  sich 
als  Geselle  auf  die  übliche  Wanderung  in  die  Fremde.  In  Wien  trat  er  1799 
in  das  neu  errichtete  Jäger-Freicorps,  dem  er  vier  Jahre  lang  angehörte,  worauf 
er,  vci-abschiedct,  bei  dem  Ciavierbauer  Jac.  Schelkle  in  Arbeit  ging.  Hier 
machte  sich  seine  Befähigung  für  mechanische  Arbeiten  glänzend  geltend  und 
verschaffte  ihm  Gönner,  so  dass  er  sich  schon  1804  selbst  etabliren  konnte. 
Sein  rastloser  Fleiss  und  seine  unausgesetzt  betriebenen  Verbesserungsversuche 
brachten  das  Geschäft    schnell    in  Schwung,    und   seine  Fabrikate  gehörten  im 


326  GrafF  —  Graichen. 

Verlaufe  der  Zeit  wegen  der  Kraft,  Fülle  und  des  Gesangreichtliums  ihres 
Tones  zu  den  von  weit  und  breit  her  bestellten.  Als  k,  k,  Hof- Ciaviermacher 
starb  er  zu  "Wien  am  18.  März  1851. 

Graff,  Johann,  deutscher  Organist,  Sohn  eines  Rektors  zu  Erfurt,  bildete 
sich  durch  Selbststudien  nach  Pachelbl  zu  einem  tüchtigen  Ciavier-  und  Orgel- 
spieler heran,  und  verwaltete  in  seiner  Geburtsstadt  mehrere  Organistenstellen 
nacheinander.  Zuerst  versah  er  den  Dienst  an  der  St.  Thomas-,  dann  den  an 
der  Regler-  und  endlich  den  an  der  Kaufmannskirche  daselbst,  bis  ihn  1694 
der  Drang,  die  Welt  zu  sehen,  auf  Reisen  trieb.  Längere  Zeit  hielt  er  sich 
zu  Lüneburg  bei  Böhm  auf,  um  die  Compositiouskunst  zu  studiren  und  kam 
endlich  nach  mannigfachen  Erlebnissen  nach  Magdeburg,  wo  er  die  Organisten- 
stelle an  der  St.  Johanniskirche  annahm,  welcher  er  bis  zu  seinem  1709  er- 
folgten Tode  vorstand.  Er  soll  Orgel-  und  andere  Instrumentalstücke  componirt, 
aber  nicht  veröflfeutlicht  haben.  Von  den  ersteren  besass  Gerber  einige  im 
Manuscript.  t 

Grai'fl^iia,  Achille,  italienischer  Operncomponist,  geboren  1817  in  der 
Lombardei,  übernahm  als  Lnpresario  die  Direktion  der  italienischen  Oper  in 
Odessa,  die  er  mit  grossem  Geschick,  aber  wechselndem  Erfolge  viele  Jahre 
hindurch  führte.  Einige  seiner  dramatischen  Compositionen  sind  auf  dem 
Theater  zu  Odessa,  theil weise  mit  grossem  Beifall,  von  ihm  zur  Aufführung 
gebracht  worden. 

Graffus,  Valentinus  (oder  Greffus),  latinisirt  aus  Graff,  ein  bedeu- 
tender Lautenspieler  aus  Ungarn,  der  u.  A.  den  ersten  Theil  eines  Lehrbuchs 
v>harmoniarum  musicarum  in  usum  testudinisa.  (Antwerpen,  1560)  veröffentlichte. 
Vgl.  Garzoni,  r>Piazza  universale«  Discorso  34  und  Gesner's  Bihl.  univ.     f 

Grafftc,  ein  deutscher  Orgelbauer  zu  Wolfeubüttel,  der  unter  anderen 
Werken  1706  zu  Aljtsbessingen  im  Fürstenthume  Schwarzburg  ein  Werk  von 
18   Stimmen  vollendete  und  aufstellte.  f 

Grag-uaui,  Filippo,  vorzüglicher  italienischer  Guitarrevirtuose  und  Com- 
ponist  für  sein  Instrument,  geboren  1767  zu  Ijivorno,  war  von  Jugend  auf 
darauf  bedacht  gewesen,  sich  gründliche  musiktheoretische  Kenntnisse  anzueignen 
und  hatte  bei  Luchesi  den  Contrapunkt  studirt.  Der  Guitarre  wandte  er  seine 
Vorliebe  zu ,  und  er  hat  im  Laufe  der  Zeit  die  engbeschriebenen  Grenzen 
dieses  Instruments  bedeutend  erweitert.  Seit  1812  hat  man  von  ihm  nichts 
weiter  gehört,  jedoch  befand  er  sich  in  diesem  Jahre  noch  am  Leben.  Von 
seinen  Compositionen  sind,  ausser  Sonaten,  Duos,  Variationen,  Uebungen  u.  s.w. 
für  Guitarre,  im  Druck  erschienen:  Ein  Quartett  für  zwei  Guitarren,  Violine 
und  Clarinette;  ein  Sextett  für  Flöte,  Violine,  Clarinette,  zwei  Guitarren  und 
Violoncello;  ein  Trio  für  drei  Guitarren  und  ein  solches  für  Guitarre,  Flöte 
und  Violine. 

Graham,  George  F.,  schottischer  Literat  und  Musikliebhaber,  veröffent- 
lichte u.  A.  einen  Bericht  über  das  erste  grosse  Musikfest  zu  Edinburg  vom 
30.  Oktbr.  bis  5.  November  1815  nebst  einer  Observation  generale  über  die 
Musik  (Edinburg,  1816). 

Grahl,  Andreas  Traugott,  deutscher  Sänger  und  Gesangcomponist,  war 
in  den  Jahren  von  1766  bis  1768  wahrscheinlich  Akademiker  zu  Leipzig,  that 
sich  dort  in  verschiedenen  stehenden  Concerten  als  Tenorsänger  hervor  und 
veröffentlichte  »Oden  und  Lieder«  seiner  Composition  (Leipzig,  1779).  ■ —  P]in 
anderer  G.,  Friedrich  Benjamin  mit  Vornamen,  auch  wohl  der  Jüngere 
genannt,  gab  eine  erste  Sammlung  von  zwölf  Variationen  für  Ciavier  (Dresden, 
1801)  in  den  Druck,  die  zu  bedeutenden  Hoffnungen  berechtigten,  welche  sich 
in  der  Folge  nicht  verwirklicht  zu  haben  scheinen.  f 

Graicheu  ,  Abraham,  deutscher  Pianofort cfabrikant,  geboren  1826  im 
Altenburg 'sehen,  lel)t  in  Erfurt  mit  dem  Titel  eines  herzogl.  sachsen-meiningen'- 
schen  Hoflieferanten.  Die  von  ihm  verfertigten  Pianinos  besonders  zeichnen 
sich  durch  solide,  geschmackvolle  Bauart  und  schönen   Ton  aus. 


Graichen  -  Grammatik  der  Tonsprache.  327 

Graicheu ,  Johann  Jakob,  deutscher  Orgelbauer,  der  um  1725  bei 
G.  H  Trost  seine  Kunst  erlernte,  starb  als  fürstlich  braudenburg-kulmbacli'- 
scher  privilegirter  Orgelbauer  im  J.  1760  und  hat  sich  in  seiner  Zeit  durch 
den  Bau  eines  Werkes  mit  16  Stimmen  zu  Lichtenberg,  das  er  am  3.  Juni 
1759  vollendete,  so  wie  vieler  anderen  zu  Kulmbach,  Neustadt,  Berg,  Treb- 
gast,  Bischofsgrün  und  Wirsberg  einen  Ruf  gemacht.  Die  Disposition  dieser 
Werke  zeugt  jedoch,  wie  Gerber  in  seinem  Tonkünstlerlexikon  von  1812  nach- 
weist, nicht  eben  für  ein   namhaftes  Verdienst.  t 

Grain,  du,  vermuthlich  identisch  mit  Johann  du  G.,  war  von  1737  bis 
1739  Sänger  und  Componist  an  der  evangelischen  Hauptkirche  zu  St.  Marien 
in  Elbing.  Unter  letzterem  Namen  ist  besonders  eine  1737  geschriebene  Pas- 
sionsmusik bekannt,  die  bis  in  die  ersten  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  hinein 
in  Danzig  alljährlich  aufgeführt  wurde.  Unter  dem  Namen  du  G.  sind  1746 
zum  Danziger  Choralbuche  26  neue  Melodien  gesetzt  worden,  welche  jedoch 
nicht  gedruckt  erschienen.  f 

Graiuville,  Jean  Baptiste  Christoph,  musikgelehrter  französischer  Di- 
lettant, um  1760  zu  Ronen  geboren,  war  als  Parlamentsadvocat  in  seiner  Vater- 
stadt angestellt.  Eine  musikalische  Dissertation  von  ihm,  betitelt:  vSur  les 
differents  rhyihnies  employSs  par  les  poetes  dramatiques  grecsvi  zeugt  von  grosser 
Gelehrtheit  auf  diesem  Wissensfelde. 

Gräma-glya-g-äua  (indisch)  heisst  der  erste  der  zwei  Theile  der  8dm a- 
Veda  (s.  d.),  welcher  nur  alte  Gesänge  der  Braminen  enthält,  wozu  die  Töne 
notirt  sind.  Die  Aufzeichnung  dieses  Buches  und  der  Melodien  soll,  wie  be- 
hauptet wird,  im  14.  Jahrhundert  v.  Chr.  stattgefunden  haben,  wofür  darin 
erwähnte  Constellationen  der   Sterne  Zeugniss   ablegen  sollen.  2. 

Gramaye,  Johann  Baptist,  belgischer  Historiker,  geboren  zu  Antwerpen, 
wirkte  als  juristischer  Professor  zu  Löwen  und  Historiograph  der  Niederlande. 
Auf  einer  Reise  starb  er  zu  Lübeck  im  J.  1635.  Nach  Porkel's  Vermuthung 
ist  eine  von  Franc.  Swertius  in  seiner  Athen,  helg.  G.  zugeschriebene  Schrift: 
»_De  musioa  lafina,  graeca,  maurica  et  instrmnentis  Barbar icis«,  dessen  Lexicon 
mauricum  oder  dessen  Africa  illustrata,  Uhr.  X.  entlehnt.  Vgl.  Gerber,  Ton- 
künstlerlexikon vom  J.  1812.  t 

Grammatik  der  Tonsprache,  musikalische  Grammatik  etc.  bedeutet  im  wei- 
testen Sinne  die  Mittheilung  und  Begründung  derjenigen  Regeln  und  Gesetze, 
die  der  praktische  Tonkünstler,  sei  er  nun  Componist  oder  blos  reproducirender 
Künstler,  bei  Ausübung  seiner  Kunst  zu  beachten  hat.  In  diesem  allgemeinen 
Sinne  wird  indessen  für  diesen  Ausdruck  in  der  Regel  lieber  der  Ausdruck 
»Technik«  (s.  d.)  gesetzt;  die  Gr.  gilt  dann  nur  als  ein  besonderer  Theil 
der  Technik,  während  diese  letztere,  als  einer  der  Haupttheile  der  musikalischen 
Wissenschaften,  der  »musikalischen  Aesthetik«  (s.  Philosophie  der  Kunst) 
gegenüber  gestellt  wird.  In  diesem  engeren  Sinne  versteht  man  unter  Gr. 
»den  Inbegriff  der  Regeln,  nach  welchen  die  Töne  und  Accorde  richtig  an- 
einander gereiht  und  mit  einander  verbunden  werden  müssen«.  (Gathy,  »Lexi- 
kon«). Man  zählt  dann  zu  ihr:  die  »Propädeutik«  oder  Vorschule,  nebst  Zeichen- 
lehre (»Semiotik«),  die  »Harmonik«,  »Melodik«,  »Rhythmik«  und  »Metrik«. 
Ausserdem  gehört  hierher  auch  noch  die  »musikalische  Orthographie«  (s.  d.) 
oder  die  Lehre,  wie  man  bei  schriftlicher  Darstellung  die  grammatische  Richtig- 
keit zum  Ausdrucke  bringt.  Weit  enger  fasst  den  Begriff  Gr.  noch  G.  W.  Fink, 
der  eine  »Musikalische  Grammatik«  (Leipzig,  G.  AVigand)  geschrieben  hat.  Er 
will  in  dieser  »Musikal.  Gr.«  nichts  geben,  »als  die  schlechthin  nothwendige 
Wissenschaft,  die  für  jedfu  Musikfreund,  der  die  Kunst  auf  irgend  eine  Weise 
ausüben  will,  gehört«,  »die  ganz  unumgänglichen  Kenntnisse,  die  für  alle  Aus- 
über der  Tonkunst  unserer  Zeit  Bedürfniss  sind«  (s.  a.  a.  0.  S.  11).  Er  ge- 
braucht den  Ausdruck  also  etwa  gleichbedeutend  mit  »Allgemeine  Musik- 
lehre« (s.  d.).  —  In  ganz  anderem,  aber  ebenfalls  engerem  Sinne  gebraucht 
G.  Weber    den    Ausdruck    Gr.     Er    definirt    ihn    folgendermassen:    »Das    erste, 


328  Grammatik  der  Tonsprache. 

und  gewissermaassen  unterste  Erforderniss,  beim  Verbinden  von  Tönen  und 
der  Bildung  eines  musikalischen  Satzes,  ist,  dass  er  vor  allem  nicht  übel,  nicht 
gehörwidrig  klinge;  sondern  dass  dem  Grehörsinne  nur  möglichst  wohlgefällige 
Tonverbindungon  dargeboten  werden.  Es  ist  dieses  ungefähr  eben  so,  wie  es 
das  erste  und  unterste  Erforderniss  der  Rede-  oder  der  Dichtkunst  ist,  Sprach- 
fehler zu  vermeiden.  Dieser  Theil  der  Tonsatzlehre,  welcher  blos  das  technisch 
oder  grammatikalisch  Richtige  der  Tonverbindungen,  blos  die  Reinheit  der 
Tonsprache  beabsichtigt,  heisst  eben  darum  Lehre  vom  reinen  Satze,  oder  auch 
Grammatik  der  Tonsprache,  der  Tonsetzkunst;  sie  beschäftigt  sich  mit  den 
Gesetzen,  nach  welchen  Töne,  gleichsam  als  musikalische  Buchstaben  oder 
Spi'achlaute,  sich  zu  Sylben,  diese  zu  Worten,  und  "Worte  sich  endlich  zu 
einem  musikalischen  Sinne  (sensus)  gestalten.  (G.  Weber ,  »Versuch  einer 
geordn.  Theorie«,  I.  §.  X.).  —  Bei  andern  Tonlehrern  ist  der  Ausdruck  Gr. 
weniger  im  Gebrauche.  Sie  setzen  dafür  —  je  nach  ihrem  Standpunkte  — 
Ausdrücke  wie:  »Contrapunktischc  Regeln«  oder  kurz  »Contrapunkt«,  »Lelire 
vom  reinen  Satze«,  »Harmonie-  und  Modulationslehre«,  »Generalbasslehrc«  u. 
dergl. ,  von  denen  aber  keiner  den  Begriff  Gr.  vollkommen  deckt.  —  Neben 
der  Gr.  zählt  G.  Weber  dann  zur  Technik  der  Tonsetzkunst  noch  »die  Lehre 
vom  sogenannten  doppelten  Contrapunkte,  von  Fuge  und  Canon  und  was  didiin 
einschlägt,  so  wie  auch  die  von  der  Anlage  und  Gestaltung  der  Tonstücke  im 
Ganzen«,  ferner  der  Instrumentationslehre  und  die  Lehre  vom  Vocalsatze,  zu 
der  auch  die  Lehren  »von  der  richtigen  Betonung  oder  Accentuation ,  von 
Scansion  und  Declamation«  gehören.  Es  scheint  mir,  als  sei  der  Begriff  Gr. 
in  diesem  Sinne  am  richtigsten  angewendet;  werden  ja  doch  auch  in  der  Sprache 
weder  das  mechanische  Lesen  und  was  dazu  gehört,  noch  auch  die  ebenfalls 
rein  zum  Technischen  gehörigen  Lehren  von  der  Scansion,  vom  Versbau,  vom 
Reime,  von  der  Form  der  Dichtungen  u.  s.  f,  zur  Gr.  gerechnet.  —  Die  »mu- 
sikalische Gr.«  hat  —  theils  durch  die  Entwickelung  der  Tonkunst,  theils  auch 
durch  das  Fortschreiten  der  Wissenschaft  überhaui)t  —  in  Beziehung  auf  ihre 
Tendenz,  auf  Inhalt  und  Umfang  ihrer  Regeln  und  Gesetze  u.  s.  f ,  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  gar  mancherlei  Wandlungen  durchmachen  müssen.  In  der 
Blüthezeit  des  Contrapunktes  galten  die  contrapunktischen  Regeln  als  über 
jede  Kritik  erhaben  und  unbedingt  gültig.  Dagegen  erklärt  schon  Andr.  Werck- 
meister  in  seinem  r>örihrum  musicumv-  (Quedlinburg  und  Leipzig,  1700)  S.  34: 
»Alles  ist  gut,  wenn  es  recht  und  zu  bequemer  Zeit  gemacht  wird«  und  S.  9: 
»Ich  gestehe  zwar  gerne,  dass  die  Regeln,  so  die  lieben  Alten  in  der  Musika- 
lischen Composition  gegeben,  nicht  allemahl  können  in  acht  genommen  werden, 
sonderlich  in  Setzung  vieler  Stimmen«.  »Ja  ich  gestehe  gerne,  dass  die  Regeln 
zum  Theil  gar  nichts  nütze,  und  unnöthig  seyn«.  Er  fügt  aber  zu:  »Jedoch 
siebet  man  wie  vorsichtig  die  Alten  in  Bauung  der  harmonia  gewesen  sind. 
Und  deswegen  müssen  sich  die  Ignoranten  nicht  etwa  einbilden,  als  wäre 
es  gleichviel,  man  könnte  setzen  was  einem  seine  phantasey  dictirte.  Ach 
nein!  man  muss  den  Grund  nicht  zerreissen,  es  kau  ein  Ding  wohl  gebessert 
werden«.  »Wer  die  Grundsätze  verstellet,  der  wird  sie  auch  wohl  in  aclit 
nehmen,  und  hoch  aestimiren,  hiedurch  wird  auch  die  Musik,  und  derer  Ciiltores 
hochgehalten  werden,  denn  hierinnen  stecket  der  Unterscheid  der  Bierfiedler, 
Stümpler,  und  aller  rechtschaffenen  Musicorum,  und  Componisten«.  —  Was 
man  in  neuerer  Zeit  über  die  Gültigkeit  grammatischer  Regeln  denkt,  wurde 
schon  in  den  speciellen  Artikeln  (Auflösung,  Consonanz  und  Dissonanz,  Fort- 
ecbreitung  etc.)  mitgetheilt.  —  In  Beziehung  auf  Inhalt  und  Umfang  beschränkt 
sich  die  Gr.  der  alten  Contrapunktisten  im  Wesentlichen  auf  die  Gesetze  gegen 
die  Octaven-  und  Quintenparallelen,  den  unharmonischen  Querstand  und 
den  Tritonus  (s.  d.)  und  auf  die  Lehren  von  der  Anwendung  und  Fort- 
schreitung dissonircnder  Intervalle.  G.  Weber  dagegen  bedarf  zur  Darstellung 
der  »Grammatik«  der  Tonsetzkunst  schon  4  voller  Bände,  ohne  indessen  er- 
schöpfend sein  zu  können.    Näheres  hierüber  wolle  man  nachlesen  unter  »Har- 


Grammatik  der  Tonsprache.  329 

monie-  und  Modulationslelire«,  »Rliythmik«,  »Regeln   des  Contrapunktes«   und  in 
den  dort  genannten   Specialartikcln.  —  Ueber  die  Wichtigkeit  der  musikalischen 
Gr,  für  die  Tonkunst  selbst  sind  die  Ansichten  zu  verschiedenen   Zeiten  eben- 
falls sehr  verschieden  gewesen.     Bis  zur  Mitte  des   17.  Jahrhunderts  galten  die 
contrapunktischen  Regeln  für  das  A  und  0   der  musikalischen  Kritik,  und  die 
Kenntniss  derselben  unterschied  den  wirklichen  Musikus  von  dem  blossen  Sänger 
(Cantor)    oder    Instrumentalisten.     Und    dieser   Unterschied    galt    als    sehr    be- 
deutend,    Sätze,  wie  die  folgenden,  finden  sich  in  musikalischen   Schriftstellern 
gar   nicht    selten:    r>Non   e   minor   clistanza  trä   7  Musico  e'l  Cantore,    che  trä  'l 
Podestä  e  il  Bandiforea.     y>Tale    differenza    trä  7  Musico  ed  il  Cantore^  quäle  e 
trä    la    luce    e    le    tenehrev..      Zwischen    einem    gebildeten    Mixsiker    und    einem 
blossen  Sänger  fand  man  also  einen  grösseren  Unterschied,  als  zwischen  einem 
Fürsten    und    einem  Landstreicher,    als  zwischen  Licht  und  Finsterniss.     »Das 
ist  starck«,    fügt  Matheson,    der    diese    Aussprüche    in    §.  92    seiner    »Grossen 
Generalbassschule«  mittheilt,  hinzu.    »Wiewohl  es  hat  diesen  Unterscheid  Guido 
Aretinus  selbst  schon  zu  machen  gewusst«.     Noch  drastischer  di'ückt  sich  Andr. 
Werckmeister  in  seinem  schon  genannten  »Musikalischen  Siebe«  aus.    »Es  reichet 
zwar  lange  nicht  hin,  wenn  ein   Componist  nur  den  Progressum  zwoer  Quinten, 
und  zwoer  Octaven  in  zwoen  Stimmen   zu  vermeiden   weise:    oder   dass   er   die 
relatio7ies-no7i-harmonicas    inusitatas    etlichermassen    zu    fliehen  weiss:    gewiss  es 
gehöret  mehr  darzu«,     »Wer  eine   reine  geschickte  harmoniam  setzen  will ,    der 
muss    die    Nase    auch    in    die    guten  Ätitores,    sowohl   theoreticos,    als   practicos, 
hängen«.    (S.  2).     »Ich    halte    einen   Strohschneider    und  Besenbinder,    der   die 
rationes    über    seine  Handthierung   vorzubringen  weiss,    viel    klüger,    als    einen 
solchen  unbesonnenen  Musicaster,  der  nur  nach  seinem  Gänse- Gehirne  hinsetzet, 
was  seiner  Phantasterey  gut  deucht«.  (S.  22).     »Es  setzet    zwar  auch  offte  ein 
guter  Componist  etwas  ungewöhnliches  aus  gutem  Grunde  und  Ursachen,  welches 
einem  Incipienten  nicht  anstehet;    darum  muss  ein  Incipiente  nicht  alles  nach- 
äffen, sondern  alles  mit  Bedacht  und  mit  gutem  Grunde  zu  behaupten  wissen«. 
(S.   25).     »Es    gehet    manchen  wie    jenem  Affen,    der  den  Holtzhacker  imitiret 
und   Holtz    hauen  wollte,    als    er  aber  die   Griffe  nicht  recht  wusste,    klemmete 
er  sich,  und  gerieth  in  grossen  Schimpff«.  (S.  12).    »Er  sage  mir  mein  Freund! 
ob  andere  vermeinte  Musici,  die  da  keine  rationes  über  ihre  selbst  zusammenge- 
flickte harmoniam  zu  führen  wissen,  besser  und  höher  zu  aestimiren  als  Schäffer- 
Knechte?     Ich  kau  sie  nicht  besser  schätzen.     Denn  ein  solcher  Schaffs-Knecht 
hat  seinen  natürlichen,    ja  bissweilen  einen  schärffern  Verstand,  als  ein  andrer, 
und  ein  solcher  Musicaster  kan  nicht    anders  urtheilen    als  ein   Schaffs-Knecht, 
wo    er  nicht  vorher  auf    die  fundamenta,    so  in  der  Natur  gegründet  seyn,  ge- 
wiesen wird,    und  darauf  sein  Music- Wesen  bauet.     Herr  Printz  nennet  solche 
Leute    in    seinem    » Satyrischen    Componisten«    (vollständige  Ausgabe:    Dresden 
und  Leipzig,  1696):  Pfeiffhanss,  Bocksmerten,   Schergeiger,  Leyermatz  u.  s.  w. 
O   diese  Gesell  seh  äfft    erstrecket  sich   sehr  weit,    ob    sichs    schon  mancher  nicht 
einbildet!«  (S.   29),   —  Die  Yerstösse  gegen  die  Gesetze  der  Grammatik  erhal- 
ten   dem    entsprechend    ebenso  drastische  Benennungen:    »Rossquinten«,    »Kuh- 
octaven«,  »Sauquarten«,  Lämmertertien«,  »Kälbersexten«,  von  »denen  einem  ge- 
nau die  Ohren  platzen  möchten«,  (a.  a.   0.   S.  23).  —    Das  hohe  Ansehen,    in 
welchem  die  musikalische   Gr.  seiner  Zeit  gestanden  hat,  ist  im  Laufe  der  Zeit 
gänzlich  geschwunden.     Jetzt  steht  diese  Wissenschaft  sogar  bei  Vielen  arg  im 
Verruf.     So    theilte    mir    der  Direktor    eines   grossen  Conservatoriums  als  eine 
bei  seiner  langjährigen   Thätigkeit  gemachte  Erfahrung  mit,    dass  theoretischer 
Unterricht    sehr,    sehr  selten  verlangt  werde.     Aus  dem  Munde  eines  »Kapell- 
'meisters«  musste  ich  einst  die  Aeusscrung  vernehmen:  »Wir  Musiker  von  Gottes 
Gnaden    haben    uns    um  die  graue   Theorie  nicht  zu  kümmern«.     Es  ist  daher 
gar  nicht  zu  verwundern,  dass  selbst  Sänger  und  Instrumentalisten  von  grossem 
Rufe,  von  den  Dilettanten  ganz  zu  schweigen,  meist  keine  blasse  Ahnung  von 
dem  haben,  was  man  Gr.  nennt;  ja  selbst  die  meisten  Componisten  halten  das 


330  Grammatischer  Acceut  —  Grancino. 

Studium  der  Harmonie,  des  Contrapuuktcs,  der  Imitation  etc.  für  vollkommen 
überflüssig.  »Kann  mau  sich  doeli  heute  den  Ruf  grosser  Wissenschaftlichkeit 
erwerben  durch  Kenntnisse,  die  noch  im  Anfange  dieses  Jalirhunderts  jeder 
Musiker  besitzen  musste,  der  sich  nur  einigermaassen  über  das  Niveau  eines 
»Handwerkers«  erheben  wollte«.  (S.  des  Verf.  »Elementarbuch«,  Berlin,  R.  Op- 
penheim, S.  IV.).  —  Dem  gegenüber  möge  zum  Vortrage  der  Nutzanwendung 
nochmals  Andr.  AVerckmeister  (a.  a.  0.  S.  35)  das  Wort  erhalten:  »Würde 
nun  die  Music  allemahl  nach  ihren  in  der  Natur  gegründeten  Sätzen  einge- 
richtet, und  practiciret,  gewiss,  sie  wolte  aller  Welt  angenehmer  sein,  und 
dahero  besser  aestimiret  werden,  auch  bessern  effect  erreichen.  Es  würden  die 
Ignoranten  auch  eines  bessern  sich  besinnen,  und  ihre  Calumnien,  nicht  so 
leichtfertig  gegen  andere  heraus  giessen«,  Otto   Tiersch. 

Grammatischer  Accent  (latein:  accentus  grammaticus),  s.  Accent. 

(i}rammont,  Madame  de,  geborene  Ren  au  d  d' Allen,  gute  Clavierspielerin 
und  Dilettantin,  geboren  1790  zu  Paris,  veröffentlichte  Ciavierstücke  leichten 
Gehalts,  besonders  Variationen,  dann  auch  Romanzen  ihrer  Composition,  die 
eine  Zeit  lang  ihr  Publikum  fanden. 

Gramont,  Henri  de,  Professor  des  Gesangs  am  grossen  Seminar  zu  Paris, 
geboren  1808  daselbst,  liess  eine  -nMetliocle  du  chanU  (Paris,  1845)  erscheinen, 
welche  die  Elementargrundsätze  für  die  Pflege  des  guten  Gesangs  enthält. 

Grams,  Anton,  ein  vorzüglicher  Contrabassist,  geboren  am  29.  Oktbr. 
1752  zu  Markersdorf  in  Böhmen,  war  ein  Schüler  des  zu  Prag  lebenden  Contra- 
bassisten Natter,  dessen  Sonorität  des  Tons,  Klarheit  und  Fertigkeit  des  Vor- 
trags er  sich  ganz  zu  eigen  machte.  Als  Virtuose  seines  Instruments  wohl 
angesehen,  führte  er  in  Prag  mit  wechselndem  Glücke  zugleich  die  Direktion 
des  kleinen  Hyberner- Theaters,  in  welchem  die  sonntäglichen  Nachmittagsvor- 
stellungen von  Lust-,  Schau-  und  Singspielen  in  slavischcr  Sprache  stattfanden. 
Auf  Abt  Vogler's  Empfehlung  kam  G.  nach  Wien,  zuerst  an  das  Schikaueder'sclie 
Theater  und  später  in  das  Hofoperntheater-Ox'chester.  Er  starb  hochbetagt 
am  1.  Mai  1823  zu  Wien.  f 

Granara,  Antonio,  italienischer  Operncomponist,  geboren  1809  zu  Genua, 
vollendete  seine  musikalischen  Studien  zu  Novara  bei  Generali  und  debütirte 
überaus  erfolgreich  1832  mit  der  für  seine  Vaterstadt  geschriebenen  Oper 
y)Elisa  di  Montaltieriv.  Dieser  folgten  1836  für  Venedig  y>Giovanna  di  INapolU 
und  »  ZTJz'  avoentura  feafralev.  Seitdem  scheint  er  vom  öff'entlichen  Schauplatze 
wieder  abgetreten  zu  sein. 

Grauata,  Giovanni  Battista,  berühmter  italienischer  Guitarrevirtuose 
und  Componist  für  sein  Instrument,  geboren  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
zu  Bologna,  veröffentlichte  im  J.  1659:  y>Soavi  conccnfi  di  Sonate  musieale  per 
la  chitnrrn  apacjnuolaa  in  mehreren  Büchern. 

Granciui,  Michele  Angelo,  einer  der  hervorragenden  italienischen  Com- 
ponistcn  des  16.  Jahrhunderts,  dessen  Geburts-  und  Todesjahr  nicht  mehr  be- 
kannt, war  schon  in  seinem  17.  Lebensjahre  als  Organist  der  Kirche  del  paradiso 
zu  Mailand  angestellt  und  gab  in  dieser  Zeit  auch  seine  ersten  Compositionen, 
mehrstimmige  IMadrigale,  heraus.  Später  wurde  er  Domorganist  und  endlich 
sogar  Domkapellmeister  daselbst,  welche  Stellung  er  seinen  ausserordentlichen 
Kenntnissen  verdankte,  die  ihm  einen  besonderen  Dispens  von  der  Vorschrift 
des  heiligen  Karl  Borromäus  (15G6)  erwirkten,  dass  nur  Unverheirathete  dies 
Kapellmeisteramt  bekleiden  durften.  Picinelli  führt  in  seinem  Äteneo  dei  lette- 
raü  milanesi  S,  425  von  G.'s  Werken  28  Nummern  auf,  die  im  Druck  erschienen 
sind  und  in  Messen,  Motetten,  Psalmen,  Madrigalen  und  Canzonetten  bestehen. 

Graucino,  oder  Granzino,  eine  Familie  vortrefflicher  und  geschickter 
italienischer  Geigenbauer,  deren  ältestes  Glied  Giovanni  G.  ist,  der  etwa  von 
1615  bis  1632  in  Mailand  meist  Altviolen  und  Violoncelli  fertigte.  —  Ein 
Abkömmling  von  ihm  ist  Paolo  G.  Derselbe  hatte  die  Unterweisung  Amati's 
in  Cremona  genossen  und  wirkte  darnach  selbstständig  in  seinem  Fache  in  der 


Grand  —  Granger.  331 

zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zu  Mailand,  Seine  Kunst  vererbte  er 
auf  zwei  Söhne,  Giovanni  G.  und  Giovanni  Battista  G,,  welche  gemein- 
schaftlich die  Arbeiten  ihres  Vaters  um  1690  aufnahmen  und  bis  gegen  1710 
fortführten.  Der  Letztere  war  überdies  ein  guter  Yioloncellovirtuose  und  Contra- 
bassist. Das  Geschäft  der  beiden  Brüder  übernahm  um  die  zuletzt  genannte 
Zeit  Francesco  G.,  der  Sohn  Giovanni's,  welcher  bis  1746  als  InstruiBenten- 
macher  in  Mailand  thätig  war,  worauf  der  Name  G.  in  diesem  Zweige  der 
Kunst,  in  welchem  er  dem  der  Straduari's  fast  gleich  geachtet  wurde,  nicht 
mehr  vorkommt. 

Grand    (französ.;    ital.:   grande),    gross.     Grand   barre,    s.  Capotasto.  — 
G.  jeu  französ.  Orgelterminus  für  Volles  Werk. 

Grand,  Monsieur  le,  s.  Couperin  (Frangois)  und  Legrand. 
Graudfoud,  Eugene,  französischer  Componist,  geboren  im  Febr.  1786  zu 
Compiegne,  widmete  sich  zuerst  und  zwar  auf  dem  College  zu  Vernon  wissen- 
schaftlichen Studien,  wurde  aber  dann  Zögling  des  Pariser  Conservatoriums 
und  daselbst  von  ß.  Kreutzer  im  Violinspiel  und  von  Berton  in  der  Harmonie- 
lehre unterrichtet.  Im  J.  1809  trat  er  als  zweiter  Orchesterchef  an  die  Spitze 
des  Theaterorchesters  zu  Versailles  und  brachte  ein  Jahr  später  seine  einaktige 
Oper  y>Monsieiir  Besbosqioetsa  an  der  Opera  comique  in  Paris  zur  Aufführung, 
welche  jedoch  keinerlei  Erfolg  hatte.  Bekannter  wurde  er  durch  Romanzen, 
die  er  vielfach  veröffentlichte.  Im  Manuscript  hinterliess  er  auch  Violin- 
concerte. 

Graudi,  Alessand ro,  einer  der  geschicktesten  italienischen  Kirchenton- 
setzer  des  17.  Jahrhunderts,  aus  Sicilien  gebürtig,  war  zuerst  Kapellmeister  an 
der  Kathedrale  zu  Rimini,  dann  um  1640  an  der  Kirche  Santa  Maria  magpore 
zu  Bergamo.  Sein  Todes-  ist  ebenso  wie  sein  Geburtsjahr  unbekannt.  Zahl- 
reiche Werke  von  ihm,  als  Messen,  Motetten,  Psalme  Cantaten  und  Arien  er- 
schienen in  der  Zeit  von  1619  bis  1640  gedruckt;  die  Sammlung  y>Gorolla 
missarurriK  von  Donifridus  enthält  gleichfalls  einige  Stücke  von  ihm.  —  Sein 
Zeitgenosse  war  Vincenzo  G.,  am  28.  Octbr.  1605  zu  Monte  Albotto  geboren, 
der  unter  Paul  V.  als  Sänger  der  päpstlichen  Kapelle  in  Rom  fungirte  und 
fünf-  und  achtstimmige  Antiphonen ,  sowie .  achtstimmige  Psalme  veröffent- 
licht hat. 

Grandi,  Guido,  musikgelehrtcr  italienischer  Geistlicher,  geboren  zu  Cremona 
1671  und  gestorben  am  4.  Juli  1742  zu  Pisa  als  A])t  und  Generalvisitator  des 
Camaldulenserordens  daselbst,  hat  sich  durch  mehrere  die  Theorie  der  Musik 
behandelnde  Werke  einen  Namen  gemacht.  Das  bekannteste  derselben  ist  das 
in  seinem  zwanzigsten  Jahre  geschriebene  Buch  »von  der  Theorie  der  Musik«. 
Eine  englisch  in  Form  eines  Briefes  erschienene  Abhandlung,  »O/"  the  natiire 
and  property  of  sonsvi,  die  unter  dem  Namen  T)r.  G.  in  den  PkilisopMcal  trans- 
act.  vol.  XXVI.  Nr.  319  p.  270  sich  befindet,  scheint  eine  Uebersetzung  aus 
dem  zuerst  angeführten  Buche  zu  sein.  t 

Grandios©  (ital.),  eine  auf  Styl  oder  Vortrag  gehende  Bezeichnung  in  der 
Bedeutung  grossartig,  prächtig. 

Grandis  da  Monte  Albotto,  Vincenzo,  s.  Grandi. 

Grandval,  Nicolas  Ragot  de,  französischer  Tonkünstler,  geboren  1676 
zu  Paris,  war  zuerst  Musikdirektor  und  wahrscheinlich  auch  Schauspieler  und 
Sänger  bei  einer  die  Provinzstädte  bereisenden  Bühnengesellschaft,  für  die  er 
Divertissements  dichtete  und  coniponirte.  Nach  langem  Wanderleben  Hess  er 
sich  als  Organist  in  Paris  anstellen  und  starb  daselbst  am  16.  Novbr.  1753. 
Von  seinen  Arbeiten  sind  bekannt  geblieben:  eine  Schrift  y>Essai  sur  le  hon 
goüt  en  musiqueu  (Paris,  1732)  und  ein  erstes  Buch  Cantaten  (Paris,  1728). 
—  Der  gegen  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  berühmte  Schauspieler  G.  an 
der  Gomedie-frangaise  zu  Paris  war  ein  Sohn  von  ihm. 
Graneiro,  corrumpirt  für  Grancino  (s.  d.). 
Grangrer,    James  oder  John,  'Vicar  von  Shiplake    zu  Oxford,    starb  als 


332  Grani  -  Graphäus. 

solcher  1776.  Er  hat  sich  durch  sein  "Werl?:  ytA  Biograpliical  History  of  Emj- 
land,  from  Erjhert  thc  Grcat  to  tlic  Recolution  c(c.k  (4  Bdo.,  London,  1769), 
das  u.  A.  von  36  englischen  Toukünstlern  und  Musikgelclirten  die  Bildnisse 
und  Lebenshcschreihungen  enthält,  welche  Forkcl  in  seiner  Literatur  nament- 
lich aufführt,  um   die  Musikgeschichte  verdient  gemacht.  f 

firani,  Aloisio,  italienischer  Instrumentalmusikcr  des  17.  Jahrhunderts, 
war  hei  der  republikanischen  Kapelle  zu  Venedig  angestellt  und  gab  Sonate 
concertate  a  5  voci  seiner  Composition  heraus.  f 

(Sraiiier,  Louis,  französischer  Componist,  geboren  1740  zu  Toulouse, 
machte  daselbst  seine  musikalischen  Studien  und  war  noch  fast  ein  Jüngling, 
als  man  ihm  schon  die  Direktion  des  Opernorchesters  zu  Bordeaux  übertrug. 
Nebenbei  pflegte  er  besonders  das  Violiuspiel,  in  welchem  er  auch  schliesslich 
eine  solche  Virtuosität  erlangte,  dass  man  weithin  seine  Kunst  rühmte.  Dieser 
Ruf  vei'schaffte  ihm  die  Stellung  eines  ersten  Violinisten  und  Vorspielers  im 
Theaterorchester  des  Herzogs  von  Lothringen  zu  Brüssel.  In  dieser  Stellung 
machte  er  sich  durch  die  Composition  der  Chöre  zu  Eacine's  »Athalie«  einen 
guten  Namen  und  bildete  dort,  sowie  seit  1767  als  königl.  Kammermusiker  zu 
Paris  auch  mehrere  später  geachtete  A^iolinvirtuosen  aus,  von  denen  besonders 
Trial  namhaft  liervortrat.  Ausserdem  schuf  er  in  den  siebenziger  Jahren  noch 
mehrere  Bollets  und  Divertissements,  sowie  gemeinschaftlich  mit  Berten  dem 
Aelteren  die  Opern  ytBelleroplion'i  und  y^TI/ooiiisK,  die  sich  eines  lebhaften  Bei- 
falls erfreuten,  ihn  fast  zum  Tagesheldcn  in  Paris  machten  und  1780  zur  Stel- 
lung eines  Inspectors  des  Opern thoaters  daselbst  verhalfen.  Im  J.  1787  zog 
er  sich  mit  Pension  in  seine  Vaterstadt  zurück  und  starb  daselbst  im  J.  1800. 
Ausser  den  schon  aufgefülirten  Wedcen  sind  auch  Sonaten  und  andere  Stücke 
für  Violine  von  ihm  erschienen.  —  Ein  älterer  Zeitgenosse  G.'s  war  FrauQois 
G.,  Mitglied  der  Akademie  der  scliöuen  Künste  zu  Paris,  welcher  als  op.  1 
sechs  Violonccllsolos  seiner  Composition  (Paris,  1754)  herausgab.  —  Ein  Mat- 
thias G.  war  ums  Jalir  1504  Kammermusiker  und  Violonbassspieler  des  Königs 
Karl  IX.  von  Frankreich  und  soll  viele  Kirchen  Sachen  und  andere  musikalische 
Arbeiten  haben  drucken  lassen,  die  meist  der  Königin  Magaretha  zugeeignet 
waren.     Derselbe  starb   um   16ü()  zu  Paris.  t 

Graujoii,  Robert,  IVanzösischer  Componist  des  16.  Jahrhundeiis,  hat 
seinen  Namen  dadurch  erhalten,  dass  er  1586  als  einer  der  Ersten  eine  Pas- 
sionsmusik nach  den  Worten   der  vier  Evangelisten   componirt  hat. 

Grauoin,  ein  (wahrscheinlich  englischer)  adliger  Musikdilettant,  der  auf 
der  Flöte  eine  grosse  Fertigkeit  bcsass  und  1760  als  op.  1.  zu  London  sechs 
Flötensolos,  sowie  alsbald  hieraut  sechs  Flötentrios  seiner  Composition  ver- 
öffentlichte. Fünfzig  Jahre  später  erschien  von  ilim  auch  noch  ein  r>Diction- 
naire  des  mtisiciensv  (Paris,   1810). 

Grauzin,  Louis,  gründlich  gebildeter  deutscher  Tonkiinstler,  gel)oren  um 
1810  zu  Halle  an  der  Saale,  begann  und  vollendete  daselbst,  1)esonders  unter 
Nauc  und  Niemeyer ,  eingehende  Musikstudien ,  kam  zuerst  als  Cantor  und 
Musiklehrer  der  Stadtschule  nach  Maricnworder  und  von  dort  1840  als  Orga- 
nist nach  Danzig.  In  (ünem  zur  Aufführung  gelangten  Oratorium  »Tobias«, 
sowie  in  Kirchen-  und  Schulcompositioncn,  T^iedern  u.  s.  w.  hat  er  von  einer 
aussergewölinliclien  Befähigung  Zeugniss  abgelegt.  Ebenso  enthält  die  Leip- 
ziger Allgemeine  Musikzeitung  einige  treffliclie  Artikel  aus  seiner  Feder. 

Grapliiius,  Hieronymus,  deutscher  Tonsetzer  aus  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts,  zu  Nürnberg  geboren  und  ebendaselbst  im  J.  1556  gestorben, 
veröffentlichte  u.  A.  eine  r>Missa  tredicino  qxMtuor  vocumv.  (Nürnberg,  1530),  — 
Ein  Zeitgenosse  gleichen  Namens,  bekannt  auch  unter  dem  lateinischen  Ge- 
lehrtennamen Cornelius  Scribonius,  wird  von  Walther  als  ebenso  vortreff- 
licher Redner,  Dichter,  wie  Musiker  bezeichnet.  Geboren  1482  im  Flandrisclien, 
starb  derselbe  am  19.  Decbr.  1558  als  Archivarius  und  Rathssecretair  zu  Ant- 
werpen. 


Grapp  —  Grassi.  333 

Grapp,  ein  deutscher  Orgelbauex'  im  Anspach'schen ,  der  nach  Sponsel, 
Orgelhistorie  S.  120  in  Gemeinschaft  mit  Prediger  1694  das  Werk  in  der 
Stadtkirche  zu  Anspach,  welches  26  klingende  Stimmen,  zwei  Manuale  und 
Pedal  besass,  für  6000  Grulden  vollendete.  f 

Gras,  Julie  Aimee,  geborene  Dorus  (s.  d.). 

Grasemauu,  Karl  Friedrich  Eduard,  trefflicher  deutscher  Waldhornist, 
geboren  am  3.  Docbr.  1819  zu  Berlin,  trat  1838  in  das  Musikcorps  des  Garde- 
Schützen-Bataillons  und  1845  in  das  des  Kaiser  Alexander-Regiineuts  daselbst. 
Im  J.  1847  erhielt  er  die  Anstellung  als  Kammermusiker  in  der  künigl.  Ka- 
pelle, auf  welchem  Posten  er  noch  gegenwärtig  thätig  ist. 

Grassbach,  Valentin,  ein  musikkuudiger  Theologe,  findet  in  älteren 
Wörterbüchern  Erwähnung,  weil  er  als  Student  zu  Jena  eine  von  ihm  gesetzte 
Composition  des  fünften  Yerses  aus  dem  62.  Capitel  des  Jesaias  (Jena,  1622)  ver- 
öffentlichte, die  er  zur  Hochzeitfeier  eines  Georg  Heinrich  von  ßaschau  be- 
stimmt hatte.  Auch  Compositionen  von  anderen  Versen  aus  dem  Jesaias  wer- 
den ihm  zugeschrieben.  f 

Grasse,  Balthasar,  deutscher  Orgelbauer  zu  Breslau,  vollendete  zu  Habel- 
schwerdt  im  J.  1612  ein  Werk  mit  24  Stimmen,  zwei  Manualen  und  Pedal. 
Vgl.  Breslauische  Nachrichten  von   Organisten   S.  44.  t 

Grasser,  eines  Bauern  Sohn,  war  zur  Zeit  Orlando  di  Lasso's  Mitglied 
der  Münchener  Hofkapelle  und  seiner  tiefen  Bassstimme  wegen  berühmt.  Vgl. 
Praetorius,   Synt.  mus.   T.  II  p.   17.  t 

Grasset,  Jean  Jacques,  vorzüglicher  französischer  Violinvirtuose  und 
Componist  für  sein  Instrument,  wurde  um  1769  zu  Paris  geboren  und  erhielt 
von  Berthaume  einen  gediegenen  Unterricht  auf  dem  von  ihm  gewählten  In- 
strumente. Die  Revolutionsstürme  zwangen  ihn  wie  so  viele  Künstler,  in  die 
Armee  einzutreten,  mit  welcher  er  die  italienischen  und  deutschen  Feldzüge 
mitmachte.  Erst  im  J.  1800  wurde  er  entlassen  und  kehrte  nach  Paris  zurück, 
wo  er  auch  unter  mehreren  Mitbewerbern  alsbald  die  durch  Gavinie's  Tod  er- 
ledigte Stelle  eines  Professors  für  das  Violinspiel  am  Conservatorium  erhielt 
und  sich  auch  später  häufig  öffentlich  hören  Hess.  Ausserdem  wurde  er  Violinist 
im  Orchester  der  Grossen  Oper  und  dirigirte  1802  die  Concerte  in  der  Rue 
Clery.  Nach  Bruni's  Abgange  von  der  italienischen  Oper  erhielt  G.  dessen 
Musikdirektorstelle  und  hatte  dieselbe  unter  verschiedenen  Unternehmern  bei- 
nahe 25  Jahre  liindurch,  bis  1829,  inne,  in  welchem  Jahre  er  sich  zurückzog. 
Als  Componist  zeichnete  sicli  G.  durch  anmuthigen  und  geschmackvollen  Styl 
aus.  Man  hat  von  ihm  drei  Violinconcerte ,  viele  Violinduos  und  Airs  varies 
für  eine  und  zwei  Violinen  und  als  op.  3  auch  eine  Sonate  für  Pianoforte  und 
Violine. 

Grasseyemeut  oder  parier  (/ras  (franz.)  nennen  die  Franzosen  die  affectirte, 
übertriebene  und,  da  mit  der  Kehle  erzeugt,  fehlerhafte  Aussiirache  des  ß  in 
der  Rede  oder  im  Gesänge  (z.  B.  Brrorrrate  coeli,  rjrrrand  cid  etc),  womit 
manche,  besonders  Pariser  Sänger  und  Schauspieler  coquettiren.  Im  Deutschen 
hat  man  keinen  besondern  Kunstausdruck  dafür. 

Grassi,  ein  ziemlich  häufig  vorkommender  Name  italienischer  Tonkünstler 
und  besonders  Sänger,  dessen  für  die  Musikgeschichte  bedeutendste  Träger 
sind:  1)  Bernardo  Pasquino  G.,  ein  Sänger  aus  Mantua,  wurde  1616  mit 
360  Thalern  Gehalt  in  die  Kapelle  des  Kurfürsten  Johann  Sigismund  von 
Branden])urg  gezogen  und  sang  noch  1655,  wo  er  als  Tenorist  in  den  Diensten 
des  deutschen  Kaisers  Ferdinand  III.  zu  Wien  stand.  —  2)  Cecilia  G.,  s. 
Bach  (Johann  Christian).  —  3)  Francesco  G.,  war  zu  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts Kapellmeister  an  der  Kirche  San  Giacomo  degli  Spagnuoli  und  darnach 
an  der  des  heiligen  Kindes  Jesus  zu  Rom.  Er  hat  mehrere  Kirchengesänge 
zu  vier  und  acht  Stimmen  im  Manuscript  hinterlassen,  von  denen  sich  ein  in 
contrapunktischer  Hinsicht  interessantes,  auf  21  Blätter  geschriebenes  acht- 
stimmiges Miserere  in  der  k.  k,  Hofbibliothek   zu  Wien  befindet.     Ein   Orato- 


334  Grassine  —  Gvan. 

rium  seiner  Composition:  »JZ  trionfo  de^  giusti«.  führte  G.  noch  selbst  im  Jahre 
1701  in  der  Kirche  dclla  pietä  zu  Rom  auf.  —  4)  Luigi  G.,  ein  berühmter 
Tenorsänger  aus  Eom,  kam  1766  nach  Deutschland  und  wurde  1768  für  die 
königl.  Oper  in  Berlin  engagirt,  der  er  ununterbrochen  fast  zwanzig  Jahre 
hindurch  augehörte.  Nach  eingetretener  Invalidität  setzte  ihm  König  Friedrich 
Wilhelm  II.  1788  eine  Jahrespension  von  500  Thalern  aus,  mit  der  sich  G. 
nach  Pisa  zurückzog.  Dort  beschäftigte  er  sich  künstlerisch  mit  der  Compo- 
sition von  kleineren  Ciavierstücken  im  Tagesgeschmacke  (meist  Variationen  über 
beliebte  Opernthemen)  und  stai'b  daselbst  im  J.  1807.  —  5)  Maddalena  G,, 
eine  geschätzte  Opernsängerin,  um  1780  zu  Parma  geboren,  erlernte  Gesang 
und  überhaupt  Musik  bei  Toscani  und  debütirte  1806  auf  der  Opernbühne 
ihrer  Geburtsstadt.  Von  da  an  sang  sie  noch  eine  Reihe  von  Jahren  mit 
vielem  Erfolge  auch  auf  anderen  Theatern  ihres  Vaterlandes. 

Grassine,  Francesco  Maria,  italienischer  Tonsetzer  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert, von  dessen  Compositionen  noch  zwei-  bis  fünfstimmige  Motetten  übrig 
geblieben   sind. 

Grassineau,  Jacques  (James),  englischer  Musikliterat,  von  französischen 
Eltern  um  1715  zu  London  geboren,  erhielt  eine  tüclitige  wissenschaftliche  Bil- 
dung und  trieb  dilettirond  auch  Musik.  Herangewaclisen  übernahm  er  eine  Secre- 
tairsstelle,  zuerst  bei  einem  Apotheker,  dann  beim  Dr.  Pepusch,  der  ihn  die 
von  Meibom  lateinisch  herausgegebenen  Schriften  der  griechischen  Musikschrift- 
steller in's  Englische  übersetzen  Hess.  Hierauf  übertrug  ihm  Pepusch  die 
Uebersetzung  von  Brossard's  nDictionnaire  de  musiquen  und  fügte  derselben 
selbst  Erweiterungen  und  einige  Originalartikel  hinzu.  Dieses  erste  englische 
musikalische  Lexikon,  betitelt:  r>A  musical  dicüonary  etc.v.  (London,  1740),  ist 
nicht  fehlerlos,  besonders  in  der  Uebertragung  von  Kunstausdrücken.  Robson 
fügte  demselben ,  da  G.  mittlerweile  gestorben  war ,  ein  noch  mangelhafteres, 
von  Fehlern  wimmelndes  Supplement  (London,  17G9)  hinzu,  welches  aus  dem 
Rousseau'schen  Dictionnaire  gezogen  ist. 

Gragsiui,  Giuseppa,  berühmte  und  hochgefeierte  italienische  Opernsängerin, 
wurde  1775  zu  Varese  in  der  Lombardei  geboren,  wo  ihr  Vater  Landmann 
war.  Ilire  schon  früh  allgemeines  Aufsehen  erregende  herrliche  Stimme,  zu 
der  sich  eine  seltene  Körperschönheit  gesellte ,  veranlasste  den  General  Bel- 
giojoso  in  Mailand,  das  junge  Mädclien  bei  den  besten  Lehrern  seiner  Stadt 
musikalisch  ausbilden  zu  lassen,  so  dass  sie  schon  1794  in  den  Contr'altparthien 
von  Zingarelli'K  »Artaserse«  und  Portogallo's  «Demofoonte«  mit  dem  denkbar 
glänzendsten  Erfolge  am  Scalatheater  in  Mailand  delnitiren  konnte.  Alsbald 
begann  ihr  Triumphzug  über  die  ersten  Bühnen  Italiens,  der  bis  1800  dauerte. 
Nach  der  Schlacht  bei  Marengo  hörte  sie  Napoleon  in  Mailand  und  zog  sie 
nach  Paris,  wo  sie  zuerst  das  grosse  Nationalfest  auf  dem  INIarsfelde  durch 
ihren  Gesang  verherrlichte  und  hierauf  auch  in  Concerten  Alles  entzückte. 
Sodann  bereiste  sie  Deutschland  und  sang  u.  A.  im  November  1801  zu  Berlin. 
Im  J.  1802  wurde  sie  mit  einem  Gehalt  von  3000  Pfund  Sterl.  für  die  ita- 
lienische Oper  in  Ijondon  gewonnen,  bis  sie  1804  Napoleon  für  die  Kaiser- 
feste am  Hofe  und  im  Theater  nach  Paris  berief  und  sie  während  seiner  Re- 
gierung zu  fesseln  wusste.  Nach  dem  Sturze  des  Kaiserreichs  kehrte  sie  in 
ihr  Vaterland  zurück,  wo  sie  noch  häufig,  ii.  A.  1817  in  Concerten  zu  Mai- 
land sang.  Bald  dai'auf  aber  zog  sie  sich  von  der  Oeffentlichkeit  zurück  und 
nahm  ihren  Aufenthalt  abwechselnd  in  Paris  und  Mailand.  In  der  letzteren 
Stadt  starl^  sie  zu  Anfange  des  Jahres  1850.  —  Ihre  Stimme  war  ein  unver- 
gleichlich mächtiger  und  sonorer  tiefer  Alt  und  ihre  Singweise,  Auffassung 
und  Ausdruck  von  edelster  Schönheit  und  tief  ergreifender  Wirkung. 


•ö* 


Gratia,  richtiger   Grazia  (s.  d.),  ebenso   Gratiani   für   Graziani  (s.  d.). 

Gran,  H.,  rühriger  Opernunternehmer  deutscher  Abkunft  in  den  nord- 
amerikanischen Freistaaten,  der  sich  mit  wechselndem  Glücke,  besonders  als 
Direktor    des  New-Yorker    deutschen   Stadttheaters,    bemüht  hat,    den  grossen 


Graul  —  Graun.  335 

Opern  deutscher,  französischer  und  italienischer  Compoaisteu  Eingang  in  Ame- 
rika zu  verschaffen.  Nachdem  er  im  Januar  1874  mit  Erfolg  den  Versuch 
wieder  aufgenommen  hatte,  die  Deutschen  in  New-York  für  R.  Wagner's  »Lohen- 
grina  zu  interessiren,  geht  er  gegenwärtig  mit  dem  Plane  um,  Yerdi's  »Aida« 
zuerst  in  Amerika  zur  Aufführung  zu  bringen.  —  G.  ist  auch  der  Name  einer 
deutschen  Altsängerin  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  welche  sich 
um  1783  in  kurkölnischen  Diensten  befand  und  der  grosser  Geschmack  im 
Vortrage  nachgerühmt  wurde. 

Crranl,  Marcus  Heinrich,  trefflicher  deutscher  Violoncellist,  geboren  zu 
Eisenach,  war  von  1742  bis  1798  königl.  Preussischer  Kammermusiker  und 
soll  als  Concertspieler  Hervorragendes  geleistet  haben.  Einige  seiner  Compo- 
sitionen  für  Violoncello,  welche  sich  noch  mitunter  finden,  zeugen  von  vieler 
Satzgewandheit.  f 

Granmanii,  Johann,  auch  Gram  an  n  geschrieben  und  gräcisirt  Poliander 
genannt ,  deutscher  Kirchenliederdichter  mit  dem  Beinamen  »der  Preussische 
Orpheus«,  war  1487  zu  Neustadt  in  Baiern  geboren  und  starb  1541,  nachdem 
er  mit  Paul  Speratus  den  Grund  zur  Reformation  in  Preussen  gelegt  hatte, 
als  Prediger  an  der  altstädtischen  Kirche  zu  Königsberg.  Martin  Chemnitz 
berichtet  über  ihn:  »Herzog  Albreclit  hat  durch  ihn  den  lOo.  Psalm  gesang- 
weise in  gute,  schöne  deutsche  Verse  bringen  lassen,  unter  einem  freudigen 
Tenor,  welcher,  eben  wie  die  Worte  lauten,  auch  durch  den  Gesang  das  Herz 
erwecken  und  aufmuntern  mag«.  Diesem  wie  auch  andern  Zeugnissen  zufolge 
ist  G.  nicht  allein  der  Dichter,  sondern  auch  der  Componist  dieses  allbekann- 
ten, übrigens  einzig  von  seinen  Kirchengesängen  erhalten  gebliebenen  Dank- 
liedes (»Nun  lob  mein   seel  den   Herren«).  f 

Oranii,  Karl  Heinrich,  Kapellmeister  der  Grossen  Oper  zu  Berlin  und 
einer  der  während  des  18.  Jahrhunderts  am  Höchsten  verelirten  Componisten 
von  Kirchenmusiken,  Opern  und  Liedern,  wurde  am  7.  Mai  1701  zu  Wahren- 
brück (im  jetzigen  preussischen  Regierungsbezirke  Merseburg)  als  der  jüngste 
von  drei  Brüdern  geboren,  welche  sich  ebenfalls  durch  musikalisches  Talent 
auszeichneten,  und  von  denen  der  älteste,  August  Friedrich  G.  als  Cantor 
1771  in  Marburg  starb,  der  zweite,  Johann  .Gottlieb  G.,  weiter  unten  be- 
sonders erwähnt  wird.  Der  Vater,  August  G. ,  bekleidete  die  Stellung  eines 
Acciseeinnehmers  in  Wahrenbrück.  Schon  als  Knabe  zeichnete  G.  sich  durch 
eine  herrliche  Sopranstimme  aus  und  wurde,  nachdem  er  die  Kreuzschule  in 
Dresden  seit  etwa  1713  besucht  und  daselbst  eine  gute  Ausbildung,  im  Ge- 
sänge vom  Cantor  Grundig,  im  Oi'gel-  und  Ciavierspiel  von  Christian  Petzold 
erhalten  hatte,  als  Rathsdiscantist  in  den  Chor  aufgenommen.  Für  Grundig 
und  dann  für  dessen  Nachfolger  componirte  G.  bereits  als  achtzehnjähriger 
Jüngling  eine  so  grosse  Anzahl  von  Kirchenmelodien,  dass  sie  zusammen  zwei 
Kirchenjahrgänge  ausmachen  würden  ],  auch  entstand  damals  schon  von  ihm  eine 
grössere,  noch  vorhandene  Passionscantate  (»Lasset  uns  aufsehen»).  Während 
seine  Stimme  sich  in  einen  schwaclien,  aber  überaus  angenehmen  Tenor  ver- 
änderte, die  erst  mit  der  Zeit  einer  Entwicklung  fähig  war,  benutzte  G.  diesen 
Zwischenraum  zum  eingehenderen  Studium  der  Composition  unter  Leitung  des 
königl.  Kapellmeisters  Job.  Christoph  Schmidt  in  Dresden  und  hatte  Gelegen- 
heit, verschiedene  Opern  Lotti's  unter  dessen  eigener  Leitung  und  von  den 
vorzüglichsten  Gesangskräften  zu  hören.  Ein  merkwürdiges  Ereignis«,  das  von 
Vielen  als  gutes  Omen  für  seinen  späteren  Künstlerruhm  gedeutet  wurde,  be- 
zeichnete das  Ende  seines  Aufenthalts  daselbst.  Wenige  Tage  vor  der  Abreise, 
als  er  in  dem  Garten-Pavillon  eines  seiner  Freunde  componirte,  brach  plötzlich 
ein  Gewitter  herein.  Kaum  hatte  G.  sich  aus  dem  Pavillon  geflüchtet,  als  ein 
Blitzstrahl  herabfuhr  und  den  Tisch  nebst  der  Partitur  zerstörte.  Mit  seinen 
Freunden  und  Kunstgenossen  Quantz,  Pisendel  und  dem  Lautenisten  Weiss 
trat  G.  bald  darauf  (1723)  eine  Reise  nach  Prag  an,  um  der  Aufführung  der 
neuen   Oper  y>Cosfanza  e  Fortezzaa  von  Fux  beizuwohnen.    Wenige  Jahre  später 


336  Graun. 

schritt  er  dann  rüstig  neben  jenen  Männern  einher,  in  denen  der  deutsche 
Geist  der  Musik  so  mächtig  seine  Schwingen  regte.  Auf  Verwendung  einfluss- 
reicher Gönner,  besonders  des  Hüf[30cten  Johann  Ulrich  König,  ward  G,  als 
Opern-Tenor  nach  Braunschweig  berufen,  woselbst  er  zu  Anfang  1725  in  dem 
Schürmann'schen  Singstück  -nHenricus  aucepsv.  (Heinrich  der  Finkler)  zum 
ersten  Mal  auftrat.  Da  aber  die  Arien  der  ihm  zugetheilten  Rolle  seinem  Ge- 
schmack nicht  entsprachen,  setzte  er  dieselben  um  und  erwarb  sich  dadurch 
den  Beifall  des  herzoglichen  Hofes  in  dem  Maasse,  dass  ihm  die  Coraposition 
der  Oper  für  die  nächste  Saison  übertragen  wurde.  Dieser  Oper,  y> PoUidoro«. 
(172G),  welcher  er,  neben  seiner  Stellung  als  Tenorist,  die  Ernennung  zum 
Vice-Kapellmeister  verdankte,  reihten  sich  in  schneller  Aufeinanderfolge  fünf 
andere  an  (yySancio  e  Shiilda«.  (1727),  •»Ißgenia  in  Aulided,  r>Scipio  Africanusi 
u.  s.  w.),  die  den  Ruf  des  Coraponisten  durch  ganz  Deutschland  verbreiteten. 
Nebenbei  begnadet  mit  der  reichsten  Fülle  kirchlichen  Gesanges,  componirte 
G.  eine  grössere  Anzahl  von  Kirchenstücken,  italienische  Cantaten,  zwei  Pas- 
sionen und  die  Trauermusik  beim  Leichenbegängnisse  des  Herzogs  August 
Wilhelm  (1731).  AYährend  eines  Besuches  des  Kronprinzen  von  Preussen  (nach- 
maligen Königs  Friedrich  II.)  am  Hofe  des  Herzogs  Ferdinand  Albert  hörte 
ihn  jener  und  erbat  sich  ihn  vom  Herzoge  als  Sänger  bei  seiner  Kapelle  zu 
Rheinsberg,  wohin  G.  nach  ungern  ertheilter  Entlassung  1735  sich  begab.  Hier, 
wo  ein  sonnig-heiterer  Frühlingstag  am  Horizonte  der  Kunst  aufgezogen,  com- 
ponirte er  namentlich  Cantaten  für  die  Concerte  des  Kronprinzen,  um  sie  dann 
selbst  »äusserst  gemüthvoll  und  schön«  zu  singen,  wodurch  ihm  die  Liebe  seines 
Fürsten  in  immer  höherem  Grade  zu  Theil  wurde.  Dieser  verfasste  die  Verse 
zu  den  Cantaten  in  französischer  Sprache  und  Hess  sie  dann  durch  den  Dichter 
Boltarelli  ins  Italienische  übersetzen.  Man  schätzt  die  Anzahl  dieser  Cantaten 
mit  Orchesterbegleitung,  deren  meiste  aus  zwei  Recitativen  und  Arien  bestan- 
den, auf  fünfzig.  Der  Kapellmeister  J.  A.  P.  Schulz  setzte  sie  im  Ausdrucke 
über  alles  Andere,  was  G.  geschrieben.  Nach  dem  Hinscheiden  König  Fried- 
rich Wilhelms  I.  im  J.  1740  wurde  G.  beauftragt,  die  Trauermusik  bei  der 
Begräbnissfeierlichkeit  zu  componiren,  deren  Partitur  in  Kupfer  gestochen  wurde 
und  als  eine  der  besten  Arbeiten  des  Meisters  gilt.  Zur  Aufführung  dieser 
Musik  wurden  Opernsänger  aus  Dresden  requirirt.  —  Zur  Verwirklichung 
einer  Lieblings-Idee,  der  Herstellung  einer  italienischen  Oper  in  Berlin,  ent- 
sandte König  Friedrich  IL  noch  im  ersten  Jahre  seiner  Regierung  G.  nach 
Italien,  um  ein  Sängerpersonal  zu  engagiren.  Dieser  entledigte  sich,  nachdem 
er  fast  ein  ganzes  Jahr  auf  der  Reise  zugebracht  und  in  den  Hauptstädten 
Italiens  als  Sänger  den  ausserordentlichsten  Beifall  geerntet  hatte,  seines  Auf- 
trages zur  völligen  Zufriedenheit  seines  Monarchen ,  welcher  ihn  mit  einem 
Jahresgehalt  von  zweitausend  Thalern  zum  Kapellmeister  ernaimte.  Als  solcher 
musste  er  denn  bei  seinen  Opern  gewöhnlich  dem  Geschmackc  des  Königs 
Rechnung  tragen,  ohne  indessen  die  Dictatur  des  Genius  zu  verleugnen,  wenn 
sein  Gebieter  mit  einer  vorgefassten  Meinung  durchdringen  wollte.  Die  Zahl 
der  von  G.  in  Berlin  componirten  Opern  beläuft  sich  auf  28.  Die  erste  der- 
selben war  •nliodelinda,  refjina  de''  Lo)i(jobardU<.,  zuerst  am  12.  Decbr.  1711  im 
königl.  Schlosstheater  zu  Berlin  aufgeführt,  die  letzte  -nMeropeii-,  am  27.  März 
1756  im  Opernhause  ebendaselbst  gegeben.  G.  und  Hasse  überhaupt  lieferten 
fast  allein  die  Opern,  welche  damals  in  Berlin  zur  Aufiführung  kamen.  Nach 
Compo.sition  der  »Merope«  wandte  G.  sich  wieder  der  Kirchenmusik  und  der 
Cantate  zu.  Zu  jener  Zeit  entstand  auch  sein  y>Te  deum«,  zu  Ehren  des  Sieges 
bei  Prag  1756,  welches  grosses  Aufsehen  machte  und  bedeutender  als  alle  seine 
Opern  ist,  in  der  nur  die  sanft  rührendin  Parthien  einigen  Werth  beanspruchen. 
Friedrich  der  Grosse  Hess  jenes  Tedcum  nach  Beendigung  des  siebenjährigen 
Krieges  in  der  Schlosskapelle  zu  Charlotteuburg  am  15.  Juli  1763  aufführen. 
Vor  iillen  Conipositionen  G.'s  aber  hat  sein  in  der  gläubigen  Mystik  eines 
kindlichen    Gemüths    mit    einer    Fülle     trefflicher    Formbildungen    entstandenes 


Graun.  337 

Oratorium  »Der   Tod  Jesu«  die  Welt  entzückt    und  wird  vielleictt    sogar,    ein 
unvergängliches  Kunstwerk,    auchi    den    späteren  Geschleclitern    als    stereotypes 
Charfreitags- Oratorium  erhalten  bleiben.     Mit  diesem  einzigen  Werke,  zu  dessen 
Aufführung    auch    für    die  Zukunft   reiche    Legate   ausgesetzt   wurden,    ist    der 
Name    des    Componisten    im    Buche    der    deutschen  Kunstgeschichte    in    Ehren 
verzeichnet,    wenn    auch  seine  übrigen   Schöpfungen  fast  ganz  in  Vergessenheit 
gerathen    sind.     Als  Friedrich    der  Grosse,    dessen    künstlerische  Richtung  der 
Passionsmusik  nicht  sehr  verwandt  war,    Bach  gesehen  und  gehört  hatte,    soll 
er    in    eine    »sonderbare«  Bewegung   gerathen    sein.     Gleichwohl  ist  G.'s  »Jesu 
Tod«  niemals  vor    ihm    zur  Aufführung    gekommen.     Die  erste  öffentliche  fand 
am  26.  März  1755  im  Dome  statt   und  an  demselben  Tage  1855  wurde  eben- 
daselbst die   Säcularfeier  durch  die   Singakademie  mit  Hülfe  der  königl.  Sänger 
und    der    königl.    Kapelle    in    Gegenwart    des    Königs    Friedrich   Wilhelm   IV. 
glänzend    begangen.     G.    selbst    starb    am    8.  Aug.  1759    zu  Berlin    in    seinem 
eigenen  Hause  in    der   Spandauer  Strasse,    demselben,    in  welchem    nachmals  ein 
anderer  Meister,    Meyerbeer,    das  Licht    der  Welt   erblickte.     G.  war    zweimal 
und    glücklich    verheirathet.     Seine   Tochter    aus    erster  Ehe,    zu  einer  vielver- 
heissenden   Sängerin  von  ihm  ausgebildet,    ward  durch    ihre  Verheirathung  der 
Kunst    entzogen;    von    seinen    vier   Söhnen   zweiter  Ehe  zeigte  keiner  Neigung 
zur  Musik.     Auf   der    königl.  Bibliothek   zu  Berlin  befinden  sich  ausser  vielen 
eigenhändig  von  ihm  geschriebenen  Partituren  auch  neun  Briefe  aus  den  Jahren 
1739    bis   1756    in  Abschrift,    an    seinen  Freund  Telemann  gerichtet  und  viel 
Interessantes   enthaltend.     Eine   monumentale   Verewigung   hat  G.  auf  ßauch's 
Denkmal  Friedrich    des   Grossen  gefunden ,    auf    dessen  Rückseite  er  in  ganzer 
Figur,  den   Taktstock  in  der  Hand,  dargestellt  ist.     Trotzdem  auf  G.'s  Opern- 
schöpfungen in  Bezug  auf  seine  fleissige  künstlerische   Thätigkeit,  aus  der,  wie 
schon  angedeutet  worden  ist,  eine  Menge  deutscher,  lateinischer  und  italienischer, 
theils  für  das   Theater,  theils  für  die  Kirche,   tlieils  für  die  Kammer  geschrie- 
bener Compositionen  hervorgegangen  sind,    das  wenigste  Gewicht  zu  legen  ist, 
so    besass  G.  selbst    doch,    bei    einer    ausgezeichneten  technischen   Gewandtheit 
und  Klarheit  der  Form,  ein  nicht  unbedeutendes  dramatisches  Talent,  das  sogar 
noch  in  seinen  Liedern  und  Oden  in  Art  eines  lebhaften  Ausdrucks  durchschlägt. 
Das   beweisen    hauptsächlich    seine  Recitative.     Ein    guter   Sänger    und    gefühl- 
voller   Mensch,    erfand    er    auch    manches    zum    Herzen    dringende  Arienmotiv, 
verzettelte   dasselbe    aber   in  der  zu  seiner  Zeit  herrschenden,    die  Künste  des 
Gesangsvirtuosen    in    erster    Linie    berücksichtigenden    Schreibart.      Der    tech- 
nischen Ausbildung  im  Gesänge  dienen  auch  31  vortreffliche  »Solfeggi«,  welche 
er  geschrieben  hat.     Auf  rein  instrumentalem   Gebiete  hat  sich   G,  in  keinerlei 
Art  ausgezeichnet,   obwohl  er  einige  Clavierconcerte,    Trios,    Fughetten  für  die 
Orgel  und  ein  Concert  (»für  die  königl.  preussische  Familie«)  für  Violine,  Flöte, 
Gambe  und  Violoncello  hinterlassen  hat.  —  Weit  bedeutender  als  Instrumental- 
componist  war    sein    schon    erwähnter    älterer  Bruder,    Johann   Gottlieb   G., 
königl.  Concertmeister  an  der  Grossen  Oper  zu  Berlin.     Geboren  um  1698  zu 
Wahrenbrück,  besuchte  derselbe  mit  Karl  Heinrich  zusammen  die  Kreuzschule 
zu  Dresden,  in  der  auch  er  den  Unterricht  Grundig's  im  Gesänge  und  Petzold's 
im  Orgel-  und  Clavierspiel  erhielt.     Besonders  aber  wandte    er  sich  unter  An- 
leitung Pisendel's    der  Violine    zu.     Er    verliess    1720    Dresden    und    besuchte 
bald  darauf  Italien,  wo  er  Tartini's  Bekanntschaft  machte  und  dessen   Spielart 
sich    aneignete.     Nach    seiner  Rückkehr  wurde    er    1726    von  Dresden    aus  an 
den  Hof   von  Merseburg    berufen,    wo    er    sechs  Violin- Sonaten  veröffentlichte, 
die  nebst  sechs  Ciaviertrios    zu    den    einzigen  von  ihm  im  Druck  erschienenen 
Werken  gehören.     Schon  1727  trat  er  jedoch  in  die  Dienste  des  Fürsten  von 
Waldeck  und  von  da  in  das  kronprinzlich  preussische  Orchester  zu  Rheinsberg, 
als    dessen   Concertmeister    er    1740    bei  Umwandlung    desselben  in  die  königl. 
Kapelle  angestellt  wurde.     Als  solcher  starb  er  am  27.  Oktbr.  1771  zu  Berlin 
mit   dem  wohlbegründeten  Rufe,    ein    ausgezeichneter  Violinspieler  und  Lehrer, 

Musikal.  Convers.-Lexikon.    IV.  22 


338  Graun'sche  Sylben  —  Grave. 

sowie  ein  guter  Componist  gewesen  zu  sein.  Er  hinterliess  viele  Sinfonien, 
Ouvertüren,  Yiolinconcerte  und  Trios  für  verschiedene  Instrumente,  dann  aber 
auch  geistliche  und  weltliche  Cautaten.  eine  Passionsrausik  mit  italienischem 
Text  von  Metastasio,  ein  Salve  regina,  Kyi'ie,  Gloria  und  einige  Oden  und 
Lieder.  Von  diesen  Werken  befindet  sich  das  Meiste  in  der  Bibliothek  des 
Joachimsthal'schen  Gymnasiums,  einiges  auch  in  der  königl.  Bibliothek  in 
Berlin. 

Graun'sche  Sylbeu,  s.  Damenisation. 

Gratia,  Pietro,  Nicolo,  s.  Grazia. 

Graupuer,  Christoph,  einer  der  gefälligsten  und  beliebtesten  deutschen 
Comj)onisteu  des  18.  Jahrhunderts,  besonders  für  Ciavier,  wurde  im  Januar 
1683  zu  Kirchberg  im  sächsischen  Erzgebirge  geboren.  Er  kam  früh  auf  die 
Thomasschule  zu  Leipzig,  wo  der  damalige  Cantor  Kuhnau  den  Grund  zu 
seinem  künftigen  Berufe  legte.  Von  dort  ging  er,  man  weiss  nicht,  von  welcher 
Seite  aufgefordert,  1706  nach  Hamburg  und  wurde  daselbst  als  Cembalist  und 
Componist,  besonders  von  unter  R.  Keiser's  Leitung  geschriebenen  deutschen 
Opern  sehr  geschätzt.  In  Hamburg  lernte  ihn  Landgraf  Ernst  Ludwig  von  Hessen- 
Darmstadt  kennen  und  zog  ihn  als  zweiten  Kapellmeister  (neben  Wolfgang  Karl 
Briegel)  1710  in  seine  Dienste.  In  kurzer  Zeit  brachte  G.  die  Darmstädter 
Kirchen-  und  Opernmusik,  sowohl  durch  seine  Compositionen,  als  auch  dadurch, 
dass  er  mehrere  geschickte  ausübende  Künstler  für  die  Kapelle  gewann,  in  ein 
solches  Ansehen,  dass  sie  schon  damals  für  eine  der  vorzüglichsten  in  Deutsch- 
land galt.  Selbst  Telemann  führte  zur  Empfehlung  einer  seiner  Sonaten  au, 
dass  sie  vor  ihrer  Bekanntwerdung  «der  unvergleichlichen  Execution  des  Darm- 
städter Orchesters  gewürdigt  worden  sei«.  Im  J.  1723  kam  G.  mit  Joh.  Seb. 
Bach  und  Telemann  zu  der  einträglichen  Stelle  eines  Cantors  bei  der  Thomas- 
schule zu  Leipzig  in  Vorschlag ;  er  verzichtete  jedoch  zu  Gunsten  des  ihm  lieb 
gewordenen  Postens  in  Darmstadt,  woselbst  er  mittlerweile  in  die  erste  Kapell- 
meisterstelle eingerückt  war  und  die  ganze  Musikdirektion  allein  führte,  auf 
die  Bewerbung.  Um  1750  war  er  so  unglücklich,  sein  Gesicht  zu  verlieren 
und  sah  sich  seitdem  zu  einer  TJnthätigkeit  gezwungen,  die  ihn,  da  sie  mit 
seinem  regsamen  Temperamente  nicht  übereinstimmte,  wahrhaft  unglücklich 
machte.  Er  starb  im  Mai  1760,  77  Jahre  vier  Monate  alt.  —  Durch  seinen 
unermüdlichen  Eleiss  zeichnete  sich  G.  vielleicht  unter  allen  Tonkünstlern  seiner 
Zeit  am  meisten  aus,  und  nach  Maassgabe  desselben  würde  die  Zahl  seiner 
Werke  noch  weit  ansehnlicher  sein ,  wenn  er  minder  gründlich  und  mit  mehr 
Flüchtigkeit  geaibeitet  hätte.  Er  ging  in  seinem  Eifer  so  weit,  dass  er  zu- 
weilen ganze  Tage  und  Nächte  an  seinem  Pulte  sass,  und  eben  dies  trug  ver- 
muthlich  zur  Abnahme  seines  Gesichtes  bei.  Seine  bekannt  gewordenen,  im 
Hambui'ger  Theater  aufgeführten  Opern  sind:  »Dido«  (1707),  »Hercules  und 
Theseus«,  »Antiochus  in  Stratonica«,  »Bellerophon«  (sämmtlich  1708)  und  »Sim- 
sen« (1709).  Noch  ausgezeichneter  war  er  im  Kammerstyle,  den  er  später  neben 
dem  Kirchenstyle  ausschliesslich  pflegte.  Er  schuf  viele  Sinfonien,  Concerte, 
besonders  für  Ciavier,  italienische  und  deutsche  Cantaten,  Ciaviersonaten  u.  s.  w., 
wovon  das  Meiste  allerdings  unveröffentlicht  geblieben  ist.  Gedruckt  und  von 
ihm  selbst  auf  Zinnplatten  gestochen  sind  u.  A.:  »Acht  Parthien  für  Ciavier« 
(1718),  »Monatliche  Ciavierfrüchte«  (1722),  »Die  vier  Jahreszeiten«  und  »Hessen- 
Darmstädtisches  Choralbuch«.  Von  seinen  geistlichen  Compositionen  befinden 
sich  verschiedene  Jahrgänge  Kirchenmusiken  in  der  grossherzogl.  Hofmusik- 
bibliothek in  Darmstadt. 

Grave  (ital.),  Tempo-  und  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  ernst, 
würdevoll,  abgemessen,  hält  als  Zeitbestimmung  zwischen  Largo  und 
LargTietto  die  Mitte  und  zeigt  eine  langsame,  feierliche  Bewegung  an.  Identisch 
damit  schreibt  man  auch  häufig  co7i  gravitä,  d.  i.  mit  AVürde,  mit  Ernst  vor 
und  verlangt  damit  einen  markigen  Ton,  sowie  einen  gewichtigen,  bedeutenden 
Anschlag  oder  Bogenstrich.     Die  Noten  dürfen,  etwaige  schnelle  Figuren  aus- 


Grave  —  Gravlus.  339 

genommen,    nicht    ineinandergeschleift,    sondern    müssen    dnrcli    nachdrückliche 
Markirung  etwas  von  einander  abgesetzt  werden. 

Grare,  aus  Halberstadt  gebürtig,  war  ein  hervorragender  Lautenist  in 
seiner  Zeit,  der  1718  eine  Reise  durch  Schlesien  machte  und  nach  derselben 
am  fürstl.  Hofe  zu  Merseburg  eine  Anstellung  fand.  Er  starb  daselbst  1724. 
Vgl.  Baron's  Untersuchungen  des  Instruments  der  Laute  p.  82.  t 

Grave,  Johann  Jacob,  holländischer  Tonkünstler,  1670  zu  Amsterdam 
bHnd  geboren,  bildete  sich  zu  einem  vorzüglichen  Organisten  aus,  der  in  seiner 
Vaterstadt  an  der  neuen  Kirche  angestellt  wurde  und  sich  einen  ausgebreiteten 
Ruf  erwarb.  Vgl.  Mattheson's  Drehest.  II.  p.  130  und  Walther  musikalisches 
Lexikon  p.  289.  t 

Gravecyinbaluiu  (latein.),  d.  i.  schweres  Ciavier,  wurde  in  älteren  Zeiten 
mitunter  der  Flügel  genannt. 

Graves  claves  oder  graves  voces,  auch  gravia  loca  (latein.),  wörtlich 
schwere,  grosse  Schlüssel,  Tasten,  Stimmen,  Räume,  hiessen  in  der  alten  Scala 
die  Töne  der  damals  tiefsten  Octave  von  A-re  bis  G-sol-re-ut  (von  A  bis  g). 
Vgl.  Tinctoris,  Term.  mus.  diff.  Man  findet  auch  die  vier  tiefsten  Töne  der 
Octave  T  bis  G^  also  von  T-ut  bis  C-fa-ut,  graves,  und  die  vier  höheren  die- 
ser Octave,  von  D-sol-re  bis  G-sol-re-ut,  finales  benannt.  S.  auch  Sol- 
misation. 

Grayicalis  (latein.)  ist  eine  ältere  Bezeichnung  der  Mensurgrösse  bei  Orgel- 
stimmen, nämlich  g.  major  für  das  jetzige  gross  oder  grob  und  g.  minor  für 
das  jetzige  eng  oder  klein.  Prätorius,  der  ebenso  wie  Adlung  graphicalis 
schreibt,  nennt  eine  sechszehnfache  Mixtur  mixtura  grapldcalis  und  eine  acht- 
fache mixtura  graphicalis  miliar. 

Graviua,  Domenico,  ein  Neapolitaner,  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  ge- 
boren und  gestorben  am  29.  August  1643  im  siebenzigsten  Lebensjahre,  brachte 
es  durch  seine  Gelehrsamkeit  vom  Predigermönch  bis  zum  Generalvicar  seines 
Ordens  und  hat  sich  durch  eine  seiner  vielen  hinterlassenen  Schriften  y>De 
choro  et  cantu  ecclesiasticov.  auch  in  der  Musikliteratur  einen  Platz  erworben.  — 
Ein  anderer  Gr.,  G-ioua  Vincenzo  mit  Vornamen,  geboren  1662  zu  Scalea 
in  Calabrien,  wirkte  später  zu  Rom  als  Rechtsgelehrter  und  war  der  Pflege- 
vater Metastasio's,  den  er  mit  aller  ihm  möglichen  Sorgfalt  erzog  und  vor 
seinem  1718  erfolgten  Tode  zum  Erben  seines  aus  150,000  Gulden  bestehenden 
Vermögens  einsetzte.  Metastasio  jedoch  stellte  dasselbe  G.'s  Verwandten  zu 
Gebote.  Ausserdem  gab  G.  1696  zu  Rom  Reden  heraus,  die  1713  ebendaselbst 
nachgedruckt  wurden  und  deren  dritte  vom  Ursprünge  und  Fortgange  der 
"Wissenschaften  und  von  der  Musik  handelt.  —  Ein  anderer  G.,  dessen  Vor- 
name unbekannt,  war  Kammermusiker  des  Herzogs  von  "Württemberg  und 
machte  sich  um  1761  durch  verschiedene  Concerte  und  Trios  für  Violinen  be- 
kannt, die  jedoch  nicht  gedruckt  worden  sind.  f 

Gravis  sc.  accentus  (latein.).  s.  Accentus  ecelesiasficus. 

Gravissimus  locus  (latein.)  nannten  die  alten  Musikschriftsteller  das  F 
(Gamma)  als  tiefsten  Ton  des  damaligen  Systems. 

Gravitätische  Mensur  nennen  die  Orgelbauer  eine  sehr  weite  Mensur,  die 
einen  vollen,  gravitätischen  Ton  giebt.  Man  spricht  in  diesem  Sinne  von 
gravitätischen  Stimmen,  also  von  Stimmen  mit  sehr  weiter  Mensur  und 
von  einem  gravitätischen  Principal,  d.  i.  ein  weit  mensurirtes  Principal. 
—  Einige  gebrauchen  das  "Wort  gravitätisch  auch  für  grob  und  sagen  gra- 
vitätische Cymbel  für  Grob-Cyrabel,  gravitätisch  Gedackt  für  Grob- 
Gedackt  u.  s.  w. 

Gravius,  Johann  Hieronymus,  nach  Gerber  auch  Grave  oder  Graf 
genannt,  deutscher  Tonkünstler  aus  adeligem  Geschlecht,  wurde  am  19.  Novbr. 
1648  zu  Sulzbach  geboren.  Er  besuchte  das  Gymnasium  zu  Heidelberg  und 
studirte  von  1672  bis  1676  zu  Leyden  die  Rechte,  daneben  aber  auch  fleissig 
Musik.     Bei    einem  Angriffe    der  Franzosen   auf  Leyden    zeichnete   sich  G.  als 

22* 


340  Gravrand  —  Graziani. 

Student  aus  und  erhielt  deshalb  zur  Belohnung  eine  Medaille  mit  seinem  Graff 
geschriebenen  Namen.  Damals  erschien  auch  sein  Portrait  in  Kupfer  nach 
einem  von  ihm  selbst  getuschten  Bildnisse.  Im  J.  1677  ward  G.  als  Cantor 
und  Schulcollege  an  das  akademische  Gymnasium  zu  Bremen  und  nach  dreissig- 
jähriger  Verwaltung  dieses  Amtes  als  Cantor  und  Musikdirektor  an  die  Pa- 
rochialkirche  zu  Berlin  berufen,  als  welcher  er  am  12.  Mai  1729  starb.  Das 
ihm  vom  König  Friedrich  I.  angetragene  Hofkapellmeisteramt  lehnte  er,  um 
ruhig  zu  leben,  ab.  Er  hat  folgende  theoretische  Schriften  veröffentlicht:  »Kurze 
Beschreibung  von  der  Construction  und  den  Arten  der  Trommet-Marin«  (Bre- 
men, 1681);  y^Budimenta  musicae practicaea  (ebendas.,  1685);  »Gespräch  zwischen 
dem  Lehrmeister  und  Knaben  von  der  Singkunst«  (ebendas.,  1702);  sowie  von 
Compositionen:  »Geistliche  Sabbathfreuden  oder  heilige  Lieder  mit  zwei  Dis- 
cauten  nebst  Basso  co)ifinuo«  (ebendas.,  1683).  —  Ein  Zeitgenosse  war  Abra- 
ham G.,  Professor  zu  Pranecker,  der  eine  yyHisforia  p1nlosoj)hiea<i  (Franecker, 
1674)  herausgab,  in  deren  Hb.  1  c.  4,  lib.  2  c.  6,  10  und  14,  lih.  3  c.  1,  8,  9 
und   12  viel  auf  Musik  Bezügliches  sich  findet. 

fxravrand  oder  Graverand,  Nicolas,  trefflicher  französischer  Violinist  und 
als  solcher  Schüler  Baillot's,  geboren  1770  zu  Caen,  wirkte  in  seiner  Vater- 
stadt, zuerst  als  Orchestergeiger,  später  als  Dirigent.  Er  hat  viele  Violinduette, 
Streichtrios  u.  s.  w.  geschi-ieben  und  zum  Theil  auch  veröffentlicht. 

Grawe,  David  Heinrich,  mitunter  auch  irrthümlich  Grave  geschi-ieben, 
ein  vorzüglicher,  reich  talentirter  deutscher  Tenorsäuger,  geboren  1758  zu 
Dresden,  debütirte  zuerst  1780  auf  der  Bühne  der  Bellano'schen  Gesellschaft 
in  Dresden,  der  er  bis  1786  angehörte,  in  welchem  Jahre  er  nach  Weimar 
ging,  wo  er  sich  durch  seine  Natur-  und  künstlerischen  Gaben  zum  Liebling 
der  verwittweten  Herzogin  emporschwang.  Diese  sandte  ihn  auf  ihre  Kosten 
zu  seiner  weiteren  Ausbildung  nach  Neapel  zu  Aprile.  Doch  kaum  dort  ange- 
kommen, starb   er   1790  in  Folge  einer  cerebralen   Störung. 

Grawunder,  Karl,  guter  deutscher  Trorapetenbläser,  geboren  am  22.  Septbr. 
1792  zu  Bernikow  bei  Königsberg  in  der  Neumark,  erhielt  den  Unterricht  des 
Stadtmusicus  Lehmann  auf  mehreren  Instrumenten,  besonders  auf  "Waldhorn 
und  Trompete  und  machte  1813  in  dem  INIusikcorps  des  zweiten  Garderegiments 
die  Kriege  gegen  Frankreich  mit.  Seit  1824  aushülfeweise  bei  der  königl. 
Kapelle  in  Berlin  angestellt,  wurde  er  1835  Kammermusiker  und  nach  zwanzig- 
jähriger Dienstzeit  im  J.  1855  pensionirt. 

Grazia,  Pietro  Nicolo,  italienischer  Kirchencomponist.  war  Kapellmeister 
der  Congregation  dell'  Oratorio  di  S.  Filippo  nero  zu  Fermo  in  der  Mark 
Ancona  und  liess  um  1706  zu  Bologna  Messe  concertate  a  4  voci  con  Violini 
drucken.  f 

Graziani,  ein  trefflicher  italienischer  Violoncellist  und  Componist  für  sein 
Instrument,  kam  nach  dem  Tode  des  Gambisten  Hesse  an  dessen  Stelle  als 
Lehrer  des  damaligen  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  von  Preussen  nach  Pots- 
dam, ward  aber  später  durch  den  ihm  überlegenen  Duport  sen.  verdrängt.  Als 
G.  1787  zu  Potsdam  starb,  erhielt  seine  Wittwe  noch  600  Thaler  als  halbes 
Gehalt  ihres  Gatten  auf  ihre  Lebenszeit  fort,  besonders  wohl,  weil  sie  als 
Sängerin  an  den  Operettenvorstellungen  bei  Hofe  Theil  nahm.  Auch  ihre 
Tochter  rühmt  Gerber  als  eine  mit  starker  Contr'altstimme  begabte  Sängerin 
um  1792.  Von  G.'s  zahlreichen  Compositionen  sind  nur  im  Drucke  erschie- 
nen: 6  Solos  für  A^ioloncello  op.  1  (Berlin,  1780)  und  sechs  andere  op.  2 
(Paris,  1780). 

Graziani,  Bonifa cio,  fleissiger  italienischer  Kirchencomponist,  geboren 
1609  zu  Marino  im  Kirchenstaate  und  gestorben  1672  als  Musikdirektor  an 
der  .Tesuitenkirche  zu  Rom,  gab  bei  Lebzeiten  nur  ein  Werk  2,  3,  4,  5  und 
6  stimmiger  Motetten  (Antwerpen,  1652)  heraus.  Die  übrigen  damals  hochge- 
schätzten Arbeiten  G.'s  veröffentlichte  erst  nach  seinem  Tode  theilweise  sein 
Bruder;    ein  Verzeichniss  derselben  giebt  Fetis  in  seiner  Biographie  universelle. 


Grazie  —  Greco.  34 1 

—  Ein  anderer  Gr.,  Nicolo  Francesco  mit  Vornamen,  wird  um  1700  als  be- 
rühmter, in  den  Diensten  des  Kurfürsten  von  Köln  stehender  italienischer 
Sänger  genannt.  —  Der  älteste  bekannte  Tonküustler  dieses  Namens  ist  Tom- 
maso  Gr.,  ein  Franziscanermöuch,  zu  Bagnacavallo  im  Kirchenstaate  geboren, 
lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  und  zu  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  und 
war  Kapellmeister  des  Klosters  seines  Ordens  in  Mailand.  In  der  Zeit  von 
1569  bis  1627  erschienen  verschiedene  Sammlungen  von  Kirchenstücken  seiner 
Composition,  sowie  auch  ein  Buch  Madrigale  von  ihm  zu  Venedig  im  Druck. 
Grazie  (latein.:  gratia,  ital. :  grazia)  als  ästhetischer  Begriff,  s.  Anmuth. 
Grazioli,  Domenico,  geschätzter  italienischer  Kirchencomponist,  war  um 
1766  Nachfolger  Ferdinando  Bertoni's  im  Orgauistenamte  an  der  St.  Marcus- 
kirche in  Venedig.  —  Sein  Sohn,  Giovanni  Battista  G.,  in  Venedig  um 
1770  geboren,  übernahm  denselben  Posten  und  starb  im  J.  1820.  Von  seinen 
Compositionen  sind  in  Deutschland  op.  1  und  2,  je  sechs  Ciavier- Sonaten  und 
op.  3  sechs  Sonaten  für  Ciavier  und  Violine  (sämmtlich  1799  erschienen)  be- 
kannter geworden.  Eine  komische  Oper  von  ihm,  »JZ  tempo  scopre  la  verum, 
ging  auf  dem  Teatro  San  Benedetto  in  Venedig  ohne  Erfolg  vorüber.  —  Ein 
jüngerer  G.  lebte  zwischen  1830  und  1840  als  Kirchen-  und  Operncomponist 
zu  Rom.  Von  seinen  Ojjern  sind  y>Il  pellegrino  biancoa  und  y>Il  taglialegna  di 
Donibaro.  zur  Aufführung  gelangt. 

Grazioso  (ital.,  franz.:  gracieux),  Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung 
anmuthig,  gefällig,  zierlich.  In  derselben  Bedeutung  wird  graziosa- 
mente  und  con  grazia  gebraucht, 

Greatiug:,  Thomas,  englischer  Tonkünstler  aus  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  und  wahrscheinlich  Musiker  der  königl.  Kapelle  zu  London,  der 
sich  besonders  um  das  Flageolet  verdient  machte,  indem  er  ein  didaktisches 
Werk:  riThe  pleasant  companion,  or  new  lessons  and  Instructions  for  tlie  Flageolet«. 
(London,  1675)  veröffentlichte. 

Greaves,  Thomas,  englischer  Vocalcomponist  aus  dem  Anfange  des  17. 
Jahrhunderts,  von  dessen  Composition  Madrigale  und  Songs  erhalten  geblie- 
ben sind. 

Greber,  Jacob,  deutscher  Tonkünstler,  welcher  der  Zeitsitte  gemäss  seinen 
Vornamen  in  Giacomo  italienisirte,  ging  ums  Jahr  1703  mit  seiner  Schülerin, 
der  nachmaligen  Mad.  Pepusch  nach  London,  wo  er  sich  um  die  Aufnahme 
der  italienischen  Oper  Verdienste  erwarb.  Von  seinen  Werken  sind  nur  wenige 
bekannt.  Das  im  italienischen  Geschmack  verfasste  Schäferspiel  »TAe  loves 
of  JSrgastoa,  womit  1705  das  Haymarket- Theater  eröffaet  wui'de,  ist  das  ge- 
rühmteste davon.  Ausserdem  ist  noch  »Tlie  temple  of  loveu.  (1706)  auf  das 
Theater  zu  London  gekommen  und  eine  Cantata  da  camera  a  hasso,  con  Flauto  e 
Cembalo  befindet  sich  als  Manuscript  in  der  fürstl.  sondershausen'scheu  Bibliothek. 

t 
Greca,  Antonio  la,  begabter"  italienischer  Tonsetzer,  geboren  1631  zu 
Palermo  und  ebendaselbst  am  8.  Mai  1668  gestorben,  erhielt  seinen  musika- 
lischen Unterricht  durch  Philippe  Fardiola  und  nahm  nach  diesem  den  Bei- 
namen Fardiola  an.  Durch  seine  Compositionen  machte  sich  G.  in  seiner 
Zeit  einen  nicht  unbedeutenden  Namen;  als  gedruckt  ist  jedoch  nur  ein  Werk 
von  ihm:  »Ärmonia  saera  «  2,  3,  4  e  5  voci  op.  1,  libro  1«  (Palermo,  1647) 
bekannt  geblieben.     Vgl.  Mongitor,  Bibl.  Sicul.  T.  1  p.  68.  f 

Greco,  Gaetano,  vortrefflicher  italienischer  Meister  und  nebst  Durante 
und  Leo  Begründer  der  sogenannten  neapolitanischen  Schule,  war  um  1717  Pro- 
fessor an  dem  Conservatorium  dei  poveri  di  Gesii  Cristo  zu  Neapel  als  Nach- 
folger seines  Lehrers  Alessandro  Scarlatti.  Als  solcher  war  er  wiederum  der 
Lehrer  von  Musikgrössen  wie  Vinci  und  Pergolese.  Später  wirkte  er  an  dem 
Conservatorio  di  San  Onofrio  in  Neapel.  Man  weiss  aber  nicht,  wann  er  ge- 
storben ist.  —  Ein  Giovanni  G.  war  in  den  Jahren  von  1721  bis  1727 
Altist  in  der  kaiserlichen  Hofkapelle  zu  Wien.  t 


342  Greef  —  Greene. 

Grcof,  "Wilhelm,  ein  um  den  deutschen  Schul-  und  Volksgesang  wohl- 
verdienter Tonküustler,  geboren  am  18.  Oktbr.  1809  zu  Kettwig  an  der  Ruhr, 
begann  seine  pädagogische  Laufbahn  1830  als  Hülfslehrer  am  Seminar  zu 
Meurs,  aus  welcher  Stellung  er  bereits  nach  einjähriger  Punktion  zum  ersten 
Lehrer  an  der  dortigen  Stadtschule  und  zum  Gesanglehrer  am  Adolphinum 
berufen  wurde.  Zugleich  wirkte  er  seit  1833  auch  als  angestellter  Organist 
in  Meurs.  In  diesen  Stellungen  hat  er  sich  um  die  Verbesserung  des  Schul- 
gesanges in  der  E-heinprovinz  und,  in  Verbindung  mit  Ludwig  Erk  (s.  d.), 
um  die  Erforschung  des  Volksliedes  in  den  westdeutschen  Gegenden  hoch  an- 
zuschlagende Verdienste  erworben.  Aus  diesen  Bemühungen  hei'aus,  gab  er 
theils  mit  Erk,  theils  selbstständig  mehrere  Schulliedersammlungen,  ein  Schul- 
choralbuch, geistliche  Männercböre,  Liederhefte  für  Männerstimmen  u.  s.  w. 
heraus. 

Green,  James,  englischer  Kirchencomponist,  war  um  1710  als  Organist 
in  Hüll  angestellt  und  hat  sich  durch  zahlreiche  von  ihm  in  Musik  gesetzte 
Psalme,  Anthems  u.  dergl.  bekannt  gemacht. 

Grreen,  Samuel,  berühmter  englischer  Orgelbauer  des  18.  Jahrhunderts, 
starb  im  J.  1796  zu  Isleworth  und  hat  seinen  Namen  besonders  durch  das 
schöne  Werk  in  der   St.   Georgkapelle  zu  AVindsor  verewigt. 

Greene,  Maurice,  englischer  Tonkünstler  und  Componist  von  grösserem 
Rufe  als  von  wirklicher  Bedeutung,  war  der  Sohn  eines  Geistlichen  und  gegen 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  zu  London  geboren.  Seine  ersten  Lehrer  waren 
King  im  Gesang  und  Brind  im  Ciavier-  und  Orgelspiel;  im  letzteren  absolvirte 
er  eine  höhere  Schule  im  fleissigen  Anhören  Händel's,  dessen  Gunst  und  Freund- 
schaft er  1712  gewonnen  hatte.  In  Folge  dessen  erhielt  er,  noch  nicht  zwanzig 
Jahre  alt,  1720  das  Organistenamt  an  St.  Dunstau  in  the  "West  und  ein  Jahr 
darauf,  als  Purcell's  Nachfolger,  auch  das  an  St.  Andreas  zu  Holborn  in  Lon- 
don. Nach  Brind's  Tode  berief  man  ihn  sogar  zum  Organisten  der  Paulskirche. 
Als  solcher  begann  er  eine  fleissige  compositorische  Thätigkeit,  die  er  bereits 
1714  durch  ein  beifällig  aufgeführtes  Schäferspiel  »iove's  revengevi.  inaugurirt 
hatte.  Er  schrieb  Clavierconcerte,  viele  y>Lessons  for  the  Harpsielwrdn,  Sonaten, 
Quartette  für  vier  Violinen,  Orgelfugen,  ferner  Cantaten,  Anthems,  Canons, 
Songs  u.  s.  w.,  betheiligte  sich  an  den  öffentlichen  Aufführungen  und  wurde 
auch  Mitglied  der  Äcademy  of  ancient  music.  Händel's  Freundschaft  opferte 
er  rücksichtslos,  als  er  von  dem  "Umgänge  mit  Buononcini  grössere  Vortheile 
für  sich  erwartete,  und  wiederum  war  er  der  Erste,  der  des  Letzteren  Sturz 
vorbereitete,  indem  er  das  von  demselben  als  eigene  Composition  veröffentlichte 
Madrigal  Lotti's  bei  der  Äcademy  of  ancient  music  denuncirte.  Sein  bei  dieser 
und  bei  anderen  Gelegenheiten  an  den  Tag  gelegter  zweideutiger  Charakter 
vermehrte  die  Zahl  seiner  Feinde;  er  musste  sich  sogar  von  jener  Akademie 
zurückziehen  und,  um  Concerte  zu  veranstalten,  ein  eigenes  Orchester  bilden. 
Im  J.  1730  zum  Doctor  der  Musik  in  Cambridge  ernannt,  wusstc  er  durch 
Verschlagenheit  und  Intrigue  sich  alsbald  zum  öffentlichen  Professor  an  Tud- 
way's  Stelle  zu  bringen,  ja  noch  mehr,  nach  Dr.  Croft's  Tode  seine  Ernennung 
zum  Kapellmeister  und  Componisten  der  königl.  Kapelle  zu  erwirken.  Seiner 
Eifersucht  auf  Händel's  Ruhm  gab  er  seitdem  offen  Ausdruck  und  veröffent- 
lichte zunächst  40  Anthem's  seiner  Composition ,  die  eine  Reformation  der 
englischen  Kirchenmusik  anbahnen  sollten.  Da  dieselben  aber  in  ihrem  vor- 
wiegend weltlichen  Style  sich  keineswegs  die  Anerkennung  als  Musterarbeiten 
zu  erringen  vermochten,  so  beschränkte  er  sein  Unternehmen  auf  die  Correctur 
und  "Wiederherstellung  älterer,  corrumpirter  Anthem's  und  Services,  die  er  in 
Partitur  setzte  und  auf  deren  Ansammlung  und  Herausgabe  er  bedeutende 
Kosten  zu  verwenden  begann.  Jedoch  rief  ihn  der  Tod  am  1.  Septbr.  17.5.5 
von  dieser  Arbeit  ab,  deren  Fortsetzung  und  Vollendung  er  bei  Zeiten  seinem 
Schüler  Boyce  übertragen  hatte.  —  Burney,  der  G.'s  Charakter  und  Kunst- 
kenntnisse scharf  aber  gerecht  beurtheilt,  schildert  ihn  äusserlich,  im  Gegentheil 


Grefinger  —  Gregor.  343 

zu  seinen  Erfolgen  in  Bezug  auf  hervorragende  Lebensstellungen,  als  klein, 
unansehnlich  und  etwas  verwachsen  und,  übereinstimmend  mit  Hawkins  und 
Anderen,  seine  Kirchencompositionen  als  zu  weltlich  und  opernhaft,  seine  welt- 
liche Musik  als  zu  geistlich. 

Greflnger,  Johann  Wolfgang,  auch  Grräfinger  geschrieben,  deutscher 
Tonsetzer,  geboren  in  der  letzten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  lebte  meist  in 
"Wien  und  war  Verfasser  und  Herausgeber  vieler  Psalterien,  Antiphonarien 
u.  s.  w.,  die  in  der  Zeit  von  1512  bis  1515  in  AVien  erschienen.  Die  Bibliothek 
zu  Zwickau  bewahrt  in  einer  Sammlung  vierstimmiger  weltlicher  Lieder  einige 
Arbeiten  von  ihm. 

Greger  Federfecliter,  s.  Finckelthaus. 

Gregor  I,  oder  der  Grosse,  römischer  Papst  von  590  bis  604,  einer 
der  bedeutendsten  und  merkwürdigsten  Kirchenregenten  und  zugleich  ein  um 
die  Musikgestaltung  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  hochverdienter  Mann, 
stammte  aus  einer  Senatorenfamilie  und  wurde  um  das  J.  540  zu  Rom  ge- 
boren. Das  Amt  eines  römischen  Prätors,  zu  dem  er  sich  in  Folge  juristischer 
Studien  570  aufschwang,  vertauschte  er  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Gordianus 
mit  dem  Klosterleben,  das  seinem  contemplativen  Sinne  sehr  zusagte,  wurde 
jedoch  schon  unter  Papst  Benedict  577  zum  Diaconus  in  Rom  und  unter  Pe- 
lagius  II.  zum  Gesandten  in  Konstantin opel  ernannt.  Nach  seiner  Rückkehr 
zog  er  sich  wieder  in  das  von  ihm  selbst  gegründete  und  dem  Apostel  Andreas 
gewidmete  Kloster  in  Bom  zurück,  dessen  Mönche  ihn  zu  ihrem  Abte  erhoben. 
Nach  dem  Tode  des  Pelagius  im  J.  590  wurde  er  durch  einstimmige  "Wahl 
der  Geistlichkeit,  des  Senates  und  Volks  zum  römischen  Bischof  ernannt  und 
verwaltete  sein  hohes  Amt  bis  zu  seinem  Tode  (604)  in  kirchlicher  und  welt- 
licher Beziehung  mit  der  grössten  Weisheit.  In  seiner  thätigen  Sorge  für 
Kirche,  Gottesdienst  und  religiöses  Leben  wurde  er  auch  auf  das  musikalische 
Gebiet  gelenkt,  welchem  er  denn  auch  die  vollste  Aufmerksamkeit  schenkte, 
mit  welcher  Aufmerksamkeit  sich  verschiedene,  durch  ihn  bewirkte  ewig  denk- 
würdige Reformen  und  Umgestaltungen  der  Tonkunst  verknüpfen.  Unbestreit- 
bar ihm  zuzuschreiben  ist  in  dieser  Hinsicht  die  Neugestaltung  des  bisherigen 
Kirchengesanges  (s.  Gregorianischer  Gesang),  ferner  die  Ausbildung  der 
Gebräuche  bei  der  Messe  und  die  Ordnung  derselben  nach  einem  festen  Kanon, 
endlich  die  Stiftung  einer  Gesangschule  (s.  Cantorat).  Nicht  zufrieden  mit 
diesen  Verdiensten,  hat  ihm  der  fromme  Eifer  noch  beigelegt:  die  Einrichtung 
des  Systems  der  plagalischen  Nebentöne  (s.  Tonarten),  die  Notirung  mit 
Neumen  und  die  Benennung  der  sieben  Octavtöne  mit  den  sieben  ersten  Al- 
phabetbuchstaben (s.  Notenschrift).  Nimmt  man  aber  auch  nur  das  Ver- 
bürgte zusammen,  so  genügt  es,  um  zu  erweisen,  dass  die  Musik  diesem  Manne 
ausserordentlich  viel  zu  verdanken  hat ,  und  Ambros  sagt  in  seiner  Musikge- 
schichte (Bd.  2,  S.  67)  mit  Recht,  dass  die  gesammte  Tonkunst  »an  der  ge- 
waltigen Lebenskraft  der  gregoriauisöhen  Gesänge  erstarkt  und  herangebildet« 
sei,  entsprechend  der  Ansicht  Kiesewetter's,  welcher  ausspiücht,  dass  das  von 
G.  und  dessen  Gehülfen  hinterlassene  System  in  seiner  Einfachheit  jeder  höheren 
Ausbildung  fähig  war  und  dass  aus  demselben  eine  vollkommene  Musik,  gleich 
unserer  heutigen,  unmittelbar  hätte  abgeleitet  werden  können,  wenn  sie  nicht 
später  durch  die  blinde  Vorliebe  und  Verehrung  der  Scholastiker  für  alles 
Altgriechische  und  durch  das  hindernde  Element  der  ihr  aufgedrungenen  ge- 
lehrten altgriechischen  Theorien  wieder  in  Verfall  gerathen  und  für  lange  Zeit 
in  ihrer  Entwickelung  gehemmt  worden  wäre. 

Gregor,  Christian,  begabter  Dichter  und  Componist  der  Herrnhuter 
Brüdergemeinde,  geboren  am  1.  Jan.  1723  zu  Dirsdorf  in  Schlesien,  trat  1742 
in  die  Hernhuter  Gemeinde  und  starb  am  6.  Novbr.  1801  zu  Berthelsdorf  als 
Bischof  der  Brüderkirche,  nachdem  er  zuvor  als  Lehrer,  Organist,  Musikdirektor 
etc.  derselben  thätig  gewesen  war.  Er  war  die  Seele  des  kirchlichen  Gesanges 
dieser  Gemeinde,  da  er  nicht  allein  die   1778  zu  Barby  erschienene  neue  Aus- 


344  Gregor  —  Gregorianischer  Gesang. 

gäbe  des  Brüdergesaiigbuches  leitete  uud  dasselbe  mit  106  eigenen  Liedern 
vermehrte,  sondern  auch  1787  ein  neues  geschätztes  Choralbuch  für  dieselbe 
herausgab,  wodurch  er,  wie  durch  sein  Orgelspiel  »wunderbar  gelungen,  die 
Gemiither  der  Zuhörer  in  die  Nähe  des  Herrn  zu  leiten«  vermochte.  Bei  alle- 
dem ist  aber  auch  nicht  zu  leugnen,  dass  seine  Lieder,  trotz  ihrer  einfachen 
und  hei'zlichen  Sprache  und  Gesangweisen  oft  in  die  den  Herrnhutern  eigeii' 
thümliche  Gefühlsspielerei  verfallen.  f 

Greg-or,  latinisirt  Gregorius.  Ein  Kanonikus  und  Lehrer  zu  Bridling- 
ton  in  England,-  lebte  zu  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  und  soll  1217  drei 
Bücher:  i>de  arte  musiees«.  betitelt,  geschrieben  haben;  Possevinus  im  ersten 
Bande  seines  y>Apparatus  sacri«  spricht  jedoch  nur  von  zweien.  Vgl.  Hawkins, 
Hist.  of  Music.  Vol.  IL  p.  40  Gregory.  —  Ein  anderer  G.,  (John  Gregory), 
1607  zu  Amsterdam  geboren,  1640  in  Hindlington  als  Antiquar  und  Orientalist 
gestorben,  verfasste  eine  •aDissertatio  de  more  caneiidi  sijmholum  JVicaenum«,  in 
welcher  in  einem  besonderen  Capitel  »de  organis  musicis  I/i/drauUcls  et  pneu- 
inaticisd.  abgehandelt  wird.  —  Ein  dritter  G.,  Peter  mit  Vornamen  (Pierre 
Gregoir),  geboren  zu  Toulouse  um  1510,  der  1574  an  der  Akademie  zu 
Gabors  und  später  zu  Pont-a-Mousson  als  Professor  und  Doctor  der  Rechte 
wirkte,  schrieb  eine:  y>Syntaxis  artis  mirahilis,  libris  XL  coinpreliensav-  (2  Bde., 
Lyon,  1574),  welches  Werk  1600  und  1610  zu  Köln  noch  zwei  neue  Auflagen 
erlebte.  —  Endlich  ist  noch  zu  nennen:  "William  G.  oder  Gregory,  Mitglied 
der  königl.  Kapelle  zu  London,  der  wahrscheinlich  zu  Ende  des  17.  Jahrhun- 
derts lebte  und  sich  rühmlich  durch  die  Composition  der  Anthems:  r>Oiit  of 
the  deep  have  L  called'i  und  »0  Lord  tliou  hast  cast  us  oicta  bekannt  machte. 
Sein  Bild  wurde  in  der  Musikschule  zu  Oxford  aufbewahrt.  Vgl.  Hawkins, 
Hist.  of  Music   Vol.  IV  p.  4:11.  t 

Gregoras,  Nicephorus,  ein  als  Redner  und  Philosoph  berühmter  griechi- 
scher Geistlicher,  der  1295  zu  Heraclea  in  Asien  geboren  war  und  1359  in 
einem  Kloster  zu  Konstantinopel  gestorben  ist,  soll  die  »Harmonia«  des  Pto- 
lemaeus  commentirt  haben,  wie  Eabricius  in  seiner  Bibl.  graec.  lib.  3  c.  10  p.  269 
berichtet.  f 

Greg'ori,  Giovanni  Lorenzo,  italienischer  Violinist  und  Componist  des 
17.  Jahrhunderts,  stand  im  J.  1695  in  Diensten  der  Republik  Lucca,  und  gab 
von  seinen  Arbeiten  »Arie  in  stilo  francese  a  1  e  2  vocia  (Lucca,  1698),  »X  Oon- 
certi  a  4  voci  (ebend.,  1698)  und  »Gantate  da  camera  a  voce  sola«,  (ebend.,  1699) 
heraus.  t 

Gregorianische  Bnehstabeu  heissen  die  zur  Benennung  der  sieben  natür- 
lichen Claves  dienenden  ersten  Buchstaben  des  Alphabets  von  A  bis  G,  deren 
Einführung  oder  Autorisirung  man  dem  Papst  Gregor  I  (s.  d.)  zuschreibt. 
Näheres  unter  Notenschrift. 

Gregorianischer  Gesaug  (latein.:  Cantus  Grerjorianus,  C.  planus,  0.  cliorälis, 
C.  romanus,  G.  vetus)  heisst  der,  seit  Gregor  dem  Grossen  (s.  d.)  beim  christ- 
lichen Gottesdienst  gebräuchliche  Choralgesang,  aus  dem  sich  die  gesammte 
christliche  Tonkunst  entwickelte.  In  den  ersten  Jahrhunderten  des  Bestandes 
der  christlichen  Kirche  fehlte  es  dieser  noch  an  einem  gemeinsamen,  festge- 
regelten Kirchengesange.  Gebet  und  Gesang  waren  in  dieser  Zeit  schon  die 
wesentlichsten  Bestandtheile  des  christlichen  Gottesdienstes,  doch  wurden  beide 
noch  nicht  in  einer,  für  alle  Gemeinden  gültigen,  feststehenden  Ordnung  geübt. 
Diese  unterlag  vielmehr  anfangs  zweifellos  nationalen  Einflüssen ;  jedenfalls  in 
den  Ländern,  welche  eigene  Bibelübersetzungen  hatten,  wie  Aegypten,  Aethio- 
plen,  Persien,  Syrien  u.  s.  w.  Erst  durch  die  Synodalbeschlüsse  in  späteren 
Jahrhundei'ten  wurde  allmälig  eine,  für  alle  Länder  feststehende  Ordnung  des 
Cultus  eingeführt.  Dadurch  gewann  dann  auch  der  Kirchengesang  eine  Ent- 
wickelung  nach  bestimmter  Richtung.  Bisher  waren  es  natürlich  vorwiegend 
griechische  und  hebräische  "Weisen,  nach  welchen  der  christliche  Kircliengesang 
geübt    wurde,    und    auch    als    dieser    sich    selbstständiger    zu   entfalten  begann, 


Gregorianischer  Gesang.  ß^g 

knüpfte  er  an  die  griechische  Musikpraxis  an.  Juden  und  Griechen  waren 
hauptsächlich  die  ersten  Bekenner  des  Christenthums,  und  es  ist  deshalb  nicht 
anders  denkbar,  als  dass  neben  dem  althebräischen  Psalmengesange,  welcher 
dem  neuen  Glauben  zunächst  vollkommen  entsprach,  auch  die  griechische  Ge- 
sangsweise  im  ersten  christlichen  Cultus  Eingang  fand.  Ein  selbstständig  aus- 
gebildetes Tonsystem  scheinen  die  Juden  nicht  gehabt  zu  haben;  nur  die  Grie- 
chen brachten  ein  solches  der  jungen  christlichen  Kunst  entgegen,  das  sich  iji 
viel  reicherer  Mannichfaltigkeit  entwickelt  hatte,  als  der  neuen  Praxis  bequem 
war;  diese  vereinfachte  es  daher  zunächst  ganz  bedeutend:  sie  legte  das  grie- 
chische Octachord  ihrem  künstlerischen  Schaffen  zu  Grunde  und  gewann  damit 
erst  die  Möglichkeit  der  Entfaltung  einer  selbstständigen  Melodik.  A¥ohl 
kannten  auch  die  Griechen  das  Octachord,  allein  ihrer  Musikpraxis  entsprach 
das  Tetrachord  vielmehr,  und  so  gehen  die  Theoretiker  ebenso  wie  die  Praktiker 
immer  wieder  auf  dies  zurück.  Den  Griechen,  wie  überhaupt  den  vorchrist- 
lichen Völkern,  galt  der  Gesangton  noch  nicht  als  Baustein,  aus  dem  klingende 
Tonformen  zu  bilden  sind,  sondern  er  war  ihnen  vielmehr  fast  ausschliesslich 
das  geeignetste  Hülfsmittel,  mit  seiner  sinnlich  zwingenden  Naturgewalt  der 
Sprache  grössere  Eindringlichkeit  zu  geben.  Namentlich  nach  dieser  Richtung 
hat  er  für  die  griechische  Sprache  höchste  Bedeutung  gewonnen;  diese  hatte 
sich  durch  die  Macht  des  rein  sinnlich  wirkenden  Tons  zu  einer,  von  keiner 
andern  Sprache  erreichten  Eülle  von  äusserst  künstlich  und  echt  künstlerisch 
gefügten  Formen  entwickelt.  Daher  machten  auch  die  griechischen  Theoretiker 
das  Tetrachord  zur  Grundlage  ihrer  Untersuchungen  und  des  ganzen  Systems, 
weil  innerhalb  eines  solchen  sich  die  gewöhnliche  Rede  hält.  Ferner  wird 
hieraus  erklärlich,  dass  sie  den  Ton  und  das  Intervall  zur  Grundlage  der 
eifrigsten  Untersuchungen  machten.  In  dem  Bestreben:  die  Rhythmik  der 
Sprache  immer  entschiedener  herausbilden  zu  helfen,  wird  die  Speculation  zu 
immer  erneuter  Theilung  des  Intervalls  veranlasst,  nicht  nur  um  eine  reichere 
Modulation  der  Stimme  zu  ermöglichen,  sondern  auch,  um  immer  mehr  charakte- 
ristische Intervallenverhältnisse  zu  gewinnen  und  sie  wurden  demgemäss  auf 
die  chromatischen  und  enharmonischen  Klanggeschlechter  geführt.  Innerhalb 
der  engen  Grenzen  derselben  war  natürlich  eine  freie  Entfaltung  der  selbst- 
ßtändigen  Melodie  nicht  möglich.  Für  das  Christenthum  gewann  der  Gesang 
allmälig  eine  ganz  andere  Bedeutung.  Dies  gab  der  Entwickelung  der  Mensch- 
heit eine  neue  Richtung;  erzeugte  ein  ganz  neues  Leben,  welches  dann  auch 
der  Tonkunst  erst  das  rechte  Object  für  eine  selbstständige  künstlerische  Ge- 
staltung zuführte.  Die  wunderbaren  Schätze,  welche  es  im  Innern  des  Men- 
schen erschloss,  drängten  nunmehr  auch  nach  künstlerischer  Entäusserung  in 
klingenden  Tonformen,  und  so  wurde  zunächst  die  selbstständige  Melodie  er- 
zeugt, bei  welcher  sich  die  einzelnen  Töne  nicht  zusammenfügen,  um  die  Re- 
citation  der  Rede  zu  unterstützen,  ^sondern  um  eine  selbstständige  Form  zu 
bilden.  So  entstanden  die  ersten  gesungenen  chi-istlichen  Hymnen,  die  sich 
zwar  selbstredend  auf  dem  Grunde  des  alten  Systems  erhoben,  aber  unter  ver- 
änderter Anwendung  desselben.  Nachdem  diese  neue  Praxis  bereits  mehrere 
der  selbstständigen  Hymnen  erzeugt  hatte,  erschien  es,  um  eine  sichere  Basis 
für  die  weitere  Entfaltung  des  Gesanges  zu  gewinnen,  nothwendig,  die  gewon- 
nenen Resultate  in  ein  bestimmtes  System  zu  bringen.  Es  geschah  dies,  wie 
erwähnt,  nach  Analogie  des  griechischen  Systems,  oder  im  Grunde  dadurch,  dass 
man  aus  diesem  ausschied,  was  für  diese  neue  Anschauung  nicht  förderlich 
Avurde.  Der  heil.  Ambrosius  (von  374  —  397  Bischof  von  Mailand)  wird  als 
derjenige  genannt,  welcher  die  vier  diatonischen   Tonreihen: 

von  D   —    (als  erster  Ton*):  Protiis;  primus), 
von  E  —    (als  zweiter  Ton:  Deuterus ;  secundus), 


*)  Ton  gleichbedeutend  mit  Tonleiter. 


346  Gregorianischer  Gesang. 

von  F  —  (als  dritter  Ton:  Tritus;  tertius), 
und  von  G  —  (als  vierter  Ton:  Tetrardus  qi.iartus), 
festhielt  und  sie  sind  als  sogenannte  Kirchentonarten  über  1000  Jahre  die 
Grundlage  für  den  Kirchengesang  geblieben.  Sie  stimmen  mit  den  entsprechen- 
den griechischen  Tonleitern  überein,  aber  ihre  Anwendung  wurde  jetzt  eine 
andere.  Dadurch ,  dass  der  christliche  Geist  diese  Tonleitern  im  Grossen  an- 
schaute und  als  Ganzes  erfasste,  und  zugleich  das  Verhältniss  der  einzelnen 
Töne  innerhalb  derselben  genau  berücksichtigte,  gelangte  er  zu  jenen  selbst- 
ständigen Melodien,  die  als  erste  wirkliche  Kunstproducte  zu  betrachten  sind. 
Es  war  hiermit  der  einzig  richtige  Wog  eingeschlagen,  zu  einem  gemeinsamen 
Kirchengesange  zu  gelangen,  und  wenn  der  Ambrosianische  Gesang  es  noch 
nicht  wurde,  so  hat  das  hauptsächlich  seinen  Grund  wohl  nur  darin,  dass  Am- 
brosius  noch  die  alte  sprachliche  Rhythmik  nicht  vollständig  aufgab.  Guido 
von  Arezzo  nennt  die  Hymnen  des  heil.  Ambrosius  metrische  Gesänge,  die  »so 
gesungen  wurden,  als  wenn  die  Füsse  der  Verse  scandirt  werden«.  Dadurch 
blieb  der  Gesang  noch  national  beschränkt,  die  freie  Entfaltung  der  Melodik 
noch  gehemmt.  Diese  erfordert  ihren  selbstständigen  Rhythmus,  welcher  den 
sprachlichen  zwar  berücksichtigt,  aber  so,  dass  sie  ihn  in  eigener  "Weise  dar- 
stellt. Gregor  der  Grosse  gab  der  Entwickelung  des  kirchlichen  Gesanges  diese 
Richtung,  und  in  dieser  neuen  Phase  heisst  er  deshalb  der  Gregorianische  Ge- 
sang —  oder  Cantus  lüanus  (franz.:  piain  chanf),  weil  die  Töne  desselben  wenn 
auch  nicht  durchweg  von  gleichem  Zeitwerth,  doch  der  reicheren  sprachlichen 
Metrik  entkleidet  sind.  Diese  bleibt  nur  noch  von  geringem  Einfluss  auf  die 
Entwickelung  der  Melodie,  bei  der  schon  die  Spuren  einer  musikalisch  selbst- 
ständigen Rhythmik  erkennbar  sind.  Sie  zeigt  sich  zunächst  in  den  Ver- 
zierungen und  Melismen,  mit  denen  früh  schon  die  Melodien  ausgestattet  wur- 
den. Auch  beim  gregorianischen  Gesänge  erhielt  nicht  jede  Silbe  nothwendig 
nur  einen  Ton,  sondern  einzelne  auch  mehrere.  Die  authentische  Abschrift 
des  gregorianischen  Antiphouars  —  die  Sammlung  der  liturgischen  Gesänge, 
welche  Romanus,  einer  der  beiden  vom  Papst  Hadrian  790  an  Kaiser  Karl 
zur  Verbreitung  des  gregorianischen  Kircheugesanges  gesandten  römischen  Sänger 
—  nach  St.  Gallen  brachte,  enthielt  eine  Reihe  hierauf  bezüglicher  Vorschriften. 
Ferner  sind  unter  den  Notenzeichen  jener  Zeit,  den  sogenannten  Neumen, 
mehrere,  welche  solche  Melismen  andeuten.  Die  Selbstständigkeit  der  gregoria- 
nischen Melodie  wurde  namentlich  schon  dadurch  gewahrt,  dass  sie  eine  neue 
Darstellung  des  strophischen  Versgefüges  versuchte.  Wie  die  Silben  und  Worte 
zu  metrischen  Versen  und  diese  wiederum  zu  Zeilen  verbunden  werden,  so  in 
der  Melodie  die  Töne  zu  kleineren  Einheiten  —  in  unserm  Sinne  Takt  ge- 
nannt —  und  diese  wiederum  zu  grösseren,  so  dass  diese  als  eine  Nachbildung 
des  Verses  erscheinen;  aber  innerhalb  dieser  ganzen  Construction  verfuhr  man 
mit  grosser  Freiheit.  Noch  viele  Jahrhunderte  hindurch  war  das  Hauptaugen- 
merk der  melodieerfindenden,  besonders  begabten  Männer  auf  die  einheitliche 
Darstellung  des  Verses  und  der  Strophe  gei*ichtet;  während  sie  das  Metrum 
in  mannichfaltiger  Weise  musikalisch  nachbilden.  Dem  entsprechend  vollzog 
sich  auch  dieser  ganze  Gestaltungsprocess  vorwiegend  an  den,  im  Grossen  ge- 
gliederten Psalmenversen,  und  dem  entsprechend  angelegten  christlichen 
Cultusgesängen  und  vor  Allem  an  den  metrisch  gegliederten  Hymnen,  die 
wirklich  gesungen  wurden.  Beim  sogenannten  Collectengesang  oder  dem 
Chor aliter lesen  wurden  auch  im  gregorianischen  Gesänge  noch  anfangs 
wenigstens  zweifellos  Quantität  und  Accentuation  genau  beobachtet.  Das  Va- 
terunser, das  Glaubensbekenntniss,  die  Evangelien  und  Episteln, 
wie  die  Litaneien  wurden  nicht  blos  gebetet,  sondern  auch  gesungen,  vorherr- 
schend auf  einem  Ton  mit  Berücksichtigung  der  Quantität  der  Silben,  weshalb 
auch  häufig  der  Text  mit  Accenten  versehen  ist.  Die  Schlussfiille  nur  sind 
durch  besondere  Intervallenschritte  ausgezeichnet;  ebenso  auch  die  Interpunction 
u.  dergl.     Bei   dieser  Art   des   mehr  recitirenden  Gesanges  machte  sich  gleich- 


Gregorianischer  Gesang.  347 

falls  eine ,  mehr  dem  "Wesen  der  Tonleiter  als  Octachord  entsprechende  An- 
schauung, wie  sie  seit  Gregor  herrschend  wurde,  geltend.  Dieser  grosse  För- 
derer christlichen  Gesanges  erweiterte  das  Tongebiet  zunächst  dadurch,  dass 
er  den  vier  Tonleitern  des  heil.  Ambrosius  —  die  authentische  genannt  wur- 
den —  vier  neue  —  die  plagalen  —  zufügte.  Die  authentische  Tonleiter 
erscheint  aus  zwei  Hälften  zusammengesetzt ,  von  denen  die  erste  eine  Quinto 
d—a;  die  zweite  eine  Quarte  a  —  d  enthält;  die  plagale  Tonleiter  gewinnt 
man  nun  dadurch,  dass  das  Yerhältniss  umgekehrt,  die  letzte  Hälfte  dieser  Ton- 
leiter zur  ersten  wird:  der  erste  authentische  Ton  DJEFGAITCJ) 
ergab  dem  entsprechend  als  ersten  plagalen  A  H  C  D  E  F  G  Ä;  der  zweite 
authentische  FFGAHODF  den  zweiten  plagalen  H  ö  JD  F  F  G 
A  S;  der  dritte  authentische  FGASÖDFF  den  dritten  plagalen 
CDFFGAHC;  der  vierte  authentische  GASCDFFG  den 
vierten  plagalen  D  F  F  G  A  H  C  D.  In  dieser  Reihenfolge  wurden  diese 
verschiedenen  Töne  als  Kirchentöne  bezeichnet:  der  erste  authentische  von 
D  als  erster,  der  erste  plagale  von  A  als  zweiter,  der  zweite  authentische 
von  F  als  dritter,  der  zweite  plagale  von  ^  als  vierter  Kirchenton  u.  b.  f., 
so  dass  der  fünfte  Kirchenton  seine  Tonleiter  mit  F,  der  sechste  mit  O, 
der  siebente  mit  G  und  der  achte  mit  D  begann.  Dass  die  spätere  Theorie 
diese  Construction  fortsetzte  und  zwölf,  sogar  16  Kirchentöne  lehrte,  oder  sie 
auch  auf  sechs  reducirte,  kommt  hier  nicht  weiter  in  Betracht.  Die  Praxis 
beschränkte  sich  auf  die  oben  erwähnten  acht.  Namentlich  bei  dem  Collecten- 
gesange  wurden  für  jeden  dieser  Kirchentöne  einzelne  charakteristische  Töne 
vorwiegend  angewendet  und  diese  gewannen  auch  bei  der  selbstständigen  Me- 
lodiebildung besondere  Berücksichtigung.  Es  wurden  gewisse  melodische  For- 
meln für  jeden  einzelnen  Kirchenton  (oder  Modus)  feststehend,  welche  man 
Tropen  nannte,  und  durch  welche  daher  die  Tonart  leicht  zu  bestimmen  ist. 
Diese  erkannte  mau  ferner  an  der  Bepercussion ,  d.  i.  das  in  jeder  Kirchen- 
tonart am  meisten  gebräuchliche  Intervalle,  die  sogenannte  Choralnote.  Es 
ist  dies  im  ersten,  dritten,  fünften  und  siebenten  die  Quint,  im  zwei- 
ten und  ersten  die  Terz,  im  vierten  und  achten  die  Quart.  Andere 
Kennzeichen  der  Tonart  konnten  weiterhin  der  Umfang  —  Amhitus  —  der  Me- 
lodie sein,  und  der  Finalton  wie  der  Anfang.  Im  Allgemeinen  hatten  am 
Anfange  die  authentische  und  die  plagale  Melodie  entgegengesetzte  Be- 
wegung; jene  strebt  aufwärts  (zu  ihrer  Quinte),  diese  abwärts  zu  ihrem  ur- 
sprünglichen sie  erzeugenden  Grundton.  So  lange  man  sich  bei  der  Melodie- 
bildung innerhalb  einer  Octave  hielt,  konnten  natürlich  Umfang  und  Finalton 
ein  sicheres  Merkmal  der  Tonart  sein;  allein  nur  zu  bald  überschritt  man  die- 
sen Umfang,  fügte  jeder  Kirchentonart  je  einen  Ton  nach  oben  und  unten  zu, 
und  einzelne  Theoretiker  lehren  von  einer  9,  selbst  10  tönigen  Tonleiter.  Wei- 
terhin wurde  in  dem  Bestreben,  den  Tonreichthum  für  jeden  einzelnen  Modus 
zu  erweitern,  das  Verfahren  der  Transposition  angewendet.  Der  regelmässige 
Finalton  ist  für  den  ersten  und  zweiten  Kirchenton  D;  für  den  dritten  und 
vierten  F;  für  den  fünften  und  sechsten  F  und  für  den  siebenten  und  achten 
G  und  der  Canttis  regularis  endete  auch  mit  diesem  Finalton;  allein  daneben 
übte  man  auch  den  Gantus  oder  tonus  transpositus  der  transponirt  ist,  am  lieb- 
sten nach  der  Quarte  oder  Quinte  des  regulären.  Die  weitere  Entwickelung 
führte  dann  auf  sogenannte  Mischtöne  (ioni  mivfi)  und  Neutraltöne  (foni  neutrales), 
die  weder  völlig  authentisch  noch  völlig  plagal  geführt  sind.  Der  Misch  ton 
hält  sich  im  Umfange  der  beiden  verbundenen  Tonleiteim,  er  steigt  bis  zur 
Octave,  wohl  auch  noch  höher  und  fällt  auch  bis  zur  Quart  des  plagalen  Tons; 
der  Neutralton  erhebt  sich  nicht  über  die  Sext  und  fällt  nicht  unter  die 
Terz,  so  dass  er  weder  die  authentische  noch  die  plagale  Tonart  bestimmt  aus- 
prägt. Diese  Erweiterungen  des  ursprünglich  eng  begrenzten  Systems  gingen 
alle  aus  dem  Bestreben  hervor:  der  selbstständig  entwickelten  Melodie  ein 
möglichst  weites    und    grosses    Gebiet    für    ihre  Entfaltung    zu    schaffen.     Wir 


348  Gregorio  —  Greindl. 

zeigten,  wie  das  ambrosianische  System  schon  durch  den  Drang:  Melodien  zu 
erzeugen,  der  im  Christenthum  erst  lebendig  wurde,  geschaffen  und  wie  dann 
im  gregorianischen  Gesauge  dies  System  in  sich  gefestigt  und  zugleich  macht- 
und  glanzvoll  erweitert  wurde.  Auf  seinem  Grunde  erhoben  sich  dann  jene 
Hymnen  und  geistlichen  Volkslieder,  in  denen  die  höchste  religiöse  Begeisterung 
wunderbar  ergreifenden  Ausdruck  findet,  und  die  zugleich  als  erste  Kunstwerke 
des  in  Tönen  künstlerisch  bildenden  Menschengeistes  zu  betrachten  sind. 
Länger  als  ein  Jahrtausend  haben  sie  in  den  Herzen  der  Gläubigen  jene  reli- 
giöse Begeisterung  entzündet,  welche  sie  erzeugte,  und  heute  noch  üben  sie  die- 
selbe wunderbare  Wirkung,  welche  namentlich  das  Mittelalter  mit  Staunen  er- 
füllte, so  dass  man  diese  Cultusgesänge  als  direct  vom  Himmel  stammend 
betrachtete.  Eine  Antiphouer  in  St.  Gallen  aus  dem  10.  Jahrhundert  enthält 
eine  Zeichnung,  den  heiligen  Gregor  darstellend,  einem  Schreiber  die  »Neumen« 
—  seine  Hymnen  —  dictirend;  auf  der  Schulter  sitzt  die  himmlische  Taube,  die 
göttliche  Inspiration  darstellend,  welche  Paulus  Diakonus,  der  Zeitgenosse  des 
Papstes,  auf  der  Schulter  desselben  sitzend  gefunden  zu  haben  versichert.  "Wie 
dann  im  Laufe  der  Jahrhunderte  dieser  gregorianische  Gesang  in  ganz  conse- 
quenter  Entwickelung  zur  Mehrstimmigkeit  führen  musste ,  welche  wohl  keins 
der  vorchristlichen  Völker  anders  kannte  und  übte,  als  höchstens  an  dem,  durch 
die  natürliche  Organisation  der  Singstimmen  bedingten,  zunächst  wohl  nur 
antiphonischen  Quinten-  und  Octavengesange;  wie  das  ganze  System  dadurch 
mancherlei  Veränderungen  erfuhr  und  wie  endlich,  namentlich  unter  dem  Ein- 
flüsse des  Volksgesanges  und  der  selbstständig  entwickelten  Instrumentalmusik, 
unser  modei-nes  Tonsystem  aus  ihm  emportrieb,  das  ist  hier  nicht  weiter  zu 
verfolgen.  Erwähnt  sei  nur  noch,  dass  sich  Gregor  bei  seinem  Antiphonar 
zur  Aufzeichnung  der  Cultusgesänge  der,  seiner  Zeit  üblichen  Notenzeichen  — 
der  Neumen  bediente.  (lieber  diese,  wie  über  Gregors  Lebensumstände,  über 
Kirchentonarten  u.  s.  w.  siehe  die  betreffenden  Artikel  dieses  Werkes.) 

A.  Reissmann. 

Gregorio,  Annibale,  italienischer  Tonsetzer,  geboren  gegen  Ende  des 
16.  Jahrhunders  zu  Siena,  war  daselbst  Kapellmeister  an  der  Kathedrale  und 
Mitglied  der  Akademie  der  Intronati.  Er  veröffentlichte  von  seiner  Compo- 
sition  fünfstimmige  Madrigale  (Venedig,  1617)  und  y>Sacrae  eantiones  et  lamen- 
tationes  2,  3  et  4:  vocuma  (Siena,  1620). 

Gregorius,  P.,  Kirchencomponist  zu  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  von 
dem  ein  AVerk:  i)Enc()mium ,  verho  incarnato,  ejusdemque  matri  musicis  numeris 
decantatuma  (Ingolstadt,  1618)  im  Drucke  erschien.  f 

Gregory,  s.  Gregor. 

Greibe,  Ernst  Friedrich  Wilhelm,  geschätzter  deutscher  Basssänger, 
geboren  1754  zu  Hildesheim,  debütirte  1778  auf  dem  Theater  zu  Eisenach  als 
Fabricius  in  dem  Singspiel  »Lottchen  am  Hofe«,  war  später  in  Braunschweig 
und  seit  1786  am  königl.  Nationaltheater  zu  Berlin  engagirt,  woselbst  er  u.  A. 
1788  den  Pedrillo  in  »Belmonte  und  Constanze«,  1794  den  Basilio  im  »Figaro« 
und  den  Sprecher  in  der  »Zauberflöte«  bei  den  ersten  Aufführungen  dieser 
Opern  sang.  Er  starb  am  9,  April  1811  zu  Berlin.  —  Seine  Gattin,  Maria 
Theresia  G.,  geborene  Engst,  war  1750  zu  Berlin  geboren  und  betrat  schon 
1760  in  Colmar  zuerst  die  Bühne.  Mit  ihrem  Gatten  zugleich  debütirte  sie 
1786  am  Naiionaltheatcr  zu  Berlin  und  wurde  als  Sängerin  und  Schauspielerin 
für  das  ältere  Bollenfach  daselbst  engagirt.  Im  J.  1810  pensionirt,  starb  sie 
am  31.  Aug.  1820  zu  Berlin. 

Greindl,  Joseph,  deutscher  Componist,  geboren  1758  in  Morbach,  war 
ein  Schüler  Albrechtsberger's  in  Wien  und  wurde  später  Kapellmeister  am 
Stephansdome  daselbst.  Er  starb  1826  zu  Wien.  Man  kennt  von  ihm  Sin- 
fonien, Sextette,  drei  Quintette,  vier  Quartette,  ein  Monodrama  »Hero«  u.  s.  w. 
Seine  »Wiener  Tonschule«  hat  sein  Schüler,  der  Ritter  von  Seyfried  heraus- 
gegeben. 


Greiner  —  Greisen.  349 

Oreiner,  Johann  Karl,  deutscher  Instrumentenmacher,  geboren  1743  zu 
Wetzlar  und  ebenda  am  8.  Oktober  1798  gestorben,  erlernte  anfangs  das  Tisch- 
lerhandwerk, welches  er  jedoch  bald  mit  dem  eines  Ciavierbauers  vertauschte, 
indem  seine  Vorliebe  für  Mechanik  in  demselben  mehr  Spielraum  fand.  Hohl- 
feld's  Erfindung  des  Bogenflügels  (s.d.)  weiter  verfolgend,  verband  er  einen 
solchen  auf  Anregung  des  Abts  Vogler  mit  einem  Fortepiano,  so  dass  dies  den 
oberen,  jenes  den  unteren  Instrumenttheil  einnahmen  und  beide  Tlieile  ge- 
koppelt werden  konnten.  Der  Instrumentkörper  hatte  eine  Länge  von  1,11, 
eine  Breite  von  0,17  und  eine  Höhe  von  0,314  Meter.  Dies  Instrument,  welches 
den  Ruf  Gr.'s  verbreitete,  soll  jedoch  in  seiner  Zeit  schon  wenig  befriedigt  haben 
und  ist  später  auch  nicht  mehr  beachtet  worden.  Dasselbe  führte  jedoch  G. 
zur  Absicht,  ein  Instrument  zu  bauen,  das  die  Eigenheiten  der  Orgel,  des 
Fortepianos  und  des  Bogenclaviers  vereinigte,  über  welches  die  Frankfurter 
Zeitung  vom  2.  Novbr.  1798  Manches  berichtet.  Sein  Tod  verhinderte  die 
vollendete  Darstellung  seiner  Idee,  die  sein  Vetter  und  Gehülfe  Hans  G.  nach 
G.'s  Tode,  zu  Stande  zu  bringen  versuchte,  wahrscheinlich  ohne  Erfolg,  denn 
später  hat  man  nichts  mehr  darüber  gehört.  f 

Greiuer,  Johann  Martial,  deutscher  Violinvirtuose,  geboren  am  9.  Febr. 
1724  zu  Constanz  am  Bodensee,  widmete  sich  dem  Studium  der  Theologie  und 
trieb  nebenbei  Violinspiel.  Als  er  nach  dreijähriger  Uebung  mit  einem  Violin- 
concert  sich  öflFentlich  hören  Hess,  fand  er  so  grossen  Beifall,  dass  er  auf  viel- 
faches Zureden  sich  ganz  der  Kunst  zu  widmen  beschloss.  Um  dem  Einsprüche 
seiner  Eltern  zu  entgehen,  begab  er  sich  mit  geringer  Habe  heimlich  nach 
Innsbruck  und  fand  im  Jesuitenseminar  daselbst,  durch  seine  Kunst  eingeführt, 
längeren  freien  Aufenthalt.  Ein  reicher  Dilettant,  der  im  Begriff  stand,  Italien 
zu  bereisen,  nahm  ihn  mit  nach  Padua  und  Venedig.  In  letzterer  Stadt  starb 
jedoch  dieser  Gönner,  und  G.  scheint  sich  darnach  wieder  nach  Deutschland 
gewandt  zu  haben,  denn  er  befand  sich  bald  darauf  zu  München  bei  Ferrandini, 
dem  Vater  des  damaligen  Kapellmeisters,  der  ihn  drei  Jahre  lang  in  seinem 
Hause  unterhielt.  Hier  lernte  er  unter  vielen  namhaften  Künstlern  auch  Angelo 
Colonna  aus  Venedig  kennen,  dessen  Umgang  und  Unterricht  G.  weiter  förder- 
ten und  dessen  persönliche  Bemühungen  ihm  einen  Ruf  nach  Padua  als  ersten 
Violinisten  verschafften.  Sein  Dirigent  und  Vorbild  daselbst  war  Tartini.  Von 
Padua  aus  erhielt  er  eine  Anstellung  in  dem  Hoforchester  zu  Stuttgart,  wo 
er  zunächst  unter  des  Oberkapellmeisters  Jomelli  Direktion  21  Jahre  lang 
thätig  war  und  zugleich  Schüler  wie  Hofmeister,  Laborde  u.  v.  A.  heranbildete. 
Im  J.  1775  wurde  er  als  fürstl.  hohenlohe'scher  Hofmusikdirektor  nach  Kirch- 
berg berufen,  woselbst  er  im  J.  1792  allgemein  geachtet  und  geehrt  sein  ruhm- 
volles Leben  endete.  Von  Compositionen  G.'s  ist  nie  etwas  bekannt  geworden. 
Eine  ausführlichere  Lebensbeschreibung  von  ihm  schrieb  Junker;  dieselbe  be- 
findet sich  in  Meusel's  Museum  Band  I.  Stück  3,  reicht  jedoch  nur  bis  zu  G.'s 
Ernennung  zum  Hofmusikdirektor  in  Kirchberg.  t 

Greiner,  Johann  Theodor,  deutscher  Instrumentalcomponist,  von  dem 
um  1782  einige  Ciaviertrios  im  Manuscript  in  Deutschland  sich  vortheilhaft 
bekannt  machten.  Im  J.  1784  erschienen  von  ihm  zu  Amsterdam  12  Sinfo- 
nien in  zwei  Heften  und  sechs  Flötenduos. 

Greininger,  Augustin,  ein  deutscher  Tonsetzer  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  veröffentlichte  Oantiones  saerae  a  1,  2  et  3  voci  mit  und  ohne 
Instrumente  (Augsburg,  1681).     Vgl.  Com.  a  Be^ighem  Bihliogr.  mathem.  p.  56. 

t 
Greisen,  Albert,  begabter  deutscher  Componist,  geboren  am  24.  April 
1814  zu  Frankfurt  a.  0.  als  Sohn  eines  Instrumentenmachers,  erging  sich,  ohne 
eigentlichen  theoretischen  Unterricht  gehabt  zu  haben,  schon  früh  in  Compo- 
sitionsversuchen,  deren  Frucht  Quartette,  Quintette  und  eine  Oper  »Die  Liebe 
auf  dem  Lande«  war.  Zelter,  auf  ihn  aufmerksam  geworden,  nahm  ihn  1832 
nach  Berlin  und  zügelte  seineu  Schaffensdrang  durch  contrapunktische  Uebungen. 


350  Greiter  —  Greith. 

Nach  Zelter's  Tode  fand  G.  Aufnahme  in  der  Musikschule  der  Akademie  und 
wurde  Compositionsschüler  Rungenhagen's,  als  welcher  er  mit  einer  Motette,  so- 
wie mit  einem  Instrumentalsat25  am  3.  Juni  1834  den  Preis  davontrug.  Leider 
starb  er  schon  am  11.  April  1836  und  hinterliess  ein  Oratorium,  eine  Sinfonie, 
Kammermusikwerke  u.  s.  w.,  Beweise  eines  sehr  bedeutenden  schöpferischen 
Talentes. 

Greiter,  Matthias,  latinisirt  Greiterius,  Dichter  geistlicher  Lieder,  der 
erst  Mönch  und  von  1524  bis  zu  seinem  am  20.  Decbr.  1550  zu  Strassburg 
erfolgten  Tode  Musiker  war.  Er  gab  laut  Gesner's  Partit.  univ.  lib.  7  tit.  3 
ein  -nJElementale  musieumn  heraus.  Döhring  in  seiner  Choralkunde  (1865)  be- 
richtet Seite  31  und  38  über  G.,  dass  zwei  bisher  Luther  zugeschriebene  Me- 
lodien von  ihm  herrühren,  so  wie  dass  er  auch  der  angebliche  Componist  der 
unter  seinen  acht  Psalmenliedern  befindlichen  Gesänge  »Es  sein  doch  selig  alle 

die«:  f  f  g  a  f  g  ^t'  <?»  und  »0  Herre  Gott,  begnade  mich«:  e  a  a  g  e  g  a  h, 
die  zuerst  im  Strassburger  Kirchenamt  des  Jahres  1525  eine  Stelle  fanden, 
gewesen  sei;  erstere  Melodie  findet  sich  auch  in  den  später  erschienenen  fran- 
zösischen Psalmen.  Eine  Sa)nmlung  weltlicher  Lieder  für  vier  Stimmen  vom 
J.  1548,  welche  auch  einige  Gesänge  G.'s  enthält,  befindet  sich  in  der  Bibliothek 
zu  Zwickau.  Vgl.  ferner  das  Historische  Register  des  Naumburg.  Gesang-Buchs 
p.  33  und  Wetzel's  Lieder-Historie  p.  349.  t 

Greith,  Karl,  reich  begabter,  gediegener  Tonsetzer  und  geschickter  Diri- 
gent, geboren  am  21.  Febr.  1828  zu  Aarau  in  der  Schweiz,  verlebte  seine 
Jugendjahre  zu  St.  Gallen  und  oblag  dort  den  Gymnasialstudien.  Sein  Vater. 
Joseph  G. ,  Chorregent  an  der  Kathedrale,  pflegte  des  Knaben  früh  hervor- 
tretendes Talent  zur  Musik  und  beschäftigte  ihn  selbst  auf  dem  Chore,  wo  er 
bald  als  Organist  sich  bethätigte,  bald  unter  den  Instrumentalisten  als  Flöten- 
bläser mitwirkte,  Sängerproben  leitete,  kurz  in  einem  Wirken  heranwuchs,  das 
den  Keim  legte  zu  seiner  späteren  Gewandtheit  als  Dirigent  und  ihn  mit  allen 
kirchlichen  und  liturgischen  Gebräuchen  vertraut  werden  Hess.  Mit  dem  18. 
Jahre  erwählte  G.  die  Musik  zu  seinem  Lebensberufe  und  wurde  dem  Meister 
C.  Ett  nach  München  in  die  Scliule  gegeben.  Nach  dessen  frühem  Ableben 
vollendete  er  bei  C.  L.  Drobisch  in  Augsburg  seine  Studien  und  kehrte  nach 
zweien  Jahren  gründlicher  und  rastloser  Arbeit  nach  St.  Gallen  zurück.  Dort 
wurden  ihm  die  Musiklehrerstellen  an  den  städtischen  Schulen  übertragen,  ihm 
die  Leitung  von  Gesangvereinen  anvertraut,  und  er  selbst  vollendete  sein 
erstes  grosses  Werk,  das  Oratorium  »Der  heilige  Gallus«,  welches  1849  in 
Winterthur  unter  seiner  Direktion  aufgeführt,  grossen  Beifall  und  die  aufmun- 
terndste  Theiluahme  fand.  Weitere  Aufführungen  von  G.'s  Melodramen  »Frauen- 
herz«,  und  »die  Waise  aus  Genf«  zu  St.  Gallen,  sowie  einer  Sinfonie  zu  St. 
Gallen  und  Basel  erhöhten  und  befestigten  mehr  und  mehr  die  Gewissheit,  dnss 
mit  diesen  AVerken  ein  bedeutendes  Talent  sich  Bahn  gebrochen  habe.  Im 
J.  1854  begab  sich  G.  nach  Frankfurt  a.  M.,  wo  er  mehrere  Jahre  als  Musik- 
lehrer wirkte  und  bei  kunstsinnigen  Freunden  und  Schülern  ein  ehrenvolles 
Andenken  hinterliess,  als  er  als  Professor  an  das  Collegium  Maria  Hilf  zu 
Schwyz  berufen  wurde.  Dort  arbeitete  er  rastlos  an  Heranbildung  eines  guten 
und  geschulten  Kirchencliores  und  wirkte  als  echter,  künstlerischer  Lehrer, 
der  die  Jugend  für  die  Musik  und  damit  für  das  Schöne  und  Reine  begeistert. 
Nur  schwer  trennte  sich  G.  von  solchem  Wirken,  um  dem  alternden  Vater  in 
seiner  Stellung  in  St.  Gallen  als  Stütze  und  Ersatz  zu  dienen.  Als  Chor- 
direktor an  der  St.  Gallenschen  Kathedrale  wirkte  G.  von  1861  an  zehn 
Jahre  lang,  kämpfte  mit  zahllosen  Schwierigkeiten  und  arbeitete  und  opferte 
für  Kunst  und  Gottesdienst  nach  besten  Kräften;  denn  nichts  galt  ihm  höher, 
als  die  Verschmelzung  dieser  Beiden.  G.'s  Werke  für  die  Kirche  sind:  ein 
Requiem,  7  Vocalmessen,  5  Instrumentalmessen,  eine  grosse  Anzahl  Marien- 
lieder voll  süssesten  Andachtshauches,  2  Litaneien,  2  Ave  Maria,  Motetten  u.s.  w. 


Grell.  351 

Mit  Ausnahme  des  Requiem  (Winterthur,  1857)  sind  alle  diese  "Werke  seit 
1862  entstanden.  Liebe  und  Hingabe  für  künstlerisches  Schaffen,  das  frei  und 
still  sich  bethätigen  darf,  Hessen  Gr.  zu  dem  Entschlüsse  gelangen,  seine  Stellung 
in  St.  Gallen  aufzugeben.  Seitdem  lebt  er  in  München  allein  seiner  Kunst, 
und  nun  wurden  in  ihm  auch  Melodien  wach  zur  Belebung  geselliger  Kreise, 
vor  allem  aber  zur  Freude ,  Erhebung  und  Beseligung  der  Jugend.  Dieser 
neuesten  Periode  G.'s  entstammen:  3  Singspiele  (Jung  Rubens,  der  Mutter 
Lied,  der  verzauberte  Frosch),  voll  schöner  Weisen  für  Einzel-  und  Chorvor- 
trag, ferner  Lieder  für  zweistimmigen  Frauenchor,  ausgezeichnet  durch  die 
Wahl  der  Texte  und  hinreissend  durch  den  fröhlich  edlen  Hauch,  der  über 
ihnen  allen  weht  und  mehreres  Andere  dieser  Art.  In  dem  zu  Fr.  Witt's 
»Fliegenden  Blättern  für  katholische  Kirchenmusik«  gehörigen  Vereinscata- 
loge  (Regensburg,  1873)  begegnet  uns  G.  auch  vielfach  als  sachkundiger,  ge- 
diegener und  dabei  wohlwollender  Musikkritiker. 

Grell.  Ein  Ausdruck,  der,  ursprünglich  von  Farben  und  Farbeneffekten 
gebraucht,  auch  auf  Töne  und  tonische  Wirkungen  übertragen  wird.  Wie  er 
dort  diejenigen  Färbungen  bezeichnet,  die  den  Augennerv  stark  afficiren,  so 
werden  hier  diejenigen  Klangfarben  und  Instrumenten  -  Zusammenstellungen 
»grell«  genannt,  die  das  Ohr  heftig  erschüttern.  Solche  Instrumentalfarben 
sind  z.  B.  die  der  Trompete,  der  Posaune,  der  Piccolflöte.  Der  gute  (reschmack 
fordert,  dass  diese  Instrumente  in  Orchestercompositionen  in  nur  massiger  Zahl, 
nicht  zu  lange  hintereinander  und  in  einer  geschickten  Satzweise  verwendet 
werden,  welche  ihre  Kraft  und  Frische  hervortreten  lässt,  ohne  sie  als  harte 
und  unangenehme  geltend  zu  machen.  Demgegenüber  tadelt  man  als  grelle 
Instrumentation  entweder  die  Ueberladung  des  Orchesters  mit  den  ebengenannten 
oder  anderen  Instrumenten  von  starkem  und  schneidenden  Tone,  oder  die  un- 
schöne Setzart,  welche  die  Härte  derselben  nicht  genügend  mildert;  oder  man 
will  mit  diesem  Ausdruck  die  unpassende  Verwendung  scharfklingender  In- 
strumente zum  Vortrage  sanfter  Melodien  bezeichnen.  Fehler  dieser  Art  ent- 
springen theils  aus  einem  Haschen  nach  Effekt,  theils  aus  einer  zu  starken 
Richtung  auf  die  rein  sinnliche  Seite  der  Musik,  bei  Neueren  häufig  auch  aus 
einer  gewissen  Ueberreizung,  die  an  den  massigeren  und  bescheideneren  Klang- 
farben nicht  mehr  Grenüge  finden  lässt.  Aber  hin  und  wieder  ist  auch  das 
Grelle  wohl  am  Platz,  namentlich  in  Text-  und  Programm-Musiken;  in  der 
Oper  z.  B.  haben  die  besten  Meister  mitunter  Veranlassung  genommen ,  Per- 
sönlichkeiten von  bösem,  rohen  oder  wilden  Charakter,  oder  besonders  heftige 
Affekte  durch  grelle  Tonwirkungen  zu  illustriren.  In  der  Militärmusik  ist 
grelle  Instrumentation  nicht  nur  unvermeidlich,  sondern  wird  sogar  gefordert; 
denn  da  diese  Musik  im  Freien  wirken,  und  weithin  gehört  werden  soll,  so 
macht  sie  sehr  starke  Tonmassen  und  die  schärfsten  Klangfarben  nöthig. 

W.  W. 
Grell,  Eduard  August,  einer  der  grössten  Kenner  und  Verehrer  alt- 
kirchlicher Tonkunst,  namentlich  des  Palästrinastyls,  wurde  am  6.  Novbr.  1800 
zu  Berlin  geboren,  wo  sein  Vater  Organist  und  (jlockenist  an  der  Parochial- 
kirche  war.  Das  musikalische  Talent  gab  sich  sehr  frühzeitig  bei  G.  kund,  in 
Folge  dessen  er  schon  vor  seinem  sechsten  Jahre  beim  Organisten  Job.  Karl 
Kaufmann  Ciavierunterricht  einhielt.  Dazu  gesellten  sich  später  Gesang  und 
die  Anfangsgründe  der  Theorie  beim  Bischof  Ritschi,  dem  damaligen  Collabo- 
rator  am  grauen  Kloster-Gymnasium ,  das  G.  behufs  seiner  wissenschaftlichen 
Ausbildung  besuchen  musste.  Schliesslich  übernahm  Zelter  die  vollständige 
tonkünstlerische  Ausbildung  des  strebsamen  und  talentvollen  Knaben.  Auf 
die  angelegentliche  Empfehlung  dieses  Meisters  hin  erhielt  G.  bereits  mit  16 
Jahren  das  Organistenamt  an  der  St.  Nicolaikirche,  als  Nachfolger  Joh.  Gott- 
lieb Lehmann's,  Im  J.  1817  trat  er  in  die  Singakademie,  mit  welchem  In- 
stitute er  schliesslich  auf's  Innigste  verwuchs,  besonders  nachdem  er  1832  zu 
deren  Vicedirigeuten    (neben    Rungenhagen ,    dem    er    eine    zuverlässige    Stütze 


352  Grell. 

wurde)  gewählt  worden  war.     Schon  vorher  zum  königl.  Musikdirektor  ernannt, 
wurde    er  1839    nach  dem   Tode  L.  Hellwig's  auch  als  Hof-Domorganist  ange- 
stellt;  1843  ward  er  zum  Lehrer  des  neu  errichteten  königl.  Domchors  berufen, 
legte    diese   Stelle    aber    1845  wieder  nieder  und  wurde  bei  dieser  Grelegenheit 
mit   dem  Rothen  Adlerorden    ausgezeichnet.    Bereits   1841   war   er  zum  ordent- 
lichen Mitgliede    der    musikalischen  Section    der   königl.  Akademie  der  Künste 
ernannt    worden ;    später  wurde    er  Lehrer    bei  der  Musikschule  derselben  und 
ertheilte    dort    noch    im  J.  1874  Unterricht    in  der  freien  Vocal-    und  Instru- 
meutalcomposition.     Ebenso  war  er  längere   Zeit  hindurch    Lehrer  beim  königl. 
Institute  für  Kirchenmusik.     Im  J.   1852  wurde  er   zum  Mitgliede  des   Senats 
der  Akademie  und  1853,  nach  Rungenhagen's  Tode,  zum  ersten  Direktor  der 
Singakademie    erwählt.     Im  J.  1858    erhielt   er  den  Titel  eines  Professors  der 
Musik     und     18G4,     nach    Mejerbeer's     Ableben,    den     Orden    ^;o«>'   le   merite. 
Hinzugefügt    sei,    dass    alle   diese   Auszeichnungen   nicht   blos   den   wüi'digsten, 
sondern    auch    den    stillsten    und   bescheidensten  Künstler  trafen.     AVas  G.  als 
Lehrer  einer  unabsehbaren  Reihe  ausgezeichneter,  durch  ihn  dem  Ernsten  und 
Höchsten   zugeführter    Schüler,   sowie    als    sorgsamer    Dirigent   für    den    reinen, 
edlen  Chorgesang    gethan,    wird    in  Berlin    unvergesslich  bleiben.     Es  erübrigt 
noch,    einen  Blick  auf  seine  reiche,  ohne  Ostentation  vollzogene  Compositions- 
thätigkeit  zu  werfen,  die  in  der  Kirchenmusik  ihren  Mittelpunkt  fand.     In  den 
etwa  60  "Werken  dieser  Gattung,    bestehend  aus  Motetten,    Cantaten,  Psalmen, 
Hymnen  und  einem  Oratorium  »Die  Israeliten  in  der  Wüste«  interessirt  durch- 
gängig   der    in    der  Neuzeit    selten    gewordene   reine    und    kunstreiche  Satz  in 
Verbindung    mit    einer    nicht    hervorragenden,    aber    gemüthvollen  melodischen 
Erfindung.    Das  mit  Recht  angestaunte  contrapunktische  Meisterwerk  aus  dieser 
Sammlung  ist  jene  sechszehnstimmige  Messe,  welche  im  J.  1861  wiederholt  in 
der  Singakademie  zur  Aufführung  gelangte   und  1874  daselbst  neue  Bewunde- 
rung   erregte.     Mit    ihr    hat    G.    seinem    compositorischeu    "Wirken    ein    in    die 
späteste  Nachwelt  hinausragendes  Denkmal  gesetzt.     Seine  übrigen  Compositio- 
nen  sind  zahlreiche  Lieder  für  Männerstimmen   (für  die  Zelter'sche  Liedertafel 
geschrieben)    und    für  gemischten  Chor,    sowie  ein-  und  zweistimmige  Gesänge 
mit  Pianofortebegleitung;    von    den    letzteren    ist    das  Duettino    »Lorbeer    und 
Rose«  op.  6   in   ganz  Deutschland   beliebt   gewesen.     Der  reinen  Instrumental- 
musik abhold,    ist  es  erklärlich,    dass  G.  ausser  einer  Ouvertüre  für  Orchester 
(1824  aufgeführt)  und  Orgelpräludien   nichts    für  Instrumente  geschrieben  hat. 
An   Bearbeitungen    vex'öffentlichte    er    die  »Choralmelodien    sämmtlicher   Lieder 
des  Gesangbuches   zum   gottesdienstlichen  Gebrauche  für   evangelische  Gemein- 
den« (Berlin,   1833),    welche  für  die  Ausführung  durch  Militär-,  TJniversitäts-, 
Seminar-,    überhaupt  Männer-Chöre  bestimmt  sind.    —    G.'s  Oheim,    Otto   G., 
war  ein  vielseitig  gebildeter  Sänger  und  lange  Zeit  hindurch  zugleich  ausüben- 
der Künstler.     Geboren    1773    zu  Berlin,    war   er    seit    1794  Solist  der  Sing- 
akademie   und    sang    1804    auch  Parthien    in    der  Berliner    italienischen   Oper. 
Im  J.  1808  wurde  er  als  Kammersänger  des  Fürsten  Esterhazy  zu  Eisenstadt 
angestellt  und  trat  auch  mehrere  Male  auf  der  Opernbühne  zu  "Wien  auf.    Aber 
schon    1810    kehrte    er    nach  Berlin    zurück,    sang    den  Belmonte    in  Mozart's 
»Entführung«,  den  Cinna  in  Spontini's  »Vestalin«  und  andere  Rollen  auf  dem 
königl.   Theater,  beschränkte  jedoch   später  seine  Gesangthätigkeit  auf  die  Sing- 
akademie, die  Zelter'sche  Liedertafel  und  auf  Concerte.     Nach   seinem  Rücktritt 
von    der   Bühne   war   er    als  Geheimer   Hauptbank- Secretair   angestellt   worden 
und  starb  als  solcher  am  17.  Juni  1831  zu  Berlin. 

firell,  Joseph,  ein  Tonkünstler  und  höherer  Hausbeamter  des  Grafen 
Potocki,  machte  1795  durch  den  Hamburger  Correspondenten  eine  Erfindung 
bekannt,  durch  die  in  kürzester  Zeit  Tonwerkzeuge  der  verschiedensten  Art  so 
vervollkommnet  werden  sollten,  dass  dieselben  die  besten  ihres  Gleichen  über- 
böten. Ein  Weiteres  ist  jedoch  über  diese  seltsame  Erfindung  nicht  bekannt 
geworden.     Vgl.  Gerber's  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812.  —  Ein  anderer  G., 


6ren  —  Grenser.  353 

Joseph  Ephraim  mit  Vornamen,  geboren  1771  zu  Berlin  und  gestorben 
1821  ebendaselbst  als  Prediger  an  der  Marienkirche,  gab  zum  Reformations- 
jubiläum »Dr.  Martin  Luther's  geistliche  Lieder  nebst  dessen  Gedanken  über 
Musik,  von  neuem  gesammelt«  (Berlin,  1817)  heraus.  t 

Gren,  Jonas,  bex'ühmter  schwedischer  Orgelbauer,  der  1715  zu  Stiern- 
sund  geboren  war,  1733  seine  Kunst  bei  Dan.  Strähle  erlernte  und  von  1748 
bis  zu  seinem  1765  im  März  erfolgten  Tode  zu  Stockholm  selbstständig  wirkte. 
Er  soll  nach  Hülpher  in  Gemeinschaft  mit  Strähle  viele  bedeutende  Werke  in 
Schweden  gebaut  haben.  t 

Grenerin,  Henri,  französischer  Theorbenvirtu^ose  und  Musiklehrer  aus  der 
letzten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  veröffentlichte  in  Paris  ein  Werk  itLivre 
de  theorlea,  welches  dem  Marschall   Sully  zugeeignet  ist. 

Grenet,  französischer  Balletcomponist,  war  Concertdirektor  zu  Lyon  und 
starb  1761  zu  Paris.  Von  seinen  Werken  kam  1739  »ie  triomphe  de  Vhar- 
moniea  und  1759  »Apollon,  herger  d'Admetea  in  der  Grossen  Oper  zu  Paris  zur 
Aufführung.  —  Ein  französischer  Musikliebhaber  dieses  Namens,  Claude  de 
G.,  geboren  1771,  studirte  die  Musik  besonders  bei  Kuhrt  in  Dresden  und 
veröffentlichte  in  Paris  Concerte,  Sonaten  und  andere  Instrumentalwerke  seiner 
Composition. 

Grenie,  Gabriel  Joseph,  französischer  Musikliebhaber  und  Freund  mecha- 
nischer Beschäftigungen,  geboren  1756  zu  Bordeaux,  gestorben  1837  zu  Paris, 
ist  Erfinder  des  allgemein  beliebt  gewordenen  Orgue  expressif,  über  welches 
Instrument  er  1829  im  Pariser  Journal  des  debats  eine  Reihe  von  Artikeln 
veröffentlichte. 

Grenier,  Name  mehrerer  französischer  Tonkünstler.  Der  eine  derselben 
brachte  1767  zu  Paris  einen  Akt  der  Oper  Theonis  zu  Gehör  und  1773  die 
Musik  zu  BelleropJion.  —  Ein  Anderer,  Oboevirtuose,  führte  im  Concert  spirituel 
zu  Paris  1787  eine  Sinfonie  concertante  für  zwei  Oboen  von  seiner  Composition 
auf,  welche  sich  Beifall  erwarb.  —  Am  bekanntesten  ist  der  Harfenist  und 
Componist  Gabriel  G.,  der  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  als  Cembalist  der 
Oper  zu  Paris  angestellt  war  und  1792  und  später  verschiedene  Werke  für 
Dilettanten  herausgab;  bekannter  von  diesen  sind:  y>B,ecueil  de  VI  romances 
p.  le  Pfte.,  op.  2«  (Paris,  1793)  und  y)Premier  recueil  de  divertiss.  p.  Sarpe  et 
Viol.  ohl.  op.  7«  (ebendas.,  1794),  sowie  einige  Sonaten  für  Harfe.  f 

Grenser,  eine  Familie  von  Instrumentenbauern  und  Tonkünstlern,  deren 
Namensschreibweise  früher  Gränsser  gewesen  ist.  Der  älteste  derselben,  Karl 
Augustin  G.,  Sohn  eines  Landmannes  zu  Wiehe  in  Thüringen,  wurde  am 
11.  Novbr.  1720  geboren,  erlernte  die  Blasinstrumentenfabrikation  seit  1733  bei 
dem  Instrumentbauer  Pörschmann  zu  Leipzig,  ging  1739  nach  Dresden  und 
gründete  daselbst  1744  eine  eigene  Fabrik  für  diesen  Kunstzweig.  Seine  Ton- 
werkzeuge, besonders  die  Flöten,  welche  mit  drei  bis  sieben  Mittelstücken  und 
einer  bis  vier  Klappen  gefertigt  wurden,  galten  lange  für  die  besten  damaliger 
Zeit  und  verschafften  G.  den  Titel  eines  kursächsischen  Hofinstrumentbauers. 
Zu  dieser  vorzüglichen  Bauweise  der  Instrumente  befähigte  G.  besonders  seine 
musikalische  Bildung,  indem  er  selbst  auch  die  Flöte  wie  die  Clarinette  treff- 
lich blies.  Obgleich  G.  noch  bis  zum  4.  Mai  1807  lebte,  trat  er  seine  Fabrik 
schon  1796  seinem  Schüler,  Neffen  und  Schwiegersohn,  Heinrich  G.,  dem 
Sohn  seines  jüngeren  Bruders  Johann  Friedrich  G.  (geboren  1726,  gestorben 
1780,  über  dessen  Leben  und  musikalisches  Wirken  nichts  weiter  bekannt  ist), 
ab.  —  Dieser  Neffe  Augustin  G.'s,  Johann  Heinrich  Wilhelm  G.,  geboren 
am  5.  März  1764  zu  Lipprechtsroda  in  Thüringen  und  gestorben  am  12.  Decbr. 
1813  zu  Dresden,  lernte  von  1779  bis  1786  die  Instrumentbaukunst  bei  seinem 
Oheim  und  mehrte  nach  Uebernahme  des  Geschäfts  den  grossen  Buf  der  Firma 
noch  durch  mancherlei  Erfindungen,  besonders  durch  die  des  »Clarinettbasses«, 
nicht  zu  verwechseln  mit  der  Bassclarinette  (s.  d.).  Dies  Instrument,  von 
G.  1793  erfunden,  fand,  trotzdem  es  in  erster  Zeit  Aufsehen   erregte,  nie  eine 

Musihal.  Convers. -Lexikon.    IV,  23 


354  Gienzbacli  —  Gresham. 

weitere  Anerkenming,  obgleich  dessen  Tonreich,  bis  zum  II  reichend,  einer 
leichten  Behaudlungsweise  und  eines  schönen  Klanges  sich  erfreut  haben  soll. 
Mehr  über  dasselbe  berichtet  Gerber's  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812.  — 
Sein  Sohn  Heinrich  Otto  Gr.,  geboren  am  14.  Febr.  1808  erbte  das  väter- 
liche Greschäft,  verkaufte  es  jedoch  sehr  bald  anderweitig.  —  Der  Gründer  der 
Fabrik,  Augustin  Gr.,  hatte  zwei  Söhne.  Der  älteste  derselben,  Karl  Augstin 
Gr.,  geboren  am  2.  Mai  1756  zu  Dresden  und  ebendaselbst  am  8.  Jan.  1814 
gestorben,  hatte  sich  als  Instrumentbauer  besonders  etablirt,  doch  ist  über  seine 
Thätigkeit  nichts  Hervorragendes  bekannt  geworden.  Sein  jüngerer  Bruder, 
Johann  Friedrich  G.,  1758  zu  Dresden  geboren  und  am  17.  März  1794  zu 
Stockholm  als  königl.  schwedischer  Kammermusiker  gestorben,  war  ein  guter 
Oboebläser,  in  Folge  dessen  er  1780  die  Stellung,  in  welcher  er  starb,  erhielt. 
Auch  als  Oomponist  war  dieser  G.  nicht  ungeschickt,  wofür  sechs  Flötentrios 
von  ihm,  1779  bei  Hummel  in  Berlin  erschienen,  Zeugniss  ablegen.  Ausser- 
dem sind  noch  mehrere  achtenswerthe  Compositioncn  im  Manuscript  erhalten  ge- 
blieben, von  denen  ein  Fagottconcert  und  einige  Sinfonien  bekannter  geworden 
sind.  Noch  sind  drei  Söhne  des  jüngeren  Instrumentbauers  Karl  Augustin  G. 
zu  nennen.  Der  älteste  derselben  Karl  August  G.,  das  berühmteste  Glied 
der  ganzen  Familie,  wurde  am  14.  Decbr.  1794  zu  Dresden  geboren  und  starb 
am  26.  Mai  1864  zu  Leipzig.  Er  zeigte  frühzeitig  Talent  zur  Musik  und 
wurde  als  Wunderkind  bekannt,  indem  er  schon  im  6.  Lebensjahre  mit  seinem 
Vater  Duette  auf  der  Flöte  a,  bec  öffentlich  vortrug.  Bald  aber  vertauschte 
er  dies  Instrument  mit  der  Querflöte,  auf  der  ihn  der  herzogl.  kurländische 
Hofmusiker  Knoll  unterrichtete.  Neun  Jahre  alt  trat  er  mit  diesem  Instru- 
mente schon  in  Concerten  auf  und  erfreute  sich  grossen  Beifalls.  Von  1806 
bis  1808  gab  er  während  der  Badezeit  Concerte  zu  Teplitz,  und  war  von  1810 
bis  1813  Mitglied  des  Orchesters  des  Dresdner  Stadtmusikers  Krebs,  in  wel- 
chem er  die  musikalische  Literatur  in  ihren  Meisterwerken  kennen  lernte  und 
noch  Unterricht  beim  damaligen  königl.  sächsischen  Jagdhautboisten  Steudel 
nahm,  ebenso  Violine  und  Cello  zu  spielen  erlernte.  Endlich,  1814,  folgte  er 
einem  Hufe  nach  Leipzig,  wo  er  als  erster  Flötist  des  Concert-  und  Theater- 
orchestei's  eine  seiner  Neigung  entsprechende  Stellung  fand.  Im  J.  1843  wurde 
er  als  Inspector  und  Lehrer  des  Leipziger  Conservatoriums  angestellt  und  bildete 
als  solcher  viele  Schüler  auf  seinem  Hauptinstrumente  trefHich  aus.  G.  war 
auch  wissenschaftlich  sehr  gebildet.  Er  war  fast  aller  europäischer  Sprachen 
mächtig  und  hat,  die  Flöte  betreffend,  der  Leipziger  musikalischen  Zeitung 
(Jahi-g.  1824  und  1828)  mehrere  Aufsätze  geliefert,  ebenso  den  Artikel  »Flöte« 
im  »Hauslexikon«,  das  1835  bei  Breitkopf  und  Härtel  erschien,  geschrieben. 
Von  Compositioncn  von  ihm  ist  nur  sein  op.  1  bekannt:  Trois  (jrands  Duos 
■pour  deux  Flutes.  Sein  jüngerer  Bruder,  Friedrich  August  G.,  geboren  zu 
Dresden  am  6.  Juli  1799,  gestorben  zu  Leipzig  am  10.  Decbr.  1861,  dessen 
Hauptinstrument  ebenfalls  die  Flöte  war,  war  als  Violinist  und  Pauker  des 
Leipziger  Oi'chesters  bis  zu  seinem  Tode  angestellt,  und  der  jüngste  dieser 
drei  Brüder,  Friedrich  Wilhelm  G.,  geboren  zu  Dresden  am  5.  Nov.  1805, 
gestorben  zu  Leipzig  am  5.  Januar  1859,  wirkte  in  den  Jahren  von  1827  bis 
1856  als  Cellist  in  demselben  Orchester.  Seine  gesellschaftlichen  Talente  be- 
sonders haben  ihm  ein  fi'eundliches  Andenken  verschafft.  t 

Orenzhach,  Ernst,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  im  J.  1812  und  als 
Musiklehrer  und  Dirigent  in  Kassel  thätig,  componirte  ein-  und  mehrstimmige 
Lieder,  sowie  eine   Oper,  betitelt:  »Eine  Nacht  in   Smyrna«. 

Gresemnnd,  Theodor,  deutscher  Gelehrter,  geboren  zu  Speier  und  ge- 
storben 1512  als  Generalrichter  des  Erzstiftes  Mainz,  hat  unter  vielen  anderen 
Schriften  auch  einen  die  Musik  mit  betreffenden  »i'mZo^ws  iii  Septem  artium  liberal. 
Jefensionema  (Mainz,  1494)  herausgegeben.  t 

(xreshani,  Sir  Thomas,  der  Gründer  der  Londoner  Börse,  geboren  1519 
zu   London    und    gestorben    am    21.  Novbr.   1579  als    »königl.  Kaufmann«  und 


Gresham'sclies  CoUegium  —  Gressler.  355 

ßitter  ebendaselbst,  hat  sich  durch  Stiftung  eines  wissenschaftlichen  Collegiums, 
dessen  Einrichtung  in  der  Schritt:  -»The  Life  of  the  Professors  of  Gresham- 
Gollege  etc.«.  genauer  beschrieben  ist,  auch  um  die  höhere  Tonkunst  verdient 
gemacht.  Denn  unter  den  sieben  aus  den  Einkünften  des  Börsengebäudes  be- 
soldeten Professoren  der  Anstalt  befand  sich  auch  einer  der  Musik,  der  wöchent- 
lich je  zwei  Stunden  Theorie,  Gesang-  und  Instrumentkunde  zu  lehren  ver- 
pflichtet war.  Der  erste  derselben  war  John  Bull,  nachdem  er  zu  Oxford  die 
musikalische  Doctorwürde  erhalten  hatte;  derselbe  trat  1597  diese  Stellung  an. 
Unter  oft  ausgezeichneten  Lehrern  und  durch  eine  Parlamentsakte  1768  neu 
organisirt,  besteht  dieses  Institut  noch  heutigen  Tages.  f 

Greshaui'sches  Colleg-iuiü,  s.  den  vorigen  Artikel. 

Oresnick,  Antoine  Frederic,  ein  in  Frankreich  und  England  ehedem 
beliebter  Operncomponist,  geboren  1752  zu  Lüttich,  machte  noch  sehr  jung 
seine  Musikstudien  im  Lütticher  Collegium  zu  Rom  und  vollendete  dieselben 
bei  Sala  in  Neapel.  In  der  Theaterliste  letzterer  Stadt  vom  J.  1780  findet 
er  sich  bereits  als  Operncomponist  verzeichnet,  doch  ist  von  seinen  damaligen 
"Werken  nichts  mehr  vorhanden.  Man  weiss  nur,  dass  er  bald  nach  diesem 
Jahre  in  London  und  1784  wieder  in  Italien  war,  wo  er  in  Sargono  seine 
komische  Oper  »JZ  Francese  hizarron  aufführte.  Ein  Jahr  später  abermals  in 
London,  schrieb  er  daselbst  mit  günstigstem  Erfolge  die  Opern  -nDemetrioa, 
y>Älessandro  nelV  Indien.,  y>La  donna  di  cattivo  umorea  und  1786  für  die  Mara 
»Alceste«,  worauf  er  zum  Musikdirektor  des  Prinzen  von  "Wales  ernannt  wurde. 
Im  J.  1791  besuchte  er  Paris,  von  wo  aus  man  ihn  als  Oi"chesterchef  des 
grossen  Theaters  nach  Lyon  berief.  Seine  1793  dort  zuerst  aufgeführte  Oper 
y>L'amour  exiU  de  Cytherev.  machte  die  Runde  über  die  französischen  Bühnen 
und  führte  ihn  nach  Paris  zurück,  wo  er  von  1795  bis  1799  nicht  weniger 
als  16  Opern  componirte,  von  denen  ri^ponine  et  Sabinusa,  »Z«  foret  de  Sicilev, 
i)Les  faux  mendiants«,  nL'heureiciv  procesa,  y>Rencontres  sur  reneontres<s.  und  »ie 
revea  die  namhaftesten  sind.  Er  starb  schon  am  16.  Oktbr.  1799  zu  Paris, 
aus  Kummer,  wie  man  sagt,  weil  seine  Oper  y>Leonidas  ou  les  Spartiatesa  durch- 
fiel und  eine  andere  »ie  foret  de  JSrahmaa  nicht  aufgeführt  wurde.  —  Seine 
Schreibweise  war  eine  einschmeichelnd  gefällige,  in  der  Harmonie  aber  sehr 
oberflächliche.  Ausser  Opern  schrieb  er  auch  kleinere  Gresang-  und  Instru- 
mentalstücke von  keinerlei  weiteren  Bedeutung. 

Gresset,  Jean  Baptiste  Louis  de,  einer  der  anmuthigsten  und  liebens- 
würdigsten französischen  Dichter,  geboren  1709  zu  Amiens  und  als  Director 
der  Akademie  und  Historiograph  ebendaselbst  am  16.  Juni  1777  gestorben, 
verfasste  u.  A.  einen  nJDiscours  de  r harmonier  (Paris,  1737),  der  Aufsehen 
machte  und  in  Folge  dessen  auch  zu  Amsterdam  und  Berlin  erschien. 

Gressler,  Friedrich  Salomon,  ein  gefällig  schreibender  deutscher  Com- 
ponist,  war  um  1780  Organist  zu  Triptis  bei  Meissen  und  seit  etwa  1791 
Cantor,  Organist  und  Lehrer  zu  Sülza  in  Thüringen.  Die  leichtere  Musik- 
literatur kennt  von  ihm:  Sechs  Sonaten  für  Ciavier  (Leipzig,  1781),  Ciavier- 
stücke und  Sonaten  (Leipzig,  1787),  Sonate  per  Varpa,  Gresänge  edler  deutscher 
Patrioten,  in  Hinsicht  auf  Frankreichs  Revolution,  mit  Ciavierbegleitung  (1793) 
und  sechs  Lieder  beim  Ciavier  (Camburg,  1802).  —  Bedeutender  in  derselben 
Compositionsrichtung  ist  sein  Sohn  Franz  Albert  Gr.,  geboren  am  14.  Decbr. 
1804  zu  Suiza.  Derselbe  erhielt  seinen  musikalischen  Unterricht  seit  1810  in 
dem  gräfl.  "Werthern'schen  Institute  zu  Schlossbeichingen,  wohin  sein  Vater 
versetzt  worden  war  und  von  1822  an  aiif  dem  neu  errichteten  Seminare  zu 
Erfurt,  in  welchem  Männer  wie  M.  G-.  Fischer  (Orgel),  L.  E.  Gebhardi  (Theorie) 
und  J.  J.  Müller  (Pianoforte)  unterrichteten.  Nach  absolvirtem  Seminarcursus 
wurde  er  1826  Hauslehrer  bei  einer  Familie  auf  Schloss  Ellen  und  1827  Lehrer 
an  einer  städtischen,  1833  an  der  Ober-Töchterschule  zu  Erfurt.  Durch  Com- 
position  und  Veröffentlichung  von  instructiven  Ciavier-  und  Orgelstücken,  sowie 
von  einfachen  Liedern  ist  er  in  seiner  Zeit  allgemein  bekannt  geworden. 

23* 


356  Gretry. 

Gr^try,  Andre  Ernest  Modeste,  einer  der  berühmtesten  und  populär- 
sten  Componisten    der    komischen    und    lyrischen   Oper,    dessen  natürliche   und 
doch  ideale  musikalische  Ausdrucksweise  unübertroffen  geblieben  ist,  wurde  am 
11.  Febr.  1741  zu  Lüttich  geboren,  wo  sein  Vater  Violinist  war.     Seine  erste 
musikalische  Erziehung  erhielt  das  sehr  schwächliche  Kind  in  der  Maitrise  des 
Collegialstifts    St.  Denis    zu   Lüttich,    an   welcher  Kirche   sein  Vater   zeitweise 
als  Vorgeiger  fungirte.    Von  seinen  frühesten  Lehrern  sind  Leclerc,  der  spätere 
Musikmeister  am  Strassburger  Münster,    und  der  Organist  Kanekin  die  einzig 
bemerkenswerthen.      Seltsame  autodidaktische  Compositionsversuche  aber  zeigten, 
wie    mächtig  G.'s  Talent    rang,    sich  Bahn  zu  brechen,    und  die  Vorstellungen 
einer    italienischen  Gesellschaft,    durch    die  G.  Opern    von  Pergolese,    Galuppi 
u.  s.  w.    kennen    lernte,    boten    ihm    eine  Anregung,    die   man  für  sein  ganzes 
Leben  entscheidend  nennen  kann.     Um  die  Mittel  zu   einem  Studienaufenthalt 
in  Italien  zu  gewinnen,  componirte  er   1759  so  gut  es  anging,  eine  Messe,  die 
er    dem  Domcapitel    seiner  Vaterstadt  widmete,    welches    sich  darauf   hin  auch 
wirklich  veranlasst    sah,    ihn    in    das  Lütticher  CoUegium  zu  Rom  zu  bringen, 
wo    er   sich   fast   fünf  Jahre  hindurch  eifrigen  Musikstudien  bei  Casali  hingab, 
ohne  jedoch,    wie  er  selbst  naiver  Weise  zugesteht,    in    der  Harmonie  und  im 
Contrapunkt    es    sonderlich  weit    zu   bringen.     Er  hatte  in  Rom  bereits  einige 
Sinfoniesätze  und  italienische   Scenen  componirt,  als  er  von  den  Unternehmern 
des  Theaters  Alberti  beauftragt  wurde,  das  Intermezzo  y>Le  vendejniatricea  (die 
"Winzerinnen)  in  Musik  zu  setzen.    Der  enorme  Beifall,  den  dasselbe  fand,  ver- 
anlasste   ihn,    seine   Studien  noch  einige  Jahre  in  Rom  fortzusetzen.     Endlich, 
im  J.  1766,  fasste  er,  begeistert  von  der  Partitur  zu  y>Bose  et  Colasa  von  Mon- 
signy,    die    ihm    ein    französischer    Gesandtschaf tssecretair    geliehen    hatte,    den 
Entschluss,  nach  Paris  zu  gehen,  und  er  brach  am   1.  Jan.  1767  von  Rom  auf, 
verweilte   jedoch    längere  Zeit    in   Genf,    um    durch  Unterrichtgeben  die  Mittel 
zu  gewinnen,    in   der  französischen  Hauptstadt  anständig  aufzutreten,    was  ihm 
auch  gelang.     Dort    machte    er    auch  die  Bekanntschaft  Voltaire's ,    componirte 
Eavart's   Operntext    zu    y>Isahelle  et  Gertruden    und    erntete  bei  Aufführung  des 
Werkes  reichen  Beifall.     In  Paris    hatte   G.  zwei  Jahre   lang  mit  den  grössten 
Schwierigkeiten    zu    kämpfen.     Kaum,    dass    er    von    einem    ganz    unbekannten 
Dichter  einen   Text,  »Xes  mariacjes  Samnitesvi  erhalten  konnte,  den  er  in  Musik 
setzte,  aber  nur  um   das  Werk,  welches  keine  Bühne  annehmen  wollte,  in  einer 
Concertaufführung    beim  Prinzen  von   Conti    kalt    aufgenommen    zu   sehen.     In 
seiner  Gemüthsverstimmung  nahm  sich   der  schwedische  Gesandte,   Graf  Creutz, 
wohlwollend    seiner    an    und  verschaffte    ihm  von    keinem   Geringeren    als  Mar- 
montel    das  Textbuch    zu    der  Oper    y>Le  Huron<i,    deren  Partitur  G.    in    noch 
nicht    sechs  Wochen    herstellte    und    die  bei  ihrer  duixh   Graf  Creutz  und  den 
berühmten    Opernsänger    Cailleau    betriebenen    Aufführung,    im    August    1769, 
eine  enthusiastische  Aufnahme  fand,  welche  sich  nach  der  bald  darauf  erscheinen- 
den Tf>Lucile<i    (worin    das  weltbekannte  Quartett    »O«  peut-on  etre  mieux  qu'au 
sein  de  sa  famillea)  und  nach  »ie  tahleau  lyarlantv^  bis  zum  Unerhörten  steigerte. 
G.'s  Ruhm  unter  den  französischen  Operncomponisten  war  damit  fest  begründet, 
denn  Publikum  wie  Kritik  verherrlichten  ihn,    die  alten  Anhänger  Lulli's  und 
Rameau's    und   die  Parteigänger  Piccini's    fanden  in  seiner  Musik  Aehnlichkeit 
und  geistige  Verwandtschaft  mit  der  ihrer  Ideale,  und  die  früher  unzugänglich 
gebliebenen  Dichter    drängten    sich    an    ihn;    selbst  Voltaire  schickte  ihm  zwei 
Stücke  zur  Composition.     Von   1770  bis   1775  lieferte  er  die  Opern:  y>Sylvainv., 
»Les  deux  avares«,  »L^amitie  ä  repreuvea,  nZemire  et  Azor«,  »L^ami  de  la  maisonn, 
■t>Le  Magnifiquea^  »Xo  rosiere  de  Salencijfn  und  »io  faasse  magie«,  die  mehr  oder 
weniger    alle    reich    an    den    reizvollsten   Nummern    sind.     Nur    für    die   ernste 
Oper  gebrach   es  ihm  an  durchgi-eif enden  Musikfarben,  und  seine  Versuche  auf 
diesem  Gebiete:   y>Cephale  et  Procrisv^  (1775),  y>Androinaquev.  (1780),   y^Aspasiea 
und  nDenis  le  tyrana  hatten  trotz  herrlicher  Einzelheiten  keinen  Erfolg.     Von 
den    übrigen ,    bis    180.3    geBchriebenen    Opern ,    welche    die    Begeisterung    des 


Gretsch  —  Greulich.  357 

Publikums  rege  erhielten,  seien  als  die  vorzüglictsten  noch  genannt:  »Z«  cara- 
vane  du  Cdire(s.,  y>Panurge<s.,  y>Änacreon  chez  Polycratev.  und  vor  Allen  y>Itaoul, 
harhe-bleue«.  und  y>Bic}iard,  Coeur  de  Uon«  mit  Texten  von  Sedaine.  Die  durch 
Mehul  und  Cherubini  heraufgeführte  neue  Opernrichtung  veranlasste  G.,  es  mit 
diesen  nervigeren  Talenten  aufnehmen  zu  wollen  und  der  Opernbühne  die 
Partituren  zu  y>Pierre  le  grandv.,  -DLishetliv.,  y>Gidllaume  Telh  und  r>Misa<i.  zuzu- 
führen, allein  er  vermochte  damit  seine  Rivalen  nicht  zu  besiegen  und  sah 
selbst  seinen  früheren  Euhm  den  Zeitbestrebungen  gegenüber  dahinwelken,  als 
es  plötzlich  der  Sänger  Elleviou  mit  wunderbarem  Erfolge  unternahm,  G.  in 
seinen  kostbaren  Schöpfungen  ytliichard,  Coeur  de  liona,  »Le  tahleau  parlant«, 
y>L^ami  de  la  maisona  und  »Zemire  et  Äzora  wieder  zum  Liebling  des  Tages 
zn  machen,  der  G.  denn  auch  bis  zu  seinem  Tode  blieb.  Die  Revolution  hatte 
ihn  zwar  seines  Yermögens  und  dreier  blühender  Töchter  beraubt,  Regierung 
aber  wie  Publikum  suchten  ihn  vielmöglich  zu  entschädigen.  Er  wurde  Mit- 
glied der  französischen  Akademie,  Professor  und  Mitdirektor  des  Pariser  Con- 
servatoriums ,  Ritter  der  Ehrenlegion  und  auch  seinen  letzten  schwächeren 
Compositionen  fehlte  nicht  der  Beifall  der  Pietät.  G.  hat  die  Declamation 
zum  Muster  des  musikalischen  Ausdrucks  genommen  und  vornehmlich  nach 
"Wahrheit  der  Sprache  und  gefälligem  Gesang  mit  Glück  gestrebt.  In  diesem 
Bestreben  erreichte  er  allerdings  weder  Gluck  an  Tiefe,  noch  Mozart  an  Fülle, 
doch  die  treffende  musikalische  Charakteristik  seiner  Personen  und  seine  an- 
muthige,  gemüthvolle  und  fliessende  Melodik  werden  ihn  immer  als  bedeutenden 
Tondichter  hinstellen.  Von  seinen  50  Opernpartituren  wurden  die  ersten  34 
(bis  »Guillaume  Telh)  in  Kupfer  gestochen.  Auch  als  Schriftsteller  ist  er  be- 
kannt durch  die  »Memoires  ou  essai  sur  la  mustqucK  (4  Bde.,  Paris,  1789; 
2.  Aufl.  in  3  Bdn.  1797;  3.  Aufl.  1812;  neue  Ausg.,  Brüssel,  1829;  deutsch: 
»Gretry's  Versuche  über  die  Musik«,  von  Karl  Spazier,  Leipzig,  1800);  ferner 
durch  das  politisch  -  sociale  "Werk  »iß  verite  etc.a  (Paris,  1801);  durch  die 
Schrift  »Methode  simple  pour  apprendre  ä  preluder  etc.a  (Paris,  1802)  und  end- 
lich durch  die  in  seinen  letzten  Jahren  gearbeiteten  »Reßeocions  d^un  solitaire«, 
die  zwar  angekündigt,  aber  nicht  erschienen  sind.  G.  starb  am  24.  Septbr. 
1813  zu  Ermenonville  in  J.  J.  Rousseau's  Eremitage,  die  er  käuflich  an  sich 
gebracht  hatte.  Erst  nach  einem  langwierigen  Prozesse  erlangte  1828  seine 
Vaterstadt  Lüttich  das  Recht,  G.'s  Herz  in  das  ihm  errichtete  Denkmal  auf- 
zunehmen. Eine  bronzene  Statue  wurde  ihm  im  Sommer  1842  auf  dem  Platze 
vor  der  Universität  zu  Lüttich  errichtet.  — -  Von  den  drei  Töchtern  G.'s  zeich- 
nete sich  die  zweite,  Lucile  G.,  geboren  um  1770  zu  Paris,  durch  ein  früh- 
reifes Musiktalent,  welches  ihr  Vater  selbst  sorgfältig  ausbildete,  besonders  aus. 
Dreizehn  Jahr  alt,  schrieb  sie  schon  die  Operette  »Le  mariage  d'Antoine,  welche 
sehr  beifällig  1786  in  der  Comedie  italienne  aufgeführt  wurde.  Ein  Jahr  später 
folgte  von  ihr  »Toinette  et  Louis«,  welche  Oper  aber  weniger  gefiel.  Um  diese 
Zeit  trat  sie  in  eine  nicht  glückliche  Ehe  und  starb  schon  im  J.  1794  in  der 
Blüthe  ihres  Lebens, 

Gretsch,  ausgezeichneter  deutscher  Violoncellist,  war  um  1770  in  der  Ka- 
pelle des  Fürsten  von  Thurn  und  Taxis  zu  Regensburg  angestellt  und  starb 
im  J.  1784.  Er  soll  auch  in  der  Composition  die  gründlichsten  Kenntnisse 
besessen  haben  und  hinterliess  ausser  wenigem  Gedruckten  drei  Violoncellcon- 
certe  und  acht  Solos  in  Mauuscript.  t 

Gretschmar,  Johann,    s.  Kretschmar. 

Greulich,  Adolph,  deutscher  Pianist  und  Claviercomponist,  geboren  1819 
zu  Posen,  zeigte  frühzeitig  ein  reges,  selbstständiges  musikalisches  Streben. 
Bis  zum  17.  Jahre  sich  selbst  überlassen,  übte  er  sich  autodidaktisch  auf  dem 
Pianoforte  und  fand  dann  erst  in  dem  Cantor  W.  Fischer  in  Brieg  einen  guten 
Musiklehrer.  In  Breslau  begann  er  bald  darauf  theoretische  Studien,  musste 
dieselben  aber,  weil  er  das  Stundengeld  nicht  erschwingen  konnte,  wieder  auf- 
geben.    Nach    bitteren    Lebensschicksalen    erhielt    er    endlich    die    Stelle    eines 


358  Greulich  —  Griebcl. 

Erziehers  in  einem  adligen  Hause  zu  Warschau,  Die  Bekanntschaft,  die  er 
dort  mit  einigen  Schülern  Chopin's  machte,  regte  ihn  zu  erneuten  Studien  und 
Compositionsversuclien  mächtig  an,  und  er  hegah  sich  endlich  auf  längere  Zeit 
nach  Weimar,  wo  er  in  Fr.  Liszt  einen  wohlwollenden  Gönner  und  Berather 
fand.  Im  J.  1858  kam  er  als  Musiklehrer  nach  Schitomir  in  Südrussland, 
von  wo  aus  er  als  Professor  des  Clavierspiels  an  das  Katharinen-Institut  nach 
Moskau  berufen  wurde,  in  welcher  Stellung  er  1868  starb.  Seine  Compositionen 
sollen  von  grosser  Befähigung  Zeugniss  ablegen. 

Greulich,  Karl  Wilhelm,  vortrefflicher  deutscher  Pianist  und  Musik- 
lehrer, geboren  am  13.  Febr.  1796  zu  Kuntzendorf  unterm  Walde  bei  Löwen- 
berg in  Schlesien,  wo  sein  Vater  Cantor  und  Organist  war  und  den  Sohn  seit 
dessen  fünftem  Jahre  im  Ciavier-,  später  auch  im  Orgelspiel  unterrichtete.  Im 
J.  1808  'kam  G-. ,  von  seinem  Vater  zum  Theologen  bestimmt,  auf  das  Gym- 
nasium zu  Hirschberg,  wo  er  vom  Organisten  Kahl  mit  ausserordentlichem 
Erfolge  weiter  in  der  Musik  unterrichtet  wurde  und  nun  diese  zum  Lebens- 
berufe wählte.  Zu  diesem  Zwecke  ging  er  1812  behufs  höherer  Ausbildung 
nach  Liegnitz,  und,  da  er  dort  sich  nicht  befriedigt  fand,  1816  nach  Berlin, 
wo  ihn  B.  Romberg,  B.  A.  Weber  und  L.  Berger,  die  sein  Talent  und  seinen 
Feuereifer  zu  schätzen  wussten,  mit  Rath  und  That  iinterstützten ,  Letzterer 
sogar  ihm  uneigennützig  Unterricht  im  Ciavierspiel  und  in  der  Composition 
ertheilte,  so  dass  er  bald  zu  den  fertigsten  Ciaviervirtuosen  Berlins  zählte. 
Rastlos  bildete  er  sich  an  Meistern  des  Pianofortespiels,  welche  Berlin  besuch- 
ten und  deren  pei'sönliche  Bekanntschaft  er  zu  machen  sich  angelegen  sein  Hess, 
weiter  und  ertheilte  selbst  einen  von  weit  und  breit  her  in  Anspruch  genom- 
menen Musikunterricht,  ebenso  wie  seine  Compositionen  die  beifälligste  Auf- 
nahme fanden.  Aufgemuntert  durch  die  glänzende  Anerkennung  seiner  Leistun- 
gen vollendete  er  1828  eine  grosse  Pianoforteschule  in  vier  Abtheilungen 
(Berlin,  1828),  die  von  Gleichmann  in  der  »Cäcilia«  Bd.  14  p.  265  u.  ff.  eine 
eingehende  und  überwiegend  günstige  Besprechung  erfuhr.  Unter  seinen  zahl- 
reichen Schülern  sind  zu  nennen:  der  Prinz  Georg  von  Cumberland  (der  nach- 
malige König  Georg  V.  von  Hannover) ,  von  dem  er  den  Titel  eines  Kapell- 
meisters erhielt,  ferner  der  spätere  Kapellmeister  Karl  Eckert  (bis  1826)  und 
die  berühmte  Henriette  Sontag  vor  ihrer  Abreise  von  Berlin  nach  Paris.  G. 
starb  zu  Berlin  im  J.  1837.  Von  seinen  Compositionen  sind  etwa  40  Werke 
gedruckt,  bestehend  in  Sonaten  für  Ciavier  mit  und  ohne  Begleitung,  in  Rondos, 
Variationen,  Divertissements,  Uebungsstücken,  Polonäsen,  Märschen  und  Tänzen 
für  Pianoforte,  sowie  in  einer  Anzahl  von  Liedern,  Alles  in  seiner  Zeit  sehr 
beliebt  und  gesucht,   nach  seinem  Tode  aber  der  Vergessenheit  anheimgefallen. 

Greytter,  Matthias,  s.  Greiter. 

(Jriebel,  eine  deutsche  Musikerfamilie,  deren  Glieder  bis  in  die  neueste 
Zeit  hinein  der  königl.  Kapelle  in  Berlin  als  Kammermusiker  angehörten.  Der 
Vater  derselben  ist  Johann  Heinrich  G.,  geboren  1769  zu  Berlin,  ein  Schü- 
ler des  berühmten  Fagottisten  Ritter.  Nachdem  er  sich  in  Concerten  als 
fertiger  Bläser  ausgezeichnet  hatte,  trat  er  1793  in  das  Orchester  des  königl. 
Nationaltheaters  seiner  Geburtsstadt,  dem  er  bis  1832  angehörte.  In  letzterem 
Jahre  pensionirt,  starb  er  am  1.  Novbr.  1852  zu  Berlin.  —  Sein  ältester  Sohn, 
Heinrich  G.,  geboren  1796  zu  Berlin,  wurde  im  Oboeblasen  vom  Kammer- 
musiker F.  Westenholz  unterrichtet  und  zu  einem  anerkannten  Virtuosen  dieses 
Instrumentes  herangebildet.  Schon  1815  gehörte  er  der  königl.  Kapelle  an 
und  ertheilte  nebenbei  auch  einen  guten  Ciavierunterricht.  Einige  unwesent- 
liche Compositionen  für  Pianoforte  und  für  Oboe  von  ihm  sind  auch  im  Druck 
erschienen.  Er  starb  am  1.  Aug.  1841  zu  Berlin.  —  Der  andere  Sohn  Johann 
Heinrich's,  Julius  G.,  geboren  am  25.  Octbr.  1809,  lernte  frühzeitig  bei  seinem 
Vater  Violoncello  und  beim  Kammermusiker  Lehmann  Hörn,  wählte  auch  das 
letztere,  auf  dem  er  sich  1823  mit  Beifall  öffentlich  hören  Hess,  zu  seinem 
Hauptinstrumente,  gab  es  jedoch  später  aus  Gesundheitsrücksichten  wieder  auf 


Griechische  Musik.  359 

und  warf  sich  bei  Max  Bohrer,  so  lange  derselbe  der  Berliner  Hofkapelle  an- 
gehörte, aufs  Violoncellspiel,  worin  er  sich  bald  auszeichnete.  Am  1.  Jan.  1827 
wurde  er  als  königl.  Kammermusiker  angestellt  und  war  in  der  Folgezeit  eine 
Stütze  der  Ries'schen  und  der  Zimmermann'sclien  Quartett- Soireen  in  Berlin, 
wie  er  denn  auch  erfolgreiche  Concertreisen  in  das  Ausland  unternahm.  Er 
wurde  im  J.  1872  pensionirt  und  durch  einen  Orden  ausgezeichnet.  Componirt 
hat  er  Lieder  und  einige  Yioloncellostücke.  —  Der  jüngste  Sohn  Johann  Hein- 
rich's  Ferdinand  Gr.,  geboren  1818  zu  Berlin,  erhielt  schon  früh  im  Violin- 
spiel den  Unterricht  Leon  de  St.  Lubin's,  der  ihn  auch  in  das  Orchester  des 
königsstädtischen  Theaters  zog.  Seine  Virtuosenbildung  vollendete  er  bei  Ch. 
de  Beriot  und  sammelte  seitdem  auf  Kunstreisen,  besonders  1842  in  Schweden, 
Dänemark  und  England  bedeutende  Erfolge.  Er  ging  hierauf  nach  Amei'ika, 
liess  sich  endlich  als  Concertspieler  und  Musiklehrer  in  New-York  nieder,  starb 
aber  schon  im  J.  1847  daselbst. 

Griechische  Musik.  Der  Eifer,  mit  welchem  die  Philosophen  und  Kunst- 
schriftsteller des  alten  Griechenland  sich  über  das  "Wesen,  die  Bedeutung  und 
die  Greschichte  der  Musik  aussprechen,  beweist,  dass  diese  Kunst  in  der  grie- 
chischen Entwickelungsgeschichte  einen  eben  so  wichtigen  Platz  einnahm  als 
die  übrigen  Künste.  Seit  den  neueren  Forschungen  auf  diesem  Felde  durch 
Fortlage,  Bellermann,  "Westphal  und  Marquardt  in  Bezug  auf  die  Harmonik, 
J.  H.  H.  Schmidt  auf  die  Metrik  und  Rhythmik  ist  es  möglich  geworden,  wenn 
nicht  ein  vollständiges  Bild,  wenigstens  einen  deutlichen  Umriss  von  der  alt- 
griechischen Musik  zu  gewinnen  und  die  äusserlichen  Mittel  kennen  zu  lernen, 
durch  welche  sie  jene,  uns  freilich  unerklärliche,  von  den  Alten  aber  nie  genug 
gepriesene  Wirkung  hervorbrachte.  Die  wichtigsten  Quellen  2lim  Studium  der 
griechischen  Musik  sind  die  drei  Sammelwerke:  I.  des  Meibom  (Aristoxenus, 
320  V.  Ohr,  Euklid  der  Mathematiker,  200  v.  Chr.,  Pseudo-Euklid,  1.  Jahrb. 
n.  Chr.,  Nikomachus,  150  n.  Chr.,  Alypius,  200  n.  Chr.  [?],  Gaudentius,  400  n.  Chr. 
[?],  Bacchius,  250  n.  Chx'.  [?],  Aristides  Quintilianus,  250  n.  Chr.  [?],  Martianus 
Capella,  350 n.Chr.  [?]);  IL  des  Wallis,  Opera  matliemat.  Tom.  II,  (Ptolemäus, 
dessen  Commentatot  Porphyrius,  250  n.  Chr.,  Bryennius,  1300  n.  Chr.);  III.  des 
Vincent,  Notices  sur  divers  manuscrits  grecs  relatifs  ä  la  muslque  (Anonymus, 
auch  von  Fr.  Bellermann  herausgegeben,  Pachymeres  und  diverse  kleinere 
Schriften);  endlich  die  Werke  des  Theon  von  Smyrna  (130  n.  Chr.),  des  Boetius 
(500  n.  Chr.)  und  des  Michael  Psellus  (1050  n.  Chr.).  Alle  diese  Schriftsteller 
sind  entweder  Pythagoräer,  welche  eine  wissenschaftliche  Begründung  der  Musik 
versuchen,  wie  Ptolemäus,  Nikomachus,  Theon,  Euklid  der  Mathematiker;  oder 
Aristoxenianer,  welche  die  praktische  Seite  der  Musik  ins  Auge  fassen,  wie 
Pseudo-Euklid  und  der  Anonymus ;  oder  Eklektiker  wie  die  übrigen.  Sie  sämmt- 
lich  sind  sogenannte  Harmoniker:  von  der  Bhythmik  handeln  nur  Aristoxenus 
in  seinen  »rhythmischen  Fragmenten«,  Aristides  in  seiner  Harmonik,  Bacchius 
und  der  spätere  Martianus  Capella;  endlich  finden  sich  zahlreiche  Stellen  von 
allgemein  musikalischem  Interesse  in  den  Schriften  des  Aristoteles  (dessen  Cap.  19 
der  Problemata  ausschliesslich  die  Musik  bespricht),  Plato,  Athenäus,  Pollux 
und  Plutarch  (de  musica,  musikgeschichtlich). 

Die  griech.  Musik  zerfällt  nach  der  Eintheilung  des  Aristoxenus  in  theo- 
retische und  praktische  Musik.  Die  erstere  handelt  von  der  Harmonik, 
Phj^thmik  und  Meti'ik,  die  letztere  von  der  Ausführung  der  verschiedenen 
Musikgattungen  (Organik) ,  von  der  Kunst  des  Kithara-  und  Aulos  -  Spieles 
(Kitharistik ,  Auletik),  sowohl  allein  als  zum  Gesang,  von  der  Siugekunst  für 
sich  selbst  betrachtet  (Odik),  von  der  orchestischen  und  mimischen  Darstellung, 
von   der  chorischen  und  der  dramatischen  Musik  (Hypokritik), 

I.  Die  Harmonik  handelt  nach  der  Eintheilung  des  Aristoxenus  1)  vom 
Klange  (Phtongos),  2)  von  den  Scalen  (Systemata),  3)  vom  Intervall  (Diastema), 
4)  von  den  Transpositionsscalen  (Tonoi),  5)  vom  Tongeschleclit,  G)  von  der 
melodischen   Composition  (Melopöic)  nebst  der  Modulation  (Metabole). 


360  Griechisclie  Musik. 

1)  Die  Entstehung  und  Hervorbringung  des  Klanges  bildet  den  Anfang 
der  musikalischen  Theorie,  sowohl  des  Pythagoras,  welcher  die  Zahlenverhält- 
nisse,  als  auch  des  Aristoxenus,  welcher  das  Gehör  zum  Ausgangspunkt  nimmt. 

2)  Die  Basis  aller  griechischen  Systeme  (Scalen)  bildet  das  Tetrachord, 
d.  h.  eine  aufsteigende  diatonische,  mit  dem  Halbtou  beginnende  Folge  von  vier 

Klängen  im  Umfang  der  reinen  Quarte,  z.  'B.  h  c  d  e  und  e  f  g  a.  Die  Zu- 
sammensetzung von  vier  derartigen  Tetrachorden,  und  zwar  so,  dass  die  beiden 
ersten  wie  die  beiden  letzten  den  Schluss-  und  Anfangston  gemeinsam  haben 
(Synaphe),  während  der  zweite  und  der  dritte  durch  ein  Ganzton-Intervall  (den 
diazeuktischen  Ton)  getrennt  sind,  bildet  die  Grund  -  Tonleiter  der  Griechen, 
welche,  durch  ein  Ganzton-Iutervall  in  der  Tiefe  (Proslambanomenos)  erweitert, 
fünfzehn  Töne  umfasst  und  unsrer  Mollscala  (absteigend,  nicht  alterirt)  ent- 
spricht. Tetr.       Tetr.  Tetr.      Tetr. 

A   II  c  d  e  f  g  a     Diazeuxis    h  c  d  e  f  g  a 

Dies  die  Tonleiter  des  Alterthums,  welche  auch  zur  Grundlage  der  Theorie 
des  Mittelalters  genommen  wurde;  die  Namen  ihrer  fünfzehn  Töne  sind,  von 
der  Tiefe  angefangen  ausser  dem  schon  erwähnten  Proslambanomenos  (»der 
Hinzugenommene«)  A:  Hypate  II  (Tiefste),  Parhypate  c  (Neben tiefste)  und 
Lichanos  d  (Zeigefinger)  des  tiefsten  Tetrachords  oder  Hypaton;  Hypate  e, 
Parhypate  f  und  Lichanos  g    des    mittleren  Tetrachords   oder  Meson,    Mese  a 

(Mittelsaite);  Paramese  h  (Nebenmittlere),  Trite  c  (dritte),  Paranete  d  (neben- 
höchste)   und  Nete  e  (höchste)    des   unverbundenen  Tetrachordes   oder   diezeug- 

menon.  Trite  f,  Paranete  g  und  Nete  a  des  höchsten  Tetrachordes  oder 
Hyperbolaion:  Benennungen,  welche  von  den  Saiten  der  Kithara  auf  die  Töne 
im  Allgemeinen  übertragen  wurden.  Die  Tonleiter  der  älteren  Pythagoräer 
war  nach  demselben  Princip  zusammengesetzt,  nur  war  sie  von  geringerem  Um- 
fang, insofern  sie  nur  zwei  unverbundene  Tetrachorde  (eine  Octave  von  e  bis  e) 
umfasste.  Ausser  der  Grund-Scala  von  fünfzehn  Tönen,  giebt  es  noch  eine 
von  elf  Tönen,  welche  durch  drei  verbundene  Tetrachorde  (und  dem  Proslam- 
banomenos)   gebildet  wird  und  Synemmenon  heisst: 

AHcdefgahcd, 

Dies  System  wird  auch  metabolisches  genannt,  weil  es  die  Modulation  in  die 
Unterdominante  vermittelt.  Ein  drittes  System  endlich ,  das  sogenannte  gi'össte 
oder  unveränderliche,  umfasst  nicht  allein  die  fünfzehn  Töne  des  diazeuktischen 
Systems,  sondern  auch  die  vier  des  Synemmenon-Tetrachords  und  besteht  somit 
aus  achtzehn  Tönen,  unter  welchen  freilich  zwei  doppelt  gesetzt  sind  (c  und  d). 

3)  Die  Intervalle  werden  von  Aristoxenus  eingetheilt  1)  nach  der  Grösse, 
2)  nach  Consonanzen  und  Dissonanzen,  3)  nach  der  Zusammensetzung,  4)  nach 
Geschlechtern ,  5)  nach  der  geraden  oder  ungeraden  Zahl  der  Vierteltöne 
(enharmonischen  Diesen),  aus  denen  sie  bestehen.  Nach  der  Grösse  unter- 
scheidet er  kleine  Intervalle:  Halbton  (Hemitonion),  Ganzton  (Tonos),  kleine 
Terz  (Trihemitonion),  grosse  Terz  (Ditonus)  —  und  grosse  Intervalle:  Quarte 
(Diatessaron),  Quinte  (Diapente),  Octave  (Diapason),  sowie  deren  "Wiederholung 
durch  Versetzung  in  eine  höhere  Octave:  Undecime  (Diapason  cum  Diatessaron), 
Duodecinie  (Diapason  cum  Diapente),  Doppeloctave  (Disdiapason);  endlich 
kleine  Sexte  (Tetratonum),  grosse  Sexte  (Tetratonum  cum  Hemitonion),  kleine 
Septime  (Disdiatessaron  oder  Pentatonum),  grosse  Septime  (Pentatonum  et 
Hemitonion).  Die  älteren  Pythagoräer  (z.  B.  Philolaus)  bedienten  sich  auch 
der  Namen  Epogdous  für  den  Ganzton,  Harmonia  für  die  Octave,  Syllabe  für 
die  Quarte,  Dioxeia  für  die  Quinte  und  Diesis  für  den  Halbton.  Unter  Con- 
sonanzen (SjTiiplionoi)  versteht  Aristoxenus  (wie  auch  die  Schule  des  Pytha- 
goras) die  Quarte,  Quinte  und  Octave;  unter  Dissonanzen  (Diaphonoi)  alle 
Intervalle,   welche  den  Umfang    der  Quarte  nicht  erreichen,    sowie    die    grosse 


Griechische  Musik.  361 

Quarte,  die  kleine  Quinte,  beide  Sexten  und  beide  Septimen.  Den  Charakter 
der  Symphonie  bezeichnet  Aelian  durch  den  Vergleich  mit  einem  aus  "Wein  und 
Honig  gemischten  Getränk,  in  welchem  weder  "Wein  noch  Honig  herauszu- 
schmecken  sei,  während  dagegen  in  der  Diaphonie  jeder  der  Bestandtheile  seine 
Individualität  bewahre.  Neben  dieser  Eintheilung  der  Intervalle  lehrten  die 
Pythagoräer  noch  eine  andere  complicirtere,  in  Homophonien  (Einklänge),  Anti- 
phouien  (Octaven)  und  Paraphonien  (Quarte  und  Quinte,  bei  Graudentius  auch 
die  grosse  Terz  und  der  Tritonus).  Ptolemäus,  welcher  das  Pythagoräische 
System  zum  Abschluss  brachte,  nimmt  viererlei  Arten  der  Intervalle  an:  Homo- 
phona  (Einklang  und  Octave),  Symphona  (Quinte  und  Quarte),  Emmele  oder 
melodische  Intervalle  (Terz  und  Secunde)  und  Ekmele,  unmelodische  Intervalle 
(Sexte  und  Septime). 

Die  unzusammengesetzten  Intervalle  (asyntheta)  werden  durch  zwei 
zusammenhängende  Stufen  der  Tonleiter  gebildet,  also  im  diatonischen  Geschlecht 
durch  den  Halb-  und  den  Ganzton.  Die  zusammengesetzten  (Syntheta),  aus 
zwei  nicht  unmittelbar  aufeinanderfolgenden  Stufen  der  Tonleiter  und  alle  diese 
Intervalle  sind  in  der  Aristoxenischen  System -Lehre  fähig,  ein  System  zu 
bilden;  Ptolemaeus  dagegen  lässt  nur  die  Intervalle  von  der  Grösse  der  Octave 
an  als  System  gelten.  Das  Charakteristische  in  jedem  System  ist  die  innere 
Beschaffenheit  der  Intervalle,  d.  h.  die  Stellung  der  Halb-  und  Ganztöne,  durch 
welche  auch  die  Form  des  Systems  bestimmt  wurde;  das  der  Octave  erscheint 
in  sieben  verschiedenen  Formen,  welche  Harmonien,  Modi,  Octavengat- 
tungen  genannt  werden.     Die  sieben  Modal-Scalen  sind: 

1.  die  Mixolydische  Ji — h,  Hypate  Hypaton  —  Paramese 

Hcdefgah 

2.  die  Lydische  c — e,  Parhypate  Hypaton   —    Trite  diezeugmenon 

cdefgahc 

3.  die  Phrygische  d — </,  Lichanos  Hypaton  —  Paranete  diezeugmenon 

defgahcd 

4.  die  Dorische  e — g,  Hypate  Meson   —   Nete  diezeugmenon 

efgahcde 

5.  die  Hypolydische  f—f,  Parhypate  Meson  —  Trite  hyperbolaion 

fgahcdef 

6.  die  Hypophrygische  g—g,  Lichanos  Meson  —  Paranete  hyperbolaion 

galicdefg 

7.  die  Hypodorische  od,  Lokrische  a — a,  Mese   —   Nete  hyperbolaion 

a  h  c  d  e  f  g  a. 
Gaudentius  erklärt  die  Zusammensetzung  der  Octavengattungen  aus  den  Inter- 
vallen   der  Quarte    und    der   Quinte    und    demzufolge    theilt    er    die    erwähnten 
sieben  Octavengattungen    ein    in    solche,    welche    die   Quarte    in  der   Tiefe,    die 
Quinte  in  der  Höhe  haben,  wie  die  drei  ersteren: 

Quarte.     Quinte. 

Hcdefgah     Mixolydisch 

Quarte.    Quinte. 

cdefgahc      Lydisch 

Quarte.    Qumte. 

d  e  f  g  a  h  cd      Phrygisch 

und  solche,  wo  der  umgekehrte  Fall  stattfindet,  wie  die  vier  letzteren: 

Quinte.    Quarte. 

efgahcde        Dorisch 


362  Griechische  Musik. 

Quinte.    Quarte. 
fgahcdef    Hypolydisch 

Quinte.    Quarte. 
gahcdefg    Hypophrygisch 

Quinte,     Quarte. 
ahcdefga    Hypodorisch.*) 

Diese  bis  jetzt  unberücksichtigt  gebliebene  Eintheilung  des  Gaudentius  ist  sehr 
wichtig  für  das  richtige  Yerständniss  der  antiken  Harmonien ,  und  namentlich 
werden  dadurch  die  Westphal'schen  Theorien  im  Wesentlichen  bestätigt.  Bei 
der  lydischen  und  hypolydischen  Scala  einerseits,  der  phygischen  und  hypo- 
phrygischen  andererseits  erscheint  das  gleiche  Quarten-  und  Quintenverhiiltniss, 
nur  in  umgekehrter  Folge:  jene  beiden  sind  aus  der  Quarte  c—f  und  der 
Quinte  y—c,  diese  aus  der  Quarte  d—g  und  der  Quinte  g  —  d  zusammengesetzt. 
Hieraus  ist  zu  schliessen,  dass  in  den  beiden  lydischen  Tonarten  der  Ton/*, 
in  den  beiden  pbrygischen  der  Ton  g  den  Charakter  der  heutigen  Tonica  hatte. 
Der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Unterarten  derselben  Gattung  liegt  im 
Finalton,  welcher  in  den  mit  »hypo«  bezeichneten  Scalen  Tonica,  in  den  andern 
Dominante  ist.  Im  Hypodorisch  hat  der  Finalton  (a)  wie  in  den  beiden  andern 
»Hypo«-Tonarten  den  Charakter  der  Tonica:  dieser  Modus  entspricht  der  mo- 
dernen diatonischen  (herabsteigenden)  Mollscala.  "Was  den  dorischen  Modus 
betrifft,  so  würde  nach  der  Theorie  des  Gaudentius  auch  seinem  Finalton  (e) 
der  Tonica-Charakter  zukommen;  doch  ist  aus  den  uns  erhaltenen  Musikresten 
der  Alten  (insbesondere  am  Anfang  der  »Hymne  an  Helios«)  ersichtlich,  dass 
jener  Ton  in  den  meisten  Fällen  als  Dominante  zur  hypodorischen  Tonica  (a) 
aufzufassen  ist.  Westphal  schreibt  dem  mixolydischen  Fiualton  (h)  den  Cha- 
rakter einer  Terz  zu  und  stützt  seine  Behauptung  durch  den  Hinweis  auf  die 
zahlreichen  im  römischen  Kirchengesang  noch  vorhandenen  Reste  dieser  Octaven- 
gattung.  Die  lokrische  Scala  endlich  unterscheidet  sich  von  der  hypodorischen 
nur  dadurch,  dass  ihr  Finalton  die  Dominante  eines  Grundtones  d  ist.  Die 
Harmonien  hatten  in  der  vor-Alexandrinischen  Zeit  zum  Theil  andre  Benennun- 
gen; die  hypodorische  (a)  heisst  noch  in  Plato's  Zeit  Aeolisch:  die  hypophry- 
gische  (g)  Jonisch  oder  .Tastisch;  die  hypolydische  (f)  nachgelassenes  Lydisch 
(aneimene  lydisti).  Ferner  findet  sich  bei  einigen  Schriftstellern  eine  Harmonie 
»Syntonolydisti«  erwähnt,  deren  Finalton  nach  AVestphal  durch  die  Terz  des 
ihr  nahe  verwandten  Hypolydisti  gebildet  wird;  auch  von  ihr  haben  sich  Spuren 
im  römischen  Kirchengesange  erhalten.  Die  Verschiedenheit  der  Intervalle  hat 
für  jede  Harmonie  einen  eigenthümlichen  Ausdruck  zur  Folge,  welcher  von 
Plato  (Republik  III),  Aristoteles  (Politik  VIII)  und  Athenaeus  (Cap.  14)  als 
ihr  Ethos  bezeichnet  wird.  Nach  ihnen  ist  die  dorische  hart  und  leiden- 
schaftslos, dem  strengen  Zuschnitt  des  dorischen  Staatswesens  entsprechend; 
die  ihr  verwandte  äolische  dagegen  ritterlich,  zu  dem  von  der  Kithara  beglei- 
teten Gesänge  am  meisten  geeignet.  Die  phrygische  hat  einen  schwärmerischen, 
crgiastischen  Ausdruck;  sie  kam  vorzüglich  in  der  Cultusmusik  zur  Anwendung 
Und  zwar  auf  der  Flöte,  sowohl  bei  dem  asiatischen  Cultus  der  Cybele  und 
der  kretischen  Korybanten,  als  auch  in  Griechenland,  nachdem  sie  von  asia- 
tischen Flüchtlingen  unter  Pelops  nach  dem  Peloponnes  verpflanzt  war.  Zu  ihr 
steht,  wie  die  äolische  zur  dorischen,  die  jonische  oder  j astische  in  einem 
Verwandtschaftsverhältnis,  dem  Ausdruck  wie  der  Construction  nach.  Bei  den 
Joniern,  welche  als  Küstenbewohner  den  Einflüssen  der  Nachbarvölker  mehr 
ausgesetzt  waren  als  die  Hellenen  des  europäischen  Festlandes,  musste  die  phry- 
gische Tonart  ihre    enthusiastische  Färbung    zum   Theil    einbüssen    und    einen 


*)  Das  gleichlautende  Lokrisch  hat  die  umgekehrte  Eintheilung. 


Griechische  Musik.  363 

ernsteren  Ausdruck  annehmen,  wesshalb  sie  auch  für  die  tragisclie  Monodie  am 
liebsten  angewendet  wurde.     Die  mixolydisclie  Harmonie  endlich  hatte  einen 
aus  Lydischem   und   Dorischem   gemischten  Ausdruck,    insbesondere,    so    lange 
ihr  die  fünfte  Stufe  fehlte,  wodurch  sie  mit  der  dorischen  als  eine  und  dieselbe 
Tonart  galt;   dies   aber  war  zur  Zeit  ihrer  Erfindung  durch  Sappho  der  Fall: 
Lamprokles,  Sophokles'  Lehrer,  erst  vervollständigte  sie,  und  seitdem  wurde  sie 
als  selbstständige  Tonart  in  die  Theorie  aufgenommen.     Die   lydische  Har- 
monie soll  wie  die  phrygische  durch  Pelops  aus  Asien  in  Griechenland  eingeführt 
worden  sein ;  sie  hatte  einen  sanften,  klagenden  Ausdruck  und  eignete  sich  be- 
sonders für  die  Elegie.     Eine  ihrer  Unterarten,  das  Syntonolydisch,  wurde  bei 
Todtenklagen  angewandt.     Nach  Aristoteles  ist  sie  vorzugsweise  beim  Jugend- 
unterricht   zu    benutzen,    da    sie    weder    zu    hart,   wie    die    dorische,    noch   zu 
schwärmerisch    ist,    wie    die   Phrygische.     Um    die   Ansichten    der   Alten    vom 
Ethos  der  Tonarten  kurz  zusammenzufassen,  sei  schliesslich  noch  bemerkt,   dass 
Plato  dieselben   in  klagende  (Mixo-  und  Syntonolydisch)  weichliche,   für  Gast- 
mahle passende  (Jonisch  und  Hypolydisch)  und  für  den  Staat  brauchbare  (Dorisch 
im  Kriege,  Phrygisch  beim  Gottesdienst)  eintheilt,  und  den  Gebrauch  der  bei- 
den   ersten  Gattungen   aus    seiner   Republik  verbannt  wissen   will,    wohingegen 
Aristoteles,   minder  exclusiv,   jede  Tonart  gelten  lässt,    vorausgesetzt,    dass  sie 
am   geeigneten  Orte   gebraucht  wird.     Ende    des   2.  Jahrhunderts   n.  Chr.  ver- 
loren sich  die  griechischen  Harmonien;  in  der  Zeit  zwischen  Gregor  und  Guido 
aber  kamen  sie  aufs  Neue  in  Gebrauch,  freilich  in  entgegengesetzter  Ordnung. 
4)  Die  Lehre  vom  Tonos  (von  den  Transpositionsscalen)  erscheint  beson- 
ders verwickelt   durch    die  verschiedenen  Bedeutungen,    die    diesem  Worte  von 
den  Alten  beigelegt  werden,  indem  sie  es  bald  für  »Stimmung«,  bald  für  »Ganz- 
tonintervall«,   bald    für    »Transpositionsscala«,  ja   sogar    für    »Octavengattung« 
(Aristoxenus)    und  für  »Klang«  gebrauchen    (die  »siebentönige  Kithara«).^    Die 
strenge  Theorie  versteht  unter  Tonos  die  Transpositionsscalen,  deren  die  Griechen 
nach   Intervallenfolge   des   »vollständigen«    Systems    (St/sfema  teleion)    auf  jeder 
Stufe  der  chromatischen  Tonleiter  eine  errichteten.     Im  Gegensatze  zum  römi- 
schen Kirchengesang    des  Mittelalters,    welcher   sich   lediglich   der    Scala    ohne 
Vorzeichen   bediente    und   nur   daneben  das   Synemmenon- System  benutzte,  um 
die    sieben   alten  Tonarten   auf  vier  Einaltöne  zu  reduciren,    transponirten  die 
Alten  ihre  drei  Systeme  auf  alle  Stufen  der  chromatischen  Tonleiter.     Die  Be- 
nennungen der  Töne  blieb  jedoch  in  allen  Transpositionen    dieselbe,    wie  auch 
auf  Tasteninstrumenten,  welche   durch  Verschiebung   in  eine    andere  Stimmung 
versetzt  werden  können,  die  Namen  der  Tasten  dieselben  bleiben.     Die  so  ge- 
wonnenen, nur  durch  die  Höhe  ihres  Ausgangspunktes  verschiedenen  Tonleitern 
hiessen   Tonoi  (auch   Tropoi) ,   und    es    hatte  diese  Benennung   bei  der    schon 
erwähnten  Vieldeutigkeit  des  Wortes   Tonos  eine  Verwirrung  zur  Eolge,  die  um 
so  grösser  sein  musste,    als  die  Namen  der   Octavengattungen  bei  den   Trans- 
positionsscalen wiederkehren.     Ihren  Höhepunkt  erreicht  diese  Verwirrung   bei 
den  Schriftstellern  des  späteren  Alterthums  (Boetius  u.  A.),  und   erst  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts    gelang    es  dem  Engländer  Stiles,    den  Schleier  theilweise  zu 
lüften,  bis  endlich  in  unsern  Tagen  durch  Böckh,  Bellermann  und  Westphal  das 
antike  System  in  voller  Klarheit  dargestellt  worden  ist.     Eür  die  Uebertragung 
der  antiken  Tonleitern   in    moderne  Notenschrift  wurde    eine    sichere  Basis  ge- 
wonnen im  J.   1847,  nachdem  Portlage  und  Bellermann  durch  eine  gründliche 
Untersuchung  der  antiken  Notenschrift  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander 
entdeckt  hatten,  dass  der  hypolydische  Tonos  der  heutigen  Tonleiter  ohne  Vor- 
zeichnung entspricht.     Doch    ist    die  Methode    der  Uebertragung    nur    bei   der 
Notation  anzuwenden:    was    die    absolute    Tonhöhe    der  griechischen  Scalen 
betrifft,  so  hat  Bellermann  aus  dem  Factum,  dass  der  Umfang  der  menschlichen 
Stimme  zu  allen  Zeiten  derselbe  war,    bewiesen,    dass    sie   beinahe  eine  kleine 
Terz  tiefer  war,  als  die  antike  Notation  anzeigt,  dass  demnach  das  a  der  Griechen 
ungefähr  dem  heutigen  fis  entspricht.    In  der  Blüthezeit  der  griechischen  Kunst 


364 


Griechische  Musik. 


waren  nur  sieben  Tonoi  in  häufigem  Gebrauch,  nämlich  der  mixolydische,  dorische, 
hypodorische,  phrygische,  hypophrygische,  lydische  und  hypolydische  Tonos. 

Ncte  hj7>erbolalon  N.  hyp.    -*~  „   .  N.  hyp.    .« 

I.      Mese  n:  II.         Mese    35:  III.    Mese  ZU  IV.  Mese  :^ 
— ^ 


^ 


^^ 


b- 


Proslambanomenos. 

Hypolydisch. 


Prosl. 
Lydisch 


^^ 


-^ 


Prosl. 
Hypophrygisch 


^üfe 


:^£&- 


Prosl. 


Phrygisch 


V.         ±:^ 


VI.  = 


^ 


^a 


m 


fc 


VII.  :^ 


ic 


^e 


Hypodorisch  Dorisch  Mixolydisch. 

Die  Uebereinstimmung  ihrer  Bennungen  mit  denen  der  Harmonien  ist  nicht 
eine  blos  zufällige,  wie  schon  durch  die  Reihenfolge  beider  im  Quintencirkel 
ersichtlich  wird.  Schreitet  man  nämlich  von  der  Mese  des  Tonos  ohne  Vor- 
zeichen, des  hypolydischen  (unserm  A-moll  entsprechend),  in  Quarten  aufwärts 
und  in  Quinten  abwärts,  so  erhält  man  die  Meseu  aller  sieben  Tonoi.  Beginnt 
man  andrerseits  vom  Schlusston  der  hypolydischen  Harmonie  (der  Parhypate 
Meson  /),  so  erhält  man  die  folgenden  durch  Abwärtsschreiten  in  Quarten  und 
Aufwärtsschreiten  in  Quinten. 


^ 


^ 


m 


m 


Schlusston  der    Schlusston  der    Sclilusston  der    Schlusston  der 

Hypolydischen      Lydischen  Hypophryg.         Phrygischen 

Harmonie.  Harmonie.  Harmonie.  Harmonie. 


^ 


-^ ( 


§± 


§t: 


Schlusston  der    Schlusston  der   Schlusston  der 

Hypodoriseheu       Dorischen        Mixolydischen 

Harmonie.  Harmonie.  Harmonie. 


Während  sich  so  schon  eine  vollständige  Uebereinstimmung  zeigt  in  der  Auf- 
einanderfolge der  Tonoi  und  der  Harmonien  nur  in  entgegengesetzter  Ordnung, 
so  wird  die  Beziehung  der  doppelten  Nomenclatur  durch  Folgendes  völlig  ins 
Klare  kommen:  Wenn  man  vom  griechischen  Tonarium  ausgeht,  welches  un- 
gefähr eine  kleine  Terz  tiefer  war  als  das  unsrige,  so  ist  der  gemeinsame  Um- 
fang der  Männerstimmen  durch  die  Octave  f—f  eingeschlossen.  In  diesem 
Umfange  können  Tenore,  Baritone  und  Bässe  ohne  Mühe  Unisono  singen.    Wenn 

man    nun   den    Ton  f  '^-  '^      als  Schlusston  sämmtlicher  Harmonien   annimmt, 

d.  h.  wenn  man  auf  diesen  Ton  die  sieben  Octavengattungen  baut,  so  ergibt 
sich,  dass  der  mixolydische  Tonos  (6  Ir)  mit  der  mixolydischen  Harmonie  zu- 
sammenfällt, ebenso  der  lydische  Tonos  mit  der  lydischen  Harmonie,  wie  die 
folgende  Tabelle  es  vollständig  erweist: 

Mixolyd.  Harm.  l^:..   ,    Ay — 
mixolyd.   Tonos.  p       v  -p    ■^- 


Hyp.  hyp. 


Mese 


Param. 


Lydische  Harm, 
im 

1yd.  Tonos. 


Phryg.  Hann. 

im 
phryg.  Tonos. 


Dorische  Harm. 

im 
dorischen  Tones, 


m 


Parh.  hyp. 


Mese 


Trite  diez. 


m^ 


Si 


Mese 


Paran.  diez. 


Hyp.  mes. 


Mese 


Nete  diez. 


Hypolyd.  Harm, 
im 

-'^T— • »- 

^- V- 

_„ — :-^== 

hypolyd.  Tonos. 

Parh.  mes. 

Mese 

Trite  hyperb. 

Hypophryg.  H. 

im 
hypophr.  Tonos. 


Lieb.  mes.      Meso 


Paran.  hyperb. 


Griechische  Musik. 


365 


■^. 


-^^s= 


& 


Hypodor.  Harm. 

im 
hypodor.  Tonos. 

Mese  Nete  hyperb. 

Ein  ähnliches  Verfahren  wird  gewöhnlich  befolgt  bei  der  Ausführung  der 
römischen  Kirchentonarten,  wenigstens  in  Belgien  und  in  Frankreich,  nur  mit 
dem  Unterschied,  dass  hier  nicht  die  Schlussnote,  sondern  die  sogen.  Domi- 
nante, d.  h.  der  in  jedem  Psalme  vorherrschende  Klang  auf  dieselbe  Tonhöhe 
gebracht  wird.  —  Aristoxenos  führte  sechs  neue  Tonoi  ein,  so  dass  jede  chro- 
matische Stufe  der  Octave,  f—f,  zur  Mese  eines  Tonos  wurde.  Die  neuen 
Tonoi  erhielten  die  Namen  der  ihnen  benachbarten  alten  Tonoi  und  wurden 
nur  durch  den  Zusatz  höher  und  tiefer  (oxyteros  und  baryteros)  näher 
bezeichnet.  Die  Wiederholung  des  hypodorisclien  Tonos  in  der  Octave  nennt 
Aristoxenus  Hypermixolydisch. 

mm-*-  ■■0-  -ß-  


^ 


^ 


^ 


-CS- 


fc^ 


« 


^ 


m 


r 


Hypodorisch. 


Hypophryg. 
baryt. 


Hypophr.        Hypolyd.  baryt.        Hypolyd. 


Dorisch.        Phryg.  baryt. 


m 


m 


m^ 


ffi 


Phryg.  Phryg.  oxyt.  Lyd.  Mixolyd.  Mixol.  oxyt.     Hypermixolydisch. 

Ein  drittes  System  wurde  von  Aristoxenianern  des  1.  oder  2.  Jahrhunderts 
n.  Chr.  aufgestellt;  es  umfasste  fünfzehn  Tonoi,  für  welche  die  sieben  alten 
Benennungen  beibehalten  waren,  mit  Ausnahme  des  Mixolydisch,  welches  den 
Namen  Hyperdorisch  erhielt.  Für  die  Kreuztonarten  wurde  die  schwerfällige 
Nomenclatur  des  Aristoxenus  verlassen  und  man  nahm  für  sie  die  zur  Zeit 
unbenutzten,  gleichwohl  aber  nicht  vergessenen  alten  Namen  Aolisch  und  Jastisch; 
auch  gewannen  die  Prädicate  hypo  und  hyper  für  die  Benennungen  der  Har- 
monien eine  regelmässige  Bedeutung,  indem  fünf  mittlere  Tonoi  angenommen 
wurden,  nämlich  Dorisch  (B),  Jastisch  (I£),  Pbrygisch  (c),  Aolisch  (eis)  und 
Lydisch  (d)  und  deren  Oberquart- Scalen  den  Zusatz  hyper,  die  TJnterquart- 
Scalen  den  Zusatz  hypo  erhielten.  Für  den  Chorgesang  bediente  man  sich  der 
sieben  alten  Tonoi,  vom  Hypolydisch  bis  zum  Mixolydisch  (Hyperdorisch);  für 
die  Instrumente  dagegen  scheint  man  mehr  Rücksicht  auf  die  Einfachheit  derVor- 
zeicbnung  genommen  zu  haben,  weshalb  die  Auloden  die  Tonoi  von  3  p— 3  ö,  die 
Kitharoden  die  Tonoi  von  2  b — 1  ö,  die  Hydrauleten  der  Römerzeit  die  Tonoi  von 
3? — 1  jj  benutzten.  Die  Tonoi  mit  mehr  als  3  JJ  haben  im  Alterthum  nie  eine 
wesentliche  Rolle  gespielt.  An  die  Theorie  der  Tonoi  schliesst  sich  die  der 
Topoi  an,  welche  sich  mit  den  Klangregionen  der  griechischen  Tonreihe  in  ihrer 
gesammten  Ausdehnung  beschäftigt;  diese,  drei  Octaven  und  einen  Ton  umfassend 
(von  dem  hypodorischen  Proslambanomenos  F  bis  zur  hyperlydischen  Nete  hyper- 

bolaion  g),  wird  gewöhnlich  dreifach  nach  Octaven  abgetheilt,  deren  tiefste 
Topos  hypatoeides,  die  mittlere  Topos  mesoeides,  die  höchste  nebst  dem 
noch  übrigen  Ton   Topos    netoeides    heisst.     Der  Umfang  der  menschlichen 

Stimme,  für  welchen  man  sich  mit  zwei  Octaven  (B  —  h)  begnügte,  wird  in  drei 

— -  •    mesoeides 


Topoi    eingetheUt:    den    Topos    hypatoeides    (0—Ä)    -^- — ^- 


(G-d) 
nehmen 


:^^ 


^ 


noch 


I,  netoeides  (es — h)      ^     ^^  (einige     Schriftsteller 

einen    vierten    Topos    an,     den     hyperbolaieides,    für    die    über 


liegenden  Töne),  welche  Eintheilung  die  jeder  Stimme  charak- 
teristischen Töne  urafasst,  und  der  unsrigen  im  Bass,  Bariton,  Tenor  und 
Frauenstimmen  entspricht.  —  In  der  Entwickelungsgescbichte  der  Tonoi  können 


366  Griechische  Musik. 

etwa  fünf  Absclinitte  unterschieden  werden :  I.Epoche:  Man  kennt  mir  drei  Tonoi: 
den  dorischen,  phrygischen,  lydischen.  2.  Epoche:  Zwei  neue  Tonoi  kommen 
zu  den  dreien  hinzu:  der  mixolydische,  einen  halben  Ton  über  dem  lydischen; 
der  hypolydische  (damals  hypodorisch  genannt)  einen  halben  Ton  unter  dem 
dorischen  Tonos.  Dieses  System  der  fünf  Tonoi  war  zur  Zeit  des  Aristoxenus 
noch  bekannt;  3.  Epoche:  die  der  sieben  Tonoi,  wahrscheinlich  zur  Zeit  des 
Dämon,  vielleicht  von  Dämon  selbst  aufgestellt;  4.  Epoche:  die  der  dreizehn 
des  Aristoxenus;  5.  Epoche:  die  der  fünfzehn  des  Aristides.  In  dem  Maasse, 
wie  die  Chorgesangmusik  durch  die  monodische  und  Instrumentalmusik  ver- 
drängt wird,  verlieren  die  Tonoi,  welche  weit  mehr  der  Bequemlichkeit  der 
Sänger,  als  zur  Modulation  dienten,  ihre  Wichtigkeit,  und  verschwinden  nicht 
lange  vor  dem  Sturz  des  römischen  Reiches  gänzlich,  indem  ihre  Namen  von 
neuem  auf  die  Harmonien,  aber  diesmal  nicht  auf  die  antiken,  sondern  auf  die 
des  christlichen  Kirchengesauges  übertragen  werden. 

5)  Geschlechter  und  Schattirungen.  Geschlecht  (genus)  ist  eine 
bestimmte  Combination  der  Klänge,  die  sich  innerhalb  des  Quartenintervalles 
finden.  Die  dasselbe  begrenzenden  Töne  heissen  feststehende  (hestotes)  und 
bleiben  in  jedem  der  drei  Geschlechter,  dem  diatonischen,  dem  chromatischen 
und  dem  enharmonischen  unverändert,  während  die  Zwischenklänge,  die  so- 
genannten »beweglichen«  (kinumenoi)  im  chromatischen  und  enharmonischen 
Geschlecht  nach  dem  untern  unbeweglichen  hinuntergestimmt  werden,  im  Gegen- 
satz zum  diatonischen  (von  diateino,  anspannen),  wo  sie  das  Maximum  ihrer 
Spannung  haben.  Das  durch  Hinunterstimmen  der  beweglichen  Töne  nunmehr 
grösser  gewordene  höchste  Intervall  ist  das  Charakteristische  für  jedes  der 
beiden  Geschlechter:  es  wird  im  chromatischen  zur  kleinen  Terz,  nachdem  die 
Lichanos  um  einen  halben  Ton  hinuntergestimmt  ist ,  im  enharmonischen  zur 
grossen  Terz,  nachdem  die  Lichanos  um  einen  ganzen  Ton  hinuntergestimmt 
ist  und  sich  nun  im  Unisono  mit  der  früheren  Parhypate  befindet,  welche 
ihrerseits  um  einen  Yiertelston  hinuntergestimmt  wird.  Die  durch  das  Hinunter- 
stimmen der  beweglichen  Töne  entstandene  Intervallengruppe  heisst  das  Pyknon 
(das  Gedrängte)  und  ist  hierbei  in  Bezug  auf  die  Zusammensetzung  der  Inter- 
valle zu  bemerken,  dass  im  Pyknon  des  enharmonischen  Geschlechts  auch  das 
Halbtonintervall,  weil  aus  zwei  Viertelstönen  bestehend,  zu  einem  zusammen- 
gesetzten wird,  während  andererseits  die  Terz  (im  chromatischen  Geschlecht  die 
kleine,  im  enharmonischen  die  grosse)  zu  einem  unzusammengesetzten  (ein- 
fachen) wird.  In  Bezug  auf  ihre  Stellung  im  Pyknon  heissen  die  Töne  eines 
chromatischen  oder  enharmonischen  Tetrachords  barypyknos  der  tiefste,  meso- 
pyknos  der  zweite  und  oxypyknos  der  dritte  Ton  des  Tetrachords,  der  höchste 
des  Pyknon.  Die  äusseren  Töne  des  Systems,  welche  unter  allen  Umständen 
nicht  zum  Pyknon  gehören  (also  Nete  synemmenon,  Nete  hyperbolaion ,  sowie 
auch  der  Proslambanomenos),  heissen  apyknon.  Neben  der  soeben  beschriebenen 
Enharmonik  erwähnt  Aristoxenos  noch  einer  älteren,  von  Olympos  (700  v.  Chr.) 
erfundenen,  welche  mit  der  neueren  nur  das  Intervall  der  grossen  Terz,  nicht 
aber  den  Yiertelston  gemein  hatte,  indem  ihr  Erfinder  nur  drei  Töne  des  Te- 
trachords benutzte.  —  Sowohl  das  enharmonische  wie  auch  das  chromatische 
Geschlecht  wurden  fast  nie  allein,  sondern  nur  mit  dem  diatonischen  gemischt 
angewendet:  in  den  bei  Aristides  aufbewahrten  Scalen  der  älteren  Musiker  das 
diatonische  und  enharmonische  innerhalb  desselben  Tetrachords,  bei  Ptolemäus 
das  chromatische  und  diatonische  in  verschiedenen  aufeinander  folgenden  Te- 
trachorden. Zur  Zeit  beider  Autoreu  wurde  übrigens  das  enharmonische  Ge- 
schlecht nicht  mehr  praktisch  angewendet,  nachdem  schon  500  Jahre  früher 
Aristoxenus  sein  allmähliges  Verschwinden   constatirt    und  beklagt  hatte. 

Wie  die  Harmonien  so  hatten  auch  die  Geschlechter  jedes  ein  ihm  eigen- 
thümliches  Ethos  und  wurden  zur  Erregung  gewisser  bestimmter  Gemüthszustände 
gebraucht.  Nach  Theon  v.  Smyrna  ist  das  diatonische  männlich  und  für  Jeder- 
mann vorständlich,    das    chromatische    klagend    und  pathetisch;    es    hat    seinen 


Griechische  Musik.  367 

Namen  von  Chroma  (Farbe),  weil  es  die  Mitte  hält  zwischen  dem  diatonischen 
nnd  enharmonischen  Greschlecht,  wie  die  Farbe  zwischen  Schwarz  und  "Weiss; 
das  enharmoniscbe  endlichi  ist  das  künstlichste  [tEXVi'ACOTarov),  von  mystischem 
Charakter,  nur  den  erfahrensten  Musikern  zugänglich.  Der  Gebrauch  des 
chromatischen  Geschlechts  beschränkte  sich  auf  die  Kitharistik  und  die  neuere 
Dithyrambenpoesie  aus  der  Zeit  der  peloponnesischen  Kriege;  dagegen  war  es 
von  der  Tragödie  ausgeschlossen,  mindestens  bis  zu  dem  Dramaturgen  Agathon, 
der  es  zuerst  gebraucht  haben  soll.  Das  enharmoniscbe  Geschlecht,  welches  ver- 
hältnissmässig  bequem  auf  der  Flöte  auszuführen  war  (durch  theUweises  Schliessen 
ihrer  Löcher  mit  dem  Finger),  wurde  demgemäss  vorwiegend  zur  Cultusmusik 
gebraucht,  wo  bekanntlich  die  Flöte  das  Hauptiustrument  war.  In  Bezug  auf 
die  Harmonien  schloss  sich  die  Chromatik  vorwiegend  an  die  phrygische  und 
lydische  (unser  Dur),  die  Enharmonik  dagegen  an  die  dorische  (unser  Moll) 
an.  S  chattirungen  (Chroai)  nennt  man  die  Intonations- Nuancen,  welche 
durch  die  drei  üblichen  Arten,  ein  Instrument  zu  stimmen,  beim  diatonischen 
und  chromatischen  Geschlecht  zum  Vorschein  kommen.  Stimmt  man  nämlich 
in  der  ältesten  Weise,  in  der  der  Pythagoräer,  durch  eine  Quarten-  oder 
Quintenfolge  (dia  symplionias)  von  der  Mese  aus  —  eine  Art  der  Stimmung, 
welche  bei  allen  Völkern  noch  heute  in  Gebrauch  ist  — ,  so  wird  die  grosse 
Terz  grösser  als  die  natürliche,  aus  einem  grossen  und  einem  kleinen  Ganzton 
bestehende  (8  :  9  und  9  :  10),  ihr  Verhältniss  wird  64  :  81  betragen,  ein  Komma 
mehr  als  4 :  5.  Stimmt  man  andererseits  die  Terz  unmittelbar  nach  dem  Gehör, 
so  erhält  man  die   natürliche,    harmonische  Terz,   deren    hoher    Ton  wie  z.  B. 


in  der  Hornpassage    ^'v     "  — -■ — ^~~' — ^ — ~   das   e    gegen  seine  IJnterquinte 


(a)  etwas  zu  tief  ist.  Hieraus  entstand  die  Nothwendigkeit  einer  temperirten 
Stimmung,  welche  Aristoxenus  zuerst  erkannte,  so  dass  es  nunmehr  drei  ver- 
schiedene Tonleitern  giebt,  von  denen  die  erste  (die  pythagorische)  in  modernem 
Sinne  unharmonisch,  die  zweite  (die  natürliche)  praktisch  unbrauchbar  ist 
(wenigstens  wenn  man  moduliren  will),  die  dritte  dagegen  (die  temperirte)  sich 
zum  gemeinen  Gebrauche  leicht  bequemt  und  dem  Ohr  nicht  zu  unangenehm 
ist.  Die  Enharmonik  war  es,  welche  den  Archytas  das  richtige  Verhältniss 
der  grossen  Terz  4 : 5  auffinden  liess.  Gleichwohl  entschloss  man  sich  erst 
500  Jahre  später,  zur  Zeit  Nero's,  diese  Terz  in  die  diatonische  Scala  ein- 
zufügen, und  so  entstand  das  Syntonon  diatonos,  die  regelmässige  Gestalt  des 
diatonischen  Geschlechts,  die  von  Didymus  festgestellt,  von  Ptolemäus  vervoll- 
kommnet, der  Tonleiter  unserer  modernen  Theorie  entspricht.  Diese  genaue 
Diatonik  ist  indessen  niemals,  weder  im  Alterthum  noch  in  christlicher  Zeit 
die  übliche  Scala  der  Musiker  gewesen,  da  das  zu  einer  solchen  Scala  noth- 
wendige  Stimmungsverfahren,  wiewohl  ohne  Schwierigkeit,  doch  viel  zu  com- 
plicirt  war;  diese  drei  Stimmungsarten  galten  im  Alterthum  als  regelmässig; 
sie  durften  nach  Belieben  für  denselben  Zweck  benützt  werden  und  hatten  das- 
selbe Ethos.  Neben  dem  grossen  und  kleinen  Ganzton  giebt  es  noch  einen 
übermässigen  Ganzton  (7:8),  welcher  auf  das  Verhältniss  des  siebenten  zum 
achten  Ton  basirt  ist,  aus  fünf  (Aristoxenischen)  Diesen  besteht  und  Ekbole 
genannt  wird,  ein  Intervall,  welches  man  auf  dem  Hörn  (zwischen  b  und  c)  her- 
vorbringen kann.  Der  Gebrauch  dieses  Intervalles  und  seine  Stellung  im  Te- 
trachorde  charakterisiren  die  zwei  Schattirungen,  welche  man  neben  dem  regel- 
mässigen Diatonon  unterscheidet:  das  Diatonon  tonaion  oder  entonon, 
wenn  die  Ekbole  das  tiefere,  das  Diatonon  malakon,  wenn  sie  das  höhere 
Ganztonintervall  bildet.  Die  Ausdehnung  der  Ekbole  hat  natürlich  die  Ver- 
kleinerung des  benachbarten  tieferen  Intervalles  zur  Folge:  die  Zahl  der  Diesen 
für  die  Intervalle  des  Tetrachords  ist  der  Aristoxenischen  Theorie  zufolge:  im 
Diatonon  syntonon  2,  4,  4,  im  Diatonon  tonaion  1,  5,  4,  im  Diatonon  malakon 
2,  3,  5.     Das  in  der  letzteren   Schattirung  vorkommende,   aus    drei  Diesen  be- 


368  Griechische  Musik. 

stellende  Ganztonintervall  heisst  entweder  Spondeiasmos  oder  Eklysis,  je  nach- 
dem es  aufsteigend  oder  absteigend  genommen  wird.  —  Von  diesen  Schat- 
tirungen  war  das  tonaion  im  Altertlium  besonders  beliebt;  Archytas  kannte 
kein  anderes  Diatonon  und  Ptolemäus  nennt  es  680  Jahre  später  »das  einzige, 
welches  unvermischt  gebraucht  werden  könne«;  er  nennt  es  auch  Diatonon 
raeson,  weil  es  die  Mitte  hält  zwischen  dem  angespannten  (syntonon)  und  dem 
weichlichen  (malakon);  dies  letztere  war  hauptsächlich  zur  Zeit  des  Aristoxenus 
in  Gebrauch.  Die  regelmässige  Zusammensetzung  des  chromatischen  Tetra- 
chordes  ist  die  von  Aristoxenus  angenommene:  sechs  Diesen  als  höchstes  In- 
tervall und  zwei  zwischen  jedem  Halbton.  Er  nannte  es  Chroma  tonaion  und 
unterschied  neben  dem  Verhältniss  2,  2,  6  noch  zwei  Schattirungen:  das 
Chroma  hemiolon  I-/2,  l^/i,  7  und  das  Chroma  malakon  1^3,  l'/a,  T'/s.  Die 
Neu-Pythagoräer  nennen  das  Chroma  tonaion  Chroma  syntonon  und  unterscheiden 
ebenfalls  eine  Anzahl  von  Schattirungen,  bei  deren  Bestimmung  sie  jedoch  weder 
mit  dem  Aristoxenus,  noch  unter  einander  übereinstimmen.  Die  Enharmonik 
liat  keine  Schattirungen,  was  sich  von  selbst  versteht,  da  ihre  Stimmung  nur 
auf  eine  Art  stattfinden  kann  (nämlich  die  unbeweglichen  Klänge  nur  durch 
Quinten-  und  Quartenstimmung,  die  oxypykna  nur  durch  Terzenstimmung, 
endlich  die  mesopykna  nur  durch  Herabspannung  gefunden  werden  können). 
Die  Chroai  wurden  auch  vermischt  gebraucht;  Ptolemäus  nennt  vier  derartige 
Mischungen  (Migmata),  sowie  ihre  Benennungen  bei  den  Elitharoden  und  die 
Harmonien,  welche  sich  für  jede  der  Mischungen  am  meisten  eignen. 

6)  Melopöie  und  Metabole,  d.  i.  Musikalische  Composition  und  Modu- 
lation. Das  Wort  Melos  hat  eine  vierfache  Bedeutung;  es  bezeichnet  a)  im 
engsten  Sinne  eine  einfache  Aufeinanderfolge  auf-  und  absteigender  musikalischer 
Klänge,  b)  die  musikalische  Composition  mit  Ausschluss  des  Rhythmus  und 
der  Lexis  (des  Wortes),  d.  i.  die  Melodie  im  heutigen  Sinne,  c)  die  vollstän- 
dige musikalische  Composition  (melos  to  teleion),  Melopöie  heisst  bei  den  Alten 
der  praktische  Theil  der  Harmonik,  und  zwar  das  Melos  vom  Rhythmus  ge- 
trennt betrachtet.  Aristides  Quintilianus  nennt  sie  die  Kunst,  das  Melos  zu- 
sammenzufügen (ars  conficiendi  cantum).  Die  drei  Theile  der  Melopöie  heissen 
Lepsis,  die  Wahl  oder  Bestimmung  der  Tonregion  (des  Topos)  für  das  zu 
componirende  Musikstück;  Mixis  die  Mischung  oder  kunstgemässe  Vereinigung 
der  Klänge,  Geschlechter,  Harmonien,  Tonoi  und  Topoi;  endlich  Chresis,  die 
Anwendung  oder  Kunst  der  Stimmenführung  in  melodischem  Sinne. 

Nicht  mit  Unrecht  nimmt  die  Lej)sis  in  dieser  Eintheilung  die  erste  Stelle 
ein,  da  sie  es  ist,  die  den  Stil  des  Tonstücks  bestimmt;  denn  jeder  der  drei  Topoi 
entspricht  einem  gewissen  Gemüthszustand:  der  Topos  mesoeides,  von  Aristides 
hesychastikos  genannt,  ist  ruhig  und  würdig,  zu  Dithyramben  geeignet;  der 
Topos  netoeides  (systaltikos)  weiclilich  und  zu  erotischen  Gesängen,  sowie  für 
den  Nomos  brauchbar;  der  Topos  hypatoeides  (diastaltikos)  endlich  ist  von  er- 
habenem, heroischem  Charakter  und  fand  in  der  Tragödie  seine  Anwendung. 
War  somit  der  Stü  eines  Tonstücks  durch  die  Wahl  des  Topos  bestimmt,  so 
bestimmte  dieser  wiederum  die  Wahl  der  Harmonien,  Tonoi,  Geschlechter,  des 
Rhythmus  und  der  Instrumentirung.  Mixis  ist  die  Anwendung  der  in  der 
Aristoxenischen  Theorie  getrennt  behandelten  Metabole  oder  Vertauschung; 
diese  aber  ist  nichts  anderes  als  eine  Veränderung  im  Affekte  der  Melodie, 
welche  einen  gleichzeitigen  Wechsel  ihrer  einzelnen  Theile  (Harmonie,  Tonos, 
Rhythmus)  mit  S'cli  bringt.  Im  Anschluss  an  die  Definition  des  Bacchius  ist 
»Metabole«  kurzweg  durch  »Modulation«  zu  übersetzen:  sie  ist  der  wichtigste 
Theil  der  Mixis  und  sie  kann  nach  Aristoxenus  auf  vielerlei  Art  angewendet 
werden:  1)  als  Metabole  der  Geschlechter,  Uebergang  von  einem  derselben  in 
ein  anderes,  2)  als  Metabole  der  Systeme,  Modulationen,  welche  ohne  Umstimmen 
der  Saiten,  durch  den  blossen  Uebergang  vermittelst  des  Diezeugmenon-  oder 
Synemmenon- Systems  möglich  sind,  also  in  die  Oberquinte  und  Unterquarte, 
3)  als  Metabole  der  Tonoi,  Modulationen   in  entferntere  Tonarten,  nach  Aristo- 


Griechische  Musik.  369 

xenus    der  Uebergang    von    einem    seiner    dreizehn   Tonoi    in    einen    beliebigen 
anderen;    die    Metabole    der    Tonoi    fällt    bei  Ptolemäus    mit   der   der   Systeme 
zusammen,  und  zu  letzterer  gehört  auch  wahrscheinlich  die  Metabole  der  Har- 
monien (welche  in  keiner  der    alten   Theorien    ausdrücklich    erwähnt   ist),    eine 
Vertauschung,  die  nur  durch  den  veränderten  Finalton,  nicht  durch  veränderte 
Yorzeichnung   bewirkt  wurde;    im    Chorgesang   musste    die    Metabole   der  Har- 
monien   mit    der    der  Tonoi    ohnehin    zusammenfallen,    da    alle  Harmonien    im 
Umfang    der    einen    Octave  F—f   oder  /— /  gesungen  wurden  (siehe  S.  364), 
4)  als  Metabole    der  Melopöie    oder  Uebergang    von   einem  der  drei  topischen 
Stile  in   einen  andern.     Die  Anwendung  der  Metabole  erscheint  zuerst  bei  Sa- 
kadas  (590  v.  Chr.),  der  einen  »Nomos  trimeresa  componirte,  einen  Chor  mit  Flöten- 
begleitung in  drei  verschiedenen  Tonoi,  die  erste  Strophe  dorisch,  die  zweite  phry- 
gisch,  die  dritte  lydisch.     Zur  Zeit  Terpanders  war  sie  noch  unbekannt,  zu  der 
des  Phrynis  dagegen  (458  v.  Chr.)  schon  in  allgemeinem  Grebrauch.  —  Ausser 
der  Modulation  ist  wahrscheinlich   auch   zur  Mixis  zu   rechnen    die  Kunst  der 
Polyphonie,  insoweit  sie  den  Alten  bekannt  war:  und  dass  sie  ihnen  bekannt  war, 
dass  die  in  der  Mixis  erwähnte  Zusammenstellung  von  Tönen  nur  eine  gleich- 
zeitige gewesen  sein    kann,    erhellt    schon   daraus,    dass    die    Aufeinander- 
folge der  Klänge  ausdrücklich  als  in  das  Gebiet  der  Cliresis  gehörig  bezeichnet 
wird.    Ebenso  wenig  ist  es  ein  Beweis  für  das  Nichtexistiren  der  Polyphonie  im 
Alterthum,  dass  die  harmonischen  Theorien  sich  nicht  über  die  Intervallenlehre 
hinauserstrecken,    denn    auch    die  Neuzeit    kannte    die  Polyphonie  lange,  bevor 
Rameau  um  1722    —    in  demselben  Jahre,  wo  Bach's  »wohltemperirtes  Clavier« 
erschien   —    das    moderne    harmonische    System    aufstellte,     Dass   dagegen    die 
Polyphonie    bei    den    Griechen    nur    im    frühesten    Entwickelungsstadium  ^  vor- 
handen war,   soll  nicht  bestritten  werden,   denn  nach  Aristoteles  wurde  sie  im 
Gesänge  gar  nicht  angewendet  und  erschien  überhaupt  nur  zweistimmig,  entweder 
im  Gesang  mit  Instrumentalbegleitung,    oder    beim  Zusammenspiel    zweier  In- 
strumente,   oder    endlich    auf  einem  Instrument.     Letzteres  beweist  eine  Stelle 
des  Ptolemäus,    wo  er  das  Monochord    tadelt,   weil    es  das  Zusammenspiel  der 
beiden  Hände  nicht  gestatte.     Einige  beim  mehrstimmigen  Satz  zur  Anwendung 
kommende  Intervalle  werden  von  Plutarch  namhaft  gemacht;  jedoch  darf  seine 
Aufzählung  nicht  für  vollständig  gelten,  da  er  bei  derselben  vom  Tropos  spon- 
daicus  ausgeht,  der  als  liturgischer  Gesang  wohl  kaum  alle  bekannten  und  ge- 
bräuchlichen Combinationen  enthielt.     Die  Frage,  ob  die  Begleitung  über  oder 
unter  der   Singstimme    befindlich  war,    beantwortet    sich    durch    die  Natur    des 
begleitenden  Instrumentes:    da    die  Flöte    die    höhere,    die  Kithara   die   tiefere 
Tonregion  umfasste,    so    musste    in  der  Aulodik  die  Begleitung    über,    in    der 
Kitharodik  aber  unter  der  Singstimme  liegen.     Eine  weitere  Frage  ist  die,  ob 
die  Begleitung  in  Noten  von  gleicher  Dauer  der  Singstimme  folgte.     Dass  dies 
nicht  der  Fall  war,    beweisen    die  semantischen  Taktarten    des   Terpander,    der 
trocJiaios  semantos  und  der   orthios,   welche  sich  von  dem  dreizeitigen   Trochäus 
und  dem  Jambus  nur  dadurch  unterscheiden,  dass  sie   statt  dreier  Achtel  drei 
halbe  Noten  enthalten,  von  denen  jede  das  vierfache  der  einzeitigen  Kürze  ist: 
Taktarten,    deren  Erfindung  und  Gebrauch    nur    durch   die  Annahme  gerecht- 
fertigt erscheint,  dass  man  innerhalb  derselben  auch  Noten  von  kürzerer  Dauer 
anwendete.  —  Der  erste  Musiker,   der   eine  harmonische  Begleitung  versuchte, 
war  Archilochus,  doch  verlautet  nichts  von  einer  Weiterentwickelung  der  Poly- 
phonie  in    den    auf  ihn   folgenden  Jahrhunderten  musikalischen  Strebens.     Bei 
dem  vorwiegend  poetisch -literarischen   Sinn    der  Griechen  konnte  dieser  Zweig 
der  musikalischen  Kunst  unmöglich  zur  Entfaltung  gelangen :  die  polyphonische 
Begleitung  blieb  eine  unwesentliche,    unselbständige,    nur  hier  und  da,    beson- 
ders bei   Schlüssen  hervortretende  und  war,    um  mit  Aristoteles  zu  reden,  nur 
eine  Würze  (Hedysma)  der  Musik.     Erst  zur  Zeit  Karl's  des  Gr.  und  Guido's 
fing  man    an,    der  Polyphonie,    nachdem    sie    im  Anfang   des  Mittelalters  voll- 

24 
Musikal.  Coavers.-Lexilion.     IV. 


370  Griechische  Musik. 

ständig  verloren  gegangen  war,  neue  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  und  von 
nun  an  schreitet  sie  in  ihrer  Ausbildung  stetig  vorwärts,  trotz  der  Missgunst 
der  Poeten  und  selbst  einzelner  Musiker,  wie  z.  B.  des  Caccini,  welcher  den 
Contrapunkt  eine  Zerfleischung  (laceramento)  der  Poesie  nannte. 

Die  Chresis  oder  Stimmführung  hat  drei  Theile  a)  Agoge  (ductus,  Füh- 
rung), eine  Aneinanderreihung  von  Tönen  in  unmittelbarer  Folge,  entweder  in 
aufsteigender  Richtung  (A.  eiitheia)  oder  in  absteigender  (A.  anaka7nptasa)  oder 
endlich  in  auf-  und  absteigender  Richtung  (A.  peripheres) ,  wobei  auch  die 
durch  Vertauschung  der  Systeme  Diezeugmenon  und  Synemmenon  entstehende 
Metabole  zur  Anwendung  kommt,  b)  Ploke,  das  sprungweise  Fortschreiten  der 
Töne;  sie  handelt  von  den  erlaubten  und  unerlaubten  Intervallenschritten, 
c)  Petteia,  die  Wiederholung  oder  häufige  "Wiederkehr  desselben  Tones;  nach 
Aristides  Quiutilianus  diejenigen  Töne,  welche  in  einer  Melodie  am  häufigsten 
erscheinen  müssen,  um  die  Harmonie  zu  bestimmen  und  die  Modulation  vor- 
zubereiten. Dass  dies  im  Allgemeinen  der  Grundton  der  Harmonie  oder  ihre 
Quarte  oder  Quinte  war,  erhellt  aus  der  wichtigen  Stellung,  die  Aristoteles 
in  seinen  Problemen  der  thetischen  Mese  (die  ja  immer  einer  dieser  Töne  ist) 
zuertheilt,  sowie  aus  der  Behauptung  des  Aristides,  dass  die  Petteia  das  Ethos 
eines  Tonstückes  zum  Ausdruck  bringe.  —  Zu  der  Agoge  und  der  Ploke  sind 
noch  zu  rechnen  die  bei  Bryennius  und  dem  Anonymus  erwähnten,  kleinere 
Tongruppen  bildenden  Fortschreitungen,  bei  welchen  die  Töne  untereinander 
verbunden  waren:  so  das  Verlassen  eines  Tones  in  aufsteigender  Richtung  und 
Rückkehr  zu  ihm  (Proslepsis)  in  absteigender  (Eklipsis);  ferner  die  ihnen 
entsprechenden  Fortschreitungen  in  der  Instrumentalmusik,  jedoch  hier  ohne 
Bindung  der  Töne  (Prokrusis  und  Ekkrusis),  sowie  eine  Anzahl  anderer  Ton- 
gruppen, deren  Beschaff'enheit  zweifelhaft  ist,  und  welche  etwa  dem  modernen 
Triller,  Mordent  etc.  entsprechen  mögen. 

IL  Die  Rhythmik.  Während  im  Gebiete  der  Harmonik  der  Abstand 
zwischen  dem  Alterthum  und  der  Neuzeit  ziemlich  gross  ist,  so  dass  uns  nicht 
selten  jede,  das  Verständniss  vermittelnde  Brücke  zu  fehlen  scheint,  so  hat  die 
antike  Rhythmik  durchaus  nichts  Befremdendes  für  uns,  ja,  die  Neuzeit  darf 
sich  nicht  einmal  einer  TJeberlegenheit  in  diesem  Theile  der  musikalischen  Kunst 
rühmen,  vielmehr  muss  sie  an  Reichthum  der  rhythmischen  Formen,  besonders 
in  der  Reihen-,  Perioden-  und  Systembildung  hinter  dem  Alterthum  zurück- 
stehen. Bei  den  Griechen  hat  der  Rhythmus  das  Uebergewicht  über  Melodie 
und  Harmonie  und  er  repräsentirt  nach  Aristides  das  männlich -active,  die 
Harmonie  dagegen  das  weiblich  -  passive  Element.  —  Im  Gegensatz  zu  den- 
jenigen Schriftstellern,  welche  die  Metrik  und  die  Rhythmik  zusammen  als  eine 
Disciplin  behandeln,  stellt  Aristoxenus  zuerst  eine  Theoi'ie  der  musikalischen 
Rhythmik  gesondert  auf.  Nach  ihm  bildet  die  Rhythmik  das  einheitliche  Band 
aller  musischen  Künste:  die  Klänge,  die  Silben  der  Sprache,  die  Bewegungen 
des  Körpers  (Ifelos,  Lexis,  Kinesis)  sind  die  dem  Einfluss  des  Rhythmus  zu- 
gänglichen Objecto  (Rhythmizomena)  und  können  nur  durch  seine  Vermittelung 
als  Musik,  Poesie  und  Tanz  in  die  künstlerische  Erscheinung  treten.  Rhythmus 
ist  die  Eintheilung  der  verschiedeneu  Elemente  eines  Tonstückes  in  symmetrische 
Zeitgruppen,  in  Perioden,  Glieder  und  Takte.  Die  ersteren  müssen  in  propor- 
tionirte  Theile,  die  Glieder  und  Takte  in  Theile  von  gleicher  Dauer  zerfällt 
werden  können.  Die  Urform  des  Rhythmus,  die  Bewegung  ohne  Takt,  wie  sie 
noch  heute  im  römischen  Kircheugesang  und  im  Recitativ  erscheint,  war  in 
der  griechischen  Musik,  soweit  sie  uns  bekannt  ist,  nicht  in  Gebrauch.  —  Die 
von  Aristides  überlieferte  Theorie  des  Aristoxenus  handelt  von  den  Theilen 
der  Rhythmik  in  nachstehender  Reihenfolge:  1)  von  den  Zeiten,  2)  von  den 
Taktgeschlechtern,  3)  vom  rhythmischen  Tempo,  4)  von  der  rhythmischen 
Metabole,  5)  von  der  Rhythmopöie. 

1)  Unter    den  Zeiten    ist    die  kleinste,    der  Clironos  protos    (erste  Zeit, 
Kürze),   nur  von  relativer,   durch   die  Agoge  (Tempo)  bestimmter  Länge  oder 


Griecliische  Musik.  371 

Kürze,  im  Allgemeinen  der  kurzen  Silbe  entsprechend  und  durch  die  moderne 
Achtelnote  *  darzustellen.  Dieser  Chronos  protos  liegt  aller  rhythmischen  Ein- 
theilung  der  Alten  als  Einheit  zu  Grunde  und  aus  ihm  werden  die  Chronoi 
synthetoi  zusammengesetzt:  aus  zweien  der  Chr.  disemos,  unserer  Viertelnote 
entsprechend,  aus  dreien  der  Chr.  trisemos,  die  punktirte  Viertelnote,  aus  vieren 
der  Chr.  tetrasemos,  die  halbe  Note;  auch  sind  hier  die  sogenannten  irrationalen 
Zeiten  zu  erwähnen,  welche  aus  einem  Chr.  protos  und  einem  Bruchtheil  des- 
selben zusammengesetzt  sind.  —  Den  einfachen  und  zusammengesetzten  Zeiten 
entsprechen  Pausen  von  gleichem  "Werth:  Chronoi  kenoi  (tempora  vacua). 

2)  Von  den  Taktgeschlechtern.  Nicht  jede  beliebige  Reihe  einfacher 
Zeiten  bildet  einen  Rhythmus:  dieselbe  muss  aus  Gruppen  von  zwei,  drei  oder 
fünf  Chronoi  protoi  bestehen  oder  auf  solche  zurückzuführen  sein,  um  für  das 
Gefühl  erfassbar  zu  werden;  auch  muss  innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  ein 
Accent,  ein  sogenannter  guter  Takttheil  vorhanden  sein,  durch  welchen  der 
Takt  bestimmt  wird;  dies  ist  die  Thesis  oder  Basis,  welche  zusammen  mit  der 
Arsis  (dem  schlechten  Takttheil)  die  zwei  Theile  eines  jeden  Taktes,  des  geraden 
wie  des  ungeraden  bildet,  und  dieser  Eintheilung  gemäss  taktirten  die  Alten 
auch  den  Dreivierteltakt  nicht  mit  drei,  sondern  mit  zwei  Schlägen.  Die 
Vertheilung  der  Chronoi  protoi  auf  die  vier  einfachen  oder  Grundtakte  ist 
folgende: 

der  Y*  Takt  enthält  vier  Chronoi  protoi,  2  für  die  Thesis,  2  für  die  Arsis, 

»  /^       »            ))  drei         „              „  z     ,;       „         „  1  ,,  „  „ 

j>  /*       »            »  sechs       „              ,,  4  „       „          „  2  „  „  „ 

»  /s       V            11  luni         ,,              ,,  o     ,,       ,,          „  Ji  ,,  ,,  „ 

Diese  Grundtakte,  sowie  die  von  ihnen  abgeleiteten  werden  von  Aristoxenus 
noch  unterschieden  a)  nach  der  Grösse  (Megethos),  b)  nach  dem  Geschlecht, 
c)  nach  einfachen  und  zusammengesetzten  Takten,  d)  nach  Rationalität  und 
Irrationalität,  e)  nach  der  Gliederung  (kata  Diairesin),  f)  nach  der  Form  (kata 
Schema),  g)  nach  der  Stellung  der  Thesis  und  Arsis.  —  Nach  der  Grösse 
unterscheiden  sich  die  Takte  durch  die  Anzahl  einfacher  Zeiten,  welche  sie 
enthalten:  der  kleinste  enthält  deren  drei,  der  grösste  fünfundzwanzig  und  inner- 
halb dieser  beiden  giebt  es  einen  78,  ^s,  Vs,  Vs,  Vs,  '»/s,  ^'/s,  '^s,  ^Vs,  ^«/a 
und  ^"/s  Takt,  welche  sämmtlich  entweder  im  gleichen  Verhältniss  (Logos  isos 
1:1)  stehen,  nämlich  Vs  (7*),  Va,  78,  ^78,  ^78  (7*),  '78,  oder  im  Doppelver- 
hältniss  (Logos  diplasios  1:2)  ^/a ,  ^/i,  7»  >  ^^Ai  ^^hi  oder  im  anderthalbigen 
Verhältniss  (Logos  hemiolos  2:3)  78,  74,  '78,  72,  '"/a.  Der  ^73  Takt  ist  der 
grösste  des  vierzeitigen  Taktgeschlechts,  der  '^/a  der  grösste  des  dreizeitigen, 
der  ^^/s  der  grösste  des  fünfzeitigen,  denn  eine  weitere  Vermehrung  der  Chronoi 
protoi  würde  der  Sinn  nicht  erfassen  können.  Für  die  Taktgeschlechter, 
hat  Aristoxenus  ihm  eigenthümliche,  den  Grundtypen  der  metrischen  Versfüsse 
entnommene  Benennungen,  nämlich  das  daktylische  —  v^  v-/  für  den  vierzeitigen, 
das  jambische  ^—  für  den  dreizeitigen,  das  päonische  —■^—  für  den  fünf- 
zeitigen Takt.  —  Einfache  oder  unzusammengesetzte  Takte  sind  der 
^/s,  */s,  ^/8  und  ^ji  Takt;  diese,  sowie  die  kleineren  der  zusammengesetzten 
sind  der  antiken  und  der  modernen  Rhythmik  gemeinsam;  die  grösseren  da- 
gegen sind  in  modernem  Sinne  nicht  Takte,  sondern  Satzglieder.  —  Zum 
hemiolischen  Verhältniss  ist  noch  zu  bemerken,  dass  es  bei  den  Alten  nicht 
die  untergeordnete  Rolle  spielt,  wie  der  ^/4  Takt  in  der  modernen  Musik,  son- 
dern in  ihren  Theorien  als  gleichberechtigt  mit  den  zwei  anderen  Verhältnissen 
erscheint.  Rationale  und  irrationale  Takte  sind  solche,  die  aus  ganzen 
Chronoi  protoi  bestehen  und  solche,  welche  Bruchtheile  desselben  enthalten; 
das  irrationale  Verhältniss  wird  von  neueren  Gelehrten  in  das  Gebiet  der  Metrik 
verwiesen,  von  welcher  aus  es  mit  Unrecht  von  den  alten  Theoretikern 
auf  die  Rhythmik  übertragen  wurde.  —  Nach  der  Gliederung  (Diairesis) 
unterscheiden  sich  diejenigen  Takte,  welche  zwar  dieselbe  Grösse  haben,   aber 

24* 


372  Griechische  Musik. 

nicht  demselben  Geschlcclite  angehören,  wie  z.  B.  der  '/s  und  der  "/^  Takt, 
deren  ersterer,  im  gleichen  Vorhültniss  (logos  isos)  stehend,  dem  daktylischen 
Geschlecht,  der  zweite  aber,  im  Doppelverhältniss  (lo(/os  diplasios),  dem  päonischeu 
Geschlecht  angehört.  Ebenso  unterscheiden  sich  der  '^/s  und  ^ji  Takt  nur 
durch  die  Diairesis  vom  '/a  Takt;  jene  sind  im  gleichen  Verhältniss,  dakty- 
lischen Geschlechts,  dieser  im  Doppelverhältuiss,  jambischen  Geschlechts.  Der 
"/s  Takt  gehört  bald  zum  Doppelverhältniss  (jamb.  Geschl.),  bald  zum  hemi- 
olischen  (püon,  Geschl.),  jenachdem  sich  die  fünfzehn  Achtel  in  drei  oder  fünf 
Gruppen  gliedern.  —  Nach  der  Form  (Schema)  unterscheiden  eich  Takte  von 
gleicher  Grösse  und  demselben  Geschlecht,  wenn  die  ihnen  zu  Grunde  liegen- 
den einfachen  Takte  nicht  dieselben  sind,  wie  z.  B.  ^^/s  und  '^ji,  welche  von 
gleicher  Grösse  und  gleichem  Verhältniss  sind,  auch  beide  dem  daktylischen 
Geschlecht  angehören,  deren  ersterer  jedoch  vier  ^/s  Takte,  der  letztere  zwei 
^ji  Takte  enthält.  —  Der  Unterschied  der  Takte  nach  der  Stellung  der 
Thesis  und  Arsis  (Antithesis)  wird  in  der  modernen  Notation  nicht  aus- 
gedrückt, da  hier  jeder  Takt  mit  dem  guten  Takttlieil  beginnt;  die  Alten  da- 
gegen übertrugen  den  poetischen  Rhythmus  auf  den  musikalischen  und  begannen 
ihre  Takte  auch  mit  dem  Auftakt,  der  Anakrusis,  so  z.  B.  beim  Jambus  und 
Anapästus. 

3)  Das  rhythmische  Tempo  (Agoge)  bezeichnet  nichts  anderes,  als  die 
längere  oder  küi-zere  Dauer  der  einfachen  Zeit  und  in  Folge  dessen  des  ganzen 
Tonstücks. 

4)  Die  rhythmische  Metabole  (Taktveränderung)  kann  nach  Bacchius 
und  Aristides  auf  vierfache  Weise  stattfinden:  nach  dem  Ethos,  jenachdem 
dasselbe  ruhig  (hesychastikos) ,  weichlich  (systaltikos)  oder  erhaben  (diastaltikos) ; 
nach  der  rhythmischen  Agoge,  die  Dauer  der  einfachen  Zeiten  oder  das  Tempo 
betreffend;  nach  den  Taktfiguren  oder  der  Art,  den  Takt  mit  Klängen  von 
verschiedener  Dauer  auszufüllen,  indem  man  dieselben  bald  auflöste,  bald  wieder 
zusammenzog  (kata  BJ/ytJ/moponas  thesin);  endlich  nach  dem  Rhythmus  (kata 
Mhythmon),  d.  h.  alle  Taktveränderungen,  nicht  allein  im  modernen  Sinne,  son- 
dern auch  durch  Antithese,  sowie  durch  den  Uebergang  von  einem  zusammen- 
gesetzten Q^akt  zu  einem  andern ,  welchem  derselbe  einfache  Takt  zu  Grunde 
liegt.*)  Die  Metabole  kann  auch  innerhalb  einer  Strophe,  Periode  oder  selbst 
eines  Satzgliedes  stattfinden;  unter  den  Vertauschungen  letzterer  Art  sind  die 
gebräuchlichsten  die  jRliythmoi  anaklomenoi,  z.  B.  die  Jonici  atiaJdomenoi ,  der 
Wechsel  von  ^/i  und  7»  Takt,  die  Dochmieu,  ^/s  und  ^/s  Takt  etc.  —  Es  gab 
zwei  Arten  zu  taktiren:  die  eine  für  das  Auge  und  zwar  mit  der  Hand,  welche 
in  jedem  Takte  zwei  Bewegungen  (Seineia)  machte,  eine  für  die  Arsis,  eine  für 
die  Thesis;  die  andere  für  das  Ohr,  mit  dem  Fusse,  jedoch  nur  mit  einer 
Bewegung  in  jedem  Takt  für  die  Thesis.  Die  letzte  Taktirungsart  wurde  beim 
Chorgesang,  als  zu  wenig  bemerkbar,  nicht  angewendet,  wohl  aber  von  den  In- 
strumentalisten ,  welche  die  Taktschläge  durch  Metallsohlen  noch  verstärkten. 
Ein  Semeion  hatte  nur  der  kürzeste  Takt,  der  '/s;  dieser  jedoch  kam  nur 
selten  als  solcher,  sondern  meist  zur  Dipodie  erweitert  vor.  Die  zweizeitigen 
Takte  hatten  zwei,  die  grösseren  dreitaktigen  drei  und  die  füufzeitigen  vier 
Semeia,  welche  letzteren  sich  so  vertheilten,  dass  auf  die  zwei  ersten  Fünftel 
zusammen  nur  ein  Semeion  kam. 

Die  musikalische  Rhythmik  der  Griechen  lehnt  sich  eng  an  das  Metrum 
der  Poesie;  die  Länge  und  Kürze  der  Silben  ist  für  ihre  Vocalmusik  allein 
maassgebend.  Die  inneren  Taktcombinationen  der  Alten  waren  bei  weitem 
nicht  so  reich  wie  in  der  modernen  Musik,  da  ihre  rhythmischen  Regeln  aus 
der  Vocalmusik  abstrahirt  waren  und  diese  durch  ihre  Abhängigkeit  von  der 
Poesie  in  ihrer  Entwickelung  beschränkt  wurde.     Die  griechische  Musik  kannte 


*)  Z.  B.  Figaro's  Hochzeit,  Akt  III.,  die  Metabole  vom  '^^  z^Qi  V  Takt  in  der  Arie 
der  Susanna. 


Griecliische  Musik.  373 

in  ihren  häufigsten  Formen  nur  zweier-lei  Werthe,  die  Kürze  (*)  und  die  Länge  (i*) 
—  die  dreizeitige  Länge  (*')  und  die  vierzeitige  Länge  (|  )  sind  schon  seltener  — 
und  eben  so  viel  Pausenzeichen,  aus  denen  sich  alle  rhythmischen  Comhi- 
nationen  zusammensetzten;  um  so  mannichfaltiger  war  dagegen  ihre  Satz-  und 
Periodenbildung,  d.  h.  die  Vereinigung  einzelner  Takte  zu  einem  zusammen- 
gesetzten Takt  (pous  synthetos),  von  den  Meti'ikern  Kolon  genannt  (bei  uns 
Satzglied),  und  die  Grruppirung  dieser  Kola;  aus  ihnen  werden  die  Perioden 
auf  viererlei  Art  gebildet:  1)  indem  zwei  Sätze  von  gleicher  Ausdehnung  ein- 
ander entsprechen  (die  stichische  Periode),  2)  durch  "Wiederholung  einer  Gruppe 
(palinodische  P.),  3)  durch  umgekehrte  "Wiederholung  einer  Gruppe  (anti- 
thetische P.),  4)  durch  umgekehrte  Anordnung  der  Sätze  um  ein  Mittelspiel 
(mesodische  P.).  Die  Gruppii-ung  der  Perioden  zu  Systemen  endlich  kann 
entweder  in  strophischer  oder  in  kommatischer  Form  stattfinden,  d.  h. 
derselbe  Rhythmus  kann  sich  mit  anderen  Textworten  wiederholen  oder  der 
Text  ist  durchcomponirt.  Die  erstere  Form  hat  zwei  Untei-arten:  die  mono- 
strophische (deren  kleinste  das  Distichon  ist)  mit  einem  Schema  nach  der 
Weise  des  modernen  Liedes,  und  die  perikopische,  aus  mehreren  Gruppen 
von  Strophen  bestehend,  jede  Gruppe  aus  zwei  oder  mehr  Systemen  zusammen- 
gesetzt. Enthält  die  Perikope  zwei  Strophen  von  demselben  rhythmischen  und 
melodischen  Schema,  z.  B. 

A  ABBOG 

Strophe,  Antistrophe,  Str.,  Antistr.,  Str.,  Antistr., 

so  heisst  sie  die  syzygische  (jedes  Strophenpaar  bildet  eine  Syzygie);  enthält 
sie  dagegen  drei  Strophen,  von  denen  mindestens  zwei  dasselbe  Schema  haben 
(wie  Pindar's  Enkomien)  z.  B. 

A  A  B       A         A  B 

Strophe,  Antistrophe,  Epode,  Str.,  Antistr.,  Epode, 

so  heisst  sie  die  epodische  Perikope.  Die  kommatische  Form  ist  die 
des  kitharodischen  und  aulodischen  Nomos  der  Instrumentalmusik  und  der  spä- 
teren scenischen  Monodie,  d.  h.  da,  wo  der  eigentliche  Tanz  fehlte,  welcher, 
als  Ursprung  der  Strophe,  auch  eine  strophische  Musik  erfordert.  Der  Tanz 
im  weiteren  Sinne,  wenn  er  als  Orchesis  den  Chor,  als  Mimesis  den  Vortrag 
der  Schauspieler  begleitete,  war  dieser  Bedingung  nicht  unterworfen,  wohl  aber 
das  Hyporchema  (Tanzlied),  wo  der  Tanz  den  Vorrang  vor  dem  Gesang  hatte.  — 
In  der  Geschichte  der  Rhythmik  nimmt  Archilochus  die  wichtigste  Stelle  ein 
durch  die  künstlerische  Ausbildung  der  dem  Volkslied  entnommenen  strophischen 
Form,  sowie  durch  Einführung  der  populären  Rhythmen,  welche  die  fast  aus- 
schliesslich in  Hexametern  verfassten  Nomoi  Terpanders  und  Klonos'  verschmäht 
hatten.  Ihm  folgten  Alkäus  und  Sappho,  die  Schöpfer  der  graziösen  Form 
des  lesbischen  Liedes,  welche  noch  dem  Horaz  als  Muster  galt  und  dessen 
Rhythmen  selbst  in  die  christliche  Hymnologie  übergingen.  —  Ferner  sind 
wichtig:  Olympus,  als  Erfinder  des  päonischen  und  ionischen  Rhythmus  (^/4 
und  ^ji  Takt);  Tyrtäus,  als  Erfinder  des  Anapästus  für  die  spartanischen 
Schlachtgesänge;  Thaletas,  der,  wenn  auch  selbst  kein  Erfinder,  doch  das 
Verdienst  hat,  die  Pi,hythmen  des  Olympus  und  den  kretischen  Nationalrhythmus 
in  den  Chorgesang  eingeführt  zu  haben;  A  1km an,  der  Erfinder  der  ent- 
wickelten Strophe;  Stesichorus,  der  der  perikopischen  Form  von  drei 
Systemen  (der  epodischen  Gliederung),  welche  beide  Formen  durch  Pindar  ihre 
höchste  x^usbildung  erhielten.  —  Die  Tragödie,  welche  sich  aus  dem  durch 
Lasus  künstlerisch  ausgebildeten  Dithyrambus  entwickelt  hatte,  bemächtigte 
sich  aller  bis  dahin  erfundenen  rhythmischen  Formen  und  fügte  ihnen  noch 
neue  hinzu,  wie  z.  B.  die  Dochmien  (^/s  und  ^/s  Takt),  sowie  den  trochäischen 
und  jambischen  Rhythmus  mit  vorher  unbekannten  Dehnungen;  dies  alles  freilich 
nur  in  der  melischen  Poesie,  während  sich  der  recitirte  Theil  der  Tragödie  auf 
den  jambischen  Trimeter  und  —  ausnahmsweise  meist  in  der  Komödie  —  den 


374  Griechische  Musik. 

trochäischen  Tetrameter  beschränkte.  Die  ältere  Tragödie  (Aeschylus)  zeigt 
eiue  grössere  Mannichfaltigkeit  in  den  Bestandtheilen  ihrer  chorischen  Strophen, 
als  die  spätere  des  Euripides,  wogegen  sich  diese  durch  die  Vermischung  der 
kommatischen  und  strophischen  Form  im  Aufbau  des  ganzen  Melos  auszeichnet. 
—  In  der  Komödie  erhielten  eine  Menge  volksthümlicher  Rhythmen  aus  Liedern 
und  Tänzen  künstlerische  Bedeutung;  so  z.  B.  die  Sikinnis  (der  Satyrtanz)  und 
die  lascive  Kordax.  Die  Instrumentalmusik  endlich  begnügte  sich  nicht  mit 
den  vom  Gesänge  entlehnten  rhythmischen  Formen,  sondern  sie  erfand  deren  ihr 
eigenthümliche,  wie  schon  die  einfachen  Notenbeispiele  des  Anonymus  beweisen. 
IIL  Musikinstrumente.  Die  Griechen  bedienten  sich  bei  ihrer  Kunst- 
musik zweier  Arten  von  musikalischen  Instrumenten:  der  Saiten-  \iud  Holz- 
Blasinstrumente.  Blechinstrumente  wurden  nur  zu  kriegerischen,  nicht  zu 
künstlerischen  Zwecken  verwendet.  1)  Die  Saiteninstrumente  waren  von 
verschiedener  Grösse  und  Form,  und  hatten  eine  verschiedene  Anzahl  von 
Saiten,  durch  welche,  beim  Mangel  eines  Griffbretts,  ihr  Tonvorrath  bestimmt 
war.  Diese  Mannichfaltigkeit  der  Instrumente  hörte  jedoch  mit  den  Perserkriegen 
auf;  die  Barbitos  (das  Insti-ument  Anakreons),  die  Pektis  (das  der  Sappho) 
und  andere  bei  den  griechischen  Künstlern  des  6,  vorchristlichen  Jahrhunderts 
beliebte  Instrumente  kamen  ausser  Gebrauch,  und  die  Nationalinstrumente  Lyra 
und  Kithara  wurden  allein  beibehalten,  erstere  zur  Volksmusik,  letztere  für 
höhere  Kunstleistungen.  Das  Spieleu  der  Lyra  erforderte  geringere  Fertigkeit 
als  das  der  Kithara,  auf  welcher  man  neben  den  festen  wahrscheinlich  noch 
harmonische  Töne  hervorzubringen  wusste,  wenn  wir  anders  die  Nachricht  des 
Athenäus  über  den  Kitharaspieler  Lysander  richtig  verstehen.  Sie  wurde  auf 
den  Knien  gehalten,  und  zwar  wie  bei  unserer  Harfe  die  tiefsten  Saiten  vom 
Körper  entfernt;  die  tieferen  Saiten  spielte  man  mit  der  linken  Hand,  die 
höheren  mit  der  rechten;  die  Erfindung  des  Plektrums,  eines  gebogenen  Holzes, 
mit  dem  die  Saiten  geschlagen  oder  gerissen  wurden,  ist  aus  späterer  Zeit, 
wie  der  Name  Lichanos  (Zeigefingersaite)  beweist.  Bis  zur  Zeit  des  Perikles 
hatte  die  Kithara,  wie  auch  die  Lyra  sieben  Saiten,  welche  folgende  Namen 
führten:  Tiefste  (Hypate),  Vortiefste  (Parhypate),  Zeigefingersaite  (Lichanos), 
Mittelste  (Mese),  Dritte  (Trite),  Vorhöchste  (Paranete),  Höchste  (Nete).  Dies 
ist  die  sogenannte  thetische  Benennung  (Onomasia  Icata  Thesin),  welche 
sich  lediglich  auf  die  Ordnung  der  Saiten,  nicht  auf  ihre  Intervallfolge  und  ihre 
Function  bezieht.    Das  alte  dorische  Heptachord,  welches  zur  Zeit  Pindar's  noch 

in  Gebrauch  war,  wurde  nach  dem  Synemmenonsystem  gestimmt  e  f  g  a  h  c  d\ 

eine  zweite  Stimmung  war  die  nach  dem  diazeuktischen  System  e  f  g  a  h  c  d, 
wo  die  drei  untersten  Töne  des  getrennten  Tetrachords  oben  der  Mese  hinzu- 
gefügt wurden.  Das  Bedürfniss,  der  Scala  durch  Hinzufügung  der  Octave 
einen  Abschluss  zu  geben,  veranlasste  Terpander,  der  Kithara  in  der  Höhe 
die  Octave  der  Hypate  (e)  hinzuzufügen,  wofür  er  jedoch,  um  die  Sieben- 
zahl der  Saiten  nicht  zu  überschreiten ,  einen  der  früheren  Töne  (den 
sechsten)  wegliess,  mit  andern  Worten,  er  stimmte  seine  höchste  und  vor- 
h ochste  Saite  um  einen  Ton  höher.  Man  stimmte  die  Klänge  des  alten  do- 
rischen Heptachords  (nach  Aristoteles),  indem  man  von  der  Mese  des  dorischen 
Tons    ausging    und    die    übrigen    Klänge    durch  Quarten-    und  Quintenschritte 

auffand:  h,  f,  c,  dann  wieder  l,  es,  as,  des,  ges  und  (im  Öynemmenonsystem)  ces. 

(Dorisches  Heptachord  im    diazeuktischen    System:  f,  ges,  as,  h,   c,  des,  es,  im 

Synemmenonsystem:  f,  ges,  as,  h,  ces,  des,  es).  Die  mit  den  so  gefundenen  Klängen 
mögliche  dorische  Melodie  schloss  entweder  mit  der  tiefsten  Saite  (f),  dann 
war  sie  eine  authentische,  oder  mit  der  Mittelsaite  (h),  dann  war  sie  eine  pla- 
galische;  im  ersten  Falle  war  die  Melodie  auf  das  diazeuktische,  im  zweiten  auf 
das  Synemmenonsystem  basirt.  Die  äolischen  (hypodorischen)  Melodien  waren 
bloss  mit  der  diazeuktischen  Stimmung  ausführbar,  und  zwar  im  plagalischen  Bau, 


Griechisclxe  Musik.  375 

d.i. mit  der  Mittelsaite  als  Schlusston.  So  lange  die  dorische  und  hypodorische 
Harmonie  allein  in  Grebrauch  waren,  stimmte  die  Folge  der  Saiten  mit  deren 
Function,  die  thetische  mit  der  dynamischen  Benennung  überein;  dies  hörte 
auf,  nachdem  die  phrygische  und  lydische  Harmonie  (durch  den  Lydier  Alkman) 
in  den  dorischen  Chorgesang  eingeführt  war.  Während  bisher  die  Mese  der 
dorisch-äolischen  Harmonie  (b)  auch  zugleich  die  mittlere  Saite  der  Kithara 
war,  und  die  tiefste  Saite  mit  der  Hypate  meson  zusammenfiel,  so  kann  der 
Schlusston  dieser  neuen  Harmonien  jetzt  nicht  mehr  mit  der  Mittelsaite  oder 
der  tiefsten  Saite  des  dorischen  Heptacords  zusammenfallen.  Um  dieselbe  Com- 
bination  zu  gewinnen,  welche  wir  auf  dem  dorischen  Heptacord  constatirt  haben, 
und  die  phrygischen  Melodien  mit  der  Mittelsaite  oder  der  tiefsten  Saite 
schliessen  zu  können,  stimmte  man  die  Kithara  von  der  dynamischen  Lichanos 
hypaton  des  phrygischen  Tonos  bis  zur  Trite  diezeugmenon  desselben  Tonos  um. 

^      -^     ^=-     ^^ 


3Ö. 


ISSI 


m 


f,        g,      as,      b,        c,      d,       es. 

In  dieser  Gestalt  endigten  die  phrygischen  Melodien  auf  der  tiefsten  Saite, 
d.  i.  sie  waren  authentisch;  aber  die  dynamischen  und  thetischen  Benennungen 
gehen  ganz  auseinander,  denn  die  dynamische  Hypate  ist  nicht  mehr  die  tiefste, 
die  dynamische  Mese  nicht  mehr  die  mittlere  Saite,  sondern  jetzt  fällt  die 
mittlere  Saite  oder  thetische  Mese  mit  der  dynamischen  Lichanos  meson  zu- 
sammen, und  gleicherweise  verändern  auch  die  andern  Saiten  ihre  Benennungen. 
Die  Piagalmelodien  der  phrygischen  Harmonie  wurden  ähnlich  wie  die  dorische 
mit  dem  Synemmenon  ausgeführt: 

mittlere  Saite, 
phryg.  Schlusston. 

.Ä.      \>t=>.       IS 


■^^. 


~S~ 


m 


f,        g,      as,  b,  ces,     des,      es. 

Für  lydische  Melodien  brauchte  mau  nur  dieselbe  Disposition  festzuhalten;  die 
tiefste  Saite  ward  auf  die  Parhypate  hypaton  des  lydischen  Tonos  gestimmt, 
die  höchste  auf  die  Paramese  im  authentischen  Bau,  auf  die  Trite  synemmenon 
im  plagalischen  Bau.  Die  drei  Grrundtonarten  können  dann  sowohl  in  authen- 
tischer Form  als  auch  in  plagalischer  ausgeführt  werden;  die  Hypo  -  Tonarten 
dagegen  nvir  in  der  plagalischen  Form.  Die  hypodorische  steht  zur  dorischen 
Harmonie  in  demselben  Verhältniss,  wie  das  Hypophrygisch  zum  Phrygisch, 
das  Hypolydisch  zum  Lydisch.  Von  der  in  der  Mitte  unvollständigen  Octave 
des  Terpander  bis  zur  Hinzufügung  einer  neuen,  achten  Saite  zu  den  bisherigen 
der  Kithara  war  nur  ein  Schritt,  und  zwar  kann  Pythagoras  als  der  Urheber 
dieser  Neuerung  betrachtet  werden,  wenngleich  zu  seiner  Zeit  und  auch  zu  der 
seines  Schülers  Philolaus  das  Octochörd  noch  nicht  in  allgemeinem  Grebrauch 
war.  Nun  erhalten  die  vier  höchsten  Saiten  der  Kithara,  die  bisher  nach  dem 
Synemmenon- Tetrachord  benannt  waren,  die  Benennungen  des  diazeuktischen 
Tetrachordes:  die  frühere  »Dritte«  wird  »Nebenmittlere«  (Paramese),  die  »Yor- 
höchste«  wird  »Dritte«,  die  »Höchste«  wird  »Vorhöchste«.  Mit  der  Einrichtung 
des  Octochords  fällt  auch  zusammen  die  Einführung  der  sieben  Octaven- Gat- 
tungen und  der  ihnen  nun  genau  entsprechenden  sieben  Tonoi;  von  den  letz- 
teren hat  jeder  zwei  vollständige,  eine  Octave  umfassende  Scalen:  eine  dia- 
zeuktische  für  die  authentischen,  eine  nach  dem  Synemmenonsystem  für  die 
plagalischen  Melodien.  Die  mixolydische  Stimmung  allein  war  nur  für 
authentische  Melodien  brauchbar;  die  plagalischen  Melodien  dieser  Harmonie 
musste  man  mit  der  hypolydischen  Stimmung  im  diazeuktischen  System 
bilden.  Für  den  Vortrag  der  Nomen,  welche  von  Solosängern  und  zwar  ge- 
wöhnlich von  Tenoristen  gesungen  wurden,  fand  man  die  Chorstimmung  F—f 
zu  tief  und  nahm  statt  des  dorischen  Tonos  die  mittlei'e  Octave  des  lydischen, 


376  Griechische  Musik. 

welcher  eine  grosse  Terz  höher  war.  a,  h,  c,  d,  e,  f,  g,  a.  Jon  von  Chios, 
ein  Zeitgenosse  des  Sophokles,  erfand  das  Dekachoi'd,  indem  er  der  Kithara 
wiedenira  zwei  neue  Saiten  hinzufügte,  welche  mit  den  bisherigen  acht  in  drei 

verbundenen  Tetrachorden  gestimmt  wurden:  e,  f,  g,  a,  h,  c,  d,  es,  f,  g;  nach 
ihm  Melanippides  das  Dodekachord,  welches  aus  den  vier  Tetrachorden  hypaton, 

meson,  diezeugmenon  und  synemmenon  bestand  e,  f,  g,  a,   h,  c,  d,  es,  e,  f,  g,  a 

und  die  Möglichkeit  bot,  ohne  Vertauschung  der  Tonoi,  lediglich  durch  belie- 
bige Anwendung  des  diazeuktischen  und  Synemmenon- Systems  sämmtliche  Har- 
monien auszuführen.  —  Phrynis,  der  Sieger  im  Panathenaenfest  (456  v.  Chr.), 
vermehrte  zwar  nicht  die  Zahl  der  Saiten,  aber  er  erfand  eine  reicher  com- 
binirte  Stimmung. 

Die  fünfzehn-saitige  Kithara,  die  zur  Zelt  des  Ptolemäus  (unter  Marc 
Aurel)  allgemein  in  Gebrauch  war  und  von  ihm  seiner  Theorie  zu  Grunde 
gelegt  wurde,  umfasste  die  Töne  von  B — h   (vom    dorischen    Proslambanomenos 

bis  zur  dorischen  Nete  hyperbolaion),  nach  heutiger  Stimmung  etwa  von  G — g. 
Von  nun  an  werden  die  Namen  der  Saiten  des  dorischen  Tonos  für  die  übrigen 
sieben  Tonoi  gebraucht,  und  während  früher  die  Benennungen  der  Saiten  (die 
Onomasia  kata  thesin)  den  Ausgangspunkt  für  die  theoretischen  Benennungen 
(Onomasia  kata  dynamin)  bildeten,  so  werden  nun  umgekehrt  die  theoretischen 
Benennungen  auf  die  Saiten  übertragen.  Um  in  den  verschiedenen  Tonoi  zu 
spielen,  brauchte  man  nicht  das  ganze  Instrument,  sondern  nur  eine  einzige 
Saite  in  jeder  Octave  umzustimmen  (nach  dem  Princip  der  modernen  Harfe), 
wodurch  es  möglich  wurde,  in  die  benachbarte  Tonart  zu  moduliren.  In  Folge 
eines  solchen  Umstimmens  aber  wurde,  wie  auch  bei  der  sieben-  und  acht- 
saitigen  Kithara,  die  dynamische  Benennung  (das  Intervallverhältniss)  eines 
jeden  Tones  der  Scala  eine  andere:  die  tiefste  Saite  hiess,  ausser  im  dorischen 
Tonos,  dann  nicht  mehr  Proslambanomenos,  die  höchste  nicht  mehr  Nete 
hyperbolaion.  Um  aber  in  einem  solchen  Falle  die  in  der  Höhe  oder  Tiefe 
fehlenden  dj'namischen  Klänge  der  Scala  wiederzugewinnen,  identificirte  man  in 
der  Theorie  Proslambanomenos  und  Nete  hypei'bolaion  und  begann  von  ihnen 
aus  ein  neues  »vollständiges  System«  (S.  teleion),  z.  B. 

Mixolydischer  Tonos. 

Thetische      pr„,„„i,.  Mese  Nete 

Benennungen  i^  nyperl). 

- -r ^t>^»«— te— ^^^-3 


^t^^-'°^=-— ==^P^ 


Dynamische    Nete  diez.     (Proslamb.)  ''  Mese  Nete  die- 

Benennungen  Nete  hyperb.  zeuRm. 

Im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.,  zur  Zeit  des  Anonymus,  findet  man  keine  Spur 
mehr  von  der  Stimmung  des  Ptolemäus;  von  hier  an  bleibt  die  Stimmung 
der  Kithara  unveränderlich  im  lydischen  Tonos  (D — d)  und  auf  diese  Stim- 
mung beziehen  sich  alle  späteren  Schriftsteller  bis  auf  Boetius. 

2)  Holz-Blasinstrumente.  Die  Flöte  (Aulos)  spielte  in  der  griechischen 
Musik  eine  kaum  minder  wichtige  Eolle  als  die  Kithara,  wenngleich  durch  sie 
nicht  das  sittlich-erhabene  Element  der  Kunst,  sondern  das  menschlich -pathe- 
tische repräsentirt  war;  ferner  auch  das  orgiastische  Element  des  Dionysus- 
Cultus,  und  dies  besonders  durch  die  Flöten  der  Barbaren  (Phrygier) ,  welche 
neben  den  griechischen  in  Gebrauch  waren.  Unter  den  verschiedenen  Arten 
der  Flöte,  Monaulos,  Diaulos  (Doppelflöte),  Aulos  plagios  (Querflöte),  Syrinx 
(Hirtenflöte),  hat  nur  die  erstere  künstlerische  Bedeutung;  sie  ist,  nach  den 
Beschreibungen  der  Alten  und  den  Abbildungen  auf  Reliefs,  Vasen  etc.  zu 
u.rtheilen,  eher  unserer  Clarinette  als  unserer  Flöte  zu  vergleichen,  sowohl  was 
ihre  Gestalt  als  auch  ihre  Tonhöhe  betrifipt;  anfangs  hatte  sie  nur  drei  bis  vier 
Löcher,  nach  und  nach  aber  wurden  deren  mehrere  hinzugefügt,  und  zur  Zeit 
des  Aristoxenus  betrug  der  Tonumfang  der  verschieden  gestimmten  Flöten  zu- 


Griechlsclie  Musik.  377 

sammen  mehr  als  drei  Octaven;  in  diesen  umfang  theilten  sich  die  tiefe  Flöte 
(Aulos  hyperteleios  oder  andreios)  für  den  Männergesang;  die  mittlere  (A. 
teleios)  für  das  Solospiel  bei  den  pythischen  "Wettkämpfen  in  Delphi  und  zur 
Begleitung  des  chorischen  Gesanges;  endlich  die  hohe  (Skytalion)  zur  Beglei- 
tung der  Jungfrauenchöre  und  der  aus  Phrygien  und  Lydien  stammenden 
Klagegesänge  etwa  in  folgender  Weise: 


§EEE 


pü 


:{= 


Die  für  die  Flöte  gebräuchlichen  Harmonien  waren  Dorisch,  Jastisch  (Hypo- 
phrygisch) ,  Phrygisch  und  Syntonolydisch.  —  Um  in  verschiedenen  •  Tonoi  zu 
spielen,  nahm  man  entweder  verschiedene  Flöten  (wie  z.  B.  Aristoxenus  von 
hypophrygischen  und  anderen  Flöten  spricht),  oder  man  bediente  sich  der 
Klappen  (wie  von  Pronomos  von  Theben  erzählt  wird),  oder  endlich  man  be- 
deckte die  Löcher  nur  theilweise  mit  dem  Finger,  wodurch  die  bedeutendsten 
Flöten -Virtuosen  nicht  blos  jede  beliebige  Tonart,  sondern  auch  die  Yiertels- 
töne  des  enharmonischen  G-eschlechts  mit  Sicherheit  hervorbrachten.  Ueber- 
haupt  muss,  nach  der  betreffenden  Terminologie  zu  urtheilen,  die  Technik  der 
antiken  Flöte  ungemein  ausgebildet  gewesen  sein;  von  Sakadas  Wird  erzählt, 
dass  er  in  seinem  Nomos,  welcher  den  Sieg  Apollo's  über  den  Drachen  Python 
feiert,  das  Zähneknirschen  des  sterbenden  Drachen  darstellte,  in  einer  gewissen 
"Weise,  die  dann  Odontismos  genannt  wurde.  —  Der  Ursprung  der  griechischen 
Flöte  ist  so  alt  wie  der  der  Kithara,  und  sie  wurde  wahrscheinlich  nicht  von 
Olympus  eingeführt,  sondern  nur  von  ihm  durch  asiatische  Neuerungen 
vervollkommnet.  Beide  Instrumente,  die  Kithara  wie  'die  Flöte,  fanden  ihre 
Hauptwirksamkeit  im  Verein  mit  der  menschlichen  Stimme,  Der  Gesang  zur 
Kithara,  die  Kitharodik,  entwickelte  sich  aus  den  Hymnen,  welche  an  be- 
stimmte Cultusstätten ,  wie  Delphi,  Delos  u.  a.  gebunden  waren,  und  welche 
wegen  ihrer  stätigen  Compositionsform  »Gesetze«  (Nomoi)  genannt .  wurden. 
Diese  Nomoi  wurden  auch  bei  musischen  Wettkämpfen  (Agonen)  ausgeführt, 
und  es  werden  als  Prototypen  der  agonistischen  Kitharoden  Chrysothemis 
und  Orpheus  genannt,  jener  als  Vertreter  der  dorisch  -  delphischen  Sänger- 
schule, dieser  der  äolisch  -  thrakischen ,  die  sich  durch  orgiastische  Beimischving 
von  der  religiösen  Einfachheit  der  ersteren  unterschied.  Terpander  war  der 
erste ,  welcher  den  Nomosgesängen  eine  höhere  künstlerische  Vollendung  gab, 
indem  er  einestheils  den  Inhalt  des  Epos  in  seine  Lyrik  aufnahm  und  andern- 
theils  die  bisher  getrennten  Kunstzweige  des  Dorischen  und  Aolischen  ver- 
einigte. Seine  Blüthezeit  fällt  in  die  ersten  Olympiaden;  er  ahmte,  wie  Plutarch 
sagt,  die  Gedichte  des  Homer  und  die  Melodien  des  Orpheus  nach.  Die  von 
ihm  eingeführte  Tonart  der  lesbischen  Aolier  wurde  vom  spartanischen  Staate 
sanctionirt,  und  seine  Anordnungen,  die  mit  dem  Namen  der  ersten  musika- 
lischen Katastasis  bezeichnet  wurden,  behielten  unveränderte  Gültigkeit  bis  zur 
Zeit  nach  den  Perserkriegen,  wo  Phrynis  einen  gekünstelten  Stil  an  die  Stelle 
der  alten  Einfachheit  setzte.  —  Die  Kitharodik  gebrauchte  zu  Terpanders  Zeit 
drei  Harmonien:  Dorisch,  Hypodorisch  (von  Aristoteles  »kitharodikotate« ,  die 
zur  Kithara  geeignetste  genannt)  und  das  noch  nicht  genau  festgestellte  Böotisch. 
Die  ursprüngliche  Taktart  des  kitharodischen  Nomos  war  der  Hexameter;  Ter- 
pander erfand  noch  zwei  weitere  Taktarten,  den  Trochäus  semantus,  eine  vier- 
fache Verlängerung  der  einzelnen  Theile  des  '/s-Taktes  (^/a)  und  den  Rhythmus 
orthios,  der  dem  Trochäus  semantus  zur  Seite  steht,  wie  der  Jambus  dem  ein- 
fachen Trochäus,  also  ein  ^/a-Takt  mit  dem  Auftakt  beginnend.  —  Die  Ein- 
theilung  oder  Gliederung  des  kitharodischen  Nomos  Terpanders  war  folgende: 
Prooimion  oder  Eparcha  (Vorgesang) ;  dann  der  eigentliche  Nomos ,  bestehend 
aus  Metarcha  (Anfang),  Katatropa  (Wendung),  Omphalos  (Mitte),  Metakata- 
tropa"^'(Rückwendung),  Sphragis  (Schluss,  Siegel);    endlich  Exodion  oder  Epi- 


378  Grieehisclie  Musik. 

logus  (Nacligesang).  —  Die  Instrumentalbegleitung  ging  im  kitliarodischen 
Nomos  meist  mit  der  Singstimme;  die  Mehrstimmigkeit  beschränkt  sich  auf 
gelegentliches  Erklingenlassen  eines  harmonischen  Intervalles  in  der  Begleitung, 
Der  Terpandrische  Nomos  blieb  ausschliesslich  in  den  Händen  der  Terpan- 
di'iden  bis  auf  Aristokleides  von  Antissa  (zur  Zeit  der  Perserkriege) ,  von  wo 
ab  die  hieratischen  Nomoi-Säuger  nicht  mehr  erwähnt  werden.  Die  Aulodik, 
die  Kunst,  den  Gesang  mit  der  Flöte  zu  begleiten,  hat  ihren  mythischen  Ver- 
treter in  Ardalos  von  Troizene,  wie  die  Kitharodik  den  ihren  in  Chryso- 
til emis;  die  erste  historische  Erscheinung  unter  den  Auloden  ist  Klonas  aus 
Tegea  in  Arkadien,  der  nach  der  Zeit  Terpanders  lebte  und  für  die  Aus- 
bildung der  Aulodik  nicht  minder  wichtig  ist,  als  jener  für  die  Kitharodik. 
Plutarch  nennt  ihn  den  Erfinder  der  aulodischen  Nomoi  und  Prosodien,  Pro- 
cessionslieder,  sowie  der  Elegoi,  Klagelieder  nach  orientalischer  Art,  in  welchen 
das  Flötenspiel  ein  charakteristisches  Element  war.  Er  componirte  auch 
Spende-  oder  Opferlieder  (Spondeia),  bei  welchen  ein  eigenes,  aus  vier  Längen 
gruppirtes  Versmaass,  das  spondäische,  zur  Anwendung  kam.  Soviel  über 
die  Vereinigung  der  Instrumental-  und  Vocalmusik;  ohne  die  letztere  wurde 
die  Kithara  nur  wenig  benutzt;  was  wir  von  der  »psile  Kitharisis« ,  der 
blossen  Kitharamusik  wissen,  beschränkt  sich  auf  die  Angabe  des  Athenäus,  dass 
Aristonikos  von  Argos  (700  v.  Clir.)  der  erste  war,  der  diese  Musik  aus- 
führte, und  dass  Lysander  von  Sikyon  um  586  v.  Chr.  neue  Effekte  durch  sie 
hervorbrachte.  Um  so  glänzender  entwickelte  sich  dagegen  das  Solospiel  auf  der 
Flöte,  die  Auletik,  welche  bald  in  den  musischen  "Wettkärapfen  eine  der  Ki- 
tharodik gleichberechtigte  Stellung  einnahm.  Die  »psile  Aulesis«  wurde  den 
Grriechen  durch  phrygische  Musiker  bekannt,  nachdem  die  Normen  für  die  Ki- 
tharodik und  Aulodik  durch  Terpander  und  Klonas  bereits  festgestellt  waren; 
ihre  mythischen  Stammväter  sind  Hyagnis,  Marsyas  und  ein  älterer  Olym- 
pus, als  erster  histoi'ischer  Aulet  aber  gilt  ein  jüngerer  Olympus,  ebenfalls 
aus  Phrygien,  dessen  auletische  Nomen  noch  in  späten  Zeiten  in  grossem  An- 
sehen standen.  Sakadas  (580  v.  Chr.),  ein  echt  hellenischer  Künstler,  war  es, 
welcher  der  Auletik  die  Gleichberechtigung  mit  der  Kitharodik  im  delphischen 
Agon  zu  verschaffen  wusste;  seine  berühmteste  Leistung  war  der  schon  erwähnte 
Nomos  Pythios,  welcher  in  fünf  Theilen  den  Kampf  Apollo's  mit  dem  Drachen 
Python  schilderte  und  durch  das  in  ihm  vorwaltende  tonmalerische  Element  als 
Vorläufer  der  modernen  Programmusik  gelten  kann.  Er  siegte  dreimal  bei 
den  pythischen  Spielen  und  erhielt  nach  seinem  Tode  eine  (bei  Pausanias  er- 
wähnte) Bildsäiile  auf  dem  Helikon.  Er  und  ein  älterer  Künstler,  Polym- 
nastus  (640  v.  Chr.),  werden  zusammen  mit  dem  noch  früher  lebenden  cho- 
rischen Componisten  Thaletas  (670  v.  Chr.)  von  Plutarch  als  Stifter  der 
zweiten  musischen  Katastasis  bezeichnet,  in  welcher  die  Erfindung  der  neueren 
Enharmonik,  sowie  die  sonstige  Vermehrung  der  musikalischen  Mittel  der  naiven 
Kunst  der  olympischen  Schule  ein  Ende  macht.  Später  geräth  das  Flötenspiel 
so  sehr  in  Verfall,  dass  z.  B.  Plato  es  aus  dem  Jugendunterricht  verbannt  und 
lediglich  den  Sclaven  zugewiesen  haben  wollte.  Die  Virtuosen  unter  den  Auleten 
freilich  wurden  unter  allen  Musikern  am  meisten  geehrt  und  sie  erwarben 
auch  am  meisten,  da  sie  nicht  wie  die  übrigen  von  den  Tragödiendichtern  ab- 
hingen. Pindar  selbst  verschmäht  es  nicht,  den  Auleten  Midas  von  Agrigent 
in  einer  seiner  Epinikien  zu  besingen.  —  Neben  der  monodischen  Auletik  gab 
es  auch  eine  mehrstimmige,  z.  B.  die  von  Lasus  erfundene,  bei  dem  Feste  der 
Panathenäen  vorgetragene  Xynaulia;  endlich  kannte  man  auch  das  Zusammenspiel 
von  Aulos  und  Kithara,  Avie  eine  darauf  bezügliche  Stelle  bei  Strabo  beweist. 
IV.  Chorische  Musik.  Die  chorische  Musik  entwickelte  sich  unmittelbar 
aus  dem  Cultus,  indem  das  Lob  der  Gottheit  die  Poesie  schuf  und  der  im 
Verkehr  mit  der  Gottheit  gehobene  Sprechvortrag  einen  mannicbfaltigeu  Wechsel 
der  Accente  bedingte,  sich  zur  Melodie  gestaltete.  Zwei  Hauptrichtungen  sind 
hier  zu  unterscheiden:  die  sittlich- religiös- nationale,  durch  Apollo  repräsentirt 


Griechische  Musik.  379 

und  im  dorischen  "Wesen  begründet,  und  die  menschlich-leidenschaftliche,  durch 
Dionysos  vertreten;  diese  fand  im  orgiastischen  Charakter  der  phrygischen 
Musik  ihren  Ausdruck  und  war  anfangs  nur  in  Corinth  vertreten.  Der 
wichtigste  Schritt  zur  Ausbildung  des  Chorgesanges  war  die  Einführung  der 
Gymnopädien  (s.d.)  in  Sparta  durch  den  Thaletas  aus  Kreta,  d.h.  die  von  Musik 
begleiteten  Tänze  nackter  Jünglinge,  bei  welchen  mit  einer  pädagogischen  auch 
eine  religiöse  Tendenz  vereint  war;  sodann  die  von  Chor  und  Flöte  begleiteten 
"Waffentänze  (Enoplia)  im  anapästischen  Rhythmus  (von  denen  das  noch  im 
späteren  Alterthum  bekannte  Castorslied  des  Tyrtäus  vielleicht  ein  Beispiel 
ist);  das  von  Thaletas  eingeführte  Hyporchema  (Tanzlied),  ein  Tanz  mit 
Solo-  und  Chorgesang  in  lebhaftem  ^/g  oder  ^/s  Takt;  endlich  die  ebenfalls 
von  Thaletas  ausgehende  Vervollkommnung  der  ältesten  Gattungen  der  cho- 
rischen Musik:  des  Päan,  ein  Cebet  zum  Apollo,  bald  Bittgesang,  bald  Sieges- 
lied (als  päanisches  Prosodion),  des  Hymenäus  (Hochzeitlied),  des  Threnos 
(Todtenklage),  der  Epinikien  und  der  Enkomien  (Loblieder  auf  den  Sieger 
beim  Agon).  Ihm  folgten  in  der  Ausbildung  des  Chorgesanges  Alkman,  der 
Erfinder  der  Parthenia,  Frauenchöre  während  einer  Procession  gesungen, 
mit  den  bei  den  Böotiern  gebräuchlichen  Unterarten  Daphnephorika  und 
Oschophorika,  jenachdem  Lorbeeru  oder  "Weinranken  dabei  getragen  wurden; 
dann  Stesichorus  von  Himera,  der  Erfinder  der  strophischen  Form,  Pindar's 
Muster;  endlich  Simonides  und  Pindar.  —  "Wie  die  Chormusik  überhaupt  eine 
dorische  Institution  war,  so  trugen  auch  die  sämmtlichen  genannten  Gattungen 
derselben  den  Stempel  dorischer  Gesittung,  jener  Reinheit  und  jenes  Maasses, 
als  dessen  göttlicher  Repräsentant  Apollo  gilt  und  dem  als  musikalischer  Stil 
der  Tropos  hesychastikos  entspricht.  Das  dionysische  Princip  dagegen,  der 
diastaltische  Tropos,  ist  nur  durch  den  Dithyrambus  vertreten,  der  von  Arion 
erfunden  sein  soll  und  dessen  musikalische  Formen  Lasus  von  Hermione  in 
einer  "Weise  entwickelte,  dass  die  Trennung  des  dionysischen  vom  apollinischen 
Element  offenkundig  wird.  Bald  nach  ihm  gestaltet  Thespis  den  Dithyrambus 
zum  Drama  um  und  dessen  Nachfolger  (Choirilus  und  Phrynikus,  welcher 
letztere  besonders  die  musikalischen  Formen  entwickelte)  bilden  den  Uebergang 
zur  Glanzperiode  der  griechischen  Tragödie.  Aeschylus,  dessen  Einfachheit 
mit  der  des  Oratorium- Stils  zu  vergleichen  ist,  Sophokles,  welcher  eine  grössere 
Mannichfaltigkeit  in  seinen  Charakteren  zeigt,  endlich  Euripides,  der  sowohl 
die  metrischen  wie  musikalischen  Formen  in  freiester  Art  erweitert,  die 
menschlichen  Leidenschaften  in  ihren  feinsten  Nuancen  zum  Ausdruck  bringt 
und  dabei  die  äusserlichen  theatralischen  Kunstmittel  nicht  verschmäht,  sie 
bilden  den  Höhepunkt  des  attischen  Drama;  nach  der  Zeit  des  Euripides,  unter 
den  letzten  Dithyrambikern  Phrynis,  Philoxenus,  Timotheus,  Melanippides, 
Kinesias,  welche  besonders  die  Virtuosität  der  Sänger  und  den  musikalischen 
Effekt  ins  Auge  fassten,  beginnt  der  unaufhaltsame  Verfall  der  Tragödie. 
Der  Gesang  der  Tragödie  war  entweder  Chorgesang  ("Wechselgesang)  oder 
Monodie  in  der  "Weise  der  späteren  Dithyrambiker ;  letztere  bildeten  die 
Effektatücke  in  der  Tragödie  des  Euripides.  Auch  der  recitirte  Theil  der 
Tragödie  wurde  von  Instrumentalmusik  begleitet,  und  eine  solche  melo- 
dramatische Form  nannte  man  Parakataloge.  Ueber  die  Instrumentirung  der 
Tragödienmusik  fehlen  alle  Nachrichten,  doch  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
man  die  vorhandenen  Mittel  gerade  hier  im  weitesten  Umfang  zur  Anwen- 
dung brachte,  entsprechend  dem  Geiste  der  Tragödie,  welche  alle  Gattungen 
der  musischen  Kunst  in  sich  vereinigte.  Die  gebräuchlichen  Harmonien  waren 
die  hypodorische  und  hj^pophrygische  für  die  Monodien;  sie  hatten  den  Cha- 
rakter des  »Praktikon«  (welchen  Aristoteles  als  den  Göttern  und  Heroen  an- 
gemessen bezeichnet),  indem  sie  den  Eindruck  der  Aktivität  machen,  durch 
welche  das  Subject  als  ein  individuelles  hervortritt.  Für  den  Chor,  der  eine 
unbestimmte  "Willenslosigkeit  darstellt,  wo  die  Individualität  sich  einer  höheren 
Macht  hingiebt  und  in  ihr  aufzugehen  bestrebt  ist,  nahm  man  das  Mixolydisch 


380  Griechische  Tonarten  —  Grieg. 

und  Dorisch,  welches  dem  »Aprakton«,  der  Passivität  entsprach.  TJnter  den 
Rhythmen  wählte  man  für  die  Tragödie  nur  die  allgemein  verständlichen  und 
unter  diesen  hatten  die  Tetrapodien  das  Uebergewicht.  Die  Zahl  der  im  tra- 
gischen Chor  mitwirkenden  Personen  betrug  anfangs  fünfundvierzig,  wurde  jedoch 
durch  Aeschylus  auf  fünfzehn  reducirt,  indem  er  jene  abwechselnd  in  jedem 
Theil  seiner  Trilogien  auftreten  Hess,  Das  weltliche  Lied  erhielt  zuerst  künst- 
lerische Form  durch  Archilochus;  dieser  brachte  die  Elemente  des  Volksliedes 
zur  vollen  Anerkennung  und  war  so  der  Vater  derjenigen  Lyrik,  welche  später 
in  Alkeios,  Sappho  und  Anakreon  ihren  Höhepunkt  erreichte.  Er  gestaltete 
den  ^/s-Takt  zum  jambischen  Triraeter,  zum  trochäischen  Tetrameter  und  zu 
anderen  Versmaassen  um  und  ist  der  Ei-finder  der  Parakataloge,  des  melo- 
dramatischen Vortrags,  nach  Plutarch  »die  Kunst,  bei  jambischen  Compositionen 
die  eine  Parthie  zur  Begleitung  sprechend  vorzutragen,  die  andere  zu  singen«, 
eine  Vortragsweise,  die  später  auch  in  der  Tragödie,  und  dort  auch  im  ana- 
pästischen  Rhythmus  zur  Anwendung  kam. 

V.  Notation.  Der  Erfinder  der  Notenschrift  ist  (nach  "Westphal)  Po- 
lymnastus,  welcher  sich  dazu  eines  archäischen  Alphabets  bediente,  dessen 
Buchstaben  sich  auf  den  in  Argos  entdeckten  Inschriften  wiederfinden.  Diese 
Buchstaben  erscheinen  entweder  in  ihrer  primitiven  Form  als  Ortha  (aufrecht- 
stehende) und  entsprechen  dann  den  Untertasten  unseres  Klaviers;  oder  als 
Apestrammena  (umgekehrte),  die  durch  ein  J}  erhöhten  und  unter  gewissen 
TJmsänden  die  durch  ein  [?  erniedrigten  Töne,  oder  als  Anestrammena  (um- 
gelegte, liegende),  die  durch  ein  [?  vertieften  Töne  (wie  auch  dastund  c), 
wenn  sie  die  oberen  Töne  eines  Halbtonintervalls  darstellen.  Zu  Polymnastus' 
Zeit  notirte  man  nur  die  Instrumentalnoten;  für  die  Notirung  des  Gesanges, 
die  nicht  über  Lasus  von  Hermione  rückwärts  hinausreicht,  benutzte  man  das 
uns  bekannte  neu-ionische  Aljjhabet,  wobei  die  mittlere  Octave  durch  die  ein- 
fachen Buchstaben,  der  übrige  Theil  der  Scala  durch  verstümmelte  und  vielfach 
alterirte  bezeichnet  war.  Da  die  Töne  nicht  nur  an  sich  bezeichnet  wurden, 
sondern  auch  noch  nach  ihrem  Verhältniss  zu  anderen  ein  neues  Zeichen  er- 
hielten, so  gab  es  68  verschiedene  Notenzeichen  sowohl  für  den  Gesang  als 
auch  für  die  Instrumente.  Die  Dauer  der  Noten  wurde  durch  die  langen 
und  kurzen  Silben    des  Textes    bestimmt    und    in    folgender  Weise  bezeichnet: 

—      i_      CD        i_Li  Bei  der  Notirung  von  Gesang  und  Instrumental- 

A         A         A  A  A    Pausen. 

Begleitung  erhielt  die  Singstimme  den  Platz  über  dem  Instrument,  weil,  wie 
Bacchius  der  ältere  sagt,  »der  Mund,  welcher  allein  die  Worte  hervorbringt, 
von  der  Natur  über  die  Hände  gesetzt  ist,  welche  die  Töne  auf  dem  Instru- 
ment hervorbringen«.  —  Die  Bedeutung  der  ginechischen  Musiknoten  ist  durch 
die  neueren  Arbeiten  Bellermann's,  Westphal's,  Fortlage's  so  unzweifelhaft  fest- 
gestellt, dass  ihre  Lecture  ungleich  weniger  Schwierigkeit  macht,  als  etwa  die 
eines  musikalischen  Manuscripts  aus  dem  Mittelalter,  und  es  bedürfte  nur 
der  Auffindung  einer  antiken  Tragödienmusik,  um  auch  die  vollständige  Re- 
producirung  derselben  zu  ermöglichen  und  uns  in  den  Stand  zu  setzen,  über 
ihre  eigenthümliche  Wirkung  aus  eigner  Erfahrung  zu  urtheilen. 

F.  A.  Gevaert. 

Griechische  Tonarten,        )        ^    .      ,  .      ,      ,,      ■, 
^  .     ,  .    ,      ,     .  .         s.  Griechische  Musik. 

Griechiscue  Instrumente,  I 

Grieg:,  Edvard,    einer    der    hervori'agenden  Componisten    der  Gegenwart, 

geboren  am  lö.  Juni  1843  zu  Bergen  in  Norwegen  als  der  Sohn   des  dortigen 

Consuls    Alexander    G.      Als    der    Knabe    sechs    Jahr    alt    war,    begann    seine 

Mutter,  ihm  den  ersten  Clavierunterricht  zu  ertheilen,  der  ihm  grosse  Freude 

machte  und    ihn    bald    auch    zu  selbstständigen   Compositionsversuchen  anregte. 

Ole  Bull,  der  bei  einem  Besuche  in  Bergen  1858  derartige  Arbeiten  G.'s  sah, 

rieth,     überrascht    von    dem     sich    darin     kund     gebenden     aussergewöhulichen 

Talente,  dringend  zur  höheren  musikalischen  Ausbildung  des  Knaben.     Darauf 


Grieninger  —  Griepenkerl.  381 

hin  bezog  Gr.  das  Conservatorium  zu  Leipzig,  dem  er  als  einer  der  aufgeweck- 
testen und  strebsamsten  Schüler  bis  1862  angehörte,  in  welchem  Jahre  ihn 
eine  schwere  Krankheit  zur  Heimkehr  nöthigte.  Wieder  genesen,  besuchte  er 
1863  Grade  in  Kopenhagen,  dessen  E.athschläge  und  Compositionsweise  von 
unverkennbarem  Einflüsse  auf  Gr.'s  meist  nordisch  colorirte  Folgewerke  wurden. 
Im  J.  1867  Hess  sich  G.  in  Christiania  nieder  und  gründete  daselbst  einen 
Musikverein,  welcher  mit  grossem  Erfolge  die  Meisterwerke  der  älteren  und 
neuesten  Tonkunst  in  sorgsam  vorbereiteten  Aufführungen  vorführt  und  wohl- 
thätige  Wirkungen  auf  das  mehr  und  mehr  erblühende  Kunstleben  des  König- 
reichs ausübt.  An  der  Spitze  dieses  Vereins  steht  Gr.  noch  gegenwärtig  als 
Dirigent.  Als  Componist  hat  er  bis  jetzt  etwa  zwanzig  Werke  in  Leipzig  ver- 
öffentlicht, bestehend  in  einem  Pianoforteconcert  mit  Orchester,  2  Duo-Sonaten, 
einer  Ciaviersonate,  zwei-  und  vierhändigen  Stücken  und  Liedern,  welche 
sämmtlich  von  der  Kritik  mit  grosser  Anerkennung  aufgenommen  wurden. 

Grieninger,  Augustin,  musikkundiger  deutscher  Gelehrter,  war  um  1680 
Augustinennönch  und  Doctor  der  Theologie  zu  Augsburg  und  hat  daselbst 
ausser  mehreren  Erbauungsbüchern  auch  eine  Compositionssammlung,  betitelt: 
yiOantiones  sacrae  1,  2  et  '3  vocibus,    cum  et  sine    instrumentis« ,    herausgegeben. 

t 
Grieuenwald,  N.,  auch  Grunewald  geschrieben,  ein  wandernder  deutscher 
Volkssänger,  welcher  zu  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  lebte  und  lange  Zeit 
in  den  Diensten  des  Herzogs  Wilhelm  von  Baiern  zu  München  stand.  Der  um 
1550  als  Romanschriftsteller  blühende  Georg  Wickram,  Stadtschreiber  zu  Burgheim 
im  Elsass,  erzählt  in  einer  Geschichte  »von  dem  guten  Schlemmer«  eine  Episode 
aus  G.'s  Leben,  den  er  einen  »berümpten  Musicus  vnd  Componist«,  gleichzeitig 
aber  auch  einen  »guten  Zechbruder«  nennt.  Ludwig  Achim  von  Arnim  er- 
neuerte diese  Anecdote  im  ersten  Theile  seiner  »Kronenwächter«  (Berlin,  1817) 
und  brachte  bei  dieser  Gelegenheit  überhaupt  Sitten  und  Gebräuche  der  Mu- 
siker jener  Zeit  zu  trefflicher  Anschauung. 

Griepenkerl,  Friedrich  Kon r ad,  deutscher  Kunstästhetiker  und  Musik- 
schriftsteller, geboren  1782  zu  Peine  im  Braunschweigischen,  war  längere  Zeit 
am  Eellenberg'schen  Institute  zu  Hofwyl  im  Canton  Bern  Lehrer,  bis  er  1816 
als  Professor  an  das  Collegium  Carolinum  zu  Braunschweig  berufen  wurde,  in 
welcher  Stellung  er  am  6.  Apr.  1849  starb.  Seine  Hauptwerke  sind  ein 
»Lehrbuch  der  Aesthetik«  (2  Thle.,  Braunschweig,  1827),  in  welchem  die  all- 
gemeinen Ideen  Herbart's  systematisch  entwickelt  erscheinen,  und  ein  »Lehrbuch 
der  Logik«  (2.  Aufl.,  Helmstädt,  1831).  Kleinere  Aufsätze  und  Artikel  kenn- 
zeichnen ihn  als  tüchtigen  Musikfreund,  der  mit  grosser  Gründlichkeit  beson- 
ders in  die  Werke  Joh.  Seb.  Bach's  eingedrungen  ist,  wie  auch  sein  Antheil 
an  der  Herausgabe  der  von  der  Verlagsfirma  C.  F.  Peters  in  Leipzig  besorgten 
Edition  Bach'scher  Instrumentalcompositionen  beweist,  deren  Vorrede  ebenfalls 
von  ihm  herrührt.  —  Sein  Sohn,  Wolf  gang  Bobert  G.,  geboren  am  4.  Mai 
1810  zu  Hofwyl,  erhielt  seine  wissenschaftliche  und  musikalische  Ausbildung 
zu  Braunschweig  und  bezog  1831  die  Universität  zu  Berlin,  wo  er  Theologie 
studiren  sollte,  die  seinen  Neigungen  jedoch  so  sehr  widei'strebte ,  dass  er  sie 
gänzlich  aufgab  und  sich  ausschliesslich  literarischen  Arbeiten  widmete.  Diese 
letzteren  setzte  er  auch  weiter  fort,  als  er  1835  in  das  väterliche  Haus  zurück- 
kehrte. Im  J.  1839  wurde  er  zum  Docenten  der  Aesthetik  und  Kunstgeschichte 
am  Collegium  Carolinum,  ein  Jahr  später  auch  zum  Professor  der  deutschen 
Sprache  und  Literatur  am  Cadettenhause  zu  Braunschweig  ernannt,  gab  aber 
1847  beide  Stellen  auf,  ging  1848  nach  Leipzig,  kehrte  jedoch  noch  in  dem- 
selben Jahre  nach  Braunschweig  zurück,  wo  er  am  17.  Octbr.  1868  in  dürf- 
tigen Umständen  starb.  Er  war  ein  sehr  bedeutendes  dramatisches  Talent, 
wofür  seine  Trauerspiele  »Maximilian  Robespierre«  (Bremen,  1851)  und  »Die 
Girondisten«  (Bremen,  1852),  zu  denen  sein  Freund  H.  Litolff  Musik  schrieb, 
immer  zeugen  werden.     In  musikalischer  Beziehung  assimilirte  er  sich  mit  den 


382  Griesinger  —  Griffbrett. 

fortsclarittlicheu  Bestrebungen  der  »Neuen  Zeitschrift  für  Musik«,  welcher  er 
einige  werthvolle  kritische  Aufsätze  lieferte  und  strebte  mit  seiner  Novelle 
»Das  Musikfest  oder  die  Beethovener«  (Leipzig,  1838;  2.  Aufl.  1841),  sowie 
durch  die  Abhandlungen  »Ritter  Berlioz  in  Braunschweig«  (Braunschweig,  1843) 
und  »Die  O^ier  der  Gregeuwart«  (Leipzig,  1847)  noch  vor  Rieh.  Wagner  eine 
ideale  Neugestaltung  der  Tonkunst  an. 

Gi'iesiuger,  Georg  August,  Secretair  der  königl.  sächsischen  Gresandt- 
schaft  am  österreichischen  Hofe,  geboren  in  Wien  und  ebendaselbst  im  J.  1828 
gestorben,  ist  der  Verfasser  von  »Biographischen  Notizen  über  Joseph  Haydn« 
(Leipzig,  1810). 

Griessling,  J.  C,  Hof-Blaseinstrumentenmacher  in  Berlin,  fertigte  gemein- 
schaftlich mit  B.  Schiott,  unter  der  Firma  »Griessling  und  Schiott«,  seit  etwa 
1808  vortreffliche  Blaseinstrumente.  Um  1833  producirte  er  ein  neues,  von 
ihm  »Harmonica-Contre-Bass«  genanntes  Fabrikat,  Avelches  alle  ganzen  und 
halben  Töne  vom  Contra  a  bis  zum  eingestrichenen  c  leicht,  rein  und  mit 
gleicher  Stärke  hervorbrachte  und  von  G.  A.  Schneider  in  der  Berliner  Voss'- 
schen  Zeitung  anerkennend  beurtheilt  wurde.  G.  selbst  starb  am  31.  Mai  1835 
zu  Berlin,  worauf  die  Fabrik  von  B.  Schiott  allein  fortgeführt  wurde. 

Griestopf,  Ulrich,  aus  Magdeburg,  war  der  erste  und  älteste  der  53  Or- 
ganisten, welche  1596  zur  Prüfung  der  Schlosskirchenorgel  zu  Grüningen  be- 
rufen   wurden.     Vgl.  Werkmeister's    riOrganum    Gruningense    redivivum«    §.    11. 

t 
Griff,  in  gewöhnlicher  Bedeutung  das  Erfassen  eines  Dinges  mittelst  der 
Finger  einer  Hand,  wobei  stets  wenigstens  ein  Finger  und  der  Daumen  der- 
selben Hand  als  zwei  entgegengesetzt  thätige  Faktoren  gedacht  werden,  welche 
zwischen  sich  das  Erfasste  halten,  findet  auch  in  abstrakten  Ergehungen  eine 
diesem  Begrifi'e  entsprechende  Anwendung.  In  der  Musik  nennt  man  im  All- 
gemeinen einen  G.  das  Fassen  eines  oder  mehrerer  Finger,  zu  dem  der  die 
Fassung  mitausführende  Faktor  ein  anderer  fester  Körper,  ein  Brett  etc.,  ist, 
wenn  dies  Thun  einen  Theil  eines  schwingenden  Körpers  zu  einer  gewünschten 
Tonzeugung  bestimmt  abgrenzt.  Man  spricht  demgemäss  bei  Instrumenten, 
deren  Ton  durch  Reissen  oder  Streichen  von  Saiten  erzeugt  wird,  wenn  durch 
festes  Aufsetzen  eines  Fingers  auf  ein  Brett  die  Länge  einer  zwischen  Finger 
und  Brett  befindlichen  Saite  scharf  begrenzt  wird,  von  einem  G.;  ebenso  wenn 
man  durch  Deckung  eines  Tonloches  mittelst  einer  Fingerbewegung  bei  einem 
Blasinstrumente  die  Ausdehnung  einer  tönenden  Luftsäule  bestimmt,  ja  selbst 
wenn  man  bei  Tasteninstrumenten  durch  Niederdrücken  einer  Taste  mit  dem 
Finger  einen  Ton  erzeugt,  aus  welcher  Wortanwendung  mit  der  Zeit  die  Rede- 
weise entstanden  ist:  einen  Ton  greifen.  Da  nun  in  der  Musik  jeder  Finger 
einen  G.,  und  man  somit  mehrere  G.  gleichzeitig  machen  kann,  so  spricht  man 
auch  bei  mehreren  gleichzeitig  durch  G.  erzeugten  Klängen,  je  nach  der  Zahl 
derselben,  von  Doppel-  und  mehrstimmigen  G.,  und  je  nach  der  Schwierig- 
keit, die  solche  G.  bereiten,  oder  der  Entfernung  der  Finger  von  einander  bei 
Ausführung  derselben  von:  leichten,  schweren,  engen  oder  weiten  G. 
Der  oben  angeführten  Redeweise:  einen  Ton  greifen,  bei  Tonzeugungen  durch 
G.,  die  einer  Tonmodification  unterliegen  können,  folgend,  bedient  man  sich  in 
der  Fachsprache  auch  der  Ausdrucksweise:  einen  Ton  rein  greifen,  besonders 
bei  Auslassungen  über  durch  Streichinstrumente  erzeugte  Klänge,  während 
man  bei  durch  Blasinstrumente  geschaffenen  Tönen  höchstens  die  Ausdrucks- 
weise »rein  blasen«,  da  die  Tonreinheit  durch  die  Stärke  des  Blasens  bedingt 
ist,  angewendet  findet.  32. 

Griffbrett  nennt  man  bei  verschiedenen  Tonwerkzeugen,  denen  der  Ton 
entweder  durch  Streichen  oder  durch  Reissen  von  Saiten  entlockt  wird,  ein 
planes  oder  wenig  gewölbtes  Bi-ettchen,  das  zur  beliebigen  Verkürzung  der 
Saiten  mittelst  der  Finger  der  linken  Hand  dient.  Dasselbe  findet  man  ent- 
weder auf  dem  Instrumenthals  und  einem   Theile  der  Schalldecke   geleimt  oder 


Griffbrett.  383 

am  Ende  des  Halses  mit  dem  Instrumentkörper  in  festem  Zusammenhange 
und  in  der  Fortsetzung,  den  Saiten  etwas  näher  geführt,  über  dem  Resonanz- 
boden schwebend  angebracht.  Es  wird  aus  Ebenholz  oder  bei  minder  werth- 
voUen  Tonwerkzeugen  aus  anderem  schwarz  gebeiztem  harten  Holze  gefertigt, 
damit  es  durch  den  Gebrauch  nicht  so  schnell  abgenutzt  werden  kann.  Die 
Gestalt  der  G.  ist  je  nach  der  Instrumentart  verschieden.  Bei  Tonwerkzeugen, 
denen  durch  ßeissen  der  Saiten  der  Ton  entlockt  wird,  findet  man  das  G.  meist 
plan,  stets  in  gleicher  Breite  gefertigt  und  unmittelbar  dem  Schallboden  auf- 
geleimt, von  dem  es  sich  zuweilen,  z.  B.  bei  der  Zither  (s.  d.),  an  dem  vom 
Sattel  (s.  d.)  entfernteren  Ende  etwas  gegen  die  Saiten  hin  erhebt.  Bei 
Streichinstrumenten  hingegen  ist  das  G.  rundlich  in  der  Breite  geformt,  damit 
das  Streichen  der  Saiten  leichter  möglich,  nach  der  dem  Sattel  abgewandten 
Seite  hin  jedoch  breiter  werdend,  flacher  (dem  Stege  [s.  d.]  entsprechend)  ge- 
wölbt und  den  Saiten  flächlich  etwas  näher  gerückt;  mit  dem  Instrumenthals 
steht  es  in  festem  Zusammenhange  und  weiterhin  über  dem  Resonanzboden  ist 
es  frei  schwebend.  Früher  erhielten  sämmtliche  G.  Bunde  (s.  d.),  jedoch  seit 
dem  17.  Jahrhundert  sieht  man  dieselben  bei  Streichinstrumenten  nicht  mehr; 
selten  findet  man  bei  grössern  derartigen  Tonwerkzeugen  in  den  G.  an  dem  Rande, 
wo  die  stärkste  Saite  befindlich  ist,  Aushöhlungen.  Man  schreibt  solcher  Aus- 
höhlung den  Vortheil  zu,  dass  beim  Niederdrücken  der  Saite  in  dieselbe  deren 
Schwingung  schärfer  begrenzt  wäre  und  dass  bei  schmalen  G.  hiermit  einem 
Heruntergleiten  der  Saiten  vorgebeugt  sei,  da  man  durch  das  Eindrücken  in 
die  Aushöhlung  die  Saite  fester  halten  könne.  Neuerdings  jedoch  hat  man 
auch  diese  Modification  der  G.  bei  Streichinstrumenten  verworfen,  da  dadurch 
bei  dicken  Saiten  eine  Reibung  beim  Yibriren  kaum  zu  vermeiden  ist,  das 
sehr  oft  ein  den  Ton  benachtheiligendes  starkes  Schnarren  erzeugt.  Bei  allen 
Reissinstrumenten  findet  man,  wie  ehedem,  auch  noch  heute,  auf  der  ganzen 
Ausdehnung  des  G.  Bunde  angebracht.  Die  Länge  der  G.  ist  je  nach  den 
Instrumentgrössen  verschieden.  Gewöhnlich  erhält  das  G.  die  Ausdehnung  der 
halben  Saitenlänge,  auch  wohl  etwas  mehr;  seltener  zwei  Drittheile  dieser  Aus- 
dehnung. Bei  Streichinstrumenten  endet  das  G.  meist  unmittelbar  bei  den 
f-Löchern  (s.  d.),  wenn  nicht  ein  sorgsamer  Erbauer  für  ein  besonderes  In- 
strument gerade  eine  andere  Länge  als  geeigneter  erachtet  hat.  —  Der  Name  G. 
kommt  selbstredend  von  der  Auflassung,  dass  durch  einen  Griff  (s.  d.)  auf 
ein  Brett  mittelbar  ein  bestimmter  Ton  erzeugt  wird,  wobei  jedoch  als  selbst- 
verständlich gedacht  wird:  dass  der  Griff'  auf  das  Brett  die  feste  Abgrenzung 
einer  einen  Ton  zeugenden  Saite  bezwecken  muss.  Obige  Auffassung  führte 
auch  wohl  dazu,  die  Claviatur  der  Tasteninstrumente  »das  G.«  derselben  zu 
nennen,  weil  die  Töne  durch  Griffe  auf  dieselbe  erzeugt  werden,  wenn  man 
nicht  die  selbstverständlich  gedachte  Beschränkung,  wie  dies  jetzt  fast  durch- 
gängig geschieht,  als  die  Auffassung  mitbestimmend  achtet.  Schliesslich  sei 
noch  erwähnt,  dass  die  Erfindung  des  G.  eine  uralte  ist.  Wir  finden  in  China 
über  2500  v.  Chr.  beim  Kin  (s.  d.)  das  G.  unserer  Lauteninstrumente  und 
wenige  Zeit  danach  dasselbe  in  Indien  bei  der  Vina  (s.  d.),  wie  dasselbe  fast 
gleichzeitig  auch  wohl  auf  dem  Monochord  der  alten  Aegypter  angewandt 
worden  sein  muss,  indem  sonst  wohl  nicht  in  kürzester  Folgezeit  danach  die 
Zwei-  und  Mehrsaiter  mit  dem  unsern  Streichinstrumenten  ähnlichen  G.  dort 
hätten  gepflegt  werden  können.  Siehe  hierüber  den  Artikel  »ägyptische  Musik« 
in  diesem  "Werke,  I.  Theil  S.  49  und  50.  Ob  die  G.  der  letzterwähnten  Ton- 
werkzeuge Bunde  hatten  oder  nicht,  lässt  sich  bis  jetzt  nicht  mit  Gewissheit 
nachweisen;  wahrscheinlich  ist  jedoch  das  Vorhandensein  von  Bunden.  Wie 
schon  oben  bemerkt,  haben  im  Abendlande  die  Streichinstrumente  erst  mit  dem 
Beginn  des  17.  Jahrhunderts  die  Bunde  verloren,  indem  die  oft  in  diesem 
Werke  erwähnten  geringen  Klangunterschiede  der  gleichbenannten  Töne  in 
den  Harmonien  der  abendländischen  Kunst  als  Erforderniss  sich  ausbildeten, 
deren  Darstellung    besonders    den  Streichinstrumenten    zufiel,    welchem    Erfor- 


384  Griffi  —  Grimaldi 

derniss  jedocli  uiemals  genügt  werdeu  könnte,  sobald  die  Gr.  dieser  Instrument- 
gattuug  Bunde  hätten.  32. 

Grii'ü,  Orazio,  italienischer  Tonsetzer  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts, von  dessen  Compositionen  noch  fünfstiramige  gedruckte  Madi'igale 
(Venedig,  1Ö8G)   übrig  geblieben  sind. 

Griffluj  Georg  Charles,  englischer  Claviercomponist  und  Musiklehrer, 
geboren  um  1770  zu  London,  hat  daselbst  Sonaten,  Concerte  u.  s.  w.  für  Har- 
psichord  veröflfentlicht. 

Grilfiuo,  Giacomo,  italienischer  Opern-  und  Kircheucomponist,  war  zu 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  an  der  Kirche  zu  Lodi  und  hat 
u.  A.  die  Opern:  y>La  fede  nel  tradimento<s.  (1691),  »Za  pazzia  d'Orlandoa  (1692) 
und  »La  Gosmenan  (1693)  in  Musik  gesetzt.  f 

Grifflöcher  nennt  man  die  an  verschiedenen  Blasinstrumenten  befindlichen 
Löcher,  die  mittelst  der  Jb'inger  zur  Erzeugung  von  Tönen  geschlossen  oder 
geöffnet  werden.  0. 

Grifoui,  Antonio,  italienischer  Componist,  der  meist  in  Venedig  lebte, 
woselbst  er  1770  als  op.  1  seiner  Werke  Sonate  da  camera  für  zwei  Violinen 
und  Violoncello  mit  Cembalo  erscheinen  Hess. 

Griguy,  N.  de,  französischer  Organist,  welcher  an  der  Kathedralkirche  zu 
E,heims  augestellt  war  und  ums  Jahr  1700  ein  Orgelbuch  herausgab,  in  dem 
eine  Messe  und  Hymnen  auf  die  vornehmsten  Eeste  des  Jahres  enthalten 
waren.  f 

Grill,  Franz,  deutscher  Tonkünstler,  welcher  um  1795  zu  Oedenburg  als 
Kammermusiker  eines  ungarischen  Edelmannes  starb,  hat  seit  1790  sich  durch 
mehrere  im  Haydn'schen  Style  geschriebene  Compositionen  bekannt  gemacht. 
Zuerst  in  Oflfenbach  erschienen  von  ihm  1790  und  1791:  III  Soiiates  p.  le 
Clav.  av.  Viol.  ohl.  op.  1 ,  III  Sonates  ebenso  op.  2 ,  III  Quatuors  ä  2  Viol., 
A.  et  Volle.,  op.  3,  Haydn  gewidmet,  III  Sonates  op.  4,  III  Quat.  op.  5, 
VI  Sonates  op.  6  und  VI  Quat.  op.  7;  in  AVien:  1791  Caprice  p.  le  Clav., 
VI  Duos  conc.  p.  le  Clav,  et  Viol.,  1795  II  desgleichen,  1792  III  Quatuors 
ä  2    V.,  A.  et    Vc.  und  1795  ein  Quatuor.  t 

Grille,  Griovanni  Battista,  ein  aus  Frankreich  stammender  Componist, 
wurde  am  30.  Septbr.  1619  zum  ersten  Organisten  an  der  St.  Marcuskirche  zu 
Venedig  erwählt  und  verwaltete  dies  Amt  bis  1623.  Vgl.  v.  Winterfeld,  »Gabrieli  und 
sein  Zeitalter«,  Band  I.  S.  198,  und  Doglioni,  Cose  notahili  della  citta  di  Venezia 
p.  207.  Von  seinen  Compositionen  hat  er  »Sacri  concentusa.  (Venedig,  1618) 
veröffentlicht.  t 

Grille,  Nicolo,  italienischer  Kirchencomponist  um  1750,  von  dessen  Com- 
position  besonders  Cantaten  und  die  Musik  zu  neapolitanischen  Volkspoesien 
über  die  Grenzen  seines  Vaterlandes  hin  hochgeschätzt  waren.  f 

Grimaldi,  ein  altberühmtes  italienisches  Geschlecht,  ist  nächst  den  Fieschi's, 
Doria's  und  Spinola's  die  vierte  der  zum  alten  Adel  gerechneten  Familien 
Genua's.  Im  Staate  und  in  der  Kirche,  nicht  minder  in  der  Wissenschaft  und 
Kunst  spielte  sie  über  500  Jahre  laug  (der  letzte  männliche  Sprössling  starb 
1834)  eine  grosse  Eolle.  In  der  Musik  zeichneten  sich  aus:  Francesco  An- 
tonio G.,  geboren  1740  zu  Seminora,  gestorben  1784  zu  Neapel,  woselbst  er 
Advocat  gewesen  war,  lieferte  ausser  mehreren  geschichtlichen  Werken  über 
Neapel  und  die  Verfassung  dieses  Landes  auch  eine  kleine  Schrift:  y>Lettera 
sopra  la  musicaa  (Neapel,  1766).  —  Ritter  Nicolini  G.,  um  1685  zu  Venedig 
geboren,  war  in  seinem  Vaterlande  bereits  als  Basssänger  der  Oper  berühmt, 
als  er  1710  London  besuchte,  mit  dem  grössten  Erfolge  auftrat  und  u.  A.  auch 
in  Handels  »ßinaldo«  sang.  Dort  verfasste  er  auch  die  Textbücher  zu  »Ham- 
lettt  und  »Hydaspea,  welche  Opern  1712  zur  Aufführung  gelangten.  Später 
war  er  wieder  in  Venedig,  wo  er  zum  Ritter  von  San  Marco  ernannt  worden 
war;  Quantz  hörte  ihn  daselbst  im  J.  1726.  In  Italien  kannte  man  ihn  nur 
unter  dem  Namen   Nicoliui,  —   Giovanni    Pictro    G. ,    geboren    zu  Genua, 


Grimarest  —  Grimm.  385 

wurde  Carmeliter  und  zuletzt  Generalvicar  seines  Ordens  in  Rom.  Er  starb 
1631  und  galt  für  einen  guten  Dichter  und  Yocal-  wie  Instrumentalmusiker, 
der  sich  in  seinem  Wirkungskreise  um  die  Pflege  der  Musik  sehr  verdient  ge- 
macht haben  soll.  —  Luigi  G.  della  Pietra,  der  letzte  Spross  dieser  Fa- 
milie, gestorben  am  28.  Juni  1834  zu  Turin,  war  ein  vortrelflicher  Violinist 
und  auch  Componist  für  sein  Instrument. 

Griniarestj  Jean  Leonard  le  Gallois,  s.  Gallois. 

Grimbaldus,  gelehrter  französischer  Mönch  und  Priester  des  9.  Jahrhun- 
derts, der  vom  Könige  Alfred  885  nach  Oxford  berufen  wurde,  um  die  Wissen- 
schaften daselbst  fördei-n  zu  helfen.  Er  hielt  zwei  Jahre  nach  seiner  Berufung 
daselbst,  oft  in  des  Königs  Gregenwart,  auch  Vorlesungen  über  Musik.  Vgl. 
Grerberts  Geschichte  der  Musik  und  Hist.  of  Music  hy  Hawkins  Vol.  I.  p.  413. 

t 
Grimm,  Friedrich  Melchior,  Baron  von,  ein  geistreicher  Kunstkenner, 
der  während  seines  langen  Aufenthalts  in  Paris  mit  den  ausgezeichnetsten  zeit- 
genössischen Persönlichkeiten  in  naher  Verbindung  stand,  war  zu  Regensburg 
am  25.  Decbr.  1723  geboren  und  erhielt  durch  seine  keineswegs  bemittelten 
Aeltern  eine  sehr  sorgfältige  Erziehung.  Er  studirte  zuletzt  in  Leipzig  und 
kam  1747  nach  Paris.  Hier  wurde  er  Vorleser  des  damaligen  Erbprinzen  von 
Sachsen- Gotha,  allein  diese  Stelle  war  nicht  so  lohnend,  um  seine  Lage  zu 
einer  günstigen  zu  gestalten.  Jedoch  lernte  er  J.  J.  Rousseau  kennen,  mit  dem 
er  gleiche  Begeisterung  für  die  Musik  theilte,  und  wurde  durch  diesen  bei 
Diderot,  dem  Baron  Holbach,  der  Frau  von  Epinay  und  anderen  durch  Geist 
und  Geburt  ausgezeichneten  Personen  eingeführt;  überall  gelang  es  ihm, 
sich  in  Gunst  zu  setzen.  Als  Secretair  des  Grafen  von  Friesen,  Neffen  des 
Marschalls  von  Sachsen,  kam  er  noch  mehr  in  die  vornehmen  Gesellschaften 
lind  suchte  sich  besonders  den  Frauen  dui-cli  feines  und  gewandtes  Wesen,  so- 
wie durch  äussere  Eleganz  zu  empfehlen.  Als  die  Ankunft  der  italienischen 
Bouffons  in  Paris  (1752)  alle  Kenner  und  Freunde  der  Musik  in  zwei  Par- 
theien spaltete,  von  denen  die  eine  für  LuUi  und  Rameau,  die  andei'e  für  die 
italienischen  Componisten  schwärmte,  ei'klärte  sich  G.  entschieden  für  die  letztex'e 
und  stand  an  der  Spitze  des  Oohi  de  la  reine,  so  genannt,  weil  diese  Parthei 
sich  im  Parterre  unter  der  Loge  der  Königin  zu  versammeln  pflegte,  während 
die  Freunde  der  französischen  Musik  den  Coin  du.  roi  bildeten.  Er  schrieb  bei 
dieser  Gelegenheit  zuerst  die  Broschüre  y>Lettre  sur  Omphalea  (Paris,  1752), 
sodann  aber  die  kleine  pikante  Schrift  voll  Geist,  Witz  und  Geschmack  »ie 
petit  prophete  de  Bömischbroda«  (Paris,  1753),  und  als  die  Gegner  darauf  zu 
antworten  versuchten,  schlug  er  sie  durch  seine  y>Leffre  sur  la  mmiqiie  fran- 
gaisev.  völlig  aus  dem  Felde.  Doch  gab  letztere  ein  so  gewaltiges  Aergerniss, 
dass  anfangs  von  Verbannung  und  Bastille  die  Rede  war,  bis  endlich  die  Wuth 
sich  legte  und  dem  Verfasser  statt  dessen  der  Beifall  aller  Freunde  der  neuen 
Musikrichtung  und  der  italienischen  "  Truppe  zu  Theil  wurde.  Die  Verbin- 
dungen G.'s  mit  den  Encyclopädisten,  seine  Verhältnisse  zu  den  Grossen  Frank- 
reichs, seine  Kenntnisse,  sowie  die  Geschmeidigkeit  seines  Geistes  öffneten  ihm 
nun  bald  eine  glänzende  Laufbahn.  Nach  des  Grafen  von  Friesen  Tode  wurde 
er  Secretair  des  Herzogs  von  Orleans.  Damals  fing  er  an,  seine  literarischen 
Bulletins  für  die  Herzogin  von  Gotha  und  mehrere  andere  deutsche  Fürsten  • 
über  Gegenstäjde  der  französischen  Literatur,  Philosophie,  Musik,  Malerei 
u,  s.  w.  zu  schreiben,  welche  nach  seinem  Tode  gesammelt  erschienen,  als: 
yiCorrespondance  Uteraire,  philosophique  et  critiquev.  (16  Bde.,  Paris,  1812,  nebst 
Supplement  von  Alex.  Barbier,  Paris,  1814;  neue  vervollständigte  Ausg.,  15  Bde., 
Paris,  1829  fg.;  deutsch  im  Auszuge,  2  Bde.,  Brandenburg,  1820—1823).  Die 
geistreichsten  Analysen  und  glänzende,  pikante  UrtheUe  sprechen  sich  in  diesen 
Briefen  aus;  diejenigen  über  Musik  sind  voller  Geist  und  Schärfe,  aber  nicht 
frei  von  Vorurtheilen  und  Irrthümern.  Auch  nachdem  er  1776  zum  Baron 
und  vom  Herzoge    von  Gotha    zu    dessen    bevollmächtigten  Minister    am    fran- 

Miisikal.  Couvers.-Lexikou.    IV.  25 


386  Grimm  —  Grimmer. 

zösisclien  Hofe  ernannt  worden  war,  setzte  er  seine  literarischen  Correspon- 
denzen  fort.  Nach  dem  Ausbruche  der  Revolution  begab  er  sich  nach  Gotha, 
wo  ihn  1795  die  Kaiserin  Katharina  von  Russland  zum  Staatsrath  und  zu 
ihrem  bevollmächtigten  Minister  in  Hamburg  ernannte,  welchen  Posten  er  be- 
kleidete, bis  eine  Krankheit,  in  Folge  deren  er  ein  Auge  verlor,  ihn  nöthigte, 
seine  Entlassung  zu  nehmen.  Er  ging  hierauf  wieder  nach  Grotha  und  starb 
daselbst  am  19.  Decbr.  1807. 

Oriiiim,  Heinrich,  deutscher  Componist  und  musikalischer  Schriftsteller, 
lebte  in  der  Wendezeit  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  und  war  nach  einander 
Cantor  in  Magdeburg  und  Braunschweig.  An  theoretischen  Werken  von  ihm, 
die  aber  jetzt  sehr  selten  sind,  kennt  man:  »Z)e  monochordon  und  »Unterricht, 
wie  ein  Knabe  nach  der  alten  Guidonischen  Art  zu  solmisiren  leicht  angeführt 
werden  könne«  (Magdeburg,  1G24);  an  Compositioneu:  -nTirocinia  seu  exercitia 
tironum  musica  concertaUonihus  variis  tarn  ligatis  quam  solutis  ad  tres  voces  con- 
cinnataa  (Halle,  1624),  ferner  mehrere  fünf-  und  sechsstimmige  Messen,  deutsche 
Psalme  etc.  Gerber  besass  einige  Compositioneu  G.'s  in  Tabulaturschrift;  ein 
fünfstimmiges  Kyrie  und  Gloria  von  ihm  befindet  sich  in  Becker's  »Sammlung 
von  Kirchengesüngen  berühmter  Meister  aus  dem  15.  bis  17.  Jahrhundert« 
(Leipzig,  1834). 

Grimm,  Johann  Friedrich  Karl,  musikkundiger  Mediciner,  geboren 
1737  zu  Eisenach  und  gestorben  als  Leibmcdicus  und  Hofrath  zu  Gotha,  gab 
heraus:  »Bemerkungen  eines  Reisenden  durch  Deutschland,  Frankreich,  Holland 
und  England«  (Altenburg,  1775),  worin  mehrere  Briefe  die  damaligen  Musik- 
zustände so  treu  schildern,  dass  Forkel  dieselben  in  seine  musikalisch  kritische 
Bibliothek  Band  I.  S.  232  etc.  aufnalim.  t 

Grimm,  Julius  Otto,  hervorragender  deutscher  Pianist  und  Componist 
der  Gegenwart,  geboren  um  1830  zu  Bernau,  machte  seine  höheren  musi- 
kalischen Studien  auf  dem  Conservatorium  zu  Leipzig.  Nach  Vollendung  der- 
selben wurde  er  nach  Göttingen  berufen,  siedelte  aber  später  als  Dirigent  des 
Musikvereins  nach  Münster  über,  in  welcher  Stellung  er  sich,  die  edelste  Rich- 
tung der  Kunst  pflegend  und  fördernd,  noch  jetzt  befindet.  Nebenbei  ertheilt 
er  auch  Unterricht  im  Gesang  und  Clavierspiel.  Seine  im  Druck  erschienenen 
Compositioneu  bestehen  aus  Orchesterwerken  verschiedener  Art,  Pianoforte- 
sachen, Gesängen  und  Liedern.  Eine  Suite  von  ihm  für  Streichinstrumente 
in  Kanouform  hat  mit  Erfolg  die  Runde  durch  die  Concertsäle  Deutschlands 
gemacht. 

Grimm,  Karl,  königl.  Hofinstrumentenmacher  in  Berlin,  geboren  daselbst 
1794,  ei'langte  durch  die  von  ihm  nach  dem  Vorbilde  der  besten  italienischen 
Meister  gefertigten  Saiteninstrumente,  besonders  durch  seine  vorzüglich  ge- 
bauten klangvollen  Harfen,  einen  sehr  ausgebreiteten  Ruf.  Er  starb,  auch  als 
ausgezeichneter  Trompetenbläser  gerühmt,  am  16.  Juni  1855  zu  Berlin.  Die 
von  ihm  während  einer  dreissigj ährigen  Thätigkeit  in  Flor  gebrachte  Handlung 
übernahm  1851  unter  der  alten  Firma  C.  Hellmig.  —  Sein  Sohn  Karl 
Coustantin  Louis  G. ,  geboren  am  17.  Febr.  1821  zu  Berlin,  widmete  sich 
von  seinem  achten  Jahre  an  dem  Harfenspiele  und  brachte  es,  durch  Parish- 
Alvars  vorzüglich  gefördert,  zu  ausgezeichneter  Virtuosität  auf  diesem  Instru- 
mente. Nachdem  er  sich  seit  1837  mit  grösstem  Erfolge  öffentlich  hatte  hören 
lassen,  wurde  er  1844  als  königl.  Kammermusiker  und  erster  Harfenist  der 
Hofkapelle  in  Berlin  angestellt  und  erhielt  1869  bei  Gelegenheit  seines  25jäh- 
rigen  Jubiläums  den  Titel  eines  königl.  Concertmeisters.  G.  ist  auch  als 
Componist  für  sein  Instrument  bedeutend,  hat  jedoch  von  seinen  Arbeiten 
nichts  veröffentlicht. 

Grimmer,  Franz,  guter  deutscher  Sänger  und  Componist,  geboren  1728 
zu  Augsburg,  lernte  die  Musik  bei  seinem  Vater,  einem  bischöfl.  Trompeter, 
und  bei  Giulini  und  setzte  die  Musikübung  während  seiner  akademischen 
Studienzeit  in  Salzburg  eifrig  fort.     Als  er  im  philosophischen  und  juristischen 


Grisar  ~  Grisi.  387 

Fache  keine  Anstellung  zu  finden  vermochte,  ging  er  als  Sänger  zur  Kober- 
wein'schen,  dann  zur  Berner'schen  Schau.spielertruppe.  Später  gründete  er  ein 
Kindertheater,  für  das  er  kleine  Opern  componirte,  die  er  auch  selbst  dirigirte. 
Als  jedoch  nach  einiger  Zeit  dies  Unternehmen  sich  nicht  mehr  halten  konnte, 
verlegte  er  sich  auf  Ertheilung  von  Unterricht  und  starb  1807  zu  Biberach. 

Grisar,  Albert,  talentvoller  belgischer  Opern-  und  E-omanzencomponist, 
geboren  am  26.  Decbr.  1808  zu  Antwerpen,  erlernte  zunächst  in  seiner  Vater- 
stadt und  in  Liverpool  die  Handlung,  nebenbei  Musik  treibend.  Seine  Vor- 
liebe für  die  letztere  wurde  so  stark,  dass  er  sich  1830  heimlich  nach  Paris 
begab,  wo  er  eifrige  Studien  bei  ßeicha  begann.  Die  belgische  Revolution 
rief  ihn  aber  allzu  früh  zu  seiner  Familie  nach  Antwerpen  zurück,  wo  er  seine 
Compositionsversuche  fortsetzte  und  durch  die  berühmt  gewordene  Romanze 
•>■> La  f olles,  seinen  Ruf  begründete.  Auch  seine  erste  komische  Oper,  »ie  ma- 
nage imjpossiblea ,  zu  Anfange  1833  in  Brüssel  gegeben,  fand  Beifall  und  ver- 
anlasste die  Regierung,  ihm  ein  Studienstipendium  auszusetzen.  Gr.  eilte  hierauf 
wieder  nach  Paris,  wo  es  ihm  gelang,  als  Componist  von  Romanzen  sehr  be- 
liebt zu  werden.  Nun  trat  er  mit  Opern  und  Operetten  hervor:  1836  mit 
y>Sarah<i,  1837  mit  »L^an  mih,  1838  mit  »ie  naufrage  de  Medusea  (gemein- 
schaftlich mit  Flotow  und  Piloti)  und  mit  r>L^opera  ä  la  courv.  und  1839  mit 
y^Lady  Melvil«,  die  sämmtlich  so  viele  aumuthige  und  ansprechende  Nummern 
enthielten,  dass  sie  die  freundlichste  Aufnahme  fanden.  Seitdem  folgten  mit 
immer  mehr  sich  steigerndem  Erfolge:  »Xe  carülonneur  de  Brttges«.  (1842), 
}>L'eau  merveilletcsea  (1844),  y>GiUes  ravisseur  (1849),  »jBoä  soir,  Monsieur  Pan- 
talon«  (1852),  »ies  amotirs  du  diahlea  (1853),  »ie  cJden  du  jardinier«.  (1855), 
r>Le  joailler  de  St.  James«  (1861,  die  umgearbeitete  nLadt/  MelviW)  und  -»La 
chatte  metamorphosee«  (1862),  von  denen  »das  "Wunderwasser«,  »Guten  Abend, 
Herr  Pantalon«  und  »die  verwandelte  Katze«  auch  in  Deutschland  sehr  beliebt 
wurden.  Trotz  seines  Talentes  und  seiner  Fruchtbarkeit  gelang  es  G-.  nicht, 
in  eine  gesicherte  Vermögenslage  zu  kommen ,  und  er  starb  in  dürftigen  Ver- 
hältnissen am  15.  Juni  1869  zu  Asnieres  bei  Paris.  In  seinem  Nachlasse 
fanden  sich  noch  sechs  vollendete  Opernpartituren,  die  er  bei  Lebzeiten  ver- 
geblich den  Bühnendirectionen  angeboten  hatte. 

Grisi,  zwei  Schwestern  und  beide  berühmte  italienische  Sängerinnen.  Die 
ältere,  Griuditta  Gr.,  geboren  zu  Mailand  im  J.  1805,  wurde  ihrer  schönen 
Mezzosopranstimme  wegen  Gesangstudien  zvTgeführt,  die  sie  auf  dem  Conser- 
vatorium  ihrer  Vaterstadt  unter  Minoja  und  Bauderali  vollendete.  Nachdem 
sie  in  den  dortigen  Couservatoriumsconcerten  mit  Beifall  aufgetreten  war,  machte 
sie  1823  einen  erfolgreichen  künstlerischen  Ausflug  nach  Wien  und  sang 
darauf  auf  den  Opernbühnen  von  Mailand,  Parma,  Florenz,  Genua  u.  s.  w. 
In  Venedig  schuf  Bellini  eigens  für  sie  den  Romeo  in  seinen  ytMontecchi  e 
Capulettifj  und  diese  Rolle  besonders  -begründete  ihr  einen  ungeheuren  Ruf. 
Als  sie  im  Novbr,  1832  in  Paris  als  liStraniera«  debütirte,  fand  man  sich  ihrem 
Rufe  gegenüber  enttäuscht,  der  Romeo  jedoch  und  der  Malcolm  in  Rossini's 
rtBonna  del  lagov.  verschafften  ihr  vollständige  Erfolge.  Seit  1833  verblieb  sie 
in  Italien  und  zwar,  da  sie  sich  mit  einem  Grafen  Barni  verheirathete,  zurück- 
gezogen von  der  Bühne.  Sie  starb  am  1.  Mai  1840  auf  ihrer  Villa  bei  Ro- 
becco,  unfern  Lodi.  Ihr  Vater,  ein  ehemaliger  Capitain  Napoleons,  überlebte 
nicht  blos  sie,  sondern  auch  seine  jüngere,  noch  berühmtere  Tochter.  —  Diese 
letztere,  Giulia  G.,  war  am  28.  Juli  1811  zu  Mailand  geboren.  Gemäss  den 
Traditionen  der  Familie,  denn  ihre  Tante  war  die  gefeierte  Sängerin  Grassini 
(s.  d.),  musste  auch  sie,  11  Jahre  alt,  obgleich  man  an  ihrem  Gesangtalente 
zweifelte,  das  Mailänder  Conservatorium  beziehen,  von  wo  aus  sie  jedoch  in 
das  Mantalettenkloster  in  Florenz  gebracht  wurde.  Drei  Jahre  später  wurde 
sie  dem  Gesanglehrer  Giacomelli  in  Bologna  zugewiesen,  und  dieser  wuöste  in 
der  That  erst  ihre  Stimme  hervorzulocken  und  zu  bilden,  so  dass  sie,  unter- 
stützt von  grosser  Körperschönheit,  1828  als  Emma  in  Rossini's  »Zelmira«  mit 

25* 


388  Grisippos  —  Grob. 

glänzendem  Erfolge  in  Bologna  debütiren  konnte.  Alsbald  für  den  Carneval 
daselbst  engagirt,  sang  sie  im  »Barbier«,  im  y^S^oso  di  provincia<i.  und  in  »Tor- 
valdo  e  Dorlisca«,  Parthien,  die  den  Anfang  ihres  mit  ihrem  Ruhm  gleich- 
massig  wachsenden  Rollcnkreises  bildeten.  Hierauf  ging  sie  nach  Florenz  und 
1829  an  das  Scalatheater  in  Mailand,  wo  gerade  auch  die  Pasta  sang,  die  sich 
so  sehr  für  die  junge,  überaus  strebsame  Collegin  iuteressirte,  dass  sie,  ebenso 
der  Componist  Marliani,  dieselbe  freundlich  und  uneigennützig  in  der  Vollendung 
ihrer  Gesangstudien  unterstützte.  Auch  Rossini  und  Bellini,  der  für  sie  die 
Parthie  der  Adalgisa  schrieb,  näherten  sich  dem  neu  aufgehenden  Glesangsterne, 
und  das  Publikum  scliwärmte  für  ilir  Talent  und  ihre  Jugend.  Dadurch  selbst- 
bewusst  geworden,  brach  sie,  als  ihr  eine  höhere  Gagenforderung  abgeschlagen 
wurde,  ihren  Contrakt  mit  dem  Impresario  und  ging  nach  Paris,  wo  sie  durch 
Vermittelung  ihrer  Verwandten  alsbald  ein  Engagement  an  der  italienischen 
Oper  erhielt.  Gleich  ihr  erstes  Debüt  daselbst,  am  16.  Octbr.  1832,  in  Ros- 
sini's  »Semiramis«  sicherte  ihr  den  weiteren  grossartigen  Erfolg,  zu  dem  ihre 
wahrhaft  antike  Schönheit,  die  Reinheit,  Leichtigkeit  und  Grösse  ihrer  Stimme 
nicht  das  Geringste  beitrugen.  Dieser  Erfolg  blendete  sie  jedoch  nicht;  sie 
setzte  ihre  Studien  noch  immer  eifrig  fort,  und  mit  ihren  eminenten  Eort- 
schritten  wuchs  auch  ihre  Popularität  und  hielt  noch  drei  Jahrzehnte  in  Paris 
und  London  Stich.  Verschiedene  Opern,  so  1834  die  Puritani  von  Beliini, 
wurden  in  Paris  eigens  für  sie  geschrieben;  sie  führte  gewissermassen  das 
mezza  voce-Singen,  das  ihr  kaum  Jemand  seitdem  in  gleicher  Art  nachgemacht, 
erst  ein.  Hochtragische  Rollen  wie  Norma  waren  ihr  Anfangs  zwar  weniger 
vortheilhaft,  doch  gewann  ihre  Stimme  mit  der  Zeit  an  Umfang  und  Macht, 
so  dass  sie  auch  als  Herrscherin  im  dramatischen  Genre  gelten  konnte.  Wäh- 
rend fünfzehn  Jahren  versah  die  G.  das  Amt  der  Primadonna  abwechselnd  in 
Paris  und  London,  für  welche  letztere  Stadt  sie  eine  besondere  Vorliebe  hegte. 
Zum  ersten  Male  verheirathete  sie  sich  im  J.  1836  mit  dem  Marquis  de  Melcy; 
nach  Auflösung  dieser  Ehe  schloss  sie  im  J.  1844  eine  zweite  Verbindung 
mit  dem  berühmten  Tenoristen  Mario,  der  fünf  Kinder  entsprossen.  (Kaiser 
Nicolaus  nannte  sie  Grisetten;  »nein  Marionetten«,  erwiederte  die  geistreiclie 
Frau.)  Mit  Mario  unternahm  die  G.,  welchen  Namen  sie  auch  in  ihrer  Ehe 
stets  beibehielt,  bis  1862  verschiedene  Reisen,  auch  eine  nach  Amerika  im 
J.  1854;  das  »kostbare  Nachtigallenpaar«,  wie  Heine  sagt,  erntete,  obwohl  be- 
reits Frische  und  Glanz  seiner  Stimmen  fast  gänzlich  gewichen  war,  wenig- 
stens viel  Metall.  Endlich,  im  J.  1862,  zog  sich  die  Künstlerin  definitiv  von 
der  Bühne  zurück,  zur  Freude  ihrer  Verehrer,  die  es  geschmerzt  hatte,  den 
Verfall  der  einst  so  gefeierten  Sängerin  anzusehen.  Auf  einer  Reise  nach 
Petersburg  zu  ihrem  Gatten  begriffen,  ülierfiel  sie  eine  Lungenentzündung  und 
allein  in  der  fremden  Stadt,  fern  voii  ihrer  sonnigen  Heimath,  überraschte  die 
Künstlerin  das  Lebensende  am  29.  Novbr.  1869  zu  Berlin.  Ihre  Leiche  wurde 
von  dort  nach  Paris  übergeführt,  wo  sie  auf  dem  Pere  Lachaise  in  dem  Grabe 
ihrer  beiden  vorangegangenen  Töchter  imd  nicht  weit  von  Rossini,  mit  welchem 
sie  im  Leben  so  oft  verkehrte,  ruht.  —  Eine  Ernestina  G.,  Cousine  der 
Vorgenannten,  1818  in  Mailand  geboren,  hat  sich  als  Sängerin  in  Italien  gleich- 
falls grossen  Ruf  erworben. 

Grisippos,  ein  Musiker  im  alten  Griechenland,  der  sich  besonders  dadurch 
bekannt  machte,  dass  er  verliebten  Leuten  Nachtmusiken  fertigte;  derselbe  soll 
auch  in  der  Behandlung  des  Trigono  und  der  Sambuca  sehr  geschickt  gewesen 
sein.     Vgl.  Athen,  lib.  14.  t 

Grob  ist  ebenso  wie  gravitätisch  (s.  d.)  ein  von  früheren  Orgelbauern 
öfter  angewandtes  Beiwort  zu  Registerbenennungen  der  Orgel,  statt  dessen  man 
jetzt,  wenn  man  überhaupt  ein  solches  anwendet,  das  Wort  »gross«  gebraucht. 
G.-Stimmen  sind  also  sogenannte  grosse  Orgelstimmen,  d.  h.  solche,  die  grösser 
im  Manual  oder  Pedal  sind,  als  deren  normale  Grundstimmen  (s.  d.),  die 
im  Manual  2,5  und  im  Pedal    5 metrig    angenommen    werden.      So    nennt    man 


Grobgedackt  —  Grönemann.  389 

z.  B.  G.-Subbass,  Gr.-TJntersatz  etc.  eine  lOmetrige  Pedalstimme,  die  ge- 
wöhnlicli  nur  ömetrig  gebaut  wird,  und  G.- Gedackt,  Gr.-Principal  etc.  eine 
5 metrige  Manualstimme,  welche  nach  der  Regel  2,5 metrig  gefertigt  werden 
muss.  Da  unter  den  einfachen  Namen  die  Eigenheiten  der  verschiedenen  Orgel- 
register aufgezeichnet  sind,  so  ist  hier  nur  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
alle  Registereigenheiten  auch  den  Zügen  eigen  sein  müssen,  welche  das  Bei- 
wort Gr.  oder  gross  führen  und  dies  Beiwort  nur  anzeigt,  dass  der  Klang 
dieses  Registers  eine  Octave  tiefer  und  die  Bauart  desselben  noch  einmal  so 
gross  ist,    als  ein  den  gleichen  Namen  ohne  diesen   Zusatz  führendes  Register. 

0. 

Grobg-edackt  ist  durch  die  Systematik  liebenden  Orgelbauer  als  Name  der 
Ömetrigen  Orgelstimrae  Gedackt  (s.  d.),  welche,  wenn  2,5metrig,  dann  stets 
letztern  Namen  erhält,  eingeführt.  Diese  Systematik  fordert  die  Benennung 
Still-Gedackt  (s.  d.)  für  das  ähnliche  l,25metrige  Register.  Oft  findet  man 
jedoch  diese  Benennung  nicht  ganz  diesem  System  entsprechend  angewandt, 
was  jedoch  nicht  zu  empfehlen  ist.  0. 

Groblicz,  A.,  ein  Instrumentbauer  zu  "Warschau  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts,  soll  nach  Lohlein 's  Zeugniss  vorzügliche  Violinen  nach 
Muster  der  berühmten   Stein'schen  gefertigt  haben.  f 

Groblicz,  Mar,  polnischer  Instrumentenmacher,  vielleicht  ein  Vorfahre  des 
Vorigen,  über  dessen  Lebensumstände  jedoch  gar  nichts  bekannt  ist.  Im  J.  1861 
befand  sich  auf  der  Ausstellung  polnischer  Alterthümer  in  Lemberg  eine  aus- 
gezeichnete Viola  di  Gamha  von  ihm  mit  der  Inschrift:  Ad  D(ei)  G(raUarn) 
ukonczyl  M.  Groblicz  r.  1602  (verfertigt  von  M.  Groblicz  im  J.  1602).  Sie 
hatte  einen  Bezug  von  sechs  Saiten:  D,  G,  c,  e,  a,  d,  und  war  meisterhaft  ge- 
arbeitet, M — s. 

Grobstimme  ist  eine  der  drei  zunftgemässen,  wunderlichen  Tonbenennungen 
der  früheren  Trompeter  für  den  ersten  Aliquotton  (s.  d.)  ihres  damals  meist 
in  C- Stimmung  geführten  Instruments,  welcher  unserm  heutigen  kleinen  c  ent- 
sprach. Die  andern  beiden  Benennungen  waren:  Flattergrob  (s.  d.)  für  das 
grosse  C,  und  Faulstimme  (s.  d.)  für  das  kleine  g.  2. 

Grobstimme,  Heinrich,  s.  Baryphonus. 

GröbenscLütz,  J.,  königl.  Kammermusiker  und  Bratschist  der  Hof-  und 
Opernkapelle  zu  Berlin,  verband  mit  dieser  Stellung  die  Führung  einer  Musi- 
kalien-Verlagshandlung, die  er  1799  von  der  Firma  »Simon  Schropp  und  Comp.« 
in  Berlin  übernahm  und  in  Gemeinschaft  mit  seinem  Schwiegervater  Seiler 
unter  der  Firma  »Gröbenschütz  und  Seiler«  bis  zu  seinem  Tode,  im  J.  1837, 
fortführte.  Als  Kammermusiker  hatte  er  sich  bereits  1826  pensioniren  lassen. 
—  Seine  Gattin,  Amalie  G,,  geborene  Seiler,  galt  für  eine  treffliche  Ciavier- 
spielerin und  Musiklehrerin  und  fand  in  der  Zeit  von  1809  bis  1816  in  Con- 
certen  stets  grossen  Beifall.  Sie  starb  1845  zu  Berlin.  Rondos  und  Tänze 
ihrer  Composition  sind  im  Vei'lage  ihres  Mannes  im  Druck  erschienen.  — 
Der  Sohn  der  beiden  Vorgenannten,  Felix  G.,  ein  tüchtiger  Mediciner,  der 
zuletzt  Medicinalrath  in  Stettin  wurde,  hat  sich  als  Gesangcomponist  nicht  un- 
rühmlich ausgezeichnet  und  verschiedene  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  in 
Berlin,  Leipzig,  Hamburg  und  Kopenhagen  herausgegeben. 

Groben,  s.  Groh. 

Groene,  Anton  Heinrich,  fürstlich  lippescher  Kammersecretair  zu  Det- 
mold, gab  »Religiöse  Lieder  historischen  Inhalts,  von  L.  F.  A.  von  Colin  ge- 
dichtet« (Rinteln,  1791),  1792  »Zwölf  Serenaden  für  das  Ciavier  mit  einer  theils 
obligaten,  theils  begleitenden  Violine  vmd  Violoncello«,  1789  »Zwei  Sonaten 
für  Ciavier«  und  »Sechszehn  Singstücke«  heraus,  welche  Compositionen  in  der 
Jenaer  Literatur- Zeitung  von  1792  No.  109  eine  nicht  unvortheilhafte  Be- 
sprechung erfuhren.  f 

Gröuemann,  Albert,  deutscher  Violinvirtuose,  Orgelspieler  und  Componist, 
geboren  zu  Köln,   lebte  um  1739  zu  Leyden ,   wo  man  seine  Meisterschaft  auf 


390  Groenevelt  —  Groll. 

der  Violine  der  des  berühmten  Locatelli,  der  sich  damals  gerade  in  Amsterdam 
aufhielt,  gleichstellte.  Damals  veröfiFentlichte  er  auch  mehrere  Violinsolos  und 
Trios  für  zwei  Violinen  und  Flöte.  Um  1750  war  er  im  Haag  angestellt  und 
zwar  als  Organist  an  der  grossen  Kirche.  Leider  verfiel  er  in  Wahnsinn, 
wurde  1758  in  eine  Irrenanstalt  gebracht  und  starb  daselbst  bald  darauf.  — 
Sein  Bruder,  Johann  Friedrich  Gr.,  war  Flötenvirtuose  undichte  zu  gleicher 
Zeit  wie  sein  Bruder  zu  Amsterdam  und  dann  in  London,  wo  auch  mehrei'e 
Compositionen  für  Flöte  von  ihm  ei'schienen. 

Groeuevelt,  trefflicher  Violinist  und  talentvoller  Componist,  geboren  um 
1840,  machte  seine  höheren  Musikstudien  auf  dem  Conservatorium  zu  Leipzig 
von  1864  bis  1867  und  debütirte  als  gediegener  Musiker  mit  einem  vorzüglich 
gearbeiteten  Streichquartette.  Er  ging  unmittelbar  nach  seinen  ersten  Erfolgen 
in  Deutschland  nach  Amerika,  liess  sich  in  New- Orleans  nieder  und  wird  auch 
dort  als  ausübender  Künstler  und  Musiklehrer  sehr  geachtet. 

Grönland,  Johann  Friedrich,  trefflicher  Musikdilettant  und  Theoretiker, 
geboren  um  1760  zu  Schleswig,  studirte,  freundschaftlichen  Umgang  mit  Gramer 
und  Kunze  pflegend,  von  1780  bis  1782  zu  Kiel  und  betheiligte  sich  als  Mit- 
arbeiter eifrig  an  Cramer's  »Magazin  der  Musik«.  Hiernach  wurde  er  Secretair 
an  der  deutschen  Kanzlei  in  Kopenhagen  und  rückte  bis  zum  Director  der 
königl.  Porcellanfabrik  auf.  Er  starb  im  Novbr.  1834  zu  Altena  als  Organist 
und  Musiklehrer.  Gr.  veröffentlichte  ein  -  und  mehrstimmige  geistliche  und 
weltliche  Lieder  und  Gesänge,  die  interessant  in  Auffassung  und  harmonischer 
Behandlung  sind. 

Grob  ist  der  Name  zweier  deutscher  Tonkünstler  des  17.  Jahrhunderts. 
1)  Heinrich  Gr.,  welcher  herzogl.  Kapellmeister  zu  Merseburg  war,  gab  1622 
»S.  W.  Marschalcks  geistreicher  Andachts-Wecker,  in  Melodien  mit  vier  Stim- 
men übersetzt«,  und  1676  »Tafel-Ergötzung  in  zwölf  Suiten«  heraus.  —  2)  Jo- 
hann Gr.,  geboren  zu  Dresden,  war  um  1623  Organist  zu  Weissenstein  bei 
Dresden  und  machte  sich  durch  verschiedene  Compositionen  bekannt  und  be- 
liebt. Von  seinen  Intraden,  Paduanen  u.  s.  w.  kennt  man  noch:  »36  Intraden« 
(Nürnberg,  1603);  »30  Newe  ausserlesene  Padoanen  vnd  Galliarden  auf  allen 
musikalischen  Instrumenten  zu  gebrauchen«  (Nürnberg,  1604);  »Bettler-Mantel, 
von  mancherley  guten  Fläcklin  zusammen  geflickt,  mit  vier  Stimmen«  (Nürn- 
berg, 1607);  »30  newe  ausserlesene  Padoanen  vnd  Galliarden  mit  fünf  Stimmen, 
so  zuvor  niemals  in  Truck  kommen,  sampt  einem  Quodlibet  mit  vier  Stimmen 
componirt«  (Nürnberg,  1612)  und  »der  104.  Psalm  zu  21  Versiculn  gesangs- 
weiss  gesetzt,  vnd  nach  Art  der  Mutetten  zu  3,  4 — 8  Stimmen«  (Nürnberg, 
1613).  Zu  bemerken  ist,  dass  auf  dem  Titel  dieser  Werke  der  Componist  oft 
Groben  oder  Krochen  geschrieben  ist.  f 

Grohmaun,  Johann  Christian,  erst  Professor  der  Philosophie  zu  Witten- 
berg und  später,  nach  1812,  in  gleicher  Eigenschaft  am  akademischen  Gym- 
nasium in  Hamburg  thätig,  gab  u.  A.  auch  »Annalen  der  Universität  Witten- 
berg« in  drei  Theilen  (1801  und  1802)  heraus,  in  denen,  am  Ende  des  ersten 
Theils,  die  Zustände  der  Musik  zu  Wittenberg  im  16.  Jahrhundert  dargestellt 
werden.  f 

Groidl,  Karl,  trefflicher  Violinist  und  guter  Dirigent,  geboren  1807  zu 
Pressburg,  erhielt  eine  sorgfältige  musikalische  Erziehung,  besonders  im  Violin- 
spiel.  Schon  mit  20  Jahren  konnte  er  bei  dem  Theaterunternehmer  Stöger 
der  Orchesterdirektion  vorstehen.  Er  folgte  diesem  Direktor  1832  nach  Wien, 
als  derselbe  die  Josephstädter  Bühne  daselbst  übernahm  und  bekleidete  noch 
1836  den  Posten  eines  Musikdirektors  bei  der  genannten  Bühne,  für  welclie 
er  Gelegenheitsmusiken,  Melodramen  und  Singspiele  schrieb,  die  jedoch  nur 
einen  Localruf  erlangten. 

Groll,  Evermodus,  deutscher  Kirchencomponist,  geboren  1756  zu  Nit- 
tenau  in  der  Oberpfalz,  wurde  im  Benediktinerkloster  ßeichenbach ,  sodann  in 


Groos  —  Grose,  391 

Kegensburg  wissenschaftlich  wie  musikalisch  herangezogen.  Er  trat  hierauf  in 
das  Prämonstratenserkloster  Scheftlarn  und  wurde  Musikdirektor  und  Chor- 
regent daselbst.  Von  seinen  Compositionen,  unter  denen  sich  auch  einige  Sin- 
fonien und  andere  Instrumentalwerke  befanden,  sind  nur  noch  kleine  vierstim- 
mige Messen  bekannt,  welche  1790  erschienen  sind.  Nach  Aufhebung  seines 
Klosters,  im  J.  1803,  lebte  G.  eine  Zeitlang  ohne  Amt.  Erst  1807  erhielt  er 
die  Pfarrei  Allershausen,  wo  er  1809   starb. 

Groos,  Karl  August  (nicht  Gross),  intelligenter  Musikfreund  und  Com- 
ponist  von  volksthümlich  gewordenen  "Weisen,  geboren  am  16.  Febi'.  1789  zu 
Sassmannshausen  in  der  Grafschaft  Wittgenstein,  studirte  Theologie  und  gab 
während  eines  längeren  Aufenthalts  in  Berlin  in  den  Jahren  1817  und  1818 
in  Verbindung  mit  Beruh.  Klein  heraus:  »Deutsche  Lieder  für  Jung  und  Alt« 
(Berlin,  1818).  In  diesem  "Werke  befinden  sich  folgende  allgemein  bekannt 
gewordene  Lieder  seiner  Composition:  »Freiheit,  die  ich  meine«,  Gred.  von 
Schenkendorf,  »Ach  Gott,  wie  weh  thut  Scheiden«,  altes  Volksgedicht,  »Ich  bin 
vom  Berg  der  Hirtenknab'«,  Ged.  von  Uhland,  und  »Von  allen  Ländern  in  der 
"Welt«,  Ged.  von  Schmidt  v.  Lübeck.  Als  Nx\  1  in  Hoffmann  von  Fallers- 
leben's  Volksgesangbuch  befindet  sich  das  von  G.  componirte  Lied  »Abend  wird 
es  wieder«,  G.  selbst  wurde  Consistorialrath  und  Pfarrer  in  Coblenz,  erhielt 
nachmals  den  Titel  eines  Regierungsrathes  und  starb  am  20.  Novbr.  1861  zu 
Coblenz. 

Groot,  David  Eduard  de,  vorzüglicher  holländischer  Tonkünstler,  ebenso 
ausgezeichnet  als  Clarinettenvirtuose  wie  als  gediegener  Componist  und  Dirigent, 
war  am  8.  April  1795  zu  Amsterdam  geboren.  In  seinem  Studiengange  als 
Clarinettist  bildete  die  allgemeine  musikalische  Ausbildung  einen  Hauptbestand- 
theil.  Zum  Virtuosen  herangereift,  fand  er  nur  in  Bärmann,  Berr  und  Ca- 
vallini  ebenbürtige  Eivalen,  und  seine  Kunstreisen  in  den  Niederlanden  und 
Deutschland  trugen  ihm  grossartige  Erfolge  ein.  Seit  1830  lebte  er  aus- 
schliesslich in  Frankreich  und  war  einige  Zeit  hindurch  Orchesterdirektor  am 
Theater  zu  Marseille,  in  welcher  Eigenschaft  er  u.  A.  Spohr's  »Faust«  zuerst 
auf  die  französische  Bühne  brachte.  Später  Hess  er  sich  in  Paris  nieder,  wo 
er  im  Umgänge  und  geachtet  von  den  bedeutendsten  Künstlern  seiner  Zeit 
eine  ehrenvolle  Stellung  einnahm.  Er  starb  am  29.  März  1874  zu  Paris. 
Seine  bekannt  gewordenen  Compositionen  bestehen  in  einer  grossen  Anzahl 
von  Originalwerken  und  von  Fantasien,  Variationen  u.  dgl.  für  Clarinette,  die 
einen  höheren  Kunstwerth  beanspruchen  dürfen.  G.  hinterliess  drei  Söhne, 
sämmtlich  treffliche  Musiker,  von  denen  Adolph  de  G.  der  bekannteste  ist 
und  als  Orchesterchef  wie  als  Componist  sich  in  Paris  einen  wohlbegründeten 
Ruf  erworben  hat. 

Groppetto  oder  Gruppetto  (ital.),  der  Doppel  schlag  (s.  d.). 

Groppo  oder  Gruppo  (ital.),  d.  i.  der  Knoten,  die  Gruppe,  bezeichnet  in 
der  Musik  eine  mordentartige  Setzmanier  aus  vier  geschwinden  Noten  gleicher 
Geltung,  von  denen  die  erste  und  dritte  auf  derselben,  die  zweite  und  vierte 
auf    der    nächsthöheren    und    tieferen     Stufe    oder    umgekehrt     stehen,     also: 


pf-f — -^^^^"rT    '  j     """^^  Uebrigen  sehe  man  den  Artikel  Rolle. 


Gi'os,  Antoine  Jean,  französischer  Tonkünstler,  lebte  in  der  zweiten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  Paris,  wo  er  Unterricht  im  Ciavier-  und  Har- 
fenspiel ertheiltc  und  um  1783  verschiedene  seiner  Compositionen  für  diese 
Instrumente  veröffentlichte,  so  als  op.  4  drei  Duos  für  Claviea-  und  Harfe,  als 
op.  5  kleine  Airs  für  Ciavier  oder  Harfe  etc. 

Gros,  Joseph  le,  s.  Legros. 

Grose,  Michael  Ehregott  (Timotheus),  deutscher  Orgel  virtuose  und 
Componist,    war  bis  1786  an  der  St.  Gotthardt's- Kirche    zu  Brandenburg    als 


392  Gros-fa  —  Grosheim. 

Organist  angestellt,  ging  von  dort  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Christiansutid 
in  Schweden  und  kam  endlich  nach  Kopenhagen,  wo  er  1824  noch  lebte.  Er 
galt  für  einen  tüchtigen  Künstler  auf  seinem  Instrumente  und  hat  sich  auch 
als  Coraponist  hervorgethan,  indem  er  24  Lieder  mit  Clavierhegleitung  (Leipzig, 
1780)  und  sechs  Sonaten  für  das  Ciavier  (Berlin,  1785)  erscheinen  Hess.  Noch 
andere  AVerke  von  ihm  sollen  in  Kopenhagen  herausgekommen  sein. 

Oros-fa  wurden  in  Frankreich  gewisse  alte  Kirchenstücke  genannt,  die  in 
viereckigen,  runden  und  weissen  Noten  aufgezeichnet  waren.  Näheres  ist  bis 
jetzt  nicht  ermittelt  worden.  Zuerst  findet  sich  dieser  Ausdruck  im  Diction- 
naire  de  musique  von  J.  J.  Rousseau  aufgezeichnet,  jedoch  ebenfalls  ohne  jede 
weitere  als  die  eben  gegebene  Erklärung.  Das  Wort  selbst  schleppt  sich  seit- 
dem zwecklos  durch  die  musikalischen  Wörterbücher.  Wenn  nicht  endlich 
einmal  eine  gewichtigere  Aufklärung  über  die  Bedeutung  des  Wortes  G-.  er- 
forscht wird,  so  dürfte  das  gänzliche  Auslassen  dieses  Ausdruckes  vorzu- 
ziehen  sein.  0. 

Groslieim,  Georg  Christoph,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler  und  Musik- 
pädagoge, geboren  am  1.  Juli  1764  zu  Kassel,  war  das  neunte  von  zwölf  Kin- 
dern eines  Hofmusikers  des  Landgrafen  Friedrich  II.  von  Hessen.  Einen 
kümmerlichen  Ciavier-  und  Greneralbassunterricht  erhielt  er  von  einem  Freunde 
seines  Vaters,  musste  sich  aber  um  so  mehr  als  Notenschreiber  üben,  um  dem 
kärglichen  Verdienste  seiner  Familie  zu  Hülfe  zu  kommen.  J.  J.  Bousseau's 
Werke,  die  er  schon  früh  las,  machten  einen  unauslöschlichen  Eindruck  auf 
ihn  und  regten  ihn  an,  die  Partituren  für  die  Oper  und  die  Kirche,  die  er  zu 
copiren  hatte,  nicht  blos  anzusehen,  sondern  auch  zu  studiren.  Achtzehn  Jahre 
alt,  trat  er  als  Bratschist  in  die  Flofkapelle  zu  Kassel  und  wurde  zugleich 
Musiklehrer  am  dortigen  Schullehrerseminar.  Die  Auflösung  der  Hofkapelle 
und  des  Theaters  nach  Friedrich's  IL  Tode  versetzte  ihn,  da  er  noch  immer 
für  Eltern  und  Geschwister  zu  sorgen  hatte,  in  die  traurigste  Lage,  der  ihn 
auch  die  damals  erlangte  Gesanglehrerstelle  an  der  Bürgerschule  nicht  völlig 
zu  entreissen  vermochte.  Für  die  Verlagshandlung  von  Schott  in  Mainz  schrieb 
er  viele  Choralvorspiele,  Chorgesänge,  sammelte  die  besten  Volkslieder,  com- 
ponirte  »Hector's  Abschied«  von  Schiller  und  gab  die  musikalische  Zeitschrift 
»Euterpe«  (4  Thlc.)  heraus.  Als  Kurfürst  Friedrich  Wilhelm  I.  ein  neues 
Theater  errichtete,  wurde  G.  Musikdirektor  an  demselben  und  schrieb  die  Opern 
»Titauia«  und  »Das  heilige  Kleeblatt«,  aus  denen  die  einzelnen  Nummern  bei 
Simrock  in  Bonn  erschienen.  Doch  schon  nach  IV2  Jahren  wurde  auch  dieses 
Theater  wieder  aufgelöst  und  G.'s  Bedräugniss  erneuerte  sich  und  liielt  an, 
bis  er  endlich  zum  Musiklehrer  der  Königin  von  Westphalen  ernannt  wurde, 
welche  Stelle  er  auch  bei  der  nachgehends  wieder  zurückgekehrten  Kurfürstin 
von  Hessen  behielt.  Seitdem  war  er  überhaupt  ein  gesuchter  Musiklehrer,  der 
alle  freie  Zeit  der  Composition  und  Schriftstellerei  widmete,  welche  Beschäf- 
tigung im  freundschaftlichen  Umgange  mit  Seume  und  dadurch,  dass  ihm  die 
Universität  Marburg  den  Doctortitel  vei'lieh,  einen  neuen  Aufschwung  erhielt. 
Er  war  lange  Zeit  fleissiger  Mitarbeiter  an  der  »Eleganten  Zeitung«,  dem 
»Freimüthigen«,  dem  in  Holland  erscheinenden  »Araphion«  und  an  der  »Cäcilia«, 
wie  er  denn  auch  für  Schilling's  »Universallexicon  der  Tonkunst«  zahlreiche 
Artikel  vcrfasste.  An  selbstständigen  Werken  schrieb  er:  »Ueber  den  Verfall 
der  Tonkunst«  (Göttingen),  »Elementarlehre  des  Generalbasses«,  eine  Biographie 
der  Mara,  ein  chronologisches  Verzeichniss  von  Meistern  und  Beförderern  der 
Musik,  Fragmente  einer  Geschichte  der  Tonkunst,  »Versuch  einer  ästhetischen 
Beleuchtung  mehrerer  musikalischen  Meisterwerke«,  »Mein  Testament«,  »Ueber 
die  Pflege  und  Anwendung  der  Stimme«  u.  s.  w.  Componirt  hat  er  ausser 
den  weiter  oben  angeführten  Werken:  Volkslieder  für  Schulen  (9  Thle.),  24 
dreistimmige  Choräle,  vierstimmige  religiöse  Gesänge  mit  Orchesterbegleitung, 
die  zehn  Gebote,  Messen,  Psalme,  die  französiscl>c  Oper  iiLes  eselai'es  d^Alffer«, 
das  geistliche  Drama  »die  Sympathie  der  Seelen«,    viele  Ciavierstücke,    Lieder 


Grosier  —  Gross.  393 

und  Gesänge.  Bndlich  besorgte  er  auch  ein  vollständiges  Choralbuch  und  gab 
einen  neuen  Ciavierauszug  von  Gluck's  »Iphigenia  in  Aulis«,  deren  Text  er 
ebenso  wie  den  zur  »Iphigenia  in  Tauris«  übersetzt  hatte,  heraus.  —  G.  starb 
zu  Kassel  im  J.  1847. 

Grosier,  Abbe  Jean  Baptiste  Gabriel  Alexandre,  auch  Grossier 
geschrieben,  französischer  Schriftsteller,  geboren  1743  zu  St.  Omer,  gestorben 
1823  zu  Paris,  gab  in  seinem  grossen  "Werke  n Description  generale  de  la  Ghine<s. 
u.  A.  auch  Aufschlüsse  y^Sur  les  pierres  sonores  de  la  Oliinev.. 

Grosjean,  Jean  Romary,  verdienstvoller  französischer  Orgelvirtuose  und 
Componist,  geboren  am  12.  Jan.  1815  in  Rochesson,  einem  Dorfe  im  Departe- 
ment der  Vogesen,  wo  sein  Vater  Handwei'ker  war,  machte  als  Musikschüler 
des  Ortsorganisten  Lambert  so  vorzügliche  Fortschritte,  dass  er  schon  1837 
als  Organist  an  der  Haupt -Pfarrkirche  zu  Remiremont  und  1839  an  der  Ka- 
thedrale von  St.  Die  (in  den  Vogesen)  angestellt  werden  konnte.  Von  dort 
aus  besuchte  er  häufig  Paris,  um  noch  bei  Boely  auf  der  Orgel  und  bei  Sta- 
maty  im  Ciavierspiel  Anweisungen  zu  erhalten.  Er  hat  Sammlungen  von  Orgel- 
stücken verschiedener  Componisten,  untermischt  mit  eigenen  Arbeiten,  zum 
gottesdienstlichen  Gebrauche  herausgegeben  und  1857  in  der  Bibliothek  von 
St.  Die  auch  ein  interessantes  Manuscript,  Tractate  von  Garlandus,  Marchettus 
von  Padua  und  Franco  von  Köln  enthaltend,  aufgefunden,  über  das  Cousse- 
maker  in  einer  Schrift  siNotiee  sur  im  manuscrit  musical<i  (Paris)  berichtet  hat. 

Grosley,  Pierre  Jean,  verdienstvoller  französischer  Gelehrter,  Mitglied 
der  Akademien  zu  Paris,  Nancy,  Chälons  u.  s.  w, ,  zu  Troyes  am  19.  Novbr. 
1718  geboren  und  ebendaselbst  am  4.  Novbr.  1785  gestorben,  hat  u.  A.  eine 
kurze  »Geschichte  der  Musik«  herausgegeben,  die  viele  interessante  Nachrichten 
besonders  über  damalige  italienische  Componisten  enthielt.  Das  "Werk  erlebte 
unter  dem  Titel:  »Nachrichten  oder  Anmerkungen  über  Italien  und  die  Italiener 
von  zween  schwedischen  Edelleuten«  (Leipzig,  1766)  eine  Uebersetzung  in's 
Deutsche,  aus  welcher  Hiller  die  im  zweiten  Bande  seiner  »"Wöchentlichen  Nach- 
richten« enthaltenen  Auszüge  entnahm.  f 

Gross,  ein  Eigenschaftswort,  das  Hauptwörtern  beigefügt  wird,  die  über 
die  gewohnte  Ausdehnung  hinausgehende  Begriffe  bezeichnen  sollen,  findet  auch 
als  Beiwort  in  der  Fachsprache  der  Musik  mannigfache  Anwendung.  Häufig 
hört  man  zunächst  von  Orgelbauern  dies  "Wort  gebrauchen.  Die  Bedeutung, 
welche  diese  demselben,  aus  der  eben  entwickelten  Auff'assuug  hervorgegangen, 
beilegen,  ist  der  von  grob  (s.  d.),  wie  diese  an  bezeichneter  Stelle  ausführlicher 
erörtert  ist,  gleich.  —  Auch  in  der  Instrumentbaukunst  im  Uebrigen  bedient 
man  sich  dieses  Ausdrucks.  Man  spricht  z.  B.  von  einer  g.  Bassgeige,  siehe 
Contrabass,  im  Gegensatze  zu  der  kleinen,  dem  Violoncello  (s.  d.);  einer 
g,  Trommel  (s.  d.)  etc.,  indem  man  früher  nur  in  einer  Grösse  gebräuchliche 
also  benannte  Tonwerkzeuge  als  die. normalen  denkt.  —  In  musikalisch -ästhe- 
tischen Ergehungen  ist  die  Anwendung  des  "^^ortes  g.  ebenfalls  eingebürgert, 
und  man  möge  in  dieser  Beziehung  den  Artikel  gross  in  dem  "Werke  »All- 
gemeine Theorie  der  schönen  Künste«  von  J.  G.  Sulzer,  sowie  die  Erklärungen 
der  "Wörter  »erhaben«,  »grossartig«  u.  A.  in  diesem  "W^erke  nachlesen.  — 
Endlich  ist  noch  auf  die  Anwendung  des  "VV^ortes  g.  in  Bezug  auf  allgemeine, 
oberflächliche  Intervallbezeichnung  hier  einzugehen,  wobei  zugleich  manche 
wankenden  oder  zum  Theil  schon  veralteten  Anwendungen  desselben  mit  zu 
erwähnen  sind.  Es  kommen  hierbei  nur  die  sieben  Grundklange  oder  ein- 
fachen Intervalle  der  Octave  in  Betracht,  da  die  zusammengesetzten  (s.d.), 
None,  Decime,  Undecime  etc.,  Wiederholungen  der  Secunde,  Terz,  Quarte  u.  s.  f., 
nur  unter  gewissen  Umständen  von  den  einfachen  Intervallen  unterschieden 
werden,  jedoch  stets  den  Gebrauch  des  Beiwortes  g.  ebenso  wie  das  ent- 
sprechende einfache  Intervall  fordern.  Vom  UrbegrifF  des  Eigenschaftswortes 
g.  ist  die  Anwendungsweise  bei  den  Intervallen  insofern  abweichend ,  als  man 
in    der  That    das    normale    Intervall    einer    Scala:    das    grosse    nennt.     Am 


394 


Gross. 


klarsten  giebt  diese  kleine  AufFassungsverscbiebung  der  Erklärung  G.  W.  Fink 
in  seinem  »System  der  musikaliscben  Harmonielehre«  S.  38,  wenn  er  sagt:  »Alle 
leitereigenen  Klänge  einer  Tonart  heisst  man  g.  Intervalle,  im  Gegensatz  zu 
den  um  einen  Halbton  erniedrigten  oder  erhöhten,  welche  dann  kleine  (s.  d.) 
oder  übermässige  (s.  d.)  genannt  werden.«  Jedenfalls  würde  diese  Feststel- 
lung, allgemein  angenommen,  in  der  Intervallbezeichnuug  eine  Klarheit  schaffen, 
die  durch  die  Vermengung  mehrerer  Bezeichnungsweisen  in  der  Gegenwart  sich 
noch  sehr  getrübt  breit  macht.  Man  findet  nämlich  für  die  normalen  Inter- 
valle: Quarte,  Quinte  und  Octave  meist  das  Beiwort  rein  in  Gebrauch,  und 
zwar  bei  beiden  letztern  mit  g.  in  gleicher  Bedeutung.  Von  den  Quarten 
nennt  man  jedoch  die  normale  c — f  eine  reine,  hingegen  f — h  eine  grosse. 
Erstere  Quarte  wird  sogar  zuweilen  die  kleine  genannt,  wie  aus  der  allge- 
meinen Musiklehre  von  G.  "Weber  (18.31)  S.  LXIII.  erhellt,  und  letztere  die 
g.  In  der  nachfolgenden  Tabelle  finden  sich  alle  g.  genannten  Intervalle  in 
0-dur  zusammengestellt  und  zugleich,  um  deren  Vollständigkeit  zu  erzielen, 
einige  Klänge  über  die  Octave  hinaus  aufgezeichnet,  diesen  überdies  die  rein 
genannten,  je  nach  der  noch  gebräuchlichen  Anwendung  dieses  Beiwortes,  be- 
zugnehmend auf  die  gleichzeitige  oder  besondere  von  g.  zugefügt. 


0        D        E        F       G        A       H        c         d         e 

grosse 
Secunden. 

-s — ^- 

-«?— ^- 

<-5- 

^           '^ 

grosse  Terzen. 

^^. 

^ 

^               l'               -^ 

3» 

grosse  Sexten. 

c;       1 

1                  1 

1 

\  '  " 

grosse 
Septimen. 

1             1             1 

. 

^       1 

.   ...  1... 

1                   1 

grosse  Quarte. 

1 



..^ 

1 

V    j     ■: 

_ 1 

1 

-( 

reine  Quarten. 

1 

^ 

-e 

, 

grosse 
Quinten. 

1 

__ 

auch 
reine  Quinten 

^ 

<      -L_ 

- 

cen.annt.        1 

i 

-^ 

reine  Octave. 

! 

1 

+          -t--F-h-f--f-         +         +         +         + 

reinePrimen. 

Treten  wir  der  Anwendung  des  Eigenschaftswortes  rein  in  der  Intcrvallbezeich- 
nung  näher,  so  ergiebt  sich:  dass  die  ausschliessliche  Bezeichnungsweise  rein 
(s.  d.)  ihre  Entstehung  und  noch  fortwährende  Anwendung  den  unveränderlich 
erachteten  Schwingungsverhältnissen  der  hiermit  ausschliesslich  bedachten  Inter- 
valle zu  danken  hat,  welche  diese  als  vollkommene  Consonanzen  fordern.  Des- 
halb spricht  man  nur  von  einer  reinen  Prime,  da  derselbe  Klang  nur  durch 
eine  gleiche  Anzahl  Schwingungen  eines  gleichen  Körpers  geschaffen  werden 
kann,  sowie  von  einer  reinen  Octave,  weil  diese  durch  dopjjelt  oder  halb  so 
viel  Schwingungen  eines  gleichen  Körpers,  als  der  Klang,  von  dem  aus  sie 
gemessen  wird,  erzielt  wird.  Die  Quinte  hingegen,  da  sie  eine  kleine  Aen- 
derung  des  Schwingungsverhältnisses    zulässt,   ja    sogar    im  Kunstgebrauch  oft 


Gross.  395 

fordert,  wird  deshalb  von  einigen  rein,  von  andern  g.  genannt.  Man  sieht,  die 
Einführung  der  von  Fink  vorgeschlagenen  Vereinfachung  der  oberflächlichen 
Intervallbezeichnung  würde  ein  Fortschritt  sein,  der  nur  durch  wenige,  die 
akustischen  Eigenheiten  der  Klänge  bezeichnen  wollende  Theoretiker  noch  ver- 
hindert wird.  Hoffentlich  wird  bald  die  Zeit  kommen,  in  der  auch  diese  Un- 
klarheit schwinden  wird,  was,  wie  gesagt,  nur  zum  Heile  der  Fachsprache  in 
der  Kunst  geschähe,  da  nur  zu  Viele,  den  Grund  dieser  verschiedenen  Bezeich- 
nungsweise nicht  klar  wissend,  immer  eine  gewisse  Unsicherheit  in  ihrer  Aus- 
drucksweise pflegen,  welche  durch  die  Anwendung  der  Wörter  »rein«  und 
»gross«  bei  der  Quarte  nur  noch  gemehrt  wird,  indem  für  den  Gebrauch  dieser 
Wörter  dort  noch  andere  Beweggründe  maassgebend  sind,  die  zu  ergründen 
dem  eigenen  Nachdenken  überlassen  bleiben  mag.  Diese  oberflächliche  Inter- 
vallbezeichnung, wie  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Eigenschaftswortes  g. 
führte  auch  zur  Anwendung  dieses  Wortes  bei  kleineren  Intervallbenennungen, 
d.  h.  bei  solchen,  deren  Grösse  die  mathematische  Klanglehre  (s.  d.)  be- 
stimmt; man  spricht  dem  entsprechend  von  einer  g.  Diesis  (s.  d.)  und  einem 
g.  Limma  (s.  d.).  Solche  durch  die  mathematische  Klanglehre  aufs  Genaueste 
festgestellten  Intervallverhältnisse,  die  dem  menschlichen  Ohre  zu  erkennen  fast 
nicht  möglich,  ergeben  nun  selbst  in  grösseren  —  den  Ganz-  und  Halb- 
tönen  —  noch  eine  Verschiedenheit,  die  selbst  dem  Ohre  kenntlich  werden 
kann,  und  führten  zu  dem  Gebrauch  des  Wortes  g.  auch  in  der  Fachsprache 
der  Musik  in  dieser  Beziehung.  Man  spricht  demgemäss  von  einem  g.  Ganz- 
ton  und  einem  g.  Halb  ton,  deren  genaue  Grösse  mitzutheilen  hier  nicht  der 
Ort  ist,  weil  über  diese,  wie  über  alle  anderen  beachtenswerthen  Bedevitungen 
des  Wortes  g.  die  Specialartikel  das  Genauere  bieten.  Vgl.  auch  »Allgemeine 
Musiklehre«  von  A.  B.  Marx,  S.  41,  die  Anmerkung.  C.  B. 

Gross,  Benedict  Franz,  voi^züglicher  Concertsänger,  geboren  zu  Keu- 
kirch  in  der  preussischen  Provinz  Schlesien  am  26.  Aug.  1813,  fand  seiner 
ausgezeichnet  schönen  Stimme  wegen  als  Knabe  Aufnahme  im  Miuoritenkloster 
zu  Troppau,  woselbst  er  neben  dem  wissenschaftlichen  zugleich  einen  gründ- 
lichen Musikunterricht  vom  Kapellmeister  Schmitz  erhielt.  Um  Philosophie 
und  Rechtskunde  zu  studiren,  ging  er  nach  Wien  und  benutzte  diese  Zeit, 
sich  auch  im  Gesang  noch  weiter  vervollkommnen  zu  lassen.  Aus  gesellschaft- 
lichen Kreisen,  in  denen  er  sich  zuerst  hören  Hess,  wurde  er  bald  in  die 
Oeffentlichkeit  gezogen,  und  sein  künstlerisch  gebildeter  Vortrag,  in  Verbindung 
mit  seiner  schönen,  trefflich  geschulten  Tenorstimme  erregten  in  Concerten  den 
grössten  Beifall,  so  dass  man  sich  für  die  Soloparthien  bei  grossen  Auffüh- 
rungen mit  Vorliebe  seiner  Mitwirkung  vei'sicherte.  Obwohl  seine  Lebens- 
stellung ihm  nicht  gestattete,  die  musikalische  Beschäftigung  zur  Hauptsache 
zu  machen,  so  stellte  er  sein  Talent,  wo  es  nur  anging,  zuvoi"kommend  allen 
wichtigeren  Aufführungen  zu  Diensten  und  behauptete  in  jeder  Beziehung  eine 
der  ersten  Stellungen  unter  den  Dilettanten  Wiens.  —  Ein  ebenfalls  vortreff- 
licher Tenorist  der  Gegenwart  ist  Ferdinand  G.,  welcher  sich  jedoch  der 
Bühne  gewidmet  hat.  Geboren  am  8.  Mai  1835  zu  Wien,  war  er  ursprünglich 
für  den  Kaufmaunsstand  bestimmt  und  bereits  im  Comtoir  thätig,  als  ihn  seine 
schöne,  überaus  kräftige  Tenorstimme,  wie  seine  künstlerischen  Neigungen  be- 
stimmten, sich  der  Bühnenlaufbahn  zuzuwenden,  für  die  ihn  der  Gesanglehrer 
Gentiluomo  vorbereiten  musste.  Nachdem  er  1857  in  Wien  debütirt  hatte, 
wurde  er  1858  in  Olmütz,  und  von  dort  aus  nacheinander  in  Pressburg,  Brunn 
und  Graz  engagirt.  Gastspiele  in  Pesth,  Wien,  Berlin  und  Leipzig  während 
dieser  Zeit  befestigten  seinen  Ruf.  In  letztgenannter  Stadt  fand  er  eine  be- 
sonders glänzende  Aufnahme,  in  Folge  deren  er  im  Juli  1865  für  das  dortige 
Stadttheater  dauernd  gewonnen  wurde  und  während  eines  sechsjährigen  Aufent- 
haltes in  allen  Heldenparthien  der  deutschen,  französischen  und  italienischen 
Oper  der  Liebling  des  Publikums  war,  das  ihn  1871  nur  ungern  nach  Rotterdam 
scheiden  sah.     Seit  1873  gehört  G.  der  Bühne  in  Frankfurt  a.  M.  an.     Seine 


396  G^ross. 

unverwüstlichen  Stimmmittel,  sein  einen  Kreis  von  beinahe  80  Rollen  um- 
fassendes Eepcrtoir,  seine  vollkommene  musikalische  Sicherheit  und  Bildung, 
sowie  sein  verständnissvolles  dramatisches  Spiel,  welchen  Vorzügen  gegenüber 
gewisse  Mängel  der  Stimme  und  der  Scliule  weniger  in  Betracht  kommen, 
haben  ihn  zu  einem  der  geschätztesten  Mitglieder  der  heutigen  deutschen  Opex-n- 
bühne  gemacht. 

Gross,  eine  Familie  von  Kammermusikern  der  königl.  Kapelle  in  Berlin. 
Johann  Gottlieb  Gr.,  geboren  1748,  war  ein  vortrefflicher  Oboebläser  (nicht 
Violoncellist)  und  starb  am  8.  Juni  1820.  —  Sein  Sohn,  Schüler  und  Amts- 
nachfolgor,  Friedrich  August  G. ,  geboi'en  am  17.  Mai  1780,  wirkte  schon 
1794  im  Orchester  des  königl.  Nationaltheaters  mit  und  erhielt  ein  Jahr  später 
seine  definitive  Anstellung.  Er  galt  für  einen  ausgezeichneten  Virtuosen  seines 
Instrumentes,  war  übrigens  auch  zugleich  tüchtiger  Glavierspielcr  und  hat  auf 
beiden  Tonwerkzeugen  tüchtige  Schüler  gebildet.  Am  6.  Mai  1845  feierte  er 
sein  fünfzigjähriges  Jubiläum  als  königl.  Kammermusiker,  bei  welcher  Gelegen- 
heit er  die  goldene  Medaille  für  Kunst  erhielt  und  pensionirt  wurde.  Er  er- 
reichte ein  für  einen  Oboisten  aussergewöhnlich  hohes  Alter,  indem  er  erst 
1861  zu  Berlin  starb.  —  Sein  Bruder,  Heinrich  G.,  war  ein  vorzüglicher 
Violoncellist  und  als  solcher  Schüler  Duport's.  Schon  als  Knabe  liess  er  sich 
mit  grossem  Beifall  in  Berlin  öffentlich  hören,  erhielt  um  1703  ein  Engagement 
bei  dem  schwedischen  Grafen  de  Geer  und  wurde  etwa  zwei  Jahre  später  in 
der  königl.  preussischen  Kapelle  als  erster  Violoncellist  angestellt.  Auch  als 
solcher  liess  er  sich  noch  oft  erfolgreich  öffentlich  in  Concerten  hören ,  starb 
aber  schon  im  J.  1806  zu  Berlin.  Von  seinen  Compositionen  tür  Violoncello 
ist  nur  Weniges,  unter  diesem  eine  Sonate  op.  1  (Berlin,  1804)  und  ein  Heft 
Variationen  im  Druck  erschienen. 

Gross,  Georg  August  (nicht  Gottfried  August),  trefflich  und  vielseitig 
gebildeter  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  28.  Septbr.  1801  zu  Königsberg, 
bildete  sich  als  Violinspieler  nach  L.  Maurer,  als  Pianist  nach  J.  N.  Hummel 
und  brachte  es  auf  beiden  Instrumenten  zu  hoher  Vollkommenheit.  Musik- 
theorie und  Composition  studirte  er  bei  Chr.  Urban.  Bereits  1820  fungirte  G. 
als  Concertmeister  bei  dem  Orchester  in  Memel,  machte  1830  eine  grössere 
Kunstreise,  wirkte  dann  als  Musiklehrer  in  Lübeck  und  erhielt  bald  darauf 
einen  Ruf  als  Musikdirektor  nach  Hildesheini.  Von  dort  siedelte  er  1837  nach 
Hamburg  über  und  gründete  und  redigirte  daselbst  die  »Hamburger  musikalische 
Zeitung«.  Er  starb  im  J.  1853  zu  Hamburg.  Als  Componist  zeichnete  er 
sich  durch  Gediegenheit  aus,  jedoch  sind  von  seinen  musikalischen  Arbeiten 
nur  Psalme  und  andere  geistliche,  dann  auch  weltliche  Gesänge  und  Lieder  im 
Druck  erschienen.  Im  Manuscript  hinterliess  er  zahlreiche  Ciavier-  und  Violin- 
compositionen.  —  Noch  bedeutender  als  Virtuose  und  Componist  war  sein 
Bruder  Johann  Benjamin  G.  Geboren  am  12.  Septbr.  1809  zu  Elbing, 
kam  derselbe  in  jungen  Jahren  nach  Berlin  und  legte  durch  Strebsamkeit  und 
Selbststudium  den  Grund  zu  seiner  nachmaligen  Künstlerschaft.  Sein  Haupt- 
instrument wurde  das  A^ioloncello ,  auf  dem  ihn  der  königl.  Kammermusiker 
Ferd.  Hansmann  unterrichtete,  welchem  Unterrichte  er  durch  einen  wahren 
Feuereifer  entgegenkam,  so  dass  er  seiner  Tüchtigkeit  wegen  schon  1824  im 
Orchester  des  Königstädtischen  Theaters  angestellt  wurde,  dem  er  bis  1829 
angehörte.  Er  begab  sich  damals  nach  Leipzig,  fand  schnell  Eingang  in  alle 
musikalischen  Kreise  und  wurde  auch  öfter  als  Solist  in  die  Gewandhausconcerte 
gezogen.  Im  J.  1833  trat  er  als  Violoncellist  in  das  Orchester  des  Stadt- 
theaters zu  Magdeburg,  kehrte  jedoch  von  dort  in  demselben  Jahre  nach  Berlin 
zurück,  von  wo  er  der  Einladung  eines  reichen  Musikfreundes,  von  Liphardt, 
nach  Dorpat  folgte,  der  ihn  unter  vortheilhaften  Bedingungen  als  Mitglied 
seiner  Quartettkaiielle  engagirte.  Als  erster  Violinist  dieses  Künstlerkreises 
fungirte  Ferd.  David,  mit  dem  G.  innige  Freundschaft  schloss.  Diese  Stellung 
vertauschte  G.  1835 ,  als  sich  der  Quartettverein  auflöste,  mit  der  eines  ersten 


Gross  —  Grossbritannien.  397 

Violoncellisten  des  kaiserl.  Orchesters  in  St.  Petersburg.  Naclidem  er  1847 
die  Pensionsberechtigung  erreicht  hatte,  beabsichtigte  er,  nach  Deutschland 
zurückzukehren,  Hess  sich  jedoch,  zum  Musiklehrer  des  Grossfürsten  Michael 
berufen,  weiter  in  Eusslaud  fesseln.  Leider  erlag  er  schon  ein  Jahr  später, 
am  1.  Septbr.  1848,  der  Cholera.  "Wie  als  Yioloncellovirtuose  hat  er  sich  als 
Componist  einen  ehrenvollen  Ruf  erworben;  seine  "Werke  huldigen  einer  edeln 
Richtung  und  zeichnen  sich  durch  eine  gründliche  künstlerische  Durchführung 
aus.  Von  denselben  sind  im  Druck  erschienen:  Vier  Streichquartette,  ein  Con- 
cert  und  ein  Concertino,  Duette,  TJebungsstücke ,  Variationen,  Divertissements 
u.  s.  w.  für  Violoncello,  eine  Sonate  für  Violoncello  mit  Pianoforte  und  eine 
eben  solche  (op.  1)  mit  Bass,  ein-  und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge,  ein 
Psalm  (op.  2)  u.  s.  w.,  im   Ganzen  einige  vierzig  Werke, 

Gross,  Peter,  ein  deutscher  Instrumentalcomponist,  welcher  zu  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  lebte  und  von  dessen  Composition  im  J.  1616  Paduanen 
und  Intraden  für  Instrumentenensemble  gedruckt  worden  sind. 

Grossartig,  Grossartigkeit  bezeichnet  überhaupt  Alles,  was  Anderes  seiner 
Gattung  und  daher  auch  uns  selbst  hoch  überragt,  wenn  wir  es  wahrnehmen  oder 
auch  nur  denken;  im  ästhetischen  Sinne  ist  es  das  über  den  nach  TTeberein- 
kommen  als  gross  angenommenen  Begriff  weit  Hinausgehende,  dem  eine  bestimmte 
endliche  Gränze  nicht  nachgewiesen  werden  kann  und  dessen  Betrachtung  einen 
tiefen,  ergreifenden  und  zugleich  zur  Bewunderung  herausfordernden  Eindruck 
hervorruft.  In  der  Kunst  für  sich  betrachtet,  erscheint  das  G.  immer  nur  als 
eine  Eigenschaft  und  besondere  Gattung  des  Schönen,  man  könnte  sagen  als 
ein  Comparativbegriff  des  Schönen  nach  dem  Erhabenen  (s.  d.)  hin.  Streng- 
genommen braucht  das  Schöne  im  Allgemeinen  noch  nicht  grossartig  und  das 
Grossartige  nicht  immer  schön  zu  sein.  Auch  die  unförmliche,  ungeheure 
Grösse,  die  einen  unheimlichen  Eindruck  hervorruft,  ist  grossartig,  aber  nicht 
schön.  So  wie  aber  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  überhaupt  nichts  Unförmliches 
statthaben  kann,  so  kann  auch  hier  nichts  Grossartiges  ohne  Schönheit  zugleich 
gebildet  werden,  wohl  aber  etwas  Schönes  ohne  Grossartigkeit,  denn  die  Schön- 
heit ist  Ziel  der  Kunst  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Gestalt,  ob  erhaben,  gross- 
artig oder  naiv.  Am  Tonwerke  speciell  äussert  sich  diese  ästhetische  Eigen- 
schaft durch  energische  Bewegung,  kräftige  und  überraschende  Harmonie,  klare 
aber  ungewöhnliche  Gliederung  der  melodischen  Theile,  gemessene  und  fest- 
gefügte, dabei  oft  durch  weite  und  kühne  Schritte  sich  fortbewegende  Tonfolge. 
Im  Vortrage  erfordert  es  eine  besonders  markige  Abstufung  des  Klanges  in 
allen  seinen  Graden  bis  zur  mächtigsten  Sonorität,  im  Schnellen  wie  im  Lang- 
samen hervorstechend  ausgeprägte  Betonung  und  kühne,  dem  Tongedanken  voll 
und  ganz  entsprechende  dynamische   Scliattirung. 

Gross-Bassflöte,  eine  Gattung  der  Blockflöte,  s.  Flöte  ä  bec. 
GrossI)ritannieH.  Musik  in  Euglaud.  Das  in  vieler  Beziehung  so  reich 
begabte  England  ist  in  Hinsicht  der  schaffenden  Kunst  und  namentlich  der 
Tonkunst  arm,  und  der  göttliche  Funke,  der  allein  den  höheren  Künstler  macht, 
scheint  in  dem  feuchten  britischen  Klima  nur  glimmend  sich  zu  erhalten,  ohne 
jemals  zu  einer  wirklichen  Flamme  aufzugehen.  Kein  englischer  Tonsetzer  hat 
sich  einen  europäischen  Namen  erworben,  was  um  so  mehr  in  Verwunderung 
setzen  muss,  als  das  Volk  in  seinem  Kerne  ein  keineswegs  unmusikalisches  ist, 
und  als  die  höheren  und  höchsten  Schichten  der  Nation  von  jeher  für  die 
Pflege  der  Musik  und  für  die  Heranziehung  ausländischer  Tonkünstler  Un- 
summen gespendet  haben.  Bei  dem  leuchtenden  Glänze,  welchen  die  letzteren 
über  das  Land  ausbreiteten,  ging  die  Nation  selbst  fast  leer  aus,  und  die 
eigene  Production  erborgte  ihr  Licht  mehr  oder  weniger  ausschliesslich  von 
den  Italienern,  Franzosen  und  Deutschen,  den  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
tonangebenden  Nationen  Europas.  Eigentlich  englische  Musik  ist  in 
der  Zeit  der  Altbritannier,  die  mit  der  keltischen  zusammenfällt,  weshalb 
wir  die  letztere    besonders    zu   behandeln   haben   (s.  Kelten),    zu  suchen.     Sie 


398  Grossbritannien. 

erhielt  sich  am  längsten  und  getreuesten  in  Wales  und  in  einem  Theile  von 
Schottland  und  ist  selbst  heut  zu  Tage  noch  nicht  ganz  erloschen;  die  Reste 
davon  erfahren  sogar  eine  gewisse  künstliche  "WeiterpÜege.  Die  um  450  n.  Chr. 
eingewanderten  Angelsachsen  gaben  der  Musik  ein  ganz  anderes  Gepräge  und 
zwar  in  der  Art,  wie  sie  dieselbe  liebten  und  übten;  das  TJrvolk,  seine  Sprache 
und  Tonkunst  drängten  sie  in  die  Hochgebirge.  Von  dem  acht  Eigenthüm- 
lichen  der  G-esangsweisen  der  alten  Sachsen  ist  noch  weit  weniger  auszumitteln, 
als  wir  es  von  den  britischen  Kelten  vermögen,  obwohl  die  Vermuthung  nahe 
liegt,  dass  nach  Einführung  des  Christenthums  (Ende  des  6.  Jahrhunderts), 
das  sich  eng  mit  dem  herrschenden  Volke  liirte  und  ihm  Concessionen  zu- 
gestand, wie  in  keinem  anderen  bekehrten  Lande,  die  vielschreibendeu  Mönche 
auf  Aufzeichnungen  Bedacht  genommen  hätten.  Allein  die  Geistlichkeit  nahm 
hier  wie  anderwärts  auf  das  weltlich  Volksthümliche  leider  keine  Rücksicht, 
sondern  pflegte  und  beschrieb  ausschliesslich  ihren  kirchlichen  Gesaug.  Aus 
ihren  Quellen  wissen  wir,  dass  unter  dem  Apostel  der  Angelsaclisen ,  Augu- 
stinus, welcher  die  Landessprache  sogar  zur  Kirchensprache  erhob,  in  welche 
er  die  Bibel  übersetzte,  vierzig  Gehülfen  standen,  unter  denen  auch  kunst- 
geübte Sänger  waren.  Diese  führten  den  Gregorianischen  Gesang  (s.  d.) 
zuerst  in  Kent  ein,  wo  er  auch  ganz  besonders  gepflegt  wurde,  nicht  minder 
weiterhin  in  den  geistlichen  Schulen  zu  "Westminster ,  "Worcester  und  York. 
Auf  einer  Kirchenversammlung  zu  Cloveshaven  im  J.  747  wurde  festgesetzt, 
dass  alle  Geistlichen  und  Klöster  der  sieben  Königreiche  den  Gregorianischen 
Gesang  ganz  unverändert  und  überall  völlig  gleich  in  allen  Kirchen  zu  erhalten 
verpflichtet  .sein  sollten.  Ausserhalb  der  Kirche  aber  hielt  das  Volk  an  seinen 
Sängern  (Barden),  Croth-  und  Harfenspielern  fest,  die  bei  keinem  Gastmahle 
oder  Eeste  fehlen  durften  und  die  alten  weltlichen  Lieder  und  Balladen  vor- 
trugen, von  denen  das  Lied  von  Beowulf  als  sprachliches  Denkmal  erhalten 
geblieben  ist.  So  sehr  auch  die  Mönchsgewalt  in  England  überhand  nahm 
und  so  sehr  ihr  das  Volk,  dem  der  Sinn  für  das  Kirchliche  von  jeher  im 
hohen  Grade  eigen,  trotz  aller  Aussaugung,  zugethan  war,  die  Vorliebe  für  die 
•Nationalweisen  konnte  von  ihr  nicht  ausgerottet  werden.  Aus  der  kirchlichen 
Musikpflege  aber  ist  nichts  von  Bedeutung  hervorgegangen.  Selbst  von  den 
Professoren  der  Musik,  deren  es  seit  886,  dem  Jahre  der  Gründung  der  Uni- 
versität Oxford  durch  König  Alfred  und  der  Ernennung  des  Joannes  Monachus 
zum  öffentlichen  Lehrer  dieser  Kunst,  so  viele  gab,  zeichnete  sich  nicht  Einer 
derartig  aus,  dass  er  und  sein  Tlmn  namhaft  gemacht  zu  werden  vex'diente. 
Man  war  zu  conservativ,  wie  der  Engländer  es  noch  immer  ist,  und  zu  steif 
in  einerlei  Norm  einer  und  derselben  Musikweise  festgebannt,  gegen  welche 
auch  im  Geringsten  nichts  unternommen  werden  sollte.  Das  Eindringen  der 
Normannen  1066  änderte  nur  w^enig  an  diesem  Zustande.  Die  einheimische 
Musik  blieb  da,  wo  sie  stets  gewesen,  beim  Volke,  das  auch  seine  Sprache  fest- 
hielt, während  dem  Hofe  die  französisclie  Sprache  und  Kunst  gehörte.  Hier 
galten  die  Trouveres,  der  Dichtkunst  gelernte  Meister,  und  die  Jongleurs,  der 
Gedichte  kundige  Sänger,  trugen  nordfranzösische  Rittergesänge  und  Eabliaux 
vor.  Das  Volk  aber  behielt  seine  wandernden  Minstrels  und  mit  ihnen  seine 
heimathlichen  Heldensagen  und  Balladen.  Was  jedoch  in  irgend  einem  anderen 
gebildeten  Laude  im  Fache  der  Tonkunst  Grosses  oder  Auffallendes  geleistet 
worden  war,  wurde  bald  mehr  oder  minder  glücklich  durch  die  normannischen 
Könige  in  England  eingeführt  und  von  der  Gesammtheit  möglichst  angenommen. 
Unter  diesem  Einflüsse  erst  verschwanden  mehr  und  mehr  die  altnationalen 
Elemente  und  mit  ihnen  endlich  auch  die  angelsächsische  Sprache,  welche  sich 
mit  der  altfranzösischen  zur  heutigen  englischen  verband.  Im  13.  und  14. 
Jahrhundert  war  es  die  Mensuralmusik  und  mit  ihr  verbunden  der  mehrstim- 
mige Gesang,  die,  kaum  im  Auslande  entstanden,  auch  alsbald  Eingang  und 
Anklang  fanden,  ohne  aber  grössere  Fortschritte  zu  machen.  Aus  dem  ganzen 
15.  Jahrhunderte  sind  nicht  mehr  als  zwei  weltliche  Lieder  übrig  geblieben,  von 


Grossbritannien.  399 

denen  nur  das  eine,  ein  1447  gesetztes  Jagdlied  von  John  Cole,  einen  einiger- 
massen  künstlerischen  "Werth  hat.  Die  Entwickelungsphase  und  der  ungeheure 
Aufschwung,  den  die  Tonkunst  gerade  damals  unter  den  Meistern  der  nieder- 
ländischen Schule  nahm,  blieb  in  England  nicht  unbeachtet,  aber  es  gehörte 
erst  der  Glanz  dazu,  den  sich  die  neue  "Weise  unter  anderen  Völkern  errungen 
hatte,  ehe  Englands  Neigung  sich  ihr  zuwandte  und  sie  festhielt.  Immer  jedoch 
wurde  die  Musik,  wie  sie  eben  war,  von  den  Vornehmen  und  vom  Hofe  mehr 
zum  Prunke  des  Hauses  und  zur  Unterhaltung  bei  festlichen  Veranlassungen 
herbeigezogen,  oder  sie  diente  dem  Gottesdienste.  In  Folge  dessen  wurde  neben 
dem  Contrapunkte  Orgel-  und  Lautenspiel  sowie  Gesang  in  sehr  ausgedehnter 
Art  betrieben;  kein  Tonsetzer  damaliger  Zeit  (16.  Jahrhundert)  wird  genannt, 
der  nicht  zugleich  Organist,  Sänger  oder  Lauten spieler  war.  Die  übrigen  In- 
strumente waren  den  Musikanten  überlassen,  die  sie  bei  den  öffentlichen  Festen 
und  Volksergötzlichkeiten  handhabten.  Unter  der  Regierung  Heinrichs  VII. 
und  VIII.  (1485  bis  1547)  treten  immer  mehr  schaffende  und  ausübende  Ton- 
künstler nicht  blos  mit  ihrem  Namen  und  Titel  als  Professoren  und  Doctoren 
der  Musik,  sondern  mit  Belegen  ihres  Wissens  und  Könnens  vor  die  Nachwelt, 
Allen  voran  in  diesem  Zeitraum  Dr.  Hob.  Payrfax  (s.  d.)  und  neben  ihm 
Thomas  Phelyppes,  Robert  und  John  Taverner,  sowie  John  Marbek, 
welcher  letztere  für  den  Vater  der  Kirchenmusik  in  England  gilt.  Er  brachte 
die  beim  öffentlichen  Gottesdienste  gebräuchlichen  Hymnen  und  Gebete  in 
Musik  und  legte  sie  1550  gedruckt  nieder.  Nach  diesen  Gesängen  wird  zum 
Theil  noch  jetzt  in  den  Kirchen  der  Reform  gesungen.  In  letzter  Linie  der 
nationalen  Berühmtheiten  sind  an  dieser  Stelle  noch  William  Cornysh,  John 
Dygon  und  George  Etheridge  zu  nennen.  Unter  der  Regierung  Maria's 
(1553  bis  1558),  der  fanatischen  Bekennerin  der  alten  Kirche,  ist  als  musi- 
kalische That  nur  zu  erwähnen,  dass  die  Lithurgie  der  Katholiken  in  Ordnung 
gebracht  wurde.  Der  Aufschwung,  den  der  Wohlstand  und  die  materiellen 
Kräfte  der  Nation  unter  Elisabeth's  Scepter  (1558  bis  1603)  nahmen,  äusserte 
seine  fördernde  und  belebende  Rückwirkung  auf  die  Wissenschaft  und  die  Künste, 
nicht  zuletzt  auf  die  Musik.  Unter  den  zahlreichen  Schulen,  die  darnals  er- 
richtet wurden,  befand  sich  auch  eine  solche  für  den  Contrapunkt,  sowie  das 
Gresham'sche  Collegium  (s.  d.)  und  Rob.  Parsons  von  Exeter  that  sich  in 
harmonischer  Behandlung  der  Kirchenhymnen  hervor.  Ein  ganzer  Kranz  guter 
einheimischer  Componisten,  Musikschriftsteller  und  Virtuosen,  als  solche  meist 
Mitglieder  der  Kapelle  der  Königin,  tritt  damals  wirklich  glänzend  hervor,  so 
Dr.  John  Bull,  Will.  Bird,  Nathanael  Giles,  Earrant,  Cawston,  Oakland 
u.  A.,  vor  Allen  aber  der  von  allen  zeitgenössischen  Dichtern  gepriesene,  von 
Shakespeare  gefeierte  und  verewigte  Lautenist  und  Componist  wahrhaft  aus- 
gezeichneter Madrigale,  John  Dowland,  neben  dem  mit  nicht  geringerer  Ver- 
ehrung Thomas  Morley  zu  nennen  ist,  welcher  letztere  auch  das  berühmte, 
dichterisch  wie  musikalisch  hochzuschätzende  Sammelwerk  zu  Ehren  der  jung- 
fräulichen Königin  y>The  trmmphe  of  Ärianaa  (London,  1601)  herausgab,  das 
in  29  sechs-  und  fünfstimmigen  Madrigalen  folgende  Namen  mit  überwiegend 
vortrefflichen  Compositionen  verewigt:  John  Bennet,  Th.  Morley,  Th.  Weelks, 
George  Kirbye,  Rieh.  Carlton,  Edw.  Johnson,  Mich.  Cavendish,  John  Lisley, 
John  Farmer,  John  Hilton,  John  Milton,  Rob.  Jones,  G.  Croce,  Thom.  Hunt, 
Thom.  Bateson,  Mich.  Este,  John  Mundy,  EUis  Gibbons,  Rieh.  Nicolson,  Thom. 
Tomkins,  John  Wylbye,  George  Marson,  John  Holmes,  Francis  Pilkington, 
Dan.  Norcome  und  Will.  Cobbold.  Sind  auch  nach  ihnen  noch  viele  von  den 
Engländern  mit  Recht  hochgehaltene  Tonkünstlernamen  bis  auf  Thom.  War- 
wick,  John  Blow  und  Will.  Croft  zu  nennen,  so  ist  doch  keiner  darunter, 
der  die  englische  Musik  zu  einer  charakteristisch  selbstständigen  zu  erheben 
vermochte.  Selbst  der  hochgefeierte  jüngere  Henry  Purcell,  der  Lieblingscom- 
ponist  des  gesammten  Landes,  und  als  solcher  der  Orpheus  Englands  genannt, 
vermochte    dies    nicht;    er  war    und    blieb    in    seinen  berühmten  Anthems  und 


400  Grossbritannien. 

Opernarien  ein  Nachahmer  des  italienischen  Styls,  der  vorzüglich  durch  ihn 
zur  zeitweisen  völligen  Herrschaft  im  Königreiche  gelangte  und  zwar  um  so 
leichter,  als  sich  das  durch  die  grossen  politischen  Umwälzungen  erschöpfte 
Volk  der  Tonkunst  der  Italiener,  welche  das  irdische  Dasein  von  seiner  behag- 
lichsten Seite  auflfasste,  am  liebsten  zuwenden  musste.  Allerdings  hatten  die 
Greuel  des  Bürgerkrieges  unter  Karl  L,  die  mit  einem  musikalisclien  Ereigniss 
eingeläutet  wurden,  indem  den  Schotten  1637  die  englisch-bischöfliche  Lithurgie 
mit  Gewalt  aufgedrängt  wurde,  hatte  der  Sieg  der  Puritaner,  der  sich  sofort 
mit  finsterem  Hass  gegen  die  Orgeln  in  den  Kirchen  und  gegen  alle  Theater- 
vorstellungen wandte,  und  Cromwell's  zehnjährige  Herrschaft  der  Kunst  und 
Wissenschaft  nichts  wie  empfindlichen  Schaden  gebracht,  allein  die  Restauration 
unter  Karl  IL  und  die  Revolution  von  1688  dienten  um  nichts  weniger  zum 
Heile,  indem  sie  die  Posseureisserei,  den  Spektakel  und  den  sittenlosen  Hofton 
der  Musik  einimpften  und  die  wirklich  selbststäudigen  und  nationalen  Anfänge 
in  den  Productionen  für  lange  Zeit  aufhoben.  Höchstens,  dass  der  Sinn  für 
Virtuosität  und  diese  selbst,  die  nun  in  aller  Welt  in  London  ihr  Centrum 
sah,  zu  einer  vorher  ungeahnten  Blüthe  trieb.  Die  italienische  Musik  wurde, 
wie  bemerkt,  bevorzugt  und  zum  Muster  genommen  und  Carissimi's  beliebte 
Werke,  welche  den  Madrigalen  ein  Ende  machten,  wurden  das  A  und  0  der 
englischen  Tonsetzer.  Dies  war  der  Standpunkt  der  Musik  und  der  Musik- 
pflege in  Kirche,  Theater,  Haus  und  Schule,  als  das  für  die  Geschichte  der 
Tonkunst  in  England  interessante  und  hochwichtige  18.  Jahrhundert  begann, 
über  welches  Ch.  Burney  im  vierten  Bande  seiner  y>General  history  of  musica 
(London,  1789)  die  zuverlässigsten  Aufschlüsse  ertheilt  und  der  wir  an  dieser 
Stelle  denn  auch  in  chronistischer  Darstellung  folgen. 

Die  Kujist,  schulgerecht  zu  singen,  scheint  vor  1700  bei  beiderlei  Ge- 
schlecht wenig  kultivirt  worden  zu  sein.  Roger  North  in  seinem  Manuscript 
y>Memoirs  of  Mtisic«  spricht  zwar  von  Banister  als  einem  ausgezeichneten  Sing- 
meister, aber  die  Darsteller,  welche  Purcell's  allbeliebte  Gesänge  auf  der  Bühne 
ausführten,  hatten  als  Sänger  durchaus  keine  Kunstmethode.  Es  waren  Bowen, 
Harris,  Freemanu  und  Pate,  sowie  die  Damen:  Mrs.  Davies,  Miss  Shore,  Mrs. 
Gross,  Bracegirdle  und  Miss  Champion.  Bis  zur  Regierung  der  Königin  Anna 
(1702  bis  1714)  sangen  die  Mitglieder  der  königl.  Kapelle  gelegentlich  auch 
auf  dem  llieater,  doch  diese  Fürstin  fand  dies  unanständig  und  Hess  es  streng 
verbieten.  Es  gehörte  zu  den  Seltenlieiten,  dass  junge  Mädchen  für  die  Bühne 
gebildet  wurden;  die  Furcht  vor  Verführung,  Verworfenheit  und  vor  der  Mei- 
nung der  Welt  schreckte  von  vornherein  die  Eltern  davon  ab.  Königlich  con- 
cessionirte  Schauspiel-  und  Opernhäuser  gab  es,  und  zwar  auch  erst  seit  1660, 
nur  in  London,  das  eine  im  königl.  Theater  Drurylane,  das  andere  im  Herzogs- 
theater von  Lincolns- Inn-Fields.  Zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  waren 
Weldon  und  Banister  als  Componisten  am  ersteren  und  Eccles  am  letzteren 
angestellt.  John  Eccles  war  ein  populärer  und  talentvoller  Bühnencomponist, 
und  während  der  Regierung  der  Königin  Anna  waren  seine  Einleitungen  (en- 
tries) ,  Stücke  und  Tänze  sehr  beliebt,  sowie  auch,  nach  Purcell's  Tode,  seine 
Gesänge  die  bevorzugtesten  wurden.  Von  den  Ijekannt  gebliebenen  Stücken 
von  ihm  haben  »A  soldier  and  a  saüor«.  in  Congreve's  r>Love  for  Lovea  und 
ein  r>Rope-dancing  tuna  (Seiltänzerstück)  mit  zwei  oder  drei  Rundgesängen 
das  Verdienst  der  Originalität.  Um  das  Jahr  1730  wurde  er  zum  Militär- 
Musikdirektor  (Master  of  the  kinfs  band)  ernannt;  in  dieser  Eigenschaft  ver- 
blieb er  bis  zu  seinem  Tode,  1735,  worauf  ihm  Dr.  Gi-eene  folgte.  —  Im 
J.  1701  wurde  eine  Masque  (s.  d.),  »Acis  und  Galatea«,  verfasst  von  Mot- 
teaux  und  componirt  von  Eccles,  am  Drury-lane-Theater  aufgeführt,  in  welcher 
die  Sänger  Hughs,  Leveridge,  die  Damen  Mrs.  Lindsey  und  Campion  figurirten. 
—  Ein  Jahr  später  folgte  ebendaselbst  Congreve's  -nJudginent  of  Parisa,  mit 
Musik  von  Daniel  Purcell,  Bruder  Henry's.  Die  letztere  war  bereits  im  J.  1699 
componirt  und  zwar   in  Folge    eines  Aufrufs    in    der  London  Gazette,    welcher 


Grossbritannien.  '401 

den  Componisten  bekannt  machte,  dass  200  Guineen  in  4  Preisen  (100,  50, 
30  und  20  Gruineen)  an  die  besten  Compositionen  des  genannten  »Judgement« 
zur  Aufmunterung  in  der  Kunst  vertheilt  werden  sollten.  Von  den  Concur- 
renten  erhielt  Weldon  den  ersten,  Eccles  den  zweiten,  Dan.  Purcell  den  dritten 
und  Grodfrey  Finger,  vielleicht  der  beste  der  Caudidaten,  den  vierten  Preis. 
Das  Jahr  1703  ist  besonders  dadurch  bemerkenswerth,  dass  von  einer  öffentlich 
auftretenden  englischen  Virtuosin  die  Rede  ist.  Mrs.  Champion  spielte  nämlich 
in  Lincolns-Inn  play-house  auf  dem  Harpsichord  ein  Stück  zu  ihrem  Benefiz, 
solcher  Art  das  erste  Kunststück,  wie  es  die  damaligen  Zeitungen  nannten, 
und  Mrs.  Tofts,  welche  später  in  den  grossen  Opern  su  sehr  bewundert  wurde, 
sang  in  demselben  Concerte  mehrere  italienische  und  englische  Gesänge.  Im 
J.  1704  erst  wurde  Weldon's  preisgekröntes  -aJudgement  of  Parisa  im  Drury- 
lane- Theater  aufgeführt,  in  welchem  Mrs.  Tofts  die  Parthie  der  »Pallas«  sang. 
Ein  Benefiz -Concert  im  Concertsaal  York-buildings  fand  für  Corbett  damals 
statt,  welcher  sich  nachmals  Ruf  als  Kapellmeister  der  Oper  erwarb.  Ebenso 
gab  Godfried  Pepusch  aus  Berlin  mit  sieben  jungen  Musikern,  welche  er  von 
dort  herübergebracht  hatte,  ein  Concert.  dessen  Musiknummern  von  seinem 
Bruder  John  Christian,  nachmaligem  Dr.  Pepusch,  componirt  waren.  Das  wich- 
tigste musikalische  Ereigniss  im  J.  1705  war  der  erste  Versuch  einer  Oper 
im  italienischen  Styl. 

So  oft  auch  schon  während  des  17.  Jahrhunderts  Versuche  mit  dem  musi- 
kalischen Drama  in  England  gemacht  worden,  immer  war  und  blieb  die  Sprache, 
in  welcher  gesungen  wurde,  die  englische.  Der  y>SHl,o  recitativov.  war  im  An- 
fang jenes  Jahrhunderts  durch  Nicholas  Laniere  von  Italien  herüber  gebracht 
worden,  beruhte  aber  ebenfalls  nur  auf  dem  Englischen.  Später  fuhren  Henry 
Lawes  und  Andere  fort,  diese  Gattung  von  erzählender  Melodie  in  ihren  Dia- 
logen und  historischen  Gesängen  nachzuahmen,  und  dies  währte  bis  zur  Zeit 
der  Restauration,  in  welcher  der  Geschmack  für  französische  Musik  in  den 
Concerten  und  Theatern  die  Oberhand  gewann.  Man  wollte  hauptsächlich  damit 
dem  Könige  Karl  II.  schmeicheln,  der  alles  liebte,  was  von  jener  Nation  kam. 
Ungefähr  in  der  Mitte  seiner  Regierungszeit,  als  zwischen  den  beiden  Nationen 
grosse  Verbindungen  unterhalten  wurden,  gelangten  die  Berichte  über  die  musi- 
kalischen Dramen  am  Hofe  Ludwigs  XIV.,  unter  Leitung  von  Lulli,  bis  nach 
England,  in  Folge  dessen  König  Karl  und  seine  Höflinge  den  Wunsch  äusserten, 
gleiche  Vorstellungen  iu  London  ins  Leben  gerufen  zu  sehen.  Cambert,  der 
Vorgänger  Lulli's,  kam  diesem  Wunsche  nach  und  brachte  seine  Oper  »Pomone«, 
welche  eigens  für  den  Hof  in  Versailles  componirt  worden  war,  in  London  zur 
Aufführung.  Die  Vorliebe  für  französische  Musik,  oder  vielmehr  die  Parthei- 
lichkeit  für  französische  Politik  war  unter  der  kurzen  Regierung  König  Jacobs  II. 
nicht  mehr  so  sichtbar,  hätte  sich  unter  König  Wilhelm  III.  und  Königin 
Marie  auch  nicht  auf  die  fiüheren  Gründe  zurückführen  lassen.  Der  Geschmack 
für  italienische  Musik  dagegen  machte  sich  schon  vor  Schluss  des  16.  Jahr- 
hunderts, geltend,  und  vollends  während  der  Regierung  der  Königin  Elisabeth 
standen  Dichtung  und  Musik  der  Italiener  bei  den  Engländern  hoch  in  Achtung. 
Italienische  Musik  überhaupt  war  schon  längst  in  England  bekannt,  ehe  man 
sie  nur  singen  hörte.  Reggio  war  der  erste  Singmeister,  und  nach  ihm  fasste 
der  italienische  Gesang  immer  mehr  Wurzel  in  diesem  Lande.  Die  letzte  Con- 
sequenz  dieser  Festsetzung  war  die  Gründung  der  Oper.  Bevor  ein  Versuch 
in  dieser  Art  gemacht  wurde,  florirte  eine  italienische  Sängerin  Namens  Mar- 
garita  de  l'Epine;  sie  Hess  immerwährend  ihr  letztes  und  allerletztes  Auftreten 
vor  ihrer  Abi*eise  anzeigen,  aber  sie  kam  nie  fort  und  blieb  in  England  bis 
zu  ihrem  Tode.  Diese  Künstlerin  war  mit  einem  Deutschen  Namens  Greber 
von  Italien  nach  England  gekommen.  Im  J.  1718,  nachdem  sie  der  Bühne 
entsagt  hatte,  heirathete  sie  Dr.  Pepusch.  —  Wie  erwähnt,  geschah  1705  der 
erste  Versuch,  die  wirkliche  italienische  Oper  englisch  übersetzt  in  England 
einzuführen.    Cibber  schreibt  bei  dieser  Gelegenheit  sehr  richtig:  »Die  italienische 

Musikal.  Convers. -Lexikon.     IV.  26 


402  Grossbritannien. 

Oper  hat  sich  längst  bei  uns  in  England  eingeschlichen,  aber  in  roher  Ver- 
kleidung, so  viel  wie  möglich  sich  unälmlich  und  in  einer  lahmen  und  hum- 
pelnden Uebersetzung  in  unsere  Sprache.«  Das  Werk  in  Rede  mit  Recitativen 
aber  war  nArsinoe,  Queen  of  Oyprusa,  verfasst  von  Stanzani  in  Bologna  im 
J.  1677.  Die  englische  »Version«  der  Oper  wurde  von  Thomas  Clayton  in 
Musik  gesetzt.  Derselbe  hatte  Italien  bereist  und  liielt  sich  berufen,  dem 
vaterländischen  Kunstgeschmacke  eine  Reform  geben  zu  müssen.  Die  Sänger 
waren  sämmtlicli  Engländer,  nämlich  die  Herreu  Hughes,  Leveridge  und  Cook 
und  die  Damen  Tofts,  Gross  und  Lyndsey.  Die  erste  Aufführung  fand  am 
16.  Januar  1705  im  Drury  -  lane  -  Theater  statt.  Die  völlige  Festsetzung  und 
die  weiteren  Fortschritte  der  italienischen  Oper  in  London  sind  eng  mit  der 
Biographie  Häudel's  verflochten  und  können  in  dieser  allgemeinen  TJebersicht 
übergangen  werden.  S.  jedoch  Händel.  —  Noch  mehr  übrigens  als  die  zuletzt 
genannten  Sänger  waren  damals  Ramoudon  und  Holcomb,  ebenfalls  am  Drury- 
lane-Theater,  die  Lieblinge  des  Publikums.  Holcomb,  in  Salisbury  Cathedral 
erzogen,  wurde  mit  dem  Kosenamen  y>the  boya  (der  Junge)  belegt,  so  lange  er 
seine  »trehle  voicev^  behielt;  er  veidiess  später  die  Bühne  und  ertheilte  Gesang- 
unterricht, in  welchem  Berufe  er,  bei  beständigem  Besuch  der  italienischen 
Oper,  sich  so  auszeichnete,  dass  er  alle  anderen  Engländer  seiner  Zeit 
übertraf,  — 

Zugleich    mit    der  Oper    gelangte    die   Instrumentalmusik    zu  Aufschwung 
und  Blüthe.     Am   29.  Septbr.  1709  fand  eine  Musik- Aufführung  in   Slationers- 
hall  zum  Benefiz  für  Mr.  Turner  statt,    merkwürdig    deshalb,   weil    unter  den 
Nummern  des  Programms  zum  ersten  Male  ein  Solo  des  berühmten  Arcangelo 
Gorelli,  gespielt  von  Mr.  Dean,  erwähnt  wird.     Gorelli's  Solo's,  obgleich  sclion 
1700    in    Italien    publicirt,    waren    nämlich    in    England    noch    nicht    gedruckt 
herausgekommen.      Gleichzeitig    erschienen    zwei    (alsbald    zur  Berühmtheit    ge- 
langte) ausländische  Musiker,   Pepusch  (s.  d.)  und  Galliard  (s.  d.),   in  den 
theatralischen  Ankündigungen,    beide    als    dramatische  Componisten,    der  erste 
noch  ausserdem  als  Componist  von  Sonaten  für  Flöte  und  Bass  und  Cantaten, 
der  andere  als  Oboevirtuose.     Das  Jahr  1714    brachte    dem  Lande    einen    un- 
geheuren   Fortschritt    im    Bereiche    der  Violine,    indem  Veracini    und    darnach 
Geminiani  eintrafen.     Die  Geschicklichkeit  dieser  Virtuosen  brachte  alsbald  das 
Instrument  zur  Herrschaft    über    alle    anderen.     Die  Compositionen  und  deren 
Ausführung  von  Nicola  Mateis  verfeinerten  und  bildeten  die  Ohren  und  lenkten 
die  allgemeine  Vorliebe  nur  um   so  mehr  auf  die  Sonaten  von  Gorelli.     Mancher 
junge  Aristokrat  reiste  eigens  nach  Italien,  um  Unterricht  bei  diesem  grossen 
Meister  zu  nehmen.     Aecht  italienische  Geigen    zu    erwerben,    artete    zu    einer 
wahren  Manie  aus,  so   dass  man  sagte,  die  Engländer  hätten  Italien  nicht  allein 
viele  seiner  Gemälde  und  Statuen  entzogen,  sondern  ganz  besonders  die  werth- 
vollsten  Violinen.     Nach  Gorelli's  Tode  wurde  des  Meisters  Lieblings-Instrument 
von  dem  Engländer  Corbet   nach  England    gebracht  und  blieb  lange  Jahre  im 
Besitz   eines   Gentleman  in  Newcastle,  nach  dessen  Ableben  es  von   Mr.  Avison 
für    Giardini    gekauft    wurde.      A'^eraciui,    welcher    in    Europa    als    der    grösste 
Meister  der  Violine  seiner  Zeit    angesehen  wurde,    hatte    sein  Benefiz -Concert 
in  Hickford's  room.     Seine  Compositionen  waren    jedoch    zu  wild   und  flüchtig 
für  den  damaligen   englischen  Geschmack,   zumal  Gorelli's   Sonaten  als  Modelle 
von  Einfachheit,    Grazie    und    Eleganz    in    der  Melodie,    von    Gorrektheit    und 
Reinheit  in  der  Harmonie   betrachtet  wurden.     Bis  zur  Ankunft  von  Geminiani 
blieb   er  dennoch  unübertroffen.     Freilich  war  es    dann    der  Erstgenannte,    der 
auf  den  Fortschritt  der  Instrumentalmusik  in  Grossbritannien  den  ungeheuersten 
Einfluss    ausübte.     Im  J.   1715    gab  INIatthew  Dubourg,    damals    12   Jahre  alt, 
ein  Benefiz-Goncort  im  grossen  Saale  der  James-Street;  auch  Signor  Castrucci, 
soeben    von   Italien    angelangt,    veranstaltete    Concerte.     Dies  war   der  Anfang 
der  Laufbahn  zweier  Virtuosen,  welche  später  eminente  Tonkünstler  wurden. 
Von   1717  bis  1720    gab    es    keine    italienische  Oper    im   königl.  Theater, 


Grossbritannien.  403 

und  die  musikalisch-dramatisclien  Versuche  in  Lincolns-Inn  Fields  und  Drury- 
lane  in  englischer  Sprache  waren  sehr  schwach.  Zu  dieser  Zeit  wurden  fran- 
zösische Komödien  im  Haymarket  -  Theater  aufgeführt,  welche  König  Georg  I. 
mit  seiner  Familie  sehr  oft  besuchte.  1720,  in  welchem  Jahre  auch  die  Royal 
Academy  of  music  gegründet  wurde,  gelangten  wieder  Opern  ixud  zwar  mit 
ungewöhnlichem  Grianze  und  grösster  Pracht  zur  Aufführung.  Andere  musi- 
kalische Aufführungen  jedoch  scheinen  in  dieser  Periode  seltener  gewesen  zu 
sein  als  in  irgend  einer  früheren  oder  späteren.  Im  J.  1722  wurde  mit  einer 
neuen  Art  von  Unterhaltung  im  Opernhause  speculirt,  genannt  »Ridotto«,  eine 
Reihe  von  24  Gresängen  der  letzt  gegebenen  Opern  in  einer  Q-esammtlänge  von 
2  Stunden.*)  Die  Sänger  waren  Seuesino,  Baldassari  und  die  Damen  Robinson 
und  Salvai.  —  In  diesem  Jahre  gab  es  auch  ein  Benefiz -Concert  für  Mr. 
Thomson,  den  ersten  Herausgeber  einer  Sammlung  schottischer  Melodien  in 
England.  Seine  durch  Subscription  ins  Leben  gerufene  Sammlung  rief  eine 
wachsende  Vorliebe  für  die  Nationalweisen  des  Nachbarvolkes  hervor.  In  die- 
selbe Zeit  fiel  das  Abschieds -Concert  von  Castrucci,  der  sich  bei  dieser  Ge- 
legenheit als  ersten  Geiger  der  Oper  ankündigte  und  damit  nach  einem  Aufent- 
halte von  6  .Jahren  in  England  dem  Publikum  Lebewohl  sagte,  um  nach  seiner 
Heimath  Rom  zurückzukehren.  —  Ein  anderes  Concert,  von  Carbouelli  veran- 
staltet, wurde  in  der  Zeitung  Daily  Courant  folgeudermassen  augekündigt  und 
möge  als  Beispiel  der  musikalischen  Verwöhnung  damaliger  Zeit  dienen:  »Act  I. 
Ein  neues  Concert  für  2  Trompeten,  componirt  und  ausgeführt  von  Grauo  und 
Anderen ;  Concert  von  Albinoni  ganz  neu  herübergebracht  aus  Italien ;  Gesang 
von  Mrs.  Barbier;  Concerto,  componirt  vom  Signor  Carbouelli.  Act  II.  Ein 
Concert  für  2  Oboen  und  2  Flöten,  componirt  von  Dieupart;  Concerto  für 
Bass- Violine  von  Pippo;  Gesang  von  Mrs.  Barbier;  auf  Verlangen,  das  8.  Concert 
von  Corelli.  Act  III.  Concei-t  von  Carbonelli;  Solo  auf  der  »arch-lute«  (Laute) 
von  Signor  Vebar;  Gesang  von  Mrs.  Barbier;  Ein  neues  Concerto  für  die  kleine 
Flöte,  componirt  von  Woodcok  und  geblasen  von  Baston  etc.  etc.«  Grano 
concertirte  an  einem  und  demselben  Abende  auf  Trompete,  German- flute  und 
Common-flute,  wie  später  der  junge  Burke  Thumoth  auf  Trompete,  Flöte  und 
Harpsichord.  —  In  jener  Epoche  des  Aufblühens  der  Instrumentalmusik  scheint 
"William  Babel,  gestorben  1722  als  Organist  von  Allhallows,  Bread  Street,  und 
Mitglied  der  Privatmusik  Georgs  I.,  der  erste,  in  England  wenigstens,  gewesen 
zu  sein,  welcher  die  Musik  der  Tasteninstrumente  von  der  überladenen  und 
complicirten  Harmonie  befreite,  sie  verfeinerte  und  vereinfachte.  Später,  nach 
der  Ankunft  Christ.  Bach's,  als  man  die  ersten  Pianofortes  baute,  mussten  die 
Spieler  der  Tasteninstrumente  ihre  Grundlehren  ganz  und  gar  umändern,  — 
Das  denkwürdigste  musikalische  Ereigniss  im  J.  1723  war  die  Ankunft  des 
ausgezeichneten  Oboisten  Giuseppe  San  Martini,  dessen  Compositionen  später 
so  berühmt  wurden.  Nicht  minder  erregte  damals  der  9  Jahre  alte  Irländer 
John  Clegg  auf  der  Violine  Aufsehen.  —  Im  März  des  folgenden  Jahres  gab 
Corbett,  der  erste  Kapellmeister  der  Oper,  zum  zweiten  Male  aus  Italien  in 
die  Heimath  zurückgekehrt,  im  Haymarket  -  Theater  eine  sogenannte  »Musik- 
unterhaltung« mit  verschiedenen  Concerten  für  Violinen,  Oboen,  Trompeten, 
Germanflöten  und  Frenchhörnern,  sowie  mit  mehreren  Stücken  eigener  Com- 
position  für  ein  Instrument,  welches  niemals  zuvor  in  England  gehört  sein  sollte. 
Damals  veröffentlichte  George  Hayden,  Organist  von  Bermondsey,  drei  Can- 
taten,  welche  mit  Recht  lange  sich  in  der  Gunst  der  Freunde  reiner  englischer 
Musik  hielten.  Seit  Purcell  waren  in  der  That  keine  werthvolleren  erschienen. 
Ein  anderes  literarisches  Denkmal  war  das  im  Auftrage  des  Hofes  1727  zur 
Feier  der  Thronbesteigung  Georgs  II.  componirte  Anthera  von  Händel.  —  Die 
y>Beggar''s  Opera«,  (s.  Bettleroper),  welche  am  Ende  des  Jahres  1727  auf  der 


*)  Nichts  anderes  sind  die  heut  zu  Tage  im  Crystal  -  Palace  üblichen   italienischen 
Opern-Concerte,  welche  ebenfalls  eine  Reihe  von  Gesängen  bieten. 

26* 


404  Grossbritannien. 

Bühne  erschien,  bildete  eine  denkwürdige  Epoche  der  nationalen  englischen 
Musik.  Obgleich  die  Arien  und  Gresänge  derselben  keineswegs  neu  und  eigens 
für  dieses  »Pasticcio«  com]3onirt  waren,  so  stellte  sich  heraus,  dass  diese  Oper 
die  beste  und  wirksamste  war,  die  jemals  über  die  Bretter  in  England  ge- 
gangen. Die  Moral  und  Musik  darin  waren  gleich  verständlich  und  passend  für 
das  Publikum  der  Gralerie,  und  das  merkwürdige  Werk  ist  ein  Zugstück  bis 
auf  den  heutigen  Tag  geblieben.  —  Im  .T.  1728  wurde  der  schon  erwähnte 
Matthew  Dubourg  als  Componist  uud  Meister  des  königl.  Orchesters  in  Irland 
angestellt.  Dieser  ausgezeichnete  Künstler,  1703  geboren,  war  der  natürliche 
Sohn  des  berühmten  Tanzmeisters  Isaac  uud  erhielt  seinen  Hauptunterricht 
von  Geminiani.  Er  blieb  mehrere  Jahre  in  Irland,  besuchte  aber  seit  1735, 
nachdem  er  in  den  Dienst  des  Px'inzen  von  Wales  getreten  war,  regelmässig 
England,  Irrthümlich  wird  von  ihm  behauptet,  er  wäre  kein  Componist  ge- 
wesen. Aber  obgleich  er  nichts  veröffentlichte,  sclirieb  er  Oden  und  unzählige 
Solos  und  Concerte,  welche  er  für  seine  eigenen  Aufführungen  benutzte  und 
seinen  Freunden  hinterliess.  Es  befanden  sich  vortreffliche  Werke  daruntei*. 
Dubourg  starb  in  London  1767.  —  Im  J.  1728  war  es  auch,  als  der  sammel- 
süchtige  Corbett  den  Verkauf  seiner  Stainer-  und  Creraona- Violinen  und  Bässe 
nebst  vier  berühmten  Violinen  der  Meister  Corelli ,  Gobbo ,  Torelli  und  Nie. 
Cosimi  ankündigte,  weil  er  sich  von  der  Oeffentlichkeit  zurückzuziehen  gedächte. 
Man  hörte  auch  wirklich  nichts  mehr  von  ihm,  bis  im  März  1741  eine  An- 
zeige erschien,  worin  er  abermals  merkwürdige  Compositionen  und  Instriimente 
zusammen  mit  Gemälden  zum  Verkauf  ausbot.  Ob  sich  nun  keine  Käufer  für 
diese  Gegenstände  fanden,  genug,  einige  Jahre  darauf,  während  seiner  Krank- 
heit, vermachte  er  die  besten  seiner  musikalischen  Instrumente  dem  Gresham 
College,  mit  Bestellung  eines  eigenen  Dieners,  welcher  die  Aufsicht  darüber 
führen  sollte,  wofür  er  10  £  jährlich  aussetzte.  Gleichwohl  gelangten  nach 
seinem  Tode  alle  seine  musikalischen  Instrumente  und  Curiositäten  unter  den 
Hammer, 

Unter  den  miisikalischen  Phänomenen  jener  Zeit  figurirt  ein  gewisser 
Joachim  Fredr.  Creta,  welcher  1729  zu  London  in  mehreren  Concerten  auf 
zwei  französischen  Hörnern  zu  gleicher  Zeit  zweistimmig  blies;  sodann  der 
siebenjährige  Harpsichordspieler  Kuntzen  aus  Deutschland,  Dieser  blieb  viele 
Jahre  in  England,  und  bevor  er  nach  Lübeck  abreiste,  woselbst  sein  Vater 
Organist  war^  veröffentlichte  er  ein  Heft  wahrhaft  genialer  aber  sehr  schwie- 
riger Uebungen,  —  Im  J.  1730  erschien  Miss  Rafter,  nachmalige  berühmte 
Mrs,  Clive,  zum  ersten  Male  auf  der  Bühne,  und  zwar  zum  Benefiz  für  Hari-y 
Carey,  welcher  ihr  Singmeister  gewesen  zu  sein  scheint.  Die  Vorstellung  fand 
im  Drury-lane- Theater  statt  und  in  der  Ankündigung  derselben  hiess  es:  »Heute 
Abend  findet  das  Benefiz  unseres  Freundes  Carey  statt.  Es  werden  zu  seinem 
Nutzen  und  Frommen  die  Talente  der  drei  Schwesterkünste  Musik,  Dichtung 
und  Malerei  sich  vereinigen.  Die  musikalische  Körperschaft  versammelt  sich 
im  Haymarket  und  bildet  einen  Festzug,  an  der  Spitze  eine  prächtige  mobile 
Orgel,  begleitet  von  allen  erdenklichen  Instrumenten,  welche  jemals  im  Gebrauch 
waren,  von  Tubal  Cain  an  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Buchhändler,  Autoren 
und  Drucker  bilden  ebenfalls  einen  Zug  am  Temple-bar,  von  wo  aus  sie  in 
Ordnung  nach  dem  Covent-garden  marschiren,  voraus  die  Druckerei -Lauf- 
burschen. Dort  angekommen,  werden  sich  den  zwei  Körperschaften  Musik  uud 
Dichtung  die  Brüder  des  Pinsels  anschliessen.  Nach  der  Einnahme  einiger 
Erfrischung  im  Bierhaus  Bedford  Arms  wird  in  feierlicher  Procession  nach 
dem  Theater  marschirt.«  Dichtung  und  Musik  bildeten  im  grauen  Alterthum 
nur  ein  Ganzes,  uud  viele  der  späteren  Gelehrten  wehklagten,  dass  diese  Schwester- 
künste getrennt  sein  sollten.  Harry  Carey  und  Jean  Jaques  Rousseau  waren 
die  einzigen  Barden  ihrer  Zeit,  welche  die  Geschicklichkeit  besassen ,  dieselben 
miteinander  wieder  zu  versöhnen  und  zu  vereinen.  y>The  honest  Yorkshirmana 
von    Carey    uud   >ile  Devin  du  village«    von  Rousseau    sind    unbestreitbare    Be- 


Grossbritannien.  405 

weise,  dass  populäre  Weisen,  wenn  aiich  nicht  eben  gelehrt  und  elegant  be- 
arbeitet, einem  dramatischen  Gedicht  sich  ganz  treflSich  anpassen.  Carey,  der 
Dichter  ohne  tiefere  musikalische  Bildung,  erfand  viele  liebliche  und  natürliche 
Melodien,  welche  den  Worten  richtigen  Ausdruck  Hessen  und  leicht  verständlich 
waren.  Die  Melodien  der  Beggar's  Opera  werden  wohl  nie  mehr  in  so  origi- 
naler, einfacher  Art  anderwärts  wiederkehren.  —  Das  nämliche  Jahr  brachte 
das  erste  Erscheinen  der  Miss  Caecilia  Young  in  einem  Benefiz- Concert  im 
Drury-lane- Theater.  Diese  Säugerin,  nachmalige  Gemahlin  von  Dr.  Arne,  mit 
guter  natürlicher  Stimme  und  prächtigem  Triller,  hatte  als  Schülerin  von 
Geminiani  eine  Ausbildung  erlangt,  dass  sie  alle  anderen  englischen  Rivalinneu 
ihrer  Zeit  hoch  überragte.  Gleichzeitig  feierten  damals  der  junge  Clegg  und 
seine  Schwester,  angeblich  Schüler  von  Bononcini,  Triumphe,  der  eine  als 
Violinspieler  und  Componist,  die  andere  als  Sängerin.  —  Wie  die  italienische 
Oper  die  Veranlassung  zu  der  englischen  gab,  so  gab  der  ungeheure  Erfolg 
von  Beggar's  Opera  die  Veranlassung  zu  unzähligen  musikalischen  Dramen 
und  Ballad-Possen  ähnlicher  Art,  wie  die  -oVillage  Opera».  (1731),  verfasst  von 
Charles  Johnson  und  bestehend  aus  neuen  Texten  zu  alten  Melodien,  sowie 
Bickerstaff's  r>Love  in  a  Village«.  Beide  wurden  sehr  beifällig  aufgenommen. 
Die  beliebtesten  musikalischen  Dramen  waren  gleichzeitig  y>Geor'ge  Barnweih 
und  r>The  Devil  to  paya.  Miss  Rafter  und  Mrs.  Olive  erlangten  darin  ihre  Be- 
rühmtheit. Die  anerkanntesten  ausführenden  englischen  Musiker  dieses  Zeit- 
raums waren:  Dubourg,  Clegg,  Clarke  und  Festing  auf  der  Violine,  Kytch  auf 
der  Oboe,  Jack  Festing  auf  der  sogenannten  deutschen  Flöte  (German  flute), 
Baston  auf  der  gewöhnlichen  Flöte,  Karba  auf  dem  Fagott,  Valentin  Snow  auf 
der  Trompete,  und  auf  der  Orgel:  Roseingrave,  Greene,  Robinson,  Magnus,  Jack 
James  und  der  blinde  Stanley;  als  der  Lieblingssänger  auf  dem  Theater  galt  Sal- 
way  und  im  Concertsaale  Mouutier  von  Chichester.  Was  die  Componisten  für  die 
Nationalbühne  betraf,  so  blieben  Pepusch  und  Galliard  ohne  Rivalen  bis  1732, 
in  welchem  Jahre  neue  Versuche  auf  dem  Gebiete  des  musikalischen  Drama 
in  englischer  Sprache  von  zwei  Concurrenten,  die  schon  längst  hoch  in  der 
Gunst  des  Publikums  standen,  gemacht  wurden,  nämlich  von  John  Frederic 
Lampe  und  Thomas  Augustine  Arne.  Lampe,  ein  geborener  Sachse,  war  1726 
nach  England  gekommen  und  hatte  sofort  Aufmerksamkeit  erregt,  indem  schon 
am  25.  Febr.  jenes  Jahres  die  Daily  Post  folgende  Anzeige  bi'achte:  »Wir 
hören,  dass  eine  Subscription  für  eine  neue  englische  Oper,  genannt  »Amelia«, 
im  Gange  ist,  welches  Werk  binnen  Kurzem  auf  die  Bretter  des  Haymarket- 
Theaters  gelangen  soll  und  von  einem  Künstler  in  Musik  gesetzt  ist,  welcher 
dem  Publikum  bis  jetzt  noch  unbekannt  war.«  Diese  Oper,  geschrieben  von 
H.  Carey  und  zuerst  aufgeführt  am  13.  März  1732,  in  der  Hauptparthie  mit 
Miss  Arne,  der  später  als  Mrs.  Cibber  so  berühmt  gewordenen  tragischen  Schg-u- 
spielerin ,  besetzt,  war  nach  der  Anzeige  »im  italienischen  Styl«  gesetzt  und 
wurde  bald  als  von  Lampe  compono-t  erkannt.  —  Der  Bruder  der  eben  ei-- 
wähnten  Miss  Arne,  Thomas  Augustine  Arne,  dagegen  debütirte  als  dramatischer 
Componist  mit  der  Musik  zu  Addison's  Oper  »Rosamond«,  in  welcher  er  seinem 
jüngsten  Bruder  die  Parthie  des  Pagen  zuertheilte.  Dieselbe  kam  zuerst  am 
7.  März  1733  im  Lincolns-Inn  Fields -  Theater  zur  Aufführung,  und  war  fol- 
gendermaassen  besetzt:  Mrs.  Barbier  —  König,  Mr.  Leveridge  —  Sir  Trusty, 
Master  Arne  —  Page  (erster  theatralischer  Versuch),  Mr.  Corfe  —  Gesandter, 
Mrs.  Jones  —  Königin,  Miss  Chambers  —  Grideline,  Miss  Arne  —  Rosamond. 
Mit  grossem  Erfolg  wurde  diese  Oper  10  Tage  hintereinander  aufgeführt, 
worauf  der  Componist  im  »italienischen  Styl«  die  •>->Opera  of  Operasv.  schrieb, 
welche  ebenfalls  Erfolg  hatte.  Ausser  Lampe  und  Arne  suchten  sich  in  dem- 
selben Compositionszweige  zur  Geltung  zu  bringen:  Mr.  John  Christ.  Smith, 
welcher  2  englische  Opern,  y>Teraminta<-<  und  y>  ZTli/ssesa ,  in  Musik  setzte,  und 
de  Fesch  mit  dem  Oratorium  »Judith«.  —  Obschon  den  Kunstkennern  und 
Kunstfreunden  die  Werke  von  Corelli,    Geminiani  und  Händel    obenan    in    der 


406  Grossbritannien. 

Werthschätzung  standen,  so  wurden  doch  auch  progressiv  zunehmend  immer 
mehr  neue  Leckerbissen  publicirt  und  von  dem  Hof-Musikhändler  "Walsh  öfifentlich 
angepriesen,  so  Solos  für  Violine  von  Tartini,  De  Santis  in  Neapel,  Berati 
und  de  Fesch;  und  für  German-flute  Solos  von  Bononcini,  Quantz,  Valentini 
und  Tessariui.  —  Im  J.  1735  erschien  in  England  und  trat  mit  grossem  Er- 
folge auf,  Caporale,  ein  ausgezeichneter  Violoncellist.  Ein  Jahr  später  war  es 
Mrs.  Cibber,  welche  mit  ihrer  süssen  und  ausdrucksvollen  Stimme  als  Sängerin 
die  Zuhörer  wahrhaft  bezaubert  hatte,  die  Alles  von  sich  reden  machte,  da  sie 
als  tragische  Schauspielerin,  in  der  Rolle  der  Zara,  im  Drury-lane- Theater, 
wo  ihr  Bruder  als  Componist  fungirte,  debütirte.  Es  ist  schwer  zu  sagen, 
wer  von  Beiden  in  der  Folge  am  meisten  gefeiert  wurde,  sie  mit  ihrem  pathe- 
tischen Organ  und  ihrer  impouirenden  Haltung,  oder  er  als  Componist  mit 
seinen  originalen  und  angenehmen  Musikstücken,  von  denen  insbesondere  ein 
gewisser  Marsch  jeden  Abend  Dacapo  verlangt  wurde.  —  Ein  neuer  gepriesener 
Sänger  erschien  mit  Beard  auf  dem  Londoner  Schauplatze.  Derselbe  hatte 
seine  musikalische  Erziehung  in  der  königl.  Kapelle  erhalten  und  trat  zum 
ersten  Male  im  Covent-garden- Theater  in  der  -nRoyal  Ghacen  auf,  um  sogleich 
durch  den  Vortrag  von  Galliard's  Jagd-Gesang  »  With  early  horna  der  Liebling 
des  Publikums  zu  werden.  Fast  zur  nämlichen  Zeit  waren  die  drei  Miss 
Youngs  die  beliebtesten  englischen  Sängerinnen.  Caecilia,  die  älteste,  heirathete 
später  Arne ,  Isabella  verehelichte  sich  mit  Lampe  und  Esther  mit  Jones.  — 
Im  J.  1737  war  es  wieder  eine  Oper  »in  italienischer  Manier«,  welche  in 
Covent-garden  Aufsehen  erregte,  nämlich  der  -stDracjon  of  Wantlei/«,  verfasst 
von  Carey,  mit  Musik  von  Lampe.  Nachdem  das  Werk  22  Abende  über  die 
Bühne  gegangen  war,  wurden  die  weiteren  Aufführungen  durch  den  Tod  der 
Königin  Caroline,  am  20.  November,  unterbrochen;  es  wurde  aber  im  Januar 
darauf,  bei  "Wiedereröffnung  der  Theater,  wieder  aufgenommen  und  erlebte  so 
viel  Aufführungen  als  Beggars  opera.  —  Arne  blieb  nicht  zurück  und  be- 
festigte seinen  Ruf  als  lyrischer  Componist  durch  die  prächtige  Musik  zu  Mil- 
ton's  y>Comus<i.  In  diese  »Maske«  legte  er  die  originellsten  und  lieblichsten 
Melodien,  ganz  verschieden  von  denen  Händel's  und  PurceH's,  welche  von  allen 
englischen  Componisten  entweder  geplündert  oder  nachgeahmt  wurden.  Arne's 
Weisen  und  Vauxhall- Gesänge  sind  es  denn  auch,  welche  eine  Aera  in  der 
national- englischen  Musik  begründeten,  im  ganzen  Königreiche  in  seltenster 
Art  beliebt  wurden  und  eine  Anregung  auf  den  nationalen  Geschmack  aus- 
übten, wie  sie  bisher  noch  nicht  zu  constatiren  war.  Bis  zu  der  Zeit,  als  ein 
mehr  moderner  italienischer  Styl  in  das  »Pasticcio«  englischer  Opern  durch 
Bickerstaff  und  Cumberland  eingeführt  wurde,  erhielt  sich  Arne's  Musik  als 
ein  Banner  aller  Vollkommenheit  (nStaiidard  of  all  perfectionn)  in  allen  Theatern 
und  öffentlichen  Gärten.  Bemerkenswerth  ist  das  Jahr  1738  noch  dadurch, 
dass  in  den  Zeitungen  Londons  die  erste  Versammlung  der  Mitglieder  der 
Gesellschaft  zur  Ansammlung  eines  Fonds  für  erwerbsunfähig  gewordene  Musiker 
und  deren  Familien  angekündigt  wurde.  Die  sich  mehr  und  mehr  bewährende 
ausgezeichnete  Einrichtung  dieses  Vereins  wurde  nicht  allein  in  London  und 
ganz  England  gebührend  anerkannt  und  unterstützt,  sondern  sogar  in  Wien 
und  anderen  Grossstädten  Europas.  Händel  gab  schon  1739  Benefiz-Concerte 
für  diesen  Fond  und  führte  am  28.  März  1740  zu  demselben  Zwecke  »Acis 
und  Galatea«  auf,  ebenso  1741  seine  Serenade,  genannt  r>Farnasso  in  Festa«, 
in  welcher  Solos  für  die  Oboe  (San  Martini),  German-flute  (Wiedemann), 
Violine  (Clegg),  Fagott  (Millai-)  und  Cello  (Caporale)  vorkommen.  Im  Herbst 
desselben  Jahres  ging  Händel  behufs  Veranstaltung  von  Oi'atoricnaufführungen 
nach  Irland  und  fand  dort  die  glänzendste  Aufnahme,  die  noch  jemals  zuvor 
einem  Musiker  zu  Theil  geworden  ist.  Er  führte  dort,  bewundert  von  dem 
Publikum,  den  Messias,  Acis  und  Galatea,  Esther,  das  Alexanderfest,  die  Hoch- 
zeitsserenade und  die  Ode  auf  den  Cäcilientag  auf.  Von  nun  an  überschritt 
der  deutsche  Meister    die    englische    musikalische  Welt  wie    ein  Coloss,    neben 


Grossbritannien.  407 

dem  nichts  zu  bestehen  vermag.  Von  Irland  und  Schottland  zurückgekehrt, 
beschäftigte  er  sich  ausschliesslich  nur  noch  mit  geistlicher  Musik  und  schuf 
1743  den  Samson,  1744  Semele,  Susanna,  Joseph  und  die  übrigen  monumen- 
talen Werke  bis  1751.  Ausser  ihm  waren  auf  dem  Oratoriengebiete  noch 
fruchtbar  Dr.  Arne,  Stanley,  Dr.  Worgan,  Giardini,  Smith,  de  Fesch,  Dr. 
Greene  und  Dr.  Arnold.  Keinem  von  ihnen  jedoch  gelang  es,  mit  seinen  zum 
Theil  sehr  achtungswerthen  Wei-ken  in  einer  auch  nur  annähernd  erfolgreichen 
Art  von  Mit-  und  Nachwelt  bewundert  zu  werden.  Dr.  G-reene  stand  damals 
an  der  Spitze  der  Katbedral- Musik  und  des  königl.  Orchesters,  Arne  und 
Boyce  betrachteten  sich  als  Nebenbuhler  und  standen  einer  dem  andern  fort- 
während an  den  Theatern  im  Wege,  besonders  im  Drury-lane.  Arne  war  zudem 
sehr  ehrgeizig  und  betrachtete  Händel  immer  als  einen  Tyrannen  und  Usurpator, 
gegen  welchen  er  sich  auch,  wo  es  anging,  auflehnte,  freilich  ohne  Erfolg,  »ein 
Marsyas  gegen  Apollo«  sagt  Burney  ziemlich  streng.  Die  Oratorienzeit  brachte 
eine  neue  Coucertära  herauf.  Im  neuerbauten  Concert-Etablissement  »Ranelach« 
war  Chr.  Festing  (gest.  1752)  erster  Dirigent,  auch  Yorgeiger.  Die  Auffüh- 
rungen fanden  am  Morgen  statt,  und  Chöre  aus  Oratorien  beschlossen  dieselben. 
Sir  John  Barnard  kam  beim  Magistrate  um  Abschaffung  dieser  Morgen- 
Concerte  ein,  weil  die  jungen  Kaufleute  aus  der  City  erweislich  dadurch  ab- 
gehalten würden,  ihren  Geschäften  nachzugehen.  Diese  Petition  hatte  Erfolg, 
und  die  Concerte  mussten  auf  den  Abend  verlegt  werden.  Alle  grösseren 
Concertsäle  übrigens  erhielten  von  damals  an  Orgeln.  Der  erste  Orgelspieler 
im  »ßanelach«  war  Keeble,  der  zweite  Butler;  Caporale  war  der  Lieblings- 
violoncellist des  Publikums  und  Miliar  der  beste  Fagottbläser.  —  So  war  der 
Musikzustand  in  London  im  J.  1749,  als  der  grosse  Geiger  Giardini  in  Eng- 
land ankam.  Derselbe  behielt  vorläufig  die  Oberhand  dem  öffentlichen  Interesse 
gegenüber,  bis  die  immer  zahlreicher  herbeiströmenden  deutschen  Künstler  und 
deren  prächtige  Leistungen  ein  teutonisches  Interesse  hervorriefen  und  eine 
Art  germanischer  Körperschaft  begründeten,  welche  letztere  ziemlich  heftig  und 
nicht  ganz  gerechtfertigt  Giardini  und  seiner  römischen  Legion  Opposition 
machte.  Die  Privat-Concerte  in  den  Häusern  der  Reichen,  wie  sie  später  gäng 
und  gäbe  wurden,  kamen  nun  auch  allmälig  auf  die  Tagesordnung.  Das  erste 
fand  bei  Latly  Brown  statt  unter  Oberaufsicht  von  Count  St.  Germain.  Diese 
Frau  war  eine  beharrliche  Gegnerin  Händeis  und  protegirte  nur  ausländische 
Musiker,  welche  den  neuen  italienisclien  Styl  cultivirten.  Sie  scheute  sich 
nicht,  ihre  Fenster  in  Gefahr  zu  bringen,  da  sie  Sonntag  Abends  die  Auf- 
führungen abhalten  liess.  Auch  im  Hause  der  Mrs.  Fox-Lane,  später  Lady 
Bingley,  fanden  l)emerkenswerthe  Akademien  statt.  Diese  Dame  war  die  spe- 
cielle  Patronin  Giardini's.  Mrs.  Lane  spielte  daselbst  das  Harpsichord,  ebenso 
die  Ladies  Edgcumbe  und  Milbank  mit  grossem  Geschick;  Lady  Rockingham, 
die  Dowager  Lady  Carlisle,  und  Miss  Pelhani,  Schülerinnen  von  Giardini,  sowie 
Signor  Mingotti  waren  die  Sänger.  Die  Benefiz-Concerte  von  Giardini  und  von 
Mingotti  wurden  in  Folge  solcher  Connexiouen  von  der  hohen  Welt  ausser- 
ordentlich frequentirt.  —  Ueber  die  übrigen  Virtuosen  und  Tonkünstler  ist  nur 
wenig  noch  zu  berichten.  Lampe,  der  geniale  Componist,  verliess  1749 
London,  verweilte  fast  zwei  Jahre  in  Dublin  und  ging  Ende  1750  nach  Edin- 
burg,  wo  ihn  im  Juli  1751  der  Tod  im  Alter  von  59  Jahien  ereilte.  Pas- 
quali,  ein  vorzüglicher  Violinspieler,  war  1743  nach  England  gekommen, 
siedelte  jedoch  1753  nach  Edinburg  über,  woselbst  er,  als  Künstler  und  Mensch 
sehr  geachtet,  bis  zu  seinem  Tode,  im  J.  1757,  wirkte.  Dr.  Samuel  Howard 
war  bei  den  Dilettanten  niedrigster  Ordnung  wegen  seiner  Balladen  überaus 
beliebt.  Als  rechtschaffener  Engländer  zog  er  die  Schreibweise  seines  Vater- 
landes allen  anderen  Musikstyleu  vor  und  war  fest  überzeugt,  dass  seine  Ge- 
sänge die  besten  in  ihrer  Art  wären.  De  Fesch,  welcher  schon  um  1730 
von  Deutschland  nach  England  gekommen ,  war  ein  guter  Contrapunktist  und 
fleissiger  Componist,  aber  seine  Schöpfungen  galten  mit  B,echt  meistentheils  für 


408  Grossbritannien. 

trocken  und  uninteressant.     Wiedemann  endlich,  seit  etwa  1726  in  England, 
war  Solobläser  auf  der  German-flute  und  überhaupt  ein  guter  Musiker. 

Im  J.  1762  fiel  es  Arne  ein,  seinen  bisherigen  Compositionsstyl,  mit 
welchem  er  so  trefflich  noch  den  »Conius«  gesetzt  hatte,  zu  ändern  und  das 
ganze  Königreich  von  da  an  mit  solchen  Gesängen  zu  beschenken,  die  dem 
raodernisirten  Geschmack  des  nationalen  Ohres  entsprachen.  "Wollte  man  seine 
Hauptwerke  analysiren,  so  würden  dieselben  weder  englisch  noch  italienisch 
erscheinen,  wohl  aber  als  ein  liebliches  Gemisch  von  italienischen,  englischen 
und  schottischen  Musikingredienzien;  viele  seiner  Balladen  klingen  stark  an 
schottische  Natioualweisen  an.  Unter  den  nationalen  Componisteu  wird  er 
immerhin  eine  hohe  Stellung  beliaupten,  denn  seit  Purcell's  Tode  gab  es  keinen 
Anderen,  der  sich  eine  so  grosse  Achtung  als  Künstler  verschafft  hätte.  Von 
150  musikalischen  Stücken,  welche  in  einem  Zeitraum  von  40  Jahren  über  die 
Nationalbühnen  gegangen,  waren  allein  30  von  ihm  componirt  worden.  —  Im 
J.  1763  war  es  das  englische  Pasticcio  y>BiirleUa  of  Love  in  a  Vülagev.  und 
1765  »T//e  summer\'i  Tale«,  welche  den  vollständig  italienisirten  Geschmack  der 
Zeit  bekundeten.  Die  »Duenna«,  ein  anderes  engliscJies  Pasticcio,  kam  1775 
dazu,  und  Dr.  Arnold,  Dibdin  und  Shield  erklärten  sich  offen  für  die  neueste 
Richtung,  so  dass  sie  nicht  anstanden,  dieselbe  anzunehmen  und  unter  ihi-em 
Einflüsse  zu  schreiben.  Dadurch  wurde  entschieden  wenigstens  die  Gesang- 
bildung der  einheimischen  Künstler  gehoben.  Bis  zur  Zeit,  wo  sich  die  erste 
italienische  Oper  in  England  einbürgerte,  hatte  man  nämlich  äusserst  geringe 
Ansprüche  an  die  Sänger  erhoben  und  nur  Stimme  und  Gehör  verlangt.  Ge- 
raume Zeit  nachher  noch  würdigte  man  den  feineren  Vortrag  so  wenig,  dass 
die  italienischen  Sänger,  wie  Nicolini,  Sencsino,  Bernacchi  u.  s.  w, ,  zu  ihrem 
Erstaunen  keinen  Einfluss  auf  die  Geschmacksrichtung  ausübten.  Der  Um- 
schwung in  dieser  Beziehung  trat  erst  ein,  als  Dr.  Arne's  Corapositionen  und 
Anleitungen  die  englischen  Lieder  und  Gesänge  nach  Muster  des  bei  canto 
merklich  verfeinerten.  Das  Pasticcio  der  englischen  Oper,  sowie  die  Instruc- 
tionen von  Tedeschini,  Cocchi,  Vento  und  (iiardini,  welche  eigens  dazu  engagirt 
waren,  Bühnensäuger  heranzuziehen,  traten  hinzu,  und  Tenducci's  Auftreten 
endlich  in  »Artaxerxes«  trug  vollends  dazu  bei,  den  Geschmack  des  Publikums 
in  eine  bessere  Bahn  zu^  leiten,  so  dass  Jeder,  der  Stimme  und  Gehör  hatte, 
sich  diese  Art  zu  singen  anzueignen  suchte.  Das  Urtheil  über  Gesang  und 
Säuger  zeigte  innerhalb  von  30  Jahren  genau  den  Unterschied,  wie  die  Sitten 
civilisirter  Völker  verglichen  mit  denen  von  Wilden.  —  Um  1763  absorbirten 
Christ.  Bach  und  Abel  fast  alles  Interesse.  Sie  eröffneten  eine  Concert-Sub- 
scription,  und  die  besten  Künstler  Londons  Hessen  sich  in  das  Orchester  ein- 
reihen, in  Folge  dessen  diese  Concerte  ununterbrochen  volle  20  Jahre  sich  mit 
grossem  Erfolg  zu  behaupten  vermochten  und  erst  durch  die  ähnlich  organi- 
sirten  sogenannten  »Professional-Conceric«,  die  auf  noch  grössere  Abwechselung 
bedacht  waren,  verdrängt  wurden.  Fischer,  Gramer,  Crosdil,  Ccrvetto  und 
andere  vorzügliche  Künstler  stellten  ihren  Ruf  in  jenen  Concerten  fest  und 
stiegen  immer  höher  in  der  Gunst  des  Publikums.  Trotzdem  die  Unterricht 
ertheilenden  Virtuosen  sich  mehrten,  sah  man  noch  immer  das  Ausland  als  die 
hohe  Schule  der  Ausbildung  in  der  Musik  an,  im  Instrumentalzweige  besonders 
Deutschland.  Der  Earl  of  Kelly  z.  B.,  vielleicht  der  begabteste  Dilettant 
seiner  Zeit,  konnte  (wie  Pinto  mittheilt),  bevor  er  nach  Deutschland  reiste, 
kaum  seine  Geige  stimmen.  In  Mannheim  studirtc  er  bei  Stamitz  Composition 
und  übte  das  Violin  spiel  mit  solchem  Erfolge,  dass  er  nach  seiner  Zurückkunffc 
unter  die  besten  Künstler  des  Landes  gerechnet  werden  durfte.  Auf  dem 
Violoncello  thaten  sich  als  einheimische  Concertspieler  Gordon  und  Paxton 
hervor.  Einen  bedeutenden  Einfluss  als  eminenter  Musiker  und  als  letzter 
Virtuose  auf  der  Viola  da  Gamba  durch  sein  unnachahmlich  gesangreiches 
Spiel  übte  der  eben  erwähnte  Abel  aus,  der  als  Kammermusiker  in  dem  neu 
errichteten  Orchester    der  Königin    mit  200  £  angestellt  war.     Er  wurde    das 


Grossbritannien.  409 

Vorbild  aller  jungen  Künstler  auf  Saiteninstrumenten  und  Barthelemon,  Cervetto, 
Gramer  und  Crosdil  zählen  zu  seinen  begeisterten  Anhängern  und  Trägern 
seiner  Schule.  —  Im  J.  1785  erschien  der  berühmte  Violinspieler  Lolli  in 
England,  Hess  sich  aber  ziemlich  selten  öffentlich  hören.  Seine  Compositionen 
und  deren  Ausführung  durch  ihn  selbst  waren  so  excentrisch,  dass  die  meisten 
seiner  Zuhörer  ihn  für  wahnsinnig  hielten.  Jedoch  war  sein  Ausdruck  im 
sei'iösen  Styl  mitunter  hochbedeutend.  —  Mrs.  Billington,  welche  sich  in  ihrer 
frühesten  Jugend  als  eine  bedeutende  angehende  Pianofortespielerin  gezeigt 
hatte,  verwandelte  sich  1786  ganz  unerwartet  zu  einer  reizend  fesselnden  Sän- 
gerin. Tasteninstrumente  übrigens  wurden  schon  damals  vielleicht  in  keinem 
Lande  der  Erde,  selbst  von  Dilettanten,  besser  gespielt,  als  zu  dieser  Zeit  in 
England.  Burney,  Clement!,  Gramer  jun. ,  Miss  Guest,  Hülmandel,  die  zwei 
Wesley's,  Samuel  Schröder  und  viele  andere  dürfen  als  die  hervon-agendsten 
Vertreter  dieser  Specialität  angesehen  worden.  Als  Oboebläser  standen  in 
dieser  Zeitperiode  Fischer,  die  Parks  und  Patria  obenan;  auf  der  Grerman-flute 
Elorio,  G-raef  und  Tacet;  als  Violoncellisten  Gervetto  und  Grosdil;  als  Fagottisten 
Baumgarten  und  Parkinson;  als  Glarinettist  Mahon.  Baumgarten,  der  Vor- 
geiger im  Govent-garden-Theater,  war  so  lange  in  England,  dass  sein  Verdienst 
seinen  deutschen  Landsleuten  völlig  unbekannt  war.  Ausser  seinen  tüchtigen 
Leistungen  auf  der  Violine  und  Oi'gel  verdienen  seine  Instrumental- Compo- 
sitionen ehrend  hervorgehoben  zu  werden.  —  Die  Musikübung  zu  regeln  und 
zu  stärken,  entstanden  nun  immer  mehr  wohlsituirte  Vereine,  welche  den  grössten 
Einfluss  auf  das  Kunstleben  und  den  Kunstsinn  der  Bevölkerung  ausübten. 
Nur  die  berühmtesten  des  18.  Jahrhunderts  seien  hier  genannt.  Der  Gafcch- 
Glub,  d.  i.  die  Fugen-  oder  Rundgesang -Gesellschaft,  wurde  im  J.  1762  vom 
Grafen  von  Eglington,  Earl  of  March  (später  Herzog  von  Queensberry)  er- 
richtet. Der  Geist  und  die  edle  Gesinnung  dieser  würdigen  Gesellschaft  ver- 
besserte nicht  nur  die  Art  der  Ausführung  der  Fugen,  Kanons  und  Rund- 
gesänge der  alten  Meister,  sondern  wirkte  auch  productiv  belebend  auf  unzählige 
neue  Compositionen  dieser  Art.  Von  der  Gesellschaft  der  Professional-Concerte, 
denen  man  Haydn's  wiederholten  Besuch  in  England  seit  1790  verdankt,  war 
schon  die  Rede.  Die  Errichtung  der  -nGoncerts  of  ancient  musia  geschah  1776 
auf  das  eifrige  Betreiben  des  Earl  von  Sandwich  hin.  Seit  1785  frequentirte 
die  königliche  Familie  die  Concerte  dieses  Vereins  und  gab  denselben  dadurch 
einen  noch  grösseren  Aufschwung.  Die  Werke  dahingeschiedener  ehrwürdiger 
Meister,  so  namentlich  die  Purctll's  und  Händel's,  wurden  dort  von  einem 
ausgesuchten  Orchester  mit  solcher  Vollkommenheit  und  Energie  ausgeführt, 
wie  sie  die  Autoren  selbst  höchstens  geahnt,  niemals  aber  gehört  hatten.  Eine 
Institution,  gleich  ehrenwerth  für  den,  dem  sie  gilt,  wie  für  die  englische 
Nation,  sind  die  mit  einer  ausgesuchten  Sorgfalt  in  Scene  gesetzten  sogenannten 
Commemorations  of  Händel,  die  seit  1784  jährlich  stattfanden  und  noch  gegen- 
wärtig als  unübertroffen  grossartige  Vei-an staltungen  unter  dem  Namen  Händel- 
Festivals  bestehen,  wie  denn  die  englisclien  Musikfeste  der  Gegenwart  über- 
haupt, was  den  Glanz  aller  mitwirkenden  Mittel  betrifft,  auf  unerreichbarer 
Höhe  stehen.  Das  Lokal  für  jene  Erinnerungsfeierlichkeiten  war  die  West- 
minster- Abtei  in  London.  Heut  zu  Tage,  wo  noch  grössere  Räumlichkeiten 
erforderlich  sind,  finden  sie  im  Krystallpalaste  zu  Sydenham  statt.  Schon  im 
J.  1787  zählte  der  Chor  und  das  Orchester  806  Ausübende,  wozu  noch  22 
Solosänger  kamen,  unter  denen  die  Namen  Mara,  Rubinelli,  Harrison  und  Mo- 
relli  hervorstachen. 

So  ist  es  die  Musikpllege  und  die  praktische  Musikausübung,  die  in  Gross- 
britannien noch  gegenwärtig  und  vielleicht  für  immer  auf  der  höchsten  Stufe 
stehen.  Die  grössten  Tondichter  fremder  Nationen  leihen  von  ihrem  Glänze 
und  Ruhme  gern  dem  kunstsinnigen  England,  das  sie  wie  seine  Söhne  ehrt, 
und  das  einem  Haydn,  C.  M.  von  AVeber,  Mendelssohn,  Bellini,  Benedict,  Spohr, 
Meyerbeer,    Hiller,    Gouuod   u.  s.  w,    eine    unvergesslich    ehrenvolle    Aufnahme 


410  Grossbritannien. 

bereitet  hat.  Den  Dirigenten  und  ausübenden  Künstlern,  an  denen  das  Land 
übrigens  selbst  nicht  arm  ist,  galt  das  Inselreich  nicht  minder  stets  als  er- 
strebenswerthes  Eldorado,  und  der  colossale  Zuwachs  an  fremden  reproductiven 
Kräften  und  Musiklehrern  hat  auf  diesem  Boden,  statt  wie  anderwärts  ver- 
derblich zu  wirken,  nur  dazu  beigetragen,  die  Vervollkommnung  in  jedem  Fache, 
das  die  ausübende  Tonkunst  berührt,  bis  auf  die  Spitze  zu  führen  und  auf 
derselben  zu  erhalten,  ein  Beweis,  dass  der  Sinn  für  die  Musik  hier  gesund 
und  lebenskräftig  ist.  Die  Zahl  der  namhaften  Componisten  Grossbritanniens 
ist  eine  verhältnissmässig  sehr  geringe,  und  dieser  Umstand  vorzüglich  hat  es 
bewirkt,  dass  man  die  Nation  nicht  zu  den  bevorzugt  musikalischen  rechnet. 
Die  eigentlich  englische  Oper,  gegenüber  der  bis  zum  gegenwärtigen  Augen- 
blicke glänzend  bevorzugten  italienischen  Oper,  pflegten  bis  1834:  Bishop,  zu- 
gleich der  populärste  Tondichter  aller  Arten  von  Songs,  G.  H.  Rodwell,  J.  E. 
Loder,  John  Barnett  und  John  Thomson;  und  weiterhin  bis  zur  Gegenwart: 
Balfe,  Hatton,  Wallace  und  von  Ausländern  besonders  Benedict.  Die  Oratorien- 
und  Cantatenschöpfung  regte  seit  Händel  immer  die  begabtesten  productiven 
Kräfte  an.  Hier  sowie  auf  den  anderen  Gebieten  der  Kirchen-,  Concert-  und 
Kammermusik  sind  zu  nennen:  George  Perry,  E.  Murdie,  John  Hullah,  Horsley, 
Onslow,  Sterndale  Bennet,  H.  H.  Pierson,  Macfarron ,  W.  F.  Taylor,  Henry 
Smart,  H.  Leslie,  Oakley,  Cowcn,  Will.  Calcott,  Steph.  Glover,  Arth.  Sullivan, 
G.  A.  Osborne,  Barnby,  H.  Gadsby  u.  s.  w.  Solo-  und  Chorgosang  sind  stets 
mit  Fleis  und  Ausdauer  beti'ieben  worden  und  weisen  sehr  bedeutende  Resultate 
auf,  wie  sie  ganz  besonders,  abgesehen  von  den  Aufführungen  der  berühmten 
Singakademien  Londons,  auf  den  regelmässigen  Musikfesten  grossartigsten  Maass- 
stabes in  Birmingham,  Bradford,  Glocester,  Lancaster,  Leeds,  Manchester,  Nor- 
wich,  Plymouth  u.  s.  w.  hervortreten.  Um  die  Ausbildung  im  Solo-Kunst- 
gesangc  haben  sich  in  neuerer  Zeit  die  in  London  habilitirten  ausländischen 
Gesanglehrcr  Lablache,  Manuel  Garcia  und  Panof  ka  grosse  Verdienste  erworben. 
TTnter  die  vorzüglichsten  englischen  Sänger  werden  gerechnet:  die  Herren 
Braham,  Fawcett,  Harrison,  Santley,  Patcy,  Gummings,  Rigby,  Lane,  Ainsworth, 
Civstle.  Der  Sängerinnen  ist  Legion,  weshalb  nur  aufgeführt  seien:  Miss  Paton, 
Miss  Byron,  Miss  Hayes,  Miss  Salmor,  Mstr.  Anna  Bishop,  Miss  Rafter,  Miss 
Balfe,  Miss  Louisa  Pyne,  Miss  Dolby,  Clara  Novello,  Mstr.  Lemmens-Sher- 
rington,  Mstr.  Parepa-Rosa,  Miss  A¥ynne,  Mstr.  Patey,  Miss  Whinery  u.  s.  w. 
—  Im  Instrumentenspiel  sind,  gepflegt  durch  vortreffliche  Anstalten,  zu  denen 
in  erster  Linie  die  1822  unter  Protektion  des  Königs  und  des  vornehmen 
Adels  gegründete,  187.3  neugestaltete  Eoyal  academy  of  music  in  London  ge- 
hört, sowie  durch  die  besten  Lehrer,  nicht  minder  hervorragende  Leistungen 
erzielt  worden.  Namentlich  gelangte  das  Pianofortesjiiel ,  gelehrt  von  auslän- 
dischen Meistern,  wie  Clementi,  J.  B.  Gramer  und  Moscheies,  zu  hoher  Blüthe, 
und  die  Pianisten  John  Field,  H.  Litolff,  Walter  Bache,  Edw.  Dannreuther, 
Holmes,  F.  Barnett,  Franklin  Taylor,  sowie  die  Pianistinnen  Anderson,  Dulken, 
Arabella  Goddard  und  Bondy  haben  sich  einen  wohlbegründeten  Virtuosenruf 
erworben.  An  Zahl  stehen  ihnen  ausgezeichnete  Orgelspieler  nicht  nach,  als: 
Atwood,  E.  J.  Hopkins,  J.  S.  Cooper,  Best,  Elvey  und  Cusins.  Auf  der 
Harfe  glänzten:  Chatterton,  Vater  und  Tochter,  Parish-Alvars,  John  Cheshire, 
Aptominas,  Wright  etc.,  auf  der  Violine:  Blagrove,  Webb,  Sainton,  .lohn  Car- 
rodus,  Doyle  u.  s.  w.  Instrumentenfabrikation,  wie  Alles,  was  zu  den  mecha- 
nischen Künsten  gehört  und  wobei  der  berechnende  Verstand  vorherrscht,  ist 
in  Grossbritannien  stets  aufs  Beste  gediehen,  und  namentlich  stand  die  Ciavier- 
verfertigung von  jeher  an  der  Spitze  der  Gattung.  Die  berühmtesten  Piano- 
fortebauer  Londons  mit  zum  Theil  sehr  altem  guten  Ruf  sind  jetzt:  Broadwood, 
Collard,  Gramer  und  Erard.  Auch  in  den  Orchestern  findet  man  die  schönsten 
und  bestgearbeiteten  Instrumente;  die  Kunstwerkstätten  von  Boosey,  Chappell, 
Distin,  Metzler  ii.  s.  w.  in  London  cultiviren  gegenwärtig,  von  der  mächtigen 
Kirchen-  und  Concertorgel  an ,  die  übrigen  Fabrikationezweige.     So  wirkt  Alles 


Gross-Contrabassgeige  —  Grosse.  411 

zusammen,  um  die  Leistungen  der  zahlreichen  Musikvereine,  deren  E,uf  zum 
Theil  noch  aus  dem  18.  Jahrhundert  stammt,  zu  liochbedeutenden  zu  stempeln. 
Als  Dirigenten  solcher  Vereine  haben  sich  neuerdings  hervorgethan :  Alfr. 
Mellon,  Wylde,  Hullah,  J.  Ella,  Grove,  G.  Mount  u.  s.  w;  Gigantische  Ver- 
einigungen bis  zu  3000  Sängern  und  Instrumentalisten  kommen  nur  in  Eng- 
land, vorzüglich  bei  den  Erinnerungsfesten  an  Händel  vor,  ixud  was  auch  immer 
für  eine  Meinung  über  den  letzten  Zweck  derartiger  Monstreaufführungen  und 
deren  direkten  oder  indirekten  Einfluss  auf  die  Kunst  die  Oberhand  bebalten 
mag,  der  Erfolg  muss  unter  allen  Umständen  als  beispiellos  anerkannt  werden. 
Dass  aber,  wo  einmal  der  Hunger  des  Publikums  auf  musikalische  Schauspiele 
von  so  riesigem  Maassstabe  gereizt  worden  ist,  etwas  dieser  Art  periodisch 
immer  wieder  aufgethan  werden  muss ,  um  ihn  zu  stillen ,  das  leuchtet  ein. 
Gerade  wie  in  den  Spektakel-Opern  der  königl.  italienischen  Oper  zu  London, 
wird  auch  hierin  jede  folgende  Darstellung  ihre  unmittelbare  Vorgängerin  an 
Massen  und  Pracht  übertreffen  müssen,  wenn  nicht  ein  Misslingen  voraus- 
zusetzen sein  soll.  Das  jeweilige  Schwanken  der  Massen,  der  Mangel  an 
Stetigkeit,  der  noch  häufigere  Mangel  an  Feinheit  der  Ausführung,  die  unter 
solchen  Verhältnissen  unmöglich  ist,  und  das  gänzliche  Untergehen  aller  zar- 
teren Instrumentation  in  das  furchtbare  Klangmeer  werden  nur  aufgehoben 
durch  die  Grossartigkeit  und  Erhabenheit,  die  jedes  Ohr  in  Erstaunen  setzt 
und  die  Seele  mit  Bewunderung  über  die  Macht  der  Musik  füllt. 

E.  Eberwein. 

Gross-Contrabassgeige  nennt  man  zum  Unterschiede  vom  heutigen  vier- 
saitigen  (oder  dreisaitigen)  den  alten  fünfsaitigen  Contrabass.  —  Grosse  Bass- 
geige, s.  Contrabass  (Oontraviolon). 

Gross-Gedacktbass  ist  der  Name  einer  10 metrigen  Pedalstimme,  deren 
Pfeifen  aus  Kiefern-  oder  Eichenholz  gefertigt  werden.  Ueber  Bauart  und 
sonstige  Eigenheiten  dieses  Orgelregisters  gilt  dasselbe,  was  über  Gedacktbass 
(s.  d.)  gesagt  ist.  —  Gross-Hohlflöte,  eine  Pedalhohlflöte  2,5  Meter  in 
der  Orgel.  —  Gross -Mixtur  heisst  a)  der  ganze,  noch  nicht  durch  Register 
getrennte,  daher  stets  zusammen  ansprechende  Hintersatz  der  alten  Orgeln,  oft 
aus  dreissig  bis  vierzig  Pfeifen  bestehend.  S.  Principal  und  Orgel.  V)  Die 
grossen,  10-,  12-  bis  20fach  besetzten  Mixturen  in  den  älteren  Orgeln.  — 
Gross-Octav,  die  Octav  2,5  Meter,  auch  Aequalprincipal  oder  Kleinprincipal 
im  Verhältniss  zum  Gross -Principal  5  Meter.  —  Gross-Principalwerk 
nennt  man  eine  in  manchen  Orgelwerken  disponirte  Orgelabtheilung,  die  alle 
Principalstimmen :  5,  2,5,  1,67  bis  0,3metrige  vereinigt.  Gross -Principal  für 
sich  ist  der  Principal  5  Meter.  —  Gross-Quinte  heisst  eine  Quintstimme  in 
der  Orgel,  die  stets  dem  Erscheinen  derselben  als  Aliquotton  (s.  d.)  in  der 
Natur  gemäss  disponirt  wird.  In  einem  Manuale,  das,  nach  der  B,egel  gebaut, 
als  grösste  eine  2,5  metrige  Principalstimme  besitzt,  findet  man  deshalb  eine 
0,8  Meter  grosse  Quinte.  Giebt  man  "jedoch  dem  Manual  eine  5metrige  so- 
genannte Gross -Principal  stimme,  so  setzt  man,  falls  das  Werk  sonst  noch 
viele  starke  Stimmen  besitzt,  zur  Deckung  derselben  eine  1,67 metrige  Quinte, 
welche  dann  den  Namen  G.  erhält.  —  Gross-B-egal,  ein  Regal  2,5  Meterton. 
—  Gross- Schwiegel,  der  Schwiegelbass  zu  2,5  Meter.  —  Grossunter- 
satz, ein  Name,  den  man  öfter  in  älteren  Orgeln  für  eine  10  metrige  gedeckte 
Flötenstimme  im  Pedal  angewandt  findet,  deren  Mensur  wie  Intonation  durchaus 
nicht  gleichartig  erstrebt  worden  ist.  2. 

Grosse,  Name  mehrerer  auf  dem  Gebiete  der  Tonkunst  bekannt  gewordener 
deutscher  Männer.  1)  Bernhard  Sebastian  G.,  um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts Prediger  in  Ilmenau,  ist  der  Verfasser  einer  Schrift,  betitelt:  »Die 
heiligen  Verrichtungen  in  dem  Hause  des  Herrn  bei  der  neuen  Orgel  in  der 
Ilmenauischen  Stadtkirche  mit  einer  kurzgefassten  Orgelgeschichte«  (Eisenach, 
1765).  —  2)  Gottfried  G.,  geboren  zu  Bardeleben  bei  Magdeburg  am  12. 
Febr.  1745,  gestorben  als  Prediger  zu  Wolmirsleben,  veröffentlichte  im  vierten 


412  Grosse  —  Grosse  Septime. 

Stücke  dritten  Bandes  von  RoBewitz'  »Gedanken  zur  Verbesserung  der  öffent- 
lichen Erzieiiung«  (1782)  eine  Abhandlung  über  die  Frage:  »Inwiefern  kann 
die  Erlernung  der  Musik  etwas  zur  sittlichen  und  gelehrten  Erziehung  bei- 
tragen?« —  3)  Jolianu  G.,  zu  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  Gymnasial- Pro- 
fessor zu  Halle  a.  S.,  gab  eine  Schrift:  nMiscella problemafa  de  musicav^  (Halle, 
1638)  in  den  Druck.  —  4)  Joliann  F.  Grosse,  Organist  zu  Klosterbergen 
bei  Magdeburg,  gab  1783  in  Leipzig  sechs  Ciaviersonaten  heraus,  und  soll  auch 
als  Lehrer  der  Musik  sich  eines  achtbaren  Rufes  erfreut  haben.  Noch  1802 
erschienen  von  ihm  zu  Magdeburg  »Stunden  der  Erholung,  am  Glavier  ver- 
lebt«. —  5)  Johann  Heinrich  (J.,  Organist  zu  Glaucha  in  Halle,  gab  ein 
Werk  »Melodeyen  sowohl  alter  als  neuer  Lieder«  etc.  (Halle,  1798)  heraus,  das 
609  Weisen  bietet.  Dies  Choralbuch  ist  eigentlich  nur  ein  Abdruck  der  im 
Freylinghauscn'schcn  Gesangbuche  enthaltenen  Melodien.  ^ —  6)  Johann  Wil- 
helm G.,  um  1790  Organist  zu  Kahla  im  Sachsen-Altenburg'schen,  componirte 
u.  A.  sechs  Choralvorspicle  für  die  Orgel,    die  1787  in  Rudolstadt  erschienen. 

Grosse,  Samuel  Dietrich,  vorzüglicher  deutscher  Violinvirtuose,  geboren 
1757  zu  Berlin,  erhielt  seine  höhere  Ausbihlung  auf  der  Violine  durch  Lolli 
und  kam  (vor  1770)  in  die  Kapolle  des  kunstsinnigen  Prinzen  Friedrich  Wil- 
helm, nachmaligen  Königs  von  Preussen.  Im  J.  1780  unternahm  er  eine 
überaus  erfolgreiche  Kunstreise  nach  Paris,  von  der  er  1782  zurückkehrte  und 
sein  Ansehen  in  Berlin  begründete.  Ein  Jahr  später  gab  er  sein  erstes  Violin- 
concert  heraus,  das  in  Paris  bereits  allgemeinen  Beifall  gefunden  hatte.  Ebenso 
wurde  von  ihm  französisch  die  komische  Oper  »ie  retour  desire«.  zur  Auffüh- 
rung gebracht  und  1786  in  Potsdam  eine  auf  die  französische  Colonie  com- 
ponirte Jubiläumscantatc.  Nach  dem  Regierungsantritte  Friedrich  Wilhelm's  II. 
1786  kam  er  mit  in  die  königl.  Kapelle,  starb  aber  schon  1789  an  einem 
Zehrfieber.  Von  seinen  Compositionen  für  Violine  sind  in  Bei'lin  drei  Con- 
certe,  eine  Sinfonie  concertaute,  sechs  Duos  mit  Bratsche  und  drei  Streichtrios 
als  op.  1  bis  4  erschienen. 

Grosse  Cadenz,  der  Ganzscliluss. 

Grosse  Dicsis  ist  der  Name  eines  Hilfs-  und  Temperatur-Intervalls 
(s.  d.),  das  nur  in  der  mathematischen  Klanglehre  in  Gebrauch  ist;  dasselbe 
wird  durch  die  Proportion  648 :  625  dargestellt  und  ist  zweiunddreissig  pytha- 
goräischen  Komma's  oder  dem  didy mischen  Komma  (81:80)  und  der  kleinen 
Diesis  (128:125)  zusammengenommen  gleich.  Letztere  ist  nur  so  gross  wie 
einundzwanzig  pythagoräische  Komma's.  Mehr  über  die  G.,  sowie  über  die 
frühere  und  heutige  Anwendung  dieses  Kunstausdruckes  bietet  der  Artikel 
Diesis  (s.  d.).  0. 

Grosse  Octave  nennt  man  alle  Klänge  unseres  Tonreiches,  welche  durch 
grosse  Buchstaben  notirt  werden.  Dies  sind  alle  die  in  der  abendländischen 
Kunst  angewandten  Töne,  welche  innerhalb  der  Klangregion  liegen,  die  durch 
die  Töne,  welche  durch  ungefähr  65,625  Schwingungen  in  einer  Secunde 
und  durch   ungefähr   131,25  in  der  gleichen   Zeit  erzeugt  wex'den,  begrenzt  ist. 

0. 

Grosse  Sccnnde  ist  ein  dissonirendes  Intervall,  dessen  Grösse,  genau  ge- 
nommen, nicht  immer  eine  gleiche  ist  (s.  Ganz  ton),  das  aber,  oberflächlich 
ausgedrückt,  stets  aus  zwei  Halbtönen  besteht.  In  solcher  Auffassung  kann 
man  also  wohl  behaupten,  dass  alle  G.  gleich  sind.  In  der  diatonischen  Folge 
von  C-ditr  giebt  es  sonach  fünf  G. ,  nämlich:  G—D,  D — -E,  1? — G,  G — A  und 
A — jH",  während  nur  zwei  kleine:  ^ — F  und  K—c  darin  vorkommen.  lieber 
die  harmonische  Wirkung  sehe  man  den  Artikel:  Consonanzen  und  Diss'o- 
nanzen  nach.  0. 

Grosse  Septime  nennt  man  das  Intervall  zwischen  der  ersten  und  siebenten 
Stufe  der  diatonischen  Durleiter;  in  G-dur  also  G — //.  Dasselbe  besteht  aus 
fünf  Ganztönen  und  einem  grossen  Halb  ton  (s,  d.)  und  wird  durch  die 
Proportion   15:8  dargestellt.     lieber  die  Eigenheit  dieses  Intervalls  in  Zusam- 


Grosse  Sexte  —  Grosser  Ganzton.  413 

menklängen  bietet  der  Artikel  Consonanzen  und  Dissonanzen  das  Noth- 
wendige.  0. 

Grosse  Sexte  ist  ein  Intervall,  das  sechs  diatonische  Stufen  der  Tonleiter 
umschliesst,  die  vier  Ganztöne  und  einen  grossen  Halbton  vertreten.  Dies 
Intervall  ist  eine  Consonanz  und  wird  dessen  Eigenheit  als  solche  in  den  Ar- 
tikeln »Consonanz  und  Dissonanz«  und  »Harmonie«  näher  erörtert.  Die 
G-,  wird  stets  durch  die  Proportion  5 :  3  dargestellt.  0. 

Grosse  Terz  (latein.:  JDitonus),  ist  ein  Intervall,  das  aus  drei  diatonischen 
Stufen,  d.  h.  aus  zwei  Ganztönen  besteht;  die  mathematische  Darstellung  des- 
selben geschieht  durch  das  Vei"hiiltuiss  5 : 4.  Sie  ist  zudem  dasjenige  Intervall, 
in  dem  die  Klänge  in  der  Unterquinte  beider  im  abendländischen  Tonsystem 
nur  herrschenden  Tongattungen,  Dur  (s.  d.)  und  Moll  (s.  d.) ,  verschieden 
sind,  weshalb  man  sie  als  das  den  Durcharakter  besonders  kennzeichnende  In- 
tervall betrachtet.  Die  consonirenden  Eigenthümlichkeiten  der  G.  sind  in  dem 
Artikel  Consonanz  und  Dissonanz  ausführlicher  besprochen.  0. 

Grosse  Tonart  hört  man  zuweilen  die  Durtonart  nach  der  ihr  eigenen 
grossen  Terz  nennen;  jedoch  ist  diese  Bezeichnung  nicht  zu  empfehlen,  da  nur 
die  Vereinfachung  der  Fachsprache  die  schnellste  Förderung  in  der  Sach- 
kenntniss  verheisst.  0. 

Grosser  Basspominer  (ital.:  Bombardon e)  hiess  ein  jetzt  veraltetes  Blas- 
instrument, das  in  dem  Artikel  Bombard  (s.  d.)  näher  beschrieben  ist.  Jener 
Beschreibung  sei  hier  ergänzend  hinzugefügt,  dass  dies  Tonwerkzeug  mittelst 
eines  Ess  (s.  d.)  wie  das  Pagott  (s.  d.)  intonirt  wurde  und  einen  Tonumfang 
von  Fl  bis  f  besass.  2. 

Grosser  Dreiklaug-  wird  der  aus  Grundton,  grosser  Terz  und  reiner 
Quinte  bestehende  Accord  genannt.      S.  Drei  klang. 

Grosser  Gauztou.  Von  den  durch  die  mathematische  Klanglehre  in  der 
abendländischen  Kunst  festgestellten  Intervallen  kennt  man  der  oberflächlichen 
Bezeichnung  ihrer  Grösse  nach  zwei  Gattungen:  Ganz-  und  Halbtöne,  und 
in  jeder  dieser  Gattungen  im  allgemeinen  wieder  zwei  Arten,  grosse  und 
kleine  benannt.  Letztere  Bezeichnungen  erhalten  dieselben  je  nach  dem  Grössen- 
verhältniss  ihrer  sie  darstellenden  Proportionen  zu  einander.  Da  nun  die  Ganz- 
töne der  diatonischen  Folge  theilweise  durch  die  Proportion  9:8,  theilweise 
durch  das  Verhältniss  10:9  dargestellt  werden  müssen,  so  sieht  man  durch 
Vergleichung  der  Verhältnisse  (s.  d.),  dass  nur  Intervallen  von  erst- 
erwähnter Grösse  die  Benennung  G.  zufallen  kann.  Derartig  sind  nun  in  der 
Durfolge  die  Intervalle  von  der  ersten  zur  zweiten,  von  der  vierten  zur  fünften 
und  von  der  sechsten  zur  siebenten  Stufe  (in  der  C-durleiter  also  die  Fort- 
schreitungen von  G—D,  F — G  und  A — S),  welche  auch  in  der  That  bei  ge- 
nauerer Bezeichnung  G.  genannt  werden,  im  Gegensatze  zu  den  Intervallen, 
welche  die  zweite  und  dritte,  und  die  fünfte  und  sechste  Stufe  (in  C-dur  also 
die  Töne  D — F  und  G — A)  bilde:n,  die  kleine  Ganztöne  geheissen  werden. 
Die  G.  unterscheidet  jeder  mit  feinem  Gehör  Begabte  genau,  trotzdem  der 
Unterschied  zwischen  beiden  Ganztonarten  nur  ein  geringer  ist.  Der  G.  be- 
steht nämlich  aus  10  :  9 -f-81 :  80  =  9  :  8,  siehe  Addition  der  Verhältnisse, 
d.  h.  aus  dem  kleinen  Ganzton  und  dem  syntonischen  Komma  (s.  d.),  während 
der  kleine  Ganzton  um  das  syntonische  Komma  kleiner  ist.  Wenn  in  unserer 
diatonischen  Tonfolge  sich  auch  nur  zwei  Arten  der  Ganztongattung  vorfinden, 
so  ist  hiermit  nicht  die  Artenzahl  derselben  für  den  praktisclien  Gebrauch  für 
immer  abgeschlossen,  denn  je  nach  den  Anforderungen,  welche  eine  Tempe- 
ratur (s.  d.)  an  die  Entfernung  der  Klänge  in  einer  Scala  macht,  kennt  man 
bisher  schon  noch  manche  G.,  die  zur  Anwendung  empfohlen  worden  sind,  und 
jede  neue  Aufstellung  eines  Tonsystems  führt  neue  solche  im  Gefolge.  Da 
aber  andere  bisher  empfohlene  Tonsysteme  bisher  sich  keiner  allgemeineren  An- 
erkenniang  erfreuten ,  und  noch  vielleicht  zu  erwartende  heute  nicht  betrachtet 
werden  können,    so    unterlassen  wir    hier  jode   derartige  Erwägung.     Nur  zum 


414  Grosser  Halbton  —  Grosses  Hallelujah. 

Beweise  für  die  eben  aufgestellte  Behauptung  sei  auf  eine  Durchsicht  des  Mar- 
purg'scheu  Werkes  »Versuch  über  die  musikalische  Temperatur  etc.«  verwiesen. 
Seite  58  des  Werkes  findet  man  in  Ansehung  des  G.  noch  besonders  folgende 
vier  aufgezeichnet:  a)  144  :  125  =  (9  :  8)  +  (128  :  125);  />  256  :  225  =  (9  :  8)  + 
(2048:2025);  c)  1125  :  1024  =  (9  :8)  +  (128  :  125)  und  d)  729  :  640  =  (9  :  8)  + 
(81 :  80).  2. 

Grosser  Halbtou  wird  das  in  der  diatonischen  Folge  zweimal  auftretende 
kleinere  Intervall  (in  0-dur:  E — F  und  S — e)  genannt,  dessen  Grösse  man 
durch  die  Proportion  16:15  darstellt.  Derselbe  entspricht  in  seiner  Grösse 
der  kleinen  Secunde  (s.  d.)  und  unterscheidet  sich  von  dem  kleinen 
Halb  ton  (s.  d.),  der  wirklich  kleinsten  Klangstufe  unseres  praktischen  Ton- 
systems, wie  die  kleine  Secunde  von  der  übermässigen  Prime  (s  d.),  d.  i. 
wie  das  Verhältniss   16:15  von  dem- Verhältniss  25:24.  2. 

Grosser,  Henriette,  geschätzte  deutsche  Sängerin,  geboren  1818  iu  Berlin, 
wuchs  in  einfachen  Verhältnissen  bis  zu  ihrem  15.  Jahre  ohne  irgend  welchen 
Musikunterricht  auf,  als  sie  ihrer  schönen  Stimme  wegen  dem  General -Inten- 
danten Grafen  von  Brühl  empfohlen  wurde,  der  sie  darauf  hin  als  Choristin 
bei  der  königl.  Oper  anstellte  und  durch  den  Kammermusiker  Beutler  im  Ge- 
sänge ausbilden  Hess.  Im  J.  1834  trat  sie  zum  ersten  Male  in  kleinen  Solo- 
parthien  auf;  da  sie  aber  nicht  hinlängliche  Beschäftigung  erliielt,  verliess  sie 
1836  die  königl.  Bühne  und  nahm  ein  Engagement  als  Primadonna  in  Königs- 
berg beim  Theaterdirektor  Hübsch  an,  wo  es  ihr  in  der  That  bald  gelang,  sich 
auszuzeichnen.  Nachdem  sie  1837  auf  dem  Hoftheater  in  Berlin  Gastrollen 
gegeben  hatte,  erhielt  sie  zu  eben  solchen  nach  Prag  Einladungen,  wo  sie, 
trotzdem  die  gefeierte  Lutzer  erst  kurz  vorher  an  derselben  Stelle  gesungen 
hatte,  so  gefiel,  dass  sie  als  erste  Säugerin  doi't  gewonnen  wurde.  Ihre  Stimme 
war  damals  von  grossartigem  Volumen  und  beherrschte  einen  Umfang  vom 
kleinen  g  bis  dreigestrichenen  d;  ihr  Gesang  zeichnete  sich  zudem  durch  i'eine 
Intonation  und  gefühlvollen  Vortrag  aus.  Ihre  besten  Leistungen  waren  die 
als  Donna  Anna,  Desdemoua,  Königin  der  Nacht,  Agathe,  Rezia,  Anna  (Weisse 
Dame),  Camilla  (Zampa),  Zerline  (Era  Diavolo)  u.  s.  w.  Um  1850  verliess 
sie  Prag,  gastirte  in  Dresden  und  zog  sich  daselbst  in  das  Privatleben  zurück. 
Sie  sang  noch  einmal  1855  in  einem  Concerte  des  Gustav  Adolph -Vereins  zu 
Berlin,  wohin  sie  auch  später  übersiedelte  und  wo  sie  noch  jetzt  in  Zurück- 
gezogenheit lebt. 

Grosser,  Joseph  Aloys,  guter  deutscher  Orgelspieler  und  vielseitig  xind 
gründlich  gebildeter  Tonkünstler,  war  ein  Schüler  des  Organisten  Otto  in 
Grätz  und  starb  als  langjähriger  Cantor  zu  Warmbrunn  in  Schlesien  im  April 
1821.  —  Sein  Sohn  Johann  Emanuel  G.,  geboren  am  30.  Jan,  1799  zu 
Warmbrunn,  war  musikalisch  in  vorzüglicher  Art  beanlagt  und  wurde  von 
seinem  Vater  auf's  Sorgfältigste  unterrichtet.  Um  sich  dem  Schulfache  zu 
widmen,  ging  er  nach  Breslau,  wurde  1821  als  zweiter  Lelirer  nacli  Warmbrunn 
zurückberufen  und  ein  Jahr  später  als  Cantor  und  Organist  nach  Friedberg 
am  Queis  versetzt.  Hier  erwarb  er  sich  trotz  eines  nur  kurzen  Aufenthaltes 
grosse  musikalische  Verdienste,  tlieils  durch  die  Gründung  von  stehenden 
Winterconcerten ,  theils  durch  sein  treffliches  Orgelspiel,  nach  dem  sich  viele 
junge  Talente  bildeten.  Im  J.  1823  kam  er  als  Organist  an  die  katholische 
Stadt-Pfarrkirche  nach  Hirscliberg  und  endlich  1826  als  Rector  nacli  Polkwitz. 
Er  hat  eine  grosse  Menge  von  Messen,  Offertorien,  Graduale's,  Begräbniss- 
liedern, sowie  von  Variationen,  Tänzen  für  Pianoforte  u.  dgl.  ni.  componirt; 
auch  gab  er  ein  musikalisches  Wochenblatt  und  endlicli  Biographien  von 
Haydn,  Mozart  und  Seb.  Bach  heraus,  die  nicht  ohne  Interesse,  aber  ohne  Be- 
lang  sind. 

Grosses  Hallelnjah  nennen  die  Juden  die  Psalme  113  bis  117,  weil  darin 
besondere    Wohlthaten     Gottes    gegen    das    jüdische    Volk    gepriesen    werden. 


Grosses  "Limma  —  Grossi.  415 

Dieser  Lobgesang    wird    in    den    Synagogen    am  Passah-    und  Laubhüttenfeste 
abgesungen. 

Grosses  Limma  nennt  man  in  der  mathematischen  Klanglehre  ein  kleines 
Intervall,  das  entweder  als  Unterschied  zwischen  der  kleinen  Terz  und  dem 
kleinen  Ganzton  oder  dem  grossen  Ganzton  und  dem  kleinen  Halbton  angesehen 
werden  kann.  Beider  Unterschied  ist  nämlich  gleich  gross  und  wird  durch 
das  Verhältniss  27 :  25  dargestellt,  welcher  Unterschied  ebenfalls  gleich  ist  der 
Summe  von  dem  grössern  Halbton  (16:15)  und  dem  syntonischen  Komma 
(81:80).  Das  Verhältniss  des  G.  zum  kleinen,  darzustellen  durch  die  Pro- 
portion 135:128,  wie  sonst  Bemerkenswerthes  über  das  G.  bietet  der  Artikel 
Limma  (s.  d.).  2. 

Grosses  Orchester  ist  die  Bezeichnung  des  für  die  moderne  grosse  Oper 
und  die  Sinfonie  erforderlichen  Instrumentenensembles,  worin  neben  dem  voll- 
ständigen Chore  der  Bogeninstrumente  (Violine  I  und  II,  Viola,  Violoncello 
und  Contrabass)  alle  gewöhnlichen  Gruppen  der  Holzblaseinstrumente,  des- 
gleichen die  Messinginstrumente  in  mehr  Gattungen  und  zahlreicher  besetzt 
als  im  kleinen  Orchester,  zur  Verwendung  kommen.  Der  Holzbläserchor  be- 
steht im  Allgemeinen  aus  je  zwei  Flöten,  Oboen,  Clariuetten  und  Pagotten, 
wozu  unter  Umständen  noch  ein  dritter  Bläser,  um  die  Genannten  abzulösen, 
eine  Piccoloflöte  und  auch  wohl  ein  Contrafagott  kommen;  der  Messinginstru- 
mentenchor  aus  zwei  (resp.  vier)  Trompeten,  vier  Hörnern,  drei  Posaunen  und 
einer  Basstuba  (Ophycleide).  Ferner  gehören  zwei  Pauken  dazu.  Das  Orchester 
der  Grossen  Oper  insbesondere  nimmt  noch  ausserdem  mitunter  die  Harfe  und 
mehrere  andere  Holzblaseinstrumente  (als  Bassethorn,  englisch  Hörn,  Bass- 
clarinette)  und  ebenso  noch  verschiedene  andere  Gattungen  von  Blech-  und 
Schlaginstrumenten  (ital.:  Bandd)  in  Anspruch. 

Grossi.  Verschiedene  Italiener  dieses  Namens  haben  sich  in  der  Musik- 
welt einen  Namen  gemacht,  —  Andrea  G.  hiess  ein  Violinist  und  Tonsetzer, 
der  1725  in  Diensten  des  Herzogs  von  Mantua  stand  und  von  dessen  Werken 
mehrere  gedruckt  sind.  Noch  bekannt  ist  nur  sein  op.  3  (Bologna,  1696),  das 
zwölf  Sonaten  für  2,  3,  4  und  5  Instrumente  (Violinen)  enthält.  —  Antonio 
Alfonso  G.,  aus  Cremona  gebürtig,  war  ums  Jahr  1690  in  Italien  als  be- 
rühmter Sänger  bekannt.  —  Carlo  G.,  verdienstvoller  Sänger,  Dichter  und 
Componist  der  venetischen  Schule,  lebte  Ende  des  17.  Jahrhunderts  zu  Venedig. 
Von  seinen  Werken  wui-den  daselbst  die  auch  von  ihm  selbst  gedichteten  Opern 
yGiocaste,  regina  d^ArmeniaK  (1676),  »II  JSicomede  in  Britinia<f.  (1677)  und 
»Artaserse«.  (1669)  aufgeführt.  —  Giovanni  Francesco  G.  veränderte  seinen 
Namen  in  Siface  (s.  d.)  und  hat  sich  unter  dem  letzteren  einen  grossen  Ruf 
erworben.  —  Noch  sei  bemerkt,  dass  die  Leipziger  musikalische  Zeitschrift 
Jahrg.  II.  S.  348  eines  Tonkünstlers  G.  erwähnt,  der  ums  Jahr  1800  in  Italien 
zu  den  vorzüglichsten  Componisten  gezählt  wurde.  Vielleicht  ist  damit  der 
weiter  unten  folgende  Gaetano  G.  gemeint.  t 

Grossi,  Gaetano,  berühmter  Fagottist,  zu  Mailand  geboren,  wurde  1782 
Kammermusiker  des  Herzogs  von  Parma,  kehrte  aber  nach  dem  Tode  des 
Herzogs  Ferdinand  nach  Mailand  zurück,  wo  er  am  14.  Febr.  1807  starb. 
Mehrere  Compositionen  von  ihm  für  sein  Instrument  sind  Manuscript  geblieben. 
—  Seine  Tochter,  ßosalinda  G.,  geboren  zu  Pai'ma  1782,  war  eine  vortreff- 
liche Opernsängerin.  Den  ersten  Unterricht  genoss  sie  bei  Giuseppe  Colla 
und  vervollkommnete  sich  noch  unter  Fortunato's  und  Paer's  Leitung.  Sie 
verheirathete  sich  mit  dem  Violinisten  Prospero  Silva  und  glänzte  auf  den  ersten 
Bühnen  Italiens,  besonders  in  Mailand  und  Venedig.  Leider  starb  sie  in  vollster 
Jugendblüthe  schon  1804  zu  Mailand. 

Grossi,  Gennaro,  intelligenter  italienischer  Musikliebhaber,  war  Advocat 
in  Neapel  und  veröffentlichte  ein  Werk:  »ie  belli  arti,  opuscoli  siorici  musicalia 
(Neapel,  1820). 


416  Grossmann  —  Grotte. 

Grossmauii.  1)  Ein  Instrumentalcomponist,  dessen  Vornamen  unbekannt 
sind,  lebte  wahrscheinlich  zu  Wien,  Traeg's  Katalog  vom  J.  1799  weist  von 
ihm  drei  Quartette  für  zwei  Clarinetten,  Viola  und  Bass  auf,  die  jedoch  nur 
im  Manuscript  vorhanden  waren.  —  2)  Burkhard  G.,  von  Beruf  füi'stl.  säch- 
sicher  Einnehmer  zu  Jena  und  Burgau  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts, 
machte  sich  um  die  Musik  verdient  durch  die  Herausgabe  einer  Sammlung 
von  Tonwerken  sächsischer  Componisten,  43  an  der  Zahl,  die  den  Titel  »Angst 
der  Höllen  und  Friede  der  Seelen«  (Jena,  1623)  führte;  dieselbe  enthielt  nur 
Compositionen  des  116.  Psalm,  für  drei  bis  fünf  Stimmen  sehr  künstlich  ein- 
gerichtet. —  3)  Johaun  Franz  G.  hiess  ein  berühmter  Orgelbauer,  der  um 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zu  Patschkau  lebte  und  u.  A.  1754  zu  Münster- 
berg ein  Werk  mit  25  klingenden  Stimmen,  zwei  Manualen  und  Pedal  baute. 
—  4)  Friederike  G.,  deutsche  Sängerin  und  Schauspielerin,  s.  Unzelmann. 

t 

Grosthead,  Bobert,  englischer  Gelelirter  des  13.  Jahrhunderts,  geboren 
von  armen  Eltern  zu  Suffolk,  studirte  in  Oxford  und  Paris  und  starb  als  Bischof 
zu  Lincoln  am  9.  Octbr.  1253.  Er  hat  u.  A.  Commentare  zu  der  Musica  et 
arithmetica  des  Boethius  geschrieben.  Vgl.  Hawkins,  Hist.  of  music  vol.  IL 
jj.  83.  t 

Grotekord,  Elias,  Organist  aus  Halberstadt,  hiess  nach  Werkmeister's 
Org.  Gruning.  rediv.  §.11  der  27.  von  den  53  zur  Prüfung  des  Orgelwerks 
zu   Grüningen   1596  berufeneu   Sachverständigen.  f 

Grotesk  (vom  ital.  yrottesco),  d.  i.  abenteuerlich,  phantastisch,  ein  von  der 
Malerei  auch  in  die  Musik  übergegangener  Kunstausdruck,  bedeutet  eine  launen- 
hafte Ausmalung  oder  witzige  Zusammenstellung  scheinbar  widersinniger  Gegen- 
stände. In  ersterer  Beziehung  artet  das  Groteske  leicht  in  das  Bizarre,  Wider- 
sinnige einer  ungezügelten  Phantasie  aus  und  wird  demnach  eine  Art  von 
Zerrbild;  in  letzterer,  wo  es  mit  Absicht  und  Freiheit  dargestellt  wird,  gehört 
es  zur  Gattung  des  Komischen  und  zwar  des  niedern  Komischen.  Obgleich 
das  Groteske  noch  weniger  als  das  Komische  durch  die  Musik  allein  darstellbar 
ist,  so  können  doch  groteske  Scenen,  vorzüglich  in  der  dramatischen  Komik 
und  in  der  theatralischen  Tanzkunst,  durch  die  Musik  wesentlich  unterstützt 
und  gehoben  werden.  Auf  solche  Scenen  spekulirt  daher  hauptsächlich  eines- 
theils  die  romantische,  andereutheils  die  Buffooper. 

Gi'otbe,  Heinrich,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  26.  Jan.  1796  zu 
Berlin,  verlor  1804  durch  einen  unglücklichen  Fall  das  Augenlicht  und  bildete 
sich  auf  der  Berliner  Blindenanstalt  bei-H.  Griebel  so  erfolgreich  zum  Pianisten 
aus,  dass  er  sich  mit  Beifall  öffentlich  hören  lassen  und  1817  als  Ciavierlehrer 
dieses  Instituts  angestellt  werden  konnte.  Als  solcher  ei'fand  er  einen  mit 
Nutzen  zur  Verwendung  gekommenen  Notensetzkasten  zum  Unterrichten  der 
Blinden  in  der  Musik  nach  Logier's  System.  Im  J.  1821  unternahm  er  eine 
Kunstreise  durch  das  mittlere  Deutschland,  starb  aber  schon  am  12.  Jan.  1826 
zu  Berlin. 

Grotiiis,  Hugo,  oder  de  Groot,  einer  der  vielseitigsten  Gelehrten,  ge- 
boren am  10.  April  1583  zu  Delft  und  nach  einem  sehr  romantischen  und  be- 
wegten Leben  am  18.  Aug.  1645  zu  Rostock  gestorben,  hat  auch  einige  die 
Musik  betreffende  Schriften  hinterlassen.  In  seinem  15.  Jahre,  als  er  die 
juristische  Doctorwürde  erhielt,  schrieb  er  zu  Paris  Anmerkungen  zum  Mar- 
tianus  Capelln.  Ferner  finden  sich  in  seinen  Annotationes  in  vet.  et  nov.  testa- 
mentum  et  in  decalogum  viele  Auseinandersetzungen  über  fremde  und  eigene 
Anschauungen  der  hebräischen  Musik.  Vgl.  Gerber's  Toukünstlerlexikon  vom 
J.  1790.  t 

Grotte,  Nicolas  de  la,  als  der  geschickteste  französische  Oi'gel-  und  Spi- 
nettspieler  seiner  Zeit  gerühmt,  lebte  um  1583  als  Kammerorganist  und  Kam- 
merdiener König  Heinrichs  III.  zu  Paris.  Er  hat  Ronsard's,  Bayf's,  Besportes', 
Sillac's   und  Anderer  Chansons    vierstimmig    gesetzt    (Paris,    1570    bei    Adrian 


Grotz  —  Gruber.  417 

le  Roy)  und  ausserdem  3-,  4-,  5-  und  6  stimmige  Airs  und  Chansons  (Paris, 
1583  bei  Jean  Cavellat)  herausgegeben.     Vgl.  Verdier  Bibl.  f 

Grotz,  Dionys,  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  Organist  und  Componist 
im  Stifte  Varnbach  in  Baiern,  hat  deutsche  Gesänge  zur  Messe  für  Sopran, 
Alt,  Tenor  und  Bass  mit  Begleitung  der  Orgel,  2  Violinen,  Altviola,  2  Wald- 
hörnern und  Violone  (Augsburg,  1791)  veröffentlicht.  f 

Gfrua,  Gasparo,  italienischer  Tonsetzer  und  Organist,  lebte  in  der  letzten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  angestellt  an  der  Giovanni  Battista- Kirche  zu 
Monza  im  Mailändischen.  Von  ihm  erschienen  Messen  und  andere  Kirchen- 
gesänge (Venedig,  1651). 

Orna,  Karl  Louis  Peter,  einer  der  unterrichtetsten  Musiker  seiner 
Zeit,  geboren  1700  zu  Mailand,  begann  daselbst  seine  musikalischen  Studien 
und  vollendete  dieselben  bei  seinem  Oheim,  dem  weiter  unten  aufgeführten 
Wilhelm  Grua.  Besonders  als  gewandter  Contrapunktist  gerühmt,  wurde  er 
kurfürstl.  pfälzischer  Kapellmeister  und  dirigirte  1742,  in  welchem  Jahre  er 
auch  die  mit  glänzendem  Erfolge  gegebene  italienische  Festoper  »Cambise«  für 
die  Vermählung  des  Kurfürsten  Karl  Theodor  schrieb,  die  Oper  in  Mannheim. 
In  dieser  Stadt  starb  er  im  J.  1775.  Duetti  da  camer a  von  ihm  in  Manuscript 
befinden  sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden.  —  Sein  Sohn,  Franz 
Paul  G.,  geboren  am  2.  Febr.  1754  zu  Mannheim,  erlernte  bei  seinem  Vater 
Clavierspiel  und  Harmonielehre  und  setzte  seine  Studien  beim  Kapellmeister 
Holzbauer  fort.  Der  Kurprinz  Karl  Theodor  schickte  ihn  1773  zur  weiteren 
Ausbildung  nach  Italien,  wo  G.  Unterricht  beim  Pater  Martini  in  Bologna 
und  bei  Traetta  in  Venedig  nahm.  Im  J.  1779  kehrte  er  zurück  und  erhielt 
in  München,  wohin  der  pfälzische  Hof  übergesiedelt  war,  den  Titel  eines  Hathes 
und  Kapellmeisters.  Am  Leben  war  er  noch  1812.  Von  seinen  Compositionen 
kennt  man  zahlreiche  Kirchensachen,  als  31  Messen,  3  Bequien,  29  Offertorien, 
3  Stabat  mater,  sodann  auch  Concerte  für  Ciavier,  Flöte,  Clarinette  u.  s.  w. 
und  die  italienische  Oper  »Telemacco«,  1780  in  München  mit  grösstem  Erfolge 
aufgeführt.  —  Der  Oheim  des  zuerst  Genannten,  Wilhelm  G.,  war  ebenfalls 
in  Mailand  geboren  vmd  musikalisch  gebildet.  Nachdem  er  Italien  bereist  hatte, 
kam  er  nach  Deutschland  und  wurde  1697  in  Düsseldorf  Kapellmeister.  Von 
dort  wurde  er  1714  nach  Mannheim  berufen.  Fünfstimmige  Messen  von  ihm 
mit  Instrumentalbegleitung  sind  im  Druck  erschienen   (München,  1712). 

Grrnbe,  Hermann,  deutscher  Mediciner,  geboren  zu  Lübeck  1637  und 
gestorben  im  Febr.  1698  zu  Hadersleben  als  Arzt,  veröffentlichte  eine  Schrift, 
betitelt:  y>Conjecturae  physico-medicae  de  ictu  tarantulae  et  vi  musices  in  ejus 
curationea  (Frankfurt,  1679).  f 

Grnber,  Benno,  Benedictinermönch  der  Abtei  Waidenburg,  an  welcher 
er  als  Musikdirektor  fungirte,  ist  der  Componist  eines  Stabat  mater  und  von 
■nAntiphonae  Mafianaea  (Augsburg,  1793).  Er  starb  im  J.  1798.  —  Ein  älterer 
Tonkünstler  dieses  Namens,  Erasmus  G.,  war  in  der  zweiten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  Surintendant  in  Begensburg  und  verfasste  eine  Vorrede  zu  dem 
1637  daselbst  erschienenen  Werke  y>Syno]}sis  musica,  oder  kurze  Anweisung, 
wie  die  Jugend  kürzlich  und  mit  geringer  Mühe  in  der  Singkunst  abzurichten« 
(s.  Gradenthaler).  —  Ein  Hans  G.,  zu  Simitz  in  Kärnthen  1693  geboren, 
wurde  1732  unter  den  Nürnberger  Tonkünstlern  mit  Achtung  genannt,  in 
Folge  dessen  auch  sein  Porträt,  in  Kupfer  gestochen,  erschien.  Sonst  ist 
nichts  weiter  über  ihn  bekannt  geblieben.  Vielleicht  ist  er  der  Vater  des 
weiter  unten  aufgeführten  Georg  Wilhelm  G. 

Gruber,  Franz,  der  Componist  des  bisher  Haydn  zugeschriebenen  weit 
verbreiteten  Weihnachtsliedes  »Stille  Nacht,  heilige  Nacht«,  war  als  Sohn  eines 
armen  Leinwebers  am  25.  Novbr.  1787  zu  Hochburg  im  Innviertel  (Ober- 
österreich) geboren.  Für  die  Lehrevlaufbahn  vorbereitet,  kam  er  1808  als 
Lehrer  iind  Organist  nach  Arnsdorf  unweit  Salzburg,  wo  er  22  Jahre  lang 
wirkte,  bis  er  1830  nach  Berndorf  und  von   dort  1835  als  Stadtpfarr- Chorregent 

iiuaikal.  Couver.s.-l.cxiUon.     IV.  27 


418  Gruber. 

und  Organist  nach  Hallein  berufen  wurde.  Er  starb  nach  einer  langen  segens- 
reichen pädagogischen  Thätigkeit  am  7.  Juni  1863  zu  Hallein.  Sein  beliebtes 
"VVeihnachtslied  ist  eine  Gelegenheitscomposition,  die  auf  Wunsch  des  Dichters 
derselben,  Joseph  Mohr,  damaligen  Hilfspriesters  in  Oberndorf  (gestorben  am 
4.  Decbr.  1848  als  Vicar  in  "Wagram)  entstand.  Beide  sangen  es  zum  ersten 
Male  in  der  Christnacht  1818  mit  dem  Kirchenchore  und  mit  Cluitarrebeglei- 
tung  in  der  St.  Nicola -Pfarrkirche  zu  Oberndorf  zum  Entzücken  der  versam- 
melten Gemeinde.  —  G.'s  Sohn,  ebenfalls  Franz  Gr.  geheissen,  geboren  am 
27.  Novbr.  1826  zu  Arnsdorf,  wurde  von  seinem  Vater  schon  früh  wissen- 
schaftlich und  musikalisch  unterrichtet,  so  dass  er  im  zehnten  Jahre  bereits 
aushülfeweise  den  Orgeldienst  versehen  und  mit  15  Jahren  in  das  Lehrer- 
seminar zu  Salzburg  eintreten  konnte.  Dort  erhielt  er  zugleich  vom  Kapell- 
meister Taux  Unterricht  in  Generalbass  und  Harmonielehre,  vom  Musiklehrer 
Stummer  auf  der  Violine  und  erwarb  sich  ein  ehrenvolles  Zeugniss  vom  Mo- 
zarteum. 1843  Schullehrergehülfe  und  Chorverseher  in  Mauterndorf,  ein  Jahr 
später  an  der  Schule  zu  St.  Andrea  in  Salzburg,  kam  er  1846  an  die  k.  k. 
Hauptschule  zu  Hallein.  Dort  gründete  er  1847  einen  Musikverein  und  1849 
eine  Liedertafel,  mit  welchen  Instituten  er  gute  Aufführungen  veranstaltete. 
Daneben  wirkte  er  als  pädagogischer  Schriftsteller  und  Compouist.  Von  einem 
Herzleiden  schon  1864  heimgesucht,  starb  er,  allgemein  geachtet,  am  27.  April 
1871  zu  Hallein.  Einen  Nekrolog  auf  ihn  brachte  die  damalige  Salzburger 
Zeitung  No.  98.  Von  seinen  Compositionen,  etwa  60  an  der  Zahl  und  be- 
stehend aus  12  Messen,  2  Bequien,  etwa  20  Graduales  und  Offertorien,  12 
Tantum  ergo,  5  Litaneien,  einer  Vesper,  4  Te  deen,  ferner  aus  Ouvertüren, 
Potpourris,  Ciavierstücken,  Liedern  und  Gelegenheitscompositionen,  gelangten 
nur  sechs  in  den  Druck.  Seine  Werke  für  Männerchor  besitzt  als  Eigenthum 
ziemlich  vollständig  die  Liedertafel  in  Hallein. 

Gruber,  Georg  Wilhelm,  einer  der  bedeutendsten  deutschen  Violin- 
virtuosen und  ein  gediegener  Componist  und  Dirigent,  wurde  am  22.  Septbr. 
1729  zu  Nürnberg  geboren  und  musikalisch  von  den  Organisten  Dretzel  und 
Siebenkees,  sowie  vom  Stadtmusiker  Hemmerich  (Violinspiel)  unterrichtet.  Seit 
seinem  siebenten  Jahre  war  er  zugleich  Kirchendiscantist.  Noch  nicht  18  Jahre 
alt,  begab  er  sich  als  Violinvirtuose  auf  seine  erste  Kunstreise  durch  Deutsch- 
land, auf  der  er  auch  schon  als  Componist  grossen  Beifall  fand.  In  Dresden 
Hess  er  sich  vom  gräfl.  Brühl'schen  Kapellmeister  Umstadt  im  Contrapunkt 
noch  vollends  unterweisen  und  kehrte  dann  um  1750  nach  Nürnberg  zurück, 
wo  er  Anstellung  als  Violinist  erhielt.  Ferrari's  damaliger  Besuch  in  Nürnberg 
wirkte  auf  die  Vollendung  seines  Violinspiels  so  wesentlich  ein ,  dass  man  um 
1760  ihn  für  den  ersten  Virtuosen  seines  Instrumentes  in  Deutschland  er- 
klärte, und  dass  seine  Vaterstadt,  stolz  auf  seinen  Besitz,  ihn  1765,  als  der 
Kapellmeister  Agrell  starb,  zu  dessen  Nachfolger  ernannte,  wie  sie  ihn  auch 
später,  um  ihn  vollends  zu  fesseln,  zum  Complimeutarius  und  Stadtrathsschenk 
erhob.  G.  starb  zu  Nürnberg  am  22.  Septbr.  1796.  In  allen  Gattungen  der 
Musik,  bis  auf  die  Gelegenheitscomposition  herab,  ist  er  selbstschöpferisch 
überaus  thätig  gewesen.  Obenan  stehen  seine  Kirchenwerke  verschiedenster 
Art,  darunter  die  Oratorien  »das  selige  Anschauen  des  gekreuzigten  Herrn«, 
»die  Auferstehung  Jesu«,  »der  sterbende  Herzog  des  Lebens«,  »die  Feier  des 
Todes  Jesu«,  »die  Hirten  bei  der  Krippe  zu  Betlehem«  (nur  letzteres  ist  im 
Druck  erschienen) ,  sowie  Trauermusiken  auf  den  Tod  der  Kaiser  Franz  I., 
Joseph  IL,  Leopold  IL  Dazu  kommen  Sinfonien,  Sextette,  Quartette,  Trios, 
Duette,  Ciavier-,  Violin-  und  Hornconcerte,  Suiten,  Variationen,  Lieder  u.  s.w. 
Für  sein  bestes  Werk  gilt  ein  ungedruckt  gebliebenes  Stabat  mater.  —  Sein 
Sohn,  Johann  Siegmund  G.,  geboren  1759  zu  Nürnberg  und  ebendaselbst 
am  3.  Decbr.  1804  als  Doctor  beider  Rechte  und  Rathsconsulent  gestorben, 
zeichnete  sich  besonders  in  den  wissenschaftlichen  Zweigen  der  Musik  aus,  wie, 
da  Compositionen   von   ihm  nicht   bekannt   geworden    sind,   mehrere    gründliche 


Gruber  —  Grüger.  419 

literarische  Arbeiten  beweisen.  So  seine  »Literatur  der  Musik,  oder  Anleitung 
zur  Kenntniss  der  vorzüglicheren  musikalischen  Büchei-«,  welche  er  1785  und 
1790  durch  Nachträge,  die  in  Frankfurt  und  Leipzig  erschienen,  ergänzte; 
ferner  sein  alphabetisches  Verzeichniss  musikalischer,  zum  Theil  sehr  seltener 
Schriftsteller  und  endlich  eine  Sammlung  Biographien  berühmter  Tonkünstler 
als  Beitrag  zur  musikalischen  Grelehrten  -  Geschichte  (Frankfurt  und  Leipzig, 
1786). 

Gruber,  Johann  Gottfried,  gründlicher  deutscher  Gelehrter,  geboren 
am  29.  Novbr.  1774  zu  Naumburg  an  der  Saale,  studirte  seit  1792  zu  Leipzig 
Philosophie,  Philologie  und  Geschichte,  nachher  auch  Mathematik  und  Natur- 
wissenschaften und  trat  1803  in  Jena  als  Privatdocent  und  als  Schriftsteller 
im  Fache  der  Kunstgeschichte,  Archäologie  und  Aesthetik  auf.  Von  dort 
siedelte  er  zuerst  nach  Weimar,  dann  nach  Dresden  über,  bis  er  1811  die 
philosophische  Professur  an  der  Universität  zu  Wittenberg  erhielt,  worauf  er 
1815  seine  akademische  Lehrthätigkeit  in  Halle  fortsetzte.  Mit  Ersch  (s.  d.) 
verband  er  sich  nach  Hufeland's  Tode  zur  Herausgabe  des  Biesenwerkes  »All- 
gemeine Encyclopädie  der  Wissenschaften  und  Künste«,  deren  erste  Section 
(A  bis  G)  er  nach  Ersch's  Tode  vom  18.  Bande  an  allein  zu  Ende  führte. 
Hochgeehrt  starb  er  1851  zu  Halle.  Seine  zahlreichen  ästhetischen  Aufsätze 
in  der  schliesslich  von  ihm  auch  redigirten  »Allgemeinen  Literaturzeitung«, 
sein  unvollendet  gebliebenes  »Wörterbuch  für  Aesthetik  und  Archäologie« 
(1.  Band,  Weimar,  1810)  und  vor  allem  seine  eifrige  Theilnahme  an  dem  be- 
reits erwähnten  Nationalwerke  sichern  ihm  auch  in  den  Annalen  der  Musik  ein 
ehrenvolles  Andenken. 

Grruber,  Karl  Anton,  Edler  von  Grubenfels,  bemerkenswerther  Dilet- 
tant und  Musikfreund,  geboren  am  28.  Juni  1760  zu  Szegedin  in  Ungarn,  er-, 
hielt  eine  gründliche  Ausbildung  seiner  wissenschaftlichen  Befähigung  und  seines 
Musiktalentes,  so  dass  er  es  auf  verschiedenen  Instrumenten  zur  grössten  Fer- 
tigkeit brachte.  Zuerst  am  königl.  Bergamte  zu  Bhonaseker  angestellt,  dann 
als  k.  k.  Verpflegungsof&zier,  weiterhin  Secretär  des  Grafen  Batthiany  zu  Wien 
und  zuletzt  Comitats -Assessor  und  Bibliothekar  zu  Pressburg,  war  er  1836 
noch  am  Leben.  Seine  Liebe  zur  Tonkunst  hat  er  immerwährend  bethätigt, 
in  seiner  Jugend  durch  eine  Abhandlung  »Gedanken  über  Bartl's  Tastenhar- 
monica«  und  später  als  eines  der  ältesten  Mitglieder  des  rühmlichst  bekannten 
Pressburger  Kirchenmusikvereius. 

Oriiel,  Eugen  (Karl  Theodor),  ein  zu  bedeutenden  Hoffnungen  berech- 
tigender junger  Tonkünstler,  wurde  am  5.  Octbr.  1847  als  der  jüngste  Sohn 
eines  Predigers  zu  Pömmelte,  einem  Dorfe  in  dem  preussischen  Begierungs- 
bezirke Magdeburg  geboren.  Seine  Mutter,  eine  Tochter  des  1854  in  Magde- 
burg gestorbenen  Musikdirektors  Wachsmann,  lenkte  das  Gemüth  des  Knaben 
schon  früh  zur  Neigung  für  die  Musik,  und  in  Folge  dessen  kam  G.,  nachdem 
er  das  Magdeburger  Klostergymnasium  besucht  hatte,  1864  nach  Berlin,  wo 
er  eifrige  Violinstudien  beim  königl.  Concertmeister  Zimmermann  begann. 
Später  jedoch  befasste  er  sich  ausschliesslich  mit  musiktheoretischen  Studien 
und  arbeitete  zunächst  l^a  Jahre  lang  bei  H.  Bellermann  auf  dem  Gebiete 
des  strengen  Contrapunkts,  worauf  er  sich  der  Compositionslehre  zuwandte. 
Was  von  G.'s  Arbeiten  bis  jetzt  im  Drucke  erschienen  ist,  beschränkt  sich  auf 
eine  Sonate,  Ciavierstücke  und  Lieder,  die  jedoch  ein  emporstrebendes  ausser- 
gewöhnliches  Talent  bekunden. 

(xrüger,  Joseph,  deutscher  Geistlicher,  dabei  guter  Ciavierspieler  und 
Componist,  war  um  1780  in  der  Grafschaft  Glatz  geboren.  Er  studirte  zu 
Glatz  und  Breslau  und  war  nach  einander  Kaplan  in  Mittelsteine  und  in  Ha- 
belschwerdt,  wo  er  im  Febr.  1814  starb.  Als  Kirchencomponist  war  er  bei 
seinen  Landsleuten  sehr  geachtet;  von  anderen  seiner  Arbeiten  ist  ein  Sing- 
spiel, »Hass  und  Aussöhnung«,  in  Partitur  und  im  Clavierauszuge  (Breslau, 
1798)  erschienen. 

27* 


420  Grüubaum. 

Griinbauiu,  Johann  Christoph,  gründlich  gebildeter  deutscher  Ton- 
künstler und  Sänger,  geboren  am  28.  Octbr.  1785  zu  Haslau  bei  Eger,  erhielt 
seine  musikalische  Bildung  als  Discantist  des  Klosters  "Waldsassen  in  der  Ober- 
pfalz und  vom  13.  Jahre  an  am  Dome  zu  Eegensburg,  wo  er  zugleich  das 
Gymnasium  besuchte.  Nach  Verwandelung  seiner  Sopranstimme  in  einen  an- 
genehmen Tenor,  ward  er  1804  auf  Empfehlung  seines  Lehrers,  des  Abbe 
Sterkel,  beim  Regensburger  Theater  engagirt,  das  er  1807  mit  der  Prager 
Bühne  vertauschte,  welcher  er  11  Jahre  lang  als  erster  Tenorist  angehörte. 
Im  J.  1813  verheirathete  er  sich  mit  Therese  Müller,  der  Tochter  des  be- 
liebten Volkscomponisten  Wenzel  Müller,  und  wurde  mit  ihr  1818  an  das 
Hofoperntheater  zu  Wien  berufen.  Den  Wiener  Aufenthalt  gab  er  1832  aut 
und  lebte  seitdem  als  Gesanglehrer  und  musikalisches  Factotum  Berliner  Musik- 
verleger in  der  preussischen  Residenz.  In  letzterer  Eigenschaft  hat  er  gegen 
50  italienische  und  französische  Opern  und  hunderte  von  Canzonen  und  Ro- 
manzen sehr  geschickt  und  sanggerecht  in's  Deutsche  übersetzt,  Yaccaj's  Ge- 
sangmethode und  Berlioz'  liTraite  d'instrumentationa  deutsch  bearbeitet  und 
zahlreiche  praktische  GesangaiTangements  ausgeführt.  Auch  als  Componist  ist 
er  in  früherer  Zeit  mit  Gesängen  und  Operneinlagen,  sowie  mit  zwei  komischen 
Terzetten  aufgetreten.  Als  Biedermann  geachtet,  starb  er  am  10.  Jan.  1870 
zu  Berlin.  —  Seine  Gattin,  die  einst  hochgefeierte  Therese  G.,  geborene 
Müller,  wurde  am  24.  Aug.  1791  zu  Wien  geboren  und  gehörte  schon  seit 
ihrem  fünften  Jahre  der  Bühne  an.  Im  J.  1807  kam  sie  mit  ihrem  Vater, 
der  zugleich  ihr  Lehrer  war,  nach  Prag,  wo  der  letztere  die  Kapellmeiserstelle 
erhalten  hatte.  Dort  vollendete  der  italienische  Sänger  Aloisi  ihre  gesangliche 
Ausbildung  und  führte  sie  ihrem  Ruhme  entgegen.  Sie  wurde  der  Liebling 
des  Prager  Publikums  und  erregte,  von  C.  M.  v.  Weber  zudem  mit  begeisterten 
Worten  öffentlich  empfohlen,  auf  Kunst-  und  Gastspielreisen  in  Wien,  München 
und  Berlin  (1817)  das  grösste  Aufsehen.  Allgemeine  Trauer  herrschte  in  Prag, 
als  sie  1818  der  Berufung  als  Primadonna  der  Hofoper  in  AVien  folgte.  Auch 
hier  wurde  sie  durch  ihren  kunstfertigen,  wahrhaft  dramatischen  Gesang  der 
erklärte  Liebling  der  Kunstfreunde,  und  ihre  Desdemona,  Donna  Anna  und 
Eglantine  galten  für  unübertreffliche  Meisterschöpfungeu.  Als  im  J.  1828  das 
Hofopernhaus  verpachtet  wurde,  trat  sie  in  den  Pensiousstand  und  widmete 
sich  lediglich  der  Ausbildung  ihrer  Tochter  Karoline,  welche  in  der  Folge 
eine  höchst  anmuthige  und  geistreiche  Sängerin  wurde.  Mit  dieser  und  ihrem 
Gatten  kam  sie  1832  nach  Berlin,  wo  sie  noch  gegenwärtig  (1874)  hochbetagt, 
aber  ziemlich  rege  und  rüstig  lebt.  —  Ihre  eben  erwähnte  Tochter,  Karoline 
G.,  wurde  am  28.  März  1814  zu  Wien  geboren  und  debiitirte  daselbst,  von 
ihren  Eltern  herangebildet,  am  22.  Aug.  1829  als  Emmeline  in  Weigl's  »Schweizer- 
familiea,  der  letzten  Aufführung  unter  Direktion  des  Componisteii.  Alsbald 
engagirt,  sang  sie  ein  Jahr  lang  an  der  Wiener  Hofbühne,  machte,  als  dieselbe 
auf  einige  Monate  geschlossen  wurde,  mit  ihrer  Mutter  eine  Kunstreise  über 
Hamburg,  Hannover,  Braunschweig,  Darmstadt,  Frankfurt  a.  M.  u.  s.  w.  und 
nahm  endlich  ein  Engagement  beim  Königsstädter  Theater  zu  Berlin  an,  wo 
sie  am  15.  Febr.  1832  mit  glänzendem  Erfolge  debütirte.  Noch  in  demselben 
Jahre  wurde  sie  an  die  königl.  Bühne  in  Berlin  gezogen  und  trat  daselbst  als 
Amazili  in  Spontini's  »Cortez«  zuerst  auf.  Ihr  Hauptfach  wurden  jedoch  die 
höheren  Soubrettenrollen  und  Coloraturparthien.  Zum  allgemeinen  Bedauern 
entsagte  sie,  die  auch  im  Privatleben  höchster  Achtung  genoss,  im  J.  1844 
gänzlich  der  Bühne  und  verheirathete  sich  bald  darauf  mit  dem  trefflichen  Hof- 
schauspieler B  er  cht  in  Braunschweig,  mit  dem  sie  bis  zu  ihrem  Tode,  am 
26.  Mai  1868,  in  einer  musterhaften  Ehe  lebte.  Leider  hatte  sie  den  Schmerz, 
einen  zu  den  grössten  Hoffnungen  als  Componist  berechtigenden  Sohn,  Alfred 
B  er  cht,  der  soeben  in  Berlin  seine  höheren  musikalischen  Studien  vollendet 
hatte,  1866  sich  vorangehen  zu  sehen.  Eine  Sinfonie  dieses  letzteren  erschien 
als  nachgelassenes  Werk  in   Partitur  zu  Braunschweig. 


Grünberg  —  Grützmacher.  421 

Grüuberg',  Gottlieb,  blinder  Flötenvirtuose,  geboren  1802  zu  Hannover, 
Hess  sich  auf  Kunstreisen  erfolgreich  in  Deutschland  und  Dänemark  hören. 
Im  J.  1832  ging  er  nach  "Weimar,  woselbst  er  ein  neues,  schnell  wieder  ver- 
schollenes Instrument,  »Furoria«,  erfand.  Seine  Reisen  und  sein  Leben  behan- 
delt eine  Schrift  (Hannover,  1834),  welche,  wie  es  in  der  Vorrede  heisst,  behufs 
seiner  und  der  Seinigen  bürgerlichen  Existenz  erschien. 

Grünberger,  Theodor,  deutscher  Geistlicher  und  Componist,  der  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  in  einem  schwäbischen  Kloster  wirkte.  Er  hat  sich  durch 
mehrere  von  1795  bis  1802  im  Druck  erschienene  Compositionen  geistlicher 
Art  nicht  unvortheilhaft  bekannt  gemacht.  Gerber  in  seinem  Tonkünstlerlexicon 
vom  J.  1812  führt  die  Titel  derselben  auf.  f 

Gründig,  Christoph  Gottlob,  deutscher  Theologe,  geboren  am  5.  Septbr. 
1707  zu  Dorfhain,  starl)  am  9.  Aug.  1780  als  Superintendent  und  erster  Pre- 
diger zu  Freiberg  und  ist  der  Verfasser  einer  »Geschichte  des  Singens  beim 
Gottesdienste«  (Schneeberg,  1753). 

Grüneberg,  Johann  Wilhelm,  deutscher  Orgel-  und  Ciavierbauer  zu 
Brandenburg  in  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  vollendete  u.  A.  1796 
in  der  Katharinenkirche  zu  Magdeburg  das  grosse  Orgelwerk,  dessen  Disposition 
man  in  dem  zweiten  Jahrgange  der  Leipziger  Allgemeinen  musikalischen  Zei- 
tung aufgezeichnet  findet. 

Grünewald,  Karl  Heinrich,  berühmter  deutscher  Sänger  und  Componist, 
welcher  zuerst  1703  bekannt  wurde,  in  welcher  Zeit  er  beim  Hamburger 
Theater  angestellt  war.  Für  dies  Institut  soll  er  mehrere  Opern  componirt 
haben,  von  denen  aber  nur  noch  die  1706  sehr  beifällig  gegebene,  Namens 
»Germanicus,  oder  die  gerettete  Unschuld«  bekannt  geblieben  ist.  Von  Ham- 
burg wurde  er  als  köuigl.  Sänger  nach  Berlin  berufen  und  sang  hier  1708  in 
der  Festoper  »Alexander  und  Roxanen's  Hochzeit«  die  Parthie  des  Alexander. 
Nach  dieser  Zeit  kam  er  als  Vicekapellmeister  nach  Darmstadt  und  starb  da- 
selbst 1739.  "Was  er  in  der  letzteren  Stellung  componirt  hat,  bleibt  noch  zu 
erforschen.  Jedenfalls  hat  er  damals  dem  Pantalon,  auf  dem  er  eine  sehr  be- 
deutende Fertigkeit  besass,  grossen  Eifer  zugewendet.  Denn  um  1717  machte 
er  mit  diesem  Instrumente  mehrere  erfolgreiche  Kunstreisen  durch  Deutschland, 
auf  denen  er  auch  wieder  Hamburg  berührte. 

Grüninger,  Erasmus,  deutscher  Theologe  und  Musikgelehrter,  geboren  zu 
Winnenda  1566,  wurde  1586  zu  Tübingen  Magister  und  sechs  Jahre  später 
daselbst  Professor  der  Musik.  Endlich,  1614,  als  erster  würtembergischer 
Prediger  angestellt,  starb  er  am  19.  Decbr.   1631.     Vgl.  Jöcher   und  Oelrichs. 

t 
Grüuwald,  Professor  am  Theresianum  zu  "Wien,  brachte  sich  um  1796  als 
beliebter  Clavierspieler    daselbst    zur  Geltung.     Auch    als  Componist    versuchte 
er  sich,  und  es  sind  von  ihm  einige  Quartette  und  mehrere  andere  Stücke  be- 
kannt geworden,  doch  kaum  über  "den  Bereich  Wiens  hinausgekommen.         f 

Grünwald,  Adolph,  trefflicher  deutscher  Violinvirtuose,  geboren  in  Schle- 
sien und  von  den  besten  Lehrern,  u.  A.  von  Böhm  in  Wien  ausgebildet,  nahm 
1849  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Berlin  und  erwarb  sich  daselbst  durch 
häufige  Mitwirkung  in  Concerten  als  Solospieler,  sowie  durch  Veranstaltung 
von  Kammermusikaufführungen  einen  bedeutenden  Localruf.  Seit  1862  wirkt 
er  ausschliesslich  als  Lehrer  seines  Instrumentes  an  der  von  Theod,  Kullak 
geleiteten  »Akademie  der  Tonkunst«  und  hat  eine  Reihe  trefflicher  Schüler 
gebildet.  Als  Componist  ist  er  nicht  bemerkenswerth  hervorgetreten;  für  Ver- 
anstaltung einer  Ausgabe  von  Haydn's  Streichquartetten,  die  er  mit  Fingersatz 
versah,  erhielt  er  den  Titel  eines  königl.  Professors  der  Musik. 

Grützmacher,  Friedrich  (Wilhelm  Ludwig),  einer  der  ausgezeichnetsten 
Violoncellovirtuosen  der  Gegenwart,  wurde  am  1,  März  1832  zu  Dessau  ge- 
boren. Sein  Vater,  Mitglied  der  herzogl.  Hof  kapeile,  ertheilte  dem  Sohne 
frühzeitig  eleu  ersten   Musikunterricht,  übergab  ihn  aber  später,  als  sich  bei  G. 


422  Grrund. 

Neigung  zum  Violonccllospiele  bemerkbar  machte,  zur  weiteren  Ausbildung  dem 
ausgezeiclineten  Violoncellisten  Kai'l  Drechsler,  bei  dem  er  so  überi'aschend 
schnell  fortschi'itt ,  dass  er  in  seinem  achten  Lebensjahre  schon  mit  grösstem 
Beifalle  öffentlich  auftreten  konnte.  Den  theoretischen  Unterricht  genoss  G. 
unter  Friedr.  Schneider,  dem  er  auch  die  ernsten,  acht  künstlerischen  Grund- 
sätze verdankte,  denen  er  in  der  Folgezeit  unverändert  treu  geblieben  ist.  Im 
J.  1848  wandte  sich  G.  nach  Leipzig  und  fand  dort  seine  erste  bescheidene 
Stellung  in  einem  Musikcorps.  Aber  Ferd.  David's  Scharfblick  erkannte  bald 
die  Begabung  G.'s;  er  verschaffte  ihm  Gelegenheit  zum  Solospiele  in  einem 
Gewandhausconcei'te ,  und  von  da  an  Avar  ihm  der  Weg  zu  B,uhm  und  Ehre 
gebahnt.  Durch  ein  unei'miidliches  Streben  unterstützt,  entfaltete  sich  sein 
grosses  Talent  nunmehr  so  schnell,  dass  man  ihm  schon  ein  Jahr  später,  als 
Nachfolger  B.  Cossmann's,  die  Stellung  eines  ersten  Violoncellisten  und  Solo- 
spielers der  Gewandhauscoucerte,  sowie  eines  Lehrers  am  Couservatorium  über- 
trug. In  diesen  Stellungen  wirkte  er  mit  grösstem  Eifer  und  Erfolge  bis  1860, 
in  welchem  Jahre  er  von  Jul.  Rietz  nach  Dresden  gezogen  wurde,  um  der 
Kette  vorzüglicher  Violoncellisten,  welche  die  dortige  Stellung  stets  bekleideten 
(J.  F.  Dotzauer  und  F.  A.  Kummer),  als  neues  Glied  beigefügt  zu  werden. 
G.,  der  mit  dem  Titel  eines  köuigl.  sächsischen  Kammervirtuosen  ausgezeichnet 
wurde,  ist  jetzt  einer  der  gekauntesten  und  geschätztesten  Vertreter  seines  In- 
strumentes, sowohl  als  Concert-  wie  als  Kammermusik-Spieler,  welche  ehrenvolle 
Meinung  er  durch  viele  Kunstreisen  in  Deutschland,  England,  Holland,  Däne- 
mark, Schweden,  der  Schweiz  etc.  fest  begründet  hat.  Auch  als  schaffender 
Künstler  hat  er  sich  einen  geachteten  Namen  erworben  durch  Veröffentlichung 
von  bereits  mehr  als  sechzig  Werken  (Concerte,  Phantasie-  und  Unterrichsstücke 
für  sein  Instrument,  daneben  auch  grössere  Orchester-  und  Kammermusik-Com- 
positionen,  Lieder,  Pianefortestücke  u.  s.  w.),  sowie  durch  Uebertragen  vieler 
classischen  Musikstücke  auf  das  Violoncell,  endlich  durch  Ausgrabung  alter,  der 
Vergessenheit  anheimgefallener  Musikstücke.  Als  Lehrer  seines  Instrumentes 
endlich  gilt  er  gegenwärtig  unbedingt  als  der  erste  und  der  gesuchteste.  Stetö 
von  einer  grossen  Schülerzahl  aus  allen  Ländern  umgeben,  hat  er  auch  bereits 
viele  tüchtige  und  wieder  namhaft  gewordene  Violoncellisten  gebildet,  z.  B. 
seinen  jüngeren  Bruder  Leopold,  Th.  Krumbholz  in  Stuttgart,  F.Hilpert, 
E,  Hegar  in  Leipzig,  R.  Bellmann  in  Schwerin,  W.  Fitzenhageu  in 
Moskau,  AV.  Herlitz  in  Dessau  u.  v.  A.  —  Der  bereits  erwähnte  Bruder  und 
Schüler  G.'s,  Leopold  G.,  geboren  am  4.  Septbr.  18.35  zu  Dessau,  begann  seine 
künstlerische  Laufbahn  als  Mitglied  des  Gewandhaus-  und  Theaterorchesters  zu 
Leipzig  und  wurde  später,  nach  Weggang  der  jüngeren  Gebrüder  Müller  von 
Meiningen,  als  erster  Violoncellist  in  die  herzogl.  meiningensche  Hofkapelle  be- 
rufen. Ausser  als  tüchtiger  Solo-  und  Orchestei'spieler  hat  er  sich  auch  be- 
reits durch  Veröffentlichung  einer  Reihe  ansi^rechender  Corapositionen  für  sein 
Instrument  vortheilhaft  bekannt  gemacht.  Darunter  befindet  sich  auch  ein 
Concert  mit  Orchester. 

Grund,  zwei  Brüder,  beide  ausgezeichnete  deutsche  Harfeuvirtuoseu  und 
zu  Prag  geboren:  Christian  G.  am  22.  Juni  1722  und  Eustach  G.  im 
J.  1724.  Ihr  Vater,  ein  geschickter  Porträtmaler  und  Musikfreund,  lenkte 
ihre  Neigung  der  letzteren  Kunst  zu,  und  Beide  widmeten  sich  mit  Eifer  und 
Talent  der  in  Deutschland  sehr  vernachlässigten  Harfe,  wobei  sie  die  allge- 
meinen Musikstudien  gleichwohl  nicht  vernachlässigten.  Auf  Kunstreisen,  die 
der  ältere  nach  Süden  und  Osten  (Wien,  Warschau  u.  s.  w.),  der  jüngere  nach 
Westen  (München,  Stuttgart,  Darmstadt  u.  s.  w.)  unternahm,  erwarben  sie 
sich  einen  glänzenden  Ruf,  der  eine  vornehmlich  in  der  Improvisation,  der  andere 
durch  sein  beispiellos  fertiges  Spiel.  Beide  traten  in  die  Dienste  des  Bischofs 
zu  Leitmeritz  und  bald  darauf  in  die  des  Kurfürsten  von  Baiern.  Weiterhin 
waren  sie  am  Hofe  des  Markgrafen  von  Anspach  bis  zu  dessen  Tode,  worauf 
Christian  nach  Würzburg  ging  und  dort  am   11.  Novbr.   1784  als  fürstbischöfl. 


Grund  —  Grundbass.  423 

Kammermusicus  starb.  Eustach  dagegen  begab  sich  nacb  Auflösung  der  An- 
spacber  Kapelle  nach  Stuttgart  und  von  da  nach  Tettnang  am  Bodensee,  wo 
er  in  Diensten  des  Grafen  von  Montfort  gestorben  sein  soll.  Er  hatte  sich 
bereits  in  München  mit  einer  Hofdame  aus  der  angesehenen  Familie  von  Fugger 
verheirathet,  die  er  jedoch  wieder  verlassen  hatte.  Diese  Ehe  blieb  kinderlos. 
—  Eine  Tochter  Christian's,  Elisabeth  Gr.,  hatte  sich  zur  Gruitarre-  und 
Harfenvirtuosin  ausgebildet  und  lebte  in  "Würzburg  als  sehr  geachtete  Lehrerin 
'  auf  den  genannten  Instrumenten. 

Grnud,  Friedrich  Wilhelm,  rühmlich  bekannter  deutscher  Componist, 
Dirigent  und  Musiklehrer,  geboren  am  7.  Octbr.  1791  zu  Hamburg,  war  der  Sohn 
eines  achtungswerthen  Musikers  Namens  Greorg  Friedrich  G-.,  der  ihn  auf  dem 
Violoncello  ausbildete,  während  Schwenke  ihm  einen  gediegenen  Ciavierunterricht 
ertheilte.  Auf  beiden  Instrumenten  liess  er  sich  in  seinem  17. .Jahre  mit  dem 
grössten  Erfolge  hören  und  gab  in  Folge  dessen  die  wissenschaftliche  Studien- 
bahn, die  er  als  Lebensberuf  verfolgen  sollte,  ganz  auf.  Eine  Lähmung  der 
rechten  Hand  verwies  ihn  jedoch  ausschliesslich  auf  Unterrichtertheilung  und 
Composition,  und  in  beiden  Beziehungen  erwarb  er  sich  einen  bedeutenden 
Localruf,  der  sich  noch  steigerte,  als  er  auch  fördernd  und  hebend  in  die 
Musikzustände  Hamburgs  mit  eingriff.  Nach  dieser  Seite  hin  gründete  er  1819 
die  Hamburger  Singakademie  und  übernahm  1828  die  philharmonischen  Con- 
certe,  zwei  Institute,  die  noch  jetzt  in  Blüthe  stehen  und  einen  wohlthätigen 
Einfluss  auf  das  Kunstleben  der  Stadt  ausüben;  als  Dirigent  stand  er  selbst 
bis  1862  an  der  Spitze  derselben,  darauf  bedacht,  den  Programmen  die  hervor- 
ragendsten Kunstschöpfungen  zuzuführen.  Noch  als  76jähriger  Grreis  betheiligte 
er  sich  lebhaft  an  der  Begründung  eines  Hamburger  Tonkünstlervereins,  dessen 
Bestehen  er  als  eine  Nothwendigkeit  für  die  Fortdauer  gesicherter  Musikver- 
hältnisse erachtete.  Diese  Gesellschaft  ehrt  dankbar  in  ihm  und  Karl  G.  P. 
Grädener  ihre  eigentlichen  Stifter.  Von  seinen  zahlreichen  gehaltvollen  Com- 
positionen  sind  theils  gedruckt,  theils  als  Manuscript  bekannt  geworden:  die 
Opern  »Mathilde«  und  »die  Burg  Falkenstein«,  die  Cantate  »die  Auferstehung 
und  Himmelfahrt  Christi«,  eine  achtstimmige  Messe  a  capella,  Hymnen  von 
Krummacher,  Sinfonien  und  Ouvertüren,  ein  Octett  für  Pianofoi'te  und  Blase- 
instrumente, Quartette  für  Pianoforte  und  Streichinstrumente,  Sonaten  für 
Ciavier  allein  und  mit  Violine,  ebenso  mit  Violoncello,  Ciavieretüden  und  andere 
Stücke,  ein  Divertissement  für  Pianoforte  zu  vier  Händen  und  Violoncello, 
vierhändige  Polonäsen,  weltliche  und  geistliche  Gesänge  und  Lieder  u.  s.  w.  — 
Sein  Bruder,  Eduard  G.,  geboren  am  31.  Mai  1802  zu  Hamburg,  bildete  sich 
zum  Violinvirtuosen  aus  und  machte  seine  höheren  Studien  bei  Louis  Spohr. 
Auf  mehreren  Kunstreisen  erwarb  er  sich  als  Virtuose  sowohl  wie  als  guter 
Musiker  grosse  Anerkennung.  Im  J.  1829  wurde  er  Hofkapellmeister  in  Mei- 
ningen und  entfaltete  eine  umfangreiche  Thätigkeit  bis  1858,  in  welchem 
Jahre  er  sich  pensioniren  liess,  worauf  J.  J.  Bott  sein  Nachfolger  wurde.  Von 
seinen  Compositionen  sind  Ouvertüren,  ein  Quatiior  brillant,  ein  Concert, 
ein  Concertino  und  Solo's  für  Violine,  sowie  Lieder  vortheilhaft  bekannt  ge- 
worden. 

Grundabsatz,  s.  Absatz. 

Gruudaccord  (französ.  accorcl fondamentale)  bezeichnet  diejenige  Accordlage, 
in  welcher  der  Grundton  zugleich  Basston  ist,  während  er  in  den  TJmkehrungen 
seinen  eigentlich  ihm  zukommenden  Platz  als  tiefster  Ton  an  ein  anderes  In- 
tervall des  Accordes  abgiebt.  Wesentlich  gleichbedeutend  ist  der  Fachausdruck 
Stammaccord.  Jedoch  pflegt  man  den  letzteren  mehr  in  Bezug  auf  die 
Umkehrungsfähigkeit  der  betreffenden  Accorde,  den  Ausdruck  G.  hingegen  mehr 
in  Hinsicht  auf  die  Lage  des  Grundtones  im  Basse  anzuwenden.  S.  auch 
A  c  c  0  r  d. 

Grundbass  (französ.  lasse  fondamentale)  ist  die  Reihe  der  tiefsten  Töne 
der  Tonart,  auf  welche  sich  alle  einzelnen  Accorde  einer  Grundstimme,   durch 


424  (iraiidlianiionie  -- Grundatimmen. 

deren  Verbindung  das  harmouisclie  Grewebe  eines  Tonstückes  hervortritt,  gründen 
müssen,  wenn  sie  als  einzelne  Glieder  des  Ganzen  die  unumgänglich  noth- 
wendige  Beziehung  auf  die  zu  Grunde  liegende  Tonart  enthalten  sollen.  Diese 
Fundamentaltöne  einer  jeden  Tonart  sind  die  Tonica  mit  ihrer  Ober-  und 
Unterdominante.  Die  Kenntniss  des  G.  dient  zur  Beurtheilung  der  Richtuui;' 
der  Hapmonie  in  zweifelhaften  Fällen,  und  diese  gründet  sich  auf  die  Ableitung 
der  Stamm-  und  abstammenden  Accorde.  Eameaxi  war  der  Erste,  der  ein 
System  des  G.'s  (sowie  der  Harmonie-  und  Aceordlehre  in  unserem  Sinne 
überhaupt)  entwickelt  hat.  Kein  Theoretiker  vor  ihm  gedenkt  eines  Funda- 
mentalbasses zur  Aufklärung  zweifelhafter  Sätze  oder  zur  Beurtheilung  des 
richtigen  Gebrauches  der  Harmonie. 

Grundliarmonie,  identisch  mit  Grundaccord  (s.  d.). 

Grundigr,  Johann  Zacharias,  trefflicher  und  gediegener  Sänger  und 
Gesanglehrer,  war  in  seiner  Jugend  Tenorist  der  königl.  Kapelle  zu  Dresden 
und  später,  bis  zu  seinem  Tode  im  J.  1720,  Cantor  au  der  Kreuzschule 
daselbst.  Zu  seinen  Gesangschülern  zählen  auch  die  beiden  Graun,  und 
seine  Methode  hat  sich  besonders  an  Karl  Heinrich  Graun  vortheilhaft  be- 
währt. 

Grnndig,  Christoph  Gottlob,  s.  Gründig. 

Grnudke,  Johann  Kaspar,  deutscher  Musiker,  geboren  um  1730  zu 
Naumburg  in  Schlesien,  war  von  1754  bis  1786  Kammermusiker  der  königl. 
Kapelle  zu  Berlin,  anfangs  als  Violinist,  später  als   Oboebläser. 

Grundiuauu,  Jacob  Friedrich,  einer  der  vorzüglichsten  deutschen  Holz- 
Blaseinstrumenteubauer  des  18.  Jahrhunderts,  geboren  1727  zu  Dresden,  er- 
lernte die  Fabrikation  bei  Pörschmann  in  Leipzig.  Nach  Dresden  1753  zurück- 
gekehrt, begründete  er  sein  eigenes  Geschäft,  das  immer  mehr  in  Aufschwung 
kam;  namentlich  waren  seine  Claiünetten,  Oboen  und  Fagotte,  die  sich  durch 
Ton  und  Ansprache  vor  allen  anderen  damaliger  Zeit  auszeichneten,  bis  nach 
Polen  und  Russland  hin  stark  begehrte  und  theuer  bezahlte  Artikel,  G,  selbst 
starb  am  1.  Octbr.  1800,  und  seine  Fabrik  übernahm  sein  Schüler  und  Gehülfe 
Joh.  Friedr.  Floth. 

Grunduote,  die  tiefste  Note  eines  Accords  oder  einer  Tonart,  ist  gleich- 
bedeutend mit  Grundton. 

Grnndstammaocord,   pleonastische  Bezeichnung  für    Grundaccord  (s.  d.). 

Grnudstiiumeu  nennt  man  in  der  Orgelbaukunst  die  einfachen  Stim- 
men (s.  d.),  welche  in  dem  Manual  oder  Pedal  derselben  für  gewöhnlich  ah 
die  tiefsten,  den  Grund  und  Boden  bildenden,  erachtet  werden,  also  im  Haupt- 
manuale die  2,5-,  im  Oberwerk  die  1,25-  und  im  Pedal  die  5  metrigen.  Dies 
hat  seine  Ursache  darin,  dass  man  das  Tonreich  der  Orgel,  um  es  leichter  in 
rationeller  "Weise  vei'werthen  zu  können,  in  der  Art  eingetheilt  hat,  dass  die 
tiefsten  Klänge  desselben  dem  Pedal,  die  höchsten  dem  Oberwerk  und  die 
mittleren  dem  Hauptwerk  einverleibt  wurden,  was  eben  zur  Annahme  von  G. 
in  jedem  der  genannten  Orgeltlieile  führte,  da  ausser  diesen  Stimmen  höhere 
zu  denselben  nach  Ermessen  als  selbstverständlich  zugehörig  angenommen  wur- 
den. "Wenn  nun  in  der  Neuzeit  andere  Rücksichten  auch  oft  zur  Ueberschrei- 
tung  dieser  Hauptregel  führten,  so  beweisen  doch  alle  Orgeldispositionen,  dass 
nicht  die  Uebei'schreitungen  zur  Regel  wurden,  sondern  nur  zu  einer  Modi- 
fication  derselben  führten;  man  findet  nämlich  stets  oben  angegebene  Stimmen 
in  den  daneben  verzeichneten  Orgeltheilen  vorherrschend,  und  nennt  deshalb 
auch  diese  die  G.  der  Orgel.  In  älteren  Wei-ken  finden  sich  noch  andere  Auf- 
fassungen verzeichnet.  So  sagt  J.  S.  Hallen  in  seiner  »Kunst  des  Orgelbaues« 
(1789):  »Alle  Octavstiramen  nennt  man  G.  der  Orgel«,  fährt  aber  fort:  »In- 
dessen nimmt  man  ein  2,5  metriges  "Werk  zum  Grunde  oder  eigentlichen  Ton 
einer  Orgel  an.  Es  accordirt  mit  der  natürlichen  Menschenstimme  und  fast 
mit  allen  Instrumenten,  mit  dem  Flügel,  Violoncell,  mit  der  Bassgeige,  Posaune, 
Hautbois  und  der  Flöte.     Alle  übrigen   Orgelstimmen    hat    man    sich    blos  zur 


Grund  ton.  —  Grüner.  425 

Unterstützung  des  2,5  Metertons,  und  zur  Naclialimung  aller  mvxsikalischen  In- 
strumente, zu  einem  Ganzen  ausgedacht.  Diese  vier  Hauptstimmen,  nämlich 
die  10-,  5-,  2,5-  und  1,25  metrige,  gehen  einer  ganzen  Orgel  ihren  Namen,  und 
man  sagt  von  einer  Orgel:  es  ist  "ein  10-,  5-,  2,5-  oder  l,25metriges  Werk. 
Diese  Stimmen  kommen  vorn  in  der  Orgel,  wenn  man  dazu  Platz  hat  und  die 
Kosten  aufbringen  kann,  zu  sehen.«  Dieser  Auflfassung  ähnlich  ist  die  Gr.  C. 
Fr.  Schlimbach's  in  seiner  Schrift  »TJeher  die  Orgel«  (1801),  die  folgender- 
massen  lautet:  »G.  nennt  man  solche  Orgelstimmen,  die  jedesmal  den  Ton  an- 
geben, den  der  angeschlagene  Clavis  besagt,  ohne  Rücksicht  auf  Tongrösse. 
So  ist  z.  B.  Octave  1,25  Meter  gross  eine  G.,  indem  sie,  wenn  man  den  Clavis 
c  anschlägt,  richtig  den  Ton  e  hören  lässt,  er  sei  nun  2,5-,  1,25-  oder  0,625- 
metrig.  "Wollte  man  in  Rücksicht  der  Tongrösse  eine  solche  Stimme  bestimmter 
charakterisiren,  so  könnte  man  Octav  2,5  Meter  eine  Mittelgrundstimme,  Octav 
0,625  Meter  eine  überkleine  G.  nennen.  Zu  den  G.  gehören  also  alle  Octav- 
stimmen;  ausgenommen  sind  Quinte,  Terz  etc.«  —  Grundstimme  oder  Basis 
nennt  man  in  theoretischer  Beziehung  die  Bassstimme  eines  Tonstückes.  S. 
Bass.  0 

Onmdton  (französ.:  tonique)  hat  eine  verschiedene  Bedeutung,  je  nachdem 
der  Ausdruck  mit  Accorden,  mit  Tonarten  oder  mit  einem  bestimmten 
Tonstück  in  Verbindung  gebracht  wird.  1)  Der  Grundton  eines  Accordes 
ist  derjenige  Ton ,  auf  welchem  der  terzenweise  Aufbau  des  Accordes  sich  er- 
hebt, zu  dem  also  die  übrigen  Intervalle  des  Dreiklanges  im  Verhältnisse  von 
Terz  und  Quinte,  die  des  Septimenaccordes  von  Terz,  Quinte  und  Septime  er- 
scheinen, wie  z.  B.  e  in  den  Accorden  c  e  g  und  c  e  g  h.  Von  den  Umkeh- 
rungen der  Accorde  her  ist  bekannt,  dass  der  G.  seinen  Platz "  als  tiefster  Ton 
mit  einem  der  über  ihm  liegenden  Accord -Intervalle  vertauschen  kann,  ohne 
deshalb  sein  Wesen  als  G.  aufzugeben.  —  2)  Der  G.  einer  Tonart  oder  die 
Tonica  heisst  derjenige  Ton,  auf  welchem  ihre  diatonische  Dur-  oder  Moll- 
tonleiter errichtet  wird  und  auf  den  die  ganze  Tonbewegung  innerhalb  der 
Tonart  sich  zurückbezieht;  als  G.  des  harmonischen  Dreiklanges  Ausgangs-  und 
Endpunkt  der  Tonart  auch  im  harmonischen  Sinne.  —  3)  Der  G.  eines  Ton- 
stückes, richtiger  der  Hauptton  (s.  d.)  oder  die  Tonica,  ist  derjenige  Ton, 
dessen  harte  oder  weiche  Tonleiter  die  Hauptgrundlage  desselben  ausmacht, 
also  der  G.  oder  die  Tonica  der  Hauptonart  des  Tonstückes.  Die  Benennung 
Hauptton  oder  Tonica  ist  vorzuziehen,  um  diesen  G.  der  Haupttonart  des  Ton- 
satzes von  den  Grundtönen  der  verschiedenen  Nebentonarten,  in  welche  die 
Modulation  im  Verlaufe  des  Satzes  sich  wendet,  zu  unterscheiden, 

Grundtouart,  s.  Haupttonart. 

(rrund-  oder  Eadicalverhältniss  nennt  man  in  der  Kanonik  (s.  d.)  der 
Musik  jedes  Verhältniss,  dessen  Ausdruck  nicht  durch  kleinere  ganze  Zahlen 
bewerkstelligt  werden  kann.  Demgemäss  nennt  man  die  Verhältnisse  4 :  3  und 
3:2  G.,   während    6:4,  9:6  u.  A."  Irradicalverhältnisse   genannt  werden. 

0 

Grüner,  Johann  August,  vortrefflicher  deutscher  Oboebläser,  geboren 
1730  zu  Altenburg,  war  seit  etwa  1766  königl,  preussischer  Kammermusiker 
und  starb  als  solcher  am  16.  Octbr.  1799  zu  Berlin.  —  Ein  gleichnamiger 
älterer  deutscher  Tonkünstler,  Joseph  G.,  um  1712  zu  Engelsberg  geboren, 
war  Tenorist  im  Chore  der  Jesuitenkirche  zu  Olmütz,  woselbst  auch  1737  ein 
Oratorium  seiner  Composition,  betitelt:  -»Passio  domini  nostri  Jesu  Christi  in 
Golgatha  consummata<i ,  aufgeführt  wurde.  —  Der  bedeutendste  Musiker  dieses 
Namens  ist  Nathanael  Gottfried  G.,  1794  zu  Gera  als  Cantor  und  Musik- 
direktor gestorben.  Er  war,  namentlich  in  Kirchenstücken,  einer  der  belieb- 
testen Componisten  des  18.  Jahrhunderts.  Seine  auf  Cantatenart  und  durch- 
componirten  Choräle  (etwa  15  an  Zahl),  seine  Motetten,  Psalme  und  die 
Passionscantate  »Dein  Zion  streut  dir  Palmen«  galten  als  vorzüglich  in  ihrer 
Art;    gedruckt    davon    ist    nur    wenig.     Von    seinen    Ciaviersachen,    namentlicli 


426  Grupetto  —  G-ScWÜ8sel. 

Concerten  und  Sonaten,  sind  einige  sogar  in  Frankreich  gedruckt  worden, 
andere  erschienen  in  Leipzig.  Nach  seinem  Tode  kamen  noch  mehrei'e  Hefte 
vierstimmiger  Gesänge  bei  Tuch  in  Dessau  heraus. 

Gruppetto,  s.  Groppetto.   —    Onippo,  s.  Groppo. 

Grätsch,  Franz  Seraj^h,  fleissiger  deutscher  Componist,  geboren  am 
24.  Octbr.  1800,  zeichnete  sich  schon  früh  als  Kirchensänger  imd  Violinist 
aus.  Bei  den  Gebrüdern  von  Blumenthal  trieb  er  höhere  Yiolinstudien  und 
Harmonielehre.  Schon  1815  wurde  er  als  Violinist  beim  Orchester  der  ver- 
einigten Bühnen  von  Pressburg  und  Baden  und  1816  beim  Theater  an  der 
Wien  augestellt.  Im  J.  1830  wurde  er  zweiter  Dirigent  im  Hofoperntheater 
und  ein  Jahr  später  auch  Mitglied  der  k.  k.  Kapelle.  Von  seinen  zahlreichen 
gewandt  geschriebenen  Arbeiten  erschienen  im  Druck:  Stücke  für  Gesang,  für 
Ciavier  und  für  Streichinstrumente;  ungedruckt  blieben:  Ouvertüren,  Quartette, 
Trios,  Violinduette,  Concertstücke,  zwei  Opern,  Messen,  geistliche  und  weltliche 
Gesänge  u.  s.  w. 

Grypbius,  Andreas,  eigentlich  Greif,  wie  sich  seine  Vorfahren  auch 
nannten,  hervorragender  lyrischer,  besonders  aber  dramatischer  Dichter,  war  der 
Sohn  eines  Geistlichen  und  zu  Grossglogau  am  2.  Octbr.  1616  geboren.  Seit 
1631  besuchte  er  die  höheren  Schulen  in  Görlitz,  Fi-austadt  und  studirte  in 
Danzig  von  1634  bis  1636  die  Rechte.  Von  1638  an  war  er  neun  Jahre 
lang  auf  Reisen  durch  Holland,  England,  Frankreich  und  Italien.  In  seine 
Heimath  zurückgekehrt,  wurde  er  1647  Landsyndikus  des  Fürstenthums  Glogau, 
trat  1662  in  die  Fruchtbringende  Gesellschaft,  die  ihm  den  Namen  »der  Un- 
ßterblichea  ertheilte,  und  sarb  am  16.  Juli  1664  plötzlich  inmitten  einer  Sitzung 
der  Landstände.  Er  hat  u.  A.  zwei  Singspiele,  »Majuna«  und  »Piastus«,  ge- 
dichtet, ersteres  zur  Feier  des  Westphälischen  Friedens,  letzteres  zu  Ehren  des 
Herzogs  Christian  von  Liegnitz,  in  denen,  entgegengesetzt  den  später  auf- 
gekommenen Operntexten,  das  poetische  Element  noch  kräftig  neben  dem  musi- 
kalischen besteht.  —  Sein  ältester  Sohn,  Christian  G.,  geboren  am  29.  Septbr. 
1649  zu  Fraustadt,  gestorben  am  6.  März  1706  als  Bibliothekar,  Professor  und 
Rector  des  Magdalenengymnasiums  zu  Breslau,  war  ebenfalls  ein  verdienstvoller 
Dichter,  hatte  aber  seine  Hauptstärke  in  der  gründlichen  Kenntniss  der  alt- 
griechischen Sprache.  Nach  Jöcher  hat  er  einen  Traktat,  »Von  den  Meister- 
singern« betitelt,  im  Manuscript  hinterlassen. 

G-Schlüssel  (ital.  cliiave  di  sol)  nennt  man  jedes  im  Anfange  oder  im  Laufe 
der  Aufzeichnung  eines  Tonstückes  im  Notensysteme  vorkommende  Zeichen, 
welches  angiebt,  dass  auf  einer  Linie  desselben,  gewöhnlich  die  zweite  von 
unten,  stets  das  (/^  zu  stellen  ist.    Dem  jetzt  in  dieser  "Weise  angewandten  Zeichen 

1^  giebt  man    überall    eine    gleiche  Form,    deren  Gestaltung    sich  nicht  sofort 

.,' 

durch  sich  selbst  erklärt.     Dasselbe  ist  wahrscheinlich  nichts  anderes,  als  eiiie 

allmälig  aus  dem  Buchstaben  g  des  deutschen  Alphabet's  sich  entwikelt  habende 

Arabeske.     G.  Weber  giebt  in  seiner  allgemeinen  Musiklehre  die  Entwickelung 

in  folgender  Art: 


ft 


0      Ä      i 


0 


^ 


Jetzt  erklärt  man  die  Arabeske  gewöhnlich  in  der  Weise,  dass  der  um  die 
zweite  Systemlinie  kreisende  Zug  der  noth wendige,  die  Linie  hervorhebensol- 
lende Theil  des  G-Schl.  ist,  während  alle  anderen  Züge  nur  Verzierungen 
desselben  sind.  Dieser  Schlüssel  wurde  nach  Erfindung  der  C-Schlüssel  (s.  d.) 
in  Gebrauch  genommen,  um  die  höhereu  durch  Instrumente  zu  gebenden  Töne, 
in  damaliger  Zeit  die  der  Violinen,  in  ähnlicher  Weise,  wie  man  die  Stimmen 


G-8ol-re-ut.  427 

notirte,  d.  h.  innerhalb  des  Systems,  aufzeichnen  zu  können.  Diesem  ersten 
Brauche  entsprechend  erhielt  dieser  Schlüssel  auch  den  Namen  Violin- 
schlüssel und  wurde  in  Frankreich  auf  die  erste,  wie  auch  auf  die  zweite 
Linie  gesetzt;  dieser  Name  ist  jetzt  fast  der  vorherrschende.  Ersterer  Brauch 
blieb  nur  local,  und  man  nannte  deshalb  auch  den  G-Schl.  auf  der  ersten  Linie 
den  französischen  Yiolin-  oder  G-Schl.  In  neuerer  Zeit  ist  derselbe  ganz 
ausser  Gebrauch  gekommen,  und  man  kennt  überall  nur  den  Violin-  oder  G-Schl. 
als  auf  der  zweiten  Linie  des  Systems  stehend.  Dieser  G-Schl.  hat  sich  bisher 
der  ausgedehntesten  Verbreitung  vor  allen  anderen  Schlüsseln  in  der  musi- 
kalischen Notirungskunst  zu  erfreuen  gehabt,  die  erst  in  neuester  Zeit  wieder 
etwas  beschränkt  worden  ist.  Zuvörderst  notirte  man  alle  Tongänge  für  Ton- 
werkzeuge, die  die  in  und  über  dem  Bereich  der  Frauenstimmen  liegenden 
Klänge  vertreten,  in  demselben.  Zu  hochgelegene  Töne,  deren  Aufzeichnung 
in  diesem  Schlüssel  auch  noch  zu  viel  Nebenlinien  erfordern  würden,  wie  z.  B. 
die  Klänge  der  Piccoloflöte  (s.  d.),  zeichnete  mau  sogar  um  eine  Octave 
tiefer,  und  andere,  deren  Tonreich  eigentlich  eine  Octave  tiefer  zu  notiren  wäre, 
wie  die  der  Guitarre  (s.  d.),  des  Tenors  (s.  d.),  des  Hornes  (s.  d.)  u.  A. 
eine  Octave  höher,  indem  man  es  nicht  für  nothwendig  hielt,  sich  die  eigentliche 
Tonhöhe  klar  zu  machen,  sondern  das  Tonreich  des  eben  zu  behandelnden 
Instrumentes  ins  Auge  fasste.  Hierdurch  wurde  Jedem  das  Lesen  der  im 
G-Schl.  notirten  Klänge  viel  geläufiger,  als  der  in  anderen  Schlüsseln  ver- 
zeichneten, und  man  notirte,  um  eine  leichtere  Darstellung  zu  ermöglichen,  in 
einfachster  "Weise  —  C-dur  —  auch  Tongänge  für  Instrumente,  deren  Grundton 
nicht  c  war,  wie  z.  B.  für  Clarinette  (s.  d.),  Hörner  (s.  d.),  Trompeten 
(s.  d.)  etc.,  über  welche  Notirungsart  die  Specialartikel  genauere  Auskunft  er- 
theilen.  Ja,  man  ging  endlich  so  weit,  dass  man  alle  Klänge  im  G-Schl.  aul- 
zuzeichnen  für  vorth eilhaft  hielt,  indem  man  die  Anwendung  von  nur  einem 
Schlüssel  in  der  Kunst  für  ausreichend  und  vortheilhaft  erachtete.  Man  findet, 
dieser  Annahme  entsprechend,  manche  Werke  von  Eomberg  und  dessen  Zeit- 
genossen in  dieser  "Weise  gedruckt.  Allgemeiner  jedoch  hat  jetzt  die  Anschau- 
ung wieder  Platz  gegriffen,  die  Aufzeichnung  der  Klänge  je  nach  ihrer  wirk- 
lichen Höhe  so  viel  als  möglich  sich  zur  Aufgabe  zu  machen,  und  ist  dadurch 
die  Anwendung  des  G-Schl.  vielfach  mehr  eingeschränkt  worden,  was,  wie  in 
dem  Artikel  Schlüssel  (s.  d.)  gezeigt,  durchaus  empfehlenswerther  ist,  als 
dilettantischen  Gelüsten  nach  Vereinfachung  nachzukommen,  durch  welche  nur 
zu  leicht  einer  zunehmenden  Unklarheit  der  Tonverhältnisse  im  Tondenken 
Vorschub  geleistet  wird.  2. 

G-sol-re-ut  (ital.)  ist  der  aus  der  Guidonischen  Solmisation  stammende 
Sylbenname  des  kleinen  sowohl  als  des  eingestrichenen  g,  indem,  wegen  der 
sogenannten  Mutation  (s.  d.)  der  Sylben  ut,  re,  mi,  fa,  sol,  la,  auf  den  Tönen 
g  und  g^  entweder  sol,  re  oder  ut  gesungen  werden  musste,  je  nachdem  sie 
einem  natürlichen  weichen  oder  hartfen  Hexachorde  angehörten.  Kamen  g  oder 
g^  im  II.  oder  V.  Sexach.  naturali,  dessen  Grundton  der  Ton  c  ist,  in  An- 
wendung, so  wurden  sie  mit  sol  benannt,  also :  c    d    e   f   g    a.     Bewegte  sich 

ut  re  mifa  sol  la. 
dagegen  der  Gesang  im  III.  oder  VI.  Sexach.  mollari,  in  welchem  die  5- Saite 
erforderlich  wurde,  so  fiel  auf  g  die  Silbe  re,  weil  es  in  diesem  Falle  die  zweite 
Stufe  des  auf  f  begründeten  Hexachordes  war,  auf  welche  re  gesungen  werden 
musste:    f    g    a    h    c    d.     "War    endlich    der  Cantus  durus    des   IV.  und  VII. 

ut  re  mifa  sol  la. 
Hexachordes,    welche    den  Ton  g  selbst  zum   Grundton  hatten,    herrschend,    so 
fiel  auf  ihn,  wie  stets  auf  die  erste   Stufe    eines  jeden  Hexachordes,   die   Sylbe 
ut,  also  g    a    h    c    d    e.     Indem  in  den  Namen  eines  jeden  Tones  alle  Sylben, 

tlt  re  mi  fa  sol  la. 
welche  er  in  der  Mutation    erhielt,    zusammengezogen  wurden,    entstand    für  g 
die  Benennung  G-sol-re-ut,    womit    auch    zugleich    der    G-Schlüssel    bezeichnet 


428  Guadagni  —  Guami. 

wurde,  indem  Gr  auch  Clavis  signata  oder  Schlüsselton  ist.  S.  Solraisation. 
—  In  der  neueren  Solmisation  der  Italiener  und  Franzosen  wird,  uaclidem 
man  durch  Hinzufügung  der  siebenten  Sylbe  si  die  Mutation  überflüssig  ge- 
macht hat,  der  Ton  g  stets  nur  sol  genannt. 

Ouadagiii,  Gaetano,  einer  der  berühmtesten  Castratensünger  des  18.  Jahr- 
hunderts, geboren  zu  Lodi  um  1725.  Als  Contr'altist  (Hautcontre)  erschien 
er  zuerst  1747  auf  der  Opernbühne  zu  Parma,  Hess  sich  1754  vor  dem  fran- 
zösischen Hofe  und  im  Concert  spirituel  zu  Paris  überaus  erfolgreich  hören  und 
sang  dann  wieder  in  Italien,  u.  A.  auch  den  Telemacco,  welche  Parthie  Gluck 
eigens  für  ihn  geschiüeben  hatte.  Gluck  war  es  auch,  der  G.'s  Engagement 
für  Wien  veranlasste  und  ihm  dort  1766  den  Orpheus  in  seiner  gleichnamigen 
Oper  anvertraute.  Ein  Jahr  später  entzückte  G.  bis  1770  London,  beson- 
ders in  Bertoni's  »Orfeo«,  in  den  er,  wie  es  scheint,  die  Gluck'sche  Tartarus- 
sccne  einlegte,  die  Engländer.  Hierauf  war  er  wieder  in  Italien  und  erregte 
in  Venedig  solchen  Enthusiasmus,  dass  man  ihn  zum  Ritter  von  San  Marco 
erhob.  Von  Verona  aus  ging  er  1771  mit  der  verwittweten  Kurfürstin  Marie 
Antonie  von  Sachsen  an  den  Hof  von  München  und  wurde  dort  der  bevorzugte 
Sänger  des  Kurfürsten  Maximilian  Joseph.  Im  J.  1776  noch  Hess  er  sich  vor 
König  Friedrich  II.  hören  und  schied  reich  beschenkt  von  Potsdam.  Er  kehrte 
nach  Italien  zurück  und  wurde  an  der  Kirche  San  Antonio  in  Padua  als 
Sänger  angestellt.  Dort  starb  er  1797  in  glänzenden  Verhältnissen  und  hoch- 
geehrt als  Künstler  sowohl  wie  als  freigebiger,  wohlthätiger  Mensch.  Sein 
Vortrag  des  Recitatives  sowie  der  pathetischen  und  rührenden  Stellen  soll  un- 
vergleichlich schön  gewesen  sein. 

Guadagnini,  Lorenzo,  geschickter  italienischer  Geigenbauer,  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  zu  Piacenza  geboren,  war  ein  Schüler  des  Stradivari  zu  Cre- 
mona  und  wirkte  in  seiner  Vaterstadt,  später  in  Mailand.  Von  den  Arbeiten 
seines  Lehrers  unterschieden  sich  die  seinigen  unvortheilhaft  durch  die  meist 
dumpf  klingende  dritte  Saite.  —  Sein  Sohn  und  Schüler,  Giovanni  Bat- 
tista  G.,  gleichfalls  in  Piacenza  geboren,  hielt  den  Ruf  seines  Namens  aufrecht 
und  vererbte  ihn  auf  seine  Nachkommen.  Derselbe  starb  um  1785  zu  Turin. 
Noch  gegenwärtig  existiren  Glieder  dieser  Familie  als  Instrumentenmacher  und 
zwar  in  Neapel. 

Guadet,  J.,  französischer  Gelehrter  und  musikalischer  Schriftsteller,  gegen 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  zu  Bordeaux  geboren,  ist  der  Verfasser  des  be- 
merkenswerthen  "Werkes  i>Les  aveugles  musiciensa  (Paris,  1846). 

Gaaitoli,  Francesco  Maria,  italienischer  Tonsetzer  von  Ruf,  geboren 
1563  zu  Carpi  und  gestorben  am  3.  Jan.  1628  ebendaselbst  als  Kapellmeister 
an  der  Kathedralkirche  (seit  1593)  und  der  Bruderschaft  St.  Rochus  (seit  1602), 
hat  in  der  Zeit  von  1600  bis  1618  mehrere  Sammlungen  von  gut  gearbeiteten 
Kirchengesängen,  Madrigalen  und  Canzonetten  zu  Venedig  veröffentlicht. 

Gualtieri,  Antonio,  italienischer  Madrigalencomponist,  war  zu  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  Kapellmeister  zu  Monsilice,  unweit  Padua,  und  gab  1613 
fünfstimmige  Madrigale  zu  Venedig  heraus.  t 

Guami,  Giuseppe,  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  Dom- 
organist zu  Liicca,  war  zugleich  ein  berühmter  Violinist  und  Tonsetzer.  Von 
seinen  "Werken  kennt  man:  y>Sacrae  cantiones  vel  motetti  5 — 10  voc.a  (Venedig, 
1585),  y>GanzoneUe  francese  a  4,  5  <?  8  voci,  con  un  madrigale  passeggiafo«  (Ant- 
werpen, 1613)  und  y>Madrigali  a  5  vocU  (Venedig,  1565),  die  sämmtlich  in  der 
Münchener  königl.  Bibliothek  sich  befinden  sollen.  In  der  Sammlung  r>Ghir- 
landa  de'madrigali  a  sei  voci  di  diversi  eccelentissimi  autori  de^  nostri  tempin 
(Antwerpen,  1601)  sind  ebenfalls  einige  Stücke  von  G.  enthalten.  —  Sein 
Bruder,  Francesco  G.,  zu  Lucca  geboren,  war  gegen  Ende  des  16.  Jahrhun- 
derts Kapellmeister  an  der  Kirche  San  Marcellino,  von  1588  bis  etwa  1591 
auch  zweiter  Organist  an  San  Marco  zu  Venedig  und  hat  1592  und  1593  eben- 
falls Motetten  seiner  Composition  veröffentlicht.  t 


Guarache  —  Guarneri.  429 

Gruarache  lieisst  einer  jener  spanischen  Nationaltänze,  die  unverkennbar 
der  maurischen  Empfindungsweise  entsprossen  sind,  indem  der  Charakter  der- 
selben, anmuthigste  Fröhlichkeit  gemischt  mit  pikanter  spanischer  Coquetterie 
und  Grandezza,  der  Keckheit  und  kühnen  Leidenschaft  sich  ergiebt.  Unsere 
Oper,  der  Stapelplatz  des  Imposanten  aller  Erdvölker,  hat  auch  die  G.  in  den 
Kreis  ihres  Materials  gezogen,  und  viele  Componisten  haben  sich  in  Nachbildung 
derselben  versucht.  Die  G.  besteht  aus  einem  zweitheiligen  Hauptabschnitt 
und  einem  Trio.  Der  erste  Theil  des  Hauptabschnittes  wird  im  '/s-Takt  notirt 
(nur  Auber  hat  in  seiner  »Stumme  von  Portici«  eine  G.  im  ^/s-Takt  geschrieben) 
und  steht  in  der  Tonika.  Der  zweite  Theil  weicht  anfangs  nach  der  Domi- 
nante aus  und  wiederholt  dann  correkt  den  ersten  Theil.  Das  Trio,  gewöhnlich 
in  der  Tonart  der  Subdominante  gesetzt,  steht  im  ^jt-Takt.  Der  Tanz  ist  im 
Hauptabschnitt  in  massiger  Schnelle  auszuführen,  die  sich  im  Trio  etwas  stei- 
gert. Der  Hauptabschnitt,  wieder  in  massiger  Bewegung,  bildet  den  Schluss 
des  Tanzes.  In  Spanien  wird  die  G.  stets  von  einer  Person  getanzt,  welche 
die  dazu  gehörige  Musik  selbst  auf  einer  Guitarre  ausführt.  Zuerst  sind  die 
Bewegungen  des  Tänzers  massig,  steigern  sich  jedoch  immer  mehr  während 
des  Tanzes.  Wenn  die  G.  auch  nicht  so  verbreitet  ist,  wie  der  Bolero  (s.  d.), 
der  Fandango  (s.  d.),  die  Cachucha  (s.  d.)  und  andere,  so  ist  sie  doch  in 
einem  Theile,    Andalusien,    noch    heute    einer    der  bevorzugten  Lieblingstänze. 

2. 

Guaranita  oder  Guarana  (spanisch),  auch  Garanita  geschrieben,  ist  der 
Name  einer  Abart  der  spanischen  Guitarre  (s.d.),  deren  schrille  Klänge,  von 
der  Handpauke  begleitet,  in  Brasilien  und  Südamerika  die  fast  einzige  Musik 
zu  den  nationalen  Tänzen  liefert.  2. 

(xuardasoni,  Domenico,  intelligenter  italienischer  Sänger  und  Opern- 
direktor, taucht  erst  in  seinen  Mannesjahren  und  zwar  als  Mitglied  der  ita- 
lienischen Oper  in  Dresden  auf.  Um  1790  übernahm  er  die  Direktion  der 
Gesellschaft,  welche  abwechselnd  in  Prag  und  Leipzig  italienische  Opern  auf- 
führte und  brachte  diese  durch  seine  geschickte  und  umsichtige  Führung  zu 
E.uf  und  Bedeutung.  Später  pachtete  er  das  landständische  Theater  in  Prag 
und  führte  dasselbe  bis  zu  seinem  Tode  im  J.  1806.  Im  Mailänder  Indice 
de'' spettacoli  wird  in  der  Zeitperiode  des  letzten  Viertels  des  18.  Jahrhunderts 
ein  Operncomponist  Italiens  gleichen  Namens  aufgeführt,  der  möglicher  Weise 
dieser  G.  ist. 

Guarducci,  Tommaso,  berühmter  italienischer  Sänger,  geboren  zu  Monte- 
fiascone  um  1720,  wurde  in  Bologna  durch  Bernacchi  zu  einem  der  grössten 
Künstler  seines  Faches  herangebildet,  der  in  der  Zeit  von  ungefähr  1745  bis  1770 
auf  allen  grösseren  Opernbühnen  seines  Vaterlandes,  wie  auch  in  London  wahr- 
haft glänzende  Triumphe  feierte.  Im  J.  1771  zog  er  sich  von  der  Oeffent- 
lichkeit  zurück  und  verlebte  den  Abend  seines  Lebens  in  stiller  Häuslichkeit 
theils  zu  Florenz,  theils  zu  Montefiascone.  Sein  Todesjahr  ist  nicht  bekannt 
geworden.  t 

Guaria,  Pierre,  französischer  Gelehrter  und  Pater  der  Congregation  S. 
Mauri  des  Benediktinerordens,  starb  1730  zu  Paris  während  der  Herausgabe 
seiner  -»Grammatica  helraica  et  chaldaicaa  (Paris,  1726),  deren  Vollendung  sein 
Schüler  P.  Nie.  le  Tournois  übernahm.  Im  Tom.  II  Hb.  III  cap.  I,  -ade  ac- 
centibus,  et  de  Hebraeorum  accentuum  modulatione«  liefert  G.  Melodiebeispiele 
der  deutschen,  französischen,  italienischen  und  spanischen  Synagogengesänge, 
wozu  er  die  Notentypen  eigens  hatte  schneiden  und  giessen  lassen.  f 

Guarneri  oder  Guarnerio,  eine  der  classisch- berühmten  italienischen 
Geigenbauer  -  Familien ,  deren  ältestes  Glied  Pietro  Andrea  G.,  geboren  um 
1630  zu  Cremona,  war,  der,  aus  der  Schule  des  Geronimo  Amati  hervorge- 
gangen, wiederum  der  Lehrmeister  Stradivari's  wurde.  Seine  anerkannt  vor- 
züglichen Instrumente  tragen  die  Jahreszahl  von  1662  bis  1680.  —  Sein  Sohn 
und  Schüler,    Pietro  G.,    geboren    um   1670  zu  Cremona,    verlegte    um  1700 


430  Guarnerio  —  Guedron. 

seine  Kunstwerkstätte  nach  Mantua  und  war  bis  zum  J.  1717  thätig.  Seine 
Fabrikate  stehen  übrigens  denen  seines  Vaters  bedeutend  nach.  —  Der  aus- 
gezeichnetste Künstler  seines  Namens  und  Faches  ist  Antonio  Giuseppe  G., 
am  8.  Juni  1683  zu  Cremona  geboren  und  ein  Bruderssohn  des  zuerst  ge- 
nannten Pietro  Andrea.  Er  soll  ein  Schüler  des  Strad^vari  gewesen  sein  und 
lieferte  seine  besten  Instrumente  während  der  Jahre  1725  bis  1745,  in  welchem 
letzteren  Jahre  er  gestorben  ist. 

(iuarnerio,  Guglielmo,  richtiger  wohl  Guarnier,  latiuisirt  Guarne- 
rius,  ein  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  den  Niederlanden  stammender 
Contrapunktist  und  als  solcher  Mitbegründer  der  neapolitanischen  Schule  unter 
Ferdinands  Regierung  in  den  Jahren  1458  bis  1494.  Als  Gafori  1478  in 
Neapel  anlangte,  lehrte  G  bereits  dort  die  Tonkunst  öffentlich,  Nach  Fetis' 
Mittheilungen  sollen  sich  auf  der  Stadtbibliothek  zu  Cambrai  zwei  handschrift- 
liche Hymnen   G.'s  befinden. 

Gnazzi,  Eleuterio,   italienischer  Tonsetzer,   der  in  der  ersten  Hälfte  des 

17.  Jahrhunderts  als  Kapellmeister  in  Diensten  der  Republik  Venedig  stand. 
Von  seinen  Compositionen  erschienen  Arien,  Madrigale  u.  s.  w.  (Venedig, 
1602). 

Quazzoni,  Federigo,  italienischer  dramatischer  und  Kirchencomponist, 
im  Mailändischen  geboren,  vollendete  seine  Musikstudien  in  Neapel  und  fungirte 
zuerst  als  Kapellmeister  in  mehreren  kleinen  Städten  Italiens,  bis  er  1770 
eine  eben  solche  Stelle  in  Rom  ei'hielt,  wo  er  1787  starb.  Seine  Opern  sind 
gänzlich  verschollen;  Kirchenstücke  von  ihm  waren  bis  nach  Wien  gedrungen. 
Man  bezeichnete  den  Styl  derselben  als  einen  leichten,  aber  reinen. 

Guck  oder  Gucky,  Valentin,  deutscher  Componist,  aus  Kassel  gebürtig, 
war  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  als  Kapellmeister  daselbst  und  durch 
Composition  und  Herausgabe  mehrerer  Werke  bekannt.  Erhalten  geblieben 
von  den  letzteren  sind:  -uTricinia,  dreistimmige  weltliche  Lieder  beydes  zu 
singen  vnd  auff  Instrumenten  zu  spielen«  (Kassel,  1603)  und  r>Opus  musicum, 
continens  textus  metricos  sacros  festorum  Dominicalium  et  feriarum,  8,  6  e^  5 
vocihus  inceptumii  (Kassel,  1605).  t 

Guddok,  Gudok  oder  Guduk,  ein  bei  dem  Landvolk  in  Ruasland  sehr 
beliebtes  Streichinstrument.  Dasselbe  gleicht  unserer  Violine,  ist  jedoch  roher 
geformt  und  wird  mit  einem  unseren  Bassbögen  ähnlichen  geschweiften  Bogen 
behandelt.  Der  Bezug  des  G.  besteht  aus  drei  Darmsaiten,  die  in  Quinten 
gestimmt  sind  und,  auf  einem  geraden  Sattel  und  Stege  ruhend,  über  ein 
planes  Griffbrett  hinweggehen.  Die  Einrichtung  ist  deshalb  so  getroffen,  damit 
man,  wenn  man  auf  der  höchstgestimmten  Saite  die  Melodie  spielt,  die  anderen 
Saiten  gleichzeitig  anstreichen  kann,  wodurch  der  Melodie  stets  ein  Bor  dun 
(ö.  d.)  zugefügt  wird.  Natüi'lich  wählen  die  Spieler  meist  solche  Tongänge, 
zu  denen  die  Quinte  harmonirt.  Selten  kommt  es  vor,  dass  die  Melodien  in 
Tonarten  ausweichen,  zu  denen  die  offenen  Saiten  disharmonisch.  In  solchen 
Fällen  greift  der  Spieler  (Gudoschnik  genannt)  mit  dem  Daumen  der  linken 
Hand  über  die  Bordunsaiten  und  schafft  dadurch  eine  andere  zu  der  Ab- 
weichung harmonirende  Quinte.  Die  Leistungen  dieses  Tonwerkzeuges  sind 
somit  nicht  derartig,  dass  sie  im  ausgebildeten  abendländischen  Tonleben  sich 
einer  Pflege  erfreuen  dürften,  sondern  entsprechen  eher  einer  Culturstufe ,  in 
der  das  AVachwerden  des  Gefühls  für  Harmonie  mit  der  allgemeinen  Andeutung 
einer  solchen  sich  begnügt.  2. 

Gue,  Philippe  du,  französischer  Tonkünstler  und  Musiklehrer,  der  ubi 
1750  zu  Paris  lebte.  Er  hat  mehrere  Cantatillen  und  andere  Gesänge,  sowie 
Stücke  für  Musette  herausgegeben. 

Gn^dou    des    Fresles,    französischer    Tonkünstler,     war     im    Anfange    des 

18.  Jahrhunderts  königl.  Kammermusiker  zu  Paris  und  hat  nach  Boivius'  Catal. 
1729  p.  11   ein  Buch  Cautaten  seiner  Composition  veröffentlicht. 

Guedron,  Pierre,  französischer  Componist,    geboren   1565  zu  Paris,   war 


ö 


Gueinz  —  Günther.  431 

Anfangs  des  17.  Jahrhunderts  als  Musikmeister  des  Königs  Ludwig  XIII.  an- 
gestellt, für  dessen  Hoffestlichkeiten  er  in  Gemeinschaft  mit  Bataille,  Mauduit 
und  Bochet  mehrere  Ballets  schrieb.  Bedeutender  aber  war  er  als  Componist 
vieler  ein-  und  mehrstimmiger  Gesänge  (sogenannter  Airs  de  cour),  die  etwa  von 
1605  bis  1630  in  ganz  Frankreich  hoch  geschätzt  waren  und  von  denen  Edward 
Filmer  eine  Auswahl,  ins  Englische  übersetzt  (London,  1629),  hei-ausgab. 

Gueinz,  Christian,  deutscher  Gelehrter  und  Musikliterat,  geboren  1592 
zu  Kola  in  der  Lausitz  und  gestorben  am  3.  April  1650  als  Magister  und 
Rektor  am  Gymnasium  zu  Halle,  hat  u.  A.  eine  Disputation:  »De  musica 
puhlica«.    (Halle,    1634)    und    i>Frohlemata   de    musica^    (Halle,    1635)    verfasst 

t 

Gneit,  Marius,  guter  französischer  Orgelspieler  und  Componist,  geboren 
um  1810  zu  Paris,  kam,  da  er  schon  früh  erblindet  war,  ins  Pariser  Blinden- 
institut,  woselbst  er  von  Mad.  Vanderbuch  im  Ciavierspiel,  von  Benazet  auf 
dem  Violoncello  und  später  auch  von  den  Organisten  Lasceux  und  Morrigues 
unterrichtet  wurde.  Gründlich  ausgebildet,  wurde  er  1831  Organist  an  der 
Kirche  St.  Paterne  zu  Orleans,  bis  er  1841  in  gleicher  Eigenschaft  an  die 
Kirche  St.  Denis  au  Marais  zu  Paris  berufen  wurde.  Er  hat  sich  durch  Orgel- 
und  Yocalcompositionen,  besonders  Motetten,  in  hervorragend  vortheilhafter 
Art  bekannt  gemacht,  ist  der  Verfasser  einer  Schule  für  Orgue  expressif  und 
galt  für  einen  vorzüglichen  Improvisator. 

Gueiiee,  Lucas,  trefflicher  Violinist  und  Orchesterchef,  geboren  am  19. 
Aug.  1781  zu  Cadix,  trat  im  J.  V.  der  französischen  Republik  in  das  neu 
errichtete  Conservatorium  zu  Paris,  wo  Gavinies,  dann  Rode  seine  Lehrer  im 
Violinspiel  waren.  Mit  dem  ersten  Preise  gekrönt,  kam  er  als  Violinist  in  das 
Orchester  des  Theaters  der  rue  Louvois  und  1809  in  das  der  Grossen  Oper, 
nachdem  er  noch  bei  Mazas  Unterricht  genommen  und  die  Composition,  zuletzt 
bei  Reicha,  eingehend  studirt  hatte.  Als  Pensionair  der  Grossen  Oper  trat  er 
1834  als  Orchesterchef  in  das  Theater  des  Palais  royal  und  starb  im  J.  1847 
zu  Paris.  Er  hat  Streichquartette  und  Trios,  Violinduette,  Concerte,  Capricen 
u.  s.  w.,  sowie  die  komischen  Opern  »ia  ehambre  ä  couchern,  TuLa  eomtesse  de 
Troun«  und  »  Une  visite  ä  la  campagnevi  compohirt. 

Guenin,  Marie  Alexandre,  französischer  Violinvirtuose  und  geschickter 
Instrumentalcomponist,  geboren  am  20.  Febr.  1740  zu  Maubeuge,  erhielt  schon 
früh  Violinunterricht,  zuletzt,  seit  1760,  in  Paris  bei  Capron,  woselbst  er 
gleichzeitig  bei  Gossec  Composition  studirte.  Im  J.  1765  trat  er  im  Concert 
spirituel  mit  einem  Concert  eigener  Composition  unter  grossem  Beifall  auf, 
wurde  erster  Violinist  im  Orchester  der  Grossen  Oper,  alsdann  auch  der  königl. 
Kapelle,  1777  Musikintendant  des  Prinzen  von  Conde  und  1780  Soloviolinist 
der  Oper,  welche  letztere  Stelle  1800  Kreutzer  übernahm.  Im  J.  1810  pen- 
sionirt,  fungirte  G.  noch  als  Kammervirtuose  des  in  Frankreich  lebenden  Königs 
Karl  IV.  von  Spanien,  kehrte  1814  nach  Paris  zurück  und  starb  daselbst  um 
1819  in  dürftigen  Umständen.  Mit  14  seit  1770  geschriebenen  Sinfonien  hat 
sich  G.  in  Frankreich  einen  ausgebreiteten  Ruf  erworben;  sehr  geschätzt  waren 
gleichzeitig  Violintrios  und  Duette,  Concerte  für  Violine  und  ein  Violaconcert, 
Ciaviertrios,  Sonaten  für  Ciavier  und  Violoncello,  Violoncelloduette  u.  s.  w. 
von  ihm.  —  Sein  Sohn,  Hilaire  Nicolas  G.,  geboren  am  4.  Juli  1773  zu 
Paris,  studirte  bei  Langle,  Guichard  und  Piccini  Gesang,  bei  Gobert  Ciavier- 
spiel und  bei  Gossec  Composition,  worauf  er  vierzig  Jahre  lang  als  angesehener 
Gesang-  und  Clavierlehrer  in  Paris  wirkte.  Nur  Ciavierstücke  von  ihm  sind 
im  Druck  erschienen.  —  Von  einer  Componistin  Namens  G.,  die  zu  Amiens 
lebte,  weiss  man,  dass  sie  1755,  im  16,  Lebensjahre,  eine  Oper  tiDaplinis  et 
Amaltheea  in  Musik  gesetzt  hat,  die  daselbst  unter  grossem  Beifall  aufgeführt 
wurde. 

Güulher,  in   den  achtziger  Jahren    des   vorigen  Jahrhunderts   Organist  an 


432  Günther  —  Guerrero. 

der  neustädter  Kirche  zu  .Dresden  und  1789  an  der  Kreuzkirche  ebenda,   soll 
einer  der  bedeutendsten   Orgelspieler  seiner  Zeit  gewesen   sein.  f 

Günther,  F.  A.,  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  Organist  und  Pianist 
zu  Sondershauseu,  ist  der  Verfasser  einer  daselbst  erschienenen  »Theorie  des 
ClavierspielsM. 

Günther,  Friedrich,  namhafter  deutscher  Sänger,  aus  dem  Hohenstein- 
schen  gebürtig,  wirkte  seit  1768  als  Bassist  am  Theater.  Die  Zeit  von  1770 
bis  1780  war  die  seines  Glanzes,  in  der  er  zu  Gotha  und  "Weimar  engagirt 
war.  Im  J.  1790  entsagte  er  der  Bühne,  ging  nach  Basel  und  verbrachte 
seine  letzten  Jahre  daselbst  in  Zurückgezogenheit.  f 

Günther,  Carl  Friedrich,  erster  Hautboist  im  sächsischen  Infanterie- 
Regiment  von  Zanthier  ums  Jahr  1788,  gab  um  diese  Zeit  drei  Sammlungen 
Märsche  und  1798  ein  militärisches  Quodlibet  für  Ciavier  in  Dresden  und 
Leipzig  heraus.  Ausserdem  sollen  noch  einige  kleinere  Stücke  von  ihm  er- 
schienen sein.  f 

Günther,  Konrad,  imJ.  1617  Vicekapellmcister  in  Weimar,  starb  daselbst 
als  wirklicher  Kapellmeister  1638.  Seine  Wirksamkeit  im  Berufe  muss  eine 
hervorragende  gewesen  sein,  trotzdem  nichts  Besonderes  darüber  sich  bis  zur 
Gegenwart  erhalten  hat,  denn  am  achten  Sonntag  nach  Triuitatis  hielt  der 
damalige  Generalsuperintendent  Johann  Kromayer  ihm  zu.  Ehren  eine  solenne 
Leichenpredigt.  f 

Günzer,  Marx,  geschickter  deutscher  Orgelbauer  zu  Augsburg,  der  nach 
Stetten's  Kunstgeschichte  S.  159  im  J.  1611  in  der  dortigen  Barfüsserkirche 
und  1613  in  der  heiligen  Kreuz-Kirche  daselbst  die  Orgeln  baute.  f 

Guerillot,  Henri,  guter  französischer  Violinvirtuose,  geboren  1749  zu 
Bordeaux,  war  um  1786  Violinist  und  Solospieler  im  Concert  spirituel  zu  Paris 
und  starb  1805  als  erster  Violinist  des  Opernorchesters  daselbst.  Durch  Com- 
position  von  Violinconcerten  und  Violinduetten,  die  1782  zu  Lyon,  später  zu 
Paris  gedruckt  erschienen,  war  er  auch  als  Tonsetzer  nicht  unrühmlich  be- 
kannt, f 

Gueriu,  E.,  französischer  Ingenieur,  erfand  zu  Paris  im  J.  1844  den  so- 
genannten Pianographe,  eine  Maschine,  welche  die  auf  dem  Pianoforte  gespielten 
Stücke  gleichzeitig  zu  Papier  bringt.  Diese  Erfindung  erregte  zwar  einiges 
Aufsehen,  hat  aber  keine  Verbreitung  gefunden. 

Gueriu,  Emanuel,  genannt  G.  aine,  französischer  Violoncellist  und  Com- 
ponist  für  sein  Instrument,  geboren  1779  zu  Versailles,  trat  1796  ins  Pai-iser 
Conservatorium  und  war  daselbst  Levasseur's  Schüler.  Mit  dem  ersten  Preise 
für  Violoncellospiel  gekrönt,  erhielt  er  1799  im  Orchester  des  Theaters 
Feydeau  Anstellung  und  wurde  1824  als  Violoncellist  der  Komischen  Oper 
pensionirt.  Von  seinen  Compositionen  sind  Duette,  Sonaten  und  Variationen 
für  Violoncello  im  Druck  erschienen. 

Gneriui,  Francesco,  italienischer  Violinvirtuose  aus  Neapel,  stand  von 
etwa  1740  bis  1760  als  Kammermusiker  in  Diensten  des  Prinzen  von  Oranien 
und  lebte  nach  dieser  Zeit  in  London.  Von  seinen  Compositionen  sind  in 
Amsterdam  zehn  "Werke  im  Druck  erscliienen,  welche  in  Violinsolos,  Trios, 
Duos  und  sechs  Violoncellsolos  mit  Generalbass  bestehen.  f 

Gueroult,  französischer  Musiker  und  Componist,  besonders  von  Cantaten 
u.  s.  w. ,  lebte  um  1750  zu  Paris.  —  In  neuerer  Zeit  hat  sich  ebendaselbst 
ein  Publicist,  Adolphe  G. ,  geboren  1810  zu  Radepont  im  Departement  de 
l'Eure,  ü.  A.  auch  durch  musikalische  Aufsätze,  hervorgethan. 

Guerre,  Elisabeth  de  la,  s.  Laguerre. 

Guerrero,  Francisco,  berühmter  spanischer  Contrapuuktist  aus  Sevilla, 
woselbst  er  auch  als  Kapellmeister,  über  72  Jahre  alt,  im  letzten  Viertel  des 
16.  Jahrhunderts  gestorben  ist.  Noch  heute  zeugen  für  seine  tiefe  Musik- 
kenntniss  einige  Werke,  die  in  den  Archiven  Roms,  welche  Stadt  er  Studien 
hall)er    besucht    hatte,    bewahrt  werden.      Sechs  Messen    von    ihm,    von    denen 


Guerriero  —  Guest.  433 

Baini  eine,  genannt  »JBeata  matera,  anfülirt,  welche  Sebastian,  König  von  Por- 
tugal, gewidmet  waren,  erschienen  1565  in  Paris.  Ferner  erwähnt  Baini  in 
seiner  Palestrina- Biographie  eines  vierstimmigen  Miserere  G.'s,  das  er  dem 
römischen  SängercoUegium  geschenkt  hatte.  Die  Bibliothek  zu  München  be- 
sitzt ein  r>Magnificat  per  8  musicae  modos  variatuma,  1563  zu  Löwen  gedruckt. 
In  derselben  Stadt  war  1565  auch  noch  ein  vierstimmiges  Magnificat  erschienen, 
das  man  am  häufigsten  von  Gr.'s  Werken  angeführt  findet.  Vgl.  Antonii  Bibl. 
Hisp.  und  Draudii  Bibl.  Class.  p.  1631.  —  Ein  anderer  Tonsetzer  dieses  Na- 
mens, Pietro  Gr.,  ebenfalls  Spanier,  lebte  im  16.  Jahrhundert  meistens  in 
Italien  und    trug    dort,    wie  es   heisst,    viel    zur  Verbesserung    der  Kunst  bei. 

t 

Guerriero  (ital.),  Vortragsbezeichuung  in  der  Bedeutung  kriegerisch. 

Gurr  lieh,  Joseph  Augustin,  gründlicher  deutscher  Musiker  und  guter 
Dirigent,  geboren  1761  zu  Münsterberg  in  Schlesien,  besuchte  die  von  den 
Jesuiten  geleitete  lateinische  Schule  in  Breslau  und  trieb  dabei  eifrig  Clavier- 
und  Orgelspiel.  Nachdem  er  daselbst  theologische  Collegien  gehört  hatte,  wurde 
er  um  1779  als  Lehrer  der  katholischen  Schule  und  1784  auch  als  Oi'ganist 
bei  der  St.  Hedwigskirche  in  Berlin  angestellt.  Im  J.  1790  trat  er  als  Kam- 
mermusiker und  Contrabassist  in  die  königl.  Kapelle  und  componirte  seitdem 
kleine,  beifallig  aufgenommene  Ballets,  mehrere  italienische  Einlagestücke  u.  s.  w. 
Bei  der  Vereinigung  der  beiden  königl.  Theater  im  Juli  1811  ward  er  neben 
r.  L.  Seidel  zum  königl.  Musikdirektor  an  der  Oper  ernannt,  als  welcher  er 
die  kleineren  Opern  einstudiren  musste.  Im  März  1816  zum  königl.  Kapell- 
meister befördert,  starb  er  schon  am  27.  Juni  1817  zu  Berlin.  Er  war  auch 
als  Lehrer  der  Musiktheorie  sehr  geschätzt  und  zählte  u.  A.  L.  Berger  und 
L.  Hellwig  zu  seinen  Schülern.  Componirt  hat  er  ein  Oratorium  y>L'oiedienza  di 
Gionataa,  ein  De  profundis,  ein  Magnificat,  eine  nicht  zu  Ende  gekommene 
Oper  »AKred  der  Grosse«  und  drei  Singspiele,  vier  Cantaten,  Musik  zu  Schau- 
spielen, 19  zum  Theil  sehr  beliebte  Ballets,  ein-  und  mehrstimmige  Gesänge 
und  Ciavierstücke.  Angenehme,  fliessende  Erfindung  und  harmonisches  Geschick 
waren  ihm  im  hohen  Grade  eigen. 

Guersan,  französischer  Geigenbauer,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  bis  zu  Ende  der  Regierung  Ludwigs  XIII.  zu  Paris  und  ar- 
beitete mit  bedeutendem  Erfolge  nach  dem  Muster  Amati's. 

Guerson,  Guillaume,  geboren  zu  Longueville  bei  Dieppe  in  der  Nor- 
mandie  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  ist  nach  der  Ansicht  der 
Geschichtsforscher  einer  der  ältesten  Contrapunktisten  und  Musikschriftsteller. 
Hawkins  in  seiner  Hist.  of  Music  Vol.  III  p,  239  folgert  aus  der  Schreibart 
und  den  Buchstaben  seines  "Werkes:  nUtilissime  musicales  regule  cunctis  sumopere 
necessarie  plani  catus  siplisis  contrapuncti  rem  factura  tonoru  et  artis  aocen- 
tuandi  tarn  exeplariter  quam  practice« ,  -,  das  bei  Michel  Thouloze  zu  Paris  ohne 
Datum  gedruckt  worden  ist,  dass  G.  noch  vor  den  Zeiten  Gafor's  gewirkt 
habe.  Von  dem  genannten  Traktate  erschienen  noch  drei  andere,  etwas  ver- 
mehrte und  mit  veränderten  Titeln  versehene  Ausgaben  1509,  1513  und 
1550.  t 

Gueston,  Nicolas,  fi-anzösischer  Violinvirtuose  und  guter  Musiker  über- 
haupt, geboren  um  1614  zu  Chäteaudun,  stand  als  Componist  für  sein  Instru- 
ment bei  den  Zeitgenossen  in  besonderer  Achtung. 

Guest,  Balph,  englischer  Tonkünstler,  geboren  1742  zu  Basely,  kam  mit 
21  Jahren  in  die  Portland -Kapelle  zu  London,  erhielt  zugleich  bei  Frost 
Unterricht  im  Orgelspiel  und  wurde  endlich  selbst  Organist  an  der  St.  Mary- 
Kapelle.  Einige  Sammlungen  von  Psalmen,  Hymnen  und  Songs  von  ihm  be- 
kunden den  guten  Musiker.  —  Sein  Sohn,  George  G. ,  1771  zu  London  ge- 
boren, in  der  königl.  Kapelle  allseitig  ausgebildet,  erhielt  bereits  1787  Anstel- 
lung als  Organist  zu  Tye  und  zwei  Jahre  später  zu  Wisbeck  bei  Cambridge. 
Als   Orgelspieler  und  Musiklehrer  genoss    er    eines  verbreiteten  Rufes,    den    er 

Miiäikal.  Couvers.-Lexikon.     IV.  ^  28 


434  Guet  -  Gugel. 

auch  als  Componist  vieler  im  Druck  erschieneneu  Orgelstücke,  Hymnen  und 
Anthems,  Catches  und  Glees,  von  Quartetten  für  Flöte  und  Streichtrio  u.  s.  w. 
bewährte.  —  Eine  Pianistin,  Jeanne  INTarie  G.,  vielleicht  eine  ältere  Schwester 
des  zuletzt  Genannten,  hat  1783  als  Claviervirtuosin  in  den  grossen  Concerten 
zu  London  allgemeine  Bewunderung  erregt.  Auch  in  der  Coniposition  be- 
wandert, gab  sie  1786  vier  Ciaviersonaten  mit  Violinbegleituüg  heraus,  welche 
der  König  Georg  III.  als  Geschenk  entgegennahm. 

Guet  (französ.),  d.  i.  die  AVacht,  nennen  die  gelernten  Feldtrompeter  ein 
Tonstück  in  Form  eines  Marsches  oder  Biciniums,  welches  bei  der  Wachtparade 
geblasen  wird.     S.  Feldstücke. 

Güttlor,  Johann  Michael,  ein  Lautenbauer  zu  Breslau,  der  nach  Ba- 
ron's  Untersuchung  des  Instruments  der  Laute  p.  97  vorzüglich  die  Hervor- 
bringung eines  starken  Tones  sich  zur  Aufgabe  stellte.  f 

Guetwillig',  Georg  Ludwig,  deutscher  Theologe  und  Kirchencomponist 
und  etwa  um  1720  im  Bairischen  oder  Schwäbischen  als  Klostergeistlicher 
thätig,  veröffentlichte  durch  den  Druck  ein  Antiphon:  nAlma  redemptoris  maiera., 
ein  -aAve  reginav,  ein  -»Regina  coelU  und  ein  y>Salve  reginan  a  voce  sola,  2  Viol. 
e  Bass.  gener.  als  op.  3  zu  Augsburg  bei  Lotter.  f 

Guevara,  Francisco  Vellez  de,  ein  musikkundiger  portugiesischer  Edel- 
mann des  15.  Jahrhunderts,  gab  ein  Werk:  »Z>e  la  realidad  y  experiencia  de 
la  musicaa  betitelt,  heraus;  Druckort  desselben  und  Datum,  wann  es  erschienen, 
ist  unbekannt.  Vgl.  Machado  Bibl.  Lus.  T.  III.  p.  765  im  Artikel  Tristaö  da 
Sylva.  —  Ein  spanischer  Tonkünstler,  Pedro  G.  de  Loyola,  wird  als  in  der 
letzten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  lebend  genannt.  f 

Gueyniard,  Louis,  französischer  Bühnentenor  von  Ruf,  geboren  am  17.  Aug. 
1822  zu  Chapponay  im  Departement  der  Isere,  erhielt  seine  gesangliche  Aus- 
bildung erst  seit  1845,  wo  er  ins  Pariser  Conservatorium  trat  und  Schüler 
Levasseur's  wurde.  Sofort  nach  seinem  Austritte  aus  dem  Institute,  1848, 
wurde  er  für  die  Grosse  Oper  in  Paris  gewonnen,  welcher  er  auch  ununter- 
brochen über  25  Jahre  lang  als  erster  Heldentenor  angehörte,  obwohl  seine 
Stimme  schon  seit  1863  Spuren  des  Verfalls  aufwies,  so  dass  Meyerbeer  ihm 
die  Rolle  des  Yasco  da  Gama  in  seiner  «Africanerin«  nicht  anvertraut  wissen 
wollte.  Ueberhaupt  interessirte  bei  G.  von  jeher  mehr  die  robuste  Elementar- 
gewalt seines  Organs,  als  die  feinere,  ausdrucksvolle  Art  zu  singen,  die  ihm 
allzusehr  abging.  —  Seine  Gattin,  Pauline  G,,  geborene  Deligne-Lauters, 
1834  in  Belgien  geboren  und  auf  dem  Conservatorium  zu  Brüssel  gebildet, 
war  in  ihrer  Blüthezeit  eine  vortreffliche  Sängerin.  Sie  gehörte  1854  dem 
Theätre  lyrique  zu  Paris  als  erste  Sängerin  an,  wurde  aber  1857  für  die  Grosse 
Oper  engagirt  und  wirkte  daselbst  an  der  Seite  ihres  Gatten,  mit  dem  sie 
seit  1858  verehelicht  ist,  als  erste  dramatische  Sängerin  beinahe  17  Jahre 
hindurch. 

Gugel,  Joseph  und  Heinrich,  zwei  Brüder,  ersterer  um  1770,  letzterer 
um  1780  zu  Stuttgart  geboren,  gehörten  von  etwa  1796  bis  1816  zu  den  an- 
erkannt grössten  Waldhornvirtuosen  Deutschlands.  Ihr  Yater  war  herzogl. 
würtembergischer  Kapellmeister  und  starb  1804.  Derselbe  hatte  den  älteren 
Sohn  sehr  frühzeitig  bei  seinem  Schwager,  dem  Waldhornisten  Scholl  in  Wien, 
untergebracht,  von  dem  ausgebildet,  Joseph  der  Lehrer  des  jüngeren  Bruders 
wurde.  Beide  waren  noch  Knaben,  als  sie  der  Vater  des  Gelderwerbes  wegen 
auf  Kunstreisen  schickte,  auf  denen  sie  viele  Zeichen  mitleidsvoller  Theilnahme 
und  Aufmunterung  fanden,  die  sie  zu  rastlosem  Fleisse  anspornten.  Bald  galten 
sie  im  Zusammenspiel  für  unübertrefflich,  und  die  besten  Componisten  ihrer 
Zeit  widmeten  ihnen  eigens  für  sie  geschriebene  Duette.  Nach  langjährigen 
Concertreisen  traten  sie  in  die  sachsen-hildburghausen'sche  Hof  kapeile,  wo  der 
Oeffentlichkeit  weitere  Spuren  verloren  gingen.  Man  weiss  nur,  dass  der 
Jüngere,  Heinrich,  mit  seinem  Sohne,  der  ebenfalls  Hornist  war,  um  1837  als 
kaiserl.  Kammermusiker  in   St.  Petersburg  lebte.     Dieser  Heinrich  G.  hat  auch 


Guggumos  —  Guglielmi.  435 

einige  seiner  Compositionen  für  Hörn,  nämlicli  ein  Concert,  ein  Notturno  und 
zwölf  Etüden,  durcli  den  Druck  veröffentliclit. 

Guggumos,  Gallus,  ein  Kircliencomponist  und  im  Anfange  des  17.  Jahr- 
hunderts als  Hofoi'ganist  des  Herzogs  von  Bayern  angestellt,  gab  von  seiner 
Composition  Motetti  «  4,  5  e  6  voci  (Venedig,   1612)  heraus.  f 

Gugl,  Matthäus,  deutscher  geistlicher  Componist  und  Musiktheoretiker 
in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  war  Organist  des  Domstifts  in  Salz- 
burg. Sehr  geschätzt  und  verbreitet  war  noch  lange  nach  seinem  Tode  sein 
Lehrbuch:  y>Fundamenta partiturae  in  compendio  data,  d.  i.  kurzer  und  gründlicher 
Unterricht,  den  Gleneralbass  oder  die  Partitur  nach  den  Regeln  recht  und  wohl 
schlagen  (spielen)  zu  lernen«  (Salzburg,  1719;  2.  u.  3.  Aufl.  Augsburg,  1747 
u.  1777).  Von  seinen  ebenfalls  zu  ihrer  Zeit  sehr  beliebten  Compositionen 
hat  man  bis  jetzt  noch  nichts  wieder  aufgefunden.  —  Ein  anderer,  später 
lebender  Componist  dieses  Namens,  Georg  Gr.,  figurirt  nur  noch  in  der  ge- 
druckten Literatur,  indem  von  ihm,  1790  zu  Mannheim,  eine  Sinfonie  und 
sechs  Quatuors  erschienen.  Ueber  seine  Lebensumstände  ist  nichts  Näheres 
bekannt  geblieben. 

Guglielmi,  Pietro,  berühmter  italienischer  Componist,  namentlich  von 
komischen  Opern,  geboren  im  Mai  1727  zu  Massa  Carrara,  wurde  von  seinem 
Vater  Griacomo  Gr.  musikalisch  unterrichtet,  bis  er,  achtzehn  Jahre  alt,  das 
Conservatorio  di  San  Loretto  in  Neapel  besuchen  konnte,  an  dem  Durante 
unterrichtete.  Dieser  letztere  soll  grosse  Mühe  gehabt  haben,  G.,  der  für 
ebenso  ungelehrig  als  faul  galt,  den  tieferen  Studien  zuzuführen;  schliesslich 
aber  musste  er  bekennen,  dass  aus  seinem  schlechtesten  Schüler  einer  seiner 
besten  geworden  war.  Kaum  aus  dem  Institute  entlassen,  debütirte  G.  1755 
in  Turin  mit  seiner  Erstlingsoper,  die  glänzenden  Erfolg  hatte.  Gleiches  Glück 
hatte  er  an  zahlreichen  anderen  Bühnen  Italiens,  von  denen  er  Compositions- 
aufträge  erhielt,  bis  er  1762  von  Venedig  aus  als  kurfürstl.  Kapellmeister  nach 
Dresden  berufen  wurde.  Nach  einigen  Jahren  vertauschte  er  Dresden  mit 
Braunschweig  und  dieses  endlich  1772  mit  London,  ßuhmgekrönt  kehrte  er 
aus  der  "Weltstadt  1777  nach  Neapel  zurück,  wo  er  sein  Andenken  durch 
Paisiello  und  Cimarosa  vollständig  verdunkelt  sah  und  nun  mit  neuen  Opern 
erfolgreich  mit  diesen  gefeierten  Grössen  in  die  Schranken  trat.  In  staunens- 
werther  Fruchtbarkeit  Hess  er  Oper  auf  Oper  folgen,  bis  ihn  1793  der  Kuf 
als  päpstlicher  Kapellmeister  an  St.  Peter  nach  Rom  führte,  von  welcher  Zeit 
an  er  mit  unvermindertem  Fleisse  der  Composition  von  Kirchenwerken  oblag, 
mit  denen  er  ebenfalls  grosse  Ehre  einlegte.  Er  starb  am  19.  Novbr.  1804 
zu  Rom.  Sein  Familienleben  war  ein  nichts  weniger  als  musterhaftes;  seine 
Gattin  hatte  er  vernachlässigt  über  Liebschaften  oft  abenteuerlicher  Art,  die 
er  mit  dem  Degen,  den  er  sehr  gut  führte,  behauptete  und  seine  acht  Söhne 
der  Erziehung  fremder  Leute  überlassen.  Der  Ausführung  seiner  "Werke  gegen- 
über duldete  er  keinerlei  Willkür  von  Seiten  der  Musiker  oder  Sänger,  und 
berühmten  Grössen,  wie  der  Mara  und  dem  Tenoristen  Babbini,  machte  er  bei 
der  geringsten  Eigenmächtigkeit  klar,  dass  sie  seine  Musik  und  nicht  die  ihrige 
zu  singen  hätten.  Seine  "Werke  erreichen  beingthe  die  Zahl  200,  darunter  über 
60  Opern,  und  sind  bei  der  Schnelligkeit,  mit  der  sie  gearbeitet  wurden,  na- 
türlich von  sehr  ungleichem  "Werthe,  aber  es  existirt  keine  einzige  Oper  von 
ihm,  die  nicht  eine  Fülle  der  treflBichsten  Inspirationen  aufzuweisen  hätte.  Im 
Fache  der  komischen  Oper  war  er  der  Bahnbrecher  für  Paisiello  und  Cimarosa, 
die  ihn  an  "Weichheit  und  Pathos  einestheils,  an  Eindringlichkeit  und  fiiessender 
Schreibart  anderntheils  übertrafen,  nicht  aber  an  Lebendigk<}it  des  Styls  und 
ungezwungener  Heiterkeit,  welche  Vorzüge  in  der  komischen  Oper  eine  glän- 
zende Verwerthung  fanden.  Die  werthvoUsten  und  berühmtesten  seiner  Opern 
sind:  -nl  due  gemelliv,  r>I  viaggiatorm,  nRinaldofi,  liÄrtasersev,  ^Ärsace«,  i^La  serva 
inamoratavi,  r>I  fratellia,  i^Pappa  Moseaa,  r>Didone<i,  »Eneo  e  Lavinia«,  y>La  pasto- 
rella  nolile«,  f>La  bella  pescatrice«.     Die  beiden  letzteren  und  noch  etwa  fünfzehn 

28* 


436  Guglietti  —  Guhr. 

andere  befinden  sich  in  der  Partitur  auf  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden. 
Von  seinen  Oratorien  wird  besonders  y>Dehora  e  Sisaran  anerkennend  hervor- 
gehoben, welches  sich  ebenfalls  in  Dresden  befindet.  Endlich  hat  er  noch  In- 
termezzi, Serenaden,  dann  auch  Ciavierquartette,  Claviersolos  und  Divertissements 
für  Ciavier,  Violine  und  Violoncello  geschrieben.  —  Der  berühmteste  seiner 
Söhne  war  Pietro  Carlo  G.,  um  1763  zu  Neapel  geboren  und  auf  dem  dor- 
tigen Conservatorio  di  San  Loretto  im  Ciavierspiel,  Gesang  und  der  Compo- 
sition  ausgebildet.  Seine  erste  Oper  wurde  am  San  Carlotheater  gegeben  und 
verschaffte  ihm  Aufträge  von  den  bedeutendsten  italienischen  Opernbühnen. 
"Wie  sein  Vater  ging  auch  er  nach  London,  von  wo  er  erst  nach  1810  zurück- 
kehrte, Kapellmeister  der  Herzogin  Beatrix  von  Massa  Carrara  wurde  und  als 
solcher  am  28.  Febr.  1817  starb.  In  seinen  Opern  zeigt  er  sich  als  glücklicher 
Nachahmer  des  Styls  seines  Vaters;  die  bekanntesten  derselben  sind:  y> Asteria 
e  Tescon,  ytLa  fieraa,  y>Il  naufrajio  fortunatofs.,  -»L^eqtiivoco  delli  s^osi«,  -»La  serva 
bizarraa,  y>L^erede  di  bei  ])rato(s,  y>L'isola  di  Oalipsoa,  y>La  persuasione  corettan, 
yJErnesto  e  Fahniran,  y>Don  Papiriov^,  y> Romeo  e  GiuUettaa,  dLu  moglie  fjiudice 
del  maritoa.  —  Sein  jüngster  Bruder  Giacomo  G.,  geboren  am  16.  Aug.  1782, 
machte  vortreffliche  Gesangstudien  bei  Mazzanti  und  Nicolö  Piccini,  dem  Nefi'en 
des  gleichnamigen  berühmten  ComjDonisten,  und  lernte  auch  bei  Capanna 
Violinspiel.  Sehr  beifällig  debütirte  er  als  Tenorist  auf  dem  Argentinatheater 
zu  Rom,  sang  hierauf  auf  den  bedeutendsten  italienischen  Bühnen  und  endlich 
auch  in  Amsterdam  und  Paris.  In  der  französischen  Hauptstadt  war  er  von 
1809  bis  1811  und  trat  dann  noch  etwa  zehn  Jahre  lang  in  Italien  auf.  Seine 
Stimme  war  durchaus  nicht  gross,  dafür  aber  sehr  angenehm  und  durch  einen 
geschmackvollen  Vortrag  ausgezeichnet. 

Oug'lietti,  Doraenico,  berühmter  italienischer  Baritonsänger,  geboren  um 
1730  zu  Campoli  bei  Sora  im  Neapolitanischen,  machte  in  Gizzi's  Gesangschule, 
sodann  auf  dem  Conservatorio  di  San  Onofrio  zu  Neapel  die  gründlichsten 
Studien  und  Hess  sich  hierauf  auf  den  Hauptbühnen  Italiens,  in  England  und 
in  Dresden  mit  grossem  Erfolge  hören.  Endlich  zog  er  sich  von  der  Bühne 
und  nach  Neapel  zurück,  wo  er  die  Anstellung  als  Sänger  der  königl.  Kapelle 
erhielt  und  im  J.  1803  starb. 

Guhr,  Karl  Friedrich  Wilhelm,  ausgezeichneter  deutscher  Dirigent 
und  trefflicher  Pianist  und  Violinist,  wurde  am  30.  Octbi-.  1787  zu  Militsch 
in  Schlesien  geboren,  wo  sein  Vater  Cantor  und  Schulcollege  an  der  evange- 
lischen Kirche  und  Hauptschule  war.  Von  diesem  empfing  der  Knabe  einen 
guten  musikalischen  Unterricht,  besonders  im  Ciavier-  und  Violinspiel,  so  dass 
er  im  14.  Jahre  bereits  Mitglied  der  reichsgräfl.  Maltzahn'schen  Kapelle  werden 
und  für  den  Grafen  Viola  da  Gamba- Solos,  Concex-te  und  Sextette  schreiben 
konnte.  Auch  für  die  Kirche  seines  Ortes  componirte  er  mehrere  sehr  bei- 
fällig aufgenommene  Stücke.  Beim  Kapellmeister  Faust  in  Militsch  machte  er 
höhere  Violinstudieu,  die  er  bei  Janitschek  in  Breslau  eifrig  fortsetzte,  während 
er  dort  auch  bei  Berner  und  "Wölfl  Ciavierspiel  weiter  trieb  und  vom  Kapell- 
meister Schnabel  einen  gediegenen  theoretischen  Unterricht  empfing.  Auch 
vom  Abt  Vogler  erhielt  er  damals  einige  Unterweisungen.  Von  1804  bis  1807 
fungirte  er  wieder  in  seiner  früheren  Stellung  in  Militsch,  von  wo  er  als  Kam- 
mermusiker nach  "Würzburg  berufen  wurde,  welchen  letzteren  Posten  er  jedoch 
nicht  antrat,  da  ihm  das  Amt  eines  Musikdirektors  am  Theater  zu  Nürnberg 
winkte,  dem  er  den  Vorzug  gab.  In  Nürnberg  entfaltete  er  sein  Dii-ektions- 
talent  und  seine  vorzüglichen  Kenntnisse  auf  eine  das  Puljlicum  überraschende 
Art  und  sah  auch  seine  beiden  auf  Kotzebue'sche  Texte  componirte  Opern 
»Feodora«  und  »Deodata«  höchst  beifällig  aufgenommen.  Auch  in  Concerten 
hatte  er  als  Violinist  grossen  Erfolg.  In  jene  Zeit  fällt  auch  seine  Vermählung 
mit  der  vortrefflichen  Sängerin  Epp.  Ungern  lies.s  ihn  die  Theaterdirektion 
nach  Ablauf  seines  Contractes  1813  nach  "Wiesbaden  ziehen,  wo  G.  die  Di- 
rektion des  fürstl.  nassau'schen  Theaterorchesters  übernahm,  und  als  der  Fürst 


Gui  —  Guichai'd.  437 

des  Krieges  wegen  noct  in  demselben  Jahre  seine  Bühne  aufhob,  das  Theater 
auf  eigene  Rechnung  weiterführte,    bis    ihn    der  Kurfürst    von  Hessen  als  Di- 
rektor des  Hoftheaters  und  der  Kapelle   nach  Kassel    berief.     Hier    gelang    es 
G.  durch  sein  seltenes  Geschick,   die  Bühne  aus  verwahrlosten  Zuständen,    in 
Bezug  auf  Oper  sowohl  wie  auf  Schauspiel,  zu  einer  der  ersten  in  Deutschland 
zu    erheben.     Neben    anderen  Werken    componirte    er    damals    binnen    wenigen 
"Wochen  auch  seine  beste  Oper  »die  Yestalin«  auf  den  deutsch  übersetzten  Text 
der  Spontini 'sehen  Oper,  da  von  der  letzteren  der  Kurfürst  als  Franzosenfeind 
nichts  wissen  wollte.     G.'s  Werk  gefiel  sehr,   und  der  Kurfürst  nahm  die  De- 
dication    desselben    an.     Unter    seinen    übrigen    im    Laufe    der  Zeit    folgenden 
Arbeiten  ragen  eine  Messe,  eine  Sinfonie  und  die  Oper  »König  Siegmar«  (1819), 
Text  von  Eochlitz,    hervor.     Im  J.  1821  folgte    er    einem  vor th eilhaften  Rufe 
nach  Frankflirt,  und  sein  ausgezeichnetes  Wirken  in  der  freien  Reichsstadt  als 
Dirigent  der  Museumsconcerte  und  als  Kapellmeister  der  Oper,  später  zugleich 
als  Mitdirektor  des  Stadttheaters  ist  noch  gegenwärtig  unvergessen.     Er  starb 
hoch  verehrt  und  als  viel  erfahrener  Tonmeister  weithin  anerkannt  am  22.  Juli 
1848  in  Folge  eines  Schlaganfalles.     Von  seinen  in  Frankfurt  verfassten  Com- 
positionen  sind  nur  ein  vierhändiges  Pianoforterondo,  eine  Ciavier- Sonate  und 
ein  Violinconcert  im  Paganini'schen  Style  bekannt  geworden;  seine  unermüdliche 
Direktionsthätigkeit  gestattete  ihm  eben  nur  selten  Compositionsmusse.     Ausser- 
dem   veröffentlichte    er    1831    eine    Schrift:    »Paganini's   Kunst    die  Yioline  zu 
spielen«,  worin  er  die  bis  dahin  unenträthselt  gebliebenen  Effekte  und  Kunst- 
stücke des  grossen  italienischen  Virtuosen   aufdeckte  und  erklärte.     Einen  Ne- 
crolog    auf   G.    gab    Karl  Gollmick    heraus    (Frankfurt  a.  M.,    1848).    —    Ein 
jüngerer  Bruder  G.'s,  Friedrich  Heinrich  Florian  G.,  geboren  zu  Militsch 
am  17.  April  1791,   erhielt   gleichfalls   den  ersten  Musikunterricht  von  seinem 
Vater  Karl  Christoph  G.  und  wurde  schon  früh  als  fertiger  und  geschmack- 
voller Violin-,  Ciavier-  und  Orgelspieler   geschätzt.     Im  J.   1807    trat    auch  er 
in  die  gräfl,  Maltzahn'sche  Kapelle  zu  Militsch,  widmete  sich  aber,  als  dieselbe 
1810    aufgelöst  wurde,    auf   dem  Seminar    zu  Breslau    dem  Schulfache.     Nach 
Vollendung    dieser  Studien  wurde    er    seinem  Vater  in  Militsch  adjungirt  und 
1818,    zwei  Jahre   vor    dessen  Tode,    zum  wirklichen  Nachfolger  desselben  als 
Cantor  und  Schulcollege   ernannt.     Er    gründete    einen  Dilettantenvei'ein ,    den 
er  in  Flor  brachte,  und  mit  dem  er  bemerkenswerthe  Aufführungen  veranstaltete. 
Zu  selbstschöpferischer  Thätigkeit  Hessen  ihm  seine  Berufsgeschäfte  keine  Zeit; 
man  kennt  daher  von    ihm    nur    ein  Choralbuch    mit    dreistimmigen   Gesängen, 
das  auch  drei  Nummern  seiner  Composition  enthält   und  einen  für  den  Unter- 
richt in   Schulen  bestimmten  »kleinen   Gesangscatechismus«  (1828). 

Gui,  ein  1315  gestorbener  Mönch  zu  St.  Denis,  schrieb  ausser  anderen 
Werken  über  Musik  einen  Tractat  über  die  Töne.  —  Ein  etwas  später,  gleich- 
falls im  14.  Jahrhundert  lebender  ,  Gelehrter  dieses  Namens  war  Abbe  von 
Chalis,  einem  Cisterzienserkloster  in  Bourgogne  und  verfasste  eine  Schrift  über 
den  Kirchengesang. 

Guicciardi,  Francesco,  ein  um  1690  berühmter  Opernsänger,  der,  in 
den  Diensten  des  Herzogs  von  Modena  stehend,  noch  1718  in  den  italienischen 
Opernaufführungen  zu  Dresden  mitwirkte. 

Guichard,  Abbe  Jean  Frangois,  geschickter  französischer  Tonkünstler, 
geboren  zu  Maus  am  26.  Aug.  1745,  war  als  Knabe  Zögling  der  Kathedral- 
Maitrise  seiner  Vaterstadt  und  kam  um  1787  als  Altsänger  an  Notredame 
nach  Paris,  an  welcher  Kirche  er  auch  eine  geistliche  Anstellung  erhielt  und 
zum  zweiten  Musikmeister  aufrückte.  Die  Revolution  beraubte  ihn  der  Vor- 
theile  dieser  Stellungen,  und  er  sah  sich  auf  Ertheilung  von  Unterricht  im 
Guitarrespiel  und  auf  Composition  für  dieses  Instrument  angewiesen.  Er  veröffent- 
lichte mehrere  Sammlungen  sehr  melodiöser  Romanzen  und  Chansons,  eine 
Schule  und  Stücke  für  Guitarre,  Violinduette  u.  s.  w.  Früher  hatte  er  Kirchen- 
sachen (Messen,  Motetten,  Hymnen)  herausgegeben,  sowie  y^Essais  de  nouvelles 


438  Guichardt  —  Guido  von  Arezzo. 

psalmodies  ou  fauxiourdons  ä  une,  deux  ou  trois  voix,  divises  en  sept  tons  majeurs 
et  mineursa  (Paris,  1783)  und  dazu  ein  -i-^ Supplement  transpose  en  plain-chant 
pour  faciliter  Vexecution  des  essais  de  nouvelle  psalmodie  etc.v.  Gr.  starb  zu  Paris 
am  24.  Febr.  1807.  —  Ein  älterer  französischer  Tonkünstler  desselben  Namens, 
Henri  G.,  bekannt  durch  einen  heftigen  Streit  mit  LuUi  im  J.  1675,  com- 
ponirte  1703  die  Oper  »Ulysse«. 

Guichardt,  Daniel,  französischer  Kirchencomponist,  geboren  um  die  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts,  war  Direktor  des  Kinderchors  der  Kirche  von  Chinon 
in  der  Touraine  und  erhielt  1588  für  seine  Motette  y>Deum  aurora  etc.a  einen 
Preis. 

Ouida  (ital.;  französ.  guide)  nennt  man  den  Führer  (dux)  in  der  Fuge 
(s.  Fuge),  überhaupt  die  mit  dem  Thema  vorangehende  Stimme  im  Kanon 
und  in  der  Imitation;  dann  aber  auch  den  Gustos  (französ.:  guidon,  ital.: 
mostra,  deutsch:  Notenzeiger),  s.  d. 

GfUi  (l'Auxerre,  altfranzösischer  Theologe,  seit  933  Bischof  von  Auxerre, 
als  Nachfolger  Valdric's,  und  961  gestorben,  war  Verfasser  von  kirchlichen 
Texten  und  Gresängen. 

Gnidetti,  Giovanni,  italienischer  Musikgelehrter  und  Theologe,  geboren 
1532  zu  Bologna,  kam  als  'Geistlicher  nach  Rom  und  wurde  nach  Baini's 
Zeugniss  daselbst  Palestrina's  Schüler  in  der  Composition.  Papst  Gregor  XIII. 
ernannte  ihn  zum  Cleriker  des  Vaticans  und  zu  seinem  Kaplan  und  ertheilte 
ihm  1575  auch  eine  Präbende  in  der  päpstlichen  Kapelle,  zugleich  aber  auch 
den  Auftrag,  den  Chordienst  an  der  Peterskirche  zu  verbessern,  und  die  Voll- 
führung desselben,  unterstützt  von  Eifer  und  reichen  musikalischen  Kenntnissen, 
hat  G.  zu  seiner  ausschliesslichen  Lebensaufgabe  gemacht.  Gemeinschaftlich 
mit  Palestrina  und  später  allein  hat  er  den  liturgischen  Gesang,  wenn  auch 
nicht  seinem  ganzen  Umfange  nach,  so  doch  in  seiner  Reinheit  wiederhergestellt, 
so  dass  er  für  den  Cantus  firmus  das  wurde,  was  Palestrina  für  die  polyphone 
Kirchenmusik  war,  G.'s  emendirte  und  neu  herausgegebene  liturgische  Gesang- 
bücher der  päpstlichen  Kapelle  dürften  auch  gegenwärtig  allein  als  die  authen- 
tische Quelle  für  den  gregorianischen  Kirchengesang  gelten.  Diese  sind:  y>Di- 
rectorium  chori  ad  ttsum  sacro-sanctae  hasUicae  Vaticanaea  (Rom,  1582;  2.  Aufl. 
1589  mit  dem  Zusätze  y>ef  ad  usum  omnium  ecelesiantma  und  viele  spätere 
Ausgaben  bis  1737);  y>Cantiis  ecclesiasticus  passionis  domini  nostri  Jesu  Christi 
etc.«  (Rom,  1586);  y>öantus  ecclesiasticus  qfficii  majoris  liebdomadae  etc.a  (Rom, 
1587);  endlich  ytPraefationes  in  cantu  ßrmo,  juxta  o'ituni  sanctae  Romanae 
ecclesiae  etc.<i  (Rom,  1588;  in  einer  2.  Aufl.  mit  Verbesserungen  von  F.  Soriano 
und  Manilio,  Rom,  1619).  G.  selbst  starb  am  30.  Novbr.  1592,  60  Jahre 
alt,  zu  Rom. 

Guidetti,  Giuseppe,  Musiker  im  Orchester  der  Petroniuskirche  zu  Bo- 
logna, starb  daselbst  am  7.  Decbr.  1625.  Im  Munde  des  Volkes  führte  er  den 
Beinamen  dal  Biabö  oder  Biambo,  nach  einem  damals  wahrscheinlich  sehr  be- 
liebten italienischen  Volksinstrumeute,  von  dessen  Beschafi'enheit  jedoch  keine 
Kenntniss  erhalten  geblieben  ist.  Sein  Ruf  in  der  Behandlung  dieses  Instru- 
mentes zog  auch  die  Aufmerksamkeit  der  höchsten  Gesellschaft  auf  sich,  und 
es  wird  berichtet,  dass  die  Päpste  Clemens  VIII.  und  Paul  V.,  sowie  andere 
Fürsten  sich  an  seinem  Spiel  erfreuten  und  ihn  reich  beschenkten.  Vgl.  Masini, 
Bologna  perlust.  p.  687.  t 

Gnidi,  Giovanni,  italienischer  Kirchencomponist,  geboren  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  zu  Florenz,  hatte  seinen  Landsmann  Magrini,  Schüler 
Clari's,  zum  Lehrer  und  wurde  Kapellmeister  an  der  Kirche  Santa  Maria  in 
Trastevere  zu  Rom,  welches  Amt  er  noch  hochbetagt  im  J.  1827  bekleidete. 
In  der  Sammlung  des  Abbate  Santini  zu  Rom  finden  sich  mehrere  vier-  und 
achtstimmige  Psalme  von  ihm,  sowie  das  Oratorium  für  drei  Stimmen  mit 
Orchester  »Ze  tre  ore  di  agonia  di  Giesu  Grisfoa. 

Guido  von  Arezzo  (Guido  Aretinus),  ein  Mönch  des  Benedictinerklosters 


<iuido  yon  Arezzo.  439 

Poraposa  unweit  Ferrara  und  Ravenna,  wirkte  in  der  ersten  Hälfte  des  11. 
Jahrhunderts  und  ist  theils  durch  eigene  Verdienste,  theils  durch  die  ihm  von 
seinen  Nachfolgern  zugeschriebenen  musikalischen  Erfindungen  und  Verbesse- 
rungen zu  einer  grösseren  Berühmtheit  gelangt,  als  irgend  ein  anderer  Musiker 
des  Mittelalters.  Wie  über  sein  Wirken,  so  sind  auch  in  Bezug  auf  sein  Leben 
die  irrthümlichsten  Angaben  lange  Zeit  verbreitet  gewesen,  bis  Kiesewetter  in 
seiner  Kritik  der  von  Guido  handelnden  Dissertation  Angeloni's*)  und  Fetis  in 
seiner  y>  Biographie  des  musiciens«  auch  hierüber  eine  gründliche  Untersuchung 
anstellten.  Die  einzigen  zuverlässigen  Nachrichten  über  sein  Leben  befinden 
sich  in  einem  Briefe,  mit  welchem  er  sein  Hauptwerk,  den  Micrologus,  dem 
Bischof  Theodald**)  von  Arezzo  zueignet,  und  in  einem  zweiten  Briefe  an 
seinen  Freund  und  Schüler,  den  Mönch  Michael  im  Kloster  Pomposa,  mit  einer 
sein  Antiphonar  begleitenden  Abhandlung  über  seine  Unterrichtsmethode.  Aus 
diesen  Briefen  erhellt,  dass  Gr.  sich  schon  als  Mönch  des  Klosters  Pomposa 
durch  seine  Kenntnisse  und  Fähigkeiten  besonders  auf  musikalischem  Gebiete 
auszeichnete.  Hier  erfand  er,  gedrängt  durch  die  Mängel  des  damaligen  Musik- 
unterrichtes, eine  Lehrmethode,  mittelst  welcher,  nach  seiner  Aussage,  der 
Schüler  in  einem  Monat  diejenige  Fertigkeit  im  Singen  erwerben  sollte,  zu 
deren  Erlangung  früher  zehn  Jahre  kaum  genügt  hatten.  Durch  die  praktische 
Bethätigung  seiner  Erfindung  innerhalb  des  Klosters  erweckte  er  jedoch  die 
Eifersucht  seiner  Genossen  und  selbst  seines  Vorgesetzten,  des  Abtes,  so  dass 
er  sich  genöthigt  sah,  seinen  Aufenthaltsort  zu  verlassen  und  weitere  Beisen 
zu  unternehmen.  Seine  im  zweiten  der  obengenannten  Briefe  befindlichen 
Worte  y>inde  est,  quod  me  vides  prolixis  ßnihus  exulatuma,  sowie  die  Angaben 
des  y>Ghronicon  slavorumv.  und  des  ■aCJironicon  Alherü,  dbbatis  Stadensis'i  haben 
zu  der  Behauptung  Anlass  gegeben,  dass  G.  um  diese  Zeit  vom  Erzbischof 
Hermann  nach  Bremen  berufen  sei,  um  dort  den  Kirchengesang  zu  reformiren. 
Gegen  diese  Annahme  spricht  das  später  zu  erwähnende  Factum  der  Berufung 
durch  den  Papst  Johann  XIX.  (von  Andern  Johann  XX.  genannt);  denn 
dieser  starb  am  8.  Novbr.  1033,  der  Erzbischof  Hermann  aber  gelangte  erst 
am  24.  Aug.  1032***)  zu  seinem  Amte,  und  bei  der  Schwierigkeit  des  Ver- 
kehrs in  damaliger  Zeit  erscheint  die  Annahme  einer  so  weiten  Beise  innerhalb 
der  kurzen  durch  jene  beiden  Daten  bezeichnete  Frist  allerdings  etwas  ge- 
wagt. Wenn  aber  dieser  Einwand  nicht  stichhaltig  sein  sollte  —  da  bekannt- 
lich schon  lange  vor  G.'s  Zeiten  die  Sendboten  der  Kirche  unerschrocken 
durch  halb  Europa  zogen,  und  G.  durch  seinen  bei  jeder  Gelegenheit  bewährten 
reformatorischen  Eifer  um  so  weniger  die  Beschwerden  einer  Heise  scheuen 
musste  —  so  dürften  dagegen  die  Worte  des  Chronicon  Slavorum  r>IIermannus 
quemdam  Guidonem  musicum  Bremam  adduxiU  gegründeteres  Bedenken  erregen, 
und  zwar  wegen  des  Wortes  yquemdamv. ;  im  J.  1067  geschrieben,  konnte  jene 
Stelle  des  Chronicon  unmöglich  den  durch  die  päpstliche  Berufung  seit  34 
Jahren  zu  hohem  Buhme  gelangten  "Guido  im  Auge  haben,  den  Guido,  von 
welchem  schon  im  J.  1028  sein  Zeitgenosse  Sigebert  von  Gemblours  schrieb : 
■siClaruit  hoc  tempore  in  Italia  Guido  Aretinus,  multi  inter  musicos  nominis«, 
sondern  es  muss  mit  jenem  »gewissen  Guido«  ein  anderer  dieses  Namens  ge- 
meint sein.  Neben  dieser  Quelle  über  G.'s  Reise  nach  Bremen,  welche  als  die 
älteste,  von  den  späteren  Chronisten  ohne  Kritik  reproducirte  die  wichtigste 
ist,  sei  noch  der  Vollständigkeit  wegen  die  Mittheilung  des  Hamburger  Ge- 
schichtschreibers   Albert    Crantz    erwähnt:    »Qwo  tempore   (d.  h.    zur    Zeit    des 


*)  Angeloni  „Sopra  la  vita,  le  opere  ed  il  sapere  di  Guido  d' Arezzo"  Parigi,  appresso 
Vautore,  eine  umfangreiche,  mehr  durch  die  panegyrische  als  durch  wissenschaftliche  Be- 
handlung des  Stoffes  bemerkeuswerthe  Arbeit. 

**)  Bei  Augeloni:  Tedaldo,  bei  Gerbert:  Teudaldus.  Burney  wie  Fetis  schreiben 
,,Theobald",  ohne  jedoch  die  von  Gerbert  abweichende  Schreibweise  zu  motiviren._ 

***)  Dem  vom  Chron.  Slavorum  und  dem  Cliron.  Alberti  Stadensis  übereinstimmend 
bestätigten  Todestage  seines  Vorgängers  Libentius  IL 


440  Guido  von  Arezzo. 

Kaisers  Konrad)  floruit  Guido  musicus  per  Italiam  qui  mulfas  histrabat  pro- 
vincias,  emendans  corruftam  et  adulterinam  musicam,  quum  traderet  pueris  per 
ßexuras  articulorum  in  manibiis  discernere  eantum.v.  Gerbert  führt  sie  in  seinem 
"Werke  »r/e  cantu  et  musiea  sacraa  I.  S.  283  und  II.  S.  48  als  Beweis  für  G.'b 
Aufenthalt  in  Bremen  an  und  stützt  sich  dabei  auf  die  Worte  ymultas  pro- 
vinciasa,  scheint  jedoch  das  vorhergehende  r>per  Italiamv  übersehen  zu  haben, 
welches  gerade  dem  Zweifel  an  G.'s  Wirksamkeit  ausserhalb  Italiens  neue 
Nahrung  giebt  und  jene  »Provinzen«  des  Albert  Crantz,  sowie  die  y^prolixi 
ßnesa  in  G.'s  Briefe  an  Michael  in  einer  engeren,  mehr  localen  Beziehung  er- 
scheinen lässt.  Uebrigens  wissen  die  italienischen  Schriftsteller  jener  Zeit 
nichts  von  G.'s  Aufenthalt  in  Deutschland  und  ebenso  wenig  findet  sich  in 
den  Annalen  deutscher  Stifter,  die  er  hätte  berühren  müssen,  eine  desfallsige 
Angabe,  wodurch  denn  die  Glaubwürdigkeit  des  ganzen  Factums  auf  ein  äusserst 
geringes  Maass  reducirt  ist. 

Das  Gebiet  der  Sage  und  Hypothese  verlassend,  finden  wir  G.  im  Bene- 
dictinerkloster  zu  Arezzo  wieder,  woselbst  der  von  Pomposa  vertriebene  Flücht- 
ling eine  gastliche  Aufnahme  gefunden  hatte.  Hier  war  es,  wo  er  eine  drei- 
malige Aufforderung  vom  Papst  Johann  XIX.  erhielt,  zu  ihm  nach  Rom  zu 
kommen  —  ntribus  me  ad  se  nuntiis  invitavit«,  wie  er  in  seinem  Briefe  an 
Michael  sehreibt  —  und  ihm  die  Vortheile  seiner  Gesang- Unterrichtsmethode 
zu  erklären.  Diese  Reise  hatte  einen  vollständigen  Erfolg,  denn  alsbald  nach 
seiner  Ankunft  wurde  G,  vom  Papst  empfangen;  der  Gesangunterricht  begann, 
und  nach  kurzer  Zeit  schon  in  der  ersten  Lection  war  der  hohe  Schüler  im 
Stande,  den  Ton  einer  Antiphonie  selbst  zu  finden  und  zu  singen.  Darüber 
entzückt,  drang  er  sogar  in  G.,  Rom  zu  seinem  Aufenthaltsort  zu  machen, 
was  dieser  jedoch  in  Anbetracht  seiner  durch  die  Sommerhitze  gestörten  Ge- 
sundheit ablehnen  musste.  Nebenher  aber  hatte  er  auch  in  Rom  seinen  ehe- 
maligen Obern ,  den  Abt  von  Pomposa  wiedergetroffen ,  welcher  ihm  sein  Be- 
dauern ausspi'ach,  vor  Zeiten  den  Stimmen  der  Verläumder  Gehör  gegeben  zu 
haben,  und  ihm  gleichzeitig  die  Vortheile  des  klösterlichen  Lebens  so  an- 
ziehend schilderte,  dass  sich  G.  entschloss,  mit  ihm  nach  Pomposa  zurück- 
zukehren. Ob  er  diesen  Entschluss  unmittelbar  nach  seinem  Aufenthalt  in 
Rom  ausgeführt,  wird  dadurch  fraglich,  dass  er  in  dem  zur  selben  Zeit  ge- 
schriebenen Brief  an  den  Mönch  Michael  diesem  seine  Methode  aufs  ausführ- 
lichste auseinandersetzt,  was  ihm  wohl  unnöthig  erschienen  wäre,  wenn  er  die 
Aussicht  gehabt  hätte,  baldigst  mit  ihm  in  persönlichen  Verkehr  zu  treten. 

Hiermit  sind  die  authentischen  Angaben  über  G.'s  Leben  erschöpft;  alles 
Weitere  beruht  nur  auf  Conjecturen.  Dass  G.  in  Arezzo  geboren  ist,  kann 
kaum  bezweifelt  werden,  da  er  auf  fünfunddreissig,  seine  sämmtlichen  Werke 
umfassenden  Manuscripten  als  »Guido  Aretinus«  oder  auch  nur  schlechthin 
als  »Aretinus«  figurirt.  Mazzuchelli  in  seinen  y>Scritfori  d^Italiaa  will  sogar 
wissen,  dass  er  der  Familie  Donati  angehört  habe,  und  stützt  sich  dabei  auf 
eine  handschriftliche  Note  vor  einem  Exemplar  der  Sonette  des  »Fra  Guitton 
d'Arezzoa.  Gleichwohl  erhoben  sich  noch  im  vorigen  Jahrhundert  Zweifel  über 
seinen  Geburtsort,  nachdem  im  Jahre  1768  der  Italiener  Paolo  Serra  unter 
den  Handschriften  der  Königin  Christine  von  Schweden  in  der  vaticanischen 
Bibliothek  einen  y>Tractatm  Giiidonis  Aujiensisu  entdeckt  hatte,  welcher  mit 
dem  Micrologus  seinem  Inhalte  nach  völlig  übereinstimmt.  Hier  liegt  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  eine  Verwechselung  mit  dem  Abte  Berno  vor,  welcher 
in  Gerbert's  Sammlung  den  Beinamen  Augiensis  führt  und  zwar  vom  Kloster 
Augia  dives  (Relchenau),  wo  er  Abt  war.  Wenn  ferner  aus  dem  Titel  von 
vier  anderen  Handschriften  der  vaticanischen  Bibliothek  vGuidonis  augensin 
aretini  lihri  de  musicaa  gefolgert  wird,  dass  G.  dem  Kloster  Auge  in  der  Nähe 
der  Stadt  Eu  in  der  Normandie  angehört  habe  —  woraus  dann  weiter  ge- 
schlossen wurde,  dass  G.  in  der  Normandie  geboren  sei  —  so  ist  hier  ein 
Anachronismus  im  Spiele,  denn  das  y>Monasterium  Äugenaea  ist  (nach  Mabillon's 


Guido  von  Arezzo,  441 

»Annalen  der  Benedictiner«)  erst  im  J.  1059  gegründet.  Die  Zeit  seiner  Ge- 
burt ist  wenigstens  annäherungsweise  zu  bestimmen,  sowohl  durch  das  vorhin 
erwähnte  Zeugniss  des  Sigebert  von  Gemblours,  nach  welchem  G.  schon  im 
J.  1028  ein  berühmter  Mann  war,  als  auch  durch  das  noch  präcisere  des 
Baronius.  Dieser  nämlich  citirt  in  seinen  y>Annales  ecclesiaea  ein  Manuscript, 
enthaltend  die  Briefe  G.'s,  mit  den  Worten:  lyJExplicit  Mierologits  Guidonis  suae 
aetatis  anno  XXXIV,  Johanne  XX.  romanam  guhernante  ecclesiarms..  —  Jo- 
hann XX.  (richtiger  XIX.)  bestieg  aber  im  Aug.  1024  den  päpstlichen  Stuhl 
und  starb  im  J.  1033,  so  dass  die  Geburt  G.'s  in  den  Zeitraum  von  den 
Jahren  990  bis  999  mit  Sicherheit  gesetzt  werden  kann.  lieber  die  Zeit  und 
den  Ort  seines  Todes  gingen  und  gehen  noch  heute  die  Meinungen  in  ähnlicher 
"Weise  auseinander,  Avie  in  Bezug  auf  sein  Leben.  Höchst  glaubwürdig  er- 
scheint die  Angabe  der  Chronisten  des  Camaldulenserordens,  insbesondere  des 
Ziegelbauer  (CentifoUum  camaldulense  XXXVIII)  und  Costadoni  (Ännales  ca- 
maldulenses  anno  1034),  dass  G.  als  Prior  des  Camaldulenserklosters  Avellana 
(monasterium  Fontis  Ävellanae)  am  17.  Mai  des  Jahres  1050  gestorben  ist. 
Wenn  auch  jene  beiden  noch  im  Manuscript  existirenden  Quellen  in  der  An- 
gabe des  Zeitpunktes  von  G.'s  Wahl  zum  Prior  von  einander  abweichen,  so 
stimmen  sie  doch  in  Bezug  auf  den  oben  angegebenen  Todestag  überein,  ebenso 
in  Bezug  auf  das  Jahr  1030,  in  welchem  G.  vom  Gründer  des  Klosters  zu 
seinem  Gehülfen  und  Stellvertreter  erwählt  sein  soll.  Letzteres  Zeugniss  lässt 
nicht  allein  die  Angabe  eines  älteren  Cataloges  der  Prioren  von  Avellana, 
nach  welchem  im  J.  1025  ein  Guido  zu  dieser  Würde  erhoben  wäre,  durchaus 
unglaubwürdig  erscheinen,  sondern  es  rechtfertigt  auch  die  Behauptung  der 
Camaldulenser,  welche  den  G.  gar  nicht  als  Benedictiner  gelten  lassen  wollen, 
ihn  vielmehr  für  sich  in  Anspruch  nehmen.  Ein  Portrait  G.'s  im  Refectorium 
des  Klosters  von  Avellana  mit  der  Inschrift  •oBeatus  Guido,  inventor  musicaea 
erhöht  noch  die  Wahrscheinlichkeit  ihrer  Behauptung,  auch  kann  die  dem  G. 
in  die  Hand  gegebene  Papierrolle  mit  der  eckigen  Choralnote  aus  einer  mehrere 
Jahrhunderte  späteren  Zeit  nichts  gegen  die  Echtheit  des  Bildes  beweisen,  da 
man  sich  bekanntlich  im  Mittelalter  und  noch  weit  in  die  Renaissancezeit 
hinein  nicht  scheute,  Bilder  stückweise  zu  übermalen  und  zeitgemäss  mit  Zu- 
thaten  auszustatten.  Endlich  spricht  für  die  Meinung  der  Camaldulenser  das 
Factum,  dass  die  Annalen  der  Benedictiner  den  G.  gänzlich  mit  Schweigen 
übergehen,  was  schlechterdings  nicht  zu  erklären  ist,  sobald  der  Vielgefeierte 
ihr  Ordensbruder  war. 

Bietet  schon  die  Untersuchung  der  Lebensumstände  des  G.  mancherlei 
Schwierigkeiten,  so  werden  diese  noch  grösser,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
einen  klaren  Einblick  in  seine  Wirksamkeit  zu  erhalten.  Denn  bei  dem  Stande 
der  Wissenschaft  im  11.  Jahrhundert  und  bei  der  ausserordentlichen  und  ver- 
einzelten Stellung  G.'s,  welcher  als  der  erste  die  Klosterzelle  verliess,  um  das 
Evangelium  der  musikalischen  Praxis  nach  seinen  allerdings  schwachen  Kräften 
»allen  Yölkern«  zu  predigen,  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  man  ihm  eine 
Menge  von  Erfindungen  zuschrieb,  welche  theils  von  seinen  Vorgängern,  theils 
von  seinen  Nachfolgern  ausgegangen  sind.  Burney  (in  seiner  r>general  Mstory 
of  Musica  II.)  sagt  darüber  sehr  richtig:  »Wenn  die  grossen  Musiker  des 
Alterthums,  deren  Namen  unserem  Ohr  so  vertraut  sind,  nicht  gleichzeitig 
Dichter  gewesen  wären,  so  würde  die  Zeit  ihr  Andenken  längst  verAvischt 
haben  .  .  .  Guido  indessen  ist  einer  von  jenen  durchs  Schicksal  begünstigten 
Namen,  für  welche  die  Freigebigkeit  der  Nachkommen  keine  Grenzen  kennt. 
Er  wurde  lange  im  Reiche  der  Musik  als  Oberherr  angesehen,  dem  alle  herren- 
losen Sachen  zufallen  mussten,  nicht  blos  solche,  auf  die  er  ein  anerkanntes 
und  selbständiges  Recht  hatte,  sondern  auch  das,  was  irgend  ein  Zufall  in 
die  Hände  seiner  Verehrer  gespielt.  Und  sind  einmal  die  Menschen  in  einem 
derartigen  Zuge  von  Freigebigkeit,  ohne  durch  Neid  oder  Nebenbuhler- An- 
sprüche zurückgehalten  zu  werden,   so  warten  sie   nicht,   bis  der  Klingelbeutel 


442  Guido  von  Arezzo. 

umli  ergerei  cht  wird,  sondern  sie  geben  frei  und  unaufgefordert,  was  sie  oline 
Mühe  finden  und  ohne  Bedauern  entbehren  können.«  In  der  That  wurde  mit 
G.'s  Namen  von  Abschreibern  und  Historiographen  der  frühesten  Zeiten  bis 
zu  den  Compilatoren  des  17.  Jahrhunderts  —  unter  denen  der  Jesuitenpater 
Kircher,  Verfasser  der  •s>Miisurgia  universalis«,  einer  der  fieissigsten  aber  auch 
der  leichtsinnigsten  war  —  der  ärgste  Miesbrauch  getrieben;  selbst  noch 
Rousseau  hat  es  nicht  vermieden,  gewisse,  mit  G-.'s  eigenen  Worten  in  Wider- 
spruch stehende  Traditionen  zu  wiederholen,  und  erst  der  gründlichen  Forschung 
des  vorigen  Jahrhunderts,  eines  Ferkel  und  Burney,  ist  es  gelungen,  die 
Verdienste  G.'s  auf  ihr  richtiges  Maass  zurückzuführen.  Noch  im  gegenwär- 
tigen Jahrhundert  wurde  von  einem  Landsmanne  des  Aretiners,  Luigi  An- 
geloni  (»Sopra  la  viia  etc.  di  GidJo  d'' Arezzoo),  der  Versuch  gemacht,  denselben 
zum  Theil  wieder  in  seine  alten  Entdeckerwürden  einzusetzen,  doch  auch  er 
fand  in  Kiesewetter  und  Bottee  de  Toulmont  Gegner  von  solchem  Ge- 
wicht, dass  sein  Bestreben  erfolglos  bleiben  musste.  Nach  Angeloni,  der  am 
liebsten  dem  G.  seinen  alten  Namen  eines  »Erfinders  der  Musik«  erhalten 
sehen  möchte,  hatte  vor  G.'s  Zeit  in  Italien  die  grösste  Unwissenheit  und 
Finsterniss,  wie  in  allen  Culturzweigen ,  so  auch  in  musikalischen  Dingen  ge- 
herrscht; der  Geschichtschreiber  Muratori  berichtet  dagegen  nur,  »dass  die 
Musik  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  einen  Zuwachs  erhielt  durch  Guido 
von  Arezzo,  einen  Mönch  von  Pomposa,  der  gegen  1022  blühte«  und  wenn  G. 
selbst  in  seiner  Epistel  an  den  Mönch  Michael  von  den  vielen  ihm  bekannten 
scharfsinnigen  Philosophen  spricht,  »welche  mit  Hülfe  italienischer,  gallischer, 
germanischer  und  selbst  griechischer  Lehrer  die  Musik  studirten«,  so  erscheint 
die  ihm  von  seinen  Lobrednern  zugewiesene  Ausnahmestellung  als  durchaus 
ungerechtfertigt.  Vor  allem  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  seit  Gregor  dem 
Grossen,  welcher  seinerseits  schon  die  Kirchentonarten  als  Erbstücke  der  grie- 
chischen Musik  vorgefunden  hatte,  der  Gesang  in  der  christlichen  Kirche  un- 
ausgesetzt gepflegt  worden  war,  wie  denn  auch  durch  ihn  die  Benennung  der 
Töne  mittelst  der  sieben  ersten  Buchstaben  des  Alphabets,  sowie  die  Neumen- 
schrift  mit  ilii-en,  das  Auf-  und  Absteigen  der  Stimme  versinnlichenden  Zeichen 
in  den  Gesangbüchern  des  lateinischen  Ritus  eingeführt  ist,  woselbst  sie  sich 
bis  weit  über  G.'s  Zeit  hinaus  erhalten  hat,  ja  bis  ins  14.  Jahrhundert,  nach- 
dem die  moderne  Notenschrift  längst  erfunden  und  ausgebildet  war. 

Soviel  über  G.'s  Stellung  zu  seiner  Zeit  im  Allgemeinen.  An  einzelnen 
Erfindungen  sind  ihm  mit  Unrecht  zugeschrieben:  1)  Das  Gamma  (f),  der 
tiefste  Ton  seiner  Tonreihe;  noch  Glarean,  der  geachtetste  Musikschriftsteller 
der  Renaissancezeit,  berichtet  in  seinem  Dodekachordon  (Basel,  1547),  dass  G. 
auf  die  unterste  Linie  seines  Systems  den  Ton  ut  gesetzt  und  ihn  den  Griechen 
zu  Ehren  Gamma  genannt  habe,  während  G.  selbst  in  seinem  Micrologus 
Cap.  II  das  Gamma  als  »von  den  Neueren  hinzugefügt«  (»ß  modernis  adjunctum«) 
bezeichnet.  2)  Die  Notation  durch  Buchstaben  des  lateinischen  Al- 
phabets, welche,  wie  erwähnt,  schon  von  dem  big.  Gregor  zur  Bezeichnung 
der  Töne  benutzt  wurden.  3)  Das  Monochord  (ist  bei  Guido  kein  anderes 
als  bei  Boetius).  4)  Die  Lehre  von  den  Tropen  (Modis  oder  Tonarten) 
stammt  von  Gregor  d.  Gr.  5)  Die  Diaphonie  erscheint  bei  G.  kaum  weiter 
ausgebildet  als  ein  Jahrhundert  früher  bei  Hucbald;  nur  schien  ihm  dessen 
Quarten-,  Quinten-  und  Octaven-Organum  zu  hart,  und  er  schlägt  eine  weichere 
Diaphonie  vor,  welche  er  die  seinige  nennt  (»nosfra  vero  moUiora),  wo  die  Quarte 
den  wichtigsten  Platz  einnimmt,  und  sich  die  Stimmen  zum  Schluss  einander 
nähern,  um  im  Einklang  auszutöhen.  6)  Das  Ciavier,  Polyplectron  oder 
Spinett  (kann  schon  deshalb  nicht  von  G.  erfunden  sein,  weil  es  als  Unterrichts- 
mittel das  Monochord  bei  ihm  verdrängt  haben  würde).  7)  Die  Solmisation 
oder  die  Benennung  der  sechs  ersten  Töne  der  Tonreihe  durch  die  Sylben 
tif,  re,  mi,  fa,  sol,  la.  Hierüber  findet  sich  in  keinem  seiner  Tractate  etwas 
Bestimmtes;  nur  in  den  r>Musicae  regulae  rythmicaev.  stehen  sie  über  den  Tönen 


Guido  von  Arezzo, 


443 


der    Scala    von    F — aa.     G.    wollte    die    bekannte    Hymne    auf    Johannes    den 
Täufer 


GBF    DE     B 

Ut  que-ant     la   -  xis 


B     B     0    B     E    E 

re  -  so  -  na  -  re     fi  -  bris 


EEG     E    B     EG    B 

Mi    -    ra    ges  -  to  -  rum 


E    G     a     G     EEB     B 

fa  -  mu  -  li    tu    -    0    -   rum 


Ga     GFE    F    G     B 
Sol  -    ve       pol  -  lu  -  ti 


a     G     a     F     Ga     a 
la  -  bi  -  i      re  -  a  -  tum 


GF    E    B     GE    B 

Sanc  -  te     Je  -  an  -  nes 

lediglich  als  Hülfsmittel  benutzen,  um  dem  Schüler  das  Intervallverhältniss 
der  Kirchentonarten  (Octavengattungen)  einzuprägen,  ihm  die  Fertigkeit  bei- 
zubringen, jeden  gehörten  Ton  richtig  aufzufassen,  nicht  seiner  Tonhöhe,  son- 
dern seiner  proprietas  nach,  d.  h.  dem  Verhältniss  nach,  in  welchem  er  zu 
den  übrigen  Tönen  einer  musikalischen  Phrase  steht,  wie  wenn  man  heute  von 
einer  Tonphrase  angeben  soll,  ob  ihr  Schlusston  die  Quinte,  Terz  etc.  ist. 
Dass  Gr.  seinen  Silben  keine  andere  Bedeutung  gegeben  und  sie  niemals  auf 
eine  bestimmte  Tonhöhe  bezogen  hat,  ist  von  Raymund  Schlecht  (Caecilia, 
Organ  für  kath.  Kirchenmusik,  Jahrg.  1873)  ausführlich  und  mit  dem  Hinweis 
auf  G.'s  eigene  Worte  dargelegt.  Es  heisst  nämlich  im  Briefe  an  Michael: 
liSi  qiiis  itaque  uniuscuiusque  particulae  (des  Hymnus)  caput  ita  exercitatus  no- 
verit,  ut  confestim  quamcti^mque  particulam  voluerit  induhitanter  incipiat,  easdem 
sex  voces,  ubicumque  viderit,  secundum  suas  proprietates  facile  pronuntim'e  poterita^ 
d.  h.  »wenn  er  die  sechs  Zeilen  durcheinander  und  ausser  Zusammenhang 
singen  kann,  dann  braucht  er,  wenn  er  den  Ton  A  in  irgend  einer  Melodie 
sieht,  nur  das  •s>Lahii  reatumv.,  bei  F  nur  das  y)famuli  tuorumv.  sich  ins  Gre- 
dächtniss  zu  rufen,  um  die  folgenden  Intervalle  richtig  zu  treffen.  —  siAudiens 
quoque  aliquam  neumam  sine  descriptione,  perpende,  qiiae  Jiarum  particularum  ejus 
ßni  melius  aptetur,  ita  ut  ßnalis  vox  neumae  et  principalis  particulae  aequisonae 
sinf.a  Wäre  z.  B.  der  Schluss  einer  »gehörten«  Melodie  oder  eines  Melodie- 
satzes (neuma)  folgender: 


M 


-i=ä- 


-^- 


so  muss  der  Schüler  versuchen,  welche  Zeile  des  Hymnus  sich  ihm  am  besten 
anpasst.     Legt  er  -»Famuli  fuorum«  an,  so  erhält  er: 


F    G 


G    F   E    B    B 


3^S^: 


:* 


j;|!=i— 1^— jjcj- 


Fa  -  mu  -  11     tu 


—^ 


o  -  rum. 


und  merkt  alsbald  die  Nicht-Uebereinstimmung;  so  auch  beim  Versuch  mit  den 
übrigen  Zeilen  des  Hymnus,  ausgenommen  bei  »Mira  gestorumn,  wo  er  fühlen 
wird,  dass  der  Schlusston  des  Neuma  und  die  »principalis  particulae«,  der  An- 
fang der  Hymnenzeile,  gleichklingend  (aequisonae)  sind: 

EFGEBEGB 


:^: 


^=i= 


mi 


ra   ges  -  to 


rum. 


444 


Guido  von  Arezzo. 


und  wisseu,  dass  die  gehörte  Melodie  mit  S  schliesst.  8)  Das  Solmisations- 
System  nach  Hexachorden  und  Mutationen,  welches  sowohl  von  Engel- 
bert von  Admont  (13.  Jahrh.),  als  auch  schon  im  J.  1112  von  Sigebert  von 
Gemblours  als  eine  Erfindung  des  G.  bezeichnet  wurde,  ist  weder  in  dessen 
eigenen  Schriften,  noch  auch  in  denen  seiner  nächsten  Nachfolger  (z.  B.  des 
Joh.  Cotton)  erwähnt.  Vielmehr  sprechen  seine  eigenen  Worte  (Micrologus, 
Cap.  5)  dafür,  dass  sein  System  überall  auf  der  Octave  beruhte:  r>Nam  sicut 
finitis  Septem  diebus  eosdem  repetimus ,  ut  semper  primum  et  octavum  diem  eum- 
dem  dicamus;  ita  octavas  semper  voces  easdem  esse  figuramus  et  dieimits,  quia 
naturali  eas  concordia  consonare  sentimus.  Unde  verissime  poeta*)  dixit  esse 
Septem  dlscrimina  vocum,    quia    etsi  plures  ßant,    non    est  adjectio  sed  earumdem 

renovatio  et  repetitioo. y^Sicut  in  omni  scHptura  XX  et  IUI  litteras,  ita 

in    omni    cantu    Septem    tantum    habemus    voces Septem    dicimus   graves, 

Septem  vero  vocamus  acutus;  Septem  autem  litteris  dwpliciter  sed  dissimiliter  de- 
signantur,  lioc  modo: 

a  h  c  d 
rABODEFGabcdefgabcd.a 

Erst  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  entstand  in  den  Singeschulen  folgendes  Sol- 
misations-Schema: 


CS 

B 


(ee 

^ 

la 

dd. 

la 

sol 

cc 

sol 

fa 

Ihh 

mi 

bb 

> 

— 

fa 

1  aa 

— 

la 

mi 

re 

9 

•— — 

sol 

re 

ut 

,    P 

fa 

ut 

e 

la 

mi 

f 

d 

la 

sol 

re 

1 

1 
1 

l    c 
h 
b 

sol 

fa 

ut 

o 

fa 

mi 



K 

a 

la 

mi 

re 

— 

G> 

sol 

re 

ut 

F 

fa 

ut 

ä  [ 

E 

la 

mi 

c 

3 

D 

sol 

re 

0 

fa 

ut 

1) 

B 

mi 



— 

o 

J3 

A 

re 



es 

r 

ut 

— 

K 

Die  Hauptschwierigkeit  dieses  Solmisations-Systeras  bestand  in  der  Mutation, 
d.  h.  dem  AVechsel  der  Silben,  welcher  nöthig  wurde,  um  beim  TJebergang 
von  einem  Hexachord  in  das  andere  dem  mi-fa,  welche  Silben  immer  den  Halb- 
tonschritt bezeichneten,  seinen  Platz  zu  erhalten.  Ja  sogar  musste  beim  Auf- 
steigen schon  der  dem  Halbtonschritt  vorhergehende  Ton,  beim  Absteigen  die 
beiden  vorhergehenden  Töne  ihre  Namen  wechseln.  Die  Schwierigkeiten  dieser 
Methode,  der  verschiedenen  Silbenbenennungen  für  denselben  Ton,  je  nach  dem 
Hexachord,  welchem  er  angehörte  (so  hies  z.  B.  der  zweite  Ton  des  Hexachor- 


*)  Virgil. 


Guido  von  Arezzo. 


445 


ee 


dum  molle  G-sol-re-ut,  der  dritte  a-la-mi-re),  wurden  schon  frühzeitig  empfunden, 
wie  denn  ein  mittelalterlicher  Schriftsteller  die  Solmisation  ein  y>crux  tenellorum 
puerorumi  nennt;  gleichwohl  blieb  sie  noch  bis  in  den  Anfang  des  vorigen 
Jahrhunderts  in  Gebrauch,  wo  sie  in  Buttstedt  den  letzten  Vertheidiger,  in 
Mattheson  dagegen  einen  Gegner  fand,  dessen  Angriffen  sie  nicht  zu  wider- 
stehen vermochte. 

9)  Auch  in  Bezug  auf  die  sogenannte  harmonische  oder  Guidonische 
Hand  findet  sich  in  G.'s  "Werken  nicht  die  leiseste  Andeutung,  wenn  sie  auch 
bald  nach  seinem  Tode  in  einem  Werke  des  Abtes  Wilhelm  von  Hirschau, 
r>De  musica  et  tonisa,  in  folgender  Abbildung  erscheint: 

Die  Guidonische  Hand  bezweckt  nichts 
weiter,  als  die  Namen  und  die  Reihenfolge 
der  neunzehn  Töne  (ohne  das  tj  und  das 
ee,  welches  letztere  über  den  Mittelfinger 
gesetzt  wurde)  dem  Schüler  einzuprägen, 
indem  man  einem  jeden  derselben  seinen 
Platz  auf  einem  der  neunzehn  Gelenke  der 
Hand  anwies:  das  obere  Glied  des  Daumens 
bekam  das  Gamma,  hierauf  fuhr  man  herab, 
dann  quer  hinüber,  am  kleinen  Finger 
hinauf,  an  den  oberen  Gliedern  der  fol- 
genden drei  entlang,  am  Zeigefinger  wieder 
herab  u.  s.  w.  im  Kreise.  Auch  diese  Er- 
findung hatte  einen  unverhältnissmässigen 
Erfolg  und  wurde  von  Späteren  vielfach  in 
anderer  Weise  wiederholt,  so  in  Henri  Fa- 
ber's  »Ad  musieam  practicam  introductioa 
(1571),  wo  jeder  der  drei  Mittelfinger  einen  von  unten  aufsteigenden  Tetrachord 
repräsentirt  und  mit  einem  Schlüssel  versehen  ist. 

Dies  sind  die  wichtigsten  unter  den  Erfindungen,  welche  dem  G.  mit 
Unrecht  zugeschrieben  worden  sind;  seine  wirklichen  Entdeckungen  oder  Ver- 
besserungen bestehen: 

1)  in  einer  neuen  Unterrichtsmethode  zum  Vom-Blatte- Singen  und 

2)  in  der  Einführung  der  Linien  sowie  der  Benutzung  der  Zwischen- 
räume (Spatien)  bei  Notirung  der  Gesänge,  und  es  gereicht  ihm  zu  besonderer 
Ehre,  jene  Dinge  nicht  nur  erdacht,  sondern  auch  seine  Methode  —  in  dem 
»Micrologus«,  dem  »Briefe  an  Michael«  und  in  dem  Prologe  seines  Antipho- 
nars —  mit  Klarheit  dargelegt  zu  haben,  wenngleich  sein  Latein,  der  damaligen 
Zeit  gemäss,  kein  elegantes  ist  —  soweit  wenigstens  dem  von  dem  Fürstabt 
Gerbert  zu  St.  Blasien  publicirteu  und  von  den  unzweifelhaft  echten  Manu- 
scripten  der  Pariser  Bibliothek  (vormals  in  der  Abtei  St,  Evroult)  nicht  selten 
abweichenden  Texte  zu  trauen  ist.     " 

Von  den  seit  Alters  her  unter  G.'s  Namen  cursirenden  Schriften  über 
Musik  —  welche  begreiflicherweise  nicht  minder  zahlreich  waren,  als  die  ihm 
zugeschriebenen  Entdeckungen  und  Erfindungen  —  wählte  Gerbert  für  seine 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  veranstaltete  Ausgabe  der  y>Scriptores 
ecclesiastici  de  musica  Sacra  potentissimumti  (Band  II.)  die  folgenden,  von  ihm 
für  echt  gehaltenen:  1)  Micrologus  Guidonis  de  disciplina  artis  mu- 
sicae,  dem  Bischof  Teudaldus  von  Arezzo  gewidmet,  wo  in  20  Capiteln  eine 
Theorie  der  Musik,  nicht  wie  bei  seinen  Vorgängern  von  philosophischen, 
sondern  von  praktischen  Gesichtspunkten  ausgehend,  dargestellt  ist.  2)  Mit- 
sicae  Guidonis  regiolae  rhythmicae  in  antiphonarii  sui  prologum 
prolatae,  Regeln  in  gereimten  Versen,  welche  den  Inhalt  des  vorigen  Werkes 
resumiren.  3)  Alias  Guidonis  regulae  de  ignoto  cantu  identidem  in 
antiphonarii  sui  prologum  prolatae,  mit  angeführtem  ausführlicherem 
Tractate  Epilogus    de    modorum  formulis,    welcher   letztere,    nach  seinem 


446  Guido  von  Arezzo. 

von  dem  übrigen  abweichenden  Styl*)  zu  urtheilen,  nicht  von  G.  ist.  4)  Upi- 
stola  Guidonis  Michaeli  monacho  de  ignoto  cantu**)  directa,  giebt 
über  G.'s  Lebensverhältnisse,  sowie  über  seine  Lehrmethode  mannigfachen 
Aufschluss.  5)  Tractatus  Guidonis  corre  ctorius  multorum  errorum, 
qui  fiunt  in  cantu  gregoriano  in  multis  locis.  6)  Quomodo  de  arith- 
metica  procedit  musica.  Die  Echtheit  dieser  beiden  Tractate  wird  allgemein, 
die  des  letzteren  sogar  von  Grerbert  bezweifelt.  Das  wichtigste  Guidonische 
Manuscript  aber  war  dem  Gerbert  noch  unbekannt:  der  Cod.  Bihlioth.  Tlticensis 
(der  sog.  Codex  von  St.  Evroult,  gegenwärtig  in  der  Pariser  Bibliothek),  wel- 
cher neben  den  kleineren  Abhandlungen  y>De  modorum  formulisi^,  riEpilogus  de 
modorum  formulisi.  und  y>Mensura  Bo(itii<i  ein  unzweifelhaft  von  G.  stammendes 
Antiphonar  und  Graduale  nebst  Psalter  enthält,  letztere  nach  dem  von 
G.  erdachten  und  beschriebenen  verbesserten  System  mit  Neumen  auf  vier 
Linien  (die  obere  gi'ün,  die  zweite  von  unten  roth,  die  übrigen  nur  mit  dem 
GriflPel  gerissen)  und  mit  Benutzung  der  Zwischenräume  notirt. 

Diese  Vereinfachung  des  Liniensystems,  verbunden  mit  der  vorhin  er- 
wähnten Verwendung  der  Silben  ut,  re,  mi,  fa,  sol,  bildet  das  ganze  Geheimniss 
der  Guidonischen  Unterrichtsmethode.  Durch  die  erstcre  wurde  allerdings  kein 
geringer  Fortschritt  •  erzielt,  wenn  man  sich  die  Schwierigkeiten  vergegenwärtigt, 
welche  das  Zuviel  oder  Zuwenig  der  Linien  dem  Lernenden  bereiteten, 
jenachdem  für  jede  Note  eine  besondere  Linie  genommen  und  dui'ch  das  Ge- 
wirre der  Linien  eine  schnelle  TJebersicht  unmöglich  gemacht  wurde,  oder  aber 
man  sich  mit  einer  einzigen  Linie  begnügte,  wo  dann  die  richtige  Entzifferung 
der  grösstentheils  in  der  Luft  schwebenden  Tonzeichen  fast  nur  vom  Zufall 
abhängig  war.  Uebrigens  ist  der  Charakter  der  reformatorischen  Bestrebungen 
G.'s  keineswegs  ein  radicaler.  Mit  der  zu  seiner  Zeit  gebräuchlichen  Noten- 
schrift, den  Buchstaben  für  die  Schule,  den  Neumen  für  die  Kirche  und  die 
Choralbücher,  hat  er  keinerlei  Veränderung  vorgenommen.  Er  erklärt  sich 
mit  Vorliebe  für  die  Buchstaben: 

y>Solis  litteris  notare  optime  probavtmusa, 
hält  aber  die  Neumen  nicht  für  entbehrlich: 

y)Oausa  vero  breviandi  neumae  solent  fieri 
Quae  si  curiosae  fiant  habentur  pro  litteris.fs. 

d.  h.  wenn  ihr  Steigen  und  Fallen  durch  Linien  klar  gemacht  ist: 

r>Soc  si  modo  disponantur  litterae  cum  lineisu 
a 

G — 

F 

E 

D 

C 

B 


Dass  Guido  den  C-  und  F-Schlüssel,  sowie  die  farbigen  Linien  erfunden  und  ein- 
geführt habe,  glaubt  Forkel  aus  folgenden  Worten  im  Prolog  zu  seinem  Anti- 
phonar schliessen  zu  dürfen: 

»  TIt  proprietas  sonor  um  discernatur  clarius 
Quasdam  lineas  signamus  variis  coloribus 
JJt  quo  loco  quis  sit  tonus,  mox  discernat  oculus.a 
Jedenfalls  legte  G.  ein  besonderes  Gewicht  auf  die  Verdeutlichung  der  Neumen 
durch  Buchstabe    und  Farbe,    ohne  welche    sie    einem  Brunnen  zu  vergleichen 


*)  Kiesewetter. 

**)  d.  h.  über  die  Art  und  Weise,  eine  unbekannte  Melodie  ohne  Hülfe  des  Lehrers 
oder  eines  Instrumentes  sich  einzuprägen. 


Guido  von  Arezzo.  447 

seien,  dessen  noch  so  reichliclies  Wasser  Niemandem  nütze,  wenn  kein  Strick 
zum   Schöpfen  vorhanden  ist: 

y)Ät  si  littera  vel  color  neumis  non  intererit 

Tale  erit,  quasi  funem  dum  non  habet  puteus 

Ouius  aquae,  quamvis  multae,  nil  prosunt  videntibus.a 
Auch  noch  die  ältere,  schon  bei  Hucbald  vorkommende  Notation  mittelst  Tren- 
nung und  Aufschichtung  der  Testes  -  Silben  in  sieben  Linien  ohne  Benützung 
der  Spatien  findet  sich  bei  Gr.  im  Microlog;  Noten  im  modernen  Sinne  hat 
er  nicht  gekannt  und  eben  so  wenig  Punkte;  Angeloni  freilich  bezieht,  wie  schon 
Pater  Kircher,  alles,  was  Gr.  von  »Neumen«  sagt,  auf  »Noten«,  während  bei 
ihm  die  Neumen  als  Notenzeichen  stets  nur  durch  den  Plural  »Neumae«  aus- 
gedrückt sind,  der  Singular  »Neuma«  aber  eine  melodische  Phrase  bedeutet. 
Auch  das  bei  Gl-,  häufig  vorkommende  "Wort  »notaa  giebt  keinen  Anhaltspunkt 
zur  Widerlegung  der  obigen  Behauptung,  da  es  bald  für  y>voxK,  bald  für 
■nneuma<i,  »Signum«,  rilitterav.  etc.  gebraucht  ist. 

Gr.'s  grosses  und  unbestreitbares  Verdienst  besteht  darin,  dass  er  zuerst 
die  Noth wendigkeit  erkannte,  die  philosophischen  und  mathematischen  Specu- 
lationen  seiner  Vorgänger  wenigstens  theilweise  in  einer  Kunst  aufzugeben,  in 
welcher  die  Praxis  einen  so  wichtigen  Platz  einnimmt.  Der  Eifer  für  seine 
Kunst,  der  Scharfsinn,  mit  welchem  er  die  musikalische  Noth  seiner  Zeit  be- 
griff und  das  Bedürfniss,  den  von  ihm  gefundenen  Weg  zur  Besserung  aller 
Welt  zu  zeigen,  machen  ihn  zu  einer  ebenso  achtungswerthen  wie  sympathischen 
Erscheinung  der  gesammten  Musikgeschichte.  Sobald  er  sich  über  das  rein 
praktische  Gebiet  hinausbegiebt,  bleibt  auch  er  allerdings  nicht  frei  von  jener 
Beschränktheit,  welche  die  Geistesarbeit  des  Mittelalters  selbst  in  den  streb- 
samsten Epochen  kennzeichnet.  So  empfiehlt  er  eine  Methode,  Melodien  zu 
erfinden,  indem  man  die  Vocale  a  e  i  o  u,  die  ja  in  keiner  Silbe  fehlen,  wie- 
derholt der  Reihe  nach  unter  die  Tonzeichen  des  Monochords  schreibt,  wonach 
dann  jedes  geschriebene  Wort  gesungen  werden  könne  (»quod  ad  cantiim  redi- 
gUur  omne  quod  scribiturv.)  —  ein  Verfahren,  welches  heutzutage  nur  Lächeln 
erregen  würde.  Wenn  aber  G.  trotz  dieser  »Homunculus-Melodiebildung  in  der 
Betorte  der  fünf  Vocale«  (wie  sie  Ambros  im  zweiten  Theile  seiner  Geschichte 
der  Musik  sehr  treffend  benannt  hat)  verlangt,  dass  die  Töne  des  Gesanges 
den  durch  die  AVorte  ausgedrückten  Empfindungen  entsprechen  (y>ut  rerum 
eventus  sie  cantionis  imitetur  effectus,  tit  in  tristibus  rebus  graves  sint  neumae«.  etc.) 
—  wenn  er  ferner  mit  unerbittlicher  Strenge  gegen  die  Oberflächlichkeit  des 
Virtuosenthums  zu  Felde  zieht,*)  welches  sich  damals  wie  zu  allen  Zeiten 
durch  Eitelkeit  und  Missgunst  gegen  Neuerungen  unvortheilhaft  auszeichnete, 
so  beweist  er  damit  eine  für  jene  Zeit  ungewöhnliche  Weite  seines  künstle- 
rischen Horizontes;  man  wird  seinem  musikalischen  Charakter  eine  gewisse 
Grossartigkeit  nicht  absprechen  dürfen,  vielmehr  zugeben  müssen,  dass  er,  wie 
durch  seine  Leistungen,  so  auch  durch  seine  Tendenz  in  der  Geschichte  der 
Culturbestrebungen  des  Mittelalters  einen  der  wichtigsten  Plätze  einnimmt, 
und  dass  die  ihm  bis  auf  den  heutigen  Tag  erwiesene  Ehre  —  auch  ein  Mo- 
nument ist  ihm  vor  einigen  Jahren  in  seiner  Vaterstadt  Arezzo  errichtet  wor- 
den —  keineswegs  eine  unverdiente  ist. 

Näheres  über  Guido  findet  man  in  Angeloni's  Dissertation  y>sopra  la 
vita  le  opere  ed  il  saper e  di  Guidoa  und  in  der  darauf  bezüglichen  Schrift 
Kiesewetter 's,  welche  letztere  das  Studium  der  ersteren  beinahe  überflüssig 
macht.  Eerner  bei  Bottee  de  Toulmon  y>Notice  sur  Guido  d' Arezzo«.  tome 
XIII.  des  memoires    de    la    Societe    royale    des  Äntiquaires  de  Fra^ice.     Endlich 


*)  „Temporibus  nostris  super  omnes  liomines  fatui  sunt  cantores"  heisst  es  im  Prolog 
zu  den  „regulae  de  ignoto  cantu"  und  im  Anfang  des  versificirten  Prologs: 
„Musicorum  et  cantorum  magna  est  distanfia, 
Isti  dicunt,  Uli  sciunt  quae  componit  Musica. 
Nam  qui  facit  quod  non  sapit,  definitur  bestia." 


448  Giiidon  —  Guillemain. 

bei  Forkel  (allgemeine  Greschicbte  der  Musik,  Band  II),  Burney  (a  general 
Idstory  of  music  II,  2),  Fetis  fBiograpIdc  des  musiciensa  und  De  la  Borde 
»JEssai  sur  la  musiquea  III,  S.  345,  W.  Langhaus. 

Guidon  (frauzös.),  der  Notenzeiger,  s.  CustoB. 

Onidoiiius,  Joannes,  holländischer  Gelehrter,  der  um  die  Mitte  des  16. 
Jahrhunderts  wirkte,  schrieb:  y>MinervaUa,  in  quihis  scientiae  praeconium  atque 
icjnoranliae  socordia  consideratur ,  artium  liberalium  in  musicen  äecertatio  lejpida 
appingiturv.  (Mastricht,  1554).  f 

Guidouische  Haud,  s.  Guido  von  Arezzo. 

Guidouisclie  oder  aretinische  Silbeu,  s.  Guido  von  Arezzo. 

Guidouisches  System,  s.  GuidovonArezzo. 

Guigruou,  Jean  Pierre,  berühmter  französischer  Violinvirtuose,  geboren 
am  10.  Febr.  1702  zu  Turin,  trieb  zu  Paris  als  Knabe  anfangs  Violoncello- 
übungen, wandte  sich  aber  dann  der  Violuie  mit  solchem  Erfolge  zu,  dass  er 
sogar  für  Leclair  ein  Nebenbuhler  wurde.  Seit  1733  im  Dienste  des  Königs, 
wurde  er  Violinlehrer  des  Dauphins  (nachmaligen  Königs  Ludwig  XV.)  und 
erhielt  1741  den  Titel  eines  Roi  des  violons  et  des  menetriers,  den  er  1773 
wieder  ablegte,  da  er  selbst  im  Processwege  keines  der  alten  damit  verbundenen 
Vorrechte  behaupten  konnte.  Mit  ihm  hörte  dieser  Titel  dann  auch  gänzlich 
auf.  G.  selbst  starb  am  30.  Jan.  1774  zu  Versailles  am  Schlagflusse.  Als 
Componist  hat  er  mehrere  Bücher  Sonaten,  Duos,  Trios  und  Concei'te  ver- 
öffentlicht. 

Gaillaaiue  de  Maehau  oder  de  Machaut,  altfranzösischer  Dichter  und 
Musiker,  geboi'en  um  1284  im  Dorfe  Machau  bei  Rethel  in  der  Champagne, 
trat  1301  in  die  Dienste  Johanna's  von  Navarra,  Gemahlin  Phüipp's  des 
Schönen  von  Frankreich,  und  1307  als  Kammerdiener  in  die  des  Königs.  Im 
J.  1316  wurde  er  Geheimschreiber  Johann's  von  Luxemburg,  Königs  von 
Böhmen,  nach  dessen  Tode  1346  in  der  Schlacht  von  Crecy  ihn  Bona  von 
Luxemburg,  Herzogin  von  der  Normandie,  in  Dienst  nahm.  Nach  deren  Ab- 
leben beim  Herzog  Johann  von  der  Normandie,  nachmaligem  Könige  Johann 
von  Frankreich  als  Geheimschreiber,  hatte  er  diese  Stelle  auch  noch  bei  dem 
Nachfolger  desselben,  Karl  V.,  inne.  Er  lebte  1369  noch,  da  er  in  seinem 
Werke  »ia  prise  d^Älexandriea.  noch  der  Ende  jenes  Jahres  fallenden  Er- 
mordung des  Königs  Peter  von  Jerusalem  und  Cypern  Erwähnung  thut.  — 
Zahh-eiche  Compositionen  G.'s,  als  zwei-  und  dreistimmige  französische  und 
lateinische  Motetten,  Rondeaux,  Balladen,  scherzhafte  Chansons  und  eine  Krö- 
nungsmesse für  Karl  V.  bewahrt  die  Manuscriptensammlung  der  Pariser  Bi- 
bliothek. Perne  hat  letztere  Messe  in  die  moderne  Notation  übertragen.  Ein 
gleichfalls  erhalten  gebliebenes  Gedicht  G.'s  ȟ  te^nps  pastourv.  handelt  u.  A. 
auch  von  den  im   14.  Jahrhundert  im   Gebrauche  gewesenen  Instrumenten. 

Gnillaume,  Edme,  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  Canonicus  zu  Auxerre, 
erfand  um  1590  die  Kunst,  das  Cornett  in  Schlangenform  zu  winden.  Von 
dem  ersten  Gebrauch  eines  so  gewundenen  Instruments  in  dem  Hause  G.'s 
berichtet  der  Abbe  Lebeuf  Tom.  I.  p.  643  seiner  Geschichte  von  Auxerre. 
Diese    Erfindung    soll    die   Erbauung    des    Serpent   (s.  d.)    angebahnt    haben. 

t 
Onilliand,     Maximilien,     französischer    Tonkünstler    aus    Chälons    sur 

Saone  und  als  Musiker  in  der  Saint-Chapelle  zu  Paris  angestellt,  veröffentlichte 
einen  ^^Traite  de  miisique».  (Paris,  1554),  den  er  dem  damaligen  königl.  Kapell- 
meister zu  Paris,  Claude  de  Sermisy,  zueignete.  Einige  seiner  Messen  findet 
man  auch  noch  unter  den  12  vierstimmigen  Messen,  die  ebenfalls  1554  zu 
Paris  erschienen.  f 

Guillemain,  Gabriel,  französischer  Violinvirtuose  und  Componist,  ge- 
boren am  15.  Novbr.  1705  zu  Paris,  scheint  seine  Tüchtigkeit  dem  eifrigen 
Studium  der  Werke  Corelli's  gedankt  zu  haben.  Im  J.  1738  wurde  er  Violinist  der 
Kapelle  und  Kammermusik  des  Königs    und    coraponirte  1749    für    die  Bühne 


öuillet  —  Guivaud.  449 

das  sehr  beifällig  aufgenommene  Divertissement  T>La  cabale<i,  ausserdem  noch 
für  sehr  schwer  und  bizarr  erachtete  Yiolin- Sonaten,  Trios  u.  s.  w.  Melan- 
cholischen und  scheuen  Charakters  wagte  er  nicht,  im  Concert  spirituel  auf- 
zutreten, und  als  er  am  1.  Octbr.  1770  in  dienstlichen  Angelegenheiten  sich 
von  Paris  nach  Versailles  begab ,  legte  er  in  einem  Anfalle  von  Wahnsinn 
sogar  Hand  an  sich  selbst,  indem  er  sich  in  der  Nähe  von  Chäville  durch 
vierzehn  Messerstiche  tödtete. 

Gnillet,  Charles  de,  flandrischer  Componist  und  Musikgelehrter  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  lebte  zu  Brügge,  woselbst  er  wahrscheinlich  auch 
geboren  war,  und  veröffentlichte  1610  »24  Fantaisies  sehn  Vordre  des  douze 
modesii,  welche  gemäss  den  Regeln  des  Zarlino  gesetzt  waren.  Die  Manu- 
scriptensammlung  der  Hofbibliothek  zu  Wien  besitzt  von  ihm  handschriftlich 
eine  ^Institution  harmonique<s.  in  drei  Büchern. 

Guillou,  de,  vortrefflicher  französischer  Dilettant,  der  mit  grosser  Fertig- 
keit Violine  und  Fagott  spielte.  Bis  zur  Zeit  der  Revolution  war  er  Infan- 
terieofl&cier  der  königl.  Armee  und  gab  von  seiner  Composition,  1780  in  Lyon, 
später  in  Paris  Violin- Quartette,  Duette  und  Soli  heraus.  Er  hinterliess  u.  A. 
auch  ein  Fagottconcert,  das  aber  nicht  im  Druck  erschienen  sein  dürfte. 

Gnillou,  Albert,  geschickter  französischer  Componist,  geboren  zu  Meaux 
im  J.  1801 ,  erhielt  seine  musikalische  Ausbildung  auf  dem  Pariser  Conser- 
vatorium,  wo  er  für  einen  der  ausgezeichnetsten  Schüler  galt  und  mehrere 
Compositionspreise  davontrug.  Auch  in  der  Folge  schuf  er  auf  fast  allen 
Compositionsgebieteu  überaus  Bemerkenswerthes,  starb  aber  1854  zu  Venedig, 
ohne  seinem  Rufe  auch  im  Auslande  Geltung  verschafft  zu  haben. 

(fuillon,  Henri  Charles,  französischer  Vocal- und  Instrumentalcomponist, 
lebte  um  1730  als  praktischer  Musiker  und  Musiklehrer  zu  Paris  und  hat 
zahlreiche  Gesangssachen,  Stücke  für  Violine,  Flöte  u.  s.  w.  geschrieben  und 
veröffentlicht. 

Gnillou,  Joseph,  vorzüglicher  französischer  Flötenvirtuose  und  Componist 
für  sein  Instrument,  geboren  1786  zu  Paris,  kam  mit  elf  Jahren  auf  das  Con- 
servatorium  seiner  Geburtsstadt  und  wurde  dort  von  Devienne,  später  auch 
von  Wunderlich  im  Flötenspiel  unterrichtet.  Mit  dem  ersten  Preise  ausge- 
zeichnet, verliess  er  1808  das  Institut,  musste  aber  bis  1815  warten,  ehe  er 
Anstellung  als  zweiter  Flötist  im  Orchester  der  Grossen  Oper  und  in  der 
königl.  Kapelle  erhielt.  Ein  Jahr  später  wurde  er  Lehrer  seines  Instruments 
am  Conservatorium  und  rückte  nach  Tulou's  Abgange  auch  zum  ersten  Flötisten 
der  Oper  auf.  Schlechte  Vermögensumstände  veranlassten  ihn  1830  zu  Con- 
certreisen,  und  er  besuchte  Belgien,  Berlin,  Hamburg,  Stockholm  u.  s.  w.  In 
St.  Petersburg  liess  er  sich  endlich  nieder,  betrieb  aber  weniger  die  Musik  als 
die  Färberei.  Später  wandte  er  sich  der  Musikschriftstellerei  zu  und  starb  im 
Septbi".  1853  zu  St.  Petersburg.  Concerte,  Duos,  Fantasien,  Variationen  u.  s.  w. 
seiner  Composition  für  Flöte  sind  iit  Paiüs  erschienen. 

Guiueo  ist  der  Name  eines  der  vielen  im  16.  Jahrhundert  in  Aufnahme 
gekommenen  Tänze  französischen  oder  norditalischen  Ursprungs,  die  ihrer  freien 
Bewegungen  und  üppigen  Stellungen  wegen  damals  sehr  anstössig  gefunden, 
trotzdem  aber  von  der  Menge  mit  vielem  Beifall  aufgenommen  wurden.  Von 
allen  diesen  Tänzen  blieb  nur  die  Gaillarde  längere  Zeit  hindurch  in  der 
Mode.  Die  Musik  des  G.  war  wahrscheinlich  der  zur  Gaillarde  ähnlich, 
die,  entweder  im  ''/e  oder  ^/4 ,  seltener  im  */4  oder  */4  Takt  geschrieben, 
von  ausgelassenem  lustigen  Charakter  ohne  besondere  rhythmische  Merk- 
male war.  2. 

Gnipi  ist  der  Name  einer  der  ältesten  einfachen  Raga's  (s.  d.)  der  Index-, 
welche  um  ein  Sruti  (s.  d.)  alterirte  Töne  haben.  0. 

Guiraud,  Er n est,  talentvoller  und  geschickter  französischer  Componist, 
der,  auf  dem  Conservatorium  gebildet,  in  unabhängiger  Stellung  zu  Paris  lebt. 
Von  seinen  BaUetpartituren  hat  sich    »Der  Schmied  von   Gretna-Green«  ausser 

Mnsikal.  Convera.-Lexikon.    IV.  29 


450  Guit  —  Guitarre. 

in  Paris  auch  in  St.  Petersburg,  Wien  uud  Berliu  grossen  Beifall  erworben. 
Andere  bedeutende  Werke  von  ihm  sind  eine  Concert- Ouvertüre  op.  10  und 
eine   Suite  für  Orcheater. 

Guit,  altfranzösischer  Dichter  und  Musiker  des  13.  Jahrhunderts,  lebte  zu 
Dijon,  wo  er  auch  geboren  war.  Sechszelm  seiner  Chansons  befinden  sich  in 
der  Manuscripteusammlung  der   Staatsbibliotliek  zu  Paris. 

Guitarre  (span.:  guitarra,  ita].:  cldtarra,  französ.:  guitare  oder  guiterne)  ist 
der  Name  eines   Ton  Werkzeugs,    dessen   Geschichte    hinaufweist    bis  zur  Urzeit 
der  Tonkunst,  die  uns  Instrumentgestaltungen  vorführt,  welche  oft  nur  scheinbar 
denen  der  lieutigen  Gr.  durchaus  fremd  zu  sein  scheinen.      Unmittelbar  entstand 
dieselbe    aus    dem  El-Aud  (s.  d.)    der  Araber,    das    etwa  270  n.  Ohr.    zuerst 
vollendet  cunstruirt,  sich  verbreitete.     An  der  Gestaltung  dieses   Tonwerkzeugs 
repartiren  das  griechisch  Mihwa  geheissene  Instrument  und  das  alte  Griffbrett- 
instrumeut    der  Assyrer    und  Aegypter    zu    gleichen  Theilen.     Wie    in  diesem 
Werke    Theil    I.    S.    323    ausführlicher    berichtet    ist,    wurden    die    Griffbrett- 
Instrumente  wahrscheinlich  in   beiden  genannten  Ländern  selbständig  erfunden. 
Für  die  assyrische  Erfindung  derselben   sprechende  Gründe  findet  man   an  eben 
angegebener   Stelle    verzeichnet.     Für    die    Erfindung  in  Aegypten    spricht    die 
Aehnlichkeit  dieses  Instrumentes  mit  der  Hieroglyphe,  die  wahrscheinlich  Abbild 
eines    paraphonen    Monochords    war,    das    den    ersten   Hierophanten    zur    Fest- 
stellung   ihrer    der   Sphärenscala    nachgebildeten   Tonfolge    diente,   und    deshalb 
in  die   Schrift  aufgenommen,    dort,    doppelt  gestellt,    eine    nachdrückliche  Ver- 
sicherung   der  Wahrheit    des   Gesagten:    Ja,    ja!  bedeutete.     Diesen   Griffbrett- 
instrumenten   verliehen    die    Araber    die    der    m&UQa    eigenen    Schallkasten    in 
Schildkrötenschaalenform,    wovon    dies  Instrument    den  Namen  El-Aud  erhielt, 
worauf  unsere  Benennung    Laute    (s.  d.)  zurückzuführen    ist.     Trotzdem    nun 
über  den   Ort  der  Fertigung    der    ersten    modernen  G.  in    abendländischer  Art 
nichts  bekannt  ist,    so  lässt  sich   nach  dem  ersten  Auftreten   und  der  Verbrei- 
tuugsweise  derselben    schliessen,    dass   Spanien    das  Heimathland  derselben  war 
und  die  El-Aud    dem  Erfinder    der   G.  zum  Vorbilde    diente.     Die  erbitterten 
ßacenkämpfe  in  Spanien,   710 — 1274,  die  zu  einem  Rückschritt  und  dem  gänz- 
lichen Verschwinden   der  arabischen  Kunst  daselbst  Veranlassung  gaben,  führten 
zur    Erfindung    der    modernen    G.      Mit    der    Ausbreitung    des    Christenthums 
nämlich  kam  auch  die  durch  die  Kirche    eingeführte    und    gepflegte    abendlän- 
dische Musik    in    Spanien    zur   Geltung,    welche    im    damaligen  Entwickelungs- 
gange,    wie  unsere  Musikgeschichte  nachweist,    von    dem  Geiste  der  in  Blüthe 
stehenden    arabischen  Kunst    sich    nichts    einzuverleiben    vermochte;    höchstens 
konnten  rohe  Nachbildungen   von  arabischen  Tonwerkzeugen  allmälig  als  Diener 
des  neuen   Geistes  der  Musik    sich    einer  Anerkennung    erfreuen,    die    mit  der 
Fortschreitung  der  Kunst    sich    derselben    entsprechend    änderten  und  vervoll- 
kommneten.     Die    Verfertiger    von    arabischen    Tonwerkzeugen    wurden    durch 
Fanatismus  zwar  vertrieben  oder  vernichtet  und  die  Kirche  gestattete  nur  dem 
abendländischen   Tongeiste  die  öffentliche  Pflege,  doch  vermochte  sie  nicht  das 
Gedenken  an  einen  wichtigen   Faktor  des  Volkslebens,  an  die  El-Aud,  aus  der 
Allgemeinvorstellung  zu  vernichten.     Das  milde  Klima   Spaniens,  das  dem   Mu- 
siktreiben in    freier  Natur    zu    jeder  Zeit    günstig  war,    der    romantische,    für 
malerisches  Erscheinen   schwärmende   Geist  der  Spanier,  wie  die  im  Volke  tief 
eingewurzelte   Gewohnheit,    durch   Gesang    in    romantischer  Form    seiner  Liebe 
Ausdruck  zu  geben,    forderte    ein    leicht   behandelbares,    zur   Gesangbegleitung 
wold  geeignetes  und  bequem  transportables  Tonwerkzeug,  das  der  El-Aud  Erb- 
theil  übernahm.     Dies  Erbtheil    übernahm    die  G.,    die   aber   erst  zu  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  zu  einer  Normalgestaltung  gekommen   zu    sein    scheint,    denn 
erst  nach   dieser   Zeit  wurde  die  G.  in  Italien    und   Frankreich    bekannt.     Die 
damalige    Gestalt    derselben    war    unserer    heutigen    G.    ziemlich    gleich.      Der 
Schallkasten  derselben  bestand  aus  einer  planen  Decke   und  einem  planen  Boden 
nebst   einer  rechtwinklich   mit  ihnen  verbundenen  Zarge.     Die  Ober-  und  Unter- 


Guitarre,  451 

flächen  des  Kastens  hatten,  ähnlich  den  fast  gleichzeitig  sich  ausbildenden 
Streichinstrumenten,  in  der  Mitte  jeder  Seite  eine  Einbiegung,  zwisciien  wel- 
chen Einbiegungen  sich  in  dem  Resonanzboden  das  Schailloch  befand.  Saiten- 
befestigung und  Grriffbrettbeschaffenheit  waren  in  der  Art  unserer  heutigen 
schlechtesten  Gr.;  nur  zeigten  dieselben  weniger  iiiinde  (s.  d.)  und  einen 
wenigersaitigen  Bezug  (s.  d.).  Wenn  das  El-Aud  in  primitivster  i'orm  nur 
vier  Saiten  besass,  so  finden  wir  in  erster  Zeit  die  (jr.  mit  fünfen,  von  denen 
die  beiden  tiefsten  mit  dem  Daumen  der  rechten  Hand,  die  andern  drei  mit 
dem  Zeige-,  Mittel-  und  Ringfinger  derselben  tönend  erregt  wurden.  Die 
Sicherheit  bei  der  Saitenbehandluug  bewirkte  mau  durch  feste  Aufstellung  des 
kleinen  Eingers  auf  die  Resonanzbodendecke,  wie  noch  heute.  Nachdem  die 
(j.  über  200  Jahre  in  diesen  Ländern  in  stets  steigender  Verbreitung  sich 
eingebürgert  hatte,  hielt  sie  endlich  durch  die  Herzogin  Amalie  von  Weimar 
im  J.  1788  aus  Italien  ihren  Einzug  in  Deutschland.  Der  Instrumentbauer 
Jacob  August  Otto  zu  Jena  war  während  der  ersten  zehn  Jahre  darauf  allei- 
niger Nachbildner  dieses  importirteu  Instrumentes.  Er  fügte  auch  dem  Bezüge 
der  G.  auf  Anrathen  des  königl.  sächsischen  Kapellmeisters  Naumann  die  sechste 
Saite  hinzu.  Vgl.  darüber  seine  eigenen  Auslassungen  in  seinem  »Ueber  den 
Bau  der  Bogeninstrumente  etc.«  betitelten  Werke.  Mit  dem  Anfange  des  19. 
Jahrhunderts  steigerte  sich  die  Liebhaberei  für  die  Gr.  in  Deutschland  zu  einer 
wahren  Wuth,  welche  erst  um  1840  zum  Stillstand  gelangte  zugleich  mit  der 
Verbreitung  des  verbesserten  Pianos  und  dem  aligemeinen  Erkennen:  dass  die 
grossen  Opfer  an  Zeit,  um  die  (r.  zur  Darstellung  von  Kunstschöpfungen  zu 
verwenden,  durchaus  nicht  dem  sich  entwickelnden  Kunstsinne  entsprechend  sich 
verhielten.  Auch  grosse  Meister  in  der  Gr.  -  Behandlung ,  wie  Griuliani  und  N. 
Paganini,  konnten  sich  nur  Anerkennung  für  angeeignete  in  Erstaunen  setzende 
Oeschicküchkeit ,  doch  nicht  bleibende  Verehrung  für  bereitete  Kunstgenüsse 
erringen,  weshalb  denn  auch  Männer  wie  Paganini  später  der  Pflege  der  Gl^. 
gänzlich  entsagten.  Dass  die  Gr.,  da  sie  eben  Eolie  für  viele  Virtuosen  und 
unendlich  zahlreiche  Dilettanten  war,  auch  massenhafte  als  Verbesserungen  er- 
achtete Modificationen  im  Laufe  der  Zeit  erhielt,  erscheint  natürlich.  Die  jetzt 
meist  überall  verbreitete  Gr.,  denn  auch  in  Spanien  hat  mau  die  deutsche  Ein- 
führung eines  sechssaitigen  Bezuges  derselben  gutgeheissen,  hat  überall  eine 
gleiche  Form.  Der  Schallkasten  besteht  aus  zwei  parallelen  dünnen  Brettern, 
das  eine,  Resonanzboden  (s.  d.)  genannt,  aus  mit  durchsichtigem  Eirniss 
bestrichenen  Tannenholz;  das  andere.  Resonanzdecke  geheissen,  aus  nach  aussen 
etwas  gewölbtem,  polirten  Ahornholz  gefertigt,  und  einer  ebenfalls  aus  polirtem 
Ahornholz  gemachten  meist  10  Cm.  hohen  Zarge  (s.  d.).  Decke  wie  Boden 
sind  von  gleicher  Gestalt,  der  arabischen  Ziffer  8  ähnlich.  Die  höchste  Breite 
des  oberen  Theils  beträgt  23  Cm.  und  die  des  unteren  31  Cm.  Etwas  über 
die  Mitte  des  Schallkastens  hinaus  sind  die  Decken  an  beiden  Seiten,  wie  bei 
der  Violine,  einwärts  geschweift,  jedoch  ohne  Ecken  zu  haben.  Die  tiefste 
Einbiegung  derselben  ist  17  Cm.  unterhalb  des  Griffbretts  gelegen,  wo  sich 
die  Ränder  bis  auf  19  Cm.  nähern.  Gerade  in  der  Mitte  der  tiefsten  Ein- 
biegung befindet  sich  in  der  Resonanzdecke  das  9  Cm.  Durciimesser  besitzende 
runde  Schallloch.  Unterhalb  des  Schallloches,  29  Cm.  vom  obern  Schallkasten- 
rande entfernt,  liegt  ein  9  Cm.  langes  und  1  Cm.  breites  Bretteben,  das  auf 
den  Resonanzboden  aufgeleimt  ist;  dasselbe  trägt  den  Steg  (s.  d.)  und  zeigt 
unter  demselben  sechs  runde  Löcher,  die  nach  der  Schalllochseite  m  eine 
Saiten  dicke  ofiene,  beinahe  bis  zum  Stege  gehende  Rinne  auslaufen.  Diese 
Löcher  dienen  zur  Befestigung  der  Saiten.  Man  macht  nämlich  am  Bude 
derselben  einen  Knoten,  der  durch  das  runde  Loch  gesteckt  wird.  Indem  man 
den  Knoten  dem  Stege  näher  zieht,  geht  die  Saite  in  die  Rinne  und  der  Knoten 
im  Resonanzkasten  hinter  dieselbe.  Jede  Anspannung  der  Saite  nun  vom 
andern  Ende  her  zieht  den  Knoten  so  nahe  es  angeht  an  die  Rinne,  muss 
jedoch  nicht  vermögen,  dieselbe   durch  diese  zu  ziehen.     An  diesem  Resonanz- 

29* 


452  Guitarre. 

kästen  befindet  sich  ein  Hals  von  5  Cm.  Breite  und  31  Cm.  Länge,  der  oben 
plan,  wie  der  Resonanzboden,  und  unten  rund  ist.  Auf  der  oberen,  gewöhnlich 
schwarz  gefärbten  Seite  des  Halses  sind  Bunde  aus  eingelegten  Elfenbein-  oder 
Metallstreifen,  welche  auf  gleich  gefärbter,  auf  dem  Schallboden  fortgesetzter 
Unterlage  noch  bis  in  die  Nähe  des  Schallloches  fortgesetzt  sind.  Ein  etwas 
höherer  Bund  am  Ende  des  Halses  dient  als  Sattel  (s.  d.)  für  die  Saiten  des 
Bezuges.  Am  Halse  stumpfwinklich  fest  angefügt,  befindet  sich  das  Wirbel- 
brett (s.  d.).  Durch  dasselbe  sind  von  unten  nach  oben  zweckentsprechend 
sechs  Löcher  für  die  Wirbel  gebohrt,  deren  walzenförmige  Enden,  ein  Loch 
zeigend,  durch  welches  die  zu  spannende  Saite  gezogen  wird,  über  dasselbe 
hervorragen;  die  Flügelenden  der  Wirbel  sind  unter  dem  Brette.  Einige  G. 
haben  auch  statt  des  Wirbelbx-etts  ein  Wirbelhaus  (s.  d.),  ähnlich  dem  bei 
den  Streichinstrumenten.  Zuweilen  findet  man  auch  G-.,  die,  um  das  Zurück- 
gehen der  Wirbel,  also  das  Verstimmen  der  Saiten  zu  vermeiden,  statt  der 
Wirbel  eiserne  Schrauben  von  oben  herein  in  den  hohlen  Wirbelkasten  laufen 
haben,  welche  messingne  Knöpfchen,  die  an  der  äussern  Seite  sich  befinden, 
und  in  denen  Spalten  zum  Einhängen  der  Saiten  gefeilt  sind,  auf  und  nieder 
winden,  was  durch  Hülfe  eines  kleinen  Schlüssels  von  Messing,  wie  an  einer 
Stutzuhr ,  bewerkstelligt  wird.  Auch  Vorrichtungen ,  wie  an  den  Wirbeln  der 
Contrabässe  construirt,  findet  man  bei  Gl.  vor.  Nicht  eigentlich  zur  Gr.  ge- 
hörig, aber  doch  allen  eigen  ist  noch,  dass  sich  am  äussersten  Ende  im  Wirbel- 
brett ein  Loch  befindet,  durch  das  ein  breites  Band  gezogen  werden  kann, 
dessen  anderes  Ende  dann  an  einem  Knopfe  befestigt  wird,  der  in  der  Mitte 
der  Zarge,  dem  Halse  gerade  gegenüber,  befindlich  ist.  Dies  Band,  so  lang, 
dass  es,  über  den  Hals  des  Spielers  gelegt,  dem  Instrumente  eine  solche  Lage 
vor  der  Brust  desselben  gestattet,  dass  es  zur  bequemeren  Handhabung  des 
Tonwerkzeugs  dienlich  ist  und  dem  Spieler  ein  malerisches  Auftreten  erleichtert, 
wird  von  Vielen  gern  gesehen.  Von  den  sechs  den  Bezug  bildenden  Saiten 
sind  die  drei  das  höhere  Tonreich  vertretenden:  Darmsaiten,  die  andei-n  drei 
sind  entweder  mit  Kupfer-  oder  Silberdraht  übersponneue  Seidensaiten,  oder 
zwei  solche  und  eine,  die  höhere  nämlich,  eine  übersponneue  Darmsaite.  Diese 
Saiten  bieten  in  ihrer  Normalstimmung  aufsteigend  vier  Quarten  und  eine 
Durterz,  wie  folgende  Angabe  der  Klänge  der  freien  Saiten  zeigt:  E,  A,  d,  g, 
h  und  e^.  Zuweilen  stimmt  man  auch,  um  in  F-  oder  JB-dur  gesetzte  Tonstücke 
leichter  ausführen  zu  können,  die  tiefste  Saite  in  F  und  seltener  aus  ähnlichen 
Gründen  sogar  in  G  oder  As.  Beim  Spiel  der  G.,  deren  Saiten  durch  Reissen 
mit  den  Pingerspitzen  der  rechten  Hand  tönend  erregt  werden ,  hält  man  den 
Hals  derselben  so  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand,  dass 
die  Pinger  derselben  sich  bequem  auf  dem  Griffbrett  bewegen  können.  Den 
untern  G.-Theil  stützt  man  entweder  auf  das  rechte  Knie  oder  die  rechte  Lende, 
so,  dass  der  Resonanzboden  abwärts  gekehrt  ist,  oder  hält  denselben  gegen  das 
untere  Ende  des  rechten  Brusttheils,  jenachdem  man  beim  G.-Spiel  sitzt  oder 
steht.  Das  Reissen  der  Saiten  liegt,  wie  erwähnt,  der  rechten  Hand  ob,  und 
bewirkt  man  dasselbe,  indem  man  den  kleinen  Pinger  der  rechtt-n  Hand  in  der 
Nähe  des  SchalUochs  fest  auf  den  Resonanzboden  setzt,  mit  dem  Zeige-,  Mittel- 
und  Ringfinger  derselben  je  eine  der  höheren  Saiten  zu  behandeln  sich  be- 
fleissigt  und  dem  Daumen  die  auf  den  drei  tieferen  Saiten  zu  erregenden  Töne 
auferlegt.  Bei  gewünschtem  starkem,  arpeggioartigem  Anschlage  der  Saiten 
fährt  man  auch  nur  mit  dem  Daumen  der  rechten  Hand  allein  von  der  tiefer- 
zur  höhergestimmten  Saite  querüber.  Die  verschiedenen  Anschlagsarten,  deren 
es  ausser  den  angeführten  noch  einige  giebt,  sowie  die  besondern  Anschlags- 
stellen der  Saiten  wtrden  ebenso  wie  die  verschiedenen  Lagen,  in  der  sich  die 
linke  Hand  beim  Greifen  der  Töne  bewegen  muss,  in  den  verschiedenen  G.- 
Schulen, an  denen  durchaus  kein  Mangel  ist,  gelehrt,  wu  man  sie  die  Appli- 
catur  der  Hände  nennt.  —  Wenden  wir  uns  nun  zur  Beleuchtung  der  An- 
wendung der  G.   im  Kunstleben,   so  kann  es  derselben  Niemand  bestreiten,  dass 


Guitarre.  453 

sie  sich  besonders  zur  einfachsten  Begleitung  von  Gesangstücken  eignet,  sobald 
dieselben  nur  accordischee  Accompagnement  fordern  und  eine  Octave  über  dem 
Tonreicb  der  Gl.  erklingen,  also  zur  Begleitung  von  Sopranparthien ,  weniger 
zu  Tenor-  und  noch  weniger  zu  Bassgesängenbegleitung.  In  gleichei-  Weise 
steht  auch  der  Werth  der  G-.  im  Ensemble.  Als  Soloinstrument,  wie  man  es 
in  seiner  Blüthezeit  einzuführen  versuchte,  hat  es  sich  nicht  bewährt,  trotzdem 
Virtuosen  sich  mühten,  eigens  dafür  gesetzte  Tonstücke,  wie  Fantasien,  Sonaten, 
Variationen  etc.,  selbst  mit  Trillern,  Doppeltrillern  und  Flageolettönen  versehen, 
auf  durchaus  vollendete  Weise  darauf  vorzuführen;  der  Ton  des  Instruments, 
die  eigentliche  Seele  desselben,  ist  kalt  und  dürftig  und  muss  in  einer  Zeit, 
wo  man  sich  immer  mehr  dem  gefühlten  Ton  zuwendet,  an  Verehrern  ver- 
lieren. Deshalb  ist  es  nicht  ungerecht,  zu  behaupten,  dass  seine  Vorzüge  es 
ihm  nicht  erlauben,  in  der  Kunst  eine  bedeutende  Stelle  einzunehmen,  wofür 
jedoch  seine  vielfache  Anwendung  bei  niedern  Kunst-  und  Dilettantenleistungen, 
wo  es  fast  unentbehrlich  gewesen,  reichlich  entschädigt.  Das  bedeutende  Ton- 
reich der  G. ,  welches  von  IE  bis  h"^  reicht,  kann  Jeder  leicht  zu  beherrschen 
sich  aneignen,  und  die  Stimmung  der  Grundsaiten  dei'selben  gestattet  in  G-, 
G-,  D-,  Ä-,  E-  und  F-dur,  sowie  in  Ä-,  E-,  Ms-,  Oia-  und  D-moll  stehende 
Tonstücke  bald  ausführen  zu  lernen ;  Tonstücke  jedoch  mit  mehr  Versetzungs- 
zeichen darzustellen  ist  schwieriger,  und  gebraucht  man  hierzu  den  Gapo  iasto 
(s.  d,).  Bei  grösserer  Beherrschung  des  Instruments  lässt  sich  oft,  ohne  der 
Natur  desselben  Gewalt  anzuthun ,  mehr  auf  demselben  herstellen,  als  man 
glauben  sollte.  TJm  dies  jedoch  zu  vermögen,  ist  eine  schulgerechte  Behand- 
lungsweise  desselben  durchaus  zu  empfehlen,  die  in  jeder  G.- Schule  nachgewiesen 
wird;  die  bekanntesten  der  letzteren  sind:  die  von  Bortolazzi,  Bevilaqua,  Bern- 
hardt. CaruUi,  Doisy,  Fiedler,  Giuliani,  Härder,  Lehmann,  Molino,  Pacini,  Scheidler, 
Sor,  Spina,  Stählin,  Wohlfahrt  u,  A.  Ein  vollständigeres  Verzeichniss  bietet 
Whistling  in  seinem  »Handbuch  der  musikalischen  Literatur«,  S.  420.  Auch 
der  Compositionen  für  G.  sind  nicht  Avenige,  doch  sind  auch  diese  meist  altern 
Datums.  Zwar  sind  die  G.-Schulen  auch  meist  alle  einer  früheren  Zeit  ent- 
sprossen, doch  sind  sie  um  deswillen  noch  heute  die  besten,  weil  man  in  neuester 
Zeit  nicht  mehr  Versuche  macht,  höchste  Kunstleistungen  auf  dem  Instrumente 
zu  erstreben  und  auch  sonst  die  G.  nur  noch  in  der  einfachsten  Weise  gepflegt 
wird  und  zwar  vorzüglich  in  deren  Urheimath:  Spanien.  TJm  dazu  befähigt 
zu  werden,  genügt  eine  einfache  Tabulatur  der  G.,  die  man  denn  von  dort  her 
auch  in  Massen  beziehen  kann,  während  solche  in  Deutschland  seltener  her- 
gestellt werden.  —  Im  Orient  hat  sich  übrigens  die  G.  in  Anbetracht  der 
Saitenzahl  ihres  Bezuges,  wie  der  Zahl  ihrer  Bunde,  in  umgekehrter  Weise 
ausgebildet,  wie  im  Occident.  In  erster  Art,  weil  bei  der  Fühnmg  einer 
Melodie,  da  der  Morgenländer  keine  Harmonie  in  unserem  Sinne  kennt,  die 
einfache  Vertretung  der  Klänge  des  Tonreichs  ausreichend  ist,  und  in  zweiter, 
weil  innerhalb  der  Octave  in  allen "  orientalischen  Musikkreisen  eine  grössere 
Tonzahl  als  bei  uns  in  Gebrauch  ist.  Die  heutige  arabische  Kunst  besitzt  der 
Zahl  nach  die  meisten  G.-Arten.  Diese  theilt  man  dort  in  zwei  Gattungen, 
guitarrenartige  Tonwerkzeuge  mit  Drahtsaiten  und  solche  mit  Darmsaiten.  Er- 
stere  nennt  man  Tanburen  (s.  d.).  Da  diese  Gattung  somit  einen  besondern 
Namen  führt  und  die  Benennung  G.  oder  eine  ähnliche  daraus  abgeleitete  meist 
nur  für  Griffbrettinstrumente  mit  Darmsaiten  dort  wie  anderwärts  in  Gebrauch 
ist,  so  dürfen  hier  die  Arten  der  Tanburen,  die  in  allen  andern  orientalischen 
Musikkreisen  Nachahmung  fanden ,  ganz  ausser  Acht  bleiben.  Die  G.  im  ara- 
bischen Musikkreise  hat  fünf  Saiten.  —  In  Indien  kennt  man  mehrere  Arten 
der  Schikara  (s.  d.),  von  denen  zu  merken  ist,  dass  sie  einige  Eigenheiten 
der  Vi  na  (s.  d.),  des  Nationalton  Werkzeugs,  aufweisen,  und  deren  eine,  die 
Schikära  von  Madras,  bald  als  Eeiss-,  bald  als  Streichinstrument  Anwendung 
findet.  Alle  Arten  sind  meist  nur  viersaitig.  Die  indischen,  Sitar  (s.  d.)  ge- 
nannten Musikinstrumente  dagegen    haben  sechs-  und  siebensaitige  Bezüge  aus 


454  Guitarre  d'amour. 

Metallsaiten,  gehöi'en  also  nach  Obigem  zur  Gattung  der  Tanburen,  und  lassen 
wir  deshalb  diese  hier  trotz  der  Benennung  ausser  Acht.  —  Die  persische 
Schtäre  (s.  d.)  hat  nur  vier  Saiten.  In  China  kennt  man  in  neuerer  Zeit 
drei  0-.- Arten:  Pun-gum  (s.  d.),  viersaitig;  Gut-komm  (s.  d.),  ebenfalls  vier- 
saitig;  und  Sam-juu  (s.  d.),  nur  dreisaitig.  In  .Japan  kultivirt  man  zum 
Spiel  bei  Tänzen  vorzüglich  eine  zweisaitige  Gr. ,  von  der.  ein  gutes  Bild ,  das 
zugleich  über  die  Nutzanwendung  derselben  belehrt,  in  The  illustrated  London 
neion  No.  1807  des  Jahres  1874  pag.  349  gegeben  ist,  —  Schliesslich  seien 
hier  rioch  kurz  einige  der  Bestrebungen,  die  G.  zu  vervollkommnen,  aufgezeichnet. 
Thielemann,  Instrumentbauer  in  Berlin,  beschäftigte  sich  seit  dem  .T.  1806  mit 
Vorliebe  mit  der  Verbesserung  der  G.  und  hat  die  Frucht  seiner  Bestrebungen 
in  zwoi  Abhandlungen  niedergelegt.  (Leipziger  allgem.  musikal.  Ztg.  1818 
S.  7.56  und  1820  S.  717.)  Eine  ebenfalls  die  Verbesserung  der  G.  betre£Feude 
Abhandlung  befindet  sich  in  derselben  Zeitung  vom  J.  1813,  in  der  der  In- 
strumentbauer Arzberger  seine  Erfahrungen  mittheilt.  Besonders  um  den 
Damen,  deren  Lieblingsinstrnment  die  G.  in  den  Zeiten  ihrer  Blüthe  war,  die 
wunden  Fingerspitzen  beim  Beissen  der  Saiten  zu  ersparen,  erfand  ein  Deutscher 
in  London,  dessen  Namen  nicht  bekannt  geblieben  ist,  eine  Claviatur  mit  sechs 
Tasten.  Durch  einen  Mechanismus  bewirkten  diese,  dass  Tangenten  aus  dem 
Körper  der  G.  duixh  ein  länglich  geformtes  Schallloch  die  Saiten  tönend  er- 
regten. Die  Funktion  des  Greifens  der  Töne  verblieb  auch  bei  dieser  G.  der 
linken  Hand.  Der  Erfinder  nannte  dies  Tonwerkzeug:  Pianoforte-  oder 
Tastenguitarre.  Der  Hang,  der  G.  eine  möorlichst  romantische  Form  zu 
verleihen  und  derselben  dabei  zugleich  die  leichteste  Behandlungsweise  anzu- 
weisen ,  führte  einen  Franzosen ,  dessen  Namen  gleichfalls  nicht  bekannt  ge- 
worden ist,  dazu,  der  G.  die  Form  einer  Lyra  zu  verleihen,  die  mit  Griffbrett 
versehen  war  und  ausserdem  eine  Tastatur,  gleich  der  der  eben  erwähnten 
Tastenguitarre,  hatte.  Dies  Instrument,  welches  sich  in  den  Jahren  von  1820 
bis  1830  einiger  Verbreitung  erfreute,  nannte  sein  Erbauer  Lyraguitarre. 
Im  J.  1823  erfand  Job.  Georg  Staufer  in  Wien  die  sogenannte  Guitarre 
d'amour  (s.  d.).  italienisch  chitarra  con  arco  und  deutsch  Bogen-  auch 
wohl  Violoncellguitarre  geheiesen,  deren  genauere  Beschreibung  in  einem 
besonderen  Artikel  gegeben  ist.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  die  Erfindung 
nicht  eine  G.  bietet,  sondern  ein  Streichinstrument.  Ende  der  zwanziger  und 
anfangs  der  dreissiger  Jahre  dieses  Jahrhunderts  kam  auch  eine  sogenannte 
Guitarren- Harfe  (s.  d.)  in  Gebrauch,  über  die  das  Bekannte  in  dem  be- 
treffenden Artikel  gegeben  wird.  Trotzdem  nun  in  neuester  Zeit  die  G.  aus 
Künstlerhänden  fast  sränzlich  verschwunden  ist  und  deshalb  auch  Verbesserungen 
derselben  fast  gar  nicht  mehr  versucht  werden ,  so  findet  man  doch  noch  hin 
und  wieder  Fabrikate  angepriesen,  die  eine  Bereicherunsr  derselben  an  Saiten 
zeigen.  So  bietet  die  deutsche  Musikerzeitung  1874  No.  12  S.  95  in  der 
Anzeige  des  Instrumentfabrikanten  Georg  Heideorger  Terz-,  Tenor-  und 
Bass- Guitarren  eigener  Construktion  mit  abzuschraubendem  Halse  und 
Stahlspreizen  an,  die  neun,  zehn  und  dreizehn  Saiten  führen.  Diese  Bezug- 
bereicherung, die  eine  Resonanzkastenveränderung  etc.  erfordert,  ist  nur  eine 
der  Lauteneigenthümlichkeit  entnommene  Nachbildung  und  bietet  der  Kunst 
selbst  nichts  neues  Beachtenswerthes.  C.   Bill*^rt. 

Ouitarre  d'amour  (französ.;  Italien,  chitarra  con  a/rco  und  deutsch  Bogen-, 
Liebes-,  Violoncell-  oder  Knie-Guitarre)  nannte  man  ein  von  Job. 
Georg  Staufer  in  "Wien  im  J.  1823  erfundenes  Streichinstrument,  das  der 
Guitarre  nachgebildet  war.  Dies  Instrument,  von  dem  im  ersten  Bande  der 
musikalischen  Zeitschrift  »Caecilia«  S.  168  eine  bildliche  Darstellung  geboten 
wird,  war  der  Form  nach  ein  Mittelding  zwischen  Guitarre  und  Cello.  Von 
der  Guitarre  hatte  dasselbe  einen  Theil  der  Gestaltung  des  Resonanzkastens 
und  das  mit  Bunden  versehene  Griffbrett,  vom  Cello  die  den  Streichinstru- 
menten überhaupt  eigenen  Gestaltungen  des  Beaonanzbodens,  des  Saiteuhalters 


Guitarrenaufsatz  —  Guitarren-Harfe.  455 

und  des  Gri£fbretts,  nämlich,  dass  alles  dies  gewölbt  gebaut  wurde,  damit  der 
Bogen  auch  den  einzelnen  Saiten  Töne  zu  entlocken  vermochte.  Als  Beson- 
deres hatte  es  vom  Cello  den  Steg  (s.  d.),  der  dem  des  Violoncells  ganz  gleich 
war,  und  die  ähnlich  den /"-Lö ehern  (s.  d.)  angebrachten  zwei  Klangöffnungen 
statt  des  einen  sonst  der  Guitarre  eigenen  runden  Schallloches.  Diese  Er- 
findung lehrt  wieder  recht  deutlich,  wie  lustrumentenbauer  oft  glauben,  eine 
neue  Schöpfung  zu  bieten  und  nur  eine  Modification  eines  längst  in  die  Rumpel- 
kammer geworfenen  Tonwerkzeugs  vorführen,  weil  sie  nicht  Musikgeschichte 
oder  Kenntniss  der  Instrumente  der  A'^ergangenheit  als  Berufsnothwendigkeit 
erachten.  Wie  viel  Zeit  und  Mühe  würden  sich  gerade  die  vorzüglichsten 
der  Instrumentbauer,  die  grübelnden,  ersparen,  wenn  ihnen  dies  Wissen  zu 
eigen  wäre.  —  Man  kann  die  G.  eigentlich  nur  als  eineAbai't  der  alten  Viola 
bastarda  (s.  d.)  betrachten.  Der  Bezug  der  G.  bestand  gleich  dem  der  ge- 
wöhnlichen Guitarre  aus  sechs  Saiten,  die  auch  gleich  denselben  in  JE^,  A,  d,  g, 
h  und  e'^  gestimmt  wurden.  Vgl.  Leipz.  musikal.  Zeitung  vom  J.  1828  S.  813. 
Die  G.  machte  in  der  ersten  Zeit  grosses  Aufsehen  und  soll  sich  auch  einiger 
Verbreitung  und  Verbesserungen  durch  den  Instrumentbauer  Ertl  in  Wien  er- 
freut haben,  worauf  derselbe  sogar  ein  k.  k.  Patent  erhielt.  Welcher  Art  diese 
Verbesserungen  jedoch  waren,  ist  nicht  weiter  bekannt,  weshalb  sich  vermuthen 
läset,  da  er  und  der  Erfinder  der  G.  fast  nur  die  einzigen  Verfertiger  solcher 
Instrumente  waren,  dass  dieselben  mehr  in  kleinen  Dingen,  die  gross  bekannt 
gemacht  wurden,  um  die  Aufmerksamkeit  auf  den  Verbesserer  zu  lenken,  be- 
stunden. Auch  ein  Virtuose  dieses  Instruments  ist  zu  verzeichnen,  nämlich 
der  Musikdirektor  Birnbach  in  Berlin,  doch  keine  G.-Schule.  Wiener  Berichten 
aus  jener  Zeit  zufolge  war  der  Klang  der  G.  bezaubernd  schön  und  einem 
Blasinstrument  ähnlich  singend,  in  der  Höhe  dem  Oboentone,  tieferhin  aber 
dem  Bassethorn  ähnlich.  Nebstdem  gewährte  es  grosse  Leichtigkeit  in  der 
Ausführung  schwieriger  Passagen,  ja  selbst  schnell  nebeneinander  folgender 
Terzengänge,  wie  auch  chromatischer  Läufe,  welche  letztere  freilich  auf  dem 
mit  Bunden  versehenen  Griffbrette  mit  eben  der  Leichtigkeit  durch  blosses 
Auf-  und  Abgleiten  der  Finger  hervorgebracht  werden  können,  wiez.  B.  auf 
dem  Claviere  auf  ähnliche  Weise  die  diatonische  C-dttr-T ouleiter  gestrichen  wird. 
Vorzüglich  anmuthig,  behauptete  man,  soll  es  sich  unter  Begleitung  einer  ge- 
wöhnlichen Guitarre  ausgenommen  haben.  In  wie  weit  diese  Berichte  der 
Wahrheit  entsprochen  haben  oder  blos  durch  Interesse  geschaffene  waren,  lässt 
sich  heute  nicht  mehr  entscheiden,  da  das  Instrument  kaum  noch  in  Raritäten- 
sammlungen sich  vorfindet;  gebaut  wird  es  lange  nicht  mehr.  Die  Streich- 
instrumente, jene  Beherrscher  unsei'er  Musikwelt,  die  kleine  harmonisch  oft  ge- 
forderte Tonänderungen,  ohne  derselben  zu  gedenken,  eintreten  lassen,  und  das 
Ohr  unserer  Musikliebhaber,  das  solche  Veränderungen  im  Genüsse  der  Kunst, 
wenn  es  angeht,  beansprucht,  kann  mit  einer  Stereotypscala,  wie  sie  die  G. 
nur  zu  bieten  vermag,  nicht  mehr  zufriedengestellt  werden.  C.  B. 

Guitarrenaufsatz,  s.  Capo  tasto. 

Guitarren-Harfe  nannte  man  ein  um  1828  von  einem  Deutschen,  dessen 
Name  nicht  bekannt  geworden  ist,  erfundenes  Reissinstrument,  das  in  seiner 
Behandlungsweise  Aehnlichkeit  mit  der  einer  Guitarre  hatte.  Die  G.  kann  als 
eine  mehrsaitige  Guitarre  betrachtet  werden,  welche  jedoch  aufrecht,  wie  die 
Harfe  gestellt  wird.  Die  Saiten  der  G.  werden  einzig  mit  den  Fingern  der 
rechten  Hand  tönend  erregt  und  können  mittelst  eines  kurzen  GriffTsretts  durch 
die  Finger  der  linken  Hand  verkürzt  werden.  Darin  bestand  wohl  auch  die 
Hauptähnlichkeit  mit  einer  Guitarre.  Obgleich  man  damals  fand,  dass  die  G. 
sich  besonders  zur  Begleitung  des  Gesanges  in  einfachen  Accorden  eignete  und 
einen  wunderbaren,  ätherischen  Klang  habe,  der  mehr  dem  einer  Aeolsharfe 
als  dem  einer  Guitai-re  gliche,  so  war  es  dennoch  der  G.  nicht  möglich, 
dauernder  Anerkennung  sich  zu  erfreuen,  denn  dieselbe,  mehr  eine  Frucht  des 
kränklichen    Zeitgeistes:    neue    Tonwerkzeuge    erfinden    zu    wollen,    sah    wenig 


456  Gukuk  -  Gumbert, 

Lebenstage.  Jetzt  ist  die  Gr.  längst  verschwunden  und  nur  sehr  selten  trifft 
man  eine  oder  die  andere  noch  in  Kunstkabinetten  an.  C.  B. 

Gnkuk,  s.  Cuculus. 

Gnldor,  Ignaz  und  Peter,  zwei  Brüder,  die  sich  Compositionsruf  er- 
warben, und  von  denen  der  erstere  1757,  der  letztere  1761  zu  B.aabburg  bei 
Steyerburg  geboren  ist.  Messen,  Offertorien,  Vespern  u.  s.  w.  ihrer  Compo- 
sition  standen  gegen  Ende  des   18.   Jahrhunderts  in  besonderer  Achtung. 

Guloiny,  J.  C,  tüchtiger  Violinvirtuose,  geboren  am  22.  Juni  1821  zu 
Pernau,  machte  zahlreiche,  von  Erfolg  begleitete  Kunstreisen,  bis  er  1853  die 
feste  Stellung  als  Concertmeister  der  fürstl.  Kapelle  zu  Bückeburg  annahm, 
welche  er  noch  gegenwärtig  inne  hat. 

Gumbert,  Ferdinand,  einer  der  talentvollsten  und  beliebtesten  Lieder- 
compouisten  der  neuesten  Zeit,  geboren  am  21.  April  1818  zu  Berlin,  erhielt 
bei  schon  früh  sich  documentirenden  musikalischen  Anlagen  Unterricht  auf  der 
Violine  bei  Nieber,  später  bei  Ed.  Ritz,  einem  Schüler  Rode's.  Seine  schöne 
Sopranstimme,  verbunden  mit  der  Sicherheit  im  Treffen  der  schwierigsten  In- 
tervalle, zog,  als  er  gleichzeitig  das  Gymnasium  zum  grauen  Kloster  besuchte, 
die  Aufmerksamkeit  des  dortigen  Gesanglelirers ,  Prof.  Em.  Fischer  (s.  d.), 
auf  sich,  der  ihn  darauf  hin  auch  in  den  Anfangsgründen  des  Generalbasses 
unterrichtete.  Da  G.,  dem  "Willen  seiner  Eltern  gemäss,  sich  nicht  professionell 
der  Musik  widmen  sollte,  so  trat  er  als  Lehrling  in  die  Buchhandlung  von 
Veit,  setzte  aber  in  den  Mussestunden  seine  Studien  in  der  Musiktheorie  und 
Composition  bei  Cläpius  eifrig  fort,  brachte  in  einem  Dilettanten-Orchesterverein 
auch  sein  Violinspiel  zu  guter  Geltung  und  sang  sehr  fleissig.  Letztere  Uebung 
führte  ihn  1839  der  Bühne  zu.  Zuerst  in  Sondershausen  für  jugendliche 
Liebhaber-  und  Naturburschen-Parthien  engagirt,  ging  er  1840  nach  Köln,  wo 
er  bis  1842  als  Baritonist  mit  sehr  sympathischer  Stimme  ein  ebenso  geach- 
tetes wie  beliebtes  Bühnenmitglied  war.  Auf  Conradin  Kreutzer's  Rath  ent- 
sagte er  dem  Theater  und  widmete  sich  in  seiner  Vaterstadt  ausschliesslich  der 
Composition  und  der  Ertheilung  von  Gesangunterricht  und  zwar  mit  ausser- 
ordentlichem Erfolge.  Von  400  Liedern,  die  er  bis  1874  veröffentlichte  und 
die  sich  auf  120  Hefte  vertheilen ,  sind  sehr  viele  nicht  nur  in  Deutschland 
überaus  beliebt  geworden ,  sondern  auch ,  in  die  betreffenden  Landessprachen 
übersetzt,  nach  Frankreich,  England,  Schweden  und  Spanien  gelangt.  Sie 
danken  diese  seltene  Verbreitung  ihrer  anmuthigen,  originellen,  sehr  sangbaren 
und  leicht  fasslichen  Melodik,  der  gegenüber  das  harmonische  Element  und 
das,  was  die  jetzige  Zeit  Vertiefung  nennt,  allerdings  zurücktritt  und  nur  neben- 
sächlich erscheint,  gemäss  G.'s  künstlerischem  Grundsatze,  dass  ein  gutes  Lied 
schön  bleiben  müsse,  selbst  wenn  es  der  Begleitung  ganz  entbehre.  Auch  die 
mit  Unrecht  vernachlässigte  Gattung  des  Liederspiels  brachte  G.  wieder  zu 
Ehren.  Er  schuf  auf  diesem  Gebiete:  »Die  Kunst  geliebt  zv  werden«  (1848), 
«Der  kleine  Ziegenhirt«  (1854),  »Bis  der  Rechte  kommt«  (1856)  u.  s.  w.,  von 
denen  das  erstere  mit  grossem  Erfolge  über  fast  alle  deutschen  Bühnen  ging 
und  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  hat.  Ebenfalls  mit  Glück  ver- 
suchte sich  G.  als  Liederdichter  und  als  Uebersetzer  französischer  und  spa- 
nischer Romanzen  der  Frau  Viardot- Garcia,  der  schwedischen  Lieder  .Jenny 
Lind's,  der  polnischen  Lieder  von  Chopin  u.  s.  w.;  ebenso  hat  er  die  Opern 
»Das  Glöckchen  des  Eremiten«,  »Die  Africanerin«,  »Mignon«,  »Der  König  hat's 
gesagt«  und  fünf  Offenbach'sche  Operetten  ins  Deutsche  übertragen.  Der  Musik 
und  speciell  dem  Gesänge  und  der  Oper  widmete  er  vortreffliche  literarische 
Abhandlungen,  welche  sich  in  der  Berliner  Musik/eitung  »Echo«  (bis  1860), 
im  »Theaterdiener«  (1860  bis  1869)  und  in  der  »Gartenlaube«  (1873)  befinden. 
Für  die  »Neue  Berliner  Musikzeitung«  besorgt  er  seit  1861  die  Opern-Bericht- 
erstattung, und  die  einschlägigen  Artikel  dürfen  den  besten  und  sachkundigsten 
beigezählt  werden,  welche  gegenwärtig  überhaupt  erscheinen.  Unter  dem  Titel 
»Musik.     Gelesenes  und  Gesammeltes«  (Berlin,  1860)  endlich  veröffentlichte  er 


Gumpelzhaimer  —  Gang*!.  457 

eine  Reihe  von  Aussprüchen,  Epigrammen  und  Gedichten  über  die  Tonkunst. 

—  Vortheilhafte  Anerbietungen  zu  Anstellungen,  die  ihm  im  Laufe  der  Zeit 
oft  winkten,  hat  G-.  zurückgewiesen;  er  lebt  in  unabhängiger  Stellung  in  Berlin, 
das  er  überhaupt  selten,  nur  auf  kurze  Zeit  verlassen  hat  und  ist  als  Mensch 
durch  sein  liebenswürdiges,  freimüthiges  und  geistvolles  Wesen  gleich  sehr  ge- 
schätzt und  geachtet,  wie  als  Künstler. 

Gumpelzhaimer,  Adam,  deutscher  ComponiRt  geistlicher  und  weltlicher 
Lieder,  geboren  um  1560  zu  Trostberg  in  Oberbaiern,  erhielt  seinen  haupt- 
sächlichsten Unterricht  in  der  Musik  durch  den  Pater  Jodocus  Enzmüller  im 
Kloster  St.  Ulrich  in  Augsburg.  Im  J.  1575  trat  er  als  Musiker  in  die  Dienste 
des  Herzogs  von  Würtemberg,  übernahm  aber  1581,  nachdem  er  sich  als  frucht- 
barer und  gediegener  Liedercomponist  schon  einen  bedeutenden  Namen  er- 
worben hatte,  die  Cantorstelle  in  Augsburg,  die  er  bis  zu  seinem  Tode,  An- 
fangs des  17.  .Jahrhunderts,  verwaltete.  Seine  geistlichen  Lieder  (meist  mehr- 
stimmig und  bis  zu  acht  Stimmen)  stehen  denen  Lasso's,  Hasslers'  u.  s.  w.  fast 
ebenbürtig  da;  eine  Menge  Sammlungen  derselben  sind  in  Gerber's  Tonkünstler- 
Lexicon  vom  J.  1812  aufgeführt.  Auserdem  veröffentlichte  er  ein  -nCompenämm 
musieae  latinum - germanicuma  (Augsburg,  1595),  welches  nach  Fetis,  der  das 
Erscheinungsjahr  früher  setzt,  zwölf  Auflagen   erlebte. 

Oumpenhuber,  der  grösste  deutsche  Virtuose  auf  dem  Pantalon  nächst 
Hebenstreit,  geboren  um  1730  im  Bayrischen,  war  in  der  Zeit  von  1755  bis 
1758,  wo  er  Russland  wieder  verliess,  kaiserl.  Kammermusiker  in  St.  Petersburg. 
Alle  näheren  Mittheilungen  über  ihn  fehlen.  Er  hat  zahlreiche  Concerte,  Ca- 
pricen  u.  s.  w.  für  sein  Instrument  componirt,  von  denen  jedoch  sehr  wenig 
im  Druck  erschienen  ist. 

Gnmprecht,  Otto,  geistvoller  deutscher  Musikschriftsteller,  geboren  1823 
zu  Erfurt,  machte  rechtswissenechaftliche  Studien  zu  Bre-slau,  Halle  und  Berlin 
und  erwarb  sich  den  Titel  eines  Dr.  jur.  Seit  1848  musikalischer  Bericht- 
erstatter der  Nationalzeitung,  geniesst  er  eines  bedeutenden  Rufes  als  Kritiker, 
den  er  weniger  durch  tiefe  und  gründliche  musikalische  Fachkenntnisse,  als 
durch  unvergleichliche  stylistische  Gewandtheit,  geistreiche  Ausschmückung  und 
grosse  Belesenheit  rechtfertigt.  An  selbständigen  Schriften  veröffentlichte  er: 
»Musikalische  Charakterbilder.     (Schubert.  —  Mendelssohn.  —  Weber.  —  Rossini. 

—  Auber.  —  Meyerbeer.)«  (Leipzig,  1868)  und  die  kritische  Studie:  »Richard 
Wagner  und  sein  Bübnenfestspiel  „Der  Ring  des  Nibelungen"«   (Leipzig,  1873). 

OnndelweiD,  Friedrich,  tüchtiger  deutscher  Contrapunktist,  war  zu  An- 
fange des  17.  Jahrhunderts  Amtsschreiber  zu  Dambach  in  der  Altmark.  Bekannt 
geblieben  von  seinen  Arbeiten  ist  nur  noch  »Der  Psalter  mit  newen  Melodien 
auff  vier  Stimmen,  da  der  Discant  die  rechte  Melodiam  führt,  in  Oonfrajmncto 
simplici  gegeneinander  vbersetzt«  (Magdeburg.  1615),  welches  Werk  deswegen 
bemerkenswerth  ist.  weil  bis  dahin  stets  in  Choralbüchern  die  Melodie  fast 
durchweg  dem   Tenore  gegeben  wurde.     Vgl.  Draudii  Bibl.  class.  germ.        f 

Gung'l,  Joseph,  einer  der  beliebtesten  Tanzcomponisten  und  Concert- 
dirigenten  der  Gegenwart,  geboren  am  1.  Decbr.  1810  zu  Zsämbek  in  Ungarn, 
war  der  Sohn  eines  Strumpfwirkers  und  zum  Lehrer  bestimmt,  welchem  Berufe 
er  nach  bestandenem  Gehülfenexamen  auch  drei  Jahre  lang  oblag.  Bereits  Lehrer, 
nahm  er  auch  den  ersten  musiktheoretischen  Unterricht  beim  Regens  chori 
Semann  in  Ofen.  Als  Hautboist  trat  G.  in  das  4.  Artillerie-Regiment  zu  Graz, 
wurde  bald  Kapellmeister  und  leitete  als  solcher  acht  Jahre  lang  das  Musik- 
corps  dieses  Regiments.  Mit  dem  berühmt  gewordenen  »Ungarischen  Marsch« 
op.  1  begann  er  1836  seine  Compositionsthätigkeit  und  sah  gleich  seine  ersten 
Werke  auf  Concertreisen,  die  er  mit  seiner  Kapelle  nach  München,  Augsburg, 
Nürnberg,  Würzburg  und  Frankfurt  a.  M.  unternahm,  überaus  glänzend  auf- 
genommen. Wahrhaft  gefeiert  wurde  er  als  Componist  und  Dirigent  in  Berlin, 
wo  er  1843  eine  Civilkapolle  grihidpite  und  bis  1848  ununterbrochen  Concerte 
gab.     Im  Octbr.  1848  besuchte  er  mit  seinem  Orchester  die  Vereinigten  Staaten 


458  Guun  —  Gura. 

von  Nordamerika,  von  wo  er  erst  im  August  1849  wieder  zurückkehrte  und 
alsbald  zum  königl.  preu8.sischeu  Musikdirektor  ernannt  wurde.  Die  nächsten 
sechs  Jahre  wurde  er  für  die  Sommermonate  unter  glänzenden  Bedingungen 
für  die  Dii'ektion  der  Concerte  in  Pawlowsk  bei  St,  Petersburg  engagirt,  wäh- 
rend er  im  AVinter  in  gleicher  Art  iu  Berlin,  Moskau  und  Graz  thätig  war. 
Von  1858  an  war  er  Kapellmeister  des  23.  österreichischen  Infanterie-Regiments, 
bis  er  1864  seinen  Aufenthalt  iu  München  nahm,  von  wo  aus  er  häufige 
Kunstreisen  nach  Berlin,  Kopenhagen,  Stockholm,  Amsterdam  und  der  Schweiz 
antrat.  Von  besonders  glänzendem  Erfolge  begleitet  war  sein  Auftreten  in 
London,  im  Herbst  1873.  Bis  zum  Januar  1874  hat  er  300  Tänze  und 
Märsche  (sämmtlich  bei  Bote  und  Bock  in  Berlin  erschienen)  veröffentlicht, 
die  sich  zum  grossen  Theil  dui*ch  gesangreiche,  eigenartige  Melodik,  wie  durch 
prägnante  Rhythmik  vor  den  "Werken  anderer  Tanzcomponisten  vortheilhaft 
auszeichnen.  —  Seine  Tochter,  Virginia  G.,  ist  eine  talentvolle,  zu  bedeu- 
tenden Hoffnungen  berechtigende  Opernsängeriu.  In  München  für  die  Bühne 
gebildet,  debütirte  sie  am  dortigen  Hoftheater  1871  mit  grossem  Beifall  und 
wurde  engagirt.  Ein  Jahr  später  gehörte  sie  dem  Stadttheater  in  Köln  an, 
gastirte  im  königl.  Opernhause  zu  Berlin  und  ist  seit  1873  grossherzogl.  Opern- 
sängerin in  Schwerin.  —  Ein  Neffe  Jos.  G.'s,  Johann  G.,  hat  sich  als  Com- 
ponist  von  Tänzen,  Märschen  und  Potpourris  gleichfalls  einen  Namen  gemacht, 
der  jedoch  nicht  an  denjenigen  seines  Oheims  heranreicht.  Geboren  1819  zu 
Zsämbek  in  Ungarn,  gab  er  ebenfalls  seit  1843  beliebte  Orchesterconcerte  in 
Berlin.  Während  der  Sommersaisons  von  1845  bis  1854  wirkte  er  in  gleicher 
Weise  in  St.  Petersburg,  wo  er  sehr  schnell  der  Liebling  des  Publikums 
wurde.      Seit  1862  lebt  er  gänzlich  zurückgezogen  zu  Fünfkirchen  in  Ungarn. 

Gnun,  John,  vorzüglicher  englischer  Violoncellist  und  Tonsetzer,  geboren 
1755  zu  Edinbiu-g,  lebte  als  geachteter  Musiklehrer  zu  London  und  seit  1795 
wieder  in  Edinburg.  Er  veröffentlichte  gediegene  Werke,  als:  y>Äj'i  of  playing 
the  German  Flute  oii  new  principlesa  (London.  1793):  »School  qf  the  German 
Fhdea  (ebendas.,  1794);  nThe  theoty  and  practice  qf  ßnfjering  the  Violoncelloa 
(ebendas.,  1793);  i^Select.  Scotch  airs  for  the  German  Flutea;  endlich  ein  ge- 
lehrtes Werk  y>An  historical  inguity  respecting  the  performance  on  the  harp  in 
the  highlands  of  Scotland  etc.v.  (Edinburg,  1807).  Auch  seine  Violoncelloschule 
enthält  eine  vortrefiftiche  Abhandlung  über  den  Ursprung  dieses  Instruments 
und  anderer  Saiteninstrumente.  —  Seine  Gattin,  Anna  G.,  geborene  Young, 
eine  treffliche  Pianistin  und  Ciavierlehrerin ,  veröffentlichte  zur  leichteren  Er- 
lernung der  musikalisch  -  theoretischen  Hauptregeln :  v-An  instruction  to  musiou 
(2.  Aufl.,  Edinburg,  1820). 

■"'  Gnntersberg,  Heinrich  Christian  Karl,  guter  deutscher  Orgelspieler, 
geboren  1772  zu  Rossla  am  Harz,  war  Organist  zu  Eisleben  und  veröffentlichte 
ein  »Praktisches  Handbuch  für  Organisten,  Cantoren  u.  s.  w.«  (Meissen, 
1823-1827). 

Gnntrum,  Karl  Friedrich,  gediegener  deutscher  Tonkünstler  und  be- 
sonders als  Ciavierlehrer  hochgeschätzt,  geboren  um  1810  zu  Hamburg  als 
Sohn  eines  Schneidei*meisters,  zählte  zu  den  besten  Musikschülern  Clasing's. 
Durch  rastlosen  Fleiss  in  seinem  Berufe  hatte  er  sich  ein  Vermögen  erworben, 
dessen  Gennss  ihm  jedoch  ein  bösartiger  Starrkrampf  in  den  Händen  ver- 
bitterte. Er  starb  im  J.  1867  zu  Hamburg  und  hat  sein  Andenken  dtirch 
zahlreiche  treffliche   Schüler  erhalten. 

Gnori  heisst  eine  der  ältesten  einfachen  Raga's  (s.  d.)  der  Inder,  die  um 
ein  Sruti  (s.  d.)  alterirte  Töne  hat.  0. 

Gura  ist  der  Name  einer  der  alten  einfachen  Ragina's  (s.  d.)  der  Inder, 
denen  ein  oder  mehrere  diatonische  Klänge  fehlen.  0. 

Gnra,  Eugen,  einer  der  trefflichsten,  intelligentesten  deutschen  Opern- 
sänger der  Gegenwart,  geboren  am  8.  Novbr.  1842  zu  Pressern  bei  Saaz  in 
Böhmen,  war  der  Sohn  eines  Volksschullehrers,  der  ihn  schon  früh  zu  fleissiger 


Guracho  —  Gusjari.  459 

Musikübung  anhielt.  Da  G.  jedoch  Mechaniker,  Chemiker  oder  Baumeister 
werden  sollte,  so  musste  er  die  Realschulen  in  Komotau  und  Rackowitz  be- 
suchen und  bezog  1860  das  polytechnische  Institut  in  "Wien.  In  der  Kaiser- 
stadt erhielt  sein  empfängliches  Gemüth  die  mächtigsten  Eindrücke,  die  ihn 
zunächst  der  Malerei  in  die  Arme  führten,  welcher  er  denn  auch  nach  Be- 
seitigung der  Schwierigkeiten,  die  ihm  sein  Vater  in  den  Weg  legte,  auf  der 
Akademie  zu  Wien  oblag.  Ein  Jahr  später  trat  er  in  die  Malschule  des  Prof. 
Anschütz  in  München,  wo  er  treffliche  Fortschritte  machte.  Durch  schmuck- 
losen Vortrag  einiger  Lieder  bei  Gelegenheit  eines  Festes  erregte  er  die  Auf- 
merksamkeit der  Anwesenden,  und  man  bestürmte  ihn,  seine  schöne  Bariton- 
stimme nicht  unaasgebildet  zu  lassen,  ja  Anschütz  erwirkte  ihm  auf  dem 
Münchener  Conservatorium  einen  Freiplatz,  und  der  damalige  Direktor  des 
Instituts,  Franz  Hauser,  sowie  der  Gesanglehrer  Jos.  Herger  leiteten  mit  über- 
raschendem Erfolge  seine  neuen  Studien,  so  dass  er  durch  Vermittelung  des 
General -Musikdirektors  Franz  Lachner  schon  1865  als  Graf  Liebenau  in 
Lortzing's  »Waffenschmied«  debütiren  konnte,  in  Folge  dessen  er  einen  drei- 
jährigen Engagementscontrakt  für  die  Hofbühne  in  München  erhielt.  Wegen 
zu  geringer  Beschäftigung  vertauschte  G.  jedoch  schon  1867  diese  Bühne  mit 
dem  Stadttbeater  in  Breslau,  welchem  letzteren  er  bis  zum  Ausbruche  des 
Krieges  1870  angehörte,  der  alle  Contrakte  löste.  Bereits  im  Herbste  des- 
selben Jahres  jedoch  wurde  er  durch  den  Direktor  Haase  für  das  Stadttheater 
in  Leipzig  gewonnen,  welchem  er.  hochgeschätzt  und  allgemein  beliebt,  namentlich 
in  Rollen  wie  Teil,  Templer,  Nelusco,  Graf  Oberthal,  Hoel.  Wolfram,  Hans 
Sachs,  Belisar  u.  s.  w.  noch  jetzt  angehört.  Wie  in  der  Oper,  so  gilt  G. 
auch  als  Oratorien-  und  Liedersänger  für  eine  Zierde  des  gesammten  Leipziger 
Musiklebens. 

Guracho,  eine  spanische   Tanzmelodie,  s.   Guarache, 

Gurckhaus,  Karl,  s.  Kistner  (Friedrich). 

Gurs-elton  bezeichnet  in  der  Gesanglehre  bald  die  Tongebung,  welche  man 
häufiger  Gaumenton  nennt  (s.  Kehlton),  bald  aber  auch  die  tiefsten  Töne  einer 
jeden  Stimme,  welche  mit  übermässiger  Kraftanstrengung,  durch  ein  gewaltsames 
Herunterpressen  des  ganzen  Stiramcanals  hervorgebracht  werden.  Dadurch  wird 
die  Stimme  rauh  und  verliert  ihren  Metallklang.  Mau  vermeidet  diesen  Fehler, 
wenn  man  die  tiefsten  Töne  minder  stark  ansetzt  und  durch  äussere  Betastung 
des  HalstheÜB  unmittelbar  unter  dem  sogenannten  Adamsapfel  das  Herunter- 
pressen des  Kehlkopfes  verhindert. 

Gurlitt,  Cornelius,  begabter  deutscher  Componist  von  Gesang-  und 
Karamermusikwerken,  geboren  1820  zu  Altona,  erhielt  seine  musikalische  Aus- 
bildung in  Hamburg  und  trat  schon  früh  mit  stimmungs-  und  empfindungsvollen 
ein-  und  mehrstimmigen  Liedern,  sodann  aber  auch  mit  Pianoforte- Trios  und 
Sonaten  und  anderen  Stücken  für  Ciavier  selbstschöpferisch  hervor.  Im  J.  1857 
erhielt  er  das  Diplom  eines  graduirten  Professors  der  Cäcilien  -  Akademie  zu 
Rom.  G.  lebt  als  Organist  in  seiner  Geburtsstadt  und  ist  auch  als  tüchtiger 
Lehrer  für  Pianoforte  und  Orgel  daselbst  sehr  geschätzt. 

Güm  ist  nach  der  SänqUa  Darpana  (s.  d.)  in  der  indischen  Musik  der 
Name  für  das  Zeichen  des  Viertels  des  angenommenen  rhythmischen  Grund- 
maasses;  dasselbe  entspricht  also  unserer  Achtelnote.  0. 

Gnghahs  nannten  die  alten  Perser  bei  einer  Eintheiluug  ihrer  Tonarten  in 
drei  Klassen  die  eine  davon ,  welche  48  Arten  hatte.  Die  anderen  Klassen 
hiessen  Perdah's  (s.  d.)  und   Schobahs  (s.  d.).  0. 

Gusjari  heisst  in  der  indischen  Musiklehre  die  dritte  nach  der  Raga 
(s.  d.)  Megha  (s.  d.>  gebildete  unvollständige  Ragina  (b.  d.),  deren  Grund- 
töne durch  folgende  Noten  angedeutet  sind  (die  römische  Zahl  zeigt  an ,  dass 
dieser  Klang  in  der  G.  von  dem  notirten  um  ein  Sruti  (s.  d.)  verschieden  ist, 
nämlich  so  viel  höher); 


460  Gusikow  —  Qussli. 


i 


-X— =- 


^- 


-s) — 


ri,     ga,    ma,      dha,   ni,     sa,     ri. 

Gusikow,  Michael  Joseph,  eine  der  seltsamsten  und  oi-iginellten  Vir- 
tuosenerscheinungen der  Neuzeit,  war  zu  Sklow  in  Polen  am  2.  Septbr.  1806 
von  armen  jüdischen  Eltern  geboren  und  sein  früh  hervortretendes  musikalisches 
Talent  ein  Erbtheil  der  Familie,  die  über  hundert  Jahre  zurück  lauter  Musiker 
unter  ihren  Gliedern  zählte.  Da  eine  schwach«  Brust  es  ihm  unmöglich 
machte,  das  traditionelle  Instrument,  die  Flöte,  weiter  zu  behandeln,  so  warf 
er  sich,  um  den  Erwerb  seiner  Familie  nicht  zu  unterbrechen,  seit  1831  mit 
einem  wahrhaft  fieberhaften  Eifer  auf  die  unter  dem  Volke  beliebte  Strohficdel, 
ein  Holz-Stroh-Instrument  aus  abcrestimmten  Fichtenholzstäben  (s.  Holzhar- 
monika), das  er  verbesserte  und  im  Tonumfange  erweiterte.  Bald  brachte  er 
es  so  weit,  dass  er  sich  1832  im  italienischen  Theater  zu  Odessa  hören  lassen 
konnte,  wo  er  ungeheuren  Beifall  fiind.  Grleiche  Auszeichnung  wurde  ihm  in 
Moskau  zu  Theil.  In  Kiew  hörte  ihn  Lipinski,  der  ihn  bewunderte  und  auf- 
munterte. Dies  trieb  ihn  mit  Aufopferung  seiner  G-esundheit  zu  noch  fleissi- 
gerer.  bei  Tage  und  Nacht  fortgesetzter  TTebung.  Er  trat  nunmehr  eine  Kunst- 
reise  durch  das  übrige  Europa  an,  und  überall,  besonders  in  Wien,  Deutsch- 
land und  Frankreich  erregte  er  in  seiner  polnisch -jüdischen  Tracht,  mit  dem 
langen  Barte  und  den  bleichen,  wehmüthigen,  aber  geistreichen  Zügen,  sowie 
durch  die  enorme  Fertigkeit,  mit  welcher  er  sein  fremdartig  klingendes  In- 
strument behandelte,  Interesse,  Staunen  und  Bewunderung.  Aber  die  An- 
strengung war  zu  gross  für  seine  schwachen  Nerven.  Gänzlich  entkräftet, 
suchte  er  vergebens  in  den  Bädern  von  Spaa  sich  wieder  zu  stärken  und 
starb  endlich,  auf  der  Rückreise  zu  den  Seinigen  begriffen,  am  21.  Octbr. 
1837  zu  Aachen. 

Onssa^ro,  Cesare,  auch  Gussaco  geschrieben,  geboren  1530  zu  Brescia 
und  daselbst  als  General  des  Hieronymitenordens  gestorben,  pflegte  in  jüngeren 
Jahren  besonders  die  Musik  und  that  sich  sowohl  als  Sänger,  wie  als  Componist 
rühmend  hervor.  Von  seiner  Tüchtigkeit  in  letzterer  Beziehung  zeugt  noch  eines 
seiner  Werke:  r>Motetti  o  2,  3  e  4  voci«  (Venedig,  1560).  Vgl.  Crozzando,  Lihrar. 
Brescian.  p.  IH.  f 

Oussli,  oder  Gusse! .  ist  der  Name  eines  älteren  slavischen  Musikinstru- 
ments, dessen  Beschaffenheit  erst  in  neuerer  Zeit  Gegenstand  der  Aufmerk- 
samkeit von  Fachleuten  geworden  ist.  G.  Anton  in  seinem  Werke  »Versuch 
über  den  Ursprung  der  Slaven«  etc.  berichtet  S.  145:  »G.  nennen  die  Tartaren 
ein  Instrument  in  Gestalt  eines  Halbmonds  mit  achtzehn  Saiten.  Dasselbe 
Instrument  soll  bei  den  Tschuwaschen  »Güsslae«,  bei  den  Tscheremisen  »Küslae«, 
bei  den  Polen  »Gensla«,  bei  den  Böhmen  »Hänsle«,  bei  den  Serben  »Husslje« 
und  bei  den  Bussen  »Hussli«  genannt  werden,  welcher  Name  von  »Huss«,  die 
Gans,  abzuleiten.  Die  jetzt  allgemeinere  Form  der  G.  ist  die  einer  ziemlich 
hochgewölbten  rohen  Violine  mit  drei  oder  mehreren  Saiten,  deren  Wirbel 
unterhalb  befindlich  sind.«  In  fast  allen  anderen  musikalischen  Werken  hin- 
gegen findet  man  bisher  aufgezeichnet;  dass  ein  besonders  in  Bussland  ge- 
bräuchliches Tonwerkzeug,  das  einer  liegenden  Harfe  ähnlich  aussehen  soll,  G. 
genannt  werde.  Dies  Instrument  soll  in  seiner  Form  deni  Olaviere  oder  Hacke- 
brett gleichen,  einen  Bezug  von  Metallsaiten  führen  und  mittelst  Reissen  mit 
den  Fingern  zum  Tönen  gebracht  werden.  Dasselbe  soll  die  diatonischen 
Klänge  zweier  Octaven  bieten,  und  Halbtöne,  falls  solche  einmal  gefordert  wer- 
den, durch  Niederdrücken  der  Saiten  dicht  beim  Stege  mit  den  Fingern  der 
linken  Hand  oder  durch  einen  Hakenmechanismus,  ähnlich  dem  bei  der  ge- 
wöhnlichen Harfe,  auf  demselben  hervorgebracht  wei-den.  Die  Dämpfung  der 
Saiten  geschieht  mit  dem    untern  Daumentheil,    der    sogenannten  Maus.     Dies 


Gusto  —  üut-komm.  461 

Instrument,  berichtet  man,  wird  vorzüglich  zur  Begleitung  des  Gesanges  bei 
den  Russen  in  Gebrauch  gefunden,  wozu  es  sich  auch  mehr  eignen  muss,  als 
zur  Darstellung  melodisch-harmonischer  Kunstschöpfungen.  —  Welche  von  den 
beiden  Beschreibungen  die  richtige  ist,  lässt  sich  schwer  feststellen.  Wahr- 
scheinlich ist,  dass  G,  Anton  vom  G.  anfangs  die  richtige  Beschreibung  giebt, 
jedoch,  indem  er  vielleicht  dem  Hörensagen  folgte  und  nicht  eigene  Anschau- 
ungen niederschrieb,  mit  der  Schlussbeschreibung  ein  ganz  anderes  Tonwerk- 
zeug, Guddok  (s.  d.)  oder  Gudok  benannt,  trifft,  das,  als  Streichinstrument, 
durchaus  von  jenem  verschieden  ist.  Beide  Tonwerkzeuge  haben  aber  jeden- 
falls das  gemein,  dass  sie  Naturtunwerkzeuge  sind,  die,  falls  sie  in  der  neueren 
Musik  als  besondere  sich  bemerkbar  machen  sollten,  noch  auf  ihre  Ausbildung 
harren.  2. 

Gusto  (ital.) ,  der  Geschmack;  davon  das  Adjectivum  gustoso,  welches  als 
Vortragsbezeichnung  in  der  Bedeutung  »geschmackvoll«  vorkommt.  Häufiger 
findet  man  in  derselben  Bedeutung  con  gusto  (s.  con). 

G-ut  oder  Gamma-ut  ist  in  der  Guidonischen  Solmisation  der  Silben- 
name des  grossen  G,  als  Grundton  des  I.  Hexachordes  (zugleich  auch  des 
ganzen  damaligen  Tonsystems).  Weil  dieser  Ton  G  in  keinem  anderen  Hexa- 
chorde  vorkam,  wurde  seine  Silbe  auch  nicht  mutirt,  sondern  in  den  Singe- 
übungen ohne  Text  (beim  Solmisiren  und  Solfeggiren)  stets  ut  darauf  gesungen. 
Näheres  s.  Gamma  und   Solmisation. 

Guter  Takttheil,  s.  Accent,  Niederschlag,  Q^'akt  und  Takttheil. 

Guth,  Johann,  oder  Gut  he,  fürstl.  hessen  -  rheinfeldischer  Instrumental- 
musiker, der  1675  39  Kanons  und  Fugen  für  2,  3  und  4  Instrumente  mit 
Generalbass  zu  Frankfurt  a.  M,  drucken  Hess.  Mehr  über  ihn  enthält  Walther's 
Lexikon.  t 

Gnthmann,  Friedrich,  Schulrector  in  Schandau,  hat  sich  Anfangs  des 
19.  Jahrhunderts  durch  verschiedene  musik  -  schriftstellerische  Arbeiten,  beson- 
ders im  6.  Jahrg.  der  Leipz.  Allg.  musikal.  Ztg.  bekannt  gemacht.  Ausserdem 
veröffentlichte  er  eine  »Anweisung,  die  Guitarre  in  kurzer  Zeit  spielen  zu 
lernen«  etc.  (Leipzig  bei  Kühnel)  und  »Passagen -Sammlung  für  Pianoforte- 
spieler, aus  den  Werken  der  besten  Meister  etc.,  Heft  1«  (ebendas.).  —  Ein 
anderer  G. ,  dessen  Vorname  unbekannt,  war  um  1786  zweiter  Violinist  im 
Orchester  des  italienischen  Theaters  zu  Paris.  Derselbe  gab  daselbst  sechs 
Violinduos  seiner  Gomposition  heraus.  t 

Gnthria,  Matthias,  englischer  Schriftsteller,  1807  in  St.  Petersburg  als 
kaiserl.  ßath  gestorben,  gab  in  einer  Dissertation  »üeber  die  Alterthümer 
Husslands«  (St.  Petersburg,  1795)  interessante  Bemerkungen  über  die  Musik 
und  Instrumente  russischer  Landleute. 

Gut-komm  ist  der  Name  eines  in  China  jetzt  weit  verbreiteten  Griffbrett- 
instruments. Diese  Instrumentgattung,  welche  daselbst  in  drei  Arten:  dem  G., 
dem  Pungum  (s.  d.)  und  dem  Sam-jin  (s.  d.j  vertreten,  ist  wahrscheinlich 
von  oder  über  Assyrien  (s.  Assyrische  Musik)  eingeführt,  da  im  alten 
China  kein  derartiges  Tonwerkzeug  bekannt  war.  Das  G.  ist  in  seiner  Ge- 
stalt einer  Mandoline  nicht  unähnlich.  Der  untere  Theil  des  Schallkastens 
desselben  ist  aus  einem  rundgebogenen  Holzstücke  gefertigt,  auf  dem  die  sehr 
dünne  Resonanzplatte,  meist  ohne  Schallloch,  befestigt  ist.  Der  Bezug  (s.  d.) 
besteht  aus  vier  Darmsaiten,  die  mittelst  Wirbel  gestimmt  werden.  Am  oberen 
Halsende  hat  die  G.  fünf  halbrund  aus  Elfenbein  geformte  Wulste  als  Bunde, 
und  von  dort  bis  zur  Mitte  des  Schallkastens  hin  zehn  unseren  Guitarrbunden 
fast  gleiche  aus  Holz  gefertigte  Erhöhungen  zur  Erzeugung  der  verschiedenen 
Klänge  der  chinesischen  Tonleiter;  die  Halbtöne  werden  den  Ansprüchen  des 
Spielers  entsprechend  ohne  Bünde  erzeugt.  Unterhalb  jedes  Bundes  ist  der 
zu  erzeugende  Ton  bei  jeder  Saite  durch  das  Notationszeichen  angegeben. 
Die   Saiten  des  G.  werden  durch  Reissen  mit  den  Jb'ingerspitzen  tönend  erregt. 


462  öutmann  —  GjTowetz. 

Ueber  das  Alter    oder    das    erste   Auftreten    des  Gr.  in   China  ist  bisher  nichts 
bekannt  geworden.  2. 

Gutmann,  Adolph,  vortrefflicher  Pianist,  1818  zu  Paris  geboren  und  auf 
dem  dortigen  Conservatorium  musikalisch  gebildet,  Hess  sich  auch  in  Deutsch- 
land mit  grossem  Beifalle  hören.  Bekannter  noch  hat  er  sich  durch  einige 
seiner  Claviercompositionen  im  Salonstyle  gemacht,  die  zwar  keinen  tieferen 
Ghehalt  haben,  aber  eine  nicht  gewöhnliche,  correkte  und  saubere  b'actur 
aufweisen. 

Gutnmuu,  Aegidius,  ein  Rosenkreuzer  aus  dem  16.  Jahrhundert,  oder, 
wie  Jöcher  behauptet,  Stifter  dieses  Ordens,  schi-ieb  ein  Werk  y^Oyclopaedia 
Paracelsica  christianaa,  das  Samuel  Siderocrates  Brettanus,  ein  speyer'scher 
Arzt,  deutsch  (Brüssel,  1585)  herausgab,  und  in  dessen  zweitem  Buche  Meh- 
reres  von  der  (resangskunst  und  dem  damaligen  Standpunkt  derselben  zu  finden 
ist.      Vgl.   Walther's   Lexikon.  f 

Gattnralton,  s.  Kehl  ton. 

Guy,  mit  dem  Beinamen  Maitre,  ein  berühmter  niederländischer  Orgel- 
hauer zu  Antwerpen,  dessen  Wirksamkeit  noch  in  die  erste  Hälfte  des  15. 
Jahrhunderts  fällt. 

Guyou,  Jean,  französischer  Kirchencomponist,  war  in  der  ersten  Hälfte 
des  16.  .Jahrhunderts  Oanonicus  an  der  Kathedralkirche  zu  Chartres  und  ver- 
öffentlichte Psalme,  Hymnen  u.  s.  w.  Rine  Messe  von  ihm  befindet  sich  in  der 
Sammlung  von   12   vierstimmigen   Messen   (Paris,   1554). 

tJnyot,  Jean,  auch  0-uyoz  geschrieben  und  Castileti,  nach  seinem  Oe- 
burtsorte  le  Chätelet  (latein.  Castüetum)  bei  Charleroi,  zubenannt,  war  ein 
ausgezeichneter  niederländischer  Tonsetzer  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts. Um  15U5  Sänger  an  der  Notredame- Kirche  zu  Antwerpen,  erwai'b  er 
sich  1516  ein  Beneficium  an  der  Katharinenkirche,  trat  1521  in  die  Dienste 
des  Kaisers  Ferdinand  I.  und  erhielt  1536  wieder  eine  Präbende  au  der  Notre- 
dame-Kirche  zu  Antwerpen.  In  dieser  Stadt  starb  er  auch  im  J.  1551.  In 
verschiedenen  Sammelwerken  des  16.  Jahrhunderts  finden  sicli  geistliche  und 
weltliche  Gesänge  von  O. 

Guys,  Pierre  August,  rausikkuudiger  französischer  Kaufmann,  geboren 
1721  zu  Marseille,  gestorben  1799  zu  Zante,  gab  in  einem  grösseren  Reise- 
werke, betitelt:  -oVoyage  litter aire  de  la  Grece  etc.».  (Paris,  1776),  Notizen  über 
den  Stand  der  damaligen  griechischen  Musik,  denen  auch  neugriechische  und 
türkische  Melodien   beigefügt  sind. 

Guzinger,  Johann  Peter,  um  1740  Kammermusiker  des  Bischofs  vol 
Eichstädt,  war  ein  bedeutender  Virtuose  auf  der  grand  Viole  d'amour  und  eben- 
falls  Componist  für  dieses  Instrument.  f 

Gymnopädie  (griech.  yv^aonaidia)  hiesa  ein  Fechter-  oder  gymnastischer 
Tanz  der  alten  Lacedämonier,  welcher  zu  einem  Freudenfeste  gehörte,  das  man 
zur  Erinnerung  an  einen  Sieg  über  die  Argiver  alljährlich  feierte.  Derselbe 
wurde  von  zweien  Chören  nur  mit  einem  Unterkleide  leicht  bekleideter  (nicht 
nackter)  Tänzer,  der  erste  aus  Knaben,  der  zweite  aus  Männern  bestehend, 
ausgeführt.  Man  sang  dazu  die  vorgeschriebenen  Hymnen,  und  die  Chorführer 
trugen  Palmenkränze  auf  dem  Haupte.  Die  Hymnen,  welche  man  ausführte, 
waren  dem  Apollon,  der   Tanz  selbst  dem  Bacchos  gewidmet. 

Gyrowetz,  Adalbert,  begabter  und  fleissiger  deutscher  Componist,  treff- 
licher Violin-  und  Pianofortespieler,  wurde  am  19.  Febr.  1763  zu  Budweis  in 
Böhmen  geboren.  Er  entwickelte  sehr  früh  grosse  Anlagen  für  die  Musik, 
welche  sein  Vater,  der  Chordirektor  an  der  Domkirche  zu  Budweis  war,  aus- 
bildete, und  fing  schon  als  Schüler  des  dortigen  Piaristencollegiums  an  zu  com- 
poniren.  Dabei  war  er  so  ausserordentlich  fleissig.  dass  er  in  jedem  der  sechs 
Jahre,  die  er  auf  jenem  Gymnasium  zubrachte,  die  erste  Prämie  erhielt.  Um 
sich  dem  Studium  der  Rechte  zu  widmen,  bezog  er  die  Universität  zu  Prag, 
die  er  jedoch  nach  zwei  Jahren,  von   Krankheit  und  Armuth  gedrückt,  wieder 


H.  463 

verliess,  um  sich  ganz  der  Musik  zuzuwenden.     Zunächst  nahm  sich  seiner  der 
Graf  Franz  von  und  zu  Fünfkirchen  an,  der  ihn  als  seinen  Secretair  anstellte, 
und    durch  Mozart   wurde    er    bald    darauf    dem  Wiener  Publicum    vorgestellt, 
welches  seine  ersten   Sinfonien  mit  rauschendem  Beifall  aufnahm.     Nachdem  er 
sodann  Gelegenheit  gefunden  hatte,  Italien  zu  besuchen,  studirte  er  zwei  Jahre 
lang  beim  Kapellmeister  Sala  in  Neapel  Contrapunkt  und  Fugensatz  und  schrieli 
für  den  König  mehrere  concertirende  Serenaden.     Von  Neapel  ging  er,  da  sich 
inzwischen  seine  Verhältnisse    gebessert    hatten,    über  Mailand  nach  Paris,    wo 
er  mit  vielem  Enthusiasmus  aufgenommen  wurde,  an  Imbault  einen  splendiden 
Musikverleger  fand,  wegen  der  Revolution  aber  nur  kurze  Zeit  verweilte,  und 
hierauf   nach    London,    wo    er    die    besondere  Auszeichnung    des    Prinzen    von 
Wales  genoss.     Kränklichkeit,  durch  klimatische  Einflüsse  hervorgerufen,  nöthigte 
ihn  jedoch,    nach    drei  Jahren    nach  Deutschland  zurückzukehren.     In   Brüssel 
durch  die  Franzosen  aufgehalten,  ging  er  wieder  nach  Paris  und  von  da  später 
über  Berlin  nach  Wien,    wo  er  1804  als  Kapellmeister  am  kaiserl.  Hoftheater 
angestellt  wurde.     Bei    der  Verpachtung    dieses    Theaters    im    J.   1827    wul-de 
auch   G.  pensionirt  und  lebte  seitdem,  selbst  zwar  noch  immerwährend  compo- 
nirend,   aber  dem  Musiktreiben    der  Gegenwart   sich   mehr   und  mehr  entfrem- 
dend,   bis    zu    seinem  Tode,    der    am  19.  März  1850  zu  Wien  erfolgte.  —  G. 
war  einer    der  fruchtbarsten  Componisten,    welche    die  Musikgeschichte    kennt; 
dennoch  weiss  bereits  unsere  Gegenwart  von  ihm  kaum  mehr,  als  dass  er  eine 
einst  allbeliebte   Oper  »Der  Augenarzt«    geschrieben    habe.     Alle    seine  Werke 
tragen  den  Stempel  jener  Zeit,  die  ein  überragenderes   Genie,  Jos.  Haydn,  be- 
herrschte; leicht,  gefällig,  gewandt  und  eingänglich  geschrieben,  fanden  sie  die 
unbedingte  Anerkennung  seiner  Zeitgenossen,   bis    eine  neue  Epoche  der  Ton- 
kunst unter  Beethoven,    C.  M.  v.  Weber  und  Fr.  Schubert   heraubrach,    deren 
Schöpfungen  G.,  indem  er  sich  jedoch  bescheiden  zurückzog,  ganz  übereinstim- 
mend mit  seinem  Freunde  Jos.  Weigl  für  »zerrissen,  verworren  und  chaotisch« 
erklärte.    Er  selbst  schuf  in  seiner  Art  weiter  und  weiter,  aber  die  heraufgezogene 
neue    Zeit    bereits    fand    seine  Arbeiten    schablonenhaft    und    handwerksmässig 
trocken,  wandte  sich  von  denselben  ab  und  überlieferte  sie  der  Verschollenheit. 
Auf  fast  allen  Gebieten   der  Tonkunst   ist  G.  schöpferisch  thätig  gewesen;  das 
vierzehn  Jahre  vor  seinem   Tode    erschienene ,    noch    nicht    einmal    vollständige 
Verzeichniss  seiner  Werke    zählt    auf:    einige    30  Sinfonien,    über  70   Streich- 
quartette   und  Quintette,    18  Trios    und   Duette,    gegen    60  Ciavierwerke    mit 
Begleitung,  Concerte,   Sonaten  u.  s.  w.,  6   Serenaden  für  Harmoniemusik,  eine 
Unmasse  von  Tänzen,  Märschen,  deutsche  und  italienische  Lieder  und  Gesänge, 
Cantaten,  9  Messen  und  zahlreiche  andere  Kirchenstücke,   Ouvertüren,  Entr'acts, 
gegen  20  grosse  und   25  kleinere  Ballets  und  Pantomimen  und  24  Opern  und 
Singspiele,  darunter  als  die  beliebtesten  und  am  häufigsten  gegebenen:  »Selico 
und  Berissa«,  >'Helene«,  nll  finto  Stanislaoa^  -»Federica  ed  Adolfo<i,  «der   Sammt- 
rock«,  »das   Gespenst«,    »die  Prüfung«,    »das  zugemauerte  Fenster«,    »die  Jung- 
gesellen-Wirthschaft«,    »Ida«,    »der    blinde  Harfner«,    »Aladin«    und    besonders 
»Agnes  Sorel«  und  »der  Augenarzt«.    Seine  letzte,  für  das  Josephstädter  Theater 
in  Wien  geschriebene   Oper,  »Hans   Sachs«,  ist  nicht  zur  Aufführung  gelangt. 


H. 

H  (ital,  und  franz.:  si)  ist  die  jetzige  Benennung  des  siebenten  Tones  in 
der  modernen  abendländischen  K^angfolge  von  G-dur  (s.  d.),  d.  h.  in  dem  Klange, 
der  zum  tiefer  liegenden  c  im  Vtrhältniss  von  15:8  steht.  Zur  Zeit,  wie  aus 
dem  Artikel  Alphabet    (s.  d.)    erhellt,    als    die    erste    Benennung    der  Töne, 


464  H. 

welche  in  der  Kunst  Verwendung  fanden,  die  Töne  der  Männerstimme,  mit 
Buchstaben  Eingang  fand,  in  der  Epoclie  des  Boethius,  470  bis  524  n.  Chr., 
nannte  man  den  tieferen  jetzt  h  geheissenen  Klang  b  und  dessen  Octave  h. 
Die  Alten  hatten  aus  der  griechischen  Klanglehre  es  zu  übernehmen  für  gut 
befunden,  den  tiefsten  in  der  Kunst  anzuwendenden  Klang  A  zu  nennen,  der 
wahrscheinlich  in  Tonhöhe  dem  heutigen  F  entsprach,  und  betrachteten  den- 
selben als  den  ersten  Klang  des  Tousystems  überhaupt.  Natürlich  benannten 
sie  die  zweite  Stufe  ihres  Tonreiches  mit  dem  zweiten  Buchstabennamen  ihres 
Alphabets,  mit  B,  welcher  Klang  jedoch  unserem  heute  h  genannten  Klange 
durchaus  entspracli.  Diese  Benennung  des  von  uns  h  genannten  Klanges  durch 
b,  welche  Benennung  durchgängig  noch  heute  Holländer  und  Engländer  pflegen, 
blieb  auch  noch,  trotzdem  man  die  Octave  als  Grenze  des  Tonreichs  annahm, 
und  erhielt  sich,  als  selbst  c,  wie  man  annimmt,  dui'ch  Guiseppo  Lazarino  im 
Anfange  des  16.  Jahrhunderts,  als  tiefster  Klang  im  Tonreich  angesehen  wurde. 
Man  bezeichnete  den  einzigen  in  Gebrauch  befindlichen  chromatischen  Klang, 
den  der  Paramese  (s,  d.)  der  Griechen  entsprechenden,  durch  b  molUs  oder 
weiches  b,  im  Gegensatze  zu  dem  h  durus  oder  dem  harten  b,  dem  jetzigen  h. 
Bei  der  steigenden  Chromatik  glaubte  man  jedoch  diese  Unterschiede  der  b 
genannten  Klänge  durch  gesonderte  Benennungen  kennzeichnen  zu  müssen  und 
fand  es  angemessen,  den  bisher  b  durus  oder  blos  b  genannten  Ton  h  zu  heissen 
und  dem  b  mollis  genannten  die  einfache  Benennung  b  zukommen  zu  lassen. 
S.  den  Artikel  B.  Ferner  sei  noch  zu  lesen  empfohlen:  in  Gottfr.  Weber's 
Theorie  der  Tonsetzkunst  vom  J.  183U  bis  1832  Thl.  I.  S.  38-41  oder  in 
dessen  allgemeiner  Musiklehre  vom  J.   1831   S.  XXXVIII  bis  XLI. 

Dass  der  Gebrauch  des  Namens  b  statt  h  sehr  die  alphabetische  Tou- 
benennung  vereinfachen  würde,  wird  Jedem  einleuchten,  der  die  Praxis  der 
Holländer  und  Engländer  in  dieser  Beziehung  kennt.  Ob  aber  für  Deutsch- 
land, wo,  wie  Fr.  Schwanenberg's  »Gründliche  Abhandlung  über  die  llnnütz- 
oder  Unschicklichkeit  des  H  im  musikalischen  Alphabet«  (Wien  und  Leipzig, 
1797)  und  J.  J.  Klein's  Abhandlung  über  dasselbe  Thema  im  ersten  Jahr- 
gange, 1798,  der  Leipz.  musikal.  Zeitschr.  S.  641  u.  w.  zeigen,  auch  in  diesem 
Geiste  schon  mehrfach  Anstrengungen  gemacht  worden  sind,  jemals  die  einmal 
eingewurzelte  Gewohnheit  dem  Rationelleren  Platz  machen  wird,  ist  eine  Frage 
der  Zeit.  Wenn  es  in  frühester  christlicher  Zeit  auf  h  keine  Octavfolge  gab, 
so  hatte  dies  seinen  Grund  darin,  dass  in  der  diatonischen  Folge  diesem  Klange 
keine  reine  Quinte  gegeben  werden  konnte,  was  auch  möglicherweise  mit  zur 
Ueberweisung  des  Namens  b  als  einzige  Benennung  für  den  sonst  b  mollis  oder 
B-fa  geheissenen  Klang  beitrug,  indem  die  Octavfolge  auf  dem  b  (b  mollis) 
genannten  Ton  dann  möglich  war,  die  sich  als  eine  Transposition  der  Octav- 
folge von  _F  ergab.  In  modernster  Zeit,  wo  alle  chromatischen  Töne  der  Octave 
in  Kunstgebrauch  gekommen  sind,  hat  man  auch  die  moderneu  Klanggattungen 
auf  h  in  Gebrauch  genommen,  wie  die  Artikel  M-dur  (s.  d.)  und  H-moll  (s.  d.) 
beweisen.  Die  Erweiterung  des  Tonreichs  bis  an  seine  äussersten  Grenzen 
führte  ferner  zur  Unterscheidung  aller  h  zu  nennenden  Klänge  des  Tonreichs 
in  der  Weise,  wie  dies  bei  allen  anderen  Tönen  in  Gebrauch  ist,  deren  wirk- 
liche Tonhöhe  man  aber  auch  durch  die  Angabe  der  Schwingungen,  welche 
diese  Töne  erzeugen,  angeben  könnte,  wie  folgende  Aufstellung  beweist: 

das  viergestrichene  h*  wird  durch  3937,44  Schwingungen  in  der  Secunde  erzeugt. 


„    drei 

)) 

¥ 

» 

1968,72 

)f 

11 

» 

„   zwei 

11 

Ti^ 

1} 

984,36 

>i 

11 

» 

„    ein 

11 

h} 

11 

492,18 

» 

11 

» 

„   kleine 

h 

11 

246,09 

j> 

11 

11 

„   grosse 

H 

11 

123,045 

» 

11 

n 

„   Contra- 

Bi 

ri 

11 

61,5225 

11 

11 

1 

• 

11 

Wie  dieser 

Klang 

1   je 

nachdem 

er  Leitton 

in   C-dur 

oder 

diatonischer 

Klang 

Haack  —  Haas.  465 

einer  anderen  Tonfolge  ist,  kleinere  Yerrückuugen  ei'duldet,  die  dem  Ohre 
zwar  wenig  aber  doch  immerhin  kenntlich  sind,  arithmetisch  dargestellt  jedoch 
nach  ihrer  Reinheit,  die  leider  in  der  Praxis  gewöhnlich  nur  annähernd  ge- 
geben wird,  viel  mehr  uns  kenntlich  ist,  wird  Jeder  zugeben  müssen,  wenn  er 
ähnliche  Rechnungen,  wie  sie  in  den  Artikeln  Ais  (s.  d.)  und  As  (s.  d.)  an- 
gestellt sind,  ausführt  und  als  zu  Recht  anerkennt.  C,  B. 

Haack,  Karl,  deutscher  Violinvirtuose  und  lustrumentalcomponist,  geboren 
am  18.  Febr.  1757  zu  Potsdam,  genoss  den  Unterricht  Franz  Benda's  in 
Berlin  und  kam  als  Violinist  in  die  Kapelle  des  Prinzen  von  Preussen,  in  der 
er  schon  vor  1782  zum  Ooncertmeister  aufrückte.  Mit  dem  Regierungsantritte 
Friedrich  Wilhelms  II.  wurde  er  königl.  Kammermusiker  und  1796  königl. 
Ooncertmeister.  Um  1811  pensionirt,  starb  er  am  28.  Septbr.  1819  zu  Potsdam. 
Bis  1810  hat  er  sich  mit  Beifall  häufig  öffentlich  in  Berlin  hören  lassen;  auch 
als  Pianist  leistete  er  Bedeutendes.  Von  seinen  Oompositionen  erschienen: 
Violinconcerte  op.  1  bis  6  (Berlin,  1790,  1791  und  1797)  und  drei  Olavier- 
souaten  (Berlin,  1793).  —  Sein  Bruder,  Friedrich  H.,  geb.  1760  zu  Potsdam, 
trat  als  Violinist  schon  sehr  früh  in  dieselbe  Kapelle,  studirte  aber  mit  Vorliebe 
Olavier-  und  Orgelspiel,  sowie  bei  Fasch  Composition  und  erhielt  in  Folge 
dessen  1779  die  Stelle  eines  Organisten  zu  Stargard  in  Pommern,  später  die 
eines  Musikdirektors  und  Organisten  an  der  Schlosskirche  zu  Stettin.  Im 
letzteren  Amte  fand  er,  besonders  seit  1793,  wo  er  die  Direktion  des  Stettiner 
Liebhaberconcerts  übernahm  und  kunsteifrig  weiter  führte,  einen  ihm  sehr  zu- 
sagenden "Wirkungskreis  und  componirte  an  grösseren  Werken  mehrere  Sin- 
fonien, ein  Oratorium  und  die  von  Grotter  gedichtete  Oper  »Die  Geisterinsel« 
(1798).  Ausserdem  erschienen  von  ihm  im  Drucke:  ein  Clavierconcert  op.  1 
(Berlin,  1793),  sechs  Ciaviertrios  und  ein  Violincoucert  mit  Orchester  op.  6 
(Berlin,  1801). 

Haas,  Ignaz,  berühmter  Orgelspieler  und  Contrapunktist  um  die  Wende 
des  18.  und  19.  Jahrhunderts,  von  dem  man  nur  weiss,  dass  er  in  seiner 
Vaterstadt  Königgrätz  Musikdirektor  war.  Die  von  ihm  noch  vorhandenen 
Ciavierwerke  entsprechen  keineswegs  dem  grossen  Rufe,  den  er  in  seinem 
Lande  bei  Lebzeiten  genoss. 

Haas,  Pater  Ildephons,  gediegener  deutscher  Musiktheoretiker  und  Com- 
ponist,  sowie  treflSicher  Sänger  und  Violinspieler,  geboren  am  23.  April  1735 
zu  Offenburg,  erhielt  seinen  ersten  Musikunterricht  vom  badischen  Hofmusiker 
und  Violinisten  Wolbrecht.  Im  J.  1751  trat  er  in  das  Benedictinerkloster 
Ettenheimmünster,  wo  er  sich  nach  vollendeten  theologischen  Studien  und  er- 
haltener Priesterweihe  (1759)  besonders  mit  Compositions-  und  Violinstudien 
befasste,  welche  letzteren  Wenzel  Stamitz,  der  1755  in  diesem  Kloster  ver- 
weilte, bereits  sehr  gefördert  hatte.  Biüeflicher  Verkehr  mit  Pater  Kaiser,  Abt 
Vogler  und  Portmann  machte  ihn  takt-  und  satzfest,  nicht  minder  die  eifrige 
Beschäftigung  mit  den  Werken  von 'Mattheson  und  Marpurg,  besonders  aber 
mit  Fux'  y>Gradus  ad  Parnassum«,  von  dem  er  behauptete,  dass  jeder  Tonsetzer 
wenigstens  drei  Jahre  lang  »diese  strenge  Compositionsfolter«  aushalten  sollte. 
Er  veröffentlichte  von  1764  an  Vesperhymnen,  Offertorien,  Messen,  Äntiphonae 
Marianae,  Kirchenlieder  für  Landchöre  u.  dgl.  in  grosser  Menge.  Seit  1759 
hatte  er  auch  mehrere  Schauspiele  für  Offenburg  geschrieben.  Zuletzt  war 
er  Bibliothekar  in  seinem  Kloster.  Die  fortwährenden  Anstrengungen  in 
seinen  Studien,  zu  denen  er  zuletzt  noch  die  Mathematik  gesellte,  und  die 
verschiedenen  klösterlichen  Aemter,  denen  er  zeitweise  vorstand,  schwächten 
nur  zu  bald  seine  Gesundheit,  und  er  starb  schon  am  30.  Mai  1791. 

Haas,  Johann  Martin,  deutscher  Tonsetzer  und  Dichter,  geboren  am 
25.  Januar  1696  zu  Engelthal,  trieb  als  Gymnasiast  zu  Regensburg  und  1714 
bis  1718  als  Student  der  Theologie  in  Altdorf  mit  Vorliebe  Musik,  so  dass 
er  1721  in  letzterer  Stadt  als  Cantor  und  Musikdirektor  angestellt  wurde  und 
dieses  Amt  sehr  ehrenvoll  bis  zu  seinem  Tode,  am  5.  Juli  1750,  führte.     Dis- 

Miisikal.  Convers.-J-exiUoii.    IV.  30 


466  llaase  —  Habeneck. 

putationen  und  Gedichte,  die  er  1737  der  Universität  Göttingen  zu  deren  Ein- 
weihung gewidmet  hatte,  verschafften  ihm  den  Titel  eines  kaiserl,  gekrönten 
Poeten.  Von  seinen  Werken  kennt  man:  »Des  Altdorfiscben  Zion  harmonische 
Freude  im  Singen  und  Spielen«  (Altdorf,  1722);  »Chor -Arien  für  die  Siuge- 
schüler«  und  Texte  zu  Kirchenmusiken,  die  er  auch  meist  selbst  in  Musik 
gesetzt  hat. 

Haase,  Ludwig,  deutscher  Virtuose  auf  Violine  und  Waldhorn,  geboren 
am  25.  Decbr.  1799  zu  Dessau,  war  der  Sohn  und  Schüler  eines  dortigen 
Kammermusikers.  Neben  dem  Hörne  übte  er  fleissig  die  Violine  beim  Kammer- 
musiker Dittmar  und  setzte  diese  Uebungen  seit  1814  bei  den  Concertmeistern 
Morgenroth  und  Polledro  in  Dresden  eifrig  fort.  Als  Hornist  trat  er  1817 
in  die  königl.  sächsische  Hofkapelle  und  erregte  1823  auf  einer  grossen  Kunst- 
reise durch  Deutschland,  die  er  mit  seinem  Bruder  August  (s.  weiter  unten) 
unternahm,  als  Violin-  und  Hornvirtuose  Aufsehen.  Nach  einem  Concerte 
1831  in  Dessau  erhielt  er  den  Titel  eines  herzogl.  Hof-Concertmeisters.  Auch 
fernerhin  trug  ihm  sein  öffentliches  Auftreten  stets  reichen  Beifall  ein.  —  Sein 
älterer  Bruder,  August  H.,  geboren  am  2.  März  1792  zu  Koswig,  war  eben- 
falls vom  Vater  unterrichtet.  Seit  1811  als  erster  Hornist  der  königl.  Hof- 
kapelle in  Di-esden  angestellt,  hat  er  im  Dienste  und  in  Concerten  sich  einen 
ausgebreiteten  Virtuosenruf  auf  diesem  Instrumente  erworben. 

Habeueck,  eine  Musikerfamilie  deutschen  Ursprungs,  deren  Name  durch 
den  weiter  unten  aufgeführten  Fran^ois  Antoine  H.  zu  unvergänglichem 
Ruhme  gelangt  ist.  Das  älteste  Glied  dieser  Familie,  Adam  H.,  geboren  1756 
in  der  Pfalz,  lernte  in  Mannheim  fast  alle  Instrumente,  besonders  Fagott  und 
Violine  spielen,  und  wandte  sich,  unternehmungslustig  wie  er  war,  nach  Frank- 
reich, um  dort  in  ein  Militär  -  Musikcorps  zu  treten.  In  Paris  aufgehalten, 
nahmen  sich  seiner  die  Landsleute  Stamitz  und  Franzi  an,  die  ihn  im  Violin- 
spiel ziemlich  weit  brachten.  Endlich  fand  er  die  gewünschte  Stelle  als  Fa- 
gottist bei  einem  Pegimente  in  Mezieres,  das  später  in  Quimpercorentin  garni- 
sonirte.  Er  scheint  zu  Brest  bald  nach  1800  gestorben  zu  sein.  Als  erster 
Lehrer  seiner  talentvollen  Söhne  hat  er  sich  einen  Platz  in  der  Musikgeschichte 
erworben.  —  Der  älteste  derselben,  FrauQois  Antoine  H. ,  geboren  am 
1.  Juni  1781  zu  Mezieres,  machte  im  Violinspiel  so  bedeutende  Fortschritte, 
dass  er  schon  in  seinem  zehnten  Jahre  in  öffentlichen  Concerten  auftrat.  Zu 
Brest,  wohin  das  Regiment  seines  Vaters  in  Garnison  kam,  blieb  er  mehrere 
Jahre,  ohne  auf  einen  andern  Unterricht  als  den  seiuigen  angewiesen  zu  sein. 
Er  componirte  dort  1798  und  1799  Concerte  für  Violine  und  drei  Opern, 
ohne  irgend  eine  Kenntniss  vom  Compositionssatz  zu  besitzen.  In  seinem 
zwanzigsten  Jahre  kam  er  endlich  auf  das  Andringen  von  Musikkennern  hin 
nach  Paris  und  trat  hier  als  Schüler  des  Conservatoriuras  in  Baillot's  Klasse. 
Im  J.  1804  errang  er  den  ersten  Violinpreis  und  wurde  Repetitor  seiner  Klasse. 
Die  Kaiserin  Josephine  war,  nachdem  sie  ihn  in  einem  Concerte  ein  Solo 
spielen  gehört  hatte,  so  begeistert  von  seiner  Leistung,  dass  sie  ihm  eine 
Pension  von  1200  Frcs.  zukommen  Hess.  Von  dem  Orchester  der  komischen 
Oper,  in  das  er  nach  vollendeten  Studien  eingetreten,  gelangte  er  bald  in  das 
der  Grossen  Oper  als  erster  Violinist,  1818,  nach  Kreutzer's  Aufrücken  in  die 
Dirigentenstelle,  als  Solospieler.  Ein  ungewöhnliches  Talent  zu  dirigiren 
aber  entfaltete  H.  schon,  als  bei  dem  Conservatorium  1806  der  Brauch  ein- 
geführt wurde,  dass  die  mit  einem  Preise  gekrönten  Violinisten  abwechselnd 
in  einem  Jahre  die  Concerte  der  Schule  dirigirten.  Hier  bewiess  er  die  ent- 
schiedenste Superiorität  über  seine  Collegen.  In  diesen  Stellungen  wirkte  H. 
bis  zur  Schliessung  des  Conservatoriums  1815,  worauf  er  einige  Zeit  fast  brach 
lag.  Von  1821  bis  1824  dagegen  war  er  sogar  Direktor  der  Grossen  Oper. 
Bald  darauf  wurde  er  auch  zum  General -Inspektor  des  Conservatoriums  er- 
nannt, in  welcher  Stellung  er  neben  der  Violinklasse  Baillot's  und  Kreutzer's 
eine    dritte    crründete.     Im    .1.   182G    rief    man    im    Conservatorium    eine    neue 


Habengton  —  Haberbier.  467 

Concertgesellscliaft  iu's  Leben  und  stellte  H;  als  Direktor  derselben  an.     Damit 
beginnt    die    ruhmvollste    Epoche    seines    Lebens.     Denn    er    verwendete    seine 
ungewöhnlichen    Talente    als    Orchesterdirigent,    um    die    "Werke    der    grössten 
Meister  der  Tonkunst  in  ihrer  Ausführung  auf  die  höchste  Höhe  der  Vollendung 
zu  bringen,  wobei  er  allerdings  auch  mit  den  allergrössten  Schwierigkeiten  zu 
kämpfen  hatte;  denn  der  von  ihm  hochverehrte  Beethoven,  den  er  in  den  Pro- 
grammen  bevorzugte,    galt    den    Pariser  Musikern    für    einen    Barbaren,    seine 
Werke  erschienen  ihnen  als  Räthsel  voller  Extravaganzen.     H.  aber  zwang  die 
Pariser,  Beethoven  in  möglichster  Vollkommenheit  zu  hören,  und  er  hatte  die 
Freude,   vollständigst    durchzudringen.     Später    unterstützte    ihn    der   Direktor 
des  Conservatoriums,    Cherubini,    in  seinen    acht  künstlerischen   Bestrebungen, 
und  er  erhielt  1827  ein  bestimmtes,  passendes  Local  für  seine  Concerte.     Die 
Bewunderung  Beethoven's  sowie  der  bis  zur  Vollendung  gesteigerten  Leistungen 
des  Orchesters  unter  H.'s  Leitung  stieg  bei  jedem  Concerte,  und  H.  brachte  es 
dahin,    dass    kaum  der  achte  Theil    derer,    die    die  Concerte  besuchen  wollten, 
den  Eintritt  erlangen  konnte.     Auf  dieser  vom  In-  und  Auslande  bewunderten 
Höhe  erhielt  H.  seine  Concerte  volle  22  Jahre.     Ein  neuer  Glanzpunkt  dieses 
seltenen  Dirigenten  fiel  in  die  Zeit,  wo  Meyerbeer's  »Robert«  und  »Hugenotten« 
zur  Aufführung  kamen.     Er  war  es,  der  die  Orchesterdirektion  bei  diesen  Opern 
nicht  blos  in  Paris,  sondern  auch  in  andern  grossen  Städten  Frankreichs  über- 
nehmen musste;    ebenso    interessirte    er    sich  für  Halevy's  »Jüdin«.     H.  besass 
eine  seltene  Willenskraft  und  Charakterfestigkeit  und  rief  durch  seine  Haltung, 
seinen  Blick  eben  so  viel  Respect  wie  Autorität  hervor.     Er  wirkte  nicht  etwa 
nur  durch  ein  rauhes  und  derbes  Aeussere,  sondern  durch  die  Kraft  der  TJeber- 
zeugung  und  durch    seinen    fein    musikalischen  Geist.     Von  seinen  zahlreichen 
Freunden  und  Schülern  wie  von    seiner  Familie  wurde   er    über  Alles  geliebt; 
zu  seinen  bedeutendsten  Schülern  gehören  Alard  und  Curillon.  Die  ganze  Kunst- 
welt trauerte,  als  er  am  8.  Febr.  1849  starb,  und  keine  der  Musiknotabilitäten 
fehlte,  als  seine  Leiche  unter  den  Klängen  des  Trauermarsches  aus  Beethoven's 
Eroica- Sinfonie   nach  dem  Montmartre  -  Kirchhofe  geleitet  wurde.     Von  seinen 
eigenen  Compositionen  sind  vorzüglich  zu  nennen:  Mehrere  Stücke  zu  der  von 
Benincourt  unvollendet  hinterlassenen  Oper  »ia  lampe  merveilleuse«,  zwei  Con- 
certe, Variationen,  Nocturnes,  Capricen  für  Violine  und  Violinduette.  —   Sein 
Bruder  Joseph  H.,  ebenfalls  ein  tüchtiger  Violinist,  geboren  am  1.  April  1785 
zu  Quimpercorentin ,  machte  seine  höheren  Studien  gleichfalls  auf  dem  Pariser 
Conservatorium    und    trat    1808    in    das    Orchester    der  Opera    comique,    deren 
Direktion    ihn    1819    zum    zweiten    Dirigenten    ernannte.  —  Der   jüngste    der 
Brüder,  Cor  entin  H.,  geboren  1787  zu  Quimpercorentin,  kam  nach  rühmlicher 
Vollendung  seiner  Violinstudien  auf  dem  Conservatorium  zu  Paris  1814  in  das 
Orchester  der  Grossen  Oper,    war    bis    zur  Julirevolution  Kammermusiker  der 
königl.    Kapelle    und   wurde    1834    zum    Nachfolger    Launer's    bei    der    ersten 
Violine  der  Äcademie  royale  de  musique  ernannt. 

Habeugtou,  Henry,  englischer  Tonkünstler,  ist  der  erste,  von  dem  die 
Geschichte  eine  musikalische  Px^omotion  meldet;  er  erhielt  1463  auf  der 
Universität  zu  Cambridge  den  Grad  eines  Baccalaureus  der  Musik.  f 

Haberbier,  Ernst,  ausgezeichneter  deutscher  Pianofortevirtuose  der  neuesten 
Zeit,  wurde  am  5.  Octbr.  1813  zu  Königsberg  geboren,  wo  sein  Vater  Organist 
war,  und  genoss  eine  treffliche  musikalische  Ausbildung.  Seit  1832  lebte  er 
einige  Jahre  in  St.  Petersburg,  während  welcher  Zeit  er  zum  kaiserl.  Hof- 
pianisten ernannt  wurde.  Hierauf  machte  er  mehrere  grössere  Kunstreisen 
und  trat  u.  A.  1850  in  Paris  und  London  mit  grossem  Beifalle  auf.  In 
Christiania  verweilte  er  ein  halbes  Jahr  lang  und  ersann  dort  eine  neue  Art 
des  Passagenspiels,  welche  auf  abwechselnde  Vertheilung  der  Figuren  auf  beide 
Hände  begründet  war.  Mit  in  dieser  Manier  von  ihm  componirten  Stücken 
Hess  er  sich  zuerst  in  Kopenhagen,  Hamburg,  Kiel  und  1852  auch  in  Paris 
hören,  wo  er  grosse  Anerkennung,   aber   auch  eben  so  viel  Widerspruch  fand. 

30* 


468  Haberl  —  Habert. 

Nachdem  er  hierauf  Strasaburg  und  Baden-Baden  besucht  hatte,  lebte  er  ab- 
wechselnd in  Petersburg,  Moskau,  Kopenhagen  und  besuchte  auch  häufig 
Deutschland.  Im  J.  1866  Hess  er  sich  als  Musiklehrer  zu  Bergen  in  Norwegen 
nieder.  Dort  traf  ihn  während  eines  Ciaviervortrages  in  einem  am  12.  März 
1869  von  ihm  veranstalteten  Concerte  ein  Schlaganfall,  der  ihn  alsbald  darauf 
tödtete.  Er  hat  zahlreiche  Claviercompositionen  im  brillanten  Style  geschaffen, 
von  denen  Vieles  im  Druck  erschienen  ist. 

Haberl,  Franz  Xaver,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am 
12.  April  1840  zu  Oberellnbach  in  Niederbaiern,  erhielt  den  ersten  Unterricht 
von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  besuchte  dann  das  bischöfl.  Knabenseminar 
zu  Passau  und  empfing  1862  die  Priesterweihe,  Seitdem  wirkt  er  als  Musik- 
präfect  der  bischöfl.  Seminarien  zu  Passau,  als  welcher  er  auch  den  dortigen 
Domchor  zu  dirigiren  hat  und  widmete  fortgesetzte  Studien  besonders  dem 
Chorale  und  der  älteren  Kirchemusik.  Aus  dieser  Beschäftigung  entsprangen: 
«Anweisung  zum  harmonischen  Kirchengesang«  (Regensburg,  1864),  -»Magister 
choralis,  theoretisch-praktische  Anleitung  zum  gregorianischen  Kirchengesauge« 
(Eegensburg,  1865,  2.  Aufl.  1866)  und  »Liederrosenkranz,  eine  Sammlung 
von  Marienliedern  für  drei-  und  vierstimmigen  Männerchor«  (2  Hefte,  Regens- 
burg, 1866). 

Habermalz,  H.  B.  K.,  deutscher  Harfenvirtuose,  hat  sich  zu  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  durch  mehrere  Compositionen  für  sein  Instrument  bekannt 
gemacht.  Es  erschienen  von  ihm:  Veränderungen  des  Liedes  »Blühe,  liebes 
Veilchen«  für  Harfe  und  Flöte  (1792)  und  »Neue  Sammlung  für  die  Harfe 
mit  einer  Violine«  (Leipzig,  1792).  Aus  seinem  Leben  weiss  man  nur,  dass 
er  im  J.  1790  Candidat  der  Theologie  war.  f 

Habermauu,  Franz  Johann,  gediegener  deutscher  Componist  und  Com- 
positionslehrer,  geboren  1706  zu  Königswcrth  in  Böhmen,  besuchte  die  höheren 
Schulen  zu  Klattau  und  Prag  und  widmete  sich  dann  ausschliesslich  der  Musik, 
zu  welchem  Zwecke  er  sich  nach  Italien  begab  und  die  besten  Meister  auf- 
suchte. Von  dort  ging  er  nach  Spanien  und  Frankreich.  In  Paris  zog  ihn 
1731  der  Prinz  von  Conde  in  seinen  Dienst,  nach  dessen  Tode  H.  Kapellmeister 
des  Grossherzogs  von  Toscana  in  Florenz  wurde.  Als  Maria  Theresia  in  Prag 
gekrönt  wurde,  ging  er  dorthin  und  brachte  eine  Festoper  mit  Beifall  zur  Auf- 
führung. Als  Musiklehrer  in  Prag  bildete  er  u.  A.  Dussek,  Misliweczek  und 
Cajetan  Vogel.  Später  wurde  er  Musikdirektor  an  der  Theatiner-  und  1750 
an  der  Maltheser- Kirche,  1773  endlich  Kirchenkapellmeister  zu  Eger.  Als 
solcher  starb  er  am  7.  April  1783.  Gedruckt  hinterliess  er  12  Messen  und 
6  Litaneien  und  im  Manuscript  die  Oratorien  nConversio  peccatoris«.  und  »Deo- 
datus«,  zahlreiche  Kirchenwerke  aller  Art,  Sinfonien  und  Sonaten,  Alles  in 
seiner  Zeit  hochgeschätzt.  —  Sein  Bruder,  Karl  H.,  geboren  1712  zu  Königs- 
wcrth, gestorben  am  4.  März  1766  zu  Prag,  ein  vorzüglicher  Ciavierspieler, 
war  ebenfalls  als  Kirchencomponist  sehr  geachtet,  und  sein  Sohn,  wie  der  Vater 
Franz  Johann  geheissen,  um  1750  zu  Prag  geboren,  war  Amtsnachfolger 
seines  Vaters  und  fungirte  als  solcher  noch  im  J.  1800  zu  Eger.  Seine  zahl- 
reichen Kirchenwerke  sind  Manuscript  geblieben. 

Habermelil,  G.,  deutscher  Claviercomponist,  lebte  in  der  Wendezeit 
des  18.  und  19.  Jahrhunderts.  Man  kennt  nur  noch  Variationenhefte  von 
ihm,  als:  Zwölf  Variationen  über  »0  wie  kurz  und  flüchtig«  (Darmstadt, 
1796),  zwölf  Variationen  über  »Wohl  toben  die  Völker«  (Braunschweig,  1797) 
u.  s.  w.  t 

Habert,  Johann  Evander,  deutscher  Orgelspieler  und  Componist,  ge- 
boren am  18.  Octbr,  1833  zu  Oberplan  in  Böhmen,  bildete  sich  1848  bis  1852 
in  Linz  zum  Lchrfache  aus.  Nachdem  er  neun  Jahre  lang  im  Schuldienste 
gestanden,  wurde  er  1801  als  Organist  in  Gmunden  angestellt.  Früh  schon 
musikalisch  unterrichtet,  war  er  dui'ch  die  Unterweisungen  des  Schullehrers 
Jos.  Lan7.  in  Waizenkirchen   und  seines  Vetters  Joidan  Habert  so  weit  gebildet 


Habisreutinger  —  Hackebrett,  469 

worden,  dass  er  1857  mit  zwei  Messen  als  Componist  hervortreten  konnte. 
Seit  1861  veröffentlichte  er  ein  Heft  Marienlieder,  ein  Heft  alte  und  neue 
katholische  Gesänge  und  einige  Hefte  Ciavierstücke  und  Lieder.  Für  eine 
Messe  (Brixen,  1866)  erhielt  er  1866  bei  der  grossen  internationalen  Con- 
currenz  für  heilige  Musik  den  dritten  Preis. 

HaMsreuting-er,  Columban,  ein  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts 
als  Componist  wirkender  Benedictinermönch  in  Zwiefalten,  von  dessen  Arbeiten 
sich  in  der  königl.  Bibliothek  zu  München  vorfinden:  y>Melodiae  ariosae  zu  den 
vier  Büchern  von  der  Nachfolge  Christi«  (Augsburg,  1744).  f 

Hachenlberg,  Paul,  Doctor  der  Jurisprudenz,  geboren  1652,  gestorben 
1681  zu  Heidelberg  als  Professor  der  Geschichte  und  Beredsamkeit,  schrieb 
u.  A.  auch  über  die  Musik  der  alten  Deutschen. 

Hachiiieister,  Karl  Christoj^h,  deutscher  Tonkünstler,  war  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  Organist  an  der  heiligen  Geistkirche  zu  Hamburg  und 
hat  sich  durch  Veröffentlichung  von  für  seine  Zeit  sehr  geschmackvollen  Ciavier- 
übungen vortheilhaft  bekannt  gemacht. 

Hacke,  Georg  Alexander,  deutscher  Componist  in  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts,  veröffentlichte:  »Musikalisch-Marianische  Schatz-Kammer, 
58  Arien  und  Motetten  auf  alle  Feste  heatae  virf/inis  enthaltend«  und  »Vier- 
zehn Arien  auf  Weihnachten,  ingleichen  auf  unterschiedliche  Heiligen,  sammt 
zwei  Trauer- Arien  zu  Exequien  u.  s.  f.  von  ein  und  zwei  Stimmen,  zwei  Violinen, 
eine  Viole  und  Generalbass«  (Augsburg  bei  Lotter).  f 

Hackelbrett  oder  Cymbal  (ital.:  Dolce  melo,  auch  Salterio  tedesco),  ist  ein 
Schlaginstrument,  das  seit  dem  6.  Jahrhundert  in  "West-  und  Mitteleuropa  ver- 
breitet war  und  noch  gegenwärtig  in  den  niedern  Volksschichten,  besonders 
auf  Tanzböden,  sich  in  Gebrauch  befindet.  Die  italienische  Benennung  dieses 
Tonwerkzeugs,  Salterio  tedesco^  giebt  Aufschluss  über  Urstätte  und  Urgestalt 
einerseits,  sowie  über  den  Ort  der  letzten  Umformung  der  Urgestalt,  wie  nach- 
folgende kurze  Nachrichten  erweisen  werden.  Im  hohen  Alterthume  nämlich 
war  schon  in  Assyrien  und  Aegypten  (s.  assyrische  Musik,  Theil  I.  S.  323 
in  diesem  Werke)  ein  Tonwerkzeug  in  Gebrauch,  wie  viele  assyrische  und 
aegyptische  Bildwerke  darthun,  das  später  von  den  Griechen  nachgebildet,  an- 
gewandt und  xiiaXrijQiov  geheissen  wurde  und  sich  einer  besonderen  Ausbildung 
erfreute.  Dasselbe  hatte  einen  mehr  dreiseitig  gestalteten  Resonanzkasten,  über 
den  die  Saiten,  zehn  an  der  Zahl,  ausgespannt  wurden,  die  man  mittelst  eines 
Klöpfels  tönend  erregte.  Es  muss  einen  starken,  andauernden  Ton  gegeben 
haben,  denn  die  Abbildungen  aus  Kuijundschik  zeigen  schon,  dass  man  in 
frühester  Zeit  sorgfältig  die  Saiten  zu  dämpfen  sich  bemühte.  Der  Spieler 
trug  dies  Insti'ument  beim  Gebrauch  wohl  nur  vor  sich,  indem  die  schmale 
Seite  des  Schallbodens  zwischen  Bauch  und  Brust  vor  dem  Körper  durch 
Lederriemen  festgemacht  war.  Dasselbe  wurde  in  Italien,  Frankreich,  Deutsch- 
land und  England  in  den  Zeiten  von  600  bis  1400  n.  Chr.  bekannt  und  zeigte 
in  den  verschiedenen  Ländern  zwar  kleine  Verschiedenheiten  der  Form  und 
Behandlungsweise,  trug  aber  überall  den  giüechischen  Namen  latinisirt:  Psal- 
terium.  Im  Orient  bekam  es  jedoch  in  dem  qTinon  oder  känun  genannten 
arabischen  Musikinstrument,  wovon  F.  J.  Fetis  in  seiner  ytlTisfoire  de  la  mu- 
siqucti,  Tome  II.  pag.  131  und  Hermann  Weiss  in  seiner  »Kostümkunde«, 
Theil  III.  S.  295  eine  schöne  Abbildung  geben,  seine  vollendetste  Form.  Diese 
Form  wurde  während  der  Kreuzzüge  vielen  Abendländern  bekannt,  und  diese 
veränderten  das  im  Vaterlande  gepflegte  und  beliebte  Psalterium  jenem 
arabischen  gemäss,  behielten  jedoch  die  alte  Tonerregungsart  mit  Klöjsfeln  statt 
der  arabischen  mit  an  den  Fingern  sitzenden  Plektren  bei,  was  die  occidentale 
Fortbildung  desselben  bis  zum  Pianoforte  (s.  d.)  später  ermöglichte.  Diese 
ersterwähnte  occidentale  Umformung  des  Psalteriums  soll,  der  Sage  nach,  zuerst 
in  England  stattgefunden  haben.  In  Deutschland,  wo  dies  Musikinstrument 
wohl  gleichzeitig    derselben  Veränderung    unterlag,    gab    man    demselben   einen 


470  Hackel  —  Hacker. 

neuen  Namen:  Hackebrett,  der  ihm  bis  heute  geblieben  ist.  In  Italien  hin- 
gegen, wo  die  veränderte  Form  des  Psalteriums  zuletzt  und  zwar  durch  Ein- 
führung von  Deutschland  aus  bekannt  geworden  zu  sein  scheint,  behielt  man 
die  dem  ursprünglichen  Namen  nachgebildete  Bezeichnung:  Salterio  bei  und  gab 
derselben  nur  die  auf  die  angenommene  Stätte  der  Umformung  des  Instruments 
deutende  Zusatzbezeichnung:  tedesco.  Dies  Tonwerkzeug,  jetzt  im  Abendlandc 
meist  überall  in  gleicher  Gestalt  gepflegt,  ist  gewöhnlich  1,25  Meter  lang, 
gegen  0,9  bis  1,05  Meter  breit  und  0,3  Meter  hoch,  so  dass  es  einem  fast 
viereckigen  Kasten  gleich  erscheint.  Der  Schallboden,  die  grösste  Ausdehnung 
des  Instruments  einnehmend,  hat  zwei  runde,  reich  verzierte  Schalllöcher.  Der 
Bezug  (s.  d.)  des  H.'s  besteht  aus  Drathsaiten,  Messing  und  Stahl,  die  über 
zwei  Stege  (s.d.)  gehen,  an  der  einen  Seite  mittelst  aus  denselben  geformten 
Oesen  an  Stifte  gehangen  und  an  der  andern  an  hölzerne  Wirbel,  durch  welche 
sie  ihre  Stimmung  erhalten,  befestigt  sind.  Der  Bezug,  welcher  ehedem  ein- 
chörig  war  und  nur  die  diatonischen  Klänge  aufwies,  ist  mit  der  Zeit  zwei- 
und  dreichörig  geworden  und  vertritt  alle  chromatischen  Töne.  Dem  älmlich 
entwickelte  sich  auch  der  Ambitus  (s.  d.)  des  H.'s;  erst  besass  derselbe  kaum 
drei  Octaven,  bald  jedoch  wuchs  er  bis  zu  vieren  und  stieg  dann,  bis  er  alle 
diatonischen  und  chromatischen  Klänge  von  C  bis  c^  führte.  Die  Tonerregung 
der  Saiten  ^des  H.'s  geschieht  durch  zwei  leichte,  hölzerne  Hämmerchen,  die 
am  Ende  mit  länglichen  Knöpfchen  versehen  sind,  so  dass  man  damit  nach 
Ermessen  zwei  auch  drei  Saiten  gleichzeitig  schlagen  kann.  Die  eine  Seite 
der  Knöpfchen  ist  mit  Filz  oder  Tuch  überzogen,  wähi*eud  die  entgegengesetzte 
ganz  kahl  ist,.  Mit  ersterer  schlägt  man,  wenn  man  leise,  mit  letzterer,  wenn 
man  stärker  tönende  Klänge  dem  H.  entlocken  will.  Dies  Instrument  entbehrt, 
wie  man  aus  der  Art  der  Tonerregung  schliessen  kann,  jede  gleichmässige,  feine 
Art  der  Klänge.  Das  Piano  desselben  klingt  gedämpft  und  das  Forte  sehr 
scharf  mit  vielen  hohen  Obertönen  gesättigt.  Der  Anwendung  bei  Kuustlei- 
stungen  erfreut  sich  um  deswillen  das  H.  nicht,  weil  die  Art  seiner  Klänge 
durch  seine  Sprösslinge,  Pianoforte  und  Flügel,  in  veredelter  Weise  überall 
leicht  zu  Gebote  stehen.  Bei  lärmenden  Volksbelustigungen  jedoch,  wo  oft 
das  Durchdringen  einer  Melodie  erwünscht,  ist  noch  heute  das  H.  ein  nur 
zu  empfehlendes  Tonwerkzeug,  wenn  nicht  andere  diese  Aufgabe  edler  erfüllende 
vorhanden  sind;  namentlich  auf  Tanzböden.  In  Mitteldeutschland  sieht  man 
das  H.  oft  in  Mitte  kleiner  Banden  lieruraziehender  Musikanten  und  Bergleute, 
doch  auch  diese  werden  bald  sich  desselben  entäussern,  da  eine  durchdringende 
Mclodieführung  bei  ihren  Leistungen  edler  durch  die  leichter  transportable 
Stahlharmonika  und  die  Harmoniefüllung  durch  eine  kleine  dumpfe  Trommel 
erreicht  wird.  Es  mag  hier  noch  die  Auslassung  des  Ottomarius  Luscinius  in 
seiner  »Musurgia«  von  1536  p.  13:  i^instrumenium  ignohüe  fropter  ingentum 
strepidum  vocum«,  über  das  H.  eine  Stolle  finden,  um  zu  beweisen,  wie  man 
schon  in  Zeiten,  wo  man  für  dasselbe  noch  in  leichter  Weise  keinen  Ersatz 
hatte  und  viel  rohei-e  Kunstleistungen  als  die  heutigen  zu  den  sehr  hohen 
gerechnet  wurden,  dennoch  schon  durch  die  Klänge  des  H.'s  sehr  unangenehm 
berührt  wurde.  C.  B. 

Hackel,  Anton,  talentvoller  und  geschickter  deutscher  Dilettant,  geboren 
zu  Wien  lun  17.  April  1799,  gestorben  ebendaselbst  am  1.  Juli  1846  als 
RechnnnL-s- Adjunkt  bei  der  k.  k.  Baudirektion,  machte  seine  Compositions- 
studien  bei  Euianuel  Förster  und  gab  ein-  und  mehrstimmige  Gesangsconipo- 
sitionen  in  Wien  heraus,  von  denen  besonders  seine  B;ilhxdc  »Die  nächtliche 
Heerschau«  ausserordentlich  günstig  aufgenommen  wurde.  Auch  seine  Versuche 
in  anderen  Gattungen,  z.  B.  der  Kirchen-  und  Militärmusik,  fielen  sehr 
glücklich  aus. 

Hackenbergcr,  s.  Hakenberge r. 

Hacker,  Benedict,  deutscher  Tonsetzer,  geboren  am  30.  Mai  1769  zu 
Metten    bei    Deggendorf   in    Niederbaiern ,    entwickelte    bei    tüchtigem    Musik- 


Hacquardt  —  Häffner.  471 

unterrichte  schon  frühzeitig  bedeutendes  Talent.  Ganz  durfte  er  sich  der 
Kunst,  namentlich  dem  Ciavier-  und  Orgelspiel  erst  widmen,  als  er,  einem 
Wundarzte  in  die  Lehre  gegeben,  bei  Operationen  ohnmächtig  wurde,  und  nun 
nahm  sich  Prof.  Schmetterer  in  Salzburg  seiner  an,  der  ihn  in  sein  Haus 
zog  und  ihn  auch  von  Mich.  Haydn  und  Leop.  Mozart  unterrichten  Hess. 
Doch  schon  1784  starb  dieser  edle  Gönner,  und  H.  erwarb  sich  kümmerlich 
seinen  Unterhalt  als  Violinist  im  Chore  des  Nonnenstifts  am  Nonnenberge  und 
durch  Ertheilung  von  Unterricht.  Im  J.  1786  trat  er  in  die  Hof-  und  aca- 
demische  "Waisenhaus  -  Buchhandlung  zu  Salzburg  und  1794  als  Gehülfe  und 
Buchhalter  in  die  Mayer'sche  Buchhandlung  daselbst,  bis  er  1802  auf  eigene 
Rechnung  eine  Musikalienhandlung  begründen  konnte.  Er  hat  Arbeiten  im 
Kirchenstyl,  ein-  und  mehrstimmige  geistliche  und  weltliche  Lieder  seiner  Com- 
position  veröffentlicht  und  auch  eine  komische  Oper,  »List  gegen  List«,  nur 
für  Männerstimmen  gesetzt,  aufführen  lassen,  die  in  Salzburg  grossen  Bei- 
fall fand. 

Hacquardt,  Karl,  niederländischer  Musiker,  geboren  zu  Brügge  um  1640, 
hat  sich  in  seiner  Zeit  durch  einige  Vocal-  und  Instrumentalcompositionen 
auch  als  schaffender  Künstler  bekannt  gemacht, 

Hadlanb,  Meister  Johannes,  schweizerischer  Minnesänger,  lebte  zu  Zürich, 
wo  er  auch  in  der  letzten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  geboren  war.  Dass  er 
eine  Zeit  lang  dem  Berufe  eines  wandernden  Sängers  obgelegen  habe,  lässt 
sich  aus  seinen  Gedichten  entnehmen,  die  er  um  1290,  vielleicht  auch  schon 
früher,  verfasste;  seine  Kunstbildung  hatte  er  vermuthlich  in  der  Singschule 
seiner  Vaterstadt  erhalten.  Seinen  Tod  darf  man  kaum  früher  als  um  das 
J.  1325  ansetzen.  Seine  erhalten  gebliebenen  Gesänge  bestehen  in  Minne-, 
Herbst-,  Erndte-  und  "Wächterliedern  und  zeichnen  sich  durch  ihre  ku.nstmässige 
Form  aus,  die  namentlich  in  den  vielreimigen ,  oft  mannigfach  verschlungenen 
Strophen  erscheint.  Dieser  Strophenbau  hat  seinen  Gedichten  eine  dem  Ge- 
sänge angemessene  Lebendigkeit  aufgedrückt. 

Uadraya,  oder  Hadrawa,  Ciavier-  und  Lautenvirtuose,  geboren  um  1750 
in  Ungarn,  war  um  1774  Legationssecretär  des  österreichischen  Gesandten, 
Baron  von  Swieten,  in  Berlin,  wo  er  als  fertiger  Ciavierspieler  glänzte.  Auf 
der  Laute  bildete  er  sich  in  Italien  weiter  aus,  besonders  als  er  sich  um  1795 
bei  der  Gesandtschaft  in  Neapel  befand.  Erbrachte  es  auf  diesem  Instrumente 
so  weit,  dass  der  König  von  Neapel  Unterricht  bei  ihm  nahm.  In  Berlin  und 
Neapel  sind  mehrere  Ciavier- Sonaten  seiner  Composition  erschienen,  die  für 
seine  Musikbildung  vortheilhaft  zeugen. 

Hadrianus,  Emanuel,  s.  Adrian, 

Hadriauus  Castellensis,  Cardinal  und  Bischof  zu  Hereford  in  England, 
war  im  15.  Jahrhundert  zu  Cometo  geboren.  Neben  vielen  anderen  Schriften 
verfasste  er  auch  einen  Tractat  y>de  musica.y>  Er  starb,  der  Cardinalswürde 
entsetzt,  im  J.  1518  zu  Constantinopel. 

Häffner,  Johann  Christian  Friedrich,  deutscher  Tonkünstler  und  Com- 
ponist,  geboren  am  2.  März  1759  zu  Oberschönau  bei  Suhl  als  Sohn  eines  Schul- 
meisters. Orgelspiel  und  Generalbass  trieb  er  bei  dem  berühmten  Organisten 
Vierling  als  Schüler  des  Gymnasiums  zu  Schmalkalden,  Seit  1776  Student 
zu  Leipzig,  erwarb  er  sich  seinen  Unterhalt  als  Corrector  des  Breitkopf  und 
Härtel'schen  Musikverlags.  Mit  reisenden  Schauspielgesellschaften  begab  er 
sich  hierauf  nach  Frankfurt  a.  M.,  Hamburg  u.  s.  w.  und  gelangte  als  Musik- 
direktor zu  Geschick  und  einigem  Hufe,  so  dass  man  ihn  1780,  auf  Empfehlung 
eines  deutschen  Kaufmanns  hin,  als  Organisten  an  der  deutschen  Kirche  in 
Stockholm  anstellte,  mit  welchem  Amte  er  den  Posten  eines  Accompagnateui'S 
an  der  königl,  Oper  verband.  Für  diese  Bühne  schrieb  er  die  Oper  »Elektra«, 
welche  ihm  1787  den  Titel  und  1793  die  Funktion  eines  ersten  Hofkapell- 
raeisters  eintrug.  Im  J.  1808  siedelte  er  nach  Upsala  über,  wo  er  1820  Dom- 
organist   und  Universitäts- Musikdirektor  wurde    und    am  28.  Mai  1833  starb. 


472  Hähnel  —  Handel. 

—  Ausser  »Elektra«  liat  er  die  Opern  »Alcide«  und  »Renaud«,  sännnUicli  im 
Gluck'schen  Style,  componirt;  eine  neuere  Compositionsriclitung  erkannte  er 
nicht  an  und  beschuldigte  in  "Wort  und  Schrift  Mozart,  den  Verfall  der  Musik 
herbeigeführt  zu  haben.  Ausserdem  gab  H.  schwedische  Lieder  und  Gesänge 
heraus,  überarbeitete  die  Melodien  zu  den  von  Geijer  und  Afzclius  gesam- 
melten dänischen  Volksliedern  und  machte  sich  um  den  Kirchengesang  in 
Schweden  durch  Herausgabe  eines  Choralbuchs  (2  Theile,  1819  bis  1821)  und 
Präludien  zu  den  Chorälen  (1822)  verdient. 

HälincI,  Amalie,  vorzügliche  deutsche  Opernsängerin,  geboren  1807  zu 
Grosshübel  in  Böhmen,  kam  um  1813  nach  Wien,  wo  sie  von  ihrem  zwölften 
Jahre  an  nach  einander  die  Tochter  des  Kapellmeisters  Gassmanu,  Salieri  und 
Ciccimara  im  Gesänge  unterrichteten.  Nachdem  sie  seit  1825  als  Concert- 
sängcrin  aufgetreten  war,  debütirte  sie  1829  als  Rosine  im  »Barbier«.  Ein 
Jahr  später  machte  sie  eine  Gastspielreise  nach  Berlin,  wurde  für  das  dortige 
Königsstädter  Theater  engagii't  und  gehörte  demselben  bis  zur  Auflösung  seiner 
Oper  an,  worauf  sie  1841  zur  königl.  Hofoper  übertrat,  an  der  sie  zur  Kam- 
mersängerin ernannt  wurde.  Auch  als  Sängerin  in  Kirchenmusiken  war  sie 
in  Berlin  hochgeschätzt.  Im  J.  1845  zog  sie  hIcIi  wegen  Kränklichkeit  von 
der  Bühne  zurück,  begab  sich  nach  Wien  und  starb  daselljst  am  2.  Mai  1849. 
Ihre  Stimme  war  ein  zwei  volle  Octaven  umspannender,  sehr  klangreicher 
Mezzosopran  von  vorzüglicher  Volubilität  und  ihre  Schule  eine  in  seltener  Art 
ausciezeichncte. 

Hähnel,  Jacob,  s.  Gallus. 

Hähuel,  Johann  Ernst,  sächsischer  Hoforgelbauer  und  Instrumenten- 
macher zu  Dresden,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  und  war 
einer  der  hervorragendsten  Meister  seines  Faches.  Von  den  vielen  von  ihm 
gebauten  Werken  ist  mit  Bestimmtheit  bekannt,  dass  er  zu  Oschatz  ein  Werk 
mit  31  Stimmen  herstellte,  dass  er  ferner  eines  zu  Cadix  vollendete,  und  dass 
er  1737  die  Dresdner  Schlosscapellenorgel  in  die  Friedrichsstädtcr  Kirche  da- 
selbst versetzte.  Auch  als  Denker  über  neu  erfundene  Tonwerkzeuge  hat  sich 
H.  hervorgethan.  So  befleissigte  er  sich,  die  Idee  eines  Oeonhal  d^Amour 
(s.  d.)  auszuführen,  indem  er  neben  den  Tangenten  auf  beiden  Seiten  zwei 
starke  messingene  Stifte  setzte,  welche  man  nach  Belieben  durch  einen  Zug 
an-  und  abschieben  konnte.  Dies  gab  den  Klang  der  sogenannten  Coelestin- 
claviere.  Ferner  brachte  H.  bei  diesem  Tonwerkzeug  eine  mit  Tuch  bezogene 
lange  Leiste  an ,  welche  man  über  dem  einen  oder  andern  Rosonanzkasten  auf 
die  Saiten  legen  konnte,  wodurch  das  Instrument  wieder  den  Klang  der  ge- 
wöhnlichen Clavichorde  erhielt.  Ausführlicheres  über  dies  Musikinstrument 
findet  man  in  Adlung's  Musiea  mechanica  Band  IL  S.  126.  Von  Dresden  zog 
sich  H.  im  Alter  nach  Hubertusbui'g  zurück,  wo   er  auch  starb.  f 

Hänimerpaut.alou  oder  Hammerwerk  nannte  man  ein  pantalonartigcs 
Tonwerkzeug,  dessen  Drahtsaiten  durch  mittelst  einer  Tastatur  regierte  Hämmer 
tönend  erregt  wurden.  Das  H,  war  somit  der  halbe  mit  Drahtsaiten  bezogene 
Thcil  eines  Pantalons  (s.  d,),  der  sich  nur  in  der  Tonerrcguug  von  dem- 
selben unterschied  und  die  Form  eines  Clavicymbels  (s.  d.)  oder  Clavi- 
cytheriums  (s.  d.)  besass.  Als  Vorläufer  unseres  Fortepianos  (s.  d.)  in 
der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  Gebx-auch ,  ist  das  H.  nicht  weit 
über  die  Grenze  des  Jahrhunderts  hinaus  gekommen,  sondern  schon  sehr  früh 
von  dem  Fortepiano  verdrängt  woi'den.  Eines  der  letzten,  eigens  für  das  U. 
componirten  Werke  ist  Beethoven's  grosse  Sonate  op.  106.  2. 

Häminliug,  s.  Castrat. 

Händel,  Georg  Friedrich,  einer  der  Heroen  der  Tonkunst,  ward  am 
23.  Febr.  1685  zu  Halle  an  der  Saale  geboren.  Fälschlich  ist  früher  von 
verschiedenen  Seilen  der  24.  Febr.  1684  als  der  Tag  seiner  Geburt  angegeben 
worden  (z.  B.  in  der  1.  Ausgabe  von  Fetis':  Biographie  universelle  des  Musiciens 
und  in   Gerber's  Tonkünstlerlexikon);  durch  die  Untersuchungen  von  Forste- 


Händel.  473 

mann  (Leipzig,  1844)  stellt  sich  jedoch  1685  als  das  Jahr,  in  welchem  er 
das  Licht  der  "Welt  erblickte  und  der  24,  Pebr.  als  der  auf  den  Tag  seiner 
Geburt,  nach  der  Sitte  damaliger  Zeit,  unmittelbar  folgende  Tauftag  heraus. 
H.'s  Grrossvater  war  der  Kupferschmiedemeister  Valentin  Händel,  der,  im 
J,  1582  zu  Breslau  geboren,  sich  1609  in  Halle  das  Bürgerrecht  erwarb  tind 
dort  ein  Mädchen,  das  ebenfalls  der  Familie  eines  Kupferschmiedemeisters  ent- 
stammte, ehelichte.  So  ging  denn  auch  H.  recht  eigentlich  aus  dem  Volke, 
und  zwar  aus  dem  ehrsamen  Handwerkerstande,  hervor.  Denn  auch  sein 
Vater,  Georg  Händel  (geboren  1622),  war  ursprünglich  Barbier  und  erhob 
sich  erst  später  zum  fürstl.  sächsischen  Kammerdiener  und  Leibchirurgen  zu 
Halle.  Derselbe  verheirathete  sich  in  zweiter  Ehe  mit  Jungfer  Dorothea, 
Tochter  des  Pastor  Taust,  Seelsorger  in  dem  i'omantischen  Schloss  und  Dorf 
Giebichenstein  an  der  Saale.  Da  Dorothea  die  Mutter  unseres  H.  ist,  und 
der  grosse  Tondichter,  ähnlich  wie  andere  hervorragende  Männer  (z.  B. 
Coriolan,  Napoleon,  Goethe),  zu  dieser  Mutter,  so  lange  dieselbe  lebte,  in  einer 
besonders  nahen  und  innigen  Seelengemeinschaft  gestanden  hat,  so  fügen  wir 
noch  hinzu,  dass  dieselbe  eine  Frau  von  reichem  Gemüth,  ungewöhnlich  starkem 
und  klarem  Geist,  protestantischer  Gesinnung  und  echt  bürgerlicher  Ehrbarkeit 
und  Tüchtigkeit  gewesen.  Dies  geht  besonders  aus  einem  zu  ihren  Ehren 
auf  Kosten  des  Sohnes  gedruckten  Leichen-Sermon  hervor,  von  welchem  H.'s 
Biograph,  Chrysander,  so  glücklich  war,  noch  ein  Exemplar  aufzufinden.  H. 
galt  lange  Zeit  als  der  erste  und  einzige  Sohn  aus  seines  Vaters  zweiter 
Ehe;  es  ist  aber  seitdem  erwiesen  worden,  dass  er  nicht  nur  einen  älteren 
Bruder  gehabt,  sondern  dass  ihm  auch  noch  zwei  jüngei'e  Schwestern  ge- 
folgt sind. 

Von  frühester  Jugend  auf  hatte  der  Knabe  H.  eine  leidenschaftliche  Freude 
an  Musik.  Dieselbe  ging  so  weit,  dass  sein  Vater,  der  hoch  mit  ihm  hinaus 
wollte  und  ihn  deshalb  zum  Juristen  bestimmte,  alle  musikalischen  Instrumente 
und  Noten  aus  seinem  Hause  verbannte,  um  auf  solche  Weise  die  die  väter- 
lichen Pläne  kreuzende  Neigung  des  Kindes  auszulöschen.  Es  scheint  jedoch, 
dass  sich  eine  alte  Tante  seiner  erbarmt  habe  und  dass  es  ihm  gelungen  sei, 
mit  ihrer  Hülfe  ein  kleines  Clavichord  in  eine  Dachstube  seines  Vaterhauses 
einzuschmuggeln.  Etwa  8  Jahre  alt,  begleitete  H.  seinen  Vater,  dessen  Bruder 
daselbst  Kammerdiener  war,  an  den  Hof  des  Fürsten  von  Sachsen-Weissenfels. 
Das  Kind,  das  hier  mit  grösserer  Freiheit  umherschweifen  konnte,  probirte  in 
den  fürstlichen  Zimmern  verschiedene  vorhandene  Claviere  und  gerieth  zuletzt 
sogar  an  die  Orgel  der  Schlosskapelle.  Der  Fürst  kam  zum  Zuhören  herbei 
und  dies  hatte  zur  Folge,  dass  er  dem  Vater  des  Knaben  eine  sehr  vernünftige 
Standrede  des  Inhaltes  hielt:  Eltern  hätten  kein  Recht,  die  ihren  Kindern 
verliehenen  Anlagen  zu  unterdrücken.  Jedenfalls  hatte  dies  Ereigniss  die  gute 
Folge,  dass  H.  von  nun  an  Ilnterriqht  in  den  ersten  Elementen  der  Musik  bei 
dem  trefflichen  Organisten  Zach  au  in  Halle  erhielt  und  es  nach  2  Jahren  so 
weit  gebracht  hatte,  dass  er  sich  mit  Geschick  im  Contrapunkt,  sowie  als 
Spieler  auf  der  Orgel  zu  ergehen  anfing.  —  Mit  zehn  Jahren  schon  schrieb 
H.  unter  Anderem  6  Sonaten  für  2  Oboen  und  Bass.  Demungeachtet  ge- 
stattete der  Vater  nicht,  dass  die  übrigen  Studien  unterbrochen  wurden;  der 
Knabe  musste  die  lateinische  Schule  besuchen,  und  die  Idee,  dass  er  dereinst 
ein  Studiosus  der  Hechte  werden  sollte,  ward  durchaus  noch  nicht  aufgegeben. 
—  Nicht  1698,  sondern  wahrscheinlicher  1696  (also  in  seinem  12,  Jahr)  ward 
H.  von  seinem  Vater  nach  Berlin  geschickt,  woselbst  er  seine  erste  Bekannt- 
schaft mit  der  Oper  machte  und  sich  bei  Hofe  als  Virtuos  hören  liess.  Der 
Churfüi'st  (der  spätere  König  Friedrich  I.  von  Preussen)  wollte  den  kleinen 
"Wundermann  auf  seine  Kosten  nach  Italien  senden ,  was  jedoch  der  alte  H. 
für  seinen  Sohn,  mit  einer  damals  seltenen  Unabhängigkeit  der  Gesinnung, 
ablehnte.  Ein  Jahr  später,  1697,  hatte  der  nach  Halle  zurückgekehrte  H.  den 
Verlust  seines  Vaters  zu  beklagen  und  bezog   einige  Zeit  darauf  die  in  seiner 


474  Händel, 

Vaterstadt  1694  gegründete  Universität.  Nachdem  ihn  eine  1702  doi't  üher- 
nommene  Orqanistenstelle  wahrscheinlich  ganz  für  die  Musik  entschieden,  ging  er 
1703  nach  Hamburg,  welche  Stadt  zu  jener  Zeit  die  einzige  gute  deutsche  Oper 
im  Vaterlande  besass.  Hamburg  verdankte  einen  solchen  Vorzug  hauptsächlich 
dem  Tonsetzer  Reinhard  Keiser  (1673 — 1739),  der  darum  auch  mit  Recht 
in  der  Geschichte  der  Musik  einen  bedeutenden  Platz  behauptet.  Derselbe 
soll  der  Hamburger  Bühne  für  seine  Person  allein  nicht  weniger  als  116  sowohl 
italienische  wie  deutsche  Opern  und  Singspiele  geliefert  haben,  von  denen  76 
noch  namentlich  bekannt  geblieben  sind.  Als  Keiser,  der  zugleich  auch  Theater- 
unternehmer war,  Schulden  halber  eine  Zeit  lang  Hamburg  verliess,  ward  H. 
sein  Vertreter  am  Dirigentenpult  und  an  dem  damals,  sowie  noch  lange  nachher, 
im  Orchester  üblichen  Ciavier. 

In  Hamburg  entspann  sich  ein  warmes  Freundschaftsverhältniss  zwischen 
H,  und  seinen  beiden  zu  ihrer  Zeit  hervorragenden  Fachgenossen  Tele  mann 
(1681—1767)  und  Mattheson  (1681—1764).  Der  letztere,  der  sich  auch 
als  musikalischer  Schriftsteller  hervorthat  und  als  solcher  die  culturgeschicht- 
liche  Bedeutung  eines  Chronisten  seiner  Zeit  besitzt,  berichtet  in  seiner 
»Ehrenpforte«:  H.  habe  damals  »unendliche  Cantaten«  geschrieben,  welche  sich 
weder  durch  Kenntniss  der  Harmonie,  noch  durch  einen  gebildeten  Geschmack 
ausgezeichnet  hätten.  Als  Organist  dagegen  besass  H.  damals  schon  einen 
grossen  Ruf.  Dies  mag  Veranlassung  zu  jener  in  Gesellschaft  Mattheson's  von 
H.  unternommeneu  Reise  nach  Lübeck  gegeben  haben,  mit  welcher  zugleich 
eine  Art  von  Brautschau  verbunden  gewesen.  Es  handelte  sich  nämlich  um 
Wiederbesetzung  der  daselbst  an  der  Marienkirche  von  dem  berühmten  Buxte- 
hude (1637 — 1707)  verwalteten  Organistenstelle.  Buxtehude,  dessen  Einfluss 
auf  Sebastian  Bach  neuerdings  durch  Spitta  in  das  rechte  Licht  gesetzt 
worden,*)  wollte  sich,  hohen  Alters  wegen,  in  den  Ruhestand  versetzen  lassen. 
H.  war  ihm  als  Nachfolger  willkommen,  jedoch  unter  der  Bedingung,  dass  er 
seine,  wahrscheinlich  schon  etwas  ältliche  Tochter  heirathe.  Da  unser  jugend- 
licher Meister  hierauf  nicht  eingehen  wollte,  so  zerschlug  sich  diese  Ange- 
legenheit, und  die  Freunde  kehrten  un verrichteter  Sache  nach  Hamburg  zurück. 
Im  J.  1704  erlitt  H.'s  Verhältniss  zu  Mattheson  eine  Unterbrechung  durch  ein 
vorübergehendes  Zerwürfniss.  Eine  kleine  Eifersucht  um  den  Dirigentenplatz 
veranlasste  einen  heftigen  Wortwechsel  zwischen  den  Freunden,  der  sich,  da 
sie  beide  Hitzköpfe  waren  und,  nach  der  Sitte  damaliger  Zeit,  Degen  an  der 
Seite  trugen,  soweit  steigerte,  dass  sie,  nachdem  sie  das  Opernhaus  verlassen, 
mit  blanken  Klingen  einander  zu  Leibe  gingen.  Ein  breiter  Stahlknopf  am 
Rocke  H.'s  rettete  demselben  bei  diesem  improvisirten  Duell  das  Leben,  indem 
der  auf  das  Herz  seines  Gegners  gerichtete  Degen  Mattheson's  daran  in  Stücke 
zerbrach.  Zum  Glück  hatte  die  Sache  keine  weiteren  Folgen,  und  die  jungen 
Leute  versöhnten  sich  noch  an  demselben  Abend. 

In  das  Jahr  1704  fällt  auch  die  Composition  einer  von  H.  nach  dem 
19.  Cap.  des  Evang.  Johannes  für  Hamburg  geschi'iebenen  deutschen  Passion, 
deren  Manuscript  sich  auf  der  königl,  Bibliothek  zu  Berlin  befindet  und  deren 
Text  der  Hamburger  Singspieldichter  Postel  in  Reime  gebracht  hatte.  Am 
8.  Jan.  1705  ging  in  Hamburg  H.'s  erster  theatralischer  Versuch,  seine  deutsche 
Oper  »Almira«  mit  vielem  Beifall  in  Scene;  ihr  schloss  sich  mit  gleichem  Er- 
folg am  25.  Febr.  desselben  Jahres,  also  nur  ein  ])aar  Wochen  später,  seine 
ebenfalls  deutsche  Oper  »Nero«  an.  Von  dem  letzten  Datum  bis  1708  ward 
keine  weitere  Oper  von  H.  in  Hamburg  gegeben.  Fetis  erklärt  sich  dies  aus 
einer  Reise  H.'s  nach  Italien,  die  durch  ein  y>Laudatea  mit  der  Unterschrift 
Rom  1707  beglaubigt  wird.  Der  belgische  Kunsthistoriker  meint,  alle  Bio- 
graphen hätten  diese  erste  italienische  Reise  H.'s  übersehen.  Dies  lässt  sich 
aber  jedenfalls   nicht    von  Chrysander  sagen,    der    xins    über    dieselbe,    wenn 


*)  Johann  Sebastian  Bach  von  Philipp  Spitta.     Leipzig,  1873,  Breitkopf  und  Härtel. 


Handel.  475 

auch  unter  anderen  Voraussetzungen,  aufklärt,  indem  er  darthut,  dass  H. 
in  Italien  ohne  Unterbrechung  von  1707  his  1710  gehlieben  sei,  und  seine 
deutschen  Opern:  »Florindo«  und  »Daphne«,  die  allerdings  erst  1708  in  Ham- 
burg zur  Aufführung  gekommen  sind,  nicht  bei  einem  Zwischenaufenthalte  da- 
selbst, sondern  schon  vor  seiner  italienischen  Reise  für  die  Hamburger  Bühne 
componirt  habe.  Die  Daten  scheinen  auch  in  dieser  Beziehung  unwidersprechlich. 
Sie  belehren  uns,  dass  H.  sich  vom  Januar  bis  zum  März  1707  in  Florenz 
befunden;  dass  er  sich  vom  April  bis  Juli  des  gleichen  Jahres  in  Rom  auf- 
gehalten; hierauf  vom  Juli  1707  bis  Januar  1708  wieder  nach  Florenz  zurück- 
gekehrt sei;  sich  dann  vom  Januar  bis  zum  März  1708  in  Venedig  verweilte; 
vom  März  bis  Juni  1708  abermals  Eom  besucht  habe;  vom  Juli  1708  bis 
Herbst  1709  in  Neapel  seine  Residenz  aufgeschlagen  und  muthmasslich  gegen 
Ende  des  Jahres  1709  zum  dritten  Mal  in  Rom  gewesen  sei,  um,  nachdem  er 
die  Carnevalszeit  1710  noch  in  Venedig  zugebracht,  nach  Deutschland  zurück- 
zukehren. In  Rom  componirte  er,  ausser  dem  schon  erwähnten  ttLaudatea,  ein 
dem  109.  Psalm  entnommenes  lateinisches  Kirchenstück:  y>Divit  Dominus«,  und 
im  J.  1708  das  italienische  Oratorium  »Za  BesurrezioneK ,  sowie  auch  die  im 
Oratorienstyl  gehaltene  Cantate:  »II  Trionfo  del  Te'm2)o  e  del  Disinganno«, 
welche  er  in  den  Jahren  1737  und  1757  neuen  Bearbeitungen  unterwarf,  aus 
denen  schliesslich  das  englische  Oratorium:  y>The  Triumph  of  Time  and  Trutliv. 
hervorging.  In  Florenz  setzte  er  die,  italienische  Oper  y>JR,odrigo«,  durch  welche 
er  sich  viel  Beifall  und,  ausser  goldenem  Lohn,  auch  die  Neigung  seiner  Prima- 
donna, der  Vittoria  Tesi  (1690 — 1775),  erwarb. 

In  Venedig  ist  H.,  gewissen  Traditionen  nach,  mit  Alessandro  Scar- 
latti,  sowie  mit  Antonio  Lotti  zusammengetroflPen ;  auch  schrieb  er  daselbst 
seine  Oper  -DÄgrippina«.  Die  Bekanntschaft  H.'s  mit  A.  Scarlatti  bei  einem 
seiner  Aufenthalte  in  Rom  unterliegt  nicht,  wie  die  Eröffnung  einer  solchen  in 
Venedig,  irgend  welchen  Zweifeln;  auch  A.  Scarlatti's  berühmten  Sohn  Do- 
menico  lernte  unser  deutscher  Meister  in  Rom  kennen  und  Hess  sich  sogar, 
als  Virtuose  auf  dem  Flügel  und  auf  der  Orgel,  mit  ihm  in  Wettkämpfe  ein. 
Es  wird  für  wahrscheinlich  gehalten,  dass  die  beiden  Scarlatti,  die  sich  für 
den  deutschen  Fachgenossen  künstlerisch  und  freundschaftlich  erwärmt  hatten, 
unseren  Meister  nach  Neapel  begleiteten,  woselbst  H.  das  in  der  Form  einer 
Cantate  componirte  Schäferspiel:  r>Aci,  Galatea  e  Polifemoa  setzte.  Sein  später 
in  England  über  dieselbe  Fabel  geschriebenes  Werk:  ttAcis  and  Galateav.  ist 
eine  vollständig  neue  Composition  und  daher  in  keine  Beziehung  zu  der  fast 
gleichnamigen  italienischen  Arbeit  zu  setzen.  Von  Venedig  aus  hatten  der 
Baron  Kielmannsegge  und  der  Kapellmeister  Steffani,  einer  der  tüch- 
tigsten Componisten  seiner  Zeit  (s.  besonders  dessen  Duette),  H.  nach  Han- 
nover entführt.  In  Halle,  bei  der  Mutter,  fand  der  zurückkehrende  Sohn 
manches  verändert;  eine  nur  19  Jahre  alt  gewordene  Schwester  hatte  ihm  der 
Tod  entrissen,  eine  andere  Schwester  hatte  sich  verheirathet.  In  Hannover 
ernannte  ihn  der  Churfürst  zu  seinem  Kapellmeister.  H.  zögerte  auf  dies  An- 
erbieten einzugehen,  da  er  sich  vorgenommen  hatte,  England  zu  besuchen. 
Diese  Angelegenheit  arrangirte  sich  dadurch,  dass  H.  ein  längerer  Urlaub  mit 
Fortzahlung  seines  Gehaltes  bewilligt  wurde. 

Der  Meister  ging  nun  über  Düsseldorf  und  Holland  nach  London,  woselbst 
er  im  Spätherbst  1710  eintraf  und  in  äusserst  kurzer  Zeit  die  italienische 
Oper  •!>Itinaldo«  für  das  Theater  von  Hay-Market  setzte,  die  am  24.  Febr. 
1711  zur  ersten  Aufführung  gelangte.  Die  Saison  ging  am  2.  Juni  desselben 
Jahres  zu  Ende;  bald  darauf  dürfte  H.  nach  Deutschland  zurückgekehrt  sein. 
In  Hannover  entstand  eine  Reihe  von  Kammerduetten,  sowie  eine  Anzahl 
deutscher  Lieder.  Nach  ungefähr  9  Monat  Aufenthalt  daselbst  erwirkte  sich 
H.  vom  Churfürsten  einen  zweiten  Urlaub  nach  London,  wo  er  diesmal  im 
Januar  1712  anlangte.  Für  die  italienische  Oper  schrieb  er  daselbst  in  dem 
gleichen  Jahre    die    beiden    Opern  r>Il  pastor  fido».    und  r>Theseus«,    sowie    eine 


476  Händel. 

Ode  auf  den  Geburtstag  der  Königin  Anna,  aufgeführt  den  6.  Febr.  1713. 
Im  Auftrag  dieser  Königin  componirto  H.  darauf  das  berülmite  Utrechter 
•aTe  Deuma  und  ein  nJuhilatedi  (1713).  Das  Letztere  wird  in  Deutschland  ge- 
wöhnlich als  der  100.  Psalm  bezeichnet.  Die  Aufführung  beider  "Werke  ging 
auf  königl.  Befehl  am  7.  Juli  1713  in  der  Paulskirche  vor  sich,  wohin  sich 
das  Parlament  durch  die  festlich  erleuchtete  Stadt  in  feierlicher  Procession 
begab.  Sie  trug  dem  Componisten  einen  Jahrgehalt  von  200  Pfund  ein,  der 
ihm,  in  Verbindung  mit  den  1500  Thalern  seiner  Kapellmeisterstelle  in  Han- 
nover, schon  damals  reichliche  Einkünfte  dauernd  gesichert  haben  würde,  wenn 
nicht  seine  hohe  Grönnerin  bald  darauf  (12.  Aug.  1714)  das  Zeitliche  gesegnet 
und,  an  ihrer  Stelle,  H.'s  Churfürst  als  Georg  I.  König  von  England  geworden 
wäre.  Für  H.  hatte  dies  Ereigniss  zunächst  keine  günstigen  Folgen;  denn  er 
hatte  nicht  nur  durch  rücksichtslose  ITeberschreitung  seines  ihm  für  London 
bewilligten  Urlaubs,  sondern  weit  mehr  noch  durch  die  Composition  des 
Utrecliter  Tedeums  die  Gunst  König  Georg's  völlig  verscherzt.  Das  letztere 
war  nur  zu  erklärlich.  England,  das  damals  von  einem  jakobitischeii  und  daher 
im  Herzen  katholisch  gesinnten  Ministerium  geleitet  wurde,  hatte  im  Utrechter 
Frieden  seine  protestantischen  Bundesgenossen  auf  dem  Pestlande  vielfach 
preisgegeben  und  dadurch  auch  Hannover's  Erwartungen  getäuscht.  Es  musste 
den  Churfürsteu  daher  geradezu  verletzen ,  dass  sein  Kapellmeister  zur  Ver- 
herrlichung eines  in  seinen  Augen  so  faiücn  Friedens  ein  Te  Deum  componirt 
hatte  und  sich  überhaupt  so  lange  am  Hofe  der  Königin  Anna  verweilte,  die 
sich  in  der  letzten  Zeit  ihrer  Regierung  ihrem  Bruder  Jacob,  dem  Präten- 
denten, wieder  genähert  hatte  und  nicht  zu  verhindern  gewillt  schien,  dass  eine 
mächtige  Partei  in  London  den  Ausschluss  des  Hauses  Hannover  von  der  eng- 
lischen Thronfolge  betrieb.  Man  kann,  diesen  Verhältnissen  gegenüber,  H. 
höchstens  durch  die  Annahme  entschuldigen,  dass  ihm  die  Politik  damals  noch 
ein  ganz  fremdes  Feld  gewesen ;  obwohl  ihm  freilich  seine  eigene  protestantische 
Gesinnung,  sowie  die  öffentliche  Meinung  in  England  hätten  sagen  können, 
auf  welcher  Seite  sein  Platz  sei. 

Da  es  nun  H.  mit  seinem  ehemaligen  Brodherrn  einmal  verdorben  hatte, 
so  gewährte  ihm  der  Aufenthalt,  den  ihm  ein  Kunstfreund,  der  Graf  von 
Burlington,  auf  seinem  Landsitz  anbot,  in  jener  Zeit  eine  bedeutende  Er- 
leichterung seiner  Lage.  Daselbst  schrieb  H.  1714,  noch  ehe  sein  Churfürst 
zur  Königskrönung  nach  England  hinüberkara,  die  kleine  Oper  •»Sillaa,  welcher 
1715  die  Oper  »Amadis«  folgte.  Der  Beifall,  den  diese  theatralischen  Versudie 
fanden,  machte  die  Prinzen  und  Prinzessinnen  des  königl.  Hauses  abermals 
auf  ihn  aiifmerksam;  dennoch  durfte  er  sich  bei  Hofe  noch  nicht  wieder  blicken 
lassen.  Erst  den  Bemühungen  seiner  einflussreichen  Freunde  Kielmannseggc 
und  Burlington  gelang  es,  H.  wieder  mit  dem  König  zu  versöhnen.  Eine 
in  geschmückten  Barken  mit  grosser  Pracht  auf  der  Themse  veranstaltete 
Wasserfahrt,  der  der  König  beiwohnte  und  zu  der  H.  seine  berühmte  »Wasser- 
musik« componirt  hatte,  gab  hierzu  die  Gelegenheit.  Der  Meister,  der  nun 
wieder  in  königl.  Dienste  getreten  war,  begleitete  den  Hof  auf  einer  Reise  nach 
Deutschland.  Hier  schrieb  er  um  1716  für  Hamburg  eine  von  Brockes  ge- 
dichtete deutsche  Passion;  seine  Rückkehr  nach  England  scheint  ebenfalls  im 
J.  1716,  wenn  auch  erst  gegen  "Weihnachten  oder  Neujahr,  erfolgt  zu  sein. 
Von  1717 — 1720  residirte  H.  in  Gannons- Castle,  dem  Landsitz  des  Herzogs 
von  Chan  dos,  bei  dem  er  die  Stelle  eines  Musikdirektors  angenommen  hatte. 
Hier  entstanden  seine  12  berühmten  ytÄnthemsv.  eine  Art  meist  über  Psalmen- 
worte componirter,  erweiterter  Motetten  für  Chöre,  Sologesang  und  Instru- 
mentalbegleitung. Sie  können  in  mancher  Beziehung  als  Vorläufer  seiner 
Oratorien  gelten,  und  auch  in  der  Gattung  dieser  letzteren  versuchte  er  sich 
bereits  in  Cannons- Castle.  Wir  begrüssen  sein  erstes  Oratorium  in  der  da- 
selbst um  1720  entstandenen  »EsfJier«,  an  welches  sich  in  demselben  Jahre 
noch  das  ebenfalls  in  der  Form  eines  Oratoriums  für  den  Herzog  von  Chandos 


Händel.  477 

geschriebene  Scliäferspiel  «Äcis  and  Galatea«.  anreilite.  Unterdessen  hatten  sich 
aristokratische  Kreise  der  Londoner  Gesellschaft  zu  der  Begründung  einer 
stehenden  italienischen  Oper  in  Hay- Market  vereinigt  und  H.  mit  dem  En- 
gagement der  Sänger  beauftragt.  Er  begab  sich  zu  diesem  Zwecke  nach 
Dresden,  wo  er  den  berühmten  Senesino  engagirte,  und  schrieb  nach  seiner 
Rückkehr  von  dort  den  nüadamistoi  (in  Hamburg  als  i^Zenobiaa  aufgeführt) 
für  das  neue  theatralische  Unternehmen.  Diesem  Werke  folgten  in  der  Zeit 
von  1721  —  1728  zu  gleichem  Zwecke  die  Opern:  y^Muzio  Scevola«,  nFloridaiitev, 
yiOttonea,  »Flavio«,  y>Giulio  Cesarev,  »Tamerlanea,  rißodelindav,  y>Scipione<.<:,  y>Äles- 
sa7idro«,  y^Admeto«,  y>Iiiccardo  jjrimoa,  y>Siroe<i  und  y>Tolomeo<i.  Im  J.  ll'il,  also 
mitten  in  seiner  Thätigkeit  für  die  italienische  Oper,  componirte  H,  auch 
seine  »Krönungsanthems«. 

Die  Operngesellschaft,  welcher  H.  eine  Reihe  von  Jahren  vorgestanden, 
hatte  sich  in  Folge  seiner  Zerwürfnisse  mit  den  italienischen  Sängern,  die 
seinen  höheren  Kunstansprüchen  nicht  genügen  wollten,  und  daraus  hervor- 
gehender Reibereien  mit  der  Administration  aufgelöst.  H.  liess  sich  hierdurch 
nicht  schrecken,  sondern  gründete  in  Verbindung  mit  Heidegger  eine  so- 
genannte »neue  Opernakademie«.  Da  es  sich  für  ihn  zunächst  um  das 
Engagement  neuer  vorzüglicher  Sänger  handelte,  so  entschloss  er  sich  zu  einer 
zweiten  italienischen  Reise,  die  er  im  Herbste  1728  in  Gesellschaft  seines  alten 
Freundes  und  Fachgenossen  Steffani  antrat.  Sein  'Weg  ging  über  Venedig, 
Rom  und  Mailand;  auf  dem  Rückwege,  im  Juni  1729,  sah  er  seine  alte  Mutter 
zum  letzten  Mal.  Bei  seinem  damaligen  Aufenthalte  in  Halle  wäre  es  auch 
fast  zu  einer  Begegnung  mit  seinem  grossen  Zeitgenossen  J.  S.  Bach  ge- 
kommen. Die  Gesellschaft  der  von  ihm  engagirten  Sänger  traf  im  Septbr.  1729 
in  London  ein.  Der  Meister  schrieb  für  seine  neue  Akademie  die  Opern: 
s>Lotliario  (1729),  y>Parteno'pe(.<i  (1730),  y^Poro<i.  (1731),  y^Ezio<s.  (1731—1732), 
rsSosarmev.  (1732)  und  i>Orlandov.  (1732).  Leider  hatten  H.'s  Bemühungen  nicht 
die  gewünschten  Erfolge,  so  dass  sich  die  Opernakademie  nach  nur  vierjährigem 
Bestehen  bereits  wieder  auflöste.  In  der  Zeit  von  1731 — 1734  beginnen  die 
ersten  öffentlichen  Aufführungen  von  H.'s  Oratorien  zu  London  und 
Oxford.  In  Folge  derselben  traten  »Acts  und  Galateaa  1732,  yJEsthevi  in  dem- 
selbenJahre,  sowie  die  neu  hinzu  componirten  Oratorien  y>Dehora<.<  und  yiAthalian. 
1733  vor  das  grosse  Publicum,  welchen  Arbeiten  1734  noch  das  oratorische 
"Werk  y>Parnasso  in  Festaa.  folgte,  dessen  Musik  zum  Theil  aus  •»Athaliaa  ent- 
lehnt ist.  Nach  Fetis,  der  sich  hierbei  auf  den  Engländer  Mainwaring 
stützt,  soll  H.  nach  Auflösung  der  Opernakademie  den  Entschluss  gefasst  haben, 
die  abermalige  Unternehmung  einer  neuen  Oper  ganz  auf  eigene  Gefahr  und 
Kosten  zu  wagen.  Chrysander  giebt  dies  nur  bedingungsweise  zu.  Jeden- 
falls schreckte  der  unerschütterliche  Meister  nicht  davor  zurück,  diesmal  den 
Kampf  mit  der  hohen  englischen  Aristokratie  aufzunehmen,  deren  Häupter 
sich  zu  Beschützern  der  mit  ihnen  gegen  H.  verbundenen  Italiener  aufgeworfen 
hatten.  Unseres  Meisters  Gegner  gründeten  seinem  neuen  theatralischen  Unter- 
nehmen gegenüber  ein  eben  solches,  in  der  ausgesprochenen  Absicht,  ihn  völlig 
damit  zu  ruiniren,  so  dass  sich  London  damals  in  den  Besitz  von  zwei  italienischen 
Operntheatern  gesetzt  sah.  Vor  der  Eröfi'nung  des  seinigen  war  H.  abermals 
nach  Italien  geeilt  (1733),  um  sich  mit  Sängern  zu  versehen.  H.  schrieb  zu- 
nächst für  sein  Theater  die  Oper  y^Artadne«,  arbeitete  1734  seinen  m Pastor  Fidou. 
dafür  um,  welchem  1734  das  Tanzspiel  y>Terpsiehore«,  ein  aus  verschiedenen 
seiner  früheren  Opern  zusammengestellter  ■nOrestes<i,  die  Oper  y>Ariodante«,  und 
1735  die  Oper  r)Alcinav~  folgten.  Als  die  letzten  Arbeiten  H.'s  fürs  Theater 
sind  anzuführen:  y>Faramondo^  (1737),  -nSersev.  (1737  — 1738),  yJuplter  in  Argosa 
(1739),  yyImeneo<i  (1738—1740)  und  r^Beidamia«  (1740). 

An  der  Spitze  der  von  H.'s  Feinden  gegründeten  Gegenoper  stand  der 
berühmte  italienische  Sänger  Farinelli,  der  nicht  nur  den  Adel,  sondern  auch 
die  grosse  Mehrheit  des  Publicums  der  englischen  Hauptstadt  auf  seiner   Seite 


478  Händel. 

hatte.  Man  bekämpfte  H.  nicht  nur  auf  theatralischem  Felde,  sondern 
suchte  auch  auf  die  gehässigste  Weise,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  den  Auf- 
führungen seiner  Oratorien  entgegenzutreten.  So  viele  vereinte  Angriffe  er- 
reichten endlich  ihr  Ziel:  der  Meister  trat,  nachdem  er  20  Jahre  lang  seine 
Hauptthätigkeit  dem  Theater  gewidmet,  für  immer  von  diesem  zurück.  Gre- 
müthlich  tief  verstört,  mit  einer  im  hohen  Grade  erschütterten  Gesundheit  und 
auch  finanziell  höchst  bedrängt,  ging  er  1737  nach  Aachen,  um  sich  in  den 
dortigen  Bädern  herzustellen.  Von  dem  gesegneten  Aufenthalte  auf  der  vater- 
ländischen deutschen  Erde  datirt  in  mancher  Beziehung  der  grosse  Wende- 
punkt in  dem  künstlerischen  Schaffen  H.'s,  bei  dem  angelangt,  er  zu  der  Er- 
kenutniss  durchdrang,  dass  er  eigentlich  zum  Oratorien-  und  nicht  zum 
Operncomponisten  vom  Geschick  berufen  sei.  In  den  Jahren  1720 — 1751 
schuf  er,  ausser  den  uns  bereits  bekannten  Werken  desselben  Styls,  folgende 
Oratorien:  »Das  Alexanderfest«  (1736),  »Israel  in  Aegypten«  (1738),  »Saul« 
(1738),  »Frohsinn  und  Schwermuth«  (1740,  ursprünglich  eine  allegorische  Oper), 
»Messias«  (begonnen  den  22.  Aug.  1741,  beendet  den  14.  Septbr.  desselben 
Jahres),  »Samson«  (1742),  »Semele«  (1743),  »Joseph«  (1743),  »Herkules«  (1744), 
»Belsazar«  (1744),  y^Oecasional  Oratorio<j.  (1745),  »Judas  Maccabäus«  (1746), 
»Alexander  Balus«  (1747),  »Josua«  (1747),  »Susanne«  (1748),  »Salomon«  (1748), 
»Theodora«  (1749),  »der  Triumph  der  Zeit  und  der  Wahrheit«  (1750),  »Jephta« 
(1751). 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  riesige  Schöpferthätigkeit,  wie  sie  sich 
uns  in  den  gesammten  Werken  H.'s  darstellt,  so  unterscheiden  wir  in  der 
Masse  seiner  Compositionen  zunächst  seine  Instrumental-  von  seiner  Vocalmusik. 
Zu  der  letzteren,  welcher  seine  Haupttliätigkeit  gewidmet  war,  gehören: 
I,  seine  Opern,  unter  denen  wir  wieder  deutsche,  italienische  und  eng- 
lische Opern  zu  unterscheiden  haben ;  II.  seine  Oratorien,  die  von  »Esther« 
bis  »Jephta«  ursprünglich  zu  englischen  Texten  gesetzt  sind;  III.  seine 
Kirchenmusik,  zu  welcher,  ausser  den  schon  genannten  hierher  gehörigen 
Werken  und  manchen  anderen  Arbeiten,  auch  das  mit  Recht  so  berühmte 
Dettinger  »Te  Deioma  zählt.  —  Zu  seiner  Instrumentalmusik  dagegen  ge- 
hören: I.  seine  Kammermusik,  darunter,  ausser  der  schon  erwähnten  »AVasser- 
musik«,  seine  Geigen-  und  andere  Sonaten  mit  Bass,  seine  Trio's,  seine 
«Goncerti  c/rossüi  (die  sogenannten  Oboeuconcerte) ,  ferner  12  grosse  Concerte 
für  Streichinstrumente  (1739)  und  vieles  audere;  II.  seine  Wei-ke  für  Orgel 
und  Ciavier,  darunter  seine  grossen  Orgelconcertc ,  seine  Suiten  und  seine 
Fugen  für  Ciavier  u.  s.  w. 

Wir  haben  noch  der  Erlebnisse  der  späteren  Jahre  des  grossen  Meisters 
zu  gedenken.  H.  hatte  kaum  der  Oper  den  Rücken  zugewandt  und  sich  vor- 
zugsweise der  Schöpfung  seiner  herrlichen  Oratorien  gewidmet,  als  auch  das 
Glück  wieder  bei  ihm  einkehrte.  Seine  Oratorien  bahnten  sich  schon  bei 
seinen  Lebzeiten  ihren  Weg  und  brachten  ihm  Ruhm,  Ehre  und  Vermögen; 
Dinge,  an  die  er  sicher  bei  der  Conception  dieser  aus  dem  tiefsten  Innern 
hervorgegangenen  erhabenen  Schöpfungen  kaum  gedacht,  die  ihn  aber  auch  vor 
der  Welt  zu  einem  hoch  angesehenen  Mann  machten.  Man  drängte  sich  in 
London  zu  den  Oratorien -Aufführungen  H.'s,  in  welche  er  Orgelconcerte,  in 
denen  er  selber  als  Virtuose  auftrat,  einzulegen  pflegte.  Auch  der  englische 
Hof  war  bemüht,  ihn  wieder  auf  jede  AVeise  auszuzeichnen.  Der  Besuch  seiner 
Oratorien  wurde,  besonders  seit  der  Aufführung  seines  »Messias«  (1741),  Mode 
und  guter  Ton  in  der  gebildeten  Gesellschaft  Londons  und  seine  Berühmtheit 
stieg  so  hoch,  dass  ihn  der  Vicekönig  von  Irland  zu  einer  Reihe  von  Oratorien- 
Aufführungen  nach  der  grünen  Insel  einlud.  H.  langte  am  18.  Novbr.  1741 
in  Dublin  an  und  führte  dort  während  der  9  Monate  seines  Aufenthaltes 
unter  anderem  die  Werke  »Frohsinn  und  Schwermuth«  (L^Allegro  ed  il  Pen- 
seroso), »Acis  und  Galathca« ,  »Esther«  und  »das  Alexanderfest«  auf.  Am  18. 
April  und  3.  Juni  1742  gab  er  daselbst  seinen  »Messias«,   am  23.  Mai  seinen 


Händel.  479 

»Saul«  und  kehrte  am  13.  Aug.  wieder  nach  London  zurück.  So  glänzende 
Erfolge  in  beiden  Königreichen  regten  den  Hass  seiner  alten  Feinde  von 
Neuem  auf  und  man  Hess  kein  Mittel  unversucht,  um  den  Fortgang  derselben 
zu  kreuzen.  Da  H.'s  Oratorien  in  der  Charwoche  und  Osterzeit,  sowie  meist 
im  Ooventgarden- Theater  gegeben  wurden,  so  hoffte  man  einen  vernichtenden 
Schlag  gegen  den  Meister  zu  führen,  wenn  man  ein  Verbot  derselben,  als  un- 
passender öffentlicher  Vergnügungen  in  so  heiliger  Zeit,  erwirkte.  Der  Streich 
misslang  jedoch,  da  das  grosse  Publicum  schon  zu  sehr  für  H.  eingenommen 
war  und  der  Meister  überdies  zu  verstehen  gab,  dass  seine  Oratorien -Auf- 
führungen doch  wohl  etwas  Anderes  seien,  wie  sogenannte  öffentliche  Ver- 
gnügungen. Bezeichnend  für  H.'s  menschenfreundlichen  Sinn  ist  es,  dass  er 
seinen  »Messias«,  so  lange  er  lebte,  nur  zu  wohlthätigen  Zwecken  aufführte. 
Höchst  merkwürdig  bleibt  es,  dass  der  Meister  ein  "Werk  von  so  unvergäng- 
licher Bedeutung  in  dem  verhältnissmässig  hohen  Alter  von  57  Jahren  und  in 
der  unglaublich  kurzen  Zeit  von  24  Tagen  schuf.  Das  im  Besitze  der  Königin 
von  England  befindliche  Manuscript  lässt  hierüber  keinen  Zweifel,  indem  es 
auf  seiner  ersten  Seite  die  von  H.  geschriebenen  "Worte  trägt:  »Angefangen 
den  22.  August  1741«,  welchen  am  Schlüsse  des  Werkes  die  ebenfalls  von  dem 
Meister  herrührende  Notiz  folgt:  y>Mne  delV  oratorio.  G.  F.  Handel.  Sep- 
tember 14,  1741.«  "Während  der  Composition  des  »Jephta«,  1751,  fingen  H.'s 
Augen  zu  leiden  an  und  bald  darauf  sehen  wir  ihn,  gleich  seinem  grossen 
Zeitgenossen  Bach,  völlig  erblinden.  Er  Hess  demungeachtet  die  von  ihm 
bisher  in  der  Fastenzeit  gegebenen  Oratorien- Concerte  unter  der  Direktion 
seines  Schülers  Smith  fortsetzen.  Am  13.  AprU  1759  (nach  Anderen  am 
14.  April),  nur  acht  Tage  nach  einer  Aufführung  seines  »Messias«,  schloss  der 
grosse  Meister  für  immer  die  Augen. 

H.  war  ein  Bürger  der  grossen  "Welt  und  ein  Künstler  von  so  hohem 
Selbstgefühl,  dass  er  sich,  auch  Königen  und  Fürsten  gegenüber,  nicht  das 
Greringste  vergab.  Der  grosse  Tondichter  blieb  unverheirathet  und  machte  mit 
den  Frauen  mitunter  sogar  zu  kurzen  Prozess.  Es  bedarf  in  dieser  Beziehung 
nur  der  Erinnerung  an  die  Scene  mit  der  berühmten  Sängerin  Cuzzoni,  die 
der  leicht  aufbrausende  und  riesenstarke  Mann,  als  sie  eine  seiner  Arien  nicht 
singen  wollte,  wie  ein  Kind  in  die  Arme  nahm  und  mit  den  Worten  zum 
Fenster  hinaushielt:  »Entweder  Sie  singen,  oder  ich  lasse  Sie  auf  die  Strasse 
hinabfallen.«  H.  war  neben  dem  Künstler  auch  Greschäftsmann ,  wusste  die 
Welt  zu  behandeln  und  mit  ihr  zu  verkehren,  war  rasch  in  seinen  Entschlüssen 
und  führte  sie  mit  eiserner  Energie  durch.  Auch  war  unser  Meister  durchaus 
nicht  allein  als  Musiker  durch  Italien  gereist,  sondern  hatte  mit  fast  gleichem 
künstlerischen  Interesse  sein  Auge  den  Schätzen  bildender  Kunst,  die  dies 
schöne  Land  birgt,  zugewandt.  Seine  Liebhaberei  in  dieser  Beziehung  war  so 
entwickelt,  dass  er,  auch  später  noch  in  London,  der  Malerei  seine  lebhafte 
Theilnahme  schenkte.  Daher  begegüen  wir  ihm  als  dem  Besitzer  einer  kleinen 
Gemäldesammlung,  welche  zu  bereichern  er  keine  Bilderauction  versäumt  haben 
soll.  Ein  so  vorzüglicher  evangelischer  Christ  und  Protestant  H.  auch  war, 
sowenig  beschränkte  er  sich  doch  auf  einen  solchen  Geisteshorizont.  Seine 
Opern  und  Oratorien  beweisen,  dass  er  ebenso  sehr  in  der  classischen  Mytho- 
logie, im  griechischen  Alterthum  und  in  den  nationalen  Traditionen  der 
Israeliten,  als  in  der  Welt  christlicher  Anschauungen  zu  Hause  war. 
Seine  vielen  und  damals  weiten  Reisen  trugen  hierzu  mit  bei.  Wie  hätte  auch 
H.  grosse  Ereignisse  und  die  Thaten  von  Helden  und  ganzen  Völkern  schildern, 
wie  der  Welt  und  dem  Erhabenen,  das  sich  in  ihr  ereignet  hatte,  oder  darin 
als  Tradition  fortlebte,  den  Spiegel  vorhalten  können,  wenn  er  nicht  diese  Welt 
im  Süden  und  Norden,  in  grossen  Hauptstädten  und  an  den  Höfen  bedeuten- 
der Fürsten,  auf  dem  Ocean  und  in  den  Thälern  der  Alpen  kennen  gelernt, 
sich  mit  ihr  gemessen  und  an  ihr  die  eigene  Kraft  erprobt  hätte! 

Wir    begrüssen    in    H,    den    Begründer    der    epischen    Stylform    in     der 


48Ü  Händel. 

Musik,  da  das  Oratorium  in  der  neuen  Gestalt,  die  der  Meister  demselben 
gegeben,  genau  dieselbe  Stelle  in  der  Tonkunst  einnimmt,  welche  dem  Helden- 
gedicht oder  dem  Epos  in  der  Poesie  zukommt.  Als  eine  der  Hauptwande- 
lungen, durch  die  H.  dem  Oratorium  eine  solche,  gegen  früher  veränderte 
Stellung  verlieli,  ist  anzuführen,  dass  er  sich  in  seinen  oratorischen  Schöpfungen 
nicht  mehr  auf  nur  kirchliche  Stoffe  beschränkte.  Dies  unterscheidet  ihn 
ganz  besonders  von  seinen  Vorgängern  in  Deutschland.  Von  den  Zeit- 
genossen Luther's  an,  einem  Isaak  und  Senffl,  bis  zu  Heinrich  Schütz 
(1585  —  1672),  oder  bis  zu  den  neben  H.  lebenden  Meistern  Telemann  und 
Mattheson,  hatten  sich  die  deutschen  Oratorien-Componisten  fast  ausschliess- 
lich, oder  doch  weitaus  in  ihrer  Mehrzahl,  auf  die  musikalische  Behandlung 
von  Christi  Passionen  beschränkt.  Dies  that  auch  noch  Sebastian  Bach, 
der  den  Passionen,  in  seinem  Weihnachts-Oratorium,  zwar  noch  die  Feier  der 
Geburt  des  Heilandes  hinzufügt,  jedoch  in  einer  so  lyrischen  Form,  dass  wir 
es  auch  bei  ihm,  wie  bei  allen  anderen  Oratorien-Componisten  ausser  Händel, 
mit  christlicher  Kirchenmusik  zu  thun  haben.  Demungeachtet  liegt  das 
Unterscheidende  zwischen  den  Oratorien  H.'s  und  seiner  Vorgänger  weniger 
darin,  dass  der  Meister,  statt  christlicher,  heidnische  und,  statt  neutestament- 
licher,  israelitische  und  nationale  Stoffe  wählte,  als  in  der  bei  ihm  hervor- 
ti'etenden  veränderten  musikalischen  Form  und  Behandlung  seiner  Oratorien. 
Fast  in  allen  in  Deutschland  200  Jahre  lang  vor  H.'s  Auftreten  componirten 
Passions -Oratorien  findet  sich  eine  Anzahl  der  evangelischen  Gemeinde  wohl- 
bekannter Choräle  verflochten,  wie  dies  auch  noch  bei  Bach  der  Fall  ist. 
Jene  "Werke  deuten  sowohl  hierdurch,  wie  durch  die  erbaulichen  Betrachtungen 
für  Chöre  oder  einzelne  Stimmen,  welche  den  Fortgang  der  Erzählung  der 
Leidensgeschichte  unaufhörlich  unterbrechen,  auf  ihre  rein  kirchliche  Be- 
stimmung. Erzählung,  D-arstellung  und  Charakterschilderung,  die 
entschiedensten  Kennzeichen  des  Epos,  treten  somit  hier  vor  dem  lyrischen 
Ausdruck  der  Andacht,  oder  hinter  erbaulichen  und  religiös-sittlichen 
Zwecken  in  den  Hintergrund. 

H.'s  musikalische  Behandlungsweise  seiner  Oratorien  dagegen  ist  eine  von 
der  geschilderten  meist  sehr  verschiedene.  Einmal  finden  wir  aus  ihnen  den 
Choral  und  die  durch  denselben  gegebene  Beziehung  auf  die  Kirche  ganz  aus- 
geschlossen. Ferner  nehmen  selbst  die  auch  bei  ihm  vielfach  in  die  Erzählung 
eingeflochteneu  und  dem  Chore  oder  Solostimmen  zuertheilten  ethischen  Be- 
trachtungen bereits  eine  merklich  andere  Stellung  ein,  wie  in  den  Oi'atorieu 
seiner  Vorgänger  und  Zeitgenossen.  Sie  halten  nämlich  den  Gang  der  Er- 
zählung weder  so  häufig,  noch  in  gleicher  Ausdehnung  auf,  wie  dies  z.  B.  in 
den  Bach'schen  Passionen  geschieht.  Nächstdem  werden  sie  weit  häufiger  den 
in  der  Handlung  auftretenden  Personen  selber,  als  gleichsam  ausser  der 
Handlung  befindlichen  idealen  Stimmen  in  den  Mund  gelegt.  So  werden 
z.  B.  sämmtliche  in  H.'s  Oratorium  »Samson«  entlialtene  Betrachtungen  und 
lieflexionen  direct  durch  die  in  der  Erzählung  auftretenden  Pei'sonen ,  nämlich 
durch  Samson,  Micah,  Manoah,  Dalila  vorgetragen,  oder  durch  die  Chöre  der 
Israeliten,  im  Gegensatze  zu  den  Chören  der  Philister,  den  Chören  der  heid- 
nischen Priester  Dagon's  und  dem  Chore  der  Jungfrauen  Dalila's.  Ein  Gleiches 
gilt  von  fast  allen  anderen  Oratorien  H.'s.  Es  ist  aber  in  dieser  Beziehung 
sehr  zweierlei,  ob  irgend  eine  nicht  zur  Handlung  gehörende  ideale  Stimme 
allgemeine  Betrachtungen  über  den  Verlust  des  Augenlichtes  anstellt,  oder  ob 
der  erblindete  Samson  selber  ausruft:  »Nacht  ist's  umher!«  Der  Betrachtung 
gewidmete  Chöre  und  Arien,  die  nicht  durch  bestimmte,  dem  Epos,  um  das 
es  sich  handelt,  augehörende  Personen  ausgesi^rochen  werden,  finden  Avir  bei 
H.,  charakteristischer  Weise,  hauptsächlich  im  »Messias«,  in  seinem  Oratorium: 
»Frohsinn  und  Schwermuth«,  in  seinem  sogenannten  »Gelegenheitsoratorium« 
(1745  zur  Feier  des  Sieges  bei  Culloden  geschrieben),  sowie  in  seinem  Oi"a- 
torium:  »Sieg  der  Zeit  und  Wahrheit.«     Somit    also    nur    in    solchen  Werken, 


Händel.  481 

die  entweder,  wie  der  »Messias«,  sich  wieder  dem  Kirchliclien  sehr  nähern,  oder 
mehr  symbolischer  und  allegorischer,  als  eigentlich  epischer  Natur  sind. 
In  allen  seinen  Oratorien  dagegen,  die  der  nationalen  Heldengeschichte  der 
Israeliten  angehören,  nicht  weniger  in  denjenigen  dieser  seiner  "Werke,  die 
classische  oder  heidnische  Stoffe  behandeln,  gehen  auch  die,  die  Handlung  be- 
gleitenden Momente  lyrischer  Stimmung  und  Erregung  aus  dem  Inneren  der 
im  Mittelpunkt  derselben  wirkenden  Personen  hervor. 

Aus  diesem  Grunde  rundet  sich  ihr  Bild  zu  plastischer  Fülle  und  Deut- 
lichkeit ab;  wir  glauben,  diesen  erhabenen  Gestalten  bis  ins  Herz  zu  schauen, 
und  sie  stehen  uns  als  so  abgeschlossene  Charaktere  gegenüber,  dass  weder 
frühere,  noch  unsere  modernen  Oratorien -Componisten  etwas  geschaffen 
haben,  das  sich  mit  ihnen  vergleichen  liesse.  Die  letzteren  schon  aus  dem 
Grunde  nicht,  weil  dieselben  vielfach  die  von  H.  betretenen  Bahnen  wieder 
vei'lassen  haben,  um  abermals  in  mehr  kirchliche  Eichtungen  einzulenken.  — 
Auch  die  Stellung  des  Chors  ist  eine  neue  und  bis  dahin  ungewohnte  in 
H.'s  Heldengedichten,  Es  ist  nämlich  ebenfalls  ganz  episch  von  unserem  Meister 
gedacht,  dass  er  in  Tondichtungen,  in  denen  sich's  nicht  um  die  Geschicke 
Einzelner,  sondern  um  das  Wohl  und  "Wehe  ganzer  Yölker  handelt,  diese 
letzteren  auch  eine  hervorragende  Stimme  gewinnen  und  hierdurch  die  über 
private  Ereignisse  und  Verhältnisse  weit  hinausgehende  Bedeutung  eines  solchen 
"Werkes  kenntlich  werden  lässt.  In  der  Poesie  kann  dies  nur  auf  Umwegen 
geschehen.  Die  Musik  dagegen  ist  in  der  glücklichen  Lage,  uns  die  grossen 
Massen,  deren  Geschicke  das  Epos  zum  Gegenstande  seiner  Darstellung  macht, 
nicht  blos  aufzählend  oder  in  einer  erst  allmälich  zum  inneren  Bilde  sich  ge- 
staltenden Schilderung  vorzuführen,  sondern  sie  sogleich  in  ihrer  ganzen  Ge- 
walt und  Vielgestaltigkeit  hinzustellen,  und  zwar  eben  im  Chore.  Diese  Be- 
deutung hat  demselben  aber  erst  H.  verliehen,  und  seine  Chöre  haben  nicht 
nur  die  Bestimmung,  das  Volk  oder  die  Völker,  um  die  es  sich  handelt,  selbst- 
redend einzuführen,  sondern  der  Meister  verleiht  ihnen  auch  ein  neues  Gewicht 
dadurch,  dass  sie  ihm  dazu  dienen,  ungeheure,  erschütternde  oder  wunderbare 
Ereignisse,  die  eindringlich  genug  zu  schildern  die  Stimme  des  Einzelnen  zu 
ohnmächtig  und  schwach  scheint,  darzustellen  und  zu  malen.  Die  besondere 
"Wirkung  und  Natur  der  Chöre  H.'s  deutlich  zu  machen,  dient  vorzüglich  auch 
ein  Vergleich  derselben  mit  den  Chören  Bach 's.  Man  kann  im  Allgemeinen 
sagen,  dass  H.'s  Chöre  nicht  jene  breite  Entwickelung  gewinnen,  welche  ge- 
wisse, dem  Ausströmen  tiefster  religiöser  Empfindung  dienende  Chöre  Bach's, 
z.  B.  der  Eingangschor  seiner  Matthäus-Passion,  oder  viele  seiner  über  Choräle 
gebauten  Motetten- Chöre  besitzen.  Ebenso  wenig  lassen  sie  jene  prägnante 
Kürze,  daher  auch  nicht  jene  nur  scharfen  oder  nur  skizzenhaft  andeutenden 
Umrisse  gewahren,  welche  den  oft  nur  wenige  Takte  umfassenden  Judenchören 
in  der  Matthäus  -  Passion  eigen  ist,  H.'s  Chöre  sind  weder  so  lyrisch  und  in 
einer  der  bewegten  Seele  nimmer  genügenden  "Weise  ausgiebig,  wie  gewisse  in 
Andacht  sich  auflösende  Chöre  Bach's,  noch  so  lakonisch -dramatisch,  wie  des 
gleichen  Meisters  Judenchöre.  Sie  erscheinen  vielmehr  einerseits  zusammen- 
gefasster,  weil  in  plastischer  "Weise  darstellend,  schildernd,  betrachtend,  ex'- 
zählend,  andererseits  dagegen  —  wenn  sie  nämlich  dramatisch  wirken  sollen  — 
wiederum  breiter  ausgeführt,  als  jene,  nur  fanatischen  Ausrufen  vergleichbare 
Judenchöre  der  Bach'schen  Passion.  Sie  stehen  daher  in  der  Mitte  zwischen 
beiden  Gattungen,  d.  h.  sie  sind  eben  epischer  Natur. 

"Wenn  Bach  zu  den  Meistern  gehört,  die  sich  unserem  Verständnisse  nur 
allmälich  erschliessen,  so  ist  H.  umgekehrt  volksthümlich  und  wirkt  sofort  auf 
grössere  Kreise.  Seine  Melodien  haben  häufig  eine  überraschende  Verwandt- 
schaft mit  schwungvollen  Volksmelodien;  besonders  mit  solchen,  die  zu  den 
vaterländischen  oder  nationalen  Gesängen  ganzer  Völker  gehören.  Darum 
zünden  sie  auch  wie  diese,  d.  h.  ihre  "Wirkung  erfolgt  nicht  nur  auf  den  Ein- 
zelnen, sondern  reisst  ganze  Massen  mit  sich  fort.     Auch  in  dieser  Fähigkeit, 

Musikal.  Convers.-Lejdkon.    IV.  31 


482  Händel. 

populär  zu  werden,  zeigt  sich  uns  H.  als  der  epische  Meister.  Der  Sänger 
der  griechischen  Heldenzeit  und  der  nordische  Barde  wandten  sich  nicht  an 
Einzelne,  sondern  an  das  Verständniss  der  Menge,  um  hei  ihr  durch  den 
Preis  einer  ruhmvollen  Vergangenheit  das  Gefühl  nationaler  Zusammengehörigkeit 
und  den  "Wunsch  der  Nacheiferung  erhabener  Thaten  zu  wecken  und  zu  be- 
festigen. Nichts  ist  daher  auch  gerechtfertigter  und  hat  sich  im  Laufe  der 
Zeiten  mehr  bewährt,  als  H.'s  Oratorien  auf  das  Programm  grosser  Musik- 
feste  zu  bringen,  wo  sie,  in  oft  tausendstimmiger  Besetzung  vorgetragen,  auf 
noch  grössere  Massen  Hörender  wirken.  In  dieser  Weise  haben  sie  sich  seit 
mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  auf  den  nieder rheinisclien  Musikfesten 
eingebürgert,  die  alljährlich  zu  Pfingsten  stattfinden  und  zwischen  den  drei 
Städten:  Köln,  Aachen,  Düsseldorf  wechseln. 

Es  ist  jedoch  nicht  nur  das  Rheinland,  wo  H,,  als  der  Epiker,  zum  Volke 
spricht,  sondern  wir  finden  seine  Oratorien  auch  bei  allen  grösseren  Gesang- 
vereinen Deutschland's,  der  Schweiz,  Amerika's  und  England's  eingebürgert. 
Dass  England  seine  zweite  Heimath  geworden,  zeigt  sich  auch  in  dieser  Be- 
ziehung. Ausser  in  Deutschland  werden  H.'s  Oratorien  nirgends  in  der  "Welt 
mit  gleicher  Verehrung  gegen  den  Meister  und  mit  gleicher  Präcision  und 
Begeisterung  ausgeführt,  wie  in  England.  Dies  gilt  ebensowohl  von  den  Musik- 
festen zu  Birmingham,  Manchester  und  Dublin,  als  von  den  Monstre-Concerten 
des  Krystall-Palastes  und  Exeter-Hall's,  oder  Edinburg's  und  Glasgow's.  Nicht 
ohne  innere  Berechtigung  durfte  darum  England  dem  Meister  ein  Monument 
in  der  Kathedrale  von  AVestminster,  nahe  bei  den  Denksteinen  Shakespeare's 
und  anderer  hervorragender  Männer  Grossbritannien's,  errichten.  Es  hat  sich 
H.  wahrhaft  zu  eigen  gemacht  und  darf  ihn  daher  mit  demselben  Hechte  unter 
die  Seinen  zählen,  wie  wir  Deutschen  Shakespeare  den  Unsern  nennen,  — 
H.  schuf  uns  in  seinen  Oratorien  übrigens  nicht  nur  ein  Epos  für  die  Musik, 
sondern  regte  durch  dieselben  epischen  Geist  auch  wieder  in  unserer  Lite- 
ratur und  bildenden  Kunst  an,  in  welchen  derselbe  seit  seinem  Erblühen 
in  den  Nibelungen  verstummt  war.  So  haben  die  tiefgreifenden  Erfolge  des 
»Messias«  unseres  Meisters  seinen  jüngeren  Zeitgenossen  Klop stock  erwie- 
sener Maassen  zu  dessen  »Messiade«  angeregt,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
dass  heroische  Oratorien,  wie  der  »Judas  Maccabäus«  und  »Josua«,  auch  auf 
das  Entstehen  von  Klopstock's  »Hermannsschlacht«  nicht  ohne  Einfluss  ge- 
blieben sind. 

Die  Tiefe  und  der  Umfang  von  H.'s  Genius  werden  uns  ganz  deutlich, 
wenn  wir  bedenken,  dass  er  in  einer  grossen  Anzahl  seiner  Oratorien  ein  und 
denselben  Gegenstand  bebandelt  hat.  Die  Befreiung  nämlich  eines  geknechteten 
Volkes  durch  einen  in  seiner  Mitte  aufstehenden  Helden.  Ein  solcher  Vorgang 
ist  z.  B.  ebensowohl  der  Gegenstand  des  »Samson«,  des  »Belsazar«  (in  welchem 
Cyrus  der  befreiende  Held  ist)  und  des  »Saul«,  wie  des  »Josua«,  »Jephta« 
und  »Judas  Maccabäus«.  Aber  wie  verschieden  behandelt  er  diesen  Stoff,  wie 
weiss  er  ihm  immer  wieder  neue  Seiten  abzugewinnen  und  mit  der  ihm  ein- 
geborenen Freiheitsliebe  zu  vertiefen  und  zu  verklären.  —  Es  ist  noch  zu  be- 
tonen, dass  H.  im  sogenannten  gebundenen  oder  polyphonen  Styl  nur  einen 
Zeitgenossen  neben  sich  hatte,  der  es  ihm  darin  noch  zuvor  that.  Es  braucht 
kaum  gesagt  zu  werden,  dass  dieser  noch  gewaltigere  Meister  in  der  Fuge 
und  im  Contrapunkt  Johann  Sebastian  Bach  war.  Nehmen  wir  diesen  ein- 
zigen Mann  aber  aus,  so  erhebt  sich  H.  auch  in  Beziehung  auf  Reinheit  des 
Satzes,  auf  Stimmführung  und  auf  musikalische  Form  himmelhoch  über  alle 
übrigen  Meister  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts;  so  hoch,  dass  wir  ihn 
in  dieser  Hinsicht  fast  ebenso  sehr  anstaunen  müssen,  wie  den  alten  Bach, 
und  dass  er  uns,  mit  diesem  vereint,  als  der  Gipfel  jener  reichen  Entwickelung 
des  mehrstimmigen  reinen  Satzes  sich  darstellt,  die,  ein  halbes  Jahrtausend  vor 
dem  Auftreten  unserer  beiden  deutschen  Meister,  in  den  französischen  Nieder- 
landen begonnen  hatte.     ITm   so  wunderbarer  ist,  bei   so  viel  Tiefe  und  Kunst, 


Händler.  483 

die  schon  von  uns  erwähnte  Volksthümlichkeit  H.'s.  Der  im  »Judas«  gegen 
den  Schluss  eintretende  Siegesgesang:  »Seilt,  er  kommt  mit  Preis  gekrönt«, 
ist  das  herzerhebendste  und  gewaltigste  Triumphlied,  das  ein  Volk  einem 
Helden,  dem  es  Sieg  und  Freiheit  verdankt,  anzustimmen  vermag,  und  dabei 
von  so  fortreissender  und  allgemein  verständlicher  Melodie,  dass  es  heute  noch, 
wie  vor  mehr  als  100  Jahren,  die  Massen  electrisirt  und  zu  stürmischem  Jubel 
fortreisst.  Grleiches  gilt  vom  Halleluja  im  »Messias«,  von  den  Siegesgesängen 
im  »Josua«  und  »Jephta«,  oder  den  gewaltigen  Chören  im  »Alexanderfest«. 
Und  in  dieser  Weise  wirkt  der  Meister  nicht  nur  bei  uns,  sondern  bereits 
auf  die  Gebildeten  und  Besten  der  verschiedensten  Völker;  ja  sein  Ruhm 
wächst  und  steigert  sich  in  dieser  Beziehung  von  Jahr  zu  Jahr.  Uns  Deutschen 
mag  man  darum  ein  Hochgefühl  bei  dem  Gedanken  verzeihen,  dass  wir  einen 
solchen  Heros  der  Kunst  den  Unsern  nennen  dürfen. 

Es  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  drei  der  oratorischen  "Werke  H.'s  von 
Mozart  mit  moderner  und  reicherer  Instrumentirung  versehen  worden  sind; 
es  sind  diese  der  »Messias«,  das  »Alexanderfest«,  sowie  »Acis  und  Galathea«. 
In  ähnlicher  "Weise  hat  Julius  Rietz  des  Altmeisters  »Josua«  bearbeitet. 
Wohlverstandener  Weise  ist  in  keiner  der  auf  solche  Art  entstandenen  neuen 
Partituren  die  ursprüngliche  Partitur  H.'s  ausgelöscht  oder  in  ihrem  Grund- 
charakter erschüttert  worden.  Mozart  ist  hierbei  sogar  so  pietätvoll  zu  Werke 
gegangen,  dass  er  sich,  ehe  er  mit  seinen  Zusätzen  begann,  die  sämmt- 
lichen  Orchester-  und  Vocalstimmen  der  H.'schen  Partitur  in  das  zum  Entwurf 
der  seinigen  bestimmte  Notenpapier  eintragen  Hess.  —  England  hat  bereits 
vor  einer  längeren  Reihe  von  Jahren  eine  Gesammtausgabe  Händel's  veran- 
staltet, die  von  Walsh,  Meare  und  Cluer  veröffentlicht  wurde  und  welche 
die  in  London  dargestellten  italienischen  und  englischen  Opern,  die  Oratorien, 
die  italienischen  Cantaten,  die  »Te  Deum's«,  das  y>Jubilate(i,  die  grossen  Anthems 
und  Orgelstücke  enthält.  Die  zweite  englische  Gesammtausgabe,  die  unter 
Georg  IIL,  und  durch  diesen  für  H.  begeisterten  König  veranlasst,  von  Ar- 
nold veranstaltet  wurde,  ist  bei  weitem  nicht  so  correct,  wie  die  ältere,  auch 
wurde  sie  nicht  zu  Ende  geführt.  Neuerdings  hat  auch  Deutschland  seinem 
grossen  Sohne  das  schönste  aller  Monumente  durch  eine  solche  Gesammtaus- 
gabe (Leipzig,  bei  Breitkopf  u.  Härtel)  zu  setzen  unternommen,  die,  von 
Chrysander  angeregt,  sich  bereits  ihrer  Vollendung  zu  nähern  beginnt.  Ein 
von  Heidel  herrührendes  Denkmal  aus  Erz  hat  ihm  das  dankbare  Heimath- 
land in  seiner  Vaterstadt  Halle  gesetzt.  —  Culturgeschichtlich  bedeutsam  ist 
es,  dass  sich  die  ganze  musikalische  Entwickelung  England's  an  H.  ange- 
schlossen und  um  ihn  gruppirt  hat. 

Die  Zahl  der  englischen  un*  deutschen  Quellen  zum  Leben  und  über 
die  Arbeiten  H.'s  ist  zu  gross,  um  hier  einen  vollständigen  Ueberblick  der- 
selben gewähren  zu  können.  Angeführt  sei  daher  nur:  Mainwaring's 
»Memoirs  of  the  live  of  ihe  late  G.  F.  HändeU  (London,  1760);  »G.  F.  Hän- 
del's Lebensbeschreibung,  nebst  einem  Verzeichniss  seiner  Werke  und  deren 
Beurtheilung«  von  Mattheson  (Hamburg,  1761);  -nThe  life  of  HandeU  von 
Victor  Schoelcher  (London,  Trübner  1857),  sowie  Chrysauder's  treflSiches  Werk 
»G.  F.  Händel«  (Leipzig,  bei  Breitkopf  und  Härtel,  1858,  1860  und  1867), 
von  welchem  leider  bis  jetzt  erst  zwei  Bände  und  ein  Halbband  erschienen 
sind.  Die  Parallele  »Händel  und  Shakespeare«  von  Gervinus  ist  ein  zwar 
immerhin  geistvoller,  interessanter,  aber  schon  in  seinen  ersten  Voraussetzungen 
missglückter  Versuch,  unseren  Meister  in  einem  neuen  Lichte  zu  zeigen. 

Emil  Naumann. 

Händler,  Johann  Wolfgang,  deutscher  Componist,  geboren  gegen  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  zu  Nüi-nberg,  studirte  Composition  und  Contrapunkt  bei 
Pachelbel,  der  ihn  auch  im  Ciavier-  und  Orgelspiel  unterrichtete  und  kam 
1712  als  Bassist  in  die  bischöfl.  Kapelle  zu  Würzburg.  Bald  darauf  zum  Hof- 
organisten  ernannt,    schrieV    er  Zahlreiches    für  Kirche    und  Kammer,    wovon 

31* 


484  Häuel  —  Härtel. 

jedocli  nur  wenig  gedruckt  ist,  und|wurde  zum  bischöfl.  Kapellmeister  erhoben. 
Als  solcher  starb  er  1742  zu  "Würzburg. 

Häuel  oder  Handl,  s.  Grallus. 

Uäuer,  Ludwig  Wilhelm,  rühmlichst  anerkannter  deutscher  Orgelbauer, 
erlernte  seine  Kunst  bei  seinem  Stiefvater,  dem  berühmten  Meister  Schmalz 
zu  Arnstadt,  dessen  Haus  er  später  nebst  Werkstatt  erwarb,  worauf  er  mit 
dem  Titel  eines  herzogl.  gothaischen  und  fürstl.  schwarzburgischen  Orgelmachers 
daselbst  wirkte.  Seine  vorzügliche  Arbeit  verschaflPte  ihm  die  Ausführung  aller 
bedeutender  Werke  in  der  Nähe  und  trug  seinen  Ruf  bis  in  die  weiteste  Ferne. 
So  erhielt  er  1797  den  Auftrag  zu  einem  Orgelbau  in  Kopenhagen;  die  be- 
deutende Entfernung  dieses  Ortes  von  seiner  Werkstatt  bewog  ihn  jedoch,  dem 
Rufe  nicht  Folge  zu  leisten.  f 

Hansel,  Johann  Daniel,  s.  Hensel. 

Hilusl;  Peter,  vortrefflicher  deutscher  Violinist  und  Instrumentalcomponist, 
geboren  am  29.  Novbr.  1770  zu  Leppe  in  der  preussischen  Provinz  Schlesien, 
wurde  im  Schul-  und  Musikfache  von  einem  Oheim  in  Warschau  ausgebildet, 
1787  in  St.  Petersburg  im  Orchester  des  Fürsten  Potemkin,  welches  Sarti 
dirigirte,  und  1791  bei  dem  Fürsten  Lubomirski  in  Wien  als  Concertmeister 
angestellt,  woselbst  er  auch  von  1792  an  Compositionsschüler  Jos,  Haydn's 
wurde.  Im  J.  1795  Hess  er  seine  ersten  Quartette  erscheinen,  die  sehr  gut 
aufgenommen  wurden,  und  1802  nahm  er  ein  Jahr  lang  Aufenthalt  in  Paris. 
Nach  Wien  zurückgekehrt,  starb  er  daselbst  am  18.  Septbr.  1831  an  der 
Cholera.  Seine  Werke  bestehen  in  55  Streichquartetten,  drei  Quartetten  mit 
Flöte  und  Clarinette,  vier  Quintetten,  neun  Violinduetten,  Variationen,  Rondos, 
Polonaisen,  Märschen  u.  s.  w.  für  verschiedene  Instrumente. 

Hiintze,  Joseph  Simon,  deutscher  Violinvirtuose,  geboren  1751  zu 
Dresden,  erhielt  daselbst  von  den  Violinisten  Neruda  und  Hundt  Violinunter- 
richt und  gehörte  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  zu  den  geschätztesten  Meistern 
in  der  Tartini'schen  Spielweise.  Im  J.  1779  wurde  er  als  Concertmeister  des 
Markgrafen  von  Schwedt  angestellt  und  kam  später  nach  Berlin,  wo  er  einem 
Liebhaberconcerte  vorstand  und  als  Solospieler  gefeiert  wurde.  Er  starb  zu 
Berlin  Anfangs  des  J.  1800  in  einem  Anfalle  von  Wahnsinn.  Gerber  nennt 
ihn  übrigens  irrig  Hinze  oder  Heinze;  sonst  findet  man  ihn  auch  Hentze 
geschrieben. 

Härerins  oder  Herrerius,  Michael,  ein  sonst  unbekannter  Componist 
des  17.  Jahrhunderts,  von  dem  sich  nur  einige  gedruckte  Werke  erhalten  haben. 
Walther's  Lexikon  nennt  ein  Magnificat  a  6  voci  (Padua,  1604)  und  -oHortus 
musiealis  für  5,  6,  8  und  mehr  Stimmen«  (drei  Theile,  Augsburg,  1607).     f 

Härlemiue,  A.  G.,  italienischer  Componist,  hat  »/  sacri  sdlmi  dt  David,  messi 
in  rime  volgati  da  Giov.  Diotatia  (Lucchese,  1664)  in  Musik  gesetzt  und  heraus- 
gegeben.    Vgl.  Martini,  Storia.  f 

Härtel,  Benno,  talentvoller  deutscher  Tonkünstler  der  Gegenwart,  geboren 
am  1.  Mai  1846  zu  Jauer  in  Schlesien,  erhielt  seinen  ersten  Unterricht  im 
Ciavierspiel  und  in  der  Musiktheorie  von  verschiedenen  Lehrern,  in  Berlin, 
wohin  der  Vater,  ein  Rechtsanwalt,  versetzt  worden  war,  mehrere  Jahre  hin- 
durch von  E.  Hoppe.  Gleichzeitig  pflegte  er  auch  noch  Violinspiel  bei  P. 
Japsen.  In  der  ComjDosition  damals  noch  Autodidact,  schrieb  er  gleichwohl 
über  liOO  Kanons  und  grössere  und  kleinere  Sachen  für  Gesang,  verschiedene 
Instrumente  und  Orchester,  bis  ein  sechsjähriger  wohlbenutzter  Unterricht 
Friedr.  Kiel's  seinen  Schaffensdrang  in  geregelte  Bahnen  leitete.  Seitdem  war 
er  erfolgreich  in  allen  Gattungen  der  Musik  thätig,  und  der  Berliner  Ton- 
künstlerverein, sowie  verschiedene  Orchester  brachten  von  Zeit  zu  Zeit  trefflich 
gearbeitete  Werke  von  ihm  zur  Aufführung.  Im  Druck  sind  bis  jetzt  von  ihm 
nur  Ciavierstücke  und  ein  Andante  religioso  für  Alt  erschienen;  eine  mit  Fleiss 
geförderte  Oper  harrt  ihrer  Vollendung.     Auch  auf  pädagogischem  Gebiete  hat 


Härtel  —  Haser.  485 

sich  H.  bereits    bewährt    und    ist    seit  1870  Lehrer    der  Theorie    an    der   von 
J,  Joachim  geleiteten  königl.  musikalisch-akademischen  Hochschule  zu  Berlin. 

Härtel,  Gebrüder  Dr.  Hermann  und  Raimund,  die  gegenwärtigen  In- 
haber des  berühmten  Musikverlagsgeschäftes  in  Leipzig,  s.  Breitkopf  und 
Härtel. 

Härten,  technischer  Ausdruck  im  Orgelbauwesen  für  das  Schlagen  der 
Pfeifenplatten  mit  einem  hölzernen  Hammer. 

Häser,  Johann  Georg,  gediegener  deutscher  Tonkünstler  und  Musiklehrer 
und    das  Haupt    einer    tüchtigen    Künstlerfamilie,    wurde    als    der    Sohn    eines 
Zimmermanns    am  11.  Octbr.  1729  zu  Gersdorf    bei  Görlitz   geboren.     Seinen 
ersten  Musikunterricht  erhielt  er  in  Reichenbach  beim  Organisten  Rönisch  und 
vervollkommnete  sich  als  Gymnasiast  in  Löbau  im  Gesang,  Ciavier-,  Orgel-  und 
Violinspiel.     Im  J.   1752  bezog  er  die  Universität  zu  Leipzig,  um  Jurisprudenz 
zu  studiren,  sah  sich  aber  in  seiner  Mittellosigkeit  gleichzeitig  auf  Ertheilung 
von  Musikunterricht    angewiesen.     Hill  er,    der    H.'s  Geschick    und    Talente    zu 
beobachten  Gelegenheit    hatte,    zog    ihn    1763  als  ersten  Violinisten  und  Vor- 
spieler in  das  sogenannte  grosse  Concert  (s.  Gewandhausconcert),   und   zu 
dieser  Stellung,  die  er  37  Jahre  lang   ehrenvoll  bekleidete,    gesellte    sich  auch 
bald  die  eines  Direktors  des  Stadt-  und  Theaterorchesters,  sowie  1785  die  eines 
Musikdirektors  an  der  TJniversitätskirche,  bis  er  1800  wirklicher  Universitäts- 
Musikdirektor  wurde.     Geachtet    und    verehrt    starb    er  am  15.  März  1809  zu 
Leipzig  und  hat  sich,  wenn  auch  nicht  als  Componist  (auf  seine  einschlägigen 
Arbeiten  legte  er  selbst  wenig  Werth),  so  doch  als  Begründer  eines  Pensious- 
fonds  für  arme  und  kranke  Musiker  zu  Leipzig  (1786)  ein  treffliches  Denkmal 
gesetzt.  —    Seine    von    ihm    unterrichteten    und    berühmt    gewordenen    Kinder 
waren  der  Reihe  nach:    1)  Johann    Friedrich    H.,    ein    vorzüglicher  Orgel- 
spieler,  geboren  1775  zu  Leipzig,   starb    daselbst  schon  1801  als  Organist  an 
der    reformirten  Kirche.  —  2)  Karl    Georg    H.,    geboren    1777    zu   Leipzig, 
war  ein  vortrefflicher  und  beliebter  Basssänger  und  Schauspieler,  der  namentlich 
lange    in  "Würzburg    und    Wiesbaden    engagirt    war.     Zurückgezogen    lebte    er 
noch  um  1840   zu  Kassel.   —    3)  August    Ferdinand    H.,    geboren    am  15. 
Octbr.  1779  zu  Leipzig,   besuchte    die  Nicolai-  und    die   Thomasschule  daselbst 
und    bezog  1796    als    Theologe    die  Universität.      Schon    1797    aber    folgte    er 
einem  Rufe    als    vierter  Gymnasiallehrer    und  Cantor    an    der   Hauptkirche    zu 
Lemgo  in  Westphalen  und  erhielt  1800  den   Titel  eines  Musikdirektors.     Von 
1806  l)is  1813  war    er    als  Begleiter    seiner  Schwester    Charlotte    (s.  weiter 
unten)  auf  Kunstreisen  in  Italien,     Endlich  zurückgekehrt,  wurde  er  erst  1815 
in  Lemgo  und    zwar    als   Subconrector    und  Lehrer    der  Mathematik    und    ita- 
lienischen  Sprache  wieder  angestellt.     Aber  schon   1817    folgte  er    einem  Rufe 
nach  Weimar  als  Musiklehrer    der  Prinzessinneu  Augusta    (jetzigen    deutschen 
Kaiserin)    und  Maria  (nachmaligen  Prinzessin  Karl    von  Preussen),    sowie    als 
Direktor  eines  neu  von  ihm  zu  errichtenden  Hoftheaterchors,     Zu  Ostern  1829 
wurde  er  auch    als  Musikdirektor   an    der  Hauptkirche  angestellt,   mit  welcher 
Stelle  später  das  Gesanglehreramt  am  grossherzogl.  Seminare  verbunden  wurde. 
Höchst  verdienstvoll  in  allen  diesen  Aemtern   wirkend,    starb    er  am   1.  Novbr. 
1844  zu  Weimar.     Von    seinen  Compositionen    sind  Ouvertüren  für  Orchester, 
Kirchenstücke,  Sonaten,  Uebungsstücke   und  andere  Sachen  für  Ciavier,  sowie 
Lieder  und  Gesänge  im  Druck  erschienen.     Ferner  hat  er  eine  treffliche  »Chor- 
gesangsschule«   und    einen  »Versuch    einer    systematischen   Uebersicht    der  Ge- 
sangslehi'e«    herausgegeben,    verschiedene    musikalische  Werke    aus    dem    Fran- 
zösischen   und  Italienischen    übersetzt    und    an    der    Leipziger    allgem.  musikal. 
Zeitung,    an  der  Cäcilia,   an  der  Encyclopädie  von  Ersch  und   Gruber  u,  s,  w. 
mitgearbeitet.     Handschriftlich  hinterliess    er  das  Oratorium  »der   Triumph  des 
Glaubens«  (1837  in  Birmingham  aufgeführt),  Kirchenwerke  aller  Art,   Cantaten 
und  Gesänge,    die    Opern    »Die    Neger    auf    St.  Domingo«    (Text    von    seinem 
Bruder  Wilhelm)    und    »Alphonsine    oder    der    Thurm    im  Walde«    (Text    von 


486  Häser. 

CastcUi)  und  endlich  »Neue  musikalische  Zeichen-  und  Notenschrift«,  die  eine 
Vereinfachung  des  Unterrichts  in  der  Harmonie-  und  Compositionslehre  bezweckte. 
Er  hatte  vier  Söhne,  von  denen  zwei  sich  der  Medicin  widmeten,  zwei 
als  Schauspieler  zur  Bühne  gingen.  Von  diesen  ist  der  älteste,  Heinrich  H., 
geboren  am  15.  Octbr.  1811  in  Rom,  musikalisch  bemerkenswerth,  da  er  als 
Professor  in  Jena  eine  Abhandlung  veröffentlicht  hat,  welche  den  Titel  führt: 
»Die  menschliche  Stimme,  ihre  Organe,  ihre  Ausbildung,  Pflege  und  Erhaltung« 
(Berlin,  1839).  —  4)  Christian  "Wilhelm  H.,  erwarb  sich  in  der  Kunst- 
welt besonders  als  Basssänger  seinen  bedeutenden  Namen.  Er  wurde  am  24. 
Decbr.  1781  zu  Leipzig  geboren  und  erhielt  frühzeitig  durch  den  Cantor  und 
Musikdirektor  Schicht  regelmässigen  Unterricht  im  Gesänge  und  gründliche 
Anweisung  in  der  Compositionslehre.  Auf  der  Leipziger  Universität  widmete 
er  sich  dem  Studium  der  Rechtswissenschaft,  las  daneben  mit  Vorliebe  die 
alten  Classiker  und  trieb  mit  Eifer  neuere  Sprachen,  besonders  italienisch. 
Seine  selten  schöne  Bassstimme  erregte  in  Gesellschaften  und  Concerten  die 
grösste  Bewunderung,  und  als  er  seine  akademischen  Studien  vollendet  hatte, 
machte  ihm  der  Direktor  der  deutschen  Operngesellschaft  in  Dresden  und 
Leipzig,  Joseph  Seconda,  einen  vorth eilhaften  Engagementsantrag,  den  H.  endlich 
auch  annahm.  Als  Mitglied  dieser  Gesellschaft  trat  er  zuerst,  1802  in  Dresden, 
als  Pipofolus  in  Paesiello's  »schöner  Müllerin«,  dann  als  Sarastro  in  der  »Zauber- 
flöte« auf  und  fand  in  Dresden  sowohl,  wie  den  "Winter  darauf  in  Leipzig  den 
wärmsten  Beifall.  Von  1804  bis  1806  sang  er  unter  Guardasoni's  Direktion 
an  der  italienischen  und  hierauf  an  der  deutschen  Oper  zu  Prag  und  wurde 
daselbst  der  besondere  Liebling  des  Publikums.  Im  J.  1809  ging  er  nach 
Breslau,  1813  nach  "Wien  und  folgte  noch  in  demselben  Jahre  einem  ehren- 
vollen Rufe  an  das  Hoftheater  zu  Stuttgart,  woselbst  er  lebenslänglich  angestellt 
wurde,  aber  durch  Gastrollen  in  Berlin,  Frankfurt  a.  M.,  Prag,  Karlsruhe, 
Mannheim,  Leipzig,  Dresden  u.  s.  w.  seinen  Künstlerruf  erweiterte.  Zu  seinen 
bewunderten  Parthien  gehörten  Don  Juan,  Leporello,  Sarastro,  Osmin,  Figaro, 
Micheli  im  »"Wasserträger«,  Mafferu  im  »Unterbrochenen  Opferfeste«  und  der 
Seneschall  in  »Johann  von  Paris«.  Die  treffliche  Schule,  die  er  genossen,  der 
grosse  Umfang  seiner  Stimme,  eine  ungewöhnliche  Kehlfertigkeit  und  ein  stets 
intelligent  durchdachtes  Spiel  drückten  allen  Gesangsleistungen  H.'s  den  Stempel 
der  Vollendung  auf.  Im  J.  1844  trat  er  von  der  Bühne  ab  und  starb,  86  Jahi-e 
alt,  1867  zu  Stuttgart.  Als  Gesanglehrer,  Componist  (Gesänge  und  Lieder, 
zum  Theil  mit  Orchesterbegleitung,  das  Intermezzo  »Pygmalion«,  die  Oper 
»Der  Geburtstag«,  Solfeggien  u.  s.  w.)  und  Schriftsteller  (deutsche  und  ita- 
lienische Gedichte,  metrische  Uebersetzungen  und  Operntexte)  hat  er  sich  gleich- 
falls ausgezeichnet.  —  Seine  Tochter,  Mathilde  H.,  geboren  am  23.  Decbr. 
1815  zu  Stuttgart,  von  ihm  zur  Sängerin  gebildet,  betrat  zuerst  in  "Weimar 
die  Bühne  und  war  seit  1834  lange  Jahre  als  Hofopernsängerin  in  Gotha  en- 
gagirt,  während  sein  Sohn  Karl  H.,  geboren  am  14.  März  1818,  ein  Violin- 
schüler Molique's  und  von  diesem  wie  von  seinem  Vater  in  der  Composition 
unterrichtet,  als  geschätztes  Mitglied  der  königl.  Kapelle  zu  Stuttgart  angehört. 
—  5)  Charlotte  Henriette  H.,  geboren  am  24.  Januar  1784  zu  Leipzig, 
erregte  zuerst,  von  1800  bis  1803,  als  Concertsängerin  Aufsehen.  Durch  den 
Kapellmeister  Gestewitz  in  Dresden  wurde  sie  1803  dem  kurfürstl.  Hofe  vor- 
gestellt und  für  die  dortige  italienische  Oper  engagirt,  worauf  Gestewitz  und 
Ceecarelli  sie  weiter  in  der  höheren  Gesangskunst  unterrichteten.  Auch  Paer, 
dessen  Gattin  damals  der  Stern  der  Dresdener  Oper  war,  nahm  sich  ihrer  an. 
Im  Herbst  1806  ging  sie  mit  ihrem  Bruder  August  Ferdinand  (s.  oben) 
auf  Kunstreisen  und  zwar  über  Prag  und  "Wien,  wo  sie  sehr  erfolgreich  bei- 
nahe neun  Monate  lang  an  der  italienischen  Oper  und  auch  bei  Hofe  sang, 
nach  Italien.  Dort  erregte  sie  auf  den  ersten  Theatern  des  Landes  En- 
thusiasmus; man  bewunderte  ihre  herrliche  Stimme,  Kunstfertigkeit,  ihre  acht 
deutsche  Gründlichkeit,  ihren  bescheidenen,  streng  sittlichen  Lebenswandel  und 


Hässlein  —  Hässlich.  487 

nannte  sie  allgemein  »Za  divina  Tedeseaa  (die  göttliche  Deutsche).  Sie  war 
auch  die  erste  Sängerin,  welche  in  Italien  in  Männerrollen  auftrat  und  es  mit 
Glück  wagen  konnte,  mit  einem  Crescentini,  Yeluti  u.  s.  w.  zu  wetteifern.  Im 
Januar  1812  verehelichte  sie  sich  in  E-om  mit  dem  allgemein  verehrten  Rechts- 
gelehrten  und  Archivar  Giuseppe  Vera,  der  später  vom  Papst  in  den  Adel- 
stand erhoben  wurde  und  in  den  diplomatischen  Missionen  des  Wiener  Con- 
gresses  u.  s.  w.  eine  Kolle  spielte.  Seitdem  trat  sie  nicht  mehr  öffentlich  auf 
und  lebte  nach  dem  Tode  ihres  Gatten,  am  13.  Novbr.  1831,  mit  drei  Söhnen 
und  einer  Tochter  zurückgezogen,  im  Winter  in  Rom,  im  Sommer  auf  einem 
Landgute  bei  Amelia.  Sie  ist  der  Gegenstand  einer  Novelle,  »Die  Sängerin«, 
welche  sich  im  13.  Bande  der  Zeitschrift  »Cäcilia«  befindet. 

Hässlein,  deutscher  Gelehrter,  geboren  am  1.  Febr.  1737  zu  Nürnberg, 
starb  als  Calculator  und  Syndicus  bei  dem  Oeconomie- Verbesserungs-  und 
Rechnungs-Hevisionscollegiums  seiner  Vaterstadt  am  24.  Septbr.  1797.  Er  ist 
der  Verfasser  einer  zu  seiner  Zeit  erschöpfenden  Abhandlung  über  die  Meister- 
sänger, für  die  ihm  die  Traditionen  und  die  Archive  Nürnbergs  das  Haupt- 
material lieferten. 

Kassier,  Johann  Wilhelm,  deutscher  Virtuose  auf  Ciavier  und  Orgel 
und  Compohist,  geboren  am  29.  März  1747  zu  Erfurt,  wurde  von  seinem 
Oheim,  dem  Organisten  Kittel,  einem  würdigen  Schüler  Seb.  Bach's,  im  Clavier- 
und  Orgelspiel  schon  früh  unterrichtet.  Auch  im  Theoretischen  machte  der 
begabte  Knabe  glänzende  Fortschritte,  musste  sich  aber  als  Lehrling,  später 
als  Geselle  dem  Geschäfte  seines  Vaters,  eines  Mützenmachers,  widmen.  Vier- 
zehn Jahre  alt,  wählte  man  ihn  zum  Organisten  an  der  Barfüsserkirche  und 
besonders  erweckten  seine  freien  Fantasien  auf  Ciavier  und  Orgel  Staunen  und 
Bewunderung.  Da  schickte  ihn  sein  Vater  handwerksgemäss  auf  die  Wander- 
schaft, musste  aber  hören,  dass  der  Sohn  in  Bautzen  und  Dresden  Unterricht 
und  Concerte  gab  und  dass  ihm  mehrere  Organistenstellen  angetragen  worden 
wären.  Er  rief  ihn  nach  Erfurt  zurück,  und  H.  verwaltete  seitdem  das  väter- 
liche Geschäft  bis  lange  nach  des  Vaters  Tode  und  zwar  lediglich  im  Interesse 
der  Mutter.  Auf  Geschäftsreisen  lernte  er  die  bedeutendsten  Tonkünstler 
seiner  Zeit  kennen,  so  in  Hamburg  Phil.  Em.  Bach,  in  Leipzig  Hiller,  deren 
Umgang  ihm  zum  höheren  künstlerischen  Nutzen  gereichte.  Nach  dem  Vorbilde 
in  Leipzig  begründete  er  1780  auch  in  Erfurt  Winterconcerte,  die  grossen 
Beifall  fanden.  Er  gab  darauf  seine  Mützenfabrik  auf,  ertheilte  Musikunterricht 
und  schrieb  Compositionen  mancherlei  Art,  die  sich  weniger  durch  Tiefe  als 
durch  Klarheit  und  Gefälligkeit  auszeichneten.  Ausserdem  errichtete  er  eine 
Musikalien-Leihanstalt,  sah  jedoch  bald  ein,  dass  ihn  seine  Fabrik  sorgenfreier 
hingestellt  hatte,  als  die  Kunst  und  suchte  darnach  auf  Reisen  sein  Heil.  In 
Frankfurt  a.  M.,  1790,  vermochte  er  kein  Glück  zu  machen,  dagegen  wurde 
er  1791  in  London,  wo  er  auch  vor  dem  Könige  spielte,  trefflich  aufgenommen 
und  in  St.  Petersburg  1792  mit  1000  Rubeln  Gehalt  als  kaiserl.  Kapellmeister 
und  Kammervirtuose  angestellt.  Im  J.  1794  wandte  er  sich  nach  Moskau, 
hatte  auch  dort  als  Musiklehrer  und  Componist  ein  vorzügliches  Auskommen 
und  machte  sich  um  die  Verbesserung  des  Kunstgeschmackes  durch  zahlreiche 
Aufführungen  grosser  und  guter  Musikwerke  verdient.  Rastlos  thätig  bis  an 
sein  Ende,  starb  er  zu  Moskau  am  25.  März  1822.  Von  seinen  Ciavier-,  Orgel- 
und  Gesangcompositionen  führt  Gerber  in  seinem  Tonkünstlerlexicon  zwanzig 
in  Deutschland  erschienene  Nummern  auf.  In  Russland  vermehrte  sich  diese 
Zahl  über  das  Doppelte  hinaus;  das  Wenigste  davon  ist  aber  nach  Deutsch- 
land gelangt.  —  Seine  Gattin  und  gewesene  Schülerin,  Sophie  H.,  geborene 
Kiel,  eine  treffliche  Pianistin  und  geschmackvolle  Sängerin,  sorgte  nach  seiner 
Abreise  von  Erfurt  noch  lange  musterhaft  für  den  Fortgang  der  Concerte  und 
der  Musikhandlung. 

Hässlich,  von  Hass    abzuleiten,   bezeichnet    den  Gegensatz    vom  Schönen 
und  demgemäss  Alles,  was  in  Wesen,  Gestalt  und  Handlung  durch  seine  Geist- 


488  Häusser  —  Hilute. 

losigkeit,  Unc'benm'ässigkeit  oder  Verzerrtheit  und  seinen  inneren  "Widerspruch 
das  Missfallen  und  die  Abneigung  des  Beobachters  in  hohem  Grade  hervorruft. 
Auf  die  Tonkunst  angewandt,  ergeben  sich  die  Kriterien  einer  hässlichen 
Musik  aus  dem  eben  Gesagten  von  selbst.  Vom  Hässlichen  selbst  als  Dar- 
stellungsobjekt kann  die  Dichtkunst  den  (relativ)  weitesten  und  umfassendsten 
Gebrauch  machen,  die  Tonkunst  hingegen  den  beschränktesten.  Denn  bei  ihr 
ist  die  Darstellung  des  Hässlichen  der  Natur  der  Sache  nach  lediglich  auf  den 
Ausdruck  des  Gefühls,  welches  das  Hässliche  auf  den  Menschen  hervorbringt, 
eingeschränkt.  Ohne  aufzuhören  harmonisch  zu  sein  oder  selbst  hässlich 
zu  werden,  bezeichnet  die  Musik  in  Tönen  das  Hässliche  durch  widerstrebende, 
den  inneren  Zwiespalt  kundgebende  Bewegungen,  Tonfolgen  und  Tonmassen 
und  löst  in  dieser  Art  jenen  Zwiespalt  des  Gemüthes  gleichsam  in  dem  höheren 
Gcmüthszustande  des  Anschauenden  auf. 

Häuser,  Johann  Ernst,  deutscher  Gelehrter  und  Tonkünstler,  geboren 
1803  zu  Dittichenroda  bei  Quedlinburg,  machte  in  Leipzig  seine  Universitäts- 
studien und  wurde  in  seiner  Vaterstadt  Lehrer  der  Literaturgeschichte  am 
Gymnasium.  In  musikalischer  Beziehung  verfasste  er  eine  Ciavierschule  und 
folgende  AVei'ke:  »Geschichte  des  christlichen,  insbesondere  des  evangelischen 
Kirchengesanges  und  der  Kirchenmusik«  (Quedlinburg,  1834);  »Musikalisches 
Lexicon,  oder  Erklärung  und  Verdeutschung  aller  in  der  Musik  vorkommenden 
Ausdrücke  u.  s.  w.«  (Meissen,  1828,  2.  Aufl.  1833);  »Der  musikalische  Gesell- 
schafter, eine  Sammlung  vorzüglicher  Anecdoteu  u.  s.  w.«  (Meissen,  1830); 
»Musikalisches  Jahrbüchlein.  1.  Jahrg.«  (Quedlinburg,  1833).  Ausserdem 
componirte  er  170  Stücke  für  Orgel,  Clavier-Polonaisen  u.  s.  w. 

Häusler,  Ernst,  deutscher  Violoncellovirtuose  und  Componist,  geboren 
1766  zu  Stuttgart,  trieb  auf  der  Karlsschule  so  erfolgreich  die  Musik,  dass 
er  schon  1784  auf  Kunstreisen  sich  begeben  konnte.  In  Donaueschingen  Hess 
er  sich  als  Hofmusicus  des  Fürsten  von  Fürstenberg  fesseln,  ging  aber  1791 
nach  Zürich,  wo  er  als  Violoncellist  und  gewandter  Sopransänger  sehr  ge- 
schätzt wurde.  In  beiden  Eigenschaften  trat  er  1797  auch  vor  dem  Hofe 
in  Stuttgart  auf.  Dann  Hess  er  sich  als  Musiklehrer  in  Augsburg  nieder, 
übernahm  dort  1802  die  Leitung  des  evangelischen  Musikcorps  und  starb  am 
28.  Febr.  1837.  Seine  Compositionen  waren  leicht  und  sehr  gefällig;  sie  be- 
stehen in  Concerten,  Concertinos  und  Divertissements  für  Violoncello,  Violin- 
und  Flötenconcerten ,  einem  Sextett  für  Streichquartett  und  zwei  Hörner,  der 
Cantate  »die  Todtenfeier«  (von  Schiller),  Liedern,  Gesängen  und  Duetten  für 
zwei  Sopranstimmen  u.  s.  w. 

Häute,  gespannte,  werden  in  allen  Musikkreisen  seit  der  grauesten  Vorzeit 
her  zu  Tonwerkzeugen  verwandt.  Im  höchsten  Alterthume  bezogen  die  Chinesen 
ihre  aus  Thon  oder  Holz  gefertigten  fassähnlichen  Paukenkörper  (s.  Tsuku; 
Yn-ku;  Hiüen-ku  u.  A.)  mit  gespannten  Thiei'häuten,  welche  den  Grundton 
ihres  Tonreichs,  Hoang-tschung  (s.  d.)  geheissen,  geben  mussten.  Ueber- 
haupt  bildeten  bei  diesem  Volke  die  H.  in  ihrer  Naturlehre  eins  der  Elemente, 
aus  denen  Tonwerkzeuge  geschaffen  wurden.  Vgl.  Amiot's  i) Memoire  sur  la 
musique  des  Chinoisn.  In  allen  anderen  Tonkreisen  finden  Avir  die  H.  als 
Klangmaterial  nur  zu  Tonwerkzeugen  verwandt,  die  unbestimmte  Schalle  zu 
geben  die  Aufgabe  hatten.  Diese  Tonwerkzeuge  erhielten  ihre  Grösse  je  nach 
ihrer  Nutzanwendung.  S.  Trommel,  Pauke,  Tambourin  etc.  Erst  im 
Abendlande  befleissigte  man  sich  wieder,  den  H.  bei  manchen  Instrumenten, 
z.  B.  bei  den  Pauken,  eine  feste  Stimmung  zu  geben.  Ob  die  ebenfalls  ge- 
bräuchliche Anwendung  der  H.  im  abendländischen  Musikkreise  zu  Tonwerk- 
zeugen ohne  festen  Klang  mit  dem  daselbst  herrschenden  Musikgeiste  sich  auf 
die  Dauer  vereinigen  lässt,  ist  sehr  zu  bezweifeln.  Es  wird  wahrscheinlich  die 
Zeit  nicht  mehr  fern  sein,  dass  alle  H.,  in  der  abendländischen  Musik  ver- 
wandt, auch  einen  festen  Ton  geben  müssen.  Man  sehe  in  dieser  Beziehung 
den  Artikel  Trommel  in  diesem  Werke  und  im  »musikalischen  Wochenblatte« 


Hafeueder  —  Hagemann.  489 

Jahrg.  1870  No.  37,  47,  49  und  51  die  Aufsätze  über  »die  türkische  oder 
Janitscharenmusik«.  Ausser  dieser  Anwendung  bei  Musikinstrumenten  ver- 
wandte man  die  H.  auch  als  Tonmultiplicatoren.  In  dieser  Art  finden  wir 
sie  bei  der  ältest  ägyptischen  Harfe  (s.  d.),  der  Rabäbe  (s.  d.),  dem  Rebab 
(s.  d.)  und  in  früherer  Zeit  auch  im  Abendlande  zu  Resonanzböden  in  Piano- 
f orte's  (s.  d.)  benutzt.  Wenn  hier  die  Einzelninstrumente,  welche  H.  zu  ihrer 
Tonzeugung  bedurften,  übergangen  werden,  so  geschieht  dies,  weil  die  Special- 
artikel über  deren  Verwendung  das  Nähere  berichten;  es  sei  nur  noch  auf  die 
akustischen  Eigenheiten  der  H.  aufmerksam  gemacht,  weil  deren  Vibrations- 
weise sich  als  eine  durchaus  verschiedene  von  allen  anderen  Klangkörpern  er- 
giebt.  Dieselbe  ist  in  diesem  "Werke  in  dem  Artikel  Akustik  (s.  d.  Theil  I. 
S.  108)  besprochen,  und  verweisen  wir  ausser  auf  diese  Stelle  noch  auf  Chladny's 
»Akustik«  §.  102  bis  165.  B. 

Hafeneder,  Joseph,  deutscher  Componist,  geboren  1774  (in  Mannheim?), 
veröflfentlichte  16  Jahr  alt  bereits  eine  Sinfonie  und  ging  dann  von  Mannheim 
nach  Wien,  wo  er  um  1796  mehrere  seiner  Violin-  und  Oboeconcerte  heraus- 
gab. Im  J.  1809  wandte  er  sich  nach  Baiern,  wo  er  in  Landshut  die  Orga- 
nistenstelle  an  der  St.  Martinskirche  erhielt  und  noch  Mancherlei  für  Ciavier, 
Orgel  und  für  die  Kirche  componirte,  was  aber  Manuscript  geblieben  und  jetzt 
werthloB  geworden  ist. 

F^  Haffenreffer,  Samuel,  deutscher  Mediciner,  geboren  1587  zu  Herrenberg 
in  Würtemberg,  war  Professor  der  Heilkunde  in  Tübingen,  als  welcher  er  am 
26.  Septbr.  1660  starb.  Er  ist  der  Verfasser  eines  Buches,  in  welchem  er  be- 
hauptete, dass  er  die  Natur  einer  Krankheit  durch  die  Analogie  des  Puls- 
schlages mit  irgend  einem  musikalischen  Rhythmus  zu  erkennen  vermöge. 

Haffner,  Johann  IJlrich,  geschickter  deutscher  Lautenist  zu  Nürnberg, 
hat  sich  besonders  einen  Ruf  dadurch  erworben,  dass  er  1758  eine  Musikalien- 
handlung nebst  Musikverlag  errichtete,  der  zur  Verbreitung  vieler  gediegener 
Werke  (u.  A.  erschien  auch  1761  das  riOdeon  moralea  von  Mattheson)  beitrug. 
Er  starb   1767  zu  Nürnberg.  f 

Hafls-Adschem,  arabischer  Gelehrter  und  Schriftsteller  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  schrieb  in  einem  Abschnitte  seines  Werkes  y>Medinet 
al  oulouma  (Stadt  der  Wissenschaft)  über  orientalische  Musikinstrumente. 

Hafner,  Karl,  trefflicher  deutscher  Violinist,  geboren  am  23.  Novbr.  1815 
zu  Wien,  studirte  das  höhere  Violinspiel  bei  Mayseder  und  Jansa  und  siedelte 
1839  nach  Hamburg  über,  wo  er  im  J.  1861  als  geschätzter  Lehrer  seines 
Instrumentes  gestorben  ist. 

Haften  oder  Häftenns,  Benedict  van,  niederländischer  Theologe,  trat 
1627  in  den  Benedictinerorden  und  nahm  statt  seines  Namens  Jacob  den  obigen 
an.  Er  wurde  Abt  und  zuletzt  Probst  des  Benedictinerklosters  zu  Afflighem 
in  Bi-abant,  in  welcher  Würde  er  am  31.  Juli  1648  starb.  Unter  seinen 
Werken  befindet  sich  nach  Jöcher  eins:  y>Faradisum  seu  viridariuin  catecMsti- 
ctim,  odis  seu  cantionibics  helgico-latinis  ad  musicos  tonos  co7isituma.  betitelt,  das 
ausschliesslich  Musik  behandelt.  f 

Hag'adah  ist  der  Name  einer  althebräischen  Melodie,  die  von  den  Juden 
beim  Feste  zum  Gedächtniss  des  Auszuges  aus  Aegypten  (Passahfest)  ge- 
sungen wurde.  Mehr  über  dieselbe  findet  man  in  Fetis'  Sist.  de  la  musique 
T.  I.  p.  465.  t 

Hagebeer  oder  Hagelbeer,  Jacobus  Gatus  rau,  einer  der  berühmtesten 
Orgelbauer  Hollands,  der  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  wirkte.  Der  zu 
Alkmar  1645  vollendete  Bau  der  Orgel,  welche  lange  Zeit  als  grösste  und 
beste  in  ganz  Holland  galt,  begründete  seinen  weithin  verbreiteten  Ruf.  Mehr 
über  seine  Arbeiten  findet  man  in  Gerber's  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812 
und  in  Hess,  Orgeldispositionen.  t 

Hagemann,  Hermann,  niederländischer  Gesangscomponist,  geboren  1812 
zu  Neei'bosch  in  Holland,    war    zuerst  Chorsänger,    dann    Organist   in    seinem 


490  Hagen  —  Hagius, 

Geburtsorte  und  später  Lehrer  in  Hees  bei  Nymwegen,  wo  er  einen  Gresang- 
verein  gründete  und  leitete,  für  den  er  verschiedene  Werke  componirte.  Auch 
für  die  Kirche  hat  er  Mehreres  geschrieben.  Er  wird  von  seinen  Landsleuten 
als  ein  strebsamer,  tüchtiger  Tonkünstler  gerühmt. 

Hagen,  A.  van  der,  s.  Vanderhagen. 

Hagen,  Friedrich  Heinrich,  gelehrter  deutscher  Archäologe,  geboren 
am  19.  Febr.  1780  zu  Schmiedeberg  in  der  Uckermark,  war  1818  Professor 
in  Breslau  und  seit  1824  Professor  der  Philosophie  und  Mitglied  der  Akademie 
der  "Wissenschaften  zu  Berlin,  in  welcher  Stellung  er  am  11.  Juli  1856  starb. 
Von  seinen  Werken  gehören  hierher:  »Die  Minnesänger  und  Liederdichter  des 
12.,  13.  und  14.  Jahrhunderts«  (3  Bde.,  Leipzig,  1838),  worin  sich  Facsimiles 
der  damaligen  Notenschrift,  Gesänge  der  berühmtesten  alten  Dichter  und  eine 
Abhandlung  über  die  Musik  der  Minnesänger  befindet;  ferner  »(34)  Melodien 
zu  der  Sammlung  deutscher,  flamländischer  und  französischer  Volkslieder«, 
herausgegeben  mit  Büsching  (Berlin,  1807). 

Hagen,  Joachim  Bernhard,  deutscher  Lautenvirtuose,  aus  Hamburg 
gebürtig  und  Schüler  des  Kapellmeisters  Pfeiffer,  wurde  im  J.  1761  durch 
verschiedene  Compositionen  für  die  Laute,  die  sich  als  Manuscripte  Bahn 
brachen,  bekannt.  Er  erhielt  1766  in  Baireuth  die  Stellung  eines  Kammer- 
musikers und  Lautenisten  und  beschloss  als  solcher  wahrscheinlich  seine  künst- 
lerische Laufbahn.  + 

Hagen,  Theodor,  einer  der  fähigsten  und  bekanntesten  deutschen  belletri- 
stischen und  Musikkritiker  der  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und  einer 
der  dortigen  Pioniere  für  eine  gediegene  Musikpflege,  wurde  1823  in  Hamburg 
geboren  und  machte  in  seiner  Vaterstadt,  in  Dessau  und  Paris  gute  musi- 
kalische Studien.  Hierauf  wurde  er  Mitredacteur  des  »Hamburger  Correspon- 
denten«,  musste  jedoch  seiner  politischen  Bestrebungen  wegen  1849  Deutschland 
verlassen  und  kam,  nach  einem  Aufenthalte  in  der  Schweiz  und  1852  in 
London  als  Musiklehrer,  1854  in  New- York  an,  wo  er  sich  in  gleicher  Eigen- 
schaft, sowie  als  Ciavier-  und  Liedercomponist  und  als  Musikkritiker  verschie- 
dener Zeitungen  einen  geachteten  Namen  erwarb.  Zuletzt  Redacteur  der 
»Newyork-Weekly-E-eview« ,  starb  er  am  27.  Decbr.  1871  zu  New- York.  Von 
seinen  selbständigen  Schriften  sind  besonders  seine  »musikalischen  Novellen« 
(Halle,  1848)  und  das  geistreiche  Buch  »Civilisation  und  Musik«  bekannt 
geworden. 

Hager,  Georg,  ein  deutscher  Meistersinger,  der,  wie  sein  Vater,  noch 
ein  Schüler  von  Hans  Sachs  war  und  um  1646  zu  Nürnberg  als  Schuhmacher 
lebte.  Sein  Bild,  ihn  im  82.  Lebensjahre  darstellend,  befindet  sich  als  Holz- 
schnitt vor  seinem  1720,  1739,  1751  und  1770  gedruckten  »Klag-  und 
Trauerliede«.  t 

Hagiopolite  (griechisch)  ist  der  Name  einer  Ende  des  7.  Jahrhunderts 
abgefassten  Abhandlung  ü])er  den  Gesang  in  der  griechisch-katholischen  Kirche. 
Diese,  eigentlich  nur  eine  Zusammenstellung  aus  älteren  Schriften,  führt  u.  A. 
die  Lehre  von  den  acht  Kirchentonarten  als  eine  längst  feststehende  auf.  Der 
vollständige  Titel  des  Buches  ist:  r^Bip.iov  ayionokiriß  avyxe-AQOirjut'vov  ixnvoov 
fiovaixöjv  i-ieO^oÖMv.«  2. 

Hagiopolites  ist  der  Name  des  sonst  unbekannten  Verfassers  der  Schrift: 
nDe  musica  ecclesiastica  recentium  Graecorum.<i  Vgl.  Fahricii  Bibl.  graec.  Lib. 
IIL  C.  10  p.  269.  Gerber  in  seinem  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812  spricht 
die  Vermuthung  aus,  dass  vielleicht  hiemit  Cosmas  Hierosolyraitanus  gemeint 
sei,  der  um  730  Bischof  zu  Majuma  war  und  verweist  auf  L,  Allatius,  de  libr. 
eccl.  graec.  Wahrscheinlich  bezieht  sich  H.  nur  andeutungsweise  auf  den  Inhalt. 
S.  Hagiopolite.  t 

Hagins,  Konrad,  geschickter  deutscher  Tonkünstler,  geboren  zu  Rinteln 
im  J.  1559,  war  in  der  musikalischen  Composition  sehr  bewandert.  Er  lebte 
in  seinen  jungen  Jahren  längere  Zeit  in  Polen,  wo  er  sehr  geschätzt  war  und 


Hagius  —  Hahn.  491 

starb  als  gräfl.  holsteinisch  -  scliauinl)urgisclier  Kammermusiker.  Von  seinen 
vielen  Compositionen  haben  sich  noch  mehrere  erhalten.  Bekannter  sind  vier-, 
fünf-  und  sechsstimmige  Magnificats  (DilUngen,  1606)  und  deutsche  Gesänge 
für  zwei,  drei  bis  acht  Stimmen  (erster  Theil,  Lauingen,  1614).  Sonst  hat 
er  noch  lutraden,  Galliarden,  Couranten  u.  s.  w.  für  Instrumente,  Fantasien 
und  Fugen  geschrieben,  die  Gerber  in  seinem  Tonküustlerlexicon  einzeln 
aufiführt.  t 

Hagins,  Johannes,   Magister  und  Superintendent   zu  Eger  zu  Ende  des 

16.  Jahrhunderts,  hat  verschiedenes  Musikalisches  in  den  Druck  gegeben.  Be- 
kannt davon  sind:  nSyrnbolum  Norimhergensium  mit  vier  Stimmen«  (Nüi'nberg, 
1569);  liSymbola  magnorum  principum  mit  vier  Stimmen«  (ebendas.,  1570)  und 
yySymhola  der  beiden  hochberühmten  Männer,  Lutheri  und  Melanchthonis,  latei- 
nisch und  teutsch  von  5  und  6  Stimmen«  (Eger,  1572).  Ygl.  Gesner's 
Bihl.  univ.  + 

Hagne,  Charles,  englischer  Componist  und  Musikgelehrter,  geboren  1769 
in  der  Grafschaft  York,  erhielt  von  seinem  ältesten  Bruder  den  ersten  Musik- 
unterricht, wurde  dann  1779  zu  Cambridge  Yiolinschüler  eines  Italieners 
Namens  Manini  und  studirte  später  bei  Hellendaal  Harmonielehre.  "Weiter 
aus  bildete  er  sich  unter  Salomon  in  London,  wohin  er  sich  1785  begab.  In 
Cambridge  wurde  er  1794  Baccalaureus  der  Musik,  und  fünf  Jahre  später, 
nach  dem  Tode  des  Dr.  Handall,  erhielt  er  an  dieser  Universität  die  Professur 
der  Musik  und  bald  darnach  auch  den  Doctorgrad.  Er  starb  am  18.  Juni  1821 
zu  Cambridge.  Glee's,  Anthem's  u.  s.  w.  seiner  Composition  und  Arrangements 
Haydn'scher  Sinfonien  für  Quintett  von  ihm  sind  im  Druck  erschienen. 

Hahn  ist  ein  bei   der   von  Chr.  Förner,  Orgelbauer  in  "Wettin,  Ende  des 

17.  Jahrhunderts  erfundenen  "Windwage  (s.  d.)  nothwendiger  Mechaniktheil, 
welcher  der  sonst  in  der  Mechanik  überhaupt  angewandten  ebenso  benannten 
Vorrichtung  gleich  in  seiner  Einrichtung  ist.  Er  befindet  sich  auf  der  Seite 
der  Windwage  und  seine  Aufgabe  ist:  durch  ihn  das  Gefäss  derselben  bis  zur 
Oeffnung  des  H.'s  hin  mit  "Wasser  zu  füllen.  —  Auch  ein  Orgelregister  führt 
zuweilen  die  Benennung  H.  Dasselbe  dient  dazu,  einen  im  Orgelprospectus 
befindlichen  aus  Holz  geschnitzten  H.  nach  Ermessen  flügelschlagen  und  krähen 
zu  lassen.  Dies  Begister,  durch  die  Leidensgeschichte  Christi  (Ev.  Lucae  22,  61) 
angeregt,  von  einigen  Orgelbauern  als  wünschenswerth  erachtet,  hat  Schilling 
noch  im  J.  1824  im  Magdeburger  Dome  bei  der  Feier  des  Pfingstfestes ,  wie 
er  in  seinem  musikalischen  Lexicon  berichtet,  in  Gebrauch  gefunden.  Er  theilt 
dort  mit,  dass  das  Flügelschlagen  des  H.'s  daselbst  durch  das  Ziehen  des  Re- 
gisters bewirkt  wurde,  das  Krähen  jedoch  ein  in  die  Orgel  gestellter  Oboen- 
bläser ausführte,  und  dass  diese  Spielerei  nicht  allein  aus  der  Stadt  und 
nächsten  "Umgebung,  sondern  selbst  aus  weiterer  Ferne  Landleute  in  grosser 
Zahl  zur  Kirche  lockte.  ^  2. 

Hahn,  Albert,  deutscher  Componist  und  Musikschriftsteller,  geboren  am 
29.  Septbr.  1828  zu  Thorn,  war  bereits  Officier,  als  er  sich  1856  in  Berlin  als 
Musiklehrer  niederliess  und  zunächst  auch  als  Componist  von  Liedern  und  mehr- 
stimmigen Gesängen  sich  bekannt  machte.  "Um  1860  gründete  er  einen  Concert- 
Gesangverein,  mit  dem  er  häufige,  sehr  beifällig  beurtheilte  Aufi"ührungen  ver- 
anstaltete, in  denen  auch  seine  Gattin,  Bertha  H.,  geb.  Lenz,  eine  vortreff- 
liche Pianistin,  vielfach  solistisch  mitwirkte.  Im  J.  1867  folgte  H.  einem  Rufe 
als  Musikdirektor  des  Gesangvereins  nach  Bielefeld,  von  wo  aus  er  1870  nach 
Königsberg  in  Pr.  übersiedelt,  woselbst  er  den  Sängerverein  leitet.  "Wie  als 
geschickter  Dirigent  in  diesen  Stellungen  hat  er  sich  auch  als  gediegener 
musikalischer  Schriftsteller  rühmlich  bemerkbar  gemacht,  und  die  Neue  Zeit- 
schrift f.  Musik,  die  Neue  Berliner  Musikztg.,  die  Tonhalle,  das  musikal.  "Wochen- 
blatt u.  s.  w.  enthalten  interessante  Artikel  seiner  Feder.  Von  seinen  Com- 
positionen sind  nur  einige  Gesangsachen  im  Druck  erschienen. 

Hahn,  August,  gelehrter  deutscher  Theologe,  geboren  am  27.  März  1792 


492  Hahn. 

zu  Grossostertausen  bei  Querfurt,  maclite  in  Eisleben  Gymnasial-  und  seit 
1810  in  Leipzig  TJniversitätsstudien.  Er  wurde  1819  ausserordentlicher  Pro- 
fessor der  Theologie  in  Königsberg  und  zeichnete  sich  schon  damals  durch 
gelehrte  Schriften  und  Programme  über  Bardesanes,  Marcion  und  Ephraem 
aus,  von  denen  musikalisch  bemerkenswertb  sind:  y>Baräesanes  gnosticus,  Syrorum 
primus  liymnologusa  und  »lieber  den  Kirchengesang  Syi'iens«,  Im  J.  1826  zum 
ordentlichen  Professor  nach  Leipzig  und  1833  als  Consistorialrath  nach  Breslau 
berufen,  erhielt  er  1844  unter  Beilegung  des  Prädicats  als  Oberconsistorialrath 
das  Amt  eines  Generalsuperintendenten  für  die  Provinz  Schlesien. 

Hahn,  Bernhard,  ein  um  den  katholischen  Kirchengesang  verdienter 
deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  17.  Decbr.  1780  zu  Leubus  in  Schlesien, 
erhielt  von  seinem  Vater,  Schulrector  und  Organist  daselbst,  guten  Unterricht 
im  Gesang  und  Violinspiel  und  wurde,  als  er  das  Leopoldinum  in  Breslau  be- 
suchte, zugleich  Altsänger  des  dortigen  Domchores.  Nach  Verlust  seiner  schönen 
Knabenstimme  und  dieser  Stellung  kam  er  1799  als  Violinist  in  das  Haus- 
quartett des  Grafen  Matuschka  zu  Pitschen  am  Berge,  wo  ihn  der  Musik- 
direktor Förster  kennen  und  schätzen  lernte,  unter  dessen  Leitung  seine  höhere 
Musikausbildung  begann.  Im  J.  1804  begleitete  H.  zwei  Söhne  seines  Grafen 
nach  Halle,  wo  ihn  ein  fast  täglicher  Umgang  mit  Türk  sehr  förderte.  Ein 
Jahr  später  kam  er  nach  Breslau  zurück,  wurde  zuerst  Tenorist,  dann  Signator 
am  Dome,  1815  Gesanglehrer  am  katholischen  Gymnasium  und  endlich,  nach 
Schnabel's  Tode,  Domkapellmeister,  als  welcher  er  im  J.  1852  starb.  Von 
seinen  verdienstlichen  Werken  sind  anzuführen:  »Handbuch  beim  Unterricht 
im  Gesänge  für  Schüler  auf  Gymnasien«;  »Gesänge  zum  Gebrauch  beim  sonn- 
und  wochentägigen  Gottesdienste  auf  katholischen  Gymnasien«  (Breslau,  1820); 
ferner  Schullieder,  sechs  Messen,  Offertorien  und  Gradualien  u.  s.  w.  Sein 
Styl  ist  dem  von  Jos.  Schnabel  sehr  verwandt;  leichte  Sangbarkeit  und  discreter 
Gebrauch  der  Instrumente  kennzeichnen  grossentheils  seine  "Werke,  jedoch  sind 
sie  zum   Theil  von  "Weichlichkeit  nicht  freizusprechen. 

Hahn,  Georg  Joachim  Joseph,  fleissiger  theoretischer  Schriftsteller 
und  beliebter  Componist  des  18.  Jahrhunderts,  war  Senator  und  Musikdirektor 
zu  Münnerstädt  in  Franken.  Er  veröffentlichte  u.  A.:  »Harmonischer  Beitrag 
zum    Clavier«    (2    Thle.),    »Der    wohlunterwiesene    Generalbassschüler«     (1751, 

2.  Aufl.  1768),  »Leichte  Arien  auf  die  vornehmsten  Feste«,  ferner  Messen, 
Psalme,  Sonaten  und  andere  Stücke  für  Clavier  u.  dgl.  m. 

Hahn,  Johann  Bernhard,  deutscher  Gelehrter,  geboren  1722  zu 
Königsberg  und  später  daselbst  Doctor  der  Philosophie  und  Professor  der 
Beredsamkeit  und  Geschichte,  legte  diese  Stellung  1778  nieder  und  las  pri- 
vatim Collegia.  Unter  seinen  Disputationen  findet  sich  eine:  »De  vanetate 
sonorum  specimine  sapientiae  divinaea  betitelt  (Königsberg,  1740).  f 

Hahn,  Johann  Gottfried,  Sprössling  einer  alten  berühmten  tliüringischen 
Glockengiesser -Familie,  geboren  um  17G0  zu  Gotha,  ist  der  Verfasser  des 
gründlichen  und  in  seiner  Art  schätzbaren  "Werkes  »Campanologie  oder 
praktische  Anweisung,  wie  Laut-  und  Uhrglocken  verfertigt  werden«  (Er- 
furt, 1802). 

Hahu,    Theodor,    deutscher    Componist    und    Gesanglehrer,    geboren    am 

3.  Septbr.  1809  zu  Dobers  in  Schlesien,  trieb  schon  früh  beim  Organisten 
Klein  in  Schmiedeberg  Clavier-  und  Orgclspiel,  sowie  Musiktheorie,  Studien, 
die  er  später  bei  Hink  und  Gotifr.  Weber  in  Darmstadt  fori  setzte  und  von 
1828  an  in  Berlin  l)ei  B.  Klein  und  Zelter  vollendete.  Als  Gesanglehrer  bei 
mehreren  königl.  Lehranstalten  bereits  thätig,  ging  er  1838,  mit  Stipendium 
vom  Hofe  versehen,  nach  Paris,  wo  er  sich  von  Bordogni  und  Lablache  Rath- 
schläge  ertheilen  Hess  und  besuchte  dann  noch  Italien,  Wien  und  Prag,  um 
die  dortigen  Musik -Lehranstalten  kennen  zu  lernen.  Nach  Berlin  zurück- 
gekehrt, wurde  er  als  Organist  an  der  St.  Petrikirche  und  1840  als  Gesang- 
lehrer und  Repetitor  an   der  königl.   Opern -Gesangschule   angestellt.     Er  starb 


Hahn  —  Haine.  493 

zu  Berlin  im  J.  1865.  Von  seinen  in  keiner  Beziehung  bedeutenden  Com- 
positionen  sind  im  Druck  erschienen:  Cantaten,  Motetten,  Psalme,  ein-  und 
mehrstimmige  Lieder,  Schulgesänge  und  Orgelstücke. 

Hahn,  Wilhelm,  beliebter  Pianist,  Componist  und  Musiklehrer  in  Berlin, 
der  um  1818  in  bedeutendem  Ansehen  stand  und  eine  Cantate,  Sonaten 
und  verschiedene  Stücke  für  Ciavier,  sowie  andere  Kammermusikeachen  veröffent- 
licht hat. 

Haibel,  Jacob,  oder  Haibl,  deutscher  Tenorsänger  und  Componist,  ge- 
boren 1761  zu  Grätz,  war  seit  1789  Sänger  und  Schauspieler  unter  Schika- 
neder's  Direktion  in  Wien  und  schrieb  für  dessen  Theater  etwa  zehn  Operetten 
im  leichten,  gefälligen  Style,  worunter  als  beliebt  gewesen  zu  nennen  sind: 
»Der  Tyroler  Wastel«  und  dessen  Fortsetzung  »Der  Landsturm«,  »Das  medi- 
cinische  Collegium«,  »Papagei  und  Gans,  oder  die  cisalpinischen  Perrücken«, 
»Der  Einzug  in  das  Friedens- Quartier«,  »Tsching!  Tsching!«,  »Alle  Neun  und 
das  Centrum«  und  »Astaroth  der  Verführer«.  Auch  verschiedene  Ballets  tragen 
seinen  Namen.  Im  J.  1804  verliess  er  Wien  und  wurde  Kapellmeister  des 
Bischofs  von  Diakowar  in  Ungarn.  Er  starb  im  J.  1826.  —  Seine  Gattin 
war  Mozart's  dritte  und  jüngste  Schwägerin  und  seine  Tochter,  Sophie  H. 
1829  und  1830  ziemlich  beliebte  Sängerin  in  München. 

Halden,  s.  Hey  den. 

Haigh,  Thomas,  englischer  Componist,  war  ein  Schüler  von  Jos.  Haydn. 
Von  1793  an  schuf  er  etwa  25  Werke,  bestehend  in  Arien,  Ciaviersonaten 
und  Stücken  für  Harfe,  die  aber  mehr  den  Geist  Arne's  und  Boyce's,  als  den 
Haydn's  widerspiegeln. 

Haillot,  französischer  Violoncellovirtuose  und  Lehrer  dieses  Instrumentes 
zu  Paris,  gab  daselbst  1780  sechs  Duos  für  Violoncello  über  Melodien  aus 
komischen   Opern  als  op.   1   heraus.  f 

Haiudel  oder  Haindl,  auch  Heindl  geschrieben,  war  1793  Hofmusiker 
und  Musikdirektor  am  Theater  zu  Passau  und  vorher,  1782,  Concertmeister 
in  Innsbruck,  als  welcher  er  daselbst  die  Operette»  Der  Kaufmann  von  Smyrna« 
in  Musik  gesetzt  hat.  f 

Haine,  Johann,  deutscher  Musiktheoretiker,  im  Anfange  des  16.  Jahr- 
hunderts erster  College  an  der  Stadtschule  zu  Lüneburg,  lehrte  daselbst  1516 
zuerst  in  der  Schule  Figuralmusik  ausführen.  Bis  zu  jener  Zeit  kannte  man 
nur  den  gregorianischen  Choralgesang.  So  berichtet  Götze  in  seinen  Eloyiis 
Germanorum  quorund.  Theol.  sec.  XVI  et  X.VII  (Lübeck,  1708).  f 

Haine,  Karl,  tüchtiger  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  2.  Jan.  1830 
zu  Augsburg,  war  der  Sohn  eines  Bühnensängers  und  dadurch  von  der  Wiege 
an  und  seine  ganze  Jugend  hindurch  einem  unsteten  Wanderleben  preisgegeben. 
In  Nürnberg  1835  begann  er  Ciavierspiel  zu  erlernen  und  zwar  mit  solchem 
Erfolge,  dass  er  1838  in  Bremen  bereits  öffentlich  auftreten  konnte.  Ein  Jahr 
später  besuchte  er  zu  Lübeck  fieissig  die  höhere  Schule  und  studirte  in  der 
Musik  weiter,  ebenso  seit  1842  zu  Frankfurt  a.  0.,  wo  die  Familie  drei  Jahre 
blieb.  Während  der  Sommer  unternahm  der  Vater  mit  seinen  drei  Söhnen 
Concertreisen ,  und  H.  sah  auf  diese  Weise  die  Mark  Brandenburg,  Pommern, 
Mecklenburg,  Schleswig-Holstein,  Jütland,  Hannover  u.  s.  w.  Mit  16  Jahren 
wurde  er  als  Musikdirektor  bei  einer  Wandertruppe  in  Westphalen  engagirt, 
bei  welcher  die  Eltern  schauspielerisch  fungirten,  bis  er  1847  in  das  Theater- 
orchester zu  Mainz  trat.  Doch  bald  folgte  er  seinem  Vater  nach  Hanau  und 
Worms,  wo  er  unter  den  Stürmen  des  Jahres  1848  seine  ganze  Familie  durch 
Ertheilung  von  Musikunterricht,  Notenschreiben  u.  s.  w.  erhalten  musste.  Von 
1849  bis  1851  lebte  er  als  Musiklehrer  in  dem  rheinischen  Städtchen  Bocholt, 
war  dann  Musikdirektor  am  Theater  zu  Aurich  und  Emden  und  folgte  endlich 
im  Mai  1852  einem  Kufe  als  Domorganist  zurück  nach  Worms,  welche  Stelle 
er  1866  aufgab  und  dafür  1868  die  als  Dirigent  und  Organist  an  der  israe- 
litischen    Synagoge    zu    Worms     annahm.      Im     J.    1872     gründete     er     einen 


494  Hainhofer  —  Haitzingei-, 

Orchesterverein,  mit  dem  er  regelmässige,  sehr  bemerkenswerthe  Concerte  ver- 
anstaltet, wie  er  denn  auch  als  geschätzter  Musiklehrer  einen  vorth eilhaften 
Einfluss  auf  das  Kunstleben  von  "Worms  ausübt.  Von  seinen  Compositionen, 
unter  denen  sich  uugedruckt  eine  dreiaktige  Oper,  »Der  Graf  von  Burgund«, 
eine  Operette  und  ein  Clavierconcert  befinden,  sind  einige  50  Nummern,  be- 
stehend in  Cluvierstiicken  verschiedener  Art,  ein-  und  mehrstimmigen  Liedern 
und  Gesängen,  veröffentlicht  worden.  Dieselben  haben  in  der  Berliner  Musik- 
zeitung »Echo«,  Jahrg.  1873,  eine  glänzende  ßecension  erfahren,  und  ebenso 
haben  sich  schon  früher  Lortzing,  Reissiger,  Liszt  u.  A.  höchst  anerkennend 
über  H.'s  Compositionstalent  auegesprochen. 

Haiühofer  oder  Hauuhofer,  Philipp,  ein  reicher  Musikdilettant,  der  im 
16.  Jahrhundert  zu  Augsburg  lebte  und  nach  von  Stetten's  Bericht  die  Laute 
vorzüglich  spielte  und  für  dieselbe  componirte.  Uffenbach  fand  in  der  Bibliothek 
zu  Wolfenbüttel  einen  beinahe  handbreiten  Folianten,  eine  Sammlung  deutscher 
Lieder  enthaltend,  deren  Titel  lautete:  »Vierter  Theil  Philip  Haunhoferi  Lauten- 
Bücher,  darinnen  unterschiedliche  teutsche  Dänze  mit  ihren  darunter  geschrie- 
benen Texten,  laut  folgenden  B,egister  Folio  3  zu  finden  sein.«  In  diesem 
Folianten  waren  vortreflliche  Kupferstiche  von  Lucas  von  Leyden,  Münsterer, 
Dürer  u.  A.  eingeklebt.  Wahrscheinlich  hatte  mehr  diesen  als  seinem  sonstigen 
Inhalte  der  Foliant  seine  Erhaltung  zu  danken.  Vgl.  Uffenbach's  Reisebericht 
Band  I  S.  367.  f 

Uaiul,  Georges  Frangois,  einer  der  kenntnissreichsten  und  vorzüg- 
lichsten französischen  Dirigenten  der  Neuzeit,  geboren  am  19.  Novbr.  1807  zu 
Issoire  im  Departement  Puy-de-Dome,  wurde  in  seiner  Jugend  auf  dem  Violon- 
cello unterrichtet  und  zu  seiner  vollständigen  Ausbildung  auf  diesem  Instru- 
mente 1829  auf  das  Pariser  Conservatorium  gebracht,  wo  er  Norblin's  Schüler 
wurde.  Durch  Talent  und  Fleiss  brachte  er  es  dahin,  dass  er  schon  1830  den 
ersten  Preis  im  Violoncellospiel  davontrug  und  sich  bald  darauf  auf  Concert- 
reisen  in  die  französischen  Provinzen  begeben  konnte.  Dem  Virtuosenleben 
entriss  ihn  1840  die  Anstellung  als  erster  Orchesterchef  am  Grossen  Theater 
in  Lyon,  welches  Amt  er  mit  solcher  Auszeichnung  versah,  dass,  als  1862  die 
Besetzung  der  ersten  Dirigentenstelle  an  der  Grossen  Oper  zu  Paris  in  Frage 
kam,  die  Wahl  einhellig  auf  ihn  fiel.  Er  nahm  den  ehrenvollen  Posten  zum 
Bedauern  des  kunstsinnigen  Lyon  an  und  vereinigte  damit  seit  1863  auch  die 
Direktion  der  Conservatoriumsconcerte.  Auf  der  Höhe  eines  wohlverdienten 
Ruhmes  stehend,  erlag  er  am  5.  Juni  1873  einem  Schlaganfalle  zu  Pai-is. 
Verschiedene  Compositionen  von  ihm  für  Violoncello  sind  in  früherer  Zeit  im 
Druck  erschienen  und  auch  schriftstellerisch  ist  er  aufgetreten  mit  dem  Buche 
»Z)e  la  musique  ä  Lyon  depuis  1713  jusqu'en  1852  etc.«.  (Lyon,  1852). 

Haiuleiu,  s.  Heinlein. 

Uainzmaun,  Johann  Christoph,  musikkundiger  Doctor  der  Medicin, 
war  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Medicinalassessor  zu  Augsburg 
und  veröffentlichte:  »Die  himmlische  Nachtigall,  singend  gottselige  Begierden 
der  büssenden,  heiligen  und  verliebten  Seele,  nach  den  drey  Wegen  der  Reini- 
gung, Erleuchtung  und  Vereinigung  mit  Gott  in  hochdeutscher  Sprache  ver- 
fasst,  auch  mit  newen  Kupferstichen  und  anmuthigen  Singweisen  geziert  durch 
J.  Chr.  Hainzmann«  (Editio  correctior.  Augsburg,  1690).  Name  und  Werk 
fehlen  in  den  bisherigen  Wörterbüchern,  sogar  bei  Gerber  und  bei  Fetis. 

Haitziu^er,  Anton,  berühmter  deutscher  Tenorsänger,  geboren  1796  zu 
Wilfersdorf  in  Oesterreich,  wurde  von  seinem  Vater,  einem  Schullehrer,  in  den 
Elementen  des  Gesanges  und  Ciavierspiels  unterrichtet  und  zog  schon  als 
zwöKjähriger  Knabe,  wo  er  in  der  Kirche  sang,  durch  seine  schöne  Stimme 
die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Nachdem  er  sich  auf  der  Schule  zu  Kronenburg 
dem  Schulfache  gewidmet  hatte  und  als  Lehrer  zu  Wien  angestellt  worden 
war,  fuhr  er  fort,  Musikstudien  zu  treiben  und  als  Sänger  in  Concerten  mit- 
zuwirken,   bis  der  Graf  von  Palffy  ihn    für  das  Theater  an  der  Wien  gowann 


Hakart  —  Halbe  Orgel.  495 

und  ihn  bewog,  1821  die  Bühne  zu  betreten  und  sich  unter  Salieri's  Leitung 
definitiv  für  den  dramatischen  Gesang  auszubilden.  In  "Wien  und  überall,  wo 
er  auf  seinen  vielen  Kunst-  und  Gastspielreisen  auftrat,  so  in  Prag,  Pressburg, 
Frankfurt  a.  M.,  Stuttgart,  Mannheim,  Karlsruhe  u.  s.  w.,  machte  er  durch 
seinen  herrlichen  Gesang  Epoche;  selbst  in  den  Jahren  1828 — 1830  in  Paris, 
wo  er  neben  der  Schröder -Devrient  und  anderen  Grössen  unter  ßöckel's  und 
Fischer's  Direktion  sang,  1831  —  1832  in  London  und  1835  in  St.  Petersburg, 
so  dass  er  hauptsächlich  dazu  beitrug,  der  deutschen  Gesangskunst  neben  der 
italienischen  auch  im  Auslande  die  ihr  gebührende  Anerkennung  zu  verschaffen. 
Seit  1828  war  er  in  Karlsruhe  engagirt,  und  seine  Anstellung  daselbst  wurde 
im  Laufe  der  Zeit  in  eine  lebenslängliche  verwandelt.  Als  seit  1850  pensio- 
nirter  grossherzogl.  Hofopernsänger  und  Gesanglehrer  starb  er  am  31.  Decbr. 
1869  zu  Karlsruhe.  Seine  Stimme  war  bis  in  das  Alter  hinein  kräftig,  wohl- 
klingend, umfangreich  und  biegsam  und  sein  Vortrag  voll  Feuer  und  Leiden- 
schaft. In  Bezug  auf  die  Kunst  der  Darstellung  hielt  er  jedoch  nicht  gleichen 
Schritt  mit  seiner  Ausbildung  als  Sänger.  —  Verheirathet  war  H.  mit  der 
berühmten  grossherzogl.  baden'schen  Hofschauspielerin  Amalie  Neumann  ge- 
borene Morstadt,  geboren  1800  in  Karlsruhe. 

Hakart,  Carolo,  oder  Hacquart,  geboren  um  1649  zu  Huy,  gestorben 
1730  in  Holland,  war  Violdigambist  und  Componist  und  gab  nach  B,oger's 
Katalog:  Präludien,  Allemanden,  Couranten  etc.  für  die  Yioladigamba  und 
Basso  cont.;  Motetti  a  3,  4  e  5  voci  con  Stromenti  und  X  Sonates  pour  2 
Yioladiganibes  et  Basse  heraus.  f 

Hake,  Hans,  deutscher  Instrumentalcomponist,  war  um  die  Mitte  des  17. 
Jahrhunderts  Violinist  und  Stadtmusicus  zu  Stade  und  veröffentlichte  von 
seiner  Composition  Pavanen,  Balletten,  Couranten  und  Sarabanden  auf  2  Viol. 
und  Bass  (1.  Theil,  Hamburg,  1648;  2.  Theil  für  2,  3,  4,  5  bis  8  Instrumente 
mit  Basso  cant.,  1654).  f 

Hakenberger,  Andreas,  oder  Hackenberger,  einer  der  besseren  Kirchen- 
componisten  des  17.  Jahrhunderts,  war  bis  etwa  1620  Musikdirektor  an  der 
Marienkirche  zu  Danzig  und  veröffentlichte  von  1612  bis  1619  verschiedene 
Werke  in  Leipzig,  darunter  Motetten  zu  6  bis  12  Stimmen;  ferner:  -aSacri 
modulorum  eoncentus«  zu  acht  Stimmen  (Stettin,  1615;  2.  Aufl.  Frankfurt  a.  0., 
1616;  3.  Aufl.  Wittenberg,  1619). 

Halb,  Orgelterminus  in  der  Bedeutung  von  l,25metrich  (4-füssig),  als  der 
Hälfte  des  Normalmaasses  2,5  Meter  (8  Fuss).  Halbprincipal  ist  demgemass 
ein  Principal  1,25  Meter. 

Halbcadeuz,  s,  Cadenz,  auch  Tonschluss  (unvollkommener). 

Halbe,  Johann  August,  deutscher  Sänger  und  Componist,  geboren  zu 
Budissin  im  J.  1755,  widmete  sich  dem  Theater  und  hat  sich  gegen  Ende  des 
Jahrhunderts  durch  die  Musik  zu  den  Operetten:  »Die  Liebe  auf  der  Probe«, 
»Der  Bassa  von  Tunis«,  »Die  zwei  Geizigen«,  sowie  durch  Arien  zu  »Lottchen 
am  Hofe«  vortheilhaft  bekannt  gemacht.  f 

Halbe  Applicatur,  s.  Mezza  manica. 

HalbeHig'  ist  ein  veralteter  Ausdruck  in  der  Fachsprache  der  Orgelbauer, 
der  durch  einfüssig  und  jetzt  durch  0,3 me trieb  verdrängt  ist.  2. 

Halbe  Note  (latein.:  Minima)  ist  die  Zweiviertelnote:  I,  s.  Noten- 
schrift. 

Halbe  Orgel  ist  ein  in  der  Gegenwart  seltener  gebrauchter  Fachausdruck, 
der  mit  der  Zeit  wohl  gänzlich  sich  verlieren  wird,  da  derselbe  durchaus  keine 
übereinstimmende  Auffassung  des  Begriffes  gestattet.  Man  bezeichnet  hiermit 
ein  nicht  umfangreiches  Werk  mit  Pedal,  das  mehrere  Manuale  hat  und  im 
Hauptmanuale  (s.d.)  als  gi'össtes  Principal  (s.d.)  ein  2,5  metriches  führt, 
da  man  annimmt,  dass  eine  ganze  Orgel  in  diesem  Manuale  ein  5 metriches 
])eBitzen  muss.  Nach  dieser  Ansicht  spricht  man  auch  von  einer  viertel 
Orgel,  wenn  nämlich  im  Hauptmauuale  nur  ein   1,25  metriches  Principal  steht. 


496  Halbe  Parallelen  —  Halber  Ton. 

Da  jedoch  die  Disposition  einer  Orgel  durchaus  von  den  Anschauungen  des 
Erbauers  abhängig  ist  und  jedes  Werk  in  sich  abgeschlossen,  ganz,  sein  muss, 
so  hat  in  der  That  die  Bezeichnungsweise  h.  0.  keine  sichere  Basis  zu  ihrem 
Verständniss,  weshalb  zu  rathen  wäre,  diesen  Fachausdruck  endlich  einmal  ganz 
ausser  G-ebrauch  zu  setzen.  2. 

Halbe  Parallelen  nennt  der  Orgelbauer  solche  Parallelen  (s.  d.),  die  zu 
halben   Stimmen  (s.  d.)  erforderlich  sind.  2. 

Halbe  Pause  (latein.:  suspirium)  ist  die  Pause  der  Minima  oder  Zwei- 
viertelnote.    S.  Notenschrift. 

Halber  Kreis  oder  Halbzirkel,  CS  ist  in  der  Mensuralnotenschrift  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts  das  Zeichen  des  Tempus  imperfectiim,  der  durch  zwei 
Semihreves  gemessenen  Brevis.  Ein  hineingesetzter  Punkt  {;],  die  Prolatio 
(major,  perfecta)  zeigt  an,  dass  im  Tempus  imperfectum  die  Semihrevis  perfect, 
d.  h.  durch  drei  Minimae  zu  messen  sei.  Ist  der  Halbkreis  senkrecht  durch- 
strichen, (C,  oder  nach  links  offen,  O,  oder  nach  rechts  offen,  aber  mit  einem 
Bruche  daneben,  dessen  Zähler  den  Nenner  zweimal  enthält,  Q^fi,  oder  statt 
dessen  mit  der  Zahl  2,  62,  so  ist  die  Bewegung  doppelt  schnell.  Der  links 
offene  oder  der  nach  rechts  offene  aber  durchstrichene  Halbkreis  mit  dem 
Bruche  */i ,  also  O'^/i  oder  (CY^j  oder  der  rechts  offene  mit  dem  Bruche  ^ji, 
C*/i,  desgleichen  der  nach  links  offene  durchstrichene,  ;D,  zeigen  Yervierfachung 
der  Schnelligkeit  an.  S.  Mensuralnotenschrift.  —  In  unserer  modernen 
abendländischen  Musik  zeigt  dieser  Halbkreis,  etwas  umgestaltet,  dem  latei- 
nischen Versalbuchstaben  C  ähnlich,  C  (einfaches,  schlechtes  C,  französ.:  O.  simple), 
den  Viervierteltakt,  durchstrichen,  (ß  (französ.:  G  harre,  coupe,  faule,  tranche; 
ital.:  C  tagliato)  den  Allabrevetakt  an.  Er  kommt  nur  noch  in  diesen  beiden 
Gestalten  vor;  die  übrigen  sind  ausser  Q-ebrauch,  da  wir  keine  Prolatio  und 
Diminutio  mehr  haben. 

Halber  Schlag:,  die  Hälfte  des  Zweihalbetaktes,  die  halbe  Note  oder  Pause. 

Halber  Tou,  Halb  ton  oder  S  emiton  (griech.:  r,iiirövtot)  nennt  man  in 
der  siebenstufigen  Tonleiter  das  kleinste  in  Gebrauch  befindliche  Intervall,  das 
durch  die  Entfernung  der  grossen  Terz  von  der  reinen  Quarte  gebildet  wird. 
Den  Pythagoräern  zufolge  gab  es  zwei  verhältige  Halbtöne,  den  kleinen  im 
Verhältniss  256:243,  Diesis  (s.  d.)  genannt,  und  den  grossen  im  Ver- 
hältniss  2187:2048,  Apotome  (s.  d.)  geheissen.  Beide  addirt  geben  den 
grossen  Ganzton: 

256:243+      2187:       2048 
256  243 


13122 

6144 

10935 

8192 

4374 

4096 

559872 

:  497664 

8)  69984 

62208 

8)  8748 

7776 

4)   2187 

1944 

9)   243 

216 

9)    27 

24 

3)     9 

:     8 

Unverhältige  Halbtöne  finden  wir  bei  den  Griechen  vier  festgestellt,  nämlich 
in  den  Verhältnissen  28:27,  10:15,  21:20  und  12:11,  die  durch  die  Er- 
findung der  verschiedenen  Tetrachordschattirungen  von  Archytas,  Didymos  und 
Ptolemäos  empfohlen  wurden.  —  Die  abendländische  Kunst  kennt,  wie  gesagt, 
den  H.  als  kleinstes  Intervall,  indem  sie  denselben  als  nur  noch  mit  dem  Ohre 
genau  erkennbar    und    mit    der  Menschenstinime    bequem  darstellbar  erachtete. 


Halbes  Cornet  —  Halbfünfton,  497 

Diese  ursprüngliclie  Auffassung  bewirkte  auch,  dass  man  in  der  Notenschrift 
nur  diese  als  kleinste  Stufe  darzustellen  sich  befleissigte,  und  bis  heute  ist 
diese  Darstellung  für  die  Praxis  ausreichend  gewesen,  trotzdem  die  Theoretiker 
der  Halbtöne  mehrere  zu  unterscheiden,  sich  bemühen.  Sie  nehmen  ebenfalls 
zwei  Arten  von  Halbtönen  an:  den  grossen  oder  diatonischen,  der  der 
Untex'schied  zwischen  unserer  grossen  Terz  (5 : 4)  und  der  reinen  Quarte  (4 :  3) 
ist  und  folglich  durch  das  Verhältniss  16:15  ausgedrückt  werden  muss,  und 
den  kleinen  oder  chromatischen  H.,  den  Unterschied  zwischen  der  grossen 
und  kleinen  Terz,  5  :  4  —  6  :  5  =  25  :  24.  Diese  beiden  Halbtöne  addirt,  geben 
den  kleinen  Ganzton  10:9,  während  der  grosse  Ganzton  aus  dem  kleinen 
Halbton  25:24  und  dem  theoretischen  Intervall  27:25,  dem  grossen  Limma 
(s.  d.),  entsteht.  Die  Theoretiker  der  Neuzeit  sind  nach  der  Einführung  der 
chromatischen  Scalastufen  in  den  Gebrauch  in  ihrer  Feststellung  der  einzelnen 
Halbtöne  in  der  Octave,  indem  sie  die  Eigenheit  des  menschlichen  Ohres: 
kleine  Tonhöhen  nicht  scharf  unterscheiden  zu  können,  die  Anforderung  der 
abendländischen  Harmonie  und  die  Mittel  der  mathematischen  Klanglehre  in 
gleiche  Erwägung  zogen,  oft  sehr  verschiedene  Wege  gegangen,  um  zu  klanglich 
ziemlich  gleichen  Zielen  zu  gelangen.  "Wir  verweisen  in  dieser  Beziehung  auf 
Fr.  Wilh.  Marpurg's  »Versuch  über  die  musikalische  Temperatur«  (Breslau, 
1776),  sowie  auf  die  »Theorie  der  Musik«  des  berühmten  Philosophen  K.  Chr. 
Fr.  Krause  S.  57,  wo  derselbe  lehrt,  wie  man  mit  Hilfe  des  kleinen  H.,  25  :  24, 
vermittelst  Addition  (s.  d.)  und  Subtraktion  (s.  d.)  alle  chromatischen 
Stufen  der  diatonischen  Scala  erhält;  ferner  auf  W.  Oppelt's  »Akustik«  und 
»die  Lehre  von  den  Tonempfindungeii«  von  H.  Helmholtz  S.  408  bis  442. 
Auf  die  Praxis  hat  die  theoretische  Feststellung  der  modernen  Scala  nur  ge- 
ringe Einwirkung  ausgeübt,  denn  der  Musiker  von  Fach  fühlt  wohl  hie  und 
da  ein  Zeitforderniss  sich  kenntlich  machen,  wird  jedoch  mit  der  längst  schon 
aufgestellten  Regel  in  Bezug  auf  die  beiden  verschiedenen  Halbtöne  zufrieden- 
gestellt: beide  Halbtöne  unterscheiden  sich  bei  der  Aufzeichnung.  Der  grösste 
Unterschied  von  einer  Stufe  zur  andern  ist,  wenn  die  Einzelntöne  nach  ver- 
schiedenen Grundtönen  verzeichnet  werden,  z.  B.  von  c—des  oder  gis  —  a]  einen 
kleinen  H.  bilden  zwei  derselben  Stufe  angehörige  Töne,  zwischen  denen  sich 
in  unserm  System  kein  Mittelton  befindet,  z.  B.  c  —  cis  oder  as  —  a.  Er  be- 
fleissigt  sich  der  Schi-eibweise  entsprechend,  seine  Intonation  (s.  d.)  dem 
Intervalle  zu  geben.  Wie  die  geringe  Einwirkung  der  modernen  theoretischen 
Scalafeststellung  sich  zeitlich  *in  der  Kunst  selbst  kenntlich  macht,  ist  in  dem 
Artikel  r>Semitonium  modia  (s.  d.)  erläutert.  Hier  machen  wir  nur  auf  die 
erste  uns  in  dieser  Beziehung  bekannt  gewordene  Bemerkung  des  verdienst- 
vollen Gelehrten  H.  Helmholtz  in  seiner  »Lehre  von  den  Tonempfindungen« 
S.  438  aufmerksam.  —  Es  mag  hier  auch  noch  die  verbreitete  Annahme  eine 
Stelle  finden,  dass  neun  Comma  (s.  d.)  des  Didymus  oder  neun  syntonische 
Comma's;^  81:80,  einen  grossen  Ganzton  geben,  sowie  dass  fünf  dieser  Inter- 
valle einen  grossen  H.  und  vier  derselben  einen  kleinen  H.  ausmachen.  In  der 
That  ist  aber  das  gefundene  Intervall  stets  etwas  grösser.  2. 

Halbes  Coruet  oder  Discant-Cornet  nennt  man  eine  Cornet-  (s.  d.) 
Stimme  der  Orgel,  welche  nur  der  obern  Hälfte  eines  Manuals  einvei-leibt  ist. 
S.  halbe  Stimme. 

Halbe  Stimme  oder  halbes  Register  nennt  man  eine  solche  Orgelstimme, 
die  nur  für  die  obere  oder  untere  Hälfte  des  Tonreichs  derselben  disponirt  ist. 
Solcher  Art  sind  die  Fagott  (s.  d.),  Cornett  (s.  d.),  Vox  humana  (s.  d.), 
Oboi  (s.  d.)  u.  s.  w.  benannten  Stimmen,  da  deren  Toncharakter  allgemein  nur 
in  einer  Tonregion  bekannt  ist.  2. 

Halbfüuftou,  in  der  griechischen  nlathematischen  Tonlehre  gebräuchlich 
gewesene  Bezeichnung,  welche  der  Benennung  »grosse  Sexte«  entspricht.  Ebenso 
ist    Halbsechston    =   grosse   Septime,    Hall)ton    in    der    Achte    =    kleine 

Muaikal.  Convers. -Lexikon.     rV.  3-' 


498  Halbgedeckte  Stimme  —  Halbzirkel. 

None,  Halbzweiton  =  kleine  Terz  und  Halbzweiton  in  der  Achte  = 
kleine  Decime.  2. 

Halbgedeckte  Stimme  nennt  man  in  der  Orgel  ein  Register,  dessen  Pfeifen 
entweder  nach  oben  hin  sich  verengend  gebaut,  oder  am  Ende  mit  einem  Deckel, 
der  in  der  Mitte  eine  kleine  Oeffnung  mit  einem  Köhrchen  hat,  versehen  sind. 
Oft  befinden  sich  unterhalb  des  Deckels  in  der  Schallröhre  auch  eine  oder 
mehrere  Oeflnungen.  Von  ersterer  Art  sind  die  Pfeifen  des  Gemshorns 
(s.  d.),  der  Spitz-,  Spill-  und  Blockflöte  (s.  d.)  u.  A.  und  letztere  Bauart 
erhalten  alle  Schallröhren  der  Kohr flöte  (s,  d.).  Die  Tonhöhe  der  Pfeife 
bei  einer  h.  St.  entspricht  nicht  dem  gesetzlichen  Maasse,  sondern  die  Länge 
derselben  moderirt  .sich  nach  Gestaltung  des  Conus,  der  Grösse  der  Deckel- 
öffnuug,  der  Röhrenlänge,  sowie  auch  nach  der  Grösse  und  Lage  der  Löcher 
in  der  Schallröhre;  ebenso  ist  die  Tonfarbe  des  Registers  durch  diese  Eigen- 
heiten bedingt.  Natürlich  erhalten  die  Pfeifen  einer  h.  St.  in  sich  eine 
proportioneile  Bauart,  um  so  deren  Tonhöhe  bestimmen  zu  können,  sowie 
deren  gleiche  Klangzeugung  zu  bewirken;  ebenso  ertheilt  man  ihnen  einen 
grösseren  Aufschnitt  (s.  d.)  und  eine  breitere  Spalte  (s.  d.)  als  den  offenen 
Pfeifen.  2. 

Halbiustriunent  ist  ein  erst  seit  1843  in  Gebrauch  gekommener  Kunst- 
ausdruck für  die  nach  altem  Muster  eng  mensurirten  Blechblaseinstrumente  im 
Gegensatze  zu  den  neuer  construirten,  Ganzinstrumente  (s.  d.)  genannten. 
Die  Stärke  der  konischen  Schallröhrenerweiterung  zwischen  Mundstück  und 
Schallbecher,  in  der,  wie  angedeutet,  der  Unterschied  beider  Instrumentgattungen 
ruht,  ist  bei  diesen  Tonwerkzeugen,  nimmt  man  den  Böhrendurchmesser  dicht 
hinter  dem  Mundstück  als  Einheit  an  und  die  grösste  Weite  dicht  vor  dem 
gekrümmten  Schallbecher  als  letzte  Schallröhrengrösse  (das  Verhältniss  der 
Röhreuweiten  in  Zahlen  dargestellt),  bei  den  H.  höchstens  wie  1 : 4  oder  1 :  8, 
während  dasselbe  bei  Ganzinstrumenten  wie  1 :  10  bis  1 :  20  und  weiter  geht. 
Vgl.  Schafhäutl's  Bericht  über  die  Musikinstrumente  auf  der  Industrieaus- 
stellung zu  München,   S.  170.  2. 

Halbirte  Wiudlade  nennt  der  Orgelbauer  eine  aus  zwei  nebeneinander  be- 
findlichen Abtheilungen  gebaute  Windlade  (s.  d.).  2. 

Halbmond,  türkischer  Halbmond  oder  Schellenbaum  ist  die  Be- 
zeichnung eines  Klinginstrumeutes  der  Militär-  und  speciell  der  .Tanitscharen- 
musik.  Dasselbe  ist  halbmondförmig  aus  Messingblech  gearbeitet  und  an  den 
beiden  Hörnern  mit  Rossschweifen  aufgeputzt.  *An  der  unteren  Kante  des 
Halbmondes  hängen  viele  Glöckchen,  welche  ein  kindisches  Geklingel  von  sich 
geben,  sobald  der  Träger  die  Stange,  worauf  das  Instrument  hoch  getragen 
wird,  schüttelt.  In  den  deutschen  Armeen  befindet  sich  der  H,  als  eine  Art 
von  Auszeichnung  nur  bei  den  Regimentsmusikcorps. 

Halbpriucipal  nannte  mau  früher  ein  1,25  metriges  Principal  (s.  d.), 
indem  man  es  damit  als  nur  halb  so  gross  gebaut,  wie  das  gewöhnliche,  be- 
zeichnen wollte.  Dieser  Benennungsweise  begegnet  man  öfter  in  der  Fach- 
sprache der  Orgelbauer  (s.  halbe  Orgel);  dieselbe  wird  jedoch  in  neuerer 
Zeit  nicht  mehr  gepflegt  und  überhaupt  nur  deswegen  noch  angeführt,  um  sie, 
wo  sie  in  älteren  Werken  vorkommt,  recht  zu  verstehen.  2. 

llalbricht-MetaH,  s.  Orgelmetall. 

Halbschluss  oder  Halbcadenz,  s.  Cadenz,  auch  Tonschluss  (unvoll- 
kommener). 

Halbsoprau,  s.  Mezzosopran. 

HalbYiolon,  der  deutsche  Bass  (s.  d,). 

Halbwerk,  älterer  Fachausdruck  in  der  Orgelbauersprache,  bezeichnet  ein 
Werk  mit  Principal  2,b  und  Octav  1,25  Meter  im  Hauptmanual.  Es  wird  auch 
Aequal-Principalwerk  genannt.     S.  Halbe  Orgel. 

Halhzirkel  ist  zunächst  identisch  mit  Halbkreis  (s.  d.).  In  der  mo- 
dernen TonsDrocho  bezeichnet  dieser  Ausdruck  fiii<-  iniB  vier  geschwinden  Tönen 


ö' 


Haie  —  Halevy.  499 

von  gleicher  Geltung  besteheude  Figur,  in  welcher  der  zweite  und  vierte  Ton, 
sowohl  im  Auf-  als  Absteigen,  wie  bei  a  und  ö,  derselbe  ist.  Zwoi  solche  H., 
wie  bei  <?,  werden  zuweilen  auch  ganzer   Zirkel  genannt: 


Haie,  s.  Adam  de  la  Haie. 

Haies,  Stephan,  berühmter  englischer  Gelehrter,  geboren  am  7.  Septbr. 
1677  zu  Beckeburn  in  der  Grafschaft  Kent  und  gestorben  als  Dr.  der  Theo- 
logie und  Naturforscher  am  4.  Jan,  1761,  schrieb  u.  A.:  y>Sonormn  cloctrina 
rationalis  et  experimentalis  etc.a-  (London,  1742),  ein  Werk,  das  aus  Newton's 
und  Anderer  Schriften  alles  die  Akustik  Betreffende  vereint  und  vorher 
eine  Untersuchung  über  die  Luft  und  die  Veränderungen  der  Atmosphäre 
bietet,  f 

Halevy,  Jacques  Elie  Fromental,  einer  der  ausgezeichnetsten  franzö- 
sischen Componisten  und  Lehrer  der  Tonkunst  der  neuesten  Zeit,  wurde  am 
27.  Mai  1799  zu  Paris  von  israelitischen  Eltern  geboren  und  empfing,  da  er 
schon  sehr  frühzeitig  ein  hervorragendes  musikalisches  Talent  zeigte,  einen 
guten  Gesang-  und  Pianoforteunterricht.  Zu  seiner  allseitigen  musikalischen 
Ausbildung  wurde  er  in  seinem  zehnten  Jahre  in  das  Pariser  Conservatorium 
gebracht,  wo  er,  zunächst  unter  Cazot's  und  Lamberts  Leitung,  gute  Port- 
schritte machte.  Bei  Berton  studirte  er  Harmonielehre  und  endlich  unter 
Cherubini,  zu  dessen  Lieblingsschüler  er  sich  emporschwang,  fünf  Jahre  lang 
Composition  und  Contrapunkt.  Eine  Cantate,  »Herminie«,  brachte  ihm  1819 
den  grossen  Compositionspreis  und  das  damit  verbundene  Staatsstipendium  ein, 
mit  dem  ausgerüstet,  er  sich  1820  auf  die  vorschriftsmässige  Studienreise  nach 
Italien  begab  und  sich  namentlich  in  Pom  unter  Baini's  Leitung  ernst  und 
anhaltend  mit  dem  Studium  der  altitalienischen  Musik  beschäftigte.  Ein  Jahr 
lang  (1822  bis  1823)  lebte  er  in  Wien,  wo  er  Beethoven's  Bekanntschaft 
machte  und  eine  Ouvertüre  seiner  Composition,  deren  Form  man  aber  veraltet 
fand,  zur  Aufführung  brachte  und  kehrte  dann  nach  Paris  zvirück,  um  sein 
Heil  als  dramatischer  Componist  zu  versuchen.  Schwer  genug  wurde  es  ihm, 
auf  der  Opernbühne  festen  Fuss  zu  fassen.  Schon  vor  seiner  italienischen 
Reise  hatte  er  eine  Oper,  »Zes  BoJiemiennesa ,  (1820)  componirt,  allein  weder 
diese  noch  die  folgenden  Opern  y>Fi/gmalion<i  (1824)  und  »Zes  deua;  pavillons«. 
vermochte  er  zur  Aufführung  zu  bringen.  Endlich,  1827,  gelang  es  ihm  mit 
der  einaktigen  komischen  Oper  y>L^artisana,  die  im  Theater  Feydeau  zu  Paris 
in  Scene  ging,  aber  nur  geringen  Erfolg  hatte.  Hierauf  folgte  die  mit  Piffaut 
zum  Geburtstage  Karls  X.  componirte  Oper  y>Le  roi  et  le  hotelier«  und  1829 
y)Olark,  die  auf  dem  italienischen  Operntheater  aufgeführt  wurde  und  durch  die 
unvergleichliche  Malibran  über  Wasser  gehalten  wurde.  Noch  mehr  Glück 
machte  in  demselben  Jahre  die  kleine  komische  Oper  »Le  dilettanie  (V Ävignonf. 
im  Theater  Feydeau,  deren  Partitur  sogar  der  Verleger  M.  Schlesinger  zur 
grossen  Aufmunterung  für  den  Componisten  ankaufte  und  herausgab.  H.'s 
folgende  Werke:  ein  Ballet  »Marion  Lescautvi  (1830),  die  Balletoper  »La  ten- 
tationv.  (1832)  und  die  Oper  »Yellav.  (1832)  wurden  zwar  angenommen,  aber 
nicht  aufgeführt.  Ein  besseres  Schicksal  hatte  die  Operette  »La  langue  musi- 
caleii,  die  1832  in  Paris  und  deutsch  (»Die  Sprache  des  Herzens«)  im  Königs- 
städter Theater  zu  Berlin  nicht  ohne  Erfolg  gegeben  wurde.  Noch  mehr  gefiel 
die  kleine  einaktige  Oper  »Les  Souvenirs  de  Laßeura,  die  1833  zuerst  in 
Scene  ging  und  überaus  graziös  und  anmuthig  befunden  wurde.  Nach  dem 
Tode  Herold's  erhielt  H.  den  Auftrag,  die  von  jenem  Componisten  unvollendet 
hinterlassene  Oper  »Ludoviea  zu  Ende  zu  bringen,  ein  Auftrag,  dessen  er 
sich     so     geschickt     entledigte,     dass    der    Erfolg    des    Werkes    seit     1834     in 

32* 


500  HaMvy. 

Frankreich  und  auch  in  Deutschland  seinen  wirksamen  Einschaltungen  zuzu- 
schreiben ist. 

Nunmehr  erwartete  man  von  H.  eine  bedeutende,  grossartige  Leistung, 
und  in  der  That  trat  er  durch  sein  nächstes  grosses  Werk  in  die  glänzende 
Reihe  der  modernen  Operncomponisten  ersten  Ranges  ein.  Dies  epochemachende 
Werk,  welches  noch  jetzt,  nach  40  Jahren,  zum  eisernen  Bestände  jeder 
grösseren  Opernbüline  der  civilisirten  Welt  zählt,  war  »Die  Jüdin«,  Text  von 
Scribe,  die  im  J.  1835  zum  ersten  Male  im  Hause  der  Grossen  Oper  zu  Paris 
erschien.  Diese  Oper  ist  durch  und  durch  von  ausgezeichnet  dramatischer 
Wirkung  und  ein  vollgültiger  Beweis  für  H.'s  seltenes  Compositionstalent. 
Denn  in  ihr  herrscht  eine  dramatische  Gewissenhaftigkeit,  ein  Fleiss  in  der 
technischen  Ausarbeitung,  vor  Allem  eine  Noblesse  und  Einheit  des  Styls,  die 
überraschen  musste.  Zudem  werden  Herzenstöne  von  so  rührender  Innigkeit, 
leidenschaftliche  Rufe  von  so  erschütternder  Wahrheit  laut,  dass  es  schwer  zu 
begreifen  ist,  wie  man  sie  überhören  oder  geringschätzen  kann.  Den  drama- 
tischen Reformen,  welche  Meyerbeer  mit  dem  seltensten  Erfolge  vorgezeichnet, 
hat  sich  kein  anderer  Componist,  unbeschadet  seiner  ausgeprägten  Individualität, 
talentvoller  angeschlossen,  wie  H.  in  seinen  grossen  Opern  seit  der  »Jüdin«. 
—  Schon  das  nächste  Werk  H.'s  war  wieder  ein  Meisterwerk,  nämlich  die 
komische  Oper  nUeclaira  (der  Blitz),  deren  Musik  überaus  gehaltvoll  und  an- 
muthig  ist  und  die  seit  1836  ebenfalls  noch  nicht  ganz  von  den  Repertoiren 
des  In-  und  Auslandes  verschwunden  ist.  Auch  die  folgende  grosse  Oper, 
»Guido  et  Crinevrav,  Text  von  Scribe,  am  5.  März  1838  zuerst  in  der  Pariser 
Grossen  Oper  aufgeführt,  zeigt  den  Componisten  auf  dem  Höhepunkte  seiner 
Kraft  und  seines  Talentes,  nicht  minder  y>Le  sherifa  und  r>Les  treizea  (1839), 
»ie  drapiera  und  y>La  reine  de  Ghyprea  (1840),  »ie  guitarreroa  (1841), 
-nCharles  VI.«.  (1842),  «Xe  lazzaronea  (1843),  »Les  mousquetaires  de  la  reina 
(1846)  und  y>Le  val  d^Ändorrev  (1848).  In  den  ferneren  Opern  tritt  H.'s 
Energie  und  Begabung  mehr  und  mehr  zurück,  und  in  grösserem  Maasse  machen 
sich  die  bis  dahin  verdeckt  gewesenen  Schwächen  geltend.  Diese  Schwächen 
bestehen  in  einer  gewissen  Sprödigkeit  und  Forcirtheit  des  Melodischen,  in 
der  ausgeprägteren  Vorliebe  für  stark  aufgetragene  und  grelle  Farben  und  in 
einer  überwiegenden  Reflexion  und  Manierirtheit,  selbst  unwesentlichen  Situa- 
tionen gegenüber.  In  diese  Periode  fallen  die  Opern  y>Lafee  aux  ro.ies«  (1849), 
y>La  dayne  de  piq^ueii  (1850),  »Za  tempestaii  (1851  für  die  Londoner  königl. 
italienische  Oper),  »Le  juif  erranta  (1852),  »ie  Nahohu.  (1853),  ^ Jaguarita, 
l'Indie7ine<i  (1855),  »  Valentine  d'Auhignea  (1856)  und  »Za  magiciennea  (1858). 
Die  nach  der  letztgenannten  in  Angriff  genommene  grosse  Oper  »JVoe,  ou  le 
delugefi  hat  H.,  durch  die  Kränklichkeit  seiner  letzten  Jahre  bedrückt,  nicht 
mehr  ganz  vollenden  können  und  eine  1844  componirte  Partitur,  r>Le  duc  d^Alheu, 
Text  von  Scribe,  war  von  der  Grossen  Oper  zu  Paris  gegen  ein  Reugeld  von 
30,000  Francs  wieder  zurückgelegt  worden.  Noch  früher,  1831,  hatte  er  in  Ge- 
meinschaft mit  Auber,  Berten,  Berlioz,  Cherubini,  Herold  und  Paer  eine  Oper 
unter  dem  Titel  »Za  marquise  de  Brinvilliers« ,  nach  einem  Text  von  Scribe 
und  Castil-Blaze,  geschrieben. 

H.'s  äusseres  Leben  war  ein  an  Arbeit,  aber  auch  an  Ehren  überaus 
reiches;  dennoch  hat  er  es  zu  einem  bedeutenderen  Vermögen  nicht  zu  bringen 
vermocht  und  von  seinem  Einkommen  aus  verschiedenen  Aemtern,  sowie  von 
den  Einkünften  seiner  Opern  keine  grösseren  Ersparnisse  erübrigt.  Im  J.  1827 
war  er  als  Accompagueur  in  die  italienische  Oper  zu  Paris  eingetreten  und  in 
demselben  Jahre  als  Nachfolger  Daussoigne's  zum  Professor  der  Harmonielehre 
am  Conservatoriuui  ernannt  worden.  Zwei  Jahre  später  erhielt  er  die  Stelle 
als  Gesauglehrer  und  Chordirektor  an  der  Grossen  Oper,  und  1833  wurde  er 
an  Fetis'  Stelle  Professor  der  Composition  am  Conservatorium,  als  welcher  er 
viele  ausgezeichnete  Schüler,  unter  ihnen  die  namhaftesten  zeitgenössischen 
Tondichter  in  Frankreich,    bildete.     Im   J.   1835  wurde    er    zum  Ritter,    1845 


Hall  -  Hallay.  501 

zum  Officier  des  Ordens  der  Ehrenlegion  erhoben,  1836  an  Reicha's  Stelle  in 
die  Pariser  und  1847  als  Ehrenmitglied  in  die  belgische  Akademie  aufge- 
nommen. Der  Herzog  von  Orleans  ernannte  ihn  1840  zum  Direktor  seiner 
Privatmusik  und  drei  Jahre  später  die  Herzogin  von  Orleans  zu  ihrem  Musik- 
direktor. Im  J.  1848  war  er  mit  einem  Mandate  als  Abgeordneter  der  fran- 
zösischen Nationalversammlung  betraut.  Nachdem  er  bereits  1844  zum  Vice- 
präsidenten  der  Pariser  Akademie  der  schönen  Künste  gewählt  worden  war, 
wurde  er  1854  zu  deren  ständigem  Secretär  ernannt,  wozu  ihn  seine  hervor- 
ragende wissenschaftliche  Bildung  und  sein  fein  gebildeter  Geist  ganz  vorzüglich 
befähigten;  seine  im  Institute  abgegebenen  Jahresberichte  sind  oratorische  und 
dialektische  Musterstücke,  und  unter  ihnen  wird  der  am  6.  Octbr.  1855  dem 
Mitgliede  George  Onslow  gewidmete  schöne  Nachruf  einen  Ehrenplatz  be- 
haupten. Ausserdem  aber  ist  H.  auch  als  tüchtiger,  geistvoller  Schriftsteller 
in  verschiedenen  französischen  Journalen  aufgetreten.  Von  einem  hartnäckigen 
Brustleiden  schon  lange  bedrückt,  entschloss  er  sich  endlich  im  "Winter  1861/62, 
an  einem  klimatischen  Kurorte  Heilung  zu  suchen  und  begab  sich  nach  Nizza, 
zu  spät  jedoch;  am  17.  März  1862  erlag  er  daselbst  der  schleichenden  Krankheit. 
Ganz  Erankreich  betrauerte  den  unersetzlichen  Verlust;  mit  ihm  schied  ein 
grosser  Meister  der  Musik,  ein  bewährter,  treuer  Lehrer,  ein  rastlos  fleissiger 
Künstler  und  ein  wahrhaft  edler,  guter  Mensch  aus  dem  Leben.  Einen  warmen 
Nachruf  hielt  ihm  in  der  Jahressitzung  des  Instituts  Beule,  sein  Nachfolger 
im  ständigen  Secretariate  der  Akademie.  —  Ausser  Opern  hat  H.  noch  Scenen 
aus  den  Dramen  des  Aischylos,  eine  Cantate  »Zes  flages  du  Nil'x  auf  die  An- 
wesenheit des  Vicekönigs  Ibrahim  Pascha  von  Aegypten  in  Paris  (1846),  ferner 
eine  Eeihe  religiöser  Tonwerke,  unter  diesen  Gesänge  für  den  israelitischen 
Gottesdienst,  und  viele  Bomanzen  und  Ciaviersachen  componirt.  Endlich  hat 
er  auch  eine  Harmonie-  und  Compositionslehre  verfasst,  die  jedoch  nicht  im 
Druck  erschienen  ist. 

Hall,  Henry,  englischer  kirchlicher  Tonsetzer,  geboren  1655  zu  Neu- 
windsor  als  Sohn  eines  Hauptmanns,  wurde  in  der  königl.  Kapelle  durch  Dr. 
Blow  erzogen,  erhielt  später  die  Organistenstelle  in  Exeter  und  wurde  dai-auf 
Vicarius  zu  Hereford,  als  welcher  er  am  30.  März  1707  starb.  Verschiedene 
von  ihm  componirte,  erhalten  gebliebene  Kirchengesänge  zeugen  für  seine  Com- 
positionstüchtigkeit.  —  Sein  Sohn,  ebenfalls  Henry  H.,  folgte  dem  Vater  als 
Organist  zu  Hereford.     Vgl.  Hawkins,  Hist,  of  music  V.  p.  19  und  20.       f 

Hall,  John,  1529  geboren,  Wundarzt  zu  Maidstone  in  Kent,  machte  sich 
sowohl  durch  Ausübung  seiner  Kunst,  wie  durch  Schriften  und  die  Heraus- 
gabe von  Liedern  mit  Noten  einen  Namen  in  England.  Vgl.  Eloy,  Dict.  de  la 
Med.  und  Granger's  Biogr.  Rist.  Th.  I.  S.  256.  t 

Hall,  Samuel,  ein  scharfsinniger  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  leben- 
der englischer  Gelehrter,  zeigt  in  seiner  Schrift:  ytÄttempt  to  shoio  that  a  taste 
for  the  heaidies  of  nature  and  fine  arts  has  no  inßuence  favourahle  to  morals«. 
den  nachtheiligen  Einfluss  des  Missbrauchs  der  schönen  Künste.  Vgl.  Mem. 
of  the  litt,  and  phil.  Society  of  Manchester  (London,   1785)  Vol.  IL  f 

Hall,  "William,  englischer  Violinvirtuose,  war  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
erster  Violinist  in  der  königl.  Kapelle  zu  London  und  starb  1700  zu  Bichmond. 
Mehrere  Compositionen  von  ihm  sind  gedruckt  erschienen.  Vgl.  Hawkins 
Hist.  of  miisic  V.  p.  19.  t 

Hallali  bezeichnet  in  der  Waidmannssprache  die  letzte  Jagdfanfare  beim  Ver- 
enden des  erlegten  Hirsches.  Von  Haydn  in  den  »Jahreszeitena  und  von  Mehul 
in  der  Ouvertüre  zur  Oper  »X«  chasse  du  jeune  Henrik  ist  dieser  Jagdruf  be- 
nutzt worden. 

Hallay,  Madame  du,  bewunderte  Sängerin  und  Ciavierspielerin  der  fran- 
zösischen Aristokratie,  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  zu 
Paris  und  machte  ihr  Haus  zum  Sammelpunkt  für  die  Notabilitäten  der  Kunst 


502  ]Ialle  -  Hallel. 

und  Wissenschaft,  sowie  füi'  aufstrebende  Talente,  die  sie  durch  ihren  Einfluss 
unterstützte.     Sie  starb  um  1750  zu  Paris. 

Halle;  Johann  Samuel,  deutscher  Grelehrter,  geboren  zu  Bartenstein  in 
Preusseu  im  J.  1730,  gestorben  als  Professor  der  Geschichte  beim  Cadetten- 
corps  zu  Berlin,  schrieb  und  veröffentlichte  ein  Werk:  »Die  Kunst  des  Orgel- 
baues theoretisch  und  praktisch«  nebst  acht  Kupfertafeln  (Brandenburg,  1779). 
Ausserdem  hat  er  auch  eine  deutsche  TJebersetzung  von  Albr.  von  Haller's 
•nElementa  phjsiologiaei.  geliefert.  f 

Uall(3,  Charles,  eigentlich  Karl  Halle  geheissen,  ausgezeichneter  deut- 
scher Pianist  der  Gregenwart,  ward  am  11.  April  1819  zu  Hagen  in  West- 
phaleu  geboren  und  erhielt  von  seinem  Vater,  einem  Organisten  und  Musik- 
direktor, den  ersten  Musikunterricht;  Compositionsstudien  machte  er  seit  1836 
bei  Eink  in  Darmstadt.  Hierauf  begab  er  sich  1840  nach  Paris  und  trat 
daselbst  als  Ciavierspieler  öffentlich  mit  sehr  bedeutendem  Erfolge  auf.  Er 
wusste  neben  Herz,  Chopin,  Kalkbrcnner  u.  s.  w.  um  so  mehr  anzuziehen  und 
für  sich  einzunehmen,  als  er  sich  vorzugsweise  bemühte,  classische  Werke  der 
Pianoforteliteratur,  namentlich  die  Beethoven'schen  Sonaten,  zur  Geltung  zu 
bringen.  Im  J.  1848  ging  er  der  politischen  Stürme  wegen  nach  England, 
das  er  seitdem  nicht  wieder  verlassen  hat.  Zunächst  feierte  er  in  London  als 
Concertspieler  Triumphe  seltener  Art  und  siedelte  1856  nach  Manchester  über, 
wo  er  die  Direktion  einer  Concertgesellschaft  übernahm  und  mit  Geschick  und 
Umsicht  führte.  Weiter  und  weiter  strebend,  errichtete  er  selbst  Kammer- 
musikconcerte,  einen  Musikverein  behufs  Pflege  des  Oratoriums,  einen  Gesang- 
verein u.  s.  w. ,  und  alle  diese  Institute  stehen  noch  jetzt  in  Blüthe.  Dann 
aber  auch  war  und  ist  seine  Thätigkeit  als  Virtuose  in  den  bedeutendsten 
englischen  Städten,  namentlich  während  der  Erühjahrssaison  in  London,  sowie 
als  Musiklehrer  eine  wahrhaft  bewunderungswürdige.  Kein  Wunder,  dass  er 
im  Laufe  der  Zeit  eine  der  einflussreichsten  musikalischen  Persönlichkeiten 
in  Grossbritannien  geworden  ist.  Auch  als  Componist  soll  H.  ebenso  fruchtbar 
wie  gediegen  sein;  von  seinen  Arbeiten  ist  jedoch  nur  sehr  Weniges  durch 
den  Druck  veröffentlicht  worden.  Unbeirrt  durch  die  mannichfachen  Abirrungen 
der  Neuzeit,  ist  er  als  Pianist  stets  bemüht,  die  Classiker  der  Tonkunst  in 
religiös  gewissenhaftem  Cultus,  ohne  Effekthascherei  und  dünkelhaft-egoistische 
sogenannte  Verbesserungen  in  ihrer  Reinheit  und  Ursprünglichkeit  mit  meister- 
haftem Spiele  zu  Gehör  zu  bringen. 

Uallel  (hebräisch:  bbn),  zu  deutsch:  »Er  hat  gelobt  oder  verehi't«,  ist  die 
hebräische  Benennung  der  sechs  Psalmen,  die  mit  dem  113.  beginnen  und  dem 
118.  enden.  Dieselben  wurden  zu  bestimmten  Zeiten  von  den  Priestern  und 
zu  andern  auch  vom  Volke  gesungen.  Von  den  Leviten  wurde  das  H.  an  den 
drei  grossen  Festen,  dem  Passah-,  dem  Wochen-  und  dem  Laubhüttenfeste  aus- 
geführt. Beim  Passahfeste  sangen  sie  es  in  der  Zeit,  in  welcher  die  Opfer- 
lämmer geschlachtet  wurden,  und  da  die  Zahl  derselben  oft  sehr  gross  war, 
so  wiederholten  sie  den  Gesang  je  nach  Bedürfniss.  Am  Wochenfeste  sangen 
die  Leviten  das  H.  im  Vorhofe  des  Tempels  und  am  Laubhüttcufeste  alle  acht 
Tage  hintereinander,  wie  im  Traktat  vom  Laubhüttenfest  in  der  Missna  cap.  4 
§§  1  bis  8  näher  vorgeschrieben  ist;  diese  Schrift  ist  ungefähr  120  v.  Clir. 
aufgezeichnet.  Noch  ist  zu  bemerken,  dass  nach  den  Zeiten  des  Judas  Macca- 
bäus,  also  ungefähr  nach  300  v.  Chr.,  die  Juden  im  Winter  acht  Tage  lang 
das  Fest  der  EiuAveihung  des  Tempels  feierten,  nämlich  vom  20.  bis  27.  Tage 
des  Monats  Kislev,  und  an  jedem  dieser  Tage  die  Leviten  gesetzlich  verpflichtet 
waren,  das  H.  anzustimmen.  Die  feststehende  Tonfolge  zum  H.  wurde  von 
mehreren  Chalil's  (s.  d.),  welche  Instrumente  einzig  zu  diesem  Gesänge  im 
Tempel  gebraucht  wurden,  gegeben,  und  diese  mussten  vorschriftsmässig  hierzu 
wenigstens  zu  zweien  und  höchstens  zu  zwölfen  angewandt  werden.  Vgl.  im 
Uebrigen  noch  die  Mittheilungen  in  Salomon  von  Til's  »Dicht-,  Sing-  und 
Spielkunst«  S.  385  uud  425.  2. 


Hallelujah  —  Halljahr,  503 

Ralleliijah  oder  Alleluja  ist  das  im  Deutschen  und  in  anderen  Landes- 
sprachen gebräuchliche  Wort  für  den  hebräischen  Ausdruck:  <^''"'^bbr|,  welcher 
so  viel  als  »Lobet  den  Herrn«,  latein.:  y>Laudate  deuma  bedeutet.  Derselbe 
zeigt  sich  jetzt  fast  bei  allen  christlichen  Völkern  als  feststehender  Jubelaus- 
druck zum  Schluss  der  Freudenfestgesänge  in  Gebrauch.  Er  findet  sich  ur- 
sprünglich vielfach  in  den  Lobgesängen  der  alten  Hebräer.  Mit  H.  beginnt 
und  schliesst  der  130.  Psalm;  ferner  findet  man  den  Ausdruck  H.  zu  Ende 
einzelner  Hauptabschnitte,  sowie  auch  am  Schlüsse  vieler  Psalmen.  Es  scheint, 
als  ob  dieser  Ausdruck  in  sich  alle  möglichen  Gott  zuwendbaren  Vei4ferr- 
lichungen  concentrirt  bieten  sollte,  und  dem  entsprechend  scheint  auch  die 
musikalische  Ausstattung  desselben  gewesen  zu  sein.  "Wenn  alle  Psalmen  fest 
vorgeschriebene  Tonfolgen  zu  ihrem  Texte  besassen ,  wie  aus  dem  Geiste  der 
hebräischen  Musik  und  dem  Ausführen  der  Psalmen  nur  durch  Leviten,  die 
nach  jahrelangen  Vorstudien  erst  dazu  fähig  wurden,  hervorgeht,  so  scheint 
auch  dem  H.  eine  solche  eigen  gewesen  zu  sein,  die  als  Stereotype  mit  diesem 
Ausdruck  überall  wiederkehrte.  Zu  dieser  Stereotype  gehörte,  wenn  man  die 
verschiedenen  Andeutungen  in  den  Psalmenüberschriften  mit  in  Erwägung 
zieht,  die  Mitwirkung  sämmtlicher  bei  dem  eben  ausgeführten  Gesänge  in  Ge- 
brauch befindlichen  Tonwerkzeuge,  die,  wie  etwa  bei  unsern  Freudenfesten,  wenn 
ein  Hoch  ausgebracht  wird,  mitjubilirten.  AVir  sehen  diesen  Geist  in  ver- 
edelter, unserm  Musikfühlen  entsprechender  Art  noch  heute  jeder  wirkungs- 
vollen Comjjosition  des  H.'s  innewohnen,  was  uns  um  so  weniger  schwer  zu 
bemerken  ist,  als  fast  jeder  hervorragende  Tonsetzer  sich  bisher  befleissigte, 
mindestens  ein  H.  zu  comj)oniren.  Die  Juden,  welche  diesen  Jubelausdruck  in 
der  höchsten  Art  ihres  Fühlens  im  113.  bis  117.  Psalm  besitzen,  nennen  diese 
Psalme  das  grosse  H.  Dasselbe  bildet,  wie  der  Artikel  Hallel  mittheilt,  bei 
den  drei  grössten  Festen  einen  steten  unveräusserlichen  Theil  ihres  Cultus. 
Die  abendländischen  Christen  haben  erst  seit  dem  5.  Jahrhundert  das  H.  als 
wesentlichen  Theil  ihrer  Sonntags-  und  Festgesänge  eingeführt.  Später  unter- 
liess  man  an  den  Sonntagen  in  der  Fastenzeit  das  Singen  desselben,  um  die 
heilige  Trauer  nicht  zu  stören.  Am  Ostertage  jedoch  führte  man,  um  der  un- 
endlichen Freude  über  die  Auferstehung  Christi  Ausdruck  zu  verleihen,  die 
prächtigste  Composition  dieses  Jubelausdrucks  aus.  Wie  erwähnt,  hat  fast  jeder 
hervorragende  Componist  ein  H.  geschrieben,  doch  ist  von  allen  Compositionen 
wohl  die  Händel's,  welche  auf  breiten  harmonischen,  um  einen  Ton  steigenden 
Flächen  in  rhythmischer  Gleichheit,  von  reichen  Instrumentalklängen  umrankt, 
diesen  Jubelruf  hören  lässt,  die  allgemein  hochgeschätzteste  und  verbreitetste 
im  Abendlande,  und  lässt  sich  fast  annehmen,  dass  dem  ursjorünglichen  orien- 
talischen Geiste  in  dieser  Nummer  die  angemessenste  occidentale  Gestaltung 
verliehen  ist.  —  Bemerkt  sei  noch,  dass  in  alten  Kirchengesängen  durch  Weg- 
lassung der  Consonanten  im  Worte  H.  das  Wort  Äevia  (s.  d.)  Eingang  ge- 
funden hat.  2. 

Haller,  Albrecht  von,  einer  der  ausgezeichnetsten  Männer  seiner  Zeit 
und  berühmt  als  Anatom,  Physiolog,  Botaniker,  Arzt  und  Dichter,  geboren  zu 
Bern  am  16.  Octbr.  1708  und  gestorben  als  Mitglied  des  grossen  Baths  zu 
Bern  und  Inhaber  vieler  anderen  hohen  Aemter  am  12.  Decbr.  1777  in  seiner 
Vaterstadt,  ist  als  Verfasser  der  y>Elementa  physiologiae  corporis  hiMnani<.(.  (8  Bde., 
Lausanne,  1757  bis  1766)  auch  musikalisch  zu  bemerken.  Den  Inhalt  dieses 
Werkes  giebt  Forkel  in  seiner  »Literatur  der  Musik«  S.  234  an.  Eine  deutsche 
[Jebersetzung  unter  dem  Titel;  »Anfangsgründe  der  Physiologie  des  mensch- 
lichen Körpers«  (Berlin,  1759  bis  1776)  gab  Johann  Samuel  Halle  heraus. 
Ebenfalls  zum  Theil  in  das  akustische  Fach  schlagen  H.'s  y>Primae  lineae  phy- 
siologiaea  (2.  Aufl.,  Göttingen,   1765).  t 

Halljahr  oder  Jubeljahr  hiess  bei  den  alten  Israeliten  jedes  50.  Jahr, 
in  welchem  nach  3.  Mos.  25,  10 — 13  die  Sclaven  jüdischer  Abkunft  freigelassen, 
die   Schulden    gelöscht    und    die    verkauften    und    verpfändeten  Länder    an    die 


504  Halm  —  Hals. 

ersten  Besitzer  oder  deren  Erben  zurückgegeben  werden  iiuissten.  In  einem 
solchen  Jabre  ruhte  alle  Feldarbeit;  man  verzehrte,  was  der  Boden  von  selbst 
trug  und  spendete  davon  den  Armen.  Feinde  raussten  sich  versöhnen,  Sühn- 
opfer wurden  gebracht  und  überall  herrschte  Friede  und  Freude.  Der  Anfang 
dieses  glücklichen  Jahres  wurde  unter  dem  Schalle  von  Hallposaunen  oder 
Hörnern  im  Lande  verkündigt,  daher  der  Name  H.  TJebrigens  sind  die  gesetz- 
lichen Bestimmungen  darüber,  wenn  auch  vielleicht  noch  von  Moses  selbst  auf- 
gestellt, doch  erst  nach  dem  babylonischen  Exilei  zur  Anwendung  gelangt. 

Hnlin,  Anton,  vortrefflicher  deutscher  Ciavierspieler  und  gediegener  Musik- 
lehrer, geboren  am  4.  Juni  1789  zu  Altenmarkt  in  Steiermark,  trieb  von 
Jugend  auf  mit  dem  grössten  Eifer  Musik,  trat  aber  als  Jüngling  in  die  öster- 
reichische Armee,  bei  welcher  er  verblieb,  bis  er  1811  als  Lieutenant  seinen 
Abschied  erhielt.  Er  nahm  hierauf  seinen  bleibenden  Aufenthalt  in  Wien,  wo 
er  sich  als  Componist  und  Musiklehrer  einen  ausgezeichneten  Kuf  erwarb. 
Auch  von  Beethoven  geschätzt,  stand  er  mit  demselben  in  langjährigem,  freund- 
schaftlichem Verkehr.  Bis  in  sein  hohes  Alter  ununterbrochen  didaktisch  thätig, 
sind  aus  seiner  Schule  viele  bedeutende  Ciaviervirtuosen  hervorgegangen. 
Hochgeachtet  starb  er  im  April  1872  zu  Wien.  Von  seinen  Compositionen 
ragen  namentlich  die  Pianoforte-Trios  als  vortrefflich  hervor.  Aber  auch  seine 
Messe,  Streichquartette,  sowie  Sonaten,  Variationen,  Bondos  u.  s.  w.  für  Ciavier 
enthalten  viel  Verdienstliches.     Das  Meiste  davon  ist  im  Druck  erschienen. 

Halma,  Hilarion  Emil,  französischer  Violinvirtuose,  geboren  180,3  zu 
Sedan  in  den  Ardennen,  liess  sich  nach  erfolgreichen  Kunstreisen  durch  die 
französischen  Provinzen  in  Paris  nieder,  wo  er  als  Meister  seines  Instrumentes 
sehr  geschätzt  war. 

Halowin,  s.  Holowin. 

Halphen,  Charles  Marie,  französischer  Toukünstler,  lebte  als  Musiklehrer 
in  Metz  und  ist  der  Erfinder  eines  Spieles  mit  harmonischen  Karten,  das  als 
sehr  sinnreich  bezeichnet  wurde. 

Hals  nennt  man  den  schmalen,  längeren  Theil  bei  Griffbrettinstrumenten, 
auf  welchem  das  Verkürzen  der  Saiten  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  be- 
wirkt wird.  Derselbe  wird  aus  hartem  Holze  gefertigt,  damit  er  durch  seine 
Benutzung  nicht  so  bald  verbraucht  wird  und  erhält  gewöhnlich  eine  dunkle 
Färbung.  Mit  dem  einen  Ende  ist  er  in  festem  Zusammenhange  mit  dem 
Resonanzkörper;  am  andern  Ende  befindet  sich  das  AVirbelbrett  (s.  d.)  oder 
der  Wirbelkasten  (s.  d.)  nebst,  je  nach  der  Eleganz  des  Tonwerkzeugs, 
daran  befindlichen  Verzierungen.  Die  dem  Resonanzkörper  entgegengesetzt 
befindlichen  Instrumenttheile  des  H.es,  Wirbelkasten  etc.,  nennt  man  auch  den 
Kopf  (s.  d.).  Die  Gestaltung  des  H.es  ist  oben  meist  plan  und  unten  rund. 
Letzteres  ist  er  deshalb,  damit  die  linke  Hand  sich  beim  Umfassen  desselben 
mittelst  des  Daumens  und  der  anderen  Finger  leicht  verschiedene  Stellungen 
aneignen  kann,  wie  es  eben  die  Griffe  erfordern.  Bei  Reissinstrumenten  ist 
gewöhnlich  das  eigentliche  Griffbrett  (s.  d.)  unmittelbar  auf  den  H.  geleimt, 
bei  Streichinstrumenten  hingegen  befindet  sich  dasselbe  schwebend  über  dem- 
selben und  dem  abgewandt  den  Saiten  genähert.  Von  der  Länge  und  Breite 
des  H.es  hängt  die  Applicatur  (s.  d.)  des  Tonwerkzeugs  ab;  denn  ist  der- 
selbe lang,  so  sind  die  Griffe  weiter  der  Länge  nach,  und  ist  er  breit,  so  liegen 
die  Saiten  oft  weit  von  einander  und  die  Griffe  sind  dem  entsprechend  breiter. 
Kleine  von  der  oben  beschriebenen  Gestaltung  abweichende  Formen,  wie  z.  B. 
beim  H.  der  Violine,  finden  stets  nach  Maassnahme  des  Verfertigers  oder  des 
das  Instrument  handhabenden  Musikers  statt,  indem  manche  Applicaturlagen 
dadurch  erleichtert  werden.  Doch  zeigen  sich  solche  Abweichungen  meist  nur 
bei  Streichinstrumenten,  weil  die  Griffe  dort  bei  schneller  Abwechselung  die 
möglicliste  Erleichterung  wünschenswerth  machen.  —  Noch  ist  zu  bemerken, 
dass  die  Orgelbauer  mitunter  den  Balgkropf  den  H.  des  Balges  nennen.  S.  den 
Artikel  Balg.  2. 


Halt  —  Hamal.  505 

Halt,  Halter  oder  Haltton,    deutsche  Benennung  für  Fermate  (s.  d.). 

—  Haltzeichen  oder  ßuhezeichen,  s.  Fermate. 

Halteuberger,  deutscher  Kirchencomponist,  war  Ende  des  18.  Jahrhunderts 
Canonicus  zu  Wayarn  in  Oberbaiern  und  hat  sich  in  seiner  Zeit  durch  zahl- 
reiche geistliche  Musikstücke  einen  Namen  in  seinem  Lande  gemacht.  f 

Haltenhoff,  deutscher  Fabrikant  von  Blaseinstrumenten,  lebte  in  der  zweiten 
Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  zu  Hanau  und  machte  sich  besonders  durch  wichtige 
Verbesserungen  an  den  Waldhörnern  rühmlich  bekannt. 

Halter,  Wilhelm  Ferdinand,  deutscher  Orgelspieler  und  Componist, 
geboren  in  der  letzten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  beschäftigte  sich  von  je 
her  mit  der  Musik,  obwohl  er  sich  der  Kunst  nicht  ausschliesslich  widmen 
durfte.  Als  Secretair  in  Königsberg  i.  Pr.  veröffentlichte  er  1788  sein  erstes 
Werk,  bestehend  in  sechs  Sonaten,  welches  eine  aufmunternde  Theilnahme  fand. 
Im  J.  1792  gelangte  eine  Operette  von  ihm,  »Die  Cantons-Revision«,  in  Königs- 
berg zur  Aufführung  und  gewann  einen  Localruf;  auch  Gresänge  und  Lieder 
von  ihm  erschienen  im  Druck.  Um  ganz  der  Musik  leben  zu  können,  nahm 
er  endlich  die  Organistenstelle  an  der  deutsch-reformirten  Kirche  in  Königsberg 
an  und  starb  daselbst  am   10.  April  1806. 

f'"''  Haltiiieier,  Johann  Friedrich,  Hoforganist  zu  Hannover,  hat  sich  auch 
als  Musikschriftsteller  bemerkbar  gemacht.  Er  schrieb  eine  Abhandlung:  »An- 
leitung, wie  man  einen  G-eneralbass  oder  auch  Handstücke  in  alle  Töne  trans- 
poniren  könne«,  die  1737  durch  Telemann's  Vermittelung  zu  Hamburg,  45 
Quartblätter  im  Umfang,  gedruckt  worden  ist.  Diese  kurze  Schrift  findet  man 
auch  im  zweiten  Bande  der  Mitzler'schen  Bibliothek  abgedruckt.  f 

Haltung  bezeichnet  in  der  musikalischen  Sprache  das  Verhalten  der  Töne 
und  Tonverbindungen  gegen  einander  als  verschiedene  Theile  eines  zu  einer 
bestimmten  Wirkung  hinstrebenden  Ganzen,  und  man  spricht  in  diesem 
Sinne  von  einer  guten  oder  schlechten  Haltung  eines  Tonsatzes  oder  Musik- 
stückes. 

Hamaaloth  oder  Hammaaloth  (hebr.),  d.  h.  Lieder  der  Stufen  oder 
Stufenlieder,  nennen  die  Juden  die  15  Gesänge  vom  120.  bis  zum  134. 
Psalm,  welche  einst  die  Leviten  und  die  Tempelsänger  abendlich  an  allen  acht 
Tagen  des  Laubhüttenfestes  nach  dem  Abendopfer  unter  den  vorgeschriebenen 
Ceremonien  singen  mussten.  Der  Name  selbst  schreibt  sich  daher,  weil  die 
Sänger  dabei  nicht  auf  der  Singbühne  des  Tempels,  sondern  auf  den  15  Stufen 
der  Morgenpforte  desselben  standen,  welche  den  Vorhof  der  Männer  von  dem- 
jenigen der  Frauen  trennten.  Die  Instrumente,  auf  welchen  der  Gesang  dieser 
Lieder  begleitet  wurde,  waren  hauptsächlich  Harfe,  Nabel,  Cymbeln  und  Trom- 
peten, mit  welchen  letzteren  auch  von  zwei  Leviten  das  Zeichen  zum  Anfange 
des  Gesanges  gegeben  wurde. 

Hainal,  Henri  Guillaume,  belgischer  Kirchencomponist,  geboren  1685 
zu  Lüttich,  war  ein  Musikschüler  von  Lambert  Pietkin  und  wurde  in  jungen 
Jahren  bereits  Musikmeister  an  der  Kirche  St.  Trond,  später  an  der  Kathedral- 
kirche St.  Lambert  in  seiner  Vaterstadt.  Er  starb  zu  Lüttich  am  3.  Decbr. 
1752  und  hinterliess  zahlreiche  Kirchenwerke,  Cantaten  u.  s.  w.  im  Manuscript. 

—  Von  grösserer  Bedeutung  ist  sein  Sohn,  Jean  Noel  H.,  geboren  am  23. 
Decbr.  1709  zu  Lüttich,  der  zuerst  Sängerknabe  an  St.  Lambert  war  und  von 
seinem  Vater  und  dem  Kapellmeister  Dupont  musikalisch  unterrichtet  wurde. 
Zu  seiner  höheren  Ausbildung  sandte  ihn  der  Kirchenvorstand  1728  nach  Rom. 
wo  H.  bei  Giuseppe  Amadori  die  Composition  studirte.  Von  dort  zurück- 
gekehrt, erhielt  er  eine  Präbende  an  St.  Lambert  und  wurde  1738  Kapell- 
meister an  dieser  Kirche.  Er  starb  zu  Lüttich  am  26.  Novbr.  1778.  Ausser 
vielen  Kirchenwerken  und  den  beiden  nicht  im  Druck  erschienenen  Oratorien 
»Judith«  und  »Jonathan«  hat  er  auch  zahlreiche  weltliche  Compositionen  ge- 
schrieben, nämlich  mehrere  Opern  im  Lüttich  er  Dialect,  sechs  als  op.  1  be- 
zeichnete   Streichquartette  (Lüttich,    1753),    sechs    vierstimmige   Sinfonien    als 


506  Hamanu  —  Hamel. 

op.  2  (LütticL,  1759)  u.  s.  w.  Fast  scheint  es  aber,  als  ob  die  letztgenannten 
Werke  von  seinem  NeflPen,  Henri  H. ,  componirt  sind,  welcher  ihm  im  Amte 
eines  Kapellmeisters  an  St.  Lambert  gefolgt  ist. 

Hnmauu,  Johann  Georg,  ein  geistreicher  und  eigenthümlich  tiefer 
deutscher  Denker  und  Schriftsteller,  von  Moser  der  Magus  im  Norden  ge- 
nannt, welchen  Namen  er  selbst  auf  dem  Titel  einiger  seiner  Schriften  annahm, 
ist  als  der  Begründer  der  modernen  Aesthetik  anzusehen  und  in  dieser  Be- 
ziehung einflussreich  auf  Kant,  Schiller,  selbst  auf  Goethe,  -vornämlich  aber  auf 
Herder  gewesen,  welcher  letztere  H.'s  dunkle,  mystische  Aussprüche  zuerst  auf 
klare  Sätze  zurückführte.  Auf  diesem  Gebiete  von  H.'s  Thätigkeit  ist  die  kleine 
Schrift  r>Äesfhetica  in  micen  auszeichnend  zu  nennen,  welche  einen  Abschnitt 
seines  "Werkes  »Kreuzzüge  des  Philologen«  (Königsberg,  1762)  bildet.  Geboren 
am  27.  Aug.  1730  zu  Königsberg  i.  Pr.,  widmete  er  sich  seit  1746  der 
Theologie,  dann  der  Rechtsgelehrsamkeit,  endlich,  nirgends  Genüge  findend, 
der  Philologie  und  den  schönen  Wissenschaften.  Nach  einem  unstäten,  reich 
bewegten  Leben  starb  er  am  21.  Juli  1788  zu  Münster. 

Hamboys,  John,  englischer  Musikgelehrter  des  15.  Jahrhunderts,  wird 
von  einigen  Histox'ikern  als  erster  creirter  Doctor  der  Musik  in  England  an- 
gesehen. In  den  vierziger  Jahren  seines  Jahrhunderts  galt  er  für  den  ge- 
lehrtesten Musiker  des  Königreichs,  und  zwei  erhalten  gebliebene,  lateinisch 
geschriebene  Abhandlungen  von  ihm:  y>Summum  artis  musicesv.  und  r>Quatuor 
principalia  musicaen,  sowie  die  Compositionen:  y^Cantiones  artißcales  diversi  ge- 
nej'isa  legen  hierfür  Zeugniss  ab.  Vgl.  Hawkins,  Ilist.  of  Music  A^ol.  II.  p.  345 
und  346.  "  t 

Hambuch,  August  Karl,  trefflicher  deutscher  Tenorsänger  und  guter 
Musiker,  geboren  1797  zu  Berlin,  wurde  seiner  schönen,  hellen  Sopranstimme 
wegen  schon  früh  Chorschüler.  Als  solcher  horte  ihn  der  Yiolinist  Hummrich, 
unterrichtete  ihn  auf  diesem  Instrumente  und  brachte  ihn  so  weit,  dass  H. 
1813  Berlin  verliess,  um  eine  Orchesterstellung  zu  suchen.  Auf  dieser  Reise 
kam  er  nach  Aachen,  wo  er  durch  Liedervortrag  zur  Guitarre  mehr  Aufsehen 
wie  als  Violinspieler  machte,  so  dass  er  sich,  dazu  ermuntert,  entschloss,  bei 
der  dortigen  Schauspielergesellschaft  als  Säuger  einzutreten.  Er  fand  Beifall, 
der  sich  auf  anderen  Theatern,  so  in  Köln,  Düsseldorf,  Wien  u.  s.  w.,  noch 
ungemein  steigerte,  so  dass  er  1819  als  königl.  Hofopernsänger  nach  Stuttgart 
berufen  wurde,  wo  er  eine  lebenslängliche  Anstellung  fand,  trotzdem  aber 
mehrere  erfolgreiche  Gastspiel-  und  Concertreisen,  auch  nach  Berlin,  unternahm. 
Enthusiasmus  erregte  er  besonders,  wenn  er  als  Blondel  in  Gretry's  »Richard 
Löwenherz«  das  Violin- Solo  selbst  ausführte.  Seit  1833  kränkelnd  und  in 
Karlsbad  und  Kissingen  nur  vorübergehend  geheilt,  starb  der  als  Elorestan, 
Gussmann,  Masaniello,  Blondel  u.  s.  w.  wahrhaft  gefeierte  Sänger  am  25.  Aug. 
18.M  zu  Stuttgart.  Er  hinterliess  eine  bedeutende  Musikalienbibliothek  und 
eine  schöne  Sammlung  werth voller  Geigen.  Auch  componirt  hat  er,  und  zwei 
seiner  Lieder  für  eine  Singstimme  mit  Pianofortebegleituug  sind  in  Stuttgart 
erschienen. 

Hamdcn,  Lord,  ein  trefflicher  englischer  Dilettant  und  vorzüglicher  Flöten- 
bläser, lebte  um  die  AVende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  zu  London  und 
besasB  die  vorzüglichste  und  umfangreichste  musikalische  Bibliothek  in  Eng- 
land, t 

Hainel,  Eduard,  vorzüglicher,  vielseitig  gebildeter  deutscher  Tonkünstler, 
geboren  1811  zu  Ifamburg  und  daselbst  musikalisch  gründlicii  unterrichtet, 
begab  sich  1835  nach  Paris,  wo  er  mehrere  Jahre  hindurch  im  Orchester  der 
Grossen  Oper  als  Violinist  angestellt  war.  Im  J.  1846  kehrte  er  wieder 
daaernd  nach  Hamburg  zurück  und  zählt  noch  gegenwärtig  daselbst  zu  den 
geschätztesten  Violin-  und  Clavierlehrern.  In  den  letzten  .Jahren  hat  er  sich 
auch  als  Local- Musikreferent  bekannt  gemacht.  Auch  seine  Compositionen, 
bestehend    in  Streich-  und  Ciavierquartetten,    Pianofortestücken    und  Sonaten, 


Hamel  —  Hamm.  507 

Liedern  und  einer  Oper  »Malvina«,  bekunden  ihn  als  phantasievollen,  tüchtigen 
Tondichter. 

Htiuiel,  Katharina  Josephe,  gute  deutsche  Sängerin,  geboren  am  3. 
Pebr.  1779  zu  Mainz,  debütirte  am  9.  Jan.  1795  am  königl.  Nationaltheater 
.^u  Berlin  als  Klizia  im  »Baum  der  Diana«  und  wurde  daselbst  engagirt.  Be- 
reits Anfangs  des  19.  Jahrhunderts  verliess  sie  die  Bühne  wieder,  verheirathete 
sich  an  einen  Privatmann  Namens  Dietrich  und  starb  am  16.  Decbr.  1840 
zu  Berlin.  —  Ihre  Schwestern  waren  die  berühmten  Sängerinnen  Margarethe 
Schick  (s.  d.)  und  Lanz  (s.  d.),  geborene  Hamel. 

Hainel,  Marie  Pierre,  ein  ausgezeichneter  französischer  Kenner  des  Orgel- 
baues, geboren  am  27.  Febr.  1786  zu  Arneuil,  war  Magistratsmitglied  zu 
Beauvais  und  ist  der  Verfasser  des  gründlichen  Buches  ^Manuel  complet  du 
facteur  d'orques,  ou  traite  theorique  et  pratiq^iie  de  Vart  de  construire  les  orgues« 
(Paris,  1849). 

Hamerikj  Asger,  einer  der  bedeutendsten  dänischen  Tonkünstler  der 
Gl-egenwart,  geboren  am  8.  April  1843  zu  Kopenhagen,  zeigte  schon  früh  ausser- 
gewöhnliches  Talent  zur  Musik  und  lenkte,  noch  Knabe,  die  Aufmerksamkeit 
und  das  Interesse  der  Notabilitäten  der  dänischen  Hauptstadt  durch  Compo- 
sition  von  Cautaten  und  complicirterer  "Werke  auf  sich.  Er  lag  hierauf  seit 
1859  gründlichen  Musikstudien  in  Schweden,  Deutschland  und  England  ob 
und  nahm  1868  Aufenthalt  in  Paris.  Die  bedeutendsten  Erüchte  dieser  Studien- 
reisen waren  die  grossen  vaterländischen  Opern  »Toveble«  und  »Hjalmar  und 
Ingeborg«,  deren  Texte  er  ebenfalls  selbst  verfasst  hatte.  "Was  davon,  sowie 
von  seinen  übrigen  grösseren  Werken  gelegentlich  zur  öffentlichen  Aufführung 
gelangte,  wurde  von  der  Kritik  als  eigenthümlich  erfunden  und  vortrefflich  ge- 
arbeitet, sehr  hoch  gestellt.  Bald  nach  dem  Ausbruche  des  französisch-deutschen 
Krieges  begab  sich  H.  nach  den  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und 
erhielt  1872  die  Berufung  als  Direktor  der  musikalischen  Abtheilung  des 
Peabody- Institutes  iu  Baltimore,  welchem  Amte  er  mit  vorzüglicher  Umsicht 
und  mit  einer  seltenen  Energie  vorsteht.  Er  wirkt  in  demselben  nach  anzu- 
erkennenden Kunstgrundsätzen  und  verfolgt  ausserdem  die  fernere  Aufgabe, 
Musikverständniss  auch  in  weiteren  Kreisen  einerseits  zu  wecken,  andererseits 
mit  aller  Macht  zu  fördern,  letzteres  besonders  durch  trefflich  organisirte  Con- 
certe  mit  den  besten  Kräften  des  eigenen  Institutes,  denen  er  die  edelsten  und 
gehaltvollsten  Tonschöpfungen  zuführt,  welche  er  mit  der  grössten  Sorgfalt  und 
Liebe  einstudirt  und  dirigirt.  Die  in  jenem  Lande  schwer  zu  realisirende 
Aufgabe,  der  Tonkunst  eine  Pflanz-  und  Pflegestätte  zu  gründen,  erfüllt  er 
mit  entschiedenem   Talent  und  Geschick. 

Hamortou,  William  Henry,  englischer  Componist  und  Gesanglehrer,  ge- 
boren 1795  zu  Nottingham,  ist  ausser  durch  Gesänge  seiner  Composition  be- 
sonders durch  seine  Schule  bekannt  geworden,  welche  den  Titel  führt:  »  Vocal 
instructiojis  comhined  xviili  tJie  tlieory  and  practice  of  Fianoforte  aceompanimentv 
(London,  1824). 

Hamiltoii,  J.  A.,  geschätzter  englischer  Musiktheoretiker,  geboren  1805  zu 
London,  veröffentlichte  mehrere  theoretisch -didaktische  Werke,  sowie  Schulen 
für  Ciavier,  Orgel,  Gesang,  Composition  u.  s.  w. ,  ausserdem  englische  Ueber- 
setzungen  deutscher  und  französischer  musikalischer  Lehrbücher.  Er  starb  im 
J.  1848  zu  London. 

Hainiltou-Bird,  William,  geboren  1741  zu  Glasgow,  veröffentlichte  als 
die  Frucht  eines  langjährigen  Aufenthaltes  in  Indien  eine  grössere  Anzahl  dort 
gesammelter  National-  und  Volksmelodien,  die  er  selbstständig  mit  einer  werth- 
losen  Pianoforte-  und  Guitarrebegleitung  versehen  hatte. 

Hamu;,  Johann  Valentin,  fleissiger  und  beliebter  deutscher  Componist 
von  Tänzen,  Märschen,  Potpoiirris  u.  dgl.,  wurde  am  11.  Mai  1811  zu  Winter- 
hausen in  Unterfranken  geboren.     Seine  höhere  musikalische  Ausbildung  erhielt 


508  Hamma  —  Hammel. 

er  seit  1830  auf  dem  unter  Frölilich's  Leitung  stehenden  rühmlichst  bekannten 
Musikinstitute  zu  AVürzburg,  woselbst  er  sich  eifrigen  theoretisch-  und  praktisch- 
musikalischen Studien  (besonders  Yiolin-  und  Clavierspiel)  hingab.  Schon 
1831  wurde  er  als  Bratschist  in  das  Würzburger  Theatcrorchester  gezogen, 
rückte  aber  später  in  die  erste  Violine  und  wurde  endlich  Concertmeister  und 
Musikdirektor,  als  welcher  er  noch  gegenwärtig  fungix't.  Ausserdem  giebt  er 
einen  guten  Pianoforte- Unterricht.  H.  hat  als  Componist  in  allen  Musikgat- 
tungen gewirkt,  Sinfonien,  Ouvertüren,  Militairmusikstücke,  Quintette,  Quartette, 
ein-  und  mehrstimmige  Lieder  und  Gesänge  und  die  Oper  »Die  Gräfin  Plater« 
(1832  in  Würzburg  ziemlich  beifällig  aufgeführt)  geschrieben,  aber  nur  seine 
mehrstimmigen  Gesänge,  Märsche  uud  Tänze  haben  auch  in  weiteren  Kreisen 
grösseren  Anklang  gefunden. 

nanima,  Fridolin,  geschickter,  vielseitig  gebildeter  deutscher  Tonkünstler 
und  Musiklehrer,  geboren  am  16.  Decbr.  1818  zu  Friedingen  an  der  Donau 
im  Königreiche  Würtemberg,  war  1840  Musikdirektor  in  Schaffhausen  und 
1842  Stadtorganist  zu  Meersburg  am  Bodensee.  Dort  entdeckte  er  in  dem 
Credo  einer  alten  Messe  von  Holtzbauer  den  Ursprung  der  Melodie  zur  Mar- 
seillaise, theilte  diese  Entdeckung  öffentlich  mit  und  rief  einen  Sturm  der  An- 
sichten und  Meinungen  hervor.  Glühender  Eepublikaner,  begab  sich  IT.  beim 
Ausbruche  der  Revolution  in  Italien  dorthin  und  betheiligte  sich  lebhaft  an 
den  Kämpfen  in  Neapel,  ebenso  ein  Jahr  später  an  dem  Aufstande  in  Baden. 
Er  rettete  damals  sein  Leben  nur  durch  Uebertritt  in  die  Schweiz,  bis  er 
endlich  amnestirt  wurde  uud  zuletzt  auch  wieder  eine  amtliche  Stelle  in  Baden 
erhielt.  Mittlerweile  war  er  Professor  an  der  Cantonsgcsangschule  in  Burg- 
dorf, hierauf  iu  Genf  gewesen,  war  nach  Stuttgart  übergesiedelt,  wo  er  als 
Kritiker  und  gesuchter  Gesanglehrer  gewirkt  und  hatte  hierauf  wieder  eine 
Organisteustelle,  und  zwar  zu  Ettlingen  bei  Karlsruhe  angenommen.  Gegen- 
wärtig fungirt  er  als  Direktor  und  Ciavier-  uud  Gesanglehrer  an  einem  musi- 
kalischen Lehrinstitute  zu  Neustadt  an  der  Haardt.  Componirt  hat  er  Ballets, 
Opei'etten,  Gesänge  und  zahlreiche  Freiheitslieder.  —  Sein  jüngerer  Bruder, 
Benjamin  H. ,  geboren  am  10.  Octbr.  1831  zu  Friedingen,  machte  seine 
höheren  theoretischen  und  Compositionsstudien  bei  Lindpaintner  in  Stuttgart, 
nahm  auf  Studienreisen  einen  längeren  Aufenthalt  zu  Paris  und  Rom  und 
widmete  sich  in  letzterer  Stadt  dem  eindringenden  Yerständniss  des  grego- 
rianischen Choralgesanges  und  der  altitalienischen  Kirchenmusik.  Nach  Königs- 
berg i.  Pr.  berufen,  zeichnete  er  sich  viele  Jahre  hindurch  als  Dirigent  der 
dortigen  Concertgesellschaft  und  des  Sängervereins,  sowie  des  ostpreussischen 
Sängerbundes  aus,  bis  er  nach  dem  Kriege  von  1870  alle  diese  Stellungen 
niederlegte  und  sich  auf  die  Ertheilung  von  Ciavier-  und  Gesaiigunterricht  be- 
schränkte, in  welchen  Fächern  er  ebenfalls  hervorragend  und  sehr  geschätzt 
ist.  Als  fleissiger  Componist  hat  er  eine  Oper,  »Zarrisco«,  viele  grössere  und 
kleinere  Werke  für  Männer-  wie  für  gemischten  Chor,  ausserdem  Lieder  und 
Ciavierstücke  geschaffen.  —  Der  jüngste  Bruder  der  beiden  Vorhergehenden, 
Franz  H.,  geboren  am  4.  Octbr.  1835  zu  Friedingen,  ist  ein  bedeutender 
Orgel-  und  Ciavierspieler  und  ebenfalls  talentvoller  Componist.  Früher  Organist 
an  der  St.  Annakirche  und  Direktor  des  Cäcilien Vereins  in  Basel,  wirkt  er 
gegenwärtig  als  Organist  zu  Oberstadion  im  Königreiche  Würtemberg.  Er  ist 
der  Verfasser  einer  Gesangschule  und  einer  trefflichen  Liedersammlung  und  hat 
ausserdem  noch  verschiedene  Kirchenmusikstücke  und  gute  Orgelsachen  ge- 
schrieben. 

Hammanlotli,  s.  Hamaaloth. 

Hammel,  Stephan,  tüchtiger  deutscher  Orgelspieler  und  Componist,  ge- 
boren am  21.  Decbr.  17.56  zu  Gissigheim,  bildete  sich  in  der  Benedictinerabtei 
St.  Stephan  zu  Würzburg,  in  welche  er  später  als  Ordensbruder  eintrat,  musi- 
kalisch trefflich  aus.  Nach  der  Klosteraufhebung  wurde  er  Pfai'rer  zu  Veits- 
höchheira,  als  welcher  er  am  1.  Febr.  1830  starb.     Er  componirte  viele  Kirchen- 


Hammer.  5()9 

und  Instrumental-,  auch  Ciavierstücke,  von  denen  aber  nur  Weniges  veröffentlicht 
worden  ist. 

Hammer  (franz.:  sautereaux,  ital.:  salterelli)  wird  zur  Fertigung  musi- 
kalischer Instrumente,  sowie  in  besonderer  Form  bei  vielen  Tonwerkzeugen 
selbst,  um  die  tönende  Vibration  eines  festen  Körpers  zu  bewirken,  gebraucht. 
Erstere  Art  H.  unterscheiden  sich  von  den  im  gewöhnlichen  Leben  in  An- 
wendung gebrachten  fast  gar  nicht,  weshalb  eine  Beschreibung  derselben  hier 
überflüssig  ist;  nur  einzig  bedienen  sich  die  Orgelbauer  eines  vorschriftsmässig 
anders  gestalteten.  Folgen  wir  in  der  Beschreibung  dieses  H.'s  den  Angaben 
Hallen's  in  seiner  »Kunst  des  Orgelbaues«  S.  3,  so  muss  derselbe  47»  Pfund 
oder  zwei  Kilo  und  250  Gramm  wiegen,  sein  Kopf  rund,  sehr  wenig  convex, 
wohl  verstählt,  gehärtet  und  polirt,  sowie  vier-  oder  achteckig  gestaltet,  und 
sein  Stielloch  verhältnissmässig  etwas  gross  sein.  Neben  diesem  H.  führt  jeder 
Oi'gelbauer  noch  mehrere  kleinere,  gewöhnliche  H. 

Die  zur  Tonerregung  angewandten  H.  sind,   je    nach    dem  festen  Körper, 
den  sie  in  tönende  Schwingungen  versetzen  sollen,  zieht  man  den  Stoff  in  Be- 
tracht, aus  welchem  sie  gemacht  werden,  in  ihrer  Masse  verschieden.     Die  H., 
womit  man  Metallstäbe,  wie  z.  B.  die  der  Stahlharmonika,   zu  diesem  Zwecke 
schlägt,  haben  einen  stählernen  Kopf  und  gewöhnlich  einen  Stiel  aus  Bambus- 
rohr.    Der  Kopf  derjenigen  H.,  womit  die  Stäbe  der  G-lasharmonika  (s.  d.), 
des  Kinderinstruments,  tönend  erregt  werden,  wird  aus  Kork  gefertigt;  in  den- 
selben   steckt    man    eine    entspi'echende    Fischbeinstange    als    Stiel.      Indische 
Schlaginstrumente  mit  Metallseele,   wie    der  Gong    (s.  d.),    Gambang  (s.  d.) 
und  ähnliche,  behandelt  man  mit  solchen  H.n,  wie  bei  uns  die  Membrane;  man 
traktirt  sie  mit  hölzernen  oder  mit  hölzernen  mit  einem  Lederballen  versehenen 
Keulen.     Endlich  bestehen  die  H. ,    die    zur  Tonerregung   von   Stahlsaiten  ver- 
wandt werden,    welche  H.  gerade    in  unserem  Musikkreise    von  hervorragender 
Bedeutung  sind,    aus    einem    mit    einem  Holzkern  versehenen    stark  belederten 
oder  hefilzten  Kopf  und  einem  Holzstiel;    alle   solche  H.  werden  mittelst  einer 
Tastatur    regiert.     Die  Form    des  Holzkernes    dieser  H. ,    der    dem    weichereu 
H.matei'ial,  Leder  und  Filz,  zum  harten  Fundamente  dient,  ist  theoretisch  nicht 
fest  bestimmbar;    nur  die  Praxis  kann  hierin    als  Lehrerin  dienen.     Der  Stiel 
dieses  H.'s  besteht  entweder  aus   einem  oder  häufiger  aus  zwei  sehr  unterschied- 
lichen   Theilen.     Ersterwähnte    Stielart    ist    die    einfachste:    eine    kleine    runde 
Stange,  die  mit  dem  einen  Ende  dem  H.kern  eingeleimt  und  am  andern  durch 
einen   Stift  —  derselbe    dient   dem  H.   zur  Axe  —  mit   einem   fest  im  Mecha- 
nismus befindlichen  Theile  verbunden,  ist  dessen  einziger  Bestandtheil.     Letztere 
Stielart  hat  ebenfalls  eine  kleine   runde  Stange,   die,  wie  vorher  erwähnt,    mit 
dem  H.kern  zusammenhängt.     Am  entgegengesetzten  Theile  ist  dieselbe  jedoch 
in  ein  zweckentsprechendes  Holzklötzchen  eingeleimt.     Das  Holzklötzchen  bildet 
somit    einen    nothwendigen   Theil   des  H.'s.     Die  Gestaltung    dieseS'  Klötzchens 
ist  in  der  Jetztzeit  noch  jsehr  verschieden,  theils  gefordert  durch  die  Lage  des 
H.'s  in  der  Buhlage  und  der  ihm  zufallenden  Aufgabe,    von  unten  nach  oben, 
von    vorn    nach    hinten  oder  von  oben  herab    zu  wirken,    theils  nach  den  ver- 
schiedenen Erfahrungen    und    den    daraus    gezogenen    Lehren    der  Instrument- 
bauer.    Besonders  bedingt  ist  die  Form  des  Klötzchens  durch  den  Bau  und  die 
Construktion  des   Stössers    (s.  d.)^    und    zeigt    deshalb  fast  jede  Mechanikai't 
eine  besondere  Gestaltung  desselben.     Auch  sind    diesem  Klötzchen    oft  zweck- 
entsprechende Beigaben   eigen,    wie    bei   der  Piano-  (s.  d.)  Mechanik    an    dem 
den   Saiten  zugewandten  Theile  zwei  Lederläppchen,  zwischen  denen  eine  Feder 
ruht,    die  den  H.  zur  Huhlage    drängt.     Der    dem  H.  zur  Axe    dienende  Stift 
verbindet  bei  dieser  H.art  dies  Klötzchen  mit  einem  fest  anzunehmenden  Instru- 
menttheil;  oft  ist  diese  Verbindung  ganz  aus  Metall  gefertigt. 

Betrachtet  man  nun  die  Grösse  dieser  H.,  so  findet  man,  dass,  je  länger 
und  stärker  die  anzuschlagende  Saite  ist,  der  Kopf  des  H.'s  dicker  beledert 
und  befilzt    und   je    nachdem    auch    der  H.kern   etwas  stärker  gefertigt  werden 


510  Hammer. 

muss,  um  einen  schönen  Ton  zu  erzielen.  Die  H.stiele  hingegen  sind  bei  allen 
H.n  gleich  laug,  und  zwar  vou  der  Spindel  bis  zum  Kopfe  gewöhnlich  10,5 
Centimeter.  Diese  gleiche  Stiellänge  hat  in  der  Annahme:  dass  mau  die  Be- 
wegungsweite und  Schnellki-aft  bei  allen  H.n  als  gleich  für  nothwendig  erachtet, 
ihren  Grund.  Mau  hat  als  Bestes  gefunden,  dass  man  den  H.  in  seiner  E.uh- 
lage  so  anbringen  muss,  dass  der  Stiel  mit  den  Saiten  ungefähr  einen  Winkel 
von  fünfzehn  Grad  bildet  und  der  H.kopf  39,24  bis  höchstens  43,6  Millimeter 
von  denselben  ontfei'nt  ist,  wenn  kräftig  wie  leise  die  vorzüglichste  Tonzeugung 
stattfinden  soll.  Solche  Tonbildung  dauernd  mit  Leichtigkeit  zu  erzielen, 
kann  nur  durch  die  grösstmöglichste  Vermeidung  der  i'riction  hervorgebracht 
werden,  welche  zu  erlangen  eben  zu  den  vielen  Varianten  in  den  Formen  und 
Stellungen  des  H.'s  führten.  Man  darf  jedoch  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass 
die  Construktion  des  Clavis,  des  Stössers  und  anderer  Mechaniktheile  viel  be- 
deutender auf  die  dauernd  schöne  und  leichte  Tonzeugung  nachtheilig  einzu- 
wirken vermögen,  und  deshalb  gleichzeitig  den  Bau  dieser  Mechaniktheile  mit 
in  Betracht  gezogen  werden  muss,  wenn  man  endgiltig  ein  Urtheil  über  H.form 
und  H.lage  sich  zu  machen  sucht.  Um  sich  überhaupt  in  dieser  Beziehung 
ein  Urtheil  bilden  oder  wii'klich  wesentliche  Verbesserungen  vornehmen  zu 
können,  ist  die  Keuntniss  der  Gesetze  der  Schwere  und  des  Hebels,  sowie  die 
der  Akustik  durchaus  nothwendig,  welche  Kenntniss  leider  den  meisten  In- 
strumentbauern abgeht.  Dass  dies  der  Fall,  beweisen  viele  kleine  Dinge,  von 
denen  nur  ein  Beispiel  hier  als  Beweis  angeführt  sei,  das  bisher  noch  nie  in 
Erwägung  gezogen  ist. 

Dies  betrifft  die  Anschlagsstelle  des  H.'s  bei  der  Saite,  bisher  nach 
Gutdünken  zwischen  dem  achten  und  neunten  Saitentheil  in  Gebrauch.  All- 
gemein ist  die  akustische  Lehre  anerkannt,  dass  in  unserm  Tonreich  die  Klänge, 
welche  die  Primzahl  7  in  ihrem  Verhältnisse  haben,  durchaus  unbrauchbare 
Töne  geben,  wonach  zu  empfehlen  wäre,  stets  die  H.  so  zu  stellen,  dass  sie  auf 
den  7.  Theilungspunkt  der  Saite  anschlagen.  Das  Streben,  die  Tasteninstru- 
mente so  zu  bauen,  dass  deren  Ton  so  stark  als  möglich  erzielt  werden  kann, 
bewirkt  selbstredend  eine  steigende  Bildung  von  Ober-  oder  Aliquottönen 
(s.  d.).  Diese,  sobald  sie  unserm  Tonreich  angehören,  werden  als  reiche  Aus- 
stattung der  Grundtöne  betrachtet,  was  die  gebräuchliche  Bezeichnungsweise: 
volle  Klänge,  documentirt.  Legt  man  nun  die  Anschlagstelle  des  H.'s  auf  den 
achten  oder  neunten  Saitentheilpunkt,  so  raubt  man  dem  Klange  den  sich  an 
dieser  Stelle  bildenden  Oberton,  die  Oberoctave  oder  Oberquinte,  und  lässt 
jeder  sonstigen  Obertonbilduug,  also  auch  dem  vom  Siebentel  sich  bildenden, 
freien  Spielraum,  Stellt  man  aber  den  H.  so,  dass  er  auf  dem  Siebentel  der 
Saite  anschlägt,  so  raubt  man  dadurch  dem  Klange  den  sich  hier  bildenden 
unliebsamen  Oberton  die  Möglichkeit  des  Werdens.  Aehnliche  Fälle,  die  bisher 
weniger  auffielen,  weil  eben  die  Ansprüche  an  die  Touwerkzeuge  mit  H.n  ge- 
ringer gestellt  waren,  werden  mit  der  Zeit  sich  immer  bemerkbarer  machen 
und  immer  mehr  fordern,  dass  die  Insti'umentbauer  sich  befleissigen,  die  oben 
angeführten  Naturgesetze  neben  ihren  sonstigen  Kenntnissen  sich  vollkommen 
anzueignen.  Sonstiges,  besonders  den  Zusammenhang  des  H.'s  mit  anderen 
Mechaniktheilen  Betreffendes,  enthält  der  Artikel  Mechanik  (s.  d.).  2. 

Hammer,  Franz  Xaver,  einer  der  berühmtesten  Violoncellisten  des  18. 
Jahrhunderts  und  guter  Violinist,  aus  Oettingen  gebürtig,  war  bis  1785,  wo 
er  herzogl.  mecklenburgischer  Kammermusiker  wurde,  im  Orchester  des  Car- 
dinais Batthiany  in  Pressburg.  Concerte  und  Soli  seiner  Composition  hat  er 
aaf  seinen  Kunstreisen  vielfach  hören  lassen  und  damit  stets  grossen  Beifall 
erzielt. 

Hammer,  Georg,  fieissiger  deutscher  Componist  und  guter  Musiklehi'er, 
geboren  am  1.  Mai  1811  zu  Herlheim  in  Unterfranken,  zeigte  bei  einem  noth- 
dürftigen  Elementarunterrichte  bereits  bedeutende  Anlagen  zur  Musik,  deren 
höhere  Ausbildung  ihm,  als  er  sich  von  1826  an  auf  dem  Schullehrer- Seminare 


Hammer  —  Hammersclimidt.  511 

zu  Würzburg  befand,  durch  Fröhlich  und  durch  fleissigen  Besuch  von  dessen 
Musikinstitut  ermöglicht  wurde.  Er  entsagte  in  Folge  dessen  dem  Schulfache 
und  widmete  sich  gänzlich  der  Tonkunst.  Im  J.  1830  wurde  er  Assistent 
an  genanntem  Musikinstitute  und  1837  an  der  Seminariumskirche  zu  St.  Michael 
in  Wüi'zburg.  Componirt  hat  er  Kirchenstücke  aller  Art,  Cantaten,  mehrere 
Singspiele,  Männerquartette,  Lieder  mit  Pianoforte  oder  Guitarre;  im  Druck 
erschienen  sind  von  ihm  ein-  und  mehrstimmige  Schul-  und  Kirchenlieder, 
Tänze  und  Märsche.  Ausserdem  hat  er  ein  Orgelbuch  zum  Würzburger 
Diöcesangesangbuche  herausgegeben. 

Hammer,  Kilian,  Schulmeister  und  Organist  zu  Vohenstrauss  in  der 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  soll  zuerst  zu  den  gebräuchlichen  sechs  Solmi- 
sationssylben  (s.  d.)  die  siebente  »Si«  hinzugethan  haben,  wie  wenigstens 
seine  Singeschüler  Printz  (Mus.  hist.  cap.  17  §  5)  und  Mattheson  (Ehrenpforte 
S.  259)  behaupten.  Diese  sieben  Sylben  zusammen  heissen  daher  auch  mitunter 
die  nvoces  hammerianae«. 

Hammerciavier  nannte  man  ehedem  das  Fortepiano  zur  Unterscheidung 
von  den  älteren  Ciavieren.      S.  Pianoforte. 

Hammermeister,  vortrefflicher  deutscher  Baritonsänger,  geboren  um  1800, 
war  Anfangs  in  Braunschweig  engagirt,  gastirte  1827  in  Berlin  und  wurde 
hierauf  Opernmitglied  des  Stadttheaters  zu  Leipzig,  wo  er  u.  A.  mehrere 
Parthien  in  Marschner'schen  Opern,  wie  den  Vampyr  und  Templer,  für  die 
Bühne  schuf.  Yon  Leipzig  aus  kam  H.  1832  an  die  königl.  Oper  zu  Berlin, 
der  er  bis  1835  angehörte.  Ln  letzteren  Jahre  betheiligte  er  sich  bei  dem 
deutschen  Opernunternehmen  in  Paris  und  ging  später  an  das  Hamburger 
Stadttheater.  Seit  1840  wird  er  als  Sänger  nicht  mehr  genannt  und  tauchte 
überhaupt  erst  später  in  New- York  als  Cigarrenhändler  auf,  wo  er  1860  in 
dürftigen  Umständen  starb. 

Hammer-Piirgstall,  Joseph  Freiherr  von,  einer  der  berühmtesten  deutschen 
Orientalisten,  geboren  1774  zu  G-rätz  in  Steiermark,  erhielt  seine  Bildung  in 
Wien,  wo  er  seit  1788  die  vom  Fürsten  Kaunitz  gestiftete  orientalische  Akademie 
besuchte.  Um  die  Tonkunst  hat  er  sich  als  Vermittler  einer  genaueren  . 
Kenntniss  der  türkischen,  persischen  und  arabischen  Musik  verdient  gemacht. 
Er  starb  im  J.  1856. 

Hammerschmidt,  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  Orgelbauer  zu  Zittau, 
hat  in  der  dortigen  Jolianneskirche  ein  2,5  metriges  und  ausserdem  noch  ein 
1,25  metriges  Werk  gebaut.  t 

Hammerschmidt,  Andreas,  einer  der  geschicktesten  deutschen  Contra- 
punktisten  des  17.  Jahrhunderts,  der  Begründer  einer  neuen  Art  des  Kirchen- 
gesanges, war  1611  zu  Brüx  in  Böhmen  geboren  und  erlernte  handwerksmässig 
die  Musik  beim  Cantor  Stephan  Otto  zu  Schandau.  Seit  1635  Christoph 
Schreiber'«  Nachfolger  als  Organist  an  der  St.  Peterskirche  zu  Freiberg,  wurde 
H.  auch  in  Zittau  an  der  Johanneskirche  am  26.  April  1639  der  Nachfolger 
desselben  Vorgängers,  als  dieser  kurz  vorher  daselbst  gestorben  war.  In  ver- 
dienstvoller Weise,  fruchtbar  und  einflussreich  als  Tondichter,  wirkte  H.  unter 
gesicherten  Vermögensumständen  in  Zittau  bis  zu  seinem  Tode,  welcher  am 
29.  Octbr.  1675  erfolgte.  Er  hinterliess  drei  Töchter,  die  bei  ihrer  Verhei- 
rathung  aus  dem  Vermögen  der  Kirchenkasse  jede  einen  Ehrenwein,  in  An- 
sehung, wie  es  ausdrücklich  heisst,  der  Verdienste  ihres  Vaters  erhalten  hatten. 
—  Von  H.'s  gedruckten  Compositionen  dürfte  der  »Instrumentalische  erste 
Fleiss«  (1636)  als  das  erste  der  herausgegebenen  Werke  zu  betrachten  sein 
und  früher  datirte  Arbeiten  auf  falsch  gedruckten  Jahreszahlen  beruhen.  Das 
erste  vollständige  Verzeichniss  der  Messen,  Motetten,  Lieder  u.  s.  w.  H.'s  über- 
haupt giebt,  Walther,  Gerber,  Fetis  und  die  übrigen  Lexicographen  vielfach 
ergänzend  und  vervollständigend,  Dr.  Anton  Tobias  in  seiner  im  Selbstverlage 
erschienenen  Schrift  »Andreas  Hammerschmidt  aus  Brüx,  Componist  und  Or- 
ganist in  Zittau«  (Zittau,   1871).     Derselbe  sagt  zur  kritischen  Würdigung  des 


512  Hammerschmidt. 

Meisters  u.  A.:  Seine  Hauptthätigkeit  bestand  nach  dem  Vorbilde  des  Kapell- 
meisters Heinricb  Schütz  in  Dresden  in  freien  coucertmässigen  geistlichen 
Tonschöpfungen,  in  welchen  er  die  Gesprächsform  anwandte;  dadurch  wusste 
er  zwischen  dem  alten  Kirchengesang  und  dem  geistlichen  Kunstgesang,  die 
durch  Schütz  und  Rosenmüller  ganz  von  einander  gelöst  waren,  wieder  an- 
zuknüpfen und  durch  Einflechtung  von  kirchlichen  Weisen  den  Gemeindegesang 
eindringen  zu  lassen,  und  zwar  mit  Kraft  und  Bedeutsamkeit.  Dem  ganz  in 
der  Form  des  Concertes  redegemäss  betonten  Schriftwort  setzt  er  nämlich  häufig 
irgend  ein  Kirchenlied  mit  seiner  Singweise,  das  er  am  passenden  Ort  ein- 
schaltet, in  lebendigem  Gespräch  gleichsam  als  Antwort  entgegen.  Damit  wahrt 
er  nicht  allein  die  Liedform  im  kirchlichen  Kunstgesang,  sondern  stellt  eben 
durch  den  Gegensatz  ihre  Bedeutsamkeit  in  das  hellste  Licht.  Manchmal  setzt 
er  auch  ein  Kirchenlied  und  dessen  Weise  einem  andern  Kirchenlied  mit  einer 
von  ihm  selbst  erfundenen  kunstmässig  ausgestatteten  Weise  gegenüber  und 
verflicht  die  Melodien  beider  Kirchenlieder.  So  giebt  er  z.  B.  eine  concert- 
mässig  figurirte,  von  ihm  erfundene  Melodie  zu  dem  Kirchenlied:  »Ach  wie 
nichtig,  ach  wie  flüchtig  ist  der  Menschen  Leben«,  und  vei'webt  in  dieselbe 
die  alte  Kirchenmelodie:  »Mitten  wir  im  Leben  sind«,  die  er  bald  da,  bald 
dort  unter  Posaunenbegleitung  eintreten  lässt,  oder  giebt  er  zuerst  die  alte 
Kirchenweise:  »Allein  zu  dir,  Herr  Jesu  Christ«,  und  verwebt  dann  in  sie  eine 
eigene  concertmässige  Behandlung  des  Schriftwoi'tes:  »Fürchte  dich  nicht,  ich 
bin  dein  Schild  und  sehr  grosser  Lohn«. 

Dadurch  ist  er  historisch  bedeutsam  geworden,  denn  Viele  folgten  ihm  im 
Laufe  des  Jahrhunderts  auf  diesem  Wege.  Bei  dem  coucertmässigen  Satz,  in 
welchem  er  diese  Lieder  giebt,  sind  die  Lieder  oder  Gesänge  strophisch  be- 
handelt, freilich  aber  nicht  so,  dass  die  Betonung  sich  blos  auf  die  erste  Strophe 
beschränkte  und  dann  zu  jeder  weitern  einzelnen  Strophe  unverändert  wieder- 
kehrte, sondern  sie  dehnt  sich  auf  mehrere  Strophen  aus;  er  bildet  aus  meh- 
reren Strophen  ein  einziges  grösseres  Gesätz,  innerhalb  dessen  die  einzelnen 
Bestandtheile  oder  Strophen  durch  ihre  Behandlung  dennoch  eigenthümlich, 
durch  Taktart,  Begleitung,  Besetzung  unterschieden,  hervortreten,  vermöge  einer 
entschieden  kenntlichen  Beziehung  aber  nicht  nur  als  neben  einander  gestellte, 
sondern  als  innerlich  und  wesentlich  verknüpfte  und  zusammengehörende  er- 
scheinen. Zugleich  sind  überall  die  Gegensätze  des  Einzelgesangs  und  Chor- 
gesangs angebracht.  Der  concertmässige  Schmuck,  den  er  dabei  seinen  Weisen 
giebt,  besteht  mehr  blos  in  wix'kungsreichem  Entgegenstellen  von  Starkem  und 
Leisem,  von  Licht  und  Schatten,  von  grösserer  oder  minderer  Stimmfülle,  und 
ist  also  leicht  abzustreifen,  so  dass  die  Gemeinde,  wenn  ihr  diese  vom  Chor 
herab  erklingenden,  kunstgeschmückten  Liedergesänge  gefielen,  gar  leicht  den 
Kern  seiner  Melodien  sich  zurecht  machen  konnte,  um  sie  dann  förmlich  in 
ihren  Gesang  aufzunehmen.  So  kam  es  denn  auch,  dass,  während  H.,  wo  er 
unmittelbar  für  den  Kirchengesang  schuf,  keinen  Anklang  fand,  von  seinen 
ursprünglich  concertmässig  geschafi"enen  Weisen  aber  gar  manche  in  den  kirch- 
lichen Gebrauch  übergingen.     (Koch,  Bd.  4.) 

Besonders  förderlich  musste  für  H.  der  damalige  Zittauer  Rector  Christian 
Keiuianu,  der  bekannte  Liederdichter,  werden,  dessen  geistliche  Oden  in  reicher 
Anzahl  vorhanden  sind.  Mit  diesen  diente  er  dem  berühmten  Componisten, 
so  oft  er  US  verlangte.  Allerdings  soll  Keimann  schliesslich  Undank  von  ihm 
zum  Lohn  erhalten  haben,  so  dass  er  sich  über  die  von  H.  erlittenen  Ver- 
kleinerungen und  Verfolgungen  öfters  seufzend  beklagte.  Von  H.'s  Melodien 
seien  aufgeführt:  1,  Ach,  was  soll  ich  Sünder  machen  (d,  d,  f,  f,  g,  g,  a,  a). 
2.  Freut  euch,  ihr  Christen  alle  (h,  h,  a,  g,  fis,  fis,  e,  e).  3.  Meinen  Jesum 
lass  ich  nicht  (g,  g,  a,  a,  h,  h,  c).  4.  Hosianna  Davids  Sohne.  5.  Meine  Seele 
Gott  erhebt  (d,  d,  d,  d,  d,  c,  d).  G.  Triumph,  Triumph,  Victoria.  7.  Ich  will 
den  Herrn  loben  (g,  g,  g,  a,  h,  c,  c,  //,  c).     8.  Mein  Gott,  nun  bin  ich  abermals 


Hamraig  —  Hampel.  513 

(a,  d,  ff,  T),  c,  d,  d,  eis).  9.  Ach  wie  nichtig,  ach  wie  flüchtig.  10.  Bis  hin  an 
des  Kreuzes  Stamm  (e,  c,  d,  d,  es,  es).  11.  Schmückt,  schmüclct  das  Fest  mit 
Marien  (eis,  eis,  eis,  eis,  d,  eis,  h,  a).  Der  ebenfalls  aus  Zittau  gebürtige  Leip- 
ziger Cantor  Yopelius  hat  H.'sche  Melodien  in  sein  1682  herausgegebenes 
Leipziger  Gesangbuch  mit  aufgenommen. 

Hammig:,  Friedrich,  geschickter  Instrumentbauer  zu  "Wien,  fertigte  und 
verkaufte  zu  Ende  des  18.  und  Anfangs  des  19.  Jahrhunderts  alle  Sorten  von 
Holzblasinstrumenten,  seit  1801  auch  türkische  Becken,  wozu  ihm  ein  beson- 
deres Privilegium  ertheilt  worden  war.  f 

Hammond,  Henry,  englischer  Theologe  und  Kaplan  König  Karls  I.,  ge- 
boren 1605,  gestorben  am  25.  April  1660;  hat  ein  "Werk:  y)Para])hrase  and 
annotations  upon  the  hook  of  the  Psalmsv.  veröffentlicht,  worin  ein  Abschnitt 
»Aecount  of  tlie  use  of  musis  in  divine  servioe«.  vorkommt.     Vgl.  Jöcher.        f 

Hanipe,  Johann  Samuel,  deutscher  Orgel-  und  Clavierspieler,  Componist 
und  theoretischer  Schriftsteller,  geboren  am  11.  Novbr.  1770  zu  Lucine  im 
Fürstenthum  Oels,  wo  sein  Vater  evangelischer  Schullehrer  und  Organist  war 
und  den  Sohn  in  den  Schulwissenschaften  und  in  der  Musik  unterrichtete,  bis 
derselbe  zu  seiner  höhereu  Ausbildung  nach  Breslau  gehen,  das  er  aber  schon 
1786  wieder  verlassen  konnte,  um  sechs  Jahre  lang  als  Hauslehrer  in  der 
Familie  des  Kammerherrn  Ziemitzky  auf  einem  Gute  bei  Tarnowitz  zu  fungiren. 
Seit  1792  war  er  Secretair  bei  der  Steuerkanzlei  zu  Tarnowitz,  und  1796 
wurde  er  ßegistrator  bei  der  königl.  Zolldirektion  zu  Glogau,  wo  er  mit 
E.  T.  A.  Hoffmann,  den  Dichtern  von  Holbein  und  Jul.  von  Voss,  sowie  dem 
Maler  Molinari  einen  gesellschaftlichen  Zirkel  bildete,  der  auf  das  künstlerische 
und  'literarische  Leben  jener  Stadt  einen  bleibenden  Einfluss  ausübte.  H.  seines 
Theils  gründete  und  übernahm  die  Leitung  eines  Singinstitutes,  aus  welchem 
1807  ein  stehendes  Concertunternehmen  wurde,  bei  dem  er  ziemlich  häufig  er- 
folgreich als  Pianist  auftrat  und  für  welches  er  Vocal-  und  Instrumentalwerke 
componirte.  Im  März  1809  wurde  H.  nach  Liegnitz  versetzt  und  wirkte  neben 
seinem  eigentlichen  Berufe  im  Steuerfache  auch  als  Musiklehrer  an  der  ßitter- 
akademie  überaus  anregend  und  fördernd.  Endlich,  1816,  kam  er  als  Regie- 
rungsrath  nach  Oppeln,  wo  er  eine  Gesellschaft  zur  Unterredung  über  musi- 
kalische Gegenstände  errichtete,  aber  immer  mehr  kränkelnd,  am  9.  Juni  1823 
an  einer  Halsentzündung  starb.  Yon  seinen  Compositionen  sind  besonders 
Cantaten  und  Festgesänge,  sowie  die  Oper  »die  Rückkehr«  (1816)  zu  nennen. 
Unter  seinen  nachgelassenen  Papieren  fanden  sich  mehrere  schätzenswerthe 
theoretische  Abhandlungen,  namentlich:  »Beiträge  zu  einer  Methodologie  für 
den  Musikunterricht,  insbesondere  zur  Erlernung  des  Clavierspiels«. 

Hampel,  Anton  Joseph,  einer  der  grössten  deutschen  Hoimvirtuosen 
des  18.  Jahrhunderts,  war  um  1748,  unter  Hasse's  Direktion,  in  der  Kapelle 
zu  Dresden  angestellt  und  ist  der  Erfinder  der  besten  Art  der  sogenannten 
Inventions-Hörner,  die  der  Instrumentenmacher  Joh.  Werner  in  Dresden  nach 
seiner  Angabe  zuerst  verfertigte,  sowie  auch  der  Dämpfer  oder  Sordinen  für 
das  Hörn.  Unter  H.'s  Schülern  ragt  Punto  (Stich)  als  besonders  berühmt 
hervor.     H.  selbst  scheint  bald  nach  1766  gestorben  zu  sein. 

Hampel,  Hans,  deutscher  Pianist  und  Componist,  geboren  am  5.  Octbr. 
1822  in  Prag,  zeigte  schon  frühzeitig  beachtenswerthe  Anlagen  zur  Musik, 
weshalb  ihn  seine  Eltern  sorgfältig  unterrichten  Hessen.  Nachdem  er  bedeu- 
tende Fortschritte  im  Pianofortespiel  gemacht  hatte,  nahm  er  nach  absolvirten 
Gymnasialklassen  im  J.  1837  bei  "Wenzel  Tomaschek  Unterricht  im  höheren 
Ciavierspiel  und  der  Composition  und  bildete  sich  zu  einem  bedeutenden  Vir- 
tuosen und  Componisten.  Ueber  H.'s  Ciavierspiel  schrieb  im  J.  1845  der 
rigorose  Tomaschek  wie  folgt:  »H.  zeichnet  sich  durch  einen  schönen  Anschlag 
und  eine  seltene  Leichtigkeit  in  Behandlung  der  schwierigsten  Passagen,  sowie 
durch  sein  ausgezeichnetes  Bravourspiel  und  seelenvollen  Vortrag  aus  und  kann 
ohne  Bedenken  den  Heroen  im  Pianospiel   angereiht  werden.«     Als  Componist 

Musikal.  Convers.-T.exikon.    IV.  33 


514  Hampelu  —  Hand. 

gehört  H.  zu  der  kleinen  Scliaar  von  Tonkünstlern,  die  sich  das  Sprichwort: 
Non  multa  sed  multum  zum  Grundsatz  nahmen.  Unter  seinen  Claviercompo- 
sitionen,  die  fast  alle  vom  düstern  Schleier  der  Schwermuth  umflort  sind, 
ragen  vorzüglich  hervor:  »Das  Entzücken«  (op.  8),  ein  würdiges  Seitenstück  zu 
R.  Schumann's  Frühlingsnacht,  eine  Ciavierfuge  (op.  21),  Cadenzen  zu  Beet- 
hoven's  3.  Clavierconcert,  r>Theme  varien  in  G  (op.  23)  und  besonders:  »Lieb- 
Annchen«,  Fantasiestück  in  vier  Bildern  (op.  10),  das  sich  durch  treffliche 
Charakteristik  und  geistreiche  Durchführung  auszeichnet,  viele  ergreifende 
Momente  enthält  und  als  Unicum  in  der  Clavierliteratur  gelten  dürfte.  Ausser 
den  Claviercompositionen,  die  sämmtlich  im  Drucke  erschienen  sind,  schrieb  H. 
ein  Requiem  und  anderes  wenig  Bekanntes,  Er  lebt  in  Prag  in  grosser  Zurück- 
gezogenheit. M — s. 

Hampeln,  Karl  vou,  berühmter  deutscher  Violinist,  namentlich  Quartett- 
spieler, und  Componist  für  sein  Instrument,  geboren  am  30.  Jan.  1765  zu 
Mannheim  und  dort  wie  in  München  musikalisch  gebildet.  Noch  sehr  jung, 
übernahm  er  die  Direktion  der  Hofkapelle  des  Fürsten  von  Fürstenberg  zu 
Donaueschingen,  nach  dessen  Tode  er  in  gleicher  Eigenschaft  an  den  Hof  von 
Hechingen  kam.  Im  J.  1811  folgte  er  einem  Rufe  als  Hof-Musikdirektor  nach 
Stuttgart,  welchem  Amte  er  anerkannt  und  hochgeschätzt  bis  zu  seiner  Pen- 
sionirung  am  31.  Decbr.  1825  vorstand.  Er  starb  am  23.  Novbi'.  1834  zu 
Stuttgart.  Von  seinen  Compositionen  sind  nur  eine  concertirende  Sinfonie  für 
vier  Violinen  und  ein  Violinconcert  in  Es-dur  im  Druck  erschienen. 

Hau,  Gerardo,  Glockenist  und  Tonsetzer,  an  dem  Stadthause  zu  Amsterdam 
im  J.  1730  angestellt,  liess  bei  Roger  »Sonate  a  tre,  op.  1«  seiner  Composition 
erscheinen.  -f 

Hauakisch  nannte  man  in  Deutschland  einen  polonaisenartigen  Tanz  im 
■''/4-Takt,  der  ähnliche  Vorhaltschlüsse  in  der  Musik,  wie  die  Polonaise  besitzt, 
jedoch  in  schnellerer  Art  als  diese  ausgeführt  werden  musste.  Er  soll  eine 
Erfindung  der  Hanaken,  der  ältesten  slavischen  Bewohner  Mährens,  die  an  den 
Uf«rn  der  Hanna  ihre  Wohnsitze  hatten  und  noch  haben,  gewesen  sein,  nach 
ihnen,  die  Musik  und  Tanz  sehr  liebten,  seinen  Namen  erhalten  und  selbst 
einige  Zeit  hindurch  in  Deutschland  Verehrer  gefunden  haben.  Die  Prager 
Tanzmeisterzunft  erwähnt  übrigens  in  einem  von  ihr  1788  herausgegebenen 
Werke,  das  ungefähr  neunzig  Namen  böhmischer  Tänze  bringt,  des  H.  mit 
keiner  Sylbe.  2. 

Hanard,  Martin,  Canonicus  an  der  Katbedralkirche  zu  Cambrai,  wird 
unter  den  besseren  Kirchencomponisten  des   15.  Jahrhunderts  genannt. 

Hanbnrg',  William,  ein  sonst  unbekannter  Engländer,  liess  nach  v. Blanken- 
burg's  Zusätzen  zum  Sulzer  Band  II  S.  412:  tiAnecdot.  of  tJie  five  music, 
meatings  at  Ghurch-Langtona  (London,  1768)  im  Druck  erscheinen.  f 

Hanc,  Andreas,  ein  Nürnberger  Oi-gelbauer,  der  sich  im  17.  Jahrhundert 
in  Krakau  und  anderwärts  in  Polen  aufhielt.  Sonst  ist  von  seinem  Leben 
und  Wirken  nichts  bekannt  geblieben.  f 

Hauck,  Johann,  Ende  des  17.  Jahrhunderts  Cantor  zu  Strehlen  in 
Schlesien,  setzte  aus  der  vom  Magister  Kieschen  1679  herausgegebenen  Esels- 
stimme einige  geistliche  Lieder  in  Musik.  f 

Hand  oder  harmonische  Hand,  s.  Guido  von  Arezzo. 

Hand,  Ferdinand  Gotthelf,  Geheimer  Hofrath  und  Professor  der  grie- 
chischen Literatur  zu  Jena,  geboren  am  15.  Febr.  1786  zu  Plauen  im  säch- 
sischen Voigtlande,  besuchte  das  Lyceum  in  Sorau  und  seit  1803  als  Philologe 
die  Universität  in  Leipzig,  an  welcher  er  sich  auch  1809  als  Docent  habilitirte. 
Im  J.  1810  wurde  er  Professor  am  Gymnasium  zu  Weimar  und  1817  an  der 
Universität  zu  Jena,  als  welcher  er  vielfach  ausgezeichnet  wurde.  Neben  seinen 
Berufsarbeiten  erwarb  sich  H.  durch  mehrjährige  Leitung  der  akademischen 
Concerte  und  durch  die  in  seinem  Hause  veranstalteten  musikalischen  Abend- 
cirkel    einen    nachhaltigen    fördersamen  Einfluss    auf    die    akademische  Jugend, 


Haudbassl  —  Hanisch.  515 

überhaupt  auf  das  Kunstleben  Jena's.  Von  seinen  Sclirlften  behauptet  seine 
»Aesthetik  der  Tonkunst«  (2  Bde.,  Jena,  1837  und  1841)  einen  noch  immer 
unübertroffenen  Werth  und  wäre  einer  Neubearbeitung  wohl  würdig.  H.  selbst 
starb  am  14.  März  1851  zu  Jena. 

Haudbassl,  s.  Fagottgeige. 

Haudgrriffe  oder  Knöpfe  nennt  man  diejenigen  Theile  der  Registerzüge 
in  der  Oi'gel,  welche  zu  beiden  Seiten  der  Claviatur  angebracht  sind,  damit 
sie  der  Orgelspieler  anziehen  und  zurückschieben  kann.  Auf  oder  über  den 
H.  sind  zugleich  die  verschiedenen  Orgelstimmen  mit  ihrer  Tongrösse  ver- 
zeichnet. 

Haudklappern,  s.  Castagnetten. 

Handl,  s.  Gallus. 

Handleiter  oder  Handbildner,  s.  Chiroplast. 

Haudlo,  Robert  de,  englischer  Musiker  des  14.  Jahrhunderts,  soll  über 
die  Regeln  des  Franco  von  Cöln  1326  einen  Commentar  geschrieben  haben, 
weshalb  man  ihn  für  den  Erfinder  des  Cantus  mensurahilis  (s.  d.)  ansehen 
kann;  wenigstens  wies  man  ihm  in  Folge  dessen  die  Stelle  neben  de  Muris  an. 
Vgl.  Hawkins  Hist.  of  music  Vol.  II  p.  16,  17,  175  bis  179  und  Gerber's 
Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812.  f 

Handrock,  Julius,  tüchtiger  Pianist  und  beliebter  Pianofortecomponist, 
geboren  am  22.  Juni  1830  zu  Naumburg  a.  S.,  erhielt  einen  vortrefflichen 
Musikunterricht,  auf  Gruud  dessen  er  in  Leipzig  seine  höheren  Studien  ab- 
solviren  konnte.  Er  Hess  sich  in  Halle  a.  S.  als  Musiklehrer  nieder  und  erwarb 
sich  als  solcher,  wie  als  Componist  zahlreicher  frisch  erfundener  und  auf  den 
Unterricht  berechneter  Ciaviersachen  allseitige  Anerkennung. 

Handstücke  oder  Handsachen  nennt  man  die  kleinen,  leichten,  vorzugs- 
weise zur  technischen  TJebung  dienenden  Stücke  für  Anfänger  im  Ciavier-  oder 
im  Spiel  anderer  Instrumente.  Eine  zweckmässige  Beschäftigung  der  Hände 
resp.  der  Finger,  sowie  fassliche  Behandlung  des  Lehrstoffes  sind  die  Haupt- 
erfordernisse dieser  Art  von  Etüden. 

Haudtasten,  s.  Manual. 

Handtronnnel,  s.  Tambourin. 

Hanemann,  Moritz,  guter  Violoncellist  der  königl.  Kapelle  in  Berlin, 
geboren  am  28.  Febr.  1808  zu  Löwenberg,  erhielt  von  seinem  Vater,  einem 
pensionirten  Stabshautboisten,  und  später  von  dem  Violoncellisten  Taschenberg 
in  Breslau  Musikunterricht.  Im  J.  1828  begab  er  sich  mit  einflussreichen 
Empfehlungen  nach  Berlin,  wo  ihn  Türrschmidt  in  der  Musiktheorie  und  Hans- 
mann im  Violoncellspiel  weiter  ausbildeten.  Bald  darauf  wurde  er  Accessist 
der  königl.  Opernkapelle  und  1830  als  Kammermusiker  angestellt.  Nebenbei 
ertheilte  er  Unterricht  auf  dem  Claviere,  Violoncello  und  der  Flöte  und  ver- 
anstaltete in  seinem  Hause  häufige  Quartettversammlungen.  Componirt  hat  er 
nicht,  aber  in  vielen  Gelegenheitsaufsätzen,  welche  die  Berliner  Musikzeitungen 
brachten,  gesunden  Witz  und  Laune  offenbart,  Eigenschaften,  die  ihn  überhaupt 
als  Gesellschafter  weithin  beliebt  gemacht  haben.  Obwohl  seit  etwa  1870 
kränkelnd  und  in  letzter  Zeit  vom  Dienste  dispensirt,  ist  er  dennoch  als  actives 
Mitglied  der  königl.  Kapelle  noch  im  J.  1874  aufgeführt. 

Hanf,  Johann  Nicolaus,  deutscher  Vocal-  und  Instrumentalcomponist, 
geboren  um  1630  zu  Wechmar,  war  zuerst  Kapelldirektor  zu  Eutin  und  endlich 
Domorganist  zu  Schleswig,  als  welcher  er  um  1706  starb.  Von  seinen 
Arbeiten  waren  besonders  Claviercompositionen  in  jener  Zeit  vortheilhaft 
bekannt. 

Hang-est,  Hieronymus,  französischer  Geistlicher  und  Gelehrter,  geboren 
zu  Compiegne  und  gestorben  1538  als  oberster  Vikar  und  Canonicus  der 
Kirche  zu  Maus,  hat  durch  seine  Schrift  ride  proportionibus«  sein  Andenken 
erhalten.  t 

Hanisch,  Franz,    guter  Oboebläser    und  Componist    für    sein  Instrument, 

33* 


5 Iß  Hanisch    -  Hankel. 

weboren  in  Böhmen,  war  seit  1790  als  Kammermusiker  in  der  Kapelle  des 
Fürsten  von  Thurn  und  Taxis  in  Regensburg  angestellt.  Von  seinen  Compo- 
sitionen  erschienen  Concerte,  Rondos  und  Variationen  für  Oboe,  sowie  einige 
Lieder  mit  Guitarrebegleitung.  —  Unter  gleichem  Namen  machte  sich  ein 
ebenfalls  aus  Böhmen  gebürtiger  Posaunenvirtuose  von  Prag  aus  rühmlich  be- 
kannt, der  nachgehends  Anstellung  in   der  kaiserl.  Kapelle  in  Wien   erhielt. 

Hanisch,  Joseph,  vortrefflicher  deutscher  Orgelspieler  und  Kirchencom- 
ponist,  geboren  zu  Regensburg,  erhielt  Musikunterricht  von  seinem  Vater 
Anton  H.,  welcher  Organist  an  der  alten  Kapelle  daselbst  war,  und  wurde 
nach  dessen  Tode  1836  sein  Nachfolger  im  Dienste.  Vorzüglich  gewann  seine 
höhere  Musikbildung  durch  Proske,  der  ihn  auch  auf  seiner  ersten  Reise  nach 
Italien  als  Grehülfen  und  Mitarbeiter  berief.  Im  J.  1840  trat  H.  als  Organist 
zur  Domkirche  in  Regensburg,  wo  er  noch  gegenwärtig  wirkt.  Von  seinen 
geistlichen  Compositionen  sind  in  Regensburg  und  Einsiedeln  im  Druck  er- 
schienen: »Quatuor  hymni  pro  festo  sacrosancti  corporis  Christi,  4  üoc«,  »Fünf 
lateinische  Predigtgesänge  für  vier  Singstimmen  mit  Orgel  ad  Ub.«i  und  »Missa 
auxilium  Christianorum,  4  vocibus  et  Org.<s. 

Hauisch,  W.  M.,  guter  Pianist  und  beliebter  Pianofortecomponist,  geboren 
1828  zu  Pirna,  widmete  sich  anfangs  dem  öchulfach,  bis  er  sich,  allseitig  dazu 
ermuntert,  der  Tonkunst  ausschliesslich  hingab  und  das  Leijjziger  Conservato- 
rium  bezog,  wo  Hauptmann  und  Rietz  seine  höheren  Studien  leiteten.  Nach- 
gehends fixirte  er  sich  in  Leipzig  als  Musiklehrer  und  trat  auch  als  Componist 
mit  mehreren  Liederheften,  besonders  aber  mit  gefälligen  Salon-  und  instruc- 
tiven   Ciavierstücken  nicht  ohne  Glück  an  die  Oefi'cntlichkeit. 

Hauitscli,  Georg  Friedrich,  deutscher  Tonkünstler,  geboren  am  1.  April 
1790  zu  Grossensee  in  Sachsen- Weimar,  erhielt  zur  Zeit  der  deutschen  Frei- 
heitskriege Anstellung  als  Cantor  zu  Eisenberg  und  componirte  Gesänge  für 
Kirche,  Schule  und  für  Männerchor,  von  welchen  letzteren  das  Bundeslied 
»Sind  wir  vereint  zur  guten  Stunde«,  Gedicht  von  E.  M.  Arndt,  im  besten 
Sinne  bekannt  und  Eigenthum  der  deutschen   Nation  geworden  ist. 

Hanke,  Karl,  gewandter  deutscher  Bühnencomponist  und  Musikdirektor, 
geboren  1754  zu  Rosswalde,  war,  22  Jahre  alt,  Dirigent  der  Kapelle  des 
Grafen  Albrecht  von  Haditz  ebendaselbst  und  schrieb  für  dieses  Orchester  und 
das  damit  in  Verbindung  stehende  Theater  Cantaten,  Sinfonien,  Quartette  und 
die  fünf  Ballets:  »Pygmalion«,  »Die  Jäger«,  »Die  Wassergötter« ,  »Phöbus  und 
Daphne«  und  »Die  Dorfschule«,  wodurch  er  sich  weithin  Ruf  verschaffte.  Als 
1778  der  Graf  zu  Potsdam  gestorben  war,  verheirathete  sich  H.  mit  seiner 
Schülerin,  der  Sängerin  Stormkin,  und  folgte  derselben  an  die  Bühnen  von 
Brunn,  Warschau,  Breslau,  Berlin,  an  das  Seylei-'sche  Theater  in  Hamburg 
u.  s.  w.,  wo  überall  H.  als  Musikdirektor  und  als  Componist  von  Ballets, 
Zwischenaktsmusiken  (zu  Schiller's  »Fiesco«  u.  s.  w.)  und  Opern  sein  Ansehen 
vermehrte.  Besonders  fand  seine  1781  in  Warschau  geschriebene  Operette 
»Robert  und  Haunchen«  die  beifälligste  Aufnahme.  Im  J.  1786  erhielt  er 
einen  Ruf  an  das  damalige  Hoftheater  zu  Schleswig.  Dort  starb  am  20.  April 
1789  seine  Gattin.  Zwei  Jahre  später  verheirathete  er  sich  mit  der  Sängerin 
Berwald,  einer  Schülerin  Naumann's,  und  ging  mit  derselben  1791  nach 
Flensburg,  wo  er  eine  Singschule  und  ein  Concertinstitut  gründete  und  nach 
Overbeck's  Tode  Cantor  und  Musikdirektor  wurde.  Zuletzt  war  er  Stadt- 
musikdirektor in  Hamburg  und  starb  als  solcher  um  1835.  —  Ausser  den 
schon  aufgeführten  Werken  kennt  man  von  ihm  viele  Kirchenmusiken,  Sinfonien, 
die  Opern  »Haphire«,  »Hüon  und  Amande«,  »Doctor  Faust's  Leibgürtel«  und 
die  Chöre  zu  »Rolla's  Tod«,  endlich  gegen  100  Hornduette;  zahlreiche  einzelne 
Gesangstücke  u.  s.  w. 

Hankel,  Anton,  Instrumentenmacher  in  Wien,  hat  sich  1821  als  Erfinder 
der  Physharmonica  einen  dauernden  Ruhm  erworben. 


Hanmüller  —  Hanslick.  5]^  7 

Hanmüller,  Joseph,  deutscher  Hornvirtuose  und  Sänger,  geboren  am 
20.  Septbr.  1774  zu  Diggendorf,  war  in  diesen  beiden  Eigenschaften  in  der 
königl.  Kapelle  und  Oper  in  München  angestellt  und  machte  sich  auch  ausser- 
halb der  baierischen  Hauptstadt  durch  Kuustreiseu  vorthellhaft  bekannt. 

Hauuibal  Pataviuus,  s.  Annibal  Patavino. 

HanOD,  Charles  Louis,  französischer  Tonkünstler,  geboren  1820  zu 
ßemsure,  lebt  als  Organist  zu  Boulogne-sur-Mer  und  veröffentlichte  ein  selt- 
sames Buch,  dessen  voller  Titel  ist:  »Systeme  nouveau  pour  apprendre  ä  aecom- 
pagner  tout  plain-chant  ä  premiere  vue,  au  moyen  d'un  clavier  tratispositeur,  sans 
savoir  la  musique  et  sans  qu'il  soit  necessaire  de  recourir  ä  aucun  maUre« 
(2.  Aufl.,  Boulogne,  1860). 

Hanot,  Frangois,  belgischer  Tonkünstler,  geboren  um  1720  zu  Tournay, 
veröffentlichte  von  seiner  Composition  zwei  Bücher  Sonaten  für  die  Flöte 
allein. 

Haus  ist  der  Name  eines  indischen  Rhythmuszeichens,  das  anzeigt,  dass  es 

sich  um  zwei   Takte,    wovon  leder  drei  Yiertel  in  sich  schliesst:    ~--^--\—^^-\ 
handelt;  dasselbe  hat  folgende  Grestalt:  //•  2. 

Hansel,  Jacob,  Cantor  in  Zittau  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts, 
war  im  Contrapunkt  sehr  gewandt,  wofür  eine  Ode  seiner  Composition  »Fleug 
mein  Seelgen  auf  zu  Gott«,  für  vier  Stimmen  gesetzt,  spricht;  dieselbe  ist  von 
Laur.  Erhard  in  sein  Compendmm  Musices  aufgenommen  worden.  H.  war  ein 
jüngerer  Zeitgenosse  und  College  Hammerschmidt's.  f 

Hansen,  Jan.  Fil.,  ein  sonst  unbekannter  dänischer  Gelehrter,  der  zu 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zu  Kopenhagen  lebte,  hat  daselbst  herausgegeben: 
•aJDisputatio  physica  prior  de  so}iorum  quorundam  in  chordis  conspiratione  ad  prin- 
cipia  physicorum  sxplicata  etc.a   (Kopenhagen,   1707).  t 

Hansen,  Johann  Nicolaus,  dänischer  Mediciner,  geboren  im  Aug.  1808 
zu  Hingkiöping,  wo  sein  Vater  Arzt  war,  besuchte  das  Gymnasium  zu  Schleswig, 
studirte  1827  zu  Kiel  Theologie  und  Philologie  und  hierauf  in  Berlin  Medicin. 
Er  veröffentliclite:  y>De  musicae  in  corpus  humanum  effectu  dissertatio  inaiiguralis 
psycJiologico-medicaa  (Berlin,  1833). 

Hansen,  Niels,  dänischer  Gelehrter,  wird  zu  den  Musikschriftstellern  ge- 
rechnet, weil  er  ein  Werk:  »Musikens  forste  Grundspetninger  anvendte  paa 
Syngekonsten  i  Sperdelshed«  betitelt  (Grundsätze  der  Musik  auf  den  Gesang 
angewendet)  (Kopenhagen,  1777)  herausgab.  Passelbe  bietet  jedoch  grössten- 
theils  nur  die  Hiller'sche  Anweisung  zum  Gesänge  übersetzt.  f 

Haaser,  "Wilhelm,  guter  deutscher  Orgelspieler  und  Componist,  geboren 
am  12.  Septbr.  1738  zu  Unterzeil  in  Schwaben,  trat  sehr  früh  in  den  Pi'ämon- 
stratenser- Orden  und  wurde  in  der  Abtei  Scheussenried  auch  musikalisch  prak- 
tisch (auf  Clavier,  Orgel,  Violine  und  Violoncello)  wie  theoretisch  tüchtig  aus- 
gebildet. Im  J.  1775  kam  er  in  die  Abtei  Lavaldi eu  in  den  Ardennen  und 
gründete  daselbst  eine  Musikschule,  aus  der  u.  A.  Mehul  hervorgegangen  ist, 
der  vier  Jahre  lang  sein  Schüler  war.  H.  war  eben  mit  Verbesserung  des 
Antiphonars  und  der  Gesänge  für  die  Prämonstratenser  beschäftigt,  als  die 
grosse  französische  Revolution  ausbrach,  deren  Schrecken  ihn  wieder  nach 
Deutschland  zurücktrieben,  wo  er  verschollen  ist.  Erschienen  sind  von  ihm 
Vesperpsalmen  und  andere  Kirchenstücke,  sowie  Sonaten  für  Clavier  mit  Violin- 
und  Bassbegleitung.  Im  Manuscript  fanden  sich  von  ihm  noch  Messen,  Mo- 
tetten und  Orgelfugen  vor. 

Hanslick,  Eduard,  vortrefflicher  Ciavierspieler  und  einer  der  feinsinnigsten 
und  geistreichsten  Musikschriftsteller  der  Gegenwart,  wurde  am  11.  Septbr.  1825 
zu  Prag  geboren  und  erhielt  durch  seinen  Vater,  den  rühmlichst  bekannten 
Bibliographen  Joseph  H.,  eine  sorgfältige  Bildung,  welche  auch  die  Musik 
mit  umfasste,  indem  H.  als  Gymnasiast  bei  Tomaschek  Ciavierspiel  und  Theorie 


518  TTanslick. 

studirte.  Um  sich  für  den  Staatsdienst  vorzubereiten,  bezog  er  1846  die  Uni- 
versität zu  Wien,  vollendete  daselbst  1847  die  juridischen  Studien  und  erwarb 
1849  den  Doctortitel  der  betreffenden  Facultät.  In  diesem  Berufskreise  brachte 
er  es  nach  und  nach  bis  zum  Ministerialconcipisten  im  österreichischen  Staats- 
ministerium, welches  Amt  er  bis  um  1866  bekleidete,  seit  welcher  Zeit  er  sich 
der  musikalischen  Kritik,  die  schon  längst  als  seine  eigentliche  Lebensaufgabe 
sich  erwiesen  hatte,  uneingeschränkt  hingab. 

Mit  wahrer  Kunstbegeisterung  nämlich  und  durch  seine  vorangegangenen 
musikalischen  und  philosophischen  Studien  dazu  vorzugsweise  befähigt,  war  H. 
seit  seiner  Ankunft  in  Wien  den  dortigen  überaus  matt  und  flach  gewordenen 
Musikzuständen  mit  Wort  und  Feder  gegenüber  getreten,  und  die  eindringliche 
Schärfe,  die  überzeugende  Logik,  welche  er  trotz  jugendlichen  Ungestüms  gleich 
in  seinen  ersten  Aufsätzen  für  die  Frankl'schen  »Sonntagsblätter«,  die  Schmidt'- 
sche  »Musikzeitung«,  die  österreichischen  »Litcraturblätter«  und  die  »Neue 
Berliner  Musikzeitung«  entwickelte,  bahnten  hauptsächlich  die  allmälige  Ver- 
besserung des  Kunstcultus  in  der  österreichischen  Hauptstadt  und  im  Reiche 
an.  Am  wichtigsten  und  einflussreichsten  aber  erwiesen  sich  seine  stehenden 
Referate  in  den  politischen,  von  aller  Welt  gelesenen  Zeitungen:  in  der  »Wiener 
Zeitung«  (1848  und  1849),  in  der  »Presse«  (seit  1855)  und  besonders  in  der 
»Neuen  freien  Presse«  (seit  1864).  Das  letztgenannte  grosse  Blatt  zählt  ihn 
noch  gegenwärtig  zu  seinen  geistvollsten  Hauptmitarbeitern,  dessen  Stimme 
niemals  ungehört  verhallt.  Einen  bleibenden  literarischen  Namen  erwarb  sich 
H.  durch  sein  epochemachendes  Buch:  »Yom  Musikalisch-Schönen.  Ein  Beitrag 
zur  Revision  der  Aesthetik  der  Tonkunst«  (Leipzig,  1854;  2.  Aufl.  1858; 
3.  Aufl.  1865;  4.  Aufl.  1873).  Diese  Schrift  hat  durch  ihre  philosophisch 
klare  Form,  vorzügliche  Ausführung  und  die  Tendenz,  das  Unberechtigte  in 
der  Tonkunst  in  seine  natürlichen  Grenzen  einzudämmen,  überaus  anregend 
gewirkt  und  die  Musiker  dahin  geführt,  tiefer  über  das  Wesen  ihrer  Kunst 
nachzudenken.  Die  nothwendig  gewordene  vierte  Auflage,  ein  bei  musikwissen- 
schaftlichen Publicationen  seltenes  Ereigniss,  beweist  an  und  für  sich  schon, 
dass  das  Aufsehen,  welches  das  vortrcfiliche  Buch  von  vornherein  erregte,  sich 
trotz  vieler  Anfeindungen,  besonders  von  Seiten  der  neudeutschen  Musikrichtung 
her,  zu  einem  dauernden  Erfolge  gestaltet  hat.  Eine  nicht  minder  gründliche, 
verdienstliche  und  sowohl  vom  specifisch  musikalischen,  als  vom  allgemeinen 
culturhistorischen  Standpunkte  aus  höchst  wichtige  Arbeit  ist  H.'s  »Geschichte 
des  Wiener  Concertwesens«  (Wien,  1869),  die  auf  jeder  Seite  den  ausdauernden 
Fleiss  und  die  reiche  Erfahrung  des  Verfassers  offenbart. 

Im  J.  1856  habilitirte  sich  H.  als  Privatdocent  »für  Aesthetik  und  Ge- 
schichte der  Tonkunst«  an  der  Wiener  Universität,  1861  ward  er  zum  ausser- 
ordentlichen, 1870  zum  ordentlichen  Professor  an  derselben  ernannt,  und  es 
ist  so  durch  H.  zum  ersten  Male  die  höhere  wissenschaftliche  Behandlung  der 
Musik  an  einer  deutschen  Universität  ins  Leben  getreten.  In  den  Jahren 
1859,  1860  und  1863  hielt  H.  jedesmal  einen  Cyclus  öffentlicher  Vorlesungen 
für  Herren  und  Damen  über  »Geschichte  der  Musik«.  Bei  diesen  sowohl  wie 
bei  seinen  Universitätsvorträgen  führte  er  als  der  Erste  consequent  die  Methode 
durch,  die  Vorträge  durchgehends  durch  Aufführung  pr  actis  eh  er  Beispiele 
(am  Ciavier  oder  durch  Säuger)  zu  erläutern,  ein  bemerken swerther  Fortschritt 
gegenüber  der  bisher  üblichen  trocken -theoretischen  Musiklehre.  Im  Winter 
1860  wurde  H.  zum  artistischen  Beirathe  des  Hofoperntheaters  in  AVien  er- 
nannt, legte  diese  Stelle  aber  wegen  Zerwürfnisse  mit  dem  Direktor  Salvi, 
»neben  dem  für  das  Interesse  der  wahren  Kunst  zu  wirken  er  sich  ausser 
Stande  fühlte«,  bald  nieder.  1867  als  Juror  für  die  musikalische  Abtheihing 
der  Pariser  Welt- Ausstellung  erwählt,  erwarb  er  sich  allseitig  grosse  Anerken- 
nune:  und  wusste  namentlich  das  Interesse  der  österreichischen  Instrumenten- 
bauer  so  thatkräftig  zu  wahren,  dass  ihm  von  den  Letzteren  nach  dem  Schlüsse 
der  Ausstellung    eine    prachtvoll    ausgestattete    Dankadresse    überreicht    wurde 


Hansmann  —  Hanssens.  519 

Dasselbe  Amt  wurde  ihm  auch  1872  in  der  Fachcommission  der  "Wiener  "Welt- 
Ausstellung  übertragen  und  von  ihm  mit  gleicher  Umsicht  und  Sorgfalt  ge- 
handhabt. 

Hausmaun,  Ferdinand,  vortrefflicher  Violoncello -Virtuose,  geboren  am 
1.  Aug.  1761  zu  Potsdam,  war  auf  seinem  Instrumente  ein  Schüler  von  J.  P. 
Duport  und  fand  in  Folge  dessen  1784  Anstellung  in  der  Kapelle  des  Prinzen 
von  Preussen  und  nach  dessen  Thronbesteigung  in  der  königl.  Kapelle.  Als 
Violoncellist  durch  seinen  grossen  markigen  Ton  besonders  ausgezeichnet,  war 
er  auch  als  Lehrer  sowie  als  Mensch  in  seiner  Zeit  hochgeschätzt.  Nachdem 
er  sich  im  J.  1828  hatte  pensioniren  lassen,  starb  er  am  26.  Decbr.  1843 
zu  Berlin. 

Hansmann,  Otto  Friedrich  Gustav,  deutscher  Tonkünstler,  geb.  zu  Berlin 
am  30.  Mai  1769  als  der  Sohn  des  Cantors  der  Louisenkirche  Georg  Ben- 
jamin Otto  H.,  wurde  1791  Inspektor  der  Choristen  der  königl.  italienischen 
Oper  zu  Berlin  und  später  Chordirektor.  Ausserdem  wirkte  er  seit  1796  als 
Organistenadjvinkt  und  seit  1798  als  wirklicher  Organist  an  der  Petrikirche, 
nachdem  er  schon  vorher,  um  sein  Einkommen  zu  vergrössern,  auch  eine  An- 
stellung bei  der  Registratur  des  Berliner  Magistrats  angenommen  hatte,  welche 
ihn  später  in  das  Calculaturfach  führte.  Hier  stieg  er  zum  Geheimen  expedi- 
renden  Secretair  des  Finanzministeriums  und  1833  zum  königl.  Rechnungsrathe 
auf.  Mit  einem  vom  ihm  1804  errichteten  Gesangvereine  trat  er  1816  zuerst 
vor  die  Oeffentlichkeit  und  erhielt  für  die  Aufführungen  desselben  die  Dom-, 
weiterhin  die  Garnisonkirche  eingeräumt.  Als  dieser  Verein  am  28.  Octbr.  1829 
sein  silbernes  Jubiläum  feierte,  wurde  H.  zum  Ehrenbürger  der  Stadt  Berlin 
ernannt.  Sein  vornehmstes,  aber  nicht  unbeanstandet  gebliebenes  Verdienst  ist 
es,  dass  er  einen  wahrhaften  Cultus  der  Graun'schen  Passionscantate  »Der  Tod 
Jesu«  in  Berlin  ins  Leben  gerufen  hat,  welches  "Werk  bis  1873  au  jedem  Grün- 
donnerstage durch  den  H.'schen  Verein,  für  dessen  Fortbestand  sein  Sohn,  der 
am  21.  Aug.  1873  als  Geheimer  Rechnungsrath  im  Finanzministerium  ge- 
storbene Karl  Eduard  H. ,  und  dessen  Schwager,  der  Musikdirektor  und 
Professor  Jul.  Schneider  sorgten,  zur  Aufführung  gelangte.  H.  selbst  starb 
am  4.  Mai  1836  an  einem  Lungenschlage  zu  Berlin,  nachdem  er  noch  kurz 
zuvor,  am  30.  April,  der  Vorführung  seines  Lieblingswerkes  beigewohnt  hatte. 
Von  seinen  Compositionen  ist  keine  gedruckt  worden.  —  Eine  Tochter  von  ihm, 
Gesangschülerin  Tombolini's,  ist  1813  als  Frau  Schubert  in  Kirchenconcerten 
aufgetreten. 

Hanssens,  Charles  Louis  Joseph,  zur  Unterscheidung  von  dem  Nach- 
folgenden auch  H.  der  ältere  genannt,  stammte  aus  einer  in  Belgien  schon 
lange  rühmlichst  bekannten  Musikerfamilie  und  war  am  4.  Mai  1777  zu  Gent 
geboren.  Von  Vauthier  im  Violinspiel  und  von  Verheym,  dem  Kapellmeister 
der  Kathedrale,  in  der  Harmonielehre  unterrichtet,  machte  er  in  Paris  bei 
Berten  Compositionsstudien  und  vollendete  bei  seinem  älteren  Bruder  Joseph 
H.  und  bei  dem  Violinisten  Femy  seine  Ausbildung.  Hierauf  fungirte  er 
mehrere  Jahre  lang  an  holländischen  Bühnen  als  Musikdirektor  und  kam  1825 
mit  einem  ausgezeichneten  Dirigentenrufe  nach  Brüssel,  wo  ihm  1827  die 
Direktion  der  königl.  Privatkapelle  und  ein  Jahr  später  auch  das  Inspectorat 
an  der  Musikschule,  aus  der  bald  darauf  das  Conservatorium  hervorging,  über- 
tragen wurde.  Von  1831  an  lebte  er  einige  Jahre  zurückgezogen,  erhielt  aber 
1835  die  königl.  Dirigentenstelle  wieder  und  wurde  sjDäter  sogar  Mitdirektor 
des  Theaters  de  la  Monnaie.  Es  starb  am  6.  Mai  1852  zu  Brüssel.  Seine 
tüchtige  Kunstbildung  hat  er  auch  als  Kirchen-  und  Operncomponist  bewährt. 
Man  kennt  von  ihm  Messen  und  viele  Gelegenheitscantaten,  sowie  die  Opern 
ToLes  dotsd,  »ie  solitaire  de  Formenterad,  -nLa  parthie  de  trictracd  und  »^Z- 
cibiadcd. 

Hanssens,  Charles  Louis,  auch  als  der  Jüngere  bezeichnet,  zählt  nicht 
minder    wie    der    Vorige    zu    den    belgischen    Musiknotabilitäten.      Geboren    zu 


520  Haranc  —  Haider. 

Gent  am  10.  Juli  1802,  verlebte  er  seine  Jugend  in  Holland  und  bildete  sich 
meist  durch  Selbststudien  zu  einem  tüchtigen  Violoncellisten  und  Componisten 
aus,  so  dass  er  schon  1812  im  Orchester  des  Nationaltheaters  zu  Amsterdam 
Anstellung  fand  und  zehn  Jahre  später  ebendaselbst  Orchesterchef  wurde. 
Dennoch  begnüwte  er  sich  1824  wieder  mit  einer  Violoncellisten  stelle  im  Theater 
zu  Brüssel,  freilich  um  schon  nach  sechs  Monaten  in  Folge  einer  von  ihm  zum 
Benefiz  der  Griechen  componirten  Cantate  zum  zweiten  Orchesterchef  und  1827 
zum  Professor  der  Harmonielehre  an  der  königl.  Musikschule  ernannt  zu  wer- 
den. Die  Revolution  von  1830  trieb  ihn  wieder  nach  Holland,  von  wo  aus 
er  1834  als  Solovioloncellist  an  das  Theater  Ventadour  in  Paris  berufen,  drei 
Monate  später  aber  schon  zweiter  Dirigent  und  Componist  dieses  Theaters 
wurde.  Der  Bankerutt  der  Direktion  im  J.  1835  führte  H.  abermals  nach 
Holland,  wo  er  im  Haag  die  Musikdirektion  der  französischen  Oper  übernahm. 
Ein  Jahr  sj)äter  war  er  wieder  in  Paris,  fand  jedoch  keine  Anstellung  und 
ging  1837,  von  Noth  bedrängt,  nach  Brüssel.  Dort  führte  er  sich  mit  einem 
Requiem  seiner  Composition  glänzend  ein  und  wurde  zum  Professor  am  Con- 
servatorium  ernannt,  später  in  die  Akademie  der  Künste  gewählt  und  endlich 
als  königl.  Kapellmeister  der  Oper  angestellt.  Von  Auszeichnungen  überhäuft, 
starb  er  am  17.  April  1871  zu  Brüssel.  Man  kennt  von  ihm  Messen,  Can- 
taten,  Sinfonien,  10  Balletj^artituren,  zwei  nicht  zur  Aufführung  gelangte  Opern 
und  Concerte  für  Violine,  Violoncello  und  für  Clarinette.  Fetis  rühmt  von  H., 
dass  er,  ehrenhaft  und  tüchtig  in  seinem  Streben,  der  Mode  nie  Concessionen 
gemacht  habe  und  so  unbekümmert  um  den  Beifall  der  Menge  gewesen  sei, 
dass  er  kein  Werk  seiner  Composition  habe  drucken  lassen. 

Haranc,  Louis  Andre,  französischer  Violinvirtuose  und  Instrumental- 
componist,  geboren  1738  zu  Paris,  soll  schon  in  seinem  6.  Jahre  die  schwersten 
Sonaten  von  Tartini  fei-tig  gespielt  haben.  Von  1758  bis  1761  war  er  auf 
Reisen  in  Italien,  wurde,  nach  Paris  zurückgekehrt,  1770  in  der  königl.  Ka- 
pelle als  erster  Violinist  angestellt  und  1775  zum  Direktor  der  Privatconcerte 
der  Königin  ernannt.  Durch  die  französische  Revolution  um  diese  Aemter 
gebracht,  musste  er  1790  als  Violinist  an  das  Theater  Montansier  gehen.  Er 
starb  1805  zu  Paris.  Von  seinen  Compositionen  sind  Violin- Sonaten  mit  Bass- 
begleitung und  Violinduette  im  Druck  erschienen. 

Haravi  ist  der  Gattungsname  für  mexikanische  lyrische  Gesänge;  jeder 
einzelne  erhielt,  je  nach  seiner  Nutzanwendung,  noch  einen  besonderen  Namen. 

2. 

Harbordt,  Johann  Gottfried,  deutscher  Flötist,  der  zu  Ende  des  18. 
und  Anfangs  des  19.  Jahrhunderts  in  Braun  schweig  lebte,  gab  daselbst  einige 
seiner  Compositionen  heraus,  nämlich:  Elf  Variationen  über  Bornhard's  Lied 
»Ich  lobe  mir  den  frischen  Quell«  (1796);  zwei  Hefte,  enthaltend  je  III  Duos 
tres  faciles  pour  2  Flutes  als  op.  2  (1796)  und  drei  gleiche  Duos  als  op.  16 
(1799).  t 

Hard,  Johann  Daniel,  deutscher  Virtuose  auf  der  Violdagamba,  geboren 
am  8.  Mai  1696  zu  Frankfurt  a.  M.,  war  zuerst  Kämmerer  und  Gambist  am 
Hofe  des  Königs  Stanislaus  zu  Zweibrücken,  dann  vier  Jahre  lang  Kammer- 
musiker des  Bischofs  von  Würzburg  und  endlich  1725  in  der  würtembergischen 
Hofkapelle,  in  welcher  ihn  Herzog  Karl  Alexander  zum  Concertmeister  und 
Herzog  Karl  Eugen  zum  Kapellmeister  ernannte.  Er  starb  um  1770  zu 
Stuttgart. 

Härder,  August,  allbeliebter  deutscher  Gesangcomponist,  geboren  1774 
zu  Schönerstädt  bei,  Leisnig  in  Sachsen,  erhielt  von  seinem  Vater,  einem  Schul- 
meister, den  ersten  wissenschaftlichen  und  musikalischen  Unterricht.  Um  Theo- 
logie zu  studiren,  besuchte  er  das  Gymnasium  zu  Di'esden  und  die  Universität 
in  Leipzig.  Hier  kam  er  als  Musiklehrer  und  Componist  in  Flor  und  gab 
deshalb  um  1800  die  Theologie  ganz  auf.  Seine  gegen  50  Hefte  betragenden 
Lieder     und     Gesänge    machten     enormes    Glück;     einige    Nummern    derselben 


Hardig  —  Harfe.  521 

haben  sicli  bis  beute  beliebt  erhalten  und  befinden  sich  in  den  Erk'schen 
Liedersani mhmgen.  Als  Leipzig  am  19.  Octbr.  1813  erobert  wurde,  lag  H. 
am  Nervenfieber  darnieder;  die  mit  diesem  Ereigniss  verbundene  Aufregung 
beschleunigte  seinen   Tod,  der  zehn   Tage  darauf,  am  29.  Octbr.  erfolgte. 

Hardig-,  s.  H artig. 

Hardonin,  Henri,  französischer  Geistlicher  und  Kirchencomponist,  geboren 
1724  zu  Grandpre  als  der  Sohn  eines  Hufschmieds,  erhielt  seine  erste  musi- 
kalische Bildung  als  Chorknabe  an  der  Kathedrale  zu  Rheims,  wo  er  auch  nach 
seiner  Priesterweihe  Kapellmeister  und  Canonicus  wurde.  Er  starb  am  13.  Aug. 
1808  zu  Grandpre  und  hinterliess  mehr  als  40  Messen  und  erstaunlich  viele 
andere  Kirchenwerke  im  Manuscript,  die  sich  sämmtlich  durch  wackere  Arbeit 
auszeichnen.  Auch  ein  Lehrbuch  des  liturgischen  Gesanges  für  die  Diöcese 
Rheims  hat  er  (Rheims,  1762)  herausgegeben,  welches  mehrere  Auflagen 
erlebte. 

Hardt,  Hermann  von  der,  deutscher  Gelehrter,  geboren  zu  Molle  in 
"Westphalen  am  15.  Novbr.  1660  und  vor  seinem  Tode,  der  am  28.  Febr.  1746 
erfolgte,  Professor  der  morgenländischen  Sprachen  zu  Helmstädt,  war  einer  jener 
Vielschreiber,  die  zwar  Bewunderung  von  ihren  Zeitgenossen,  doch  nicht  von 
der  Nachwelt  erhalten  haben.  Unter  seinen  unzähligen  Schriften  befindet  sich 
auch  eine  musikalischen  Inhalts,  nämlich  y>Ärion  CitJiaroedusv.  (Helmstädt, 
1719).  t 

Hardy,  ein  zu  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  zu  London  lebender  Yiolon- 
cellist,  veröfi'entlichte  daselbst  um  1800:  y>  Violoncello  -preceptor  xvith  scales  for 
ftngering  in  tJie  various  Icei/s.a  —  Ein  französischer  Oberst  gleichen  Namens, 
der  als  Tonkünstler  und  Maler  ein  bemerkenswerthes  Talent  besass,  fiel  1856 
im  Krimkriege.  Man  kennt  von  ihm  u.  A.  zwei  Opern,  von  denen  die  eine: 
y>Les  ßlles  d'Jw?ineur  de  la  reinea  1854  zu  Algier  mit  Beifall  zur  Aufi'ührung 
gelangt  war. 

Harenlberg',  Johann  Christoph,  deutscher  Gelehrter,  geboren  am  28. 
April  1696  zu  Langenholzen  bei  Hildesheim,  war  der  Sohn  eines  armen  Bauern 
und  erhielt  vom  Ortsschullehrer  guten  Ciavier-  und  Orgelunterricht,  der  ihn 
befähigte,  als  er  die  Gelehrtenschule  in  Hildesheim  und  die  Universität  in 
Göttingen  besuchte,  selbst  auch  Musiklectionen  zu  ertheilen.  Nachgehends 
wurde  er  Professor  am  Carolinum  zu  Braunschweig  und  starb  als  Probst  des 
St,  Lorenzstifts  zu  Schöningen,  am  12.  Novbr.  1774.  Die  Ergebnisse  seiner 
tiefen  und  scharfsinnigen  Forschungen  über  die  alte,  namentlich  hebräische 
Musik  befinden  sich  in  folgenden  seiner  Abhandlungen:  y>Veri  divinique  natales 
circumcisionis  judaici,  templi  Salomonei,  musices  Davidicae  in  sacris  et  haptismi 
Christianorumv.  (Helmstädt,  1720)  und  »Cojmnentatio  de  re  musica  vefustissima, 
ad  illustrandum  scriptores  sacros  et  exteros  accommodatav.  (im  9.  Stück  der  Leipz. 
gelehrten  Ztg.  von  1753).  Ferner  hat  man  von  ihm  einen  vortrefflichen  Auf- 
satz: »Yen  der  Reformation  der  Kirchen-  und  übrigen  Musik  im  11.  Jahr- 
hundert« (im  50.  Stück  der  Braunschweig.  Anzeigen  von  1748,  pag.  1001  fi".) 
und  endlich  auch  in  denselben  Anzeigen  von  1747,  60.  Stück,  einen  Artikel, 
in  welchem  er  darthut,  dass  der  im  2.  Buche  Samuelis  1,  18  erwähnte  Bogen 
kein   Streit-,  sondern  ein  musikalischer  Bogen  gewesen  sei. 

Harfe  (ital.  arpa,  franz.  Tiarpe)  ist  der  Name  eines  Saiteninstruments,  der 
nach  Einigen  vom  griechischen  anm],  Sichel,  nach  Anderen  von  «((77«gro,  ich 
reisse,  abgeleitet  sein  soll.  "Weit  älter  jedoch  als  dieser  im  Abendlande  ge- 
bräuchliche Name  und  dessen  Entstehung  aus  dem  Griechischen  ist  dies  In- 
sti'ument  selbst.  Es  ist,  wenn  man  nach  seiner  Gestaltung  urth eilen  darf,  ein 
ursprünglich  im  assyrischen  sowohl  wie  im  ägyptischen  Musikkreise  je  selbst- 
ständig erfundenes  Tonwerkzeug,  das  im  chinesischen  und  indischen  durch  ander- 
weitige früher  oder  gleichzeitig  erfundene  Saiteninstrumente,  die  dem  Geiste 
der  dort  herrschenden  Tonkunst  entsprachen,  unnöthig  erscheinen  rausste,  wenn 
es  selbst  diesen  Völkern  bekannt  wurde.     In  Assyrien  (s.  assyrische  Musik 


522  Harfe. 

und  die  dazu  gehörige  Abbildung)  erfreute  sicli  jedoch  dies  Tonwerkzeug  einer 
besonders  sorgsamen  Pflege.  Zur  Reguliruug  des  Gesanges  in  grosser  Menge 
fast  bei  allen  grösseren  pomphaften  Aufzügen  in  Gebrauch,  erhielt  es  seine 
diesem  Zwecke  entsprechende  Gestaltung.  Man  baute  die  dort  gebräuchlichen 
H.n  in  sehr  verschiedenen  Grössen  und  gab  denselben  wahrscheinlich  den 
Namen  Magadis  (s.  d.).  Nach  einer  Auslassung  Anakreon's,  geboren  530 
V.  Chr.  zu  Teos  in  Kleinasien,  die  in  einem  Bruchstück  des  Athenäus  angeführt 
wird,  die  früheste  diesbezügliche  Quelle,  ist  dies  wenigstens  zu  verrauthen. 
Der  Resonanzboden  der  Magadis  befand  sich,  wenn  das  Instrument  gespielt 
wurde,  oberhalb  der  Saiten  und  der  Stock,  an  welchem  durch  verschiebbare 
Wülste,  wie  dies  noch  heute  im  Morgenlande  üblich  ist,  die  Saiten  gestimmt 
wurden,  hatte  eine  von  den  Hüften  ab  horizontale  Lage.  Ein  Trageriemen, 
über  die  Schulter  zu  legen,  dessen  Enden  an  dem  Resonanzboden  und  dem 
Stocke  befestigt  waren,  bewirkte  die  feste  Stellung  des  Instruments  vor  dem 
Oberkörper  des  Spielers  ohne  Anwendung  der  Hände,  welche  somit  frei 
zum  Eeissen  der  Saiten  bei  jeder  Körperbewegung  demselben  zu  Gebote 
standen. 

"Wie  nach  den  im  Artikel  assyrische  Musik  angestellten  Betrachtungen 
wahrscheinlich,  kannte  man  in  Assyrien  nur  IMetallsaiten  im  Bezug  (s.  d.) 
der  Magadis.  Viele  der  arischen  Völker,  die  in  ihren  Wanderungen  dies  Kul- 
turvolk mehr  oder  weniger  berühren  mussten,  scheinen  von  dieser  H.  Kenntniss 
genommen  zu  haben  und  sie  in  mehr  unausgebildeter  Art,  oder  ihrer  Verwen- 
dung derselben  angemessen  modificirt,  gepflegt  zu  haben.  Für  diese  Annahme 
spricht  wenigstens  die  meist  bei  diesen  Völkern  in  Anwendung  gewesene 
Saitenart,  Metallsaiten.  S.  Germanen  und  Kelten,  Natürlich  ist  eine  Ein- 
wirkung von  griechischer  und  römischer  Seite  her,  wo  die  H.  mehr  der  ägyp- 
tischen ähnlich  gestaltet  und  bespannt  war,  nicht  ausgeschlossen.  Die  Aegypter 
nämlich  hatten  ebenfalls  die  H.  schon  in  frühester  Zeit  in  den  verschiedensten 
Grössen  und  Gestaltungen  in  Gebrauch  (s.  ägyptische  Musik,  besonders  die 
Abbildung  daselbst),  und  wahrscheinlich  haben  sie'  alle  die  Tonwerkzeuge,  wenn 
man  nach  den  Angaben  Eosellini's  in  seinem  Werke  »/  Monumenti  delV  Egittov. 
t.  III  p.  23  und  Tafel  XCV  Fig.  2  und  5  schliesst:  Buni  geheissen.  Von 
der  Magadis  unterschied  sich  die  Buni  durch  die  Lage  des  Resonanzbodens 
zu  den  Saiten  beim  Gebrauch,  die  Grösse,  die  der  gewünschteren  Tonstärke 
wegen  entstanden  zu  sein  scheint,  den  Bezug,  der  aus  Darmsaiten  bestand  und 
dem   Stimmungsapparate,  der  Wirbel  (s.  d.)  zeigt. 

Das  zeitweise  in  beiden  vorerwähnten  Musikkreisen  gelebt  habende  Volk 
der  Hebräer,  das  in  seinem  Cultus  der  Musik  eine  so  hervorragende  Stellung 
einräumte,  pflegte  vor  allen  Instrumenten  die  H.  in  vielerlei  Gestalt  als  Füh- 
rerin des  Gesanges,  die  sie  mit  dem  Gattungsnamen  Negina  (s.  d.),  nD'^M, 
bezeichneten,  wenn  man  den  Untersuchungen  Fetis'  in  seiner  -nHistoire  de  la 
Musiquea  Tome  I  p.  391  folgt,  welche  im  Bezug  und  in  der  Bauart  denen  in 
jenem  Musikkreise  verwandt  waren.  Einzig  neu  scheint  bei  den  Hebräern  die 
harfenartige  Behandlung  der  citherai'tig  gebauten  Tonwerkzeuge,  wenn  die  frü- 
heren Ansichten,  denen  die  Abbildungen  des  Psalters  (s.  d.)  und  Kinnor's 
(s.  d.)  in  Forkel's  Geschichte  der  Musik,  Tlieil  I,  Tafel  II  No.  28  und  29  zu 
verdanken,  nicht  Irrthümer  sind.  Neuere  Forschungen  scheinen  diese  älteren 
Ansichten  nicht  bestätigen  zu  können,  wie  die  Specialartikel  nachweisen.  Da 
über  die  antiken  Tonwerkzeuge  oft  nur  nach  einzelnen  Aussprüchen  älterer 
Schriftsteller  Schlüsse  in  Bezug  auf  die  Gestaltung  derselben  zu  machen  sind 
und  diese  je  nach  dem  Denken  und  Wissen  der  Forscher  bis  heute  noch  sehr 
auseinandergehen:  so  durfte  diese  ältere  Anschauung  hier  nicht  mit  Still- 
schweigen  übergangen  werden. 

Die  bildlichen  Nachrichten,  welclie  von  den  frühesten  H.  Kunde  geben, 
stammen  in  Assyrien  ungefähr  aus  der  Zeit  1000  v.  Chr.  und  in  Aegypten 
2000  V.   Chr.     Dieselben    findet    man     in     sehr    grosser    Zahl    und    sie    zeigen, 


Harfe.  523 

besonders  die  ägyptischen,  eine  Eleganz  und  Ausbildung,  welche  andeutet,  dass 
man  mindestens  Jahrhunderte  lang  schon  an  der  Vervollkommnung  derselben 
gearbeitet  haben  muss.  Man  sehe  nur  die  Abbildungen  im  Berliner  ägyptischen 
Museum,  die  vier  Bilder  in  G.  W.  Finh's  »erster  Wanderung  der  ältesten  Ton- 
kunst« und  V.  Drieberg's  AVörterbuch  der  griechischen  Musik,  und  die  ober- 
flächlichste Betrachtung  derselben  wird  Jedem  lehren,  wie  sehr  die  H.  im  ganzen 
Alterthum  eins  der  höchstgeachtetsten  und  gepflegtesten  Tonwerkzeuge  in  diesen 
Musikkreisen  gewesen  sein  muss.  Ja,  dass  dies  überhaupt  überall  stattfand, 
lässt  sich  ausser  nach  dem  Pomp,  welchen  man  hier  mit  den  H.n  trieb,  auch 
daraus  entnehmen,  dass  die  H.  selbst  bei  den  barbarischen  Völkern  in  jener 
Zeit  in  Ansehen  stand,  wovon  die  Gesetzgebung  derselben  vielfach  sichere 
Kunde  giebt.  So  durfte  man  z.  B.  in  Irland  und  England  dem  Schuldner 
Alles  nehmen,  nur  die  H.  war  und  blieb  bei  hoher  Strafe  unantastbar,  und  bei 
den  Pranken  fühlte  die  ganze  Schwere  des  Gesetzes  derjenige,  welcher  einen 
H.nspieler  an  der  Hand  verletzte.  Wenn  aber  in  Ländern  die  Gesetzgebung 
von  diesem  Musikinstrumente  schon  so  hervorragend  Notiz  nahm,  wo  diese 
Tonwerkzeuge  nach  unserem  Wissen  sich  lange  nicht  einer  solchen  Ausbildung 
erfreuten,  wie  in  Assyrien  und  Aegypten,  um  wie  viel  mehr  wird  man  in 
Aegypten  diese  Instrumente  hoch  gehalten  haben.  Dass  sich  die  H.  im  Abend- 
lande nicht  einer  so  grossen  Ausbildung  erfreute,  wie  im  Morgenlande,  lässt 
sich  zwar  nicht  nach  monumentalen  Darstellungen  beurtheilen,  da  eben  solche 
fast  gar  nicht  vorhanden  sind,  jedoch  die  geringe  Kunde  aus  Sagen  und  Be- 
richten fremder  Schriftsteller  berechtigen  zu  diesem  Ausspruche.  Das  Wenige, 
was  über  die  Beschafi'enheit  und  Bauart  der  occidentalen  antiken  H.n  bekannt  ist, 
bieten  die  Specialartikel,  weshalb  nunmehr  auf  die  mehr  modernen  occidentalen 
H.n  Rücksicht  genommen  werden  darf. 

Spitz-,  Draht-,  Flügel-  oder  Zwitscherharfe,  Arpanetta  (ital.), 
nennt  man  eine  alte  abendländische  H.nart,  die  wahrscheinlich  aus  einer  hebrä- 
ischen entstanden  ist  und  den  Uebergang  von  jener  antiken  zur  modernen  H. 
bildet.  Diese  H.  könnte  man  eine  zitherartige  nennen,  denn  sie  hat  mit  der 
Zither  (s.  d.)  gemein,  dass  die  Saiten  über  dem  Resonanzboden  ausgespannt 
sind  und  mit  den  Fingernägeln  oder  einem  plektrumartigen  Instrument  tönend 
erregt  werden.  Der  Schallkasten  hat  zwei  Resonanzböden  von  gleicher  Gestalt, 
nämlich  der  eines  rechtwinklichen  Dreiecks,  dessen  längster  Schenkel  beinahe 
1  Meter  und  dessen  kleinerer  Schenkel  etwa  halb  so  lang  ist.  Die  Dicke  des 
Kastens,  dessen  grössere  Flächen  die  beiden  Resonanzböden  bilden,  ist  überall 
gleich  gross.  Auf  beiden  Seiten  des  Schallkastens  über  den  Resonanzböden 
befinden  sich  zusammen  49  Di^ahtsaiten ,  ebensoviel  verschiedene  Klänge  zu 
geben  bestimmt,  und  zwar  sind  die  tiefer  klingenden  von  diesen  aus  Messing 
und  die  Discantsaiten  aus  Stahh  Der  Spieler  setzt  beim  Gebrauch  dies  In- 
strument mit  der  Seite,  die  den  kürzeren  Schenkel  des  Dreiecks  bildet,  so  auf 
einen  Tisch,  dass  die  Seite  des  grösseren  Schenkels  seiner  Brust  zu-  und  die 
der  Hypothenuse  derselben  abgewandt  ist.  Die  Saiten  stehen  dann  perpen- 
diculär  und  werden,  wie  erwähnt,  die  an  einer  Seite  des  Schallkastens  befind- 
lichen mit  den  Fingern,  welche  mit  einem  mit  einer  Spitze  versehenen  Finger- 
hute bewaffiiet  sind,  behandelt,  und  zwar  je  eine  Bezugseite  mit  den  Fingern 
nur  einer  Hand.  Dies  Instrument,  ursprünglich  gewiss  nur  zur  Leitung  des 
Gesanges  angewandt,  ist  jetzt  längst  aus  dem  Bereich  der  abendländischen 
Tonwerkzeuge  geschwunden,  da  bei  dem  geänderten  Zeitbedürfniss  für  Melodie- 
führung dasselbe  nicht  mehr  genügte  und  zu  Harmoniegaben  bereits  viel  bessere 
ähnliche  Instrumente  erfunden   sind. 

Dieser  ähnlich  und  wahrscheinlich  nicht  länger  in  Gebrauch  gewesen,  ist 
die  sogenannte  irische  H.,  von  der  die  Leipziger  allgemeine  musikalische 
Zeitung  des  Jahres  1826  in  ihrer  .39.  Nummer  eine  Abbildung  gicbt.  Sie 
unterschied  sich  von  der  vorhererwähnten  nur  dadurch,  dass  sie  einen  doppel- 
chörigen  Bezug  von  28  bis  30  Saiten   besass,   und   darnach   ein  Tonreich  von 


524  Harfe. 

14  bis  15  Klängen  unifasste.  Die  älteste  irische  H.  soll,  so  behauptet  die 
Sage,  nur  vier  Klänge  gegeben  haben.  Von  der  alten  irländischen  H.  über- 
haupt finden  sich  noch  zwei  Exemplare  vor;  das  eine  wurde  1460  von  einer 
Lady  des  Hauses  Lamont  aus  Argyleshire  nach  dem  Hause  von  Lude  in  den 
Hochlanden  von  Perth  gebracht,  und  soll  sich  dort  noch  heute  befinden.  Es 
soll  ungefähr  die  Höhe  eines  Meters  halben  und  30  Saiten  im  Bezüge  geführt 
haben.  Die  andere  H.  wird  in  demselben  Hause  aufbewahrt  und  soll  von  der 
Königin  Maria  einer  Miss  Beatrix  Gardyn  geschenkt  worden  sein.  Dieselbe 
hat  nicht  ganz  die  Höhe  der  vorigen  und  konnte  nur  mit  28  Saiten  bezogen 
werden.  Auch  die  irländische  H.  scheint  bis  zu  ihrem  Verschwinden  haupt- 
sächlich zur  Führung  des  Gesanges  dienlich  gewesen  zu  sein,  jedoch  schon  zu 
harmonischen  Gaben  Verwendung  gefunden  zu  haben.  Das  Festhalten  jedoch 
der  Barden  an  dem  TJeberkommeneu,  wie  die  allmälige  Verbreitung  anderer 
H.n,  scheint  endlich  das  gänzliche  Verschwinden  dieser  Species  befördert  zu 
haben.  Wie  sehr  diese  H.  mit  der  vorherigen  verwandt  ist,  ergiebt  die  Be- 
schreibung "W.  Schneider's  in  seiner  »historisch -technischen  Beschreibung  der 
musikalischen  Instrumente«  vom  J.  1834  S.  96,  wo  er  letztere  beschreibt  und 
derselben   den  Namen  der  ersteren  beilegt. 

Diesen  beiden  H.narten  scheint,  durch  den  abendländisch  sich  entwickeln- 
den Musikgeist  bedingt,  die  sogenannte  Doppelharfe,  italienisch  Arpa  dop- 
pia  genannt,  auch  Davidsharfe  geheissen,  des  späteren  Mittelalters  ent- 
sprossen zu  sein.  Leider  kann  mau  sich  von  dieser  H.  keine  klare  Vorstellung 
machen,  indem  alle  Beschreibungen  so  abgefasst  sind,  dass  sie  der  Fantasie 
weiten  Spielraum  lassen.  Hoffentlich  dürfte  es  noch  einmal  gelingen,  auch 
diese  Wissenslücke  zu  füllen.  »Diese  H.  ist,  wie  es  in  einer  jener  Beschrei- 
bungen heisst,  mit  Stahl-  und  Darmsaiten  bezogen,  hat  zwei  Resonanzböden, 
deren  einer  ganz  durchgeht  und  den  Haupttheil  der  H.  ausmacht;  der  andere 
geht  nur  etwas  über  die  Hälfte  des  Instruments.  Man  setzt  sie  vor  sich,  dass 
der  Resonanzboden  nach  aussen  hin  steht.  An  der  rechten  Seite  oben  ist  für 
die  rechte  Hand  eine  Cymbal  von  Stahl saiten  angebracht.  Der  Umfang  der- 
selben ist  von  c^  bis  f^ ,  der  TJmfang  der  Darmsaiten  rechter  Hand  von  d  bis 
c',  und  linker  Hand  ebenfalls  der  Darmsaiten  von  J5i  bis  b^ ,  aber  nur  ein- 
chörig  bezogen.      Sie  ist  zum  Accompagniren  sehr  geschickt.« 

Die  zitherartigen  H.'n,  wahrscheinlich  dem  hebräischen  Musikkreise  ent- 
sprossen und  durch  die  Phönicier  bis  in  die  weitesten  Regionen  hin  bekannt 
geworden,  fanden  mit  letztgenannter  H.nart  weit  von  der  Heimath,  im  fernen 
Abendlande,  erst  ihren  Abschluss  in  der  Ausbildung.  Der  Hauch  des  abend- 
ländischen Kunstgeistes,  nachdem  er  vergebens  sich  durch  Umformungen  des 
uralten  Instrumentes  dasselbe  dienstbar  zu  machen  versucht  hatte,  verwehte  die 
letzte  Frucht  an  diesem  Kunstbaume,  so  dass,  wie  oben  angedeutet,  nicht  allein 
die  letztgenannte  H.nart  sich  gänzlich  aus  dem  Kunstgebrauch  wie  dem  Völker- 
leben des  Abendlandes  verlor,  sondern  mit  derselben  auch  überhaupt  diese 
Gattung  von   Tonwerkzeugen  aus  dem   Tonleben  aller  Völker  verschwand. 

Dies  Verschwinden  beförderte  vor  allen  Dingen  die  immer  grössere  Aus- 
breitung der  abendländischen  H.,  welche,  unter  dem  Namen  grosse  Davids- 
harfe bekannt,  der  ägyptischen  ähnlich  gebaut  war.  Die  abendländische  H. 
unterscheidet  sich  von  der  vollendetsten  ägyptischen  fast  nur  durch  das  Voi'- 
handensein  des  sogenannten  Vorderholzes,  auch  wohl  Baronstange  genannt. 
Eine  kurze  Betrachtung  über  die  Urform  und  die  Ausbildung  der  ägyptischen 
H.,  sowie  über  die  wahrscheinliche  Urform  und  Entwickelung  der  abendlän- 
dischen, mag,  da  dieselbe  noch  sonst  manches  Merkenswerthe  bietet,  hier  eine 
Stelle  finden.  Blickt  man  noch  einmal  zurück  auf  die  Urform,  Ausbildung 
und  vollendetste  Gestaltung  der  ägyptischen  H.,  so  bemerkt  man  zuletzt,  dass 
ausser  einer  zeitentsprecheuden,  nach  Anwendung  und  Gestalt  vielfachen,  höchst- 
gesteigerten Ausbildung  derselben,  neben  der  vollkommensten  Form  derselben 
in  Volkshänden  dieselbe  noch  in  der  Urform    fortlebte.     Ja,    nicht    allein,    als 


Harfe.  525 

die  vollendetste  H.  längst  unter  die  Wogen  des  politischen  Völkerlebens  be- 
graben worden  war,  wucherte  sie  in  der  Urform  dort,  wo  nur  noch  ein  Füuk- 
chen  des  Geeistes  antiker  Kunst  glühte,  im  Leben  üppig  fort,  sondern  sie  er- 
freute sich  weit  von  ihrer  Urstätte  im  fremden  Lande  auch  noch  in  lünirerer 
Zeit  einer  neuen  Ausbildung,  die  wie  ein  Wurzeltrieb  eines  längst  verwesten 
Baumes  uns  entgegenragt. 

Die  fast  im  ganzen  Morgenlande,  Aethiopien  und  den  Negerlanden  gepflegte 
Rabäbe  (s.d.)  nämlich,  die  daselbst  in  den  Händen  der  niedrigsten  Musiker  sich 
befindet,  hat  noch  heute  dieselbe  Construktion,  wie  vor  4000  Jahren  und  früher 
die  ägyptische  H.  Dies  beweisen  die  im  Londoner  Museum  befindlichen  Reste 
altägyptischer  Tonwerkzeuge,  welche  M.  Salt  in  einem  Grabe  Oberägyptens 
fand.  Diese  Reste,  dem  Gestell  einer  Rabäbe  wie  ein  Ei  dem  andern  ähnlich, 
haben  das  Besondere,  dass  sie  drei,  vier  oder  fünf  Wirbel  besitzen,  während 
die  Rabäbe  AVülste  nur  für  mindestens  fünf  Saiten  hat.  Zuerst  erwähnte  die 
Rabäbe  Capitain  Speke,  der  im  J.  1861  zu  Karage  auf  seiner  Reise  nach  den 
Quellen  des  Nils  auf  dieselbe  aufmerksam  wurde.  Nach  dieser  Zeit  hat  fast 
jeder  Orientreisende  dieselbe  häufig  gesehen  und  sich  wo  möglicli  ein  Exemplar 
mitgebracht.  Auch  Professor  Lepsius  in  Berlin  besitzt  eine  Rabäbe.  Dieselbe 
ist  aus  einem  Stücke  Holz  geformt  und  einer  grossen  löfielartig  gearbeiteten 
Schaufel  mit  krummem,  der  innern  Schaufelfläche  zugeneigtem  Stiele  nicht  un- 
ähnlich, dessen  grösste  Ausdehnung  ungefähr  einen  Meter  beträgt.  Die  Schaufel 
zeigt  sich  dem  Stiele  zugewandt,  kesselartig  ausgehöhlt  und  aussen  wie  der 
Resonanzkasten  der  abendländischen  Laute  (s.  d.)  geformt.  lieber  der  kessel- 
artigen Oeffnung  wurde  ein  Fell  gespannt,  über  das,  unmittelbar  von  dem  vom 
Kessel  ausgehenden  Stiele  ab,  den  Durchmesser  des  Kessels  entlang,  befindet 
sich  im  festen  Zusammenhange  mit  dem  Membran  eine  Holzleiste.  Diese  diente 
als  Saitenhalter  und  zur  Uebertragung  der  Tonschwingungen  auf  das  als  Re- 
sonanzfläche dienende  Membran.  Zu  beiden  Seiten  dieser  Leiste  befinden  sich, 
kreisförmig  geordnet,  mehre  kleine  Löcher  durch  das  Membran,  Schalllöcher. 
Das  Ende  des  Stiels  besitzt  verschiedene  Vertiefungen ,  gewöhnlich  fünf,  in 
denen  Wülste  sich  bewegen,  mittelst  welcher  die  Darmsaiten  um  den  Stiel  ge- 
wickelt und  gespannt  werden.  In  der  Jetztzeit  wird  dies  Instrument  noch  wie 
ursprünglich  zur  Regulirung  des  Gesanges  gebraucht,  nur  findet  man  gegen- 
wärtig noch  ausserdem,  dass  es  oft  im  Vereine  mit  einer  oder  mehreren  schwach- 
tönenden  Trommeln  geschieht. 

Vergleicht  man  mit  dieser  Urform  der  H.  alle  auf  ägyptischen  Bildern 
sich  vorfindende  H.n,  so  bemerkt  man,  wie  mehr  oder  weniger,  aber  stets,  dieser 
kesselartige  Resonanzkasten  bei  allen  diesen  Tonwerkzeugen  hervortritt.  Wenn 
dieser  kesselartige  Schallkasten  in  dem  sich  allmälig  erst  verengenden  Stiel- 
anhange eine  Verlängerung  erhielt,  welche  Form  in  der  im  Gehen  gebrauchten 
auf  der  Schulter  zu  tragenden  H.  eine  allgemein  fast  gleiche  Bildung  zeigte, 
wenn  selbst  mit  der  Zeit  dieser  Stielansatz  die  Gestalt  eines  vierseitigen  Kastens 
annahm  und  an  dessen  schmalerem  Ende  erst  diesem  eine  Wirbelstange  winklich 
fest  eingesetzt  wurde,  so  findet  man  doch  bei  allen,  besonders  den  grössten, 
ägyptischen  H.n  am  weiteren  Ende  des  eckigen  Schallkastens  stets  eine  mit 
den  reichsten  Schnitzwerken  und  Verzierungen  geschmückte  kesselartige  Er- 
weiterung, die  an  die  Wurzelform  der  H.  erinnert.  Dass  bei  der  Anfertigung 
des  Grundgestells  dieser  H.n  stets  die  grösste  Festigkeit  desselben  angestrebt 
werden  musste,  wird  man  selbstredend  finden,  indem  man,  die  Urform  erwei- 
ternd, die  Einzelutheile  derselben  vergrösserte  und  umbildete,  jedoch  nicht  in 
Erwägung  zog,  dass  durch  Dreiecksgestaltung  des  Gestells  sölbst  bei  geringerer 
Sorgfalt  dennoch  eine  grössere  Dauerhaftigkeit  zu  erreichen  möglich  war. 
Nachdem  man  Jahrtausende  die  H.  ohne  Vorderholz  zu  bauen  und  zu  schauen 
gewohnt  war,  und  die  so  gebauten  H.n  stark  genug  waren,  der  Saitenspannung 
dauernd  zu  trotzen,  schloss  man  nach  dieser  Seite  hin  die  Vervollkommnung 
dieses  Tonwerkzeugs  ab. 


526  Harfe. 

Alle  jene  Prachtbauten,  wie  erwähnt,  überdauerte  diese  H.  in  ihrer  Ur- 
form, ja  sie  gewann  selbst  für  sich  noch  neue  Verehrer  und  Verbesserer.  So 
findet  man,  wo  sich  der  chinesische  und  indische  Musikkreis  berühren,  mit  der 
Ausbreitung  des  Islams  dort  dieselbe  nicht  allein  vor  —  während  in  beiden 
Musikkreisen  in  deren  Blüthezeit,  wie  noch  heute,  diese  H.  verschmäht  ist  — 
sondern  sie  sogar  in  einer  edleren  Form  und  stärker  besaitet,  eingebürgert. 
Dort,  vorzüglich  im  Königreich  Ava,  führt  dies  Tonwerkzeug  den  Namen  Sum 
(s.  d.)  und  hat  einen  Bezug  von  dreizehn  Drahtsaiten.  In  Assyrien,  wo  man 
hauptsächlich  bei  pomphaften  Aufzügen  H.n  in  Anwendung  brachte,  befleissigte 
man  sich,  ausser  den  H.n  noch  andere  Tonwerkzeuge  zu  schaffen,  die  im  Gehen 
leicht  behandelt  werden  konnten  und  die  man  der  Lyra  (s.  d.),  deren  Saiten 
in  einem  vier-  oder  dreiseitigen  Rahmen  ausgespannt  wurden,  der  ganz  oder 
th eilweise  Schallkasten  war,  nachbildete;  jede  Variante  sah  man  wohl  als  eine 
besondere  Instrumentgattung  an.  Auch  die  leichteste  Bauart  eines  solchen 
Rahmens  verlieh  diesen  Tonwerkzeugen  eine  Dauerhaftigkeit,  welche  anders 
schwer  zu  erreichen  war.  Diese  Tonwerkzeuge  sind  von  den  semitischen  Völ- 
kern und  besonders  von  den  Grriechen,  von  denen  sie  oft  wieder  eigene  Namen, 
wie  Psalter  (s.  d,),  Trigonon  (s.  d.),  Sambuke  (s.  d.)  u.  A.  erhielten, 
gepflegt  worden. 

Die  bei  den  Assyrern  und  Gi'iechen  vorbeiziehenden  Arier  fanden  sicherlich 
gerade  diese  Tonwerkzeuge  am  geeignetsten  zum  Gebrauch  in  ihrem  Wander- 
leben, weil  man  ohne  grosse  Kunst  dieselben  nachbilden  konnte  und  sie  bei 
den  stets  im  Wanderleben  geringer  werdenden  Musikansprüchen  den  jeweiligen 
Kunstbedürfnissen  zu  genügen  vermochten.  Erst  nachdem  im  fernen  Westen 
das  Meer  den  Menschenströmen  ein  Halt  gebot  und  das  Stauen  der  Massen 
gesellschaftliches  Wohlbehagen  und  gesteigerte  Kunstgenüsse  forderte,  ver- 
grösserten  sich  diese  Tonwerkzeuge  und  unterlagen,  ausser  einer  geringen  Be- 
einflussung von  Griechenland  aus  (s.  Harpinella),  einer  den  Verhältnissen 
entsprechenden  eigenthümlichen  Ausbildung.  Man  schuf  allmälig  mehrere  Arten 
dieser  Tonwerkzeuge,  die  leicht  transportabel  waren,  solche,  die  im  Arm  ge- 
tragen werden  konnten  und  solche,  die  gestellt  werden  mussten,  wenn  ihr  Khuig 
in  höchster  Fülle  sich  erzeugen  sollte. 

Diese  Musikinstrumente,  stets  in  den  Händen  der  Musikkundigsten, 
Priester  und  Weisen  der  europäischen  Volksstämme,  erhielten  in  der  Zeit  der 
Völkerwanderung  wahrscheinlich  annähernd  gleiche  Bauart  und  mit  dem  Ein- 
zug des  Christenthums  allmälig  den  Namen  H.  Das  grösste  derselben  scheint 
sehr  früh,  entsprossen  dem  frommen  Sinne  der  ersten  Christen,  zum  Andenken 
an  den  Sänger  und  Heldenkönig  der  Hebräer,  der  wahrscheinlich  das  Kinnor 
(s.  d.)  gespielt  hat,  welches,  wenn  es  eine  Baronstange  gehabt,  unserer  gewöhn- 
lichen H.  am  ähnlichsten  ausgesehen  hätte:  Davidsharfe  genannt  worden  zu 
sein.  Die  ersten  H.n  dieses  Namens,  von  denen  Nachricht  vorhanden,  sind 
wohl  die  Alfred's  des  Grossen,  Königs  von  England,  geboren  849,  und  Karl's 
des  Kahlen,  843.  Dieselben  waren  jedoch  der  heutigen  Davidsharfe  vielleicht 
noch  sehr  unähnlich,  da  anzunehmen  ist,  dass  erst  mit  dem  16.  Jahrhundert 
allgemein  eine  ganz  gleiche  Form  derselben  sich  verbreitete,  an  der  später,  im 
18.  Jahrhundert,  dann  in  regster  Weise  Verbesserung  auf  Verbesserung  vor- 
genommen wurde. 

An  dieser  allgemein  gleichen  Form  fiel  vor  Allem  die  dreieckige  Gestalt 
in  die  Augen,  die  aus  dem  Schallkasten  oder  Körper,  dem  Hals  oder  Wirbel- 
holze und  der  Vorder-  oder  Baronstange  gebildet  wurde.  Der  Schallkasten, 
vierkantig  und  nach  unten  hin  breiter  und  tiefer  werdend,  wird  aus  drei  Ahorn- 
brettern und  einer  Platte  von  Fichtenholz,  dem  Sangboden,  gebildet.  Der 
Sangboden  ist  mit  zwei  runden,  verzierten  Löchern,  Schalllöchern,  versehen, 
welche  der  Aussenluft  Zusammenhang  mit  der  Luft  in  dem  Körper  gewähren. 
In  der  Mitte  des  Sangbodens  ist  eine  schmale  Leiste  von  oben  bis  unten  auf- 
geleimt,   in  welcher  sich  der  Reihe  nach  Löcher  befinden.     Diese  Löcher   sind 


Harfe.  527 

dazu  bestimmt,  die  in  einem  Knoten  abschliessenden  Saitenenden  aufzunehmen, 
deren  Festhalten  in  dei-  Leiste  durch  ein  hölzernes  Stöppelchen,  Patrone 
(s.  d.)  genannt,  bewirkt  wird.  Der  Schallkasten  erhält  in  neuerer  Zeit  eine 
kleine  Aussenbiegung  des  stärksten  Theils.  Vom  oberen  Ende  des  Schall- 
kastens aus,  demselben  fest  eingefügt,  geht  fast  rechtwinldich  der  Hals  oder 
das  Wirbelholz  ab,  das  in  neuerer  Zeit  an  dem  dem  Schallkasten  abgewandten 
Ende  etwas  gewunden  nach  Aussen  gebogen  ist.  In  dem  Halse  stecken  eiserne 
Wirbel,  welche  an  dem  einen  Ende  rund  sind  und  Löcher  haben,  durch  die 
andern  Saitenenden  gezogen  werden.  Das  andere  Ende  des  Wirbels  ist  vier- 
kantig und  passt  in  einen  Schlüssel,  durch  dessen  Hilfe  das  Insti'ument  be- 
zogen und  gestimmt  wird.  Damit  aber  der  Hals  auch  der  bedeutenden  Span- 
nung der  Saiten  genügenden  Widerstand  zu  verleihen  vermag  und  sich  nicht 
etwa  herabsenkt  oder  abbricht,  läuft  zu  dessen  Unterstützung  von  dem  äussersten 
Ende  des  Halses  zu  dem  des  Körpers  eine  hölzerne  Stange,  die  zuweilen  mehr 
oder  weniger  verziert  ist.  Beide  Theile,  Hals  wie  Vorderstange,  sind  massiv. 
Diese  drei  beschriebenen  Theile  bilden,  wie  gesagt,  ein  rechtwinkliches  Dreieck, 
dessen  längster  Schenkel  vom  Schallkasten,  dessen  kürzerer  vom  Halse  und 
dessen  Hypothenuse  von  der  Baronstange  gebildet  wird.  Die  Saiten  der 
Davidsharfe  gehen  vom  Schallkasten  zum  Halse,  parallel  mit  dem  Vorder- 
holze. 

Beim  Gebrauch  setzt  man  das  etwa  1,2  Meter  hohe  Tonwerkzeug  mit  der 
breiten  Seite  des  Schallkastens,  woran  sich  gewöhnlich  ein  oder  zwei  hölzerne 
oder  eiserne  Spitzen  befinden,  so  auf  den  Boden,  dass  die  Saiten  perpendiculär 
stehen  und  die  Theilenden,  welche  die  Spitze  des  rechten  Winkels  bilden,  die 
Brust  berühren.  Gewöhnlich  wird  dies  Instrument  im  Sitzen  gespielt,  seltener 
im  Stehen,  stets  jedoch  behandelt  die  linke  Hand  die  Bass-  und  die  rechte 
die  Discantsaiten.  Der  Bezug  der  Davidsharfe,  erst  wahrscheinlich  nur  den 
Klängen  der  Männerstimme  entsprechend,  hat  sich  mit  dem  Wachsen  des  in 
die  Kunst  gezogenen  Tonreichs  ebenfalls  vergrössert,  so  dass  er  jetzt  die  dia- 
tonische Eolge  von  C  bis  c^  oder  d^  bietet.  Die  Einführung  der  Halbtöne 
in  den  abendländischen  Kunstgebrauch  Hess  die  Davidsharfe  unberührt.  Um 
jedoch  den  Zeitansprüchen  zu  genügen,  erfand  man  bei  der  Behandlung  der- 
selben einen  eigenthümlichen  Kunstgriff.  Um  nämlich  Halbtöne  zu  erzeugen, 
drückte  man  mit  dem  Daumen  der  einen  Hand  an  der  Stelle  der  Saite,  dem 
Halse  zunächst,  so  dass  dadurch  die  Saitenlänge  um  so  viel  vei-ringert  wurde 
und  dieselbe  einen  um  einen  Halbton  höheren  Klang  gab.  Wollte  man  z.  B. 
fis  haben,  so  drückte  man  mit  dem  Daumen  an  die  entsprechende  Stelle  der 
y- Saite.  Weitgehende  Modulationen  aus  C-dur  oder  Tonstücke  in  von  dieser 
entfernteren  Tonarten  waren  somit  sehr  schwer,  ja  oft  gar  nicht  auszuführen, 
da  jeder  erhöhte  Ton  die  Thätigkeit  des  Daumens  der  einen  Hand  in  An- 
spruch nahm. 

Um  nun  alle  chromatischen  TÖhe  leicht  und  ohne  Daumenhilfe  andauernd 
hervorbringen  zu  können,  kam  man  auf  den  Gedanken,  zwischen  den  c-  und 
d'^  f-  und  g-^  und  g-  und  a- Saiten  Häkchen  (franz.:  erocliets)  von  Draht  in 
den  Hals  zu  schrauben,  welche  so  gedreht  werden  konnten,  dass  sie  sich  statt 
des  Daumens  au  die  Saiten  legten  und  in  dieser  Stellung  nach  Belieben  ver- 
blieben. Tyroler  sollen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  statt  der  Häkchen  drehbare 
Scheibchen  mit  Stiften  bei  der  H.  angebracht  haben,  durch  welche  die  Saiten- 
verkürzung rasch  und  präcise  bewirkt  werden  konnte.  Hierdurch  war  es 
möglich,  die  Töne  eis,  des,  dis,  es,  fis,  ges,  gis,  h  und  als  je  nach  Belieben  auch 
für  längere  Zeit  als  der  H.  eigene  zu  haben,  wodurch  Tonstücke  in  den  C-dur 
zunächst  verwandten  Tonarten  auszuführen,  fast  ebenso  leicht  wurde,  als  Musik- 
stücke aus  C-dur  selbst.  Später  setzte  man  sogar  zwischen  allen  Saiten,  wo 
es  irgend  erforderlich  sein  konnte,  solche  Häkchen  als  Tonbildner.  Diese 
Davidsharfe  befindet  sich  in  der  Jetztzeit  in  jedem  der  erwähnten  Entwicke- 
lungsstadien  noch    im  Volksleben    in   Gebrauch    und  wird    besonders    von  wan- 


528  Harfe. 

dernden  Musikanten,  meist  Mädchen,  als  Erwerbszweig  gepflegt.  Besonders 
liefert  Böhmen  jährlich  sehr  viele  solcher  Harfenistinnen,  die  bis  in  entfernte 
Länder  wandern. 

Nicht  unbemerkt  darf  es  bleiben,  dass  man  früher  auch  schon  Wege  ge- 
sucht hat,  der  H.  einen  möglichst  starken  Klang  zu  verleihen,  was  bei  dem 
damals  nur  geringen  Umfang  des  Tonreichs  in  der  Kunst  und  der  langsamen 
Sangweise  für  die  Praxis  zu  erreichen  auch  möglich  war.  Man  weiss  wenigstens, 
dass  1605  Antonio  Eustachio  Luco,  Kämmerer  des  Papstes  Pius  V.,  eine 
Anstrengung  nach  dieser  Richtung  hin  machte.  Derselbe  erfand  nämlich  eine 
dreichörige  H.,  die  jedoch  nicht  dauernden  Anklang  gefunden  zu  haben  scheint, 
da  mau  nur  zu  bald  nichts  mehr  von  derselben  hörte.  In  späterer  Zeit,  d.  h. 
nach  1700,  suchte  man  die  Verbesserung  der  H.  darin,  dass  man  entweder  die 
Anwendung  von  Häkchen  bei  derselben  gänzlich  zu  umgehen  trachtete,  oder 
dieselben  anders  als  bisher  zu  dirigix'eu  sich  bemühte.  Alle  diese  Vei'besserungen 
gingen  in  der  Mehrzahl  darauf  hinaus,  die  Häkchen  oder  die  Substitute  dafür 
systematisch  durch  Züge  zu  regieren,  welche  mit  den  Füssen  getreten  wurden. 
Letzterer  Eigenschaft  halber  gab  man  dieser  H.ngattung  den  Namen  Pedal- 
harfe. Der  erste,  welcher  diesem  Namen  für  seine  Erfindung  Eingang  ver- 
schaffte und  denselben  für  alle  Nachfolger  erdachte,  war  der  geschickte  Harfenist 
Hochbrucker  in  Donauwörth.  Derselbe  trat  1720  mit  seiner  verbesserten  H. 
vor  die  Oeffcntlichkeit.  Er  verlieh  nämlich  seinem  Instrumente  fünf  Züge  und 
fünf  Tritte,  die  er  mit  den  Füssen  dirigirte.  Um  dies  zu  vermögen,  baute  er 
das  Vorderholz  inwendig  hohl  und  legte  die  Züge,  welche  von  den  Basssaiten 
aus  Häkchen  dirigirten,  in  diese  Höhlung.  Die  Züge,  welche  von  den  Discant- 
saiten  aus  Häkchen  in  Bewegung  setzten,  brachte  er  im  Schallkasten  an. 
Jeder  Zug  drehte  alle  gleichgestellten  Häkchen,  deren  fünf  in  der  Octave, 
nämlich  zu  der  c-,  d-,  f-,  g-  und  a-Saite  waren,  wenn  der  mit  dem  Zuge  ver- 
bundene Tritt  niedergedrückt  wurde,  an  die  entsprechenden  Saiten,  so  dass 
alle  gleichnamigen  Klänge  um  einen  Halbton  höher  ertönten.  Die  Häkchen 
liegen  bei  dieser  H.  so  lange  an  der  Saite,  wie  der  Fuss  den  Tritt  niederhält; 
wird  der  Fuss  gehoben,  so  drücken  hinter  den  Häkchen  befindliche  Federn 
dieselben  von  der  Saite  ab.  Wir  übergehen  hier  die  vielfachen  kleinlichen 
Verbesserungen,  welche  die  Pedalharfe  von  da  an  sich  gefallen  lassen  musste 
und  wenden  uns  der  nächsten  wesentlichen  zu. 

Dies  war  die  Cousineau's.  Dieser,  Harfenist  der  Königin  von  Frankreich 
und  der  Gräfin  von  Artois,  fügte  zu  den  fünf  vorhandenen  Tritten  der  be- 
kannten Pedalharfe  noch  einen  hinzu,  durch  welchen  er  ein  sehr  unterschied- 
liches starkes  und  schwaches  Spiel  auf  der  H.  in  seiner  Gewalt  hatte.  —  Diese 
Erfindung,  welche  im  J.  1782  bekannt  wurde,  suchte  J.  B.  Krumpholz,  ein 
Böhme  von  Geburt,  der  um  1787  in  Paris  lebte  und  dort  als  vorzüglicher 
Harfenspieler  sich  einen  Namen  gemacht  hatte,  noch  dadurch  zu  verbessern, 
dass  er  an  die  nach  Cousineau  gebaute  Pedalharfe  noch  zwei  weitere  Tritte 
anbrachte.  Der  eine  derselben  bewirkte,  die  möglichst  höchste  Klangkraft  der 
H.  geben  zu  können;  der  andere,  welcher  einen  Streifen  Leder  über  die  tiefer 
erklingenden  Saiten  oder  über  die  höher  ertönenden  ein  seidenes  Band,  je  nach 
dem  Ermessen  des  Spielers,  zu  decken  die  Aufgabe  hatte,  ermöglichte  die  all- 
mälige  Klangkraftverminderuug  von  der  höchsten  Stärke  bis  zum  leisesten, 
hauchenden  Tone,  oder  dessen  ähnliche  Klangkraftvermehrung.  Diese  H.nver- 
besserung  soll  sich  einer  allgemeineren  Anerkennung  erfreut  haben,  so  dass 
man  selbst  in  Deutschland  H.n  dieser  Art  nachbaute.  —  Es  wird  gemeldet, 
dass  C.  Wilh.  Ferd.  Binder,  Instrumentbauer  zu  AVeimar,  um  1797  ebenfalls 
Pedalharfen  mit  sieben  Tritten  baute,  von  denen  beiläufig  zu  bemerken,  da  von 
nun  au  der  Preis  solcher  Tonwerkzeuge  bei  ihrer  Verbreitung  bedeutend  mit- 
sprach, dass  das   Stück  25  Louisd'ors  kostete. 

Mit  dieser  Erfindung  schliessen  die  H.nverbesserungcn  des  18.  Jahrhunderts. 
Da  in  jener  Zeit  jedoch  auch  andere  Anstrengungen    gemacht  wurden,    die  H. 


Harfe.  599 

den  Zeitansprücben  angemessen  zu  gestalten,  so  seien,  der  klareren  TJebersicbt 
wegen,  alle  andern  damaligen  bemerkenswerthen  H.nverbesserungen  ebenfalls 
in  Kürze  erwäbnt.  Der  "Weimar'scbe  Kammermusikus  Job.  Hausen,  gestorben 
1733,  Hess  sich  eine  H.  bauen,  die  für  die  Halbtöne  besondere  Saiten  führte, 
welche,  so  viel  man  weiss,  nicht  in  derselben  Fläche  wie  die  andern  Saiten 
lagen  und  deshalb  die  gewöhnliche  Spielart  wenig  beeinflussten.  Diese  Erfin- 
dung hat  jedoch  fast  gar  keine  Verbreitung  gefunden.  Ein  gleiches  Schicksal 
erlebte  die  H.nverbesserung  des  Berliner  Instrumentbauers  Bothe.  Derselbe 
fertigte  in  den  Jahren  von  1787  bis  1789  eine  sogenannte  chromatische  H., 
die  etwas  grösseres  Format  als  die  gewöhnliche  besass  und  im  Bezug  Saiten 
für  alle  chromatischen  Klänge  von  C  bis  /'  hatte.  Die  Saiten  derselben,  alle 
in  einer  Ebene  geordnet,  mussten  der  Zahl  wegen  sehr  enge  gestellt  werden, 
was  das  klare  Behandeln  derselben  sehr  erschwerte.  Hierzu  gesellte  sich  noch 
der  TJebelstand,  dass  diese  Saitenordnung  eine  durchaus  neue  Applicatur  bei 
der  Behandlung  dieser  H.  forderte. 

Trotz  dieser  Misserfolge  der  chromatischen  H.n  im  18.  Jahrhundert,  trat 
dennoch  gleich  im  Anfange  des  folgenden,  im  J.  1808,  ein  praktischer  Arzt 
zu  Schleusingen  im  Henneberg'schen,  D.  G-.  C.  Pfranger,  mit  einer  neuen  der- 
artigen Erfindung  hervor.  Seine  chromatische  H.  hatte  für  alle  chromatischen 
Klänge  von  Ä  bis  a^  besondere  Saiten.  Die  diatonischen  Töne  der  C-dur- 
leiter  wurden  von  weissen  und  alle  andern  von  röthlich  -  dunkelblauen  Saiten 
gegeben.  Die  Applicatur  auf  dieser  H.,  obgleich  von  der  auf  der  gewöhnlichen 
verschieden,  war  vim  deswegen  doch  eine  empfehlenswerthe  zu  nennen,  weil  sie 
bei  zwölf  Tonarten  die  gleiche  war.  Zudem  war  der  Preis  eines  solchen  In- 
struments, sieben  Louisd'ors,  den  sonst  üblichen  nach,  ein  geringer,  was  also 
gewiss  der  grösseren  Verbreitung  desselben  auch  nicht  hinderlich  sein  konnte. 
Ausserdem  hatte  der  Erfinder  zum  Bekanntwerden  seiner  H.nverbesserung  die 
damals  schon  ziemlich  bedeutend  wirkende  Macht   der  Fachpresse  in  Anspruch 

immen. 

Im  18.  Jahrg.  der  Leipz.  allgemeinen  musikal.  Ztg.  No.  21  findet  sich 
ein  Aufsatz  über  diese  chromatische  H.  aus  der  Feder  des  Erfinders.  In 
diesem  beleuchtet  er  die  Nachtheile  der  verbreiteten  Haken-,  sowie  die  der 
Pedalharfen.  Er  findet  den  Mechanismus  besonders  der  letzteren  zu  verwickelt, 
indem  entstehende  Fehler  nicht  allerorts  gehoben  werden  könnten.  Er  hebt 
ferner  hervor,  dass  die  Saiten  durch  das  Peiben  der  Häkchen  sowohl,  als  auch 
durch  das  Andrücken  der  metallenen  Sättel  stark  abgenutzt  würden,  so  dass 
sie  leicht  schnarrende  Klänge  bedingen  und  dass  diese  H.n,  um  allgemein  ver- 
breiteter zu  werden,  viel  zu  hoch  im  Preise  stünden.  Trotz  alledem  hatte 
Pfranger  doch  mit  seiner  neuerfundenen  H.  bei  der  Mit-  und  Nachwelt  kein 
Glück.  Nur  der  Ruhm  ist  ihm  geworden,  dass  er  bis  heute  als  Letzter  in 
der  Musikgeschichte  verzeichnet  ist,  der  durch  Bereicherung  des  Bezuges  der 
H.  dieselbe  unsern  Kunstansprüchen"  entsprechend  zu  construiren  versuchte. 
Hier  sei  alsbald  noch  ein  letzter  Versuch  einer  H.nverbesserung  bemerkt.  Das 
Nähere  über  diesen  Versuch  Ferdinand  Kaufmann's  in  Dresden  bietet  die 
Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  vom  J.  1815  in  einem  Aufsatze  von  Lebrecht 
Nauwerk  in  Eisleben,  woraus  erhellt,  dass  es  sich  nur  um  eine  Verbesserung 
des  Mechanismus  au  der  Hakenharfe  handelt,  der  jedoch,  wie  angedeutet,  als 
Verbesserung  nicht  dauernde  Anerkennung  gefunden  hat. 

Aehnlichen  Erfolg  erlebte  der  Londoner  Harfenbauer  Light  im  J.  1820 
mit  seiner  »Faient  digital  Jiar^«.  "Wahrscheinlich  durch  die  grosse  Beliebtheit 
der  H.n  in  England  und  durch  die  Kostspieligkeit  der  in  seiner  Zeit  sich 
ebenda  schon  verbreitenden  H.n  mit  Doppelbewegung,  ä  double  mouvemenf, 
welche  weiter  unten  beschrieben  ist,  angeregt,  construirte  Light  eine  kaum  ein 
Drittheil  so  grosse  H.,  als  die  damals  geschätzte  Pedalharfe,  die  in  der  Leich- 
tigkeit ihrer  Behandlung,  in  ihrer  Tonstürke  und  Billigkeit  diese  überbieten 
sollte.     Die  Behandlungsart  unterschied  sich  von   der    der  Pedalharfe,   wie    der 

Musikal.  Convers. -Lexikon.    IV.  34 


530  Harfe. 

Name  andeutet,  dadurch,  dass  die  Halbtöne  nicht  durch  Pedale,  sondern  durch 
mit  den  Fingern  zu  behandelnden  Mechanismus  erzeugt  wurden.  Die  grössere 
Tonstärke  sollte  eine  etwas  weitere  Bauweise  des  Schallkastens  bewirken.  Dass 
diese  Verheissungen  durch  die  That  bestätigt  wurden,  lässt  sich,  nach  den  Er- 
folgen zu  urtheilen,  kaum  annehmen.  Die  Billigkeit  jedoch  hatte  diese  H. 
jedenfalls  für  sich,  denn  der  Preis  derselben,  16  bis  20  Guineen,  war  zu  dem- 
jenigen anderer  bester  H.n,  der  oft  bis  weit  über  100  Guineen  hinausging, 
gewiss  ein  geringer  zu  nennen. 

TJeberhaupt  hat  gerade  um  diese  Zeit  die  Ausbildung  des  H.nmechauismus 
die  Instrumentbauer  und  H.nisten  in  bedeutendstem  Maasse  und  mit  bis  heute 
noch  nich  überbotenem  Erfolge  beschäftigt.  Dies  Tonwerkzeug,  in  der  Bibel 
Karl's  des  Kahlen,  840,  in  der  abendländisch  ursprünglichsten  Eorm  dargestellt, 
wovon  in  dem  Werke;  y>Viel  Oastel,  Costumes  etc.  pour  servir  ä  Vhistoire  de 
Francen  (Paris,  1827)  eine  Abbildung,  das,  wie  in  Zamminer's  »Akustik«  S.  393 
ein  aus  dem  12.  Jahrhundert  aufgeführter  Vers  beweist,  die  mehr  als  die 
deutschen  Spielleute  geachteten  französischen  Menetriers  ausser  vielen  andern 
Tonwerkzeugen  als  Fachleute  pflegten ,  und  das  in  seiner  schon  gesteigerten 
deutschen  Ausbildung  als  Pedalharfe  ums  J.  1740  in  Frankreich  fast  gar  nicht 
bekannt  war:  führte  Gluck  auf  die  sich  zur  Weltmacht  ringenden  Bühne  zu 
Paris  in  seiner  Oper  »Orpheus«  zuerst  öfifentlich  vor  Augen.  Bald  fand  er 
hierin  Nachahmer,  unter  denen  besonders  Lesueur  zu  bemerken,  der  in  seinen 
»Barden«  die  H.n  in  grösserer  Zahl  auf  der  Bühne  forderte.  Diese  Anschau- 
ungen, sowie  die  Eigenthümlichkeit  der  Tongaben  der  H.n  und  deren  ma- 
lerisches Aeussere  verschafften  derselben  immer  grössere  Verbreitung  selbst  bis 
in  Laienkreise  hinein.  Nicht  mehr  als  geschichtliche  Momente,  sondern  die 
modernen  abendländischen  Tonwerkzeugen  innewohnende  Eigenthümlichkeit  der 
H.  wurde  immer  mehr  in  den  Opern  der  Neuzeit  hervorgekehrt  und  forderte 
dem  entsprechende  Verbesserungen,  die  eben  in  den  ersten  Jahrzehnten  des 
19.  Jahrhunderts  sich  nicht  allein  am  meisten  und  erfolgreichsten  in  Frankreich 
bemerkbar  machten,  sondern  auch  bald  in  Frankreich  sowie  in  England  durch 
die  Hände  reicher  Privatleute  den  Verbesserungen  klingenden  Lohn  für  die 
gehabten  Anstrengungen  zuwandte. 

Zuerst  mögen  hier  des  berühmten  belgischen  H.nvirtuosen  Dizi  Verdienste 
erwähnt  werden.  Derselbe  trat  im  J.  1818  mit  einer  Pedalharfe  mit  dop- 
pelter Bewegung  an  die  Oeffentlichkeit,  die  sehr  einfacher  und  sinnreicher 
Natur  war.  Die  H.  mit  doppelter  Bewegung,  schon  seit  Anfang  dieses  Jahr- 
zehnts in  Frankreich  bekannt,  unterschied  sich  von  der  gewöhnlichen  Pedal- 
harfe dadurch,  dass  jede  Saite  mittelst  einer  kleinen,  statt  der  Häkchen  an- 
gebrachten Drehscheibe,  in  der  sich  zwei  Stifte  befanden,  zweimal  verkürzt 
und  somit  deren  Klang  zweimal  um  einen  Halbton  erhöht  werden  konnte. 
(Der  Erfinder  der  doppelten  Bewegung  ist  noch  immer  nicht  bekannt.)  Dies  be- 
wirkte ein  und  dasselbe  Pedal,  indem  man  es  zweimal  antrat.  Erhöhung  wie 
Erniedrigung  fand  bei  dem  von  Dizi  construirten  H.nmechauismus,  wie  bei  der 
gewöhnlichen  Pedalharfe,  durch  alle  Octaven  gleichzeitig  statt.  Beides,  An- 
drücken und  Ablösen  der  Scheibenstifte  geschali  durch  den  Zug  selbst,  indem 
die  Abziehfedern,  Sj)iralfedern ,  nicht  unten  am  Pedal,  sondern  am  Kopfe  des 
Wirbelstockes  lagen.  Der  Wirbelstock  dieser  H.  hatte  eine  rinnenartige  Ver- 
tiefung, welche  die  Saiten  aufnahm  und  in  der  auch  der  Mechanismus  an- 
gebracht war.  Ferner  hatte  Dizi  die  Dämpfung  der  Klänge  in  gleich  schneller 
Art  wie  die  Tonveränderung  in  der  Gewalt  und  wirksamer  als  man  es  bisher 
gewohnt.  Ja,  selbst  um  in  manchen  Tonarten  leichter  spielen  zu  können, 
konnten  an  vielen  Saiten  dreifache  Halbtonveränderungen  hervorgebracht 
werden. 

Diese  Andeutungen  mögen  genügen,  um  die  selbstständigen  Verdienste 
Dizi's  in  dieser  Beziehung,  sowie  seine  Theilnahme  an  der  weiteren  Form- 
vollendung der  H.  bemerkbar  zu  machen.     Näheres  über  Dizi's  Erfindung  enthillt 


Harfe.  531 

ein  Aufsatz  in  der  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  des  J.  1824  No.  2.  —  In 
London,  welclies  1820  die  grössten  und  vorzüglichsten  H.nbauer  des  Abend- 
landes besass,  fertigte  man  damals  überall  Kunstharfen  nur  mit  doppelter  Be- 
wegung an.  Man  baute  dieselben  meist  mit  einem  einander  ähnlichen,  höchstens 
in  Kleinigkeiten  verschiedenen  Mechanismus,  wie  die  Instrumente  Stumpfs, 
Pleyel's  u.  A.  aus  jener  Zeit  beweisen.  Nur  wenige  gerade  nicht  hervorragende 
H.nfabrikanten  suchten  für  kleinere  Verbesserungen  Patentschutz,  ohne  dadurch 
den  geringsten  Erfolg  zu  erringen. 

Uebergehend  alle  Namen  anderer  Verbesserer  des  Mechanismus  der  H., 
die  nur  in  der  Patentgültigkeitsperiode  zu  Paris  und  London  um  diese  Zeit 
gekannt  wurden,  wenden  wir  uns  nun  zu  der  letzten  ums  J.  1822  zu  London 
patentirten  H.nverbesserung  der  Instrumentbauer  Erard,  die,  wenn  auch  noch 
von  ihnen  selbst  später  mehrfach  modificirt,  bis  heute  der  Anerkennung  aller 
Sachkenner  sich  im  höchsten  Grrade  erfreut.  Dieselbe  schliesst  die  Vorzüge 
aller  bisher  gemachten  Erfindungen  in  diesem  Bereiche  in  sich,  was  die  Ge- 
brüder Erard  leichter  wie  jeder  andere  vermochten,  da  sie  schon  seit  langen 
Jahren  die  gerühmtesten  H.nbauer  Frankreichs  und  Englands  waren  und  Preise 
(110  bis  160  Guineen)  wie  kein  Anderer  für  ihre  Fabrikate  erzielten.  Ihre 
unausgesetzte  Bemühung  um  die  Verbesserung  der  H.  war  also  bekannt,  das 
Patent  jedoch  führte  ihnen  auch  noch  den  Weltruf  zu.  Jeder,  der  eine  vor- 
zügliche H.  kaufen  wollte  und  den  Preis  nicht  scheute,  wandte  sich  in  Folge 
dessen  an  Erard  und  die  andauernde  gleiche  Anstrengung,  das  Beste  zu  fabri- 
ciren,  hat  diesen  ßuf  bis  heute  den  Nachkommen  erhalten.  Wie  schon  oben 
angedeutet  bei  der  Patent  digital  harp,  hatten  die  Gebrüder  Erard  manchen 
Kampf  auf  diesem  industriellen  Felde  zu  bestehen,  gingen  jedoch  stets  aus  jedem 
als  gefeierte  Sieger  hervor. 

Besonders  in  dieser  Beziehung  erwähnenswerth  erscheinen  die  Bemühungen 
des  H.nbauers  und  Virtuosen  F.  G.  Nadermann,  der  auch  im  J.  1833  eine 
H.nschule  herausgab,  die  nach  stattgefundener  Prüfung  im  Pariser  Conserva- 
torium  als  Lehrbuch  zur  Anwendung  gelangte.  Derselbe  wandte  sich  in  jeder 
Beziehung  gegen  das  System  der  H.  mit  doppelter  Bewegung,  der  er  das  mit 
einfacher  Bewegung  vorzog,  indem  er  behauptete,  dass  das  der  H.  Eigenthüm- 
liche  auf  dieser  viel  besser  ausgeführt  werden  könne,  als  auf  jener.  Seine  An- 
sichten, deren  Hauptzüge  in  der  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.,  Jahrg.  1833 
No.  34  aufgezeichnet  sind,  riefen  in  der  krittelnden  Welt  die  Meinung  hervor, 
dass  Nadermann  nur  deshalb  H.n  mit  einfacher  Bewegung  baue  und  lobe,  weil 
er  die  geringen  Schwierigkeiten  zu  überwinden  scheue,  die  die  H.  mit  doppelter 
Bewegung  ihm  bei  der  Behandlung  auferlege.  Ruhiger  urtheilten  die  Sach- 
kenner. 

So  entgegnete  in  derselben  Zeitung,  Jahrg.  1834  No.  5,  dem  Nadermann 
auf  seine  Ansicht  eine  frühere  Schülerin  desselben,  Therese  von  Winkel,  H.n- 
virtuosin  in  Dresden,  und  belegt  ihre  Widerlegung  mit  triftigen  Gründen:  »wie 
nämlich  gerade  das  Gegentheil  von  Nadermann's  Ansicht  zeitentsprechend  zu 
nennen  wäre.«  Die  Gegenwart,  für  die  Nadermann's  Lehre  und  Fabrikate  nur  noch 
musikgeschichtlichen  A¥erth  haben,  hat  immer  nur  für  Erard'sche  H.n  mit 
doppelter  Bewegung  oder  denen  ähnliche  in  der  Kunst  Interesse  gezeigt.  Be- 
sonders tritt  dies  thatsächlich  in  England  und  Frankreich  zu  Tage,  wo  diese 
H.n  in  den  höchsten  Kreisen  fast  Lebensbedürfniss  geworden  sind.  In  Deutsch- 
land hingegen  und  anderen  europäischen  Ländern  findet  man  weniger  häufig 
H.n  mit  doppelter  Bewegung;  gleichwohl  gebietet  grösseren  Kunstinstituten 
und  Theatern  die  Nothwendigkeit  deren  Anschaff'ung.  Im  Volksleben  Deutsch- 
lands vorzugsweise,  wo  man  den  H.nklang  gerade  mehr  als  sonstwo  begehrt 
und  die  Mittel  zur  Erwerbung  der  vorzüglichsten  Instrumente  dieser  Art  gerade 
nicht  über  die  Maassen  sich  vorfinden,  sieht  man  dagegen  die  H.  mit  einfacher 
Bewegung  noch  in  grosser  Zahl  in  Gebrauch. 

Wie    nur    Deutsche    und    Fi*anzosen    zur  Ausbildung    der    H.    als   Kunst- 

34* 


532  Ilarfeubass  —  llarfeuuhr. 

instrumeut  beigetragen  haben,  so  haben  diese  auch,  wie  die  vorhandenen  H.n- 
schulen  beweisen,  in  Bezug  auf  die  Erlernung  der  Behandlung  der  H.  fast 
ausschliesslich  sich  Verdienste  erworben.  Die  besten  H.nschulen  sind  noch 
heute  die  von:  Jac.  Meyer  (Paris,  1770),  Wernich  (Berlin,  1772),  Backofen 
(Leipzig  bei  Breitkopf),  Bochsa  (Bonn,  1831),  Coinpon  (Paris),  Cousineau 
(Paris),  Krumpholz  (Paris),  Nadermaun   (ebendas.)  u.  A.  C.  Bill  er  t. 

Harfeubass  oder  arpeggirter  Bass,  soviel  wie  Alberti'scher  Bass 
(s.  d.)  ist  der  Kunstausdruck  für  alle  in  der  Bassregion  zu  einer  Melodie 
gesetzten  gebrochenen  Accorde,  die  motivartig  sich  bemerkbar  machen,  weil 
diese  Tonfolgeart  zu  geben  eben  nur  der  Harfe  eigenthümlich  ist.  Der  Um- 
stand, dass  mau  dieser  Anwendung  der  gebrochenen  Accorde  einen  besonderen 
Kunstnamen  verlieh,  deutet  einerseits  genugsam  auf  das  bisherige  vielfaclie 
Anwenden  dieser  Bcgleitungsart  in  Tonsätzen  durch  Instrumente  au,  denen 
diese  Begleitungsart  eben  nicht  eigenthümlich  ist,  besonders  solchen,  die  für 
das  Piano  gesetzt  sind,  sowie  andererseits  auch  darauf,  dass  man  diese  scha- 
blonenartige Tonfolgeart,  deren  erste  Phrase  die  Folge  fast  dictatorisch  vor- 
schreibt, zu  ändern  als  Noth wendigkeit  fühlt.  In  der  That  bemerkt  man,  als 
Beleg  für  die  erste  Annahme,  in  Wei^ken  aller  alter  wie  neuerer  Meister  die 
häufigste  Verwendung  des  H.es.  Für  letztere  Behauptung  scheint  zu  zeugen, 
dass  in  jüngster  Zeit  bei  bahnbrechenden  Componisten  meist  das  Bemühen  zu 
Tage  tritt,  die  Harfenbässe  in  ihren  Werken  durch  inhaltvolle  Tongänge  zu  er- 
setzen, damit  die  als  Bedürfuiss  gefühlte  rhythmische  Bewegung  nicht  leide,  aber 
dennoch  in  einer  zeitentsprechend  erachteten  Art  gegeben  werde.  Vgl.  Nocturne 
von  F.   Chopin   op.  55   No.  2   u.  a.  m.  2. 

Harfeiiclavier  nannte  man  ein  jetzt  schon  längst  veraltetes,  in  den  acht- 
ziger Jahren  des  18.  Jahrhunderts  aufgetauchtes  Tonwei'kzeug,  dessen  Erfinder 
nicht  bekannt  ist.  Dasselbe  war  ein  Tasteninstrument  mit  Darmsaitenbezug, 
das  ein  Tonreich  von  nur  drei  bis  vier  Octaveu  besass.  Die  Tasten  desselben 
bewegten  Stifte,  welche  die  Saiten  durch  Reissen  töneud  erregten.  Die  Töne 
des  H.'s  zeigten  häufig  einen  schnarrenden  Beiklang,  der  sich  mit  Sicherheit 
nicht  vermeiden  Hess.  Das  H.  hatte  nur  durch  seine  Neuheit  die  Aufmerk- 
samkeit in  nicht  weitem  Kreise  auf  sich  zu  lenken  vermocht  und  war  zehn 
Jahre  nach  seinem  Bekanntwerden  schon  so  gut  wie  nicht  mehr  gekannt. 
Häufig  hört  man  noch  den  Namen  H.  für  Pianoforteeinrichtungen,  die  man 
besser  mit  der  Benennung  Harfen zug  (s.  d.)  kennzeichnete,  da  dieselben  nur 
eine  durch  einen  Zug  bewirkte  Veränderung  an  dem  Pianoforte  ist.  2. 

Harfenet,  eine  kleine,  mit  der  Spitze  in  die  Höhe  stehende  Harfe,  sonst 
auch  Spitz-,  Zwitscher-  oder  Flügelharfe  genannt.     S.  Harfe. 

Harfenprincipal,  eine  Principalstimme  der  Orgel,  wahrscheinlich  von  etwas 
schnarrendem  Klange.  Prätorius  erwähnt  sie  (Syntagma  II.  162),  jedoch  ohne 
nähere  Bezeichnung  der  Grösse  und  Klangfarbe. 

Harfenregal  nannte  man  vor  Alters  ein  Schnarrwerk  (s.  d.)  der  Orgel, 
das  auch  damals  nur  zuweilen  in  diesem  Instrumente  als  kleines  gewöhnliches 
Regal  (s.  d.)  eine  Stelle  fand.  Die  Zeit,  wo  mau  zum  Lobe  Gottes  diesem 
Kircheninstrumeut  alle  möglichen  Klänge  zu  Gebote  zu  stellen  sich  zur  Auf- 
gabe gemacht  hatte,  war  die  der  Entstehung  dieses  Orgclregisters,  das  jedoch 
nicht  lange  dem  Orgelklange  zuzufügen  als  geeignet  erachtet  wurde.  In  der 
Neuzeit  wird  das  H.  nirgends  mehr  gebaut  und  findet  sich  selbst  in  sehr  alten 
Orgeln  nur  noch  äusserst  selten  vor.  Es  scheint  zu  5  und  zu  2,5  Meterton 
vorgekommen  zu  sein.  2. 

Harfeuschlüssel,  dasselbe  wie  Clavierschlüssel,  denn  wie  bei  dem  Piano- 
forte werden  die  Tonstücke  für  die  Harfe  im  G-  und  im  F-  Schlüssel  auf- 
gezeichnet. 

Harfenstimmliaiinner,  s.  Stimmbammer. 

Harfemihr  nannte  man  eine  grosse  Pendeluhr,  in  deren  Gehäuse  eine 
Harfe  angebracht  war,  welche  zu  bestimmten  Zeiten  Tonstücke  hören  liess,  die 


Harfenzug  —  Harmonica,  533 

durch  das  Heissen  der  Saiten  mittelst  eines  Regierwerkes  hervorgebraclit  wurden. 
Das  leichte  Verstimmen  der  Saiten  scheint  dies  Tonwerkzeug  allmälig  unbeliebt 
gemacht  zu  haben,  denn  lange  schon  ist  man  von  dieser  Stubenzierde  gänzlich 
abgekommen.  2. 

Harfenziigr  war  in  früherer  Zeit  der  Name  für  einen  Zug  am  Pianoforte, 
der  die  gewöhnliche  Tastatur  etwas  verrückte  und  für  dieselbe  vor  den  Häm- 
mern oder  auch  zuweilen  über  den  Saiten  befindliche  Häkchen  einschob,  welche 
die  Saiten  tönend  erregten.  Diese  Tonzeugung  verlieh  dem  Saitenklange  ein 
Schnarren  als  Beigabe,  das  an  die  Töne  der  älteren  Harfen  erinnerte,  doch 
gewiss  auch  bei  diesen  nicht  gerade  schön  gefunden  wurde.  Der  Zeitgeschmack 
empfand  sehr  bald  an  diesem  Zuge  keinen  Gefallen  mehr  und  verbannte  den- 
selben, wie  auch  das  Harfenclavier  (s.  d.),  aus  der  Reihe  der  Tonwerkzeuge. 
Hin  und  wieder  tauchen  wohl  noch  Aehnliches  bezweckende  Versuche  in  anderer 
Form  auf.  So  wurde  1871  zu  Magdeburg  auf  dem  Musikertage  eine  von 
London  aus  importirte  eigene  Mechanik  vorgeführt,  die  jedem  Pianoforte  in 
wenig  Stunden  einverleibt  werden  konnte  und  durch  welche  das  Pianoforte 
eine  Harfe  vollkommen  ersetzen  sollte.  Diese  Mechanik,  welche  der  Erfinder 
ebenso  wie  die  Einfügung  derselben  geheim  hielt,  scheint,  dem  Klange  nach 
zu  urtheilen,  die  frühere  Mechanik  in  einer  neuen  Form  gewesen  zu  sein. 
Abgesehen  davon,  dass  Metallsaiten  einen  viel  weniger  dem  Harfenton  ähnlichen 
Klang  zu  geben  vermögen,  gelang  es  selbst  durch  die  Neuheit  des  Klanges  dem 
Erfinder,  der  sein  "Werk  im  Kreise  vieler  Sachverständigen  klingend  vorführte, 
nicht,  für  dasselbe  ein  Interesse  wachzurufen.  Von  einer  Kunstanwendung  dieser 
Erfindung  hat  bis  heute  auch  nichts  verlautet.  2. 

Harlass,  Helena,  ausgezeichnete  deutsche  Sängerin,  geboren  um  1786  zu 
Danzig,  kam  bald  nach  ihrer  Gleburt  nach  München,  wo  der  kurfürstl.  Hof- 
musiker Labik  ihre  Erziehung  übernahm,  bis  sie  um  1801  in  ein  Nonnenkloster 
treten  konnte,  das  sie  jedoch  bald  wieder  verliess,  um,  unterstützt  durch  den 
Kurfürsten  Max  Joseph,  Gresangstudien  bei  dem  Hofsänger  Lasser  in  München 
zu  machen.  Der  Schleier,  der  auf  ihrer  Abkunft  ruht,  ist  niemals  gelüftet 
worden.  Zuerst  trat  sie  in  Hofconcerten,  dann  im  Theater  in  der  italienischen 
Oper  auf  und  behauptete  sich  ehrenvoll  neben  den  damaligen  ersten  Q-esangs- 
grössen  Münchens,  bis  sie  den  königl.  General- Secretär  von  Geiger  heirathete 
und  die  Bühne  verliess.  Diese  Ehe  musste  jedoch  getrennt  werden,  und,  zum 
Theater  zurückgekehrt,  blieb  sie  unter  ihrem  ursprünglichen  Namen  bis  zu 
ihrem  Tode,  am  21.  Octbr.  1818,  der  erklärte  Liebling  des  Münchener  Publi- 
curas.  Auch  in  anderen  deutschen  Residenzstädten,  namentlich  in  Wien,  errang 
sie  sich  unbedingte  Anerkennung;  nur  in  Italien,  das  sie  1815  besuchte,  ver- 
mochte sie  keinen  tieferen  Eindruck  hervorzurufen. 

Harmatios  (griech.),  ein  dactylischer  Nomos  (s.  d.)  der  alten  Griechen, 
der  vom   älteren  Olympos  aus  Phrygien  erfunden   sein  soll. 

Harniodion  (griech.)  ist  der  Name  einer  Hymne,  welche  die  Athenienser 
aus  republikanischem  Patriotismus  dem  Harmodius  zu  Ehren  sangen,  weil  der- 
selbe durch  Ermordung  des  Hipparchus  514  v.  Chr.  den  Sturz  der  Tyrannen- 
herrschaft  der  Pisistratiden  veranlasst  hatte.  Noch  jetzt  besitzen  wir  den  Text 
eines  sehr  schönen  H.  in  den  auf  uns  gekommenen  griechischen  Tafelliedern 
oder  Skolien  (s.  d.). 

Harmonica  (latein.)  ist  der  Name  eines  Musikinstruments,  das  schon  über 
hundert  Jahre  im  abendländlsclien  Musikkreise  sich  die  Gunst  vieler  Musik- 
verehrer erworben  und  erhalten  hat.  Den  Namen  erhielt  dies  Instrument  durch 
seinen  Erfinder,  weil  derselbe  die  einzelnen,  wie  mehrere  gleichzeitig  erklingende 
Töne  desselben  in  einer  so  innigen,  angenehmen  Weise  die  Innern  menschlichen 
Gefühlsnerven  erregend  fand,  wie  die  Klänge  keines  bis  dahin  bekannten  andern 
Tonwerkzeugs.  Veranlassung  zur  Erfindung  der  H,  gab  das  Glas  spiel  (s.  d.), 
das  bereits  im  17.  Jahrhundert  allgemeiner  bekannt  war,  wie  eine  in  Ath. 
Kircher's  y>Phomii'(jia    novam    von    1673  p.   191    gegebene    Abbildung    und    Be- 


534  Harmonica. 

sclireibuiig  desselben  beweist.  Der  Buchdrucker,  Pliysiker,  Plillosopli  und 
Staatsmann  Benjamin  Franklin  hörte  eines  Tages,  wie  ältere  Berichterstatter 
erzählen,  einen  Irlündcr,  Puckeridge,  in  einem  AVirthshause  auf  dem  ölasspiel 
zur  Unterhaltung  der  Anwesenden  einige  Melodien  vortragen.  Andere,  wie 
Schilling  in  seinem  musikalischen  Lexikon,  erzählen,  dass  nicht  Puckeridge, 
welcher,  nebenbei  bemerkt,  1750  selbst  sammt  seinem  Glasspicl  im  grossen 
Brande  Londons  seinen  Untergang  fand,  die  Anregung  zu  der  Erfindung  Prank- 
lin's  gegeben,  sondern  dass  Delaval  in  London,  der  1762  ein  Glasspiel  mit 
besonders  dazu  geeigneten  ausgewählten  Gläsern  öffentlich  hören  Hess,  der 
erste  war,  von  dem  Franklin  ein  derartiges  Spiel  vernahm.  Noch  Andere  be- 
haupten, ohne  es  jedoch  nachzuweisen,  dass  Franklin  gar  nicht  der  Erfinder, 
sondern  nur  der  Verbesserer  der  H.  gewesen  sei.  So  viel  ist  aber  gewiss,  dass 
durch  Franklin  die  H.  zuerst  bekannt  wurde  und  er  dem  Bau  derselben  eine 
besondere  Sorgfalt  zugewandt  hat.  Interessantes  darüber  bietet  ein  Brief  an 
den  Pater  Beccaria  in  Turin,  der  in  Franklin's,  von  Binzer  1829  ins  Deutsche 
übersetzten  Werken,  in  welchen  Werken  auch  sonst  noch  Manches,  was  den 
Verfasser  als  mit  der  Musik  wohlvertraut  legitimirt,  sich  vorfindet. 

Man  weiss,  dass  Franklin  selbst  eine  H.  derartig  gebaut  hat,  dass  er  Glas- 
glocken im  Centrum  mit  runden  Löchern  versah  und,  ihrem  Klange  nach  ge- 
ordnet, auf  eine  horizontale,  drehbare  Stange  so  ineinandergeschoben  befestigte, 
das  nur  deren  Bänder  in  Etwas  über  Fingerbreite  dem  Auge  sichtbar  waren. 
Vermöge  eines  Schwungrades,  das  mit  der  Stange  in  Zusammenhang  stand 
und  mit  dem  Fusse  in  Bewegung  gesetzt  wurde,  drehte  der  Spieler  die  Glocken 
sich  zu  und  legte  seine  angefeuchteten  Fingerspitzen  auf  den  freistehenden 
Band  derjenigen  Glocken,  welche  er  tönend  zu  erregen  beabsichtigte.  Die 
Glocken  hatten  je  nach  ihrem  Klange  eine  besondere  Farbe:  c  war  roth,  d 
orange,  e  gelb,/"  grün,  (j  blau,  a  indigofarbig  und  li  violett,  die  sich  bei  der 
Octave  Aviederholte.  Man  sieht  hierin  die  Fai'benscala  verwerthet.  Alle  durch 
Obertasten  beim  Piano  gegebenen  Klänge,  die  sogenannten  Halbtöne,  gab 
Franklin  durch  weisse  Glocken. 

Genauere  Beschreibung  der  von  Franklin  selbst  oder  derselben  nachge- 
fertigten H.  findet  man  mit  auch  ohne  Abbildung  im  Hannovor'schcn  Magazin 
von  1766,  in  Hill,  Nachrichten  Bd.  I,  S.  71,  in  Forkel's  musikal.  Almanach 
für  Deutschland  1782  S.  30  und  in  Göking's  Journal  für  Deutschland.  »Die 
Vorzüge  dieses  Instruments«  schreibt  Franklin  selbst,  »sind:  seine  Töne  sind 
so  sanft,  dass  sie  mit  keinem  andern  verglichen  werden  können;  seine  Töne 
können  nach  Belieben  an-  und  abgeschwellt  werden,  indem  man  den  Finger 
stärker  oder  schwächer  auf  die  Gläser  setzt;  man  kann  sie  nach  Willkühr  aus- 
halten, und  wenn  das  Instrument  einmal  gestimmt  ist,  darf  es  nie  wieder  ge- 
stimmt werden.  Zur  Ehre  Ihrer  musikalischen  Sprache  habe  ich  von  ihr  den 
Namen  dieses  Instruments  hergenommen  und  heisse  es  Harmonica.«  Berichtet 
wird  ferner,  dass  Franklin  im  J.  176.3  die  erste  H.  vollendet  und  selbst  das- 
selbe im  engeren  Familienkreise  fleissig  gespielt  habe.  Geschichtlich  sicher  ist, 
dass  eine  Miss  Davis  (s,  d.),  eine  Anverwandte  Franklin's,  von  demselben  eine 
H,  zum  Geschenk  erhielt,  sich  bald  die  virtuose  Behandlung  derselben  aneignete 
und  seit  1764  in  London  sowie  auf  grossen  Kunstreisen  in  vielen  Concerten 
dies  Instrument  dem  Urtheile  des  grösseren  Publicums  unterbreitete  und  die 
stürmischste  Anerkennung  erntete. 

Die  Art  der  Tonzeugung  bei  diesem  Instrument  durch  Theile  des  Men- 
schenkörpers, die  Fingerspitzen,  unmittelbar  bewirkt,  die  je  nach  der  innigeren 
oder  weniger  innigen  körperlichen  Anlehnung  derselben  an  die  Glocken  die 
Intensität  des  Tones  schafft,  verleiht  dem  Klange  der  H.,  die  in  ihren  Beitönen 
sich  als  denen  der  Menschenstimme  sehr  ähnlich  ergiebt,  eine  nervenerschüt- 
ternde, den  fabelhaften  Sii'enenklängon  innewohnend  gedachte  ähnliche  Gewalt, 
welche  Gewalt  dem  Hörer  einen  andauernden  Genuss  derselben  gesundheits- 
gefährlich macht.     Die  Macht  der  H.klänge  wirkt 'auf  manche  Menschen,   vor- 


Harmonica,  535 

zugsweise  Frauen,  so  gewaltig,  dass  schon  ein  einziger  in  gefühltester  Weise 
erzeugter  Ton  eine  Ohnmacht  hervorzurufen  vermag.  Gefährlicher  als  dem 
Hörer  wird  aber  dem  H.spieler  selbst  eine  anhaltende  Ausübung  seiner  Kunst. 
Jedenfalls  wirkt  die  Glasvibration  in  direkter  innigster  Weise  durch  die  Finger- 
spitzen auf  das  Nervensystem  noch  angreifender,  als  die  durch  den  Gehörssinn, 
diesem  zartesten  Gewebe  des  Menschenkörpers;  der  Spieler  erduldet  nun  gleich- 
zeitig beide  Einwirkungen  auf  seine  Nerven,  die  in  gespanntester  Geistesan- 
strengung über  die  erscheinenden  Klänge  wachen,  dass  sie  dem  Selbstempfinden 
gemäss  sich  geben  und  ist  dem  angemessen  die  Folge.  Ein  Beleg  hierfür  zeigt 
sich  darin,  dass  alle  Virtuosen,  welche  vorzugsweise  die  H.  spielen,  bald  dies 
Spiel  aufgeben  müssen,  wenn  sie  nicht  nervös  ruinirt  werden  wollen.  Miss 
Davis  z.  B.  zog  sich  schon  in  den  siebziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  ganz 
ins  Privatleben  zurück,  hat  also  höchstens  zehn  Jahre  nebenbei  nur  sich  dem 
H  spiel  widmen  können. 

Trotz  dieser  Gesundheitsfähi-lichkeit  verlockten  die  Sireneuklänge  der  H. 
dennoch  viele  Hörer  dazu,  sich  selbst  mit  dem  Spiele  derselben  zu  befassen. 
Natürlich  mussten  bei  der  grossen  Beliebtheit  des  H.spiels  bald  Anstrengungen 
platzgreifen,  welche  Vielen  dasselbe  so  leicht  als  möglich  zugänglich  zu  machen 
sich  zur  Aufgabe  stellten  und  vor  Allem  die  Gefahren  desselben  zu  verringern 
suchten. 

Die  erste  derartige  Erfindung  bezweckte,  Vorrichtungen  zu  treffen,  die  die 
direkten  Vibrationseinflüsse  der  Glasglocken  auf  den  H.spieler  unmöglich  machten. 
Jos.  Ph.  Frick,  ehemaliger  Hoforganist  des  Markgrafen  zu  Baden-Baden  und 
später  als  Musiker  zu  London  wirkend,  war  einer  der  Ersten,  der  sich  nach 
Miss  Davis  durch  öffentliche  Vorführung  und  Behandlung  der  H.  einen  Namen 
machte.  1769  machte  er  mit  der  H.  eine  Kunstreise  durch  Deutschland.  Der- 
selbe war  auch  der  Erste,  welcher  über  Mittel  nachdachte,  die  Tonzeugung  der 
Glasglocken  mittelbar  zu  bewerkstelligen,  und  zwar  wo  möglich  in  einer  der 
ursprünglichen  Tonzeugungsweise  nahekommenden  Art.  Indem  er  nun  Men- 
schenhaut als  nothwendiges  Peibungsmaterial  erachtete,  baute  er  eine  Tastatur, 
vermittelst  der  er  mit  einem  feuchten,  der  Menschenhaut  ähnlichem  Stoffe 
überpolsterte  Hölzchen  nach  Ermessen  auf  die  rotirenden  Glocken  niederzu- 
drücken vermochte.  Diese  Erfindung  scheint  jedoch  keine  weiteren  Erfolge  er- 
lebt zu  haben,  denn  man  weiss  fast  nichts  weiter  darüber.  Die  Fährlichkeit 
des  H.spiels  scheint  jedoch  selbst  Frick  in  alter  Weise  sich  genaht  zu  haben. 
Er  hat  somit  entweder  selbst  nicht  Gebrauch  von  seiner  Erfindung  gemacht, 
oder  er  hat  in  ihr  keinen  Schutz  crefunden.  Biester  berichtet  nämlich  in  der 
Berliner  Monatsschrift,  dass  Frick  wegen  der  nervenerschütternden  Eigenschaft 
des  H.spiels  seit  1786  dasselbe  gänzlich  aufgegeben  habe  und  zu  London 
müssig  lebe. 

Das  Wohlgefallen  an  der  H.  verbreitete  sich  aber  trotzdem  immer  mehr 
im  abendländischen  Musikkreise  und  führte  nicht  allein  zu  neuen  Anstrengungen, 
die  Tonzeugung  indirekt  hervorzubi'ingen ,  sondern  auch  dazu,  andere  feste 
Körper  in  gleicher  Weise  als  Tonquellen  anzuwenden.  Einen  Namen  in  dieser 
Beziehung  machte  sich  der  Abt  Mazzuchi.  Forkel  meldet  in  seinem  Almanach 
von  1782  und  in  seiner  Bibliothek  (1779)  über  die  Anstrengungen  desselben 
Folgendes:  Die  Glocken  seiner  H.  befestigte  Mazzuchi  in  ursprünglicher  Art 
auf  einer  Stange,  die  er  innerhalb  eines  Kastens  von  ungefähr  0,6  Meter  Länge 
anbrachte,  dessen  Breite  sich  nach  dem  Durchmesser  der  Glocken  richtete. 
Die  Weite  der  Glocken  von  einander,  sowie  die  Stellung  des  Kastens  zum 
Spieler  betrachtete  der  Erfinder  als  unwesentlich  und  überliess  die  Bestimmung 
hierüber  dem  Ermessen  des  Disponirenden.  Den  Ton  entlockte  Mazzuchi  den 
Glocken  mittelst  eines  Violinbogens  und  wandte  deren  bei  einem  Instrumente 
zwei  oder  noch  mehrere  an.  Die  Haare  der  Bogen  wurden  mit  einer  Masse, 
aus  Colophonium  und  Terpentin  oder  Wachs  oder  auch  nur  aus  Seife  be- 
stehend,   bestrichen.     Der    durch  diese   Tonzeugungsart  gewonnene  Klang  war 


536  Harmonica. 

sanft  und  angenehm,  und  es  sprachen  auch  alle  Glocken  gleichmässig  an,  selbst 
diejenigen,  welche  durch  die  Finger  schwer  oder  gar  nicht  zur  Ansprache  ge- 
bracht werden  konnten.  Nicht  zufrieden  damit,  Glasglocken  als  tönende  Körper 
in  der  H.  zu  verwenden,  fertigte  er  auch  solche  Instrumente  an,  die  je  ein- 
zeln verschiedene  Metallglocken  führten;  selbst  hölzerne  benutzte  er  zu  einer 
H.  Der  Ton  letzterer  soll  sich  dem  der  Flöte,  also  fast  ohne  Beitöne  ziemlich 
gleich  ergeben  haben.  Auch  diese  wirklich  beachtenswerthen  Bestrebungen 
Mazzuchi's  aber  erfreuten  sich  weder  der  Anerkennung  noch  der  Pflege,  sondern 
man  fertigte  die  H.  entweder  wie  gewohnt  oder  griff  wieder  auf  die  ursprüng- 
liche Bauart  dieses  Tonwerkzeugs  und  die  Tonerregungsart  der  Glasglocken  mit 
Ausschluss  jedes  andern  Materials  als  Tonkörper  zurück. 

Da  nun  die  H.,  trotz  ihres  liohen  Preises,  allgemein  begehrt  wurde,  so 
fanden  sich  bald  Musikkundige,  die  aus  der  Fertigung  solcher  Instrumente 
einen  Beruf  machten ,  und  einige  derselben  fühlten  sich  auch  getrieben ,  kleine 
Verbesserungen  bei  ihrem  Fabrikate  anzubringen.  Unter  allen  diesen  hat  sich 
in  den  siebziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  Jos.  Aloys  Schmittbauei',  Kapell- 
meister des  Grafen  von  Baden,  mit  Glück  bekannt  gemacht  und  wird  selbst 
noch  heute  musikgeschichtlich  beachtet,  trotzdem  er  weiter  nichts  zur  Ver- 
besserung der  H.  beitrug,  als  dass  er  die  Glocken  seines  Fabrikats  aus  Krystall- 
glas  fertigte  und  seinen  Instrumenten  einen  Tonumfang  von  e  bis  /""  chro- 
matisch verlieh,  welcher  Umfang  sonst  diesen  Tonwerkzeugen  noch  nicht  ge- 
geben worden  war.  Mit  zu  Schmittbauer's  verbreitetem  Rufe  trug  wohl  auch 
noch  seine  eigene  Tüchtigkeit  in  der  Behandlung  der  H.  bei,  sowie  seine  Ver- 
dienste als  Lehrer  vorzüglicher  Schüler.  Die  Erfolge,  welche  z.  B.  Frau 
Kirchgassern  und  seine  eigene  Tochter  errangen,  waren  in  ihrer  Zeit  ausser- 
ordentliche zu  nennen.  Ausserdem  wäre  über  Schmittbauer  noch  zu  bemerken, 
dass  er  die  Annahme:  dass  das  H.spiel  gesundheitsgefiihrlich  sei,  durch  sein 
Leben  nicht  bestätigt  hat.  Von  seinem  54.  Lebensjahre  an  bis  ins  hohe  Alter 
hin  (er  starb  1809  im  91.  Lebensjahre)  erfreute  er  sich  und  andere  durch 
sein  H.spiel.  Ob  dies  seinen  Grund  darin  hatte,  dass  Schmittbauer  erst  in 
den  reiferen  Mannesjahren  das  H.spiel  erlernte  und  pflegte,  oder  darin,  dass  er 
eine  ausnahmsweise  starke  Nervenconstitution  besass,  ist  nicht  bekannt.  Seine 
Verbesserungen  der  H.,  Anwendung  von  vorzüglichstem  Stoff  zu  den  Glocken 
und  Vergrösserung  des  Umfangs,  wurden  allmälig  Gesetz  und  erfreuten  sich 
jederzeit  einer  Beachtung  und  Fortbildung. 

Viel  mehr  Aufsehen  aber  als  alle  bisherigen  Verbesserungen  der  H.  machten 
mehrere  sich  fast  gleichzeitig  in  den  achtziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts 
verbreitenden.  Ein  für  gewöhnlich  in  Petersburg  sesshafter  deutscher  Mecha- 
niker, Hessel,  erfand  1785  in  Berlin,  mittelst  einer  Tastatur  die  Glocken  der 
H.  zu  behandeln  und  nannte  diese  seine  Erfindung:  Clavier-Harmonica. 
Sein  Instrument,  dem  er  die  Gestalt  eines  kleinen  Schreibpultes  verlieh,  zeigte 
auf  drei  nebeneinander  sich  befindenden  Stangen  die  Glasglocken,  welche  ein 
Tonreich  von  vier  Octaven,  G  bis  ff,  vertraten,  die  durch  einen  Fusstritt  be- 
wegt wurden.  Die  Tastatur  des  Instruments  befand  sich  an  der  linken  Seite 
desselben.  Der  Glockenkasten  konnte  offen  oder  verdeckt  beim  Spiel  gehalten 
werden.  In  ersterem  Falle  erklang  der  Ton  der  H.  hell,  dem  wirkliclion  H.ton 
ähnlich,  im  andern  mehr  dem  einer  gedeckten  Orgelpfeife  oder,  wie  man  meinte, 
einer  Gambe  (s.  d.)  gleich.  Durch  die  Tasten  konnte  ein  beliebiger  Druck 
auf  die  Glocken  ausgeübt  werden,  der  der  Modification,  welche  durcli  die  Finger- 
spitzen erreichbar,  ziemlich  nahe  kam.  Die  Ton -An-  und  Abschwellungen 
waren  somit  durch  diese  Verbesserung  dem  Instrumente  als  zu  eigen  erhalten, 
wenn  auch  diese  Tonzeugung  sich  nicht  in  so  vollendeter  Art  als  die  ursprüng- 
liche ergab.  Der  einzige  sich  kund  gebende  grössere  Nachtheil  dieser  Ver- 
besserung soll  gewesen  sein,  dass  die  Ansprache  der  Glocken  sich  oft  mangel- 
haft erwies.  Diese  Clavicr-H.  erfreute  sich  jedoch  überall  einer  enthusiastischen 
Aufnahme.  • 


Harmonica.  537 

Berlin  scheint  um  diese  Zeit  der  Ort  gewesen  zu  sein,  wenn  man  die 
hier  angestrebten  Verbesserungen  der  H,  als  Zeichen  hierfür  gelten  lassen  will, 
in  welchem  dies  Instrument  die  meisten  Verehrer  aufzuweisen  hatte.  Wahr- 
scheinlich durch  obenerwähnte  Verbesserung  der  H.  angeregt  und  besonders 
getrieben,  den  Nachtheil  der  Hessel'schen  Clavier-H.,  die  TJnzuverlässigkeit  der 
Tonangabe  u.  s.  w.  zu  beseitigen,  fühlte  sich  der  Berliner  Tonkünstler  Bö  11  ig 
(s.  d.)  zu  einer  selbstständigen  Verbesserung  der  H.  veranlasst,  mit  der  er  1786 
hervortrat.  Eine  genaue  Beschreibung  nebst  Abbildung  steht  in  Biester's 
Berliner  "Wochenschrift  vom  J.  1787,  die  Professor  Gramer  im  2.  Jahrgange 
seines  Magazins  der  Musik  S.   1389  wörtlich  abgedruckt  hat. 

Nach  der  Abbildung  zu  urtheilen,  hängt  die  linke,  schwere  Seite  des 
Kastens,  wo  sich  die  Bassschaalen  befinden,  in  seidenen  Schnüren.  Diese 
Schaalen  selbst  hängen  auf  einer  und  derselben  Welle,  so  dass  man  sie  nach 
Belieben  mittelst  einer  Tastatur  oder  den  blossen  Fingern  behandeln  kann. 
In  Bezug  auf  die  leichte  Kennzeichnung  der  Töne  hielt  Böllig  es  für  besser, 
die  bisher  mehr  oder  weniger  noch  gebräuchliche  Kennzeichnungsart  Franklin's 
zu  beseitigen.  Er  gebrauchte  zu  seinem  Instrumente  nur  weisse  Glocken, 
indem  er  andere  Färbungen  derselben  als  nachtlieilig  für  den  Ton  erachtete, 
und  gab  den  sogenannten  Halbtonglocken  goldene  Eändei",  TJeberhaupt  suchte 
er  so  viel  als  möglich  congruente  Glocken  zu  erhalten  und  bereiste  zu  dem 
Zweck  die  berühmtesten  Glashütten.  Die  Kunst  der  Glasfabrikation  ist  jsdoch 
bis  heute  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten,  dass  überall  gleichdicke  und  gleich- 
gebogene Glocken  geschaffen  werden  könnten.  Von  Böllig's  Werken  mag  hier 
erwähnt  werden  ein  Fragment  »über  die  Harmonica«  (Berlin,  1787).  Böllig 
selbst  war  ein  sehr  geschätzter  Virtuose  auf  seinem  Instrument,  wie  die  Ur- 
theile  des  Kapellmeisters  Naumann  und  dfs  Kapellmeisters  Schulz  in  verschie- 
denen Zeitschriften  darthun,  und  er  war  auch,  wie  man  aus  seinen  1789  bei 
Breitkopf  in  Leipzig  erschienenen  »kleinen  Tonstücken  für  die  Harmonica« 
sieht,  der  Begründer  einer  Literatur  dieses  Tonwerkzeugs.  Die  Verbreitung, 
welche  Böllig's  H. Verbesserung  davontrug,  hat  Viele  verleitet,  ihn  als  den  Erfinder 
der  durch   Tastatur  behandelten  H.  anzusehen. 

Von  einem  andern  Berliner  Virtuosen,  Dussik,  wird  um  dieselbe  Zeit  be- 
richtet, dass  er  Kunstreisen  mit  einer  Tastenharmonica  in  Deutschland  machte 
und  1785  überall  die  Aufmerksamkeit  der  Kunstkenner  auf  sich  zog.  Nach 
der  Beschreibung  des  Instruments  war  dies  entweder  eine  Hessel'sche  Clavier- 
H.  oder  eine  nach  dieser  selbst  construirte.  Es  heisst  über  dieselbe:  »Sie 
war  von  der  gewöhnlichen  H.  durch  nichts  unterschieden,  als  dass  sie  die 
Glocken  durct  einen  Fusstritt,  der  durch  eine  Schnurre  mit  ihnen  verbunden 
war,  in  Bewegung  setzte,  und  dass  die  Glocken  statt  an  einer,  an  drei 
Wellen  nebeneinander  liefen ,  um  sie  wegen  der  Tasten  näher  beisammen  zu 
haben.« 

Noch  wird  erwähnt  und  zwar  von  Müller  in  seiner  historischen  Einleitung 
im  zweiten  Theile  S.  140,  dass  der  Organist  und  Orgelbauer  D.  F.  Nicolai  zu 
Görlitz  eine  H.  mit  Claviatur  baute.  Ob  er  dieselbe  nach  Hörensagen  fertigte 
oder  selbstständig  erfunden  hat,  ist  nicht  erwähnt.  Bis  heute  hat  jedoch  Nico- 
lai's  Bemühung  nirgend  sonst  Beachtung  gefunden.  —  Mehr  in  jener  Zeit  die 
Aufmerksamkeit  von  Sachkennern  in  Anspruch  nehmend  erwies  sich  die  Ver- 
besserung der  H.  durch  den  französisclien  Instrumentbauer  Deudon.  Derselbe 
führte  1787  der  Akademie  der  Künste  zu  Paris  eine  Tasten -H.  zur  Begut- 
achtung vor,  die  in  der  ursprünglich  Franklin'schen  Art  gebaut  war.  Die  Ver- 
besserung bestand  nur  in  der  Tonerregungsart.  Man  wandte  nämlich  dabei 
einen  feuchten  Tuchstreifen  an,  der  zwischen  den  Clavesenden  und  den  Glocken 
placirt  war.  Hierdurch  vermied  Deudon  die  direkte  Einwirkung  der  Glas- 
vibration auf  die  Fingernerven  und  soll  in  präcisester  Art  einen  volleren  Ton 
aus  den  Glocken  gezogen  haben,  als  dies  ohne  Tuchstreifen  möglich  gewesen 
wäre.     Ausserdem  hatte  Deudon  seine  H.  mit  einem  A^erschiebungszug.  Trans- 


538  Harmonlca. 

porteur  von  ihm  geheisseii,  versehen,  der  das  Spiel  in  verschiedenen  Tonarten 
durchaus  leicht  machte.  Wer  in  C-dur  und  Ä-moll  spielen  konnte,  vermochte 
alle  anderen  Tonarten  zu  behandeln,  denn  er  bewegte  den  Zug  entsprechend; 
der  neue  Grundton  erhielt  die  Stelle  des  alten  unter  der  Tastatur  und  die 
Applicatur  war  wie  in  A-moll  oder  C-dur.  Trot;^  aller  dieser  Vorzüge,  trotz 
der  warmen  akademischen  Empfehlung  dieser  H.  und  trotz  der  angestrengten 
Bemühungen  Cousineau's  um  deren  Verbreitung  (vgl.  Calendr.  mus.  univ.  1789 
p.  4)  hat  diese  H.  es  doch  nicht  vermocht,  sich  allgemeine  Anerkennung  zu 
erringen. 

Noch  um  die  Verbesserung  der  Tasten -H.  suchte  sich  der  ordentliche 
Professor  der  Musik,  Heinrich  Klein  zu  Pressbui'g,  ein  Verdienst  zuzuwenden. 
Er  hielt  es  für  geboten,  dass,  um  einer  präcisen  und  edeln  Tonzeugung  sicher 
zu  sein,  die  kleineren  Glocken  sich  öfter  um  ilire  Axe  drehen  mussten  als  die 
grösseren.  Um  dies  zu  ermöglichen,  befestigte  Klein  die  Glocken  auf  drei  ver- 
schiedenen Wellen,  die  er  mittelst  einer  Drehscheibe  so  regierte,  dass  die  die 
grössten  Glocken  tragende  Welle  eine  Umdrehung  machte,  wenn  die,  auf  der 
die  kleinsten  sich  befanden,  drei  und  die  mit  den  mittleren  vier  ausführten. 
Zur  Touerregung  verwandte  er  kleine  Stückchen  gewöhnlichen  Badeschwamms, 
welche  auf  kleine  Polster  von  Eosshaaren  oder  Filz  an  den  Tangenten  befestigt 
waren.  Dieselben  wurden  vor  und  während  des  Spiels  feucht  erhalten.  In  der 
äussern  Form  unterschied  sich  diese  H.,  welche  das  Tonreich  von  F  bis  f^ 
vertrat,  nicht  von  der  bisher  gebräuchlichen;  dieselbe  war  die  eines  Schreib- 
pultes. Eine  mehr  auf  die  Einzelnheiteu  dieses  Tonwerkzeugs  eingehende  Be- 
schreibung desselben  findet  man  im  ersten  Jahrgange  der  Leipz.  allgem.  musikal. 
Ztg.  von  1799,  No.  42  S.  675. 

Noch  mag  erwähnt  werden,  dass  die  stete  Zähigkeit  und  Schwerfälligkeit 
der  H.töne,  trotz  der  grossen  eigenthümlichen  Schönheit  derselben,  doch  bald 
als  nicht  vollkommen  geeignet  für  Kunstzwecke  gefühlt  wurde.  Der  Zeit- 
geschmack forderte  schon  Ton  Werkzeuge ,  die  in  schnellerer  und  langsamerer 
Weise  ihr  Reich  zu  Gebote  zu  stellen  vermochten,  um  im  Concertsaal  dauernd 
zu  erbauen.  Um  auch  diese  Vollkommenheit  der  H.  zuzuwenden,  sind  An- 
strengungen gemacht  worden.  Die  Erfahrung,  dass  die  H.klänge  selbst  nicht 
in  einer  Weise  zu  schaffen  waren,  die  diese  Kunstansprüche  zufrieden  zu  stellen 
vermochten,  sowie  die,  dass  diese  Klänge  denen  einer  Flöte  sehr  nahe  kamen, 
führte  den  Dr.  Wilh.  Chr.  Müllei',  Musikdirektor  am  Dom  zu  Bremen,  in  den 
achtziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  darauf,  die  gewünschte  Tonflexibilität 
durch  Täuschung  zu  erzielen.  Er  vereinigte  eine  gewöhnliche  H.  mit 
einem  Flötenregal  (s.  d.)  und  nannte  dies  Tonwerkzeug:  Harmonicon 
(s.  d.).  ..." 

Eine  abermalige  Verbesserung  der  H.  erreichte  ein  gewisser  Krassa  oder 
Grassa  im  J.  1798,  die  darin  bestand,  dass  derselbe  einer  Tasten-H.  ein  Pedal 
zufügte,  das  er  mit  dem  linken  Fusse  spielte.  Des  Namens  Krassa  giebt  es 
nun  aber  wahrscheinlich  zwei  H.virtuosen,  die  in  jener  Zeit  an  verschiedenen 
Orten  Aufsehen  erregten.  Der  eine  wirkte  zu  Paris  und  liess  sich  1796  im 
Lycee  des  arts  auf  einer  von  ihm  vervollkommneten  H.  hören,  die  er  r>Instru- 
ment  du  Parnasse«  nannte  und  für  seine  virtuose  Leistung  und  Instrument- 
verbesserung ausser  einer  pompösen  lobenden  Anerkennung  eine  goldene  Me- 
daille erhielt.  Die  Ansichten  jedoch  über  den  Werth  dieses  Tonwerkzeugs 
waren  sehr  getheilt.  Der  andere  Krassa  soll,  nach  dem  Bericht  im  ersten 
Jahrgange  der  Leipz.  allgem.  musikal.  Ztg.  von  1799,  No.  26  S.  404,  im  letzten 
Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  zu  Madrid  Priester  an  der  Spitalkirche 
gewesen  sein,  Krassa  oder  Grassa  geheissen  haben  und  aus  Böhmen  gebürtig 
gewesen  sein.  Von  diesem  allein  wird  berichtet,  dass  er  der  Tastenharmonica 
ein  Pedal  zufügte.  Die  Vermuthung,  dass  beide  Virtuosen  eine  und  die- 
selbe Person  gewesen,  ist  schwer  anzunehmen,  und  Beweise  haben  sich  bisher 
nicht  auffinden  lassen. 


Harmonica.  539 

Auch  eine  Schule,  aber  auch  nur  eine  wurde  für  die  H.  geschrieben.  Dies 
ist  die  von  J.  C  Müller  verfasste  »Anleitung  zum  Selbstunterrichte  auf  der 
Harmonica«  (Leipzig,  1788).  Und  von  der  Literatur  über  die  H,  wären  nur 
noch  ausser  den  schon  erwäbnten  Schriften  die  Aufsätze  in:  Halle's  natürlicher 
Magie  IIL  Bd.  S.  173  und  Yollbeding's  »Archiv  nützlicher  Erfindungen  und 
Entdeckungen«,  1792,  S.  189  und  Suppl.  82  anzuführen.  Mit  dem  18.  Jahr- 
hundert endet  auch  die  beinahe  leidenschaftlich  zu  nennende  Sucht,  Verbesse- 
rungen der  H.  zu  erzielen ,  gänzlich  und  man  findet  nach  einigen  E-uhejahren 
in  der  Folge  immer  mehr  sich  die  ursprüngliche  Franklin'sche  Form  und 
Spielart  der  H.  wieder  Bahn  brechen.  Dies  hatte  in  der  Kunstentwickelung 
seinen  Grund.  Der  Zeitgeschmack,  welcher  zur  Erfindung  /les  Harmonicon 
führte,  steigerte  sich  immer  mehr  und  mehr  mit  der  Zeit  und  war  wohl  mit 
der  Hauptgrund,  dass  die  H.,  welche  sich  nur  als  geeignet  erwies,  die  schwär- 
raei'ischsten  schwermüthigen  Gefühle  auszudrücken ,  bis  in  das  Kämmerlein 
der  vorzüglich  nur  in  Tonschwellungen  empfindenden  Laien  zurückgedrängt 
wurde. 

Mit  der  Eisenbahnzeit  zog  ins  Abendland  ein  Yirtuosenthum,  das  Sinnig- 
keit im  Tonleben  auf  die  Dauer  verbannte  und  somit  anhaltend  H.klänge  gar 
nicht  zu  gebrauchen  vermochte:  die  Ausgeschlossenheit  dieses  Ton  Werkzeugs 
aus  dem  Concertsaal  wurde  stereotyp.  Erst  in  allerjüngster  Periode  tauchen 
hie  und  da  einzelne  Tonschwellungen  verehrende  Schwärmer  auf  und  suchen 
im  Concertsaal  für  diese  Kunstspecies  einen  Boden  zu  gewinnen,  doch  noch 
immer  scheint  die  H.  nur  den  Kunstansprüchen  einiger  Naturen  anhaltender 
genügen  zu  können.  Bemerkenswerth  ist  dabei  nur,  dass  alle  versuchten  Ver- 
besserungen der  H.  bei  Seite  geworfen  wurden  und  Franklin's  Tonerzeugungsart 
als  die  einzig  richtige  wieder  zu  Ehren  kam.  Weniger,  wie  man  zuerst  an-  - 
nahm,  das  Reibungsmaterial,  die  Menschenhaut,  scheint  noth wendig  zu  sein, 
die  Tonstärkenveränderungen  so  reichhaltig  zu  gestalten,  als  das  Polster  und 
dessen  Beschaffenheit.  Die  Finger  der  Menschen  haben  an  der  Spitze,  den 
Nägeln  entgegengesetzt,  eine  eigene  polsterartige  Erhöhung,  die  beim  Druck  auf 
die  Glocke  angewandt  wird.  In  dem  Zustande  dieses  organischen  Polsters  und 
dessen  sachgemäss  höchster  Verwerthung  scheint  das  Geheimniss  der  Tonbildung 
seinen  Hauptsitz  zu  finden.  Die  in  nächster  Nähe  dieses  Polsters,  gedeckt  vom 
Nagel,  befindliche  Gcfühlsnervenansammlung  schliesst  in  sich,  wie  die  Gefahr 
für  den  Organismus,  so  auch  wohl  die  Möglichkeit  der  schnellsten  Abwägung 
der  geschmackvollsten   Tonbildung. 

Ausser  dieser  Annahme  fanden  sorgfältige  Beobachter  der  H.töne,  dass 
eine  vollendetst  gefühlte  Klanggabe  nur  durch  in  Dicke  wie  Gestaltung  voll- 
kommen gleich  regelmässig  geformte  Glocken  zu  erzielen  wäre.  Da,  wie  er- 
wähnt, auch  heute  noch  nicht  die  Glasfabrikation  so  weit  gelangt  ist,  mit 
Sicherheit  diesen  Ansprüchen  genügen  zu  können ,  so  sind  diese  nur  durch 
sorgfältigste  Auswahl  annähernd  zu  erhalten.  Jede  Unterschiedlichkeit  der 
Glasglocken  aber  hat,  wie  die  Wissenschaft  lehrt,  eine  wirkliche  tonbeeinflussende 
Wirkung.  Die  Schwingungen  der  Glocken  sind  transversal,  d.  h.  die  einzelnen 
Abtheilungen  derselben  bewegen  sich  pendelartig  gegen  die  Axe  der  Glocke 
und  von  derselben  fort.  Zamminer  in  seiner  »Akvistik«  schliesst  daraus,  dass 
wahrscheinlich  durch  den  tangentialen  Druck  des  Fingers  die  Glockeuwand 
aus-  und  einwärts  gebogen  wird.  Was  hierbei  durch  die  Fortbewegung  des 
Fingers  bewirkt  wird,  der  Umlauf  der  Knotenlinien  nämlich,  stellt  sich  bei 
dem  Geläute  der  Glocken  in  ähnlicher  Weise  von  selbst  her,  wie  man  dies 
auch  bei  schwingenden  Kreisscheiben  an  dem  Fortrücken  des  Sandes  beobachten 
kann.  Das  eigenthümliche  Summen  der  Glocken  beim  Abklingen,  das  abwech- 
selnde Anschwellen  und  Abnehmen  der  Tonstärke  hat  keine  andere  Ursache, 
als  das  Rotiren  der  Knotenlinien,  welche  einander  folgend  an  der  Richtung, 
in  welcher  das  Ohr  den  Schall  empfängt,  vorüber  wandern.  Da  nun  eine 
ungleiche  Gestaltung    in  der  Masse    wie    in    der  Kugelfläche    einer  Glocke  un- 


540  Harmonioa. 

gleicte  Pendel  und  ungleiche  Rotirung  der  Knotenlinien  ergeben  müssen,  so 
ist  die  vollendetst  gefühlte  Tongabe  nur  mit  vollendetst  geformten  Glocken 
selbstredend  möglich. 

"Wenn  nun  auch  im  neuen  Jahrhundert  die  Yerbesserungsversuche  der  H. 
nicht  fortgesetzt  wurden,  so  ist  doch  ein  Einfluss  der  Erfindung  der  H.  über- 
haupt auf  die  abendländische  Musik  nicht  abzuleugnen.  Derselbe  machte  sich 
besonders  kenntlich  durch  Erfindung  von  Musikinstrumenten,  die  der  Ton- 
erzeugungsart und  TJnverstimmbarkeit  der  H.  ihre  Entstehung  verdanken.  Wir 
nennen  in  dieser  Beziehung  nur  Chladni's  Enphon  (s.  d.)  1791  und  Clavi- 
cylinder  (s.  d.)  1799;  Eieffelsen's  Melodicon  (s.d.)  1800  und  1803;  Franz 
Leppich's  Panmelodicon  (s.  d.)  1810;  Buschmann's  Uranion  (s.  d.)  1810 
u.  A.  Ferner  bemerkt  man  diesen  Einfluss  auch  noch  in  der  Benennung  man- 
cher anderer  Tonwerkzeuge.  So  nennt  man  z.  B.  die  Stiftgeige:  Stahlhar- 
monica  (s.  d.),  die  Aeoline:  Physharmonica  (s.  d.),  die  Maultrommel: 
Mundharmonica  (s.  d.)  etc.  In  gleichem  Yerhältniss  zur  H.  befinden  sich 
auch  das  Kinderinstrument:  Grlasstabharmonica ,  die  Zieh-,  Holz-  und 
die  Steinharmonica,  deren  Beschaffenheit  deshalb  auch  in  den  entsprechen- 
den Specialartikeln  dargestellt  ist. 

Blicken  wir  nun  noch  auf  die  moderne  H.,  so  finden  wir,  dass  dieselbe 
gewöhnlich  einen  Umfang  von  c  bis  c*  erhält,  und  dass  die  grösste  Glocke  der- 
selben einen  Durchmesser  von  ungefähr  26  und  die  kleinste  einen  von  7,8 
Centim.  hat.  Die  Glocken,  welche  die  diatonischen  Klänge  geben,  sind  ge- 
wöhnlich von  Milchglas,  und  die,  welche  die  sogenannten  Halbtöne  geben,  von 
grünem.  Diese  Glocken  sind  in  einem  hölzernen  Kasten  von  1  bis  1,3  Meter 
Länge  und  0,5  Meter  Breite,  auf  einer  eisernen  "Welle  befestigt,  ineinander- 
geschoben befindlich,  so  dass  sie  fürs  Auge  einem  Glaskegel  ähneln,  dessen 
Basis  links  und  dessen  Spitze  rechts  ist.  Durch  eine  über  Rollen  gehende 
Saite  oder  einen  Lederriemen  ist  die  "Welle  mit  einem  Schwungrade,  welches 
durch  den  rechten  Fuss  mittelst  eines  Tritts  in  angemessene  Bewegung  gesetzt 
werden  kann,  in   Zusammenhang. 

Man  sieht  hieraus,  dass  die  moderne  Gestalt  der  Urform  fast  gleich  ist. 
Der  Spieler  muss,  ehe  er  an  das  Spiel  geht,  seine  Hände  sorgfältig  durch 
Waschen  von  Fett  und  Schweiss  befreien.  Am  besten  bewirkt  dies  ein  nach- 
trägliches Trocknen  der  Hände  in  Kleie.  Nachdem  man  nun  die  Glocken- 
ränder  mit  einem  nassen  Badeschwamm  überstrichen  und  durch  den  Tritt  in 
sanfte  Botirung  gegen  den  Spieler  gebracht  hat,  legt  man  das  angefeuchtete 
erste  Glied  des  gestreckten  Fingers  mit  dem  Polster  auf  die  Glocke,  welche 
man  zum  Tönen  bringen  will.  Je  nach  dem  schnelleren  oder  langsameren 
Rotiren  der  Glocken  und  dem  sanfteren  oder  stärkeren  Druck  mit  dem  Finger 
auf  dieselbe  ergiebt  sich  dem  Willen  des  Spielers  gemäss  die  Tonnüancirung. 
Auch  die  Behandlung  in  Franklin'scher  Zeit  wird  schwerlich  von  der  der  Neu- 
zeit abgewichen  haben.  In  Bezug  auf  die  für  die  H.  zu  wählenden  Tonstücke 
hat  man  gefunden,  dass  man  nur  solche  wählen  muss,  die  lang  dauernde  Töne 
und  diese,  wo  möglich,  in  nicht  strengem  Takt  fordern ,  und  dass  sich  auf  der 
H.  es  am  dankbarsten  ergiebt,  wenn  die  Harmonie  dieser  Tonstücke  in  zer- 
streuter Lage  genommen  wird. 

Was  nun  endlich  noch  die  Gesundheitsgefährlichkeit  des  H.spicls  anbetrifift, 
in  Betreff  deren  sich  Rochlitz  schon  verpflichtet  fühlte,  besondere  Regeln  auf- 
zustellen, welche  diesen  Spielern  als  Gesetze  zu  empfehlen  wären,  so  seien  hier 
noch  die  vorzüglichsten  Gesetze  aufgezeichnet.  Vor  allen  Dingen  wäre  nerven- 
kranken Personen  das  H.spielen  durchaus  zu  untersagen.  Nervenschwachen 
wäre  zu  empfehlen,  nur  selten  sich  dieser  Beschäftigung  hinzugeben,  Nerven- 
starken hingegen,  in  schwermüthiger  Stimmung  nur  heitere  Tonstücke  aus- 
zuführen und  zur  Nachtzeit  womöglich  niemals  dieser  Kunst  obzuliegen,  da  zu 
dieser  Zeit  das  ganze  Nervensystem  des  Menschen  ausserordentlich  sensibel 
und  somit  leicht    zu    schädigen    ist.     Befolgt    man    diese  Regeln,    so    wird  das 


Harmonicello  —  Harmonichord.  541 

H.spiel  nicht  mehr  und  nicht  weniger    schädlich    auf    den   Organismus  des  H.- 
spielers  wirken  als  Alles,  was  überhaupt  unsere  Empfindung  stark  aufregt. 

C.  Billert. 

Harinonicello  (ital.)  nannte  Johann  Carl  Bisch  off,  Kammermusiker  zu 
Dessau,  ein  von  ihm  erfundenes  Tonwerkzeug,  das  dem  Violoncell  (s.  d.) 
ähnlich  gebaut  war.  Der  Bezug  (s.  d.)  desselben,  in  dem  es  sich  eben  haupt- 
sächlich nur  vom  Yioloncell  unterschied,  bestand  aus  fünf  Darmsaiten,  unter 
denen  sich  zehn  Drahtsaiten  befanden,  welche  nicht  allein  durch  Mitklingen 
die  Klangfarbe  der  Darmsaitenklänge  bereicherten,  sondern  auch  auf  einem 
eigenen  Griffbrette  besonders  behandelt  werden  konnten.  Nach  Mittheilungen 
in  Gerber's  Tonkünstlerlexikon  vom  J.  1812  in  dem  Artikel  Johann  Carl 
Bisch  off  soll  die  Bereicherung  dies^^s  Instruments  mit  Stahlsaiten  älteren 
ähnlichen  Einrichtungen  nachgebildet  sein,  doch  sollen  Nachrichten,  welche  von 
unter  dem  Stege  desselben  noch  befindlichen  Stahlstäben  sprechen,  nur  erfunden 
sein,  um  das  Interesse  für  dies  Instrument  zu  erhöhen.  Zuerst  soll  von  Bischoff 
das  H.  in  Hamburg  im  J.  1797  öffentlich  vorgeführt  sein;  dasselbe  hatte  da- 
mals jedoch,  nach  der  Beschreibung,  nur  drei  Darmsaiten.  Der  Aufsatz  des 
Professors  Siebigk  im  dritten  Jahrg.  der  Leipz.  musikal.  Ztig.  S.  366  jedoch 
giebt  die  ganz  oben  gemachte  Beschreibung  desselben  als  die  des  vollendeten 
H.'s  und  ist  deshalb  die  mit  drei  Darmsaiten  wohl  nur  als  eine  Entwickelungs- 
form  desselben  zu  betrachten.  Es  scheint,  als  ob  ausser  dem  Erfinder  Niemand 
sonst  Grebrauch  von  diesem  Tonwerkzeug  gemacht  habe,  und  es  wird  deshalb 
wohl  schwerlich  noch  ein  Exemplar  desselben  irgendwo  zu  finden  sein.  "Wenn 
dies  Auftauchen  von  Erfindungen  im  Bereiche  der  Instrumentbaukunst,  deren 
Beschreibungen,  wie  z.  B.  obige,  häufig  manches  dunkel  lassen,  bisher  im  All- 
gemeinen fast  gar  nicht  beachtet  worden  ist,  und  wir  es  erleben,  wie  in  der 
Gegenwart  Viele  in  diesem  Felde  Denkende  ihre  besten  Lebensjahre  oft  daran 
setzen,  um  längst  abgethane  Musikinstrumente  neu  zu  entdecken,  so  wird  man 
zu  der  Frage  gedrängt:  Wann  wird  der  Staat  endlich  eine  Sammlung  der  noch 
vorhandenen  alten  Erfindungen  zu  veranstalten  suchen,  um  in  einem  Museum 
systematisch  geordnet  Allen  dieselben  zugänglich  zu  machen?  Manches  noch 
vorhandene  derartige  Tonwerkzeug  könnte  vor  gänzlichem  Untergange  bewahrt 
werden.  Man  sehe  in  dieser  Beziehung  »Echo«  Jahrg.  1870  den  Aufsatz 
»Musik  und  Museen«  in  der  Beilage  der  Nummern  23  bis  31.  2. 

Harmouichord  nannten  die  Mechaniker  und  Tonkünstler  F.  und  C.  Kauf- 
mann in  Dresden  ein  von  ihnen  ungefähr  ums  J.  1810  erfundenes  Tonwerk- 
zeug, das  sich  als  Spätling  jener  Instrumentgattung  im  18.  Jahrhundert  ergiebt, 
bei  der  man  Saiten  durch  Reibung  erklingen  Hess  und  die  Reibung  mittelst 
einer  Tastatur  bewirkte.  Siehe  Bogenclavier  und  die  dem  ähnlichen  Instru- 
mente, welche  die  Streichinstrumente  ersetzen  sollten.  In  der  äussern  Form 
ist  das  H.  einem  aufrechtstehenden  Flügelfortepiano  gleich,  dessen  abgestumpfte 
Dreieckspitze  zur  Linken  des  Spielers  befindlich  ist.  Der  Bezug  des  H.  be- 
steht aus  Drahtsaiten,  die  über  einem  Resonanzboden  ausgespannt  sind.  Die 
Claviatur  desselben  ist  jeder  andern  gleich  gebaut.  Der  Deckel  über  der  Cla- 
viatur,  sowie  beide  Seitentheile  über  derselben  sind  walzentheilförmig ,  wie  die 
Ueberwölbung  der  Schreibplatte  eines  Cylinderbüreaus,  gestaltet.  In  diesen 
walzentheilförmig  gestalteten  Instrumenttheilen  befindet  sich  der  eigentliche 
Tonerregungsmechanismus.  Die  Tasten  drücken  einen  mit  Leder  überzogenen 
rotirenden  Cylinder,  dessen  Belederung  mit  Colophonium  durcharbeitet  ist,  nach 
Wunsch  des  Spielers  gegen  die  zum  Erklingen  zu  bringende  Saite.  Je  nach- 
dem die  Modificatiou  des  Fingerdruckes  auf  die  Taste  wirkt,  wird  der  Cylinder 
gegen  die  Saite  gedrängt  und  lockt  den  Ton  derselben  stärker  oder  weniger 
stark  und  in  der  gewünschten,  dem  Ab-  und  Zunehmen  des  Druckes  ent- 
sprechenden Art  hervor.  Die  Rotirung  des  Cylinders  wird  durch  Hebel,  welche 
mit  den  Füssen  getreten  werden,  bewirkt,  indem  diese  ein  Schwungrad  in 
Gang  setzen.     Hebel    wie   Schwungrad    befinden    sich    unterhalb    der   Tastatur. 


542  HarmoDici  —  Harmonicon. 

Auf  beiden  Seiten  nämlich  unterhalb  der  Tastatur  hat  das  H.  eine  spindartige 
Ausstattung  bis  zum  Boden  hin  gehend,  die  in  der  Mitte  nur  eine  Oeflfnung 
zeigt,  in  der  sich  die  Fusstritte  befinden.  Die  rechte  Spindseite  ist  leer  und 
wird  gewöhnlich  als  Notenkasten  in  Grebrauch  gezogen;  die  linke  birgt  das 
Schwungrad. 

Gleich  nach  Erfindung  des  H.  machten  die  Erfinder  mit  demselben  eine 
grössere  Reise  durch  Deutschland,  auf  welcher  sich  der  Sohn  zugleich  als  Vir- 
tuose auf  dem  neuen  Instrumente  zeigte.  Nach  der  Keise  erst  gingen  die 
Erfinder  an  die  Erbauung  eines  zweiten  H.'s,  das  in  Bezug  auf  Ton  vorzüg- 
licher sich  ergeben  haben  soll;  besonders  soll  es,  ausser  einem  allgemein  kräf- 
tiger und  voller  zu  nennenden  Klang,  eine  weniger  spitz  klingende  Höhe  ge- 
habt haben.  TJeberhaupt  scheint  das  H.  in  der  Reihe  der  von  Kaufmann 
(s.  d.)  erfundenen  und  cultivirten  automatischen  Musikinstrumente  nur  einen 
Bruchtheil  des  Ganzen  gebildet  zu  haben,  und  nichts  deutet  auf  die  Absicht 
der  Erfinder,  dieses  Instrument  dem  allgemeinen  häuslichen  oder  künstlerischen 
Gebrauch  zu  widmen.  Diese  Absonderung  in  der  dem  Erfinder  eigenen  Samm- 
lung besonderer,  meist  mit  mechanischen  Einrichtungen  versehenen  Touwerk- 
zeuge,  verschaff'te  dem  H.  eine  von  der  Pflege  Kaufmann's  abhängig  sich  ge- 
staltende Wirkungszeit,  die  sich  bis  zu  den  vierziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts 
hin  öfter  bemerkbar  machte.  Man  lese  in  dieser  Beziehung  die  betreffenden 
Artikel  der  Petersburger  Zeitung  No.  24  vom  J.  1838  und  No.  36  desselben 
Jahrg.  der  Jahrbücher  für  Musik  und  ihre  Wissenschaften  nach.  Hier  sagt 
der  Verfasser,  Hofrath  Dr.  Schilling,  u.  A.:  »Nichts  Sangreicheres  lässt  sich 
denken,  nicht  beschreiben  lässt  sich  der  Eindruck  —  ein  Sphäreugesang!  nur 
erwarte  man  nicht  die  Künste  heutiger  Virtuosität  zu  hören,  dessen  ist  das 
H.  in  seiner  musikalischen  Himmelsreinheit  nicht  fähig.  Dem  schönen,  reinen, 
heiligen  Traume  der  Cherubim- Chöre  nur  dient  es  und  vermag  es  zu  dienen.« 
In  wie  weit  solche  überschwängiiche  Auslassungen  begründet  sind,  lässt  sich 
kaum  noch  untersuchen,  doch  so  viel  ist  gewiss,  dass  bis  heute  in  der  abend- 
ländischen Kunst  sich  das  H.  keine  bleibende  Stellung  errungen  hat.  2. 

Hariuouici  (latein.)  oder  Harmoniker  ist  ein  Beiname  der  Anhänger 
des  Aristoxenos,  welche,  im  Gegensatze  zu  den  Canonici  genannten  An- 
hängern des  Pythagoras,  bei  Beurtheilung  der  Tonverhältuisse  dem  Gehör  den 
Vorrang  vor  der  Rechnung  einräumten.  yiEt  qui  quidem  Pythagorae  plaeidis 
adJicti  erant,  voeabantiir  Canonici,  quod  musicae  sonos  ad  proporiionis  sive 
rationis  canonem  rigide  examinarent.  Qui  vero  Aristoxenum  sequebantur,  Har- 
monici,  quod  aaribiis  in  harmonia  jiuUcanda  plus ßderent,  quam  ralioni.fi  (Vgl. 
Calvisius,  Exercit.  II.,  1600,  pag.  92.) 

Harinouicou  nannte  Dr.  W.  Chr.  Müller,  Vorsteher  einer  Erziehungs- 
anstalt in  Bremen  und  Musikdirektor  am  Dome  daselbst,  ein  von  ihm  in  den 
achtziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  erfundenes  Tonwerkzeug,  das  eine  Har- 
monica  (s.  d.)  mit  Tastatur  und  ein  Flötenregal  (s.  d.)  vereint  besass. 
Der  Uebelstand  der  Tastenharmonica,  dass  man  durch  dieselbe  Töne  mit 
scharfer  Begrenzung  nicht  hervorbringen  konnte,  also  'kein  forzato  und  kein 
staccato,  dass  man  ferner  selbst  Tongänge  im  legato  stets  in  gleicher  Tonstärke 
nicht  zu  geben  vermochte,  sodann  schnellere  Melodien  damit  gar  nicht  herzu- 
stellen waren,  und  diesem  Instrumente  die  höchsten  Klänge  des  in  der  Kunst 
anzuwendenden  Tonreichs  nicht  eigen  waren:  brachte  Müller  auf  die  Construi- 
rung  des  H.  AVas  der  Harmonica  in  dieser  Beziehung  abging,  vermochte  das 
Flötenregal  zu  leisten,  und  die  absolute  Klangfarbe  der  Töne  beider  Tonwerk- 
zeuge war  zum  Verwechseln  ähnlich.  Zuerst  fügte  Müller  der  Harmonica  nur 
zwei  Flötenstimmen ,  eine  2,5  und  eine  1,25 metrige  bei,  deren  Pfeifen  er  aus 
Buchsbaum  fertigen  Hess ,  später  noch  ein  drittes  0,6  metriges  aus  Ebenholz 
und  eine  2,5  metrige  oboeartige  Stimme,  Letztere  erhielt  in  der  Tiefe  einen 
fagottartigen  Klang.  Zur  Behandlung  des  H.'s  diente  eine  Tastatur  aus  zwei 
Manualen.     Der  Instrumentkasten  des  H.'s  hatte  die  Grösse  eines  gewöhnlichen 


Harmonides  —  Harmonie.  543 

Harmouicakastens  und  war  demselben  unmittelbar  unten  ein  Blasebalg  angefügt, 
der  die  Luft  für  das  Flötenregal  schaffte.  Beides,  Balg  und  Glockenwelle, 
wurde  durcb  einen  Tritt,  den  der  rechte  JFuss  behandelte,  in  Bewegung  gesetzt. 
Später  soll  Müller  seinem  H.  noch  einen  Tremulant  (s.  d.)  zugefügt  haben. 
Auch  dies  Tonwerkzeug,  welches  nur  als  eine  Verbesserung  der  Harmonica 
anzusehen,  ist  mit  dem  Abschluss  des  Jahrhunderts,  wie  alle  andern  Harmoniea- 
verbesserungen, der  Yerschollenheit  anheim  gefallen.  2. 

Harmonides,  ein  altgriechischer  Flötenspieler,  dessen  Lucian  Erwähnung 
thut,  der  ihn  einen  Schüler  des  Timotheus  nennt. 

Harmonie  (von  dem  griechischen  »Harmoneia«,  latein. :  harmonia  —  »Ein- 
tracht«, »Uebereinstimmung«)  ist  im  weitesten  Sinne  in  allen  Künsten  ge- 
bräuchlich. Diese  Thatsache  verleitete  Grathy  (»Musikal.  Conversations-Lexikon«) 
und  Andere  zu  folgender  Annahme:  »Die  Tochter  der  Venus:  »Harmoneia« 
(auch  »Hermione«  genannt)  brachte  als  Kadmus'  Gemahlin  zuerst  die  Musik 
nach  Griechenland,  wodurch  die  Griechen  veranlasst  wurden,  den  Namen  »Har- 
moneia« auf  Gegenstände  der  Kunst  selbst  und  insbesondere  auf  alle  einzelne 
zur  Melopöie  gehörigen  Theile  zu  übertragen.«  Die  griechische  Literatur  aber 
giebt  zu  einer  derartigen  Annahme  keine  Veranlassung;  ausserdem  erklärt 
sich  die  Anwendung  des  Ausdrucks  H.  aus  dem  Inhalte  des  Begriffs  ganz 
von  selbst. 

In  der  Musik  selbst  wird  der  Ausdruck  H.  in  mehrfachem  Sinne  ange- 
wendet. 1.  Im  allerengsten  Sinne  ist  H.  gleichbedeutend  mit  »Accord«,  also 
als  die  Zusammenfassung  verschiedener  verwandter  Töne  zu  einem  Gesammt- 
klange.  Man  spricht  daher  von  »Septimenharmonien«,  von  einer  »Dominant- 
harmonie« u.  s.  f.,  sowie  von  »enger«  und  »weiter«  resp.  »zerstreuter  H.«  (s. 
»Enge  Harmonie«).  Diesen  Sinn  hat  der  Ausdruck  H.  z.  B.  in  den  Zu- 
sammensetzungen »Harmoniefolge«,  »Harmonieschritt«  etc.  (s.  d.).  —  2.  In 
einem  weiteren  Sinne  versteht  man  unter  H.  die  Gesammtheit  der  in  einem 
mehrstimmigen  Musikstücke  entstehenden  Zusammenklänge.  Man  findet  daher 
in  Tonstücken:  interessante  Harmonie,  gute  und  schlechte  Harmonisirung  u.  s.  f., 
und  spricht  von  der  BT.  als  von  einem  Gegensatze  der  Melodie,  da  sich  die 
letztere  nur  um  die  gegenseitigen  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen  Tönen 
einer  einstimmigen  Tonreihe  zu  kümmern  habe.  So  erklärt  Gathy:  »Die  H. 
unterstützt  und  stärkt  den  Ausdruck  der  Melodie,  bestimmt  klar  jede  zweifel- 
hafte Beziehung  derselben,  und  benutzt  deren  TJngewissheit  oder  Mehrdeutigkeit 
zu  vielfacher  und  mannigfaltiger  Veränderung  einer  und  derselben  melodischen 
Folge.« 

In  diesem  Sinne  konnte  der  Begriff  H.  erst  angewendet  werden  seit  Ent- 
stehung der  mehrstimmigen  Musik,  deren  Anfange  bekanntlich  in  der  Dia- 
p ho  nie  (s.  d.)  und  in  dem  Organum  des  Hucbald  zu  suchen  sind.  Somit  wäre 
der  höchst  unfruchtbare  und  zwecklose  Streit  darüber,  was  früher  gewesen  sei, 
H.  oder  Melodie,  zu  Gunsten  der  letzteren  zu  entscheiden,  wenn  nämlich  der 
Begriff  H.  nicht  auch  noch  andere  Bedeutungen  hätte,  wie  es  doch  thatsächlich 
der  Fall  ist.  Zuerst  bestand  die  H.  aus  der  Folge  von  lauter  Consonanzen, 
und  erst  nach  und  nach  gelangte  man  zum  Gebrauche  von  Dissonanzen  (s. 
Consonanz  und  Dissonanz).  — -3.  In  einem  noch  weiteren  Sinne  bedeutet 
der  Ausdruck  H.  in  Beziehung  auf  Tonstücke  das  vernunftgemässe  und  darum 
das  Schönheitsgefühl  befriedigende  Verhältniss  der  einzelnen  Töne  hinsichtlich 
ihrer  Tonhöhe.  In  diesem  Sinne  muss  man  auch  von  H.  in  jeder  guten 
Melodie  sprechen  können,  da  ja  die  Zusammenfassung  der  Töne  einer  Melodie 
voi'zugsweise  auch  auf  einer  harmonischen  Verwandtschaft  (s.  d.)  beruht. 
—  4.  Im  weitesten  Sinne  heisst  H.,  auf  die  Musik  angewendet,  so  viel  als 
die  Uebereinstimmung  und  schöne  Ordnung,  in  welcher  die  einzelnen  Theile 
einer  Composition  sowohl  unter  sich  selbst,  als  auch  mit  dem  Ganzen  und  mit 
der  zu  Grunde  liegenden  Idee  stehen  müssen,  wenn  die  Composition  ein 
wirkliches  Kunstwerk    sein    soll.     Man    spricht    dabei-    von    einer    H.  zwischen 


544  Harmonie  der  Sfrtiären  —  Harmoniefortsclireitun 


D* 


Inhalt  und  Form,  von  H.  in  der  rhythmischen  Gruppirung  ü.  s.  f.  —  Endlich 
ist  der  Ausdruck  H.  im  technischen  Sinne  noch  gehräuchlich:  5.  im  Sinne  von 
»Klanggehalt«  (in  der  Orgelbaukunst),  so  dass  man  von  »voller«  oder  »dumpfer« 
H.  einer  Orgelstimnic  spricht;  6.  als  Bezeichnung  für  jede  blos  von  Blase- 
instrumenten ausgeführte  Musik,  sowie  für  die  zur  Ausführung  einer  solchen 
Musik  vereinigten  Bläser.  0.  Tiersch, 

Harmonie  der  Sphären,  s.  Sphärenmusik. 

Harmonioeasprung'  oder  Harmoniesprung  ist  die  unmittelbare  und  un- 
vermittelte Folge  zweier  nur  fern  verwandter  Accorde.  Die  alte  Lehre  erklärte 
solche  Schritte  (s.  Fortschreitung)  dadurch,  dass  sie  annahm,  es  sei  zwischen 
je  zwei  solchen  Accorden  ein  Zwischenglied  ausgelassen,  woraus  sich  die  Ent- 
stehung des  Namens  ganz  von  selbst  ergiebt.  Wie  wenig  stichhaltig  jene 
Annahme  ist,  wurde  scliou  an  der  erwähnten  Stelle  nachgewiesen;  der  Aus- 
druck H.  mag  aber  immerhin  für  ungewöhnliche  Harmonieschritte  angewendet 
werden.  0.  T. 

Ilarmouiefolg'e  heisst  jede  Verbindung  von  Harmonien  oder  Accorden, 
ganz  abgesehen  von  ihrem  Umfange  und  von  ilirer  Gestaltung.  —  Aus  dem 
Schlüsse  des  Artikels  »Fortschreitung«  und  aus  dem  Artikel  »Harmonieschritt« 
ist  ersichtlich,  dass  die  Zahl  der  vollkommen  berechtigten,  nach  ihrer  Wirkung 
aber  sehr  verschiedenartigen  Fälle  von  Verbindungen  je  zweier  Accorde  eine 
ziemlich  ansehnliche  ist.  Die  Zahl  der  möglichen  H.n  von  mehr  als  zwei 
Accorden  wächst  aber  geradezu  ins  Unbegrenzte,  da  sie  mit  der  Zahl  der  ver- 
bundenen Accorde  in  geometrischer  Progression  zunimmt.  Wollte  man  als 
Zahl  der  in  einer  Tonart  möglichen  Grundharmonien ,  welche  eine  unbedingte 
Verbindung  mit  einander  eingehen  können,  nur  auf  10  veranschlagen,  so  würden, 
wenn  jeder  Accord  immer  nur  einmal  und  aiich  stets  nur  in  der  Stammform 
erscheinen  dürfte,  bei  leitereigener  Modulation  dennoch 

1.2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.  10  =  3628800 
einzelne  H.n  möglich  sein,  von  denen  sich  mindestens  die  grössere  Hälfte  als 
unter  Bedingungen  berechtigt  nachweisen  Hesse.  Dazu  denke  man  sich  nun 
die  möglichen  Veränderungen,  welche  durch  Anwendung  der  Umkehrungen, 
durch  Einfügen  harmoniefremder  Töne  (s.  d.)  und  zufälliger  Dissonanzen,  durch 
den  Gebrauch  der  harmonischen  Figuration  (s.  d.),  durch  das  Einwirken  des 
rhythmischen  Elements  u.  s.  w.,  angebracht  werden  können ,  so  wird  man  sich 
die  Unerschöpflichkeit  des  Materials  zu  verschiedenartigen  H.n  schon  bei  leiter- 
gleicher Modulation  vorstellen  können.  Ganz  unberechenbar  vergrössert  wird 
aber  die  Zahl  der  möglichen  H.n  noch  bei  Anwendung  der  leiterfremden  Mo- 
dulation. In  einem  Artikel  des  »Echo«  habe  ich  vor  einigen  Jahren  Herrn 
J.  C.  Lobe,  der  da  behauptete  (s.  J.  C.  Lobe,  »Consonanzen  und  Dissonanzen« 
S.  346),  in  der  »Kunst  der  Modulation  sei  die  Grenze  erreicht«,  »das  Menschen- 
mögliche geleistet  worden«,  im  Scherze  nachgerechnet,  dass  die  Manuscripte 
der  verschiedenen  möglichen  ausweichenden  Modulationen  mehrere  Tausend 
Eiscnbahnwageuladungen  ausmachen  würden,  selbst  dann  noch,  Avenn  in  jeder 
Ausweichung  jede  Tonart  nur  einmal  vorkommen  und  nur  auf  eine  und  die- 
selbe Weise  zur  Darstellung  gelangen  dürfte.  —  Dass  die  Wirkung  der  ver- 
schiedenen möglichen  H.n  eine  verschiedenartige  ist  und  sein  muss,  leuchtet 
Jedem  ein,  der  sich  nur  die  Mühe  geben  will,  drei  oder  vier  nahe  verwandte 
Accorde  in  verschiedenartiger  Aufeinanderfolge  seinem  Ohre  vorzuführen.  Das 
Dargelegte  beweist,  dass  die  musikalischen  Darstellungsmittel  wenigstens  nach 
der  Seite  des  harmonischen  Materials  nie  und  nimmer  erschöpft  werden  können. 
Eine  solche  Erschöpfung  ist  aber  um  so  weniger  zu  befürchten,  als  gewisse 
H.n  und  gewisse  Ausweichungen  nicht  blos  bei  ein  und  demselben  Componisten 
immer  und  immer  wieder  vorkommeu,  sondern  oft  auch  gleichsam  als  Mode- 
sache die  sämmtlichen  Componisten  einer  ganzen  Zeitepoche  zu  beherrschen 
scheinen.  0.  T. 

Harinonlefortsclireilung,  s.  Fortschreitung  und  Harmonieschritt. 


Harmoniefrerrd  —  Harmoulegang-. 


545 


Harmooiefreind  heisst  jeder  Ton,  welcher  nicht  Bestandtheil  des  Accordes 
ist,  zu  dem  er  erklingt.  So  sind  in  dem  folgenden  Beispiele  bei  a  die  an- 
gekreuzten Töne  harmoniefremd,  weil  sie  nicht  zum  (7-?woZMreiklange  gehören. 
Solche  harmoniefremde  Töne  können  auf  sehr  verschiedenen  Wegen  eingeführt 
werden.  Sie  können  wie  bei  a  blose  Nachbartöne  von  harmonischen  Tönen 
sein,  d.  h.  als  blose  Durchgänge.  Neben-,  JEilfs-  und  Zwischentöne,  oder  als 
Vorschläge  und  unvorbereitete  Vorhalte  und  dergl.  eintreten;  sie  können  aber 
auch  durch  Anwendung  von  eigentlichen  Vorhalten  und  Vorausnahmen,  von 
nachschlagenden  Tönen,  von  Orgelpunkten  und  liegenden  Stimmen  entstehen. 
Näheres  findet  man  in  den  betreffenden  speciellen  Artikeln,  als  Durchgang 
u.  s.  f.  —  Solche  harmoniefremde  Töne  können  nun  ebensowohl  consonirend 
als  dissonirend  sein.  Hieraus  ergiebt  sich,  dass  auch  ganz  einfache  und  an 
sich  berechtigte  Harmoniefolgen  durch  blose  Einführung  von  harmoniefremden 
Tönen  entstehen  können.  Im  Beispiele  &  ergiebt  sich  der  5-OToZZquartsext- 
accord  durch  Einführung  harmoniefremder  Töne,  und  in  der  bei  Organisten 
sehr  gebräuchlichen  Schlussformel  unter  c  wird  der  C-J^rquartsextaccord  auf 
dieselbe  Weise  gebildet.  Man  erkennt  dieses  sofort  daraus,  dass  man  im  Bei- 
spiele 5  d"  statt  des" ,  bei  c  aber  es'  statt  e'  nehmen  kann,  ohne  den  H^pr- 
moniegehalt  wesentlich  zu  ändern. 


a.  (Chopin). 


ttttt  ttt 


m 


h.  (Mozart). 


^ÖE^EEE^t 


=!=£ 


^ 


Fed. 


8va. 


0.  T. 

Hariuoiiiefreinde  Dissonanzen  heissen  alle  zufälligen  Dissonanzen 
(s.  d.  und  Consonanz  und  Dissonanz). 

Harnioniegang-  ist  eine  ohne  Unterbrechung  leicht  und  fliessend  fortschrei- 
tende Harmoniefolge  ohne  festen  Abschluss  tmd  ohne  bestimmte  periodisch- 
rhythmische Gliederung.  Jede  Accordreihe,  die  nicht  in  Satzform  abschliesst, 
kann  im  Allgemeinen  ein  H.  heissen.  Entschiedenere  H.e  entstehen,  wenn 
man  einen  und  denselben  Accord  in  seinen  verschiedenen  TJmkehrungen  und  in 
jedesmaliger  Verbindung  mit  seiner  Auflösung  anwendet,  oder  wenn  man  bei 
einer  Folge  gleichartiger  Accorde  die  einzelnen  Stimmen  gleichmässig  fortführt 
(Gänge  in  Sextaccorden  u.  s.  f.),  oder  endlich,  indem  man  zwei  oder  drei 
Accorde  zu  einem  Harmoniemotive  (s.  d.)  verbindet,  und  mehrere  solcher 
Motive  in  consequenter  Weise  einander  folgen  lässt.  Die  letztere  Art  der  H.e 
gehört  zu  den  harmonischen  Sequenzen  (s,  d.  und  Sequenz).  —  Die 
H.e  sind  »wesentlicher  Bestandtheil  grösserer  Kunstformen,  durchgreifendes 
Mittel    für   Fortbewegung    und  Verknüpfung    musikalischer  Sätze    und  Grund- 

Muäikal.  Convera.-Lexikou.  rv.  35 


546  Harmonielehre. 

läge  unzähliger  Melodien  und  Satzbildungen«  (vgl.  Marx,  »Die  Lehre  von  der 
musikal.  Comp.«  I.  S.  117).  »Unzählige  Melodien  beruhen  auf  Gängen,  grössere 
Compositionen  und  Üiessende  Schreibart  überhaupt  sind  ohne  das  Element  der 
Bewegsamkeit  und  Verknüpfung  eines  Gedanken  mit  einem  andern  nicht  denkbar 
und  erlangbar.«  0.  T. 

Harmonielehre  (die  Lehre  von  der  Harmonie  oder  die  Harmonik)  erhält 
je  nach  der  weiteren  oder  engeren  Fassung  des  Begriffs  Harmonie  (s.  d.) 
eine  andere  Aufgabe.  Die  Einen,  welche  diesen  Begriff  im  engsten  Sinne 
fassen,  verlangen  von  der  H.  nichts  weiter,  als  dass  sie  für  rein  praktische 
Zwecke  mit  den  verschiedenen  Accordbildungen  und  mit  deren  Umkehrungen 
und  Umlagerungen  bekannt  machen  soll;  die  Andern  dagegen,  indem  sie  den 
betreffenden  Begriff  im  weitesten  Sinne  nehmen,  wollen,  dass  die  H.  nicht  blos 
alle  Gesetze  und  Regeln  für  Tonverbindungen  aufsuchen  soll,  sondern  sie  er- 
warten von  dieser  Wissenschaft,  dass  sie  zwischen  der  sinnlichen  und  der 
geistigen  Seite  der  Tonkunst  für  die  Erkenutniss  eine  Brücke  schlagen  und 
die  allgemeinen  Gesetze  nachweisen  soll,  nach  denen  die  Musik  auf  unsere 
Empfindung  wirkt.  Bei  der  ersten  Parthei  vei'liert  die  H.  alle  und  jede  wissen- 
schaftliche Bedeutung,  und  es  ist  daher  nur  consequent,  wenn  z.  B.  A.  B.  Marx 
von  einem  gesonderten  Unterricht  in  der  H.  nichts  wissen  will.  Die  andere 
Parthei  dagegen  schiesst  mit  ihrer  Forderung  weit  über  das  Ziel  hinaus,  und 
alle  Harmoniker,  welche  dieser  unberechtigten  Forderung  gerecht  werden  wollten, 
geriethen  aus  dem  festen  Geleise  wissenschaftlicher  Forschung  in  ein  zweck- 
und  zielloses  metaphysisches  Phantasiren. 

Die  H.  Avird  zwar,  ähnlich  der  Grammatik  für  die  Sprache,  für  die  Musik 
die  Gesetze  nachzuweisen  haben,  nach  denen  sich  Töne  zu  Melodien,  Accorden 
und  Harmoniefolgen  zusammensetzen,  sie  hat  aber  nicht  den  Nachweis  zu  führen, 
wie  gewisse  Tonverbindungen  mit  den  Regungen  unseres  Seelenlebens  in  Ver- 
bindung stehen.  »Nichts  ist  betrüglicher,  als  allgemeine  Gesetze  für  unsere 
Empfindungen.  Ihr  Gewebe  ist  so  fein  und  verwickelt,  dass  es  auch  der  be- 
hutsamsten Speculation  kaum  möglich  ist,  einen  einzelnen  Faden  rein  auf- 
zufassen und  durch  alle  Kreuzfäden  zu  verfolgen.  Gelingt  es  ihr  aber  auch 
schon,  was  für  Nutzen  hat  es?  Es  giebt  in  der  Natur  keine  einzelne,  reine 
Empfindung;  mit  einer  jeden  entstehen  tausend  andere  zugleich,  deren  geringste 
die  Grundempfindung  gänzlich  verändert,  so  dass  Ausnahmen  über  Ausnahmen 
erwachsen,  die  das  vermeintlich  allgemeine  Gesetz  endlich  selbst  auf  eine  blose 
Erfahrung  in  wenig  einzelnen  Fällen  einschränken«  (Lessing,  »Laokoon«).  Sind 
aber  schon  die  Empfindungen  an  sich  so  unberechenbar,  wie  will  man  Gesetze 
für  ihre  sinnliche  Darstellung  und  für  ihre  Erregung  durch  äussere  Vorgänge 
aufiinden,  und  noch  dazu  mit  Rücksicht  auf  ein  Darstellungsmaterial,  welches 
unter  allen  Kunstmitteln  das  flüssigste  und  am  wenigsten  begrifflich  festzu- 
stellende ist?  Und  doch  ist  dieses  wiederholt  und  auf  das  ernsteste  versucht 
worden. 

Gleich  die  ersten  Begründer  der  harmonischen  Wissenschaft  geriethen 
in  dieses  eine  Extrem.  Die  Pythagoräer  hatten  die  einfachen  Verhältnisse  der 
Saiteulängen  bei  den  Consonanzen  erforscht;  sie  meinten,  damit  sei  dem  Gehör 
eine  ebenso  zuverlässige  Stütze  gegeben,  wie  sie  das  Gesicht  an  Zirkel,  Richt- 
scheit und  Diopter  besass.  Als  sie  nun  erkannten,  dass  jene  Verhältnisse  sich 
in  ihr  Vierzahlensystem  einfügen  Hessen,  »so  warf  sich  ihr  wühlender  Scharf- 
sinn auf  die  rilthselhaften  Beziehungen  zwischen  dieser  Ordnung  in  dem  sinn- 
lichen Theile  der  Töne  und  ihren  geistigen,  seelischen  Eigenschaften;  sie 
meinten  nun  in  der  musikalischen  Harmonie  nicht  allein  das  Mittel  zur  Aus- 
gleichung dieses  inuern  Gegensatzes  in  der  Musik,  sondern  überhaupt  aller 
Geyensätze  oefunden  zu  haben;  sie  umschlangen  mit  ihr  Himmel  und  Erde, 
Natur  und  Geist;  sie  setzten  in  sie  das  Wesen  der  Seele,  der  menschlichen 
wie  der  AVeltseele;  sie  trugen  aus  ihr  die  Tonverhältnisse  des  Heptachords  auf 
die  sieben    Wandelsterne  des  Himmels  über,  die,  da  sie  gleich  den   Tönen  ver- 


Harmonielehre.  547 

schiedene  Grössen,  Abstände  und  Geschwindigkeiten  haben,  in  ihrem  Umschwünge 
im  Weltenraume  eine  Sphärerausik  bilden  sollten.«  (Gervinus,  »Händel  und 
Shakespeare«.) 

Diese  symboKsche  Weisheit  der  Pythagoräer  wirkte ,  mit  neuen  Träume- 
reien vermehrt,  bis  tief  ins  Mittelalter  hinein.  Ihre  heilige  Vierzahl  galt  als 
Schlüssel  zu  den  verschiedensten  musikalischen  Erscheinungen.  Die  Verhält- 
nisse der  Consonanzen  wie  die  Zahl  der  vier  ächten  Kirchentöne  wurden  aus 
ihr  erklärt;  die  letzteren  erinnerten  wieder  an  die  vier  Kardinaltugenden,  und 
mit  ihren  vier  Nebentönen  an  die  acht  Seligkeiten  der  Bergpredigt.  Man  fand 
»zwischen  den  Tetrachorden  (s.  d.)  und  dem  Leben  Christi  eine  geheimniss- 
volle Verwandtschaft:  das  Tetrachord  der  Tieftöne  (gr avium)  entspricht  vor- 
bildlich (typice)  der  vom  Evangelisten  Matthäus  beschriebenen  Menschheit 
Christi,  wie  er  arm  war,  dass  er  nicht  hatte,  wo  er  sein  Haupt  hinlege;  das 
Tetrachord  der  Endtöne  (finalium)  bedeutet  seinen  Tod,  wo  er  nicht  allein  das 
Ende  seines  Lebens  erreichte,  sondern  auch  der  Tempelvorhang,  die  Festigkeit 
der  Eelsen,  die  Klarheit  der  Sonne  und  Unbeweglichkeit  der  Erde  ein  Ende 
nahm«  u.  s.  w.  —  »Man  fühlt  sich  dabei  an  die  Schilderung  der  mittelalterlichen 
Alchymie  gemahnt,  oder  an  die  alte  Astrologie  mit  ihren  Planetenhäusem, 
Gegenscheinen  u.  s.  w.  Wie  sich  jene  Alchymie  der  Chemie,  die  Astrologie 
der  Astronomie  hindernd  in  den  Weg  stellte  und  die  Weisen,  statt  einfach  die 
Natur  der  Sache  zu  befragen,  sich  in  Mysterien  verloren,  die  an  alles  und  an 
nichts  mahnten,  die  um  so  tiefsinniger  schienen,  je  unverständlicher  und  inhalt- 
loser sie  waren:  so  zahlte,  wie  wir  sehen,  auch  die  Musik  diesen  Tribut  der 
Zeit  und  konnte  zuweilen  vor  lauter  Visionen  den  einfachen  geraden  Weg  nicht 
sehen.«     (Ambros,  »Gesch.  d.  Musik«  IL  S.  212.) 

Finden  wir  doch  bei  einem  so  verständigen  Theoretiker,  wie  Andreas 
Werckmeister  (allarmonologia  musica  oder  Kurtze  Anleitung  zur  musikal.  Com- 
position«,  Eranckfurt  und  Leipzig  1702),  noch  folgende  Auslassungen:  »Dass 
nun  die  himmlischen  Corpora  (Körper)  in  solcher  harmonischen  Ordnung  be- 
stehen, bezeugen  wie  gemeldet  nicht  allein  die  Astronomie  und  Philosophie; 
sondern  auch  die  h.  Schrift  selber,  wie  insonderheit  in  dem  Buch  Hiob  C.  38 
V.  37  enthalten  ist.  Da  wir  nun  die  Harmonien  der  himmlischen  Corporum 
mit  leiblichen  Ohren  nicht  hören  können,  so  wissen  wir  doch  durch  unsere 
musikalische  proportiones  (Verhältnisse),  wie  die  harmonia  der  himmlischen 
corporum  beschaflfen  und  durch  den  allweisen  Schöpfer  geordnet  sei,  weiL  sie 
eben  in  den  musikalischen  proportionibus  bestehet,  und  wissen  daher  etlicher 
massen,  wie  die  Welt  gemacht  ist,  dass  ich  also  mit  dem  Salomo  in  seinem 
Buche  der  Weissheit  am  7.  C.  V.  17  und  19  reden  mag.  Ist  nun  die  grosse 
Welt  Macrocosmus  also  beschaffen,  so  muss  der  Mensch  als  Microcosmus  auch 
eine  Verwandschafft  mit  derselben  haben:  daher  Pythagoras  und  Plato  gesagt: 
die  Seele  der  Menschen  sei  eine  harmonia;  dieses  wird  nicht  allein  von  vielen 
Philosophis  bekräfftiget  und  erwiesen,  sondern  man  hat  es  auch  erfahren,  dass 
an  eines  wohlproportionirten  Menschen  Leibe  und  Gliedern  die  proportiones 
musicae  zu  finden  sein,  daher  sehen  wir  dass  auch  der  Mensch  nach  seinen 
Gliedern  harmonice  erschaffen  sei.  Nichts  desto  weniger  befinden  wir  in  der 
h.  Schrifft,  dass  Gott  der  Herr  alles  harmonisch  zu  bauen  befohlen  habe:  Denn 
die  Kaste  Noä  war  300  Ellen  lang,  50  breit  und  30  hoch.  Wenn  wir  diese 
Zahlen  durch  den  verjüngten  Massstab  auf  ein  Monochordum  tragen,  und  auf 
die  Musik  appliciren,  so  haben  wir  eine  perfecte  harmoniam  (einen  Durdrei- 
klang) in  Clavibus  C.  g^  e^.  Die  Hütte  des  Stiffts,  der  Tempel  Salomonis 
und  alle  Gebäu,  so  Gott  in  der  h.  Schrift  zu  bauen  befohlen,  waren  wie  gesagt, 
harmonisch  gebaut.  Solte  dieses  ohnegefehr  von  Gott  also  verordnet  sein? 
Ich  halte  wohl  nicht.  Also  sehen  wir,  wie  die  Ordnung  Gottes  lauter  har- 
monisches und  liebliches  Wesen  sei,  woraus  auch  unsere  Musik  ihren  Grund 
und  Ursprung  hat.  Nun  köimen  wir  auch  etlicher  massen  finden  warum  der 
Mensch    durch    die    Musik    erfreuet    werde.     Weil    danneuhero    die   Musik    ein 

35* 


548  Harmonielehre. 

ordentlich  und  deutliches  Wesen,  und  solchergestalt  nichts  anderes  als  ein 
formular  der  AVeissheit  und  Ordnung  Gottes  ist,  so  muss  ja  ein  Mensch  (wenn 
er  nicht  ein  Klotz  ist)  billig  zur  Freude  bewogen  werden,  wann  ihm  die 
Ordnung  und  AVeissheit  Gottes  seines  gütigen  Schöpfers  durch  solche  Numeros 
souoros  ins  Gehör,  und  folgendes  ins  Hertze  und  Gemüthe  getragen  wird.  Der 
selige  Lutherus  sagt:  wer  die  Musik  liebet,  der  ist  guter  Art,  wer  dieselbe 
verachtet  der  ist  ein  grober  Klotz  u,  s.  w.  Die  Verachtung  aber  käme  aus 
der  Ungleichheit,  weil  das  Gemüthe  desselben  Menschen  'nicht  nach  der  Ord- 
nung des  weisen  Schöpfers  in  den  harmonischen  Proportionen  stehet.« 

Ganz  anders  stehet  der  Sache  Joh.  Mattheson  gegenüber;  das  erkennt  man 
z,  B.  aus  seinen  Anschauungen  über  die  Lehre  von  dem  Charakter  der  grie- 
chischen Octavengattungen,  welche  Lehre  recht  eigentlich  jener  mystisch -sym- 
bolischen Auffassung  entsprach,  »Es  mag  gleichgültig  sein,  ob  die  Phrygische 
und  Lydische  Siug-Arten  ihre  notam  finalem  (Endtöne)  im  E  und  F  gehabt 
haben  u.  s.  w.  Allein,  dass  durch  diese  Constitutionem  Octavae  (Anordnung 
der  Octave)  alle  Wunder  und  Künste  verrichtet  worden,  ist  nicht  natürlich 
zu  glauben,  sondern  streitet  mit  der  gesunden  Vernunft,«  »AVie  könnte  denn 
dieser  Unterschied  allein,  ob  er  wohl  grössere  physikalische  Würkuug  hat,  als 
mancher  meinet,  Ursach  seyu,  dass  deswegen  die  Phrygischen  Lieder  barbarisch 
und  ausländisch  gelautet?«  »Wie  vermöchte  doch  die  Constitutio  Lydii  (Ein- 
richtung der  lydischen  Octavengattung) ,  den  Verstand  zu  schärffen,  und  den 
mit  irrdischen  Begierden  beschwerten  Seelen  das  himlische  Verlangen  einzu- 
flössen? Da  gehört  wahrhafftig  mehr  zu,  als  ein  Ton  an  und  für  sich,  wenn 
er  auch  noch  so  genau  anatomirt  würde.«  »Denn,  obgleich  ein  jeder  Ton 
speciem  cantus  (die  Art  des  Gesanges)  schon  im  Grunde  und  auf  das  gröbste 
ändert,  so  bald  nur  die  geringste  Erhöh-  oder  Erniedrigung  vorgehet.  So  thut 
doch  die  übrige  Einrichtung  eines  Stückes  ungezweifelt  ein  gar  grosses,  ja  das 
meiste  und  feineste  dabei.  Ich  meyne  z,  E.  die  verschiedene  Taktarten,  das 
Mouvement  (Bewegung),  die  Geltung  der  Noten,  Figuren,  Manieren  und  dergl., 
mit  einem  Worte,  die  Mores,  daraus  so  viel  tausendmahltausend  Modi  modu- 
landi  (Modulationsweisen)  erwachsen.«  (Mattheson,  »Grosse  Generalbassschule« 
S,  30  und  31  der  »theoretischen  Vorbereitung«,)  Wie  vortheilhaft  sticht  diese 
Klarheit  ab  gegen  die  Phantastereien  eines  Schubart  (s.  »Charakter  der  Ton- 
arten«) und  selbst  gegen  die  Phrasen  eines  A.  B.  Marx,  der  noch  immer  von 
einem  »tröstlichen  Dur«,  von  der  »Ueberreiztheit  und  schmerzlichen  Aufge- 
rissenheit des  übermässigen  Dreiklanges«  und  dergl.  zu  sprechen  weiss. 

Nachdem  man  das  Unhaltbare  jener  Speculationen,  als  deren  letzten  Ver- 
treter hier  Andr.  AVerckmeister  aufgeführt  ist,  eingesehen  hatte,  gingen  die 
Bestrebungen  derjenigen,  welche  das  AVesen  der  Tonkunst  wissenschaftlich  zu 
ergründen  suchten,  nach  zwei  Kichtungen  auseinander.  Die  Einen  warfen  sich 
ganz  auf  das  innere  AVesen  der  Musik,  Sie  suchten  dasselbe  aus  den  Be- 
ziehungen der  Musik  zu  der  Sprache,  zu  den  Künsten  überhaupt  und  zum 
Gemüthsleben  des  Menschen  aufzuhellen.  Dagegen  warfen  sich  die  Physiker 
und  Physiologen,  welche  sich  mit  der  musikalischen  Harmonik  befassten,  ganz 
und  gar  auf  den  physikalischen  Theil  jener  Lehre;  sie  suchten  und  fanden 
Vergleichungspunkte  in  den  exacten  AVissenschaften.  Einige  versuchten  eine 
physikalische  Begründung  der  Tonverhältnisse,  indem  sie  die  sieben  Grundtöne 
mit  den  sieben   Grundfarben  verglichen. 

Kepler  frischte  die  Vermuthung  der  Pythagoräer  von  einer  Sphärenmusik 
wieder  auf.  Er  und  andere  Forscher  meinten,  indem  sie  den  einfacheren  oder 
verwickeiteren  Schwingungsverhältnissen  der  Tonverbindungeu  sinnliche  Gefäl- 
ligkeit oder  Widrigkeit  zusprachen,  alle  Gründe  für  die  Wirkung  der  Tonkunst 
erklärt  zu  haben.  Kepler  behauptet:  das  Unterscheiden  der  harmonischen  Töne 
sei  »unbewusst  ein  Gefühl  von  Verhältnissen  ohne  Gefühl«,  Nach  Leibnitz 
besteht  der  Genuss,  den  die  Musik  gewährt,  »in  dem  unbewusst  von  der  Seele 
angestellten  Zählen  der  Schwingungen  der  tönenden  Körper«.    Euler  (»Tentamen 


Harmouielelirf.  5^9 

novae  theoriae  musicae«)  glaubt,  dass  alles  Vergnügen,  welches  Musik  gewähre, 
von  der  "Wahrnehmung  der  Quantität  der  Töne  nach  ihrer  Höhe,  Tiefe  und 
Dauer  herrühre;  für  ihn  ist  derjenige  der  beste  Beurtheiler,  der  das  unbewusste 
Zählen  in  ein  bewusstes  umwandele.  Andere  Denker  dagegen  (Kant,  Herder, 
Krause)  setzten  sich  dieser  Auffassung  entgegen,  —  und  neuerdings  finden 
sich  Anklänge  an  dieselbe  nur  noch  bei  Drobisch  und  Opelt.  Die  neuere 
Forschung  ist  überzeugt,  dass  damit  höchstens  über  die  Einwirkung  des  sinn- 
lichen Theils  der  Musik  einiger  Aufschluss  gegeben  sei.  Aber  auch  schon 
Kepler,  Leibnitz  und  Euler  erkennen  das  Unzureichende  ihrer  Aufi'assungs- 
weise  an,  Leibnitz  spricht  von  der  Gewalt  der  Töne  auf  die  Q-emüthsbewe- 
gungen  der  Menschen;  Kepler  erklärt,  er  rede  nur  als  Physiker;  Euler  setzt 
den  G-enuss  an  der  Musik  schliesslich  auch  mit  in  das  Vergnügen,  welches  das 
Errathen  der  Absichten  und  Empfindungen  des   Componisten  gewähre. 

Eine  der  letzteren  verwandte  Ansicht  finden  wir  übrigens  bei  Helmholtz 
wieder.  Nachdem  er  auseinandergesetzt,  dass  die  Bewusstlosigkeit  des  G-esetz- 
mässigen,  was  durch  Anschauung  im  Kunstwerke  wahrgenommen  werden  kann, 
»gerade  die  Hauptsache  und  der  springende  Punkt  in  der  "Wirkung  des  Schönen 
auf  unseren  Geist  ist«,  fährt  er  (»Tonempfindungen«  S,  554)  fort:  »Eingedenk 
des  Dichterwortes:  „Du  gleichst  dem  Geist,  den  Du  begreifst",  fühlen  wir  die- 
jenigen Geisteskräfte,  welche  in  dem  Künstler  gearbeitet  haben,  unserm  be- 
wussten  verständigen  Denken  bei  weitem  überlegen,  indem  wir  zugeben  müssen, 
■  dass  mindestens,  wenn  es  überhaupt  möglich  wäre,  unübersehbare  Zeit,  TJeber- 
legung  und  Arbeit  dazu  gehört  haben  würde,  um  durch  bewusstes  Denken 
denselben  Grad  von  Ordnung,  Zusammenhang  und  Gleichgewicht  aller  Theile 
und  aller  inneren  Beziehungen  zu  erreichen,  welchen  der  Künstler,  allein  durch 
sein  Taktgefühl  und  seinen  Geschmack  geleitet,  hergestellt  hat,  und  welchen 
wir  wiederum  mittelst  unseres  eigenen  Taktgefühls  und  Geschmackes  zu  schätzen 
und  zu  fassen  wissen,  längst  ehe  wir  angefangen  haben,  das  Kunstwerk  kritisch 
zu  analysiren.  Es  ist  klar,  dass  wesentlich  hierauf  die  Hochschätzung  des 
Künstlers  und  des  Kunstwerks  liegt.  Wir  verehren  in  dem  ersteren  einen 
Genius,  einen  Funken  göttlicher  Schöpferkraft,  welcher  über  die  Grenzen  un- 
seres verständig  und  selbstbewusst  rechnenden  Denkens  hinausgeht.  Und  doch 
ist  der  Künstler  wieder  ein  Mensch  wie  wir,  in  welchem  dieselben  Geisteskräfte 
wirken,  wie  in  uns  selbst,  nur  in  ihrer  eigen thümlichen  Richtung  reiner,  ge- 
klärter, in  ungestörterem  Gleichgewichte,  und  indem  wir  selbst  mehr  oder 
weniger  schnell  und  vollkommen  die  Sprache  des  Künstlers  verstehen,  fühlen 
wir,  dass  wir  selbst  Theil  haben  an  diesen  Kräften,  die  so  Wunderbares  her- 
vorbrachten. Darin  liegt  offenbar  der  Grund  der  moralischen  Erhebung  und 
des  Gefühls  seliger  Befriedigung,  welches  die  Versenkung  in  ächte  und  hohe 
Kunstwerke  hervorruft.« 

(Der  Schluss  dieses  Artikels- folgt  im  nächsten  Bande.     0.  T.) 


Verzeicliniss 


der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Fortschreitung  Seite  1. 
Fortuila,  Jean  7. 
Fortuuati,  Giovanni  l'Van 

cesco  7. 
Fortunatianus  7. 
Fortunatus,  Venantius  7. 
Fortuni,  Amelia  Aiigles  de 

7. 
Forza  8. 
Forzando  8. 
Forzato  8. 
Foschi,  Carlo  8. 
Fossa,  Joannes  de  8. 
FoBsa  8. 
Fossembroue,   Ottavio   da, 

8.  Petrucci  8. 
Fossis,  Pietro  de  8. 
Fossius,  Anton  9. 
Fossoni,  Tomniaso  9. 
Forthiarghiali  9. 
Fouchetti  9. 
Pouquö,    Friedricii    de    la 

Motte  9. 
Fourchette  tonique  s. 
Stimmgabel  9. 

Fourneaux,  Napoleon  9. 
Fournes,  P.  J.  10. 

Fournier,  Pierre  Simon  10. 

Fournier,  Antoinc  10. 

Fourniture  10. 

Fournival,  Richard  de   10 

Foy,  James  10. 

Foyta,  Franz  10. 

Foyta,  Joseph  1<^. 

Fp.    8.    Abbreviatur    für 
Fortepiano  10. 

Fradel,  Karl  10. 

Franzi,  Ferdinand  11. 

Franzi,  Igua.'  11. 

Fragmengo,  Filippo  11. 

Fragnier,  Claude   Franfois 
13. 

Framery,  Nicolas    Etienne 
13. 

Franc,  Guillaume  12. 

Fraui,-aise  12. 

Franceschi,  Francesco  12. 

Francesclüni  13. 

Franeeschini,  Giovanni  13. 

Francesehini,  Petronio  13. 

Fraueeschini,  Giov.  13. 

Francesco    Cieco    s.    Lan- 
dino  13. 

Francesco  da  Milano  13. 

Francesco  da  Pesaro  13. 

Francesco   degli  Organi   s, 
Landino  13. 

Francesco  la  Femara  13. 

Franche,  Louis  Joseph  13, 

Franehetti-Walzel  13. 

Franchetti-Walzel,Luisa  13 

Franchezza  13. 

Frauchi.Giovanni  Pietro  13 

Franc'hinus  s.  Gafori  13. 

Franchomrae,  August  13, 


Franeia,  Gregorio  Seite  14. 
Franciscello   oder    Franci- 

schello  11. 
Francisci,  Erasmo  14. 
Francisco,  Ludovico  a  Sau 

14. 
Franeisconi,  Giovanni  14. 
Franeisque,  Antoiue  14. 
Franck,  Cösar  Auguste  14. 
Frauck,  Joseph  15. 
Franck,  Eduard  15. 
Franck,  Johann  Wolfgang 

15. 
Franck,  Melchior  15. 
Franck,  Johannes  16. 
Franck,  Michael  16. 
Franck,  Sebastian  16. 
Frauckc,  Wilhelm  16. 
Franeke  oder  Franck,   Jo- 
hann 16. 
Franekenau,  Georg  Franck 

von  16. 
Franekenau,  Gerhard  Ernst 

von  17. 
Franco  von  Köln  17. 
Fraacoeur  17. 
Franooeur,  Louis  17. 
Fraucoeur,  Franfois  17. 
Francoeur,    Louis    Joseph 

18. 
Francois,  Florent  des  18 
Frauco-Mendes,  Jacques  19. 
Franco-Mendes,  Joseph  19. 
Franeus,  Elabetus  19. 
Francus,  Wolfgang  Ammo- 

nius  19. 
Frank,  Georg  19. 
Franke,  F.  C.  19. 
Franke,  Ilermann  19. 
Franke,  Leopold  19. 
Franke,  Ilermann  20. 
Frankenberg,  Franz  20. 
Frankenberg,  Gräfin  von  20. 
Franklin,  Benjamin  20. 
Frankreich  20. 
Frantz,  Klamef  Wilhelm  43. 
Franz,  J.  H.  43. 
Franz,  Ignaz  43. 
Franz,    Joachim   Friedrich 

44. 
Franz,  Joachim  Ludwig  44, 
Franz,  Johann  Christian  41, 
Franz,  Karl  44. 
Franz,  K.  Honeamp  44. 
Franz,  Robert  45. 
Franz,  Stephan  47. 
Französische       Musik      s 

Frankreich  48. 
Französische  Posaune  48. 
Französische  Stimmung  s. 

Kammerton  48. 
Französischer  Violinschlüs- 
sel 48. 
Franzoni,  Amando  48. 
Franchini,  Gaetano  48. 


Frasi,  Feliee  Seite  48. 
Frasi,  Miss  48. 
Frassini,  Nathalie  49. 
Frauenchor  49. 
Frauenlob,  Heinrich  49. 
Frech,  Johann  Georg  50. 
Frcddi,  Amadeo  50. 
Freddi  51. 

Fredosi,  Bartoloraeo  51. 
Freeke  oder  Freake,   John 

51. 
Fregoso,  Antonio  Fileremo 

51. 
Freher  51. 

Freher,  Marquard  51. 
Freher,  Paul  51. 
Frei  51. 

Freie  Dissonanz  s.  Conso- 
nauz  und  Dissonanz  und 
Vorbereitung  51. 
Freie   Fantasie  s.  Fantasie 

51. 
Freie  Fuge  s.  Fuge  51. 
Freie  Künste  51. 
Freier  oder  Freyer,  August 

52. 
Freie  Sehreibart,  freier  Styl 

8.  frei  und  Styl   52. 
Freig,  Johannes  Thomas  52. 
Frcillon  -  Poneein,      Jean 

Pierre  52. 
Freislich, Maximilian  Theo- 
dor 52. 
Preislich,  Johann  Balthasar 

Christian  52. 
Freitag,  Adam  52. 
Freitag,  Friedrich  Gotthilf 

52. 
Freitoft  52. 
Frömart,  Henri  53. 
Fr^maux,  Jean  53. 
Freneuse    s.   Leeerf    de    la 

Vieville  53. 
Frengi-tschiu  53. 
Freno,  Marcus  53. 
Frenzel,   Johann  Theophi' 

lus  53. 
Frere,  Alexandre  53. 
Freres  de  la  passion  53. 
Prdron,  Elie  Catherine  53 
Frescamente,  frcseo  53. 
Fresehi,    Giovanni   Dome 

nico  53. 
Frescobaldi,    Girolamo  54. 
Fresne   du  Cange,   Charles 

de  8.  Cange  54. 
Frestcle,  Fretel,  Fretian  54, 
Fretzdorir,  Hugo  54. 
Fretta  55. 
Freubel,    Johann    Ludwig 

Paul  55. 
Freudemann,  Johann  55. 
Freudenberg,  Fräulein  von 

55. 
Freudenberg,  Johann  55. 


Freudenberg,  Karl  Göttlich 

Seite  55. 
Freudenberg,  Wilhelm  55. 
Freudenthal,  Julius  56. 
Freudenthalcr,  Johann  Wil- 
helm 50. 
Freund,  Cornelius  56. 
Freund,  Philipp  50. 
Frcundthaler,  Cajetan  56. 
Frey,  Hans  56. 
Frey,  Johann  57. 
Frey,  M.  57. 
Freylinghausen,    Johann 

Anastasius  57. 
Freylinghausen,Theophilu8 

Anastasius  57. 
Freymuth  57. 
Freystüdler,    Franz    Jacob 

57. 
Freytag  s.  Freitag  57. 
Frezza,  Giuseppe  57. 
Frezza,  (Jiovanni  57. 
Frezzolini,  Erminia  58. 
Frias,   Herzogin  von  58. 
Friberth,  Karl  58. 
Friberth,  Thcrese  58. 
Frichot,  Fran90i8  58. 
Frick,  G.  F.   5D. 
Frick,  Johann  Adam  59. 
Frick,  J.  L.   F.  59. 
Frick,  Christoph  59. 
Frick,  Elias  69. 
Frick,  Philipp   Joseph    59. 
Fricke,  A.  59. 
Frictions  -  Instrumente    s. 

Instrumente  60. 
Fridzerioder  Fritzcri,  Ales- 
saudro     Maria    Antonio 
60. 
Friedel,  Beruhard  60. 
Friedel,  Sebastian  Ludwig 

60. 
Friedel,  Kaspar  60. 
Friedel,  Johann  Franz   60. 
Friedel,  Zacharias  61. 
Friederiei,  Christian  Ernst 

61. 
Friederiei,  Johann  61. 
Friederiei  oder  Friederich, 

Daniel  61. 
Friederiei    auch    Friderici, 

Valentin  (il. 
Friederick  oder  Friederieh 

61. 
Friedlowsky,  Joseph  61. 
Friedlowsky,  Franz  61. 
Friedlowsky,  Anton  61. 
Friedlowsky,  Eleonore  62. 
Friedlowsky,  Marie  63. 
Friedrieh  II.  Landgraf  von 

Hessen-Kassel  62. 
Friedrich    II.    König    von 

Preusscn  62. 
Friedrich  Wilhelm  II.  Kö- 
nig von  Preussen  63. 


Verzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


551 


Friedrich  Wilhelm  Con- 
stantiu,  Fürst  vonHohen- 
zollerii-Hechingen  Seite 
63. 

Friedrich,  Markgraf  von 
Brandenburg  -  Culmbach 
64. 

Friedrich  von  Hausen    64. 

Friedrich  von  Sounenburg 
oder  Suonenburg  64. 

Friedrich,  E.  Ferdinand  64. 

Friedrich,  Ignatz  64. 

Friedrich,  Johann  Jacob  65. 

Friedrieh,  Joseph  65. 

Friedrichs,  Mad.  geb.  Holst 
65. 

Fries,  Johann  65. 

Friese,  Christian  Friedrich 
65. 

Friese,  Friedrich  Franz 
Theodor  65. 

Friese,  Heinrieh  65. 

Friker,  Johann  Ludwig  65. 

Frisehliu,  Nieodemus  65. 

Frischmuth,  Johann  Chri- 
stian 65. 

Frischmuth,  Leonhard   66. 

J''risius  s.  Fries  66. 

Frisoni,  Lorenzo  66. 

Fritelli,  Fausto  66. 

F"ritsch,  Balthasar  66. 

Fritsch,  Louis  66. 

Fritsch,  Thomas  66. 

Fritsehe,  Gottfried  66. 

Fritz,  Berthold  66. 

Fritz,  Joachim  Friedrich  67. 

Fritz,  Kaspar  67. 

Fritzeri  s.  Fridzeri  67. 

Fritzseh,  E.  W.  67. 

Fritzsch,  Martin  67. 

Frivolo  67. 

Frizzi,  B.  67. 

Frobcse  68. 

Fröhlich,  Friedrich  Theo- 
dor 68. 

Fröhlich,  Georg  68. 

Fröhlich,  Joseph  68. 

Fröhlich,  Nanette  69. 

Fröhlich,  Barbara  69, 

Fröhlich  69. 

Frösehcl  69. 

Frohberger,  Johann  Jacob 
69. 

Frohnleichnam  oder  Fron- 
leichnam 70. 

Frohnleichnamfest  71. 

Froid  71. 

Fromm,  Andreas  71. 

Fromm,  Emil  71. 

Fromman,  JohannChristian 
72. 

Fromme,  Valentin  72. 

Frommelt,  A.  72. 

Fronduti,  Giovanni  Bat- 
tista  72. 

Front  8.  Orgelfront  72. 

Front  72. 

Front-,  Prospect-,  Facade- 
Pfeifen  72. 

Frontispice  oder  Fronton 
s.  Principal  72. 

Frontori,  Luigi  72. 

Frosch  72. 

Frosch,  Johann  73. 

FroBchatier,  Johann  73. 

Frovo,  Joad  Alvarez  73. 

Früh,  Gottlieb  74. 

Früh,  Armin  Leberecht  74. 

Frühof,  Heinrich  Wilhelm 
74. 

Frühwald,  Joseph  74. 

Fruytiers,  Jan  74. 

Fry,  William  74. 

F-Schlüssel  75. 

Fuchs,  Aloys  75. 

Fuchs,  Georg  Friedrich  75. 

Fuchs,  Heinrich  76. 


Fuchs,  Julius  Seite  76. 

Fuchs,  Karl  Dorius  Johan- 
nes 76. 

Fuchs,  Peter  77. 

Fuchsschwanz  77. 

Füehs,  Ferdinand  Karl  77. 

Führer  77. 

Führer,  Eobert  77. 

Fuellana  oder  Fuenllana, 
Michael  de  78. 

Füllpfeife  78. 

Füllquinte  78. 

Füllsack,  Zacharias  78. 

Füllstimmen  78. 

Fünf  79. 

Fünfer  79. 

Füufstimmig  79. 

Fünftheilige  Tactarten   79. 

Fünf-  Tonleiter  oder  fünf- 
stufige Tonleiter  79. 

Fuenllana  s.  Fuellana    80. 

Fuentes,Francisco  deSanta- 
Maria  80. 

Fuentes,  Pascal  80. 

Fürstenau  80. 

Fürstenau,  Kaspar  80. 

Fürstenau,  Anton  Beruhard 
81. 

Fürstenau,  Moritz  81. 

Fürstner,  Adolph  82. 

Füssig  s.  Fuss  82. 

Fuetsch,  Joachim  Joseph 
82. 

Füttern  83. 

Fütterung  83. 

Fuga  83. 

Fuga  aequalis  motus  83. 

Fuga  recta  83. 

Fuga  a  due   83. 

Fuga  a  tre  soggetti  83. 

Fuga  authentica  83. 

Fuga  canonica  83. 

Fuga  totalis  83. 

Fuga  composita  83. 

Fuga  contraria  83. 

Fuga  per  motum  eoutra- 
rium  83. 

Fuga  doppia  83. 

Fuga  homophona  83. 

Fuga  impropria  83. 

Fuga  irregularis  83. 

Fuga  incomposita  83. 

Fuga  in  consequenza  83. 

Fuga  in  contrario  tempore 
83. 

Fuga  inversa  83. 

Fuga  libera  83. 

Fuga  soluta  83. 

Fuga  sciolta  83. 

Fuga  mixta  83. 

Fuga  obligata  83. 

Fuga  per  arsin  et  thesin 
83. 

Fuga  per  augmentationem 
83. 

Fuga  per  contrarium  Sim- 
plex 83. 

Fuga  per  contrarium  re- 
versum  83. 

Fuga  per  dimiuutionem  83. 

Fuga  per  imitationcm  in- 
terruptam  83. 

Fuga  perßdiata  83. 

Fuga  obstinata  83. 

Fuga  periodic»  83. 

Fuga  partialis  83. 

Fuga  per  motum  contra- 
rium 83. 

Fuga  contraria  83. 

Fuga  plagalis  83. 

Fuga  propria  83. 

Fuga  regularis  83. 

Fuga  reale  83. 

Fuga  recta  83. 

Fuga  aequalis  83. 

Fuga  reditta  83. 

Fuga  retrograda  83. 


Fuga  retrograda  per  motum 
contrarium  Seite  83. 

Fuga  ricercata  83. 

Fuga  soluta  83. 

Fuga  sciolta  83. 

Fuga  tonale  83. 

Fugara  84. 

Fugato  84. 

Fuge  s.  Kanon  und  Fuge 
84. 

Fuger,  Theophilns  Chri- 
stian 84. 

Fuggire  la  eadenza  s.  Ca- 
denz  undTrugschluss  84. 

Fughetta  84. 

Fugirt  84. 

Fugs,  St.  84. 

Fuhi  8.  Fohi  84. 

Fuhrmann,  Martin  Heinrich 
84. 

Fulbert,  Bischof  von  Char- 
tres  85. 

Fulda  s.  Adam  de  Fulda  86. 

Fullsack  s.  Füllsack  85. 

Furaagali,  Antonio  85. 

Fumagalli,  Adolfo  85. 

Fumagallo,  Catarina  85. 

Funck,  David  85. 

Funck,  Friedrich  86. 

Fundameutalbass  oder  Fun- 
damentalstimme 86. 

Fundamental-  oder  Funda- 
mentbrett 86. 

Fundameutalis  s.  Principal 
86. 

Fuuebre  86. 

Funk,  Gottfried  Benedict 
86. 

Funk,  Christian  Benedict 
86. 

Funzioni  86. 

Fuoco  87. 

Furchheim,  Johann  Wil- 
helm 87. 

Furetiere,  Antoine   87. 

Furioso  87. 

Furlanetto,  Bonaventura 
genannt  Musin  87. 

Furtaris,  Gregorius  88. 

Fusa  s.  Notenschrift  88. 

Fusäe  88. 

Fusellaoder  Fusellala  88. 

Fuss  88. 

Fussclavier  s.  Pedal  89. 

Fuss,  Johann  89. 

Fussloch  89. 

Fuss,  Kicolaus  89. 

Fusston  s.  Fuss  89. 

Futterholeu  90. 

Fux,  Ernst  90. 

Fux,  Johann  Joseph  90. 

Fux'sche  Wechseluote  92. 

Fz.  92. 

G. 

G  92. 

Ga93. 

Ga  93. 

Gaa  93. 

Gabbiani  93. 

Gabel  93. 

Gabelgriff  93. 

Gabelkoppel  94. 

Gabellone,  Gasparo  94. 

Gabelton  94. 

Gabler  94. 

Gabler,  Christoph  August 
94. 

Gabler,  Jeanette  94. 

Gabler,  Matthias  95. 

Gaborg  95. 

Gabram  95. 

Gabriele,  Domenieo  95. 

Gabrielj,  Andrea  95. 

Gabriel!,  Giovanni  (.Johan- 
nes) 96. 


Gabrieli,   Catterina   s.  Ga- 

brielli  Seite  98. 
Gabrieli,  Domenico  98. 
Gabrieli,  Francesca  98. 
Gabrielli,  Catterina  98. 
Gabrielli,  Nicolö  Graf  von 

99. 
Gabrielski,  JohannWilhelm 

99. 
Gabrielski,  Julius  99. 
Gabrielski,  Adolph  99. 
Gabusi,    Giulio    Cesare    s. 

Gabuzio  99. 
Gabussi,  Vincenzo  99. 
Gabussi,  Rita  100. 
Gabuzio,  Giulio  Cesare  100. 
Gaces   Brulds  oder  Brulez 

100. 
Gade,  Niels  W.  100. 
Gaebler,ErnstFriedrich  101. 
Gäde,  Theodor  102.  - 
Gähler,  von  102. 
Gährich,  Wenzel  102. 
Gämmrich,  Heinrich  102. 
Gänsbaeher,   Johanu  Bap- 
tist 102. 
Gärtner,  Johann  103. 
Gärtner,  Johanu  Peter  104. 
Gärtner,  Joseph  104. 
Gaertner,  Karl  104. 
Gaetaui  104. 
Gaetano  105. 
GafTarel,  Jacques  105. 
Gaffi,  Bernardo  105. 
Gafforini,  Elisabetta  105. 
Gafori  oder  Gaforio,  Fran- 

chino  105. 
Gaggi,  Giovanni  106. 
Gagliano,  Alexandre  106. 
Gagliano,  Nicolo  106. 
Gagliano,  Ferdinando    106. 
Gagliano,  Giuseppe  106. 
Gagliano,  Gennaro  106. 
Gagliano,  Zanobi  de  106. 
Gagliano,  Marco  de  106. 
Gagliano,     Giovanni    Bat- 

tista  de  107. 
Gagliarde    oder    Gaillarde 

107. 
Gagliardi,  Dionisio  Poliani 

107. 
Gagni,  Augelo  107. 
Gail,  Jean  Baptiste  107. 
Gail,  Sophie  geb.  Garre  108. 
Gail,  Jean  Franfois  108. 
Gaillarda  s.  Gagliarde  108. 
Gaillard,  Johann  Ernst  108. 
Gaillard,  Karl  109. 
Gakschojin  109. 
Galante  oder  galantemeute 

109. 
Galante  Fuge  s.  Kanon  und 

Fuge  109. 
Galanterie-Stimme  109. 
Galante  Schreibart  109. 
Galanter  Styl  109. 
Galariui,    Pietro    Antonio 

109. 
Galaurone  109. 
Galavotti,  Geronimo  109. 
Galeazzi  109. 
Galeazzi,"  Antonio  109. 
Galeazzi,  Tommaso  109. 
Galeazzi,  Francesco  110. 
Galempung  110. 
Galeno,   Giovanni  Batti^ta 

110. 
Galeotti,  Stcfifano  110. 
Galetti  110. 
Galetti,    Giovanni  Andrea 

110. 
Galetti,  Elisabeth  110. 
Galetti,  DomenicoGiuseppc 

110. 
Galibert,  Pierre  Christophe 

Charles  110. 
Galilei,  Vincenzo  110. 


552 


Vevzeichniss  der  im  vieileu  J3aude  enthaltenen  Artikel. 


Galilei,  Galileo  Seite  111. 
Galilei,  Michole  Angrelo  111. 
Galimberti,  Fernando  111. 
Galin,  Pierre  111. 
Galit/.in,  Georg,  Fürst  von 

111. 
Gall,    Ferdinand     Freiherr 

von  112. 
Gall,  Joseph  112. 
Galland,  Antoinc  112. 
Gallay,    Jacques    Fraufois 

112. 
Galle,  Daniel  113. 
(Jalleazzi  s.  Galeazzi  113. 
Gallecius    auch    Gallesius 

oder   Galletius,   Francis- 

cus  113. 
Gallemart,  Jean  de  113. 
Gallen,  JohannMichael  113. 
Gallenberg,  Wenzel  Kobert 

Graf  von  113. 
Gallerano,  Leandro  113. 
Galletti  s.  Galetti  114. 
Galley  s.  Gallay  114. 
Galli,  Filippo  114. 
Galli,  Francesco  Scotto  114. 
Galli,  Vincenzo  114. 
Galliard  s.  Gaillard  114. 
Galliculus,  Johann  114. 
Gallieulus   de   Muris,    Mi- 
chael 114. 
Gallimard,  .Tean  Eduard  11 5. 
Gallimberti    s.   Galimberti 

115. 
Gnllino,  Grcgorio  11.5. 
Gallische     oder     keltische 

Trompete  115. 
Gallitz,  Georg  115. 
Gallo  115. 

Gallo,  Giovanni  Pietro  115. 
Gallo,  Domenico  115. 
Gallo,  Ignazio  115. 
Gallo,  Catarina  115. 
Gallois,  Jean  le  115. 
Gallois-Gourdin  H5. 
Galluccio,  Gerardo  115. 
Gallus,  Jacob  115. 
Gallus,  Johann  116. 
Galopp  oder  Galoppade  116. 
Galot  116. 

Galoubet  oder  Flutet  116. 
Galtruchius      oder      Gaul- 

truche,  Pierre  117. 
Galtus,  Germer  117. 
Galuppi,  Baldassai-re  117. 
Galvi-Neuhaus  118. 
Gama  IIS. 

Gambale,  Emanuele  118. 
Gambang  118. 
Gambang  Kayu  119. 
Gambara,     Carlo    Antonio 

119. 
Gambarini,  Miss  119. 
Gambaro,    Giovanni    Bat- 

tista  119. 
Gambe  119. 
Gambenbass    oder   Violdi- 

gambenbass  120. 
Gambenwerk  120. 
Gamberini,  Antonio  121. 
Gamberiui,  MicheleAngelo 

121. 
Gambini,  Carlo  Alberto  121. 
Gambist  121. 
(Jamble,  John  121, 
Gambold  121. 
Gamma  121. 
Gamme  122. 
Gamme-ut,  Gamma-ut  oder 

Gammut  122. 
Gammersfelder,  Johann  122 
(lana  122. 

Ganassi,  Silvestro  122. 
Gancaldi,  Carlo  122. 
Gander  122. 
Gandhära  123. 
Gündhara-grüma  123. 


Gandhärbas  Seite  123. 
Gandini,    Antonio,    Ritter 

von  123. 
Gandini,  Isabella  123. 
Gandini,  Salvatore  123. 
Gando,  Nicolas  123. 
Gandrika  123. 
Gang  123. 
Gangris  124. 
Gannassi,  Jacopo  124. 
Ganspekh,  Wilhelm  124, 
Gauswind  124. 
Gantez,  llannibal  124. 
Gantzland,  Christian  124. 
Ganz  124. 
Ganz,  Adolph  124. 
Ganz,  Moritz  124, 
Ganz,  Leopold  124, 
Ganz,  Eduard  125. 
Ganz,  Wilhelm  125. 
Ganze  Applieatur  125. 
Ganze  Cadenz   oder   Ganz- 

schluss  s.  Cadenz  125. 
Ganze  Doppelznnge  125. 
Ganze    Note    oder    Ganze 

Taktnote  125. 
Ganze  Orgel  125. 
Ganzer  Takt  125. 
Ganziustrumente  125. 
Ganz-Ton  126. 
Ganzwerk  127, 
Garani,  Nunziata  127. 
Garat,  Pierre  Jean  127. 
Garat,   Joseph    Dominique 

Fabry  128. 
Garaud^,    Alexis   Adelaide 

Gabriel  de  128, 
Garaudö,      Alexis      Albert 

Gauthier  128, 
Garbini,  Mad,  128, 
Garbo  129. 
Garbrecht  129. 
Garcia  129. 
Gareia,  Manoel,  del  Popolo 

Vicente  129. 
Gareia,  Manoel  130. 
Garcia,  Maria  131. 
Gareia,  Pauline  131. 
Garcius,  Laurent  131. 
Garczinska,Wilhelmine  von 

131. 
Gardano,  Antonio  131, 
Gardano,  Angele  131, 
Gardano,  Alessandro  131. 
Garde,  de  la  s.Lagardel31. 
Gardeton,  Cesar  131. 
Gardi,  Francesco  131. 
Gardiner,  William  132, 
Gareis,  R.  132, 
Gargano,  Tcofilo  132. 
Garghetti,  Silvio  132. 
Gargross  s.  Garklein  132. 
Gärikä  133. 
Garilieff  132. 
Garinding  132. 
Garke,  Heinrich  132, 
Garklein  132, 
Garlandc,  Jean  de  132, 
Garnerius  oder  Guarnerius, 

Guilielmus  132. 
Garnier  133. 
Garnier,  Andrieu  133. 
Garnier,  Fran^ois  133. 
Garnier,  llonon^  133. 
GarthofDurhara,  John  133. 
Garschavim  133. 
Garulli,  Bcrnardino  133. 
Garzoni,  Tommaso  133, 
Gas  134, 
Gasehin-Rosenberg,  Fanny 

Gräfin  von  134. 
Gaseogne,  Matthieu  134, 
Gas-Harmoniea   oder  Gas- 

Accord-Harmonica  134. 
Gaspard,  Michel  135, 
Gaspard  de  Salö  8,  Gasparo 

da  Salö  135. 


Gaspard,  Mr.  Seite  135. 
Gaspard  auch  Gaspar  135. 
Gaspari,  Gaetano  135. 
Gaspr.rini  135. 
Gasparini,  Francesco  135. 
Gasparini,  Miohelo  Angelo 

1.36. 
Gasparini,  Quirino  136, 
Gasparo  da  Salö  136, 
Gasse,  Ferdinand  136. 
Oasseau  136, 
Gassend,  Pierre  136. 
Gassenhauer   oder  Gassen- 
lied 8.  Volkslied  136. 
Gassitzius,  Georg  136. 
Gassmann,  Florian  Leopold 

137, 
Gassmann,  Maria  Anna  138. 
Gassmaun,  Maria  Theresia 

138, 
Gassner,  Ferdinand  Simon 

138. 
Gasteritz,  Michael  139. 
Gastinel,  L^on  Gustave  Cy- 

prien  139. 
Gastoldi,     Giovanni     Gia- 

como  139. 
Gastorius,  Severus  140, 
Gastayes,  Guillaume  Pierre 

Antoine  140, 
Gastayes,  Löon  Joseph  140. 
Gastayes,  Fdlicien  140, 
Gates,  Bernard  140. 
Gatby,  August  140. 
Gattermann,  S.  M.  D.  142. 
Gatti,  Luigi  142. 
Gatti,  Simone  142. 
Gatti,  Teobaldo  di  142. 
Gattoni,  Giulio  Cesare  142. 
Gattungen  oder  Geschlech- 
ter 142. 
Gatzmann,  Wolfgang  143. 
Gaubert,  Denis  143. 
Gauehe  143. 
Gaucquier,  Alard  Dunoyer 

du  143, 
Gaude,  Theodor  143, 
Gaudentius  143,. 
Gaudi  144, 

Gaudimel  s.  Goudimel  144. 
Gaudio,  Antonio  del  144. 
Gaudio  del  Mels,  Goudimel 

144, 
Gaultier,  Abbö  Alois  Edou- 
ard 144, 
Gaultier,  Pierre  144. 
Gaumentou  s.  Kchlton  144. 
Gaus,  Karoline  144, 
Gauspeck,  Giuseppe  145. 
Gauther5t,  Louise  geb.  Des- 

charaps  145. 
Gauthier,  Gabriel  145, 
Gauthier,  Pierre  145, 
Gautier,  Denis  145. 
Gautier,  Denis  146, 
Gautier,  Jacques  145, 
Gautier,  Jean  Andrö  145. 
Gautier,      Jean      Franpois 

Eug&ne  145, 
Gauzargues,   Abbö  Charles 

146, 
Gavassi,  Giaeomo  146. 
Gavaudan,    Jean    Baptiste 

Sauveur  146, 
Gavaudan,  Jeanne  geb.Du- 

camel  146. 
Gavaudan,  Mlle.,  verheira- 

thete  Lainez  147, 
Gavaudan,    Mlle.,  genannt 

Spinette  147, 
Gavaudan,     Erailie,    verh. 

Gaveaux  147, 
Gaveaux,  Pierre  147. 
Gaveaux,  Emilie  147. 
Gaveaux,  Simon  147. 
Gavinids,  Pierre  147. 
Gavotte  148. 


Gawet  s.  Saal  Seite  149. 

Gawler  149. 

Gawthorn,  Nathaniel  149. 

Gay  149. 

Gäyatri  149. 

Gaye,  Henri  Ic  149, 

Gaye,  Jean  149, 

Gaver,  Johann  joseph  Georg 
150. 

Gayl,  Johann  Conrad  150, 

Gazcachweller  s. Crescendo- 
zug 150. 

Gazon,  IjouIsc  Rosalie  du 
s.  Dugazon  150. 

Gazzaniga,  Giuseppe  150, 

Gazzotti,  liorenzo  150, 

G-dur  150. 

Ge  153. 

Gebauer  153. 

Gebauer,  MichclJoseph  153. 

Gebauer,  Fran^oisRi^nö  153. 

Gebauer,  Pierre  Paul  153. 

Gebauer,  Etienne  Fran^ois 
153, 

Gebaucr,  Franz  Xaver  153. 

Gebel,  Georg  154. 

Gebel,  Georg  jun.  1.54. 

Gebel,  Georg  Sigismund 
154. 

Gebel,  Franz  Xaver  154. 

Gebhard,  Johann  Gottfried 
155. 

Gebhard,  Karl  Maria  Franz 
155. 

Gebhardi,LudwigErnst  155. 

Gebhart,  Anton  155. 

Gebläse  s.  Orgel  155. 

Gebohrte  Windlade  155. 

Gebrochene  Accorde  156. 

Gebrochene  Arbeit  156. 

Gebrochenes  Ciavier  156, 

Gebrochener  oder  gekröpf- 
ter Kanal  156. 

Gebrochene  Octave  s.  Orgel 
156, 

Gebrochene  Parallelen  oder 
Schleifen  156. 

Gebrochene  Register  156. 

Gebrochene  Wellen  156. 

Gebunden  156. 

Gebundenes  Ciavier  156. 

Gebundene  Dissonanz  156. 

Gebundene  Sehreibart  157. 

Gebundene  Violine  157. 

Gedackt  157. 

Gedaektbass  168. 

GedaeUtflöte  158. 

Gedacktflötenchormaas  od. 
Unterchormaas  158. 

Gedackt-Pommer  158. 

Gedaekt-Quinte  158. 

Gcdaekt-Regal  s.  Regal  158. 

Gedämpft  158. 

Gedämpft-Regal  s.  Regal 
159. 

Gedanke  159. 

Gedeckt  161. 

Gedoppelte  Intervalle  s. 
Doppelte  Intervalle  162, 

Gefährte  162. 

Gerällig  162, 

Gefühl  162. 

Gefüllte  Note  s.  Viertelnote 
164. 

Gegenbewegung  s,  Bewe- 
gung 164, 

Gegenfuge  164, 

Gegeuharmonie  s,  Kanon 
und  Fuge  164. 

Gegensatz  161. 

Gegittertes  B  165. 

Gehäkelte  Notenschrift  s. 
Note,  Neume  und  Noten- 
schrift 165. 

Gehe,  Eduard  Heinrieh  165, 

Gehend  165. 

Gehirne,  Pranz  165, 


Verzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


553 


Gehör  Seite  165. 
Gehörbildung  169. 
Gehörenipfindung'  169. 
Gehörquinten      s.    Ohren- 

quiuten  169. 
Gehörquinten  s.  Fortsehrei- 

tung  169. 
Gehot,  John  169. 
Gehra.JohannHeinrieh  170. 
Gehra,  Johann  Gottlieb  170. 
Gehring,  Franz  170. 
Gehring,    Johann  Michael 

170. 
Gehring,  Johann  Wilhelm 

170. 
Gehring,  Ludwig  170. 
Gehse  s.  Walker  170. 
Geibel,  Friedrich  170. 
Geibel,  Konrad  170. 
Geier,  Martin  171. 
Geige  171. 

Geigenbogen  s.  Bogen  171. 
Geigenclavicymbel    s.  Bo- 

genclavier  171. 
Geigenclavier  s.  Bogencla- 

vier  171. 
Geigenharz  s.  Colophonium 

171. 
Geigeninstrument  s.  Geige 

und      Streichinstrument 

171. 
Geigenprincipal  171. 
Geigenregal  171. 
Geigenwerk, nürnberg'sches 

s.  Gambenwerk  171. 
Geiger,  Joseph  173. 
Geiger,  Constanze  172. 
Geiger  oder  Jäger,  Konrad 

172. 
Geigerkönig  s.   König  der 

Geiger  172. 
Geijer,  Erik  Gustaf  172. 
Geissler,   Johann   Gottlieb 

172. 
Geissler,  Karl  172. 
Geist;  geistreich;  geistvoll 

173. 
Geistliche  Musik  )  s.     Kir- 
Geistliches  Lied  S    chen- 

musik,  Kirchengesang  u. 

Lied  174. 
Geistreich  s.  Geist  174. 
Gekröpfte  Pfeifen  175. 
Gekünstelt  175. 
Gelais,  Merlin  oder  Mellin 

de  St.  176. 
Gelasius  I.  175. 
Geleitsmann,  Anton  175. 
Gelenke  s.  Tactglied  175. 
Gelinde  Gedackt  175. 
Gelinek,  Hermann   Anton, 

genannt  Cervetti  175. 
Gelinek,  Johann  176. 
Gelinek,  Abt  Joseph  176. 
Geltende  Noten  176. 
Gellius,  Aulus  176. 
Geltung     der    Noteu    und 

Pausen  176. 
Geltungsstriche  oder   Gel- 
tungsrippen 177. 
Geizmann,  Wolfgang  177. 
Gemälde,  musikalisches  s. 

Tonmalerei  177. 
Gemein  177. 

Gemeiner  Contrapunkt  177. 
Gemengter   Contrapunkt 
»■    178. 

Gemengtes  Metrum  178. 
Geminatae    s.   Solmisation 

178. 
Geminiani,  Francesco  178. 
Gemischtes  Metrum  178, 
Gemischte  Stimmen  179. 
Gemraingen,     Eberhard 

Friedrich    Freiherr    von 

179. 
Gemshorn  179. 


Gemshornquinte  Seite  180. 

Gemünder,  Georg  180. 

Gemüth  180. 

Genast,  Eduard  Franz  180. 

Geuder,  181. 

Genee,  Johann  Friedrieh 
181. 

Geni^e,  Kichard  181. 

Genera  densa  s.  Genera 
spissa  182. 

Generalbass  182. 

Geueralbassschrift  s.  Bezif- 
ferung 183. 

Generalbasssehule  s.  Gene- 
ralbass 183. 

Generalbassspiel  s. General- 
bass 183. 

Generalbassstimme  s.Orgel- 
stimme  183. 

Generali,  Pietro  183. 

General-Musikdirektor  184. 

Generalpause  184. 

Generalprobe  184. 

Generalventil  184. 

Genera  spissa  oder  densa 
184. 

Generoso  184. 

Genet,  Eliazar  oder  Elziar 
184. 

Gengenbaeh,  Nicolaus  185. 

Genie;  genial  186. 

Genitscha,  Iwan  188. 

Genlis,  Stephanie  Fölicitö 
Ducrest  de  Saiut  Aubin, 
Marquise  von  Sellery, 
Gräfin  von  188. 

Genoves,  Tommaso  189, 

Genre  189. 

Genst,  Auguste  de  189. 

Gentile  189. 

Gentili,  Giorgio  189. 

Gentili,  Serafino  189. 

Genus  189. 

Genus  chromaticura    I 

Genus  diatonicum        >  s, 

Genus  cnliarmonicumJ 
Klanggeschlecht  190. 

Genus  inflatile  190. 

Genus  percussibile  190. 

Genus  rarum  190. 

Genus  syntonum  190. 

Genus  tensile  190. 

Genus  isou  190. 

Genus  diplasion  190. 

Geometrische  Theilung  190. 

Georg  V.,  FriedrichAlexan- 
der,  Exkönig'  von  Han- 
nover 190. 

Georg,  Markgraf  von  Bran- 
denburg 190. 

Georg,  Joseph  191. 

Georg,  Sebastian  191. 

Georg,  Paul  191. 

Georges  s.  Saint  Georges 
191. 

Georgi,JohannGottliebl91. 

Gerade  Bewegung  191. 

Gerade  oder  geradfüssige 
Stimmen  191. 

Gerader  Takt,  gerade  Takt- 
arten B.  Takt  191. 

Görard,  Henri  Philippe  191. 

Gerardini,  Arcangelo  191. 

Geraubtes  Zeitmaas  191. 

Geräusch  191. 

Gerber,  Christian  192. 

Gerber,  Heinrich  Nicolaus 
192. 

Gerber,  Ernst  Ludwig  192. 

Gerber,  Karl  193. 

Gerbert  von  Hornau,  Mar- 
tin 193. 

Gerdy,  P.  N.  194. 

Gerhard  194. 

Gerhard,  Jacob  194. 

Gerhard,  Johann  Heinrieh 
194. 


Gerhard,  Justin  Ehrenfried 
Seite  194. 

Gerhard,  Wilhelm  194. 

Gerhard,  Livia  194. 

Gerissene  Zunge  195. 

Gerke  195. 

Gerke,  Anton  195. 

Gerke,  August  195. 

Gerke,  Otto  195. 

Gerl  oder  Görl,  Franz    195. 

Gerl  oderGerle, Konrad  195. 

Gerl,  Hans  195. 

Gerl,  Hans  jun.  195. 

Gerlaeh,  Leocadie  geb. 
Bergnehr  195. 

Gerlande  oder  Garlande, 
Jean  de  196. 

,  Gerli,  Giuseppe  196. 

Germain,  Sophie  196. 

Germanen,  Germanische 
Musik  196. 

Gern,  Johann  Georg  205. 

Gern,  Michael  205. 

Gernadieh  205. 

Gernlein  205. 

Gernsheim,  Friedrich  205. 

Gero,  Giovanni  de  206. 

Geroni,  Christoph  207. 

Gerosi  207. 

Gersbach,  Anton  207. 

Gersbaoh,  Joseph  207. 

Gerson,  Jean  de  208. 

Gerson,  Nicolaus  208. 

Gerstäcker,  Friedrich  208. 

Gerstel,  Heinrich  Wilhelm 
209. 

Gerstenberg,  J.  D.  209. 

Gerstenbüttel,  Joachim  209. 

Gervaesius  209. 

Gervais  209. 

Gervais,  Claude  210. 

Gervais,  Charles  Hubert 
210. 

Gervais,  Laurent  210. 

Gervais,  Pierre  Noel  210. 

Gervasi,  Luigi  210. 

Gervasoni,  Carlo  210. 

Gervinus,  Georg  Gottfried 
211. 

Ges  212. 

Gesang-212. 

Gesangbuch  224. 

Gesanglehre  236. 

Gesanglehrer  s.  Singlehrer 
226. 

Gesanglichter  226. 

Gesangmethode  s.  Gesang 
226. 

Gesangsehule  s.  Singsehnle 
226. 

Gesangübungeu  oder  Sing- 
übungeu  s.  Solfeggien 
226. 

Gesaugton  s.  Voealton  226. 

Gesangverein  s.  Siugvereiu 
226. 

Geschichte  der  Musik  s. 
Musikgeschichte  226. 

Geschlecht  s.  Gattung,  Ge- 
nus, Klang-  und  Tonge- 
schlecht 226. 

Geschleift  226. 

Geschleifter  Doppelschlag 
s.  Doppelschlag  226. 

Geschlossener  Kanon  s. 
Kanon  226. 

Geschnellter  Doppelschlag 
s.  Doppelschlag  226. 

Geschmack  226. 

Geschränkte  oder  ge- 
schweifte Wellen  s.  ge- 
brochene Wellen  227. 

Geschwänzt  s.  gestrichen 
227. 

Ges-Dur  227. 

Gese,  Bartholomäus  s.  Ge- 
sius  227. 


GesellschaftstänzeSeite227. 

Gesicht  der  Orgel  s.  Orgel- 
front 227. 

Gesiohtspfeifen    s.    Front- 
pfeifeu  227. 

Gesius,  Bartholomäus   227. 

Geslin,  Filippo  Marc-Anto- 
nio 227. 

Ges-Moll  227. 

Gessinger,    Georg    Martin 
227. 

Gessner,   Johann  Matthias 
228. 

Gestewitz,   Friedrich  Chri- 
stoph 228. 

Gestohlenes    Zeitmaass    s. 
Tempo  rubato  228. 

Gestrichen  s.  Notensclirift 
und  Tabulatur  228. 

Gesualdo,  Carlo  228. 

Getheilt  228. 

Getheiltes   Accompagne- 
ment  228. 

Getheilte  Violinen  s.  Divisi 
229. 

Getragen   s.    Appoggiato 
239. 

Getragene  Zunge  s.  Pauke 
und  Zunge  229. 

Getrennte  Bewegung  229. 

Gevaert,  Fraufois  Auguste 
229. 

Gewandhausconcert  232. 

Geyer,  Flodoard  232. 

Geyer,  Johann  Egidius  333. 

Geyer,  Johann  Ludwig  233. 

Gezwungen  233. 

Gherardesea,  Filippo  234. 

Gherardeschi, Giuseppe  235. 

Gherardi,  Blasio  235. 

Gherardo,  Pietro  Paolo  235.  • 

Gherasch  235. 

Gherasohaim  235. 

Gheresch  236. 

Ghersem,  Gaugeric  de  236. 

Ghezzi,  Ippolito  236. 

Ghinassi,  Stefano  236. 

Ghiretti,  Gasparo  236. 

Ghiribizzo  s.  Capriccio  236. 

Ghiselin    oder    Ghiselain, 
Jean  236. 

Ghisvaglio,  Girolamo  237. 

Ghizzola,  Giovanni  237. 

Gholam  Rusul  237. 

Ghro,  Johann  237. 

Ghuza  237. 

Ghys,  Joseph  237. 

Ghys,  Henri  237. 

Gi  237. 

Giaccio,  Girolamo  237. 

Giacobbi,  Girolamo  237. 

Giacomelli,  Geminiano238. 

Giacomelli,  Giuseppe  238. 

Giacomelli,  Genevi&ve  So- 
phie geb.  BüU  238. 

Giacomini,  Bernardino238. 

Giai,  G.  A.  238. 

Gialdini,  Luigi  238. 

Giamberti,  Giuseppe  239. 

Gianella,  Luigi  239. 

Gianelli,  Abbate  Pietro  239. 

Gianettini,  Antonio  239. 

Giangiacomo,  Perino  239. 

Gianotti,  Pietro  239. 

Giansetti,    Giovanni    Bat- 
tista  240. 

Giardini,  Feiice  240. 

Giardini,     Violenta     geb. 
Vestris  241. 

Giardiuieri  241. 

Giarnovichi  s.  Giornoviohi 
241. 

Gibbons  241. 

Gibbons,  Roland  211. 

Gilibons,  Christophor  241. 

Gibbons,  Edward  241. 

Gibbons,  Ellis  241. 


554 


Yerzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Gibel,  Otto  Seite  243. 

Gibelll,  Lorenzo  242. 

Gibellini,  Eliseo  242. 

Gibcllini,  Girolatno  242. 

Gibellini,  Nicola  242. 

Gibert,  Paul  Cesar  242. 

Giboui,  Gilbert  212. 

Gibson,  Edward  242. 

Gide,  Casimir  243. 

Giehne,  Heinrieh  243. 

Giese,   Theophil    Christian 
243. 

Giesskannenknorpcl   ». 
Kehlkopf  243. 

Giesslade  243. 

Giga  s.  Gigue  243. 

Gigault,  Niclas  243. 

Gigli,  Giulio  243. 

Gigli,  Tommaso  243. 

Gigli,  GiovanniUattista  243. 

Gigue  auch  Gi(iue243. 

Gil  245. 

Gil,  Francisco  d'Assisi  245. 

Gilbort,  Alfons  245. 

Gilbert,  Marie  245. 

(iilbertus  245. 

Giles,  Nathaniel  245. 

Gillern,  Hugo  von  s.  Krü- 
ger 245. 

Gilles,  Henry  Noel  245. 

Gilles,  Jean  246. 

Gimeno,  Giovachino  246. 

Ginestet,  l'rosper  de  246. 

Ginestet,  Emil  de  24G. 

Ginglarus  s.  Flöte  246. 

Gingria  oder  Gingras  246. 

Gingriua  246. 

Ginguen(5,  Pierre  Louis  246. 

Gini,  GiovanniAntonio  247. 

Ginistet,  Prosper  de  s.  Gi- 
nestet 247. 

Giocoudo  247. 

(Jiocoudaniente  247. 

Gioeondezza  247. 

Gioconditä  247. 

Giocoso  oder  Giojoso  247. 

Gioja,  Gaetano  247. 

Giordani,  Antonio  247. 

Giordani.  Giacomo  247. 

Giordiui,  Giuseppe  247. 

Giorgetti,  Ferdinande  248. 

Giorgi,  Filippo  248. 

Giorgi,  Giovanni  248. 

Giorgio,  Giuseppe  248. 

Giornovichi,     Giovanni 
Mane,  genannt  Jaruovich 
248. 

Giovanelli,  Rugiero  24». 

Gippenbusch,  Jacob  250. 

Giquc  s.  Gigue  250. 

Giraffe  250. 

Giraldus  Cambrensis,   Syl 
vester  250. 

Giranek,  Anton  250. 

(iirard  250. 

Girard,  Philippe   Henri   de 
250. 

Girard,  Narcisse  250. 

Giraud,    Fran9oi3    Joseph 
251. 

Girbcrt,  Christoph  Heinrieh 
251. 

Girelli,  Sautino  251. 

(Hrkeh  oder  Girkah  251. 

Girolamo  di  Navarra  251. 

Girolamo    da    Monte     del 
Olmo  251. 

Girolamo  da  Udine  251. 

Giroust,  Kranpois  252. 

Girschner,  Karl  252. 

Gis  252. 

Gis-Dur  252. 

Gis-moll  252. 

(iith  253. 

(ihithith  253. 

(iiti  oder  Udgätha  253. 

Gitter,  Joseph  253. 


Giubilei,  Pater  Andrea  Seite 

253. 
Giubilo  253. 
Giubiloso  253. 
Giucante  oder  giuchevole 

253. 
Giudetti,  Giovanni  253. 
Giuglini,  Antonio  264. 
Giuliani  254. 
Giuliani,  Antonio  254. 
Giuliani,  Cecilia,   geb.  Bi- 

anchi  254. 
Giuliani,  Francesco  254. 
Giuliani,  Francesco  254. 
(iiuliani,  Mauro  255. 
Giuliauo  Tiburtino  255. 
Giuliui,  Andreas  255. 
Giusti,  Maria  s.  Bulgarclli 

255. 
Giustiani  255. 
Giustini,  Lodovico  255. 
Giusti  Komania,  Maria  255. 
Giusto  255. 
Gizzi,  Doraenico  255. 
Gizziello  s.  Conti  250. 
Giusto,  Paolo  256. 
Gläser,  Franz  250. 
Gläser,  K.irl  Ludwig  Trau- 
gott 256. 
Glaser,  Karl  Gotthelf  257. 
Gläser,  Michael  257. 
Glanncr,  Kaspar  257. 
Glanz,  Georg  257. 
Glaphyros  257. 
Glarean,  Heinrich  257. 
Glas  258. 
Glasehord  259. 
Glasenap,  Joachim  von  259. 
(ilaser,  Johann  Adam  259. 
Glaser,  JohannMioliacl  259. 
Glaser,  Konrad  200. 
Glasspiel  260. 
Glasstabharmonica  280. 
Glaucus  2G0. 
Gleieii,  Ferdinand  260. 
Glcichauf,  Franz  Xaver  260. 
Gleichen,  Andreas  261. 
Gleicher  Contrapuukt  261. 
Gleichheit  der  Stimme  261. 
Gleichmann,    Johann    An- 
dreas 261. 
Gloichmann,  Johann  Georg 

261. 
Gleiehschwebend,     gleich 

schwebende    Temperatur 

s.  Temperatur  261. 
Gleichzeitige  Bewegung  s 

Bewegung  261. 
Gleissner,  Franz  261. 
Glcitsmann,   Anton   s.  Ge^ 

leitsmann  262. 
Gleitsmann,  Paul  261. 
(ilettinger,  Johann  262. 
Glettle,   Johann    Melchior 

262. 
Glied-    oder    (Jliedtheilac 

cent  s.  Accent  262. 
Glieder    oder    Taetglieder 

262. 
Glimes,  Jean  Baptistc  Jules 

de  262. 
Glinka,  Michael  von  263. 
Gliro,  Giovanni  Francesco 

263. 
Gliss,  Johannes  263. 
(ilissando  263. 
Glissato  263. 
Glissicando  263. 
Glissieato  263. 
(iloeken  263. 
tflockencyrabcl  266. 
Glockengut,  Glockenspeise 

oder  Glockenmctall  266. 
Glockcnschlag  s.  Glöeklcin 

267. 
Glockenspiel  267. 
Glockeuton  267, 


Glockenwngen    oder    Fah- 
nenwagen Seite  267, 
Glöekcben  268. 
Glöckleinton  oder  Glooken- 

ton  268. 
Glöggl,  Franz  Xaver  268. 
G lösch,  Karl  Wilhelm  269. 
Gloria  269. 
Glottis  269. 
Glower,  Stephen  269. 
Glowatz,  Heinrich  269. 
Gloy,  JohannChristoph  269. 
Gluck,  Christoph  Willibald 

Ritter  von  270. 
Gluck,  Marie  Anna  279, 
Glück,  Johann  280. 
(ilück,      Johann      Ludwig 

Friedrich  280. 
Glycaeus,  Joannes  280. 
Glycibaritou  280. 
G-moll  280. 
Gnaccare  282. 
Gnecco,  l'^rancesco  282. 
(incsippos  282. 
Gnocchi,  Giovanni  Battista 

282. 
(iobatti,  Stefano  292. 
Gobdas  283. 
Gobcrt,  Thomas  283. 
(Jockei,  August  283. 
Goclenius,  Rudolph  283. 
Goddard,  Arabella  283. 
(ioduau,  Antoine  284. 
Godecbarle, Eugene  Charles 

Jean  284. 
Godecbarle,  Lambert  Fran- 

f!0is  284. 
Godecharle.Joseph  Antoine 

284. 
Godecharle,  Louis  Joseph 

Melchior  284. 
Godefroid  284. 
Godefroid,  F^licien  284. 
Godefroid, Jules.Tosoph  285. 
Godendag  oder  Godendach 

285. 
Godfrey,  Daniel  285. 
God  savo  the  king  285. 
Göbel,    Johann  Ferdinand 

285. 
Göbel,  Karl  285. 
Göpel,  Johann  Andreas  285 
(iöpfert,  Karl  Andreas  286. 
Göpfert,  Karl  Gottlieb  286. 
Göpfert,    Johann  Gottlieb 

286. 
Görl,  Franz  s.  Gcrl  287. 
Görmar,    Christian   August 

287. 
Görner,    Johann    Valentin 

287. 
Göroldt,  Johann  Heinrich 

287. 
Görrah  287. 

tiörres,  Jacob  Joseph  287. 
Goes,  Damiaö  de  287. 
Goethe,  Walther  Wolfgang 

von  288. 
Götting,  Heinrich  288. 
Götting,  Valentin  288. 
Göttle,    Johann    Melchior 

288. 
Götz,  Franz  288. 
Götz,  Hermann  288. 
Götz,  Franz  288. 
Götze,  Georg  Heinrich  289. 
(;ötze,JohannMelehior  289. 
Götze,    Johann    Nicolas 

Konrad  289. 
Götze,  Karl  290. 
Götze,  Nicolaus  290. 
(iöt/.el,  Franz  Joseph  290. 
Göz  290. 

(ioffner,  Johann  290. 
Gogavin,   Anton  Hermann 

290. 
Goguet,  Antoine  Yves  290. 


Gola  s.   Halsstimme  Seite 

290. 
Gold,  Leonhard  290. 
Goldast,  Melchior  genannt 

von  Heimingsfeld  291. 
Goldbach,  Christian  291. 
Goldbeek,  Robert  291. 
(Joldberg  291. 
Golde,    Johann    Gottfried 

292. 
Golde,  Joseph  292. 
Golde,  Adolph  292. 
Goldhorn,    Johann    David 

292. 
Goldiugham,  John  292. 
Goldmark,  Karl  292. 
Goldner,    Auguste   von    s. 

Krüger  -  Aschenbrenner 

293. 
Goldschad,  Gotthilf  Konrad 

293. 
Goldschmidt,  Adalbert  von 

293. 
Goldsehmidt,  Jenny  s.Liud 

293. 
Goldschmidt,  Otto  293. 
Goldschniidt,       Sigismund 

294. 
Goldwin  oderGolding.John 

294. 
Golen,  Johann  294. 
Gollcr,  Martin  294. 
(iollmcrt,  August  Wilhelm 

294. 
Gollmiok,    Friedrieh    Karl 

295. 
Gollmick,  Karl  295. 
Goltermann,  Georg  Eduard 

296. 
Goltermann,  Louis  296. 
(iomant,  Abbe  296. 
(ioniart,  Charles  Marie  Ga- 
briel 296. 
Gombert,  Jean  296. 
Gombert,  Nicolas  296. 
Gomes,  A.  Carlos  297. 
Gomes,  Joao  297. 
Gomes  da  Silva,  Albrecht 

Joseph  297. 
Gomis,  JosephMelchior  297. 
Gomolka,  Nicolas  299. 
Gompertz,    Karoline    geb. 

Bettelheim  299. 
Gonella,  Giuseppe  209. 
Gonet,  ValiSrien  299. 
Gonetti,  Vittorio  300. 
Gonfalonc  300. 
Gong  300. 

(Jonsalvcs,  Joäo  301. 
Günstaisi  301. 
Gonthier,  Rose  geb.  Carpen- 

tier  302. 
Gonzales,  Antonio  302. 
Goodban,  Thomas  302. 
Goodgroome,  John  302. 
Goodman,  John  302, 
Goodson,  Richard  302. 
Goodson,  Richard  jun.  302. 
(ioodwin  302. 
(Jooldwin,  John  s.  Cioldwin 

302. 
Gopi-.jandar  302. 
Gorczycki,Abb6Gregor303. 
Gorczynski,  Johann Ale.xan- 

der  genannt  de   Gorczin 

303. 
Gordigiani,  Giovanni  Bat- 
tista 303. 
Gordigiani,  Antonio  .303. 
Gordigiani,  Luigi  303. 
Gordon,  William  303. 
Gore,  Katharina  geb.  Fran- 
cis 303. 
Gore,  Arthur  304. 
Gorgon  304. 
Gorgheggiare  304. 
Gorgheggiamento  304. 


Verzeicliniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


555 


Gori,    Antonio    Francesco 

Seite  304. 
Goria,  Alexandre  Edouard 

304. 
Gorlier,  Simon  304. 
Goronczkiewicz,      Vincent 

304. 
Gorzani,  Giaeomo  304. 
Gosba  304. 

Gosse,  le  Maistre  304. 
Gosse,  Etienne  306. 
Gossec,    Fran(?ois    Joseph 

305. 
Gosselin,  Jean  306. 
Gosscr  306. 

Gossraann,   Johanna  Chri- 
stiana geb.  Weinzierl  306. 
Gosson,  Stephan  307. 
Gostena,  Giovanni  Battista 

dolla  307. 
Gostling,  William  307. 
Goswin,  Anton  307. 
Gotter,  Friedrich  Wilhelm 

307. 
Gottfried  von  Nifen  307. 
Gottfried    von    Strassburg 

308. 
Gotthard,   J.   F.,  Pazdirek 

genannt  308. 
Gotthold,  Friedrich  August 

308. 
Gottiero,     Giovanni     Vin- 

cenzo  308. 
Gottling,  Elias  309. 
Gottschaldt,  Johann  Jacob 

309. 
Gottsehalg,  Alexander  Wil- 
helm 309. 
Gottschalk,    Louis   Moritz 

309. 
Gottschalk,  Clara  309. 
Gottsched,     Johann    Chri- 
stoph 309. 
Gottsched,    Louise    Adel- 

gnnde  Victoria  geb.  Cul- 

mus  310. 
Gotschovius,  Nicolas  310. 
Gottwald,  Heinrich  310. 
Gottwald,  Joseph  311. 
Gottwalt,  J.  311. 
Goubillet,  Andr6  311. 
Goudar,  Auge  311. 
Goudar,  Sara  311. 
Goudimel,  Claude  311. 
Gouet  312. 

Gougelet,  Pierre  Marie  312. 
Gough,  John  312. 
Goujet,  Abbö  313. 
Goulet  313. 
Goulin,  Pierre  313. 
Gounod,   Charles   FrauQois 

313. 
Goupillet,  Andr6  316. 
Gournav,  B.  C.  316. 
Goussu,  Robert  316. 
Goust,  Jean  de  316. 
Gouvy,  Theodor  317. 
Gouy,  Jean  de  317. 
Gow,  Neil  317. 
Gowa,  Albert  317. 
Grabau,  Henriette  Eleonore 

318. 
Grabau,  JohannAndrea8318. 
Grabe  318. 
Grabeier,  Peter  318. 
Grabea-Hoffmann,    Gustav 

318. 
Grabowska,    Clementine 

Gräfin  von  319. 
Grabowski,  Stanislaus  319. 
Grabut,  Louis  319. 
Gracieux  319. 
Gradation  319. 
Gradehand,  Friedrich  320. 
Gradenigo,  Giovanni  320. 
Grade    der   Verwandsohaft 

s.  Verwandschaft  320. 


Gradenthaler,  Hieronymus 

Seite  320. 
Gradevole   oder    gradevol- 

mente  320. 
Graditamente  320. 
Grado  320. 
Graduale  320. 
Gradus  321. 

Gradus  ad  Parnassum  321. 
Gräbuer  oder  Gräbener  321. 
Gräbner,  Johann  Christoph 

321. 
Gräbner,  Johann  Heinrieh 

321. 
Gräbner,  Johann  Gottfried 

321. 
Gräbner,  Wilhelm  321. 
Grädener,  Karl  G.  P.  321. 
Grädener,  Herrmann  322. 
Graf,  Johann  322. 
Graf,  Maria  Magdalena  322. 
Gräfe,  JohannFriedrieh  322. 
Graefenhahn,WolfgangLud- 

wig  323. 
Graefeuthal  323. 
Graefenthal,  Johann  323. 
Graefeuthal,  Georg  323. 
Graefenthal,  Martin  323. 
Graefenthal,  Christian  323. 
Graefestein,  Johann  323. 
Graeff,  J.  G.  323. 
GraefFer,  Anton  323. 
Graefin,  Sophia  Regina  323. 
Graeser,  Johann  Christoph 

Gottfried  333. 
Graeser,  Johann  Friedrich 

324. 
Grätz,  Joseph  324. 
Graf,  Johann  324. 
Graf,  Christian  Ernst  324. 
Graf,  Friedrich    Hartmann 

325, 
Graff,  Charlotte    geb.   Bö- 

heim  s.  Böheim  335. 
Graft',  Conrad  325. 
Graft",  Johann  326. 
Graffigna,  Aehille  326. 
Graffus,  Valentinus  326. 
Graffte  326. 
Gragnani,  Filippo  326. 
Graham,  George  F.  326. 
Grahl,    Andreas     Traugott 

326. 
Grahl,  Friedrich  Benjamin 

326. 
Graichen,  Abraham  326. 
Graichen,  JohannJaoob  327 
Grain,  du  327. 
Grain,  Johann  du  327. 
Grainvillc,    Jean    Baptiste 

Christoph  327. 
Gräma-giya-gäna  327. 
Gramaye,    Johann    Baptist 

327. 
Grammatik  der  Tonspraehe 

musikalische  Grammatik 

337. 
Grammatischer    Accent    s 

Accent  330. 
Grammont,    Mad.    de    geh 

Renaud  d'Allew  330. 
Gramont,  Henri  de  330. 
Grams,  Anton  330. 
Granara,  Antonio  330. 
Granata,  Giovanni  Battista 

330. 
Grancini,  Michele  Angelo 

330. 

Grancino  oder  Granzino  330. 
Grancino,  Giovanni  330. 
Grancino,  Paolo  330. 
Cirancino,  Giovannijun.331 
Grancino,     Giovanni     Bat 

tista  331. 
Grancino,  Francesco  331. 
Grand  331. 
Grand  barrö  s,Capotasto331 


Grand  jeu  Seite  330. 
Grand,  Monsieur  le  s.  Cou 

perin  und  Legrand  331. 
Grandfond,  Eugene  331. 
Grandi,  Alessandro  331. 
Grandi,  Vincenzo  331. 
Grandi,  Guido  331. 
Grandioso  331. 
Grandis  da  Monte  Albotto, 

Vincenzo  s.  Grandi  331, 
Grandval,  Nicolas  Ragot  de 

331. 
Graneiro  s.  Grancino  331. 
Granger,  James  oder  John 

331. 
Grani,  Aloisio  332. 
Granier,  Louis  332. 
Granier,  Fran(;'ois  333. 
Granier,  Matthias  332. 
Granjou,  Robert  332. 
Granom  332. 
Granzin,  Louis  332. 
Graphaeus,Hieronymus  332. 
Grapp  333. 

Gras,  Julie  Aim<5e  geb.  Do- 
ms s.  Dorus  333. 
Grasemann,  Karl  Friedrich 

Eduard  333. 
Grassbach,  Valentin  333. 
Grasse,  Balthasar  333. 
Grasser  333. 

Grasset,  Jean  Jaques  333. 
Grasseyement    oder  parier 

gras  333. 
Grassi  333. 
Grassi,  Bernardo  Pasqnino 

333. 

Grassi,  Cecilia  s.  unter  Jo- 
hann Christian  Bach  333. 
Grassi,  Francesco  333, 
Grassi,  Luigi  334. 
Grassi,  Maddalena  334. 
Grassine,  Francesco  Maria 

334. 
Grassineau,  Jacques  334, 
Grassini,  Giuseppa  334. 
Gratia  s.  Graziani  334, 
Grau,  H,  334, 
Graul,  Marcus  Heinrich  335. 
Graumann,  Johann  335. 
Graun,  Karl  Heinrich  335. 
Graun,    August    Friedrich 

335. 
Graun,  August  335. 
Graun,  Johann  Gottlieb  337. 
Graun'sche    Sylben    s.   Da 

menisation  338. 
Gratia,     Pietro    Nicolö     s 

Grazia  338. 
Graupner,  Christoph  338. 
Gravc  338, 
Grave  339. 

Gravc,  Johann  Jacob  339. 
Gravccymbalum  339. 
Graves  claves  oder  graves 

voces   auch   gravia  loca 

339, 
Graviealis  339, 
Gravina,  Domenico  339, 
Gravina,    Giona  Vincenzo 

339. 
Gravis    s.  Accentus   ecclc- 

siasticus  339. 
Gravissimus  locus  339. 
Gravitätische  Mensur  339. 
Gravitätische  Stimmen  339 
Gravitätisches     Principal 

339. 
Gravitätische  Cymbel  339. 
Gravitätisches  Gedackt  339. 
Gravius,   Johann  Hierony- 
mus 339. 
Gravius,  Abraham  310. 
Gravrand  oder  Graverand, 

Nicolas  340. 
Grawe,  David  Heinrich  340. 
Grawunder,  Karl  340, 


Grazia,  Pietro  Nicolö  Seite 

340, 
Graziani  340, 
Graziani,  Bouifacio  340, 
Graziani,  Nicolö  Francesco 

341. 
Graziani,  Tommaso  341, 
Grazie  s.  Anmuth  341. 
Grazioli,  Domenico  341. 
Grazioli,  Giovanni  Battista 

341, 
Grazioso  341, 
Graziosamente  341, 
Greating,  Thomas  341, 
Greaves,  Thomas  341, 
Greber,  Jacob  341. 
Greca, 'Antonio  la  3tl. 
Greco,  Gaetano  341. 
Greco,  Giovanni  341, 
Greef,  Wilhelm  342, 
Green,  James  342, 
Green,  Samuel  342. 
Greene,  Maurice  342. 
Grefinger,JohanuWolfgang 

343. 
Greger  Federfechter  s.  Fin- 

ckelthaus  .343. 
Gregor  I.  oder  der  Grosse 

343. 
Gregor,  Christian  343. 
Gregor  oder  Gregorius  344. 
Gregor,  John  344. 
Gregor,  Peter  344. 
Gregor,  William  344. 
Gregoras,  Nicephorus  344. 
Gregori,  Giovanni  Lorenzo 

344. 
Gregorianische  Buchstaben 

344. 
GregorianischcrGosang344 
Gregorio,  Annibale  348.  • 
Gregorius  P.  348. 
Gregory  s.  Gregor  348. 
Greibe,  Ernst  FriedrichWil- 

helm  348. 
Greibe,  Maria  Theresia  geb. 

Engst  348. 
Greindl,  Joseph  348. 
Greiner,  Johann  Karl  349. 
Greiner,  Hans  .349. 
Greiner.JohannMartial  349, 
Greiner,    Johann  Theodor 

349, 
Greininger,  Augustin  349. 
Greisen,  Albert  349. 
Greiter,  Matthias  350. 
Greith,  Karl  350. 
Grell  351. 

Grell,  Eduard  August  351. 
Grell,  Joseph  352. 
Grell,  Joseph  Ephraim  353. 
Gren,  Jonas  353. 
Grenerin,  Henri  353. 
Grenet  353. 

Grenet,  Claude  de  353. 
Greniö,  Gabriel  Joseph 353. 
Grenier  353. 
Grenier,  Gabriel  353. 
Grenser  3.53. 

Grenser,  Karl  Augustiu  353. 
Grenser,  Heinrich  353. 
Grenser,  Johann  Friedrich 

353. 
Grenser,   Johann  Heinrich 

Wilhelm  353. 
Grenser,  Heinrich  Otto  354. 
Grenser,  Augustin  354. 
Grenser,  Karl  August  354. 
Grenser,  Friedrich  August 

354. 
(Jreuser,  Friedrich  Wilhelm 

354. 
Grenzbach,  Ernst  354. 
Grcsemund,  Theodor  354. 
Gresham,  Sir  Thomas  354. 
Gresham'schesCollcgium  s. 

Gresham  355. 


556 


Verzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Gresnick,  Antoine  Frödörie 
Seite  355. 

Gresset,  Jean  BaptisteLouis 
de  355. 

Grassier,  FriedrichSalomon 
355. 

Gressler,  Franz  Albert  355. 

GriStry,   Andr(5   Ernest  Mo- 
deste 356. 

Gr(5try,  Lueilo  357. 

Gretseh  357. 

Gretschmar,    Johann    s. 
Kretsehmar  357. 

Greulich,  Adolph  357. 

Greulich,     Karl     Wilhelm 
358. 

Grejtter,  Matthias  s.  Greiter 
358. 

Griebel  358. 

(iriebel,   Johann   Heinrich 
358. 

Grirbcl,  Heinrich  358. 

Griebel,  Julius  358. 

Griebel,  Ferdinand  359. 

Griechische  Musik  359. 

Griechische  Tonarten      K 

Griechische  Instrumente/ 
Griechische  Musik  380. 

t  irieg,  Edward  380. 

Grieningcr,  Augustin  3S1. 

Griencnvvald,  N.  auch  Grü- 
newald 381. 

Griepenkerl,Friedrich  Kon- 
rad 381. 

Griepenkerl,  Wolfgaug  Ro- 
bert 381. 

Griesinger,   Georg   August 
382 

Griessling,  J.  C.  382. 

Griestopf,  Ulrich  382. 

GrifT  382. 

Griffbrett  382. 

Grifft,  Orazio  384. 

Griffln,  Georg  Charles  SS-t. 

Griffino,  Giacomo  384. 

Grifflöcher  384. 

Grifoni,  Antonio  384. 

Grigny,  N.  de  384. 

Grill,  Franz  384. 

Grillo,    Giovanni    Battista 
384. 

Grillo,  Nicolö  384. 

Grimaldi  384. 

Grimaldi,     Francesco    An- 
tonio 3S4. 

Grimaldi,    Ritter    Nicolini 
384. 

Grimaldi,  Giovanni  Pietro 
384. 

Grimaldi,  LuigidellePietra 
385. 

Grimarest,  Jean  Leonard  le 
Gallois  s.  Gallois  385. 

Grimbaldus  385. 

Grimm,  Friedrich  Melchior 
Baron  von  385. 

Grimm,  Heinrich  386. 

Grimm,   Johann   Friedrich 
Karl  386. 

Grimm,  Julius  Otto  386. 

Grimm,  Karl  3S6. 

Grimm,     Karl     Constantin 
Louis  386. 

Grimmer,  Franz  386. 

Grisar,  Albert  387. 

Grisi,  Giuditta  387. 

Grisi,  Giulia  387. 

Grisi,  Ernestina  388. 

Grisippos  388. 

Grob  388. 

Grobgedaekt  389. 

Groblicz,  A.  389. 

Groblicz,  Mar.  389. 

Grobstimme  389. 

Grobstimme,    Heinrich    s. 
Baryphonus  389. 

Gröbenschütz,  J.  389. 


Gröbenschiitz,  Amalie  geb.] 

Seiler  Seite  389. 
Gröbenschütz,  Felix  389 
Gröhcn  s.  Grob  3S9. 
Groene,     Anton    Heinrich 

389.  ! 

(irocucniann,  Albert  389. 
Grocnemann,  JohannFried- 

rich  390. 
Groenevolt  390. 
Grönland,  Johann  Friedrich 

390. 
Grob  390. 

Grob,  Heinrich  390. 
Grob,  Johann  390. 
Grohniann,    Johann    Chri- 
stian 390. 
Groidl,  Karl  390. 
Groll,  Evcrmodus  390. 
Groos,  Karl  August  391. 
Groot,  David    Eduard    de 

391. 
Groot,  Adolph  de  391. 
(Jroppctto   oder  Gruppetto 

s.  Doppelschlag  391. 
Groppo  oder  Gruppo  391. 
Gros,  Antoine  Jean  391. 
Gros,  Joseph  le  s.  Legros 

391. 
Grose,    Michael    Ehregott 

391. 
Gros-fa  392. 
Grosheim,  Georg  Christoph 

392. 
Grosicr,   Abb^   Jean    Bap- 

tiste    Gabriel   Alexandre 

393. 
Grosjean,  Jean  Romary  393. 
Groslcy,  Pierre  Jean  393. 
Gross  393. 

Gross,  Benedict  Franz  395. 
Gross,  Ferdinand  395. 
Gross  396. 

Gross,  Johann  Gottlieb  396. 
Gross,     Friedrich     August 

396. 
Gross,  Heinrich  396. 
Gross,  Georg  August  396. 
Gross,    Johann     Benjamin 

396. 
Gross,  Peter  397. 
Grossartig,    Grossartigkeit 

397. 
Gross -Bassflöte  s.  Flöte  ä 

bee  397. 
Grossbritannien.    Musik  in 

England  397. 
Gross  -  Contrabassgeige     s. 

Contrabass  411. 
Gross-Gedacktbass  411. 
Gross-Hohlflöte  411. 
Gross-Mixtur  411. 
Gross-Octav  411. 
Gross-Principal  411. 
Gross-Quinte  411. 
Gross-Regal  411 
Gross-Schwiegel  411. 
Grüss-Uutersatz  411. 
Grosse  411. 
Grosse,  Bernhard  Sebastian 

411. 
Grosse,  Gottfried  411. 
Grosse,  Johann  412. 
Grosse,  Johann  F.  412. 
Grosse,    Johann    Heinrich 

412. 
Grosse, 

412. 
Grosse, 

412. 
Grosse    Cadenz    s.    Ganz- 

schluss  412. 
Grosse  Diesis  412. 
Grosse  üctave  412. 
Grosse  Secunde  412. 
Grosse  Septime  412. 
Grosse  Sexte  413. 


Johann    Wilhelm 
Samuel    Dietrich 


Grosse  Terz  Seite  413. 

Grosse  Tonart  413. 

Grosser  Basspommer  413. 

Grosser  Drciklang  s.  Drei- 
klang 413. 

Grosser  (ianzton  413. 

Grosser  Halbton  414. 

Grosser,  Henriette  414. 

Grosser,  Joseph  Aloys  414. 

Grosser,   .Tohann  Emanucl 
414. 

Grosses  Hallelujah  414. 

(Jrosses  Limma  415. 

Grosses  Orchester  415. 

Grossi  415. 

Grossi,  Andrea  415. 

Grossi,  AntonioAlfonso  41,'). 

Grossi,  Carlo  415. 

Grossi,  Giovanni  Francesco 
415. 

Grossi,  Gaetano  415. 

Grossi,  Rosalinde  415. 

(irossi,  Gennaro  415. 

(irossmaun  416. 

Grossmann,  Burkhard   416. 

Grossmann,  Johann  Franz 
416. 

Grossmann,  Friederike  416. 

Grosthead,  Robert  416. 

Grotekord,  Elias  416. 

Grotesk  416. 

Grothe,  Heinrich  416. 

GrotiuSjHugo  oder  deGroot 
416. 

Grotte,  Nicolas  de  la  416 

Grotz,  Dionys  417. 

Grua,  Gasparo  417. 

Grua,    Karl     Louis     Peter 
417. 

Grua,  Franz  Paul  417. 

Grua,  Wilhelm  417. 

Grube,  Hermann  417. 

Gruber,  Benno  417. 

Gruber,  Erasmus  417. 

Gruber,  Hans  417. 

Gruber,  Georg  Wilhelm4l7. 

Gruber,  Franz  417. 

Gruber,  Franz  jun.  418. 

Gruber,  (teorg  Wilhelm  41S. 

Gruber,  Johann  Siegmund 
418. 

Gruber, 
419. 

Gruber,  Karl  Anton  Edler 
von  Grubenfels  419. 

Grüel,  Eugen  419. 

G rüger,  Joseph  419. 

Grünbaum,    Johann    Chri- 
stoph 420. 

Grünbaum,    Therese    geb. 
Müller  420. 

Grünbaura,  Karoline  420. 

Grünberg,  Gottlieb  421. 

Grünbergcr,  Theodor  421. 

Gründig,  Christoph  Gottlob 
421. 

Grüneberg,  JohannWilhelm 
421. 

Grünewald,  Karl  Heinrich 
421. 

Grüninger,  Erasmus  421, 

Grünwald  421. 

Grüuwald,  Adolph  421. 

Grützmacher,Friedrich421. 

Grützmacher,  Leopold  422. 

Grund  422. 

Grund,  Christian  422. 

Grund,  Eustach  422. 

Grund,  Elisabeth  423. 

Grund,  Friedrich  Wilhelm 
423. 

Grund,  Eduard  423. 

Grundabsatz  s.  Absatz  423. 

Grundaccord  423. 

Grundbass  423. 

Grundharmonie  s.   Grund- 
accord 424. 


Johann   Gottfried 


Orundig.  Johann  Zacharias 
Seite  424. 

Grundig,  C'hristophGottlob 
s.  Gründig  424. 

Grundke,   Johann    Kaspar 
424. 

Grundmann,   Jacob  Fried- 
rich 424. 

Grundnote  424. 

Grundstaramaccord   s. 
Grundaccord  424. 

Gruudstirameu  424. 

Grundton  425. 

Grundtonart  s.  Hauptton- 
art 425. 

Grund-    oder     Radicalvcr- 
hältnisse  425. 

Grüner,  Johann  August  125. 

Grüner,  Joseph  425. 

Gruner.NathanaelGottfried 
425. 

Gruppetto  s.  Groppetto  426. 

Gruppo  s.  Groppo  426. 

Grutseh,  Franz  Seraph  426. 

Gryphius,  Andreas,  eigent- 
lich Greif  426. 

Gryphius,  Christian  426. 

G-Sehlüsscl  426. 

G-sol-re-ut  427. 

Guadagni,  Gaetano  428. 

Guadagnini,  I.orcnzo  428. 

Guadagnini,  Giovanni  Bat- 
tista 428. 

Guadet,  J.  428. 

Guaitoli,   Francesco  Maria 
428. 

Gualtieri,  Antonio  428. 

Guami,  Giuseppe  428. 

Guami,  Francesco  428. 

Guarache  429. 

Guaranita  oderGuarana429. 

Guardasoni,  Domenico  429. 

Guarducci,  Tommaso  429. 

Guarin,  Pierre  429. 

Guarneri    oder    Guarnerio 
429. 

Guarneri,PietroAndrea429. 

Guarneri,  Pietro  429. 

Guarneri,  AntonioGiuseppe 
430. 

Guarnerio,  Gugliclmo  430. 

Guazzi,  Eleuterio  430. 

Guazzoni,  Federigo  430. 

Guck  oder  Gucky,  Valentin 
430. 

Guddok,  Gudok  oder  Gu- 
duk  430. 

Gn6,  Philippe  du  430. 

Gu^don  des  Fresles  430. 

Guedron,  Pierre  430. 

Gueinz,  Christian  431. 

Gueit,  Marius  431. 

Guen^e,  liUeas  431. 

Guenin,    Marie    Alexandre 
431. 

Guenin,  Hilaire  Nicolas  431. 

Günther  431. 

Günther,  F.  A.  432. 

Günther,  Friedrich  432. 

Günther,    Karl     Friedrich 
432. 

Günther,  Konrad  432. 

Günzer,  Marx  432. 

Gu(5rillot,  Henri  432. 

GuMn,  E.  432. 

Guörin,  Emanucl  432. 

Guerini,  Francesco  432. 

Guöroult  432. 

Guöroult,  Adolphe  432. 

Guerre,  Elisabeth  de  la  s. 
Lagucrre  432. 

Guerrero,  Francisco  432. 

Guerrero,  Pietro  433. 

Guerriero  433. 

Gürrlich,  Joseph  Augustin 
433. 

Guersan  433. 


Verzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


557 


Guerson,OuillaumeSeite433 
(iueston,  Nicolas  433. 
(iuest,  Ealph  133. 
Uuest,  George  433. 
Guest,  Jeanne  Marie  434, 
Guet  434. 

(iüttler,JohaunMichael434. 
Guetwiilig,  Georg'  Ludwig 

434. 
Guevara,  Francisoo  Vellez 

de  434. 
Guevara,  Pedro  de  Loyola 

434. 
Gueymard,  Louis  434. 
Gueymard,  Pauline  geb.  De- 

ligne-Lauters  434. 
Gugel,  Joseph  434. 
Gugel,  Heinrich  434. 
Guggumos,  Gallus  435. 
Gugl,  Matthäus  435. 
Gugl,  Georg  435. 
Guglielmi,  Pietro  435. 
Guglielmi,  Pietro  Carlo  436^ 
Guglielmi,  Giacomo  436.    ; 
Gnglietti,  Domenico  436. 
Guhr,  Karl  Priedrioh  Wil- 
helm 436. 
Guhr,   Friedrich    Heinrich 

Florian  437. 
Guhr,  Karl  Christoph  437. 
Gui  437. 

Gui,  Abb(j  von  Chalis  437. 
Guicciardi,  Francesco  437. 
Guichard,  Abbe  Jean  Fran- 

(^ois  437. 
Guichard,  Henri  438. 
Guiehardt,  Daniel  438. 
Guida  438. 
Guide  438. 
Gui  d'Auxerre  438. 
Guidetti,  Giovanni  438. 
Guidetti,  Giuseppe  438. 
Guidi,  Giovanni  438. 
Guido  von  Arezzo  438. 
Guidon  s.  Gustos  448. 
Guidonius,  Joannes  448. 
Guidonische  Hand  s.  Guido 

von  Arezzo  448. 
Guidonische     oder     areti 

nische   Silben    s.   Guido 

von  Arezzo  448. 
Guidonisches     System      s 

Guido  von  Arezzo  448. 
Guignon,  Jean  Pierre  448. 
Guillaume  de  Machau  oder 

de  Maohaut  448. 
Guillaume,  Edme  448. 
Guilliaud,  Maximilien  448. 
Guillemaiu,  Gabriel  448. 
Guillet,  Charles  de  449. 
Guillon,  de  449. 
Guillon,  Albert  449. 
Guillon,  Henri  Charles  449. 
Guillon,  Joseph  449. 
Guineo  449. 
Guipi  449. 

Guiraud,  Ernest  449. 
Guit  450. 
Guitarre  450. 
Guitarre  d'amour  454. 
Guitarrenaufsatz    s.   Capo- 

tasto  455. 
Guitarrenharfe  455. 
Gukuk  s.  Cuculus  456, 
Guldor,,  Ignaz  456. 
Guldor,  Peter  456, 
Gulomy,  J.  C.  456. 
Gumbert,  Ferdinand  456. 
Gumpel/.haimer,  Adam  457. 
Gumpenhuber  457. 
üumprecht,  Utto  457. 
Gundelwein,  Friedrich  457. 
Guugl,  Joseph  457. 
Gungl,  Virginia  458. 
Gungl,  Johann  458. 
Gunii,  John  458, 
Guun,  Anna  geb.Young  458. 


Gunsterberg,lleinrich  Chri- 
stian Karl  Seite  458. 

Guntrum,  Karl  Friedrich 
458. 

Guori  458. 

Gura  458. 

Gura,  Eugen  458, 

Guracho  s.  Guaraoho  459. 

Gurekhaus,  Karl  s.  Kistuer 
459. 

Gurgelten  459. 

Gurlitt,  Cornelius  459. 

Guru  459. 

Gushahs  459. 

Gusjari  459. 

Gusikow,  Michael  Joseph 
460. 

Gussago,  Cesare  auch  Gus- 
saco  geschrieben  460. 

Gussli  oder  Gussei  460. 

Gusto  461. 

Gustoso  461. 

G-ut  oder  Gamma-ut  461. 

Guter  Takttheil  s.  Accent 
461. 

Guth,  Johann  oder  Güthe 
461. 

Guthmaun,  Friedrich  461. 

Guthmanu  461. 

Guthria,  Matthias  461, 

Gut-komm  461. 

Gutmann,  Adolph  462. 

Gutmann,  Aegidius  462. 

Gutturalton  s.  Kehlton  462. 

Guy  mit  dem  Beinamen 
Maitre  462. 

Guyon,  Jean  462. 

Guyot,  Jean  auch  Guyoz 
geschrieben  462. 

Guys,  Pierre  August  462. 

Guzinger,  Johann  Peter  462. 

Gymnopädie  462. 

Gyrovvetz,  Adalbert  462. 

H. 

H463, 

Haack,  Karl  465, 

Haack  465. 

Haas,  Ignaz  465. 

Haas,  Pater  Ildephons  465 

Haas,  Johann  Martin  465, 

Haase,  Ludwig  466. 

Haase,  August  466. 

Habeueck  466. 

Habeueck,  FrauQois  An- 
toine  466. 

Habeneck,  Joseph  467. 

Habeneck,  Coreutiu  467. 

Habengton,  Henry  467, 

Haberbier,  Ernst  467. 

Haberl,  Franz  Xaver  468. 

Habermalz,  H.  B.  K.  468. 

Habermann,  Franz  Johann 
468. 

Habermaun,  Karl  468. 

Habermann,  Franz  Johann 
468. 

Habermehl,  G.  468, 

Habert,  Johann  Evander 
468. 

Habisreutinger,  Columbau 
469. 

Hachenberg,  Paul  469. 

Haohmeister,  Karl  Chri- 
stoph 469. 

Hacke,  Georg  Alexander 
469. 

Hackebrett  469. 

Hackel,  Anton  470. 

Hackenberger  s.  Haken- 
berger  470. 

Hacker,  Benedict  470. 

Hacquardt,  Karl  471. 

Hadlaub,  Meister  Johannes 
471. 

Hadrava  oder  Hadrawa  471. 


Hadrianus,      Emanuel 

Adrian  Seite  471. 
Hadrianus  Castellensis  471. 
Häfl'ner,   Johann  Christian 

Friedrich  471. 
Hähnel,  Amalie  472. 
Hähnel,    Jacob    s.    Gallus 

472. 

Hähnel,  Johann  Ernst  472. 
Hämmerpautalon      oder 

Hammerwerk  472. 
Hämmling  s.  Castrat  472. 
Händel,    Georg    Friedrich 

472. 
Händler,  Johann  Wolfgang 

483. 
Hänel  oder  Hand]  s.  Gallus 

484. 
Häner,    Ludwig     Wilhelm 

484. 
Häusel,   Johann  Daniel  s. 

Hensel  484. 
Hänsl,  Peter  484. 
Häntze,  Joseph  Simon  484 
Härerius    oder    Herrerius, 

Michael  484. 
Härlemme,  A.  G.  484. 
Härtel,  Benno  484. 
Härtel,  Dr.  Hermann  485. 
Härtel,  Raimund  485. 
Härten  485. 

Häser,  Johann  Georg  485. 
Häser,    Johann    Friedrich 

485. 
Häser,  Karl  Georg  485. 
Häser,    August    Ferdinand 

485. 
Häser,  Charlotte  485. 
Häser,  Heinrich  486. 
Häser,  Christian    Wilhelm 

486. 
Häser,  Mathilde  486. 
Häser,  Charlotte  Henriette 

486. 
Hässlein  487, 
Hässler,   Johann   Wilhelm 

487. 
Hässler,  Sophie  487, 
Hässlich  487. 

Häuser,  Johann  Ernst  488. 
Häusler,  Ernst  488. 
Häute  488. 

Hafeneder,  Joseph  489, 
üafleurefFer,  Samuel  489. 
Haflner,      Johann     Ulrich 

489. 
Hafis-Adschem  489. 
Hafner,  Karl  489. 
Haften  oder  Häftenus,Bene 

dict  van  489. 
Hagadah  489. 
Hagebeer  oder  Hagelbeer, 

Jaeobus  Gatus  van  489. 
Hagemann,  Hermann  489. 
Hagen,  A.  vanders.Vauder 

hagen  490. 
Hagen,  Friedrich  Heinrich 

490. 
Hagen,    Joachim    Bernard 

490. 
Hagen,  Theodor  490, 
Hager,  Georg  490. 
Hagiopolite  490. 
Uagiopolites  490. 
Hagius,  Konrad  490. 
Hagius,  Johannes  491. 
Ilague,  Charles  491. 
Hahn  491. 
Hahn,  Albert  191. 
Hahn,  August  491. 
Hahn,  Bernhard  492. 
Hahn,  Georg  Joachim  Jo- 
seph 492. 
Hahn,    Johann    Bernhard 

492. 
Hahn,    Johann     Gottfried 

492, 


Hahn,  Theodor  Seite  492. 

Hahn,  Wilhelm  493, 

Haibel,  Jacob   oder  Haibl 
493. 

Haibel,  Sophie  493. 

Halden  s.  Heyden  493, 

Haigh,  Thomas  493, 

Haillot  493. 

Haindel  oder  Haindl  493, 

Haine,  Johann  493. 

Haine,  Karl  493. 

Hainhofer  oder  Haunhofer, 
Philipp  494. 

Hainl,     Georges    Fran^ois 
494. 

Hainleiu  s.  Heinlein  494, 

Hainzmanu,   Johann   Chri- 
stoph 494, 

Haitzinger,  Anton  494. 

Hakart,  Carolo   oder   Hac- 
quart  495. 

Hake,  Hans  495. 

Hakenberger,  Andreas  495. 

Halb  495, 

Halbcadenz  s.  Cadenz  495. 

Halbe,  Johann  August  495. 

Halbe  Applicatur  s.  Mezza 
manica  495. 

Halbeilig  495. 

Halbe  Note  495. 

Halbe  Orgel  495, 

Halbe  Parallelen  496. 

Halbe  Pause  496. 

Halber  Kreis    oder    Halb- 
zirkel 496. 

Halber  Schlag  496. 

Halber  Ton,  Halbton  oder 
Semiton  496. 

Halbes  Cornet  oderDiscant- 
Cornet  497. 

Halbe  Stimme  oder  halbes 
Register  497. 

Halbfünfton  497. 

Halbgedeckte  Stimme  498. 

Halbinstrument  498. 

Halbirte  Windlade  498. 

Halbmond  498. 

Halbpriuclpal  498. 

Halbrich-Metall    s.    Orgel- 
metall 498, 

Halbschluss     oder     Halb- 
cadenz s.  Cadenz  498, 

Halbsopran  s.  Mezzosopran 
498. 

Halbviolon  s.  Bass  498. 

Halbwerk   s.   Halbe    Orgel 
498. 

Halbzirkel  498. 

Haie  s.  Adam   de   la  Haie 
499. 

Haies,  Stephan  499. 

Halevy,  Jacques  Elie  Fro- 
raeutal  499. 

Hall,  Henry  501. 

Hall,  Henry  jun.  501. 

Hall,  John  501. 

Hall,  Samuel  501, 

Hall,  William  501. 

Hallali  501. 

Hallay,  Mad.  du  501, 

Halle,  Johanu  Samuel  502. 

llallö,  Charles  502. 

Hallel  502, 

Hallelujah  oderAIlelujaSOS. 

Haller,  Albrecht  von  503. 

Halljahrodcr  Jubeljahr  503, 

Halm,  Anton  504. 

Halma,  llilarion  Emil   504. 

Ualowiu  s.  Holowin  504, 

Halphen,     Charles     Marie 

504. 
Hals  504. 

Halt  s.  Fermate  505. 
Haltenbergcr  505. 
Haltenhoff  505. 
Halter,  Wilhelm  Ferdinand 
505. 


558 


Verzeichniss  der  im  vierten  Bande  enthaltenen  Artikel. 


Haltmeier,  JohannFriedrieh 

Seite  505. 
Haltung  505. 
Hamaaloth  oder  Hammaa- 

loth  505. 
Ilamal,    Henri     Guillaume 

505. 
Hamal,  Jean  Noel  505. 
Hamal,  Henri  508. 
Hamana.Johaan  Georg  506. 
Hamboys,  John  506.  ' 
Harabuch,  August  Karl  506. 
Hamden,  Lord  506. 
llamel,  Eduard  50C. 
llamcl,  Katharina  Josephe 

507. 
Hamcl,  Marie  Pierre  507. 
Hamerik,  Asger  507. 
Hamerton,  William  Henry 

507. 
Hamilton,  J.  A.  507. 
Hamilton-Bird, William  507. 
Hamm,    Johann    Valentin 

507. 
Hamma,  Fridolin  508. 
Hamma,  Benjamin  508. 
Hamma,  Franz  508. 
llammaaloth  s.  Hamaaloth 

508. 
Hammel,  Stephan  508, 
Hammer  509. 

Hammer,  Franz  Xaver  510. 
Hammer,  Georg  510. 
Hammer,  Kilian  511. 
Hammerclavicr    s.    Piauo- 

forte  511. 
Uammermeistcr  511. 
Hammer-Purgstall,  Joseph 

Freiherr  von  511, 


Hammerschmidt  Seite  511. 
Hammerschmidt,    Andreas 

511. 
Haramig,  Friedrich  513. 
Hamihoiul,  Henry  513. 
Hampe,     Johann     Samuel 

513. 
Hampel, Anton  Joseph  513. 
Hampel,  Haus  513. 
Ilauipeln,  Karl  von  514. 
llan,  Gerardo  511. 
Hanakisch  514. 
Hanard,  Martin  514. 
Hanburg,  William  514. 
Hanc,  Andreas  514. 
Hanck,  Johann  514. 
Hand     oder     harmonische 

Hand  514. 
Hand,   Ferdtnand  Gotthclf 

514. 
Handbassl    s.    Fagottgeige 

515. 
Handgriffe  oder  Knöpfe  615. 
llandklapperu    s.    Castag- 

netten  515. 
Handl  s.  Gallus  515. 
Handleiter  oder  Handbild- 

uer  s.  Chiroplast  515. 
Handlo,  Robert  de  515. 
llandrock,  Julius  515. 
Handstücke      oder    Hand- 
sachen 515. 
Handtasten  s.  Manual  515. 
Handtrommel  s.  Tambouriu 

515. 
Hanemann,  Moritz  515. 
Hanf,  Johann  Nicolaus  515. 
Hangest,  llierouymus  515. 
Hauisch,  Franz  515. 


Hanisch,  Joseph  Seite  516. 
Hanisch,  W.  M.  516. 
Hanitsch,  Georg  Friedrich 

516. 
Hanke,  Karl  516. 
Hankel,  Anton  516. 
Haumüller,  Joseph  517. 
Haiinibal  Pataviuus  s.Anni- 

bal  Patavino  517. 
Hanon,  Charles  Louis  517. 
Ilanot,  Fran9oi8  517. 
Hans  517. 
Hansel,  Jacob  517. 
Hansen,  Jan.  Fil.  517. 
Hansen,   Johann  I^'icolaus 

617. 
Hansen,  Niels  517. 
Hanser,  Wilhelm  517. 
Hanslick,  Eduard  517. 
Hausmann,  Ferdinand  519. 
Hausmann,  Otto  Friedrich 

Gustav  619. 
Hansmann, KarlEduard  519. 
Hausmann  (Frau  Schubert; 

519. 
Hanssens,    Charles    Louis 

Joseph  519. 
Hanssens,     Charles    Louis 

(der  jüngere)  519. 
Haranc,  Louis  Andre  620. 
Haravi  520. 
Harbordt,  Johann  Gottfried 

520. 
Hard,  Johann  Daniel  520. 
Härder,  August  520. 
Hardig  s.  Hartig  521. 
Hardouin,  Henri  521. 
Hardt,  Hermann   von    der 

621. 


Hardy  Seite  521. 

Hareuberg,  Johann  Chri- 
stoph 521. 

Harfe  521, 

Harfenbass  oder  arpeggirter 
Bass  532. 

Harfenclavier  532. 

Harfenet  532. 

Harfenprincipal  532. 

Uarfeuregal  532. 

Harfensclilüssel  532. 

Harfeustimrahammcr   b. 
Stimmharamcr  532. 

Harfeuuhr  532. 

Ilarfenzug  533. 

Harlass,  Helena  533, 

llarmatios  533. 

Harmodion  533. 

Harmonica  533. 

Harmonicello  541, 

Harmonichord  541. 

Ilarmonici  oder  Harmo- 
niker 542. 

Harmonicon  542. 

Harmonides  543.' 

Harmonie  543. 

Harmonie  der  Sphären  s. 
Sphärenmusik  644. 

Harmonieensprung  oder 
Harmoniespruug  544. 

Harmoniefolge  544. 

Harnioniefortschreitung  s. 
Fortschreitung  und  Har- 
mouieschritt  544. 

Harmoniefremd  545. 

Harmoniefremde  Dissonan- 
zen 645. 

Harmoniegang  545. 

Harmonielehre  646. 


Druck  von  Metzger  &  Wittig  in  Leipzig. 


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