Caffatlc
yCaoh^elaifene
(hviefe und
Schvifterh
Vierter Band
LASSALLES BRIEFWECHSEL
MIT GRÄFIN SOPHIE VON HATZFELDT
FERDINAND LASSALLE
NACHGELASSENE BRIEFE UND SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
GUSTAV MAYER
VIERTER BAND
DEUTSCHE VERLAGS^ANSTALT, STUTTGART-BERLIN
VERLAGSBUCHHANDLUNG JULIUS SPRINGER, BERLIN
LASSALLES BRIEFWECHSEL
MIT
GRÄFIN SOPHIE VON HATZFELDT
HERAUSGEGEBEN VON
GUSTAV MAYER
1.9-2.4
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT, STUTTGART-BERLIN
VERLAGSBUCHHANDLUNG JULIUS SPRINGER, BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
•*
Copyright 1 924
by Deutsche Verlags^Anstah, Stuttgart
Prin^
lany
Vorwort
Ehe ich mich entschloß, den Briefwechsel Lassalles mit der Gräfin
Sophie von Hatzfeldt in der hier vorliegenden Gestalt der Öffentlich-
keit zu übergeben, mußte ich erst mit mir selbst über einige wichtige
Punkte zur Klarheit kommen. Bei der Art, wie die beiden ersten Bände
dieser Nachlaßausgabe geordnet wurden, lag die Versuchung nahe, auch
diese Briefe chronologisch der gesamten übrigen Korrespondenz ein-
zugliedern. Denn bis jetzt war nur als dritter Band Lassalles Briefwechsel
mit Marx und seinem Kreise ausgesondert worden. Doch je länger ich
nachdachte, um so mehr widerrieten wissenschaftliche wie auch gefühls-
mäßige Erwägungen, so zu verfahren.
Der Historiker, dem eine Publikation obliegt, muß wünschen, sein
Material in der Gestalt herauszubringen, die der Forschung den förder-
lichsten Antrieb gibt. Lassalles Verhältnis zu der Weggenossin seines
Lebens ist ein zentrales Problem seiner Biographie und gehörte zu denen,
die noch in mancher Hinsicht nach Klärung verlangten. Diesem Zweck
wurde zweifellos am besten gedient, wenn sein Briefwechsel mit der
Gräfin als ein geschlossenes Ganzes zur Wirkung kam. Wo es sich um
subjektive menschliche Lebensäußerungen handelt, die ohne den Ge-
danken an eine spätere Veröffentlichung niedergeschrieben wurden, da
erwächst dem Herausgeber nicht bloß die Pflicht, die wissenschaftlichen
Ansprüche, die dem Stoff entstammen, zu beachten; er muß sich
noch fragen, was die Pietät gegenüber den Toten oder vielleicht auch der
Takt gegenüber ihren Nachkommen erheischen. Aus dem Grabe heraus
vernahm ich die Stimmen zweier auf ungewöhnliche Weise miteinander
verknüpften Seelen. Sie forderten von der Nachwelt jenes differen-
zierende Verständnis für ihr Bündnis, das die Mitlebenden ihnen in
weitem Maße versagten. Ich war schon nahezu entschlossen, ihre Briefe
unvermischt mit denen anderer zu veröffentlichen, als ich zum ersten
Male die Worte Sophies von Hatzfeldt las, die mir dies vollends zu
einer Gewissenspflicht machten. Sie schrieb an ihrem zweiundfünfzig-
sten Geburtstage an Lassalle: ,, Versprechen Sie mir, Sie mein einziger
Freund, der einzige, der hinter allen diesen Verleumdungen mein wahres
-^==: VI
Wesen erkannt hat, daß Sie nach meinem Tode mich rechtfertigen
wollen, mein Märtyrertum und was es war, zeigen wollen und daß auf
meinem Grabe nicht die Verachtung mehr lasten soll, die man mir
während meines Lebens aufzubürden gewußt hat." Mochte die un-
glückliche Frau immerhin Verachtimg wittern, wo nur Verständnis-
losigkeit vorlag, sie hatte dem Freunde eine Verpflichtrmg auferlegt ; er
aber konnte sie nicht erfüllen, weil er vor ihr starb. Was so bei beider
Lebzeiten nicht möglich war, ^vurde es jetzt lange nach ihrem Tode. Der
Mann, der vor so vielen Gerichten ihre Sache geführt hatte, sollte auch
jetzt vor dem letzten und höchsten, gegen das es keine Berufung gibt,
als ihr Anwalt auftreten dürfen. Mögen die Briefe, die zwei so un-
ruhige Gäste dieser Brde einander schrieben, auch keineswegs frei
sein von menschlichen Schwächen und menschlicher Unvollkommen-
heit, überschattet wird solches doch bei weitem von dem Starken vmd
Heldenhaften, das in ihnen lebt. Und die Zukunft wird vielleicht ihren
vereinten Seelen den Zutritt gestatten zu jenen entrückten Gefilden,
wo wir die klassischen Freundespaare der Weltgeschichte mit unseren
Gedanken suchen.
Aber mit dem Entschluß, von dem Zwiegespräch der Freunde fremde
Stimmen fernzuhalten, war doch bloß die erste imd größte Ungewißheit
beseitigt, die der Stoff darbot. Als ein Ganzes sollte der Briefwechsel
herauskommen, das war nun entschieden; doch er ließ sich nicht in
seiner Gesamtheit abdrucken, ohne bedeutende Fortlassungen und
Kürzungen vorzunehmen. Eine vollständige Herausgabe hätte einen
Umfang beansprucht, der sich nicht nur aus Gründen verbot, die mit
den schweren Zeitverhältnissen zusammenhängen, sondern ebenso-
sehr aus inneren Gründen, die Berücksichtigung heischten. In einem
Briefwechsel wie diesem steht vmendlich vieles, das allein dem Tage
gehört vmd mit ihm verweht. Im Laufe ihrer langen Beziehimgen hat
der Generalbevollmächtigte der Gräfin ihr in seinem oft breiten und zu
Wiederholungen neigenden Stil unzählige Instruktionen gegeben und
von ihr Berichte erhalten, die heute kein Interesse mehr besitzen. Die
vielen Druckseiten, die ihre geschäftliche Korrespondenz gefüllt hätte,
würden für den Leser nur einen Ballast bedeutet haben, über den hinweg
er nach Stellen ausgeschaut hätte, in denen noch heute Leben pulsiert.
Ebensowenig hätte sich rechtfertigen lassen, alle die ausführlichen
Gesundheitsberichte, die die stets um einander besorgten Freimde ein-
ander schickten und voneinander forderten, zum Abdruck zu bringen
VII
oder die weitschweifigen Reiseverabredungen, die hin und her gewendet
wurden, auch mancherlei anderes, was von ebenso geringem Interesse
für die Gegenwart ist. Dann gab es sehr zahlreiche Briefe, die lediglich
wiederholten, was in ähnlicher oder noch breiterer Weise und noch
charakteristischer schon in anderen stand, dessen Häufung also dem
Bilde keine neuen Nuancen hinzugefügt, sondern nur ermüdend gewirkt
hätte. Aber dem Herausgeber genügte es noch nicht, auf solche Weise
nahezu htmdert Briefe und Zettel vollständig von der Veröffentlichung
auszuschließen. Auch in sehr zahlreichen Briefen, die gedruckt wurden,
nahm er aus den gleichen Erwägungen Kürzungen vor, die er selbst-
verständlicherweise überall durch Punkte kenntlich gemacht hat. Es
mögen sich vielleicht Kritiker finden, die eine solche Art der Redaktion
als eine ,, unwissenschaftliche" anfechten, weil sie auf ,,das Publikum"
zu weitgehende Rücksicht nimmt. Sie erinnere ich an das Wort unseres
deutschen Malers, das Zeichnen als das Fortlassen des Unwesentlichen
definiert. Es gilt mindestens auch für solche Aufgaben des Historikers,
die ohne einen gewissen künstlerischen Takt nicht einwandsf rei zu lösen
sind. Der Kontrolle des Forschers bleibt der Weg offen, da der Enkel
der Gräfin, Fürst Hermann von Hatzfeldt-Wildenburg, den Nachlaß
Lassalles dem Reichsarchiv in Potsdam übergeben hat.
Hinsichtlich der Orthographie und Interpunktion befolgt dieser
Band dieselben Gesichtspimkte, die für die schon voraufgehenden maß-
gebend waren und die, so viel ich weiß, bisher keine Anfechtung er-
fuhren. Bemerkt sei höchstens, daß die Gräfin Hatzfeldt so gut wie
keine Interpunktionszeichen anwandte, daß solche aber mit Rücksicht
auf die Lesbarkeit der Briefe überall eingesetzt wurden. Anders als mit
den Wochentagen zu datieren, war weder ihre noch Lassalles Gewohn-
heit. Es erwies sich als ein mühseliges Unternehmen, das allein manchen
Monat beanspruchte, die fehlende Chronologie herzustellen. Für die
unermüdliche Hilfe, die mir hierbei wie bei der sorgfältigen Entzifferung
der Originale imd der Revision des Textes Fräulein Doktor Meta Corssen,
jetzt Bibliothekarin in Lübeck, namentlich aber meine Frau leisteten,
kann ich ihnen nicht genug des Dankes sagen.
Berlin-Lankwitz, im September 1923.
Gustav Mayer.
Inhaltsverzeichnis
Seite
Zur Einführung in den vierten Band /
1. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 12. Dezember 1S48 i
2. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 21. Mai 1849 3
3. L,assalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. Juni 1849 7
4. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. Oktober 1850 9
5. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 15. Oktober 1850 11
6. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Ohne Datum 12
7. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 30. März 1855 48
8. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 30. Juli 1855 50
9. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 9. August 1855 5^
10. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. August 1855 54
11. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 14. August 1855 56
12. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Juni 1856 58
13. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 29. Juni 1856 60
14. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. Juli 1856 62
15. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 16. Juli 1856 64
16. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Juli 1856 65
17. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 23. Juli 1856 66
18. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 25. Juli 1856 67
19. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Ende Juli 1856 71
20. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 21. September 1856 ". 72
21. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 23. September 1S56 76
22. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 7. Oktober 1856 80
23. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. Oktober 1856 80
24. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 17. Oktober 1856 85
25. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 19. Oktober 1856 85
26. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. Oktober 1856 87
27. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 24. Oktober 1856 93
28. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 30. Oktober 1856 95
29. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. November 1856 96
30. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 7. November 1856 .102
31. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. Dezember 1856 105
32. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 29. Dezember 1856 106
33. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 8. Februar 1857 108
34. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. Februar 1857 109
35. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 12. — 13. Februar 1857 m
36. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 18. Februar 1857 112
Seite
^j. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 26. Februar 1857 114
38. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 27. Februar 1857 116
39. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. Februar 1857 117
40. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Anfang März 1857 120
41. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. März 1857 123
42. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 15. März 1857 124
43. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 19. März 1857 127
44. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. März 1857 128
45. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. Zwischen 22. und 24. März 1857 . 129
46. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 27. März 1857 130
47. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. März 1857 "... 131
48. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. März 1857 133
49. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Anfang Mai 1857 136
50. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. Anfang Mai 1857 137
31. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Anfang Mai 1857 138
52. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 9. Mai 1857 139
53. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 12. Mai 1857 141
54. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. Mai 1857 142
55. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 22. Mai 1857 142
56. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 25. Mai 1857 143
57. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 25. Mai 1857 144
58. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 26. Mai 1857 145
59. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 27. Mai 1857 147
60. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 28. Mai 1857 147
61. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 30. Mai 1857 152
62. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 31. Mai 1857 155
63. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 2. Juni 1857 162
64. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 3. Juni 1857 162
65. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 12. Juli 1857 163
66. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 14. Juli 1857 165
67. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 16. JuU 1857 165
68. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 7. August 1857 167
69. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. August 1857 168
70. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 15. August 1857 170
71. Sophie von Hatzfeldt an LassaUe. Mitte August 1857 172
72. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 18. August 1857 i73
73. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 18. August 1857 i74
74. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. August 1857 i75
75. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 30. August 1857 178
76. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 2. September 1857 179
77. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 7. September 1857 181
78. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 12. September 1857 182
79. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 22. September 1857 183
80. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 19. Oktober 1857 184
81. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. November 1857 185
82. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 25. November 1857 192
XI
Seite
S3. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 26. November 1857 193
84. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. — 30. November 1857 194
85. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 15. Dezember 1857 200
86. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. i.März 1858 203
87. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 12. März 1858 204
88. Lassalle an vSophie von Hatzfeldt. Frühling 1858 205
89. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 31. Mai 1858 208
90. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 2. Juni 1858 209
91. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Anfang Juni 1S58 210
92. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 6. Juni 1858 21 1
93. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. Juni 1858 214
94. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 17. Juni 1858 215
95. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. Juli 1858 221
96. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 25. Juli 1858 222
97. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 6. August 1858 223
98. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. September 1858 226
gg. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 16. Oktober 1858 227
100. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Oktober 185,8 228
loi. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 25. Oktober 1858 229
102. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 4. November 1858 229
103. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 6. November 1858 231
104. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. Dezember 1858 233
105. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 25. Dezember 1858 235
106. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 6. Januar 1859 242
107. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 9. Januar 1859 242
108. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. Januar 1859 244
109. Lassalle an vSophie von Hatzfeldt. 20. Januar 1859 245
I 10. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Ende Januar 1859 246
111. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Februar-März 1859 ....... 247
112. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. Februar-März 1859 248
113. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Februar-März 1859 251
I 14. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Februar-März 1859 252
115. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 18. Juni 1859 254
116. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 8. Juli 1859 255
117. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 21. Juli 1860 256
I 18. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. Juli 1860 256
119. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 5. August 1860 260
120. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 8. August 1860 260
121. LassaUe an Sophie von Hatzfeldt. 9. August 1860 262
122. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. August 1860 262
123. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 14. August 1860 263
124. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 16. August 1860 264
125. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 17. August 1860 265
126. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 24. August 1860 268
127. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 25. August 1860 269
12S. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 27. August 1860 270
XII
Seite
129. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 30. August 1860 270
130. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. i. September 1860 272
131. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 7. September 1860 272
132. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 8. und 9. September 1860 .... 273
133. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. September 1860 277
134. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 11. Januar 1862 278
135. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. Januar 1862 279
136. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 30. Januar 1862 281
137. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Anfang Februar 1862 284
138. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 4. März 1862 285
139. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. März 1862 287
140. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 12. März 1862 287
141. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 11. April 1862 288
142. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. April 1862 289
143. Sophie von Hatzfeld an Lassalle. Ende April 1862 289
144. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. Ende April 1862 290
145. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 11. Juni 1862 291
146. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Juni 1862 293
147. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. Anfang September 1862 295
148. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 27. September 1862 296
149. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 11. Oktober 1862 299
150. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 14. Oktober 1862 301
151. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Oktober 1862 309
152. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 26. Oktober 1862 310
153. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 4. November 1862 310
154. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 18. Dezember 1862 312
155. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 24. Dezember 1862 313
156. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 24. Dezember 1862 314
157. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 28. Dezember 1862 316
158. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. i. Januar 1863 318
159. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 8. Januar 1863 320
160. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. Januar 1863 325
161. Lassalle an Sophie vonHatzfeldt und Willi. Rüstow. 29. — 3o.Januar 1863 330
162. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 5. Februar 1863 337
163. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 6. März 1863 338
164. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. April 1863 343
165. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 16. Oktober 1863 344
166. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 19. Oktober 1863 347
167. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. Mai 1864 350
168. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. Mai 1864 351
169. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 11. Mai 1864 353
170. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. Mai 1864 354
171. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Juli 1864 356
172. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. Juli 1864 360
173. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 22. Juli 1864 362
174. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 23. Juli 1864 364
— ^ XIII -==========
Seite
175. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 27. Juli 1864 ,^-,6
176. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 28. Juli 1864 ,60
177. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 30. JuH 1864 ,72
178. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. i. August 1864 ,7,
17g. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 2. August 1864 171-
180. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 3. August 1864 ,75
181. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 4. August 1864 ,70
182. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 5. August 1864 -580
183. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 5. August 1864 381
184. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 7. August 1864 383
185. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 7. August 1864 384
186. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 7. August 1864 384
187. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. S.August 1864 384
188. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 8. August 1864 384
189. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. S.August 1864 384
190. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 9. August 1864 385
191. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 10. August 1864 385
192. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 12. August 1864 386
193. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 13. August 1864 387
194- Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 16. August 1S64 388
195. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 18. August 1864 392
196. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 19. August 1864 395
197. Lassalle an vSophie von Hatzfeldt. 19. August 1864 396
19S. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 19. August 1964 400
199. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 19. August 1864 401
200. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 20. August 1864 401
201. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. August 1864 401
202. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 20. August 1S64 401
203. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 21. August 1864 401
204. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 21. August 1864 402
205. Sophie von Hatzfeldt an Lassalle. 22. August 1864 402
206. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. August 1864 402
207. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 22. August 1S64 402
208. Sophie von Hatzfeldt und Wilhelm Rüstow an Lassalle. 22. August 1864 402
209. Lassalle an Sophie von Hatzfeldt. 24. August 1864 403
Fragmente 403
Zur Einführung in den vierten Band
I.
Die fürstliche und die gräfliche lyinie des Hauses Hatzfeldt wollten
Majoratsstreitigkeiten, die zwischen ihnen bestanden, aus der Welt
schaffen. Da griffen sie zu einem Auskunftsmittel, dessen sich diese
hohen Kreise in vergangenen Zeiten bei ähnlichen Anlässen nicht selten
bedient hatten. Sofern zwei Angehörige beider lyinien sich heirateten
imd in Gütergemeinschaft traten, war über den Ertrag imd die Ver-
waltimg der Herrschaften Trachenberg und Schönstein-Wildenburg eine
Einigung zu erzielen. Als nun Graf Edmimd von Hatzfeldt-Kinsweiler
unter den Töchtern des Fürsten Franz Ludwig von Hatzfeldt, des ziem-
lich bekannten Diplomaten der alten Schule, ^) Brautschau hielt, fiel seine
Wahl, obgleich noch zwei ältere Prinzessinnen unverheiratet im väter-
lichen Hause lebten, auf die an Leib und Seele noch knospenhafte dritte
Tochter des fürstlichen Paares. Sophie von Hatzfeldt stand am Vor-
abend ihres siebzehnten Geburtstages, ab sie am 9. August 1822 tmter
den Traualtar trat. Sie ahnte schwerlich, daß sie mit diesem Schritt ihr
Lebensglück jener geschäftlichen Transaktion zum Opfer brachte. Von
der ersten Stimde an gestaltete sich das Schicksal der Neuvermählten
trostlos : Enttäuschung folgte auf Enttäuschung, Demütigimg auf Demü-
tigung; was keine Frau verzeiht, wurde ihr in rücksichtsloser und
brutaler Weise immer aufs neue angetan. Das änderte sich auch nicht,
als sie Mutter wurde und im Laufe der Jahre einem Sohn, einer Tochter
und dann nochmal einem Sohn das Leben schenkte. Der Graf mui3 sich
durch das bloße Vorhandensein dieser Frau beeinträchtigt gefühlt haben.
Mißtrauen und Abneigung, die zu Haß entarteten, stiegen in ihm auf
und bestimmten ihn, den künftigen Erben des stolzen Fideikommisses
der Mutter frühzeitig zu entziehen. Darm wurde auch die Tochter, an
der Sophies Seele besonders hing, ihr geraubt und in ein Kloster der
Salesianer innen nach Wien überführt, dessen strenges Regulativ her-
hielt, um der Mutter, mochte sie auch wie eine Löwin kämpfen, den
mündlichen wie den schrifÜichen Verkehr mit Melanie abzuschneiden.
*) Vgl. über ihn u. a. Hermann Oncken, Lassalle, 5. Aufl., Stuttgart 1923. S. 63.
Erfolgreich blieb sie allein in dem Bemühen, sich ihren jüngsten Sohn
Paul nicht ebenfalls entfremden zu lassen.
Das Unrecht, das Sophie von Hatzfeldt widerfuhr, war zu offen-
sichtlich, als daß nach dem frühzeitigen Tode der Eltern ihre beiden
Brüder sich der Verpflichtung entziehen konnten, für die Schwester
einzutreten. Aber diese, Fürst Hermann, Generallandschaftsdirektor der
Provinz Schlesien, und Graf Max, der spätere Gesandte Preußens in
Paris, verabscheuten jeden Eklat, und sie wurden um so lauer, je klarer
sich erwies, daß alle Bemühungen, diese Ehe wieder einzurenken, Fehl-
schläge bleiben mußten. Sehr verläßlich war die Stütze, die die Schwester
an ihnen fand, niemals gewesen. Sie sank endgültig dahin, als das Ver-
langen nach der Tochter und die Sorge um die Sicherung der eigenen
Existenz und der ihres jüngsten Sohnes, die des Gatten Verschwendungs-
sucht rnid Feindschaft ständig bedrohten, die ,,von Feld zu Feld er-
barmimgslos verscheuchte Gazelle" einem solchen Grad der Verzweiflung
zutrieben, daß sie sich selbst ,,auf den Jäger stürzte und sollte sie mit
ihm im Abgrund zerschellen".^) Müde der ewigen Versprechimgen, die
nicht gehalten wurden, der umständlichen Verträge, die stets gebrochen
wurden, gereizt durch das Ausbleiben ihrer Unterhaltsgelder, besonders
aber ermutigt durch neue Freunde, die sich ihrer annahmen, entschloß
die Gräfin sich am Ende trotz des drohenden Abratens der Brüder, die
ihre Hand gänzlich von ihr ziehen wollten, wenn sie es zum , .Skandal"
kommen ließe, den Rechtsweg zu beschreiten.
In einem langen Brief an ihren älteren Bruder entwickelte sie am
22. Mai 1846 die Gründe, weshalb sie diesmal sich dem harten Gebot der
Familienraison nicht fügen wollte, und schlug dabei Töne an, wie sie
ihre Verwandten von der Unglücklichen bis dahin niemals vernommen
hatten : ,,Ich will es Dir zugeben," schrieb sie, ,,ich habe bis jetzt immer
meine Sache ungeschickt angefaßt; ich habe den prinzipiellen Fehler
begangen, mein Gefühl sprechen zu lassen . . . Gefühl ist aber eine
schlechte Waffe. Aus der Welt der Gefühle habe ich mich in die geltender
Gesetze zurückgezogen. Ich habe den Sturm der Gefühle zur Ruhe ge-
bracht, ich werde dafür mit kalter unwiderleglicher Logik verfahren."
Auf die Frage, wie diese trotz alles Erlittenen bis dahin noch immer
stark konventionell gebundene und der Geschäfte wenig kundige Frau
dahin kam, plötzlich ihre ganze Kampfesweise so grundsätzlich zu
ändern, erteilt sie gleich selbst die Antwort: ,,Wie ich Dir aber schon
mündlich gesagt, tue ich jetzt nichts, nicht das geringste mehr ohne
fremden Rat und Beistand. Vielleicht merkst Du das auch an der Sicher-
heit meiner jetzigen Schritte. Mißtrauisch gemacht durch Euch gegen
1) Scheidungsklage von 1847. Als Manuskript gedruckt. S. 65. Der Verfasser
war IvOssalle.
meine eigene Einsicht, bediene ich mich der einiger gesetzkundiger
Männer, die mit einer sicheren Logik eine ganz unbezwcifelte Biklung
verbinden. Dadurch habe ich aus meiner Denkungs- und Handlungs-
weise das Schwankende verbaimt, das immer der Charakter einer Frau
ist. Wenn früher Vorwürfe und Vorstellungen, Deine besonders, auch
wenn sie noch so unbegründet waren, innerlich mich immer wankend
machten, wenn ich es auch äußerlich verbarg, so macht jetzt alles, was
nicht wahr ist, keinen Eindruck mehr auf mich, und was ich weiß,
das weiß ich jetzt . . . Ich finde meine Lage faktisch wie sie de jure
nicht sein sollte. Ich finde mich in meinen wesenthchsten Rechten als
Mutter gekränkt . . . Ich will das Gesetz zur Herstellung des Rechts-
zustandes anrufen . . . Kann ich aber jene Bedmgungen erfüllt sehen
ohne Prozeß, so würde es mir selbst eine große Beruhigung sein, meiner
Familie einen Rechtshandel zu ersparen, der ein Mitglied derselben so
sehr kompromittieren muß. Auch meiner Kinder wegen wünsche ich
es von ganzem Herzen. Bringt man mich aber zum Äußersten, so werde
ich auch den Mut haben, es zu tun, aber als dazu gezwungen, habe
ich keine Verantwortung . . . Die Pflicht gegen meine Kinder ist gerade
das hauptsächliche mich leitende Motiv. Außerdem aber hätten sie gar
kein Recht, je mir daraus, wie Du annimmst, einen Vorwurf zu machen :
ich bin Mutter, ich bin aber auch Mensch und folglich nicht ein Ding,
das lediglich zu fremdem Vorteil und Nutzen verwendet wird. Christen-
tum und Vernunft predigen gleich stark die Pflicht der Selbsterhaltung.
Ich aber, die Verlassene, Ungeschützte, habe sie in noch höherem Grade
als andere . . . Um jeden Preis darf auch der Frieden nicht erkauft
werden. Ich möchte Frieden haben, doch kann ich nicht des Friedens
Opfer sein ..."
Wir ahnen, wer der Gräfin bei diesem Brief, der nicht ihren Stil
atmet, die Hand führte, wir wissen, wer ,,die gesetzkundigen Männer"
waren, deren ,, sicherer Logik" die einsame Frau in ihrer Bedrängnis sich
überantwortete. Ihre Lage erschwerte nichts so sehr, als daß es der
Verschlagenheit ihres Gegners, die sich auf bestehende gesellschaftliche
Vorurteile stützte, gelimgen war, in den Kreisen des mit den Hatzfeldts
versippten hohen Adels und in denen des Hofes bis herauf zu den
Majestäten eine Stimmung zu erzeugen, die dieser Frau, die ihre Bestim-
mung nicht im schweigenden Erdulden sah, unfreundlich war. Lassalle
hat der Freundin später wiederholt zu erklären gesucht, warum es kein
Zufall gewesen ist, daß die Helfer, die sie jetzt fand, aus einer Schicht
der Gesellschaft kamen, auf die jene erlauchten Kreise mit traditioneller
Verachtung herabblickten. Es wäre überflüssig, hier des breiteren zu
schildern, was Ferdinand Lassalle imd die anfänglich seinem dämoni-
schen Willen folgenden Freimde, der Assessor Alexander Oppenheim
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV II
4
und der Arzt Dr. Arnold Mendelssohn, von nun ab Kluges und Törichtes
anstellten, um mit allen Mittehi, nicht ausschließlich mit ritterlichen,
den Farben der Dame, zu denen sie voll Sturm und jugendlicher Hingabe
sich bekannten, den Sieg zu erkämpfen im Turnier mit einer Welt, die
sie ausschloß und der sie dennoch oder gerade darum ihren Willen auf-
zuzwingen trachteten. Wir übergehen an dieser Stelle den Kassetten-
prozeß wie die anderen wechselreichen Stadien, die die Sache der Gräfin
von nun ab vor den Gerichten durchlief, bis endlich der eherne Wille
I/assalles, der bald ihr alleiniger Bevollmächtigter wurde, ihr im Kampf
gegen jene feudale Gedankenwelt und ihren Repräsentanten den Sieg
erstritt. Darüber belehren die zahlreichen Biographien I/assalles, auf
die hier verwiesen sei.
II.
Zwei Tage bevor Lassalle geboren wurde, hatte Gräfin Sophie von
Hatzfeldt, damals noch nicht zwanzigjährig, ihren ältesten Sohn zur
Welt gebracht; als Graf Keyserlingkihr Anfang 1846 den einundzwanzig-
jährigen Studenten zuführte, war sie eine Dame von einundvierzig Jahren.
Unendlich viel hat die Welt an den Motiven herumgedeutet, die den
glänzend begabten und von einem Ehrgeiz großen Stils vorwärts-
getriebenen jungen Menschen bestimmt haben können, seine eigenen
Ziele, die ihn bis dahin voll erfüllt hatten, beiseite zu stellen, um sich
gleich einem irrenden Ritter, dem die Zeit wenig bedeutete, Hals über
Kopf in diese Händel, die ihn nichts angingen, zu stürzen. Zwar hat er
selbst zu wiederholten Malen klar und bestimmt ausgesprochen, wes-
halb er jenen schicksalsreichen Entschluß faßte, von dem er anfänglich
nicht ahnte, daß er damit die besten Jahre seines Ivcbens hingab. Und
es besteht bei ihm eigentlich kein Grund, seine Glaubwürdigkeit an-
zuzweifeln, denn er liebte leidenschaftlich, mit offenem Visier zu fechten,
und seinem stark entwickelten Selbstgefühl ist Wahrhaftigkeit Bedürf-
nis gewesen. Es ist unnötig, hier alle Erklärungen auszubreiten, die
I/assalle von seinem Verhältnis zur Gräfin Sophie gegeben hat;^) die
wichtigsten findet man in Hermann Onckens Biographie berücksichtigt.
Prüft man diese Bekenntnisse genau, auch die in seinen Briefen an
die Gräfin enthaltenen, und berücksichtigt man alle Umstände, die
^) Man beachte besonders die im Text herangezogene Stelle aus seiner Ver-
teidigungsrede im Kassettenprozeß (Ferdinand Lassalles Reden und Schriften,
herausgeg. von EJduard Bernstein, Berlin 1893, Bd. III, S. 339), den berühmten
Manuskriptbrief an Sophie Sontzoff vom Jahre 1860 (Eine Liebesepisode aus
dem Leben Ferdinand Lassalles, Leipzig 1878, S. 47 ff.) und den Brief an Victor
Aim6 Huber vom 28. Juni 1863. (Vgl. Gustav Mayer, La.ssalleana in Grünbergs
Archiv, Bd. I, S. 191.)
damals mitsprechen komiten, aufs sorgfältigste, man wird als Er-
gebnis festhalten müssen, daß Ivassalle die Wahrheit sprach, als er
1848 vor den Geschworenen auf die Aufopferungsfähigkeit, Uneigen-
nützigkeit und Begeisterung der Jugend pochte und daß er im Recht
war, wenn er später in seinem berühmten Werbebrief an Sophie Sont-
zoff sich auf Robespierres Wort berief, daß soziale Unterdrückung
bereits dort herrsche, wo auch nur ein einziges Individuum unterdrückt
werde. lyassalle verdient vollsten Glauben, wo er zu verschiedenen
Menschen in verschiedenen Zeiten seines Lebens wiederholte, er sei, als
er sich dieser bedrängten Frau annahm, zugleich einem revolutionären
wie einem im ethischen Sinne religiösen Gebote gefolgt.
Seiner instinktiven wie seiner reflektierten Existenz nach war dieser
Mensch ein Revolutionär. Und der Revolutionär in ihm ist es gewesen,
der, wo immer er den Weg anderer kreuzte, nicht mitansehen konnte,
daß der Schwache unterdrückt wurde. Schon auf der Handelsschule in
Ivcipzig hatte er nicht ertragen wollen, daß der Frau seines Pensions-
vaters von diesem, wie er es auffaßte, dauerndes Unrecht widerfuhr.
In dem Tagebuch, das er damals führte, findet sich eine Stelle, die bisher
nicht abgedruckt wurde, obgleich sie psychologisch aufschlußreich ist.
Es widere ihn an, schrieb er, wie ein Gatte alle Mittel gemeiner plumper
lyist gegen seine Gattin anwende, die schwach genug sei, in die Falle zu
gehen, wie er nachher mit raffiniertester Schlechtheit ihr eben daraus
ein Verbrechen mache, wie er ihre ganze Mitgift vergeude imd auch
noch den Rest des Vermögens verschwende, der künftig die Kinder vor
dem Bettelstabe schützen sollte. Ihn ärgerte nicht bloß ,,die Schlechtig-
keit und die ausgesuchte Heuchelei*' des Mannes, sondern ebenso sehr
die ,, Schwäche imd übermäßig große lyeichtgläubigkeit" der Frau. Das
machte auf den Fünfzehnjährigen einen so starken Eindruck, daß er
eine wochenlange Krankheit, in die er verfiel, wesentlich auf diese
Quelle zurückführte: ,,Ich war von solchem Ekel erfüllt, daß ich nicht
wußte, wie mir helfen." Dieser Ton also, der 1841 zum ersten Male bei
ihm anklingt, erhob sich 1846S0 brausend, daß er sich nicht mehr dämpfen
läßt. Damals hatte Lassalle bereits in Briefen an seine vertrauten
PVeunde der bestehenden Gesellschaft ein Kriegsmanifest^) ins Gesicht
geschleudert. Schon war er Revolutionär, schon war er sogar Kom-
mimist. Er kannte sich gut. Er war sich bewußt, daß er mit der bestehen-
den Ordnung, die er haßte und verabscheute, in Konflikt geraten werde.
Nur wann und wodurch es geschehen würde, blieb noch dem Zufall
überlassen. ,,Wäre sie nicht gewesen," gestand er 1860 an Lina Duncker,
der Liebenden, die auf den Platz, den die Gräfin in seinem Herzen cin-
Ferdinand Ivassalle, Nachgelassene Briefe und Sehriften, Bd. I, S. 213 ff.
nahm, eifersüchtig war, , .hätte ich mir einen anderen Anlaß gesucht,
meine Gegensätzlichkeit gegen die heutige Welt an den Tag zu legen . . .
Das Gemüt ist das Schicksal des Menschen. Wie wäre ich denn sonst
dazu gekommen, da sie mir doch fremd war, ihre Sache zu der meinigen
zu machen?"
So hätte Ivassalle also die Frau, der er Rettung brachte, und die, als
er sie kennen lernte, noch immer eine imposante Schönheit war, nicht
in dem Sinne geliebt, wie die meisten Zeitgenossen es annahmen ? Der
Herausschälung der Motive, die zwei vmge wohnliche Menschen zu-
sammenführten tmd zusammenhielten, würde es wenig förderlich sein,
wollte man die Frage in so spitzer Form stellen und beantworten. Gegen
Anfang ihrer Bekanntschaft, in der Höhezeit der Revolution, hat es in
der Tat eine Epoche gegeben, wo lyassalle für seine vSchutzbefohlene
leidenschaftlicher entflammt war. Authentisch ließ sich dies bisheran
nicht beweisen. Jetzt aber erhalten wir durch den Brief, den er am
9. September 1860 der Freundin schreibt (Nr. 132), dies Geständnis.
Denn hier bekeimt er, daß er eigentlich doch nur sie geliebt habe, das
sei damals gewesen, als er in Köln im Gefängnis saß. Wer wollte darüber
aussagen, ob der Heißblütige Erhörung bei der reifen Frau gefunden, ob
er sie auch nur gefordert hat? Er selbst hat solches stets bestritten, und
die psychologische Wahrscheinlichkeit spricht auch hier dafür, daß er
die Wahrheit sagt. Weil aber die öffentliche Meinung und in ihrem Ge-
folge die preußische Königin nebst ihrer Umgebung anders urteilten,
wollte die Polizei im Frühling 1857 Lassalle imd der Gräfin nicht gleich-
zeitig den Aufenthalt in Berlin gestatten. Da empörte es Lassalle, daß
die Behörde, ohne ,,auch nur einen Strohhalm von Beweis" erbringen
zu können, behaupten wollte, ,,was niemals mit allem Aufgebot von
Mitteln in zehnjährigen Prozessenerwiesen werden konnte". Undfeierhch
und freiwillig erklärte er: ,,Ich muß lebhaft dagegen protestieren, daß
überhaupt zwischen der Frau Gräfin und mir jemals ein solches Ver-
hältnis bestanden habe, wie es bei jener Interpretation des öffentlichen
Interesses notwendig verstanden werden müßte." Er sehe zwar ein und
gebe zu, daß er unmöglich im allgemeinen die Menschen zu höheren An-
schauungen erheben könne als die, deren sie eben fähig seien. Aber er
gebe jedenfalls sein Ehrenwort darauf — tmd das bedeute etwas —
daß zwischen ihm und der Frau Gräfin keine andere Beziehimgen be-
stünden, als die einer in gegenseitiger Achttmg begründeten und durch
zehn Unglücks] ahre festgehämmerten Freimdschaft,
Ein langer Brief ,i) in dem I^assalle der Freimdin erlä'utert, wieder Ge-
danke von der Gleichberechtigung der Frau in der I^iebe sich in der
^) Siehe unten Nr. 6.
modernen Geschichte Bahn brach, weist dieser selbst einen ehrenvollen
Platz in diesem Emanzipationsprozeß zu. Es war ja sehr begreif-
lich, daß die durch so viele Jahre verlassene und mißhandelte junge
Frau, wie die Prozeßakten zeigen, einige Male in nähere Beziehungen
zu Männern ihres Standes trat. Von einem weiß man, daß er sie zu
heiraten gedachte. Das war ein Graf von Bassenheim; aber umsonst
wandte die Unglückliche sich damals an den preußischen König, um mit
seiner Hilfe die päpstliche Dispensation zu erwirken, deren sie als An-
gehörige ihres streng katholischen Hauses zu einer Scheidung tmd neuen
Eheschließung bedurft hätte. Als in den aufregenden Wochen, die
der Verhaftung der Zentralbehörde des Kommunistenbundes folgten,
die Polizei auch in dem Hause, das die Gräfin und Ivassalle in Düssel-
dorf bewohnten, Nachforschimgen anstellte, nahm man bei ihr, wie die
Akten berichten, eine lycibesvisitation vor. Dabei versuchte Sophie von
Hatzfeldt, die die Geistesgegenwart nicht verließ, noch schnell ,,amou-
reuse Briefe", die sie bei sich trug, zu vernichten. AlleWahrscheinhchkeit
spricht dagegen, daß ihr diese ihr Generalbevollmächtigter, mit dem sie
unter einem Dache wohnte, geschrieben hatte. Besonders widerspräche
dem auch der Geisteines Testaments, das die Gräfin schon im folgenden
Jahre verfaßte. Es legt erschütterndes Zeugnis ab von den seehschen
Qualen, die diese starke Natur als Frau imd Mutter auszustehen gehabt
hatte. Haß tmd Verwünschung strömt sie hier aus gegen alle, die an ihr
gesündigt, selbst gegen den älteren Sohn und die Tochter, die man ihr
gewaltsam entfremdet hatte, und die mm unkindlich an ihr handelten.
Worte der Liebe findet sie allein für zwei Menschen: ,,Noch einmal
segne ich," heißt es da, ,,mit der wärmsten mütterlichen Liebe meinen
Sohn Paul, ebenso den Herrn Ferdinand Lassalle, der wie der beste
Sohn an mir gehandelt hat und den ich wie meinen Sohn betrachte."
Wenn es nun aber auch sicherlich ideale Motive waren, die Lassalle
entschieden, sich in diesen Kampf für eine ihm fremde Sache zu stürzen,
so braucht darum noch nicht geleugnet zu werden, daß sich hier wie
fast überall in seinem Leben, in die hohen mid reinen Motive, die den
Ausschlag gaben, auch erdenhafte Impulse mischten. Oncken weist
darauf hin, daß es dem Sohn des jüdischen Seidenhändlers östlicher Her-
kunft geschmeichelt haben wird, als Retter und Freund neben eine so
hochgeborene Dame zu treten. Doch auch dieser Biograph bestreitet,
daß Eitelkeit oder gar das, was die Welt in der Bequemhchkeit ihres
Denkens vermutete, dem jungen Menschen den entscheidenden Antrieb
gaben. Wer je auf diese Flamme voll hebten Feuers und dunklen Rauches,
die Lassalle hieß, aufmerksam geachtet hat, wird ihm das Recht zu-
gestehen, daß er sich jene Intervention für die Gräfin als ,,eine Insurrek-
tion" deutete, als ,,eine Insurrektion auf eigene Faust in einem Falle,
8
welcher als der reinste Mikrokosmus unsere ganze soziale Misere in sich
enthält". Es war doch richtige Selbstkenntnis, wenn er sich zu dem
christlich-konservativen Sozialpolitiker Victor Aime Huber, der ihn wie
so viele andere darin falsch beurteilt hatte, rühmte: ,,Mein ganzer
Mensch liegt in jener Handlung," mid wir begreifen ihn, wenn er jenem
diese Intervention für die Gräfin als das Faktum seines Ivcbens be-
zeichnete, auf das allein er stolz sei!
III.
Wo immer sich um die Seelen eines Mannes und einer Frau seltene
Fäden spannen, für die der Sprachgebrauch des Alltags kein fertiges
Wort vorfindet, ist der große Haufe geneigt, Deutungen zu geben, die
dem starken Vereinfachungsbedürfnis entsprechen, das seinen leicht
befriedigten Intellekt erfüllt. Für die Beziehungen, auf denen hier
miser Blick ruht, sind so bequeme Betrachtungsweisen abzulehnen. Mag
man auch auf dem Grunde einer jeden engen Verbindung zwischen
Personen verschiedenen Geschlechts erotische Bestandteile aufspüren,
des Historikers Auge findet das Wesentliche, das Sophie von Hatz-
feldt und Lassalle zusammenführte und verbunden hielt, in anderen
Bezirken. Wie stand es in Wahrheit um diese beiden Menschen, die aus
so verschiedenen Welten kamen tmd die ursprünglich so verschieden
geartet waren ? Die Geschäfte der Gräfin lieferten anfänglich die Unter-
lage für ihre gemeinsame Ivcbensführung, die dem Edelmann wie dem
nüchternen Spießbürger damals gleich abenteuerlich erschien. In der
Folge erwiesen sich jedoch diese Prozesse und was unmittelbar mit
ihnen zusammenhing nur als das Substrat der Ivcbensgemeinschaft,
die sich in den hier vorliegenden Briefen vor uns auftut. Nicht sie
bilden im tieferen Sinne den Kern dieses Bündnisses, nicht sie hätten
ihm über den Tod hinaus Glanz und Größe verheben.
Diese zwei Menschen müssen, als sie einander begegneten, bald gef ülalt
haben, daß sie sich Wesenhaftes zu geben hatten. Unvermittelt war einst
das kaum entwickelte Mädchen aus der sie sorgsam hegenden Häuslich-
keit der fürstlichen Eltern hinausgeschleudert worden in alle die Stürme,
Demütigungen, Versuchmigen, denen ihre unglückliche Ehe sie aus-
setzte. Der verwöhnten Prinzessin war nicht an der Wiege gesungen
worden, daß Vermögensstreitigkeiten einen großen Teil ihres künftigen
Lebens ausfüllen würden. Weder der Code Napoleon, der in dem einen
Teil des großen Fideikommisses galt, das jene Heirat zusammenge-
schweißt hatte, noch das gemeine Recht, das in dem anderen Teile maß-
gebend war, hatte bei ihrer Erziehung eine Rolle gespielt. Und erst
recht war ihr in der durchaus reaktionären Luft des heimatlichen
vSchlosses über die sozialen und politischen Zeittendenzen, mit denen ihr
eigenes Schicksal sie hernach so mannigfach verflocht, keine ausreichende
Belehrung zuteil geworden. Wie hätte auch ein Vater, der bereits die
Größen maserer nationalen Erhebung als „Jakobiner" verabscheute, der
Tochter die Notwendigkeit des Emporstrebens des Bürgertums oder gar
der Arbeiterklasse sinngemäß deuten können? So irrte die von ihrem
Gatten mal vertriebene, mal wieder gefangen gehaltene junge Gräfin,
bald vor ihm fliehend, bald seine Versöhnung suchend, undiszipliniert
im Denken wie im Handeln und schlecht beraten, allein ihrem natür-
lichen Gefühl überlassen, dabei voll warmen Lebens und edler Instinkte,
durch Land und Leben, bis in einer Stunde höchster Not der Retter ihr
begegnete. Dieser aber war ein junger Mensch, der dem Alter nach ihr
Sohn hätte sein können. Er kam aus den der Praxis fernen Bezirken der
Philosophie, er war ein Jude, er war ein Revolutionär. Doch er erbot
sich in der fortreißenden Sprache eines Idealismus, wie er bis dahin noch
nie an ihr Ohr geklungen hatte, ihre Angelegenheit in seine ,, junge aber
starke Hand" zu nehmen, er schwor der Bedrängten, die so selbstlose
Hingabe beim anderen Geschlecht bis dahin nicht für möglich gehalten
hätte, ,,für sie zu kämpfen bis zum Tode".^) Und sie glaubte diesem
Versprechen, sie überließ sich der ungewöhnlichen Kraft des ungewöhn-
lichen Menschen, den eine höhere Macht ihr entgegen zusenden schien.
Nun spürte Graf Edmund bald, daß auf der Gegenseite eine In-
telligenz, eine Entschiedenheit, eine Verschlagenheit plötzlich alle Schritte
leitete, wie er sie bisher dort nicht wahrgenommen hatte. Man lebte
eben der Revolution von 1848 entgegen. Die politische Atmosphäre war
schwül von Kämpfen mannigfachster Art, sie war den Verfolgten und
Schwachen günstig. Im Rheinland hatte schon die französische Okku-
pation den feudalen Ansprüchen Abtrag getan. Nun aber zeigte sich bei
den Richtern, wie erst recht bei den Geschworenen, die verstärkte Nei-
gung, dem Adel mit bürgerlichem Selbstgefühl gegenüberzutreten. Auch
der reiche, doch übel beleumdete Standesherr spürte dies bei seinen Rechts-
händeln. In Lassalle und seiner Schutzbefohlenen wuchs frohe Hoffnung,
die sich noch vermehrte, als die Revolution zum Ausbruch kam. Aber
die alten Mächte gelangten wiederum nach oben, und nun wurde es der
vSache der Gräfin beinahe zum Verhängnis, daß der, dem sie sich aus-
geliefert hatte, ein roter Republikaner war, den die rheinischen Richter
überdies haßten, weil sie seiner Hartnäckigkeit, seinem Scharfsinn mid
seiner ungewöhnlichen Beredsamkeit selten gewachsen waren. Doch so
sehr es Sophie von Hatzfeldt bekümmerte, daß ihr fortan ein Prozeß
nach dem anderen verloren ging, daß die Aussicht auf einen guten Aus-
gang des Kampfes, den ihre ermüdende Seele herbeiwünschte, sich zu-
^) Ivossalle an Sophie Sontzoff, a. a. O., S. 51.
- 10 =
nächst als trügerisch erwiesen hatte, so dachte sie doch keine Stunde
daran, lyassalle dafür verantwortlich zu machen. Und auch als materielle
Not ihr drohte, wurde sie nicht irre an dem, der in all diesem Wechsel
von Hoffnung und Sorge, von Sieg imd Not, ein Bestandteil ihres Selbst
geworden war, an dem ersten und eigentlichen Ivcbensgefährten, den sie
gefunden hatte.
Wir fragten, was diese beiden Menschen, die aus so verschiedenen
Sphären kamen, einander bieten konnten, was sie einander gegeben
haben. Wer Ivassalles Jugendtagebuch gelesen hat, eriimert sich, wie
unausgeglichen der Ton war, der in seinem elterlichen Hause in Breslau
umging, wie dort die Charaktere ohne jede Selbstbeherrschung neben-
einander herlebten und wie trotz aller betulichen Zärtlichkeit, die reich-
lich vorhanden war, ein Gewitter ständig das andere ablöste. Er erinnert
sich, wie sehr die stickige Luft des Ghettos dort noch die Räume füllte,
und wie das Bedürfnis, die äußere Lebensführung bewußter zu formen,
im Auftreten und Gebaren Würde und Gemessenheit zur Darstellung
zu bringen, noch kaum erwacht war. Bis er in die Berliner Burschen-
schaft eintrat, mochte Lassalle sich notdürftig das bescheidene Niveau
von gesellschaftlicher Kultur angeeignet haben, auf dem das schlesische
mittlere Bürgertum damals stand. Nun lockte es aber den gelehrigen imd
für alle ihn fördernden Eindrücke so empfänglichen Studenten in höhere
soziale Sphären. Als er nach Berlin übersiedelte, wurde es ihm nichtschwer,
in den dem deutschen Geiste voll erschlossenen, auf älterem Wohlstand
fußenden vornehmen jüdischen Familien, bei denen er hier Eingang
suchte, sein Auftreten mit dem seiner neuen Umgebung in leidlichen
Einklang zu setzen. Aber wenn selbst noch der Frankfurter Patrizier-
sohn der adligen Freundin am Weimarer Hofe eine Durchbildung seiner
Lebensführung dankte, die er als eine segensreiche empfand, so läßt
sich erst recht annehmen, daß dieser junge Breslauer Jude, dessen Vater
noch in einer oberschlesischen Talmudschule aufgewachsen war, die
formale Kultur, die ihm bei der Gräfin begegnete, gern und mit Erfolg
auf sich wirken ließ. Erst im täglichen Verkehr imd im ständigen Ge-
dankenaustausch mit Sophie von Hatzfeldt lernte Lassalle, soweit es
seinen labilen Nerven möglich war, jenes Maß von Selbstbeherrschimg,
von Takt und Zurückhaltimg sich aneignen, das ihn im damaligen
Deutschland zu einem sicheren Auftreten unter allen gesellschaftlichen
Verhältnissen befähigte und so erst in den Stand setzte, seine reichen
Gaben in würdiger und wirksamer Gestalt zur Darstellung zu bringen.
Zu heftigen Szenen, bei denen ersieh vergessen konnte, kam es oftmals
freilich auch zwischen ihm und der Freundin, Ihr Briefwechsel weist
manche Spuren davon auf. Aber am Ende war es wohl auch weder
Lassalles Begabung noch Beruf, ein vollendeter Cortegiano zu werden
= II =
Für den künftigen Volkstribunen erhielt es Bedeutung, daß die kluge
Tochter des Fürsten von Hatzfeldt ihn wirklich vertraut machte mit
der Art zu denken und zu fühlen, die jenen vSchichten eignete, die
damals und noch lange nachher den preußischen Staat regierten imd die
zu stürzen den Inhalt seiner revolutionären Träume ausmachte. Erst
die Freundin, die dieser Welt entstammte, konnte ihm greifbar an-
schaulich machen, welche Stärke ererbte politische Erfahrung und über-
legene Methode ihr verliehen ; doch auch wie wenig sie geistig empfäng-
lich, wie sehr sie sittlich verkümmert war, konnte niemand so gut wie
diese Frau, die es an ihrem eigenen Schicksal erfahren hatte, ihm ver-
anschaulichen.
Aber schwerer wog vielleicht trotzdem noch, was I^assalle der Freun-
din vermitteln konnte. Erster gab ihr das rechte Bewußtsein davon, in
wie hohem Maße sie als ein Opfer verknöcherter Lebensanschauungen
dastand, über die eine freiere Welt schon unbedenklich hinweggeschritten
war. Einen wie überwältigenden Eindruck mußte es auf sie machen,
wenn er mit glühender Beredsamkeit ihr den Glauben einhämmerte,
daß das Schicksal, an dem sie so schwer trug, nicht ein zufälliges,
nicht ein rein privates sei, das für die Allgemeinheit keine Bedeutung
hätte, sondern daß auch sie, die sich so verlassen und vereinsamt
vorkam, in eine gewaltige siegessichere Schlachtordnimg hineingehöre,
und wenn er ihr erzählte von der weltgeschichtlichen Erhebung,
die sich vorbereite gegen jenes Bestehende, an dessen Härte ihre Seele
sich wmiddrückte, von dessen Grausamkeit sie Narben trug, die nie
mehr verharschen konnten. Lernte der impulsive Jüngling in Dingen der
I/cbensführung manches von der vornehmen und reifen Frau, so wurde
sie dafür in allem, was des Geistes war, seine Schülerin. Erst er erschloß
ihren Augen die Welt der unsichtbaren Werte, er erst flößte ihr Ehr-
furcht ein vor der Macht der Idee und schuf der Heimatlosen damit
eine Heimstätte, die niemand ihr rauben konnte. Er klärte sie auf über
die weltgeschichtliche Epoche, in die ihr Leben fiel, über die Gewalten,
die an der Herrschaft der feudalen Kreise rüttelten, aber auch über das
erst aus weiter Ferne grollende soziale Erdbeben, das die eben siegreich
aufsteigende bürgerliche Welt einst in Frage stellen werde. Es war
vielleicht klug von Lassalle, aber es entsprach auch seiner Überzeugung,
wenn er, um die Siegeszuversicht seines Schützlings zu heben, ihn
unablässig darauf hinwies, daß die Realisierung der geschichtlichen
Vernunft, die er ihm predigte, auch seines individuellen Schicksals be-
dürfe, wie sein Mikrokosmus in jenen Makrokosmus mit Notwendigkeit
hineingehöre. So kann es, als die Revolution zum Ausbruch kam,
Lassalle keine große Mühe mehr gekostet haben, um die Gräfin zu
einer feurigen Parteigängerin der roten Republik zu machen.
12
IV.
Im August 1848 wurde Lassalle bekanntlich von der moralischen
Mitschuld an jenem Kassettendiebstahl, den seine Freunde Mendelssohn
und Oppenheim begangen hatten, freigesprochen. Damals ergab sich
das Bedürfnis, daß der Generalbevollmächtigte, Kassierer und Sekretär
der Gräfin mit ihr — sie hatte sich inzwischen in Düsseldorf nieder-
gelassen— das gleiche Haus bewohnte. Zahlte auch der Graf seiner
Gattin seit kurzem wieder eine Rente, so reichte deren Betrag doch
nicht entfernt hin, um die gewaltigen Kosten, die die Prozesse ver-
schlangen, zu bestreiten und daneben noch den Ivcbensansprüchen der
Gräfin imd der Brziehimg ihres Sohnes Paul gerecht zu werden. Es war
dazu gekommen, daß sie in reichlichem Maße Schulden aufgenommen
hatte ; bei der Auswahl der Gläubiger aber war man nicht immer vor-
sichtig zu Werke gegangen. Diese liefen jetzt der alleinstehenden PVau
das Haus ein, und um sie zu beschwichtigen, wünschte sie Ivassalles
ständige Anwesenheit. Das hielten auch ihre Rechtsbeistände für zweck-
mäßig, denn der Graf hatte jetzt in Düsseldorf ein regelrechtes Bureau
eingerichtet, von dem aus die abgefeimtesten Intrigen gegen sie ein-
gefädelt wurden. Der verkrachte Möbelhändler Karl August von
Stockum, der diese Umtriebe leitete, schickte ihr miter unscheinbaren
Vorwänden häufig Personen ins Haus, weil er die Aussagen, die sie etwa
gesprächsweise diesen gegenüber tun würde, nachher vor Gericht gegen
sie auszubeuten gedachte. Fortan war L,assalle als Warner, Beschützer
und Berater jederzeit in ihrer Nähe, und sie fühlte sich geborgener
,,subTeucro duce et auspiceTeucro". Dabei ergab es sich von selbst, daß
ihr ständiger Gedankenaustausch, mochten darin auch die Erfordernisse
des Tages überwiegen, sich immer mehr über alle Gebiete erstreckte,
in die das Interesse eines jeden von ihnen hineinreichte. Sieht man von
Unterbrechungen ab, die durch Gefängnishaft oder Reisen verursacht
wurden, so währte dies intime häusliche Zusammenleben der beiden
volle acht Jahre. Wenn also für die Zeit vom Sommer 1848 bis zum
Sommer 1856 ihr Briefwechsel spärlich erscheint, so vergegenwärtige
man sich, daß bei einer so vollkommenen Hausgemeinschaft für schrift-
lichen Gedankenaustausch der Raum nicht blieb.
Auf welche Weise das persönliche Schicksal des Freundespaares
von den Ereignissen des Revolutionsjahres berührt wurde, kann hier
nicht geschildert werden. Ihre privaten Kämpfe imd ilir politisches Auf-
treten lösten Verfolgungen aus ; aber je tiefer ihre Händel sie verstrickten,
um so inniger knüpfte sich das Band, das ihre Schicksale zusammen-
hielt. Die Volksbewegung am Rhein brach zusammen, die alten Mächte
siegten und heischten Rache, die Polizei kam dem Kommunisten-
="= 13 =
bund auf die Spur, sie hob dessen Nest in Köln aus, und es war fast ein
Wunder, daß sie nicht auch Lassalle an den Kragen konnte. vSeine
nächsten politischen Freunde, soweit sie noch im Lande weilten, gerieten
in Bedrängnis. So manchem von ihnen wurde das Haus der Gräfin die
erste Zufluchtsstätte; hier erwartete er die passende Stunde, bis er sich
in Sicherheit bringen konnte. 1) Dann erlosch am Rhein der letzte revo-
lutionäre Funke. Doch so große Gefahr auch damit verbunden war, die
Wohnung Lassalles und der Gräfin blieb durch alle die drückenden
Jahre, die nun folgten, der Treff- und Sammelpunkt der wenigen kom-
munistisch gesinnten Arbeiter, die trotz des Wütens der Reaktion in der
Heimat geblieben waren. Aber auch die Polizei behielt das Haus in der
Verlängerten Kasemenstraße scharf im Auge: sie kargte hier nicht mit
ihren Besuchen, und weil man arg auf der Hut sein mußte, wurde
mancher Brief verbrannt, der in dem sonst so vollständigen Nachlaß
heute vermißt wird. Die Berichte aus Köln und Düsseldorf, die an den
Minister des Irmern abgingen, verraten, ein wie lebhaftes Interesse die
Behörden an Lassalles Treiben nahmen, welche Mühe sie sich gaben,
seine Korrespondenz zu überwachen, und wie sie es sogar nicht ver-
schmähten, gelegentlich in seinem eigenen Hause Spitzel zu unter-
halten. Den gleichen Wert wie auf die Überwachung Lassallcs, der ihnen
als der Mittelpunkt der rheinischen Umsturzpartei galt, legten sie auf
die Gräfin Hatzfeldt nicht. Aber als etwas verdächtig galt auch sie, be-
sonders weil man fürchtete, sie könnte ,, einen Teil ihres Einkommens
zur Korruption der arbeitenden Klasse verwenden". Im Mai 1852
wurde nach Berlin über ein ,, lukullisches Gelage" berichtet, das sie für
eine Anzahl von Proletariern veranstaltet und bei dem sie zum Schluß
erklärt haben sollte, so könnten jene es alle Tage haben, wenn nur
die Güter der Erde gleichmäßig verteilt wären.
Während dieser ganzen Zeit führte Lassalle für die Gräfin Dutzende
von Prozessen gegen ihren Gatten, deren Mehrzahl verlorenging. Dennoch
erreichte sei'ne Hartnäckigkeit im August 1854 ^^^ Ziel, soweit es sich
noch erreichen ließ. Die Tochter, die der Mutter gänzlich entfremdet
war, konnte nicht vor dem Richter zurückerobert werden. Aber ein für
die Gräfin durchaus ehrenhafter Vergleich wurde abgeschlossen; die
materielle Basis ihrer Existenz war ihr fortan gesichert. Die ministeriellen
Spitzel aber, die die Psychologie der von ihnen zu Überwachenden nur
nach ihrer eigenen kläglichen Mentalität beurteilen konnten, stellten
ihrer vorgesetzten Behörde in Berlin flugs in Aussicht, daß sich bei
Sophie von Hatzfeldt und bei Lassalle nun, wo sie zu Vermögen gelangt
wären, die Begriffe von Eigentum wesentlich ändern würden; und sie
^) Vgl. hierzu die Einführung zu Bd. II, S. 8 ff.
= 14 =
bezeichneten es einige Monate später als eine ,,kaum zu erklärende
Tatsache", daß jene mit Leuten aus dem Arbeiterstande nach wie vor
einen auffallenden Verkehr unterhielten.^) —
In den langen Jahren, in denen sie um das ihr zukommende Gut
prozessierte, hatte die Gräfin die Erfahrung machen müssen, daß peku-
niäre Bedrängnis, an die sie von Hause aus so wenig gewöhnt war, auf
ihre Seele drückte. Ein jeder hielt die Fürstentochter für reich. Die Folge
war, daß immer aufs neue Leute sich freundschaftlich an sie heran-
drängten und gütig aufgenommen wurden, von denen sich hernach
herausstellte, daß sie sie nur ausnutzen wollten. Als derartige Ent-
täuschungen sich wiederholten, verbitterten sie Sophies Seele und
bildeten bei ihr am Ende eine Gemütsverfassung heraus, die Lassalle
ihr öfters als Geiz auslegte, während sie wiederum ihn übertriebener
Generosität zieh. Ganz besonders üble Erfahrungen machten die Freimde
mit dem Lehrer Anton Gladbach, der in der preußischen konstituierenden
Nationalversammlung Mülheim an der Ruhr vertrat und dort auf der
äußersten Linken saß. Vor 1848 hatten die Gräfin und Lassalle diesen
Menschen zeitweise als Sekretär beschäftigt und so war er mit ihnen
und ihren Verhältnissen ziemlich vertraut geworden. Nach der Revo-
lution geriet er auf Abwege und erhob nun fortwährend pekuniäre An-
sprüche, die nicht immer in dem Umfang, wie er wünschte, befriedigt
wurden. Die Folge war, daß Gladbach sich der Polizei verkaufte und den
freien Zutritt, den er bei Lassalle genoß, und das relative Vertrauen,
das dieser ihm noch immer entgegenbrachte, dazu benutzte, um sich
durch seine Angeberei das Geld zu verschaffen, das er sich trotz seiner
Aufdringlichkeit nicht erbetteln konnte. Briefe Lassalles und der Gräfin,
die über sein Benehmen klagen, beherbergt der Nachlaß. Man ersieht
aus ihnen, wie die Gräfin ihn durchschaute und abhalftern wollte,
während der vertrauensseligere Lassalle noch für ihn plädierte und dem
Gerücht, daß er ein Spion sei, den Glauben verweigerte. —
Während die Freunde so, völlig aufeinander angewiesen, abseits vom
Treiben der großen Welt in der Kunststadt am Rhein ihr stilles Leben
führten, war jeder von ihnen ganz in den Gedanken des anderen heimisch
geworden. Daß zwischen ihren Charakteren, ihrer Art zu fühlen und
ihren geistigen Anlagen Übereinstimmung herrschte, will Lassalle, schon
als er die Gräfin kennen lernte, wahrgenommen haben. Diese Überein-
^) Düsseldorfer Wochenbericht vom 7. Februar 1855 in den Personalakten
IvassaUes auf dem Geheimen Staatsarchiv. Auch andere Einzelheiten, die im
Vorstehenden benutzt wurden, entstammen dieser Quelle.
— J5 — =
Stimmung der Anlagen, soweit sie vorhanden war, festigte, erweiterte,
vertiefte in der Folge die Übereinstimmung der äußeren Schicksale, der
Erlebnisse, der Kämpfe. ,,Sie steht vor mir wie meine eigene Geschichte,
meine eigene Entwicklung, mein eigener Charakter," so bekannte
Ivassalle 1860 Lina Duncker,^) ,,Sie ist mein eigenes noch einmal ver-
körpertes Ich. Sie ist identisch mit allen Gefahren und allen Triumphen,
allen Ängsten und allen schweißtriefenden Arbeiten, allen Leiden, An-
strengungen und Siegesgenüssen, kurz mit allen Emotionen, die meine
Seele je durchgemacht hat. Sie ist so identisch mit meiner Seele selbst.
Was ist Seele ? Das in eine Einheit zusammengefaßte Ganze, der Brenn-
punkt der gesamten Masse von Eindrücken, die man je erfahren.
Nim siehst Du, das ist sie also mir." In den Jahren zwischen zwanzig
und dreißig, die er dem Schicksal der Gräfin zum Opfer brachte, war
diese die unerläßlichste Bedingung seines Glücks geworden. ,, Fleisch
von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein," nannte er sie, ,,das
Denkmal imd die Geschichte meiner Jugend, ihre lebendige Vergegen-
wärtigiuig". Lina Duncker fühlte sich beengt durch den großen Platz,
den Sophie von Hatzfeldt in seinem Herzen einnahm. 2) Aber Lassalle
versicherte ihr, jene sei sein Freimd, nicht seine Freundin. Die Jüngere
brauche so wenig auf sie eifersüchtig zu sein, wie ,,die Geliebte des
Orestes auf seinen Pylades wäre". Sein Verhältnis zur Gräfin habe von
dem eines Sohnes zur Mutter und eines Bruders zur Schwester imd eines
Freundes zum Fremide und eines Vaters zur Tochter — es habe von alle-
diesem etwas, doch es habe nichts von dem eines Liebenden zur Ge-
liebten. Lina Duncker eignete eine besondere Anmut der Seele, aber
das zu tiefst Tragische war ihr verschlossen. So mag es ihr seltsam und
fremd geklungen haben, als Lassalle ihr auseinandersetzte, weshalb die
Frau, die für ihn Leidenschaft empfinde, stets einen unvorteilhaften
Tausch machen werde. Er fordere gänzlich Hingabe, seine Liebe ver-
zehre, aber ihm sei nur möglich, ,,eine Stelle seines Wesens abzutreten".
Er erklärte dies aus der allgemeinen und normalen Grundverschiedenheit
in der Liebe des Mannes tmd des Weibes. Weil er so sehr Mann sei,
wäre es bei ihm besonders potenziert. Aber er gab auch zu, daß es ,,eine
Folge aller seiner Lebensschicksale" ^) sei. Hier öffnet sich uns zum
erstenmal bei Lassalle ein Blick in tragische Verknüpfungen, die in
seinem Schicksal lagen und die bis heran nicht genügende Beachtung
fanden. Doch noch ist es nicht an der Zeit, bei ihnen zu verweilen.
1) Intime Briefe Ferdinand Lassalles an Eltern und Schwester, herausgegeben
von Eduard Bernstein, Berlin 1905, S. 161.
2) Vgl. Bd. II, Einführung S. 22 f. sowie S. 223 und 227. Vgl. auch unten
S. 263.
ä) Intime Briefe, S. 165.
= i6 — =^
VI.
Von der Mitte der fünfziger Jahre an liegt der Briefwechsel Ivassalles
mit Sophie von Hatzfeldt als eine psychologische Kette vor, in der kein
wesentliches Glied fehlt. Die besorgte lyiebe, die unbefangene vertrauens-
volle Kameradschaftlichkeit, die zwischen ihnen herrschte, machte längst
nicht mehr halt vor den Beziehungen des jungen Mannes zum weib-
lichen Geschlecht. Man wußte bisher nichts über ein intimes Verhältnis,
das Lassalle in den letzten Jahren seines Düsseldorfer Aufenthalts zu
Agnes Denis-Street unterhielt, der Adressatin von Franz I^iszts Briefen
an eine Freundin, die lya Mara herausgab. Dieses Verhältnis verdient
schon deshalb Beachtung, weil es die Hauptquelle erschließt, aus der
Lassalle in den Jahren des Krimkrieges jene authentischen Informationen
schöpfte, die es ihm ermöglichten, von seiner rheinischen Provinzstadt
aus Karl Marx in London über wichtige Dinge zu unterrichten, i) die
sich hinter den Kulissen der Diplomatie vorbereiteten. Von dem Gatten
der stattlichen rmd eleganten, lebendigen und liebenswürdigen jungen
Frau, die Lassalle seine Düsseldorfer Abgeschiedenheit verschönte,
schweigen die ungedruckten ebenso wie gedruckten Quellen, die vor-
liegen. Ob er gestorben war oder ob sie bloß von ihm geschieden oder
getrennt lebte, wissen wir nicht. Um so besser sind wir über ihren Vater
unterrichtet, der ihr persönliches Leben selbst dann schicksalhaft be-
einflußt hat, wenn solche Gerüchte über ihre Beziehungen, wie Richard
Wagner 2) und andere sie weiter trugen, nicht der Wahrheit entsprachen.
Es ist begreiflich, daß die abenteuerliche Gestalt Georg Klindworths
Romanschriftsteller gereizt hat. Er wurde um das Jahr 1802 in Göttingen
als Sohn eines dortigen Hofmechanikus geboren und starb Ende der
siebziger oder Anfang der achtziger Jahre bei seiner Tochter in Brüssel.
Ob er Jura oder Philologie studierte, steht nicht fest; vergebens ver-
suchte er, sich in Heidelberg zu habihtieren. Verfolgungen, die er sich
durch Teilnahme an der Burschenschaft zuzog, trieben ihn frühzeitig
einem unsteten Wanderleben zu. Als Lehrer, Schauspieler, Schmieren-
direktor imd Journalist durchreiste er England wie den Kontinent,
l^lickte in die mannigfaltigsten Verhältnisse hinein und knüpfte, durch
seine faszinierende Unterhaltungsgabe und sein seltenes Gedächtnis ge-
fördert, ausgebreitete Verbindungen an. Diese kamen ihm hernach zugute,
sie machten ihn zu einem der tätigsten und erfolgreichsten, wenn auch
verrufensten Geheimagenten, die in der Epoche zwischen 1820 und 1875
von der europäischen Diplomatie beschäftigt wurden. In dem Brief-
wechsel zwischen Lassalle und der Gräfin Hatzfeldt heißt er immer der
1) Vgl. Bd. III, Nr. 30 und 32.
2) Richard Wagner, Mein Leben, 1912, Bd. II, S. 723^-
■-= 17 —
Staatsrat. Diesen Titel hat ihm angeblich Ivouis Philipp verliehen, zu
dessen Regierungszeit er in Paris ein glänzendes Haus ausgemacht
haben soll. Möglich ist auch, daß er ihn vom österreichischen, württem-
bergischen oder braunschweigischen Hofe bekam, für die alle er tätig
gewesen ist. Eine Spezialität dieses Kondottiere der Diplomatie war es,
daß er sich fast nie mit einer bestimmten Regierung identifizierte. Mehr
oder weniger stand er jedem Hofe zur Verfügung, der seine legendäre
Geldgier zu befriedigen bereit war. Es gab keine Kanzlei Europas, deren
Hintertür sich ihm nicht öffnete, und so sehr eine jede dem vieux coquin,
wie Thiers ihn nannte, i) mißtraute, so genau man wußte, wie gern er
Doppelspionage trieb, weil er in beiden Lagern verdienen wollte, für so
unersetzlich hielt man ihn namentlich dort, wo es mit großer Delika-
tesse erste Fäden anzuspinnen galt. Klindworth spielte sich besonders
gern als den letzten Träger Metternichscher Erbweisheit auf. Wie
Metternich und Gentz bedienten sich seiner Fürst Wittgenstein imd
Ancillon, Wilhelm von Württemberg imd Karl von Braunschweig,
Guizot und Napoleon III., Manteuffel und Zar Nikolaus. Erst Bismarck
hat als preußischer Ministerpräsident es abgelehnt, das alte Inventar-
stück der Kabinettsdiplomatie der Heiligen Alliance in Nahrung zu
setzen.^)
Wann I^assalle und die Gräfin mit dem Staatsrat imd seiner Tochter,
die ihm bei seinen diplomatischen Missionen und deren journalistischer
Förderung eine geschickte Mitarbeiterin war, zuerst bekannt wurden,
ließ sich nicht mehr genau feststellen. Vielleicht geschah es im Mai 1855,
als Agnes Street gemeinsam mit Franz Liszt, dessen vertraute Schülerin
sie kurz vorher in Weimar gewesen war, zum rheinischen Musikfest
nach Düsseldorf kamen. Ihren Briefwechsel mit Liszt hat man mit
solcher Diskretion herausgegeben, daß nicht viel daraus zu erfahren
war. Diszt rühmt die vornehme und zurückhaltende Art ihres Auftretens,
er preist den Zauber ihres Geistes und möchte sogar in ihr ,, eingeborene
Poesie" entdecken. Aber die Phantasie des großen Frauenanbeters
scheint das Bild der Schülerin idealisiert zu haben. Und die Gräfin
Hatzfeldt erwies sich wohl als die bessere Menschenkennerin, wenn sie
nach längerer Bekanntschaft mit der jungen Diplomatin feststellte,
daß diese sich in ihren Freundschaften stark von ihrem egoistischen
1) Denkwürdigkeiten des Für.sten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, vStutt-
gart 1906, Bd. II, S. 168.
2) Einige Hinweise auf gedruckte Belege über Georg Klindworth und seine
Tätigkeit verdanke ich den Herrn Professoren Friedrich Meinecke und Richard
Sternfeld in Berlin. Aus Klindworths Verwandtschaft erteilten mir freundliche
Auskunft Frau F. F. Klindworth in Hannover und Frau Winfried Wagner in
Haus Wahnfried (Baireuth). Am ausführlichsten handelt wohl über Klindworth
Oskar Meding, Memoiren zur Zeitgeschichte, Leipzig 1884, Bd. II und III.
=^ l8 r=
Interesse leiten ließ. Lassalle nannte sie noch 1860, als er mit ihr in
keiner Verbindung mehr stand, „sehr liebenswürdig, gebildet, statt-
lich, weich und nachgiebig". Daß diese Erscheinung aus jener großen
Welt, die sich ihm verschloß, damals in Düsseldorf stark auf ihn
wirkte und daß ihre lyiebenswürdigkeit und bewußte Koketterie
ihn rasch eroberte, setzt uns nicht in Erstaunen. Aber auch Agnes
ließ sich nicht lange erfolglos umwerben. Bald finden wir sie
häufig auf Besuch bei den neuen Freunden, die sich auch ihrer und
ihres Vaters beständiger Geldnot hilfsbereit annahmen. Als Sophie
von Hatzfeldt im Sommer 1856 zur Kur nach Marienbad reiste,
leistete Agnes mit ihrem ältesten Söhnchen L/assalle in Düsseldorf
Gesellschaft, sie begleitete ihn auch, wenn er für die Fertigstellung des
Heraklit in Bonn die Universitätsbibliothek in Anspruch nahm. Sie
schenkte dann L/assalle ein Töchterchen, das nach ihm den Namen
Fernande erhielt. Es wurde in Brabant, nicht weit von Brüssel, wo die
Mutter ihren ständigen Wohnsitz hatte, aufgezogen, starb aber schon
1857. I^i^ Briefe Nr. 78 und Nr. 79 zeigen, wie der Vater und wie die
Gräfin die Nachricht vom Tode des Kindes aufnahmen. Die Lockerung
in den Beziehungen zwischen lyassalle und Agnes Street, die in den
nächsten Jahren eintrat, mochte mit seiner Übersiedlung nach Berlin
zusammenhängen. Lina Duncker und Hedwig Dohm tauchten an seinem
Horizont auf, später beschäftigten ihn Sophie Sontzoff und Minna Lilien-
thal. Agnes lebte weiter mit ihren Eltern in Brüssel; Richard Wagner
kam von Paris aus, von Liszt empfohlen, zu ihr, und sie setzte sich eifrig
für dessen ,, Zukunftsmusik" ein. Als Lassalle später sich ihrer wieder
erinnerte, mußte er sich erst durch Hans von Bülow ihre Adresse ver-
schaffen. Auf der Rückreise von Ostende besuchte er 1862 ,,die schöne
Agnese", wie er sie in Briefen anredete, und blieb von nun ab bis zu
seinem Tode mit ihr in freundschaftlichem Verkehr. Melancholisch
schrieb er ihr im Herbst 1863 aus Elberfeld, nachdem er dort vor den
Arbeitern gesprochen hatte: ,,Es war viel schöner, als wir damals in
Düsseldorf lebten."^)
VII.
Lassalle hatte der Gräfin einst sein Ehrenwort verpfändet, daß er
nicht ruhen werde, bis er ihr zu ihrem Recht verholfen habe. Und wirk-
lich hatte er alle eigenen Interessen zurückgestellt, bis dies Wort ein-
^) Gustav Mayer, Lassalleana Grünbergs Archiv, Bd. I, 191 1. Damals kannte
der Herausgeber noch nicht den vollen Namen der Adressatin. Nach dem
Tode ihres Vaters war Agnes in Paris Hofdame bei der Königin Christine von
Spanien. Hans von Bülow, dem sie sympathisch war, besuchte sie dort noch
Mitte der achtziger Jahre (Mitteilung von Frau Marie von Bülow in Berlin).
— = 19 — =
gelöst war. Als er aber nun an dem Ziele stand, das so lange alle seine
Kräfte in Anspruch genommen hatte, da verlangten, wie es anders
nicht möglich war, seine so lange zurückgehaltenen eigenen Interessen
freie Bahn. Und sein hohes Selbstbewußtsein wollte sich dafür entschädi-
gen, daß die Welt Jahre hindurch sein Streben mißdeutet, seine Gaben
unterschätzt, ihn bloß als den zweifelhaften Helden eines Sensations-
prozesses rubriziert hatte. Er fühlte, daß ungewöhnliche Kräfte in ihm
lebten. Doch so sehr seine Stirne nach Lorbeeren brannte, der ,, wahre
Ritter aus Genieland", der in ihm steckte, begehrte nicht wie sein
lyieblingsdichter Platen für künftige Leistungen im voraus Kredit. Um
politisch hervorzutreten war die Stunde nicht geeignet. Schwer lastete
nochimmerdie Reaktionszeit auf demdeutschen Lande. So warf Lassalle
sich denn mit Feuereifer auf sein großes Werk über Heraklit, das er vor
acht Jahren, als er der Gräfin begegnete, zu dreiviertel vollendet hatte
liegen lassen. Von dem Wert und der Bedeutung der Wissenschaft lebte
in ihm eine hohe Meinung; in ihrer Welt fühlte er sich heimisch, der
Heraklit sollte hier das vollständige Bürgerrecht ihm erkämpfen, An-
erkennung, womöglich Bewunderung für ihn ernten. Noch höhere
Bastionen des Ruhmes gedachte er hernach zu stürmen, wenn einst die
neue Volksbewegung käme, nach der seine Seele unruhvoll spähte, wenn
die revolutionären Kräfte sich im deutschen Volke wiederum regen
würden.
Solange Sorge und Hoffnung sie einen Tag wie den anderen gemein-
sam in Atem hielten, geboten die Umstände Lassalle und der Gräfin,
zusammenzuleben; eine Änderung dieses Zustandes konnte keiner
von ihnen in Erwägung ziehen. Jetzt war das etwas anders geworden.
Das seelische Leid, das sie ausgestanden hatte, und das körperliche
Beschwerden vermehrten, lastete nach errungenem Siege mit ver-
stärkter Gewalt auf der fünfzigjährigen Frau. Sie blickte jetzt öfter
mit geheimer Angst auf den so viel jüngeren Weggenossen, der nun
gleich einem lange im Käfig gehaltenen Adler voller Ungeduld mit den
Fittichen um sich schlug, die Stunde herbeisehnend, wo er in die höchste
Luft des Ruhmes aufsteigen könnte. Sophie vonHatzfeldt empfand, daß
ihre Schwingen gebrochen waren, sie verlangte es nach Frieden, sie
verabscheute künftige Konflikte, und sie war sich bewußt, daß sie mit
dem Freunde, wenn er sich erst in Bewegung setzte, schwerlich werde
Schritt halten können, i) Düsseldorf hatte nun ihnen beiden nichts mehr
zu bieten, nichts hielt sie ferner an dem Schauplatz ihrer vielen Prozesse.
Wie Lassalle zog es auch die Gräfin nach Berlin. Ihr lebten dort das
einzige Kind, mit dem ihr Fühlung verblieben war, und die einzige
^) Vgl. unten Nr. 9 bis 1 1 .
Mayer, I.assalle-N.ichlass. IV III
=^ 20
Schwester, mit der sie sich verbunden fühlte. Lassalle verlangte es nach
der Hauptstadt des wissenschaftlichen Deutschlands. Aber die Aussicht,
daßsie beide gleichzeitig sich hier das Aufenthaltsrecht erwirken könnten,
war gering. Zu frisch noch war die Erinnerung an die Prozesse, die ihre
Namen in Verbmdung gebracht hatte, und zu verzerrt das Urteil der
Öffentlichkeit, der für das Singulare das Organ ermangelt.
Nun hatte zwar in der Tiefe ihrer Wesen das Ende der langen Kämpfe
an den gegenseitigen Gesinnungen des Freundespaares nichts gewandelt;
was sie einte, empfanden beide als endgültig, als unlöslich; keiner von
ihnen vermochte mehr den anderen aus seinem Leben herauszudenken,
keiner wünschte ihn mehr heraus. Weil sich aber ein jeder von nun an
eigene Zukunftsbilder malte, die nicht ausschließlich und mit Notwendig-
keit um den anderen kreisten, so lastete jetzt auf ihnen beiden stärker
als zuvor die große Stille, die sie in Düsseldorf umgab, die völlige
Ausschließlichkeit, die sie aufeinander hinwies, die zu enge Haus-
gemeinschaft, die ihre praktische Daseinsberechtigung verloren hatte.
Der Briefwechsel aus dieser Zeit läßt erkennen, in wie hohem Maße
die Kämpfe der vorangehenden Jahre der Gräfin die Nerven zermürbt,
die Elastizität beeinträchtigt, die Seele mit Schwermut und Reizbarkeit
gefüllt hatten, während gleichzeitig ungestillter Tatendrang und heißer
Durst nach Anerkennung den mit den empfindlichen Nerven seiner
Rasse belasteten Dassalle zur äußersten leid vollen Unruhe forttrieben.
Er, der sich rühmte, daß er den ,, Trotz seines Körpers" gebrochen und
seine ganze Leiblichkeit zum Diener seines Willens gemacht habe, ließ
sich jetzt öfter als früher zu Jähzorn fortreißen ; dann verlor er die Herr-
schaft über sich, und aus kleinem Anlaß konnte er dann die Freundin
verletzen. Doch nicht weniger quälte sie ihn durch die schweren Ver-
stimmungen, unter denen sie litt, und die aufzuhellen dem ganzen Auf-
gebot seiner liebevollen Kraft nicht immer gelang. Ihr Zusammen-
leben gestaltete sich dadurch unerquicklicher, es trieb einer Krisis zu.
Am Ende begriff Lassalle, daß ihr zu enges Beieinanderleben einer zeit-
weiligen Unterbrechung bedurfte, sollte ihr Seelenbündnis, das die harte
Not langer Kämpfe festgehämmert hatte, vor Schädigung bewahrt
bleiben. Aber noch lange schwankte er, bis er seinem Schwager Fried-
land, der ihn drängte, zusagte, ihn auf einer orientalischen Reise zu
begleiten. Den Entschluß faßte er erst, als sich ein Aufenthalt, den
er mit der Freundin in Vevey nahm, so unerquicklich gestaltete,
daß er in Unfrieden abreiste. Er kam nach Prag, wo seine Eltern weilten,
traf den Schwager im Begriff, die Fahrt anzutreten, und schloß sich ihm an.
Dreieinhalb Monate dauerte diese Trennung zwischen Lassalle und
der Gräfin. Die Briefe, die sie miteinander wechselten, während Länder
und Meer zwischen ihnen lagen, bezeugen in ergreifender Weise, wie
21
unlöslich hier zwei Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen
Alters in den Tiefen ihrer Naturen zusammengewachsen waren. Ihre
schriftliche Aussprache greift vielfach in die letzte Vergangenheit
zurück und läßt den I^eser unmittelbar nachfühlen, wie sie einander ge-
quält, wie herb ein jeder unter dem Nervenzustand des anderen ge-
litten haben mußte. Indem er sich auf länger entfernte, wollte I.assalle
auch vSophie von Hatzfeldt das Feld freigeben, damit sie ihr künftiges
lyeben in die Gestalt brächte, die ihren innersten Wünschen am besten
entspräche. Sie sollte unbeeinflußt von ihm sich entscheiden; zeigte es
sich ihr, wie er hoffte, daß er ihr eigentlichster Weggenosse sei und
bleibe, so würde, wenn er zurückkehrte, auch ,, einer des anderen wieder
froh werden". Die hochgeborene Verwandtschaft der Gräfin betrachtete
den Juden und roten Revolutionär, der seinerseits, wie sie richtig
empfand, mit souveränem Blick auf sie herabsah, mit scheelem Auge.
Die arme Gräfin aber fühlte, seit sie jenen Vertrag geschlossen hatte,
der ihr die Freiheit der Bewegung zurückgab, das Bedürfnis, wenn auch
nicht in die Welt zurückzukehren, aus der Ivassalles geistiger Einfluß
sie einst gelöst hatte, so doch in dieser Welt die geringen Beziehungen,
die ihr geblieben waren, wieder fester zu knüpfen. So wenig wie ihr
selbst blieb es Lassalle verborgen, daß ein zu enges Zusammenleben
zwischen ihnen dabei hinderlich war. ,,Sie wünschten die Trennung von
mir. Sie hatten mir das so oft, so oft versichert, von den meinigen diver-
gierende Gesichtspunkte, die Sie zu beherrschen schienen, gaben diesen
wiederholten Versicherungen einen solchen Anschein von Plausibilität,
daß ich denselben endlich meinen Glauben nicht länger versagen konnte."
So schrieb er ihr von Konstantinopel aus. ,,Alle Pläne, Projekte und
Entwürfe, die Sie selbst in der ruhigsten Stimmung machten, waren
immer derart, daß ich keine Stelle in denselben fand, daß ich mehr oder
weniger dadurch ausgeschlossen war, daß ich Ihnen nur ein Hindernis
in der Erreichung derselben bildete. Das hat mir oft sehr, sehr weh
getan. Sie waren und sind immer die Erste in meinem Herzen. Ich war
nur noch, mindestens mußte es so scheinen, ein Stein des Anstoßes für
Sie." Aus der Antwort der Freundin, die wahres mütterliches Gefühl
für ihn verriet, durfte er die Beruhigung schöpfen, daß sie so wenig
wie er daran denken konnte, ein Bündnis aufzugeben, das ihr wie ihm
Ivcbensbedürfnis geworden war, und daß, wie sie sich ausdrückte, , .Miß-
stimmungen und Reibimgen wohl die Oberfläche trüben, aber niemals
den Kern desselben auch nur berühren können".
Und dennoch führte die Erprobimg ihrer Freundschaft, die diese
Reise bedeuten sollte, nicht in vollem Umfange zu jenem Ergebnis, das
lyassalle sich von ihr versprochen hatte. Das Wesentliche war erreicht:
sie wußten jetzt, daß selbst Mißstimmungen und Reibungen der Substanz
— 22 =
ihrer Freundschaft nichts anhaben konnten. Doch die Hauptursache,
die in der letzten Zeit alle Konflikte zwischen ihnen gehabt hatten,
blieb bestehen. Sie lag, wie wir sahen, darin, daß Sophie von Hatz-
feldt zwar mit ihren Gesinnungen und Überzeugungen über den Stand,
aus dem sie kam, hinausgewachsen war, daß aber ihr Herz an Menschen
hing, die diesem Stande angehörten und in seinen Wertungen befangen
waren. Oftmals noch hat sie den Fretmd beschwören müssen, ihr Mutter-
herz auf keine zu harte Probe zu stellen, auf ihre Schwächen Rücksicht
zu nehmen, seinen ,, weißen Neger etwas zu schonen", sie nicht in
Konflikte hineinzutreiben, an denen ihre Seele verbluten müßte. Daß
die Verwandten nicht hinreichend begriffen, was der Freund ihr bedeutete,
daß wiederum dieser vor den persönlichen vmd politischen Gegnern, die
jene für ihn waren, sich nicht zurückgesetzt sehen wollte, schuf immer
wieder Anlässe zu heftigen Zusammenstößen. Von Spannimgen, die
aus solcher Quelle kamen, enthält der Briefwechsel reiche Spuren. Sie
belasteten ihr Bündnis, aber zu sprengen vermochten sie es nicht.
VIII.
Die Hausgemeinschaft, die sie in Düsseldorf so lange Jahre geführt
hatten, nahm ein Ende, als Ivassalle im Frühling 1857 nach Berlin
übersiedelte, während die Gräfin, wenn sie auch häufig dort zu Besuch
weilte, zunächst noch am Rhein wohnen bleiben mußte. Die Briefe, die
damals zwischen ihnen hin und her gingen, spiegeln den Wunsch
des Freundespaares, vmbehelligt von den Behörden und ohne da-
durch einen Bruch zwischen der Gräfin und ihren Verwandten zu
provozieren, in der Hauptstadt gleichzeitig leben zu dürfen. Ivassalle
verwandte die ersten Monate, die er mit seiner noch unsicheren und be-
schränkten Aufenthaltserlaubnis dort zubrachte, auf die Drucklegung
des Heraklit. Mit dem Wtmsch, daß endlich sein eigenes ,, verschlossenes
Ivicht der Welt aufgehe", verband er — wir möchten es ihm glauben —
gleich stark den anderen, der Freundin, die sich sehr vereinsamt
fühlte, einen neuen Kreis von Menschen und menschlichen Bezie-
hungen aufzubauen, dessen größere geistige Beweglichkeit und Freiheit
ihr überreichen Ersatz böte für jene hochgeborenen Kreise, die sich
einer Frau von ihrer Vergangenheit vorurteilsvoll verschlossen. Man
weiß, wie glänzende Namen zu der Gesellschaft gehörten, die Lassalle
in seiner Berliner Behausimg bald um sich zu versammeln wußte. Auch
die Gräfin nahm schon, bevor tmd erst recht nachdem sie sich 1859 end-
gültig in Berhn eingerichtet hatte, regen Anteil an diesem Verkehr. Doch
sie schloß hier höchstens Bekanntschaften, keine Freundschaften.
Auch bei I^assalle verstärkte sich inmitten der mannigfaltigen Bezie-
— == 23 ^ =
hungen, die er nun unterhielt und an denen auch wertvolle Frauen, wie
Lina Duncker und Hedwig Dohni beteiligt waren, die Erkenntnis,
daß für tiefere gefühlsmäßige Beziehungen zu anderen Personen neben
allem, was er für die alte Gefährtin empfand und mit ihr teilte, in seiner
Seele nur wenig Raum übrig war.
Ob Liebe oder Freundschaft ihm als die höhere Form menschlichen
Zusammengehörigkeitsgefühls gilt, das wird in der Regel bei dem
Einzelnen durch das bestimmt, was er selbst erfahren hat. Die paar
studentischen Liebesabenteuer, die Lassalle erlebt hatte, bevor er der
künftigen Freundin begegnete, hatten nur seine Sinne, nicht seine Seele,
mehr seine Eitelkeit als sein Herz beschäftigt. Was an Gefühlen der
Hingabe mid der Sympathie, der Aufopferungsfähigkeit und Zärtlich-
keit in ihm vorhanden war, das schloß sich erst auf, als er alles, was er
war und wollte, an Sophie von Hatzfeldt auslieferte. Wir wissen nur
aus jenem Briefe, der schon erwähnt wurde, daß Lassalle die Freundin
in der ersten Frühzeit ihrer Beziehungen leidenschaftlich geliebt haben
will und daß er diese Liebe als die einzige große Liebe hinstellte, die
ihm in seinem Leben beschert gewesen sei. Es wäre psychologisch reiz-
voll, diesen Brief ^) zu analysieren und die Frage hin und her zu wenden,
ob hier jedes Wort sein Vollgewicht hat, und wenn man das bejahte,
welche weiter tragenden Schlüsse daraus zu ziehen wären. Auf alle
Fälle müßte Lassalle der Zukunftslosigkeit dieser Leidenschaft sich
schnell bewußt geworden sein und sie dann mit der ungewöhnlichen
Willensstärke, die ihm eignete, niedergekämpft haben. Man hat öfter
behauptet, daß zu den großen, auf Ausschließlichkcit aufgebauten
Freimdschaften zwischen Menschen verschiedenen Geschlechts nur der
Passionsweg unerwiderter Liebe hinführe. Sollte auch für Lassalles fast
märchenhaftes Festhalten an Sophie von Hatzfeldt darin der eigent-
liche Schlüssel zu finden sein? Der Herausgeber eines Briefwechsels
überschritte seine Befugnisse, wollte er im voraus eigene Hypothesen
dem Leser dort aufdrängen, wo er quellenmäßige Belege nicht bei-
zubringen vermag. Soviel jedenfalls steht fest, daß Lassalle, wo immer
er davon spricht, die Freundschaft hoch über die Liebe stellte. Daß
die Gräfin nach allem, was sie erlebt hatte, darin mit ihm eines Sinnes
war, ist leicht zu verstehen.^)
So sehr diese Einführimg der Versuchung aus dem Wege geht, aus
dem Briefwechsel, der hier veröffentlicht wird, einzelne Stellen im
voraus anzuführen, so wird es sich jetzt, wo wir uns einer entscheidenden
Wendung in der Geschichte dieser Freundschaft nähern, nicht ver-
meiden lassen, einige Äußerungen Lassalles heranzuholen, die in Konflikte
^) Siehe unten S. 276.
^) Siehe unten Nr. 29, S. 99.
= 24 — ^=
bergende Tiefen seines seelischen Lebens hineinleuchten, die bisher ver-
hüllt geblieben waren. Wir wissen, daß über der Freundschaft dieser
beiden starken Seelen kein südlich blauer Himmel lachte, sondern daß
sie eher an imsere nördlichen Meere erinnert, über denen die Wolken
und in denen die Wellen, die dennoch stets dem gleichen Ufer zufließen,
von vielen starken Stürmen gepeitscht werden. Selbst in den Stunden,
in denen Lassalle der Freundin zürnte, ja sogar wenn sein Selbstgefühl
ihm zusetzte, daß er die mächtigen Ketten, mit denen er an ihr hing,
zerreisse : niemals scheute er ihr zu bekennen, daß sie sein ganzes indivi-
duelles, alles reale persönliche Glück, dessen er fähig sei, ausmache,
daß allein sie unter allen Menschen ihn ganz kenne und verstehe, daß
er sich selbst absterben würde, wenn er sie verlöre oder auf sie ver-
zichten müßte. Er war sich klar, daß die Wurzeln seiner Freundschaft
für die Gräfin in jene Tiefen seines Wesens hinabreichten, wo sonst allein
die großen objektiven Ziele, für die er lebte, ihren stolzen Wohnsitz
hatten. Und er fühlte auch, daß niemals eine andere Frau, die ihm be-
gegnen könnte, je so mit seinem Ich verwachsen würde wie die alte Ge-
fährtin, in der sich ihm die eigene Jugend verkörperte. Aber gerade
weil er diese Schicksalsgemeinschaft als eine endgültige empfand,
quälte ihn das Gefühl und hörte nicht auf, ihn zu peinigen, daß er der
Fretmdin nicht ganz so viel, nicht so Ausschließliches bedeute wie sie
ihm. Wohl war er ein Mann des stärksten Willens, ein Mann, dem Kämpfen
Leben bedeutete, dennoch gestand er sich, daß auch er eines Menschen
bedürfe, der ganz für ihn lebe imd dessen Liebe er mit niemandem
zu teilen hätte. Nur wer dies weiß, begreift, weshalb er auf den Sohn
der Gräfin in solchem Maße eifersüchtig war, obgleich er sich doch
selbst sagte, daß der kühle junge Diplomat an die Mutter nicht
entfernt so hohe Ansprüche stellte wie er an die Freundin. Ende 1858
waren die Dinge zwischen ihm und der Gräfin einem Bruche nahe.
Damals schrieb er ihr: ,,Ich gebe Sie auf. Sehen Sie zu, ob Paul Ihnen
diesen Verlust ersetzen wird. Ich trete zu Ihnen in die Position eines
sogenannten guten Freundes, dessen Glück mir lieb, dessen Unglück
mir leid ist, dessen Geschick mich aber nicht ausfüllen kann. Soll man
seinen ganzen Menschen hingeben, so muß man ebenso einen ganzen
Menschen dafür zurückerhalten ..." Der Konflikt wurde beigelegt wie
so mancher frühere, doch der seelische Zustand, der ihm zugrunde
lag, blieb weiter wirksam.
Das Verlangen, einen Menschen zu besitzen, der nur ihm lebte,
dem er alle Trophäen, die er im Kampf erbeutete, zu Füßen legte, in
dessen Besitz er sich vom Kampfe ausruhte und für neue Kämpfe
stärkte, verließ lyassalle von nun ab nicht mehr. Dabei erkannte er
nicht klar genug, daß die Freundin sich in einer Lage befand, die der
25 ^ ^- =
seinen etwas ähnelte. vSie hatte sich aus älteren Zeiten nur wenige
menschliche Beziehungen bewahrt und in späteren Jahren nicht viele
neue, auf die sie Wert legte, angeknüpft. An diesen hielt sie um so zäher
fest, als sie damit rechnete, daß Lassalle heiraten könnte und dann,
wenn auch keine Erkaltung, so doch eine Einschränkung ihrer ganz,
intimen Beziehmigen eintreten werde, die für sie die größte Verein-
samung bedeuten müßte.
Die Singularität dieser Freundschaft stellte also, wie sie geworden
war, Ansprüche, die anderen natürlichen menschlichen Beziehungen
leicht im Wege sein mußten. So konnte es nicht ausbleiben, daß
tragische Verwicklungen entstanden.
IX.
Im Sommer 1861 reiste das P'reundespaar nach der vSchweiz und
von hier nach Itahen. Lassalle erfüllte die Hoffnung, die itaÜenische
Freiheitsbewegung werde zu einer europäischen werden und auch nörd-
lich der Alpen revolutionäre Formen annehmen. Im Hinblick auf diese
Möglichkeit wollte er mit den führenden Männern des Risorgimento
Verbindmagen anknüpfen. Dazu konnte ihm kaum jemand behilflicher
sein als Wilhelm Rüstow, mit dem er jetzt auf der Durchreise in Zürich
Freimdschaft schloß. Dieser einstige preußische Artillerieoffizier hatte
sich 1848 der Revolution angeschlossen mid büßte nun dafür sein Leben
hindurch als Flüchtling, der Frau und Kinder mit dem Ertrag seiner
Feder mühsam ernähren mußte. Seine literarische Tätigkeit hatte ihm
den Ruf eines bedeutenden Mihtärschriftstellers eingetragen, aber seine
Soldatennatur drängte es nach aktiverer Betätigmig. Diese fand er, wenn
auch nur für kurze Zeit, als er 1860 Garibaldi ein deutsches Freiwilligen-
korps zuführte. Er stand dem italienischen Volkshelden als Chef seines
Generalstabs bei dessen berühmten Zuge nach Sizilien zur Seite und
erntete hierbei wohlverdiente Lorbeeren. Ungern war er danach in die
kleinbürgerliche Enge seiner Züricher Existenz zurückgekehrt und
ertrug hier nur schweren Herzens seine schale Ehe und ständige Geld-
sorgen. Tag und Nacht sann er über nichts anderes, als wie es sich an-
stellen ließe, um die revolutionäre Bewegung wieder zu erwecken, die
von Italien ihren Ausgang nehmen, ganz Europa ergreifen und rhm
selbst eine führende militärische Rolle zuweisen sollte. Er zögerte
keinen Augenbhck, als jetzt Lassalle und die Gräfin, die seine Auf-
fassung der politischen Lage wie seine Hoffnungen teilten, ihm den Vor-
schlag machten, mit ihnen nach Italien zu gehen.
Auf dieser Reise hat Rüstow sich mit leidenschaftlichen Gefühlen,
die er seinen Gefährten nicht verbarg, der Gräfin Hatzfeldt angeschlossen.
Auf die ältere Frau, die sich vor Vereinsamung bangte, mußte es einen
beträchtlichen Eindruck machen, als der vierzigjährige Mann, der wohl
verbittert, aber doch eine starke und lebensvolle Persönlichkeit war, in
stürmischer Hingebung um sie warb. Sie sagte sich, daß sie Lassalle
als ständigen Gesellschafter nicht allein verlöre, wenn er heiratete ; sie
verlor ihn vielleicht ebenso sehr, wenn sich ihm sein größerer glühenderer
Wunsch erfüllte, wenn die Dinge in Preußen sich zuspitzten xmd ihn zu
wahrhaft geschichtlichem Wirken aufriefen. Sie dachte nicht daran,
auf Ivassalles Freimdschaf t zu verzichten ; doch sie erwies sich auch nicht
abgeneigt, mit Rüstow in eine nähere Verbindung zu treten. Was
Lassalle in der Lage, in die er dadurch kam, empfand, wollte er sich
anfänghch nicht anmerken lassen. Er wünschte nicht, daß seine junge
Fremidschaft zu Rüstow dadurch eine Trübung erführe, und auch der
alten Freundin gönnte er ein Erlebnis, das ihren Lebensmut zu erhöhen
geeignet war. Dennoch war es allzu menschlich, daß er sich ihr gegen-
über unter solchen Umständen noch reizbarer zeigte, als er es sonst wohl
gewesen war. Als sie wieder in Genua weilten, überkam ihn die Empfin-
dimg, ob zu Recht oder zu Unrecht vermögen wir nicht zu sagen,
daß die Gräfin ihn ,, unverantwortlich" behandle. Wo sein vSelbstgefühl
verwmidet war, vermochte er selbst das Härteste auf sich zu nehmen.
Und so furchtbar schwer es ihm wurde, wie er selbst hernach gestand,
er vollzog jetzt den Riß, mit dem er der Freundin früher öfters gedroht
hatte. Ein Einsamer, der unter seiner Einsamkeit aufs schwerste litt,
kehrte er von Zürich, wo sie Abschied nahmen, nach Berlin zurück.^)
Es war vereinbart worden, daß von dem, was sich zwischen ihnen
verändert hatte, die anderen Menschen nicht zu viel merken sollten.
Man gedachte auch nicht, jeden Briefwechsel einzustellen ; für wichtige
Geschäfte und sachliche Dienste wünschte Lassalle der Gräfin weiterhin
zur Verfügung zu sein. Doch darauf drängte er, daß sie sich hinfort so
wenig wie möglich in Berlin aufhielte. Soweit es anginge, wollte sie ihm
hierin entgegenkommen. Sie weilte so in den nächsten Monaten, stets in
Rüstows Gesellschaft, in deutschen Badeorten oder auch am Züricher
See, während Lassalle wunden Herzens und verbitterten Sinns in
Berhn jene Reden hielt und jene Broschüren schrieb, die seine Aktion
vorbereiteten. So ging es durch den Frühling und Sommer 1862 bis zu
seiner Rückkehr aus London. Hier hatte er sich innerlich endgültig
von Karl Marx abgewandt. Nun verlangte es ihn um so mehr nach
einer Aussprache mit der Gräfin und mit Rüstow. Sie luden ihn
dringend nach Wildbad ein; er kam und man vertrug sich. Ende
Oktoberstarbdann Lassalles Vater, der einzige Mensch außer der Gräfin,
1) Vgl. unten S. 320 seinen Brief an die Gräfin vom 8. Januar 1863.
— = 27 =
all dem er, wie er ihr oftmals gestanden hatte, mit elementarer lyiebe
hing. Der Verlust wühlte sein Innerstes auf. Die Aufgaben türmten
sich eben vor ihm: in dem preußischen Verfassungskonflikt hatte er
seine Stimme erhoben, er mußte sich der schweren Anklage erwehren,
die ihm seine Rede über den Zusammenhang der gegenwärtigen Ge-
schichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes zugezogen, schon
richteten sich auf ihn die Augen jener Leipziger Arbeiter, für die er nach
einigen Monaten sein Offenes Antwortschreiben schrieb. Nach langem
Harren und nicht ohne Gefahren reiften ihm nun die ersten spärlichen
Früchte seines Wirkens zu, doch er selbst fühlte sich namenlos verein-
samt. Er vermißte die Freundin, mit der Sorge wie Erfolg zu teilen, ihm
seit den Jünglingstagen unentbehrliches Bedürfnis war. Diese weichere
Stimmimg, in die der Tod des Vaters ihn versetzt hatte, nutzte Sophie
von Hatzfeldt, die sich mit ihm noch so verbunden fühlte wie früher,
mit der wohl er, die nicht mit ihm gebrochen hatte. Nun kam es zur
völligen Aussöhnung imd zur Wiedervereinigimg.
Die alte Freundschaft lebte auf ; wieder hielt Lassalle die Hand der
Einzigen, zu der er über alles, was seine Seele bewegte, reden mochte,
reden konnte. Er war darüber glücklich. Dennoch fühlte er und bekannte
der alten Gefährtin, daß das ehemalige auf Ausschließlichkeit auf-
gebaute Bündnis der Vergangenheit angehörte. Der Gräfin verblieben
ihre Beziehimgen zu Rüstow, imd ihn hatte der Gedanke, daß er
heiraten müsse, weil er eines Menschen bedürfe, der ihm völlig gehöre, zu
sehr in Beschlag genommen, als daß er noch von ihm hätte lassen können.
Mit Rüstow führte Lassalle das ganze Jahr 1862 hindurch einen
regen Briefwechsel; was ihn und die Gräfin zeitweise trennte, gewann
auf die Freundschaft der Männer keinen Einfluß. Dies änderte sich erst,
als Lassalle 1863 seine Agitation für den Arbeiterverein begann. Schon
die diktatorische Geste, mit der er auftrat, verletzte Rüstows demo-
kratisches Empfinden, aber noch mehr verbitterte ihn, daß der andere
die gewichtigen sachlichen Einwände, die er erhob, unbeachtet beiseite
schob. Daß Sophie von Hatzfeldt sich mit dem Vorgehen des großen
Agitators völlig einverstanden zeigte, ärgerte Rüstow. Er versuchte die
Gräfin gegen ihn aufzuwiegehi. Dabei beschränkte er sich anfangs auf das
Pohtische. Als Lassalle im Mai 1863 der große Redekampf in Frankfurt
bevorstand, warnte Rüstow sie, sich von ihm dorthin ,, schleppen zu
lassen", und als jener dort siegte, setzte er ihr in einem eindring-
lichen Brief auseinander, was er von seinem bürgerlich revolutionären
Standpunkt aus gegen eine Bewegung einzuwenden hatte, die sich
— — ^ 28 =
zum Ziele setze, daß der ,, befaustete, blödsinnige, an Intelligenz und
gutem Willen noch miter dem National vereinler stehende Geselle die
wahre herrschende Klasse mit dem Diktator I/assalle an der vSpitze"
werde. Rüstow verlangte von der Freundin, sie möge ihren Einfluß auf
1/assalle dazu anwenden, um zu verhindern, daß jener, der ,,mit allem
fertig zu werden" glaube, nicht ,,der hohenzollernschen Reaktion" und
der Feudalpartei in ihre ,, plumpen Fallen" ginge. Doch er mußte be-
merken, daß seine Argumente auf die Gräfin nicht wirkten und daß
diese ganz Feuer und Flamme blieb für die Art, wie Lassalle verfuhr.
Da wandelte sich bei dem Gekränkten, was bis dahin sachliche Gegner-
schaft gewesen war, in persönliche Eifersucht: ,, Ihren Brief vom i. habe
ich gestern abend erhalten," schrieb er ihr Anfang Juni, ,,er enthält
nichts als Bewunderung für Lassalle, zwei Drittel aller Ihrer Korrespon-
denz seit Anfang Mai hat keinen anderen Inhalt. I^assalle hat sechzehn
Jahre oder so etwas auf Ihren Verstand eingehämmert, er hat Ihnen
auch noch Hegeische Dialektik nach seiner Auffassung beigebracht.
Trotzdem kann ich mir aus dieser langen korrumpierenden Einwirkung
an und für sich es nicht erklären, daß Sie sich für Lassalles Interessen
begeistern beim mindesten Anstoß, daß Sie seine , Erfolge' mit seinen
Augen sehen, daß Sie alles, was er Ihnen sagt, nachsprechen . . . Bei mir
beklagen Sie sich bisweilen, daß ich von den Interessen, die ich verfolge,
Ihnen nicht rede ; tue ich es aber — ich kann es mit der bestimmtesten
Bestimmtheit versichern, Sie haben mir höchstens mit der Bemerkung,
daß ich ein Schafskopf sei — sonst mit Gleichgültigkeit oder auch gar
nicht darauf geantwortet. Wenn Sie durch Lassalles Brille sehen, so
nennen Sie das objektive Wahrheit und Gerechtigkeit. Dagegen ist
natürlich nicht aufzukommen. Sie nennen das objektiv, weil Sie sich
so in Lassalles Fesseln begeben haben, daß Ihnen weder objektiv noch
für mich etwas übrig bleibt. Warum können Sie denn nicht außer durch
Lassalles Brille fühlen und denken? . . . Ich fordere Sie auf, meinen
Wert anzuerkennen, auch durch meine Brille sehen zu können . . .
Wenn ich das Feuer, welches Sie für alle von Lassalle verfolgten Inter-
essen entwickeln, mit der Gleichgültigkeit vergleiche, die Sie den nieinigen
gegenüber zeigen, so kann ich die Schuld nicht mehr auf die Länge der
Zeit schieben, welche Lassalle gehabt hat, auf Ihren Verstand korrum-
pierend einzuwirken, sondern, wie sehr sich mein Herz dagegen sträubt,
die Vernunft zwingt mich zu dem Schluß, daß Sie Lassalle lieben und
mich gar nicht . . . Ihre Gerechtigkeit ist Lassallesche Gerechtigkeit,
und weil ich das einsehe, verlange ich, daß Sie an die Stelle dieser Ge-
rechtigkeitdiemeinige setzen (mindestens so objektiv als die Lassalle-
sche ist sie sicher). Wenn Sie das nicht können, so lieben Sie Lassalle,
und es ist nicht wahr, daß Sie mich lieben ..." Mit seiner etwas brutalen
— — — 29 ^
Soldaten Psychologie begriff Rüstow allein die »Stärke, nieht auch die
Feinheit der Fäden, die vSophie von Hatzfeldts Seele und Geist an den
alten Lebensfreund knüpften, der sie als geistiges Wesen zu der Höhe
geführt hatte, auf der sie stand, und dessen politisehen Aufstieg sie nun
wie den ihrigen empfand.
Schon dieser Brief läßt ahnen, daß das Bün(hiis, das Sophie von Hatz-
feldt mit Rüstow geschlossen hatte, wirklicher Tiefe entbehrte und
ernster Erschütterung nicht standhalten würde. Es hatdie Katastrophe,
die Lassalle im Sommer 1864 in den Abgrund riß, nicht überdauert. Der
tote Lassalle wurde für den armen Rüstow ein noch weit gefährlicherer
Rivale als der lebende. ,,Ich leugne es ja keinen Augenblick," so gestand
er bald nach dem Ereignis der Gräfin mitsoldatischer Offenheit, ,,pe rs ö n-
li ch konnte ich mich mit Lassalle nie völlig befreimden ; denn er trennte
mich von Ihnen und mußte es immer, solange er lebte und nachher, wie
jetzt deutlich genug." Undzürnendklagt er noch später und suchte dabei
sich stark zu machen: ,,Ich wußte seit dem Ende Mai, daß ich Ihnen
im Vergleich zu diesem Menschen nichts sei. Ich fühlte das ganze himmel-
schreiende Unrecht, das mir, der ich ganz anderes verdiente, geschah —
ichhabeso, wie ich handelte, gehandelt —um Ihretwillen. Ichhätteihnen
den Menschen erhalten, wenn er es nicht selbst unmöglich machte. — Wie
können Sie, wie konnte Lassalle mich jemals begreifen .? Absolute Un-
möglichkeit. Mit Siebenmeilenstiefeln steige ich über Euch hinweg ..."
Für Sophie von Hatzfeldt stand seit dem Tage von Carouge zwischen
Wilhelm Rüstow und ihr Lassalles blutiger Schatten. Behauptete nicht
der Oberstbrigadier, der bei dem ganzen Handel Lassalle als Berater
und endlich als Sekundant zur Seite gestanden hatte, sie zu lieben?
Und trotzdem hatte er nicht verhindert, daß der Freund, daß der Sohn
ihr gemordet wurde? Diese Verknüpfimg von Argumenten war objektiv
sicherlieh falsch, aber der Logik eines zerrissenen Frauenherzens erschien
sie schlüssig und keine Berufung hätte gefruchtet. Als in späteren Jahren
Rüstows materielle Lage sich traurig gestaltete, wandte sich Emma
Herwegh, die beiden befreundet war, um Beistand an die Gräfin. Aber
nach den Briefen, die sich erhielten, scheint es nicht, daß diese sich
hilfreich erwies. Am 14. August 1878 hat Wilhelm Rüstow aus
Nahrungssorgen seinem Leben, das ihm selbst als ein verpfuschtes
erscheinen mochte, mit einem Pistolenschuß ein Ende gemacht.
XL
Das mancherlei Neue, das Lassalles Briefwechsel mit Sophie von Hatz-
feldt enthüllt, mahnt dazu, auch seinen Tod und die Ereignisse, die ihm
vorausgingen, mit etwas anderen Augen anzusehen, als es bisher üblich
= 30 =
war. Daß er sich selbst zugrunde gerichtet hat, wird man auch künftig
nicht bestreiten können, doch wird man einen größeren Teil der Schuld
dtmkleren Gewalten zuwälzen als bloß den Schwächen seines Wesens,
auf die man bisher so stark hinwies. Wir können dabei zur historischen
Wahrheit nur vordringen, wenn wir die Krankheit berücksichtigen, an
der Ivassalle seit etwa 1847 litt. Bald nach seiner Übersiedlung nach
Berhn im Spätjahr 1857 berichtete er nach Düsseldorf, daß Folgen
,, einer gewissen Krankheit", die ihn vor etwa zehn Jahren gequält
hätte, zum Ausbruch gekommen seien, imd ein anderer Brief an die
Gräfin erwähnt der Ansteckung, die er sich damals ,, durch seinen Be-
dienten" zugezogen habe. Von 1857 bis 1860 ist Lassalle, so heiß seine
Willenskraftsich gegen die Tatsache aufbäumte, ein körperlich leidender
Mensch gewesen. Im Sommer 1860 verschlimmerte sich sein Befinden
so sehr, daß er sich in Aachen einer längeren Kur imterziehen mußte.
Diese brachte ihm sicherlich eine Besserung, wenigstens hören wir bis
zu seinem Tode nichts mehr von Rückfällen, es sei denn, daß die heftigen
Halsentzündungen, an denen er in den letzten Jahren häufig litt, hierhin
zu rechnen wären. Die medizinische Wissenschaft kannte, wie man sich
erinnern muß, damals noch nicht den Zusammenhang zwischen Syphilis
und Paralyse und sie hielt, wie übrigens auch heute, die Krankheit in
ihrem tertiären Stadium nicht mehr für ansteckend. So erklärt es sich,
daß man ihr keinen so ernsten Charakter wie später beimaß ; auch galt es
in jener Zeit noch als völlig zulässig, daß ein Patientwie Lassalle während
und nach seiner Aachener Kur Heiratsprojekte hegte. Eine pathogra-
phische Untersuchung könnte vielleicht noch feststellen, ob die Depres-
sionen, die Unrast imd die gewaltige Steigerung der Produktivität, die sich
bei Lassalle in seiner letzten Lebenszeit wahrnehmen lassen, Vorboten
eines herannahenden Zusammenbruchs gewesen sind, vor dem die
Kugel des jungen Rumänen ihn bewahrt hätte. In dem ungedruckt ge-
bliebenen Vorwort zu einer französischen Ausgabe seines national-
ökonomischen Werks, das Moses Heß auf Grund von Informationen, die
ihm die Gräfin geliefert haben wird, niederschrieb, heißt es von jenem
Halsübel: ,,Wie tief diese Krankheit schon seinen ganzen Organismus
angegriffen haben mußte, geht einerseits aus einer Bemerkung seines
Arztes in Düsseldorf hervor, der, als er das schreckliche Unglück erfuhr,
sich und die Freunde Lassalles damit tröstete, daß ja die Krankheit, an
welcher der Verstorbene litt, ohnehin unheilbar war und er sowieso
nicht mehr lange hätte leben können; andererseits sind die Todes-
ahnungen, welche Lassalle in seinem letzten Lebensjahre nicht mehr
verließen, uns ein Beweis dafür, daß er den Todeskeim in sich fühlte." —
Während seiner Aachener Kur erlebte Lassalle, der solches sich nicht
mehr zugetraut hatte, daß er noch einer tieferen Leidenschaft fähig
31 ^=
war. Aber die ernsthafte Liebe, die er hier für die seehsch und geistig
gleich hochstehende Sophie Sontzoff faßte, fand keine Erwiderung, und
auf den großen Werbebrief, in dem er sich auch so eingehend über
sein Verhältnis zur Gräfin ausgelassen hat, konnte sie ihm nur ant-
worten, daß sie schwesterhche Gefühle für ihn hege. Das Verlangen nach
einer Frau, die ihm völhg gehörte, steigerte sich dann, wie wir schon
wissen, ins unerträgliche, als die Gräfin Hatzfeldt und Rüstow sich ge-
funden hatten. Während er mit beiden Armen ficht und vSchrift auf
Schrift in atemloser Folge herausschleudert, bricht er schier zusammen
unter dem Gefühl persönlicher Vereinsamung. Aber auch als er sich mit
der Gräfin ausgesöhnt hatte und der Freundin, der allein sein Inneres
sich erschloß, wieder nahe fühlte, gab er sie, wie wir hörten, als lyebens-
gefährtin verloren. In seinen Briefen phantasiert er von einem Gretchen,
das ihm begegnen möge oder lassalleischer von einer stolzen und
kühnen Schönheit, die er sich erkämpfen wolle. Im Winter 1863 auf
1864 verkehrte er mit seinen Freunden Lothar Bucher und Hans von
Bülow viel in dem Hause des Bankiers Lilien thal, dessen siebzehnjährige
Tochter Minna, eine gefeierte Schönheit, Bülows Schülerin, seine Sinne
gefangen hielt. Doch das vergnügimgsfrohe Weltkind träumte von
einem adligen Gatten, und als Lassalle um es warb, sah er sich ab-
gewiesen. Im Frühling 1864 schrieb er der , .treulosen Minne", die da-
mals in Wien weilte, einen Brief, der sie in scherzhaftem Ton, durch den
der Ernst blickte, dafür verantwortlich machte, wenn er in der Schweiz,
wohin er reisen werde, der ersten besten Schönen ins Garn liefe. ^)
Der Brief, den Lassalle am 27. Juli 1864 vom Rigi aus an die Gräfin
richtete, schildert anschaulich die Umstände, imter denen dem bei
schaurigem Regenwetter einsam dort Weilenden plötzlich die schöne,
leichtfertige, wankelmütige Helene von Dönniges erscheint, die ihn nun
in jenen Wirbel von Leidenschaft hineinreißt, in dem er zugrunde geht.
Bernhard Becker hat in seinem abstoßenden Pamphlet über Lassalles
tragisches Lebensende Sophie von Hatzfeldt eifersüchtige Intrigen gegen
die Dönniges nachgesagt. Wie fern ihr das gelegen hat und wie unfähig
dieser unreine imd subalterne Geist gewesen ist, das wahre Verhältnis
des einzigartig verbimdenen Freimdespaares auszuspähen, erweisen die
letzten Briefe, die Sophie von Hatzfeldt dem Freunde schrieb, bevor sie
selbst in seiner Nähe eintraf, ohne zu ahnen, daß sie schon nach wenigen
Tagen dem auf den Tod Verwundeten die letzten schweren Liebesdienste
erweisen werde.
1) Minna I,ilienthal hat später den belgischen Baron Nothomb und danach
einen Herrn Burdo geheiratet. Sie lebt noch in Berlin. Lassalles Briefe an
sie, in die der Herausgeber nur flüchtige Blicke tun konnte, sind vor kurzem
nach Japan verkauft worden.
32
XII.
Für die Gräfin bedeutete Lassalles Tod einen vernichtenden Schlag.
Nie war ihr der Gedanke gekommen, daß der soviel Jüngere vor ihr
hinweggehen könnte. Vielleicht ließ sich ihr ganzer I^ebensweg als ein
Fliehen vor der Vereinsamung begreifen; nun stand dieses Gespenst
vor ihr, dem sie immer hatte entgehen wollen. An lyassalles I^eiche er-
wachte ihr jetzt alles, was er für sie getan hatte, zu gewaltiger Lebendig-
keit: die langen Jahre, die er ihr hingeopfert, alle die großen und kleinen
Dienste, die der stets Hilfsbereite ihr ständig geleistet, die Atmosphäre
von zärtlicher lyiebe, mit der er sie umgeben, das tiefe Verständnis, das
er für sie besaß und betätigte, der ganze Reichtum seines großen Geistes,
an dem er sie stets so bereitwillig hatte teilnehmen lassen. Die Iveiden-
schaf tlichkeit, die in ihrer vSeele verborgen lag, erlebte jetzt ihren elemen-
taren Ausbruch. Alles, was sie für den Verstorbenen empfand, wandelte
sich in einen Schrei nach Rache an seinem Mörder, imd der Schmerz um
den lyebensgef ährten äußerte sich bei ihr in einer grandiosen Pietät, die
blindlings alles kanonisierte, was jener bei Lebzeiten gefordert und an-
geordnet hatte. Ein halbes Jahr nach dem Kreignis schrieb die Gräfin
der Mutter Dassalles:^) ,,Ich habe in Ferdinand Lassalles kalte Hand
einen feierlichen Eid geschworen und habe diesen Eid jedesmal an
seinem Grabe wiederholt, daß ich ihn an seinen Mördern rächen will,
sein Andenken gegen seine Feinde verteidigen und sein Werk mit jedem
Opfer erhalten will. Ich werde diesen Eid halten, solange ich lebe. Aber
ich muß mich damit eilen, denn ich habe nicht mehr lange zu leben, ich
habe zuviel in meinem Leben gelitten, und dieser letzte Schlag hat mich
tödlich getroffen . . . Ferdinand war mein Stolz, und mein Ruhm war
seine Freundschaft für mich, sein Vertrauen zu mir; jetzt kann ich nur
noch den einen Wunsch nach dem Ruhm haben, daß neben seinem
großen Namen der meinige einen bescheidenen Platz behalte als den
seines besten imd einzigen Freundes, wie er selbst mich so oft in seinen
Briefen genannt hat ... So wenig wie ich mich durch meine Familie
und die Versprechungen, die sie mir machte, habe bewegen lassen, den
lebenden Lassalle zu verlassen, ebensowenig tue ich es jetzt, wo er tot
ist. Ich will nichts mehr als das Bewußtsein, daß, wenn es ein Wieder-
sehen nach dem Tode gibt, ich Ferdinand sagen kann, daß ich meine
Pflicht gegen ihn ganz erfüllt habe und sein Vertrauen gerechtfertigt
habe."
An anderer Stelle soll ausführlich dargestellt werden, wie energische
vSchritte Sophie von Hatzfeldt damals bei dem preußischen Minister-
^) Intime Briefe Ferdinand lyassalles an Eltern und Schwester, herausgegeben
von Eduard Bernstein, Berlin 1905, S. 171.
= 33
Präsidenten tat, um mit seiner Unterstützung zu erreiehen, daß Janko
von Rakowitza von Bayern, wo er sich zeitweilig aufhielt, an die Genfer
Regierung ausgeliefert würde, wie entgegenkommend Bismarck sich
dabei erwies, warum es der Gräfin aber dennoch nicht gelang, I,assalles
Mörder zur Verantwortung zu ziehen. Auch die Enttäuschungen, die sie
erfuhr, als sie sich nun selbst in die junge deutsche Arbeiterbewegung
hineinstürzte, mit der sie doch nur die Liebe zu dem Toten verband,
braucht diese Skizze, die ihren Briefwechsel mit lyassalle einleiten
sollte, nicht näher zu schildern. Je mehr sie sich von ihrem Ausgangs-
punkt entfernte, um so vollständiger streifte die Sozialdemokratie den
vSektenchar akter ab, der ihren ersten Jugendjahren angehaftet hatte.
Das Herz der treuen Gräfin aber verstand sich nur auf einen orthodoxen
lyassallekultus.^) So zerrissen mit dem Siege der Marxschen Richtung
über die lyassalleanische die Fäden, die die alleinstehende alte Frau mit
der Partei verbanden, die ihr großer Freund einst zum Leben erweckt
hatte. Der Tod erreichte Sophie von Hatzfeldt erst am 25. Januar 1881.
Man setzte sie bei auf dem Friedhof des Dorfes Frauenstein bei Wies-
baden am Fuße des Sommerberges, der ihrem Sohne gehörte und der
auch den Nachlaß des Freundes barg, mit dessen Inhalt sie am liebsten
noch bei ihren Lebzeiten die Welt bekannt gemacht hätte. Die
Marmorplatte, die ihr Grab deckt, zeigt die edel geschnittenen Züge
einer schönen Greisin.
^) Für die politische Betätigung der Gräfin nach Lassalles Tode vgl. Giistav
Mayer, Johann Baptist von Schweitzer und die Sozialdemokratie. Ein Beitrag
zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Jena 1909.
I.
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. i) (Original.)
Dienstag [Düsseldorf, 12. Dezember 1848].
Gnädigste Frau!
Sie werden mir von heut ab nicht mehr das Essen schicken können.
Da Sie natürlich deshalb besorgt und verwundert sein werden, will ich
Ihnen den Grund mitteilen.
Auf eine, wenn ich nicht sehr irre, von Ihrem Hause ausgehende
Demmziation hin, fand heute eine Nachsuchung in meiner Stube von
Seiten des Instruktionsrichters, Direktors usw. statt, während ich grade
harmlos spazieren ging. Doch kam ich noch grade am Ende der Nach-
suchung ins Zimmer. Man hatte zwei natürlich höchst insignifiante
Briefe, einen von Ihnen an mich, einen von mir an Sie, gefunden.
Welches Verbrechen! Ich erklärte dem Herrn Instruktionsrichter
offen, daß ich mir durch die noch gar nicht dagewesene imd selbst mir
trotz meiner Haften in Köln, wo ich abwechselnd unter dem Regime
von drei Instruktionsrichtem und vier Staatsprokuratoren stand, ganz
unerhörte Weise, in welcher man Ihre Besuche bei mir verhindert imd
sie, wenn sie alle Jubeljahre einmal stattfinden, auf die Dauer von fünf
Minuten beschränkt, gezwimgen worden sei, eine geheime Korrespon-
denz mit Ihnen zu beginnen, welche ich sonst durchaus nicht führen
würde.
Der Inhalt der Briefe, der von allen möglichen Dingen handelt, nur
nicht von meinem Prozeß und darauf bezüglichen, der Instruktion des-
selben schädlichen Mitteilungen bewies das.
In der Tat, ich sitze jetzt einundzwanzig Tage ^) und habe während
dieser Zeit zwei Besuche von Ihnen, jeden zu fünf Minuten, erhalten!
So etwas ist unerhört! Das hat man sich selbst in Köln nicht erlaubt.
^) Aus dem Gefängnis in Düsseldorf. Der Brief enthält das Visum des Ge-
fängnisdirektors.
^) Lassalle war am 22. November wegen der aufrührerischen Rede, die er tags
zuvor in Neuß gehalten hatte, verhaftet worden. Die Anklage lautete, er habe die
Bürger zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgereizt. Die Gerichts-
verhandlung begann erst am 5. Mai 1849.
M.-.yer, Lissalle-Nachlass. IV I
Ich hoffe, daß dieser Vorfall die vorteilhafte Wirkung haben wird,
daß man Ihnen mindestens dieselbe Erlaubnis, mich zu besuchen, er-
teilen wird, die Sie auch in Köln genossen, wo doch mein Prozeß damals
mit Ihren Angelegenheiten eng verwachsen war ^) und die Instruktion daher
weit eher einen Nachteil von Ihren Besuchen hätte befürchten dürfen.
Der Instruktionsrichter behauptete: Sie hätten gar nicht öfter die
Erlaubnis, mich zu besuchen, nachgesucht! Während er Ihnen doch
erklärt hat, Sie würden nur dann eine Erlaubnis, mich in seiner Gegen-
wart zu sehen, erhalten, wenn Sie ihm die Notwendigkeit, mich zu
sehen, nachwiesen! Während doch nur die Unmöglichkeit, ihm, der
Ihre Geschäfte nicht kennt, diese Notwendigkeit jedesmal mathematisch
nachzuweisen imd die Dauer weniger Minuten, auf welche man diese
Besuche einschränkte und welche natürlich die notwendige Folge hatte,
daß wir das wichtigste zu besprechen vergaßen, die geheime Korrespon-
denz hervorrief.
Und dann bin ich doch auch ein Mensch, nicht nur ein Geschäfts-
tier. Und will daher auch als Mensch Besuch von Ihnen empfangen und
einmal eine Stimde harmlos plaudern köimen, nicht bloß von Geschäften.
Aber es ist, als ob man die Menschenrechte verlöre, wenn man in solch'
ein verdammtes Haus kömmt!
Nie fällt es diesen Beamten ein, die Bedürfnisse des Menschen, wenn
auch noch so sehr auf ein Minimum reduziert, wenn man in ihre Hände
fällt, zu respektieren.
Nim, wie gesagt, wenn Ihnen jetzt der Instruktionsrichter in ver-
nünftigem Maße die Erlaubnis erteilt, mich zu besuchen, einige Male in
der Woche, jedesmal auf eine Stimde, so bin ich gern bereit, die Geheim-
korrespondenz mit Ihnen aufzugeben. Aber wenn das nicht der Fall ist,
so werde ich sie wieder aufnehmen und fortsetzen, was mir, wie Sie
wissen, eine Kleinigkeit ist und wenn man mich in die Bleidächer von
Venedig sperrte.
Vorläufig hat man mir ,,zur Strafe" den Empfang des Essens aus
Ihrem Hause imtersagt! Wie nobel! Wie großartig!
Ich erwarte, daß Sie mir umgehend die Ehre Ihres Besuches
schenken! lieben Sie herzlichst wohl.
Mit alter Ergebenheit
F. Lassalle.
NB. Bitte schicken Sie mir baldigst andere Zigarren. Die, die Sie
mir geschickt haben, sind zu schlecht; nicht zum Rauchen.
*) Gemeint ist der Kassettenprozeß, der Lassalle vom 20. Februar bis 1 1 . August
1848 in Untersuchungshaft brachte, aber bekanntlich mit seiner Freisprechung
endete. Vgl. dazu H. Oncken, Lassalle, 4. Aufl., S. 65 ff.
LASSALI.E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Fragment. Original.)
Montag abend [21. Mai 1849].
Es war heut mittag, als das Gerücht zu mir drang, Sie seien gestern
in Köln auf Grund des Kassationsurteils plötzlich verhaftet worden. i)
Ich konnte nicht daran glauben. Es war zu stark! Es war gestern ein
Sonntag, imd der Art. 25 Code penal sagt ausdrücklich, daß ,,aucune
condamnation" Sonntag exekutiert werden dürfe. Und dann gibt
man jedem Spitzbuben auf, sich freiwillig im Gefängnis zu stellen, ehe
man ihn verhaftet. Keinen Spitzbuben läßt man so mir nichts dir nichts
ohne vorherige Aufforderung durch Gendarmen aufgreifen. Keinen Spitz-
buben überfällt man so plötzlich auf der Reise. Jeder Spitzbube hat
das Recht, an dem Ort seine Strafe abzusitzen, wo er domiziliert, und
man hat die Humanität, ihm einige Tage Frist zur Arrangierung seiner
Angelegenheiten zu geben. Und dann war es ein Sonntag. Man durfte
Sie nicht verhaften. Sie hätten mit vollem Recht sich widersetzen
können !
Endlich gewannen die Gerüchte eine solche Konsistenz, daß ich
nicht mehr daran zweifeln konnte. Jetzt bringt es auch die Zeitimg.
Ich werde nicht versuchen, Ihnen zu beschreiben, was in mir vor-
ging, als ich diese Gewißheit erlangt hatte. 2) Mein Uebtag werde ich
physisch und geistig die Spuren dieses Augenblicks in der Umwand-
limg, die mit mir vorgegangen, an mir tragen. Es war kein Zorn und
Wutausbruch ; aber ich bin langsam zu Stein geworden, ich fühlte mich
zu Stein werden innerlich, im Lauf eines Augenbhckes ; es ist keine Klage
über meine Lippen gekommen ; ich bin auch jetzt, viele Stimden später,
ganz impassibel, ganz ruhig, ganz gelassen, ich kann essen, trinken,
lachen imd auch rauchen ; nur daß das Lachen eine ganz eigene Melodie
hat. Ich habe aber in diesem Augenblicke bedächtig, langsam imd ernst
abgeschworen jede Hoffnimg, jedes Verlangen nach eigenem Glück;
ich will nichts mehr, gar nichts mehr, gar nichts, keine Freude pflücken
aiif dieser Erde, keine Lust genießen, keine frohe Sttmde will ich; alles,
was sonst wünschens- imd begehrenswert vor meiner Seele stand, ich
verzichte darauf gern und für immer. Ich werde von nun an einzig und
1) Vgl. hierzu die Einführung zu Band II, S. 4. Die Gräfin war wegen Beleidi-
gung der Schwestern Höns zu Düsseldorf zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
Solange die Revolution im Aufstieg war, hatte man sie zu deren Abbüßung nicht
gedrängt. Jetzt aber hatte sie sich besonders mißliebig gemacht durch die Sym-
pathie, die sie bei den revolutionären Unruhen in Düsseldorf in der ersten Mai-
woche den Aufständischen bezeugt hatte.
2) Vgl. hierzu Lassalles Brief an Graf Paul Hatzfeldt in Band II, S.S.
allein leben, um eine Rache zu nehmen an diesen Tigern, die Recht,
Gesetz und Menschlichkeit mit Füßen treten, an diesen erkauften
Banditen, eine Rache, die vollständig und beispiellos sein soll. Das ist
das einzige, was ich noch will, was mich aufrecht hält und mir eine
übermenschliche Kraft gibt. Großer Gott, gib, daß ich diese Rache
nehmen kann! Mit unaussprechlicher Wollust will ich mein eigenes
Haupt auf die Guillotine legen, fünf Minuten später, nachdem ich zuvor
ein wenig göttliche Gerechtigkeit gespielt und diese Brut, oh, diese Brut,
oh, diese Kannibalenbrut zertreten habe. So möge das Glück Sie end-
lich einmal und für immer heimsuchen, wie ich jeden anderen lycbens-
zweck gern aufgebe, um nur diesen zu erlangen. Aber ich greife danach
mit eiserner Faust. Ich werde, ich muß ihn erlangen. Ich will Unmög-
liches und Übermenschliches leisten, aber kein Gott ist stark genug,
mich um meine Rache zu betrügen. Oh, es wird einst ein Tag
sein^) —
Was mögen Sie jetzt machen? Zerbricht Ihre künstliche Fasstmg?
Schämen Sie sich nicht, wenn es der Fall ist. Sie sind eine Frau, und
behüte Sie Gott, zu einem Tiger zu werden, wie ich es geworden bin.
Tun Sie sich nicht Gewalt an, um sich gegen die Natur zu zwingen und
zu fassen. Wenn es Sie erleichtern kann, klagen Sie, weinen Sie und
schütten Sie auch Ihre Tränen in Ihren Briefen an mich aus. Weim es
auch andere lesen, die sich über diese Klagen freuen werden — schadet
nichts, gar nichts. Gönnen Sie ihnen diesen kurzen Triumph, der sich
so schrecklich rächen wird. Denn Sie werden keine Träne vergießen,
die sich nicht in Blut verwandeln soll und die, so da lachen über Ihre
Tränen in Ihren Briefen, lachen über ihr eigenes Herzblut, das da
fließt.
Es ist nicht möglich, daß Sie diese letzte schmähliche Mißhandlung
gefaßt ertragen ; es ist nicht möglich, sage ich ; ich weiß auch, was mög-
lich; ich kann alles tragen, was einer trägt, und würde es in Ihrer
Stelle nicht mit Fassung tragen können. Ein Gefängnis ist etwas ganz
anderes für einen Mann als für eine Frau, zumal für eine Frau von Ihren
Ivcbensgewohnheiten. Etwas ganz anderes. Ich bemerke zehntausend
und aberzehntausend Dinge gar nicht, die Ihnen grade das allerunerträg-
lichste sein werden ! Die Misere, das Elend, die Hilflosigkeit, die Sie von
allen Seiten umgibt, der Schmutz, der Zwang, jeden kleinen Dienst sich
selbst zu leisten, die gänzliche Willenlosigkeit — das wird Sie pei-
nigen, das muß Sie peinigen und Ihre Kraft zerbrechen. Wie sollen
Sie sich in diesen Kreis von Elend, Schmutz und Zwang hineinfinden?
Die Ärmlichkeit, die überall herrscht, wird Ihre Sinne beleidigen. Sie
^) Lassalle zitierte gern das Homerische: ,, Einst wird kommen der Tag . . ."
haben in harten drei Jahren gezeigt, daß Sie den I^uxus entbehren
können, ja — aber die notdürftigste Aisance. Und dieser beständige
Zwang Ihnen, die Sie gewohnt sind, Ihren Willen zu haben, diese
beständige Einsamkeit, diese tristen Umgebungen, dieser mephy tische
Dunstkreis Ihnen, die Sie die Eleganz, Wohlgerüche und Uuxus ge-
wohnt sind, oh, das ist hart, sehr hart. Es gibt keine wohlerzogne Frau,
die das tragen kann.
Für uns Männer ist die Haft ein geistiges Unglück; für Frauen ist
sie auch noch ein sinnliches Elend, ein beständiger Körperschmerz,
und das ist das härteste.
Ich bitte Sie, klagen Sie in Ihren Briefen an mich. Klagen Sie!
Expandieren Sie sich, lassen Sie sich gehen. Befreien Sie Ihre Brust,
indem Sie die Schmerzen ausatmen — konzentrieren Sie dieselben nicht,
indem Sie sie im Innern behalten. Es wäre unnatürlich, wenn Sie Ihre
Fassung in Ihren Briefen behalten wollten. Ich würde nicht an die
Wahrheit davon glauben. Ich würde glauben, daß Sie gewaltsam mir
verhehlen wollen, was Sie leiden. Dieser Gedanke würde mich vollends
unglücklich machen; denn verbissene Schmerzen rasen dadrinnen am
heftigsten. Also ich bitte imd beschwöre Sie, klagen Sie, das wird mir
unendlich wohltun!
Ich bitte Sie, schreiben Sie mir viel, täglich, bogenlang. Ich werde
Ihnen auch viel schreiben, ich kenne das Schreckliche dieser Einsam-
keit; es wird Sie zerstreuen, mir zu schreiben und meine Briefe zu lesen.
Schreiben Sie mir besonders ausführlich die Szene Ihrer Verhaftung,
Vielleicht versetzt mich das in Wut und löst diese Eiskälte auf, die
mein ganzes Sein plötzlich durchdnmgen hat, so daß ich vor mir selbst
erschrecke. War denn niemand da, der sich Ihrer Verhaftung wider-
setzte ? Zu Nicolovius ^) ging ? Den Sonntag geltend machte ? Oh, wäre
ich draußen gewesen! Schreiben Sie mir alles ausführlich darüber.
Waren denn keine I^eute da? Man hatte das Recht, sich vive force zu
widersetzen. Ich habe schon zweimal heut an Bloem 2) geschrieben, er
soll sofort zu mir kommen. Unbegreiflicherweise ist er heut nicht
gekommen. Ich werde ihn sofort zu Ihnen und zu Nicolovius
schicken.
Ich glaube wahrhaftig, man hat diese Infamie begangen, damit
wir nicht in einem Hause sitzen und unsere Geschäfte um so mehr
leiden.
^) Nicolovius war der Generalprokurator iu Köln.
2) Der Advokatanwalt Dr. Anton Bloem (1814 — 1885) war der Anwalt der
Gräfin und Lassalles und beiden nahe befreundet. Vgl. über ihn Bd. II, S. 9 "n<i
Bd. III, S. 6.
Wenn ich doch wüßte, was Sie jetzt machen und denken! Ob Sie
sich unglücklich fühlen! Ob Ihre Gesundheit leidet! Sie gefangen, ich
gefangen, ich hier, Sie dort. Oh, es ist Spott, Spott, Spott! Nicht einmal
draußen sein zu können, Ihnen keine Hilfe bringen, keine Linderung,
keine Zerstreuung schaffen zu können, gefesselt, gefesselt, gefesselt hier
sein, o Gott, Gott. Dieser heutige Tag ist mehr als alles, was ich bisher
erduldet. Nichts, gar nichts tun können, wie ein Wurm so hilflos tmd
Sie hilfsbedürftig! — Ah, es grenzt an den Wahnsinn. Ich habe ein
Recht darauf, den Menschen auszuziehen tmd zum wilden Tier zu
werden.
Langsam. Ruhig. Seien wir kaltblütig. Lachen wir, während man
uns erwürgt. Wir werden auch erwürgen und unsre Tatzen sollen noch
tiefer ins rote Leben hineinreißen als die Nägel dieser Stümper da. In
zwei Monat spätestens hätten Sie ausgelitten, aber wenn für mich einst
der Tag der Abrechnung kommt — und an dem Tage wird die Sonne
wie Blut am Himmel aufgehen — wird nur das Nichts die Grenze der
Rache sein.
Also seien wir kaltblütig, hören Sie? Sie, nein. Suchen Sie sich die
Menschlichkeit zu erhalten, auch wenn Sie die Schmerzen dann fühlen
müssen. Es ist immer noch besser als die tote Schmerz- imd Fühllosig-
keit, die sich meiner bemächtigt hat, schwer und kalt wie Marmor.
Aber ich will ruhig und kaltblütig sein.
Ich will Geschäfte sprechen.
1. Bestehen Sie darauf, auf Grund der Eupenschen Atteste zum
Zweck der Badereise sofort in Freiheit gesetzt zu werden.
(Wenden Sie sich gleich an Nicolovius, es ist kürzer und besser.)
2. Bestehen Sie darauf, jedenfalls hier Ihre Strafe abzusitzen. Man
kann es Ihnen nicht weigern. Hier ist Ihr Domizil und der Sitz Ihrer
Geschäfte. Mag man Sie hierher transportieren, wenn man will.
3. Schreiben Sie der Lena Bürgers,^) daß sie während der Zeit Ihrer
Haft beständig in Düsseldorf bleibt. Es muß nämlich jemand da
sein, um alle Gerichtsvollzieherakte, Briefe usw., die einlaufen, in
Empfang zu nehmen. Die Gerichtsvollzieherakte soll sie stets sofort zu
Bloem tragen, die Advokatenbriefe mir schicken und die andern Briefe
Ihnen . . .2)
^) Lena Bürgers, die Schwester von Heinrich Bürgers, war eine nahe Vertraute
der Gräfin und Lassalles. Sie leistete ihnen in schwierigen Lagen wertvolle Dienste,
sie erfreute sich aber auch ihrer tätigen Freundschaft, als ihr eigenes Frauen-
schicksal sie kurz darauf in schwere bürgerliche Bedrängnis brachte.
2) Hier folgen noch einige auf ihre Prozesse bezügliche Instruktionen, die Lassalle
der Gräfin gibt. Der Schluß des Briefes fehlt.
3-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend früh [Düsseldorf, 9. Juni 1849].^)
Gnädigste Frau!
Obwohl Ivena,2) die grade da war, es Ihnen wohl bereits mündlich
gesagt haben wird, beeile ich mich, Ihnen anzuzeigen, daß ich nun
gestern endlich meine Ladimg erhalten habe, und zwar auf nächsten
Donnerstag, sowohl wegen meiner Rebellerei als wegen meiner Zweifel
an der honneur et delicatesse des Herrn von Ammon.^) Ich werde also
diese verschiedenen Verbrechen auf einmal abmachen. Ihre Furcht,
von der Ivcna mir sagt, ich würde durch das Memoire in Ihrer Sache ver-
hindert werden, an meine Verteidigung zu denken, ist wenigstens in
dieser Hinsicht sicher gnmdlos, da das Memoire bereits fertig und in
die Druckerei gewandert ist. Also Sie hindern mich keinesfalls in meiner
Verteidigimg. Darüber brauchen Sie sich keine Gewissensbisse zu
machen. Und ich verspreche Ihnen, um Sie gänzlich zu beruhigen, daß
ich, wenn ich sehen werde, daß es nötig wird, mich schon verteidigen
werde; natürlich hier nicht vom patriotischen Standpimkt, denn das
würden die Herren Richter als einen Hohn gegen sich selbst auffassen ;
aber ich werde dann meine feinste juristische Klinge von der Wand
holen, von der ich Sie versichere, daß ich keinen Prokureur kenne, der
ihre Paraden durchhaut, der ihre Terzen pariert. Sollte es indes zum
voraus im Rate der Götter beschlossen sein, daß ich verurteilt werde,
dann allerdings nützt mir das ganze Turnier nichts und alle Prouessen,
die ich entwickle; dann muß man sich sagen: II etait ecrit lä-haut!
Geduld!
Geduld! Ich habe Geduld genug, noch Monate hier zu sitzen. Ich
habe viel Geduld. Denn ich fühle etwas von dem Wesen eines Volks in
mir. Ich bin stark und ewig wie ein Volk, imd weil ich mich stark und
ewig fühle, bin ich geduldig wie die Völker. Mögen die kleinen Jungen
mich immerhin imterdes an der Nasenspitze zupfen und Triumph-
geschrei ausstoßen, mögen sie immerhin glauben, daß der lächerliche
1) Der Poststempel besagt deutlich: Düsseldorf, 10. Juni. Nun ist aber die
Verurteilung zu sechs Monaten Gefängnis erst am 5. Juli erfolgt. Die Verhandlung
gegen Lassalle, die für den 14. Juni angekündigt worden war, muß also entweder
noch einmal verschoben worden sein oder — was wahrscheinlicher ist — die Ur-
teilsverkündigung soviel später stattgefunden haben.
2) Lena Bürgers.
3) Von Amman, Staatsprokurator in Düsseldorf, war schon in dem Kölner
Kassettenprozeß als öffentlicher Ankläger gegen Lassalle aufgetreten.
= 8 ==
Bast, den sie um meine Glieder gewoben haben, wie die I^iliputaner dem
Gulliver, eine Kette sei, die mich fessele — wenn die Zeit wird kommen,
mich zu erheben, so werde ich mich erheben, und die kleinen Jungen
werden zu Dutzenden sterben aus bloßem Schrecken über mein zorniges
Antlitz und aus innerm Sündenbewußtsein, ganz abgesehen von den
wirklichen Fußtritten, die ich auszuteilen mich herablassen werde. —
Also lassen wir die kleinen Jungen imterdes auch ihre Freude haben.
Sie wird so kurz sein! Und das Erwachen aus dem Rausch so katzen-
jämmerlich.
Das Memoire habe ich zum Druck hier in die Stahlsche Druckerei
gegeben, und die Korrektur werde ich selbst besorgen. Es ist dies da-
durch möglich geworden, daß Herr von Kösteritz ^) mir erlaubt hat,
die Korrekturbogen ohne jedesmalige Vermittlung des Parketts zu er-
halten und abzuschicken. Denn sonst hätte die Sache natürlich vierzehn
Tage dauern müssen oder länger, so daß ich gar nicht hätte dran denken
können, die Korrektur selbst zu übernehmen. Nunmehr aber wird das
Memoire in sechs Tagen fix und fertig gedruckt sein.
Nun leben Sie tausendmal wohl. Bloem wird gestern bei Ihnen ge-
wesen sein. Die Gesundheitsexpertise und das Protokoll der Inventari-
sation bitte bestens zu besorgen.
Wenn ich Donnerstag freigesprochen werde, so ist es möglich, daß
der Oberprokurator so anständig wäre, nicht zu appellieren, und dann
könnte ich Freitag Sie sehen! In diesem Gedanken liegt freilich viel
Schönes — aber doch noch weit mehr Demütigendes für mich. Sie im
Gefängnis sehen zu müssen, 2) das ist allerdings nicht demütigend für
Sie, durchaus nicht — aber es ist ganz enorm erniedrigend imd de-
mütigend für mich! für mich ist es eine Schande und wird eine bleiben.
Ich hätte Sie besser schützen müssen. Ich hatte zwar noch eine Menge
Schutzmittel in meiner Hand, man hätte Sie nicht eingesperrt, wenn ich
frei gewesen, was konnte ich dafür, gerade gefangen zu sein, was kann
einer gegen alle, sage ich mir? Aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr,
es ist eine Schande, eine humihante Schande für mich! Ich glaube, ich
würde sehr rot werden, wenn ich Sie sehe. Sie können mir immer — trotz
aller vmrechten Dinge und force majeure, die in der Sache lag — den
Vorwurf machen, daß ich Sie schlecht verteidigt habe, wenn man sogar
an Ihre Person heran konnte!
Das ist auch wirklich das einzige von allen Erlebnissen dieser drei
Jahre, das mich auf der Seele brennt und nie von mir verziehen werden
wird.
1) Staatsprokurator in Düsseldorf.
2) Die Gräfin befand sich in Köln im Gefängnis in der Schildergasse.
Alles Selbsterdtildete hätte ich vergessen, ohne Groll, wie die Schläge,
die man in einem Turnier empfängt und austeilt. Das — nie !
Adieu für heut.
Ganz Ihr
F. Lassalle. ^)
4-
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Dienstag nachmittag [Düsseldorf, 9. Oktober 1850].
Gnädigste Frau!
Donnerstag bin ich ins Gefängnis 2) gekommen, heute ist bereits
Dienstag imd noch habe ich kein Sterbenswörtchen von Ihnen gehört.
Sowohl wegen der Geschäfte, als ganz besonders wegen des so überaus
traurigen Gestmdheitszustandes, in dem ich Sie zurückgelassen, würde
mich das noch weit besorgter machen, als ich es bin, wenn ich nicht
Dr. Kleinhaus ^) heute gesprochen hätte. Da ich aber nie wissen kann,
ob Dr. Kleinhaus mir nicht bloß aus schonender Rücksicht etwaige Ver-
schlimmerungen Ihres Zustandes verschweigt, so bin ich sehr gequält
tmd unruhvoll durch Ihr gänzliches Stillschweigen. Denn wenn Sie
mich auch bei Ihrem traurigen Gesundheitszustand nicht besuchen
können, und wenn auch, selbst abgesehen hiervon, die hiesige Hausregel
allerdings häufigen Besuchen wenigstens entgegentreten würde, so
steht doch nichts im Wege, daß Sie mir hin und wieder in der Woche
schreiben und ich so wenigstens von dem Zustand Ihrer Gesundheit
und der Geschäfte unterrichtet werde. Es ist also gewiß sehr unrecht,
wenn Sie dies unterlassen und mich dadurch beständig selbstquäleri-
schen Zweifeln aussetzen.
Zunächst will ich damit anfangen, über mich selbst zu berichten.
Obwohl meine Lage allerdings durchaus nicht beneidenswert ist und mit
meinen bisherigen Gefangenschaften gar nicht verglichen werden kann,
so ist sie doch noch immer, bei einiger Resignation — ganz erträglich.
1) Auf demselben Briefbogen befindet sich von der Hand der Gräfin eine Ab-
schrift des Konzepts von Lassalles Schreiben an den Generalprokurator Nicolovius
von Anfang Juni, das in Bd. II als Nr. 15 abgedruckt wurde.
2) Lassalle saß vom I.Oktober 1850 bis i. April 1851 die sechs Monate ab,
zu denen er am 5. Juli verurteilt worden war. Inzwischen war er mit der Gräfin
zur Erholung von den Unbilden, die sie im Gefängnis ausgestanden hatten, in der
Schweiz gewesen.
3) Sanitätsrat Dr. Aloys Kleinhaus in Düsseldorf.
= 10 =:
Auf den Rat des Herrn Direktor — der sich überhaupt durchaus human
imd wohlwollend gegen mich benimmt, so daß ich gar nicht klagen
kann — , habe ich an die Königliche Regierung um Erlaubnis zu folgen-
den vier Punkten geschrieben: i. Daß ich Schreibmaterial haben kann
(bis heran habe ich keins, sondern bekomme solches nur immer, wenn
ein ganz bestimmter Zweck, Eingabe oder Brief usw. vorliegt), dessen
Entbehrung mir allerdings sehr hart wird; 2. daß ich rauchen kann auf
Gnmd eines ärztlichen mir erteilten Attestes; 3. daß ich die ,, Deutsche
Refonn" beziehen, und 4. mit von Mirbach ^) Schach spielen kann. —
Noch habe ich keine Antwort und hoffe das beste . . .
Daß meine Mutter nicht kömmt, tut mir vorzugsweise Ihretwegen
leid. Nichts würde mich mehr freuen, als wenn Paul 2) am 10. gute Nach-
richt mitbrächte. Gut aber würde ich in dieser Hinsicht jede Nachricht
nennen, die, gleichviel imter welchen Modifikationen, zu jenem
Hauptresultat führen würde, welches ich Ihnen, abends, ehe ich ins
Gefängnis ging, bezeichnet. Mehr als um alles andere bitte ich Sie,
in dieser Beziehung recht, recht eingedenk alles dessen zu sein, was
ich Ihnen so nachdrücklich ans Herz legte. Folgen Sie nur diesmal
meinem praktischen Blick; ihm nicht zu folgen, könnte großes Unheil
herbeiführen . . .
Glauben Sie mir schließlich, daß ich meine Haft vollkommen gut
und heiter ertragen würde, wenn mich nur nicht die Unruhe über Sie
und Ihre Sachen so quälte.
Schicken Sie mir gefälligst auch das Exemplar meiner Kölner Assisen-
rede,^) das ich neulich zum Binden gab, wenn es eingebimden ist.
Mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen für Ihr Wohlergehen
Ihr
F. Ivassalle.
^) Der ehemalige preußische Artillerieoffizier Otto von Mirbach hatte im Mai
den Aufstand in Elberfeld geleitet.
2) Graf Paul von Hatzfeldt (1831 — 1901), der jüngste Sohn der. Gräfin. Vgl.
Lassalles Briefe an ihn aus dieser Zeit in Bd. II, Nr. 8, 9, 10.
3) Meine Verteidigungsrede wider die Anklage der Verleitung zum Kassetten-
diebstahl, gehalten am 11. August 1848 vor dem Königlichen Assisenhofe zu
Köln und den Geschworenen. Köln 1848, Verlag von Wilhelm Greven. Schon
vorher hatte Lassalle in dem gleichen Verlag veröffentlicht: Der Kriminalprozeß
wider mich wegen Verleitung zum Kassettendiebstahl, oder: Die Anklage der
moralischen Mitschuld. Ein Tendenzprozeß von F. Lassalle. Erste Lieferung ent-
haltend: I. Vorwort. 2. Den Anklageakt wider mich, nebst Beschluß des Rheini-
schen Appellationsgerichtshofes vom 12. Mai 1848. 3. Mein vor jener Entscheidung
vom 12. Mai dem Rheinischen Appellationsgerichtshofe eingereichtes Memoire.
Diese Broschüre ist bisher in keine Ausgabe der Schriften Lassalles aufgenommen
worden.
II
5-
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. i) (Original.)
Dienstag nachmittag [Düsseldorf, 15. Oktober 1850].
Gnädigste Frau!
Ich ersuche Sie hierdurch gefälligst, mir meinen Pelz baldigst
schicken zu wollen. Ich habe nämlich wegen der naßkalten Witterung
und dem vielen Zuge, der durch alle Ritzen und Spalten dieses ver-
witterten Gebäudes hindurchdringt, sehr kalt. Besonders auch während
der Nacht war dies sehr unangenehm, so daß ich mir schon einige
Rheumas geholt habe. Herr Direktor hat mir indes jetzt für die Nacht
eine schöne neue, warme, dicke wollene Decke zugeben lassen, so daß
jetzt hierin geholfen ist.
Ich freue mich ganz unendlich darauf, Sie morgen zu sehen. Ich
habe in dieser Beziehung noch eine Bitte an Sie : In dem Bureau (wahr-
scheinlich im obersten Fach auf die Tür zu, in welchem alle auf meinen
letzten Prozeß bezüglichen Aktenstücke liegen), wird die Kassations-
revisionsschrift liegen, welche Dom 2) in Berlin gegen das Urteil, wo-
durch mir die sechs Monate zuerkannt wurden, eingereicht hatte.
Vergessen Sie nicht, mir gefälligst dieselbe mitzu-
bringen, da darin einige Kassationsurteile angezogen sind, die mir
sehr nützen können, und die ich mir also noch besorgen lassen muß . . .
Ich bitte Sie um Gottes willen, sich nicht um meinetwillen zu be-
trüben. Wenn sich in einem leidenschaftslosen Zustande befinden
glücklich sein heißt, so bin ich ganz glücklich. Ein Holländer z. B. wird
nie glücklicher sein können, als ich jetzt. Unter den kalten Umschlägen
der Nationalökonomie und der Finanzwirtschaft, die ich mir den ganzen
Tag auflege, lebt man ganz ärgerlos, gleichmütig und seelenvergnügt.
Es ist etwas Großes um die Wissenschaft! Sie allein gibt die Möglich-
keit, in jeder I^age des Ivcbens sich glücklich fühlen und Genuß haben
zu können. Sie allein verleiht die stolze Fähigkeit des ewig vmgetrübten
inneren Glücks, den sich selbst genügenden Genuß des Denkens und
Wissens.
Freilich setze ich das ganze Glück nun eben nicht in den leiden-
schaftslosen Zustand, sondern im Gegenteil! Die Leidenschaft der
Aktion und ihr Genuß geht mir allerdings jetzt gar zu sehr ab. Indes
es ist ganz gut, wenn diese beiden Arten von Glück etwas miteiriander
abwechseln.
^) Aus dem Gefängnis in Düsseldorf.
^) Dom war der Berliner Anwalt der Gräfin und Lassalles.
:= 12
Die Zeit der leidenschaftlichen Aktion kann nicht zu ferne sein . . .
lycben Sie recht herzlich wohl. Ich würde sehr viel darum geben,
wenn ich Sie so heiter wüßte, wie ich es bin.
A demain.
Ihr ergebenster
F. lyassalle.
6.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Undatiert.^)]
Meine gnädigste Frau!
Worüber ich Ihnen noch nicht geantwortet habe und doch auch ant-
worten muß, sind Ihre Bemerkungen über den Eindruck, welchen das
negative Zusammentreffen der Gesellschaft in Ems auf Sie macht.
Ihre Empfindungen enthalten in dieser Beziehung mannigfache
Widersprüche in sich, und es würde allerdings mehr Zeit und Raum,
als einem Briefe gegönnt ist, erfordern, um diesen Widerspruch bis in
sein letztes Prinzip und seinen letzten Schlupfwinkel zu verfolgen. —
Aber soviel ist doch an sich klar, daß es verwunderlich ist, wie Sie sich
durch die Achtungsbezeugungen der Emser Gesellschaft, der Frauen
zumal, deprimiert fühlen können. — Achtungsbezeugungen? werden
Sie sagen! Und dennoch werden Sie schon im ersten Augenblick fühlen,
daß mit diesem Wort der Nagel auf den Kopf getroffen und jener schein-
heilige imd austere Zorn, jene eisige Kälte nichts andres ist als der
Beweis der ahnimgsvoUen Furcht und des achtungsvollen, neidischen
Hasses, mit dem die Frauenwelt Sie betrachtet.
Denn glauben Sie, daß etwa z. B. Verachtung aus jenen Blicken
spricht, daß jene Frauen Sie verachten ?
Zimächst, wenn es Verachtung wäre, werden Sie mir zugestehen,
würden diese Frauen ihr Spiel nicht so oft wiederholen. Man reibt sich
nicht an einer Sache, die man verachtet, am wenigsten Frauen. Man
läßt sie liegen. Man würde Sie daher ignorieren, tout bonnement und
weder mit Feindseligkeit, noch auf irgendeine andere Weise anblicken. —
Auch die bloße Neugier ist keine triftige Erklärung. Aus Neugier sieht
man jemand ein-, zweimal an und auch dann bloß mit neugierigen,
^) Dieser Brief ist anfangs der fünfziger Jahre geschrieben. Ein genaues Jahr
wagte der Herausgeber nicht anzusetzen. In Ems weilte die Gräfin häufiger zur
Kur. Ähnliche Klagen der Gräfin aus späteren Jahren findet man unten in Nr. i6
und i8. Es ist auffallend, daß Lassalle in seinen Antworten nirgends auf diesen
älteren Manuskriptbrief .verweist.
d. h. jedenfalls mit ganz andern Blicken als jene sind, die vSie mir
schildern.
Noch entscheidender ist eine andere Betrachtung. — Wenn vSie an-
nehmen wollen, daß man vom Standpunkt der Welt, Gesellschaft und
Sitte Sie verachten kann — wollen Sie mir dann erklären, wieso es
kommt, daß die Männer — und zwar grade stets die gebildetsten, die
besten und edelsten Männer — Sie noch stets mit Vergnügen aufgesucht
und sich um Ihre Bekanntschaft bemüht haben? Sie werden vielleicht
antworten wollen, der Mann sei nach der akzeptierten Sitte unendlich
freier und dürfe tausend Dinge tun, welche die Sitte untersagt. Diese
Antwort ist aber enorm falsch, als Antwort nämlich auf meine Frage.
Denn die geringste Betrachtung wird Ihnen zeigen, daß der Mann
in jeder Hinsicht in seiner Denkungsart unendlich strenger, dogmati-
scher und schonungsloser ist als die Frau. Wenn man Sie, selbst
vom Standpunkt der Welt aus, verachten könnte, so würden Sie die
Männer diese Verachtung unendlich härter und konsequenter und
ausnahmsloser fühlen lassen als die dann — wo Sie erst wirklich
verachten zu dürfen glauben — doch immer zum Mitleid und zur Milde
aufgelegten Frauen. Woher also dieser Gegensatz im Verhalten aller
Männer — und besonders der gebildeteren — zu Ihnen und dem der
Frauen? Auch das wäre eine höchst oberflächliche Antwort, daß dem
Manne ja das Fortwerfen der Sitte bequemer sei als der Frau, und daß
der Mann daher keinen Grtmd zur Anfeindung habe. Denn es ist der
Mann, der die Sitte gemacht hat, und nicht die Frauen, die sie bloß
dulden ; es ist der Mann, der auf das Bestehen der von ihm geschaffenen
Sitte unerbittlich hält; es ist also der Mann, der unter jeder Bedingung
am schonungslosesten sein würde gegen jemand, der sich am Sittlichen
vergangen und dennoch auf die Ehre und Achtung der freien Persön-
lichkeit Anspruch macht. Ich will Ihnen jenen Gegensatz von dem- Ver-
halten der Männer und Frauen zu Ihnen erklären. —
Was die Frauen in Ihrer Gegenwart und Nähe ergreift, das ist jenes
unbestimmte Gefühl von Furcht und Haß, jenes vage, ahnungsvolle
Zittern, sich in der Nähe des Prinzips zu finden, von welchem man
den Todesstoß empfangen soll. In der Natur wie in der Geschichte, ja
selbst im Einzelleben gibt es solcher Beispiele die Fülle, in welchen
eine Existenz, in die Nähe des Prinzips gebracht, durch das sie unter-
zugehen bestimmt ist, von unheimlicher Furcht und darum von um so
lebhafterem Haß unbewußt ergriffen wird.
Wenn der Vogel die Klapperschlange sieht, überfällt ihn diese
Ahnung des Untergangs und lähmt seine Flügel. — Macbeth wurde
von unheimlichem Schauer befallen in Macduffs Gegenwart, noch ehe
er wußte, daß dieser vor der Zeit aus seiner Mutter Leib geschnitten
= 14
und er also zum Untergang durch Macduffs Hand bestimmt war. — Der
Bourgeois, so Sieger wie er ist, wird in der Nähe einer sozialistischen
Tatsache, Gedanke oder Gestialtung von einem unheimlichen Gefühl
ergriffen, welches — oft ohne daß er sich erklären kann, warum jener
Gedanke, Werk oder Persönlichkeit sozialistisch sei — ihm sagt, daß
sein Ivcbensprinzip durch jenes höhere vernichtet werden wird. Das
Endliche ahnt seine Grenze, wenn es mit einem mächtigeren Prinzip
zusammentrifft. In Berlin, wo ich doch mit einem in die glattesten
Falten gelegten Gesicht durch die glatten Salons lief, sagten sehr oft
Ivcute zu Mendelssohn,^) sie könnten mich nicht leiden, und zwar deshalb,
weil ihnen, ohne zu wissen warum, unheimlich in meiner Nähe würde.
Sie aber vertreten ein höheres Gebiet im Gebiet der Sitte, der lyiebe,
der Weiblichkeit, einen höheren, befreiteren Gedanken, den Sie zum
ersten Male zum plastischen und praktischen Ausdruck gebracht imd,
was mehr ist, siegreich realisiert haben. Wieso ich sagen darf: sieg-
reich, wird sich später finden. In der Tat, Madame, ist Ihnen das Ge-
heimnis und die eigentliche Bedeutung Ihrer eigenen lyeidensgeschichte
nie so ganz klar geworden, oder wenigstens ist diese Klarheit nicht
bleibend. Sie übersehen manchmal, daß in dem, was Ihnen Ihre bloß
individuelle Leidensgeschichte zu sein scheint, noch ganz anderes vor-
handen ist; daß nämlich ein welthistorischer Gedanke sich Ihren Leib
geliehen hat, um sich zum erstenmal zum Ausdruck und zur Darstellung
in der Wirklichkeit zu bringen, daß somit Ihre Geschicke, ob gut, ob
schlimm, nichts andres sind als die praktisch (als Ereignis) gesetzten
Konsequenzen jenes Gedankens und seines gegensätzlichen Verhaltens
zu der bisherigen Welt.
Erlauben Sie mir, Madame, auf die Gefahr hin langweilig zu sein,
darüber etwas weitläufiger zu werden. Ogleich Sie sagen können, es sei
eben nicht tröstlich, sich so als Instrument und Experimentalstätte des
welthistorischen Geistes zu wissen (Sie sind ja aber sein bewußtes
und freiwilliges Instrument), hat es jedenfalls die versöhnende Folge,
alles Harte, was ohne diese Erkenntnis Willkür und Zufall zu sein
schien, an denen man unterzugehen scheint, als die notwendige Reaktion
einer Welt, die unrettbar an uns untergehen soll, zu begreifen.
Es ist schon lange her, daß ein anderer Begriff von Liebe, Scham,
Weiblichkeit und weiblicher Freiheit in der Welt zu dämmern begann.
So gewiß wir eine soziale Revolution zu machen haben in bezug auf
die ökonomischen Verhältnisse, ebenso gewiß und notwendig haben
wir eine soziale Revolution zu machen in bezug auf Liebe, Geschlechter-
leben und Sitte. Der Zug der neuen Zeit ist, daß sich die Persönlich-
^) Dr. Arnold Mendelssohn, Lassalles nächster Freund in der Studentenzeit.
Vgl. über ihn Bd. I Einführung S. 29 f.
-^=^ 15 —
keit zur unbedingtesten freien Verwirklichung bringen will. Wie kann
aber die Persönlichkeit wahrhaft frei sein, sich frei geniei3en und dar-
stellen, wenn nicht einmal ihr Eigenstes und Unmittelbarstes — ihre
Gefühle und ihr I^ib — Gegenstände ihrer Freiheit, sondern ihrer freien
Bestimmung entzogen, Eigentum eines Mannes, eines Versprechens,
von einer unvernünftigen Sitte sklavisch beherrschte Gebiete sind?
Welch ein immöglicher und undenkbarer Widerspruch wäre es, wenn
die Persönlichkeit sich frei will betätigen und verwirklichen können
allen anderen Persönlichkeiten, der allgemeinen geistigen Welt gegen-
über (staatliche Freiheit), wenn sie sogar die Natur- und Nachtseite
des Menschen — die Erde, die Welt der materiellen Güter überhaupt —
sich unterwerfen, die fremde Außenwelt der Dinge und der Stoffe be-
herrschen will, um sich für immer von der Herrschaft der stoffhchen
Welt über die freie Persönlichkeit — (Bedürfnis, Mangel) — zu befreien, —
wie widersinnig, sage ich, wie unkonsequent wäre dieser Drang der
freien Persönlichkeit, wenn er nicht mit derselben Intensität darauf aus-
ginge, wie er sich in der Welt der geistigen und materiellen Existenzen
ungestört verwirklichen will, so vor allem seine eigenste, unmittelbare
Wirklichkeit, die angeborene Sphäre der Persönlichkeit, seinen Leib
und seine Gefühle zu einer Stätte seiner Freiheit umzuschaffen ? Gleich-
zeitig daher mit den neuen revolutionären Ideen überhaupt entstand
auch sofort ein neuer Begriff von Liebe tmd Geschlechtsleben. Welches
der Inhalt dieses neuen Begriffes ist, genau zu entwickeln, würde hier
zu weit führen, ich will ihn daher lieber als bekannt und mit dem Obigen
hinreichend angedeutet voraussetzen. Nur über sein Hervortreten in
der Geschichte will ich einiges sagen.
Nachdem sich der im Mittelalter herrschende romantische, einseitig
innerliche Liebesbegriff, wie die Romantik überhaupt, vor dem wirk-
lichkeitsdurstigen, realistischen Geiste, der mit der Periode der großen
Entdeckungen und Erfindimgen die Welt ergriff, aufgelöst und ver-
flüchtigt hatte, bildete dieser neue realistische Geist die Liebe imd das
Geschlechterleben in zwei verschiedenen Ländern nach den beiden
Gegensätzen hin aus, die in jenem Geist als Keime enthalten waren.
Die von der Romantik, imd damit zimächst von jeder Innerlichkeit
überhaupt verlassene Liebe wurde in dem plastisch äußerlichen Frank-
reich, dem neuen nach außen gerichteten Geiste entsprechend, zur
schönen Äußerlichkeit entwickelt, d. h. also — denn die schöne
Äußerlichkeit ist der Geschmack — , zum Reiche des Geschmacks, der
Eleganz und der Galanterie. Je mehr das Moment des Innern — das Ge-
schmackvolle— verfiel, je tobender der Geist nach außen griff, destorea-
listischer entwickelte sich das Geschlechterleben und die Galanterie (d. h.
die Liebesidee jener Zeit) zur Ausschweifimg, Gemeinheit und Rouerie.
= i6 —
Eine andere Entwicklung ging in Deutschland vor sich. Das deutsche
Volk war seiner Naturanlage nach zu innerlich, als daß es sich zu jener
genußsüchtigen Äußerlichkeit hätte entwickeln können. Andererseits
aber war es unmöglich, daß der neue, aller Romantik todfeindliche, alles
Veräußerlichende Geist hätte ohne Einwirkung bleiben können. Die
romantische Blüte der lyiebe, ihre tiefe Innigkeit war gebrochen; die
lyiebe, das Geschlechterleben äußerlich geworden. Aber wegen der
Innerlichkeit und Gemächlichkeit des Deutschen blieb auch diese
Äußerlichkeit noch gemütlich; es blieb, an Stelle der romantischen Liebe,
noch ein innerliches Verhältnis, welches nur in sich selber äußer-
lich und seelenlos geworden war, sich aber nicht zur konsequenten
Äußerlichkeit, zur Genußsucht entwickelte.
Dieses äußerlich und seelenlos gewordene Verhältnis der Geschlechter,
welches aber gemütlich und so en quelque sorte, noch innerlich ge-
blieben war, ist — die Ehe, die Häuslichkeit. Der Deutsche hat die
Ehe und Häuslichkeit entwickelt und durchgelebt — wie kein andres
Volk. Die Häuslichkeit ist eben jenes nach seinen Begriffsmomenten
aufgezeigtes Verhältnis, wo die I/iebe, ihre Seele und Leidenschaft, ge-
storben und äußerlich geworden ist, zugleich aber noch in dem Rahmen
der Innerlichkeit eingespannt werden soll imd bleibt. Diese entseelte,
äußerlich gewordene und gemächlich gebliebene Liebe, diese rein äußer-
liche Innerlichkeit ist das Interesse und Bemühen der Hausfrau um
Strümpfe und Hosen, um Husten und Schnupfen des Mannes imd der
Kinder. Durch die Entwicklung der Liebesidee wird natürlich am
meisten das Weib af fiziert, gedrückt oder gehoben, da sie nur in dieser,
der Mann in noch viel anderen Sphären lebt. Der Einfluß obigen Wechsels
im Geschlechterleben mußte sich also hauptsächlich am Weibe zeigen.
Und das war auch der Fall. Jenes Geschlechtsverhältnis erzeugte in
Deutschland : — die Hausfrau ! Ein eigentümlich deutsches Geschöpf !
Die deutschen Weiber kamen damals — und zum Teil noch heute —
schon als Hausfrauen auf die Welt. Geboren und erzogen zu dem Beruf,
weder Liebe zu finden noch, wie in Frankreich, die Karriere der Ga-
lanterie durchzumachen, bestimmt, ewig in jenem äußerlichen Verhält-
nis des gemeinschaftlichen Lebensinteresses neben ihrem Manne her-
zugehen, entwickeln sie ihre Fähigkeit ausschließlich zu jener Fertig-
keit in Wirtschaftsangelegenheiten, weswegen sie so oft gepriesen
wurden. In der Tat haben deutsche Dichter sogar die betise gehabt, die
deutschen Hausfrauen zu besingen und damit die verkümmertste Er-
scheinung einer verkümmerten Zeit zum Gegenstande der Poesie zu
machen.
So hatte sich in Frankreich wie in Deutschland die Liebe und das
Geschlechterleben in das Extrem der Äußerlichkeit aufgelöst; dort in
- -^= 17 - —
die Rouerie, hier in die Äußerlichkeit der Phihsterehe. — Wenn man
damals in Frankreich das Wort ,,amour" aussprach, so dachte jeder-
mann an eine Ausschweifung oder bloße Galanterie dabei. Wenigstens
aber war das Wort selbst noch geachtet und auf jedermanns Lippen.
Wenn man aber in Deutschland damals von ,,Iviebe" sprach, so ^vurde
man ausgelacht, die Liebe wurde bei uns allgemein für etwas Über-
spanntes vmd nur in Büchern Vorkommendes gehalten.
Mit dem Heraufziehen der neuen Gedanken im Gebiete alles geistigen
und materiellen Lebens mußte aber auch in der Liebe, im Geschlechts-
leben, in der Stellung und Auffassung des weiblichen Elements eine
Revolution vorgehen.
Die avant-coureurs des neuen Lebens sind natürlich hier wie überall
in der Literatur zu suchen.
Schon vor der französischen Revolution erhob sich in Deutschland
ein Mann mit einer gewaltsamen , .stürmischen Reaktion" gegen die
Äußerlichkeit und Prosa, in die das Geschlechtsleben geraten war; es
war Heinse.i) In seinem Ardinghello wie seiner Klara von Hohenthal
machte er die gewaltsamsten und genialsten Anstrengimgen, griechi-
schen Schönheitsbegriff, griechische Sinnlichkeit zu Ehren zu bringen imd
in unser imendlich trivial gewordenes Leben überzupflanzen.
Aber teils hat sich in Heinses Gestalten nur noch das männliche
Element befreit imd nicht — was die Hauptsache — das weibliche ; teils
verfällt er in die beiden Extreme sowohl zu großer geistiger Über-
schwenglichkeit als zu abstrakter Sinnlichkeit; teils endlich schien
ihm selbst das von ihm Darzustellende so wenig Anspruch auf allge-
meine Wirklichkeit imd Gültigkeit machen zu köimen, daß er seine
Schöpfungen ausschließlich in Künstlergestalten (Musiker und Maler)
hüllte. Man konnte, obwohl es andrerseits sehr erklärlich war, nichts
Nachteiligeres trni, als diese ausschließliche Wahl des Künstlercharak-
ters. Denn damals und noch lange nachher schien der deutschen Phili-
sterei der Künstler etwas Liederliches, Exzentrisches und Überspanntes
par destination zu sein ; man war gewohnt, den wirklichen, um so mehr
den literarisch vorgestellten Schauspielern, Dichtem, Malern usw.
Dinge zu verzeihen, die man einem Mitglied der bürgerlichen Welt nie
verziehen hätte. Die Folge war, daß die Künstler aus dem bürgeflichen
Leben, der Familienverbindung usw. ausgeschlossen, geflohen und in
ihr Fach hinein relegiert wurden, und die Künstlercharaktere der
Heinseschen Romane schienen daher von vornherein der Beweis zu
sein, daß dieses Lehren und Handlungsweisen seien, die sich eben nur
^) Der Roman: ,, Ardinghello, oder die glückseligen Inseln" erschien 1787,
die , .Hildegard [nicht Klara!] von Hohenthal" 1795/96. das letztere Werk also
erst in, oder richtiger nach der französischen Revolution.
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV 2
= i8 =^
für diese ohnehin von der bürgerlichen Gesellschaft Ausgestoßenen
schickten, aber selber nicht auf allgemeine Geltung Anspruch machen
wollten.
Wenn Heinse selbst noch in einem gärenden und schäumenden
Prozeß begriffen war, dessen Wellen ihm nicht selten über dem Kopf
zusammenschlugen , so trat gleichzeitig ein beruhigterer Geist auf und
eröffnete den Kampf für die Wiedererlangung der ewigen Rechte der
lyiebe durch siegreiche Darstellungen derselben. Dieser Meister war
Goethe, imd die siegreichen Batterien, die er gegen den herrschenden
Unverstand ins Feld führte, hießen : Die Braut von Korinth, Der Gott
imd die Bajadere, Gretchen im Faust imd Klärchen im Egmont, Die
Wahlverwandtschaften, Werthers lyciden imd Wilhelm Meister, end-
lich die Römischen Elegien, mehrere lyrische Gedichte imd zuletzt das
kleine Gedicht: Vor Gericht. — Die Bedeutimg und Wirkung dieser
Dinge war eine immense. Dennoch darf die Begrenztheit dieser lyci-
stungen nicht verkannt werden. Die Braut von Korinth ist eine sieg-
reiche und unerbittliche Negation des allem Geschlechtsleben und
auch der Ehe feindlichen Geistes des Christentums. Allein wenn sie das
Geschlechtsleben von der Askese des spezifischen Christentums be-
freit, befreit sie darum doch nicht die I^iebe als solche von der weit
wichtiger gewordenen Schranke der bürgerlichen Moral; berührt gar
nicht den Gegensatz von lyiebe und Ehe, von freier und bürgerlich un-
freier Hingebung; ebensowenig legt sie den eigentlichen Inhalt des
lyiebesbegriffs an den Tag.
Werthers I^eiden und Wilhelm Meister sind allerdings Werke, welche
den sozialen Roman hervorgerufen und eröffnet haben. Die Liebe
stürmt hier gegen die Kasten-und Standesunterschiede der wirk-
lichen Welt an. Allein wenn die L/iebe durch ihre innere Unendlich-
keit hier auch jene Kastenunterschiede zerbricht und diese Schranke
zu Boden wirft, so ist doch — abgesehen von der Sentimentalität Werthers
und anderem, was hier weniger in Frage kommt — der Mangel derselbe
wie oben. Die I^iebe hat die Schranken der bürgerlichen Unterschei-
dungen und Kasten zerbrochen und so allerdings eine Art von Unfrei-
heit von sich abgetan, aber die eigentliche und hauptsächliche Unfrei-
heit, die Unfreiheit der I/iebe in sich selber, die Unfreiheit zwischen
Mann und Weib überhaupt war damit noch nicht berührt, ge-
schweige denn überwunden. Mit der von Rangunterschieden befreiten
lyiebe ist die freie Liebe noch lange nicht gegeben. Die Stände sind
befreit, aber die Geschlechter noch nicht. Wenn der Handlimgs-
lehrling dort die Gräfin liebte, so sind sie diese Schranken des Standes
los geworden. Aber hinter ihnen stehen unberührt jene weit härteren
Schranken, welche (abgesehen von allem Stand) nach den heutigen
= 19 ===
Begriffen von Ehe, Liebe, Geschlechtsleben, Hingebung und Körper
Mann von Weib, Empfindung von Verwirklichung, Liebe von Genuß
trennen.
In den Wahlverwandtschaften wollte der große Meister die Sache
recht eigentlich aufs Korn nehmen. Aber dieser Wurf ist ihm über alle
Maßen verunglückt. In diesem Werke wird die Liebe und die Hingebung,
welche die freie Tat der bewußten Persönlichkeit sein soll und
nur als solche Gehalt und Wert hat, zu einem — Chemismus
natürlicher Stoffe. Die Liebe durch das Spiel natürlicher Kräfte
hervorgebracht imd beherrscht, tellurischen Dämpfen Untertan, d. h.
die Liebe des freien Wollens der Persönlichkeit beraubt, ist wahr-
hafte Unsittlichkeit. —
Mit dem Gretchen des Faust, welche, obgleich sie ein Kind bekommen
imd sogar ihr Kind wie ihre Mutter gemordet hat, in den Himmel kam,
war freilich den Moralisten ein arger Possen geschehen. Aber Gretchen
wie auch Egmonts Klärchen sind imbeschadet ihres großen dichteri-
schen Wertes in ihrer Art zu naive, kindliche Gestalten, um in dieser
Hinsicht epochemachend wirken zu können ; es sind nicht geistige, selbst-
bewußte und sich aus sich zur Liebe entschließende Persönlichkeiten,
sondern arme, imschuldige, ganz vom Willen des Geliebten beherrschte
Dinger. Die Liebe selbst ist ihnen von Faust und Egmont, vom Willen
der Geliebten angetan worden. Solche rein passive, von einem fremden
Willen schlechthin hingerissene, obgleich reizende Gestalten, solche
naive Mädchennaturen enthalten nicht das Ideal der Frau, die sich als
geistige Persönhchkeit aus sich selbst bestimmen soll, und konnten also
auch in dieser Hinsicht gar nicht wirken.
Tiefer als alles bisherige ist: Der Gott und die Bajadere. Ohne alle
Umstände ist da die Liebe als eine der Sitte weit überlegene, als eine
weit höhere und die Unterschiede und Dogmen derselben überwindende
Macht gefeiert. Die lüsterne Ausstattung des Gedichts, die Worte :
Soll in Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht,
Mein, er war es; mein vor allen
Ach, nur eine schöne Nacht!
zeigen deutlich genug, worauf Goethe den Wert legt imd daß in der
Apotheose der Bajadere das Moment der heißen sinnlichen tmd begehr-
lichen Liebe von hohem Gewicht sein soll. Aber Stoff und notwendige
Begrenzung des Gedichtes machten es unmöglich, die eigentliche Frage,
von der ich handele, ex professo zu berühren.
Von großer Wirkung vmd unendlicher Schönheit endlich sind die
Römischen Elegien Goethes.
— ■ 20 1=
Hier endlich, hier war die Sinnlichkeit wieder einmal so recht zu
Ehren gebracht ! Der abstrakteste Spiritualist mußte es sich vor diesen
Elegien eingestehen, daß hier unendlich mehr Geist, mehr Tiefe sei als in
allem Krimskrams, das er seinl^ebtag getrieben, imd daß also Geist imd
Sinnlichkeit keine Gegensätze, sondern eigentlich sehr harmonische
und nach ihrer gegenseitigen Umarmimg sehr lüsterne Potenzen seien. —
Dennoch aber fehlte ein Gewaltiges.
Die Römischen Elegien stellen, trotz aller Schönheit und unend-
licher Berechtigtmg, doch nur schöne Sinnlichkeit dar imd nicht Liebe.
Von einer anderen Seite gefaßt würde es Ihnen klarer werden. Man er-
fährt in den Elegien fast nichts von der Frau. Sie tritt nicht auf, spricht
sich fast nirgends aus, sie steht Goethe offenbar nicht gleich an Bildung,
es ist überall nur Goethe, der an, bei und auf einer schönen Hetäre
genießt. Zur Liebe aber muß Reziprozität, gegenseitige, gleiche
geistige Bildung vorhanden sein. Die Römerin in den Elegien bleibt
wie gesagt das rein passive Element, an dem Goethe genießt. Sie ist
offenbar eine untergeordnete Persönlichkeit; sonst würde sie sich
gleichfalls aussprechen und sogar genießend darstellen. Und darum ist
in den Elegien nur schöner Genuß, schöne Sinnlichkeit vorhanden, nicht
l4ebe. Darum haben zugleich die Elegien nicht die Wirkung und Be-
deuttmg gehabt, die sie sonst gehabt haben würden. Denn es handelte
sich zur sittlichen Revolution vor allem darum, nicht den Mann — dem
dies ohnehin schon eher erlaubt war — , sondern das Weib frei ge-
nießend öffentlich darzustellen. Bei der sittlichen Befreiung handelt
es sich vorzüglich um Befreiung der Weiber. Und deshalb mußte auch
an den weiblichen Charakteren vorzüglich diese Befreiung
dargestellt und aufgezeigt werden. Es mußten weibliche Charaktere
dargestellt werden, welche die alte Scheu und den alten Kampf
glücklich überwunden hatten; sie mußten frei genießend, womöglich
in der Aktion des Genusses selbst, öffentlich aufgezeigt werden, um
darzutun, daß sie dabei nicht bloß so schön blieben, wie der genießende
Goethe in den Elegien, sondern auch dreimal achtungs- und verehrungs-
würdiger als früher. Auf erschöpfende Weise ließ sich das allerdings nur
im Roman oder Drama tun, wo die Schwierigkeit nicht entstand wie in
einem Gedicht, die Frau nur in einer einzelnen Situation zeigen zu
können, wo sie vielmehr ihre höhere Gefühls- und Gedankenwelt der
alten Unnatur gegenüber nach allen Seiten siegreich darlegen konnte.
Ein anderes Gedicht, welches ich oben bezeichnet habe und in
welchem in der Tat das weibliche Element aktiv auftritt, ist in dieser
Beziehung das bedeutendste und tiefste. Ich meine das kleine Gedicht:
Vor Gericht. Da Sie wahrscheinlich keinen Goethe zur Hand haben,
habe ich hier einen aufgetrieben und will es ausschreiben:
21
Vor Gericht.
Von wem ich es habe, das sag' ich euch nicht,
Das Kind in meinem lycib —
,,Pfui!" speit ihr aus, ,,die Hure da!"
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag' ich euch nicht,
Mein Schatz ist lieb und gut.
Trägt er eine goldne Kett' am Hals,
Trägt er einen strohernen Hut.
Soll Spott und Hohn getragen sein,
Trag' ich allein den Hohn,
Ich kenn' ihn wohl, er kennt mich wohl.
Und Gott weiß auch davon.
Herr Pfarrer und Herr Amtmann, Ihr,
Ich bitte, laßt mich in Ruh!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind,
Ihr gebt mir ja nichts dazu!
Das Gedicht ist klassisch imd deutlich genug, um jedes Wort zur Heraus-
hebvmg seines Gedankeninhalts überflüssig zu machen. Man kann im-
möglich mit klarerer Selbstbestimmtheit, mit naiverem Trotz, mit
größerer Selbstgewißheit das Prinzip der freien PersönHchkeit in der
lyiebe aussprechen als hier geschehen.
Leid tut es mir, in dieser kurzen historischen Übersicht nicht ein
Wort von Schiller sagen zu können. Aber er hat in der Tat, wenn man
nicht auf imgenaue Weise einige Gedichte hierher rechnen will — nicht
eine Lanze zugunsten der freien Liebe gebrochen. Seine Frauengestalten
sind sämtlich imfrei imd daher oft widerlich. Da, wo er den herrlichsten
Stoff dazu hatte, in Maria Stuart, hat er denselben unbenutzt vorüber-
gehen lassen und nur, manchmal allerdings mit leisen, sehr leisen An-
klängen in imser Gebiet, nach anderer Seite hin verarbeitet. Nach der
produktiven Epoche Goethes trat eine Periode der Zerfahrenheit ein,
in welcher sich Epigonen breit machten. Zusammenhängend mit den
trostlosen politischen Zuständen nach den Freiheitskriegen war eine
dumpfe, ihres eigenen Prinzips imbewußte Unzufriedenheit mit der Wirk-
lichkeit in die Welt gekommen ; eine Periode des Suchens nach höherem
Inhalt. In solchen Zeiten unklarer Vorahnung, wie sie allen Perioden,
in dem [sie!] es zum entscheidenden Bruche kommen soll, voraus-
gehen, können oft die verkehrtesten Erscheinungen auftauchen. Dieses
Suchen nach einem höheren idealen Prinzip, mit welchem das schale
- 22 -
Leben zu vergeistigen wäre, erzeugte damals die romantische Schule
ein Zurückgehen auf die Richtung des Mittelalters. Aber wenn eine
bereits tote geschichtliche Periode gegen das Gesetz der Natur vmd Ge-
schichte wieder aufgefrischt werden soll, so können diese Restaurateurs
nie auch nur jene Periode mit ihrem wahren, wirklichen Wert zur
Existenz bringen; sie faussieren imd forcieren sie. Die naive Innigkeit
der mittelalterhchen lyiebe, die sich im Minnegesang imd Troubadour-
tum ausspricht, war abgestorben und konnte nicht wieder lebendig
werden. Die Romantiker, welche jene tiefe Innerlichkeit wieder dar-
stellen und herstellen wollten, verfielen in die phantastische I^iebe,
in trübe Überschwenglichkeit.
Aber die Zeit solchen phantastischen Unwesens — das sich je nach
seinen verschiedenen Graden bald, wie bei Hoffmann usw., als über-
natürlicher Spuk, Hexen- und Geisterwirtschaft, bald, wie bei Jean
Paul, als bloße Gefühlsschwelgerei (z. B. diel^iane), bald auch als widrige
Sentimentalität darstellte — , war [es] nach allen Richtungen hin vorbei.
Die notwendige Reaktion mußte eintreten. Mit dem hellen Sonnen-
strahl des Witzes bewaffnet, trat Heine auf und verjagte jene Nacht-
gestalten aus lyiteratur und Leben. Er ahmt jene romantischen Produk-
tionen von der Geistertollheit bis zur siechen Gefühlswehmut und
Träumerei treffend nach ; er macht sie nach, um zu zeigen, wie gemacht
und affektiert an sich diese Schöpfmigen seien, und hinterher löst er sie
mit schallendem Gelächter in ihr Nichts auf. Er gibt diesen Phantasmen
und Träumereien die Wirklichkeit zu kosten und läßt sie an dieser
mitleidlos untergehen. Zuerst war Heine eine kleine Zeit selbst noch
Romantiker ; es war dies notwendig ; er mußte diese Stufe selbst durch-
gemacht haben, um sie desto gründlicher besiegen zu können. Bald aber
erhebt er sich zu seiner historischen Bedeuttmg. Er setzt diesen Schemen
imd Traumgestalten die sinnliche Selbstgewißheit des Subjekts
entgegen, und indem er das reelle Fleisch imd Bein der Wirklichkeit als
das Überlegene weiß imd jenes daran als phantastisch untergehen läßt,
ist er der Dichter der Ironie. Hieraus bestimmt sich auch sein Verhalten
zur Liebesidee. Das ironische, realistische Subjekt, das Subjekt, dem
die sinnliche Selbstgewißheit, das greifbare Fleisch und Bein der Wirk-
lichkeit das Höchste ist, wird in der Liebe alles über den realen Schenkel-
druck Hinausgehende als Phantasma nehmen. Darum verhält sich Heine
manchmal auch gegen den wirklichen und wahren Inhalt der Liebe
ironisch. Er ist der Dichter des sinnlichen Genusses, der das darüber
Hinausgehenwollende verlacht, und sich grade damit etwas weiß
und darin allein die Gewißheit seiner selbst zu bewahren glaubt, alles
übrige zu verlachen. Man hat ihn darum oft frivol gefunden. Aber diese
Frivohtät war ein unendlich wohltätiger Luftstrom, um das dicke Blut
== 23 ==
in den deutschen Adern wieder etwas frischer fließen zu machen. Das
Verdienst und die Folgen seiner Gedichte waren daher enorm. Gleich-
wohl hat er sich zur wahren lyiebesidee im Buch der lyieder nur sehr
selten und einige Male in späteren Gedichten (Olaf z. B.) erhoben.
Sie werden sich vielleicht wimdern, daß ich Frankreichs bis heran in
dieser Übersicht noch nicht erwähnt habe. Es konnte bis heran nicht
erwähnt werden. Die Revolution hatte dort alle Kräfte für sich absor-
biert. In der Revolution waren einzelne ausgezeichnete Weiber auf-
getreten, die Roland, 1) die Tallien;^) aber sie hatten ihre Tätigkeit
nur auf die allgemeinen Objekte der Männerwelt, auf Staat usw. ge-
richtet; in der eigentümlichen Sphäre der Weiblichkeit, in der Liebes-
welt hatten sie nichts geleistet.
Wohl aber hat die Revolution auf die gewaltigste und konsequenteste
Weise den neuen Begriff von Liebe, Ehe, Geschlechtsleben, wie er sich
mit Ende des Mittelalters in der Gesellschaft zu entwickeln begonnen
hatte, realisiert und in den kühnsten Institutionen, welche den früheren
christlichen diametral gegenüberstanden, verkörpert. Das Christen-
tum faßt — zuerst von allen Religionen imd Volksgeistern — den Begriff
der Liebe an sich ganz richtig auf, als die absolute sittliche Einheit
der Individuen ineinander. Darum gelangen auch die Weiber in der
christlichen Welt zu einer Anerkennung, Selbständigkeit imd Bedeutung,
die sie nie früher gehabt hatten. Aber wenn die Religion irgendeinen Ge-
dankeninhalt auch noch so richtig auffaßt, sie verdirbt stets diesen
Inhalt dadurch wieder, daß sie denselben nur in der Form der Vor-
stellung und nicht in der allein wahren Form des Begriffes zu erfassen
weiß. Das Christentum, statt zu erkennen, daß es allerdings ein Zug
des menschlichen Wesens ist, sich der Einheit mit andern Individuen
bewußt zu werden, daß aber, weil die zwei Individuen, die sich in der
Liebe einander als eins zu erkennen geben imd in eins zusammenschließen,
doch wiederum getrennte und verschiedene Individualitäten sind, wo
nicht gerade zwei großartige imd einander durchaus ergänzende Charak-
tere aneinander gekommen sind, diese Einheit sich wieder notwendig
auflösen und die Trennung und Entzweiimg durchbrechen muß, daß also
das Ewige, Dauernde und Götthche in der Liebe weniger (wo nicht, wie
gesagt, zwei Individuen von gleichem innern Reichtum aufeinander
treffen) die auf den einzekien Gegenstand gerichtete Liebe, sondern das
1) Marie Jeanne Roland (1754 — 1793), die bekannte Frau des girondistischen
Ministers, die auf der Guillotine endete.
2) Jeanne Marie Tallien (1775 — 1835), die Geliebte und spätere Frau des be-
kannten Revolutionärs, der zuerst der Bergpartei angehörte und hernach an
Robespierres Sturz mitwirkte. Hernach trennte sie sich von ihm. Sie starb als
Fürstin von Chimay.
= 24 =
Lieben selbst ist, das daher sein Objekt wechseln muß in dem Streben,
der Verschiedenheit Herr zu werden imd seine wahre tmd dauernde
Einheit zu finden ; — statt dies zu erkennen, schaut das Christentum
die Liebe, statt als die freie sich selbst suchende Tätigkeit der mensch-
lichen Natur, als eine über dem Menschen selbst stehende Macht an;
die bestimmte Liebe wird der Religion somit aus dem freien Versuch
der Persönlichkeit, sich in dem andern Individuum wiederzufinden imd
zu verwirklichen, zu einer Pflicht, die auf das erste zufällige
Individuum, an das man geraten ist, gebimden bleibt; statt das
Lieben als den göttlichen Zug des Ichs zu wissen, sich mit dem andern
in eins zu setzen, wird ihr die einzelne bestimmte Liebe zu dem
Göttlichen; imd sie gelangt damit zu dem Dogma der einzigen,
ewig dauernden und unauflösbaren Liebe, d. h. der untrenn-
baren Ehe.
Weil sie aber die Liebe als die absolute innere Einheit der Individuen
imd somit als wahrhaft geistige, göttliche Macht anerkennt, wird dem
Katholizismus die Ehe, der Akt der Liebesverwirklichung — zu einem
Sakrament.
Nun hatte ich oben gezeigt, daß in Frankreich mit dem Ende des
Mittelalters die Innerlichkeit der früheren Liebesidee durchaus ver-
schwtmden war, daß der neue realistische Geist auch dieses Gebiet er-
griffen und die Liebe in ein äußerliches Verhalten der Geschlechter
zueinander verwandelt hatte; daß sich hieraus die Liebesidee zur
schönen Äußerlichkeit, d. h. zum Reich des Geschmacks und der
Galanterie, und femer, wozu auch die Unlösbarkeit der Ehe mächtig
beitrug, endlich zur absoluten Sittenlosigkeit entwickelt hatte. Wie
konnte vor diesem Geiste, der die Liebe als reine Äußerhchkeit erfaßte,
das Institut der Sakramentalehe bestehen bleiben? Die französische
Revolution hat daher auch in diesem Gebiet die mächtige Arbeit voll-
zogen, den Inhalt des modernen Gedankens zu verwirklichen.
Sie schuf die Zivilehe. In der Zivilehe wird die Liebe tmd Ehe als
ein rein äußeres Verhalten der Geschlechter zueinander anerkannt; es
wird ihr die sakramentelle Heiligkeit geraubt und damit eben er-
klärt, daß dieses Zusammengehen nicht auf der göttlichen Identität des
Geistes, sondern auf rein äußern, bürgerlichen oder sinnlichen Trieb-
federn und Bedürfnissen beruhe. Zumal man die Religion selbst und
ihren Kultus durchaus nicht abschaffte, sondern nur die Ehe als ein
von dem Priestersegen tmd der göttlichen Einweihung unabhängiges
Institut hinstellte, wurde sie damit zu einer äußerlichen, dem Göttlichen
und Geistigen fremden Einigimg der Geschlechter.
Als solche bloß noch äußere Einigung kann die Einigung keine
absolute sein; die äußerliche Einheit muß eben, weil sie eine nur
— = 25 =
äußerliche ist, wieder aufgegeben werden können. D. h. also, die Ehe
kann nicht untrennbar sein, und deshalb führt die Revolution not-
wendig die Scheidung ein, auch durch bloße beiderseitige Ein-
willigung, consentement mutuel.
Ja, noch mehr ! Wenn die Ehe wirklich und ganz und gar ein äußer-
liches Verhalten der Geschlechter zueinander sein soll, so darf, um dies
rein äußerliche Verhältnis aufzulösen, nicht einmal die beider-
seitige Einwilligung erforderlich sein. Die Forderung des consente-
ment mutuel setzt doch immer noch die innere Einheit der Gatten,
wenn auch nur im Punkt der Trennung voraus ; wenn ich ein Verhältnis
nur mit dem innern Willen des andern auflösen kann, so bin ich von
seinem Willen abhängig, nicht frei, das Verhältnis selbst ist damit zu
einem innerlichen geworden; das Bestehen des Bandes, das es zu-
sammenknüpft, und somit dies Band selbst, beruht in der innerlichen
Einheit der beiden Individuen. Das darf bei einem schlechthin
äußerlichen Verhältnis nicht stattfinden. Und obgleich also vom Stand-
pimkt der Französischen Revolution die Ehe nur als ein bürgerliches
Kontraktverhältnis erscheint, die Auflösimg eines jeden Kontrakts aber
nur mit beiderseitiger Einwilligung geschehen kann, hat der französische
Konvent die imglaubliche Konsequenz und Inkonsequenz zu
gleicher Zeit im Gesetz vom September 1792, die Scheidung auf den
bloßen einseitigen Willen des einen Teils zu autorisieren.
Hier hat die Äußerlichkeit, zu der sich die Ehe entwickelt hat, ihre
konsequenteste Verwirklichimg gefunden. Man geht auseinander, wie
man gekommen ist.
Dies konsequenteste Gesetz konnte indes nicht lange bestehen. Die
Ehe ist eine Einigung nicht nur von Menschenleibem, sondern auch
von Besitz und Vermögensinteressen. Als rein äußeres Verhältnis
sind auch die äußeren Zwecke des Besitzes und Interesses in ihr vor-
herrschend. Diese könnten durch eine Trennung infolge einseitigen
Willens gestört werden. Der Code civil daher, welcher die Ehe haupt-
sächlich vom Standpunkt der Besitzinteressen auffaßt, und, dem
Konvent entgegengesetzt, allüberall die Freiheit der Persönlichkeit dem
Interesse des Besitzes unterordnet, hebt jenes Gesetz auf und läßt Schei-
dung nur durch Verschulden oder beiderseitige Einwilligung eintreten.
Ebenso konsequent ist es femer, daß in der Gesetzgebung des Code
civil der Ehebruch aufhört (wenn nicht noch Beleidigung hinzukömmt,
indem die Konkubine im Hause gehalten wird), ein Scheidungsgrund zu
sein. Zwar werden Sie einwenden, daß der Ehebruch der Frau noch
einen Scheidungsgrund bilde. Diese allerdings sehr unbillige Ausnahme
beruht aber, wie Sie bald sehen werden, grade darauf, daß die Ehe vom
Code civil konsequent als bloßes Eigentumsverhältnis aufgefaßt wird.
= 26
Denn vor der Idee der absoluten innem und äußern Einheit der
Individuen in der Ehe sind Mann und Weib ganz gleich. Diese Einheit
wird daher ebenso durch den Ehebruch des einen als des anderen auf-
gelöst. Das Christentum daher, wie das kanonische Recht machen
nirgends einen Unterschied zwischen Ehebruch des Mannes oder des
Weibes. Dem Code civil aber, welchem die Ehe nicht diese tief innerliche
Einheit der Individuen, sondern nur eine äußere, auf äußere Be-
sitz- und Vermögensinteressen gerichtete Einheit ist, hebt daher
der Ehebruch, die Verletzung der innerlichen und körperlichen Einheit,
noch lange nicht die Einheit der Besitzinteressen auf. Er statuiert daher
den Ehebruch des Mannes. Aber grade, weil er die Ehe als reines Eigen-
tumsverhältnis aiiffaßt, darf er den Ehebruch des Weibes nicht sta-
tuieren. Denn, was zimächst das Eigentumsrecht betrifft, das man in
der Ehe an dem Körper des anderen hat, so leidet der weibliche Körper
durch seine häufige Benutzimg und dadurch, daß er infolgedessen Kinder
bekommt, weit mehr als der männliche ; seine Schönheit wird abgenutzt
tmd besonders, indem das Weib fremde Kinder in die Familie ein-
führt, welche der Mann ernährt und die seine Erben werden, fügt sie
ihm einen bedeutenden Eigentumsschaden zu.
Deshalb also bleibt der weibliche Ehebruch allerdings als Scheidungs-
grund bestehen.
Die Französische Revolution hat also nach allen Seiten hin das
Institut der christhchen Ehe zerschlagen und den zu ihrer Zeit ge-
wonnenen Gedankeninhalt auf das konsequenteste verwirklicht. Indem
aber die Sittlichkeit, welche der christlichen Idee der Ehe zugrimde
lag, hier verschwimden imd die Ehe zu einem bloßen Eigentums-
verhältnis geworden ist, welches seine seelenlose Herrschaft über die
freien Menschenleiber imd -geister ausübt, wird der Zwang hier der
härteste und unerträglichste imd die Ehe selbst für das Weib zu
einer wahren I^eibeigenschaft. Zugleich hat die Revolution, indem sie
der Ehe die sakramentelle Heiligkeit entzog, ihr den hauptsächlichsten
Schirm gegen die Angriffe des anstürmenden Zeitgeistes geraubt.
Und so trat denn auch zuerst in Frankreich eine Schule auf, welche
eine Revolution im Geschlechterleben zuerst als ausdrückliches Prinzip,
als soziale Grundlage proklamierte. Und wie ich Ihnen oben gesagt, daß
der ökonomische vSozialismus nichts anderes ist als ein und derselbe
Gedanke der freien Persönhchkeit in bezug auf die Welt der materiellen
Bedürfnisse und Stoffe, welcher sich in der Emanzipation der lyiebe in
bezug auf die Welt der Sitten tmd Geschlechter verwirklichen will, so wurde
dieser innige Zusammenhang hier zum ersten Male geschichtlich offenbar.
Es war ein wissenschaftliches System, das mit der einen Hand die
ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft angriff und das sich nicht
-^= 27 =
schämte und nicht scheute, mit der andern Hand die Ehe zu attackieren
imd die Freigebmig des Fleisches und der Liebe als Dogma und sozialen
Kultus zu proklamieren.
Diese Schule war die der Saint-Simonisten und ihr Hohepriester
Enf antin. ^) Und Sie würden erstamit sein zu hören, welchen Anklang
jene noch so unklare und phantastische Lehre selbst unter den Weibern
fand. — Weiber der besten Stände, Weiber aus guter Gesellschaft
und von hoher Bildung scheuten sich nicht, sich unter die Fahnen
Enfantins zu enrolieren, den Simonisten-Klub zu besuchen und über
die Bestimmung des Weibes und die Religion der Sinne zu disputieren.
Weiber begleiteten Enfantin auf die Angeklagtenbank, wo er unter der
Beschuldigung stand d'avoir attaque aux moeurs, und knieten daselbst
vor ihm nieder!
Wenn indessen der Saint-Simonismus in allem noch verworren, un-
klar und phantastisch war, so war er es ganz vorzüglich in bezug auf
seine Religion des Fleisches. Obgleich der Saint-Simonismus eigentlich
nie sein letztes Wort in bezug auf diesen Gegenstand ausgesprochen
hat, obgleich man überall nur dunkle Andeutmigen findet und in der
Schule selbst ein leidenschaftlicher Kampf grade über dieses Thema
ausbrach, der auch ihre Spaltung zur Folge hatte, scheint es doch nicht
imdeutlich, wenn nicht geradezu auf eine Gemeinschaft der Weiber,
so doch jedenfalls auf eine hierarchische — (alles war ja zudem im Saint-
Simonismus in hierarchischer Form) — Ordnung des Geschlechts-
genusses und Geschlechtslebens durch die große Familie abgesehen ge-
wesen zu sein. Ein andres läßt sich wenigstens bei dem couple-pretre
Enfantins nicht denken.
Das war mm jedenfalls ein heilloser Irrtum ! Das Prinzip der freien
Persönlichkeit, welches diesen ganzen tobenden Kampf der neuesten
Geschichte angestiftet hatte, um zu seiner vollen Verwirklichung zu
gelangen, war dadurch wirklich beleidigt. Mit Recht ist man in nichts
so persönhch als grade in der Liebe. Nicht nur eine Gemeinschaft der
Weiber ist daher noch weit immöglicher und prinzipwidriger als eine
Gemeinschaft der Güter in vulgärem Sinne, sondern jeder Versuch, den
Geschlechtsgenuß in der Form einer gesellschaftHchen Funktion, als
Gattungsfimktion zu konstituieren, wird falsch und wahnsinnig sein.
Nur als freies Sichhingeben, als freier Leiber- und Seelenaustausch
zweier sich selbst genügender Individuen, ist der Geschlechts-
genuß Liebe. In der Enfantinschen Organisation des Priesterpaars, in
diesem zu einem förmlichen äußeren Kultus verwandelten Geschlechts-
1) Prosper Enfantin (1798 — 1864), der französische Sozialist, der bekannte
Schüler Saint-Simons.
= 28 — —
verkehr wäre gerade das Moment der Persönlichkeit im Geschlechts-
genuß, also das Moment der Liebe, imtergegangen.
Das Tiefe aber im Saint-Simonismus, in diesem Gebiete wie in den
übrigen, bestand in seinen Ahmmgen. Der Saint-Simonismus brach in
Sätze von furchtbarer Tiefe aus: Heiligt euch durch Arbeit und Genuß!
Stürmisch proklamierte er die Berechtigung der Sensualität ; er forderte
einen Kultus des Sinnengenusses. Er erklärte, nur der Mann und das
Weib bilden das soziale Individuum, und forderte die soziale Gleich-
stellung beider.
Was das Bedeutsamste war, er wandte sich — die erste Erscheinimg
dieser Art in diesem Gebiet — mit seiner Lehre an die Wirklichkeit und
forderte immittelbare praktische Geltung derselben. Er proklamierte
die Emanzipation des Fleisches als soziale Grundlage, als Basis der
neuen Gesellschaftsordnimg, die nur auf diesem Ferment errichtet
werden könne.
Wenn Sie dem Bisherigen gefolgt sind, so werden Sie den immensen
Fortschritt anerkennen müssen, den die neue Idee der Befreiung der
Persönlichkeit in der Sphäre der Liebe schon bis hierher gemacht hatte.
Eine Idee, die zuerst rein in dichterischen Werken sich als Schöpfung
der Phantasie darzustellen gewagt hatte, war schon zur Schule und
Lehre, zum System geworden; sie wandte sich bereits als Dogma an
die Wirklichkeit und forderte gebieterisch ihre Realisation in derselben.
Sie war bestimmt, sich erst weiter und weiter in sich zu vollenden
und dann die Welt unerbitthch an sich zu reißen.
Enfantin hatte noch eines richtig gefühlt. Er hatte gefühlt, daß die
Befreiung des weiblichen Elementes, und also damit des Fleisches über-
haupt, nur von dem Weibe selbst ausgehen, nur durch die freie Tat des
Weibes verwirklicht werden könne. Er hatte daher im Saint-Simonisten-
Kollegium neben seinem hohepriesterlichen Sessel einen Sessel für ,,das
Weib" errichten lassen. Aber das wirkliche Weib, die hohe Priesterin,
fand sich nicht. Der Sessel blieb behangen, und die Soireen wurden
endlich, da sich das Weib nicht fand, ganz geschlossen.
Aber das Weib sollte sich finden, wenn auch in anderem und höherem
Sinne noch, als Enfantin dafür hielt.
Es sollte und mußte vor allem ein Weib sein, welche die Fesseln
der Weiber nach allen Seiten hin grundsätzlich zu sprengen begann.
Dieses Weib trat auf; mit der Männerarbeit und dem Männerkampf-
schwert nahm es zugleich mämilichen Namen an und nannte sich
George Sand.^)
Sie kennen die Werke der Sand zu genau, als daß ich mich hier über
dieselben auszulassen brauchte. Alle diese Romane sind nicht Romane
1) George Sand (1804 — 1876), die berühmte französische Romanschriftstellerin.
29 =
im eigentlichen Sinne, sondern ebenso viele mit der Gegenwart gebrochene
Lanzen, herkulische Befreimigsarbeiten.
Bei alledem übersah die Sand eins. Sie wandte sich überwiegend
mehr der Befreiimg der Weiber in ihrer sozialen Stellmig der Männer-
welt gegenüber als grade in der eigentlichen Sphäre der Weiblichkeit,
in der Sphäre der Liebe imd des Liebesgenusses zu. Diese letztere
Befreiung ist aber und bleibt erstes und hauptsächlichstes für die
Weiber.
Doch auch in dieser Beziehung hat die Sand Großes geleistet, und
es war nicht zufällig, sondern von bedeutsamer Konsequenz, wie von
jetzt ab die Theorie sofort zur Praxis wurde und auch bei der Sand,
unbekümmert um den Widerspruch der Sitte, zur leitenden tmd frei
bekannten Richtschnur des eignen Lebens wurde. Je näher eine Idee
ihrer allgemeinen Verwirklichimg tritt, desto näher, intensiver wird bei
den Individuen der Übergang aus ihrer theoretischen Anschauung zu
ihrer praktischen Bekennung.
Die deutsche Entwicklung konnte nicht zurückbleiben. Sie läuft in
allen Gebieten in der neuesten Zeit parallel mit der französischen, nur
daß der französische Geist sich überwiegend sofort auf die Außenwelt
hin wendet, der deutsche Geist sich mehr in die innere Vollendung ver-
tiefte. Als der deutsche Geist mit der Hegeischen Philosophie und ihren
Konsequenzen endlich die letzte theoretische Vollendung erreicht hatte,
mußte er sich, und nun mit um so größerer Wucht, weil aus dem tiefsten
Innern heraus, auf die Außenwelt wenden imd zur ungestümen Praxis
werden.
Bis dahin aber war die Arbeit des deutschen Geistes allerdings eine
einseitig theoretische. Dafür erlangte sie aber, wie gesagt, auch eine um
so größere innere Vollendung. Und so sollte denn auch in diesem Fache
der deutsche Geist eine geistige Tat vollbringen, in der die Idee der
freien Persönlichkeit in der Liebe unendlich tiefer, befreiter, kühner
und vollendeter dargestellt war, als selbst in allen Romanen der
Sand. — Das Werk, von dem ich rede, ist Friedrich von Schlegels
Lucinde ! i)
Kühneres, Revolutionäreres in jener Gattung war nie geschrieben
worden! Die Durchdringung des Geistigen und Sinnlichen war hier in
einem solchen Grade vollbracht, daß es unmöglich war, die beiden
Elemente auch nur einen Augenblick zu unterscheiden.
Und mit tiefem Sinne war grade das weibliche Element zur hervor-
ragenden Person des Romans gemacht. Ein frei genießend öffentlich
dargestelltes Weib, ein Weib mit unerschütterlicher Grazie und Sicher-
heit, als wenn die Welt der widersprechenden Sitte gar nicht vorhanden
^) Die Lucinde erschien 1799.
= 30 — =^=
wäre, nicht auf dem Grundsatz einer abstrakten Fleischesemanzipation,
der die Saint-Simonisten zum Irrtum führte, sondern auf dem Prinzipe
beruhend, daß die volle Selbstverwirklichung der freien Persönlich-
keit — dieser höchste Genuß des Individuums — zugleich auch seine
einzige sittliche Pflicht sei; ein Weib, welches mit der reinsten imd
weibhchsten Schamhaftigkeit die höchste Wollust verbindet und den
Beruf des Weiblichen darin zu erfüllen weiß, indem sie den Liebesgenuß
zum Studium erhebt — das ist die I^ucinde.
Die Ivucinde ist auch in der Tat nicht bloß das Werk Friedrich
Schlegels, sondern das Werk von Mann und Weib, des sozialen Indi-
viduums, wie Enfantin gesagt haben würde, denn sie entstand in der
Blüteperiode eines Verhältnisses Schlegels mit Dorothea Mendelssohn, i)
mit der er, nachdem er sie aus Berlin entführt, in wilder Ehe in Dresden
lebte; sie entstand unter dem mächtigen Einfluß und der Beteiligimg
dieser hochgebildeten, Schlegel auf allen seinen Forschungen, bis in das
Gebiet der Religion imd der Weisheit der Inder hinein begleitenden Frau.
Das Geschrei, welches ob dieses Buches (näheres über dasselbe
kann ich Ihnen, ehe Sie es gelesen haben, nicht sagen; Sie bringen es
hoffentlich mit) in der Welt ausbrach, war grenzenlos. Zumal da solche
Tat noch dazu von einem Manne ausgehen mußte, der zu den an-
erkanntesten und vornehmsten Namen im Gebiete der I^iteratur gehörte,
der sogar der so gefeierten Romantik angehört hatte.
Wenn aber dieses Geschrei noch durch etwas vermehrt und über-
troffen werden konnte, so war es durch die darauf folgenden Briefe
Schleiermachers über die lyucinde.
Was in der Lucinde enthusiastische Darstellung sein konnte, war
hier in ruhigen kontemplativen Frauen in den Mtmd gelegten Briefen
prinzipiell apotheosiert und als wahre Weiblichkeit nachgewiesen. Die
I/iebe war hier, aller Tradition entgegen, aus einer gleichsam göttlichen
und über dem 2) Menschen stehenden Macht, die, wenn sie ihn einmal er-
griffen, für sein ganzes Leben ohne Wechsel des Gegenstandes be-
herrschen soll, und daher mit dem unauflöslichen Bande der Ehe
gesiegelt wird, in den freimenschlichen Zug des Individuums verwandelt,
sich in andern aufzusuchen, zu finden imd zu genießen. Aus einem
Dogma wurde die lyiebe zu einer Kunst. Schnurstracks entgegen dem
alten Aberglauben von der ersten und ewigen Liebe wurde von Schleier-
macher die erste Liebe als der erste Versuch, sich in anderen wieder-
zufinden, als der notwendigerweise deshalb auch noch roheste und un-
geschickteste imd bedeutungsloseste Versuch aufgezeigt. Die erste Liebe
^) Dorothea Mendelssohn, die Tochter Moses Mendelssohns, hatte sich 1798
von ihrem Gatten Simon Veit scheiden lassen, um hinfort mit Schlegel zu leben.
^) Im Original steht: den.
31 —
wurde deshalb hier als ihrer Natur nach und notwendigerweise unvoll-
kommen, flüchtig und vorübergehend erklärt.
Es wurde für die Liebe hier dasselbe Gesetz wie für jedes künst-
lerische Streben entdeckt, erst nach und nach, nach unklaren Ver-
suchen imd Irrtümern zur wirklichen vmd vollendeten Liebe zu ge-
langen; das lyieben, Treuloswerden und Wiederlieben wurde hier zur
notwendigen Entwicklungsgeschichte des Vollkommenen. Der prak-
tische Rat, der von hier aus folgte, war, sich frischweg zu versuchen
und wieder zu versuchen, sich zu bilden und zu entwickeln, bis man
einerseits sein wahrhaftes Selbst im andern und andrerseits damit zu-
gleich seine höchste lyiebesfähigkeit gefunden habe. — Was vor dieser
Theorie, welche die Dauer der ersten Liebe selbst nicht einmal respek-
tierte tmd das vielfache Lieben zur Bildungs- imd Entwicklungsarbeit
des Individuums machte, aus der Ehe werden mußte, habe ich nicht
nötig noch hervorzukehren.
Und was die Welt bei diesem Buche in eine wahrhaft dumpfe Be-
stürzung versetzte, war sein Verfasser. Dies Buch war geschrieben von
Schleiermacher,!) dem Professor der Theologie an der Universität zu
Berlin, dem berühmtesten Prediger seiner Zeit, dem Diener der
Rehgion, der alle Sonntage Berlin von der Kanzel herab zum Weinen
brachte.
Auch war das Buch sehr ernsthaft gemeint, wie zum Überfluß eine
,,Zueigmmg an die Unverständigen" zeigte, die Schleiermacher ihm
voranschickte.
Ihren theoretischen Abschluß endlich erlangte auch die neue Ent-
faltimg des Liebesgedanken mit dem Hegeischen System. Nicht nur aus
dem ganzen System folgt mit Notwendigkeit, was von der Liebe zu
halten sei, sondern auch Hegel selbst hat sich teils in der Ästhetik, teils
in einem Aufsatz über Julie imd Romeo hinlänghch hierüber aus-
gesprochen. Wie alles im Hegeischen System, so wurden auch in dieser
Hinsicht die bisher über Liebe grassierenden Begriffe gradezu auf den
Kopf gestellt.
Die Sitthchkeit der Liebenden bestand jetzt in der Glut, ihre inner-
liche Einheit mit rücksichtsloser Hingebimg ihres Körper-Egoismus auch
wahrhaft verwirklichen zu wollen; sie bestand in der rücksichtslosen
Glut, es unter allen Umständen zum körperlichen Eins und Ineinander
so oft, so dauernd und so intensiv als möglich zu bringen. Die Körper-
umarmung als der Zenithpunkt wirklicher Einheit tmd als höchste Ab-
legimg der selbständigen Persönlichkeit wurde zum Zenithpunkt lieben-
der Sitthchkeit. Die Schamhaftigkeit der Liebenden bestand jetzt darin,
noch nicht ineinander gegangen zu sein und also noch getrennte
1) Schleiermachers Vertraute Briefe über Schlegels Lucinde erschienen 1801.
llflllilf I'lnl 1» I |l> hl. ll< II, limli irm-.l I .. hl- l.i.i 1» I .. |lr.t,||lc|lcl..(| .• 1 1
Imbfn,')
I)lr fliroi.l Im he Hi\vi>Miiif' li,iM. il,iiiill lliirii w.ililrii \VI,'iritii:.i li.il I
licllt'il Alirx lilnU iiml /.iif-'lili li nn I lt>'i |>)t lirii Sv:>l>-iii lllxi li.iH|it
ihre »ydteiUfttlwclH- «IhhkII. !).',•• <iI.iiikI, w I« Im- ilm n iV'.t' Mi,ili;.i Im n /.n
NiininirnlliiM^ lltil il*-iii m n. n ('.t<l,iiil.i il|i I.m ('.rlxiliii dir.
I^rlHiin Miit liwitri,
hl.- llniiirl.JMfh*i JJ^VV^KtliiK Will iliimil ..lUiil.ji /ii ImmI.- I »i. |.i.ik-
lint lir iiiiil.U* Itf^iiiiU'li ; liml ihi (litnc Ivivolnl ihm iiiic Kivnliil loii ilri
Hlttt' Will , .1 li III iliiii j-'t-aiiilti Itii V^iliiiiltn ilti Inilivliidtn AiiciMuiidti
bpHtund, liiliUlr wir V(Jr ullcni .l.iniil 1.. pinn» n, Imli vitUU'll '/M tTHrfileH,
(IUI hifli IM ililii-il (Illl/.IIHlfllcii, Alliitlliipri liiillf Ich ohfll htlllcrkt,
(liii.1 wchoii Im I .1.1 Siiiid htlhüt holclici (llx-imiiiK /ni iiitllviihu-jltn l'iuxiw
hlult. hullr. AImi I. iK I.U.- ,iii. Ii |)rlitN'l»llili(l (lifru'llu-il lilht h(iiiiiii^-'»ii
Iiul)l-Il, U-ÜH llilth 'In- i'i.i'ii-, i|. I Siillfl liii hl ihr tih.Kirilirhf Htiliiil
hUlllkcit lltlil liiiliiili' M. III. hl hell). II In i'i.iiil.i. I. h I. I>. ihl. .1 ii III .1111' III
l<UII<U\ \v<> ihn. h ilii- /iviirhf i\un fi^Miilhrli S.iluiiimiiltlli inicj I )ujf-
iiiiili^thr .1.1 l',h. ',. htm liiillf n(il(',fli(ili(ii iiinl m wil. h.iii iii,iii ^-r
vvohiil i'.l, III tili. M 1' I. Iiliiii).-iii .ji III iiiiji \ iijiiiiiii iii< hl : <|>i< Ii Miiiii /ii
/,ii^';fri|flH-ii . III l'.iiin IcImiiiI, .1 h in . in. i .SIüiII, wo /wmi/.JK vri
hi'hiflitlic Allen <lii ( iiMtll-n h.iil n. 1». ntiii,iiiil«i hfhlrhfii inul wo jtdti
tiich mit etWilH Mnlh- iiml (l.'l'il iiiir il).-riif ( U-Hfllht h.il I un.j .hu in
f-M-llt-iidr Sitte hchiillrii kiinn, iinil vtn alltii l)iii^i-ii In pi- 1 mhi 1 1 . h nn
jil»ii.'inj.',i ).',<• II Vi- I liii I hl l'iritii ItlMinl, ilittn /ii kiiiiti i<lu||i-ii..ii l.i.iiiiiu u
JUHhi-ii k.iiinl.-ii, Kiiiinh' iln' I'i.ikim ilri .''■.iii.l, i h. n w. il .l.i ll.inllilit, duM
l/t-iili-n, ilt-i l>liini|>l Irhili- iinil hli- mk h lilol.l uh < >tip.iiiiilil.il nn.l Annirte'
niinl iluihltlllr. im hl <lii- nrtli^M- liih- ItidcnhiiH-. «-iliinf-MH
lli' i/n Will \iiliii. I ii)', .hil.t .1. I 11.11. Hr^jrüT fin wiihlit htü
lnili\ iiliiiiiii ri^'jlll, vvilt hf.i (1 In illr nilru lilnltnnlf, MiiliKMlf l»i»lh-iion
Hill iilliii l»rMli-h(niltii Vfi li.illnJHMfn vciwt/.tt- , lin !nili\ iiliinni, w. It In-i
liurlt »fllit-r ihlUtM'ni 1/UK<" vi! /n iiMiauKlp. w.n, um ,i. h .1. n .mll. i. n
Vt'lllilitllirtttrli nit/.i«-htii oiifi uil« li iiiii ihiti »iwrliini /ii konin n, nn.l
von ilri un(h-nii .Mtilt- ilocli \'iij /u iii.h hlif.- von »Irin niiun In h. ii. n
lli-WIlUlntln ihiK h.ji niiK.'-n wmi. nin mhi ihm ,ili/.||luH|iitMl, oilii iui. h inii
hellt' in liii I n ml I ln-o n- hr^t h von ihm iili/iiliihnril, il. h. /ii lir ii< h.- 1 ii
jiie^eh Inilivlilnnin tlnilli- nicht dwii MoU licinilich ciicliicchiii , i->i
inilütr vicltnclil hcilH tu M.nm iiiiij »leiiier Vuinilic ^ff<cniil» i olh n m m
l<c( hl /mn l'.licl.nn h h. Ii.in|il. n Icdci iiciit< (Jliillltc. j..l. n. n. I,.ln.
will .liii.h Itlnl nn.l (Jiud hchli^/ill w.i.l.ii. Jljc will wl< .li. .Ini.lli. h.-
Kcli^ion, die dien »o^Mr wl» filien dm i mai hl i^-'ih n lliwilnr Im ilm-
') l)lt^Hrlti»i AiiffantiilUK liliilpt nlt li In liunnitllin MiIiIimi <iii l,i>iiiilr> UluiUkM,
Vjäl, l'unllinml l,a»httllr, Niu liji»-l.tnariiM Milpft- inid ,'.< liiHliii, llil I, Nl,<i4-S#7,
;{.5
W;iliili<il liiir.t« III , lim |{ I n I /,«• n j-.- n ImIkh. \)\,-,r l'.lul /.( iirfii sind
< Im II iln:,r vDiii III iK II r.( )'iill <i l:il.l|( II I m 1 1 \.i( Iik n ,||,. dnit h ihn m den
lll<'l<Hi(lihil<);if:,l( II K;iiii|)l iiiil dn ( icsidlsfliiil t liiiit iimm m lil.udci I.
wridcii ; sie l:<tiiii( II iiioj'JH li<i vv« i:,c in diesem K;ini|)l ikk li uiili-ij-elieii,
;|ImI ;iII dei M ;i( lll , die Me in die'.eiil K:ini|)l )'ei'eil ;ille I 'osil idileil der
( ics<'lls( liiill eil! wit kein, /.<i)'.l M< li <l;inn, oh du Inlialt ein v\:iliiei und
|el»en',r.dli);e| lind wie ll;illee| '.einei idij'eHK lllell \'el Wl I I I K In ilir i'.t
h.illlll :ili< I i||e:.e KiiJllMon lini '.o l)lllll)'e| VVeide, nilll.ile dle:,e', Inill
Vldllllin sieh ni einelll l^inid«- Inidi n, in Weieliein die ;i||e Sllle IHK h iliie
•illlllsli' Wil l<lielll:ei| yylnA.'i lll hell I '.ellhilK I , e:. Iinil.'te M(ll in elliel
l\e||)'|()ir.jMlllellr,( ll;il ( linden, VVe|( lle die l'Jle niiell ;ds S ;i Iv 1 ;i 1 11 e n 1
linr.lelll lind du mhiiiI liie iin;iiit;i:.t l);iie I leili^d.eil des ( .ot I lielieli
leilil im i; .il Imli/iMiiii , , I ■, nnil.lle in einem Sl:nide er.leheii, vveiejier
\y.l\ exeelleiK (• und ;il l'..< lll le I.'.Ik |i de i V'illlelei dei .illeii < '.e^,e||:.( li;i | h,
• •idiiiinp. r.l lind /.ii).'.l<'i< li m seinem ).',ii)üen Hesil/. das Mittel li.il. jidi n
iimIi vidiii Heil Aii^MÜI soloil sii^'.K'icIi /.u im I ei d I üeken , <l li in den
Keili< n de'. IiiiIk n und iii.k hl i^-i n Adel',
IVISl wenn die ( ie)-'.CIISill /.»• .'lO lll dei ll( lelist lll<»|dielieii Sfll.llle und
Knii/.eiit lal inii, <leieli sif V.\\\\y\ waiell, einamlei p,e^'eiiiil)eistalldeii tllld
/ii:..iiiiiiien'.l lel.leii ei',| d. 11111 w.ii dei |'",ill :.(>/ 1 is.ireii ;.(> leelil ans
dein lte^;|lll llei ails}.',es< lllll t /l , eist dann \\\iy, ei alle Im»I dellliireii dt-s
Mrp.lilJs lind den (1itilal<lei seiiiei iini veiseilell I («dellt llll^; Itllleii^dial all
^ii<ll. c-imI d.niii iiniUle det /ai'..iinineii',lt>l,l /n eiiiein ni> hl /n veimilli In
dni, /,ll einem vei/.welle||en, .ihel /ll}del( h /ll dei l( In leli h'.lell .'.i >,' l.lleii
'rill^^'.odie Wil(l<MI,
\''»n d« I < nieii ,'li'lle delil'.t lle Mi.i.d, !■. .ll hi>h/IMini'., ehehel i liehe
(ieVVidl, l'unillle, Keiehlllin, Adel, dies alle'. Ilnt ll, VVK" \(>ll einem V\'all,
von (In lilll;.'.ei ||( hell .Aii'.K hl \oii dei l'lhe lll lei liailj >l lllllj^-elteii \'till
drt lllldrlrll Seile die hele l'ei'.onlK hl.ell lllll dnel IIIKIldlK hen .Aiiinil
tllld Mtllejlii-.i^d.eil II. K h .niüeii mit ihiein miendliehi n Kei<hliiin n.ieh
iniM II
I >li 1,111 inde, die ii h <>|m n .<> Inlile. leide | iioi ll .111 einem l't'hlet . .111
dein f.',ewall i(.',«ii i'hlei dei .Al.'.l I .d. I Ion den ',. hon die l'ane'.l nie in >liii
S« Illrli-IIIIIK liei'.i hell Itiieleii ilii iiiil.l.ii voiuiill uiiil deil Sdllclci in.M het
l*rll»nl, rui\ lel Muhe ei sieh aiM'h (.'.dit , iinlit wef.Mlr.(>iil lenn K.mn !']ine
M iiie ^ii)-'l namJK ll, eri ,scl ein luhKi jeiK-. ilnehe-i. d. i l.i ni.ni ni« hl <i I. du e,
.'11 VVelellel rilelll ij.'k(M I lll .lel .\ 1 1 1 1. n \ve 1 1 '.oI. lle l.lel..' l.lUlllde lllld
llilliis iM'.'idiidrin lM'f.'ei,s(ri t lialif, :ii»|elie ijil'i- Könne iiu hl ohne \'.\\\
lllll.l lllll <lii'i lild.leie. Idllj^-el helle i.elten li|ell»ell, ae inil-.'.e .u ll .11 T.ileil
und W'ii Lini^'i II ii.nh aiiÜeii eihehiii
I »a>i Ulehli^'e, weither, lll die'.em \'oi\villl lllllilai h<>',l. iM lolmMides:
\'oii eiiielll lirileli und helieileii (iedaiiKeii diiiehdi uiimMU- Indixiduuli-
M4 v>i , 1,4. ««U.- N.I.M... IV I
= 34 =
täten wie Julius und Lucinde müssen notwendig in Gegensatz mit
der Außenwelt treten, deren geltendes Prinzip sie für sich aufgehoben
haben. Das Hauptinteresse liegt eben darin, zu sehen, wie sich die Wirk-
lichkeit zu einer solchen befreiten Gestalt verhält. Den Gegensatz und
den Contrechoc beider zu beobachten, die schonimgslose Feindseligkeit
zu betrachten, mit welcher in diesem Ringkampf die Welt durch die
Wucht ihrer positiven Existenzen das Individuum zu erdrücken sucht,
imd die Widerstandsmittel andererseits, welche die befreite Persönlich-
keit aus der Tiefe ihres Prinzips herauszuentwickeln weiß.
Von alledem erfährt man nichts in der Lucinde. Von aller umgebenden
Wirklichkeit ist darin abstrahiert, vm.d Lucinde lebt frei imd ungestört,
als wenn der Widerspruch der Bxistenzwelt gar nicht vorhanden wäre.
Diese totale Abstraktion ist in der Tat noch die Folge der romantischen
Richtung Schlegels ; aber eben dieser Abstraktion wegen ist die Lucinde
kein wirklicher sozialer Roman.
Wenn aber das neue Liebesbewußtsein erst wirklich lebendige
Individualitäten ergriff, dann mußte dieser in der Lucinde übergegangene
Zusammenstoß sich vollbringen, und damit er in der höchsten Intensität,
deren er fähig war, stattfinde, mußten die äußeren Verhältnisse, in denen
das Individuum auftrat, wie oben auseinandergesetzt, grade die der
neuen Freiheitsidee widersprechendsten sein. —
Beiläufig gesagt wird es Ihnen nun schon lange klar geworden sein,
daß ich jetzt eben von Ihnen und Ihrer Historie rede. Sie müssen aber
nicht etwa glauben, daß Ihnen hier eine gewaltsame Deutung gegeben
worden sei, weil Sie eigentlich nie konsequent nach außen hin die Be-
rechtigung des freien Liebesgenusses im allgemeinen, sondern mehr nur
diese Berechtigimg grade für sich selbst behauptet und sie mehr durch
die enorme Ihnen von Ihrem Mann angetane Unbill motiviert haben.
Denn teils lag doch jene Idee, wenn auch unklar, immer Ihrem innern
Bewußtsein zugrunde, teils ist es ganz einflußlos, ob Sie sich selbst
Rechenschaft über das Sie treibende Prinzip abzulegen gewußt haben.
Vielmehr ist es grade eine Eigentümlichkeit fast aller geschichtlichen
Persönlichkeiten, daß sie den Gedanken, der sie durchdringt, der die
Seele alles ihres Tuns ist, nie in klarer Form sich selber zum Bewußt-
sein bringen können. Könnten sie dies, so wären sie damit zugleich
Herren und Meister dieses Gedankens imd nicht das von ihm regierte
und gleichsam willenlos bewegte Instrument. — Die Hauptsache ist
also die, daß Sie stets Ihrem Manne oder Ihrer Familie gegenüber Ihre
Freiheit, zu empfinden und zu lieben, als Ihr gutes Recht behauptet
haben, wenn Sie dieselbe auch vorzüglich durch das Übermaß der vom
Grafen erfahrenen Mißhandlungen aller Art und nicht durch das rein
allgemeine Prinzip selbst motivierten. Die Hauptsache ist, daß Sie
— 35 —
sich nie zu der Herabwürdigiing bringen lassen wollten, ein zugeste he n ,
daß Sie sich vergangen hätten, indem Sie jene Freiheit der Persönlich-
keit, sich in einem Individuum zu finden und zu genießen, ausübten.
Die Hauptsache ist, daß Sie mit dem echt theoretischen Stolze des von
einem Prinzip berauschten Geistes sfehr oft Ihr ganzes Schicksal, das sich
sonst hin und wieder hätte einrenken lassen, lieber zerschellen ließen,
als jenes Geständnis abzulegen; daß Sie sogar jenes Geständnis nicht
einmal bloß theoretisch und scheinbar, d. h. heuchlerisch ab-
legen wollten, wo Ihnen Ihre Familie, wie z. B. die Nostitz ^) einst in
Berlin den Weg zeigte, unter der äußerlichen Af fichienmg einer Sinnes-
änderung, eines frommen Wandels usw. die frühere Praxis zu verbergen.
Denn bei einem von der Gewalt eines Prinzips wahrhaft erfaßten Geiste
ist es grade die Hauptsache, nicht etwa im stillen und geheimen dem
Prinzipe praktisch nachzuleben, sondern es theoretisch und prin-
zipiell als sein Prinzip zu bekennen. Ein solcher Geist steift
sich vor allem darauf, sein Prinzip theoretisch zu bekennen und sein
Recht zur Anerkennung zu bringen (was ich bei Ihnen in bezug auf
die praktischen Konsequenzen so oft das Streiten um den Punkt auf
dem i nannte), er wäre eher noch imstande, die Verwirklichung seines
Prinzips aufzugeben — denn damit gäbe er doch nur die Außenwelt
auf — , als theoretisch auf sein Prinzip imd die formelle Anerkennung
seines Rechts zu verzichten. Denn dies, was dem gewöhnlichen Menschen
Fordenmg der praktischen Verständigung zu sein scheint, erscheint
einem solchen Geiste von der einen Seite als Aufgabe imd Verrat seines
Prinzips, d. h. als Heuchelei, von der andern Seite aber, weil dies Prinzip
den tiefsten Inhalt seiner Persönlichkeit ausmacht, erscheint es ihm
sogar als Aufgeben seiner innern Persönlichkeit, als persönliche
Selbstentwürdigtmg und Selbsterniedrigung.
Die Hauptsache ist ferner, daß Sie, von dem Gedanken durch-
dnmgen, daß der I^ib allerdings zum frei sich darbietenden Gefäß der
Liebe, aber eben auch nur zu der Realisation der Liebe bestimmt sei,
sich entschieden weigerten, worüber sich Ihre Familie so oft tadelnd
wunderte, die Schönheit Ihres Leibes, die Macht der Sinnlichkeit auf
Hatzfeldt wirken zu lassen, wodurch Sie ihn gar bald vmterjocht haben
würden. Dem Prinzipe von der freien Verwirklichung der Persönlichkeit
in der Liebe, dem Prinzipe von der Vollendimg der Liebe durch die freie,
sittliche Hingabe des Leibes, erscheint der Leib als ein überaus Heiliges,
welches durch jeden andern Gebrauch desselben als zum wahren Liebes-
gebrauch, selbst dem Ehemann vmd seinem äußeren Recht auf diesen
Leib gegenüber — (dieses Recht erkennt ja eben dieser Geist, der nur
^) Gräfin Klara von Nostitz (1807 — 1858), Schwester der Gräfin Sophie von
Hatzfeldt.
==_== 36 =====
das Recht der freien Liebe anerkennt, durchaus nicht an) — , entheiligt
und entweiht werden würde. Darum blieben Sie für Hatzfeldt, wie er
sich ausdrückte, die tote Statue.
Mit dem obigen hängen mm weiter aufs innigste die Forderungen
zusammen, die Sie Hatzfeldt gegenüber stellten und welche, oft in
praktisch verständiger Hinsicht von schreiendem Unverstand, hier ihre
wahre, tiefe Begründung und irmere Notwendigkeit finden. So wollten
Sie so lange absolut nie in die Scheidung willigen, was vom verständigen
Standpimkt aus rein imerklärlich scheint, da Ihnen doch alles daran
liegen mußte, von diesem Manne loszukommen. Aber von hier aus
findet es seine Erklärung.
Sie wollten nicht in die Scheidung durch gegenseitige Schuld, ja
nicht einmal in die Scheidimg ohne alle bestimmte Schuld, par consente-
ment mutuel willigen, weil Sie wußten, daß nach den Vorurteilen Ihres
Standes die Scheidung immerhin sozusagen als eine Entthronung Ihrer-
seits, d. h. als eine Anerkennung eines von Ihnen vollbrachten Un-
rechts aufgefaßt werden würde. Grade deshalb aber wollten Sie, der
es vor allem darauf ankam, vor den Augen aller Ihr theoretisches
Recht aufrechtzuhalten, nie darein willigen.
Seien Sie ehrlich. So oft Sie Hatzfeldt auch Vorschläge der Ver-
söhnung und des Zusammenlebens machten, Sie dachten nie emsthch
daran, ihm von da ab die ehehche Treue zu bewahren. In der ganzen
konsequenten Kühnheit Ihres Prinzips erhoben Sie sich so zu der
fanatischen Fordenmg — die dem Grafen natürhch Insolenz zu sein
schien — die Ehe selbst imd mit ihr zugleich die Freiheit, die Ehe zu
verletzen, aufrechtzuerhalten.
Die Freiheit, die Ehe zu verletzen, koimten imd durften Sie lücht
aufgeben, weil Sie sonst Ihr Prinzip, Ihre innere Persönlichkeit auf-
gegeben hätten. Die Ehe selbst wollten Sie nicht aufgeben, damit Sie
nicht einen Fehl begangen zu haben anzuerkeimen schienen.
Weil Ihnen eben die Ehe mit Recht gar nichts mehr, die freie
Persönlichkeit imd ihre unendliche Berechtigung alles war. schien
Ihnen in dieser wahnsinnig kühnen Forderung der Ehe und Ehelosig-
keit zu gleicher Zeit kein Widerspruch zu liegen.^)
Eine so tiefe, prinzipielle Bedeutung aber diese Forderung auch
hatte, so litt sie doch an einem irmeren Widerspruch. Die Ehe hat keine
Heiligkeit, und es ist das Recht der Liebe, sie zu verletzen. Wo die
Person durch die äußeren \'erhältnisse in der Ehe zu bleiben gezwungen
ist, wo sie dieselbe nicht lösen kann, da hat sie das Recht, dieselbe als
nicht vorhanden zu betrachten. Aber wo sie sie lösen kaim, hat sie die
1) Vgl. hierzu Lasalles Brief an Graf Westphalen vom i. Januar 1848 in Bd. I,
S. 345 f-
= 37 — =
Pflicht, sie zu lösen; es ist prinzipwidrig, dieser Lösung zu widerstreben,
denn das Prinzip lautet ja eben auf Abstreifung der Fessel der Ehe iind
daher der Ehe selbst in ihrer jetzigen Gestalt. — In dieser Ihrer Forde-
rung war daher eine Inkonsequenz tmd ein Widerspruch, und deshalb
habe ich mich von je so bestimmt gegen dieselbe aufgelehnt.
Eine andere Fordenmg, an der Sie unendlich fester hielten vmd
selbst, als Ihnen in bezug auf die äuiBere Lage ganz akzeptable Be-
dingungen gemacht wurden, den Vergleich lieber zerschellen ließen, er-
hält auch erst von hier aus ihr volles Licht. Ich meine Melanie.^) Zwar
kann man meinen, schon die bloße MutterHebe erklärt es, daß Sie so
großen Wert auf die Tochter legten. In der Tat aber würde es die bloße
Mutterliebe nicht erklären, wie eine so geistreiche Frau wie Sie jahre-
lang Existenz, Stellimg, Lebensgenuß lieber aufgeben konnte, als auf
ein ihr ohnehin seit zehn Jahren entrissenes und durch Erziehung inner-
lich entfremdetes Kind verzichten, welches ohnehin nicht mehr zu er-
kämpfen war, vmd selbst wenn es erkämpft wurde, wegen der Not-
wendigkeit, es in kurzem zu verheiraten imd somit aus Ihrem Lebens-
kreis heraus in einen fremden zu entlassen, eine sehr flüchtig vorüber-
gehende Eroberung gewesen wäre.
Wie gesagt, erst von hier aus erklärt sich Ihr starres Festhalten auf
der Forderung, Melanie durchaus selbst zu erhalten und auch nicht
einmal einen Vermittlungsvorschlag zu akzeptieren, wie z. B. sie einem
Familienmitghede zu übergeben.
Denn während Sie sich mit Recht be^soißt waren, die Idee der Weib-
lichkeit grade zur vollkormnenen Entwickltmg in sich gebracht zu haben,
wurde von der Ihnen gegenüberstehenden Welt der Satzung, die ihren
Vertreter in Ihrer Familie und Gatten fand, die Freiheit Ihrer Richtung
als das L'nwei bliche aufgefaßt und behauptet. Bei jedem Vergleichs-
versuch miißte daher die Frage über Melanie eine unlösbare Schwierig-
keit bilden. Bei der Auflösung einer Familie fällt das Weibliche dem
Weibhchen zu, die Tochter somit der Mutter. Sie waren also bei Ihrer
Fordenmg Melanies in Ihrem Recht. Aber von der Seite Ihres Gatten
wurde grade behauptet, daß Sie das Weibhche in sich verletzt imd
aufgegeben hätten vmd daß Ihnen deshalb Melanie nicht gegeben werden
könne. Grade hierdurch wuchs vmendlich an Intensität die Gewalt, mit
der Sie Melanie begehrten. Auf sie freiwillig verzichten, hätte für Sie
also geheißen, anzuerkennen, daß Sie sich an der Idee der Weiblich-
keit vergangen haben. Ein solches Anerkenntnis aber war für Ihr Be-
wußtsein eine innere L'nmöglichkeit ; es auch nur scheinbar abzulegen,
oder vielmehr auch nur durch Nachgeben in bezug Melanies anderen
*) Melanie, die einzige Tochter der Gräfin.
die Möglichkeit dieser Auslegung zu geben, widersprach absolut Ihrem
Selbstbewußtsein, die Idee der freien Persönlichkeit in sich grade zur
sittlichen Entwicklung gebracht zu haben. Sie forderten Melanie also
nicht bloß um Melanies willen, sondern Ihre ganze eigene Persön-
lichkeit legte sich in diese Forderung; und deshalb bloß
hielten Sie so erstaunlich fest daran.
Da prinzipiell diese Forderung durchaus gerecht war, so konnte ich,
solange die Hoffnung eines Sieges möglich war, an derselben nichts
aussetzen.
Dennoch aber war mit dieser Fordenmg der Kampf zum unlös-
baren geworden. Denn von der andern Seite wäre die Überantwortung
Melanies in Ihre Hand die volle und positive Anerkennung seitens
der alten Welt gewesen, daß Sie die Idee des Weiblichen zur richtigen
Darstellimg und Entwicklung in sich gebracht haben. Dieses Anerkeimt-
nis aber, daß in der Idee der freien Persönlichkeit die wahre
Bestimmung des Weiblichen bestehe, konnte immöglich die
alte Welt selbst von sich geben. Denn es wäre dies ja das Todesurteil
gewesen, das sie selbst über sich ausgesprochen hätte ! Ein Todesurteil,
wie sie es vmter dem Messer der Guillotine zwar hinnehmen muß, aber
selbst da nicht einmal selber anerkennen wird.
Dies Anerkenntnis also konnte wegen des prinzipiellen Gegen-
satzes von Ihrem Mann imd Ihrer Familie nicht abgelegt werden. Mit
Ihrem Beharren auf Melanie war also von vorneherein — imd ich bin
mir dessen seit je sehr bewußt gewesen — der Kampf zu einem solchen
gemacht, der nicht mehr ausgeglichen und nur mit dem entschiedensten
Ruin der einen Seite geendet werden konnte. Die entgegengesetzten
Prinzipien hatten sich, indem jedes forderte, daß das andere selbst sich
als das unwahre anerkenne, zwei Doggen gleich, so ineinander verbissen,
daß sie nicht mehr auseinander kommen konnten, ohne sich zu zerreißen.
Ich habe eigentlich, indem ich von den Bedingungen sprach, die Sie
im Kampfe aufstellten und aufstellen mußten, eine lange Abschweifung
gemacht, welche dadurch entstand, daß ich Ihnen nachweisen mußte,
wie es wirklich das Prinzip der sich im Gebiete der lyiebe frei verwirk-
lichenden Persönlichkeit war, welches in Ihnen seine Trägerin fand.
Eigentlich hätte ich oben, als ich von dem Gegensatz sprach, in welchem
sich die freie Individualität zu der Welt der Existenzen gestellt sehen
mußte, um den Zusammenstoß zu einem echt begrifflichen und inten-
siven zu machen, zuerst diesen Zusammenstoß mit der Wirklichkeit, den
Kampf selbst, entwickehi imd dann erst auf das weitere kommen müssen.
Ich nehme also hier den Faden wieder auf, wo ich ihn oben ab-
gerissen. Ich hatte gesagt, daß die Idee der freien weiblichen Indivi-
dualität, so wie sie in die Praxis trat, ihren absoluten Gegensatz an der
- — = 39 — —
Wirklichkeit finden und in Kampf mit ihr geraten mußte. Daß ferner,
damit dieser Gegensatz ein um so tieferer und blutigerer werde, sie sich
in äußeren Verhältnissen befinden mußte, welche am direktesten der
neuen Idee entgegenstanden; im Katholizismus, welcher die Ehe als
Sakrament anerkennt, in den Reihen des höchsten und reichsten Adels,
welcher schon als Stand par excellence Vertreter der alten Unfreiheit
ist, und der zugleich in seinem großen Besitz und Einfluß das absolute
Mittel hat, jeden individuellen Angriff zu unterdrücken ; in Deutschland
endlich, dem Lande der Philistermoral.
Ich hatte aufmerksam gemacht, wie auf diese Weise alle Existenzen
der positiven Welt auf der einen Seite standen: Ehe, Adel, Besitz an
Gütern und Einfluß, männliche und Familienautorität, imd auf der
andern Seite nur die freie Persönlichkeit mit ihrer imendlichen Armut
nach außen und ihrem imendlichen Reichtum nach innen. — Ich habe
gesagt, wie grade bei diesem absoluten Gegensatze der Kampf ein um
so lehrreicherer und großartigerer werden mußte.
Eigentlich aber könnte man fragen, wie soll denn — bei der absoluten
Mittellosigkeit der freien Persönlichkeit nach außen, die nichts als
ihren innern Reichtum hat — der Kampf entstehen können? Womit
soll er bei dieser absoluten Mittellosigkeit, der alle Existenzen gegen-
überstehen, geführt werden können? Denn dsdfe reine Innere, das weib-
liche Element, dem noch dazu durch seine Natur die äußere Tat versagt
ist, kann nicht äußere Existenzen bekämpfen. Wie also soll der Kampf
selbst überhaupt nur möglich sein?
Die Persönlichkeit, die nichts hatte als sich selbst, wandte sich daher
um Hilfe an die äußerlich mit ihr identischen und zusammenhängenden
Persönlichkeiten, d. h. an die Familie. Aber die Familie gehörte ja
eben selbst der Welt des unfreien Dogma an, das zu bekämpfen war;
sie war, als Adel, der Vertreter des Alten; sie konnte nicht ihre Hilfe
leihen, um ihr eigenes Prinzip und ihren Quell, die Ehe, anzugreifen.
Sie wies die freie Persönlichkeit, mit der sie in notwendigem prinzipiellem
Gegensatz stand, zurück vmd trat ihr, sobald diese die innere Empönmg
in den äußeren Kampf verwandeln wollte, feindlich entgegen. Womit
also sollte die freie Persönlichkeit, der alle Mittel der Außenwelt ent-
gegenstanden, keins zugänglich war, ihren Kampf führen?
Es sollte fast unmöglich scheinen, daß der Kampf überhaupt zum
Ausbruch kommen konnte, und in der Tat, versichere ich Sie, hätte in
keiner andern Zeit als eben in der unsrigen dieser Kampf auch nur zum
Ausbruch kommen können. Daß es zu einem Kampfe, und zwar zu einem
Kampfe von Macht zu Macht kam — das selbst ist schon Ihr eigent-
licher Sieg und an sich der mächtigste Beweis, daß Sie ein unüberwind-
liches Zeitprinzip vertreten. —
40 -—
Die interessante Frage also war, welche Mittel und Waffen sollte
die mittel- und waffenlose Persönlichkeit in dem Kampf führen?
Aber die auf dem Prinzipe der freien Persönlichkeit beruhende
Individualität hatte in diesem ihrem Inhalt eben selbst schon die
Mittel an sich, imd diese Mittel waren: die Macht der Persönlichkeit
tmd die Macht des Prinzips, das sie vertrat.
Wenn eine weibliche Individualität revolutionär gegen die Welt der
Sitte auftritt, so ist das Hauptkriterium, um zu wissen, ob dieser Er-
scheintmg bloß einzelne Ausgelassenheit oder das sittliche Prinzip des
neu entstehenden Zeitbewußtseins zugrunde liegt, die Frage : wie wird
sich die geistige Männerwelt zu dieser Erscheinung verhalten? Denn
lyiebe imd Sitte sind eben das Verhalten von dem einen Geschlecht zu
dem andern, \md wenn also von Seiten des Weibes eine Änderung in der
bisherigen Verhaltungsweise vorgenommen wird, so fragt es sich, ob
diesegeänderte Weise von Seiten des andern Geschlechts, der Männerwelt,
anerkannt wird. Um so mehr als die Männer das Geltende, die Macht
imd Wirklichkeit in der Gesellschaft repräsentieren, von ihrer An-
erkennung also der Übergang des Neuen zur allgemeinen Sitte ab-
hängig ist.
Aber mit der Anerkennung kann es noch nicht hinreichen. Die
weibliche Individualität findet sich ja eben in dem Kampfe, den sie be-
ginnen will, von vorneherein von der Wucht der positiven Existenzen
erdrückt und braucht Hilfe. Und da sie ein Prinzip vertritt imd um
dieses allgemeine Prinzip der freien Persönlichkeit eben der Kampf
geführt wird, so hat sie in diesem Prinzipe selbst die hilfeschaffende
Macht. Diese Individualität, welche von den äußerlich mit ihr identi-
schen und zusammenhängenden Individuen — der Familie — verlassen
wurde und werden mußte, weil ihr Kampf für die freie Persönlichkeit
imd gegen die unfreie Famihenidee geht, findet ebenso notwendig in
den äußerlich ihr fremden, aber innerlich mit ihr identischen, d. h.
von demselben Prinzipe der freien Individualität beseelten Persönlich-
keiten Hilfe. Diese Hilfe mußte sie finden, denn alle jene Persönlich-
keiten sehen, daß es sich um ihr gemeinsames Lebensprinzip, um die
Berechtigung und Geltung der freien Persönlichkeit handelt — und sie
ergreifen daher für ihr Prinzip die Waffen.
Daß aber das einsam ringende Weib diese Hilfe findet, das beweist
eben am mächtigsten und siegreichsten, daß es nicht für seine bloße
Lust, auch nicht für irgendein noch so vortreffliches, aber rein persön-
liches Element kämpft, sondern daß es für eine wirkliche und schlecht-
hin allgemeine Zeitidee, für das wahrhaft allgemeine Prinzip der freien
Persönlichkeit selbst gelitten und gekämpft hat. — Diese Hilfe wird
jener Individualität aber nicht zuteil individueller Beziehungen wegen,
— = 41 = • —
sondern wegen des Prinzips, das aus ihr handelt; nicht also ein Ver-
liebter ist es, der, weil er sie liebt, sondern drei Männer auf einmal
sind es, die nicht in persönlicher Liebesbeziehung zu ihr stehen, sondern
rein durch die innere Macht des Prinzipes bestimmt, sich der um ihre
Geltung kämpfenden Persönlichkeit zur Disposition stellen. Und grade
weil diese Hilfe nicht eine aus persönlichen Beziehungen, persönlicher
Teilnahme entsprungene ist, beschränkt sie sich auch nicht auf ein
mehr oder weniger hilfreiches Bemühen, sondern als durch die Identität
des Prinzips erzeugt, trägt sie den Fanatismus des Prinzips in sich und
ist eine Hilfe auf Leben vmd Tod!
So fanden Sie Ihre drei Mousquetaires, Madame ! Und es war nicht
gleichgültig oder zufällig, daß Sie dieselben nicht bei leichtsinnigen
oder vmtergeordneten oder romantischen Individuen finden sollten,
sondern, was sich für Sie erhob war die Blüte junger Männerwelt,
in der behaglichsten äußeren Lage, ein Assessor, ein Arzt, ein Philosoph^)
auf der höchsten Stufe geistiger Bildimg und Vemünftigkeit stehend.
Natürlich aber konnte diese Hilfe nur in den Reihen derer entstehen,
die in jeder Beziehung zu der Fahne der freien Verwirklichimg der
Persönlichkeit geschworen hatte[nj, d. h. der sozialen Revolutionärs;
und sie konnte ferner nur in einem Augenblicke entstehen, wo die Idee
der unbedingten Verwirklichung der freien Persönlichkeit sich schon
tief genug in die Welt eingearbeitet und hinreichend entwickelt hatte,
um zu ihrer gewaltsamen praktischen Durchführung entschlossen zu
sein, d. h. kurze Zeit vor dem Ausbruche einer allgemeinen sozialen
Revolution.
Diese Ihre unbedingt größte geistige Tat, Madame, daß Sie Ihre
drei Mousquetaires fanden, scheinen Sie mir nie genug gewürdigt, ihr
nie hinlänglichen Wert in bezug auf die Beurteilung Ihrer selbst bei-
gelegt zu haben.
Der Beweis für die Wahrheit und Tiefe eines Prinzips ist die Macht,
die es ausübt.
Und jene Tat war eben der absolute Machtbeweis, den Sie ab-
gelegt haben ; es war der Beweis, daß Sie die umwälzende Idee der Gegen-
wart nach einer Seite hin zur mächtigen Erscheinung in sich gebracht
haben.
Die Welt aber hat einen richtigen Instinkt; ohne es klar erfassen zu
können, täuscht sie sich dennoch nicht über jenes Faktum. Sie ahnt
darin eine neue und unbekannte Gewalt, die Sie ausgeübt haben müssen !
Glauben Sie mir, soweit ich seit 1846 herumgekommen, so hat sich
niemand, einige sehr wenige, ganz seichte Köpfe ausgenommen,
1) L,assalle meint natürlich Alexander Oppenheim, Arnold Mendelssohn und
sich selbst.
— 42
jenes Faktum von Ihren drei Mousquetaires und dem verzweifelten,
alle Existenzen der Gesellschaft verachtenden Auftreten derselben für
Sie durch Verführung, I^iebe usw. usw. erklären zu können geglaubt.
Es stand dem zu viel entgegen. Der gewöhnlichste Verstand — imd ebenso
jene Frauen in Ems, die Sie mit soviel innerer neubegieriger Scheu imd
äußerer Strenge anblicken — vermutet dahinter das Walten einer ihnen
imbekannten Macht, die Ihre Persönlichkeit ausüben müsse, vermutet
dahinter etwas Unbegreifliches tmd Unerklärliches aber Bedeutungs-
volles. Es ist die Ahnung, daß etwas Neues in die Welt gekommen, das
Macht haben müsse ; es ist, so wenig sich die IvCute darüber klar werden,
die Ahnimg von dem Auftreten eines neuen Prinzips in der weiblichen
Welt und der Gewalt, die es ausübt.
Das Wunder war seit je, schon bei Christus, der Beweis der gött-
lichen Sendung!
Bei der Frauenwelt aber, welche in der dunkeln Ahnung dieses
neuen Prinzips, in der unklaren Anschauung der Macht, die es über
die Männerwelt hat, ihr eigenes Ivcbensprinzip vernichtet sieht, ge-
staltet sich dieses Vorgefühl zum unheimlichen Haß.
So hoch indessen der Machtbeweis ist, den die Persönlichkeit ab-
gelegt hat, indem sie durch die bloße Gewalt ihres Prinzips aus dem
Nichts sich ein Heer geschaffen hat, so ist es doch noch nicht der höchste
Machtbeweis, dessen die freie Persönlichkeit fähig ist und den sie leisten
muß. Denn die revolutionären Elemente, welche sie an sich riß, waren
ja das von vorneherein durch ihr Prinzip mit ihr Identische und Gleich-
artige. Die freie Persönlichkeit hat also in diesen Kämpfern nur das
von vorneherein ihr Gleichartige sich assimiliert, nicht aber ein ihr
Entgegengesetztes bezwimgen. Wenn die freie Persönlichkeit sich wahr-
haft als das absolut Mächtige und somit als das absolut Wahre be-
weisen soll, so muß sie die Macht haben, ihr Gegenteil selbst, die ihr
entgegengesetzte Welt der alten Wirklichkeit zu überwinden
und für sich zu begeistern. Denn das ist das wahre Kriterium eines zu
seiner Verwirklichung reifen Prinzips, daß es nicht nur über sich selbst
und das ihm Gleichartige, sondern über seinen Gegensatz selbst Ge-
walt hat.
Auch von einer noch andern Seite her war dies nötig. Die freie
Persönlichkeit hat in den prinzipverwandten männlichen Individuen
ein Heer und das Element der Tatkraft und des Handelns sich er-
obert, aber zum Kampfe selbst ist noch ein anderes nötig. Der Kampf
nämlich geht gegen die Wirklichkeit, das wirklich Geltende. Die Wirk-
lichkeit aber kann immer nur wiederum durch das Wirkliche, das wirk-
lich Geltende immer nur wiederum durch das Geltende bekämpft
werden. Für das nicht Geltende würde es unerreichbar bleiben. Wer
43 =====
also die allgemeine Wirklichkeit bekämpfen will, der muß zuvor vStücke
derselben abreißen uiid in seine Gewalt bringen, um die Wirklichkeit
selbst nur mit der Waffe des Wirklichen bekämpfen zu können.
Das heißt also: zum Kampfe gegen das in der Gesellschaft Wirk-
liche und Geltende muß man zuvor selbst mit dem ausgerüstet sein,
was eben das allgemeine Zeichen und Ausdruck aller Wirklichkeit und
Geltung ist, mit dem Geld. Das Geld, als das allgemeine Zeichen der
Wirklichkeit, ist auch das unentbehrliche Mittel zur Bekämpfimg der-
selben. Aber als allgemeines Zeichen der Personifikation und der Wirk-
lichkeit ist das Geld eben nur im Besitz derjenigen Klassen und Fak-
toren in der Gesellschaft, welche eben das in ihr bereits Wirkliche,
d. h. die alten Zustände vertreten. Es war nur dem Begriff der Sache
entsprechend, daß die revolutionären Elemente, welche sich um die
freie Persönlichkeit geschart hatten, als selbst nicht der alten Wirk-
lichkeit angehörend, auch nicht hinreichend über das Zeichen derselben,
das Geld, disponieren konnten, um den Kampf zu führen.
Sie sehen daher vor jeder Revolution — und das ist das echte
Zeichen, daß das neue Prinzip seinem baldigen Niederschlag, seiner
Realisation nahe ist — das neue Prinzip sich in einzelnen Erscheinungen
Vertreter und Individuen der alten Stände unterwerfen, gegen deren
Klasseninteresse grade die Revolution gerichtet ist. Aber die Ge-
walt des Prinzips ist so groß, daß es sogar — in einzelnen Individuen,
versteht sich — den Klassenegoismus überwindet. Es ist dies auch not-
wendig für das neue Prinzip; denn an diesen Individuen, die es zu sich
herüberzieht, vmd ihrem Besitz erlangt es das in der Wirklichkeit
Geltende, das Geld, welches es braucht, um die Wirklichkeit selbst zu
attackieren. So ging der Französischen Revolution die Erscheinung
vorher, daß viele Adelige des höchsten Adels und sogar der Herzog von
Orleans ^) — dessen Geldmassen daher in der einseitigen Überschätzung
des eben aufgezeigten Moments einfältige Geschichtschreiber die Revo-
lution zuschreiben wollten — für die Revolutionsideen auftraten. So
ist es jetzt eine bedeutungsvolle Erscheinung, daß in Frankreich be-
sonders viele sehr reiche I^eute — - z. B. die großen Fabrikanten in
Mülhouse [sie!] usw. — imd sogar hin und wieder manche in Deutsch-
land sich zum Sozialismus bekennen.
So mußte auch die freie Persönlichkeit diesen höchsten Macht-
beweis ablegen, das ihr Entgegengesetzte selbst durch die reine Gewalt
und Tiefe ihrer Innerlichkeit zu überwinden und zu sich herüber-
zuziehen. Und damit dieser Sieg ein entscheidender und wahrhaft be-
deutungsvoller sei, mußte die Macht der freien Persönlichkeit jemand
~ 1) Herzog"phiUpp von Orleans (1747— 1 793). der sich als MitgUed des Jakobiner-
klubs Philippe Egalite nannte.
44
überwinden, der nach allen seinen Existenzverhältnissen die
strikt entgegengesetzte alte Welt vertrat, die sie bekämpfte; jemand,
der durch Alter, Besitz, Religion und Adel, also nach allen Seiten
hin die Welt der Existenz in sich personifizierte, gegen welche die
freie Person die Waffen ergriffen hatte.
Diesen höchsten Beweis der Übermacht der freien Persönlichkeit
über das ihr absolut Entgegenstehende legten Sie an Westphalen ^) ab.
Es war damit ein wahrer Sieg errungen, denn es war der absolute Gegen-
satz selbst überwunden, es war der Stand selbst, welcher par excellence
das Alte vertrat und angegriffen wurde, der Adel, zur Anerkennung der
Wahrheit des neuen Prinzips gebracht. Natürlich konnte (wie auch
z. B. bei der Französischen Revolution) dies Geständnis, daß sein
eignes Lebensprinzip überwimden imd die freie Persönlichkeit das
Wahre sei, nur von dem geistig gebildeten Teil des alten Adels ausgehen.
Sie müssen sich aber hüten, Westphalen usw. als bloße Ausnahme auf-
zufassen; Westphalen, Oppenheim, Mendelssohn, ich usw. usw. wir sind
alle nicht Ausnahmen, sondern nur die Vertreter der verschiede-
nen Klassen der Gesellschaft, welche herbeieilen, um dem neu auf-
gegangenen Prinzipe der weiblichen Persönlichkeit ihre Huldigung dar-
zubringen.
Aus dem Obigen folgt auch bereits, wie Sie mit der Bezwingtmg des
absoluten Gegensatzes der alten Wirklichkeit, welche Westphalen durch
seine Existenzverhältnisse repräsentiert, durch dieses Stück geltender
Wirklichkeit, das Sie an sich gerissen, das in seinem Besitze befindliche
Zeichen der Wirklichkeit, das Geld, notwendig erlangen mußten,
welches das unerläßliche Mittel zur Bekämpfung der allgemeinen Wirk-
lichkeit war.
Der Kampf war also jetzt, nachdem sich die freie Persönlichkeit
rein aus ihrer innern Macht heraus ein Heer geschaffen und sogar das
Mittel des Wirklichen, das Geld, an sich gerissen hatte, ein an sich mög-
licher. Aber dieser Kampf enthielt von vorneherein einen tiefen Wider-
spruch in sich.
Die freie Persönlichkeit kämpft für die allgemeine Anerkennung imd
Geltung ihrer innern Wahrheit, ihres Prinzips. Das zur allgemeinen
Anerkenntmg und äußern Geltung gelangte Prinzip ist das — Recht.
Sie kämpft also um ihr Recht rmd auf dem Rechtsweg. Das Recht
ist aber zugleich der verwirklichte Ausdruck der alten Gesellschaft
und ihres Prinzipes. Das Gesetz steht daher allüberall der neuen Wahr-
heit entgegen, und ebenso sind die Rechtsprecher die Vertreter und
Wächter der alten Wirklichkeit in der Gesellschaft. Es ist also in dem
^) Graf Clemens von Westphalen. Vgl. über ihn und seine Beziehungen zur
Gräfin und zu Lassalle die Einführungen zu Bd. I und Bd. II.
- 45 =
Kampfe der freien Persönlichkeit der absolute Widerspruch vorhanden,
daß sie die alte Welt bei der alten Welt selbst verklagt. vSic kann
also bei der alten Wirklichkeit, welche dem Gesetze der vSelbstcrhaltung
folgt, unmöglich gegen sie selber Recht erlangen. Das Bewußtsein oder
auch der Instinkt dieses Widerspruchs, nicht bei dem Alten gegen das
Alte selbst Recht finden zu können, treibt daher mit absoluter Not-
wendigkeit die männlichen Vorkämpfer für die freie Persönlichkeit,
welche als Männer das Element der Tat an sich tragen tmd als Revo-
lutionäre die Rücksichtslosigkeit des Handelns besitzen, dazu, durch
ihre eigene Kraft sich Recht erlangen und nehmen zu wollen, d. h. zur
Selbsthilfe, zur Gewalttat. Von hier aus empfängt der Kassetten-
coup^) seine Notwendigkeit; der Kassettencoup allerdings als dieser
einzelne Akt war zufällig imd hätte imterbleiben können, aber dann
wäre an seine Stelle eine andere Gewalttat getreten. Was notwendig
war, war, daß es zur Gewalttat kommen mußte. Jener Widerspruch
mußte von vorneherein dazu hintreiben. Und darum mußte ich mich
von Anfang an in einer Reihe von Gewalttätigkeiten bewegen. Die
Nostitzsche Affäre, 2) der Meyendorff-Brief, der Kassettencoup, die Zer-
reißung der Papiere durch Oppenheim, 3) die Zerreißung derselben
durch mich usw. bieten eine Serie von Gewalttätigkeiten dar, die durch-
aus nicht zufällig sind. Das Bewußtsein, das zu bekämpfende Prinzip,
das man zum Feinde hatte, zugleich zum Richter zu haben, mußte mit
Notwendigkeit zum gewaltsamen Versuch treiben, sein Recht aus sich
selbst erlangen und schöpfen zu wollen.
Indem sich aber die freien Subjekte zur Gewalttat erhoben, haben
sie damit aufgezeigt, welches die eigentliche innere Gnmdlage ihres
Kampfes ist. Sie haben in ihrer Verachtung der allgemeinen Wirklich-
keit imd ihrer Gesetze gezeigt, daß sie den absoluten Gegensatz derselben,
das Prinzip der freien Persönlichkeit, zur Geltung bringen wollen; sie
1) Am 2o. August 1846 entwendeten bekanntlich Oppenheim und Mendelssohn
der Mätresse des Grafen Edmund von Hatzfeldt, der Baronin von Meyendorff,
eine Kassette, in der sie wichtige Dokumente vermuteten. Vgl. Oncken, Lassalle,
4. Aufl., S. 72 ff.
2) Vgl. hierzu Ferdinand L,assalles Nachgelassene Briefe und Schriften, Bd. I,
Nr. 78 ff. Lassalle hatte im Frühling 1846 sich bemüht, durch Bestechung Ein-
blick in die Korrespondenz des Grafen von Nostitz, des Schwagers der Gräfin
Hatzfeldt, zu gewinnen. Die Sache kam vors Universitätsgericht. Da Nostitz
Generaladjutant des Königs war, so wurde anfangs von der Polizei angenommen,
daß er sich wichtiger Staatsgeheimnisse zu bemächtigen beabsichtigt habe.
') Vgl. Der SchatuUenprozess in Köln. Eine getreue Darstellung der Assisen-
verhandlung zu Köln am 24. November 1846 über den Kammergerichtsassessor
Feüx Alexander Oppenheim aus Berlin. Düsseldorf 1846, Stahlsche Buchhand-
lung.
============== 46 —
haben damit dargelegt, in prinzipiellem Gegensatz zu allem gegen-
wärtig Geltendem zu stehen. Deswegen erheben sich nun die Wächter
des Geltenden, die zu seiner Aufrechterhaltung bestallten Ämter mit er-
bitterter Wut gegen die freien Subjekte und schleppen sie immer imd
immer wieder vor die Gerichtsstätte, um erklären zu lassen, daß sie sich
am Wirkhchen vergangen haben. Sie zählen Gewalttat nach Gewalttat
auf und sind ihres Erfolges sicher. Da aber der Richter aus den frei be-
weglichen imd nur auf ihr Gewissen vereideten Gliedern der bürger-
lichen Gesellschaft ist, imd da das neue Prinzip allüberall bereits inner-
lich die Gnmdlagen der alten Wirklichkeit imterminiert und die Ge-
wissen also, welche die innerliche Gnmdlage des Bestehenden sind,
infiziert hat — rufen die freien Subjekte mit erfolgreichem Trotz die Ge-
walt und das höhere Recht ihres innem Prinzips gegen die f aulenFormen
des Geltenden an; sie verwandeln, da der Geschworene nur auf sein
Gewissen vereidet ist, die Tatfrage in eine Gewissensfrage, und der
in seinem Gewissen geteilte Geschworene kann sie nicht verurteilen, und
sie gehen, durch die um sich greifende Macht ihres Prinzipes beschützt,
frei und als Sieger aus dem Kampfe.
Zugleich aber haben die Subjekte, indem sie durch die Gewalttat ihr
allem Bestehenden entgegengesetztes Prinzip frei darlegten, die weib-
liche Individualität und die Sache derselben, für die sie kämpfen, die
notwendig mit ihrem Prinizp identisch ist, als den absoluten Gegen-
satz der sozialen Grtmdgesetze zu erkennen gegeben. Sie haben dadurch
den Gegensatz der Wirklichkeit gegen die kämpfende Sache der weib-
lichen Individualität geschärft. Freilich konnte man sich über die Be-
deutimg der Gewalttat noch täuschen und sie als zufällige und ver-
einzelte hinnehmen, so daß die Sache der freien Persönlichkeit selbst
noch immer dem jungem und also beweglicheren Teile des Richter-
standes Sympathien erwecken konnte. Obgleich die tiefer blickenden
alten Richter des Kassationsgerichts uns schon damals entgegen
waren.
Als aber bald darauf die allgemeine Gewalttat ausbricht — die
Revolution von 1848 — , als der Gedanke der freien Persönhchkeit auch
seine äußere politische und ökonomische Verwirklichung erorbem will
und den Kampf dafür auf Tod und Leben der alten Gesellschaft an-
kündigt, da mußte der prinzipielle Gedankenzusammenhang der all-
gemeinen Empörung mit der individuellen, die Identität zwischen der
Realisation der freien Persönlichkeit im Gebiet der staatlichen Geltung
und des materiellen Bedürfnisses und andererseits im Gebiet des ethischen
Verhaltens der Geschlechter zueinander auch den Borniertesten klar
werden, und die Wirklichkeit wurde implakabel gegen Sie und mußte
es werden. Das Proletariat in Köln ergriff im Instinkte dieses Zu-
— 47 =
sammenhangs in meinem Assisenprozeß ^) in Köln enthusiastisch für
mich, die Richter schonimgslos für Hatzfeldt mid gegen vSie Partei.
Von der andern Seite konnte die weibliche Individualität und ihre
Kämpfer den großen Kampf für die allgemeine und systematische Ver-
wirklichung ihres Prinzips nicht um sich herum entbrennen sehen, ohne
sich an demselben zu beteiligen und ihr Prinzip in ihm anzuerkennen.
Hierdurch wuchs und steigerte sich notwendig der Widerstand \md die
Wut der Wirklichkeit.
Der Kampf der Individualität auf dem eingeschlagenen Wege war
damit notwendig zu einem rettimgslos verlorenen. —
Da haben Sie eine begriffliche Darstellung Ihrer Geschichte. Er-
kennen Sie die innere Notwendigkeit derselben an. Erkennen Sie an,
auf welchen Zeitgeistes Schultern Sie stehen, wer Ihre Vorläufer und
Vorbereiter waren, und stärken Sie sich an der unausbleiblichen Not-
wendigkeit, mit welcher Ihr Prinzip dem Siege und die Wirklichkeit,
mit der Sie kämpften, dem Untergange zueilt.
Was wird aber aus dem individuellen Kampf und der weiblichen
Individualität? Dieser Kampf ist nicht zu Ende tmd muß nur einen
andern Weg einschlagen. Es ist dies nach allem obigen klar. Die Indi-
vidualität kämpfte für ihr Recht auf dem Rechtswege. Da aber die
alte Wirklichkeit, welche sie bei sich selber verklagte, nicht von sich
selbst ablassen imd sich selbst verdammen kann, mußte ihr in der Form
des Rechts das schreiendste Unrecht werden. —
Die freie Persönlichkeit, welche eingesehen, daß man nicht die
einzelnen Existenzen der Wirklichkeit vor dem Richterstuhl der all-
gemeinen Wirklichkeit angreifen kann, deren Emanation und systema-
tische Verkörpenmg gerade jene einzelnen Existenzen sind, erkennt,
daß das allgemeine System des Wirklichen gestürzt werden muß, damit
sie zu ihrer Verwirklichung gelange.
Ihr Zweck ist auch nicht mehr wie früher der: allgemeine An-
erkennimg (d. h. also das Recht) zu erlangen, denn von der einen Seite
sieht sie ein, daß die Anerkennimg von Seiten der bisherigen Wirklich-
keit des absoluten Gegensatzes halber nicht möglich ist, von der andern
Seite ist die großartigste Anerkennung ihres Prinzips erfolgt, indem
die Welt für dasselbe, obwohl zuförderst nach andern Seiten seiner Ver-
wirklichung hin, eine Revolution gemacht hat; an der Revolution und
der revolutionären Klasse hat sie die Anerkennung, um die sie jetzt
nicht mehr zu kämpfen braucht.
^) Vgl. ,, Meine Verteidigungsrede wider die Anklage der Verleitung zum
Kassettendiebstahl gehalten am ii. August 1848 vor dem königlichen Assisen-
hofe zu Köln und den Geschworenen von F. Lassalle," Köln 1848, Verlag von
Wilhelm Greven.
Sie hat jetzt also einen andern Zweck.
Statt der Anerkennung ihres Rechts erstrebt sie vielmehr die reelle
Durchführung und Verwirklichung der freien Persönlichkeit, ihre
wirkliche praktische Freiheit und ihren reellen Selbst-
genuß. Die höchste Form ihres Selbstgenusses findet sie in dem ver-
nichtenden Siege ihres Prinzips über die allgemeine Wirklichkeit, in der
Auflösung und Zertrümmerimg dieses Urfeindes durch die Macht des
Gedankens, für den sie gelebt und gelitten.
Die weibliche Individualität kommt somit nach allen diesen Seiten
imd von der Macht ihres Prinzips getrieben, notwendig dazu, sich an
die revolutionäre Arbeit hinzugeben. Statt wie früher auf dem Rechts-
wege, kämpft sie jetzt auf dem Wege der Revolution ; statt wie früher
für das Recht, kämpft sie jetzt für das Faktum des Selbst -
genusses.
Ihre Kräfte sind jetzt die der Welt selbst geworden, ihr Geschick
ein gemeinschaftliches imd ihr Sieg ein notwendiger.
7-
IvASSAlvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Berlin, Hotel de Roine, Freitag abend 8 Uhr [30. März 1855]^).
Gnädigste Frau!
Wenn Sie wüßten, wie froh tmd glücklich ich bin, endlich diese
Überschrift: „Hotel de Rome" niederschreiben zu können! — Das war
ein Tag voll Qual und Pein, wie ich mich in meinem doch so konflikt-
vollen lieben nicht bald eines erinnere. Endlich ist alles überstanden
imd, obwohl zu Tode ermüdet, ruhe ich in dem Bewußtsein, daß es mir
nunmehr möglich ist, Ihre Interessen wahrzimehmen und Sie vor
Schaden zu behüten, vergnügt wie ein Gott von dieses, obschon sehr
kalten, Tages ,,Ivast — und Hitzen" aus.
Um ein Uhr zirka kam der Eisenbahnzug in Berlin an. Wie Ihnen
bekannt, defilieren die Passagiere, aus den Waggons gestiegen, ihre
Pässe zeigend, an zwei Schutzmännern vorbei. Kaum hatte ich meinen
Paß präsentiert, als der Wachtmeister der Konstabier auf mich loskam
^) Vgl. hierzu Paul Bailleu, Lassalles Kampf um Berlin in ,, Deutsche Rimd-
schau", Bd. 115 (1903), S. 361. Lassalle hatte am 9. Februar und, als er keine
Antwort erhielt, nochmals am 7. März an den Polizeipräsidenten von Hinckeldey
die Anfrage gerichtet, ob man ihm Schwierigkeiten machen würde, wenn er zum
I. April auf acht bis zehn Tage nach Berlin käme. Als Grund gab er die in diesem
Brief erwähnten Geschäfte für die Gräfin an sowie den Wunsch, vor einer längeren
Auslandsreise von seinem Vater, den er dort treffen wollte, Abschied zu nehmen.
= 49 — =
und unter dem Vorwand, er habe einen Brief an mich abzugeben, mich
ersuchte, ihm in ein Zimmer zu folgen. Hier eröfTnete er mir, daß er
zwar keinen Brief an mich abzugeben, aber nach Vorschrift mit mir zu
verfahren habe. Seine Vorschrift sei, hieß es weiter, mich seiner v^or-
gesetzten Behörde zu sistieren. Mir war dies gar nicht einmal unlieb,
denn ich dachte, er verstände unter der Behörde, der er mich sistieren
solle, Herrn von Hinckeldey, den ich doch ohnehin selbst sprechen
wollte und mußte, um auf einen ungefährdeten Aufenthalt in Berlin
zu rechnen. Ich stellte daher dem Manne nur vor, daß ich ungewaschen,
unrasiert, in Reisekleidem sei und ersuchte ihn eindringlichst, mit mir
in mein Hotel zu kommen, um nach gemachter Toilette mich zu Herrn
von Hinckeldey zu begleiten. Auf solche Seitenexkursionen wollte sich
aber der Mann durchaus nicht einlassen. Im übrigen war er äußerst
höflich und freundlich und brachte mich nur durch eine Eigenschaft
zur Verzweiflung. Er mußte nämlich einen schriftlichen Bericht in
Duplikation über meine instruktionsmäßige Ergreifung abfassen, um
mich zugleich mit demselben zu überreichen. In schneller Handhabung
der Feder schien aber seine Hauptstärke nicht zu bestehen ! Es dauerte
eine Ewigkeit, bis der Bericht abgefaßt, eine Ewigkeit, bis er korrigiert
und dann noch zwei Ewigkeiten, bis er abgeschrieben war. Gern hätte
ich mich erboten, an seiner Statt selbst den schrecklichsten Bericht über
mich zu verfassen, damit die Sache nur schneller von statten gehe. Endlich
war das schwierige Opus vollendet. Wir saßen nebst dem Gepäck in einer
Droschke vmd fuhren dem Molkenmarkt zu. Unterwegs eröffnete er mir,
daß er Befehl habe, mich nicht Herrn von Hinckeldey, sondern seinem
unmittelbaren Vorgesetzten, dem Oberst der Schutzmänner, Herrn
Patzke, zu sistieren. Wir langten endlich bei dem Herrn Oberst Patzke,
der wie fast alle Polizeibehörden im großen Polizeipräsidialgebäude
auf dem Molkenmarkt residiert, glücklich an. Der Oberst, ein Mann
von sehr einnehmenden humanen Zügen, empfing mich mit ausge-
suchter Höflichkeit, schien aber keine genaue Order meinetwegen zu
haben und eigentlich nicht zu wissen, was er mit mir anfangen solle.
Auf meinen dringend geäußerten Wtmsch, Herrn von Hinckeldey zu
sprechen, erklärte er sofort, daß derselbe jedenfalls befriedigt werden
solle, vmd befahl dem Wachtm . . .
Ich habe diesen Brief, ^) meine gnädigste Frau, in zu großartig aus-
führlichem Maßstabe angelegt. Es ist der mir äußerst knapp zugemessenen
Zeit wegen unmöglich, ihn in demselben Zuschnitt zu Ende zu führen.
Mündhch also, wie ich zu Herrn von Hinckeldey gebracht, der aber
tmglücklicherweise nicht zu Hause war, wie ich darauf auch Herrn
^) Da am Ende des Briefes ,, Berlin, Sonntag" steht, so ist anzunehmen, daß
er erst am i. April beendet und abgeschickt wurde.
M a yer, Lassalle-NachUss. IV 4
= 50 — -
Assessor Homeyer verfehlte, wie ich zur fünften Abteiltmg gebracht,
hier verhaftet, ausgewiesen, im Rückkehrfall mit vierwöchentlicher
Einsteckmig ins Arbeitshaus bedroht, endlich in die Wachtstube ge-
bracht wurde, wie ich fünf Stunden lang sehnsüchtig und immer um-
sonst der Ankunft des Herrn von Hinckeldey entgegensah, von dem
ich mit miglaublicher Gewißheit voraussetzte, er werde dem Verfahren
gegen mich ein Ende machen, wie mir während dieses qualvollen fünf-
stündigen Arrestes verboten wurde, auch nur meinem Vater oder Dorn
eine Zeile zukommen zu lassen, Ihnen nur meine Anwesenheit an-
zuzeigen, wie ich in der größten Herzenspein schon fest glaubte, das
Geld würde somit gar nicht erhoben werden können und so der größte
Schade tmd die unberechenbarsten Verwicklimgen Sie treffen, wie ich
in stiller Wut und leiser Verzweiflimg hierüber mir in diesen fünf
Stunden wieder fünf Jahre meines Lebens herunterängstigte, wie end-
lich abends um 8^/4 Uhr Herr von Hinckeldey wiedergekommen war
imd, obgleich er im Moment zu beschäftigt war, um mich zu sehen,
was mir, dem zu Tode Ermüdeten, in diesem Augenblick auch gar nicht
angenehm gewesen wäre, doch auf den ihm gemachten Bericht sofort
mich zu entlassen und mir den Aufenthalt, wenn auch nur bis zum 4.,
zu gestatten befahl ^) — wie ich endlich abends 8^/2 Uhr froh wie ein
Gott im Hotel ankam, daselbst später meinen Vater vmd Schwager
traf — alles dies mündlich . . .
SOPHIE VON HATZFETvDT AN LASSALLE. (Original.)
[Marienbad] Montag, den 30. Juli^) [1855].
lyiebes Kind, ich habe gestern Ihren Brief mit der Einlage an West-
phalen erhalten. Um Ihnen heute nun definitiv schreiben zu können,
wann ich hier abreisen kann, habe ich noch gestern abend mit dem
Arzt gesprochen. Er sagte mir nun, daß für das erstemal, das man die
^) Lassalles Gesuch um Verlängerung des Aufenthalts um wenige Tage ist vom
2. April datiert. Es wurde zwar formell abgelehnt, tatsächlich aber bewilligt. Am
31. Mai .1855 reichte er darauf ein Gesuch um Gestattung der Niederlassung in
Berlin ein. Es war von einem ,,Promemoria mehr in Gestalt eines Privatschreibens"
an Hinckeldey begleitet. Bailleu hat es abgedruckt. Aber dies Gesuch wurde ab-
gelehnt, ebenso wie ein anderes, das Lassalle im Oktober des gleichen Jahres folgen
ließ und das sich zunächst mit einer Aufenthaltserlaubnis von 1 2 bis 1 5 Monaten
begnügen wollte.
2) Die Gräfin schreibt irrig: Juni. Sie war erst am 7. Juli in Marienbad ange-
kommen.
= 51 =
Kur gebrauche, für niemand bloß vier Wochen hinreichend seien, am
wenigsten für mich, wo das Übel ein so altes und tief cingewur/x-lt sei,
er hätte demnach gewünscht, daß ich sechs Wochen geblieben wäre,
aber nicht vor volle fünf Wochen abzureisen, müsse er mir jedenfalls
entschieden anraten. Ich fühle nun wohl auch an meinem Zustand, daß
er recht hat, und so habe ich mich denn entschlossen, bis zum 13. hier
zu bleiben mit schwerem Herzen, aber es ist vernünftig, diese weite
Reise und große Langweile nicht ohne wirklichen Erfolg gehabt zu
haben. Aber am 13. reise ich auch jedenfalls ab. Schreiben Sie mir
nun auch umgehend, was Ihre allerseitigen Projekte sind, wann Sie von
Paris ^) abreisen, wohin, und schreiben Sie mir ganz genau meine Reise-
route auf, aber auch dabei, wo Eisenbahn und wo nicht. — Es freut
mich sehr, daß Sie wieder hergestellt und nun doch etwas von Paris
genießen können. Was mich anbetrifft, so ist es schon ein merklicher
Gewinn, daß ich meine Atenuiot so wesentlich gebessert und ich auch
wieder gehen kann, wenn meine sonstigen Übel auch nicht geheilt
werden könnten, wozu, wie mir der Arzt sagt, um dies mit Bestimmtheit
zu bewirken, es nötig gewesen, daß ich vor Jahren hergekommen ; mög-
lich sei es noch, aber nicht sicher, es werde sich jedoch gewiß wesent-
lich bessern. Während der Kur befindet man sich allerdings nicht wohl,
sie greift sehr an und regt dabei stark auf; daß es alles in mir aufrührt,
sieht man daran, daß ich ganz braun im Gesicht bin und voll roter
Flecken, was nicht zur Verschönerung beiträgt.
Berge steigen tue ich jetzt mit einer wahren Passion, es hat für mich
den Reiz der überwundenen Schwierigkeit; auch fühle ich, wie sich
meine Lunge dabei täglich stärkt, und die Tannenwälder, die hier
reizend sind, tragen das ihrige dazu bei. Und denken Sie sich, daß meine
Nerven durch die Ruhe und frische Luft tageweise so stark, daß ich
ohne Furcht ganz allein zwei, drei Stunden im Walde herum gehe;
es ist für mich ein angenehmes, beruhigendes Gefühl diese tiefe Stille
um mich her. Ich muß nun dabei sagen, daß eine Gendarmerieabteilung
hier etabhert imd die Polizei, wie überhaupt in Österreich, musterhaft
ausgeübt wird und also gar keine wirkliche Gefahr dabei ist vmd über-
dies immer bei den vielen Spaziergängern Leute kommen können. Aber
Sie wissen, in welchen Zustand der Angst ich durch meine Nerven-
krankheit geraten, und da ist es immer eine Verbesserung . . . Sehr leid
ist es mir, daß es mit dem Geschäft in Paris nichts ist. Ich hatte mir
schon große Hoffnungen gemacht, damit einen Teil meiner Verluste
^) Lassalle hatte am i. Juni mit seiner Schwester und deren Gatten eine Ver-
gnügungsreise angetreten, die sie auch nach Paris zur Gewerbeausstellung führte.
Hier bekam er eine Halsentzündung, die ihn längere Zeit ans Zimmer fesselte.
Vgl. dazu seinen Brief an Marx aus Paris in Bd. III, S. 99.
= 52 — =
wieder herzustellen, nun sehe ich gar kein Mittel mehr, wie ich jemals
zu diesem Ziel aller meiner Wünsche gelangen soll.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, ich schreibe immer viel zu lange,
antworten Sie bald, denn Sie wissen, daß die Briefe fünf Tage wenigstens
gehen. . . .
9.
SOPHIE VON HATZFKIvDT AN IvASSAIvIvE. (Original.)
[Marienbad, wohl 9. August 1855]^) Donnerstag mittag.
lyiebes Kind, soeben erhalte ich Ihren Brief vom Dienstag. Weil
er mich sehr gefreut, weil er gut, muß ich auch, obgleich ich Ihnen erst
gestern geschrieben, gleich antworten.
Sie explizieren mir, wie Sie nolens volens immer, wenn es auch
nicht der Fall, für meine Handlimgen einstehen müssen, mid führen mir
dafür Beispiele an. Erstens glaube ich nicht, daß die I^eute, die Ihnen
solche Dinge bei solchen Anlässen sagen, selbst daran glauben, sondern
daß dies ein Manöver, wodurch man auf Ihre schwache Seite die Ex-
ageration der Noblesse in Geldsachen, die vielen gar sehr wohl bekannt
ist, [damit] spekuliert, um Sie anzutreiben, auf mich zu wirken . . .
Überdies habe ich mich überzeugt, daß fast alle Menschen so falsch, so
egoistisch, so gewinnsüchtig, dabei so boshaft sind, daß sie sich freuen,
wenn ein andrer verliert, auch wenn sie selbst nichts dabei gewinnen,
imd daß diejenigen, wogegen man selbst generös ist, es nicht nur nicht
anerkennen, aber immer finden, es sei zu wenig und denjenigen, den
es Ihnen gelingt aufzuziehen, nur obendrein für seine Dummheit aus-
lachen, daß man sich begnügen muß, nach seinen eigenen Ansichten
zu handeln und die Leute reden lassen, da nichts, was man auch tun
möchte, das Gerede zu ändern vermag . . . Überhaupt es in Geldsachen
allen Leuten recht machen zu wollen, ist, das Danaidenfaß füllen wollen.
Wenn Sie an die Erfahrungen, die wir schon darüber gemacht, denken,
wie in der letzten Zeit wieder Gladbach, 2) Lewy,^) so können Sie das
1) Dieser aus einem Bade geschriebene Brief der Gräfin antwortet auf einen
Brief Lassalles, der sich nicht erhalten hat. Andere Briefe, in denen Sophie von
Hatzfeldt mit sehr ähnlichen Argumenten wie hier Lassalle seine ,, übertriebene
Generosität" vorwirft, sind aus 1855 datiert. Auch noch andere Erwägungen
sprechen für dieses Jahr.
^) Über Gladbach vgl. oben die Einführung S. 14.
^) Für Gustav Lewy vgl. Bd. III, S. 8 ff. und S. 267. Lewy hat damals be-
kanntlich, weil ihm einmal eine Geldsumme von der Gräfin abgeschlagen wurde,
Lassalle bei Marx in London erfolgreich verleumdet. Später hat sich Lassalle
mit ihm ausgesöhnt und er wurde Kassierer des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-
vereins. Briefe von ihm werden in Bd. V abgedruckt werden.
— — 53 — —
selbst nicht leugnen. Wenn man zehnmal mit vollen Händen gibt und
verweigert einmal, ist man ebenso verleumdet, als hätte man nie ge-
geben. Ich halte mich vielleicht jetzt etwas streng an das, was rechtlich
verlangt werden kann, weil ich, durch viele üble Erfahrungen belehrt,
glaube, daß sehr wenige Menschen es verdienen, daß man mehr tue als
streng rechtlich, imd daß man doch nur Verleumdung und Undank
davon hat, obgleich diese Ansicht doch wohl oft durch meine Gut-
mütigkeit temperiert wird. Auch bin ich aufrichtig genug, um ein-
zugestehen, daß die Sorge um die Existenz der wenigen Personen, die
ich liebe, die bei der Beschränktheit meiner Mittel sehr groß ist, und
die Ängstlichkeit, die sich meiner durch vieles Ivciden bemeistert hat,
ebenfalls dabei eine große RoUe spielt. Sie aber verfallen in das ent-
gegengesetzte Extrem schon wegen Ihres besonderen Charakters, der
von Natur generös für andre tmd sogar leichtsinnig im allgemeinen in
Geldsachen, der überhaupt keine Schranken anerkeimen will, der kaum
begreift, daß, was er will, er nicht auch können sollte, der, wenn
man eine Forderung an ihn stellt oder eine Hilfe begehrt, sie nicht
sollte gewähren können.^) Daher verwechseln Sie stets das Rechtliche
mit dem Generösen und glauben, nur dann rechtlich zu sein, wenn Sie
soviel möglich allen Anforderungen genügen; mid man könnte Sie zu
den größten Geldopfem bringen durch den Gedanken, man könnte
sagen, das Geld sei Ihnen nichts wert, wenn Sie auch einsehen, daß
dieselben Leute es als den größten Unsinn zurückweisen würden, es
selbst so zu machen. Wenn auch diese Ideentendenz sehr schön, so ist
sie doch unausführbar tmd kann unter Umständen sogar unrecht
werden, wenn man das nächste darüber vergißt . . .
Was Sie mir über Ihre Zuktmf t imd in Beziehimg darauf von Mirabeau
gesagt, hat mich wahrhaft gerührt. Glauben Sie mir sicher, liebes Kind,
wenn ich auch noch so viel über Ihre Fehler im täglichen Leben klage,
so ist doch niemand, der Ihren großen Eigenschaften mehr Gerechtig-
keit widerfahren läßt als ich, und der stolzer darauf ist als ich. Mit
keinem Geld der Welt wäre mir eine Sache bezahlt, von der ich fürchten
köimte, sie könnte Ihnen hinderlich werden zu einer Zeit, wo Sie sich
betätigen könnten. Aber ich sage nur, Ihr Charakter treibt Sie zu einer
Exageration in dieser Beziehxmg, die einesteils nicht vernünftig ist,
anderenteils auch ganz den Zweck verfehlt.
Wissen Sie, [daß ich] trotzdem, daß mich Ihr Brief recht gefreut,
daß er freundschaftlich und gut ist, "so bin ich doch über dem Ant-
^) Die Gräfin, die ihre Briefe an Lassalle fast niemals überlas und korrigierte,
fällt öfters aus der Konstruktion. Auf Interpunktion verzichtet sie fast voll-
ständig. Der Herausgeber hat, um den Text verständlicher zu machen, vielfach
die Zeichen ergänzt.
— 54 — - —
Worten nach und nach wehmütig geworden, und tausend Gedanken
sind mir dabei gekommen, die zu lang und zu schwer auszusprechen.
Aber das fühle ich, unsere Wege gehen von jetzt ab immer mehr
auseinander, denn, vmd das ist auch der wahre Grund aller Differenzen
der Ansichten, Sie sind jung und ich bin alt, Sie sind mutig und streben
nach vorwärts, und ich kann Ihnen nicht mehr folgen. So ist es auch,
wenn ich an die Zukunft denke, wenn sich Ihnen ein Feld der Tätigkeit
öffnete. Wie froh imd stolz würde ich nicht einesteils darauf sein, aber
zu gleicher Zeit, welche Angst imd Sorge ! Und für mich würden Sie
nicht viel mehr sein können, ganz abgesehen von meinem persönlichen
Glück, das doch nur noch in friedlicher Ruhe für mich und vorzüglich
in der Ruhe über das Schicksal derer, die ich liebe, bestehen kann. —
So bin ich [in] allen Dingen zerrissen und geteilt in meinen Bmp-
findimgen. Jetzt wünschen Sie nach Berlin zu gehen. Ich begreife das
sehr gut und wünsche es deshalb auch, obgleich mit Zittern, denn ich
fürchte sehr, daß Sie, vorzüglich wenn ich nicht mehr da, Sie immer zu
mahnen und zu bitten, nicht vernünftig genug sein werden. Denn darüber
mache ich mir keine Illusion, ich werde keinenfalls hinkommen können.
Zu viel Leute haben Interesse daran, daß es nicht geschehe, und ich
weiß es gewiß, es wird nicht geschehen. Alle diese Gedanken und Be-
trachtungen stimmen mich wehmütig, und dann wird mein Kopf schwach,
und ich kann nicht mehr schreiben, darum will ich jetzt schließen. Nur
so viel noch: Sie sagen, ich brauchte Abwechslung und Menschen. Wie
falsch ist das, wie lästig im Gegenteil werden mir gleich die Menschen !
Ich brauche nur geistige Ruhe, weil mein Geist müde bis in den Tod,
keine täglichen Reibungen, keinen Ärger, vmd jemand, der Freund-
schaft für mich hat, damit ich mich nicht ganz einsam und verlassen
fühle. Sie sagen, Sie könnten mich nicht alles tun lassen wie ich
wollte, Sie wissen recht gut, daß ich auch ohne Zwang imd dann lieber
vieles tun würde wie Sie wünschen. Aber wenn ich in einer Sache
eine bestimmte Ansicht hätte, müßte dies kein Grund zu Heftigkeit
imd Vorwürfen sein.
Nun adieu, liebes Kind, ich bin todmüde und wahrhaft so verdreht
im Kopf, daß ich nicht mehr weiß, was ich schreibe . . .
IG.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN L ASS ALLE. (Original.)
Marienbad, lo. August 1855.
. . . Auch ich freue mich recht auf das Wiedersehen und auch auf
die Reise. Und doch fürchte ich mich etwas davor, wie ich Ihnen nicht
= 55 —
verbergen kann, denn ich habe lachen müssen, welche sanguinischen Er-
wartungen über die Kur und meine Gesundheit Sie sich schon machen.^)
Sie sehen mich schon ganz wohl, wieder jung und flink herumspringen.
In meinem Alter ereignen sich keine solche Wunder mehr. Ich kann
mich wieder mäßig bewegen, auch auf bequemen Wegen steigen ohne
Schmerzen und Atemnot, das ist aber auch alles und ist für mich schon
recht viel. Wofür ich mich aber sehr in acht nehmen muß, weil eins
meiner Hauptkrankheitsursachen, imregelmäßige Zirkulation des Bluts,
das sich nach Gehirn und lyungen drängt, das ist Erhitzung des Blutes,
sei es durch körperliche Anstrengung oder noch mehr durch Furcht,
Ärger oder Sorgen. Und jetzt grade muß ich mich doppelt dafür hüten,
da dies Wasser sehr viel kohlensaures Gas hat und sehr leicht zu Kopf
steigt. Nur durch die strengste Diät und das ruhigste Verhalten habe
ich es dahin gebracht, daß ich es vertragen konnte; mehrmals schon,
wenn ein heißer Tag war, dachte ich schon, ich würde es aufhören
müssen. Daher müssen Sie mir versprechen, wenn Sie und ich von der
Reise wirklich Freude haben wollen und sie mir nicht schaden soll,
daß Sie mich gar nicht überreden wollen, Dinge zu versuchen, vor
denen ich mich fürchte, wenn auch mit Unrecht, imd es mir ganz ruhig
selbst überlassen, wieviel ich leisten kann. Heute an meinem Geburts-
tag, den ich recht einsam begehe imd an dem es sogar unausgesetzt
regnet, habe ich mir eine Locke ganz weißer Haare abgeschnitten imd
habe überall gesucht nach einem Medaillon, um sie hineinzutun und
Ihnen mitzubringen, damit Sie dadurch immer daran erinnert werden,
wie alt ich bin, wieviel ich gelitten und daß man Mitleid und Rücksicht
mit mir haben muß, mich mit meinen Fehlern und etwaigen guten
Eigenschaften die kurze Zeit, die es noch dauern wird, akzeptieren und
verbrauchen muß, weil ich zu alt, um ein neuer Mensch zu werden. In
meinem Alter bessert man sich nicht mehr von seinen Fehlem, sondern
man bekommt nur unfehlbar die Schwächen und Eigenheiten des
Alters dazu. Damit müssen die Freunde Nachsicht haben, denn es ist
schon an und für sich ein Unglück, alt zu werden, und sich sagen, daß
jeder einmal in die Lage kommt, diese Nachsicht in Anspruch zu nehmen
und zu brauchen. Auf meinen Geburtstag bin ich immer besonders
ernst, fast traurig gestimmt . . .
1) Siehe oben Nr. 8. Lassalle und die Gräfin wollten sich in Friedrichshafen
für eine Reise in die Schweiz treffen.
===== 56
II.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN IvASSAI.I.E. (Original.)
Dienstag abend [wohl Marienbad, 14. August 1855] .
Iviebes Kind, Ihren Brief vom Sonnabend mit der Einlage von
Westphalen i) habe heute erhalten. Er hat mich tief gerührt, so sehr,
daß ich kaum darauf antworten kann, denn das ist auch ein Zeichen
meiner körperlichen imd geistigen Schwäche, daß, je mehr ich gerade
in einem Augenblick Gedanken und Gefühle habe, desto immöglicher
wird es mir, sie auszudrücken, bis ich endlich gar verwirrt werde, bis
ich endlich sogar oft aus Schwäche und aus Ärger über diesen Zustand
anfange zu weinen. Darin haben Sie recht, liebes Kind, wir beide ver-
stehen ims trotz aller vorübergehenden Mißverständnisse, tmd wären
sie noch so heftig, wie wir beide niemals wieder jemand finden werden,
der ims versteht. Wenn Sie mich auch manchmal noch so sehr gequält
haben, daß ich ganz irre an mir, an Ihnen, an allem bin, so bedarf es
ohne Explikation und Nachdenken nur der kurzen Zeit, um meine
kranken Nerven zu beruhigen, damit mir alles klar ist, damit die schein-
baren Widersprüche in Ihnen, die andere I^eute so verwundem, keine
für mich sind, und damit ich fühle, daß Sie trotz Ihrer manchmal recht
scharfen Ecken tmd Kanten sozusagen ein Teil meiner selbst geworden
sind, das ich nicht missen könnte. Wenn ich von Trennung sprach, so
war es nicht sowohl Ihre Reise nach Berlin, die mir nur als ein äußer-
liches Zeichen derselben erschien (obgleich ich fest überzeugt bin, aus
vielen Gründen, daß es niemals gelingen wird, daß wir beide hin-
gehen), von der ich sprach, sondern vielmehr ein allgemeines Gefühl,
das ich nicht anders beschreiben kann als dasjenige einer Mutter, die
ihren Sohn von sich läßt und ihn in die Welt eintreten sieht. Wenn es
auch ein guter Sohn ist, der sich oft auf seinem Wege umsehen wird
imd seiner Mutter die Hand reicht, so führt ihn doch der natürliche Lauf
der Dinge vorwärts imd immer weiter fort. Daß Sie mir aber ein guter
Sohn sein werden, das weiß ich, daß Sie es sein werden, der mir die
Augen zudrücken wird imd der einzige auch vielleicht, der ein treues
Andenken von mir bewahren wird. In dem, was Sie über meinen Zu-
stand sagen, haben Sie in manchem recht, in manchem aber auch
unrecht. Mein Geist wäre vielleicht stark genug gewesen, um unge-
brochen aus diesen Kämpfen herauszukommen, aber ich hatte unglück-
licherweise auch ein Herz, das eigensinnig und undiszipliniert war und
sich nicht in das Unabänderliche fügen konnte. Es wollte nicht biegen,
1) Graf Clemens von Westphalen hatte am 9. August 1855 an Lassalle ge-
schrieben. Vgl. Bd. II, S. 122.
== 57 =
und daher mußte es brechen, tmd das konnte nicht geschehen, ohne
daß Geist und Körper davon krank geworden. Ich kann Ilinen gar nicht
beschreiben, wie durchaus matt ich mich fühle, so daß ich selbst dar-
über verwundert bin. Wenn ich gar keine Schmerzen habe, mich nicht
krank fühle, so habe ich stets das Gefühl, als wenn mir die Kraft zum
Ivcben fehlte, wie eine Lampe, die kein Öl mehr hat, so ist es körperlich,
so ist es geistig. Es ist möglich, daß es nur Reaktion der Überanstrengung
und allmählich sich bessern wird. Sie mögen auch recht haben, daß ich
selbst dagegen ankämpfen muß, aber grade diese Schwäche macht, daß
meine Anstrengungen nicht groß sein können vmd daß mir von außen
dabei geholfen werden muß, aber nicht, imd das ist Ihr Irrtum, mit
Strenge, indem man viel von mir verlangt, weil ich, wie Sie glauben,
viel leisten könnte, sondern im Gegenteil mit Nachsicht und Schonung,
wie man einen Kranken behandelt, damit er durch Ruhe seine ver-
lorenen Kräfte wieder gewinnen kann.
Westphalens Brief, den ich Ihnen hierbei zurückschicke, finde ich
nicht nur grob, aber ganz unpassend imd mehr als das. Ich weiß nicht,
ich habe stets trotz des Dankes, den ich ihm zur Zeit schuldete, eine
instinktive Repulsion gegen ihn gehabt, er war mir nie verständlich.
Ich glaube, Sie müssen ihm diesmal in einer ganz andern Weise ant-
worten wie bis jetzt, imd es wäre mir lieb, wenn Sie damit warteten,
bis ich zurückkomme, um meine idees darüber zu hören. Ich werde am
künftigen Sonntagabend in Düsseldorf eintreffen. Ich fühle mich
traurig imd unbehaglich hier; ich habe nötig, Sie zu sehen, mit Ihnen
zu sprechen, nicht ganz allein mit mir und meinen Gedanken zu sein.
Ich habe Kummer und Sorge um Paul, der sich krank grämt um aller-
dings eine imwürdige Sache, aber was kann das helfen, werm er sich
doch grämt, vmd daß es bei ihm Wahrheit ist, habe ich mich leider,
hinreichend durch sein Aussehen, wie ich es Ihnen damals geschrieben,
überzeugt. Es ist jetzt sechs Monate her, und er kann sich nicht darein
finden. Ich habe geschrieben, gepredigt, er sieht ein, daß ich ganz
recht habe, aber er sagt, daß er keinen Ivcbensmut noch Freude hat,
und er wendet sich wie in seiner Kindheit an mich um Hilfe, Rat und
Mitgefühl. Ich weiß sehr wohl, daß das vorübergehen wird ; aber er ist
nicht stark, und ich fürchte, wenn es länger dauert, daß er ernstlich
krank wird. Er muß auf einige Zeit von Berlin fort, und doch ist wieder
das Hindernis mit dem abscheulichen Examen, was er machen soll,
und wenn er jetzt fortgeht, ist die ganze Vorbereitimg, die er bis jetzt
gemacht, umsonst gewesen. Ich bin sehr traurig darüber und besorgt.
Sie werden das schwach von mir nennen, aber beweisen Sie mir Ihre
Freundschaft, indem Sie Nachsicht mit dieser Schwäche haben, die
jedenfalls eine zu entschuldigende ist. Ich weiß sehr wohl, daß Paul
===^= 58 =^=__:=
nicht ist, was er sein sollte ; ich sehe seine Fehler sehr gut, ich weiß auch,
daß ich nur Sorgen und nie Freude an ihm haben werde ; ich weiß auch,
daß er egoistisch gegen mich ist, aber vorzüglich aus Charakterschwäche,
weil er keine Unannehmlichkeiten vertragen kann. Aber trotz alledem
ist und bleibt er für mich wie physisch ein Stück meines eigenen Herzens,
das bluten muß, sobald er leidet. Ich möchte ihm auch jetzt so gerne
helfen und weiß nicht, wie ich es anfangen soll ; und so wie er sich an
mich in seinen Verlegenheiten wendet, so komme ich zu Ihnen um Rat
und Hilfe für ihn ; aber Sie müssen versuchen, sich dabei in das schwache
Herz einer Mutter hineinzudenken, um mit derselben schonenden Zärt-
lichkeit zu verfahren.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, auf Wiedersehen am Sonntag-
abend, ich freue mich herzlich darauf. Wenn ich einige Zeit allein ge-
wesen, kann ich gar kaum mehr die Ursachen begreifen, die unser Zu-
sammensein stören, imd bringe gewiß immer den besten Willen mit.
Nehmen Sie sich vor, etwas sanfter, nachsichtiger imd nachgiebiger zu
sein, zu bedenken, daß ich wirklich aus Krankheitsgründen nicht
immer kann wie ich will, ich bin wirklich nervenschwächer, als Sie es
vielleicht verstehen können ; und wenn Sie oft durch die kleinlichsten
Dinge, die Sie gewiß gar nicht bemerken, durch aufgeregtes Wesen
wegen kleiner Kontrarietäten des täglichen Lebens, selbst wenn es
nicht gegen mich gerichtet ist, meine Nerven aufgeregt haben, so ver-
liere ich alle Gewalt darüber imd werde dann bei der geringsten Ver-
anlassung empfindlich, traurig und imausstehlich. Seien Sie dann nach-
sichtig, suchen Sie mich zu beruhigen, wie man es für einen Kranken
tut, ich würde Ihnen gewiß dankbar dafür sein.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, ich bin todmüde.
S. H.
12.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Bonn, 22. Juni 1856.
Motto:
Der Narr souffliert.
Der Weise spricht.
Faust, Zweiter Teil.
Lassalle diktiert imd ich^) schreibe:
Zuallererst hoffen wir, daß Sie, gute Gräfin, in einer besseren I^aune
sein werden als wir, denn bei uns hier ist es ,, scheußlich, scheußlich"!
*) Von der Hand der Agnes Klindworth. Über sie und ihre Beziehungen zu
Lassalle und zur Gräfin siehe oben die Einführung S. 16 f.
= 59 =
Doch wollen wir unsererseits mit dem Berichte, wie es uns ergangen,
hübsch von vorne anfangen, in der Hoffnung, daß vSie uns ebenso au
courant halten werden. Nachdem wir also in Koblenz noch glücklich
gelandet waren und mehrere Gefahren glücklich überstanden hatten —
wir wurden nämlich wiederholt auf der Rheinbrücke ausgesperrt, da
es von den Brückenmeistem darauf abgesehen war, uns die Table-d'hote-
Zeit mitten im Flusse und angesichts des Riesen zubringen zu lassen ;
aus gleichem und vielleicht noch schlimmerem Grunde wurde zu wieder-
holtem Male alles aufgeboten, uns arglistig in die Festung hineinzulocken,
wovor wir uns jedoch mit großer Umsicht zu wahren wußten — , erlangten
wir ein so fabelhaft schlechtes Diner, daß uns jedes Gericht Veran-
lassung gab, meine Vorsicht zu preisen, welche uns durch das Dampf -
bootfrühstück zum voraus eine so traurige Zukunft mindestens in etwas
erträglich gemacht hat. Um fünf Uhr kehrten wir nach Bonn zurück.
Das Wetter war jetzt ziemlich gut, was uns nur insofern erfreute, als
es uns auch für Sie eine hübsche Aussicht und eine angenehmere Reise
zu versprechen schien. Uns selbst ging die Rückreise auf einem sehr
langsamen Boote in erträglicher Langweile von statten. Um acht Uhr
wurden wir von Puzzi ^) am Landungsplätze begrüßt und empfangen.
Seitdem ist das Wetter scheußlich, man kann nicht aus dem Zimmer,
friert wie im Winter und weiß somit nicht was anfangen. Meine Blut-
egel habe ich gestern setzen lassen, sie bissen mit einer diabolischen
Wut auf mich ein, ich habe über eine Stunde stark aus großen Löchern
nachgeblutet und dennoch bemerke ich vorläufig noch keine sonder-
liche Besserung . . .
Jetzt zu Ihnen. Wie sind Sie gereist? Wann sind Sie angekommen?
Wie finden Sie Wildbad? Wie wohnen Sie? Hat Ihnen Koppel gute
Dienste geleistet? Wie bekommt Ihnen das Bad? usw. Hoffentlich er-
statten Sie uns hierüber einen ebenso treuen und erfreulicheren Bericht
als wir Ihnen über tmseren Zustand. Von einer Siebengebirgspartie ist
bei einem solchen Hundewetter gar nicht die Rede. Auf der Rhein-
rückreise habe ich mich, als wir von da ab, wo man Nonnenwert erblickt,
sattsam geärgert, denn Agnes hatte mir einen Brief Liszts-) vorgelesen,
den ich Ihnen deshalb beilege und aus dem Sie ersehen werden, wie
poetisch andere Leute hier gelebt haben, während wir den Prozeßacker
pflügen mußten, und jetzt, wo man frei ist, kommt einem allerlei und
bald dies und bald das zwischen die Beine gelaufen und hindert einen
^) Kosename für das Söhnchen der Agnes Street-Klindworth. Er hieß Georg
und hat mit seiner Kinderhandschrift dem Brief einen Gruß angefügt.
2) Franz I.iszt (1811— 1886), der berülmite Musiker. Liszts Briefe an Agnes
Klindworth wurden 1893 unter dem Titel: ,, Briefe an eine Freundin" von La Mara
veröflEentlicht.
= 6o
an rechtem lieben und rechtem I,ebensgenuß. Befestigen Sie sich, ich
bitte Sie, in meiner Maxime, gegen deren zweite Hälfte Sie immer häufig
genug fehlen: Jedes von den Göttern geschickte Ungemach ertragen
können und keinen von den Göttern gewährten Genuß, dessen Möglich-
keit sich eben nur bietet, sich entgehen lassen. — Sie gehen, das hat
mich so oft schon betrübt tmd zu Moralpredigten veranlaßt, mit den
Genußmöglichkeiten so leichtsinnig um. Das sollte keiner, der nicht im-
sterblich ist. Hoffentlich bessern Sie sich.
Ich war, im Zimmer auf imd ab gehend mid meine Pfeife rauchend,
mich also ganz behaglich fühlend, eigentlich entschlossen, noch sechs
bis acht Bogen voll zu diktieren, um Agnes die Sekretärdienste — in
welcher Funktion sie bereits gestern an Esser geschrieben hat —
gründlich zu verleiden, indes ihr Finger tut weh und so will ich denn
schließen.
Ich grüße Sie also und ich, d. h. Agnes, küsse Sie also tausendmal
in Gedanken, imd so bleiben wir denn — ä propos zu Ihrer Beruhigimg
will ich hinzufügen, daß die Luxemburger schon wieder 114^/2 stehen —
Ihren Nachrichten imgeduldigst entgegensehend, mit^) den wärmsten
Wünschen für den guten Erfolg Ihrer Kur
Ihr F. Lassalle.
13-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Düsseldorf, Sonntag, den 29. Juni [1856].
. . . Was mich ^) betrifft, so sind meine Augen wieder sehr gut. Den
Tag über kann ich wieder nach des Arztes Ausspruch behebig arbeiten,
und ich wollte nur, es ginge Ihnen so gut wie mir. Es ist auch kein
Zweifel mehr, daß ich meine orientalische Reise werde machen können.
Lachen mußte ich, daß Sie in dem Briefe den Einfluß der Agnes an-
rufen. Was Ihr Einfluß nicht kann, wird sicher kein andrer. Sie wissen
auch selbst sehr genau, daß nie ein Mensch soviel Einfluß auf mich
gehabt hat und je haben wird als Sie, ja, daß Sie mir ein reines Lebens-
bedürfnis sind. Kurios nur, wirklich kurios, daß wir ims bei alledem
so oft schlecht vertragen. Es ist Unverstand von beiden Seiten imd tut
mir dann immer so leid, wenn ich bedenke, was man sich selbst für
schöne, vmwiederbringliche Zeit oft verdirbt. — In Bonn habe ich es
nicht lange ausgehalten. Dienstag früh reiste ich fort, war Dienstag
^) Von hier bis zu seiner Namensunterschrift von I,assalles Hand.
2) Bis hierher hatte lyassalle der Gräfin ausführlich berichtet, was ihr Düssel-
dorfer Arzt ihr für ihre Kur anriet.
= 6i ======
abend hier und bin seitdem hier geblieben. Heute über acht Tage aber
werde ich auf drei bis vier Tage mindestens nach Roiin /Airück müssen.
Aber auch nur, weil Ritschi ^) mir schreibt, daß er mir alle die Bücher,
die ich brauche, nicht schicken kann. Ich sollte alle diese Teile in Bonn
einsehen, wo er mir einrichten will, daß ich täglich sieben bis acht
Stunden im Lesezimmer arbeiten kann.
Meine Augen anlangend wollen Sie sich also gar keine Sorge mehr
machen. Sie sind so gut als geheilt. Kaum noch eine Kleinigkeit zu
sehen, und die wird auch in drei Tagen verschwunden sein.
Gleichwohl könnten Sie mir einen Gefallen tun. Obgleich meine
Augen mich nicht im entferntesten hindern, konveniert es mir, bei
Lichte besehen, gar nicht recht, dies Jahr in den Orient zu reisen.
Ich möchte um alles in der Welt erst meinen Heraklit fertig haben und
mich auf die Reise auch erst besser vorbereiten. Ich möchte also, wenn
die Reise unterbleibt, Mitte August zu Ihnen nach Wildbad kommen
und mit Ihnen eine kleine drei- bis vierwöchenthche Reise antreten,
und zwar am liebsten nach der Schweiz. Dafür übernehme ich alle
Garantie, daß ich die Reise so einrichten werde, daß sie Ihnen nicht
schadet. Diese Reise also möchte ich mit Ihnen dies Jahr — freihch nur,
wenn es Ihr Zustand erlaubt — machen, und dann Heraklit heraus-
geben.
Allein wenn mein Schwager 2) dies Jahr nach dem Orient geht, so
kann ich es nicht unterlassen, ihn zu begleiten, wenn es mir auch gar
nicht recht ist, denn diese Reisegelegenheit kehrt für mich nicht
wieder.
Es würde sich also nur darum handeln, ihn zu bewegen, die Reise
auf August nächsten Jahres zu verschieben. Allein ich kann dies nicht.
Die einzige, die das möglicherweise fertig bringen könnte, sind Sie.
Sie müßten ihm nämlich einen sehr einnehmenden und gewinnenden
Brief schreiben, worin Sie ihm zwar sagen, daß ich, wenn er reist, mit-
gehen würde (sonst wirkt es gewiß nicht), aber ihn bäten, Ihrer Be-
fürchtung wegen meiner Augen, die Ihnen keine ruhige Nacht und keine
ruhige Minute lassen würde, zuliebe seine Reise zu verschieben auf
nächstes Jahr. Sie müßten ihm ferner in Aussicht stellen oder gar als
Belohnung dafür versprechen (an ein Versprechen derart sind Sie ja
doch nicht gebimden), nächsten August mit bis Konstantinopel und
Kairo zu gehen. Sie müßten ihn deshalb, um Ihnen die Reise, die Sie
sehr gern machen würden, zu ermöglichen — denn allein könnten Sie
es ja nicht — die Reise in seiner Begleitung, die Sie so gern machten,
1) Vgl. hierzu Ritschis Brief an Lassalle vom 3. Dezember 1857 in Bd. II, S. 144-
2) Über Ferdinand Friedland vgl. Einführung zu Bd. I, S. 3.
=: 62 =
um die Verschiebung bitten. — Sie müssen ihm sehr viel Schmeichel-
haftes sagen: das wirkt sehr bei ihm. Vor allen Dingen aber müssen Sie
tim, als geschähe Ihre Demarche hinter meinem Rücken, imd ihn
auch bitten, mir nichts davon mitzuteilen, in keinem Falle.
Falls er dem Ministerium oder irgendwem gegenüber eine quasi
Verpflichttmg zur Reise schon übernommen habe, müssen Sie sagen,
würde es ihm bei seiner Gewandtheit leicht sein, zu tun, als müsse er
grade noch im Interesse dieser Leute die Reise verschieben.
Ist es möglich, so bekommen Sie es auf diese Weise gewiß fertig.
Aber Sie dürfen keine Zeit verlieren. Denn je mehr Reisevorberei-
tungen er macht, desto schlimmer.
Haben Sie diesen Brief besorgt, so muß ich Sie bitten, sofort —
denn ich zweifle immerhin am Erfolge dieser Demarche — an Max
wegen der Empfehlungsbriefe zu schreiben und ihm zu sagen, daß Sie
sie bis Ende Juli haben müssen.
Da Sie so viel für mich schreiben müssen, so will ich, so unan-
genehm dies ist, darauf verzichten (denn Sie sollten nicht viel schreiben),
daß Sie vor Ablauf von acht Tagen an mich schreiben . . .
14.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Mittwoch, früh 8 Uhr [Düsseldorf, 9- Juli 1856].
Meine Gnädigste!
Um elf Uhr reise ich nach Bonn und schreibe daher nur möglichst
kurz . . .
Ich bin jetzt fast (aber allerdings noch nicht ganz) entschlossen,
auch wenn mein Schwager geht, die orientalische Reise nicht mit-
zumachen, dieses Jahr. Hierzu bestimmt mich
1. daß ich mich im Heraklit nicht vier Monate vmterbrechen will,
was sehr störend,
2. daß Sie mir sagen, daß es Ihnen Ihretwegen lieb wäre, da Sie
auch eine Reise machen möchten. Und wie gewissenlos wäre es,.
Sie um einen Genuß zu bringen. Auch ist imter allen Umständen
ein Genuß, den ich mit Ihnen teile, der größte für mich.
Denn aller Glücke größtes bleibt der Freund,
Der teilend es vermehrt, der's fühlend schafft.
Wenn ich also nicht nach dem Orient gehe, so wollen wir die
Schweizer Reise mitsammen machen, falls es ärztlich Ihnen nicht schäd-
63 =====
lieh ist und Sie sie gern machen, wie ich daraus schließe, daß vSie mir
es offerieren. Mir selbst ist eine solche Reise von drei bis vier Wochen
ein wahres Bedürfnis. Denn ich kann Ihnen nicht leugnen, daß ich mich
von dem angestrengten Arbeiten, das ich doch eigentlich seit Ende
September vorigen Jahres ununterbrochen treibe, sehr angegriffen und
erholungsbedürftig fühle. Daß ich jetzt hier stark arbeite, ist selbst-
redend ; in Bonn werde ich es nicht viel weniger tun und den Tag über
jedenfalls auf der Bibliothek zubringen. Ich brauche also allerdings
eine kurze Erholung. Auch möchte ich endlich dies Jahr die Partien
der Schweiz, die ich nicht gesehen, Wallis und Genf, durchmachen, um
noch mit der Schweiz fertig zu sein und künftig Jahr nach dem Orient
oder Italien zu können.
Wenn wir also die Reise machen wollen, so bleibt nur noch eins zu
überlegen. Wie Sie wissen, ist es mein Grundsatz, daß es nicht gut ist,
wenn wir ohne jeden Dritten eine Reise machen. Ich begab mich also,
nachdem mir klar geworden, daß ich schwerlich dies Jahr nach dem
Orient gehen werde, zu Bloem^) und fragte ihn, ob er nicht auch nach
der Schweiz wolle. Allein er reist mit seiner Familie nach Helgo-
land.
Es würde uns also als Dritter kaum jemand übrig bleiben als die
Agnes, die ich hiermit in Vorschlag bringe. Aber nun bitte ich Sie,
glauben Sie um Gottes willen nicht, daß ich dies meinet- oder der
Agnes willen tue. Sie würden mir durch eine solche Annahme schweres
Unrecht tun. Ich tue es bloß aus den angegebenen Gründen und weil
ich glaube, daß es den Genuß der Reise Ihnen in mancher Hinsicht er-
höhen wird. Denn wenn ich mit Vögeli schwierige Gebirgsausflüge mache
oder Sie auf dem Talwege nach Genf schicken will (nachdem wir im
Bemer Land gewesen) oder daselbst lassen will — so habe ich doch
jemand, der mit Ihnen ist. Wenn ich allein mit Ihnen reise, kann ich
das entweder gar nicht oder weiß, daß Sie sich indessen wie ein Mops
ennuyieren, was mir schon jede Freude verdirbt.
Gegen das Projekt spricht, soviel ich sehe, nichts als der Kosten-
punkt . . . Wann sollte ich denn also nach Wildbad kommen ? Mir ist
das Datum egal. Ich möchte in Wildbad drei Tage bleiben und dann
mit Ihnen weiter reisen. Freilich, wenn man in Wildbad keine Woh-
mmgen findet, wie dann? Die Agnes würde ich, falls Sie meiner An-
sicht sind, nach Wildbad mitbringen.
Tausend herzliche Grüße und abertausend von Ihrem
F. Lassalle.
^) Dr. Anton Bloem (1814 — 1885) der Anwalt der Gräfin in Düsseldorf. Vgl.
über ihn Bd. III, S. 6.
^==^= 64
15-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Bonn, Mittwoch nachmittag [16. Juli 1856].
Meine Gnädige!
Unbegreiflich! Grad heut — Mittwoch — vor acht Tagen, ehe ich
hierher nach Bonn reiste, schrieb ich Ihnen, und noch habe ich auf
diesen Brief keine Antwort!
Es sind mir hier inzwischen zwei Briefe von Ihnen nachgeschickt
worden. Den vom g. mit den 52 Rt. erhielt ich gestern! Den vom 12.
vorgestern. Aber nach Bonn direkt habe ich noch keinen Brief emp-
fangen. Die Sache ist mir höchst unangenehm. Denn ich bin hier mit
meinen Arbeiten auf der Bibliothek seit heute mittag fertig imd möchte
morgen früh nach Düsseldorf zurück. Nim muß ich aber doch erst hier
Ihre Antwort wegen Agnes abwarten. Denn je nach Ausfall derselben
muß ich doch mit Agnes sprechen, da diese noch nichts davon weiß und
nach Ostende zu gehen beabsichtigt. Ohnehin kommt ihr Vater wohl
bald . . .
Mein Schwager wird, wie Sie aus dem beifolgenden Brief meiner
Schwester schließen können, wohl jedenfalls auch ohne mich reisen. Es
fällt mir doch sehr schwer, ihn ziehen zu lassen, und ich bin wieder sehr
imentschlossen.
Die Eingabe an das Ministerium habe ich Ihnen geschickt — auch
nach dem Badhotel adressiert — zur Unterschrift. Ich erwarte sie bald
zurück, um sie abzusenden.
Es ist höchst langweilig, daß ich meine teure Arbeitszeit versäumen
muß und hier nicht fort kann, weil Sie auf meinen, vorigen Mittwoch
geschriebenen Brief, den Sie, wenn Sie täglich nach dem Badhotel
schickten, Sonnabend imd selbst Freitag schon haben mußten bis
Montag inkl. — denn sonst müßte die Antwort schon hier sein — , noch
nicht geantwortet hatten. Außerdem aber, daß mich der Zeitverlust
ärgert, martert sich meine Phantasie mit allen möglichen Befürch-
ttmgen, z. B. der Brief sei verloren oder Sie krank.
Wie bekömmt Ihnen denn jetzt die Kur? Darüber vor allem sehe
ich genauer Nachricht entgegen. Sie sagen in Ihrem letzten Brief, ich
sollte nach Wildbad kommen, dort baden! Liebes Kind, wie können
Sie sich so etwas einfallen lassen! Ich brauche meine Zeit für den
Heraklit, imd wenn ich nicht nach dem Orient gehe, so habe ich nur
drei, höchstens vier Wochen Zeit für eine mir zu meiner Erfrischung
allerdings höchst nötige Schweizer Gebirgsreise, bei der ich mich wieder
65
stark laufe ; nicht aber habe ich die Zeit, \-ierzclin Tage in Wildbad zu
versitzen. Erst drei Tage vor Ihrer Abreise von dort will ich daselbst
eintreffen. Nicht früher. Bitte mir daher den Zeitpunkt anzuzeigen . . .
i6.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Düsseldorf, Dienstag abend [2a. Juli 1856].
Meine Gnädigste!
In welche namenlose Angst Sie mich diesmal versetzt hatten, können
Sie nicht glauben! Bis Montag mittag wartete ich auf Ihren Brief in
Bonn, wo er, wenn Sie ihn, wie Ihre telegraphische Depesche versprach,
Freitag zur Post gegeben hätten, schon Sonntag hätte eintreffen müssen.
Nichtsdestoweniger war noch Montag mittag keiner da. Da reiste ich
verzweifelnd ab, weil ich die Angst und zugleich den Ärger über meinen
Zeitverlust nicht zugleich länger aushalten wollte. Heut früh erst kam
Ihr Brief in Bonn und heut abend hier an.
Außer meiner entsetzlichen ausgestandenen Angst ist mir auch der
Verlust an Arbeitszeit äußerst empfindlich. Denn seit Mittwoch abend
hatte ich in Bonn nichts mehr zu tun und saß nur da, auf Ihren Brief
wartend. Ich wollte ihn lieber dort noch empfangen, um eventuell mit
Agnes — der ich davon noch gar nichts gesagt — über die Reise Rück-
sprache zu nehmen. Jetzt muß ich ihr erst schreiben. — Auch für meine
Augen war der dortige Aufenthalt nicht gut. Denn ich konnte keine
Augenwaschungen machen, weil ich ausgehen mußte und die Luft
dabei schädlich, konnte nicht Pfeife und mußte Zigarre rauchen usw. usw.
Der Arzt meint jedoch, daß die Gebirgsreise als die beste Kur darauf
wirken wird . . .
Wann soll ich also in Wildbad sein? Ganz nach Belieben. Brauchen
Sie die Kur solange es nur irgend gut ist. Nur möchte ich nicht vor-
zeitig kommen.
Freihch mußte ich lachen, als ich las, Sie kommen sich ,,wie ein
Paria vor", weil Ihre Wildbader Honoratioren tun, als keimten sie Sie
nicht und schieben das auf das , .Verleumdet- und Verkanntsein". Das
hat damit gar nichts zu tun, hat mit Ihrer Privatperson überhaupt
nichts zu tim^) (sonst wäre es jetzt gewiß fortgefallen), sondern wurzelt
einfach in der politischen Partei, zu der Sie sich geschlagen haben, und
kann Sie folglich weder kränken noch wundern. Jene Leute haben vor
^) Es ist auffällig, daß Lassalle hier nicht auf seinen früheren langen nach
Ems gerichteten Manuskriptbrief hinweist. Siehe oben Nr. 6.
Mayer, I.assalle-NachUss. IV ^
=^ 66 =
Ihnen den Vorteil der Ganzheit voraus; d. h. sie hassen eben ihre
politischen Widersacher und wollen mit ihnen auch gesellschaftlich
nichts zu tun haben. C'est si simple comme toujours. Und die Leute
haben darin ganz recht. Und wenn der eine oder der andere sogar selbst
weniger stark von diesen Gefühlen beherrscht, so setzt er doch den-
selben Haß grade auch Ihrerseits wieder voraus und erlaubt sich des-
halb keine Näherung oder imterläßt es aus Rücksicht auf die anderen,
die stärker hassen. — Übrigens zeigt Ihre Klage, daß wenn man jemand
von früh an angehalten hat, auf einen alten Knopf zu sehen und ihm
eingeredet, der Knopf sei der Welt Mittelpunkt, er ein gewisses inneres
Trabantenrotieren seines Geistes um diesen Knopf herum nicht los wird,
wenn er auch seitdem das ganze kopernikanische Weltsystem durch-
studiert hat und demzufolge sehr genau weiß, daß alte Knöpfe bloß alte
Kjiöpfe und keine Mittelpunkte von Welten und Sonnensystemen sind.
Nämlich dann wird er es nicht los, wenn er eine Frau ist. Denn
immer haben Frauen, was sie wissen, in der einen, was sie fühlen in der
andern Tasche.
Also empfehlen Sie mich Herrn von Morny,^) der Kaiserin, der Groß-
fürstin, der Kleinfürstin, der Kronprinzessin, den Fürstinnen, den Grä-
finnen, den Frauen von, den Herren auf imd machen Sie denselben
meinen alleruntertänigsten Respekt mit derselben unanständigen Ge-
bärde, mit welcher sich an einer gewissen Stelle in einem gewissen Stück
Mephistopheles über Faust lustig macht.
Tout ä vous Ihr
F. lyassalle.
Was ist denn das mit der Agnes, was Sie gehört haben ? Das möchte
ich gern wissen. Wenn es Sie nicht zu sehr anstrengt, so schreiben Sie
es. — lyassen Sie bald von sich hören, wenn auch nur zwei Zeilen.
Eben kommen aus Paris die sechs Töpfe Pomade, die ich bestellt.
Ich schicke Ihnen morgen drei.
17.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALI^E. (Original.)
[Wildbad] 23. Juli 1856.
Hierbei, liebes Kind, die Eingabe zurück, ich habe, was ich weg-
gelassen wünsche, mit Bleistift angestrichen und meine Bemerkungen
1) Der Herzog von Momy (1811 — 1865), der Halbbruder Napoleons III., war
damals französischer Botschafter in Petersburg und arbeitete an einer Annäherung
z\vischen Frankreich und Rußland.
========== 67 ========
dazu geschrieben. Ich bitte Sie recht herzlich, mir nicht dariiber böse
zu sein und mir gewiß den Gefallen zu tun, es zu ändern. Es ist auch
nicht schwierig, da man die einzelnen Blätter herausnehmen kann und
sich der Abschreiber so einrichten kann, daß es wieder zum folgenden
Blatt paßt. Wo es nur einzelne Worte oder kurze Sätze sind, könnte
es sogar vielleicht ausradiert werden. Darum habe ich auch die Eingabe
unterschrieben, weil diese Unterschrift immer zu brauchen und Sie es
dann nicht wieder herzuschicken brauchen. Eassen Sie sich zum Zu-
siegeln ein Wappen von Wächter, das ja dasselbe ist, borgen. Die Ver-
änderungen sind nicht groß, die Eingabe bleibt ebenso scharf. Aber Sie
benehmen ihr etwas den persönlichen, boshaften Spott, und dies wünsche
ich sehr, einmal, weil es sich doch besser für eine Frau paßt, aber vor-
züglich, weil ich jetzt die Eeute nicht persönhch reizen möchte. Es hat
sich darum so verzögert, weil ich Ihnen aufrichtig gestehe, daß ich mich
etwas fürchtete, Sie würden böse werden. Überdies bin ich wirklich in
einem immerwährenden Fieber, ich habe die Bäder wieder angefangen
vmd jetzt sogar stärkere. Es ist möglich, daß Paul jetzt auf einige Tage
herkommt. Warum schreiben Sie mir denn gar nicht? Sie sind ja noch
viel fauler als ich. Es ist nicht recht, da Sie wissen, wie allein ich hier
bin. vSchreiben Sie mir, wie es Ihnen, wie es mit Ihren Augen geht.
Tausend herzliche Grüße
S. H.
i8.
LASSAEEE AN SOPHIE VON HATZFEEDT. (Original.)
[Düsseldorf] Freitag abend [25. Juli 1856].
Ich habe Ihren lieben und schönen, Ihren klugen und dummen,
Ihren so geistreichen und so törichten Brief kaum empfangen und
durchgelesen, als ich mich auch schon zu seiner Beantwortung nieder-
setze. Es ist wirklich häufig schon ein Genuß, Briefe von Ihnen zu
empfangen, und man empfindet nur das Bedauern, sie nicht sofort in
die Druckerpresse schicken zu können. Seit Goethe hat kein Mensch
so Briefe geschrieben, und Goethe hat lange nicht diese Wärme und
Lebendigkeit des Stils gehabt. Da ist so viel Natur darin und die Naivität
eines Kindes und ein Erguß des Herzens tmd soviel Geist und Gescheit-
heit und doch wieder so viel liebliche und interessante rührende Dumm-
heit mitten darunter, daß es einem ganz nahe geht und denselben
rührenden Eindruck macht, wie unschuldige kleine Kinder in weißen
Kleidern und mit Rosengirlanden umschlungen, die ihre großen blauen,
gescheiten, reinen Augen weit aufschlagen und deren Blick einem eben
— = 68 _
deshalb so zu Herzen geht, weil man 's ihnen eben ansieht, sie wissen
noch gar nicht, wie 's in der Welt aussieht.
Ks gäbe wirklich nichts Gescheiteres für Sie, als Schriftstellerin zu
werden. Sie bringen sich um einen großen Triumph und unsere Literatur
um eine große Zierde, wenn Sie es nicht noch tun ! — Das heißt schreiben !
Haben Sie doch mich steifen Pedanten fast zu einer Rhapsodie hin-
gerissen trotz aller Dummheiten, die in dem Briefe stehen. Es sind eben
Kinderdummheiten, so treuherzig ehrlich, so unschuldsvoll einfältig,
daß man nicht anders kann, man muß sie grade deshalb küssen.
Wie kann man nur solche Briefe schreiben können imd dann noch
mit sich selber imzuf rieden sein ? Wie kann man solche Briefe schreiben
können und dann noch jener schlechten Clique bedürfen, die alle zu-
sammen, in einen Geist potenziert, kaum das Talent, diese Briefe auch
nur lesen zu können, haben würden? Wie kann man solche Briefe
schreiben können und dann nicht ruhig und selig in sich thronen, gleich
den ol5rmpischen Göttern? Diesen Widerspruch begreife ich nicht!
Wenn ich mit Heraklit fertig bin, will ich mal gründlich darüber studieren.
Das wesentlichste desselben habe ich eigentlich schon letzthin be-
antwortet. Ihre Exklusion liegt nicht in Ihrer Privatperson, sondern
in Ihrer politischen Parteinahme.^) Und, was die Herren anlangt,
ebenso auch darin, daß man sich ebenso von Ihnen exkludiert
glaubt. Wie mancher würde sonst gern anbandeln. Wie Sie aber bei
einigem Nachdenken die Kometenstellung, die Sie nach Ihrer eigenen
Schilderung auch dort haben, nicht mit Stolz und Eitelkeit erfüllen
kann, begreife ich nicht. Wer achtet drauf, wenn Frau von X. vorbei-
geht? Das sind Huldigimgen, wie sie jedes große Wagen und Können,
jedes eigene Wollen sich erzv/ingt. Glauben Sie, daß die Aufmerksam-
keit einer Welt, wenn man vor die Tür tritt, nicht wie jeder andere
Triumph seine kleinen Dornen haben soll? Erinnern Sie sich des Alki-
biades und seines Grimdsatzes. — Ich wollte aber, ich hätte die Macht
eines Gottes und könnte Sie auf acht Tage wieder unter diese I,eute
versetzen. Was würden Sie bald schreiend und wehklagend davon-
laufen ! Nicht acht Tage würden Sie die Clique ertragen können ! Da ist
der Staatsrat.^) Und das ist doch noch der Gescheitesten einer. Sie haben
sein Gebabbel nicht i^/g Tage aushalten können. Gehen Sie! Sie sind
viel zu sehr an das Ambrosia ewiger Gedanken verwöhnt, als daß Sie
in jener flachen Atmosphäre auch nur atmen könnten. Fände sich
Ihnen jetzt ein Mephisto und
,, schleppte Sie durch jenes seichte Leben,
durch flache Unbedeutendheit"
^) Siehe oben Nr. i6.
^j Für den Staatsrat Klindworth vgl. oben die Einführung S. i6f.
========= 69 =============
— was würden Sic , .zappeln, starren, kleben"! Nein, mein Kind! Jene
Kreise, die im neunzehnten Jahrhundert Platen von sich gestoßen
haben, ganz so wie im sechzehnten Jahrhundert Hütten (einen zweiten
weiß ich aus dem neunzehnten Jahrhundert bloß deshalb nicht zu
nennen, weil sie keinen zweiten hatten — und doch — noch einen
zweiten, den sie gleichfalls von sich stießen — Byron), jene Kreise
sind nichts für Sie. Wünschen Sie sich nicht hinein. Sie wünschen sich
Schlechtes. Es geht Ihnen damit wie mir häufig mit dem Reisen. Kaum
aber bin ich acht Tage unterwegs, so wünsche ich mich in mein Zimmer
zurück.
Ihre Klage aber über die wirklich geistig gebildete Gesellschaft
aus den Kreisen der Bourgeoisie finde ich mehr als ungerecht. Denn
von allen, die wir nur aus diesen Kreisen je zu sehen Gelegenheit hatten,
sind Sie sogar immer mit großer Auszeichnung behandelt worden. —
Ebenso imgerecht sind Ihre Bemerkungen in bezug auf die politische
Partei. Ich kann Ihnen darin durchaus nicht recht geben. Weder
die Geschichte zeigt es, wie Sie meinen, noch Ihr eigenes lieben. Frei-
lich sind Sie auch im Schöße der eigenen Partei angefeindet worden.
Aber wem geschieht das in der demokratischen Partei nicht ? Mir nicht ?
Marxi) nicht? Waldeck 2) nicht? Kinkel 3) nicht? Proudhon ") nicht?
Ledru ^) nicht? Das geschieht ja allen, und bei jedem ergreift man dann,
um ihn anzufeinden, was sich nur eben bietet. Ist es nicht dies, so ist
es das. Gemeinsames I,os aller. Nicht der Rede wert!
Sehen Sie sich genau die vornehme glänzende Gesellschaft dort an !
Ivassen Sie sie an sich vorbei defilieren und halten Sie Schau — es ist
die Totenschau, die Gespensterparade dieser Gesellschaft! Irre
ich nicht sehr, so ist es das letzte Jahr, daß sie sich in ihrem koketten
Glänze zeigt. Schwere Wolken ziehen am Himmel herauf, wahrlich, ich
sage Euch, die Füße derer, die sie hinaustragen werden, stehen schon
vor der Türe. Halten Sie Totenschau und gönnen Sie ihnen das kurze,
eitle Sonnen noch; schon sind sie ,,von ihrem Lorbeer nur noch der
Schatten, von ihrem Glück nur noch der Hohn".
^) Karl Marx {1818 — 1883), der berühmte Sozialist. Für Lassalles Briefwechsel
mit ihm vgl. Bd. III dieser Publikation.
2) Benedikt Waldeck (1802 — 1870), das Haupt der preui3ischen demokratischen
Partei.
3) Gottfried Kinkel (18 15 — 1882), der Dichter, Kunsthistoriker und demo-
kratische Politiker.
*) P. J.Proudhon (1809 — 1865), der berühmte französische Gesellschafts-
reformer und Politiker.
^) Alexandre Auguste Ledru-Rollin (1807 — 1874), unter dem Bürgerkönigtum
Führer der äußersten Linken, in der Februarrevolution Minister des Inneren,
hernach bis 1870 politischer Flüchtling.
— 70 =
Ich wiederhole Ihnen, es ist die Totenparade. Die Ereignisse nahen
im Geschwindschritt. Wollte Gott, ich behielte nur noch Zeit, den
Heraklit herauszugeben. Doch das hoffe ich noch sicher.
Der Agnes habe ich gleich geschrieben, sie soll baldigst hin. Sie ist
aber nach Mannheim gereist, wo sie, glaube ich, die Stubenrauch be-
suchen soll in ihres Vaters Angelegenheiten. Es fragt sich also, wann
sie bei Ihnen eintreffen kann, doch hoffe ich bald.
Was Sie von meiner Eingabe schreiben, setzt mich in große Ver-
legenheit. Denn wie mm helfen? Das dicke Ding umschreiben lassen,
das geht nicht, denn das würde vierzehn Tage dauern.
Ich muß auch bemerken: i. daß es, wenn die Malicen fortfallen,
sicher nicht hilft; das steht ganz fest; 2. daß es nach meiner Ansicht
gar nicht schadet für unser Hinziehen, i) wenn wir tüchtig beißen.
Die Zähne zeigen hat mir noch immer genützt. Sieht man, daß sie
scharf sind, so nimmt man noch hin und wieder eine Rücksicht. Denn
von meiner Feinde Milde hoffe ich nie etwas; weit mehr von ihrem
Respekt.
Bestehen Sie jedoch auf Ihrem Wunsch, so mache ich folgende
Vorschläge :
I. entweder es handelt sich um bloße Worte, imd dann streiche
ich ruhig aus, ohne abschreiben zu lassen; oder aber 2. ich unterzeichne
das Ding in Ihrem Namen, also: im Auftrag der Frau Gräfin von Hatz-
feldt der Generalbevollmächtigte F. L,.
Dann kann man es Ihnen nicht zur Last legen, und mir ist es sehr
recht; schadet mir auch gar nichts. Beißen nützt mir jedenfalls.
Aber senden Sie es doch schnell.
Nun das letzte: Ich wollte cirka den 15. August — je nachdem
Ihre Kur dort noch dauern wird — entweder erst nach Wildbad reisen
oder schon dort eintreffen. Und freilich muß es mir Heraklits wegen
sehr am Herzen liegen, keine Zeit zu verlieren. So pedantisch sind wir
aber doch noch nicht, daß wir einen Freimd wie Sie im Stich ließen,
wenn seine Gemütsstimmung uns fordern sollte. Kann also Agnes nicht
bald kommen (wahrscheinlich kann sie erst Anfang August) und wim-
schen Sie in der Bedrückung und Beklemmung, die Ihnen die dortige
Gesellschaft verursacht, ihr die unverschämte Götterruhe meines
Antlitzes entgegenzustellen (großen Staat werden Sie damit freilich
nicht machen, auch sich damit freihch nicht sehr in Gunst setzen), so
telegraphieren Sie mir nur, tmd ich lasse alles stehen und liegen und
fliege hin, Ihnen meine süffisante Person und meine, wenn auch nur
1) Nach Berlin.
= 71 —
tropisch schlachtengebräutite Hcldenstirne zur Disposition zu stellen.
Aber die Eingabe muß freilich erst besorgt sein. Genug für heut. Es ist
ein Uhr nachts.
Ihr F. I..
Ich bekleckse alle Ränder, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich
über die Wiedergeburt, die aus Ihrem Briefe entgegenleuchtet, freue!
Nahrung und Befriedigung will ich derselben schon schaffen, das sei
meine Sorge. Sie glauben aber nicht, wie glücklich es macht, Sie wieder
auf einmal so [wieder] aufgelebt zu finden, wie Ihr Brief so höchst
erfreulich zeigt! Haben Sie nur wieder erst Eebens- und Regungs-
bedürfnisse ! Befriedigen will ich sie schon. Das ist gerade meine starke
Seite. Sind wir erst in Berlin, will ich Ihnen mehr Zerstreuung, Ab-
wechslung und Lebensgenuß schaffen, als zehn Frauen nie de rieben
körmten.
19.
LASSAIvEE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Düsseldorf [Ende Juli 1856].
Meine Gnädigste!
Infolge Ihres Briefes, in welchem Sie die Agnes gleich dort zu haben
wünschten, schrieb ich sofort in der dringlichsten Weise an sie. Ich
erhalte soeben von ihr Antwort, daß sie gleich nach Sonnabend, etwa
Sonntag, Montag usw. zu Ihnen [reisen] wird. Allein sie schreibt mir
zugleich, daß jenes scheußliche Wesen, ihr Vater, ihr die Erlaubnis zu
der Reise nach der Schweiz nicht gibt. Aus dem allerfutilsten oder
eigentlich aus gar keinem Grunde, weil er nämlich nach London reist
und sich einbildet, sie müßte inzwischen in Brüssel sitzen — obgleich
noch dazu Wolff das dortige Klima für so schädhch für sie erklärt
hat und sie ihm zu gar nichts nötig ist.
Ich glaube, sein Grund ist bloß der, daß Sie nicht die Einladimg
geschrieben haben, sondern bloß ich. Ich war nämlich schon wieder
von Bonn fort, als Ihr Brief, der sich damit einverstanden erklärte,
endlich kam, und vor Eintreffen desselben konnte ich doch nichts
sagen. Hätte ich noch mündlich mit ihm darüber sprechen können, so
hätte er freiUch nicht nein gesagt. So aber mußte ich schreiben, weil
Ihr Brief so verwünscht lange ausblieb, und das scheint ihm nicht recht
gewesen zu sein. Sie sind also um so mehr hierdurch veranlaßt, was Sie
als imschuldige Ursache durch das lange Ausbleiben jenes Briefes ver-
schuldet haben, wieder gutzumachen.
— 72 ^
überdies schreibt mir Agnes, ich möchte Sie bitten, ein gutes Wort
für sie bei dem Vater einzulegen. Ihnen würde er es nicht abschlagen.
Schreiben Sie ihm also, bitte, gleich und dringlichst. Benutzen
Sie auch das, daß ja Wolff das Brüsseler Klima für so äußerst gefähr-
lich und schädlich für Agnes erklärt hat. Der alte Heuchler sieht ja
gerne sehr gefühlvoll aus. Und schreiben Sie ihm so höflich und ver-
bindlich, daß er nicht abschlagen kann.
Aber Sie haben dazu keinen Augenblick zu verlieren, denn der
alte F'uchs — ich könnte ihn nur so ohrfeigen, daß es eine Art hätte —
kommt Sonnabend nach Mannheim zurück und will dann sehrbald —
wie bald, weiß ich nicht — nach London. Schreiben Sie also schleu-
nigst sofort, noch ehe Agnes zu Ihnen kommt; denn dann sieht sie
ihn, glaube ich, nicht mehr.
Sollte sie früher, als sie wollte, gereist und jetzt schon bei Ihnen
sein, so sagen Sie ihr, daß ich ihr auf ihren Brief sofort nach Mannheim
geantwortet habe.^)
Ihr
F.L.
20.
I.ASSAI.LE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Prag] Sonntag, den 2 1 . September [1856].
Meine gute, gnädige Frau!
Ich war grade gestern auf dem Hausflur, als Ihr Brief an Papa an-
kam, und so geschah es, daß er zuerst in meine Hände fiel, und da ich
Ihre Schrift erkannte, von mir auch sofort gelesen wurde. Aber weit
entfernt, mich, wie Sie in demselben voraussetzen, dagegen zu ver-
stocken, hat er mich vielmehr, wie ich Sie versichern kann, sehr gerührt,
da er mir zeigte, wie warm und aufrichtig die Besorgnis ist, die Sie für
mich empfinden, und welchen reellen Anteil Sie an mir nehmen. Es ist
beiläufig gar nicht wahr, daß ich systematisch Ihren Rat zurückweise.
Es lebt im Gegenteil niemand, auf dessen Rat ich entfernt soviel gebe,
wie auf den Ihrigen. Und nicht, daß Sie es raten, sondern nur die Weise,
in der sie ihn manchmal äußern, ist es, die mich hin und wieder in
Harnisch bringt.
^) Agnes hat die Reise nicht mitgemacht. Am 5. August schreibt Lassalle der
Gräfin: „Von Agnes habe ich nichts mehr gehört. Hole den Alten der Teufel. Er
verleidet einem die Tochter. Habeat sibi." Vgl. aber auch unten Nr. 23, S. 82.
= 73 ^=
Ich kam, da ich in I^ipzig einen Tag ruhte, am i8. abends hier an.
Am 19. früh sechs Uhr reiste er ^) bereits ab. Er konnte nicht länger
warten. Seine Reisegesellschaft war bereits seit fünf bis sechs Tagen
nach Pest voraus. Wie ungeheuer er mich bestürmt, die Reise mit-
zumachen, können Sie sich nicht vorstellen. Kr beschwor mich, mit
nach Wien zu gehen, Professor Arlt^) zu konsultieren, den er bereits
aus Prag nach Wien gereist glaubte, wohin er einen Ruf als Arzt der
Kaiserin erhalten hat. Ich refüsierte, aufs ungewisse hinzugehen. End-
lich reiste er, mich beschwörend, es mir noch anders zu überlegen und
ihm dann nach Pest zu telegraphieren, wo er mich erwarten wollte. —
Tags drauf ergab sich zufällig, daß Professor Arlt — der berühmteste
Augenarzt Österreichs — erst abends seine Reise und Übersiedlung
nach Wien antreten wolle. Schwester ließ ihn holen, und er untersuchte
meine Augen aufs strengste. Ich muß Ihnen aber sagen, daß ich keine
Lust zur Reise hatte und ihm deswegen einen fürchterlichen Bericht
machte, noch weit fürchterlicher, als Sie pflegen, schwarz in schwarz
malend. Arlt erklärte aber mit peremptorischer Bestimmtheit:
1. Meine Augen wären nur krankhaft überreizt, nicht entzündet.
2. Weniges Arbeiten würde mir auch nichts schaden, vieles aber
allerdings die Wiederherstellung sehr lange verzögern.
3. Die Reise nach Ägypten aber für mein Augenleiden absolut un-
schädlich, ja,
4. ein wahres Medikament sei, da sie mich hindern würde zu
arbeiten, mid auch die Luft günstig wirken werde.
Dies sind seine eigensten Worte.
Was sollte ich tun ? Nach Düsseldorf gehen imd nicht arbeiten wäre
mir schlechterdings tmmöglich gewesen. Viele andere Gründe, die ich
Ihnen einmal mündlich explizieren werde, kamen hinzu — und so habe
ich mich, so schwer es mir wird, mich von meinem Heraklit vor seiner
Vollendtmg auf 3^/2 bis ^j^ Monate loszureißen, entschlossen, mit in
den Orient zu gehen. Heut früh habe ich Friedland nach Pest tele-
graphiert, und obgleich es mir jetzt schon wieder beinahe leid tut, bin
ich jetzt gebimden. Morgen oder übermorgen reise ich, freilich jetzt
fast ohne alles, ohne Vorbereitungen, ohne Bücher, ohne Kleider, fast
selbst ohne Geld nach dem Orient ab, Friedland, wie gesagt, in Pest
treffend. — Was dazu beitrug, den Entschluß in mir hervorzurufen,
war grade auch der Wunsch, das Verhältnis zwischen Ihnen und mir zu
bessern. Gönnen Sie wenigen aus der Tiefe meines Herzens kommenden
^) Lassalles Schwager Ferdinand Friedland.
2) Ferdinand Ritter von Arlt (1812 — 1887) wirkte von 1849 bis 1856, wo er
nach Wien übersiedelte, als Professor der Augenheilkunde in Prag.
= 74 =-
Worten ein wohlwollendes und indulgentes Ohr. Wenn unsere Freund-
schaft brechen, wenn diese vielbewährte Freundschaft wirklich zu Ende
gehen sollte, es wäre ein großes Unglück für uns, es wäre sogar fast eine
Schande für die objektiven Mächte der Liebe, Freimdschaft imd Treue
selbst, es wäre fast eine Schande und Niederlage für alle edleren Mächte,
welche die Menschenbrust schwellen, für alle idealen Bande, die zwei
Menschen miteinander verbinden können. Es wäre eine große Be-
schämung fast der Prinzipien selber und ein Beweis, daß wirklich jenes
Wort wahr ist: ,, Alles ist eitel," selbst das, was nicht eitel sein soll.
Wenn unsere Freundschaft zur Eitelkeit wird — welche soll da noch
halten ? An welche soll man noch glauben ? Es wäre ein trauriges Zeugnis
abgelegt gegen den Wert aller Freundschaft.
Für mich wäre es ein großes inneres Unglück. An wenige Individuen
fesseln mich Herzensbande, an diese aber um so stärker. Soll ich Ihnen
erst sagen, daß ich niemals innerlich diesen Verlust überwinden würde?
Ich würde ihn überwinden, aber nur dadurch, daß ich zugleich zu Eis und
Stein würde. Dem menschlich-individuellen Dasein hätte ich mit Ihnen
für alle Zeit entsagt. Für Sie wäre es ein fast noch größeres inneres und
äußeres Unglück.
Gegen ein solches Unglück muß man alle Mittel ergreifen. Ich bin
noch nicht so weit, daß ich unsere Freundschaft aufgeben sollte. Ich
würde noch vieles erschöpfen, ehe ich eine so harte Sentenz, die mich
selbst meiner Lebensfreuden beraubt, innerlich vollziehe. Aber sicher
ist, daß unser Verhältnis so wie bisher nicht fortbestehen kann. Es
muß gebessert werden. Bliebe es so, gingen entweder wir beide oder
doch unsere Freimdschaft unrettbar zugrunde. Dabei bin ich jetzt
durch vieles und reifliches Nachdenken zu einer Überzeugung gelangt,
der ich früher nicht war. Zu der Überzeugimg — zürnen Sie mir nicht;
ich muß schreiben, wie ich es in tiefster und wahrster Seele, im reif-
lichst geprüften Innern denke — , daß Sie beinahe die einzige Schuld
unseres schlechten Verhältnisses sind. Mir können Sie nichts vorwerfen
als meine große natürliche Heftigkeit, die auch niemals ohne starke
Provokation losbricht. Aber meine große Sorgfalt für Sie, meinen stets
auf Sie gerichteten, Sie über alle andern Personen stellenden Sinn,
mein immenses Attachement für Sie, das soweit geht, daß ich ohne Sie
nicht einmal ein Vergnügen haben kann, meine Freundlichkeit von
allen Tagen, mein leichtes Verzeihen und stetes bereitwilliges Zurück-
kommen, alles das können Sie nicht leugnen. Sie sind das Alpha und
Omega aller persönlichen Gedanken, die ich habe. Das können Sie nicht
leugnen. Anders mit Ihnen. Ihre Freundschaft für mich ist nicht grade
tot, aber latent. Sie erwacht nur, wenn Sie mich zu verlieren glauben
oder von mir getrennt sind. Sonst aber sind Sie mit mir in einer
= 75 =
beständigen Aigrciir, von einer fortwährenden Unfreundlielikeit. leh bin
Ihnen selbst lästig. Es geht Ihnen vieles andere über niieh. Mich 1k'-
trachten Sie meist nur noch mit den Augen der Pflicht, statt mit denen
freiwilliger lebhafter Zuneigtnig. Ich bin Ihnen, wie es unter diesen
Umständen nicht anders sein kann, unbequem. vSic schätzen mich nicht
einmal, wie ich es verdiene, oder vielmehr Sie unterschätzen mich selbst
ganz entsetzlich. Ja, verstehen Sie mich recht, vSie unterschätzen selbst
Ihre eigene Neigung für mich. Ich bin Iluien doch noch in weit höherem
Maße Bedürfnis, als Sie es glauben. Allein davon wissen vSie nichts, da
Sie mich nicht entbehren, und sehen somit immer nur alle die Be-
ziehungen, in denen ich Ihnen lästig bin. Wie ungerecht endlich Sie
fast beständig mit mir sind, werden Sie selbst wissen. Daß Sie endlich
nachtragen und keine Versöhnung bei Ihnen eine wirkliche Versöhnung
ist, sondern stets Ihre Gereiztheit zurückbleibt, werden Sie nicht
leugnen.
Soll ein gutes Verhältnis zwischen uns wieder eingeführt werden, so
muß vor allem eins geschehen. Da Sie nicht fähig sind, durch die bloße
Kraft Ihres Willens Eindrücke zu vernichten tmd so zu verwischen,
als wären sie nie dagewesen, so muß, wenn ein neues gutes Verhältnis
eintreten soll, sich vorerst die Zeit zwischen ims gelegt haben, abkühlend,
verwischend, mit ihrer großen und schönen Wirkung, immer mehr,
immer reliefartiger das Große und Gute in unserer Erinnerung hervor-
treten, immer mehr und mehr das Gewöhnliche und Flache verflachen
und verschwinden zu lassen. — Nichts wird wohltätiger für unser \'er-
hältnis wirken, als eine Abwesenheit von einigen Monaten. Ich werde
zurückkommen. Sie werden in der Zwischenzeit Muße gehabt haben,
einzusehen, wie sehr ich Ihnen fehle und wie unersetzlich ich Ilmen bin.
Die Reibungen werden in Ihrer Erinnerung anderen Dingen gewichen
sein. Ich werde rückkehren und ein neues Verhältnis zu Ihnen be-
ginnen, bereichert um die Erfahrung von zehn Jahren ; wir werden \'on
vornherein in diesem neuen Verhältnis nicht in einem Hause wolmen
imd somit nicht aufeinander drücken — und wir werden ein schönes
und von keinen Reibmigen vergiftetes, durch keine innerliche Un-
gerechtigkeit und Unterschätzung unterminiertes Leben haben. Mit
dieser frohen Prospektive reise ich, und wahrlich, an mir soll es nicht
liegen, wenn sie nicht erfüllt würde. Was an Kraft und Einsicht in mir
ist, werde ich daran setzen. Ich ersuche Sie ferner, während ich im
Orient bin, Ihre Übersiedlung nach Berlin zu bewerksteUigen. Es wird
Ihnen dies unter diesen Umständen weit leichter werden . . .^)
^) Lassalle gibt der Gräfin hier noch eine größere Anzahl von Instruktionen
für ihre Geschäfte und allerhand andere Aufträge für die Zeit seiner Abwesenheit.
76 ==^=^=
Nun fällt mir im Momente nichts mehr ein. Ich umarme Sie, die
hellen Tränen im Auge. Leben Sie mir tausendmal wohl und möge,
wenn ich abwesend, mein guter Genius Sie umschweben und schützen ! . . .
P.S. Die monatlichen 5 Rt. für Frau Roeser ^) habe ich auf fünf Monate
(25 Rt.) bis April an Schneider geschickt, was ich Ihnen zur Instruktion
mitteile.
21.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALIvE. (Original.)
Schlangenbad, 23. September 1856.
Iviebes Kind, soeben erhalte ich Ihren Brief aus Prag in dem Augen-
blick, wo ich beschäftigt war, Ihnen zu schreiben, um Sie zu bitten,
recht bald wiederzukommen imd Ihren Vater mitzubringen, damit wir
noch einmal, da Sie entschlossen wären, Düsseldorf zu verlassen, einige
Monate in einem Hause, was später woanders sich vielleicht nicht
mehr arrangieren würde, wie eine Familie zusammen zubrächten. Ich
war so weich gestimmt, der Gedanke, daß in einigen Monaten vielleicht
das gänzliche Zusammenleben aufhörte, lag mir schwer aiif dem Herzen —
und nun liegt der Brief vor mir, imd ich erhalte den Ihren, der mir
sagt, daß diese Trennung bereits geschehen ohne Abschied und Vor-
bereitung oder vielmehr, nachdem wir ims in Ärger getrennt; daß
bereits jetzt schon weite Strecken zwischen uns liegen und wir nur nach
langer Zeit voneinander hören können, daß das Band des Zusammen-
lebens, was uns beide allerdings oft hart bedrückt, weil wir unnach-
sichtig gegen unsere gegenseitigen Fehler waren, was ich aber mich
deimoch nie entschließen konnte, aufzugeben, nun gelöst ist, imd wir
getrennt auf imbestimmte Zeit sind. Denn was kann nicht alles während
dieser Zeit geschehen, und dann haben wir ja keinen bestimmten Ort,
keine gemeinschaftliche Heimat mehr ! Die Nachricht hat mich so völlig
unerwartet getroffen, daß ich ganz betäubt bin und mich nicht fassen
kann, nur meine Tränen fließen unaufhaltsam und verhindern mich am
Schreiben. Der gute Geist schütze und geleite Sie, seien Sie vorsichtig
und vernünftig für sich und für die Leute, die Sie lieben, schonen und
hüten Sie Ihre Augen!
Was mich anbetrifft, so kann ich Ihnen gar nicht sagen, was ich
tun werde, als daß ich in einigen Tagen, da mir in meiner jetzigen Stim-
^) Über Peter Gerhard Roeser, den Verurteilten aus dem Kommunisten-
prozeß und L,assalles Beziehungen zu ihm vgl. Bd. II., Einführung S. gf.
-^^ 77
mung die Bäder nicht helfen können, nach Düsseldorf gehe. iXr erste
Eindruck, den mir diese einsame Wohnung machen wird, weiß ich nicht ;
aber hier ist es mir, als wenn es nicht möglich wäre, daß ich vSie nicht
in Düsseldorf wie sonst zu meinem Empfang fände.
Über die Geschäfte, von denen Sie mir schreiben, kann ich jetzt
gar nicht antworten. Denn ich habe nichts begriffen. Nur muß ich Ihnen
sagen, daß vSie mir die Schlüssel, die Sie mir angekündigt, nicht ge-
schickt haben und mir auch nicht das Wort des Arnheimer gesagt,
und Sie müssen mir auch die Art, wie er geöffnet wird, explizieren. Für
Ihre Bücher und Heraklit seien Sie unbesorgt. Ich werde den geschäft-
lichen Teil Ihres Briefes wieder später lesen, um danach zu handeln,
bis jetzt weiß ich nicht, wie ich das fertigbringen werde.
Was Sie mir über meine Gefühle und Verhalten gegen Sie sagen, ist
nicht richtig. Sie wissen nicht zu begreifen, wie Unglück imd vorzüg-
lich Krankheit auf das Gemüt eines Menschen einwirken, wie er finstere
Augenblicke und Stimden hat, die man ihm zugute halten muß, weil
es nicht seine Schuld ist, die man mit Güte, Mitleid und Liebe zu ver-
scheuchen suchen muß, aber nicht als Unrecht anfeinden und be-
strafen. Es ist auch nicht wahr, daß ich die Tiefe meiner Freundschaft
für Sie nicht kenne und unterschätze und es jetzt erst durch Entfernung
lernen müßte; wohl aber überschätze ich vielleicht oft Ihre Fehler,
weil sie auf meinen krankhaften Organismus eine schlimme physische
Wirkung ausüben.
Aber ich kann jetzt darüber nicht schreiben, denn ich habe keinen
Gedanken. lyeben Sie wohl, liebes Kind. Meine besten Wünsche be-
gleiten Sie immerfort. Schreiben Sie mir recht oft in meine Einsam-
keit, keine langen Briefe, aber daß Sie gesund und wo Sie hingehen.
Sie wissen ja, wie krankhaft ängstlich ich bin tmd wie mich stets schwarze
Gedanken plagen. Leben Sie recht, recht wohl, gedenken Sie meiner
wie jemand, der trotz allem eine so wahre Freundschaft für Sie gehabt
imd stets haben wird, wie Sie sie nicht wieder finden werden. Adieu,
adieu — Gott schütze Sie !
Zu Ihrer Schwester nach Prag werde ich nicht gehen. Dazu bin ich
zu melancholisch und zu krank, eine zu schlechte Gesellschaft. Ob ich
nach Berlin gehe, weiß ich nicht, vielleicht versinke ich in totale Ein-
samkeit, jedenfalls kann ich ja noch in längerer Zeit der Geschäfte
wegen von Düsseldorf nicht fort. Den einzigen Menschen, den ich gern
gesehen hätte, wenn er zu mir gekommen, wäre Ihr Vater; doch was
sollte der arme Mann bei einem so melancholischen Wesen wohl an-
fangen, auch nur für kurze Zeit; darum schreibe ich eben nichts davon.
Der Augenblick meiner Ankunft in Düsseldorf wird hart sein ! Ich mag
noch viel weniger der Agnes schreiben, zu mir zu kommen, denn ich
— — 78 —
fühle mich nicht fähig, jemand zu imterhalten. Nun endlich wirklich
lyebewohl, ich kann mich nicht entschließen, aufzuhören, es ist mir,
als wäre es auf — ich fürchte mich davor, das Wort zu schreiben.
S.H.
Ich muß mich doch zusammennehmen, einige Fragen zu tun, da
es so sehr lange dauert, bis ich wieder Antwort erhalten kann. [Die
Gräfin behandelt hier noch einige geschäftliche Punkte. Dann bricht
sie ab:] Ich bin zu krank und zu verwirrt, um von Geschäften zu
reden. Nun leben Sie wohl, schonen Sie sich ja recht, denken Sie bei
jeder Sache, die Sie tun wollen, erst daran, sie sitzt zu Hause, in ihrer
melancholischen Art sich schwarze Bilder machend, und ängstigt
sich. Sie wissen, wie ich mich ängstigte, wenn ich von Paul acht Tage
keine Nachricht hatte, und Sie, habe ich mich gewöhnt, zehn Jahre
nicht aus den Augen zu verlieren, für Sie zu sorgen wie für ein Kind,^
und wenn Sie einmal kurze Zeit nicht da waren, alle drei, vier Tage von
Ihnen zu hören, und jetzt so weit, so seltene Nachricht und eine Reise,
die mir ängsthch erscheint. Sie können denken, daß ich bei meiner
krankhaften Reizbarkeit nicht sehr ruhig sein werde. Sie sagen, Sie
reisten mit dem frohen Gedanken, daß bei der Rückkehr unser Verhält-
nis ein besseres sein würde. Wenn Sie mich nur nicht noch kränker
und mithin noch tiefer in Melancholie versunken wiederfinden! Denn
das ist ja doch der eigentlich wahre Grund all unserer trüben Stunden:
ich bin für Sie zu alt, zu krank und durch Krankheit und Unglück
melancholisch reizbar, mit schwarzen Bildern geplagt, deren ich nicht
mehr Herr werden kann. Und Sie sind zu jung, zu ungebeugt, um
diesen Zustand zu verstehen, und zu heftig, um die nötige Geduld zu
haben, denn sonst sind Sie doch und müssen es doch sein überzeugt
von meiner innigen Freundschaft. Aber, und ich sage es mir auch jetzt
wieder, um mir Geduld imd Ruhe zu geben: mit welchem Recht soll
der Gesunde an den Kranken, der Lebende an den Toten gefesselt sein
und mit ihm leiden? Ich wünschte nur, daß ich auf diese Trennung
vorbereitet gewesen, daß sie langsam nach und nach geschehen wäre;
ich hatte mich, wie gesagt, schon darauf gefreut, einige Monate ruhig
zuzubringen rnid das übrige der Zeit, dem Ungewissen überlassen. Es
ist mir sehr ängstlich, daß Sie so gar nicht vorbereitet auf die Reise und
Ihre Sachen gar nicht mit haben. Sagen Sie an Friedland, ich binde es
ihm auf die Seele, für Sie zu sorgen, da Sie nicht gewöhnt, in materieller
Beziehung für sich zu sorgen. Da er Sie dazu beredet, müsse er es auch
verantworten. Vergessen Sie nicht einen Vorrat blauer Brillen und
grüner Schleier. Wie steht es mit einem Bett? Wer wird Sie stets an
alles erinnern und für Sie sorgen?
= 70
Leben Sic wohl, mein liebes Kind, diesmal ist es ein wirkliches
und ernstes Lebewohl, es tut mir entsetzlich weh, daß wir uns
auf diese Weise getrennt. Ich umarme und segne Sie wie meinen
Sohn. —
[Hier folgt noch eine zweite Nachschrift:]
Schreiben Sie bitte an Bloem vorzüglich und an K^-ll wegen des
Scheuer-Prozesses und anderer Geschäfte, um es ihnen recht ans Herz
zu legen und zu sagen, was geschehen soll; ich werde mir zwar alle
Mühe geben, Ihre Instruktionen zu verstehen und auszuführen, aber
ich bin oft, wenn ich besonders krank oder melancholisch, etwas
schwach im Kopf. Nun noch einmal, leben Sie wohl, schreiben Sie
recht, recht oft! Denken Sie ohne Groll über meine Fehler, nur an
meine treue Freundschaft. Es ist eigentlich unrecht von mir, Ihnen so
traurig zu schreiben, aber ich kann einmal meiner trüben Gedanken
nicht Herr werden. Ich fürchte mich vor der Rückkehr nach Düssel-
dorf in mein ödes, einsames Haus, aber hier kann ich es auch nicht
mehr aushalten, auch ist es so kalt imd regnet immerwährend, so trübe
ist es wie in meinem Innern. Wäre ich doch mit Ihnen in \^evey ge-
blieben! . . y)
Sie haben sehr recht gehabt, sich Pistolen tmd Revoh'er zu kaufen,
ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich bekümmert und quält,
daß Sie gar nicht für die Reise eingerichtet sind. Schreiben Sie mir
hierüber, wie Sie sich eingerichtet haben. Sie müssen sich sehr vor
Erkältung hüten. Die ist in dem Klima nicht nur für Rheumatismus
sehr gefährlich. Sie müssen warme Sachen haben, einen Plaid, einen
Pelz, vergessen Sie das nicht. Haben Sie vielleicht einen von Ihrem
Vater mitgenommen? Wäre ich doch wenigstens dagewesen, um etwas
für Sie zu sorgen, es hat gewiß niemand daran gedacht! Kaufen Sie
alles, was wirklich nötig und nützlich ist. Sorgen Sie für Ihre Gesund-
heit, Ihre Sicherheit ; denken Sie immer daran, wie sehr ich mich ängstige.
Abends und morgens muß man sich sehr warm halten, sich in acht
nehmen, sich nicht auf die Erde zu legen. Die Abwechslung der Wärme
und Kälte, die Erkältungen sind das gefährliche dort, auch für die
Augen. Welche Geldarrangements haben Sie für sich gemacht oder
welche soll ich für Sie machen ? Beantworten Sie mir alles. In Konstanti-
nopel werden Sie wohl Zeit dazu haben; schreiben Sie mir recht oft,
wenn auch kurz. Mir bringen Sie gewiß gar nichts mit, Sie wissen,
ich mache mir avis solchen Dingen gar nichts, und ich habe mehr als
ich brauche.
1) Hier fehlt ein Blatt.
= 8o =
Nim leben Sie wohl, tausendmal! Ich bin so verdreht im Kopf, daß
ich mich immer wiederhole. Ich fürchte auch, daß mein Brief nicht
richtig ankommt. Der Kopf tut mir wehe, daß ich nicht weiß, was ich
sage. Gott schütze Sie!
S. H.
I.ASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Bukarest, 7. Oktober [1856].
Gnädigste Frau!
Meinen Brief von Orsowa werden Sie erhalten haben. Ich habe hier
einen neuen sechs Bogen dicken geschrieben, den ich aber erst in
Konstantinopel werde beenden und expedieren können.^)
Da mir mm einfällt, daß Kyll vielleicht das Scheuerische Falliment-
zirkular verloren haben könnte und ich eine Doublette desselben be-
sitze, so schicke ich Ihnen dieselbe hier beiliegend.
Wie geht es Ihnen? Mit Ungeduld erwarte ich Ihre Briefe in Kon-
stantinopel. Mir ist schon entsetzlich bange nach Ihnen. Nie wäre ich
so weit imd auf so lange von Ihnen gereist, wenn nicht Ihr Betragen
gegen mich in den letzten Monaten gewesen wäre imd mich überzeugt
hätte, daß eine temporäre Trenntmg durchaus nötig ist, damit einer des
andern wieder froh wird. Aber mir ist entsetzlich bange.
Ihr F. Lassalle.
Meine großen Reiseschilderungen bitte ich sorgfältig zu verwahren
und mir aufzuheben.
23-
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSALIvE. (Original.) 2)
[Düsseldorf] 10. Oktober 1856.
Liebes Kind, ich war schon lange sehr, sehr besorgt, keine Nach-
richt zu erhalten, imd Sie wissen, was das bei mir heißt, besorgt sein.
Ich hatte schon verschiedene Briefe rmd Nachrichten an Ihren Vater
und Schwester geschrieben, als ich gestern endlich Ihren Brief aus
Semlin ^) erhielt, den ich sofort Ihrem Vater zuschickte. Dieser hatte
^) lyEssalles Reiseberichte aus dem Orient, die er, als auch für einige andere
mitbestimmt, von den Privatbriefen an die Gräfin getrennt hielt, werden in
Bd. VI abgedruckt werden.
2) Dieser Brief ist von der Gräfin überschrieben: ,, Zweiter Brief." Als den
ersten betrachtete sie Nr. 21.
= 8i
sich dadurch um mehrere Tage verspätet, weil er erst nach vSclilangen-
bad ging, wohin im Herbst gar keine Post mehr geht, sondern nur un-
regelmäßige seltene Boten. Aus diesem Gnmd hatte ich auch meinen
ersten Brief an Sie vom 24. nicht dort auf die Post geben wollen, sondern,
da man mir da keine Auskunft geben konnte, ob und wieweit er ')
frankiert werden müßte, an Ihren Vater nach Prag geschickt. Sie werden
ilm w^ohl hoffentlich längst erhalten haben, obgleich ich von Ihrem
Vater noch keine Auskunft habe erlangen können, daß er ihn besorgt,
woran ich jedoch nicht zweifeln kann. Ihre Reisebeschreibmig hal^e ich
mit größtem Interesse gelesen, und glauben Sie mir, ich mißgörme
Ilinen in keiner Weise das Vergnügen dieser Reise; ich kann mich nur
der Besorgnis, die überhaupt in meinem krankhaften Zustand liegt,
nicht erwehren, es möchte Ihren Augen schaden imd Sie überhaupt
nicht die nötige Sorgfalt und Vorsicht haben. Ich bitte Sie daher recht
dringend, recht oft Nachrichten zu geben, wie es Ihnen geht. Lange
Briefe und Beschreibungen sind mir natürlich ein großes Vergnügen,
zu denen es aber natürlich Ihnen oft an Zeit fehlen wird; die Haupt-
sache ist mir. zu wissen, daß Sie wohl sind, deshalb schreiben Sie oft,
weim auch kurz. Es ist mir nicht nur sehr erfreulich, Ihnen eine so an-
genehme Reisegesellschaft zu wissen, aber es ist mir eine wahre Be-
ruhigung, Sie, zu dessen Vernunft in gewöhnlichen Dingen ich gar kein
Zutrauen habe, in solcher Umgebung zu wissen. Machen Sie meine
Empfehlimg an Friedland und sagen Sie ihm, ich ließe ihm sagen, da
er es sei, der Sie zu der Reise endlich doch beredet, ich ihn dafür ver-
antwortlich mache, in materieller Beziehtmg, was Sie gar nicht ver-
stünden, für Sie Sorge zu haben, Sie schreiben schon, daß Sie auf dem
Dampfschiff viel Champagner getnmken, was Ihnen für Ihre Augen
sehr schädlich und, wie mir Ihr Vater schreibt, Ihnen auch noch vom
Prager Arzt verboten wurde. Seien Sie doch in dieser Beziehung etwas
gehorsam und vorsichtig . . .
Ich werde natürlich für Ihren Heraklit und Bücher alle Sorge haben.
Was den Heraklit anbelangt, so hatten Sie ihn ja schon selbst in den
Arnheimer getan, die Bücher indessen liegen auf den Tischen, Stühlen
imd der Erde so herum, daß man im Zimmer nicht gehen kann. Ich
habe gleich noch zwei Büchergestelle setzen lassen imd bereits an-
gefangen, die Teile der Werke zusammenzusuchen, imd morgen soll
angefangen werden, einen Katalog davon zu machen, was absolut
nötig ist und doch nicht geschieht, wenn Sic da sind, und damit ich
auch sicher bin, daß, während ich sie verwahre, nichts fortgekommen
ist . . .
^) Die Gräfin verschreibt sich: ,,er" und ,, müßten"
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV
= 82 — . =^
Sie können sich denken, daß ich bei so vielen Geschäften und Krame-
reien, wenn auch nicht sehr angenehm lebe, doch keine Zeit zur lyange-
weile habe. Was mich aber seit drei Tagen wahrhaft zur Verzweiflimg
treibt, ist die Anwesenheit von Gladbach. Sie kennen seine Schweig-
samkeit, sowie daß ich gar keine Sympathie für ihn habe, er geniert
tmd langweilt mich also über jede Beschreibung, und dabei weiß ich
immer schon, woratif das alles immer hinausläuft. Agnes war gestern,
aus Stuttgart kommend, aber nur ein paar Stunden hier, ich finde sie
sehr verändert in ihrer Art zu sein. Auf meine Einladimg, etwas bei
mir zu bleiben, schützte sie wieder vor, daß sie Georges und ihren Vater,
der sie zu seinen Geschäften und Gesellschaft gar nicht entbehren
könne, vor}) was sie zwar dies Frühjahr monatelang nicht verhindert
hatte imd auch noch länger nicht verhindert hätte, wenn ich nicht
abgereist wäre. Man wird wahrlich ganz Misanthrop, wenn man sich so
immer überzeugt, daß inan nur immer zu Zwecken verbraucht wird,
imd wenn das nicht der Fall sein kann, auch keine Freundschaft da ist.
Was nun ihr Hiersein an und für sich anbetrifft, so bin ich eigentlich,
genau überlegt, am liebsten allein. Zu Zeiten allein zu sein, ist mir
schon in meiner frühen Jugend Bedürfnis gewesen, imd das nimmt
mit jedem Tag bei mir zu, und sehr wenig I^eute könnte ich dauernd und
lange um mich ertragen. Nun einiges über Geschäfte . , .
Was mich nun auch erstaunlich beunruhigt, ist die fürchterliche
Baisse, die mit jedem Tag zunimmt und die so viele und so gewichtige
Gründe hat, daß sie sich weder leicht noch schnell, selbst wenn alles
ruhig bleibt, wird beseitigen lassen. Ich habe mich nun nach mehreren
Seiten hin erkundigt, sowohl in kommerzieller als politischer Beziehung,
und da hört man wenig Erfreuliches. Die Geldklemme ist wegen Ausfuhr
alles Silbergeldes durch die Überhäufung der großen Spekulationen,
Kreditbanken usw. so groß, daß für keine noch so hohe Prozente Geld zu
bekommen ist, daher schon durch die forcierten Verkäufe alle Papiere
daniederliegen. In Frankreich soll die Geldkrise und Geldnot der Re-
gierung auf dem höchsten Punkt sein ; die Rente steht auf 66, wie im
Krieg. In pohtischer Beziehung sagt man mir, daß die Neuenburger
Geschichte,^) die die Genfer Kreditaktien auf ^'] gedrückt hat, wohl ein-
gerichtet und zu keinem offenen Bruch führen würde, weil es England
durchaus nicht leiden würde, daß Frankreich, welches zwar Ivust dazu
habe, die Schweiz zu Konzessionen zwänge, weil dies das Übergewicht
Frankreichs in der Schweiz zur Folge haben würde. Auch fürchtet man
nicht, daß die Demonstration der Absendung der französischen und
^) Die Gräfin fällt hier aus der Konstruktion.
2) Vgl. hierüber Alfred Stern, Geschichte Europas, Bd. VIII, S. 233 f.
83
englischen Schiffe nach Neapel,^) die noch nicht erfolj^t ist, 7A\ ernst-
lichen Reibungen führe, weil Frankreich niemals revolutionäre Be-
wegungen in Italien, die vm bedingt die Folge sein würden, hervor-
rufen könne. Allein diese Fragen können noch lange in der Schwebe
bleiben und die Kurse lange gedrückt erhalten, und wenn man nicht
die Aktien mit eigenem Geld gekauft, sondern borgen muß, was
man jetzt nur mit den äußersten Opfern und dann nicht einmal sicher
kann, so steht die Sache sehr schhmm. Überlegen Sie also wohl genau,
was am besten zu tvm ist . . . Noch eins wurde mir gesagt, daß man
wegen Neuenburg und Neapel keine ernstlichen Störungen erwarte,
wohl aber befürchte man, daß in Paris die Geldklemme, die Not der
Arbeiter, die in Paris nicht einmal mehr unter Dach kommen könnten,
und die daraus entstandene große Aufregung, die täglich zunehmende
Teuerung und Arbeitslosigkeit im Laufe dieses Winters ernsthafte Un-
ruhen hervorrufen könnten. Es haben jetzt massenhafte Verhaftungen
stattgefunden. Überlegen Sie also, ob die Aktien jedenfalls behalten
werden sollen oder ob ich mich zu einem allerdings jetzt sehr starken
Verlust entschließe vmd ob Sie nicht Ihrem Vater wegen der Ihrigen
schreiben . . .
Kichniawy2) und Simon 3) habe ich Ihre Aufträge ausgerichtet; der
erste ist wirklich ein recht vortrefflicher Mensch tmd Ihnen wahrhaft
von Herzen attachiert, mid dies ist bei jetziger Zeit eine wahre Selten-
heit. Er kommt öfter zu mir, was mir immer angenehm . . . Was mich
anbetrifft, so werde ich immer steifer wieder ; tmd an den Handgelenken
bekomme ich Anschwellungen, die zwar bis jetzt schmerzlos, aber die
Hand schwach machen, so daß mir das Schreiben sehr beschwerlich.
Darum verschiebe ich auch für heute manches, was ich Ihnen noch
auf Ihren ersten Brief von Prag zu sagen hätte.'*) Ich habe ihn sehr oft
und mit reichlichem Nachdenken gelesen, vorzüglich das, was Sie über
unser Verhältnis, dessen Ursachen und die Konsequenzen, die Sie ziehen,
sagen. So viel nur vorläufig, daß, wenn ich auch in einigem Ihnen nicht
recht geben und Ihre Beurteilung falsch, d. h. einseitig finden könnte,
so hat nie irgend etwas auch nur im mindesten einen innerlichen Ein-
druck atif meine Frevmdschaft für Sie gehabt oder mich nur im gering-
sten über Ihren Wert verblendet. Ihre Fehler, und wer hat deren nicht,
^) Vgl. ebendort S. i88. Frankreich und England brachen die Beziehungen
mit Ferdinand II. von Neapel ab, weil er ihren Protest gegen die grausame
Behandlung der politischen Gefangenen abgelehnt hatte.
^) Über den Färbereiarbeiter Ferdinand Kichniawy, Lassalles Vertrauens-
mann unter den Düsseldorfer Arbeitern vgl. Bd. II, Einfülirung S. lo.
') Simon Block, Bankier der Gräfin und Lassalles in Düsseldorf.
*) S. oben Nr. 20.
=_^^= 84 ======^=
haben mich gequält und geärgert, aber das bleiben immer für mich
einzelne Fehler imd Tatsachen, die weder meine Freimdschaft er-
schüttern noch mein Urteil im ganzen ändern könnten, imd ich glaube
fast, daß dies mehr bei mir als bei Ihnen der Fall war und ist. — Nun
leben Sie wohl, liebes Kind, es ist mir jedesmal recht wehmütig, wenn
ich dies Wort schreibe imd denke, daß es so weit gehen muß, amüsieren
Sie sich gut, aber seien Sie vorsichtig für Ihre Gesundheit und schreiben
Sie mir recht oft, Sie wissen, wie besorgter Natur ich bin. Ich sage
Ihnen nicht, an mich zu denken, denn ich weiß, daß Sie es oft und in
wahrer Freundschaft tun. S. H.
Ich numeriere meine Briefe, damit Sie wissen, ob keiner verloren
geht. Jetzt werden Sie in Konstantinopel schon sein und dort wohl
länger bleiben und Zeit haben, mir zu schreiben, alles Schöne und
Merkwürdige, was Sie sehen ! Wäre ich doch noch jung und gesund und
heiter, wie würde mich solche Reise erfreuen; das ist vorbei, aber ich
kann mich an Ihrer Freude erfreuen. Machen Sie aber nicht, wie Sie
mir schrieben, Einkäufe dort für mich; Sie wissen, ich habe an derlei
Toiletten- und lyuxussachen keine Freude mehr imd auch keine Ge-
legenheit, sie zu brauchen, und Sie können es besser brauchen. Noch
einmal das herzlichste I^ebewohl. Antworten Sie mir auf meine Fragen,
denn es dauert ohnhin schon lange genug, bis man sie bekommt.
Soeben trifft eine Antwort von Raffel auf Ihre Eingabe ^) ein, worin
er Ihnen eröffnet, ,,daß der luiterzeichneten Behörde hinreichende Ver-
anlassung fehlt, Ihrem Gesuch, über den Grund oder Ungrund dieser
Beschuldigung amtliche Ermittlimgen anzustellen, zu willfahren und dies
um so mehr, als nach so langer Zeit sich hierüber voraussichtlich nichts
Gewisses mehr ermitteln läßt, nachdem die gleich nach jenem Vorfall
veranlaßte gerichtliche Untersuchung nicht einmal genügenden Anlaß
gegeben hat, gegen bestimmte Personen wegen Beteiligimg an jenem
Vorgang eine gerichtliche Untersuchung einzuleiten". Dies scheint mir
zu heißen, daß sie nichts tun wollen, um etwas zu beschleunigen, was
Ihnen nützlich sein könnte.
In Ihren Briefen berücksichtigen Sie, daß alle Briefe, die durch
Österreich gehen, geöffnet werden. Adieu, tausend herzliche Grüße.
Meine besten Wünsche geleiten Sie!
1) Raffel war der Polizeidirektor in Düsseldorf. Lassalle hatte in Erfahrung ge-
bracht, daß seiner Domizilierung in Berlin nichts so im Wege stünde wie das
Gerücht, er habe im August 1848, als der König Düsseldorf besuchte, die Straßen-
kundgebungen, die damals stattfanden, veranlaßt. Aus diesem Grunde hatte er
eine nachträgliche erneute Untersuchung des Vorfalls beantragt. Vgl. hierzu Ein-
führung zu Bd. II, S. 15 f.
===== 85 =- =
24.
LASSAIJ.E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche.)
Konstantinopel, 17. Oktober 1856, 5 Ulir 10 Minuten naclnnittaKs.
Arrive heureusement trouve lettre.^) S'il est neccssairc, si vous
desirez vivement, je retoume directement, telegraphicz.
Ivassalle, Hotel Aiigleterre.
25-
SOPHIE VON HATZFEIyDT AN LASSALI.E. (Original.)
[Düsseldorf] 19. Oktober 1856.
Liebes, gutes Kind ! Wie sehr hat es mich gefreut, zu erfahren durch
Ihre telegraphische Depesche, daß Sie wohlbehalten in Konstantinopel
angekommen. Meine telegraphische Antwort werden vSie richtig er-
halten haben. Ich war schon sehr besorgt, da wir hier stürmisches Wetter
gehabt; doch Sie wissen, ich bin immer besorgt, das liegt einmal in
meinen Nerven. Sehr gerührt hat es mich, daß Sie zurückkommen
wollten, tun Sie das aber keinesfalls. Sie sind einmal so weit tmd können
niemals die Reise unter günstigeren Umständen machen . . .
Alsdann beunruhigen mich die vielen Papiere, vorzüghch die Ihrigen,
denn Sie haben eine Masse; die starke Baisse, die ich Ihnen in meinem
letzten Brief angezeigt, hält noch immer an, d. h. sie fallen nicht tiefer,
steigen aber auch nicht. Die Neuenburger und neapolitanische An-
gelegenheit betmruhigt (heute sagt endlich der ,,Moniteur", daß die
französischen und englischen Gesandtschaften abreisen werden und daß
Schiffe aber nicht bis in die Gewässer von Neapel kreuzen werden und
daß dies keine hostile Demonstration sein soll, sondern nur zum Schutz
der f ranzösisch-enghschen Untertanen) . Max 2) ist Kurier nach Berlin
xmd zurück, wahrscheinhch wegen der Neuenburger Sache, die vor
dem Pariser Kongreß,^) der jetzt wieder zusammentreten soll, ge-
bracht werden soll. Von Österreich will man die sofortige Räummig der
Fürstentümer erzwingen, die englischen Blätter schreien fürchterlich
über Neapel und Spanien, imd es soll arge Meinungsverschiedenheit in
diesen Sachen zwischen Frankreich mid England sein. Die Kommission
kann mit der Demarkation der Abtrettmgen in Beßarabien nicht fertig
^) Gemeint ist Brief Nr. 25.
2) Graf Maximilian von Hatzfeldt (1813 — 1859), der Bruder der Gräfin, war
preußischer Gesandter in Paris.
^) Der Pariser Kongreß, der den Krimkrieg zum Abschluß brachte.
^= 86 =^
werden, Rußland will Belgrad nicht herausgeben, kurz, es ist alles so
schwarz imd imsicher, daß an ein baldiges Steigen der Papiere nicht zu
glauben. Doch behaupten die Diplomaten (der Vater von Agnes), daß
diese Sachen wohl nicht so bald zu einem Bruch kämen, weil keiner
Krieg führen könne noch wolle; aber die finanzielle Not und irnmer
zunehmende Teuerung und Unzufriedenheit in Frankreich, das sei für
diesen Winter der schwarze Pimkt am Horizont. Es wäre noch nichts,
wenn diese Papiere mit eigenem Geld gekauft wären imd man sie
könnte ruhig liegen lassen, was doch sehr gewagt wäre, allein Geld zu
borgen, ist jetzt nicht möglich, und wenn es geht, nur zu ganz ruinösen
Bedingungen ...
Seit vierzehn Tagen arbeite ich imaufhörlich an der Ordnung Ihrer
Bibliothek und Anfertigimg eines Kataloges. Es ist eine so furchtbare
Arbeit, daß Sie sie nie gemacht haben würden, imd es war bei dieser
Masse Bücher wohl sehr nötig, denn, soweit ich es bis jetzt überschlagen
habe, haben Sie mehr als 1700 Bände. Schöpping hat mir müssen drei
Tage an den Griechen und lyateinem helfen, denn ich habe alles in
Kategorien gebracht; Sie werden recht über meine mankierte Gelehr-
samkeit lachen. Den Katalog, der ganz von meiner Hand geschrieben,
können Sie als ewiges Andenken bewahren. Obgleich es doch wahrlich
keine amüsante und auch eine ermüdende Arbeit ist, so habe ich doch
dabei gesehen, wie sehr mir Beschäftigung not tut. Die Zeit vergeht
schneller, und man wird frischer im Geist. Ich habe oder hatte einen
regen Geist, der etwas zu tun haben will. Um im beständigen I^sen eine
Beschäftigung zu finden, dazu gehört Gelehrsamkeit, die ich
nicht habe. Ich muß sehen, daß ich etwas schaffe, sei es in noch so kleiner
Sphäre; die gänzliche Beschäftigimgslosigkeit der letzten Jahre, ver-
bunden mit Einsamkeit, hat mir körperlich und geistig sehr geschadet.
Es hat meinen Geist genötigt, sich nur mit mir zu beschäftigen, zu
brüten über traurige Dinge, ich mußte dadurch melancholisch und
moros werden. Ich muß etwas zu tun haben, und sollte ich auch manch-
mal Dummheiten machen in Sachen, die ich nicht ganz verstehe, so ist
es besser, als so zu verkommen. Auch bin ich erschreckt über meine
Unselbständigkeit; die erste Zeit nach Ihrer Abreise fühlte ich mich
wirklich wie ein kleines Kind, was im Walde verlassen; die kleinsten
Dinge erschienen mir unüberwindlich, und ich konnte mich zu nichts
entschheßen. Es geht zwar etwas besser, aber noch nicht viel. Ich habe
aber eingesehen, daß ich mich aufraffen muß, reger und tätiger werden,
und das ist schon etwas. Sie werden auch wissen wollen, wie es mit
meiner Gesundheit geht. Innerlich fühle ich mehr I/cbenskraft, eben
weil ich tätiger und nicht so viel brüten kann über nicht zu ändernde
Dinge. Aber mit den Beinen geht es zwar lange nicht so schlecht wie
==^==== 87 ===-
vor Wildbad, aber viel schlechter als bald nachher . . . Ihren ver-
sprochenen langen Brief aus Konstantinopel erwarte ich mit Ungeduld,
sie gehen nur leider so langsam. Sie werden mir wohl auch erzählt
haben, was man Schönes und Absonderhches in den dortigen Basars
sieht; wenn ich mir selbst auch gar nichts dergleichen wünsche, so
amüsiert es mich, es beschreiben zu hören. Der einzige Mensch, den
ich hier schätze und gern habe, ist Kichniawy, und der ist Ihnen auch
wirklich und von ganzer Seele attachiert. Er freut sich immer so
sehr, von Ihnen zu hören, daß ich es ihm immer gleich sagen muß.
Bloem habe ich Ihre Bestellung ausgerichtet, die hiesige Wohnung habe
ich unglücklicherweise ganz bis zum i, April behalten müssen, denn
imter keinen Umständen wollte Hütter die Ihrige allein geben, imd
ich wußte nicht, ob Ihnen das Umziehen jetzt recht sein würde. Es
ist nur sehr viel Geld, um es nur so kurze Zeit zu bewohnen. Nun leben
Sie wohl, liebes, gutes Kind, schonen Sie Ihre Gesundheit, Ihre Augen,
schreiben Sie mir recht oft und vorzüghch, wie es damit steht.
Tausend herzliche Grüße
S. H.
26.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Konstantinopel, 20. Oktober 1856.
Gute, liebe Gräfin!
Was ich gelitten habe bei Durchlesung Ihres Briefes vom 23. Sep-
tember aus Schlangenbad, ^) den ich hier vorgefunden, kann ich Ihnen
nicht sagen. Als ich zu der Stelle kam, wo Sie von Ihrem öden einsamen
Hause in Düsseldorf sprechen, flössen meine Tränen vmauf haltsam und
gingen wie bei einem Kinde in ein lautes Schluchzen über, das ich nur
mit Mühe endlich beherrschte. Die Wehmut, die in Ihrem Briefe lag,
hatte ihr Echo in meiner Brust gefunden und dies in jener gewaltsamen,
verstärkten Weise, welche bei mir immer einem Gefühle, das mich
durchdringt, eigen ist. Aber warum betrachten Sie denn diese im Grunde
doch nur kurze, in drei Monaten vorübergehende Trenntmg in einer
Weise, als ob es sich hier um eine definitive Trennimg handelte? Und
selbst die temporäre Treimimg, gute, liebe Gräfin, wodurch ist sie ein-
getreten! Niemals hätte ich mich entschlossen, Sie auf so viel Monate
allein zu lassen, wenn nicht in der letzten Zeit so vieles vorgefallen
^) Siehe oben Nr. 21.
wäre, was nicht nur meine Kräfte fast überstieg, sondern was mich
endlich wirklich zu der Überzeugimg brachte, Sie wünschten die
Trenmmg von mir. Sie hatten mir das so oft, so oft versichert; von den
meinigen divergierende Gesichtspunkte, die Sie zu beherrschen schienen,
gaben diesen wiederholten Versicherungen einen solchen Anschein von
Plausibilität, daß ich denselben endlich meinen Glauben nicht länger
versagen konnte.
Niemals aber wäre ich gegangen, wenn Sie mir gesagt hätten, welche
Wehmut das in Ihnen erregen würde, daß Sie sich dadurch tmglück-
lich vmd verlassen fühlen und Ihr melancholischer Hang dadurch noch
verstärkt werden würde. Ach, Gräfin, wenn Sie verstünden, zu mir zu
sprechen in derselben Weise, in der Sie mir schreiben — welch glück-
liches Ivcben hätten wir bis heran bereits geführt, welch glückliches
Ivcben würden wir noch führen! Mußte mich doch alles in der letzten
Zeit veranlassen, zu glauben, Sie würden die Trennvmg von mir als eine
Befreitmg ansehen, sie mindestens zum großen Teil als die Befreiung
von einem unbequemen Hindernis empfinden. Nicht nur, daß Sie mir
dies so oft in stärkster Weise versicherten — diesen meist in der Heftig-
keit ausgestoßenen Worten würde ich keinen Glauben geschenkt haben,
da ich zu gut weiß, wie wenig meine eigenen Worte, wenn ich heftig
bin, ernst zu nehmen sind. Aber auch alle Ihre Pläne, Projekte und
Entwürfe, die Sie selbst in der ruhigsten Stimmung machten, waren
immer derart, daß ich keine Stelle in denselben fand, daß ich mehr
weniger^) dadurch ausgeschlossen war, daß ich Ihnen nur ein Hindernis
in der Erreichimg derselben bildete. Das hat mir oft sehr, sehr weh
getan. Sie waren und sind immer die Erste in meinem Herzen. Ich war
nur noch, mindestens mußte es so scheinen, ein Stein des Anstoßes
für Sie. Wenn mich die Zurücksetzung schmerzte, die mir so oft tat-
sächlich, die mir beständig in allen Ihren Gefühlen und Entwürfen
zuteil wurde, so war dies nicht Neid oder Stolz bei mir. Sie wissen, ich
bin der neidloseste Mensch von der Welt und Ihnen gegenüber auch
vom Stolze frei. Es war ebensowenig, wie Sie so oft irrig glaubten, ein
anspruchsvolles Fußen und Pochen auf das, was ich etwa für Sie getan
habe. Glauben Sie mir, daran denkt mein Herz nicht. Oder vielmehr,
was ich für Sie tat, empfinde ich immer als meinen eignen größten
Genuß, als Freude und Belohnung, nicht aber als eine irgend etwas
anderes beanspruchende Leistung. Was mich lange kränkte, war nur,
daß, während Sie mir stets die Erste geblieben waren in meinem Herzen,
während Sie mein ganzes individuelles Denken und Fühlen, das Reich
meiner Persönlichkeit ausfüllten — ich zum letzten geworden war von
^) Lassalle schreibt oft: mehr weniger statt mehr oder weniger.
===== 89 ======
allem, was Sie liebten und wünschten. Und auch das hätte ich iu)ch
ruhig getragen, wenn ich nur gesehen hätte, daß man von der andern
Seite Ihre Liebe in hinreichendem Grade erwidert. Ich wäre dami gern
zurückgetreten. Aber das Bewußtsein, daß alle andern Menschen zu-
sammengenommen auch nicht zum hundertsten Teil so treu, so innig,
so warm an Urnen hängen als ich, der ich dabei diese Zurücksetzung er-
fahren mußte, kränkte tief. Es kränkte endlich um so mehr, als ich nur
zu wohl wußte, Sie würden das Glück da, wo Sie es suchten, nimmer
finden, Sie würden in diesen neuen Beziehungen, die Sie anzuknüpfen
strebten, sich immer fremd bleiben mit Ihrem treuen Herzen.
Als es nun endlich so weit kam, daß ich Ihnen nur noch zu einem
Stein des Anstoßes geworden war, als ich dies in schmerzlichster Weise
erfuhr, wie ich Sie nach vierwöchentlicher Trennung in Heidelberg
aufsuchte, als ich dies täglich fort und fort aus allen Ihren Lebensplänen,
aus den ruhigsten Unterredungen sogar entnahm, als ich sah, Sie
schmachteten gleichsam nach einer Erlösung von mir tmd hätten nur
nicht den Mut, selbst handelnd die Tat der Erlösung imd Befreiung von
mir vorzimehmen, als Ihre aus dieser Quelle fließende Bitterkeit so weit
ging, sogar vor ganz fremden lycuten in Vevey und auf der Reise mir
eine Behandlung zuteil werden zu lassen, die zu ertragen meine Kräfte
überstieg und von der ich mir sagen mußte, daß sie nur darin wurzele,
daß Sie mich als ein Hindernis betrachteten, von dem Sie doch wieder
die Kraft nicht hätten, sich frei zu machen — da beschloß ich selbst-
handelnd in irgendeiner Weise Sie von dem Hindemisse zu befreien,
Sie von diesem Alp zu erlösen tmd Ihnen das, wonach Sie, obwohl nach
meiner Überzeugung nicht zu Ihrem Glücke, seufzten, wiederzugeben.
Als sich ntm nochmals die Gelegenheit der orientalischen Reise bot, war
es dieser Gnmd, der mich bestimmte. Durch eine Abwesenheit von drei
bis vier Monaten wollte ich Ihnen die Zeit geben, sich die Verhältnisse,
nach denen Sie seufzten, einzurichten; ich fand Sie dann bei meiner
Rückkunft in gemachten, fertigen, festen Verhältnissen, zu deren Ein-
richtung Sie völlig freie Hand gehabt hatten, imd zu denen ich mich
dann in jeder Sie möglichst wenig störenden Weise verhalten hätte.
Dies war mein Plan. Dies der Gnmd meines unter anderen Umständen
j a närrischen Entschlusses, binnen vierimdzwanzig Stmiden nach Asien
und Afrika zu gehen.
Schon von Bukarest aus habe ich Ihnen dies in einem kleinen Brief-
chen geschrieben imd Ihnen gesagt, daß ich sonst nie gegangen wäre ! ^)
Wie tief ergreift mich nvm der letzte Seufzer Ihres Briefes: „Ach,
wäre ich mit Ihnen in Vevey geblieben!" Hatte ich Ihnen das nicht
^) Siehe oben Nr. 22.
= 90 =
gesagt? Tausendmal gesagt? Ach, wie sehr bin ich Kassandra in allem,
was Sie angeht! Wie vorahnend sagte mein Herz mir, es wäre das beste
für Sie! Wie bat ich darum! Wie recht habe ich wieder gehabt! Und
wie erlag wieder meine Stimme gegen jene grundlose Unruhe, die Sie
in einem fort treibt imd verzehrt imd abhält, sich selbst zu leben !
Und doch wieder — vielleicht oder beinahe jedenfalls ist es das
beste, daß ich diese Reise angetreten habe. Sie führt jedenfalls eine
Entscheidung herbei, und zwar eine solche, bei der Sie sich nicht täuschen,
weil Sie Zeit haben werden, Ihr Herz kennen zu lernen und sich reiflich
zu prüfen.
Vielleicht ist die Stimmung, in der Sie jenen ersten Brief (einen
zweiten habe ich noch nicht) schrieben, nur die vorübergehende einer
natürlichen Wehmut, und heute ist es Ihnen bereits lieb, daß ich ge-
gangen bin aus den angegebenen Gründen, weil Sie nun Zeit haben, im-
gehindert durch mich sich jene Verhältnisse einzurichten. In diesem
Falle war es also gut, daß ich ging. — Oder aber es ist nicht eine vor-
übergehende Stimmimg, es ist Ihr bleibendes Gefühl. Dann ist auch
nichts verloren. Über mich hat der Orient so wenig Macht wie der
Okzident. Unversehrt imd gleich frisch imd warm bringe ich Ihnen mein
treues Herz unverdorrt aus der Wüstenhitze zurück. Wir haben dann
reichlich für die Trennimg gewonnen. Denn wir haben besser gesehen,
was wir einander sind. Wir richten dann unser Ivcben ein, wie Sie es
wollen. Ziehen Sie dann vor, daß ich in demselben Hause mit Ihnen
wohne, so sind wir frei es zu tun. Wünschen Sie, daß wir getrennt
wohnen, was mir besser scheint und an der Herzlichkeit unsres Famihen-
lebens nichts zu ändern braucht, so tun wir dies. Denn, was Sie von der
Ungewißheit des gemeinsamen Domizils sprechen, ist Kinderei. Die Macht
möchte ich kennen lernen, die mich zu hindern vermöchte, nach Berlin
zu gehen, wenn Sie dort sind und mich wollen ! Es ist also durch die
Reise nichts verloren, jedenfalls gewonnen. Keinesfalls aber hat sie die
Bedeutung, die Sie ihr in einem Satze geben: ,,Ich sage mir, um mich zu
beruhigen, warum soll auch der Kranke den Gesunden, der Tote den
Lebendigen an sich fesseln." ^) Nein, Gräfin. Sie wissen am besten, daß
dies nicht so steht, daß dies nicht wahr ist. Mich an Sie zu fesseln ist
für mich nicht Fessel, sondern grade Bedürfnis meines echten Glückes.
Sie müssen das ja so tausendmal darin schon gesehen haben, daß ich
selbst die kürzeste Vergnügungsreise nur gemeinschafthch mit Ihnen
zu machen liebe. Für mich besteht der wahre Lebensgenuß nicht in den
Reisen, nicht in der Reihe bunter Bilder, die man kaleidoskopartig vor
sich vorüberziehen läßt, sondern in der Tiefe der Gedanken und Gefühle,
1) S. oben S. 78.
= 91 =
die Ulis durchschüttem, wenn wir im einsamen ruhigen Zimmer auf dem
Sofa sitzen und, von demselben Gedanken belebt, uns in die vieltrautcn
blauen Augen sehen imd die vielerprobten Hände schütteln. Für mich
ist Ivcben: Innerlichkeit: Geschichte, nicht Geographie.
Da sitze ich in meinem Zimmer, imd während ich Ihnen schreibe,
schaut mein Auge empor. Vor mir liegt der glänzende, silberne Bosporus,
vor mir das Goldene Hom, vor mir die Spitze des Serails mit ihren
Zypressen Wäldern, ihren weißen Palästen, ihren Kuppeln, Moscheen
und schlanken Minaretts, vor mir das Heer vergoldeter Kaiken, die
über den Bosporus gleiten, und der Mastenwald der Schiffe, v^or mir
die blauen von der Sage und Dichtung wie von einem goldigen Morgen-
rot umwobenen Berge Asiens. Und ich versichere Sie, Hand aufs Herz,
trotz dieser ersten Aussicht der Welt, die sich in nie geahnter Pracht
vor meinen Augen ausbreitet — tmd trotz Ihrer verneinenden Depesche,
die ich gestern auf meine telegraphische Anfrage bekommen habe, ich
verließe Stambul imd die Reise und kehrte zu Ihnen zurück, wenn es
nicht eben möglich wäre, daß von den oben gedachten beiden Fällen
der erstere statt hat, meine Rückkunft Sie somit stört und belästigt
imd wenn es nicht selbst im zweiten Fall der Alternative für mich wie
für Sie nützlich wäre, daß diese Trennung noch etwas länger dauert.
Und glauben Sie mir, hätte Ihre telegraphische Depesche bejahend
gelautet, geflogen wäre ich ohne Regung des Bedauerns zu Ihnen
zurück. Nicht also so steht der Fall, daß ich mich an Sie ,, fesseln"
müßte, daß mir dies sacrifice imd Opfer wäre. Sondern Sie sind mir und
bleiben mir das lyiebste im Orient und Okzident und werden mir dies
immer bleiben, solange ich nur eine Spur von Gegenseitigkeit in Ihnen
entdecke. Sie wissen, ich schrieb Ihnen einst, 1847, es sind jetzt fast
zehn Jahre, von Paris aus den Schwur, daß ich Sie nie verlassen würde,
solange Sie mein benötigt seien, und wenn ich drob zugrunde ginge mit
allem, was mit mir zusammenhängt. Sie wissen, daß ich dieses Wort
zu halten gewußt. Ich gebe Ihnen jetzt von einer andern Welthaupt-
stadt aus, von der Grenze Europas, das Wort, daß ich stets mit der-
selben Wärme und Innigkeit an Ihnen hangen, daß ich stets bei Ihnen
bleiben werde, solange Sie selbst es wollen, daß ich Sie nie verlassen
werde, solange Sie mich nicht gradezu und positiv dazu zwingen. Und
ich werde dieses Wort so gut zu halten wissen wie jenes. Selbst für
diese paar Monate habe ich Sie nicht verlassen, um einem Vergnügen
nachzujagen. Jeder, selbst der geringste Genuß, den ich mit Ihnen
teilen kann, steht mir höher. Ich habe Sie verlassen, weil ich mich dazu
gezwungen glaubte. Aber ich komme wieder, imd die durch das Leid der
Trennung gereinigten Seelen werden sich besser verstehen, als wenn sie
nie getrennt!
-^^ 92 =
Doch ich muß wirklich meinen Gefühlsergießungen Gewalt antmi,
um hier zu schließen. Denn ich habe noch entsetzlich viel zu schreiben.
Warum aber haben Sie mir erst ein einziges Mal geschrieben, nämlich
den Schlangenbader Brief vom 23. September? Ich habe keinen andern
von Ihnen vorgefunden, A propos, schreiben Sie stets auf Ihre Briefe :
via Triest. Das geht schneller.
Die Antwort auf diesen Brief trifft mich nicht mehr in Konstanti-
nopel. Sie müssen sie vielmehr nach Alexandrien adressieren, und zwar
per Adresse Messieurs Pastre freres.
Überhaupt am besten von jetzt ab alle Briefe nach Alexandrien, da
ich sie mir von dort nach Kairo nachschicken lassen kann imd zweimal
dort hinkomme, einmal auf dem Hinweg nach Kairo vmd Theben imd
dann auf dem Rückweg.
Meine Geldarrangements sind einfach. Ich habe Ihnen bereits mit-
geteilt, daß ich mir durch den Kredit meines Schwagers ein Akkreditiv
von dreitausend Gulden verschafft habe. Femer entnehme ich von ihm
direkt, was ich darüber brauche. Ich habe ihm dann nach meiner Rück-
kunft das eine wie das andere zu bezahlen. Ich glaube, daß ich keines-
falls ganz die Summe von dreitausend Talern brauchen werde, aber
wohl auch nicht sehr viel danmter.
Ich habe Ihnen bisher geschrieben :
1. Meinen ersten Reisebericht, den ich in Orsowa zur Post gegeben.^)
2. Ein kleines Privatschreiben aus Bukarest 2) an Sie, dem ich ein
Exemplar des gestochenen Scheuerschen Zirkulars beilegte.
3. Meinen zweiten Reisebericht, den ich in Giurgewo zur Post gab.^)
Ich habe diesen aber an Vater adressiert, weil ich wünsche, daß
Sie meine großen Reiseberichte mir aufheben imd es deshalb besser
ist, wenn Sie sie erst nach Vater bekommen. Aus demselben Grunde
werde ich auch meinen dritten Reisebericht von hier aus an Vater wahr-
scheinlich adressieren.
Es wäre mir lieb, wenn Sie entweder durch die Vermittlung des
Dr. Rudolf Müldener in Trier oder Hiersemenzels ^) in Berlin (Friedrich-
straße 205) oder am besten vielleicht durch Eisenbarth in Düsseldorf,
für den Sie sich Bloems Vermittlung bedienen können, veranlassen
könnten, daß eine kurze Notiz in die ,,Köbiische" oder ,, Nationalzeitung"
käme des Inhalts, daß ich vor geraumer Zeit eine große wissenschaft-
liche Reise in den Orient angetreten. Es wäre mir dies deshalb nämlich
lieb, weil ich glaube, daß es auf die Berliner Behörden den Einfluß haben
^) Vgl. die erste Anmerkung auf S. 80.
^) Siehe oben Nr. 22.
3) Der Assessor und spätere Berliner Stadtrichter Eduard Hiersemenzel (1825
bis 1869) war mit Lassalle von der Breslauer Burschenschaft her befreundet.
= 93 == :=
würde, meiner dortigen Domizilierung weniger Schwierigkeiten in (U ii
Weg zu stellen.
Sie haben unrecht gehabt, meinem Vater nicht zu schreiben, daß er
zu Ihnen kommen soll, da Sie dies wünschten. Er wäre sofort dazu
bereit gewesen. Ich schreibe ihm von hier aus, um ilmi einzuschärfen,
daß er, falls Ihnen dies noch konveniert, augenblicklich zu Ihnen geht.
Wenn Sie dies also noch irgend wünschen, haben Sie es ihm nur eben
anzuzeigen, mid er wird sofort kommen.
Alle geschäftlichen Anfragen Ihres Briefes beantworte ich zur
bessern Übersichtlichkeit auf einem besondem Blatte.
Und nun leben Sie tausendmal, tausendmal, tausendmal wohl. Er-
halten Sie sich gesund, sehen Sie vorzüglich darauf, sich körperlich
herzustellen. Denken Sie, daß auch mein ganzes Eebensglück, meine
Ruhe und Zufriedenheit von Ihrer Gesundheit abhängt, und schonen
Sie sich für mich, wenn Sie es nicht um Ihrer selbst willen tim. Schreiben
Sie mit ausführlich, wie es mit Ihrer Gesundheit steht, und leben
Sie mir tausendmal wohl.
Mit meinen Augen geht es eher besser als schlimmer. Ich bin vor-
läufig ganz zufrieden damit.
Ihr
F. I,assalle.
Wenn Sie vonseiten des Staatsrats^) irgendwie in Anspruch genom-
men werden sollten, so geben Sie nichts, wie sich von selbst versteht.
27.
EASSAIvEE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Konstantinopel, Montag, den 27. Oktober 1856.
Gnädigste Frau!
Ich habe soeben Ihren Brief vom 10. Oktober erhalten. Ich eile, die
geschäftlichen Notizen aus demselben zu beantworten:
I. Lassen Sie sich durch die Börsenberichte nicht schrecken und —
ich wiederhole es, durchaus nicht zum Verkaufen bestimmen. Ich
kann hier nicht in das Detail der Gründe eingehen. Genugsam, jede
Baisse, die in Geldnot wurzelt, geht eben deshalb notwendig vorüber,
auch die andere [n] Ursache [n] dieser Baisse sind derart, daß die sich
mählich verlieren müssen. Und was die politischen Verhältnisse be-
trifft, so sind sie leider derart, daß keinesfalls vor dem Frühjahr an
^) Klindworth.
= 94 — —
irgendwelche Ereignisse zu denken ist. Im Februar und März wird die
Zeit sein, die Papiere zu verkaufen ; keinesfalls früher , . .
Tief schmerzt mich zu hören, daß es mit Ihrer Gesundheit wieder
schlimmer geht. Ach, alles andere wollte ich ja gern tragen imd er-
dulden, mit allem fertig werden tmd alles bezwingen, wenn nur in diesem
Pimkte, der mir vor allem am Herzen liegt und in dem ich hilflos bin,
das Glück mir lächelte. Waren Sie bei Wolff ? Was hat er gesagt? Warum
schreiben Sie nicht davon? Gehen Sie doch gewiß zu ihm. Er hat
Ihren Zustand am richtigsten beurteilt und wird Ihnen gewiß eme
Winterkur an die Hand geben können.
Gewiß ist Kichniawy ein prächtiger Mensch. Ich lasse ihn vielmals
grüßen. Agnes ist vielleicht zu entschuldigen. Ich werde Ihnen das bei
meiner Rückkehr erklären.
Wegen des Scheuer-Prozesses geben Sie mir gleich Nachricht, sowie
irgend etwas von Belang darin vorfällt.
Noch einmal. Rühren Sie Ihre Aktien nicht an, vmd lassen Sie sich
nicht von Block verrückt machen. Berufen Sie sich auf meine mit Ihnen
wegen Ihrer Papiere genommenen Verabredung imd damit basta . . .
Dies ist die Antwort auf Ihren eben erhaltenen Brief; der zweite
Privatbrief, den ich Ihnen von Konstantinopel schreibe. Mein großer
dritter Reisebericht ist noch nicht fertig. Er wird jedoch jedenfalls noch
von hier aus abgeschickt. — Wenn ich den Brief, den Sie in Ihrer tele-
graphischen Depesche mir versprachen, bis Sonnabend erhalten habe,
so reise ich Sonnabend ab nach Smyma. Habe ich ihn aber bis dahin
noch nicht, so weiß ich wirklich nicht, was ich tim soll. — Haben Sie
die Bücher an die Bibliothek nach Bonn geschickt? Es beimruhigt
mich, daß Sie mir davon nichts schreiben. Nun leben Sie tausendmal,
tausendmal wohl. Gewiß ist es wehmütig, von Ihnen durch solche Ent-
fernungen getrennt zu sein. Kaum kann ich mich losreißen.
Ihr F. Ivassalle.
Nachschrift: Soeben erhalte ich einen Brief von Agnes, der meine
schon eben ausgesprochene Ansicht, daß Sie sie entschuldigen müssen,
bestätigt. Ich werde Ihnen das mündlich näher explizieren.
Haben Sie aber die Güte, beiliegenden Zettel der Agnes noch an
demselben Tage, an welchem Sie ihn empfangen, zu übersenden.
Verzögern Sie auch seine Absendung nicht, um selbst einige Zeilen
hinzuzuschreiben, sondern mit oder ohne solche expedieren Sie ihn noch
am Tage des Empfangs.
Erkundigen Sie sich doch auch gelegentlich bei Schneider, ob er
meinen Brief vom 21. September aus Prag mit den 25 Rt. für Unter-
stützimg der Frau Roeser durch fünf Monate richtig erhalten.
= 95 =
28.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN IvASSAlvIvE.i) (Original.)
Düsseldorf, 30. Oktober J856.
Liebes, gutes Kind, vor sechs Tagen erst habe ich Ihren Brief aus
Bukarest 2) erhalten, und ich muß damit anfangen, Sie zu bitten, die
Briefe irmner an mich zu adressieren, denn so ist gar nicht abzusehen,
wann ich sie erhalte. Denn Ihre Mutter liest sie erst gewiß ein halb
Dutzend mal, dann alle Verwandte in Breslau, ehe sie mir geschickt
werden. Das größte Vergnügen machen mir Ihre Reiseberichte, nicht
nur wegen der interessanten Dinge, die sie enthalten, aber weil Sie sich
auch selbst in Ihrer ganzen Art und Weise charakteristisch darin zeigen.
Ich habe sie Kichniawy und Bloem mitgeteilt, die sich auch sehr darüber
gefreut. Deimoch muß ich Ihnen gestehen, daß ich neben diesen Reise-
beschreibvmgen doch auch gern zuzeiten einen Privatbrief erhielte, der
mir sagte, wie es Ihnen persönlich, Ihrer Gesundheit, Ihren Augen
geht. Bei dieser Gelegenheit kann ich Ihnen einen tüchtigen Sermon,
auf den ich Sie bitte zu achten, nicht ersparen. Wie ist es möglich,
daß Sie sich durch irgendeine Rücksicht, imd sei es eine große, ge-
schweige deim eine so kleine, bewegen lassen, in einem solchen Lande,
wo Schmutz, Hautkrankheiten aller Art imd noch schlimmere herrschen,
aus irgendeines Menschen Glas zu trinken, und sei es der vornehmste,
geschweige denn nach wallachischen Bauern?!! Ich habe sie schon
so oft in dieser Sache schon hier gepredigt. Diese gute Sitte, nie aus
irgend eines Menschen Glas zu trinken, noch mit seiner Gabel zu
essen, ist nicht eine dieser konventionellen Formen, die Sie perhor-
reszieren und ich sehr gut und notwendig finde, sondern eine Regel, die
sich auf die vernünftigste und notwendigste Ursache stützt...
Ich begleite Sie oft in Gedanken, und Sie werden lachen, wenn ich
Ihnen sage, daß ich halb und halb das Projekt gemacht, künftigen
Winter in — Kairo zuzubringen. Die Reise ist nicht schwer, der Aufent-
halt wimderschön und nicht teuer vmd wird mir für meine armen Ge-
lenke gewiß sehr zuträglich sein . . . Nun leben Sie wohl, liebes gutes
Kind, Gott schütze vmd geleite Sie dort imd glücklich wieder zurück.
Die herzlichsten Grüße
S. H.
P.S. Noch eins, was ich Ihnen dringend anempfehle, das ist größere
Vorsicht in Ihren Äußenmgen über Österreich. Ihre Briefe gehen durch
1) Der Brief trägt die Überschrift: „Vierter Brief nach Konstantinopel."
'^) Siehe oben Nr. 22.
===== 96
dieses Land, was Sie auch auf Ihrer Rückkehr passieren, und kein Brief
bleibt dort, als zu Zeiten ausnahmsweise übersehen, uneröfifnet.
Sie riskieren Unannehmlichkeiten und daß Ihre Briefe nicht an-
kommen. Berücksichtigen Sie dies.
29.
SOPHIE VON HATZFKIvDT AN hASSAlhK'') (Original.)
Düsseldorf, 4. — 10. November [1856].
Iviebes, gutes Kind, ich erhalte soeben Ihren Brief vom 22. Ok-
tober 2) aus Konstantinopel, der also unbegreiflicherweise zwölf Tage
gebraucht hat. Übrigens trug Ihr Brief unverkennbare Spuren, daß er
geöffnet worden. Also bitte ich Sie dieses, woran ich Sie schon oft
erinnert, beim Schreiben zu berücksichtigen. Daß Sie noch keinen
als meinen ersten Brief erhalten, ist mir rein unbegreiflich, denn dies ist
der fünfte, den ich nach Konstantinopel schreibe. Der so herzliche In-
halt Ihres Briefes hat mich gerührt und erfreut. Sie bedauern, daß ich
nicht verstehe, zu Ihnen zu sprechen so wie ich schreibe. Aber, hebes
Kind, ich könnte Ihnen gerade dasselbe sagen, aber ich sehe ein, wie
dies auch natürlich ist: beim Schreiben äußert man nur seine wirklichen
Gefühle tmd Ideen, ungetrübt durch die kleinen Reibungen des Lebens,
die Verstimmungen hervorbringen, in denen man Äußerungen macht,
die gar nicht oder nur ganz vorübergehend richtig sind. Ich habe auf
Ihren ersten Brief aus Prag,'^) in dem Sie imser Verhältnis nach meiner
Überzeugung sehr einseitig charakterisieren, nicht geantwortet, ob-
gleich ich vieles hätte sagen können, weil mich die Entfemtmg sehr
weich stimmt und ich mich dann nur immer des vielen Guten erinnern
will und kann. Aber ich bin in dieser Beziehung auch wirklich gerechter
als Sie. Ich weiß, daß ich oft melancholisch und verstimmt und vieles
dann härter auffasse als es verdient. Wenn ich hierfür durch meine Er-
lebnisse und Gesimdheit auch Entschuldigungen habe, so bleibt es doch
immer für Sie sehr unangenehm; aber Sie wollen nicht begreifen, daß
Meinungs- vmd Ansichts Verschiedenheiten, die durch verschiedene
Lebensgewohnheiten und langgewohnte Anschauungen bedingt sind,
nicht so scharf und hart gerügt werden sollten und als Vergehen be-
trachtet. Man kann die wahrste Freundschaft füreinander haben, ohne
über alles gleich zu denken. Auch vergessen Sie stets, daß ich eine Frau
1) Der Brief trägt die Überschrift: „Fünfter Brief."
2) Gemeint ist der Brief Nr. 26.
^) Siehe oben Nr. 20.
- 97 ===========
bin, die natürlicherweise mehr dem Gefühl als dem kalten Verstand folgt,
daher Dinge, die Sie mir oft in bezug auf meine Kinder mit großer
Schärfe vorwerfen, für eine Frau nur höchst natürliche und auch daher
verzeihliche Schwächen sind. Und bei mir ist dies überdies ein so aus-
geprägter Charakterzug, daß Sie einsehen müßten, daß Sie ihn nicht
ausrotten könnten, ohne mich unglücklich zu machen. Ihre Heftigkeit,
die oft bei höchst geringen Anlässen ausbricht und immer durch ihr
Übermaß sündigt, weiß ich in ruhigen Augenblicken so gut wie Sie, daß
sie so bös nicht gemeint ist, und wenn ich ein ruhiger und vorzüglich
gesunder Mensch wäre, würde ich sie wohl auch leichter imd gleich-
mütiger ertragen. Das bin ich aber leider nicht, mid ich kann Ihnen
wirklich nicht beschreiben, wie sehr ich oft dabei gelitten imd wie es
meine Gesundheit untergräbt; natürlich wird aber auch hierdurch das
moralische Übel immer größer, weil ich kränker und dadurch noch
moroser und empfindlicher werde. Jedenfalls ist dies aber sicher, dai3
ich für Sie eine so tief und stark ge wurzelte Freundschaft [hege], daß
Mißstimmungen mid Reibungen wohl die Oberfläche trüben, aber nie-
mals den Kern derselben auch nur berühren können. Das psychologisch
Unrichtigste, was Sie in Ihren Briefen gesagt, ist Ihr Bedauern über
meine Sicherheit, Ihre Freundschaft gar nicht verlieren zu können, und
Ihre Bemühungen, mir diesen Glauben zu benehmen. Wissen Sie deim
nicht, daß eben dieses unerschütterliche Vertrauen die notwendige
Basis und der stärkste Halt aller Freimdschaft ist, und daß, wo diese
aufhört, die Freundschaft selbst schon erschüttert und das Glück,
welches man darin findet, aufhört? Diese Gewißheit ist es ja eben, die
die Freundschaft so viel höher wie die Liebe stellt. Bei all Ihrem großen
Verstand sind Sie doch oft recht unverständig und ein wahres Kind. —
Wie schön muß es in Konstantinopel sein, ich beneide Sie nicht
darum, im Gegenteil, ich freue mich mit Ihnen, aber ich bedaure, daß
die Zeit meiner Jugend und Gesundheit, wo ich mich auch hätte daran
erfreuen können, so traurig und imgenützt vorübergegangen . . . Mein
Bruder Max,^) der im vorigen Monat schon in Berlin auf einige Tage
war, soll jetzt wieder hinkommen, was beweist, daß die Friedenskonfe-
renzen in Paris nicht zustande kommen. Überhaupt sieht es schlimm
aus. Die Not und Aufregung in Paris sollen migeheuer sein sowie die
Wut über den maßlosen Duxus der Feste in Compiegne zu dieser Zeit.
Die enghsche Presse ist höchst kriegerisch und maßlos in ihren An-
griffen gegen die Politik Napoleons sowie auf seine Person. Das Bündnis
soll so gut wie gesprengt sein. Was wird bei dem allen aus Ihren und
meinen Papieren? . . .
^) Der preußische Gesandte in Paris.
M ayer, Lassalle-NachUss. IV
98
Die Zeiten sind sehr schlecht; eine Teuerung, wovon man sich gar
keinen Begriff macht, und man muß sich darauf gefaßt machen, daß sie
noch viel schlechter werden und viele Verluste bevorstehen. Das macht
mir viele Sorge, tmd wenn meine Reise nach Berlin ^) nicht wichtig für
manches grade jetzt wäre, so würde ich sie aus Ökonomie sicher unter-
lassen, denn es ist überschwenglich teuer dort, und ich werde schon an-
standshalber für meine Toilette, die in allem seit zehn Jahren so vernach-
lässigt ist, eine mir sehr unangenehme schwere Ausgabe machen müssen.
Doch kann ich [es] schon wegen Klara, 2) die in einem sehr schlimmen
Zustand ist, nicht unterlassen. Aber die Reise nach Paris wird wohl
schwerlich stattfinden können, denn ich weiß nicht, wo das Geld dazu
hernehmen, ohne das Kapital anzugreifen, was ich um keinen Preis tun
will. Sie schreiben mir, dem Staatsrat nichts mehr zu geben, diesen Rat
habe ich schon im voraus befolgt. Man hatte mich gleich nach meiner
Rückkehr wieder um dreihundert Taler begehrt, was ich aber sehr
artig, aber sehr entschieden abgelehnt habe, weil ich selbst sehr große
Ausgaben und Verluste gehabt und mich in Verlegenheit befände, mich
sehr einschränken müsse bei jetziger Zeit. Ich habe seitdem keine
Antwort erhalten. Diese Deute sind ein gouffre, wo man alles hinein-
werfen kann, ohne daß es nur zu etwas hilft. Sie hätten dies Jahr mit
etwas Einrichtung wohl recht gut auskommen können. Sie haben
tausend Franken monatlich, freie Wohnung, alle Reisen und Badekuren
sind ihm bezahlt worden in einer Weise, wo er dabei zurückgelegt, von
uns hat er vierhundert, soviel ich weiß (und ich glaube gewiß, Sie sind
so verrückt gewesen, noch mehr zu geben) von Block, wie er mir sagt,
zweihundert Reichstaler, und immer noch machen sie neue Schulden.
Man muß sich wirklich etwas zurückhalten, sonst kann diese Bekannt-
schaft weit führen. Weerth, den ich in Köln gesehen, sagte mir, sie
hätten gleich von ihm zehntausend Franken haben wollen. Ich glaube
nach allem, was ich gehört und auch beobachtet, daß wir uns in der
Agnes auch etwas geirrt. Sie ist von einem angenehmen Umgang und
ist auch, glaube ich, gutmütig, aber von jener charakterlosen Gutmütig-
keit, die sie immer so sein imd reden läßt, wie die Deute, mit denen sie
ist. Es ist kein rechter fester Fonds in ihr, und dann ist sie nicht immer
ganz wahr, wie ich es selbst beobachtet an Kleinigkeiten, und dann
zwischen Ihnen und mir und auch ihre Relationen über ihren Vater,
^) Die Gräfin wollte sich in Berlin auch mit Lassalles Vater treffen, um mit
ihm über die Schritte zu beraten, die sich tun ließen, um einer Übersiedlung
Lassalles nach der Hauptstadt vorzuarbeiten.
2) Gräfin Klara von Nostitz (1807 — 1858), eine Schwester der Gräfin, die
Gattin des Generals der Kavallerie und Generaladjutanten Graf Avigust von
Nostitz.
^---^^^^ = 99
Glauben Sie nicht, liebes Kind, daß dies lächerliche Eifersüchteleien
sind. Sie wissen, wie gänzlich frei ich davon l)in und wie, wenn ich sie
so erkannt, wie ich es ganz anfangs geglaul)t, mir ihr Verhältnis zu
Ihnen nur sehr lieb gewesen wäre. Aber so wie es ist, ist es mein wirk-
lich freundschaftlicher Rat, daß Sie sich etwas zurückhalten; es ist
keine Person, die Ihnen wirklich genügen kann, und es könnte auf
die Dauer nur große Unannehmlichkeiten für Sie mit sich Ijringen.
Gladbach habe ich mir glücklich durch die Reise nach Köln ab-
geschüttelt. Er wollte wieder mit herkommen ; ich habe ihm gesagt,
ich wäre jetzt viel zu beschäftigt. Erstens geniert und langweilt er mich
zu Tode, und dann ist es, wie mir Bloem selbst sagte, auffällig, daß er
vier Wochen lang hier sitzt, wenn ich ganz allein hier bin. Nun bom-
bardiert er mich mit Briefen, nachdem ich ihm jetzt wieder fünfund-
vierzig Taler gegeben. Diese Leute sind beinahe komisch in ihrer naiven
Unverschämtheit. Er schreibt mir ganz naiv, er müßte jetzt diese
hundert Taler von mir fordern, würde mich dann aber gewiß verschonen,
bis Sie wiederkämen. Ich bitte Sie recht inständig, sich auch dies
etwas entschieden vom Hals zu halten, ich habe gefunden, daß,
nachdem er dieses Jahr so viel bekommen hat, worauf er gar keinen
Anspruch hatte, er immer noch von Ihnen gefordert und auch erhalten
hat. Einmal geht, so viel für einen Menschen zu tun, weit, weit
über imsere Mittel, dazu gehörte das Vermögen eines Rothschild, und
in allem, selbst in der Generosität, gehört Vernunft und zuerst das
nächste zu bedenken. Alsdann bedenken Sie, was man von ihm sagt,
tmd wenn Ihnen dies nicht haarklein erwiesen, so spricht doch mehr
als der stärkste Schein dafür, so sehr, daß, wie mir Kichniawy sagte,
sein sehr vieles Hiersein ims schadete bei manchen; alsdann ist er
ein starker, gesunder Mann, der sich schämen sollte, sich so jahrelang
völlig ernähren zu lassen. Keine Art von Arbeit schändet, im Gegenteil,
imd ich würde lieber Steine klopfen, was er nicht nötig hat. Ich darf
solches Urteil fällen, denn ich habe als schwache, kranke Frau, die
sehr verwöhnt war, gezeigt, daß ich ohne Murren und Klage, sogar
ohne daß mir grade dies schwer wurde, meine ganze Uebensart ändern
imd große Entbehrungen tragen konnte. Überdies ist es beinahe un-
recht, wo so viele I^eute in so wirkhcher, bitterer Armut schmachten,
trotzdem daß sie sich fast zu Tode arbeiten und es in jeder Hinsicht
so sehr mehr verdienen, so viel an einen zu verschwenden. Jetzt haben
Sie wieder einen Sermon. Wenn ich Ihnen das sagte, ärgerten Sie
sich, wenn Sie es aber ruhig lesen, glaube ich gewiß, daß Sie einsehen,
daß ich recht habe. Auch müssen Sie sich zur festen Regel machen,
nicht mehr zu borgen als wie Sie schenken wollen, denn Sie haben
noch niemals, außer von Uew)-,^) was durch die Verzinsung hervor-
= 100 —
gebracht wurde, und von Kichniawy, der in eine ganz andre Kategorie
Leute gehört und dem ich sehr gern geben würde, von irgend jemand,
von Pickwick, von Sehn., von Folb. [?] ^) usw.,etwas wieder bekommen.
Seien Sie nicht böse über diese Vorstellungen, sondern überlegen Sie
einmal ruhig, ob ich nicht recht habe, daß Ihre übertriebene Frei-
gebigkeit Sie die Grenzen der Mittel und die Vernunft überschreiten
läßt, und wie sehr dies von vielen gradezu exploitiert wird. Die
würdigsten, für die man es gern täte, wenn man die Mittel hätte, tim
das nicht, also kommt es auch noch meistens an l/cute, die es nicht
verdienen.
Nun genug davon, denn ich bin doch schon bange, daß Sie ärgerlich
werden. Aber bedenken Sie, daß ich mich wie Ihre Mutter ansehe, imd
da ich es wirklich für höchst nötig halte, daß Sie dies ändern, soll ich
es Ihnen dann nicht sagen und vorstellen, wenn es mich wirklich für
Sie besorgt macht? Sie werden Ihre Bibliothek in solcher Ordmmg
finden, daß Sie, wenn Sie sich nicht große Mühe dazu geben, sie gar
nicht wieder in so große Unordnung bringen können. Ich habe noch
zwei Bücherständer heruntergesetzt, so daß Sie vollständig Platz haben.
Im Arnheimer werden Sie den Katalog finden, darin eine Zeichnung,
wie die Bücher stehen, Notizen vmd die letzten Auktionsrechnungen
von Schöpping der Bücher, die jetzt gekommen und Sie noch nicht
gesehen. Diese habe ich alle zusammengestellt im vordem Zimmer,
wenn Sie hereinkommen rechts von der Schlafzimmertür, damit Sie
sie gleich beisammen finden und durchsehen können. Es war wirklich
diese Ordmmg eine Riesenarbeit. Bei großer Tätigkeit hat es über vier
Wochen gedauert, und ich freue mich um so mehr, es gemacht zu haben,
als ich jetzt gesehen, daß Sie es niemals gemacht haben würden. Sie
hätten weder Geduld noch Zeit dazu. Ich habe alles, soweit die Zeit
erlaubte, noch nicht Eingebundene binden lassen, die Werke, wovon
nur erste Teile da, vervollständigt und vorzüglich Schöpping genötigt,
mir die Eieferungswerke, woran überall fehlte, zu vervollständigen.
Nur den zweiten Teil von Mario, ^) der ganz unvollständig war,
habe ich noch nicht. Denken Sie daran, wenn es vor meiner Abreise
^) Der Kaufmann Gustav L,ewy in Düsseldorf. Vgl. über Lassalles Erlebnisse
mit ihm Bd. III, Einführung S. 9 f. Später war er Kassierer des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins. Briefe von ihm an Lassalle werden in Bd. V ab-
gedruckt.
2) Über diese Persönlichkeiten ließ sich nichts feststellen. Pickwick — vielleicht
ein Spitzname, man denke an den Dickensschen Roman! — war im folgenden
Jahre in Berlin sehr tätig, um I,assalle die Niederlassung daselbst erwirken zu
helfen.
3) Karl Mario (Winkelblech), Untersuchungen über die Organisation der Arbeit
oder System der Weltökonomie, erschien in drei Bänden von 1850 bis 1857.
lOI
nicht kommen sollte, er ist schon früher bezahlt und nichts hat er
dafür zu fordern, da es seine Unordnung. Es ist auch am ii. eine Auktion
bei Heberle, wo ich Ihnen einiges bestellt, so gut ich es zu beurteilen
vermochte. Hätten Sie nur nicht so entsetzhch viel für diese Reise
gekauft, was Ihnen jetzt ganz unnütz und jedenfalls gewesen wäre,
weil es viel zu voluminös, um es mitnehmen zu können. Arabisch lernen
Sie ja doch nicht und wäre auch für Sie recht verschwendete viele Zeit.
Ich sehe mich ganz stolz über mein Werk, das ich ganz allein gemacht,
um, wenn ich jetzt in Ihre Zimmer gehe.
Am 15. gedenke ich nach Berlin abzureisen. Ich hoffe, Ihr Vater
kommt hin, damit wir vereint [dort] suchen können, etwas dort für
Sie zu tun. Ich freue mich, Paul in seinen häuslichen Einrichtungen zu
sehen. Sonst gehe ich eigentlich nicht sehr gern; ich gehe so ungern aus
meiner Bequemlichkeit, Beschäftigung und Ruhe, die mir so nötig
ist, heraus. Es ist ein Versuch, den ich machen muß, wobei ich mir
aber gewiß nichts vergeben will, sondern nur durch meine Gegenwart
Gelegenheit bieten, den andern zu zeigen, was sie wünschen.
. . . Wo^) haben Sie denn überhaupt in meinen Briefen gesehen, daß
es mir schlechter geht? Es geht mir im Gegenteil eher besser. Inner-
lich bin ich gewiß wohler; ich werde sehr mager, wahrscheinlich weil
ich seit Wildbad den Schlaf verloren . . . Beruhigen Sie sich also
über mich. Gesund werde ich allerdings nie mehr werden, aber mit
großer Ruhe vor allem und Pflege kann ich mich noch lange hin-
halten. Ich war sehr gerührt über Ihren Brief an Ihren Vater, den
er mir geschickt. Hierher zu kommen braucht der arme Mann nicht,
da ich nach Berlin gehe. Aber es wäre gut, wenn er einmal hin-
käme, wenn ich da bin. Ihren Zettel an die Agnes habe ich sofort ab-
geschickt. Ich fürchte, liebes Kind, Sie täuschen sich sehr über sie;
mir hat sie, seitdem ich das Geld geweigert, keine Silbe mehr geant-
wortet, und ich fürchte sehr, sie hat sich wieder an Sie gewendet. Sie
haben ihr gewiß vor Ihrer Abreise noch wieder Geld gegeben und ihr
wieder welches aus Prag geschickt. Ich beschwöre Sie, liebes
Kmd, sein Sie doch etwas vernünftig, man exploitiert Sie und hat
sich, wie ich schon längere Zeit glaube, nur deshalb Ihnen so schnell
an den Kopf geworfen, weil man Sie für sehr generös kannte. Manche
kleme Sachen hatten mich schon frappiert, aber die Art, wie sie mir
über Sie in Wildbad sprach und vorzüglich wie sie mit Paul darüber
gesprochen, hat mir miendhch mißfallen. Ich kann über Sie schmälen,
wenn ich aufgeregt bin, aber kein andrer darf es. Ihre Reden hatten
eine Szene zwischen mir und Paul zur Folge, weshalb ich ihr gleich
^) Das folgende ist eine Nachschrift vom 10. November.
r:= 102 r=r
schrieb um Aufklärung, weil ich nicht glauben könne, daß sie sich so
geäußert, worauf sie aber nie geantwortet. Sie war darin nicht gerade,
weder gegen mich noch Sie, mit einem Wort, sie ist nicht wahr , glauben
Sie mir das; und es läßt sich gar nicht mit Eifersucht entschuldigen,
denn ich gab ihr dazu gar keinen Anlaß, und wenn sie es nur versuchen
wollte, tmsre Freundschaft zu zerstören, so spricht das nicht für sie
imd beweist, daß sie diese Freundschaft nicht versteht und ihrer nicht
wert wäre. Sie exploitiert Sie, sei es auch auf Antrieb des Vaters, doch
hätte sie nicht nötig, sich dazu brauchen zu lassen . . .
Nun leben Sie wohl, liebes gutes Kind, denn der Brief soll heute
fort. Ich glaube, daß Sie diesmal die pohtische Situation weniger drohend
ansehen, als sie ist (aus diesem einzigen Grund ist es mir sehr lieb, daß
»Sie weit entfernt, und bitte auch Ihre Rückkehr nicht zu übereilen),
aber was die Kurse anbelangen, glaube ich, täuschen Sie sich vollkommen,
die Besorgnis ist zu groß. In Neuenburg scheint es sehr ernst werden
zu wollen. Die Genfer stehen demnach wieder von 93 auf 83^/2, in den
letzten zehn Tagen lyuxemburger von 102 auf 97 G., Diskonto von
133^/2 auf 129 bez. Es ist schlimm. Nun leben Sie viel und vielmals und
recht herzlich wohl; wenn Sie mir ein Andenken von der Reise mit-
bringen wollen, so bringen Sie mir einen etwas großen Talisman. Sie
wissen, das ist ein auf Karneol oder Eapislazuli geschnittener Koran-
spruch, das soll Glück bringen; ich werde ihn mir als Brosche fassen
lassen; bringen Sie sich auch kleine zu Hemdärmelknöpfen mit. Adieu,
liebes Kind, herzlich adieu, wie steht es mit den Augen? Schonen Sie
sie nur recht.
S.H.
30.
IvASSADDE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Konstantinopel, 7. November 1856.
Meine gute gnädige Frau! Aus schmerzbeklommener Seele und tief-
traurigem Herzen schreibe ich Ihnen diesen Brief. In diesen • letzten
Tagen vor meiner Abreise, die schon heute und selbst gestern erfolgen
sollte, ist es mir gelungen, nähere Details über das traurige, traurige
Geschick meines Arnolds ^) einzuziehen. Oh, wie falsch war, was man
ims erzählt hat! Ich habe jetzt seine besten Freunde kennen gelernt,
habe Briefe von ihm an dieselben gelesen und erhalten und bin von
seinem wechselvollen Schicksal genau tmterrichtet. Ich lege Ihnen hier
^) Über Arnold Mendelssohn, I^assalles nächsten Jugendfreund, vgl. Bd. I,
Einführung S. 29 ff .
— : ' 103 - -
einen Brief bei \(>n KnieU-Paselui an ] )r. Kala/.dy, den mir lit/.tcrer
geschenkt hat und den ich Jlinen auf die Seele binde! Oder nein. Mein
Brief könnte untergehen. Ich kopiere daher nur den betreffenden Teil
aus General Kmetys Schreiben. Er schreibt an Dr. Kalazdy, den General-
stabsarzt Berns :^) ,,. . . Unser armer Freund Dr. Mendelssohn ist vor
wenigen Wochen in Bajazid an der persischen Grenze am Typhus ge-
storben. Der arme Teufel, vom Schicksal gepeitscht und gehetzt, voll
Empfindung und Phantasie, im ganzen ein ganz gewiß guter Kerl, an-
gefeindet von seinen Kollegen, verdächtigt als Spion von Freund und
Feind, mußte sich bis an den Fuß des Berges Ararat packen, um dort
jung, von der ganzen Welt verlassen, in einem I.och wie ein Hund aus-
zuhauchen. Ruhe seiner Asche!"
Es kostet mich viel, diese Zeilen zu kopieren. Seit drei Tagen, daß
ich in ihrem Besitz bin, ist mir ein gut Stück Lebensfreude und Reise-
lust vergällt. Nur mit Mühe und Anstrengung habe ich wieder leidliche
äußere Ruhe gewinnen können. Kmety irrt übrigens, wenn er Mendels-
sohn in Bajazid gestorben glaubt; er starb auf dem Marsch, den er als
Regimentsarzt eines Redifregimentes von Kars nach Bajazid machte,
ohne diesen Ort zu erreichen, fünf Stunden vor demselben.
Gott! Wenn dieser Mensch doch noch lebte. Wenn es eine Macht
gäbe, die einen Toten wieder lebendig machen könnte! Selbst unver-
wundlich und unverwüstlich, habe ich das harte Geschick, immer in
dem getroffen zu werden, was ich liebe! Es ist das Marterschicksal des
ewigen Juden, das auf mir lastet. Wie besser wäre es, selbst zugrunde
zu gehen!
Mir ist sehr weh, sehr wehmütig. In meinem ganzen Leben habe ich
außer meinem Vater nur zwei Menschen geliebt, Sie und Arnold. In der
Kraft und Blüte seiner Jugend habe ich diesen untergehen lassen
müssen, ohne ihn schützen, ohne irgend etwas für ihn tun zu können.
Wenn er sich noch elende sechs Monate hätte halten können, war ich
endlich so weit, zu seinem Entsätze herbei fliegen, mein Los mit ihm
teilen zu können. Und wenige elende Monate vorher muß er sterben.
Es ist stupid, es ist zu stupide. Grade zu der Zeit, als ich die letzten
krampfhaften Anstrengungen machte, die zu Ihrem Siege führen sollten,
mußte er mir untergehen. Es ist wie Zoll, den ich für Ihren Sieg den
schwarzen Göttern zahlen sollte! Ich habe dann einen großen, schweren
Zoll bezahlt!
1) Der polnische Revolutionsgcneral Joseph Bern (1795 — 1850), der 1848 und
1S49 einer der mihtärischen Führer der ungarischen Revohition gewesen, war
nach deren Zusammenbruch in türkische Dienste getreten. In Mendelssohns
Papieren befindet sich ein ärztlicher Bericht von ihm über Berns Tod, bei dem er
als behandelnder Arzt zugegen war.
- 104 -
Gräfin! Es lastet eine große lyiebesschuld auf Ihnen. Mein Arnold
ist tot! Sie müssen mir alles an lyiebe und Freundschaft ersetzen, was
ich durch seinen Untergang verloren habe. Wenn ich auch Sie einst
verlieren sollte, so wäre ich der steinimglücklichste der Menschen ! Ach,
wie leer und nichtig sind alle Freuden und Genüsse neben dem einen
und wahren Genuß, den man in der echten gediegenen I^iebe edler
Wesen findet. Erhalten Sie sich, schonen Sie sich, erhalten Sie sich
für mich. Ich bin sehr wunden Herzens und in keiner Reisestimmimg
mehr. Ich kann unmöglich hier irgendeine Ausgleichimg finden für das,
was ich durch die Trennimg von Ihnen verliere, wenn Sie mild und gut
mit mir sein wollen. Es zieht mich große Sehnsucht nach Ihnen zurück.
Arnold ist tot, ist elend untergegangen. Es drängt mich um so mehr
nach Ihnen, auf die ich jetzt auch die lyiebe übertrage, die ich für ihn
hatte. Ich werde unter diesen Umständen und bei dieser Stimmung
wohl keinesfalls nach Syrien gehen. Nach Ägypten will ich gehen, damit
die Reise doch einigermaßen von Resultat sei. Aber selbst der für mich
stets so große Reiz des grauen Altertums verliert seine Kraft durch die
tiefe Wehmut, die mein Herz beherrscht.
Um eins bitte ich Sie vor allem. Ich werde meine Reise möglichst
abzukürzen und zu beschleunigen suchen. Aber seien Sie nicht auf
Reisen, wenn ich nach Hause komme. Seien Sie entweder in Berlin oder
in Düsseldorf, aber an einem dieser Orte und nicht auf Reisen. Es würde
mich ganz unglücklich machen, wenn ich Sie nicht gleich finden könnte.
Versprechen Sie mir das!
Und noch eins! Schonen Sie sich! Reisen Sie fleißig zu Wolff, ihn
oft zu konsultieren. Hören Sie? Bitte, tun Sie es mir zu Uiebe!
Ich habe Ihren Brief vom 19. Oktober erhalten.^) Über die dummen
Geldangelegenheiten wieder zu schreiben, fehlt mir jetzt die Stim-
mung, um so mehr, als sie sich um so besser abwickeln, je weniger man
daran denkt und sich damit beschäftigt, was auch Sie beherzigen
sollten. Übrigens danke ich Ihnen für Ihren sehr, sehr lieben
Brief.
Ich ersehe aus demselben, daß Sie meinen zweiten großen Reise-
bericht aus Giurgiewo noch nicht erhalten haben. Wahrscheinlich haben
Sie ihn inzwischen durch Vater bekommen. Ebenso das kleine direkte
Privatbriefchen aus Bukarest.^) Von Konstantinopel habe ich einen
dritten großen Reisebericht erlassen, den Sie wieder von Vater erhalten
werden. Ich wollte von hier aus noch einen vierten schreiben. Doch
fehlt mir dazu die Stimmung jetzt. Vielleicht aus Smyrna.
^) Siehe oben Nr. 25.
") Siehe oben Nr. 22.
— = 105 =
Leben Sie wohl, tausendmal wohl, und erhalten »Sie sich mir. Von
hier aus habe ich auch schon zwei direkte Privatbriefe ^) an Sie ge-
schrieben. Dies ist der dritte. Adien, adieu. Auf frohes Wiedersehen
Ihr
Ferdinand.
31-
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Triest, Sonntag, 28. Dezember [1856].
Gnädige Frau!
Heute früh in Triest angelangt, finde ich Ihren Brief vom 21. d.
vor, der mich zugleich in Erstaunen und Betrübnis versetzt.^) Denn
erstens ersehe ich daraus, daß Sie krank gewesen, wovon ich kein Wort
wußte, zweitens daß ein Brief an mich verloren gegangen sein muß (der
letzte Brief, den ich von Ihnen erhielt, war vom 10. November ^)
datiert), drittens, daß man sich untersteht, Sie zu quälen und Sie,
was nur zu natürlich, sich quälen lassen! Ihren Wunsch betreffend,
nicht nach Berlin zu kommen, so bin ich gewiß stets und ganz be-
sonders in dem jetzigen Momente bereit, alle Ihre Wünsche zu erfüllen —
aber wie das anfangen? Es ist ja rein unmöglich. Von Breslau führt
kein andrer Weg nach Küßnacht, d. h. nach Düsseldorf, als über Berhn.
Berlin muß ich also passieren. Ich kann es auch nicht ohne Aufent-
halt passieren, da ich erstens mehreres dort zu bestellen habe imd ganz
besonders auch endlich jetzt meine Domizilierungsangelegenheit zu
Ende bringen muß und werde. Alles, was sich also, um Ihrem Wunsche
zu entsprechen, tun läßt, dürfte, soviel ich sehe, folgendes sein: i. Am
31. treffe ich in Breslau ein. Wäre das Schiff früher hier angelangt, so
hegte ich die geheime Hoffnung, Sie zum Sylvesterabend in Breslau zu
sehen. Jetzt aber erhalten Sie den Brief wohl zu spät, um in Breslau
zum 31. abends zu sein; auch können Sie so Hals über Kopf nicht reisen.
Ich wollte nur drei Tage in Breslau bleiben. Wenn Ihnen indes ein
Dienst damit geschieht, so kann ich fünf, im Notfall auch sechs Tage
dort weilen. Denn es trägt mich mit Gewalt an meinen Heraklit. Ich
habe alle Hände voll zu tun. Längerer Aufenthalt in Breslau ist ganz
und gar unmöglich.
2. Ferner kann ich das Opfer bringen, wenn ich nach Berhn komme,
gar nicht zu Ihnen zu gehen. So können Ihnen doch die Leute meine
^) Siehe oben Nr. 26 und 27.
2) Der Brief fehlt.
3) Siehe oben Nr. 29.
- io6
Hinkunft nicht zur I^ast legen und Sie nicht darunter leiden lassen
Zumal ich ja nicht nach Berlin reise, sondern, wie alle Welt weiß, meine
Rückreise forciertermaßen über Berlin nehmen muß.
Meine Angelegenheit werde ich in Berlin schon durchzusetzen
wissen. Vous verrez.
Sehr, sehr gefreut hat mich Ihr Anerbieten, mir nach Breslau
entgegenzukommen. Tun Sie es ja und so schnell als möglich. Am 2.
hoffe ich Sie gewiß dort zu sehen.
Ich bin sehr erschöpft. Reisen ist nichts. Aber reisen mit fünf großen
Kisten außer Koffern, Reisesack und Handgepäck strengt an. Außer-
dem bin ich bekümmert durch Ihren Brief. Ach, warum sitze ich nicht
schon mit Ihnen in Düsseldorf und krame Ihnen all die schönen Sachen
aus, die ich Ihnen mitgebracht. Ich habe die fünf Kisten hier dem
Spediteur übergeben. Beten Sie für ihre unversehrte Ankunft.
Schreiben Sie mir gleich nach Breslau Antwort oder besser, kommen
Sie selbst statt derselben.^)
Ihr
F. Lassalle.
32.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
I/aibach, 29. Dezember [1856], abends 6 Uhr.
Gnädigste Frau! Ich habe Ihnen zwar gleich von Triest aus ge-
schrieben. Da ich aber hier drei Stunden Zeit habe, schreibe ich Ihnen
nochmals, um so mehr als ich nicht weiß, ob jener Brief anlangen wird.
Denn von den zwei Posten, die ziemlich gleichzeitig mit mir von Triest
abgingen, ist nur die eine durchgekommen, die andere aber liegen ge-
blieben. Ich weiß nicht, welche von beiden meinen Brief trug. Ich selbst
bin trotz meiner Extrapost und vier Pferden nur wie durch ein Wimder
glücklich angelangt. Der Schnee lag auf den Gebirgen, die wir passierten,
so tief, daß wir die ganze Zeit nicht die Räder des Wagens gesehen haben.
Viermal sind wir liegen geblieben, ein Pferd ist uns gestürzt, eine Deichsel
haben wir gebrochen und in beständiger Gefahr geschwebt, über die
Straße, die man nicht sehen konnte, hinaus in die Abgründe zu fahren.
Aber der Wimsch, Sie bald zu sehen, war stärker als alles, und wir
haben mm glücklich Laibach — wo die Eisenbahn anfängt . — erreicht.
Freilich statt heut früh um vier Uhr vielmehr erst nachmittags um
^) I/Essalle traf am 31. Dezember, die Gräfin am Neujahrsmorgen in Breslau
ein. Sie begaben sich von hier aus, einem Berliner Polizeibericht zufolge, eilig
nach Düsseldorf, weil das Fallissement der Brückenpächter Siegheim und Block
in Köln die Gräfin mit einem bedeutenden Vermögensverlust bedrohte.
— =--" 107
fünf Uhr. Zwei Eiscnl)ahnzügc haben wir daher versäumt. Aher noeh
mit dem Nachtzuge gehe ich nach Wien, steige .sofort df)rt auf den Bres-
lauer Zug und lauge somit immer noch am 31. in Breslau an. Ihr Brief
hat mich sehr trübe gestimmt, hauptsächlich wegen der darin so kurz
erwähnten Krankheit und elektromagnetischen Kur. Diese neuen
Kuren sind leider noch so wenig erforscht, daß es mich sehr ängstigen
würde, Sie einer solchen unterworfen zu wissen, wenn nicht eine an-
erkannte ärztliche Autorität sie verordnet hat. Wer hat sie Ihnen
denn verordnet? Dies bitte ich mir umgehend zu sagen.
Ich komme auf Ihren Wunsch zurück, daß ich nicht nach Berlin
soll. Ich schrieb Ihnen darüber in meinem Triester Briefe: Daß ich
mich ursprünglich nur drei Tage in Breslau aufhalten wollte, auf Ihren
Wunsch zwar fünf bis sechs Tage dort bleiben will, länger aber auch
nicht kann. Daß ich ferner, um von Breslau nach Düsseldorf zu kommen,
Berhn passieren muß, daß ich auch, um meine Berhner Domizilierungs-
angelegenheit gütlich zu ordnen, dort einige Tage bleiben muß, wenn
auch heimlich, und somit höchstens nur das Opfer bringen kann, Sie
in Berlin gar nicht zu besuchen.
Ich will jetzt hinzufügen, daß ich natürhch vor allen Dingen in der
Welt Ihnen angenehm sein und meine Rückkehr nach Europa nicht
damit beginnen will, Ihnen etwas abzuschlagen. Allein ich weiß kein
anderes Mittel, als — im höchsten Notfall — von Breslau aus statt
über Berlin, über Prag nach Düsseldorf zu reisen. Freilich wäre es mehr
als grausam, wenn ich hierzu gezwungen wäre. Denn nicht nur, daß
ich drei Tage länger reisen müf3te, und die Bestellungen, die ich für
Berlin übernommen — was höchst penibel und rmangenehm wäre — ,
nicht ausrichten kann, sondern ich bin überzeugt, daß, wenn ich jetzt
selbst nach Berlin komme, ich mit den mir dort zu Gebote stehenden
Hilfsmitteln alles gütlich einrichten würde. Ich bin fest hiervon
überzeugt, und nichts ward mir diese Überzeugung nehmen. Wie grau-
sam also, wenn ich doch nicht hin dürfte. Bestehen Sie aber darauf, so
könnte ich eher noch dies tun als länger in Breslau bleiben. Über den
6. Januar hinaus bleibe ich nicht dort.
Denn ich muß endlich mein Buch vollenden. Doch über alles das
sprechen wir in Breslau. Die Hauptsache ist, daß Sie dort am 2. oder 3. —
so früh als nur irgend möglich — eintreffen.
Darum bitte ich Sie inständigst.
Sie werden übrigens sehen — was Sie schon so oft gesehen haben — ,
daß ich zuletzt mehr einrichten kann, wenn ich selbst dort bin, als alle
Ihre Verwandte usw. und daß, während man Ihnen Schwierigkeiten
macht, vor mir gerade alle Schwierigkeiten, und zwar ganz in der Güte,
sich ebnen werden. Nicht zum ersten Male hätte ich derartige Dinge
=^===:=^ I08
durchgesetzt, die die am besten gesehenen lyeute nicht erlangen konnten.
Nun wohl! Ich bin sehr ungeduldig, Sie zu sehen, der Boden brennt
unter meinen Füßen, und ich ginge am liebsten auf Ivcben und Tod
durch die lyuft, um nur früher anzukommen. Was mich am meisten
ärgert, ist, daß wenn ich gar in Breslau ankomme, ich Sie noch immer
nicht dort finde!
Inshallah! Gott ist groß! Ich habe, wie jeder, im Orient ein klein
wenig Geduld gelernt. Aber nicht in solchen Dingen. Da bricht die
alte vulkanische Feuematur immer wieder durch! Freuen Sie sich denn
auch ein wenig, mich zu sehen? Es scheint fast nicht! Wenigstens ist es
nicht jenes Ungestüm, was ich Freude nenne, mit dem ich dem Wieder-
sehen entgegenstürme und durch dessen Feuerhauch ich die Schnee-
gebirge auf meinem Wege geschmolzen vmd die zerbrochene Maschine,
mit der ich mich über das Weltmeer gewagt, geheizt habe. Allah Kerim!
Inshallah I Der Wille Gottes geschehe ! Nun leben Sie wohl, und wenn
ich nach Berlin komme, so hoffe ich, wieder einmal zu zeigen, was ein
Mann wert sein kann. Als Katze oder als Tiger, wie Weerth ^) sagt,
aber auf eine Weise setze ich es durch.
Ihr
F.I..
33-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Düsseldorf, Sonntag [S.Februar 1857].
Es ist wirklich höchst grausam, ja es ist schlecht von Ihnen, daß
Sie mich nun so immens lange ohne alle Nachricht lassen, eine Beute
aller Besorgnisse. In den elf Tagen, die Sie fort sind, habe ich erst
einen Brief bekommen und seitdem auf alle meine Zuschriften keine
Antwort. Ich würde lange bereits telegraphiert haben, wenn ich nicht
wüßte, daß Ihnen dies in Berlin imlieb ist. Aber lange werde ich diese
Rücksicht auf jemand, der selbst so rücksichtslos ist, daß er mich hier
in Unruhe und Angst mich aufreiben läßt, nicht nehmen . , .
Sehen Sie alles Mögliche zutun, daß meine Umsiedltmg nach Berlin
durchgesetzt wird. Lassen Sie meinen Vater kommen, wenn Sie es für
nötig oder auch nur nützlich erachten. Ich werde schon bis 15. März
mit Heraklit fertig sein. Es drängt, es treibt mich, dann sofort ohne
eines Tages Zeitverlust nach Berlin zu gehen, um ihn zu veröffent-
^) Georg Weerth (182 1 — 1856), der bekannte soziale Dichter, war 1848 Re-
dakteur des Feuilletons der Marxschen ,, Neuen Rheinischen Zeitung" gewesen.
Vgl. seinen Brief an Lassalle in Bd. II, S. 55.
-=^ 109 — —
liehen. Es wäre mir wegen dieses Zeitverlustes schauderhaft, wenn ich
dann erst wieder auf Schwierigkeiten stieße und mich hcruinbatailliercn
müßte. Wie froh werde ich überhaupt in jeder Beziehung sein, wenn
ich erst wieder in Berlin wohnen werde. Ich halte es hier nicht mehr
aus und muß hin...
Mich verzehrt die Ungeduld, nach Berlin zu gehen. Kaum habe
ich hier noch die nötige Ruhe, den Heraklit fertig zu machen. Ich muß
sie mir mit Gewalt aufzwingen.
Und jetzt verzehrt mich peinigende Unruhe um Nachricht von
Ihnen. Das ist schlecht von Ihnen. Drei Minuten Zeit für zwei Worte
könnten Sie doch wahrhaftig alle drei Tage für mich haben.
Ihr F. Iv.
34-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Düsseldorf] Montag [9. Februar 1857].
Gute Gnädige!
Endlich erhalte ich einen Brief von Ihnen und bin die Pferdeangst
los! — lyassen Sie mich doch nie wieder so lange warten . . .
In bezug auf meine Sache scheinen Sie ja noch gar nicht tätig ge-
wesen zu sein. Liebe Gräfin, die Sache hat nicht solche Zeit tmd will
so nicht, sie will mit Leidenschaft betrieben sein, so betrieben sein,
wie ich die Ihrigen betrieb. Das ist das Geheimnis, auch die Unmöglich-
keiten durchzusetzen. Ich bitte Sie, rendez-moi la pareille imd zeigen
Sie mal jetzt, was Sie noch können! Dann können, wenn es sich um
mich handelt. Diese Lässigkeit ist nicht die Manier, es durchzusetzen.
Sie haben nach elf Tagen noch keinen Menschen gesprochen. Ja, du mein
Gott, wenn es sich darum handelte, für Sie Dinge durchzusetzen, die
Ihnen so wichtig — oft viel schwerer — waren, da nahm ich mir
nicht Zeit zum Essen und Schlafen, bis es gemacht war. Ich war in
beständiger Feuer auf regung. Wenn Sie sich nicht in dieselbe energische
Leidenschaft des Wollens hineinsetzen, da werden Sie freilich nichts
durchsetzen — aber mir auch einen immensen Dienst nicht tun.
Zudem ist keine Zeit. Bereits Mitte März bin ich mit Heraklit fertig
imd gehe nach Berlin. Wenn ich da erst Hindernisse finden oder
rumlaufen soll, die Sache einzurichten, so verliere ich eine immense
Zeit für die Publikation des Werkes, die ich ja nicht eher anfangen
kann, bis ich weiß, ob ich auch dort bleiben kann. Ich kann aber.
— HO
ich will keine Zeit verlieren, denn die schnellste Pubhkation brennt
mir wie Feuer auf der Seele. Sie müssen es durchsetzen, daß ich, sowie
ich fertig hier bin, Mitte März schon ungehindert hingehen kann.
Die Herausgabe von Heraklit, viele andere tüchtige Arbeiten lasten
und brennen wie Feuer auf mir. Alles aber das kann ich nur in Berlin.
Jeder Tag Verlust wäre mir entsetzlich. Ich reibe mich auf, zugrimde.
Handeln Sie mit der Energie, Schnelligkeit, Unablässigkeit, mit der
man für eine Sache handelt, wo es um lieben und Tod geht. Es handelt
sich für mich in der Tat um ebensoviel. Ich will jetzt hin mit der-
selben vernichtenden, verzehrenden Ivcidenschaft, mit der ich nur je
etwas in meinem Lieben gewollt habe. Diese Intensität meines Willens
muß auch die Intensität Ihres Handelns entsprechend gestalten. Als
Sie hier abreisten, wollte ich doch schon hin. Aber je mehr ich später
darüber dachte, desto mehr ist es mir in den Kopf gestiegen. Ich will
jetzt noch ganz anders hin mit unendlich potenzierter Leidenschaft.
Ich lebe, esse, trinke und schlafe nicht mehr bis dahin. Ich arbeite
hier, bis die Knochen brechen, trotz Augen und Tod [und] Teufel,
um nur einen Tag früher hin zu können ! Kurz, ich will jetzt mit jener
Wut des Wollens, die vernichtend ist.
Ich will Sie nicht tadeln, daß Sie — in elf Tagen — noch nicht
einmal G.^) gesprochen haben, was doch am dritten Tage sein mußte.
Sie wußten bis heran noch nicht, wie sehr ich will, wie ich schon
im März hin will. — Aber jetzt wissen Sie's. Nun handeln Sie
danach.
Wie würde es Sie kränken, wenn Sie es nicht fertig brächten, und
ich es dann doch hingehend fertig brächte. Würde es nicht aussehen,
als hätten Sie sich nur nicht die hinreichende Mühe gegeben und nicht
hinlänglich alles versucht? Für mich wäre es aber schon ein immenser
Zeitverlust und innere Selbstverzehrungsquelle, wenn ich nur vierzehn
Tage, um es zu erlangen, verlieren würde.
Kurz — ich habe mich bei dem Schreiben so aufgeregt, daß ich ganz
erschöpft zusammensinke. Wachen Sie aus dieser lyCthargie auf und
handeln Sie, wie ich handeln verstehe. Seien Sie wieder mal das Trom-
peterpferd.
Anbei die gewünschte Quittung über die 13 Rt.
Ich bin ganz schachmatt vor innerer mich verzehrender lyeiden-
schaft.
F. I..
^) I^assalle meint den Polizeirat Goldheini. Für seine Beziehungen zu diesem
vgl. die Einführung zu Bd. II, S. 17.
=:^-- TTT =
LASSAI.LR AN SOPKllv VON HATZI- IvIvDT. (Original.)
Düsseldorf, Donnerstag [12. — 13. I'ebniar 1.S57].
. . . vSie haben sehr unrecht, meinen Brief so aufzufassen, als ent-
hielte er Vorwürfe gegen Sie. Das sollte er nicht und hat er nicht. Es
war ausdrücklich drin gesagt. Nur antreiben sollte er Sie, von nun
ab mehr zu tun. Und das ist freilich ganz nötig. Sie sagen, die stürmi-
schen gewaltsamen Mittel stünden Ihnen nicht zu Gebot. Sehr richtig.
In quali bin ich ja auch mit Ihrem Handeln ganz einverstanden, nur
in quanto nicht; es muß mehr gehandelt werden, schneller hinter-
einander fort. Sonst kommen wir zu nichts. Daß Sie G[oldheim]
noch nicht gesehen haben, ist freilich nicht Ihre Schuld, aber doch sehr
schlimm, denn ich gebe darauf, was Sie mit ihm beraten und fertig
bringen, mit am meisten. Aber da er nicht antwortete, so hätten Sic
ihm gleich noch einmal, zweimal, dreimal schreiben soll[en]. Es
ist nicht Zeit, zu warten. So kommt die Karre nicht vom Fleck! . . .
Ferner: Daß Ihnen Pickwick den E.^) noch nicht gebracht hat, ist
ja auch ganz unerträglich langsam gehandelt! Mein Gott, was
habt Ihr denn alle zu tun? Das heißt ja, wie die Schnecken sich be-
wegen. Ich wiederhole abermals mid dreimal: So kann man zu nichts
kommen. Mit dem Manne hätten Sie schon längst ganz gut Freund
sein müssen. Ebenso schrecklich zeitverschwenderisch ist es, daß Sie
noch nicht bei Wolff-) waren. Dieser hatte mir ja versprochen, seinen
Einfluß bei ManteuffeP) zu gebrauchen. Es ist am Ende am besten,
Sie schicken gleich den Wolff zum Man teuffei, von dem ich noch
immer am meisten glaube, daß man es bei ihm am leichtesten durch-
setzt. Wolff soll ihm sagen, ich müßte durchaus wegen meiner wissen-
schaftliehen Tätigkeit, der Herausgabe meines Werkes, nach Berlin,
soll in ihn dringen. Es wäre schrecklieh, mir meine wissenschaftliche
Tätigkeit abzuschneiden usw. usw. Da werden wir ja sehen.
Die Zeit ist jetzt, besonders für Mant[euffel], sehr günstig, es bei
ihm durchzusetzen, dies soll gleich geschehen. Dann wird doch end-
lich einmal eine Demarche versucht sein. Denn bis jetzt — liebe gute
Gräfin, ich sage es ja nicht, um Ihnen Vorwürfe zu machen, aber ich
muß doch in dieser mir so wichtigen Sache meine Meinung sagen —
haben Sie ja gar nichts getan. Sie haben ja noch nicht einen einzigen
^) über die Persönlichkeit des 1,. ließ sich nichts feststellen.
2) Lassalle meint vermutlich den Inhaber des Bankhauses Hirschberg & Wolff
in Berlin.
3) Otto Theodor Freiherr von ManteufFel (1805 — 1882) war von 1850 bis 185S
preußischer Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen.
= 112 =
Menschen gesprochen; noch nicht einmal den Gerson, der Ihnen den
P. bringen sollte. Sie haben — mit Pickwick geplaudert — das ist
alles! Nennen Sie das handeln?? Ach, du mein Gott! . . .
Jedenfalls aber — dies steht bombenfest — halten mich, sowie
ich die Feder von meinem Heraklit ausgewischt, sowie ich das letzte
Wort geschrieben, alle Machtmittel Europas nicht länger hier zurück.
Ich mache noch an demselben Tage meinen Koffer und gehe nach
Berlin, stelle mich selbst an die Spitze meiner Armee und sehe, was
man macht, wenn man die I^eute ein bißchen in meiner Weise durch-
einander treibt und ihnen Beine macht.
Freilich, freilich verliere ich dadurch eine kostbare Zeit. Wird aber
nun eben nicht zu ändern sein!
Wenn werde ich also von hier fort? Das will ich Ihnen sagen. In-
folge rasenden Arbeitens ist die Sache schneller gegangen, als ich glaubte.
Ich werde noch Ende dieses Monats mit dem Werk fertig. Kömmt
dann nur noch die letzte Durchsicht, die mich nicht über vierzehn Tage
aufhält, um so weniger, als ich sie ja während des Druckes des Werkes
beenden kann.
Also zwischen 15. und 20. März packe ich meinen Heraklit ein und
gehe nach Berlin. Haben Sie es bis dahin fertig, daß man mich nicht
schikaniert, gut. Haben Sie es nicht fertig, auch gut. Nur keine Ge-
mütsaufregung. Ich muß zwar lachen, daß ich dies schreibe, denn ich
bin, seit Sie fort sind, in einer kontinuierlichen Aufregung. Jedes Wort,
das ich schreibe, dauert mir zu lang. Aber ich kann sie auch aus-
halten. Adieu für heut.
Ihr
F.L.
36.
IvASSAI^IvE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Mittwoch [18. Februar 1857].
Gnädigste !
... Es tut mir leid, sehr leid, daß ich Sie in einem fort hetzen und
Ihre Zeit okkupieren muß. Mais que faire? Ich habe Ihnen jetzt also
folgendes zu sagen:
I. Das Anerbieten Pickwicks akzeptiere ich mit Dank. Mag er also
gleich zum Polizeipräsidenten gehen und in der angegebenen Weise
mit ihm reden. Nur mit der sofortigen Produktion des Augenattestes
bin ich nicht einverstanden. Wenn man auf diesen Gnmd nur es
fordert, so erlangt man offenbar keine Domizilierung, sondern nur einen
=^ "3 =
und zwar auch nur ganz kurzen Aufenthalt. Ist nun freilich auch die
Hoffnung da, es in diesem weiterzubringen, so ist doch ein solches
provisorisches Vegetieren sehr untuigenehm und wegen des Bücher-
hinschleppens, der Wohnung usw. mit vieler Ungewißheit und großen
Kosten verknüpft. Freilich wäre es noch immer besser als nichts. —
Darum denke ich, Pickwick geht hin und spricht nur von dem
andern Grunde zunächst, daß ich wegen meiner wissenschaftlichen
Tätigkeit, wegen der Herausgabe meines Buches hin müßte und daß
er sich verbürgen könne, daß ich nur deshalb hin wolle usw. . . .
2. Mit Wolff haben Sie es nicht praktisch gemacht . . .
3. Daß G[oldheim] noch nicht bei Ihnen war, ist sehr schlimm.
Ich gebe am meisten darauf, was Sie mit seiner Hilfe ausklüngeln.
Fahren Sie gleich zu ihm hin. Vater schreibt ja ausdrücklich, daß er
sich gar nichts daraus macht.
4. Wenn der h., wie Pickwick sagt, zu höflich ist, es Ihnen ab-
zuschlagen, sich Ihnen vorstellen zu lassen, ei, dann hätten Sie lange mit
ihm sprechen sollen. Was Pickwick mit ihm fertig bekommen kann, und
was Sie, ist ein großer Unterschied. Man muß seine Persönlichkeit
dreinlegen. Haben Sie doch schon manchen zu etwas gebracht, was
er im Anfang gar nicht wollte. Also Sie müssen sofort seine Bekannt-
schaft machen, gleich augenblicklich. Sie müssen ihn so viel als mög-
lich sehen. Kurz, Sie müssen ihn erobern. Das ist Ihre Sache. Was
sind das für Schuurrpfeifereien, mich mit Pickwicks Meinung über das,
was der Mann tun dürfte, abzufinden! Sie müssen eben fertig bringen,
was der Mann nicht will. Das zu erlangen, was man einem anbietet,
ist keine Kunst. Kurz, Sie müssen den Mann sofort kennen lernen und
ihn bezaubern, sich zum Freunde machen. Er kann Ihnen auch
noch oft nützlich sein. Frevren Sie sich dieser Gelegenheit.
Ich erwarte also gleich Nachricht, daß Sie ihn gesprochen
haben.
5. Wenn Vater hinkommt, so lassen Sie sich also gleich den G[old-
heim] holen. (Auch für ly. können Sie Vater gebrauchen. Sie waren früher
gut bekannt, mid er hatte ihm sogar schon seine Hilfe versprochen.) Mit
G[oldheim] überlegen Sie dann sofort das weitere. G[oldheim] schlug
ja neulich schon meinem Vater vor, er solle zu Mantcuffel gehen. Ich
glaube, daß das im Fall der Not sehr nützlich sein kann. Dann schicken
Sie also auch Vater hin.
6. Kurz, meine Gnädige, ich bitte Sie — Sie haben noch immer bloß
mit Pickwick gesprochen!!! — Zeigen Sie mir in Ihrem nächsten
Briefe endlich einmal sechs gemachte Demarchen an, wenn es nicht
anders ist, lauter abschlägliche, nutzlose, aber mindestens doch
wirkliche, effektive Demarchen bei den Personen, welche zu ent-
iMayer, Lassalle-Nachlass. IV 8
== 114 =
scheiden haben. Denn so wird immer bloß ganz müßig über die vSache
herüber und hinüber gesprochen und nichts getan. Dann wäre doch
mindestens was geschehen, was hätte gelingen können. So kann es
nicht gelingen, weil es nicht reell versucht wird. Gott, wäre ich nur
acht Tage in Berlin, ich wollte ja wie der Sturmwind hineinfahren. Sie
sollten sehen, wenn ich acht Tage dort wäre, so hätten mindestens
schon — ob mit, ob ohne Erfolg — zehn lyeute mit dem Polizeipräsi-
denten und mit Manteuffel darüber gesprochen. Sie müssen der Sache
Zeit widmen, wenn Sie sie auch Paul und Ihrer Schwester entziehen
müssen. Daran liegt es. Esmußsein. Sonst kommen wir zu gar nichts.
Sie müssen die Sache nicht gelegentlich so mitbetreiben wollen.
Da wird freilich nichts draus. Sie müssen sich denken, Sie wären ein
Agent, der nur zu diesem Zweck auf fremde Kosten, nach Berlin ge-
schickt ist und über die Tätigkeit jedes Tages Rechenschaft ab-
legen muß.
Es tut mir sehr leid, Sie so zu quälen und zu treiben. Aber qui veut
les fins, faut vouloir les moyens. Diese Weise, die ich da gezeichnet,
ist die einzige, es durchzusetzen. Also zürnen Sie mir nicht, wenn
ich Ihnen den rechten Weg zeige. Wenn Sie acht Tage von Schwester
und Sohn abstrahieren und sie bloß in Ihren müßigen Augenblicken
sehen könnten — wäre alles eingerichtet. Nun leben Sie mir wohl. Ich
bin sehr traurig in meiner Grabeseinsamkeit. Es ist mir sehr, sehr,
ganz unbeschreiblich bange nach Ihnen. Ich bin doch auch nur ein
Mensch, obwohl ich mir manchmal mehr als einem solchen auferlege.
Da sitze ich nun schon fast drei Wochen von früh bis nacht arbeitend
und kein menschliches Gesicht sehend, das mir wohl will. Es ist mir
sehr bange. Wären Sie nur wieder da! Ihrem zweiten Briefe sehe ich
entgegen. Das sage ich Ihnen aber im voraus. Wenn Sie meine Abreise
von hier aufschieben wollen — tout ä fait impossible. — Diese erfolgt,
sowie ich fertig bin, und da kömmt kein Demosthenes dagegen auf.
Schreiben Sie viel, handeln Sie noch mehr und kommen Sie bald
zu Ihrem
F. I..
37-
I.ASSAI,I,E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Düsseldorf, 26. Februar 1857.]
. . . Wo sehen Sie denn immer die Vorwürfe in meinen Briefen? Es
sollen ja keine sein. Ich bin Ihnen ja so gut und sehne mich so nach
Ihnen , . .
= 115 =
Was nun Ihre Bitte anbelangt, so muß ich sie Ihnen abschlagen,
bitte aber, sich die Sache recht zu überlegen. Dann werden vSie sehen,
wie recht ich habe und wie sie Sie gar nicht inkonnnodiert.
Übermorgen wohl bin ich mit Heraklit zu Ende, dann l)in icli
auch am i6. März mit der Durchsicht fertig und muß am 20. spätestens
hin . . .
Was schreiben Sie denn auf einmal: Wenn ich nach Berlin zöge,
so schieden sich unsere Wege auf längere Zeit auseinander? Warum
denn? Sie kann man am Domizil dort unmöglich hindern. Besorgt
es Ihnen die Nostitz ^) nicht ohne alle Schwierigkeit, so wird Ihnen
schon Dorn ^) das in aller Ruhe durchfechten. Denn gegen Sie ist ja
keine politische Verurteilung ergangen.
Warum wollen Sie denn also auf einmal nicht hinziehen? Sie, die
Sie immer wollten, es schon des Testamentes wegen wollten? Warum
wollen Sie denn selbst ohne Not sich ganz von mir trennen ? Es ist nicht
klug daraus zu werden! Aber es macht mich recht, recht traurig!!
Jedesmal, wenn Sie bei Ihrer Familie stecken, werden Sie ganz rätsel-
haft und imbegreiflich. Ich bitte um Aufschluß darüber, ob und
warum Sie, wenn ich nach Berlin ziehe, nicht auch hinwollen.
Ich werde also gewiß nicht länger hier warten, noch dazu damit
Sie dann nicht in Berlin sind, während ich vielmehr will imd rechne,
daß Sie, solange jedenfalls ich dort bin, auch dort bleiben. Alles andere
kann man schon einrichten. Unbegreiflich, imbegreiflich, daß wir jetzt
auf einmal nicht in derselben Stadt sollten wohnen können, weil es
Berlin ist.
Ferner: Wie soll ich denn hier warten? Sie sagen, ich habe eine
Arbeit. Aber ich will ja eben erst hin, wenn diese fertig ist; dann
habe ich also keine mehr. Sie wollen also, ich soll hier mutterseelen-
alleine in meinem Zimmer sitzen, ohne Arbeit, den brennende [n]
Drang der Herausgabe auf der Seele, und dabei von früh bis abends
an den Nägeln kauen? So grausam könnten Sie sein, das von mir und
ohne Not zu verlangen? Und wenn Sie so grausam wären — ich täte
es nicht; auf Ehrenwort nicht!
Wie ich fertig bin, reise ich, nachdem ich etwa drei Tage geruht
und gepackt, ab.
Nun leben Sie wohl. Ich bin sehr traurig über Ihren Brief. Ich
verstehe Sie nicht mehr. Ich glaube, Sie verstehen sich selbst nicht mehr.
Bald wollten Sie stets nach Berlin, bald wollen Sie sich lieber von mir
^) Gräfin Klara von Nostitz, siehe oben S. 98 Anni. i. Sie erlag am 14. Januar
1858 einem Krebsleiden.
2) Dorn war der Rechtsanvvalt der Gräfin in Berlin.
= ii6 =
ganz trennen, wenn ich hinziehe, als auch hingehen. Warum, warum,
warum? Und was wollen Sie denn eigentlich?
Ihr trauriger
F.Iv.
P.S. Aus dem Vorigen ergibt sich von selbst, daß es geradezu Blöd-
sinn ist, wenn Sie glauben, infolge meines Hinkommens könnten Sie
Maßregeln treffen. Dies ist schon an sich nicht gut denkbar, am wenig-
sten aber, wenn ich nur bis Potsdam imd nur mit Genehmigung nach
Berlin gehe! Mit polizeilicher Genehmigimg!
38-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Freitag [27. Februar 1857].
Gnädige Frau!
Gestern gerade schrieb ich Ihnen einen Brief, daß ich Sie manchmal
nicht begreife, daß ich den Satz Ihres letzten Briefes, daß, wenn ich
nach Berlin ginge, ,, unsere lyebenswege auf längere Zeit auseinander-
gehen", kopfbrechend rmd kopfschüttelnd, traurig durchgrübelte, ohne
ihn zu verstehen — da erhalte ich beiliegenden Brief von der Agnes, ^)
die ich infolge Ihrer Mitteilimg zur Rede gestellt hatte ! !
Ich bitte Sie inständigst, mir aufrichtig zu sagen, ob irgend
etwas daran ist. Unter andern Umständen würde ich nicht einmal
gefragt haben — wenn nicht eben jener Satz Ihres gestern erhaltenen
Briefes, mein Empfang in Heidelberg 2) und so manches sich freilich da-
durch erklärte und so allerdings mindestens irgendeine Grundlage
dem Briefe zu geben scheinen könnte. Und wenn wirklich irgend
etwas daran ist — wie töricht imd überflüssig wäre es dann nicht auch
von Ihnen gewesen, mit Agnes imd ihrem Vater darüber zu berat-
1) Der Brief von Agnes, von dem sich nur die erste Hälfte vorfand, ist aus
Brüssel vom 25. Februar datiert. In Beantwortung eines Schreibens Lassalles vom
23. berichtet sie über Gespräche, die sie und ilir Vater mit der Gräfin in Wildbad
gehabt hatten, zugleich aber erklärt sie es für unter ihrer Würde sich ,, wegen
solcher Klatschereien zu diskulpieren". Danach hätte die Gräfin sie um Rat ge-
fragt, wie sie es anfangen solle, vini sich von Lassalle zu trennen. So vielen Dank
sie ihm schulde, verlange es sie doch in die ,, Gesellschaft" und namentlich in die
Nähe ihres Sohnes zurück. An den Rand dieser Stelle von Agnes' Brief schrieb
Lassalle bei dessen Übersendung an die Gräfin die Worte: serait-il possible? Vgl.
hierzu oben die Einführung S. 21.
2) Die Gräfin und Lassalle hatten sich am 10. August 1856 in Heidelberg ge-
troffen und von hier aus jene Reise an den Genfer See angetreten, die so unerquick-
lich verlief. Siehe oben die Finführung S. 20.
= "7 ========
schlagen, statt einfach mir selbst ein einziges Wort davon zu sagen!
Dann war ja alle Schwierigkeit gehoben, ohne daß vSie nötig hatten,
mit dritten Personen darüber Rats zu pflegen! Es ist mir ja niemals
eingefallen, Ihnen lästig werden zu wollen. Ich nahm immer an, daß
ich Urnen, unbeschadet alles vorübergehenden Zankes, zu Ihrem
Glücke notwendig sei.
Wenn das nicht ist, wenn andere Rücksichten mich Ihnen be-
schwerlich machen — mein Gott, dann genügt ja ein Wort, und jede
Schwierigkeit ist gehoben! Es ist mir doch wohl niemals in den Sinn
gekommen, meine Person jemandem als — einen Tribut aufzuerlegen!
Das ,,Wie" also, wenn Sie erst selbst wußten, was Sie wollten, war
doch so einfach!
Das ,,Was" aber — ich kann doch nicht gar noch annehmen — daß
Sie gar über das ,,Was", darüber, was Sie wollen und nicht wollen
sollten, mit Agnes und ihrem Vater beratschlagt haben!!
Und auch das ,,Was" ist ganz so einfach wie das Wie. Denn wenn
ich Ihnen, wie gesagt, nicht zu Ihrem eigenen Glücke notwendig
bin — dann liegt gar kein Grund vor, sich mit mir zu quälen imd sich
irgend etwas deswegen entgehen zu lassen. Nullement! — Jeder folgt
seines Herzens Drange!
Ich bitte Sie also recht herzlich um eine aufrichtige Antwort,
was etwa an diesem Schreiben Wahres sein könnte.
Merkwürdiges Zusammentreffen, wie ich diesen Brief gerade tags
nach Ihrer sphinxartigen Äußerung von gestern erhalte.
Eheu fugaces, Posthume, Posthume! ^)
Genug und bitte, antworten Sie bald. Schicken Sie mir auch den
Brief der Agnes wieder zurück, bitte darum,
F. L.
39-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Düsseldorf] Sonnabend [28. Februar 1857].
Meine gute Gnädigste!
Ich habe zwar auf meinen gestrigen Brief natürlich noch keine Ant-
wort, aber Ihr eben erhaltenes Schreiben ist so lieb und herzlich, daß
ich es gleich beantworten muß. Ach, ich glaube Ihnen gerne, wenn Sie
auch vielleicht mal einen kleinen Moment etwa schwanken konnten,
daß Sie mir nie besser werden und sich nie mehr nach mir selmen, als
^) Horaz. Oden, Buch II, 14.
= ii8 —
wenn Sie bei jenen auswendigen Menschen leben. Das ist nur sehr
natürlich, und wie oft habe ich es Ihnen nicht im voraus gesagt! Wie
noch ganz anders würde es sich nicht mit der Länge der Zeit einstellen !
Denn wirklich, stünde der Fall der Wahl zwischen mir und jenen, ich
würde, abgesehen von allen noch weit substantielleren Seiten, schon
Ihren Verstand nicht begreifen! Wer wirft echte Perlen für falsche
weg? Wer Rosen für Disteln? Wer ein Herz wie das meine für ,,Circon-
stances-Menschen" wie jene?
,,0 Urteilskraft, du flohst zum blöden Vieh!
Der Mensch ward im vernünftig!"
Voir den Monolog Hamlets über die Vergleichung der beiden Gatten
seiner Mutter. — Nein, wer nur noch fünf gesunde Sinne hat, und nicht
untergegangen ist in Hohlheit und Blasiertheit, der kann nicht so wahn-
siimig sein.
Warum aber meinen Sie dann, wir würden nicht beide nach Berlin
gehen können? Warum? Voyons, kein Mißverständnis, sprechen wir
uns offen aus. Wenn ich es durchsetze, nach Berlin zu kommen, dann
kann sich Nostitz usw. auf den Kopf stellen imd kann es, was Sie
betrifft, doch nicht hindern. Denn für Sie — die nicht politisch Ver-
urteilte — liegt keine Möglichkeit vor, daß man Ihnen das Do-
mizil dort verweigere. Das Gesetz ist zu klar. Und so offne Willkür
scheut man. Sollte — was unmöglich — ich mich dennoch hierin
täuschen, so wiederhole ich Ihnen hiermit nur, was ich Ihnen immer
sagte, daß auch ich dann sofort meinen Berliner Aufenthalt aufgebe
und mit Ihnen nach Breslau, Leipzig oder wo Sie sonst hin wollen, gehe.
Denn so fest ist mir doch noch nichts ans Herz gewachsen, daß ich mich
deshalb von Ihnen trennen sollte. Das stimmt zu meiner Art von
Freimdschaft nicht. — Aber andrerseits, wenn Sie nun die Polizei nicht
hindern kann und ich es für mich durchsetzen sollte, warum sollten Sie
nicht hin? Voyons! Ich meinerseits habe nichts dagegen, daß Sie jene
Leute sehen! Habe auch nichts dagegen, uns so einzurichten, daß wir
bei Ihnen eben nicht zusammentreffen. Das ist alles, was Sie von mir
in Frankfurt wollten, und Sie werden gestehen, daß ich doch die Nach-
giebigkeit gar nicht weiter treiben kann. Daß Sie sich aber etwa von
jenen Leuten — Gott verzeih mir die Sünde — , gar noch sollten auf-
erlegenlassen, daß Sie nicht in Berlin wohnen sollten, wenn ich dort bin,
daß Sie die Augendienerei so weit treiben sollten, deshalb, des-
halb, deshalb sich von mir zu trennen — — — nein, das wünsche ich
mir nicht, das hoffe ich nicht zu erleben! Wenn ich diese Gesinnungs-
losigkeit von Ihnen erleben müßte, — ich wollte lieber, Sie stürben
mir; was mehr gesagt ist, als wenn ich sagte, ich wollte, ich stürbe
^^= 119 —
selbst. Nein, dies Allerhärteste von dem, was mir jemals zukonnnen
könnte, — das wird nicht sein ! Das würde mich zum Menschenhasser
machen ... Sie wissen, daß ich nicht zu den Menschen gehöre, die so
viel Gesinnungslosigkeit verzeihen und ertragen können. Niemals!
Für mich ist der Mensch tot, wenn ich ilm verachten muß, schlimmer
als tot. Nein, ich bin in dieser Welt noch auf vieles Unglück gefaßt,
wie ich schon so vieles ertragen habe. Ich bin ein starker Mann und
gewappnet bis an die Zähne und kann sagen: ,,Komm heraus, Schicksal,
und sieh, ob du Gewalt über mich hast mit deinen stärksten Schlägen" —
aber dieser Schlag — bei allem, was noch nicht ganz verfault ist in der
Welt! — , der, hoffe ich, wird mir doch erspart werden ! — Folglich werden
Sie mit mir gehen nach Berlin!
Nun zu dem Nächstliegenden, meiner Hinkunft. Ich habe Ihnen
schon gesagt, wenn ich jetzt nach Berlin gehe, so gehe ich nicht bis
hin, sondern nur bis Potsdam und suche dann von dort aus durch
G[oldheim] oder indem ich einmal zum Polizeipräsidenten nach vor-
heriger Meldung fahre, wenigstens soviel zu erlangen, daß ich während
des Drucks meines Werkes dort sein kann. Gestattet man mir dies
also, so ist es ja nicht denkbar, ganz immöglich, daß man deshalb gegen
Sie maßregelt. (Gestattet man mir es nicht, so gehe ich nach Ivcipzig,
obwohl es ein harter, harter Schlag für mich wäre.) Sie müssen sich
also nicht mit Phantasmen und Einbildungen plagen.^) Gestattet man
es aber, so hoffe ich von Ihnen sehr, Sie werden dort bleiben, bis Sie
Ihre Badereise antreten . . . Wir haben doch wahrhaftig beide nicht
so viele Menschen, die uns lieben, daß jeder das eine und beste, was er
hat, von sich fem halten sollte. Also bitte sehr, haben Sie nichts da-
gegen, daß ich hinkomme . . .
Ich werde also kommen, und zwar wenn ich fertig sein werde, wie
es in der Bibel vom Herrn heißt, ,,wie der Dieb in der Nacht", d. h. ohne
vorherige Anzeige an Sie. Erst von Potsdam aus werde ich Sie benach-
richtigen. Sehen Sie doch, ich bitte Sie sehr, durch Pickwick und Vater
^) An den Vater schreibt Lassalle einige Tage später, am Dienstag, 3. März: ,,\Vas
Dir die Gräfin über mich sclireibt — darauf kannst Du diesmal nichts geben. Sie
macht sich Phantasmen. Sie denkt, ich will da Skandal machen, während ich ihr
doch ausdrücklich geschrieben habe, ich wollte diesmal es nur in aller Güte ver-
suchen. Fast glaube ich, sie wünscht aus gewissen Rücksichten auf ihre Familie
nicht, daß ich während ihres Dortseins hinkomme. Solche Rücksichten kann ich
nun freihch nicht berücksichtigen. — Ich glaube, die Gräfin wird — wenigstens ist
dies mein Wunsch — auch dort bleiben . . . Ginge sie jetzt wirklich von Berlin
fort, um mich zu vermeiden, was ich doch nicht glauben kann, da ich mich in
meinem gestrigen Briefe an sie energisch dagegen ausgesprochen habe, so schadet
das nicht, zumal wenn ich dafür hinkomme. Wir beide zusammen werden schon
ausrichten, was etwa auszurichten ist."
= 120
durchzusetzen, daß mir wenigstens für die Dauer des Drucks,
mindestens auf drei bis vier Monate, die Erlaubnis erteilt wird.
Das kann gar nicht so schwer sein. Das würde mir selbst Hinckeldey ^)
erlaubt haben, wenn ich ein Werk dort zu drucken gehabt hätte. Warum
mährt denn der verdammte Pickwick so lange ? Sagen Sie ihm, daß ich
ihm|deshalb zürne. Vater würde dies bei Manteuffel gewiß durch-
setzen."^) Aber sagen Sie auch ihm, daß er das erst begehren soll, wenn
er ihm das definitive Hinkommen imerbitthch abschlägt. Zum Zweck
des letzteren soll Vater auch zu Manteuffel sagen, er wolle selbst mit
Mutter nach Berlin zu mir ziehen. Das wird einen guten Eindruck
machen. Hätte ich nur bei meiner Rückkehr aus dem Orient nicht der
Blocks^) wegen so durch Berlin durchfliegen müssen. Ich hätte es
lange durchgesetzt, wenigstens während des Drucks des Werks. Nun
bitte ich, geben Sie sich rechte Mühe, und schnell muß jetzt alles
gehen, denn Sie haben nicht mehr viel Zeit! Sagen Sie Pickwick,
ich ließ ihm sagen, er könnte sich auch etwas mehr beeilen, dächt'
ich, denn mir brennt es. Anbei ein eben eingetroffener Brief. Glauben
Sie mir, es ist das beste, besonders für Sie, wenn wir beide in Berlin
sind. Ihr Deben wird sich dann ganz anders gestalten. Nun adieu mit
dem alten Motto aus schwerer Zeit:
,,Drum laßt uns fest am alten Glauben halten.
Ein einz'ger Augenblick kann alles umgestalten,"
40.
I.ASSAI.LE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
[Düsseldorf, Anfang März 1857].
Gnädige Frau!
Ich erhalte soeben Ihren Brief und eile, noch mit heutiger Post zu
antworten :
1) K.L.W, von Hinckeldey (1805 — 1856) war von 1848 bis 1853 Polizeipräsident
von Berlin, hernach Dirigent der Abteilung für Polizei im Ministerium des Innern.
2) Am Dienstag, 3. März, schreibt Lassalle dem Vater, er möge sich gute Emp-
fehlungen an Manteuffel verschaffen. Vielleicht wäre es aber noch besser, Ferdinand
Friedland deswegen nach Berlin kommen zu lassen. Dieser möge sich ,,von einem
seiner Erzherzöge eine Empfehlung an Manteuffel geben" lassen und dann mit ihm
sprechen. Am Sonntag, 23. März, schreibt Lassalle dem Vater, wenn Pickwick,
,, diese hölzerne Avantgarde", nichts ausrichte, möge ,,das Zentrum des Heers",
Friedland, , .geradezu auf Manteuffel losmarschieren". Ohnehin sei Manteuffel
allein derjenige, von dem möglicherweise sofort das feste Dcmizil zu erobern wäre:
,,Und das wäre doch freilich zehntausendmal besser." In der Tat kam Friedland
nach Berlin.
'') Die Bankiers der Gräfin und Lassalles in Düsseldorf.
121 :
1. WasG[oldheim] sagt, ist ganz richtig; die von ihm vorgeschlagene
Operationsmethode trifft ja auch ganz mit meiner Ansicht zusanmien.
Nur das eine akzeptiere ich entschieden nicht, daß wir nicht beide
sollten in Berlin sein können. Was erreicht werden muß, ist eben das,
daß wir beide dort sein können. Sonst ist mir gar nicht damit ge-
dient. Ich erkläre Ihnen, daß ich ebensowenig ohne Sie in Berlin sein,
wie mit Ihnen in Düsseldorf bleiben will. Eines ohne das andere
nützt mir gar nichts, will ich nicht, mag ich nicht. Auf Tempori-
sieren lasse ich mich dabei so wenig ein, wie der Mond auf eine Polka.
Kurz, falls Sie mir nicht erklären, Sie wollen — auch wenn es polizei-
lich erreichbar ist — nicht gleichzeitig mit mir in Berlin sein, worüber
ich mich auf meinen letzten rekommandierten Brief von Sonntag
beziehe — so steht der Fall: beide oder keiner. Fürs erste müßte dann
nun noch alles versucht werden. Gelingt alles nicht (worüber weiter
unten), kann es nicht sein nach Erschöpfung aller Wege — gut, so
lasse ich Berlin, gehe nach I^eipzig, gebe dort mein Werk heraus und
bitte Sie, mir dorthin (bis zu Ihrer Badekur) zu folgen. Denn es fällt
mir weder ein, Sie zur Einsamkeit in Düsseldorf, noch mich zu Ihrer
Entbehrung zu verurteilen, das mag ich nicht. Auch nicht für
Berlin. Kommen Sie mir also nicht mit Ratschlägen, die meinen Zweck
gar nicht erreichen.
2. (Pickwick soll jetzt augenblicklich zum Polizeipräsidenten.)
3. Lassen Sie sich G[oldheim] holen mid schärfen ihm ein, geeigneten
Ortes vorzustellen, daß wir ja gar nicht daran denken, in Berlin zu-
sammen zu wohnen; im Gegenteil, dies würde keinesfalls statt-
finden usw.
4. Westphalen^) ist da. Dieser kann, wenn er will, viel helfen, und
ich zweifle keinen Augenblick, daß er wollen wird. Ersuchen Sie ihn
also in meinem Namen dringend, und bitten Sie ihn in dem Ihrigen,
daß er zu Manteuffel geht, ihm vorstellt, daß ich wegen meiner wissen-
schaftlichen Tätigkeit mich dort domizilieren müßte, daß es höchst
grausam sei, mir dies abzuschlagen usw. Er soll sehen, in principali das
Domizil, wenn nicht doch ein Jahr, mindestens aber die zur
Herausgabe des Werks nötige Zeit zu erlangen. Dies wird ihm
Manteuffel gewiß nicht abschlagen.
Dabei soll er aber sofort zu Manteuffel erklären, Sie befürchteten,
daß man dann Ihrem Aufenthalte dort etwas in den Weg legte. Erstens
sei dies ganz grmidlos usw., zweitens aber, wenn die Erlaubnis für mich
so gemeint sein sollte, so könnte imd würde ich gar keinen Gebrauch
davon machen . . .
Graf Clemens von Westphalen.
= 122
5- In demselben Sinne wie Westphalen zu Manteuffel müssen Sie
auch imd Vater zu G[oldheim] sprechen.
6. Und müßte ich, wenn alles andere fehl geschlagen sein sollte,
so ungern ich es tue, selbst zu Manteuffel gehen, so werde ich es tun
und so mit ihm reden — ganz vernünftig und gemäßigt — , wie ich hier
auseinandergesetzt habe, daß Westphalen mit ihm reden soll.
7. Auf meinen rekommandierten Brief von Sonntag, den Sie doch
schon haben müßten, antworten Sie kein Wort.
8. Möglicherweise tue ich Ihnen unrecht, aber halb und halb
scheint es mir, als wollten Sie auch nicht, daß ich während Ihrer
Anwesenheit dort bin, auch wenn es polizeilich für ims beide ginge.
Ist dies nun — was ich nicht behaupte — wirklich der Fall, dann ist
es mindestens Ihre Pflicht, es mir grade heraus zu sagen. Dann
brauchen wir uns nicht länger miteinander zu quälen !
9. Wollen Sie es aber, so müßten Sie sehr ungeschickt sein, wenn
Sie jetzt, wo Sie außer G[oldheim] und Vater auch Westphalen haben,
es nicht durchsetzen könnten.
IG. Gestern bin ich mit Heraklit fertig geworden. Kommt jetzt die
Revision. Mehr denn je eile ich, dieselbe zu beenden, um so früh als
möglich nach Berlin (d.h. Potsdam, von wo ich heimlich bloß nach
Berlin zu G[oldheim], Polizeipräsidenten und Manteuffel gehe) zufliegen.
Alle Nächte will ich jetzt durcharbeiten, um früher, als ich selbst für
möglich hielt, grade infolge Ihres Briefes in Potsdam anzukommen.
(Möglicherweise sehr bald.) Dies ist unwiderruflich wie das Fatum,
auch vernünftig für meinen Zweck . . . ^)
Ihr
F.L.
NB. ... Je mehr ich es überdenke, je mehr muß ich Ihnen erklären,
ich traue Ihnen nicht mehr recht. Ich weiß wohl, daß Sie sich be-
mühen, mir die Erlaubnis des dortigen Aufenthalts zu schaffen. Aber Sie
wünschen nicht, sie mir zu schaffen während Sie dort sind. Würde
dieser Verdacht Gewißheit — dann würde ich Sie freilich überhaupt
auch nicht einmal mit meinen Briefen mehr inkommodieren. Wie,
mit welcher Stirn können Sie von Schroffheit meinerseits sprechen,
wenn ich ihnen doch in meinem letzten Briefe vom Sonntag erklärt habe,
ich hätte nichts dagegen, mich, wenn ich in Berlin bin, so einzurichten,
daß ich nie mit Ihren Leuten bei Ihnen zusammenträfe ? Wenn Ihre
Leute die Schroffheit auch so weit trieben, dann wäre es ja gut und
kein Konflikt. Mit Redensarten ändert man die Dinge nicht. Wenn
^) Wie öfters in seinen Briefen an die Gräfin, wiederholt Lassalle hier noch
immer wieder aufs neue was er vorher schon geschrieben hat.
123 =====
aber ihre Leute so weit gehen und Sie ihnen soweit nachgeben , daß
wir nicht beide in derselben Stadt Berlin mehr sein können, dann
haben sie Sie eben von mir getrennt und vSie sich trennen lassen.
Dann sind Sie für mich siebenmal schlimmer als tot. Mit Redens-
arten ändert man die Dinge nicht. Nachdem ich in allem nachgegeben
habe, was Sie vernünftigerweise wünschen konnten und in Frank-
furt selbst wünschten, können Sie nicht mehr von einer Schroff-
heit meinerseits sprechen und den Verrat nicht zu einer beide Teile
berücksichtigenden Vermittlung um lügen wollen . , .
41.
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Montag [Düsseldorf, 9. März 1857].
Gnädige Frau!
Mephisto sagt:
,,Wie kannst du deine Rednerei
Nur gleich so hitzig übertreiben?"
Das kann ich wahrlich auf Ihre eben erhaltenen Briefe sagen. Ich
forderte ja nur eine einfache und entschiedene Erklärung, ob Sie — la
police ä part — dort mit mir sein wollen oder nicht. Und da ich diese
Erklärimg immer nicht erhielt, mußte ich argwöhnisch werden. Jetzt
habe ich sie, und damit ist es gut, und ich bin beruhigt. Wie Sie meinen
Briefen ,, Gleichgültigkeit" vorwerfen können (gegen Sie), das bleibt
mir ein wahrhaftes psychologisches Rätsel. Denn wenn ich auch bei der
bloi3en Unterstellung, daß ich das letzte geworden sein sollte von allem,
was Ihnen lieb ist, so abwütete, und wenn ich Ihnen selbst vorschlug,
lieber mit Ihnen anderswohin als ohne Sie nach Berlin zu gehen, so lag
doch gewiß in allediesem Gleichgültigkeit für Sie am allerwenigsten.
Also, la paix! Denn es scheint, daß wir uns gegenseitig mißverstanden
haben.
Was nun mein Hinkommen betrifft, so will ich, wenn Sie und Vater
drauf bestehen, daß ich, auch wenn ich mit der Revision des Werkes
fertig bin, nicht hinkomme — so sehr es auch gegen meine feste Über-
zeugung läuft, daß mein Hinkommen schaden sollte — doch das große
Opfer bringen tmd hierbleiben. Aber natürlich nur dann, wenn Sie
etwa zwischen 25. und 30. März hier ankommen. Denn soll ich dann
hier, ohne alle Arbeit, allein die Wände hinauflaufen? Auch war es
ja immer Ihre Absicht, noch im März hier einzutreffen . . .
= 124 =
Bitte, bitte, wenn ich nicht hinkommen darf (ich armes Schaf, es
wird über mich verfügt gegen meine eigenen Ansichten), so bleiben Sie
mir nicht über den 25. dieses Monats aus. Kommen Sie so früh als
möglich! Ist Ihnen denn gar nicht etwas bange? Seit zehn Tagen bin
ich nicht aus dem Zimmer gekommen. Ivange halte ich dieses Lieben
unmöglich aus.
Über anderes ein andermal.
Ihr
F. lyassalle.
Ich glaube, daß Westphalen doch nutzen könnte. Versuchen Sie
wenigstens Ihr bestes. Wenn es aber sogar Ihre Familie wünscht — ja,
dann sehe ich nicht ein, Nostitz ^) könnte es gewiß ohne jede Schwierig-
keit erlangen. Doch nein; lassen Sie diese Leute aus dem Spiel.
Ich mag nichts durch sie! Wohl aber Westphalen reden Sie zu.
42.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonntag [Düsseldorf, 15. März 1857, Poststempel].
lyiebe Gräfin!
In Ihrem Brief, den Sie ,,sans grande rancime" schließen, haben
Sie in allen Stücken imrecht. Es ist mir sehr langweilig, dies schriftlich
zu beweisen. Ich bin nicht ,, indiskret" gegen die Agnes gewesen. Denn
ich habe ihr die Sache nicht ,, wiedererzählt". Sondern sie formell
darüber zur Rede gestellt. Dazu hatte ich das Recht. Es gibt keine
Diskretion für Sie, die Sie dazu verpflichtet, mir zu verschweigen, wo
man mir zu nahe tritt. Wenn jemand über Sie räsoniert und ich es
Ihnen erzähle, werde ich Ihnen nie das Recht streitig machen, sich,
auf meine Mitteilung berufend, den dritten gebührend zur Rede zu
stellen. (Beiläufig sprach ich nicht von Ihnen, sondern nur von Paul.)
Überdies hatte ich aber auch ganz besondere Motive, die mich
dazu — bloß in einem gegen Agnes gerichteten Sinne — veranlaßten,
die ich aber schriftlich nicht entwickeln kann. Unbegreiflich aber ist,
wenn Sie sagen, ,,es sei im verzeihlich von mir gewesen, zu schwanken,
wem ich glauben sollte". Das war gar nicht der Fall. Es ist seltsam,
wie unrein, i.e. unobjektiv Sie alle Vorgänge auffassen. Ihre Augen sind
^) Graf A. L- F. Nostitz (1777 — 1866), Generaladjutant des Königs, der Schwager
des Grafen Hatzfeldt.
= 125 — —
ein Prisma, durch welches sich alles in falschen Farl)cn bricht. Tags,
ehe ich der Agnes Brief bekam, hatte ich einen von Ilinen erhalten, der
bereits mich auf seltsame Vermutungen bringen mußte durch die
mysteriöse Äußerung, „wenn ich nach Berlin zöge, gingen unsere Lebens-
wege auf lange auseinander". Da das ganz so aussah, als wollten Sie
der Familie wegen nicht mit mir dort sein, fragte ich Sie an, ob vSie diese
rätselhafte Äußerung so oder anders meinten. Ich imterzeichnete Ihr
trauriger F. L.^) Ich erhielt aber fürs nächste keine Antwort. Tags
drauf kam der Brief der Agnes. Ich schickte Ihnen denselben mit einer
bloßen Anfrage,^) erklärend, daß wenn ich nicht grade tags zuvor
jenen Brief von Ihnen erhalten, ich nicht einmal diese Anfrage an
Sie gerichtet hätte. Tags drauf bekam ich eine Antwort auf den ersten
Brief, die aber keine bestimmte Antwort auf die Frage, ob Sie dort,
mit mir gleichzeitig en cas de la possibilite, wolmen wollten oder nicht,
enthielt. Da der Brief aber sehr herzlich war, antwortete ich in einem
langen herzlichen Briefe,^) in dem ich Ihnen sagte, ich glaube es
nicht usw., aber mir wieder eine bestimmte Antwort mit Ja und Nein
auf jene Anfrage erbat.
Hierauf bekam ich einen Brief, der den der Agnes der Unwahrheit
beschuldigte, aber jene bestimmte kategorische Antwort wieder nicht
gab. (Es kommt dies wahrscheinlich daher, daß Sie immer mehre*)
Tage vergehen lassen, ehe Sie antworten und dann auch bei der Ant-
wort nicht noch einmal meine Briefe zur Hand nehmen. So antworten
Sie denn in der Regel ins blaue oder allgemeine hinein, statt auf ganz
Bestimmtes ganz bestimmt zu erwädern.)
Im Gegenteil enthielt der Brief grade wieder die unglücklichen
Wendungen : Sie könnten weder Ihre lyiebe zu Paul noch Ihre Freimd-
schaf t für mich ändern. Sie litten am meisten unter diesen Konflikten usw.
Dies Gerede mußte mich ja ganz handgreiflich in der Meinung be-
stärken, Sie wollten in der Tat der Familie wegen nicht mit mir zu-
sammen dort sein. Denn sonst war ja zu diesem Gerede gar kein An-
laß und kein Konflikt vorhanden. Denn heiraten will ich weder Sie,
noch Paul, noch die Nostitz. Und wenn mich Ihre Familie also darin
nicht stört, was ich allein will, gleichzeitig mit Ihnen in Berlin zu sein,
so ist es gut und ich weiß von keinem Konflikt.
Die larmoyanten Phrasen, die nie was taugen, mußten also als Ant-
wort auf meinen dritten^) Brief, in dem ich bereits vergeblich um
^) Siehe oben den Brief Nr. t^-j .
2) Siehe oben den Brief Nr. 38.
^) Siehe oben Nr. 3g.
^) I,assalle schreibt of ,, mehre" statt ,, mehrere".
^) Siehe oben Nr. 38.
= 120 =
eine kategorische Antwort auf jene Frage bat, mir dieselbe im schlimmen
Sinne hinlänglich zu entscheiden scheinen. Dennoch richtete ich jetzt
noch einmal — jetzt freilich in leidenschaftlicher Weise — die be-
stimmte Anfrage^) an Sie: Wollen Sie en cas que dort gleichzeitig mit
mir sein oder nicht.
Noch als ich den Brief an meinen Vater schrieb, dem ich meinen
letzten an vSie nachträglich beischloß, hatte ich keine Antwort
hierauf . . .
Ist es also meine Schuld, wenn man bei Ihnen nötig hat, zehn
Briefe zu schreiben, um ein armseliges Ja oder Nein zu extrahieren?
Mangel an Bestimmtheit! Wie ich zu sagen pflege . . .
Nun zur Sache: Wenn Sie nicht gegen Ende März kämen, träfen
Sie mich nicht mehr hier. Wenn Sie aber Grund haben, in Berlin Ihre
Kur fortsetzen und deshalb dort noch längere Zeit bleiben zu wollen,
so will ich Sie an dem, was für die Gesundheit nötig ist, nicht
hindern. Denn ich will dann, wenn Vater die Erlaubnis nicht erlangt,
lieber mein Projekt für jetzt ganz aufgeben und nach lycipzig gehen.
Ihre Gesimdheit avant tout.
Jetzt zu der Demarche beim ^) Präsidenten. Ich schicke Ihnen hierbei
das gewünschte Attest . . .
Wenn man mit dem Grund des Werkes durchkäme, so wäre es
besser. Und ich glaube, daß man damit durchkommen müßte. Denn
das weiß ja jedes Kind imd kann Pickwick dem Präsidenten sehr gut
auseinandersetzen, daß es im Rheinland keinen Verleger für Philo-
logie gibt und in Preußen Berlin dafür der einzige Ort ist. Dieser
Grimd scheint mir ebenso gewichtig, anständiger mid dauerhafter.
Freilich muß aber Pickwick gleich auch dabei erwähnen, meine
Ärzte hätten mir noch dazu die Augenkur dort bei Böhm dringend
ans Herz gelegt imd ich verbände auch diesen Zweck damit . . .
Nun endlich, rührt Euch! Ich sitze auf Nadeln. Seit zwei Monaten
sind Sie, seit vierzehn Tagen Vater dort; noch ist noch keine effektive
Demarche geschehen. Sicher ist, daß man einen Weltteil in derselben
Zeit erobern könnte. Ihr plant, statt zu handeln. Wenn ich Kom-
missionen habe, pflege ich etwas anders zu Werke zu gehen. Das weiß
Gott!
Sie und Vater herzlich grüßend, Pickwick sehr zürnend
Ihr
F. lyassalle.
^) Siehe oben Nr. 40.
-) Der Polizeipräsident von Berlin Freiherr von Zedlitz.
= 127 —
43-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Donnerstag [Düsseldorf, i.j. März 1857].
lyiebe Gräfin!
Wie können Sie mir nur so unrecht tun, drauf zu beharren, ich
traute Ihnen nicht. Ich habe Ihnen ja darüber geschrieben, daß ich nur
die Erklärung wollte, und da Sie diese gaben, derselben vollkommen
glaube . . . Ich leide hier fürchterlich. Nicht lyangeweile. Im Gegenteil.
In der beständigen Einsamkeit denke ich immerwährend und habe
grade soviel Dinge im Kopf, die mich fürchterlich aufregen. So tobt
das von früh bis nachts in mir. Manchmal falle ich auf den Stuhl, so
wild jagen mir die Gedanken das Blut durch die Adern, ich schwitze
dann am ganzen lycibe und bin so ermattet, daß ich zittere. Ich bin
auf dem besten Wege, ein Nervenfieber zu bekommen. Ich kann diese
Aufregimg nicht länger aushalten! Wären Sie da, so würde mich das
ausruhen, von diesem konzentrierten Denken und der Unruh ablenken.
Aber so übersteigt es meine Kraft. Ungeduld, Unruhe, Projekte, die
ich habe, treibende Hast — alles schüttert mich so hin und her, daß
ich, von morgens bis nachts darüber denkend, nicht einmal um zwei Uhr
schlafen kann, wenn ich mich lege. Ich kann dies nicht länger aus-
halten. Ich muß diesem konzentrierten Zustand, den ich in der Ein-
samkeit nicht mehr bemeistem kann, eine Ableitimg verschaffen, nach
dem I. finden Sie mich also nicht mehr. Aber wahre Wohltat für mich
wäre jeder Tag, um den Sie früher kommen. Glauben Sie nicht, daß
ich übertreibe. Ich bin im Gegenteil noch sehr unter der Wahrheit.
Dies Brüten, Wollen und Projektieren ohne Unterbrechung, seit Sie
fort sind alle Tage und alle Nächte durch, ist daran, mich total auf-
zuzehren. Kaum kann ich arbeiten, alle Augenbhcke jagt es mich auf.^)
Mit eiserner Kraft muß ich mich wieder auf den Stuhl hinzwängen.
Bloem treibe ich nach Kräften.
Ihr
F.I..
1) Am Sonntag, 22. März, klagte Lassalle dem Vater, daß er ihn weder über
seine noch über Friedlands ,, Operationspläne" auf dem laufenden halte: ,,Mein
Gott, warum schreibst Du mir denn das nicht. Bedenke doch, daß ich hier auf
dem glühendsten Rost liege! Seit drei Tagen bin ich mit meiner Arbeit ganz
fertig. Ach, wenn die Gräfin nicht wäre, der ich es versprochen habe, wie flöge
ich hin und wollte Energie unter Eiich bringen. Denn so scheint doch alles zu nichts
führen zu können. Man schreibt mir nicht, man tut nichts, man teilt mir nicht
einmal Friedlands Pläne und mitgebrachte Moyens mit."
=^==== 128 =^^^==^=^=
44.
IvASSAIylvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Sonntag [Düsseldorf, 22. März 1857].
Liebe gute Gnädige!
Aus Ihrem Brief geht hervor, daß Sie sich nicht recht in meinen
Zustand hineingedacht haben. Denn Sie sagen, Sie bHeben ja auch und
ohne Sie ausfüllende und in Anspruch nehmende Beschäftigung häufig
so lange allein. Aber das Alleinsein ist es nicht. Ich bin ja fast jedes
Jahr, wenn Sie ins Bad gingen, ein bis zwei Monate allein gewesen. Wie
oft in den Gefängnissen viel, viel länger, sechs bis acht Monate! Was
es diesmal ist, ist daß ich grade zu sehr in Anspruch nehmende, zu
aufregende Beschäftigung habe, verbunden mit der praktischen Hast
wegen Berlin. Darum gehen, da ich beständig dem hingegeben bin, die
Gedanken mir ins Blut, das Blut mir ins Gehirn, und ich bin in be-
ständigem Fieber. Das kann ja bei Ihnen nicht sein, wenn Sie allein
sind, weil Ihnen der Grund meiner Aufregimg: die wahnsinnige Kon-
zentration des Geistes auf meine verschiedenen Arbeiten, verbunden
mit der sanguinischsten Ungeduld über die Berliner Entscheidung, fehlt.
Doch bleiben Sie nur immer bis zum i., bis dahin halte ich es schon
aus. Aber länger bleiben Sie mir nicht.
Wenn Sie sich so wegen der Köhier Aktien beunruhigen, dann hätten
Sie dieselben wirklich lieber an Wolff für 40 000 Rt. hingeben sollen.
Aber die ägyptische Reise können Sie aus anderen Gründen dies Jahr
nicht machen. Denn es wäre kompletter Wahnsinn und würde Sie
unendlich gereuen, weim Sie ohne mich dahin gingen. Sie hätten
dann gar nichts davon. Aus tausend Gründen. Es ist sogar ganz un-
möglich, möchte ich sagen. — Ich aber kann diesen Winter noch
keinesfalls. Denn ich bin nun so alt, daß ich erst etwas für meine Un-
sterblichkeit tun muß, ehe ich wieder an mein sterblich Teil denken
kann. Drei große Schläge denke ich bis künftiges Frühjahr geführt zu
haben. Erstens meinen Heraklit, zweitens eine andere Sache, die ich
bereits zu arbeiten im Begriff bin und die mich eben auch furchtbar
aufregt,^) drittens mein ökonomisches Werk. Habe ich diese drei Coups
geschlagen, imd sie sind bis künftigen März geschlagen, so stehe ich zu
Diensten. Sagen Sie doch aber meinem Schwager von mir und dringen
Sie in Ihrem eigenen Namen in ihn, er möchte doch ja seine Reise auch
bis 1858 verschieben. Dann gehen wir alle zusammen hin, was frei-
lich prächtig wäre . . .
^) Lassalle meint das Drama Franz von Sickingen, das er eben begonnen hatte.
= 129 -'
Seit drei Tagen bin ich mit meiner Arbeit fertig. Glauben Sie mir,
es ist ein großes Opfer, das ich Ihnen bringe, daß ich jetzt nicht selbst
nach Berlin fliege, die Operationen meines Heeres zu leiten, denn ohne
mich ist nirgends Energie!
45.
I^ASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
[Düsseldorf, zwischen 22. und 27. März 1857.]
lyiebe Gräfin!
Ich kann Ihnen und Vater nur erwidern, daß nichts mich dahin
bestimmen kann, meinen Abreisetermin von hier über den 12. und,
falls Sie nicht am i. kämen, über den 2. zu verschieben. Meine Gründe
werden Sie aus dem Briefe an Pickwick entnehmen. Ein Breslauer
Gelehrter geht mit einem Heraklit seit längeren Zeiten schwanger.^)
Dies ist sicher. Alle Tage also könnte er möglicherweise erscheinen
und mir meiner sauer verdienten Ivorbeeren gute Hälfte entreißen. Sie
werden begreifen, daß da von Aufschub auch nicht die Rede sein kann.
Sie werden auch die Stimmung und Ungeduld besser begreifen, in der
ich mich befinde, imd die jetzt durch die verimglückten Demarchen bei
den Buchhändlern (Voir den Brief an Pickwick) einen mir nicht mehr
denn höchstens noch wenige Tage erträglichen Höhepunkt erreicht hat.
In der Tat, solange ich nicht einmal weiß, ob ich in Berlin einen Buch-
händler finden imd wie lange Zeit, wie viele Wochen vielleicht ich
damit zubringen muß, mir dort oder in I^eipzig persönlich einen zu
suchen, — so lange kann ich mich gewiß nicht im Traum drauf ein-
lassen, die Reise nach Berlin, die dadurch herbeigeführte Entscheidung
und im schlimmen Falle darauf die Reise nach I^eipzig zur Beschaffung
eines Verlegers zu verschieben.
Ist es nicht merkwürdig, nicht einmal auf eigne Kosten 2) einen
Verleger zu bekommen? Solche Dinge passieren nur mir! Wer weiß,
vier Wochen muß ich vielleicht noch in Berlin oder Leipzig herum-
laufen (ich schreibe an keinen mehr, das hab' ich satt und nützt nichts),
mir einen zu suchen. Und dabei den Breslauer Gelehrten auf den Nacken ?
^) Lassalle meinte Jakob Bernays (1824 — 188 1), von dem 1848 Heraclitea er-
schienen waren.
2) So hatte Lassalle z. B. am 4. März das Werk an Georg Reimer in Berlin an-
geboten, und als dieser ablehnte, weil er fürchtete, es werde sich keine hinreichende
Zahl von Käufern finden, am 7. März noch einmal, freilich wieder vergeblich, der
gleichen Firma geschrieben, er selbst würde sich wahrscheinlich bereit finden, den
Verleger gegen einen etwaigen Verlust durch Deponierung von Staatspapieren
sicherzustellen.
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV q
^=^=^==== 130 —
Und mit alledem meine Abreise von hier, das heißt die Einleitung des
Versuchs, einen Verleger zu finden, auch noch verschieben? Sie werden
jetzt sehen, daß dies immöglich ist. Schon die Vertagung bis zum
12. April kostet mir unendlich viel. Doch Ihr Hiersein wird mich einiger-
maßen beruhigen.
Kämen Sie nicht, so denke ich gar nicht dran, mir diese Qual auf-
zuerlegen, luid könnte es dann auch nicht. Ich ginge dann am 2. heim-
lich nach Berlin und bliebe da, ohne daß es eine Seele wüßte, acht Tage
und würde hierbei auf die Betreibimg meiner Sache wirken können.
Das wäre für mich sogar das beste. Denn Gott weiß, ob und
was Vater und Friedland tun oder vielmehr versäumen . . .
46.
IvASSAI^IvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Düsseldorf, 27. März 1857.
lyiebe, gute Gräfin!
Regen Sie sich nur nicht auf. Es ist ja schon genug, wenn ich es bin.
Beruhigen Sie sich. Sie sprechen in Ihrem Briefe, als hätte ich Ihnen
unliebsam geschrieben. Ich bin wahrhaftig mir dessen gar nicht bewußt.
Sie werden übrigens auch aus meinem letzten Briefe und dem an Pickwick
schon erfahren haben, in welcher fatalen lyage ich bin. Doch Geduld!
Die Gewißheit, Sie in ein paar Tagen hier zu sehen, fängt an, beruhigend
und stärkend auf mich zu wirken. Wegen der Geldaffären machen Sie
sich doch keine Sorge. Die Genfer geben ihre Zinsen. Was kommt es
auf den Kurs an? Das Kölner Unternehmen wird ganz gut werden.
Eben erseh' ich aus der Zeitung, daß auch in Minden eine solche Gesell-
schaft sich gebildet hat. Haben Sie Jassyer gekauft? Tun Sie es, Sie
werden gewiß dabei verdienen. Also beruhigen Sie sich. Ich gebe mir
auch alle Mühe, mich zu beruhigen. Und scheitern alle Bemühungen in
Berlin — nun gut. Dann gehe ich vorläufig nach I^eipzig, aber auf das
meinige will ich es bringen, so oder so. Denn wenn man mich aufs
Äußerste treibt, so habe ich mich entschlossen, ein sehr einfaches Mittel
zu ergreifen, das zwar nicht im Moment mir zu Gebote steht, aber doch
etwas früher oder später sicher eintritt. Ich habe es mir dieser Tage
überlegt, ich lasse mich, wenn man mich au bout treibt und zu arg
schikaniert, ganz ruhig bei der nächsten Wahl für Düsseldorf zur zweiten
Kammer wählen! Sie werden lachen über solche Entschließung. Aber
so schauderhaft es mir selber wäre, in dieser Kammer sitzen zu sollen, —
aufs Äußerste gebracht, ist es mein voller Ernst. Und will ich erst zu
diesem Mittel greifen, so kann sich die Regierung auf den Kopf stellen.
' = 131 =
Sie wird's nicht hindern. Wenn ich mich auf die Beine mache und andre
auf die Beine bringe, so stimmt nicht nur die ganze dritte Wählerklasse
wie ein Mann, sondern auch dreiviertel der zweiten Klasse unbedingt
für mich. Das wollt' ich schon dem Gouvernement zu seinem fröhlichen
Erstaunen durch das Faktum klar beweisen. Es wäre wahrhaft scheuß-
lich! Aber im Notfall bin ich dazu entschlossen, und wenn es mir im
höchsten Grad zuwider wäre, mich in diese Kammer wählen zu lassen,
so müßte es doch der Regierung, sollt' ich meinen, noch weit weniger
erfreulich sein. Sie würde noch weit weniger dabei gewinnen! Und wäre
ich dann auch eine ganz , .vereinsamte Träne" in der Kammer, ich wollte
schon hinreichend Ivärm für dreißig machen. Es wäre eine Stellung,
wie sie z. B. lycdru RolHn imter Louis Philipp einnahm in der fran-
zösischen Deputiertenkammer, auch ganz allein seine Partei vertretend,
was ihn nicht hinderte, dadurch ganz nachhaltig zu wirken. In imsern
jetzigen Verhältnissen war' das noch dreimal mehr der Fall. Denn
selbstredend kömmt es dabei nicht darauf an, auf die Kammer zu
wirken, sondern, die Redefreiheit der Tribüne vmd den Zeitungs-
druck, der den Reden der Deputierten zuteil wird, gebrauchend, über
die Köpfe der Versammlung weg zum Lande zu reden. Hurrjeh! Wie
wollt' ich das, und welches Gemetzel wollte ich anrichten imter den
schlechten, seichten, geistlosen und unwissenden, kraß ignoranten
Reden, die beständig dort von der Ministerbank, der Majorität und der
Opposition um die Wette oberflächlich und salbadernd gehalten werden.
Aber trotz des Privilegiums zu reden und das Gesprochene gedruckt zu
sehen, das ich auf diese Weise hätte und, wenn ich einmal dazu greifen
muß, erstaunlich auszubeuten wissen würde, wäre es mir doch, wie
Sie leicht denken können, ein Äußerstes, ein Leidenskelch, von dem
ich hoffe, daß er an mir vorübergehen wird. Muß ich ihn trinken, so
würde ich ihn auch bis zum Grund ausleeren!
Nun, adieu für heut. Hoffentlich gibt es bald gute Nachricht imd
bewilligt man mir das Jahr, das ich brauche, im Frieden und in Ruhe.
Ihr F. L.
47-
lyASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend nachmittag [Düsseldorf, 28. März 1857].
Gnädige Frau!
Durch Vermittlung des Dr. Bloem bekomme ich eben Ihren Brief.
Abgesehen davon, daß er von der ersten bis zur letzten Zeile in jedetn
=^====^^ 132 =
Wort mein Mißfallen erregt, muß ich vor allem gegen folgenden Satz
desselben :
„ich bringe Ihnen ein wirkliches Opfer (indem Sie nämlich rück-
kommen) schon wegen meiner Gesimdheit mid bringe es reoht
gerne",
entschieden, nachdrücklichst und feierlichst hiermit pro-
testieren.
Sie bringen mir durchaus damit kein Opfer. Mir ist mit diesem
Opfer gar nicht gedient. Ich allein bin es, der dies Opfer brachte,
nicht schon lange hinzukommen. Jedenfalls ist jetzt Ihr Opfer durch-
aus überflüssig imd Ihre Rückkunft mir nur unangenehm. Es wäre mir
weit lieber, wenn Sie dorten blieben . . . Auch würde das jetzt voll-
kommen angehen. Auf meines Vaters Wimsch habe ich ihm eine Ein-
gabe an das Polizeipräsidium geschickt, in dem ich von diesem die Er-
laubnis zu einem sechsmonatlichen Aufenthalt begehre. Diese Eingabe
wird jetzt nun bald entweder abschlägig oder bejahend entschieden
werden . . .
Wie? Ich soll mich wegen der Madame Königin^) nicht öffentlich mit
Ihnen zeigen? Darauf kann ich nur sagen: Auf solche Leisetretereien
lasse ich mich nicht ein. Pfui über den, der sich darauf einläßt! Da
dreht sich das Sprichwort, und ich muß sagen, ehe ich mir solche
Dinge gefallen lasse, da ist mir doch ein Quäntchen Gewalt lieber als
ein ganzer Zentner Güte!
Unbegreiflich, wie Sie mir nur so etwas schreiben können. Auf
solche Konditionen möcht' ich nicht im Himmel sein. Der Engländer
sagt : I am a free man in a free country. lyctzteres kann ich nun freilich
nicht sagen. Aber das kann ich sagen: Ich bin vor allem ein freier
Mann, und das erste vor allem ist mir somit, daß ich in meinen persön-
lichen Beziehungen, in meiner Freundschaft usw. mir keinen Zwang
antue und nicht auf unserer Königin Nase, sondern lediglich auf die
meinige sehe. Dies kund und zu wissen für jedermann, der etwa diesen
Brief lesen sollte.
Ein Jammermensch, wer nicht so denkt . . .
Also von „Opfer für mich" in bezug auf Ihre Rückkunft zu sprechen
haben Sie keinen Grund. Ich protestiere nochmals. Ich bin's allein,
der opfert. Bitte nur, mir anzuzeigen, ob Sie sich zu dem einen oder
andern entschlossen haben, damit ich im betreffenden Fall meine
Sachen packe und mich hinbegebe, wie es das vernünftigste wäre.
Was Sie über den Verlag des Werks in Breslau sagen, ist Unsinn.
In Eile
Ihr F. I..
'^) Siehe unten Nr. 48.
= 133 =
48-
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend abend [Düsseldorf, 28. März 1857].
Gute Gräfin!
Ich schrieb Ihnen schon vor wen'gen Stunden mit dem Kurierzuge
in aller Hast, welches Mißfallen mir Ihr Brief verursacht hat. Dem muß
ich nun noch einiges hinzufügen, teils mich noch näher explizieren.
So ist z. B. folgende Äußenmg in Ihrem Brief: Sie sprechen von
meiner Anwesenheit in Berlin vmd sagen hierüber: ,,. . . sehe ich wiener
in dieser Sache, daß niemand Ihnen so Freund ist wie ich, denn ob-
gleich sie ganz gegen mein Interesse ist, so bin ich es, die
immer drängt und treibt usw."
So? Also ,,ganz gegen Ihr Interesse" ist sie? Ei, warum denn? Sie
sind durch viele Interessen veranlaßt, nach Berlin zu ziehen, Testament,
Paul, Familie usw., und finden es gegen Ihr Interesse, wenn es mir
gelingt, auch meinen Aufenthalt dort zu haben? Begreif 's, wer's kann.
Ich kann solche Äußerungen, dunkel wie die Rätsel der Sphinx, nicht
begreifen, nur ärgern können sie mich.
Denn wenn ich erst dort sein kann — Sie kann ja kein Mensch
hindern, Ihr Domizil dorthin zu verlegen. In der Güte, und wenn die
,,Frau Königin" darüber zu entscheiden hätte, würden Sie es freilich
dann vielleicht nicht erlangen. Aber zum Glück bedürfen Sie auch
solcher Dinge gar nicht, und zum Glück hat darin die Frau Königin
nichts zu entscheiden. Sie stehn dabei auf einem un nehm baren
Rechte. Das lassen Sie mein Kummer sein. Ich habe Ihnen das so oft
gesagt. Auch haben Sie mir nie etwas darauf entgegnen können.
Was nun meinem Schwager gesagt worden ist, die Frau Königin
wolle nicht, daß ich mich öfi'entHch mit Ihnen zeige, daß wir imsere
Freundschaft zur Schau tragen — ja, darauf kann ich nur wiederholen
und bestätigen, was ich schon geschrieben habe.
Es sieht den Hofschranzen ganz ähnhch, daß sie solche Dinge zu
meinem Schwager sagten, aber es ist ganz sicher, daß mich dieselben,
statt von mir berücksichtigt zu werden, nur mit Fug erbittern können,
im übrigen aber wirkungslos an dem Metalle meiner Denkungsweise
abgleiten. Dem Weiber-, dem Unterrocksregiment mich noch zu fügen —
dazu hab' ich schon an und für sich gar keine Lust. Und ich gedenke
auch zu zeigen, daß ich es nicht nötig habe. Ich denke, man wird mich
in Ruhe lassen, und tut man 's nicht, aus solchen Gründen schwer
mich wegbeißen können. — Wir werden nicht zusammenwohnen;
nicht der Frau Königin willen, die das nichts anginge, sondern unsert-
= 134 =
willen. Aber daß ich mich mit Ihnen nicht öffentlich zeigen, meine
Freundschaft mit Ihnen irgendwie und wann verbergen, verschleiern
soll — mein Gott, ich sollte denken, Sie kennen mich genau genug,
um zu wissen, daß ich mir lieber jetzt gleich mit dem Rasiermesser
den Hals abschnitte, als auf solche Schmachzumutimgen einzu-
gehen.
Nennen Sie das nicht Eigensinn! Dies sind Dinge, wo der aufs
einzelne gerichtete Blick der Frau anfängt, seine Kompetenz zu ver-
lieren und des denkenden Mannes gereifte Ansicht die maßgebende ist.
Statt törichten Eigensinns ist die unverrückte Festhaltung dieser
Gesinmmg die Hauptsache im ganzen lieben. Wer einmal davon läßt,
der kann, der wird zwei-, drei-, vier-, allemal davon ablassen imd
rettimgslos versinken in der Gemeinheit tief unergründlichstem
Schlund.
Ich sage, es ist die Hauptsache im lyeben. Denn wahrhaftig, viel
ist an diesem Leben nicht, um das man auf so verschiedene Weise be-
trogen, das einem auf so verschiedene Art verhunzt werden kann. Das
einzige noch, das diesem Leben Würde, Weihe und Bedeutung gibt,
das einzige, um dessentwillen es sich lohnt zu leben, ist echte, freie
schöne Menschlichkeit! Nach außen hin, im Staat, kann man die
jetzt nicht verwirklichen. Das begreift sich, tmd man muß sich ruhig
halten. Aber in uns selbst, im Umkreise unsrer eigenen Indivi-
dualität davon ablassen — das hieße, der uns umgebenden Gemeinheit
die Konzession zu machen, auch gemein zu werden!
Man hüte sich, selbst nur mit solchen Gedanken sich vertraut zu
machen. Es ist eine pente rapide, die schneller als man glaubt, zum
sitthchen und geistigen Untergang führt!
Nein, alle Königinnen dieser Welt werden niemals erlangen, daß
ich meine Freundschaft zu Ihnen verstecken sollte ! Weit lieber, ehe auf
solche Bedingtmgen nach Berlin, noch heute nach Kamschatka! Um
wie viel lieber werde ich es also drauf ankommen lassen, eher Berlin
wieder verlassen zu müssen. Drauf ankommen lassen, sage ich. Denn
es ist keineswegs gewiß, daß dies die Frau Königin gegen mich, wenn
ich bonne resistance mache, durchsetzen wird. Allmächtig ist niemand.
Und es fragt sich, ob die Behörden aus solchen unostensiblen, ihnen —
als doch immer in ihrer eigenen Seele solchem widerlichen Weiber-
regiment gar nicht zugetanen vernünftigen Männern — selber nicht am
Herzen liegenden Gründen mit mir aufs äußerste es treiben würden.
Und wieder dann: ob sie es imter solchen Umständen mit mir durch-
setzen würden.
Was man unter solchen Umständen, wo man das gute Recht
sonnenklar und jedes Menschen, selbst des letzten Polizisten eigenes
=- 135 =
Gewissen auf seiner Seite hat, bei der gehörigen Energie kann — das
wissen Sie nicht; das weiß niemand so genau und gut wie ich. Aber
Beweise habe ich schon davon gegeben.
Genug davon! Ihr Brief hat sicher in dieser Hinsicht nur die Be-
deutung gehabt, mir zu berichten, gewiß aber nicht die, mir dazu
raten zu wollen!
Wegen des ,, Opfers" habe ich Ihnen schon geschrieben.^) Ich kann es
als solches durchaus weder betrachten noch gebrauchen.
Bleiben Sie gern noch einige Monate in Berlin, so konveniert mir
das sehr. Ich wiederhole, Sie haben einen Gewaltschritt nicht zu scheuen ;
das ist Unsinn. Und ich habe, wenn ich erst die Erlaubnis habe, wäh-
rend derselben die Machtfülle der Frau Königin auch nicht zu scheuen.
Das wollt' ich schon beweisen.
Ja, wollte man die Antwort auf meine Eingabe verzögern, so wäre
es das beste — und in jeder Hinsicht vielleicht sehr gut — , ich ginge
sofort nach Berlin und sagte: Hier bin ich! Wie steht's mit meiner
Antwort? Bei den Gründen, auf die ich meine Eingabe gestützt habe,
dem Werk, dem ärztlichen Atteste, gehörte doch gar viel dazu, mich
gewaltsam aus Berlin fortschleppen zu lassen, zumal nachdem durch
die dortigen Demarchen doch so weit vorbereitet worden ist. Es
wäre vielleicht sehr gut; denn auch das Faktum ist ein Gott hienieden
und einen hinkommen zu lassen oder fortzutreiben mit exekutivischer
Gewalt, — das ist schon zweierlei. Zumal bei solchen dringenden Motiven,
die doch noch den letzten Rest von Scham hervortreiben würden, wenn
ich einmal dort bin.
Also, wollten Sie noch längere Zeit dort bleiben, so geht das eigent-
lich mit meinem Wunsch nur Hand in Hand.
Wollen Sie aber kommen, so werde ich Sie erwarten, bis zum i.
abends, auch, damit Sie nicht sagen, ich eile auf den Tag, obwohl
Sie schon früher zurückkehren wollten, bis zum 2. — Ich sage
sogar nicht, daß Sie mich nicht auch später noch treffen würden.
Aber eine Verpflichtung hierzu kann ich für später nicht über-
nehmen . . .^)
^) Siehe oben Nr. 47.
2) Noch am i . April schrieb Lassalle seinem Vater einen zugleich für die Gräfin
bestimmten höchst ungeduldigen Brief, in dem er über den „Egoismus" der Gräfin
klagte und ihr ein Ultimatum stellte: kehre sie bis zum vierten zurück, so wolle
er seine Abreise bis zum zwölften — dem Tag nach seinem Geburtstag — ver-
schieben. Anderenfalls reise er bestimmt am vierten ab. Die Gräfin fügte sich
hierauf und kam nach Düsseldorf.
136 ===============
49.
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend früh [Berlin, Anfang Mai 1857.]^)
Gute Gräfin!
Um doch irgendeinen Totaleindruck zu haben, habe ich bis heute
mit schreiben gewartet.
Ich bin Mittwoch früh imbelästigt hier angekommen, fand Vater
und Pickwick auf dem Bahnhof. Donnerstag früh war ich bei dem
Präsidenten, 2) der mich, obwohl das Vorzimmer voll war, sofort außer
der Reihe vorkommen ließ und sehr höflich mit mir war, obwohl er die
Vorbehalte seines Schreibens sehr betonend wiederholte. Ich habe jetzt
alle Welt gesprochen, außer W., wohl aber dessen Freimde!
Die Sache zerfällt in zwei Teile, in das, was man will, und in das,
was man wird. Anders ausgedrückt in dies, was man bewilligt imd ver-
sprochen hat, und in die Situation. In ersterer Beziehung sieht es eben
nicht viel anders aus, als wir schon von Düsseldorf aus wußten. Im
Gegenteil lag in den Äußerungen des Präsidenten — nach G[oldheims]^)
Interpretation mindestens — , obwohl Sie gar nicht erwähnt wurden,
als würde selbst während der sechs Monate mein Aufenthalt hier
beendet werden können, wenn Sie herkämen. — Ganz anders liegt die
Situation. Ich habe viele Vorteile in Händen und glaube, daß es
mir mit Hilfe derselben gelingen wird, mich behebig lange hier auf-
zuhalten. Ich habe alle Ohren — und das ist schon ein immenser
Vorteil!
Es müßte just ein Machtbefehl von ganz oben sein, der mich in-
kommodieren müßte, und selbst einem solchen gegenüber, glaube ich,
würden sich vernünftige Vorstellimgen zu meinen Gimsten und Gegen-
bemühimgen geltend zu machen versuchen.
En bref bin ich, da der Mensch nicht einmal fürs Ivcben selbst, um
so weniger also für die Inzidentpunkte im Leben Garantien fordern
kann, entschlossen, meine Meubles gleich nachkommen zu lassen und
bitte Sie, dies also zu bewirken.
Außerdem habe ich zu erwähnen:
1) Für die Datierung vgl.LassallesWeihnachtsbrief von 1858. Siehe unten Nr. 105.
2) Der Berliner Polizeipräsident von Zedlitz-Neukirch hatte auf Lassalles er-
neutes Gesuch vom 10. April hin diesem am 25. April die Erlaubnis zu einem
sechsmonatlichen Aufenthalt in Berlin gegeben.
3) Der Pohzeirat Goldheim war vom Polizeipräsidium mit Lassalles Angelegen-
heit betraut.
— 137 — =
1. bin ich verwundert, daß die Bücherkiste noch nicht da ist, ich
brauche sie dringend, denn auch der gewünschte größere Verleger
ist schon gefunden. War es schon, wie ich ankam. i)
2. Die Weinkiste wünsche ich gleichfalls sofort noch vor den Meubles
zu erhalten . . .
Wehmütigen Gedanken wegen meiner Entfernung geben Sie sich
nicht hin. Ich bin jemand, über den Zeit und Raum nicht Macht hat.
Auch die Trenmmg wird keine sehr lange sein. Es wird mir schon ge-
lingen, so Ihnen wie mir hier einen imgeschorenen Aufenthalt zu ver-
schaffen.
Ich glaube, daß meine Kräfte hier mit dem Terrain wachsen werden.
Bloem und Kichniawy herzlichst zu grüßen und nun für heute
Gott befohlen,
Ihr
F. lyassalle.
50.
SOPHIE VON HATZFELDT AN I.ASSALLE. (Original.)
Montag morgen [Düsseldorf, Anfang Mai 1857].
Iviebes Kind, gestern erhielt ich Ihren ersten Brief, was nicht recht
war, mich fast acht Tage auf die Nachricht Ihrer glücklichen Ankunft
warten zu lassen. Nach Ihrem Brief finde ich nun nicht die Aussichten
so sehr beruhigend, allein Sie müssen das besser am Ort beurteilen
können, und da Sie das Arrangement, alle Ihre Sachen gleich kommen
zu lassen, zweckmäßiger finden, so habe ich bereits gestern mit Ein-
packen der Bücher beginnen lassen . . . Ich will jedenfalls meine Woh-
nung zum I. Juli aufgeben imd mich also mit meinen Sachen, [bejvor
ich abreise, darauf richten, denn ich muß sehr darauf bedacht sein,
mich so ökonomisch wie möglich einzurichten; denn meine Finanzen
sind in einem so kläglichen Zustand, daß ich schon mit dem Gedanken
umgehe, so nötig wie ich es habe, meine Badereise aufzugeben.
1) Bekanntlich erschien der Heraklit bei Franz Duncker. Am 20. Mai schrieb
Lassalle in einer Eingabe an Polizeirat Goldheim: ,,Ich habe mit meinem Ver-
leger Kontrakt gemacht. Derselbe, der zugleich eine Druckerei besitzt, hat zur
größeren Beschleunigung des Druckes mehrere Zentner griechische Schrift gießen
lassen müssen. Bloß der finanzielle Schaden, der mich treffen würde, wenn
man mir die Zusicherung jenes Reskripts bricht, würde sich auf über 2000 Rt.
belaufen!" Lassalle bezieht sich auf das Reskript, das ihm den sechsmonatlichen-
Aufenthalt in Berlin gestattete und in dem nicht davon die Rede gewesen war,
daß er die Hauptstadt verlassen müsse, sofern die Gräfin Hatzfeldt ebenfalls
hinkäme.
— 138— -
Sie schreiben mir gar nicht, ob Sie den Bedienten, den ich Ihnen
rekommandiert, genommen haben. Vergessen Sie nicht, es mir zu schrei-
ben, denn es würde mich beruhigen, bei Ihrer Unordnung und über-
haupt einen Menschen, den ich für ordenthch halte, bei Ihnen zu wissen.
Gewöhnen Sie ihn nur gleich an Ordnung und Ökonomie; vorzüglich
muß er ein Buch haben, worin er täglich seine Ausgaben notiert und
Ihnen täglich beim Frühstück vorlegt. Überhaupt rate ich Ihnen
jetzt wiederholt und dringend an, sich selbst ein Ausgabe buch zu
halten. Es ist so leicht, wenn man sich daran hält, jeden Abend die
paar Worte einzuschreiben. Und Sie glauben wirklich nicht, von welchem
großen Nutzen es ist, weil man dadurch allein einen Überblick über
das, was man ausgibt imd ausgeben kann, behält. Ich habe es jetzt
recht wieder an mir selbst empfunden; ich habe voriges Jahr wegen
des vielen Reisens aufgehört, aufzuschreiben und mit Schrecken nachher
jetzt gefunden, daß ich dreimal zu viel ausgegeben habe und mich sogar
sehr verschuldet habe, was gewiß nicht so geschehen wäre, wenn ich
jeden Monat einen Überblick gehabt hätte. Auch fange ich erst jetzt
sehr ordentlich wieder an. Tim Sie es auch, und ich kann Ihnen ver-
sichern, nach sehr kurzer Zeit werden Sie sehr zufrieden damit sein und
die wohltätigen Folgen fühlen. Machen Sie jetzt keine Anschaffungen
in Berlin, vorzüglich nicht, ohne es mir gleich zu schreiben, damit ich
mich hier danach richte . . .
51.
LASSAI.LE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, Anfang Mai 1857.]
Gnädige Frau!
Was Ihr Herkommen anbelangt, so habe ich in betreff desselben
folgendes zu sagen.
Ich sprach neulich mit Dorn wegen Ihres Domizils. Wider Erwarten
war derselbe der Meinung, daß auch bei Ihnen, trotz Ihres gesetzlichen
Rechtes, nicht im geringsten daran gedacht werden könnte, falls die
I^eute nicht wollten, die Sache durchzusetzen.
Es handelt sich also darum, die I^eute wollen zu machen, um so mehr,
als Sie sich ja auf Konflikte gar nicht einlassen wollen. Die Ivcute wollen
zu machen — das werde ich, wenn mich nicht alles trügt, binnen einigem
weit leichter bewirken können als Ihre Schwester! Nur Zeit, Zeit
brauche ich dazu, um so mehr als grade jemand verreist ist, nach dessen
Rückkunft erst gewisse Dinge geschehen müssen, durch die er mich
== 139 — =
in den Stand setzen wird, hierin zu wirken. Wenn ich sechs Wochen
Zeit hätte, würde ich nicht zweifeln, die Sache einrichten zu können,
ohne ja und nein. Aber wenn Sie schon den 25. kommen wollen, das
ist freihch etwas früh. Kommen Sie so spät als möglich. Acht Tage
später sind unter den obwaltenden Umständen ein großer Gewinn.
Ohnehin wird man eklatieren wie eine Bombe, wenn Sie so früh nach
mir ankommen. Aber man wird sich wohl beruhigen müssen, zumal
wenn bis dahin ein hiesiger Freund von mir sein Versprechen verwirk-
licht hat. Jedenfalls können Sie so am i. Jmii wohl kommen, aber
acht Tage vorher muß ich es wissen, muß auch von Ihnen einen Brief
an mich haben, den ich zeigen kann und in dem Sie sagen, daß Sie nur
äußerst ungern und infolge dringender Aufforderung Ihrer immer
kränker werdenden vSchwester kämen. Mit diesem Briefe muß ich zu
Pontius imd Pilatus laufen, um zu verhüten, daß die so früh, ehe ich
mich genügend festgesetzt, erfolgende Ankunft mir nicht schadet. Doch
werde ich mit den gehörigen lyaufereien das wohl bewirken können,
ebenso wie ich, ich wiederhole es, in sechs bis acht Wochen soweit sein
werde, Ihnen Ihr Domizil zu verschaffen,
Zeit und Ich sind zwei!
52.
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin] Sonnabend früh [9. Mai 1857, Poststempel].
Gnädigste Frau!
Ich erhalte soeben Ihren Brief. Es ist auch für mich sehr schwer zu
sagen, was geschehen soll, da ich eigentlich ebensowenig weiß, was tim.
Zwar daß man mich wieder expulsiert, nehme ich nicht an. Erstens
glaube ich wirklich ganz sicher, daß ich das Terrain behaupten werde.
Zweitens würde ich, selbst wenn ich dies weniger fest glaubte, doch
nach meinen Ansichten über kluges und praktisches Handeln, stets mich
so einrichten, als wäre es sicher. Resultate kann man nur dadurch herbei-
führen, daß man sie antizipiert!
Also von dieser Seite bin ich ganz unbekümmert und ganz ent-
schlossen. Um so ratloser aber von andrer Seite. Ich kann nämlich ent-
setzhcherweise keine Wohnung zum i. Juli finden . ..
Ich bin sehr verdrießlich. Eben war mein Buchhändler ^) hier mit
einer Hiobsnachricht. Der Druck meines Werkes kann erst in drei
1) Franz Duncker (1822 — 1888), der bekannte liberale Politiker und Verleger
der ,, Volkszeitung". Für Lassalles Beziehungen zu Duncker vgl. die Einführung
zu Bd. II, S. 22 f.
= 140 =
Wochen beginnen, weil er sich eine große Menge griechischer Schrift
dazu gielBen lassen muß, die nicht früher fertig ist. Ich kann also drei
Wochen hier ganz müßig hegen! Scheußlich!
Sonst gefälltes mir hier sehr gut. Dr. PritzeP) —mein alter Freund — ,
den ich zwölf Jahre nicht gesehen, war neulich bei mir; wir plauderten
von abends sieben bis zwei Uhr nachts! Es geht ihm sehr gut. Er ist
Archivarius der Kgl. Akademie imd Kustos der Kgl. Bibliothek imd
will deshalb heiraten. Gestern war ich bei dem großen Ägyptologen
Dr. Brugsch.2) Ich habe einen ganz erstaunlich liebenswürdigen Mann
in ihm kennen gelernt. Obwohl es der erste Besuch war, plauderten wir
von elf Uhr bis zweieinhalb Uhr. Heut kömmt er zu mir. Schade, daß
ich alle meine Aegyptiaca noch in Düsseldorf habe. Noch tausendmal
mehr schade, daß Brugsch grade in acht Tagen nach Ägypten geht.
Das wäre ein Mann gewesen, wie er mir konveniert vor hmidert andern.
Herumzulaufen habe ich genug. Gestern abend war ich eingeladen
zum Souper bei meiner Cousine Marie ;^) auf morgen bin ich es zum
Diner bei Herrn Gebert; auf morgen abend bei Fräulein Fuhr. Auf
einen andern Abend beim Redakteur des ,, Kladderadatsch", einem
äußerst liebenswürdigen Mann, Dr. Dohm!*) Scherenberg^) ist in vier-
zehn Tagen mit einem neuen Epos fertig : PVanklins Nordpolfahrt, das
er ims dann vorlesen wird.
Aber was nützt mir alle Auslauferei, wenn ich nach drei Wochen
keine Korrektur bekomme und nicht weiß, wo ich wohnen soll ! Oh ! Oh !
Der Brief von Paul folgt hierbei zurück. Ich kann ihn nicht gut benutzen
und jemand zeigen, weil erstlich nicht darin steht, daß Sie herkommen
sollen und er sich überhaupt nicht so ängstlich macht, wie Sie — die
Sie mit dem Herzen lesen — auffassen. Da ist es noch besser, wenn ich
spreche ohne Brief. Da kann ich beliebig mindestens kolorieren.^)
Ihr
F.I..
1) Dr. August Pritzel (18 15 — 1874), der Botaniker und Sekretär der Akademie
der Wissenschaften, war einer der ältesten und nächsten Freunde Lassalles.
2) Für des Ägyptologen Heinrich Brugsch Beziehungen zu Lassalle vgl. Ein-
führung zu Bd. II, S. 19.
3) Marie Lessing.
*) Ernst Dohm (18 19 — 1883), der Redakteur des ,, Kladderadatsch", war
Lassalles Landsmann. Mit ihm wie mit seiner Gattin Hedwig (1833 — 1919) trat
Lassalle von nun ab in freundschaftliche Beziehungen.
'') Christian Friedrich Scherenberg (1798 — 188 1), der bekannte Dichter. Vgl.
Th. Fontane, Christian Friedrich Scherenberg und der Literarische Verein von
1840 — 1860, Berlin 1885.
*) Die Gräfin wollte wegen der schweren Erkrankung der Gräfin Nostitz, ihrer
Schwester, möglichst schnell nach Berlin kommen.
- 141 — =
53-
IvASSAIylvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Dienstag [12. Mai 1857].
Gute gnädige Frau!
Ich bitte Sie also jetzt, mir alle meine Meubles, Bücher und
Sachen — alles ohne Ausnahme — schleunigst zuzuschicken.
Ich habe nämlich endlich gemietet, und zwar eine Wohnung, in der ich
jeden Tag — schon heute — einziehen kann. Bis zum 30. Mai muß ich
aber auch die chambre gamie bezahlen. Mein Hauptzweck aber ist,
bis zum 20. oder 25. die ganze Möblierung imd Einrichtung besorgt zu
haben, und in den letzten Tagen dieses Monats noch dort einzuziehen.
Also senden Sie aufs schnellste alles, denn die Einrichtung imd
besonders die Aufstellung der Bibliothek wird doch gut und gerne zehn
Tage erfordern . . .
Ich habe also gemietet Potsdamer Straße Nr. 131 hautparterre.
Vor dem Hause ein kleines Gärtchen; in dieses geht der Balkon (sehr
schöner breiter Balkon) meiner Zimmer, und vom Balkon führt eine
kleine eiserne Treppe in den Garten. Das Haus reizend schön, Portier,
verschlossen. Das Parterre hoch genug, um nicht sehr feucht zu sein.
Entree. Unmittelbar nach diesem ein Zimmer nach vorn, zweifenstrig,
ziemlich groß (wird mein Salon sein), ein anderes zweifenstriges (beide
nach vom) daneben (mein Arbeitszimmer). Aus diesem geht es in ein
leider beinahe kleines Schlafzimmer und aus diesem wieder in ein un-
geheuer kleines imd schmales Alkovchen, aus welchem eine Treppe in
den Souterrain führt, wo meine Küche ist, die auch sehr klein. Wo soll
ich nun den Diener schlafen lassen? Entweder im Souterrain (der Küche)
oder dem Alkovchen. Beides ist sehr mißlich. In der Küche nämlich ist
es feucht. Und im Alkovchen erstens tmgeheuer eng und dann sehr un-
angenehm, — da er an mein Schlafzimmer stößt — , den Diener so auf
der Nase schlafen zu haben.
Ein Kellerraum imd Boden ist auch dabei, aber weder da noch dort
zu schlafen möglich. Das Ganze ist eine Nußschale, für die ich 285 Rt.
Miete und 12 Rt. für Gasbeleuchtung des Flurs zahle.
Die Vorteile der Wohnung sind ganz subjektiver Natur. Sie liegt
nämlich der Druckerei meines Verlegers, wo mein Werk gedruckt wird,
unmittelbar gegenüber, so daß ich alle Minute in der Druckerei sein
kann und die Setzer gleich unter der Hand habe ; für einen Autor ein
ganz unvergleichlicher Vorteil.
Ferner: Der Druck meines Werkes wird, wie ich Ihnen schon letzthin
schrieb, erst am i. Juni begonnen werden. Müßte ich nun am i. Juli
= 142 -
ziehen, so müßte ich mich wieder auf zehn bis zwölf bis vierzehn Tage
in der Arbeit imterbrechen. So aber besorge ich die Zieherei vor dem
I. Jmii und kann dann ohne Unterbrechung korrigieren . . ,
54.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT.
Mittwoch [Berlin, 13. Mai 1857].
. . , Eben komme ich von N. N.^) Er wollte mir wieder wegen Ihrer
Herkunft den Kopf voll heulen und verlangte nichts weniger, als daß
ich ,, mindestens" währenddessen nach Breslau ginge. Freundlich aber
bestimmt erklärte ich ihm, daß ich mich auf alle solche Dinge nicht ein-
lassen könne und abwarten müsse, was und wieviel man gegen mich
unternehmen würde. Da sagte er mir, Sie möchten wenigstens nicht
vor dem 28. oder 29. d. kommen. Denn Pfingsten ginge der Präsident
auf seine Güter ab und der König nach Marienbad und das wäre also
die beste Zeit zum Herkommen.
Dies finde ich in der Tat vernünftig und meine, daß es Ihnen auch
ziemlich egal sein kann, wenn Sie statt am 25. wie Sie wollten, erst am
28. herkämen.
55.
LASSAI^IyE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Berlin, 22. Mai 1857.]
Gute Gräfin!
Sachen und alles habe empfangen. Bin in größter Arbeit, größer
als Sie denken können. Ich bitte Ihre Ankimft hierselbst jedenfalls
bis auf den 28. zu verschieben. Grund warum, mündlich. Vorläufig
muß ich darauf rechnen können, die Bitte erfüllt zu sehen. Fällt der
Grund fort, aus dem frühere Ankunft mir störend wäre, schreibe ich
oder telegraphiere irgend etwas Beliebiges an Bloem. — Wegen des
Prozesses bitte ich Sie, sich nicht im geringsten zu beunruhigen.
In Eile
Ihr
F.Iv.
^) I^assalle meinte Goldheim. Vgl. hierzu Bd. II Einführung S. i6f.
- - 143 -
56.
IvASSAI^LE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Montag [Berlin, 25. Mai 1857].
Gnädigste Frau!
Was ich dieser Tage gelitten, gekämpft und gearbeitet habe, geht
über alle Beschreibung. Bei 28 Grad R. Diese ungeheure Arbeit mit
den Sachen und doch diese nur Kinderspiel gegen den gleichzeitig ge-
führten Kampf mit den Behörden! Denn, obwohl ich Ihnen wie natür-
lich bisher nichts schreiben wollte, ja, es wogte der männervernichtende
Kampf schrecklich durchs weite Gefilde.^) Jetzt ist es nun gut. Kommen
Sie ganz ruhig den 28. her. Je tins bon et ferme! Wenn ich nicht
fest blieb, ja dann! Also am 28.! Nicht früher und auch nicht später.
Bis medio Juni können Sie jedenfalls hier bleiben. Aber nicht gut länger,
es sei denn einige wenige Tage.
Den Bericht werden Sie natürlich im Brief nicht ei-warten!
Ihr
F.Iv.
P. S.
Eben erhalte ich Ihren Brief mit den leisten. Darin ist die Äuße-
rung: ,,Fürs erste werde ich wohl nicht nach Berlin kommen dürfen,
darüber morgen."
Hieraus scheint mir hervorzugehen, daß Sie möglicherweise von
Ihrer Familie oder von Paul irgend etwas gehört haben könnten, falls
diese etwas gehört haben. Aber was man Ihnen auch geschrieben habe,
Sie haben sich in dieser Hinsicht nur nach dem zu achten, was ich
schreibe, der einzige, der gut unterrichtet ist und der mit den Un-
annehmlichkeiten im Falle Ihrer Ankunft bedroht war. Und ich schreibe
Ihnen, daß Sie ganz ruhig, mibesorgt und offiziell am 28. ankommen
können. Ja, es wäre nach der achttägigen Schlacht, die ich nun ge-
schlagen habe, sogar schädhch, sehr schädhch für die Folgezeit, wenn
Sie nicht kämen! Ich würde dadurch den errungenen vSieg und alle
seine Früchte verlieren, und es würde dadurch für später ganz unmög-
lich werden, während umgekehrt jetzt alles aufs glänzendste steht, und
wenn Sie herkommen und nur vierzehn Tage bleiben, dies die besten
Folgen für später haben wird.
Natürlich kann ich Ihnen hier nichts erklären. Nur um püinktliche
Nachachtung muß ich bitten, eine vertrauensvolle Befolgung dessen,
was ich sage, mit Hintansetzung von allem, was Sie etwa anderweitig
^) I,assalle sollte ausgewiesen werden, wenn die Gräfin nach Berlin käme.
— 144 — =
hören. Sonst war meine Riesenarbeit und Anstrengung umsonst durcl
Ihre Schuld und durch Sie Nutzen in Schaden, Sieg in Niederlage ver
wandelt.
Nur muß ich bitten, daß Sie nicht später als den 28. oder 29. kom
men, allerspätestens den 30. Aber wenn möglich schon den 29. Auf de
Bisenbahn kann ich Sie nicht empfangen. Erwarte aber sofort doppelt«
schriftliche Benachrichtigimg von Ihrer Ankunft durch Klara auf de
Behrenstraße 13, i. Etage, und Potsdamer Straße 131 hautparterre
Also auf Wiedersehen.
Ihr
F. L
Noch einmal, wenn Sie sich durch was es immer sei, abhalten lassen
jetzt zu kommen, so ist alles für immer verloren, während umgekehr
auch für später unendlich gewonnen ist. Ich muß nochmals um pünkt
liehe Nachachtung dieses Briefes bitten. Es hat mir Schweiß genug ge
kostet und bitte ich, nicht zu zerstören, was ich fertig brachte.
Wo bleiben meine Vorhänge?
57-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Montag [Berlin, 25. Mai 1857].
Meine Gnädigste!
Ich lese noch einmal Ihren Brief durch — denn dieser Tage hatt(
ich wohl Zeit, für Sie zu handeln, wirklich aber kaum, Ihre Briefe zi
lesen — imd finde darin die Frage, ob ich Sie schon ganz vergessen
Nim, wie ich vergesse, werden Sie bei Ihrer Hierherkunft erfahren !
Mit demselben Zuge, mit dem dieser Brief geht, habe ich Ihnei
bereits einen — auswendig an Bloem adressierten — geschickt. Icl
kann nur hier wiederholen in aller Kürze: Jetzt ist es sogar gan:
notwendig, daß Sie herkommen, und zwar nicht später als zwischei
dem 28. tmd 30. Hätten Sie mir nicht vor einiger Zeit so sehr bestimm
und trotz meiner Gegenvorstellung geschrieben, Sie wollten und müßtet
jetzt herkommen, so hätten Sie mir freilich ein rasendes Stück Arbeit
einen tmgeheuren Kampf erspart. Jetzt aber ist er nicht nur einma
durchgekämpft tmd zu Ende gebracht, sondern die Sache würde siel
auch in ihr absolutes Gegenteil verkehren, wenn Sie nun nich
kämen. Es würde dies jetzt von einem nicht wieder gutzumachender
Schaden sein. Erklären kann ich Ihnen dies nicht. Sie müssen glaubet
und jedenfalls kommen, wenn ich nicht sehr kompromittiert
-^ 145 =
abüsiert und für immer davon zurückgebracht sein soll, wieder eine
Lanze einzulegen!
Also am 29. sind Sie hier. Wo sind meine Vorhänge und das vierte
Rouleau? Ihr
F.I..
58.
SOPHIE VON HATZFBIvDT AN LASSALLE. (Original.)
Dienstag früh, Kurierzug [Düsseldorf, 26. Mai 1857].
lyiebes Kind! Soeben erhalte ich Ihre zwei Briefe, einen durch
Bloem, die mich in ein wahres Fieber von Aufregung versetzen. Ich
hatte Ihnen allerdings, [be]vor Sie weggingen, gesagt, ich müßte Ende
dieses nach Berlin, weil es mich so sehr drängt, im klaren zu sein
wegen des Domizilwechsels und wegen Klara, die es so sehr wünscht.
Allein nach dem, was Sie mir dunkel darüber schrieben, wie schwierig
es sei, was mir von anderer Seite bestätigt wurde, daß es fest stände,
daß entweder ich die schlimmsten Konflikte habe oder Sie trotz allem
gleich wieder weggeschickt würden, was ja nur bestätigte, was ich selbst
gehört, habe ich in der gänzlichen Ungewißheit alle Vorbereitungen hier
aufgegeben und sozusagen schon darauf renonciert, jetzt hinzukommen;
da es doch einmal zu schrecklich wäre, wenn Sie wieder ausgewiesen,
weil ich gar nicht in dem Zustand bin, Konflikte zu ertragen imd dann
weil Klara^) schon jetzt durch die Möglichkeit derselben so auf geregt und
verschlimmert, daß mich der ärgste und verdiente Tadel treffen würde,
wenn ich etwas täte, was ihr schadete. Überdies würde man mir dies
auch so übelnehmen, daß man feindselig gegen mich auftreten würde,
und dadurch wäre ja alles verdorben, auch für die Zukunft. Es muß
also felsenfest sicher stehen, daß keine Konflikte irgendeiner Art
zu befürchten stehen, wenn ich jetzt komme. Sie drücken sich so
dunkel aus und daß es nur bis zum 15. möglich sei, daß ich sehr
wünsche, daß Sie mit Paul darüber sprechen, ihm alles exphzieren,
wobei Sie dann auch erfahren, was man auf der andren Seite über die
Sache weiß. Ich bitte Sie also, Paul gleich nach Empfang dieses Briefes
ein paar Worte zu schreiben, ihm zu sagen, daß Sie Wichtiges mit
ihm zu sprechen und ihm ein Rendezvous auf morgen abend zu
geben imd mit ihm die Sache zu besprechen, denn er kaim mir leichter
sofort Mitteilung machen. Ich richte mich unterdes so ein, daß ich am
I. abreisen kann, wenn es dabei bleibt. Seien Sie aber mir zuliebe
fretmdlich und nachsichtig soviel wie möglich . . .
^) Die Gräfin Nostitz.
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV lO
— =^ 146 =
59.
IvASSAI^IvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Mittwoch früh [Berlin, 27. Mai 1857].
Ihr eben erhaltener Brief versetzt mich in eine ganz andere Auf-
regung als die, in der Sie sich befinden können. Es geht wirklich zu
weit, und nur einem Narren wie mir können derartige Dinge begegnen!
Ja, es ist wahr. Sie hätten mir einen sehr, sehr großen Gefallen getaii,
wenn Sie jetzt nicht hätten herkommen wollen oder auf meine Gegen-
vorstellung nachgegeben hätten. Sie taten das nicht. Meine Freimde
beschworen mich — als aus Düsseldorf das Faktum Ihrer bevorstehen-
den Abreise hergemeldet wurde und infolgedessen mir offiziell meine
sofortige Ausweisung für den Fall Ihrer Ankunft angezeigt
wurde — , Sie zu bitten und zu beschwören, nicht jetzt herzukommen.
Ich wies dies standhaft zurück, denn ich bin jemand, bei dem die Phrase
Ernst ist, und ich wollte Ihnen meinetwegen keine Gene imd keine Ent-
behrung auferlegen! Dies Devouement, welches nur bei einem solchen
Narren, wie ich bin, denkbar ist, belohnen Sie jetzt herrlich! ! Ich habe
Ihnen nicht einmal die Dinge mitgeteilt, weil ich in keiner Weise durch
die Vorstellung, was mir geschehen würde, auf Sie drücken woll te. Ich
habe die ganze Zeit über die Sache für mich behalten und für mich
allein durchgekämpft ! Ich war infolgedessen genötigt, Dinge zu wagen,
wie sie kein sinniger Mensch in meiner Ivage gewagt hätte! Dennoch
schwankte ich nicht! Acht Tage, in den fürchterlichsten Hitzen, während
ich alle meine Sachen fremden Menschen überlassen mußte, war ich
in der fürchterlichsten Pein und Marter ! Ich hielt fest ! Es ist mir ge-
glückt, was eben unter Hunderttausenden keinem glücken wird! Und
jetzt kommen Sie hinterher, blamieren mich und tun mir wie Ihnen
für die Zukunft den allergrößten, nicht wieder gutzu-
machenden Schaden! Glauben Sie denn, daß Fakta beliebig rück-
gängig zu machen sind? Daß man mich beliebig en avant treiben imd
hinterher blamieren kann? Ich kann Ihnen nur folgendes sagen: Am
30., allerspätestens am 31. treffen Sie hier ein (wegen der Scheuer-
schen Sache halten Sie sich nicht auf ; das hat Zeit und besorgt Bloem
ebensogut). Über den 15. bis 17. werden Sie schwerlich bleiben können
ohne Unannehmlichkeiten für mich (von Unannehmlichkeiten für
Sie ist nie die allergeringste Rede gewesen).
Wenn Sie dies nicht tun, so würde ich mich nie um irgend etwas
mehr, was Sie anlangt, bekümmern. Wenn wir zusammen sind und Sie
meine Gründe abwägen können, dann können Sie meinetwegen mir
widerstreiten, soviel Sie wollen. Aber auf die Entfernung hin und wenn
-= 147 - ==
ich so deutlich verlange, wie ich schon leider in meinem letzten Brief
mußte, da verlange ich pünktlichen und blinden (iehorsam, sonst
ist es mit unserer Freundschaft entschieden aus. Ich mag keine
Ivcute, auf die ich mich nicht verlassen kann !
Schon dadurch, daß Sie mich zwingen, Ihnen diese Briefe zu schreiben ,
quälen Sie mich aufs äußerste. Denn wenn sie gelesen würden, würde
ich von neuem alles Mögliche riskieren und uns jedenfalls der un-
wiederbringlichste Schaden erwachsen!
Ihren Herrn Sohn darüber zu sprechen, fehlt mir zuerst die Zeit,
dann die Möglichkeit — denn ich würde ihm doch kaum ein Zehntel
mitteilen können; es muß alles ganz unter uns bleiben — und endlich
die Lust. Wenn ich einmal Ihrem Herrn Solme einen Dienst erweisen
soll, so stehe ich ganz zu Befehl. Aber als Beirat kann ich ihn nicht
gebrauchen. Ich weiß selbst, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ebenso-
wenig werde ich von ihm irgend etwas erfahren, was mir unbekannt
wäre. Da müßte er wie Nostitz doch weit früher aufstehen!
Über die falsche Rolle, die Ihre Familie spielt, die Beweise bei
Ihrem Hiersein. Übrigens ist sie ebenso jämmerlich schlecht imter-
richtet als falsch; während ich dagegen absolut unterrichtet bin.
Die Punkte anlangend, in denen Sie mich um Rat fragen, so kann
ich Ihnen zur Zeit gar keinen geben. Kommen Sie zuvor den Rat-
schlägen nach, die ich Ihnen gebe, ehe Sie das Recht haben, Rat von mir
über anderes zu fordern.
Bis zu Ihrer Herkmift erhalten vSie keinen Brief von mir, auch
keine Antwort. Ich habe auch keine Zeit dazu. Am 30., spätestens
31. müßten Sie, wie gesagt, hier sein.
Es ist eine Schande, wie Sie diesmal meine Zuverlässigkeit mit
so schnöder Unzuverlässigkeit vergelten ! Ich bin sehr aufgebracht, und
bei der geringsten Schwierigkeit, die Sie etwa machen, oder Nicht-
befolgung, entschlossen, Sie dem Kultus Ihrer Familiengötter ganz
und gar zu überlassen. Parole Lassalle! Ich werde schon Potsdamer
Straße 131 wohnen.
F.L.
60.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSAI.LE. (Original.)
Donnerstag [Düsseldorf, 28. Mai 1857].
Soeben erhalte ich Ihren Brief und kann Ihnen nur mit Ihren eigenen
Worten antworten, daß dies wahrlich zu weit geht und daß alle Sachen,
die ich nicht nur diese letzten Monate, sondern seit zehn Jahren
= 148
erduldet habe, nur einem Narren wie mir passieren können, der sich
dahin bringen läßt, jeden eigenen Willen und Zweck, jede Persönlich-
keit aufzugeben, und ferner, wie ich das Ihnen schon oft gesagt, daß es
Ihnen sogar mir gegenüber, sobald es Ihre Heftigkeit gilt, Ihnen irgend
etwas nicht nach Ihrem Sinn geht oder ich nicht sklavisch genug, blind-
lings genug gehorche, auf die Wahrheit gar nicht ankommt.
Ihr Brief enthält von A bis Z falsche Tatsachen. Als Sie mich während
meines Aufenthaltes in Berlin so sehr quälten, schimpften und
drängten, was sich, wie ich es voraus wußte imd später sich heraus-
gestellt hat, ganz unnütz war, habe ich Ihnen wiederholt geschrieben,
wie es Ihre Antworten, die ich gestern rangiert, beweisen, daß es
tmmöglich für mich sein würde, während Ihrer Anwesenheit wieder
nach Berlin zu kommen. Darauf antworteten Sie mir, daß Sie das
durchaus nicht wollten, daß ich hinkommen müsse, daß es Ihnen
ganz recht sei, wenn ich gleich nach Ihnen einen Tag später käme,
das sei Ihre Sache. Ich schrieb Ihnen umsonst, welche Hindernisse
entgegenständen, Sie blieben dabei, indem Sie sehr unwillig über
meinen Widerstand waren. Dies beweisen Ihre Briefe. Bei der-
selben Meinung blieben Sie nun auch hier im mündlichen Gespräch.
Daraufhin richtete ich alles in Berlin dahin ein und versprach, Ende
Mai auf kurze Zeit wieder hinzukommen. Ich sagte Ihnen, daß es
spätestens bis 25. sein müßte, weil ich nicht so spät nach Wildbad
darf, da es mir imtersagt ist, während den großen Hitzen dort zu
baden, wie Sie es sich auch noch aus vorigem Jahr erinnern könnten,
daß ich die Bäder deshalb aussetzen mußte. Niemals aber ist es mir
eingefallen, zu denken oder zu sagen, daß ich auf jeden Fall und
unter allen Umständen, es möchten die Sachen noch so schwierig
stehen, wollte [ich jedenfalls] jetzt nach Berlin kommen. Ich habe
Ihnen im Gegenteil stets gesagt, daß ich mich keinem Konflikt, weder
mit den Behörden noch anderweitig, aussetzen wolle imd könne. Hätten
Sie mir, seitdem Sie dort sind, geschrieben, wie schwierig die Sachen
ständen, hätte ich sogleich darauf verzichtet. Aber Sie schrieben mir
gar nichts darüber, sondern nur dunkel, ohne Angabe von Ursache,
daß ich meine Reise einige Tage verschieben solle. ^) Da nun überdies
durch die Ungewißheit der I^age und daß Sie keine Wohnung finden
konnten, die Absendimg Ihrer Effekten, die mir welche Zeit, Mühe
und Arbeit gekostet, um es Ihnen auf das bequemste einzurichten,
viel Zeit für mich verloren gegangen war, die mir nun fehlte, um meine
eigenen Sachen in Ordnung zu bringen und Arrangements zu treffen, da
ich überdies durch die plötzlich eingetretene Hitze und des vielen Ar-
beitens während derselben sehr imwohl, sehr angegriffen bin, sowohl wie
*) Siehe oben Nr. 55.
= 149 — =
durch die Gemütsunruhe und mir Gerhardi^) entschieden diese neue
Anstrengung der Reise nach BerHn auf so kurze Zeit vor Wildbad abriet,
Weil ich zugleich von der anderen Seite Nachrichten erhielt, welche meine
so schnelle Ankunft als sehr gefährlich für Sie imd nachteilig für
mich erscheinen lassen mußte, verzichtete ich darauf, bevor ich Ihren
Brief erhalten, und schrieb dies nach Berlin. Ich mußte glauben, darin
noch viel mehr in Ihrem Interesse als in dem meinigen gehandelt
zu haben, da ich ja vollständig in Unkenntnis war über das, was Sie
in Berlin unterdes taten.
Woher verdiene ich nun die maßlosen Vorwürfe und Drohungen?
War ich nicht viel mehr berechtigt, zu glauben, daß ich Anerkennung
für meine Rücksichten verdiente? Wenn es aber alles auch wirkHch
nicht so sich verhielte, wie es sich in der Tat verhält, wenn es so wäre,
wie Sie sagen, was nicht der Fall ist, daß ich Sie bedroht, jedenfalls
am 25. nach Berlin zu kommen, ist denn damit die Möglichkeit
ausgeschlossen, daß ich mich derzeit eines anderen und besseren be-
sonnen? Wäre es ein Majestätsverbrechen gegen Sie, wenn ich aus Rück-
sicht auf meine Zeit, meine Gesundheit, auf Konflikte, die mich in die
peinlichste Lage versetzen, auf die Gesundheit meiner aui so schmerz-
liche Weise sterbenden Schwester, um mir nicht für später den Aufent-
halt in Berlin wenn nicht gradezu immöglich, doch jedenfalls unerträg-
lich zu machen, vor allen Dingen aber, um nicht, nachdem alle so
kostspielige imd mühsame Einrichtimgen gemacht, Ihren Aufenthalt
zu kompromittieren, meine Meinung geändert hätte? Vorzüglich, da
ich von Ihnen in Unkenntnis gelassen wurde, was Sie in dieser Be-
ziehtmg taten, und durch Ihr Hinhalten die Überzeugung haben mußte,
daß Ihnen mein Entschluß, nicht jetzt zu kommen, sehr erwünscht
sein würde? Sie schrieben mir noch vor fünf Tagen, nicht eher zu
kommen, bis Sie es mir schrieben, und daß Ihnen jetzt wiederholt
worden sei, Sie müßten, wenigstens während ich da sei, fortgehen. —
Hierauf schrieb ich Ihnen, daß ich nicht kommen würde. Und
dafür werde ich jetzt wieder von Ihnen auf das schimpf Üchste aus-
gezankt wie für die größten Unwürdigkeiten \md mir, wie dies jetzt
bei Ihnen stets der Fall, wenn ich mich nicht wie ein Automat in alle
Ihre Ideen sogleich füge, mit Brechen aller Freundschaft und Umgang,
mit Verachtimg sogar bedroht!! Diese immerwährenden Gemüts-
bewegungen, in die mich Ihre Heftigkeit, Despotismus und wirkliche
Rücksichtslosigkeit versetzen, reiben wirklich meine Kräfte auf und
machen mich so melancholisch, daß mir nichts anderes wird übrig
bleiben, um allen wahrlich unverdienten Vorwürfen zu entgehen und
das bißchen Ruhe, das ich so nötig habe, zu finden, als mich, von allem
^) Der Arzt der Gräfin in Düsseldorf.
^ 150 —
entfernt, in eine gänzliche Einsamkeit zurückzuziehen, da für mich
nirgends mehr ein ruhiger Platz im Leben.
Wollen Sie sich einmal mit einiger Gerechtigkeit einige Fragen an
sich stellen. Wenn Ihre Bemühungen nicht gelungen wären, wenn man
dabei geblieben, daß wir nicht zusammen jetzt in Berlin wären, glauben
Sie, daß ich alsdann nicht unbedingt meine Reise aufgegeben hätte?
Waren Sie davon nicht im voraus überzeugt? Hätten Sie es nicht
auch verlangt? Also von diesem Entschluß, jetzt nach Berlin zu
kommen, hätte ohne Verbrechen abgegangen werden können, wenn
es für Sie nützlich. Warum ist es ein Verbrechen, wenn ich mich über-
zeugt, daß es mir Verdruß und Nachteil bringen würde, wenn ich
gleich käme? Überdies war, als ich den Vorsatz aussprach, am 25.
nach Berlin zu gehen, nicht davon, was Sie mir jetzt anzeigen,
die Rede, nämlich daß ich am 14. spätestens wieder fort-
müsse, und ich wäre vollständig berechtigt, zu erklären, daß mir diese
fatigante Reise auf so kurze Zeit nicht konvenieren kann, um so mehr,
als ich Ihnen stets geschrieben, daß ich, wie auch ganz natürlich, acht
Tage voraus wissen müsse, ob ich kommen könne oder nicht, und daß
dies die Lage der Dinge ganz ändere, indem ich meinen immer aus-
gesprochenen Zweck, meine Domizilierung zu erlangen, nicht in
ein paar Tagen erlangen könne und somit jeder Zweck jetzt wegfiele.
Sie sagen ferner, Sie verlangen von mir pünktlichen und blinden
Gehorsam, sonst sei es mit unserer Freundschaft aus. Wollen
Sie einmal sich die Frage stellen, [ob], wenn Ihnen immer eine solche
Alternative gestellt würde, was Sie dazu sagen, was Sie tun würden
imd [ob] welche Größe von Dankbarkeit Sie vermögen würde, sich in
eine solche Stellung zu fügen? Sie haben gar nicht die Entschuldigung,
daß Sie mir nichts mitteilen konnten, denn Sie hatten alle Leichtigkeit,
durch Dorn an Bloem zu adressieren und mich in den Stand zu setzen,
ob ich unter diesen Umständen und Restriktionen kommen wolle oder
nicht. Verlangten Sie denn nicht stets, als ich in Berlin war, alles
genau mitgeteilt und auf meine Bemerkung, daß die Briefe gelesen
werden könnten, wurden Sie da nicht wütend und sagten, das mache
Ihnen gar nichts? Dies ist der wahre Verlauf und die wirkliche Ge-
rechtigkeit der Sache.
Ich kann nun nicht leugnen, daß ich unmöglich einzusehen ver-
mag, wie, durch welche Umstände es auch sei, es Ihnen oder mir
schaden kann, wenn ich jetzt nicht komme, da es doch dasjenige ist,
was alle Leute in Berlin immer gewollt und gewünscht haben. Und ich
kann ebensowenig begreifen, warum, wenn es möglich war, jetzt so
schnell nach Ihrer Ankunft die Erlaubnis zu erlangen, daß ich auch
hinkann, warum dies nach meiner Badekur nicht ebenso möglich und
-^= 151 — —=
noch leichter sein soll. Inwiefern es Sie nun gar blamieren soll, weiui
ich jetzt nicht gleich komme, ist doch gar nicht zu begreifen, lis gibt
(loch so viele wirkliche und plausible Gründe, die es, abgesehen vom
Willen, so oft nötig machen, eine Reise auf einige Zeit zu verschieben,
daß das jedem einleuchten muß, Geschäfte, Krankheit, und krank bin
ich weiß Gott jetzt.
Die Sache steht also nun so. Ich hatte auf Ihre Mitteilungen der
Schwierigkeiten und Verzögerungen die Reise jetzt aufgegeben und
diesen Entschluß nach Berlin mitgeteilt. Es war mir von andrer Seite
ebenfalls mitgeteilt worden, wie durchaus unzweckmäßig und schlinun
mein so schnelles Hinkommen nach Ihnen sein würde und wieviel
Unannehmlichkeiten daraus entstehen würden. Heute erhalte ich zu
gleicher Zeit mit dem Ihrigen einen andren Brief, worin man mir wieder-
holt sagt, daß [alles] die Möglichkeit eines dauernden Aufenthaltes mi-
bediugt aufs höchste kompromittiert sei, wenn ich jetzt gleich hin-
komme; es sei doch nur eine kleine Rücksicht der Zeit, in ein paar
]\Ionate[n] würde sich ja alles beruhigt haben und wahrscheinlich
niemand mehr sich darum bekümmern. Werm ich jetzt das Domizil
verlange, würde es sicher abgeschlagen und nachher natürhch alles
viel schwieriger sein. Vorzüglich aber beschwört man mich, aus Rück-
sicht für Klara jetzt nicht gleich zu kommen, sie sei so beunruhigt
und angegriffen durch die als sicher angesehenen Fatalitäten und
Konflikte, daß sie viel kränker geworden . . .
Es ist mir überdies ganz unmöglich, in zwei Tagen plötzlich
nach Berlin abzureisen, ich brauche wenigstens sechs bis acht Tage
dazu, und da meine Erlaubnis bis zum 14. limitiert ist und ich mich
keinen Falls einem längeren Aufenthalt aussetzen würde, so würde ich,
wenn Sie darauf bestehen, vier, fünf Tage in Berhn zubringen. Ist
das der Mühe wert? Kann das einen Zweck haben? Ich kann aber nicht
früher abreisen, weil ich nicht vorbereitet und weil ich krank bin,
jetzt nach meiner Rückkehr von Köln stark geschröpft werden mußte
und mich einige Tage unbedingt ganz ruhig halten muß. Jetzt habe
ich Ihnen alles gesagt, was nach meiner schwachen Einsicht wahr und
vernünftig ist. Es ist meine feste Überzeugung immer gewesen und ist
es mehr denn je, daß Ihre Wünsche und Zwecke in Berlin nur durch
große Vorsicht und Rücksicht Ihrer- wie meinerseits im Anfang erreicht
werden können, daß, wenn Sie aber die Sache auf die Spitze treiben
und meine Familie, die bis jetzt gar nichts dagegen tut, sich im Gegen-
teil vermittelnd und wohlwollend bis jetzt verhält, dahin bringen, feind-
selig aufzutreten, ganz gewiß und auf immer jede Hoffnung verloren ist.
Jetzt wende ich mich an Ihr Herz ; ich weiß, daß ich durch Krank-
heit und lange Unselbständigkeit so schwach geworden, daß, wenn
= 152—
Sie darauf bestehen, ich gegen meine Überzeugimg mit schwerem
Herzen dennoch jetzt auf ein paar Tage nach Berlin kommen werde.
Aber ich bitte Sie : drängen Sie mich nicht stets in eine so fürchterliche
lyage, drängen Sie mich nicht immer zu eine Wahl zwischen Ihnen und
Paul; wie diese auch ausfallen möchte, ich wäre rettungslos unglück-
lich imd verloren, und was hätten Sie von einem solchen Sieg? Ich kann
Ihnen versichern, daß ich, abgesehen von allen Gründen der Dankbar-
keit, eine recht wahre Freundschaft für Sie habe, dai3 diese niemand
erschüttern kann. Aber mißbrauchen Sie nicht die Gewalt, die Sie über
mich erlangt haben, um mich unglücklicher zu machen, als es die Ver-
hältnisse nötig machen. Adieu, ich bin erschöpft.^)
6i.
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIyDT. (Original.)
Sonnabend (Berlin, 30. Mai 1857].
Trotz des größten Willens, die Ruhe zu behalten, muß man zur un-
aussprechlichsten Indignation durch das Lügengewebe Ihres Briefes
hingerissen werden.
Der Sachverhalt, den ich sofort urkundlich belegen werde, ist
folgender :
Kurz nach meiner Ankimft hierselbst teilten Sie mir mit, daß Sie
am 25. hier ankommen wollten. G[oldheim] erklärte mir auf meine
eventuelle Anfrage, daß dies die schlimmsten Folgen für mich haben
könne, und unter seinem imd meines Vaters Drängen und um nicht
den eben gewonnenen Aufenthalt so schonungslos ruiniert zu sehen,
schrieb ich Ihnen, bittend, jetzt nicht zu kommen. Darauf antworten
Sie mir mit folgendem Briefe, dessen betreffende Stelle ich wörtlich
hier folgen lasse. Ich bemerke noch, daß die imterstrichenen Worte
nicht von mir, sondern von Ihnen unterstrichen sind:
,,Was mich betrifft, so kann ich es nicht umgehen, Ende des
Mai nach Berlin zu kommen, denn meine arme Schwester wird immer
kränker und verlangt danach (also die Schwester verlangte die
^) Am folgenden Tage schreibt die Gräfin noch einmal in dem gleichen Sinn
einen kürzeren Brief an Lassalle. Sie weist aixi die Gefahr hin, die für ihre Domizilie-
rung in Berün daraus erwachsen könnte, wenn Graf Nostitz, was er bisher nicht
täte, einer solchen sich widersetzte. Am Schluß heißt es: ,,Wenn Sie darauf ä tout
prix bestehen, daß ich jetzt komme, werde ich es tun, denn ich habe keine Kraft
zu einem Kampf mit Ihnen, tmd es tut mir auch immer zu leid, mich ernstlich
mit Ihnen zu entzweien, aber dann auch auf Sie die Verantwortung, wenn Sie
mir dadurch Berlin für immer unmöglich machen . . ."
— 153 =
Herkunft, dieselbe, welche sich jetzt derselben opponiert) ; ich kann
es um so mehr nicht unterlassen, als ich sonst wegen der Reisen,
die ich später zu machen habe, sehr lange sie nicht sehen könnte,
tmd wer weiß, wie lange sie noch lebt. Ich schicke Ihnen hierbei
einen Brief von Paul, woraus Sie ersehen, wie schlecht es mit ihr
steht, und daß ich also nicht abschlagen konnte, hinzukommen.
Sagen Sie das denen, wo es nötig und gut ist, und schicken mir
Pauls Brief zurück. Übrigens kann man doch unmöglich Sie ver-
antworthch machen wollen für das, wofür Sie nicht können, imd
die Ursache meiner Reise ist so klar und gewichtig, daß man
doch auch nichts dagegen einwenden kann, und überdies würde
ja meine Anwesenheit diesmal von keiner langen Dauer sein können.
Ich zweifle nicht daran, daß es Ihnen gelingen wird, zu überzeugen,
daß die Ungerechtigkeit doch zu groß sein würde, Sie deshalb zu
quälen oder mich [von] an der Erfüllung solcher Pflichten
und natürlichen Gefühle zu hindern, was ja gar nicht angehen
würde."
Ja, dieser Brief war eine Grausamkeit gegen mich in meiner Lage.
Alle meine Fretmde meinten, es sei unerhört, daß Sie so meine wesent-
lichsten Existenzinteressen Ihren Familienbeziehungen aufopferten und
drangen in mich, Ihnen nochmals mit größter Energie zu schreiben,
mir Ihren Wunsch zum Opfer zu bringen. Anders Ich! Ich wollte nicht
Ihnen in Ihren Herzensbedürfnissen in den Weg treten. Ich sagte mir,
daß es der Mann sei, der im Falle des Konflikts ihn durchzukämpfen
hat und wenn er dabei zugrunde ginge, imd daß es eine schlechte Rolle
von dem Manne sei, vom Weibe zu fordern, durch Opfer die Konflikte
zu beseitigen. Die Rücksichtslosigkeit, die in dem Briefe lag, die Hinten-
ansetzimg meiner hinter Ihre andern Interessen entging mir nicht. Aber
ich betrachtete diese Rücksichtslosigkeit als Ihr Recht. Ich devouierte
mich. Ich nahm die Stellimg, die Position, die Sie mir machten, an,
wie in der Schlacht eine Abteilimg, die sich zum verlornen Posten be-
stimmt.
Ich begnügte mich also zu antworten, es wäre gut; doch sollten Sie
nicht vor dem 28. kommen.
Einige Tage darauf, und das Donnerwetter brach los. Meine Aus-
weisung erfolgte. 1) Selbst von seiten der höchsten Behörden drang man
in mich, einen Ausweg zu akzeptieren, einen zu finden usw. Aber ich
hatte mich resigniert, Ihren Willen nicht zu konterkarieren ! Ich wankte
nicht sondern ergriff die einzigen Mittel, die mir übrig waren. Ich setzte
mich wieder einmal auf die Karte, meinen ganzen Aufenthalt hier,
^) Vgl. Paul Bailleii, Lassalles Kampf um Berlin, „Deutsche Rundschau"
Jahrgang 29 (1903).
= 154 =
meine Existenzinteressen, meine Existenz selbst — ich spielte
alles, tmd zwar mit einer Chance von Null gegen Tausend! Aber Ihr
Brief, Ihr so bestimmt — gegen meine briefliche Bitte — ausgesprochner
Wille hatte meine Schiffe verbrannt und die Brücke hinter mir ab-
gebrochen.
Sie sollten nicht einmal erfahren, was ich litt. Ich wollte nicht
indirekten Zwang auf Sie ausüben.
Es kam infolge unerhörter Schritte dahin, daß ich durchdrang — aber
zugleich so, daß ich für immer blamiert und nicht nur blamiert,
sondern auch der fernere Aufenthalt hier über meine Reskript-
dauer hinaus jetzt ganz unmöglich für mich geworden wäre, wenn
Sie jetzt nicht kommen. Während, wenn Sie kommen, auch für die
Zukunft alles aufs brillanteste steht!
Schrifthch kann ich Ihnen das nicht explizieren und Ihrem Herrn
Sohne kann ich die Präjudice — die unbesieglichen — , die mich treffen,
noch viel weniger explizieren . . . Genug, es ist so! Nachdem Sie mich
so grausam imd schontmgslos vorwärts getrieben haben, mit gesenktem
Haupt gegen alle Batterien, mich jetzt ebenso schonungslos wieder auf-
zuopfern, zu blamieren und in meinen wesentlichsten Interessen zu ver-
nichten — das werde ich mir nicht gefallen lassen. Ihr Hanswurst,
Madame, bin ich nicht. Und so wahr ich Lassalle heiße, ist dies das letzte
Wort, das Sie von mir jemals sehen und hören, wenn Sie nicht am 2.
spätestens hier sind.
Wie schonungslos Sie übrigens in jeder Hinsicht getäuscht, abusiert
und verraten sind — werden Sie bei Ihrer Herkunft erfahren! Nostitz
soll nicht erst feindlich gegen mich auftreten. Er hat es mit aller ihm
zu Gebote stehenden Kraft getan. Er war beim Präsidenten ^) gewesen,
er ist souverainement battu! . . .
Übrigens machten Sie noch in Ihrem letzten Briefe Ihr Herkommen
nur davon abhängig, daß ich versichern könne, es werde von den Be-
hörden Ihnen keinerlei Konflikt noch Unannehmlichkeit bereitet
werden. Diese Versicherung gab ich und wiederhole: falls Sie bis zum
2. da sind. Bei längerem Zögern stehe ich für nichts. Schon diese Ver-
spätung ist äußerst unangenehm!! Daß aber Ihr Herkommen nicht
wegen der Behörden und eines Konfliktes mit ihnen, sondern auf das
Augenzwinkern Ihrer Familie imterbleiben solle — war mir neu, erfuhr
ich erst durch Paul ! Daß aber auch Sie wegen des Augenfortzwinkerns
der Familie jetzt nicht kommen und mich so grenzenlos kompromittieren
und beschädigen wollen, nachdem Sie auf das Augenherzwinkem der-
selben mich geradezu gegen die Kolben der Gendarmerie vorgetrieben
^) Lassalle meint den Polizeipräsidenten von Berlin Freiherrn von Zedlitz.
— — 155 —
haben, erfüllt mich mit einer sehr, sehr großen Geringschätzung gegen
vSie. Ja, die versäumten zwei Tage schon und den nochmaligen Frage-
brief werde ich Ihnen nicht so bald und wer weiß ob je, ganz verzeihen.
Es ist Felonie in der Weise, in der Sie mit mir umgehen! Pfui!
Ihr Domizil hier werden Sie übrigens seinerzeit durch mich be-
kommen. Beide werden wir es aber nie erhalten, wenn Sie nicht jetzt
sofort herkommen. Noch einmal: Am 2. müssen Sie da sein, sonst bin
ich des Ekels satt und ein Schurke meines Namens, wenn ich mich
noch jemals auf die erbärmliche Person auch nur mit einer Erinnerung
einlasse, die man aus Ihnen mit großem Glück zu machen willens ist.
Dann können Sie ungestört in den Armen Ihrer Familie schwelgen und
sich ganz Ihren lyaren weihen!
F.L.
Potsdamer Straße 131.
Auf ein weiteres Hinhalten durch Briefe lasse ich mich nicht ein.
Das ist gerade ganz so, als kämen Sie nicht. Ist es Ihnen wegen An-
strengung unmöglich, am 2. hier zu sein, so seien Sie am 3. hier.
Und zwar müssen Sie vierzehn Tage hier bleiben !
62.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN LASSALLE- (Original.)
[Düsseldorf], 31. Mai [1857].
Ich erhalte soeben Ihren Brief, und obgleich ich sehr imwohl tmd
angegriffen imd mir daher das viele Schreiben sehr schwer wird, will
ich doch noch einmal meine Verteidigung gegen ebenso ungegründete als
beleidigende Vorwürfe und durchaus verdrehte Tatsachen führen. Es
ist ganz richtig, daß ich Ihnen kurz nach Ihrer Ankunft in
Berhn schrieb, daß ich Ende Mai und sogar, wie ich hinzusetzte, späte-
stens den 25., da es mir später wegen meiner Badereise nicht mehr
möglich, da die Zeit sonst zu kurz sei, nach Berlin kommen wolle, weil
meine Schwester wieder kränker und mich zu sehen wihische . . .
Der Widerspruch und die Falschheit meinerseits, die Sie daraus hervor-
leiten wollen, daß dieselbe Schwester, die, wie Sie sagen, dazumal mein
Hinkommen gewünscht haben sollte, sich jetzt demselben opponierte,
löst sich ganz einfach in sein Nichts dadurch auf, daß meine Schwester
dazumal Ihre Anwesenheit in Berlin nicht kannte und die Furcht
vor unangenehmen Konflikten also nicht haben und aussprechen
konnte. Ferner habe ich Ihnen niemals gesagt, daß meine Schwester
sich meinem Hinkommen opponierte, das hat sie auch nie getan,
156
sie hat nur gemeint, daß mein so schnelles Hinkommen nach Ihnen
große Unannehmlichkeiten herbeiführen würde, und mir ganz und gar
die Entscheidimg überlassen. Auch sind mir von der Seite keine Dro-
hungen irgendeiner Art gemacht worden, wie ich sie von Ihnen bei
jeder Gelegenheit erdulden muß. Nur Vorstellungen über die Unzweck-
mäßigkeit meines jetzigen Hinkommens hat man mir gemacht, und
diese waren wohl sehr erlaubt. Es sprach sich aber in den Briefen meiner
Schwester, die mich trotzdem immer aufforderten, zu kommen, wenn
ich es für gut fände, eine solche Unruhe rmd Aufgeregtheit über die
Folgen aus, daß ich es einesteils für Pflicht hielt, eine schon so sehr
kranke und imglückliche Person nicht zu quälen, was ihr unbedingt
schaden müsse, sowie ich gerecht genug war, anzuerkennen, daß es die
erste und unbedingte Pflicht ihrer Angehörigen war, in ihrem Zu-
stand jede Ursache der Aufregimg von ihr ganz fern zu halten, woraus
entstehen konnte, daß wenn ich jetzt gleich dennoch hinkam, ein ent-
schiedener Bruch mit meiner Familie (woran meine Schwester selbst
ganz unschuldig wäre) die Folge war . . .
Die zweite Anklage, die Sie gegen mich auf Grund des von Ihnen
zitierten Briefes basieren, ist Grausamkeit, Schonungs- und Rück-
sichtslosigkeit gegen Sie, indem ich auf unerhörte Weise
Ihre wesentlichsten Existenzbedingungen meinen Familien-
beziehungen opferte. Dies ist eine vollständige und wissentliche
Unwahrheit von Ihnen; denn Sie wissen sehr wohl, daß ich ganz
unfähig dazu bin, Ihnen auf irgendeine Weise schaden zu wollen, am
wenigsten Sie aus Berlin zu verdrängen, da Sie einmal Ihr Glück und
Ihre Existenzbedingungen darin flnden, und daß ich unbedingt darauf
verzichtet hätte, jetzt hinzukommen, wenn Sie mir geschrieben hätten,
daß man Ihnen bestimmt angekündigt, daß Sie alsdann ausgewiesen
würden. Dies haben Sie aber gar nicht getan, ich kann also wohl nicht
verantworthch gemacht werden für das, was Sie mir verheimlicht
haben.
Der Sachverhalt von Anfang an ist dieser: Seit einem Jahr haben
Sie sich in den Kopf gesetzt, daß Sie nur existieren könnten, wenn Sie
in Berlin wären, und ich müßte mich auch dort etablieren. Zuerst war
ich lange diesem Projekt durchaus entgegen; ich habe Ihnen die un-
geheuren Schwierigkeiten und selbst Gefahren für Sie selbst vorgestellt
und zugleich erklärt, daß ich nicht hingehen würde, weil unter ob-
waltenden Verhältnissen der Aufenthalt dort für mich einmal un-
erträglich sei und auch die schlimmsten Folgen auf mein Verhältnis
zu Paul haben müsse. Nach vielen und langen Debatten und Versiche-
rungen Ihrerseits, daß es Ihnen gewiß wie so vieles gelingen würde,
gut einzurichten, willigte ich ein, vorzüglich dadurch bewogen, daß ich
= 157 — —
in Erfahrung gebracht, wie sehr die Dispositionen des Grafen Hatzfeldt
Paul gefährden und wie nötig es für ihn sei, daß ich mein Domizil unter
das Landrecht verlegte. Ich erklärte aber stets auf das bestimmteste,
daß ich mich imter keinen Umständen Konflikten aussetzen wollte und
daß der Aufenthalt in Berlin nur tmter der Bedingung für mich mög-
lich sei, wenn ich große Rücksichten im öffentlichen Auftreten beob-
achtete, welche allein einen Konflikt mit den Behörden und einen Bruch
mit der Familie, den ich schon wegen Paul vermeiden müsse, ver-
hindern könnten. — Hierüber waren lange und für mich sehr peinliche
Erörterungen; endlich gaben Sie dies nach. Als ich nun in Berlin mich
aufhielt, überzeugte ich mich immer mehr, welch ungeheure Hinder-
nisse Ihren Projekten entgegenstanden, meine Familie ganz unbeachtet,
wie schon von seiten der Behörden ein gleichzeitiger Aufenthalt wenig-
stens gewiß fürs erste, bis die Zeit vielleicht alles etwas beruhigt, nicht
geduldet werden würde. Ich schrieb Ihnen dies wiederholt und sagte
Ihnen, daß, wie unangenehm es mir auch aus verschiedenen Gründen
sein müsse, so wolle ich doch, da Sie einmal darauf beständen, es für
Ihre einzig mögliche Existenz anzusehen, das Opfer bringen und Ihnen
Platz machen. Darauf schrieben Sie mir die wütendsten Briefe, die
sämtlich vor mir liegen, voll der schmählichsten Vorwürfe und
ebenfalls Drohungen, jede Freimdschaft mit mir abzubrechen; das sei
alles nicht wahr, es sei bloß Furcht vor meiner Familie, eine Konzession,
die ich ihr machen wolle, ,,Sie protestierten also entschieden
und feierlich dagegen, einen Tag nach Ihrer Ankunft in Berlin
könnte ich wegen Ihrer hinkommen, am liebsten wäre es Ihnen,
wenn ich gleich dort bliebe". Nach meiner Rückkehr hier haben
Sie mir dasselbe noch am Tag Ihrer Abreise wiederholt und immer ge-
sagt, Sie wären mit ganz anders schwierigen Dingen fertig geworden, und
wenn Sie erst in Berlin wären, sei das Kleinigkeit für Sie.
Auf diese Antezedenzien, die von Ihnen selbst ausgingen, war es
also basiert, daß ich den Entschluß gefaßt hatte, am 25. nach Berlin
zu gehen, weil es mir eilig war, mein Domizil zu verlegen, da ich auf
kein langes Leben mehr rechne, weil ich durch Sie überredet worden
war, daß mit der nötigen Rücksicht es ohne Konflikte gehen würde,
imd weil ich noch wünschte, meine Schwester, die damals kränker, vor
einer längeren Badereise zu sehen. Und nun kommen Sie und wollen
mir aus einer Sache, die Sie nicht nur gewußt, aber gewollt haben,
ein Verbrechen der Rücksichtslosigkeit imd Grausamkeit gegen Sie
machen?!! Die Explikation ist aber nach Ihrem Charakter ganz ein-
fach: es htt Ihr Stolz nicht, daß ich recht gehabt hatte, als ich Ihnen
von Berhn schrieb, wie groß die Hindemisse wären, und Sie unrecht,
indem Sie sie als nicht existierend oder von Ihnen so leicht zu beseitigen
=====^=. 158 =====^=
hingestellt. Sie behaupten aber jetzt, mir von Berlin geschrieben zu
haben, um mich zu bitten, nicht hinzukommen, und ich habe nicht
darauf eingehen wollen, sondern darauf bestanden, am 25. hinzu-
kommen, und führen zum Beweis einen Brief von mir an, mit dem ich
Ihnen einen Brief von Paul geschickt, welcher beweisen sollte,
wie krank meine Schwester sei. Daß Sie diesen Umstand des mit-
geschickten Briefes von Paul erwähnen, ist mir sehr viel wert, um die
gänzliche Unwahrheit Ihrer Behauptungen zu erweisen. Ich war wirk-
lich sprachlos vor Erstaunen über solche Verdrehungen.
Erstens ist es vollständig unwahr, daß Sie mich jemals gebeten
hätten, nicht zu kommen, noch viel weniger, daß ich es abge-
schlagen hätte. Nur in zwei Ihrer ersten Briefe erwähnen Sie in einem, ^)
daß es am 25. zu früh sei, ich sollte bis zum 28. warten, weil jemand,
der dazu wichtig, erst dann zurück sein sollte. Im zweiten sagen Sie:
,,Eben komme ich von N. N., er wollte mir wegen Ihrer Herkunft den
Kopf vollheulen und verlangte, ich solle mindestens während der Zeit
nach Breslau gehen (also von keiner Ausweisung die Rede). Freimd-
lich aber bestimmt erklärte ich ihm, daß ich mich auf solche Dinge
nicht einlassen könne. Da sagte er mir, Sie müßten dann nicht vor dem
28. bis 29. kommen. Denn Pfingsten ginge der Präsident auf seine Güter
imd der König nach Marienbad, und das wäre also die beste Zeit herzu-
kommen. Dies finde ich in der Tat vernünftig imd meine, daß es Ihnen
egal sein kann, wenn Sie statt am 25. erst am 28. herkommen." ^) Nun
kommt aber das stärkste: den Brief, den Sie mir als Grausamkeit,
Rücksichtslosigkeit usw. jetzt vorwerfen, haben Sie selbst gefordert,
um ihn vorzuzeigen. Sie schreiben mir: ,, Jedenfalls können Sie
so am I. Juni wohl kommen, aber acht Tage voraus muß ich es wissen
tmd muß auch von Ihnen einen Brief an mich haben, den
ich zeigen kann und in dem Sie sagen, daß Sie infolge dringender
Anforderungen Ihrer immer kränker werdenden Schwester kämen. Mit
diesem Brief muß ich herumlaufen, um zu verhindern, daß die, ehe ich
mich genügend festgesetzt, erfolgende Ankimft mir nicht schadet.
Doch werde ich dies mit den gehörigen Laufereien wohl bewirken,
ebenso wie ich, ich wiederhole es, in sechs bis acht Wochen so weit
sein werde, Ihnen Ihr Domizil zu verschaffen."^)
Hierauf schrieb ich den Brief, den Sie anführen, und legte dabei
noch einen kurzen Brief Pauls über den verschlimmerten Zustand
Klaras bei. Hierauf antworten Sie mir: ,,Der Brief von Paul folgt
hierbei zurück. Ich kann ihn nicht gut benutzen und jemand zeigen.
1) Siehe oben Nr. 51.
2) Siehe oben Nr. 54. Die Gräfin zitiert L,assalle nicht ganz wörtlich,
ä) Siehe oben Nr. 51. Auch hier zitiert die Gräfin nicht ganz wörtUch.
= 159 -
weil erstlich nicht darin steht, daß Sie herkommen sollen, und an sich
überhaupt er nicht so ängstlich macht wie Sie, die mit dem Herzen
lesen, auffassen. Da ist es noch besser, wenn ich spreche ohne diesen
Brief, da kann ich beliebig kolorieren."^)
So verhält es sich also mit dem Brief, den Sie von mir anführen,
und wie können Sie jetzt kommen und ihn mir vorwerfen und mich
verantwortlich machen wollen für das, was Sie mir absichtlich ver-
heimlicht haben? Ich kann verlangen, daß Sie mich wie einen ver-
nünftigen Menschen behandeln, der in Sachen, die ihn betreffen, zuerst
wissen muß, wie es sich verhält, um sich entschließen zu können; nur
von einem Kinde kann man blinden Gehorsam verlangen. Was ich an-
geführt, ist das einzige, was Sie mir über Schwierigkeiten geschrieben,
und dies waren die ersten Briefe, spätere sowohl von Ihnen wie von mir
handeln von dem Gegenstand überhaupt gar nicht mehr, sondern bloß
von Wohnrmgen, Kommissionen usw. In der Zeit hatte sich bei mir
nach und nach der Entschluß gebildet, nicht jetzt nach Berlin zu gehen,
weil sich die Absendung Ihrer Effekten verzögert, ich für mich selbst
noch Einrichtungen zu machen hatte, die Zeit mir zu kurz wurde, weil
ich sehr unwohl war rnid weil ich mich durch das Wenige, was Sie mir
mitgeteilt, überzeugt hatte, daß es jetzt gleich nicht möglich sein
würde, das Domizil zu erlangen, nicht einmal es zu fordern, und mithin
die Reise zwecklos sei; weil von anderer Seite mir mitgeteilt wurde,
daß mein so schnelles Hinkommen nur sehr nachteilig wirken könne,
weil ich, weit entfernt, ahnen zu können, daß Sie darüber wütend sein
könnten, glauben mußte, Ihnen dadurch einen Dienst zu leisten, indem
ich Ihnen längere Zeit ließ, Vorbereitungen zu treffen und weil ich be-
fürchten mußte durch die Sorge imd Aufregimg, welche sich in den
Briefen meiner Schwester zeigten, daß schlimme Konflikte unter diesem
Vorwand mit Nostitz ausbrechen könnten imd dieser Bruch mein
späteres Domizil unmöglich machen würde. Infolge aller dieser Über-
legtmgen zeigte ich Ihnen sowie meiner Familie an, bevor ich Ihre
Drohbriefe erhielt, daß ich jetzt nicht kommen würde. Was Sie von
meiner Familie sagen, ihre Intrigen usw., so weiß ich davon gar nichts.
Sie sagen, Sie wüßten, daß Nostitz in dieser Angelegenheit beim Polizei-
präsidenten gewesen. Ich kann es deshalb nicht glauben, weil ich weiß,
daß er gleich nach Ihrer Ankunft nach Hannover gereist ist, wo er
noch ist und gar nicht wußte, ob ich jetzt nach Berhn kam. Jedenfalls
weiß ich, daß meine Familie mir weder Bedingungen gestellt, noch
Drohungen irgendeiner Art gemacht hat. Es handelt sich auch gar nicht
um meine Famihe, sondern lediglich darum, ob bei den obwaltenden
^) Siehe oben Nr. 52.
= i6o — =
Verhältnissen das lieben in Berlin so zu gestalten ist, daß es erträglich
für mich ist, wozu hauptsächlich gehört, daß ein gutes Verhältnis
zwischen mir und Paul stattfinde. . . . Ich werde natürlich, soviel ich kann,
es stets zu verhindern suchen, daß von dieser Seite irgend etwas gegen
Sie geschieht. Ich habe meiner Familie ganz offen erklärt, welche Bande
nicht nur der Dankbarkeit, aber der verdientesten Freimdschaf t, mich
an Sie knüpften, wie ich, um das Domizil in Berlin zu erlangen, wohl
viele Rücksichten in der Öffentlichkeit nehmen könne, aber niemals
diese Pflichten verletzen könne und wolle. Ich habe von Paul und meiner
Schwester hiergegen keine Opposition erfahren, nur Besorgnis, daß es
jetzt gleich ohne Konflikte dennoch nicht gehen würde . . .
Sie sagen nun, wenn ich jetzt nicht sofort hinkäme, schadete ich
Ihnen. Da es nun unmöglich ist, hierbei einen Sinn zu finden, so habe
ich Sie umsonst wiederholt gebeten, mir die Gründe hierfür mitzu-
teilen. Sie haben mir Bogen voll Invektiven geschrieben, aber
darüber nicht eine Silbe. Sie haben aber vollständig das Mittel, mir
alles mitzuteilen, indem Sie durch Dorn an Bloem adressieren. Sie
sagen ferner, es kompromittiere Sie, wenn ich jetzt nicht käme.
Das kann sich doch nur darauf beziehen, daß Sie nun einmal erklärt
haben, daß Gründe vorhanden, daß ich kommen müsse. Erstens ist dies
nun doch eine kleinliche Rücksicht gegenüber den schweren Folgen, die
es für mich haben könnte, wenn ich gleich käme. Und dann können
Sie doch unmöglich sich verpflichtet haben, welche mivorhergesehenen
Hindernisse auch eintreten möchten, mich tot oder lebendig jetzt gleich
hinzuliefem. Für eine Verzögerung lassen sich doch gute Gründe genug
geben; ich kann doch wie jeder Mensch krank werden; daß ich aber
wirklich krank bin, ist nur allzu wahr. Die Situation resümiert sich
also kurz in folgendem:
Meine Schwester sowie Paul haben gar nichts dagegen, daß ich nach
Berlin komme ; sie wünschen es sogar und überlassen die Bntscheidimg
ganz mir. Man hat mich nur aufmerksam gemacht, daß Nostitz, der mit
Ihnen selbst in unangenehmen Konflikten gewesen^) und nie sehr
befreundet mit mir war, die Hauptperson sei, welche entscheidend
einwirken könne . . . Sie können sich dagegen nicht verschließen, wie,
abgesehen von allen Folgen hiervon auf mein Verhältnis zu Paul,
[welche] imendliche Schwierigkeiten diese offene Feindschaft für mein
Domizil haben würde und daß ich die Rücksichten, die die Behörden
bis jetzt für mich in Berhn gehabt, lediglich meiner Stellung zum
Nostitzschen Hause zu verdanken. Aber bedenken Sie auch, wie ganz
anders arg kompromittiert Sie und ich wären, wenn, nachdem Sie
1) Vgl. Bd. I, S. 261 ff.
= i6i ^
als Notwendigkeit meines Hinkommens die Anforderungen meiner
Schwester und ihren Zustand hingestellt haben, ich jetzt hin-
käme und gar nicht zu ihr gehen könnte. Wie blamiert würden
wir dastehen und welche Folgen würde dies haben? Nicht nur jede
Hoffnung, das Domizil zu erlangen, wäre vernichtet, aber die Situation
wäre für mich durch die Folgen auf Paul so unerträglich, daß ich selbst
darauf verzichten müßte. So steht die Sache, wenn Sie ä tout prix
wollen, daß ich jetzt hinkomme.
Auf der andren Seite habe ich meiner Familie bestimmt erklärt, daß
ich zwar öffentliche Rücksichten nehmen, aber niemals die Freund-
schaftsbande mit Ihnen verletzen würde . . .
Es bleibt von Ihren Angaben nur eine, welche allerdings für mich
vom größten Gewicht sein muß. Sie sagen, daß, wenn ich jetzt nicht
gleich hinkäme, Ihre Stellung und die Möglichkeit, dort zu
bleiben, zerstört sei. Da ich nur gar nicht zu begreifen vermag,
wie durch irgendwelche Ursachen mein jetziges Nichtkommen nur
darauf irgendwie influieren könnte, so habe ich Sie wiederholt und
dringend gebeten, mich von diesen Ursachen in Kenntnis zu setzen,
habe es aber nicht erlangen können. Ich bitte ntm nochmals darum.
Sie können mir ganz leicht durch Dorn an Bloem alles sagen, und es
ist nur eine sehr billige Forderung, daß [ich] bei alledem, was ich auf
das Spiel setze, indem ich gegen meine Überzeugung jetzt komme,
wenigstens wisse, daß ich es wegen solch wichtiger Ursache tue. Es
ist nicht nur meine Pflicht, aber auch mein Wmisch, alles, was ich kann,
zu tun, um das, was Sie für Ihr Glück ansehen, zu befördern. Wenn ich
also überzeugt bin, daß, wenn ich nicht jetzt gleich hinkomme, Sie
nicht würden in Berlin bleiben können, so werde ich gleich
kommen. Allerdings kann es wegen Wildbad nicht lange sein, ich
würde dann Paul benachrichtigen, um den größten Eklat zu vermeiden,
daß er auf einige Tage verreist. Ich würde möglicherweise, wenn die
Verhältnisse, wie man sie jetzt befürchtet, eintreten, nicht wieder
nach Berlin kommen können. Aber wenn dies nötig, um Ihr Dort-
bleiben zu ermöglichen, so will ich gern darauf verzichten. Wenn indessen
Ihr Bestehen auf mein sofortiges Hinkommen nach Ihrer Meinung
nur deshalb ist, weil ich sonst größere Schwierigkeiten für die Zukunft
haben würde,so muß ich entgegnen, daß nach dem, was ich von anderer
Seite zu befürchten Ursache habe, mein Hinkommen noch weit größere
Schwierigkeiten zur Folge haben würde.
Ich weiß, daß es leider ein fruchtloses Bemühen, wenn Sie in solchen
Stimmungen, sich an Ihr Herz, an Ihr besseres Selbst zu wenden. Ich
kann nur wiederholen, daß Sie mir jetzt, wie so oft, sehr unrecht tun,
daß meine Freimdschaft für Sie eine recht wahre, devouierte ist, daß
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV II
= l62 =
Sie unrecht tun, sie bei jeder Gelegenheit in die Schanze zu schlagen,
daß ich meinerseits dies nicht tue, daß nur eines gleichberechtigt mit
Ihnen steht: mein Verhältnis zu meinem Sohn, daraus haben Sie kein
Recht des Vorwurfs gegen mich, und Sie ttm nicht recht, diese beiden
Sachen immer auf die Spitze gegeneinander stellen zu wollen, Sie können
dadurch nur erreichen, mir den letzten Rest von Ruhe zu rauben . . .
63-
I.ASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFBI.DT. (Original.)
Dienstag nachmittag 6 Uhr lo Minuten [Berlin, 2. Juni 1857].
Eben erhalte ich Ihren Brief. Zur Antwort dient:
1. In allem, was Paul laut Ihres Briefes über unsere Unterredimg
gemeldet, hat er schändlich gelogen.^)
2. In allem, was Sie über die Familie sagen, sind Sie in jeder Hin-
sicht schändlich getäuscht.
3. Die kostbare Zeit entflieht, entflieht! In Ihrem letzten Brief
versprachen Sie, auf meine Forderimg zu kommen. Sie logen. Ich forderte,
Sie kamen nicht. Bei meiner Ehre: sind Sie nicht am 4. hier früh —
so kenne ich Sie nie wieder. Explikationen zu fordern, schriftliche, wo
ich so bestimmt die Notwendigkeit erkläre, ist so schmachvoll,
daß es mich als eine Schwäche anwidert, Ihnen noch zu schreiben.
Die Zeit vertrödeln Sie ! Ich stehe für nichts mehr. Durch den Auf-
schub grade vernichten Sie das schönste, sicherste, gewonnenste Spiel.
Auf Sie die Folgen. Aber sind Sie nicht am 4. hier, so sind Sie gewesen
für mich.
Ich danke für die Freundschaft, das Vertrauen und die Zuverlässig-
keit, die ich bei Ihnen finde, und werde Ihnen niemals, auch wenn Sie
kommen, den Aufenthalt verzeihen, der alles stört und schädigt.
Und sind Sie nicht am 4. früh da, ist dies das letzte Stück Papier,
das ich je an Sie richte. Bei meinem Wort!
64.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN I^ASSAI^LE.
[Düsseldorf, 3. Juni 1857.]
Soeben erhalte ich Ihren Brief und reise also übermorgen, Freitag
abend, ab, früher kann ich nicht, ich habe so die größten Fatalitäten,
^) Lassalle bezieht sich hier auf den in der Schlußanmerkung zu Nr. 60 er-
wähnten Brief der Gräfin vom 29. Mai. Danach wollte er dem Grafen Paul in
ihrer Unterredung nur gesagt haben, seine Mutter müsse jetzt gleich nach Berlin
kommen, weil er sich der Behörde gegenüber kein Dementi geben könne.
i63
worüber mündlich. Kommen Sie nicht nach der Bisenbahn, ich werde
Ihnen dieKlara^) schicken. Wenn Sic etwas wollen, so fragen Sie nichts
danach, wie ich dabei fahre, ob ich krank, ob meine Kräfte es aus-
halten, Sie müßten doch Ihren weißen Neger etwas mehr schonen.
Diesmal bin ich wirklich meiner Familie Dank schuldig, daß sie mir die
größte Unruhe wenigstens benommen.
lieben Sie recht wohl.
65.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN IvASSALIvE. (Original.)
Sonntag abend [Düsseldorf, 12. Juli 1857].
. . . Die letzten Zeiten, vorzüglich dies letzte Jahr, sind recht schlimme
für mich gewesen, viel Sorge und Kummer, und meine Gesundheit, die
sich sonst immer im Sommer bessert, ist dies Jahr viel schlechter. Ich
bin jetzt viel trauriger, als ich es in den Prozeßjahren war. Da hatte ich
noch etwas, was mich beschäftigte, der Kampf, und etwas Hoffmmg,
daß es anders und besser werden könnte. Jetzt weiß ich, daß es niemals
besser für mich werden kann. Ich fühle mich ganz unnütz auf der Welt;
alles ist in mir so gelähmt, daß ich [der] Kraft zu keiner Beschäfti-
gung mehr fähig bin. Sprechen möchte ich so gern mit Ihnen, aber
schreiben wird mir unendlich schwer; ich kann nicht sagen, daß mir
die Zeit grade zu lang würde, aber ich kann nichts mehr tun als sitzen
und brüten über meinen Gedanken, über die Vergangenheit. Jede Arbeit,
jeder Entschluß in der kleinsten Sache, wie meine Wohnungsangelegen-
heit, ist mir eine unsagbare Qual, und ich lasse zuletzt todmüde alles
gehen wie es geht. Ich bin total imselbständig, unbeholfen geworden,
was mich nicht nur quält, aber mich mit Mitleid und Ärger über mich
selbst erfüllt. Ich bin mit einem Wort in einer trostlosen Stimmung. Der
Abschied von Ihnen ist mir wahrlich näher gegangen, als Sie glauben;
und dies leere Haus trägt wenig dazu bei, mich aufzuheitern. Doch
genug der Wehmütigkeiten, die Sie ja ohnehin nicht lieben. Nur wünsche
ich, daß die Unsicherheit über meine Zukunft recht bald aufhören
möchte; sie quält mich sehr, und ich bedarf unendlich der Ruhe. Wenn
ich hier bleiben sollte, müßte ich doch einige Einrichtungen treffen,
denn obgleich ich einerseits diese totale Einsamkeit besser wie viele
andre ertragen kann, so fühle ich doch, daß sie zerstörend auf mich ein-
wirkt. Ich habe gar keine Hoffnung, daß die Geschäfte in Köln sich
gütlich oder bald einrichten, und in einen Prozeß habe ich nach meinen
Erfahrungen gar kein Vertrauen imd sehe auch dieses Geld eigentlich
1) Die Zofe der Gräfin.
=: 164 =
schon für verloren an. Meine Finanzen machen mir sehr große Sorge
und Kummer. Kummer, weil ich doch eigentlich noch gar nichts von
dem Vermögen, das so sauer verdient war, gehabt habe und nun jetzt
doch durch diese unglücklichen Geschichten so viel verloren habe,
wegen Paul, der ganz allein auf mich angewiesen ist, und weil es mich
zu Tode grämen würde, wenn meine Feinde den Triumph hätten, wahr-
gesagt zu haben, als sie immer gesagt, was man mir gäbe, würde ver-
loren sein. Ich muß jetzt nicht nur immerzu von meinem Kapital zehren,
aber ich habe viele große Schulden . , .
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, schreiben Sie mir und trösten Sie
mich etwas, ich habe es sehr nötig. Tausend der herzlichsten Grüße!
Von hier weiß ich gar nichts Neues zu melden, ich sehe aber auch"
niemand.
66.
IvASSAI^LE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Berlin, Dienstag [14. Juli 1857].
Recht, recht traurig hat mich Ihr Brief gestimmt! Was ist mit
einem Menschen zu machen, der niemals folgt und der dann doch hinter-
her immer so sehr darunter leiden muß, nicht gefolgt zu haben und sich
dennoch niemals aus einem solchen Vorgang die geringste I^ehre zieht ! —
So geht es bei Ihnen stets vom Kleinsten bis zum Größten ! Auf jeden
guten Rat haben Sie ein für allemal die Antwort: ,,Ich bin nun einmal
so," usw. Und hinterher erfahren Sie dann immer, daß Sie mit den
Dingen, bei welchen Sie Ihrer Individualität angemessen zu handeln
glaubten, vielmehr regelmäßig gegen dieselbe gehandelt und sich ohne
Not empfindliche Nachteile herbeigezogen haben . . .
Sie sehen jetzt, daß Sie aber ,,nun doch nicht einmal so" waren, wie
Sie zu sein glaubten; daß Sie trotz Ihrer Individualität, die Sie einem
immer entgegenhalten und besser zu kennen glauben als andere und
au fond am wenigsten kennen, töricht gehandelt haben^) und sich
den sachlichen Folgen ebensowenig als andere entziehen können, ja,
sie nur härter als andere empfinden.
Natürlich spreche ich von dieser Sache nur beispielsweise! Aber
es geht mit allem nur ganz ebenso. Sie sind sich selbst unklar, und das
ist die Quelle alles Elends ! . . .
Was die Unruhe betrifft, die Sie wegen Ihres Provisoriums empfinden,
so ist diese ebenso grundlos. Ich wiederhole Ihnen: Spätestens am
1) Die Gräfin hatte gegen IvassaUes Rat ihre Wohnung aufgegeben und fand
nun keine geeignete neue.
======= i65 ========
I.Januar können Sie hierher ziehen. Habe ich schon je mein Wort
nicht gehalten, wenn ich es gab? Nicht bloß auf eine Handlung meiner
selbst, sondern auch auf ein von dritten Personen abhängiges Faktum?
Und diesmal ist ja gar nichts dabei, was von dritten Personen abhängt.
Denn Sie wird man ja nicht hindern, noch hindern können. Sie
kommen also im Januar ruhig her — und ob die Behörden deshalb
gegen mich wüten werden, ist meine Sache . . .
Wie glücklich, glücklich könnten Sie doch sein, wenn Sie ein wenig
von der schlechten Persönlichkeit ablegten, die Ihnen Ihr ganzes Leben
verdirbt. Doch das ,,ich bin nun einmal so", dieser widerwillige dumme
Widerstand gegen die Vernunft hindert einen nicht nur an der Vernunft,
sondern auch am Glück und der Zufriedenheit. Das ist es ja eben!
Mieten Sie die Hüttersche Wohnung.
Ich selbst bin noch immer krank und Stubenhüter. Heute noch dazu
leide ich an furchtbarer Kolik, obgleich ich gar nichts esse (seit vierzehn
Tagen bloß kalten Kalbsbraten).
Nun beruhigen Sie sich etwas, mein liebes gutes Kind. Wenige
Monate noch — und Sie sollen hier das angenehmste und schönste lieben
führen von der Welt, haben Sie nur etwas Vertrauen und Folgsamkeit.
Gehen Sie aber jetzt vor allem schleunigst nach Wildbad. ^) Kein
Wunder, daß Sie sich krank fühlen, schon Mitte Juli und noch nicht im
Bade! Und dann nach Schlangenbad. Für alles andere lassen Sie mich
sorgen, der ich zwei Arme habe, und für Sie, wenn es sein muß, so
viele wie der hundertarmige Riese Briareus! Je ferai tout!
Ihr F. lyassalle.
P. S. Schicken Sie mir noch meine kleinen orientalischen Ansichten,
die in Ihrem großen Hefte liegen.
P. S. Noch einmal, liebes Kind, attristieren Sie sich nicht über die
Zukunft. Sorgen Sie nur, sich möglichst gesund zu machen. Ich werde
alles aufbieten, Ihr lieben angenehm zu machen.
67.
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag [Berlin, 16. Juli 1857].
Gnädigste !
. . . Ihren Reiseplan im September anlangend, bemerke ich:
Wenn Sie etwas arrangieren können, wobei Sie sich auf andere Weise
amüsieren imd eine andere Ihnen konvenierende Gesellschaft
1) In der Tat reiste die Gräfin am 17. Juli nach Wildbad ab, wie aus einem nur
Geschäftliches enthaltenden, vom 16. Juli 1857 datierten Brief an Lassalle hervorgeht.
= i66 =
finden können, so wäre mir das weit lieber. Denn meine Abreise würde,
wie ich mich überzeugt habe, immerhin den einstweiligen Stillstand des
Druckes ^) zur Folge haben müssen. Wenn Sie aber nichts anderes
haben, so bin ich selbstredend gern bereit, Ihnen die gewünschten vier-
zehn Tage zur Disposition zu stellen. Denn es wäre eine wahre Tod-
sünde, wenn der Sommer für Sie ohne jedes Vergnügen vorüber gegangen
sein sollte, imd ich wäre zu diesem Zweck zu noch ganz anderen Dingen
bereit, als zu einem Opfer von vierzehn Tagen ! Was würde ich darum
geben, gutes Kind, wenn ich Sie nur erst einmal dazu bekommen könnte,
wirklich an Ihr Vergnügen zu denken!
Rosen auf den Weg gestreut
Und des Harms vergessen.
Eine kurze Spanne Zeit
Ward ims zugemessen!
Aber entschieden wäre ich dagegen, diese vierzehn Tage am Rhein
oder der Ahr zuzubringen. Für dasselbe Geld und in derselben Zeit
können wir uns wo anders weit besser amüsieren. Ich würde vor-
schlagen — denn der Genfer See scheint für diese Zeit etwas zu weit — ,
uns am Züricher See oder auf Rigi -Scheidegg oder in Seis oder in
Rag atz niederzusetzen auf diese vierzehn Tage, und kleine Ausflüge und
Spaziergänge zu machen; welchen Ort von den genannten wir auch
wählen, wir würden uns köstlich amüsieren tmd hätten eine Natur,
gegen welche die rheinische, die ich gar nicht leiden kann, doch nur
Quark ist. Ja, wir lebten dort selbst vielleicht billiger, keinesfalls teurer.
In Rigi-Scheidegg wäre Bloems Anwesenheit, der Ausflüge mit uns
machen würde, auch eine große Annehmlichkeit.
Mein gutes Kind. Wenn Sie nur einmal Vernunft annehmen imd sich
über Ihren kleinen Schmerz hinwegsetzen wollten. Er erscheint Ihnen
nur deshalb so groß, weil Sie wirklich, mit Verlaub, darin einer Blattlaus
etwas ähnlich, nie über das Blatt hinausblicken, auf dem Sie gerade
kriechen. Sehen Sie um sich, mit welchem Heldenmut, mit welcher
Tüchtigkeit von andern im lieben noch ganz andere Schmerzen getragen
werden, und der Grimd zur Klage, den Sie haben, wird Ihnen geringer er-
scheinen. Haben Sie in den Zeitungen genaues über den dreifachen kom-
binierten Aufstand gelesen, den Mazzini 2) in Italien hervorrief? Ich wette,
nein ! Zumal von der Expedition des Herzogs von San Giovanni ? Karl
1) Des Heraklit.
2) Giuseppe Mazzini (1805 — 1872), der berühmte italienische Revolutionär.
Ein wichtiger Brief von ihm an Lassalle aus dem Jahre 1863 wird in Bd. V ab-
gedruckt werden.
. . 167 •
Pisacane?^) Es ist furchtbar ! Die Nachrichten, welche die Blätter zuerst
brachten, waren ja ganz falsch. Pisacane hatte bereits in zwei Treffen —
in offenem Felde — die neapolitanische Soldateska geschlagen. Von
einer dreifachen Übermacht überfallen, kämpfte man mit dem Stilett —
bis alles fast fiel! Was für Blut! Was für Blut! Ich lege Ihnen eine
Nummer der ,, Volkszeitung" bei, in der Sie eine kurze Biographie
Pisacanes und etwas über den Aufstand finden! Welches kämpfende
Heldenleben! Und denken Sie sich in Mazzinis Lage, der immerwährend
seine besten Freunde und Anhänger ins Verderben treiben und nieder-
metzeln sehen muß. Bei Sapri allein wurden viele, viele Hunderte sofort
erschossen! (Lesen Sie ja die beigelegte Zeitimg.) Und doch muß er
stark bleiben. Und dort die Zurückgelassenen und Verwandten und dies
Kämpfen und Ringen und Leiden und Opfern aller seiner Lieben, der
Söhne und Brüder usw. Das geht nun schon zehn Jahre so fort und wird
so heldenmütig getragen ! Ich glaube, wenn Sie sich in diese tragischen
Leiden hineindenken, müßte Ihnen selbst der Lärm, den Sie darüber
erheben, daß Sie . . . sehr klein imd töricht erscheinen. — Was haben
Sie übrigens zu den Nachwahlen in Paris gesagt? Napoleon trotz
aller Vorbereitungen und Gewamtseins in allen drei Bezirken ge-
schlagen ! 2) Ihr
F.L.
68.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag [Berlin, 7. August 1857].
Meine gute gnädige Frau!
Ich bin es wirklich, der fragen muß, wie kommt es, daß Sie mich
so ganz vergessen. Seit Ihrer Ankunft in Wildbad haben Sie mir nur
einmal geschrieben, am 26. Juli.^) Heute ist schon der 7. August. Also
1) Pisacane war am 28. Juni mit wenigen Gefährten in der Bucht von Sapri
gelandet in der Absicht, das Königreich Neapel zu insurgieren. Aber die kleine
Schar wurde am 30. Juni zersprengt imd Pisacane fiel. Gleichzeitig gedachte
Mazzini in Genua loszuschlagen. Doch der Plan wurde verraten, bevor er zur
Ausführung kam.
2) Von den acht städtischen Wahlbezirken von Paris waren in der Haupt-
wahl drei, in der Nachwahl zwei an die republikanische Partei gefallen. In der
Hauptwahl waren Cavaignac, Carnot und Goudchaux, in der Nachwahl Emile
Ollivier und Darimon gewählt worden.
3) In diesem Brief klagte die Gräfin über ihre Isolierung, über die unsichere
Lage ihrer Finanzen und auch darüber, daß Lassalle, der ihr ,, ängstliches, krank-
haftes Gemüt" kenne, so lange nichts habe von sich hören lassen.
= i68 =
zwölf Tage lang ließen Sie nichts von sich hören. Warum denn? Tun
Sie das nicht. Es bekümmert und verstimmt mich. Ich bekomme so
gern Brief von Ihnen, imd ist es gar ein solcher, in welchem ich irgend
Anflüge von guter lyaime sehe, so werde ich gleich in die heiterste
Stimmung von der Welt versetzt.
An und für sich bin ich durchaus nicht in dieser. Sie fehlen mir gar
zu sehr. — Ich habe hier Gesellschaft genug imd mehr, als ich will. Die
lycute sind mir auch alle recht gut und sind recht lieb. Aber sie sind
mir innerlich doch nicht nahe genug. Wenn man mit jemand so inner-
lich verwachsen ist wie ich mit Ihnen, so fühlt man dies am meisten
erst durch den Vergleich mit der relativen Äußerlichkeit, in der einem
die andern Menschen bleiben. Man kann sich mit ihnen amüsieren und
zerstreuen, aber sie füllen nicht aus. Und das ist nicht mein genre!
Dieser Brief wird, wenn ich meine Maßregeln richtig genommen
habe, Sie grade an Ihrem Geburtstag erreichen. Tausend herzlichste
Glückwünsche! Mögen Sie noch doppelt so viel schöne imd glückliche
solche Tage erleben, als früher traurige imd düstere.
Ich wollte Ihnen gern was schenken. Aber ich wußte nicht was.
Erstens ist nicht nur keine übermäßige Flut in meiner Tasche, sondern
ich weiß Ihnen doch nur mit Dingen für die Einrichtung Spaß zu machen.
Die kann man aber nicht nach Wildbad senden und das bleibt auch
besser auf später. So kam ich denn auf die Idee, Ihnen irgendeine
kleine Gemütsfreude machen zu wollen. Nach längerem Nachsinnen
beschloß ich, Ihnen nachträglich von unserem lieben, lebens- und geist-
vollen, so früh gestorbenen G. Weerth ^) ein Porträt verschaffen zu
wollen. Er war Ihnen wie mir recht gut! Und oft hat er mir, wenn wir
aUein, den Teil erzählt, den er an Ihrem I^eiden nahm. Ich habe das
Daguerreotyp abkopieren lassen von einem, das Mad[ame] Duncker
besitzt. Hier folgt es anbei. Möge es Ihnen eine kleine Freude machen . . .
Ich arbeite fleißig und halte schon am zweiten Bogen des zweiten Teils.
Auch meine Vorrede habe ich dieser Tage geschrieben. Sie klingt stolz
genug! Nun adieu und schreiben Sie bald
Ihrem F. L.
69.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN I^ASSAIvLE. (Original.)
Wildbad, 10. August [1857].
Mein liebes Kind, ich habe eigentlich gar kein Recht, mich zu be-
klagen, daß Sie mir nicht schreiben, da ich selbst so lange nicht ge-
^) Der Dichter Georg Weerth (1821 — 1856). Vgl. seinen Brief an Lassalle in
Bd. II, S. 55.
schrieben. Und doch tue ich es und fühle es, als wenn auch Sie mir
fremder würden, sich mehr meiner entwöhnten und mein Platz in Ihrem
Leben immer kleiner wird. Sie wissen, welch ganz miaussprcchlich
traurig[en] Eindruck es mir stets macht, mich so allein unter den vielen
Menschen zu finden, wie mir dies stets die lange Kette von Unglück
und Unrecht, die mein Lieben so vernichtet hat, so lebhaft wieder vor
Augen führt und sie mir neu wieder durchleben und durchfühlen läßt.
Ich versinke dann in ein dumpfes Brüten, was mich zu jeder Beschäfti-
gung unfähig macht. Weit besser ist für mich, wie ich es Ihnen oft ge-
sagt, die tiefste Einsamkeit. Ich bin weder physisch noch geistig alt
genug, um diese Stelltmg mit Gleichgültigkeit anzunehmen, und ich
bin nicht mehr jimg genug, um mit fröhlichem Mut mich über diese
tmverdiente Reprobation hinwegzusetzen. Es setzt mich immer wieder
in neues Erstaunen, wie arg es ist, daß selbst die Leute, denen ich am
besten gefalle und die es am liebsten möchten, es nicht wagen dürfen,
den Kreis, der mich von allen abschneidet, zu überschreiten. Meine
Feinde haben ein Meisterwerk an mir vollbracht; vollständiger war es
nicht möglich, jemand zugrunde zu richten, und noch dazu einen Men-
schen, der von der Natur so vorzugsweise mit Gaben zum Glück aus-
gestattet war. Es regen sich auch dann immer wieder in mir Haß- und
Rachegedanken.. Doch was kann ich machen? Solange ich lebe, wird
mir niemand glauben. Aber versprechen Sie mir, Sie, mein einziger
Ereimd, der einzige, der hinter allen diesen Verleumdvmgen mein wahres
Wesen erkannt hat, daß Sie nach meinem Tode mich rechtfertigen
wollen, mein Märtyrertum und was ich war, zeigen wollen, und daß auf
meinem Grabe nicht die Verachtung mehr lasten soll, die man mir
während meines Lebens aufzubürden gewußt hat. Ich bin heute ganz
besonders gedrückt ; es ist mein Geburtstag, der Tag, an dem vor langen
Jahren ich imwiderruflich dem Unglück preisgegeben wurde, und es
hat heute, wie an dem Tage eine richtige Vorbedeutung meines Lebens,
unaufhörlich geregnet. Ich brauche diesmal die Kur sehr stark: anstatt
daß ich voriges Jahr eine Viertelstunde badete, bade ich eine ganze
Stunde ; ich habe diesmal nicht die gute Wirkung gleich, sondern fühle
mich im Gegenteil sehr angegriffen. In vierzehn Tagen längstens hoffe
ich abreisen zu können. Schreiben Sie mir doch, liebes Kind, Sie können
nicht glauben, wie sehr mir ein Wort der Fremidschaft wohl tut imd
not tut. Vergessen Sie aber nicht, mir zu sagen, wie es mit Ihrer Ge-
sundheit geht . . . Adieu, liebes gutes Kind, schreiben Sie mir doch imd
sagen mir, wie es Ihnen geht imd wie Sie leben. Tausend herzlichste
Grüße.
— 170 ^=
70.
IvASSAI^IvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag [Berlin, 13. August 1857].
Meine Gnädigste!
Mit einem wahren Wutanfall ersehe ich aus Ihrem eben einlaufenden
Briefe, daß Sie meinen Brief nebst dem Daguerreotyp nicht rechtzeitig zu
Ihrem Geburtstag erhalten haben. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben,
extra auf die Post geschickt, um zu erfahren, wenn ich es absenden
müßte, damit es weder zu früh noch zu spät eintrifft, und nun scheinen
mir diese Schurken doch falsche Auskunft gegeben zu haben ! Nun be-
greife ich auch, daß Sie in doppelt wehmütiger Stimmung sein mußten !
An Ihrem Geburtstage nicht einmal von mir ein Ivcbenszeichen zu
empfangen !
Wie können Sie aber solche Gedanken haben, als entwöhnte ich mich
Ihrer usw.! Gott, wie falsch, wie falsch! Jeden Lorbeer und jede Palme,
die ich mir in meinem lieben pflücken werde — und ich denke, es werden
deren viele sein — werde ich ewig zu Ihren Füßen hinlegen und Sie
damit bekränzen! — Ich mich Ihrer entwöhnen. ,,Ihr Platz in meinem
Leben kleiner werden." Auf mein Wort: Jeden Menschen, den ich
kennen lerne, berechne und taxiere ich nur nach der Annehmlich-
keit und dem Werte, die er für Sie haben könnte! Ich soll Sie rächen!
Nach Ihrem Tode rächen! Wenn Sie erlauben, gedenke ich noch bei
Ihren Lebzeiten viel darin zu tun. Aber auch bis dies eintritt, kann ich
noch besseres tim. Kann Sie froh und glücklich machen. Nur freilich
gehört dazu Vernimft, und freilich mangelt Ihnen dieselbe in mancher
Hinsicht entsetzlich. Sie sprechen von Reprobation ! Allein das bezieht
sich doch nur auf jene verrottet aristokratischen Kreise, die Sie in
Wildbad vor sich sehen! Mit diesen ist freihch nichts zu machen, und
diese Fäulnis lohnte sich nicht einmal der Eroberung. Aber haben Sie
diese Reprobation auch gefunden, würden Sie sie finden in dem Cercle,
aus welchem Sie hier bei mir Spezimina sahen ? Weder bei Männern noch
Frauen, die diesen geistig lebendigen Kreisen angehören, würden Sie
auf andere Gefühle stoßen als die der Bewunderung, des Interesses und
Respekts. Wer sich schlechte Plätze aussucht, kann sich freilich nicht
wundern, schlecht gestellt zu sein. Osez ! Sieyes ^) sagte zu seinen Lands-
leuten: Vous voulez etre libres — et ne savez pas d'etre [sie!] justes!
Mit weit größerem Rechte sage ich zu Ihnen: Vous voulez etre heureux
1) Emanuel Joseph Sieyes (1748 — 1836), der bekannte französische Staats-
mann, der Vorkämpfer des dritten Standes und des Dogmas von den natürlichen
Grenzen Frankreichs.
= 171 =
[sie!] — et ne savez pas d'etre [sie!] librcü Und doch ist dies des
Glüekes erste Grundbedingung.
Ja, Sie sind viel, viel unfreier, als es geistig viel unbedeutendere
und weniger freie Leute sind. Jede Kleinigkeit überzeugt mich davon.
Tausend solche Kleinigkeiten könnte ich — und diese gerade stören
den heitern Lebensgenuß — zum Beweis anführen. Was war das z. B.
immer für ein Getue und Getäte, wenn Sie zu mir kommen sollten. Wie
mußte da den Leuten das Wort abgenommen werden, nichts zu sagen.
Wie steif und fest behaupteten Sie mir, keine Dame in Berlin von
guten Sitten usw. würde einen im verheirateten Gar9on besuchen usw. usw.
Gut. In dem Cercle hier, mit dem ich umgehe, befindet sich eine gewisse
Gräfin Kalckreuth, die Tochter des alten Generals Kalckreuth. Ich kannte
sie und ihre Familie schon von 1846 her durch Keyserling ^) und habe
jetzt ihre Bekanntschaft nur erneuert. Sie spielt zwar etwas die Person
von Geist, aber durchaus nicht den Freigeist, da sie vielmehr ganz
prononciert royalistisch und noch mehr religiös ist. Ihre Brüder
haben hohe Chargen im Heer! (Beiläufig ist sie eine Spezi alfreundin von
Gräfe.-) Sie ist alte Jungfer, aber nicht über vierzig Jahr. 2. Eine Frau
von Rappard, sechsunddreißig Jahre alt und noch dazu ganz hübsch,
geschieden von ihrem Manne, der ein Taugenichts war, aber eine Frau
von ganz intaktem Ruf; auch gescheut. 3. War die Frau von Dohm^)
bei der Partie. Wir und Pickwick, Dohm und Pritzel machten z. B.
neulich eine Landpartie nach Tegel. Wir kamen zwölf Uhr nachts erst
zurück und waren recht guter Laime. Da machte ich den Vorschlag,
den Nachttrunk bei mir zu nehmen. Aber es dachte auch keine von
den Damen daran, irgend etwas dagegen zu haben. Jetzt in der Nacht
12 ^/g Uhr begab man sich in meine Wohnung und trank bis zwei Cham-
pagner. Ein andermal waren wir im Theater und hatten dann im Freien
soupiert. Die Nacht war schön. Ich schlug vor, auf meinem Balkon
Kaffee zu nehmen, und wieder begaben sich die Damen ohne Anstand
zu mir und blieben bis zwei Uhr.
Da haben Sie die Antwort auf Ihr: ,, Keine Berliner Dame würde usw."
tmd die Kalckreuth ist doch sogar auch eine Gräfin und die Frau von
Rappard eine Adlige und von ganz akzeptabler Hübschheit, obwohl
schrecklich dick!
^) Gemeint ist wohl der Kriegsfeuilletonist Oberstleutnant a. D. Graf Archibald
Keyserling (1785 — 1855), durch den Lassalle 1846 mit der Gräfin Hatzfeldt be-
kannt geworden war. Keyserlings Mutter war eine Gräfin Kalckreuth.
2) Professor Albrecht von Gräfe (1828 — 1870), der berühmte Augenarzt, der
auch Lassalle behandelte.
^) Hedwig Dohm, der Gattin Ernst Dohms, hat Lassalle zeitweise nahe ge-
standen.
= 172 =
übrigens mache ich diese Vorschläge iind traktiere die Leute mit
Champagner imd Mokka immer nur in Rücksicht auf Sie, um es zu
etwas ganz Gewöhnlichem zu machen, daß Damen des besten Genre
michzu jeder Tageszeit besuchen. Aus demselben Grunde sind die Damen
auf morgen fünf Uhr nachmittag bei mir zum Ka£fee eingeladen. Man wird
auf dem Balkon bei aufgezogener Markise sitzen ! Schade nur, daß Ma-
dame Duncker ^) verreist ist imd ebenso Varnhagen.^) Sonst hätte ich mir
erstere auch schon eingewöhnt, imd letztere hätte mir seine Nichte, ein
jimges, unverheiratetes Mädchen von neunzehn Jahren, zuführen müssen.
So sehen Sie, wie man Sie in der lächerlichsten Weise imfrei gemacht
hat. Denn freilich, wenn Sie mir zur Antwort geben wollten: ,,Was
andere ttm dürfen, darf ich nicht tun" — wenn Sie sich wirklich auf
diesen Armensünderstandpunkt hindrängen lassen — dann sind Sie
unrettbar verloren und keine Macht zwischen Himmel und Erde
kann Ihnen helfen. — Nun leben Sie mir tausendmal wohl. Ich habe
entsetzlich viel zu tun. Schreiben Sie doch öfter. Vergessen Sie die Sache
mit Hinschius nicht zu erledigen. Wo gehen Sie hin von Wildbad?
Wollen Sie noch eine Reise unternehmen? Wollen Sie, daß ich Sie
begleite? Genieren Sie sich nicht! Sagen Sie, und ich werfe alles zum
Teufel und fliege zu Ihnen. Wenn Sie wollten, würde ich selbst suchen,
Ihnen Dohm mitzubringen, der Sie gewiß sehr amüsieren würde. Soll
ich ? Wie gesagt, brieflich geht das Genieren und Nicht-selbst-bestimmen-
woUen nicht an. Erwägen Sie, was Ihnen am liebsten ist, und dann be-
stimmen Sie. Kann ich Ihnen ein Amüsement verschaffen, so wissen
Sie ja, ist es für mich selbst das größte, und wie sehr mich auch meine
Arbeiten drängen, würde ich ihnen doch wohl vierzehn Tage ohne zu
große Fatalität vielleicht entreißen können. Glauben Sie aber, daß es
besser ist, wenn Sie an den Rhein zurückgehen, so wäre auch das mir
ganz lieb, weil es mir in meinen Arbeiten und Bestrebungen hier sehr
zugute käme. Wollen Sie also, da es für mich zwei gleich angenehme
und unangenehme Seiten hat, nur sich befragen.
71-
SOPHIE VON HATZFEivDT AN LASSAlvIvE. (Original.)
[Wildbad, Mitte August 1857.]
Iviebes, gutes Kind, meinen Brief, am 10. geschrieben, werden Sie
wohl erhalten haben, den Ihrigen, der an dem Tag ankommen sollte,
*) Ivina Duncker, die Frau Franz Dunckers. Über ihre Beziehungen zu Lassalle
vgl. die Einführung zu Bd. II, S. 23.
2) Bei Varnhagen von Ense (1785 — 1858) hatte Lassalle schon im Januar 1846
mit dem berühmten Empfehlungsbrief Heinrich Heines Eingang gefunden.
= 173 — —
habe ich zwar erst später erhalten, denn die Briefe gehen sehr schlecht
hierher, allein nichts[desto]weniger hat es mich gefreut, daß vSie daran
gedacht, ich wußte wohl, daß Sie es tun würden. Sie waren aber auch
wie immer der einzige. Sehr hat mich das Bild von Weerth erfreut,
und dennoch war ich, kann ich nicht leugnen, etwas desappointiert,
denn als ich den Kasten sah, der mir gleich nach einem Bild aussah,
glaubte ich zuerst, Sie hätten mir Ihre eigene Photographie geschickt . . .
Schreiben Sie mir recht bald recht gut, denn die Ihrigen sind die
einzigen Worte wirklicher Freundschaft und Teilnahme, die ich je höre,
und daher sollten Sie mir nie andere sagen. Seien Sie vernünftig für Ihre
Augen und Gesundheit. Die allerherzlichsten Grüße. Noch zehn Tage
habe ich hier zu bleiben.
72.
IvASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin] Dienstag, 18. August [1857].
Vous voulez etre heureux et
ne savez pas etre libre ! ^]
Denn mit diesem Motto, meine Gnädige, werde ich von nun an
fortlaufend meine Briefe an Sie schmücken, weil es das Wahrste und
Wichtigste ist, was Ihnen gesagt werden kann.
Jawohl! Entledigen Sie sich der ,, schwerlastenden Fessel am Fuße",
springen Sie heraus aus diesem Wust von Rücksichten und unmöglichen
Bestrebimgen, in denen es neuerdings gelungen ist, Sie einzukerkern,
und Sie werden sehen, wie schön und harmonisch sich alle Ihre Lebens-
verhältnisse gestalten und wie bald Sie glücklich sein werden!
Daß Sie sich mutterseelenallein in einem Bade nicht wohlfühlen
können, ist ganz selbstredend. — Freilich hindert Sie an manchem eine
gewisse praktische Ungeschicklichkeit. Als solche betrachte ich es z. B.,
daß Sie noch keine Gesellschafterin haben, eine solche, die in jeder
Hinsicht konvenabel ist. Oder ist es vielleicht — verzeihen Sie mir —
Geiz? Gewiß ist auch hieran etwas! . . . Aber wozu soll Ihnen denn Ihr
Geld, wenn Sie es nicht verwenden wollen, sich Ivebensannehmlich-
keiten und Lebensgenuß zu erkaufen? . . . Mit dem Gesuch um Domili-
zierung werden Sie schon bis Februar warten müssen. Dagegen aber,
daß Sie im Oktober schon auf zwei bis drei Monate zum Besuch her-
kommen, wird, glaube ich, kein Hindernis vorliegen resp. die etwaigen
Hindemisse zu beseitigen sein; d. h. ich glaube, ich werde es durch-
^) Siehe oben Nr. 70.
— 174 ^
setzen können, daß man mich non obstant Ihrer Anwesenheit doch
nicht inkommodiert.
Nun leben Sie wohl und noch einmal — seien Sie frei, wenn Sie
glücklich sein wollen. Werfen Sie ab die Ketten und verzichten Sie
darauf, Bündnisse zu schheßen mit dem ,, Gezücht der Schlangen".
Doch ich lasse am besten das reizende Sonett des Dichters folgen, den
Sie so sehr lieben, Platens:
Entled 'ge dich von jenen Ketten allen.
Die gutgemutet du bisher getragen,
Und wolle nicht mit kindischem Verzagen
Der schnöden Mittelmäßigkeit gefallen!
Und mag die Bosheit auch die Fäuste ballen.
Noch atmen Seelen, welche keck es wagen,
lycbendig wie die deinige zu schlagen.
Drum laß die frischen Lieder nur erschallen!
Geschwätz'gen Krittlern gönne du die Kleinheit,
Bald dies und das zu tadeln und zu loben.
Und nie zu fassen eines Geistes Einheit.
Ihr kurzer Groll wird allgemach vertoben.
Du aber schüttelst ab des Tags Gemeinheit,
Wenn dich der heil'ge Rhythmus trägt nach oben.
Ihr F. Iv.
73.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSALLE. (Original.)
Wildbad, 18. August [1857].
lyiebes, gutes Kind, Sie schreiben mir wirklich recht wenig, denn
auf meinen letzten Brief habe ich noch keine Antwort. Sie werden sagen,
daß ich ebenso faul bin, aber das ist ganz etwas anders. Einmal bin ich
von der Kur sehr angegriffen, muß trotz des sehr schlechten Wetters,
das wir seit zwölf Tagen haben, sehr viel ausgehen, bin sehr müde, und
das alles wäre noch gar keine Ursache, aber das beständige Alleinsein
deprimiert mich auf eine solche Weise, daß ich wohl noch ganz hebetiert
und zum Automaten werde, der nur noch brüten kann. Und da meine
Gedanken nicht grade der fröhhchsten Art sind, so werde ich ein trüb-
seliger Narr; man kann mir darüber keine Vorwürfe machen, denn es
ist eine notwendige Konsequenz. Der Geist, der ewig nur auf sich selbst
= 175 =
zurückgebogen ist, reibt sich auf und vergeht oder schnappt über; aber
gesund kann er nicht bleiben, vorzüghch wenn man nicht wie ich ein
Gelehrter ist, der anstatt der Gemeinschaft der Geister die der Bücher
hat. Und auch selbst dann wird demjenigen, der vollständig nur damit
beschäftigt ist, auf die Dauer eine wesentHche Seite seines Ichs be-
schädigt. Was soll ich schreiben? Immer dieselben Klagen? Das ist
langweilig für Sie und unnütz. Von unangenehmen Geschäften ? Obgleich
das recht notwendig wäre, so hilft es jetzt gleich doch nichts, da im
Augenblick nichts geschehen kann. Es bleiben die Fragen nach Ihrer
Gesimdheit, Ihren Augen, die Sie mir doch nie beantworten und noch
weniger darin befolgen, was ich Ihnen anrate. Sie können mir schreiben,
was Sie tim und treiben, wen Sie sehen, und Sie wissen, wie sehr mich
alles interessiert.
Sie fragen ^) mich, ob ich wünsche, daß Sie auf vierzehn Tage zu mir
kommen. Gewiß wünsche ich das, imd sehr würde es mein Gemüt wieder
aufrichten, einige Zeit eines wahrhaft freundschaftlichen Verkehrs zu
haben, nicht ganz allein mich zu fühlen . . .
74-
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Sonnabend [Berlin, 22. August 1857].
Vous voulez etre heureux et
ne savez pas etre libre.
Gnädigste! Eben erhalte ich Ihren Brief vom 18., worin Sie sagen,
Ihr letzter sei noch ohne Antwort. Ich begreife dies nicht, denn ich
habe Ihnen zwei geschrieben, beide mit dem obigen Motto geschmückt,
woran Sie kontrollieren können, ob Sie sie alle erhalten. Und zwar
schrieb ich Ihnen stets sofort nach Empfang Ihres Briefes (wie auch
heute). Woran liegt es also?
In tiefster Seele schmerzt mich die nur zu natürliche Mißstimmung,
die sich über Ihre Isolierung in Ihren Briefen ausspricht. Ich beschwöre
Sie, nur ein wenig, nur sechs bis sieben Wochen noch halten Sie tapfer
aus gegen den finsteren Geist der Verstimmung, der Sie beschleicht;
dann nahe ich zu Ihrem Sukkurs und zerstreue, wie die Sonne die Nebel,
die Wolken, die sich Ihnen nahen. Es ist mir ganz klar, Sie können
diesen Winter nicht allein zubringen, Gott behüte! Sie kommen Mitte
Oktober nach Berlin. Es wird meine Sache sein, dies möghch zu machen.
Sie kommen in der zweiten Hälfte Oktober her und bleiben hier zum
^) Siehe oben Nr. 70.
-- 176 ■
Besuch ununterbrochen, bis Sie Ihr Domizil hier nehmen (im Fe-
bruar 58). Ich lasse Sie nicht mehr weg.
Es bangte mir, muß ich gestehen, Sie würden mich wegen meines
Reiseanerbietens beim Wort nehmen. Es bangte mich aber auch wieder
Ihret-, nicht meinetwillen. Denn Sie wissen noch lange nicht, wie gut
ich Ihnen und mit welcher Sehgkeit ich alle persönlichen Zwecke
fortwerfe, wenn ich glaube, daß ich Ihnen dadurch irgend nützen
kann.
Aber ich habe die Sache reifhch, reiflich überlegt, und sie verhält
sich so:
Ich bin, glauben Sie mir, ohne Ehrgeiz. Schon weil ich die ganze
Welt nicht eines Strohhalms achte. Ich trage die Bedingungen des
Glückes in mir. Sie aber brauchen dazu noch manches aus der äußeren
Welt. Ich werde Ihnen das geben, reichlich geben. Damit ich es Ihnen
aber geben kann, ist erforderlich, daß ich die Stellung, die mir gebührt,
in der wissenschaftlichen Welt einnehme. Kein Zweifel — ich versichere
Sie, kein Zweifel: ich habe gar viele Vorbeweise — , daß mir die beiden
Arbeiten, die mich beschäftigen, diese Stellung überreichlich ge-
währen werden. Darum in Ihrem Interesse, in Ihrem mehr als dem
meinigen, eilt es, daß sie erscheinen und mein verschlossenes Licht der
Welt aufgehe. Ich schrieb Ihnen schon letzthin, jeder Lorbeer und jede
Palme hat für mich nur den Wert, sie zu Ihren Füßen niederzulegen.^)
Aber darum eben bangte mir entsetzlich wieder vor der Reise. Denn
nichts darf mehr, auch nur um Tage, das Erscheinen des Heraklit ver-
zögern, das andere^) kann ohnehin erst dann zu Ende gebracht wer-
den . . .
Mein Plan ist also so : Anfang September kehren Sie an den Rhein
zurück. Suchen zunächst ohne mich und mit Bloems Hilfe, der alles
versprochen hat tmd dem ich ganz gehörige Briefe schreiben werde,
alles mit Düwes^) zu ordnen. Dies beschäftigt Sie auch und füllt Ihre
Zeit aus. Ich habe Ihnen oft gesagt, selbst Sorge ist besser für Sie als
Nichtstun, wenn ich nicht da bin. Zugleich ordnen Sie alles für Ihre
Abreise. Legen Sie die Sache mit Düwes bei, so kommen Sie etwa 18.
bis 22. Oktober nach Berhn und bleiben hier. Gelingt es Ihnen dort
nicht, so komme ich Mitte Oktober hin, ordne die Sache so oder so und
1) Siehe oben Nr. 70.
2) Das Drama Franz von Sickingen.
3) Bei der Liquidation der Firma Siegheim & Block hatte die Gräfin, um
ihr Geld nicht zu verlieren, für Rt. 60000 Aktien von deren Nachfolgerin, der
Kommanditgesellschaft Düwes & Co. übernehmen müssen. Diese hatte ihr keine
Zinsen gezahlt.
— 177 =
kehre dann mit Ihnen nach Berlin zurück. Also Mut. Nur noch kurze
Zeit sind Sic allein. Kaum sieben Wochen. Dann hat's aufgehört, und
Sie sollen sehen, wie sehr ich Sie hier amüsieren und Ihnen ein an-
genehmes und heiteres lieben bereiten werde.
Es fällt mir ein: Wenn Sie wollen, können Sie auch folgendes tun:
Am 3. sind in Weimar die großen Feste, die Theatermustervorstel-
luDgen usw. Viele Leute, auch von hier, reisen hin. Wenn Sie wollen,
so schreiben Sie der Agnes, gehen mit ihr dazu nach Weimar, lassen
sich durch sie mit lyiszt, der Fürstin ^) usw. bekanntmachen und amü-
sieren sich dort etwas, drei bis vier Wochen. Liegt Ihnen aber die
Düwessche Sache am Herzen, so ist es besser, Sie spielen noch einmal
Geschäftsmann, gehen nach Düsseldorf und Köln und ordnen das
wie Ihre Wirtschaftsangelegenheiten und kommen dann hierher. —
Bis Mitte Oktober ist Heraklit erschienen, die Polizeierlaubnis erwirkt,
und ich habe dann nichts zu tun, als für Sie zu sorgen, denn Franz -)
wird nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Auch er wird bis Mitte
November erledigt sein.
Schon wie mein Heraklit erscheint, habe ich, glauben Sie es mir,
eine ganz andere Stellung und werde sie auszubeuten wissen — Ihret-
wegen. Sie werden sehen, welch frohe Existenz ich Ihnen hier schaffen
werde. Meine ganze die Menschen (wenn ich es will) erobernde Liebens-
würdigkeit werde ich aufbieten. Sie werden einen Kreis von Leuten
haben, die Sie lieben, bewundern imd verehren, die Sie amüsieren und
zerstreuen. Ich habe immer noch alles gemacht, was ich wollte. Sie
sollen sehen, was ich mit der Zeit alles kann. Also kurze Geduld und
standhafte Tapferkeit gegen jene Mißlaune. Sind Sie erst hier, bin ich
erst bei Urnen, wird es meine Sache sein, sie zu verscheuchen.
Ich will Tag tmd Nacht arbeiten, es zu beschleunigen. Jeder Tag
früher, den Sie hier eintreffen, ist mir Gewinn.
Nochmals, was ich Ihnen so oft sagte in schlimmer Zeit und stets
noch zu bewähren gewußt:
Nil desperandum sub Teucro duce et auspice Teucro!
Ihr
F. L.
^) Fürstin Karoline von Sayn -Wittgenstein (18 19 — 1887), die große Freundin
Liszts. Dieser hatte bekanntlich Weimar zum Mittelpunkt der fortschrittlichen
Bestrebungen auf musikalischem Gebiet gemacht. Für Agnes Klindworths Be-
ziehungen zu Liszt vgl. oben die Einführung S. 16 f.
^) Für Lassalles Drama Franz von Sickingen vgl. H. Oncken, Lassalle, S. 138 fT.
Es wurde zuerst 1858 bei Duncker & Weidling iu Berlin als Bühnenexemplar
gedruckt.
Mayer, I.assAUe-Niclil.ns. IV 12
178
75-
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSAIvIvK. (Original.)
Wildbad, 30. August i) [1857].
Liebes Kind, Ihren Brief ohne Datum mit dem schönen Motto,^) das
an mid für sich ganz richtig ist, d. h. nur für Männer, habe ich vor
einigen Tagen erhalten. Für Frauen wird, solange unsre jetzige Welt
tmd Gesellschaftssystem besteht, dieses Motto stets unanwendbar
bleiben, und jede Frau, die es versucht, sich von den Fesseln, die ihr
diese Ordnung ungerechterweise auferlegt, freizumachen, wird diese
Auflehnung stets mit ihrem besten Herzblut bezahlen müssen. Dies
ist so sehr wahr, daß es selbst den ausgezeichnetsten, die durch Geist
und Charakter Männer waren und dies auch durch ihre Werke der Welt
bewiesen hatten, was bei mir nicht der Fall, dennoch so ergangen ist.
Das frappanteste Beispiel dieser Art ist die George Sand. Lesen Sie
ihre Memoiren, und Sie werden diese Wahrheit auf jeder Seite finden.
Die Frauen, die Sie mir in Berlin zitieren,^) beweisen gar nichts für mich,
und was diese ungestraft, weil man nicht darauf achtet, tun
können, würde für mich, wenn ich es täte, ganz etwas anders sein. Die
einen haben Männer und sind durch diese geschützt, die andren haben,
wie die Kalckreuth oder F[rau] von Rappard, nie in der Welt gelebt
oder sind dadurch, daß sie weder durch ihre Schönheit, Geist oder be-
sondre bekannte Schicksale Gegenstand teils des Neides der Frauen
oder besondrer Beachtung sind, eben durch die Vergessenheit, in der
sie leben, geschützt. Die Kalckreuth ist intim liiert mit der Fuhr und
zeigt sich überall ungeniert mit ihr. Fragen Sie sich selbst, ob ich das
tun dürfte, mit einer Schauspielerin, wenn sie auch eine gute Reputation
hat, öffentlich freundschaftlich verkehren, ohne daß der schrecklichste
Skandal darüber gemacht würde? Die Kalckreuth, Rappard können
auch zu Kroll gehen, ohne daß es irgend jemand bemerkt oder davon
spricht. Von mir würde den anderen Tag die ganze Stadt voll sein. Ich
kann, weil ich aus mancherlei Ursache die Aufmerksamkeit in einem
Grad, den ich selbst nicht begreifen kann, auf mich gezogen, vieles un-
gestraft nicht ttm, was andere unbeachtet tun, und dann vergessen
Sie meine Familie, die, wenn ich nicht völlig mit ihr brechen will,
auch dafür Sorge trägt, mir es in dieser Beziehung nicht leichter zu
machen . . . Daß Sie, wie Sie mir schreiben, jetzt nicht zu mir kommen,
hat mir einerseits gewiß sehr leid getan, denn ich hatte mich wohl
1) Im Original heißt es: September. Das ist, wie der Zusammenhang deutlich
zeigt, ein Schreibfehler.
2) Siehe oben Nr. 74.
^) Siehe oben Nr. 70.
- ^= 179 =
darauf gefreut, aber andererseits muß ich allerdings einsehen, daß
Sie recht haben und daß es so vernünftiger ist. Treffen vSic nur bei
Zeiten alle Schritte, daß einer weiteren Aufenthaltserlaubnis nichts
in den Weg gelegt wird, und versäumen Sie nichts aus Faulheit oder
weil die I^eute Sie langweilen ...
76.
LASSAU.E AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Berlin, 2. September 1857.
Vous voulez etre henreuse et
ne savez pas etre libre !
Meine Gnädige! Nicht einen — sondern drei Briefe mit diesem
Motto habe ich Ihnen bereits geschrieben, nämlich zwei, die es, wie
der jetzige, vorn an der Stirn trugen und vorher einer, in dem ich Ihnen
diese Devise auseinandersetzte und als das künftige Motto meiner
Briefe annoncierte.^)
Sie glauben gewiß, mit Ihrer Explikation, wie andere unbeachtet
tun dürfen, was Sie nicht ungestraft tun können, wunder wie Wahres
gesagt zu haben — und haben doch eben nur recht deuthch die eigene
Schwäche aufgedeckt, die Ihr lyeben vergiftet!
Zunächst, welche ,,Strafgewalt" hat denn diese sogenannte ,, Gesell-
schaft"? Die des Gesetzes nicht. Und ebensowenig die der Renten-
verkürzung gegen eine in so absolut unabhängigen Umständen lebende
Person wie Sie ! Also welche ? Oh, gewiß hat sie eine — aber nur gegen
solche Personen, die nicht vollständig mit ihr brechen, die schwach
genug sind, noch an ihr zu hängen, auf sie zu achten und sich um sie zu
kümmern. Ja, jede Halbheit trägt — mit Recht — ihr eigenes Richt-
beil in sich! Jede halbe Empörung liefert mit Recht den die Fessel
noch nachschleppenden Sklaven auf die Marterbank! Ich begreife etwa,
daß man noch vor zwanzig Jahren sagen konnte: Tritt aber eine Frau
aus diesen Kreisen heraus, so hat sie gar keine Gesellschaft, steht
ganz allein, und das ist auch ein Märtyrertum wie ein anderes und
eine Strafe wie eine andere! Gut! Aber jetzt ist das lange nicht mehr
der Fall, wie ich hier täghch sehe. Bereits haben sich neben und außer-
halb dieser offiziellen ,, Gesellschaft" dissentierende Kreise gebildet,
die sich in jener Unfreiheit nicht wohl fühlen und lachenden Mundes
auf sie verzichtet haben. Warum — imd diese Kreise komponieren sich
also notwendig grade aus den besseren, tüchtigeren, geistvolleren
Elementen — können Sie sich nicht gleichfalls mit diesen Kreisen
^) Siehe oben Nr. 70, 72, 74.
i8o
genügen lassen? Sie, schreiben Sie z. B., könnten nicht mit einer Schau-
spielerin, so unbescholten sie sei, umgehen! Oh, welche berauschende
Milch der Freiheit in diesen Worten fließt, wie schön sie sind, wie
konsequent, wie menschlich, wie würdig in dem Munde der [er], die
selbst, und für die ich, im Namen des beleidigten Menschen gegen die
Vorurteile des Ranges und Standes in der bürgerlichen Gesellschaft die
Fahne erhob!
Es geht Ihnen eben wie den Völkern im März 1848. Sie haben wohl
Ihre äußere Revolution gemacht, aber den Gendarmen in der Brust —
den haben Sie behalten.
,, Solange ich nicht völlig mit meiner Familie breche" — heißt es in
Ihrem Brief ! — Wer das liest und die Vergangenheit kennt — muß der
nicht wirklich mit der Hand an die Stirn fahren und ausrufen : Wie ist
es möglich! Sie mit der Familie brechen! Umgekehrt: diese ganze
Familie hatte ganz, hatte schonungslos mit Ihnen gebrochen, Sie von
sich gestoßen und mit Füßen getreten, Sie verdammt und verfolgt
zugleich — und nachdem unsere Waffen Ihnen eine freie und unabhängige
Stellung erkämpft, betteln Sie sich bei ihr an, und diese Familie — hier-
durch Ihnen größres Unglück bringend als durch ihre Feindschaft —
erlaubt eben, daß Sie sich schüchtern heranschleichen, akzeptiert Sie
nicht einmal voll und ganz wie Sie sind, sondern nur imter der still-
schweigenden Bedingung der Entsagimg auf Ihr eigenes Leben,
akzeptiert Sie auch so nur wie eine partie honteuse, die man halb akzep-
tiert, halb desavouiert, die man in den umfriedeten Wänden des eigenen
Zimmers ,, duldet". Ah, Madame! Ah, Madame! Darum ,, Räuber und
Mörder"! Welche Rolle spielen Sie — und wie konnte in Ihr edles,
tapferes Gemüt der Geschmack an solcher Entwürdigung sich schleichen !
Wieviel größer waren Sie im Gefängnisse zu Köln ! ^) Wieviel glücklicher !
Welche Inkonsequenz? Wie kömmt es, daß Sie nicht einmal Ihre
eigenen Gedanken, die Sie in verschiedenen vStimmungen haben, zu-
sammenbringen? Rache atmete Ihr Brief von neulich gegen die lycute,
die Ihnen dies Los bereiten — und in Ihrem heutigen sind Sie wieder
ganz Pudel! Nicht , .brechen" mit der Familie! Die Beziehung, in die
Ihre Familie jetzt zu Ihnen getreten ist, ist, wenn auch selbst ohne
ihre Absicht, das größte Unglück von allem, die sie Ihnen angetan hat !
Und nicht nur das größte Unglück, sondern auch die erste wahre —
Entwürdigung, die es ihr geglückt ist, über Sie zu bringen!
Sie werden sagen, ich bin grausam. Aber Sie leiden nicht allein!
Wissen Sie denn, was ein Mensch wie ich, der wesentlich vom 'Geiste
aus seine Eindrücke zu erhalten gewohnt ist, leidet, wenn er einerseits
^) Siehe oben Nr. 2.
= i8i —
mit Gewalt sich zwingen muß, seinen besten Freund — nicht gering
zu schätzen, und andrerseits selbst abgesehen davon (ließe sich nur
davon absehen !) mit anschauen muß, wie dieser beste Freund, für dessen
Glück er sein Herzblut verspritzt hat, nachdem alle äußeren Bedin-
gungen des Glücks erobert sind, nun an einer — Schimäre zugrunde
geht! Denn so gewiß lyOgik und Vernunft ewig ihr gebieterisches Recht
behalten, so gewiß ist es, daß Sie steinunglücklich werden müssen, wenn
Sie dieser unmöglichen Illusion nicht entsagen, von diesem Marter-
holze sich nicht frei machen. Oder vielmehr es ist gewiß, daß Sie seiner-
zeit zuletzt doch ,, brechen" werden mit diesem widersinnigen Bestreben,
das Unvereinbare ineinander zu gießen; und doppelt schade ist es um
die trübe Zwischenzeit, die Sie Ihrem lyeben und dem Genüsse desselben
selbstquälerisch entziehen. Inzwischen frage ich mich traurig; woher
kommt es, daß Sie, die Sie stärker sind und sein müßten als andere
Weiber, sogar schwächer sind ? Zum Beispiel sogar die Fürstin in Weimar
bedauert weder noch achtet sie auf die ihr verlorene ,, Gesellschaft",
und sie hat sogar eine Tochter,^) die sie ruhig und mit Recht, wie sich 's
gebührt, in ihren eigenen Weg hineingerissen hat. Freilich hat sie zum
Glück keine Familie, bei der sie Aschenbrödel spielen könnte . . .^
77-
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSAIvIvE. (Original.)
Wildbad, 7. September [1857],
lyiebes Kind, Sie sagen mir, mein Brief wäre nicht mit Wärme ge-
schrieben. Ihre Antwort ist es gewiß nicht. Sie ist gereizt und warum?
Weil ich meine Stellung keine glückliche finde? Ntm, daß sie es wirk-
lich nicht ist, darin werden mir wohl mehr Leute beipflichten als Ihnen.
Und überdies, wenn ein Freund Grund zu haben auch nur glaubt,
sich nicht glücklich zu fühlen, so sind es nicht bittere Reden, die ihm
diesen Glauben benehmen oder ihn darüber trösten können. Überdies
ist Ihr Brief ungerecht, denn Sie selbst haben mir zu einer Annäherung
mit meiner Familie geraten. Als ich auf den zweiten Brief Alfreds^)
gleich nach dem Vergleich sofort wieder mit ihm brechen wollte, waren
Sie es, die mich davon abhielten und mir sagten, ich sollte es noch
versuchen, imd mich darauf aufmerksam machten, daß Sie, der einzige
^) I^assalle denkt hier an die Fürstin Wittgenstein , die Freundin Franz
Iviszts. Siehe oben S. 177.
2) Graf Alfred von Hatzfeldt (1825 — 191 1), der älteste Sehn der Gräfin.
l82
Mensch, den ich hätte, noch andere Pflichten und Zwecke hätten, die Sie
unter gewissen Verhältnissen von mir entfernt halten könnten, und wie
ganz allein ich dann sein würde. Nun ist es aber doch ganz widersinnig,
anzimehmen, daß Leute, vorzüglich die sich so nahe stehen, in irgend-
einem noch so förmlichen Verhältnis zueinander bleiben können, wenn
Sie ihren gegenseitigen Ideen immerwährend ohne Rücksicht ins Ge-
sicht schlagen. Es gibt dann kein Mittel als Schonung und Konzessionen
oder sofortiger Bruch, und daß jetzt ein erneuerter Bruch für mich
sowohl schmerzlich wegen Paul, der sich darüber sehr unglücklich
fühlen würde, als auch sogar ungerechtfertigt sein würde, da das,
worüber ich mich beklage, doch keine Fakta sind, läßt sich doch nicht
leugnen . . . Nun leben Sie wohl, liebes Kind, seien Sie nicht so scharf
gegen mich, bedenken Sie, daß ich eine Frau, die nicht mehr die Kraft
und Frische der Jugend hat, daß ich viel gelitten und daß man von
einer Frau überhaupt nicht dieselbe Konsequenz und Schärfe, vorzüg-
lich in Sachen, wo das Gefühl mit im Spiel ist, fordern kann. Daß meine
Briefe an vSie nicht mit derselben Wärme und Freundschaft geschrieben
wären, ist eine Torheit. Meine Gefühle wie meine Gesinnungen für Sie
können sich ja niemals ändern, das wissen Sie auch so gut wie ich. Die
besten imd herzlichsten Grüße. ^)
78.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Berlin, Sonnabend, 12. September [1857].
. . . Mir ist meine kleine Fernande gestorben, wie ich vor wenigen
Tagen aus einem verzweifelten Brief ihrer Mutter erfahren habe. Die
arme Agnes hat doch Unglück.-) Vor wenigen Wochen hat Georg den
Arm gebrochen. Es tut mir übrigens recht leid um die kleine Fernande.
Ich wollte ein Erziehungsmeisterstück an dem Mädchen machen. Muß
also warten, bis ich irgendwoher eine andere bekomme. Armes kleines
Kind. Es starb am Zahnen. Tut es Ihnen nicht auch leid? Es hätte
Ihnen vielleicht mal mehr vSpaß gemacht als Ihre Kinder! Nun adieu
mit Goethes Worten: „Doch der Boden zeugt sie wieder" usw. usw.
^) Die Gräfin läßt hier wie auch manchmal sonst die Unterschrift fort.
2) Das Töchterchen, das aus Lassalles Beziehungen zu Agnes Klindworth-
Street hervorgegangen war. Vgl. hierzu oben die Einführung S. 18. Der Brief
der Agnes liegt vor. Er klingt nicht ganz so ,, verzweifelt", wie Lassalle ihn auf-
faßte. Vor allem verlangte sie Geld für die Bestattung.
^ 183 -
79-
SOPHIE VON HATZFEivDT AN I.ASSAivLE. (Original.)
22. September [1857].
Liebes, gutes Kind. Endlich habe ich Ihren Brief erhalten, der mir,
ich weiß nicht warum, nach Baden, wo ich nur wenige Tage gewesen,
nachgeschickt worden war. Ich war wirklich ganz traurig, nichts von
Ihnen zu hören, und fürchtete schon, Sie wären krank, oder es wäre
Ihnen ganz etwas Besonderes passiert. Ich kann Ihnen versichern, daß
es mir wirklich recht leid tut, daß das arme kleine Kind gestorben, für
Sie und auch für mich; später, wenn ich so alt, daß die absurdeste
Dummheit mich vergessen und in Ruhe gelassen hätte, wäre sie auch
ein Interesse für mich gewesen. Sie sehen übrigens an dem Schmerz
um ein ganz kleines mid nie gesehenes Kind, welch sonderbare Sache
es mit der Elternliebe ist; tmd nun denken Sie sich ein Kind, mit dem
man achtzehn Jahre lang mit jeder Fiber des Herzens zusammen-
gewachsen ist, und »Sie werden begreifen, daß das Herz einer Mutter,
das noch ganz anders fühlt, brechen könnte, wenn man sich dies Gefühl
herausreißen soll. Ich könnte es nicht, darum haben Sie Mitleid mit
mir, versuchen Sie nicht, mir gewaltsam die Augen zu öffnen, die ich
krampfhaft zumache. Ich will nicht sehen, was ich, wenn ich es mir
völlig eingestehen müßte, nicht ertragen könnte. Je mehr ich darüber
denke, je mehr leid tut mir der Tod Ihrer Kleinen, gewiß wäre sie mir
noch eine Freude gewesen, ich, die ich mich so sehr an Kinder attachiere ;
doch ich habe einmal kein Glück und darf keine Freude haben. Ihr
Vater schreibt mir, daß er bald nach Berlin kommt, versäumen Sie es
ja nicht, daß während der Zeit alles getan wird, um Ihren Aufenthalt
zu sichern. Sie schreiben mir gar nicht, wie es mit Ihren Augen ist, wie
weit der Heraklit ist. Ich würde ihn aber an Ihrer Stelle nicht völlig
erscheinen lassen vor Ablauf Ihres Aufenthalttermines in Berlin . . .
Nun leben Sie recht herzlich wohl, liebes Kind, schreiben Sie mir
recht bald, gut, freundschaftlich, vor allem nachsichtig, verlangen
Sie nicht mehr Stärke von mir, als ich habe, Sie würden es nur um
den Preis des letzten Restes von Laune, Gesundheit und Fähigkeit zum
Glück durchsetzen können, und das wollen Sie ja doch gewiß nicht.
Adressieren Sie immer hierher; wenn ich abreise, wird es nachgeschickt.
Tausend herzlichste Grüße. i)
1) Ebenfalls ohne Unterschrift. Noch am 22. Oktober beschwerte sich übrigens
Lassalle bei der Gräfin, daß sie ihn nun schon drei Wochen ohne Nachricht
ließ. ,,Die Bekümmernisse, die ich diesmal empfand, kann und mag ich lhne:\
nicht beschreiben."
============ i84 ===========
80.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSAlvLE. (Original.)
Baden, 19. Oktober [1857].
Liebes Kind, es ist wahrlich recht sehr unrecht, mich so ohne alle
Nachricht zu lassen. Ich hatte Sie doch so sehr gebeten, mir oft zu
schreiben und gut. Soviel können Sie doch nicht zu tun haben, daß
Sie nicht schreiben können, oder beschäftigt Sie die Krankheit des
Königs auch so sehr wie die andren Leute, denn seit der Zeit bekomme
ich von Berlin von keinem Menschen mehr Antwort. Den Brief mit den
Details über Ihre Aufenthaltsangelegenheiten, den Sie mir annoncierten,
habe ich auch gar nicht erhalten, so daß ich gar nicht einmal weiß, wie
es damit steht, was mich sehr beunruhigt. Daß Sie noch in Berlin sind,
glaube ich zwar gewiß, denn das hatten Sie mir doch wenigstens ge-
schrieben. Ich hätte nie nötiger gehabt als jetzt, oft recht freund-
schaftliche Briefe zu bekommen. Denn ich habe einen Spleen, daß
ich am liebsten sterben möchte ; ich habe, wie es scheint, zu viel Bäder
in Wildbad genommen und bin entsetzlich angegriffen, tmd die Trauben-
kur, die mir täglich ein paar Stunden nimmt, ennuyiert tmd fatigiert
mich so sehr, daß ich es bald nicht mehr aushalten kann. Ich habe Paul
zehn Tage lang alle Tage erwartet, und jetzt schreibt er mir mit einem
Mal, daß er nicht kommt. Mein Neffe ^) ist hier viel kränker geworden,
was seine stete Gesellschaft nicht aufheiternder macht, und tausend
andre Gründe, die auf solchen Reisen ganz deprimierend auf mich
wirken, haben mich in einen Zustand versetzt, wo ich wirklich ganz
stupid bin und gar nichts tue als rauchen, Romane lesen und zum Zeit-
vertreib mich über mich selbst attendriere und weinen. Und nun schrei-
ben Sie mir auch nicht und vergessen mich ganz, wie es scheint. Sie
werden sagen, warum ich denn nicht öfter und längst wieder geschrieben.
Weil ich in solchen Stimmungen, die ich nie so arg gehabt, mich zum
Schreiben nicht entschließen kann. Ich bin, als wenn man mich vor
den Kopf geschlagen hätte, und es kostet mir in diesem Augenblick
die größte Überwindung, zu schreiben, und wenn ich nicht so gern
einen Brief von Ihnen hätte, hätte ich mich gar nicht entschlossen.
Meine Geschäfte sogar interessieren mich nicht mehr. Ich möchte gern
zwar nach Hause, aber die Anstrengung, mich zu deplacieren, ist zu
groß. Ich werde aber doch jetzt sehr bald fort. Von Klara habe ich
auch lange keine Nachricht, die letzten waren schlecht. Paul weiß
ich gar nicht, wo er ist, er hat mir nur telegraphiert, daß er nicht kommen
1) Die Gräfin pflegte einen jungen Freiherrn von L,oe, ihren Neffen, den Sohn
ihrer früh verstorbenen nächstälteren Schwester Helene.
======================= i85
kann. Alles vergißt mich, ich könnte sterben, ohne daß einer es wüßte.
Nun adieu, liebes Kind, bitte, bitte antworten Sie gleich, Sie glauben
nicht, wie sehr es mich freuen wird. Sagen Sie mir, ob Sie meine Briefe
bekommen; im letzten schrieb ich Ihnen über Agnes und frug Sic, ob
ich Ihnen den Brief, der mir diese schlimmen Details sagt, schicken
sollte. Tausend herzliche Grüße, schreiben Sie schnell und vergessen
mich nicht ganz über Ihre[n] Beschäftigungen und Vergnügungen.
8i.
LASSAI.I.K AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin] Dienstag, 17. November 1857 [beendet Freitag, 20. November].
. . . Was mein persönliches oder eigentlich körperliches Befinden
anlangt, so ist es mir seit meinem letzten langen rekommandierten
Brief, den ich nach Baden sandte (Sie haben ihn doch erhalten?), fort-
gesetzt sehr schlecht gegangen . . . Aber es kömmt mir überhaupt vor,
als dränge und treibe eine große Krankheit in mir, die nächstens irgend-
wie einen Ausweg suchen werde. Habeat sibi.
Klingt dies schlecht genug, so wird es doch dreimal voll aufgewogen
durch die übermütig glänzenden Nachrichten aus einer anderen Sphäre,
die ich mich jetzt anschicke, Ihnen zu geben. Die kühnsten Flüge meiner
Phantasie sind noch weitaus übertroffen worden!
Am 4. bekam ich die ersten Autorenexemplare meines Heraklit. Die
Auflage selbst ist erst vorgestern, am 15., vom Broschieren zurück-
gekommen. Am 4. schickte ich Varnhagen aus Höflichkeit, am 5. an
Böckh und I^epsius, am 7. an Humboldt und Johann Schulze ein
Exemplar.
Am 6. erhielt ich beifolgenden Brief Vamhagens,^) der zwar gar nichts
beweist, weil Varnhagen kein Kenner solcher Materien ist, den ich Ihnen
aber der Vollständigkeit wegen und weil er so hübsch geschrieben ist,
beilege.
Ich selbst dachte an weiter nichts . . . Aber schon am 10. lief der
abschrif thch beigelegte wirklich wunderbare Brief Böckhs ^) ein ! Böckh,
müssen Sie wissen, ist nicht, wie Humboldt, ein Mann, der freigebig ist
mit lyob; er ist der strengste lobkargste Urteiler, den es gibt, und dafür
bekannt. Es gereicht mir wirklich zur aufrichtigen Herzensfreude und
Genugtuimg, Ihnen gegenwärtigen Brief schreiben zu können. Urteile
^) Der Brief liegt nicht vor.
2) Vgl. Bd. II, Nr. 59, S. 131.
=^i86 =
wie „umfassendste Gelehrsamkeit", ,,ein Werk einzig in seiner Art",
,,ich kenne kein Werk, welches wie das Ihrige" usw. usw. usw. — solche
Urteile beweisen etwas in dem Mimde eines Böckh, der fünfzig Jahre
Lektüre vor mir voraus hat, ja sie sind wahrhaft unerhört bei ihm.
Erinnern Sie sich, meine Gnädigste, wie Sie selbst oft bangten und
zagten, wenn ich mich mit solcher wagehalsigen Revolutionswut, alles
Akzeptierte umschmeißend, auf die rein gelehrt-philologischen Fragen
einließ? Sie warnten mich wohl manchmal davor, ermahnten mich,
mich mit der philosophischen Seite zu begnügen. Aber ich hatte meinen
Ehrgeiz grade da hineingesetzt, beide Seiten gleich vollständig, ja die
philologische mit noch größerer Ausführlichkeit und Gründlichkeit zu
erschöpfen. Gleichwohl sah auch ich getrost der Anerkennung der
Philosophen, auch jener von der spekulativen Richtung der Philologen,
entgegen; von der kritischen Richtung der Philologie fürchtete ich
selbst aber gar hartnäckig-ungestümen Widerspruch an jenen zahl-
reichen Punkten, wo ich alle bisher in der Wissenschaft angenommenen
Sätze so unerbittlich und von Grund aus angegriffen hatte! Und nun
kommt grade der Chef dieser kritischen Richtung, August Böckh, zuerst
das Buch mit solchem Lobe und solcher Zustimmung bedeckend. Zu
den drei Punkten, die Böckh bei mir laut seinem Brief gelesen hat und
die er beurteilt, gehört meine Erörterung über die von mir zuerst Heraklit
vindizierte Sprachphilosophie (oder was damit identisch ist, die Dis-
kussion über den Kratylos des Plato in meinem Werke). Wenn Sie sich
• der Sache noch erinnern, so hatte ich für diese so hochwichtige Disziplin,
die ich für Heraklit in Anspruch nahm, nicht ein einziges direktes Zeug-
nis; ich mußte alles mosaikartig kombinieren. Dies wäre schon Grund
genug gewesen, sich auf leidenschaftlichen Widerspruch der kritischen
Philologen gefaßt machen zu müssen. Aber damit nicht genug. Ich
mußte zum Zwecke dieser meiner Theorie über die Heraklitische Sprach-
philosophie auch die Behauptung aufstellen, daß die ganze gelehrte
Welt bisher den platonischen Kratylos von Grund aus mißverstanden
habe. (Böckh selbst hatte gelegentlich über den Kratylos geschrieben.)
Es war also natürlich, wenn ich voraussetzte, daß man sich solche Dinge
von einem homo novus nicht leicht sagen lassen würde. Und nun kommt
Böckh und nennt u. a. grade diese Ausführung ,,im höchsten Grade be-
friedigend" und ,, vollkommen überzeugend und lichtvoll". — Dies
ist der erste immense sachliche Triumph.
Am 13. kam angestürzt im Sturm der Liebe und im Drang seines
Herzens, den Mund voll von Adoration, Johannes Schulze, um mir seine
Honneurs zu machen. Selbst Varnhagen sagte mir, daß dies sehr viel
von ihm gewesen sei. Denn Sie wissen, er ist nicht nur Wirklicher Ge-
heimer Oberregierungsrat, sondern Direktor im Kultusministerium, der
====:^=^ 187 ^========
erste nach Räumer,^) und es ist daher keine Kleinigkeit für ihn, einem so
verrufenen ,, Roten" wie ich zuerst seine Aufwartung zu machen. Aber
Sie wissen, er ist ein leidenschafthchcr Hegelianer, Hegels ältester
Freimd. Es hatte ihm zu wohl getan, zu sehen, wie die Hegeische Philo-
sophie, die auch hier sehr in Verfall gekommen ist, von neuen Händen
so auf einmal durch ganze Disziplinen, Mythologien, Philologien usw.
durchgeführt wird. Was erzählte er mir nicht alles für interessante
Dinge. Als fürchte er, ich würde eine Professur von ihm begehren, fing
er an, zu klagen über den Haß des Ministers gegen die Philosophie und
die Hegelei insbesondere, über seine Einflußlosigkeit usw. Er blieb eine
volle Stimde bei mir, bat mich auf das herzhchste, zu ihm zu kommen,
versprach wiederzukommen usw.
Schon am 12. hatte sich am Ende der Sitzimg der Akademie Lepsius
Pritzel genähert (zufällig hatte ihm dieser acht Tage vorher erzählt,
daß er mein Freund sei) und angefangen, ihn über mich auszuholen,
sowie seiner Bewunderung über das Werk lyuft zu machen. ,, Sagen Sie,"
rückte er endlich heraus, ,,ist das derselbe Ivassalle aus dem Hatzfeldt-
Prozeß?" — ,,Ja gewiß," sagte Pritzel, ,,er hat ja auch in der Vorrede
eine Hindeutung darauf gemacht. Haben Sie die nicht gefunden?" —
,, Jawohl," replizierte Lepsius, ,,ich habe es mir auch so ausgelegt, ich
wollte nur meiner Sache sicher sein."
Am 14. großer Sturm auf der gelehrten Börse, wie man hier ein
Zimmer in der Bibliothek nennt, wo die Gelehrten sich vormittags ge-
wöhnlich zusammenfinden. Professor Gerhard, -) der große Mythologe.
die Dozenten Piper ^) imd Helferich,^) Professor Haupt ^) kamen an,
stürmisch nach dem Buch verlangend. Böckh und Lepsius hatten näm-
lich bereits meinen Ruhm zu kolportieren angefangen. Natürlich war
das Buch noch nicht da. Man forschte mm, wo ich gearbeitet hatte,
jeder wunderte sich, mich nicht in den Arbeitsräumen der Bibliothek
gesehen zu haben, man schlug die lyiste der Bibliotheksbesucher nach,
fand mich nicht; endhch ergab sich durch eines Kustoden Geschwätz,
daß Pritzel die Bücher auf seinen Namen genommen und mir nach
1) Karl Otto von Raumer (1805 — 1859), war von 1850 bis 1858 preußischer
Unterrichtsminister.
2) Eduard Gerhard (1795 — 1867), Archäologe, Schüler Böckhs, seit 1844
ordentlicher Professor an der Universität Berlin.
3) Ferdinand Piper (181 1 — 1889) war Direktor des christlich-archäologischen
Museums der Universität.
■*) Adolf Helferich (18 13 — 1894) war seit 1842 als Privatdozent für Philosophie
habilitiert.
^) Moritz Haupt (1808 — 1874), der bekannte klassische Philologe und Ger-
manist, wirkte seit 1853 als Fachmanns Nachfolger als ordentlicher Professor an
der Berliner Universität.
= i88 =
Hause geschickt habe. Und die Sache schloß mit einer heitern Nase,
die der Oberbibliothekar Pertz^) an Pritzel über seine Verletzung des
Reglements erteilte.
Am 15. endlich kam der abschriftlich beifolgende Brief ^) von Lep-
sius an. ,,Ist er wirklich so rot, wie man sagt?" hatte der politisch so
ängstliche Mann in bezug auf mich gefragt. ,, Blutrot," hatte Pritzel
lachend geantwortet. Aber das alles konnte den Enthusiasmus des
Gelehrten nicht überwinden.
Ivcpsius hatte wieder grade unter anderem meine Ausführungen über
die iujivQCoois und änoKäOraöig gelesen. Sie erinnern sich vielleicht,
daß dies wiederum eine Partie war, für die ich kein einziges direktes
Zeugnis hatte, ja daß ich, um meine Theorie über die iKTtvQOJöig zu
etablieren, der gelehrten Welt grade ins Gesicht sagen miißte, drei bis
vier Stellen des Aristoteles, zwei der wichtigsten Teile des platoni-
schen Timaeus imd Politicus und die gesamte stoische Philosophie total
mißverstanden zu haben!
Und wieder ist es dem Homo ignotus geglückt, auch diese Ansicht
sofort zur Anerkennung zu bringen. lycpsius pflichtet, wie Sie sehen,
meiner Theorie der, wie er mit mir sagt, ,,so allgemein mißverstandenen
injivQCdOts und änoKäoraaig" vollkommen bei.
Dies ist der zweite große sachliche Triumph, und berücksichtigen
Sie, daß beide Fragen — diese und die über die Sprachphilosophie — zu
den allerschwierigsten tmd dunkelsten Problemen des gesamten Alter-
tums gehören, so werden Sie mir zugeben, daß ich einigermaßen stolz
daratif sein kann.
Der dritte überaus große sachliche Triumph ist der, daß Lepsius und
Böckh übereinstimmend (bei Böckh ist sein Urteil darin enthalten,
was er über den Parsismus Heraklits und dann über die yÄööOat sagt)
meine L,ösung über das Problem des Zusammenhangs der jonischen
Philosophie mit den orientalischen Religionen als die richtige anerkennen !
Seit hundertfünfzig Jahren bewegt und erbittert diese Streitfrage die
gelehrte Welt, und bei der Zustimmung, die jetzt meine Lösung bei
Lepsius und besonders bei dem darin gleichfalls so kritisch vorsichtigen
Böckh gefunden hat, kann ich jetzt wohl mit Fug dies ,,alte Problem"
als endlich entschieden und gelöst betrachten.
So bin ich denn wie durch einen Coup de baguette über Nacht zu
einer großen gelehrten Autorität, zu einem von Böckh und lycpsius
auf dem Fuße der Parität und ,, Kollegiah tat" behandelten Manne ge-
1) Georg Heinrich Pertz (1795 — 1876), der Historiker und Leiter der Heraus-
gabe der Monumenta Germanica, war seit 1842 Oberbibliothekar an der BerHner
Königlichen Bibliothek.
2) Abgedruckt in Bd. II, S. 133, Nr. 61.
=z=z=^=^== 189 .^=^=======
worden, während mein Buch noch nicht einmal angezeigt, noch nicht
einmal an die Buchhändler versendet worden ist. Sie werden mir gern
zugeben, daß wir beide einen derartigen Erfolg auch nicht einmal ge-
hofft haben.
Die Briefe, die ich Ihnen abschriftlich sende, zeigen Sie niemand als
an Bloem und Kiclmiawy und Evelt, die einzigen Menschen, die sich
dort für mich interessiert haben; lassen sie aber durchaus nicht von
Pontius zu Pilatus wandern, schicken sie mir vielmehr sofort zurück.
Den entsetzlichsten Streich würden Sie mir spielen, wenn etwa in
irgendeiner Zeitung irgend etwas davon erschiene. Das darf durchaus
nicht sein. Und darum zeigen Sie sie auch lieber Evelt nicht — hören
Sie? nicht — weil er gar zu leicht sich hinreißen lassen könnte, in
irgendeiner Wendung etwas davon in ein Blatt zu bringen. Das könnte
ich hier viel besser haben, das darf aber durchaus nicht sein.
Ich binde es Ihnen auf die Seele.
Nur Humboldt — er ist in Potsdam — hat noch nichts von sich
hören lassen, tmd ich betrachte grade das für ein überaus gutes Zeichen.
Der ,, allgemeine Briefsteller", wie man ihn hier nennt, scheint sich erst
durchlesen zu wollen vmd wird wohl grade dann, zumal wenn er von
dem Geschrei erfährt, das die andern machen, sich ganz besonders an-
strengen wollen.
Soviel von meinem Erfolg! Verzeihen Sie, wenn ich etwas stolz und
ruhmredig geschrieben habe. Sie sind ja die einzige Person, der gegen-
über ich mich gern rühme.
Wie Sie wissen, hat jeder persönliche Erfolg für mich nur dann
einen Wert, wenn er auf irgendeine Weise mit Ihnen in Verbindung
steht. — Dies ist nun bei dem Heraklit hinreichend der Fall. Jeder
Mensch sagt: ,,Wenn dieser Mensch ein so ausgezeichnetes Werk zehn
Jahre imediert lassen konnte (mid wie Sie aus Böckhs Schreiben sehen,
erinnert er sich merkwürdigerweise, obgleich ich in meinem Geleit-
schreiben an ihn nichts davon erwähnte, daß ich ihm 1844 von der
Sache schon sprach) um dieser Frau willen, was muß das für eine wunder-
bare Frau sein!" Ohnehin mache ich hier mit meinen Kölner Assisen-
reden bei Herren und besonders Damen Propaganda für Sie. Vor acht
Tagen erst gab ich eine an Varnhagens Nichte ^) und hatte dann von
ihr wie Varnhagen die schmeichelhaftesten Dinge darüber zu hören. —
Aber den Erfolg Heraklits wollte ich noch in einer andern Ihnen
angenehmen Weise ausbeuten. Es ist mir wohl erinnerlich geblieben,
wie sehr Sie wünschen, daß ich viel Damen aus guter Gesellschaft bei
mir sehe. Das ist nun schon die ganze Zeit über der Fall gewesen. Aber
^) Ludmilla Assing.
= igo =
um einen grand coup social zu schlagen, wartete ich klüglich ab, bis
mir Heraklit die Wege gebahnt haben würde! Ein solcher grand coup
social war es bei den hiesigen Verhältnissen, wenn ich den alten vor-
nehmen, mit Orden bedeckten Varnhagen veranlassen konnte, seine
Nichte zu mir zu bringen. War das der Fall, so genierte sich keine Dame
mehr in Berlin. Ich wartete also. I^etzten Sonnabend hatte Varnhagen
gehört, daß ich krank sei, und kam zu mir gelaufen, traf mich aber
nicht, da ich schon aus war. Abends aber ging ich zu ihm, sagte ihm,
daß ich, um mich für meine ausgestandene Mühe und Arbeit zu be-
lohnen, nächstens einmal meine Freimde und Freundinnen bei mir
versammeln wollte, und bat um seine Gegenwart. Kaum hatte er zu-
gesagt, als ich fortfuhr: ,,Aber verstehen Sie mich recht, ich rechne
darauf, daß Sie mir Ihre Nichte mitbringen." Der feine Mann lächelte
so schlau, daß es evident war, er durchschaute sofort, worauf es mir
ankam. Aber Heraklit warf seinen Schatten über mich. ,,Was für Damen
werden Sie bei sich sehen?" fragte er. Ich gab ihm meine leiste (Frau
von Rappard, Frau Dr. Dohm, Madame lyina Duncker, Fräulein Fuhr).
Er verbeugte sich sehr graziös und akzeptierte sofort. Um ihn unrettbar
gebunden zu haben, ließ ich von ihm den Tag bestimmen, nächsten
Sonntag, dann lief ich noch zu seiner Nichte Fräulein Ludmilla hinüber,
machte es auch mit ihr ab, und so wird denn Sonntag abend dies Souper,
mein grand coup social, verlaufen.
Böckh und Lepsius werde ich diese Woche meinen Besuch
machen.
Soviel für heut. — Ich denke nur an Sie, beziehe alles nur auf Sie,
achte und schätze alles nur, insofern es sich mit Ihnen kombiniert.^)
Sie aber sind ein Herz wie alle Alltagsherzen ! Sie haben mich vergessen,
haben sich mir entfremden lassen durch eine kurze Trennung, mir, den
keine Macht der Erde und keine Zeit Ihnen entfremden konnte! Pfui,
schämen Sie sich! Seit über einundzwanzig Tagen haben Sie mir wieder
nicht geschrieben. Das wäre nicht möglich, wenn Sie mir nicht ent-
fremdet wären. Das weiß und fühle ich sehr wohl, und alle gegenteiligen
Protestationen werden nicht dagegen bei mir aufkommen. Bei so langem
Schweigen muß jeder innere Zusammenhang zwischen den Menschen
aufhören. Nun, wenn Sie es wollen, hindern kann ich es nicht. Aber
davon durchdringen Sie sich, wenn Sie mich je wieder so lange auf einen
Brief warten lassen, wie jetzt unmittelbar hintereinander zum zweiten-
mal, so bekommen Sie sechs Monate lang keinen Brief von mir. Wie oft
') Ähnlich hatte I,assalle am 23. vSeptember der Gräfiu geschrieben: ,,Wie
können Sie nur sagen, ich vernachlässige Sie. Ich denke an garnichts anderes
fast und kämpfe nur so energisch wie nur je."
^ 191 =
werden Sie Paul geschrieben haben in der Zeit, in der Sie mir gar nicht
schrieben? Ich möchte ihm schreiben und ihn fragen, wo Sie sind und
was Sie machen, damit ich wenigstens die Unruhe los werde.
Ihr
F. Ivassalle,
Noch immer weiß ich nicht, wo Sie sind.^) Ich habe an Paul ge-
schrieben und empfange eben \^on ihm beiliegenden Brief, daß er es
auch nicht weiß. — Vorgestern war ich bei Böckh. Man kann keine
schmeichelhaftere Aufnahme finden, als sie mir zuteil wurde. Derselbe
[sie !] schildere ich Ihnen mündlich, um so mehr als die Zukunft vielleicht
einige dunkle Äußerungen expliziert, die er machte.
Es fährt fort, Erfolge zu regnen. Nach der gestrigen Sitzung der
Akademie kam IvCpsius zum zweitenmal auf Pritzel los mit den Worten :
,,Ich lese noch immer in Lassalles Werk. Ich kann Ihnen gar nicht
sagen, was das für ein Buch ist." Und dann wiederum dies und das,
was sich mündhch besser erzählt. Unter anderem richtet er die Frage
an ihn: ,,Will er eine Professur?" — ,,Ich weiß nicht, ob er sie annehmen
würde," antwortete Pritzel sehr diplomatisch. Schon die bloße Frage
(sie kam ganz stoßweise und ex abrupto in die Unterhaltung hinein-
geschneit), nicht etwa, wih er sich an der Universität als Privatdozent
etablieren? usw., sondern gleich: ,,Will er eine Professur?" als wenn
ein Geringeres für mich gar nicht gedacht werden könnte, mag Ihnen
zeigen, wie die I^eute hier erobert sind.
Eben kommt Duncker mit zwei gleich interessanten Nachrichten
herüber; erstens hat — obwohl mein Buch noch nicht in den Zeitungen
annonciert, ja erst heute an die Buchhändler hier verschickt worden
ist — bereits heut die Königliche Bibliothek einen Mahnzettel an
ihn geschickt, mein Buch begehrend. (Der Fall ist hier unerhört.)
Dtmcker hat es geweigert mit der Erklärung, es sei noch nicht aus-
gegeben. Er wird es auch weiter weigern, da er gesetzlich ein Jahr
dazu Zeit hat. Zweitens hat Duncker aus sicherster Quelle soeben er-
fahren, daß gestern, obwohl nach furchtbarem Widerstreben, der
Minister von Westphalen ^) die Order unterschrieben hat, daß ich
definitiv hier bleiben könne. Ich bin vor Überraschung ganz wirr;
denn von mir ist dies gar nicht ausgegangen, ja nicht die leiseste An-
regung. vSeit dem letzten, vor vier Wochen erhaltenen Bescheide von
Zedlitz, worin er mir sagt, daß er mich mit meiner Abreise ,, nicht
^) Die Gräfin hielt sich zur Kur in Baden-Baden auf.
2) Ferdinand von Westphalen (1799 — 1876) war preußischer Minister des
Innern von 1850 bis 7. Oktober 1858. Er galt als der Hort der reaktionären Partei
im Ministerium Manteuffel.
= 192 =
drängen" wolle, ich vielmehr einstweilen bleiben könne, er sich aber zu
keinerlei Zeitdauer verpflichten könne, bin ich bei keinem einzigen
meiner Polizeileute auch nur gewesen. Ich wollte immer hin, erklären,
daß mir das nicht genüge. Fand aber die Zeit nicht dazu, habe keine
von allen jenen Personen gesprochen. Und jetzt diese Nachricht. Es
muß wieder mit Heraklit zusammenhängen. Übermorgen — denn
früher kann ich nicht — werde ich lyicht darin habe[n]. Vielleicht hat
Johannes Schulze gesprochen, vielleicht der Ruf vom Werke Zedlitz
bestimmt. Denn von ihm soll die nächste Initiative ausgegangen
sein.
Hätte ich nur von Ihnen eine Nachricht! Oh, wie schlecht, wie
schlecht von Ihnen ! Ich sehe erst jetzt, wie gut ich Ihnen bin ! Meinen
ganzen Autorenruhm, wie gern gäbe ich ihn darum, wenn Sie jetzt
neben mir säßen . . .
82.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN I.ASSAI.I.E. (Original.)
Mittwoch [Düsseldorf, 25. November 1857].
. . . Ihren Brief von Dienstag habe ich heute morgen erhalten. Wie
sehr mich die Anerkennung, die dem Heraklit so schnell wird, freut,
ganz abgesehen von dem Einfluß, den es auf mich haben kann, kann
ich gar nicht sagen ; es ist mir wirklich manchmal ganz so zumute, als
wenn ich selbst mit dazu beigetragen, ihn mitgeschrieben hätte, und
worüber ich eigentlich böse, ist, daß Sie mir nicht Ihr erstes Werk
dediziert; das hätten Sie eigentlich tun müssen. Wie steht es denn eigent-
lich mit demFranz?^) Sie sprechen ja gar nicht mehr davon? Sie sagen,
ich schreibe nicht oft, ich schreibe ja weit öfter als Sie, was jetzt
wohl auch billig und recht. Aber daß ich Ihnen nicht, wie Sie mir,
Neues und Interessantes schreiben kann, ist wohl von hier nicht gut
anders möglich. Was ich aber in Ihren Briefen mit großem Verdruß
ganz vermisse, obgleich ich Sie wiederholt so sehr darum gebeten, sind
Details über die Art, wie Sie Ihre Kur brauchen, ob Sie ganz zu Bett
bleiben, ob Sie eine Wärterin haben, wie lange die Kur dauern wird,
ob sie anschlägt, wer Sie besucht usw., es ist unrecht, mir darüber nicht
zu antworten, Sie wissen, wie wenig ich Vertrauen in Ihre Selbst-
pflege setze . . .
*) Das Drama , .Franz von Sickingen", das I,assalle noch in Düsseldorf be-
gonnen hatte.
- -^= 193 =
83.
LASSAlvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag früh [Berlin, 26. November 1857].
Meine Gnädigste!
... In der Zwischenzeit habe ich einen sehr liebenswürdigen Brief
von Michelet^) erhalten und zwei Tage darauf, obgleich ich nicht bei
ihm war, einen zweiten, in dem er mich einladet, am Sonnabend bei den
philosophischen Symposium, welches die alten Freunde Hegels all-
monatlich einmal bei Mäder geben, sein Gast zu sein. Dieser Klub be-
steht aus dem alten Leopold von Henning, ^) Michelet, Vatke ^) und
dem Grafen Cieskowski,^) dem Führer der Polen in der Kammer, der
Nationalökonom und Hegelianer ist. Da dieser Klub die strengste
Exklusivität beobachtet und, wie ich höre, nie jemand eingeführt wird,
wenn nicht einmal ein bedeutender Hegelianer, der von einer anderen
Universität zu Besuch herkommt, so ist die Einladung Michelets nicht
nur eine Höflichkeit, sondern auch eine Demonstration!
Auch von Adolf Stahr^) habe ich einen sehr schönen Brief be-
kommen. Diesen sowie die beiden von Michelet schicke ich Ihnen mit
andern inzwischen einlaufenden nächstens abschriftlich. Heute keine
Zeit dazu,
Professor Braniß ^) in Breslau, dem ich das Buch gar nicht schickte,
hat bereits, wie man mir von dort schreibt, vom Katheder herunter
desselben mit großem Lobe gedacht und dabei seine Freude ausge-
sprochen, daß der Verfasser ein Landsmann sei.
Der Hauptgrund, weshalb ich Ihnen heute schreibe, ist folgender:
Pritzel hat mir begreiflich gemacht, daß ich der Academie des Inscrip-
tions zu Paris ein Exemplar schicken muß.
Dazu ist ein ganz kurzes Geleitschreiben erforderlich, welches im
Deutschen etwa also lauten würde : Der Academie des Inscriptions be-
ehrt sich der Unterzeichnete als Ausdruck seiner Huldigung (hommages)
1) Für den außerordentlichen Professor der Plülosophie Karl Ludwig Michelet
(1801 — 1893) vgl. Bd. II. Einführung S. 21 sowie die Nummern 130 und 136.
2) Leopold von Henning (1791 — 1866) war seit 1825 Professor der Philosophie
an der Berhner Universität.
^) Wilhelm Vatke (1806 — -1882), Professor der Theologie in Berlin.
*) Graf August von Cieskowski (18 14 — 1894), Geschichtsphilosoph, Mitglied
der polnischen Fraktion des Abgeordnetenhauses.
5) Adolf Stahr (1805 — 1876), Altphilologe, Historiker, Kunst- und Literar-
historiker, Gatte Fanny Lewaids.
«) Julius Braniß (1792 — 1873), Professor der Philosophie in Breslau.
Mayer, Lassalle-NachUss. IV I -i
^= 194 -^ —
ein Exemplar seines soeben die Presse verlassenden Herakleitos des
Dunklen von Ephesus in tiefer Ehrfurcht ergebenst zu widmen.
Es handelt sich nun darum, diese paar Worte in einem solchen
Französisch herauszubringen, welches man der Pariser Akademie
schreiben kann. Da sind Sie natürlich meine einzige Rettung. Also
quälen Sie sich diesen Brief schnell ab und schicken mir ihn her. Aber
gleich, gleich, noch am selbenTage möglichst. Denn die Sache hat
wirklich nicht mehr Zeit...
84.
I.ASSAI.LE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend abend [Berlin, 28. — 30. November 1857].
Meine Gnädigste!
Ich komme soeben aus dem ,, Hegeischen Symposion" zurück imd
will den Abend anwenden, mit Ihnen etwas zu plaudern, in meiner Er-
zählung chronologische Ordnung beobachtend. — Gestern war ich bei
Michelet, ihm meinen Besuch zu machen, traf ihn nicht, ließ eine Karte
zurück. — Heute früh empfing ich den beiliegenden lobatmenden Brief
Humboldts, dessen ungewöhnlich große Verbindlichkeit Sie selbst be-
urteilen werden ! Er ladet mich darin, wie Sie sehen, ein, ihn Montag um
zwei Uhr zu besuchen.^) Sie wissen, daß er mir damals — 1846/47 — ge-
schrieben, er wolle nichts mehr von mir wissen ! ^) Wie Sie aus seinem
Brief ersehen, macht Böckh^) es sich zum Geschäft, mich zu kolportieren !
Einen besseren Kolporteur kann man sich freilich nicht wünschen.
Heute um 2^4 Uhr kam Michelet zu mir, mich abzuholen. Als wir
hinkamen, waren vorerst nur noch Hofrat Fr. Förster ^) gegenwärtig
(der Präsident der Gesellschaft; Michelet ist ihr Sekretär), der alte
General Pfuel ^) imd der Kammerpräsident IvCtte.^) Die Gesellschaft
1) Vgl. Bd. II, S. 133.
^) Vermutlich meint Lassalle den Brief Humboldts vom 31. Oktober 1846,
vgl. Bd. I, Nr. 88. Aus dem Jahre 1847 findet sich im Nachlaß kein Brief Hum-
boldts an Lassalle.
3) Für Lassalles Beziehungen zu August Böckh vgl. Bd. II, Einführung S. 18.
*) Friedrich Förster (1791 — 1868), Dichter und historischer Schriftsteller.
Einige Briefe und Gelegenheitsgedichte von ihm an Lassalle befinden sich im
Nachlaß.
^) General Ernst von Pfuel (1779 — 1868), September bis Oktober 1848 preußi-
scher Ministerpräsident, 1858 liberales Mitglied des Abgeordnetenhauses.
8) Wilhelm Adolf Lette (1799 — 1866), der spätere Gründer des Lettevereins,
liberales MitgUed des Abgeordnetenhauses, Vorkämpfer der Befreiung der länd-
lichen Gemeinden von der gutsherrlichen Vormundschaft.
— 195 ==
ist nämlich nicht mehr gar so exklusiv, wie ich Ihnen neulich nach
Joh. Schulzes ^) Erzählung schrieb. Sie läßt gegenwärtig auch andere
Leute zu als Hegelianer, freilich nur wenn sie sehr berühmte Namen
haben usw. Von den Anwesenden nenne ich noch Prof. Schulz von
Schulzenstein, 2) Prof . Märker,^) Prof. Rötscher'*) usw. Pfuel sollte heute
grade Mitglied werden. I^ette ist es schon länger. Jedem der Anwesenden
wurde ich immer von neuem vorgestellt mit dem Beisatz „der Ver-
fasser des Herakht". Dies wiederholte sich, so oft jemand kam und
daher im ganzen so oft, daß mir wirklich schon vor meinem Heraklit
übel zu werden anfing. Da kam mir der alte General Pfuel zu Hilfe. Ich
kenne ihn schon von einem Hotel aus, wo ich ihn mehrmals bei Tische
traf, und ebenso aus den Kafifeegesellschaften Varnhagens. Er trat auf
mich los und fragte mich: ,,Also sagen Sie, die Geschichte mit dem
Grafen Hatzfeldt haben Sie, höre ich, ganz siegreich zu Ende gebracht?"
— ,,Ganz siegreich," erwiderte ich mit übermütigstem Lächeln und
Nachdruck. ,,Der wird sein Lebtag an mich denken." — ,,Das ist mir
äußerst lieb," sagte Pfuel . . .^) ,,Da haben Sie wirklich eine große Tat
getan," sagte er, mir die Hand schüttelnd. — ,, Jawohl," replizierte ich
möglichst laut, um von so vielen Umstehenden als möglich gehört zu
werden, ,,ich wenigstens rechne sie mir weit höher an als den Heraklit."
— ,, Gewiß, es ist eine praktische Tat," betonte Pfuel — und damit
setzten wir uns zu Tische. Ich saß neben dem Kammerpräsidenten Lette
und Michelet! Gott, was ist das für ein Oppositionschef, dieser Lette!
Unsere ganze Kammermisere konnte sich mir nicht deutlicher mikrokos-
misch malen als in diesem gutmütigen, schmunzelnden, schwächlichen
Menschlein, das sicher vor Schreck gestorben wäre — ich konnte diese
Vorstellung gar nicht los werden — , wenn ich ein einziges Mal an-
gefangen hätte, mit meinem Volksrednerorgan zu sprechen! Sind das
Tribimen! — Cieszkowski^) war nicht da, weil jetzt nicht in Berlin.
Den ersten Toast bei Tische brachte Präsident Förster auf das neu
eintretende Mitglied Pfuel. Und zwar begann er diesen Toast merk-
^) Johannes Schulze (1786 — 1869), der Mitbegründer und langjährige Leiter
des preußischen höheren Unterrichtswesens.
2) Schultz von Schultzenstein war Professor der Botanik an der Berliner
Universität.
3) Friedrich August Märcker (1804 — 1889), Privatdozent der Philosophie an
der Berliner Universität.
*) Heinrich Theodor Rötscher (1803 — 1871), Ästhetiker, Dramaturg, Theater-
kritiker der ,,Spenerschen Zeitung".
^) Hier folgen sehr abfällige Äußerungen Pfuels und Lassalles über den Grafen
Edmund Hatzfeldt und sehr anerkennende für die Gräfin Sophie.
^) Der Geschichtsphilosoph Graf August von Cieszkowski, der Führer der
Polen im preußischen Abgeordnetenhause.
= igö =
würdigerweise mit mir. ,,Wir haben heute einen Mann unter uns, der
die ruhmreiche Tat begangen, den dunkelsten der Philosophen ins
hellste Licht zu setzen" usw. Und nun machte er dann eine Art Über-
gang, daß neben den Taten der hohen Intelligenz auch die Tat als
solche ihre Berechtigimg hätte und daß Pfuel als Vertreter dieses Genus
heut aufgenommen sei usw. Fünf Minuten drauf brachte Michelet einen
Toast auf mich aus, von solchem entsetzlichen Lobschwalle voll, daß
mir nach den ersten zwei Sätzen Hören und Sehen verging und ich ihn
wirklich gar nicht gehört habe. Professor Schulz gri£f darauf Moleschotts^)
materialistische Theorien an. Aber ich entblödete mich nicht, sie männ-
lich zu verteidigen und mit mir, mit fast noch größerer Bestimmtheit,
Michelet. Dann fragte mich dieser, ob ich Mitglied der Gesellschaft
werden wolle. Ich bejahte, und er lief hinüber, es Förster ins Ohr sagen.
Eine Viertelsttmde darauf erhob sich Förster und sagte: ,,Wir haben
heut die Ehre, einen Mann unter uns zu sehen usw. Dieser Mann hat
seinen Wunsch geäußert, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden. Ich
glaube, daß, wo es sich um einen solchen Mann handelt, das einzig An-
gemessene für ims ist, alle sonst imter ims üblichen Fönnlichkeiten der
Heimlichkeit, Abstimmimg usw. beiseite zu setzen und ihn durch
Akklamation zu unserm Mitgliede zu ernennen." Verbindlichstes Ge-
murmel der Gesellschaft. Ich konnte die Vorstellung nicht unterdrücken,
daß sie mich noch vor drei Monaten ebenso unbesehen und ,,ohne weitere
Förmlichkeit" zur Tür hinausgeschmissen hätten, erhob aber mein Glas
und sagte: ,,Ich kann der Gesellschaft nur meinen ebenso ergebenen
als gerührten Dank abstatten." — Jetzt hielt Professor Schulz einen
wirklich sehr interessanten Vortrag über die organische Entwicklungs-
theorie des Menschengeschlechts, der eine Stunde dauerte und nächstens
fortgesetzt wird. Zuvor war das Protokoll der letzten Sitzung verlesen
worden. Das Essen war nicht übel. Welcher Kultus aber während des
ganzen Diners mit mir getrieben wurde, welche Zielscheibe für alle
möglichen Verbindlichkeiten ich war, ist wirklich gut zu sagen: ,,Es
erfrischt wirklich, wieder einmal einen solchen Philosophen unter ims
zu sehen," riefen Michelet und Förster abwechselnd immer aus und
derlei Redensarten mehr. Es scheint wirklich, daß die Hegelei in Berlin
gar sehr das Bedürfnis rüstigen Zuwachses schon lange gefühlt hat.
Um sieben gingen wir auseinander.
Montag früh [30. 11.].
Gestern war wirklich ein Tag verschiedentlichen Peches. Pickwick
hatte mich gebeten, mit ihm zu essen. Ich ging deshalb, während ich
1) Jakob Moleschott (1822 — 1893), ^^^ bekannte Physiologe und Verfechter
eines philosophischen Materialismus.
= 197 ^^-^ =
sonst stets bis 2^/2 Uhr in meiner Wohnung bin, schon um i^/g Uhr aus.
Kaum war ich fünf Minuten fort, so kam Lcpsius,^) mir seinen Besuch
zu machen und verfehlte mich also, was mir sehr leid tut. — Aber das
war nicht alles.
Aus meinem letzten Briefe werden Sie ersehen haben, wie Herr
Wetter -) vor einiger Zeit beliebte, mir hierher Geld zur Einsendung
an Becker ^) zu schicken. Das war wirklich von ihm — sagen Sie es ihm
und, wenn Sie wollen, in meinem Namen — in hohem Grade indiskret.
Denn ich hing in bezug auf meinen hiesigen Aufenthalt ja ganz von der
Willkür der Herren ab, während Wetter in einer unabhängigen Lage
ist. — Beiläufig ist noch dazu (freilich erst im August oder September)
ohnehin der Fall eingetreten, daß ich wegen der Geldsendimgen an Frau
Röser^) ausgewiesen werden sollte. Bei den Düsseldorfer Haussuchungen
\vurde nämlich ein Brief von mir an Röser mit der Geldsendung für
Frau Röser attrapiert, mid der Minister, dem dies herberichtet wurde,
erließ von seinem Gute aus die Order zu meiner Ausweisung. Da ich
schon damals, wie Sie wissen, ziemlich fest saß, wurde dies wieder
beigelegt. Ich schrieb Ihnen gar nichts davon. Es war mir nicht grade
angenehm, daß Wetter die Unzartheit hatte, mich während meines
hiesigen Aufenthaltes mit jenem Auftrage zu belasten. Indes, vSie wissen,
ich bin nun einmal kein Mann der bleichen Furcht. So schrieb ich denn
an Becker,^) ich empfinge von Düsseldorfer Bekannten den Auftrag,
ihm dies Geld statt ihrer auch von hier wie früher von Düsseldorf aus
zu schicken, und wollte mich diesem Auftrag nicht entziehen, weshalb
ich usw. usw. Der Brief war von Berlin datiert. Meine Wohnung war
nicht darin angegeben. Gestern abend fünf Uhr klingelt es. Ich öffne,
und herein tritt Becker, dick und gesund. Ich freute mich aufrichtig,
ihn zu sehen. Er erzählte mir, daß er seit gestern hier sei. Da sein Hotel
von schlechtem Gesindel immer belagert werde, so sei er zu Oberst
Fatzke gefahren, sich zu beschweren. Dieser habe ihm gesprächsweise
erzählt, es sei noch einer von seiner Couleur hier, nämlich ich. Da habe
er ihn gefragt, wo ich wohne. Auf der Potsdamer Straße, habe Patzke
geantwortet, aber die N[ummer] kann ich nicht angeben. Er sei nun zu
1) Für Richard Lepsius und seine Beziehungen zu L,assalle vgl. Bd. II, Ein-
führung S. 19, sowie die Nr. 58, 61, 139.
2) Abraham Wetter, Kaufmann in Düsseldorf, Anhänger des radikalen Flügels
der Demokraten.
3) Hermann Becker (1820 — 1885) büßte noch die fünfjälirige Festungshaft
ab, zu der er im Kommunistenprozeß verurteilt worden war. Für Lassalles Be-
ziehungen zu ihm vgl. Bd. II, Einführung S. 5 ff. und ebenda passim.
■*) Für Lassalles Beziehungen zu dem Zigarrenarbeiter Peter Gerhard Röser
vgl. Bd. II, Einführung S. 9.
5) Vgl. hierzu Bd. H, Nr. 55.
_ — igS —
meinem Bezirkskommissar gefahren und habe nach meiner Wohnung
gefragt. Dort sei erst eine große Beratung gehalten worden, ob man
sie ihm sage oder nicht. Endhch habe man sie ihm gesagt und die Be-
stellung hinzugefügt, meine Aufenthaltskarte sei jetzt angelangt. Becker
erzählte mir, wie jener Berliner Brief von mir von seinem Festungs-
kommandanten nachKöln, von da nach Berlin geschickt, hier kopiert
und zu den Akten genommen wäre und er ihn erst elf Tage nach der
Absendung erhielt. Er hatte mir dies eben erzählt, als es klingelt. Es
war sechs Uhr abends. Ich konnte daher nicht anders glauben, als daß
es Pickwick oder Pritzel ist. Ich eile, selbst zu öffnen und vor mir steht —
Böckh! Es war wirklich das merkwürdigste Zusammentreffen von Um-
ständen, was man sich denken kann. Ich muß Ihnen sagen, daß es mir
sehr fatal war, obgleich ich Ihnen nicht den Grund schreiben kann,
weshalb. Denn in Hinsicht auf die Polizei ist es mir ganz gleich-
gültig. Zur gegenwärtigen Stunde stehen die Sachen bereits so, daß die
Polizei in die vollständige Unmöglichkeit, mich zu malträtieren,
versetzt ist, selbst wenn sie es wollte. Sie ist bereits zur Impotenz
reduziert.
Aber aus andern, schriftlich nicht zu explizierenden Gründen war
es mir grade mit Böckh sehr fatal. Gleichwohl war nichts mehr zu
machen. Da ich vor Böckh stand, mußte ich ihm Mantel und Hut ab-
nehmen, konnte nicht mehr zurücklaufen und ihn allein lassen und hatte
also auch nicht mehr die Zeit, Becker zu bitten, fortzugehen imd später
wiederzukommen. Ich führte also Böckh in das Zimmer, erließ mir aber
die Vorstellung, zu der ich Böckh gegenüber auch nicht einmal be-
rechtigt war, Böckh wurde sehr behaglich, rauchte zwei Zigarren bei
mir aus, blieb beinahe eine Stunde, erzählte mir allerlei. Unter anderem
sagte er mir: ,, Hören Sie, Ihr Werk hat selbst den Stockphilologen
die größte Ehrerbietung abgezwungen. Gestern sprach ich einen, gerade
einen solchen Stock-Stock-Philologen, und selbst der sagte mir: ja,
da müsse man allen Ehr' und Respekt haben."
Ich war natürlich zu diskret, zu fragen, wer dieser ,, Stock-Stock-
Philologe" sei, glaube aber, daß er nur Immanuel Bekker ^) gemeint
haben kann. Über Humboldts Brief freute sich Böckh sehr; endlich
stand er auf, um zu gehen. Jetzt aber, auf Becker zuschreitend, sagte er:
„Nun muß ich noch bitten, mir den Namen des Herrn zu nennen!" —
,,Habe ich das nicht getan?" sagte ich verwundert. ,,Ein Rheinländer,
Dr. Becker aus Köln." Becker hatte bis dahin am Gespräch nur geringen
Anteil genommen, imterhielt jetzt aber Böckh mit einigen Anekdoten
aus seiner Universitätszeit recht gut. Übrigens glaube ich, daß Böckh
1) Immanuel Bekker (1785 — 1871), der Herausgeber zahlreicher antiker Texte,
war seit Begründung der Universität in Berlin Professor der alten Philologie.
-= 199 =
gar nicht weiß, welcher Dr. Becker das ist, denn wie soll er grade auf
jenen denken? Und im übrigen war von Beckers Personalien nicht die
Rede. Bald hatte ich Böckh hinauskomplimentiert.
Hat er es aber gemerkt, so wäre es mir aus einem ganz speziellen
Grunde unbeschreiblich fatal.
Nun noch eins: Ich habe keine einzige von meinen Kölner Reden
mehr. Suchen Sie alle — es müssen auf dem Boden noch Pakete stehen —
zusammen und schicken sie mir sofort. Dies ist von der größten
Wichtigkeit. Es kann für Sie hier gar kein besserer Boden bereitet
werden als durch möglichste Verbreitung der Kölner Rede. ^) Ich und
Hiersemenzel ^) haben es uns zum Geschäft gemacht, sie aller Welt zu
geben. Varnhagen sagte mir, nachdem er sie gelesen: ,,Ich kann Ihnen
nur eins darüber sagen, sie hat mich auf das gewaltigste an Mirabeaus
Reden und Prozesse erinnert. Wie schade für Sie und besonders für die
darin verfochtene Sache, daß diese Rede hier so wenig bekannt ist."
Aber nicht nur mir — sondern andern hinter meinem Rücken hat er
dasselbe gesagt. Auch wird er sie mit verbreiten helfen. Aber Exemplare !
Exemplare! Sind keine in hinreichender Anzahl da, so muß ein neuer
Abdruck gemacht werden, ob hier oder dort, werde ich noch bestimmen.
Die Kosten — höchstens fünfzig Reichstaler — können Ihnen dabei
nicht ins Gewicht fallen. Vorläufig schicken Sie nach den genauesten
Recherchen alles, was Sie von Exemplaren haben.
Nachschrift Montag früh.
. . . Wie Sie hier immer von meinen ,,plaisirs" sprechen können, ist so
uneinsichtig wie lieblos. Zu meinen plaisirs gehört, wie Sie wissen, nur
das: im Zimmer zu bleiben mit zwei Freunden, nicht aber da und dort
herumzulaufen, fremde Menschen zu unterhalten usw. Zudem soll wohl
jedem, wenn man solche Krankheiten mit sich herumträgt wie ich, das
plaisir gründlich vergehen.^) Von meiner Erschöpfung haben Sie
keinen Begriff. Aber es handelt sich für mich nicht um plaisir, sondern
nur um Zwecke, die auf Sie in Beziehung, und die ich Ihretwegen
und nur Ihretwegen betreibe. Wenn Sie noch einmal so von meinen
,, plaisirs" sprechen, gut, so lasse ich alles und ziehe mich auf meinen
alten Fuß zurück, mit Pickwick und Pritzel in meinem Zimmer lebend.
Ich bin ein unabhängiger Mensch und brauche niemand und habe
an niemand Freunde. Wenn ich mich quäle und abhetze, Eroberungen
1) Lassalle memt seine Verteidigungsrede im Kassettenprozeß von 1848.
•) Eduard Hiersemenzel (1825 — 1869), Altersgenosse, Landsmann und Ver-
bindungsbruder Lassalles, geachteter Jurist. Er wurde 1859 Stadtrichter in Berlin
und gründete die ,, Preußische Gerichtszeitung", die er seit 1861 ,, Deutsche Ge-
richtszeitung" nannte.
') Für Lassalles Krankheit vgl. oben die Einführung S. 30.
= 200 =
ZU machen, so geschieht es für Sie , wie alles, was ich tue. Ich strapaziere
mich wie ein Hund, sehe blaß aus wie der Tod und suche die Menschen
zu gewinnen und zu blenden Ihretwegen, Ihnen den Boden zu bereiten,
den Sie brauchen. Selbst diese furchtbare Krankheit kann mich im
jetzigen Augenblick nicht davon abhalten, weil gerade dieser Augen-
blick durch den fabelhaften Nimbus imd Enthusiasmus, der mich jetzt
trägt und der doch wie alles vorübergeht, vorzüglich geeignet dazu ist.
Und das alles und diese Marter und Treue begreifen Sie so wenig, daß
Sie von ,,plaisirs" sprechen. Schöne plaisirs! Alles, was ich tue, tue ich
für Sie. Sie könnten dies schon aus den so langen Briefen sehen, die ich
ächzend, wahrhaft ächzend, schreibe. Aber es wird jedem Hunde mit
Schlägen gelohnt! Genug davon! Meinen , .unartigen" Brief mit dem
Buch für Kichniawy haben Sie wohl inzwischen bekommen.
Adieu, meine Gute. Ich bin recht traurig, trauriger vielleicht unter
meinen glänzenden Erfolgen, als ich es je war. Sie fehlen mir sehr, und
selbst bei Ihnen ist keine Einsicht und Anerkennimg! Ich bin so ab-
gehetzt, so abgehetzt wie ein Hase. Die langen Briefe an Sie mitten
imter tausend Dingen, die ich tun muß, ruinieren mich auch. Expedieren
Sie sich doch so schnell als möglich, um baldigst herkommen zu
können. Daraus schöpfe ich nicht frische Kraft, diese ward mir im
eisernen Willen, aber neue, warme, innere Befriedigung. Ich muß mich
anziehen und zu Humboldt, vorher noch den Brief H[umboldts] für Sie
kopieren.
Ihr
F. L.
85-
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Dienstag abend [Berlin, 15. Dezember 1857].
. . . Nun will ich Ihnen zum Schluß des Briefes noch meinen Besuch
bei Humboldt erzählen.^) Er kam mit den Worten auf mich los: ,,Aber
Sie kommen uns ja zurück, ganz wie Sie gegangen sind. Sie haben sich
nicht verändert in der Zwischenzeit." Damit ergriff er mich bei der
Hand, nötigte mich auf das Sofa, setzte sich vor mich und fuhr fort:
,,Sie haben da ja ein höchst merkwürdiges Buch geschrieben, ein wunder-
bares Buch." Es gibt eigenthch nichts Dümmeres als die Situation
dessen, an den solche Dinge gerichtet werden, er weiß nicht, ob er be-
jahen oder verneinen soll. ,,Ich lese nun schon die dritte Nacht in
Ihnen. Es ist nicht eine Arbeit, es ist ein ununterbrochener Genuß, dies
Siehe oben Nr. 84, S. 194.
- 201 -
Werk zu lesen." Und nun fing er denn an, seine Kenntnis desselben zu
entfalten und endlich von da auf andere Dinge zu kommen. Er sprach —
ich unterbrach ihn so selten als möglich, fast nur, wenn ich antworten
mußte — höchst brillant und fast ununterbrochen dreiviertel Stunden
lang, immer zeigend, daß er mit allen modernsten Produkten ganz
vertraut sei. Dieser neunzigjährige Mensch — es ist wirklich zum Er-
staunen! Ich saß wie mit aufgerissenem Maule da. Seine Stimme ist
stärker geworden als sonst, wahrscheinlich infolge dessen, daß — das
einzige Gebrechen, das man bemerkt — sein Gehör gelitten hat. Als im
Laufe des Gesprächs, er kam auf Mendelssohn,^) flüchtig meine Ver-
gangenheit berührt wurde, beugte er sich in der höchst grundlosen
Furcht, ich könnte das übel nehmen, zu mir hinüber und sagte mir,
auf den Rücken klopfend: ,,Sie verzeihen, wenn ich auf Vergangenes
komme, ich meine es nicht böse, sondern sehr gut damit, sehr gut."
Ich sagte ihm natürhch, wie ganz recht mir das sei.
Als ich mich endlich, nach dreiviertel Stunden, empfahl, sagt er
mir: ,,Ich hoffe, daß Sie mich nun jetzt recht bald und recht oft be-
suchen. Ich bin fast täglich von eins bis zwei für vSie zu Hause, für Sie
zu Hause," — fügte er sehr scharf und verbindlich betonend hinzu.
Dies ist ungefähr bei Humboldt wie der Schwarze-Adler-Orden. Noch
hatte er mir im Lauf des Gesprächs erzählt: ,,Vor einer Stunde war
Böckh bei mir; er hat mir alles und mit noch größerem Enthusiasmus
mündlich über Sie wiederholt, was er mir geschrieben hatte." Es ist
dies um so schöner von Böckh, als fast zu wetten ist, er ist bloß deshalb
zu ihm hingelaufen. Denn zwei Tage vorher hatte er bei mir von [sie!]
gehört, daß ich Montag zwei Uhr bei Humboldt sein würde.
Außerdem hat Humboldt nun angefangen, mich zu kolportieren.
Klotz, 2) ein Mitglied der Akademie imd Naturforscher, erzählte Pritzel,
dessen besonderer Freund er ist, von dem Buche, und als ihn dieser
fragte, was er denn davon wisse, da er diese Materien gar nicht verstehe,
sagte ihm Klotz, er verstehe sie auch nicht, aber Plumboldt habe es
ihm so rasend gelobt. Aber das ist nicht genug. Das beste kommt nun.
Sonnabend drauf war Tee bei Vamhagen. ,, Gestern war ich mit meinem
Onkel bei Humboldt," sagte mir seine Nichte, als wir in einer Ecke
plauderten. ,,Nein, der schwärmt für Sie, wie ich ihn noch nie für
jemand habe schwärmen hören. Sie wissen, wie gern ich Sie loben höre,
aber diesmal wurde es mir fast zuviel. Denn ich wollte ihn gern noch
^) Arnold Mendelssohn. Siehe oben Nr. 30 und die Einführung zu Bd. I, S. 29 ff.
^) Lassalle meint offenbar den Kustos am Herbarium der Akademie der
Wissenschaften Johann Friedrich Klotzsch (1805 — 1S60), der seit 185 1 als ordent-
liches Mitglied der Akademie angehörte.
= 202 =
auf einige andre Dinge bringen, aber umsonst, was man auch anfing,
er kam immer wieder auf Sie zurück." Die Lobeserhebungen usw. über-
gehe ich hier und will Ihnen nur eine Geschichte mitteilen, die Ihnen
zeigen mag, wie weit ich es schon gebracht habe. ,,Br wurde selbst kühn,
der alte Humboldt," fuhr Fräulein lyudmilla lachend fort, ,,so kühn,
daß ich gar nicht weiß, ob ich Ihnen auch das wiedersagen soll." — ,,Sie
wissen," sagte ich, ,,daß ich darauf rechne (wir sind nämlich sehr gute
Freunde), von Ihnen alles zu hören, und es nicht Ihrer würdig halten
würde, wenn Sie irgend etwas zurückhielten." — ,,0h," lachte sie,
„ereifern Sie sich nicht, ich hätte es Ihnen jedenfalls gesagt, denn ich
weiß, daß Ihnen das grade besondere Freude machen wird. Auch ist
es für uns gar nicht kühn, nur für ihn, den alten H[umboldt], ist es fast
kühn." — ,,Also was ist es?" — ,,Er rief nämlich unter anderm aus:
Welche merkwürdige Natur das ist! Ich finde das so schön von
ihm, wie er sich geteilt hat zwischen Heraklit — und der Gräfin
Hatzfeldt, und keins von beiden aus den Augen verloren, jedem ge-
nügend."
Sie sehen, weiter kann ich wirklich nicht gehen. Humboldt, der mir
in jenem Briefe, wie Sie sich erinnern, wegen Ihrer erklärt hat, er wolle
nichts mehr mit mir zu tun haben, hat sich so erhitzt, daß er es um-
gekehrt jetzt ,,so schön" findet. Bald wird er sich eingeredet haben,
er habe es immer so schön gefunden. Welche, ich möchte sagen, fast
kopulierende Wirkung diese Äußerung [en] Humboldts auf Varnhagen
und alle, denen er sie im Vertrauen weitererzählt, bei dem Humboldt-
Kultus der hiesigen Welt haben, brauche ich Ihnen natürlich nicht aus-
einanderzusetzen.
Als ich an den Tisch trat, jetzt erst Varnhagen begrüßend, da fing
Varnhagen laut an: ,, Gestern war ich bei Humboldt" usw. und gab
nun — mit Ausnahme der letzten Anekdote natürlich — einen Teil des
mir von Ivudmilla Erzählten laut zum Besten. Sie können denken,
welcher Gegenstand der Verehrung ich in den Augen der Anwesenden
wurde. Sie sehen, unsere Galeere geht mit günstigem Winde und schwellen-
den Segeln.
. . . Die Gelehrten inzwischen trommeln immer weiter. Ein neuer,
unmäßiger Bewunderer, Meinecke, i) Mitglied der Akademie, ist auf-
taucht. Alle einzelnen Anekdoten erzählen, wäre lästig. Anbei ein Brief
von 'Ritschel ^) in Abschrift . . .
1) August Meinecke (1790 — 1870), klassischer Philologe, Direktor des Joachim-
thalschen Gymnasiums.
-) Abgedruckt in Bd. II, S. 144.
203 —
86.
I.ASSALLE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Dienstag [Berlin, i.März 1858].
Meine gute, gnädige Frau!
Ich sehe Sie noch immer mit dem wehmütigen Ausdruck, den Ihr
Gesicht im Augenbhcke des Abschiednehmens hatte, vor meiner Tür
stehen, mit Tränen in den klaren, blauen Augen! Was war Ihnen nur?
Was hatten Sie? Was es auch gewesen sein mag — kein Gedanke würde
ungerechter sein als der, daß meine Freundschaft für Sie durch meine
hier entamierten Fremidschaften usw. im geringsten gelitten habe.
Eigentlich ist dieser Gedanke bei dem Charakter, den Sie an mir kennen,
schon eine Art Blasphemie! Wenn ich mich auch mit andern Leuten
amüsiere, wenn ich sie auch recht gern habe, nie würde das doch irgend-
eine Konkurrenz aushalten können mit dem gediegenen Devouement,
das ich für Sie habe. Sie selbst wußten das früher, lachten oft mid
sagten z. B., Sie wüßten genau, daß niemals z. B. eine Liebschaft meiner
Freundschaft für Sie gefährlich werden könne. Ich würde immer alles
stehen und liegen lassen, wenn es sich irgend um Sie handle! Was ich
hier sage, sage ich nicht bloß Ihnen. Ich habe es allen diesen Leuten —
ich werde es Ihnen bei Ihrer Herkunft beweisen — allen diesen Damen
gesagt. Ich habe ihnen mit jener Herrschermiene, die ich, wenn es an
der Zeit, anzunehmen weiß,^) unverhohlen angekündigt und geradezu
gesagt: ,,Jede von Ihnen, die nicht für die Gräfin die wärmste Freimd-
schaft und Bewunderung fühlte und dies auf alle Weise an den Tag
legen würde, würde ich sofort als ein etre stupide aus der Liste meiner
Freundinnen streichen." Das sagte ich, ehe die Damen Sie noch sahen,
und sie lassen es sich auch gesagt sein. Selbst solchen, zu denen mich
doch gewisse nähere Bande fesseln und die mir Vorwürfe machten, daß
Ihre Anwesenheit ihnen soviel Zeit entzöge, sagte ich ganz unverholen :
,,Wie können Sie sich mit der Gräfin messen wollen in bezug auf die
Ansprüche, die Sie auf meine Zeit erheben? Sie kommen mir erst in-
finiment nach ihr, denn die Gräfin ist nicht wie Sie meine Freundin,
sondern mein bester Freund!"
Wenn Sie wieder hier sind, sollen die Damen es alle Ihnen sagen,
ob ich textuellement so gesprochen.
Nein, ,,kein Flitterschein, kein Wandel ist in mir". Jede Empfin-
dung und jeder Wille in mir ist ewig, wie er bei Gott gedacht wird.
Unser Verhältnis ist freilich ein endliches. Aber nicht meinerseits; ich
^ L,assalle verschreibt sich: annehmen zu weiß.
= 204 =
bin kein endliches Wesen in dem Sinne eines veränderlichen Wesens.
Durch keine ändere Freundschaft, Leidenschaft usw. könnte mein Ver-
hältnis zu Ihnen im geringsten geschwächt oder tangiert werden. Nur
dadurch könnte es Eintrag erleiden, wenn Sie anfingen, aus der Art
zu schlagen und sich zu deteriorieren. Indes — das werden Sie nicht.
Dazu ist zuviel geistige Gesundheit und geistiger Fond in Ihnen. Aber
etwas außer Ihnen Liegendes wird Ihnen nie bei mir Eintrag trni . . .
Nun adieu, alte, gute Gräfin! Ich warte mit leidenschaftlicher Un-
geduld Ihre ersten Zeilen ab.
Expedieren Sie sich doch schnell. Vielleicht — es ist sehr wohl
möglich, wenn Sie Diligence machen — können Sie dann den April
noch in Berlin zubringen rnid gehen dann i. oder 15. Mai von hier in
die Bäder imd sind am 15. Juli fertig.
Ihr
F.Iv.
87.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag, den 12. März 1858.
Gute Gräfin!
Wieso mein letzter Brief an Sie nicht freimdschaftlich und freund-
lich gewesen sein soll, begreife ich nicht. Er war geschäftlich. Die Stelle
mit den vielen Nullen, die Sie wohl allein bei jenem Urteil im Auge haben,
sollte bloß mit der höchsten Energie ausdrücken, daß ich nichts mehr
zu schreiben weiß. Sie wollen immer mehr rmd mehr geschrieben haben,
und benutzen dann doch nicht das Geschriebene.
Auf Ihren jetzigen Brief ^) aber ist es wirklich schwer, Ihnen eine —
nicht fremidschaftliche, denn das bleibt sie immer — sondern auch
eine freundliche Antwort zu geben. Es ist wirklich sehr, sehr traurig!
Nicht Ihre Lage, aber diese ganze verkehrte rmd grundlose Stimmimg
bei Urnen ! Was soll ich tun ? Schriftlich ist es doch immöglich, Sie zur
Einsicht zu bringen und die Dinge zu widerlegen. Sie stellen sich alle
Dinge falsch vor . . . Daß Sie unter solchen Umständen weder eine Ver-
^) Die Gräfin hatte in einem Brief ihre Vermögensverhältnisse, die durch die
wirtschaftliche Krisis und tmgünstig verlaufene Spekulationen gelitten hatten,
in den schwärzesten Farben geschildert und sogar die Meinung geäußert, daß sie
auf eine Badereise werde verzichten müssen. Sie schrieb u. a. : ,,Ich bitte Sie,
meine Lage einmal ohne vorgefaßte Meinung zu überdenken, und Sie werden
mir Recht geben müssen und mir nicht mehr vorwerfen können, wenn ich recht
sehr melancholisch bin.'"
205 =========
gnüguugs- noch eine Badereise machen können, finde ich sehr ver-
nünftig und echt menschlich. Ich billige es ganz! Man müßte ja blind
sein, um das nicht einzusehen. — Grade tags vor Empfang Ihres Briefes
habe ich Dawison^) im Avare von Moliere gesehen. Ich hätte nicht
geglaubt — verzeihen Sie mir, ich schreibe es nicht, um Sie zu be-
leidigen, ich schreibe es vielmehr aus der bewegten Tiefe eines bluten-
den Herzen — ich hätte nicht geglaubt, den Typus desselben zu
meinem besten Freunde zu haben! Was wollen Sie denn machen mit
Ihrem Gelde? Sich drin einsargen lassen? Sie gleichen wirklich jenem
Souslieutenant, der mit zwanzig Reichstalem monatlich fröhhch lebte,
und als er einen Millionär beerbte, sich erschoß wegen der vSorgen, die
ihm die Hypothekenschulden auf den Gütern machten. Traurig, traurig!
Ihr
F. Ivassalle.
P.S. Anbei Ihr Brief zurück! Sie lesen ihn vielleicht nochmals
durch und — erschrecken dann selbst davor!
88.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend [wohl Frühling 1858].
Meine gnädige Frau!
Ich habe Ihnen nun genug Geschäftsbriefe in diesen Tagen ge-
schrieben und will nun ein bißchen mit Ihnen plaudern. Ihr ,, Pionier",
wie ich mich zu nennen rmd wirklich aufzufassen liebe, hat gestern
einen sehr entscheidenden Abend geschlagen. Ich gab nämlich ein
äußerst glänzendes Souper, glänzend sowohl nach den dabei ent-
wickelten materiellen Genüssen als nach der höchst gewählten Gesell-
schaft. Es war da Vamhagen von Ense mit seiner Nichte Fräulein
Ludmilla Assing, der alte Böckh, Professor Michelet mit seiner Frau,
Adolf Stahr,^) dessen Frau (Fanny Lewald) zu seinem tmendlichen Be-
dauern durch eine gestern abend angekommene, heute früh abreisende
Cousine gehindert war (ich rächte mich dafür an ihr, indem ich ihren
Mann ihr schwer molum^) nach Hause schickte), der Hof rat Förster
^) Bogumil Dawison (1818 — 1872), der berühmte Schauspieler, gehörte damals
der Dresdener Hofbühne an.
-) Adolf Stahr (1805 — 1876), der bekannte Philologe, Ästhetiker und Historiker.
Seine und seiner Frau Beziehungen zu Lassalle waren um diese Zeit sehr freund-
schafthche. Vgl. auch Bd. II, S. 140.
^) Hebräisch: betrunken.
= 2o6 =
(der bekannte Hegelianer und „Hofdemagoge" des verstorbenen Königs)
und außerdem meine sonstige Gesellschaft, die vSie schon kennen. Also
wirklich die Elite der Berliner geistigen und gelehrten Welt. Man hat
sich über alle Maßen gut amüsiert. Böckh war selig. Als ich ihm beim
Fortgehen erklärte, daß ich nur aus pflichtgemäßer Bescheidenheit dies-
mal seine Frau noch nicht eingeladen, ich hätte gewollt, daß er zuvor
erst einmal allein bei mir sei, damit er sehe, ob er sich bei mir amüsiere,
versicherte er mir, daß, wie äußerst selten die alte Dame auch in Abend-
gesellschaften ginge, es ganz selbstverständlich sei, daß er bei mir eine
Ausnahme machen und sie mir jederzeit gern mitbringen werde. Varn-
hagen machte mir freimdschaftliche Vorwürfe, daß ich General Pfuel
(seinen Freund) nicht eingeladen, worin sich also aussprach, daß dieser
mit Vergnügen ein nächstesmal, was mir Varnhagen ans Herz legte,
akzeptieren wird, und ferner, daß Varnhagen sich sehr wohl fühlte und
seinen Cercle bei mir heimisch machen will. Böckh hatte als der höchste
im Range den Ehrenplatz inne und unterhielt die Damen nach rechts
und nach links, daß es eine wahre Freude war. Die Leute schwammen
im Amüsement. Freilich hatte ich wieder einmal fest an meiner Theorie
gehalten, daß auch bei den gescheitesten Leuten (wenn ich nach mir
urteilen darf, grade bei solchen) doch um das vollständige Ver-
gnügen herzustellen erforderlich sei, das liebe Herz, wie Homer sagt,
an Speise und Trank zu erfreuen in ganz andrem Maß, als dies sonst
in den Abendgesellschaften hier üblich ist.^) Wir waren, da Fanny vStahr
ausgeblieben war, dreizehn Personen, und damit nicht irgend jemand
durch diese ominöse Zahl sich unbehaglich fühle, hatte Madame Duncker
die Freundlichkeit, ihr kleines Töchterchen aus dem Bette holen zu
lassen. Wir waren also dreizehn und ein Kind und tranken fünf Flaschen
Bordeaux, vier Flaschen Steinberger Kabinett und acht Flaschen
^) Schon am 5. Dezember 1857 schrieb Lassalle der Freundin: ,,Von mir ist
Ihnen dagegen wohl bekannt, daß die teuersten und hauptsächUchsten Ausgaben,
die ich mache, alle von dem Gedanken an S i e geleitet sind und diktiert werden
von der Stellung, die ich mir machen will, um Ihnen Annehmlichkeiten be-
reiten zu können . . . Daß Geld und gewisse Ausgaben hierzu ein ganz un-
erläßUches Mittel sind, ist klar. Wenn Sie meinen, ich wollte aus purer Narrheit
den Leuten durch Geldausgeben imponieren, so kann ich dazu lächeln. Ein
Mann von meiner Bedeutung und Persönlichkeit hat das nicht nötig; er kann
weit besser durch sich selbst imponieren, wenn er eben nur sich selbst im Auge
hat. Sowie man aber Zwecke verfolgt, die mit Frauen etc. zusammenhängen
und ihrer gesellschaftlichen Stellung, muß man ganz anders auftreten. Ihret-
wegen mache ich sozusagen ein Haus und unterwerfe mich den großen Aus-
gaben dafür. Selbst Goethe, der doch noch leichter imponieren konnte als ich,
sah sich genötigt, wie mir Varnhagen neulich erzählte — mündlich will ich
Ihnen das genauer erzählen — in solchem Falle ,den Futterkorb heraus-
zuhängen', wie sich Varnhagen ausdrückte."
207 ========================1=
Champagner, also siebzehn Flaschen auf dreizehn Personen, worunter
mehrere Damen noch dazu.
Der gestrige Abend war in dem Interesse, das ich für vSie ver-
folge, ein ganz entscheidender. Wo Böckh, der mir jetzt auch noch
seine Frau mitbringen will, wo Varnhagen und die Ludmilla hin-
ziehen, konnnt jeder und jede, die ich einlade, mit Freuden und
ohne allen Anstand. Ich kann Ihnen jetzt, sowie Sie herkommen,
die Elite unsrer Berliner Welt, alle unsere Berühmtheiten versammehi
und Ihnen die beste Gesellschaft machen, die es hier überhaupt gibt,
sowie den interessantesten Frauenkreis, den ich hier getrofiFen habe.
Die Frau Professor Michelet ist eine sehr gebildete Frau, Fanny und
Ludmilla Schriftstellerinnen, Madame Duncker und Frau Dohm inter-
essante Persönlichkeiten. Nächstens werde ich einmal, was ich schon
lange sollte, Cosima von Bülow (Iviszts Tochter),^) die ich viel bei Varn-
hagen treffe, besuchen und sie dann gleichfalls einladen; auch an Böckhs
Schwiegertochter, Frau Professor Gneist, eine der schönsten imd geist-
reichsten Frauen Berlins, kommt nächstens die Reihe, und wen ich will,
kann ich jetzt haben. Es gibt niemand in Berlin, der Ihnen jetzt eine
bessere, zahlreichere und glänzendere Gesellschaft zu bieten vermöchte
als ich. So bringe ich, wie Sie sehen, alles fertig, was ich will. Ohne
Mühe ist es freihch nicht gegangen. Ich habe die Zeit über gar manches
und manches tun müssen. Aber ich tat es, so wenig ich es sonst getan,
für Sie, glauben Sie mir das, es ist keine Berühmerei von mir ! Ich warf
mein Geld auf die Straße, ennuyierte mich manchen Abend, schluckte
manchen Ärger ein, riskierte manche falsche Position Ihretwegen,
Denn ich wollte Ihnen hier einen glänzenden und zahlreichen Zirkel
machen können, was ich jetzt kann. Wie gesagt, ganz ohne Schwierig-
keiten ist es durchaus nicht gegangen, und ich habe manchmal meine
gerunzelte Stirn in die Wagschale werfen müssen und auch wieder
Finessen aufbieten müssen, um Gar^ontum und alles andere zu über-
winden. Ich erzähle Ihnen dieses und jenes, wenn wir beisammen sind.
Aber es ist jetzt überwunden, und ich habe, was ich für Sie wollte und
Urnen versprach.
Nächsten Winter will ich alle vier Wochen ein Souper geben, außer-
dem aber alle acht Tage einen jour fixe haben, der dann nur in bezug auf
die Gesellschaft glänzend, sonst bescheiden sein soll. Das einzige, was
mir noch dazu fehlt, ist eine größere Wohnung. Denn ich kann in meiner
höchstens sechzehn Personen zu Tische setzen, und ich muß womöglich
vierundzwanzig, mindestens zwanzig bis zweiundzwanzig setzen
können. Ich will noch heute gehen und mich nach einer Wohmmg um-
^) Cosima von Bülow, die spätere Gattin Richard Wagners, damals die Frau
Hans von Bülows. Einige Briefe von ihr an Lassalle befinden sich im Nachlaß.
========== 208
sehen, denn so verhaßt mir das Ziehen auch in tiefster Seele ist, möchte
ich doch zum Winter eine andre haben.
Nun adieu. Ich bin vergnügten Herzens, das schön Vollbrachte
freudig überdenkend. Wie unrecht würden Sie mir, wie ungerechten
Abbruch würden Sie Ihrer eigenen freudigen Überzeugung tun, die es
Ihnen doch gewähren muß, wenn Sie mir nicht vollständig glaubten,
daß ich mir lediglich Ihretwegen alle diese Mühe gegeben habe und
es mir lediglich Ihretwegen diese Freude macht. Auch müssen Sie das
schon aus meinem Geschmacke wissen, denn ich liebe es, lang aufs
Sofa hingelagert mit zwei bis drei guten Freunden alten Rheinwein zu
trinken, nicht aber solche Damengesellschaften mit Honorationen usw.,
wobei ich selbst nur viel Mühe tmd Qual habe. Aber um Ihretwillen ist
es mir ein Genuß, tmd abgesehen von dem angenehmen, praktischen
Resultate, daß ich Ihnen jetzt eine Ihrer würdige Gesellschaft machen
kann, muß es Ihnen doch eigentlich eine höchst genußreiche Über-
zeugimg sein, so jemand zu haben, der alles, was er tut, nur mit Bezug
auf Sie und für Sie tut, wie ich wenigstens wollte, ich hätte jemand,
der so für mich lebte, wie ich für vSie. Adieu.
Ihr
F. I,assalle.
89.
IvASSAI^LE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Montag [31. Mai 1858].
Gnädigste Frau!
Wieso kommt es, daß ich die ganze Zeit keinen Brief von Ihnen ge-
habt habe ? Daß ich selbst nicht schrieb, liegt an einer Geschichte, die
ich hatte und die mir viel zu tun gab und noch gibt. Ich bin nämlich
der Herr L,., dem der Überfall ^) passiert ist; den die Berliner Zeitungen
melden. Ich schicke Ihnen beiliegend den Artikel der ,, Volkszeitung",
der ebenso in der ,, Nationalzeitung" und in der ,, Vossischen" und
,,Spenerschen Zeitung" stand. 2) Natürlich gab und gibt mir die Sache
äußerst viel zu tim. Ich mußte zu Zedlitz, dem Staatsanwalt, WrangeH)
^) Über den Fall Fabrice vgl. H. Oncken, Lassalle, S. 143. Im Nachlaß be-
findet sich ein ganzer Dossier, der sich auf diese Angelegenheit bezieht. Vgl. auch
Bd. II, S. 164 ff.
2) In dem Artikel hieß es u. a.: ,,Ein derartiger Anfall zu zweien gegen einen
ist in der Geschichte ähnlicher Händel wohl unerhört."
3) Graf F. H. E. von Wrangel (1784 — 1877), der preußische Generalfeld-
marschall, war gleichzeitig Oberkomniandeur in den Marken und kommandierender
General des III. Armeekorps.
: 209 :
(denn die betreffenden stehen unter der Militärgerichtsbarkeit) herum-
fahren, habe Eingaben zu machen, zu erzählen usw. usw. Dazu kommt
der vStrom der Besucher, Böckh, Förster usw. usw. kamen alle gleich
angelaufen. Jeder will die Geschichte erzählt haben.
Die Empörung ist in ganz Berlin einstinunig und kolossal. Jeder
Mensch parallelisiert den Fall Pene.^)
Der Intendanturrat Fabrice wird übrigens jahrelang das Loch be-
halten, das ich ihm in die Stirn geschlagen habe. Der Hieb war furchtbar
und so stark, daß der goldene Knopf meines Stockes sofort vom Stock
abbrach, obwohl es sehr fest angelötet war. (Ich schlug ihm nämlich
den goldenen Griff aus aller Kraft in die Stirn; sein ganzes Gesicht war
sofort von einem Blutstrom Überschossen.)
Die Hauptsache aber ist die Kassation und Kriminalbestrafung des-
selben und seiner Spießgesellen. Die Presse besonders ist es, die die
Militärbehörde zwingen muß, alle Rücksichten beiseite zu setzen. Die
hiesige Presse steht mir darin nach Kräften zur Seite. Die ,, Volkszeitung"
hat die Sache sogar formell zu der ihrigen gemacht.
Können Sie etwas für die rheinische Presse, besonders die ,, Kölnische
Zeitimg" tun, so wird es mir sehr lieb sein.
(Ich selbst bin, abgesehen von zwei der Rede nicht werten Beulen,
gänzlich unverletzt.) . . .
90.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Mittwoch [2. Juni 1858].
Der Vollständigkeit wegen schicke ich Ihnen hier ein ferneres
Exemplar der ,, Volkszeitung". Auf den neulich von mir überschickten
Artikel der ,, Volkszeitung", der in alle Blätter hier überging, erschien
nämlich ein von Fabrice ausgehendes durch und durch lügenhaftes
Inserat in der ,, Vossischen Zeitung" als Erwiderung. Die ,, Volkszeitung",
die ich Ihnen sende, druckte dies Inserat nur ab, um die Erwiderung
dran zu hängen, die Sie dabei finden. Außerdem erschien in allen anderen
Blättern eine von der Redaktion der ,, Volkszeitung" unterzeichnete
Erklänmg, des Inhalts, daß jener erste Artikel von ihr selbst ausgegangen,
daß sie denselben in allen seinen Teilen aufrecht erhalte und in der Ver-
leumdungsklage, die sie nunmehr jedenfalls erwarte, den Beweis der
Wahrheit erbringen werde. Der Unwillen in der ganzen Stadt dauert
^) Kurz zuvor hatte das doppelte Duell des französischen konservativen
Journalisten Henri de P^ne (1833 — 1888), der schwer verwundet wurde, beträcht-
liches Aufsehen gemacht.
.Mayer, Lassalle-NachUss IV ja
= 210 =z=
Übrigens ungeschwächt fort. Durch das Inserat der Gegner hat sich
kein Mensch irren lassen, weil seine Widersprüche und laugen schon
durch die Umstände klar aiif der Hand liegen . . .
Professor Gneist/) der gestern bei mir war und als Jurist die be-
treffenden Dinge kennt, hat mir versichert, ich könnte über die Be-
strafung ganz außer Sorge sein. Der Zudrang aller meiner Bekannten
zu mir hat auch gestern noch fortgedauert, und wo ich hinkomme, treffe
ich nicht nur, sondern höre auch aus allen Kreisen, wo man mich nicht
kennt, von der wärmsten Sympathie und einmütigsten Indignation . . .
91.
I.ASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Berlin, Anfang Juni 1858.]
Wegen der Fabrice-Geschichte kann ich Ihnen nur nochmals wieder-
holen, daß ich ganz unverletzt bin und sogar schon gestern selbst die
imbedeutenden blauen Flecke, die ich davontrug, nicht mehr zu sehen
waren. Aber wie kommen Sie denn darauf, zu sagen, ,,. . . wenn wegen
politischer Meinungsverschiedenheiten solche Dinge passieren
können". Stand denn davon etwas in den rheinischen Zeitungen? Dann
bitte ich Sie, mir dieselben alle einzusenden. Wahr ist es aber nicht.
Denn wenn auch der Unterschied unsrer politischen Ansichten mit ein
Grund war für den Widerwillen und Haß, den jener Herr gegen mich
empfand, so war doch durchaus nicht ein politischer Wortwechsel der
Grund der Forderung, sondern dieser war ein ,,Ivächeln" bei folgender
Gelegenheit. Ich imd Dr. Frese ^) befanden uns eines Nachmittags bei
Madame Duncker, als Herr Fabrice kam. Da er uns beide nicht leiden
kann, wollte er an imserem Gespräche nicht Anteil nehmen und trieb
die Unhöflichkeit soweit, auch mit Madame Duncker nicht zu sprechen.
Da er inzwischen doch etwas tun mußte, begann er mit dem jüngsten
Kinde von Madame Duncker zu spielen. Madame sah sich das eine
Viertelstunde mit an und sagte endlich: ,,Eine Zeitlang sind die Kinder
recht amüsant, aber auf die Ivänge der Zeit trägt es nichts zur Gesellig-
keit bei. Kinderfrau, bringen Sie das Kind hinaus." Darauf ging der
^) Rudolf Gneist (1816 — 1895), ^er berühmte Rechtslehrer an der Berliner
Universität, war ein Schwiegersohn Böckhs.
2) Dr. Julius Frese, der vielseitige volkswirtschaftliche und politische Schrift-
steller und literarische Übersetzer, gehörte mit Fabrice zu den ältesten und intim-
sten Freunden des Dunckerschen Hauses. Leider berichten weder die Allgemeine
Deutsche Biographie noch die Konversationslexika Hinreichendes über ihn. Für
seine spätere Zeit vgl. Gustav Mayer, Die Trennung der proletarischen von der
bürgerlichen Demokratie in Deutschland, Leipzig 191 1, S. 58 ff.
211 — =
Rat gleichfalls. Dies war im Januar. Jetzt, vier Monate nachher und
nachdem er in der Zwischenzeit noch oft mit mir dort zusammen-
getroffen und freundlich verkehrt, insbesondere noch Mitte März mit
mir das Gespräch über das Duell gehabt hatte, wobei er meine An-
sichten erfuhr, behauptete er, ich hätte bei jener Gelegenheit gelächelt.
Weder ich noch Frese wissen überhaupt nur, ob ich damals gelächelt
oder nicht.
Übrigens können Sie glauben, daß einen die Prinzipienreiterei nicht
wenig Selbstüberwindung kostet! Ich hätte einen immensen Genuß,
wenn ich es für mich gestattet halten könnte, die Bestie jetzt auf Pistolen
zu fordern; er würde meiner Kugel schwerlich entgehen. Ich schäme
mich nur, dabei, wenn auch nur ganz ausnahmsweise, von meinen
Grundsätzen abzugehen. Was meinen Sie zu der Idee? Ich habe Sie
niemals als Frau, sondern immer als Mann behandelt. Schreiben Sie
mir also als solcher Ihre Meinung.^) Fragen Sie auch mal Bloem
darüber. Wenn es irgend zulässig erscheint, wenn diese Ausnahme
irgend gerechtfertigt werden kann, so wäre es mir ein Seelengaudium,
es zu tun, und ich muß gestehen, daß es selbst für mich, den abge-
härteten Prinzipienmenschen, diesmal nichts lyeichtes ist, meinen
Prinzipien zuliebe den Trieb meines Blutes zu unterdrücken. Diese Idee
rappelt vielmehr seit gestern gewaltig in mir. . . .
92.
SOPHIE VON HATZFEDDT AN LASSALIvE. (Original.)
[Düsseldorf] Sonntag [6. Juni 1S58].
. . . Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie mich der Vorfall
ergreift, so daß mir in diesem Augenblick die Hand so zittert, daß ich
kaum schreiben kann. Der mir zugeschickte letzte Artikel aus der
,, Ostseezeitung" hat mich im tiefsten Herzen empört und betrübt.
Sie der Feigheit zu beschuldigen! Sie, der Sie weit eher den der Toll-
kühnheit verdienen! Aber man darf, weder Sie noch ich, es sich zu
Herzen nehmen; wir wissen, daß es Wahnsinn wäre, da Ihr ganzes
Lieben laut genug spricht, daß Sie nicht nur physischen Mut, den leichte-
sten von allen, sondern den höchsten moralischen Mut besitzen und daß
die Leute selbst, die es jetzt sagen möchten, nicht daran glauben, nicht
daran glauben können und es nur ein Mittel ist, um Sie hinzureißen,
aufs äußerste zu treiben und möglicherweise zu beseitigen. Mir erscheint
die Sache ganz klar und hier auch allen Leuten; es ist nichts anderes
^) Lassalle befragte am 4. Juni auch Marx um seine Ansicht. Vgl. Bd. III,
S. 125.
=: 212 :rr.^
als ein montierter Coup von einer gewissen Clique, deren Ärger und
Wut, daß Sie es fertig gebracht, in Berlin zu bleiben und sich dort eine
so geachtete Stellmig zu machen, wie ich ja persönlich weiß, grenzenlos
ist. Man will Sie entweder zwingen, sich zu schlagen, tmd dann würde es
bei dem einen nicht bleiben, oder Ihnen den Aufenthalt in Berlin
wenigstens so verleiden, daß Sie fortgehen. Und ich sehe mit Schrecken
aus Ihrem letzten Brief, daß selbst Sie anfangen, wankelmütig zu
werden, und nicht viel daran fehlt, daß Sie in die Falle gehen und auf
eine so wahnsinnige Forderung eingehen. Sie fragen mich um meine
Meintmg, tmd Sie haben recht darin, denn niemand kann ein höheres,
wärmeres Interesse für Sie haben, und zugleich habe ich für solche
Dinge einen männlichen Geist imd Auffassung für solche Sachen. Auch
wissen Sie, daß ich sogar im Prinzip nicht ganz mit Ihnen überein-
stimme. Also ist gewiß mein Urteil ein darum um so wichtigeres; und
ich sage Ihnen, daß es nicht nur von vornherein ganz richtig war,
eine so völlig ungerechtfertigte Ausforderung zu verweigern, und ich
wie jeder vernünftige Mensch Ihnen, wenn Sie sie noch nicht abgelehnt,
unbedingt dazu raten würde, sie zurückweisen; daß also um so mehr
jetzt, wo die Sache einmal so angefangen und diese ganz richtige Er-
klärung von Ihnen abgegeben worden ist und die Sache in der Öffent-
lichkeit eine solche Wendung genommen hat vmd unbedingt zu einer
Partei- und Prinzipiensache geworden ist, es Ihrer gar nicht würdig
wäre, schwankend in Ihrer Überzeugung zu werden und sich durch
solch lächerliche Verleumdung, deren Ungrimd jedem, der Ihr L,eben
kennt, in die Augen springt, bestimmen zu lassen, Ihre Handlimgsweise
zu ändern. Dann würde man Ihnen mit mehr Recht vorwerfen
können, daß Sie sich einschüchtern lassen. Jetzt haben Sie nur die
zu[m] Feinde und Gegner, die es ohnehin und imter allen Umständen
sind, dann aber würden Sie Ihre eigene Partei gegen sich haben. Treten
Sie mit Ihrer gewöhnlichen Entschiedenheit tmd Stolz auf, vmd Sie
werden alles für sich haben, was, wie Sie mir oft sagten, [was] sich der
Mühe lohnt, und die andren können Sie ja doch nie für sich haben.
Aber verraten Sie nicht die geringste Unsicherheit, seien Sie fest imd
entschieden; aber auf der andren Seite, ich kann Sie nicht genug darum
bitten, seien Sie äußerst vorsichtig, sowohl für Ihre eigene persön-
liche Sicherheit als jedes unnütz provokatorische Auftreten zu ver-
meiden, denn Sie kennen ja den militärischen und Junkerkastengeist,
wovon Hinckeldey^) das Opfer wurde. Sie fragen mich, was Bloem
^) Der Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey war 1856 von
von Rochow-Plessow im Duell erschossen worden. Er hatte sich, seitdem er einmal
die ,,K.reuzzeitung" verboten und einen adligen Spielklub aufgehoben, bei der
feudalen Partei unbeliebt gemacht.
213
dazu sagt; er sagte mir gleich, daß es unverantwortlicher Wahnsinn
gewesen wäre, wenn Sie sich hätten auf ein Duell einlassen wollen.
Kichnia^^y desgleichen. Ich ließ ihn vor einigen Tagen, als ich Ihren
ersten Brief bekam, sofort rufen. Er ist seitdem morgens und abends
gekommen und [hat] mir versichert, daß sich die wärraste Sympathie
und Billigimg für Sie allgemein kundgibt. Man sieht die Sache als
durchaus politisch an, wenn auch der ostensible, ganz lächerliche Vor-
wand es nicht ist, und als ein Mittel, ausgesonnen, Sie auf irgendeine
Weise zu beseitigen ; und viele lassen Sie bitten, sich ja nicht irre machen
zu lassen, wenn es Ihnen auch noch schwer würde. An Ihrem Mut, den
Sie so oft bewiesen, könne ja niemand zweifeln, Sie möchten sich für
bessere Dinge und bessere Zeiten aufsparen und schonen. Das seien
Sie Ihrer Sache und Person schuldig.
Sie fragen mich, wie ich dazu komme, der Sache eine politische
Färbung zu unterlegen und ob die Zeitungen hier dies getan. Die Zei-
tungen haben hier bis jetzt nur den ersten Artikel aus der ,, Volkszeitung",
soviel ich weiß, abgedruckt . . . Wer aber der Sache einen politischen
Hintergrvmd beilegt, das bin ich und alle Leute, die hier davon
hören. Es geht auch aus der Sache selbst klar wie die Sonne hervor und
ist der einzige richtige und durchgreifende Standpunkt, von dem sie
betrachtet und dargestellt werden kann und muß.
Außerdem ist es auch objektiv so. Sie werden sich erinnern, daß
vSie mir selbst erzählt, wie dieser Herr Fabrice gleich, als er Sie
bei Duncker sah, der Frau Dmicker seine Verwunderung darüber aus-
sprach, daß er sie sehr basiert auf Ihre politische Gesinnung
und Antezedenzien und seinen Widerwillen gegen Sie sofort aus-
sprach, der sich durch einige politische Erörtenuigen mit Ihnen noch
steigerte. Also ist der wahre Grund des Hasses die politische
Meinung und der jetzt angegebene nichtige Vorwand nur ein bei den
Haaren herbeigezogener. Der Vorfall geht ebensowenig allein von
Herrn Fabrice aus, sondern ist ein montierter Haß imd Parteicoup.
Gingen Sie auf das Duell ein, so war Hoffnung, daß Sie blieben oder
krumm gehauen wurden und Sie Ihre Prinzipien verleugnet haben
würden und sich Feinde unter Ihrer eigenen Partei gemacht. Außerdem
würde es, wenn Sie diesmal glücklich davon gekommen, gewiß nicht das
einzige und letzte Renkontre dieser Art gewesen sein. Und wenn man
sich einmal wegen solcher Dinge geschlagen, so kann man es nicht
mehr verweigern; oder man konnte hoffen, daß wenn Sie [sich] auch
nicht auf das Duell einließen, aber sich irgend bei der Vertretung Ihres
Prinzips schwach und schwankend benahmen, Ihnen den Aufenthalt
in Berhn so zu verleiden, daß Sie es verließen. Wenn Sie aber diese eine
Sache in Ihrer Weise mit Mut und Umsicht energisch durchkämpfen
= 214 =^
und diese lyeute, vorzüglich Militärs, einsehen müssen, daß für sie
nichts dabei zu holen als blutige Köpfe, Schaden und Mißbilligung, so
werden Sie ein für allemal Ruhe haben. Sie dürfen und müssen sich
dreist mid öffentlich auf die vielen Beweise von Mut, die Sie gegeben,
berufen und von einem widersinnigen Vorurteil an die bessere öffent-
liche Meinung kühn und offen appellieren. Übrigens würde ich die Ge-
schichte des Herrn Fabrice, daß er ein Duell als gegen sein Prinzip aus-
geschlagen, sofort in die Öffentlichkeit bringen, weil es sein jetziges
Benehmen in das wahre, helle lyicht setzt. Aber jedenfalls muß der
Sache ihre wirkliche politische Färbung sofort gegeben werden; das
ist absolut nötig, ich höre das von allen Seiten. Die vSache ist auch so-
fort klar, sobald gesagt, daß Herr Fabrice seinen Widerwillen gegen
Sie sofort beim ersten Begegnen, basiert auf Ihre politischen Ten-
denzen und Taten, kundgegeben. Bedenken Sie es recht, und Sie werden
gewiß einsehen, daß ich, recht habe und dies die Hauptsache ist imd
ohnedem die Sache die Bedeutung verliert, unerklärlich kindisch wird
und eine Jungenrauferei wegen der lächerlichsten Nichtigkeiten ge-
nannt werden könnte. Suchen vSie also, ich bitte Sie dringend, die
Sache in dieses ihr wahres lyicht erscheinen zu lassen. Daß jeder fühlt,
daß es so ist, ist sicher, und Beweis ist schon, daß sich die Presse so
darum kümmert. Ich weiß nicht, ob dieser Brief heute noch zurecht
zur Post kommt, denn eben war Kichniawy hier. Er ist ganz mit dem,
was Sie mir schrieben, was hier geschehen müßte, einverstanden, hält
es auch für nicht mehr als Pflicht. Es wird alles angewendet werden,
um es zu machen. Heute gehen schon einige Boten ab in die Umgegend,
und Kichniawy wird heute abend wieder zu mir kommen. Er sagt mir,
die Entrüstung sei groß, und er sei überzeugt, daß auch viele Bourgeois
sich beteihgen würden, er läßt Sie beschwören, sich nicht in Ihrem ge-
rechten Zorn und Unmut gehen zu lassen . . .
93-
IvASSALUE AN SOPHIE VOH HATZFELDT. (Original.)
Sonntag [Berlin, 13. Juni 1858].
. . . Sie haben sehr recht, wenn Sie in meiner Sache zu Kichniawy
erklärt haben, was etwa geschehen solle, müsse entweder großartig,
ausfallen oder ganz unterbleiben. Es ist dies um so richtiger, als eine
solche Demonstration für mich jetzt nicht grade erforderlich ist,
angenehm aber eben nur dann, wenn sie großartig ausfällt. Es wäre
daher selbst gut, wenn Sie, wenn es soweit ist, ehe die Sache veröffent-
— — 215
licht wird, sie mir mitteilen. (Wortlaut der Adresse, Zahl der Unter-
schriften usw.)
Wenn Sie sich schon mit Paul wegen Wildbads verabredet haben,
so ist es selbstredend, daß ich nicht hinkommen werde. Nur hätten
Sie mir das schon lange schreiben können, denn ich habe schon oft
darüber angefragt. Nun bitte ich ferner, mir endlich auch Antwort auf
den weiteren Punkt zu geben: Wollen Sie die Schweizer Reise nicht
mitmachen? Wir werden sie gegen Ende Juli antreten, d. h. Dunckcrs^)
und ich, und in Romanshorn zu diesem Zweck uns zusammenfinden,
von da über Zürich, Reußtal, Grimsel, Bemer Oberland, Wallis, Lago
Maggiore, Zermatt nach Genfer See. Bitte kommen Sie doch mit!
Und gehen Sie also so ins Bad, daß Sie auch Ende Juli am Bodensee
sein können. Bitte, bitte, bitte, bitte!
Sie werden sich herrlich amüsieren, und es ist der letzte Sommer,
den wir dazu haben. Denn künftigen Sommer fängt die Welt-
geschichte an, in Fluß zu kommen.
Wollen Sie aber durchaus nicht, was mich aber sehr ärgern würde,
so ist noch wenigstens der andre Fall, daß Sie, was Ihnen ohnehin so
gut wäre, eine Traubenkur am Genfer See oder auch Lago maggiore
brauchen und wir da zusammentreffen und ich den September bei Ihnen
bleibe.
Ausführlich entschiedene Antwort
erbittet
Ihr F. Iv.
94-
lyASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag abend [Berlin, 17. Juni 1858].
Gute Gräfin!
Ich habe eben einen Brief geschäftlichen Inhalts an Sie abgeschickt
und bereite jetzt einen anderen vor, den ich heut wohl schwerlich be-
endigen werde.
Nachdem nämlich jetzt bereits die öffentlichen Blätter die Notiz
gebracht haben, besonders aber, nachdem jetzt die Sache in ein Stadium
getreten, wo sie wohl ihre Gefahr verloren hat, kann ich Ihnen mit-
teilen, was ich Ihnen, um Sie nicht zu bekümmern, bisher verschwiegen,
daß ich am 5. Juni ein meine Ausweisung verfügendes Reskript des
^) Für die intime Freundschaft, die I^assalle damals mit Franz Duncker, dem
Besitzer der Volkszeitung und dem Verleger seines ,,Heraklit" verband, vgl. die
Einführung zu Bd. II, S. 22 ff.
= 2l6 —
Herrn von Zedlitz^) erhielt. Gründe waren in demselben gar nicht
angegeben, außer folgendem: Die speziellen Zwecke, zu denen mir der
Aufenthalt in Berlin gestattet worden sei, seien jetzt abgemacht, mein
Aufenthalt mir auf weit längere Zeit gewährt worden, als ich ursprüng-
lich begehrt, und da es niemals in der Absicht gelegen habe, mir einen
dauernden Aufenthalt zu gestatteten, so würde ich bei Vermeidung von
Zwangsmaßregeln — einer Notwendigkeit, deren ich ihn hoffentlich
überheben würde — aufgefordert, Berlin in kürzester Frist, spätestens
bis Ende Juni zu verlassen.
Als ich — am 5. — dies Reskript erhielt, war Zedlitz schon verreist
und sollte erst am 21. wiederkommen. Ich stürzte vor allen Dingen zu
meinen Quellen und erfuhr denn nun genau, wie die Sache zusammen-
hängt. Daß das Attentat von neulich Grund der Sache war, lag auf
der Hand, zumal nach den Versicherungen, die mir Zedlitz im Februar
gegeben. Jetzt aber erfuhr ich den näheren Zusammenhang.
Man hatte auf Zedlitz gedrückt; man hatte nämlich den Vorwurf
gegen mich erhoben, daß wieder zwei Beamte an mir zugrimde gingen,
noch dazu zwei Militärbeamte (!!). Der Kriegsminister habe zwar eine
strenge Untersuchung gegen die Leute einleiten lassen, imd sie würden
ihrer Strafe nicht entgehen, aber eben deswegen bedürfe jetzt (!!) die
Armee auch ihrerseits eine Satisfaktion mir gegenüber (!!), und
diese bestünde darin, daß ich ausgewiesen würde. Leute aus dem Kriegs-
ministerium und von der Junkerpartei hatten dies bei Westphalen 2)
geltend gemacht. Westphalen hatte seinerseits wieder auf Zedlitz ge-
gedrückt, so daß er sich endlich zu jener Order entschloß.
Meine Quellen stimmten darin überein, mir die Sache als äußerst
bedenklich darzustellen. Zedlitz könnte kaum zurück, weil die Sache
eben gar nicht eigentlich von ihm ausgehe. Wären es, sagte man mir,
Zivilbeamte gewesen, so würde kein Hahn danach gekräht haben — aber
daß es Militärpersonen seien (ein Intendanturrat hat Majorsrang), das
vergifte die Sache. ,, Vergleiche Hinckeldey," sagte mir einer meiner
zuverlässigsten Gewährsmänner. ,,Es sind ganz wieder dieselben Motive
im Spiel wie damals, und eben deshalb wird Zedlitz sich hüten, nach-
zugeben."
Da hiernach der Fall sehr schlimm stand, beschloß ich, nicht die
Zeit damit zu verlieren, Zedlitz' Rückkehr abzuwarten, sondern voran-
zugehen. Ich ging zu Westphalen, überzeugte mich aber sofort, daß
ich von ihm nichts zu erwarten habe. Er haßt mich fürchterhch und
fürchtet sich so, sich auch nur in ein Gespräch mit mir einzulassen, daß
1) Vgl. das Nähere bei Bailleu in , .Deutsche Rundschau", a.a.O., S. 370 ff.
*) Der reaktionäre preußische Minister des Innern Ferdinand von West-
phalen, der Schwager von Karl Marx.
- 217 =
er mir gleich erklärte, er könne auf gar keine mündliche Auseinandcr-
setzmig eingehen, sondern müsse mich lediglich auf den schriftlichen
Weg verweisen. Daß auch auf diesem bei ihm nicht die geringste Hoff-
nung, zeigte sein ganzes Wesen mit überflüssiger Deutlichkeit.
Ich wandte mich daher jetzt an L.,^) ließ durch diesen Manteuffel
vorbereiten und begab mich tags drauf zu ihm. Er empfing mich, wie
das im allgemeinen seine Manier sein soll, mit übergroßer Höflichkeit.
Die Unterredtmg dauerte fast eine halbe Stunde, und ich habe, wie
Sie denken können, kein Blatt vor den Mund genommen, sondern
mit der größten Virulenz ihm meine Meinung gesagt. Er verhehlte
mir seinerseits nicht, daß er die Maßregel in höchstem Grade ungerecht-
fertigt und indignierend finde, doch sei er nicht Ressortminister, auch
nicht Westphalens Vorgesetzter,-) könne also nicht direkt in der Sache
verfügen. Dagegen erbot er mir aus freien Stücken, falls ich ihm eine
Immediatbeschwerde an den Prinzen übergeben wolle, dieselbe selbst
zu überreichen und zu rmterstützen. Ich behielt mir dies vor und ent-
fernte mich.
Jetzt ließ ich einige Tage hingehen, während welcher ich eine mit
Hörnern und Klauen versehene Immediatbeschwerde (fünf Bogen
lang) an den Prinzen verfaßte,^) in welcher ich ebensowenig ein Blatt
vor den Mund nahm und Westphalen hart angriff. Inzwischen schilderten
mir die Leute, die sich für mich interessieren, die Situation immer be-
denklicher und Manteuffel als häufig ganz vergeßlich imd sehr im-
zu verlässig. ly., bei dem ich mehrmals war, gefiel mir auch gar nicht
mehr, um so weniger, als ich mich mit ihm nicht über die Wahl der
Mittel verständigen konnte, und so entschloß ich mich denn endlich,
die grands moyens in Bewegung zu setzen, um so mehr, als ich der
Polizei bei dieser Gelegenheit ein für allemal Respekt vor meiner Person
einzuflößen wünschte.
In meiner Beschwerde an den Prinzen hatte ich mich ohnehin auf
Böckh imd Humboldt berufen, ich ging daher Montag nachmittag fünf
Uhr zu Böckh. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dieser entrüstet
war und wie er sich meiner angenommen hat! Wie ein wahrer Vater!
Er eklatierte wie eine Bombe. Ich fragte ihn, ob er meine, daß ich mich,
wie ich beabsichtigte, an Humboldt wenden solle. Er riet mir auf das
entschiedenste dazu, erbot sich gleich, auch seinerseits an ihn zu schrei-
ben, riet mir, die Kopie der Eingabe, die ich ihm vorgelesen hatte, auch
an Humboldt zu schicken, diesen um seine Ansicht zu fragen, ob er sie
^) Wer dieser L. war, ließ sich nicht mit Sicherheit sagen.
-) Im preußischen Ministerium war der Ministerpräsident ein primus inter
pares.
^) Zuerst abgedruckt bei Bailleu, a.a.O., S. 37of.
===== 2l8 =^=^====^=
billige und für angemessen erachte (zumal ich mich auf ihn darin be-
rufen), und endlich ihn zu ersuchen, sich in der Sache an den Prinzen
zu wenden. Wir verabredeten, Böckhs Brief solle früher abgehen und
eine Stunde später der meinige. Da Böckh seine Leute gerade brauchte,
so sollte ich in zwei Stunden seinen Brief holen lassen, und ihn zu Hum-
boldt schicken. Aber schon vor Ablauf einer Stunde kam der alte Böckh
zu mir gelaufen, um mir selbst seinen Brief, ehe er ihn einsiegle, vorzulesen.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was das für ein Brief war! Ich selbst
hätte ihn nicht mit größrer Energie schreiben können. Er schrieb ihm
im wesentlichen folgendes: Wegen des auf mich verübten Attentates
sei ich ohne allen Grimd von der Polizei ausgewiesen worden. Hierdurch
werde nicht nur meine wissenschaftliche Stellung im allgemeinen sehr be-
einträchtigt, sondern ich auch an der Bearbeitung meines Pythagoras
gehindert. Zwar habe der Ministerpräsident übernommen, eine Immedi at-
beschwerde dem Prinzen zu überreichen. Aber der Fall sei zu wichtig,
als daß sie sich ihrerseits darauf verlassen und dabei beruhigen dürften,
was etwa Manteuffel tue oder nicht. Bei dem empörenden Charakter
dieses Gewaltschritts, bei der Wichtigkeit, diemeine wissenschaftlichen
Arbeiten für sie haben müßten, sei es ihre Sache, aufzutreten. Seine
Exzellenz wisse, wie sehr er seine kostbare Zeit stets schone und ihn
gewiß nicht in Anspruch nehme. Aber wenn je — und er sei überzeugt,
Seine Exzellenz werde ganz derselben Ansicht sein — , sei es diesmal
Pflicht, daß er, Humboldt, mit dem ganzen, ihm zu Gebote stehenden
Einfluß auftrete.
Kurz, der Brief war voller Energie, Kraft und Schärfe. Um 7^2 Uhr
schickte ich ihn zu Humboldt, und nach neim Uhr folgte mein eigener
Brief ^) an ihn nach, dem ich die Eingabe beifügte. Zugleich schrieb ich
ihm, daß ich am andern Tag, Dienstag, ihm meine Aufwartung machen
würde, um seine Antwort einzuholen.
Als ich Dienstag um ein Uhr zu Humboldt kam, sagte man mir,
er habe um elf Uhr fortfahren müssen, habe vorher aber einen Brief an
mich hinterlassen. Beiliegend folgt Abschrift dieses Briefes. Oder nein,
ichwilldiese Abschrift lieber hier einrücken. Humboldt schreibt also: . . .^)
Was sagen Sie zu diesem Brief?! Der Satz, den er mir aus seinem
Schreiben an den Prinzen mitteilt, ist wirklich hinreißend. Er hat ge-
schrieben, nicht bittend oder sich verwendend, sondern so, als wenn
erderwahre Souverän wäre, sommierend! Das ,, auffordernd", welches
mir den meisten Spaß macht, steht nämlich wörtlich so — erst hinter
ihm schließt das Anführungszeichen — in dem Brief an den Prinzen; es
1) Siehe Bd. II. S. 165 (Nr. 79).
2) Der Brief wurde abgedruckt in Bd. II, S. 78. Deshalb durfte er hier fort-
gelassen werden.
ist eine der bei Humboldt sehr häufigen Partizipalkonstruktioncn. (Er
wird also etwa gesagt haben: ,,Ich wende mich an Eure Könighche
Hoheit, Eure Könighche Hoheit zu Gerechtigkeit, Milde und Achtung
für die Wissenschaft auffordernd."^) Humboldt hat sich also auf sein
höchstes Pferd, auf sein Staatsroß gesetzt und durch die solennelle
Energie seiner Sprache dem Prinzen ganz unmöglich gemacht, nicht
zu willfahren. Denn er hätte ja sonst nach Humboldts eigenem Zeug-
nis weder Gerechtigkeit noch Milde noch Achtung für die Wissen-
schaft. — Ebenso fein und wirkhch von rührender Güte ist der Zug,
daß er Man teuffei schreibt und sich bei ihm bedankt für das, was
Manteuffel, ohne an Humboldt, zu denken, mir versprochen hatte. Er
stellt es dadurch als ein ihm persönlich Erwiesenes hin, er kitzelt
dadurch Manteuffel, der an Humboldtsche Dankschreiben eben auch
nicht gewöhnt ist, vom Kopf bis zur Zehe, er schneidet ihm den Rück-
weg ab und macht es ihm unmöglich, in der Sache lau zu sein, und er-
mutigt ihn endlich durch seine Unterstützung.
Böckh wie Varnhagen sagen, daß sie sich nicht erinnern, Humboldt
mit dieser Energie in solchen Sachen je haben auftreten zu sehen. In
der Tat, selbst Humboldt kann solche Briefe nur äußerst selten dem
Prinzen schreiben : Oft würde man sie selbst von ihm nicht ertragen. —
Was fast noch mehr ist, ist, daß er mir den Satz abschriftlich mitteilt.
Er gibt dadurch den Prinzen fast in meine Hände. Denn wie könnte ich
diesen nicht blamieren, wenn er es nicht täte und ich Humboldts Brief
mit der ganzen Sache dann veröffentlichte. Humboldt rechnete offenbar
auf meine tiefste Diskretion. Aber eben deshalb lege ich Ihnen
auf das äußerste an das Herz, daß nicht nur von der ganzen
Sache nichts in die Zeitungen kommt, sondern Sie auch
nicht einmal Einsicht in den Humboldtschen Brief oder
mündliche Mitteilungen jenes Satzes solchen Personengeben,
von denen irgendwelcher Mißbrauch oder Weitererzählen, aus dem
möglicherweise irgendeine Zeitungsnotiz entstehen könnte, zu
befürchten wäre. 2) Nur Kichniawj^ und Bloem geben Sie es zu lesen,
sonst sagen Sie nur im allgemeinen : Humboldt sei sehr warm für mich
beim Prinzen interveniert. Aber auch das soll und darf durchaus
nicht dort in die Zeitungen. Was ich davon nach erledigter Sache
^) Für Humboldts Brief vom 15. Juni vgl. Bailleu a.a.O., S. 370, Anmer-
kung. Humboldt schrieb: ,,Ich flehe, daß Eure Königliche Hoheit auch in dieser
Sache Gerechtigkeit und Milde und Liebe für das Wissenschaftliche eintreten
lassen." Lassalle irrte sich also mit dem „auffordernd".
2) Vgl hierzu oben Lassalle an Marx, 23. Juli 1858 (Bd. III, S. 133) und dann
Marx an Engels, 8. August 1Ö58.
= 220 -
vielleicht in die Zeitungen bringen will, das werde ich selbst sehen, und
dafür stehen mir ja die hiesigen Blätter zur Disposition.
Also nochmals bitte und beschwöre ich Sie um die strengste
Diskretion und Vorsicht. Bedenken Sie, daß bei der geringsten Zeitungs-
notiz, die auf nicht zu berechnenden Umwegen entstehen kann, ich es
ein für allemal mit Humboldt verdorben und ihn zum Dank für sein
wirklich hochherziges Benehmen auf das tiefste gekränkt hätte.
Dienstag um fünf Uhr ging ich zu Böckh. Auch der hatte schon von
Humboldt Brief, Humboldt schrieb ihm: ,,Im innigsten Danke (!)
für die Aufforderung, die Sie an mich gelangen ließen, habe ich sofort
an den Prinzen mit vielleicht noch größerer Wärme geschrieben, als
Sie selbst erwartet haben mögen." Er habe auch, fügt er hinzu, an den
Ministerpräsidenten geschrieben und ihn für seine Intervention zu-
gimsten der Wissenschaft gedankt. In einer Nachschrift sagt er, es sei
doch zu toll, jemand auszuweisen, weil er angefallen. Er habe den
Prinzen zur Gerechtigkeit und zum Respekt für die Ehre der Wissen-
schaft ermahnt — offenbar derselbe Satz, den er mir wörtlich mit-
geteilt hat und bei dem mir auf das lebhafteste Marats^) ,,je vous
rappelle ä la pudeur" eingefallen ist.
Mittwoch früh brachte ich meine Immediatbeschwerde zu Man-
teuffel, der natürlich die lyiebenswürdigkeit selbst mit mir war und mir
erklärte, er würde in spätestens zwei Stunden dieselbe dem Prinzen
übergeben usw. Die Demarche Humboldts muß ihm offenbar eine er-
staunliche Meinung von mir eingeflößt haben. So ist denn wieder einmal
eine Machination meiner Gegner zu meiner größten Ehre ausgeschlagen
und wohl auch zu meinem Vorteil; denn wenn jetzt die Sache von oben
herab geordnet wird, so wird die Polizei mich für die Zukunft in Ruhe
lassen und Westphalen sich nicht wieder an mir so bald vergreifen wollen.
Gestern abend war Uepsius bei mir. Er erzählte mir, daß er Montag
(also ehe Manteuffel Humboldts Brief hatte) bei Manteuffel, mit dem
er befreundet sei, gewesen. Manteuffel habe ihn über mich befragt, und
er habe nicht wenig in das Hörn meines lyobes gestoßen.
(Eben schickt Depsius zu mir und läßt mir sagen : Ich könne über
meine Sache außer Sorgen sein. Ich war auch gar nicht mehr in Sorgen
darüber. Offenbar möchte er sich' jetzt das Verdienst zueignen, sie ge-
schlichtet zu haben.)
Nun adieu für heut. Sie sehen, was ich alles diese Zeit über zu tun
hatte und noch habe und Uaufereien genug und dann die Termine in
der militärgerichtlichen Untersuchung.
^) J. P. Marat (1744 — 1793), der berühmte radikale Publizist der französischen
Revolution.
= 221 -
Ich bemerke noch: Der Schritt der dortigen Arbeiter usw. braucht
und soll nicht im geringsten durch diese bereits vereitelte Aus-
weisungssache gehindert zu werden; er wird mir auch durchaus nicht
schaden. Nur will ich, ehe die Adresse veröffentlicht wird, sie erst zur
Einsicht bekommen und hören, wieviel Unterschriften. Aber das eilt
jetzt und hat nicht mehr viel Zeit. Sonst sieht es kläglich aus.^)
Ihr
F. Iv.
Eben bekomme ich noch einen Brief Bloems, den ich beilege.
Freitag früh geschlossen.
95-
LASSAEIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, Dienstag [20. Juli 1858].
lyiebe, gute Gräfin!
Ich habe mich wirklich recht lebhaft und innig über Sie zu beklagen.
Ich habe Ihnen so viele und herzliche Briefe geschrieben, aber von
Urnen erhalte ich nie eine solche Antwort. Nur um der Geschäfte willen,
sonst nie, schreiben Sie und lassen sich dann im besten Falle genügen,
wenige, durchaus tmzureichende und meine Fragen nie beantwortende
Zeilen einfließen zu lassen. Woher kommt das? Hat die Trennung, die
mir schwer genug ankommt, Sie so schnell in Ihren alten freundschaft-
lichen Beziehungen zu mir erkaltet? Hat sich so schnell Ihrerseits unser
altes Verhältnis, jeder dem andern gegenseitig das größte Bedürfnis zu
sein, geändert? Das würde mir leid tun ! Denn bei mir ist es unverändert
geblieben wie je! Ja noch mehr. Je mehr andere Menschen ich kennen
lerne, in je mehr Beziehungen und Verhältnisse der engsten und liebsten
Art ich trete, desto mehr fühle ich, wie gut ich Ihnen bin. Denn grade
am Vergleiche mit neuen Freunden und Freundinnen kommt mir regel-
mäßig immer wieder zum Bewußtsein, wie doch kein Individuum
jemals mir auch nur entfernt, entfernt das sein wird, was Sie mir sind ! —
Ich reise am 25. oder 24. d. M. ab, mit Duncker nach Gais, wo wir
tms aufhalten werden, bis die Molkenkur seiner Frau daselbst — sie ist
^) Am 28. Juni schickte Lassalle der Gräfin eine Abschrift von Humboldts Brief
vom Montag, der in Bd. II, S. 167, abgedruckt wurde. Lassalle fügt dort noch hinzu :
,,Sie sehen, daß wir also wieder einmal alle Bemühungen unserer Feinde abge-
schlagen haben und nun für immer inamovibel sind. Die Polizei wird sich nicht
wieder an mir vergreifen. Dieser Alte vom Berge hat sich übrigens wirklich so
großartig wie liebenswürdig gegen mich benommen. Solche Zuverlässigkeit, solche
Energie in einem Alter von neunundachtzig ist wirklich bewundernswert.'
= 222 -
schon lange dort — zu Ende ist; dann — etwa den i. oder 2. August —
treten wir alle drei unsere große Tour an, nach Zürich, Berner Ober-
land, über die Gemmi nach I^euk, nach Chamonix, nach Zermatt in die
Gletscherwelt des Monte Rosa, an den Lago Maggiore und Lago di
Como. Im einzelnen steht unsere Reise zwar noch nicht ganz fest. Mög-
lich, daß wir von Leuk aus auch den Genfer See mitnehmen, möglich,
daß wir ihn seitwärts liegen lassen. Abernach dem lyago Maggiore gehen
wir jedenfalls.
Wie schön wäre es nun, wenn Sie sich entschließen wollten, eine
Traubenkur an den Ufern dieses prächtigsten aller italienischen Seen
zu machen.^) Er übertrifft zugleich an lyieblichkeit wie an Großartigkeit
den Genfer See weit. Und dieses Klima und diese Vegetation ! Und die
Borromäischen Inseln! Ich bitte Sie dringend, kommen Sie hin. Gönnen
Sie sich und mir einige Wochen vollen Genusses. Denn ohne Sie ist auch
mein Genuß nicht vollständig. Mich entzückt die Natur nur, wenn ich
den Freund habe, der das Glück teilend schafft. Wenn Sie hinkommen,
so lasse ich meine Reisegesellschaft allein die Rückreise antreten und
bleibe dort bei Ihnen, solange Sie wollen . . .
P. S. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß der Fabrice politische
Denunziationen gegen mich bei dem Polizeipräsidenten ge-
macht hat; er hat politische Äußerungen von mir und seinen Royalis-
mus als geheimen Grund der Forderung darzustellen gesucht. Doch ist
auch dieser Sturm abgeschlagen. Qu'en dites-vous? . . .
96.
IvASSAIvUE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Sonntag früh (Berlin, 25. Juli 1858].
Gute, gute Gräfin!
Heute abend 6^/2 Uhr trete ich also mit Duncker meine Reise an.
Meinen direkt nach Wildbad geschriebenen Brief werden Sie hoffent-
lich schon erhalten haben und ebenso den letzten nach Düssel-
dorf gerichteten, der Ihnen nachgeschickt worden sein wird und in
^) Schon am 13. Juli hatte I,assalle der Gräfin den gleichen Vorschlag ge-
macht: , .Liebe, gute Gräfin, es wäre so schön, so schön! Der Mensch lebt nur
einmal! Was haben Sie denn vom Leben, wenn Sie sich nicht einmal etwas
gönnen! Auch werde ich Ihnen Ihre Geldangelegenheiten auch nach und nach
alle wieder in Ordnung bringen. Wer Lassalle für sich hat, braucht doch nicht
ängstlich zu sein. Denken Sie doch meines alten Wahlspruches, der Ihnen ein
Anker war in schlimmer Zeit.'-
- 223 ================
dem ich Sie so dringend bat, den Herbst mit mir am Lago Maggiore zu-
zubringen.
Aus aller Kraft und mit aller Innigkeit meines Wesens wiederhole
ich diese Bitte. Ich möchte so gern mit Ihnen einige glückliche Wochen
verleben ohne Kampf und Konflikt, ohne Teilung mit Familie usw. in
dieser reizendsten Gegend, welche die Milde italienischen Klimas mit
der Großartigkeit der alten Welt vereint. Auch würde es Ihnen für
Ihre Gesundheit so nützlich, so nützlich sein, dort die Traubenkur zu
brauchen. Gegengründe sind gar keine. Die Reise dauert für Sie drei
Tage nicht einmal (über Luzern und die Gotthardstraße, mit der
Mailänder Post; wie ich höre, ist sogar von Luzern nach Basel die
Eisenbahn schon fertig). Auch ist es dort sehr billig, Sie leben da
vier Wochen mit hundertzwanzig Reichstaler, und warum sollten Sie
sich und mir diesen Wunsch versagen?
Es würde mich sehr, sehr, sehr kränken und schmerzen! . . .
97-
IvASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Zürich, 6. August [1858].
Meine gute, tapfere Freundin!
Gestern mittag hier angelangt, fand ich abends Ihre drei Briefe zu-
gleich vor, von denen die schlimmen Nachrichten der beiden letzten
mich nur sehr mäßig impressioniert haben. Einen desto rührenderen Ein-
druck, eine wahre Erschütterung, hat der erste auf mich hervorgebracht.
Meine Tränen flössen unaufhaltsam, obwohl Sie wissen, wie selten und
schwer ich weine, und als ich mit meinen Gefühlen auf einem Nachen
den See hinunter fuhr, war es mir von neuem, so sehr ich gegen kämpfte,
unmögHch, den unaufhaltsam fließenden Strom stiller Tränen zurück-
zudrängen. Ich glaube, das ist alles gesagt, denn ich glaube nicht, daß
Sie sich erinnern, mich in den zwölf Jahren mehr als etwa zweimal
weinen gesehen zu haben. Ich kenne bloß zwei starke Neigungen, die
sich in mein Herz teilen und die alles erschöpfen, was ich an innerem
Leben habe, zwei Neigvmgen, unwandelbar, die dauern werden, solange
ich lebe und ohne welche mein Herz ein trostlos ausgebrannter Krater
sein würde.
Es ist meine Leidenschaft für die große Sache, und meine leiden-
schaftliche Freundschaft für Sie. Individuell glücklich kann ich mich
nur mit und bei Ihnen fühlen. Ich will vSie mir nicht entreißen lassen,
und wenn keine Halbheit in Ihnen ist, wenn keine Rücksicht auf
= 224 -:
angeblichen , .Schaden" in Gesellschaft und bei der Familie Sie teilt
und hemmt, wird es dem Unterschied des Alters und allem was Sie
hierüber zu sagen wissen, niemals gelingen, mich von Ihnen zu trennen.
Können Sie nicht mehr, wie Sie sagen. Schritt mit mir halten, so will
ich sehr gern meinen Schritt zu dem Ihrigen herunterstimmen. Ich
will alles tun, selbst, wenn Sie es wollen, Berlin verlassen, nur von
Ihnen will ich mich nicht trennen lassen. Jeder Mensch braucht doch
einen Punkt individuellen Glückes und für mich ist alles, was ich an
individuellem Glück und wirklicher Herzensfreude haben und hoffen
kann, in Ihnen eingeschlossen.
Sie schreiben mir von dem tmauslöschlichen Eindruck, den Ilmen die
Erinnerung an Ihre Schwester gemacht hat,^) wie sie noch eben da lag
Worte der Freundschaft sprechend, und dann kalt, regungslos, un-
erreichbar. Aber ist das nicht eben eine um so größere Aufforderung,
sich um so fester an die noch lebenden Freunde anzuschließen, an die,
die bei einigem guten Willen, einiger Anstrengung noch erreichbar
sind. Denken Sie doch, daß einmal auch der Moment kommen muß, wo
einer von uns beiden den andern in jener lyage sehen und wissen wird,
kalt, regimgslos, imerreichbar. Ich zittere und weine heftig, indem ich
diese Worte ausschreibe, und fast bin ich so egoistisch, zu wünschen,
daß Sie es sein mögen, der dieser Schmerz zuteil werde. Aber welcher
von uns beiden es auch sein mag, einer muß es doch sein nach dem un-
entrinnbaren Gesetze der Notwendigkeit, und nun denken Sie, wie hart
sich der übrig gebliebene jede Minute vorwerfen wird der Trennimg,
jede Minute, wo er den unerreichbar gewordenen treuen Freund noch
erreichen konnte imd nicht erreicht hat! Denken Sie an den Schmerz
des Zurückbleibenden und verbannen Sie um seinetwillen jede falsche
Rücksicht, jede kleine Rücksicht, die sich der Befriedigung und dem
Genüsse, die jeder von uns dem andern gewähren kann, entgegenstellt.
Fühlen Sie nicht, wie schon vor dem bloßen Gedanken an diese Situation,
vor dem Gedanken voll trauriger Kraft und Wahrheit alle halben,
schwachen und kleinen Rücksichten verblassen und schwinden. Ach,
Kind, es gibt keinen Zustand individuellen Glückes, kein festes und
dauerhaftes Gegründetsein desselben. Das individuelle Glück ist etwas,
das man dem Momente abgewinnen, abstehlen und jeden Moment
immer von neuem zu erbeuten suchen muß. Wehe dem, der das nicht
weiß!
Ach, was gäbe ich darum, wenn Sie in diesem Augenblick hier an
meiner Seite säßen in diesem Zimmer mit der Aussicht auf den stillen,
blauen See und seine milden Ufer! Ich würde den vierten oder dritten
^) Gräfin Klara von Nostitz war am 14. Januar 1858 gestorben.
- == 225-
Teil meines Vermögens nicht zu hoch achten, um mir diese Befriedigung
zu erkaufen. —
Wie ich Ihre Briefe gelesen hatte, war es mein erster Gedanke, Reise
und alles aufzugeben und zu Ihnen zu kommen. Aber das geht nicht,
weil Paul dort ist. Es bleibt mir also nichts übrig, als meine Reise fort-
zusetzen.
Aber energischer als je habe ich den Wimsch, den Herbst an einem
stillen, schönen Orte mit Ihnen zuzubringen. Bitte, schlagen Sie mir
diesen Wunsch nicht ab. Ist es nicht anders, so mag es auch an einem
nahen Orte sein, irgendwo am Rhein, so wenig ich ihn leiden kann, oder
in Heidelberg, das ich auch nicht liebe, oder in Zürich, wo es auch
schon für September und Oktober zu kalt ist ; kurz, Sie können im Not-
fall ganz frei und einseitig den Ort wählen.
Mir das lyiebste und auch das Vernünftigste, Beste, Ge-
sündeste und Zweckmäßigste für Sie wäre nach wie vor ein stiller
Aufenthalt von vier Wochen am Comer See. Auf Grund meiner in-
zwischen eingezogenen Erkundigungen muß ich nämlich den Comer
See dem I^ago di Maggiore weit vorziehen. Er ist auch für einen Aufent-
halt von Fremden weit besser eingerichtet. Hotels imd Villen überall un-
mittelbar am Ufer des Sees zu mieten. Auch kleine und ganz billige Häus-
chen. Die Fremden bleiben da bis zum November. Wie wohltuend würde
dies herrliche Klima für Sie sein ! Wie gesund ! Des Weltlaufs Mühen und
Sorgen, sie zögen an uns vorbei ! Wollen wir nicht sie so vier Wochen an
uns vorbeiziehen lassen? Auch brauchen Sie nicht zu fürchten, ich
würde Ihre Kräfte durch Partien anstrengen. Ich will gar keine Partie
mehr dann machen. Ein Spaziergang am Ufer des Sees, eine kleine
Fahrt in der Abendkühle auf dem leichten Nachen — das ist alles,
was ich will. Wollen Sie? Nichts steht ^im Wege. Rücksichten auf
, .Schaden" bei der Familie gewiß nicht. Denn abgesehen davon, daß
Sie diese Rücksichten doch ein für allemal überwinden müssen, wenn
wir wieder zusammen leben wollen in einer Stadt imd nicht imser Glück
solchen törichten Rücksichten opfern wollen, — abgesehen davon ist ja
ein solcher stiller und abgelegener Ort der letzte, von dem aus man
etwas in Berlin erfährt . . .
Nun adieu, mein liebes gutes Kind, meine beste Freundin, mein
einziger Freund! Gewähren Sie mir und sich die Freude, um die ich
bitte. Ach, meine Seele ist wie Ulrich von Hütten an Franz von Sickingen
schreibt, gesteckt voll guter Gedanken und Vorsätze gegen Sie. Ohne
Sie habe ich keinen wahren Genuß des Herzens, keine wirkliche Be-
friedigung.
Sie bekommen diesen Brief zwei Tage vor Ihrem Geburtstag. Ist es
nötig, daß ich erst meine heißesten Glückwünsche ausspreche? Zehn
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV IC
- - -- ■ = 226 -
Jahre, ja die Hälfte meines lyebens gab ich gerne hin, wenn ich Sie
recht, recht glücklich machen könnte, und gewiß ich kann es auch,
wenn Sie nur einigermaßen mitstreben und Vernunft annehmen. Möge
dieser Geburtstag der letzte sein, den wir getrennt voneinander zu-
bringen und der Anfangspunkt eines ungestörteren Zusammenseins wie
bisher.
Ihr
Ivassalle.
*
98.
LASSALI.E AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
I,ugano am Luganer See im Kanton Tessin, 11. September [1858].
. . . Meine Reise ist sehr schön gewesen, wenn eine Reise, die ich
ohne Sie mache, schön sein könnte. Ich habe überall bloß die Empfin-
dung gehabt. Orte auszusuchen, wo wir uns einmal zusammen amü-
sieren könnten, und so als Ihr Pionier zu reisen. Nur eine Tour habe
ich ohne diesen Gedanken gemacht, wissend, daß Sie mir dahin doch
nicht folgen würden und es auch nicht wünschen — die halsbrechende
Tour von der Grimsel nach Grindelwald über die Strahleck! — Im
übrigen ist alles auch für Sie vortrefflich passierbar. Wir haben übrigens
unsere Reise weiter ausgedehnt, als wir wollten.
In Aosta waren wir Turin und Genua viel zu nahe, als daß es ver-
nünftig gewesen wäre, daran vorbeizugehen, statt die neuen Eisen-
bahnen durch die Apennin zu benutzen. Wir gingen also nach Turin,
blieben da zwei Tage, von da nach Genua, wo wir uns vier Tage auf-
hielten. Von dort — immer per Eisenbahn — an den Lago Maggiore,
schliefen auf der Isola Bella, dem entzückendsten Aufenthalt, den man
sich denken kann, von da hierher. Noch heut geht es nach Bellagio an
dem Comer See, da bleiben wir zwei oder drei Tage allerhöchstens und
von da zurück über den Splügen nach Deutschland. Ach, ich freue mich
auf nichts so, als Sie wiederzusehen und mit Ihnen einige Zeit in Ruhe
zu leben! Iveider kann ich nicht einmal aus Ihrem Briefe ersehen, wo
Sie gegenwärtig sein werden. In Wildbad noch? Oder Schlangenbad?
Jedenfalls hoffe ich, in Frankfurt Briefe zu finden, die mir mit Be-
stimm theit sagen, wo ich Sie treffe. Ob ich nach Baden-Baden gehe,
bleibt, da Sie nicht hinkommen, noch sehr ungewiß. Jedenfalls denke
ich zwischen dem 16. und 20. September in Frankfurt zu sein und
rechne darauf, dort Briefe zu treffen, die mir genau sagen, ob und bis
zu welchem Datum ich Sie in W ildbad oder Schlangenbad oder Mainz
oder Düsseldorf antreffe. Aber richten Sie Ihre Angaben über Ihre Be-
: 227 :
wegiingeii genau ein, so daß ieli die meinigen mit Sicherheit danach
bestimmen kann, ohne fürchten zu müssen, Sie zu verfehlen. Auf einen
lieben, stillen, herzinnig gemütlichen Aufenthalt mit Ihnen in Düssel-
dorf freue ich mich sehr. Sie können mir das nun glauben oder nicht,
aber ich gewinne den schönsten Dingen nur die Hälfte ihres Geschmackes
ab, wenn Sie nicht dabei. Als ein Mensch, der vorzüglich und mehr als
vielleicht irgend jemand im Inwendigen lebt, wandle ich halb träumend
durch diese Paradiese olme den Freund — der das Glück fühlend ver-
mehrt, der es teilend schafft! Oh, kein Dichterwort wahrer als das, und
fast ist es sogar höchst unrecht von Ihnen, daß Sie mich immer zu
solchem Halbgenuß verurteilen.
Ihr
F. lyassalle.
99-
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Sonnabend früh [Berlin. i6. Oktober 1858].
Meine Gnädigste,
Ich traf also Donnerstag ^) früh hier ein, begab mich erst zu Dunckers,
dann um 10 Uhr zu Ludmilla, wo ich bis zum Leichenbegängnis blieb.
lyudmilla fand ich aufgelöst im Schmerz. Gegen 10^/4 Uhr fingen sich
die Salons zu füllen an. Alle Welt kam, Humboldt, Böckh, Förster,
Benary's^) Johannes Schulze, WiUisen,^) Cosbutt usw. usw. Pückler *)
nicht, da er in Branitz ist. Gerade bei der Abreise dahin auf der Eisenbahn
1) Lassalle hatte, aus Berlm ausgewiesen, am 26. Juli diese Stadt verlassen.
Nach der Schweizer Reise hielt er sich einige Wochen in Düsseldorf auf, während
seine Freunde, voran Humboldt, weiter bemüht waren, ihm die Rückkehr nach
Berlin zu ermögUchen. Hier erreichte ihn am 12. Oktober die Kunde von Varn-
hagen von Enses Tode. Darauf reiste er nach Berlin ab. Vgl. hierzu Hermann
Oncken, Neue Lassalle-Briefe im Archiv für Geschichte des Sozialismus und der
Arbeiterbewegimg, Bd. IV (1914), S. 439 ff.
2) K. A. Agathon Benary (1807 — 1861) war Privatdozent der alten Philologie
und sein Bruder Fr. S. Ferdinand Benary (1805 — 1880) a. o. Professor der alt-
testamentarischen Exegese an der Berliner Universität.
3) General Wilhelm von Willisen (1790 — 1878), 1848 als Reorganisator in
Posen, 1850 Oberbefehlshaber der schleswig-holsteinschen Armee.
*) Fürst Pückler-Muskau (1785 — 1871), der bekannte Reiseschriftstellerund
Gartenkünstler. Lassalles alte Beziehungen zu ihm (vgl. Bd. I Nr. 71, 72, 72,)
wurden neu geknüpft, als sie sich im Mai 1858 bei Varnhagen begegneten: ,,Er
war äußerst freundlich gegen mich," berichtete Lassalle am 22. Mai der Freun-
din, , .schüttelte mir als einem , alten Bekannten' beim Koiunien und Gehen
herzlich die Hand, erkundigte sich sehr angelegentlich nach Ihnen ..."
228 ==^==z==:
hat ihn die Nachricht ereilt, die ihn sehr erschütterte. Humboldt hatte
gerade noch im Vorzimmer mit Böckh über meine Angelegenheit ge-
sprochen, als er mich plötzlich gewahrte. Er redete mich gleich an: Ich
fürchte, Sie sind noch zu früh gekommen, und erzählte mir nun, daß
Zedlitz ihm versprochen habe, nach den Wahlen mich hier zu lassen.
Das war also der Termin, auf welchen sich jene dimklen Ausdrücke be-
zogen. Hätte ich das gewußt, so wäre ich, da die Wahlen schon Anfang
November stattfinden, wahrscheinlich ruhig bei Ihnen bis dahin ge-
blieben. Aber kein Mensch hatte mir das geschrieben, weder Böckh
noch irgendeiner das Wort ,, Wahlen" in den Mund genommen. Mit
Böckh sprach ich ausführlich. Vom Kirchhof gleich fuhr ich zu Herrn
von Zedlitz und traf ihn. Er wollte zwar durchaus, daß ich nochmals
verreise imd erst nach den Wahlen — er bezeichnete mir den 15. No-
vember als Termin — wiederkehre, dann wollte er mich unbehelligt
lassen. Aber es war mir unmöglich, nun wieder abreisen zu sollen. Ich
ließ daher nicht los und brachte es auch endlich dahin, daß er auch
diese vier Wochen fahren läßt. Wenigstens hat er mir dies schon so gut
wie zugesagt, obwohl ich ihn dieser Tage nochmals aufsuchen soll. Doch
versichere ich Ihnen, daß das Resultat sicher ist . . .
100.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Berlin, 22. Oktober 1858.]
. . . Meine Aufenthaltsangelegenheit ist jetzt geordnet. Herr von
Zedlitz hat mir schriftlich eröffnet, daß er von den von ihm erhobenen
Hindernissen jetzt abstrahieren wolle, freilich wieder, wie auch früher,
sich für die Zukunft alles vorbehaltend. Ich bin jetzt ganz sicher imd
wird man mich von nun ab in Ruhe lassen. Es hat sich nämlich wirk-
lich herausgestellt, daß, wie es scheint, Westphalen damals ganz gegen
den Willen des Prinzen gehandelt hat und soll dieser sehr böse ge-
wesen sein . . .
Im übrigen lebe ich ganz still und gehe äußerst wenig aus. Ich habe
nämlich angefangen, tüchtig zu arbeiten, esse deshalb täglich zu
Haus — gar nicht mehr im Hotel de Rome — und mache auch nur
solche Besuche, die ich schlechterdings machen muß. Man hat unend-
lich viel zu tun, wenn man die wissenschaftliche Entwicklung in so
vielen Fächern mitmachen will wie ich und in einigen noch produzieren
will. Erst in zwei Monaten etwa werde ich dazu kommen, das Nieder-
- 229 =
schreiben meines Werkes ^) zu beginnen. Die Zeit bis dahin wird wohl,
so rasend ich jetzt lese, durch das Verschlingen noch zu bewältigenden
Materials in Anspruch genommen werden . . .
lOI.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Berlin, Montag, 25. Oktober [1858].
Meine gute, gnädige Frau!
Ich habe Ihren Brief aus Altenahr bekommen . . . Wenn Sie schreiben,
Sie übertrügen meinen Gehorsam gegen Sie auf Frau Duncker, so prote-
stiere ich dagegen sehr. Das ist nicht zu übertragen, grade wie eine
Regentschaft. Das bindet sich lediglich an die Person, und ich bestehe
darauf, daß Sie Ihr Hofmeisteramt selbst behalten. Ich weiß nicht,
ob ich Ihnen gut folge. Aber das weiß ich, daß ich keinem auch nur
zum tausendsten Teil so folgen werde und kann wie Ihnen, und niemand
anders folgen will!
Zu erzählen ist nicht viel. Herr von Zedlitz hat jetzt seinen Frieden
definitiv mit mir geschlossen imd mir dies auch schriftlich angezeigt.
Humboldt ist nach wie vor äußerst liebenswürdig mit mir. Er hat mir
vorgestern ein sehr verbindliches Brief chen geschickt^) und angezeigt,
daß er meinem Besuche mit Vergnügen entgegen sehe. Morgen werde ich
zu ihm fahren . . .
102.
IvASSALI^E AN SOPHIE VOH HATZFEIvDT. (Original.)
Berlin, Donnerstag, 4. November [1858].
Ist es schön, ist es recht, ist es nur erlaubt von Ihnen, daß Sie mich
wieder so lange ohne alle Nachricht lassen? Ich habe Ihnen, seitdem
ich hier bin, schon drei Briefe geschrieben, nach Düsseldorf, nach
Remagen (poste restante), nach Altenahr und habe erst auf den ersten
derselben eine Antwort. Schon seit vier Tagen hoffe ich jedesmal, wenn
es klingelt, es sei der Briefträger, der mir einen Brief von Ihnen bringt,
imd immer umsonst. Ach, ich sehe wohl, Ihre Freundschaft für mich
ist erloschen, imd nur noch durch das persönliche Zusammensein wird
die verglimmende Kohle zu einem mühsamen, matten Aufglänzen ge-
^) Das ökonomische Werk, zu dessen Fertigstellung es nicht mehr kam.
2) Vgl. Bd. II, Nr. 90.
=^=== 230 ===^^====
bracht. Es ist Ihnen nicht mehr eigenes Bedürfnis, sondern nur eine
lästige Pflicht, mir zu schreiben. Ihre Gedanken und Sympathien, Ihre
Wünsche vmd Hoffnungen sind anderswo. Ich will Ihnen darüber keine
Vorwürfe machen. Aber sagen müssen Sie mir das dann wenigstens.
Denn es ist unrecht, mich allein imd einseitig das alte Verhältnis fort-
setzen zu lassen, immer noch an es glaubend, mich es wieder herzustellen
bemühend. Ich denke stets an Sie, unternehme und berechne, schätze
und liebe alles nur in bezug auf Sie, und stets ruhen, wenn ich, erschöpft
von Arbeit und Geistesanstrengungen, mich durch liebe Bilder erholen
will, meine Gedanken bei Ihnen aus!
Ich bin nicht so egoistisch, nur dem eigenen Glücke hingegeben wie
Goethe, der sich sagen kann:
Weg du Traum, so gold du bist,
Hier auch Lieb und Leben ist.
Es ist Weisheit darin, viel Weisheit. Aber ich habe mehr Wille als Weis-
heit. Kurzum, ich fühle mich sehr gekränkt, und tiefe Wehmut über die
Vergänglichkeit alles Irdischen, selbst dessen, was nicht vergänglich
sein sollte, beschleicht mich. Was nützt mir meine ausnahmsweise
Riesenkraft, die sich auch im Festhalten an Treue und Freimdschaft
betätigt? Ich kann sie Ihnen nicht mitteilen. Was nützen einem Kräfte,
die man selbst hat, aber nicht mitteilen, nicht übertragen kann? Nur
um so isolierter fühlt man sich, je unähnlicher man dem andern ist, und
fast kömmt mir die Ahntmg, daß der stärkste Mensch eben deshalb auch
bestimmt ist, der imglücklichste zu sein!
Von hier nicht viel zu melden. Ich gehe, auch abgesehen von einer
sehr heftigen Grippe und Husten, die mich seit gestern ans Zimmer
fesseln, so gut wie gar nicht aus, arbeite verzehrend, fieberhaft. Ach ja,
in der Arbeit ist noch Glück! Das spannt an, reibt auf, absorbiert. Es
füllt wenigstens aus und läßt einen nicht dazu kommen, in sein eignes
Ich einzukehren. Wenn ich allein wäre, ich könnte mir in der Arbeit
etwa ein ausreichendes Surrogat des Glückes bereiten. Ich würde keinen
Menschen sehen, sondern mich ausschließlich in diesen Aufreibungs-
prozeß vertiefen. Aber das darf nicht sein, Ihretwegen. So unterhalte ich,
soweit es sein muß, meine Beziehungen zur Außenwelt. Und so kommen
mir alle Augenblicke mehr oder weniger gleichgültige Menschen in die
Quere, und der einzige Mensch, nach dem ich mich sehne, läßt nicht
einmal ein Wort von sich hören. Es ist sehr unrecht. Schreiben Sie
mir doch alle drei bis vier Tage. Das ist ja eine so kleine Mühe.
Warum haben Sie mir denn das Bild noch nicht geschickt? Es könnte
lange gerahmt sein. Adieu, meine Gute, ich bin traurig und wehmütig
gestimmt. Ihr F. L.
=^==M^= 231 =========
103.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonnabend abend [Berlin, 6. November 1858].
Einige Stunden nach Empfang Ihres Briefes geschrieben.
. . . Sie glauben nicht, wie grenzenlos viel ich zu tun habe. Manchmal
stehen mir die Haare zu Berge. Ich will jetzt das ökonomische Werk
ausarbeiten. Aber Sie kennen meine Gewissenhaftigkeit vom Hcraklit
her. Ehe ich nicht alles durchgelesen habe, was irgend in das Fach
schlägt, beruhige ich mich nicht, setze ich keine Feder an. So kommt es,
daß ich trotz aller, so vieler und langer Vorarb_>iten doch noch zehn bis
zwölf Bände lesen muß, che ich zu schreiben auch nur anfange. Dies
tue ich also j tzt, als wenn j. mand mit der Peitsche hinter mir wäre.
Aber dies ist nur eins. Ich habe angefangen, bei Dr. Brugsch,')
unserem großen A.yptolouen, Hiero;, lyphenstunde zu nehmen. Er hat
den Hcraklit geksen und sich in den Kopf gesetzt, ich sei berufen, das
Verständnis des Totenbuche s, c-as man bis jetzt wohl übersetzen, aber
nicht verstehen kann, der Welt zu eröffnen. Infol eelcssen erbot er sich,
mir Hiero. lyphenstunde zu geben. Sie kennen meine alte Neigung zu
diesen Materien. Eine so vortreffliche Gelegenheit konnte ich nicht zurück-
weisen. Er gibt mir tä; lieh eine Stunde, kommt jetzt sogar, solange ich
krank bin, täglich deshalb zu mir, alles umsonst, bloß für das Interesse
der Wissenschaft. Sie sehen, daß man wirklich nur noch unter den
Gelehrten uneigennützice Menschen findet. Aber welche Zeit kostet
es mich! Die eine Stunde tä. lieh wäre nichts; aber das Lernen und
Memorieren außerdem. Es ist furchtbar mühsam. Und das ist ja lange
nicht alles. In der Philologie muß ich mich au courant halten, außerdem
manches Erscheinende lesen, Hunderte von Statistiken durchwühlen;
einige rechtsphilosophische Werke, die ich gerade vorgenommen habe
und vorzunehmen Veranlassung hatte, wollen auch gelesen sein und
geben zu denken und zu studieren. Auch die Idee, einen Pherekydes -)
zu schreiben, geht mir im Kopf herum und veranlaßt manche Unter-
suchungen. Kurz, ich weiß manchmal wirklich nicht, wo mir der Kopf
steht. Bei jedem anderen würde dies ein leidiger, ihn zersplitternder
Dilettantismus sein. Nicht so bei mir. Ich habe die Kräfte dazu. Heut
übers Jahr wird das ökonomische Werk fertig und die Sprache des
*) Ein Heft, das sich auf diesen Unterricht bezieht, fand sich im Nachlaß.
Für Lassalle und Brugsch vgl. Bd. II, Einführung S. 20.
2) Auch von einem Pythagoras spricht Lassalle. Doch der Nachlaß enthält
keinerlei Beweisstücke dafür, daß es ihm jemals ernst gewesen ist, an dem Lehrer
oder dem Schüler die Riesenarbeit zu wiederholen, die er auf Heraklit verwendet
hatte.
====^ 232 =^=^==.^
Totenbuches mir geläufig sein. Und so wird eins nach dem andern
kommen und besorgt werden, so wildfremd und disparat es aussieht.
Aber wenn ich auch die Kräfte habe, so ist es doch nur durch ihre
rasendste Konzentration möglich.
So wird es Sie nicht wimdem, zu hören, daß ich fast gar nicht aus-
gehe. Daß ich seit acht Tagen krank — eine schändliche Grippe tmd ein
fataler Husten — ist mir ordentlich sehr angenehm, da es mir das Aus-
gehen ganz erspart.
Damit ich 's nicht vergesse, will ich Ihnen, da nach Altenahr viel-
leicht keine Zeitungen kommen, gleich das heut gebildete Ministerium i)
mitteilen : Fürst Hohenzollern Ministerpräsident, Auerswald 2) Kabinetts-
minister ohne Portefeuille, Bonin^) Krieg, Patow ■*) Finanzen, Flottwell ^)
Inneres. Simons 8) und He ydt') bleiben. Graf Pückler landwirtschaft-
liches Ministerium. Bethmann-Hollweg ^) Kultus. Die bemerkens-
werteste Persönlichkeit davon ist Patow, der in der letzten Kammer
auf der Linken saß, was freilich nicht viel besagen will.
Ich soll mich nach einer Wohmmg (Chambre ganire) umsehen? Das
wiU ich tun. Aber ich werde sie nicht Unter den Linden, sondern in
meiner Nähe suchen. Ich weiß gar nicht, wozu Sie Unter den Linden
wohnen sollen. Aber Ihnen einen Gesamtkostenüberschlag machen, das
kann ich nicht . . .
Freilich tut es mir wehe, Sie erst nach Weihnachten, also Januar,
somit erst in sieben Wochen wiedersehen zu sollen. Indes ich finde es
vernünftig, daß Sie die vier Wochen lieber noch ausbleiben, um den
kostspieligen Weihnachtsgeschenken zu entgehen, und will meinerseits
diese Zeit nun auch doppelt gut benutzen, um vorzuarbeiten und somit,
wenn Sie kommen, um so besser Zeit für Sie zu haben. Denn daß Sie
^) Am 26. Oktober hatte der Prinz von Preußen die Regentschaft endgültig
übernommen, am 6. November wurde das Ministerium Manteuffel von dem Mini-
sterium des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern abgelöst.
2) Rudolf von Auerswald (1795 — 1866), vom 25. Juni bis 7. September 1848
Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen, von 1858 bis 1862 Kabinetts-
minister ohne Portefeuille.
^) General Eduard von Bonin (1793 — 1865) war von 1852 bis 1854 und von
1858 bis 1859 Kriegsminister.
*) Freiherr E. R. von Patow (1804 — 1890), 1848 Handelsminister im Mini-
sterium Camphausen, von 1858 bis 1862 Finanzminister.
*) Eduard von Flottwell (1786 — 1865) war 1844 bJs 1846 Finanzminister, von
1858 bis 1859 Minister des Innern.
^) Ludwig Simons (1803 — 1870) war von 1849 bis 1860 Justizminister.
') August von der Heydt (1801 — 1874) war 1848 bis März, 1862 Handelsminister
und März bis September 1862 und 1866 bis 1869 Finanzminister.
8) Moritz August von Bethmann- Hollweg (1795 — 1877) war 1848 Professor
des Zivilrechts in Berlin und Bonn, Unterrichtsminister 1858 — 1862.
=^233 =
mir eine starke Bresche in die Arbeitszeit machen werden, ist freilich
unvermeidlich, ist mir auch ganz lieb und recht. Wie gerne laß ich mir
durch Sie diese Bresche machen. Aber eben deshalb ist es gut, wenn ich
diese Wochen um so stärker noch ausbeute. Auch in andrer Beziehung
verlieren Sie hier nicht viel, wenn Sie bis i. Januar — aber auch nicht
später — warten. Der Winter hat noch nicht begonnen, noch nirgends
von einer Gesellschaft die Spur. Im Januar erst beginnt er. Dann kommen
auch die Kammcni, das wird diesmal etwas Leben bringen. Auch in
meinem kleineu Kreise ist es bis dahin noch stiller wie sonst. Varnhagen
tot. Ivudmilla, die ich oft, d. h. verhältnismäßig mehr als sonst wen, be-
suche, kann bis dahin der Trauer wegen auch noch nicht in Gesellschaft
gehen. Stahr und Fanny, noch in Venedig, kehren gleichfalls erst im
Dezember zurück. Sehen Sie aber, die Zeit bis dahin gut auszubeuten,
d. h. reisen Sie allerdings, wenn dort die Trauben ausgehen, an Orte,
wo noch welche sind, oder wollen Sie das schon absolut nicht, so bleiben
Sie wenigstens den ganzen November in Altenahr sitzen. Auch Winter-
landschaften sind schön und spaziert es sich da ganz gut. Zudem ist es
immer besser als Düsseldorf. Ganz kleine Orte sind überhaupt für
einige Zeit gar nicht so ennuyant. Sie haben ein cachet von Ursprüng-
lichkeit, einen gewissen Duft patriarchahsch gemütlicher Verhältnisse,
der ganz gut tut. Ganz große oder ganz kleine Orte. Nur die Mittel-
straße kann einen zu Tode langweilen. Sie sagen, ich schriebe nicht über
meine Angelegenheiten. Meinen Sie Franz? In acht Tagen erst erfolgt
die Entscheidung, da N. N.^) immer noch nicht seiner Stelle sicher ist.
Ist sie günstig, so kommen Sie zum Januar grade zurecht, um die Bombe
platzen zu sehen.
Nim adieu und herzlichen Gruß. Wie vergnügt bin ich, daß Ihnen
endlich einmal etwas bekömmt und gefällt. Was wollte ich mit Ihnen
laufen, wäre ich nur bei Ihnen! Gehen Sie um [?] die Breite Ley, so
denken Sie meiner an der Stelle, wo ich Sie durchtrug.
Adieu, es ist halb ein Uhr.
Ihr F. L.
104.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT.
[Berlin, 11. Dezember 1858.]
. . . Ich habe Ihnen auf Ihren letzten Brief nicht geantwortet, weil
ich denselben durchaus unwahr, unredlich und sophistisch fand, zum
^) Lassalle machte Jahre hindurch alle Anstrengungen, um eine Aufführung
seines Dramas Franz von Sickingen durchzusetzen. Aber er erreichte es nirgends.
234 =
bloßen Zanken keine Zeit habe und endlich mich in die Unmöglichkeit,
etwas zu ändern, finden zu müssen einsehe.^) Man muß eine Situation
akzeptieren können. Ich habe alle Kräfte, redhchen Willen und redhche
Vernunft daran gesetzt, es zu ändern. Es geht nicht. Meine Seele ist
matt geworden und sieht ein, daß es nicht mehr geht. Ich ergebe mich
also in die Situation, die Sie nun einmal nicht anders wollen, daß unsere
intensivere Beziehung, unser kameradschaftliches Verhältnis aufhört
und wir in das gleichgültige befreimdeter Personen zurücktreten. Schon
als Sie voriges Jahr nach Berlin kommen sollten, ging es nicht, Pauls
wegen. Nach Wildbad zu Ihnen konnte ich nicht, Pauls wegen. Nach
Berlin wieder können Sie jetzt nicht, Pauls wegen. Es wird mir endhch
zu viel Paul. Ich quäle mich hier ab, üsiere und abüsiere fast Personen,
die es nicht verdienen, Ihretwegen, bin in allem, was ich tue, auf Sie
bezogen. Und Sie können nichts von dem, was mir lieb ist, und wiederum
nur Ihretwegen heb ist, tun, Pauls wegc n. Ich kann nicht einmal mehr
etwas für Sie tun, Pauls wegen. Kann ich nichts für Sie tun, haben Sie
für mich keine Zeit mehr übrig, Pauls wc ; en. so können wir uns auch
nichts mehr sein.
Das heißt keine gerechte Teilung, das h ißt, den einen bis zur i änz-
lichen Nichtberücksichtigung des andern be rücksichti; en. Ich ziehe
mich also in mich zurück. Kann ich nichts m( hr für Sic tun, nun so ist
es meine Pflicht, meine Tatkraft andern zuzuwenden, die nicht so von
lauter Pauls barrikadiert sind, und ist mir auch niemand halb so lieb,
wie Sie mir waren, so muß ich mich anstnncen, mir jemand so lieb zu
machen. Daß Sie gar kein B-^dürfnis einfs Zusammenlebens mit mir
haben resp., was auf dasselbe hii auskömmt, dasselbe beständig und
fortgesetzt anderen Rücksichten aufopffrn, ist eine Tatsache, deren
Anerkennung ich mich endlich nicht entziehen kann. Ich glaube, es war
spät genug, wenn Sie Anfang Januar eintrafen. Indessen, es soll nicht
sein. Ich beuge mich vor der Tatsache, kämpfe nicht länger dagegen
an und gebe Sie auf. Sehen Sie zu, ob Sie gut und vernünftig dabei
handeln imd ob Ihnen Paul diesen Verlust ersetzen wird. Sie wollen
nicht, ich kann Sie nicht zwingen. Aber noch länger ein dupe zu sein,
schickt sich nicht für mich. Ich gebe also hiermit jede Prätension,
länger etwas für Sie und Ihre Existenz zu tun, und damit jedes tiefere
Interesse an Ihnen auf, da Sie es nicht anders wollen, und trete zu Ihnen
in die Stellung eines sogenannten guten Freundes, dessen Glück mir
^) Die Gräfin hatte L,assalle fest versprochen, zum i. Januar auf vier Wochen
nach Berlin zu kommen, hatte aber ihren Plan aufgegeben, weil finanzielle Ver-
handlungen ihres jüngsten Sohnes mit seinem Vater, seinem Bruder und Onkel
schwebten und sie fürchtete, daß ihre Anwesenheit in Berlin diese ungünstig
beeinflussen könnte.
= 235 —
lieb, dessen Unglück mir leid sein, dessen Geschick aber keinesfalls
mich irgend ausfüllen wird. Soll man seinen ganzen Menschen hin-
geben, so nmß man ebenso einen ganzen Menschen dafür zurück-
bekommen, nicht aber in so lächerhcher Weise behandelt werden.
Ich werde Ihnen von nun an nur alle drei bis vier Monate schreiben,
denn öfter schreibe ich an meine guten Freunde nicht, und grade weil
der Riß ein in meinem Herzen noch blutender und ungeheilter ist, wäre
es mir lieb, wenn Sie mich auch nicht zu oft an sich erinnerten.
Und somit vergnügte Feiertage wünschend, bestens
Ihr
F. Lassalle.
105.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, am ersten Weihnachtsfeiertag [1858].
Traurig setze ich mich hin, um Ihren traurigen Brief zu beant-
worten.^) Wie ist es nur möglich, daß jemand alle Wahrheit so entstellen
kann, wie Sie es in diesem Briefe tun, daß jemand es fertig bringen
kann, sich gegen alle Tatsachen diese Dinge einzureden, oder, was wahr-
scheinlicher ist, selbst nicht an sie glaubend, sie dem andern zu schreiben.
Nein, wenn Ihnen das eine Beruhigtmg ist, so kann ich Ihnen ein-
fach aus tiefster 'Seele versichern, daß ich bei dem Bruche mit Ihnen
weit mehr innerlich leide und verliere als Sie selbst. Es ist nicht wahr,
daß ich im geringsten Ihnen innerlich entfremdet, daß andere Nei-
gungen, Menschen und Verhältnisse im geringsten mich gegen Sie er-
kältet hätten. Bei der einfachsten Betrachtung meiner Persönlichkeit
könnten Sie sich das selbst sagen. Ich bin eine in die Tiefe hinein lebende
Natur, der Zerstreuung nichts anhaben kann. Jeder Mensch und darum
auch ich braucht eine Person, die er liebt. Und wie sollte mir irgend
jemand jemals die Ihrige ersetzen? Sie sind ein Stück Lebensgeschichte
von mir geworden, Sie stellen meine besten zehn Jahre dar. Sie allein
kennen mich ganz, verstehen mich ganz. Sie verstehen die Dinge, die
mich interessieren; durch langen gegenseitigen Gedankenaustausch
haben Sie meine eigene Weltanschauung im allgemeinen angenommen,
haben Interesse und Verständnis für alle Ideen bekommen, die mich
beschäftigen. Sie sind mein zehnjähriger Zelt- und Kriegskamerad ge-
wesen, wir haben Unglück und Elend, unerhörte Situationen und un-
erhörte Prouessen gemeinschaftlich durchgemacht, — wie soll ich von
^) Der Brief der Gräfin fand sich nicht.
236 -
alledem nur den himderttausendsten Teil bei andern Leuten wieder-
finden? Jedes, selbst männliche, Freundschaftsverhältnis, das ich
jemals eingehen werde, bleibt mir äußerlich und gleichgültig gegen mein
Verhältnis zu Ihnen, wird mir grade erst durch diesen Vergleich äui3er-
licher, als es sonst wäre. Sie irren sich, wenn Sie glauben, Sie seien meine
beste Freundin — ich kenne mehrere, die mir weit besser sind, als Sie
mir gegenwärtig noch sind. Aber Sie irren sich jedenfalls noch hundert-
mal mehr, wenn Sie glauben, meine Freundschaft zu Ihnen habe im
geringsten nachgelassen. Oh, leider ganz im Gegenteil.
Je mehr Sie mir fehlen, desto mehr habe ich erst eingesehen, wieviel
Unersetzliches in Ihnen für mich vorhanden ist. Wenn ich trotz
dieser wärmsten imd imersetzlichen Freundschaft, die ich für Sie emp-
finde, dennoch mit Ihnen breche, so geschieht dies, weil es meine Prin-
zipien erfordern und ich fest entschlossen bin, diesen mein ganzes
Leben hindurch jedes Opfer zu bringen, das sie erheischen, gleichviel,
wie elend und imglücklich ich dabei werden mag. Sie kennen mich und
die Gleichgültigkeit, deren ich gegen mich selbst fähig bin, wo meine
Grundsätze ins Spiel kommen. Es kann also für Sie hierin nichts liegen,
was Sie bei mir überraschen könnte.
Nein, mag ich dabei noch so große Verluste erleiden, mag ich noch
so elend, freudelos, unglücklich werden — es ist mir alles ganz egal, wo
es sich um meine Prinzipien, wo es sich um meine Selbstachtung handelt.
Ich will nicht hinnehmen, daß Sie mich ungefähr so behandeln, wie
Paul 1850 Sie zu behandeln anfing. Und wenn ich Ihnen damals sagte,
es wäre Ihrer würdiger, ganz mit ihm zu brechen, als das zu ertragen,
so ist es jetzt meine Pflicht, solche große Worte an mir wahr zu machen,
und obgleich ich Ihnen viel besser bin, als ich jemals einem Sohn sein
werde, wenn ich einen habe, nicht in dieselbe Weichlichkeit zu verfallen,
in die Sie verfielen, sondern ritz, ratz, mag bei dem Riß hängen bleiben,
was will, lieber mit Ihnen zu brechen, als ein nicht entsprechendes und
unwürdiges Benehmen Ihrer gegen mich zu akzeptieren.
Soll ich wirkhch erst ein Wort verlieren, die lange Reihe von un-
wahren Tatsachen zu berichtigen, die Sie anführen?
Es ist nicht wahr, daß ich darauf bestanden habe, nach Berlin zu
gehen. Es ist wahr, daß ich Ihnen erklärt, wie gern, wie überaus gern
ich dies täte. Aber ich erklärte Ihnen im April 1857 vor meinem Ab-
gang ausdrücklich, daß ich bereit sei, wenn Sie durchaus nicht nach
Berlin wollten und weil ich keinesfalls mein Zusammenleben mit Ihnen
zerreißen wolle, mein Domizil in Leipzig, Hamburg, Breslau (wo das-
selbe Recht herrscht wie in Berlin) aufzuschlagen, wenn Sie dies
gleichfalls wollten. Sie weigerten das. Sie erklärten, durchaus in
Berlin sich domizilieren, daselbst aber so wenige Zeit als möglich zu-
237 — =
bringen, dann in meiner Stadt einen Teil des Jahres verleben zu wollen.
Da somit meine Domizilierung in Breslau usw. den Zweck eines dauern-
den Zusammenlebens nicht erreicht hätte — Sie müßten, sollte Ihr
Domizil in Berlin begründet sein, jedenfalls eine geraume Zeit des
Jahres dort, eine andere im Bade verbringen — , da mein Opfer, mein
mir sehr schwer ankommendes Opfer, zu dem ich mich dennoch erbot,
somit ein nutzloses gewesen wäre, so mußte ich mich für Berlin ent-
scheiden.
Sie sagen, Sie hätten im Frühjahr (April) 1857 Berlin meinetwegen
verlassen müssen, obwohl Sie daselbst Grund gehabt hätten zu bleiben.
Wo nehmen Sie nur die Stirn her, dies als ein ,, Opfer", das Sie ,,mir
gebracht", anzuführen? Denn freilich mußten Sie Berlin damals meinet-
wegen verlassen, damit der hierdurch getäuschte Polizeipräsident das
mich betreffende Reskript imterschriebe. Aber ich erklärte Ihnen sofort
bei Ihrer Ankunft in Düsseldorf, daß ich nichts dagegen habe, wenn
Sie acht Tage nach meiner Ankunft gleichfalls wieder einträfen. Mich
dort zu behaupten, wenn ich einmal dort sei, nähme ich auf mich. Das
Opfer, das ich Ihnen auferlegt hatte, beschränkte sich also auf eine Ab-
reise, der die Zurückreise sogleich folgen konnte. Wie können Sie dies
als ein ,, Opfer" anführen? Wie viele hunderttausend Reisen habe ich
nicht für Sie gemacht!
Ich traf Anfang Mai in Berlin ein. Im Juni schrieben Sie mir, wegen
der Schwester hinkommen zu wollen. Da mir meine Polizeiquellen den
Kopf warm machten,^) da die Hinktmft damals zudem für Sie, da Sie
bald ins Bad mußten, keinen Selbstzweck haben konnte, fragte ich
Sie, ob Sie es nicht aus Rücksicht für mich, dem große Konflikte daraus
entstehen köimten, bis zu Ihrer Rückkimft aus dem Bade verschieben
könnten. Sie antworteten: Nein, es ginge nicht. Die Rücksicht auf Ihre
Schwester erfordere es. — Ich wollte nicht, daß Sie mir irgendein Opfer
brächten. Ich erklärte mich sofort mit Ihrer Ankunft einverstanden.
Ich benachrichtigte Sie aus Zartgefühl, um Sie nicht durch Rück-
sicht auf mich in Verlegenheit zu setzen, nicht einmal, daß Zedlitz
die Ausweisungsordre gegen mich für den Fall Ihres Herkommens
bereits imterschrieben hatte. Ich verschwieg Ihnen das und die
wütenden Szenen, die ich mit ihm gehabt, und handelte so wieder so
sublime und mit solcher Opferhaftigkeit, wie, ich darf es sagen, nur ich
zu handeln fähig bin. Aber inzwischen hatte Paul erfahren, daß ich da
sei. Ihm konvenierte nun Ihr Herkommen nicht, damit Sie nicht zu-
gleich mit mir daseien. Nun schrieb e r Ihnen, Sie möchten nicht kommen
und siehe ! was Sie nicht aus Rücksicht auf meine Existenz zu tun ver-
^) Siehe oben Nr. 61 und 62.
— — - 238
mocht hatten, aus Rücksicht auf alle unübersehbaren Konflikte, die
sich besonders Ihre so schwarz sehende Phantasie für mich ausmalen
konnte, das vermochte ein ,, Wunsch" von Paul. Sie gaben die Absicht
auf, damals herzukommen, obwohl ich Ihnen nun inzwischen geschrieben,
daß ich Sie fest erwartete. Aber bereits war nun inzwischen meine
Position Zedlitz gegenüber engagiert. Ich durfte nicht zurückweichen
oder diesen Schein auf mich fallen lassen, wenn ich nicht alles verderben
wollte. Umsonst schrieb ich Ihnen jetzt zwei bis drei Briefe. Sie wollten
gegen Pauls Wunsch durchaus nicht. Endlich, nachdem ich Gewalt
gebraucht — es erforderte die wütendsten Anstrengungen — kamen
Sie.i)
Wie sehr Sie damals und bei Ihrer späteren Anwesenheit mir hier
eine Aschenbrödelrolle zugewiesen, wie Sie verlangten, wenn ich zu
Ihnen käme, und Paul usw. bei Ihnen sei, solle ich fortgehen, wenn er
aber käme, und ich bei Ihnen sei, solle ich mich durch Schlafzimmer
und Hintertür heimHch fortstehlen — wissen Sie vielleicht noch. Trotz
meiner Indignation nahm ich auch das noch hin und ließ es mir faktisch
gefallen.
Sie sagen, ich hätte nicht Zeit für Sie gefunden, im Herbst 1857,
wo Sie es Prozesse halber wünschten, für Sie nach Köln zu g^hen. Aber
wie konnte ich fort? Erst am 5. November erschien der Herakht.
Dann ging es sofort an den Sickingen. Die Beendigung, das Korrigieren,
Abschreiben usw. dauerte bis Mitte Mai. Erst nun konnte der Druck
beginnen, der erst im Juni (Mitte oder Ende) vollendet war. Daß diese
Arbeit aber nicht noch länger verschoben werden konnte, werden Sie
am besten daraus ersehen, daß ich noch immer keine Antwort habe und
es also gewiß notwendig war, sie wenigstens so früh als möglich ein-
zureichen. 2) Somit konnte ich nicht, meiner Arbeiten, nicht ,, meiner
Vergnügungen" wegen. Überdies war mein Hinkommen gar nicht so
wichtig für die Prozesse, daß es in irgendeinem Verhältnisse zu dem
Schaden an diesen Arbeiten gestanden hätte oder überhaupt unerläß-
lich gewesen wäre. Kaum aber hatte ich im Juni die Hände frei, als ich
Ihnen schrieb, ich wollte im Juli zu Ihnen kommen, nach dem Wildbad,
wo Sie waren. Aber da hieß es, das ginge nicht, Paul sei da. — Ich hatte
Sie gebeten, unsere Schweizer Reise, zu der ich mich engagiert hatte,
mitzumachen. Aber Sie wollten nicht. Von Zürich aus schrieb ich Ihnen
nun aber einen so liebevollen, so rührenden Brief ! Vier Bogen lang ! ^)
Ich wollte meine Reisegesellschaft und Reiseroute jeden Augenblick
1) Siehe oben Nr. 63 und 64.
*) Lassalle hatte das Exemplar des Franz von Sickingen beim Königlichen
Schauspielhaus in Berlin eingereicht.
^) Siehe oben Nr. 97.
= 239 =
aufgeben. Ich wollte Sie abholen irgendwo und mit Ihnen den Herbst
am Corner See oder Züricher See oder in Heidelberg oder wo Sie sonst
wollten, zubringen. Sie sollten nur bestimmen. Aber Sie schrieben mir
wieder, Sie könnten sich nicht darauf einlassen, weil Sie nicht wüßten,
wie lange Paul werde bei Ihnen bleiben wollen, und dann der elenden
paar hundert Taler wegen.
Zurückkehrend ging ich zu Ihnen und tat an den Geschäften, was
ich konnte. Daß ich jetzt großen Drang hatte, nach Berlin zurück-
zukehren, um aus der ungewissen Situation mit Zedlitz herauszukommen
und meine nationalökonomische Arbeit zu beginnen, war klar. Überdies
baten Sie mich gar nicht sehr, dort zu bleiben, was auch sowohl in meinem
als Ihrem Interesse — der Traubenkur wegen — ganz vernünftig war.
Wenn ich jetzt in Berlin darauf drang, daß Sie Anfang Januar hier
seien, so war dies wieder nur in Ihrem Interesse, denn das meinige würde
meines Werkes wegen sehr gut vertragen, daß Sie noch nicht kommen.
Durch Ihre Herkunft verliere ich notwendig eine unersetzliche Arbeits-
zeit, wie sie besonders im Beginn eines Werkes nicht ohne große Ver-
langsamerimg und Nachteil verloren werden kann. Es hätte mir also
ganz gut gepaßt, wenn Sie noch nicht kamen. Aber ich bin gewohnt,
immer auf Sie, nicht auf mich zu sehen. Ihr Interesse aber erforderte
durchaus, daß Sie im Januar herkamen. Und zwar aus zwei Gründen.
Einmal erreicht der Winter, die Saison, hier im Januar seine Höhe.
Kommen Sie erst gegen Ende der Saison, so ist es nicht möglich, daß
Sie die Bekanntschaften usw. machen, wie beim Anfang der Saison.
Und im nächsten Winter ist es dann wieder schwieriger, als solange Sie
eine ganz neue Erscheinung sind. Die Hauptsache aber, weshalb Ihre
Herkunft im Januar nötig, ist Ihr Zusammenziehen mit Fräulein Lud-
milla. Die Sache verhält sich nämhch so. Sie wissen, welchen unge-
heuren Wert ich für Sie darauf lege, wenn dieses so durch und durch
gescheute, brave und großdenkende Mädchen mit Ihnen zusammen-
wohnen würde und so mit tausend größeren Annehmlichkeiten, als Sie
irgendw^o finden können, und ohne alle Lasten für Sie, die Rolle einer
Gesellschafterin und Freundin für Sie ausfüllen wollte. Nun hat dies
arme Mädchen — glauben Sie ja nicht, daß ich scherze oder Gespenster
sehe — eine ganz unglaubliche Leidenschaft für mich gefaßt.^) Sie
tut alles, was ich will, und wenn sie den Mond mit den Zähnen nehmen
sollte. Dies erleichtert natürlich meinen Plan. Wenn Sie jetzt kommen,
so ist nicht der geringste Zweifel, daß sie es auf meinen Wunsch tun,
ja ein devouement hineinsetzen wird, für Sie zu leben. Aber um eben
^) Sehr zahlreiche Briefe Ludmillas an Lassalle befinden sich im Nachlaß.
Von ihrem Abdruck wurde aus räumlichen Gründen Abstand genommen. Vgl.
hierzu Bd. II, Einführung S. 25.
= 240 —
dieser Ivcidenschaf t willen war und ist meine Situation vis-ä-vis diesem
Mädchen, dem ich herzlich gut bin, eine ganz unerträgliche. Als ich
herkam, mußte ich ihr versprechen, die Woche mindestens einen
Abend bei ihr zuzubringen. Ich tat das imd hielt es, weil ich eben in
Ihrem Interesse meine Macht über sie nicht verlieren wollte. Aber ich
bin dabei stets wie auf Kohlen. Durch jeden Besuch — glauben Sie um
Gottes willen nicht, daß ich übertreibe — vermehrtsich diese Ivcidenschaf t
bei ihr so, daß ich alle Minute befürchte, sie in einen Eklat ausbrechen zu
sehen, und mehrere Male vielleicht nur durch die künstlichste, kalte und
frivole Wendung, die ich dem Gespräche gab, einer Erklärung entgangen
bin. Auf die Ivänge halte ich das nicht aus, und vielleicht legt sie sich
noch meine wöchentlichen Besuche, da sie weiß, wie teuer mir meine
Abende jetzt sind, für mehr als bloße Freundschaft aus. Wäre die Rück-
sicht auf Sie nicht, würde ich mir leicht helfen, indem ich absichtlich
nur alle drei Wochen hinginge und sie so gewaltsam von ihrer törichten
Ivcidenschaft abbrächte. Aber das darf ich wieder Ihretwegen nicht,
um meine Macht auf sie nicht zu verlieren. Diese Situation ist viel ver-
zweifelter, als Sie aus dieser Schilderung ersehen können, und ganz un-
leidlich. Ich kann sie unmöglich lange aushalten. Sind Sie erst da, so
verlasse ich mich auf Ihre Anwesenheit, die dann natürlich jeden Eklat
verhütet. Darum wollte ich Ihre Herkunft durchaus. Jetzt ist noch
dazu gekommen, daß I/udmilla auf Ostern ihre Wohnung gekündigt
hat und deshalb schon im Januar eine neue suchen und mieten will
und muß. Solange Sie nicht da sind, kann ich ihr aus hundert Gründen
nichts von meinem Plane sagen. Dies geht erst, wenn Sie sich beide
gesehen haben. Hat lyudmilla aber erst gemietet — und dies geschieht
im Januar gewiß — , so ist es deshalb wieder vorbei. — Dies waren die
Gründe, die mich nötigten, Ihre Herkunft Anfang Januar spätestens
zu wünschen.
Sie sagen jetzt, Ihre Geldverhältnisse hielten Sie davon ab. Dies
ist aber auch nicht wahr, und ich kann es wiederum beweisen. Denn
im November schrieben Sie mir: Sie wüßten nicht recht, ob Sie schon
vor Weihnachten herkommen sollten , denn wegen der Sitte des
Schenkens koste Ihnen der Weihnachten hier entsetzlich viel, so daß
es vielleicht klüger sei, ihn noch in Düsseldorf zu verleben. Ich ant-
wortete sofort, gut, wenn Ihnen der Weihnachtsabend gar so teuer
käme, möchten Sie erst Anfang Januar kommen, aber gewiß nicht
später. Darin aber, daß Sie noch im November unschlüssig waren und
mich darüber befragten, ob Sie nicht schon vor Weihnachten hier ein-
treffen sollten, liegt klar erwiesen, daß, abgesehen von den Festgeschen-
ken, Ihre Geld Verhältnisse, in denen sich seitdem nichts geändert,
Sie nicht vom baldigen Herkommen abhielten. Inzwischen aber hatte
- = 241 - — -
Ihnen Paul wieder jene Anzeige gemacht, und nun antworteten Sie,
Sie könnten nicht, weil Paul dann an den Rhein wolle. Nur diesen
Grund gaben Sie an. Wenn Sie also jetzt die Sache auf die Geld Verhält-
nisse schieben wollen, so ist dies doppelt erwiesenermaßen unwahr.
Da wurde es mir denn endlich zu toll mit dem ewigen Paul, den ich
immer und immer, wo ich meinetwegen, wo ich besonders Ihretwegen
einen Wunsch hegte, mir entgegengestellt hören mußte. Paul war zu
einer Quelle von ununterbrochener Verneinung für mich geworden.
Noch viel mehr. Es war dahin gekommen, daß ich von ihm sagen konnte,
was Vergniaud ^) von Marat sagte : Marat etait mon tyran !
Dies Verhältnis verletzte endlich zu sehr alle Gegenseitigkeit, alle
Selbstachtung, die ich mir schulde, als daß ich es fortsetzen sollte. Ich
stand bisher zu Ihnen in einem Verhältnis, in welchem ich Ihnen stets
alles Individuelle, meinen eigenen Vater und mich selbst nicht aus-
genommen, unbedenklich nachzusetzen gewohnt war. Ich kann nicht
länger akzeptieren, daß Sie Ihrerseits dagegen mich und sich — mich
und sich, das sind identische Worte, denn ich will nur immer Ihret-
wegen — mit der fortgesetztesten Rücksichtslosigkeit immer, ewig,
ohne Unterbrechung Paul aufopfern, jedem Wunsch, jeder Laune von
ihm. Ich hatte in dieser Hinsicht schon vieles ertragen, was mich
indignierte. Ich fand mich darein. Ich glaubte immer, Sie würden doch
selbst eine Grenze finden. Da diese Hoffnung trügte, da ich aufs Äußerste
gebracht wurde, nun so mußte ich mich endlich insurgieren, ernsthaft,
unerbittlich, imwiderrufHch. Darum habe ich mit Ihnen gebrochen
tmd halte diesen Bruch aufrecht.
Ich wiederhole Ihnen, Sie haben keinen Begriff, welche Anstren-
gungen mich dieser Bruch gekostet hat und noch kostet. Mehr als wenn
ein Vater zehn Kinder verliert. Denn Sie waren mir alles, was ein
Individuum einem sein kann, waren mein ganzes individuelles Glück.
Aber es ist mir ganz egal, und wenn ich gleich augenblicklich darüber
zugrunde gehen und selbst wenn ich lebenslang darüber steinunglück-
lich werden sollte. Mir gleich. Es steht geschrieben, daß ich die Kraft
haben werde, meinen Prinzipien nachzuleben, was sie mich auch kosten.
Es bleibt also dabei. Unter einer einzigen Bedingung dagegen bin ich
bereit, das alte Verhältnis zu Ihnen wieder aufzunehmen: Wenn
Sie mir schriftlich, auf einem besonderen Bogen die Erklärung
schicken: ,,Daß Sie von nun ab auf Paul und Ihre Famihe überhaupt
nur soviel Rücksicht nehmen wollten, wie ich selbst billigen und für
gut finden würde."
1) P. V. Vergniaud (1759— 1793), der bekannte Führer der Girondistenpartei
in der französischen Revolution.
Mayer, I.assalle-Nachlass. IV 16
= 242 =
Ich hatte mich bisher Ihrer Rücksicht und Ihrem Ermessen an-
vertraut. Ich bin zu schlecht dabei gefahren. So bleibt nichts übrig, als
daß wir brechen, oder Sie sich auf Diskretion meinem Ermessen unter-
werfen. Vielleicht fahren Sie bei meiner lyoyahtät dabei in jeder Hin-
sicht besser.
Auf keinen Brief, dem nicht ein besondres Blatt mit dieser Erklärung
beigefügt ist, werde ich antworten. Es ist mir diesmal grimmiger Ernst.
Ihr Bild habe ich noch nicht erhalten, es wird mir, wenn es kommt,
eine sehr große, sehr wehmütige Freude machen: Denn es ist für mich
das Bild einer gewesenen und verlorenen Freundin, mit der ich
alles reale, persönliche Glück verliere. Das andere, was Sie mir schicken
wollen, würden Sie mich verpflichten, wenn es noch nicht abgegangen
ist, mir unter solchen Umständen lieber gar nicht zu schicken.^)
io6.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
[Berlin, 6. Januar 1859.]
. . . Nun also, die schmerzhafteste von allen Erfahrungen, die ich in
meinem vielbewegten Leben gemacht habe, ist die, daß man seinen
Verstand immer nur für sich selbst benutzen, andern aber denselben
nicht nützlich machen kann. Ich würde einen beträchtlichen Teil meines
Verstandes dahingehen, wenn ich mit dem Reste Ihnen beispringen
könnte. Allein das soll nicht sein. So muß man sich also endlich zu
resignieren wissen. Das ist eine Kunst, die man schwer lernt mit einem
warmen Herzen, aber doch endlich lernen muß. Also bleiben Sie fort,
solange Sie wollen, kommen Sie gar nicht, dies Jahr, künftiges Jahr, es
soll mir alles ganz recht sein, ich lege es ganz in Ihre Hände, lasse Ihnen
die vollständigste Freiheit. Nicht wahr, so bin ich doch liebenswürdig?
So tue ich doch ganz das, was Sie fordern? Und, doch ist dies grade
von allem das Schlimmste! Aber ich kann es unmöghch durchsetzen,
mich mehr für Sie zu interessieren, als Sie es selbst tun. Also alles ganz
wie Sie wollen . . .
107.
vSOPHlE VON HATZFEivDT AN I.ASSAI.I.E. (Original.)
[Düsseldorf] 9. Januar [1859].
Liebes, gutes Kind, wie sehr hat mich Ihr Brief erfreut und er-
leichtert. Bei allem, was mich sonst mit Recht bedrückt, die wenige
1) Der Brief ist nicht unterschrieben.
243
Freude, die mir sonstige Verhältnisse bereiten, meine wenige Gesund-
heit und mein freudloses, zcrstreuungsloses Leben, hatte mich Ihre
wirklich ungerechte lyieblosigkeit und Härte ganz daniedergedrückt,
und ich machte schon Anstalten, mir ein stilles Asyl zu suchen, wo
ich, von allem losgesagt, nur Ruhe finden wollte. — Gottlob, daß ich
Sie, wenn auch nur einigermaßen, wiederfinde. Glauben Sie denn nicht,
daß es mir schwer, sehr schwer fällt, so zu sitzen, wie ich es tue, und
auf alles zu verzichten? Glauben Sie nicht, daß es sehr hart für mich
und schwer, ruhig zu ertragen, daß ich ohne meine Schuld, durch bei-
spiellose Schändlichkeit der Blocks ^) und durch auf einmal gekommene
Unglücksfälle auf fast die Hälfte meines Vermögens reduziert bin und
ein solches Leben zu führen genötigt bin? Ich hätte weit eher Trost
und Zuspruch nötig und verdient als Vorwurf ! Sie sagen aber, es sei in
meinem Alter die Zeit das kostbarste. Für mich reichte es gewiß aus,
ich sollte nur anmichdenken, denn es hätte ja niemand an mich gedacht,
und für niemand weniger als für mich existiere die Rücksicht, ob ich
nach meinem Tode 20000 Rt. mehr oder weniger hinterließe und es sei
ein bedauernswerter totaler Unverstand, mich dem zu opfern. Erstens,
liebes Kind, handelt es sich nicht um etwa 20000 Rt. mehr oder weniger,
sondern um 67000, die ich verloren habe durch Papier, Geschäfte und den
schmählichen Betrug der Blocks, wodurch ich so schlecht gestellt bin,
als ich es durch den schlechtesten Vergleich mit dem Grafen gewesen
wäre. Zweitens bin ich nicht eine Persönlichkeit, die es fertig bringen
kann, nur an sich zu denken, und dabei glücklich und ruhig sein
könnte. Ich verdiene darüber keinen Tadel, wohl eher lyob, daß alle
Schlechtigkeit und Egoismus, die ich erlebte, mich doch nicht zum
herzlosen Egoisten machen konnte. —
Aber ganz abgesehen von allen Rücksichten, selbst wenn ich ganz
allein stände, an niemand dächte, was wirkhch auch jetzt gar nicht
mein Hauptbeweggrund ist, müßte ich aus Rücksicht für mich selbst
jetzt der Vernunft gemäß so handeln, denn bevor man an ein ange-
nehmes lycben denken kann, muß man in meinem Alter vorzüghch
an ein sorgenloses denken . . . Überlegen Sie sich noch einmal mit
Ruhe, ohne Illusionen und ohne Vorurteile die Uage der Dinge, wie ich
sie schildere und wie sie ist, und sagen Sie selbst, ob Sie mir nicht raten
müssen, mit äußerster Vorsicht zu handeln, um nicht in Sorgen und
Kämpfe wieder hineinzugeraten, die ich die physische Kraft zu ertragen
nicht mehr habe. Es ist allerdings sehr hart für mich, aber nicht zu
ändern in meiner Macht . . .
1) Beim Zusammenbruch des Bankhauses Block in Düsseldorf hatte die Gräfin
Ende 1856 eine bedeutende Summe verloren.
= 244
io8.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag [13. Januar 1859].
So oft ich einen Brief von Ihnen lese, und so oft ich Ihnen einen
schreibe, geschieht es immer mit blutendem Herzen. Denn es ist immer
imd ewig die alte Unvernunft, wie sehr sie sich auch unter künstlichen
und scheinbar vernünftigen Argumenten versteckt . . .
Sie sagen, ich spräche von jenem Verlust, als wäre er nicht der Rede
wert. Nun, Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, daß er mir sicher
zehnmal mehr zu Herzen geht, als wäre er mir selbst passiert, so zu
Herzen geht, daß ich kirschbraun darüber werden könnte. Aber — ab-
gesehen davon, daß ich es weder für verloren hoffe noch glaube, wäre
es verloren, nun, so würde ich doch deshalb nicht den Rest meines
Lebens dem Gelde nachweinen, sondern nur darauf sinnen, mit dem
mir bleibenden Reste mein Leben so genußreich als möglich
einzurichten. Nicht wahr? Und daß Sie mit 7000 Rt. hier nicht sehr
bequem imd schön sollten leben können, werden Sie doch nicht be-
haupten? Lessing ist, wie Sie aus seiner Biographie ersehen werden,^)
sein I/cbtag daran zugrunde gegangen, daß er keine — 300 Rt. gehabt
hat! Nun, wenn daraus nun auch nicht folgt, daß man mit 300 Rt. zu-
frieden sein könne, so wird doch, wer 7000 Rt. Renten hat, noch immer
finden müssen, daß ihm ein sehr glückliches Los beschieden sei.
Ihre lange Trennung von mir ist Ihnen beiläufig auch in dieser Hin-
sicht, in geistiger und ethischer Hinsicht, nicht gut. Sie lesen nichts,
nämlich nichts Gediegenes imd trocknen dadurch geistig ein, verlieren
ganz das Ewige außer dem Auge, das den Menschen über das Gewürm
erhebt, und nähern sich mehr dem Niveau der jämmerlichen Alltags-
geschöpfe, die, da ihnen jede höhere' Befriedigung versagt ist, nichts
wissen, als nach mehr und mehr Geld zu ringen und ihr Herz daran hin-
geben. Ich bitte Sie, kommen Sie her, sonst gehen Sie dort zugrunde.
Verstehe ich Sie recht, so wollen Sie, um die 2000 Rt. Schulden abzu-
legen, bis zum i. April in Düsseldorf bleiben . . .Lassen Sie doch kommen,
was kömmt. Und begnügen Sie sich, dem Genüsse des Tages zu leben ! !
O was gäbe ich darum, wenn ich ein wenig Verstand in Sie bringen
könnte. Ich wiederhole: das kostbare für Sie ist nicht Geld, sondern
Zeit, Zeit, Zeit. Sie sagen, Sie müßten doch ein sorgenfreies Alter
*) Lassalle hatte der Gräfin Adolf Stahrs Lessing-Biographie geschickt, über
die er im November 1858 einen Aufsatz geschrieben, der aber erst 1861 im zweiten
Bande der Demokratischen Studien, die Ludwig Walesrode herausgab, gedruckt
wurde.
= 245
haben. Du mein Gott, das haben Sie mit 7000 Rt. immer. Sind Sie erst
alt, so werden Sie die nicht einmal brauchen . . .
Nun adieu! Nie hätte ich geglaubt, Sie würden sich freiwillig zwei
Jahre lang von mir trennen. Und so lang ist es im April.
Adieu.
Ihr
F. L.
109.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Donnerstag [20. Januar 1859].
Meine gute, gnädigste Frau!
Ich habe gestern den ganzen Tag mit mir gekämpft, ob ich Ihnen
schreiben soll oder nicht, aber unzweifelhaft haben Sie die Sie gewiß
wieder so betrübende Nachricht von dem Tode des Grafen Max bereits
erfahren,^) und es wäre daher unrecht und zwecklos, Ihnen nicht zu
schreiben. Ich bitte Sie, sehr vernünftig zu sein und sich nicht wieder
so zu grämen und zu alterieren wie damals bei Klara. Sie brauchen Ihre
Kräfte und Ihre Gesundheit für sich selbst und müssen haus damit
halten. Schreiben Sie mir doch bald ein paar Zeilen, denn so lange ich
gar keine Nachricht von Ihnen habe, bin ich unruhig und besorgt, zumal
es schon lange her ist, daß Sie meinen letzten Brief erhalten und ich
noch ohne Antwort darauf bin. Ich bitte Sie sehr, sich nicht wieder
maßloser Traurigkeit hinzugeben. Das ist der Weg, den wir alle gehen,
und ein solches Ereignis müßte uns somit nur als Mahnung dienen, die
so flüchtig vorübereilende Zeit vernünftig imd human zu genießen, um
etwas vom Lieben gehabt zu haben, wenn es am Ende ist.
Ich bitte Sie, schreiben Sie mir umgehend. Der Tod erfolgte gestern
früh fünf Uhr ganz plötzlich. Beim Prinzen von Preußen sollte gestern
abend Ball stattfinden, der infolgedessen abgesagt wurde. Die Prinzessin
hat gestern der Frau von Max Besuch gemacht.
^) Der preußische Gesandte in Paris, Graf Maximilian von Hatzfeldt, der
Bruder der Gräfin Sophie, war am 19. Januar gestorben. Sie hatte, wie ein Brief
von ihr an Lassalle vom 21. Januar zeigt, die Kunde bereits durch ihren Schwager,
den General der Kavallerie und ehemaligen Kriegsminister Freiherr von Schrecken-
stein erhalten, der damals in Düsseldorf kommandierte. ,, Unvorbereitet war ich
zwar ganz", schrieb sie, ,,denn ich hatte am selbigen Tag Brief bekommen,
daß es besser und keine Gefahr, und doch wußte ich, daß mir großes Unglück
geschehen würde, denn ich hatte wieder meine Träume gehabt, die mich nicht
täuschen."
- — = 246 — - —
Schonen Sie sich und denken Sie an sich selbst, und wenn Sie hierin
schon leichtsinnig sind, so denken Sie an die, die Sie lieben, vor allem
an mich, der dies gewiß am meisten tut.
Schreiben Sie mir sofort.
Ihr
F. Lassalle.
110.
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Origmal.)
[Berlin, Ende Januar 1859.]
. . . Ich habe vor einigen Tagen eine neue Wohnung vom i. April ab
gemietet für — fünfhundert Reichstaler! Aber welche Pracht. Bellevue-
straße. Haut parterre. Vier große Salons, die ineinander gehen, in einer
Suite ! Erstein immenser blauer Salon, Bosserie, vergoldete Plafonds usw.,
dann Speisesaal, wo ich dreißig Personen bequem setzen kann, und
prachtvoll dekoriert. Dann großes Bibliothekzimmer, dann kleineres
Arbeitszimmer, dessen Glasfenster auf ein Treibhaus stoßen, so daß ich
stets die Palmen vor mir habe. Gebe ich ein Festin und öffne die vier
Türen, sieht man vom Salon bis ins Treibhaus, das ich, wenn es mir
auch nicht gehört, doch benutzen kann. Seitwärts Schlafzimmer. Im
Souterrain Küche, Keller, Dienerwohnung. Ich kann, wenn ich will,
hundert Personen bei mir sehen. Sie glauben vielleicht, daß ich verrückt
bin. Ach nein ! Ich denke nur, daß ich nur einmal lebe und daher mir
nichts abgehen lassen will. Natürlich werde ich in solcher Wohnung
auch von Zeit zu Zeit entsprechende Gesellschaft geben. Nun, und das
alles könnte ich knapp mit 2800 Rt. etwa bestreiten, vielleicht nicht
ganz, mit 3000 Rt. gewiß, mit 3500 Rt. reichlich, mit 4000 Rt. würde
mir jedenfalls Geld übrig bleiben, so daß ich dann auf neue Ausgaben
sirmen müßte, um es anzulegen. Hätte ich aber gar 5000 — 6000 Rt.,
würde ich sie ohne Übermut gar nicht tot zu machen wissen. Nun,
die 4000 Rt., die ich zu reichlichem Dasein und vielen Festins in dieser
Wohnung eigentlich brauche, gedenke ich mir nächstes Jahr durch
Erneuerung des Vertrages mit meinem Schwager und, resp. wenn er
nicht will, durch Ankauf von Genfem zu verschaffen. Aber selbst mit
3000 Rt. kann ich diesen Train durchführen. Und nun Sie erst mit
6000 Rt. ! Daß ich ein bißchen antizipiere, kann Sie bei mir nicht wundern.
Das haben Sie nicht nötig. Im übrigen ist es nur sehr mäßig bei mir
selbst der Fall. Und somit nehmen Sie an mir ein Beispiel! Seien Sie
kein Narr ! Leben Sie ! Ivcben Sie ! Was würden Sie hier schon für Ver-
gnügen durch mich haben, was Ihnen gar nichts kostete, da ich es ohne-
= 247 - —
hin ausgebe. Diesen Winter zwar gebe ich gar keine Gesellschaft, wenn
Sie nicht kommen, und spare. Nächsten Winter aber öffne ich meine
Salons und gebe i. im Lauf desselben drei bis vier große Gesellschaften
ä dreißig Personen oder mehr, die mich — jede Gesellschaft — loo bis
200 Rt. kosten können, und 2. alle Woche jour fixe mit Auftrommlung
so vieler Leute als möglich, am liebsten siebzig bis achtzig Personen,
Die Kosten eines jour fixe sind fast Null. Für die Einrichtung meiner
neuen Wolmung will ich auch splendid sorgen, an 500 Rt. oder mehr
will es mich kosten lassen. Ich wollte, Sie wären hier, um mir mit Ihrem
Geschmack beizustehen! Also seien Sie keine Eule, keine Eule! Leben
Sie mit mir, wie ich, statt dort zu sitzen und zu rechnen.
,,Hör auf mit Deinem — Geld zu spielen,
Das wie ein Geyr^) Dir an der Leber frißt.
Die schlechteste Gesellschaft läßt Dich fühlen.
Daß Du ein Mensch und unter Menschen bist." . . .
III.
LASSALLE AN SOPHIE VOH HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, Februar-März 1859.]
Ich bin sehr ärgerlich auf Sie, daß Sie mich gestern wieder — ganz
gegen meinen Willen, denn ich wollte überhaupt von allen diesen
Thematen gar nicht einmal mit Ihnen reden — zur Leidenschaft ge-
bracht haben. Das ist bei Ihnen nicht fertig zu kriegen, daß Sie, wenn
Sie sehen, ich gerate in Leidenschaft, schweigen. Im Gegenteil, Sie
reizen um so mehr! Und doch sehe ich auch hier alle Frauen gegen ihre
Männer so handeln, daß, wenn sie sehen, es steht eine Explosion bevor,
momentan still sind. Wer sollte aber eher eine Berücksichtigung seiner
Leidenschaft erwarten dürfen als ich, der mehr davon hat als jeder
andere und bei dem sie auch sehr so seine Stärke ausmacht, daß er
auch die Ertragimg ihrer unangenehmen Seiten verlangen kann.
Bei alledem hat die Explosion wie immer bei mir in bezug auf Sie
das Gute gehabt, daß mein Unwille dadurch entladen und wie nach
einem Gewitter die Atmosphäre wieder heiter ist. Ohne daher irgend
etwas von meinen Behauptungen in allen Gebieten, die wir berührten —
und auf die wir, wie ich bitte, gar nicht mehr zurückkommen wollen — ,
zurückzrmehmen oder als irrig zuzugeben, erkläre ich Ihnen doch, daß
mein Unwille durch die Explosion verflogen ist und meine alte treue
^) So schreibt Lassalle, um seine Änderung der Textstelle mit Goethes Rhyth-
mus in Übereinstimmung zu halten.
— 248
Freiindschaft für Sie in ihrer alten Anhänglichkeit wieder allein das
Terrain behauptet. Eine Freundschaft und Anhänglichkeit, von der vSie
nicht einmal einen rechten Begriff, geschweige denn eine entsprechende
Erwiderung für sie haben. Doch selbst das stört mich nicht. Jeder
kann nur geben, was er hat. Und so will ich denn bei Ihnen gern sieben
grade sein lassen und tausend Dinge nachsehen, die mein Urteil ver-
dammt. Nur das eine bitte ich mir aus, daß ich nie wieder mit Dingen
inkommodiert werde, die ich meinem Stolz und meiner Ehre nicht
zu ertragen schuldig bin, daß ich nicht persönlich inkommodiert werde
und so mit der Nase darauf gestoßen, was ich zu ignorieren suchen muß.
In dieser Hinsicht bin ich fest entschlossen, keinen Spaß zu ver-
stehen. — Dixi.
Also, der heutige Tag ist mir ganz zerstückelt. Ich fahre eben zu
Humboldt, esse bei Dunckers imd muß abends zum Tee zu Michelet.
Aber von morgen an bin ich für Sie frei ! Wollen Sie mich morgen
vormittag besuchen? Oder soll ich zwischen zwei und drei zu Ihnen
kommen, bei Ihnen essen imd Tag und Abend bei Ihnen bleiben?
Also wieder mit heiterster lyaune und ausgepufftem Zorn
Ihr
F. Iv.
112.
SOPHIE VON HATZFELDT AN lyASSAI^IvE. (Original.)
[Berlin, Februar-März 1859.]
lyiebes Kind, ich wollte heute morgen zu Ihnen kommen, aber ich
bin von einer sehr schlechten Nacht so müde und matt, daß es in jeder
Beziehung besser, ich schreibe. Ich wollte Sie erstens fragen, ob es dabei
bleibt, daß die Damen, Madame Duncker, heute abend zu mir kommen?
damit ich mich danach richten kann. Ich hätte gern in diesem Fall noch
irgendeinen Herrn dabei gehabt, Schönberg, ^) Scherenberg, 2) Hierse-
menzel, da ich fürchte, daß die Damen sich langweilen; aber natürlich
kann ich doch nicht dazu grade einladen. Zweitens wollte ich Ihnen
sagen, daß ich gern eingestehe, daß ich gestern viel zu heftig für die
augenblickliche Veranlassung war und daß mir dies herzlich leid, sowohl
^) Gustav Schönberg (1839 — 1908), der spätere bekannte Professor der National-
ökonomie, hatte sich als jvmger Referendar an Lassalle, den er sehr bewunderte,
eng angeschlossen. Zahlreiche Briefe von ihm an Lassalle und auch an die Gräfin
Hatzfeldt befinden sich im Nachlaß. I,assalle setzte ihm wie anderen Freunden in
seinem Testament ein Bücherlegat aus.
2) Christian Friedrich Scherenberg (1798 — 188 1), der Schlachtendichter.
249 -
Ihnen gegenüber als Ivudniilla, der ich dies auch sagen werde. Auf
der andren Seite ist es, glaube ich, nicht in der Ordnung, daß vSie in
allen Dingen des täglichen Lebens, selbst solchen, die, wie gesellige Be-
ziehungen und Ansichten darüber, in das Reich sogar des willkürlichen
Beliebens fallen, sobald ich andre Meinmigen habe und den Ihrigen
nicht folge, mir diese imponieren wollen und mich unartig behandeln,
selbst ohne Rücksicht vor fremden Leuten, und dieses prinzipmäßig
als Ihr Recht aufstellen; was mich um so mehr verdrießen muß, daß
ich sehen muß, daß Sie dieses Prinzip nicht gegen andre, deren Hand-
limgen in dieser Beziehung noch so ungerechtfertigt, in Anwendung
bringen, und ich mich doch grade in vielem dieser Art, wo es mir Über-
windung gekostet, sehr nachgiebig und gefällig erwiesen habe. Wenn
Sie von mir die weiche Nachgiebigkeit und Ausweichen durch Still-
schweigen einer Frau (was überdies doch auch nicht so immer der Fall)
verlangen, so haben Sie auch meiner Ansicht nach sehr unrecht. Mein
Charakter war von jeher sehr weich, wenn man mich mit Liebe behandelt,
aber verhärtet gegen Zwang; jahrelange Kämpfe, wo ich den Mut und
die Tragkraft eines Mannes entwickeln mußte imd Sie selbst jede Äuße-
nmg der Weiche und Empfindung mit Gewalt in mich zurückgetrieben,
haben mich hart gehämmert, und ich habe mir dadurch recht teuer das
Recht erkauft, daß man mich in dieser Beziehung auch wie einen Mann
behandle und auf dem Fuß der Gleichheit und gegenseitigen Rück-
sichten basiere. Sie sagen ja immer selbst für sich, daß man nicht das
Entgegengesetzte vom selben Charakter verlangen könne, und von
mir glauben Sie, es dennoch verlangen zu dürfen. Sie behaupten hin-
gegen für sich jetzt prinzipmäßig das Recht, Ihre Heftigkeit vmd Grob-
heit in keiner Weise zu beherrschen ; aber weit entfernt, daß Freund-
schaft, Rücksicht auf mein Alter, Gesundheit, vieles Unglück einigen
kleinen Unterschied zu meinen Gunsten hervorbringen sollte, so richten
Sie gegen niemand eine so schneidende Schärfe wie grade gegen mich.
Ich habe Sie mit andren, und wo Sie selbst im Recht waren, auch sehr
heftig gesehen, aber die Kraft auch gesehen, mit der Sie sich anstrengten,
nicht gar zu weit zu gehen, wie Sie es gegen mich ohne Bedenken tun.
Glauben Sie, daß das wohltuend und besänftigend auf mich einwirken
kann?
Ein anderer Vorwurf, den Sie mit großer Schärfe an mir verfolgen,
ist meine Schwermut und daß ich mich manchmal, was doch auch nicht
mehr oft geschieht, zu einer Klage hinreißen lasse. Ich verkenne gar
nicht, daß Sie in einer Beziehung vollkommen recht darin haben. Es
ist sogar ein Gesetz wahrscheinlich der Erhaltung der Natur, daß sie
alles Kranke unerbittlich ausstößt; die Tiere töten das Kranke unter
ihnen, bei den Menschen, bei den guten Menschen, ist Teilnahme und
=-= 250 — —
aufopfernde Tätigkeit und Hilfe für ein einzelnes, großes Unglück; aber
andauernde Krankheit, stetes Unglück entmutigt zuerst die Teil-
nahme, dann wird es eine Last, und zuletzt wird es zu degout und Ärger
gegen die Person, die einem dies unbehagliche Gefühl verursacht. Dies
ist vollkommen natürlich und daher nichts dagegen einzuwenden; Sie
haben vollständig recht, sich nicht in diesen melancholischen Kreis
hineinziehen zu lassen, und weiß Gott, kein Mensch wünscht dies weniger
als ich, kein Mensch wird sich herzlicher freuen, Sie lustig und heiter
zu sehen, wenn auch, ohne es mitmachen zu können. Ich will wahrlich
keine Last, kein Hindernis für Sie sein, warum wollen Sie mich denn
durchaus dazu machen, indem Sie mich zwingen wollen, etwas zu sein,
was ich nicht mehr sein kann, anstatt mir Ruhe zu gönnen, etwas
Rücksicht und das Vergnügen, zu sehen, wie sich das Leben für Sie
noch heiter gestaltet? Sie begehen nur eine große Ungerechtigkeit
dabei, die Sie und mich quält, daß Sie nicht einsehen wollen, daß meine
Lage eine ganz andre und daher auch meine von Ihnen verschiedene
Anschauvmg gerechtfertigt ist. Sie haben große Kämpfe imd Un-
glück bestanden, aber in der frühesten Jugend, wo Ihre moralische wie
physische Kraft ganz frisch, Sie früher kein Unglück gehabt hatten.
Die Kämpfe haben daher auch für Sie zur rechten Zeit geendet, wo Sie
das Leben noch vor sich hatten. Sie haben seit der Zeit keine Sorgen,
keinen Kummer, eine Sie ausfüllende Tätigkeit, Erfolge, Freunde,
Familie, was fehlt Ihnen? Sie konnten leicht die Vergangenheit ab-
schütteln und ihrer nicht mehr gedenken. Für mich haben die ernsten
Kämpfe und Unglück angefangen, als ich schon viele Leiden ertragen,
nicht mehr also das ganz ungetrübte Gemüt mitbrachte, sie haben geendet,
wie ich das Leben schon hinter mir hatte, meine Gesundheit dahin
war, und mir nichts mehr blieb als das Zurücksehen auf ein langes,
leidenvolles, verfehltes Leben, in dem nicht ein einziger lichter Punkt,
voller Haß und Schmähungen, die mich bis an mein Grab begleiten, vor
mir nichts mehr als Krankheit, dadurch den andren zur Last sein und
endlich die Ruhe. Auch hatten diese Kämpfe eine Seite für mich, die
sie für Sie nicht haben konnten ; ich behaupte fest, an materiellem Un-
glück und Kämpfen wäre meine Kraft und mein Geist nie erlahmt, aber
mein Herz hat sich fast verblutet, und diese Wunden, wenn auch ver-
narbt, schmerzen noch heftig, wenn unsanft berührt, was mir doch
häufig von allen Seiten geschieht. Sie begehen also die Ungerechtigkeit
gegen mich, diesen Unterschied nicht zu bedenken und mir als Unrecht
auszulegen und zu strafen, was nur mein großes Unglück ist. Sie
könnten mir auch manchmal ein Wort der Klage, was Sie mit einem
Wort der Teilnahme beschwichtigen könnten, nicht so scharf anrechnen.
Wenn Sie bedächten, wie viele Stunden des einsamen Nachdenkens und
•^^ — — 251 — =
Trauerns ich zubringe, so würden Sie doch einsehen, daß, da eine Klage
nur selten kommt, ich mir doch Mühe gebe, alles in mich 7a\ verschließen
und keinen Menschen mit hineinzuziehen. Ich bitte Sie also um einige
Gerechtigkeit und Nachsicht und Schonung und vorzüglich, daß Sie
mir nicht immer das Gefühl geben, daß ich eine Last für Sie geworden.
Schon oft habe ich deshalb den Plan gefaßt, mich in eine gänzliche Ein-
samkeit, die mich nicht mehr schreckt, mir Ruhe und Ihnen Heiterkeit
geben würde, zurückzuziehen.
Was nun den Punkt unsres gestrigen Streites noch anbetrifft, so habe
ich diese Unannehmlichkeiten mit richtigem Takt stets vorausgesehen
und gesagt. Es ist ein nicht zu beseitigendes Vorurteil, daß jemand, eine
Frau vorzüglich, die aus einer Schichte der Gesellschaft austritt, in der
andren nicht wohlgelitten ist; bei mir kommt hinzu, daß ich eine zu
bekaimte, vielleicht hervorragende Persönlichkeit bin. Hier kommen
auch noch spezielle Gründe hinzu, daß die einen mich mit offener und
offen ausgesprochener Feindseligkeit empfingen, was mir von vorn-
herein eine schiefe Stellimg gab und große Zurückhaltung nötig machte,
wenn ich mir nicht gar zu viel vergeben wollte, mir auch von andren
Seiten Rücksichtslosigkeit zuzog; andrerseits ist meine Erziehtmg und
Haltung daher in Gesellschaft so verschieden, daß es natürlich, daß das
alles nicht zusammengeht. Ich kann mich nur noch ganz auf den Umgang
ganz einzelner geistreicher und vorurteilsfreier Leute beschränken.
Das tut ja aber auch gar nichts, da ich darauf ja gar nichts halte, wenn
Sie es nicht zu einem Streit machen. Sein Sie gut und freundschaftlich
mit mir, unterhalten Sie sich, so gutes geht, und was recht und passend
für Sie ist, es wird mich herzlich freuen, Sie können mir doch darin
nicht vorwerfen, daß ich den leisesten Egoismus, Neid oder Prätentionen
gezeigt hätte. Wir werden dann ruhig und freundschafthch neben-
einander leben, und die Leute, die sonst noch mich aufsuchen wollen,
werde ich gewiß mit Freimdlichkeit empfangen . . .
113-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, F'ebruar-März 1859.]
vSo oft Sie mich in der Güte anreden, werde ich auch in der Güte
antworten. Auch der Charakter einer jeden Zusammenkunft hängt regel-
mäßig immer nur von dem Ton ab, mit dem Sie mich empfangen. So
kamen Sie das letztemal — obwohl wir noch dazu vorher gebrief-
wechselt — - nicht mit Herzhchkeit, sondern mit Kälte und aigreur zu
===========. 252
mir. Dadurch war der Verlauf der Entrevue von vornherein schon
gegeben. Soll nicht jede Zusammenkunft dasselbe Schicksal haben, so
müssen Sie es machen wie ich und nicht mit unterdrückter aigreur
erscheinen, sondern mit Herzlichkeit und gänzlich besiegter aigreur,
wie ich das immer tue und fertig bringe. Käme der Moment, wo ich
meine aigreur nicht mehr loswerden kann, so würde ich gar nicht
mehr erscheinen . . .
Ihre Lebensprojekte anlangend, so bleibt meine Meimmg ungeändert,
daß Sie baldigst hierherkommen sollen. Die Unannehmlichkeiten des
diesmaligen Aufenthaltes scheinen mir nicht maßgebend sein zu können,
weil die Hauptanlässe derselben eben nur dadurch entstanden, daß Sie
zum Besuche hier waren, aber nicht hier wohnten. Denn ist erst das
letztere der Fall, so wird wohl Ihre Zeit nicht so sklavisch den Be-
stimmungen anderer offen gehalten zu werden brauchen. Auch werde
ich Ihnen dann eben andere Leute bringen können, die Sie amüsieren
und erheitern.
Ich erwarte also Ihre Bestimmungen wegen heute schriftlich.
F. L.
114.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag nacht 3^2 Ubr [Berlin, Februar-März 1859].
Umsonst würde ich versuchen, Ihnen zu beschreiben, in welcher
vStimmung physisch und moralisch ich neulich zurückgeblieben bin und
wie lange sie gedauert! Kein Wort, das in Ihrem Briefe steht, kann ich
auch nur entfernt als richtig anerkennen, insofern es sich auf die letzte
Szene und auf Ihren diesmaligen Aufenthalt überhaupt bezieht. — Ich
würde Ihnen unbedingt sechs Wochen böse sein, unbedingt sechs Wochen
nicht mit Ihnen sprechen, wenn wir die Zeit dazu hätten. Aber ich
will Sie freilich nicht so reisen lassen, und so fahre ich denn mit der
Hand über die Stirn und wische es hinweg. Es sei vergessen, wie so
vieles.
Aber einfach und ruhig bitte ich Sie, in sich zu gehen imd sich selbst
Beschaffenheit, Natur, Veranlassung und Verlauf all imsrer Szenen aus
Ihrem diesmaligen Aufenthalt (und wir hatten bei jeder Zusammen-
kunft eine, wenn nicht ein Dritter dabei war) vor Ihrem Geiste vor-
zuführen und sich zu fragen, ob das zu ertragen sei?
Soll das wirklich das Ende einer so langen Freundschaft sein? Sie
haben ein furchtbares Ensemble von Fehlern, die sich sonst nie
= 253 — =
vereint finden. Sie fangen immer mit Unrecht an. Sie provozieren.
Aber Sie hören auch nie auf, ziehen sich vor keiner Leidenschaft, wenn
Sie sie noch so anwachsen sehen, zurück, sondern, als suchten Sie eine
Ehre darin, heizen Sie den Ofen immer mehr und mehr. Sie finden auch,
nie zuerst ein begütigendes Wort! — Wie traurig ist doch Ihre jetzige
Anwesenheit für mich gewesen, von der ich mir so viel, so viel ver-
sprach ! Ich hatte mich ihr so entgegengefreut und sitze nun recht weh-
mütig da und sage mir: alles ist eitel. Aber wenn ich mich bis in die
innersten Nieren prüfe, kann ich den Fehl nicht an mir entdecken. Ich
hatte Ihnen jedesmal ein Herz voll Liebe mitgebracht, und immer hatten
Sie mir es in Galle und Zorn verwandelt.
Einmal waren es ungerechte Vorwürfe — mittags bei Ihnen — und
obgleich ich noch drei Stunden auf dem Stuhl saß, waren Sie hartnäckig
genug, mir Vorwürfe zu machen, und als ich nicht antwortete, weg-
zugehen. Tags drauf — früh — waren es lumpige Kleinigkeiten, eine
mangelnde Information in Vaters Brief, neulich endlich mein Bedauern,
daß Sie nicht früher kamen, und Ihr Nichtbegreifen einer Rechnung.
Schon die Gegenstände sprechen laut und deutlich gegen Sie. Denn aus
solchen Anlässen dürfte eine Frau einen Mann niemals zur Wut kommen
lassen, er müßte denn gar ein sinnlos Tier sein, was ich doch nicht
bin. —
Sie sind nie mit mir zusammen gewesen, ohne zu klagen, zu jammern,
zu zanken. Ich hatte geglaubt, es würde besser werden. Es ist schlimmer
geworden. Früher war das alles auch der Fall. Aber man hatte inzwischen
doch auch wieder herzliche und innige Stunden miteinander, aus denen
man neue Kräfte für neue Stürme sog. Aber jetzt fehlen jene, es bleiben
nur die Klagen und Stürme. Ist das auszuhalten?
vSo verdüstert Sie auch lange schon gestimmt sind — Sie hatten doch
früher auch gute und heitere Stimmungen. Diese verlebten Sie früher
gleichfalls mit mir. Das war doch eine große Entschädigung. Jetzt ver-
leben Sie diese Stimmungen bei Paul imd Nostitz und reservieren sich
nur das Klagen, Jammern und Raisonniren für mich. Ist das aus-
zuhalten ? Ich frage Sie einfach : Ist es nicht so ?
Wann waren Sie diesmal herzlich und gut mit mir? Ist das nicht
eine schreckliche Frage?
Und mit so unnötigen Dingen verbittern Sie ims die Zeit. Es ist ja
gar nicht mehr meine Sache, solche Details Ihrer Angelegenheiten zu
kontrollieren, wie die Rechnungen mit Vater und deren minutiöse
formelle Ordentlichkeit. Bedenken Sie doch, daß ich schon früher in
solchen Dingen immer nur mehr Streit mit Ihnen hatte, als ich Ihnen
wirklich dabei nötig war, daß ich aber jetzt von der Entfernung aus
es gar nicht leiten kann. Für Haupt- und Staatsaktionen stehe ich
= 254
Ihnen gern zu Diensten, aber aus diesen Lumpereien quillt Ihnen kein
Nutzen und mir nur Streit.
Nun, es sei vergessen. Aber bedenken Sie, bedenken Sie, wohin das
zuletzt unvermeidhch führen muß, und gehen Sie in sich!
Ich will also wieder gut sein. Aber die Satisfaktion wenigstens ver-
lange ich, daß Sie zuerst zu mir kommen. Sie treffen mich morgen
(Sonnabend, d. h. also an dem Tage, wo Sie diesen Brief bekommen)
l:)is zwei Uhr zu Haus . . .
115-
I.ASvSAI.I^E AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Sonnabend [i8. Juni 1859].
Meine gute, gnädige Frau!
Ruhe und kalt Blut ! . . .
Als Ihr Brief gestern eintraf, standen die Österreichischen Staats-
bahnaktien bereits 100! Also, da wir zu 92 verkauft, 8"/o Verlust
= 400 Gulden.
Unter diesen Umständen hielt und halte ich nicht für vorteilhaft,
abzuschnappen. Am ersten Tage nach der Mobilmachung fielen die
österreichischen Papiere hier bedeutend. Und dies war vernünftig
und muß wiederkehren, da, wenn Preußen am Krieg teilnimmt, dieser
ungeheuer und revolutionär wird . . . Devant Dieu et mon äme, das
ist meine ruhige und letzte Überzeugung. Auf der Folter könnte ich
nichts andres sagen. Nun überlegen Sie sich's.
Ebenso wahnsinnig ist es, wenn Sie, wie Sie sagen, ehe Sie nach
Wildbad gehen, eine Reise machen wollen, um mit ihm [Paul von Hatz-
feldt] zusammenzutreffen wegen seiner Karriere usw. Abgesehen davon,
daß er dahin kommen kann, wo Sie sind, ist dazu keine Zeit. In einem
Jahre schwimmt Deutschland in Blut. Adieu Karriere und ähnlicher
Unsinn. Jetzt handelt sich für Paul, sich durchzuhalten und nicht große
Rosinen zu verfolgen. Dazu ist der Moment nicht . . .^) Eben wird —
^) In einem Brief Lassalles an die Gräfin vom 21. Juni heißt es: „Wenn Paul
Ihnen politische Neuigkeiten von Wichtigkeit und Sicherheit erzählt hat, so
teilen Sie mir dieselben sofort mit. Es käme mir sehr gelegen. Besonders inter-
essieren mich zwei Dinge : i . wie es mit unserem Kabinett steht, und 2. ob Napoleon
einen Aufstand in Ungarn unterstützen will." Lassalle hoffte damals, daß ein
Aufstand in Ungarn eine Revolution in Wien hervorrufen und damit das Signal
zu einer allgemeinen revolutionären Bewegung geben würde. Auch in den folgenden
Jahren spekulierte er noch auf eine ungarische Erhebung.
— — 255 =
schon seit drei Tagen — eine zweite Auflage meiner Broschüre ^) ge-
druckt. vSic hat immens gewirkt. Große Dinge stehen bevor. ^)
Ihr
F. I.
ii6.
IvASSAlvIvK AN vSOPHlE VON HATZFEivDT. (Original.)
[Berlin] Freitag, S.Juli [1859].
. . . Den Stand der Affären selbst anlangend, so glaube ich, daß die
Hausse noch gut ein bis zwei Monate fortdauern kann, daß wir aber
im Herbst eine entschiedene Baisse erleben werden.
Denn es ist Unsinn, vom Frieden zu reden. Ks sei denn, daß sich
Österreich zum Aufgeben seines gesamten italienischen Territoriums
entschlösse. Dies halte ich für höchst unwahrscheinlich.
Sie haben ganz recht, wenn Sie sagen : Alle, auch Napoleon, wollen
den Frieden, wenn nur eben möglich. Aber was ist ,,eben möglich"?
Das ist die Frage. Napoleon kann keinen Frieden machen, wobei er
irgend einen Teil Italiens in österreichischen Händen läßt. Nur diplo-
matische und Börsenkreise können so dumm sein, sich mit solchen
Illusionen zu tragen. Die Frage: werden wir Frieden haben? ist also
ganz konkret gestellt, nur die Frage : wird Österreich sich entschließen,
Ivombardei und Venetien an Sardinien abzutreten?
Dies ist mir, wie gesagt, rmwahrscheinlich und wird es Ihnen auch
sein. Somit würde der Krieg fortdauern. Ist dies aber der Fall, so würde
im Oktober bis November spätestens die ungarische Revolution aus-
brechen, und dann ist's mit Österreich vorbei, dann steht auch Wien
auf . . .3)
^) ,,Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens. Eine Stimme aus der
Demokratie." Die Schrift war Mitte Mai 1859 verfaßt, Ende Mai anonym er-
schienen und schon nach vierzehn Tagen vergriffen; in der zweiten Hälfte des
Juni erschien die zweite Auflage unter Nennung des Verfassers.
2) Am 21. Juni schreibt Lassalle der Gräfin: ,,An einen faulen Frieden zu
glauben, ist eine große Torheit. Ein Volk liegt dazwischen, und zwar ein so
aufgeregtes wie das italienische. Eher wäre möglich, daß wir in der letzten
Stunde noch neutral bleiben. Aber es scheint nicht, und — um so besser!"
3) Auf die Kunde vom Präliminarfrieden von Villafranca, die bekanntlich
Lassalle höchlichst überraschte, schrieb die Gräfin ihm am 14. Juli aus Wildbad:
,, Dieser Napoleon hat ein zu großes Glück, und man muß immer mehr glauben,
daß er eine Mission hat und ihm nichts etwas anhaben kann, bis sie erfüllt, und
ich glaube, dies ist noch lange nicht der Fall ..." Ihr erwiderte Lassalle am
17. Juli: ,,Über Napoleon sind Sie im Irrtum. Dieser Friede ist unwiderruflich sein
Sturz und Verderben."
— 256 — —
117.
I^ASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.) i)
Sonnabend früh 8 Uhr [Aachen, 21. Juli 1860].
Wie schön, meine gute Gräfin, daß Sie so bald geschrieben haben,
und wie schön auch, daß man hier so schnell Nachricht von einander er-
hält. Eben vom Trinken nach Hause kommend, finde ich Ihren gestern
geschriebenen Brief vor. Ich habe Ihnen bereits gestern abend einen
geschickt, und Ems poste re st ante adressiert, den Sie jetzt wohl
bereits erhalten haben, einen ausführlichen mid langen Brief. Was mich
betrifft, so habe ich daher heute noch nichts hinzuzufügen . . .
Wissen Sie, was ich heut und gestern von Anfang bis Ende durch-
gelesen? Den Sickingen. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, ihn jetzt,
wo es so lange her ist, daß ich ihn las und so viele andere Arbeiten da-
zwischen gekommen, daß er mir ganz so fremd und objektiv wie
das Produkt eines Dritten geworden ist, [ihn] kritisch aufmerksam
schnell hintereinander durchzulesen. Das habe ich nun getan und mich
sehr darüber gefreut. Denn ich habe jetzt, wo er mir ganz fremd ge-
worden, gesehen, daß er wirklich gut, sehr gut ist, und kann für die
Objektivität meines heutigen Urteils einstehen . . .
118.
IvASSAlvIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Sonnabend früh 9Y2 Uhr zwischen Brunnen und Bad.
[Aachen, 28. Juli 1860.]
... In bezug auf die politische Situation bin ich gar nicht Ihrer
Meinung. Ganz im Gegenteil. Es entwickelt sich jetzt ungeheuer viel,
imd wenn noch zwei Jahre vergangen, ist die Blase rettungslos geplatzt.
Die orientalische Verwicklung, die Situation in Italien, die Teplitzer
Befreundung 2) — alles treibt unaufhaltsam zur Entwicklung, die
^) Die große zeitliche Lücke zwischen diesem und dem vorigen Brief erklärt
sich hauptsächlich daraus, daß die Gräfin inzwischen ihre Übersiedlung nach
Berlin vollzogen hatte. Eine Anzahl von Briefen aus der Zwischenzeit ist vor-
handen, aber ihr Inhalt brachte keine neue Note, die einen Abdruck geboten
hätte. In den Januar 1860 fällt eine äußerst gereizte Auseinandersetzung zwischen
den Freunden, die wiederum durch die Feindschaft, die zwischen Lassalle und
den Verwandten der Grälin herrschte, ausgelöst wurde.
2) Am 26. Juli hatte in Teplitz eine Zusammenkunft des Prinzregenten von
Preußen mit dem österreichischen Kaiser stattgefunden. Vgl. hierzu I,assalle an
Marx, II. September 1860, in Bd. III, S. 322.
= 257
Stimmung in Ungarn nicht zu vergessen. Aber Sie müssen um Gottes
willen jetzt Zeitungen lesen, täglich mindestens die „Kölnische" lesen,
sonst kommen Sie ganz und gar aus dem Zusammenhang. Es passieren
jetzt täglich eine Masse kleinerer oder größerer, aber höchst interessanter
Fakta, die man genau wissen muß. Können Sie dort die ,, Kölnische"
nicht bequem haben, so schreiben Sie sofort an meinen Diener (Fried-
richHamels), daßersie Ihnen täglich unter Kreuzband frankiert
einschickt, wie er mir die andern Zeitimgen sendet (die ,, Kölnische"
lasse ich mir nicht nachkommen, weil ich sie hier ohnehin habe).
Einstweilen rapportiere ich Ihnen einige faits imd rumeurs. In
Pest haben in den drei letzten Tagen an jedem Abende Straßenauf-
läufe stattgehabt, wo man Garibaldi leben ließ usw. imd Militär ein-
schreiten mußte. Es läuft das Gerücht, daß Kossuth und Klapka^)
nach Bukarest gehen imd — Sie erinnern sich, daß ich lange auf diese
Stadt als den günstigsten Ort zur Betreibimg der ungarischen Revolution
aufmerksam machte — dort die Insurrektion vorbereiten wollen. In
Neapel absolute Ratlosigkeit. Der König hat einen Gesandten an Gari-
baldi geschickt, um diesen um sechsmonatlichen Waffenstillstand zu
bitten, was von Turin aus unterstützt werden soll. Garibaldi natürlich
s'en moquera beaucoup. Die ,, Kölnische Zeitung" sogar erkennt an, er
handle, ,,als ob die ganze Welt nicht vorhanden wäre". Aber beiläufig,
jedenfalls müssen Sie die ,,Köhiische Zeitung" von heute, Sonn-
abend, den 28. Juli, sich verschaffen und den Artikel aus Neapel über
das Fest der heiligen Rosalie in Palermo lesen. Das wird Sie unendlich
amüsieren ! Dies Fest ist nämlich ein uraltes sizilianisches Kirchenfest,
bei welchem der König zeremonielle Funktionen als altes, ihm vom
Papst verliehenes Vorrecht auszuüben hat. Das Volk in Palermo wollte
sich dies große Fest diesmal (15. Juli) nicht nehmen lassen, und so
mußte denn Garibaldi sich dazu hergeben, die Funktionen des Königs
dabei in allem ihrem Pomp auszuüben. Es ist zum totlachen, wenn Sie
es im einzelnen lesen. Der Senat holte ihn im Palast in den vergoldeten
vStaatskarossen ab. Er war aber nicht mehr im Palast, sondern beim
Truppeneinschiffen, und fuhr vom Molo spornstreichs in einer Droschke
in die Kirche. Hier empfingen ihn nur die zwei Erzbischöfe, die ihn
mit großen Reverenzen in ihre Mitte nahmen, und ganz genau mit dem-
selben Zeremoniale behandeln mußten als wie den König. Dabei trug
er seine blaue Bluse und den roten Foulard um den Kopf, und ein
Zeremonienmeister hinter ihm sagte ihm alles, was er zu tun hatte. —
1) Ludwig Kossuth (1802 — 1894) und Georg Klapka (1820 — 1892), die Führer
der ungarischen Revolution von 1848. Vgl. oben S. 254, Anmerkung. Klapka hatte
1859 eine ungarische Legion auf piemontesischer Seite kommandiert.
iMayer, Lassalle-Nachlass. IV jy
==^=^== 258 =
Nach den jetzigen Nachrichten ist Garibaldi von Palermo jedenfalls
fort, aber man kann nicht klug daraus werden, ob vor Messina, ^) wo ihn
eine Depesche am Fuß verwundet werden läßt, oder auf dem Wege nach
Neapel. Dort brauchte er bloß zu erscheinen, um alles über den Haufen
zu werfen. Brinnem Sie sich, wie ich Ihnen neulich im voraus gesagt,
trotz allem und allem, was man von dem Lazzaroni zu erzählen pflege,
werde und müsse derselbe für Garibaldi sein? Sie sehen, daß ich das
Volk a priori immer genau kenne. Jetzt strotzen alle Zeitungen von den
Berichten, daß der neapolitanische Lazzaroni nicht höher schwört als
bei Garibaldi, den er ,, Gallebarde" nennt, die Sbirren tötet, sich mit den
Truppen herumschlägt und täglich Demonstrationen mit ,,Eviva Gari-
baldi" macht.
Wenn Garibaldi nach Neapel geht — und ich sehe nicht, was ihn
daran hindern sollte — und dort gleichfalls die Diktatur übernimmt,
so "hat die Revolution den archimedischen Punkt ,,gib mir, wo ich stehe"
{öög juoi Ttov öTCo) gefunden, von wo aus sie Europa aus den Angeln
hebt.
Haben Sie die Rede gelesen, die Garibaldi neulich bei Beerdigung
eines im Kampf gefallenen ungarischen Obersten gehalten? Er sagte,
er schwöre, daß Italien die Solidarität mit den imgarischen Schick-
salen auf sich nehme usw. Überhaupt, seit er La Farina^) ausgewiesen,
hat er sich von Cavour ^) völlig emanzipiert und fragt den Teufel mehr
nach ihm. Seine Popularität ist aber in ganz Italien so unendlich ge-
wachsen, daß Cavour imd Viktor Emanuel zusammen nicht das ge-
ringste mehr offen gegen ihn imternehmen können. Hat er erst Neapel
in seiner Hand, so ist kein Zweifel, daß er sich entweder zuerst auf
Venedig oder vielleicht auf Rom stürzt und so die volle Revolution in
Fluß zu bringen anfängt. Und wieder ist kaum zu zweifeln, daß er in
kurzem in Neapel ist. Kurz, der Knoten schürzt sich mehr und mehr.
Die syrische Verwicklung hat gleichfalls die vorteilhaftesten Einwir-
kungen.^)
^) Garibaldi hatte am 20. Juli den General Bosco bei Milazzo geschlagen, am
28. Juli nahm er Messina mit Ausnahme der Zitadelle und einiger Forts. Auf das
neapolitanische Festland setzte er am 19. August über, in Neapel zog er am 7. Sep-
tember ein.
2) Giuseppe I^a Farina (18 15 — 1863), italienischer Historiker, Gründer der
Societa Nationale. Er hatte bei der Vorbereitung des Zuges nach Sizilien zwischen
Garibaldi und Cavour vermittelt.
^) Graf Cavour (18 10 — 1861), der große italienische Staatsmann, der nach
Villafranca von seinem Posten zurückgetreten, war seit dem Januar 1860 von
neuem sardinischer Ministerpräsident.
*) Infolge der Christenmetzeleien, die in Damaskus stattgefunden hatten,
waren französische Truppen in Syrien gelandet. Sie blieben bis Juni 1861.
— - =^ 259
Was mich betrifft, so nehme ich mich, darüber seien Sie unbesorgt,
mit Diät und Witterung sehr in acht. Meine wirkHch wahnsinnig starke
Natur macht es mir möghch, die Kur so zu beschleunigen — aber
durchaus nur auf freiwillige Verordnung des Arztes — , daß ich
immer auf ein frühes Ende derselben hoffe. Denken Sie, heute ist schon
der fünfte Tag hintereinander, wo ich in der Dampfschwefelhölle
bade — und nicht die geringste Anstrengung oder Angegriffensein
spüre. Der Arzt ist sehr entzückt davon; es scheint, daß ich Tag für
Tag Dampfbäder werde nehmen können, und dann machen allerdings
vier Wochen so viel wie sonst sechs. Ich schlafe oder liege gar nicht
einmal nach dem Dampfbad, d. h. wenn ich wieder in meinem Zimmer
bin, denn man muß gleich unten eine halbe Stunde in Decken nach-
schwitzen, sondern frühstücke rasend und schreibe dann sofort, heute
z. B. diesen Brief, denn ich bin jetzt schon wieder seit einer halben Stunde
aus dem Bad. Also hoffen wir das Beste!
Was nun Ihren weitern Reiseplan betrifft, so scheint es mir auch
das Beste, daß, wenn Sie dort fertig sind imd ich noch nicht, Sie direkt
nach Wildbad gehen. Sowie ich dann fertig bin, komme ich sofort dahin
und tue mit Ihnen, was Sie wollen, solange nur irgend meine Zeit
reicht . . .
Die lyangweile hier ist immer dieselbe. Ihren Russen habe noch
nicht gesehen, weil er um zwei Uhr ißt, weiß also auch nicht, ob er es
ist. Die einzige interessante und sehr, sehr interessante Persönlichkeit
hier, die auch an meiner table d'höte ißt, aber leider nicht neben mir
sitzt, ist eine Gräfin Zichy. Die Ärmste langweilt sich ebenso wie ich.
Denn sie ist hier mit Mutter, kleinem Kind und Gouvernante, aber ohne
Herrn und kennt auch keinen einzigen Herrn hier. Sie muß sich also
langweilen. Und ich langweile mich gleichfalls, während wir beide zu-
sammen ims so gut amüsieren könnten. Aber es fehlt die Verbindungs-
brücke der Vorstellmig. Wenn ich meine Arbeit nicht hätte, so würde
ich schon irgendein, wenn auch ungewöhnliches Mittel ausfindig ge-
macht haben, ihre Bekanntschaft zu machen. Aber so habe ich zu
abenteuerlichen Dingen nicht die nötige Zeit. Aber es bleibt schon wahr,
ä bas les aristocrates, vivent leurs femmes! Neulich war hier ein reak-
tionärer legitimistischer französischer Marquis de Paroy bei mir, der
Politik mit mir plauderte und sich so ärgerte, daß er immer bis an die
Decke fuhr! Zur Versöhnung, um ihm zu zeigen, daß ich doch etwas
Gutes anerkenne, sagte ich ihm dann diese Devise. Sie hat ilm natür-
lich doch nicht versöhnt, und er sprang immer wieder in die Höhe
vor Ärger. Er ist ein Feind Napoleons, aber wenn man diese Art von
Leuten sieht, fühlt man immer deutlicher die relative Berechtigung
Napoleons . . .
- 200 I
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFKI.DT. (Original.)
Sonntag [Aachen, 5. August 1860].
. . . Beruhigen Sie sich also gänzlich, gute Gräfin. Es steht fest,
daß ich hier geheilt werden werde. Höchstens die Zeitdauer ist fraglich.
Übrigens habe ich heut früh beim Trinken — wo ich sonst immer die
größten Schmerzen habe — weit geringere Schmerzen gehabt. Wenn
das auch morgen anhält, so wäre es ein imleugbarer und bedeutender
Anfang von Besserung.
Ich weiß noch kein Wort davon, daß Frau Duncker nach Ems soll,
obgleich sie mir fast alle Tage schreibt. Es ist aber ganz möglich. Ich
gerade riet ihr in Beilin, dies mitl^evin zu arrangieren. Möglich nun,
daß sie das versucht hat, aber mir noch nichts schreiben will, bis sie mit
Franz die Sache ins reine gebracht.
Gestern fragte ich den Arzt, wie lange er denn glaube, daß ich in
diesem verfluchten Nest hier würde aushalten müssen. Er wollte lange
hierauf nicht antworten und sagte, das könne er gar nicht im voraus
beurteilen . . . Jedenfalls seien Sie unbesorgt, ich werde nur ganz geheilt
von hier weggehen. Ich will wieder gesund sein, und Sie wissen, wenn
ich erst sage, ich will, so halte ich alles aus. Aber dieser Wille ist auch
sehr natürhch motiviert. Denn, liebes Kind, ich habe Schmerzen gehabt,
als würde ich von vier Pferden zerrissen. Hoffentlich kömmt das nicht
wieder. Ich habe heute auch schon viel länger am Brunnen gehen können
und mußte mich nicht immer setzen . . .
120.
I.ASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFEIyDT. (Original.)
Mittwoch früh [Aachen, S.August 1860].
... In bezug auf gewisse imd manche Menschen verhält es sich
so, wie Sie sagen. Aber nichts heutzutage ist gemeingültig, nichts
herrscht, nichts ist mehr allgemeine Ansicht. Dies ist eben das
Sonderbare und Charakteristische der Zustände, in denen wir leben.
Es gibt heutzutage nicht mehr, wie zu jeder andern Zeit, eine bestimmte
Substanz von Gesinnungen, welche die ethische Welt beherrschen.
Sondern es ist die bunteste Mosaik der allerverschiedenartigsten Welten
und Gesinnungen, die gleichzeitig existiert und von denen jede von der
andern um Jahrhimderte und länger absteht. So küßten hier vor kurzem
noch vierzigtausend Pilger das Schweißtuch des Heilands, wie im
= 201 =
zehnten Jahrhundert. Daneben der Protestant, den das choquierte. Da-
neben die aufgeklärten Badegäste, die es wunderte. Daneben vSpötter,
die es verhöhnten. Daneben deutsche Atheisten. Jeder vom andern
geistig um tausend Meilen entfernt, jeder seine Welt als die heutige
Welt betrachtend. In dieser bunten Mosaik, in diesem Untergegangen-
sein alles geistigen Einklangs ist wenigstens das Gute, daß kein Indi-
viduum mehr allein zu stehen braucht, daß es für jede Meinung Ge-
sinnungsgenossen und Glaubensbrüder gibt, für jeden Standpunkt
Teilnehmer, und daß es sich nur darum handelt, sich diese um sich zu
sammeln; daß femer jedes Individuum dann sich und seinen Stand-
punkt und Kreis als die berechtigte und wahrhaftige Welt und die
andern als nur individuelle Unvermmft und als von sich in Bann
imd Acht getan (wenn zwei Standpunkte sich ausschließen, schheßen
sie sich gegenseitig aus) betrachten kann und dies auch dadurch nicht
gehindert wird, daß vielleicht mehr Individuen ihm gegenüberstehen,
zumal wenn er dafür Vernmift, Wissenschaft und die geschichtliche
Bewegung für sich hat, da es das Zählen der Individuen in keiner Hin-
sicht macht. Die große Majorität der Bewohner der Welt sind — Bud-
dhisten. Deswegen steht die Welt doch nicht mehr auf dem Standpunkt
des Buddhismus. Die große Majorität der Einwohner von Deutschland
sind — Katholiken. Deswegen steht Deutschland doch nicht mehr
auf dem Standpunkt des Katholizismus usf. Das Zählen macht's also
nicht. Und es kann also heutzutage jedes Individuum sagen — und
sagt es auch tatsächlich — mein Standpunkt ist die Welt, und was
draußen liegt, ist nur individuelle Unvernunft, von mir in Bann und
Acht getan.
Und jeder wird, wie gesagt, heutzutage dafür Genossen finden, die
bereit sind, auf diesem Boden mit ihm zu leben. Und daß unsere Ge-
nossen gerade die schlechtesten oder dümmsten sind, nun, das, denke
ich, werden Sie selbst nicht behaupten. Immerhin ist noch in den paar
Leuten, die wir in Berlin haben, soviel Geist und Bedeutimg, wie auf
der ganzen Wilhelmstraße zusammen genommen nicht.
Jene exklusive Kraft, von der Sie sprechen, hat heutzutage nichts,
gar nichts mehr. Alles besteht nebeneinander im lächerlichsten Wirrwarr.
Es stünde besser um die Welt, wenn sie noch etwas mehr von jener
Kraft der Exklusion hätte, das, was ihr entgegengesetzt ist, nicht zu
ertragen und zu negieren. Aber Sie sehen es im Größten wie im Kleinsten,
wie heut alles nebeneinander Platz hat. Garibaldi mit Bluse und Kala-
breser, bedeckten Hauptes vor dem Hochaltar stehend, und Erzbischöfe,
ihn dabei hofierend. Garibaldi als regelmäßige Regierung, und die
Heilige Allianz duldet das, und Napoleon rührt sich nicht. Alles hat
heut nebeneinander Platz. Die heutige Welt ist ein großer bunter
= 202 -
Farbentopf, und da hat jede Farbe so viel Recht und Existenz wie die
andere. Vorläufig. Später wird es schon wieder einmal zur aneinander
krachenden, negativen Ausschließlichkeit kommen, und das wird eben
nicht zum Nachteil unserer Farbe sein . . .
121.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Aachen, 9. August [1860].
Mein guter, lieber Engel! Mit sehr warmem Gefühle greife ich heut
zur Feder, Ihnen zu Ihrem Geburtstag zu gratulieren! Wieviel Glück
ich Ihnen wünsche — nun, das läßt sich ja doch nicht sagen. Ich weiß es
am besten, und auch Sie sogar können immer nur zur Hälfte ahnen,
wie gut ich Ihnen bin ! Ich bin traurig, daß wir diesen Tag wieder getrennt
voneinander verleben. Und Sie werden vielleicht auch traurig sein. Aber
seien Sie guten Mutes. Diese jetzige Einsamkeit nicht nur, sondern
alles, was sie stört und quält, geht vorüber. Ich gedenke, noch in jeder
Hinsicht alle Ihre Wünsche in Erfüllung zu bringen, und Sie werden
und sollen noch alles haben, was Sie begehren. Reden Sie sich auch
nicht ein, daß Sie dazu zu alt oder alt überhaupt sind. Denn beides ist
nicht wahr. Und es ist im ganzen eine ganz gute Verteilimg, daß ein
schöner, genußvoller und harmonischer Abend des Lebens Sie für die
großen Kämpfe und Opfer Ihrer Jugend belohnen wird. Vertrauen Sie
fest darauf, und seien Sie dessen sicher. Rechnen Sie auf meine Kraft,
die ich noch in eben solcher Unendlichkeit wie nur je in mir fühle, wie
nur je, wie schwach und elend ich auch in diesem Momente an meinem
Schreibtisch sitze . . .
122.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN LASSALLE. (Original.)
[Ems] 10. August 1860.
lyiebes, gutes Kind, ich erhalte soeben Ihren Brief; ich wußte es
wohl, daß Sie heute an mich denken würden, und Ihre herzlichen Worte
haben mir unendlich wohl getan . . . Auch ist es der erste Tag, seitdem
ich hier, wo es noch gar nicht geregnet hat, sollte das eine gute Vor-
bedeutung sein? Ich möchte so gern auch etwas zu Ihrem Glücke bei-
tragen können, mache mir Vorwürfe über meinen Trübsinn und mache
die besten Vorsätze, die Vergangenheit zu vergessen und so vieles, was
mich noch immer drückt, glauben Sie mir das nur; aber dann sinke ich
263 ========:
doch immer wieder um unter der Bürde, die ich zu lange und unaus-
gesetzt tragen mußte . . . Warum schreiben Sie mir gar nichts über
Pohtik, die doch wieder anfängt, mich mit Garibaldi zu interessieren?
Wenn er nur standhaft bleibt und sich nicht von Viktor Emanuel von
seinem Weg abbringen läßt. An ihm hängt jetzt das vSchicksal der Welt.
Nun leben Sie wohl, liebes, gutes Kind, tausend herzliche Grüße und
Wünsche für Ihre baldige und völlige Herstellung . . .
123.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Dienstag [Aachen, 14. August 1860].
Gute, liebe Gräfin!
. . . Von meiner Gesundheit ist nicht viel zu melden. Fortschritte
habe ich seit dem einen — dem Nachlassen der gar zu argen Schmerzen —
nicht wieder gemacht! Ich bekomme die Kur und alles überdrüssig.
Es rückt und rührt sich nichts, und schon sind es bald vier Wochen,
daß ich hier . . .
Frau Duncker tun Sie wieder einmal enorm unrecht! Es ist mir
wirklich theoretisch interessant, in diesem Falle selbst zu sehen und zu
erleben, wie manchmal zwei Naturen schlechterdings zu keinem Ver-
ständnis von einander gelangen können, auch nicht, wenn sie einen
Mittelsmann haben, der sie versteht und ihnen das gegenseitige Ver-
ständnis geben könnte. Was ich da sage, geht aber jetzt nur auf Sie,
und nicht auf Frau Duncker, die Sie jetzt weit besser würdigt als Sie sie.
Die Art, gute Gräfin, wie Sie ihren Briefe) auslegen, ist haarsträubend,
und wenn ich Ihnen die Briefe von Frau Duncker an mich zeigen werde,
die von selbst den Kommentar zu jenem bilden, werden Sie sich selbst
fast schämen, so sehr ins Entgegengesetzte hinein mit Ihren Aus-
legungen getroffen zu haben ! '^) Sie werden dann wirklich mit einigem
Erröten sehen, wie sehr sie ihr diesmal unrecht tun. Doch ist das bei
Ihrer Interpretationsmethode, gute Gräfin, natürlich. Sie nehmen eine
Interpretation und sehen, ob diese paßt. Scheint sie nur zu passen, so
ist es für Sie ein fait. Sie bekümmern sich dann gar nicht mehr drum,
nachzusehen, ob nicht zehn andere Interpretationen ebenso zupassen
^) Der Brief Lina Dunckers an die Gräfin, von dem Lassalle hier spricht,
wurde in Bd. II als Nr. 121, S. 223, abgedruckt.
-) Schon am 12. August hatte Lassalle der Gräfin geschrieben: ,,Der Gerechtig-
keit halber muß ich erwähnen, daß mir Frau Duncker die ganze Zeit über sehr
liebe Briefe in bezug auf Sie hierher geschrieben. Sie werden es sehen, wenn ich
sie Ihnen zeige und sich daraus überzeugen, daß Sie ihr unrecht getan."
= 264 =
würden, und dann erst zu untersuchen, welches zwischen diesen ver-
schiedenen möglichen Interpretationen die wirkliche ist.
Ich würde Ihnen, ^) um Ihnen zu zeigen, wie erstaunlich gründ-
lich Sie sie diesmal verkennen; aber dann müßte ich erst allerlei wieder
explizieren in bezug auf meine Briefe, auf die sich die Antworten be-
ziehen, und das ist mir schriftlich zu langweilig. Aber ich werde sie
Ihnen zeigen. Der Schlußsatz in dem Briefe von Frau Duncker ist aller-
dings sehr mißraten, aber er ist eben nur mißraten; was er bedeuten
sollte, werden Sie gleichfalls aus den Briefen an mich ersehen. Und daß
er sehr mißraten war, fühlte sie nachher selbst sehr lebhaft und schrieb
es mir. Also tun Sie ihr nicht unrecht, was sich für eine so großherzige
Person wie Sie gar nicht schickt imd keinen überlegenen Geist kleidet!
Mit den besten Grüßen, sehr verdrießlich, sehr gelangweilt, sehr
ärgerlich, empört, wütend über diese schändliche Existenz und Krank-
heit, die einen an allem hindert,
Ihr
F. lyassalle.
124,
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Donnerstag [Aachen, 16. August 1860].
. . . Wenn Sie sagen, Sie könnten sich nur an das halten, was Frau
Duncker schreibt, und die ungünstige Auslegung sei nicht Ihre Schuld,
wenn jene imgeschickt schriebe, so haben Sie hierin ganz recht. Sie
sind also ganz im Rechte, wenn Sie sich den Schluß ihres Briefes auch
irrtümlich auslegen, denn warum schreibt sie so ungeschickt. Das ist
ihre Schuld. Aber wenn Sie den Satz : sie bedauere, daß sie, meine heitere
und glückliche Freundin, nichts in dieser L^age für mich tun könne, so
auslegen, daß sie dadurch Ihnen hat einen Stich geben und Ihnen
irgend etwas Unangenehmes sagen wollen — wenn Sie femer den Satz:
Sie hätten doch die kleine Sängerin mitnehmen sollen, als so ganz
allein sein usw. so auslegen, sie wolle Ihnen damit zu verstehen geben,
Sie könnten keine andern Menschen kennen lernen usw. — ja du mein
Gott, bei solcher Art von Auslegung wird man an das alte Diktum
erinnert, donne-moi trois mots et je te fais pendre! Das müssen Sie
doch gestehen, daß dies zwei Auslegtmgen sind, gegen die es gar kein
moyen mehr gibt, so daß, so ausgelegt, auch das Allerbeste, Herzlichste
und Sj^mpathischste sich in sein Gegenteil verkehrt . . .
^) Lassallp geht hier auf eine neue Seite über und fällt dabei aus der Konstruktion.
Sie gutes Wesen bieten mir nochmals an, zu mir herzukommen! Sie
sind wirkHch sehr gut! Ich hätte Sie, wie Sie sich denken können, un-
gefähr grade so gern hier wie ein Verdurstender einen Wasser tropfen!
Dennoch darf es nicht sein. Ich habe es mir nochmals wohl überlegt
und gefunden, daß die Vernunft dies gebieterisch fordert. Wir hätten
hier nur sehr, sehr wenig v'oneinander und würden uns damit weit
schöneres und besseres verderben. Es wäre ganz imvemünftig. Weit
besser, Sie gehen, sowie Ihre Kur zu Ende ist, nach Wildbad, benutzen
das gute Wetter, von dem Sie schreiben (seit heute ist es auch hier
schön) zu Ihrer dortigen Kur, ich komme gesund, frei und rüstig zu
Ihnen, sowie ich kann ; Sie haben inzwischen schon einen Teil der dortigen
Kur zurückgelegt und also Zeit gewonnen, und wir benutzen diese ge-
wonnene Zeit dann irgendwo zu einer kleinen Reise oder einem ange-
nehmen Aufenthalt irgendwo und wo Sie wollen werden, wo wir beide
ä uotre aise sind und ich mich für die unerhörten Leiden dieser Zeit
etwas entschädigen kann. Hier hätte ich doch nichts. Es ist also besser,
daß diese verfluchte Zeit ganz und gar verflucht sei, und daß wir en
revancbe dadurch Zeit zu einer wirklichen Erholung gewinnen. Beides
ganz ist viel besser als beides halb. Daß ich Ihre Ermahnungen usw. usw.
bedürfte, um hier mich zu schonen, zu halten, Diät und Kur gut zu
beobachten, und daß es also einen Nutzen hätte, wenn Sie zu diesem
Zweck herkämen, ist auch ein Irrtum. In dieser Hinsicht können Sie
diesmal ganz imbesorgt sein. Ich habe es nämlich zum Gegenstand
meines Willens gemacht, daß ich gesund werden will, imd das wird
Ihnen genug sagen. Es heißt mit andern Worten, daß ich in der ängst-
lichsten, pedantischsten, übertriebensten, selbstquälerischsten Weise
alles und noch dreimal mehr tue, was sich nur tun läßt, um mit dieser
verfluchten Krankheit imd diesem verfluchten Aufenthalt zu enden.
II faut en finir! Wäre es nötig, an kleinem Feuer zu bräteln, so würde
ich es auch tim. Ich betreibe hier das Gesundwerden in derselben exzen-
trischen Weise wie alles andere, das ich einmal betreibe. Seit ich hier
bin, habe ich mir die Lippen noch mit keinem Tropfen Wein befeuchtet.
(Aber was will ich trinken, wenn ich erst wieder gesund bin!)
In ganz Aachen kein Kurgast, der so lebt wie ich oder irgend so
strenges Regime hält . . .
125.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Sonntag [Aachen, 19. August 1860].
O mein gutes Wesen ! So lange lassen Sie mich ohne Brief. Ich fange
diesen hier an Sie [an], ohne zu wissen, wohin ich ilin senden soll.
Hoffentlich kommt morgen Nachricht von Ihnen, ob Sie schon in
Wildbad sind.
Ach, ich bin recht sehr verstimmt und traurig. Freitag waren es vier
Wochen, daß ich hier bin! Und diese vier Wochen zählen, da ich täg-
lich eins, jetzt seit acht Tagen sogar täglich zwei Dampfbäder täglich
genommen, gut für zehn Wochen der Kur eines andern (das zweite sogar,
was ganz unerhört, zu i^/g Stimden). Dazu die wirksamsten Medizinen!
Merkur innerlich und Merkur äußerlich und Einreibungen. Und noch
Jodkali außerdem : und dennoch rückt und rührt sich nichts von meiner
Krankheit.
Es ist wahr, solange ich nicht gehe, sind die Schmerzen sehr un-
bedeutend, aber immerhin fühle ich sie, und nach zwanzig Schritten
im Zimmer werden sie stark! Ich fange an, die Hoffnung aufzugeben,
daß mir geholfen wird — und was dann? Es wäre zu spitzbübisch, auf
diese Weise trocken gelegt zu werden und um seine Aktionskraft zu
kommen ! Der Aufenthalt ist gewiß hier gräßlich, und es ist eine schreck-
liche Idee, auch nur vierzehn Tage noch hierbleiben zu sollen. In-
zwischen, wenn ich nur eine Besserung vor mir sähe, so wollte ich auch
noch vier Wochen und länger aushalten. Aber wie wenn, wie ich zu
glauben anfange, alles umsonst ist? Ich würde es kaum ertragen, ver-
stümmelt zu bleiben, würde mich nicht darein ergeben können. Sagen
Sie mir nicht, daß das Feigheit ist, daß es noch viel andere Deute gibt,
die unheilbar krank sind. Das hängt bei mir ganz anders zusammen und
ist für mich ein ganz anderes. Ich mache mir au cas de besoin den Teufel
aus den Schmerzen. Aber so früh schon gebrochen sein in dem Un-
gestüm meiner Energie, in meiner Kraft zu handeln, in der Stärke meiner
Aktionsmittel, deren erstes der Körper bleibt, das ertrüge ich nicht.
So ungestüme, konzentrierte Willensnaturen, wie ich eine bin, so
despotische, gegen sich wie die Welt gleich rücksichtslose Willens-
fiammen entstehen gar nicht ohne einen so unverwüstlichen, un-
zerstörbaren Körper, wie ich ihn von der Natur bekommen habe. Ohne
solchen Körper, mit dem man alles mögliche machen und mit der
tyrannischsten Rücksichtslosigkeit behandeln kann, wird man gar
nicht so, wie ich bin. Ohne solchen Körper kann man nicht so bleiben !
Es würde sich also für mich nicht bloß um Schmerzen und Krankheit
wie für einen andern, sondern darum handeln, mein Wesen auf-
zugeben, jene konzentrierte Einheit meiner Persönlichkeit aufzugeben,
ohne die ich nicht bin, was ich bin, und ohne die ich gar nicht sein
möchte.
Es ist ein melancholischer Gedanke ! Sonst sind diese Krankheiten
so sicher zu heilen. Aber es scheint, als wenn sie bei mir teil an der Hart-
näckigkeit meines Wesens hätte.
- 267 .
Nun wir werden ja sehen! Aber wenn ich hier Zeit und Lebens-
kräfte umsonst vergeudet hätte und so bleiben müßte, es wäre teufhseh!
Nun gut! Ich bin sehr mißmutig. In der letzten Zeit habe ich sogar
den Trost des Arbeitens beinahe verloren.^) Denn um elf Uhr komme ich
vom ersten Dampfbad und frühstücke, um zwölf Uhr konnnt der Doktor,
um zwei Uhr gehe ich schon wieder in das zweite Dampfbad, wo ich
anderthalb Stunden bleibe. So verliere ich die besten Stunden meiner
Arbeitszeit von zwei bis fünf Uhr, denn wenn ich auch vor vier Uhr aus
dem zweiten Dampfbad komme, so kann ich jetzt nicht mehr arbeiten!
Zwar mein Körper fühlt sich selbst durch dieses anderthalbstündige
zweite Schwitzen noch gar nicht angegriffen oder geschwächt. Ich
komme mit hinreichender körperlicher Kraft aus dem Dampfbad, um
alles mögliche zu können, nur nicht denken! Dies scheint durch dies
beständige Schwitzen unmöglich gemacht zu sein. Es bleibt mir nichts
übrig, als mich auf das Sofa zu werfen imd einen Roman zu schmökern.
Schreiben wäre mir unmöglich. vSo bleiben mir für Arbeiten und Korre-
spondieren nur die paar Abendstunden.
Ich habe daher, um so mehr als ich in den Dampfbädern selbst
lese — ohne irgend Kopfschmerz zu bekommen — viele Romane in der
letzten Zeit gelesen, u. a. : Klein Dorrit von Boz-Dickens, der sehr
schön ist imd den ich Ihnen empfehle, dann Mont-Reveche von der
George Sand, für den Ludmilla so schwärmt und der ganz abscheulich
schlecht ist. Ein durchaus gewöhnliches und mehr als unbedeutendes,
geistloses Machwerk; gar nicht, als wenn es von derselben Sand wäre!
Jetzt lese ich auch Consuelo von ihr, der wieder ganz trefflich ist. —
Dieses viele Lesen verdummt mich auch, das beständige Schwitzen
macht mich düselich im Geiste, und ich bin wie im Fegfeuer.
Nun schließe ich diese Herzensergießungen für heut. Ich kann ja
den Brief doch nicht abschicken, nicht wissend, wo Sie sind! Nun
adieu!
Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß sie untergehn!
hat auch Heine an sich erfahren und von sich gesungen. Aber es wäre
stupide, wenn die meine schon so früh untergehen müßte. Mit halber
Kraft bin ich gar nichts.
Ihr F. L.
NB. Consuelo hat mir viel I^ust gemacht, nach Venedig zu gehen
und ein florentinischer Tenor hier nach Florenz. Ach, wenn ich erst
wieder gesund wäre!
^) In den ersten Wochen seiner Kur hatte Lassalle nachhaltig an seinem
System der erworbenen Rechte gearbeitet, das im folgenden Jahre erschien.
= 268 =.
120.
LASSAI.I.E AN vSOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag abend [24. August 1860].
Mein gutes Kind, ich habe endhch heut Ihren sehr lieben Brief vom
Mittwoch bekommen (Sie werden inzwischen einen rekommandierten
von mir erhalten haben). Was zu tun, wenn ich hier nicht geheilt würde,
daran wollen wir noch gar nicht denken. Der Doktor verspricht mir
immer bestimmt vollständige Heilung. Ich muß einstweilen hoffen und
glauben . . .
Mit Mont-Reveche, mein Kind, haben Sie unrecht. Die Charaktere
von Natalie und Eveline sind freilich gut gezeichnet. Ich will sogar
noch weitergehen als Sie und behaupten, daß auch die Olympia (nicht
Clemence) ebensogut gezeichnet, wie natürlich-möglich und in sich
natürlich ist. Aber das ist auch alles und ist durchaus nicht viel. Es
versteht sich von selbst, daß keine Arbeit von der Sand so talentlos
sein wird, daß nicht einmal einige gut gezeichnete Charaktere darin
vorkommen . . .
Was Consuelo betrifft, so sind große Schwächen und Fehler darin,
aber dafür zwei Partien von unvergleichlicher Schönheit, die für alles
bezahlen. Zuerst die Kindheits- und Jugendgeschichte Consuelos in
Venedig, ein Bild von so plastischer Poesie, von so echt italienischem
Hauche und künstlerischer Gestaltung wie selten eines. Und dann, dieses
Pracht- und Meisterstück tief romantischer Poesie: Die Ge-
schichte auf der Riesenburg, mit Graf Albert, Zdenko usw. usw. ! Es
summt mir immerwährend im Kopf herum:
II y a lä-bas, il y a lä-bas une pauvre äme en peine
et en travail, qui attend sa dehvrance
Sa delivrance, sa consolation tant promise!
Iva delivrance semble enchainee, la consolation semble impitoyable
II y a lä-bas, il y a lä-bas une pauvre äme
en peine, qui se lasse d'attendre!
Unwillkürlich hat sich mir das zu einer wehmütigen böhmischen Melodie
gestaltet, und ich bedauere, nicht Musik zu verstehen, sonst würde ich
es wirklich komponieren und eine ergreifende Wirkung damit erreichen !
Es ist unerhört, dies Weib versteht selbst Volksballaden, Volksheder
zu dichten!
Ich müßte über die Tiefen und gewaltigen Schönheiten dieser Riesen-
burg-Episode und über den erstaunlichen Geist darin einen ganzen Auf-
satz schreiben! Aber gewiß nicht heut. Denn es ist sehr spät nacht[s].
= 269 -
Also nur die Frage: Kommt Graf Albert in der Comtesse de Rudolstadt
nochmals vor? Sonst lese ich es nicht.
Adieu, mein gutes Herz.
Ihr F. L.
NB. Schreiben Sie mir doch Ihre bestimmte Adresse.
127.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALIvE. (Original.)
Wildbad, Sonnabend [25. August 1860].
lyiebes Kind, ich habe Ihren zweiten Brief hier erhalten mit Ein-
lagen von Schönberg und Frau Duncker. Diese letzte ist bereits mit
Ihrem Brief verbrannt, was jedenfalls viel sicherer, als sie Ihnen-zurück-
zuschicken. Wie können Sie überhaupt Nachlässigkeit mit Papieren von
mir glauben, ich, die ängstlich sorgfältig darin bin; wenn Sie es nur
halb so viel wäre[n]! Wie oft mußte ich Ihnen darüber predigen, daß
man gewisse Papiere gar nicht verwahrt, geschweige denn so nach-
lässig wie Sie ! Den Brief des kleinen Schönberg finde ich abgeschmackt,
sententiös und schlecht rhetorisch so sehr, daß, wenn ich ihn nicht
persönlich kennte, man glauben müßte, es wären hohle Phrasen, die
gar nicht gemeint sind. Doch das ist bei ihm doch nicht der Fall ; aber er
ist ein recht langweiliger Pedant, und ich fürchte, etwas wirklich Tüch-
tiges wird nicht aus ihm. Der Brief von Frau Duncker ist ganz gut,
aber daß ich grade daraus sollte ersehen können, daß sie eine ganz
andre Beurteilung verdient, das habe ich gar nicht, weder dies noch
das Gegenteil, irgendwie finden können. Der Brief ist in zufriedener
Stimmung über Ihre häufigen und liebevollen Briefe, zufrieden mit
ihrer Reise, das ist alles. Wenn aber etwas ihr mit Recht oder Unrecht
nicht gefällt, schreibt sie in ganz andrer Weise. Daß sie dabei so vorüber-
gehend imd so zuversichtlich von Ihrer Gesimdheit spricht, ist mir
eben auch nicht ganz recht. Das liegt nun wohl in der Grundverschieden-
heit unserer Gefühlsweise ; je lieber ich jemand habe, desto besorgter
bin ich, wenn ihm das geringste fehlt; wahrscheinlich dann viel mehr
wie nötig, und ich bin schon oft Ihnen damit lästig gewesen; aber es
scheint mir so natürlich, daß es eben nicht anders sein kann, wenn man
jemand wirklich sehr gut ist. Doch lassen wir diese unfruchtbare Dis-
kussion, in der sich einer von uns gewiß sehr irrt. Nur das kann ich
sagen, daß ich herzlich gern mich überzeugen möchte, daß ich mich
irre, wenn ich glaube, daß sie keine wahre, tiefe Freundschaft für
Sie hat, überhaupt deren gar nicht fähig ist. Das ist eigentlich mein
= 270
einziges wahres grief gegen sie ; aber was mich persönlich betrifft, ist
kaum der Rede wert, davon zu sprechen. Daß ich mich sehr freuen
würde, zu glauben, daß sie eine wahre Freundin, die mich bei Ihnen er-
setzen würde, wenn Sie mich nach dem I^auf der Natur verlieren, das
kann ich mit Wahrheit versichern , . .
128.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN LASSAIvLB. (Original.)
Wildbad, Montag [27. August 1860].
. . . Was Sie über Consuelo sagen, ist so hübsch, daß ich den Roman,
den ich lange nicht gelesen, deshalb jetzt noch einmal lesen will. Warum
sprechen Sie mir denn gar nicht mehr von Politik und Garibaldis Lan-
dung in Kalabrien? Ich fürchte sehr, er hat den günstigsten Augen-
blick verpaßt, sich zu lange von der Diplomatie hinhalten lassen, zu
lange Zeit zu Vorbereitungen und Beratungen gelassen. Er ist ein
Held, aber leider kein Staatsmann und hat zu wenig persönliche
Ambition. Auch eine Tugend kann zum Fehler, vorzüglich zum Hinder-
nis werden. Es täte jetzt ein Mann wie Danton not, der auch sagte:
,,perissent nos memoires et que la patrie soit sauvee."
Nun adieu, liebes Kind, ich will jetzt ein wenig ausgehen, was ein
wahrer Entschluß ist, so müde und träge fühle ich mich . . .
129.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Donnerstag früh [Aachen, 30. August 1860].
Gute Gräfin! Endlich empfange ich Ihren Brief von Montag. Die
Briefe gehen ja hier verdammt lang! Vor allem muß ich Ihnen sagen,
daß es mir gestern bedeutend besser mit den Schmerzen ging. Ich
konnte gestern schon fünfundzwanzig Minuten gehen, zwar mit Schmer-
zen und manchmal nicht unbedeutenden, aber ich konnte es doch. Ich
muß mm sehen, ob das heute anhält. Wäre das der Fall, so würde ich
mich allerdings der Hoffnung hingeben, in acht Tagen etwa endlich be-
freit zu sein . . .
Wenn Sie die Memoiren Ihrer Familie schreiben wollen, so kann ich
nur beipflichten. Es würde das äußerst wohltätig für Sie in jeder Hin-
sicht sein. Mit der Kopfkrankheit und dem Nichtgewachsensein der
Arbeit hat es gute Wege ! Die geistige Kraftlosigkeit, von der Sie schreiben.
- 271 =
daß Sie sie fühlen, kommt grade von der Nichtanwendung, Nicht-
anstrengung der Kraft her, und ist nur der Ausdruck Ihres Bedürf-
nisses, Ihre geistigen Kräfte wieder zu äußern. Ich kenne ganz genau
dieses Gefühl geistiger Lethargie und Kraftlosigkeit. Ich empfinde es
jedesmal, wenn ich längere Zeit nichts getan habe. Es kann mir dann
vorkommen, als wäre eine Arbeit, ja auch nur ein erheblicher Brief eine
vSache, zu der ich mich nie wieder in meinem Leben würde entschließen
und emporraffen können. Ohne Arbeit kann kein Mensch glücklich
sein. ,,Amour et travail", sagt selbst Dumas, in dessen Mohicans ich
jetzt schmökere, seien die einzigen beiden Quellen von Glück. Warum
aber? Weil Glück überhaupt nichts ist als Selbstbetätigung.
Eh bien: Nächstes Jahr reisen wir nach Italien, nach Venedig und
Florenz, Rom, Neapel und Palermo. Das steht fest. Und da will ich
Sie schon aus Ihrer Lethargie her ausschütteln. Wir müssen unbedingt
das nächste Jahr reisen, es ist das letzte, das wir haben. Denn 1862 ist
Krieg und Revolution in Deutschland.
Über Garibaldi können Sie ganz unbesorgt sein. Der wird sich durch
die Diplomatie nicht irren lassen. Er ist bereits, wie Sie wissen, auf dem
Marsche nach Neapel. Die Alhanz von Teplitz hat unsrer Sache die aller-
günstigste Wendung gegeben. Nun ist alles für uns gewonnen! Den Auf-
stand in Ungarn können Sie als gesichert betrachten, sogar in Rußland
gehen die merkwürdigsten Dinge vor. Es dauert nicht mehr lange, und
die revolutionären Banner fliegen höher als sie je geflogen. Attention
au jeu! Eine entschieden reaktionär-österreichische Wendung des
Prinzen, 1) ein Wiederaufleben der Traditionen der Heiligen Allianz —
das ist alles, was uns not tat.
Ich habe jetzt die Fortsetzung von Consuelo, die Gräfin Rudolstadt,
gelesen! Tudieu! wie kann man sein eigenes Werk nachträglich so
systematisch ruinieren und zuschanden machen, wie es die Sand mit
der herrlichen Riesenburg-Episode durch diese schauderhafte Fort-
setzung tut ! ! Unbegreiflich, unbegreiflich ! Es überkömmt sie die Wut,
jene Dinge zu ,, erklären" (!), und nun vernichtet .sie in der prosaisch-
rationalistischsten Weise durch die dürrsten Verstandeserklärungen den
ganzen poetischen Wert jener herrlichen früheren Schöpfung. Sie schreibt
nicht nur einen Roman (die Rudolstadt), welcher für sich selbst das
unpoetischste, frostigste Zeug von der Welt ist, dürre Verstandes-
raisonniererei, sondern sie hebt wirklich dadurch auch Wert und Schön-
heit des früheren Werks auf. Sie läßt sich auf Dinge ein ä la Dumas —
Balsamo. Und nur das eine war mir interessant, hier das Vorbild Dumas'
für den Balsamo usw. zu sehen. Aber um so viel die Sand sonst vernunft-
voller ist als Dumas, gerade um so schlechter und untergeordneter ist
^) Des Priuzregenten von Preußen.
■ 272 -
sie hier dadurch gegen ihn. Denn diese Vernunft äußert sich hier bei ihr
als flachster Rationalismus und zwingt sie, wie die rationalistischen
Ausleger der Bibel, jedes Wunder verständig zu erklären, damit ja nichts
Unmögliches, Phantastisches usw. da sei und das Überraschendste sich
in einen natürlichen Kausalnexus auflöse. Solches Verstandesspiel, solche
erklärte Taschenspielerei ist alles, nur nicht Poesie. Dumas, in seinem
glücklichen Charlatanismus sich gar nicht um solche Verstandesanfor-
derungen kümmernd, ist ihr dadurch viel überlegner und imponieren-
der . . .
130.
LASSAIvIvE AN vSOPHlE VON HATZFELDT. (Original.)
[Aachen] Sonnabend, i. September [1860].
Mein gutes Kind,
Ich erhalte mit Verwunderung Ihren Brief, worin Sie sich be-
schweren, daß ich Ihnen nicht schreibe. Ich habe Ihnen an jedem Tage,
wo icheinen Brief von Ihnen erhielt, immer sofort geantwortet und auch
noch außerdem hin und wieder geschrieben. Ich bin also nicht en delai.
Sehr unrecht haben Sie, zu sagen, ich solle Sie nicht wegen anderer ver-
nachlässigen, womit Sie wahrscheinlich Frau Duncker meinen. Dieser
habe ich seit vierzehn Tagen nicht geschrieben. Ebenso ist, beiläufig,
nicht hübsch und nicht recht, was Sie mir neulich schrieben, Sie wünsch-
ten, daß sie mir einst Sie ersetzen, Ihre Stelle bei mir einnehmen solle.
Sie wissen sehr gut, daß das unmöglich ist, daß niemand jemals Ihre
Stelle bei mir einnehmen wird und kann, daß dies ebenso absolut un-
möglich als gegen meine Absicht ist und daß ich mich zu allen andern
ganz anders verhalte und stets verhalten werde als zu Ihnen. Wozu
mir also solche Dinge sagen, da Sie doch selbst am besten wissen, wie
falsch das ist.
|Nein, wenn ich nicht öfter schreibe, so liegt das an der Lethargie,
die sich meiner bemächtigt hat. Dies ewige Schwitzen und Stubensitzen,
die beständigen Schmerzen und besonders die Hoffnungslosigkeit, die
mich zu ergreifen anfängt . . .
131.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN I^ASSALLE. (Original.)
Wildbad, 7. September [1860].
Iviebes Kind, »Sie werden doch jetzt nicht behaupten, daß Sie pünkt-
lich antworten oder fleißig Nachricht geben, was grade jetzt um so un-
rechter, als Ihr letzter Brief keine guten Nachrichten gab und Sie
= 273 =
daher wissen mußten, daß ich um so besorgter sein würde, bald Nach-
richt zu haben? Ihr letzter Brief ist vom Sonnabend, und heute ist
wieder Freitag, fast acht Tage, und ich habe keine Nachrichten. Ist
das recht? Ich bitte Sie, mir doch augenblicklich ein paar Worte zu
schreiben, wie es Ihnen geht. Von hier weiß ich Ihnen nichts zu sagen
als wieder viertägiger ununterbrochener Regen, heute ist es etwas
besser, aber noch immer kalt; trotzdem schleichen hier noch immer
I/Cute herum, einige alte Russen, für die ich, wie es scheint, eine Attrak-
tion habe, habe ich Bekanntschaft gemacht,^) unter andren F'ürst
Gortschako ff, Bruder des Ministers, und ich bin förmlich in Erstaunen,
welche Sympathien unter den Russen für die Italiener und deren Erfolg
und welche noch tiefere Abneigung gegen das österreichische Gouverne-
ment herrscht und wie sie die Anzeichen der Erneuerung der Sainte
Alliance mit Mißvergnügen sehen. Die Tochter des Fürsten kommt eben
aus Italien, wo sie zwei Jahre zugebracht, hier an und ist ganz enthusias-
miert über die Einmütigkeit, Opferwilligkeit aller Klassen und kann
nicht genug die lyiebenswürdigkeit und Sanftheit dieses Volkes dabei
rühmen; man könne ohne Gefahr, wie sie es gewesen, mitten in den
revolutionierten Gegenden sich befinden. Nur ein Schrei des Hasses sei
hauptsächlich gegen den Papst, fast noch mehr wie gegen Österreich ;
dem geistlichen Regiment schrieben sie alle ihre L,eiden zu . . .
132.
IvASSAIvI.E AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Sonnabend und Sonntag [Aachen, 8. und 9. September 1860].
Meine gute Gräfin!
Ich muß Sie doch gleich benachrichtigen, daß es mirseitgestem abend
etwas besser geht. Die Schmerzen fangen infolge warmer Umschläge,
die ich seit drei Tagen mache, an, etwas nachzulassen. Vielleicht stellt
sich doch noch eine Besserung ein. Ich zähle die Tage bis zu unserem
Wiedersehen ! Gott sei Dank ist heute schon der achte ! Ich werde Ihnen
wohl nicht mehr nach Wildbad schreiben, da die Briefe ja so lange gehen,
aber von Ihnen hoffe ich sicher, nicht nur Antwort auf meinen letzten,
sondern auch auf diesen noch zu bekommen.
Vorgestern erhielt ich beifolgenden Brief aus Berlin nachgeschickt,
den vSie, um das Nachfolgende zu verstehen, hier erst in die Lektüre ein-
schalten wollen.
1) Sic!
Mayer, I.assalle-NachUss. IV ]S
= 274 =
So lästig mir auch alle solche Dinge an sich sind, so darf man es
doch -schon wegen des gemeinnützigen Zweckes nicht abschlagen, zumal
bei meinen Prinzipien. Überdies ist es mir nicht einmal unlieb, sondern
im Gegenteil ganz lieb, insofern ich darin eine Gelegenheit erblicke, mich
in Berlin persönlich bekannter zu machen und mein Laicht mal etwas
leuchten zu lassen. Ich werde also akzeptierend antworten. Nur, was
fürchterlich schwer ist, ist gerade für mich die Auswahl des Themas.
vSie werden das leicht begreifen. Brugsch hielt z. B. in demselben Verein
voriges Jahr eine Vorlesung: ,,Ein Tag in Kairo." Sie fühlen, daß es
mir ganz unmöglich sein würde, etwas Derartiges zu liefern. Was ich
geben soll, muß etwas Bedeutendes, Eingreifendes, Packendes
sein. Aber wie ein solches in dem Zeitraum einer einzigen Vorlesung
von anderthalb Stunden — denn länger darf sie doch keinesfalls dauern —
abhandeln? Alles hängt also hierbei von der Wahl des Themas ab.
Das ist die Hauptsache. Ks handelt sich, ein Thema zu finden, bei
welchem man in anderthalb Stunden etwas Bedeutendes leisten kann,
ein Thema, welches einerseits mit den Zeitideen in Verbindung steht,
andrerseits für dieses Publikum geeignet ist.
Sie wissen, wie gern ich Sie in solchen Dingen um Rat frage und
welchen Wert ich auf den Ihrigen lege. Ich bitte Sie also, mir einige
solche Themas vorzuschlagen, nicht eines, da mir das vielleicht grade
nicht konveniert. Den Brief bitte ich mir zurückzuschicken, da ich ihn
beantworten muß.
Sonntag früh.
Ich erhalte soeben Ihren Brief. ^) Sie beschweren sich schon wieder,
daß ich Ihnen nicht schreibe, während ich noch jeden Brief am Tage
des Empfangs beantwortet und hin und wieder einen überzähligen ge-
schrieben habe. Ich war es, der bis vorgestern, wo ich Ihren chargierten
Brief erhielt, in der größten Sorge war! Sie sagen: Ich antworte jetzt
immer bloß: c'est ga! Sehen Sie, ich will auch endlich Briefe von Ihnen
bekommen und nicht nur immer selber welche schreiben! Will auch
welche lesen! Sehen Sie! Mein eignes Interesse zwingt mich dazu. Ich
muß auch ein bißchen an mich denken.
Was vSie von den Russen dort schreiben, wimdert mich keineswegs
und stimmt ganz mit meinen hiesigen Erfahrungen. So sehr ich nämlich
auch durch Krankheit, Arbeit und Gleichgültigkeit gegen Menschen
zurückgehalten wurde, Bekanntschaften zu machen, so habe ich doch
natürlich nicht so lange hier bleiben können, ohne, wenn auch spät und
langsam, welche anzuknüpfen und ohne mein Zutun. lycider sah ich
dann, daß hier sehr liebenswürdige Menschen gewesen waren und daß
^) Siehe oben Nr. 131.
= 275 —
ich sie zu spät kciiiien gelernt. So machte ich die Bekanntschaft der
Gräfin Zichy^) (und ihrer Mutter) erst kurz vor ihrer Abreise. Die von
Signora und vSignore Fanconi — einem el:)cnso ausgezeichneten als
liebenswürdigen ersten Sängerpaar, das für März und April an der italie-
nischen Oper zu Paris, für die drei Monate vorher in der Havanna
engagiert ist und den Oktober vielleicht in Berlin zubringt, zwar noch
lange vor ihrer neulich nach Paris erfolgten Abreise, aber es war damals
innner noch so schlechtes Wetter, daß ich fast nie ins Hotel kam. Bloß
wenn Signora mich zu den soirees musicales et dansantes, die sie gab,
was sie nie versäumte, durch ihren Mann einladen ließ, fuhr ich hinüber,
tn^erhaupt sind die Ivcute mit mir alle so zuvorkommend gewesen, wie
ich zurückhaltend mit ihnen.
So lernte ich denn auch endlich einen russischen Gouverneur (Mon-
sieur de Sontzow) näher kennen, der hier mitseiner Tochter^) sich befindet.
Ich kann Ihnen kaum sagen, was das für interessante Menschen für mich
sind. Die Tochter reizend, höchst graziös (neunzehn Jahre) und sie
wie ihr Vater von einer solchen Tiefe der Bildung, daß ich unendlich
erstaunt war. Dabei durch und durch revolutionär, der Vater selbst,
obwohl hoher Beamter, und revolutionär auch in bezug auf Rußland
und Polen. Ich versichere Sie, es bereiten sich in Rußland selbst große
Dinge vor. Und dort grade wird die Revolution einen immens gründ-
lichen Charakter ihrer Zeit annehmen. Das Eigentümfiche für Rußland
ist, und sein Glück, daß es keine Bourgeoisie hat, keine Mittel-
klasse. Wer dort einmal aus dem verfaulten Regierungszustand mit
seiner Intelligenz heraustritt, muß sich mit dem untersten Volk
identifizieren und mit ihm gehen. Und denken Sie, das sagten
mirneuHchTochter und Vaterselbst, als ich dies anregte. Diese Leute
wissen das, gehen darauf ein und sind sich auch der Folgen bewußt.
Von ihrer Bildungssucht, besonders nach deutscher Wissenschaft,
haben Sie gar keinen Begriff. Ich fand sie mit den Namen von Strauß ^)
und Moleschott und den äußerlichen Resultaten ihrer Werke vertraut
und mußte ihnen neulich bis zwölf Uhr nachts Evangelienkritik aus-
einandersetzen. Nach ihrer Bildung sind sie Ausnahmen, aber nach
^) Siehe oben Nr. ii8.
-) Für Lassalles Beziehungen zu Sophie von Sontzow (so schreibt er hier!)
vgl. Une page d'amour de Ferdinand Lassalle und — gleichzeitig in deutscher
Übersetzung erschienen — Eine Liebesepsiode aus dem Leben Ferdinand Lassalles,
1)eides beiF. A. Brockhaus, Leipzig 1878. Dort findet man neben anderen Briefen
Lassalles an Sophie den berühmten Manuskriptbrief von Anfang Oktober, in dem
er ihr seine Hand antrug. Vgl. dazu Hermann Oncken, Lassalle, 3. Aufl., S. 194 ff.
3) David Friedrich Strauß (1808— 1874), der bekannte theologische und philo-
sophische Schriftsteller, der Begründer der junghegelschen Schule. Für Lassalles
Beziehungen zw ihm vgl. Bd. II, Nr. 100.
= 276 -
ihrer Richtung sind sie keine solche unter den Russen. Sie wissen, daß
die Russen sehr zusammenhalten. So versammelt sich denn bei ihnen
jeden Abend ein großer Teil der hier anwesenden Russen. Mit Ausnahme
des alten Fürsten Galiczin, der täglich hinkommt imd in seinen Grund-
sätzen durchaus zum ancien regime gehört, wofür er von den andern
auch weidlich imd ziemlich offen verhöhnt wird, sind fast alle wenigstens
tmgefähr von derselben Richtimg. — Ich bin jeden Abend dort, wenn
meine Schmerzen mich nicht ans Zimmer fesseln, was freilich häufiger
geschieht als nicht. Gestern, da es regnete, ließ ich mich in dem kleinen
Handwagen, den man hier für Paralytische hat, hinüberfahren (so ein
Wägelchen ä la Rotschild in Wildbad, aber ganz geschlossen; denken
Sie, soweit bin ich schon gekommen). Tochter und Vater sind um die
Wette liebenswürdig und herzlich für mich. Fast würde ich mich in die
Tochter verliebt haben ; sie ist dessen unbeschreiblich würdig. Aber ich
weiß nicht, ich kann keine Leidenschaft mehr in meinem vom Feuer ver-
zehrten Herzen aufbringen. Und sie aus bloßer Begehrlichkeit zu ver-
speisen, dazu ist sie mir wirklich zu respektabel.^) Auch die einzige Per-
son, die ich je geliebt habe, sind doch Sie gewesen, tmd das habe ich
besonders im Jahre 1848 in meiner Kölner Haft sehr deuthch gefühlt!
Eh bienl So sind wir also beide jetzt mit Russen umgeben. Ganz
immens ist der Haß dieser L/Cute gegen Nikolaus, den sie noch im Grabe
zerfleischen möchten. Savez-vous ce qui nous a valu le gouvemement
de Nicolaus? sagte mir der Gouverneur neulich mit konzentriertester
Bitterkeit: Iva haine de toute l'Europe. Trente defaites ne nous auraient
tant affaiblies.
Ich spreche mit ihm immer durch das Organ seiner Tochter. Denn
er schreibt zwar deutsch und französisch, spricht aber, was für einen
Russen merkwürdig, keins von beiden mehr. Die Tochter spricht da-
gegen französisch, englisch, deutsch mit großer Geläufigkeit. Die geistige
Unabhängigkeit dieser Leute ist wirklich überraschend und die idealisti-
schen Ideen des Mädchens aus dem Munde einer Russin entwickeln zu
hören, ganz traumhaft. In den letzten zehn Jahren haben alle Nationen
Europas immense Fortschritte gemacht — nur Deutschland nicht! —
Nächstes Jahr gehen wir beide ganz gewiß nach Italien. Ich will es end-
lich sehen. Eine Erzählung von Dumas hat mir wieder rasende Lust
dazu gemacht. Quant ä. Palerme, sagt er, qu'en dire? C'est le paradis
du monde. Que la benediction des poetes soit sur Palerme! Nächstes
Jahr also! Wenn mein Werk erschienen ist und die Revolution noch
nicht da, habe ich endHch Zeit, uns diese Belohnung widerfahren zu
lassen, die wir beide seit langem verdient haben.
1) An Sophie von Sontzow schrieb er am 6. Oktober: ,,Ich glaubte nicht mehr
lieben zu können. Sie haben in mir dies Gefühl wieder erweckt." A.a.O., S- 25.
= 277 =
Aber was sagen Sie zu diesem Dumas? Macht er doch /.ur Heldin
dieser Erzähkmg niemand anders als, sie mit vollem Namen nennend
und beschreibend, Madame Lila Bulgowski, die ungarische Schau-
spielerin, die mir in Berlin gewogen war! Es ist zu toll. Lesen Sie ja
diese Erzählung sofort: Une avanture d'amour. Ganz neu. —
Ich will Ihnen doch noch einen Brief des kleinen Schönberg über-
senden, den ich neulich erhielt, der menschlicher, weniger rhetorisch,
obgleich immerhin noch genug, und mit wirklicher Herzlichkeit ge-
schrieben ist. Unmittelbar vor seiner Abreise kam er nämlich zu mir
und bat sich, wenn ich irgend mit ihm, seiner Richtimg usw. zufrieden
sei, zur ,, Belohnung", wie er sagte, aus, mir seine Doktordissertation^)
widmen zu dürfen. Ich erteilte ihm diese Belohnung, und so hat er sie
mir denn neulich mit dem beiliegenden Briefe eingeschickt. Sie macht
ihm wirklich alle Ehre, und in der Widmung spricht sich doch minde-
stens wirkliche geistige Unabhängigkeit aus. Denn großen Nutzen in
der Karriere wird ihm diese Widmimg gewiß nicht bringen. Von dem
Rhetorischen muß man viel der Jugend zugute halten, welche die
Phrase liebt. Erst die Gedrungenheit des Mannes verschmäht sie.
Nun adieu. ^^^ ^ ^^
133-
LASSALDE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Aachen, 13. September 1860.]
Gute Gräfin, ich empfange Ihren Brief und wiederhole Ihnen nur,
damit Sie nicht erst in Köln abzusteigen brauchen, daß ich Sie sehn-
süchtig hier in Aachen^) erwarte, wie ich das schon in meinem Letzten
Ihnen geschrieben. Übrigens ist nicht richtig, wie Sie schreiben, daß ich
Sie mit Briefen warten ließ. F. L.
^) Schönbergs juristische Dissertation handelte: De adoptione qualis apud
Romanos fuerit.
^) Die Gräfin traf in Aachen ein einige Tage vor der Abreise Sophies von
Sontzow und ihres Vaters. Sophie berichtete (deutsche Ausgabe, S. 5) : ,,Er
erwähnte ihrer oft in seinen Gesprächen mit uns, nannte sie , meine mütter-
hche Freundin' und sprach von ihr mit tiefer Ergebenheit und Zärthchkeit. Wir
machten ihre Bekanntschaft. Es war eine schon alte, aber noch imirer schöne
Frau, die unbestreitbar Züge von Schönheit konserviert hatte. Von majestätischer
Gestalt, unabhängig, gründlich gebildet, was bei den Frauen der vornehmen
deutschen Kreise nicht allzu häufig ist, gehörte sie ohne Frage zu den Ausnahme-
naturen." Am 26. September schrieb Lassalle an Sophie von Sontzow, die in-
zwischen nach Brüssel gereist war, daß er am 27. oder 28. abfahren, drei Tsge in
Köln bleiben und am i . Oktober in Berlin sein werde. Hier schrieb er dann in der
ersten Oktoberwoche seine berühmte Seelenbeichte. Vgl. a. a. O., S. 30. Von den
Briefen Sophies von Sontzow an Lassalle hat sich im Nachlaß keiner vorgefunden.
278
134-
SOPHIE VON HATZFEivDT AN IvASSALIvE. (Original.)
Zürich, II. Januar 1862. i)
. . . Da Sie so sehr wünschen, daß ich nicht nach Berlin komme, so
werde ich es so lange verschieben, als ich nur eben kann, wenn Sie die
Gefälligkeit haben wollen, mir einige Besorgungen und Einrichtungen
über die ich Ihnen eine lyiste schicken werde, zu machen oder machen
zu lassen. Hier werde ich doch nicht mehr lange bleiben können; wo
ich dann fürs erste hingehe, um nicht nach Berlin zu gehen, weiß ich
noch nicht, vielleicht etwas nach Heidelberg, um einen Arzt zu konsul-
tieren. Ich werde Sie auch bitten, mir einige Fragen von Frerichs^) bald
beantworten zu lassen. Rüstow^) hat Ihren Brief erhalten, und er sowie
Herwegh*) waren sehr erstaunt, daß ich von den Grüßen ausge-
schlossen war, so wie Rüstow schon Ihr Abschied oder vielmehr Nicht-
abschied von mir aufgefallen war. Mir scheint, daß ein solches Zur-
schautragen des Bruches (in diesem Grad) eines derartigen und so
langen Freundschaftsverhältnisses weder Ihrer noch meiner würdig
ist. Meinerseits wird dies auch nicht geschehen. Es kann niemand
glauben, daß man in fünfzehn Jahren nicht den Gehalt eines Menschen
erkannt hat und eine feste Meinung über ihn erlangt hat. Machiavell
selbst wäre einer so langen und unter solchen Verhältnissen festge-
haltenen Verstellung ganz unfähig. Es hat jeder Fehler im täglichen
Leben — und machen Sie vielleicht darin eine Ausnahme? — , die das
immerwährende oder zu häufige Beisammensein erschweren imd
modifizieren können. Allein die Anerkennung des ganzen Menschen
kann es oder sollte es nicht aufheben, und Ihr jetziges öffentliches
Benehmen gegen mich beweist das direkte Gegenteil. Ich will hier gar
^) Aus dem Jahre 1861, das Lassalle und die Gräfin ganz an den gleichen
Orten verlebten, lagen keine Briefe vor. In den Frühling dieses Jahres fiel
Karl Marx' Besuch in Berlin; im Juli traten Lassalle und die Gräfin ihre große
Reise nach der Schweiz und dann nach Italien an. Mitte November waren sie
auf Caprera bei Garibaldi. Über den vorübergehenden Bruch, zu dem es gegen
das Ende dieser Reise zwischen den Freunden kam und seine Ursachen vgl.
oben die Einführung, S. 25f.
2) Friedrich Theodor Frerichs (18 19 — 1885), Professor der inneren Medizin
an der Berliner Universität.
^) Über Wilhelm Rüstow und seine Beziehungen zu Lassalle vmd zur Gräfin
Hatzfeldt vgl. oben die Einführung, S. 25 ff.
*) Für Lassalles Beziehungen zu dem Dichter Georg Herwegh vgl. die Ein-
führung zu Bd. II, S. 26. Lassalles Briefe an Herwegh hat dessen Sohn Marcel 1895
in Zürich erscheinen lassen, Herweghs Briefe an Lassalle fanden sich in Lassalles
Nachlaß. Einige wurden in Bd. II abgedruckt, andere wird noch Bd. V bringen.
= 279 =
nicht von unsrem Bruch und dessen Ursachen reden; außer den Miß-
handlungen, die diesmal gar zu heftig und rücksichtslos waren, haben
Sie vorzüglich mir Dinge gesagt ganz andrer Art, als es bis jc;tzt in
Ihren Wutausbrüchen geschah. Sie reichten so weit, tief und klar und
s pe z i e 1 1 in die Vergangenheit zurück, daß sie das Gepräge der v'ölligen
Wahrheit trugen, so daß seit Jahren Personen, die nicht wert waren,
mir die Schuhriemen aufzulösen, andre wie (Fräulein Sontzow), denen
ich nur freundliches erwiesen, in einer Weise zu Ihnen von mir sprechen
durften, wie ich es jetzt wie nie von irgend jemand, der mir noch so
nahe stände, dulden würde. Dies alles hat mich in eine Stellung ver-
setzt, wo ich nur schweigen kann, und ich wünsche nicht einmal,
daß Sie mir jetzt auf dies wenige antworten. Vielleicht kommt später
in unsrem Leben ein Augenblick dazu.
Ich wollte Ihnen nur noch sagen, daß außer in vorübergehenden
Momenten des hervorgerufenen Zornes ich nichts als die wahrste
Freundschaft für Sie habe und mich nur Ihrer großen und guten Eigen-
schaften erinnere und daß mich nichts an der Vergangenheit irre machen
wird. Daß sich niemand mehr freuen wird, zu hören, daß Sie glücklich,
sich unterhalten und von Freunden umgeben sind. Daß ich stets in
meinem Innern Ihr bester Freund bleiben werde, und wenn in Ihrem
Leben Augenblicke kommen, wo Sie einen solchen nicht bedürfen
aber wünschen, so erinnern Sie sich meiner. Ich wünsche nicht, daß
Sie mir auf den letzten Teil dieses Briefes irgend etwas antworten,
wenn ich auch hoffe, Nachricht von Ihnen zu erhalten.
S.U.
135-
IvASSAlvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, nach ii. Januar 1862.]
. . .^) Daß ich Sie nicht grüßen ließ, bemängeln Sie mit Unrecht und
mißverstehen es. Abgesehen davon, daß ich Sie nicht grüßen lassen
kann, lag gerade in dem Nichtgrüßen eine größere Diskretion. Denn
unsere Beziehungen von früher würden viel mehr erfordern, daß ich
Sie nicht grüßen lasse, sondern Ihnen selbständig direkt schreibe.
Gerade Gruß wäre auffälhg. Indem ich keinen beifügte, ließ ich Ihnen
gerade dadurch die Möglichkeit, indirekt und in der leichtesten Weise
den Schein zu erregen, als schriebe ich Ihnen direkt und besonders.
Auf die Andeutungen, die Sie auf das Recht und Unrecht bei unserem
^) Hier geht eine ausführliche geschäftliche Abrechnung voraus. Vgl. dazu
unten Nr. 136.
====^= 280 ======^========
Bruch usw. fallen lassen, werde ich mit keiner Silbe antworten. Ich habe
Ihnen bereits in Zürich erklärt, daß ich jedes Aussprechen darüber für
völlig überflüssig finde, war dieser Ansicht schon in Genua und habe
deshalb seitdem Ihren stummen Begleiter gemacht.
Die Gründe dieses Schweigens sind sehr klar. Sie bestehen einfach
in der — Unwiderruflichkeit meines Entschlusses. Nachdem ich einmal
klar und entschieden die unwiderrufliche Notwendigkeit des gänzlichen
Abbruchs jeder persönlichen Beziehung zwischen uns eingesehen — wozu
dann noch Ihnen Ihre Schuld tmd Ihr Unrecht entwickeln? Tat ich das,
so hätten doch nur zwei Fälle eintreten können. Entweder Sie hätten
mit Ihrer gewöhnlichen unwahren und uneinsichtigen Sophistik, die
Sie mir stets in solchen Unterredungen bewiesen haben, sich gegen
jede Einsicht und jedes Anerkenntnis der wahren Lage der Dinge ge-
stemmt — und dann hätte ich mich doch nur geärgert. Oder aber es
gelang mir durch die Macht der Wahrheit wirkhch, alle Verdrehvmg zu
überwinden, Sie zu erschüttern und zu akkablieren, zu überzeugen und
moralisch zu zerschmettern. Aber was gewann ich dabei? Der Fall
wäre mir noch unangenehmer gewesen als der erste. Denn ein solcher
Versuch hat nur einen Sinn, wenn man im Falle der Einsicht und Reue
des andern, wie dies bei früheren Gesprächen der Fall war, sich mit
ihm versöhnen will. Wenn man aber auch hiervon die Unmöglichkeit
klar erkannt hat, so ist es nur noch grausam, den andern durch den bis
zur Anerkennung geführten Nachweis seiner Schuld akkablieren zu
wollen. Zwar diese Grausamkeit ist strenge, untadelhafte Gerechtig-
keit. Sie ist nur Erschöpfung des ganzen Rechts, das man hat. Aber
ich denke in bezug auf Sie viel zu gutmütig, um mein Recht bis zu
dieser Grenze erschöpfen zu wollen. Nachdem ich einmal die Unmög-
lichkeit anerkannt, mich selbst im Falle einer momentanen Reue wieder
zu versöhnen — ist es mir viel lieber, wenn Sie gar keine Reue emp-
finden; ist es mir somit viel lieber, wenn Sie sich gar nicht im Unrecht
glauben, sondern dasselbe sogar innerlich auf mich wälzen. Sie werden
den Verlust meiner, der ohnehin ein hinreichend großer Verlust für Sie
ist, leichter tragen, wenn Sie ihn mir zur Last legen, sofern Sie sich
überhaupt so sehr selbst täuschen können, als wenn ich Ihre Einsicht
zwinge, sich an die Brust zu schlagen und auszurufen: mea culpa, mea
culpa! Man öffnet sich nicht, wie ich während fünfzehn Jahre für Sie
getan habe, täglich die Eingeweide für einen Menschen, ohne, wenn
man dazu meine Gemütsart hat, immer ein gewisses Wohlwollen für
diesen Menschen zu empfinden und ihn möglichst glücklich zu wün-
schen! So wünsche ich in bezug auf vSie durchaus nicht, Ihnen den
letzten Halt bei diesem Bruche zu entziehen, die Selbsttäuschimg näm-
lich, daß Sie ihn unverschuldet erleiden! Für mich aber genügt mir
r- == 281
mein eisernes Gewissen! Deshalb also, weil keiner der beiden Fälle, die
bei einem nochmaligen Aussprechen eintreten können, in meiner Ab-
sicht liegen kann, habe ich mich seit Genua nicht mit Ihnen ausge-
sprochen und werde es nie!
Sie werden allerdings sehr gut tun, wenn vSic, falls irgend möglich,
Berlin vermeiden. Denn ich werde mich aus keiner Rücksicht zu einer
Scheinfortsetzung unserer früheren Beziehungen verstehen. — Kom-
missionen, die Sie mir erteilen, werde ich Ihnen, sofern ich kann, gern
besorgen; sollte ich es nicht können, Ihnen dies anzeigen. Ich habe
Ihnen überhaupt bei unserer Trennung in Zürich gesagt, daß ich Ihnen
sachliche Gefälligkeiten jederzeit gern tun werde und nur persön-
liche Beziehungen zwischen uns unmöglich sind.
136.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN LASSALLE. (Original.)
Zürich, 30. Januar 1862.
Ich habe Ihren Brief erhalten, als ich sehr krank zu Bette lag, und
da es, wie dieses Frühjahr in Breslau, eine Art gastrisches Fieber mit
wütendem Kopfschmerz war und drohte, wie damals, nervös zu werden,
und ich andererseits von Ihrem Brief ganz richtig keine sehr wohltätige
Nervenaufregung voraussetzte, so mußte ich das Lesen einige Tage
und das Antworten bis jetzt verschieben. Das geschäftliche wegen
Luise Schlech ^) und Friedrich habe ich auf beiliegende Blätter gesetzt.
Luise hat noch über 20 Rt. zu verrechnen und bitte ich sehr, sie zu
veranlassen, mir darauf spezifizierte Berechnung sofort einzusenden.
Die Berechnung mit Friedrich Hamels ^) erkenne ich natürlich an und
wünsche, daß er mir über diese Posten sämtliche Quittungen einsende.
Er hat also nach dieser Berechnung von Ihrem Vater für meine
Rechnung nichts erhalten, was ich der Ordnung wegen hier gleich
bemerke. Ich erkenne ebenso an, daß durch die von Ihnen auf der Reise
und an Friedrich Hamels für mich gemachten Auslagen mit den jetzt
mir überschickten 117 Rt. die 500 Rt., welche ich Ihnen geborgthattc,
mir zurückgezahlt sind. Ich muß dabei bemerken, daß die Forderung
Ihrerseits, daß ich eine Quittung Ihnen über diese Rückzahlung aus-
stellen soll, eine ebenso lächerliche als beleidigende ist, die Sie keinem
Menschen unter solchen Umständen außer mir zumuten würden. Sie
würden sich dessen schämen, und ich glaube, daß grade mir gegenüber
1) Angestellte der Gräfin.
^) I^assalles Diener.
.=^=== 282
am wenigsten Ursache ist, eine solche zu stellen. Ich schreibe dies auf
das Konto so vieler absichtlicher Beleidigungen gegen mich.
Ebenso wie ich auf Ihren ausdrücklichen Willen und wiederholten
Wunsch nach Berlin gegen meine bessere Überzeugung gekommen bin,
ebenso werde ich jetzt auf Ihren Wunsch möglichst spät dorthin kom-
men, solange wie ich sehe, daß ich alle kleinen aber doch notwendigen
Geschäfte dort ohnedem abmachen kann, ebenso wenn Sie mir eine
schriftliche Konsultation von Frerichs, die ich sehr nötig habe, ver-
schaiTen. Natürlich wird es mir nicht möglich, gar nicht mehr hinzu-
kommen. Ich habe jetzt einmal mein Domizil dorten und kann es weder
gleich verlegen, noch mich ewig umhertreiben. Sie bedrohen mich,
wenn ich hinkäme, gar keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Ab-
gesehen davon, daß mich Drohungen nie von dem, was ich für mein
Recht und als richtig erkenne, abschrecken können, so haben Sie aller-
dings darin recht, daß ich den Trost habe, fest überzeugt zu sein, völlig
unschuldig an Ihrem mehr als unglaublichen Benehmen zu sein, ein
Trost, den mir keine Deduktionen jemals rauben könnten. Zweitens bin
ich ebenso fest überzeugt, daß, wenn Sie sich jahrelang ,,die Eingeweide
geöffnet haben", ich meinerseits alles an Freimdschaft, Aufopferung,
Sorgfalt getan und sehr gern getan habe, was irgend in meinen Kräften
stand und jedesmal, wenn sich hierzu nur eine Gelegenheit bot. Und mit
mir sind andere, namentlich Ihre Eltern, derselben Ansicht. Fehler mag
ich haben, die das intimere lyeben erschweren, vorzüglich bei der ganz
verschiedenen Richtung, die Sie seit einigen Jahren eingeschlagen.
Wer hat solche nicht? Am allerwenigsten aber dürften Sie es wohl von
sich behaupten und die Nachsicht mit den Fehlern anderer verweigern,
die vSie selbst so sehr bedürfen. Um aber ein solches Benehmen, wie Sie
es seit Wochen rücksichtslos gegen mich imd sich selbst beobachtet
haben, zu rechtfertigen, wäre absolut nötig, daß man eine Infamie er-
fahren, welche den ganzen Charakter des andren der völligen Verach-
tung preisgeben muß. Es wäre komplett lächerlich von mir, über die
Möglichkeit einer solchen Annahme nur ein Wort zu verlieren. Und Sie
würden keinem Menschen nur mit fünf graden Sinnen glauben machen
können, daß Sie während fünfzehn Jahren in den schwierigsten Lagen
des Lebens sich nicht ein festes und unumstößliches Urteil hatten
über meinen Charakter bilden müssen und jetzt erst die Augen über
meine Schändlichkeit öffnen mußten.
Wenn es nicht so sehr traurig wäre, so müßte man es lächerlich und
wahnsinnig nennen, daß solche Sachen und Erörterungen nur vor-
kommen können. Wiesehr und tief es mir wehe tun mag —man schneidet
ein solches Stück Leben und Herz nicht ab ohne tiefen Schmerz, was
ich gar nicht zu stolz bin zu leugnen, denn es gereicht mir zur Ehre — so
- 283
haben Sie es mir doch durch das Übermaß und die Art Ihrer Schmä-
hungen und Beleidigungen ganz unmögHch gemacht, Schritte zur An-
näherung zu tun, und ich muß mich begnügen, Ihnen in meinem Herzen
zu verzeihen, Ihnen zu sagen, daß stets die Erinnerung an die alte
Freundschaft mir heilig sein wird, daß Sie fest überzeugt sein können,
daß, wie Sie auch gegen mich selbst öffentlich handeln mögen, ich es
nie, so wenig wie früher, dulden [kann], daß, wer es auch sei, in meiner
Gegenwart einen Tadel über Sie ausspreche. Im übrigen haben Sie
mich diesmal gezwungen, mich nur abwartend zu verhalten. Wenn
ich nach Berlin kommen sollte, werde ich es Ihnen wissen lassen, und
Sie werden dann handeln, wie Sie wollen, wie Sie es vor sich selbst
rechtfertigen können, wie Sie es Ihrer und meiner und der Pietät
gegen die Vergangenheit für würdig erachten. Was die sachlichen
Gefälligkeiten anbelangt, die Sie mir anbieten, so werde ich mich natür-
lich darauf beschränken, um diejenigen Kleinigkeiten in Berlin zu
bitten, die Ihrem Zweck, mich möglichst lange fern zu halten, ent-
sprechen.
Noch eine Frage. Sie haben an Frau Herwegh die Rede über den
Kassettenprozeß ^) geschickt. Dies ist mir sehr unangenehm, was ich
ihr auch sagte und sie vollständig begriff. Es ist mir eine wahre Er-
holung, mit Leuten, selbst wenn ich sie sehr lieb habe, umzugehen, die
von all diesen traurigen Begebenheiten nichts oder nur im allgemeinen
wissen ; es erleichtert mir wesentlich, selbst nicht so viel daran zu denken,
und es wäre wirklich Zeit, daß ich nicht immer daran erinnert werde.
Dies würde leider doch nicht hindern, daß Augenblicke des Erinnerns
genug [kommen] und auch des vertraulichen Sprechens darüber mit
Leuten, die mir Freundschaft bezeigen, kommen. Doch wäre es mir
lieb, wenn dies nach meiner Wahl und augenblicklichen Stimmung ge-
schähe. Meine Frage ist, ob Sie es auch an Rüstow geschickt? Ich glaube
es zwar nicht, denn mir scheint, daß ich an Ihrer Stelle unter den Um-
ständen zwischen mir und ihm und vorzüglich zwischen mir und Ihnen
jetzt es gewiß nicht getan haben würde, ohne Sie zu befragen, es Ihnen
überlassen haben würde, darin zu tun, was Ihnen recht sei. Da Sie
indessen formell gewiß unbestritten dazu das Recht hatten, so bitte ich
nur um eine Antwort darüber. Leben Sie recht wohl. Durch Ihren Brief
an Rüstow^) habe ich erfahren, daß Sie wohl, sich gut unterhalten in
^) Vgl. Lassalle an Herwegh, ii. Januar, a.a.O., S. 24.
2) Die große Mehrzahl der Briefe Lassalles an Rüstow hat sich nicht er-
halten. In Rüstows Nachlaß, den seine in Frankreich verheiratete Tochter be-
sitzt, befinden sich keine Briefe Lassalles, wie Herrn Generalleutnant a. D.Hans
Rüstow in Göttingen, der so freundlich war, Nachforschungen anzustellen, mit-
geteilt wurde.
================ 284 ^=====
jeder Beziehung und eine politische Tätigkeit gefunden haben. Es hat
mich sehr erfreut und glauben Sie sicher, daß niemand mehr innigen
Anteil auch aus der Ferne an dem, was Sie tun und erfahren, nehmen
wird als ich. S v H
. . . Herwegh läßt Ihnen sagen, daß er den Sickingen an Dingelstedt
mit einem langen Brief geschickt, aber noch keine Antwort erhalten.^)
137-
IvASSAIvIvB AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Berlin, Anfang Februar 1862.]
. . . Was meine Assisenrede betrifft, so vergessen Sie pro primo, daß
sie noch für jedermann öffentlich im Buchhandel für ^/^ Rt. zu haben
ist. — Rüstow sagte mir in Zürich, er habe sie damals, 1848, gelesen,
das nähere aber wieder vergessen und bat mich deshalb, sie ihm zu
schicken, was ich natürlich tat, gleichzeitig auch an Herwegh eine
sendend. Übrigens kann die Rede nur auf jedermann ohne Ausnahme
die günstigste Wirkimg für Sie machen, und hat sie auch ganz normal
auf Rüstow gehabt, wie gewiß nicht minder auf Herweghs. Das Argument,
daß es eine Erholung für Sie sei, mit Leuten umzugehen, die von all
diesen traurigen Dingen nichts wissen, paßt deshalb nicht hierher, weil
doch die meisten Leute — diese wenigstens — ohnehin etwas von den
Dingen wissen, halb und schlecht wissen meistens, und es daher nur
weit besser ist, wenn sie es gut und genau, wie es aktenmäßig steht, er-
fahren. Sie selbst haben ja deshalb nicht nötig, mit ihnen über diese
Erinnerungen zu sprechen.
Was Ihre anderweitigen Bemerktmgen betrifft, so habe ich nichts
darauf zu erwidern. Diese gänzliche Selbstverblendung, der totale
Mangel an Gedächtnis, der völlige Mangel jeder Selbstkritik und diese
absolute Selbsttäuschung, die in Ihrem Briefe sich aussprechen, können
mich bei Ihnen nicht mehr in Verwunderung setzen. Am wenigsten aber
will ich sie bekämpfen, denn sie bilden, wie ich Ihnen schon neulich
sagte, noch die mir liebste Stimmung, in der ich Sie wissen kann. Ich
habe also auch meinen kurzen Bemerkungen von neulich nichts hinzu-
zufügen. —
1) Dingelstedt antwortete am 2o.März an Herwegh. Er woUe das Stück organisch
zusammenziehen und es vielleicht im nächsten Herbst spielen lassen. Vgl. Lassalles
Briefe an Herwegh, a. a. O., S. 40, 46, 52. Aber auch diese Aufführung kam nicht
zustande Der Dichter und Dramaturg Franz Dingelstedt (18 14 — 1881) war von
1857 bis 1867 Generalintendant der großherzoglichen Hofbühne in Weimar.
— = 285 =
Genug davon!
Wenn Sie in meinem Briefe an R[üstow] gelesen, daß ich ,,eine
politische Tätigkeit gefunden" und mich in jeder Beziehung ,,gut unter-
halte", so scheint mir eine eigentümliche, erweiternde Auffassung
meiner Briefe unterzulaufen, welcher die Wirklichkeit leider wenig ent-
spricht! . . .
F. L.
P. S. Wie es eine ,, absichtliche Beleidigung" sein soll, wenn man
von jemand, der die verschiedenen Darlehnsposten, die er einem gemacht
hat, in alle seine Rechnungsbücher eingetragen hat, bei der Ab-
zahlung eine Quittung fordert, um eventuell jeden einstmaligen Ver-
dacht, als hingen jene Darlehen noch, zu beseitigen, ist mir auch neu.
Doch ist der Gegenstand zu unbedeutend, um darüber Worte zu ver-
lieren.
138.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN I.ASSAI.I.E. (Original.)
Zürich, 4. März 1862.
Es ist mir so peinlich, Ihnen in der Weise zu schreiben, wie ich es
jetzt tim muß, daß ich mich von einem Tag zum andren nicht dazu
entschließen konnte. Auch kann ich nur denken nach dem, wie Sie sich
gegen mich benommen, daß Nachrichten von mir Ihnen wenig Freude
machen. Auch muß ich gestehen, daß ich eine Zeitlang brauchte, um
den Eindruck zu überwinden, den mir Ihre Schrif tensendmigen machten
an Frau Emma^) und Rüstow. Sie wußten sehr wohl, daß es mir sehr
unangenehm sein würde, sehr nachteilig auf meine Laune wirken würde,
zu wissen, daß man sich, während ich sogar anwesend, mit diesen
traurigen und ekelhaften Geschichten beschäftigte; denn ich hatte
Ihnen ja wie oft gesagt, daß jede Auffrischung derselben mich in Melan-
chohe brächte und ich ganz weit am liebsten weggehen möchte, wo
niemand etwas davon wüßte und ich nicht daran erinnert werden
könnte. Solange Energie und Handehi nötig war, hielt die Kraft-
anstrengung aufrecht, jetzt habe ich nur noch Ekel dafür, Trauer für
mein ganzes verlorenes lyeben. Sie wußten also sehr gut, was Sie mir
antaten, und diese Absicht war nicht schön, und wenn Sie meine An-
sichten darüber noch so kindisch und ungerechtfertigt finden, so ist
es doch eine Ansicht, für die man Schonung haben darf und daher
1) Zwischen limma Herwegh, der Gattin des Dichters, und der Gräfin bildete
sich eine dauernde Freundschaft heraus.
= 286 =
auch sollte. Das zweite Envoi, nachdem ich Ihnen geschrieben, daß
es mir unlieb, bewies nur klar die Absichtlichkeit. Da man jedoch,
obgleich ich es nicht finde, sagen könnte, es läge in Ihrem formellen
Recht, so enthalte ich mich wohlweislich jedes Schattens von Vor-
wurf und mache nur die Bemerkung, daß ich eben weiß, daß Sie mir
eine Unannehmlichkeit antun wollten.
Ich habe gleich nach Ihrer Abreise an Herbertz^) ausführlich ge-
schrieben, um Nachricht hierher gebeten, habe aber gar keine Antwort
erhalten. Haben Sie vielleicht etwas gehört? Ich reise nun am 4. von
hier fort, habe ein Rendezvous mit Paul in Straßburg und komme dann
nach Berlin auf kurze Zeit, einige Wochen, um meine Angelegenheiten,
Rechnungen usw. zu ordnen und wieder abzureisen. Erstens ist dies
überhaupt notwendig, daß ich alles etwas in Ordnung bringe, zweitens
ist es besser, einige Zeit jetzt nicht hier zu sein während des erwarteten
evenements^) im Hause von R[üstow]. Es ist notwendig, ihn dabei in
keine so große Verlegenheit zu setzen, denn er würde es nicht lassen
können, ebensoviel zu mir zu kommen wie jetzt, imd das wäre dann
nicht gut. Ich kann mich aber auch nicht zwecklos in der Welt herum-
treiben. Überdies muß ich doch nach Berlin, sonst hätte ich Ihnen wie
mir die Zurschaustellung so trauriger Verhältnisse, die Ihr unbegreif-
liches Verfahren hervorruft, erspart. Ich werde also wohl zwischen dem
IG. und 12. März in Berlin eintreffen. Wollen Sie mich besuchen, so weit
es die äußere Form wenigstens notwendig macht, so wird es mich
freuen, weiter kann ich in dieser Sache nichts mehr sagen. Nach dem,
wie Sie sich gegen mich geäußert und benommen, bin ich zu tief ge-
kränkt. Und abgesehen davon, was ich überwinden könnte, müßte ich
jede Spur von Selbstachtung bis zur Verächtlichkeit verloren haben,
wenn ich jetzt noch darum bitten könnte. Das werden Sie wohl ein-
sehen, daß alles nur noch von Ihnen kommen kann. Wollen Sie aber
entschieden in Ihrem Benehmen gegen mich verharren, so schreiben
Sie es mir, wenn ich da bin, in meine Wohnung in Berlin durch die
Stadtpost. Ich werde dann noch einige Fragen um Auskunft an Sie zu
richten haben. lycben Sie wohl und glauben Sie, daß trotz allem niemand
sich aufrichtiger über Ihr Wohl freuen wird als ich, niemand Ihr Schick-
sal mit mehr Interesse verfolgen wird.
^) Der Anwalt der Gräfin in Köln Martin August Herbertz (f 1884), später
Führer der dortigen Nationalliberalen. [Mitteilung von Herrn Archivdirektor
Dr. Paul Wentzcke in Düsseldorf.]
-) Frau Rüstow erwartete ein Kind.
======= 28y =
139-
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
[Berlin] Dienstag [wohl ii.Mürz 1862].
Auf Ihren letzten Brief: daß ich mit Absicht Ihnen die Kränkung
zugefügt, zweimal Dinge nach Zürich zu schicken, muß ich Ihnen er-
widern, daß diese Behauptung Siech arakteri sie rt. Von zwei maligcm
Senden weiß ich überhaupt nichts. Ich hatte die Reden gleichzeitig
an Frau Herwegh und an Rüstow geschickt, ehe ich noch wußte, daß
Sie es nicht wünschen. Soll vielleicht die Patowsche Stempeleingabe das
zweite Dehkt darstellen? ')
Ich habe von neuem — vor ca. acht Tagen — um Exekution bei
Urnen zu hindern — 32 Rt. für Sie zahlen müssen, in Sachen Ihrer
Köchin. Der Prozeß scheint in contumaciam gegangen zu sein. Anbei
die Quittung, in der ich den Rekurs gewahrt. Aber umsonst, denn ich
ließ die Sache durch Hirsemenzel auf dem Gericht nachsehen. Die
Rekursfrist war schon abgelaufen. Ich bitte dringend um baldige Über-
mittlung dieses Geldes an mich. Denn mein Kassavorrat besteht
in 25 Rt.
Ich habe keine Veranlassung, zu Ihnen zu kommen. Ich habe weder
ein Bedürfnis dazu, noch dort etwas zu suchen; es geht gegen meine
Grimdsätze. — Wenn Sie mich zu sprechen haben, so bleibt Ihnen un-
benommen, zu mir zu kommen. Nicht umgekehrt.
F. Lassalle.
140.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Berlin [etwa 12. März 1862].
Ich schicke Ihnen hierbei 31 T. 4 Sg. für die Exekution. Ich bin
gestern angekommen und wollte es Ihnen heute sagen lassen, da ich
^) Lassalle hatte im Namen der Gräfin am 12. Januar 1860 an das Abgeordneten-
haus wegen eines Stempels von 3000 Rt. reklamiert, der ihr 1854 bei ihrer Aus-
einandersetzung mit ihrem Gatten widerrechtlich abgenommen \vorden war, und
das Abgeordnetenhaus hatte am 1 1. Februar die Angelegenheit der Staatsregierung
,, zur Abhilfe" überwiesen. Trotzdem beschied der Finanzminister von Patow die
Beschwerde abschlägig. Lassalle ließ es dabei nicht bewenden. Er verfaßte jetzt
eine ,, Beschwerde der Gräfin Hatzfeldt über widerrechtliche Eigentumsverletzung",
die als Manuskript gedruckt wurde. Sie ist vom 2. Januar 1S61 datiert. Vgl.
hierzu F. M[ehring], Zwei Schriftstücke Lassalles in ,, Neue Zeit", XV, i,S.2i8f.
Mehring blieb der Ausgang dieser Angelegenheit unbekannt. Aus Lassalles Brief
an die Gräfin vom 27. September 1862 (siehe unten Nr. 148) erfahren wir, daß auch
seinen erneuten Bemühungen der Erfolg versagt bliel).
^:3^ 288 =
gestern sehr unwohl, um Ihnen noch einmal zu erklären, daß es mich,
falls es Ihnen recht, freuen würde, Sie zu sehen. Daß i c h unter bewandten
Umständen nicht zu Ihnen kommen kann und noch dazu zuerst, daß
Sie diese Unmöglichkeit selbst genau eingesehen haben, als Sie mir
jetzt schrieben, um mir diesen Vorschlag zu machen, ist selbstredend.
Wenn Sie nicht einmal die Höflichkeit eines Besuches für mich haben,
so ist unsre Verbindung durch Ihren Willen aufgelöst. Ich habe Ihnen
öfters umsonst zu überlegen gegeben, ob diese Art Ihrer und meiner
würdig sei. Daß es mir sehr wehe getan, mich überzeugen zu müssen,
daß nichts in der Welt Bestand [hat], sowie daß ich die Pietät gegen die
Vergangenheit gern bewahrt hätte, hat jeder sich überzeugen können,
der mich gesehen. Ich bin aber leider außerstande, irgend etwas zu
ändern. Jetzt treten die politischen Ereignisse ein,^) für die wir so lange
zusammen gelitten imd gekämpft und sie so oft zusammen herbei-
gewünscht, und wir sind jetzt Feinde; das ist wirklich eine Ironie des
Schicksals. Das heißt, mein Feind sind nur Sie, der Ihrige werde ich
nie sein. S_
141.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN I^ASSALLE. (Original.)
[Berlin] 11. April 1862.
Die allerbesten Wünsche zum heutigen Tage. Mögen Sie heute wie
immer so glücklich und heiter und umgeben von wahren Freunden sein,
wie ich es Ihnen aus ganzem Herzen wünsche, Sophie.
Rüstow schreibt ganz wütend über die Verzögerung wegen seiner
Broschüre; 2) er sagt, er habe Jancke geschrieben, er sei ein ganz ge-
meiner Kerl, wenn er nicht sofort drucke, was nun wohl keinen be-
sondren Eindruck machen [wird], da der Mann das gewiß allein schon
längst weiß.
142.
IvASSAI.IvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag [Berlin, 11. April 1862].
Ich danke Ihnen für Ihren Gratulationsbrief. Hat er mich auch
nicht, wie Sie voraussetzen, umgeben von wahren Freimden, deren ich
nicht habe, und überhaupt nicht umgeben von Freunden gefunden ■ —
Der preußische Verfassungskonflikt näherte sich seinem Höhepunkt.
W. Rüstow : ,,Das preußische Militärbudget von 1862" erschien am 17. April.
289 ^=
heut mittag essen zwei Bekannte bei mir, das ist die ganze „Umgebung"
Ziegler ^) und Bücher^) — , so traf er mich doch in jener kalten und
ruhigen Einsamkeit, auf die sich schließlich alles reduziert und aus der
jeder stärkere Mensch sich eine Art von Zufriedenheit zu machen wissen
muß. —
Rüstow hat unrecht, wegen Beschleunigung zu schimpfen. Ich be-
komme jetzt jeden Tag einen Korrekturbogen, und das ist sehr viel.
In der Kölner Sache möchte ich Ihnen raten, den Plan von Herbertz,
dessen Brief anbei zurückfolgt, nicht unbesehen zu verwerfen. Auch
mir scheint es das beste, wenn Sie nach Köln gehen und sich dort acht
bis vierzehn Tage um die Sache bekümmern . . . Die Akten von Herbertz
will ich Ihnen heraussuchen, kann aber, da ich diese Woche zwei öffent-
liche Vorträge 2) halten will, in Arbeiter- und Bürgervereinen am 12.
(morgen) und am 16. und letzterer erst gearbeitet sein will, auch Rüstows
und meine Korrektur sowie die Beendigmig meines Julians^) mir noch
auf dem Halse liegen, erst am 18. oder 19. dazu kommen, es heraus-
zusuchen. Muß es aber sein, so geht es auch früher.
'A propos: Können Sie mir — und konveniert es Ihnen — mir eine
Quantität Rauenthaler abzulassen? Ich bin mit meinem am Ende.
Bitte eine Antwort hierüber.
Wenn beabsichtigen Sie nach Köhi zu gehen? Drängen vSie in
Köln vor allem auf Beendigung Ihres Prozesses.
F. I^assalle.
143-
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN IvASSALI^E. (Original.)
[Berlin, Ende April 1862.]
, . . Tausend Dank für Ihr Buch, was ich soeben erhalte. Ich hatte
schon davon gehört und freue mich recht, es zu lesen. Ihren ,,Heraklit"
und Ihre ,, Erworbenen Rechte" besitze ich bis jetzt nicht. Haben Sie
1) Für Lassalles Beziehungen zu Franz Ziegler (1803 — 1876) und Lothar
Bucher (1817 — 1892) sei vorläufig verwiesen auf Bd. II, Einführung S. 28. Zahl-
reiche Briefe Zieglers und eine Anzahl der Briefe Buchers an LassaUe befinden sich
im Nachlaß. Eine Reihe davon wird in Bd. V gedruckt werden. Vgl. auch Oncken,
Lassalle, S. 243 fi"., für Lassalle und Ziegler ferner Gustav Mayers Besprechung der
Onckenschen Biographie, 2. Aufl., in ,, Zeitschrift für Politik", Bd. VI, S. 680.
2) Die Reden: ,,Über den Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichts-
periode mit der Idee des Arbeiterstandes" und ,,Über Verfassungswesen".
3) Ende April erschien die bekanntlich mit Hilfe Lothar Buchers verfaßte
Schrift: Herr Julian Schmidt, der Literarhistoriker, mit vSetzerscholien heraus-
gegeben von Ferdinand Lassalle.
Mayer, Lassallc-Nachlass IV iq
"- '- - --- - 290 -
Goethe, Schiller usw. aufgegeben?^) Hierbei die „Demokratischen
Studien" und eine Broschüre, die in meinem Koffer in Frankfurt
geblieben waren. Was den Schiller anbetrifft, so läßt Ihnen Anna sagen,
daß Sie sich wohl erinnern würden, daß in Zürich alle Ihre Bücher
auf Ihr Verlangen ausgesucht und in Ihre Koffer gepackt wurden.
Ich habe gehört, daß in dieser Kammersession nur das Budget
ordinarium spezifiziert vorgelegt werden soll, kein Extra-ordinarium
verlangt werden; man will sich bis zum Winter ohne dem behelfen, die
Militärangelegenheit gar nicht diesmal berührt werden soll und die
Vorladung bis zum Winter vertagt werden. Man hofft, daß dann die
Aufregung sich gelegt und das Ministerium wird bleiben können. Haben
Sie Aufträge nach dem Rhein oder Zürich? Ich denke, wahrscheinlich
am Dienstag abend abzureisen.
vS. H.
144.
IvASSAlvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, Ende April 1862.]
Allerdings, wenn Sie nach Zürich gehen und von da ins Bad, so würde
ich, bei so langer Abwesenheit, jedenfalls über Köln und mit Stetter
sprechen.
Mein Julian, von dem ich gestern die ersten Exemplare verschickt,
erregt bereits großenjubel. Schon ist von Böckh ein beifallklatschender
Brief eingetroffen, und Stahr rennt 'rum wie verrückt vor Entzücken und
hat bereits ein Gedicht drauf gemacht. Ich bin hier in einer entsetzlichen
I^aune, die schwer zu beschreiben wäre. Der Geldverlust^) hat grade
in dieser Stimmung auch nicht den allergeringsten Eindruck auf mich
gemacht. Er wäre mir absolut einerlei und wenn er das dreifache wäre.
Habe ich Ihnen mitgeteilt, daß ich am 12. des Monats zum ersten
Mal in einem hiesigen Arbeiterverein (nicht dem, wo Duncker ist) einen
großen Vortrag gehalten? Nicht nur mit rasendem Erfolg, sondern ich
habe meinen Boden hier erobert damit. Einen anderen Vortrag neulich
1) Lassalle hatte beabsichtigt, eine Literaturgeschichte des deutschen acht-
zehnten Jahrhunderts ,,vom kulturhistorischen Standpunkt aus" zu verfassen.
So schrieb er u. a. am i. Januar 1860 an Adolf Stahr.
2) In ihrem Brief, auf den Lassalle hier antwortet (siehe oben Nr. 143) hatte
die Gräfin zu Anfang einige geschäftliche Mitteilungen gemacht. Darunter hieß
es: ,,Sehr betrübt hat mich die Nachricht, daß Sie wieder spekuliert und un-
glücklich spekuliert haben, mir scheint, es war in diesem Augenblick keine Zeit
zum Spekulieren. Ich habe auch an der Germania wieder verloren, es scheint,
in Geldsachen haben wir beide kein Glück."
^ 291 —
mit nicht geringerem Beifall in einem Bürger-Bezirksverein. Nächsten
Sonnabend lese ich denselben im Arbeiterverein. Wahrscheinlich lasse
ich beide drucken, obwohl der Arbeitervortrag sehr böses Blut unter der
Bourgeoisie machen wird. Alles das ist Vorarbeit für später, später,
später!!! Am Fichtefest, das die Philosophische Gesellschaft gibt und
das, wie es scheint, sehr großartig wird (19. Mai), soll ich — was aber
verschwiegen bleiben muß — ihren Redner machen.^) Darüber arbeite
ich wie verrückt, d. h. am Manuskript. Sowie das vorbei, werde ich mich
an und in die Nationalökonomie, die ich machen will, stürzen. Wenn ich
mich nicht mit beständigen Arbeiten betäubte, ginge ich, glaube ich,
vor Ekel unter!
vSie haben recht, daß Sie nach Zürich gehen. Amüsieren Sie sich dort
möglichst, ich wollte Ihnen die Juliane mitgeben, habe sie aber schon
direkt expediert. Bernays ^) war neulich bei Ihnen, traf Sie aber nicht.
Jetzt ist er schon in der Klinik und läßt sich das Auge exstirpieren.
Viele Grüße in Zürich an Rüstow und Herwegh.
Mitte oder Ende Juli komme ich vielleicht auch nach der Schweiz.
Vielleicht begleitet mich Bucher oder Ziegler. Es ist viel wärmer in den
Gletscherfeldem als hier. Viel Amüsement. ^
NB. Ich wünsche bei Ihrer Abreise den großen Tisch zurück, den
Sie von mir haben. Geben Sie doch Befehl hierzu.
145-
SOPHIE VON HATZFEIyDT AN LASSALLE. (Original.)
[Bei Zürich] 11. Juni 1862.
Ihr Julian Schmidt hatte mich so erfreut, daß ich schon längst an-
gefangen hatte, Ihnen zu schreiben. Indessen bin ich seit der Zeit recht
krank gewesen, noch immer unwohl, d. h. seit Berlin nicht mehr wohl
gewesen, außerdem noch eine Quetschung am Fuß, die mich viel leiden
macht, und dann ein Umzug aufs Land, wo ich jetzt wohne. Dies alles
hätte mich nun zwar nicht abgehalten, den Brief abzuschicken, aber Sie
zögerten so lange, auf meinen Brief von Köln zu antworten, schickten
^) In der Tat hielt Lassalle hier zu des Philosophen hundertstem Geburtstag
die Festrede. Er betitelte sie: ,,Die Philosophie Fichtes und die Bedeutung des
deutschen Volksgeistes." Vgl. dazu Gustav Mayer, Lassalle und die Fichte-Feier
der BerUner Philosophischen Gesellschaft in Grünbergs Archiv Bd. I, S. 176 ff
2) Den deutschamerikanischen Journalisten Karl Ludwig Bernays (181 5 — 1879)
hatte Lassalle noch vor kurzem für die Tageszeitung, die er bei Brockhaus er-
scheinen lassen wollte, zu interessieren gesucht. Vermutlich meint er hier ihn.
Vgl. Lassalle an Herwegh, 1 1. Januar 1862, a. a. O., S. 25 f.
— ^ 292 -
mir Ihre Broschüren ohne Brief, so daß ich nicht wußte, ob ich es tun
sollte. Zuerst will ich Ihnen meine wirkliche Freude über Ihre letzten
drei Arbeiten sagen. Sie wissen, wie oft ich Ihnen früher gesagt, wie es
mir lieb sein würde, wenn Sie nun, jetzt, nachdem Sie wirklich für jetzt
genug für die eigentliche Wissenschaft mit Ihren beiden großen Werken
getan, sich darauf verlegten, kleinere, aller Welt mehr zugängliche, die
Fragen der Zeit behandelnde Schriften in die Welt zu schicken, die wie
Taten gleich zünden. Julian Schmidt ist vöüig vernichtet, selbst bei
denen, wo kein noch so klar durchgeführtes Urteil über ihn geholfen
hätte, durch den Nachweis seiner völligen Ignoranz. Und wie klein der
Mensch, so ist die Tat eine große und nachhaltige, denn sein Einfluß war
ein großer und schlimmer. Außerdem hat mich das Buch herrlich amü-
siert; und es ist nicht zu verachten, daß man die große Menge, um sie zu
belehren, auch unterhalten muß. Ihre Verfassungsrede ist das beste,
was ich in dieser Art und zu diesem Zweck gelesen. Die Auffassung des
Wesens einer Verfassung überhaupt (die Diskussion über eine spezielle
mehr weniger schlecht oder gute wäre nichtssagend) ^) herrlich, die
Durchführung und Sprache ebenso faßlich und klar für jeden als schön.
Ihre Fichterede hat mich doppelt gefreut für Sie und für mich, da ich
am ersten Teil gesehen, daß ich nicht ganz meine philosophischen Stu-
dien vergessen. Daß dieser erste Teil aber etwas Perlen vor die Säue
sein würde in der Gesellschaf t, worin Sie sie gehalten, wußten Sie gewiß
im voraus.
Ich schicke hierbei den Brief von Pückler zurück. Rüstow teilte mir
mit, daß Sie ihm geschrieben, Hiersemenzel habe sich wieder so schlecht
gegen Sie benommen. Es wundert mich nicht; Sie wissen, daß ich es
öfter gesagt, er sei IhrFreimd nicht. Alle diese I^eute in Berlin, mit Aus-
nahme von Scherenberg und Ihrem Vetter, haben mir, glaube ich, mit
Recht nie gefallen. Sie essen Ihre Diners, schmeicheln Ihnen, um Sie
desto besser hinterrücks zu verleumden ; ich habe mich nie heimlich und
angenehm mit ihnen gefühlt. Wenn Sie mir schreiben, sagen Sie mir,
bitte, was Hiersemenzel gegen Sie getan, es wäre mir doch lieb, zu wissen
in möglich vorkommenden Fällen. Ich wohne jetzt, wie schon gesagt, auf
dem Lande nahe bei Zürich zusammen mit Frau Anneke^) und der
Indianerin,^) die beide eine große L/iebe zu mir gefaßt haben und mir auch
^) Hier vergißt die Gräfin, die Klammer zu schließen.
2) Mathilde Anneke war die Frau des ehemaligen preußischen Artillerieleutnants
Anneke, der 1847 wegen angeblicher kommunistischer Gesinnungen aus dem
preußischen Heer ausgestoßen worden war und dann in der rheinischen Revolution
und am badischen Aufstand an sichtbarer Stelle teilgenommen hatte.
^) Mary Booth, eine junge amerikanische Dichterin. Gedichte von ihr, auch ein
absichtlich in deutsch-englischem Kauderwelsch geschriebener Brief an Lassalle,
befinden .sich im Nachlaß.
— = 293
sehr lieb sind ; nur 1iin ich fortwährend unwohl. Über die Vorladung von
Ivudmilla, d. h. über die Enthüllung ihres Verbrechens, einund vierzig
Jahre alt zu sein, haben wir sehr gelacht, sie ist noch in Florenz und
schreibt noch nichts davon, zurückzukommen. Ich muß gestehen, daß
ich die Tagebücher^) an und für sich nicht das finde, was man hätte
erwarten können, aber sie kommen dennoch sehr zu rechter Zeit.
Sie haben sehr recht, nicht, wie mir Rüstow sagt, den Sommer in dem
abscheulichen Berlin sitzen zu bleiben. Leben Sie recht wohl, möge es
Ihnen in jeder Weise so gut und so angenehm gehen, wie ich es Ihnen
wünsche.
S. H.
Meine Adresse ist nach Zürich wie früher.
146.
I.ASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, 22. Juni 1862.
. . .2) Daß Ihnen meine letzten drei Produktionen so gefallen haben,
freut mich, denn ich habe immer Wert auf Ihr Urteil gelegt. Auch haben
sie eingeschlagen wie alle Wetter, d. h. für deutsche Verhältnisse. Die
Verfassungsbroschüre ^) hat hier große Polemiken in der ministeriellen
Zeitung, ,, Kreuzzeitimg", , .Magdeburger Zeitung", ,, Reform" usw.
hervorgerufen. Beihegend sende ich Ihnen eine vierte Produktion, die
gestern die Presse verlassen hat und Ihnen, wie ich denke, eher mehr
als weniger gefallen soll, mein Vortrag in einem hiesigen Arbeiterverein.^)
Die Bourgeoisie wird Mord und Tod schreien. Bei alledem sind und
bleiben die hiesigen Verhältnisse erstaunlich langweilig; und wäre es
nicht ein innerer Zwang meiner Seele, mich um die Praxis der Idee,
d. h. also die Politik zu bekümmern, ich hätte mich lange in die reine
Wissenschaft geflüchtet.
Daß Sie gute Fremidinnen gefunden haben, mit denen Sie zusammen
wohnen, ist mir lieb zu hören. Einsamkeit ist langweihg, wenn man nicht
fortwährend büffelt.
^) Ludmilla Assing hatte vor kurzem die ersten sechs Bände der Tagebücher
ihres Onkels Varnhagen von Unse erscheinen lassen.
2) Voraus gehen Mitteilungen über die Geschäfte der Gräfin in Köln, deren
Lassalle sich auch jetzt noch annahm.
^) ,,Über Verfassungswesen" erschien bei G. Jansen in Berlin.
*) Das Arbeiterprogramm (wie Lassalle seinen Vortrag vom 12. April nach-
träghch nannte) erschien bei Karl Nöhring in Berlin.
=- 294 —
Hiersemenzels Schweinereien Ihnen briefhch zu erzählen, wäre viel
zu lang und ennuyant! Mündlich, wenn ich Sie in der Schweiz sehe, kann
ich das tun. Einstweilen haben Sie ja an dem Resultat genug, zumal
wenn Sie meine Langmut erwägen, über die Sie mich so oft abgekanzelt
haben. Sie können daraus den Schluß machen, daß er's diesmal sehr arg
getrieben hat.^) Und bei diesem Schluß werden Sie nicht irre gehen.
(Seine Frau war übrigens dabei nicht im Spiele.)
Wenn Sie sagen, daß alle diese Ivcute immer nur zu meinen Diners usw.
kamen usw. und hinterher über mich raisonnierten, so kann ich ant-
worten, daß ich von den meisten auch nichts Besseres weder vorausgesetzt
und verlangt habe. Es ist mir das häufig eben ganz recht.
Übrigens ist meine ganze Gesellschaft fast gänzlich erneuert. Sie
würden nur sehr wenige daraus kennen. Fast alles neue Bekanntschaften,
zahlreich genug. Ziegler übrigens hat mich wirklich sehr gern und ist
mit den andern gar nicht zu vergleichen. Dann auch Bucher, der aber
jetzt in London. Die andern würden Sie meistens auch dem Namen nach
kaum kennen.
Meine Reise nach der Schweiz wird sich wahrscheinlich bis zum
Anfang August verzögern. Wahrscheinlich gehe ich nämlich Anfang
Juli nach Dondon — infolge allerlei Erwägungen, Industrieausstellung,
Pflichtgefühl, Dondon einmal zu sehen usw. — bleibe da vier Wochen,
also bis Anfang August, und komme von da nach der Schweiz, wo ich
also in der ersten Hälfte August eintreffe, um bis Mitte September oder
Ende September dort zu bleiben. Wollen Sie das Rüstow sagen. Ich
werde Sie entweder in Zürich sehen oder es ist mir auch recht, auf meiner
Reise ins Engadin, bei der mich Rüstow begleiten will, über Tarasp
zu gehen.
Möglich übrigens — aber nicht wahrscheinlich — daß die Reise nach
Dondon ganz unterbleibt — dann käme ich schon im Juli nach der
Schweiz.
Herwegh sagen Sie, er solle doch wieder einmal an Dingelstedt ^)
schreiben. Ich habe von diesem noch nichts gehört.
Mit den besten Wünschen P Dassalle
P.S. Rüstow — dem ich ebenso wie Herwegh ein Exemplar der
Arbeiterbroschüre schickte — sagen Sie gefälligst folgendes : Er solle das
Möglichste tun, um dieselbe in Massen in den Arbeiterstand zu
bringen. Der Preis ist danach eingerichtet: Dadenpreis 3 Sgr. und für
Vereine oder solche, die Partien beziehen, 2 Sgr. per Exemplar, wenn
^) I^assalle ver.schreibt sich: haben.
-) Siehe oben Nr. 136.
— ■ = 295 =
sie sich direkt an mich oder, da ich ja bald abreise, an Herrn Dittniann
(Nöhringsche Druckerei) Berlin, Prinzenstr. Nr. 27 wenden. (Von der
Verfassmigsbroschüre schrieb ich neulich irrig an Rüstow, sie koste
4 Sgr., der Ladenpreis war 6 Sgr.)
Ob und was Rüstow sowohl in Zürich als Deutschland für diesen
Zweck tun kann, wird er wissen. Eben konnnt Rüstows Manuskript an.
147.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
[Anfang September 1862.] ')
Ich hätte Ihnen gern geschrieben, wenn ich gewußt hätte, wohin
sie adressieren, so will ich Ihnen wenigstens einige Zeilen hier zurück-
lassen und Ihnen sagen, wie sehr ich wünsche und darauf rechne, daß
Sie jedenfalls und recht bald nach Wildbad kommen. Werden Sie denn
nicht, [auch] wenn der Ort auch langweilig, gern eine Zeit mit Menschen
sein, die es am besten auf der Welt mit Ihnen meinen? Vorzüglich nach
mancher schlimmen Erfahrung, die Sie leider wieder in dieser Beziehung
gemacht haben? Ich fühle das Bedürfnis, Ihnen zu sagen, daß ich in
meinem Herzen unverändert für Sie dieselbe bin und bleiben werde, wie
es auch kommen möge, daß keine neue Freundschaften derjenigen, die
ich in so langen Jahren und so bösen Tagen für Sie gehabt, irgend einen
Abbruch tun könnten. Ich reise von hier morgen früh nach Wildbad,
sehr unwohl und tief verstimmt über die Nachrichten aus Italien. Sehr
hat es mich gefreut, daß Sie noch halb und halb manierliches Wetter
zu Ihrer Gebirgsreise hatten, ich hätte Sie nur dabei wieder geniert durch
mein Unwohlsein und schlimmen Fuß, sonst wäre ich herzlich gern mit-
gegangen.
Leben Sie recht herzlich wohl, ich rechne auf baldiges Wiedersehen
in Wildbad.
Sophie.
^) Lassalle befand sich im Juli und bis Anfang August in London. Die Gräfin
verlebte in Rüstows Gesellschaft den August und September in Wildbad. Am
14. August vermutet Marx auch ihn dort (vgl. Bd. III, S. 399). Da aber die Gräfin
hier auf Garibaldis unglücklichen Zug gegen Rom anspielt und auf Lassalles
Schweizer Reise, die diesen noch Knde August in Zürich festhielt, so ist der Brief
der Gräfin wohl von Anfang September zu datieren.
: 296 —
148.
LASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
[Berlin, Sonnabend, 27. September 1862.]
Iviebe Gräfin f
Solange Sie beide in Wildbad, werde ich meine Briefe an Sie und
Riistow nur an Sie richten, da ich es doch im ganzen für überflüssig
halte, die preußische Polizei direkt von Rüstows Aufenthalt zu benach-
richtigen. —
Infolge der in Pforzheim an der Eisenbahn bei der Billettnahme ein-
gezogenen Auskunft entschloß ich mich kurz und schnell zu einer Än-
derung meines Vorhabens und nahm Billett direkt nach Berlin, wo ich
also Dienstag früh anlangte. Ich bin mit dieser Änderung sehr zufrieden.
Denn nach Weimar habe ich geschrieben und Dingelstedt offeriert, von
hier aus hinzukommen, falls er sein Versprechen hält. ^) Wenn nicht,
was sollte ich in Weimar? Höchstens hätte man meinen Aufenthalt dort
auf die kleindeutsche Versammlung bezogen, was mir fatal gewesen
wäre, und jedenfalls war es dann ganz müßig und zwecklos. In Kassel
vollends wollte ich nur bleiben, um nicht in der Nacht in Weimar an-
zukommen, und folglich hätte ich drei Tage umsonst verloren. Ich tat
also viel besser, direkt hierherzugehen, wo ich infolgedessen schon einige
Tage schön arbeite und daher vorläufig in der zufriedenen und guten
Laune bin, die mir tüchtiges Arbeiten nach längerem Intervall für den
Anfang, wenn auch nicht gar zu lange, immer verleiht.
Auch sonst ist die Situation in Berlin in diesem Momente immer
noch etwas interessanter, weil gespannter, als bisher. Gestern fuhr ich
zum Meschores,^) erfuhr aber, daß er infolge der Krankheit eines Kindes
schon seit mehreren Wochen abwesend — auf dem Lande — ist. Spe-
zialissima habe ich also noch nicht erfahren können. Aber schon bei
meinem Eintreffen hierselbst war hier allgemein bekannt, daß die Er-
nennimg von Bismarck-Schönehose ^) schon erfolgt sei, und daß Heydt
seinen Abschied gegeben, weil er als reicher Mann einen künftigen Regreß
auf sein Vermögen bei der Verausgabung nicht genehmigter Posten
fürchtet. — Noch am Tage meiner Ankunft war ich zu einer Art von
1) Siehe oben Nr. 136 und 146.
2) Hebräisch ^= Diener. Wer diese in der Folge häufig genannte Persönlich-
keit war, die Lassalle über die intimen Vorgänge in den Kreisen der Regierung
und der konservativen Partei unterrichtete, ließ sich nicht mit Gewißheit fest-
stellen.
3) Bismarcks Ernennung zum Ministerpräsidenten war am 24. September
erfolgt.
^ - = 297 — —
politischem Souper eingeladen, an deren Spitze mein Adjutant I.oewe ^)
steht, und wo ich auch Waldeck, ^) Taddel,^) vSchulze-Delitzsch "•) und
viele andere Deputierte traf. Ich sah daselbst wieder, daß man in Deutsch-
land keinen schlechten Witz mehr machen kann! Er wird sofort von der
Wirklichkeit ratifiziert oder überboten. Sie erinnern sich, daß ich in
Wildbad bei den Zeitungsgerüchten, Heydt wolle abtreten, sagte: Jetzt
wird Heydt noch ein populärer Heros werden! Richtig, so war's! Das
ganze Philisterium daselbst — nicht Waldeck — schwärmte für Heydts
Ehrenhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit!!!
Von Waldeck, neben dem ich beim Diner saß, ließ ich mir erklären,
wieso die Plenarabstimmung in Ihrer Sache gegen Sie ausgefallen.^)
Die Hauptschuld war der Berichterstatter Kratz, ^) der schon in der
Kommission überstimmt werden mußte. Doch muß ich zuvor noch die
stenographischen Protokolle nachsehen.
Gegen Bismarck-Schönehose ist hier alle Welt natürlich wütend und
oppositionslustig bis zur Krawatte. In der Tat bleibt er, Sie mögen
sagen, was Sie wollen, ein durchaus reaktionärer Bursche und Junker,
von dem nur reaktionäre Versuche zu erwartensind. Das einzige, was ihn
von der gewöhnlichen Kreuzzeitungspartei unterscheidet, ist, daß er
nicht die doktrinäre Konsequenz derselben hat, sondern barock ist!
Er ist barocker Kreuzzeitungsmann. Er wird entweder bloß ein obh-
gates Säbelgerassel beginnen, um durch die Vorschwindlung eines Krieges
die Armeegelder durchzusetzen — man ist aber bereits fest entschlossen,
nicht auf diesen Zopf zu beißen — oder er wird wirklich versuchen,
irgendein ,, unschmackhaftes Gebäck" von reaktionärer Einheit zu-
standezubringen. Aber auf reaktionärem Boden läßt sich die deutsche
Einheit nicht errichten ; dies ist die lächerlichste, barockste Idee von allen !
1) Ludwig Loewe (1837 — 1886), der spätere bekannte liberale Politiker und
Großindustrielle, hatte sich damals mit jugendlichem Enthusiasmus an Lassalle
angeschlossen. In seinen Briefen nennt er sich dessen ,,Sohn" und redet ihn Vater
an. Bekannthch war es Loewe, der kurz darauf die Beziehungen zwischen Lassalle
und den Leipziger Arbeitern herstellte. AusführUches hierfür in der Einleitung
zu Bd. V, der auch Briefe von Loewe an Lassalle mitteilen wird.
2) J.B. Waldeck (1802 — 1870), der Führer der preußischen Demokratie, war
1848 noch immer die vielleicht angesehenste Persönlichkeit der Opposition im
preußischen Landtag.
^) Gustav Ferdinand Taddel (1786 — 1876) vertrat von 1862 bis 1866 als Mit-
ghed der Fortschrittspartei Berlin im Abgeordnetenhaus.
*) Hermann Schulze-Delitzsch (1808 — 1883), der bekannte preußische Politiker
und Volkswirt, gegen den als den Vorkämpfer der Selbsthilfe der Arbeiter Lassalle
bald danach auftrat.
^) Siehe oben Nr. 139, Anmerkung.
®) Der Landgerichtskammerpräsident Franz Joseph Kratz (geb. i8og) war
Mitglied des linken Zentrums.
— ^ 298
Hier glaubt alle Welt an das erste — das bloße Säbelgerassel. Freilich
kann sich daraus forcement ein reales Ereignis entwickeln. ,,Das walte
Gott." Übrigens würde sich gegen die reaktionäre Einheit des Herrn von
Schönehose und gar gegen das Projekt eines Krieges deshalb von
allen Seiten — und mit höchstem Recht —ein noch viel wütendere r
Widerstand erheben als gegen die bisherige reaktionäre Ruhe. Alle
Interessen würden verletzt. Kurz, ich glaube, daß die Schwierigkeiten
für die Regierung jetzt erst recht beginnen, gleichviel welchen Weg sie
wählt und daß Herr von Schönehose der Demokratie einen großen Dienst
erweisen wird, indem er die Situation in eine noch greulichere Verwirrung
bringt, als die, in der sie sich schon jetzt befindet.
Sagen Sie R[üstow] erstens, daß ich vorgestern an Janke geschrieben,
noch keine Antwort habe, ihm noch zwei Tage Zeit lassen und dann auf
die Bude steigen will. Zweitens, daß ich an Streit^) einen ausführlichen
Brief laut Verabredung geschrieben habe.
Lassen Sie sich auf dem Ivcsekabinett die Beilage zur ,, Offiziellen
Kaiserlichen Wiener Zeitung" vom 6. September (Wochenschrift für
Wissenschaft und Kunst) geben. Sie finden da im ter der Überschrift:
,, Julian Schmidt auf der Anklagebank" einen langen, wahrhaft erstaun-
lichen Dithyrambus auf mein Buch. Erstaunlich nämlich, wenn man
bedenkt, daß es die amtliche kaiserliche Zeitung ist, die eine solche
Kritik über mich bringt.
Ihr Diener ist noch ohne Engagement. Wollen Sie ihn wieder nehmen ?
Das ist es, was ich für heute zu schreiben weiß. Viele Grüße an Sie
und R[üstow] und baldige Antwort.
Auf dem neulichen Souper habe ich schon vier Bezirksvereins-
präsidenten Vorträge für diesen Winter zusagen müssen. Wissen Sie
gute Themata? Sie wissen, für mich ist immer die Wahl des Themas,
was mich am meisten quält. Herzlich grüßend
Ihr
F. Iv.
. . . Sonntag abend.
Ich komme aus Wallners Theater und muß Ihnen sagen, daß die
Leute anfangen, erstamilich frech zu werden. Es waren einige Possen,
nicht übel, zum Lachen, mit ganz guten Couplets. Mitten in einer Ver-
höhnung unserer jetzigen Situation, in einem Zusammenhang, der nicht
den geringsten Zweifel darüber ließ, daß mit dem folgenden nur der
König gemeint sein konnte, kamen die Verse vor:
^) Der Rechtsanwalt Fedor Streit in Koburg, der Geschäftsführer des National-
vereins. Briefe von ihm an Lassalle befinden sich im Nachlaß.
=" 299 =
..Wilhelm, Wütrich, Dietrich
auf die Füße treten is nich!"
Unermeßlicher Beifall. Mit großem Beifall wurden auch vStrophen für
Garibaldi und gegen Napoleon aufgenommen. Valete! F. L.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSALLE. (Original.)^)
Neustadt an der Hardt, 11. Oktober 1862.
lyiebes Kind, sehr lange habe ich nichts von Ihnen gehört, und,
Sie mögen es glauben oder nicht, es fehlt mir ungeheuer und tut mir
wie so manche Ihrer Äußerungen ,,über gänzliches Alleinstehen, völlige
Herzensvereinsamung", ,, keine Seele brauchen" sehr wehe. Daß ich
Ihnen nicht fehle, glaube ich gern, aber ich mag sonst haben, was ich
will, Sic werden mir immer sehr fehlen. Daß wir in den letzten Jahren
nicht viel gegenseitig vielleicht zur täglichen Annehmlichkeit unsres
Ivcbens beigetragen haben, ist eine Tatsache; unsre Charaktere sind
grade vielleicht in manchen Dingen zu gleichartig, Sie waren noch viel
schroffer geworden, und mein physisches und moralisches Leiden er-
forderte eine sehr weiche, zarte Hand. Ich wurde immer gereizter, ner-
vöser, mißmutiger, was doch sonst meinem eigentlich von Natur heitern
und im täglichen lieben facilen Charakter fremd ist. Diese schlimme
Wechselwirkung war einmal gegeben und nicht mehr zu entwirren wie
Ursache und Wirkung. Ich habe, glauben Sie mir, wenn Sie es auch nicht
begreifen und ungerechtfertigt finden, auch oft recht schwer daran ge-
tragen, aber ebenso wahr ist es, daß es den eigentlichen Kern meiner
Freundschaft für Sie nicht berührt hat. Und sollten Sie einmal wieder
den Wunsch nach einer wahrhaft befreundeten Seele haben, die Freude
und Ueid, das Ihnen widerfährt, ebenso fühlt wie Sie, so werden Sie
finden müssen, daß Sie nie einen besseren Freund gehabt noch haben
werden als mich. Nun genug der Reden, die Ihnen sentimental erscheinen
mögen .
Ich habe Wildbad, was mir diesmal nicht gut getan hat (ich fühle
mich überhaupt seit länger als einem Jahr sehr herabgekommen) am
7. verlassen und bin nun seitdem hier in [der] Hardt zur Traubenkur,
^) Am I. Oktober hatte die Gräfin an den Rand eines Briefes Rüstows an
Lassalle geschrieben: ,, . . . Wir reisen am 6. znr Traubenkur nach Neustadt.
Vorher schreibe ich noch ausführlich. Schreiben Sie recht bald nach Neustadt
poste restante. Die herzlichsten Grüße. Arbeiten Sie nicht zu viel."
==^==^== 300 —
auf die ich große Hoffnung setze. Die Pfalz ist wirklich ein wunder-
schönes Ivändchen, die Menschen ein lustiges, gutmütiges Völkchen, das
Klima herrlich, es wachsen Massen von Mandelbäumen im Freien.
Außerdem finde ich es wieder bestätigt, daß im verstecktesten und
kleinsten Ort in Süd- und Westdeutschland die politische Bildung und
innere Freiheit um hundert Prozent über den gebildetsten Ivcuten in
Berlin steht. Es besteht überall auch eine Art Organisation und Ver-
bindung über ihre Kreise hinaus; man hat Rüstow und daher auch mich
mit vieler Wärme aufgenommen, es scheinen recht gute Elemente da
zu sein, und Sie können denken, daß ich keine Gelegenheit zur Wühlerei
versäume. Die Versammlung der Vorstände der Turnvereine vom Ober-,
Mittel- und Unterrhein, die am 12. in Heidelberg stattfinden sollte, ist
bis Ende des Monats verschoben. Was die Garibaldisammlung anbe-
langt, so hatte ich Rüstow darüber an Schw[eigert] ^) schreiben lassen,
der uns gestern antwortet, daß die Sache zum Beschluß in der Versamm-
lung erhoben und unverzüglich in Thüringen stattfindet, hier soll es
auch in allen Turnvereinen geschehen. Was nun Garibaldi selbst an-
belangt, so muß man gestehen, daß es ganz unmöglich ist, sich schwächer
und tmgeschickter zu benehmen. Man darf dies freilich nicht eingestehen
und muß ihn behandeln wie eine Geliebte, über deren Fehler man zwar
im Klaren, die man aber trotzdem nicht aufhören kann zu lieben und
daher gegen jedermann verteidigt. Daß das allgemeine Urteil nicht
scharf über ihn ausfällt, hat er, glaube ich, bei Freund mid Feind nur
dem bei weitem überwiegenden Haß gegen die Piemontesen zu verdanken.
Daß seine Expedition, so verrückt sie angelegt war, dennoch in mancher
Beziehung sehr gute Folgen gehabt, die Sache viel weiter gebracht hat,
ist zwar nicht sein Verdienst, aber er ist und bleibt dennoch der unent-
behrliche Mann der Situation und muß auf dem Schild erhalten werden.
Wenn er sich nur jetzt bei der Amnestie ordentlich benimmt und vor
allen Dingen nicht, wie es sein Brief befürchten läßt, nach Amerika
geht. Dann wäre er freilich für alle Zeiten fertig, was ein enormes Un-
glück wäre. Ich bin gerade jetzt besonders böse auf ihn ; es ist nämlich
mit seiner besonderen Erlaubnis ein Tagebuch über Caprera (von
Adolf Stahr übersetzt) von dem ekelhaften Vecchi^) erschienen. Ein
ekelhaftes Buch überhaupt, voll der absurdesten Lobhudeleien und
grade über seine sentimentalen Narrheiten, wo aber folgende Stelle über
Mazzini vorkommt, ,,auch gedenke ich noch eines Briefes, den ein von
^) Über den österreichischen Hauptmann a. D. Ludwig Seh weigert und die
Rolle, die er damals im National verein spielte vgl. Bd. II, S. 273. Vgl. dort auch
seinen Brief an Lassalle vom 15. Januar 1862.
2) Gemeint ist das Buch: Garibaldi auf Caprera, deutsch und eingeführt von
Adolf Stahr. Vgl. hierzu den Brief Rüstows an Lassalle vom 10. Oktober in Bd. V.
" 301
drei Dämonen, Neid, Ehrgeiz und Unfähigkeit besessener Mann
(Mazzini) geschrieben. Mit diesen hatte er sich herausgenommen, die
Pläne des Generals 7a\ kritisieren, der Brief endigte mit einer unver-
schämten Enthüllung seiner Gedanken". Es ist gewiß damit der wunder-
volle, so edle und entsagende Brief gemeint, den vms Madame Mario ^)
gezeigt. Was soll man nun davon denken, daß [Garibaldi] eine solche
Veröffenthchung ausdrücklich billigt?
Die Preußischen Kammern gefallen mir hingegen sehr, sie tun
eigentlich alles, was man kaum erwarten konnte, und auch wirklich alles,
was in der Situation gegeben, möglich und nötig, und halten dabei so
wundervoll abgeschmackte Reden, daß man sich totlachen möchte.
Bismarck ist himmlisch, der vollständige gamin, und wird nun wohl
bald mit dem ,, etwas, was nicht in der Verfassung steht" (diese Rede-
weise von van der Heydt ist doch zu klassisch kindisch) herausrücken.
Rüstow beklagt sich bitter, daß Sie ihm nicht antworten, er wartet
mit Schmerzen auf die schönen Geschichten, die Sie ihm gewiß mit-
zuteilen haben. Es geht ihm übrigens sehr gut, sein Fuß vöUig her-
gestellt, sowie seine inneren, durch lange Qual und Ärger verursachten
I/ciden, seine nervöse Reizbarkeit völlig verschwunden, und er ist heiter
und vergnügt wie ein Kind.
Mein Mantel ist noch nicht angekommen, ich vermisse ihn aber gar
nicht, hier ist es noch völlig warm. Warum konnten Sie nicht länger
bleiben, warum sind Sie nicht hier? Es würde Ihnen in jeder Beziehung
gut sein physisch und moralisch, Traubenkur, schöne Gegend und ein
gemütliches, heiteres Beisammensein. Man kann doch auch zu Zeiten
sich einmal als Privatmensch fühlen. Nun leben Sie wohl, liebes Kind,
schreiben Sie mir recht bald, wie es Ihnen geht, was Sie treiben, die
inneren Vorgänge, wenn Sie Rüstow die äußeren schreiben. Ich will
Ihnen nicht innerlich fremd werden.
Tausend herzlichste Grüße . . .
150.
EASSAELE AN SOPHIE VON HATZFEEDT. (Original.)
Dienstag abend, 14. Oktober [1862].
Eiebe Gräfin!
Ich habe heut Ihren Brief erhalten. Wundern Sie sich nicht, daß ich so
lange nicht schrieb. Ihr habt mir beide so viel zu tun gegeben, daß ich,
wenn meine Arbeiten, die mir gleich Wellen über den Kopf zusammen-
1) Frau White Mario.
schlagen, nicht ganz und gar leiden sollen, wirklich nicht weiß, woher noch
die Zeit zum berichten nehmen. Überdies wird der Bericht selbst zeigen,
warum ich nicht früher schreiben konnte.
Der Garibaldi-Auftrag war mir durchaus nicht angenehmer Natur.
Diese Sache gehört zu denen, von denen ich sehr gern habe, wenn
sie überhaupt geschehen, von andern in die Hand genommen werden,
und bei denen ich mich gern mit Geld oder auch einer Rede beteilige,
die ich aber sehr ungern selbst in die Hand nehme, weil dies eine Tätig-
keit und Zeitverschwendung erfordert, zu der das Resultat in gar keinem
Verhältnis steht. Denn au fond ist damit weder für hier genützt, noch
Garibaldi irgend geholfen. Die Sache gehört zu den ,, sympathetischen
Demonstrationen", wie ich sie nennen will, und nicht zu den aktiven
oder solchen, die eine Krise weitertreiben. Indessen das war noch der
geringste meiner Unlustgründe. Ich hatte noch weit gewichtigere, die
es zu langweilig ist, hier zu entwickeln.
Gleichwohl beschloß ich Ihnen und Rüstow zu lieb, da Sie gar so
dringend schrieben, alle persönlichen Ansichten beiseite zu setzen und
in Ihrem Sinne zu handeln. Nur so viel war klar: Sollten die Samm-
lungen bloß im Privatkreise geschehen, — so kam natürlich weder an
Geld noch Namenzahl irgend etwas der Rede wertes zusammen. Bloß
um sich zu blamieren, unternimmt man doch nichts. Folglich bedurften
wir der Öffentlichkeit. Zu dieser aber hatten wir nicht einmal die er-
forderlichen Zeitungen, sobald die Sache nicht von der Fortschritts-
partei ausging. Und diese wirkte uns sogar entgegen, wenn die
Sache nicht von ihr ausging. Dann aber war im jetzigen Augenblick
nur das kläglichste Fiasko zu erwarten.
Ich sprach mit allen meinen Freunden, Ziegler (der es, mit Unrecht,
für ganz unmöglich hielt), Ludwig lyoewe (meinem Adjutanten, nicht
Calbe), Bleibtreu, ^) Stein usw. usw. usw. usw. usw. darüber. Alle
stimmten — die meisten viel mutloser als ich, denn ich hatte nun ein-
mal den Kopf aufgesetzt, daß es geschehen solle — darin überein, daß
es von der Fortschrittspartei ausgehen müsse. Nun beauftragte ich Bleib-
treu, inmeinemNamen zuDuncker^) zu gehen (denken Sie, wie weitich
ging !) und ihn aufzufordern, die Sache am liebsten in folgender Form in
die Hand zu nehmen : Er solle mit mehreren andern Fortschrittlern usw.
ein Meeting in den Zeitungen einberufen zum Zweck einer Sympathie-
demonstration für Garibaldi, die zugleich als feindselige Demonstration
gegen Napoleon und seinen Kammerdiener Bismarck auftreten sollte;
1) Der Schlachtenmaler Georg Bleibtreu (1828— 1892) lebte seit 1858 in Berlin.
2) Mit Franz Duncker, dem Besitzer der ,, Volkszeitung" und fortschrittlichem
Abgeordneten hatte Lassalle schon im Januar 1861 gebrochen. Vgl. Bd. II, Nr. 128,
S. 235.
— = 303 — =
auf diesem Meeting sollte dauii die Kollekte beschlossen und begonnen
und in den Zeitungen fortgesetzt werden. Mit Duncker hatten wir die
\'olks- und Nation alzcitung.
Bleibtreu ging zu Duncker und kam mit der Nachricht zurück, daß
Duncker verreist sei und erst in vier Wochen, wie es damals hieß, zurück-
erwartet werde.
Blieb mir also nichts übrig, als meinen Adjutanten I^udwig Loewe
zu Schulze-Delitzsch — der auf ihn Rücksicht nehmen muß, weil er an
der vSpitze \'on populären Vereinen steht — mit derselben Kommission
zu schicken. Jetzt begann das Pech. Dreimal verfehlte Loewe den
Schulze, einmal traf er ihn, ohne ihm von irgend etwas sprechen zu
können, so erschöpft war Schulze gerade von Kammeranstrengungen.
Ich mußte inzwischen nach Erfurt reisen, durch telegraphische De-
pesche meines dort wieder krank gewordenen Vaters dahin berufen.
So dauerte das von Freitag vor acht Tagen bis gestern (Montag).
Immerhin war auch Schuld lyoewes dabei, der, von tausend Dingen zu-
gleich in Anspruch genommen, der Sache — dem Aufsuchen Schulzes —
nicht den hinreichenden Grad von Hartnäckigkeit gewidmet hatte. Sie
können aber dafür, aus einem Brief Loewes, den ich bald anführen werde,
schließen, wie ich ihn heruntergeputzt habe. Gestern bei einem kleinen
Diner, das ich gab, erschien Doewe mit der Nachricht, daß er Schulze
wieder verfehlt. Gleichzeitig aber empfing ich von dem soeben zurück-
gekehrten Adolf Stahr die Nachricht, daß Duncker auch gestern zu-
rückgekehrt sei. Ich änderte sofort meinen Auftrag für Loewe dahin um,
daß er heut zu Duncker gehen müsse und dafür verantwortlich sei,
ihn zu treffen. Infolgedessen empfing ich heut beiliegenden Brief Loewes,
aus dem Sie ersehen, daß Duncker nicht abgeneigt ist, sich aber Bedenk-
zeitausgebeten. Ich habe sofort Doewe wieder geschrieben, daß er wieder
zu Duncker (Donnerstag) müsse.
Außerdem habe ich Stahr und heut auch Fanny i) auf Duncker gehetzt.
Außerdem hat mir der Abgeordnete Martiny^) — der einzige an-
ständige Abgeordnete, dem auch mein gestriges Diner eigentlich galt —
versprechen müssen, daß er in seiner Heimat Ostpreußen, wohin er heut
zurückgekehrt ist, die Sammlungen machen und mir Betrag und leisten
übersenden werde.
Außerdem hat mir Stahr versprochen, im Freundeskreise zu sammeln
und die Beiträge zu überbringen.
1) Fanny Lewald (1811 — 1889), die bekannte Schriftstellerin und Gattin Adolf
Stahrs.
-) Einige Briefe des Abgeordneten Martiny-Kaiikelinen befinden sich im
Nachlaß. Er figurierte später als Vertrauensmann des Allgemeinen Deutschen
Arbeitervereins für Ostpreußen.
= 304 ==
Außerdem hat mir Johann Jacoby,^) der mir gestern, grade während
wir bei Tisch saßen, seinen Besuch machte (er bedauert, Rüstow, den er
in Zürich aufgesucht, verfehlt zu haben) [versprochen], daß er in Königs-
bergsammeln werde. Jacoby aber wird wohl seine Beiträge direkt senden.
Wenigstens habe ich mit ihm nicht ausgemacht, daß sie durch mich
gehen sollten.
Außerdem hat lyoewe in seiner ,, Lesegesellschaft" die Sache an-
geregt und da sehr geneigten Boden gefunden.
Soviel hiervon für heut. Nächstens weitem Bericht. — Ungünstig
ist, daß in der Zwischenzeit die Amnestie eingetreten und zweitens, daß
der Ivord Mayor den Vorsitz des Meeting abgelehnt hat (das Gegenteil
würde Duncker sehr gekitzelt haben). Doch denke ich, daß noch irgend
was zustande kommen kann.
2. Affäre Janke • . . ^)
3. Affäre Streit.
Wie bereits gemeldet, hatte ich an Streit einen langen Brief wegen
der Wehrvereine und -Gelder geschrieben. Wie ich von Erfurt zurück-
komme, finde ich einen Brief Streits^) vor, worin er in sehr unbestimmten
Ausdrücken irgend etwas Punkto der Wehrvereine verspricht rmd zu-
gleich anfragt: ob ich es nicht auch für angemessen halte, daß auf der
National-Verein-Versammlung^) ein Beschluß zugunsten [der] Frank-
furter Reichsverfassung ergehe. Er entwickelt ein langes Plaidoyer
hiefür, erklärt aber, doch meine Meinung wissen zu wollen. Zeit war
nicht zu verlieren. Denn zwei Tage drauf sollte die Sitzung schon statt
haben. Ich setze mich sofort hin und schreibe Streit einen drei Bogen
langen Brief, worin ich ihm nachweise, daß dies nur das Tun reaktionärer
Utopisten sei. Der Brief hatte kein anderes Resultat, als daß Streit
nicht für die Reichsverfassmig sprach; wohl aber stimmte er dafür.
Nun, das konnte er vielleicht nicht ändern. Was mich aber in-
digniert hat, ist der schwächliche Beschluß in der Wehrvereinssache
und die Reservierung der Flottengelder für Flottenzwecke. ^) Hier
konnte jedenfalls weiter gegangen werden und resp. will ich mit
Männern eines Vereins, in dem nicht weiter gegangen werden kann.
1) Johann Jacoby (1805 — 1877), der bekannte demokratische Pohtiker, war
durch Adolf Stahr und Fanny I^ewald zuerst auf Lassalle ai;fmerksam gemacht
worden.
2) Es handelte sich hier um Differenzen Rüstows mit dem Verleger Janke.
3) Streits Brief, der vom i. Oktober datiert ist, wird in Bd. V abgedruckt
werden .
*) Der erste deutsche Abgeordnetentag fand am 28. und 29. September in
Weimar statt, die dritte Generalversammlung des Nationalvereins in Koburg.
^) Vgl. hierzu Hermann Oncken, Rudolf von Bennigsen, Bd. I, S. ?o6 ff., 586
u. passim.
= 305 ="
auch nicht das Geringste mehr zu tun haben. Dazu ist meine Zeit viel
zu edel. Ich bleibe Streit herzHch gut, erkläre aber Rüstow, daß ich
jede Verhandlung mit Streit und alles Briefeschreiben an ihn entschieden
für ewige Zeiten verweigere. Wenn Rüstow noch mit diesen Leuten
weiter verhandelt, so hat er einen bessern Magen als ich. Ich will
für alle Ewigkeit, solange sie im Nationalverein sind, nichts mit ihnen
zu tun haben. Und wenn die hiesige Idee glückt (was mir noch sehr
zweifelhaft; es darf beileibe zu niemand davon gesprochen werden),
einen Gesamt-Arbeiterverein für ganz Deutschland mit dem Zentralort
Berlin zu stiften und mich an die Spitze desselben zu setzen, so werde
ich meine Tätigkeit sofort mit einem Akt der Feindseligkeit gegen den
Nationalverein beginnen.
Wenn Rüstow sich einigermaßen die Zeit überschlägt, die ich für
die bisher erwähnten Briefe und Demarchen notwendigerweise verwendet
haben muß, die alle auf Eure Rechnung kommen, so wird er wohl selbst
sehen, daß Ihr mir eine schöne Zeit in Anspruch genommen habt; daß,
wenn ich nicht an ihn schrieb, ich für ihn schrieb; und daß es also
schreiend unbillig von ihm ist, sich über Nichtschreiben zu beschweren
und mir Zug um Zug schreiben zu wollen.
Zudem hat er wenigstens [da] dort in Neustadt doch nicht zu viel
zu tun, arbeitet vielleicht seine vier Stunden im Tage und unterhält
sich dann. Während mir der reine Angstschweiß ausbricht und ich nicht
weiß, wohin ich soll. Hören Sie beispielsweise, was ich seit meiner Rück-
kunft — es war, glaube ich, den 23. oder 24. September — getan habe.
Ich habe den ersten Band von Monteil,^) Histoire des divers Etat^
14. Jahrg. 620 Seiten ausgelesen und ihn fortlaufend mit meinen Noten
begleitet. Ich habe mir dann zu dem sehr wichtigen Buch selbst einen
Index gemacht, der mich über drei Tage (von früh bis Abend) gekostet
hat. Ich habe dann den Darwin 2) zu Ende gelesen, 517 Seiten, von denen
ich erst 150 gelesen hatte, und ihn auch mit fortlaufenden Anmerkungen
begleitet. Ich habe mir dann aus der ,,Historia Universitatis Parisiensis
a Bulaeo"^) (einem alten, für verschiedene Zwecke für mich sehr wich-
^) A. A. Moiiteil, Histoire des Frangais des divers ßtats aux cinq derniers
siecles. XIV. Si^cle. Volume I Paris 1828. Der Band hat übrigens nur 4S2 Seiten.
2) In dem Teil der Lassallesclien Bibliothek, der später in Schönbergs Besitz
kam und jetzt Prof. Bernhard Harms in Kiel gehört, befindet sich mit Strichen
imd Bemerkungen von Lassalles Hand: Charles Darwin, Über die Entstehung
der Arten, übersetzt von Dr. Braun, Stuttgart 1860, vgl. Eduard Rosenbaum,
Ferdinand L,assalle, Studien über historischen und systematischen Zusammen-
hang seiner Lehre, Jena 191 1, S. 16.
3) Bulaeus, Historia Universitatis Parisiensis, Paris 1668, zitiert in: ,,Die
Wissenschaft und die Arbeiter".
M a ver , Lassille-N'ac'iil.iss. IV 20
3o6 — —
tigen Werk von vier Folianten) und aus der ,,Chronique von MonstrelefO
(15. Jahrhundert) schriftliche Auszüge gemacht, sechsunddreißig
Quartseiten von meiner engsten Handschrift. Ich habe dann von
Tookes^) Geschichte der Preise den ersten Band (999 Seiten), den ich
vor meiner Abreise gelesen hatte, kursorisch rekapituliert, um es frisch
im Gedächtnis zu haben, wenn ich jetzt an den vierten Band gehe,
ich habe ferner den ersten Band des Urkundenwerks von Theulet an-
gefangen.
Rechnen Sie das zusammen, so ist es für mich selbst stupend und
wunderbar, wie ich dies in der kurzen Zeit von drei Wochen, bei
starker Korrespondenz und einer Reise nach Erfurt, zusammenarbeiten
konnte. Aber doch sinkt es in ein lächerliches Nichts zusammen, ver-
glichen mit dem, was ich noch zu tun habe. Ich habe, um nur das un-
mittelbarste hervorzuheben, noch drei Bände Monteil, jeden zu ca.
650 Seiten, zu lesen (früher hatte ich nur den fünften Band gelesen).
Ich habe den zweiten Band von Tooke, wieder 880 Seiten, zu lesen.
Ich habe sechs Bände »Schelling,^) die neu erschienen, jeden 7 — 800 Seiten
aufzulesen. Ich habe das fünfbändige Urkundenwerk von Theulet nach-
zulesen. Ich habe zwei neue Bände Louis Blanc,'*) mit denen ich im Rück-
stand, nachzulesen. Ich habe zwei dicke Bände deutscher Chroniken des
Mittelalters, die ich schlechterdings brauche, durchzulesen. Außerdem
umstehen mich aber noch solche Massen ökonomischer, juristischer,
philologischer und philosophischer Nova, daß ich eine Stunde brauchen
würde, sie hier zu verzeichnen. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.
Alle diese Bücher grinsen mich an wie ebensoviele unbezahlte Schuld-
scheine. Alle diese Bücher wollen gelesen sein. Es ist gar nicht möglich,
alle diese Schulden zu bezahlen. Und dabei will ich doch mein ökono-
misches Werk jetzt schreiben und dabei Agitations vortrage ausarbeiten.
Kurz, es ist zum verzweifeln und um entmutigt zu werden. Das
weiß ich, daß, wenn ich wieder auf die Welt komme, ich mir eine andere
Existenz wähle. Das weiß ich auch, daß ich mir eine unmögliche Auf-
gabe gestellt habe und an ihr zugrunde gehen muß. Aber ich will
wenigstens im zugrunde gehen noch zeigen, welche Trümmer man
zusammenarbeiten kann.
^) Lassalle bediente sich dieser Exzerpte aus der Chronik von Engvierraud de
Monstrelet in der Verteidigungsrede: ,,Die Wissenschaft und die Arbeiter" am
16. Januar 1863.
2) Thomas Tooke, A history of prices, war in der Übersetzung von C. W. Asher
1858 und 1859 in zwei Bänden deutsch erschienen.
^) Nach Schellings Tode (1854) waren 1856 bis 1861 seine sämtlichen Werke
in 14 Bänden erschienen.
*) Louis Blanc (181 1 — 1882), der französische Sozialist, der bekanntlich Lassalles
praktische Vorschläge zur Verwirklichung des Sozialismus sichtlich beeinflußt hat.
— --= 307 -^=
Und bei alledem schreibe ich doch noch, wenn ich einmal schreibe,
Briefe, so lang, daß ich eben zum vierten Bogen greife. Freilich habe ich
auch, seitdem ich vpn Wildbad zurück, noch nie über sechs »Stunden
und häufig nur fünf Stunden geschlafen. — Unter solchen Umständen
einem die Briefe nachrechnen, ist kindisch. —
Sie und Rüstow wollen amüsante Neuigkeiten haben. Ich haljc keine,
denn der Meschores ist, wenigstens so viel ich weiß, noch nicht zurück.
Kann also nur erzählen, was alle Welt erzählt, daß nämlich der König
vor Wut eine Uhr zerbrochen haben soll, daß er die Königin in Baden-
Baden gekeilt haben soll und daß der Kronprinz demonstrandi causa
abgereist sein soll (nach Italien) und ähnliches Geschwätz.
Dagegen will ich Ihnen erzählen, was wahrscheinlich beim Wieder-
zusammentritt der Kannner geschehen dürfte. Waldeck beabsichtigt
Steuerverweigerung. Er legt nämlich den betreffenden Artikel so aus,
daß nur die damals bestehenden Steuern (zur Zeit der Verfassung) der
Regierung zu erheben freistehen solle. Ich halte diese Auslegung für
falsch. Abgesehen davon glaube ich, daß keine Majorität für den Beschluß
aufzutreiben sein wird. Und wenn selbst, so glaube ich, daß der Beschluß
ein entschiedener und grober Fehler wäre. Er wäre unausführljar und
würde nur den Sieg der Regierung in die Hand spielen.
Ich habe dagegen einen andern Gedanken gehabt, der, scheinbar weit
weniger heftig, doch viel gründhcher ist und ohne allen Zweifel die
Regierung bezwingt. Wenn nämlich die Kammer wieder zusammen-
tritt und die Militärausgaben, wie natürlich, fortgesetzt worden sind,
erläßt die Kammer einfach folgenden Beschluß:
,,In Erwägung, daß die Kammer damals diese und diese Ausgaben
verweigert hat,
In Erwägung, daß dieselben dennoch auch von dem Tage dieses
Beschlusses ab fortgesetzt worden sind.
In Erwägung, daß somit, und solange mit diesen von der Kammer
gestrichnen Ausgaben fortgefahren wird, die preußische Ver-
fassung eine Uüge ist,
erklärt die Kammer, es für der Volksvertretung unwürdig und für eine
Komplizität an der verbrecherischen Handlungsweise des Ministeriums,
irgendeine Geschäftsverhandlung mit demselben vorzunehmen, so-
lange es sich auf dem Boden des Verbrechens behauptet, und beschließt
deshalb, ihre »Sitzung auszusetzen auf unbestimmte Zeit und auf so
lange, bis die Regierung den Nachweis erbringt, daß die verweigerten
Ausgaben eingestellt worden sind," ^)
^) Diesen Gedanken entwickelte die Rede: ,,\Va.s nun?", die Lassalle am
19. November 1862 als Fortsetzung seiner ersten Rede „Über Verfassungswesen"
in Berlin hielt.
^3o8 -
Wenn die Kammer diesen Beschluß faßt, ist die Regierung lahm-
gelegt. Auflösen ändert die Situation nicht. Die neue Kammer würde
es sofort wieder erklären. Bleibt der Regierung somit nur die Wahl:
nachzugeben oder sich der konstitutionellen Form überhaupt zu be-
geben; absolut weiter zu regieren.
Dies aber ist unmöglich. Folglich würde die Regierimg nachgeben.
Dann aber stünde es erst recht schlimm für die Demokratie. Denn dann
würde eine Versöhnung sein und ein Jubel tmd ein Stolz und eine Freude,
und die Kammer wäre so froh, aus dem Konflikt endlich herausgekommen
und so herausgekommen zu sein, daß die Regierung tun könnte im
übrigen, was sie will.
Gleichwohl muß man darauf wirken, daß die Kammer diesen Be-
schluß faßt. Der Gedanke desselben kam mir neulich, als ich mit Bucher
in Stadt Ivondon aß, wo viele Abgeordnete waren. Ich gab diesem Ge-
danken sogleich Worte. Mehrere Abgeordnete gingen mehr oder weniger
schnell auf denselben ein. Ich habe seitdem noch manche Abgeordnete
gesprochen und bin auf mehr oder weniger geneigte Aufnahme ge-
stoßen. Bei manchen auch — z. B. bei Herrn von Hennig,^) den ich heut
bei Stahr sprach — auf Bedenklichkeiten. Aber, so schwer es den Herren
auch wird, Gefahr zu laufen, keine Kammer- imd Fraktionssitzungen
zu halten, so halte ich es doch für nicht unmöglich, daß der Beschluß
durchgeht. Denn etwas müssen sie doch tim, und — und das ist die
Hauptsache — der Beschluß verwickelt sie in keine Händel mit dem
Staatsanwalt, ist ohne jede Gefahr.
Ich werde jedenfalls suchen, eine höllische Agitation für diesen Be-
schluß loszulassen in der Zwischenzeit.
Sie wollen von meinem innern IvCben hören? So weit es nicht mit
Wissenschaft und Revolution zusammenhängt, habe ich einstweilen
alles innere lyeben auf unbestimmte Zeit aufgegeben. Das hat seine guten
und seine bösen Seiten. Keinesfalls ist dem abzuhelfen. —
Neuigkeiten : Frau Duncker, die sehr krank ist und sich in Thüringen
befindet, geht nach Dürkheim zur Traubenkur. Madame Olivier^) — die
s<:höne junge Frau, die Schwester der Bülow — ist tot. Wochenbett-
folgen . . .
Mit vielen Grüßen an Sie und Rüstow
Euer F. U
1) Julius Karl August von Hennig (geb. 1822) gehörte dem I^andtag mit ge-
ringen Unterbrechungen von 1852 bis 1875 ^^- Anfangs zählte er sich zur Linken,
dann zur Fortschrittspartei, am Ende zu den Nationalliberalen.
2) Frau Blandine Olivier, die Gattin des späteren französischen Ministers des
Auswärtigen, Emile Olivier. Lassalle hatte noch kürzlich die Bülows um eine Ein-
führung an sie gebeten.
= 309
Von Herbertz habe nichts gehört.
P.S. Rüstow soll jedenfalls die Broschüre^) schreiben. Es ist sehr
not. Ich fürchte noch immer: für zweijährige Dienstzeit wird transi-
giert. Ich werde sehen, ihm die stenographischen Berichte zu
schicken.
2. P.S. Mein Prozeß '^) will noch immer nicht von der Stelle. Man zieht
ihn hin. Rüstow soll sehen, mit Meyer und Zeller zu kontrahieren und
noch vor entschiedener Sache, so schnell wie möglich, Abdrücke zu
veranlassen.
3. P.S. Ihre Absicht, 250 Rt. für die Garibaldisache zu zeichnen, ist
übertrieben. Die Sache ist nur eine Demonstration. Mit 250 Rt.
zu demonstrieren, ist Ihren Vermögensverhältnissen nicht angemessen.
Was wollen Sie denn geben zu reellen Unternehmungen ? Ich werde
Sie daher nur mit 50 Rt. in die leisten aufnehmen. Ja, wenn es prak-
tische Zwecke hätte, dann das zehnfache!
151-
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. Original.)
Breslau, Mittwoch, 22. Oktober [1862].
Iviebe Gräfin:
Was soll ich Ihnen sagen ? Gestern mittag 2 Uhr bekam ich eine De-
pesche, nach Breslau zu kommen. Um 4 Uhr fuhr ich noch zu Riem,^)
mit dem ich eine lange Konferenz hatte und den ich genau instruierte.
Um 10 Uhr reiste ich mit der Eisenbahn nach Breslau. Ich sollte
meinen Vater, meinen guten guten lieben Vater, nicht mehr lebend
finden.
Ach, was soll ich Ihnen sagen!
F. Iv.
^) Wilhelm Rüstow, Die preußische Armee und die Junker erschien noch 1862
in Hamburg bei Otto Meißner.
^) Erst am 16. Januar 1863 durfte Lassalle sich vor dem Berlhier Kriminal-
gericht wegen der Anklage rechtfertigen, ,,die besitzlosen Klassen zum Haß und
zur Verachtung gegen die Besitzenden öffentlich aufgereizt zu haben." Seine
Verteidigungsrede ,,Die Wissenschaft und die Arbeiter" erschien in der Tat bei
Meyer & Zeller in Zürich.
') Anwalt der Gräfin in Berlin.
- 310 —
152.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Heidelberg, 26. Oktober 1862.
Liebes, gutes Kind.
Soeben erhalte ich Ihren Brief vom 22., denn er hat mich in Heidel-
berg, wo ich eben eintreffe, erwartet. Wie soll ich Ihnen sagen, wie tief
ich mit Ihnen fühle? ich weiß ja, wie lieb Sie Ihren Vater hatten, wie er
Ihre menschlich wärmste Herzensseite war. Trostgründe imd Zuspruch
sind da nicht angebracht. Wie soll ich Ihnen aber auch sagen, wie un-
endlich wehe es mir tut, grade jetzt nicht bei Ihnen zu sein, und noch
mehr, nicht einmal überzeugt zu sein, daß Sie es noch wissen, daß ich
Ihr bester Freund bin und immer sein werde, daß nichts in der Welt
Sie von Ihrem Platz bei mir verdrängen kann? Ich bitte Sie dringend ,
geben Sie mir gleich Nachricht, wie es Ihnen, wie es Ihrer Mutter geht,
wie lange Sie in Breslau bleiben, wie es Ihnen innerlich und äußerlich
geht. Schreiben Sie nach Neustadt an der Hardt, wo ich alle meine
Sachen gelassen und wohin ich morgen zurückkehre.
Ich brauche nicht zu sagen, über mich disponieren Sie ganz. Wenn
ich irgend etwas zu Ihrer Erleichterung, Ihrem Trost beitragen könnte,
wäre ich glücklich. Leben Sie herzlich wohl, ich muß den Brief sofort
absenden.
Die besten herzlichsten Grüße an Sie und Ihre Mutter.
In großer Eile und recht wahrer Betrübnis
Ihre Freundin.
153-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, 4. November 1862.
Liebe Gräfin!
So bin ich denn seit einigen Stunden wieder in Berlin zurück, o wie
vereinsamt, verödet im Herzen! Die Existenz fängt an, eine fahle,
aschgraue Farbe für mich anzunehmen, und alles nähert sich der Gleich-
gültigkeit. Sie allein wissen, was er mir war, Sie allein können vielleicht
ganz ahnen, wie es innerhch bei mir aussieht! Nicht der Schmerz ist das
Schlimmste. Den werde ich niederleben, obgleich er heut, nachdem ich
vierzehn Tage in Breslau geblieben imd dort einigermaßen zur Ruhe
gekommen war, bei dem Eintritt in mein Zimmer, bei dem abschließen-
den Rückbhck auf das, was ich verloren, heftiger und greller vielleicht
311
als im ersten Augenblick bei mir ausbrach. Aber das Schlimmste ist, daß
man innerlich abstirbt, abstumpft! Für wen sollte ich mich denn jetzt
noch gar lebhaft freuen, wenn mir etwas Gutes passiert? P'ür wen mich
lebhaft betrüben und zur Wehr setzen gegen das Schlimme? Er ver-
folgte und bedeckte mich mit seiner Liebe und war in der letzten Zeit
der einzige, der Leben und Empfindung brachte in die Apathie meines
persönlichen Daseins.
Ach, Gräfin, was habe ich verloren! Was habe ich denn noch? Ich
weiß, vSie sind mir gut, und ich bin Ihnen gewiß noch besser als Sie mir.
Sie sind mir trotz allem und allem noch immer die liebstePerson geblieben,
die ich noch habe. Aber das alte Verhältnis zwischen uns ist dahin und
wnrd und kann nie wiederkehren. Und jetzt ist auch e r dahin. Ich komme
mir selbst vor, wie vergangen und gewesen. Ich bin alt geworden.
Ach, Gräfin, verzeihen vSie mir, wenn ich Ihnen das Herz schwer
mache. Aber ich kann nicht anders. Sie sind die einzige Person, Sie
wissen es, vor der es mir gegeben ist, mich zu zeigen, wie ich bin, und mein
Gefühl auszuschütten. Und ich würde viel darum geben, wenn Sie in
diesem Momente hier wären, um mich eine Stunde mit Ihnen auszu-
weinen.
Ich danke Ihnen wie Rüstow vielmals für Ihre schönen und herz-
lichen Briefe. Meine Mutter dankt Ihnen gleichfalls mit vieler Liebe
und schüttelt Ihnen die Hand. Aber warum haben Sie mir seitdem nicht
mehr geschrieben ? Das war unrecht. Sie konnten sich sagen, daß ich
unmöglich in der Verfassung war, zu antworten und daß eine zweite
Zuschrift von Ihnen mir Freude gemacht hätte.
Ich habe mir ein Andenken an den Verstorbenen von der Mutter
für Sie geben lassen. Es ist der kleine goldene Becher, in welchem er
Ihnen noch selbst in Wildbad auf dem Wege von Calmbach Wasser aus
dem Quell schöpfte und entgegenbrachte. Er steht vor mir. Wenn Sie
herkommen, werde ich ihn Ihnen geben, und Sie werden mir versprechen,
ihn immer wert zu halten. Er hat es um Sie verdient, der Tote ! Er war
Ihnen stets so gut wie einer Tochter. Sie wissen, wie er stets auf Ihren
Wink gewärtig stand. Er liebte Sie nicht nur um meinetwillen, er ver-
stand vSie und achtete Sie auf das Höchste.
Ostern nehme ich meine Mutter zu mir, die ja in Breslau zur ein-
samen Tränenweide werden würde. Meine Schwester wird wahrschein-
lich in zwei bis drei Wochen auf ein Jahr herziehen. Sie grüßt Sie gleich-
falls auf das wärmste.
Ist es überhaupt Ihre Absicht, in diesem Winter nach Berlin zu
kommen, so wäre es freilich schön und freundlich, wenn Sie baldmög-
lichst kämen. Aber verstehen Sie mich wohl : Ein Opfer von vier Wochen
früher herzukommen, falls Sie überhaupt auch ohne Rücksicht auf mich
312 — —
herkommen wollen, nehme ich an. Wenn Sie aber sonst überhaupt nicht
hergekommen wären, so tun Sie es beileibe nicht meinetwegen. Es
würde mich dies nur quälen. Denn Sie haben nicht soviel Glück genossen
in Ihrem Leben, daß Sie davon zu verschenken haben, und war es Ihre
Absicht, mit Rüstow in Zürich oder sonstwo zu bleiben, so kann ich
Ihnen dieses Opfer nicht ersetzen.
Rüstow schüttle ich vielmals und herzlich die Hand. Sein Brief zeigt
in jedem Worte sein wahres und warmes Gefühl für mich. Er wird mir
nicht zürnen, wenn ich seine Angelegenheit bis jetzt ruhen lassen
mußte . . .
154-
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, i8. Dezember 1862.
. . . Ihren Brief habe erhalten. Die Akte mit meinem Schwager habe
geschlossen imd meine Schwester sehr gut gestellt. Nur in ganz un-
wesentlichen Kleinigkeiten habe ich nachgegeben. Dagegen habe ich
mir allerdings viel vergeben müssen. Nämlich ich habe ein für allemal
auf meine Ansprüche wegen des Prager Geschäfts verzichten müssen,
so daß ich nicht mehr hiergegen ankam. Das ist viel, denn ich hätte
eine Vergleichsumme von 40 000 Rt. mindestens so gut wie Szarbinowski ^)
von ihm ertrotzt. Inzwischen hätte er sonst wegen der Schwester nicht
nachgegeben, und ich war allein, wollte der Ruhe schaffen, für mich
Ruhe haben und arbeiten können. Und so habe ich es getan. Wären Sie
dagewesen, so hätte ich es wahrscheinlich nicht getan. Aber Sie mußten
ja fortgehen und so war ich allein und verstimmt und wollte Ruhe haben.
Hol's der Teufel!
Neulich schrieb mir die Herwegh, ich solle jetzt j a schleunigst das
Gedicht in der ,, Reform" abdrucken lassen. Das tat ich denn mm, indem
ich einen Artikel dazu schrieb ,, Aspram onte und die Poesie", so ein
kleines Brimboriumgeschwätz, ^) dessen Schluß auf Garibaldi berechnet
1) Ein langer Brief I,assalles an den Breslauer Rechtsanwalt Szarbinowski vom
3. Mai (1863), der sich mit diesen Familienauseinaudersetzungen befaßt, befindet
sich im Nachlaß. Lassalle bedient sich dort gegen seinen Schwager Friedland der
schärfsten Ausdrücke. So schreibt er z. B. : Schlagen Sie mir, ich bitte und beschwöre
Sie, die Kanaille an den Galgen, erwürgen Sie ihn in einem Prozeßnetz von eisernen
Maschen, ich werde zeitlebens Ihr dankbarster Schuldner sein . . . Seine Zeit,
schreibt Lassalle hier, sei ganz anderen Dingen gewidmet; lieber als sich selbst auf
Aktenstudien einzulassen, verzichte er ,,auf Geld und Gut und selbst auf Rache" !
2) Vgl. dazu Lassalles Brief an Herwegh vom gleichen Tage. Lassalles Aufsatz
wurde neu abgedruckt in Ferdinand Lassalles Briefen an Georg Herwegh, Zürich
1896, S. 53.
313 =
ist. Ich schicke Ihnen heut zwei Exemplare davon unter Kreuzband,
eins für Sie und Rüstow, das andere lassen Sie Garibaldi zukommen.
Rüstow kann es ihm ja schicken. Sie müssen auf der Post auf dem
Bureau für Journale fragen, das oft von dem für Briefe getrennt ist.
Meine Schwester ist jetzt in Prag, kommt nach i. Januar her. Ihr
Schwiegersohn und ihre Tochter haben sich scheußlich gegen sie be-
nommen. Um so mehr wollte ich ihr in Ruhe eine Existenz sichern.
Oft schreiben werde ich Ihnen nicht. Erwarte aber viel Briefe von
Ihnen. Sie haben eine Reise zu Ihrem Vergnügen angetreten, Sie sind
fortgegangen, nicht ich, der ich dasitze, mir die Knochen abarbeite oder
mich ennuyiere. Da kömmt nicht auch noch die Arbeit des Schreibens
auf mich, sondern auf Sie. Zumal meine Briefe immer so lang werden.
Aber je häufiger Sie schreiben, desto lieber ist es mir. Das Politecnico
habe empfangen. Hier ist alles überaus langweilig, und ich möchte mich
hängen vor ennui ! Suchen Sie mir in Italien eine schöne Frau ! Das würde
mich allein vielleicht noch etwas zerstreuen!
Ihr
F. Lassalle.
155.
LASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, 24. Dezember 1862.
Gute Gräfin ! Es ist Weihnachtstag. Ich bin soeben mit allen Vor-
bereittmgen erst fertig geworden und habe nun noch zwanzig Minuten,
dann kommt Bucher. Aber ich muß Ihnen heute noch schreiben, um
Ihnen zu sagen, wie leid es mir ist, Sie ferne zu sehen, und wie lieb ich
Sie habe. Es geht mir sehr schlecht. Innerlich. Ich bin weich geworden
und wie eine Tränendrüse, ich, der ich nie eine Träne weinen koimte !
Der Schlag mit meinem Vater scheint mich wirklich aufgeweicht zu
haben und wie ausgetauscht. Ich habe all die Tage, wie ich die Ge-
dichtchen machte für meine Freunde, mit denen ich die Geschenke
begleite, geweint, in einem fort, denn ich dachte immer an den Weih-
nachtsabend in Düsseldorf, wo ich Ihnen das Tierreich aufbaute mit
Verschen, und wie ich jetzt noch viel einsamer geworden bin! Nun
gut! Amüsieren Sie sich wenigstens aufs beste und schreiben Sie doch
mindestens häufiger! Noch immer habe ich keinen Brief aus Genua^)
von Ihnen. Wenn Sie immer nur Zug um Zug schreiben wollen, so wird
die Korrespondenz sehr dünn werden! Ich habe so viel zu tun, Sie gar
nichts !
^) Die Gräfin hielt sich in Rüstows Begleitung in Genua auf.
- 314 =
Heut abend sind bei mir Bucher, Loewe, Pritzel, Ziegler und Marie. ^)
Was ist das alles, da Sie fort sind ! Wehmütig schaue ich auf den dummen
Weihnachtsbaum. Adieu ! Eben kommtmein ,, Was nun ?" an. Ich schicke
zwei Exemplare für vSie und Rüstow. Ihr
F. lyassalle.
156.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSAivLE. (Original.)
Genua, 24. Dezember 1862.
Liebes Kind,
ich habe Ihnen zweimal von unterwegs ein paar Worte geschrieben, haben
Sie es nicht erhalten? und hoffte sicher, hier einen Brief von Ihnen
[hier] zu finden, aber warte leider bis heute vergebens auf Nachricht.
Heute, wo ich ganz besonders an Sie denke, muß ich Ihnen doch wieder
trotz Ihrer Vernachlässigung schreiben. Heute abend, wenn Sie Ihre
Freunde um sich versammeln, darf der beste nicht dabei fehlen, und ich
bin in Gedanken, davon seien Sie überzeugt, bei Ihnen ; so wie am Neu-
jahrsabend, an dem Sie wohl diesen Brief haben werden. Ach, liebes
Kind, wir mögen uns noch so viel gezankt und entzweit haben, so viel
steht mindestens fest, daß wir uns gegenseitig für andre verdorben haben ;
und das große Unrecht, das wir begangen haben, zu glauben, daß eine
solche Vergangenheit und Freundschaft und Vertrauen sich beliebig
zerreißen und vernichten lasse, mußte sich wenigstens vorübergehend
rächen.
Ich bin denn endlich hier angekommen nach einer beschwerlichen
Reise, ich mußte mich in Basel einen Tag, in Genf einen und in Turin
nach einer beschwerlichen Passage des Mont Cenis, halb im Wagen,
halb im Schlitten, zwei Tage ausruhen. Hier, wo es recht kalt ist, und
Sie kennen die italienische Art der Heizung, nachdem ich schon zweimal
Wohnung gewechselt wegen der Kälte, habe ich wieder einen meiner ge-
wöhnlichen Grippe anfalle. Es ist, das sehe ich immer mehr ein, ein
positiver Wahnsinn, den Winter im Norden Italiens zuzubringen. Wenn
man etwas von dieser großen Reise haben will, muß man wenigstens nach
Neapel oder Palermo gehen ; aber ich kann mich jetzt nicht entschließen,
noch weiter zu gehen. Auch in politischer Beziehung ist alles hier
wenigstens ebenso tot und langweilig wie bei uns, eigentlich noch mehr,
da bei uns wenigstens die avancierteste Partei theoretisch arbeiten
kann und sich der Erfolge erfreuen. Diese Partei existiert hier noch
1) Ein junges Mädchen aus dem Modegeschäft von Gerson, mit dem Lassalle
damals in intimen Beziehungen stand. Briefe von ihr befinden sich im Nachlaß.
315 =--—
gar nicht; sogar Bertani,^) den ich in Turin sprach, der mich über die
verschiedenen Parteistellungen bei uns befrug, [befrug] mich mit einiger
Besorgnis, ob es denn doch wohl ohne alle unmöglichen sozialistischen
Utopien wäre. Hier verstehen sie das noch nicht einmal. Was nun
ihre eigenen Angelegenheiten anbelangt, so scheint alles, de Boni^)
sah ich auch, sehr decouragiert und sich zu der Meinung bekehrt zu
haben, daß nichts zu tun sei, als sich im Inneren zu organisieren, und
daß an eine revolutionäre Bewegung nur nach außen kaum zu denken
und, wenn es geschähe, nicht an das Gelingen zu glauben.
Über Garibaldi widerspricht man sich sehr. Bald sagt man, seine
Popularität habe gar nicht gelitten, er könne 150000 Mann haben, so-
bald er wolle, dann wieder, er würde nie ernstlich wollen, er sei auch
nicht Politiker genug, um eine solche Bewegung nur leiten zu können,
qu'on cro^^ait que c'etait un homme fini visw. Bertani, der mir persönlich
zwar besonders freundschaftlich war, aber im allgemeinen viel gemessener,
ich glaube wegen Rüstow, dessen Buch^) er jetzt gelesen und wütend
darüber sein soll, wie de Boni sagte, war noch hoffnungsloser als dieser
für die nächste Zukunft. Aber auch de Boni sagte, daß stark daran zu
zweifehl, trotz aller enthusiastischen Demonstrationen, daß, wenn
Garibaldi auch seine letzte Expedition ernstlich genommen hätte, das
ganze Volk dem Impuls in genügendem Maß gefolgt sein würde ; diese
entmutigende Überzeugung habe Garibaldi selbst. Auch sagte er, daß
die Komödie von Aspromonte, nämlich sich nicht im Notfall schlagen
zu wollen, nicht im Gedanke[n] und Entschluß von Garibaldi selbst her-
stamme, sondern sie sei ihm von vornherein als Bedingung von seinen
Hauptleuten gestellt worden. Dies würde natürlich die Beurteilung für
ihn ändern ; nur begreift man doch nicht, wie er sich darauf eingelassen.
Im übrigen fehlt es ihm auch jetzt nicht an den enthusiastischsten
Demonstrationen; seine Reise von Pisa nach Divorno, wo er sich nach
Caprera eingeschifft, war ein wahrer Triumphzug; an jedem Fenster
hängt sein Bild unzähligemal, und Ihnen zu zeigen, wie weit man das
treibt, schicke ich Ihnen hierbei eine Photographie seines Stiefels und
seiner Kugel. Es gefällt mir nicht, daß er nach Caprera geht. Bertani
ging so weit, zu sagen, es wäre gut, wenn er nach England ginge,
um sich dort etwas zu retrempieren ! Rüstow ist wie in allem so auch
1) Agostino Bertani (18 12 — 1886), 1860 Generalsekretär der provisorischen
Regierung in Neapel, später Führer der radikal-republikanischen Partei im italie-
nischen Parlament.
2) Filippo de Boni (18 16 — 1870), republikanischer italienischer Schriftsteller
und Parlamentarier, Redakteur des ,,Popolo d'Italia" in Neapel.
^) Rüstow hatte in seinen Erinnerungen aus dem Feldzuge von 1860, Leipzig
1861, sich recht abfälhg über Bertani geäußert.
■ — — 3i6 —
in der italienischen Sache ganz decouragiert, will sich um nichts
kümmern usw.
Was mich aber auch weit mehr interessiert, ist, zu wissen, was Sie
anfangen, Nachrichten von Ihnen zu haben. Es beunruhigt mich
wahrlich, so lange nichts zu hören. Haben Sie weitere Fatalitäten mit
Ihrem Schwager gehabt? Warum schreibt mir Ihre Schwester nicht,
wie sie es versprochen, gleich zu tun. Sagen Sie ihr das mit vielen Grüßen,
lyiebes Kind, schreiben Sie mir, so oft Sie können, sagen Sie mir, wie es
Ihnen geht, sprechen Sie mir von Ihrer Tätigkeit, mit der sich niemand
so identifiziert als ich. Eine wahre Herzensfreude ist es mir immer,
Sie anerkannt imd Ihre Erfolge zu sehen. Sagen Sie auch an lyoewe, er
soll mir schreiben, mir Nachricht von Ihnen geben ; er hatte mir ver-
sprochen, seine Berichte anstatt an Bertani direkt, an mich zu adres-
sieren, damit ich auch au courant der Sachen bleibe. Schreiben Sie mir
nur recht oft, und seien Sie überzeugt, daß, wenn Sie an mich denken,
•Sie mich immer auf halbem Wege begegnen. Ich bin krank innerlich mid
äußerlich. Nun leben Sie herzlich wohl, liebes Kind, ich hätte noch
vieles auf dem Herzen, was ich sagen möchte, sich aber nicht gut
schreiben läßt, weil es sich nicht ganz so schreiben läßt, wie man es
meint, und mißverstanden wird.
lyeben Sie nochmals herzlich wohl, ich bin so imwohl und so kalt,
daß ich nicht weiterschreiben kann. Schreiben Sie ja recht bald. Grüße
an alle, die sich meiner erinnern. Adresse Genua, poste restante.
157-
SOPHIE VON HATZFEivDT AN IvASSALIvE. (Original.)
Genua, 28. Dezember 1862.
Endlich, liebes gutes Kind, gestern einen Brief von Ihnen, der,
Gott weiß wie, acht Tage gebraucht hat, mir zuzukommen. Ich habe
mich recht sehr gefreut über Ihre glückliche Entdeckung, den Wechsel
der Blocks betreffend, ich kann es nicht leugnen, daß ich eine große
und doppelte Freude haben würde, diesen Kerlen einen Teil Ihres
Raubes wieder zu entreißen und dann dieses Geld ganz anders und besser
anwenden zu können . . . Sehr und fast ganz ist mir indessen dieser
Hoffnungsstrahl in einer Sache, die mir schon so viel Kummer bereitet
hat, verbittert worden durch die Nachricht, die Sie mir geben, daß
Sie auf alle Ihre Ansprüche an Friedland zugunsten Ihrer Schwester
verzichtet haben !!^) Ist dies wirklich wahr und gar nicht mehr zu re-
^) Siehe oben Nr. 154.
= 317 — ^=
dressieren? Sie hatten mir so sicher versprochen, es nicht zu tun!!
Ich hatte Sie so sehr darum gebeten, es nicht zu tun. Welche Mittel
konnte denn Friedland haben, Sie zu solcher Nachgiebigkeit zu bringen ?
Hatte er die Mittel, sich zu widersetzen? Und wenn denn nun Ihre
vSchwester etwas weniger bekommen hätte, hat sie denn solch absolutes
devouement verdient? Und noch dazu sagen Sie, wenn ich dagewesen,
hätten Sie es nicht getan; das ist sehr hart und ungerecht, denn Sie
wissen recht gut, daß es nicht meine Schuld, daß ich nicht da war, daß
mich Arrangements und Versprechen banden, die ich unter Verhält-
nissen eingegangen, wo ich den Aufenthalt in Berlin nicht wünschen
konnte, und nicht ohne die schlimmsten Folgen und größte Ungerechtig-
keit rückgängig zu machen waren. Wäre ich nicht wirklich am lo. in
Basel eingetroffen, wäre Rüstow entschieden am ii. nach Berlin
[gereist]. Sie sagen, Sie langweilen sich in Berlin und fühlen sich ein-
sam; ich kann nur sagen, daß, wenn ich hätte dableiben können, ich
mich nicht gelangweilt hätte. Wir leben hier in der vollständigsten Ein-
samkeit. Am Weihnachtsabend hatten wir einen Simulacre von Weih-
nachtsbaum, auf den ich recht wehmütig geblickt habe und an die vielen
denken mußte, die wir zusammen erlebt und oft trotz unsrer Verlassen-
heit, und Einsamkeit freudig zuzubringen wußten. Ach, liebes Kind,
man lernt alle Tage, und so habe ich auch jetzt gelernt, einsehen, wie
schwer es Ihnen manchmal geworden, welche mouvements d'impatience
Sie hatten über meine Morosität, mein dumpfes Hinbrüten, wenn ich
auch noch immer der Meinung sein muß, daß das gänzliche Wegleugnen
der Ursachen, die Verhinderung jeder Expansion und Klage [nicht]
die richtigen Mittel waren, und daß etwas mehr Eingehen darauf,
etwas Nachsicht und Teilnahme und dann Versuche zur Aufrichtung
und Erheiterung wirksamer sein würden. Rüstow hat noch weit mehr,
als es bei mir der Fall war — und ich glaube gewiß nicht mit mehr
Grund, denn er leidet jedenfalls weniger lange — , ein verdüstertes und
durch die Ungerechtigkeit des Schicksals, Nichtanerkennimg, Unmög-
lichkeit [Gelegenheiten], sich zur Geltung zu bringen, seine unglückliche
Ehe, die ihn äußerlich wie innerlich in eine ihm ganz unangemessene
Lage bringt, ein ganz verbittertes Gemüt, unzufrieden mit der Welt,
mit sich, mit allem. Es ist unendlich traurig mitanzusehen in einem
so guten, so fähigen und tüchtigen Menschen und ihm nicht helfen zu
können. Er ist mir so attachiert, wie es nur möglich ist, glaubt, nicht
mehr leben zu können ohne mich, aber Erheiterung kann ich ihm doch
nicht geben. Ich sage Ihnen dies, liebes Kind, unter dem Siegel der
tiefsten Verschwiegenheit und bitte Sie, nie etwas davon merken zu
lassen und diesen Brief gleich zu verbrennen. Nun leben Sie wohl,
liebes Kind! Wenn Sie mir auch nicht viel schreiben, so schreiben Sie
— 3i8 —
oft, Sie macheu mir dadurch große Freude. Lassen Sie mir durch
Ivoewe Details über Ihr äußeres Tun und Treiben, Ihre pohtische Tätig-
keit schreiben, daß ich au courant bleibe. Vorzüglich daß ich gleich
alles über Ihren Prozeß erhalte und Ihre Rede und Broschüren be-
komme, lycben Sie wohl! Die allerbesten, allerherzlichsten Grüße!
158.
SOPHIE VON HATZFEivDT AN IvASSAI.I.E. (Original.)
Genua, i. Januar 1863.
lyiebes Kind, heute ist Neujahrstag, und das erstemal seit vielen
Jahren — denn auch im vorigen Jahr, obgleich entzweit, waren wir doch
beisammen — sind wir weit entfernt. Gestern abend waren wir allein,
ich und Rüstow soupierten zur Feier des Tages, und Schlag zwölf Uhr
wurde ein Glas Champagner getrunken. Wie lebhaft habe ich da an Sie
gedacht, vSie mir vorgestellt in der Umgebung, die ich voraussetze,
gewiß zahlreicher und bruyanter wie die meinige, und auch mit dem
Glase in der Hand und auch an mich denkend, nicht wahr? Wie lebhaft
sind nicht alle Wünsche, die ich für Sie habe, für die Erreichung Ihrer
Zwecke, für die Anerkennung, die Sie verdienen, für Ihre Sicherheit
dabei, Ruhe und Freude Ihres Uebens, und daß Ihr Herz, das durch
einen harten Schlag aus der Vereinsamung durch absichtliche Ver-
steinerung geweckt wurde, nicht wieder darin verfallen möge, daß unsre
Freundschaft, die durch eine harte Probe gegangen, sich als das, was
sie ist, als unauflöslich und beiden unentbehrlich erkannt — , wie lebhaft
sind alle diese Wünsche an mir vorübergegangen! Ich weiß nicht, ob
Sie das ebenso lebhaft fühlen als ich, Sie sind so sehr ein Teil meiner
selbst geworden, ich bin mit allem Denken so mit Ihnen identifiziert, daß
ein solches Verhältnis nur durch den Tod wirklich getrennt werden
kann. Ihre Broschüren habe erhalten und, obgleich ich sie ja schon
kannte, sofort wieder mit neuem Vergnügen gelesen. Es ist wie ich
sagte, unser Denken ist ein gleiches und identifiziertes geworden. Ich
glaube, alles, was Sie gefunden, würde ich innerlich auch gefunden
haben; wenn ich es nur dann auch ausdrücken könnte. Ich möchte gern
die beiden Broschüren ins Italienische übersetzen lassen, nur sind zwei
Hindernisse; das erste, äußerliche ist, daß ich hier absolut niemand
kenne, Mario^) ist auch nicht mehr hier, der mir jemand dafür nach-
^) Alberto Mario stand an hervorragender »Stelle auf dem linken Flügel der
italienischen Einheitsgesellschaft .
= 319 ^^=
weisen könnte, alsdann glaube ich, d. h. ich weiß, daß hier noch nie-
mand ä la hauteur dieses Standpunktes ist, nicht einmal die In-
telligentesten, die wie auf eine überwundene, gefährliche Utopie darauf
quasi herabsehen. Es ist wahr, man mag sich noch so sehr, wenn man
dort, über die Dummheit und Tatlosigkeit der Deutschen ärgern, in
der Fremde und im Vergleich lernt man sie theoretisch recht hoch
schätzen und weiß, daß eine Zeit kommen muß, wo man stolz sein
wird, ein Deutscher zu sein. Übrigens höre ich und sehe ich jetzt hier
gar nichts als durch die Zeitungen, die weiß Gott noch viel schlechter
als die unsrigen sind. Ihre auswärtigen Nachrichten und politischen
Räsonnements darüber sind von einer kindischen Ignoranz. Es ist jetzt
entschieden weit größere politische Bewegung bei uns als hier; die
Kammern sollen am 14. zusammenkommen, und ich erfahre hier so gut
wie nichts. Zwingen Sie doch, da Sie so wenig Zeit haben, Loewe, mir
zu schreiben; er hatte es so sicher versprochen, mir Rapport über Sie
abzustatten und sonst mir die Berichte für Bertani einzuschicken,
damit ich sie erst lesen kann. Es ist sehr unrecht von ihm, daß er es
nicht tut.
Schreiben Sie mir doch, welches Wetter bei Ihnen, damit ich mich
etwas tröste über das hiesige, wenn Sie furchtbare Kälte und Schnee
haben. Hier sind manchmal (selten) Tage wie im Sommer bei uns,
glänzendster Sonnenschein und dann wieder kalter Wind, Nebel, Regen
und, was am schlimmsten, das Unkomfortable der Zimmer, was, wenn
man immer zu Hause, sehr lästig. Ein sehr alter Bekannter, der aber
übermorgen waeder nach Nizza geht, hat mich zufällig gestern hier auf-
gefunden, Chevalier Uanzoni. Wenn er mich so verändert gefunden,
wie ich ihn ! Was ich machen M^erde, ob ich weiter reise, weiß ich noch
gar nicht, ich glaube, die Macht der Schwerkraft und Inertie und der
Gedanke, daß soviel für die Rückreise gewonnen, wird mich hier fest-
halten, obgleich es in keiner Beziehung hier schön und ich, glaube ich,
von meiner Passion für Genua jetzt mich kuriere. Was mich schon jetzt
sehr beunruhigt, sind die Berichte und was ich davon auch gesehen,
von dem furchtbaren Schneefall im Norden und in der Schweiz, so daß
jetzt schon die Eisenbahnen zwölf Stunden lang dort unterbrochen
waren. Wie und wann kann ich wieder über die Alpen? Diese Scheide-
wand, die einen verhindern kann, beliebig jeden Augenbhck zurück-
zukehren, ist eine große Nachtseite dieser Reise, wenn man nicht ein
absoluter Held ist.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, die allerbesten, herzhchsten Grüße.
Ich schicke hier eine Photographie Bertanis, die Sie noch nicht haben,
und die allerneueste Garibaldis, für die er selbst Sfesessen.
— 320
159-
IvASSAIvI^E AN vSOPHiK VON HATZFEIvDT. (Original.)
Berlin, 8. Januar 1863.
Gute, liebe Gräfin!
Ihre lieben Briefe erfreuen mich sehr und tun mir wahrhaft wohl,
obwohl sie auch wehmütige Gefühle in mir erwecken. Warum kommt
Ihnen alle Einsicht und alles Verständnis dessen, was ich so häufig
voraussah und voraussagte, immer erst, wenn es zu spät ist? In diesen
einen Satz faßt sich beinah die ganze Geschichte unserer Beziehungen
und Erlebnisse, im großen wie im kleinen, zusammen! Ich habe einmal,
wie Kassandra, das zweite Gesicht! Ich sehe mindestens die meisten
Dinge klar und deutlich im voraus — aber es nützt mir ebensowenig,
wie es der Kassandra geholfen. Die Leute glauben mir nicht mehr als
ihr, und vSie selbst gleichfalls nicht. Immer erst — zu spät ! J e t z t schreiben
Sie mir, Sie fühlten erst recht deutlich, wie wir uns gegenseitig für die
andern verdorben haben. Ich habe das lang im voraus gewußt! Er-
innern Sie sich, wie wir Marx^) nach Potsdam begleiteten und das Ge-
spräch scherzhaft darauf kam, daß Sie mir entführt werden sollten, und
ich lachend sagte, es könne mir nichts Besseres passieren, als daß Sie
mir auf ein Jahr entführt würden? Denn während Sie jetzt ewig über
mich klagten und mit mir unzufrieden seien, würden Sie dann erst
einsehen, wie ich doch der Beste für Sie sei und viel besser als alle
anderen! Sie nahmen das damals halb übel. Bei mir aber war es nicht
Scherz, sondern klares Voraussehen.
Sie glaubten es nicht — jetzt sehen, jetzt fühlen Sie es. Und Ihre
Briefe sind, ohne daß Sie es wollen, eine Variation auf dies Thema. Sie
glaubten es nicht ! Sie gingen — ich kann es jetzt sagen, da Sie wissen,
daß ich Ihnen auch nicht das geringste Ressentiment bewahrt habe —
unverantwortlich in Italien mit mir um. Mailand, und besonders
Genua! Ich habe eine stolze Seele, und es wird bei mir immer ein Punkt
kommen, wo das Gefühl der empörten Gerechtigkeit und Würde alles
andere überwiegt. Ich habe die Kraft, mir alles selbst aufzuerlegen, was
einmal sein muß — und ich lebe ja nur von dieser Kraft-! So brach
ich mit Ihnen — und ich mußte es tun, und so sehr ich mit Ihnen aus-
gesöhnt bin, so werde ich immer stolz und zufrieden damit sein, daß
ich damals das tat und es zu tun die Kraft hatte! Was es mich kostete
— davon haben Sie mindestens damals keine Ahnung gehabt! Sie
gingen einer neuen Freundschaft entgegen, Sie waren notwendig mehr
oder weniger getröstet tmd ausgefüllt, wie man es immer ist, wenn man
^) Karl Marx war im März 1861 Ivassalles Gast in Berlin gewesen.
— 321 —
sich eine neue Seele erobert hat! Ich aber ging zurück einsam in die
Vereinsamung, brechend mit einer sechzehnjährigen Vergangenheit, mit
einem Wesen, dem ich meinen ganzen innern Menschen hingegeben, mit
dem ich mich in der absolutesten und innigsten Weise total, total
identifiziert hatte!! Alles Eis der Alpen, während wir diesen Alpen-
übergang machten, war warmer Sommer gegen das Eis in meinem
Herzen! Aber Sie wissen es aus den Prozeßjahren her, ich werde wie der
indianische Wilde nicht mit der lyippe zucken, und wenn ich am Marter-
pfahl stehe! Ich hatte die Kraft, mir anzutun, wozu Sie zum Beispiel
bei Gelegenheit Pauls nicht die Kraft hatten; ich brach und ging, als es
so weit gekommen war, daß ich indigniert war und sein mußte. Ich
war indigniert — aber ich war Ihnen weiter gut. Ich betätigte das
zum Beispiel durch die Strafe, die ich in diesem Moment selbst an der
Herwegh vollzog. Aber ich brach und ging ! — Denken Sie sich, denken
Sie sich, wenn Sie es vermögen — aber keine Phantasie vermag es —
wie vor mir, dem Einsamen, als ich hier ankam in meinem einsamen
Zimmer, die Trümmer meiner Existenz herumlagen. Kein Mensch hörte
von mir eine Klage ! Ich fraß und würgte, wie immer, alles nach innen,
imd Sie selbst haben auch seitdem keine gehört und hätten keine ge-
hört, wenn Sie mich nicht durch Ihre Briefe zu einem Gefühlserguß
gezwungen. — Ich brach zur Rettung meiner Würde, was unvermeidlich
war. Aber ich bewahrte Ihnen das alte Wohlwollen. Ich versöhnte mich
in Zürich mit Ihnen, ohne Anstrengung Ihrerseits zu verlangen. Ich
versöhnte mich mit Ihnen für Sie — denn ich ging fort, ohne irgend
etwas für mich von Ihnen zu fordern, ohne zu wissen, ob Sie je zu mir
nach Berlin zurückkämen, ob jemals wieder etwas von Ihrer Existenz
auf mich kommen würde ! Ich versöhnte mich mit Ihnen rein um Ihre t-
willen. Ach ja, ich habe Sie immer sehr geliebt, und so anmaßend das
klingt, ich glaube wirkhch nicht, daß irgendein Mensch so vieler Güte,
Liebe und Aufopferung fähig ist, wie ich Ihnen bewiesen habe. Ich
versöhnte mich, damit Ihnen nicht das unangenehme und schmerzliche
konfliktvolle Gefühl bliebe, mit mir gebrochen zu haben, damit Sie zu
der sonstigen Befriedigung Ihres dortigen Daseins auch noch die Be-
friedigung, nicht im Zwist mit mir zu sein oder in Kälte, haben möchten,
und ich ging weg, der Einsame in meine Einsamkeit, die bald durch den
Tod desjenigen, den ich außer Ihnen allein noch liebte, noch größer
werden sollte!
Ich begreife, daß Sie jetzt erst begreifen, was ich Ihnen war und
wie ich zu Ihnen war, und daß ich mehr getragen, als Sie damals wohl
glaubten. Es scheint, daß Sie jetzt erst einsehen, wie Morosität auf
Umgebung wirkt und welche übermenschliche Geduld ich darin aus-
geübt! Denn, Beste und Liebste, was war und ist aller andern Menschen
Maver, Lassalle-Nachlass. IV 21
— 322
Morosität gegen die Ihrige ! Und ein Mann trägt dies noch weit schwerer
als ein Weib ! Und ich hatte noch während der Zeit immer zu kämpfen —
während der Prozeßzeit nach außen und nachher in gewaltigen theoreti-
schen Arbeiten — und zu beiden braucht man gleich sehr die Seele
frisch ! Unter Ihrer Morosität in der Prozeßzeit li tt ich unendlich — aber
ich nahm sie Ihnen gleichwohl nicht einen Augenblick übel! Ich
fand sie zu natürlich und gerecht! Es war Ihre ganze Existenz, um die
es sich handelte. Übel nahm ich sie Ihnen erst später von 1858 ab, als
Sie wegen des Öhlmühlenverlustes^) in eine noch größere Morosität
gerieten. Für ein Stück Geld durfte nicht meine ganze unsterbliche
Seele so hiugequält werden und auch Ihre nicht! Sehen Sie jetzt, mit
welcher Gleichgültigkeit ich meinem Schwager eine ebenso große
und noch größere Summe wie jene — und mir bleibt keine wirklich
gesicherte Existenz wie Ihnen — hingeworfen habe, um mir nicht Zeit
und Seele mit Prozeßärger aufzureiben? Oh, ich würde niemals den
Mut haben, mir um meinetwillen den zehntausendsten Teil des
Ivcides zuzufügen, das ich mir um Ihretwillen so oft und so gern zu-
gefügt habe.
(Bis ins Kleinliche und Spaßhafte geht dies zu späte Einsehen
dessen, wie sehr ich recht hatte. Ich sagte Ihnen nach acht Tagen : Genua
ist kein Klima im Winter; ich hatte es Ihnen im voraus gesagt. Aber
Sie zehrten von, ich weiß nicht welchen, Traditionen und wollten nicht
nach dem Süden und verdarben sich und mir jenen Winter und ver-
derben sich auch noch den jetzigen, jetzt endlich Ihren Irrtum ein-
sehend.)
Da sitze ich arme Kassandra und lächle mir den bittern und weh-
mütigen Trost zu, daß ich immer alles im voraus gewußt habe und weiter
wissen werde und daß es mir nie etwas geholfen hat und niemals helfen
wird! Denn alles ,,zu spät" ist in der Regel ,,zu spät", und selten sind
die Götter so freundlich, eine Umkehr zu erlauben!
So müssen Sie nicht glauben, daß, wenn Sie jetzt alles einsähen so
gut wie ich, eine Umkehr, ein Ungeschehenmachen so leicht sei. Schwer-
lich würde es möglich sein. Die objektiven Verhältnisse würden sich
widersetzen, werden fortfahren es zu tun, wie sie es schon jetzt tun.
Ungeschehenmachen ist nicht so leicht wie unterlassen ! Rüstow ist ein
zu guter und gediegener Mensch, um keine Rücksicht auf ihn zu nehmen,
^) I/assalle meint die Verluste, die die Gräfin bei der Firma Diivves & Co.
in Köln erlitt. Sie hatte in Höhe von Rt. 60000 Aktien von ihr übernommen,
um sich für den gleich hohen Verlust zu decken, der sie bei dem Zusammen-
bruch des Hauses Siegheim & Block, dessen Nachfolge Düwes antrat, getroffen
hatte.
= 323 -===
nachdem er sich einmal so au Sie angeklammert hat! vSo wird mir nur
eine Hälfte, ein Vierteil Ihres Jahres bleiben. vSo von Ihiu-n verlassen,
werde ich mir vielleicht, um doch jemand zu haben — wenn der
Zufall mir hülfe, ein günstiger, so wäre dies nach meiner jetzigen
Stimmung leicht denkbar — irgendeinen Menschen, eine lyebensgef ährtin ,
die für mich da sein soll, suchen. Die steht dann wieder meinerseits
mehr weniger zwischen mir und Ihnen, und so erwachsen denn aus allen
objektiven Verhältnissen Folgen und Folgen und verketten sich, und
sehr selten nur trifft es sich, daß etwas bleibt wie nicht geschehen, ohne
reale Spuren!
Das Vorstehende wird Ihnen meine recht wehmütige Stimmung
vielleicht klar genug machen. Auch dies, mir ein Weib zu suchen, haben
Sie mir sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Denn freilich
haben Sie mich durch Ihre großen Vorzüge verdorben für andere Weiber.
Wo soll ich ein Weib finden, das mir Sie ersetzt!
So werde ich einsam bleiben, mein lieben unter harter Arbeit zu
Ende hämmern und quälen, und welches ist meine Befriedigung für alle
Arbeit und Qual?!!
Sie sehen alles, was mich betrifft, in zu hellem, günstigen Ivicht!
Sie sprechen von einer geräuschvollen Gesellschaft, die ich Sylvester
gehabt haben werde: Allerdings, es waren zwölf Personen, aber ich
glaube, Sie waren in Genua doch besser dran — denn Sie hatten Einen
wirklichen Freund bei sich!
Was meine Erfolge betrifft, so scheinen Sie mikroskopische Gläser
in den Augen sitzen zu haben. Es ist wahr und unleugbar, mein eherner
Tritt fängt an, langsam, langsam, aber unverwischbare Spuren zu hinter-
lassen und Erfolge leise, leise zu erringen ! Aber Gott, wie langsam geht
das, ehe aus diesen lumpigen Anfängen irgend etwas wird ! Es ist wahr,
ich gewinne, so sehr sich alle mit vereinten Kräften gegen mich stemmen,
ich Einer gegen alle, beständig mehr Terrain! Aber soviel wie eine
Schnecke ! Es wird einmal ein Resultat haben — aber wer weiß, welche
Reihen von Jahren noch vergehen, bis ich einen wirklichen Erfolg habe!
Sie wissen, ich habe Ihnen ja schon letzthin mein Schicksal voraus-
gesagt! Schon ist mein Vater tot, für den mich Erfolg freute, und wahr-
scheinlich, ehe ein wirklicher Erfolg eintritt, sind Sie auch schon tot —
und für wen soll er mir da und was soll ich damit?
Meine Seele ist matt und müde! Nirgends eine Befriedigung, in der
man sich baden kann ! Sie wissen es, Sie kennen mich so lange ! Ich bin
weniger egoistisch als irgendeiner! Sie haben mich sechzehn Jahre lang
sehen idealistischer als vielleicht irgendeiner rein im Allgemeinen und
für das Allgemeine leben. Allein, nach so langen und harten sechzehn-
jährigen Kämpfen, nach so schweren Arbeiten, die in der äußern Welt
324 ==
immer keinen Stein von der Stelle rücken, sucht man, älter werdend,
endlich nach einer Befriedigung für sich, und wenn man da auch keine
findet und die noch verloren hat, die man besaß — ei nun, dann halst
man sich von neuem die Arbeitslast wieder auf den Buckel und trägt
fort und fort, aber es ist eben ein Sackträgerdasein, das man führt!
Genug davon! Bin andres Bild!
Gehen Sie nach Palermo ! Jedenfalls ! Es ist ja eine Reise von wenigen
Tagen! und hindert Sie durchaus nicht, zum April zurück zu sein. Denn
das bitte ich mir aus!
Geben Sie mir doch Ihre Adresse! Denn die Poste-restante-Briefe
liegen gewiß tagelang, ehe sie in Ihre Hände kommen. Am Weihnachts-
tag schrieb ich Ihnen einen Brief, ^) den Sie Neujahr — als Sie Ihren
letzten schrieben — noch nicht hatten. Ebenso schickte ich Ihnen —
außer den Broschüren, die Sie haben — zwei Exemplare der ,, Berliner
Reform" mit dem Herweghschen Gedicht und einem Aufsatz ,,Aspro-
monte und die Poesie" von mir. Die werden Sie auf dem Journalbureau
der Post fordern müssen.
Mein ,,Was nun?" macht großes Aufsehen. Die ,, Kreuzzeitung" hat
zwei lange I^eitartikel darüber gebracht, natürlich feindlich, aber mit
höchster Anerkennung, mich ganz und gar von dem Fortschritts-
gesindel \mterscheidend.2) Ich kann sehr zufrieden damit sein. Dagegen
tun die ,, Volkszeitung" und die ,,National-Zeitung" nach wie vor nicht
den Mund auf darüber (die Fortschrittler sind in einer namenlosen
Wut). Bei dieser Gelegenheit hat Ziegler neulich ein zu klassisches Wort
zu Zabel in einer zahlreichen Gesellschaft gesagt, als daß ich es Ihnen
nicht treu — avec permission — wiederholen sollte. Er sagte ihm vor
allen Hörern: ,,Sie gehen seit Jahren systematisch darauf aus. Lassalle
totzuschweigen. Sie glauben, wenn Sie nicht von ihm sprechen, so können
Sie ihn niederhalten. Aber das ist gerade so, als wenn sich ein altes Weib
mit dem A — auf den Karlsbader Sprudel setzte und ihn dadurch nieder-
halten wollte, während sie sich dabei doch nur den A — verbrennt."
Sie können sich das Entsetzen denken, um so mehr, als Zabel selbst
die Wahrheit davon recht gut fühlt. Ziegler kam ganz glücklich über
sein Wort gleich damit zu mir gelaufen, und wir haben den ganzen Abend
darüber gelacht.
Am i6. des Monats ist mein Prozeß. Ich werde dreinschlagen, daß
es wettert. Wer diese stolze Rede liest, der hat keine Idee, wie mir inner-
lich zumute ist! Der Gerichtshof, durch das öffentliche Gerücht schon
benachrichtigt, daß ich eine immense Rede halten werde, hat einen
^) Siehe oben Nr. 155.
2) Vgl. ,, Kreuzzeitung" 3. und 6. Januar 1863. Der erste Artikel war ,,Was
nun? — ", der zweite ,,Wohl nicht" überschrieben.
— ^ 325 — =
ganzen Tag von neun Uhr abfür mich angesetzt, während sonstimmer
vier bis sechs Sachen auf einen Vormittag anstehen. Der Gerichtshof,
wie ich höre, freut sich aus purer Neugierde selbst schon gar sehr darauf,
mich reden zu hören. Die Freude soll ihm gründlich werden!
Die italienischen Nachrichten, die Sie geben, sind freilich schlecht.
Immerhin sind die hiesigen noch viel schlechter. Auf die Länge der
Zeit ist es zwar gerade um so besser, je mehr sich die Kammer blamiert!
Und sie wird sich schauderhaft blamieren. (Die ,, Kreuzzeitung" sagte
ganz richtig und offen : Sie rechne darauf, daß der Kreisrichter doch viel
lieber in der Residenz sich amüsieren und seine Diäten nehmen, als mit
Herrn Lassalle Prinzipien reiten werde !) — Mit dem Meschores habe ich
dringend wegen Rüstows Amnestie gesprochen. Ersagtemir, daßer, wenn
erwieder im Amte sei^in seinen früheren — , es durchsetzen zu können
hoffe, daß er aber bis dahin nicht den dazu erforderhchen Einfluß habe . . .
Meine Schwester ist seit dem 3. Januar hier und grüßt Sie herzlichst.
Ihr Umgang ist ein sehr geringes Vergnügen für mich. Ihre Unter-
haltung usw. ist nicht nach meinem Geschmack. So dusele ich hin ! Wenn
Sie imd Rüstow hier lebten, so würde ich mich wohl fühlen, jetzt aber
ist es so, daß nur, wenn ich mich in der Arbeit vergesse, ich von Degout
und Überdruß frei bin . . .
Nun leben Sie wohl, beste und einzige Freundin, gehen Sie nach
Palermo, das wird Sie amüsieren und erschwert jadie Rückreise nicht,
sondern verlängert sie nur um einige Tage. Wie können Sie sich denn
Ende März vor dem Schnee fürchten, über den Mont Cenis gehend?
Da ist ja gar nicht die Rede davon I Daß Sie nur vor allem Anfang April
hier sind, darauf verstehe ich keinen Spaß! Sagen Sie mir das in jedem
Ihrer Briefe, damit ich darüber beruhigt bin. Bucher läßt sich Ihnen
vielmals und bestens empfehlen. Sie wissen, es steht ganz fest, daß ich
Juni oder Juli mit ihm in die Hochalpen reise. Alle meine andern Freunde
grüßen gleichfalls. lyoewe hat versprochen, Ihnen zu berichten. Er hat
freilich schauderhaft viel zu tun. Dieser Brief ist wieder so lang und eng
geschrieben, daß man sechs solche wie Ihre aus ihm machen kann!
Adieu, adieu! Ihr F. Lassalle.
160.
LASvSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Berlin, 20. Januar [1863].
Gute Gräfin!
Sie beschweren sich in Ihrem letzten Briefe an mich vom 9. Januar
und in dem an Anna vom 13. Januar, daß Sie keine Briefe von mir er-
halten. Ich begreife das nicht ! Ich habe Urnen bisher in den vierzig Tagen
— 326 —
Ihrer Abwesenheit drei Briefe geschrieben, einen bald nach der Abreise/)
einen am Weihnachtstage 2) auf den Sie mir eigentlich gar nicht geant-
wortet) und einen etwa am 8. Januar,^) drei Bogen lang, so klein und
eng geschrieben, daß er wie fünfzehn Bogen von Ihrer Hand war. Ich
schrieb darüber bis drei Uhr nachts. Haben Sie den nicht bekommen?
Auch habe ich noch keine Antwort, ob Sie die verschiedenen Zei-
tungen erhalten haben, nämlich i. zwei Exemplare des Aspromonte-
Gedichts und Artikels (,, Berliner Reform"), 2. ein Exemplar meiner ersten
Erklärung in der , .Vossischen Zeitung" und der ,, Berliner Reform" gegen
die ,, Volkszeitung". ^)
Gleichzeitig mit dem Gegenwärtigen schicke ich Ihnen femer:
1. meine zweite Erklärimg gegen die ,, Volkszeitung" (infolge der Ant-
wort derselben),^)
2. einen humoristischen Artikel der ,,Kreuzzeitmig"^) darüber,
3. meinen Brief an die ,,Kreuzzeitrmg" über mein Verhältnis zur
,, Volkszeitung".')
Diese Polemik hat der ,, Volkszeitung" wirklich vielen Schaden
getan. Ich habe diesmal das ganze Publikum auf meiner Seite gehabt,
wie Ihnen schon die ,, Kreuzzeitung" zeigt. Auch andere, rheinische
Blätter usw., haben sich dabei für mich erklärt, und der Unwille hier
über die ,, Volkszeitung" war größer, als ich vermutet hatte. Ihnen
wird die ganze Geschichte sehr angenehm sein. — Kommt nun meine
Affäre vom 16. Januar! Ich weiß nicht, ob Sie den vorläufigen Aus-
gang wissen, der — mehr als ich geglaubt — eine ziemlich allgemeine
Entrüstimg in der Stadt hervorgerufen hat! Vier Monate Gefängnis!
Dennoch habe ich den glänzendsten Sieg gefeiert und eine
wichtige Schlacht geschlagen! Der Gerichtshof war nämlich schon
ganz entschlossen hingekommen, mir das Wort abzuschneiden.
1) Siehe oben Nr. I54.
2) Siehe oben Nr. 155.
3) Siehe oben Nr. 159.
*) Am 10. Januar hatte die ,, Volkszeitung" in einem ,, Überspanntheit und
Abspannung" überschriebenen Artikel gegen Lassalles ,, Was nun?" polemisiert,
ohne ihn zu nennen. Dennoch erwiderte ihr Lassalle in der ,, Vossischen Zei-
tung" vom 13. Januar in einer vom 10. Januar datierten ausführlichen Zuschrift.
*) Die Erklärung steht in der ,, Vossischen Zeitung" vom 15. Januar und ist
vom 14. Januar datiert.
*) In der ,, Kreuzzeitung" vom 16. Januar: Der Artikel ist — n gezeichnet
und überschrieben; ,, Lassalle contra Volkszeitung."
^) In der ,, Kreuzzeitung" vom 18. Januar protestierte Lassalle in einem vom
16. Januar datierten Brief dagegen, daß er jemals mit der ,, Volkszeitung" politisch
übereingestimmt habe. Er habe nur mit deren Besitzer Franz Dimcker in einem
persönlichen Freundschaftsverhältnis gestanden.
— 327 =
Der Präsident unterbrach mich gleich bei der ersten Äußerung, die
ganz inoffensiv war, (dies erste Inzident ist in der ,, Vossischen Zeitung"
ziemhch gut wiedergegeben) mit der Drohung, mir das Wort zu ent-
ziehen. Alle Augenblicke kamen diese Unterbrechmigen und Drohungen,
wohl acht- bis neunmal. Aber ich siegte in diesem Kampfe, der vier
Stunden währte, vollständig. Ich zwang sie, das Gift bis zum letzten
Tropfen zu verschlucken. Ich zeigte ihnen, was ,, freie Verteidigung"
heißt. Das eine Mal, als mich der Präsident unterbrach und erklärte,
er werde mir das Wort entziehen und es meinem Verteidiger über-
tragen, erwiderte ich ihm: ,,Das werden Sie nicht! Wenn Sie mir das
Wort entziehen, so werde ich es meinem Verteidiger entziehen und mit
ihm den Saal verlassen. Üben Sie dann die Gewalt in der Form der Ge-
walt. Aber den bloßen vSchein einer Verteidigung werde ich nicht
dulden. Frei wird sie sein oder gar nicht." (Das Inzident fehlt leider
in der ,, Vossischen Zeitung".)
Dies machte den Präsidenten stutzig. Er ließ mich jetzt lange und
imunterbrochen [sie!]. Endlich bei der Stelle: ,,Bin ich der wissenschaft-
liche Prügeljunge des Staatsanwalts?" entzog er mir definitiv das Wort.
Ich appelliere sofort an den Hof, verlange Beschluß darüber, ob mir
das Wort entzogen werden könne, und zunächst hierüber zum Worte
zugelassen zu werden. Der Staatsanwalt protestiert dagegen; das Wort
sei mir entzogen, ich dürfe gar nicht mehr sprechen. Ich: ,, Welche
Konfusion der Begriffe. Der Präsident hat mir das Wort entzogen. Ich
habe einen Beschluß des Hofes darüber provoziert. Diesen Beschluß
kann der Hof nicht fassen, ohne mich zuvor darüber gehört zu haben.
Ich verlange darüber zu plädieren, ob mir das Wort zu entziehen sei."
Der Präsident, wütend eine Feder zerstampfend und unter den Tisch
werfend: ,,Der Angeklagte hat das Wort darüber, ob ihm das Wort zu
entziehen sei." Der Staatsanwalt protestiert dagegen, daß ich über
irgend etwas anderes spräche. Ich: ,, Beruhigen Sie sich gänzlich, ich
werde bei der Stange bleiben." Ich: ,,Zwei Einreden habe ich zu er-
heben ; die erste ist die, daß, wenn ich auch den Staatsanwalt beleidige,
Sie deshalb doch durchaus nicht das Recht haben, mir das Wort zu ent-
ziehen. Der Art. 134 gibt nur dann das Recht, den Angeklagten aus den
Debatten zu setzen, wenn er durch ungebührliches Betragen die Fort-
setzung der Verhandlungen stört, nicht wegen Beleidigung des Staats-
anwalts. Wegen dieser kann mich derselbe besonders verfolgen. Das ist
sein Recht — nicht aber, mir wegen derselben die Wahrnehmung meines
Rechtes abschneiden. Zweitens aber hat der Staatsanwalt und Ihr Prä-
sident sehr irrige Ansichten über das, was eine Beleidigung des Staats-
anwaltes bildet. Zu respektieren brauche ich ihn nicht und schonen
werde ich ihn nicht (Der Staatsanwalt erhebt sich von neuem, gegen
=^ 328 =
diese Beleidigung protestierend). Ich werde mich streng auf der äußer-
sten Grenzhnie seines und meines Rechtes halten ; und dies besteht darin,
daß ich ihn nicht beleidigen werde. Wann ist eine Äußerung eine Be-
leidigung gegen den Staatsanwalt? Nur dann, wenn dieselbe Äußerung
auch gegen einen Privatmann eine Beleidigung wäre. Denn eine be-
sondere Ehre hat er nicht. Es gibt keinen Gesetzartikel, welcher sagt,
dies oder dies sei eine Beleidigung für einen Staatsanwalt. Er darf also
nicht empfindsamer sein als jeder andere, und nur was für jeden andern
eine Beleidigung wäre, ist auch für ihn eine solche. Und nun setzen Sie
den Fall : ich hätte in einer literarischen Kontroverse gegen einen Privat-
mann gesagt: ,Bin ich Ihr wissenschaftlicher Prügeljunge?' und der-
selbe wollte vor Ihrem Tribunal eine Klage wegen Injurien gegen mich
erheben. Sie würden ihn mit Lachen abweisen!"
Der Präsident, nachdem er zur Rechten und I^inken mit den Bei-
sitzern leise gezischelt: ,,Der Hof gibt dem Angeklagten das Wort
zurück."
(Dies Inzident ist in der ,, Vossischen" nur angedeutet.)
So behauptete ich denn das Wort siegreich bis zuletzt und habe
keine Schärfe fortgelassen. Ihnen alles zu erzählen, würde mich zwanzig
Bogen kosten! Auf solche Dinge muß man verzichten, wenn man fort
ist. Das Publikum — Arbeiter waren nicht da, aber ein sehr gebildetes
Publikum, dreißig bis vierzig Menschen, Ziegler, Stahr, Förster, Korff,^)
eine Menge Richter, Rechtsanwälte, der Staatsanwalt Schelling^) usw.
Ich habe selbst bei lyeuten, die mir durchaus nicht zugetan, allgemeine
Bewunderimg erregt. (Freihch fehlt es auch nicht an entgegengesetzten
Stimmen: es sei mir ganz recht geschehen; solche Unverschämtheit
gegen einen Staatsanwalt sei noch nicht dagewesen usw. usw.) Am Abend
besuchten mich noch viele und in den folgenden Tagen, zu gratulieren,
zu kondolieren usw. Korff — der in seiner Uniform wacker aushielt —
schickte mir einen Lorbeerkranz. Gedichte wurden mir eingeschickt.
Kurz, es war im ganzen ein nicht nutzloser Kampf, — Das vorläufige
Resultat sind vier Monate. Ich werde appellieren, noch einmal wieder in
ganz andrer Weise, am Kammergericht, endlich am Obertribunal! Muß
ich sitzen, werde ich erst im Oktober sitzen. Keinesfalls früher, um mir
meine Reise nicht zu verderben!
1) Baron von Korff, Kürassieroffizier, Schwiegersohn des Komponisten Meyer-
beer.
2) Hermann Schelling (geb. 1824) Sohn des Philosophen Schelling, Staats-
anwalt beim Berliner Stadtgericht, späterer preußischer Justizminister. Lassalle
hatte bekanntlich vor Gericht den Philosophen gegen den Staatsanwalt, den
Vater gegen den Sohn ausgespielt,
= 329 =
Ich schicke Ihnen hierbei noch
4. und 5. die beiden Nummern der ,, Vossischen" über den Prozeß.
(Der Bericht der ,, Nationalzeitung" war ganz verstümmelt und
schlecht; der der , .Vossischen" noch am besten.) —
Es hat mir sehr gefehlt, daß Sie nicht da waren. Ich bin sehr müde
und abgehetzt, und Sie fehlen mir äußerst! Es ist ein trauriges metier
de dupe, das ich spiele. Dies Volk ist noch nicht so weit ! — Das Schlimmste
ist die große Zeit, die ich verliere! Ich muß nun wieder ganz neue
rasende Kraftanstrengungen für die zweite Instanz machen und komme
wieder nicht an meine Nationalökonomie ! Dann verlangen die I^eipziger
Arbeiter, ich solle ihnen eine Broschüre schreiben.^) Ich weiß nicht,
wo mir der Kopf steht ! — Rüstow grüßen Sie herzhchst. Ich werde ihm
nächstens auf seinen Brief antworten! Jetzt habe ich gar zu sehr alle
Hände voll. Ich habe ihm und Ihnen — unter Ihrer Adresse — die Ver-
teidigungsrede geschickt. Ich hatte auf jede eine Widmung geschrieben,
mußte sie aber abschneiden, weil die Post sie sonst nicht unter Kreuz-
band befördern wollte. Ihnen hatte ich darauf geschrieben: ,, Denkst
Du daran, mein tapferer Lagienka? Denkst Du daran, wie wir bei
Warschau schlugen ?"^)
Ach, es war doch schöner, als ich meine Prozesse für Sie hatte! Sie
wußten doch wenigstens, was ich für Sie tat! Dies Volk weiß es nicht
einmal \md versteht es nicht !
Ich bin müde, denn ich habe nichts und niemand, an dem ich mich
erfrischen kann! Hauen und hauen — die einzige Beschäftigung meines
Daseins. Keine Brust, wo ich Ausruhen und Erholung fände! Nun
adieu! Sie fehlen mir sehr! Ich freue mich auf den i. April. Daß Sie da
jedenfalls zurück sind! Denn Mitte Juli muß ich spätestens fort, und
von Oktober ab sitze ich, wenn das Urteil nicht von mir umgeworfen
wird, imd so würden Sie mich sonst das ganze Jahr nicht sehen.
Adieu, adieu!
Ihr
F, Lassalle.
Zwei und eine halbe Stunde blieb der Hof im Beratungszimmer. Die
zwei andern Richter wollten mich freisprechen. Aber der Präsident (Piel-
chen) kreischte zweieinhalb Stunden lang, man hörte ihn im Saal wie
einen Adler schreien — bis sie nachgaben. (Ganz ä la Hoffmann.) Es
stand schon ein paar Tage vor meinem Prozeß in der Zeitung, der Stadt-
gerichtspräsident Holzapfel habe Pielchen besucht und ihm die Un-
^) Für die Vorgeschichte des ,, Offenen Antwortschreibens" wird Band V wert-
volles neues Material beibringen.
2) Aus Karl von Holteys Singspiel ,,Der alte Feldherr".
— 330 — — .
Zufriedenheit des Justizministers mit den letzten Freisprechungen mit-
geteilt. Sowie ich das las, wußte ich, er werde auf meine Kosten sich
diese Sünden vergeben machen, und ich sei verloren.
i6i.
I.ASSAI.I.E AN SOPHIE VON HATZFEI^DT. (Original.)
Berlin, 29. Januar 1863.
Gute Gräfin! Ihren Brief vom 22. habe ich am 28. erhalten. Mein
Brief vom 6., der Ihnen am 20. zuging, war nicht, wie Sie sagen, mein
zweiter, sondern mein dritter Brief. Auch haben Sie, wie ich aus Ihren
früheren Briefen weiß, die andern richtig erhalten. Dies hier ist mein
fünfter Brief. Denn etwa am 22.^) habe ich Ihnen den vierten geschrieben,
den Sie zur Zeit wohl haben. — Wie Sie sich darüber beschweren können,
daß ich zu wenig schreibe, begreife ich nicht. Mein Brief vom 6. war
allein so groß, daß man aus ihm ein Dutzend Ihrer weitläufig geschrie-
benen Briefe machen kann, 2) Es liegt in meiner Natur und besonders in
der Natur meines Verhaltens zu Ihnen, daß ich Ihnen — nur lange, ein-
gehende Briefe schreibe. Eben deshalb kann ich nicht so häufig schreiben
wie Sie, die Sie einige Seiten weitläufig geschrieben mit Berichten über
Schnee- und Lawinenfälle füllen, die ich ja aus den Zeitungen kenne,
und mir darüber, wie Sie leben, was Sie tun, wie Sie die Zeit hin-
bringen usw. usw. usw. gar nichts sagen. Und bei alledem haben Sie mir
erst einen Brief mehr geschrieben, als ich Ihnen.
Ich will auch mit der Witterung anfangen. Diese ist hier die ganze
Zeit hindurch — mit Ausnahme von zwei Tagen — so unbeschreib-
lich milde gewesen, daß ich meinen Pelz diesen Winter nicht benutzen
kann. Schnee haben wir hier noch nicht gesehen. Von Schlitten, — auf
die ich mich freute — gar keine Rede, selbst keine Hoffnung darauf.
Neulich war mir selbst der Paletot zu heiß, und ich mußte den floren-
tinischen Mantel ohne Ärmel anziehen. —
Frerichs, den ich neulich bei einem Diner bei Korff sprach, sagte
mir, er gehe nach Nizza Ende Januar. Warum gehen Sie nicht wenigstens
dahin, statt immer in dem beschwerlichen Genua zu sitzen? —
Es ist doppelt schade, daß Sie in dieser Zeit nicht da waren und da
sind. Es läßt sich diesmal nicht leugnen, daß mir der Prozeß erstaun-
lich genützt hat. Nicht, daß ich dafür bei dem großen Publikum den
^) Es war am 20. Januar. Siehe oben Nr. 160.
2) Siehe oben Nr. 159. Das Datum, das I/assalle setzte, war der 8., nicht der
6. Januar.
331 ^=-
Dank fände, den ich vielleicht verdiene. Durchaus nicht! Al)er es ist
im großen Publikum eine allgemeine „Anerkennung", ja ein allgemeines
,, Sichbeugen" eingetreten, bei Freund wie Feind und selbst bei den
Fortschrittlern ! Plötzlich ist über diese Leute das Licht gekommen, daß
ich doch eigentlich eine andere Natur wäre als sie, ein andrer Mensch,
eine andere Klinge führe und daß sie sich vorkommendenfalls, wenn 's
an den Kragen geht, sehr gut hinter meinem Rockschößel würden ver-
kriechen können. So bin ich plötzlich eine ,, Person" geworden, und ich
könnte Ihnen mannigfache spaßhafte Fakta darüber erzählen, aber
weniger schreiben. Die ,, Kölnische Zeitung" ließ sich das Faktum
meiner Verurteilung telegraphieren und brachte die Nachricht unter
den telegraphischen Depeschen, ordentlich als wenn ich eine Person
wäre, von der man offiziell Notiz nimmt. (Es wundert mich daher, daß
Sie noch am 22. von der Verurteilung nichts wußten.) Selbst Schulze-
Delitzsch hat in der Kammer bei Gelegenheit der Interpellation wegen
des Landrats Olearius, der das Volk gegen die Fabrikanten aufgehetzt
hatte, die Regierung wegen des Prozesses ,, gegen einen namhaften Mann
und Schriftsteller, der — ich bin hier um so unparteiischer, als ich auf
einem ganz andern Standpunkt stehe als dieser Mann — angeblich die
Bourgeoisie angegriffen haben soll, aber nur einen streng wissenschaft-
lichen Angriff gegen sie gerichtet hat, den die Regierung nicht berechtigt
war, vor die Tribunale zu ziehen", angebrüllt usw. usw.
Alle Zeitungen brachten ziemlich ausführlich die Prozeßverhand-
lungen usw. usw. Die Verteidigungsrede erregt das immenseste Auf-
sehen. Von Böckh^) erhielt ich einen äußerst anerkennenden Brief über
dieselbe, in welchem er zugleich seine stärkste Indignation über das
Urteil ausspricht. Gestern besuchte mich zu selbem Zweck Johannes
Schulze. (Auch die Polemik gegen die ,, Volkszeitung" — vSie haben doch
meinen zweiten und dritten Artikel erhalten? — hat gut getan, ihr sehr
geschadet.) Zehn Tage lang war von nichts so sehr als von mir die Rede,
und selbst die widerwilhgsten Zeitungen mußten dazu dienen. Unter
anderem kamen dabei recht possierliche Dinge vor. Kossack^) z. B., der
mich auch diesmal in der ,, Ostdeutschen Zeitung", wo er — nicht luiter
seinem Namen — korrespondiert, auf die perfideste Weise angriff, sah
sich gezwungen, in seiner hiesigen ,, Montagszeitung", weil diese unter
seinem Namen erscheint, einen äußerst verbindlichen Artikel für mich
zu bringen. Die , .Kölnische" brachte einen erstaunlich langen Bericht;
^) Lassalle hatte Böckh am 20. Januar seine Verteidigungsrede übersandt.
Den Begleitbrief veröflFentlichte am 28. Dezember 1910 Ludwig Bernhard im
Feuilleton der , .Frankfurter Zeitung". Böckhs Antwort, die wegen Unwohlseins
erst am 25. Januar erfolgte, wird in Band V gedruckt werden.
') Ernst Kossack (1814 — 1880). bekannter Berliner Feuilletonist.
= 332 — =
die ,, Vossische" einen noch viel längeren (den schlechtesten die
,, Nationalzeitung"). Die österreichischen Blätter und die Augsburger
habe ich nicht verfolgt, aber gehört, es sei ganz ebenso, zum Teil mit
direkter Parteinahme für mich gewesen. Vom Rhein schreibt man mir,
das über mich in den letzten acht Tagen erschienene Zeitungsmaterial
in den diversen Blättern — sie druckten dort auch meine Polemik gegen
die ,, Volkszeitung" ab — sei viel zu beträchtlich, um es mir nur ein-
schicken zu können.
Gestern ist endlich eine ganz wundersame und mysteriöse Geschichte
hier passiert, die ich Ihnen um so weniger berichten kann, als ich sie
selbst noch nicht weiß — alles Zeichen von dem erstatmlichen Aufsehen,
das der Prozeß in allen Kreisen gemacht hat. Nicht, daß nicht sehr
viele — oder mindestens doch manche — von den Philistern hier, sich
zu der Überzeugung hätten bringen lassen : ich hätte die Arbeiter gegen
die Bourgeoisie ,, auf gehetzt", aber das ist doch die unendliche Minorität,
und selbst bei diesen fliegt — Sie wissen, wie sehr der Philister von Schlag-
wörtern beherrscht wird, die dann von Hand zu Hand gehen und un-
besehen von Nachbar zu Nachbar überliefert werden — alles andere
beherrschend, von Hand zu Hand, oder vielmehr von Maul zu Maul die
eine Parole: die ,, geistige Überlegenheit Lassalles"! Sie wissen, wie
wenig ich auf diesen Chorus gebe ! Ihr Lob ist mir so gleichgültig wie ihr
Tadel, ich nehme beides mit gleichem Achselzucken hin. Aber Ihnen
die Sie sich wie jede Frau auch über Individuelles und Momentanes
dieser Art amüsieren, würde es hin und wieder jetzt Spaß gemacht
haben, tmd darum ist es schade, daß Sie gerade jetzt fort waren. (In
appellatorio denke ich übrigens die Kerle noch ganz anders zu ver-
möbeln, noch ekliger zu fassen, und dann sind Sie, weil die Appellations-
verhandlung erst im April stattfinden wird, ja jedenfalls schon hier.)
Nun, wenigstens wollte ich Ihnen im allgemeinen davon berichten. Ist
es nichts für mich, so ist es doch etwas für Sie, und selbst für mich bleibt
soviel von der Geschichte nicht ohne Gewicht, daß es meinen Einfluß
für später verstärkt und mir den Boden vorbereitet. Aber, du lieber
Gott! Wenn werden die deutschen Zustände erst so weit sein, daß ein
Mann von Ehre erst mit Ehre auf diesen Boden treten und auf ihm
fallen kann! Es ist mehr als traurig!
Einstweilen benutzen mich die Gegner als Wauwau für die Fort-
schrittler, nutzen mir aber dadurch, statt mir zu schaden. Als Pröbchen
hiervon lege ich Ihnen hier einen Artikel der ,, Norddeutschen" bei,
deren Redakteur,^) wie man sagt, an Bismarck verkauft sein soll. Die
1) August Braß, der bekannte Revolutionär von 1848, stellte in der Tat von
nun ab sein Blatt in Bismarcks Dienste.
= 333 ^=^^
Bezeichnung ,,die Revolution in der Bluse und mit den antiquarischen
Stiefeüi" für mich, im Gegensatz zu der „Revolution in Schlafrock und
Pantoffeln" finde ich sehr glücklich gewählt.
Während dieses ganzen Rumors bin ich in der traurigsten Lage von
der Welt! In der Lage eines Menschen, der an nichts Spaß, der keine
Art von Befriedigung hat! Was sollte mich befriedigen, stärken,
ausruhen, erheitern, kräftigen? Ich bin bestimmt, von nichts und
wieder nichts als von devouement zu leben! Wieder arbeiten, wieder
mich abrackern und abquälen für die Wissenschaft, fiir ferne Zeiten —
das ist alles ganz gut und. recht, ist Pflicht und schön, will es auch gern
mein Lebtag tun, aber daneben braucht doch jeder Mensch etwas,
woraus er für sich Befriedigung und damit neue Kraft für neue auf-
opfernde Arbeit saugt, sei es die teilweise Realisierung seines all-
gemeinen Strebens — die höchste Befriedigung gewiß — ,sei es minde-
stens ein individuelles Glück, ein liebes Herz ! Ich allein habe gar nichts
und muß bloß von der Arbeit, bloß von der Aufopferung leben! Es
sind dieKetten eines Galeerensklaven, die ich von früh bis Abend schleppe
und trage, kein Moment der Befriedigung und des Genusses, außer
wenn man sich hin und^) wieder einmal ganz in den Gedanken vertieft
hat und eben zu einer neuen Erkenntnis durchgebrochen ist, die dann
mit ihrer sittlichen Wärme erfreut und hebt — bis sofort wieder der
bittere Gedanke durchschlägt, wieviele Dezennien es dauern wird, bis
diese Erkenntnis auch für die anderen da sein wird und wieviele De-
zennien hindurch sie erst verhöhnt und verspottet werden wird, ehe sie
Leben gewinnt!
Rüstow hat mir einen ungeheuren Tort getan, daß er Sie gerade jetzt
von mir fortgerufen hat. Ich weiß selbst nicht, woran es liegt, aber nie
war ich in dieser Stimmung, in der ich seit einem Jahre immer wachsend
bin. Und sie lastet um so schwerer auf mir, als ich sie keinem andern
ausspreche als Ihnen. Sie wissen, ich bin einmal gewohnt, mich vor keinem
aufzuschließen als vor Ihnen. Ich bin ganz in der Stimmimg Fausts, für
irgendeine naive Grete ich weiß nicht welchen Teil meines Wissens
fortzugeben, jedenfalls ein gutes Stück! Wenn Sie da wären, so wäre das
nicht so. Denn wenn man nur einen Menschen hat, dem man ganz gut
ist, so hat man ganz genug. Aber wenn man selbst diesen einen nicht
hat, für den man so lange lebte, so ist es schlimm ! Ich wollte, ich könnte
mich verlieben — gleichviel in wen. Ich wollte mir das Weib erobern,
und wenn ich drei Backzähne dem Kalifen ausschlagen müßte! Geht
aber nicht! Kann mich nicht verlieben! Die hiesigen Weiber sind nicht
danach! Poesie zu lesen — das einzige, was, wie Sie wissen, immer eine
^) I,assalle schreibt ,,iiii<l hin".
334 — —
stillende Macht, eine besänftigende, auf den Aufruhr meines Gemüts
ausübte, — selbst das kann ich leider nicht, da ich keine Zeit dazu habe.
Muß Ökonomie treiben imd Statistik und Zahlen knabbern ! Da soll sich
der Teufel dabei beruhigen ! — Meinen Brief vom 6. haben Sie recht un-
einsichtig beantwortet, fast unfreundlich; ohne Zweifel hauptsächlich
deswegen, weil Sie ihn nur sehr oberflächlich gelesen und sehr wenig hin
und her bedacht haben werden! Und so haben Sie ihn wenig verstanden.
Adieu! Auf Wiedersehen!
Ihr
F. I..
P.S.
Freitag früh, den 30. Januar [1863].
Gute Gräfin und lieber Rüstow!
Eben will ich meine gestern abend an Euch geschriebenen Briefe zu-
machen, als ich Eure Sturmepisteln bekomme ! Gute Gräfin, beruhigen
Sie sich! Diese Aufregung überschreitet ja bei weitem allen Grad der
Veranlassimg! Zudem beurteilen Sie von dort aus, wie ganz natürhch,
die Sache nicht richtig ! Glauben Sie mir, wie ich Ihnen schon in dem
gestrigen hier beigefügten Briefe sagte, die Sache hat mir entschieden
genützt und nicht bloß das, sondern einen solchen Nutzen erzeugt,
der selbst mit den vier Monaten nicht zu teuer erkauft wäre ! — Übri-
gens, es hat noch gute Wege ! Noch soll es den höheren Instanzen nicht
so leicht werden, das wahnsinnige Urteil aufrecht zu halten! Ich will
hier nur sporadisch einige Bemerkungen Euerer Briefe beantworten.
1. Die Züricher Ausgabe war gar nicht im Prozeß (diese wird viel-
mehr — ist das nicht heiter? - — noch immer alle Tage in allen Buch-
handlungen öffentlich verkauft) — nur die Berliner Ausgabe war es.
Der Gerichtshof nahm auch selber an, daß diese nicht veröffentlicht
worden sei ; auch hätten sie mich wegen der Broschüre nie angeklagt, nur
auf den mündlichen Vortrag, weil er unmittelbar an die Arbeiter ge-
richtet war, erfolgte die Verurteilung.
2. Der Präsident war schon mit dem verurteilenden Urteil in der
Tasche hingekommen. Die Verurteilung hat also meine Rede nicht
hervorgerufen; allerdings aber möglicherweise den Straf gr ad bestimmt
(es mag ursprünglich Geldstrafe oder vielleicht vier Wochen die Ab-
sicht gewesen sein). Dohm erzählte mir, daß ihm Hiersemenzel gesagt,
er habe abends um sieben Uhr am Prozeßtage den Präsidenten ge-
sprochen; noch da habe der Präsident vor Wut gedampft, Qualm
sei ihm wie einem Pferde aus den Nüstern gestiegen, und er habe in einem
fort ausgerufen : so etwas habe er nicht nur nie erlebt, sondern nie für
denkbar gehalten ! Aber sogar diese Wut ist sehr nützlich. Denn — worauf
— 335 —
Sie viel zu wenig Gewieht legen — ich habe diese Kerle doch 1 )e /, \v u n ge n ,
sie gezwungen, mich von Anfang bis Ende sprechen zu lassen. Sie
sahen, daß sie das nicht ändern konnten, und litten ent setzlich unter
dem, was ich sagte ! Sie sehen schon die P'olgen : Obgleich sich der »Staats-
anwalt über alle meine ,, Beleidigungen" Akt geben ließ, obgleich sie
ihm jetzt in der Verteidigungsrede veröffentlicht vorliegen, hat man
doch keine Verfolgung wegen Beleidigung eingeleitet und ebenso die
Verteidigvmgsrede nicht säsiert.
Diese macht das wunderbarste Aufsehen nicht nur hier, auch in
Leipzig und überall.
3. Mich, wie Rüstow meint, in zweiter Instanz vom Advokaten ver-
teidigen zu lassen — geht nicht! Ein Advokat würde nie das Urteil zum
Umwerfen bringen. Keiner! Ich bin der einzige, der es kann, und
obwohl die zweite Instanz schlimmer ist als die erste (der Präsident
Nicolovius soll ein wahrer Blutrichter sein) — so möchte ich doch noch
drei gegen eins wetten, daß ich in zweiter Instanz freigesprochen werde.
In erster Instanz mußte ich mich so verteidigen, wie ich tat. An-
geklagt, muß und werde ich immer die Anklagebank als Tribüne für
politische Propaganda benutzen. Dies ist meine Pflicht und nichts
daran zu ändern ! Anders stehe ich in zweiter Instanz. Da ich meine Ver-
teidigungsrede als Appellationsrechtfertigungsschrift einreichen werde,
so brauche und werde ich in dem mündlichen Plaidoyer zweiter Instanz
mit keinem Wort darauf zurückkommen. Ich brauche hier nur die
Dummheit der Urteilsmotive zu entwickeln, und ich werde es mit solcher
schneidigen Schärfe tun, daß den Richtern trotz alledem die Röte der
vScham in die Wange treten soll. Mein Plaidoyer in erster Instanz war
politisch, mein Plaidoyer in zweiter Instanz soll sozial sein. Weniger
angreifen, mehr zerschneiden. Ich werde mir das Schwert Wielands des
»Schmieds schmieden, welches einen zerschneidet, ohne daß er es merkt.
Schon steht dies Schwert ganz und gar in meinem Kopf, schlank und
vollendet wie eine Statue des Phidias.
(NB. Eben bringt mir meine Schwester vier lebendige Maikäfer
ins Zimmer, so milde ist das Wetter!)
Der Prozeß soll immer größere, immer riesigere Proportionen an-
nehmen, und ich will zeigen, was ,, Einer kann gegen alle". Für solche
Aufgaben bin ich gerade der Mann! Ganz Berhn wird sich zu dem
Prozeß zweiter Instanz drängen (auch bei dem ersten war großer Zu-
lauf ; wegen des kleinen Saals wurden aber sieben Achtel des Publikums
abgewiesen). Wie groß das Aufsehen ist, mag Ihnen daraus hervor-
gehen, daß der Hof (nicht der Gerichtshof, sondern ,,der Hof") sich
Mühe gegeben hat, sich ein Exemplar der verurteilten Schrift zu ver-
schaffen.
336 =
Mein Plaidoyer in zweiter Instanz soll ein Wunderding werden, wenn
ich Zeit habe, und furchtbaren Eindruck machen.
Dann endlich bleibt mir noch die dritte Instanz, und die Sache soll
immer wachsen! Zuletzt, bliebe ich selbst nicht Sieger, nun so sind ja
vier Monate wahrhaftig noch zu ertragen. Aber ein zweites Mal läßt
mich die Staatsanwaltschaft gewiß in Ruhe. Die Gerichte haben gesehen
— ich führe Ihnen hier das Wort preußischer Richter selbst an, ihr all-
gemeines Gespräch — daß sie niemand haben, den sie mir gegenüber-
stellen können, daß ich Staatsanwälte, Höfe, Präsidenten kurz und klein
in Stücke haue, und lieben nicht, ihre Kleinheit von neuem zum Vor-
schein zu bringen.
4. Haben Sie und Rüstow denn nicht meine Verteidigungsrede be-
kommen? Ich schickte sie noch vor meinem Brief und den Zeitungen an
Sie ab. Warum zeigen Sie mir nicht den Empfang an ? Lassen Sie Stücke
derselben in die dortigen Blätter bringen. Jedenfalls aber zeigen Sie
mir es an, wenn Sie sie noch nicht haben. Sie kennen sie zwar schon zur
Hälfte, aber auch erst zur Hälfte , und selbst in dieser Ihnen schon be-
kannten Hälfte habe ich nachher noch vieles gemeißelt. Rüstow, denke
ich, wird sich sehr darüber amüsieren. Da auch er mir kein Wort von
dem Empfang derselben schreibt, muß ich wirklich fast zweifeln, ob
Sie sie erhalten. (Ich sandte beide Exemplare unter Ihrer Adresse.)
5. Haben Sie meine zweite Erklärung in der ,, Vossischen Zeitung"
gegen Bernstein^) (,,Erwidrung") und meinen Brief in der ,, Kreuz-
zeitung" gelesen?^) Oder beide in der Hitze übersehen?
6. Das Urteil konstatiert selbst ausdrücklich, daß der Vortrag
wissenschaftlich sei, und dann sagt es wieder das Gegenteil. Es ist
nicht aus ihm klug zu werden. Sie empfangen es nächstens gedruckt
in den ,, mündlichen Verhandlungen nach dem stenographischen
Bericht".
7. In I/cipzig hat das Polizeipräsidium die Erlaubnis gegeben, meine
hier verurteilte Arbeiterbroschüre sogar durch Kolporteurs zu ver-
treiben (wozu man immer besondere Erlaubnis braucht).
Ihnen wie Rüstow herzlichst die Hand drückend und Ihnen ver-
sichernd, daß siebenundsiebenzig mal mehr als die dummen vier
Monate mich die Nachricht betrübt, die Sie mir vom Zustand Ihrer
Beine geben, bin und bleibe ich
Euer
F. lyassalle.
1) Aron Bernstein (1812 — 1884), der Chefredakteur der „Volkszeitung", mit
dem I,assalle verfeindet war.
2) Siehe oben S. 326.
= 337 ="
102.
IvASvSAIJ.E AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Original.)
Berlin, 5. rcbruar 1863.
Oute Gräfin!
Ich freute mich so, als ich heute wieder einmal einen Brief von Ihnen
bekam. Ich dachte, indem ich das Kuvert erbrach, daß ich allerlei liebe
Plaudereien zu lesen bekommen würde. Siehe aber, da stand nichts auf
dem kurzen Wisch als lauter Dinge, die Sie mir schon dreimal geschrieben
haben und ich hätte die Briefe nicht bekommen, die Sie mir geschrieben
wegen des Prozesses bei Riem und wegen des Prozesses in Köln, und ich
hätte nicht darauf geantwortet, und ich hätte sie also nicht bekommen,
und ich sollte sich [sie!] der Sachen annehmen usw. usw.
Aber Du mein Gott! Ich habe die Briefe alle bekommen, und Sie
selbst mußten das daraus ersehen, daß ich ja den anderweitigen In-
halt derselben Briefe beantwortet hatte. Daß ich mich Ihrer Sachen an-
nehmen soll, haben Sie überhaupt nicht nötig, mir zu schreiben. Am
wenigsten aber hatte ich doch irgendeine Veranlassung, Ihnen etwas
in den Prozeßsachen zu schreiben, sondern nur Herbertz und Riem.
Sie wissen, daß ich in Geschäftssachen knapp bin wie ein Geschäfts-
mann und kein überflüssiges Wort schreibe. Ihnen in denselben zu
schreiben, hatte ich bisher gar keine Veranlassung, und folglich hatten
Sie auch gar keinen Grund zu dem Schlüsse, daß ich die Briefe nicht er-
halten hätte.
Ich war recht um das Vergnügen betrogen, das ich mir bei dem An-
blick Ihres Kuverts versprochen hatte, und schaute traurig drein, als
ich den tristen, knappen Brief, der nichts enthält als den eben skizzierten
Inhalt, zu Ende gelesen hatte.
Heute habe ich inzwischen gerade Anlaß, Ihnen in Geschäftssachen
zuschreiben, erhalten und hätte Ihnen auch jedenfalls den betreffenden
Bericht erstattet . . }) Wenn Sie seinerzeit zurückwollen, so haben Sie
ja einen Weg, auf dem Sie die Eisenbahn nicht verlassen und kaum
einen Schneeflocken zu Gesicht bekommen. Nämlich mit der Eisenbahn
von Genua direkt nach Triest (ohne Venedig zu berühren ; die Eisenbahn
geht von der venezianischen direkt links ab nach Triest, wie damals
Madame Rocca fuhr) und von da wieder mit der Eisenbahn über den
Semmering direkt nach Wien und hierher. Ich habe die Tour über den
Semmering 1857 ^^^ Januar resp. Dezember 1856 gemacht und kann
Sie versichern, daß es so bequem wie im Zimmer ist. Der Semmering
ist äußerst leicht zu passieren, ganz in Eisenbahn. —
^) Es handelte sich wieder utn die Kölner Mühlen angelegenhe it.
Maver, Lassalle-Nachlass. IV 22
^==^=^ 338 —
Was mich betrifft, so haben Sie Zeit, hier anzukommen bis zmn
I. April. Ob und wieviel früher Sie Ihrer Geschäfte wegen kommen
wollen, bleibt Ihnen überlassen.
Den Prozeß contra Block haben wir gestern hier in erster Instanz
verloren. Ich werde die Appell sorgfältig wahren, darauf verlassen Sie
sich. —
Ich grüße Rüstow vielmals auf das allerherzlichste und l^in Ihr und
sein alter Freund
Ferdinand.
Schreiben Sie mir doch sofort genau Ihre Adresse. Denn für den
Fall, daß ich Ihnen einmal nötig hätte zu telegraphieren, weiß ich ja
nicht wie, da ich Ihre Wohnung nicht kenne und das Telegraphen am t
dort auch nicht.
163.
IvASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, 6. März 1863.]
Poststempel.
Gute Gräfin.
Ihre Briefe machen mich sehr mißmutig, weil sie stets verweigern,
auf den Punkt sich einzulassen, den ich in so vielen berührt habe : ob
Sie Anfang April zurück sein werden, wie Sie hier so fest versprachen,
oder nicht. — Wenn Sie immer von meiner Verteidigung in zweiter In-
stanz tmd wie Sie die Nachricht meiner Freisprechung freuen würde,
sprechen, so liegt hierin ein sehr deutliches Zeichen, daß Sie Ihr Wort
nicht halten werden. Denn da mein Prozeß in zweiter Instanz erst in der
zweiten Hälfte des Monats April verhandelt werden kann, so wären Sie
ja zu dieser Verhandlung wieder zurück und anwesend, falls Sie Ihr
Wort zu halten beabsichtigen.
Es geht aber freilich aus den Verhältnissen selbst hervor, daß dies
nicht der Fall, ja daß dies jetzt — wenn auch durch Ihre eigene Schuld — •
sogar sehr schwer möglich zu machen sein würde. Denn da Sie erst Ende
Februar nach Neapel abgereist sind,^) wie wollten Sie schon Anfang
April wieder in Berlin sein. Dann blieben Ihnen ja nur drei Wochen
für Neapel, und ich begreife, daß Ihnen dies sowohl für die Gesundheit
als für das Vergnügen, als endlich als Entschädigung für die weite Reise
1) Aus dem undatierten Fragment eines Briefes von Rüstow an Lassalle, das
in Band V erscheinen wird, geht hervor, daß die Gräfin und er am 26. Februar
in Neapel ankamen.
= 339 =
nicht hinreichen wird. Es konnnt wieder daher, daß vSic in so langer
Unentschlossenheit die schöne Zeit zwecklos in Genua verbummelt
haben. Ihre ewige Unentschlossenheit ist, w^ie ich Ihnen so oft sagte,
Ihr und Ihrer Umgebungen ewiger Fluch! Ich kann mir also aus diesen
Gründen kaum noch eine Illusion darüber machen, daß Sie weder /.um
I. April, noch auch nur zu meinem Geburtstag am ii. April zurück sein
werden. Ich will Ihnen aus jenen Gründen jetzt auch nicht böse darüber
sein. Aber das steht baumfest, daß ich am i. April meine Korrespondenz
mit Ihnen abbreche und Sie vor Ihrer Rückkunft nicht wieder von mir
hören. Das soll meine Revanche sein. —
Neulich kam mit einem Briefe von Bertani an mich ein Garibaldischer
Offizier, Ungar, namens Fränczel hier an, der auch Aspromonte mit-
gemacht hat, um nach Polen zu gehen. Ich versah ihn mit 80 Taler Reise-
geld und Empfehlungen nach Breslau, um von da Empfehlungen für
Krakau zu erhalten, da er zu Langiewicz ^) stoßen will, mit dem er be-
freundet ist. Heute erhielt ich von ihm einen Zettel aus Krakau, wonach
alles gut gegangen ist, er auch schon mit Langiewicz Verbindung an-
geknüpft zu haben scheint. —
Ich stehe jetzt am ,, Vorabend" eines sehr wichtigen Ereignisses für
mich. Das Leipziger Zentralkomitee der Arbeiter hat an mich offiziell
geschrieben, damit ich ihm in irgendeiner mir passend erscheinenden
Form meine Ansichten ausspreche über die Mittel, welche die gegen-
wärtige Arbeiterbewegung zu ergreifen hat, um die Verbesserung der
Lage des Arbeiterstandes in politischer, geistiger und materieller Be-
ziehung zu erlangen, insbesondere auch meine Ansicht über den Nutzen,
der aus den Schulze-Delitzschen Assoziationen für die Lage des Ar-
beiterstandes erwachsen kann.
Ich habe nun geantwortet durch ein ,, Offenes Antwortschreiben",
welches sich bereits im Druck befindet und in ca. acht Tagen an das
Leipziger Zentralkomitee abgehen und von ihm — es wird in 10 000
Exemplaren gedruckt — an sämtliche Arbeitervereine usw. verbreitet
werden wird. Ich habe mich in diesem Manifest ofifen und imumwunden
ausgesprochen. Die Schwierigkeiten waren immens! Ich konnte natür-
lich in einem Manifest nicht ein nationalökonomisches Werk schreiben.
Sowohl der erforderlichen Kürze wegen, als weil es jeder Arbeiter ver-
stehen muß. Und dennoch konnte das Manifest nichts nützen, wenn es
nicht, an irgendeinen festen Punkt anknüpfend, den Arbeitern die ganze
notwendige Hoffnungslosigkeit ihrer Lage von innen heraus theoretisch
^) Marian Langiewicz (1827 — 1887), der 1860 am Zuge Garibaldis teilgenommen
hatte, erklärte sich am 10. März an Stelle von Mieroslawski, den die Russen ge-
schlagen hatten, zum Diktator von Polen, mußte aber schon am 14. März auf
österreichisches Gebiet übertreten.
^=340
klar machte, sie gegen alle Illusionen und gegen jeden Versuch, meine
Sätze bei ihnen zu bekämpfen, sicherte.
Es ist mir gelungen, diese wirklich fast unüberwindlichen Schwierig-
keiten in ausgezeichneter Weise zu überwinden. Ist der deutsche Ar-
beiterstand nicht bis zum Entsetzen träge und schläfrig, so muß dieses
Manifest, da es ohnehin in eine bereits vorhandene praktische Bewegung
fällt, ungefähr eine Wirkung hervorrufen wie die Theses an der Witten-
berger Schloßkirche!^)
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Frage :
wird es diese Wirkung auf die Arbeiter, und welche wird es auf die
Bourgeoisie haben? Ich las es, ihren Rat beanspruchend, in besondern
Sitzungen Bucher und Ziegler vor. Bucher erklärte mir, daß er feier-
lich jeden Rat verweigern müßte, ob ich das Ding abgehen lassen solle
oder nicht. Er deutete mir als Grund dieser Weigerung in hinreichend
deutlicher Weise an, daß er das Erscheinen desselben sehr gern sähe,
mir aber nicht dazu raten wolle, um keine Verantwortlichkeit zu haben
für den entsetzlichen Haß und die scheußlichen Verunglirnpfimgen, die
es mir zuziehen würde.
Ziegler, der beim Verlesen des Manifests absolut einverstanden da-
mit gewesen war, daß ich es losließ, schrieb mir noch am selben Abend
einen langen Brief, 2) worin er (er istfreihch nur politischer Revolutionär
und sonst Bourgeois vom Scheitel bis zur Zehe) feierlich gegen dasselbe
protestiert. Es seien horreurs. Ich sei, sowie dasselbe erschienen, ein
toter Mann, hätte mich für immer ruiniert usw. usw.
Ich habe auf das alles nur zu antworten: ,,Hier stehe ich, ich kann
nicht anders, Gott helfe mir, Amen!" Und wenn ich gleich siebenund-
siebzigmal tot wäre und in Stücke gerissen würde, ich könnte doch nicht
anders! Ich bin neugierig zu hören, ob Sie es billigen werden oder nicht.
Billigen Sie es nicht, so ist es mir lieb, daß Sie nicht dagewesen sind.
Denn abhalten hätte ich mich doch nicht lassen, und so hätte es mir
nur mehr Kampf gemacht.
(In polizeilicher Hinsicht ist nichts zu fürchten ; das Ding ist weit
mehr innerhalb der gesetzlichen Grenzen gehalten als irgend etwas,
was ich geschrieben habe.)
Das Schönste dabei ist, daß das Manifest eigentlich durchaus
konservativ ist — das Wort in seinem guten und intelligenten Sinne
genommen —streng konservativ und die lebhafteste Anerkennung
1) Des Vergleichs mit Luther bediente sich Lassalle in jenen für ihn entscheiden-
den Wochen des öfteren. Vgl. u. a. seinen Brief vom 9. März bei Bernhard Becker,
Der große Arbeiteragitator Ferdinand Lassalle, Denkschrift für die Totenfeier
des Jahres 1865 (Frankfurt, Selbstverlag), 1865. S. 7 ff .
-) Dieser Brief wird in Band V gedruckt werden.
= 341 — =
und Adhäsion der besitzenden Stände verdiente. Aber freilich ist ebenso
sicher, daß es durchaus revolutionär wirken muß, da den besitzenden
Ständen eben jede Billigkeit, jede Gerechtigkeit, jede Einsicht fremd
ist und sie eben das am wenigsten wollen, daß auf friedlichem Wege die
arbeitenden Klassen sich ihrem Privilegium entwinden. Je leichter
dies auszuführen wäre und je mehr diese L/cichtigkeit aufgezeigt wird,
ohne irgendeinen Besitz zu verletzen, desto wütender werden sie!
Es ist also, da die Bourgeoisie sich allerdings sehr klar ist, und in
dem Falle, daß die Arbeiter vielleicht noch nicht zur Klarheit reif sind,
allerdings sehr möglich, daß ich heut über vierzehn Tagen moralisch
ein toter Mann bin und die Fortschrittspartei darüber jubelt, daß ich
mich gestürzt und unmöghch gemacht habe. Aber auch das soll mir
egal sein. Daiui abdiziere ich endlich der politischen Tätigkeit und
ziehe mich rein in die Wissenschaft zurück. Die wenigen Guten werden
zudem immer auf meiner Seite stehen. Von Rüstow z. B. bin ich
überzeugt, daß er das Manifest mit lebhaftestem Beifall begrüßen
wird.
Meine Schwester will mich durchaus verheiraten mit einem Mädchen
schön, aus guter Familie, mittellos, lebhaft, lustig, gesellschaftlich
gebildet (ob diese Bildung tiefer geht, über Geist, elevation d'äme,
weiß ich nicht). Die Geschichte ist sehr lustig. Wir trafen uns vor längerer
Zeit in einer Gesellschaft, in welcher wir uns beide sehr gut gefielen
— gegenseitig — und uns dies hinreichend zu verstehen gaben. Seitdem
hat sie die Familie mit einer unersteiglichen Burg umgeben, und ich
kann nicht an sie heran, sie also nicht eigentlich kennen lernen imd
sprechen. Ich horchte durch Mittelpersonen, ob ich mich in dem Hause
einführen lassen sollte, könnte, dürfte usw. Da wurde geantwortet:
Nur dann, wenn ich zuvor um ihre Hand anhalten wollte, sonst point
du tout! Geben wolle man sie mir; aber man kenne mich schon, es sei
mir nur um einen neuen Roman zu tun, man wolle mich nicht den Ruf
des Mädchens verderben lassen usw.
Das Mädchen selbst sagte dem Vermittler : sie würde mich sehr gern
nehmen, sich dann allen meinen Wünschen fügen, aber die consigne
ihrer Familie könne sie nicht brechen. Ich antwortete: Potztausend,
man fängt doch nicht mit dem Heiraten an, man hört nur damit auf.
Wenn sie mir von innen so gut gefiele wie von außen, so würde ich sie
allerdings nehmen. Aber das könnte ich doch nur durch eine nähere
Bekanntschaft in allen Grenzen des Anstands erfahren. Ich könnte
doch nicht die Katze im Sack heiraten, sie rein wegen ihrer schönen
Augen nehmen.
Darauf wurde geantwortet: das möchte sein; ich könne ganz recht
haben, aber es bliebe dabei ! So stehen die Affären und ich [bin] vorläufig
= 342 — -
gewillt, auch meinerseits dabei zu bleiben. Ich kann mich doch
wahrhaftig, obgleich mir das Mädchen sehr gefällt, nicht so zum
Heiraten zwingen lassen! Man springt doch nicht so geradezu ins
Wasser !
Was mich am meisten abhält, ist meine finanzielle Lage. Im Jahre
1870 habe ich, wenn, wie höchst wahrscheinlich, meine Gasrente^)
dann aufhört, nur etwa 1500 Taler Revenue, und wenn ich gar seinerzeit
meine Mutter beerbe, höchstens im ganzen etwa 2500 bis 2700 Taler
Revenue. Damit kann ich doch nicht mit Frau und Kinder [n] leben,
ohne mich mindestens entsetzlich einzuschränken. Das sind große
Opfer. Und wenn sie nun nicht eine solche äme d'elite ist, wie ich sie
brauche, wofür dann diese Opfer bringen? 1870 habe ich mich an ihre
Schönheit gewöhnt, dann erst — denn bis dahin kann ich auch mit
Frau imd Kind anständig leben — fangen meine Opfer, und sehr große
an, und wenn sie mich nicht innerlich dann schadlos hält, habe ich eine
erstamiliche Dummheit gemacht.
Andrerseits: wäre es für mich jetzt wirkhch sehr angenehm und
wünschenswert, zu heiraten, zweitens gefällt sie mir vorzüglich, ein
Körper wie zur Wollust geschaffen; sie ist heiter und witzig und ziem-
lich in mich verliebt (nicht energisch); drittens ist es doch möglich,
daß meine Rente 1870 weiter geht; dann aber finde ich keine Frau
mehr.
So stehen die Affären. Ich wollte, Sie wären da und gäben mir en
connaissance de cause einen Rat. Was meinen Sie vorläufig? Ich finde
das Benehmen der Familie zu dumm, besonders weil ich wirklich nur
ganz ehrliche Absichten hatte. Aber das wird mir eben nicht geglaubt!
Ich soll im voraus um die Hand anhalten lassen! Quelle idee!-)
Antworten Sie bald Ihrem
F. Iv.
Sie hatten mir gesagt, Rüstow würde mir ausführlich schreiben über
Garibaldi usw. Ich habe kein Wort bekommen!
1) Auf diese hatte Lassalle zugunsten seines Schwagers verzichtet. Siehe
oben Nr. 154.
2) Da die Antworten der Gräfin aus dieser Zeit fehlen, so verdient ein Brief
des mit ihr reisenden Rüstow aus Neapel vom 16. März Beachtung. Man erfährt
daraus, daß Lassalles Brief die Gräfin sehr betrübte. ,, Wegen Deiner Heirats-
absichten, um derentwillen die Gräfin auch unzufrieden ist, habe ich aufrichtig
gesagt keine Angst. Ganz anders dagegen steht es mit Deinem Arbeitermanifest."
Rüstow drückt die Befürchtung aus, daß Lassalle sich ,,dem Tod des Gefängnisses"
aussetzen werde, und schließt; ,,Die Gräfin ist sehr betrübt um Dich, und sie ist
es um so mehr, als ihre Gesundheit auch nicht so gut ist, als ich es von ganzem
Herzen wünschte. Sie geht in ihren Befürchtungen viel weiter als ich." —
= 343 =======
164.
LASSALLE AN SOPHlK \'ON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, 13. April 1863.]
Gute Gräfin !
Soeben erhalte ieli Ihren Brief vom 4. (am 13., nieht am 11., wo ich
den ganzen Tag schmerzlichst einen telegraphischen Gruß von Ihnen
erhofft hatte).
Aus Ihrem Brief ersehe ich, daß drei Briefe von mir an Sie und
Rüstow verloren sind. Was soll ich tun?!
Ebenso ist Rüstows Brief an mich verloren. Ich habeihnnicht
bekommen, was mir sehr leid.
Meine ganze Seele atmet auf, zu wissen, daß Sie wieder im Begriff
sind zurückzukehren. Sie glauben nicht, wie ich Sie vermißt habe ! wie
ungeduldig ich mich auf Ihre Ankunft freue ! Ich werde auch stärker
und kräftiger sein, wenn Sie wieder da sind !
Ich habe keine Minute Zeit zum Schreiben.
Nicht mehr die Berliner, die gesamte deutsche Presse Ein Wut-
schrei gegen mich! Der Schlachtendonner tobt wirklich um mich herum.
Es ist ein Gebrüll von Gemeinheit und Dummheit, von dem ich nie eine
Ahnung gehabt hätte.
Bloß als schwache Proben sende ich Ihnen zwei oder drei Artikel
heut nach Genua poste restante. Die ,, Tribüne" hat entdeckt, daß
ich wegen der vier Monate Gefängnis meinen Frieden mit der Regierung
habe machen wollen. Den Vorstand —wohlgemerkt nur den Vor-
stand — des Arbeitervereins Nürnberg hat Schulze zu der Erklärung
bestimmt, daß ich ,,ein gedungenes Werkzeug der Reaktion" sei und
daß ich in meiner Broschüre erklärt hätte, „Bildung sei für den Arbeiter
nicht notwendig, ja zweckwidrig".
Eduard Meyeni) in der ,, Reform" erklärt täglich, ich sei da angelangt,
wo Bruno Bauer !^)
Die verschiedensten Zeitungen enthalten als Leitartikel Offene
vSendschreiben gegen mich usw. Ein Moritz Müller^) in Pforzheim, den
Rüstow wohl kennt, hat gleichfalls eins erlassen, das ich noch gar nicht
gelesen.
Alles das nur schwache Beispiele des allgemeinen Geheuls.
V) Eduard ]Meyen, der einstige Junghegelianer und spätere politische Flücht-
ling, redigierte jetzt die Berliner ,, Reform". Lassalle hatte sich mit ihm überwerfen.
2) Bruno Bauer (1809— 1882), der einstige Führer der radikalen Junghegeliancr,
stand jetzt im konservativen Lager.
3) Moritz Müller war Bijouteriefabrikant. Vgl. Bebel, Aus meinem Leben,
Bd. I, S. 115.
= 344
Aber andrerseits hatsich der Arbeiterstand auf meine Stimme erheben.
In einer großen Arbeiterversammlimg zu Hamburg^) sind die dortigen
Arbeiter fast einstimmig den lyeipziger Beschlüssen beigetreten.
Am II. April haben sowohl in Düsseldorf wie in Solingen die
dort zusammenberufenen Arbeiterversammlimgen einstimmig die-
selben Beschlüsse gefaßt und mir ihren Dank votiert. Andere Städte
werden folgen.
Gestern war hier Arbeiterversammlung von Schulzes Kreaturen.
Ich war nicht dort. Aber eine Anzahl gebildeter Männer, drei bis vier,
hatte sich mir zur Verfügung gestellt, dort für mich zu pauken. Es kam
noch nicht dazu. Die Versammlung beschloß zuvor, von meiner Bro-
schüre Kenntnis zu nehmen. Sie schickte mir ihren Kolporteur. Ich habe
nach zweitausend Exemplaren telegraphiert. Wir wollen sehen, wie es
wird.
Von Rüstow habe ich in meinem letzten Brief verlangt, er müsse
Süddeutschland bereisen, wo er so populär ist, und in jeder Stadt die-
selben Beschlüsse fassen lassen.
Ebenso solle er dem Leipziger Komitee (Adresse Dr. O. Dammer,^)
Leipzig, Hospitalstr. 12) schreiben, um sie für ihre Beschlüsse zu be-
glückwünschen.
Herwegh schreibt mir einen enthusiastischen Brief, lehnt aber die
Einwirkung auf den Züricher Arbeiterverein, die ich von ihm verlangt,
als unmöglich ab.^)
Die Fortschrittspartei zittert. Sie sieht ein, daß ein Schlag gefallen
ist, der sie vernichten muß.
Ich bin toderkältet, tod heiser und muß am 10. in Leipzig sprechen.
Was soll ich machen ? Ich schicke eben Frerichs Rezept in die Apotheke.
Adieu
Ihr F. L.
165.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Heidelberg, Hotel Schrieder, 16. Oktober 1863.
Liebes Kind, Ihr Brief nach Ragaz ist mir nach Zürich nachgeschickt
worden, wo ich mich nur einen Tag aufhalten konnte, da mich eine
1) Am 28. März.
2) Der Chemiker Dr. Otto Dammer war anfangs die Seele des Leipziger
Zentralkomitees. Lassalles Briefe an ihn veröffentlichte 191 2 Hermann Oncken
im Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. II.
Zahlreiche Briefe von ihm an Lassalle werden in Ed. V gediuckt werden.
3) Herweghs Brief vom 11. April wird in Bd. V gediuckt werden.
— = 345 —
telegraphische Depesche, zu gleicher Zeit ankommend, sofort nach
Heidelberg bestellte zu einer Konferenz mit Paul [rief], die ich unter
obwaltenden Umständen nicht versagen konnte.^) Ich bin gestern abend
um neun Uhr todmüde hier angekommen und trotzdem nicht vor vier Uhr
ins Bett [gejkommen. Ich wollte Ihnen schon von Zürich aus antworten,
konnte aber an dem einen Tag wirklich nicht einen freien Moment er-
obern und will es nun [heute], obgleich ich völlig wirr im Kopf und ganz
krank und daher mein Brief völlig konfus sein wird, heute dennoch tun.
Ich hatte, bevor ich Ihren Brief und Rede zugleich erhielt, nur einige
Andeutungen in der ,, Allgemeinen [Zeitung]" über die Vorgänge am
Rhein gelesen, an deren Wahrheit ich zwar keinen Augenblick in einer
Beziehung glaubte, die mich aber doch in andrer, was die Einmischung
der Regierung^) betrifft, sehr beunruhigten. Aber ich wußte nun gar
nicht mehr, wohin Ihnen schreiben, da auf meinen Brief nach Berlin
noch gar keine Antwort erfolgt war. Über diesen einen Punkt der Folgen
von gesetzlichen Verfolgungen bin ich allerdings auch nach Lesung Ihrer
Rede, die mich natürlich nichts abhalten konnte, sofort in Zürich genau
durchzustudieren, für einige Stellen derselben nicht beruhigt. Im
übrigen bin ich so sehr mit Ihnen in allem einverstanden, wie man es nur
sein kann. Ich bin stolz auf Sie und würde eine ganz reine Freude darüber
haben, wenn mich die Sorge um Ihr persönhches Wohlergehen nicht zu
sehr beschäftigte und mir dennoch am Ende über alles andere ginge. Ich
könnte heute schon sehr bequem auch hier nachgeschickt Nachricht über
den Ausgang Ihrer Sitzung am 12.^) haben, und dies ist, was wirklich
unfreundschaftlich ist, daß Sie mir den Ausgang nicht augenblick-
lich mitgeteilt haben. Es macht mich se hr besorgt, denn ich kann kaum
glauben, daß Sie den Eigensinn und die unverantwortliche Verkennung
meiner imveränderlichen Freundschaft so weit getrieben haben sollten,
mir eine erfreuliche Nachricht vorzuenthalten. Ich bitte aber jetzt
sehrdringend umumgehende Auskunft darüber, adressiert Heidelberg
1) Graf Paul von Hatzfeldt stand damals vor seiner Verheiratung mit der
Amerikanerin Helene Moulton (f 19 18).
2) Lassalle hielt in der letzten Septemberwoche in mehreren rheinischen
Städten die Rede ,,Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordneten-
tag. Drei Symptome des öffentlichen Geistes", die ziierst in Düsseldorf im Ver-
lag der Schaubschen Buchhandlung erschien. In Solingen kam es am 27. zu der
berühmten Episode, bei der Lassalle sich in einem Telegramm an Bi.smarck über
den ,, fortschrittlichen Bürgermeister" beschwerte. Vgl. u. a. Oncken, Lassalle,
S. 387.
3) Am 12. Oktober erreichte Lassalle vor dem Kammergericht, daß die vier Mo-
nate Gefängnis, zii denen er vor dem Stadtgericht wegen des ,, Arbeiterprogramms"
verurteilt worden war, in eine Geldstrafe verwandelt wurden. Er hielt hier einen
Teil der Rede, die gedruckt erschien unter dem Titel: ,,Die indirekte Steuer und
die Lage der arbeitenden Klassen."
346 =
im Hotel Schrieder, da ich noch nicht weiß, wieviel Tage mein hiesiger
Aufenthalt dauert. Es ist eine traurige Zeit für mich, jede Berührung, die
mir wieder zeigt, wie sehr ich mein ganzes Lieben einem Hirngespinst
geopfert und was ich dafür geerntet, reißt alte Wunden, die ich erhalten,
wieder neu auf. Ich kann nur existieren, indem ich jede äußere Er-
innerung daran vermeide, um die innere unterdrücken zu können . . .
Ihre Ungerechtigkeit ist groß, wenn Sie meine häufigeren Abwesen-
heiten von Berlin wie einen Mangel an Freundschaft hinzustellen ver-
suchen, wo der gegenteilige Beweis so nahe liegt. Berlin ist für mich
der letzte Ort der Welt, durch traurige Erinnerungen und fortdauernde
unangenehme Verhältnisse der widerlichste Ort, ein Ort, wo ich durch
die Folgen dieser Verhältnisse, wie migerecht sie sein mögen, nicht einen
Menschen, ich sage nicht Freund, sondern nur Bekannten und Gesell-
schaft habe, noch haben kann , so sehr, daß ich nur die unangenehmsten
Folgen gehabt habe, wie ich mich bereden ließ, zum Versuch aus dieser
Isolierung herauszutreten. Ich stehe also so allein dort wie auf einer
wüsten Insel; ich habe allerdings vSie, und das ist sehr viel imd macht
mir den sonst ganz unmöglichen Aufenthalt nur möglich; denn Sie
werden zugeben, daß, was ganz natürlich und sogar notwendig und
was ich gar nicht ändern möchte, Sie so viel sehr große und auch kleine
und kleinere Zwecke und Beschäftigungen aller Art haben, daß mir
wohl Zeit und Muße bleibt, meine völlige Isolierung zu fühlen. Dies ist
aber grade für mich der allerminimste Punkt, den ich nur beiläufig
miterwähne. Ich brauche keine Gesellschaft und repoussiere sie sogar in
Berlin, weil es erstens durchaus kein angenehmes Gefühl, so bloß ge-
duldet nebenher zu laufen und zu wissen, daß, wie Sie nicht da, kein
Mensch sich erkundigen würde, ob ich noch lebe, und dies Verhältnis
sich dort nicht ändern kann ; aber ich habe auch stets positive Un-
annehmlichkeiten gehabt. Ich muß mich daher wohl öfter fragen, wenn
Ihre Zwecke und Beschäftigungen Sie öfter und längere Zeiten anders-
wohin riefen, was würde aus mir unter diesen Verhältnissen werden
und um so schlimmer, je älter und kränklicher ich würde? Nun kommt
aber noch hinzu, daß dieses Klima für mich fast unerträghch ist, und
die schlechten Folgen davon haben sich unleugbar für jeden, der sehen
will, bereits erwiesen. Diese Anschauung über den Aufenthalt in Berlin
für mich stammt nicht von heute und gestern, nicht aus neu hinzu-
gekommenen etwaigen Gründen und Verhältnissen, wie Sie andeuten
wollen, Sie wissen sehr wohl, daß diese Ansicht über Berlin von jeher
bei mir feststand, daß es mich aus vielen unabänderhchen Gründen
physisch wie moralisch deprimieren muß. Weshalb bin ich also mit
dieser feststehenden Überzeugung und trotzdem, daß mir voraussicht-
lich so wenig Zeit auf dieser Welt mehr bleibt, so lange gegen meine
=347
innigsten persönlichen Wünsche in Berlin geblieben? Warnni bleilie
ich trotz der für mich nach meiner Überzeugung schon eingetretenen
nachteiligen Folgen und trotzdem, daß ich weiß, daß wo anders die
meisten derselben fortfallen, warum bleibe ich auch jetzt noch dort?
Beantworten Sie diese Frage mit bonne foi und Erwägung aller Ver-
hältnisse, wie sie sind oder wenigstens in meiner Anschauung, was dann
für mich auf eins herauskommt, und machen Sie mir dann noch Vor-
würfe über Mangel an Freundschaft. Es fällt mir dabei ein, daß Riem
mir schreibt, daß mir Schleicher die Wohnung zum i. April gekündigt.
Bitte gehen Sie doch einmal bald vorbei und hören »Sie, welches die Ur-
sachen und wie es damit steht. ^)
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, schreiben vSie gleich. Auf Wieder-
sehen entweder schon in ein paar Tagen, jedenfalls in kurzer Zeit.
i66.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
[Berlin, 19. Oktober 1863.]
Liebe Gräfin!
Läsen Sie Zeitungen, so würden Sie aus denen ersehen haben, daß
am 12. das Urteil nicht gesprochen, sondern auf heut (19.) ausgesetzt
worden ist. Soeben trifft die Nachricht ein :
Verurteilimg zwar aufrecht gehalten, aber die Strafe auf 100 Taler
Geldstrafe herabgesetzt.
Sie also werden lachen ! Ich aber mit höchster Kraft Kassation ein-
legen, am Kassationshof persönlich auftreten und einen furchtbaren
Lärm schlagen. Ich muß durchdringen.
Wegen neuer anderweitiger Verfolgungen ängstigen Sie sich doch
gar nicht! Kein Mensch denkt mehr dran, mich verfolgen zu wollen!
Sie hätten, um dies zu begreifen, neulich in der Sitzung des Kammer-
gerichts zugegen sein sollen ! Da hätten Sie gesehen, wie ich den Leuten
das Prozessieren mit mir bereits verleidet habe. Es war ein namen-
loser Triumph. Holthoff^) war vor Verwunderung ganz starr. Ich
sagte die furchtbarsten Dinge. Kein Mensch, der mich unterbrach.
^) Lassalle antwortete hierauf in seinem Brief vom 19. Oktober: ,,Icli habe
gar keine Zeit, zu Schleicher zu gehen. Für Kommissionen bin ich, wenn nicht
das halbe Leben davon abhängt, nicht mehr vorhanden." Und an einer anderen
Stelle schreibt er: ,, Durchdringen Sie sich nur etwas von der Vorstellung, daß
Sie mit dem beschäftigsten Mann in Deutschland zu tun haben. Ihnen
schreibe ich übrigens doppelt ungern, weil mit Erbitterung, weil Sie überhaupt
da sein und ich also überhaupt gar nicht Ihnen zu schreiben haben sollte."
2) Aurel Holthoff, Lassalles Anwalt.
348 ===
Ich proklamierte die Revolution ! Kein Staatsanwalt und kein Präsident,
der auch nur gehustet hätte! Ich habe den Leuten gezeigt, was eine
,, freie Verteidigung" ist, und dsa durch den Skandal in erster Instanz
und das Bewußtsein des Kammergerichts, mich doch nicht einschüchtern
zu können und mir durch Abschneiden der Rede nur Kassationsgründe
zu geben, so siegreich durchgesetzt, daß zum Staimen aller Juristen die
Leute sich ohne zu mucken zum voraus in alles ergeben hatten. Münd-
lich darüber näheres. Es war merkwürdig. Eben deswegen wollen sie
auch nicht wieder mit mir anbinden. Sie haben gesehen, daß es ein mi-
dankbar Geschäft!
Ich bin wieder der einzige gewesen, der Recht behalten hat gegen
alle seine timiden Freunde. —
Ich habe übrigens so viel zu tun, daß ich nicht weiß, wo mir der
Kopf steht! Alles wogt mit mir auf und nieder! Und da noch Briefe
schreiben !
Ihr Plaidoyer gegen mich ist ganz falsch! Sie wollen behaupten:
Sie seien meinetwegen in Berlin? Aber Sie sind ja gar nicht, und
können also auch nicht meinetwegen sein.
Betrachten wir z. B. das letzte Jahr. Heut ist der ig. Oktober. Also
vom 19. Oktober 1862 bis 19. Oktober 1863, wieviel waren Sie denn
ad in Berlin? Im November vierzehn Tage, dann reisten Sie unerbittlich
weg, obgleich mein Vater gestorben war und ich Ihre Anwesenheit also,
wenn je, so diesmal nötig hatte. Dann kamen Sie im Mai an und reisten
25. Juni weg. Sie waren also im ganzen acht Wochen während eines
Jahres in Berlin! während des Jahres, wo ich, durch Privatverlust ge-
beugt und von allen Seiten angegriffen, am meisten nötig gehabt hätte,
daß meine Freunde sich um mich scharten!
Nein, nein! Alle Advokatenkunststücke helfen da nicht! Sie sind
auch nicht ein bißchen gut gegen mich! Ich bin Ihnen deswegen doch
gut. Aber eben nur, weil ich Ihnen einmal gut bin ! Nicht, weil Sie es
auch nur im geringsten um mich verdienten! . . .
Ich bin übrigens — und das ist eigentlich auch der wahre Grund,
weshalb ich Ihnen neulich schrieb und heute schreibe — schon seit drei
Wochen der bestlaunigste Bursche in der Welt! Weiß nicht, wie 's
kommt, aber ich schnaufe ordentlich Erfolg in allen Nüstern ! Es
ist eine Siegesgewißheit und Gutlaunigkeit über mich gekommen, gegen
die alle frühere Sicherheit nur ein Kinderspiel war.
Ich kam hier an mit der Erklärung : in spätestens drei Monaten habe
ich Berlin, und lachte meinen Bekannten ins Gesicht, die mir ins Ge-
sicht lachten!
Und in der Tat ! Beim Tag meiner Ankunft waren wir zehn Mitglieder
hier. Vorgestern schon 25 Mitglieder, und gestern habe ich das Bom-
— 349 ==
bardement systematisch begonnen. Meine ,, Ansprache",^) die ich Ihnen
heut schon geschickt, wird seit gestern ausgegeben: Unsere Mit-
glieder — andere Kolporteurs haben wir nicht genommen — laufen
damit in die Fabrikarbeiterviertel. Große Aufregung. Die , .Ansprache"
wird wahnsinniges Aufsehen machen und, wenn ich nicht sehr irre,
große Wirkung haben. Täuscht mich nicht alles, so haben wir inner-
halb vier Wochen hier 300 — 500 eingeschriebene Mitglieder, und dann
ist alles gewonnen. Die Berliner Arbeiter fangen an, sich zu mir zai ent-
wickeln. Wer hat recht gehabt? Wer? Wer hat gegen allen täuschenden
Schein, gegen alles auswendige Ansehn der Dinge immer den Mut be-
halten und gesagt : ich werde Berlin haben wie den Rhein ?
Etsch! Etsch! Etsch!
Haben wir erst fünfhundert, so haben wir auch dreitausend Mit-
glieder hier.
Dann wollen wir weiter sehn ! Nun fehlt mir vorläufig weiter nichts,
als daß Sie da sind.
Sie haben sehr unrecht — auch in dieser Beziehung — auf Ihre
Stellung in Berlin zu schimpfen. Die Gründe derselben sind nicht lo-
kaler, sondern allgemeiner Art, wirken in Zürich wie in Berlin.
Und die paar Leute, die Sie in Zürich haben oder Italien, haben Sie
noch besser und in noch größerer Anzahl hier.
Und was die Besserung dieser Lage betrifft, so ist doch in mir immer
noch siebenundsiebzigmal mehr Kraft, das durchzusetzen, als in allen
andern Menschen, die Sie kennen, zusammengenommen. Es kömmt mir
ganz vor, als ob ich gar sehr auf dem Wege wäre, gar Verschiednes durch-
zusetzen. Kurz, ich bin accendente domo, und es fehlt mir nichts, als
daß Sie wieder da sind.
Machen Sie schnell, schnell, schnell!
Ihr
F. U.
Eben wie ich den Brief schließen will, kömmt Ihre telegraphische
Depesche. Ich antworte aber nicht telegraphisch darauf
1. weil ich das obige doch nicht in eine telegraphische Depesche
zusammen! assen und Sie also durch solches nur irreführen könnte ;
2. weil ich fürchte, daß Sie sonst schon heut abreisen und also auch
diesen Brief nicht mehr erhalten;
3. weil ja auch der Brief schon morgen Sie erreicht!
1) ,,An die Arbeiter Berlins. Eine Ansprache im Namen der Arbeiter des All-
gemeinen Deutschen Arbeitervereins" erschien im Kommissionsverlag bei Rein-
hold Schlingmann, Berlin. — Lassalles sanguinische Erwartung erfüllte sich be-
kanntlich nicht. Erst lange nach seinem Tode konnte der Allgemeine Deutsche
Verein in Berlin wirklich Boden gewinnen.
= 350 =
Wie Sie aus dem Früheren ersehen, wäre es nicht übel, wenn Sie
nach Köhi und Düsseldorf gehen. Aber nötig ist es gerade nicht. Denn
man kann das zuletzt auch durch Briefe ganz gut erfahren.
Vor Freitag aber treffen Sie am besten hier nicht ein. Denn Mitt-
woch abend erwarte ich Bucher, i) der mir wieder geschrieben, sich
angekündigt und mich gebeten hat, mich zunächst allein zu treffen.
Und da ich ihn sehr gern habe, möchte ich erst alles mit ihm in Ordnung
bringen. Donnerstag früh aber ist mein Prozeß wegen Beleidigung des
Staatsanwalts, so daß wir da nicht gemütlich zusammen sein könnten
und Sie doch noch wohl von der Reise zu müde sein würden, um gleich
in die Sitzung — die übrigens erst um 12 Uhr beginnt — zu gehen.
Und folglich ist es gemütlicher, wenn Sie erst Freitag eintreffen,
mir aber vorher schreiben, damit ich Sie am Bahnhof abholen lasse
und bei mir mit dem Frühstück erwarte. Wenn Sie also bis Freitag —
oder spätestens Sonnabend — hier sein wollen, können Sie übrigens,
falls Sie hinwollen, bis dahin schon Köln und Düsseldorf, wo Sie doch
nur zwei Tage Aufenthalt brauchen, abgemacht haben.
Herbertz wohnt jetzt in Köln, Domstraße 23.
In Düsseldorf lassen Sie sichlycwy-) (Bilkerstraße 40) rufen, der
Ihnen dann ganz zu Diensten stehen wird. Auch können Sie sich von
Bloem Ihren" Akt mitbringen, woran ich vergaß, obwohl ich mit ihm
davon sprach. Ganz Ihr
F. L.
Beinahe zwei Stunden an diesem Brief geschrieben ! !
167.
IvASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
Montag, Leipzig, Hotel de Baviere [9. Mai 1864].
Gute Gräfin!
Hier gleich an der Eisenbahn von über 250 Arbeitern mit furcht-
barem Hoch empfangen, haben wir schon gestern eine gemütliche
Vorversammlung gehabt und heut die offizielle.
Ich habe vergessen: meinen Rasierpinsel und das Bartseifenpulver.
Wollen Sie das meinem Friedrich sagen, und mir diese Dinge sofort
1) Zwischen Bucher und Lassalle hatte aus Gründen, die sich aus Buchers
Privatleben erklären, der Verkehr zeitweise geruht.
2) Gustav Lewy war der Kassierer und Düsseldorfer Bevollmächtigte des
Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Er war ein alter Bekannter Lassalles.
Vgl. übrigens Bd. III, Einfühnxng S. gf.
= 351 ==^
nach Düsseldorf seiulfu lassen. Ich hatte ihm ül)rigens ansdrücklich
eingeschärft, sie einzupacken.
Wenn die ,, Norddeutsche" etwas über die Deputation der Weber
und ihre Audienz beim Könige bringt, so schicken Sie mir dieselbe so-
fort ein. ^) — Instruieren Sie Willms-) und Friedrich, daß mir mein Paß
oder die darauf bezügliche Antwort aus dem Ministerium sofort nach-
geschickt wird, und nicht etwa dies für einen Gerichtsbrief gehalten
und zu Holthoff erst gebracht wird. Solange Sie in Berlin sind, können
überhaupt Sie sich alle amtlichen Zustellungen bringen lassen, die erst,
insofern sie nach Ihrer Abreise kommen, Friedrich zu Holthoff zu
bringen braucht.
Sagen Sie ihm das aber so, daß er es nicht mißversteht und am P^ule
ja nicht die Ordre wegen Holthoff' auch nach Ihrer Abreise für auf-
gehoben hält.
Nun adieu! schreiben Sie bald Ihrem guten
F. L.
i68.
SOPHIE VON HATZFEDDT AN DASSALLE. (Original.)
Berlin, Dienstag mittag [lo.Mai 1864].
Liebes, gutes Kind, ich bin von abscheulichsten Laune, ich habe mein
Geld noch nicht, das Hypothekengeschäft hat noch Schwierigkeiten.
Frerichs hat mir noch nicht Brief noch Attest fürs Gericht geschickt,
ich gehe heute wieder zu ihm. Holthoff hat mir den Akt noch nicht ge-
schickt, und ich möchte so gern schleunigst fort, kann aber so den Tag
noch nicht bestimmen. vSoeben erhalte ich Ihren Brief, Ihre Bestellungen
an Friedrich werde ich heute noch machen.
Soeben werde ich durch den Besuch der schlesischen Weber unter-
brochen, sie haben gestern abend eine Stunde lang Audienz bei B[ismarck]
gehabt, der ihnen erklärt hat, daß mit denjenigen Familien dort, welche
jetzt brotlos geworden, ein Versuch der Gründung einer Assoziation auf
vStaatskosten gemacht werden solle, jetzt gleich, um durch diesen kleinen
Anfang die Sache auf die Probe zu stellen. Er sagte ihnen, daß die Ar-
beiterfrage gelöst werden müsse, mit welchen Gesetzen und Mitteln
es auch sei, das sei notwendig und er dazu fest entschlossen, er ge-
stehe aber, daß er von der Sache nichts verstehe, noch welche Mittel
dahin führen können. Die Geheimräte, Minister, Beamten verständen
') Für die Weberdeputation an den König vgl. Oncken, Lassalle, S. 454 f .
2) Eduard Willms, Scluvertfeger aus Solingen, war Sekretär des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins. Briefe von ihm an I,assalle wird Bd. V mitteilen.
— - 352 =
nach seiner Meinung auch nichts davon, die Fabrikanten seien bös-
willig, nur der Arbeiter selbst könne wissen, wo ihn der Schuh drücke,
und darum wolle er es von ihnen selbst erfahren. Er sagte, die Mittel-
losen bezahlten die Steuern des Staates, denn es gäbe in Preußen nur
200 000 Besitzende,^) und so hätten sie auch das erste Anrecht an ihn;
und hörten [?] damit auf, den intelligentesten der drei Leute 2) zum Be-
vollmächtigten zu machen mit dem Auftrag, ganz Schlesien zu bereisen,
mit den Arbeitern Rat zu halten und Versammlungen, und ihm direkt
seine Vorschläge zu adressieren. Seine Familie würde während der Zeit
ernährt, jede seiner Reisen bezahlt, er könne, so oft er wolle, nach Berlin
kommen, er sei stets für ihn zu sprechen. Auch die übrigen jetzt brotlos
gewordenen Familien werden ernährt, bis eine solche Produktiv-Asso-
ziation für sie gebildet. Er erkundigte sich sehr angelegentlich, ob er
nicht wisse, wie es in Sachsen mit der Arbeiterbewegung stände, dort
hätten sie das Koalitionsrecht, wozu er übrigens auch ganz bereit sei.
Ich sagte dem Weber, er habe nun einen sehr ehrenvollen und folge-
schweren Auftrag, da B[ismarck] ihm gesagt, das, was er tun wolle, sei
nicht für Schlesien, sondern ganz Preußen. Es sei also höchst wichtig,
daß er nicht vereinzelt und nach eigenem Gutdünken operiere, er solle
sich sofort an Sie mit der Sache wenden, Sie würden gewiß zu jeder
Hilfe bereit sein, er solle Ihre Schriften lesen und verbreiten, den aus-
gesprochenen Anschluß an den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein
bewirken, er könne wohl beurteilen, was augenblicklich Erleichterung
gäbe, aber nicht das Prinzip, das dauernde und allgemeine Hilfe bringe,
und diese zu bewirken sei er dem ganzen Stande schuldig.
Es ist ein Ereignis, aber ich muß gestehen, daß es mich etwas
stutzig macht, daß man es hinter dem Rücken der schon bestehen-
den Bewegung macht, wahrscheinlich oder möglicherweise, um
durch einzelne Maßregeln und zu winzige Produktivassoziationen die
Sache zu verflachen oder als ohne wirkliches Resultat darzustellen und
die Arbeiterbewegung dadurch wieder zu paralysieren?
Oder sollte es sein, um auf bevorstehende Wahlen (ohne allgemeines
Wahlrecht) günstig einzuwirken?
Oder um Ihnen die Ivcitung aus der Hand zu nehmen, indem man
direkt anknüpft und hofft, mit der notwendigen Kurzsichtigkeit der
lycute besser zu operieren?
In der ,, Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" ist weder der Artikel
über Sie noch über die Weber erschienen. Wegen Ihres Passes erkundige
ich mich gleich ; soll ich vielleicht zu Z.^) (Vorwand der Paß) gehen und
^) Siehe unten Nr. 169.
2) Florian Paul.
^) Die Gräfin meint vielleicht den Polizeipräsidenten Freiherrn von Zedlitz.
353 =
ihm dabei etwas über die Webergeschichte, daß es mit Ihnen im völhgen
Zusammenhang steht, fallen lassen? Soll ich hingehen zu Z. ? Und was
ihm sagen?
Ich habe dem Weber gesagt, daß er Ihnen heute Bericht nach
Leipzig schicken soll. Nun leben Sie wohl, liebes Kind, ich bin in großer
Eile und bitte Sie nur noch, wenn Sie mich noch einige Zeit l)ehalten
wollen, sich auf dieser Reise etwas danach zu richten. Ich kann keine
großen Dinge mehr ertragen.
169.
IvASSAIvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Leipzig, Mittwoch [11. Mai 1864].
Gute Gräfin!
Ich empfange soeben Ihren Brief. Die darin mitgeteilten Nach-
richten sind jedenfalls vortrefflich.
Was B[ismarcks] eigenthche Absicht ist, ist unschwer zu durch-
schauen. Im wesentlichen ist sie jedenfalls diese : Er hat, wie ich Ihnen
voriges Jahr bereits sagte, von Anfang an den Wunsch gehabt, womög-
lich das Sozi aleElementder Arbeiterbewegung durchzuführen, moins
das politische. Da ich nicht bereit war, hierauf einzugehen, versucht er es
jetzt mit den Arbeitern direkt. Wäre diese Trennimg möglich, könnte
er sein Projekt durchführen — so wäre sein Profit dabei ganz klar. Er
hätte die Macht dann ganz allein und brauchte mit niemand abzu-
rechnen, nicht mit Volk, Kammer, noch Bewegung. Aber aus tausend
Gründen ist dies schließhch g an z u n mö g li c h.Er ist der Mann noch nicht,
mit dem Teufel Kirschen zu essen !^) Er wirtschaftet jetzt, willentlich
oder nicht, als mein Bevollmächtigter für Schlesien. Je mehr er
in diesem Kamine herumpurrt, desto mehr zieht er mir die Bewegung
groß.
Ich erwarte Pauls 2) Brief, denn wie Willms mir schreibt, will Paul
mir direkt schreiben, und ich werde ihm dann, soweit nötig, antworten.
Waseigentiich Paul in den Arbeiterversammlungen machen und an
B[ismarck] besorgen soll, geht aus Ihrem Brief nicht klar hervor,
wahrscheinlich eben nur deswegen, weil sich B[ismarck] selbst darüber
gar nicht klar geworden ist. Soll Paul ihm von den schlesi sehen
Arbeitern Vorschläge über die Organisation der Produktiv-
Assoziationen besorgen, Vorschläge über das Detail der Einrichtungen?
1) Dieses bisher bloß durch mündliche Tradition überlieferte Wort Bismarcks
erhält durch den vorHegenden Brief historische Authentizität.
2) Florian Paul, der Führer der Weberdeputation. Briefe von ihm an Lassalle
und an die Gräfin befinden sich im Nachlaß.
.\Iaver, Lassalle-Nachlass. IV 23
— 354
Das wäre doch nicht möglich. Oder bloß Nachricht, ob die Arbeiter da-
für sind? Oder was sonst?
Kurz, es wird sich alles zeigen. Aber, was auch geschehe, es fällt der
Bewegung in die Hände.
Ich erwarte Pauls Brief. Sind vorher dort Entschlüsse zu fassen,
so konferieren Sie mit Bucher, der am meisten meinen Gedanken hat
und alles kennt. Sagen Sie das auch an Willms.
Eine Bitte: Halb heiser abgereist, bin ich hier durch zweistündige
Rede ganz heiser geworden. Bitte, gehen Sie — oder schreiben Sie —
gleich an Frerichs, er soll Ihnen das Rezept geben, das mir so gut getan,
und schicken Sie mir es sofort an I^ewy nach Düsseldorf, wo ich morgen
anlange. Ganz Ihr
F. L,assalle.
170.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEivDT. (Original.)
Düsseldorf, Donnerstag [20. Mai] ^) 1864.
Gute Gräfin!
Ich habe Ihnen schon einmal nach Heidelberg geschrieben. Obgleich
ganz krank, wirklich auf den Hund gebracht, schreibe ich Ihnen wieder.
Endlich, endhch ist der größte Teil der Fatiguen hinter mir. Wäre ich
bei meiner Abreise von Berlin gesund gewesen, so war mir das alles
^) Das Datum hat Lothar Bucher später hinzugesetzt. Gleich nach Lassalles
Tod wurde bekanntlich auf Betreiben und unter hervorragender Mitwirkung der
Gräfin eine ,, dokumentarische Darstellung" seiner letzten Lebenstage für den
Druck vorbereitet. Nachdem die Gräfin sich mit Bucher überworfen hatte, war
am Ende Wilhelm Liebknecht der Bearbeiter des Buches, dessen Manuskript
sich im Nachlaß der Gräfin fand. Differenzen mit dem Verleger Schlingmann be-
wirkten, daß der Druck, der beinahe vollendet war, eingestellt wurde und
das Erscheinen unterblieb. Die Mehrzahl der folgenden Briefe war bereits in diese
Pubükation, die niemals zur Ausgabe gelangte, aufgenommen worden. Dem Heraus-
geber lagen sowohl die Originale wie der Liebknecht-Hatzfeldtsche Abdruck vor.
Die Rücksicht auf noch lebende Beteiligte, die damals zahlreiche Auslassungen
und Abschwächungen bewirkte, ist seither weggefallen. Nun findet man freihch
die Mehrzahl der folgenden Briefe auch in dem berüchtigten Pamphlet Bernhard
Beckers ,, Enthüllungen über das tragische Lebensende Ferdinand Lassalles. Auf
Grund authentischer Belege dargestellt. Schleiz 1868". Aber Beckers Publikation,
die auf Grund heimlich und rechtswidrig vorgenommener Abschriften von den
Originalen und unter Benutzung des Liebknecht-Hatzfeldtschen Drucks erfolgte,
gibt einen vielfach verderbten und verstümmelten Text. Sie ist selbst nicht frei
von absichtlichen Fälschungen, zu denen der Haß gegen Sophie von Hatzfeldt
diesen Menschen von durchaus brüchigem Charakter verleitete. Vgl. übrigens die
Einleitung zu seiner Schrift S. III — V.
= 355 =
Kleinigkeit. Aber ich reiste schon ganz heiser ab, mindestens mit einem
gehörigen Katarrh. Nach der Leipziger Rede war es sofort schhmm.
Hier angekommen, ging ich gleich zu Gerhardy^) und höUensteinte an
mir herum, so daß es wieder notdürftig ging. Aber nachdem die Ver-
sammlung in Solingen vorbei war — einer Rede von 2 Stunden — hatte
ich keinen hörbaren Ton mehr. Mit nassen Handtüchern, heißem Grog
und ähnlichen Mitteln stellte ich mich gleichwohl wieder so weit her, daß
ich tags drauf in Barmen wieder reden konnte. Hier schonte ich niicli
ziemlich, um den andern Tag in Köln bei voller Kraft zu sein. Und wirk-
lich ä force von Handtüchern und Grog usw. verfügte ich am andern
Tag über alle meine Stimmittel, sogar mit Leichtigkeit. Eben das ver-
führte mich. Ich sprach nach der Rede noch den ganzen Tag über un-
nötigerweise so viel, daß ich abends nicht mehr einen Ton hatte. Dazu
kam Erkältung, starker Husten usw. Gleichwohl mußte ich gestern in
Wermelskirchen sprechen, und ich brachte es auch wieder fertig, zwei
Stunden lang. Aber mit solcher Ermüdung, mit solcher Überanstrengung
aller meiner Kräfte, daß ich heut wieder tonlos bin und auch außerdem
erschöpft, schlodrig, matt und sehr schlecht aussehe.
Glückhcherweise kann ich mich jetzt bis Sonntag ausruhen. Sonn-
tag kommt die letzte aber auch größte Anstrengung — unser Stiftungs-
fest zu Ronsdorf, das wirklich großartig sein wird. Dann sofort nach
Ems!
Physisch steht es also augenblicklich schlecht mit mir.
Moralisch habe ich dagegen hier hin und wieder, so am letzten Sonn-
tag und Montag und vor allem gestern in Wermelskirchen manchmal
ganz überwältigende Eindrücke bekommen! Sowas habe ich noch nie
gesehen! Unwillkürlich mußten einem die Faust-Szenen einfallen!
Sowohl die im ersten Teil (,, zufrieden jauchzet groß und klein, hier bin
ich Mensch, hier darf ich's sein") als die am Schluß des zweiten Teils.
wo er befriedigt stillsteht. Hier war nicht mehr von einem Parteifest
oder von einer Parteiversammlung die Rede. Die ganze Bevölkerung
war in einem namenlosen Jubel. Ich kam — ohne es zu zeigen — aus
einer gewissen Verwunderung gar nicht heraus, daß gerade die Land-
gemeinde diese Agitation so gewaltig ergreifen konnte. Ich hatte be-
ständig den Eindruck, so müsse es bei der Stiftung neuer Rehgionen
ausgesehen haben! Die Vereinsgemeinde Wermelskirchen und die
Staatsgemeinde Wermelskirchen sind sich fast gänzlich deckende Be-
zeichnungen. (Ebenso Ronsdorf.) Kommt es wirklich einmal zum all-
gemeinen und direkten Wahlrecht, so ist in solchen Gemeinden wie
Wermelskirchen, Ronsdorf, Solingen, nicht von Majorität sondern nur
^) Der Arzt ll,assalles und der Gräfin in Düsseldorf.
-= 356
von Unanimität die Rede. Mann für Mann würde die Bevölkerung aus-
ziehen, um für jeden zu votieren, den ich ihnen bezeichne.
Anbei — wir bekommen natürhch nichts Ausf ührhches in die hiesige
Presse, obwohl sich jetzt bereits Blätter wie die ,, Düsseldorfer Zeitung"
und ,, Barmer Zeitung" uns für kurze und abgeschwächte Berichte zur
Verfügung gestellt haben — einen Bericht der ,, Düsseldorfer Zeitung"
über Barmen und Köln. Den über Solingen werden Sie noch in Berlin
erhalten haben.
Einen für den ,, Nordstern"^) bestimmten Artikel über Wermels-
kirchen lege ich in Abschrift bei.
Ich will Ihnen gleich jetzt — denn ich habe nicht Ihre schänd-
liche Gewohnheit, einem erst im allerletzten Augenblick Ihre Entschlüsse
mitzuteilen — anzeigen, weil es Ihnen vielleicht lieber ist, wenn Sie
es früher wissen, daß ich genötigt bin, nach der Emser Kur mich zu
einer Molkenkur von drei bis vier Wochen nach der Kuranstalt auf dem
Rigi zu begeben. Übereinstimmimg von Frerichs und Gerhardy. Viel-
leicht kommen Sie mit. Ich hoffe das wenigstens sehr. Ihr
F. L.2)
171-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Rigi-Kaltbad, 22. Juli [1864].
Gute Gräfin!
Selbst in der größten Mißlaune, erhalte ich Ihre zwei Briefe, aus
denen ich ersehe, daß Sie leider auch in nicht geringer Mißlaune sind.
Mit Ihrem Krankheitszustand wollen Sie Geduld haben! Er ist gewiß
nicht so schlimm, wie Sie ihn sich vorstellen. Und die Wildbader Kur,
die Sie ja erst beginnen, wird ihn doch jedenfalls sehr verbessern.
Brauchen Sie die Kur recht ruhig, recht ordentlich. Ennuyieren Sie sich,
aber regen Sie sich nicht auf. Ihre andern Betrachtungen aber verstehe
ich sogar zum großen Teile nicht einmal, so seltsam und ohne tatsäch-
lichen Anhalt sind sie ! Sie machen sich auf einmal steinalt, behaupten,
daß Sie der Geselligkeit nicht mehr fähig sind und ihr zur Last fallen
1) Der Bericht erschien im , .Nordstern" vom 28. Mai. Die Abschrift ist ganz
von I^assalles Hand. Daß er den Bericht selbst verfaßt hat, unterliegt keinem
Zweifel.
2) Dieser Brief ist, ohne die Anrede, von Anfang bis zu der Stelle ,,den ich
ihnen bezeichne", bereits gedruckt in der Schrift von Bernhard Becker, Geschichte
der Arbeiteragitation Ferdinand I,assalles. Nach authentischen Aktenstücken,
Braunschweig 1874, S. 226 f .
= 357 =
— wovon Sie doch gerade auf dieser Reise die stärksten Gegenbeweise
gesehen haben — klagen verdeckt über mich, wozu Sie niemals und
gerade jetzt am wenigsten einen Anlaß haben, und behaupten (kurios!),
daß die Anfeindungen meiner Freundinnen gegen Sie dauernde Zer-
würfnisse und Folgen zwischen uns hervorgerufen ! Schon mit dem Wort
,, Freundinnen" generalisieren Sie wieder entsetzlich. Es kann nur auf
die einzige Frau, D.,^) gehen. Die anderen, Agnes,-) Frau Dohm^) usw.,
haben sich immer sehr gut mit Ihnen vertragen. Von Frau D[uncker]
habe ich es stets gefordert, oft erlangt, und als ihre Unverträglichkeit
immer wieder durchbrach, sie entlassen.*) Was also wollen Sie? Auf
dieser Reise glaube ich Ihnen wieder so viel Freundschaft, Aufmerk-
samkeit und Bevorzugung aller Art erwiesen zu haben wie nur möglich.
Was also wollen Sie? Selbst, daß Frau von Hofstetten^) usw. nach
Berlin zieht, wünsche ich hauptsächlich Ihretwegen, wie ich denn
noch niemals meine Bestrebungen, Ihnen einen erträglichen Kreis zu
machen, aufgegeben habe. Aber Sie sind blind für alles, weil ich kein
Freund vom Wortemachen bin, mich begnüge, zu handeln und nicht
erst meine Handlungen in Worte und Absichten übersetze, da sie, wie
mirscheint, deutlich genug von selbst reden. Wenn jemand den zehnten
Teil dessen, was ich stets imd imablässig für Sie tue, stumm tue, Ihnen,
in Worten vortrüge — so würde er Sie bis zu Tränen rühren! Aber so-
wie man nicht den beständigen .Wortdolmetscher bei Ihnen macht,
wird alles verkannt und mißverstanden!
Es ist, glaube ich, unmöglich, daß jemand eine Frau mehr als
Freundin behandelt als ich Sie ! Und gesehen habe ich wenigstens noch
nie, daß es einer mit einer auch nur zur Hälfte ebenso tut. Daß ich
jungen Frauen die Cour mache und ihnen also ein ganz anderes Genre
von Aufmerksamkeiten erweise, verschlägt dagegen nicht im geringsten,
denn es steht durchaus nicht so, wie Sie sagen, daß ich freundschaft-
liches Frauenelement brauche! Im Gegenteil, dies kann ich gar nicht
gebrauchen, da es bereits in Ihnen seine beste und erschöpfende Ver-
tretung hat. Gerade nur spezielle Beziehung mit Frauen existiert, außer
Ihnen, für mich.
^) Ivina Duncker.
2) Agnes Klindworth.
^) Hedwig Dohm.
*) Vgl. das Brieffragment aus Aachen 1860 in Intime Briefe Ferdinand Lassalles
an Eltern und Schwester, Berlin 1905, S. 160, das offenbar an Frau Duncker ge-
richtet ist.
^) Die Gattin Johann Baptist von Hofstettens, eines ehemals bayerischen
Offiziers, der damals bereits mit Lassalle über die Gründung einer dessen An-
sichten vertretenden Tageszeitung beriet.
- 358
Ich kann unmöglich alle die höchst verkehrten Vorstellungen Ihres
Briefes berichtigen, denn ich muß noch viel andere Briefe schreiben. Aber
durchsprechen können wir sie einmal. —
Unangenehm ist die Sache mit Helenen 1^) Sehr unangenehm für
Sie, und entließen Sie sie schon einmal, so hätte ich ihr weit lieber den
ohnehin vakanten Posten meiner Gersonnaise^) gegeben, als sie in Elber-
feld verheiratet gesehen ! Nur die Rücksicht, Ihnen nicht den dienenden
Geist zu nehmen, hielt mich ab, es mit ihr zu besprechen. Doch habe
ich Grund zu glauben, daß sie damals gern darauf eingegangen wäre.
Human wäre es freilich nicht sehr, wenn Sie ihr unter so besondern
Umständen den Dienstaustritt nicht gestatteten. Dem Rechte nach
aber können Sie darauf halten, daß sie das Quartal aushält. Keines-
falls brauchen Sie ihr, wenn sie infolge eigener Kündigung fortgeht, die
Rückreisekosten zu geben. Machen Sie noch einen Versuch. Sprechen
Sie mit ihr in meinem Namen. Sagen Sie ihr, ich ließe ihr sagen: es
sei wenig schön, wenn sie wegen einer Heirat ihre Herrin Knall und
Fall im Stiche lassen wolle, worauf sie ohnehin nicht einmal ein Recht
habe. Sie könne auch noch nach der beendeten Reise, im Oktober,
ebensogut heiraten, und ich rechnete daher darauf, sie als treue Zofe
mit Ihnen im August hier zu sehen. Vielleicht hilft das! Wenn es nicht
hilft, so müssen Sie freilich sehen, zu einer andern Kammerjungfer zu
kommen. Denn ohne solche sind Sie ja verloren. Vielleicht finden Sie —
es ist doch wenigstens nicht unmöglich — in Wildbad eine. Konsul-
tieren Sie die weiblichen Glieder der Familie Klumpp. Nützt
das auch nichts, so würde ich Ihnen raten, dem Wirt zum Hollän-
dischen Hof in Frankfurt a. Main zu schreiben, daß er Ihnen eine
besorgt und zuschickt. Jedenfalls haben Sie dabei den Vorteil, viel ge-
ringere Reisekosten zu haben als von Berlin aus. Weiß Frau Esser in
Düsseldorf eine zuverlässige, so lohnt das freilich die Kosten. —
Jedenfalls könnten Sie auch verlangen, daß Helene Ihre Kurzeit mit
Ihnen in Wildbad zubringt und mit Ihnen dann bis Karlsruhe geht, wo
Sie wohl auch eine Kammerjungfer finden.
Das ist, was ich über diese Sache zu sagen und zu raten weiß. Jetzt
zu einer andern wichtigen Angelegenheit. Ich wollte, Sie entschlößen
sich recht bald und teilten mir mit, wie lange Sie dort bleiben, wenn
Sie hierher kommen, und besonders wohin wir dann gehen wollen. Im
voraus beizeiten muß ich es wissen, sowohl wegen meiner Adresse, die
ich beizeiten nach Berlin usw. geben muß, als weil ich mir von meinem
Bankier Wechsel senden lassen muß und wissen muß, ob Wechsel auf
1) Die Zofe der Gräfin.
2) Siehe oben S. 314 Anmerkung.
= 359
Genf (falls wir aii den Genfer See gehen), oder auf Basel (falls ich nach
Ostende gehe). Mir ist es im Notfall einerlei, wenn ich diesmal um mein
Seebad komme (so traurig es ist), falls ich die Zeit statt dessen am
Genfer See zAibringe. Weiter nach Süden kann ich keinesfalls gehen.
Nun muf3 ich Ihnen aber wegen der Reise folgendes sehr ans Herz
legen : Wie es scheint, wollen Sie (Sie sagen mir natürlich nie etwas, und
ich muß alles erraten) die Reise mit Rüstow machen. An und für sich
habe ich nichts dagegen, daß er mitgeht. Aber wie ich in Zürich so mit
halbem Ohr bei Herweghs herausgehört zu haben glaube, kann ich
eben durchaus nicht darauf rechnen, in ihm einen liebenswürdigen Ge-
sellschafter zu finden.^) Wenn ich nun von allem absehe, was voriges
Jahr geschehen ist, so ist das gewiß das höchste, was ich tun kann. Aber
Sie müssen selbst begreifen: neue Unliebenswürdigkeiten von seiner
Seite kann und werde ich nicht hinnehmen und als ,, Vergnügungsreise"
betrachten. Es schickt sich zudem nicht einmal. Ich kann Ihnen vieles
nachgeben und gebe Ihnen gar vieles nach. Aber ich kann das unmöglich
noch auf einen dritten Mann ausdehnen. Ich würde also bei der ge-
ringsten unliebenswürdigen Haltung seinerseits sofort nach Ostende
echappieren. tJberlegen Sie sich also vorher genau, ob Sie seiner hin-
reichend sicher sind. Wenn nicht, können Sie die Reise mit mir allein
machen, wo Sie sich ganz gut amüsieren würden, oder mit ihm allein,
wo Sie sich ebenfalls sehr gut amüsieren würden imd was ich keines-
wegs Ihnen auch nur im geringsten übelnehmen würde. Im Gegen-
teil, ich ginge dann von hier nach Ostende, was mir auch ganz recht
ist. Spannen Sie aber beide Pferde ein, so müssen Sie sicher sein, daß
sie sich vertragen. Ist dies nicht der Fall, so werden Sie statt des Ver-
gnügens, das Sie mit jedem Einzelnen von uns fänden, nur desagrement
haben. Sie würden ferner mir gegenüber nach dieser meiner Erklärung
eine hohe Verantwortlichkeit tragen, und Sie würden femer mir das
bißchen Vergnügungsreise total verdorben haben, dessen ich doch sehr
benötigt bin. Also überlegen Sie das wohl! Auch wenn Sie mit Rüstow
allein reisen — was Ihnen insofern anzuraten wäre, als er länger in den
Winter hinein bei Ihnen bleiben und tiefer nach Süden mit Ihnen gehen
kann als ich, da ich am 25. September in Berlin sein muß — , können
wir deshalb dennoch ganz gut einige Tage en trois in Rigi-Kaltbad oder
in Weggis zubringen. Aber auch, wenn Sie nach Rigi-Kaltbad kommen,
ist Zürich ein großer Umweg, Sie gehen viel kürzer über Luzem und
täten am besten, Rüstow das Rendezvous in Luzem oder Weggis zu
^) Keineswegs bloß politische Erwägungen hatten Rüstow L,assalle entfremdet.
Aus seinen Briefen an die Gräfin, die sich im Nachlaß befinden, geht klar hervor,
daß ihm Lassalle im Wege war wegen der tiefen und unausrottbaren Freundschaft,
die die Gräfin für ihn empfand. Vgl. oben die Einführung S. 27 f.
============= 36o —
geben. Geben Sie mir auf alles dies baldigst wegen meiner Arrange-
ments — eine wohlerwogene, besonnene Antwort.
Ich war nur einen Tag in Zürich, bei Herweghs; bin hier mutter-
seelenallein unter 126 Menschen, die mich in keinerWeise interessieren,
und in entsetzlich schlechter Stimmung, nachdenkend, in wieviel froherer
Stimmung ich sonst immer auf dem Rigi gewesen und wie sich alles für
mich verschlechtert ! Beiläufig : Die Düsseldorfer Ratskammer hat wirk-
lich meine provisorische Freilassung verworfen, um meinen Kassations-
Rekurs unannehmbar zu machen^) ! Ich habe nach Köln appelliert.
Weiß der Himmel, was daraus wird ! Ich habe entsetzlich viel zu schreiben
und gleichwohl habe ich heut erst, am 22. Juli (die Briefe gehen ent-
setzlich langsam), Ihren Brief bekommen und beantworte ihn noch mit
der Post von heute. Anbei meinen Brief an die Wildbader Post.
Geben Sie ihn persönlich ab und bewirken Sie, daß mir die Dinge sämt-
lich sofort geschickt werden.
Ihr treuer
F. lyassalle.
172.
IvASSAIvDE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Rigi-Kaltbad, 22. Juli [1864].
Gute Gräfin!
Es ist abends. Ich habe Ihren heut um 10 Uhr empfangenen Brief
mit dem um 3 Uhr von hier abgegangenen Boten noch beantwortet^) und
setze mich jetzt hin, um einen Plauderbrief anzufangen, den ich dieser
Tage beenden werde.
Ich bin, wie gesagt, sehr mißlamiig. Zum Teil mag die Ursache auch
daran liegen, daß ich so plötzlich aus zahlreicher und bester Gesellschaf t
in völlige Einsamkeit versetzt bin. Denn hier bin ich unter 125 Menschen,
meist Schweizer und Badenser, die um mich herum bourdonnieren, so
^) Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der Rede „Die Feste, die Presse und
der Frankfurter Abgeordnetentag" gegen Lassalle die Klage erhoben, die Para-
graphen 100 und loi des Strafgesetzbuches übertreten zu haben. Ursprünglich
hatte das Düsseldorfer Landgericht ihn zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Vor
der korrektionellen Appellkammer hatte er am 27. Juni die Herabsetzung der
Strafe auf sechs Monate erreicht.
2) Siehe oben Nr. 171. Dieser Brief wie viele der folgenden, auch solche, die
nicht bei Becker stehen, zeigen Spuren der späteren redaktionellen Behandlung
durch Wilhelm Liebknecht und die Gräfin Hatzfeldt. Vgl. hierzu oben Nr. 170
Anmerkung.
============== 301 =====
gut wie allein. Sie halten sich, sei es absichtlich oder unabsichtlich, von
mir zurück und tun sehr wohl daran. Denn sie sind langweilig wie die
Pest und niemand darunter, auf den ich mich einlassen möchte ! — Das
Wetter ist das schlechteste: im Regen — und alles wie mit einem Bett-
tuch verhängt — bin ich am ersten Tag hier heraufgekommen. Am
zweiten kalt und trüb. Dennoch ging ich Nachmittag auf Kulm und
fand mich belolmt, denn unmittelbar vor Sonnenuntergang wurden die
Berge frei und die Aussicht war fast vollständig. Gestern stieg ich wieder
zum Kulm hinauf zum Sonnenuntergang. Aber man konnte nicht die
Hand vor den Augen sehen, obgleich es warm, schön und sonnig war. Ein
Nebel hüllte alles wie in eine graue Schlafmütze ein. Heute war nicht
einmal an Hinaufsteigen zu denken. Es goß den ganzen Tag mit Kannen.
Die Leute hier sagen mir, daß sie schon seit acht, viele seit vierzehn
Tagen hier sitzen und beständig solches Wetter sei. Aber wenn es auch
schön wäre, ich hätte doch nichts Sonderliches davon! Zum Genießen
brauche ich den Menschen! Ich kann alles allein, nur nicht genießen!
So war ich gerade den ersten Abend als ich auf Kulm war, trotz der
schönen Aussicht sehr wehmütig. Ich überlegte mir, \mter wie andern
Verhältnissen ich sonst immer auf dem Rigi gewesen! Das erstemal
(1850) bestieg ich ihn mit Wolff , ^) der jetzt tot ist. Es war noch in meiner
ungestümen Jugend! So trotzig wie die ewigen Bergeszacken schaute
ich da noch in das lycben hinaus ! Dann war ich so oft mit Ihnen da,
die Sie, trotz aller Ihrer gewaltsamen Verkennung meiner, doch not-
wendig zu meinem Wesen gehören. Dann einmal mit Lydia, ^) in glück-
lichster Stimmung und Laune, um die ich mich heut noch beneide !
Dann einmal mit den (geliebten) Eltern, mit meinem treuesten Freunde
von allen, dem armen Vater, der jetzt tot ist. Sie waren, außer das erste-
mal, stets dabei : Und jetzt bin ich da, mutterseelenallein, liege auf der
grünen Matte, denke an den Wechsel des Irdischen und vergangner
Zeiten Pracht ! Es ist mir, als hätte sich meine Existenz verengert und
wäre ärmer geworden, da ich jetzt niemand mehr um mir habe, wo stets
sonst welche — und oft so viele — meinen Genuß veniiehrend um mich
waren ! — Ich muß nicht allein reisen. Ich bin dafür nicht gemacht.
Dazu kommen allerlei andere Gedanken, die ich mir jetzt zu machen
Anlaß genug habe. Kurz, ich bin in der Blüte des Mißmuts!
Jetzt ist es 10 Uhr durch. Ich lege mich zu Bett und schreibe morgen
vielleicht weiter, wenn es meine anderen verfluchten Schreibereien er-
lauben.
') Wilhelm WolfE (1864 — 1865). ,, Lupus", Lassalles Landsmann, der Freund
von Marx und Engels.
2) Gemeint ist wohl die Russin Lydia Idaroff, die 1861 mit Lassalle und der
Gräfin in der Schweiz und in Italien reiste.
— 362 ================
Sonnabend, 23, Juli. Vormittag.
Hier sitze ich schon wieder. Es ist wieder eben so schlechtes Wetter
wie gestern. Kein Regen, aber alles in eine Nebelkappe gehüllt. Kein
Sonnenstrahl. Wenn das so fort geht, weiß ich nicht, wie lange ich hier aus-
halten werde ! Anbei ein Brief von Dorn, ^) den ich Ihnen schicke, weil er
auch Sie betrifft. Hoffentlich entscheidet das Kammergericht jetzt
wieder so, aber mit anders gewendeter faktischer Einkleidung.
Was mich betrifft, so sehen Sie, daß mir Dorn keine Sicherheit geben
kann, daß meine Sache nicht vielleicht selbst schon im September vor-
kömmt, wenn er auch den Oktober für wahrscheinlicher hält.
Alles ist konträr ! — Schweitzer -) ist bereits nach Berlin abgereist,
um seine und Hofstettens Niederlassung dort zu bewirken. A propos,
schreiben Sie doch Frau Esser für mich, daß sie mir nun — am besten
durch Sie — ihre Entschließung zukommen lassen müßte, ob sie im
Oktober bei mir eintreten will. Adieu, mein gutes Kind. Hoffentlich
sind Sie ein bißchen weniger mißmutig als ich. Und hoffentlich geht es
mit Ihrer Gesundheit besser! Geben Sie mir nur gleich Nachricht, auf
welchen Platz ich den Wechsel von Oppenheim ziehen lassen soll, d. h.
ob ich von hier nach Genfer See oder Ostende gehe.
Ihr sehr treuer F. ly.
173-
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSALLE. (Original.)
Wildbad, 22. Juli [1864].
lyiebes Kind, ich muß Ihnen gleich eine gute Nachricht mitteilen,
nämlich daß ich eine Kammerjungfer gefunden hier, sie ist jung und
ganz hübsch, eine Stuttgarterin, hat noch nicht gedient, versteht aber
waschen, bügeln, nähen vortrefflich und macht auch nicht schlechter
die Haare als Helene. Nur die ganze persönliche Bedienung und Ord-
nung der Sachen muß ich ihr beibringen, sie hat ein sehr bescheidenes
Wesen und keine Prätensionen, und so hoffe ich, daß es sich mit großer
Geduld meinerseits fürs erste machen wird. An Frau Esser habe ge-
1) Justizrat Dorn war der Anwalt Lassalles und der Gräfin in Berlin.
-) Johann Baptist von Schweitzer (1833 — 1875), später Lassalles Nachfolger
im Präsidium des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, bereitete gemeinsam mit
dem ehemaligen bayerischen Offizier Johann Baptist von Hofstetten eine Tages-
zeitung vor, die den Standpunkt des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins
in Berlin vertreten sollte. Als zu Neujahr 1865 die erste Nummer des ,,Social-
demokrat" herauskam, war Lassalle nicht mehr am Leben. Vgl. Gtastav Mayer,
Johann Baptist von Schweitzer und die Sozialdemokratie, Jena 1909.
^- =^ 363 —
schrieben, und ich glaube jedenfalls versprechen zu können, daß sie
kommt. Was wollen Sie ihr geben? Fünf Taler nionatliclj?^)
Ich empfinde eine mir fast selbst unerklärliche Angst um vSic. vSind
Sie denn wirklich entschlossen, jedenfalls nach Berlin zu gehen ? t^ber-
legen Sie es recht reiflich und genau und legen Sie dabei zugrunde die
Überzeugung, daß alles was möglicher- und auch fast unmöglicher-
weise gegen Sie getan werden kann, auch geschehen wird. Ziehen vSie
auch in die Rechnung die Wut und die Willkür der Berliner vStaats-
anwaltschaft wie Polizei, die, wenn z. B. Requisitionen von Düssel-
dorf kämen, nicht erst nach oben anfragen würden, sondern heimlich
haften und schnell exequieren würden, und wie schier fast unmög-
lich unter jetzigen Umständen es wäre, das einmal Geschehene, die
Verhaftung, wieder ungeschehen zu machen. Die Märtyrerrolle hat
sich zu jeder Zeit als eine an sich dumme und unersprießliche erwiesen,
vorzüglich in unserer Zeit; hat Blanqui,^) das Hauptmuster hierin,
etwas andres damit erreicht, als vergessen und nutzlos zu sein?
Sie sind gewiß am wenigsten dazu bestimmt; es wäre der größte
Schaden für die Sache und der straf hchste Selbstmord an sich selbst.
Man hat nicht das Recht, in so entscheidend ernsten Sachen auf
blindes Glück irgendwie zu rechnen. Hören Sie etwas auf meinen
Rat, er ist der Ihres besten und allein wahrhaft zuverlässigen Freundes,
und hierin begegnen sich überdies die Ansichten aller deren, die sich
Ihre Freunde nennen und denen Sie Einsicht zutrauen. Wenn ich nun
auch weder klug noch Jurist genug bin, Ihre Lage in allen Details
zu beurteilen und in jedem Rat geben zu können, so leitet mich mein
Instinkt für Sie schon intuitiv richtig, wenn ich, nicht aus blinder
Furcht aber bestimmter Überzeugung sage, daß Sie jetzt in einer
gefährlichen Lage sind, viel mehr als früher. Alles, was irgend
Geltung und Stellung hat, hat nur eine Parole, und die ist, Sie un-
schädlich machen, Sie beseitigen, der Bewegung, die ihnen viel zu groß
geworden, den Führer, mit dem sie gänzlich fällt, zu nehmen, und Sie
müssen in jedem Schritt die äußerste Vorsicht gebrauchen, nichts
dem Zufall oder Ihrem gewohnten Glück anheimgeben, nichts
wagen, denn wenn Sie dies Glück nun doch in diesem Fall verließe, so
wären die Folgen nach jeder Seite hin zu schlimm. Im Ausland, in
Neapel wären Sie, wenn auch viel behindert, doch, so weit jetzt die
^) Bis hierher wurde der Brief nachträglich durchgestrichen. Der Satz:
,,Ich empfinde eine mir fast selbst imerklärliche Angst um Sie", sowie einige
Worte, die sachlich nichts bedeuten, sind — möglicherweise erst später mit
der Absicht auf die Veröffentlichung — von der Hand der Gräfin eingeschoben.
2) Auguste Blanqui (1805 — 1S81), der berühmte französische revolutionäre
Sozialist und Putschist.
= 364 =
Sache schon steht, auch sehr vorhanden und tätig für die Leute, die da-
durch nur angefeuert würden, selbst tätig zu sein. Sie haben auch schon
Männer darunter, die unter Ihrer höheren Leitung hinreichend die Sache
erhalten und weiterführen können, aber mit einem längeren Gefäng-
nis, gänzlichen Entziehimg Ihrer Mitwirkung, tritt die gänzliche
Entmutigung sofort ein, da die vollständige Überzeugung in jedem
vorhanden, daß mit Ihnen allein alles steht und fällt. Völlige Rat-
losigkeit würde eintreten für etwa vorkommende wichtige Fälle und
Entscheidtmgen, denn auf keinen anderen ließe sich das völlige Zu-
trauen, der Gehorsam übertragen, die man für Sie hat. Ihren Mut,
gegen eine Anklage zu stehen, werden Sie doch nicht erst noch be-
weisen wollen oder die etwaigen Verleumdungen Ihrer Gegner scheuen?
Das wäre eine Ihrer nicht würdige Kleinlichkeit. Sie sehen, ich kann
eigentlich von nichts andrem sprechen, so sehr bekümmert es mich.
Denken Sie daran, daß ich in allen Ihren politischen Fährnissen mit
Mut und Entschlossenheit (ohne mich zu rühmen), so weit es mir mög-
lich war, zu Ihnen gestanden, den Kopf nicht verloren habe wie viele
andre, darum trauen Sie mir jetzt nicht zu großen Kleinmut zu und
hören deshalb nicht auf mich. Alles was nicht zu ändern, was nötig
wäre, würde ich auch jetzt noch zu ertragen wissen, aber ich weiß auch,
daß, wenn ich gar nicht so sehr dabei interessiert wäre für das Wohl Ihrer
Person, so würde ich Ihnen ganz dasselbe für^) ... Interesse der Sache
selbst, für die Erhaltung Ihrer Zukunft mit tiefster Überzeugung raten.
Ich brauche meine Kur mit höchster Energie. Bad von dreiviertel
Stunden, Dusche von zehn Minuten jeden Tag, es echauffiert mich nicht
mehr wie sonst, was zeigt, daß ich viel schwächer geworden, oder tut
es auch die gänzliche körperliche Ruhe. In vierzehn Tagen denke ich
mich gewiß zu absolvieren, schreiben Sie mir also recht bald, welche
Projekte für später Sie gemacht. Wenn Sie, bis ich komme, Geld genug
haben, so brauchen Sie keinesfalls Ihrem Bankier zu schreiben um Geld,
bis ich bei Ihnen bin, und vielleicht auch dann noch nicht. Es kommt
darauf an, was geschieht, und hat jedenfalls dann noch Zeit.
Nun leben Sie wohl, mein liebes Kind, schonen Sie sich, hüten sich
vor allen Unvorsichtigkeiten, damit ich Sie recht wohl aussehend wieder-
finde.
174.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Wüdbad, 23. Juli 1864.
Liebes Kind, wie leid tut es mir, daß Ihr sejour in Rigi so langweilig
ist und Sie wieder so wenig Vergnügen von dieser Reise haben. Be-
^) Hier sind — vermutlich nachträglich — vier Worte völlig unleserlich gemacht.
— 365 =
nutzen Sie nun aber, bitte, die Zeit, die Sie dort aushalten können, um
Ihre Kur recht ordentHch zu gebrauchen; es wird Ihnen gewiß gut für
Ihren Hals sein. Seien Sie so viel in der Luft, wie es der Regen erlaubt,
aber hüten Sie sich sehr vor Erkältung und vorzüglich nassen Füßen,
das würde Ihre Kur ganz verderben. ,,Auf der Matte liegen", wie Sie
sagen, ist ja, da die Erde die Feuchtigkeit lange bewahrt, bei diesem
Wetter ganz verrückt. Und dann habe ich noch eine Sorge, über die Sie
lachen werden, die mich aber jetzt grade besonders quält, nämlich daß
Sie allein und im Dunklen vorzüglich dort herumlaufen, wo die Wege
noch obendrein durch den Regen glatt, schlüpfrig, man leicht fallen
kann. Überdies sehen Sie nicht gut, bei Nacht tun Sie das
gewiß nicht, ich bitte Sie sehr, nehmen Sie sich doch lieber irgend-
einen der langweiligsten Schweizer, zum Nebenherlaufen ist er am Ende
gut genug. Auf Ihre Fragen, was wir tun nach respektive beendigten
Kuren, habe ich schon geantwortet, daß mir, und es ist ganz ernstlich
gemeint, alles sehr recht ist, wo Sie glauben, daß Sie einige Zerstreutmg
[zu] finden [glauben], und ich überlasse die Wahl Ihnen gänzlich; nur
zwei Sachen kann ich oder sollte sie wenigstens nicht tun, das ist, wirk-
liche Bergtouren machen, was nicht hindert, daß Sie einen Standort
für mich ausfindig machen, der eine reine, gute Luft hat, nicht gar
zu hoch gelegen, etwa höher als 4000 Fuß, von wo aus Sie Ihre Touren
machen körmen und dorthin zurückkehren. Sie werden besser als ich
solche Orte kennen, nur weiß ich nicht, ob endlich das Wetter es er-
lauben wird ; und dann möchte ich Ihnen so gern einen angenehmen
Kompagnon verschaffen, da ich nichts mehr mitmachen kann, und über-
dies weiß ich zwar, daß ich Ihnen, wie Sie sagen, notwendig bin, Ihnen
etwas fehlt, wenn ich nicht da bin, aber zerstreuen und unterhalten
kann ich Sie nicht mehr, wir sind beide zu ernst und ich zu kränklich
geworden, ich verstehe das und finde es sehr natürlich. Aber wo jemand
hernehmen? Ich kann über niemand verfügen, wissen Sie jemand?
Wenn es auch einiges Geld kosten sollte. Zweitens, nach Ostende gehen
sollte ich auch nicht, weil es dort stürmisch und kalt ist und dies mir
sehr schädlich, vorzüglich noch mehr gleich nach der Kur in Wildbad.
Ich fühle hier sehr genau, was ich allerdings schon wußte, daß viel
weiche mir zusagende Luft, aber ohne alle Ermüdung, das einzige ist,
wobei ich michnoch erträglich hinschleppen kann. Wirklich helfen wird
mir die Kur hier auch nicht, ich fühle hier so genau, daß ich sie mit
dem Finger zeigen kann, die vielen schadhaften Stellen, vorzüglich im
Rückgrat, aber Erleichterung geben mir die Bäder imd helfen mir viel-
leicht besser über den Winter hinaus. Auch komme ich hier der Vorschrift
des Emser Arztes, so wenig als möglich zu sprechen, nach, es besteht
nur in sechs Worten täglich mit meiner Kammer Jungfer. Das [ist] mir
366 =
nun einerlei, ich bin daran gewohnt und maclie mir nichts daraus, aber
ich habe keine Gemütsruhe, ich mache mir viel Sorgen um Sie. Über-
legen Sie sich nun einen Reiseplan und schreiben es mir sobald als mög-
lich, damit ich meine Hinrichtungen auch mit meinen Koffern recht-
zeitig machen kann.^) . . . Sie schreiben ja ganz wehmütig darüber, daß,
wie Schiller sagt: ,,Ach, schon in des Weges Mitte verlieren die Begleiter
sich." Das ist ja eben das Traurige des Alters, wovon Sie ja aber noch
weit entfernt, daß erst einzelne Stücke des Herzens absterben, bis man
sich auch körperlich nach und nach absterben fühlt. Aber Sie können
doch über die eine Seite, daß Sie viel Verluste dieser Art schon erlitten,
nicht besonders klagen.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, schreiben Sie recht bald und schlagen
Sie nicht alle meine Worte (meinen letzten Brief) so ganz unbeachtet in
den Wind.
Ich lese hier wenig Zeitungen, aber mir scheint der Friede und eine
Periode der Macht dadurch für B[ismarck] fast gesichert. Schreiben
Sie doch an Dorn gleich, daß er Schritte beim Präsidenten des Kassations-
hofes tue, daß Ihre Sache nicht vor dem Oktober an dem Kassationshof
vorkomme. Er hat den besten Grund dazu, indem er Sie verteidigen
soll und nicht vor dem 15. Oktober in Berlin zurück ist. Könnten Sie
nicht selbst deshalb an den Kassationspräsidenten schreiben?
An Frau Esser schreibe ich. Herzlichste Grüße. 2)
175-
I.ASSAI.IvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
[Rigi, 27. Juli 1864.]
Iviebes, gutes Kind!^)
Es ist um die Pest zu bekommen über die Wildbader Post! Ihren
ersten Brief — Poststempel vom 19. — empfing ich am 22. und gleich-
zeitigeinen Brief aus Düsseldorf , gleichfalls mit Poststempel vom
19. — Rigi ist also nicht Schuld, sondern Wildbad. Ich hatte Ihnen vier
Stunden nach Empfang Ihres Briefes noch mit der um drei Uhr hier ab-
gehenden Post geantwortet, bin also nicht schuld an Ihrer Angst. Heute
am 27. bekomme ich Ihren Brief vom 24. Ich hätte nicht übel Lust, das
1) Hier sind acht Zeilen mit Sorgfalt unleserlich gemacht.
2) Ohne Unterschrift.
3) Dieser Brief findet sich mit etlichen Kürzungen und einigen Entstellungen ab-
gedruckt bei Bernhard Becker, Enthüllungen über das tragische Lebensende
Ferdinand Lassalles, 2. Aufl., Schleiz 1868, S. 22 f.
= 367 ==
Briefeschreiben dran zugeben und mich telegraphisch mit Ihnen zu
unterhalten !
Ihr Brief hat mir übrigens in meiner äußerst schlechten vStimmung
sehr wohl getan. Erinnern Sie sich, wie ich einmal, als wir Marx das
Geleit nach Potsdam gaben und Sie beide gegenseitig miteinander
kokettierten und scherzend von Entführung sprachen, lachend sagte:
ich wollte, es entführte vSie mir einer auf ein Jahr, bloß damit Sie sehen,
daß ich eigentlich der beste aller Männer bin. Ich sei ganz unbesorgt
darüber, daß Sie mir zurückkommen würden!^). . . -)
Ihre clairvoyance puncto der Düsseldorfer Angelegenheit hat mich
sehr amüsiert! Aber diese clairvoyance hat Ihnen nicht gezeigt, daß
das Düsseldorfer Gericht durch seinen Beschluß mir die Kassations-
instanz nicht abgeschnitten, sondern höchstens nur unannehmbar
macht. Beschleunigt ist also in der Straf e nichts, eher nur verzögert.
Denn ich werde auch gegen diesen Beschluß eventuell Kassation ein-
legen, und diese Sache muß früher entschieden sein. Kurz, vor No-
vember ist es nicht einmal menschenmöglich, mich zur Haft zu
bringen; selbst vor Dezember schwerlich, und überdies habe ich Mittel,
dies noch weiter zurückzuwerfen. Wir sprechen darüber mündlich!
Jedenfalls muß ich ja aber doch Ende September in Berlin sein
und zwar gerade dann am meisten, wenn ich Ihrem Rat folgen
und Deutschland verlassen wollte. Denn ich müßte doch zuvor dort
meine Sachen und Geschäfte ordnen! Ich müßte also zuvor hin,
gerade besonders, wenn ich fortgehen will! Das muß doch auch Ihnen
einleuchten !
Aber noch mehr : ich muß noch vorher in Hamburg sein, wo
ich einen großen, sehr großen, vielleicht tatsächlich wichtigen
Coup schlagen will!^) Auch darüber mündlich! Am 20. September
also muß ich die Schweiz verlassen. — Da Sie mir die Bestimmung über-
lassen, wohin wir bis dahin gehen, nun wohl, so entscheide ich: an den
Genfer vSee. Ich schreibe morgen an Oppenheim und lasse mir dahin
(nach Genf selbst oder Vevey) neues Geld poste restante (in Wechseln)
schicken.
Was mich bestimmt, jedenfalls auf einige Zeit, wenn es auch
nicht auf lange wäre, an den Genfer See gehen zu müssen, ist folgende
Episode.
^) Dieser Absatz fehlt bei Becker.
-) Hier wurden im Original nachträglich vier Zeilen mit Tinte völlig unleser-
lich gemacht.
^) L,assalle wollte eine Agitation für die Annexion der Eibherzogtümer an
Preußen eröffnen. Vgl. für seine Motive Gustav Mayer, Die Lösung der deutschen
Frage im Jahre 1866 und die Arbeiterbewegung. In Festgaben für Lexis 1907,
S. 230 f.
368 ===.
Vorgestern sitze ich beim scheußlichsten Wetter — das hier
noch ohne jede Unterbrechung Tag für Tag fortgedauert hat; erst heut
ist es ein bißchen besser — in meinem Zimmer und schreibe — ich muß
hier leider wieder Tag für Tag von morgens bis nachts ununterbrochen
schreiben — als ein Bauernbursch hereinkömmt und mir sagt, an der
Terrasse hielte eine Dame, die mich zu sprechen wünsche. Ich war ganz
verblüfft. Wer konnte dies sein? Ich riet — ja ich wußte gar niemand,
auf den ich raten sollte ! Ich nehme also Hut und Stock und eile hinunter.
Da hält hoch zu Roß mit einer Engländerin und einer Amerikanerin und
einem Franzosen — wer? Helene, der Goldfuchs! Sie hatte von Holthoff
brieflich erfahren, daß ich auf Rigi-Kaltbad bin, und hatte sofort mit
Freundinnen eine Rigipartie organisiert, um mich auf Kaltbad ab-
zuholen.^) Natürlich stürmte ich sofort mit auf den Kulm hinauf, wo wir
alle übernachteten. Unglücklicherweise ist das Kind der Engländerin
(bei Bern lebend) vom Scharlach Rekonvaleszent und die Mutter war
nicht zu bewegen — trotz des fürchterlichsten Unwetters — auch nur
einen Tag länger zu bleiben. Die arme Helene — ich hätte die Engländerin
töten können — , krank und brustleidend, mußte im furchtbarsten Nebel
und Regen (und wir alle) am andern Tag früh zehn Uhr wieder hinunter.
In Kaltbad trennten wir uns!
Eine Höflichkeit ist aber doch der andern wert, und so habe ich
Helenen versprochen, zwischen dem 15. und 25. August jedenfalls in
Genf zu sein. Es ist auch schon arrangiert, wie Sie sie kennen lernen
sollen. Denn auf ein paar Tage können Sie doch mit mir nach der »Stadt,
Genf gehen, wenn wir auch stationär in Vevey z. B. sind. Helene, der
Teufel, wird schon etwas anzufangen wissen, um uns dahin zu folgen.
(Übrigens darf von dieser ganzen Episode kein Mensch außer Ihnen
etwas wissen. Die andern sind auch vereidet.)
Daß ich also überhaupt an den Genfer See gehe, folgt daraus, freilich
aber nicht, daß ich dann nicht weiter nach Pegli gehen könnte. Alle
Ihre schönen Gründe, nach Pegli zu gehen, sind mir sehr gleichgültig.
Wie es mit Italien usw. steht, weiß ich in meinem eignen Kopfe usw.
Ich hätte einen weit besseren Grund, nach Pegli zu gehen, wenn es
eben ginge: der, daß Sie es eben wünschen. Aber die frühe Rückreise
von der Schweiz — 20. September — verhindert das leider notwendig.
Bis dahin ist indes das Genfer Klima für Sie so gut wie das italienische,
und dann können Sie ja mit Rüstow nach Pegli gehen. Denn so schmerz-
lichst ungern ich Sie in Berlin entbehre, nehme ich doch wirklich An-
stand, Sie zu bereden, den Winter im Berliner Klima zuzubringen. Doch
1) Eine kurze zusammenfassende Darstellung des Romans, bei dem Lassalle
sein Ende fand, bei H. Oncken, I^assalle, S. 284 ff. Dort auch I,iteraturangaben.
— — 369 — —
das besprechen wir alles noch . . .^) (denn sonst wird es, da Sie ja wohl
bis 18. August in Wildbad bleiben — und um Gottes willen ja nichts an
der Kur abbrechen — gar zu spät).
Da ich hier ein lieben führe, nicht wie ein Hund, sondern wie drei
Hunde, so habe ich heut nachträglich an Helene geschrieben und tele-
graphiert, mit mir (sie ist bei Bern, bei der Freundin, der Engländerin)
eine Reise irgendwohin auf einige Tage ganz inkognito zu machen. Ich
setze es vielleicht durch. In diesem Falle gebe ich meinen hiesigen
Aufenthalt, der mich in diesem Wetter imd ohne jede Gesellschaft zu
Tode langweilt, auf, und reise sofort nach Bern zu ihr. Dann würde ich
Ihnen telegraphieren, wohin Sie Ihre Briefe richten sollen. Bis dahin
schreiben Sie nur also immer hierher.
Aber auch in diesem Falle käme ich immer an dem Tag, wo Sie in
Ivuzem eintreffen, dorthin.
In der Zwischenzeit hängeich mich vielleicht vor Langeweile auf oder
mache — schrecklich! — ganz allein eine' Gebirgsreise.
Adieu für heut. Es wird schön, gibt zum erstenmal Sonnenuntergang.
Ich muß heraus.
Ihr
F. L.
176.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.) ~)
Rigi, 28. Juli [1864].
Gute Gräfin!
Ich habe gestern, als ich so plötzlich abbrechen mußte, noch einige
Punkte vergessen. Der wichtigste bezieht sich auf Dorns Mitteilung von
der Kassation Ihres Urteils in Sachen contra Siegheim und Block . . . ^)
... Es war also gestern abend ^4 ^'or 7 Uhr, als ich, in emsigem
Schreiben an Sie begriffen, zufällig den Blick gegen das Fenster kehre —
und siehe alle Nebel und Wolken fallend und wie erfrierend und die
Berge sich mächtig und glanzvoll befreiend schaue ! Es war nicht mehr
möglich, zum Kulm zu gelangen, aber ich schloß den Brief in aller Eile
und rannte auf das Känzli 15 Minuten von hier, von wo man, wenn auch
^) Hier sind siebeneinhalbe Zeilen durch Tintenstriche völlig xmleserlich geniaclit.
^) Dieser Brief ist abgedruckt bei Bernhard Becker, S. 27 ff.
^) Hier folgen weitere Instniktionen, die sich auf die Geschäfte der Gräfin
beziehen.
.Maver, Lassalle-Nichlass. IV
24
= 370 — —
nicht die Kulmer Aussicht, so doch immerhin eine überaus prächtige
Aussicht hat, die ganze Stelle vom Tödi bis Gespaltenhorn (also Uri
Rotstock, Titlis, Weißstock, alle Berner Berge usw.).
Selten habe ich die Berge so schön, selten einen schönern Sonnen-
untergang gesehen ! Der Eiger war im leisen Glühen ! Noch lange nach
Sonnenuntergang konnte ich mich von der Stätte nicht losreißen ! Und
ebenso schön wieder heut früh ! Alle lyciden sind fast wie fortgewischt —
wie schnell vergißt doch der Mensch, was ihn soeben beschwerte — und
ich bin lustig und voller lycbenskraft, als hätte ich nicht einen Augen-
blick, geschweige über zehn Tage im dicksten Regen und undurchdring-
lichsten naßkalten Nebel hier gesessen ! — Auch mit meinen furchtbaren
Schreibereien für den Verein — ich habe gestern 76 kleingeschriebene
Seiten nach Berlin geschickt — bin [ich] endlich fertig und atme wieder
frei auf!
Wie Sie mich doch mißverstehen, wenn Sie schreiben: ,, Können Sie
nicht in Wissenschaft, Freundschaft, schöner Natur sich genügen!" Sie
meinen, ich müsse Politik haben!
Ah, wie wenig Sie au fait in mir sind! Ich wünsche nichts sehn-
licher, als die ganze Politik los zu werden und mich in Wissenschaft,
Freundschaft und Natur zurückzuziehen. Ich bin der Politik müd und
satt! Zwar, ich würde so leidenschaftlich wie je für dieselbe aufflammen,
wenn ernste Ereignisse da wären, oder wenn ich die Macht hätte, oder
ein Mittel sähe, sie zu erobern — ein solches Mittel, das sich für mich
schickt. Denn ohne höchste Macht läßt sich nichts machen. Zum Kinder-
spielen aber bin ich zu alt und zu groß ! Darum habe ich so höchst un-
gern das Präsidium 1) übernommen! Ich gab nur Ihnen nach! Darum
drückt es mich jetzt so gewaltig. Wenn ich es los wäre, jetzt wäre der
Moment, wo ich entschlossen wäre, mit Ihnen nach Neapel zu ziehen !
(Aber wie es loswerden?!)
Denn die Ereignisse werden sich, furcht' ich, langsam, langsam ent-
wickeln, und meine glühende Seele hat an diesen Kinderkrankheiten und
chronischen Prozessen keinen Spaß. Politik heißt aktuelle, momentane
Wirksamkeit. Alles andere kann man auch von der Wissenschaft aus
besorgen! — Ich werde versuchen, in Hamburg einen Druck auf die
Ereignisse auszuüben !^) Aber wie weit das wirken wird — das kann ich
nicht versprechen und verspreche mir selbst nicht zu viel davon!
Ach, könnte ich mich zurückziehen ! — So weit hatte ich geschrieben,
als ich einen Brief von Helene erhalte, einen höchst ernsthaften Brief!
1) Das Präsidium des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.
2) Diese Versammlung sollte am 25. vSeptember stattfinden. Vgl. daz.u Oncken,
Lassalle, 4. Aufl., vS. 475 f.
— 371 -=
Die Sache wird ernst, sehr ernst, und das große Gewicht des Ereignisses
fällt mir wieder etwas auf die Brust! Inzwischen — einmal kann ich
nicht mehr zurück, und dann wüßte ich auch wahrhaftig nicht, warum
ich zurück sollte ! Es ist ein schönes Weib, und ihrer Individualität nach
das einzige Weib, das sich für mich paßt und eignet! Das einzige, das
Sie selbst für geeignet finden würden. Also en avant, über den Rubikon !
Er führt zum Glücke ! Auch für Sie, gute Gräfin, mindestens ebenso wie
für mich!
Bei alledem ist es in dieser ohnehin so komplizierten Lage eine
immense Komplikation mehr! Bin wahrhaftig wieder neugierig, wie
ich dies alles zu gutem Ende führen werde, gerade so wie ich, als ich
Ihre Prozesse führte, oft diese ganz unpersönliche, objektive Neugier
hatte — als läse ich einen Roman — wie ich wohl mich und Sie aus
dieser Lage noch retten würde!
Nun, die alte Kraft ist noch da, das alte Glück auch noch, ich werde
alles zum glänzendsten Ziele führen. Aber daß ich Sie nicht bei mir
habe, um mit Ihnen zu sprechen und zu raten in dieser complication
grave, das, muß ich gestehen, stört mich sehr! — Nun, brauchen Sie
ganz ruhig Ihre Kur aus.
Das nächste ist, daß ich wahrscheinlich schon morgen früh nach
Bern resp. Wabern abreise, wo Helene auf der Villa ihrer Freundin ist.
Sie erhalten in diesem Falle noch telegraphische Depesche von mir,
Ihre Briefe poste restante nach Bern zu adressieren, i) Sollte ich Sie
absolut nötig haben, nun ja, dann rechne ich auf Ihre Freundschaft und
telegraphiere Ihnen, daß Sie nach Genf kommen. Aber ich denke, dies
jedenfalls bis 15. August verschieben zu können !
Nun adieu, altes Herz ! Die Brandimg faßt mich ! Ist mir's zum Heil ?
Reißt's mich nach oben? wie den Schillerschen Taucher? faut voir!
Ihr
treuer
F. L.
Absolutes Stillschweigen über alles hier Gesagte gegen jedermann
ganz notwendig.
A propos! Die Wildbader Postsendung ist allerdings schon gestern
angekommen. Aber es war, außer dem ,, Gedanken" und Zeitungen, nur
ein Brief, während Sie zwei Briefe anmeldeten. Sollte einer zurück-
geblieben oder verloren sein? Bitte, nachzuforschen auf der Post, denn
ich erwarte seit lange umsonst Brief von Szarbinowski usw.
^) Das Telegramm, vom 29. Juli, befindet .'^icli im Nachlaß.
— — 372 =
177-
IvASSAI^IvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Bern, Bernerhof, 30. Juli [1864].
Gutes, liebes Kind ! ^)
Ihren Brief habe ich gestern früh in Weggis noch glücklich attrapiert.
Wenn Sie mir so gute Briefe schreiben, wie diesmal, so — nun ich kann
nicht sagen, so bin ich Ihnen besser als irgend jemand in der Welt,
denn das bin ich immer im tiefen Herzen, auch ohne gute Briefe — aber
so bin ich so gerührt, daß das tiefe Herz gegen meine Gewohnheit sich
zur Äußerung drängt!
So sitze ich denn also hier in Bern, War gestern abend bis zwölf Uhr
auf der Villa von Helenens Freimdin und fuhr dann zurück. Die Ent-
fernung ist höchst störend. Noch weiß ich nicht das geringste, was
mit mir wird, d. h. mit den nächsten vierzehn Tagen. Den 15. August
aber, von da ab, halte ich mich bereit, Sie an dem von Ihnen zu be-
stimmenden Ort abzuholen, in Bern oder auch Luzern oder noch weiter
Ihnen entgegen, wo Sie wollen. Das habe ich auch Helene gesagt, die es
ganz in der Ordnung fand. Ich muß Ihnen übrigens überhaupt be-
merken, daß Helene eine sehr große Sympathie für Sie hat, eine der
allerwesentlichsten Bedingimgen meines Wohlgefallens an ihr. Sie ist
darin ganz anders als die andern Weiber. Nicht eine Spur von Eifer-
sucht und Neid in ihr. So fand sie es z. B. — bis ich ihr gesagt, daß Sie
selbst krank und einer Kur benötigt seien — ganz schrecklich resp. un-
erklärlich, daß Sie mich nicht nach Rigi-Kaltbad begleitet hätten, um
dort mit mir zu sein. Sie freut sich sehr darauf, Sie kennen zu lernen.
Sie würgt nie — innerlich, wie ich bei so vielen Weibern so oft bemerkte,
denn ich bin ein ganz guter Merker, wenn ich's mir auch nicht merken
lasse — eine resistance Interieure hinunter, wenn ich das Gespräch auf
vSie bringe, sondern im Gegenteil bringt es selbst gern und voller Teil-
nahme auf Sie. Kurz, dieses — enfant du diable, wie sie in Genf all-
gemein genannt wird, hat wirkliche und innere Sympathie für Sie.
Ausfluß davon, daß sie überhaupt eine — Natur ist, im Sinne Goethes,
trotz aller gesellschaftlichen äußeren feinen Bildung, die sie sich im
höchsten Grade angeeignet hat, die aber nie über ihren innern Menschen
hat Herr werden können.
Ihr einziger — aber riesengroßer Fehler ist: sie hat keinen — Willen!
Auch nicht die Spur davon! An sich ist das freihch ein sehr großer
*) Dieser Brief ist bei Becker a. a. O., S. 31 f., gedruckt. Doch fälscht er die
Anrede in ,,Gute Gräfin" und sperrt willkürlich alle die vStellen, die seinen sensatio-
nellen Absichten Vorschub leisten.
= 373 =
Fehler! Würden wir Mann und Frau, wäre es vielleicht keiner, denn ich
habe ja doch Willen genug für sie mit, und sie würde sein wie die Flöte
in der Hand des Künstlers.
Aber die Vereinigung selbst wird dadurch sehr erschwert werden!
Heute freilich ist sie fest entschlossen. Aber wie lange hält dies bei
einem willenlosen Wesen Secoussen gegenüber stand?
Das werde ich ihr auch noch sehr ernsthaft auseinandersetzen, ehe
ich anfange, mich äußerlich in das Unternehmen zu engagieren.
Meine Depesche, nach Bern zu adressieren, wird Sie sehr in Ver-
wunderung gesetzt haben, meine letzten Briefe von Kaltbad aber auf-
geklärt haben. Hoffentlich haben Sie diese schon!
Ihr F. L.
178.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. i) (Original.)
Wildbad, i. August [1864].
Liebes Kind, ich habe gestern abend Ihren Brief aus Bern erhalten,
und ich kann Urnen nur wiederholen, daß Sie nicht nur in 2) Ihrem eigenen
Wohl die Sache viel zu sehr übereilen, aber Sie schaden auch durch
Ihre Hast dem Gelingen der Sache. Die Eltern mißtrauen Ihnen ; ist
nun wohl ein solches Drängen nicht geeignet bei Philistern (was die
Eltern gewiß sind) und daher die Ehe als eine vernünftig wohl zu über-
legende Sache ansehen, gemacht, sie Ihnen geneigter zu machen? [sie!]
Gewiß nicht. Sie müßten im Gegenteil mit großer Ruhe und Vorsicht
vorangehen, erst danach trachten, daß man sich an den Gedanken nach
imd nach gewöhnt, denn, wie Sie sagen, Helene dahin zu bestimmen,
wider den entschiedenen Willen ihrer Eltern, ist einmal sehr fraghch,
ob es gelingt, alsdann auch nicht zweckmäßig. Sie könnte sich bei ihrem
schwachen Charakter doch später darüber unglücklich fühlen, ganz aus
ihren FamiHenrelationen herausgerissen zu sein. Wenigstens war es doch
der Mühe wert, es erst auf andere Weise zu versuchen. Sie beurteilen
immer die andren zu sehr nach sich selbst. Ist denn Helene auch groß-
jährig? Und ist es denn auch der günstigste Augenblick, um die Sache
rasch der Entscheidung zuzujagen, gerade wo jetzt so viele Freiheits-
prozesse gegen Sie schweben? War es nicht zehnmal klüger, jetzt nur
mit ihr einig zu werden, sich zu begnügen, langsam eine Annäherung an
die Eltern zu versuchen und mit dem direkten Antrag zu warten, bis
1) Mit Ungenauigkeiten und kleinen Auslassungen bei B. Becker a.a.O..
S.35ff-
2) Dies Wort war nicht deutlich zu lesen.
= 374 —
Ihre Prozesse so oder so entschieden ? Wenn Sie sich entschließen müßten,
für jetzt Deutschland zu verlassen, so wäre das gerade die günstigste
Konjunktur für das Gelingen dieses Planes. Ich wünsche nach dem,
was Sie mir sagen, das Gelingen, obgleich ich ganz nur meinen Augen
in dieser Beziehung traue, aber ich fürchte, Sie verderben alles durch
Ihr Stürmen. Sie haben einmal in Frauensachen keine Vernunft und
keine Ruhe.
Ich bin wieder in der fatalsten Lage. Die Person, die ich hier nehmen
nmßte, kann trotz der heiligsten Versicherungen gar nichts, aber so
nichts, daß mir nie ähnliches vorgekommen; sie ruiniert, was sie an-
rührt, und ich muß sie sofort wegtun. Helene war nicht einen Tag zu
halten, und so bleibe ich allein und habe sofort nach Stuttgart ge-
schrieben, mir eine zu schicken. Ich habe wirklich Unglück in diesem Jahr.
Ich kann nicht sagen, daß die Bäder mir helfen, das glaube ich nicht,
aber sie erleichtern mich sichtlich. Also, vSie haben sich entschieden für
einen Aufenthalt am Genfer vSee; aber wo nur ungefähr? Ich habe von
einer Pension in Saxon gelesen, im Valais, dicht am See, es muß, wie
ich glaube, entweder französisches oder italienisches Ufer sein, oder
Chalet Suisse ä Cologny oder Ciarens usw., nur kann ich nicht Berge
steigen. Wo wir uns treffen, hängt ja von dem ab, was Sie jetzt vorhaben
und kann noch immer danach bestimmt werden, ich bestehe nicht auf
den Genfer See, und jeder andere Ort, der Ihrem Plane förderhcher, ist
mir auch recht, nur nicht Genf oder Bern, um da zu bleiben ; ich brauche
Ivuft, und dann ist auch ein solcher Gasthof auf die Dauer nicht aus-
zuhalten.
Und dann eines, liebes Kind, kann ich doch nicht ändern, das ist,
daß ich auf zwei, drei Tage vorher nach Zürich gehe, nicht länger, aber
man erwartet mich schon so lange dort, ich habe es so oft versprochen.
Frau Herwegh, Frau Anneke schreiben mir Brandbriefe; wer weiß,
wo [hin] ich von Genf aus gesprengt werde, und es liegt mir dann für jeden
Fall zurück zu sehr aus dem Weg, anstatt ich von Basel ein paar Stunden
habe, und, gar nicht hingehen, ist doch nicht tunlich (wäre nach der
früheren Intimität doch zu ungezogen). Geben Sie mir darin nicht recht,
liebes Kind ? Wenn ich nun von hier direkt nach Zürich gehe, führt mich
dann mein Weg nach dem Genfer See (falls Sie bei dem Projekt des
Genfer Sees bleiben) über Bern? In welchem Hotel wohnen Sie dort?
Bleiben Sie da? Wohin adressiere ich am besten meine großen Koffer?
Es ist mir gar nicht recht, daß Sie Ihre Molkenkur so ganz aufgegeben,
Sie hätten sie doch nötig ; können Sie sich nicht entschließen, jetzt, wo
es so schön, auf zehn bis zwölf Tage wieder hinzugehen? Es wäre gut.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, die herzlichsten Grüße. ^)
') Ohne Unterschrift,
— 375
179-
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT.i) (Original.)
Bern, Dienstag, 2. August [1864].
Gute Gräfin!
Ich habe Ihren Brief nach Bern erhalten. Aller Rat würde jetzt zu
spät kommen. Es ist alles unwiderruflich abgemacht! Wäre es aber
noch Zeit, Rat zu geben, vSie würden mir auch keinen andern geben
als den, zu handeln wie ich handle. Dessen bin ich sicher. Wenn Sie in
Ihrem Briefe sagen, ich sollte doch bedenken, daß ich soeben erst sterb-
lich in eine andere verliebt war, so entgegne ich, daß erstens ,, sterblich
verliebt" sein bei mir zunächst überhaupt gar kein Begriff ist; zweitens
aber, daß noch heute, sinnlich genommen, Minna^) einen größeren Reiz
für mich hat als Helene, was Ihnen also der beste Beweis sein kann,
daß ich eben nicht bloß sinnlicher Neigung folge. Im Gegenteil, Helene
paßt als Persönlichkeit so absolut zu mir, wie ich nie eine passende zu
finden geglaubt hätte. Unter uns gesagt, ist es eigentlich von dem ver-
schiedenen Glück, das ich hin und wieder habe, das größte Glück, das
ich bei dieser Gelegenheit entwickelt habe!
Es ist wirklich ein nicht geringes Glück, in meinem Alter von doch
schon 39^/2 Jahren ein Weib zu finden, so schön, von so ungewölmlicher,
bedeutender, freier und absolut zu mir passender Persönlichkeit, ferner
das mich so liebt und endlich, was freilich bei mir eine absolute Not-
wendigkeit, ganz in meinem Willen aufgeht!
Hier empfangen Sie erstens den Brief, den Helene mir nach dem
Rigi schrieb, wo ich Ihnen darauf schrieb, ,,es wird ernsthaft". Wenn
darin der Satz vorkommt, ich solle Ihnen den Brief nicht schicken, so
hat sie mir das später erklärt. vSie hatte den Brief noch in der Nacht
ihrer Rückkehr vom Rigi, also sehr ermüdet, geschrieben und fürchtete,
er sei deshalb gar nicht präsentabel ausgefallen und könne Ihnen eine
sehr geringe Meinung von ihr geben. Als ich sie darüber beruhigte und
sagte, es sei gar nicht Ihre Weise, solche Schlüsse zu machen, erklärte
sie sich von selbst damit einverstanden, daß ich ihn Ihnen schicke, damit
Sie sähen, wie alles gekommen sei. Ferner: vorgestern bat sie mich um
*) Auch diesen Brief hat Becker a. a. O., S. 32 ff., abgedruckt. Aber auch
hier hat er nicht die Stellen gesperrt, die L,assalle unterstrich, sondern die seinem
Sensationsbedürfnis belangreich erschienen.
2) Minna Lilienthal die Tochter eines reichen Berliner Geschäftsmannes, eine
Schülerin Hans von Bülows. Wie die heute noch in Berlin lebende Dame dem
Herausgeber erzählte, schlug sie damals Lassalles Hand ab, weil sie einen
adligen Gatten haben wollte. Lassalles Briefe an Minna Lilienthal wurden nach
Japan verkauft.
— 376 = =
die Erlaubnis, Ihnen schreiben zu dürfen, wogegen ich natürlich nicht
nur nichts hatte, sondern mich innerhch sehr freute, daß der Gedanke
selbständig in ihr entstanden war. Infolgedessen gab sie mir nun gestern
den beifolgenden Brief an Sie, der Ihnen ihre edle Persönhchkeit und^)
den seltnen Fischzug, den ich an ihr gemacht habe, schon besser malen
kann. Sie müssen ihr natürlich antworten und mir den Brief zur Über-
gabe überschicken, imd zwar nach Genf, poste restante, wohin wir
morgen beide abreisen. Ich bitte sehr, liebe Gräfin — dies einzige will
ich Ihnen ans Herz legen — erhalten Sie mir Helene ihr ganzes Leben
hindurch in den unterwürfigen Gesinnungen, in denen sie jetzt ist und
von denen mein ganzes Glück — und leicht auch das Ihrige zum Teil —
abhängt. Sie allein könnten sie in dieser Hinsicht verderben und auch
Sie nur durch das Piedestal, das ich selbst Ihnen bei ihr gegeben habe.
Es wäre also siebenfach Unrecht und höchst unklug! Sie werden das
also nicht tun und sie vielmehr immer in diesem Verhältnis, das ich
sogar das normale nenne, zu erhalten suchen, geschweige denn, sie nicht
davon abbringen, auch nicht in indirekter Weise.
Was nun die Eltern in Genf sagen werden —das weiß Gott! Aber
sicher ist, daß ich, wie sie, entschlossen sind, durchzugreifen; reiße da,
was reißt. Zum 15. August hoffe ich sicher, Sie in Genf zu haben, wo
wir dann über alles ausführlich und reifHch sprechen. Ich habe entsetz-
lich viel mit Ihnen zu überlegen. Viel lieber freihch wäre es mir unter
diesen Umständen, Sie kämen ohne Rüstow nach Genf, nach der Stadt
selbst, wenn Rüstow auch am Genfer See, in Vevey usw. ist und Sie da
zurückerwartet.
Ganz Ihr F. L.
P. S. Helenens Brief an mich muß ich von Ihnen zurück bekommen.
180.
IvASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Bern, 3. August [1864].
Iviebe Gräfin! 2)
Ihr eben erhaltener Brief, den ich — in einer Stunde reise ich nach
Genf — noch Zeit zu beantworten habe, zeigt mir wieder, wie mißhch
alle schrifthche Verständigung ist. Sie haben meine Briefe — sind sie
wirklich so imdeuthch gewesen? — nicht richtig aufgefaßt, daher ein
^) Von ..und" bis ,,habe" fehlt bei Becker.
2) Gedruckt bei Becker, S. 37 ff., wiederum mit lauter Sperrungen, die Lassalle
nicht gemacht hat.
— ^ — 377 =
falsches Bild von der Sachlage und daher ist Ihr Brief diesmal ganz
ungeschickt !
1. Sie sagen: ,,Dcnn, wie Sie sagen, Helene dahin zu bestimmen,
wider den entschiedenen Willen ihrer Eltern, ist einmal sehr frag-
lich" usw. Mon Dieu! Wo hätte ich das gesagt? Ganz im Gegenteil!
Helene ist ganz dazu entschlossen, hat sich von selbst dazu ent-
schlossen, war früher dazu fest entschlossen als ich. Es war ja eben dieser
Brief, in dem sie mir — nach Rigi-Kaltbad hin, am Abend des Tages,
an dessen Morgen wir uns getrennt — diesen Entschluß mitteilte, in-
folgedessen ich mich erst entschloß und Ihnen schrieb, ,,die Sache wird
ernst, sehr emst"^) usw. Sie können sich ja auch bei meiner ganzen
Persönlichkeit denken, daß ich immer mindestens ebensosehr geheiratet
werden als heiraten, d. h. auf eine volle und freie Initiative seitens des
Mädchens treffen muß, voir Marie und Ulrich von Hütten. 2)
Also Helene ist entschlossen, wenn ich will, morgen ihren Eltern
wegzulaufen sogar, und wenn ich wollte als Zigeunerin mit mir durch
die Lande zu ziehen.
2. Helene ist majeure. Schhmmstenfalls sind wir mit drei actes
respectueux unserer Verpflichtung gegen die Eltern quitt.
3. Sie wissen dies der Hauptsache nach schon aus meinem gestrigen
Brief an Sie, in welchem ich Ihnen Helenes Rigi-Kaltbad-Brief an mich
und ihren hiesigen Brief an Sie schickte.
4. Was Teufel haben denn meine Verurteilvmgen und Prozesse für
bestimmenden Einfluß auf meine Heirat ? Meine Heirat kann meinen Ent-
schluß in bezug auf die Verurteilimgen bestimmen, aber nie umgekehrt.
5. Die ganze philiströse, ganz erstaunlich langweihge Operations-
weise, die Sie mir anraten, kann also gar nicht gedacht werden! Es
ist kein „Begriff"!
Heut abend sechs Uhr lange ich in Genf an, wo Helene heut um
zwei Uhr angelangt ist. Morgen um zwei Uhr mache ich ihren Eltern
meinen Besuch. Spätestens nach drei Besuchen, also in drei Tagen,
vielleicht aber schon früher, erkläre ich Vater und Mutter meinen An-
trag. Geht alles gut, bien! Treffen wir auf Weigerung, so folgt schon
zwei Tage darauf der erste acte respectueux Helenens.
Ich hoffe sehr — und glaube es fest — , die Eltern werden gleich oder
doch nach einigen Angriffen stürmischer Beredsamkeit, die ich auf
sie machen werde, einwilligen. Sonst, beim großen Gott, bin ich ent-
schlossen, Kirchen niederzubrennen,^) ehe ich mich im geringsten be-
irren lasse.
^) Siehe oben Nr. 176.
2) In Lassalles Drama , .Franz von Sickingen".
^) Becker ändert: ,,bin ich zu allem entschlossen".
378 -
Für Ei le ist aber Helene noch mehr als ich. Sie ist noch ungeduldiger !
6. Eine gute Kammerjungfer wird Ihnen Helene, die Sie überhaupt
sehr liebt, in Genf schaffen.^)
7. Daß Sie nötig hätten, nach Zürich zu gehen, wegen des Übel-
nehmens der Freunde, ist durchaus unwahr. Meine Geschichte ist jeden-
falls der beste Vorwand für Sie. Ich kenne keinen, der es Ihnen übel-
nehmen könnte, nicht nach Zürich zu kommen, wenn Sie schreiben:
Lassalle ist in Nöten und bedarf meiner.
8. Damit ist inzwischen nur gesagt, daß Sie nicht nötig haben, über
Zürich zu gehen, noch nicht, daß Sie es gerade absolut nicht dürfen,
wenn es Ihnen selbst ein großes Vergnügen ist.
9. Über Plan usw. kann ich ja noch nichts bestimmen unter den
jetzigen Umständen. Mein Platz ist zunächst in Genf, wohin Sie jeden-
falls auch einige Tage kommen müssen, wenn Sie auch Station am
Genfer See (Vevey) nehmen wollen.
Wollen die Eltern nicht, so beginnt Helene mit dem acte respectueux.
Wird sie darauf gequält und sehr gequält, so habe ich ihr tout bonnement
gesagt, daß sie das Haus verläßt und sich bis zur Hochzeit imter Ihren
vSchutz stellt. Ich habe es ihr gestern abend erst vorgeschlagen, und sie
ist gleich darauf eingegangen.
IG. Gehen die Eltern darauf gleich ein, so will ich mit Helene und
Madame Arson eine kleine Schweizerreise noch machen, die Sie sehr
wohl mitmachen können und mit großem Vergnügen mitmachen würden
und ohne Schaden, denn Sie brauchten uns nur in die Täler, nicht auf
die Berge zu begleiten.
II. Das alles aber sind Nebensachen. Die Hauptsache ist, daß ich
Sie auf vier bis fünf Tage in Genf habe, sobald es Ihnen eben mit Rück-
sicht auf die Beendigung Ihrer Kur nur möglich ist — die Kur vor
allem — , um mit Ihnen vieles, vieles, vieles zu beraten. Denn nur das
Wie, nicht das Was ist noch zweifelhaft. Das möchte ich aber überaus
gern mit Ihnen durchsprechen! Darin kann mir niemand raten als Sie,
und diesmal, wahrhaftig, braviche ich Rat, der aber nur mündlich ge-
geben werden kann.
Am liebsten möchte Helene schon im Oktober als meine Frau mit
mir in Berlin einziehen. Und ich möchte es auch. Vielleicht aber wären
jetzt andere Entschlüsse indiziert. Kurz, kommen Sie nach Ihrem
letzten Bade sofort, ohne über Zürich zu gehen, damit ich mit Ihnen
berate. Ihre Kur vor allem. Aber wenn Sie irgendeinen andern Zweck
als den der Gesundheit und irgendeine andere Rücksicht dem so dringen-
den, brennenden Bedürfnis vorgehen lassen könnten, das ich diesmal
^) Dieser Absatz fehlt bei Becker.
-"=379 =
cmptinde, mit Ihnen so bald als möglich zu beraten, so würde ich
Ihnen das diesmal — serieusement parle — wirklich auf das erstaun-
lichste et avec rancuue üljelnehmen!
Ihr
I'. L.
i8i.
IvASSAlvLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Genf, 4. August [1864].
Pension Bovet, aux Pacquis nie Pacquis Ko. 27.
Ich ^) kann nicht anders, obgleich ich seit vierundzwanzig Stunden da-
gegen ankämpfe, aber ich muß mich ausweinen an der Brust meines
besten und einzigen Freundes: ich bin so unglücklich, daß ich weine,
seit fünfzehn Jahren zum erstenmal! Was mich dabei noch mehr zer-
martert, ist das Verbrechen meiner Dummheit! Wie konnte ich so be-
schränkt sein, auf Helenes Wunsch einzugehen, sie ihren Eltern zurück-
zulief ern und loyal um sie zu werben. Ich hätte den Besitzstand be-
nützen und sofort mit ihr entfliehen sollen! Jetzt ist das Unglück da!
Sie ist unter vollständiger Sequestration und furchtbarster Mißhand-
lung! Ich weiß noch nicht, wie ich mich ihrer bemächtigen werde, ob
durch lyist, durch Gewalt. Alles ist mir gleich. Ich würde jedes Ver-
brechen ohne Zaudern begehen, das zum Ziele führt.^) Sie wissen nicht,
was sie leidet, das edle Geschöpf! Ich fühle mich so steinunglücklich,
daß ich mich autorisiert fühle, Sie zu bitten, bloß zu meinem Tröste
sofort herzukommen. Sie sind ja doch der Einzige, der weiß, was es heißt,
wenn ich Eiserner mich unter Tränen winde wie ein Wurm! Ob Sie mir
werden helfen können, weiß ich nicht. Aber trösten, etwas beruhigen.
Ich weiß zwar nicht einmal, ob Sie mich noch hier finden, und wenn
Sie im Momente des Empfangs dieses Briefes abreisten. Denn alle Tage
kann das Bild wechseln, d. h. Helene von ihrem Vater, wozu er Dust
hat, irgendwohin fortgeschickt werden. Aber das ist doch nur eine sehr
entfernte Möglichkeit. Träte sie ein, so reise ich dann natürlich sofort
ihr nach, aber im selben Augenblick telegraphiere ich Ihnen dann nicht
nur nach Wildbad, sondern Telegraphenbureau restante auch nach
Basel und Bern, und lege hier noch in Genf poste restante einen Brief
für Sie nieder, der Ihnen besagt, was aus mir geworden.
Gehen Sie nicht über Zürich. Rüstow finden Sie ohnehin nicht. Denn
ich habe ihm heut einen Brief geschrieben, auf den er sicher übermorgen
^) Mit kleinen Auslassungen und Ungenauigkeiten abgedruckt bei Bernhard
Becker, S. 44.
'-) Dieser Satz fehlt bei Becker.
= 38o -
hier eintrifft. Wohin bin ich gekommen ! Ich, der allgemeine Rater und
Helfer bin rat- und hilflos und brauche andere ! Meine Dummheit richtet
mich hin ! Der Gewissensbiß frißt mich auf ! Aber wenn ich mein Ver-
brechen nicht wieder gut mache, koste es was es wolle und um jeden
Preis, so will ich mein Haupt scheren und Mönch werden.
Ach, Gräfin ! Warum sind Sie nicht hier.
F.L.
P. S. Kommen Sie noch nicht. Alle Minute kann sich der Schauplatz
ändern. Halten Sie sich nur bereit, auf die erste telegraphische Depesche
an den Ort, den ich Ihnen bezeichne, zu kommen. —
Wenn ich diese Sache nicht durchsetze — und ich zweifle sehr daran,
so bin ich für immer gebrochen und fertig mit allem. Noch viel mehr
vielleicht als des Mädchens Verlust zerbricht mich meine Gimpelei.
Wenn ich sie nicht durch Sieg ausgleichen kann, verachte ich mich selbst
für immer auf das schnödeste.
182.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALIvE. i) (Original.)
Wildbad, 5. August [1864].
Gestern abend erhielt ich Ihren Brief, vor der Abreise nach Genf ge-
schrieben, mit dem Ihrer Braut. Sie haben ganz recht, das Gefühl,
welches ihr eingab, mir gleich zu schreiben, war ein sehr gutes und rich-
tiges, das ich ganz richtig zu würdigen verstehe, und der Brief selbst ist
ein sehr lieber, der allerdings die beste Zuversicht für Ihr künftiges
Glück gibt. Ich habe so lange in schlimmen Jahren in Kampf und Ge-
fahren treulich zu Ihnen gestanden — wie Sie mir gewiß das Zeugnis
zugestehen werden, daß ich nie dem Appell gefehlt habe — , daß ich nicht
erst Ihnen zu sagen brauche, wie ich im selben Grade mich tief innig
freue, Sie glücklich zu wissen imd meine herzlichsten Glückwünsche Sie
stets begleiten werden, so lange ich lebe. Wenn ich Ihrer Braut nicht
heute auch gleich, wie es mich drängt, schreibe, so ist es nur, weil ich
rasend abgearbeitet bin von zwar [von] den erbärmlichsten Kleinigkeiten
(da ich noch immer keine Kammerjungfer habe), die aber doch gemacht
sein wollen, und die Kur greift mich auch sehr an, und ich will ihr
wenigstens zum erstenmal ziemlich anständig und ä tete reposee schreiben,
was bei Ihnen nicht nötig. Aber in aller Welt, wo nehmen Sie denn den
^) Der Brief ist sehr eilig geschrieben imd der Stil wimmelt — wie in solchen
Fällen bei der Gräfin öfter — von Flüchtigkeiten. Wo solche augenscheinlich zu-
tage liegen, wurden sie stillschweigend verbessert.
38i
Gedanken und die Furcht her, ich könnte mich woUen in Ihre Ehe ein-
mischen, Ihre Frau influenziercn? Wie habe ich Ihnen denn dazu Ge-
legenheit gegeben? Wie können Sie so gering von, ich spreche nicht vom
Herzen, aber von meinem Verstand denken? Nichts liegt mir ferner
als dieser Gedanke, und es wird auch gewiß so bleiben. Und dann woher
nehmen Sie denn aus meinen Briefen, daß ich Iluien abgeraten, versucht
Sie abzuhalten ,,wozu es jetzt zu spät sei". Ich habe nicht abgeraten,
wie könnte ich das? Ich kenne Ihre Braut gar nicht, habe also keine
Ursache dazu, ich habe nur in der Art und Weise etwas Ruhe und Über-
legung geraten, was mir in den beiderseitigen Verhältnissen zu liegen
schien, worüber ich eine irrige, aber gewiß herzlich gemeinte Ansicht
hätte. Ich werde also, wie Sie es wünschen, nach Genf kommen, Sie
meinten zwar, ich würde nicht vor dem i8. hier abreisen, so lange wird
es aber nicht, ich werde schon am i8., vielleicht schon früher am i6. in
Genf sein, auch wenn ich nach Zürich gehe. Ich muß auf zwei Tage hin,
ich weiß, ich komme später nicht mehr hin, und ich habe so entsetzlich
wenig mir nur äußerlich befreundete Menschen, daß ich diese wenigen
doch nicht so absolut ungezogen zurückstoßen muß. Sie erwarten mich
erst am i8. abzureisen, und ich werde früher schon da sein, also können
Sie dagegen doch gewiß nichts haben.^)
. . . Nim das wird sich ja alles zur Zeit finden. Nun leben Sie wohl,
liebes Kind, ich erwarte mit großer Spannung einen Brief aus Genf,
wer weiß, ob mich noch einer hier erreicht, denn die Briefe gehen im-
begreiflich und unverschämt lange hierher, sogar manchmal laufen sie,
Gott weiß warum, über Stuttgart.
Ich bitte Sie daher, gleich auch einen Brief nach Basel, Hotel Drei
Könige, Hotel restant zu schicken, worin Sie mir auch sagen, wohin in
Genf ich meine Koffer adressieren kann, welches Hotel? Ich schicke
die Koffer von hier nach Basel, und von dort will ich sie als Frachtgut
direkt nach Genf schicken, während ich zwei Tage nach Zürich gehe.
Nun nochmals Ivebewohl und auf baldiges Wiedersehen. Die herzlichsten
Grüße für »Sie und Ihre Braut ganz vorzüglich.^)
183.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN IvASSALLE. (Original.)
Wildbad, 5. August abends [1864].
Ich weiß nicht, woher es kommt, daß Sie immer gleich gereizt gegen
mich sind, und nur dadurch, also aus einer Ursache, die ich nicht weiß,
^) Von hier ab sind anderthalb Seiten mit Tintenstrichen völlig unleserlich ge-
macht worden.
-) Die Unterschrift ist fortgelassen.
- 382 =
kann der gereizte Brief kommen vom 3., den ich heute 5. erhalte.^)
Meine Antwort ist:
1. Daß es mir nicht eingefallen ist, wie Sie mir heute und gestern
vorhalten, Ilinen in der Sache abzuraten. Ich habe ruhigere und vor-
sichtigere Art der Verfolgung des Zweckes angeraten, sogar gar nichts
anderes angeraten, als aus dem ersten Brief Ihrer Braut selbst, den Sie
mir geschickt, hervorgeht. Denn sie sagt, Sie wollten erst alles versuchen,
um auf gütliche ruhige Weise die Einwilligung der Eltern zu erlangen.
Dies schien mir auch besser imd nicht im Sturmschritt zu erreichen.
Aber wenn dies doch möglich, desto besser, oder wenn sich die Ansichten
Ihrer Braut hierüber geändert, so kann ich dies hier doch nicht erraten.
2. Zweitens konnte ich ebensowenig raten, daß Helene großjährig.
Sie haben mir freilich nicht geschrieben, daß Helene entschlossen sei,
nicht gegen den Willen der Eltern zu heiraten. Sie schrieben mir aber,
Sie fürchteten ihren unentschlossenen Charakter und daß ich Ihre
späteren Mitteilungen für meinen früher geschriebenen Brief nicht
raten konnte, ist doch auch nicht so ganz ungeschickt.
3. Ist mir nicht eingefallen zu sagen, daß Sie Ihren Heiratsentschluß
nach den Verurteilungen richten sollten. Sie scheinen nicht recht Zeit
zu haben, meine Briefe zu lesen, was ich ziemlich natürlich finde. Sonst
würden Sie wissen, daß ich für vernünftig und passend hielt, bevor die
Zeit, der Tag der Heirat bestimmt würde, Sie einen Entschluß über Ihr
Verfahren diesen Verurteilungen gegenüber gefaßt hätten. Ich meinte,
daß es für Sie wie für Helene nicht zu empfehlen, es darauf ankommen
zu lassen, wenn Sie jetzt gleich heiraten und zusammen nach Berlin
gehen, unter dem Damoklesschwert einer plötzlichen Verhaftung zu
stehen. Wenn ich mich darin geirrt, wenn meine Furcht auch wirklich
grundlos, so war der Rat doch aus bestem Herzen gemeint, und ich
kann auch noch nicht finden, daß er so ganz verrückt sei.
Ich wiederhole hier nochmals ausdrücklich, daß, sollte ich mich
wirklich so ungeschickt ausgedrückt haben, was ich zwar nicht glaube,
es nie meine Absicht gewesen, Ihnen irgendwie abzuraten, wie Sie immer
wiederholen, oder in meinen Gedanken gelegen hat, irgend etwas in den
Weg zu legen. Durch diese Redeweise und vorgefaßte Meinung benehmen
Sie mir alle nötige Unbefangenheit, um auch da, wo Sie ihn verlangen,
meinen Rat auszusprechen.
In diesen letzten Tagen muß sich also, Ihrem Brief gemäß, die
Haltung der Eltern entschieden haben. Die Briefe gehen so langsam,
meiner über drei Tage, und so unregelmäßig hierher, daß ich auf keine
Antwort auf diesen mehr hier rechnen kann. Ich wiederhole also mein
Ersuchen von gestern, mir sofort nach Basel, Hotel Drei Könige, zir ant-
^) Siehe oben Nr. 180.
383 =
Worten, wo ich Sie in Genf treffe und wohin ich dort meine Koffer von
Basel schicken kann. Ich rechne sicher darauf, den Brief in Basel zu
finden. Nun leben Sie wohl, liebes Kind, herzlichste Grüße an beide und
Sans rancunc wegen Ihrer Ungerechtigkeit.^)
184.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN IvASSALLE.^) (Original.)
Wildbad, 7. [August 1864].
Soeben Ihren Brief erhalten, bin tief gerührt und entrüstet, aber wie
verlieren Sie gleich den Kopf ! Eltern können sehr unangenehmen Eklat
nötig machen, kurze Zeit hinhalten, garnichts verhindern. Sequestrieren
darf man heutzutage nicht mehr, und man verliert sich auch nicht auf
lange wie eine Stecknadel. Es wäre allerdings besser, die Eltern einige
Tage einzuschläfern, damit sie Helene nicht wegbringen, was immer
Schwierigkeiten, wenn auch keine erhebliche, macht. Ich bin am 10.
oder II. da, und solche Dinge sind mein Fach, darauf verstehe ich mich
und habe auch weit leichteres Spiel als Sie, Verbindungen anzuknüpfen,
und Helene müßte wirklich zu einfältig sein, wenn sie nicht in kurzer
Zeit Nachricht herausbringen könnte, vorzüglich, wenn ich ihr von
draußen Gelegenheit biete. Also ich bitte Sie dringend, keinen Eklat,
bis ich da. Helene müßte doch auch gar zu energielos sein, wenn sie sich
wegbringen ließe. Sie braucht dem sogar nur völlige Inertie der Ver-
neinung entgegenzusetzen, keinen Streit, nur es nicht tun. Sie ist groß-
jährig und kann nicht gezwungen werden. Sie braucht bloß eine Voll-
macht heraus zu besorgen für die sommations respectueuses (warum
ließen Sie sich diese nicht im voraus geben?) und das Gesetz muß sie
schützen, daß sie weder mißhandelt noch entführt werde bis zu ab-
gemachter Sache. Wollen die Eltern durchaus einen Eklat, nun, so sollen
sie ihn haben. Das einzige, was für mich Wert hat, ist die Frage: wird
Helene innerlich fest bleiben und tun, was man ihr sagt? Davon hängt
alles allein ab. Bleibt sie fest, ist nichts verloren. Bleibt sie es nicht, nun
dann, liebes Kind, so begreife ich und teile [ich] Ihren Schmerz, der aber
dann nur auch ein Schmerz der Täuschung ist, denn dann war sie Ihrer
nicht würdig.
In größter Eile. Nur Ruhe und Geduld ! Stehen Sie für Helene, dann
stehe ich für den Erfolg.
Am 10. oder 11., ich packe sofort, kann aber früher unmöglich.^)
^) Ohne Unterschrift.
2) Aus diesem Briefe entnimmt Becker nur drei Sätze und auch diese fälscht
er um.
3) Ohne Unterschrift.
- - 384 — -
i85.
IvASSAIvIyE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
Genf, 7. August 1864.
vSie vous pouvez quelque chose alors venez plus tot. Ne perdez pas
mi moment. Car le 14 il f ant que je sois dans la raeme affaire ä Carlsruhe.
Ferdinand.
186.
vSOPHlE VON HATZFEIvDT AN IvASSAI^IvE. (Depesche, Original.)
Wildbad, 7. August 1864.
Tranquillite. Nous reussirons, j'en suis süre. Dix ou onze je suis ä
Geneve. Sophie.
187.
IvASSALTvE AN SOPHIE VON HATZFEI.DT. (Depesche, Original.)
Genf, S.August 1864.
Restez. Le 13 vous serez ä Carlsruhe, Erbprinz oü je suis ou arriverai
le 14. Absolument necessaire. Ferdinand.
188.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASS ALLE. (Depesche, Original.
Wildbad, 8. August 1864.
Impossible avant le onze, voyage deux jours. Si partez le treize ne
me f altes pas venir inutilement ä Geneve. Reponse ici et le dix ä Bäle;
oü est Rüstow j'en suis inquiete.
Sophie.
189.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Wildbad, S.August 1864.
Liebes Kind, ich schicke Ihnen hierbei einen Brief für Helene; ich
hoffe, Sie werden mit dem Inhalt, der mir ganz gemeint [sie!], zufrieden
sein und mir nicht wieder Absichten unterstellen noch Befürchtungen
haben, die ganz unbegründet sind und die nur das nicht gute Resultat
== ^ 385 ================
haben köniicu, die kleine Befangenheit, die (ohnehin sehr natürh'ch, zu
steigern. Ich envarte also in Basel, Hotel Drei Könige, einen Brief mit
der geforderten Auskunft. Ich weiß noch nicht den bestimmten Tag
meiner Abreise, aber es wird doch sehr bald sein, vielleicht schon am
IG. bis II., daher schreiben Sie gleich nach Basel. vSie wissen, liebes
Kind, daß, als Sie früher bestimmte Reisepläne von mir forderten, ich
es Ihnen überHeß, mit der alleinigen Ausnahme von Bergreisen, die
Sie daim auch vor meiner Ankunft machen wollten. Daß alle Projekte
geändert, ist nicht mehr wie natürlich und nötig, aber Bergreisen kann
ich nicht machen. Auch um Sie, wie Sie sagen, immer in den Tälern zu
erwarten, müßte ich, um in solche Täler zu kommen, stets über Berge ;
und weder meine Beine noch Nerven leiden dies mehr.
Leben Sie recht wohl, liebes Kind ! Auf baldiges und recht glück-
liches Wiedersehen.^)
190.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original, Depesche.)
Genf, 9. August 1864.
[nach Karlsruhe]
R[ üstow] doit rester ici. Suivez mon ordre. Desespere.
Ferdinand.
191.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSADDE. (Original.)
Karlsruhe, 10. August 1864.
Die Sache hat sich sehr fatal und traurig gestaltet, macht sehr un-
angenehme Schritte nötig, die besser vermieden wären, tmd Verzöge-
rungen sind vorauszusehen. Ich nehme gewiß den innigsten Anteil
daran ; aber wie das Resultat dadurch definitiv kompromittiert werden
kaim, wenn Helene fest bleibt, ist mir ein Rätsel. Man sequestriert heut-
zutage nicht lange eine Tochter, man zwingt sie auch nicht, jemand zu
heiraten, den sie nicht will, und was das Mißhandeln nun gar anbelangt,
so bin ich doch der beste juge darin, was in der Art tunlich und habe
es hundertfach stärker und länger wie es hier möglich ausgehalten, ohne
wankend zu werden. Darauf, auf Helenes Festigkeit, kommt schließlich
allein alles an.
Es ist drei Uhr nachts. Mein Geburtstag, diesmal ein recht sehr
trauriger Tag ist angebrochen.
1) Ohne Unterschrift.
Mayer, Lassalle-NachUss. IV 25
386 = =rz
Ivcben Sie wohl, liebes Kind, ich bin so abgequält von der Unsicher-
heit über alles, in der Sie mich lassen, daß ich fürchte, ich lege mich
hin und sterbe gleich.
Auch wegen Zimmer hier müssen Sie telegraphieren, sonst bekommen
Sie keine, und ich weiß ja nicht was, noch wann ich bestellen soll.
lo. August 1864. 9 Uhr
Ich stehe nur auf, um diesen Brief und einen an Rüstow zu expe-
dieren und muß gleich wieder zu Bett, ich bin wie gelähmt und habe
diesen Morgen Blut gespuckt, was mir wie lange nicht passiert. Ich
habe die beiden Kuren in Ems, vorzüglich in Wildbad, zu schnell
forciert gebraucht, ich wollte gern schnell fertig sein luid nun die Un-
ruhe, Sorge um Sie über das, was mit Ihnen vorgeht. Ungewißheiten
sind wie Gift für mich. lyänger wie Donnerstag kann ich es hier um-
sonst nicht aushalten.
Daß Rüstow, wenn Sie nicht können, sofort schreibt und tele-
graphiert. Adieu, liebes Kind, ich habe guten Mut und Ahmmgen für
Sie, für mich desto schlechtere.
Ach Gott, warum zwingen Sie mich hierzubleiben, es wäre gewiß
besser, ich wäre bei Ihnen.
192.
SOPHIE VON HATZFElyDT AN I.ASSAI.IvE. (Original.)
Karlsruhe, 12. August [1864].
lyiebes Kind, daß Sie mir in acht Tagen, wo Sie mich in der töd-
lichsten Angst wissen mußten, nur ganz unverständliche Depeschen
geschickt, daß Sie, Rüstow und gewiß haben Sie Becker^) auch, zu drei
nicht fünf Minuten Zeit finden konnten, mich durch einen Brief von
zehn Zeilen zu benachrichtigen und zu beruhigen, daß Rüstow mir [sie!]
ebenfalls auf die wiederholtesten Briefe keine Silbe hören ließ, war
nicht recht und hat mich, da die Ungewißheit das einzige ist, was ich
nicht zu ertragen vermag, fast verrückt gemacht. Das ist nun vorbei,
und ich habe mich ergeben in [das,] was ich nicht ändern kann. Ich
weiß also nun zwar gar nicht, in welcher Lage Sie sind, allein nach dem,
was ich mir darüber denke, ist meine Ansicht, daß Sie persönlich in
Genf nichts mehr ausrichten, daß es dort nur mit List noch gelingen
kann; aber so lange Sie da, wird die Wachsamkeit nicht nachlassen, und
^) Johann Philipp Becker (1809 — 1886), der alte Revolutionär und Befehlshaber
im Badischen Aufstand, lebte seither in Genf als Mittelpunkt der sozialistisch
gesinnten Deutschen in der französischen Schweiz.
— — 387 -
mit Gewalt glaube ich nicht, daß man jetzt gleich zum Ziel kommt.
Ich bilde mir ein, daß ich das jetzt dort am besten machen könnte ; ich
habe ja früher Proben abgelegt, daß ich in dergleichen Sachen geschickt
bin, mich nicht fürchte, und daß es mir für Sie an gutem Willen nicht
fehlen wird, das wissen Sie doch auch. Man kennt mich nicht in Genf,
ist also nicht gleich aufmerksam, und man wird sich auch gegen mich
bedenken, Mittel anzuwenden, die man bei Ihnen nicht scheuen würde.
Sie haben nicht einmal einen Paß, und ich habe einen, den man respek-
tieren muß für alle Leute, die mit mir sind. Überdies sind ja Rüstow
und Becker da, um zu beobachten und zu folgen, wenn nötig. Sind
Sie meiner Meinung, daß ich nützlich sein kann, so telegraphieren Sie
sofort und sagen mir, ob ich direkt nach Genf komme oder ob Sie mich
besser, um alles Aufsehen zu vermeiden, in der Eisenbahnstation vor
Genf sprechen wollen.
Die Eisenbahnzüge von hier nach Genf gehen so, daß ich um 3 Uhr
morgens von hier abfahre, bin den Abend 6V/2 in Genf, sonst muß
man zwei Tage haben. Hier bin ich ja zu gar nichts gut, als mich krank
zu ängstigen, was niemand etwas hilft.
Ich erwarte Ihre Entscheidung hier darüber. Wenn Sie wirklich
am 14. kommen, was ich jetzt bezweifle, oder daß ich irgend hier etw^as
tun kann, so bin ich natürlich ganz bereit zu allem. Ist das aber nicht
der Fall, ist hier nichts zu tun und Sie wünschen vielleicht aus Gründen,
die ich nicht weiß, daß ich nicht nach Genf komme, so möchte ich nach
Zürich gehen, wo ich Ihnen auch näher und schneller da sein könnte,
wenn Sie mich brauchen sollten und nicht so allein wie hier bin. — ^)
193-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
Nyon, 13. August 1864.
Arriverai dimanche midi. Retenez chambre. Tächez savoir hötel de
Bülow et Hofstetten demain Carlsruhe.
Ferdinand. 2)
1) Ohne Unterschrift.
*) Lassalle traf am 14. August in Karlsruhe ein. Am 9. hatte er von Genf aus an
Hans von Bülow nach Berlin telegraphiert: ,,Ich komme den 14. nach Karlsruhe,
Erbprinz, nur um Sie zu sprechen. Habe absoluten Freundschaftsdienst zu erbitten.
Ihre Nichtanwesenheit wäre furchtbar. Existenzfrage. Rechne auf Ihre Liebe.
Telegraphische Antwort Genf, Pension Bovet." Unbekannte Briefe Lassalles an
Bülow und Biilows an Lassalle, die die Intimität ihrer Freundschaft beleuchten,
werden in Band V abgedruckt werden.
- 388 ^
194.
SOPHIE VON HATZFEI.DT AN LASSALLE. (Original.)
[Mainz], 16. August abends.
Ich bin um 3^/3 Uhr angekommen und um 5 Uhr fuhr ich gerades-
wegs zum beabsichtigten Besuch^) und wurde sogleich mit empressement
vorgelassen und brachte 2^/3 Stunden dort zu. Ich gebe hier Bericht
über den Verlauf . Erreicht Positives habe ich nichts, das war auch
durch mich in diesem speziellen Falle, wie mir mein Gefühl sehr richtig
sagte, unmöglich. Ich bin Katholikin, und er konnte sich gegen
mich, die in den Schoß der Kirche zurückzuführen sein erstes Bestreben
sein mußte (und dies war auch der Gedanke, der sogleich in ihm auf-
stieg, wie es sich deutlich im Gespräch zeigte), nicht soviel vergeben,
daß er mir blicken ließ, daß rein äußerliche Formen ihm genügen, daß
weltliche Rücksichten und Vorteile ihn bestimmen könnten. Außerdem
hat er mir den Eindruck gemacht, als wenn dies wenigstens zu drei-
viertel seine wirkliche Überzeugung sei. Unter diesen Umständen
konnte er ein Versprechen irgendeiner Art nicht geben, aber
einen günstigen Eindruck habe ich jedenfalls gefunden und der Boden
war auch im voraus eher günstig gestimmt; was daraus im stillen
erwachsen kaim, das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe in ihm
einen sehr gescheiten Menschen mit dem feinsten Takt für das seiner
Stellung Angemessene und feiner Beurteilung gefunden. Auf mein wieder-
holtes Drängen nach allen Seiten hin sagte er mir: ,,Ich nehme ein leb-
haftes Interesse an I^assalle, an seinem ernsten imd wahren wissen-
schaftlichen Streben, ich habe sehr viel ^'on ihm gelernt, ich billige
seine sozialen Bestrebungen, sein Wirken durchaus. Wenn ich etwas
für ihn tun könnte, würde ich es gern tun, um einen der Sache so
imentbehrlichen Maim zu erhalten. Denn wenn ich an die Realisienmg
seiner Ideen auf dem Wege nicht glaube, weil, wie es sich jetzt an
Lassalle selbst so wmiderbar zeigt, jedes Prinzip, imd sei es mit noch
so eminenten P'ähigkeiten vertreten, wenn es der allein unwandel-
baren Basis der Religion entbehre, nicht stichhielte, wenn der Sturm
der Leidenschaft darüber wehte, so habe Lassalle die wichtige Auf-
gabe, die Irrtümer tmd Lügen auszurotten, mit hohem Verdienst und
^) Die Gräfin schildert hier ihren Besuch beim Bischof von Mainz. Wilhehn
Emanuel von Ketteier (1811 — 1877) hatte, wie auch sein Buch: Die Arbeiter-
frage und das Christentum (Mainz 1864) bewies, von Lassalles sozialen Gedanken
einen starken Eindruck erhalten. Vgl. Oncken a. a. O., S. 456 ff.
= 380 .
Erfolg bis jetzt verfolgt, und er müsse ihr n halten Ijleiben. Kr Irug
mich, wie denn überhaupt, in welcher Form die Kirche eingreifen
könne; er sagte auf meine verschiedenen Einwürfe: ,,Ja, wenn das
Mädchen Katholikin ist, sich selbst an die Kirche wendete um Schutz,
um Erhaltung- der Heiligkeit des vSakramentes, das seine wahre Weihe
nur durch die innere Übereinstimmung der Seelen (d. h. natürlich zur
Ehre Gottes) erhielte, um Rettung ihres durch die aufgezwimgene Lage
gefährdeten Seelenheils, dann vielleicht wäre es möglich; aber Lassalle
sei noch nicht übergetreten und erkläre diesen Übertritt offen-
bar jetzt nur aus dem Stürmen und zur Befriedigung der Leiden-
schaft. Er billigte übrigens den Schritt, nach München zu gehen und
in loyalerWeise sein Recht zu suchen, durchaus, sprach wiederholt seine
Freude über das bis jetzt verfolgte Verfahren von Lassalle aus,
da er sich wirklich für ihn interessierte, da es das einzige für ihn und
seine Stellung Passende. Er konnte auch nicht begreifen, wie ich die
Sache so schwarz ansähe. Das Betragen des Vaters sei sehr tadebiswert,
kömie aber nicht von Dauer sein und mit Ruhe und Ausdauer das Ziel
wohl zu erreichen.
Ich hätte so gern etwas Bestimmteres gemeldet. Ich reise morgen
früh nach Bern, treffe morgen abend, wie man mir sagt, um
II Uhr dort ein, dort ist ein weit möglicheres Feld der Aktion für
mich.
Leben Sie wohl, liebes Kind, ich bin innerlich wie äußerlich halb
tot. Immer steht Ihr Gesicht, wie ich es aus dem Waggon sah, vor mir.
Wenn Sie mJch hart gegen Sie gefunden, so glauben Sie mir, mein Herz
blutete dabei vielleicht noch trostloser als das Ihrige. Ich kann sagen,
daß ich für Sie das Gefühl habe, als wenn Sie mit einem materiellen
Band an mein innerstes Sein gebunden wären, das durchgeschnitten
die Verblutung herbeiführen muß. —
II.i)
Mainz, i6. Aiigiist 1864.
Liebes Kind, ich bin um 31/2 Uhr hier angekommen und um 5I/2 Uhr
fuhr ich zum beabsichtigten Besuch, wurde sogleich vorgelassen und
brachte lange Zeit dort zu. Ich gebe hier Bericht über den Sachverhalt.
Positives in Ihrem Sinn habe ich leider nicht erreichen können,
aber ich hielt dies ja, wie ich es Ihnen im voraus sagte, auch nicht für
^) Schwerlich Konzept von Nr. 194I; vielleicht spätere Redaktion für den Druck,
da mit stilistischen .Änderungen von der Hand Wilhelm I^iebknechts. Mit Aus-
lassungen gedruckt bei B. Becker, S. 5 59 f.
=— = 390 -^ -
gut möglich. Der Eindruck indessen, den mir die Unterredung machte,
war ein höchst günstiger, sogar sehr wohltuender. Ich habe einen
Mann von hohem Verstand und feinstem Urteil gefunden, aber noch
weit mehr als das, einen Manu, der, ohne jemals im allergeringsten von
dem seinem Beruf, seiner Stellung Angemessenen abzuweichen, ganz
frei ist von jener Scheinheiligkeit, die immer nur richten will und
so abschreckend wirkt. Er hat das Verständnis menschlicher Schwächen,
Wohlwollen und Milde, und ich glaube, daß man in ihm immer weit
mehr den Tröster als den Richter finden würde. Daß er ohne Vor-
urteile ist, bewies mir die richtige Beurteilung und Anerkennung,
die er für Sie hat, und insoweit fand ich den Boden für meine Be-
strebmigen günstig.
Ich will Ihnen nun, zwar zusammenhanglos — bei der mir so kurz
zugemessenen Zeit — einige Details mitteilen, die, wenn auch viel-
leicht nicht immer ganz streng wörtlich wiedergegeben, doch
überall streng den Sinn beibehalten.
Ich fing also damit an, Ihren Auftrag in Ihren eignen Worten
auszurichten und ich erhielt die Antwort: daß diese Worte so sehr
Ihrer streng konsequenten Deukungsart entsprächen, daß Sie sie ge-
sprochen haben müßten. Daß Ihr angekündigter Entschluß auf rein
formalen und äußerlichen Gründen beruhe, konnte ihm natürlich nicht
einen Augenblick zweifelhaft sein, und ich war ihm wie Ihnen die Wahr-
heit schuldig und bestritt dies in keiner Weise. Ich setzte ihm nun die
Sachlage und um was es sich jetzt handle, auseinander, imd nach langen
bittenden Vorstellungen meinerseits — denn ich sprach, wie Sie denken
können, mit meinem ganzen Herzen — und nach Anfragen seinerseits, in
welcher Form ich mir ein Eingreifen möglich dächte, sagte er: ,,Ja,
wenn das Mädchen Katholikin ist (worüber ich keine Auskimft geben
konnte), sich selbst an die Kirche wendete um Schutz, um Erhaltung
der Heiligkeit des Sakramentes, zu dessen wahrer Weihe die innere Über-
einstimmung der Seelen erforderlich ist, um Rettimg ihres durch diese
aufgezwungene Ivage gefährdeten Seelenheiles, dann würde eine Ein-
mischiuig vielleicht gerechtfertigt sein." Was Ihre Person anbeträfe,
sagte er, so wären Sie ja noch nicht katholisch. Über Sie äußerte er
sich in anerkennender und wohlwollender Weise. Er habe viel von Ihnen
gelernt und nähme ein lebhaftes Interesse an Ihrem ernsten, wahren,
wissenschaftlichen Streben, billige Ihre sozialen Bestrebungen, Ihr
Wirken, und wenn er an die Möglichkeit der ,, Realisierimg Ihrer Idee
auf dem eingeschlagenen Wege zw cifle, so sei es nur, weil — wie es sich
jetzt an Ihnen selbst so wunderbar zeige" ^) — jedes Prinzip, und sei es
Von ,,wie" bis , .zeige" ist im Original durchstrichen.
— 391 ======^
noch so richtig und von den cniincntc-stcn Fähigkeiten vertreten, wenn
es der allein unwandelbaren Basis entbehre, nicht standhielte, so-
bald der Sturm der Leidenschaft darüber hinweht. Jedenfalls aber hätten
Sie die sosehr wichtige Aufgabe, Irrtümer und Lüge aufzudecken und
auszurotten, mit hohem Verdienst und Erfolg bis jetzt gelöst und müßten
dem ferner erhalten bleiben. Wenn er etwas für Sie tun könnte, würde
er es gern tun, um einen der Sache so unentbehrlichen Mann zu er-
halten. Ich schilderte ihm das Benehmen des Mädchens gegen Sie, wo-
nach es unmöglich sei, anzunehmen, daß sie nicht jetzt unter dem
stärksten Zwang stehen müsse, Ihr so rücksichtsvolles und ehrenhaftes
Benehmen gegen Helene, die Art, wie Sie selbst sie der Familie zurück-
gegeben, das völlig unerklärliche und von vornherein beleidigende Be-
tragen der Familie Dönniges, die Ihnen doch zur wärmsten Dankbarkeit
verpflichtet sei. Er freute sich über Ihr durchaus ehrenhaftes Ver-
fahren. Sie dürften es niemals bereuen, es sei, wenn es Ihnen auch bis
jetzt Schaden gebracht, das einzig für Sie Passende gewesen, und er
billigte Ihren Plan, in der angegebenen loyalen Weise in München Ihr
Recht zu suchen. Da ich sehr aufgeregt war und unter immer wieder
hervorströmenden Tränen sprach, so äußerte er mir, er könne nicht be-
greifen, warum ich die Sache so schwarz ansähe, das Betragen des Vaters
sei höchst tadelnswert, könne aber nicht von Dauer sein; und mit
Ruhe und Ausdauer sei das Ziel wohl zu erreichen.
Ich hätte Ihnen so gern etwas recht Gutes gemeldet, aber Sie
sehen, war auch die Aufnahme wie der Willen nicht ungünstig, so
waren doch die in der Sache selbst liegenden Schwierigkeiten zu
groß.
Ich reise morgen früh nach Bern, wo ich abends eintreffe, gehe
gleich nach Wabern zu Madame Arson und Madame Lesley, ziehe dort
alle nötigen Erkundigungen ein, vorzüglich über die Briefe, die von
Helene dort angekommen sein sollen, und werde alles aufbieten, Madame
Arson zu bewegen, daß sie mit mir nach Genf reist, um mir behilflich
zu sein, Helene zu sprechen, und hoffe endhch zuverlässige Kundschaft
aus der streng abgeschlossenen Festung zu erlangen.
Nun leben Sie wohl, mein liebes, gutes Kind, ich bin innerlich wie
äußerlich halb tot. Immer steht Ihr Gesicht, wie ich es noch aus dem
Waggon sah, vor mir. Wenn Sie mich hart in meinen Ermalmungen
gefunden haben, so glauben Sie mir sicher, daß mein Herz dabei weit
trostloser geblutet hat als das Ihrige. Ich kann sagen, daß ich für Sie
das Gefühl habe, als wären Sie mit einem materiellen Band an mein
innerstes Sein gebunden, das zerschnitten die völlige Verblutung für
mich zur Folge haben müßte.
= 392 =
195-
IvASSAlvI^E AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Original.)
München, i8. August [1864].
Gräfin!^) Kein Verdammter in so entsetzlicher Höllenpein!!! Ihren
Brief erhalten. —
1. Hier bei Wagner^) gewesen. König in Hohenschwangau ! Wagner
reist ohnehin Dienstag zu ihm. Hat versprochen, mit ihm, je nach dem
Ausfall einer Erkimdigung, die er im Interesse seiner eigenen Stellimg
einziehen muß, [mit ihm] zu sprechen, und wenn er überhaupt mit ihm
spricht, d. h. wenn es ihm das Resultat dieser Erkundigung erlaubt, mit
aller Energie zu sprechen.
Aber wie Sie sehen, ganz ungewiß.
2. Auch nach bayerischem Gesetz ist sie mit 21 Jahren majorenn.
Gleichwohl ist auch dann doch, da sie nicht emanzipiert ist, Einwilligung
des Vaters nötig, die aber, wenn verweigert, durch die Gerichte erteilt
werden kann und wie mir Dr. Hänle^) sagt, auch erteilt werden würde.
Hänle nimmt sich meiner Sache mit aller Energie an. Er will die Klage
auf Einwilligung in meinem Namen anstellen, macht sich zwar keine
Illusion, daß auf dem Rechtsweg nichts praktisch zu erreichen sei, meint
aber auch den Vater durch Furcht vor dem Skandal einzuschüchtern,
will ihm (sie kennen sich, ohne sich leiden zu können, innerlich doch ganz
gut) einen Brief schreiben, worin er ihm dies alles vorstellt usw.
3. Ich komme soeben vom Minister des Auswärtigen zurück, Baron
von Schrenck,*) mit dem ich eine fast zweistündige Unterredung gehabt.
Der einzige schwache, schwache Lichtstrahl! Ich fand den Mann merk-
würdig günstig für mich. Es schmeichelte und interessierte ihn offenbar,
mit mir zu tun zu haben. Er verwickelte mich in ein politisches Gespräch
über die gesamte Situation, auf das ich mich einlassen mußte, um ihm
zu imponieren. Er war, wie gesagt, ganz auf meiner Seite. Er ging z. B. so
weit zu sagen : Ich würde Ihnen tmter solchen Umständen meine Tochter
nicht verweigern, obgleich ich begreife, daß es nicht angenehm ist und
^) Mit sehr bedeutenden Auslassungen gedruckt bei Becker, S.62f. Es fehlen
dort besonders der Abschnitt über Richard Wagner und die politischen Ausfüh-
rungen des Ministers (von ,,Der einzige schwache" bis ,, einzuleuchten schien").
2) Zu Richard Wagner hatte Hans von Bülow L,assalle den Weg geebnet.
Er , .mißfiel" Wagner ,, innigst".
^) Der Advokat Dr. Hänle wurde von dem Minister von Schrenck als offizieller
Kommissar nach Genf entsandt, der auf eine gütliche Beilegung oder eine vor
dem Notar in Lassalles Gegenwart stattfindende Willenserklärung Helenes von
Dönniges hinwirken sollte. Siehe unten Nr. 197.
■*) Karl Freiherr von Schrenck (1806 — 1884) war von 1859 bis zum vSeptemberi864
bajTischer Minister des Aiiswärtigen.
— -^=--= 393 =-- ^
auch mir nicht eben angenehm wäre, einen Schwiegersohn von so über-
wiegender poHtischer Bedeutung zu haben. Denn Sie k<)nnen nicht
leugnen, daß es unter den gegenwärtigen Umständen z.u einer Revo-
lution früher oder später kommen kann, und wer will dann der Even-
tualität gern ins Auge sehen, einen Schwiegersohn zu haben, der infolge
seiner Stellung erschossen oder gehängt wird ? Ich erwiderte ihm, daß es
entweder zu keiner Revolution kommen würde oder daß, wenn es zu
einer käme, wir nicht diejenigen sein würden, die erschossen und er-
hängt werden würden. Käme sie, so würde sie jedenfalls siegreich sein —
was ihm einzuleuchten schien. In Summa: er war ganz für mich, war
sich nur nicht darüber einig, was er tun solle und könne ; ein gütlicher
Brief würde nichts nützen ; befehlen könne er nicht. Zu den zwischen mir
und Ihnen verabredeten, vom König zu fordernden Schritten, die ich
auch ihm vorschlug, schien er keine rechte Lust zu haben (in seiner Hand
würden sie übrigens lange nicht so wirksam sein), schlug sie übrigens
auch noch nicht ab,^) sondern verabredete mit mir, daß ich morgen um
12 Uhr mit Hänle zu ihm kommen solle, um dann gemeinschaftlich mit
uns festzustellen, was er tun könne. ^j
4. Anbei ein Brief von Holthoff. Er hat einen Brief Helenens vom
9. aus Bex erhalten, worin sie alles widerruft, was sie ihm geschrieben.
Er legt aber gar keinen Wert darauf, schiebt es bloß auf rohe Gewalt,
erklärt es für ein Diktat des Vaters. (In einem andern Brief von ihm, den
ich soeben erhalte, spricht er dies noch stärker aus, sagt, daß dem Brief
Helenens an ihn sogar die gewöhnlichsten Höflichkeitsformen fehlten,
er im rohesten Geschäftsstil geschrieben sei usw.) Er hat wohl recht!
Aber der Gedanke ist dennoch furchtbar, furchtbar! Ich leide jetzt noch
weit entsetzlicher als bisher. Meine Ahnung hat sich bestätigt. Aber ich
muß sie trotzdem wiedergewinnen! Hölle ist nichts gegen meinen Zu-
stand !^)
5. Von Rüstow langt eine Depesche an. Er hat Helenen irgendeinen
Brief — ich weiß nicht, ob einen ganz kurzen lakonischen, den ich ihm
ließ, oder den langen beweglichen sogenannten Ambemyschen Brief —
endlich insinuiert und von ihr Antwort bekommen, die er mit ,,ganz
schlecht" bezeichnet, was in unserer Verabredung heißt, daß sie mich
aufgibt.
Das heißt natürlich nicht mehr als auch der Brief an Holthoff. Hat
schwerhch, hat keinesfalls einen größern Wert. Ach, es wäre furchtbar.
^) Von ,,Zii den" bis , .nicht ab" fehlt bei Becker.
^) Eine noch ausführlichere Wiedergabe von Lassalles Unterhaltung mit dem
Minister findet sich in seinem Brief vom gleichen Tage an Hans von Bülow, der in
Band V dieser Publikation erscheinen wird .
^) Dieser Satz fehlt bei Becker.
394 — =
auch noch an einer Unwürdigen zugrunde gehen zu müssen! Und ich
selbst trüge die Schuld ihrer eigenen^) Unwürdigkeit! Furchtbare, furcht-
bare Verwicklung!
6. Die Hauptsache ist jetzt, daß Sie die Arson aufpacken, mit ihr
nach Genf gehen und Helenen, vor allen Dingen Helenen selbst wieder
steif machen. Sie müssen zunächst Helenen zu der Arson bringen lassen
und dort sprechen (denn daß Helene wieder in Genf ist, ergibt sich aus
Rüstows Depesche zwar indirekt, aber doch mit Sicherheit). Sie müssen
also vor allen Dingen Helenen bei der Arson sprechen und mit Ihrer
ganzen wilden Beredsamkeit in sie dringen. Sie müssen sie vor allem
enttäuschen, denn die Arme ist vor allen Dingen getäuscht, sie hält
sich für minorenn, und wer weiß, was man ihr noch alles eingeredet
haben wird, auch über mich usw. Sie müssen ihr auch den sogenannten
Ambernyschen Brief (Rüstow hat ihn und weiß, welcher Brief mit diesem
Namen gemeint ist) insinuieren. Sie muß ihn auch womöglich in Ihrer
Gegenwart mit allen seinen Einlagen durchlesen. Sie müssen ihr sagen,
was ich für sie tue und leide.
7. Ich habe Rüstow telegraphiert, er solle von Helenens Brief zuvor
Abschrift nehmen imd dann mir das Original sofort nach München
schicken. Er hat also die Abschrift. So wie Sie in Genf eintreffen, lassen
Sie sich dieselbe von ihm vor allen Dingen sicher (durch Becker)^) zu-
schicken. Sie müssen dieselbe erst gelesen haben, ehe Sie mit Helenen
sprechen, um zu wissen, wie Sie sie zu nehmen haben. Stellen Sie mir
nur Helenen wieder her, dann verzweifle ich noch nicht. Die Arson muß
Ihnen eine Unterredung in ihrem Zimmer mit ihr verschaffen. Ich be-
schwöre Sie auf meinen Knien darum. 3) Diese Unterredung rettet
alles! Wenden Sie ihre ganze Beredsamkeit auf, daß die Arson mit
Ihnen nach Genf geht und Ihnen diese Unterredimg mit Helenen ver-
schafft.
Ehe Sie Bern verlassen, telegraphieren Sie mir hierher und melden
Ihre Abreise sowie das Hotel, das Sie in Genf beziehen werden, damit ich
weiß, wohin ich schreiben und telegraphieren soll!
Wie die Dinge laufen und da Helene dort ist, bleibe ich wohl noch
mehrere Tage hier, wenn ich hier etwas tun kann.
Hölle im Herzen
Ihr
F. L.
1) Das Wort fehlt bei Becker.
2) Johann Philipp Becker.
3) Dieser Satz fehlt bei Becker.
= 395 ■-
196.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Original.)
Beru, 19. August») [1864].
Liebes, gutes Kind, ich komme soeben 9 IThr abends \()n Wabeni,
wo ich alle anwesend gefunden. Man ist voll der größten vSympathie für
Sie und Bewunderung über Ihr Benehmen. Sie hätten sich wie der echte
Ehrenmann benommen, und das könne und dürfe Sie nie gereuen. Die
beiden Leslies haben mir am besten gefallen ; auch Madame Arson hat
mir mehrmals aufgetragen, Ihnen zu sagen, daß sie zu allem bereit sei,
Ihnen nützlich zusein, aber auch nur Ihretwegen. Sie möchten sie
nicht verkennen, weil sie Ihnen nicht früher Nachrichten gegeben, sie
hätte auf alle Briefe keine Antwort erhalten. Die beiden Briefe, die sie im
Anfang von Helene erhalten, habe sie Ihnen nach München geschickt,
der dritte, von dem man Ihnen gesagt, sei gar nicht von Helene. Es
herrscht hier eine tiefe Entrüstung gegen die Familie von Dönniges,
Helene nicht ausgenommen. Madame Arson ist wütend, daß es in ihrem
Hause geschehen, und sie wird in einigen Tagen nach Genf kommen, um
dort mit Helene und der Mutter auf das eindringlichste zu reden. Leslie
wird auch kommen. Mir hat man geraten, nach Genf gleich zu gehen, und
glaubt, daß es mir sicher gelingen würde, Helene jetzt schon selbst zu
sprechen, ebenso daß es keinem Zweifel unterliege, daß es verlangt werden
wird, daß Sie eine Unterredung mit ihr bekommen, aber Sie möchten
sich jetzt nicht zu sehr beeilen, nach Genf zu kommen, sondern erst
vorarbeiten lassen. Der Walache,^) den man hat kommen lassen, ist
ein dummer Junge, jünger wie Helene, der seine Examen noch nicht
einmal beendet hat, was der ganzen Sache keinen schönen Anstrich gibt.
Also nun, liebes Kind, etwas Ruhe und Geduld ; das schwierigste ist ge-
schehen, sie ist aufgefunden, und man kann an sie herankommen. Be-
stehen Sie in München nur auf Ihrem Recht, daß nach einem so posi-
tiven Eheversprechen es Ihnen nicht verweigert werden darf, aus dem
eignen Munde des Mädchens ihre wahre und ungezwungene Willens-
meinung zu hören. Malen Sie mit groben Farben das ganz ehrlose Be-
nehmen der Familie gegenüber Ihrer so loyalen Haltung, damit eine
Stimmung dort erzeugt werde, die den Vater bang um seinen Posten
macht. Drohen Sie nötigenfalls mit allen Mitteln der Öffentlichkeit,
um dadurch vielleicht zu den Ohren des Mädchens zu gelangen, indem
1) Nachträgliche Datierung von der Hand der Gräfin. Der Brief ist von B. Becker
a. a. O. »S. 64!". abgedruckt, aber ungenau und mit Auslassungen.
2) Janko von Rakowitza, der am 28. August Lassalle im Zweikampf tötlich
verwundete.
396 -^^
Sie es für unbedingte Pflicht hielten, sie mit jedem Mittel vor Gewalt
zu schützen, bis Sie ihre freie Willensmeinung wüßten, und dies sei nur
auf diese einzige Weise möglich, daß Sie sie sehen. Die Ivcute sind hier
alle der Meintmg, daß Ihnen bei der ersten Gelegenheit Helene wieder
um den Hals fällt, aber sehr sonderbarerweise, ohne daß ich ein Wort
davon gesagt, sprachen sie einstimmig die Ansicht aus, daß sie eine
andere Heirat jetzt gleich für gar nicht schlimm für vSie halten
würden ; es würde dadurch nicht nur leichter, aber auch besser, Ihren
Zweck zu erreichen. Übrigens soll von einer plötzlichen Heirat
nicht die Rede sein.
Soeben erhalte ich Ihr Telegramm, ich werde hier auf den Brief
warten, aber es tut mir leid, ich glaube, es wäre sehr nützlich, wenn
ich gleich in Genf wäre, sowohl weil nur ich gewisse Dinge tun kann
und dann, damit von Rüstow nicht etwa Dinge geschehen, die meinen
Plänen entgegen. Ich hatte den angekündigten Brief fünf Stunden
später in Genf gehabt, aber ich mag doch nicht gegen Ihren Willen
handeln.
Nun leben Sie wohl, liebes Kind, ich falle fast um vor Müdigkeit.
Ihr treuer Freund.
Ich hoffe, nicht länger hier zu bleiben, ich glaube, schleuniger Aufent-
halt und Rücksprache von mir mit Henri ^) in Genf sehr vorteilhaft.
Henri ist protestantisch.
197.
LAvSSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Original.)
Freitag nacht. München, [19. August^) 1864].
O Gräfin ! Ich gebe Ihnen hier einen nur gedrängten Auszug eines
viel ausführlicheren Briefes, den ich heut Rüstow geschrieben und den
er Helenen, für die er mitbestimmt ist, insinuieren, vorher aber, falls
nichts dadurch versäumt ist, von Ihnen lesen lassen soll. Wenn nicht,
wird Ihnen auch dieser gedrängte Auszug genügen.
Ich fand also den König nicht hier, wollte nicht die Zeit verlieren,
nach Hohenschwangau zu ihm zu gehen, war daher gestern ohne weiteres
zwei Stunden und heut über eine Stimde bei dem hiesigen Minister des
Auswärtigen, Baron von Schrenck. Ich fand in ihm den günstigsten
Boden, er muß offenbar in den Blättern der großdeutschen Partei, die
*) Deckwort für Helene.
2) Nachträgliche Datierung von Lothar Buchers Hand. Der Brief ist unter Aus-
lassung aller politisch interessanten Stellen gedruckt bei Becker, S. 73 f.
^^^^ 397 —
mich aus Haß gegen die Fortschrittler immer in den Hinnuel holxii, sehr
viel Vorteilhaftes über mich gelesen haben. Er war, sowie er meine
Identität mit mir selber erfuhr, ausnehmend kulant und entgegen-
kommend und sichtlich geschmeichelt. Er verwickelte mich in ein po-
litisches Gespräch, auf das ich mich, um ihm besser zu imponieren, leb-
haft einlassen mußte, über die Situation, die haute politique, die Re-
volution — die er kommen sieht — usw. Er versprach alles zu tun, was
er könne. —
Dies gestern, und irre ich nicht, habe ich Ihnen das auch schon
gestern gemeldet.
Heute wurde nun folgendes praktisches Konklusum zwischen uns
vereinbart :
Er gibt dem hiesigen Advokaten Dr. Hänle, der sich sehr für
mich interessiert, ein offiziöses Kommissariat, d. h. einen Brief an
Dönniges, worin er diesem sagt: er habe Hänle ersucht, sich zu ihm
nach Genf zu begeben und die Sache ä l'amiable mit ihm beizulegen,
da ihm gütliche Beilegung höchst wünschenswert sei usw. usw. Für den
Fall, daß diese gütliche Beilegung nicht gelänge, verlange er von ihm,
daß er seine Tochter in meiner Gegenwart vor einem Genfer Notar
sistiere, damit sie mir vor diesem frei erkläre, ob sie auf ihrem Willen
beharre, mich zu ehelichen, oder nicht, damit ich, falls nicht, durch
diese freie Erklärung wenigstens beruhigt imd jeder Schein einer in-
konvenablen Gewalt beseitigt sei.
Die Demarche ist, genau genommen, schon wunderbar und tmerhört
genug. Und dennoch hoffe ich keineswegs, daß sie den Widerstand des
alten Dönniges, seinen Willen, brechen wird. Aber Sie begreifen, daß
dennoch alles dadurch gewonnen wäre, wenn Helene fest ist. Denn
vor dem Notar sistieren muß mir Dönniges seine Tochter, sonst riskiert
er seine Stelle. Mir aber vor dem Notar gegenübergestellt, kann sie nicht
nur ihr lautes ,, Ja" erklären und mir alle möglichen General- und Spezial-
vollmachten geben, für sie aufzutreten und zu handeln, sondern sie kann,
majeure nach dortigem wie hiesigem Recht, sofort auch Arm in Arm
mit mir das Haus des Notars verlassen, sich in einem Hotel oder bei
Ihnen installieren, sich unter Ihren, meinen und des Gesetzes Schutz
begeben und gar nicht wieder den Fuß in das väterliche Haus zurück-
setzen. Alle Genfer Behörden sind jetzt auf tmserer Seite und würden
sie, statt sie zu hindern, nur schützen. Sie kann endlich sofort mit
Ihnen und mir nach Itahen reisen und in drei Tagen kathoHsch getauft
und getraut mein Weib sein.
Alles, alles, alles hängt also ab von dem Ausgang dieser einen
Stunde, die über mein lieben entscheidet! Je tzt würde sogar nicht ein-
mal mehr ein inkonvenabler Schein auf Helene zurückfallen, wie früher,
= = 398 - -=
an jenem Mittwoch abend. Denn jetzt, nach jenen Vorgängen, nach
der furchtbarsten gegen sie verübten Gewalt, nachdem sich sogar das
oberste Ministerium in München in Bewegung gesetzt hat, um durch
eine so auffällige Demarche diese Gewalt zu brechen und ihr ihre Freiheit
wiederzugeben — nach alle diesem kann sie auch in den Augen der Welt
das ohne den geringsten Vorwurf tun, was damals ganz anders war.
Wenn sie umgekehrt vor dem Notar ,,Nein" erklärt, nun so ist alles
verloren, so ist das grenzenloseste Ridicule die Folge dieses mit
solcher Mühe errungenen offiziösen Kommissariats, so ist Dönniges
gerechtfertigt und jede weitere Hilfe für mich vernichtet — kurz,
so hat mir die Undankbare und Treulose selbst den Dolch in diese
treue Brust gerannt ! Ich falle dann mit ihrem rmd durch ihren Willen —
ein furchtbares Denkmal davon, daß ein Mann sich nie an ein Weib
ketten soll. Ich falle dann durch den entsetzlichsten Verrat, die schnö-
deste Felonie, welche die allsehende Sonne je geschaut hat.
Alles, alles, alles hängt also an dem Gewicht dieser einen Stunde:
Ihnen fällt also die wichtigste, die folgenschwerste Aufgabe zu:
Helenen, ehe dieser moment supreme naht, wieder fest zu machen!
Gegenwärtig s c he i n t es sehr, sehr schlimm mit ihr zu stehen. Ihre
Briefe an die Arson vom 5. und 6. August zeigen zwar schon, daß ihre
Widerstandskraft gebrochen ist, atmen aber noch die größte Liebe und
Treue! Sie ruft in der rührendsten Weise den Tod herbei: Rüstows
gestrige Depesche (vom 18.) sagt aber schon, was ich Ihnen nach Bern
gemeldet (,,ganz schlecht"). Da tröstete ich mich noch mit dem Ge-
danken, daß dieser Brief Helenens, den Rüstow mit ,,ganz schlecht"
bezeichnete, nur die Antwort auf einen ganz kleinen trockenen Zettel
gewesen wäre, den ich ihm hinterlassen, nicht auf den langen sogenannten
Ambernyschen Brief.
Ich telegraphierte ihm sofort um Aufschluß hierüber, und später
nochmals den Auftrag, den Ambernyschen Brief von Stapel zu lassen.
Darauf bekomme ich folgende heut (19. August 11 Uhr 25 Minuten)
von ihm abgegebene Depesche: ,, Mitternacht zwei Müncliener De-
peschen erhalten. Habe persönlich Ambernyschen Brief an Henri
gegeben. Henris Brief mit meinigem seit gestern nach München unter-
wegs; weitläufige Aufklärung. Wann kommt Sophie?"
Sie sehen, daß aus dieser Depesche nicht klug, sondern nur toll zu
werden ist. War also Helenens ,,ganz schlechter" Brief schon eine Ant-
wort auf meinen Ambernyschen, oder, ehe sie diesen gelesen hatte, auf
den kurzen Zettel? Es scheint das erstere, und das wäre vernichtend,
vernichtend : Ist also der Brief Henris, der mit dem von Rüstow unter-
wegs ist, eben der ganz schlechte ? Oder ist seit diesem der sogenannte
Ambemysche Brief von Rüstow ihr abgegeben und Antwort eingetroffen
- ^=== 399 =
und bezieht sich darauf das Wort: „Weitläufige Aufklärung?" Kurz,
es ist um rasend zu werden, und jeden Augenblick fasse ich mich in
namenloser Verzweiflung am Haar, mein armes gehetztes Gehirn hin und
herschüttelnd : ^)
Oh, wenn Helene nur eine Vorstellung hätte von dem zchntausendsten
Teil meiner Leiden — nie, nie käme ihr der verbrecherische Gedanke,
mir treulos zu werden ! Nein, so erbärmlich könnte sie dann nicht sein.
So traurig es wäre, wenn Helenens ,,ganz schlechter" Brief schon
die Antwort auf den Ambernyschen wäre, so gebe ich doch auch dann —
denn daß ich weiter lebe, beweist es^) — noch nicht alle Hoffnung auf.
Sondern meine Hoffmmg steht dann auf Sie. Lassen Sie Helene
durch die Arson sich holen. Lesen Sie ihr diesen Brief vor. Be-
schreiben ihr, was Sie in Karlsruhe gesehen. Dringen in sie mit aller
wilden Beredsamkeit Ihrer Zunge!
An Ihrer Zunge, Gräfin, hängt meine Existenz.
Wie aber, wenn es Ihnen nicht gelungen wäre, die Arson mit sich
nach Genf zu führen?
Dann reisen Sie nochmals nach Wabern zurück, erzählen ihr die
Intervention des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, die ihr
Mut und Lust machen und ihr Vertrauen beleben wird, schildern ihr
den bevorstehenden moment supreme vor dem Notar und wie alles,
alles daran liege, daß Helene vor diesem entscheidenden AugenWick
hinreichend aufgeklärt, gesammelt, entschlossen sei und nicht unvor-
bereitet von ihm überfallen werde. Das wird die Arson begreifen und
um dieses entscheidenden Momentes willen mit Ihnen gehen.
Oder halten Sie es für besser, nicht Genf zu verlassen, so schreiben
Sie der Arson französisch alles das ausführlich, was ich Ihnen so-
eben gesagt habe und beschwören sie, sofort zu Ihnen nach Genf zu
kommen.
Diesen Brief schicken Sie ihr aber dann nicht durch die Post,
sondern durch einen Expressen von Genf aus, aber einen intelligenten
Mann, dem Sie die Wohnung beschreiben. Becker selbst oder ein ganz
zuverlässiger Freund von ihm oder Mr. Lesley, wenn er noch in Genf,
wird die Güte haben, die Reise für mich zu machen. —
Wie hat denn Rüstow die Helene gesprochen? Können Sie es auf
demselben Wege ? Lassen Sie Rüstow gleich zu sich kommen (aber mit
höchster, höchster Vorsicht) und sich von ihm alles, wie es mit Helenen
steht und ob sich bei ihr durch den Ambernyschen Brief etwas ver-
bessert oder ob ihr ,,ganz schlechter" Brief schon die Antwort auf ihn
war imd was die , .weitläufigen Aufklärungen" bedeuten imd, was se i t -
^) Dieser Satz fehlt bei Becker.
^) Diese Paranthese fehlt bei Becker.
— 400 =
dem etwa noch — mir unbekannt — vorgegangen, ausführlich und
bestimmt schildern.
Ich reise wahrscheinlich Montag früh 6 Uhr von hier ab und
bin dann Dienstag abend schon in Genf. Ich könnte schon Sonntag
reisen, verliere aber absichtlich den Tag, um Ihnen einen Tag mehr
Vorsprung zum Sprechen mit Helenen zu geben.
Vielleicht — aber höchst unwahrscheinlich — geht meine Reise
über Hohenschwangau, um den König zu sprechen, wo ich dann zwei
Tage später erst in Genf einträfe.
Im Augenblick meiner Abreise von hier telegraphiere ich Ihnen
noch, ob ich direkt oder über Hohenschwangau gehe.-')
Ich erwarte infolge meiner heutigen Depesche morgen telegraphische
Anzeige von Ihnen, in welchem Hotel (Hotel des Berques oder wo sonst)
Sie in Genf sein werden.
Von der Schweiz aus telegraphiere ich Ihnen dann noch, ob wir
direkt nach Genf kommen, oder ob Sie (und Rüstow) nur in Nyon auf
der Eisenbahnstation bleiben sollen, um dort nötigenfalls zu übernachten
und vor unserem Einrücken in Genf Kriegsrat zu halten.
Depeschen von Ihnen treffen mich bis Sonntag abend und nacht
sicher hier. Von Montag früh müssen Sie jede Depesche nach fünf 2)
Orten aufgeben, nämlich: i. nach hier, Hotel Oberpollinger, weil ich
doch möglicherweise noch hier bin, 2. nach Hohenschwangau, Tele-
graphenbureau restante, 3. nach Ivindau, Bahnhofbureau restante
(zum Unterschied vom Telegraphenbureau in der Stadt), 4. nach Ölten,
Bahnhofbureau restante, 5. nach Bern, Bahnhofbureau restante.
Nun leben Sie wohl ! Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn ich dies Weib
nicht erlange. Denn so hat sich noch nie ein Mensch für ein Weib ab-
gequält, abgehärmt, abgezehrt!
Schon die physische Arbeit — ich habe heut vielleicht 60 Brief-
seiten geschrieben, alle in Todesangst — würde aufreiben, geschweige
diese furchtbare Pein!
Mehr tot als lebendig Ihr F. h.
198.
SOPHIE \'0N HATZFELDT AN LASSALIvE. (Depesche, Original.)
Bern, 19. August 1864.
Warte hier auf Brief. Heinrich^) in Genf. Ich würde gern bald hin-
gehen. Wäre wichtig. Sophie.
1) Die beiden vorstehenden Abschnitte sind von B. Becker fortgelassen.
-) Weil er aus Rücksicht auf König lyudwig Hohenschwangau wegläßt, schreibt
Becker: vier.
^) Helene von Dönniges.
= 401 -= ==
199-
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Depesche, Original.)
München, 19. August 1864.
Morgen Vormittag haben Sie den Brief. Dann schnellstens mit Ma-
dame nach Genf und Heinrich wieder fest machen. Vor Abreise mir
Genfer Hotel telegraphieren. Schreibe heute Ihnen Genf poste restante
und wichtig. Gleich holen. Ferdinand.
200.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN I.ASSAI.IvE. (Depesche, Original.)
Bern, 20. August 1864.
Reise gleich Genf. Hotel Metropole. Schreibe heute Brief jedenfalls
abwarten, dort bleiben. Sophie.
201.
IvASSAIvIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
München, 20. August 1864.
Darf ich nicht vor Ankunft Ihres Briefes abreisen? Montag oder
Dienstag? Habe wichtige Demarche in Händen. Brief inhalt ja mündlich
mitteilbar; nur nötig, daß Sie vor meiner Ankunft Henri eindringlich
gesprochen haben. Telegraphische Antwort. Ferdinand.
202.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFEIvDT. (Depesche, Original.)
München, 20. August 1864.
Abreise nicht länger als Dienstag spätestens Mittwoch verschiebbar.
Beauftragter —siehe Brief nach Genf poste restante — drängt. Eilen
Sie, Hauptterrain zu verbessern. Eventuelle Verbesserung sofort tele-
graphieren, damit dann noch Dienstag ohne Ihren Brief reise.
Ferdinand.
203.
SOPHIE VON HATZFEIvDT AN LASSAIvLE. (Depesche, Original.)
Genf, 21. August 1864.
München bleiben, bis ich telegraphiere. Hier schaden. Heinrich noch
nicht gesehen. Brief heute. Sophie.
Mayer, Lassalle-Nachlass. IV 26
- 402 =
204-
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
München, 2i.Augvist 1864.
Muß Dienstag mittag absolut reisen. Bin Mittwoch früh 10 Bern,
Bemerhof . Um 2 weiter nach Genf. Inhalt des Genfer Briefes mir nach-
senden nach Bern Bernerhof Hotel restante schreiben, weil ihn hier viel-
leicht verfehle. Wir können auch in Genf einen Tag incognito sein und
Anwesenheit also nicht schaden. Telegraphische Antwort.
Ferdinand.
205.
SOPHIE VON HATZFELDT AN LASSALLE. (Depesche, Original.)
Genf, 22. August 1864.
Durchaus nicht jetzt Notar-Maßregel. Wollen Sie entschiedenes
Nein von Henri selbst am Arm des Walachen? Alles wäre ganz ver-
loren. Ruhe, Zeitgewinn, Einschüchterung geben Hoffnung des Gelingens.
Heute noch einmal Depesche ausführlich. Dort bleiben.
Sophie.
206,
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
München, 22. August 1864.
Kann Notarschritt dort sistieren, unmöglich aber Abreise über
Dienstag hinausschieben. Stahl nicht bei mir. Ferdinand.
207.
LASSALLE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
München, 22. August 1864.
Meisterhafte Depesche! Redaktion von unvergleichlicher Vorsicht!
Sublimer Verstand! Außerdem noch über zwei Tage umsonst zurück-
gehalten. Meine Absicht ohnehin längst diese, und Brief halb und halb
dazu hinreichend. Wir treffen Mittwoch 10 Uhr früh Bern, abends 7 Uhr
Genf ein, erst mich allein sprechen. Julian.^)
h Deckwort für Lassalle.
403 ==
208.
SOPHIE VON HATZFEivDT UND WII.HEUI RÜSTOW AN I.A-
SALIvE. (Depesche, Original.)
[Genf,] 22. August 1864.
Glaube uus^) dies eine Mal. Kannst von hiesiger Lage keinen Begrifi
haben. Sophie und Wilhelm.^)
209.
LASSALIvE AN SOPHIE VON HATZFELDT. (Depesche, Original.)
Olteu, 24. August 1864.
Passiere eben Ölten. Um 7 an Genf. Zwei gute Zimmer für mich und
Begleiter. Will Sie und Wilhelm zuerst allein sprechen.
Ferdinand.^)
Fragmente')
(Original).
Der Widerspruch, der schon seit Menschendenken
Sich blutig durch die Welt hat hingezogen,^)
Der Widerspruch, den zwischen Sein und Denken
Ein finstrer Glaube einst uns angelogen,
Der lyieb'ö) und Pflicht, der Geist und Leib zerrissen,
Die Seele uns getränkt in^) Bitternissen,
*) In der Originaldepesche heißt es verstümmelt: „was".
-) Rüstow.
■') Mit dieser Depesche endet der Briefwechsel zwischen Lassalle und Sophie
von Hatzfeldt. Am 28. August fand das Duell statt. Am Morgen des 31. August
drückte die Freundin dem Toten die Augen zu.
'•) Von Fritz Mendes Hand steht mit Bleistift auf dem Manuskript: In Frei-
burg i. Br. auf die Gräfin gemacht. Nur von den ersten vier Versen hegt außer
dem Konzept, ebenfalls von Lassalles Hand und auf genau dem gleichen Papier,
eine Reinsclirif t vor. Diese hat er , .Fragmente" überschrieben.
5) Durchstrichen steht hier in der ersten Fassung: ,, Geschlechter um ihr Recht
auf Glück betrogen".
^) In der ersten Fassung: ,, Glück".
^) In erster Fassung: ,,mit".
404
Er, der Geschlechter um ihr Glück betrogen.
Er eilt, sich endlich in sein Grab zu senken.
Doch eh' er ganz zerschlagen und zerstogen, [sie!]
Muß er noch einmal erst mit Blute tränken
Dem edelsten, die alte Leidensstätte.
Ein Opfer heischt er auf dem Sterbebette!
Ein Opfer, wie fast keines noch gewesen,
"Wo man nicht weiß, was mehr den Preis verdiene,
Der hohe^) Geist, das kühne freie Wesen, ^)
Der kühn're Leib, die heiße "Wollustmiene,
Das Auge — tief wie alle Ewigkeiten
Des Wuchses nie geseh'ne Üppigkeiten!
Ein Herz, in welchem seltner^) Mut und Milde
Und Kraft und Liebe um den "Vorrang kämpfen,^)
Ein Weib, in dessen göttlichem Gebilde
Sich nie geeinte Farben reizend dämpfen;
Der Tatkraft Feuer, der Begeistrung Wellen
vSich einen mit der reinsten Güte Quellen.
Auf einem Schlachtfeld rings besät von Leichen,
Stand düster^) da der Freiheit Genius,
Um seine Lippen zuckt, die edeln, bleichen.
Unsichtbar hin^) des Schmerzes leiser Kuß.
Sie alle sind erlegen seinen Streichen,
Sie all' zertrat sein roher erzner Fuß.
Wer je für meine Fahne hat gestritten
Er hat gewissen Märtyrtod erlitten.
Dort jener Jüngling mit den goldnen Locken,
Vorn in der Brust klaffende Todeswund',
Ums zarte Kinn des Bartes erste Flocken,
"Verklärter Ausdruck um den selgen') Mund,
*) In erster Fassung: ,, starke".
2) In der ersten Fassung schwankt Lassalle zwischen ,, große" und ,,edle'
^) In der ersten Fassung: ,, starker".
*) Zuerst schwebte Lassalle der Reim „streiten" und ,, Saiten" vor.
^) Durchstrichen: ,, traurig".
^) Durchstrichen: ,,fast".
^) Durchstrichen: ,, bleichen".
===== 405 ======
Ihn konnten nicht des Götzen Schätze locken,
Geschlossen hatte er mit mir den Bund,
Für mich gegriffen hatte er zum Schwerte,
Tot liegt er da auf nicht befreiter Erde.
Beglückter Märtyr, der so früh gefunden
Was andre nur nach ewig langer Pein,
Sieh jenen Mann, aus dessen siebzig Wunden
Das Leben langsam muß entflohen sein!
Auf seiner Wang', der hektisch ungesunden,
Zuckt noch des wilden Hohnes bleicher Schein;
Er hat Jahrzehnte mit der Welt gerungen
Bis endlich das gepreßte Herz zersprungen.
Für Freiheit und Vernunft war er ein Streiter,
Er hat gekämpft mit jedem Vorurteil,
Er drang, ein Titan, ^) auf der Himmelsleiter
Bis in der Dinge tief geheimstes Teil.
Jede Erkenntnis trieb ihn rastlos weiter
Den Weg sich lichtend mit der Wahrheit Beil.
Des Wissens Krone will er kühn erringen ^)
Des Wissens Frucht der Menschheit dann zu bringen.
Es g'nügt ihm nicht, Tyrannen zu bekriegen.
Es g'nügt ihm nicht der alten Götter Sturz:
An des Besitzes Kette sieht er liegen
Das freie Ich, er sieht den Arbeitsschurz
Gleich einem Dejanirahemd sich schmiegen
Verzehrend um der Menschheit bestes Teil, und kurz
Und flüchtig jenen Freiheitstraum verflogen,
Der blutigrot am Himmel aufgezogen.
Er sieht den Irrtum jener ew'gen Toren,
Die Rechte fordern ohne Wirklichkeit,
Da hat er laut zum Himmel aufgeschworen :
Die Arbeit sei, die rüst'ge Kraft befreit
Vom neuen Lehn', an das sie jetzt verloren.
Dem goldnen Netz sei unser Haß geweiht,
^) Durchstrichen: ,,wie Jakob".
2) Lassalle schwankte zwischen dieser ursprünglichen, dann durchgestrichenen
und am Ende wieder hergestellten Fassung und der herübergeschriebenen: ,,Des
Wissens Tiefen will er kühn durchdringen".
4o6 -
In dessen Maschen sich verdammte Geister quälen,
Bs schafft der freie Leib sich erst^) die freien Seelen.
So hat er laut sein Kriegeslied gesungen,^)
Den Haß nicht achtend, den er sich erregt:
Gleich einem Felsen stand er unbezwungen,
Wenn rings das Meer von Sturmeswut bewegt.
Nicht Qual noch Kerker ist es je gelungen,
Daß er von sich das Kämpferschwert gelegt.
Gleich einem 3) Herkules hat er gerungen
Mit aller Erdengeister Peinigungen.
Doch endlich, wie die See nach langem*) Wüten
Sich durch des Schiffes feste Rippen zwängt,
Die Klammern weichen und die Eisennieten
Und jetzt hinein sich Wog' auf Woge drängt,
Daß nirgends Schirm die lecken Planken bieten,
So hat auch ihm das Eisenhemd ^) gesprengt
Die wilde Not mit ungestümem Pochen,
Des I/Cbens Kampf ihm Ripp' auf Ripp' gebrochen.
Es brach ihm Ring auf Ring und Ripp auf Rippe,
Er achtet's kaum, er zählt die Wunden nicht.
Nur daß ein bittrer^) Hohn um seine Lippe
Des Schmerzes Kränze unverwelkbar flicht.
Endlich zerschellt er an der harten Klippe,
An der das stärkste Männerherze bricht,
Es hat die Not der Seinen ihn getötet,
Wohl ihm, so hat er endlich ausgenötet! '')
Wer^) ist nicht weit von ihm, das Weib, das bleiche,
So lebensmüde Furchen auf der Wang'?
') Dies Wort war nicht genau zu entziffern. Möglicherweise wäre ,,auch" zu lesen.
-) Durchstrichen: ,,das Kampf eslied" .
^) Lassalle erwog auch die Fassung: „Ein zweiter Herkules".
*) Ursprünglich schrieb I,assalle: ,,nach langem, langem Wüten".
^) Dieser Vers machte dem Dichter Schwierigkeit. Ursprünghch stand da:
,,So hat zuletzt auch jenes Panzers Stahl gesprengt".
•) Durch.strichen ist: „wilder".
') Ursprünglich stand da: „Er konnte länger nicht die Not der Seinen, Den
Harm anschauen, der Augen stummes Weinen".
*) Hier beginnt ein neues Blatt. Unter „Wer ist" steht — beides nicht durch-
gestrichen — „Sieh dort". Im Text wurde die Fassung gewählt, auf die das Frage-
zeichen hindeutet.
407
Es scheint, daß diese rührend schöne Leiche
Dem Tode gerne in die Arme sank!
Um ihre Lippe schwebt, die schwellend weiche.
Für die Befreiung ^) tiefgefühlter Dank,
Doch sieht man nichts an ihr von Todeswunden,
Durch deren Tor das Leben sei entschwunden.
Doch sieh', mit Millionen kleinen Stichen
Wie übersät ist dieser schöne Leib
Ach an der Leiden schlimmsten-) ist verblichen.
An der Gemeinheit Nadelstich das Weib
An der Misere Steckennadelstichen,
Den täglichen, die wie zum Zeitvertreib,
Die trockne Prosa bohrt in alles Schöne ;
Es haßt der Erdenton die reinen Sphärentöne. ^)
Verkauft um Geld, dem rohen Mann zur Seiten*)
Füllt unerfüllte Sehnsucht ihre Brust,
Sie fühlt,^) daß dieses ruh- und rastlos' Streiten
Um rotes Gold nicht schafft die Erdenlust.
Rings um sie sieht sie Reichtümer sich breiten,
Mit Ekel nur füllt sie der tote Wust.
In ihrem Herzen will sich andres regen.
Es pocht nach Liebeslust mit heißen Schlägen.
Da hat sie einst gewagt, gewagt zu lieben;
Der große heiße Drang, der in Natur®)
Und Menschengeist gleich mächtig eingeschrieben.
Er fand auch ihres Herzens sichre') Spur.
Doch daß er warme Blüten drin getrieben.
Verdammt zu des Prometheus Qual sie nur^)
') Ursprünglich stand ,, Erlösung". Als Variante setzte Lassalle in Klammern:
,,Tief aufatmend für die Erlösung Dank".
-) Ursprünglich stand: ,, ärgstem".
■') Lassalle setzt als Variante in Klammem: ,,Taub ist der Erdenton für reiner
Sphären Töne".
*) Ursprünglich hat diese Stanze beginnen sollen: ,,Sie hatte einst gewagt,
gewagt zu lieben".
') Zuerst stand: ,,ahnt".
*) Ursprünglich hatte Lassalle geschrieben: ,,Die Liebe war in [?] ihr zum
Ixions-Rad".
^) Ursprünglich stand: ,, ihres warmen Herzens Spur".
^) Eine andere Version Lassalles: ,, Verdammt sie zu des Tantals Qualen nur '.
- 4o8
An ihrer Seele frißt das Ungeheuer
Mit gier'ger Wut der alte Glaubensgeier.
,,Gib hin den Leib, er ist des Geistes^) Spiegel,'
Rief laut in ihr des Lebens Genius,
,,Gib hin den Leib, er ist der Seele Siegel,
Der Seelen Einheit ist der Leiber Kuß.
Verbrechen ist, nicht Pflicht, des Dogma Riegel,
Der sündlich absperrt den Zusammenfluß
Der Wesen, die sich innerlich umfangen,
Der Körper folge ihrem Glutverlangen.
Zerreiße nicht die holde, hohe^) Einheit,
Die Seel' und Leib im All zusammenschließt,^)
In ihr allein ruht jedes Lebens*) Reinheit,
Wie nur aus ihr das Leben selber^) sprießt.
Die Trennung nur ist Sünde und Gemeinheit,
Wie schon im Mythos^) du vom Paare liest,
Das sich zu Edens Räumimg muß bequemen,
Als es begann, des Körpers sich zu schämen."')
^) Zuerst stand: ,,der Seele".
^) Durchstrichen ist: ,,hohe hehre".
^) Zuerst stand: ,,Von Seel' und Leib, von Körper und vom Geist'
*) Zuerst stand — nicht durchgestrichen - — ,, Wesens".
^) Zuerst stand — nicht durchgestrichen — ,, schöpf risch".
") Zuerst stand: ,,Wie in der Mythe".
') Hier bricht das Manuskript ab.
*
Druck der Deutschen Verlags'Anstalt, Stuttgart
KD
O
CO
h5
H
o>
|cv2 TJ
u
P«4
C0
Ol
«5;
o
3
<
(0
et
M
O
CO|
«H
0)
PQ
Ö
(D
to
cd
Uoiversity of Toronto
Library
DO NOT
REMOVE
THE
CARD
FROM
THIS
POCKET
Acme Library Card Pocket
bnder Fat. "Ref. Index File"
Made by LIBRARY BUREAU