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Full text of "Nachgelassene Briefe und Schriften"

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Caffatlc 

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(hviefe  und 
Schvifterh 

Vierter  Band 


LASSALLES  BRIEFWECHSEL 
MIT  GRÄFIN  SOPHIE  VON  HATZFELDT 


FERDINAND  LASSALLE 

NACHGELASSENE  BRIEFE  UND  SCHRIFTEN 


HERAUSGEGEBEN  VON 

GUSTAV  MAYER 


VIERTER  BAND 


DEUTSCHE  VERLAGS^ANSTALT,  STUTTGART-BERLIN 
VERLAGSBUCHHANDLUNG  JULIUS  SPRINGER,  BERLIN 


LASSALLES  BRIEFWECHSEL 

MIT 

GRÄFIN  SOPHIE  VON  HATZFELDT 


HERAUSGEGEBEN  VON 

GUSTAV  MAYER 


1.9-2.4 

DEUTSCHE  VERLAGS-ANSTALT,  STUTTGART-BERLIN 
VERLAGSBUCHHANDLUNG  JULIUS  SPRINGER,  BERLIN 


Alle  Rechte  vorbehalten 

•* 

Copyright  1 924 
by  Deutsche  Verlags^Anstah,  Stuttgart 


Prin^ 


lany 


Vorwort 


Ehe  ich  mich  entschloß,  den  Briefwechsel  Lassalles  mit  der  Gräfin 
Sophie  von  Hatzfeldt  in  der  hier  vorliegenden  Gestalt  der  Öffentlich- 
keit zu  übergeben,  mußte  ich  erst  mit  mir  selbst  über  einige  wichtige 
Punkte  zur  Klarheit  kommen.  Bei  der  Art,  wie  die  beiden  ersten  Bände 
dieser  Nachlaßausgabe  geordnet  wurden,  lag  die  Versuchung  nahe,  auch 
diese  Briefe  chronologisch  der  gesamten  übrigen  Korrespondenz  ein- 
zugliedern. Denn  bis  jetzt  war  nur  als  dritter  Band  Lassalles  Briefwechsel 
mit  Marx  und  seinem  Kreise  ausgesondert  worden.  Doch  je  länger  ich 
nachdachte,  um  so  mehr  widerrieten  wissenschaftliche  wie  auch  gefühls- 
mäßige Erwägungen,  so  zu  verfahren. 

Der  Historiker,  dem  eine  Publikation  obliegt,  muß  wünschen,  sein 
Material  in  der  Gestalt  herauszubringen,  die  der  Forschung  den  förder- 
lichsten Antrieb  gibt.  Lassalles  Verhältnis  zu  der  Weggenossin  seines 
Lebens  ist  ein  zentrales  Problem  seiner  Biographie  und  gehörte  zu  denen, 
die  noch  in  mancher  Hinsicht  nach  Klärung  verlangten.  Diesem  Zweck 
wurde  zweifellos  am  besten  gedient,  wenn  sein  Briefwechsel  mit  der 
Gräfin  als  ein  geschlossenes  Ganzes  zur  Wirkung  kam.  Wo  es  sich  um 
subjektive  menschliche  Lebensäußerungen  handelt,  die  ohne  den  Ge- 
danken an  eine  spätere  Veröffentlichung  niedergeschrieben  wurden,  da 
erwächst  dem  Herausgeber  nicht  bloß  die  Pflicht,  die  wissenschaftlichen 
Ansprüche,  die  dem  Stoff  entstammen,  zu  beachten;  er  muß  sich 
noch  fragen,  was  die  Pietät  gegenüber  den  Toten  oder  vielleicht  auch  der 
Takt  gegenüber  ihren  Nachkommen  erheischen.  Aus  dem  Grabe  heraus 
vernahm  ich  die  Stimmen  zweier  auf  ungewöhnliche  Weise  miteinander 
verknüpften  Seelen.  Sie  forderten  von  der  Nachwelt  jenes  differen- 
zierende Verständnis  für  ihr  Bündnis,  das  die  Mitlebenden  ihnen  in 
weitem  Maße  versagten.  Ich  war  schon  nahezu  entschlossen,  ihre  Briefe 
unvermischt  mit  denen  anderer  zu  veröffentlichen,  als  ich  zum  ersten 
Male  die  Worte  Sophies  von  Hatzfeldt  las,  die  mir  dies  vollends  zu 
einer  Gewissenspflicht  machten.  Sie  schrieb  an  ihrem  zweiundfünfzig- 
sten Geburtstage  an  Lassalle:  ,, Versprechen  Sie  mir,  Sie  mein  einziger 
Freund,  der  einzige,  der  hinter  allen  diesen  Verleumdungen  mein  wahres 


-^==:      VI  

Wesen  erkannt  hat,  daß  Sie  nach  meinem  Tode  mich  rechtfertigen 
wollen,  mein  Märtyrertum  und  was  es  war,  zeigen  wollen  und  daß  auf 
meinem  Grabe  nicht  die  Verachtung  mehr  lasten  soll,  die  man  mir 
während  meines  Lebens  aufzubürden  gewußt  hat."  Mochte  die  un- 
glückliche Frau  immerhin  Verachtimg  wittern,  wo  nur  Verständnis- 
losigkeit  vorlag,  sie  hatte  dem  Freunde  eine  Verpflichtrmg  auferlegt ;  er 
aber  konnte  sie  nicht  erfüllen,  weil  er  vor  ihr  starb.  Was  so  bei  beider 
Lebzeiten  nicht  möglich  war,  ^vurde  es  jetzt  lange  nach  ihrem  Tode.  Der 
Mann,  der  vor  so  vielen  Gerichten  ihre  Sache  geführt  hatte,  sollte  auch 
jetzt  vor  dem  letzten  und  höchsten,  gegen  das  es  keine  Berufung  gibt, 
als  ihr  Anwalt  auftreten  dürfen.  Mögen  die  Briefe,  die  zwei  so  un- 
ruhige Gäste  dieser  Brde  einander  schrieben,  auch  keineswegs  frei 
sein  von  menschlichen  Schwächen  und  menschlicher  Unvollkommen- 
heit,  überschattet  wird  solches  doch  bei  weitem  von  dem  Starken  vmd 
Heldenhaften,  das  in  ihnen  lebt.  Und  die  Zukunft  wird  vielleicht  ihren 
vereinten  Seelen  den  Zutritt  gestatten  zu  jenen  entrückten  Gefilden, 
wo  wir  die  klassischen  Freundespaare  der  Weltgeschichte  mit  unseren 
Gedanken  suchen. 

Aber  mit  dem  Entschluß,  von  dem  Zwiegespräch  der  Freunde  fremde 
Stimmen  fernzuhalten,  war  doch  bloß  die  erste  imd  größte  Ungewißheit 
beseitigt,  die  der  Stoff  darbot.  Als  ein  Ganzes  sollte  der  Briefwechsel 
herauskommen,  das  war  nun  entschieden;  doch  er  ließ  sich  nicht  in 
seiner  Gesamtheit  abdrucken,  ohne  bedeutende  Fortlassungen  und 
Kürzungen  vorzunehmen.  Eine  vollständige  Herausgabe  hätte  einen 
Umfang  beansprucht,  der  sich  nicht  nur  aus  Gründen  verbot,  die  mit 
den  schweren  Zeitverhältnissen  zusammenhängen,  sondern  ebenso- 
sehr aus  inneren  Gründen,  die  Berücksichtigung  heischten.  In  einem 
Briefwechsel  wie  diesem  steht  vmendlich  vieles,  das  allein  dem  Tage 
gehört  vmd  mit  ihm  verweht.  Im  Laufe  ihrer  langen  Beziehimgen  hat 
der  Generalbevollmächtigte  der  Gräfin  ihr  in  seinem  oft  breiten  und  zu 
Wiederholungen  neigenden  Stil  unzählige  Instruktionen  gegeben  und 
von  ihr  Berichte  erhalten,  die  heute  kein  Interesse  mehr  besitzen.  Die 
vielen  Druckseiten,  die  ihre  geschäftliche  Korrespondenz  gefüllt  hätte, 
würden  für  den  Leser  nur  einen  Ballast  bedeutet  haben,  über  den  hinweg 
er  nach  Stellen  ausgeschaut  hätte,  in  denen  noch  heute  Leben  pulsiert. 
Ebensowenig  hätte  sich  rechtfertigen  lassen,  alle  die  ausführlichen 
Gesundheitsberichte,  die  die  stets  um  einander  besorgten  Freimde  ein- 
ander schickten  und  voneinander  forderten,  zum  Abdruck  zu  bringen 


VII  

oder  die  weitschweifigen  Reiseverabredungen,  die  hin  und  her  gewendet 
wurden,  auch  mancherlei  anderes,  was  von  ebenso  geringem  Interesse 
für  die  Gegenwart  ist.  Dann  gab  es  sehr  zahlreiche  Briefe,  die  lediglich 
wiederholten,  was   in  ähnlicher  oder  noch  breiterer  Weise  und  noch 
charakteristischer  schon  in  anderen  stand,  dessen  Häufung  also  dem 
Bilde  keine  neuen  Nuancen  hinzugefügt,  sondern  nur  ermüdend  gewirkt 
hätte.  Aber  dem  Herausgeber  genügte  es  noch  nicht,  auf  solche  Weise 
nahezu  htmdert  Briefe  und  Zettel  vollständig  von  der  Veröffentlichung 
auszuschließen.  Auch  in  sehr  zahlreichen  Briefen,  die  gedruckt  wurden, 
nahm  er  aus  den  gleichen  Erwägungen  Kürzungen  vor,  die  er  selbst- 
verständlicherweise überall  durch  Punkte  kenntlich  gemacht  hat.    Es 
mögen  sich  vielleicht  Kritiker  finden,  die  eine  solche  Art  der  Redaktion 
als  eine  ,, unwissenschaftliche"  anfechten,  weil  sie  auf  ,,das  Publikum" 
zu  weitgehende  Rücksicht  nimmt.  Sie  erinnere  ich  an  das  Wort  unseres 
deutschen  Malers,  das  Zeichnen  als  das  Fortlassen  des  Unwesentlichen 
definiert.  Es  gilt  mindestens  auch  für  solche  Aufgaben  des  Historikers, 
die  ohne  einen  gewissen  künstlerischen  Takt  nicht  einwandsf rei  zu  lösen 
sind.   Der  Kontrolle  des  Forschers  bleibt  der  Weg  offen,  da  der  Enkel 
der  Gräfin,  Fürst  Hermann  von  Hatzfeldt-Wildenburg,  den  Nachlaß 
Lassalles  dem  Reichsarchiv  in  Potsdam  übergeben  hat. 

Hinsichtlich  der  Orthographie  und  Interpunktion  befolgt  dieser 
Band  dieselben  Gesichtspimkte,  die  für  die  schon  voraufgehenden  maß- 
gebend waren  und  die,  so  viel  ich  weiß,  bisher  keine  Anfechtung  er- 
fuhren. Bemerkt  sei  höchstens,  daß  die  Gräfin  Hatzfeldt  so  gut  wie 
keine  Interpunktionszeichen  anwandte,  daß  solche  aber  mit  Rücksicht 
auf  die  Lesbarkeit  der  Briefe  überall  eingesetzt  wurden.  Anders  als  mit 
den  Wochentagen  zu  datieren,  war  weder  ihre  noch  Lassalles  Gewohn- 
heit. Es  erwies  sich  als  ein  mühseliges  Unternehmen,  das  allein  manchen 
Monat  beanspruchte,  die  fehlende  Chronologie  herzustellen.  Für  die 
unermüdliche  Hilfe,  die  mir  hierbei  wie  bei  der  sorgfältigen  Entzifferung 
der  Originale  imd  der  Revision  des  Textes  Fräulein  Doktor  Meta  Corssen, 
jetzt  Bibliothekarin  in  Lübeck,  namentlich  aber  meine  Frau  leisteten, 
kann  ich  ihnen  nicht  genug  des  Dankes  sagen. 

Berlin-Lankwitz,  im  September  1923. 

Gustav  Mayer. 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Zur  Einführung  in  den  vierten  Band / 

1.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   12.  Dezember  1S48      i 

2.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  21.  Mai  1849 3 

3.  L,assalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Juni  1849 7 

4.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Oktober  1850 9 

5.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   15.  Oktober  1850 11 

6.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Ohne  Datum 12 

7.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   30.  März  1855 48 

8.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   30.  Juli  1855 50 

9.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  9.  August  1855 5^ 

10.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  August  1855 54 

11.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   14.  August  1855 56 

12.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  Juni  1856 58 

13.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   29.  Juni  1856 60 

14.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Juli  1856 62 

15.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    16.  Juli  1856 64 

16.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  Juli  1856 65 

17.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  23.  Juli  1856 66 

18.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   25.  Juli  1856 67 

19.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Ende  Juli  1856 71 

20.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  21.  September  1856 ".  72 

21.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  23.  September  1S56 76 

22.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  7.  Oktober  1856 80 

23.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  Oktober  1856 80 

24.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   17.  Oktober  1856 85 

25.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   19.  Oktober  1856 85 

26.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  20.  Oktober  1856 87 

27.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  24.  Oktober  1856 93 

28.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   30.  Oktober  1856 95 

29.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  November  1856 96 

30.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   7.  November  1856 .102 

31.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28.  Dezember  1856 105 

32.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  29.  Dezember  1856      106 

33.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  8.  Februar  1857 108 

34.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Februar  1857 109 

35.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   12. — 13.  Februar  1857 m 

36.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   18.  Februar  1857 112 


Seite 

^j.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  26.  Februar  1857 114 

38.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  27.  Februar  1857 116 

39.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28.  Februar  1857 117 

40.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Anfang  März  1857 120 

41.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  März  1857 123 

42.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   15.  März  1857 124 

43.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   19.  März  1857 127 

44.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  März  1857 128 

45.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Zwischen  22.  und  24.  März  1857      .  129 

46.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  27.  März  1857 130 

47.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28.  März  1857 "...  131 

48.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28.  März  1857 133 

49.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Anfang  Mai  1857 136 

50.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  Anfang  Mai  1857 137 

31.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Anfang  Mai  1857 138 

52.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Mai  1857 139 

53.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   12.  Mai  1857 141 

54.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   13.  Mai  1857 142 

55.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  Mai  1857 142 

56.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  25.  Mai  1857 143 

57.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  25.  Mai  1857 144 

58.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  26.  Mai  1857 145 

59.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  27.  Mai  1857 147 

60.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  28.  Mai  1857 147 

61.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   30.  Mai  1857 152 

62.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   31.  Mai  1857 155 

63.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   2.  Juni  1857 162 

64.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   3.  Juni  1857 162 

65.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   12.  Juli  1857 163 

66.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   14.  Juli  1857 165 

67.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   16.  JuU  1857 165 

68.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   7.  August  1857 167 

69.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  August  1857 168 

70.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   15.  August  1857 170 

71.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  LassaUe.  Mitte  August  1857      172 

72.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   18.  August  1857 i73 

73.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   18.  August  1857 i74 

74.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  August  1857 i75 

75.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   30.  August  1857 178 

76.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  2.  September  1857 179 

77.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   7.  September  1857 181 

78.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   12.  September  1857 182 

79.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  22.  September  1857 183 

80.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   19.  Oktober  1857 184 

81.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  20.  November  1857 185 

82.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  25.  November  1857 192 


XI 


Seite 

S3.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   26.  November  1857 193 

84.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28. — 30.  November  1857 194 

85.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   15.  Dezember  1857 200 

86.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   i.März  1858 203 

87.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   12.  März  1858 204 

88.  Lassalle  an  vSophie  von  Hatzfeldt.  Frühling  1858 205 

89.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   31.  Mai  1858 208 

90.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  2.  Juni  1858 209 

91.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Anfang  Juni  1S58 210 

92.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  6.  Juni  1858 21 1 

93.  Lassalle  an   Sophie  von  Hatzfeldt.    13.  Juni  1858 214 

94.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    17.  Juni  1858 215 

95.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  20.  Juli  1858 221 

96.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  25.  Juli  1858 222 

97.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  6.  August  1858 223 

98.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   11.  September  1858 226 

gg.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    16.  Oktober  1858 227 

100.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   22.  Oktober  185,8 228 

loi.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  25.  Oktober  1858 229 

102.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  4.  November  1858 229 

103.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  6.  November  1858 231 

104.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   11.  Dezember  1858 233 

105.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   25.  Dezember  1858 235 

106.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  6.  Januar   1859 242 

107.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  9.  Januar  1859 242 

108.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   13.  Januar  1859 244 

109.  Lassalle  an  vSophie  von  Hatzfeldt.  20.  Januar  1859 245 

I  10.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Ende  Januar  1859 246 

111.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Februar-März  1859    .......  247 

112.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  Februar-März  1859 248 

113.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Februar-März  1859 251 

I  14.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Februar-März  1859 252 

115.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   18.  Juni  1859 254 

116.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  8.  Juli  1859 255 

117.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  21.  Juli  1860 256 

I  18.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  28.  Juli  1860 256 

119.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   5.  August  1860 260 

120.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  8.  August  1860 260 

121.  LassaUe  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  August  1860 262 

122.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  August  1860 262 

123.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   14.  August  1860 263 

124.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    16.  August  1860 264 

125.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   17.  August  1860 265 

126.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  24.  August  1860 268 

127.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  25.  August  1860 269 

12S.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   27.  August  1860 270 


XII 

Seite 

129.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   30.  August  1860 270 

130.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   i.  September  1860 272 

131.  Sophie   von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  7.  September  1860 272 

132.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  8.  und  9.  September  1860    ....  273 

133.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   13.  September  1860 277 

134.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   11.  Januar  1862 278 

135.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   11.  Januar  1862 279 

136.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   30.  Januar  1862 281 

137.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Anfang  Februar  1862 284 

138.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  4.  März   1862 285 

139.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    11.  März  1862 287 

140.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.    12.  März  1862 287 

141.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.    11.  April  1862 288 

142.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    11.  April  1862 289 

143.  Sophie  von  Hatzfeld  an  Lassalle.  Ende  April  1862 289 

144.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  Ende  April  1862 290 

145.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   11.  Juni  1862      291 

146.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   22.  Juni  1862 293 

147.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  Anfang  September  1862 295 

148.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  27.  September  1862 296 

149.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   11.  Oktober  1862 299 

150.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    14.  Oktober  1862 301 

151.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  Oktober  1862 309 

152.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   26.  Oktober  1862 310 

153.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  4.  November  1862 310 

154.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   18.  Dezember  1862 312 

155.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  24.  Dezember  1862 313 

156.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  24.  Dezember  1862 314 

157.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  28.  Dezember  1862 316 

158.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   i.  Januar  1863 318 

159.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  8.  Januar  1863 320 

160.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   20.  Januar  1863 325 

161.  Lassalle  an  Sophie  vonHatzfeldt  und  Willi.  Rüstow.  29. — 3o.Januar  1863  330 

162.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   5.  Februar  1863 337 

163.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  6.  März  1863 338 

164.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   13.  April  1863 343 

165.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   16.  Oktober  1863 344 

166.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   19.  Oktober  1863 347 

167.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  Mai  1864 350 

168.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  Mai  1864 351 

169.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   11.  Mai  1864 353 

170.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  20.  Mai  1864 354 

171.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  22.  Juli  1864 356 

172.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   22.  Juli  1864 360 

173.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  22.  Juli  1864 362 

174.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.  23.  Juli  1864 364 


— ^  XIII  -========== 

Seite 

175.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  27.  Juli  1864 ,^-,6 

176.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   28.  Juli  1864 ,60 

177.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   30.  JuH  1864 ,72 

178.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.    i.  August  1864 ,7, 

17g.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   2.  August  1864 171- 

180.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   3.  August  1864 ,75 

181.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  4.  August  1864 ,70 

182.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   5.  August  1864 -580 

183.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.    5.  August  1864 381 

184.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   7.  August  1864 383 

185.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   7.  August  1864 384 

186.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   7.  August  1864 384 

187.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   S.August  1864 384 

188.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   8.  August  1864 384 

189.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   S.August  1864 384 

190.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  9.  August  1864 385 

191.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   10.  August  1864 385 

192.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   12.  August  1864 386 

193.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   13.  August  1864 387 

194-  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   16.  August  1S64 388 

195.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   18.  August  1864 392 

196.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   19.  August  1864 395 

197.  Lassalle  an  vSophie  von  Hatzfeldt.   19.  August  1864 396 

19S.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   19.  August  1964 400 

199.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    19.  August  1864 401 

200.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   20.  August  1864 401 

201.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   20.  August  1864 401 

202.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   20.  August  1S64 401 

203.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   21.  August  1864 401 

204.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.  21.  August  1864 402 

205.  Sophie  von  Hatzfeldt  an  Lassalle.   22.  August  1864 402 

206.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   22.  August  1864 402 

207.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.    22.  August  1S64 402 

208.  Sophie  von  Hatzfeldt  und  Wilhelm  Rüstow  an  Lassalle.  22.  August  1864  402 

209.  Lassalle  an  Sophie  von  Hatzfeldt.   24.  August  1864 403 

Fragmente 403 


Zur  Einführung  in  den  vierten  Band 


I. 

Die  fürstliche  und  die  gräfliche  lyinie  des  Hauses  Hatzfeldt  wollten 
Majoratsstreitigkeiten,  die  zwischen  ihnen  bestanden,  aus  der  Welt 
schaffen.  Da  griffen  sie  zu  einem  Auskunftsmittel,  dessen  sich  diese 
hohen  Kreise  in  vergangenen  Zeiten  bei  ähnlichen  Anlässen  nicht  selten 
bedient  hatten.  Sofern  zwei  Angehörige  beider  lyinien  sich  heirateten 
imd  in  Gütergemeinschaft  traten,  war  über  den  Ertrag  imd  die  Ver- 
waltimg der  Herrschaften  Trachenberg  und  Schönstein-Wildenburg  eine 
Einigung  zu  erzielen.  Als  nun  Graf  Edmimd  von  Hatzfeldt-Kinsweiler 
unter  den  Töchtern  des  Fürsten  Franz  Ludwig  von  Hatzfeldt,  des  ziem- 
lich bekannten  Diplomaten  der  alten  Schule,  ^)  Brautschau  hielt,  fiel  seine 
Wahl,  obgleich  noch  zwei  ältere  Prinzessinnen  unverheiratet  im  väter- 
lichen Hause  lebten,  auf  die  an  Leib  und  Seele  noch  knospenhafte  dritte 
Tochter  des  fürstlichen  Paares.  Sophie  von  Hatzfeldt  stand  am  Vor- 
abend ihres  siebzehnten  Geburtstages,  ab  sie  am  9.  August  1822  tmter 
den  Traualtar  trat.  Sie  ahnte  schwerlich,  daß  sie  mit  diesem  Schritt  ihr 
Lebensglück  jener  geschäftlichen  Transaktion  zum  Opfer  brachte.  Von 
der  ersten  Stimde  an  gestaltete  sich  das  Schicksal  der  Neuvermählten 
trostlos :  Enttäuschung  folgte  auf  Enttäuschung,  Demütigimg  auf  Demü- 
tigung; was  keine  Frau  verzeiht,  wurde  ihr  in  rücksichtsloser  und 
brutaler  Weise  immer  aufs  neue  angetan.  Das  änderte  sich  auch  nicht, 
als  sie  Mutter  wurde  und  im  Laufe  der  Jahre  einem  Sohn,  einer  Tochter 
und  dann  nochmal  einem  Sohn  das  Leben  schenkte.  Der  Graf  mui3  sich 
durch  das  bloße  Vorhandensein  dieser  Frau  beeinträchtigt  gefühlt  haben. 
Mißtrauen  und  Abneigung,  die  zu  Haß  entarteten,  stiegen  in  ihm  auf 
und  bestimmten  ihn,  den  künftigen  Erben  des  stolzen  Fideikommisses 
der  Mutter  frühzeitig  zu  entziehen.  Darm  wurde  auch  die  Tochter,  an 
der  Sophies  Seele  besonders  hing,  ihr  geraubt  und  in  ein  Kloster  der 
Salesianer innen  nach  Wien  überführt,  dessen  strenges  Regulativ  her- 
hielt, um  der  Mutter,  mochte  sie  auch  wie  eine  Löwin  kämpfen,  den 
mündlichen  wie   den  schrifÜichen  Verkehr  mit  Melanie  abzuschneiden. 


*)  Vgl.  über  ihn  u.  a.  Hermann  Oncken,  Lassalle,  5.  Aufl.,  Stuttgart  1923.  S.  63. 


Erfolgreich  blieb  sie  allein  in  dem  Bemühen,  sich  ihren  jüngsten  Sohn 
Paul  nicht  ebenfalls  entfremden  zu  lassen. 

Das  Unrecht,  das  Sophie  von  Hatzfeldt  widerfuhr,  war  zu  offen- 
sichtlich, als  daß  nach  dem  frühzeitigen  Tode  der  Eltern  ihre  beiden 
Brüder  sich  der  Verpflichtung  entziehen  konnten,  für  die  Schwester 
einzutreten.  Aber  diese,  Fürst  Hermann,  Generallandschaftsdirektor  der 
Provinz  Schlesien,  und  Graf  Max,  der  spätere  Gesandte  Preußens  in 
Paris,  verabscheuten  jeden  Eklat,  und  sie  wurden  um  so  lauer,  je  klarer 
sich  erwies,  daß  alle  Bemühungen,  diese  Ehe  wieder  einzurenken,  Fehl- 
schläge bleiben  mußten.  Sehr  verläßlich  war  die  Stütze,  die  die  Schwester 
an  ihnen  fand,  niemals  gewesen.  Sie  sank  endgültig  dahin,  als  das  Ver- 
langen nach  der  Tochter  und  die  Sorge  um  die  Sicherung  der  eigenen 
Existenz  und  der  ihres  jüngsten  Sohnes,  die  des  Gatten  Verschwendungs- 
sucht rnid  Feindschaft  ständig  bedrohten,  die  ,,von  Feld  zu  Feld  er- 
barmimgslos  verscheuchte  Gazelle"  einem  solchen  Grad  der  Verzweiflung 
zutrieben,  daß  sie  sich  selbst  ,,auf  den  Jäger  stürzte  und  sollte  sie  mit 
ihm  im  Abgrund  zerschellen".^)  Müde  der  ewigen  Versprechimgen,  die 
nicht  gehalten  wurden,  der  umständlichen  Verträge,  die  stets  gebrochen 
wurden,  gereizt  durch  das  Ausbleiben  ihrer  Unterhaltsgelder,  besonders 
aber  ermutigt  durch  neue  Freunde,  die  sich  ihrer  annahmen,  entschloß 
die  Gräfin  sich  am  Ende  trotz  des  drohenden  Abratens  der  Brüder,  die 
ihre  Hand  gänzlich  von  ihr  ziehen  wollten,  wenn  sie  es  zum  , .Skandal" 
kommen  ließe,  den  Rechtsweg  zu  beschreiten. 

In  einem  langen  Brief  an  ihren  älteren  Bruder  entwickelte  sie  am 
22.  Mai  1846  die  Gründe,  weshalb  sie  diesmal  sich  dem  harten  Gebot  der 
Familienraison  nicht  fügen  wollte,  und  schlug  dabei  Töne  an,  wie  sie 
ihre  Verwandten  von  der  Unglücklichen  bis  dahin  niemals  vernommen 
hatten :  ,,Ich  will  es  Dir  zugeben,"  schrieb  sie,  ,,ich  habe  bis  jetzt  immer 
meine  Sache  ungeschickt  angefaßt;  ich  habe  den  prinzipiellen  Fehler 
begangen,  mein  Gefühl  sprechen  zu  lassen  .  .  .  Gefühl  ist  aber  eine 
schlechte  Waffe.  Aus  der  Welt  der  Gefühle  habe  ich  mich  in  die  geltender 
Gesetze  zurückgezogen.  Ich  habe  den  Sturm  der  Gefühle  zur  Ruhe  ge- 
bracht, ich  werde  dafür  mit  kalter  unwiderleglicher  Logik  verfahren." 
Auf  die  Frage,  wie  diese  trotz  alles  Erlittenen  bis  dahin  noch  immer 
stark  konventionell  gebundene  und  der  Geschäfte  wenig  kundige  Frau 
dahin  kam,  plötzlich  ihre  ganze  Kampfesweise  so  grundsätzlich  zu 
ändern,  erteilt  sie  gleich  selbst  die  Antwort:  ,,Wie  ich  Dir  aber  schon 
mündlich  gesagt,  tue  ich  jetzt  nichts,  nicht  das  geringste  mehr  ohne 
fremden  Rat  und  Beistand.  Vielleicht  merkst  Du  das  auch  an  der  Sicher- 
heit meiner  jetzigen  Schritte.  Mißtrauisch  gemacht  durch  Euch  gegen 

1)  Scheidungsklage  von  1847.  Als  Manuskript  gedruckt.  S.  65.  Der  Verfasser 
war  IvOssalle. 


meine  eigene  Einsicht,  bediene  ich  mich  der  einiger  gesetzkundiger 
Männer,  die  mit  einer  sicheren  Logik  eine  ganz  unbezwcifelte  Biklung 
verbinden.  Dadurch  habe  ich  aus  meiner  Denkungs-  und  Handlungs- 
weise das  Schwankende  verbaimt,  das  immer  der  Charakter  einer  Frau 
ist.  Wenn  früher  Vorwürfe  und  Vorstellungen,  Deine  besonders,  auch 
wenn  sie  noch  so  unbegründet  waren,  innerlich  mich  immer  wankend 
machten,  wenn  ich  es  auch  äußerlich  verbarg,  so  macht  jetzt  alles,  was 
nicht  wahr  ist,  keinen  Eindruck  mehr  auf  mich,  und  was  ich  weiß, 
das  weiß  ich  jetzt .  .  .  Ich  finde  meine  Lage  faktisch  wie  sie  de  jure 
nicht  sein  sollte.  Ich  finde  mich  in  meinen  wesenthchsten  Rechten  als 
Mutter  gekränkt  .  .  .  Ich  will  das  Gesetz  zur  Herstellung  des  Rechts- 
zustandes anrufen  .  .  .  Kann  ich  aber  jene  Bedmgungen  erfüllt  sehen 
ohne  Prozeß,  so  würde  es  mir  selbst  eine  große  Beruhigung  sein,  meiner 
Familie  einen  Rechtshandel  zu  ersparen,  der  ein  Mitglied  derselben  so 
sehr  kompromittieren  muß.  Auch  meiner  Kinder  wegen  wünsche  ich 
es  von  ganzem  Herzen.  Bringt  man  mich  aber  zum  Äußersten,  so  werde 
ich  auch  den  Mut  haben,  es  zu  tun,  aber  als  dazu  gezwungen,  habe 
ich  keine  Verantwortung  .  .  .  Die  Pflicht  gegen  meine  Kinder  ist  gerade 
das  hauptsächliche  mich  leitende  Motiv.  Außerdem  aber  hätten  sie  gar 
kein  Recht,  je  mir  daraus,  wie  Du  annimmst,  einen  Vorwurf  zu  machen : 
ich  bin  Mutter,  ich  bin  aber  auch  Mensch  und  folglich  nicht  ein  Ding, 
das  lediglich  zu  fremdem  Vorteil  und  Nutzen  verwendet  wird.  Christen- 
tum und  Vernunft  predigen  gleich  stark  die  Pflicht  der  Selbsterhaltung. 
Ich  aber,  die  Verlassene,  Ungeschützte,  habe  sie  in  noch  höherem  Grade 
als  andere  .  .  .  Um  jeden  Preis  darf  auch  der  Frieden  nicht  erkauft 
werden.  Ich  möchte  Frieden  haben,  doch  kann  ich  nicht  des  Friedens 
Opfer  sein  ..." 

Wir  ahnen,  wer  der  Gräfin  bei  diesem  Brief,  der  nicht  ihren  Stil 
atmet,  die  Hand  führte,  wir  wissen,  wer  ,,die  gesetzkundigen  Männer" 
waren,  deren  ,, sicherer  Logik"  die  einsame  Frau  in  ihrer  Bedrängnis  sich 
überantwortete.  Ihre  Lage  erschwerte  nichts  so  sehr,  als  daß  es  der 
Verschlagenheit  ihres  Gegners,  die  sich  auf  bestehende  gesellschaftliche 
Vorurteile  stützte,  gelimgen  war,  in  den  Kreisen  des  mit  den  Hatzfeldts 
versippten  hohen  Adels  und  in  denen  des  Hofes  bis  herauf  zu  den 
Majestäten  eine  Stimmung  zu  erzeugen,  die  dieser  Frau,  die  ihre  Bestim- 
mung nicht  im  schweigenden  Erdulden  sah,  unfreundlich  war.  Lassalle 
hat  der  Freundin  später  wiederholt  zu  erklären  gesucht,  warum  es  kein 
Zufall  gewesen  ist,  daß  die  Helfer,  die  sie  jetzt  fand,  aus  einer  Schicht 
der  Gesellschaft  kamen,  auf  die  jene  erlauchten  Kreise  mit  traditioneller 
Verachtung  herabblickten.  Es  wäre  überflüssig,  hier  des  breiteren  zu 
schildern,  was  Ferdinand  Lassalle  imd  die  anfänglich  seinem  dämoni- 
schen Willen  folgenden  Freimde,  der  Assessor  Alexander  Oppenheim 

Mayer,   Lassalle-Nachlass.     IV  II 


4 

und  der  Arzt  Dr.  Arnold  Mendelssohn,  von  nun  ab  Kluges  und  Törichtes 
anstellten,  um  mit  allen  Mittehi,  nicht  ausschließlich  mit  ritterlichen, 
den  Farben  der  Dame,  zu  denen  sie  voll  Sturm  und  jugendlicher  Hingabe 
sich  bekannten,  den  Sieg  zu  erkämpfen  im  Turnier  mit  einer  Welt,  die 
sie  ausschloß  und  der  sie  dennoch  oder  gerade  darum  ihren  Willen  auf- 
zuzwingen trachteten.  Wir  übergehen  an  dieser  Stelle  den  Kassetten- 
prozeß wie  die  anderen  wechselreichen  Stadien,  die  die  Sache  der  Gräfin 
von  nun  ab  vor  den  Gerichten  durchlief,  bis  endlich  der  eherne  Wille 
I/assalles,  der  bald  ihr  alleiniger  Bevollmächtigter  wurde,  ihr  im  Kampf 
gegen  jene  feudale  Gedankenwelt  und  ihren  Repräsentanten  den  Sieg 
erstritt.  Darüber  belehren  die  zahlreichen  Biographien  I/assalles,  auf 
die  hier  verwiesen  sei. 

II. 

Zwei  Tage  bevor  Lassalle  geboren  wurde,  hatte  Gräfin  Sophie  von 
Hatzfeldt,  damals  noch  nicht  zwanzigjährig,  ihren  ältesten  Sohn  zur 
Welt  gebracht;  als  Graf  Keyserlingkihr  Anfang  1846  den  einundzwanzig- 
jährigen Studenten  zuführte,  war  sie  eine  Dame  von  einundvierzig  Jahren. 
Unendlich  viel  hat  die  Welt  an  den  Motiven  herumgedeutet,  die  den 
glänzend  begabten  und  von  einem  Ehrgeiz  großen  Stils  vorwärts- 
getriebenen jungen  Menschen  bestimmt  haben  können,  seine  eigenen 
Ziele,  die  ihn  bis  dahin  voll  erfüllt  hatten,  beiseite  zu  stellen,  um  sich 
gleich  einem  irrenden  Ritter,  dem  die  Zeit  wenig  bedeutete,  Hals  über 
Kopf  in  diese  Händel,  die  ihn  nichts  angingen,  zu  stürzen.  Zwar  hat  er 
selbst  zu  wiederholten  Malen  klar  und  bestimmt  ausgesprochen,  wes- 
halb er  jenen  schicksalsreichen  Entschluß  faßte,  von  dem  er  anfänglich 
nicht  ahnte,  daß  er  damit  die  besten  Jahre  seines  Ivcbens  hingab.  Und 
es  besteht  bei  ihm  eigentlich  kein  Grund,  seine  Glaubwürdigkeit  an- 
zuzweifeln, denn  er  liebte  leidenschaftlich,  mit  offenem  Visier  zu  fechten, 
und  seinem  stark  entwickelten  Selbstgefühl  ist  Wahrhaftigkeit  Bedürf- 
nis gewesen.  Es  ist  unnötig,  hier  alle  Erklärungen  auszubreiten,  die 
I/assalle  von  seinem  Verhältnis  zur  Gräfin  Sophie  gegeben  hat;^)  die 
wichtigsten  findet  man  in  Hermann  Onckens  Biographie  berücksichtigt. 
Prüft  man  diese  Bekenntnisse  genau,  auch  die  in  seinen  Briefen  an 
die  Gräfin  enthaltenen,  und   berücksichtigt  man   alle  Umstände,  die 

^)  Man  beachte  besonders  die  im  Text  herangezogene  Stelle  aus  seiner  Ver- 
teidigungsrede im  Kassettenprozeß  (Ferdinand  Lassalles  Reden  und  Schriften, 
herausgeg.  von  EJduard  Bernstein,  Berlin  1893,  Bd.  III,  S.  339),  den  berühmten 
Manuskriptbrief  an  Sophie  Sontzoff  vom  Jahre  1860  (Eine  Liebesepisode  aus 
dem  Leben  Ferdinand  Lassalles,  Leipzig  1878,  S.  47  ff.)  und  den  Brief  an  Victor 
Aim6  Huber  vom  28.  Juni  1863.  (Vgl.  Gustav  Mayer,  La.ssalleana  in  Grünbergs 
Archiv,  Bd.  I,  S.  191.) 


damals  mitsprechen  komiten,  aufs  sorgfältigste,  man  wird  als  Er- 
gebnis festhalten  müssen,  daß  Ivassalle  die  Wahrheit  sprach,  als  er 
1848  vor  den  Geschworenen  auf  die  Aufopferungsfähigkeit,  Uneigen- 
nützigkeit  und  Begeisterung  der  Jugend  pochte  und  daß  er  im  Recht 
war,  wenn  er  später  in  seinem  berühmten  Werbebrief  an  Sophie  Sont- 
zoff  sich  auf  Robespierres  Wort  berief,  daß  soziale  Unterdrückung 
bereits  dort  herrsche,  wo  auch  nur  ein  einziges  Individuum  unterdrückt 
werde.  lyassalle  verdient  vollsten  Glauben,  wo  er  zu  verschiedenen 
Menschen  in  verschiedenen  Zeiten  seines  Lebens  wiederholte,  er  sei,  als 
er  sich  dieser  bedrängten  Frau  annahm,  zugleich  einem  revolutionären 
wie  einem  im  ethischen  Sinne  religiösen  Gebote  gefolgt. 

Seiner  instinktiven  wie  seiner  reflektierten  Existenz  nach  war  dieser 
Mensch  ein  Revolutionär.  Und  der  Revolutionär  in  ihm  ist  es  gewesen, 
der,  wo  immer  er  den  Weg  anderer  kreuzte,  nicht  mitansehen  konnte, 
daß  der  Schwache  unterdrückt  wurde.  Schon  auf  der  Handelsschule  in 
Ivcipzig  hatte  er  nicht  ertragen  wollen,  daß  der  Frau  seines  Pensions- 
vaters von  diesem,  wie  er  es  auffaßte,  dauerndes  Unrecht  widerfuhr. 
In  dem  Tagebuch,  das  er  damals  führte,  findet  sich  eine  Stelle,  die  bisher 
nicht  abgedruckt  wurde,  obgleich  sie  psychologisch  aufschlußreich  ist. 
Es  widere  ihn  an,  schrieb  er,  wie  ein  Gatte  alle  Mittel  gemeiner  plumper 
lyist  gegen  seine  Gattin  anwende,  die  schwach  genug  sei,  in  die  Falle  zu 
gehen,  wie  er  nachher  mit  raffiniertester  Schlechtheit  ihr  eben  daraus 
ein  Verbrechen  mache,  wie  er  ihre  ganze  Mitgift  vergeude  imd  auch 
noch  den  Rest  des  Vermögens  verschwende,  der  künftig  die  Kinder  vor 
dem  Bettelstabe  schützen  sollte.  Ihn  ärgerte  nicht  bloß  ,,die  Schlechtig- 
keit und  die  ausgesuchte  Heuchelei*'  des  Mannes,  sondern  ebenso  sehr 
die  ,, Schwäche  imd  übermäßig  große  lyeichtgläubigkeit"  der  Frau.  Das 
machte  auf  den  Fünfzehnjährigen  einen  so  starken  Eindruck,  daß  er 
eine  wochenlange  Krankheit,  in  die  er  verfiel,  wesentlich  auf  diese 
Quelle  zurückführte:  ,,Ich  war  von  solchem  Ekel  erfüllt,  daß  ich  nicht 
wußte,  wie  mir  helfen."  Dieser  Ton  also,  der  1841  zum  ersten  Male  bei 
ihm  anklingt,  erhob  sich  1846S0  brausend,  daß  er  sich  nicht  mehr  dämpfen 
läßt.  Damals  hatte  Lassalle  bereits  in  Briefen  an  seine  vertrauten 
PVeunde  der  bestehenden  Gesellschaft  ein  Kriegsmanifest^)  ins  Gesicht 
geschleudert.  Schon  war  er  Revolutionär,  schon  war  er  sogar  Kom- 
mimist.  Er  kannte  sich  gut.  Er  war  sich  bewußt,  daß  er  mit  der  bestehen- 
den Ordnung,  die  er  haßte  und  verabscheute,  in  Konflikt  geraten  werde. 
Nur  wann  und  wodurch  es  geschehen  würde,  blieb  noch  dem  Zufall 
überlassen.  ,,Wäre  sie  nicht  gewesen,"  gestand  er  1860  an  Lina  Duncker, 
der  Liebenden,  die  auf  den  Platz,  den  die  Gräfin  in  seinem  Herzen  cin- 


Ferdinand  Ivassalle,  Nachgelassene   Briefe  und  Sehriften,   Bd.  I,   S.  213  ff. 


nahm,  eifersüchtig  war,  , .hätte  ich  mir  einen  anderen  Anlaß  gesucht, 
meine  Gegensätzlichkeit  gegen  die  heutige  Welt  an  den  Tag  zu  legen  .  .  . 
Das  Gemüt  ist  das  Schicksal  des  Menschen.  Wie  wäre  ich  denn  sonst 
dazu  gekommen,  da  sie  mir  doch  fremd  war,  ihre  Sache  zu  der  meinigen 
zu  machen?" 

So  hätte  Ivassalle  also  die  Frau,  der  er  Rettung  brachte,  und  die,  als 
er  sie  kennen  lernte,  noch  immer  eine  imposante  Schönheit  war,  nicht 
in  dem  Sinne  geliebt,  wie  die  meisten  Zeitgenossen  es  annahmen  ?  Der 
Herausschälung  der  Motive,  die  zwei  vmge wohnliche  Menschen  zu- 
sammenführten tmd  zusammenhielten,  würde  es  wenig  förderlich  sein, 
wollte  man  die  Frage  in  so  spitzer  Form  stellen  und  beantworten.  Gegen 
Anfang  ihrer  Bekanntschaft,  in  der  Höhezeit  der  Revolution,  hat  es  in 
der  Tat  eine  Epoche  gegeben,  wo  lyassalle  für  seine  vSchutzbefohlene 
leidenschaftlicher  entflammt  war.  Authentisch  ließ  sich  dies  bisheran 
nicht  beweisen.  Jetzt  aber  erhalten  wir  durch  den  Brief,  den  er  am 
9.  September  1860  der  Freundin  schreibt  (Nr.  132),  dies  Geständnis. 
Denn  hier  bekeimt  er,  daß  er  eigentlich  doch  nur  sie  geliebt  habe,  das 
sei  damals  gewesen,  als  er  in  Köln  im  Gefängnis  saß.  Wer  wollte  darüber 
aussagen,  ob  der  Heißblütige  Erhörung  bei  der  reifen  Frau  gefunden,  ob 
er  sie  auch  nur  gefordert  hat?  Er  selbst  hat  solches  stets  bestritten,  und 
die  psychologische  Wahrscheinlichkeit  spricht  auch  hier  dafür,  daß  er 
die  Wahrheit  sagt.  Weil  aber  die  öffentliche  Meinung  und  in  ihrem  Ge- 
folge die  preußische  Königin  nebst  ihrer  Umgebung  anders  urteilten, 
wollte  die  Polizei  im  Frühling  1857  Lassalle  imd  der  Gräfin  nicht  gleich- 
zeitig den  Aufenthalt  in  Berlin  gestatten.  Da  empörte  es  Lassalle,  daß 
die  Behörde,  ohne  ,,auch  nur  einen  Strohhalm  von  Beweis"  erbringen 
zu  können,  behaupten  wollte,  ,,was  niemals  mit  allem  Aufgebot  von 
Mitteln  in  zehnjährigen  Prozessenerwiesen  werden  konnte".  Undfeierhch 
und  freiwillig  erklärte  er:  ,,Ich  muß  lebhaft  dagegen  protestieren,  daß 
überhaupt  zwischen  der  Frau  Gräfin  und  mir  jemals  ein  solches  Ver- 
hältnis bestanden  habe,  wie  es  bei  jener  Interpretation  des  öffentlichen 
Interesses  notwendig  verstanden  werden  müßte."  Er  sehe  zwar  ein  und 
gebe  zu,  daß  er  unmöglich  im  allgemeinen  die  Menschen  zu  höheren  An- 
schauungen erheben  könne  als  die,  deren  sie  eben  fähig  seien.  Aber  er 
gebe  jedenfalls  sein  Ehrenwort  darauf  —  tmd  das  bedeute  etwas  — 
daß  zwischen  ihm  und  der  Frau  Gräfin  keine  andere  Beziehimgen  be- 
stünden, als  die  einer  in  gegenseitiger  Achttmg  begründeten  und  durch 
zehn  Unglücks]  ahre  festgehämmerten  Freimdschaft, 

Ein  langer  Brief  ,i)  in  dem  I^assalle  der  Freimdin  erlä'utert,  wieder  Ge- 
danke von  der  Gleichberechtigung  der  Frau  in  der  I^iebe  sich  in  der 


^)  Siehe  unten  Nr.  6. 


modernen  Geschichte  Bahn  brach,  weist  dieser  selbst  einen  ehrenvollen 
Platz  in  diesem  Emanzipationsprozeß  zu.  Es  war  ja  sehr  begreif- 
lich, daß  die  durch  so  viele  Jahre  verlassene  und  mißhandelte  junge 
Frau,  wie  die  Prozeßakten  zeigen,  einige  Male  in  nähere  Beziehungen 
zu  Männern  ihres  Standes  trat.  Von  einem  weiß  man,  daß  er  sie  zu 
heiraten  gedachte.  Das  war  ein  Graf  von  Bassenheim;  aber  umsonst 
wandte  die  Unglückliche  sich  damals  an  den  preußischen  König,  um  mit 
seiner  Hilfe  die  päpstliche  Dispensation  zu  erwirken,  deren  sie  als  An- 
gehörige ihres  streng  katholischen  Hauses  zu  einer  Scheidung  tmd  neuen 
Eheschließung  bedurft  hätte.  Als  in  den  aufregenden  Wochen,  die 
der  Verhaftung  der  Zentralbehörde  des  Kommunistenbundes  folgten, 
die  Polizei  auch  in  dem  Hause,  das  die  Gräfin  und  Ivassalle  in  Düssel- 
dorf bewohnten,  Nachforschimgen  anstellte,  nahm  man  bei  ihr,  wie  die 
Akten  berichten,  eine  lycibesvisitation  vor.  Dabei  versuchte  Sophie  von 
Hatzfeldt,  die  die  Geistesgegenwart  nicht  verließ,  noch  schnell  ,,amou- 
reuse  Briefe",  die  sie  bei  sich  trug,  zu  vernichten.  AlleWahrscheinhchkeit 
spricht  dagegen,  daß  ihr  diese  ihr  Generalbevollmächtigter,  mit  dem  sie 
unter  einem  Dache  wohnte,  geschrieben  hatte.  Besonders  widerspräche 
dem  auch  der  Geisteines  Testaments,  das  die  Gräfin  schon  im  folgenden 
Jahre  verfaßte.  Es  legt  erschütterndes  Zeugnis  ab  von  den  seehschen 
Qualen,  die  diese  starke  Natur  als  Frau  imd  Mutter  auszustehen  gehabt 
hatte.  Haß  tmd  Verwünschung  strömt  sie  hier  aus  gegen  alle,  die  an  ihr 
gesündigt,  selbst  gegen  den  älteren  Sohn  und  die  Tochter,  die  man  ihr 
gewaltsam  entfremdet  hatte,  und  die  mm  unkindlich  an  ihr  handelten. 
Worte  der  Liebe  findet  sie  allein  für  zwei  Menschen:  ,,Noch  einmal 
segne  ich,"  heißt  es  da,  ,,mit  der  wärmsten  mütterlichen  Liebe  meinen 
Sohn  Paul,  ebenso  den  Herrn  Ferdinand  Lassalle,  der  wie  der  beste 
Sohn  an  mir  gehandelt  hat  und  den  ich  wie  meinen  Sohn  betrachte." 
Wenn  es  nun  aber  auch  sicherlich  ideale  Motive  waren,  die  Lassalle 
entschieden,  sich  in  diesen  Kampf  für  eine  ihm  fremde  Sache  zu  stürzen, 
so  braucht  darum  noch  nicht  geleugnet  zu  werden,  daß  sich  hier  wie 
fast  überall  in  seinem  Leben,  in  die  hohen  mid  reinen  Motive,  die  den 
Ausschlag  gaben,  auch  erdenhafte  Impulse  mischten.  Oncken  weist 
darauf  hin,  daß  es  dem  Sohn  des  jüdischen  Seidenhändlers  östlicher  Her- 
kunft geschmeichelt  haben  wird,  als  Retter  und  Freund  neben  eine  so 
hochgeborene  Dame  zu  treten.  Doch  auch  dieser  Biograph  bestreitet, 
daß  Eitelkeit  oder  gar  das,  was  die  Welt  in  der  Bequemhchkeit  ihres 
Denkens  vermutete,  dem  jungen  Menschen  den  entscheidenden  Antrieb 
gaben.  Wer  je  auf  diese  Flamme  voll  hebten  Feuers  und  dunklen  Rauches, 
die  Lassalle  hieß,  aufmerksam  geachtet  hat,  wird  ihm  das  Recht  zu- 
gestehen, daß  er  sich  jene  Intervention  für  die  Gräfin  als  ,,eine  Insurrek- 
tion" deutete,  als  ,,eine  Insurrektion  auf  eigene  Faust  in  einem  Falle, 


8 

welcher  als  der  reinste  Mikrokosmus  unsere  ganze  soziale  Misere  in  sich 
enthält".  Es  war  doch  richtige  Selbstkenntnis,  wenn  er  sich  zu  dem 
christlich-konservativen  Sozialpolitiker  Victor  Aime  Huber,  der  ihn  wie 
so  viele  andere  darin  falsch  beurteilt  hatte,  rühmte:  ,,Mein  ganzer 
Mensch  liegt  in  jener  Handlung,"  mid  wir  begreifen  ihn,  wenn  er  jenem 
diese  Intervention  für  die  Gräfin  als  das  Faktum  seines  Ivcbens  be- 
zeichnete, auf  das  allein  er  stolz  sei! 

III. 

Wo  immer  sich  um  die  Seelen  eines  Mannes  und  einer  Frau  seltene 
Fäden  spannen,  für  die  der  Sprachgebrauch  des  Alltags  kein  fertiges 
Wort  vorfindet,  ist  der  große  Haufe  geneigt,  Deutungen  zu  geben,  die 
dem  starken  Vereinfachungsbedürfnis  entsprechen,  das  seinen  leicht 
befriedigten  Intellekt  erfüllt.  Für  die  Beziehungen,  auf  denen  hier 
miser  Blick  ruht,  sind  so  bequeme  Betrachtungsweisen  abzulehnen.  Mag 
man  auch  auf  dem  Grunde  einer  jeden  engen  Verbindung  zwischen 
Personen  verschiedenen  Geschlechts  erotische  Bestandteile  aufspüren, 
des  Historikers  Auge  findet  das  Wesentliche,  das  Sophie  von  Hatz- 
feldt  und  Lassalle  zusammenführte  und  verbunden  hielt,  in  anderen 
Bezirken.  Wie  stand  es  in  Wahrheit  um  diese  beiden  Menschen,  die  aus 
so  verschiedenen  Welten  kamen  tmd  die  ursprünglich  so  verschieden 
geartet  waren  ?  Die  Geschäfte  der  Gräfin  lieferten  anfänglich  die  Unter- 
lage für  ihre  gemeinsame  Ivcbensführung,  die  dem  Edelmann  wie  dem 
nüchternen  Spießbürger  damals  gleich  abenteuerlich  erschien.  In  der 
Folge  erwiesen  sich  jedoch  diese  Prozesse  und  was  unmittelbar  mit 
ihnen  zusammenhing  nur  als  das  Substrat  der  Ivcbensgemeinschaft, 
die  sich  in  den  hier  vorliegenden  Briefen  vor  uns  auftut.  Nicht  sie 
bilden  im  tieferen  Sinne  den  Kern  dieses  Bündnisses,  nicht  sie  hätten 
ihm  über  den  Tod  hinaus  Glanz  und  Größe  verheben. 

Diese  zwei  Menschen  müssen,  als  sie  einander  begegneten,  bald  gef  ülalt 
haben,  daß  sie  sich  Wesenhaftes  zu  geben  hatten.  Unvermittelt  war  einst 
das  kaum  entwickelte  Mädchen  aus  der  sie  sorgsam  hegenden  Häuslich- 
keit der  fürstlichen  Eltern  hinausgeschleudert  worden  in  alle  die  Stürme, 
Demütigungen,  Versuchmigen,  denen  ihre  unglückliche  Ehe  sie  aus- 
setzte. Der  verwöhnten  Prinzessin  war  nicht  an  der  Wiege  gesungen 
worden,  daß  Vermögensstreitigkeiten  einen  großen  Teil  ihres  künftigen 
Lebens  ausfüllen  würden.  Weder  der  Code  Napoleon,  der  in  dem  einen 
Teil  des  großen  Fideikommisses  galt,  das  jene  Heirat  zusammenge- 
schweißt hatte,  noch  das  gemeine  Recht,  das  in  dem  anderen  Teile  maß- 
gebend war,  hatte  bei  ihrer  Erziehung  eine  Rolle  gespielt.  Und  erst 
recht  war  ihr  in  der  durchaus  reaktionären  Luft  des  heimatlichen 


vSchlosses  über  die  sozialen  und  politischen  Zeittendenzen,  mit  denen  ihr 
eigenes  Schicksal  sie  hernach  so  mannigfach  verflocht,  keine  ausreichende 
Belehrung  zuteil  geworden.  Wie  hätte  auch  ein  Vater,  der  bereits  die 
Größen  maserer  nationalen  Erhebung  als  „Jakobiner"  verabscheute,  der 
Tochter  die  Notwendigkeit  des  Emporstrebens  des  Bürgertums  oder  gar 
der  Arbeiterklasse  sinngemäß  deuten  können?  So  irrte  die  von  ihrem 
Gatten  mal  vertriebene,  mal  wieder  gefangen  gehaltene  junge  Gräfin, 
bald  vor  ihm  fliehend,  bald  seine  Versöhnung  suchend,  undiszipliniert 
im  Denken  wie  im  Handeln  und  schlecht  beraten,  allein  ihrem  natür- 
lichen Gefühl  überlassen,  dabei  voll  warmen  Lebens  und  edler  Instinkte, 
durch  Land  und  Leben,  bis  in  einer  Stunde  höchster  Not  der  Retter  ihr 
begegnete.  Dieser  aber  war  ein  junger  Mensch,  der  dem  Alter  nach  ihr 
Sohn  hätte  sein  können.  Er  kam  aus  den  der  Praxis  fernen  Bezirken  der 
Philosophie,  er  war  ein  Jude,  er  war  ein  Revolutionär.  Doch  er  erbot 
sich  in  der  fortreißenden  Sprache  eines  Idealismus,  wie  er  bis  dahin  noch 
nie  an  ihr  Ohr  geklungen  hatte,  ihre  Angelegenheit  in  seine  ,, junge  aber 
starke  Hand"  zu  nehmen,  er  schwor  der  Bedrängten,  die  so  selbstlose 
Hingabe  beim  anderen  Geschlecht  bis  dahin  nicht  für  möglich  gehalten 
hätte,  ,,für  sie  zu  kämpfen  bis  zum  Tode".^)  Und  sie  glaubte  diesem 
Versprechen,  sie  überließ  sich  der  ungewöhnlichen  Kraft  des  ungewöhn- 
lichen Menschen,  den  eine  höhere  Macht  ihr  entgegen  zusenden  schien. 
Nun  spürte  Graf  Edmund  bald,  daß  auf  der  Gegenseite  eine  In- 
telligenz, eine  Entschiedenheit,  eine  Verschlagenheit  plötzlich  alle  Schritte 
leitete,  wie  er  sie  bisher  dort  nicht  wahrgenommen  hatte.  Man  lebte 
eben  der  Revolution  von  1848  entgegen.  Die  politische  Atmosphäre  war 
schwül  von  Kämpfen  mannigfachster  Art,  sie  war  den  Verfolgten  und 
Schwachen  günstig.  Im  Rheinland  hatte  schon  die  französische  Okku- 
pation den  feudalen  Ansprüchen  Abtrag  getan.  Nun  aber  zeigte  sich  bei 
den  Richtern,  wie  erst  recht  bei  den  Geschworenen,  die  verstärkte  Nei- 
gung, dem  Adel  mit  bürgerlichem  Selbstgefühl  gegenüberzutreten.  Auch 
der  reiche,  doch  übel  beleumdete  Standesherr  spürte  dies  bei  seinen  Rechts- 
händeln. In  Lassalle  und  seiner  Schutzbefohlenen  wuchs  frohe  Hoffnung, 
die  sich  noch  vermehrte,  als  die  Revolution  zum  Ausbruch  kam.  Aber 
die  alten  Mächte  gelangten  wiederum  nach  oben,  und  nun  wurde  es  der 
vSache  der  Gräfin  beinahe  zum  Verhängnis,  daß  der,  dem  sie  sich  aus- 
geliefert hatte,  ein  roter  Republikaner  war,  den  die  rheinischen  Richter 
überdies  haßten,  weil  sie  seiner  Hartnäckigkeit,  seinem  Scharfsinn  mid 
seiner  ungewöhnlichen  Beredsamkeit  selten  gewachsen  waren.  Doch  so 
sehr  es  Sophie  von  Hatzfeldt  bekümmerte,  daß  ihr  fortan  ein  Prozeß 
nach  dem  anderen  verloren  ging,  daß  die  Aussicht  auf  einen  guten  Aus- 
gang des  Kampfes,  den  ihre  ermüdende  Seele  herbeiwünschte,  sich  zu- 
^)  Ivossalle  an  Sophie  Sontzoff,  a.  a.  O.,  S.  51. 


-    10  = 

nächst  als  trügerisch  erwiesen  hatte,  so  dachte  sie  doch  keine  Stunde 
daran,  lyassalle  dafür  verantwortlich  zu  machen.  Und  auch  als  materielle 
Not  ihr  drohte,  wurde  sie  nicht  irre  an  dem,  der  in  all  diesem  Wechsel 
von  Hoffnung  und  Sorge,  von  Sieg  imd  Not,  ein  Bestandteil  ihres  Selbst 
geworden  war,  an  dem  ersten  und  eigentlichen  Ivcbensgefährten,  den  sie 
gefunden  hatte. 

Wir  fragten,  was  diese  beiden  Menschen,  die  aus  so  verschiedenen 
Sphären  kamen,  einander  bieten  konnten,  was  sie  einander  gegeben 
haben.  Wer  Ivassalles  Jugendtagebuch  gelesen  hat,  eriimert  sich,  wie 
unausgeglichen  der  Ton  war,  der  in  seinem  elterlichen  Hause  in  Breslau 
umging,  wie  dort  die  Charaktere  ohne  jede  Selbstbeherrschung  neben- 
einander herlebten  und  wie  trotz  aller  betulichen  Zärtlichkeit,  die  reich- 
lich vorhanden  war,  ein  Gewitter  ständig  das  andere  ablöste.  Er  erinnert 
sich,  wie  sehr  die  stickige  Luft  des  Ghettos  dort  noch  die  Räume  füllte, 
und  wie  das  Bedürfnis,  die  äußere  Lebensführung  bewußter  zu  formen, 
im  Auftreten  und  Gebaren  Würde  und  Gemessenheit  zur  Darstellung 
zu  bringen,  noch  kaum  erwacht  war.  Bis  er  in  die  Berliner  Burschen- 
schaft eintrat,  mochte  Lassalle  sich  notdürftig  das  bescheidene  Niveau 
von  gesellschaftlicher  Kultur  angeeignet  haben,  auf  dem  das  schlesische 
mittlere  Bürgertum  damals  stand.  Nun  lockte  es  aber  den  gelehrigen  imd 
für  alle  ihn  fördernden  Eindrücke  so  empfänglichen  Studenten  in  höhere 
soziale  Sphären.  Als  er  nach  Berlin  übersiedelte,  wurde  es  ihm  nichtschwer, 
in  den  dem  deutschen  Geiste  voll  erschlossenen,  auf  älterem  Wohlstand 
fußenden  vornehmen  jüdischen  Familien,  bei  denen  er  hier  Eingang 
suchte,  sein  Auftreten  mit  dem  seiner  neuen  Umgebung  in  leidlichen 
Einklang  zu  setzen.  Aber  wenn  selbst  noch  der  Frankfurter  Patrizier- 
sohn der  adligen  Freundin  am  Weimarer  Hofe  eine  Durchbildung  seiner 
Lebensführung  dankte,  die  er  als  eine  segensreiche  empfand,  so  läßt 
sich  erst  recht  annehmen,  daß  dieser  junge  Breslauer  Jude,  dessen  Vater 
noch  in  einer  oberschlesischen  Talmudschule  aufgewachsen  war,  die 
formale  Kultur,  die  ihm  bei  der  Gräfin  begegnete,  gern  und  mit  Erfolg 
auf  sich  wirken  ließ.  Erst  im  täglichen  Verkehr  imd  im  ständigen  Ge- 
dankenaustausch mit  Sophie  von  Hatzfeldt  lernte  Lassalle,  soweit  es 
seinen  labilen  Nerven  möglich  war,  jenes  Maß  von  Selbstbeherrschimg, 
von  Takt  und  Zurückhaltimg  sich  aneignen,  das  ihn  im  damaligen 
Deutschland  zu  einem  sicheren  Auftreten  unter  allen  gesellschaftlichen 
Verhältnissen  befähigte  und  so  erst  in  den  Stand  setzte,  seine  reichen 
Gaben  in  würdiger  und  wirksamer  Gestalt  zur  Darstellung  zu  bringen. 
Zu  heftigen  Szenen,  bei  denen  ersieh  vergessen  konnte,  kam  es  oftmals 
freilich  auch  zwischen  ihm  und  der  Freundin,  Ihr  Briefwechsel  weist 
manche  Spuren  davon  auf.  Aber  am  Ende  war  es  wohl  auch  weder 
Lassalles  Begabung  noch  Beruf,  ein  vollendeter  Cortegiano  zu  werden 


=  II  = 

Für  den  künftigen  Volkstribunen  erhielt  es  Bedeutung,  daß  die  kluge 
Tochter  des  Fürsten  von  Hatzfeldt  ihn  wirklich  vertraut  machte  mit 
der  Art  zu  denken  und  zu  fühlen,  die  jenen  vSchichten  eignete,  die 
damals  und  noch  lange  nachher  den  preußischen  Staat  regierten  imd  die 
zu  stürzen  den  Inhalt  seiner  revolutionären  Träume  ausmachte.  Erst 
die  Freundin,  die  dieser  Welt  entstammte,  konnte  ihm  greifbar  an- 
schaulich machen,  welche  Stärke  ererbte  politische  Erfahrung  und  über- 
legene Methode  ihr  verliehen ;  doch  auch  wie  wenig  sie  geistig  empfäng- 
lich, wie  sehr  sie  sittlich  verkümmert  war,  konnte  niemand  so  gut  wie 
diese  Frau,  die  es  an  ihrem  eigenen  Schicksal  erfahren  hatte,  ihm  ver- 
anschaulichen. 

Aber  schwerer  wog  vielleicht  trotzdem  noch,  was  I^assalle  der  Freun- 
din vermitteln  konnte.  Erster  gab  ihr  das  rechte  Bewußtsein  davon,  in 
wie  hohem  Maße  sie  als  ein  Opfer  verknöcherter  Lebensanschauungen 
dastand,  über  die  eine  freiere  Welt  schon  unbedenklich  hinweggeschritten 
war.  Einen  wie  überwältigenden  Eindruck  mußte  es  auf  sie  machen, 
wenn  er  mit  glühender  Beredsamkeit  ihr  den  Glauben  einhämmerte, 
daß  das  Schicksal,  an  dem  sie  so  schwer  trug,  nicht  ein  zufälliges, 
nicht  ein  rein  privates  sei,  das  für  die  Allgemeinheit  keine  Bedeutung 
hätte,  sondern  daß  auch  sie,  die  sich  so  verlassen  und  vereinsamt 
vorkam,  in  eine  gewaltige  siegessichere  Schlachtordnimg  hineingehöre, 
und  wenn  er  ihr  erzählte  von  der  weltgeschichtlichen  Erhebung, 
die  sich  vorbereite  gegen  jenes  Bestehende,  an  dessen  Härte  ihre  Seele 
sich  wmiddrückte,  von  dessen  Grausamkeit  sie  Narben  trug,  die  nie 
mehr  verharschen  konnten.  Lernte  der  impulsive  Jüngling  in  Dingen  der 
I/cbensführung  manches  von  der  vornehmen  und  reifen  Frau,  so  wurde 
sie  dafür  in  allem,  was  des  Geistes  war,  seine  Schülerin.  Erst  er  erschloß 
ihren  Augen  die  Welt  der  unsichtbaren  Werte,  er  erst  flößte  ihr  Ehr- 
furcht ein  vor  der  Macht  der  Idee  und  schuf  der  Heimatlosen  damit 
eine  Heimstätte,  die  niemand  ihr  rauben  konnte.  Er  klärte  sie  auf  über 
die  weltgeschichtliche  Epoche,  in  die  ihr  Leben  fiel,  über  die  Gewalten, 
die  an  der  Herrschaft  der  feudalen  Kreise  rüttelten,  aber  auch  über  das 
erst  aus  weiter  Ferne  grollende  soziale  Erdbeben,  das  die  eben  siegreich 
aufsteigende  bürgerliche  Welt  einst  in  Frage  stellen  werde.  Es  war 
vielleicht  klug  von  Lassalle,  aber  es  entsprach  auch  seiner  Überzeugung, 
wenn  er,  um  die  Siegeszuversicht  seines  Schützlings  zu  heben,  ihn 
unablässig  darauf  hinwies,  daß  die  Realisierung  der  geschichtlichen 
Vernunft,  die  er  ihm  predigte,  auch  seines  individuellen  Schicksals  be- 
dürfe, wie  sein  Mikrokosmus  in  jenen  Makrokosmus  mit  Notwendigkeit 
hineingehöre.  So  kann  es,  als  die  Revolution  zum  Ausbruch  kam, 
Lassalle  keine  große  Mühe  mehr  gekostet  haben,  um  die  Gräfin  zu 
einer  feurigen  Parteigängerin  der  roten  Republik  zu  machen. 


12 


IV. 


Im  August  1848  wurde  Lassalle  bekanntlich  von  der  moralischen 
Mitschuld  an  jenem  Kassettendiebstahl,  den  seine  Freunde  Mendelssohn 
und  Oppenheim  begangen  hatten,  freigesprochen.  Damals  ergab  sich 
das  Bedürfnis,  daß  der  Generalbevollmächtigte,  Kassierer  und  Sekretär 
der  Gräfin  mit  ihr  —  sie  hatte  sich  inzwischen  in  Düsseldorf  nieder- 
gelassen—  das  gleiche  Haus  bewohnte.  Zahlte  auch  der  Graf  seiner 
Gattin  seit  kurzem  wieder  eine  Rente,  so  reichte  deren  Betrag  doch 
nicht  entfernt  hin,  um  die  gewaltigen  Kosten,  die  die  Prozesse  ver- 
schlangen, zu  bestreiten  und  daneben  noch  den  Ivcbensansprüchen  der 
Gräfin  imd  der  Brziehimg  ihres  Sohnes  Paul  gerecht  zu  werden.  Es  war 
dazu  gekommen,  daß  sie  in  reichlichem  Maße  Schulden  aufgenommen 
hatte ;  bei  der  Auswahl  der  Gläubiger  aber  war  man  nicht  immer  vor- 
sichtig zu  Werke  gegangen.  Diese  liefen  jetzt  der  alleinstehenden  PVau 
das  Haus  ein,  und  um  sie  zu  beschwichtigen,  wünschte  sie  Ivassalles 
ständige  Anwesenheit.  Das  hielten  auch  ihre  Rechtsbeistände  für  zweck- 
mäßig, denn  der  Graf  hatte  jetzt  in  Düsseldorf  ein  regelrechtes  Bureau 
eingerichtet,  von  dem  aus  die  abgefeimtesten  Intrigen  gegen  sie  ein- 
gefädelt wurden.  Der  verkrachte  Möbelhändler  Karl  August  von 
Stockum,  der  diese  Umtriebe  leitete,  schickte  ihr  miter  unscheinbaren 
Vorwänden  häufig  Personen  ins  Haus,  weil  er  die  Aussagen,  die  sie  etwa 
gesprächsweise  diesen  gegenüber  tun  würde,  nachher  vor  Gericht  gegen 
sie  auszubeuten  gedachte.  Fortan  war  L,assalle  als  Warner,  Beschützer 
und  Berater  jederzeit  in  ihrer  Nähe,  und  sie  fühlte  sich  geborgener 
,,subTeucro  duce  et  auspiceTeucro".  Dabei  ergab  es  sich  von  selbst,  daß 
ihr  ständiger  Gedankenaustausch,  mochten  darin  auch  die  Erfordernisse 
des  Tages  überwiegen,  sich  immer  mehr  über  alle  Gebiete  erstreckte, 
in  die  das  Interesse  eines  jeden  von  ihnen  hineinreichte.  Sieht  man  von 
Unterbrechungen  ab,  die  durch  Gefängnishaft  oder  Reisen  verursacht 
wurden,  so  währte  dies  intime  häusliche  Zusammenleben  der  beiden 
volle  acht  Jahre.  Wenn  also  für  die  Zeit  vom  Sommer  1848  bis  zum 
Sommer  1856  ihr  Briefwechsel  spärlich  erscheint,  so  vergegenwärtige 
man  sich,  daß  bei  einer  so  vollkommenen  Hausgemeinschaft  für  schrift- 
lichen Gedankenaustausch  der  Raum  nicht  blieb. 

Auf  welche  Weise  das  persönliche  Schicksal  des  Freundespaares 
von  den  Ereignissen  des  Revolutionsjahres  berührt  wurde,  kann  hier 
nicht  geschildert  werden.  Ihre  privaten  Kämpfe  imd  ilir  politisches  Auf- 
treten lösten  Verfolgungen  aus ;  aber  je  tiefer  ihre  Händel  sie  verstrickten, 
um  so  inniger  knüpfte  sich  das  Band,  das  ihre  Schicksale  zusammen- 
hielt. Die  Volksbewegung  am  Rhein  brach  zusammen,  die  alten  Mächte 
siegten   und  heischten   Rache,  die   Polizei  kam  dem   Kommunisten- 


="=  13 = 

bund  auf  die  Spur,  sie  hob  dessen  Nest  in  Köln  aus,  und  es  war  fast  ein 
Wunder,  daß  sie  nicht  auch  Lassalle  an  den  Kragen  konnte.  vSeine 
nächsten  politischen  Freunde,  soweit  sie  noch  im  Lande  weilten,  gerieten 
in  Bedrängnis.  So  manchem  von  ihnen  wurde  das  Haus  der  Gräfin  die 
erste  Zufluchtsstätte;  hier  erwartete  er  die  passende  Stunde,  bis  er  sich 
in  Sicherheit  bringen  konnte.  1)  Dann  erlosch  am  Rhein  der  letzte  revo- 
lutionäre Funke.  Doch  so  große  Gefahr  auch  damit  verbunden  war,  die 
Wohnung  Lassalles  und  der  Gräfin  blieb  durch  alle  die  drückenden 
Jahre,  die  nun  folgten,  der  Treff-  und  Sammelpunkt  der  wenigen  kom- 
munistisch gesinnten  Arbeiter,  die  trotz  des  Wütens  der  Reaktion  in  der 
Heimat  geblieben  waren.  Aber  auch  die  Polizei  behielt  das  Haus  in  der 
Verlängerten  Kasemenstraße  scharf  im  Auge:  sie  kargte  hier  nicht  mit 
ihren  Besuchen,  und  weil  man  arg  auf  der  Hut  sein  mußte,  wurde 
mancher  Brief  verbrannt,  der  in  dem  sonst  so  vollständigen  Nachlaß 
heute  vermißt  wird.  Die  Berichte  aus  Köln  und  Düsseldorf,  die  an  den 
Minister  des  Irmern  abgingen,  verraten,  ein  wie  lebhaftes  Interesse  die 
Behörden  an  Lassalles  Treiben  nahmen,  welche  Mühe  sie  sich  gaben, 
seine  Korrespondenz  zu  überwachen,  und  wie  sie  es  sogar  nicht  ver- 
schmähten, gelegentlich  in  seinem  eigenen  Hause  Spitzel  zu  unter- 
halten. Den  gleichen  Wert  wie  auf  die  Überwachung  Lassallcs,  der  ihnen 
als  der  Mittelpunkt  der  rheinischen  Umsturzpartei  galt,  legten  sie  auf 
die  Gräfin  Hatzfeldt  nicht.  Aber  als  etwas  verdächtig  galt  auch  sie,  be- 
sonders weil  man  fürchtete,  sie  könnte  ,, einen  Teil  ihres  Einkommens 
zur  Korruption  der  arbeitenden  Klasse  verwenden".  Im  Mai  1852 
wurde  nach  Berlin  über  ein  ,, lukullisches  Gelage"  berichtet,  das  sie  für 
eine  Anzahl  von  Proletariern  veranstaltet  und  bei  dem  sie  zum  Schluß 
erklärt  haben  sollte,  so  könnten  jene  es  alle  Tage  haben,  wenn  nur 
die  Güter  der  Erde  gleichmäßig  verteilt  wären. 

Während  dieser  ganzen  Zeit  führte  Lassalle  für  die  Gräfin  Dutzende 
von  Prozessen  gegen  ihren  Gatten,  deren  Mehrzahl  verlorenging.  Dennoch 
erreichte  sei'ne  Hartnäckigkeit  im  August  1854  ^^^  Ziel,  soweit  es  sich 
noch  erreichen  ließ.  Die  Tochter,  die  der  Mutter  gänzlich  entfremdet 
war,  konnte  nicht  vor  dem  Richter  zurückerobert  werden.  Aber  ein  für 
die  Gräfin  durchaus  ehrenhafter  Vergleich  wurde  abgeschlossen;  die 
materielle  Basis  ihrer  Existenz  war  ihr  fortan  gesichert.  Die  ministeriellen 
Spitzel  aber,  die  die  Psychologie  der  von  ihnen  zu  Überwachenden  nur 
nach  ihrer  eigenen  kläglichen  Mentalität  beurteilen  konnten,  stellten 
ihrer  vorgesetzten  Behörde  in  Berlin  flugs  in  Aussicht,  daß  sich  bei 
Sophie  von  Hatzfeldt  und  bei  Lassalle  nun,  wo  sie  zu  Vermögen  gelangt 
wären,  die  Begriffe  von  Eigentum  wesentlich  ändern  würden;  und  sie 


^)   Vgl.  hierzu  die  Einführung  zu  Bd.  II,  S.  8  ff. 


=  14  = 

bezeichneten  es  einige  Monate  später  als  eine  ,,kaum  zu  erklärende 
Tatsache",  daß  jene  mit  Leuten  aus  dem  Arbeiterstande  nach  wie  vor 
einen  auffallenden  Verkehr  unterhielten.^)  — 


In  den  langen  Jahren,  in  denen  sie  um  das  ihr  zukommende  Gut 
prozessierte,  hatte  die  Gräfin  die  Erfahrung  machen  müssen,  daß  peku- 
niäre Bedrängnis,  an  die  sie  von  Hause  aus  so  wenig  gewöhnt  war,  auf 
ihre  Seele  drückte.  Ein  jeder  hielt  die  Fürstentochter  für  reich.  Die  Folge 
war,  daß  immer  aufs  neue  Leute  sich  freundschaftlich  an  sie  heran- 
drängten und  gütig  aufgenommen  wurden,  von  denen  sich  hernach 
herausstellte,  daß  sie  sie  nur  ausnutzen  wollten.  Als  derartige  Ent- 
täuschungen sich  wiederholten,  verbitterten  sie  Sophies  Seele  und 
bildeten  bei  ihr  am  Ende  eine  Gemütsverfassung  heraus,  die  Lassalle 
ihr  öfters  als  Geiz  auslegte,  während  sie  wiederum  ihn  übertriebener 
Generosität  zieh.  Ganz  besonders  üble  Erfahrungen  machten  die  Freimde 
mit  dem  Lehrer  Anton  Gladbach,  der  in  der  preußischen  konstituierenden 
Nationalversammlung  Mülheim  an  der  Ruhr  vertrat  und  dort  auf  der 
äußersten  Linken  saß.  Vor  1848  hatten  die  Gräfin  und  Lassalle  diesen 
Menschen  zeitweise  als  Sekretär  beschäftigt  und  so  war  er  mit  ihnen 
und  ihren  Verhältnissen  ziemlich  vertraut  geworden.  Nach  der  Revo- 
lution geriet  er  auf  Abwege  und  erhob  nun  fortwährend  pekuniäre  An- 
sprüche, die  nicht  immer  in  dem  Umfang,  wie  er  wünschte,  befriedigt 
wurden.  Die  Folge  war,  daß  Gladbach  sich  der  Polizei  verkaufte  und  den 
freien  Zutritt,  den  er  bei  Lassalle  genoß,  und  das  relative  Vertrauen, 
das  dieser  ihm  noch  immer  entgegenbrachte,  dazu  benutzte,  um  sich 
durch  seine  Angeberei  das  Geld  zu  verschaffen,  das  er  sich  trotz  seiner 
Aufdringlichkeit  nicht  erbetteln  konnte.  Briefe  Lassalles  und  der  Gräfin, 
die  über  sein  Benehmen  klagen,  beherbergt  der  Nachlaß.  Man  ersieht 
aus  ihnen,  wie  die  Gräfin  ihn  durchschaute  und  abhalftern  wollte, 
während  der  vertrauensseligere  Lassalle  noch  für  ihn  plädierte  und  dem 
Gerücht,  daß  er  ein  Spion  sei,  den  Glauben  verweigerte.  — 

Während  die  Freunde  so,  völlig  aufeinander  angewiesen,  abseits  vom 
Treiben  der  großen  Welt  in  der  Kunststadt  am  Rhein  ihr  stilles  Leben 
führten,  war  jeder  von  ihnen  ganz  in  den  Gedanken  des  anderen  heimisch 
geworden.  Daß  zwischen  ihren  Charakteren,  ihrer  Art  zu  fühlen  und 
ihren  geistigen  Anlagen  Übereinstimmung  herrschte,  will  Lassalle,  schon 
als  er  die  Gräfin  kennen  lernte,  wahrgenommen  haben.  Diese  Überein- 

^)  Düsseldorfer  Wochenbericht  vom  7.  Februar  1855  in  den  Personalakten 
IvassaUes  auf  dem  Geheimen  Staatsarchiv.  Auch  andere  Einzelheiten,  die  im 
Vorstehenden  benutzt  wurden,  entstammen  dieser   Quelle. 


—  J5  —         = 

Stimmung  der  Anlagen,  soweit  sie  vorhanden  war,  festigte,  erweiterte, 
vertiefte  in  der  Folge  die  Übereinstimmung  der  äußeren  Schicksale,  der 
Erlebnisse,  der  Kämpfe.  ,,Sie  steht  vor  mir  wie  meine  eigene  Geschichte, 
meine  eigene  Entwicklung,  mein  eigener  Charakter,"  so  bekannte 
Ivassalle  1860  Lina  Duncker,^)  ,,Sie  ist  mein  eigenes  noch  einmal  ver- 
körpertes Ich.  Sie  ist  identisch  mit  allen  Gefahren  und  allen  Triumphen, 
allen  Ängsten  und  allen  schweißtriefenden  Arbeiten,  allen  Leiden,  An- 
strengungen und  Siegesgenüssen,  kurz  mit  allen  Emotionen,  die  meine 
Seele  je  durchgemacht  hat.  Sie  ist  so  identisch  mit  meiner  Seele  selbst. 
Was  ist  Seele  ?  Das  in  eine  Einheit  zusammengefaßte  Ganze,  der  Brenn- 
punkt der  gesamten  Masse  von  Eindrücken,  die  man  je  erfahren. 
Nim  siehst  Du,  das  ist  sie  also  mir."  In  den  Jahren  zwischen  zwanzig 
und  dreißig,  die  er  dem  Schicksal  der  Gräfin  zum  Opfer  brachte,  war 
diese  die  unerläßlichste  Bedingung  seines  Glücks  geworden.  ,, Fleisch 
von  meinem  Fleisch  und  Bein  von  meinem  Bein,"  nannte  er  sie,  ,,das 
Denkmal  imd  die  Geschichte  meiner  Jugend,  ihre  lebendige  Vergegen- 
wärtigiuig".  Lina  Duncker  fühlte  sich  beengt  durch  den  großen  Platz, 
den  Sophie  von  Hatzfeldt  in  seinem  Herzen  einnahm.  2)  Aber  Lassalle 
versicherte  ihr,  jene  sei  sein  Freimd,  nicht  seine  Freundin.  Die  Jüngere 
brauche  so  wenig  auf  sie  eifersüchtig  zu  sein,  wie  ,,die  Geliebte  des 
Orestes  auf  seinen  Pylades  wäre".  Sein  Verhältnis  zur  Gräfin  habe  von 
dem  eines  Sohnes  zur  Mutter  und  eines  Bruders  zur  Schwester  imd  eines 
Freundes  zum  Fremide  und  eines  Vaters  zur  Tochter  —  es  habe  von  alle- 
diesem  etwas,  doch  es  habe  nichts  von  dem  eines  Liebenden  zur  Ge- 
liebten. Lina  Duncker  eignete  eine  besondere  Anmut  der  Seele,  aber 
das  zu  tiefst  Tragische  war  ihr  verschlossen.  So  mag  es  ihr  seltsam  und 
fremd  geklungen  haben,  als  Lassalle  ihr  auseinandersetzte,  weshalb  die 
Frau,  die  für  ihn  Leidenschaft  empfinde,  stets  einen  unvorteilhaften 
Tausch  machen  werde.  Er  fordere  gänzlich  Hingabe,  seine  Liebe  ver- 
zehre, aber  ihm  sei  nur  möglich,  ,,eine  Stelle  seines  Wesens  abzutreten". 
Er  erklärte  dies  aus  der  allgemeinen  und  normalen  Grundverschiedenheit 
in  der  Liebe  des  Mannes  tmd  des  Weibes.  Weil  er  so  sehr  Mann  sei, 
wäre  es  bei  ihm  besonders  potenziert.  Aber  er  gab  auch  zu,  daß  es  ,,eine 
Folge  aller  seiner  Lebensschicksale"  ^)  sei.  Hier  öffnet  sich  uns  zum 
erstenmal  bei  Lassalle  ein  Blick  in  tragische  Verknüpfungen,  die  in 
seinem  Schicksal  lagen  und  die  bis  heran  nicht  genügende  Beachtung 
fanden.    Doch  noch  ist  es  nicht  an  der  Zeit,  bei  ihnen  zu  verweilen. 


1)  Intime  Briefe  Ferdinand  Lassalles  an  Eltern  und  Schwester,  herausgegeben 
von  Eduard  Bernstein,   Berlin   1905,  S.  161. 

2)  Vgl.  Bd.  II,  Einführung  S.  22  f.    sowie  S.  223  und  227.     Vgl.  auch   unten 
S.  263. 

ä)   Intime  Briefe,  S.  165. 


=  i6  —  =^ 

VI. 

Von  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  an  liegt  der  Briefwechsel  Ivassalles 
mit  Sophie  von  Hatzfeldt  als  eine  psychologische  Kette  vor,  in  der  kein 
wesentliches  Glied  fehlt.  Die  besorgte  lyiebe,  die  unbefangene  vertrauens- 
volle Kameradschaftlichkeit,  die  zwischen  ihnen  herrschte,  machte  längst 
nicht  mehr  halt  vor  den  Beziehungen  des  jungen  Mannes  zum  weib- 
lichen Geschlecht.  Man  wußte  bisher  nichts  über  ein  intimes  Verhältnis, 
das  Lassalle  in  den  letzten  Jahren  seines  Düsseldorfer  Aufenthalts  zu 
Agnes  Denis-Street  unterhielt,  der  Adressatin  von  Franz  I^iszts  Briefen 
an  eine  Freundin,  die  lya  Mara  herausgab.  Dieses  Verhältnis  verdient 
schon  deshalb  Beachtung,  weil  es  die  Hauptquelle  erschließt,  aus  der 
Lassalle  in  den  Jahren  des  Krimkrieges  jene  authentischen  Informationen 
schöpfte,  die  es  ihm  ermöglichten,  von  seiner  rheinischen  Provinzstadt 
aus  Karl  Marx  in  London  über  wichtige  Dinge  zu  unterrichten, i)  die 
sich  hinter  den  Kulissen  der  Diplomatie  vorbereiteten.  Von  dem  Gatten 
der  stattlichen  rmd  eleganten,  lebendigen  und  liebenswürdigen  jungen 
Frau,  die  Lassalle  seine  Düsseldorfer  Abgeschiedenheit  verschönte, 
schweigen  die  ungedruckten  ebenso  wie  gedruckten  Quellen,  die  vor- 
liegen. Ob  er  gestorben  war  oder  ob  sie  bloß  von  ihm  geschieden  oder 
getrennt  lebte,  wissen  wir  nicht.  Um  so  besser  sind  wir  über  ihren  Vater 
unterrichtet,  der  ihr  persönliches  Leben  selbst  dann  schicksalhaft  be- 
einflußt hat,  wenn  solche  Gerüchte  über  ihre  Beziehungen,  wie  Richard 
Wagner  2)  und  andere  sie  weiter  trugen,  nicht  der  Wahrheit  entsprachen. 
Es  ist  begreiflich,  daß  die  abenteuerliche  Gestalt  Georg  Klindworths 
Romanschriftsteller  gereizt  hat.  Er  wurde  um  das  Jahr  1802  in  Göttingen 
als  Sohn  eines  dortigen  Hofmechanikus  geboren  und  starb  Ende  der 
siebziger  oder  Anfang  der  achtziger  Jahre  bei  seiner  Tochter  in  Brüssel. 
Ob  er  Jura  oder  Philologie  studierte,  steht  nicht  fest;  vergebens  ver- 
suchte er,  sich  in  Heidelberg  zu  habihtieren.  Verfolgungen,  die  er  sich 
durch  Teilnahme  an  der  Burschenschaft  zuzog,  trieben  ihn  frühzeitig 
einem  unsteten  Wanderleben  zu.  Als  Lehrer,  Schauspieler,  Schmieren- 
direktor imd  Journalist  durchreiste  er  England  wie  den  Kontinent, 
l^lickte  in  die  mannigfaltigsten  Verhältnisse  hinein  und  knüpfte,  durch 
seine  faszinierende  Unterhaltungsgabe  und  sein  seltenes  Gedächtnis  ge- 
fördert, ausgebreitete  Verbindungen  an.  Diese  kamen  ihm  hernach  zugute, 
sie  machten  ihn  zu  einem  der  tätigsten  und  erfolgreichsten,  wenn  auch 
verrufensten  Geheimagenten,  die  in  der  Epoche  zwischen  1820  und  1875 
von  der  europäischen  Diplomatie  beschäftigt  wurden.  In  dem  Brief- 
wechsel zwischen  Lassalle  und  der  Gräfin  Hatzfeldt  heißt  er  immer  der 


1)  Vgl.  Bd.  III,  Nr.  30  und  32. 

2)  Richard  Wagner,  Mein  Leben,   1912,   Bd.  II,  S.  723^- 


■-=  17  — 

Staatsrat.  Diesen  Titel  hat  ihm  angeblich  Ivouis  Philipp  verliehen,  zu 
dessen  Regierungszeit  er  in  Paris  ein  glänzendes  Haus  ausgemacht 
haben  soll.  Möglich  ist  auch,  daß  er  ihn  vom  österreichischen,  württem- 
bergischen oder  braunschweigischen  Hofe  bekam,  für  die  alle  er  tätig 
gewesen  ist.  Eine  Spezialität  dieses  Kondottiere  der  Diplomatie  war  es, 
daß  er  sich  fast  nie  mit  einer  bestimmten  Regierung  identifizierte.  Mehr 
oder  weniger  stand  er  jedem  Hofe  zur  Verfügung,  der  seine  legendäre 
Geldgier  zu  befriedigen  bereit  war.  Es  gab  keine  Kanzlei  Europas,  deren 
Hintertür  sich  ihm  nicht  öffnete,  und  so  sehr  eine  jede  dem  vieux  coquin, 
wie  Thiers  ihn  nannte, i)  mißtraute,  so  genau  man  wußte,  wie  gern  er 
Doppelspionage  trieb,  weil  er  in  beiden  Lagern  verdienen  wollte,  für  so 
unersetzlich  hielt  man  ihn  namentlich  dort,  wo  es  mit  großer  Delika- 
tesse erste  Fäden  anzuspinnen  galt.  Klindworth  spielte  sich  besonders 
gern  als  den  letzten  Träger  Metternichscher  Erbweisheit  auf.  Wie 
Metternich  und  Gentz  bedienten  sich  seiner  Fürst  Wittgenstein  imd 
Ancillon,  Wilhelm  von  Württemberg  imd  Karl  von  Braunschweig, 
Guizot  und  Napoleon  III.,  Manteuffel  und  Zar  Nikolaus.  Erst  Bismarck 
hat  als  preußischer  Ministerpräsident  es  abgelehnt,  das  alte  Inventar- 
stück der  Kabinettsdiplomatie  der  Heiligen  Alliance  in  Nahrung  zu 
setzen.^) 

Wann  I^assalle  und  die  Gräfin  mit  dem  Staatsrat  imd  seiner  Tochter, 
die  ihm  bei  seinen  diplomatischen  Missionen  und  deren  journalistischer 
Förderung  eine  geschickte  Mitarbeiterin  war,  zuerst  bekannt  wurden, 
ließ  sich  nicht  mehr  genau  feststellen.  Vielleicht  geschah  es  im  Mai  1855, 
als  Agnes  Street  gemeinsam  mit  Franz  Liszt,  dessen  vertraute  Schülerin 
sie  kurz  vorher  in  Weimar  gewesen  war,  zum  rheinischen  Musikfest 
nach  Düsseldorf  kamen.  Ihren  Briefwechsel  mit  Liszt  hat  man  mit 
solcher  Diskretion  herausgegeben,  daß  nicht  viel  daraus  zu  erfahren 
war.  Diszt  rühmt  die  vornehme  und  zurückhaltende  Art  ihres  Auftretens, 
er  preist  den  Zauber  ihres  Geistes  und  möchte  sogar  in  ihr  ,, eingeborene 
Poesie"  entdecken.  Aber  die  Phantasie  des  großen  Frauenanbeters 
scheint  das  Bild  der  Schülerin  idealisiert  zu  haben.  Und  die  Gräfin 
Hatzfeldt  erwies  sich  wohl  als  die  bessere  Menschenkennerin,  wenn  sie 
nach  längerer  Bekanntschaft  mit  der  jungen  Diplomatin  feststellte, 
daß  diese  sich  in  ihren  Freundschaften  stark  von  ihrem  egoistischen 

1)  Denkwürdigkeiten  des  Für.sten  Chlodwig  zu  Hohenlohe-Schillingsfürst,  vStutt- 
gart  1906,   Bd.  II,  S.  168. 

2)  Einige  Hinweise  auf  gedruckte  Belege  über  Georg  Klindworth  und  seine 
Tätigkeit  verdanke  ich  den  Herrn  Professoren  Friedrich  Meinecke  und  Richard 
Sternfeld  in  Berlin.  Aus  Klindworths  Verwandtschaft  erteilten  mir  freundliche 
Auskunft  Frau  F.  F.  Klindworth  in  Hannover  und  Frau  Winfried  Wagner  in 
Haus  Wahnfried  (Baireuth).  Am  ausführlichsten  handelt  wohl  über  Klindworth 
Oskar  Meding,  Memoiren  zur  Zeitgeschichte,  Leipzig  1884,   Bd.  II  und  III. 


=^     l8  r= 

Interesse  leiten  ließ.  Lassalle  nannte  sie  noch  1860,  als  er  mit  ihr  in 
keiner  Verbindung  mehr  stand,  „sehr  liebenswürdig,  gebildet,  statt- 
lich, weich  und  nachgiebig".  Daß  diese  Erscheinung  aus  jener  großen 
Welt,  die  sich  ihm  verschloß,  damals  in  Düsseldorf  stark  auf  ihn 
wirkte  und  daß  ihre  lyiebenswürdigkeit  und  bewußte  Koketterie 
ihn  rasch  eroberte,  setzt  uns  nicht  in  Erstaunen.  Aber  auch  Agnes 
ließ  sich  nicht  lange  erfolglos  umwerben.  Bald  finden  wir  sie 
häufig  auf  Besuch  bei  den  neuen  Freunden,  die  sich  auch  ihrer  und 
ihres  Vaters  beständiger  Geldnot  hilfsbereit  annahmen.  Als  Sophie 
von  Hatzfeldt  im  Sommer  1856  zur  Kur  nach  Marienbad  reiste, 
leistete  Agnes  mit  ihrem  ältesten  Söhnchen  L/assalle  in  Düsseldorf 
Gesellschaft,  sie  begleitete  ihn  auch,  wenn  er  für  die  Fertigstellung  des 
Heraklit  in  Bonn  die  Universitätsbibliothek  in  Anspruch  nahm.  Sie 
schenkte  dann  L/assalle  ein  Töchterchen,  das  nach  ihm  den  Namen 
Fernande  erhielt.  Es  wurde  in  Brabant,  nicht  weit  von  Brüssel,  wo  die 
Mutter  ihren  ständigen  Wohnsitz  hatte,  aufgezogen,  starb  aber  schon 
1857.  I^i^  Briefe  Nr.  78  und  Nr.  79  zeigen,  wie  der  Vater  und  wie  die 
Gräfin  die  Nachricht  vom  Tode  des  Kindes  aufnahmen.  Die  Lockerung 
in  den  Beziehungen  zwischen  lyassalle  und  Agnes  Street,  die  in  den 
nächsten  Jahren  eintrat,  mochte  mit  seiner  Übersiedlung  nach  Berlin 
zusammenhängen.  Lina  Duncker  und  Hedwig  Dohm  tauchten  an  seinem 
Horizont  auf,  später  beschäftigten  ihn  Sophie  Sontzoff  und  Minna  Lilien- 
thal.  Agnes  lebte  weiter  mit  ihren  Eltern  in  Brüssel;  Richard  Wagner 
kam  von  Paris  aus,  von  Liszt  empfohlen,  zu  ihr,  und  sie  setzte  sich  eifrig 
für  dessen  ,, Zukunftsmusik"  ein.  Als  Lassalle  später  sich  ihrer  wieder 
erinnerte,  mußte  er  sich  erst  durch  Hans  von  Bülow  ihre  Adresse  ver- 
schaffen. Auf  der  Rückreise  von  Ostende  besuchte  er  1862  ,,die  schöne 
Agnese",  wie  er  sie  in  Briefen  anredete,  und  blieb  von  nun  ab  bis  zu 
seinem  Tode  mit  ihr  in  freundschaftlichem  Verkehr.  Melancholisch 
schrieb  er  ihr  im  Herbst  1863  aus  Elberfeld,  nachdem  er  dort  vor  den 
Arbeitern  gesprochen  hatte:  ,,Es  war  viel  schöner,  als  wir  damals  in 
Düsseldorf  lebten."^) 

VII. 

Lassalle  hatte  der  Gräfin  einst  sein  Ehrenwort  verpfändet,  daß  er 
nicht  ruhen  werde,  bis  er  ihr  zu  ihrem  Recht  verholfen  habe.  Und  wirk- 
lich hatte  er  alle  eigenen  Interessen  zurückgestellt,  bis  dies  Wort  ein- 

^)  Gustav  Mayer,  Lassalleana  Grünbergs  Archiv,  Bd.  I,  191 1.  Damals  kannte 
der  Herausgeber  noch  nicht  den  vollen  Namen  der  Adressatin.  Nach  dem 
Tode  ihres  Vaters  war  Agnes  in  Paris  Hofdame  bei  der  Königin  Christine  von 
Spanien.  Hans  von  Bülow,  dem  sie  sympathisch  war,  besuchte  sie  dort  noch 
Mitte  der  achtziger  Jahre  (Mitteilung  von  Frau  Marie  von  Bülow  in  Berlin). 


—  =  19  —  = 

gelöst  war.  Als  er  aber  nun  an  dem  Ziele  stand,  das  so  lange  alle  seine 
Kräfte  in  Anspruch  genommen  hatte,  da  verlangten,  wie  es  anders 
nicht  möglich  war,  seine  so  lange  zurückgehaltenen  eigenen  Interessen 
freie  Bahn.  Und  sein  hohes  Selbstbewußtsein  wollte  sich  dafür  entschädi- 
gen, daß  die  Welt  Jahre  hindurch  sein  Streben  mißdeutet,  seine  Gaben 
unterschätzt,  ihn  bloß  als  den  zweifelhaften  Helden  eines  Sensations- 
prozesses rubriziert  hatte.  Er  fühlte,  daß  ungewöhnliche  Kräfte  in  ihm 
lebten.  Doch  so  sehr  seine  Stirne  nach  Lorbeeren  brannte,  der  ,, wahre 
Ritter  aus  Genieland",  der  in  ihm  steckte,  begehrte  nicht  wie  sein 
lyieblingsdichter  Platen  für  künftige  Leistungen  im  voraus  Kredit.  Um 
politisch  hervorzutreten  war  die  Stunde  nicht  geeignet.  Schwer  lastete 
nochimmerdie  Reaktionszeit  auf  demdeutschen  Lande.  So  warf  Lassalle 
sich  denn  mit  Feuereifer  auf  sein  großes  Werk  über  Heraklit,  das  er  vor 
acht  Jahren,  als  er  der  Gräfin  begegnete,  zu  dreiviertel  vollendet  hatte 
liegen  lassen.  Von  dem  Wert  und  der  Bedeutung  der  Wissenschaft  lebte 
in  ihm  eine  hohe  Meinung;  in  ihrer  Welt  fühlte  er  sich  heimisch,  der 
Heraklit  sollte  hier  das  vollständige  Bürgerrecht  ihm  erkämpfen,  An- 
erkennung, womöglich  Bewunderung  für  ihn  ernten.  Noch  höhere 
Bastionen  des  Ruhmes  gedachte  er  hernach  zu  stürmen,  wenn  einst  die 
neue  Volksbewegung  käme,  nach  der  seine  Seele  unruhvoll  spähte,  wenn 
die  revolutionären  Kräfte  sich  im  deutschen  Volke  wiederum  regen 
würden. 

Solange  Sorge  und  Hoffnung  sie  einen  Tag  wie  den  anderen  gemein- 
sam in  Atem  hielten,  geboten  die  Umstände  Lassalle  und  der  Gräfin, 
zusammenzuleben;  eine  Änderung  dieses  Zustandes  konnte  keiner 
von  ihnen  in  Erwägung  ziehen.  Jetzt  war  das  etwas  anders  geworden. 
Das  seelische  Leid,  das  sie  ausgestanden  hatte,  und  das  körperliche 
Beschwerden  vermehrten,  lastete  nach  errungenem  Siege  mit  ver- 
stärkter Gewalt  auf  der  fünfzigjährigen  Frau.  Sie  blickte  jetzt  öfter 
mit  geheimer  Angst  auf  den  so  viel  jüngeren  Weggenossen,  der  nun 
gleich  einem  lange  im  Käfig  gehaltenen  Adler  voller  Ungeduld  mit  den 
Fittichen  um  sich  schlug,  die  Stunde  herbeisehnend,  wo  er  in  die  höchste 
Luft  des  Ruhmes  aufsteigen  könnte.  Sophie  vonHatzfeldt  empfand,  daß 
ihre  Schwingen  gebrochen  waren,  sie  verlangte  es  nach  Frieden,  sie 
verabscheute  künftige  Konflikte,  und  sie  war  sich  bewußt,  daß  sie  mit 
dem  Freunde,  wenn  er  sich  erst  in  Bewegung  setzte,  schwerlich  werde 
Schritt  halten  können,  i)  Düsseldorf  hatte  nun  ihnen  beiden  nichts  mehr 
zu  bieten,  nichts  hielt  sie  ferner  an  dem  Schauplatz  ihrer  vielen  Prozesse. 
Wie  Lassalle  zog  es  auch  die  Gräfin  nach  Berlin.  Ihr  lebten  dort  das 
einzige  Kind,  mit  dem  ihr  Fühlung  verblieben  war,  und  die  einzige 


^)   Vgl.  unten  Nr.  9  bis  1  1 . 

Mayer,  I.assalle-N.ichlass.     IV  III 


=^    20  

Schwester,  mit  der  sie  sich  verbunden  fühlte.  Lassalle  verlangte  es  nach 
der  Hauptstadt  des  wissenschaftlichen  Deutschlands.  Aber  die  Aussicht, 
daßsie  beide  gleichzeitig  sich  hier  das  Aufenthaltsrecht  erwirken  könnten, 
war  gering.  Zu  frisch  noch  war  die  Erinnerung  an  die  Prozesse,  die  ihre 
Namen  in  Verbmdung  gebracht  hatte,  und  zu  verzerrt  das  Urteil  der 
Öffentlichkeit,  der  für  das  Singulare  das  Organ  ermangelt. 

Nun  hatte  zwar  in  der  Tiefe  ihrer  Wesen  das  Ende  der  langen  Kämpfe 
an  den  gegenseitigen  Gesinnungen  des  Freundespaares  nichts  gewandelt; 
was  sie  einte,  empfanden  beide  als  endgültig,  als  unlöslich;  keiner  von 
ihnen  vermochte  mehr  den  anderen  aus  seinem  Leben  herauszudenken, 
keiner  wünschte  ihn  mehr  heraus.  Weil  sich  aber  ein  jeder  von  nun  an 
eigene  Zukunftsbilder  malte,  die  nicht  ausschließlich  und  mit  Notwendig- 
keit um  den  anderen  kreisten,  so  lastete  jetzt  auf  ihnen  beiden  stärker 
als  zuvor  die  große  Stille,  die  sie  in  Düsseldorf  umgab,  die  völlige 
Ausschließlichkeit,  die  sie  aufeinander  hinwies,  die  zu  enge  Haus- 
gemeinschaft, die  ihre  praktische  Daseinsberechtigung  verloren  hatte. 
Der  Briefwechsel  aus  dieser  Zeit  läßt  erkennen,  in  wie  hohem  Maße 
die  Kämpfe  der  vorangehenden  Jahre  der  Gräfin  die  Nerven  zermürbt, 
die  Elastizität  beeinträchtigt,  die  Seele  mit  Schwermut  und  Reizbarkeit 
gefüllt  hatten,  während  gleichzeitig  ungestillter  Tatendrang  und  heißer 
Durst  nach  Anerkennung  den  mit  den  empfindlichen  Nerven  seiner 
Rasse  belasteten  Dassalle  zur  äußersten  leid  vollen  Unruhe  forttrieben. 
Er,  der  sich  rühmte,  daß  er  den  ,, Trotz  seines  Körpers"  gebrochen  und 
seine  ganze  Leiblichkeit  zum  Diener  seines  Willens  gemacht  habe,  ließ 
sich  jetzt  öfter  als  früher  zu  Jähzorn  fortreißen ;  dann  verlor  er  die  Herr- 
schaft über  sich,  und  aus  kleinem  Anlaß  konnte  er  dann  die  Freundin 
verletzen.  Doch  nicht  weniger  quälte  sie  ihn  durch  die  schweren  Ver- 
stimmungen, unter  denen  sie  litt,  und  die  aufzuhellen  dem  ganzen  Auf- 
gebot seiner  liebevollen  Kraft  nicht  immer  gelang.  Ihr  Zusammen- 
leben gestaltete  sich  dadurch  unerquicklicher,  es  trieb  einer  Krisis  zu. 
Am  Ende  begriff  Lassalle,  daß  ihr  zu  enges  Beieinanderleben  einer  zeit- 
weiligen Unterbrechung  bedurfte,  sollte  ihr  Seelenbündnis,  das  die  harte 
Not  langer  Kämpfe  festgehämmert  hatte,  vor  Schädigung  bewahrt 
bleiben.  Aber  noch  lange  schwankte  er,  bis  er  seinem  Schwager  Fried- 
land, der  ihn  drängte,  zusagte,  ihn  auf  einer  orientalischen  Reise  zu 
begleiten.  Den  Entschluß  faßte  er  erst,  als  sich  ein  Aufenthalt,  den 
er  mit  der  Freundin  in  Vevey  nahm,  so  unerquicklich  gestaltete, 
daß  er  in  Unfrieden  abreiste.  Er  kam  nach  Prag,  wo  seine  Eltern  weilten, 
traf  den  Schwager  im  Begriff,  die  Fahrt  anzutreten,  und  schloß  sich  ihm  an. 

Dreieinhalb  Monate  dauerte  diese  Trennung  zwischen  Lassalle  und 
der  Gräfin.  Die  Briefe,  die  sie  miteinander  wechselten,  während  Länder 
und  Meer  zwischen  ihnen  lagen,  bezeugen  in  ergreifender  Weise,   wie 


21 


unlöslich  hier  zwei  Menschen  verschiedener  Herkunft  und  verschiedenen 
Alters  in  den  Tiefen  ihrer  Naturen  zusammengewachsen  waren.  Ihre 
schriftliche  Aussprache  greift  vielfach  in  die  letzte  Vergangenheit 
zurück  und  läßt  den  I^eser  unmittelbar  nachfühlen,  wie  sie  einander  ge- 
quält, wie  herb  ein  jeder  unter  dem  Nervenzustand  des  anderen  ge- 
litten haben  mußte.  Indem  er  sich  auf  länger  entfernte,  wollte  I.assalle 
auch  vSophie  von  Hatzfeldt  das  Feld  freigeben,  damit  sie  ihr  künftiges 
lyeben  in  die  Gestalt  brächte,  die  ihren  innersten  Wünschen  am  besten 
entspräche.  Sie  sollte  unbeeinflußt  von  ihm  sich  entscheiden;  zeigte  es 
sich  ihr,  wie  er  hoffte,  daß  er  ihr  eigentlichster  Weggenosse  sei  und 
bleibe,  so  würde,  wenn  er  zurückkehrte,  auch  ,, einer  des  anderen  wieder 
froh  werden".  Die  hochgeborene  Verwandtschaft  der  Gräfin  betrachtete 
den  Juden  und  roten  Revolutionär,  der  seinerseits,  wie  sie  richtig 
empfand,  mit  souveränem  Blick  auf  sie  herabsah,  mit  scheelem  Auge. 
Die  arme  Gräfin  aber  fühlte,  seit  sie  jenen  Vertrag  geschlossen  hatte, 
der  ihr  die  Freiheit  der  Bewegung  zurückgab,  das  Bedürfnis,  wenn  auch 
nicht  in  die  Welt  zurückzukehren,  aus  der  Ivassalles  geistiger  Einfluß 
sie  einst  gelöst  hatte,  so  doch  in  dieser  Welt  die  geringen  Beziehungen, 
die  ihr  geblieben  waren,  wieder  fester  zu  knüpfen.  So  wenig  wie  ihr 
selbst  blieb  es  Lassalle  verborgen,  daß  ein  zu  enges  Zusammenleben 
zwischen  ihnen  dabei  hinderlich  war.  ,,Sie  wünschten  die  Trennung  von 
mir.  Sie  hatten  mir  das  so  oft,  so  oft  versichert,  von  den  meinigen  diver- 
gierende Gesichtspunkte,  die  Sie  zu  beherrschen  schienen,  gaben  diesen 
wiederholten  Versicherungen  einen  solchen  Anschein  von  Plausibilität, 
daß  ich  denselben  endlich  meinen  Glauben  nicht  länger  versagen  konnte." 
So  schrieb  er  ihr  von  Konstantinopel  aus.  ,,Alle  Pläne,  Projekte  und 
Entwürfe,  die  Sie  selbst  in  der  ruhigsten  Stimmung  machten,  waren 
immer  derart,  daß  ich  keine  Stelle  in  denselben  fand,  daß  ich  mehr  oder 
weniger  dadurch  ausgeschlossen  war,  daß  ich  Ihnen  nur  ein  Hindernis 
in  der  Erreichung  derselben  bildete.  Das  hat  mir  oft  sehr,  sehr  weh 
getan.  Sie  waren  und  sind  immer  die  Erste  in  meinem  Herzen.  Ich  war 
nur  noch,  mindestens  mußte  es  so  scheinen,  ein  Stein  des  Anstoßes  für 
Sie."  Aus  der  Antwort  der  Freundin,  die  wahres  mütterliches  Gefühl 
für  ihn  verriet,  durfte  er  die  Beruhigung  schöpfen,  daß  sie  so  wenig 
wie  er  daran  denken  konnte,  ein  Bündnis  aufzugeben,  das  ihr  wie  ihm 
Ivcbensbedürfnis  geworden  war,  und  daß,  wie  sie  sich  ausdrückte,  , .Miß- 
stimmungen und  Reibimgen  wohl  die  Oberfläche  trüben,  aber  niemals 
den  Kern  desselben  auch  nur  berühren  können". 

Und  dennoch  führte  die  Erprobimg  ihrer  Freundschaft,  die  diese 
Reise  bedeuten  sollte,  nicht  in  vollem  Umfange  zu  jenem  Ergebnis,  das 
lyassalle  sich  von  ihr  versprochen  hatte.  Das  Wesentliche  war  erreicht: 
sie  wußten  jetzt,  daß  selbst  Mißstimmungen  und  Reibungen  der  Substanz 


—     22  = 

ihrer  Freundschaft  nichts  anhaben  konnten.  Doch  die  Hauptursache, 
die  in  der  letzten  Zeit  alle  Konflikte  zwischen  ihnen  gehabt  hatten, 
blieb  bestehen.  Sie  lag,  wie  wir  sahen,  darin,  daß  Sophie  von  Hatz- 
feldt  zwar  mit  ihren  Gesinnungen  und  Überzeugungen  über  den  Stand, 
aus  dem  sie  kam,  hinausgewachsen  war,  daß  aber  ihr  Herz  an  Menschen 
hing,  die  diesem  Stande  angehörten  und  in  seinen  Wertungen  befangen 
waren.  Oftmals  noch  hat  sie  den  Fretmd  beschwören  müssen,  ihr  Mutter- 
herz auf  keine  zu  harte  Probe  zu  stellen,  auf  ihre  Schwächen  Rücksicht 
zu  nehmen,  seinen  ,, weißen  Neger  etwas  zu  schonen",  sie  nicht  in 
Konflikte  hineinzutreiben,  an  denen  ihre  Seele  verbluten  müßte.  Daß 
die  Verwandten  nicht  hinreichend  begriffen,  was  der  Freund  ihr  bedeutete, 
daß  wiederum  dieser  vor  den  persönlichen  vmd  politischen  Gegnern,  die 
jene  für  ihn  waren,  sich  nicht  zurückgesetzt  sehen  wollte,  schuf  immer 
wieder  Anlässe  zu  heftigen  Zusammenstößen.  Von  Spannimgen,  die 
aus  solcher  Quelle  kamen,  enthält  der  Briefwechsel  reiche  Spuren.  Sie 
belasteten  ihr  Bündnis,  aber  zu  sprengen  vermochten  sie  es  nicht. 

VIII. 

Die  Hausgemeinschaft,  die  sie  in  Düsseldorf  so  lange  Jahre  geführt 
hatten,  nahm  ein  Ende,  als  Ivassalle  im  Frühling  1857  nach  Berlin 
übersiedelte,  während  die  Gräfin,  wenn  sie  auch  häufig  dort  zu  Besuch 
weilte,  zunächst  noch  am  Rhein  wohnen  bleiben  mußte.  Die  Briefe,  die 
damals  zwischen  ihnen  hin  und  her  gingen,  spiegeln  den  Wunsch 
des  Freundespaares,  vmbehelligt  von  den  Behörden  und  ohne  da- 
durch einen  Bruch  zwischen  der  Gräfin  und  ihren  Verwandten  zu 
provozieren,  in  der  Hauptstadt  gleichzeitig  leben  zu  dürfen.  Ivassalle 
verwandte  die  ersten  Monate,  die  er  mit  seiner  noch  unsicheren  und  be- 
schränkten Aufenthaltserlaubnis  dort  zubrachte,  auf  die  Drucklegung 
des  Heraklit.  Mit  dem  Wtmsch,  daß  endlich  sein  eigenes  ,, verschlossenes 
Ivicht  der  Welt  aufgehe",  verband  er  —  wir  möchten  es  ihm  glauben  — 
gleich  stark  den  anderen,  der  Freundin,  die  sich  sehr  vereinsamt 
fühlte,  einen  neuen  Kreis  von  Menschen  und  menschlichen  Bezie- 
hungen aufzubauen,  dessen  größere  geistige  Beweglichkeit  und  Freiheit 
ihr  überreichen  Ersatz  böte  für  jene  hochgeborenen  Kreise,  die  sich 
einer  Frau  von  ihrer  Vergangenheit  vorurteilsvoll  verschlossen.  Man 
weiß,  wie  glänzende  Namen  zu  der  Gesellschaft  gehörten,  die  Lassalle 
in  seiner  Berliner  Behausimg  bald  um  sich  zu  versammeln  wußte.  Auch 
die  Gräfin  nahm  schon,  bevor  tmd  erst  recht  nachdem  sie  sich  1859  end- 
gültig in  Berhn  eingerichtet  hatte,  regen  Anteil  an  diesem  Verkehr.  Doch 
sie  schloß  hier  höchstens  Bekanntschaften,  keine  Freundschaften. 
Auch  bei  I^assalle  verstärkte  sich  inmitten  der  mannigfaltigen  Bezie- 


—  ==    23    ^  = 

hungen,  die  er  nun  unterhielt  und  an  denen  auch  wertvolle  Frauen,  wie 
Lina  Duncker  und  Hedwig  Dohni  beteiligt  waren,  die  Erkenntnis, 
daß  für  tiefere  gefühlsmäßige  Beziehungen  zu  anderen  Personen  neben 
allem,  was  er  für  die  alte  Gefährtin  empfand  und  mit  ihr  teilte,  in  seiner 
Seele  nur  wenig  Raum  übrig  war. 

Ob  Liebe  oder  Freundschaft  ihm  als  die  höhere  Form  menschlichen 
Zusammengehörigkeitsgefühls  gilt,  das  wird  in  der  Regel  bei  dem 
Einzelnen  durch  das  bestimmt,  was  er  selbst  erfahren  hat.  Die  paar 
studentischen  Liebesabenteuer,  die  Lassalle  erlebt  hatte,  bevor  er  der 
künftigen  Freundin  begegnete,  hatten  nur  seine  Sinne,  nicht  seine  Seele, 
mehr  seine  Eitelkeit  als  sein  Herz  beschäftigt.  Was  an  Gefühlen  der 
Hingabe  mid  der  Sympathie,  der  Aufopferungsfähigkeit  und  Zärtlich- 
keit in  ihm  vorhanden  war,  das  schloß  sich  erst  auf,  als  er  alles,  was  er 
war  und  wollte,  an  Sophie  von  Hatzfeldt  auslieferte.  Wir  wissen  nur 
aus  jenem  Briefe,  der  schon  erwähnt  wurde,  daß  Lassalle  die  Freundin 
in  der  ersten  Frühzeit  ihrer  Beziehungen  leidenschaftlich  geliebt  haben 
will  und  daß  er  diese  Liebe  als  die  einzige  große  Liebe  hinstellte,  die 
ihm  in  seinem  Leben  beschert  gewesen  sei.  Es  wäre  psychologisch  reiz- 
voll, diesen  Brief  ^)  zu  analysieren  und  die  Frage  hin  und  her  zu  wenden, 
ob  hier  jedes  Wort  sein  Vollgewicht  hat,  und  wenn  man  das  bejahte, 
welche  weiter  tragenden  Schlüsse  daraus  zu  ziehen  wären.  Auf  alle 
Fälle  müßte  Lassalle  der  Zukunftslosigkeit  dieser  Leidenschaft  sich 
schnell  bewußt  geworden  sein  und  sie  dann  mit  der  ungewöhnlichen 
Willensstärke,  die  ihm  eignete,  niedergekämpft  haben.  Man  hat  öfter 
behauptet,  daß  zu  den  großen,  auf  Ausschließlichkcit  aufgebauten 
Freimdschaften  zwischen  Menschen  verschiedenen  Geschlechts  nur  der 
Passionsweg  unerwiderter  Liebe  hinführe.  Sollte  auch  für  Lassalles  fast 
märchenhaftes  Festhalten  an  Sophie  von  Hatzfeldt  darin  der  eigent- 
liche Schlüssel  zu  finden  sein?  Der  Herausgeber  eines  Briefwechsels 
überschritte  seine  Befugnisse,  wollte  er  im  voraus  eigene  Hypothesen 
dem  Leser  dort  aufdrängen,  wo  er  quellenmäßige  Belege  nicht  bei- 
zubringen vermag.  Soviel  jedenfalls  steht  fest,  daß  Lassalle,  wo  immer 
er  davon  spricht,  die  Freundschaft  hoch  über  die  Liebe  stellte.  Daß 
die  Gräfin  nach  allem,  was  sie  erlebt  hatte,  darin  mit  ihm  eines  Sinnes 
war,  ist  leicht  zu  verstehen.^) 

So  sehr  diese  Einführimg  der  Versuchung  aus  dem  Wege  geht,  aus 
dem  Briefwechsel,  der  hier  veröffentlicht  wird,  einzelne  Stellen  im 
voraus  anzuführen,  so  wird  es  sich  jetzt,  wo  wir  uns  einer  entscheidenden 
Wendung  in  der  Geschichte  dieser  Freundschaft  nähern,  nicht  ver- 
meiden lassen,  einige  Äußerungen  Lassalles  heranzuholen,  die  in  Konflikte 

^)  Siehe  unten  S.  276. 

^)  Siehe  unten  Nr.  29,  S.  99. 


=  24  —  ^= 

bergende  Tiefen  seines  seelischen  Lebens  hineinleuchten,  die  bisher  ver- 
hüllt geblieben  waren.  Wir  wissen,  daß  über  der  Freundschaft  dieser 
beiden  starken  Seelen  kein  südlich  blauer  Himmel  lachte,  sondern  daß 
sie  eher  an  imsere  nördlichen  Meere  erinnert,  über  denen  die  Wolken 
und  in  denen  die  Wellen,  die  dennoch  stets  dem  gleichen  Ufer  zufließen, 
von  vielen  starken  Stürmen  gepeitscht  werden.  Selbst  in  den  Stunden, 
in  denen  Lassalle  der  Freundin  zürnte,  ja  sogar  wenn  sein  Selbstgefühl 
ihm  zusetzte,  daß  er  die  mächtigen  Ketten,  mit  denen  er  an  ihr  hing, 
zerreisse :  niemals  scheute  er  ihr  zu  bekennen,  daß  sie  sein  ganzes  indivi- 
duelles, alles  reale  persönliche  Glück,  dessen  er  fähig  sei,  ausmache, 
daß  allein  sie  unter  allen  Menschen  ihn  ganz  kenne  und  verstehe,  daß 
er  sich  selbst  absterben  würde,  wenn  er  sie  verlöre  oder  auf  sie  ver- 
zichten müßte.  Er  war  sich  klar,  daß  die  Wurzeln  seiner  Freundschaft 
für  die  Gräfin  in  jene  Tiefen  seines  Wesens  hinabreichten,  wo  sonst  allein 
die  großen  objektiven  Ziele,  für  die  er  lebte,  ihren  stolzen  Wohnsitz 
hatten.  Und  er  fühlte  auch,  daß  niemals  eine  andere  Frau,  die  ihm  be- 
gegnen könnte,  je  so  mit  seinem  Ich  verwachsen  würde  wie  die  alte  Ge- 
fährtin, in  der  sich  ihm  die  eigene  Jugend  verkörperte.  Aber  gerade 
weil  er  diese  Schicksalsgemeinschaft  als  eine  endgültige  empfand, 
quälte  ihn  das  Gefühl  und  hörte  nicht  auf,  ihn  zu  peinigen,  daß  er  der 
Fretmdin  nicht  ganz  so  viel,  nicht  so  Ausschließliches  bedeute  wie  sie 
ihm.  Wohl  war  er  ein  Mann  des  stärksten  Willens,  ein  Mann,  dem  Kämpfen 
Leben  bedeutete,  dennoch  gestand  er  sich,  daß  auch  er  eines  Menschen 
bedürfe,  der  ganz  für  ihn  lebe  imd  dessen  Liebe  er  mit  niemandem 
zu  teilen  hätte.  Nur  wer  dies  weiß,  begreift,  weshalb  er  auf  den  Sohn 
der  Gräfin  in  solchem  Maße  eifersüchtig  war,  obgleich  er  sich  doch 
selbst  sagte,  daß  der  kühle  junge  Diplomat  an  die  Mutter  nicht 
entfernt  so  hohe  Ansprüche  stellte  wie  er  an  die  Freundin.  Ende  1858 
waren  die  Dinge  zwischen  ihm  und  der  Gräfin  einem  Bruche  nahe. 
Damals  schrieb  er  ihr:  ,,Ich  gebe  Sie  auf.  Sehen  Sie  zu,  ob  Paul  Ihnen 
diesen  Verlust  ersetzen  wird.  Ich  trete  zu  Ihnen  in  die  Position  eines 
sogenannten  guten  Freundes,  dessen  Glück  mir  lieb,  dessen  Unglück 
mir  leid  ist,  dessen  Geschick  mich  aber  nicht  ausfüllen  kann.  Soll  man 
seinen  ganzen  Menschen  hingeben,  so  muß  man  ebenso  einen  ganzen 
Menschen  dafür  zurückerhalten  ..."  Der  Konflikt  wurde  beigelegt  wie 
so  mancher  frühere,  doch  der  seelische  Zustand,  der  ihm  zugrunde 
lag,  blieb  weiter  wirksam. 

Das  Verlangen,  einen  Menschen  zu  besitzen,  der  nur  ihm  lebte, 
dem  er  alle  Trophäen,  die  er  im  Kampf  erbeutete,  zu  Füßen  legte,  in 
dessen  Besitz  er  sich  vom  Kampfe  ausruhte  und  für  neue  Kämpfe 
stärkte,  verließ  lyassalle  von  nun  ab  nicht  mehr.  Dabei  erkannte  er 
nicht  klar  genug,  daß  die  Freundin  sich  in  einer  Lage  befand,  die  der 


25  ^ ^-  = 

seinen  etwas  ähnelte.  vSie  hatte  sich  aus  älteren  Zeiten  nur  wenige 
menschliche  Beziehungen  bewahrt  und  in  späteren  Jahren  nicht  viele 
neue,  auf  die  sie  Wert  legte,  angeknüpft.  An  diesen  hielt  sie  um  so  zäher 
fest,  als  sie  damit  rechnete,  daß  Lassalle  heiraten  könnte  und  dann, 
wenn  auch  keine  Erkaltung,  so  doch  eine  Einschränkung  ihrer  ganz, 
intimen  Beziehmigen  eintreten  werde,  die  für  sie  die  größte  Verein- 
samung bedeuten  müßte. 

Die  Singularität  dieser  Freundschaft  stellte  also,  wie  sie  geworden 
war,  Ansprüche,  die  anderen  natürlichen  menschlichen  Beziehungen 
leicht  im  Wege  sein  mußten.  So  konnte  es  nicht  ausbleiben,  daß 
tragische  Verwicklungen  entstanden. 

IX. 

Im  Sommer  1861  reiste  das  P'reundespaar  nach  der  vSchweiz  und 
von  hier  nach  Itahen.  Lassalle  erfüllte  die  Hoffnung,  die  itaÜenische 
Freiheitsbewegung  werde  zu  einer  europäischen  werden  und  auch  nörd- 
lich der  Alpen  revolutionäre  Formen  annehmen.  Im  Hinblick  auf  diese 
Möglichkeit  wollte  er  mit  den  führenden  Männern  des  Risorgimento 
Verbindmagen  anknüpfen.  Dazu  konnte  ihm  kaum  jemand  behilflicher 
sein  als  Wilhelm  Rüstow,  mit  dem  er  jetzt  auf  der  Durchreise  in  Zürich 
Freimdschaft  schloß.  Dieser  einstige  preußische  Artillerieoffizier  hatte 
sich  1848  der  Revolution  angeschlossen  mid  büßte  nun  dafür  sein  Leben 
hindurch  als  Flüchtling,  der  Frau  und  Kinder  mit  dem  Ertrag  seiner 
Feder  mühsam  ernähren  mußte.  Seine  literarische  Tätigkeit  hatte  ihm 
den  Ruf  eines  bedeutenden  Mihtärschriftstellers  eingetragen,  aber  seine 
Soldatennatur  drängte  es  nach  aktiverer  Betätigmig.  Diese  fand  er,  wenn 
auch  nur  für  kurze  Zeit,  als  er  1860  Garibaldi  ein  deutsches  Freiwilligen- 
korps zuführte.  Er  stand  dem  italienischen  Volkshelden  als  Chef  seines 
Generalstabs  bei  dessen  berühmten  Zuge  nach  Sizilien  zur  Seite  und 
erntete  hierbei  wohlverdiente  Lorbeeren.  Ungern  war  er  danach  in  die 
kleinbürgerliche  Enge  seiner  Züricher  Existenz  zurückgekehrt  und 
ertrug  hier  nur  schweren  Herzens  seine  schale  Ehe  und  ständige  Geld- 
sorgen. Tag  und  Nacht  sann  er  über  nichts  anderes,  als  wie  es  sich  an- 
stellen ließe,  um  die  revolutionäre  Bewegung  wieder  zu  erwecken,  die 
von  Italien  ihren  Ausgang  nehmen,  ganz  Europa  ergreifen  und  rhm 
selbst  eine  führende  militärische  Rolle  zuweisen  sollte.  Er  zögerte 
keinen  Augenbhck,  als  jetzt  Lassalle  und  die  Gräfin,  die  seine  Auf- 
fassung der  politischen  Lage  wie  seine  Hoffnungen  teilten,  ihm  den  Vor- 
schlag machten,  mit  ihnen  nach  Italien  zu  gehen. 

Auf  dieser  Reise  hat  Rüstow  sich  mit  leidenschaftlichen  Gefühlen, 
die  er  seinen  Gefährten  nicht  verbarg,  der  Gräfin  Hatzfeldt  angeschlossen. 


Auf  die  ältere  Frau,  die  sich  vor  Vereinsamung  bangte,  mußte  es  einen 
beträchtlichen  Eindruck  machen,  als  der  vierzigjährige  Mann,  der  wohl 
verbittert,  aber  doch  eine  starke  und  lebensvolle  Persönlichkeit  war,  in 
stürmischer  Hingebung  um  sie  warb.  Sie  sagte  sich,  daß  sie  Lassalle 
als  ständigen  Gesellschafter  nicht  allein  verlöre,  wenn  er  heiratete ;  sie 
verlor  ihn  vielleicht  ebenso  sehr,  wenn  sich  ihm  sein  größerer  glühenderer 
Wunsch  erfüllte,  wenn  die  Dinge  in  Preußen  sich  zuspitzten  xmd  ihn  zu 
wahrhaft  geschichtlichem  Wirken  aufriefen.  Sie  dachte  nicht  daran, 
auf  Ivassalles  Freimdschaf  t  zu  verzichten ;  doch  sie  erwies  sich  auch  nicht 
abgeneigt,  mit  Rüstow  in  eine  nähere  Verbindung  zu  treten.  Was 
Lassalle  in  der  Lage,  in  die  er  dadurch  kam,  empfand,  wollte  er  sich 
anfänghch  nicht  anmerken  lassen.  Er  wünschte  nicht,  daß  seine  junge 
Fremidschaft  zu  Rüstow  dadurch  eine  Trübung  erführe,  und  auch  der 
alten  Freundin  gönnte  er  ein  Erlebnis,  das  ihren  Lebensmut  zu  erhöhen 
geeignet  war.  Dennoch  war  es  allzu  menschlich,  daß  er  sich  ihr  gegen- 
über unter  solchen  Umständen  noch  reizbarer  zeigte,  als  er  es  sonst  wohl 
gewesen  war.  Als  sie  wieder  in  Genua  weilten,  überkam  ihn  die  Empfin- 
dimg, ob  zu  Recht  oder  zu  Unrecht  vermögen  wir  nicht  zu  sagen, 
daß  die  Gräfin  ihn  ,, unverantwortlich"  behandle.  Wo  sein  vSelbstgefühl 
verwmidet  war,  vermochte  er  selbst  das  Härteste  auf  sich  zu  nehmen. 
Und  so  furchtbar  schwer  es  ihm  wurde,  wie  er  selbst  hernach  gestand, 
er  vollzog  jetzt  den  Riß,  mit  dem  er  der  Freundin  früher  öfters  gedroht 
hatte.  Ein  Einsamer,  der  unter  seiner  Einsamkeit  aufs  schwerste  litt, 
kehrte  er  von  Zürich,  wo  sie  Abschied  nahmen,  nach  Berlin  zurück.^) 
Es  war  vereinbart  worden,  daß  von  dem,  was  sich  zwischen  ihnen 
verändert  hatte,  die  anderen  Menschen  nicht  zu  viel  merken  sollten. 
Man  gedachte  auch  nicht,  jeden  Briefwechsel  einzustellen ;  für  wichtige 
Geschäfte  und  sachliche  Dienste  wünschte  Lassalle  der  Gräfin  weiterhin 
zur  Verfügung  zu  sein.  Doch  darauf  drängte  er,  daß  sie  sich  hinfort  so 
wenig  wie  möglich  in  Berlin  aufhielte.  Soweit  es  anginge,  wollte  sie  ihm 
hierin  entgegenkommen.  Sie  weilte  so  in  den  nächsten  Monaten,  stets  in 
Rüstows  Gesellschaft,  in  deutschen  Badeorten  oder  auch  am  Züricher 
See,  während  Lassalle  wunden  Herzens  und  verbitterten  Sinns  in 
Berhn  jene  Reden  hielt  und  jene  Broschüren  schrieb,  die  seine  Aktion 
vorbereiteten.  So  ging  es  durch  den  Frühling  und  Sommer  1862  bis  zu 
seiner  Rückkehr  aus  London.  Hier  hatte  er  sich  innerlich  endgültig 
von  Karl  Marx  abgewandt.  Nun  verlangte  es  ihn  um  so  mehr  nach 
einer  Aussprache  mit  der  Gräfin  und  mit  Rüstow.  Sie  luden  ihn 
dringend  nach  Wildbad  ein;  er  kam  und  man  vertrug  sich.  Ende 
Oktoberstarbdann  Lassalles  Vater,  der  einzige  Mensch  außer  der  Gräfin, 


1)   Vgl.  unten  S.  320  seinen  Brief  an  die  Gräfin  vom  8.  Januar  1863. 


—  =    27  = 

all  dem  er,  wie  er  ihr  oftmals  gestanden  hatte,  mit  elementarer  lyiebe 
hing.  Der  Verlust  wühlte  sein  Innerstes  auf.  Die  Aufgaben  türmten 
sich  eben  vor  ihm:  in  dem  preußischen  Verfassungskonflikt  hatte  er 
seine  Stimme  erhoben,  er  mußte  sich  der  schweren  Anklage  erwehren, 
die  ihm  seine  Rede  über  den  Zusammenhang  der  gegenwärtigen  Ge- 
schichtsperiode mit  der  Idee  des  Arbeiterstandes  zugezogen,  schon 
richteten  sich  auf  ihn  die  Augen  jener  Leipziger  Arbeiter,  für  die  er  nach 
einigen  Monaten  sein  Offenes  Antwortschreiben  schrieb.  Nach  langem 
Harren  und  nicht  ohne  Gefahren  reiften  ihm  nun  die  ersten  spärlichen 
Früchte  seines  Wirkens  zu,  doch  er  selbst  fühlte  sich  namenlos  verein- 
samt. Er  vermißte  die  Freundin,  mit  der  Sorge  wie  Erfolg  zu  teilen,  ihm 
seit  den  Jünglingstagen  unentbehrliches  Bedürfnis  war.  Diese  weichere 
Stimmimg,  in  die  der  Tod  des  Vaters  ihn  versetzt  hatte,  nutzte  Sophie 
von  Hatzfeldt,  die  sich  mit  ihm  noch  so  verbunden  fühlte  wie  früher, 
mit  der  wohl  er,  die  nicht  mit  ihm  gebrochen  hatte.  Nun  kam  es  zur 
völligen  Aussöhnung  imd  zur  Wiedervereinigimg. 

Die  alte  Freundschaft  lebte  auf ;  wieder  hielt  Lassalle  die  Hand  der 
Einzigen,  zu  der  er  über  alles,  was  seine  Seele  bewegte,  reden  mochte, 
reden  konnte.  Er  war  darüber  glücklich.  Dennoch  fühlte  er  und  bekannte 
der  alten  Gefährtin,  daß  das  ehemalige  auf  Ausschließlichkeit  auf- 
gebaute Bündnis  der  Vergangenheit  angehörte.  Der  Gräfin  verblieben 
ihre  Beziehimgen  zu  Rüstow,  imd  ihn  hatte  der  Gedanke,  daß  er 
heiraten  müsse,  weil  er  eines  Menschen  bedürfe,  der  ihm  völlig  gehöre,  zu 
sehr  in  Beschlag  genommen,  als  daß  er  noch  von  ihm  hätte  lassen  können. 


Mit  Rüstow  führte  Lassalle  das  ganze  Jahr  1862  hindurch  einen 
regen  Briefwechsel;  was  ihn  und  die  Gräfin  zeitweise  trennte,  gewann 
auf  die  Freundschaft  der  Männer  keinen  Einfluß.  Dies  änderte  sich  erst, 
als  Lassalle  1863  seine  Agitation  für  den  Arbeiterverein  begann.  Schon 
die  diktatorische  Geste,  mit  der  er  auftrat,  verletzte  Rüstows  demo- 
kratisches Empfinden,  aber  noch  mehr  verbitterte  ihn,  daß  der  andere 
die  gewichtigen  sachlichen  Einwände,  die  er  erhob,  unbeachtet  beiseite 
schob.  Daß  Sophie  von  Hatzfeldt  sich  mit  dem  Vorgehen  des  großen 
Agitators  völlig  einverstanden  zeigte,  ärgerte  Rüstow.  Er  versuchte  die 
Gräfin  gegen  ihn  aufzuwiegehi.  Dabei  beschränkte  er  sich  anfangs  auf  das 
Pohtische.  Als  Lassalle  im  Mai  1863  der  große  Redekampf  in  Frankfurt 
bevorstand,  warnte  Rüstow  sie,  sich  von  ihm  dorthin  ,, schleppen  zu 
lassen",  und  als  jener  dort  siegte,  setzte  er  ihr  in  einem  eindring- 
lichen Brief  auseinander,  was  er  von  seinem  bürgerlich  revolutionären 
Standpunkt   aus   gegen   eine    Bewegung  einzuwenden   hatte,  die  sich 


—  —  ^  28  = 

zum  Ziele  setze,  daß  der  ,, befaustete,  blödsinnige,  an  Intelligenz  und 
gutem  Willen  noch  miter  dem  National  vereinler  stehende  Geselle  die 
wahre  herrschende  Klasse  mit  dem  Diktator  I/assalle  an  der  vSpitze" 
werde.  Rüstow  verlangte  von  der  Freundin,  sie  möge  ihren  Einfluß  auf 
1/assalle  dazu  anwenden,  um  zu  verhindern,  daß  jener,  der  ,,mit  allem 
fertig  zu  werden"  glaube,  nicht  ,,der  hohenzollernschen  Reaktion"  und 
der  Feudalpartei  in  ihre  ,, plumpen  Fallen"  ginge.  Doch  er  mußte  be- 
merken, daß  seine  Argumente  auf  die  Gräfin  nicht  wirkten  und  daß 
diese  ganz  Feuer  und  Flamme  blieb  für  die  Art,  wie  Lassalle  verfuhr. 
Da  wandelte  sich  bei  dem  Gekränkten,  was  bis  dahin  sachliche  Gegner- 
schaft gewesen  war,  in  persönliche  Eifersucht:  ,, Ihren  Brief  vom  i.  habe 
ich  gestern  abend  erhalten,"  schrieb  er  ihr  Anfang  Juni,  ,,er  enthält 
nichts  als  Bewunderung  für  Lassalle,  zwei  Drittel  aller  Ihrer  Korrespon- 
denz seit  Anfang  Mai  hat  keinen  anderen  Inhalt.  I^assalle  hat  sechzehn 
Jahre  oder  so  etwas  auf  Ihren  Verstand  eingehämmert,  er  hat  Ihnen 
auch  noch  Hegeische  Dialektik  nach  seiner  Auffassung  beigebracht. 
Trotzdem  kann  ich  mir  aus  dieser  langen  korrumpierenden  Einwirkung 
an  und  für  sich  es  nicht  erklären,  daß  Sie  sich  für  Lassalles  Interessen 
begeistern  beim  mindesten  Anstoß,  daß  Sie  seine  , Erfolge'  mit  seinen 
Augen  sehen,  daß  Sie  alles,  was  er  Ihnen  sagt,  nachsprechen  .  .  .  Bei  mir 
beklagen  Sie  sich  bisweilen,  daß  ich  von  den  Interessen,  die  ich  verfolge, 
Ihnen  nicht  rede ;  tue  ich  es  aber  —  ich  kann  es  mit  der  bestimmtesten 
Bestimmtheit  versichern,  Sie  haben  mir  höchstens  mit  der  Bemerkung, 
daß  ich  ein  Schafskopf  sei  —  sonst  mit  Gleichgültigkeit  oder  auch  gar 
nicht  darauf  geantwortet.  Wenn  Sie  durch  Lassalles  Brille  sehen,  so 
nennen  Sie  das  objektive  Wahrheit  und  Gerechtigkeit.  Dagegen  ist 
natürlich  nicht  aufzukommen.  Sie  nennen  das  objektiv,  weil  Sie  sich 
so  in  Lassalles  Fesseln  begeben  haben,  daß  Ihnen  weder  objektiv  noch 
für  mich  etwas  übrig  bleibt.  Warum  können  Sie  denn  nicht  außer  durch 
Lassalles  Brille  fühlen  und  denken?  .  .  .  Ich  fordere  Sie  auf,  meinen 
Wert  anzuerkennen,  auch  durch  meine  Brille  sehen  zu  können  .  .  . 
Wenn  ich  das  Feuer,  welches  Sie  für  alle  von  Lassalle  verfolgten  Inter- 
essen entwickeln,  mit  der  Gleichgültigkeit  vergleiche,  die  Sie  den  nieinigen 
gegenüber  zeigen,  so  kann  ich  die  Schuld  nicht  mehr  auf  die  Länge  der 
Zeit  schieben,  welche  Lassalle  gehabt  hat,  auf  Ihren  Verstand  korrum- 
pierend einzuwirken,  sondern,  wie  sehr  sich  mein  Herz  dagegen  sträubt, 
die  Vernunft  zwingt  mich  zu  dem  Schluß,  daß  Sie  Lassalle  lieben  und 
mich  gar  nicht .  .  .  Ihre  Gerechtigkeit  ist  Lassallesche  Gerechtigkeit, 
und  weil  ich  das  einsehe,  verlange  ich,  daß  Sie  an  die  Stelle  dieser  Ge- 
rechtigkeitdiemeinige  setzen  (mindestens  so  objektiv  als  die  Lassalle- 
sche ist  sie  sicher).  Wenn  Sie  das  nicht  können,  so  lieben  Sie  Lassalle, 
und  es  ist  nicht  wahr,  daß  Sie  mich  lieben  ..."  Mit  seiner  etwas  brutalen 


—  — —  29 ^ 

Soldaten  Psychologie  begriff  Rüstow  allein  die  »Stärke,  nieht  auch  die 
Feinheit  der  Fäden,  die  vSophie  von  Hatzfeldts  Seele  und  Geist  an  den 
alten  Lebensfreund  knüpften,  der  sie  als  geistiges  Wesen  zu  der  Höhe 
geführt  hatte,  auf  der  sie  stand,  und  dessen  politisehen  Aufstieg  sie  nun 
wie  den  ihrigen  empfand. 

Schon  dieser  Brief  läßt  ahnen,  daß  das  Bün(hiis,  das  Sophie  von  Hatz- 
feldt  mit  Rüstow  geschlossen  hatte,  wirklicher  Tiefe  entbehrte  und 
ernster  Erschütterung  nicht  standhalten  würde.  Es  hatdie  Katastrophe, 
die  Lassalle  im  Sommer  1864  in  den  Abgrund  riß,  nicht  überdauert.  Der 
tote  Lassalle  wurde  für  den  armen  Rüstow  ein  noch  weit  gefährlicherer 
Rivale  als  der  lebende.  ,,Ich  leugne  es  ja  keinen  Augenblick,"  so  gestand 
er  bald  nach  dem  Ereignis  der  Gräfin  mitsoldatischer  Offenheit,  ,,pe  rs  ö  n- 
li  ch  konnte  ich  mich  mit  Lassalle  nie  völlig  befreimden ;  denn  er  trennte 
mich  von  Ihnen  und  mußte  es  immer,  solange  er  lebte  und  nachher,  wie 
jetzt  deutlich  genug."  Undzürnendklagt  er  noch  später  und  suchte  dabei 
sich  stark  zu  machen:  ,,Ich  wußte  seit  dem  Ende  Mai,  daß  ich  Ihnen 
im  Vergleich  zu  diesem  Menschen  nichts  sei.  Ich  fühlte  das  ganze  himmel- 
schreiende Unrecht,  das  mir,  der  ich  ganz  anderes  verdiente,  geschah  — 
ichhabeso,  wie  ich  handelte,  gehandelt  —um  Ihretwillen.  Ichhätteihnen 
den  Menschen  erhalten,  wenn  er  es  nicht  selbst  unmöglich  machte.  — Wie 
können  Sie,  wie  konnte  Lassalle  mich  jemals  begreifen .?  Absolute  Un- 
möglichkeit. Mit  Siebenmeilenstiefeln  steige  ich  über  Euch  hinweg  ..." 

Für  Sophie  von  Hatzfeldt  stand  seit  dem  Tage  von  Carouge  zwischen 
Wilhelm  Rüstow  und  ihr  Lassalles  blutiger  Schatten.  Behauptete  nicht 
der  Oberstbrigadier,  der  bei  dem  ganzen  Handel  Lassalle  als  Berater 
und  endlich  als  Sekundant  zur  Seite  gestanden  hatte,  sie  zu  lieben? 
Und  trotzdem  hatte  er  nicht  verhindert,  daß  der  Freund,  daß  der  Sohn 
ihr  gemordet  wurde?  Diese  Verknüpfimg  von  Argumenten  war  objektiv 
sicherlieh  falsch,  aber  der  Logik  eines  zerrissenen  Frauenherzens  erschien 
sie  schlüssig  und  keine  Berufung  hätte  gefruchtet.  Als  in  späteren  Jahren 
Rüstows  materielle  Lage  sich  traurig  gestaltete,  wandte  sich  Emma 
Herwegh,  die  beiden  befreundet  war,  um  Beistand  an  die  Gräfin.  Aber 
nach  den  Briefen,  die  sich  erhielten,  scheint  es  nicht,  daß  diese  sich 
hilfreich  erwies.  Am  14.  August  1878  hat  Wilhelm  Rüstow  aus 
Nahrungssorgen  seinem  Leben,  das  ihm  selbst  als  ein  verpfuschtes 
erscheinen  mochte,  mit  einem  Pistolenschuß  ein  Ende  gemacht. 


XL 

Das  mancherlei  Neue,  das  Lassalles  Briefwechsel  mit  Sophie  von  Hatz- 
feldt enthüllt,  mahnt  dazu,  auch  seinen  Tod  und  die  Ereignisse,  die  ihm 
vorausgingen,  mit  etwas  anderen  Augen  anzusehen,  als  es  bisher  üblich 


=   30  = 

war.  Daß  er  sich  selbst  zugrunde  gerichtet  hat,  wird  man  auch  künftig 
nicht  bestreiten  können,  doch  wird  man  einen  größeren  Teil  der  Schuld 
dtmkleren  Gewalten  zuwälzen  als  bloß  den  Schwächen  seines  Wesens, 
auf  die  man  bisher  so  stark  hinwies.  Wir  können  dabei  zur  historischen 
Wahrheit  nur  vordringen,  wenn  wir  die  Krankheit  berücksichtigen,  an 
der  Ivassalle  seit  etwa  1847  litt.  Bald  nach  seiner  Übersiedlung  nach 
Berhn  im  Spätjahr  1857  berichtete  er  nach  Düsseldorf,  daß  Folgen 
,, einer  gewissen  Krankheit",  die  ihn  vor  etwa  zehn  Jahren  gequält 
hätte,  zum  Ausbruch  gekommen  seien,  imd  ein  anderer  Brief  an  die 
Gräfin  erwähnt  der  Ansteckung,  die  er  sich  damals  ,, durch  seinen  Be- 
dienten" zugezogen  habe.  Von  1857  bis  1860  ist  Lassalle,  so  heiß  seine 
Willenskraftsich  gegen  die  Tatsache  aufbäumte,  ein  körperlich  leidender 
Mensch  gewesen.  Im  Sommer  1860  verschlimmerte  sich  sein  Befinden 
so  sehr,  daß  er  sich  in  Aachen  einer  längeren  Kur  imterziehen  mußte. 
Diese  brachte  ihm  sicherlich  eine  Besserung,  wenigstens  hören  wir  bis 
zu  seinem  Tode  nichts  mehr  von  Rückfällen,  es  sei  denn,  daß  die  heftigen 
Halsentzündungen,  an  denen  er  in  den  letzten  Jahren  häufig  litt,  hierhin 
zu  rechnen  wären.  Die  medizinische  Wissenschaft  kannte,  wie  man  sich 
erinnern  muß,  damals  noch  nicht  den  Zusammenhang  zwischen  Syphilis 
und  Paralyse  und  sie  hielt,  wie  übrigens  auch  heute,  die  Krankheit  in 
ihrem  tertiären  Stadium  nicht  mehr  für  ansteckend.  So  erklärt  es  sich, 
daß  man  ihr  keinen  so  ernsten  Charakter  wie  später  beimaß ;  auch  galt  es 
in  jener  Zeit  noch  als  völlig  zulässig,  daß  ein  Patientwie  Lassalle  während 
und  nach  seiner  Aachener  Kur  Heiratsprojekte  hegte.  Eine  pathogra- 
phische  Untersuchung  könnte  vielleicht  noch  feststellen,  ob  die  Depres- 
sionen, die  Unrast  imd  die  gewaltige  Steigerung  der  Produktivität,  die  sich 
bei  Lassalle  in  seiner  letzten  Lebenszeit  wahrnehmen  lassen,  Vorboten 
eines  herannahenden  Zusammenbruchs  gewesen  sind,  vor  dem  die 
Kugel  des  jungen  Rumänen  ihn  bewahrt  hätte.  In  dem  ungedruckt  ge- 
bliebenen Vorwort  zu  einer  französischen  Ausgabe  seines  national- 
ökonomischen Werks,  das  Moses  Heß  auf  Grund  von  Informationen,  die 
ihm  die  Gräfin  geliefert  haben  wird,  niederschrieb,  heißt  es  von  jenem 
Halsübel:  ,,Wie  tief  diese  Krankheit  schon  seinen  ganzen  Organismus 
angegriffen  haben  mußte,  geht  einerseits  aus  einer  Bemerkung  seines 
Arztes  in  Düsseldorf  hervor,  der,  als  er  das  schreckliche  Unglück  erfuhr, 
sich  und  die  Freunde  Lassalles  damit  tröstete,  daß  ja  die  Krankheit,  an 
welcher  der  Verstorbene  litt,  ohnehin  unheilbar  war  und  er  sowieso 
nicht  mehr  lange  hätte  leben  können;  andererseits  sind  die  Todes- 
ahnungen, welche  Lassalle  in  seinem  letzten  Lebensjahre  nicht  mehr 
verließen,  uns  ein  Beweis  dafür,  daß  er  den  Todeskeim  in  sich  fühlte."  — 
Während  seiner  Aachener  Kur  erlebte  Lassalle,  der  solches  sich  nicht 
mehr  zugetraut  hatte,  daß  er  noch  einer  tieferen  Leidenschaft  fähig 


31 ^= 

war.  Aber  die  ernsthafte  Liebe,  die  er  hier  für  die  seehsch  und  geistig 
gleich  hochstehende  Sophie  Sontzoff  faßte,  fand  keine  Erwiderung,  und 
auf  den  großen  Werbebrief,  in  dem  er  sich  auch  so  eingehend  über 
sein  Verhältnis  zur  Gräfin  ausgelassen  hat,  konnte  sie  ihm  nur  ant- 
worten, daß  sie  schwesterhche  Gefühle  für  ihn  hege.  Das  Verlangen  nach 
einer  Frau,  die  ihm  völhg  gehörte,  steigerte  sich  dann,  wie  wir  schon 
wissen,  ins  unerträgliche,  als  die  Gräfin  Hatzfeldt  und  Rüstow  sich  ge- 
funden hatten.  Während  er  mit  beiden  Armen  ficht  und  vSchrift  auf 
Schrift  in  atemloser  Folge  herausschleudert,  bricht  er  schier  zusammen 
unter  dem  Gefühl  persönlicher  Vereinsamung.  Aber  auch  als  er  sich  mit 
der  Gräfin  ausgesöhnt  hatte  und  der  Freundin,  der  allein  sein  Inneres 
sich  erschloß,  wieder  nahe  fühlte,  gab  er  sie,  wie  wir  hörten,  als  lyebens- 
gefährtin  verloren.  In  seinen  Briefen  phantasiert  er  von  einem  Gretchen, 
das  ihm  begegnen  möge  oder  lassalleischer  von  einer  stolzen  und 
kühnen  Schönheit,  die  er  sich  erkämpfen  wolle.  Im  Winter  1863  auf 
1864  verkehrte  er  mit  seinen  Freunden  Lothar  Bucher  und  Hans  von 
Bülow  viel  in  dem  Hause  des  Bankiers  Lilien thal,  dessen  siebzehnjährige 
Tochter  Minna,  eine  gefeierte  Schönheit,  Bülows  Schülerin,  seine  Sinne 
gefangen  hielt.  Doch  das  vergnügimgsfrohe  Weltkind  träumte  von 
einem  adligen  Gatten,  und  als  Lassalle  um  es  warb,  sah  er  sich  ab- 
gewiesen. Im  Frühling  1864  schrieb  er  der  , .treulosen  Minne",  die  da- 
mals in  Wien  weilte,  einen  Brief,  der  sie  in  scherzhaftem  Ton,  durch  den 
der  Ernst  blickte,  dafür  verantwortlich  machte,  wenn  er  in  der  Schweiz, 
wohin  er  reisen  werde,  der  ersten  besten  Schönen  ins  Garn  liefe.  ^) 

Der  Brief,  den  Lassalle  am  27.  Juli  1864  vom  Rigi  aus  an  die  Gräfin 
richtete,  schildert  anschaulich  die  Umstände,  imter  denen  dem  bei 
schaurigem  Regenwetter  einsam  dort  Weilenden  plötzlich  die  schöne, 
leichtfertige,  wankelmütige  Helene  von  Dönniges  erscheint,  die  ihn  nun 
in  jenen  Wirbel  von  Leidenschaft  hineinreißt,  in  dem  er  zugrunde  geht. 
Bernhard  Becker  hat  in  seinem  abstoßenden  Pamphlet  über  Lassalles 
tragisches  Lebensende  Sophie  von  Hatzfeldt  eifersüchtige  Intrigen  gegen 
die  Dönniges  nachgesagt.  Wie  fern  ihr  das  gelegen  hat  und  wie  unfähig 
dieser  unreine  imd  subalterne  Geist  gewesen  ist,  das  wahre  Verhältnis 
des  einzigartig  verbimdenen  Freimdespaares  auszuspähen,  erweisen  die 
letzten  Briefe,  die  Sophie  von  Hatzfeldt  dem  Freunde  schrieb,  bevor  sie 
selbst  in  seiner  Nähe  eintraf,  ohne  zu  ahnen,  daß  sie  schon  nach  wenigen 
Tagen  dem  auf  den  Tod  Verwundeten  die  letzten  schweren  Liebesdienste 
erweisen  werde. 


1)  Minna  I,ilienthal  hat  später  den  belgischen  Baron  Nothomb  und  danach 
einen  Herrn  Burdo  geheiratet.  Sie  lebt  noch  in  Berlin.  Lassalles  Briefe  an 
sie,  in  die  der  Herausgeber  nur  flüchtige  Blicke  tun  konnte,  sind  vor  kurzem 
nach  Japan  verkauft  worden. 


32 

XII. 

Für  die  Gräfin  bedeutete  Lassalles  Tod  einen  vernichtenden  Schlag. 
Nie  war  ihr  der  Gedanke  gekommen,  daß  der  soviel  Jüngere  vor  ihr 
hinweggehen  könnte.  Vielleicht  ließ  sich  ihr  ganzer  I^ebensweg  als  ein 
Fliehen  vor  der  Vereinsamung  begreifen;  nun  stand  dieses  Gespenst 
vor  ihr,  dem  sie  immer  hatte  entgehen  wollen.  An  lyassalles  I^eiche  er- 
wachte ihr  jetzt  alles,  was  er  für  sie  getan  hatte,  zu  gewaltiger  Lebendig- 
keit: die  langen  Jahre,  die  er  ihr  hingeopfert,  alle  die  großen  und  kleinen 
Dienste,  die  der  stets  Hilfsbereite  ihr  ständig  geleistet,  die  Atmosphäre 
von  zärtlicher  lyiebe,  mit  der  er  sie  umgeben,  das  tiefe  Verständnis,  das 
er  für  sie  besaß  und  betätigte,  der  ganze  Reichtum  seines  großen  Geistes, 
an  dem  er  sie  stets  so  bereitwillig  hatte  teilnehmen  lassen.  Die  Iveiden- 
schaf  tlichkeit,  die  in  ihrer  vSeele  verborgen  lag,  erlebte  jetzt  ihren  elemen- 
taren Ausbruch.  Alles,  was  sie  für  den  Verstorbenen  empfand,  wandelte 
sich  in  einen  Schrei  nach  Rache  an  seinem  Mörder,  imd  der  Schmerz  um 
den  lyebensgef ährten  äußerte  sich  bei  ihr  in  einer  grandiosen  Pietät,  die 
blindlings  alles  kanonisierte,  was  jener  bei  Lebzeiten  gefordert  und  an- 
geordnet hatte.  Ein  halbes  Jahr  nach  dem  Kreignis  schrieb  die  Gräfin 
der  Mutter  Dassalles:^)  ,,Ich  habe  in  Ferdinand  Lassalles  kalte  Hand 
einen  feierlichen  Eid  geschworen  und  habe  diesen  Eid  jedesmal  an 
seinem  Grabe  wiederholt,  daß  ich  ihn  an  seinen  Mördern  rächen  will, 
sein  Andenken  gegen  seine  Feinde  verteidigen  und  sein  Werk  mit  jedem 
Opfer  erhalten  will.  Ich  werde  diesen  Eid  halten,  solange  ich  lebe.  Aber 
ich  muß  mich  damit  eilen,  denn  ich  habe  nicht  mehr  lange  zu  leben,  ich 
habe  zuviel  in  meinem  Leben  gelitten,  und  dieser  letzte  Schlag  hat  mich 
tödlich  getroffen  .  .  .  Ferdinand  war  mein  Stolz,  und  mein  Ruhm  war 
seine  Freundschaft  für  mich,  sein  Vertrauen  zu  mir;  jetzt  kann  ich  nur 
noch  den  einen  Wunsch  nach  dem  Ruhm  haben,  daß  neben  seinem 
großen  Namen  der  meinige  einen  bescheidenen  Platz  behalte  als  den 
seines  besten  imd  einzigen  Freundes,  wie  er  selbst  mich  so  oft  in  seinen 
Briefen  genannt  hat ...  So  wenig  wie  ich  mich  durch  meine  Familie 
und  die  Versprechungen,  die  sie  mir  machte,  habe  bewegen  lassen,  den 
lebenden  Lassalle  zu  verlassen,  ebensowenig  tue  ich  es  jetzt,  wo  er  tot 
ist.  Ich  will  nichts  mehr  als  das  Bewußtsein,  daß,  wenn  es  ein  Wieder- 
sehen nach  dem  Tode  gibt,  ich  Ferdinand  sagen  kann,  daß  ich  meine 
Pflicht  gegen  ihn  ganz  erfüllt  habe  und  sein  Vertrauen  gerechtfertigt 
habe." 

An  anderer  Stelle  soll  ausführlich  dargestellt  werden,  wie  energische 
vSchritte  Sophie  von  Hatzfeldt  damals  bei  dem  preußischen  Minister- 

^)  Intime  Briefe  Ferdinand  lyassalles  an  Eltern  und  Schwester,  herausgegeben 
von  Eduard  Bernstein,   Berlin   1905,  S.  171. 


=   33 

Präsidenten  tat,  um  mit  seiner  Unterstützung  zu  erreiehen,  daß  Janko 
von  Rakowitza  von  Bayern,  wo  er  sich  zeitweilig  aufhielt,  an  die  Genfer 
Regierung  ausgeliefert  würde,  wie  entgegenkommend  Bismarck  sich 
dabei  erwies,  warum  es  der  Gräfin  aber  dennoch  nicht  gelang,  I,assalles 
Mörder  zur  Verantwortung  zu  ziehen.  Auch  die  Enttäuschungen,  die  sie 
erfuhr,  als  sie  sich  nun  selbst  in  die  junge  deutsche  Arbeiterbewegung 
hineinstürzte,  mit  der  sie  doch  nur  die  Liebe  zu  dem  Toten  verband, 
braucht  diese  Skizze,  die  ihren  Briefwechsel  mit  lyassalle  einleiten 
sollte,  nicht  näher  zu  schildern.  Je  mehr  sie  sich  von  ihrem  Ausgangs- 
punkt entfernte,  um  so  vollständiger  streifte  die  Sozialdemokratie  den 
vSektenchar akter  ab,  der  ihren  ersten  Jugendjahren  angehaftet  hatte. 
Das  Herz  der  treuen  Gräfin  aber  verstand  sich  nur  auf  einen  orthodoxen 
lyassallekultus.^)  So  zerrissen  mit  dem  Siege  der  Marxschen  Richtung 
über  die  lyassalleanische  die  Fäden,  die  die  alleinstehende  alte  Frau  mit 
der  Partei  verbanden,  die  ihr  großer  Freund  einst  zum  Leben  erweckt 
hatte.  Der  Tod  erreichte  Sophie  von  Hatzfeldt  erst  am  25.  Januar  1881. 
Man  setzte  sie  bei  auf  dem  Friedhof  des  Dorfes  Frauenstein  bei  Wies- 
baden am  Fuße  des  Sommerberges,  der  ihrem  Sohne  gehörte  und  der 
auch  den  Nachlaß  des  Freundes  barg,  mit  dessen  Inhalt  sie  am  liebsten 
noch  bei  ihren  Lebzeiten  die  Welt  bekannt  gemacht  hätte.  Die 
Marmorplatte,  die  ihr  Grab  deckt,  zeigt  die  edel  geschnittenen  Züge 
einer  schönen  Greisin. 


^)  Für  die  politische  Betätigung  der  Gräfin  nach  Lassalles  Tode  vgl.  Giistav 
Mayer,  Johann  Baptist  von  Schweitzer  und  die  Sozialdemokratie.  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  der  deutschen  Arbeiterbewegung,  Jena   1909. 


I. 

LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT. i)  (Original.) 

Dienstag  [Düsseldorf,   12.  Dezember  1848]. 
Gnädigste  Frau! 

Sie  werden  mir  von  heut  ab  nicht  mehr  das  Essen  schicken  können. 
Da  Sie  natürlich  deshalb  besorgt  und  verwundert  sein  werden,  will  ich 
Ihnen  den  Grund  mitteilen. 

Auf  eine,  wenn  ich  nicht  sehr  irre,  von  Ihrem  Hause  ausgehende 
Demmziation  hin,  fand  heute  eine  Nachsuchung  in  meiner  Stube  von 
Seiten  des  Instruktionsrichters,  Direktors  usw.  statt,  während  ich  grade 
harmlos  spazieren  ging.  Doch  kam  ich  noch  grade  am  Ende  der  Nach- 
suchung ins  Zimmer.  Man  hatte  zwei  natürlich  höchst  insignifiante 
Briefe,  einen  von  Ihnen  an  mich,  einen  von  mir  an  Sie,  gefunden. 

Welches  Verbrechen!  Ich  erklärte  dem  Herrn  Instruktionsrichter 
offen,  daß  ich  mir  durch  die  noch  gar  nicht  dagewesene  imd  selbst  mir 
trotz  meiner  Haften  in  Köln,  wo  ich  abwechselnd  unter  dem  Regime 
von  drei  Instruktionsrichtem  und  vier  Staatsprokuratoren  stand,  ganz 
unerhörte  Weise,  in  welcher  man  Ihre  Besuche  bei  mir  verhindert  imd 
sie,  wenn  sie  alle  Jubeljahre  einmal  stattfinden,  auf  die  Dauer  von  fünf 
Minuten  beschränkt,  gezwimgen  worden  sei,  eine  geheime  Korrespon- 
denz mit  Ihnen  zu  beginnen,  welche  ich  sonst  durchaus  nicht  führen 
würde. 

Der  Inhalt  der  Briefe,  der  von  allen  möglichen  Dingen  handelt,  nur 
nicht  von  meinem  Prozeß  und  darauf  bezüglichen,  der  Instruktion  des- 
selben schädlichen  Mitteilungen  bewies  das. 

In  der  Tat,  ich  sitze  jetzt  einundzwanzig  Tage  ^)  und  habe  während 
dieser  Zeit  zwei  Besuche  von  Ihnen,  jeden  zu  fünf  Minuten,  erhalten! 
So  etwas  ist  unerhört!  Das  hat  man  sich  selbst  in  Köln  nicht  erlaubt. 


^)  Aus  dem  Gefängnis  in  Düsseldorf.  Der  Brief  enthält  das  Visum  des  Ge- 
fängnisdirektors. 

^)  Lassalle  war  am  22.  November  wegen  der  aufrührerischen  Rede,  die  er  tags 
zuvor  in  Neuß  gehalten  hatte,  verhaftet  worden.  Die  Anklage  lautete,  er  habe  die 
Bürger  zur  Bewaffnung  gegen  die  königliche  Gewalt  aufgereizt.  Die  Gerichts- 
verhandlung begann  erst  am  5.  Mai  1849. 

M.-.yer,  Lissalle-Nachlass.     IV  I 


Ich  hoffe,  daß  dieser  Vorfall  die  vorteilhafte  Wirkung  haben  wird, 
daß  man  Ihnen  mindestens  dieselbe  Erlaubnis,  mich  zu  besuchen,  er- 
teilen wird,  die  Sie  auch  in  Köln  genossen,  wo  doch  mein  Prozeß  damals 
mit  Ihren  Angelegenheiten  eng  verwachsen  war  ^)  und  die  Instruktion  daher 
weit  eher  einen  Nachteil  von  Ihren  Besuchen  hätte  befürchten  dürfen. 

Der  Instruktionsrichter  behauptete:  Sie  hätten  gar  nicht  öfter  die 
Erlaubnis,  mich  zu  besuchen,  nachgesucht!  Während  er  Ihnen  doch 
erklärt  hat,  Sie  würden  nur  dann  eine  Erlaubnis,  mich  in  seiner  Gegen- 
wart zu  sehen,  erhalten,  wenn  Sie  ihm  die  Notwendigkeit,  mich  zu 
sehen,  nachwiesen!  Während  doch  nur  die  Unmöglichkeit,  ihm,  der 
Ihre  Geschäfte  nicht  kennt,  diese  Notwendigkeit  jedesmal  mathematisch 
nachzuweisen  imd  die  Dauer  weniger  Minuten,  auf  welche  man  diese 
Besuche  einschränkte  und  welche  natürlich  die  notwendige  Folge  hatte, 
daß  wir  das  wichtigste  zu  besprechen  vergaßen,  die  geheime  Korrespon- 
denz hervorrief. 

Und  dann  bin  ich  doch  auch  ein  Mensch,  nicht  nur  ein  Geschäfts- 
tier. Und  will  daher  auch  als  Mensch  Besuch  von  Ihnen  empfangen  und 
einmal  eine  Stimde  harmlos  plaudern  köimen,  nicht  bloß  von  Geschäften. 
Aber  es  ist,  als  ob  man  die  Menschenrechte  verlöre,  wenn  man  in  solch' 
ein  verdammtes  Haus  kömmt! 

Nie  fällt  es  diesen  Beamten  ein,  die  Bedürfnisse  des  Menschen,  wenn 
auch  noch  so  sehr  auf  ein  Minimum  reduziert,  wenn  man  in  ihre  Hände 
fällt,  zu  respektieren. 

Nim,  wie  gesagt,  wenn  Ihnen  jetzt  der  Instruktionsrichter  in  ver- 
nünftigem Maße  die  Erlaubnis  erteilt,  mich  zu  besuchen,  einige  Male  in 
der  Woche,  jedesmal  auf  eine  Stimde,  so  bin  ich  gern  bereit,  die  Geheim- 
korrespondenz mit  Ihnen  aufzugeben.  Aber  wenn  das  nicht  der  Fall  ist, 
so  werde  ich  sie  wieder  aufnehmen  und  fortsetzen,  was  mir,  wie  Sie 
wissen,  eine  Kleinigkeit  ist  und  wenn  man  mich  in  die  Bleidächer  von 
Venedig  sperrte. 

Vorläufig  hat  man  mir  ,,zur  Strafe"  den  Empfang  des  Essens  aus 
Ihrem  Hause  imtersagt!  Wie  nobel!  Wie  großartig! 

Ich  erwarte,  daß  Sie  mir  umgehend  die  Ehre  Ihres  Besuches 
schenken!  lieben  Sie  herzlichst  wohl. 

Mit  alter  Ergebenheit 

F.  Lassalle. 

NB.  Bitte  schicken  Sie  mir  baldigst  andere  Zigarren.  Die,  die  Sie 
mir  geschickt  haben,  sind  zu  schlecht;  nicht  zum  Rauchen. 

*)  Gemeint  ist  der  Kassettenprozeß,  der  Lassalle  vom  20.  Februar  bis  1 1 .  August 
1848  in  Untersuchungshaft  brachte,  aber  bekanntlich  mit  seiner  Freisprechung 
endete.  Vgl.  dazu  H.  Oncken,  Lassalle,  4.  Aufl.,  S.  65  ff. 


LASSALI.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.   (Fragment.  Original.) 

Montag  abend   [21.  Mai   1849]. 

Es  war  heut  mittag,  als  das  Gerücht  zu  mir  drang,  Sie  seien  gestern 
in  Köln  auf  Grund  des  Kassationsurteils  plötzlich  verhaftet  worden. i) 
Ich  konnte  nicht  daran  glauben.  Es  war  zu  stark!  Es  war  gestern  ein 
Sonntag,  imd  der  Art.  25  Code  penal  sagt  ausdrücklich,  daß  ,,aucune 
condamnation"  Sonntag  exekutiert  werden  dürfe.  Und  dann  gibt 
man  jedem  Spitzbuben  auf,  sich  freiwillig  im  Gefängnis  zu  stellen,  ehe 
man  ihn  verhaftet.  Keinen  Spitzbuben  läßt  man  so  mir  nichts  dir  nichts 
ohne  vorherige  Aufforderung  durch  Gendarmen  aufgreifen.  Keinen  Spitz- 
buben überfällt  man  so  plötzlich  auf  der  Reise.  Jeder  Spitzbube  hat 
das  Recht,  an  dem  Ort  seine  Strafe  abzusitzen,  wo  er  domiziliert,  und 
man  hat  die  Humanität,  ihm  einige  Tage  Frist  zur  Arrangierung  seiner 
Angelegenheiten  zu  geben.  Und  dann  war  es  ein  Sonntag.  Man  durfte 
Sie  nicht  verhaften.  Sie  hätten  mit  vollem  Recht  sich  widersetzen 
können ! 

Endlich  gewannen  die  Gerüchte  eine  solche  Konsistenz,  daß  ich 
nicht  mehr  daran  zweifeln  konnte.  Jetzt  bringt  es  auch  die  Zeitimg. 

Ich  werde  nicht  versuchen,  Ihnen  zu  beschreiben,  was  in  mir  vor- 
ging, als  ich  diese  Gewißheit  erlangt  hatte. 2)  Mein  Uebtag  werde  ich 
physisch  und  geistig  die  Spuren  dieses  Augenblicks  in  der  Umwand- 
limg,  die  mit  mir  vorgegangen,  an  mir  tragen.  Es  war  kein  Zorn  und 
Wutausbruch ;  aber  ich  bin  langsam  zu  Stein  geworden,  ich  fühlte  mich 
zu  Stein  werden  innerlich,  im  Lauf  eines  Augenbhckes ;  es  ist  keine  Klage 
über  meine  Lippen  gekommen ;  ich  bin  auch  jetzt,  viele  Stimden  später, 
ganz  impassibel,  ganz  ruhig,  ganz  gelassen,  ich  kann  essen,  trinken, 
lachen  imd  auch  rauchen ;  nur  daß  das  Lachen  eine  ganz  eigene  Melodie 
hat.  Ich  habe  aber  in  diesem  Augenblicke  bedächtig,  langsam  imd  ernst 
abgeschworen  jede  Hoffnimg,  jedes  Verlangen  nach  eigenem  Glück; 
ich  will  nichts  mehr,  gar  nichts  mehr,  gar  nichts,  keine  Freude  pflücken 
aiif  dieser  Erde,  keine  Lust  genießen,  keine  frohe  Sttmde  will  ich;  alles, 
was  sonst  wünschens-  imd  begehrenswert  vor  meiner  Seele  stand,  ich 
verzichte  darauf  gern  und  für  immer.  Ich  werde  von  nun  an  einzig  und 

1)  Vgl.  hierzu  die  Einführung  zu  Band  II,  S.  4.  Die  Gräfin  war  wegen  Beleidi- 
gung der  Schwestern  Höns  zu  Düsseldorf  zu  zwei  Monaten  Gefängnis  verurteilt. 
Solange  die  Revolution  im  Aufstieg  war,  hatte  man  sie  zu  deren  Abbüßung  nicht 
gedrängt.  Jetzt  aber  hatte  sie  sich  besonders  mißliebig  gemacht  durch  die  Sym- 
pathie, die  sie  bei  den  revolutionären  Unruhen  in  Düsseldorf  in  der  ersten  Mai- 
woche den  Aufständischen  bezeugt  hatte. 

2)  Vgl.  hierzu  Lassalles  Brief  an  Graf  Paul  Hatzfeldt  in  Band  II,  S.S. 


allein  leben,  um  eine  Rache  zu  nehmen  an  diesen  Tigern,  die  Recht, 
Gesetz  und  Menschlichkeit  mit  Füßen  treten,  an  diesen  erkauften 
Banditen,  eine  Rache,  die  vollständig  und  beispiellos  sein  soll.  Das  ist 
das  einzige,  was  ich  noch  will,  was  mich  aufrecht  hält  und  mir  eine 
übermenschliche  Kraft  gibt.  Großer  Gott,  gib,  daß  ich  diese  Rache 
nehmen  kann!  Mit  unaussprechlicher  Wollust  will  ich  mein  eigenes 
Haupt  auf  die  Guillotine  legen,  fünf  Minuten  später,  nachdem  ich  zuvor 
ein  wenig  göttliche  Gerechtigkeit  gespielt  und  diese  Brut,  oh,  diese  Brut, 
oh,  diese  Kannibalenbrut  zertreten  habe.  So  möge  das  Glück  Sie  end- 
lich einmal  und  für  immer  heimsuchen,  wie  ich  jeden  anderen  lycbens- 
zweck  gern  aufgebe,  um  nur  diesen  zu  erlangen.  Aber  ich  greife  danach 
mit  eiserner  Faust.  Ich  werde,  ich  muß  ihn  erlangen.  Ich  will  Unmög- 
liches und  Übermenschliches  leisten,  aber  kein  Gott  ist  stark  genug, 
mich  um  meine  Rache  zu  betrügen.  Oh,  es  wird  einst  ein  Tag 
sein^)  — 

Was  mögen  Sie  jetzt  machen?  Zerbricht  Ihre  künstliche  Fasstmg? 
Schämen  Sie  sich  nicht,  wenn  es  der  Fall  ist.  Sie  sind  eine  Frau,  und 
behüte  Sie  Gott,  zu  einem  Tiger  zu  werden,  wie  ich  es  geworden  bin. 
Tun  Sie  sich  nicht  Gewalt  an,  um  sich  gegen  die  Natur  zu  zwingen  und 
zu  fassen.  Wenn  es  Sie  erleichtern  kann,  klagen  Sie,  weinen  Sie  und 
schütten  Sie  auch  Ihre  Tränen  in  Ihren  Briefen  an  mich  aus.  Weim  es 
auch  andere  lesen,  die  sich  über  diese  Klagen  freuen  werden  —  schadet 
nichts,  gar  nichts.  Gönnen  Sie  ihnen  diesen  kurzen  Triumph,  der  sich 
so  schrecklich  rächen  wird.  Denn  Sie  werden  keine  Träne  vergießen, 
die  sich  nicht  in  Blut  verwandeln  soll  und  die,  so  da  lachen  über  Ihre 
Tränen  in  Ihren  Briefen,  lachen  über  ihr  eigenes  Herzblut,  das  da 
fließt. 

Es  ist  nicht  möglich,  daß  Sie  diese  letzte  schmähliche  Mißhandlung 
gefaßt  ertragen ;  es  ist  nicht  möglich,  sage  ich ;  ich  weiß  auch,  was  mög- 
lich; ich  kann  alles  tragen,  was  einer  trägt,  und  würde  es  in  Ihrer 
Stelle  nicht  mit  Fassung  tragen  können.  Ein  Gefängnis  ist  etwas  ganz 
anderes  für  einen  Mann  als  für  eine  Frau,  zumal  für  eine  Frau  von  Ihren 
Ivcbensgewohnheiten.  Etwas  ganz  anderes.  Ich  bemerke  zehntausend 
und  aberzehntausend  Dinge  gar  nicht,  die  Ihnen  grade  das  allerunerträg- 
lichste  sein  werden !  Die  Misere,  das  Elend,  die  Hilflosigkeit,  die  Sie  von 
allen  Seiten  umgibt,  der  Schmutz,  der  Zwang,  jeden  kleinen  Dienst  sich 
selbst  zu  leisten,  die  gänzliche  Willenlosigkeit  —  das  wird  Sie  pei- 
nigen, das  muß  Sie  peinigen  und  Ihre  Kraft  zerbrechen.  Wie  sollen 
Sie  sich  in  diesen  Kreis  von  Elend,  Schmutz  und  Zwang  hineinfinden? 
Die  Ärmlichkeit,  die  überall  herrscht,  wird  Ihre  Sinne  beleidigen.  Sie 


^)  Lassalle  zitierte  gern  das  Homerische:   ,, Einst  wird  kommen  der  Tag  .  .  ." 


haben  in  harten  drei  Jahren  gezeigt,  daß  Sie  den  I^uxus  entbehren 
können,  ja  —  aber  die  notdürftigste  Aisance.  Und  dieser  beständige 
Zwang  Ihnen,  die  Sie  gewohnt  sind,  Ihren  Willen  zu  haben,  diese 
beständige  Einsamkeit,  diese  tristen  Umgebungen,  dieser  mephy tische 
Dunstkreis  Ihnen,  die  Sie  die  Eleganz,  Wohlgerüche  und  Uuxus  ge- 
wohnt sind,  oh,  das  ist  hart,  sehr  hart.  Es  gibt  keine  wohlerzogne  Frau, 
die  das  tragen  kann. 

Für  uns  Männer  ist  die  Haft  ein  geistiges  Unglück;  für  Frauen  ist 
sie  auch  noch  ein  sinnliches  Elend,  ein  beständiger  Körperschmerz, 
und  das  ist  das  härteste. 

Ich  bitte  Sie,  klagen  Sie  in  Ihren  Briefen  an  mich.  Klagen  Sie! 
Expandieren  Sie  sich,  lassen  Sie  sich  gehen.  Befreien  Sie  Ihre  Brust, 
indem  Sie  die  Schmerzen  ausatmen  —  konzentrieren  Sie  dieselben  nicht, 
indem  Sie  sie  im  Innern  behalten.  Es  wäre  unnatürlich,  wenn  Sie  Ihre 
Fassung  in  Ihren  Briefen  behalten  wollten.  Ich  würde  nicht  an  die 
Wahrheit  davon  glauben.  Ich  würde  glauben,  daß  Sie  gewaltsam  mir 
verhehlen  wollen,  was  Sie  leiden.  Dieser  Gedanke  würde  mich  vollends 
unglücklich  machen;  denn  verbissene  Schmerzen  rasen  dadrinnen  am 
heftigsten.  Also  ich  bitte  imd  beschwöre  Sie,  klagen  Sie,  das  wird  mir 
unendlich  wohltun! 

Ich  bitte  Sie,  schreiben  Sie  mir  viel,  täglich,  bogenlang.  Ich  werde 
Ihnen  auch  viel  schreiben,  ich  kenne  das  Schreckliche  dieser  Einsam- 
keit; es  wird  Sie  zerstreuen,  mir  zu  schreiben  und  meine  Briefe  zu  lesen. 
Schreiben  Sie  mir  besonders  ausführlich  die  Szene  Ihrer  Verhaftung, 
Vielleicht  versetzt  mich  das  in  Wut  und  löst  diese  Eiskälte  auf,  die 
mein  ganzes  Sein  plötzlich  durchdnmgen  hat,  so  daß  ich  vor  mir  selbst 
erschrecke.  War  denn  niemand  da,  der  sich  Ihrer  Verhaftung  wider- 
setzte ?  Zu  Nicolovius  ^)  ging  ?  Den  Sonntag  geltend  machte  ?  Oh,  wäre 
ich  draußen  gewesen!  Schreiben  Sie  mir  alles  ausführlich  darüber. 
Waren  denn  keine  I^eute  da?  Man  hatte  das  Recht,  sich  vive  force  zu 
widersetzen.  Ich  habe  schon  zweimal  heut  an  Bloem  2)  geschrieben,  er 
soll  sofort  zu  mir  kommen.  Unbegreiflicherweise  ist  er  heut  nicht 
gekommen.  Ich  werde  ihn  sofort  zu  Ihnen  und  zu  Nicolovius 
schicken. 

Ich  glaube  wahrhaftig,  man  hat  diese  Infamie  begangen,  damit 
wir  nicht  in  einem  Hause  sitzen  und  unsere  Geschäfte  um  so  mehr 
leiden. 


^)  Nicolovius  war  der  Generalprokurator  iu  Köln. 

2)  Der  Advokatanwalt  Dr.  Anton  Bloem  (1814 — 1885)  war  der  Anwalt  der 
Gräfin  und  Lassalles  und  beiden  nahe  befreundet.  Vgl.  über  ihn  Bd.  II,  S.  9  "n<i 
Bd.  III,  S.  6. 


Wenn  ich  doch  wüßte,  was  Sie  jetzt  machen  und  denken!  Ob  Sie 
sich  unglücklich  fühlen!  Ob  Ihre  Gesundheit  leidet!  Sie  gefangen,  ich 
gefangen,  ich  hier,  Sie  dort.  Oh,  es  ist  Spott,  Spott,  Spott!  Nicht  einmal 
draußen  sein  zu  können,  Ihnen  keine  Hilfe  bringen,  keine  Linderung, 
keine  Zerstreuung  schaffen  zu  können,  gefesselt,  gefesselt,  gefesselt  hier 
sein,  o  Gott,  Gott.  Dieser  heutige  Tag  ist  mehr  als  alles,  was  ich  bisher 
erduldet.  Nichts,  gar  nichts  tun  können,  wie  ein  Wurm  so  hilflos  tmd 
Sie  hilfsbedürftig!  —  Ah,  es  grenzt  an  den  Wahnsinn.  Ich  habe  ein 
Recht  darauf,  den  Menschen  auszuziehen  tmd  zum  wilden  Tier  zu 
werden. 

Langsam.  Ruhig.  Seien  wir  kaltblütig.  Lachen  wir,  während  man 
uns  erwürgt.  Wir  werden  auch  erwürgen  und  unsre  Tatzen  sollen  noch 
tiefer  ins  rote  Leben  hineinreißen  als  die  Nägel  dieser  Stümper  da.  In 
zwei  Monat  spätestens  hätten  Sie  ausgelitten,  aber  wenn  für  mich  einst 
der  Tag  der  Abrechnung  kommt  —  und  an  dem  Tage  wird  die  Sonne 
wie  Blut  am  Himmel  aufgehen  —  wird  nur  das  Nichts  die  Grenze  der 
Rache  sein. 

Also  seien  wir  kaltblütig,  hören  Sie?  Sie,  nein.  Suchen  Sie  sich  die 
Menschlichkeit  zu  erhalten,  auch  wenn  Sie  die  Schmerzen  dann  fühlen 
müssen.  Es  ist  immer  noch  besser  als  die  tote  Schmerz-  imd  Fühllosig- 
keit,  die  sich  meiner  bemächtigt   hat,   schwer  und   kalt  wie  Marmor. 

Aber  ich  will  ruhig  und  kaltblütig  sein. 

Ich  will  Geschäfte  sprechen. 

1.  Bestehen  Sie  darauf,  auf  Grund  der  Eupenschen  Atteste  zum 
Zweck  der  Badereise  sofort  in  Freiheit  gesetzt  zu  werden. 

(Wenden  Sie  sich  gleich  an  Nicolovius,  es  ist  kürzer  und  besser.) 

2.  Bestehen  Sie  darauf,  jedenfalls  hier  Ihre  Strafe  abzusitzen.  Man 
kann  es  Ihnen  nicht  weigern.  Hier  ist  Ihr  Domizil  und  der  Sitz  Ihrer 
Geschäfte.  Mag  man  Sie  hierher  transportieren,  wenn  man  will. 

3.  Schreiben  Sie  der  Lena  Bürgers,^)  daß  sie  während  der  Zeit  Ihrer 
Haft  beständig  in  Düsseldorf  bleibt.  Es  muß  nämlich  jemand  da 
sein,  um  alle  Gerichtsvollzieherakte,  Briefe  usw.,  die  einlaufen,  in 
Empfang  zu  nehmen.  Die  Gerichtsvollzieherakte  soll  sie  stets  sofort  zu 
Bloem  tragen,  die  Advokatenbriefe  mir  schicken  und  die  andern  Briefe 
Ihnen  .  .  .2) 


^)  Lena  Bürgers,  die  Schwester  von  Heinrich  Bürgers,  war  eine  nahe  Vertraute 
der  Gräfin  und  Lassalles.  Sie  leistete  ihnen  in  schwierigen  Lagen  wertvolle  Dienste, 
sie  erfreute  sich  aber  auch  ihrer  tätigen  Freundschaft,  als  ihr  eigenes  Frauen- 
schicksal sie  kurz  darauf  in  schwere  bürgerliche  Bedrängnis  brachte. 

2)  Hier  folgen  noch  einige  auf  ihre  Prozesse  bezügliche  Instruktionen,  die  Lassalle 
der  Gräfin  gibt.  Der  Schluß  des  Briefes  fehlt. 


3- 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  früh  [Düsseldorf,  9.  Juni  1849].^) 
Gnädigste  Frau! 

Obwohl  Ivena,2)  die  grade  da  war,  es  Ihnen  wohl  bereits  mündlich 
gesagt  haben  wird,  beeile  ich  mich,  Ihnen  anzuzeigen,  daß  ich  nun 
gestern  endlich  meine  Ladimg  erhalten  habe,  und  zwar  auf  nächsten 
Donnerstag,  sowohl  wegen  meiner  Rebellerei  als  wegen  meiner  Zweifel 
an  der  honneur  et  delicatesse  des  Herrn  von  Ammon.^)  Ich  werde  also 
diese  verschiedenen  Verbrechen  auf  einmal  abmachen.  Ihre  Furcht, 
von  der  Ivcna  mir  sagt,  ich  würde  durch  das  Memoire  in  Ihrer  Sache  ver- 
hindert werden,  an  meine  Verteidigung  zu  denken,  ist  wenigstens  in 
dieser  Hinsicht  sicher  gnmdlos,  da  das  Memoire  bereits  fertig  und  in 
die  Druckerei  gewandert  ist.  Also  Sie  hindern  mich  keinesfalls  in  meiner 
Verteidigimg.  Darüber  brauchen  Sie  sich  keine  Gewissensbisse  zu 
machen.  Und  ich  verspreche  Ihnen,  um  Sie  gänzlich  zu  beruhigen,  daß 
ich,  wenn  ich  sehen  werde,  daß  es  nötig  wird,  mich  schon  verteidigen 
werde;  natürlich  hier  nicht  vom  patriotischen  Standpimkt,  denn  das 
würden  die  Herren  Richter  als  einen  Hohn  gegen  sich  selbst  auffassen  ; 
aber  ich  werde  dann  meine  feinste  juristische  Klinge  von  der  Wand 
holen,  von  der  ich  Sie  versichere,  daß  ich  keinen  Prokureur  kenne,  der 
ihre  Paraden  durchhaut,  der  ihre  Terzen  pariert.  Sollte  es  indes  zum 
voraus  im  Rate  der  Götter  beschlossen  sein,  daß  ich  verurteilt  werde, 
dann  allerdings  nützt  mir  das  ganze  Turnier  nichts  und  alle  Prouessen, 
die  ich  entwickle;  dann  muß  man  sich  sagen:  II  etait  ecrit  lä-haut! 
Geduld! 

Geduld!  Ich  habe  Geduld  genug,  noch  Monate  hier  zu  sitzen.  Ich 
habe  viel  Geduld.  Denn  ich  fühle  etwas  von  dem  Wesen  eines  Volks  in 
mir.  Ich  bin  stark  und  ewig  wie  ein  Volk,  imd  weil  ich  mich  stark  und 
ewig  fühle,  bin  ich  geduldig  wie  die  Völker.  Mögen  die  kleinen  Jungen 
mich  immerhin  imterdes  an  der  Nasenspitze  zupfen  und  Triumph- 
geschrei ausstoßen,  mögen  sie  immerhin  glauben,  daß  der  lächerliche 

1)  Der  Poststempel  besagt  deutlich:  Düsseldorf,  10.  Juni.  Nun  ist  aber  die 
Verurteilung  zu  sechs  Monaten  Gefängnis  erst  am  5.  Juli  erfolgt.  Die  Verhandlung 
gegen  Lassalle,  die  für  den  14.  Juni  angekündigt  worden  war,  muß  also  entweder 
noch  einmal  verschoben  worden  sein  oder  —  was  wahrscheinlicher  ist  —  die  Ur- 
teilsverkündigung soviel  später  stattgefunden  haben. 

2)  Lena  Bürgers. 

3)  Von  Amman,  Staatsprokurator  in  Düsseldorf,  war  schon  in  dem  Kölner 
Kassettenprozeß  als  öffentlicher  Ankläger  gegen  Lassalle  aufgetreten. 


=  8  == 

Bast,  den  sie  um  meine  Glieder  gewoben  haben,  wie  die  I^iliputaner  dem 
Gulliver,  eine  Kette  sei,  die  mich  fessele  —  wenn  die  Zeit  wird  kommen, 
mich  zu  erheben,  so  werde  ich  mich  erheben,  und  die  kleinen  Jungen 
werden  zu  Dutzenden  sterben  aus  bloßem  Schrecken  über  mein  zorniges 
Antlitz  und  aus  innerm  Sündenbewußtsein,  ganz  abgesehen  von  den 
wirklichen  Fußtritten,  die  ich  auszuteilen  mich  herablassen  werde.  — 
Also  lassen  wir  die  kleinen  Jungen  imterdes  auch  ihre  Freude  haben. 
Sie  wird  so  kurz  sein!  Und  das  Erwachen  aus  dem  Rausch  so  katzen- 
jämmerlich. 

Das  Memoire  habe  ich  zum  Druck  hier  in  die  Stahlsche  Druckerei 
gegeben,  und  die  Korrektur  werde  ich  selbst  besorgen.  Es  ist  dies  da- 
durch möglich  geworden,  daß  Herr  von  Kösteritz  ^)  mir  erlaubt  hat, 
die  Korrekturbogen  ohne  jedesmalige  Vermittlung  des  Parketts  zu  er- 
halten und  abzuschicken.  Denn  sonst  hätte  die  Sache  natürlich  vierzehn 
Tage  dauern  müssen  oder  länger,  so  daß  ich  gar  nicht  hätte  dran  denken 
können,  die  Korrektur  selbst  zu  übernehmen.  Nunmehr  aber  wird  das 
Memoire  in  sechs  Tagen  fix  und  fertig  gedruckt  sein. 

Nun  leben  Sie  tausendmal  wohl.  Bloem  wird  gestern  bei  Ihnen  ge- 
wesen sein.  Die  Gesundheitsexpertise  und  das  Protokoll  der  Inventari- 
sation  bitte  bestens  zu  besorgen. 

Wenn  ich  Donnerstag  freigesprochen  werde,  so  ist  es  möglich,  daß 
der  Oberprokurator  so  anständig  wäre,  nicht  zu  appellieren,  und  dann 
könnte  ich  Freitag  Sie  sehen!  In  diesem  Gedanken  liegt  freilich  viel 
Schönes  —  aber  doch  noch  weit  mehr  Demütigendes  für  mich.  Sie  im 
Gefängnis  sehen  zu  müssen,  2)  das  ist  allerdings  nicht  demütigend  für 
Sie,  durchaus  nicht  —  aber  es  ist  ganz  enorm  erniedrigend  imd  de- 
mütigend für  mich!  für  mich  ist  es  eine  Schande  und  wird  eine  bleiben. 
Ich  hätte  Sie  besser  schützen  müssen.  Ich  hatte  zwar  noch  eine  Menge 
Schutzmittel  in  meiner  Hand,  man  hätte  Sie  nicht  eingesperrt,  wenn  ich 
frei  gewesen,  was  konnte  ich  dafür,  gerade  gefangen  zu  sein,  was  kann 
einer  gegen  alle,  sage  ich  mir?  Aber  es  bleibt  nichtsdestoweniger  wahr, 
es  ist  eine  Schande,  eine  humihante  Schande  für  mich!  Ich  glaube,  ich 
würde  sehr  rot  werden,  wenn  ich  Sie  sehe.  Sie  können  mir  immer  —  trotz 
aller  vmrechten  Dinge  und  force  majeure,  die  in  der  Sache  lag  —  den 
Vorwurf  machen,  daß  ich  Sie  schlecht  verteidigt  habe,  wenn  man  sogar 
an  Ihre  Person  heran  konnte! 

Das  ist  auch  wirklich  das  einzige  von  allen  Erlebnissen  dieser  drei 
Jahre,  das  mich  auf  der  Seele  brennt  und  nie  von  mir  verziehen  werden 
wird. 


1)  Staatsprokurator  in  Düsseldorf. 

2)  Die  Gräfin  befand  sich  in  Köln  im  Gefängnis  in  der  Schildergasse. 


Alles  Selbsterdtildete  hätte  ich  vergessen,  ohne  Groll,  wie  die  Schläge, 

die  man  in  einem  Turnier  empfängt  und  austeilt. Das  —  nie ! 

Adieu  für  heut. 

Ganz  Ihr 

F.  Lassalle. ^) 


4- 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Dienstag  nachmittag  [Düsseldorf,  9.  Oktober  1850]. 
Gnädigste  Frau! 

Donnerstag  bin  ich  ins  Gefängnis  2)  gekommen,  heute  ist  bereits 
Dienstag  imd  noch  habe  ich  kein  Sterbenswörtchen  von  Ihnen  gehört. 
Sowohl  wegen  der  Geschäfte,  als  ganz  besonders  wegen  des  so  überaus 
traurigen  Gestmdheitszustandes,  in  dem  ich  Sie  zurückgelassen,  würde 
mich  das  noch  weit  besorgter  machen,  als  ich  es  bin,  wenn  ich  nicht 
Dr.  Kleinhaus  ^)  heute  gesprochen  hätte.  Da  ich  aber  nie  wissen  kann, 
ob  Dr.  Kleinhaus  mir  nicht  bloß  aus  schonender  Rücksicht  etwaige  Ver- 
schlimmerungen Ihres  Zustandes  verschweigt,  so  bin  ich  sehr  gequält 
tmd  unruhvoll  durch  Ihr  gänzliches  Stillschweigen.  Denn  wenn  Sie 
mich  auch  bei  Ihrem  traurigen  Gesundheitszustand  nicht  besuchen 
können,  und  wenn  auch,  selbst  abgesehen  hiervon,  die  hiesige  Hausregel 
allerdings  häufigen  Besuchen  wenigstens  entgegentreten  würde,  so 
steht  doch  nichts  im  Wege,  daß  Sie  mir  hin  und  wieder  in  der  Woche 
schreiben  und  ich  so  wenigstens  von  dem  Zustand  Ihrer  Gesundheit 
und  der  Geschäfte  unterrichtet  werde.  Es  ist  also  gewiß  sehr  unrecht, 
wenn  Sie  dies  unterlassen  und  mich  dadurch  beständig  selbstquäleri- 
schen Zweifeln  aussetzen. 

Zunächst  will  ich  damit  anfangen,  über  mich  selbst  zu  berichten. 
Obwohl  meine  Lage  allerdings  durchaus  nicht  beneidenswert  ist  und  mit 
meinen  bisherigen  Gefangenschaften  gar  nicht  verglichen  werden  kann, 
so  ist  sie  doch  noch  immer,  bei  einiger  Resignation  —  ganz  erträglich. 


1)  Auf  demselben  Briefbogen  befindet  sich  von  der  Hand  der  Gräfin  eine  Ab- 
schrift des  Konzepts  von  Lassalles  Schreiben  an  den  Generalprokurator  Nicolovius 
von  Anfang  Juni,  das  in  Bd.  II  als  Nr.  15  abgedruckt  wurde. 

2)  Lassalle  saß  vom  I.Oktober  1850  bis  i.  April  1851  die  sechs  Monate  ab, 
zu  denen  er  am  5.  Juli  verurteilt  worden  war.  Inzwischen  war  er  mit  der  Gräfin 
zur  Erholung  von  den  Unbilden,  die  sie  im  Gefängnis  ausgestanden  hatten,  in  der 
Schweiz  gewesen. 

3)  Sanitätsrat  Dr.  Aloys  Kleinhaus  in  Düsseldorf. 


=      10      =: 

Auf  den  Rat  des  Herrn  Direktor  —  der  sich  überhaupt  durchaus  human 
imd  wohlwollend  gegen  mich  benimmt,  so  daß  ich  gar  nicht  klagen 
kann  — ,  habe  ich  an  die  Königliche  Regierung  um  Erlaubnis  zu  folgen- 
den vier  Punkten  geschrieben:  i.  Daß  ich  Schreibmaterial  haben  kann 
(bis  heran  habe  ich  keins,  sondern  bekomme  solches  nur  immer,  wenn 
ein  ganz  bestimmter  Zweck,  Eingabe  oder  Brief  usw.  vorliegt),  dessen 
Entbehrung  mir  allerdings  sehr  hart  wird;  2.  daß  ich  rauchen  kann  auf 
Gnmd  eines  ärztlichen  mir  erteilten  Attestes;  3.  daß  ich  die  ,, Deutsche 
Refonn"  beziehen,  und  4.  mit  von  Mirbach  ^)  Schach  spielen  kann.  — 
Noch  habe  ich  keine  Antwort  und  hoffe  das  beste  .  .  . 

Daß  meine  Mutter  nicht  kömmt,  tut  mir  vorzugsweise  Ihretwegen 
leid.  Nichts  würde  mich  mehr  freuen,  als  wenn  Paul 2)  am  10.  gute  Nach- 
richt mitbrächte.  Gut  aber  würde  ich  in  dieser  Hinsicht  jede  Nachricht 
nennen,  die,  gleichviel  imter  welchen  Modifikationen,  zu  jenem 
Hauptresultat  führen  würde,  welches  ich  Ihnen,  abends,  ehe  ich  ins 
Gefängnis  ging,  bezeichnet.  Mehr  als  um  alles  andere  bitte  ich  Sie, 
in  dieser  Beziehung  recht,  recht  eingedenk  alles  dessen  zu  sein,  was 
ich  Ihnen  so  nachdrücklich  ans  Herz  legte.  Folgen  Sie  nur  diesmal 
meinem  praktischen  Blick;  ihm  nicht  zu  folgen,  könnte  großes  Unheil 
herbeiführen  .  .  . 

Glauben  Sie  mir  schließlich,  daß  ich  meine  Haft  vollkommen  gut 
und  heiter  ertragen  würde,  wenn  mich  nur  nicht  die  Unruhe  über  Sie 
und  Ihre  Sachen  so  quälte. 

Schicken  Sie  mir  gefälligst  auch  das  Exemplar  meiner  Kölner  Assisen- 
rede,^)  das  ich  neulich  zum  Binden  gab,  wenn  es  eingebimden  ist. 

Mit  den   herzlichsten  Grüßen  und  Wünschen  für  Ihr  Wohlergehen 

Ihr 

F.  Ivassalle. 


^)  Der  ehemalige  preußische  Artillerieoffizier  Otto  von  Mirbach  hatte  im  Mai 
den  Aufstand  in  Elberfeld  geleitet. 

2)  Graf  Paul  von  Hatzfeldt  (1831 — 1901),  der  jüngste  Sohn  der.  Gräfin.  Vgl. 
Lassalles  Briefe  an  ihn  aus  dieser  Zeit  in  Bd.  II,  Nr.  8,  9,   10. 

3)  Meine  Verteidigungsrede  wider  die  Anklage  der  Verleitung  zum  Kassetten- 
diebstahl, gehalten  am  11.  August  1848  vor  dem  Königlichen  Assisenhofe  zu 
Köln  und  den  Geschworenen.  Köln  1848,  Verlag  von  Wilhelm  Greven.  Schon 
vorher  hatte  Lassalle  in  dem  gleichen  Verlag  veröffentlicht:  Der  Kriminalprozeß 
wider  mich  wegen  Verleitung  zum  Kassettendiebstahl,  oder:  Die  Anklage  der 
moralischen  Mitschuld.  Ein  Tendenzprozeß  von  F.  Lassalle.  Erste  Lieferung  ent- 
haltend: I.  Vorwort.  2.  Den  Anklageakt  wider  mich,  nebst  Beschluß  des  Rheini- 
schen Appellationsgerichtshofes  vom  12.  Mai  1848.  3.  Mein  vor  jener  Entscheidung 
vom  12.  Mai  dem  Rheinischen  Appellationsgerichtshofe  eingereichtes  Memoire. 
Diese  Broschüre  ist  bisher  in  keine  Ausgabe  der  Schriften  Lassalles  aufgenommen 
worden. 


II 


5- 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT. i)  (Original.) 

Dienstag  nachmittag  [Düsseldorf,   15.  Oktober  1850]. 
Gnädigste  Frau! 

Ich  ersuche  Sie  hierdurch  gefälligst,  mir  meinen  Pelz  baldigst 
schicken  zu  wollen.  Ich  habe  nämlich  wegen  der  naßkalten  Witterung 
und  dem  vielen  Zuge,  der  durch  alle  Ritzen  und  Spalten  dieses  ver- 
witterten Gebäudes  hindurchdringt,  sehr  kalt.  Besonders  auch  während 
der  Nacht  war  dies  sehr  unangenehm,  so  daß  ich  mir  schon  einige 
Rheumas  geholt  habe.  Herr  Direktor  hat  mir  indes  jetzt  für  die  Nacht 
eine  schöne  neue,  warme,  dicke  wollene  Decke  zugeben  lassen,  so  daß 
jetzt  hierin  geholfen  ist. 

Ich  freue  mich  ganz  unendlich  darauf,  Sie  morgen  zu  sehen.  Ich 
habe  in  dieser  Beziehung  noch  eine  Bitte  an  Sie :  In  dem  Bureau  (wahr- 
scheinlich im  obersten  Fach  auf  die  Tür  zu,  in  welchem  alle  auf  meinen 
letzten  Prozeß  bezüglichen  Aktenstücke  liegen),  wird  die  Kassations- 
revisionsschrift  liegen,  welche  Dom  2)  in  Berlin  gegen  das  Urteil,  wo- 
durch mir  die  sechs  Monate  zuerkannt  wurden,  eingereicht  hatte. 

Vergessen  Sie  nicht,  mir  gefälligst  dieselbe  mitzu- 
bringen, da  darin  einige  Kassationsurteile  angezogen  sind,  die  mir 
sehr  nützen  können,  und  die  ich  mir  also  noch  besorgen  lassen  muß  .  .  . 

Ich  bitte  Sie  um  Gottes  willen,  sich  nicht  um  meinetwillen  zu  be- 
trüben. Wenn  sich  in  einem  leidenschaftslosen  Zustande  befinden 
glücklich  sein  heißt,  so  bin  ich  ganz  glücklich.  Ein  Holländer  z.  B.  wird 
nie  glücklicher  sein  können,  als  ich  jetzt.  Unter  den  kalten  Umschlägen 
der  Nationalökonomie  und  der  Finanzwirtschaft,  die  ich  mir  den  ganzen 
Tag  auflege,  lebt  man  ganz  ärgerlos,  gleichmütig  und  seelenvergnügt. 
Es  ist  etwas  Großes  um  die  Wissenschaft!  Sie  allein  gibt  die  Möglich- 
keit, in  jeder  I^age  des  Ivcbens  sich  glücklich  fühlen  und  Genuß  haben 
zu  können.  Sie  allein  verleiht  die  stolze  Fähigkeit  des  ewig  vmgetrübten 
inneren  Glücks,  den  sich  selbst  genügenden  Genuß  des  Denkens  und 
Wissens. 

Freilich  setze  ich  das  ganze  Glück  nun  eben  nicht  in  den  leiden- 
schaftslosen Zustand,  sondern  im  Gegenteil!  Die  Leidenschaft  der 
Aktion  und  ihr  Genuß  geht  mir  allerdings  jetzt  gar  zu  sehr  ab.  Indes 
es  ist  ganz  gut,  wenn  diese  beiden  Arten  von  Glück  etwas  miteiriander 
abwechseln. 


^)  Aus  dem  Gefängnis  in  Düsseldorf. 

^)  Dom  war  der  Berliner  Anwalt  der  Gräfin  und  Lassalles. 


:=      12      

Die  Zeit  der  leidenschaftlichen  Aktion  kann  nicht  zu  ferne  sein  .  .  . 
lycben  Sie  recht  herzlich  wohl.  Ich  würde  sehr  viel  darum  geben, 
wenn  ich  Sie  so  heiter  wüßte,  wie  ich  es  bin. 
A  demain. 

Ihr  ergebenster 

F.  lyassalle. 

6. 

LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Undatiert.^)] 
Meine  gnädigste  Frau! 

Worüber  ich  Ihnen  noch  nicht  geantwortet  habe  und  doch  auch  ant- 
worten muß,  sind  Ihre  Bemerkungen  über  den  Eindruck,  welchen  das 
negative  Zusammentreffen  der  Gesellschaft  in  Ems  auf  Sie  macht. 

Ihre  Empfindungen  enthalten  in  dieser  Beziehung  mannigfache 
Widersprüche  in  sich,  und  es  würde  allerdings  mehr  Zeit  und  Raum, 
als  einem  Briefe  gegönnt  ist,  erfordern,  um  diesen  Widerspruch  bis  in 
sein  letztes  Prinzip  und  seinen  letzten  Schlupfwinkel  zu  verfolgen.  — 
Aber  soviel  ist  doch  an  sich  klar,  daß  es  verwunderlich  ist,  wie  Sie  sich 
durch  die  Achtungsbezeugungen  der  Emser  Gesellschaft,  der  Frauen 
zumal,  deprimiert  fühlen  können.  —  Achtungsbezeugungen?  werden 
Sie  sagen!  Und  dennoch  werden  Sie  schon  im  ersten  Augenblick  fühlen, 
daß  mit  diesem  Wort  der  Nagel  auf  den  Kopf  getroffen  und  jener  schein- 
heilige imd  austere  Zorn,  jene  eisige  Kälte  nichts  andres  ist  als  der 
Beweis  der  ahnimgsvoUen  Furcht  und  des  achtungsvollen,  neidischen 
Hasses,  mit  dem  die  Frauenwelt  Sie  betrachtet. 

Denn  glauben  Sie,  daß  etwa  z.  B.  Verachtung  aus  jenen  Blicken 
spricht,  daß  jene  Frauen  Sie  verachten  ? 

Zimächst,  wenn  es  Verachtung  wäre,  werden  Sie  mir  zugestehen, 
würden  diese  Frauen  ihr  Spiel  nicht  so  oft  wiederholen.  Man  reibt  sich 
nicht  an  einer  Sache,  die  man  verachtet,  am  wenigsten  Frauen.  Man 
läßt  sie  liegen.  Man  würde  Sie  daher  ignorieren,  tout  bonnement  und 
weder  mit  Feindseligkeit,  noch  auf  irgendeine  andere  Weise  anblicken. — 
Auch  die  bloße  Neugier  ist  keine  triftige  Erklärung.  Aus  Neugier  sieht 
man  jemand  ein-,  zweimal  an  und  auch  dann  bloß  mit  neugierigen, 

^)  Dieser  Brief  ist  anfangs  der  fünfziger  Jahre  geschrieben.  Ein  genaues  Jahr 
wagte  der  Herausgeber  nicht  anzusetzen.  In  Ems  weilte  die  Gräfin  häufiger  zur 
Kur.  Ähnliche  Klagen  der  Gräfin  aus  späteren  Jahren  findet  man  unten  in  Nr.  i6 
und  i8.  Es  ist  auffallend,  daß  Lassalle  in  seinen  Antworten  nirgends  auf  diesen 
älteren  Manuskriptbrief  .verweist. 


d.  h.  jedenfalls  mit  ganz  andern   Blicken  als  jene  sind,  die  vSie  mir 
schildern. 

Noch  entscheidender  ist  eine  andere  Betrachtung.  —  Wenn  vSie  an- 
nehmen wollen,  daß  man  vom  Standpunkt  der  Welt,  Gesellschaft  und 
Sitte  Sie  verachten  kann  —  wollen  Sie  mir  dann  erklären,  wieso  es 
kommt,  daß  die  Männer  —  und  zwar  grade  stets  die  gebildetsten,  die 
besten  und  edelsten  Männer  —  Sie  noch  stets  mit  Vergnügen  aufgesucht 
und  sich  um  Ihre  Bekanntschaft  bemüht  haben?  Sie  werden  vielleicht 
antworten  wollen,  der  Mann  sei  nach  der  akzeptierten  Sitte  unendlich 
freier  und  dürfe  tausend  Dinge  tun,  welche  die  Sitte  untersagt.  Diese 
Antwort  ist  aber  enorm  falsch,  als  Antwort  nämlich  auf  meine  Frage. 

Denn  die  geringste  Betrachtung  wird  Ihnen  zeigen,  daß  der  Mann 
in  jeder  Hinsicht  in  seiner  Denkungsart  unendlich  strenger,  dogmati- 
scher und  schonungsloser  ist  als  die  Frau.  Wenn  man  Sie,  selbst 
vom  Standpunkt  der  Welt  aus,  verachten  könnte,  so  würden  Sie  die 
Männer  diese  Verachtung  unendlich  härter  und  konsequenter  und 
ausnahmsloser  fühlen  lassen  als  die  dann  —  wo  Sie  erst  wirklich 
verachten  zu  dürfen  glauben  —  doch  immer  zum  Mitleid  und  zur  Milde 
aufgelegten  Frauen.  Woher  also  dieser  Gegensatz  im  Verhalten  aller 
Männer  — und  besonders  der  gebildeteren  —  zu  Ihnen  und  dem  der 
Frauen?  Auch  das  wäre  eine  höchst  oberflächliche  Antwort,  daß  dem 
Manne  ja  das  Fortwerfen  der  Sitte  bequemer  sei  als  der  Frau,  und  daß 
der  Mann  daher  keinen  Grtmd  zur  Anfeindung  habe.  Denn  es  ist  der 
Mann,  der  die  Sitte  gemacht  hat,  und  nicht  die  Frauen,  die  sie  bloß 
dulden ;  es  ist  der  Mann,  der  auf  das  Bestehen  der  von  ihm  geschaffenen 
Sitte  unerbittlich  hält;  es  ist  also  der  Mann,  der  unter  jeder  Bedingung 
am  schonungslosesten  sein  würde  gegen  jemand,  der  sich  am  Sittlichen 
vergangen  und  dennoch  auf  die  Ehre  und  Achtung  der  freien  Persön- 
lichkeit Anspruch  macht.  Ich  will  Ihnen  jenen  Gegensatz  von  dem-  Ver- 
halten der  Männer  und  Frauen  zu  Ihnen  erklären.  — 

Was  die  Frauen  in  Ihrer  Gegenwart  und  Nähe  ergreift,  das  ist  jenes 
unbestimmte  Gefühl  von  Furcht  und  Haß,  jenes  vage,  ahnungsvolle 
Zittern,  sich  in  der  Nähe  des  Prinzips  zu  finden,  von  welchem  man 
den  Todesstoß  empfangen  soll.  In  der  Natur  wie  in  der  Geschichte,  ja 
selbst  im  Einzelleben  gibt  es  solcher  Beispiele  die  Fülle,  in  welchen 
eine  Existenz,  in  die  Nähe  des  Prinzips  gebracht,  durch  das  sie  unter- 
zugehen bestimmt  ist,  von  unheimlicher  Furcht  und  darum  von  um  so 
lebhafterem  Haß  unbewußt  ergriffen  wird. 

Wenn  der  Vogel  die  Klapperschlange  sieht,  überfällt  ihn  diese 
Ahnung  des  Untergangs  und  lähmt  seine  Flügel.  —  Macbeth  wurde 
von  unheimlichem  Schauer  befallen  in  Macduffs  Gegenwart,  noch  ehe 
er  wußte,  daß  dieser  vor  der  Zeit  aus  seiner  Mutter  Leib  geschnitten 


=   14  

und  er  also  zum  Untergang  durch  Macduffs  Hand  bestimmt  war.  —  Der 
Bourgeois,  so  Sieger  wie  er  ist,  wird  in  der  Nähe  einer  sozialistischen 
Tatsache,  Gedanke  oder  Gestialtung  von  einem  unheimlichen  Gefühl 
ergriffen,  welches  —  oft  ohne  daß  er  sich  erklären  kann,  warum  jener 
Gedanke,  Werk  oder  Persönlichkeit  sozialistisch  sei  —  ihm  sagt,  daß 
sein  Ivcbensprinzip  durch  jenes  höhere  vernichtet  werden  wird.  Das 
Endliche  ahnt  seine  Grenze,  wenn  es  mit  einem  mächtigeren  Prinzip 
zusammentrifft.  In  Berlin,  wo  ich  doch  mit  einem  in  die  glattesten 
Falten  gelegten  Gesicht  durch  die  glatten  Salons  lief,  sagten  sehr  oft 
Ivcute  zu  Mendelssohn,^)  sie  könnten  mich  nicht  leiden,  und  zwar  deshalb, 
weil  ihnen,  ohne  zu  wissen  warum,  unheimlich  in  meiner  Nähe  würde. 
Sie  aber  vertreten  ein  höheres  Gebiet  im  Gebiet  der  Sitte,  der  lyiebe, 
der  Weiblichkeit,  einen  höheren,  befreiteren  Gedanken,  den  Sie  zum 
ersten  Male  zum  plastischen  und  praktischen  Ausdruck  gebracht  imd, 
was  mehr  ist,  siegreich  realisiert  haben.  Wieso  ich  sagen  darf:  sieg- 
reich, wird  sich  später  finden.  In  der  Tat,  Madame,  ist  Ihnen  das  Ge- 
heimnis und  die  eigentliche  Bedeutung  Ihrer  eigenen  lyeidensgeschichte 
nie  so  ganz  klar  geworden,  oder  wenigstens  ist  diese  Klarheit  nicht 
bleibend.  Sie  übersehen  manchmal,  daß  in  dem,  was  Ihnen  Ihre  bloß 
individuelle  Leidensgeschichte  zu  sein  scheint,  noch  ganz  anderes  vor- 
handen ist;  daß  nämlich  ein  welthistorischer  Gedanke  sich  Ihren  Leib 
geliehen  hat,  um  sich  zum  erstenmal  zum  Ausdruck  und  zur  Darstellung 
in  der  Wirklichkeit  zu  bringen,  daß  somit  Ihre  Geschicke,  ob  gut,  ob 
schlimm,  nichts  andres  sind  als  die  praktisch  (als  Ereignis)  gesetzten 
Konsequenzen  jenes  Gedankens  und  seines  gegensätzlichen  Verhaltens 
zu  der  bisherigen  Welt. 

Erlauben  Sie  mir,  Madame,  auf  die  Gefahr  hin  langweilig  zu  sein, 
darüber  etwas  weitläufiger  zu  werden.  Ogleich  Sie  sagen  können,  es  sei 
eben  nicht  tröstlich,  sich  so  als  Instrument  und  Experimentalstätte  des 
welthistorischen  Geistes  zu  wissen  (Sie  sind  ja  aber  sein  bewußtes 
und  freiwilliges  Instrument),  hat  es  jedenfalls  die  versöhnende  Folge, 
alles  Harte,  was  ohne  diese  Erkenntnis  Willkür  und  Zufall  zu  sein 
schien,  an  denen  man  unterzugehen  scheint,  als  die  notwendige  Reaktion 
einer  Welt,  die  unrettbar  an  uns  untergehen  soll,  zu  begreifen. 

Es  ist  schon  lange  her,  daß  ein  anderer  Begriff  von  Liebe,  Scham, 
Weiblichkeit  und  weiblicher  Freiheit  in  der  Welt  zu  dämmern  begann. 
So  gewiß  wir  eine  soziale  Revolution  zu  machen  haben  in  bezug  auf 
die  ökonomischen  Verhältnisse,  ebenso  gewiß  und  notwendig  haben 
wir  eine  soziale  Revolution  zu  machen  in  bezug  auf  Liebe,  Geschlechter- 
leben und  Sitte.  Der  Zug  der  neuen  Zeit  ist,  daß  sich  die  Persönlich- 

^)  Dr.  Arnold  Mendelssohn,  Lassalles  nächster  Freund  in  der  Studentenzeit. 
Vgl.  über  ihn  Bd.  I  Einführung  S.  29  f. 


-^=^  15 — 

keit  zur  unbedingtesten  freien  Verwirklichung  bringen  will.  Wie  kann 
aber  die  Persönlichkeit  wahrhaft  frei  sein,  sich  frei  geniei3en  und  dar- 
stellen, wenn  nicht  einmal  ihr  Eigenstes  und  Unmittelbarstes  —  ihre 
Gefühle  und  ihr  I^ib  —  Gegenstände  ihrer  Freiheit,  sondern  ihrer  freien 
Bestimmung  entzogen,  Eigentum  eines  Mannes,  eines  Versprechens, 
von  einer  unvernünftigen  Sitte  sklavisch  beherrschte  Gebiete  sind? 

Welch  ein  immöglicher  und  undenkbarer  Widerspruch  wäre  es,  wenn 
die  Persönlichkeit  sich  frei  will  betätigen  und  verwirklichen  können 
allen  anderen  Persönlichkeiten,  der  allgemeinen  geistigen  Welt  gegen- 
über (staatliche  Freiheit),  wenn  sie  sogar  die  Natur-  und  Nachtseite 
des  Menschen  —  die  Erde,  die  Welt  der  materiellen  Güter  überhaupt  — 
sich  unterwerfen,  die  fremde  Außenwelt  der  Dinge  und  der  Stoffe  be- 
herrschen will,  um  sich  für  immer  von  der  Herrschaft  der  stoffhchen 
Welt  über  die  freie  Persönlichkeit  —  (Bedürfnis,  Mangel)  — zu  befreien,  — 
wie  widersinnig,  sage  ich,  wie  unkonsequent  wäre  dieser  Drang  der 
freien  Persönlichkeit,  wenn  er  nicht  mit  derselben  Intensität  darauf  aus- 
ginge, wie  er  sich  in  der  Welt  der  geistigen  und  materiellen  Existenzen 
ungestört  verwirklichen  will,  so  vor  allem  seine  eigenste,  unmittelbare 
Wirklichkeit,  die  angeborene  Sphäre  der  Persönlichkeit,  seinen  Leib 
und  seine  Gefühle  zu  einer  Stätte  seiner  Freiheit  umzuschaffen  ?  Gleich- 
zeitig daher  mit  den  neuen  revolutionären  Ideen  überhaupt  entstand 
auch  sofort  ein  neuer  Begriff  von  Liebe  tmd  Geschlechtsleben.  Welches 
der  Inhalt  dieses  neuen  Begriffes  ist,  genau  zu  entwickeln,  würde  hier 
zu  weit  führen,  ich  will  ihn  daher  lieber  als  bekannt  und  mit  dem  Obigen 
hinreichend  angedeutet  voraussetzen.  Nur  über  sein  Hervortreten  in 
der  Geschichte  will  ich  einiges  sagen. 

Nachdem  sich  der  im  Mittelalter  herrschende  romantische,  einseitig 
innerliche  Liebesbegriff,  wie  die  Romantik  überhaupt,  vor  dem  wirk- 
lichkeitsdurstigen, realistischen  Geiste,  der  mit  der  Periode  der  großen 
Entdeckungen  und  Erfindimgen  die  Welt  ergriff,  aufgelöst  und  ver- 
flüchtigt hatte,  bildete  dieser  neue  realistische  Geist  die  Liebe  imd  das 
Geschlechterleben  in  zwei  verschiedenen  Ländern  nach  den  beiden 
Gegensätzen  hin  aus,  die  in  jenem  Geist  als  Keime  enthalten  waren. 

Die  von  der  Romantik,  imd  damit  zimächst  von  jeder  Innerlichkeit 
überhaupt  verlassene  Liebe  wurde  in  dem  plastisch  äußerlichen  Frank- 
reich, dem  neuen  nach  außen  gerichteten  Geiste  entsprechend,  zur 
schönen  Äußerlichkeit  entwickelt,  d.  h.  also  —  denn  die  schöne 
Äußerlichkeit  ist  der  Geschmack  — ,  zum  Reiche  des  Geschmacks,  der 
Eleganz  und  der  Galanterie.  Je  mehr  das  Moment  des  Innern  —  das  Ge- 
schmackvolle—  verfiel,  je  tobender  der  Geist  nach  außen  griff,  destorea- 
listischer  entwickelte  sich  das  Geschlechterleben  und  die  Galanterie  (d.  h. 
die  Liebesidee  jener  Zeit)  zur  Ausschweifimg,  Gemeinheit  und  Rouerie. 


=  i6  —  

Eine  andere  Entwicklung  ging  in  Deutschland  vor  sich.  Das  deutsche 
Volk  war  seiner  Naturanlage  nach  zu  innerlich,  als  daß  es  sich  zu  jener 
genußsüchtigen  Äußerlichkeit  hätte  entwickeln  können.  Andererseits 
aber  war  es  unmöglich,  daß  der  neue,  aller  Romantik  todfeindliche,  alles 
Veräußerlichende  Geist  hätte  ohne  Einwirkung  bleiben  können.  Die 
romantische  Blüte  der  lyiebe,  ihre  tiefe  Innigkeit  war  gebrochen;  die 
lyiebe,  das  Geschlechterleben  äußerlich  geworden.  Aber  wegen  der 
Innerlichkeit  und  Gemächlichkeit  des  Deutschen  blieb  auch  diese 
Äußerlichkeit  noch  gemütlich;  es  blieb,  an  Stelle  der  romantischen  Liebe, 
noch  ein  innerliches  Verhältnis,  welches  nur  in  sich  selber  äußer- 
lich und  seelenlos  geworden  war,  sich  aber  nicht  zur  konsequenten 
Äußerlichkeit,  zur  Genußsucht  entwickelte. 

Dieses  äußerlich  und  seelenlos  gewordene  Verhältnis  der  Geschlechter, 
welches  aber  gemütlich  und  so  en  quelque  sorte,  noch  innerlich  ge- 
blieben war,  ist  —  die  Ehe,  die  Häuslichkeit.  Der  Deutsche  hat  die 
Ehe  und  Häuslichkeit  entwickelt  und  durchgelebt  —  wie  kein  andres 
Volk.  Die  Häuslichkeit  ist  eben  jenes  nach  seinen  Begriffsmomenten 
aufgezeigtes  Verhältnis,  wo  die  I/iebe,  ihre  Seele  und  Leidenschaft,  ge- 
storben und  äußerlich  geworden  ist,  zugleich  aber  noch  in  dem  Rahmen 
der  Innerlichkeit  eingespannt  werden  soll  imd  bleibt.  Diese  entseelte, 
äußerlich  gewordene  und  gemächlich  gebliebene  Liebe,  diese  rein  äußer- 
liche Innerlichkeit  ist  das  Interesse  und  Bemühen  der  Hausfrau  um 
Strümpfe  und  Hosen,  um  Husten  und  Schnupfen  des  Mannes  imd  der 
Kinder.  Durch  die  Entwicklung  der  Liebesidee  wird  natürlich  am 
meisten  das  Weib  af  fiziert,  gedrückt  oder  gehoben,  da  sie  nur  in  dieser, 
der  Mann  in  noch  viel  anderen  Sphären  lebt.  Der  Einfluß  obigen  Wechsels 
im  Geschlechterleben  mußte  sich  also  hauptsächlich  am  Weibe  zeigen. 
Und  das  war  auch  der  Fall.  Jenes  Geschlechtsverhältnis  erzeugte  in 
Deutschland :  —  die  Hausfrau !  Ein  eigentümlich  deutsches  Geschöpf ! 
Die  deutschen  Weiber  kamen  damals  —  und  zum  Teil  noch  heute  — 
schon  als  Hausfrauen  auf  die  Welt.  Geboren  und  erzogen  zu  dem  Beruf, 
weder  Liebe  zu  finden  noch,  wie  in  Frankreich,  die  Karriere  der  Ga- 
lanterie durchzumachen,  bestimmt,  ewig  in  jenem  äußerlichen  Verhält- 
nis des  gemeinschaftlichen  Lebensinteresses  neben  ihrem  Manne  her- 
zugehen, entwickeln  sie  ihre  Fähigkeit  ausschließlich  zu  jener  Fertig- 
keit in  Wirtschaftsangelegenheiten,  weswegen  sie  so  oft  gepriesen 
wurden.  In  der  Tat  haben  deutsche  Dichter  sogar  die  betise  gehabt,  die 
deutschen  Hausfrauen  zu  besingen  und  damit  die  verkümmertste  Er- 
scheinung einer  verkümmerten  Zeit  zum  Gegenstande  der  Poesie  zu 
machen. 

So  hatte  sich  in  Frankreich  wie  in  Deutschland  die  Liebe  und  das 
Geschlechterleben  in  das  Extrem  der  Äußerlichkeit  aufgelöst;  dort  in 


-  -^=  17  -  — 

die  Rouerie,  hier  in  die  Äußerlichkeit  der  Phihsterehe.  —  Wenn  man 
damals  in  Frankreich  das  Wort  ,,amour"  aussprach,  so  dachte  jeder- 
mann an  eine  Ausschweifung  oder  bloße  Galanterie  dabei.  Wenigstens 
aber  war  das  Wort  selbst  noch  geachtet  und  auf  jedermanns  Lippen. 
Wenn  man  aber  in  Deutschland  damals  von  ,,Iviebe"  sprach,  so  ^vurde 
man  ausgelacht,  die  Liebe  wurde  bei  uns  allgemein  für  etwas  Über- 
spanntes vmd  nur  in  Büchern  Vorkommendes  gehalten. 

Mit  dem  Heraufziehen  der  neuen  Gedanken  im  Gebiete  alles  geistigen 
und  materiellen  Lebens  mußte  aber  auch  in  der  Liebe,  im  Geschlechts- 
leben, in  der  Stellung  und  Auffassung  des  weiblichen  Elements  eine 
Revolution  vorgehen. 

Die  avant-coureurs  des  neuen  Lebens  sind  natürlich  hier  wie  überall 
in  der  Literatur  zu  suchen. 

Schon  vor  der  französischen  Revolution  erhob  sich  in  Deutschland 
ein  Mann  mit  einer  gewaltsamen  ,  .stürmischen  Reaktion"  gegen  die 
Äußerlichkeit  und  Prosa,  in  die  das  Geschlechtsleben  geraten  war;  es 
war  Heinse.i)  In  seinem  Ardinghello  wie  seiner  Klara  von  Hohenthal 
machte  er  die  gewaltsamsten  und  genialsten  Anstrengimgen,  griechi- 
schen Schönheitsbegriff,  griechische  Sinnlichkeit  zu  Ehren  zu  bringen  imd 
in  unser  imendlich  trivial  gewordenes  Leben  überzupflanzen. 

Aber  teils  hat  sich  in  Heinses  Gestalten  nur  noch  das  männliche 
Element  befreit  imd  nicht  —  was  die  Hauptsache  —  das  weibliche ;  teils 
verfällt  er  in  die  beiden  Extreme  sowohl  zu  großer  geistiger  Über- 
schwenglichkeit als  zu  abstrakter  Sinnlichkeit;  teils  endlich  schien 
ihm  selbst  das  von  ihm  Darzustellende  so  wenig  Anspruch  auf  allge- 
meine Wirklichkeit  imd  Gültigkeit  machen  zu  köimen,  daß  er  seine 
Schöpfungen  ausschließlich  in  Künstlergestalten  (Musiker  und  Maler) 
hüllte.  Man  konnte,  obwohl  es  andrerseits  sehr  erklärlich  war,  nichts 
Nachteiligeres  trni,  als  diese  ausschließliche  Wahl  des  Künstlercharak- 
ters. Denn  damals  und  noch  lange  nachher  schien  der  deutschen  Phili- 
sterei  der  Künstler  etwas  Liederliches,  Exzentrisches  und  Überspanntes 
par  destination  zu  sein ;  man  war  gewohnt,  den  wirklichen,  um  so  mehr 
den  literarisch  vorgestellten  Schauspielern,  Dichtem,  Malern  usw. 
Dinge  zu  verzeihen,  die  man  einem  Mitglied  der  bürgerlichen  Welt  nie 
verziehen  hätte.  Die  Folge  war,  daß  die  Künstler  aus  dem  bürgeflichen 
Leben,  der  Familienverbindung  usw.  ausgeschlossen,  geflohen  und  in 
ihr  Fach  hinein  relegiert  wurden,  und  die  Künstlercharaktere  der 
Heinseschen  Romane  schienen  daher  von  vornherein  der  Beweis  zu 
sein,  daß  dieses  Lehren  und  Handlungsweisen  seien,  die  sich  eben  nur 

^)  Der  Roman:  ,, Ardinghello,  oder  die  glückseligen  Inseln"  erschien  1787, 
die  , .Hildegard  [nicht  Klara!]  von  Hohenthal"  1795/96.  das  letztere  Werk  also 
erst  in,  oder  richtiger  nach  der  französischen  Revolution. 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  2 


=   i8  =^ 

für  diese  ohnehin  von  der  bürgerlichen  Gesellschaft  Ausgestoßenen 
schickten,  aber  selber  nicht  auf  allgemeine  Geltung  Anspruch  machen 
wollten. 

Wenn  Heinse  selbst  noch  in  einem  gärenden  und  schäumenden 
Prozeß  begriffen  war,  dessen  Wellen  ihm  nicht  selten  über  dem  Kopf 
zusammenschlugen ,  so  trat  gleichzeitig  ein  beruhigterer  Geist  auf  und 
eröffnete  den  Kampf  für  die  Wiedererlangung  der  ewigen  Rechte  der 
lyiebe  durch  siegreiche  Darstellungen  derselben.  Dieser  Meister  war 
Goethe,  imd  die  siegreichen  Batterien,  die  er  gegen  den  herrschenden 
Unverstand  ins  Feld  führte,  hießen :  Die  Braut  von  Korinth,  Der  Gott 
imd  die  Bajadere,  Gretchen  im  Faust  imd  Klärchen  im  Egmont,  Die 
Wahlverwandtschaften,  Werthers  lyciden  imd  Wilhelm  Meister,  end- 
lich die  Römischen  Elegien,  mehrere  lyrische  Gedichte  imd  zuletzt  das 
kleine  Gedicht:  Vor  Gericht.  —  Die  Bedeutimg  und  Wirkung  dieser 
Dinge  war  eine  immense.  Dennoch  darf  die  Begrenztheit  dieser  lyci- 
stungen  nicht  verkannt  werden.  Die  Braut  von  Korinth  ist  eine  sieg- 
reiche und  unerbittliche  Negation  des  allem  Geschlechtsleben  und 
auch  der  Ehe  feindlichen  Geistes  des  Christentums.  Allein  wenn  sie  das 
Geschlechtsleben  von  der  Askese  des  spezifischen  Christentums  be- 
freit, befreit  sie  darum  doch  nicht  die  I^iebe  als  solche  von  der  weit 
wichtiger  gewordenen  Schranke  der  bürgerlichen  Moral;  berührt  gar 
nicht  den  Gegensatz  von  lyiebe  und  Ehe,  von  freier  und  bürgerlich  un- 
freier Hingebung;  ebensowenig  legt  sie  den  eigentlichen  Inhalt  des 
lyiebesbegriffs  an  den  Tag. 

Werthers  I^eiden  und  Wilhelm  Meister  sind  allerdings  Werke,  welche 
den  sozialen  Roman  hervorgerufen  und  eröffnet  haben.  Die  Liebe 
stürmt  hier  gegen  die  Kasten-und  Standesunterschiede  der  wirk- 
lichen Welt  an.  Allein  wenn  die  L/iebe  durch  ihre  innere  Unendlich- 
keit hier  auch  jene  Kastenunterschiede  zerbricht  und  diese  Schranke 
zu  Boden  wirft,  so  ist  doch  —  abgesehen  von  der  Sentimentalität  Werthers 
und  anderem,  was  hier  weniger  in  Frage  kommt  —  der  Mangel  derselbe 
wie  oben.  Die  I^iebe  hat  die  Schranken  der  bürgerlichen  Unterschei- 
dungen und  Kasten  zerbrochen  und  so  allerdings  eine  Art  von  Unfrei- 
heit von  sich  abgetan,  aber  die  eigentliche  und  hauptsächliche  Unfrei- 
heit, die  Unfreiheit  der  I/iebe  in  sich  selber,  die  Unfreiheit  zwischen 
Mann  und  Weib  überhaupt  war  damit  noch  nicht  berührt,  ge- 
schweige denn  überwunden.  Mit  der  von  Rangunterschieden  befreiten 
lyiebe  ist  die  freie  Liebe  noch  lange  nicht  gegeben.  Die  Stände  sind 
befreit,  aber  die  Geschlechter  noch  nicht.  Wenn  der  Handlimgs- 
lehrling  dort  die  Gräfin  liebte,  so  sind  sie  diese  Schranken  des  Standes 
los  geworden.  Aber  hinter  ihnen  stehen  unberührt  jene  weit  härteren 
Schranken,  welche  (abgesehen  von   allem  Stand)  nach  den  heutigen 


=   19   === 

Begriffen  von  Ehe,  Liebe,  Geschlechtsleben,  Hingebung  und  Körper 
Mann  von  Weib,  Empfindung  von  Verwirklichung,  Liebe  von  Genuß 
trennen. 

In  den  Wahlverwandtschaften  wollte  der  große  Meister  die  Sache 
recht  eigentlich  aufs  Korn  nehmen.  Aber  dieser  Wurf  ist  ihm  über  alle 
Maßen  verunglückt.  In  diesem  Werke  wird  die  Liebe  und  die  Hingebung, 
welche  die  freie  Tat  der  bewußten  Persönlichkeit  sein  soll  und 
nur  als  solche  Gehalt  und  Wert  hat,  zu  einem  —  Chemismus 
natürlicher  Stoffe.  Die  Liebe  durch  das  Spiel  natürlicher  Kräfte 
hervorgebracht  imd  beherrscht,  tellurischen  Dämpfen  Untertan,  d.  h. 
die  Liebe  des  freien  Wollens  der  Persönlichkeit  beraubt,  ist  wahr- 
hafte Unsittlichkeit.  — 

Mit  dem  Gretchen  des  Faust,  welche,  obgleich  sie  ein  Kind  bekommen 
imd  sogar  ihr  Kind  wie  ihre  Mutter  gemordet  hat,  in  den  Himmel  kam, 
war  freilich  den  Moralisten  ein  arger  Possen  geschehen.  Aber  Gretchen 
wie  auch  Egmonts  Klärchen  sind  imbeschadet  ihres  großen  dichteri- 
schen Wertes  in  ihrer  Art  zu  naive,  kindliche  Gestalten,  um  in  dieser 
Hinsicht  epochemachend  wirken  zu  können ;  es  sind  nicht  geistige,  selbst- 
bewußte und  sich  aus  sich  zur  Liebe  entschließende  Persönlichkeiten, 
sondern  arme,  imschuldige,  ganz  vom  Willen  des  Geliebten  beherrschte 
Dinger.  Die  Liebe  selbst  ist  ihnen  von  Faust  und  Egmont,  vom  Willen 
der  Geliebten  angetan  worden.  Solche  rein  passive,  von  einem  fremden 
Willen  schlechthin  hingerissene,  obgleich  reizende  Gestalten,  solche 
naive  Mädchennaturen  enthalten  nicht  das  Ideal  der  Frau,  die  sich  als 
geistige  Persönhchkeit  aus  sich  selbst  bestimmen  soll,  und  konnten  also 
auch  in  dieser  Hinsicht  gar  nicht  wirken. 

Tiefer  als  alles  bisherige  ist:  Der  Gott  und  die  Bajadere.  Ohne  alle 
Umstände  ist  da  die  Liebe  als  eine  der  Sitte  weit  überlegene,  als  eine 
weit  höhere  und  die  Unterschiede  und  Dogmen  derselben  überwindende 
Macht  gefeiert.  Die  lüsterne  Ausstattung  des  Gedichts,  die  Worte : 

Soll  in  Asche  mir  zerfallen 
Dieser  Glieder  Götterpracht, 
Mein,  er  war  es;  mein  vor  allen 
Ach,  nur  eine  schöne  Nacht! 

zeigen  deutlich  genug,  worauf  Goethe  den  Wert  legt  imd  daß  in  der 
Apotheose  der  Bajadere  das  Moment  der  heißen  sinnlichen  tmd  begehr- 
lichen Liebe  von  hohem  Gewicht  sein  soll.  Aber  Stoff  und  notwendige 
Begrenzung  des  Gedichtes  machten  es  unmöglich,  die  eigentliche  Frage, 
von  der  ich  handele,  ex  professo  zu  berühren. 

Von  großer  Wirkung  vmd  unendlicher  Schönheit  endlich  sind  die 
Römischen  Elegien  Goethes. 


— ■     20  1= 

Hier  endlich,  hier  war  die  Sinnlichkeit  wieder  einmal  so  recht  zu 
Ehren  gebracht !  Der  abstrakteste  Spiritualist  mußte  es  sich  vor  diesen 
Elegien  eingestehen,  daß  hier  unendlich  mehr  Geist,  mehr  Tiefe  sei  als  in 
allem  Krimskrams,  das  er  seinl^ebtag  getrieben,  imd  daß  also  Geist  imd 
Sinnlichkeit  keine  Gegensätze,  sondern  eigentlich  sehr  harmonische 
und  nach  ihrer  gegenseitigen  Umarmimg  sehr  lüsterne  Potenzen  seien.  — 
Dennoch  aber  fehlte  ein  Gewaltiges. 

Die  Römischen  Elegien  stellen,  trotz  aller  Schönheit  und  unend- 
licher Berechtigtmg,  doch  nur  schöne  Sinnlichkeit  dar  imd  nicht  Liebe. 
Von  einer  anderen  Seite  gefaßt  würde  es  Ihnen  klarer  werden.  Man  er- 
fährt in  den  Elegien  fast  nichts  von  der  Frau.  Sie  tritt  nicht  auf,  spricht 
sich  fast  nirgends  aus,  sie  steht  Goethe  offenbar  nicht  gleich  an  Bildung, 
es  ist  überall  nur  Goethe,  der  an,  bei  und  auf  einer  schönen  Hetäre 
genießt.  Zur  Liebe  aber  muß  Reziprozität,  gegenseitige,  gleiche 
geistige  Bildung  vorhanden  sein.  Die  Römerin  in  den  Elegien  bleibt 
wie  gesagt  das  rein  passive  Element,  an  dem  Goethe  genießt.  Sie  ist 
offenbar  eine  untergeordnete  Persönlichkeit;  sonst  würde  sie  sich 
gleichfalls  aussprechen  und  sogar  genießend  darstellen.  Und  darum  ist 
in  den  Elegien  nur  schöner  Genuß,  schöne  Sinnlichkeit  vorhanden,  nicht 
l4ebe.  Darum  haben  zugleich  die  Elegien  nicht  die  Wirkung  und  Be- 
deuttmg  gehabt,  die  sie  sonst  gehabt  haben  würden.  Denn  es  handelte 
sich  zur  sittlichen  Revolution  vor  allem  darum,  nicht  den  Mann  —  dem 
dies  ohnehin  schon  eher  erlaubt  war  — ,  sondern  das  Weib  frei  ge- 
nießend öffentlich  darzustellen.  Bei  der  sittlichen  Befreiung  handelt 
es  sich  vorzüglich  um  Befreiung  der  Weiber.  Und  deshalb  mußte  auch 
an  den  weiblichen  Charakteren  vorzüglich  diese  Befreiung 
dargestellt  und  aufgezeigt  werden.  Es  mußten  weibliche  Charaktere 
dargestellt  werden,  welche  die  alte  Scheu  und  den  alten  Kampf 
glücklich  überwunden  hatten;  sie  mußten  frei  genießend,  womöglich 
in  der  Aktion  des  Genusses  selbst,  öffentlich  aufgezeigt  werden,  um 
darzutun,  daß  sie  dabei  nicht  bloß  so  schön  blieben,  wie  der  genießende 
Goethe  in  den  Elegien,  sondern  auch  dreimal  achtungs-  und  verehrungs- 
würdiger als  früher.  Auf  erschöpfende  Weise  ließ  sich  das  allerdings  nur 
im  Roman  oder  Drama  tun,  wo  die  Schwierigkeit  nicht  entstand  wie  in 
einem  Gedicht,  die  Frau  nur  in  einer  einzelnen  Situation  zeigen  zu 
können,  wo  sie  vielmehr  ihre  höhere  Gefühls-  und  Gedankenwelt  der 
alten  Unnatur  gegenüber  nach  allen  Seiten  siegreich  darlegen  konnte. 

Ein  anderes  Gedicht,  welches  ich  oben  bezeichnet  habe  und  in 
welchem  in  der  Tat  das  weibliche  Element  aktiv  auftritt,  ist  in  dieser 
Beziehung  das  bedeutendste  und  tiefste.  Ich  meine  das  kleine  Gedicht: 
Vor  Gericht.  Da  Sie  wahrscheinlich  keinen  Goethe  zur  Hand  haben, 
habe  ich  hier  einen  aufgetrieben  und  will  es  ausschreiben: 


21 


Vor  Gericht. 


Von  wem  ich  es  habe,  das  sag'  ich  euch  nicht, 
Das  Kind  in  meinem  lycib  — 
,,Pfui!"  speit  ihr  aus,  ,,die  Hure  da!" 
Bin  doch  ein  ehrlich  Weib. 

Mit  wem  ich  mich  traute,  das  sag'  ich  euch  nicht, 
Mein  Schatz  ist  lieb  und  gut. 
Trägt  er  eine  goldne  Kett'  am  Hals, 
Trägt  er  einen  strohernen  Hut. 

Soll  Spott  und  Hohn  getragen  sein, 
Trag'  ich  allein  den  Hohn, 
Ich  kenn'  ihn  wohl,  er  kennt  mich  wohl. 
Und  Gott  weiß  auch  davon. 

Herr  Pfarrer  und  Herr  Amtmann,  Ihr, 
Ich  bitte,  laßt  mich  in  Ruh! 
Es  ist  mein  Kind,  es  bleibt  mein  Kind, 
Ihr  gebt  mir  ja  nichts  dazu! 

Das  Gedicht  ist  klassisch  imd  deutlich  genug,  um  jedes  Wort  zur  Heraus- 
hebvmg  seines  Gedankeninhalts  überflüssig  zu  machen.  Man  kann  im- 
möglich mit  klarerer  Selbstbestimmtheit,  mit  naiverem  Trotz,  mit 
größerer  Selbstgewißheit  das  Prinzip  der  freien  PersönHchkeit  in  der 
lyiebe  aussprechen  als  hier  geschehen. 

Leid  tut  es  mir,  in  dieser  kurzen  historischen  Übersicht  nicht  ein 
Wort  von  Schiller  sagen  zu  können.  Aber  er  hat  in  der  Tat,  wenn  man 
nicht  auf  imgenaue  Weise  einige  Gedichte  hierher  rechnen  will  —  nicht 
eine  Lanze  zugunsten  der  freien  Liebe  gebrochen.  Seine  Frauengestalten 
sind  sämtlich  imfrei  imd  daher  oft  widerlich.  Da,  wo  er  den  herrlichsten 
Stoff  dazu  hatte,  in  Maria  Stuart,  hat  er  denselben  unbenutzt  vorüber- 
gehen lassen  und  nur,  manchmal  allerdings  mit  leisen,  sehr  leisen  An- 
klängen in  imser  Gebiet,  nach  anderer  Seite  hin  verarbeitet.  Nach  der 
produktiven  Epoche  Goethes  trat  eine  Periode  der  Zerfahrenheit  ein, 
in  welcher  sich  Epigonen  breit  machten.  Zusammenhängend  mit  den 
trostlosen  politischen  Zuständen  nach  den  Freiheitskriegen  war  eine 
dumpfe,  ihres  eigenen  Prinzips  imbewußte  Unzufriedenheit  mit  der  Wirk- 
lichkeit in  die  Welt  gekommen ;  eine  Periode  des  Suchens  nach  höherem 
Inhalt.  In  solchen  Zeiten  unklarer  Vorahnung,  wie  sie  allen  Perioden, 
in  dem  [sie!]  es  zum  entscheidenden  Bruche  kommen  soll,  voraus- 
gehen, können  oft  die  verkehrtesten  Erscheinungen  auftauchen.  Dieses 
Suchen  nach  einem  höheren  idealen  Prinzip,   mit  welchem  das  schale 


-    22  - 

Leben  zu  vergeistigen  wäre,  erzeugte  damals  die  romantische  Schule 
ein  Zurückgehen  auf  die  Richtung  des  Mittelalters.  Aber  wenn  eine 
bereits  tote  geschichtliche  Periode  gegen  das  Gesetz  der  Natur  vmd  Ge- 
schichte wieder  aufgefrischt  werden  soll,  so  können  diese  Restaurateurs 
nie  auch  nur  jene  Periode  mit  ihrem  wahren,  wirklichen  Wert  zur 
Existenz  bringen;  sie  faussieren  imd  forcieren  sie.  Die  naive  Innigkeit 
der  mittelalterhchen  lyiebe,  die  sich  im  Minnegesang  imd  Troubadour- 
tum  ausspricht,  war  abgestorben  und  konnte  nicht  wieder  lebendig 
werden.  Die  Romantiker,  welche  jene  tiefe  Innerlichkeit  wieder  dar- 
stellen und  herstellen  wollten,  verfielen  in  die  phantastische  I^iebe, 
in  trübe  Überschwenglichkeit. 

Aber  die  Zeit  solchen  phantastischen  Unwesens  —  das  sich  je  nach 
seinen  verschiedenen  Graden  bald,  wie  bei  Hoffmann  usw.,  als  über- 
natürlicher Spuk,  Hexen-  und  Geisterwirtschaft,  bald,  wie  bei  Jean 
Paul,  als  bloße  Gefühlsschwelgerei  (z.  B.  diel^iane),  bald  auch  als  widrige 
Sentimentalität  darstellte — ,  war  [es]  nach  allen  Richtungen  hin  vorbei. 
Die  notwendige  Reaktion  mußte  eintreten.  Mit  dem  hellen  Sonnen- 
strahl des  Witzes  bewaffnet,  trat  Heine  auf  und  verjagte  jene  Nacht- 
gestalten aus  lyiteratur  und  Leben.  Er  ahmt  jene  romantischen  Produk- 
tionen von  der  Geistertollheit  bis  zur  siechen  Gefühlswehmut  und 
Träumerei  treffend  nach ;  er  macht  sie  nach,  um  zu  zeigen,  wie  gemacht 
und  affektiert  an  sich  diese  Schöpfmigen  seien,  und  hinterher  löst  er  sie 
mit  schallendem  Gelächter  in  ihr  Nichts  auf.  Er  gibt  diesen  Phantasmen 
und  Träumereien  die  Wirklichkeit  zu  kosten  und  läßt  sie  an  dieser 
mitleidlos  untergehen.  Zuerst  war  Heine  eine  kleine  Zeit  selbst  noch 
Romantiker ;  es  war  dies  notwendig ;  er  mußte  diese  Stufe  selbst  durch- 
gemacht haben,  um  sie  desto  gründlicher  besiegen  zu  können.  Bald  aber 
erhebt  er  sich  zu  seiner  historischen  Bedeuttmg.  Er  setzt  diesen  Schemen 
imd  Traumgestalten  die  sinnliche  Selbstgewißheit  des  Subjekts 
entgegen,  und  indem  er  das  reelle  Fleisch  imd  Bein  der  Wirklichkeit  als 
das  Überlegene  weiß  imd  jenes  daran  als  phantastisch  untergehen  läßt, 
ist  er  der  Dichter  der  Ironie.  Hieraus  bestimmt  sich  auch  sein  Verhalten 
zur  Liebesidee.  Das  ironische,  realistische  Subjekt,  das  Subjekt,  dem 
die  sinnliche  Selbstgewißheit,  das  greifbare  Fleisch  und  Bein  der  Wirk- 
lichkeit das  Höchste  ist,  wird  in  der  Liebe  alles  über  den  realen  Schenkel- 
druck Hinausgehende  als  Phantasma  nehmen.  Darum  verhält  sich  Heine 
manchmal  auch  gegen  den  wirklichen  und  wahren  Inhalt  der  Liebe 
ironisch.  Er  ist  der  Dichter  des  sinnlichen  Genusses,  der  das  darüber 
Hinausgehenwollende  verlacht,  und  sich  grade  damit  etwas  weiß 
und  darin  allein  die  Gewißheit  seiner  selbst  zu  bewahren  glaubt,  alles 
übrige  zu  verlachen.  Man  hat  ihn  darum  oft  frivol  gefunden.  Aber  diese 
Frivohtät  war  ein  unendlich  wohltätiger  Luftstrom,  um  das  dicke  Blut 


==     23  == 

in  den  deutschen  Adern  wieder  etwas  frischer  fließen  zu  machen.  Das 
Verdienst  und  die  Folgen  seiner  Gedichte  waren  daher  enorm.  Gleich- 
wohl hat  er  sich  zur  wahren  lyiebesidee  im  Buch  der  lyieder  nur  sehr 
selten  und  einige  Male  in  späteren  Gedichten  (Olaf  z.  B.)  erhoben. 

Sie  werden  sich  vielleicht  wimdern,  daß  ich  Frankreichs  bis  heran  in 
dieser  Übersicht  noch  nicht  erwähnt  habe.  Es  konnte  bis  heran  nicht 
erwähnt  werden.  Die  Revolution  hatte  dort  alle  Kräfte  für  sich  absor- 
biert. In  der  Revolution  waren  einzelne  ausgezeichnete  Weiber  auf- 
getreten, die  Roland,  1)  die  Tallien;^)  aber  sie  hatten  ihre  Tätigkeit 
nur  auf  die  allgemeinen  Objekte  der  Männerwelt,  auf  Staat  usw.  ge- 
richtet; in  der  eigentümlichen  Sphäre  der  Weiblichkeit,  in  der  Liebes- 
welt hatten  sie  nichts  geleistet. 

Wohl  aber  hat  die  Revolution  auf  die  gewaltigste  und  konsequenteste 
Weise  den  neuen  Begriff  von  Liebe,  Ehe,  Geschlechtsleben,  wie  er  sich 
mit  Ende  des  Mittelalters  in  der  Gesellschaft  zu  entwickeln  begonnen 
hatte,  realisiert  und  in  den  kühnsten  Institutionen,  welche  den  früheren 
christlichen  diametral  gegenüberstanden,  verkörpert.  Das  Christen- 
tum faßt  —  zuerst  von  allen  Religionen  imd  Volksgeistern  — den  Begriff 
der  Liebe  an  sich  ganz  richtig  auf,  als  die  absolute  sittliche  Einheit 
der  Individuen  ineinander.  Darum  gelangen  auch  die  Weiber  in  der 
christlichen  Welt  zu  einer  Anerkennung,  Selbständigkeit  imd  Bedeutung, 
die  sie  nie  früher  gehabt  hatten.  Aber  wenn  die  Religion  irgendeinen  Ge- 
dankeninhalt auch  noch  so  richtig  auffaßt,  sie  verdirbt  stets  diesen 
Inhalt  dadurch  wieder,  daß  sie  denselben  nur  in  der  Form  der  Vor- 
stellung und  nicht  in  der  allein  wahren  Form  des  Begriffes  zu  erfassen 
weiß.  Das  Christentum,  statt  zu  erkennen,  daß  es  allerdings  ein  Zug 
des  menschlichen  Wesens  ist,  sich  der  Einheit  mit  andern  Individuen 
bewußt  zu  werden,  daß  aber,  weil  die  zwei  Individuen,  die  sich  in  der 
Liebe  einander  als  eins  zu  erkennen  geben  imd  in  eins  zusammenschließen, 
doch  wiederum  getrennte  und  verschiedene  Individualitäten  sind,  wo 
nicht  gerade  zwei  großartige  imd  einander  durchaus  ergänzende  Charak- 
tere aneinander  gekommen  sind,  diese  Einheit  sich  wieder  notwendig 
auflösen  und  die  Trennung  und  Entzweiimg  durchbrechen  muß,  daß  also 
das  Ewige,  Dauernde  und  Götthche  in  der  Liebe  weniger  (wo  nicht,  wie 
gesagt,  zwei  Individuen  von  gleichem  innern  Reichtum  aufeinander 
treffen)  die  auf  den  einzekien  Gegenstand  gerichtete  Liebe,  sondern  das 


1)  Marie  Jeanne  Roland  (1754 — 1793),  die  bekannte  Frau  des  girondistischen 
Ministers,  die  auf  der  Guillotine  endete. 

2)  Jeanne  Marie  Tallien  (1775 — 1835),  die  Geliebte  und  spätere  Frau  des  be- 
kannten Revolutionärs,  der  zuerst  der  Bergpartei  angehörte  und  hernach  an 
Robespierres  Sturz  mitwirkte.  Hernach  trennte  sie  sich  von  ihm.  Sie  starb  als 
Fürstin  von  Chimay. 


=    24  = 

Lieben  selbst  ist,  das  daher  sein  Objekt  wechseln  muß  in  dem  Streben, 
der  Verschiedenheit  Herr  zu  werden  imd  seine  wahre  tmd  dauernde 
Einheit  zu  finden ;  —  statt  dies  zu  erkennen,  schaut  das  Christentum 
die  Liebe,  statt  als  die  freie  sich  selbst  suchende  Tätigkeit  der  mensch- 
lichen Natur,  als  eine  über  dem  Menschen  selbst  stehende  Macht  an; 
die  bestimmte  Liebe  wird  der  Religion  somit  aus  dem  freien  Versuch 
der  Persönlichkeit,  sich  in  dem  andern  Individuum  wiederzufinden  imd 
zu  verwirklichen,  zu  einer  Pflicht,  die  auf  das  erste  zufällige 
Individuum,  an  das  man  geraten  ist,  gebimden  bleibt;  statt  das 
Lieben  als  den  göttlichen  Zug  des  Ichs  zu  wissen,  sich  mit  dem  andern 
in  eins  zu  setzen,  wird  ihr  die  einzelne  bestimmte  Liebe  zu  dem 
Göttlichen;  imd  sie  gelangt  damit  zu  dem  Dogma  der  einzigen, 
ewig  dauernden  und  unauflösbaren  Liebe,  d.  h.  der  untrenn- 
baren Ehe. 

Weil  sie  aber  die  Liebe  als  die  absolute  innere  Einheit  der  Individuen 
imd  somit  als  wahrhaft  geistige,  göttliche  Macht  anerkennt,  wird  dem 
Katholizismus  die  Ehe,  der  Akt  der  Liebesverwirklichung  —  zu  einem 
Sakrament. 

Nun  hatte  ich  oben  gezeigt,  daß  in  Frankreich  mit  dem  Ende  des 
Mittelalters  die  Innerlichkeit  der  früheren  Liebesidee  durchaus  ver- 
schwtmden  war,  daß  der  neue  realistische  Geist  auch  dieses  Gebiet  er- 
griffen und  die  Liebe  in  ein  äußerliches  Verhalten  der  Geschlechter 
zueinander  verwandelt  hatte;  daß  sich  hieraus  die  Liebesidee  zur 
schönen  Äußerlichkeit,  d.  h.  zum  Reich  des  Geschmacks  und  der 
Galanterie,  und  femer,  wozu  auch  die  Unlösbarkeit  der  Ehe  mächtig 
beitrug,  endlich  zur  absoluten  Sittenlosigkeit  entwickelt  hatte.  Wie 
konnte  vor  diesem  Geiste,  der  die  Liebe  als  reine  Äußerhchkeit  erfaßte, 
das  Institut  der  Sakramentalehe  bestehen  bleiben?  Die  französische 
Revolution  hat  daher  auch  in  diesem  Gebiet  die  mächtige  Arbeit  voll- 
zogen, den  Inhalt  des  modernen  Gedankens  zu  verwirklichen. 

Sie  schuf  die  Zivilehe.  In  der  Zivilehe  wird  die  Liebe  tmd  Ehe  als 
ein  rein  äußeres  Verhalten  der  Geschlechter  zueinander  anerkannt;  es 
wird  ihr  die  sakramentelle  Heiligkeit  geraubt  und  damit  eben  er- 
klärt, daß  dieses  Zusammengehen  nicht  auf  der  göttlichen  Identität  des 
Geistes,  sondern  auf  rein  äußern,  bürgerlichen  oder  sinnlichen  Trieb- 
federn und  Bedürfnissen  beruhe.  Zumal  man  die  Religion  selbst  und 
ihren  Kultus  durchaus  nicht  abschaffte,  sondern  nur  die  Ehe  als  ein 
von  dem  Priestersegen  tmd  der  göttlichen  Einweihung  unabhängiges 
Institut  hinstellte,  wurde  sie  damit  zu  einer  äußerlichen,  dem  Göttlichen 
und  Geistigen  fremden  Einigimg  der  Geschlechter. 

Als  solche  bloß  noch  äußere  Einigung  kann  die  Einigung  keine 
absolute  sein;    die  äußerliche  Einheit  muß  eben,  weil  sie  eine  nur 


— =    25  = 

äußerliche  ist,  wieder  aufgegeben  werden  können.  D.  h.  also,  die  Ehe 
kann  nicht  untrennbar  sein,  und  deshalb  führt  die  Revolution  not- 
wendig die  Scheidung  ein,  auch  durch  bloße  beiderseitige  Ein- 
willigung, consentement  mutuel. 

Ja,  noch  mehr !  Wenn  die  Ehe  wirklich  und  ganz  und  gar  ein  äußer- 
liches Verhalten  der  Geschlechter  zueinander  sein  soll,  so  darf,  um  dies 
rein  äußerliche  Verhältnis  aufzulösen,  nicht  einmal  die  beider- 
seitige Einwilligung  erforderlich  sein.  Die  Forderung  des  consente- 
ment mutuel  setzt  doch  immer  noch  die  innere  Einheit  der  Gatten, 
wenn  auch  nur  im  Punkt  der  Trennung  voraus ;  wenn  ich  ein  Verhältnis 
nur  mit  dem  innern  Willen  des  andern  auflösen  kann,  so  bin  ich  von 
seinem  Willen  abhängig,  nicht  frei,  das  Verhältnis  selbst  ist  damit  zu 
einem  innerlichen  geworden;  das  Bestehen  des  Bandes,  das  es  zu- 
sammenknüpft, und  somit  dies  Band  selbst,  beruht  in  der  innerlichen 
Einheit  der  beiden  Individuen.  Das  darf  bei  einem  schlechthin 
äußerlichen  Verhältnis  nicht  stattfinden.  Und  obgleich  also  vom  Stand- 
pimkt  der  Französischen  Revolution  die  Ehe  nur  als  ein  bürgerliches 
Kontraktverhältnis  erscheint,  die  Auflösimg  eines  jeden  Kontrakts  aber 
nur  mit  beiderseitiger  Einwilligung  geschehen  kann,  hat  der  französische 
Konvent  die  imglaubliche  Konsequenz  und  Inkonsequenz  zu 
gleicher  Zeit  im  Gesetz  vom  September  1792,  die  Scheidung  auf  den 
bloßen  einseitigen   Willen   des  einen   Teils   zu  autorisieren. 

Hier  hat  die  Äußerlichkeit,  zu  der  sich  die  Ehe  entwickelt  hat,  ihre 
konsequenteste  Verwirklichimg  gefunden.  Man  geht  auseinander,  wie 
man  gekommen  ist. 

Dies  konsequenteste  Gesetz  konnte  indes  nicht  lange  bestehen.  Die 
Ehe  ist  eine  Einigung  nicht  nur  von  Menschenleibem,  sondern  auch 
von  Besitz  und  Vermögensinteressen.  Als  rein  äußeres  Verhältnis 
sind  auch  die  äußeren  Zwecke  des  Besitzes  und  Interesses  in  ihr  vor- 
herrschend. Diese  könnten  durch  eine  Trennung  infolge  einseitigen 
Willens  gestört  werden.  Der  Code  civil  daher,  welcher  die  Ehe  haupt- 
sächlich vom  Standpunkt  der  Besitzinteressen  auffaßt,  und,  dem 
Konvent  entgegengesetzt,  allüberall  die  Freiheit  der  Persönlichkeit  dem 
Interesse  des  Besitzes  unterordnet,  hebt  jenes  Gesetz  auf  und  läßt  Schei- 
dung nur  durch  Verschulden  oder  beiderseitige  Einwilligung  eintreten. 

Ebenso  konsequent  ist  es  femer,  daß  in  der  Gesetzgebung  des  Code 
civil  der  Ehebruch  aufhört  (wenn  nicht  noch  Beleidigung  hinzukömmt, 
indem  die  Konkubine  im  Hause  gehalten  wird),  ein  Scheidungsgrund  zu 
sein.  Zwar  werden  Sie  einwenden,  daß  der  Ehebruch  der  Frau  noch 
einen  Scheidungsgrund  bilde.  Diese  allerdings  sehr  unbillige  Ausnahme 
beruht  aber,  wie  Sie  bald  sehen  werden,  grade  darauf,  daß  die  Ehe  vom 
Code  civil  konsequent  als  bloßes  Eigentumsverhältnis  aufgefaßt  wird. 


=    26  

Denn  vor  der  Idee  der  absoluten  innem  und  äußern  Einheit  der 
Individuen  in  der  Ehe  sind  Mann  und  Weib  ganz  gleich.  Diese  Einheit 
wird  daher  ebenso  durch  den  Ehebruch  des  einen  als  des  anderen  auf- 
gelöst. Das  Christentum  daher,  wie  das  kanonische  Recht  machen 
nirgends  einen  Unterschied  zwischen  Ehebruch  des  Mannes  oder  des 
Weibes.  Dem  Code  civil  aber,  welchem  die  Ehe  nicht  diese  tief  innerliche 
Einheit  der  Individuen,  sondern  nur  eine  äußere,  auf  äußere  Be- 
sitz- und  Vermögensinteressen  gerichtete  Einheit  ist,  hebt  daher 
der  Ehebruch,  die  Verletzung  der  innerlichen  und  körperlichen  Einheit, 
noch  lange  nicht  die  Einheit  der  Besitzinteressen  auf.  Er  statuiert  daher 
den  Ehebruch  des  Mannes.  Aber  grade,  weil  er  die  Ehe  als  reines  Eigen- 
tumsverhältnis aiiffaßt,  darf  er  den  Ehebruch  des  Weibes  nicht  sta- 
tuieren. Denn,  was  zimächst  das  Eigentumsrecht  betrifft,  das  man  in 
der  Ehe  an  dem  Körper  des  anderen  hat,  so  leidet  der  weibliche  Körper 
durch  seine  häufige  Benutzimg  und  dadurch,  daß  er  infolgedessen  Kinder 
bekommt,  weit  mehr  als  der  männliche ;  seine  Schönheit  wird  abgenutzt 
tmd  besonders,  indem  das  Weib  fremde  Kinder  in  die  Familie  ein- 
führt, welche  der  Mann  ernährt  und  die  seine  Erben  werden,  fügt  sie 
ihm  einen  bedeutenden  Eigentumsschaden  zu. 

Deshalb  also  bleibt  der  weibliche  Ehebruch  allerdings  als  Scheidungs- 
grund bestehen. 

Die  Französische  Revolution  hat  also  nach  allen  Seiten  hin  das 
Institut  der  christhchen  Ehe  zerschlagen  und  den  zu  ihrer  Zeit  ge- 
wonnenen Gedankeninhalt  auf  das  konsequenteste  verwirklicht.  Indem 
aber  die  Sittlichkeit,  welche  der  christlichen  Idee  der  Ehe  zugrimde 
lag,  hier  verschwimden  imd  die  Ehe  zu  einem  bloßen  Eigentums- 
verhältnis geworden  ist,  welches  seine  seelenlose  Herrschaft  über  die 
freien  Menschenleiber  imd  -geister  ausübt,  wird  der  Zwang  hier  der 
härteste  und  unerträglichste  imd  die  Ehe  selbst  für  das  Weib  zu 
einer  wahren  I^eibeigenschaft.  Zugleich  hat  die  Revolution,  indem  sie 
der  Ehe  die  sakramentelle  Heiligkeit  entzog,  ihr  den  hauptsächlichsten 
Schirm  gegen  die  Angriffe  des  anstürmenden  Zeitgeistes  geraubt. 

Und  so  trat  denn  auch  zuerst  in  Frankreich  eine  Schule  auf,  welche 
eine  Revolution  im  Geschlechterleben  zuerst  als  ausdrückliches  Prinzip, 
als  soziale  Grundlage  proklamierte.  Und  wie  ich  Ihnen  oben  gesagt,  daß 
der  ökonomische  vSozialismus  nichts  anderes  ist  als  ein  und  derselbe 
Gedanke  der  freien  Persönhchkeit  in  bezug  auf  die  Welt  der  materiellen 
Bedürfnisse  und  Stoffe,  welcher  sich  in  der  Emanzipation  der  lyiebe  in 
bezug  auf  die  Welt  der  Sitten  tmd  Geschlechter  verwirklichen  will,  so  wurde 
dieser  innige  Zusammenhang  hier  zum  ersten  Male  geschichtlich  offenbar. 

Es  war  ein  wissenschaftliches  System,  das  mit  der  einen  Hand  die 
ökonomischen  Grundlagen  der  Gesellschaft  angriff  und  das  sich  nicht 


-^=  27  = 

schämte  und  nicht  scheute,  mit  der  andern  Hand  die  Ehe  zu  attackieren 
imd  die  Freigebmig  des  Fleisches  und  der  Liebe  als  Dogma  und  sozialen 
Kultus  zu  proklamieren. 

Diese  Schule  war  die  der  Saint-Simonisten  und  ihr  Hohepriester 
Enf antin. ^)  Und  Sie  würden  erstamit  sein  zu  hören,  welchen  Anklang 
jene  noch  so  unklare  und  phantastische  Lehre  selbst  unter  den  Weibern 
fand.  —  Weiber  der  besten  Stände,  Weiber  aus  guter  Gesellschaft 
und  von  hoher  Bildung  scheuten  sich  nicht,  sich  unter  die  Fahnen 
Enfantins  zu  enrolieren,  den  Simonisten-Klub  zu  besuchen  und  über 
die  Bestimmung  des  Weibes  und  die  Religion  der  Sinne  zu  disputieren. 
Weiber  begleiteten  Enfantin  auf  die  Angeklagtenbank,  wo  er  unter  der 
Beschuldigung  stand  d'avoir  attaque  aux  moeurs,  und  knieten  daselbst 
vor  ihm  nieder! 

Wenn  indessen  der  Saint-Simonismus  in  allem  noch  verworren,  un- 
klar und  phantastisch  war,  so  war  er  es  ganz  vorzüglich  in  bezug  auf 
seine  Religion  des  Fleisches.  Obgleich  der  Saint-Simonismus  eigentlich 
nie  sein  letztes  Wort  in  bezug  auf  diesen  Gegenstand  ausgesprochen 
hat,  obgleich  man  überall  nur  dunkle  Andeutmigen  findet  und  in  der 
Schule  selbst  ein  leidenschaftlicher  Kampf  grade  über  dieses  Thema 
ausbrach,  der  auch  ihre  Spaltung  zur  Folge  hatte,  scheint  es  doch  nicht 
imdeutlich,  wenn  nicht  geradezu  auf  eine  Gemeinschaft  der  Weiber, 
so  doch  jedenfalls  auf  eine  hierarchische  —  (alles  war  ja  zudem  im  Saint- 
Simonismus  in  hierarchischer  Form)  —  Ordnung  des  Geschlechts- 
genusses und  Geschlechtslebens  durch  die  große  Familie  abgesehen  ge- 
wesen zu  sein.  Ein  andres  läßt  sich  wenigstens  bei  dem  couple-pretre 
Enfantins  nicht  denken. 

Das  war  mm  jedenfalls  ein  heilloser  Irrtum !  Das  Prinzip  der  freien 
Persönlichkeit,  welches  diesen  ganzen  tobenden  Kampf  der  neuesten 
Geschichte  angestiftet  hatte,  um  zu  seiner  vollen  Verwirklichung  zu 
gelangen,  war  dadurch  wirklich  beleidigt.  Mit  Recht  ist  man  in  nichts 
so  persönhch  als  grade  in  der  Liebe.  Nicht  nur  eine  Gemeinschaft  der 
Weiber  ist  daher  noch  weit  immöglicher  und  prinzipwidriger  als  eine 
Gemeinschaft  der  Güter  in  vulgärem  Sinne,  sondern  jeder  Versuch,  den 
Geschlechtsgenuß  in  der  Form  einer  gesellschaftHchen  Funktion,  als 
Gattungsfimktion  zu  konstituieren,  wird  falsch  und  wahnsinnig  sein. 
Nur  als  freies  Sichhingeben,  als  freier  Leiber-  und  Seelenaustausch 
zweier  sich  selbst  genügender  Individuen,  ist  der  Geschlechts- 
genuß Liebe.  In  der  Enfantinschen  Organisation  des  Priesterpaars,  in 
diesem  zu  einem  förmlichen  äußeren  Kultus  verwandelten  Geschlechts- 


1)  Prosper   Enfantin   (1798 — 1864),   der   französische  Sozialist,    der    bekannte 
Schüler  Saint-Simons. 


=    28    —  —  

verkehr  wäre  gerade  das  Moment  der  Persönlichkeit  im  Geschlechts- 
genuß, also  das  Moment  der  Liebe,  imtergegangen. 

Das  Tiefe  aber  im  Saint-Simonismus,  in  diesem  Gebiete  wie  in  den 
übrigen,  bestand  in  seinen  Ahmmgen.  Der  Saint-Simonismus  brach  in 
Sätze  von  furchtbarer  Tiefe  aus:  Heiligt  euch  durch  Arbeit  und  Genuß! 
Stürmisch  proklamierte  er  die  Berechtigung  der  Sensualität ;  er  forderte 
einen  Kultus  des  Sinnengenusses.  Er  erklärte,  nur  der  Mann  und  das 
Weib  bilden  das  soziale  Individuum,  und  forderte  die  soziale  Gleich- 
stellung beider. 

Was  das  Bedeutsamste  war,  er  wandte  sich  —  die  erste  Erscheinimg 
dieser  Art  in  diesem  Gebiet  —  mit  seiner  Lehre  an  die  Wirklichkeit  und 
forderte  immittelbare  praktische  Geltung  derselben.  Er  proklamierte 
die  Emanzipation  des  Fleisches  als  soziale  Grundlage,  als  Basis  der 
neuen  Gesellschaftsordnimg,  die  nur  auf  diesem  Ferment  errichtet 
werden  könne. 

Wenn  Sie  dem  Bisherigen  gefolgt  sind,  so  werden  Sie  den  immensen 
Fortschritt  anerkennen  müssen,  den  die  neue  Idee  der  Befreiung  der 
Persönlichkeit  in  der  Sphäre  der  Liebe  schon  bis  hierher  gemacht  hatte. 

Eine  Idee,  die  zuerst  rein  in  dichterischen  Werken  sich  als  Schöpfung 
der  Phantasie  darzustellen  gewagt  hatte,  war  schon  zur  Schule  und 
Lehre,  zum  System  geworden;  sie  wandte  sich  bereits  als  Dogma  an 
die  Wirklichkeit  und  forderte  gebieterisch  ihre  Realisation  in  derselben. 

Sie  war  bestimmt,  sich  erst  weiter  und  weiter  in  sich  zu  vollenden 
und  dann  die  Welt  unerbitthch  an  sich  zu  reißen. 

Enfantin  hatte  noch  eines  richtig  gefühlt.  Er  hatte  gefühlt,  daß  die 
Befreiung  des  weiblichen  Elementes,  und  also  damit  des  Fleisches  über- 
haupt, nur  von  dem  Weibe  selbst  ausgehen,  nur  durch  die  freie  Tat  des 
Weibes  verwirklicht  werden  könne.  Er  hatte  daher  im  Saint-Simonisten- 
Kollegium  neben  seinem  hohepriesterlichen  Sessel  einen  Sessel  für  ,,das 
Weib"  errichten  lassen.  Aber  das  wirkliche  Weib,  die  hohe  Priesterin, 
fand  sich  nicht.  Der  Sessel  blieb  behangen,  und  die  Soireen  wurden 
endlich,  da  sich  das  Weib  nicht  fand,  ganz  geschlossen. 

Aber  das  Weib  sollte  sich  finden,  wenn  auch  in  anderem  und  höherem 
Sinne  noch,  als  Enfantin  dafür  hielt. 

Es  sollte  und  mußte  vor  allem  ein  Weib  sein,  welche  die  Fesseln 
der  Weiber  nach  allen  Seiten  hin  grundsätzlich  zu  sprengen  begann. 
Dieses  Weib  trat  auf;  mit  der  Männerarbeit  und  dem  Männerkampf- 
schwert  nahm  es  zugleich  mämilichen  Namen  an  und  nannte  sich 
George  Sand.^) 

Sie  kennen  die  Werke  der  Sand  zu  genau,  als  daß  ich  mich  hier  über 
dieselben  auszulassen  brauchte.  Alle  diese  Romane  sind  nicht  Romane 

1)  George  Sand  (1804 — 1876),  die  berühmte  französische  Romanschriftstellerin. 


29 = 

im  eigentlichen  Sinne,  sondern  ebenso  viele  mit  der  Gegenwart  gebrochene 
Lanzen,  herkulische  Befreimigsarbeiten. 

Bei  alledem  übersah  die  Sand  eins.  Sie  wandte  sich  überwiegend 
mehr  der  Befreiimg  der  Weiber  in  ihrer  sozialen  Stellmig  der  Männer- 
welt gegenüber  als  grade  in  der  eigentlichen  Sphäre  der  Weiblichkeit, 
in  der  Sphäre  der  Liebe  imd  des  Liebesgenusses  zu.  Diese  letztere 
Befreiung  ist  aber  und  bleibt  erstes  und  hauptsächlichstes  für  die 
Weiber. 

Doch  auch  in  dieser  Beziehung  hat  die  Sand  Großes  geleistet,  und 
es  war  nicht  zufällig,  sondern  von  bedeutsamer  Konsequenz,  wie  von 
jetzt  ab  die  Theorie  sofort  zur  Praxis  wurde  und  auch  bei  der  Sand, 
unbekümmert  um  den  Widerspruch  der  Sitte,  zur  leitenden  tmd  frei 
bekannten  Richtschnur  des  eignen  Lebens  wurde.  Je  näher  eine  Idee 
ihrer  allgemeinen  Verwirklichimg  tritt,  desto  näher,  intensiver  wird  bei 
den  Individuen  der  Übergang  aus  ihrer  theoretischen  Anschauung  zu 
ihrer  praktischen  Bekennung. 

Die  deutsche  Entwicklung  konnte  nicht  zurückbleiben.  Sie  läuft  in 
allen  Gebieten  in  der  neuesten  Zeit  parallel  mit  der  französischen,  nur 
daß  der  französische  Geist  sich  überwiegend  sofort  auf  die  Außenwelt 
hin  wendet,  der  deutsche  Geist  sich  mehr  in  die  innere  Vollendung  ver- 
tiefte. Als  der  deutsche  Geist  mit  der  Hegeischen  Philosophie  und  ihren 
Konsequenzen  endlich  die  letzte  theoretische  Vollendung  erreicht  hatte, 
mußte  er  sich,  und  nun  mit  um  so  größerer  Wucht,  weil  aus  dem  tiefsten 
Innern  heraus,  auf  die  Außenwelt  wenden  imd  zur  ungestümen  Praxis 
werden. 

Bis  dahin  aber  war  die  Arbeit  des  deutschen  Geistes  allerdings  eine 
einseitig  theoretische.  Dafür  erlangte  sie  aber,  wie  gesagt,  auch  eine  um 
so  größere  innere  Vollendung.  Und  so  sollte  denn  auch  in  diesem  Fache 
der  deutsche  Geist  eine  geistige  Tat  vollbringen,  in  der  die  Idee  der 
freien  Persönlichkeit  in  der  Liebe  unendlich  tiefer,  befreiter,  kühner 
und  vollendeter  dargestellt  war,  als  selbst  in  allen  Romanen  der 
Sand.  —  Das  Werk,  von  dem  ich  rede,  ist  Friedrich  von  Schlegels 
Lucinde !  i) 

Kühneres,  Revolutionäreres  in  jener  Gattung  war  nie  geschrieben 
worden!  Die  Durchdringung  des  Geistigen  und  Sinnlichen  war  hier  in 
einem  solchen  Grade  vollbracht,  daß  es  unmöglich  war,  die  beiden 
Elemente  auch  nur  einen  Augenblick  zu  unterscheiden. 

Und  mit  tiefem  Sinne  war  grade  das  weibliche  Element  zur  hervor- 
ragenden Person  des  Romans  gemacht.  Ein  frei  genießend  öffentlich 
dargestelltes  Weib,  ein  Weib  mit  unerschütterlicher  Grazie  und  Sicher- 
heit, als  wenn  die  Welt  der  widersprechenden  Sitte  gar  nicht  vorhanden 

^)  Die  Lucinde  erschien  1799. 


=   30   —  =^= 

wäre,  nicht  auf  dem  Grundsatz  einer  abstrakten  Fleischesemanzipation, 
der  die  Saint-Simonisten  zum  Irrtum  führte,  sondern  auf  dem  Prinzipe 
beruhend,  daß  die  volle  Selbstverwirklichung  der  freien  Persönlich- 
keit —  dieser  höchste  Genuß  des  Individuums  —  zugleich  auch  seine 
einzige  sittliche  Pflicht  sei;  ein  Weib,  welches  mit  der  reinsten  imd 
weibhchsten  Schamhaftigkeit  die  höchste  Wollust  verbindet  und  den 
Beruf  des  Weiblichen  darin  zu  erfüllen  weiß,  indem  sie  den  Liebesgenuß 
zum  Studium  erhebt  —  das  ist  die  I^ucinde. 

Die  Ivucinde  ist  auch  in  der  Tat  nicht  bloß  das  Werk  Friedrich 
Schlegels,  sondern  das  Werk  von  Mann  und  Weib,  des  sozialen  Indi- 
viduums, wie  Enfantin  gesagt  haben  würde,  denn  sie  entstand  in  der 
Blüteperiode  eines  Verhältnisses  Schlegels  mit  Dorothea  Mendelssohn, i) 
mit  der  er,  nachdem  er  sie  aus  Berlin  entführt,  in  wilder  Ehe  in  Dresden 
lebte;  sie  entstand  unter  dem  mächtigen  Einfluß  und  der  Beteiligimg 
dieser  hochgebildeten,  Schlegel  auf  allen  seinen  Forschungen,  bis  in  das 
Gebiet  der  Religion  imd  der  Weisheit  der  Inder  hinein  begleitenden  Frau. 
Das  Geschrei,  welches  ob  dieses  Buches  (näheres  über  dasselbe 
kann  ich  Ihnen,  ehe  Sie  es  gelesen  haben,  nicht  sagen;  Sie  bringen  es 
hoffentlich  mit)  in  der  Welt  ausbrach,  war  grenzenlos.  Zumal  da  solche 
Tat  noch  dazu  von  einem  Manne  ausgehen  mußte,  der  zu  den  an- 
erkanntesten und  vornehmsten  Namen  im  Gebiete  der  I^iteratur  gehörte, 
der  sogar  der  so  gefeierten  Romantik  angehört  hatte. 

Wenn  aber  dieses  Geschrei  noch  durch  etwas  vermehrt  und  über- 
troffen werden  konnte,  so  war  es  durch  die  darauf  folgenden  Briefe 
Schleiermachers  über  die  lyucinde. 

Was  in  der  Lucinde  enthusiastische  Darstellung  sein  konnte,  war 
hier  in  ruhigen  kontemplativen  Frauen  in  den  Mtmd  gelegten  Briefen 
prinzipiell  apotheosiert  und  als  wahre  Weiblichkeit  nachgewiesen.  Die 
I/iebe  war  hier,  aller  Tradition  entgegen,  aus  einer  gleichsam  göttlichen 
und  über  dem  2)  Menschen  stehenden  Macht,  die,  wenn  sie  ihn  einmal  er- 
griffen, für  sein  ganzes  Leben  ohne  Wechsel  des  Gegenstandes  be- 
herrschen soll,  und  daher  mit  dem  unauflöslichen  Bande  der  Ehe 
gesiegelt  wird,  in  den  freimenschlichen  Zug  des  Individuums  verwandelt, 
sich  in  andern  aufzusuchen,  zu  finden  imd  zu  genießen.  Aus  einem 
Dogma  wurde  die  lyiebe  zu  einer  Kunst.  Schnurstracks  entgegen  dem 
alten  Aberglauben  von  der  ersten  und  ewigen  Liebe  wurde  von  Schleier- 
macher die  erste  Liebe  als  der  erste  Versuch,  sich  in  anderen  wieder- 
zufinden, als  der  notwendigerweise  deshalb  auch  noch  roheste  und  un- 
geschickteste imd  bedeutungsloseste  Versuch  aufgezeigt.  Die  erste  Liebe 

^)  Dorothea  Mendelssohn,  die  Tochter  Moses  Mendelssohns,  hatte  sich   1798 
von  ihrem  Gatten  Simon  Veit  scheiden  lassen,  um  hinfort  mit  Schlegel  zu  leben. 
^)  Im  Original  steht:  den. 


31  —  

wurde  deshalb  hier  als  ihrer  Natur  nach  und  notwendigerweise  unvoll- 
kommen, flüchtig  und  vorübergehend  erklärt. 

Es  wurde  für  die  Liebe  hier  dasselbe  Gesetz  wie  für  jedes  künst- 
lerische Streben  entdeckt,  erst  nach  und  nach,  nach  unklaren  Ver- 
suchen imd  Irrtümern  zur  wirklichen  vmd  vollendeten  Liebe  zu  ge- 
langen; das  lyieben,  Treuloswerden  und  Wiederlieben  wurde  hier  zur 
notwendigen  Entwicklungsgeschichte  des  Vollkommenen.  Der  prak- 
tische Rat,  der  von  hier  aus  folgte,  war,  sich  frischweg  zu  versuchen 
und  wieder  zu  versuchen,  sich  zu  bilden  und  zu  entwickeln,  bis  man 
einerseits  sein  wahrhaftes  Selbst  im  andern  und  andrerseits  damit  zu- 
gleich seine  höchste  lyiebesfähigkeit  gefunden  habe.  —  Was  vor  dieser 
Theorie,  welche  die  Dauer  der  ersten  Liebe  selbst  nicht  einmal  respek- 
tierte tmd  das  vielfache  Lieben  zur  Bildungs-  imd  Entwicklungsarbeit 
des  Individuums  machte,  aus  der  Ehe  werden  mußte,  habe  ich  nicht 
nötig  noch  hervorzukehren. 

Und  was  die  Welt  bei  diesem  Buche  in  eine  wahrhaft  dumpfe  Be- 
stürzung versetzte,  war  sein  Verfasser.  Dies  Buch  war  geschrieben  von 
Schleiermacher,!)  dem  Professor  der  Theologie  an  der  Universität  zu 
Berlin,  dem  berühmtesten  Prediger  seiner  Zeit,  dem  Diener  der 
Rehgion,  der  alle  Sonntage  Berlin  von  der  Kanzel  herab  zum  Weinen 
brachte. 

Auch  war  das  Buch  sehr  ernsthaft  gemeint,  wie  zum  Überfluß  eine 
,,Zueigmmg  an  die  Unverständigen"  zeigte,  die  Schleiermacher  ihm 
voranschickte. 

Ihren  theoretischen  Abschluß  endlich  erlangte  auch  die  neue  Ent- 
faltimg des  Liebesgedanken  mit  dem  Hegeischen  System.  Nicht  nur  aus 
dem  ganzen  System  folgt  mit  Notwendigkeit,  was  von  der  Liebe  zu 
halten  sei,  sondern  auch  Hegel  selbst  hat  sich  teils  in  der  Ästhetik,  teils 
in  einem  Aufsatz  über  Julie  imd  Romeo  hinlänghch  hierüber  aus- 
gesprochen. Wie  alles  im  Hegeischen  System,  so  wurden  auch  in  dieser 
Hinsicht  die  bisher  über  Liebe  grassierenden  Begriffe  gradezu  auf  den 
Kopf  gestellt. 

Die  Sitthchkeit  der  Liebenden  bestand  jetzt  in  der  Glut,  ihre  inner- 
liche Einheit  mit  rücksichtsloser  Hingebimg  ihres  Körper-Egoismus  auch 
wahrhaft  verwirklichen  zu  wollen;  sie  bestand  in  der  rücksichtslosen 
Glut,  es  unter  allen  Umständen  zum  körperlichen  Eins  und  Ineinander 
so  oft,  so  dauernd  und  so  intensiv  als  möglich  zu  bringen.  Die  Körper- 
umarmung als  der  Zenithpunkt  wirklicher  Einheit  tmd  als  höchste  Ab- 
legimg der  selbständigen  Persönlichkeit  wurde  zum  Zenithpunkt  lieben- 
der Sitthchkeit.  Die  Schamhaftigkeit  der  Liebenden  bestand  jetzt  darin, 
noch  nicht  ineinander  gegangen  zu  sein  und   also  noch  getrennte 

1)  Schleiermachers  Vertraute  Briefe  über  Schlegels  Lucinde  erschienen   1801. 


llflllilf      I'lnl  1»   I  |l>  hl.  ll<  II,      limli     irm-.l  I  ..  hl-       l.i.i  1»   I   ..   |lr.t,||lc|lcl..(|       .•  1 1 

Imbfn,') 

I)lr  fliroi.l  Im  he    Hi\vi>Miiif'   li,iM.    il,iiiill    lliirii   w.ililrii   \VI,'iritii:.i  li.il  I 
licllt'il   Alirx  lilnU  iiml    /.iif-'lili  li  nn    I  lt>'i  |>)t  lirii   Sv:>l>-iii   lllxi  li.iH|it 

ihre  »ydteiUfttlwclH-  «IhhkII. !).',••  <iI.iiikI,  w  I«  Im-  ilm  n    iV'.t'  Mi,ili;.i  Im  n   /.n 

NiininirnlliiM^    lltil    il*-iii    m  n.  n    ('.t<l,iiil.i il|i I.m    ('.rlxiliii    dir. 

I^rlHiin  Miit  liwitri, 

hl.-  llniiirl.JMfh*i  JJ^VV^KtliiK  Will  iliimil  ..lUiil.ji  /ii  ImmI.-  I  »i.  |.i.ik- 
lint  lir  iiiiil.U*  Itf^iiiiU'li ;  liml  ihi  (litnc  Ivivolnl  ihm  iiiic  Kivnliil  loii  ilri 
Hlttt' Will ,  .1  li  III  iliiii  j-'t-aiiilti  Itii  V^iliiiiltn  ilti  Inilivliidtn  AiiciMuiidti 
bpHtund,  liiliUlr  wir  V(Jr  ullcni  .l.iniil  1..  pinn»  n,  Imli vitUU'll  '/M  tTHrfileH, 
(IUI   hifli   IM    ililii-il   (Illl/.IIHlfllcii,  Alliitlliipri   liiillf   Ich  ohfll    htlllcrkt, 

(liii.1  wchoii  Im  I  .1.1  Siiiid  htlhüt  holclici  (llx-imiiiK /ni  iiitllviihu-jltn  l'iuxiw 

hlult.  hullr.  AImi  I.  iK I.U.-  ,iii.  Ii  |)rlitN'l»llili(l  (lifru'llu-il  lilht  h(iiiiiii^-'»ii 

Iiul)l-Il,     U-ÜH   llilth     'In-    i'i.i'ii-,  i|.  I    Siillfl    liii  hl    ihr   tih.Kirilirhf    Htiliiil 
hUlllkcit  lltlil  liiiliiili'  M.    III.  hl   hell).  II     In   i'i.iiil.i.  I.  h  I.  I>.  ihl.  .1     ii    III  .1111' III 
l<UII<U\    \v<>   ihn.  h    ilii-    /iviirhf   i\un  fi^Miilhrli   S.iluiiimiiltlli     inicj    I  )ujf- 
iiiiili^thr   .1.1     l',h.     ',.  htm    liiillf    n(il(',fli(ili(ii    iiinl    m    wil.  h.iii    iii,iii    ^-r 
vvohiil    i'.l,    III    tili.  M    1' I.  Iiliiii).-iii   .ji  III    iiiiji  \  iijiiiiiii    iii<  hl    :  <|>i<  Ii  Miiiii    /ii 
/,ii^';fri|flH-ii .    III    l'.iiin    IcImiiiI,    .1    h     in    .  in.  i    .SIüiII,    wo    /wmi/.JK    vri 
hi'hiflitlic  Allen  <lii  ( iiMtll-n  h.iil   n.  1».  ntiii,iiiil«i   hfhlrhfii  inul  wo  jtdti 
tiich    mit    etWilH    Mnlh-     iiml    (l.'l'il     iiiir    il).-riif    ( U-Hfllht  h.il  I     un.j     .hu  in 
f-M-llt-iidr  Sitte  hchiillrii  kiinn,  iinil   vtn   alltii   l)iii^i-ii  In  pi- 1  mhi  1 1 .  h  nn 
jil»ii.'inj.',i  ).',<•  II  Vi-  I  liii  I  hl  l'iritii  ItlMinl,  ilittn  /ii  kiiiiti  i<lu||i-ii..ii  l.i.iiiiiu  u 
JUHhi-ii  k.iiinl.-ii,  Kiiiinh'  iln'   I'i.ikim  ilri  .''■.iii.l,  i  h.  n  w.  il  .l.i    ll.inllilit,  duM 
l/t-iili-n,  ilt-i   l>liini|>l  Irhili-  iinil  hli-  mk  h  lilol.l  uh  <  >tip.iiiiilil.il  nn.l   Annirte' 
niinl   iluihltlllr.  im  hl  <lii-  nrtli^M-  liih-   ItidcnhiiH-.  «-iliinf-MH 

lli'  i/n    Will    \iiliii.  I ii)',    .hil.t   .1.  I    11.11.     Hr^jrüT  fin    wiihlit  htü 

lnili\  iiliiiiiii  ri^'jlll,  vvilt  hf.i  (1  In  illr  nilru  lilnltnnlf,  MiiliKMlf  l»i»lh-iion 
Hill  iilliii  l»rMli-h(niltii  Vfi  li.illnJHMfn  vciwt/.tt- ,  lin  !nili\  iiliinni,  w.  It  In-i 
liurlt  »fllit-r  ihlUtM'ni  1/UK<"  vi!  /n  iiMiauKlp.  w.n,  um  ,i.  h  .1.  n  .mll.  i.  n 
Vt'lllilitllirtttrli  nit/.i«-htii  oiifi  uil«  li  iiiii  ihiti  »iwrliini  /ii  konin  n,  nn.l 
von  ilri  un(h-nii  .Mtilt-  ilocli  \'iij  /u  iii.h  hlif.-  von  »Irin  niiun  In  h.  ii.  n 
lli-WIlUlntln  ihiK  h.ji  niiK.'-n  wmi.  nin  mhi  ihm  ,ili/.||luH|iitMl,  oilii  iui.  h  inii 
hellt'  in  liii  I  n  ml  I  ln-o  n-  hr^t  h  von  ihm  iili/iiliihnril,  il.  h.  /ii  lir  ii<  h.- 1  ii 
jiie^eh  Inilivlilnnin  tlnilli-  nicht  dwii  MoU  licinilich  ciicliicchiii ,  i->i 
inilütr  vicltnclil  hcilH  tu  M.nm  iiiiij  »leiiier  Vuinilic  ^ff<cniil»  i  olh  n  m m 
l<c(  hl  /mn  l'.licl.nn  h  h.  Ii.in|il.  n  Icdci  iiciit<  (Jliillltc.  j..l.  n.  n.  I,.ln. 
will  .liii.h  Itlnl  nn.l  (Jiud  hchli^/ill  w.i.l.ii.  Jljc  will  wl<  .li.  .Ini.lli.  h.- 
Kcli^ion,   die   dien  »o^Mr   wl»  filien    dm  i    mai  hl  i^-'ih  n    lliwilnr   Im    ilm- 

')  l)lt^Hrlti»i  AiiffantiilUK  liliilpt  nlt  li  In  liunnitllin  MiIiIimi  <iii  l,i>iiiilr>  UluiUkM, 
Vjäl,  l'unllinml   l,a»httllr,   Niu  liji»-l.tnariiM   Milpft-  inid   ,'.<  liiHliii,    llil    I,  Nl,<i4-S#7, 


;{.5 


W;iliili<il  liiir.t«  III ,  lim  |{  I  n  I /,«•  n  j-.- n  ImIkh.  \)\,-,r  l'.lul /.(  iirfii  sind 
<  Im  II  iln:,r  vDiii  III  iK  II  r.(  )'iill  <i  l:il.l|(  II  I  m  1 1  \.i(  Iik  n  ,||,.  dnit  h  ihn  m  den 
lll<'l<Hi(lihil<);if:,l(  II  K;iiii|)l  iiiil  dn  ( icsidlsfliiil  t  liiiit  iimm  m  lil.udci  I. 
wridcii  ;  sie  l:<tiiii(  II  iiioj'JH  li<i  vv«  i:,c  in  diesem  K;ini|)l  ikk  li  uiili-ij-elieii, 
;|ImI  ;iII  dei  M  ;i(  lll  ,  die  Me  in  die'.eiil  K:ini|)l  )'ei'eil  ;ille  I 'osil  idileil  der 
( ics<'lls(  liiill  eil!  wit  kein,  /.<i)'.l  M<  li  <l;inn,  oh  du  Inlialt  ein  v\:iliiei  und 
|el»en',r.dli);e|  lind  wie  ll;illee|  '.einei  idij'eHK  lllell  \'el  Wl  I  I  I K  In  ilir  i'.t 
h.illlll  :ili<  I  i||e:.e  KiiJllMon  lini  '.o  l)lllll)'e|  VVeide,  nilll.ile  dle:,e',  Inill 
Vldllllin  sieh  ni  einelll  l^inid«-  Inidi  n,  in  Weieliein  die  ;i||e  Sllle  IHK  h  iliie 
•illlllsli'    Wil  l<lielll:ei|    yylnA.'i  lll     hell  I '.ellhilK  I  ,    e:.    Iinil.'te    M(ll    in    elliel 

l\e||)'|()ir.jMlllellr,(   ll;il  (      linden,     VVe|(   lle     die      l'Jle     niiell     ;ds     S  ;i  Iv  1  ;i  1 11  e  n  1 

linr.lelll  lind  du  mhiiiI  liie  iin;iiit;i:.t  l);iie  I  leili^d.eil  des  (  .ot  I  lielieli 
leilil  im    i;  .il  Imli/iMiiii  , ,  I  ■,  nnil.lle  in  einem  Sl:nide  er.leheii,  vveiejier 

\y.l\  exeelleiK  (•  und  ;il  l'..<  lll  le  I.'.Ik  |i  de  i  V'illlelei  dei  .illeii  < '.e^,e||:.(  li;i  |  h, 
•  •idiiiinp.  r.l  lind  /.ii).'.l<'i<  li  m  seinem  ).',ii)üen  Hesil/.  das  Mittel  li.il.  jidi  n 
iimIi  vidiii  Heil  Aii^MÜI  soloil  sii^'.K'icIi  /.u  im  I  ei  d  I  üeken ,  <l  li  in  den 
Keili<  n   de'.   IiiiIk  n   und    iii.k  hl  i^-i  n    Adel', 

IVISl  wenn  die  (  ie)-'.CIISill /.»•  .'lO  lll  dei  ll(  lelist  lll<»|dielieii  Sfll.llle  und 
Knii/.eiit  lal  inii,  <leieli  sif  V.\\\\y\  waiell,  einamlei  p,e^'eiiiil)eistalldeii  tllld 
/ii:..iiiiiiien'.l  lel.leii  ei',|    d. 11111    w.ii    dei     |'",ill    :.(>/ 1  is.ireii    ;.(>    leelil     ans 

dein    lte^;|lll    llei  ails}.',es<  lllll  t /l  ,   eist    dann    \\\iy,   ei    alle    Im»I  dellliireii    dt-s 
Mrp.lilJs  lind  den  (1itilal<lei    seiiiei    iini  veiseilell   I  («dellt  llll^;    Itllleii^dial   all 
^ii<ll.  c-imI  d.niii  iiniUle  det   /ai'..iinineii',lt>l,l  /n  eiiiein  ni>  hl   /n  veimilli  In 
dni,    /,ll  einem    vei/.welle||en,    .ihel    /ll}del(  h    /ll   dei    l(  In  leli  h'.lell   .'.i  >,' l.lleii 
'rill^^'.odie    Wil(l<MI, 

\''»n  d«  I  <  nieii  ,'li'lle  delil'.t  lle  Mi.i.d,  !■.  .ll  hi>h/IMini'.,  ehehel  i  liehe 
(ieVVidl,  l'unillle,  Keiehlllin,  Adel,  dies  alle'.  Ilnt  ll,  VVK"  \(>ll  einem  V\'all, 
von  (In    lilll;.'.ei  ||(  hell    .Aii'.K  hl    \oii   dei    l'lhe   lll  lei  liailj  >l    lllllj^-elteii  \'till 

drt  lllldrlrll  Seile  die  hele  l'ei'.onlK  hl.ell  lllll  dnel  IIIKIldlK  hen  .Aiiinil 
tllld  Mtllejlii-.i^d.eil  II. K  h  .niüeii  mit  ihiein  miendliehi  n  Kei<hliiin  n.ieh 
iniM  II 

I  >li      1,111  inde,    die    ii  h   <>|m  n     .<>    Inlile.    leide  |    iioi  ll    .111   einem    l't'hlet  .    .111 
dein  f.',ewall  i(.',«ii   i'hlei  dei    .Al.'.l  I  .d.  I  Ion    den  ',.  hon  die   l'ane'.l  nie  in  >liii 
S«  Illrli-IIIIIK  liei'.i  hell   Itiieleii  ilii   iiiil.l.ii    voiuiill   uiiil  deil  Sdllclci  in.M  het 
l*rll»nl,  rui\  lel  Muhe  ei  sieh  aiM'h  (.'.dit ,  iinlit  wef.Mlr.(>iil  lenn  K.mn     !']ine 
M  iiie  ^ii)-'l  namJK  ll,  eri  ,scl  ein  luhKi  jeiK-.  ilnehe-i.  d. i l.i  ni.ni  ni«  hl  <i  I. du e, 

.'11     VVelellel       rilelll  ij.'k(M  I     lll     .lel      .\  1 1 1 1.   n  \ve  1 1     '.oI.  lle     l.lel..'      l.lUlllde     lllld 

llilliis   iM'.'idiidrin   lM'f.'ei,s(ri  t    lialif,  :ii»|elie    ijil'i-   Könne   iiu  hl    ohne    \'.\\\ 
lllll.l  lllll   <lii'i  lild.leie.   Idllj^-el  helle    i.elten   li|ell»ell,     ae   inil-.'.e    .u  ll  .11   T.ileil 
und    W'ii  Lini^'i  II    ii.nh    aiiÜeii    eihehiii 

I  »a>i  Ulehli^'e,  weither,   lll   die'.em  \'oi\villl    lllllilai    h<>',l.   iM    lolmMides: 
\'oii   eiiielll    lirileli    und    helieileii   (iedaiiKeii    diiiehdi  uiimMU-    Indixiduuli- 
M4  v>i  ,   1,4. ««U.-  N.I.M...      IV  I 


=  34  = 

täten  wie  Julius  und  Lucinde  müssen  notwendig  in  Gegensatz  mit 
der  Außenwelt  treten,  deren  geltendes  Prinzip  sie  für  sich  aufgehoben 
haben.  Das  Hauptinteresse  liegt  eben  darin,  zu  sehen,  wie  sich  die  Wirk- 
lichkeit zu  einer  solchen  befreiten  Gestalt  verhält.  Den  Gegensatz  und 
den  Contrechoc  beider  zu  beobachten,  die  schonimgslose  Feindseligkeit 
zu  betrachten,  mit  welcher  in  diesem  Ringkampf  die  Welt  durch  die 
Wucht  ihrer  positiven  Existenzen  das  Individuum  zu  erdrücken  sucht, 
imd  die  Widerstandsmittel  andererseits,  welche  die  befreite  Persönlich- 
keit aus  der  Tiefe  ihres  Prinzips  herauszuentwickeln  weiß. 

Von  alledem  erfährt  man  nichts  in  der  Lucinde.  Von  aller  umgebenden 
Wirklichkeit  ist  darin  abstrahiert,  vm.d  Lucinde  lebt  frei  imd  ungestört, 
als  wenn  der  Widerspruch  der  Bxistenzwelt  gar  nicht  vorhanden  wäre. 
Diese  totale  Abstraktion  ist  in  der  Tat  noch  die  Folge  der  romantischen 
Richtung  Schlegels ;  aber  eben  dieser  Abstraktion  wegen  ist  die  Lucinde 
kein  wirklicher  sozialer  Roman. 

Wenn  aber  das  neue  Liebesbewußtsein  erst  wirklich  lebendige 
Individualitäten  ergriff,  dann  mußte  dieser  in  der  Lucinde  übergegangene 
Zusammenstoß  sich  vollbringen,  und  damit  er  in  der  höchsten  Intensität, 
deren  er  fähig  war,  stattfinde,  mußten  die  äußeren  Verhältnisse,  in  denen 
das  Individuum  auftrat,  wie  oben  auseinandergesetzt,  grade  die  der 
neuen  Freiheitsidee  widersprechendsten  sein.  — 

Beiläufig  gesagt  wird  es  Ihnen  nun  schon  lange  klar  geworden  sein, 
daß  ich  jetzt  eben  von  Ihnen  und  Ihrer  Historie  rede.  Sie  müssen  aber 
nicht  etwa  glauben,  daß  Ihnen  hier  eine  gewaltsame  Deutung  gegeben 
worden  sei,  weil  Sie  eigentlich  nie  konsequent  nach  außen  hin  die  Be- 
rechtigung des  freien  Liebesgenusses  im  allgemeinen,  sondern  mehr  nur 
diese  Berechtigimg  grade  für  sich  selbst  behauptet  und  sie  mehr  durch 
die  enorme  Ihnen  von  Ihrem  Mann  angetane  Unbill  motiviert  haben. 
Denn  teils  lag  doch  jene  Idee,  wenn  auch  unklar,  immer  Ihrem  innern 
Bewußtsein  zugrunde,  teils  ist  es  ganz  einflußlos,  ob  Sie  sich  selbst 
Rechenschaft  über  das  Sie  treibende  Prinzip  abzulegen  gewußt  haben. 
Vielmehr  ist  es  grade  eine  Eigentümlichkeit  fast  aller  geschichtlichen 
Persönlichkeiten,  daß  sie  den  Gedanken,  der  sie  durchdringt,  der  die 
Seele  alles  ihres  Tuns  ist,  nie  in  klarer  Form  sich  selber  zum  Bewußt- 
sein bringen  können.  Könnten  sie  dies,  so  wären  sie  damit  zugleich 
Herren  und  Meister  dieses  Gedankens  imd  nicht  das  von  ihm  regierte 
und  gleichsam  willenlos  bewegte  Instrument.  —  Die  Hauptsache  ist 
also  die,  daß  Sie  stets  Ihrem  Manne  oder  Ihrer  Familie  gegenüber  Ihre 
Freiheit,  zu  empfinden  und  zu  lieben,  als  Ihr  gutes  Recht  behauptet 
haben,  wenn  Sie  dieselbe  auch  vorzüglich  durch  das  Übermaß  der  vom 
Grafen  erfahrenen  Mißhandlungen  aller  Art  und  nicht  durch  das  rein 
allgemeine   Prinzip  selbst  motivierten.   Die  Hauptsache  ist,   daß  Sie 


—   35  — 

sich  nie  zu  der  Herabwürdigiing  bringen  lassen  wollten,  ein  zugeste  he  n , 
daß  Sie  sich  vergangen  hätten,  indem  Sie  jene  Freiheit  der  Persönlich- 
keit, sich  in  einem  Individuum  zu  finden  und  zu  genießen,  ausübten. 
Die  Hauptsache  ist,  daß  Sie  mit  dem  echt  theoretischen  Stolze  des  von 
einem  Prinzip  berauschten  Geistes  sfehr  oft  Ihr  ganzes  Schicksal,  das  sich 
sonst  hin  und  wieder  hätte  einrenken  lassen,  lieber  zerschellen  ließen, 
als  jenes  Geständnis  abzulegen;  daß  Sie  sogar  jenes  Geständnis  nicht 
einmal  bloß  theoretisch  und  scheinbar,  d.  h.  heuchlerisch  ab- 
legen wollten,  wo  Ihnen  Ihre  Familie,  wie  z.  B.  die  Nostitz  ^)  einst  in 
Berlin  den  Weg  zeigte,  unter  der  äußerlichen  Af  fichienmg  einer  Sinnes- 
änderung, eines  frommen  Wandels  usw.  die  frühere  Praxis  zu  verbergen. 
Denn  bei  einem  von  der  Gewalt  eines  Prinzips  wahrhaft  erfaßten  Geiste 
ist  es  grade  die  Hauptsache,  nicht  etwa  im  stillen  und  geheimen  dem 
Prinzipe  praktisch  nachzuleben,  sondern  es  theoretisch  und  prin- 
zipiell als  sein  Prinzip  zu  bekennen.  Ein  solcher  Geist  steift 
sich  vor  allem  darauf,  sein  Prinzip  theoretisch  zu  bekennen  und  sein 
Recht  zur  Anerkennung  zu  bringen  (was  ich  bei  Ihnen  in  bezug  auf 
die  praktischen  Konsequenzen  so  oft  das  Streiten  um  den  Punkt  auf 
dem  i  nannte),  er  wäre  eher  noch  imstande,  die  Verwirklichung  seines 
Prinzips  aufzugeben  —  denn  damit  gäbe  er  doch  nur  die  Außenwelt 
auf  — ,  als  theoretisch  auf  sein  Prinzip  imd  die  formelle  Anerkennung 
seines  Rechts  zu  verzichten.  Denn  dies,  was  dem  gewöhnlichen  Menschen 
Fordenmg  der  praktischen  Verständigung  zu  sein  scheint,  erscheint 
einem  solchen  Geiste  von  der  einen  Seite  als  Aufgabe  imd  Verrat  seines 
Prinzips,  d.  h.  als  Heuchelei,  von  der  andern  Seite  aber,  weil  dies  Prinzip 
den  tiefsten  Inhalt  seiner  Persönlichkeit  ausmacht,  erscheint  es  ihm 
sogar  als  Aufgeben  seiner  innern  Persönlichkeit,  als  persönliche 
Selbstentwürdigtmg  und  Selbsterniedrigung. 

Die  Hauptsache  ist  ferner,  daß  Sie,  von  dem  Gedanken  durch- 
dnmgen,  daß  der  I^ib  allerdings  zum  frei  sich  darbietenden  Gefäß  der 
Liebe,  aber  eben  auch  nur  zu  der  Realisation  der  Liebe  bestimmt  sei, 
sich  entschieden  weigerten,  worüber  sich  Ihre  Familie  so  oft  tadelnd 
wunderte,  die  Schönheit  Ihres  Leibes,  die  Macht  der  Sinnlichkeit  auf 
Hatzfeldt  wirken  zu  lassen,  wodurch  Sie  ihn  gar  bald  vmterjocht  haben 
würden.  Dem  Prinzipe  von  der  freien  Verwirklichung  der  Persönlichkeit 
in  der  Liebe,  dem  Prinzipe  von  der  Vollendimg  der  Liebe  durch  die  freie, 
sittliche  Hingabe  des  Leibes,  erscheint  der  Leib  als  ein  überaus  Heiliges, 
welches  durch  jeden  andern  Gebrauch  desselben  als  zum  wahren  Liebes- 
gebrauch, selbst  dem  Ehemann  vmd  seinem  äußeren  Recht  auf  diesen 
Leib  gegenüber  —  (dieses  Recht  erkennt  ja  eben  dieser  Geist,  der  nur 

^)  Gräfin  Klara  von  Nostitz  (1807 — 1858),  Schwester  der  Gräfin  Sophie  von 
Hatzfeldt. 


==_==   36   ===== 

das  Recht  der  freien  Liebe  anerkennt,  durchaus  nicht  an)  — ,  entheiligt 
und  entweiht  werden  würde.  Darum  blieben  Sie  für  Hatzfeldt,  wie  er 
sich  ausdrückte,  die  tote  Statue. 

Mit  dem  obigen  hängen  mm  weiter  aufs  innigste  die  Forderungen 
zusammen,  die  Sie  Hatzfeldt  gegenüber  stellten  und  welche,  oft  in 
praktisch  verständiger  Hinsicht  von  schreiendem  Unverstand,  hier  ihre 
wahre,  tiefe  Begründung  und  irmere  Notwendigkeit  finden.  So  wollten 
Sie  so  lange  absolut  nie  in  die  Scheidung  willigen,  was  vom  verständigen 
Standpimkt  aus  rein  imerklärlich  scheint,  da  Ihnen  doch  alles  daran 
liegen  mußte,  von  diesem  Manne  loszukommen.  Aber  von  hier  aus 
findet  es  seine  Erklärung. 

Sie  wollten  nicht  in  die  Scheidung  durch  gegenseitige  Schuld,  ja 
nicht  einmal  in  die  Scheidimg  ohne  alle  bestimmte  Schuld,  par  consente- 
ment  mutuel  willigen,  weil  Sie  wußten,  daß  nach  den  Vorurteilen  Ihres 
Standes  die  Scheidung  immerhin  sozusagen  als  eine  Entthronung  Ihrer- 
seits, d.  h.  als  eine  Anerkennung  eines  von  Ihnen  vollbrachten  Un- 
rechts aufgefaßt  werden  würde.  Grade  deshalb  aber  wollten  Sie,  der 
es  vor  allem  darauf  ankam,  vor  den  Augen  aller  Ihr  theoretisches 
Recht  aufrechtzuhalten,  nie  darein  willigen. 

Seien  Sie  ehrlich.  So  oft  Sie  Hatzfeldt  auch  Vorschläge  der  Ver- 
söhnung und  des  Zusammenlebens  machten,  Sie  dachten  nie  emsthch 
daran,  ihm  von  da  ab  die  ehehche  Treue  zu  bewahren.  In  der  ganzen 
konsequenten  Kühnheit  Ihres  Prinzips  erhoben  Sie  sich  so  zu  der 
fanatischen  Fordenmg  —  die  dem  Grafen  natürhch  Insolenz  zu  sein 
schien  —  die  Ehe  selbst  imd  mit  ihr  zugleich  die  Freiheit,  die  Ehe  zu 
verletzen,  aufrechtzuerhalten. 

Die  Freiheit,  die  Ehe  zu  verletzen,  koimten  imd  durften  Sie  lücht 
aufgeben,  weil  Sie  sonst  Ihr  Prinzip,  Ihre  innere  Persönlichkeit  auf- 
gegeben hätten.  Die  Ehe  selbst  wollten  Sie  nicht  aufgeben,  damit  Sie 
nicht  einen  Fehl  begangen  zu  haben  anzuerkeimen  schienen. 

Weil  Ihnen  eben  die  Ehe  mit  Recht  gar  nichts  mehr,  die  freie 
Persönlichkeit  imd  ihre  unendliche  Berechtigung  alles  war.  schien 
Ihnen  in  dieser  wahnsinnig  kühnen  Forderung  der  Ehe  und  Ehelosig- 
keit zu  gleicher  Zeit  kein  Widerspruch  zu  liegen.^) 

Eine  so  tiefe,  prinzipielle  Bedeutung  aber  diese  Forderung  auch 
hatte,  so  litt  sie  doch  an  einem  irmeren  Widerspruch.  Die  Ehe  hat  keine 
Heiligkeit,  und  es  ist  das  Recht  der  Liebe,  sie  zu  verletzen.  Wo  die 
Person  durch  die  äußeren  \'erhältnisse  in  der  Ehe  zu  bleiben  gezwungen 
ist,  wo  sie  dieselbe  nicht  lösen  kann,  da  hat  sie  das  Recht,  dieselbe  als 
nicht  vorhanden  zu  betrachten.  Aber  wo  sie  sie  lösen  kaim,  hat  sie  die 

1)  Vgl.  hierzu  Lasalles  Brief  an  Graf  Westphalen  vom  i.  Januar  1848  in  Bd.  I, 
S.  345  f- 


=   37   —  = 

Pflicht,  sie  zu  lösen;  es  ist  prinzipwidrig,  dieser  Lösung  zu  widerstreben, 
denn  das  Prinzip  lautet  ja  eben  auf  Abstreifung  der  Fessel  der  Ehe  iind 
daher  der  Ehe  selbst  in  ihrer  jetzigen  Gestalt.  —  In  dieser  Ihrer  Forde- 
rung war  daher  eine  Inkonsequenz  tmd  ein  Widerspruch,  und  deshalb 
habe  ich  mich  von  je  so  bestimmt  gegen  dieselbe  aufgelehnt. 

Eine  andere  Fordenmg,  an  der  Sie  unendlich  fester  hielten  vmd 
selbst,  als  Ihnen  in  bezug  auf  die  äuiBere  Lage  ganz  akzeptable  Be- 
dingungen gemacht  wurden,  den  Vergleich  lieber  zerschellen  ließen,  er- 
hält auch  erst  von  hier  aus  ihr  volles  Licht.  Ich  meine  Melanie.^)  Zwar 
kann  man  meinen,  schon  die  bloße  MutterHebe  erklärt  es,  daß  Sie  so 
großen  Wert  auf  die  Tochter  legten.  In  der  Tat  aber  würde  es  die  bloße 
Mutterliebe  nicht  erklären,  wie  eine  so  geistreiche  Frau  wie  Sie  jahre- 
lang Existenz,  Stellimg,  Lebensgenuß  lieber  aufgeben  konnte,  als  auf 
ein  ihr  ohnehin  seit  zehn  Jahren  entrissenes  und  durch  Erziehung  inner- 
lich entfremdetes  Kind  verzichten,  welches  ohnehin  nicht  mehr  zu  er- 
kämpfen war,  vmd  selbst  wenn  es  erkämpft  wurde,  wegen  der  Not- 
wendigkeit, es  in  kurzem  zu  verheiraten  imd  somit  aus  Ihrem  Lebens- 
kreis heraus  in  einen  fremden  zu  entlassen,  eine  sehr  flüchtig  vorüber- 
gehende Eroberung  gewesen  wäre. 

Wie  gesagt,  erst  von  hier  aus  erklärt  sich  Ihr  starres  Festhalten  auf 
der  Forderung,  Melanie  durchaus  selbst  zu  erhalten  und  auch  nicht 
einmal  einen  Vermittlungsvorschlag  zu  akzeptieren,  wie  z.  B.  sie  einem 
Familienmitghede  zu  übergeben. 

Denn  während  Sie  sich  mit  Recht  be^soißt  waren,  die  Idee  der  Weib- 
lichkeit grade  zur  vollkormnenen  Entwickltmg  in  sich  gebracht  zu  haben, 
wurde  von  der  Ihnen  gegenüberstehenden  Welt  der  Satzung,  die  ihren 
Vertreter  in  Ihrer  Familie  und  Gatten  fand,  die  Freiheit  Ihrer  Richtung 
als  das  L'nwei bliche  aufgefaßt  und  behauptet.  Bei  jedem  Vergleichs- 
versuch miißte  daher  die  Frage  über  Melanie  eine  unlösbare  Schwierig- 
keit bilden.  Bei  der  Auflösung  einer  Familie  fällt  das  Weibliche  dem 
Weibhchen  zu,  die  Tochter  somit  der  Mutter.  Sie  waren  also  bei  Ihrer 
Fordenmg  Melanies  in  Ihrem  Recht.  Aber  von  der  Seite  Ihres  Gatten 
wurde  grade  behauptet,  daß  Sie  das  Weibhche  in  sich  verletzt  imd 
aufgegeben  hätten  vmd  daß  Ihnen  deshalb  Melanie  nicht  gegeben  werden 
könne.  Grade  hierdurch  wuchs  vmendlich  an  Intensität  die  Gewalt,  mit 
der  Sie  Melanie  begehrten.  Auf  sie  freiwillig  verzichten,  hätte  für  Sie 
also  geheißen,  anzuerkennen,  daß  Sie  sich  an  der  Idee  der  Weiblich- 
keit vergangen  haben.  Ein  solches  Anerkenntnis  aber  war  für  Ihr  Be- 
wußtsein eine  innere  L'nmöglichkeit ;  es  auch  nur  scheinbar  abzulegen, 
oder  vielmehr   auch  nur  durch  Nachgeben  in  bezug  Melanies  anderen 


*)  Melanie,  die  einzige  Tochter  der  Gräfin. 


die  Möglichkeit  dieser  Auslegung  zu  geben,  widersprach  absolut  Ihrem 
Selbstbewußtsein,  die  Idee  der  freien  Persönlichkeit  in  sich  grade  zur 
sittlichen  Entwicklung  gebracht  zu  haben.  Sie  forderten  Melanie  also 
nicht  bloß  um  Melanies  willen,  sondern  Ihre  ganze  eigene  Persön- 
lichkeit legte  sich  in  diese  Forderung;  und  deshalb  bloß 
hielten  Sie  so  erstaunlich  fest  daran. 

Da  prinzipiell  diese  Forderung  durchaus  gerecht  war,  so  konnte  ich, 
solange  die  Hoffnung  eines  Sieges  möglich  war,  an  derselben  nichts 
aussetzen. 

Dennoch  aber  war  mit  dieser  Fordenmg  der  Kampf  zum  unlös- 
baren geworden.  Denn  von  der  andern  Seite  wäre  die  Überantwortung 
Melanies  in  Ihre  Hand  die  volle  und  positive  Anerkennung  seitens 
der  alten  Welt  gewesen,  daß  Sie  die  Idee  des  Weiblichen  zur  richtigen 
Darstellimg  und  Entwicklung  in  sich  gebracht  haben.  Dieses  Anerkeimt- 
nis  aber,  daß  in  der  Idee  der  freien  Persönlichkeit  die  wahre 
Bestimmung  des  Weiblichen  bestehe,  konnte  immöglich  die 
alte  Welt  selbst  von  sich  geben.  Denn  es  wäre  dies  ja  das  Todesurteil 
gewesen,  das  sie  selbst  über  sich  ausgesprochen  hätte !  Ein  Todesurteil, 
wie  sie  es  vmter  dem  Messer  der  Guillotine  zwar  hinnehmen  muß,  aber 
selbst  da  nicht  einmal  selber  anerkennen  wird. 

Dies  Anerkenntnis  also  konnte  wegen  des  prinzipiellen  Gegen- 
satzes von  Ihrem  Mann  imd  Ihrer  Familie  nicht  abgelegt  werden.  Mit 
Ihrem  Beharren  auf  Melanie  war  also  von  vorneherein  —  imd  ich  bin 
mir  dessen  seit  je  sehr  bewußt  gewesen  —  der  Kampf  zu  einem  solchen 
gemacht,  der  nicht  mehr  ausgeglichen  und  nur  mit  dem  entschiedensten 
Ruin  der  einen  Seite  geendet  werden  konnte.  Die  entgegengesetzten 
Prinzipien  hatten  sich,  indem  jedes  forderte,  daß  das  andere  selbst  sich 
als  das  unwahre  anerkenne,  zwei  Doggen  gleich,  so  ineinander  verbissen, 
daß  sie  nicht  mehr  auseinander  kommen  konnten,  ohne  sich  zu  zerreißen. 

Ich  habe  eigentlich,  indem  ich  von  den  Bedingungen  sprach,  die  Sie 
im  Kampfe  aufstellten  und  aufstellen  mußten,  eine  lange  Abschweifung 
gemacht,  welche  dadurch  entstand,  daß  ich  Ihnen  nachweisen  mußte, 
wie  es  wirklich  das  Prinzip  der  sich  im  Gebiete  der  lyiebe  frei  verwirk- 
lichenden Persönlichkeit  war,  welches  in  Ihnen  seine  Trägerin  fand. 
Eigentlich  hätte  ich  oben,  als  ich  von  dem  Gegensatz  sprach,  in  welchem 
sich  die  freie  Individualität  zu  der  Welt  der  Existenzen  gestellt  sehen 
mußte,  um  den  Zusammenstoß  zu  einem  echt  begrifflichen  und  inten- 
siven zu  machen,  zuerst  diesen  Zusammenstoß  mit  der  Wirklichkeit,  den 
Kampf  selbst,  entwickehi  imd  dann  erst  auf  das  weitere  kommen  müssen. 

Ich  nehme  also  hier  den  Faden  wieder  auf,  wo  ich  ihn  oben  ab- 
gerissen. Ich  hatte  gesagt,  daß  die  Idee  der  freien  weiblichen  Indivi- 
dualität, so  wie  sie  in  die  Praxis  trat,  ihren  absoluten  Gegensatz  an  der 


-  — =   39  —  — 

Wirklichkeit  finden  und  in  Kampf  mit  ihr  geraten  mußte.  Daß  ferner, 
damit  dieser  Gegensatz  ein  um  so  tieferer  und  blutigerer  werde,  sie  sich 
in  äußeren  Verhältnissen  befinden  mußte,  welche  am  direktesten  der 
neuen  Idee  entgegenstanden;  im  Katholizismus,  welcher  die  Ehe  als 
Sakrament  anerkennt,  in  den  Reihen  des  höchsten  und  reichsten  Adels, 
welcher  schon  als  Stand  par  excellence  Vertreter  der  alten  Unfreiheit 
ist,  und  der  zugleich  in  seinem  großen  Besitz  und  Einfluß  das  absolute 
Mittel  hat,  jeden  individuellen  Angriff  zu  unterdrücken ;  in  Deutschland 
endlich,  dem  Lande  der  Philistermoral. 

Ich  hatte  aufmerksam  gemacht,  wie  auf  diese  Weise  alle  Existenzen 
der  positiven  Welt  auf  der  einen  Seite  standen:  Ehe,  Adel,  Besitz  an 
Gütern  und  Einfluß,  männliche  und  Familienautorität,  imd  auf  der 
andern  Seite  nur  die  freie  Persönlichkeit  mit  ihrer  imendlichen  Armut 
nach  außen  und  ihrem  imendlichen  Reichtum  nach  innen.  —  Ich  habe 
gesagt,  wie  grade  bei  diesem  absoluten  Gegensatze  der  Kampf  ein  um 
so  lehrreicherer  und  großartigerer  werden  mußte. 

Eigentlich  aber  könnte  man  fragen,  wie  soll  denn  —  bei  der  absoluten 
Mittellosigkeit  der  freien  Persönlichkeit  nach  außen,  die  nichts  als 
ihren  innern  Reichtum  hat  —  der  Kampf  entstehen  können?  Womit 
soll  er  bei  dieser  absoluten  Mittellosigkeit,  der  alle  Existenzen  gegen- 
überstehen, geführt  werden  können?  Denn  dsdfe  reine  Innere,  das  weib- 
liche Element,  dem  noch  dazu  durch  seine  Natur  die  äußere  Tat  versagt 
ist,  kann  nicht  äußere  Existenzen  bekämpfen.  Wie  also  soll  der  Kampf 
selbst  überhaupt  nur  möglich  sein? 

Die  Persönlichkeit,  die  nichts  hatte  als  sich  selbst,  wandte  sich  daher 
um  Hilfe  an  die  äußerlich  mit  ihr  identischen  und  zusammenhängenden 
Persönlichkeiten,  d.  h.  an  die  Familie.  Aber  die  Familie  gehörte  ja 
eben  selbst  der  Welt  des  unfreien  Dogma  an,  das  zu  bekämpfen  war; 
sie  war,  als  Adel,  der  Vertreter  des  Alten;  sie  konnte  nicht  ihre  Hilfe 
leihen,  um  ihr  eigenes  Prinzip  und  ihren  Quell,  die  Ehe,  anzugreifen. 
Sie  wies  die  freie  Persönlichkeit,  mit  der  sie  in  notwendigem  prinzipiellem 
Gegensatz  stand,  zurück  vmd  trat  ihr,  sobald  diese  die  innere  Empönmg 
in  den  äußeren  Kampf  verwandeln  wollte,  feindlich  entgegen.  Womit 
also  sollte  die  freie  Persönlichkeit,  der  alle  Mittel  der  Außenwelt  ent- 
gegenstanden, keins  zugänglich  war,  ihren  Kampf  führen? 

Es  sollte  fast  unmöglich  scheinen,  daß  der  Kampf  überhaupt  zum 
Ausbruch  kommen  konnte,  und  in  der  Tat,  versichere  ich  Sie,  hätte  in 
keiner  andern  Zeit  als  eben  in  der  unsrigen  dieser  Kampf  auch  nur  zum 
Ausbruch  kommen  können.  Daß  es  zu  einem  Kampfe,  und  zwar  zu  einem 
Kampfe  von  Macht  zu  Macht  kam  —  das  selbst  ist  schon  Ihr  eigent- 
licher Sieg  und  an  sich  der  mächtigste  Beweis,  daß  Sie  ein  unüberwind- 
liches Zeitprinzip  vertreten.  — 


40  -—  

Die  interessante  Frage  also  war,  welche  Mittel  und  Waffen  sollte 
die  mittel-  und  waffenlose  Persönlichkeit  in  dem  Kampf  führen? 

Aber  die  auf  dem  Prinzipe  der  freien  Persönlichkeit  beruhende 
Individualität  hatte  in  diesem  ihrem  Inhalt  eben  selbst  schon  die 
Mittel  an  sich,  imd  diese  Mittel  waren:  die  Macht  der  Persönlichkeit 
tmd  die  Macht  des  Prinzips,  das  sie  vertrat. 

Wenn  eine  weibliche  Individualität  revolutionär  gegen  die  Welt  der 
Sitte  auftritt,  so  ist  das  Hauptkriterium,  um  zu  wissen,  ob  dieser  Er- 
scheintmg  bloß  einzelne  Ausgelassenheit  oder  das  sittliche  Prinzip  des 
neu  entstehenden  Zeitbewußtseins  zugrunde  liegt,  die  Frage :  wie  wird 
sich  die  geistige  Männerwelt  zu  dieser  Erscheinung  verhalten?  Denn 
lyiebe  imd  Sitte  sind  eben  das  Verhalten  von  dem  einen  Geschlecht  zu 
dem  andern,  \md  wenn  also  von  Seiten  des  Weibes  eine  Änderung  in  der 
bisherigen  Verhaltungsweise  vorgenommen  wird,  so  fragt  es  sich,  ob 
diesegeänderte  Weise  von  Seiten  des  andern  Geschlechts,  der  Männerwelt, 
anerkannt  wird.  Um  so  mehr  als  die  Männer  das  Geltende,  die  Macht 
imd  Wirklichkeit  in  der  Gesellschaft  repräsentieren,  von  ihrer  An- 
erkennung also  der  Übergang  des  Neuen  zur  allgemeinen  Sitte  ab- 
hängig ist. 

Aber  mit  der  Anerkennung  kann  es  noch  nicht  hinreichen.  Die 
weibliche  Individualität  findet  sich  ja  eben  in  dem  Kampfe,  den  sie  be- 
ginnen will,  von  vorneherein  von  der  Wucht  der  positiven  Existenzen 
erdrückt  und  braucht  Hilfe.  Und  da  sie  ein  Prinzip  vertritt  imd  um 
dieses  allgemeine  Prinzip  der  freien  Persönlichkeit  eben  der  Kampf 
geführt  wird,  so  hat  sie  in  diesem  Prinzipe  selbst  die  hilfeschaffende 
Macht.  Diese  Individualität,  welche  von  den  äußerlich  mit  ihr  identi- 
schen und  zusammenhängenden  Individuen  —  der  Familie  —  verlassen 
wurde  und  werden  mußte,  weil  ihr  Kampf  für  die  freie  Persönlichkeit 
imd  gegen  die  unfreie  Famihenidee  geht,  findet  ebenso  notwendig  in 
den  äußerlich  ihr  fremden,  aber  innerlich  mit  ihr  identischen,  d.  h. 
von  demselben  Prinzipe  der  freien  Individualität  beseelten  Persönlich- 
keiten Hilfe.  Diese  Hilfe  mußte  sie  finden,  denn  alle  jene  Persönlich- 
keiten sehen,  daß  es  sich  um  ihr  gemeinsames  Lebensprinzip,  um  die 
Berechtigung  und  Geltung  der  freien  Persönlichkeit  handelt  —  und  sie 
ergreifen  daher  für  ihr  Prinzip  die  Waffen. 

Daß  aber  das  einsam  ringende  Weib  diese  Hilfe  findet,  das  beweist 
eben  am  mächtigsten  und  siegreichsten,  daß  es  nicht  für  seine  bloße 
Lust,  auch  nicht  für  irgendein  noch  so  vortreffliches,  aber  rein  persön- 
liches Element  kämpft,  sondern  daß  es  für  eine  wirkliche  und  schlecht- 
hin allgemeine  Zeitidee,  für  das  wahrhaft  allgemeine  Prinzip  der  freien 
Persönlichkeit  selbst  gelitten  und  gekämpft  hat.  —  Diese  Hilfe  wird 
jener  Individualität  aber  nicht  zuteil  individueller  Beziehungen  wegen, 


—  =  41   = •  — 

sondern  wegen  des  Prinzips,  das  aus  ihr  handelt;  nicht  also  ein  Ver- 
liebter ist  es,  der,  weil  er  sie  liebt,  sondern  drei  Männer  auf  einmal 
sind  es,  die  nicht  in  persönlicher  Liebesbeziehung  zu  ihr  stehen,  sondern 
rein  durch  die  innere  Macht  des  Prinzipes  bestimmt,  sich  der  um  ihre 
Geltung  kämpfenden  Persönlichkeit  zur  Disposition  stellen.  Und  grade 
weil  diese  Hilfe  nicht  eine  aus  persönlichen  Beziehungen,  persönlicher 
Teilnahme  entsprungene  ist,  beschränkt  sie  sich  auch  nicht  auf  ein 
mehr  oder  weniger  hilfreiches  Bemühen,  sondern  als  durch  die  Identität 
des  Prinzips  erzeugt,  trägt  sie  den  Fanatismus  des  Prinzips  in  sich  und 
ist  eine  Hilfe  auf  Leben  vmd  Tod! 

So  fanden  Sie  Ihre  drei  Mousquetaires,  Madame !  Und  es  war  nicht 
gleichgültig  oder  zufällig,  daß  Sie  dieselben  nicht  bei  leichtsinnigen 
oder  vmtergeordneten  oder  romantischen  Individuen  finden  sollten, 
sondern,  was  sich  für  Sie  erhob  war  die  Blüte  junger  Männerwelt, 
in  der  behaglichsten  äußeren  Lage,  ein  Assessor,  ein  Arzt,  ein  Philosoph^) 
auf  der  höchsten  Stufe  geistiger  Bildimg  und  Vemünftigkeit  stehend. 

Natürlich  aber  konnte  diese  Hilfe  nur  in  den  Reihen  derer  entstehen, 
die  in  jeder  Beziehung  zu  der  Fahne  der  freien  Verwirklichimg  der 
Persönlichkeit  geschworen  hatte[nj,  d.  h.  der  sozialen  Revolutionärs; 
und  sie  konnte  ferner  nur  in  einem  Augenblicke  entstehen,  wo  die  Idee 
der  unbedingten  Verwirklichung  der  freien  Persönlichkeit  sich  schon 
tief  genug  in  die  Welt  eingearbeitet  und  hinreichend  entwickelt  hatte, 
um  zu  ihrer  gewaltsamen  praktischen  Durchführung  entschlossen  zu 
sein,  d.  h.  kurze  Zeit  vor  dem  Ausbruche  einer  allgemeinen  sozialen 
Revolution. 

Diese  Ihre  unbedingt  größte  geistige  Tat,  Madame,  daß  Sie  Ihre 
drei  Mousquetaires  fanden,  scheinen  Sie  mir  nie  genug  gewürdigt,  ihr 
nie  hinlänglichen  Wert  in  bezug  auf  die  Beurteilung  Ihrer  selbst  bei- 
gelegt zu  haben. 

Der  Beweis  für  die  Wahrheit  und  Tiefe  eines  Prinzips  ist  die  Macht, 
die  es  ausübt. 

Und  jene  Tat  war  eben  der  absolute  Machtbeweis,  den  Sie  ab- 
gelegt haben ;  es  war  der  Beweis,  daß  Sie  die  umwälzende  Idee  der  Gegen- 
wart nach  einer  Seite  hin  zur  mächtigen  Erscheinung  in  sich  gebracht 
haben. 

Die  Welt  aber  hat  einen  richtigen  Instinkt;  ohne  es  klar  erfassen  zu 
können,  täuscht  sie  sich  dennoch  nicht  über  jenes  Faktum.  Sie  ahnt 
darin  eine  neue  und  unbekannte  Gewalt,  die  Sie  ausgeübt  haben  müssen ! 
Glauben  Sie  mir,  soweit  ich  seit  1846  herumgekommen,  so  hat  sich 
niemand,   einige  sehr  wenige,   ganz  seichte   Köpfe   ausgenommen, 

1)  L,assalle  meint  natürlich  Alexander  Oppenheim,  Arnold  Mendelssohn  und 
sich  selbst. 


—  42  

jenes  Faktum  von  Ihren  drei  Mousquetaires  und  dem  verzweifelten, 
alle  Existenzen  der  Gesellschaft  verachtenden  Auftreten  derselben  für 
Sie  durch  Verführung,  I^iebe  usw.  usw.  erklären  zu  können  geglaubt. 
Es  stand  dem  zu  viel  entgegen.  Der  gewöhnlichste  Verstand  —  imd  ebenso 
jene  Frauen  in  Ems,  die  Sie  mit  soviel  innerer  neubegieriger  Scheu  imd 
äußerer  Strenge  anblicken  —  vermutet  dahinter  das  Walten  einer  ihnen 
imbekannten  Macht,  die  Ihre  Persönlichkeit  ausüben  müsse,  vermutet 
dahinter  etwas  Unbegreifliches  tmd  Unerklärliches  aber  Bedeutungs- 
volles. Es  ist  die  Ahnung,  daß  etwas  Neues  in  die  Welt  gekommen,  das 
Macht  haben  müsse ;  es  ist,  so  wenig  sich  die  IvCute  darüber  klar  werden, 
die  Ahnimg  von  dem  Auftreten  eines  neuen  Prinzips  in  der  weiblichen 
Welt  und  der  Gewalt,  die  es  ausübt. 

Das  Wunder  war  seit  je,  schon  bei  Christus,  der  Beweis  der  gött- 
lichen Sendung! 

Bei  der  Frauenwelt  aber,  welche  in  der  dunkeln  Ahnung  dieses 
neuen  Prinzips,  in  der  unklaren  Anschauung  der  Macht,  die  es  über 
die  Männerwelt  hat,  ihr  eigenes  Ivcbensprinzip  vernichtet  sieht,  ge- 
staltet sich  dieses  Vorgefühl  zum  unheimlichen  Haß. 

So  hoch  indessen  der  Machtbeweis  ist,  den  die  Persönlichkeit  ab- 
gelegt hat,  indem  sie  durch  die  bloße  Gewalt  ihres  Prinzips  aus  dem 
Nichts  sich  ein  Heer  geschaffen  hat,  so  ist  es  doch  noch  nicht  der  höchste 
Machtbeweis,  dessen  die  freie  Persönlichkeit  fähig  ist  und  den  sie  leisten 
muß.  Denn  die  revolutionären  Elemente,  welche  sie  an  sich  riß,  waren 
ja  das  von  vorneherein  durch  ihr  Prinzip  mit  ihr  Identische  und  Gleich- 
artige. Die  freie  Persönlichkeit  hat  also  in  diesen  Kämpfern  nur  das 
von  vorneherein  ihr  Gleichartige  sich  assimiliert,  nicht  aber  ein  ihr 
Entgegengesetztes  bezwimgen.  Wenn  die  freie  Persönlichkeit  sich  wahr- 
haft als  das  absolut  Mächtige  und  somit  als  das  absolut  Wahre  be- 
weisen soll,  so  muß  sie  die  Macht  haben,  ihr  Gegenteil  selbst,  die  ihr 
entgegengesetzte  Welt  der  alten  Wirklichkeit  zu  überwinden 
und  für  sich  zu  begeistern.  Denn  das  ist  das  wahre  Kriterium  eines  zu 
seiner  Verwirklichung  reifen  Prinzips,  daß  es  nicht  nur  über  sich  selbst 
und  das  ihm  Gleichartige,  sondern  über  seinen  Gegensatz  selbst  Ge- 
walt hat. 

Auch  von  einer  noch  andern  Seite  her  war  dies  nötig.  Die  freie 
Persönlichkeit  hat  in  den  prinzipverwandten  männlichen  Individuen 
ein  Heer  und  das  Element  der  Tatkraft  und  des  Handelns  sich  er- 
obert, aber  zum  Kampfe  selbst  ist  noch  ein  anderes  nötig.  Der  Kampf 
nämlich  geht  gegen  die  Wirklichkeit,  das  wirklich  Geltende.  Die  Wirk- 
lichkeit aber  kann  immer  nur  wiederum  durch  das  Wirkliche,  das  wirk- 
lich Geltende  immer  nur  wiederum  durch  das  Geltende  bekämpft 
werden.  Für  das  nicht  Geltende  würde  es  unerreichbar  bleiben.  Wer 


43   ===== 

also  die  allgemeine  Wirklichkeit  bekämpfen  will,  der  muß  zuvor  vStücke 
derselben  abreißen  uiid  in  seine  Gewalt  bringen,  um  die  Wirklichkeit 
selbst  nur  mit  der  Waffe  des  Wirklichen  bekämpfen  zu  können. 

Das  heißt  also:  zum  Kampfe  gegen  das  in  der  Gesellschaft  Wirk- 
liche und  Geltende  muß  man  zuvor  selbst  mit  dem  ausgerüstet  sein, 
was  eben  das  allgemeine  Zeichen  und  Ausdruck  aller  Wirklichkeit  und 
Geltung  ist,  mit  dem  Geld.  Das  Geld,  als  das  allgemeine  Zeichen  der 
Wirklichkeit,  ist  auch  das  unentbehrliche  Mittel  zur  Bekämpfimg  der- 
selben. Aber  als  allgemeines  Zeichen  der  Personifikation  und  der  Wirk- 
lichkeit ist  das  Geld  eben  nur  im  Besitz  derjenigen  Klassen  und  Fak- 
toren in  der  Gesellschaft,  welche  eben  das  in  ihr  bereits  Wirkliche, 
d.  h.  die  alten  Zustände  vertreten.  Es  war  nur  dem  Begriff  der  Sache 
entsprechend,  daß  die  revolutionären  Elemente,  welche  sich  um  die 
freie  Persönlichkeit  geschart  hatten,  als  selbst  nicht  der  alten  Wirk- 
lichkeit angehörend,  auch  nicht  hinreichend  über  das  Zeichen  derselben, 
das  Geld,  disponieren  konnten,  um  den  Kampf  zu  führen. 

Sie  sehen  daher  vor  jeder  Revolution  —  und  das  ist  das  echte 
Zeichen,  daß  das  neue  Prinzip  seinem  baldigen  Niederschlag,  seiner 
Realisation  nahe  ist  —  das  neue  Prinzip  sich  in  einzelnen  Erscheinungen 
Vertreter  und  Individuen  der  alten  Stände  unterwerfen,  gegen  deren 
Klasseninteresse  grade  die  Revolution  gerichtet  ist.  Aber  die  Ge- 
walt des  Prinzips  ist  so  groß,  daß  es  sogar  —  in  einzelnen  Individuen, 
versteht  sich  —  den  Klassenegoismus  überwindet.  Es  ist  dies  auch  not- 
wendig für  das  neue  Prinzip;  denn  an  diesen  Individuen,  die  es  zu  sich 
herüberzieht,  vmd  ihrem  Besitz  erlangt  es  das  in  der  Wirklichkeit 
Geltende,  das  Geld,  welches  es  braucht,  um  die  Wirklichkeit  selbst  zu 
attackieren.  So  ging  der  Französischen  Revolution  die  Erscheinung 
vorher,  daß  viele  Adelige  des  höchsten  Adels  und  sogar  der  Herzog  von 
Orleans  ^)  —  dessen  Geldmassen  daher  in  der  einseitigen  Überschätzung 
des  eben  aufgezeigten  Moments  einfältige  Geschichtschreiber  die  Revo- 
lution zuschreiben  wollten  —  für  die  Revolutionsideen  auftraten.  So 
ist  es  jetzt  eine  bedeutungsvolle  Erscheinung,  daß  in  Frankreich  be- 
sonders viele  sehr  reiche  I^eute  — -  z.  B.  die  großen  Fabrikanten  in 
Mülhouse  [sie!]  usw.  —  imd  sogar  hin  und  wieder  manche  in  Deutsch- 
land sich  zum  Sozialismus  bekennen. 

So  mußte  auch  die  freie  Persönlichkeit  diesen  höchsten  Macht- 
beweis ablegen,  das  ihr  Entgegengesetzte  selbst  durch  die  reine  Gewalt 
und  Tiefe  ihrer  Innerlichkeit  zu  überwinden  und  zu  sich  herüber- 
zuziehen. Und  damit  dieser  Sieg  ein  entscheidender  und  wahrhaft  be- 
deutungsvoller sei,  mußte  die  Macht  der  freien  Persönlichkeit  jemand 
~  1)  Herzog"phiUpp  von  Orleans  (1747— 1 793).  der  sich  als  MitgUed  des  Jakobiner- 
klubs Philippe  Egalite  nannte. 


44  

überwinden,  der  nach  allen  seinen  Existenzverhältnissen  die 
strikt  entgegengesetzte  alte  Welt  vertrat,  die  sie  bekämpfte;  jemand, 
der  durch  Alter,  Besitz,  Religion  und  Adel,  also  nach  allen  Seiten 
hin  die  Welt  der  Existenz  in  sich  personifizierte,  gegen  welche  die 
freie  Person  die  Waffen  ergriffen  hatte. 

Diesen  höchsten  Beweis  der  Übermacht  der  freien  Persönlichkeit 
über  das  ihr  absolut  Entgegenstehende  legten  Sie  an  Westphalen  ^)  ab. 
Es  war  damit  ein  wahrer  Sieg  errungen,  denn  es  war  der  absolute  Gegen- 
satz selbst  überwunden,  es  war  der  Stand  selbst,  welcher  par  excellence 
das  Alte  vertrat  und  angegriffen  wurde,  der  Adel,  zur  Anerkennung  der 
Wahrheit  des  neuen  Prinzips  gebracht.  Natürlich  konnte  (wie  auch 
z.  B.  bei  der  Französischen  Revolution)  dies  Geständnis,  daß  sein 
eignes  Lebensprinzip  überwimden  imd  die  freie  Persönlichkeit  das 
Wahre  sei,  nur  von  dem  geistig  gebildeten  Teil  des  alten  Adels  ausgehen. 
Sie  müssen  sich  aber  hüten,  Westphalen  usw.  als  bloße  Ausnahme  auf- 
zufassen; Westphalen,  Oppenheim,  Mendelssohn,  ich  usw.  usw.  wir  sind 
alle  nicht  Ausnahmen,  sondern  nur  die  Vertreter  der  verschiede- 
nen Klassen  der  Gesellschaft,  welche  herbeieilen,  um  dem  neu  auf- 
gegangenen Prinzipe  der  weiblichen  Persönlichkeit  ihre  Huldigung  dar- 
zubringen. 

Aus  dem  Obigen  folgt  auch  bereits,  wie  Sie  mit  der  Bezwingtmg  des 
absoluten  Gegensatzes  der  alten  Wirklichkeit,  welche  Westphalen  durch 
seine  Existenzverhältnisse  repräsentiert,  durch  dieses  Stück  geltender 
Wirklichkeit,  das  Sie  an  sich  gerissen,  das  in  seinem  Besitze  befindliche 
Zeichen  der  Wirklichkeit,  das  Geld,  notwendig  erlangen  mußten, 
welches  das  unerläßliche  Mittel  zur  Bekämpfung  der  allgemeinen  Wirk- 
lichkeit war. 

Der  Kampf  war  also  jetzt,  nachdem  sich  die  freie  Persönlichkeit 
rein  aus  ihrer  innern  Macht  heraus  ein  Heer  geschaffen  und  sogar  das 
Mittel  des  Wirklichen,  das  Geld,  an  sich  gerissen  hatte,  ein  an  sich  mög- 
licher. Aber  dieser  Kampf  enthielt  von  vorneherein  einen  tiefen  Wider- 
spruch in  sich. 

Die  freie  Persönlichkeit  kämpft  für  die  allgemeine  Anerkennung  imd 
Geltung  ihrer  innern  Wahrheit,  ihres  Prinzips.  Das  zur  allgemeinen 
Anerkenntmg  und  äußern  Geltung  gelangte  Prinzip  ist  das  —  Recht. 
Sie  kämpft  also  um  ihr  Recht  rmd  auf  dem  Rechtsweg.  Das  Recht 
ist  aber  zugleich  der  verwirklichte  Ausdruck  der  alten  Gesellschaft 
und  ihres  Prinzipes.  Das  Gesetz  steht  daher  allüberall  der  neuen  Wahr- 
heit entgegen,  und  ebenso  sind  die  Rechtsprecher  die  Vertreter  und 
Wächter  der  alten  Wirklichkeit  in  der  Gesellschaft.  Es  ist  also  in  dem 

^)  Graf  Clemens  von  Westphalen.  Vgl.  über  ihn  und  seine  Beziehungen  zur 
Gräfin  und  zu  Lassalle  die  Einführungen  zu  Bd.  I  und   Bd.  II. 


-  45  = 

Kampfe  der  freien  Persönlichkeit  der  absolute  Widerspruch  vorhanden, 
daß  sie  die  alte  Welt  bei  der  alten  Welt  selbst  verklagt.  vSic  kann 
also  bei  der  alten  Wirklichkeit,  welche  dem  Gesetze  der  vSelbstcrhaltung 
folgt,  unmöglich  gegen  sie  selber  Recht  erlangen.  Das  Bewußtsein  oder 
auch  der  Instinkt  dieses  Widerspruchs,  nicht  bei  dem  Alten  gegen  das 
Alte  selbst  Recht  finden  zu  können,  treibt  daher  mit  absoluter  Not- 
wendigkeit die  männlichen  Vorkämpfer  für  die  freie  Persönlichkeit, 
welche  als  Männer  das  Element  der  Tat  an  sich  tragen  tmd  als  Revo- 
lutionäre die  Rücksichtslosigkeit  des  Handelns  besitzen,  dazu,  durch 
ihre  eigene  Kraft  sich  Recht  erlangen  und  nehmen  zu  wollen,  d.  h.  zur 
Selbsthilfe,  zur  Gewalttat.  Von  hier  aus  empfängt  der  Kassetten- 
coup^)  seine  Notwendigkeit;  der  Kassettencoup  allerdings  als  dieser 
einzelne  Akt  war  zufällig  imd  hätte  imterbleiben  können,  aber  dann 
wäre  an  seine  Stelle  eine  andere  Gewalttat  getreten.  Was  notwendig 
war,  war,  daß  es  zur  Gewalttat  kommen  mußte.  Jener  Widerspruch 
mußte  von  vorneherein  dazu  hintreiben.  Und  darum  mußte  ich  mich 
von  Anfang  an  in  einer  Reihe  von  Gewalttätigkeiten  bewegen.  Die 
Nostitzsche  Affäre,  2)  der  Meyendorff-Brief,  der  Kassettencoup,  die  Zer- 
reißung der  Papiere  durch  Oppenheim,  3)  die  Zerreißung  derselben 
durch  mich  usw.  bieten  eine  Serie  von  Gewalttätigkeiten  dar,  die  durch- 
aus nicht  zufällig  sind.  Das  Bewußtsein,  das  zu  bekämpfende  Prinzip, 
das  man  zum  Feinde  hatte,  zugleich  zum  Richter  zu  haben,  mußte  mit 
Notwendigkeit  zum  gewaltsamen  Versuch  treiben,  sein  Recht  aus  sich 
selbst  erlangen  und  schöpfen  zu  wollen. 

Indem  sich  aber  die  freien  Subjekte  zur  Gewalttat  erhoben,  haben 
sie  damit  aufgezeigt,  welches  die  eigentliche  innere  Gnmdlage  ihres 
Kampfes  ist.  Sie  haben  in  ihrer  Verachtung  der  allgemeinen  Wirklich- 
keit imd  ihrer  Gesetze  gezeigt,  daß  sie  den  absoluten  Gegensatz  derselben, 
das  Prinzip  der  freien  Persönlichkeit,  zur  Geltung  bringen  wollen;  sie 


1)  Am  2o.  August  1846  entwendeten  bekanntlich  Oppenheim  und  Mendelssohn 
der  Mätresse  des  Grafen  Edmund  von  Hatzfeldt,  der  Baronin  von  Meyendorff, 
eine  Kassette,  in  der  sie  wichtige  Dokumente  vermuteten.  Vgl.  Oncken,  Lassalle, 
4.  Aufl.,  S.  72  ff. 

2)  Vgl.  hierzu  Ferdinand  L,assalles  Nachgelassene  Briefe  und  Schriften,  Bd.  I, 
Nr.  78  ff.  Lassalle  hatte  im  Frühling  1846  sich  bemüht,  durch  Bestechung  Ein- 
blick in  die  Korrespondenz  des  Grafen  von  Nostitz,  des  Schwagers  der  Gräfin 
Hatzfeldt,  zu  gewinnen.  Die  Sache  kam  vors  Universitätsgericht.  Da  Nostitz 
Generaladjutant  des  Königs  war,  so  wurde  anfangs  von  der  Polizei  angenommen, 
daß  er  sich  wichtiger  Staatsgeheimnisse  zu  bemächtigen  beabsichtigt  habe. 

')  Vgl.  Der  SchatuUenprozess  in  Köln.  Eine  getreue  Darstellung  der  Assisen- 
verhandlung  zu  Köln  am  24.  November  1846  über  den  Kammergerichtsassessor 
Feüx  Alexander  Oppenheim  aus  Berlin.  Düsseldorf  1846,  Stahlsche  Buchhand- 
lung. 


==============   46   — 

haben  damit  dargelegt,  in  prinzipiellem  Gegensatz  zu  allem  gegen- 
wärtig Geltendem  zu  stehen.  Deswegen  erheben  sich  nun  die  Wächter 
des  Geltenden,  die  zu  seiner  Aufrechterhaltung  bestallten  Ämter  mit  er- 
bitterter Wut  gegen  die  freien  Subjekte  und  schleppen  sie  immer  imd 
immer  wieder  vor  die  Gerichtsstätte,  um  erklären  zu  lassen,  daß  sie  sich 
am  Wirkhchen  vergangen  haben.  Sie  zählen  Gewalttat  nach  Gewalttat 
auf  und  sind  ihres  Erfolges  sicher.  Da  aber  der  Richter  aus  den  frei  be- 
weglichen imd  nur  auf  ihr  Gewissen  vereideten  Gliedern  der  bürger- 
lichen Gesellschaft  ist,  imd  da  das  neue  Prinzip  allüberall  bereits  inner- 
lich die  Gnmdlagen  der  alten  Wirklichkeit  imterminiert  und  die  Ge- 
wissen also,  welche  die  innerliche  Gnmdlage  des  Bestehenden  sind, 
infiziert  hat  —  rufen  die  freien  Subjekte  mit  erfolgreichem  Trotz  die  Ge- 
walt und  das  höhere  Recht  ihres  innem  Prinzips  gegen  die  f  aulenFormen 
des  Geltenden  an;  sie  verwandeln,  da  der  Geschworene  nur  auf  sein 
Gewissen  vereidet  ist,  die  Tatfrage  in  eine  Gewissensfrage,  und  der 
in  seinem  Gewissen  geteilte  Geschworene  kann  sie  nicht  verurteilen,  und 
sie  gehen,  durch  die  um  sich  greifende  Macht  ihres  Prinzipes  beschützt, 
frei  und  als  Sieger  aus  dem  Kampfe. 

Zugleich  aber  haben  die  Subjekte,  indem  sie  durch  die  Gewalttat  ihr 
allem  Bestehenden  entgegengesetztes  Prinzip  frei  darlegten,  die  weib- 
liche Individualität  und  die  Sache  derselben,  für  die  sie  kämpfen,  die 
notwendig  mit  ihrem  Prinizp  identisch  ist,  als  den  absoluten  Gegen- 
satz der  sozialen  Grtmdgesetze  zu  erkennen  gegeben.  Sie  haben  dadurch 
den  Gegensatz  der  Wirklichkeit  gegen  die  kämpfende  Sache  der  weib- 
lichen Individualität  geschärft.  Freilich  konnte  man  sich  über  die  Be- 
deutimg der  Gewalttat  noch  täuschen  und  sie  als  zufällige  und  ver- 
einzelte hinnehmen,  so  daß  die  Sache  der  freien  Persönlichkeit  selbst 
noch  immer  dem  jungem  und  also  beweglicheren  Teile  des  Richter- 
standes Sympathien  erwecken  konnte.  Obgleich  die  tiefer  blickenden 
alten  Richter  des  Kassationsgerichts  uns  schon  damals  entgegen 
waren. 

Als  aber  bald  darauf  die  allgemeine  Gewalttat  ausbricht  —  die 
Revolution  von  1848  — ,  als  der  Gedanke  der  freien  Persönhchkeit  auch 
seine  äußere  politische  und  ökonomische  Verwirklichung  erorbem  will 
und  den  Kampf  dafür  auf  Tod  und  Leben  der  alten  Gesellschaft  an- 
kündigt, da  mußte  der  prinzipielle  Gedankenzusammenhang  der  all- 
gemeinen Empörung  mit  der  individuellen,  die  Identität  zwischen  der 
Realisation  der  freien  Persönlichkeit  im  Gebiet  der  staatlichen  Geltung 
und  des  materiellen  Bedürfnisses  und  andererseits  im  Gebiet  des  ethischen 
Verhaltens  der  Geschlechter  zueinander  auch  den  Borniertesten  klar 
werden,  und  die  Wirklichkeit  wurde  implakabel  gegen  Sie  und  mußte 
es  werden.    Das  Proletariat  in  Köln  ergriff  im  Instinkte  dieses  Zu- 


—   47  = 

sammenhangs  in  meinem  Assisenprozeß  ^)  in  Köln  enthusiastisch  für 
mich,  die  Richter  schonimgslos  für  Hatzfeldt  mid  gegen  vSie  Partei. 

Von  der  andern  Seite  konnte  die  weibliche  Individualität  und  ihre 
Kämpfer  den  großen  Kampf  für  die  allgemeine  und  systematische  Ver- 
wirklichung ihres  Prinzips  nicht  um  sich  herum  entbrennen  sehen,  ohne 
sich  an  demselben  zu  beteiligen  und  ihr  Prinzip  in  ihm  anzuerkennen. 
Hierdurch  wuchs  und  steigerte  sich  notwendig  der  Widerstand  \md  die 
Wut  der  Wirklichkeit. 

Der  Kampf  der  Individualität  auf  dem  eingeschlagenen  Wege  war 
damit  notwendig  zu  einem  rettimgslos  verlorenen.  — 

Da  haben  Sie  eine  begriffliche  Darstellung  Ihrer  Geschichte.  Er- 
kennen Sie  die  innere  Notwendigkeit  derselben  an.  Erkennen  Sie  an, 
auf  welchen  Zeitgeistes  Schultern  Sie  stehen,  wer  Ihre  Vorläufer  und 
Vorbereiter  waren,  und  stärken  Sie  sich  an  der  unausbleiblichen  Not- 
wendigkeit, mit  welcher  Ihr  Prinzip  dem  Siege  und  die  Wirklichkeit, 
mit  der  Sie  kämpften,  dem  Untergange  zueilt. 

Was  wird  aber  aus  dem  individuellen  Kampf  und  der  weiblichen 
Individualität?  Dieser  Kampf  ist  nicht  zu  Ende  tmd  muß  nur  einen 
andern  Weg  einschlagen.  Es  ist  dies  nach  allem  obigen  klar.  Die  Indi- 
vidualität kämpfte  für  ihr  Recht  auf  dem  Rechtswege.  Da  aber  die 
alte  Wirklichkeit,  welche  sie  bei  sich  selber  verklagte,  nicht  von  sich 
selbst  ablassen  imd  sich  selbst  verdammen  kann,  mußte  ihr  in  der  Form 
des  Rechts  das  schreiendste  Unrecht  werden.  — 

Die  freie  Persönlichkeit,  welche  eingesehen,  daß  man  nicht  die 
einzelnen  Existenzen  der  Wirklichkeit  vor  dem  Richterstuhl  der  all- 
gemeinen Wirklichkeit  angreifen  kann,  deren  Emanation  und  systema- 
tische Verkörpenmg  gerade  jene  einzelnen  Existenzen  sind,  erkennt, 
daß  das  allgemeine  System  des  Wirklichen  gestürzt  werden  muß,  damit 
sie  zu  ihrer  Verwirklichung  gelange. 

Ihr  Zweck  ist  auch  nicht  mehr  wie  früher  der:  allgemeine  An- 
erkennimg (d.  h.  also  das  Recht)  zu  erlangen,  denn  von  der  einen  Seite 
sieht  sie  ein,  daß  die  Anerkennimg  von  Seiten  der  bisherigen  Wirklich- 
keit des  absoluten  Gegensatzes  halber  nicht  möglich  ist,  von  der  andern 
Seite  ist  die  großartigste  Anerkennung  ihres  Prinzips  erfolgt,  indem 
die  Welt  für  dasselbe,  obwohl  zuförderst  nach  andern  Seiten  seiner  Ver- 
wirklichung hin,  eine  Revolution  gemacht  hat;  an  der  Revolution  und 
der  revolutionären  Klasse  hat  sie  die  Anerkennung,  um  die  sie  jetzt 
nicht  mehr  zu  kämpfen  braucht. 

^)  Vgl.  ,, Meine  Verteidigungsrede  wider  die  Anklage  der  Verleitung  zum 
Kassettendiebstahl  gehalten  am  ii.  August  1848  vor  dem  königlichen  Assisen- 
hofe  zu  Köln  und  den  Geschworenen  von  F.  Lassalle,"  Köln  1848,  Verlag  von 
Wilhelm  Greven. 


Sie  hat  jetzt  also  einen  andern  Zweck. 

Statt  der  Anerkennung  ihres  Rechts  erstrebt  sie  vielmehr  die  reelle 
Durchführung  und  Verwirklichung  der  freien  Persönlichkeit,  ihre 
wirkliche  praktische  Freiheit  und  ihren  reellen  Selbst- 
genuß. Die  höchste  Form  ihres  Selbstgenusses  findet  sie  in  dem  ver- 
nichtenden Siege  ihres  Prinzips  über  die  allgemeine  Wirklichkeit,  in  der 
Auflösung  und  Zertrümmerimg  dieses  Urfeindes  durch  die  Macht  des 
Gedankens,  für  den  sie  gelebt  und  gelitten. 

Die  weibliche  Individualität  kommt  somit  nach  allen  diesen  Seiten 
imd  von  der  Macht  ihres  Prinzips  getrieben,  notwendig  dazu,  sich  an 
die  revolutionäre  Arbeit  hinzugeben.  Statt  wie  früher  auf  dem  Rechts- 
wege, kämpft  sie  jetzt  auf  dem  Wege  der  Revolution ;  statt  wie  früher 
für  das  Recht,  kämpft  sie  jetzt  für  das  Faktum  des  Selbst - 
genusses. 

Ihre  Kräfte  sind  jetzt  die  der  Welt  selbst  geworden,  ihr  Geschick 
ein  gemeinschaftliches  imd  ihr  Sieg  ein  notwendiger. 

7- 
IvASSAlvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Berlin,  Hotel  de  Roine,  Freitag  abend  8  Uhr  [30.  März  1855]^). 
Gnädigste  Frau! 

Wenn  Sie  wüßten,  wie  froh  tmd  glücklich  ich  bin,  endlich  diese 
Überschrift:  „Hotel  de  Rome"  niederschreiben  zu  können!  —  Das  war 
ein  Tag  voll  Qual  und  Pein,  wie  ich  mich  in  meinem  doch  so  konflikt- 
vollen lieben  nicht  bald  eines  erinnere.  Endlich  ist  alles  überstanden 
imd,  obwohl  zu  Tode  ermüdet,  ruhe  ich  in  dem  Bewußtsein,  daß  es  mir 
nunmehr  möglich  ist,  Ihre  Interessen  wahrzimehmen  und  Sie  vor 
Schaden  zu  behüten,  vergnügt  wie  ein  Gott  von  dieses,  obschon  sehr 
kalten,  Tages  ,,Ivast  —  und  Hitzen"  aus. 

Um  ein  Uhr  zirka  kam  der  Eisenbahnzug  in  Berlin  an.  Wie  Ihnen 
bekannt,  defilieren  die  Passagiere,  aus  den  Waggons  gestiegen,  ihre 
Pässe  zeigend,  an  zwei  Schutzmännern  vorbei.  Kaum  hatte  ich  meinen 
Paß  präsentiert,  als  der  Wachtmeister  der  Konstabier  auf  mich  loskam 


^)  Vgl.  hierzu  Paul  Bailleu,  Lassalles  Kampf  um  Berlin  in  ,, Deutsche  Rimd- 
schau",  Bd.  115  (1903),  S.  361.  Lassalle  hatte  am  9.  Februar  und,  als  er  keine 
Antwort  erhielt,  nochmals  am  7.  März  an  den  Polizeipräsidenten  von  Hinckeldey 
die  Anfrage  gerichtet,  ob  man  ihm  Schwierigkeiten  machen  würde,  wenn  er  zum 
I.  April  auf  acht  bis  zehn  Tage  nach  Berlin  käme.  Als  Grund  gab  er  die  in  diesem 
Brief  erwähnten  Geschäfte  für  die  Gräfin  an  sowie  den  Wunsch,  vor  einer  längeren 
Auslandsreise  von  seinem  Vater,  den  er  dort  treffen  wollte,  Abschied  zu  nehmen. 


=  49   —  = 

und  unter  dem  Vorwand,  er  habe  einen  Brief  an  mich  abzugeben,  mich 
ersuchte,  ihm  in  ein  Zimmer  zu  folgen.  Hier  eröfTnete  er  mir,  daß  er 
zwar  keinen  Brief  an  mich  abzugeben,  aber  nach  Vorschrift  mit  mir  zu 
verfahren  habe.  Seine  Vorschrift  sei,  hieß  es  weiter,  mich  seiner  v^or- 
gesetzten  Behörde  zu  sistieren.  Mir  war  dies  gar  nicht  einmal  unlieb, 
denn  ich  dachte,  er  verstände  unter  der  Behörde,  der  er  mich  sistieren 
solle,  Herrn  von  Hinckeldey,  den  ich  doch  ohnehin  selbst  sprechen 
wollte  und  mußte,  um  auf  einen  ungefährdeten  Aufenthalt  in  Berlin 
zu  rechnen.  Ich  stellte  daher  dem  Manne  nur  vor,  daß  ich  ungewaschen, 
unrasiert,  in  Reisekleidem  sei  und  ersuchte  ihn  eindringlichst,  mit  mir 
in  mein  Hotel  zu  kommen,  um  nach  gemachter  Toilette  mich  zu  Herrn 
von  Hinckeldey  zu  begleiten.  Auf  solche  Seitenexkursionen  wollte  sich 
aber  der  Mann  durchaus  nicht  einlassen.  Im  übrigen  war  er  äußerst 
höflich  und  freundlich  und  brachte  mich  nur  durch  eine  Eigenschaft 
zur  Verzweiflung.  Er  mußte  nämlich  einen  schriftlichen  Bericht  in 
Duplikation  über  meine  instruktionsmäßige  Ergreifung  abfassen,  um 
mich  zugleich  mit  demselben  zu  überreichen.  In  schneller  Handhabung 
der  Feder  schien  aber  seine  Hauptstärke  nicht  zu  bestehen !  Es  dauerte 
eine  Ewigkeit,  bis  der  Bericht  abgefaßt,  eine  Ewigkeit,  bis  er  korrigiert 
und  dann  noch  zwei  Ewigkeiten,  bis  er  abgeschrieben  war.  Gern  hätte 
ich  mich  erboten,  an  seiner  Statt  selbst  den  schrecklichsten  Bericht  über 
mich  zu  verfassen,  damit  die  Sache  nur  schneller  von  statten  gehe.  Endlich 
war  das  schwierige  Opus  vollendet.  Wir  saßen  nebst  dem  Gepäck  in  einer 
Droschke  vmd  fuhren  dem  Molkenmarkt  zu.  Unterwegs  eröffnete  er  mir, 
daß  er  Befehl  habe,  mich  nicht  Herrn  von  Hinckeldey,  sondern  seinem 
unmittelbaren  Vorgesetzten,  dem  Oberst  der  Schutzmänner,  Herrn 
Patzke,  zu  sistieren.  Wir  langten  endlich  bei  dem  Herrn  Oberst  Patzke, 
der  wie  fast  alle  Polizeibehörden  im  großen  Polizeipräsidialgebäude 
auf  dem  Molkenmarkt  residiert,  glücklich  an.  Der  Oberst,  ein  Mann 
von  sehr  einnehmenden  humanen  Zügen,  empfing  mich  mit  ausge- 
suchter Höflichkeit,  schien  aber  keine  genaue  Order  meinetwegen  zu 
haben  und  eigentlich  nicht  zu  wissen,  was  er  mit  mir  anfangen  solle. 
Auf  meinen  dringend  geäußerten  Wtmsch,  Herrn  von  Hinckeldey  zu 
sprechen,  erklärte  er  sofort,  daß  derselbe  jedenfalls  befriedigt  werden 
solle,  vmd  befahl  dem  Wachtm  .  .  . 

Ich  habe  diesen  Brief,  ^)  meine  gnädigste  Frau,  in  zu  großartig  aus- 
führlichem Maßstabe  angelegt.  Es  ist  der  mir  äußerst  knapp  zugemessenen 
Zeit  wegen  unmöglich,  ihn  in  demselben  Zuschnitt  zu  Ende  zu  führen. 
Mündhch  also,  wie  ich  zu  Herrn  von  Hinckeldey  gebracht,  der  aber 
tmglücklicherweise  nicht  zu  Hause  war,  wie  ich  darauf  auch  Herrn 

^)  Da  am  Ende  des  Briefes  ,, Berlin,  Sonntag"  steht,  so  ist  anzunehmen,  daß 
er  erst  am  i.  April  beendet  und  abgeschickt  wurde. 

M  a  yer,  Lassalle-NachUss.     IV  4 


=   50  — - 

Assessor  Homeyer  verfehlte,  wie  ich  zur  fünften  Abteiltmg  gebracht, 
hier  verhaftet,  ausgewiesen,  im  Rückkehrfall  mit  vierwöchentlicher 
Einsteckmig  ins  Arbeitshaus  bedroht,  endlich  in  die  Wachtstube  ge- 
bracht wurde,  wie  ich  fünf  Stunden  lang  sehnsüchtig  und  immer  um- 
sonst der  Ankunft  des  Herrn  von  Hinckeldey  entgegensah,  von  dem 
ich  mit  miglaublicher  Gewißheit  voraussetzte,  er  werde  dem  Verfahren 
gegen  mich  ein  Ende  machen,  wie  mir  während  dieses  qualvollen  fünf- 
stündigen Arrestes  verboten  wurde,  auch  nur  meinem  Vater  oder  Dorn 
eine  Zeile  zukommen  zu  lassen,  Ihnen  nur  meine  Anwesenheit  an- 
zuzeigen, wie  ich  in  der  größten  Herzenspein  schon  fest  glaubte,  das 
Geld  würde  somit  gar  nicht  erhoben  werden  können  und  so  der  größte 
Schade  tmd  die  unberechenbarsten  Verwicklimgen  Sie  treffen,  wie  ich 
in  stiller  Wut  und  leiser  Verzweiflimg  hierüber  mir  in  diesen  fünf 
Stunden  wieder  fünf  Jahre  meines  Lebens  herunterängstigte,  wie  end- 
lich abends  um  8^/4  Uhr  Herr  von  Hinckeldey  wiedergekommen  war 
imd,  obgleich  er  im  Moment  zu  beschäftigt  war,  um  mich  zu  sehen, 
was  mir,  dem  zu  Tode  Ermüdeten,  in  diesem  Augenblick  auch  gar  nicht 
angenehm  gewesen  wäre,  doch  auf  den  ihm  gemachten  Bericht  sofort 
mich  zu  entlassen  und  mir  den  Aufenthalt,  wenn  auch  nur  bis  zum  4., 
zu  gestatten  befahl  ^)  —  wie  ich  endlich  abends  8^/2  Uhr  froh  wie  ein 
Gott  im  Hotel  ankam,  daselbst  später  meinen  Vater  vmd  Schwager 
traf  —  alles  dies  mündlich  .  .  . 


SOPHIE  VON  HATZFETvDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

[Marienbad]  Montag,  den  30.  Juli^)  [1855]. 

lyiebes  Kind,  ich  habe  gestern  Ihren  Brief  mit  der  Einlage  an  West- 
phalen  erhalten.  Um  Ihnen  heute  nun  definitiv  schreiben  zu  können, 
wann  ich  hier  abreisen  kann,  habe  ich  noch  gestern  abend  mit  dem 
Arzt  gesprochen.  Er  sagte  mir  nun,  daß  für  das  erstemal,  das  man  die 


^)  Lassalles  Gesuch  um  Verlängerung  des  Aufenthalts  um  wenige  Tage  ist  vom 
2.  April  datiert.  Es  wurde  zwar  formell  abgelehnt,  tatsächlich  aber  bewilligt.  Am 
31.  Mai  .1855  reichte  er  darauf  ein  Gesuch  um  Gestattung  der  Niederlassung  in 
Berlin  ein.  Es  war  von  einem  ,,Promemoria  mehr  in  Gestalt  eines  Privatschreibens" 
an  Hinckeldey  begleitet.  Bailleu  hat  es  abgedruckt.  Aber  dies  Gesuch  wurde  ab- 
gelehnt, ebenso  wie  ein  anderes,  das  Lassalle  im  Oktober  des  gleichen  Jahres  folgen 
ließ  und  das  sich  zunächst  mit  einer  Aufenthaltserlaubnis  von  1 2  bis  1 5  Monaten 
begnügen  wollte. 

2)  Die  Gräfin  schreibt  irrig:  Juni.  Sie  war  erst  am  7.  Juli  in  Marienbad  ange- 
kommen. 


=    51  = 

Kur  gebrauche,  für  niemand  bloß  vier  Wochen  hinreichend  seien,  am 
wenigsten  für  mich,  wo  das  Übel  ein  so  altes  und  tief  cingewur/x-lt  sei, 
er  hätte  demnach  gewünscht,  daß  ich  sechs  Wochen  geblieben  wäre, 
aber  nicht  vor  volle  fünf  Wochen  abzureisen,  müsse  er  mir  jedenfalls 
entschieden  anraten.  Ich  fühle  nun  wohl  auch  an  meinem  Zustand,  daß 
er  recht  hat,  und  so  habe  ich  mich  denn  entschlossen,  bis  zum  13.  hier 
zu  bleiben  mit  schwerem  Herzen,  aber  es  ist  vernünftig,  diese  weite 
Reise  und  große  Langweile  nicht  ohne  wirklichen  Erfolg  gehabt  zu 
haben.  Aber  am  13.  reise  ich  auch  jedenfalls  ab.  Schreiben  Sie  mir 
nun  auch  umgehend,  was  Ihre  allerseitigen  Projekte  sind,  wann  Sie  von 
Paris  ^)  abreisen,  wohin,  und  schreiben  Sie  mir  ganz  genau  meine  Reise- 
route auf,  aber  auch  dabei,  wo  Eisenbahn  und  wo  nicht.  —  Es  freut 
mich  sehr,  daß  Sie  wieder  hergestellt  und  nun  doch  etwas  von  Paris 
genießen  können.  Was  mich  anbetrifft,  so  ist  es  schon  ein  merklicher 
Gewinn,  daß  ich  meine  Atenuiot  so  wesentlich  gebessert  und  ich  auch 
wieder  gehen  kann,  wenn  meine  sonstigen  Übel  auch  nicht  geheilt 
werden  könnten,  wozu,  wie  mir  der  Arzt  sagt,  um  dies  mit  Bestimmtheit 
zu  bewirken,  es  nötig  gewesen,  daß  ich  vor  Jahren  hergekommen ;  mög- 
lich sei  es  noch,  aber  nicht  sicher,  es  werde  sich  jedoch  gewiß  wesent- 
lich bessern.  Während  der  Kur  befindet  man  sich  allerdings  nicht  wohl, 
sie  greift  sehr  an  und  regt  dabei  stark  auf;  daß  es  alles  in  mir  aufrührt, 
sieht  man  daran,  daß  ich  ganz  braun  im  Gesicht  bin  und  voll  roter 
Flecken,  was  nicht  zur  Verschönerung  beiträgt. 

Berge  steigen  tue  ich  jetzt  mit  einer  wahren  Passion,  es  hat  für  mich 
den  Reiz  der  überwundenen  Schwierigkeit;  auch  fühle  ich,  wie  sich 
meine  Lunge  dabei  täglich  stärkt,  und  die  Tannenwälder,  die  hier 
reizend  sind,  tragen  das  ihrige  dazu  bei.  Und  denken  Sie  sich,  daß  meine 
Nerven  durch  die  Ruhe  und  frische  Luft  tageweise  so  stark,  daß  ich 
ohne  Furcht  ganz  allein  zwei,  drei  Stunden  im  Walde  herum  gehe; 
es  ist  für  mich  ein  angenehmes,  beruhigendes  Gefühl  diese  tiefe  Stille 
um  mich  her.  Ich  muß  nun  dabei  sagen,  daß  eine  Gendarmerieabteilung 
hier  etabhert  imd  die  Polizei,  wie  überhaupt  in  Österreich,  musterhaft 
ausgeübt  wird  und  also  gar  keine  wirkliche  Gefahr  dabei  ist  vmd  über- 
dies immer  bei  den  vielen  Spaziergängern  Leute  kommen  können.  Aber 
Sie  wissen,  in  welchen  Zustand  der  Angst  ich  durch  meine  Nerven- 
krankheit geraten,  und  da  ist  es  immer  eine  Verbesserung  .  .  .  Sehr  leid 
ist  es  mir,  daß  es  mit  dem  Geschäft  in  Paris  nichts  ist.  Ich  hatte  mir 
schon  große  Hoffnungen  gemacht,  damit  einen  Teil  meiner  Verluste 

^)  Lassalle  hatte  am  i.  Juni  mit  seiner  Schwester  und  deren  Gatten  eine  Ver- 
gnügungsreise angetreten,  die  sie  auch  nach  Paris  zur  Gewerbeausstellung  führte. 
Hier  bekam  er  eine  Halsentzündung,  die  ihn  längere  Zeit  ans  Zimmer  fesselte. 
Vgl.  dazu  seinen  Brief  an  Marx  aus  Paris  in  Bd.  III,  S.  99. 


=    52   —  = 

wieder  herzustellen,  nun  sehe  ich  gar  kein  Mittel  mehr,  wie  ich  jemals 
zu  diesem  Ziel  aller  meiner  Wünsche  gelangen  soll. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  schreibe  immer  viel  zu  lange, 
antworten  Sie  bald,  denn  Sie  wissen,  daß  die  Briefe  fünf  Tage  wenigstens 
gehen.  .  .  . 

9. 
SOPHIE  VON  HATZFKIvDT  AN  IvASSAIvIvE.  (Original.) 

[Marienbad,  wohl  9.  August  1855]^)   Donnerstag  mittag. 

lyiebes  Kind,  soeben  erhalte  ich  Ihren  Brief  vom  Dienstag.  Weil 
er  mich  sehr  gefreut,  weil  er  gut,  muß  ich  auch,  obgleich  ich  Ihnen  erst 
gestern  geschrieben,  gleich  antworten. 

Sie  explizieren  mir,  wie  Sie  nolens  volens  immer,  wenn  es  auch 
nicht  der  Fall,  für  meine  Handlimgen  einstehen  müssen,  mid  führen  mir 
dafür  Beispiele  an.  Erstens  glaube  ich  nicht,  daß  die  I^eute,  die  Ihnen 
solche  Dinge  bei  solchen  Anlässen  sagen,  selbst  daran  glauben,  sondern 
daß  dies  ein  Manöver,  wodurch  man  auf  Ihre  schwache  Seite  die  Ex- 
ageration  der  Noblesse  in  Geldsachen,  die  vielen  gar  sehr  wohl  bekannt 
ist,  [damit]  spekuliert,  um  Sie  anzutreiben,  auf  mich  zu  wirken  .  .  . 
Überdies  habe  ich  mich  überzeugt,  daß  fast  alle  Menschen  so  falsch,  so 
egoistisch,  so  gewinnsüchtig,  dabei  so  boshaft  sind,  daß  sie  sich  freuen, 
wenn  ein  andrer  verliert,  auch  wenn  sie  selbst  nichts  dabei  gewinnen, 
imd  daß  diejenigen,  wogegen  man  selbst  generös  ist,  es  nicht  nur  nicht 
anerkennen,  aber  immer  finden,  es  sei  zu  wenig  und  denjenigen,  den 
es  Ihnen  gelingt  aufzuziehen,  nur  obendrein  für  seine  Dummheit  aus- 
lachen, daß  man  sich  begnügen  muß,  nach  seinen  eigenen  Ansichten 
zu  handeln  und  die  Leute  reden  lassen,  da  nichts,  was  man  auch  tun 
möchte,  das  Gerede  zu  ändern  vermag  .  .  .  Überhaupt  es  in  Geldsachen 
allen  Leuten  recht  machen  zu  wollen,  ist,  das  Danaidenfaß  füllen  wollen. 
Wenn  Sie  an  die  Erfahrungen,  die  wir  schon  darüber  gemacht,  denken, 
wie  in  der  letzten  Zeit  wieder  Gladbach,  2)  Lewy,^)  so  können  Sie  das 

1)  Dieser  aus  einem  Bade  geschriebene  Brief  der  Gräfin  antwortet  auf  einen 
Brief  Lassalles,  der  sich  nicht  erhalten  hat.  Andere  Briefe,  in  denen  Sophie  von 
Hatzfeldt  mit  sehr  ähnlichen  Argumenten  wie  hier  Lassalle  seine  ,, übertriebene 
Generosität"  vorwirft,  sind  aus  1855  datiert.  Auch  noch  andere  Erwägungen 
sprechen  für  dieses  Jahr. 

^)  Über  Gladbach  vgl.  oben  die  Einführung  S.   14. 

^)  Für  Gustav  Lewy  vgl.  Bd.  III,  S.  8  ff.  und  S.  267.  Lewy  hat  damals  be- 
kanntlich, weil  ihm  einmal  eine  Geldsumme  von  der  Gräfin  abgeschlagen  wurde, 
Lassalle  bei  Marx  in  London  erfolgreich  verleumdet.  Später  hat  sich  Lassalle 
mit  ihm  ausgesöhnt  und  er  wurde  Kassierer  des  Allgemeinen  Deutschen  Arbeiter- 
vereins. Briefe  von  ihm  werden  in  Bd.  V  abgedruckt  werden. 


—  —   53  —  — 

selbst  nicht  leugnen.  Wenn  man  zehnmal  mit  vollen  Händen  gibt  und 
verweigert  einmal,  ist  man  ebenso  verleumdet,  als  hätte  man  nie  ge- 
geben. Ich  halte  mich  vielleicht  jetzt  etwas  streng  an  das,  was  rechtlich 
verlangt  werden  kann,  weil  ich,  durch  viele  üble  Erfahrungen  belehrt, 
glaube,  daß  sehr  wenige  Menschen  es  verdienen,  daß  man  mehr  tue  als 
streng  rechtlich,  imd  daß  man  doch  nur  Verleumdung  und  Undank 
davon  hat,  obgleich  diese  Ansicht  doch  wohl  oft  durch  meine  Gut- 
mütigkeit temperiert  wird.  Auch  bin  ich  aufrichtig  genug,  um  ein- 
zugestehen, daß  die  Sorge  um  die  Existenz  der  wenigen  Personen,  die 
ich  liebe,  die  bei  der  Beschränktheit  meiner  Mittel  sehr  groß  ist,  und 
die  Ängstlichkeit,  die  sich  meiner  durch  vieles  Ivciden  bemeistert  hat, 
ebenfalls  dabei  eine  große  RoUe  spielt.  Sie  aber  verfallen  in  das  ent- 
gegengesetzte Extrem  schon  wegen  Ihres  besonderen  Charakters,  der 
von  Natur  generös  für  andre  tmd  sogar  leichtsinnig  im  allgemeinen  in 
Geldsachen,  der  überhaupt  keine  Schranken  anerkeimen  will,  der  kaum 
begreift,  daß,  was  er  will,  er  nicht  auch  können  sollte,  der,  wenn 
man  eine  Forderung  an  ihn  stellt  oder  eine  Hilfe  begehrt,  sie  nicht 
sollte  gewähren  können.^)  Daher  verwechseln  Sie  stets  das  Rechtliche 
mit  dem  Generösen  und  glauben,  nur  dann  rechtlich  zu  sein,  wenn  Sie 
soviel  möglich  allen  Anforderungen  genügen;  mid  man  könnte  Sie  zu 
den  größten  Geldopfem  bringen  durch  den  Gedanken,  man  könnte 
sagen,  das  Geld  sei  Ihnen  nichts  wert,  wenn  Sie  auch  einsehen,  daß 
dieselben  Leute  es  als  den  größten  Unsinn  zurückweisen  würden,  es 
selbst  so  zu  machen.  Wenn  auch  diese  Ideentendenz  sehr  schön,  so  ist 
sie  doch  unausführbar  tmd  kann  unter  Umständen  sogar  unrecht 
werden,  wenn  man  das  nächste  darüber  vergißt .  .  . 

Was  Sie  mir  über  Ihre  Zuktmf  t  imd  in  Beziehimg  darauf  von  Mirabeau 
gesagt,  hat  mich  wahrhaft  gerührt.  Glauben  Sie  mir  sicher,  liebes  Kind, 
wenn  ich  auch  noch  so  viel  über  Ihre  Fehler  im  täglichen  Leben  klage, 
so  ist  doch  niemand,  der  Ihren  großen  Eigenschaften  mehr  Gerechtig- 
keit widerfahren  läßt  als  ich,  und  der  stolzer  darauf  ist  als  ich.  Mit 
keinem  Geld  der  Welt  wäre  mir  eine  Sache  bezahlt,  von  der  ich  fürchten 
köimte,  sie  könnte  Ihnen  hinderlich  werden  zu  einer  Zeit,  wo  Sie  sich 
betätigen  könnten.  Aber  ich  sage  nur,  Ihr  Charakter  treibt  Sie  zu  einer 
Exageration  in  dieser  Beziehxmg,  die  einesteils  nicht  vernünftig  ist, 
anderenteils  auch  ganz  den  Zweck  verfehlt. 

Wissen  Sie,  [daß  ich]  trotzdem,  daß  mich  Ihr  Brief  recht  gefreut, 
daß  er  freundschaftlich  und  gut  ist, "so  bin  ich  doch  über  dem  Ant- 

^)  Die  Gräfin,  die  ihre  Briefe  an  Lassalle  fast  niemals  überlas  und  korrigierte, 
fällt  öfters  aus  der  Konstruktion.  Auf  Interpunktion  verzichtet  sie  fast  voll- 
ständig. Der  Herausgeber  hat,  um  den  Text  verständlicher  zu  machen,  vielfach 
die  Zeichen  ergänzt. 


—  54  —  -  — 

Worten  nach  und  nach  wehmütig  geworden,  und  tausend  Gedanken 
sind  mir  dabei  gekommen,  die  zu  lang  und  zu  schwer  auszusprechen. 
Aber  das  fühle  ich,  unsere  Wege  gehen  von  jetzt  ab  immer  mehr 
auseinander,  denn,  vmd  das  ist  auch  der  wahre  Grund  aller  Differenzen 
der  Ansichten,  Sie  sind  jung  und  ich  bin  alt,  Sie  sind  mutig  und  streben 
nach  vorwärts,  und  ich  kann  Ihnen  nicht  mehr  folgen.  So  ist  es  auch, 
wenn  ich  an  die  Zukunft  denke,  wenn  sich  Ihnen  ein  Feld  der  Tätigkeit 
öffnete.  Wie  froh  imd  stolz  würde  ich  nicht  einesteils  darauf  sein,  aber 
zu  gleicher  Zeit,  welche  Angst  imd  Sorge !  Und  für  mich  würden  Sie 
nicht  viel  mehr  sein  können,  ganz  abgesehen  von  meinem  persönlichen 
Glück,  das  doch  nur  noch  in  friedlicher  Ruhe  für  mich  und  vorzüglich 
in  der  Ruhe  über  das  Schicksal  derer,  die  ich  liebe,  bestehen  kann.  — 

So  bin  ich  [in]  allen  Dingen  zerrissen  und  geteilt  in  meinen  Bmp- 
findimgen.  Jetzt  wünschen  Sie  nach  Berlin  zu  gehen.  Ich  begreife  das 
sehr  gut  und  wünsche  es  deshalb  auch,  obgleich  mit  Zittern,  denn  ich 
fürchte  sehr,  daß  Sie,  vorzüglich  wenn  ich  nicht  mehr  da,  Sie  immer  zu 
mahnen  und  zu  bitten,  nicht  vernünftig  genug  sein  werden.  Denn  darüber 
mache  ich  mir  keine  Illusion,  ich  werde  keinenfalls  hinkommen  können. 
Zu  viel  Leute  haben  Interesse  daran,  daß  es  nicht  geschehe,  und  ich 
weiß  es  gewiß,  es  wird  nicht  geschehen.  Alle  diese  Gedanken  und  Be- 
trachtungen stimmen  mich  wehmütig,  und  dann  wird  mein  Kopf  schwach, 
und  ich  kann  nicht  mehr  schreiben,  darum  will  ich  jetzt  schließen.  Nur 
so  viel  noch:  Sie  sagen,  ich  brauchte  Abwechslung  und  Menschen.  Wie 
falsch  ist  das,  wie  lästig  im  Gegenteil  werden  mir  gleich  die  Menschen ! 
Ich  brauche  nur  geistige  Ruhe,  weil  mein  Geist  müde  bis  in  den  Tod, 
keine  täglichen  Reibungen,  keinen  Ärger,  vmd  jemand,  der  Freund- 
schaft für  mich  hat,  damit  ich  mich  nicht  ganz  einsam  und  verlassen 
fühle.  Sie  sagen,  Sie  könnten  mich  nicht  alles  tun  lassen  wie  ich 
wollte,  Sie  wissen  recht  gut,  daß  ich  auch  ohne  Zwang  imd  dann  lieber 
vieles  tun  würde  wie  Sie  wünschen.  Aber  wenn  ich  in  einer  Sache 
eine  bestimmte  Ansicht  hätte,  müßte  dies  kein  Grund  zu  Heftigkeit 
imd  Vorwürfen  sein. 

Nun  adieu,  liebes  Kind,  ich  bin  todmüde  und  wahrhaft  so  verdreht 
im  Kopf,  daß  ich  nicht  mehr  weiß,  was  ich  schreibe  .  . . 

IG. 

SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  L  ASS  ALLE.  (Original.) 

Marienbad,   lo.  August   1855. 

.  .  .  Auch  ich  freue  mich  recht  auf  das  Wiedersehen  und  auch  auf 
die  Reise.  Und  doch  fürchte  ich  mich  etwas  davor,  wie  ich  Ihnen  nicht 


=  55  — 

verbergen  kann,  denn  ich  habe  lachen  müssen,  welche  sanguinischen  Er- 
wartungen über  die  Kur  und  meine  Gesundheit  Sie  sich  schon  machen.^) 
Sie  sehen  mich  schon  ganz  wohl,  wieder  jung  und  flink  herumspringen. 
In  meinem  Alter  ereignen  sich  keine  solche  Wunder  mehr.  Ich  kann 
mich  wieder  mäßig  bewegen,  auch  auf  bequemen  Wegen  steigen  ohne 
Schmerzen  und  Atemnot,  das  ist  aber  auch  alles  und  ist  für  mich  schon 
recht  viel.  Wofür  ich  mich  aber  sehr  in  acht  nehmen  muß,  weil  eins 
meiner  Hauptkrankheitsursachen,  imregelmäßige  Zirkulation  des  Bluts, 
das  sich  nach  Gehirn  und  lyungen  drängt,  das  ist  Erhitzung  des  Blutes, 
sei  es  durch  körperliche  Anstrengung  oder  noch  mehr  durch  Furcht, 
Ärger  oder  Sorgen.  Und  jetzt  grade  muß  ich  mich  doppelt  dafür  hüten, 
da  dies  Wasser  sehr  viel  kohlensaures  Gas  hat  und  sehr  leicht  zu  Kopf 
steigt.  Nur  durch  die  strengste  Diät  und  das  ruhigste  Verhalten  habe 
ich  es  dahin  gebracht,  daß  ich  es  vertragen  konnte;  mehrmals  schon, 
wenn  ein  heißer  Tag  war,  dachte  ich  schon,  ich  würde  es  aufhören 
müssen.  Daher  müssen  Sie  mir  versprechen,  wenn  Sie  und  ich  von  der 
Reise  wirklich  Freude  haben  wollen  und  sie  mir  nicht  schaden  soll, 
daß  Sie  mich  gar  nicht  überreden  wollen,  Dinge  zu  versuchen,  vor 
denen  ich  mich  fürchte,  wenn  auch  mit  Unrecht,  imd  es  mir  ganz  ruhig 
selbst  überlassen,  wieviel  ich  leisten  kann.  Heute  an  meinem  Geburts- 
tag, den  ich  recht  einsam  begehe  imd  an  dem  es  sogar  unausgesetzt 
regnet,  habe  ich  mir  eine  Locke  ganz  weißer  Haare  abgeschnitten  imd 
habe  überall  gesucht  nach  einem  Medaillon,  um  sie  hineinzutun  und 
Ihnen  mitzubringen,  damit  Sie  dadurch  immer  daran  erinnert  werden, 
wie  alt  ich  bin,  wieviel  ich  gelitten  und  daß  man  Mitleid  und  Rücksicht 
mit  mir  haben  muß,  mich  mit  meinen  Fehlern  und  etwaigen  guten 
Eigenschaften  die  kurze  Zeit,  die  es  noch  dauern  wird,  akzeptieren  und 
verbrauchen  muß,  weil  ich  zu  alt,  um  ein  neuer  Mensch  zu  werden.  In 
meinem  Alter  bessert  man  sich  nicht  mehr  von  seinen  Fehlem,  sondern 
man  bekommt  nur  unfehlbar  die  Schwächen  und  Eigenheiten  des 
Alters  dazu.  Damit  müssen  die  Freunde  Nachsicht  haben,  denn  es  ist 
schon  an  und  für  sich  ein  Unglück,  alt  zu  werden,  und  sich  sagen,  daß 
jeder  einmal  in  die  Lage  kommt,  diese  Nachsicht  in  Anspruch  zu  nehmen 
und  zu  brauchen.  Auf  meinen  Geburtstag  bin  ich  immer  besonders 
ernst,  fast  traurig  gestimmt .  .  . 


1)  Siehe  oben  Nr.  8.  Lassalle  und  die  Gräfin  wollten  sich  in  Friedrichshafen 
für  eine  Reise  in  die  Schweiz  treffen. 


=====   56 

II. 

SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  IvASSAI.I.E.  (Original.) 

Dienstag  abend  [wohl  Marienbad,   14.  August  1855]  . 

Iviebes  Kind,  Ihren  Brief  vom  Sonnabend  mit  der  Einlage  von 
Westphalen  i)  habe  heute  erhalten.  Er  hat  mich  tief  gerührt,  so  sehr, 
daß  ich  kaum  darauf  antworten  kann,  denn  das  ist  auch  ein  Zeichen 
meiner  körperlichen  imd  geistigen  Schwäche,  daß,  je  mehr  ich  gerade 
in  einem  Augenblick  Gedanken  und  Gefühle  habe,  desto  immöglicher 
wird  es  mir,  sie  auszudrücken,  bis  ich  endlich  gar  verwirrt  werde,  bis 
ich  endlich  sogar  oft  aus  Schwäche  und  aus  Ärger  über  diesen  Zustand 
anfange  zu  weinen.  Darin  haben  Sie  recht,  liebes  Kind,  wir  beide  ver- 
stehen ims  trotz  aller  vorübergehenden  Mißverständnisse,  tmd  wären 
sie  noch  so  heftig,  wie  wir  beide  niemals  wieder  jemand  finden  werden, 
der  ims  versteht.  Wenn  Sie  mich  auch  manchmal  noch  so  sehr  gequält 
haben,  daß  ich  ganz  irre  an  mir,  an  Ihnen,  an  allem  bin,  so  bedarf  es 
ohne  Explikation  und  Nachdenken  nur  der  kurzen  Zeit,  um  meine 
kranken  Nerven  zu  beruhigen,  damit  mir  alles  klar  ist,  damit  die  schein- 
baren Widersprüche  in  Ihnen,  die  andere  I^eute  so  verwundem,  keine 
für  mich  sind,  und  damit  ich  fühle,  daß  Sie  trotz  Ihrer  manchmal  recht 
scharfen  Ecken  tmd  Kanten  sozusagen  ein  Teil  meiner  selbst  geworden 
sind,  das  ich  nicht  missen  könnte.  Wenn  ich  von  Trennung  sprach,  so 
war  es  nicht  sowohl  Ihre  Reise  nach  Berlin,  die  mir  nur  als  ein  äußer- 
liches Zeichen  derselben  erschien  (obgleich  ich  fest  überzeugt  bin,  aus 
vielen  Gründen,  daß  es  niemals  gelingen  wird,  daß  wir  beide  hin- 
gehen), von  der  ich  sprach,  sondern  vielmehr  ein  allgemeines  Gefühl, 
das  ich  nicht  anders  beschreiben  kann  als  dasjenige  einer  Mutter,  die 
ihren  Sohn  von  sich  läßt  und  ihn  in  die  Welt  eintreten  sieht.  Wenn  es 
auch  ein  guter  Sohn  ist,  der  sich  oft  auf  seinem  Wege  umsehen  wird 
imd  seiner  Mutter  die  Hand  reicht,  so  führt  ihn  doch  der  natürliche  Lauf 
der  Dinge  vorwärts  imd  immer  weiter  fort.  Daß  Sie  mir  aber  ein  guter 
Sohn  sein  werden,  das  weiß  ich,  daß  Sie  es  sein  werden,  der  mir  die 
Augen  zudrücken  wird  imd  der  einzige  auch  vielleicht,  der  ein  treues 
Andenken  von  mir  bewahren  wird.  In  dem,  was  Sie  über  meinen  Zu- 
stand sagen,  haben  Sie  in  manchem  recht,  in  manchem  aber  auch 
unrecht.  Mein  Geist  wäre  vielleicht  stark  genug  gewesen,  um  unge- 
brochen aus  diesen  Kämpfen  herauszukommen,  aber  ich  hatte  unglück- 
licherweise auch  ein  Herz,  das  eigensinnig  und  undiszipliniert  war  und 
sich  nicht  in  das  Unabänderliche  fügen  konnte.  Es  wollte  nicht  biegen, 


1)  Graf  Clemens  von  Westphalen  hatte  am  9.  August   1855   an  Lassalle  ge- 
schrieben. Vgl.  Bd.  II,  S.  122. 


==   57  = 

und  daher  mußte  es  brechen,  tmd  das  konnte  nicht  geschehen,  ohne 
daß  Geist  und  Körper  davon  krank  geworden.  Ich  kann  Ilinen  gar  nicht 
beschreiben,  wie  durchaus  matt  ich  mich  fühle,  so  daß  ich  selbst  dar- 
über verwundert  bin.  Wenn  ich  gar  keine  Schmerzen  habe,  mich  nicht 
krank  fühle,  so  habe  ich  stets  das  Gefühl,  als  wenn  mir  die  Kraft  zum 
Ivcben  fehlte,  wie  eine  Lampe,  die  kein  Öl  mehr  hat,  so  ist  es  körperlich, 
so  ist  es  geistig.  Es  ist  möglich,  daß  es  nur  Reaktion  der  Überanstrengung 
und  allmählich  sich  bessern  wird.  Sie  mögen  auch  recht  haben,  daß  ich 
selbst  dagegen  ankämpfen  muß,  aber  grade  diese  Schwäche  macht,  daß 
meine  Anstrengungen  nicht  groß  sein  können  vmd  daß  mir  von  außen 
dabei  geholfen  werden  muß,  aber  nicht,  imd  das  ist  Ihr  Irrtum,  mit 
Strenge,  indem  man  viel  von  mir  verlangt,  weil  ich,  wie  Sie  glauben, 
viel  leisten  könnte,  sondern  im  Gegenteil  mit  Nachsicht  und  Schonung, 
wie  man  einen  Kranken  behandelt,  damit  er  durch  Ruhe  seine  ver- 
lorenen Kräfte  wieder  gewinnen  kann. 

Westphalens  Brief,  den  ich  Ihnen  hierbei  zurückschicke,  finde  ich 
nicht  nur  grob,  aber  ganz  unpassend  imd  mehr  als  das.  Ich  weiß  nicht, 
ich  habe  stets  trotz  des  Dankes,  den  ich  ihm  zur  Zeit  schuldete,  eine 
instinktive  Repulsion  gegen  ihn  gehabt,  er  war  mir  nie  verständlich. 
Ich  glaube,  Sie  müssen  ihm  diesmal  in  einer  ganz  andern  Weise  ant- 
worten wie  bis  jetzt,  imd  es  wäre  mir  lieb,  wenn  Sie  damit  warteten, 
bis  ich  zurückkomme,  um  meine  idees  darüber  zu  hören.  Ich  werde  am 
künftigen  Sonntagabend  in  Düsseldorf  eintreffen.  Ich  fühle  mich 
traurig  imd  unbehaglich  hier;  ich  habe  nötig,  Sie  zu  sehen,  mit  Ihnen 
zu  sprechen,  nicht  ganz  allein  mit  mir  und  meinen  Gedanken  zu  sein. 
Ich  habe  Kummer  und  Sorge  um  Paul,  der  sich  krank  grämt  um  aller- 
dings eine  imwürdige  Sache,  aber  was  kann  das  helfen,  werm  er  sich 
doch  grämt,  vmd  daß  es  bei  ihm  Wahrheit  ist,  habe  ich  mich  leider, 
hinreichend  durch  sein  Aussehen,  wie  ich  es  Ihnen  damals  geschrieben, 
überzeugt.  Es  ist  jetzt  sechs  Monate  her,  und  er  kann  sich  nicht  darein 
finden.  Ich  habe  geschrieben,  gepredigt,  er  sieht  ein,  daß  ich  ganz 
recht  habe,  aber  er  sagt,  daß  er  keinen  Ivcbensmut  noch  Freude  hat, 
und  er  wendet  sich  wie  in  seiner  Kindheit  an  mich  um  Hilfe,  Rat  und 
Mitgefühl.  Ich  weiß  sehr  wohl,  daß  das  vorübergehen  wird ;  aber  er  ist 
nicht  stark,  und  ich  fürchte,  wenn  es  länger  dauert,  daß  er  ernstlich 
krank  wird.  Er  muß  auf  einige  Zeit  von  Berlin  fort,  und  doch  ist  wieder 
das  Hindernis  mit  dem  abscheulichen  Examen,  was  er  machen  soll, 
und  wenn  er  jetzt  fortgeht,  ist  die  ganze  Vorbereitimg,  die  er  bis  jetzt 
gemacht,  umsonst  gewesen.  Ich  bin  sehr  traurig  darüber  und  besorgt. 
Sie  werden  das  schwach  von  mir  nennen,  aber  beweisen  Sie  mir  Ihre 
Freundschaft,  indem  Sie  Nachsicht  mit  dieser  Schwäche  haben,  die 
jedenfalls  eine  zu  entschuldigende  ist.    Ich  weiß  sehr  wohl,  daß  Paul 


===^=      58      =^=__:= 

nicht  ist,  was  er  sein  sollte ;  ich  sehe  seine  Fehler  sehr  gut,  ich  weiß  auch, 
daß  ich  nur  Sorgen  und  nie  Freude  an  ihm  haben  werde ;  ich  weiß  auch, 
daß  er  egoistisch  gegen  mich  ist,  aber  vorzüglich  aus  Charakterschwäche, 
weil  er  keine  Unannehmlichkeiten  vertragen  kann.  Aber  trotz  alledem 
ist  und  bleibt  er  für  mich  wie  physisch  ein  Stück  meines  eigenen  Herzens, 
das  bluten  muß,  sobald  er  leidet.  Ich  möchte  ihm  auch  jetzt  so  gerne 
helfen  und  weiß  nicht,  wie  ich  es  anfangen  soll ;  und  so  wie  er  sich  an 
mich  in  seinen  Verlegenheiten  wendet,  so  komme  ich  zu  Ihnen  um  Rat 
und  Hilfe  für  ihn ;  aber  Sie  müssen  versuchen,  sich  dabei  in  das  schwache 
Herz  einer  Mutter  hineinzudenken,  um  mit  derselben  schonenden  Zärt- 
lichkeit zu  verfahren. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  auf  Wiedersehen  am  Sonntag- 
abend, ich  freue  mich  herzlich  darauf.  Wenn  ich  einige  Zeit  allein  ge- 
wesen, kann  ich  gar  kaum  mehr  die  Ursachen  begreifen,  die  unser  Zu- 
sammensein stören,  imd  bringe  gewiß  immer  den  besten  Willen  mit. 
Nehmen  Sie  sich  vor,  etwas  sanfter,  nachsichtiger  imd  nachgiebiger  zu 
sein,  zu  bedenken,  daß  ich  wirklich  aus  Krankheitsgründen  nicht 
immer  kann  wie  ich  will,  ich  bin  wirklich  nervenschwächer,  als  Sie  es 
vielleicht  verstehen  können ;  und  wenn  Sie  oft  durch  die  kleinlichsten 
Dinge,  die  Sie  gewiß  gar  nicht  bemerken,  durch  aufgeregtes  Wesen 
wegen  kleiner  Kontrarietäten  des  täglichen  Lebens,  selbst  wenn  es 
nicht  gegen  mich  gerichtet  ist,  meine  Nerven  aufgeregt  haben,  so  ver- 
liere ich  alle  Gewalt  darüber  imd  werde  dann  bei  der  geringsten  Ver- 
anlassung empfindlich,  traurig  und  imausstehlich.  Seien  Sie  dann  nach- 
sichtig, suchen  Sie  mich  zu  beruhigen,  wie  man  es  für  einen  Kranken 
tut,  ich  würde  Ihnen  gewiß  dankbar  dafür  sein. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  bin  todmüde. 

S.  H. 

12. 
LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Bonn,  22.  Juni  1856. 
Motto: 
Der  Narr  souffliert. 
Der  Weise  spricht. 

Faust,  Zweiter  Teil. 
Lassalle  diktiert  imd  ich^)  schreibe: 

Zuallererst  hoffen  wir,  daß  Sie,  gute  Gräfin,  in  einer  besseren  I^aune 
sein  werden  als  wir,  denn  bei  uns  hier  ist  es  ,, scheußlich,  scheußlich"! 


*)  Von  der  Hand  der  Agnes  Klindworth.    Über  sie  und  ihre  Beziehungen  zu 
Lassalle  und  zur  Gräfin  siehe  oben  die  Einführung  S.  16  f. 


=   59  = 

Doch  wollen  wir  unsererseits  mit  dem  Berichte,  wie  es  uns  ergangen, 
hübsch  von  vorne  anfangen,  in  der  Hoffnung,  daß  vSie  uns  ebenso  au 
courant  halten  werden.  Nachdem  wir  also  in  Koblenz  noch  glücklich 
gelandet  waren  und  mehrere  Gefahren  glücklich  überstanden  hatten  — 
wir  wurden  nämlich  wiederholt  auf  der  Rheinbrücke  ausgesperrt,  da 
es  von  den  Brückenmeistem  darauf  abgesehen  war,  uns  die  Table-d'hote- 
Zeit  mitten  im  Flusse  und  angesichts  des  Riesen  zubringen  zu  lassen ; 
aus  gleichem  und  vielleicht  noch  schlimmerem  Grunde  wurde  zu  wieder- 
holtem Male  alles  aufgeboten,  uns  arglistig  in  die  Festung  hineinzulocken, 
wovor  wir  uns  jedoch  mit  großer  Umsicht  zu  wahren  wußten  — ,  erlangten 
wir  ein  so  fabelhaft  schlechtes  Diner,  daß  uns  jedes  Gericht  Veran- 
lassung gab,  meine  Vorsicht  zu  preisen,  welche  uns  durch  das  Dampf - 
bootfrühstück  zum  voraus  eine  so  traurige  Zukunft  mindestens  in  etwas 
erträglich  gemacht  hat.  Um  fünf  Uhr  kehrten  wir  nach  Bonn  zurück. 
Das  Wetter  war  jetzt  ziemlich  gut,  was  uns  nur  insofern  erfreute,  als 
es  uns  auch  für  Sie  eine  hübsche  Aussicht  und  eine  angenehmere  Reise 
zu  versprechen  schien.  Uns  selbst  ging  die  Rückreise  auf  einem  sehr 
langsamen  Boote  in  erträglicher  Langweile  von  statten.  Um  acht  Uhr 
wurden  wir  von  Puzzi  ^)  am  Landungsplätze  begrüßt  und  empfangen. 
Seitdem  ist  das  Wetter  scheußlich,  man  kann  nicht  aus  dem  Zimmer, 
friert  wie  im  Winter  und  weiß  somit  nicht  was  anfangen.  Meine  Blut- 
egel habe  ich  gestern  setzen  lassen,  sie  bissen  mit  einer  diabolischen 
Wut  auf  mich  ein,  ich  habe  über  eine  Stunde  stark  aus  großen  Löchern 
nachgeblutet  und  dennoch  bemerke  ich  vorläufig  noch  keine  sonder- 
liche Besserung  .  .  . 

Jetzt  zu  Ihnen.  Wie  sind  Sie  gereist?  Wann  sind  Sie  angekommen? 
Wie  finden  Sie  Wildbad?  Wie  wohnen  Sie?  Hat  Ihnen  Koppel  gute 
Dienste  geleistet?  Wie  bekommt  Ihnen  das  Bad?  usw.  Hoffentlich  er- 
statten Sie  uns  hierüber  einen  ebenso  treuen  und  erfreulicheren  Bericht 
als  wir  Ihnen  über  tmseren  Zustand.  Von  einer  Siebengebirgspartie  ist 
bei  einem  solchen  Hundewetter  gar  nicht  die  Rede.  Auf  der  Rhein- 
rückreise habe  ich  mich,  als  wir  von  da  ab,  wo  man  Nonnenwert  erblickt, 
sattsam  geärgert,  denn  Agnes  hatte  mir  einen  Brief  Liszts-)  vorgelesen, 
den  ich  Ihnen  deshalb  beilege  und  aus  dem  Sie  ersehen  werden,  wie 
poetisch  andere  Leute  hier  gelebt  haben,  während  wir  den  Prozeßacker 
pflügen  mußten,  und  jetzt,  wo  man  frei  ist,  kommt  einem  allerlei  und 
bald  dies  und  bald  das  zwischen  die  Beine  gelaufen  und  hindert  einen 


^)  Kosename  für  das  Söhnchen  der  Agnes  Street-Klindworth.  Er  hieß  Georg 
und  hat  mit  seiner  Kinderhandschrift  dem  Brief  einen  Gruß  angefügt. 

2)  Franz  I.iszt  (1811— 1886),  der  berülmite  Musiker.  Liszts  Briefe  an  Agnes 
Klindworth  wurden  1893  unter  dem  Titel:  ,, Briefe  an  eine  Freundin"  von  La  Mara 
veröflEentlicht. 


=   6o  

an  rechtem  lieben  und  rechtem  I,ebensgenuß.  Befestigen  Sie  sich,  ich 
bitte  Sie,  in  meiner  Maxime,  gegen  deren  zweite  Hälfte  Sie  immer  häufig 
genug  fehlen:  Jedes  von  den  Göttern  geschickte  Ungemach  ertragen 
können  und  keinen  von  den  Göttern  gewährten  Genuß,  dessen  Möglich- 
keit sich  eben  nur  bietet,  sich  entgehen  lassen.  —  Sie  gehen,  das  hat 
mich  so  oft  schon  betrübt  tmd  zu  Moralpredigten  veranlaßt,  mit  den 
Genußmöglichkeiten  so  leichtsinnig  um.  Das  sollte  keiner,  der  nicht  im- 
sterblich  ist.  Hoffentlich  bessern  Sie  sich. 

Ich  war,  im  Zimmer  auf  imd  ab  gehend  mid  meine  Pfeife  rauchend, 
mich  also  ganz  behaglich  fühlend,  eigentlich  entschlossen,  noch  sechs 
bis  acht  Bogen  voll  zu  diktieren,  um  Agnes  die  Sekretärdienste  —  in 
welcher  Funktion  sie  bereits  gestern  an  Esser  geschrieben  hat  — 
gründlich  zu  verleiden,  indes  ihr  Finger  tut  weh  und  so  will  ich  denn 
schließen. 

Ich  grüße  Sie  also  und  ich,  d.  h.  Agnes,  küsse  Sie  also  tausendmal 
in  Gedanken,  imd  so  bleiben  wir  denn  —  ä  propos  zu  Ihrer  Beruhigimg 
will  ich  hinzufügen,  daß  die  Luxemburger  schon  wieder  114^/2  stehen  — 
Ihren  Nachrichten  imgeduldigst  entgegensehend,  mit^)  den  wärmsten 
Wünschen  für  den  guten  Erfolg  Ihrer  Kur 

Ihr  F.  Lassalle. 

13- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  Sonntag,  den  29.  Juni  [1856]. 

.  .  .  Was  mich ^)  betrifft,  so  sind  meine  Augen  wieder  sehr  gut.  Den 
Tag  über  kann  ich  wieder  nach  des  Arztes  Ausspruch  behebig  arbeiten, 
und  ich  wollte  nur,  es  ginge  Ihnen  so  gut  wie  mir.  Es  ist  auch  kein 
Zweifel  mehr,  daß  ich  meine  orientalische  Reise  werde  machen  können. 
Lachen  mußte  ich,  daß  Sie  in  dem  Briefe  den  Einfluß  der  Agnes  an- 
rufen. Was  Ihr  Einfluß  nicht  kann,  wird  sicher  kein  andrer.  Sie  wissen 
auch  selbst  sehr  genau,  daß  nie  ein  Mensch  soviel  Einfluß  auf  mich 
gehabt  hat  und  je  haben  wird  als  Sie,  ja,  daß  Sie  mir  ein  reines  Lebens- 
bedürfnis sind.  Kurios  nur,  wirklich  kurios,  daß  wir  ims  bei  alledem 
so  oft  schlecht  vertragen.  Es  ist  Unverstand  von  beiden  Seiten  imd  tut 
mir  dann  immer  so  leid,  wenn  ich  bedenke,  was  man  sich  selbst  für 
schöne,  vmwiederbringliche  Zeit  oft  verdirbt.  —  In  Bonn  habe  ich  es 
nicht  lange  ausgehalten.    Dienstag  früh  reiste  ich  fort,  war  Dienstag 

^)  Von  hier  bis  zu  seiner  Namensunterschrift  von  I,assalles  Hand. 
2)  Bis  hierher  hatte  lyassalle  der  Gräfin  ausführlich  berichtet,  was  ihr  Düssel- 
dorfer Arzt  ihr  für  ihre  Kur  anriet. 


=   6i  ====== 

abend  hier  und  bin  seitdem  hier  geblieben.  Heute  über  acht  Tage  aber 
werde  ich  auf  drei  bis  vier  Tage  mindestens  nach  Roiin  /Airück  müssen. 
Aber  auch  nur,  weil  Ritschi  ^)  mir  schreibt,  daß  er  mir  alle  die  Bücher, 
die  ich  brauche,  nicht  schicken  kann.  Ich  sollte  alle  diese  Teile  in  Bonn 
einsehen,  wo  er  mir  einrichten  will,  daß  ich  täglich  sieben  bis  acht 
Stunden  im  Lesezimmer  arbeiten  kann. 

Meine  Augen  anlangend  wollen  Sie  sich  also  gar  keine  Sorge  mehr 
machen.  Sie  sind  so  gut  als  geheilt.  Kaum  noch  eine  Kleinigkeit  zu 
sehen,  und  die  wird  auch  in  drei  Tagen  verschwunden  sein. 

Gleichwohl  könnten  Sie  mir  einen  Gefallen  tun.  Obgleich  meine 
Augen  mich  nicht  im  entferntesten  hindern,  konveniert  es  mir,  bei 
Lichte  besehen,  gar  nicht  recht,  dies  Jahr  in  den  Orient  zu  reisen. 
Ich  möchte  um  alles  in  der  Welt  erst  meinen  Heraklit  fertig  haben  und 
mich  auf  die  Reise  auch  erst  besser  vorbereiten.  Ich  möchte  also,  wenn 
die  Reise  unterbleibt,  Mitte  August  zu  Ihnen  nach  Wildbad  kommen 
und  mit  Ihnen  eine  kleine  drei-  bis  vierwöchenthche  Reise  antreten, 
und  zwar  am  liebsten  nach  der  Schweiz.  Dafür  übernehme  ich  alle 
Garantie,  daß  ich  die  Reise  so  einrichten  werde,  daß  sie  Ihnen  nicht 
schadet.  Diese  Reise  also  möchte  ich  mit  Ihnen  dies  Jahr  —  freihch  nur, 
wenn  es  Ihr  Zustand  erlaubt  —  machen,  und  dann  Heraklit  heraus- 
geben. 

Allein  wenn  mein  Schwager 2)  dies  Jahr  nach  dem  Orient  geht,  so 
kann  ich  es  nicht  unterlassen,  ihn  zu  begleiten,  wenn  es  mir  auch  gar 
nicht  recht  ist,  denn  diese  Reisegelegenheit  kehrt  für  mich  nicht 
wieder. 

Es  würde  sich  also  nur  darum  handeln,  ihn  zu  bewegen,  die  Reise 
auf  August  nächsten  Jahres  zu  verschieben.  Allein  ich  kann  dies  nicht. 
Die  einzige,  die  das  möglicherweise  fertig  bringen  könnte,  sind  Sie. 
Sie  müßten  ihm  nämlich  einen  sehr  einnehmenden  und  gewinnenden 
Brief  schreiben,  worin  Sie  ihm  zwar  sagen,  daß  ich,  wenn  er  reist,  mit- 
gehen würde  (sonst  wirkt  es  gewiß  nicht),  aber  ihn  bäten,  Ihrer  Be- 
fürchtung wegen  meiner  Augen,  die  Ihnen  keine  ruhige  Nacht  und  keine 
ruhige  Minute  lassen  würde,  zuliebe  seine  Reise  zu  verschieben  auf 
nächstes  Jahr.  Sie  müßten  ihm  ferner  in  Aussicht  stellen  oder  gar  als 
Belohnung  dafür  versprechen  (an  ein  Versprechen  derart  sind  Sie  ja 
doch  nicht  gebimden),  nächsten  August  mit  bis  Konstantinopel  und 
Kairo  zu  gehen.  Sie  müßten  ihn  deshalb,  um  Ihnen  die  Reise,  die  Sie 
sehr  gern  machen  würden,  zu  ermöglichen  —  denn  allein  könnten  Sie 
es  ja  nicht  —  die  Reise  in  seiner  Begleitung,  die  Sie  so  gern  machten, 


1)  Vgl.  hierzu  Ritschis  Brief  an  Lassalle  vom  3.  Dezember  1857  in  Bd.  II,  S.  144- 

2)  Über  Ferdinand  Friedland  vgl.  Einführung  zu  Bd.  I,  S.  3. 


=:      62  = 

um  die  Verschiebung  bitten.  —  Sie  müssen  ihm  sehr  viel  Schmeichel- 
haftes sagen:  das  wirkt  sehr  bei  ihm.  Vor  allen  Dingen  aber  müssen  Sie 
tim,  als  geschähe  Ihre  Demarche  hinter  meinem  Rücken,  imd  ihn 
auch  bitten,  mir  nichts  davon  mitzuteilen,  in  keinem  Falle. 

Falls  er  dem  Ministerium  oder  irgendwem  gegenüber  eine  quasi 
Verpflichttmg  zur  Reise  schon  übernommen  habe,  müssen  Sie  sagen, 
würde  es  ihm  bei  seiner  Gewandtheit  leicht  sein,  zu  tun,  als  müsse  er 
grade  noch  im  Interesse  dieser  Leute  die  Reise  verschieben. 

Ist  es  möglich,  so  bekommen  Sie  es  auf  diese  Weise  gewiß  fertig. 
Aber  Sie  dürfen  keine  Zeit  verlieren.  Denn  je  mehr  Reisevorberei- 
tungen er  macht,  desto  schlimmer. 

Haben  Sie  diesen  Brief  besorgt,  so  muß  ich  Sie  bitten,  sofort  — 
denn  ich  zweifle  immerhin  am  Erfolge  dieser  Demarche  —  an  Max 
wegen  der  Empfehlungsbriefe  zu  schreiben  und  ihm  zu  sagen,  daß  Sie 
sie  bis  Ende  Juli  haben  müssen. 

Da  Sie  so  viel  für  mich  schreiben  müssen,  so  will  ich,  so  unan- 
genehm dies  ist,  darauf  verzichten  (denn  Sie  sollten  nicht  viel  schreiben), 
daß  Sie  vor  Ablauf  von  acht  Tagen  an  mich  schreiben  .  .  . 


14. 
LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Mittwoch,  früh  8  Uhr  [Düsseldorf,  9- Juli   1856]. 
Meine  Gnädigste! 

Um  elf  Uhr  reise  ich  nach  Bonn  und  schreibe  daher  nur  möglichst 
kurz  .  .  . 

Ich  bin  jetzt  fast  (aber  allerdings  noch  nicht  ganz)  entschlossen, 
auch  wenn  mein  Schwager  geht,  die  orientalische  Reise  nicht  mit- 
zumachen, dieses  Jahr.  Hierzu  bestimmt  mich 

1.  daß  ich  mich  im  Heraklit  nicht  vier  Monate  vmterbrechen  will, 
was  sehr  störend, 

2.  daß  Sie  mir  sagen,  daß  es  Ihnen  Ihretwegen  lieb  wäre,  da  Sie 
auch  eine  Reise  machen  möchten.  Und  wie  gewissenlos  wäre  es,. 
Sie  um  einen  Genuß  zu  bringen.  Auch  ist  imter  allen  Umständen 
ein  Genuß,  den  ich  mit  Ihnen  teile,  der  größte  für  mich. 

Denn  aller  Glücke  größtes  bleibt  der  Freund, 
Der  teilend  es  vermehrt,  der's  fühlend  schafft. 

Wenn  ich  also  nicht  nach  dem  Orient  gehe,  so  wollen  wir  die 
Schweizer  Reise  mitsammen  machen,  falls  es  ärztlich  Ihnen  nicht  schäd- 


63   ===== 

lieh  ist  und  Sie  sie  gern  machen,  wie  ich  daraus  schließe,  daß  vSie  mir 
es  offerieren.  Mir  selbst  ist  eine  solche  Reise  von  drei  bis  vier  Wochen 
ein  wahres  Bedürfnis.  Denn  ich  kann  Ihnen  nicht  leugnen,  daß  ich  mich 
von  dem  angestrengten  Arbeiten,  das  ich  doch  eigentlich  seit  Ende 
September  vorigen  Jahres  ununterbrochen  treibe,  sehr  angegriffen  und 
erholungsbedürftig  fühle.  Daß  ich  jetzt  hier  stark  arbeite,  ist  selbst- 
redend ;  in  Bonn  werde  ich  es  nicht  viel  weniger  tun  und  den  Tag  über 
jedenfalls  auf  der  Bibliothek  zubringen.  Ich  brauche  also  allerdings 
eine  kurze  Erholung.  Auch  möchte  ich  endlich  dies  Jahr  die  Partien 
der  Schweiz,  die  ich  nicht  gesehen,  Wallis  und  Genf,  durchmachen,  um 
noch  mit  der  Schweiz  fertig  zu  sein  und  künftig  Jahr  nach  dem  Orient 
oder  Italien  zu  können. 

Wenn  wir  also  die  Reise  machen  wollen,  so  bleibt  nur  noch  eins  zu 
überlegen.  Wie  Sie  wissen,  ist  es  mein  Grundsatz,  daß  es  nicht  gut  ist, 
wenn  wir  ohne  jeden  Dritten  eine  Reise  machen.  Ich  begab  mich  also, 
nachdem  mir  klar  geworden,  daß  ich  schwerlich  dies  Jahr  nach  dem 
Orient  gehen  werde,  zu  Bloem^)  und  fragte  ihn,  ob  er  nicht  auch  nach 
der  Schweiz  wolle.  Allein  er  reist  mit  seiner  Familie  nach  Helgo- 
land. 

Es  würde  uns  also  als  Dritter  kaum  jemand  übrig  bleiben  als  die 
Agnes,  die  ich  hiermit  in  Vorschlag  bringe.  Aber  nun  bitte  ich  Sie, 
glauben  Sie  um  Gottes  willen  nicht,  daß  ich  dies  meinet-  oder  der 
Agnes  willen  tue.  Sie  würden  mir  durch  eine  solche  Annahme  schweres 
Unrecht  tun.  Ich  tue  es  bloß  aus  den  angegebenen  Gründen  und  weil 
ich  glaube,  daß  es  den  Genuß  der  Reise  Ihnen  in  mancher  Hinsicht  er- 
höhen wird.  Denn  wenn  ich  mit  Vögeli  schwierige  Gebirgsausflüge  mache 
oder  Sie  auf  dem  Talwege  nach  Genf  schicken  will  (nachdem  wir  im 
Bemer  Land  gewesen)  oder  daselbst  lassen  will  —  so  habe  ich  doch 
jemand,  der  mit  Ihnen  ist.  Wenn  ich  allein  mit  Ihnen  reise,  kann  ich 
das  entweder  gar  nicht  oder  weiß,  daß  Sie  sich  indessen  wie  ein  Mops 
ennuyieren,  was  mir  schon  jede  Freude  verdirbt. 

Gegen  das  Projekt  spricht,  soviel  ich  sehe,  nichts  als  der  Kosten- 
punkt .  .  .  Wann  sollte  ich  denn  also  nach  Wildbad  kommen  ?  Mir  ist 
das  Datum  egal.  Ich  möchte  in  Wildbad  drei  Tage  bleiben  und  dann 
mit  Ihnen  weiter  reisen.  Freilich,  wenn  man  in  Wildbad  keine  Woh- 
mmgen  findet,  wie  dann?  Die  Agnes  würde  ich,  falls  Sie  meiner  An- 
sicht sind,  nach  Wildbad  mitbringen. 

Tausend  herzliche  Grüße  und  abertausend  von  Ihrem 

F.  Lassalle. 


^)  Dr.  Anton  Bloem  (1814 — 1885)  der  Anwalt  der  Gräfin  in  Düsseldorf.  Vgl. 
über  ihn  Bd.  III,  S.  6. 


^==^=  64  

15- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Bonn,  Mittwoch  nachmittag  [16.  Juli   1856]. 
Meine  Gnädige! 

Unbegreiflich!  Grad  heut  —  Mittwoch  —  vor  acht  Tagen,  ehe  ich 
hierher  nach  Bonn  reiste,  schrieb  ich  Ihnen,  und  noch  habe  ich  auf 
diesen  Brief  keine  Antwort! 

Es  sind  mir  hier  inzwischen  zwei  Briefe  von  Ihnen  nachgeschickt 
worden.  Den  vom  g.  mit  den  52  Rt.  erhielt  ich  gestern!  Den  vom  12. 
vorgestern.  Aber  nach  Bonn  direkt  habe  ich  noch  keinen  Brief  emp- 
fangen. Die  Sache  ist  mir  höchst  unangenehm.  Denn  ich  bin  hier  mit 
meinen  Arbeiten  auf  der  Bibliothek  seit  heute  mittag  fertig  imd  möchte 
morgen  früh  nach  Düsseldorf  zurück.  Nim  muß  ich  aber  doch  erst  hier 
Ihre  Antwort  wegen  Agnes  abwarten.  Denn  je  nach  Ausfall  derselben 
muß  ich  doch  mit  Agnes  sprechen,  da  diese  noch  nichts  davon  weiß  und 
nach  Ostende  zu  gehen  beabsichtigt.  Ohnehin  kommt  ihr  Vater  wohl 
bald  .  .  . 

Mein  Schwager  wird,  wie  Sie  aus  dem  beifolgenden  Brief  meiner 
Schwester  schließen  können,  wohl  jedenfalls  auch  ohne  mich  reisen.  Es 
fällt  mir  doch  sehr  schwer,  ihn  ziehen  zu  lassen,  und  ich  bin  wieder  sehr 
imentschlossen. 

Die  Eingabe  an  das  Ministerium  habe  ich  Ihnen  geschickt  —  auch 
nach  dem  Badhotel  adressiert  —  zur  Unterschrift.  Ich  erwarte  sie  bald 
zurück,  um  sie  abzusenden. 

Es  ist  höchst  langweilig,  daß  ich  meine  teure  Arbeitszeit  versäumen 
muß  und  hier  nicht  fort  kann,  weil  Sie  auf  meinen,  vorigen  Mittwoch 
geschriebenen  Brief,  den  Sie,  wenn  Sie  täglich  nach  dem  Badhotel 
schickten,  Sonnabend  imd  selbst  Freitag  schon  haben  mußten  bis 
Montag  inkl.  —  denn  sonst  müßte  die  Antwort  schon  hier  sein  — ,  noch 
nicht  geantwortet  hatten.  Außerdem  aber,  daß  mich  der  Zeitverlust 
ärgert,  martert  sich  meine  Phantasie  mit  allen  möglichen  Befürch- 
ttmgen,  z.  B.  der  Brief  sei  verloren  oder  Sie  krank. 

Wie  bekömmt  Ihnen  denn  jetzt  die  Kur?  Darüber  vor  allem  sehe 
ich  genauer  Nachricht  entgegen.  Sie  sagen  in  Ihrem  letzten  Brief,  ich 
sollte  nach  Wildbad  kommen,  dort  baden!  Liebes  Kind,  wie  können 
Sie  sich  so  etwas  einfallen  lassen!  Ich  brauche  meine  Zeit  für  den 
Heraklit,  imd  wenn  ich  nicht  nach  dem  Orient  gehe,  so  habe  ich  nur 
drei,  höchstens  vier  Wochen  Zeit  für  eine  mir  zu  meiner  Erfrischung 
allerdings  höchst  nötige  Schweizer  Gebirgsreise,  bei  der  ich  mich  wieder 


65  

stark  laufe ;  nicht  aber  habe  ich  die  Zeit,  \-ierzclin  Tage  in  Wildbad  zu 
versitzen.  Erst  drei  Tage  vor  Ihrer  Abreise  von  dort  will  ich  daselbst 
eintreffen.  Nicht  früher.  Bitte  mir  daher  den  Zeitpunkt  anzuzeigen  .  .  . 

i6. 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  Dienstag  abend  [2a.  Juli   1856]. 
Meine  Gnädigste! 

In  welche  namenlose  Angst  Sie  mich  diesmal  versetzt  hatten,  können 
Sie  nicht  glauben!  Bis  Montag  mittag  wartete  ich  auf  Ihren  Brief  in 
Bonn,  wo  er,  wenn  Sie  ihn,  wie  Ihre  telegraphische  Depesche  versprach, 
Freitag  zur  Post  gegeben  hätten,  schon  Sonntag  hätte  eintreffen  müssen. 
Nichtsdestoweniger  war  noch  Montag  mittag  keiner  da.  Da  reiste  ich 
verzweifelnd  ab,  weil  ich  die  Angst  und  zugleich  den  Ärger  über  meinen 
Zeitverlust  nicht  zugleich  länger  aushalten  wollte.  Heut  früh  erst  kam 
Ihr  Brief  in  Bonn  und  heut  abend  hier  an. 

Außer  meiner  entsetzlichen  ausgestandenen  Angst  ist  mir  auch  der 
Verlust  an  Arbeitszeit  äußerst  empfindlich.  Denn  seit  Mittwoch  abend 
hatte  ich  in  Bonn  nichts  mehr  zu  tun  und  saß  nur  da,  auf  Ihren  Brief 
wartend.  Ich  wollte  ihn  lieber  dort  noch  empfangen,  um  eventuell  mit 
Agnes  —  der  ich  davon  noch  gar  nichts  gesagt  —  über  die  Reise  Rück- 
sprache zu  nehmen.  Jetzt  muß  ich  ihr  erst  schreiben.  —  Auch  für  meine 
Augen  war  der  dortige  Aufenthalt  nicht  gut.  Denn  ich  konnte  keine 
Augenwaschungen  machen,  weil  ich  ausgehen  mußte  und  die  Luft 
dabei  schädlich,  konnte  nicht  Pfeife  und  mußte  Zigarre  rauchen  usw.  usw. 
Der  Arzt  meint  jedoch,  daß  die  Gebirgsreise  als  die  beste  Kur  darauf 
wirken  wird  .  .  . 

Wann  soll  ich  also  in  Wildbad  sein?  Ganz  nach  Belieben.  Brauchen 
Sie  die  Kur  solange  es  nur  irgend  gut  ist.  Nur  möchte  ich  nicht  vor- 
zeitig kommen. 

Freihch  mußte  ich  lachen,  als  ich  las,  Sie  kommen  sich  ,,wie  ein 
Paria  vor",  weil  Ihre  Wildbader  Honoratioren  tun,  als  keimten  sie  Sie 
nicht  und  schieben  das  auf  das  , .Verleumdet-  und  Verkanntsein".  Das 
hat  damit  gar  nichts  zu  tun,  hat  mit  Ihrer  Privatperson  überhaupt 
nichts  zu  tim^)  (sonst  wäre  es  jetzt  gewiß  fortgefallen),  sondern  wurzelt 
einfach  in  der  politischen  Partei,  zu  der  Sie  sich  geschlagen  haben,  und 
kann  Sie  folglich  weder  kränken  noch  wundern.  Jene  Leute  haben  vor 

^)  Es  ist  auffällig,  daß  Lassalle  hier  nicht  auf  seinen  früheren  langen  nach 
Ems  gerichteten  Manuskriptbrief  hinweist.  Siehe  oben  Nr.  6. 

Mayer,  I.assalle-NachUss.     IV  ^ 


=^   66  = 

Ihnen  den  Vorteil  der  Ganzheit  voraus;  d.  h.  sie  hassen  eben  ihre 
politischen  Widersacher  und  wollen  mit  ihnen  auch  gesellschaftlich 
nichts  zu  tun  haben.  C'est  si  simple  comme  toujours.  Und  die  Leute 
haben  darin  ganz  recht.  Und  wenn  der  eine  oder  der  andere  sogar  selbst 
weniger  stark  von  diesen  Gefühlen  beherrscht,  so  setzt  er  doch  den- 
selben Haß  grade  auch  Ihrerseits  wieder  voraus  und  erlaubt  sich  des- 
halb keine  Näherung  oder  imterläßt  es  aus  Rücksicht  auf  die  anderen, 
die  stärker  hassen.  —  Übrigens  zeigt  Ihre  Klage,  daß  wenn  man  jemand 
von  früh  an  angehalten  hat,  auf  einen  alten  Knopf  zu  sehen  und  ihm 
eingeredet,  der  Knopf  sei  der  Welt  Mittelpunkt,  er  ein  gewisses  inneres 
Trabantenrotieren  seines  Geistes  um  diesen  Knopf  herum  nicht  los  wird, 
wenn  er  auch  seitdem  das  ganze  kopernikanische  Weltsystem  durch- 
studiert hat  und  demzufolge  sehr  genau  weiß,  daß  alte  Knöpfe  bloß  alte 
Kjiöpfe  und  keine  Mittelpunkte  von  Welten  und  Sonnensystemen  sind. 

Nämlich  dann  wird  er  es  nicht  los,  wenn  er  eine  Frau  ist.  Denn 
immer  haben  Frauen,  was  sie  wissen,  in  der  einen,  was  sie  fühlen  in  der 
andern  Tasche. 

Also  empfehlen  Sie  mich  Herrn  von  Morny,^)  der  Kaiserin,  der  Groß- 
fürstin, der  Kleinfürstin,  der  Kronprinzessin,  den  Fürstinnen,  den  Grä- 
finnen, den  Frauen  von,  den  Herren  auf  imd  machen  Sie  denselben 
meinen  alleruntertänigsten  Respekt  mit  derselben  unanständigen  Ge- 
bärde, mit  welcher  sich  an  einer  gewissen  Stelle  in  einem  gewissen  Stück 
Mephistopheles  über  Faust  lustig  macht. 

Tout  ä  vous  Ihr 

F.  lyassalle. 

Was  ist  denn  das  mit  der  Agnes,  was  Sie  gehört  haben  ?  Das  möchte 
ich  gern  wissen.  Wenn  es  Sie  nicht  zu  sehr  anstrengt,  so  schreiben  Sie 
es.  —  lyassen  Sie  bald  von  sich  hören,  wenn  auch  nur  zwei  Zeilen. 

Eben  kommen  aus  Paris  die  sechs  Töpfe  Pomade,  die  ich  bestellt. 
Ich  schicke  Ihnen  morgen  drei. 


17. 

SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALI^E.  (Original.) 

[Wildbad]  23.  Juli  1856. 

Hierbei,  liebes  Kind,  die  Eingabe  zurück,  ich  habe,  was  ich  weg- 
gelassen wünsche,  mit  Bleistift  angestrichen  und  meine  Bemerkungen 

1)  Der  Herzog  von  Momy  (1811 — 1865),  der  Halbbruder  Napoleons  III.,  war 
damals  französischer  Botschafter  in  Petersburg  und  arbeitete  an  einer  Annäherung 
z\vischen  Frankreich  und  Rußland. 


==========   67   ======== 

dazu  geschrieben.  Ich  bitte  Sie  recht  herzlich,  mir  nicht  dariiber  böse 
zu  sein  und  mir  gewiß  den  Gefallen  zu  tun,  es  zu  ändern.  Es  ist  auch 
nicht  schwierig,  da  man  die  einzelnen  Blätter  herausnehmen  kann  und 
sich  der  Abschreiber  so  einrichten  kann,  daß  es  wieder  zum  folgenden 
Blatt  paßt.  Wo  es  nur  einzelne  Worte  oder  kurze  Sätze  sind,  könnte 
es  sogar  vielleicht  ausradiert  werden.  Darum  habe  ich  auch  die  Eingabe 
unterschrieben,  weil  diese  Unterschrift  immer  zu  brauchen  und  Sie  es 
dann  nicht  wieder  herzuschicken  brauchen.  Eassen  Sie  sich  zum  Zu- 
siegeln ein  Wappen  von  Wächter,  das  ja  dasselbe  ist,  borgen.  Die  Ver- 
änderungen sind  nicht  groß,  die  Eingabe  bleibt  ebenso  scharf.  Aber  Sie 
benehmen  ihr  etwas  den  persönlichen,  boshaften  Spott,  und  dies  wünsche 
ich  sehr,  einmal,  weil  es  sich  doch  besser  für  eine  Frau  paßt,  aber  vor- 
züglich, weil  ich  jetzt  die  Eeute  nicht  persönhch  reizen  möchte.  Es  hat 
sich  darum  so  verzögert,  weil  ich  Ihnen  aufrichtig  gestehe,  daß  ich  mich 
etwas  fürchtete,  Sie  würden  böse  werden.  Überdies  bin  ich  wirklich  in 
einem  immerwährenden  Fieber,  ich  habe  die  Bäder  wieder  angefangen 
vmd  jetzt  sogar  stärkere.  Es  ist  möglich,  daß  Paul  jetzt  auf  einige  Tage 
herkommt.  Warum  schreiben  Sie  mir  denn  gar  nicht?  Sie  sind  ja  noch 
viel  fauler  als  ich.  Es  ist  nicht  recht,  da  Sie  wissen,  wie  allein  ich  hier 
bin.  vSchreiben  Sie  mir,  wie  es  Ihnen,  wie  es  mit  Ihren  Augen  geht. 
Tausend  herzliche  Grüße 

S.  H. 

i8. 
LASSAEEE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEEDT.  (Original.) 

[Düsseldorf]  Freitag  abend  [25.  Juli   1856]. 

Ich  habe  Ihren  lieben  und  schönen,  Ihren  klugen  und  dummen, 
Ihren  so  geistreichen  und  so  törichten  Brief  kaum  empfangen  und 
durchgelesen,  als  ich  mich  auch  schon  zu  seiner  Beantwortung  nieder- 
setze. Es  ist  wirklich  häufig  schon  ein  Genuß,  Briefe  von  Ihnen  zu 
empfangen,  und  man  empfindet  nur  das  Bedauern,  sie  nicht  sofort  in 
die  Druckerpresse  schicken  zu  können.  Seit  Goethe  hat  kein  Mensch 
so  Briefe  geschrieben,  und  Goethe  hat  lange  nicht  diese  Wärme  und 
Lebendigkeit  des  Stils  gehabt.  Da  ist  so  viel  Natur  darin  und  die  Naivität 
eines  Kindes  und  ein  Erguß  des  Herzens  tmd  soviel  Geist  und  Gescheit- 
heit und  doch  wieder  so  viel  liebliche  und  interessante  rührende  Dumm- 
heit mitten  darunter,  daß  es  einem  ganz  nahe  geht  und  denselben 
rührenden  Eindruck  macht,  wie  unschuldige  kleine  Kinder  in  weißen 
Kleidern  und  mit  Rosengirlanden  umschlungen,  die  ihre  großen  blauen, 
gescheiten,  reinen  Augen  weit  aufschlagen  und  deren  Blick  einem  eben 


—  =   68  _ 

deshalb  so  zu  Herzen  geht,  weil  man 's  ihnen  eben  ansieht,  sie  wissen 
noch  gar  nicht,  wie 's  in  der  Welt  aussieht. 

Ks  gäbe  wirklich  nichts  Gescheiteres  für  Sie,  als  Schriftstellerin  zu 
werden.  Sie  bringen  sich  um  einen  großen  Triumph  und  unsere  Literatur 
um  eine  große  Zierde,  wenn  Sie  es  nicht  noch  tun !  —  Das  heißt  schreiben ! 
Haben  Sie  doch  mich  steifen  Pedanten  fast  zu  einer  Rhapsodie  hin- 
gerissen trotz  aller  Dummheiten,  die  in  dem  Briefe  stehen.  Es  sind  eben 
Kinderdummheiten,  so  treuherzig  ehrlich,  so  unschuldsvoll  einfältig, 
daß  man  nicht  anders  kann,  man  muß  sie  grade  deshalb  küssen. 

Wie  kann  man  nur  solche  Briefe  schreiben  können  imd  dann  noch 
mit  sich  selber  imzuf rieden  sein  ?  Wie  kann  man  solche  Briefe  schreiben 
können  und  dann  noch  jener  schlechten  Clique  bedürfen,  die  alle  zu- 
sammen, in  einen  Geist  potenziert,  kaum  das  Talent,  diese  Briefe  auch 
nur  lesen  zu  können,  haben  würden?  Wie  kann  man  solche  Briefe 
schreiben  können  und  dann  nicht  ruhig  und  selig  in  sich  thronen,  gleich 
den  ol5rmpischen  Göttern?  Diesen  Widerspruch  begreife  ich  nicht! 
Wenn  ich  mit  Heraklit  fertig  bin,  will  ich  mal  gründlich  darüber  studieren. 

Das  wesentlichste  desselben  habe  ich  eigentlich  schon  letzthin  be- 
antwortet. Ihre  Exklusion  liegt  nicht  in  Ihrer  Privatperson,  sondern 
in  Ihrer  politischen  Parteinahme.^)  Und,  was  die  Herren  anlangt, 
ebenso  auch  darin,  daß  man  sich  ebenso  von  Ihnen  exkludiert 
glaubt.  Wie  mancher  würde  sonst  gern  anbandeln.  Wie  Sie  aber  bei 
einigem  Nachdenken  die  Kometenstellung,  die  Sie  nach  Ihrer  eigenen 
Schilderung  auch  dort  haben,  nicht  mit  Stolz  und  Eitelkeit  erfüllen 
kann,  begreife  ich  nicht.  Wer  achtet  drauf,  wenn  Frau  von  X.  vorbei- 
geht? Das  sind  Huldigimgen,  wie  sie  jedes  große  Wagen  und  Können, 
jedes  eigene  Wollen  sich  erzv/ingt.  Glauben  Sie,  daß  die  Aufmerksam- 
keit einer  Welt,  wenn  man  vor  die  Tür  tritt,  nicht  wie  jeder  andere 
Triumph  seine  kleinen  Dornen  haben  soll?  Erinnern  Sie  sich  des  Alki- 
biades  und  seines  Grimdsatzes.  —  Ich  wollte  aber,  ich  hätte  die  Macht 
eines  Gottes  und  könnte  Sie  auf  acht  Tage  wieder  unter  diese  I,eute 
versetzen.  Was  würden  Sie  bald  schreiend  und  wehklagend  davon- 
laufen !  Nicht  acht  Tage  würden  Sie  die  Clique  ertragen  können !  Da  ist 
der  Staatsrat.^)  Und  das  ist  doch  noch  der  Gescheitesten  einer.  Sie  haben 
sein  Gebabbel  nicht  i^/g  Tage  aushalten  können.  Gehen  Sie!  Sie  sind 
viel  zu  sehr  an  das  Ambrosia  ewiger  Gedanken  verwöhnt,  als  daß  Sie 
in  jener  flachen  Atmosphäre  auch  nur  atmen  könnten.  Fände  sich 
Ihnen  jetzt  ein  Mephisto  und 

,, schleppte  Sie  durch  jenes  seichte  Leben, 
durch  flache  Unbedeutendheit" 

^)  Siehe  oben  Nr.  i6. 

^j   Für  den  Staatsrat  Klindworth  vgl.  oben  die  Einführung  S.  i6f. 


=========   69   ============= 

—  was  würden  Sic  , .zappeln,  starren,  kleben"!  Nein,  mein  Kind!  Jene 
Kreise,  die  im  neunzehnten  Jahrhundert  Platen  von  sich  gestoßen 
haben,  ganz  so  wie  im  sechzehnten  Jahrhundert  Hütten  (einen  zweiten 
weiß  ich  aus  dem  neunzehnten  Jahrhundert  bloß  deshalb  nicht  zu 
nennen,  weil  sie  keinen  zweiten  hatten  —  und  doch  —  noch  einen 
zweiten,  den  sie  gleichfalls  von  sich  stießen  —  Byron),  jene  Kreise 
sind  nichts  für  Sie.  Wünschen  Sie  sich  nicht  hinein.  Sie  wünschen  sich 
Schlechtes.  Es  geht  Ihnen  damit  wie  mir  häufig  mit  dem  Reisen.  Kaum 
aber  bin  ich  acht  Tage  unterwegs,  so  wünsche  ich  mich  in  mein  Zimmer 
zurück. 

Ihre  Klage  aber  über  die  wirklich  geistig  gebildete  Gesellschaft 
aus  den  Kreisen  der  Bourgeoisie  finde  ich  mehr  als  ungerecht.  Denn 
von  allen,  die  wir  nur  aus  diesen  Kreisen  je  zu  sehen  Gelegenheit  hatten, 
sind  Sie  sogar  immer  mit  großer  Auszeichnung  behandelt  worden.  — 
Ebenso  imgerecht  sind  Ihre  Bemerkungen  in  bezug  auf  die  politische 
Partei.  Ich  kann  Ihnen  darin  durchaus  nicht  recht  geben.  Weder 
die  Geschichte  zeigt  es,  wie  Sie  meinen,  noch  Ihr  eigenes  lieben.  Frei- 
lich sind  Sie  auch  im  Schöße  der  eigenen  Partei  angefeindet  worden. 
Aber  wem  geschieht  das  in  der  demokratischen  Partei  nicht  ?  Mir  nicht  ? 
Marxi)  nicht?  Waldeck  2)  nicht?  Kinkel  3)  nicht?  Proudhon  ")  nicht? 
Ledru  ^)  nicht?  Das  geschieht  ja  allen,  und  bei  jedem  ergreift  man  dann, 
um  ihn  anzufeinden,  was  sich  nur  eben  bietet.  Ist  es  nicht  dies,  so  ist 
es  das.  Gemeinsames  I,os  aller.  Nicht  der  Rede  wert! 

Sehen  Sie  sich  genau  die  vornehme  glänzende  Gesellschaft  dort  an ! 
Ivassen  Sie  sie  an  sich  vorbei  defilieren  und  halten  Sie  Schau  —  es  ist 
die  Totenschau,  die  Gespensterparade  dieser  Gesellschaft!  Irre 
ich  nicht  sehr,  so  ist  es  das  letzte  Jahr,  daß  sie  sich  in  ihrem  koketten 
Glänze  zeigt.  Schwere  Wolken  ziehen  am  Himmel  herauf,  wahrlich,  ich 
sage  Euch,  die  Füße  derer,  die  sie  hinaustragen  werden,  stehen  schon 
vor  der  Türe.  Halten  Sie  Totenschau  und  gönnen  Sie  ihnen  das  kurze, 
eitle  Sonnen  noch;  schon  sind  sie  ,,von  ihrem  Lorbeer  nur  noch  der 
Schatten,  von  ihrem  Glück  nur  noch  der  Hohn". 


^)  Karl  Marx  {1818 — 1883),  der  berühmte  Sozialist.  Für  Lassalles  Briefwechsel 
mit  ihm  vgl.  Bd.  III  dieser  Publikation. 

2)  Benedikt  Waldeck  (1802 — 1870),  das  Haupt  der  preui3ischen  demokratischen 
Partei. 

3)  Gottfried  Kinkel  (18 15 — 1882),  der  Dichter,  Kunsthistoriker  und  demo- 
kratische Politiker. 

*)  P.  J.Proudhon  (1809 — 1865),  der  berühmte  französische  Gesellschafts- 
reformer und  Politiker. 

^)  Alexandre  Auguste  Ledru-Rollin  (1807 — 1874),  unter  dem  Bürgerkönigtum 
Führer  der  äußersten  Linken,  in  der  Februarrevolution  Minister  des  Inneren, 
hernach  bis  1870  politischer  Flüchtling. 


—   70  = 

Ich  wiederhole  Ihnen,  es  ist  die  Totenparade.  Die  Ereignisse  nahen 
im  Geschwindschritt.  Wollte  Gott,  ich  behielte  nur  noch  Zeit,  den 
Heraklit  herauszugeben.  Doch  das  hoffe  ich  noch  sicher. 

Der  Agnes  habe  ich  gleich  geschrieben,  sie  soll  baldigst  hin.  Sie  ist 
aber  nach  Mannheim  gereist,  wo  sie,  glaube  ich,  die  Stubenrauch  be- 
suchen soll  in  ihres  Vaters  Angelegenheiten.  Es  fragt  sich  also,  wann 
sie  bei  Ihnen  eintreffen  kann,  doch  hoffe  ich  bald. 

Was  Sie  von  meiner  Eingabe  schreiben,  setzt  mich  in  große  Ver- 
legenheit. Denn  wie  mm  helfen?  Das  dicke  Ding  umschreiben  lassen, 
das  geht  nicht,  denn  das  würde  vierzehn  Tage  dauern. 

Ich  muß  auch  bemerken:  i.  daß  es,  wenn  die  Malicen  fortfallen, 
sicher  nicht  hilft;  das  steht  ganz  fest;  2.  daß  es  nach  meiner  Ansicht 
gar  nicht  schadet  für  unser  Hinziehen, i)  wenn  wir  tüchtig  beißen. 
Die  Zähne  zeigen  hat  mir  noch  immer  genützt.  Sieht  man,  daß  sie 
scharf  sind,  so  nimmt  man  noch  hin  und  wieder  eine  Rücksicht.  Denn 
von  meiner  Feinde  Milde  hoffe  ich  nie  etwas;  weit  mehr  von  ihrem 
Respekt. 

Bestehen  Sie  jedoch  auf  Ihrem  Wunsch,  so  mache  ich  folgende 
Vorschläge : 

I.  entweder  es  handelt  sich  um  bloße  Worte,  imd  dann  streiche 
ich  ruhig  aus,  ohne  abschreiben  zu  lassen;  oder  aber  2.  ich  unterzeichne 
das  Ding  in  Ihrem  Namen,  also:  im  Auftrag  der  Frau  Gräfin  von  Hatz- 
feldt  der  Generalbevollmächtigte  F.  L,. 

Dann  kann  man  es  Ihnen  nicht  zur  Last  legen,  und  mir  ist  es  sehr 
recht;  schadet  mir  auch  gar  nichts.  Beißen  nützt  mir  jedenfalls. 

Aber  senden  Sie  es  doch  schnell. 

Nun  das  letzte:  Ich  wollte  cirka  den  15.  August  —  je  nachdem 
Ihre  Kur  dort  noch  dauern  wird  —  entweder  erst  nach  Wildbad  reisen 
oder  schon  dort  eintreffen.  Und  freilich  muß  es  mir  Heraklits  wegen 
sehr  am  Herzen  liegen,  keine  Zeit  zu  verlieren.  So  pedantisch  sind  wir 
aber  doch  noch  nicht,  daß  wir  einen  Freimd  wie  Sie  im  Stich  ließen, 
wenn  seine  Gemütsstimmung  uns  fordern  sollte.  Kann  also  Agnes  nicht 
bald  kommen  (wahrscheinlich  kann  sie  erst  Anfang  August)  und  wim- 
schen  Sie  in  der  Bedrückung  und  Beklemmung,  die  Ihnen  die  dortige 
Gesellschaft  verursacht,  ihr  die  unverschämte  Götterruhe  meines 
Antlitzes  entgegenzustellen  (großen  Staat  werden  Sie  damit  freilich 
nicht  machen,  auch  sich  damit  freihch  nicht  sehr  in  Gunst  setzen),  so 
telegraphieren  Sie  mir  nur,  tmd  ich  lasse  alles  stehen  und  liegen  und 
fliege  hin,  Ihnen  meine  süffisante  Person  und  meine,  wenn  auch  nur 


1)   Nach  Berlin. 


=  71  — 

tropisch  schlachtengebräutite  Hcldenstirne  zur  Disposition  zu  stellen. 
Aber  die  Eingabe  muß  freilich  erst  besorgt  sein.  Genug  für  heut.  Es  ist 
ein  Uhr  nachts. 

Ihr  F.  I.. 

Ich  bekleckse  alle  Ränder,  um  Ihnen  zu  sagen,  wie  sehr  ich  mich 
über  die  Wiedergeburt,  die  aus  Ihrem  Briefe  entgegenleuchtet,  freue! 
Nahrung  und  Befriedigung  will  ich  derselben  schon  schaffen,  das  sei 
meine  Sorge.  Sie  glauben  aber  nicht,  wie  glücklich  es  macht,  Sie  wieder 
auf  einmal  so  [wieder]  aufgelebt  zu  finden,  wie  Ihr  Brief  so  höchst 
erfreulich  zeigt!  Haben  Sie  nur  wieder  erst  Eebens-  und  Regungs- 
bedürfnisse !  Befriedigen  will  ich  sie  schon.  Das  ist  gerade  meine  starke 
Seite.  Sind  wir  erst  in  Berlin,  will  ich  Ihnen  mehr  Zerstreuung,  Ab- 
wechslung und  Lebensgenuß  schaffen,  als  zehn  Frauen  nie  de  rieben 
körmten. 


19. 
LASSAIvEE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Düsseldorf  [Ende  Juli  1856]. 
Meine  Gnädigste! 

Infolge  Ihres  Briefes,  in  welchem  Sie  die  Agnes  gleich  dort  zu  haben 
wünschten,  schrieb  ich  sofort  in  der  dringlichsten  Weise  an  sie.  Ich 
erhalte  soeben  von  ihr  Antwort,  daß  sie  gleich  nach  Sonnabend,  etwa 
Sonntag,  Montag  usw.  zu  Ihnen  [reisen]  wird.  Allein  sie  schreibt  mir 
zugleich,  daß  jenes  scheußliche  Wesen,  ihr  Vater,  ihr  die  Erlaubnis  zu 
der  Reise  nach  der  Schweiz  nicht  gibt.  Aus  dem  allerfutilsten  oder 
eigentlich  aus  gar  keinem  Grunde,  weil  er  nämlich  nach  London  reist 
und  sich  einbildet,  sie  müßte  inzwischen  in  Brüssel  sitzen  —  obgleich 
noch  dazu  Wolff  das  dortige  Klima  für  so  schädhch  für  sie  erklärt 
hat  und  sie  ihm  zu  gar  nichts  nötig  ist. 

Ich  glaube,  sein  Grund  ist  bloß  der,  daß  Sie  nicht  die  Einladimg 
geschrieben  haben,  sondern  bloß  ich.  Ich  war  nämlich  schon  wieder 
von  Bonn  fort,  als  Ihr  Brief,  der  sich  damit  einverstanden  erklärte, 
endlich  kam,  und  vor  Eintreffen  desselben  konnte  ich  doch  nichts 
sagen.  Hätte  ich  noch  mündlich  mit  ihm  darüber  sprechen  können,  so 
hätte  er  freiUch  nicht  nein  gesagt.  So  aber  mußte  ich  schreiben,  weil 
Ihr  Brief  so  verwünscht  lange  ausblieb,  und  das  scheint  ihm  nicht  recht 
gewesen  zu  sein.  Sie  sind  also  um  so  mehr  hierdurch  veranlaßt,  was  Sie 
als  imschuldige  Ursache  durch  das  lange  Ausbleiben  jenes  Briefes  ver- 
schuldet haben,  wieder  gutzumachen. 


—    72  ^ 

überdies  schreibt  mir  Agnes,  ich  möchte  Sie  bitten,  ein  gutes  Wort 
für  sie  bei  dem  Vater  einzulegen.  Ihnen  würde  er  es  nicht  abschlagen. 

Schreiben  Sie  ihm  also,  bitte,  gleich  und  dringlichst.  Benutzen 
Sie  auch  das,  daß  ja  Wolff  das  Brüsseler  Klima  für  so  äußerst  gefähr- 
lich und  schädlich  für  Agnes  erklärt  hat.  Der  alte  Heuchler  sieht  ja 
gerne  sehr  gefühlvoll  aus.  Und  schreiben  Sie  ihm  so  höflich  und  ver- 
bindlich, daß  er  nicht  abschlagen  kann. 

Aber  Sie  haben  dazu  keinen  Augenblick  zu  verlieren,  denn  der 
alte  F'uchs  —  ich  könnte  ihn  nur  so  ohrfeigen,  daß  es  eine  Art  hätte  — 
kommt  Sonnabend  nach  Mannheim  zurück  und  will  dann  sehrbald  — 
wie  bald,  weiß  ich  nicht  —  nach  London.  Schreiben  Sie  also  schleu- 
nigst sofort,  noch  ehe  Agnes  zu  Ihnen  kommt;  denn  dann  sieht  sie 
ihn,  glaube  ich,  nicht  mehr. 

Sollte  sie  früher,  als  sie  wollte,  gereist  und  jetzt  schon  bei  Ihnen 
sein,  so  sagen  Sie  ihr,  daß  ich  ihr  auf  ihren  Brief  sofort  nach  Mannheim 
geantwortet  habe.^) 

Ihr 

F.L. 


20. 

I.ASSAI.LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Prag]  Sonntag,  den  2 1 .  September  [1856]. 

Meine  gute,  gnädige  Frau! 

Ich  war  grade  gestern  auf  dem  Hausflur,  als  Ihr  Brief  an  Papa  an- 
kam, und  so  geschah  es,  daß  er  zuerst  in  meine  Hände  fiel,  und  da  ich 
Ihre  Schrift  erkannte,  von  mir  auch  sofort  gelesen  wurde.  Aber  weit 
entfernt,  mich,  wie  Sie  in  demselben  voraussetzen,  dagegen  zu  ver- 
stocken,  hat  er  mich  vielmehr,  wie  ich  Sie  versichern  kann,  sehr  gerührt, 
da  er  mir  zeigte,  wie  warm  und  aufrichtig  die  Besorgnis  ist,  die  Sie  für 
mich  empfinden,  und  welchen  reellen  Anteil  Sie  an  mir  nehmen.  Es  ist 
beiläufig  gar  nicht  wahr,  daß  ich  systematisch  Ihren  Rat  zurückweise. 
Es  lebt  im  Gegenteil  niemand,  auf  dessen  Rat  ich  entfernt  soviel  gebe, 
wie  auf  den  Ihrigen.  Und  nicht,  daß  Sie  es  raten,  sondern  nur  die  Weise, 
in  der  sie  ihn  manchmal  äußern,  ist  es,  die  mich  hin  und  wieder  in 
Harnisch  bringt. 


^)  Agnes  hat  die  Reise  nicht  mitgemacht.  Am  5.  August  schreibt  Lassalle  der 
Gräfin:  „Von  Agnes  habe  ich  nichts  mehr  gehört.  Hole  den  Alten  der  Teufel.  Er 
verleidet  einem  die  Tochter.  Habeat  sibi."  Vgl.  aber  auch  unten  Nr.  23,  S.  82. 


=   73   ^= 

Ich  kam,  da  ich  in  I^ipzig  einen  Tag  ruhte,  am  i8.  abends  hier  an. 
Am  19.  früh  sechs  Uhr  reiste  er  ^)  bereits  ab.  Er  konnte  nicht  länger 
warten.  Seine  Reisegesellschaft  war  bereits  seit  fünf  bis  sechs  Tagen 
nach  Pest  voraus.  Wie  ungeheuer  er  mich  bestürmt,  die  Reise  mit- 
zumachen, können  Sie  sich  nicht  vorstellen.  Kr  beschwor  mich,  mit 
nach  Wien  zu  gehen,  Professor  Arlt^)  zu  konsultieren,  den  er  bereits 
aus  Prag  nach  Wien  gereist  glaubte,  wohin  er  einen  Ruf  als  Arzt  der 
Kaiserin  erhalten  hat.  Ich  refüsierte,  aufs  ungewisse  hinzugehen.  End- 
lich reiste  er,  mich  beschwörend,  es  mir  noch  anders  zu  überlegen  und 
ihm  dann  nach  Pest  zu  telegraphieren,  wo  er  mich  erwarten  wollte.  — 
Tags  drauf  ergab  sich  zufällig,  daß  Professor  Arlt  —  der  berühmteste 
Augenarzt  Österreichs  —  erst  abends  seine  Reise  und  Übersiedlung 
nach  Wien  antreten  wolle.  Schwester  ließ  ihn  holen,  und  er  untersuchte 
meine  Augen  aufs  strengste.  Ich  muß  Ihnen  aber  sagen,  daß  ich  keine 
Lust  zur  Reise  hatte  und  ihm  deswegen  einen  fürchterlichen  Bericht 
machte,  noch  weit  fürchterlicher,  als  Sie  pflegen,  schwarz  in  schwarz 
malend.  Arlt  erklärte  aber  mit  peremptorischer  Bestimmtheit: 

1.  Meine  Augen  wären  nur  krankhaft  überreizt,  nicht  entzündet. 

2.  Weniges  Arbeiten  würde  mir  auch  nichts  schaden,  vieles  aber 
allerdings  die  Wiederherstellung  sehr  lange  verzögern. 

3.  Die  Reise  nach  Ägypten  aber  für  mein  Augenleiden  absolut  un- 
schädlich, ja, 

4.  ein  wahres  Medikament  sei,   da  sie  mich  hindern  würde  zu 
arbeiten,  mid  auch  die  Luft  günstig  wirken  werde. 

Dies  sind  seine  eigensten  Worte. 

Was  sollte  ich  tun  ?  Nach  Düsseldorf  gehen  imd  nicht  arbeiten  wäre 
mir  schlechterdings  tmmöglich  gewesen.  Viele  andere  Gründe,  die  ich 
Ihnen  einmal  mündlich  explizieren  werde,  kamen  hinzu  —  und  so  habe 
ich  mich,  so  schwer  es  mir  wird,  mich  von  meinem  Heraklit  vor  seiner 
Vollendtmg  auf  3^/2  bis  ^j^  Monate  loszureißen,  entschlossen,  mit  in 
den  Orient  zu  gehen.  Heut  früh  habe  ich  Friedland  nach  Pest  tele- 
graphiert, und  obgleich  es  mir  jetzt  schon  wieder  beinahe  leid  tut,  bin 
ich  jetzt  gebimden.  Morgen  oder  übermorgen  reise  ich,  freilich  jetzt 
fast  ohne  alles,  ohne  Vorbereitungen,  ohne  Bücher,  ohne  Kleider,  fast 
selbst  ohne  Geld  nach  dem  Orient  ab,  Friedland,  wie  gesagt,  in  Pest 
treffend.  —  Was  dazu  beitrug,  den  Entschluß  in  mir  hervorzurufen, 
war  grade  auch  der  Wunsch,  das  Verhältnis  zwischen  Ihnen  und  mir  zu 
bessern.  Gönnen  Sie  wenigen  aus  der  Tiefe  meines  Herzens  kommenden 


^)  Lassalles  Schwager  Ferdinand  Friedland. 

2)  Ferdinand  Ritter  von  Arlt  (1812 — 1887)  wirkte  von  1849  bis  1856,   wo  er 
nach  Wien  übersiedelte,  als  Professor  der  Augenheilkunde  in  Prag. 


=   74  =- 

Worten  ein  wohlwollendes  und  indulgentes  Ohr.  Wenn  unsere  Freund- 
schaft brechen,  wenn  diese  vielbewährte  Freundschaft  wirklich  zu  Ende 
gehen  sollte,  es  wäre  ein  großes  Unglück  für  uns,  es  wäre  sogar  fast  eine 
Schande  für  die  objektiven  Mächte  der  Liebe,  Freimdschaft  imd  Treue 
selbst,  es  wäre  fast  eine  Schande  und  Niederlage  für  alle  edleren  Mächte, 
welche  die  Menschenbrust  schwellen,  für  alle  idealen  Bande,  die  zwei 
Menschen  miteinander  verbinden  können.  Es  wäre  eine  große  Be- 
schämung fast  der  Prinzipien  selber  und  ein  Beweis,  daß  wirklich  jenes 
Wort  wahr  ist:  ,, Alles  ist  eitel,"  selbst  das,  was  nicht  eitel  sein  soll. 
Wenn  unsere  Freundschaft  zur  Eitelkeit  wird  —  welche  soll  da  noch 
halten  ?  An  welche  soll  man  noch  glauben  ?  Es  wäre  ein  trauriges  Zeugnis 
abgelegt  gegen  den  Wert  aller  Freundschaft. 

Für  mich  wäre  es  ein  großes  inneres  Unglück.  An  wenige  Individuen 
fesseln  mich  Herzensbande,  an  diese  aber  um  so  stärker.  Soll  ich  Ihnen 
erst  sagen,  daß  ich  niemals  innerlich  diesen  Verlust  überwinden  würde? 
Ich  würde  ihn  überwinden,  aber  nur  dadurch,  daß  ich  zugleich  zu  Eis  und 
Stein  würde.  Dem  menschlich-individuellen  Dasein  hätte  ich  mit  Ihnen 
für  alle  Zeit  entsagt.  Für  Sie  wäre  es  ein  fast  noch  größeres  inneres  und 
äußeres  Unglück. 

Gegen  ein  solches  Unglück  muß  man  alle  Mittel  ergreifen.  Ich  bin 
noch  nicht  so  weit,  daß  ich  unsere  Freundschaft  aufgeben  sollte.  Ich 
würde  noch  vieles  erschöpfen,  ehe  ich  eine  so  harte  Sentenz,  die  mich 
selbst  meiner  Lebensfreuden  beraubt,  innerlich  vollziehe.  Aber  sicher 
ist,  daß  unser  Verhältnis  so  wie  bisher  nicht  fortbestehen  kann.  Es 
muß  gebessert  werden.  Bliebe  es  so,  gingen  entweder  wir  beide  oder 
doch  unsere  Freimdschaft  unrettbar  zugrunde.  Dabei  bin  ich  jetzt 
durch  vieles  und  reifliches  Nachdenken  zu  einer  Überzeugung  gelangt, 
der  ich  früher  nicht  war.  Zu  der  Überzeugimg  —  zürnen  Sie  mir  nicht; 
ich  muß  schreiben,  wie  ich  es  in  tiefster  und  wahrster  Seele,  im  reif- 
lichst geprüften  Innern  denke  — ,  daß  Sie  beinahe  die  einzige  Schuld 
unseres  schlechten  Verhältnisses  sind.  Mir  können  Sie  nichts  vorwerfen 
als  meine  große  natürliche  Heftigkeit,  die  auch  niemals  ohne  starke 
Provokation  losbricht.  Aber  meine  große  Sorgfalt  für  Sie,  meinen  stets 
auf  Sie  gerichteten,  Sie  über  alle  andern  Personen  stellenden  Sinn, 
mein  immenses  Attachement  für  Sie,  das  soweit  geht,  daß  ich  ohne  Sie 
nicht  einmal  ein  Vergnügen  haben  kann,  meine  Freundlichkeit  von 
allen  Tagen,  mein  leichtes  Verzeihen  und  stetes  bereitwilliges  Zurück- 
kommen, alles  das  können  Sie  nicht  leugnen.  Sie  sind  das  Alpha  und 
Omega  aller  persönlichen  Gedanken,  die  ich  habe.  Das  können  Sie  nicht 
leugnen.  Anders  mit  Ihnen.  Ihre  Freundschaft  für  mich  ist  nicht  grade 
tot,  aber  latent.  Sie  erwacht  nur,  wenn  Sie  mich  zu  verlieren  glauben 
oder  von   mir  getrennt  sind.    Sonst   aber  sind  Sie   mit  mir  in  einer 


=   75  = 

beständigen  Aigrciir,  von  einer  fortwährenden  Unfreundlielikeit.  leh  bin 
Ihnen  selbst  lästig.  Es  geht  Ihnen  vieles  andere  über  niieh.  Mich  1k'- 
trachten  Sie  meist  nur  noch  mit  den  Augen  der  Pflicht,  statt  mit  denen 
freiwilliger  lebhafter  Zuneigtnig.  Ich  bin  Ihnen,  wie  es  unter  diesen 
Umständen  nicht  anders  sein  kann,  unbequem.  vSic  schätzen  mich  nicht 
einmal,  wie  ich  es  verdiene,  oder  vielmehr  Sie  unterschätzen  mich  selbst 
ganz  entsetzlich.  Ja,  verstehen  Sie  mich  recht,  vSie  unterschätzen  selbst 
Ihre  eigene  Neigung  für  mich.  Ich  bin  Iluien  doch  noch  in  weit  höherem 
Maße  Bedürfnis,  als  Sie  es  glauben.  Allein  davon  wissen  vSie  nichts,  da 
Sie  mich  nicht  entbehren,  und  sehen  somit  immer  nur  alle  die  Be- 
ziehungen, in  denen  ich  Ihnen  lästig  bin.  Wie  ungerecht  endlich  Sie 
fast  beständig  mit  mir  sind,  werden  Sie  selbst  wissen.  Daß  Sie  endlich 
nachtragen  und  keine  Versöhnung  bei  Ihnen  eine  wirkliche  Versöhnung 
ist,  sondern  stets  Ihre  Gereiztheit  zurückbleibt,  werden  Sie  nicht 
leugnen. 

Soll  ein  gutes  Verhältnis  zwischen  uns  wieder  eingeführt  werden,  so 
muß  vor  allem  eins  geschehen.  Da  Sie  nicht  fähig  sind,  durch  die  bloße 
Kraft  Ihres  Willens  Eindrücke  zu  vernichten  tmd  so  zu  verwischen, 
als  wären  sie  nie  dagewesen,  so  muß,  wenn  ein  neues  gutes  Verhältnis 
eintreten  soll,  sich  vorerst  die  Zeit  zwischen  ims  gelegt  haben,  abkühlend, 
verwischend,  mit  ihrer  großen  und  schönen  Wirkung,  immer  mehr, 
immer  reliefartiger  das  Große  und  Gute  in  unserer  Erinnerung  hervor- 
treten, immer  mehr  und  mehr  das  Gewöhnliche  und  Flache  verflachen 
und  verschwinden  zu  lassen.  —  Nichts  wird  wohltätiger  für  unser  \'er- 
hältnis  wirken,  als  eine  Abwesenheit  von  einigen  Monaten.  Ich  werde 
zurückkommen.  Sie  werden  in  der  Zwischenzeit  Muße  gehabt  haben, 
einzusehen,  wie  sehr  ich  Ihnen  fehle  und  wie  unersetzlich  ich  Ilmen  bin. 
Die  Reibungen  werden  in  Ihrer  Erinnerung  anderen  Dingen  gewichen 
sein.  Ich  werde  rückkehren  und  ein  neues  Verhältnis  zu  Ihnen  be- 
ginnen, bereichert  um  die  Erfahrung  von  zehn  Jahren ;  wir  werden  \'on 
vornherein  in  diesem  neuen  Verhältnis  nicht  in  einem  Hause  wolmen 
imd  somit  nicht  aufeinander  drücken  —  und  wir  werden  ein  schönes 
und  von  keinen  Reibmigen  vergiftetes,  durch  keine  innerliche  Un- 
gerechtigkeit und  Unterschätzung  unterminiertes  Leben  haben.  Mit 
dieser  frohen  Prospektive  reise  ich,  und  wahrlich,  an  mir  soll  es  nicht 
liegen,  wenn  sie  nicht  erfüllt  würde.  Was  an  Kraft  und  Einsicht  in  mir 
ist,  werde  ich  daran  setzen.  Ich  ersuche  Sie  ferner,  während  ich  im 
Orient  bin,  Ihre  Übersiedlung  nach  Berlin  zu  bewerksteUigen.  Es  wird 
Ihnen  dies  unter  diesen  Umständen  weit  leichter  werden  .  .  .^) 


^)  Lassalle  gibt  der  Gräfin  hier  noch  eine  größere  Anzahl  von  Instruktionen 
für  ihre  Geschäfte  und  allerhand  andere  Aufträge  für  die  Zeit  seiner  Abwesenheit. 


76  ==^=^= 

Nun  fällt  mir  im  Momente  nichts  mehr  ein.  Ich  umarme  Sie,  die 
hellen  Tränen  im  Auge.  Leben  Sie  mir  tausendmal  wohl  und  möge, 
wenn  ich  abwesend,  mein  guter  Genius  Sie  umschweben  und  schützen ! . . . 

P.S.  Die  monatlichen  5  Rt.  für  Frau  Roeser  ^)  habe  ich  auf  fünf  Monate 
(25  Rt.)  bis  April  an  Schneider  geschickt,  was  ich  Ihnen  zur  Instruktion 
mitteile. 


21. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALIvE.  (Original.) 

Schlangenbad,  23.  September   1856. 

Iviebes  Kind,  soeben  erhalte  ich  Ihren  Brief  aus  Prag  in  dem  Augen- 
blick, wo  ich  beschäftigt  war,  Ihnen  zu  schreiben,  um  Sie  zu  bitten, 
recht  bald  wiederzukommen  imd  Ihren  Vater  mitzubringen,  damit  wir 
noch  einmal,  da  Sie  entschlossen  wären,  Düsseldorf  zu  verlassen,  einige 
Monate  in  einem  Hause,  was  später  woanders  sich  vielleicht  nicht 
mehr  arrangieren  würde,  wie  eine  Familie  zusammen  zubrächten.  Ich 
war  so  weich  gestimmt,  der  Gedanke,  daß  in  einigen  Monaten  vielleicht 
das  gänzliche  Zusammenleben  aufhörte,  lag  mir  schwer  aiif  dem  Herzen — 
und  nun  liegt  der  Brief  vor  mir,  imd  ich  erhalte  den  Ihren,  der  mir 
sagt,  daß  diese  Trennung  bereits  geschehen  ohne  Abschied  und  Vor- 
bereitung oder  vielmehr,  nachdem  wir  ims  in  Ärger  getrennt;  daß 
bereits  jetzt  schon  weite  Strecken  zwischen  uns  liegen  und  wir  nur  nach 
langer  Zeit  voneinander  hören  können,  daß  das  Band  des  Zusammen- 
lebens, was  uns  beide  allerdings  oft  hart  bedrückt,  weil  wir  unnach- 
sichtig gegen  unsere  gegenseitigen  Fehler  waren,  was  ich  aber  mich 
deimoch  nie  entschließen  konnte,  aufzugeben,  nun  gelöst  ist,  imd  wir 
getrennt  auf  imbestimmte  Zeit  sind.  Denn  was  kann  nicht  alles  während 
dieser  Zeit  geschehen,  und  dann  haben  wir  ja  keinen  bestimmten  Ort, 
keine  gemeinschaftliche  Heimat  mehr !  Die  Nachricht  hat  mich  so  völlig 
unerwartet  getroffen,  daß  ich  ganz  betäubt  bin  und  mich  nicht  fassen 
kann,  nur  meine  Tränen  fließen  unaufhaltsam  und  verhindern  mich  am 
Schreiben.  Der  gute  Geist  schütze  und  geleite  Sie,  seien  Sie  vorsichtig 
und  vernünftig  für  sich  und  für  die  Leute,  die  Sie  lieben,  schonen  und 
hüten  Sie  Ihre  Augen! 

Was  mich  anbetrifft,  so  kann  ich  Ihnen  gar  nicht  sagen,  was  ich 
tun  werde,  als  daß  ich  in  einigen  Tagen,  da  mir  in  meiner  jetzigen  Stim- 


^)  Über    Peter   Gerhard    Roeser,    den    Verurteilten    aus   dem   Kommunisten- 
prozeß und  L,assalles  Beziehungen  zu  ihm  vgl.  Bd.  II.,  Einführung  S.  gf. 


-^^     77 

mung  die  Bäder  nicht  helfen  können,  nach  Düsseldorf  gehe.  iXr  erste 
Eindruck,  den  mir  diese  einsame  Wohnung  machen  wird,  weiß  ich  nicht ; 
aber  hier  ist  es  mir,  als  wenn  es  nicht  möglich  wäre,  daß  ich  vSie  nicht 
in  Düsseldorf  wie  sonst  zu  meinem  Empfang  fände. 

Über  die  Geschäfte,  von  denen  Sie  mir  schreiben,  kann  ich  jetzt 
gar  nicht  antworten.  Denn  ich  habe  nichts  begriffen.  Nur  muß  ich  Ihnen 
sagen,  daß  vSie  mir  die  Schlüssel,  die  Sie  mir  angekündigt,  nicht  ge- 
schickt haben  und  mir  auch  nicht  das  Wort  des  Arnheimer  gesagt, 
und  Sie  müssen  mir  auch  die  Art,  wie  er  geöffnet  wird,  explizieren.  Für 
Ihre  Bücher  und  Heraklit  seien  Sie  unbesorgt.  Ich  werde  den  geschäft- 
lichen Teil  Ihres  Briefes  wieder  später  lesen,  um  danach  zu  handeln, 
bis  jetzt  weiß  ich  nicht,  wie  ich  das  fertigbringen  werde. 

Was  Sie  mir  über  meine  Gefühle  und  Verhalten  gegen  Sie  sagen,  ist 
nicht  richtig.  Sie  wissen  nicht  zu  begreifen,  wie  Unglück  imd  vorzüg- 
lich Krankheit  auf  das  Gemüt  eines  Menschen  einwirken,  wie  er  finstere 
Augenblicke  und  Stimden  hat,  die  man  ihm  zugute  halten  muß,  weil 
es  nicht  seine  Schuld  ist,  die  man  mit  Güte,  Mitleid  und  Liebe  zu  ver- 
scheuchen suchen  muß,  aber  nicht  als  Unrecht  anfeinden  und  be- 
strafen. Es  ist  auch  nicht  wahr,  daß  ich  die  Tiefe  meiner  Freundschaft 
für  Sie  nicht  kenne  und  unterschätze  und  es  jetzt  erst  durch  Entfernung 
lernen  müßte;  wohl  aber  überschätze  ich  vielleicht  oft  Ihre  Fehler, 
weil  sie  auf  meinen  krankhaften  Organismus  eine  schlimme  physische 
Wirkung  ausüben. 

Aber  ich  kann  jetzt  darüber  nicht  schreiben,  denn  ich  habe  keinen 
Gedanken.  lyeben  Sie  wohl,  liebes  Kind.  Meine  besten  Wünsche  be- 
gleiten Sie  immerfort.  Schreiben  Sie  mir  recht  oft  in  meine  Einsam- 
keit, keine  langen  Briefe,  aber  daß  Sie  gesund  und  wo  Sie  hingehen. 
Sie  wissen  ja,  wie  krankhaft  ängstlich  ich  bin  tmd  wie  mich  stets  schwarze 
Gedanken  plagen.  Leben  Sie  recht,  recht  wohl,  gedenken  Sie  meiner 
wie  jemand,  der  trotz  allem  eine  so  wahre  Freundschaft  für  Sie  gehabt 
imd  stets  haben  wird,  wie  Sie  sie  nicht  wieder  finden  werden.  Adieu, 
adieu  —  Gott  schütze  Sie ! 

Zu  Ihrer  Schwester  nach  Prag  werde  ich  nicht  gehen.  Dazu  bin  ich 
zu  melancholisch  und  zu  krank,  eine  zu  schlechte  Gesellschaft.  Ob  ich 
nach  Berlin  gehe,  weiß  ich  nicht,  vielleicht  versinke  ich  in  totale  Ein- 
samkeit, jedenfalls  kann  ich  ja  noch  in  längerer  Zeit  der  Geschäfte 
wegen  von  Düsseldorf  nicht  fort.  Den  einzigen  Menschen,  den  ich  gern 
gesehen  hätte,  wenn  er  zu  mir  gekommen,  wäre  Ihr  Vater;  doch  was 
sollte  der  arme  Mann  bei  einem  so  melancholischen  Wesen  wohl  an- 
fangen, auch  nur  für  kurze  Zeit;  darum  schreibe  ich  eben  nichts  davon. 
Der  Augenblick  meiner  Ankunft  in  Düsseldorf  wird  hart  sein !  Ich  mag 
noch  viel  weniger  der  Agnes  schreiben,  zu  mir  zu  kommen,  denn  ich 


—  —  78   — 

fühle  mich  nicht  fähig,  jemand  zu  imterhalten.  Nun  endlich  wirklich 
lyebewohl,  ich  kann  mich  nicht  entschließen,  aufzuhören,  es  ist  mir, 
als  wäre  es  auf  —  ich  fürchte  mich  davor,  das  Wort  zu  schreiben. 

S.H. 

Ich  muß  mich  doch  zusammennehmen,  einige  Fragen  zu  tun,  da 
es  so  sehr  lange  dauert,  bis  ich  wieder  Antwort  erhalten  kann.  [Die 
Gräfin  behandelt  hier  noch  einige  geschäftliche  Punkte.  Dann  bricht 
sie  ab:]  Ich  bin  zu  krank  und  zu  verwirrt,  um  von  Geschäften  zu 
reden.  Nun  leben  Sie  wohl,  schonen  Sie  sich  ja  recht,  denken  Sie  bei 
jeder  Sache,  die  Sie  tun  wollen,  erst  daran,  sie  sitzt  zu  Hause,  in  ihrer 
melancholischen  Art  sich  schwarze  Bilder  machend,  und  ängstigt 
sich.  Sie  wissen,  wie  ich  mich  ängstigte,  wenn  ich  von  Paul  acht  Tage 
keine  Nachricht  hatte,  und  Sie,  habe  ich  mich  gewöhnt,  zehn  Jahre 
nicht  aus  den  Augen  zu  verlieren,  für  Sie  zu  sorgen  wie  für  ein  Kind,^ 
und  wenn  Sie  einmal  kurze  Zeit  nicht  da  waren,  alle  drei,  vier  Tage  von 
Ihnen  zu  hören,  und  jetzt  so  weit,  so  seltene  Nachricht  und  eine  Reise, 
die  mir  ängsthch  erscheint.  Sie  können  denken,  daß  ich  bei  meiner 
krankhaften  Reizbarkeit  nicht  sehr  ruhig  sein  werde.  Sie  sagen,  Sie 
reisten  mit  dem  frohen  Gedanken,  daß  bei  der  Rückkehr  unser  Verhält- 
nis ein  besseres  sein  würde.  Wenn  Sie  mich  nur  nicht  noch  kränker 
und  mithin  noch  tiefer  in  Melancholie  versunken  wiederfinden!  Denn 
das  ist  ja  doch  der  eigentlich  wahre  Grund  all  unserer  trüben  Stunden: 
ich  bin  für  Sie  zu  alt,  zu  krank  und  durch  Krankheit  und  Unglück 
melancholisch  reizbar,  mit  schwarzen  Bildern  geplagt,  deren  ich  nicht 
mehr  Herr  werden  kann.  Und  Sie  sind  zu  jung,  zu  ungebeugt,  um 
diesen  Zustand  zu  verstehen,  und  zu  heftig,  um  die  nötige  Geduld  zu 
haben,  denn  sonst  sind  Sie  doch  und  müssen  es  doch  sein  überzeugt 
von  meiner  innigen  Freundschaft.  Aber,  und  ich  sage  es  mir  auch  jetzt 
wieder,  um  mir  Geduld  imd  Ruhe  zu  geben:  mit  welchem  Recht  soll 
der  Gesunde  an  den  Kranken,  der  Lebende  an  den  Toten  gefesselt  sein 
und  mit  ihm  leiden?  Ich  wünschte  nur,  daß  ich  auf  diese  Trennung 
vorbereitet  gewesen,  daß  sie  langsam  nach  und  nach  geschehen  wäre; 
ich  hatte  mich,  wie  gesagt,  schon  darauf  gefreut,  einige  Monate  ruhig 
zuzubringen  rnid  das  übrige  der  Zeit,  dem  Ungewissen  überlassen.  Es 
ist  mir  sehr  ängstlich,  daß  Sie  so  gar  nicht  vorbereitet  auf  die  Reise  und 
Ihre  Sachen  gar  nicht  mit  haben.  Sagen  Sie  an  Friedland,  ich  binde  es 
ihm  auf  die  Seele,  für  Sie  zu  sorgen,  da  Sie  nicht  gewöhnt,  in  materieller 
Beziehung  für  sich  zu  sorgen.  Da  er  Sie  dazu  beredet,  müsse  er  es  auch 
verantworten.  Vergessen  Sie  nicht  einen  Vorrat  blauer  Brillen  und 
grüner  Schleier.  Wie  steht  es  mit  einem  Bett?  Wer  wird  Sie  stets  an 
alles  erinnern  und  für  Sie  sorgen? 


=    70 

Leben  Sic  wohl,  mein  liebes  Kind,  diesmal  ist  es  ein  wirkliches 
und  ernstes  Lebewohl,  es  tut  mir  entsetzlich  weh,  daß  wir  uns 
auf  diese  Weise  getrennt.  Ich  umarme  und  segne  Sie  wie  meinen 
Sohn.  — 

[Hier  folgt  noch  eine  zweite  Nachschrift:] 

Schreiben  Sie  bitte  an  Bloem  vorzüglich  und  an  K^-ll  wegen  des 
Scheuer-Prozesses  und  anderer  Geschäfte,  um  es  ihnen  recht  ans  Herz 
zu  legen  und  zu  sagen,  was  geschehen  soll;  ich  werde  mir  zwar  alle 
Mühe  geben,  Ihre  Instruktionen  zu  verstehen  und  auszuführen,  aber 
ich  bin  oft,  wenn  ich  besonders  krank  oder  melancholisch,  etwas 
schwach  im  Kopf.  Nun  noch  einmal,  leben  Sie  wohl,  schreiben  Sie 
recht,  recht  oft!  Denken  Sie  ohne  Groll  über  meine  Fehler,  nur  an 
meine  treue  Freundschaft.  Es  ist  eigentlich  unrecht  von  mir,  Ihnen  so 
traurig  zu  schreiben,  aber  ich  kann  einmal  meiner  trüben  Gedanken 
nicht  Herr  werden.  Ich  fürchte  mich  vor  der  Rückkehr  nach  Düssel- 
dorf in  mein  ödes,  einsames  Haus,  aber  hier  kann  ich  es  auch  nicht 
mehr  aushalten,  auch  ist  es  so  kalt  imd  regnet  immerwährend,  so  trübe 
ist  es  wie  in  meinem  Innern.  Wäre  ich  doch  mit  Ihnen  in  \^evey  ge- 
blieben! .  .  y) 

Sie  haben  sehr  recht  gehabt,  sich  Pistolen  tmd  Revoh'er  zu  kaufen, 
ich  kann  gar  nicht  sagen,  wie  sehr  es  mich  bekümmert  und  quält, 
daß  Sie  gar  nicht  für  die  Reise  eingerichtet  sind.  Schreiben  Sie  mir 
hierüber,  wie  Sie  sich  eingerichtet  haben.  Sie  müssen  sich  sehr  vor 
Erkältung  hüten.  Die  ist  in  dem  Klima  nicht  nur  für  Rheumatismus 
sehr  gefährlich.  Sie  müssen  warme  Sachen  haben,  einen  Plaid,  einen 
Pelz,  vergessen  Sie  das  nicht.  Haben  Sie  vielleicht  einen  von  Ihrem 
Vater  mitgenommen?  Wäre  ich  doch  wenigstens  dagewesen,  um  etwas 
für  Sie  zu  sorgen,  es  hat  gewiß  niemand  daran  gedacht!  Kaufen  Sie 
alles,  was  wirklich  nötig  und  nützlich  ist.  Sorgen  Sie  für  Ihre  Gesund- 
heit, Ihre  Sicherheit ;  denken  Sie  immer  daran,  wie  sehr  ich  mich  ängstige. 
Abends  und  morgens  muß  man  sich  sehr  warm  halten,  sich  in  acht 
nehmen,  sich  nicht  auf  die  Erde  zu  legen.  Die  Abwechslung  der  Wärme 
und  Kälte,  die  Erkältungen  sind  das  gefährliche  dort,  auch  für  die 
Augen.  Welche  Geldarrangements  haben  Sie  für  sich  gemacht  oder 
welche  soll  ich  für  Sie  machen  ?  Beantworten  Sie  mir  alles.  In  Konstanti- 
nopel werden  Sie  wohl  Zeit  dazu  haben;  schreiben  Sie  mir  recht  oft, 
wenn  auch  kurz.  Mir  bringen  Sie  gewiß  gar  nichts  mit,  Sie  wissen, 
ich  mache  mir  avis  solchen  Dingen  gar  nichts,  und  ich  habe  mehr  als 
ich  brauche. 


1)  Hier  fehlt  ein  Blatt. 


=   8o  = 

Nim  leben  Sie  wohl,  tausendmal!  Ich  bin  so  verdreht  im  Kopf,  daß 
ich  mich  immer  wiederhole.  Ich  fürchte  auch,  daß  mein  Brief  nicht 
richtig  ankommt.  Der  Kopf  tut  mir  wehe,  daß  ich  nicht  weiß,  was  ich 
sage.    Gott  schütze  Sie! 

S.  H. 

I.ASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Bukarest,  7.  Oktober  [1856]. 
Gnädigste  Frau! 

Meinen  Brief  von  Orsowa  werden  Sie  erhalten  haben.  Ich  habe  hier 
einen  neuen  sechs  Bogen  dicken  geschrieben,  den  ich  aber  erst  in 
Konstantinopel  werde  beenden  und  expedieren  können.^) 

Da  mir  mm  einfällt,  daß  Kyll  vielleicht  das  Scheuerische  Falliment- 
zirkular verloren  haben  könnte  und  ich  eine  Doublette  desselben  be- 
sitze, so  schicke  ich  Ihnen  dieselbe  hier  beiliegend. 

Wie  geht  es  Ihnen?  Mit  Ungeduld  erwarte  ich  Ihre  Briefe  in  Kon- 
stantinopel. Mir  ist  schon  entsetzlich  bange  nach  Ihnen.  Nie  wäre  ich 
so  weit  imd  auf  so  lange  von  Ihnen  gereist,  wenn  nicht  Ihr  Betragen 
gegen  mich  in  den  letzten  Monaten  gewesen  wäre  imd  mich  überzeugt 
hätte,  daß  eine  temporäre  Trenntmg  durchaus  nötig  ist,  damit  einer  des 
andern  wieder  froh  wird.  Aber  mir  ist  entsetzlich  bange. 

Ihr  F.  Lassalle. 

Meine  großen  Reiseschilderungen  bitte  ich  sorgfältig  zu  verwahren 
und  mir  aufzuheben. 

23- 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSALIvE.  (Original.)  2) 

[Düsseldorf]   10.  Oktober  1856. 

Liebes  Kind,  ich  war  schon  lange  sehr,  sehr  besorgt,  keine  Nach- 
richt zu  erhalten,  imd  Sie  wissen,  was  das  bei  mir  heißt,  besorgt  sein. 
Ich  hatte  schon  verschiedene  Briefe  rmd  Nachrichten  an  Ihren  Vater 
und  Schwester  geschrieben,  als  ich  gestern  endlich  Ihren  Brief  aus 
Semlin  ^)  erhielt,  den  ich  sofort  Ihrem  Vater  zuschickte.  Dieser  hatte 

^)  lyEssalles  Reiseberichte  aus  dem  Orient,  die  er,  als  auch  für  einige  andere 
mitbestimmt,  von  den  Privatbriefen  an  die  Gräfin  getrennt  hielt,  werden  in 
Bd.  VI  abgedruckt  werden. 

2)  Dieser  Brief  ist  von  der  Gräfin  überschrieben:  ,, Zweiter  Brief."  Als  den 
ersten  betrachtete  sie  Nr.  21. 


=  8i  

sich  dadurch  um  mehrere  Tage  verspätet,  weil  er  erst  nach  vSclilangen- 
bad  ging,  wohin  im  Herbst  gar  keine  Post  mehr  geht,  sondern  nur  un- 
regelmäßige seltene  Boten.  Aus  diesem  Gnmd  hatte  ich  auch  meinen 
ersten  Brief  an  Sie  vom  24.  nicht  dort  auf  die  Post  geben  wollen,  sondern, 
da  man  mir  da  keine  Auskunft  geben  konnte,  ob  und  wieweit  er ') 
frankiert  werden  müßte,  an  Ihren  Vater  nach  Prag  geschickt.  Sie  werden 
ilm  w^ohl  hoffentlich  längst  erhalten  haben,  obgleich  ich  von  Ihrem 
Vater  noch  keine  Auskunft  habe  erlangen  können,  daß  er  ihn  besorgt, 
woran  ich  jedoch  nicht  zweifeln  kann.  Ihre  Reisebeschreibmig  hal^e  ich 
mit  größtem  Interesse  gelesen,  und  glauben  Sie  mir,  ich  mißgörme 
Ilinen  in  keiner  Weise  das  Vergnügen  dieser  Reise;  ich  kann  mich  nur 
der  Besorgnis,  die  überhaupt  in  meinem  krankhaften  Zustand  liegt, 
nicht  erwehren,  es  möchte  Ihren  Augen  schaden  imd  Sie  überhaupt 
nicht  die  nötige  Sorgfalt  und  Vorsicht  haben.  Ich  bitte  Sie  daher  recht 
dringend,  recht  oft  Nachrichten  zu  geben,  wie  es  Ihnen  geht.  Lange 
Briefe  und  Beschreibungen  sind  mir  natürlich  ein  großes  Vergnügen, 
zu  denen  es  aber  natürlich  Ihnen  oft  an  Zeit  fehlen  wird;  die  Haupt- 
sache ist  mir.  zu  wissen,  daß  Sie  wohl  sind,  deshalb  schreiben  Sie  oft, 
weim  auch  kurz.  Es  ist  mir  nicht  nur  sehr  erfreulich,  Ihnen  eine  so  an- 
genehme Reisegesellschaft  zu  wissen,  aber  es  ist  mir  eine  wahre  Be- 
ruhigung, Sie,  zu  dessen  Vernunft  in  gewöhnlichen  Dingen  ich  gar  kein 
Zutrauen  habe,  in  solcher  Umgebung  zu  wissen.  Machen  Sie  meine 
Empfehlimg  an  Friedland  und  sagen  Sie  ihm,  ich  ließe  ihm  sagen,  da 
er  es  sei,  der  Sie  zu  der  Reise  endlich  doch  beredet,  ich  ihn  dafür  ver- 
antwortlich mache,  in  materieller  Beziehtmg,  was  Sie  gar  nicht  ver- 
stünden, für  Sie  Sorge  zu  haben,  Sie  schreiben  schon,  daß  Sie  auf  dem 
Dampfschiff  viel  Champagner  getnmken,  was  Ihnen  für  Ihre  Augen 
sehr  schädlich  und,  wie  mir  Ihr  Vater  schreibt,  Ihnen  auch  noch  vom 
Prager  Arzt  verboten  wurde.  Seien  Sie  doch  in  dieser  Beziehung  etwas 
gehorsam  und  vorsichtig  .  .  . 

Ich  werde  natürlich  für  Ihren  Heraklit  und  Bücher  alle  Sorge  haben. 
Was  den  Heraklit  anbelangt,  so  hatten  Sie  ihn  ja  schon  selbst  in  den 
Arnheimer  getan,  die  Bücher  indessen  liegen  auf  den  Tischen,  Stühlen 
imd  der  Erde  so  herum,  daß  man  im  Zimmer  nicht  gehen  kann.  Ich 
habe  gleich  noch  zwei  Büchergestelle  setzen  lassen  imd  bereits  an- 
gefangen, die  Teile  der  Werke  zusammenzusuchen,  imd  morgen  soll 
angefangen  werden,  einen  Katalog  davon  zu  machen,  was  absolut 
nötig  ist  und  doch  nicht  geschieht,  wenn  Sic  da  sind,  und  damit  ich 
auch  sicher  bin,  daß,  während  ich  sie  verwahre,  nichts  fortgekommen 
ist .  .  . 


^)  Die  Gräfin  verschreibt  sich:  ,,er"  und  ,, müßten" 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV 


=     82     —  .  =^ 

Sie  können  sich  denken,  daß  ich  bei  so  vielen  Geschäften  und  Krame- 
reien, wenn  auch  nicht  sehr  angenehm  lebe,  doch  keine  Zeit  zur  lyange- 
weile  habe.  Was  mich  aber  seit  drei  Tagen  wahrhaft  zur  Verzweiflimg 
treibt,  ist  die  Anwesenheit  von  Gladbach.  Sie  kennen  seine  Schweig- 
samkeit, sowie  daß  ich  gar  keine  Sympathie  für  ihn  habe,  er  geniert 
tmd  langweilt  mich  also  über  jede  Beschreibung,  und  dabei  weiß  ich 
immer  schon,  woratif  das  alles  immer  hinausläuft.  Agnes  war  gestern, 
aus  Stuttgart  kommend,  aber  nur  ein  paar  Stunden  hier,  ich  finde  sie 
sehr  verändert  in  ihrer  Art  zu  sein.  Auf  meine  Einladimg,  etwas  bei 
mir  zu  bleiben,  schützte  sie  wieder  vor,  daß  sie  Georges  und  ihren  Vater, 
der  sie  zu  seinen  Geschäften  und  Gesellschaft  gar  nicht  entbehren 
könne,  vor})  was  sie  zwar  dies  Frühjahr  monatelang  nicht  verhindert 
hatte  imd  auch  noch  länger  nicht  verhindert  hätte,  wenn  ich  nicht 
abgereist  wäre.  Man  wird  wahrlich  ganz  Misanthrop,  wenn  man  sich  so 
immer  überzeugt,  daß  inan  nur  immer  zu  Zwecken  verbraucht  wird, 
imd  wenn  das  nicht  der  Fall  sein  kann,  auch  keine  Freundschaft  da  ist. 
Was  nun  ihr  Hiersein  an  und  für  sich  anbetrifft,  so  bin  ich  eigentlich, 
genau  überlegt,  am  liebsten  allein.  Zu  Zeiten  allein  zu  sein,  ist  mir 
schon  in  meiner  frühen  Jugend  Bedürfnis  gewesen,  imd  das  nimmt 
mit  jedem  Tag  bei  mir  zu,  und  sehr  wenig  I^eute  könnte  ich  dauernd  und 
lange  um  mich  ertragen.  Nun  einiges  über  Geschäfte  .  ,  . 

Was  mich  nun  auch  erstaunlich  beunruhigt,  ist  die  fürchterliche 
Baisse,  die  mit  jedem  Tag  zunimmt  und  die  so  viele  und  so  gewichtige 
Gründe  hat,  daß  sie  sich  weder  leicht  noch  schnell,  selbst  wenn  alles 
ruhig  bleibt,  wird  beseitigen  lassen.  Ich  habe  mich  nun  nach  mehreren 
Seiten  hin  erkundigt,  sowohl  in  kommerzieller  als  politischer  Beziehung, 
und  da  hört  man  wenig  Erfreuliches.  Die  Geldklemme  ist  wegen  Ausfuhr 
alles  Silbergeldes  durch  die  Überhäufung  der  großen  Spekulationen, 
Kreditbanken  usw.  so  groß,  daß  für  keine  noch  so  hohe  Prozente  Geld  zu 
bekommen  ist,  daher  schon  durch  die  forcierten  Verkäufe  alle  Papiere 
daniederliegen.  In  Frankreich  soll  die  Geldkrise  und  Geldnot  der  Re- 
gierung auf  dem  höchsten  Punkt  sein ;  die  Rente  steht  auf  66,  wie  im 
Krieg.  In  pohtischer  Beziehung  sagt  man  mir,  daß  die  Neuenburger 
Geschichte,^)  die  die  Genfer  Kreditaktien  auf  ^']  gedrückt  hat,  wohl  ein- 
gerichtet und  zu  keinem  offenen  Bruch  führen  würde,  weil  es  England 
durchaus  nicht  leiden  würde,  daß  Frankreich,  welches  zwar  Ivust  dazu 
habe,  die  Schweiz  zu  Konzessionen  zwänge,  weil  dies  das  Übergewicht 
Frankreichs  in  der  Schweiz  zur  Folge  haben  würde.  Auch  fürchtet  man 
nicht,  daß  die  Demonstration  der  Absendung  der  französischen  und 


^)  Die  Gräfin  fällt  hier  aus  der  Konstruktion. 

2)  Vgl.  hierüber  Alfred  Stern,  Geschichte  Europas,  Bd.  VIII,  S.  233  f. 


83  

englischen  Schiffe  nach  Neapel,^)  die  noch  nicht  erfolj^t  ist,  7A\  ernst- 
lichen Reibungen  führe,  weil  Frankreich  niemals  revolutionäre  Be- 
wegungen in  Italien,  die  vm bedingt  die  Folge  sein  würden,  hervor- 
rufen könne.  Allein  diese  Fragen  können  noch  lange  in  der  Schwebe 
bleiben  und  die  Kurse  lange  gedrückt  erhalten,  und  wenn  man  nicht 
die  Aktien  mit  eigenem  Geld  gekauft,  sondern  borgen  muß,  was 
man  jetzt  nur  mit  den  äußersten  Opfern  und  dann  nicht  einmal  sicher 
kann,  so  steht  die  Sache  sehr  schhmm.  Überlegen  Sie  also  wohl  genau, 
was  am  besten  zu  tvm  ist .  .  .  Noch  eins  wurde  mir  gesagt,  daß  man 
wegen  Neuenburg  und  Neapel  keine  ernstlichen  Störungen  erwarte, 
wohl  aber  befürchte  man,  daß  in  Paris  die  Geldklemme,  die  Not  der 
Arbeiter,  die  in  Paris  nicht  einmal  mehr  unter  Dach  kommen  könnten, 
und  die  daraus  entstandene  große  Aufregung,  die  täglich  zunehmende 
Teuerung  und  Arbeitslosigkeit  im  Laufe  dieses  Winters  ernsthafte  Un- 
ruhen hervorrufen  könnten.  Es  haben  jetzt  massenhafte  Verhaftungen 
stattgefunden.  Überlegen  Sie  also,  ob  die  Aktien  jedenfalls  behalten 
werden  sollen  oder  ob  ich  mich  zu  einem  allerdings  jetzt  sehr  starken 
Verlust  entschließe  vmd  ob  Sie  nicht  Ihrem  Vater  wegen  der  Ihrigen 
schreiben  .  .  . 

Kichniawy2)  und  Simon 3)  habe  ich  Ihre  Aufträge  ausgerichtet;  der 
erste  ist  wirklich  ein  recht  vortrefflicher  Mensch  tmd  Ihnen  wahrhaft 
von  Herzen  attachiert,  mid  dies  ist  bei  jetziger  Zeit  eine  wahre  Selten- 
heit. Er  kommt  öfter  zu  mir,  was  mir  immer  angenehm  .  .  .  Was  mich 
anbetrifft,  so  werde  ich  immer  steifer  wieder ;  tmd  an  den  Handgelenken 
bekomme  ich  Anschwellungen,  die  zwar  bis  jetzt  schmerzlos,  aber  die 
Hand  schwach  machen,  so  daß  mir  das  Schreiben  sehr  beschwerlich. 
Darum  verschiebe  ich  auch  für  heute  manches,  was  ich  Ihnen  noch 
auf  Ihren  ersten  Brief  von  Prag  zu  sagen  hätte.'*)  Ich  habe  ihn  sehr  oft 
und  mit  reichlichem  Nachdenken  gelesen,  vorzüglich  das,  was  Sie  über 
unser  Verhältnis,  dessen  Ursachen  und  die  Konsequenzen,  die  Sie  ziehen, 
sagen.  So  viel  nur  vorläufig,  daß,  wenn  ich  auch  in  einigem  Ihnen  nicht 
recht  geben  und  Ihre  Beurteilung  falsch,  d.  h.  einseitig  finden  könnte, 
so  hat  nie  irgend  etwas  auch  nur  im  mindesten  einen  innerlichen  Ein- 
druck atif  meine  Frevmdschaft  für  Sie  gehabt  oder  mich  nur  im  gering- 
sten über  Ihren  Wert  verblendet.  Ihre  Fehler,  und  wer  hat  deren  nicht, 


^)  Vgl.  ebendort  S.  i88.  Frankreich  und  England  brachen  die  Beziehungen 
mit  Ferdinand  II.  von  Neapel  ab,  weil  er  ihren  Protest  gegen  die  grausame 
Behandlung  der  politischen  Gefangenen  abgelehnt  hatte. 

^)  Über  den  Färbereiarbeiter  Ferdinand  Kichniawy,  Lassalles  Vertrauens- 
mann unter  den  Düsseldorfer  Arbeitern  vgl.  Bd.  II,  Einfülirung  S.  lo. 

')  Simon  Block,  Bankier  der  Gräfin  und  Lassalles  in  Düsseldorf. 

*)  S.  oben  Nr.  20. 


=_^^=  84  ======^= 

haben  mich  gequält  und  geärgert,  aber  das  bleiben  immer  für  mich 
einzelne  Fehler  imd  Tatsachen,  die  weder  meine  Freimdschaft  er- 
schüttern noch  mein  Urteil  im  ganzen  ändern  könnten,  imd  ich  glaube 
fast,  daß  dies  mehr  bei  mir  als  bei  Ihnen  der  Fall  war  und  ist.  —  Nun 
leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  es  ist  mir  jedesmal  recht  wehmütig,  wenn 
ich  dies  Wort  schreibe  imd  denke,  daß  es  so  weit  gehen  muß,  amüsieren 
Sie  sich  gut,  aber  seien  Sie  vorsichtig  für  Ihre  Gesundheit  und  schreiben 
Sie  mir  recht  oft,  Sie  wissen,  wie  besorgter  Natur  ich  bin.  Ich  sage 
Ihnen  nicht,  an  mich  zu  denken,  denn  ich  weiß,  daß  Sie  es  oft  und  in 
wahrer  Freundschaft  tun.  S.  H. 

Ich  numeriere  meine  Briefe,  damit  Sie  wissen,  ob  keiner  verloren 
geht.  Jetzt  werden  Sie  in  Konstantinopel  schon  sein  und  dort  wohl 
länger  bleiben  und  Zeit  haben,  mir  zu  schreiben,  alles  Schöne  und 
Merkwürdige,  was  Sie  sehen !  Wäre  ich  doch  noch  jung  und  gesund  und 
heiter,  wie  würde  mich  solche  Reise  erfreuen;  das  ist  vorbei,  aber  ich 
kann  mich  an  Ihrer  Freude  erfreuen.  Machen  Sie  aber  nicht,  wie  Sie 
mir  schrieben,  Einkäufe  dort  für  mich;  Sie  wissen,  ich  habe  an  derlei 
Toiletten-  und  lyuxussachen  keine  Freude  mehr  imd  auch  keine  Ge- 
legenheit, sie  zu  brauchen,  und  Sie  können  es  besser  brauchen.  Noch 
einmal  das  herzlichste  I^ebewohl.  Antworten  Sie  mir  auf  meine  Fragen, 
denn  es  dauert  ohnhin  schon  lange  genug,  bis  man  sie  bekommt. 

Soeben  trifft  eine  Antwort  von  Raffel  auf  Ihre  Eingabe  ^)  ein,  worin 
er  Ihnen  eröffnet,  ,,daß  der  luiterzeichneten  Behörde  hinreichende  Ver- 
anlassung fehlt,  Ihrem  Gesuch,  über  den  Grund  oder  Ungrund  dieser 
Beschuldigung  amtliche  Ermittlimgen  anzustellen,  zu  willfahren  und  dies 
um  so  mehr,  als  nach  so  langer  Zeit  sich  hierüber  voraussichtlich  nichts 
Gewisses  mehr  ermitteln  läßt,  nachdem  die  gleich  nach  jenem  Vorfall 
veranlaßte  gerichtliche  Untersuchung  nicht  einmal  genügenden  Anlaß 
gegeben  hat,  gegen  bestimmte  Personen  wegen  Beteiligimg  an  jenem 
Vorgang  eine  gerichtliche  Untersuchung  einzuleiten".  Dies  scheint  mir 
zu  heißen,  daß  sie  nichts  tun  wollen,  um  etwas  zu  beschleunigen,  was 
Ihnen  nützlich  sein  könnte. 

In  Ihren  Briefen  berücksichtigen  Sie,  daß  alle  Briefe,  die  durch 
Österreich  gehen,  geöffnet  werden.  Adieu,  tausend  herzliche  Grüße. 
Meine  besten  Wünsche  geleiten  Sie! 


1)  Raffel  war  der  Polizeidirektor  in  Düsseldorf.  Lassalle  hatte  in  Erfahrung  ge- 
bracht, daß  seiner  Domizilierung  in  Berlin  nichts  so  im  Wege  stünde  wie  das 
Gerücht,  er  habe  im  August  1848,  als  der  König  Düsseldorf  besuchte,  die  Straßen- 
kundgebungen, die  damals  stattfanden,  veranlaßt.  Aus  diesem  Grunde  hatte  er 
eine  nachträgliche  erneute  Untersuchung  des  Vorfalls  beantragt.  Vgl.  hierzu  Ein- 
führung zu  Bd.  II,  S.  15  f. 


=====   85   =-  = 

24. 

LASSAIJ.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche.) 

Konstantinopel,  17.  Oktober  1856,  5  Ulir  10  Minuten  naclnnittaKs. 

Arrive  heureusement  trouve  lettre.^)  S'il  est  neccssairc,  si  vous 
desirez  vivement,  je  retoume  directement,  telegraphicz. 

Ivassalle,  Hotel  Aiigleterre. 

25- 
SOPHIE  VON  HATZFEIyDT  AN  LASSALI.E.  (Original.) 

[Düsseldorf]   19.  Oktober   1856. 

Liebes,  gutes  Kind !  Wie  sehr  hat  es  mich  gefreut,  zu  erfahren  durch 
Ihre  telegraphische  Depesche,  daß  Sie  wohlbehalten  in  Konstantinopel 
angekommen.  Meine  telegraphische  Antwort  werden  vSie  richtig  er- 
halten haben.  Ich  war  schon  sehr  besorgt,  da  wir  hier  stürmisches  Wetter 
gehabt;  doch  Sie  wissen,  ich  bin  immer  besorgt,  das  liegt  einmal  in 
meinen  Nerven.  Sehr  gerührt  hat  es  mich,  daß  Sie  zurückkommen 
wollten,  tun  Sie  das  aber  keinesfalls.  Sie  sind  einmal  so  weit  tmd  können 
niemals  die  Reise  unter  günstigeren  Umständen  machen  .  .  . 

Alsdann  beunruhigen  mich  die  vielen  Papiere,  vorzüghch  die  Ihrigen, 
denn  Sie  haben  eine  Masse;  die  starke  Baisse,  die  ich  Ihnen  in  meinem 
letzten  Brief  angezeigt,  hält  noch  immer  an,  d.  h.  sie  fallen  nicht  tiefer, 
steigen  aber  auch  nicht.  Die  Neuenburger  und  neapolitanische  An- 
gelegenheit betmruhigt  (heute  sagt  endlich  der  ,,Moniteur",  daß  die 
französischen  und  englischen  Gesandtschaften  abreisen  werden  und  daß 
Schiffe  aber  nicht  bis  in  die  Gewässer  von  Neapel  kreuzen  werden  und 
daß  dies  keine  hostile  Demonstration  sein  soll,  sondern  nur  zum  Schutz 
der  f ranzösisch-enghschen  Untertanen) .  Max  2)  ist  Kurier  nach  Berlin 
xmd  zurück,  wahrscheinhch  wegen  der  Neuenburger  Sache,  die  vor 
dem  Pariser  Kongreß,^)  der  jetzt  wieder  zusammentreten  soll,  ge- 
bracht werden  soll.  Von  Österreich  will  man  die  sofortige  Räummig  der 
Fürstentümer  erzwingen,  die  englischen  Blätter  schreien  fürchterlich 
über  Neapel  und  Spanien,  imd  es  soll  arge  Meinungsverschiedenheit  in 
diesen  Sachen  zwischen  Frankreich  mid  England  sein.  Die  Kommission 
kann  mit  der  Demarkation  der  Abtrettmgen  in  Beßarabien  nicht  fertig 


^)  Gemeint  ist  Brief  Nr.  25. 

2)   Graf  Maximilian  von  Hatzfeldt  (1813 — 1859),  der  Bruder  der  Gräfin,  war 
preußischer  Gesandter  in  Paris. 

^)  Der  Pariser  Kongreß,  der  den  Krimkrieg  zum  Abschluß  brachte. 


^=    86  =^ 

werden,  Rußland  will  Belgrad  nicht  herausgeben,  kurz,  es  ist  alles  so 
schwarz  imd  imsicher,  daß  an  ein  baldiges  Steigen  der  Papiere  nicht  zu 
glauben.  Doch  behaupten  die  Diplomaten  (der  Vater  von  Agnes),  daß 
diese  Sachen  wohl  nicht  so  bald  zu  einem  Bruch  kämen,  weil  keiner 
Krieg  führen  könne  noch  wolle;  aber  die  finanzielle  Not  und  irnmer 
zunehmende  Teuerung  und  Unzufriedenheit  in  Frankreich,  das  sei  für 
diesen  Winter  der  schwarze  Pimkt  am  Horizont.  Es  wäre  noch  nichts, 
wenn  diese  Papiere  mit  eigenem  Geld  gekauft  wären  imd  man  sie 
könnte  ruhig  liegen  lassen,  was  doch  sehr  gewagt  wäre,  allein  Geld  zu 
borgen,  ist  jetzt  nicht  möglich,  und  wenn  es  geht,  nur  zu  ganz  ruinösen 
Bedingungen  ... 

Seit  vierzehn  Tagen  arbeite  ich  imaufhörlich  an  der  Ordnung  Ihrer 
Bibliothek  und  Anfertigimg  eines  Kataloges.  Es  ist  eine  so  furchtbare 
Arbeit,  daß  Sie  sie  nie  gemacht  haben  würden,  imd  es  war  bei  dieser 
Masse  Bücher  wohl  sehr  nötig,  denn,  soweit  ich  es  bis  jetzt  überschlagen 
habe,  haben  Sie  mehr  als  1700  Bände.  Schöpping  hat  mir  müssen  drei 
Tage  an  den  Griechen  und  lyateinem  helfen,  denn  ich  habe  alles  in 
Kategorien  gebracht;  Sie  werden  recht  über  meine  mankierte  Gelehr- 
samkeit lachen.  Den  Katalog,  der  ganz  von  meiner  Hand  geschrieben, 
können  Sie  als  ewiges  Andenken  bewahren.  Obgleich  es  doch  wahrlich 
keine  amüsante  und  auch  eine  ermüdende  Arbeit  ist,  so  habe  ich  doch 
dabei  gesehen,  wie  sehr  mir  Beschäftigung  not  tut.  Die  Zeit  vergeht 
schneller,  und  man  wird  frischer  im  Geist.  Ich  habe  oder  hatte  einen 
regen  Geist,  der  etwas  zu  tun  haben  will.  Um  im  beständigen  I^sen  eine 
Beschäftigung  zu  finden,  dazu  gehört  Gelehrsamkeit,  die  ich 
nicht  habe.  Ich  muß  sehen,  daß  ich  etwas  schaffe,  sei  es  in  noch  so  kleiner 
Sphäre;  die  gänzliche  Beschäftigimgslosigkeit  der  letzten  Jahre,  ver- 
bunden mit  Einsamkeit,  hat  mir  körperlich  und  geistig  sehr  geschadet. 
Es  hat  meinen  Geist  genötigt,  sich  nur  mit  mir  zu  beschäftigen,  zu 
brüten  über  traurige  Dinge,  ich  mußte  dadurch  melancholisch  und 
moros  werden.  Ich  muß  etwas  zu  tun  haben,  und  sollte  ich  auch  manch- 
mal Dummheiten  machen  in  Sachen,  die  ich  nicht  ganz  verstehe,  so  ist 
es  besser,  als  so  zu  verkommen.  Auch  bin  ich  erschreckt  über  meine 
Unselbständigkeit;  die  erste  Zeit  nach  Ihrer  Abreise  fühlte  ich  mich 
wirklich  wie  ein  kleines  Kind,  was  im  Walde  verlassen;  die  kleinsten 
Dinge  erschienen  mir  unüberwindlich,  und  ich  konnte  mich  zu  nichts 
entschheßen.  Es  geht  zwar  etwas  besser,  aber  noch  nicht  viel.  Ich  habe 
aber  eingesehen,  daß  ich  mich  aufraffen  muß,  reger  und  tätiger  werden, 
und  das  ist  schon  etwas.  Sie  werden  auch  wissen  wollen,  wie  es  mit 
meiner  Gesundheit  geht.  Innerlich  fühle  ich  mehr  I/cbenskraft,  eben 
weil  ich  tätiger  und  nicht  so  viel  brüten  kann  über  nicht  zu  ändernde 
Dinge.    Aber  mit  den  Beinen  geht  es  zwar  lange  nicht  so  schlecht  wie 


==^====  87  ===- 

vor  Wildbad,  aber  viel  schlechter  als  bald  nachher  .  .  .  Ihren  ver- 
sprochenen langen  Brief  aus  Konstantinopel  erwarte  ich  mit  Ungeduld, 
sie  gehen  nur  leider  so  langsam.  Sie  werden  mir  wohl  auch  erzählt 
haben,  was  man  Schönes  und  Absonderhches  in  den  dortigen  Basars 
sieht;  wenn  ich  mir  selbst  auch  gar  nichts  dergleichen  wünsche,  so 
amüsiert  es  mich,  es  beschreiben  zu  hören.  Der  einzige  Mensch,  den 
ich  hier  schätze  und  gern  habe,  ist  Kichniawy,  und  der  ist  Ihnen  auch 
wirklich  und  von  ganzer  Seele  attachiert.  Er  freut  sich  immer  so 
sehr,  von  Ihnen  zu  hören,  daß  ich  es  ihm  immer  gleich  sagen  muß. 
Bloem  habe  ich  Ihre  Bestellung  ausgerichtet,  die  hiesige  Wohnung  habe 
ich  unglücklicherweise  ganz  bis  zum  i,  April  behalten  müssen,  denn 
imter  keinen  Umständen  wollte  Hütter  die  Ihrige  allein  geben,  imd 
ich  wußte  nicht,  ob  Ihnen  das  Umziehen  jetzt  recht  sein  würde.  Es 
ist  nur  sehr  viel  Geld,  um  es  nur  so  kurze  Zeit  zu  bewohnen.  Nun  leben 
Sie  wohl,  liebes,  gutes  Kind,  schonen  Sie  Ihre  Gesundheit,  Ihre  Augen, 
schreiben  Sie  mir  recht  oft  und  vorzüghch,  wie  es  damit  steht. 
Tausend  herzliche  Grüße 

S.  H. 


26. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Konstantinopel,  20.  Oktober  1856. 

Gute,  liebe  Gräfin! 

Was  ich  gelitten  habe  bei  Durchlesung  Ihres  Briefes  vom  23.  Sep- 
tember aus  Schlangenbad, ^)  den  ich  hier  vorgefunden,  kann  ich  Ihnen 
nicht  sagen.  Als  ich  zu  der  Stelle  kam,  wo  Sie  von  Ihrem  öden  einsamen 
Hause  in  Düsseldorf  sprechen,  flössen  meine  Tränen  vmauf haltsam  und 
gingen  wie  bei  einem  Kinde  in  ein  lautes  Schluchzen  über,  das  ich  nur 
mit  Mühe  endlich  beherrschte.  Die  Wehmut,  die  in  Ihrem  Briefe  lag, 
hatte  ihr  Echo  in  meiner  Brust  gefunden  und  dies  in  jener  gewaltsamen, 
verstärkten  Weise,  welche  bei  mir  immer  einem  Gefühle,  das  mich 
durchdringt,  eigen  ist.  Aber  warum  betrachten  Sie  denn  diese  im  Grunde 
doch  nur  kurze,  in  drei  Monaten  vorübergehende  Trenntmg  in  einer 
Weise,  als  ob  es  sich  hier  um  eine  definitive  Trennimg  handelte?  Und 
selbst  die  temporäre  Treimimg,  gute,  liebe  Gräfin,  wodurch  ist  sie  ein- 
getreten! Niemals  hätte  ich  mich  entschlossen,  Sie  auf  so  viel  Monate 
allein  zu  lassen,  wenn  nicht  in  der  letzten  Zeit  so  vieles  vorgefallen 


^)   Siehe  oben  Nr.  21. 


wäre,  was  nicht  nur  meine  Kräfte  fast  überstieg,  sondern  was  mich 
endlich  wirklich  zu  der  Überzeugimg  brachte,  Sie  wünschten  die 
Trenmmg  von  mir.  Sie  hatten  mir  das  so  oft,  so  oft  versichert;  von  den 
meinigen  divergierende  Gesichtspunkte,  die  Sie  zu  beherrschen  schienen, 
gaben  diesen  wiederholten  Versicherungen  einen  solchen  Anschein  von 
Plausibilität,  daß  ich  denselben  endlich  meinen  Glauben  nicht  länger 
versagen  konnte. 

Niemals  aber  wäre  ich  gegangen,  wenn  Sie  mir  gesagt  hätten,  welche 
Wehmut  das  in  Ihnen  erregen  würde,  daß  Sie  sich  dadurch  tmglück- 
lich  vmd  verlassen  fühlen  und  Ihr  melancholischer  Hang  dadurch  noch 
verstärkt  werden  würde.  Ach,  Gräfin,  wenn  Sie  verstünden,  zu  mir  zu 
sprechen  in  derselben  Weise,  in  der  Sie  mir  schreiben  —  welch  glück- 
liches Ivcben  hätten  wir  bis  heran  bereits  geführt,  welch  glückliches 
Ivcben  würden  wir  noch  führen!  Mußte  mich  doch  alles  in  der  letzten 
Zeit  veranlassen,  zu  glauben,  Sie  würden  die  Trennvmg  von  mir  als  eine 
Befreitmg  ansehen,  sie  mindestens  zum  großen  Teil  als  die  Befreiung 
von  einem  unbequemen  Hindernis  empfinden.  Nicht  nur,  daß  Sie  mir 
dies  so  oft  in  stärkster  Weise  versicherten  —  diesen  meist  in  der  Heftig- 
keit ausgestoßenen  Worten  würde  ich  keinen  Glauben  geschenkt  haben, 
da  ich  zu  gut  weiß,  wie  wenig  meine  eigenen  Worte,  wenn  ich  heftig 
bin,  ernst  zu  nehmen  sind.  Aber  auch  alle  Ihre  Pläne,  Projekte  und 
Entwürfe,  die  Sie  selbst  in  der  ruhigsten  Stimmung  machten,  waren 
immer  derart,  daß  ich  keine  Stelle  in  denselben  fand,  daß  ich  mehr 
weniger^)  dadurch  ausgeschlossen  war,  daß  ich  Ihnen  nur  ein  Hindernis 
in  der  Erreichimg  derselben  bildete.  Das  hat  mir  oft  sehr,  sehr  weh 
getan.  Sie  waren  und  sind  immer  die  Erste  in  meinem  Herzen.  Ich  war 
nur  noch,  mindestens  mußte  es  so  scheinen,  ein  Stein  des  Anstoßes 
für  Sie.  Wenn  mich  die  Zurücksetzung  schmerzte,  die  mir  so  oft  tat- 
sächlich, die  mir  beständig  in  allen  Ihren  Gefühlen  und  Entwürfen 
zuteil  wurde,  so  war  dies  nicht  Neid  oder  Stolz  bei  mir.  Sie  wissen,  ich 
bin  der  neidloseste  Mensch  von  der  Welt  und  Ihnen  gegenüber  auch 
vom  Stolze  frei.  Es  war  ebensowenig,  wie  Sie  so  oft  irrig  glaubten,  ein 
anspruchsvolles  Fußen  und  Pochen  auf  das,  was  ich  etwa  für  Sie  getan 
habe.  Glauben  Sie  mir,  daran  denkt  mein  Herz  nicht.  Oder  vielmehr, 
was  ich  für  Sie  tat,  empfinde  ich  immer  als  meinen  eignen  größten 
Genuß,  als  Freude  und  Belohnung,  nicht  aber  als  eine  irgend  etwas 
anderes  beanspruchende  Leistung.  Was  mich  lange  kränkte,  war  nur, 
daß,  während  Sie  mir  stets  die  Erste  geblieben  waren  in  meinem  Herzen, 
während  Sie  mein  ganzes  individuelles  Denken  und  Fühlen,  das  Reich 
meiner  Persönlichkeit  ausfüllten  —  ich  zum  letzten  geworden  war  von 


^)  Lassalle  schreibt  oft:  mehr  weniger  statt  mehr  oder  weniger. 


=====   89  ====== 

allem,  was  Sie  liebten  und  wünschten.  Und  auch  das  hätte  ich  iu)ch 
ruhig  getragen,  wenn  ich  nur  gesehen  hätte,  daß  man  von  der  andern 
Seite  Ihre  Liebe  in  hinreichendem  Grade  erwidert.  Ich  wäre  dami  gern 
zurückgetreten.  Aber  das  Bewußtsein,  daß  alle  andern  Menschen  zu- 
sammengenommen auch  nicht  zum  hundertsten  Teil  so  treu,  so  innig, 
so  warm  an  Urnen  hängen  als  ich,  der  ich  dabei  diese  Zurücksetzung  er- 
fahren mußte,  kränkte  tief.  Es  kränkte  endlich  um  so  mehr,  als  ich  nur 
zu  wohl  wußte,  Sie  würden  das  Glück  da,  wo  Sie  es  suchten,  nimmer 
finden,  Sie  würden  in  diesen  neuen  Beziehungen,  die  Sie  anzuknüpfen 
strebten,  sich  immer  fremd  bleiben  mit  Ihrem  treuen  Herzen. 

Als  es  nun  endlich  so  weit  kam,  daß  ich  Ihnen  nur  noch  zu  einem 
Stein  des  Anstoßes  geworden  war,  als  ich  dies  in  schmerzlichster  Weise 
erfuhr,   wie  ich  Sie  nach   vierwöchentlicher   Trennung  in   Heidelberg 
aufsuchte,  als  ich  dies  täglich  fort  und  fort  aus  allen  Ihren  Lebensplänen, 
aus   den   ruhigsten   Unterredungen  sogar  entnahm,    als  ich  sah,    Sie 
schmachteten  gleichsam  nach  einer  Erlösung  von  mir  tmd  hätten  nur 
nicht  den  Mut,  selbst  handelnd  die  Tat  der  Erlösung  imd  Befreiung  von 
mir  vorzimehmen,  als  Ihre  aus  dieser  Quelle  fließende  Bitterkeit  so  weit 
ging,  sogar  vor  ganz  fremden  lycuten  in  Vevey  und  auf  der  Reise  mir 
eine  Behandlung  zuteil  werden  zu  lassen,  die  zu  ertragen  meine  Kräfte 
überstieg  und  von  der  ich  mir  sagen  mußte,  daß  sie  nur  darin  wurzele, 
daß  Sie  mich  als  ein  Hindernis  betrachteten,  von  dem  Sie  doch  wieder 
die  Kraft  nicht  hätten,  sich  frei  zu  machen  —  da  beschloß  ich  selbst- 
handelnd in  irgendeiner  Weise  Sie  von  dem  Hindemisse  zu  befreien, 
Sie  von  diesem  Alp  zu  erlösen  tmd  Ihnen  das,  wonach  Sie,  obwohl  nach 
meiner  Überzeugung  nicht  zu  Ihrem  Glücke,  seufzten,  wiederzugeben. 
Als  sich  ntm  nochmals  die  Gelegenheit  der  orientalischen  Reise  bot,  war 
es  dieser  Gnmd,  der  mich  bestimmte.  Durch  eine  Abwesenheit  von  drei 
bis  vier  Monaten  wollte  ich  Ihnen  die  Zeit  geben,  sich  die  Verhältnisse, 
nach  denen  Sie  seufzten,  einzurichten;  ich  fand  Sie  dann  bei  meiner 
Rückkunft  in  gemachten,  fertigen,  festen  Verhältnissen,  zu  deren  Ein- 
richtung Sie  völlig  freie  Hand  gehabt  hatten,  imd  zu  denen  ich  mich 
dann  in  jeder  Sie  möglichst  wenig  störenden  Weise  verhalten  hätte. 
Dies  war  mein  Plan.  Dies  der  Gnmd  meines  unter  anderen  Umständen 
j  a  närrischen  Entschlusses,  binnen  vierimdzwanzig  Stmiden  nach  Asien 
und  Afrika  zu  gehen. 

Schon  von  Bukarest  aus  habe  ich  Ihnen  dies  in  einem  kleinen  Brief- 
chen geschrieben  imd  Ihnen  gesagt,  daß  ich  sonst  nie  gegangen  wäre !  ^) 

Wie  tief  ergreift  mich  nvm  der  letzte  Seufzer  Ihres  Briefes:  „Ach, 
wäre  ich  mit  Ihnen  in  Vevey  geblieben!"  Hatte  ich  Ihnen  das  nicht 


^)   Siehe  oben  Nr.  22. 


=  90  = 

gesagt?  Tausendmal  gesagt?  Ach,  wie  sehr  bin  ich  Kassandra  in  allem, 
was  Sie  angeht!  Wie  vorahnend  sagte  mein  Herz  mir,  es  wäre  das  beste 
für  Sie!  Wie  bat  ich  darum!  Wie  recht  habe  ich  wieder  gehabt!  Und 
wie  erlag  wieder  meine  Stimme  gegen  jene  grundlose  Unruhe,  die  Sie 
in  einem  fort  treibt  imd  verzehrt  imd  abhält,  sich  selbst  zu  leben ! 

Und  doch  wieder  —  vielleicht  oder  beinahe  jedenfalls  ist  es  das 
beste,  daß  ich  diese  Reise  angetreten  habe.  Sie  führt  jedenfalls  eine 
Entscheidung  herbei,  und  zwar  eine  solche,  bei  der  Sie  sich  nicht  täuschen, 
weil  Sie  Zeit  haben  werden,  Ihr  Herz  kennen  zu  lernen  und  sich  reiflich 
zu  prüfen. 

Vielleicht  ist  die  Stimmung,  in  der  Sie  jenen  ersten  Brief  (einen 
zweiten  habe  ich  noch  nicht)  schrieben,  nur  die  vorübergehende  einer 
natürlichen  Wehmut,  und  heute  ist  es  Ihnen  bereits  lieb,  daß  ich  ge- 
gangen bin  aus  den  angegebenen  Gründen,  weil  Sie  nun  Zeit  haben,  im- 
gehindert  durch  mich  sich  jene  Verhältnisse  einzurichten.  In  diesem 
Falle  war  es  also  gut,  daß  ich  ging.  —  Oder  aber  es  ist  nicht  eine  vor- 
übergehende Stimmimg,  es  ist  Ihr  bleibendes  Gefühl.  Dann  ist  auch 
nichts  verloren.  Über  mich  hat  der  Orient  so  wenig  Macht  wie  der 
Okzident.  Unversehrt  imd  gleich  frisch  imd  warm  bringe  ich  Ihnen  mein 
treues  Herz  unverdorrt  aus  der  Wüstenhitze  zurück.  Wir  haben  dann 
reichlich  für  die  Trennimg  gewonnen.  Denn  wir  haben  besser  gesehen, 
was  wir  einander  sind.  Wir  richten  dann  unser  Ivcben  ein,  wie  Sie  es 
wollen.  Ziehen  Sie  dann  vor,  daß  ich  in  demselben  Hause  mit  Ihnen 
wohne,  so  sind  wir  frei  es  zu  tun.  Wünschen  Sie,  daß  wir  getrennt 
wohnen,  was  mir  besser  scheint  und  an  der  Herzlichkeit  unsres  Famihen- 
lebens  nichts  zu  ändern  braucht,  so  tun  wir  dies.  Denn,  was  Sie  von  der 
Ungewißheit  des  gemeinsamen  Domizils  sprechen,  ist  Kinderei.  Die  Macht 
möchte  ich  kennen  lernen,  die  mich  zu  hindern  vermöchte,  nach  Berlin 
zu  gehen,  wenn  Sie  dort  sind  und  mich  wollen !  Es  ist  also  durch  die 
Reise  nichts  verloren,  jedenfalls  gewonnen.  Keinesfalls  aber  hat  sie  die 
Bedeutung,  die  Sie  ihr  in  einem  Satze  geben:  ,,Ich  sage  mir,  um  mich  zu 
beruhigen,  warum  soll  auch  der  Kranke  den  Gesunden,  der  Tote  den 
Lebendigen  an  sich  fesseln."  ^)  Nein,  Gräfin.  Sie  wissen  am  besten,  daß 
dies  nicht  so  steht,  daß  dies  nicht  wahr  ist.  Mich  an  Sie  zu  fesseln  ist 
für  mich  nicht  Fessel,  sondern  grade  Bedürfnis  meines  echten  Glückes. 
Sie  müssen  das  ja  so  tausendmal  darin  schon  gesehen  haben,  daß  ich 
selbst  die  kürzeste  Vergnügungsreise  nur  gemeinschafthch  mit  Ihnen 
zu  machen  liebe.  Für  mich  besteht  der  wahre  Lebensgenuß  nicht  in  den 
Reisen,  nicht  in  der  Reihe  bunter  Bilder,  die  man  kaleidoskopartig  vor 
sich  vorüberziehen  läßt,  sondern  in  der  Tiefe  der  Gedanken  und  Gefühle, 

1)  S.  oben  S.  78. 


=  91  = 

die  Ulis  durchschüttem,  wenn  wir  im  einsamen  ruhigen  Zimmer  auf  dem 
Sofa  sitzen  und,  von  demselben  Gedanken  belebt,  uns  in  die  vieltrautcn 
blauen  Augen  sehen  imd  die  vielerprobten  Hände  schütteln.  Für  mich 
ist  Ivcben:  Innerlichkeit:  Geschichte,  nicht  Geographie. 

Da  sitze  ich  in  meinem  Zimmer,  imd  während  ich  Ihnen  schreibe, 
schaut  mein  Auge  empor.  Vor  mir  liegt  der  glänzende,  silberne  Bosporus, 
vor  mir  das  Goldene  Hom,  vor  mir  die  Spitze  des  Serails  mit  ihren 
Zypressen  Wäldern,  ihren  weißen  Palästen,  ihren  Kuppeln,  Moscheen 
und  schlanken  Minaretts,  vor  mir  das  Heer  vergoldeter  Kaiken,  die 
über  den  Bosporus  gleiten,  und  der  Mastenwald  der  Schiffe,  v^or  mir 
die  blauen  von  der  Sage  und  Dichtung  wie  von  einem  goldigen  Morgen- 
rot umwobenen  Berge  Asiens.  Und  ich  versichere  Sie,  Hand  aufs  Herz, 
trotz  dieser  ersten  Aussicht  der  Welt,  die  sich  in  nie  geahnter  Pracht 
vor  meinen  Augen  ausbreitet  —  tmd  trotz  Ihrer  verneinenden  Depesche, 
die  ich  gestern  auf  meine  telegraphische  Anfrage  bekommen  habe,  ich 
verließe  Stambul  imd  die  Reise  und  kehrte  zu  Ihnen  zurück,  wenn  es 
nicht  eben  möglich  wäre,  daß  von  den  oben  gedachten  beiden  Fällen 
der  erstere  statt  hat,  meine  Rückkunft  Sie  somit  stört  und  belästigt 
imd  wenn  es  nicht  selbst  im  zweiten  Fall  der  Alternative  für  mich  wie 
für  Sie  nützlich  wäre,  daß  diese  Trennung  noch  etwas  länger  dauert. 

Und  glauben  Sie  mir,  hätte  Ihre  telegraphische  Depesche  bejahend 
gelautet,  geflogen  wäre  ich  ohne  Regung  des  Bedauerns  zu  Ihnen 
zurück.  Nicht  also  so  steht  der  Fall,  daß  ich  mich  an  Sie  ,, fesseln" 
müßte,  daß  mir  dies  sacrifice  imd  Opfer  wäre.  Sondern  Sie  sind  mir  und 
bleiben  mir  das  lyiebste  im  Orient  und  Okzident  und  werden  mir  dies 
immer  bleiben,  solange  ich  nur  eine  Spur  von  Gegenseitigkeit  in  Ihnen 
entdecke.  Sie  wissen,  ich  schrieb  Ihnen  einst,  1847,  es  sind  jetzt  fast 
zehn  Jahre,  von  Paris  aus  den  Schwur,  daß  ich  Sie  nie  verlassen  würde, 
solange  Sie  mein  benötigt  seien,  und  wenn  ich  drob  zugrunde  ginge  mit 
allem,  was  mit  mir  zusammenhängt.  Sie  wissen,  daß  ich  dieses  Wort 
zu  halten  gewußt.  Ich  gebe  Ihnen  jetzt  von  einer  andern  Welthaupt- 
stadt aus,  von  der  Grenze  Europas,  das  Wort,  daß  ich  stets  mit  der- 
selben Wärme  und  Innigkeit  an  Ihnen  hangen,  daß  ich  stets  bei  Ihnen 
bleiben  werde,  solange  Sie  selbst  es  wollen,  daß  ich  Sie  nie  verlassen 
werde,  solange  Sie  mich  nicht  gradezu  und  positiv  dazu  zwingen.  Und 
ich  werde  dieses  Wort  so  gut  zu  halten  wissen  wie  jenes.  Selbst  für 
diese  paar  Monate  habe  ich  Sie  nicht  verlassen,  um  einem  Vergnügen 
nachzujagen.  Jeder,  selbst  der  geringste  Genuß,  den  ich  mit  Ihnen 
teilen  kann,  steht  mir  höher.  Ich  habe  Sie  verlassen,  weil  ich  mich  dazu 
gezwungen  glaubte.  Aber  ich  komme  wieder,  imd  die  durch  das  Leid  der 
Trennung  gereinigten  Seelen  werden  sich  besser  verstehen,  als  wenn  sie 
nie  getrennt! 


-^^  92  = 

Doch  ich  muß  wirklich  meinen  Gefühlsergießungen  Gewalt  antmi, 
um  hier  zu  schließen.  Denn  ich  habe  noch  entsetzlich  viel  zu  schreiben. 
Warum  aber  haben  Sie  mir  erst  ein  einziges  Mal  geschrieben,  nämlich 
den  Schlangenbader  Brief  vom  23.  September?  Ich  habe  keinen  andern 
von  Ihnen  vorgefunden,  A  propos,  schreiben  Sie  stets  auf  Ihre  Briefe : 
via  Triest.  Das  geht  schneller. 

Die  Antwort  auf  diesen  Brief  trifft  mich  nicht  mehr  in  Konstanti- 
nopel. Sie  müssen  sie  vielmehr  nach  Alexandrien  adressieren,  und  zwar 
per  Adresse  Messieurs  Pastre  freres. 

Überhaupt  am  besten  von  jetzt  ab  alle  Briefe  nach  Alexandrien,  da 
ich  sie  mir  von  dort  nach  Kairo  nachschicken  lassen  kann  imd  zweimal 
dort  hinkomme,  einmal  auf  dem  Hinweg  nach  Kairo  vmd  Theben  imd 
dann  auf  dem  Rückweg. 

Meine  Geldarrangements  sind  einfach.  Ich  habe  Ihnen  bereits  mit- 
geteilt, daß  ich  mir  durch  den  Kredit  meines  Schwagers  ein  Akkreditiv 
von  dreitausend  Gulden  verschafft  habe.  Femer  entnehme  ich  von  ihm 
direkt,  was  ich  darüber  brauche.  Ich  habe  ihm  dann  nach  meiner  Rück- 
kunft das  eine  wie  das  andere  zu  bezahlen.  Ich  glaube,  daß  ich  keines- 
falls ganz  die  Summe  von  dreitausend  Talern  brauchen  werde,  aber 
wohl  auch  nicht  sehr  viel  danmter. 

Ich  habe  Ihnen  bisher  geschrieben : 

1.  Meinen  ersten  Reisebericht,  den  ich  in  Orsowa  zur  Post  gegeben.^) 

2.  Ein  kleines  Privatschreiben  aus  Bukarest  2)  an  Sie,   dem  ich  ein 
Exemplar  des  gestochenen  Scheuerschen  Zirkulars  beilegte. 

3.  Meinen  zweiten  Reisebericht,  den  ich  in  Giurgewo  zur  Post  gab.^) 
Ich  habe  diesen  aber  an  Vater  adressiert,  weil  ich  wünsche,  daß 

Sie  meine  großen  Reiseberichte  mir  aufheben  imd  es  deshalb  besser 
ist,  wenn  Sie  sie  erst  nach  Vater  bekommen.  Aus  demselben  Grunde 
werde  ich  auch  meinen  dritten  Reisebericht  von  hier  aus  an  Vater  wahr- 
scheinlich adressieren. 

Es  wäre  mir  lieb,  wenn  Sie  entweder  durch  die  Vermittlung  des 
Dr.  Rudolf  Müldener  in  Trier  oder  Hiersemenzels  ^)  in  Berlin  (Friedrich- 
straße 205)  oder  am  besten  vielleicht  durch  Eisenbarth  in  Düsseldorf, 
für  den  Sie  sich  Bloems  Vermittlung  bedienen  können,  veranlassen 
könnten,  daß  eine  kurze  Notiz  in  die  ,,Köbiische"  oder ,, Nationalzeitung" 
käme  des  Inhalts,  daß  ich  vor  geraumer  Zeit  eine  große  wissenschaft- 
liche Reise  in  den  Orient  angetreten.  Es  wäre  mir  dies  deshalb  nämlich 
lieb,  weil  ich  glaube,  daß  es  auf  die  Berliner  Behörden  den  Einfluß  haben 

^)  Vgl.  die  erste  Anmerkung  auf  S.  80. 
^)   Siehe  oben  Nr.  22. 

3)  Der  Assessor  und  spätere  Berliner  Stadtrichter  Eduard  Hiersemenzel  (1825 
bis  1869)  war  mit  Lassalle  von  der  Breslauer  Burschenschaft  her  befreundet. 


=       93       ==  := 

würde,  meiner  dortigen  Domizilierung  weniger  Schwierigkeiten  in  (U  ii 
Weg  zu  stellen. 

Sie  haben  unrecht  gehabt,  meinem  Vater  nicht  zu  schreiben,  daß  er 
zu  Ihnen  kommen  soll,  da  Sie  dies  wünschten.  Er  wäre  sofort  dazu 
bereit  gewesen.  Ich  schreibe  ihm  von  hier  aus,  um  ilmi  einzuschärfen, 
daß  er,  falls  Ihnen  dies  noch  konveniert,  augenblicklich  zu  Ihnen  geht. 
Wenn  Sie  dies  also  noch  irgend  wünschen,  haben  Sie  es  ihm  nur  eben 
anzuzeigen,  mid  er  wird  sofort  kommen. 

Alle  geschäftlichen  Anfragen  Ihres  Briefes  beantworte  ich  zur 
bessern  Übersichtlichkeit  auf  einem  besondem  Blatte. 

Und  nun  leben  Sie  tausendmal,  tausendmal,  tausendmal  wohl.  Er- 
halten Sie  sich  gesund,  sehen  Sie  vorzüglich  darauf,  sich  körperlich 
herzustellen.  Denken  Sie,  daß  auch  mein  ganzes  Eebensglück,  meine 
Ruhe  und  Zufriedenheit  von  Ihrer  Gesundheit  abhängt,  und  schonen 
Sie  sich  für  mich,  wenn  Sie  es  nicht  um  Ihrer  selbst  willen  tim.  Schreiben 
Sie  mit  ausführlich,  wie  es  mit  Ihrer  Gesundheit  steht,  und  leben 
Sie  mir  tausendmal  wohl. 

Mit  meinen  Augen  geht  es  eher  besser  als  schlimmer.  Ich  bin  vor- 
läufig ganz  zufrieden  damit. 

Ihr 

F.  I,assalle. 

Wenn  Sie  vonseiten  des  Staatsrats^)  irgendwie  in  Anspruch  genom- 
men werden  sollten,  so  geben  Sie  nichts,  wie  sich  von  selbst  versteht. 


27. 
EASSAIvEE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Konstantinopel,  Montag,  den  27.  Oktober  1856. 
Gnädigste  Frau! 

Ich  habe  soeben  Ihren  Brief  vom  10.  Oktober  erhalten.  Ich  eile,  die 
geschäftlichen  Notizen  aus  demselben  zu  beantworten: 

I.  Lassen  Sie  sich  durch  die  Börsenberichte  nicht  schrecken  und  — 
ich  wiederhole  es,  durchaus  nicht  zum  Verkaufen  bestimmen.  Ich 
kann  hier  nicht  in  das  Detail  der  Gründe  eingehen.  Genugsam,  jede 
Baisse,  die  in  Geldnot  wurzelt,  geht  eben  deshalb  notwendig  vorüber, 
auch  die  andere [n]  Ursache [n]  dieser  Baisse  sind  derart,  daß  die  sich 
mählich  verlieren  müssen.  Und  was  die  politischen  Verhältnisse  be- 
trifft, so  sind  sie  leider  derart,  daß  keinesfalls  vor  dem  Frühjahr  an 

^)   Klindworth. 


=  94  —  — 

irgendwelche  Ereignisse  zu  denken  ist.  Im  Februar  und  März  wird  die 
Zeit  sein,  die  Papiere  zu  verkaufen ;  keinesfalls  früher  ,  .  . 

Tief  schmerzt  mich  zu  hören,  daß  es  mit  Ihrer  Gesundheit  wieder 
schlimmer  geht.  Ach,  alles  andere  wollte  ich  ja  gern  tragen  imd  er- 
dulden, mit  allem  fertig  werden  tmd  alles  bezwingen,  wenn  nur  in  diesem 
Pimkte,  der  mir  vor  allem  am  Herzen  liegt  und  in  dem  ich  hilflos  bin, 
das  Glück  mir  lächelte.  Waren  Sie  bei  Wolff  ?  Was  hat  er  gesagt?  Warum 
schreiben  Sie  nicht  davon?  Gehen  Sie  doch  gewiß  zu  ihm.  Er  hat 
Ihren  Zustand  am  richtigsten  beurteilt  und  wird  Ihnen  gewiß  eme 
Winterkur  an  die  Hand  geben  können. 

Gewiß  ist  Kichniawy  ein  prächtiger  Mensch.  Ich  lasse  ihn  vielmals 
grüßen.  Agnes  ist  vielleicht  zu  entschuldigen.  Ich  werde  Ihnen  das  bei 
meiner  Rückkehr  erklären. 

Wegen  des  Scheuer-Prozesses  geben  Sie  mir  gleich  Nachricht,  sowie 
irgend  etwas  von  Belang  darin  vorfällt. 

Noch  einmal.  Rühren  Sie  Ihre  Aktien  nicht  an,  vmd  lassen  Sie  sich 
nicht  von  Block  verrückt  machen.  Berufen  Sie  sich  auf  meine  mit  Ihnen 
wegen  Ihrer  Papiere  genommenen  Verabredung  imd  damit  basta  .  .  . 

Dies  ist  die  Antwort  auf  Ihren  eben  erhaltenen  Brief;  der  zweite 
Privatbrief,  den  ich  Ihnen  von  Konstantinopel  schreibe.  Mein  großer 
dritter  Reisebericht  ist  noch  nicht  fertig.  Er  wird  jedoch  jedenfalls  noch 
von  hier  aus  abgeschickt.  —  Wenn  ich  den  Brief,  den  Sie  in  Ihrer  tele- 
graphischen  Depesche  mir  versprachen,  bis  Sonnabend  erhalten  habe, 
so  reise  ich  Sonnabend  ab  nach  Smyma.  Habe  ich  ihn  aber  bis  dahin 
noch  nicht,  so  weiß  ich  wirklich  nicht,  was  ich  tim  soll.  —  Haben  Sie 
die  Bücher  an  die  Bibliothek  nach  Bonn  geschickt?  Es  beimruhigt 
mich,  daß  Sie  mir  davon  nichts  schreiben.  Nun  leben  Sie  tausendmal, 
tausendmal  wohl.  Gewiß  ist  es  wehmütig,  von  Ihnen  durch  solche  Ent- 
fernungen getrennt  zu  sein.  Kaum  kann  ich  mich  losreißen. 

Ihr  F.  Ivassalle. 

Nachschrift:  Soeben  erhalte  ich  einen  Brief  von  Agnes,  der  meine 
schon  eben  ausgesprochene  Ansicht,  daß  Sie  sie  entschuldigen  müssen, 
bestätigt.  Ich  werde  Ihnen  das  mündlich  näher  explizieren. 

Haben  Sie  aber  die  Güte,  beiliegenden  Zettel  der  Agnes  noch  an 
demselben  Tage,  an  welchem  Sie  ihn  empfangen,  zu  übersenden. 
Verzögern  Sie  auch  seine  Absendung  nicht,  um  selbst  einige  Zeilen 
hinzuzuschreiben,  sondern  mit  oder  ohne  solche  expedieren  Sie  ihn  noch 
am  Tage  des  Empfangs. 

Erkundigen  Sie  sich  doch  auch  gelegentlich  bei  Schneider,  ob  er 
meinen  Brief  vom  21.  September  aus  Prag  mit  den  25  Rt.  für  Unter- 
stützimg  der  Frau  Roeser  durch  fünf  Monate  richtig  erhalten. 


=   95  = 

28. 

SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  IvASSAlvIvE.i)  (Original.) 

Düsseldorf,   30.  Oktober   J856. 

Liebes,  gutes  Kind,  vor  sechs  Tagen  erst  habe  ich  Ihren  Brief  aus 
Bukarest  2)  erhalten,  und  ich  muß  damit  anfangen,  Sie  zu  bitten,  die 
Briefe  irmner  an  mich  zu  adressieren,  denn  so  ist  gar  nicht  abzusehen, 
wann  ich  sie  erhalte.  Denn  Ihre  Mutter  liest  sie  erst  gewiß  ein  halb 
Dutzend  mal,  dann  alle  Verwandte  in  Breslau,  ehe  sie  mir  geschickt 
werden.  Das  größte  Vergnügen  machen  mir  Ihre  Reiseberichte,  nicht 
nur  wegen  der  interessanten  Dinge,  die  sie  enthalten,  aber  weil  Sie  sich 
auch  selbst  in  Ihrer  ganzen  Art  und  Weise  charakteristisch  darin  zeigen. 
Ich  habe  sie  Kichniawy  und  Bloem  mitgeteilt,  die  sich  auch  sehr  darüber 
gefreut.  Deimoch  muß  ich  Ihnen  gestehen,  daß  ich  neben  diesen  Reise- 
beschreibvmgen  doch  auch  gern  zuzeiten  einen  Privatbrief  erhielte,  der 
mir  sagte,  wie  es  Ihnen  persönlich,  Ihrer  Gesundheit,  Ihren  Augen 
geht.  Bei  dieser  Gelegenheit  kann  ich  Ihnen  einen  tüchtigen  Sermon, 
auf  den  ich  Sie  bitte  zu  achten,  nicht  ersparen.  Wie  ist  es  möglich, 
daß  Sie  sich  durch  irgendeine  Rücksicht,  imd  sei  es  eine  große,  ge- 
schweige deim  eine  so  kleine,  bewegen  lassen,  in  einem  solchen  Lande, 
wo  Schmutz,  Hautkrankheiten  aller  Art  imd  noch  schlimmere  herrschen, 
aus  irgendeines  Menschen  Glas  zu  trinken,  und  sei  es  der  vornehmste, 
geschweige  denn  nach  wallachischen  Bauern?!!  Ich  habe  sie  schon 
so  oft  in  dieser  Sache  schon  hier  gepredigt.  Diese  gute  Sitte,  nie  aus 
irgend  eines  Menschen  Glas  zu  trinken,  noch  mit  seiner  Gabel  zu 
essen,  ist  nicht  eine  dieser  konventionellen  Formen,  die  Sie  perhor- 
reszieren  und  ich  sehr  gut  und  notwendig  finde,  sondern  eine  Regel,  die 
sich  auf  die  vernünftigste  und  notwendigste  Ursache  stützt... 

Ich  begleite  Sie  oft  in  Gedanken,  und  Sie  werden  lachen,  wenn  ich 
Ihnen  sage,  daß  ich  halb  und  halb  das  Projekt  gemacht,  künftigen 
Winter  in  —  Kairo  zuzubringen.  Die  Reise  ist  nicht  schwer,  der  Aufent- 
halt wimderschön  und  nicht  teuer  vmd  wird  mir  für  meine  armen  Ge- 
lenke gewiß  sehr  zuträglich  sein  .  .  .  Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  gutes 
Kind,  Gott  schütze  vmd  geleite  Sie  dort  imd  glücklich  wieder  zurück. 
Die  herzlichsten  Grüße 

S.  H. 

P.S.  Noch  eins,  was  ich  Ihnen  dringend  anempfehle,  das  ist  größere 
Vorsicht  in  Ihren Äußenmgen  über  Österreich.  Ihre  Briefe  gehen  durch 


1)  Der  Brief  trägt  die  Überschrift:  „Vierter  Brief  nach  Konstantinopel." 
'^)  Siehe  oben  Nr.  22. 


=====   96  

dieses  Land,  was  Sie  auch  auf  Ihrer  Rückkehr  passieren,  und  kein  Brief 
bleibt  dort,  als  zu  Zeiten  ausnahmsweise  übersehen,  uneröfifnet. 
Sie  riskieren  Unannehmlichkeiten  und  daß  Ihre  Briefe  nicht  an- 
kommen.    Berücksichtigen  Sie  dies. 


29. 
SOPHIE  VON  HATZFKIvDT  AN  hASSAlhK'')  (Original.) 

Düsseldorf,  4. — 10.  November  [1856]. 

Iviebes,  gutes  Kind,  ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief  vom  22.  Ok- 
tober 2)  aus  Konstantinopel,  der  also  unbegreiflicherweise  zwölf  Tage 
gebraucht  hat.  Übrigens  trug  Ihr  Brief  unverkennbare  Spuren,  daß  er 
geöffnet  worden.  Also  bitte  ich  Sie  dieses,  woran  ich  Sie  schon  oft 
erinnert,  beim  Schreiben  zu  berücksichtigen.  Daß  Sie  noch  keinen 
als  meinen  ersten  Brief  erhalten,  ist  mir  rein  unbegreiflich,  denn  dies  ist 
der  fünfte,  den  ich  nach  Konstantinopel  schreibe.  Der  so  herzliche  In- 
halt Ihres  Briefes  hat  mich  gerührt  und  erfreut.  Sie  bedauern,  daß  ich 
nicht  verstehe,  zu  Ihnen  zu  sprechen  so  wie  ich  schreibe.  Aber,  hebes 
Kind,  ich  könnte  Ihnen  gerade  dasselbe  sagen,  aber  ich  sehe  ein,  wie 
dies  auch  natürlich  ist:  beim  Schreiben  äußert  man  nur  seine  wirklichen 
Gefühle  tmd  Ideen,  ungetrübt  durch  die  kleinen  Reibungen  des  Lebens, 
die  Verstimmungen  hervorbringen,  in  denen  man  Äußerungen  macht, 
die  gar  nicht  oder  nur  ganz  vorübergehend  richtig  sind.  Ich  habe  auf 
Ihren  ersten  Brief  aus  Prag,'^)  in  dem  Sie  imser  Verhältnis  nach  meiner 
Überzeugung  sehr  einseitig  charakterisieren,  nicht  geantwortet,  ob- 
gleich ich  vieles  hätte  sagen  können,  weil  mich  die  Entfemtmg  sehr 
weich  stimmt  und  ich  mich  dann  nur  immer  des  vielen  Guten  erinnern 
will  und  kann.  Aber  ich  bin  in  dieser  Beziehung  auch  wirklich  gerechter 
als  Sie.  Ich  weiß,  daß  ich  oft  melancholisch  und  verstimmt  und  vieles 
dann  härter  auffasse  als  es  verdient.  Wenn  ich  hierfür  durch  meine  Er- 
lebnisse und  Gesimdheit  auch  Entschuldigungen  habe,  so  bleibt  es  doch 
immer  für  Sie  sehr  unangenehm;  aber  Sie  wollen  nicht  begreifen,  daß 
Meinungs-  vmd  Ansichts Verschiedenheiten,  die  durch  verschiedene 
Lebensgewohnheiten  und  langgewohnte  Anschauungen  bedingt  sind, 
nicht  so  scharf  und  hart  gerügt  werden  sollten  und  als  Vergehen  be- 
trachtet. Man  kann  die  wahrste  Freundschaft  füreinander  haben,  ohne 
über  alles  gleich  zu  denken.  Auch  vergessen  Sie  stets,  daß  ich  eine  Frau 


1)  Der  Brief  trägt  die  Überschrift:  „Fünfter  Brief." 

2)  Gemeint  ist  der  Brief  Nr.  26. 
^)  Siehe  oben  Nr.  20. 


-  97  =========== 

bin,  die  natürlicherweise  mehr  dem  Gefühl  als  dem  kalten  Verstand  folgt, 
daher  Dinge,  die  Sie  mir  oft  in  bezug  auf  meine  Kinder  mit  großer 
Schärfe  vorwerfen,  für  eine  Frau  nur  höchst  natürliche  und  auch  daher 
verzeihliche  Schwächen  sind.  Und  bei  mir  ist  dies  überdies  ein  so  aus- 
geprägter Charakterzug,  daß  Sie  einsehen  müßten,  daß  Sie  ihn  nicht 
ausrotten  könnten,  ohne  mich  unglücklich  zu  machen.  Ihre  Heftigkeit, 
die  oft  bei  höchst  geringen  Anlässen  ausbricht  und  immer  durch  ihr 
Übermaß  sündigt,  weiß  ich  in  ruhigen  Augenblicken  so  gut  wie  Sie,  daß 
sie  so  bös  nicht  gemeint  ist,  und  wenn  ich  ein  ruhiger  und  vorzüglich 
gesunder  Mensch  wäre,  würde  ich  sie  wohl  auch  leichter  imd  gleich- 
mütiger ertragen.  Das  bin  ich  aber  leider  nicht,  mid  ich  kann  Ihnen 
wirklich  nicht  beschreiben,  wie  sehr  ich  oft  dabei  gelitten  imd  wie  es 
meine  Gesundheit  untergräbt;  natürlich  wird  aber  auch  hierdurch  das 
moralische  Übel  immer  größer,  weil  ich  kränker  und  dadurch  noch 
moroser  und  empfindlicher  werde.  Jedenfalls  ist  dies  aber  sicher,  dai3 
ich  für  Sie  eine  so  tief  und  stark  ge wurzelte  Freundschaft  [hege],  daß 
Mißstimmungen  mid  Reibungen  wohl  die  Oberfläche  trüben,  aber  nie- 
mals den  Kern  derselben  auch  nur  berühren  können.  Das  psychologisch 
Unrichtigste,  was  Sie  in  Ihren  Briefen  gesagt,  ist  Ihr  Bedauern  über 
meine  Sicherheit,  Ihre  Freundschaft  gar  nicht  verlieren  zu  können,  und 
Ihre  Bemühungen,  mir  diesen  Glauben  zu  benehmen.  Wissen  Sie  deim 
nicht,  daß  eben  dieses  unerschütterliche  Vertrauen  die  notwendige 
Basis  und  der  stärkste  Halt  aller  Freimdschaft  ist,  und  daß,  wo  diese 
aufhört,  die  Freundschaft  selbst  schon  erschüttert  und  das  Glück, 
welches  man  darin  findet,  aufhört?  Diese  Gewißheit  ist  es  ja  eben,  die 
die  Freundschaft  so  viel  höher  wie  die  Liebe  stellt.  Bei  all  Ihrem  großen 
Verstand  sind  Sie  doch  oft  recht  unverständig  und  ein  wahres  Kind. — 
Wie  schön  muß  es  in  Konstantinopel  sein,  ich  beneide  Sie  nicht 
darum,  im  Gegenteil,  ich  freue  mich  mit  Ihnen,  aber  ich  bedaure,  daß 
die  Zeit  meiner  Jugend  und  Gesundheit,  wo  ich  mich  auch  hätte  daran 
erfreuen  können,  so  traurig  und  imgenützt  vorübergegangen  .  .  .  Mein 
Bruder  Max,^)  der  im  vorigen  Monat  schon  in  Berlin  auf  einige  Tage 
war,  soll  jetzt  wieder  hinkommen,  was  beweist,  daß  die  Friedenskonfe- 
renzen in  Paris  nicht  zustande  kommen.  Überhaupt  sieht  es  schlimm 
aus.  Die  Not  und  Aufregung  in  Paris  sollen  migeheuer  sein  sowie  die 
Wut  über  den  maßlosen  Duxus  der  Feste  in  Compiegne  zu  dieser  Zeit. 
Die  enghsche  Presse  ist  höchst  kriegerisch  und  maßlos  in  ihren  An- 
griffen gegen  die  Politik  Napoleons  sowie  auf  seine  Person.  Das  Bündnis 
soll  so  gut  wie  gesprengt  sein.  Was  wird  bei  dem  allen  aus  Ihren  und 
meinen  Papieren?  .  .  . 


^)  Der  preußische  Gesandte  in  Paris. 

M  ayer,  Lassalle-NachUss.     IV 


98   

Die  Zeiten  sind  sehr  schlecht;  eine  Teuerung,  wovon  man  sich  gar 
keinen  Begriff  macht,  und  man  muß  sich  darauf  gefaßt  machen,  daß  sie 
noch  viel  schlechter  werden  und  viele  Verluste  bevorstehen.  Das  macht 
mir  viele  Sorge,  tmd  wenn  meine  Reise  nach  Berlin  ^)  nicht  wichtig  für 
manches  grade  jetzt  wäre,  so  würde  ich  sie  aus  Ökonomie  sicher  unter- 
lassen, denn  es  ist  überschwenglich  teuer  dort,  und  ich  werde  schon  an- 
standshalber für  meine  Toilette,  die  in  allem  seit  zehn  Jahren  so  vernach- 
lässigt ist,  eine  mir  sehr  unangenehme  schwere  Ausgabe  machen  müssen. 
Doch  kann  ich  [es]  schon  wegen  Klara,  2)  die  in  einem  sehr  schlimmen 
Zustand  ist,  nicht  unterlassen.  Aber  die  Reise  nach  Paris  wird  wohl 
schwerlich  stattfinden  können,  denn  ich  weiß  nicht,  wo  das  Geld  dazu 
hernehmen,  ohne  das  Kapital  anzugreifen,  was  ich  um  keinen  Preis  tun 
will.  Sie  schreiben  mir,  dem  Staatsrat  nichts  mehr  zu  geben,  diesen  Rat 
habe  ich  schon  im  voraus  befolgt.  Man  hatte  mich  gleich  nach  meiner 
Rückkehr  wieder  um  dreihundert  Taler  begehrt,  was  ich  aber  sehr 
artig,  aber  sehr  entschieden  abgelehnt  habe,  weil  ich  selbst  sehr  große 
Ausgaben  und  Verluste  gehabt  und  mich  in  Verlegenheit  befände,  mich 
sehr  einschränken  müsse  bei  jetziger  Zeit.  Ich  habe  seitdem  keine 
Antwort  erhalten.  Diese  Deute  sind  ein  gouffre,  wo  man  alles  hinein- 
werfen kann,  ohne  daß  es  nur  zu  etwas  hilft.  Sie  hätten  dies  Jahr  mit 
etwas  Einrichtung  wohl  recht  gut  auskommen  können.  Sie  haben 
tausend  Franken  monatlich,  freie  Wohnung,  alle  Reisen  und  Badekuren 
sind  ihm  bezahlt  worden  in  einer  Weise,  wo  er  dabei  zurückgelegt,  von 
uns  hat  er  vierhundert,  soviel  ich  weiß  (und  ich  glaube  gewiß,  Sie  sind 
so  verrückt  gewesen,  noch  mehr  zu  geben)  von  Block,  wie  er  mir  sagt, 
zweihundert  Reichstaler,  und  immer  noch  machen  sie  neue  Schulden. 
Man  muß  sich  wirklich  etwas  zurückhalten,  sonst  kann  diese  Bekannt- 
schaft weit  führen.  Weerth,  den  ich  in  Köln  gesehen,  sagte  mir,  sie 
hätten  gleich  von  ihm  zehntausend  Franken  haben  wollen.  Ich  glaube 
nach  allem,  was  ich  gehört  und  auch  beobachtet,  daß  wir  uns  in  der 
Agnes  auch  etwas  geirrt.  Sie  ist  von  einem  angenehmen  Umgang  und 
ist  auch,  glaube  ich,  gutmütig,  aber  von  jener  charakterlosen  Gutmütig- 
keit, die  sie  immer  so  sein  imd  reden  läßt,  wie  die  Deute,  mit  denen  sie 
ist.  Es  ist  kein  rechter  fester  Fonds  in  ihr,  und  dann  ist  sie  nicht  immer 
ganz  wahr,  wie  ich  es  selbst  beobachtet  an  Kleinigkeiten,  und  dann 
zwischen  Ihnen  und  mir  und  auch  ihre  Relationen  über  ihren  Vater, 


^)  Die  Gräfin  wollte  sich  in  Berlin  auch  mit  Lassalles  Vater  treffen,  um  mit 
ihm  über  die  Schritte  zu  beraten,  die  sich  tun  ließen,  um  einer  Übersiedlung 
Lassalles  nach  der  Hauptstadt  vorzuarbeiten. 

2)  Gräfin  Klara  von  Nostitz  (1807 — 1858),  eine  Schwester  der  Gräfin,  die 
Gattin  des  Generals  der  Kavallerie  und  Generaladjutanten  Graf  Avigust  von 
Nostitz. 


^---^^^^ =    99  

Glauben  Sie  nicht,  liebes  Kind,  daß  dies  lächerliche  Eifersüchteleien 
sind.  Sie  wissen,  wie  gänzlich  frei  ich  davon  l)in  und  wie,  wenn  ich  sie 
so  erkannt,  wie  ich  es  ganz  anfangs  geglaul)t,  mir  ihr  Verhältnis  zu 
Ihnen  nur  sehr  lieb  gewesen  wäre.  Aber  so  wie  es  ist,  ist  es  mein  wirk- 
lich freundschaftlicher  Rat,  daß  Sie  sich  etwas  zurückhalten;  es  ist 
keine  Person,  die  Ihnen  wirklich  genügen  kann,  und  es  könnte  auf 
die  Dauer  nur  große  Unannehmlichkeiten  für  Sie  mit  sich  Ijringen. 
Gladbach  habe  ich  mir  glücklich  durch  die  Reise  nach  Köln  ab- 
geschüttelt. Er  wollte  wieder  mit  herkommen ;  ich  habe  ihm  gesagt, 
ich  wäre  jetzt  viel  zu  beschäftigt.  Erstens  geniert  und  langweilt  er  mich 
zu  Tode,  und  dann  ist  es,  wie  mir  Bloem  selbst  sagte,  auffällig,  daß  er 
vier  Wochen  lang  hier  sitzt,  wenn  ich  ganz  allein  hier  bin.  Nun  bom- 
bardiert er  mich  mit  Briefen,  nachdem  ich  ihm  jetzt  wieder  fünfund- 
vierzig Taler  gegeben.  Diese  Leute  sind  beinahe  komisch  in  ihrer  naiven 
Unverschämtheit.  Er  schreibt  mir  ganz  naiv,  er  müßte  jetzt  diese 
hundert  Taler  von  mir  fordern,  würde  mich  dann  aber  gewiß  verschonen, 
bis  Sie  wiederkämen.  Ich  bitte  Sie  recht  inständig,  sich  auch  dies 
etwas  entschieden  vom  Hals  zu  halten,  ich  habe  gefunden,  daß, 
nachdem  er  dieses  Jahr  so  viel  bekommen  hat,  worauf  er  gar  keinen 
Anspruch  hatte,  er  immer  noch  von  Ihnen  gefordert  und  auch  erhalten 
hat.  Einmal  geht,  so  viel  für  einen  Menschen  zu  tun,  weit,  weit 
über  imsere  Mittel,  dazu  gehörte  das  Vermögen  eines  Rothschild,  und 
in  allem,  selbst  in  der  Generosität,  gehört  Vernunft  und  zuerst  das 
nächste  zu  bedenken.  Alsdann  bedenken  Sie,  was  man  von  ihm  sagt, 
tmd  wenn  Ihnen  dies  nicht  haarklein  erwiesen,  so  spricht  doch  mehr 
als  der  stärkste  Schein  dafür,  so  sehr,  daß,  wie  mir  Kichniawy  sagte, 
sein  sehr  vieles  Hiersein  ims  schadete  bei  manchen;  alsdann  ist  er 
ein  starker,  gesunder  Mann,  der  sich  schämen  sollte,  sich  so  jahrelang 
völlig  ernähren  zu  lassen.  Keine  Art  von  Arbeit  schändet,  im  Gegenteil, 
imd  ich  würde  lieber  Steine  klopfen,  was  er  nicht  nötig  hat.  Ich  darf 
solches  Urteil  fällen,  denn  ich  habe  als  schwache,  kranke  Frau,  die 
sehr  verwöhnt  war,  gezeigt,  daß  ich  ohne  Murren  und  Klage,  sogar 
ohne  daß  mir  grade  dies  schwer  wurde,  meine  ganze  Uebensart  ändern 
imd  große  Entbehrungen  tragen  konnte.  Überdies  ist  es  beinahe  un- 
recht, wo  so  viele  I^eute  in  so  wirkhcher,  bitterer  Armut  schmachten, 
trotzdem  daß  sie  sich  fast  zu  Tode  arbeiten  und  es  in  jeder  Hinsicht 
so  sehr  mehr  verdienen,  so  viel  an  einen  zu  verschwenden.  Jetzt  haben 
Sie  wieder  einen  Sermon.  Wenn  ich  Ihnen  das  sagte,  ärgerten  Sie 
sich,  wenn  Sie  es  aber  ruhig  lesen,  glaube  ich  gewiß,  daß  Sie  einsehen, 
daß  ich  recht  habe.  Auch  müssen  Sie  sich  zur  festen  Regel  machen, 
nicht  mehr  zu  borgen  als  wie  Sie  schenken  wollen,  denn  Sie  haben 
noch  niemals,  außer  von  Uew)-,^)  was  durch  die  Verzinsung  hervor- 


=   100  —  

gebracht  wurde,  und  von  Kichniawy,  der  in  eine  ganz  andre  Kategorie 
Leute  gehört  und  dem  ich  sehr  gern  geben  würde,  von  irgend  jemand, 
von  Pickwick,  von  Sehn.,  von  Folb.  [?]  ^)  usw.,etwas  wieder  bekommen. 
Seien  Sie  nicht  böse  über  diese  Vorstellungen,  sondern  überlegen  Sie 
einmal  ruhig,  ob  ich  nicht  recht  habe,  daß  Ihre  übertriebene  Frei- 
gebigkeit Sie  die  Grenzen  der  Mittel  und  die  Vernunft  überschreiten 
läßt,  und  wie  sehr  dies  von  vielen  gradezu  exploitiert  wird.  Die 
würdigsten,  für  die  man  es  gern  täte,  wenn  man  die  Mittel  hätte,  tim 
das  nicht,  also  kommt  es  auch  noch  meistens  an  l/cute,  die  es  nicht 
verdienen. 

Nun  genug  davon,  denn  ich  bin  doch  schon  bange,  daß  Sie  ärgerlich 
werden.  Aber  bedenken  Sie,  daß  ich  mich  wie  Ihre  Mutter  ansehe,  imd 
da  ich  es  wirklich  für  höchst  nötig  halte,  daß  Sie  dies  ändern,  soll  ich 
es  Ihnen  dann  nicht  sagen  und  vorstellen,  wenn  es  mich  wirklich  für 
Sie  besorgt  macht?  Sie  werden  Ihre  Bibliothek  in  solcher  Ordmmg 
finden,  daß  Sie,  wenn  Sie  sich  nicht  große  Mühe  dazu  geben,  sie  gar 
nicht  wieder  in  so  große  Unordnung  bringen  können.  Ich  habe  noch 
zwei  Bücherständer  heruntergesetzt,  so  daß  Sie  vollständig  Platz  haben. 
Im  Arnheimer  werden  Sie  den  Katalog  finden,  darin  eine  Zeichnung, 
wie  die  Bücher  stehen,  Notizen  vmd  die  letzten  Auktionsrechnungen 
von  Schöpping  der  Bücher,  die  jetzt  gekommen  und  Sie  noch  nicht 
gesehen.  Diese  habe  ich  alle  zusammengestellt  im  vordem  Zimmer, 
wenn  Sie  hereinkommen  rechts  von  der  Schlafzimmertür,  damit  Sie 
sie  gleich  beisammen  finden  und  durchsehen  können.  Es  war  wirklich 
diese  Ordmmg  eine  Riesenarbeit.  Bei  großer  Tätigkeit  hat  es  über  vier 
Wochen  gedauert,  und  ich  freue  mich  um  so  mehr,  es  gemacht  zu  haben, 
als  ich  jetzt  gesehen,  daß  Sie  es  niemals  gemacht  haben  würden.  Sie 
hätten  weder  Geduld  noch  Zeit  dazu.  Ich  habe  alles,  soweit  die  Zeit 
erlaubte,  noch  nicht  Eingebundene  binden  lassen,  die  Werke,  wovon 
nur  erste  Teile  da,  vervollständigt  und  vorzüglich  Schöpping  genötigt, 
mir  die  Eieferungswerke,  woran  überall  fehlte,  zu  vervollständigen. 
Nur  den  zweiten  Teil  von  Mario, ^)  der  ganz  unvollständig  war, 
habe  ich  noch  nicht.  Denken  Sie  daran,  wenn  es  vor  meiner  Abreise 


^)  Der  Kaufmann  Gustav  L,ewy  in  Düsseldorf.  Vgl.  über  Lassalles  Erlebnisse 
mit  ihm  Bd.  III,  Einführung  S.  9  f.  Später  war  er  Kassierer  des  Allgemeinen 
Deutschen  Arbeitervereins.  Briefe  von  ihm  an  Lassalle  werden  in  Bd.  V  ab- 
gedruckt. 

2)  Über  diese  Persönlichkeiten  ließ  sich  nichts  feststellen.  Pickwick  —  vielleicht 
ein  Spitzname,  man  denke  an  den  Dickensschen  Roman!  —  war  im  folgenden 
Jahre  in  Berlin  sehr  tätig,  um  I,assalle  die  Niederlassung  daselbst  erwirken  zu 
helfen. 

3)  Karl  Mario  (Winkelblech),  Untersuchungen  über  die  Organisation  der  Arbeit 
oder  System  der  Weltökonomie,  erschien  in  drei  Bänden  von  1850  bis  1857. 


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nicht  kommen  sollte,  er  ist  schon  früher  bezahlt  und  nichts  hat  er 
dafür  zu  fordern,  da  es  seine  Unordnung.  Es  ist  auch  am  ii.  eine  Auktion 
bei  Heberle,  wo  ich  Ihnen  einiges  bestellt,  so  gut  ich  es  zu  beurteilen 
vermochte.  Hätten  Sie  nur  nicht  so  entsetzhch  viel  für  diese  Reise 
gekauft,  was  Ihnen  jetzt  ganz  unnütz  und  jedenfalls  gewesen  wäre, 
weil  es  viel  zu  voluminös,  um  es  mitnehmen  zu  können.  Arabisch  lernen 
Sie  ja  doch  nicht  und  wäre  auch  für  Sie  recht  verschwendete  viele  Zeit. 
Ich  sehe  mich  ganz  stolz  über  mein  Werk,  das  ich  ganz  allein  gemacht, 
um,  wenn  ich  jetzt  in  Ihre  Zimmer  gehe. 

Am  15.  gedenke  ich  nach  Berlin  abzureisen.  Ich  hoffe,  Ihr  Vater 
kommt  hin,  damit  wir  vereint  [dort]  suchen  können,  etwas  dort  für 
Sie  zu  tun.  Ich  freue  mich,  Paul  in  seinen  häuslichen  Einrichtungen  zu 
sehen.  Sonst  gehe  ich  eigentlich  nicht  sehr  gern;  ich  gehe  so  ungern  aus 
meiner  Bequemlichkeit,  Beschäftigung  und  Ruhe,  die  mir  so  nötig 
ist,  heraus.  Es  ist  ein  Versuch,  den  ich  machen  muß,  wobei  ich  mir 
aber  gewiß  nichts  vergeben  will,  sondern  nur  durch  meine  Gegenwart 
Gelegenheit  bieten,  den  andern  zu  zeigen,  was  sie  wünschen. 

.  .  .  Wo^)  haben  Sie  denn  überhaupt  in  meinen  Briefen  gesehen,  daß 
es  mir  schlechter  geht?  Es  geht  mir  im  Gegenteil  eher  besser.  Inner- 
lich bin  ich  gewiß  wohler;  ich  werde  sehr  mager,  wahrscheinlich  weil 
ich  seit  Wildbad  den  Schlaf  verloren  .  .  .  Beruhigen  Sie  sich  also 
über  mich.  Gesund  werde  ich  allerdings  nie  mehr  werden,  aber  mit 
großer  Ruhe  vor  allem  und  Pflege  kann  ich  mich  noch  lange  hin- 
halten. Ich  war  sehr  gerührt  über  Ihren  Brief  an  Ihren  Vater,  den 
er  mir  geschickt.  Hierher  zu  kommen  braucht  der  arme  Mann  nicht, 
da  ich  nach  Berlin  gehe.  Aber  es  wäre  gut,  wenn  er  einmal  hin- 
käme, wenn  ich  da  bin.  Ihren  Zettel  an  die  Agnes  habe  ich  sofort  ab- 
geschickt. Ich  fürchte,  liebes  Kind,  Sie  täuschen  sich  sehr  über  sie; 
mir  hat  sie,  seitdem  ich  das  Geld  geweigert,  keine  Silbe  mehr  geant- 
wortet, und  ich  fürchte  sehr,  sie  hat  sich  wieder  an  Sie  gewendet.  Sie 
haben  ihr  gewiß  vor  Ihrer  Abreise  noch  wieder  Geld  gegeben  und  ihr 
wieder  welches  aus  Prag  geschickt.  Ich  beschwöre  Sie,  liebes 
Kmd,  sein  Sie  doch  etwas  vernünftig,  man  exploitiert  Sie  und  hat 
sich,  wie  ich  schon  längere  Zeit  glaube,  nur  deshalb  Ihnen  so  schnell 
an  den  Kopf  geworfen,  weil  man  Sie  für  sehr  generös  kannte.  Manche 
kleme  Sachen  hatten  mich  schon  frappiert,  aber  die  Art,  wie  sie  mir 
über  Sie  in  Wildbad  sprach  und  vorzüglich  wie  sie  mit  Paul  darüber 
gesprochen,  hat  mir  miendhch  mißfallen.  Ich  kann  über  Sie  schmälen, 
wenn  ich  aufgeregt  bin,  aber  kein  andrer  darf  es.  Ihre  Reden  hatten 
eine  Szene  zwischen  mir  und  Paul  zur  Folge,  weshalb  ich  ihr  gleich 

^)  Das  folgende  ist  eine  Nachschrift  vom   10.  November. 


r:=     102     r=r 

schrieb  um  Aufklärung,  weil  ich  nicht  glauben  könne,  daß  sie  sich  so 
geäußert,  worauf  sie  aber  nie  geantwortet.  Sie  war  darin  nicht  gerade, 
weder  gegen  mich  noch  Sie,  mit  einem  Wort,  sie  ist  nicht  wahr ,  glauben 
Sie  mir  das;  und  es  läßt  sich  gar  nicht  mit  Eifersucht  entschuldigen, 
denn  ich  gab  ihr  dazu  gar  keinen  Anlaß,  und  wenn  sie  es  nur  versuchen 
wollte,  tmsre  Freundschaft  zu  zerstören,  so  spricht  das  nicht  für  sie 
imd  beweist,  daß  sie  diese  Freundschaft  nicht  versteht  und  ihrer  nicht 
wert  wäre.  Sie  exploitiert  Sie,  sei  es  auch  auf  Antrieb  des  Vaters,  doch 
hätte  sie  nicht  nötig,  sich  dazu  brauchen  zu  lassen  .  .  . 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  gutes  Kind,  denn  der  Brief  soll  heute 
fort.  Ich  glaube,  daß  Sie  diesmal  die  pohtische  Situation  weniger  drohend 
ansehen,  als  sie  ist  (aus  diesem  einzigen  Grund  ist  es  mir  sehr  lieb,  daß 
»Sie  weit  entfernt,  und  bitte  auch  Ihre  Rückkehr  nicht  zu  übereilen), 
aber  was  die  Kurse  anbelangen,  glaube  ich,  täuschen  Sie  sich  vollkommen, 
die  Besorgnis  ist  zu  groß.  In  Neuenburg  scheint  es  sehr  ernst  werden 
zu  wollen.  Die  Genfer  stehen  demnach  wieder  von  93  auf  83^/2,  in  den 
letzten  zehn  Tagen  lyuxemburger  von  102  auf  97  G.,  Diskonto  von 
133^/2  auf  129  bez.  Es  ist  schlimm.  Nun  leben  Sie  viel  und  vielmals  und 
recht  herzlich  wohl;  wenn  Sie  mir  ein  Andenken  von  der  Reise  mit- 
bringen wollen,  so  bringen  Sie  mir  einen  etwas  großen  Talisman.  Sie 
wissen,  das  ist  ein  auf  Karneol  oder  Eapislazuli  geschnittener  Koran- 
spruch, das  soll  Glück  bringen;  ich  werde  ihn  mir  als  Brosche  fassen 
lassen;  bringen  Sie  sich  auch  kleine  zu  Hemdärmelknöpfen  mit.  Adieu, 
liebes  Kind,  herzlich  adieu,  wie  steht  es  mit  den  Augen?  Schonen  Sie 
sie  nur  recht. 

S.H. 

30. 

IvASSADDE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Konstantinopel,  7.  November   1856. 

Meine  gute  gnädige  Frau!  Aus  schmerzbeklommener  Seele  und  tief- 
traurigem Herzen  schreibe  ich  Ihnen  diesen  Brief.  In  diesen  •  letzten 
Tagen  vor  meiner  Abreise,  die  schon  heute  und  selbst  gestern  erfolgen 
sollte,  ist  es  mir  gelungen,  nähere  Details  über  das  traurige,  traurige 
Geschick  meines  Arnolds  ^)  einzuziehen.  Oh,  wie  falsch  war,  was  man 
ims  erzählt  hat!  Ich  habe  jetzt  seine  besten  Freunde  kennen  gelernt, 
habe  Briefe  von  ihm  an  dieselben  gelesen  und  erhalten  und  bin  von 
seinem  wechselvollen  Schicksal  genau  tmterrichtet.  Ich  lege  Ihnen  hier 

^)  Über  Arnold  Mendelssohn,  I^assalles  nächsten  Jugendfreund,  vgl.  Bd.  I, 
Einführung  S.  29  ff . 


— : '  103  -  - 

einen  Brief  bei  \(>n  KnieU-Paselui  an  ]  )r.  Kala/.dy,  den  mir  lit/.tcrer 
geschenkt  hat  und  den  ich  Jlinen  auf  die  Seele  binde!  Oder  nein.  Mein 
Brief  könnte  untergehen.  Ich  kopiere  daher  nur  den  betreffenden  Teil 
aus  General  Kmetys  Schreiben.  Er  schreibt  an  Dr.  Kalazdy,  den  General- 
stabsarzt Berns :^)  ,,.  .  .  Unser  armer  Freund  Dr.  Mendelssohn  ist  vor 
wenigen  Wochen  in  Bajazid  an  der  persischen  Grenze  am  Typhus  ge- 
storben. Der  arme  Teufel,  vom  Schicksal  gepeitscht  und  gehetzt,  voll 
Empfindung  und  Phantasie,  im  ganzen  ein  ganz  gewiß  guter  Kerl,  an- 
gefeindet von  seinen  Kollegen,  verdächtigt  als  Spion  von  Freund  und 
Feind,  mußte  sich  bis  an  den  Fuß  des  Berges  Ararat  packen,  um  dort 
jung,  von  der  ganzen  Welt  verlassen,  in  einem  I.och  wie  ein  Hund  aus- 
zuhauchen. Ruhe  seiner  Asche!" 

Es  kostet  mich  viel,  diese  Zeilen  zu  kopieren.  Seit  drei  Tagen,  daß 
ich  in  ihrem  Besitz  bin,  ist  mir  ein  gut  Stück  Lebensfreude  und  Reise- 
lust vergällt.  Nur  mit  Mühe  und  Anstrengung  habe  ich  wieder  leidliche 
äußere  Ruhe  gewinnen  können.  Kmety  irrt  übrigens,  wenn  er  Mendels- 
sohn in  Bajazid  gestorben  glaubt;  er  starb  auf  dem  Marsch,  den  er  als 
Regimentsarzt  eines  Redifregimentes  von  Kars  nach  Bajazid  machte, 
ohne  diesen  Ort  zu  erreichen,  fünf  Stunden  vor  demselben. 

Gott!  Wenn  dieser  Mensch  doch  noch  lebte.  Wenn  es  eine  Macht 
gäbe,  die  einen  Toten  wieder  lebendig  machen  könnte!  Selbst  unver- 
wundlich  und  unverwüstlich,  habe  ich  das  harte  Geschick,  immer  in 
dem  getroffen  zu  werden,  was  ich  liebe!  Es  ist  das  Marterschicksal  des 
ewigen  Juden,  das  auf  mir  lastet.  Wie  besser  wäre  es,  selbst  zugrunde 
zu  gehen! 

Mir  ist  sehr  weh,  sehr  wehmütig.  In  meinem  ganzen  Leben  habe  ich 
außer  meinem  Vater  nur  zwei  Menschen  geliebt,  Sie  und  Arnold.  In  der 
Kraft  und  Blüte  seiner  Jugend  habe  ich  diesen  untergehen  lassen 
müssen,  ohne  ihn  schützen,  ohne  irgend  etwas  für  ihn  tun  zu  können. 
Wenn  er  sich  noch  elende  sechs  Monate  hätte  halten  können,  war  ich 
endlich  so  weit,  zu  seinem  Entsätze  herbei  fliegen,  mein  Los  mit  ihm 
teilen  zu  können.  Und  wenige  elende  Monate  vorher  muß  er  sterben. 
Es  ist  stupid,  es  ist  zu  stupide.  Grade  zu  der  Zeit,  als  ich  die  letzten 
krampfhaften  Anstrengungen  machte,  die  zu  Ihrem  Siege  führen  sollten, 
mußte  er  mir  untergehen.  Es  ist  wie  Zoll,  den  ich  für  Ihren  Sieg  den 
schwarzen  Göttern  zahlen  sollte!  Ich  habe  dann  einen  großen,  schweren 
Zoll  bezahlt! 


1)  Der  polnische  Revolutionsgcneral  Joseph  Bern  (1795 — 1850),  der  1848  und 
1S49  einer  der  mihtärischen  Führer  der  ungarischen  Revohition  gewesen,  war 
nach  deren  Zusammenbruch  in  türkische  Dienste  getreten.  In  Mendelssohns 
Papieren  befindet  sich  ein  ärztlicher  Bericht  von  ihm  über  Berns  Tod,  bei  dem  er 
als  behandelnder  Arzt  zugegen  war. 


-  104  - 

Gräfin!  Es  lastet  eine  große  lyiebesschuld  auf  Ihnen.  Mein  Arnold 
ist  tot!  Sie  müssen  mir  alles  an  lyiebe  und  Freundschaft  ersetzen,  was 
ich  durch  seinen  Untergang  verloren  habe.  Wenn  ich  auch  Sie  einst 
verlieren  sollte,  so  wäre  ich  der  steinimglücklichste  der  Menschen !  Ach, 
wie  leer  und  nichtig  sind  alle  Freuden  und  Genüsse  neben  dem  einen 
und  wahren  Genuß,  den  man  in  der  echten  gediegenen  I^iebe  edler 
Wesen  findet.  Erhalten  Sie  sich,  schonen  Sie  sich,  erhalten  Sie  sich 
für  mich.  Ich  bin  sehr  wunden  Herzens  und  in  keiner  Reisestimmimg 
mehr.  Ich  kann  unmöglich  hier  irgendeine  Ausgleichimg  finden  für  das, 
was  ich  durch  die  Trennimg  von  Ihnen  verliere,  wenn  Sie  mild  und  gut 
mit  mir  sein  wollen.  Es  zieht  mich  große  Sehnsucht  nach  Ihnen  zurück. 
Arnold  ist  tot,  ist  elend  untergegangen.  Es  drängt  mich  um  so  mehr 
nach  Ihnen,  auf  die  ich  jetzt  auch  die  lyiebe  übertrage,  die  ich  für  ihn 
hatte.  Ich  werde  unter  diesen  Umständen  und  bei  dieser  Stimmung 
wohl  keinesfalls  nach  Syrien  gehen.  Nach  Ägypten  will  ich  gehen,  damit 
die  Reise  doch  einigermaßen  von  Resultat  sei.  Aber  selbst  der  für  mich 
stets  so  große  Reiz  des  grauen  Altertums  verliert  seine  Kraft  durch  die 
tiefe  Wehmut,  die  mein  Herz  beherrscht. 

Um  eins  bitte  ich  Sie  vor  allem.  Ich  werde  meine  Reise  möglichst 
abzukürzen  und  zu  beschleunigen  suchen.  Aber  seien  Sie  nicht  auf 
Reisen,  wenn  ich  nach  Hause  komme.  Seien  Sie  entweder  in  Berlin  oder 
in  Düsseldorf,  aber  an  einem  dieser  Orte  und  nicht  auf  Reisen.  Es  würde 
mich  ganz  unglücklich  machen,  wenn  ich  Sie  nicht  gleich  finden  könnte. 
Versprechen  Sie  mir  das! 

Und  noch  eins!  Schonen  Sie  sich!  Reisen  Sie  fleißig  zu  Wolff,  ihn 
oft  zu  konsultieren.  Hören  Sie?  Bitte,  tun  Sie  es  mir  zu  Uiebe! 

Ich  habe  Ihren  Brief  vom  19.  Oktober  erhalten.^)  Über  die  dummen 
Geldangelegenheiten  wieder  zu  schreiben,  fehlt  mir  jetzt  die  Stim- 
mung, um  so  mehr,  als  sie  sich  um  so  besser  abwickeln,  je  weniger  man 
daran  denkt  und  sich  damit  beschäftigt,  was  auch  Sie  beherzigen 
sollten.  Übrigens  danke  ich  Ihnen  für  Ihren  sehr,  sehr  lieben 
Brief. 

Ich  ersehe  aus  demselben,  daß  Sie  meinen  zweiten  großen  Reise- 
bericht aus  Giurgiewo  noch  nicht  erhalten  haben.  Wahrscheinlich  haben 
Sie  ihn  inzwischen  durch  Vater  bekommen.  Ebenso  das  kleine  direkte 
Privatbriefchen  aus  Bukarest.^)  Von  Konstantinopel  habe  ich  einen 
dritten  großen  Reisebericht  erlassen,  den  Sie  wieder  von  Vater  erhalten 
werden.  Ich  wollte  von  hier  aus  noch  einen  vierten  schreiben.  Doch 
fehlt  mir  dazu  die  Stimmung  jetzt.  Vielleicht  aus  Smyrna. 


^)  Siehe  oben  Nr.  25. 
")  Siehe  oben  Nr.  22. 


—  =  105  = 

Leben  Sie  wohl,  tausendmal  wohl,  und  erhalten  »Sie  sich  mir.  Von 
hier  aus  habe  ich  auch  schon  zwei  direkte  Privatbriefe  ^)  an  Sie  ge- 
schrieben. Dies  ist  der  dritte.  Adien,  adieu.  Auf  frohes  Wiedersehen 

Ihr 

Ferdinand. 

31- 

LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Triest,  Sonntag,  28.  Dezember  [1856]. 
Gnädige  Frau! 

Heute  früh  in  Triest  angelangt,  finde  ich  Ihren  Brief  vom  21.  d. 
vor,  der  mich  zugleich  in  Erstaunen  und  Betrübnis  versetzt.^)  Denn 
erstens  ersehe  ich  daraus,  daß  Sie  krank  gewesen,  wovon  ich  kein  Wort 
wußte,  zweitens  daß  ein  Brief  an  mich  verloren  gegangen  sein  muß  (der 
letzte  Brief,  den  ich  von  Ihnen  erhielt,  war  vom  10.  November  ^) 
datiert),  drittens,  daß  man  sich  untersteht,  Sie  zu  quälen  und  Sie, 
was  nur  zu  natürlich,  sich  quälen  lassen!  Ihren  Wunsch  betreffend, 
nicht  nach  Berlin  zu  kommen,  so  bin  ich  gewiß  stets  und  ganz  be- 
sonders in  dem  jetzigen  Momente  bereit,  alle  Ihre  Wünsche  zu  erfüllen  — 
aber  wie  das  anfangen?  Es  ist  ja  rein  unmöglich.  Von  Breslau  führt 
kein  andrer  Weg  nach  Küßnacht,  d.  h.  nach  Düsseldorf,  als  über  Berhn. 

Berlin  muß  ich  also  passieren.  Ich  kann  es  auch  nicht  ohne  Aufent- 
halt passieren,  da  ich  erstens  mehreres  dort  zu  bestellen  habe  imd  ganz 
besonders  auch  endlich  jetzt  meine  Domizilierungsangelegenheit  zu 
Ende  bringen  muß  und  werde.  Alles,  was  sich  also,  um  Ihrem  Wunsche 
zu  entsprechen,  tun  läßt,  dürfte,  soviel  ich  sehe,  folgendes  sein:  i.  Am 
31.  treffe  ich  in  Breslau  ein.  Wäre  das  Schiff  früher  hier  angelangt,  so 
hegte  ich  die  geheime  Hoffnung,  Sie  zum  Sylvesterabend  in  Breslau  zu 
sehen.  Jetzt  aber  erhalten  Sie  den  Brief  wohl  zu  spät,  um  in  Breslau 
zum  31.  abends  zu  sein;  auch  können  Sie  so  Hals  über  Kopf  nicht  reisen. 
Ich  wollte  nur  drei  Tage  in  Breslau  bleiben.  Wenn  Ihnen  indes  ein 
Dienst  damit  geschieht,  so  kann  ich  fünf,  im  Notfall  auch  sechs  Tage 
dort  weilen.  Denn  es  trägt  mich  mit  Gewalt  an  meinen  Heraklit.  Ich 
habe  alle  Hände  voll  zu  tun.  Längerer  Aufenthalt  in  Breslau  ist  ganz 
und  gar  unmöglich. 

2.  Ferner  kann  ich  das  Opfer  bringen,  wenn  ich  nach  Berhn  komme, 
gar  nicht  zu  Ihnen  zu  gehen.  So  können  Ihnen  doch  die  Leute  meine 

^)  Siehe  oben  Nr.  26  und  27. 

2)  Der  Brief  fehlt. 

3)  Siehe  oben  Nr.  29. 


-  io6  

Hinkunft  nicht  zur  I^ast  legen  und  Sie  nicht  darunter  leiden  lassen 
Zumal  ich  ja  nicht  nach  Berlin  reise,  sondern,  wie  alle  Welt  weiß,  meine 
Rückreise  forciertermaßen  über  Berlin  nehmen  muß. 

Meine  Angelegenheit  werde  ich  in  Berlin  schon  durchzusetzen 
wissen.  Vous  verrez. 

Sehr,  sehr  gefreut  hat  mich  Ihr  Anerbieten,  mir  nach  Breslau 
entgegenzukommen.  Tun  Sie  es  ja  und  so  schnell  als  möglich.  Am  2. 
hoffe  ich  Sie  gewiß  dort  zu  sehen. 

Ich  bin  sehr  erschöpft.  Reisen  ist  nichts.  Aber  reisen  mit  fünf  großen 
Kisten  außer  Koffern,  Reisesack  und  Handgepäck  strengt  an.  Außer- 
dem bin  ich  bekümmert  durch  Ihren  Brief.  Ach,  warum  sitze  ich  nicht 
schon  mit  Ihnen  in  Düsseldorf  und  krame  Ihnen  all  die  schönen  Sachen 
aus,  die  ich  Ihnen  mitgebracht.  Ich  habe  die  fünf  Kisten  hier  dem 
Spediteur  übergeben.  Beten  Sie  für  ihre  unversehrte  Ankunft. 

Schreiben  Sie  mir  gleich  nach  Breslau  Antwort  oder  besser,  kommen 
Sie  selbst  statt  derselben.^) 

Ihr 

F.  Lassalle. 

32. 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

I/aibach,   29.  Dezember  [1856],  abends  6  Uhr. 

Gnädigste  Frau!  Ich  habe  Ihnen  zwar  gleich  von  Triest  aus  ge- 
schrieben. Da  ich  aber  hier  drei  Stunden  Zeit  habe,  schreibe  ich  Ihnen 
nochmals,  um  so  mehr  als  ich  nicht  weiß,  ob  jener  Brief  anlangen  wird. 
Denn  von  den  zwei  Posten,  die  ziemlich  gleichzeitig  mit  mir  von  Triest 
abgingen,  ist  nur  die  eine  durchgekommen,  die  andere  aber  liegen  ge- 
blieben. Ich  weiß  nicht,  welche  von  beiden  meinen  Brief  trug.  Ich  selbst 
bin  trotz  meiner  Extrapost  und  vier  Pferden  nur  wie  durch  ein  Wimder 
glücklich  angelangt.  Der  Schnee  lag  auf  den  Gebirgen,  die  wir  passierten, 
so  tief,  daß  wir  die  ganze  Zeit  nicht  die  Räder  des  Wagens  gesehen  haben. 
Viermal  sind  wir  liegen  geblieben,  ein  Pferd  ist  uns  gestürzt,  eine  Deichsel 
haben  wir  gebrochen  und  in  beständiger  Gefahr  geschwebt,  über  die 
Straße,  die  man  nicht  sehen  konnte,  hinaus  in  die  Abgründe  zu  fahren. 
Aber  der  Wimsch,  Sie  bald  zu  sehen,  war  stärker  als  alles,  und  wir 
haben  mm  glücklich  Laibach  —  wo  die  Eisenbahn  anfängt . —  erreicht. 
Freilich  statt  heut  früh  um  vier  Uhr  vielmehr  erst  nachmittags  um 


^)  I/Essalle  traf  am  31.  Dezember,  die  Gräfin  am  Neujahrsmorgen  in  Breslau 
ein.  Sie  begaben  sich  von  hier  aus,  einem  Berliner  Polizeibericht  zufolge,  eilig 
nach  Düsseldorf,  weil  das  Fallissement  der  Brückenpächter  Siegheim  und  Block 
in  Köln  die  Gräfin  mit  einem  bedeutenden  Vermögensverlust  bedrohte. 


— =--"  107  

fünf  Uhr.  Zwei  Eiscnl)ahnzügc  haben  wir  daher  versäumt.  Aher  noeh 
mit  dem  Nachtzuge  gehe  ich  nach  Wien,  steige  .sofort  df)rt  auf  den  Bres- 
lauer Zug  und  lauge  somit  immer  noch  am  31.  in  Breslau  an.  Ihr  Brief 
hat  mich  sehr  trübe  gestimmt,  hauptsächlich  wegen  der  darin  so  kurz 
erwähnten  Krankheit  und  elektromagnetischen  Kur.  Diese  neuen 
Kuren  sind  leider  noch  so  wenig  erforscht,  daß  es  mich  sehr  ängstigen 
würde,  Sie  einer  solchen  unterworfen  zu  wissen,  wenn  nicht  eine  an- 
erkannte ärztliche  Autorität  sie  verordnet  hat.  Wer  hat  sie  Ihnen 
denn  verordnet?  Dies  bitte  ich  mir  umgehend  zu  sagen. 

Ich  komme  auf  Ihren  Wunsch  zurück,  daß  ich  nicht  nach  Berlin 
soll.  Ich  schrieb  Ihnen  darüber  in  meinem  Triester  Briefe:  Daß  ich 
mich  ursprünglich  nur  drei  Tage  in  Breslau  aufhalten  wollte,  auf  Ihren 
Wunsch  zwar  fünf  bis  sechs  Tage  dort  bleiben  will,  länger  aber  auch 
nicht  kann.  Daß  ich  ferner,  um  von  Breslau  nach  Düsseldorf  zu  kommen, 
Berhn  passieren  muß,  daß  ich  auch,  um  meine  Berhner  Domizilierungs- 
angelegenheit  gütlich  zu  ordnen,  dort  einige  Tage  bleiben  muß,  wenn 
auch  heimlich,  und  somit  höchstens  nur  das  Opfer  bringen  kann,  Sie 
in  Berlin  gar  nicht  zu  besuchen. 

Ich  will  jetzt  hinzufügen,  daß  ich  natürhch  vor  allen  Dingen  in  der 
Welt  Ihnen  angenehm  sein  und  meine  Rückkehr  nach  Europa  nicht 
damit  beginnen  will,  Ihnen  etwas  abzuschlagen.  Allein  ich  weiß  kein 
anderes  Mittel,  als  —  im  höchsten  Notfall  —  von  Breslau  aus  statt 
über  Berlin,  über  Prag  nach  Düsseldorf  zu  reisen.  Freilich  wäre  es  mehr 
als  grausam,  wenn  ich  hierzu  gezwungen  wäre.  Denn  nicht  nur,  daß 
ich  drei  Tage  länger  reisen  müf3te,  und  die  Bestellungen,  die  ich  für 
Berlin  übernommen  —  was  höchst  penibel  und  rmangenehm  wäre  — , 
nicht  ausrichten  kann,  sondern  ich  bin  überzeugt,  daß,  wenn  ich  jetzt 
selbst  nach  Berlin  komme,  ich  mit  den  mir  dort  zu  Gebote  stehenden 
Hilfsmitteln  alles  gütlich  einrichten  würde.  Ich  bin  fest  hiervon 
überzeugt,  und  nichts  ward  mir  diese  Überzeugung  nehmen.  Wie  grau- 
sam also,  wenn  ich  doch  nicht  hin  dürfte.  Bestehen  Sie  aber  darauf,  so 
könnte  ich  eher  noch  dies  tun  als  länger  in  Breslau  bleiben.  Über  den 
6.  Januar  hinaus  bleibe  ich  nicht  dort. 

Denn  ich  muß  endlich  mein  Buch  vollenden.  Doch  über  alles  das 
sprechen  wir  in  Breslau.  Die  Hauptsache  ist,  daß  Sie  dort  am  2.  oder  3.  — 
so  früh  als  nur  irgend  möglich  —  eintreffen. 

Darum  bitte  ich  Sie  inständigst. 

Sie  werden  übrigens  sehen  —  was  Sie  schon  so  oft  gesehen  haben  — , 
daß  ich  zuletzt  mehr  einrichten  kann,  wenn  ich  selbst  dort  bin,  als  alle 
Ihre  Verwandte  usw.  und  daß,  während  man  Ihnen  Schwierigkeiten 
macht,  vor  mir  gerade  alle  Schwierigkeiten,  und  zwar  ganz  in  der  Güte, 
sich  ebnen  werden.  Nicht  zum  ersten  Male  hätte  ich  derartige  Dinge 


=^===:=^     I08    

durchgesetzt,  die  die  am  besten  gesehenen  lyeute  nicht  erlangen  konnten. 
Nun  wohl!  Ich  bin  sehr  ungeduldig,  Sie  zu  sehen,  der  Boden  brennt 
unter  meinen  Füßen,  und  ich  ginge  am  liebsten  auf  Ivcben  und  Tod 
durch  die  lyuft,  um  nur  früher  anzukommen.  Was  mich  am  meisten 
ärgert,  ist,  daß  wenn  ich  gar  in  Breslau  ankomme,  ich  Sie  noch  immer 
nicht  dort  finde! 

Inshallah!  Gott  ist  groß!  Ich  habe,  wie  jeder,  im  Orient  ein  klein 
wenig  Geduld  gelernt.  Aber  nicht  in  solchen  Dingen.  Da  bricht  die 
alte  vulkanische  Feuematur  immer  wieder  durch!  Freuen  Sie  sich  denn 
auch  ein  wenig,  mich  zu  sehen?  Es  scheint  fast  nicht!  Wenigstens  ist  es 
nicht  jenes  Ungestüm,  was  ich  Freude  nenne,  mit  dem  ich  dem  Wieder- 
sehen entgegenstürme  und  durch  dessen  Feuerhauch  ich  die  Schnee- 
gebirge auf  meinem  Wege  geschmolzen  vmd  die  zerbrochene  Maschine, 
mit  der  ich  mich  über  das  Weltmeer  gewagt,  geheizt  habe.  Allah  Kerim! 
Inshallah  I  Der  Wille  Gottes  geschehe !  Nun  leben  Sie  wohl,  und  wenn 
ich  nach  Berlin  komme,  so  hoffe  ich,  wieder  einmal  zu  zeigen,  was  ein 
Mann  wert  sein  kann.  Als  Katze  oder  als  Tiger,  wie  Weerth  ^)  sagt, 
aber  auf  eine  Weise  setze  ich  es  durch. 

Ihr 

F.I.. 

33- 

IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  Sonntag  [S.Februar   1857]. 

Es  ist  wirklich  höchst  grausam,  ja  es  ist  schlecht  von  Ihnen,  daß 
Sie  mich  nun  so  immens  lange  ohne  alle  Nachricht  lassen,  eine  Beute 
aller  Besorgnisse.  In  den  elf  Tagen,  die  Sie  fort  sind,  habe  ich  erst 
einen  Brief  bekommen  und  seitdem  auf  alle  meine  Zuschriften  keine 
Antwort.  Ich  würde  lange  bereits  telegraphiert  haben,  wenn  ich  nicht 
wüßte,  daß  Ihnen  dies  in  Berlin  imlieb  ist.  Aber  lange  werde  ich  diese 
Rücksicht  auf  jemand,  der  selbst  so  rücksichtslos  ist,  daß  er  mich  hier 
in  Unruhe  und  Angst  mich  aufreiben  läßt,  nicht  nehmen  .  ,  . 

Sehen  Sie  alles  Mögliche  zutun,  daß  meine  Umsiedltmg  nach  Berlin 
durchgesetzt  wird.  Lassen  Sie  meinen  Vater  kommen,  wenn  Sie  es  für 
nötig  oder  auch  nur  nützlich  erachten.  Ich  werde  schon  bis  15.  März 
mit  Heraklit  fertig  sein.  Es  drängt,  es  treibt  mich,  dann  sofort  ohne 
eines  Tages  Zeitverlust  nach  Berlin  zu  gehen,  um  ihn  zu  veröffent- 


^)  Georg  Weerth  (182 1 — 1856),  der  bekannte  soziale  Dichter,  war  1848  Re- 
dakteur des  Feuilletons  der  Marxschen  ,, Neuen  Rheinischen  Zeitung"  gewesen. 
Vgl.  seinen  Brief  an  Lassalle  in  Bd.  II,  S.  55. 


-=^  109  —  — 

liehen.  Es  wäre  mir  wegen  dieses  Zeitverlustes  schauderhaft,  wenn  ich 
dann  erst  wieder  auf  Schwierigkeiten  stieße  und  mich  hcruinbatailliercn 
müßte.  Wie  froh  werde  ich  überhaupt  in  jeder  Beziehung  sein,  wenn 
ich  erst  wieder  in  Berlin  wohnen  werde.  Ich  halte  es  hier  nicht  mehr 
aus  und  muß  hin... 

Mich  verzehrt  die  Ungeduld,  nach  Berlin  zu  gehen.  Kaum  habe 
ich  hier  noch  die  nötige  Ruhe,  den  Heraklit  fertig  zu  machen.  Ich  muß 
sie  mir  mit  Gewalt  aufzwingen. 

Und  jetzt  verzehrt  mich  peinigende  Unruhe  um  Nachricht  von 
Ihnen.  Das  ist  schlecht  von  Ihnen.  Drei  Minuten  Zeit  für  zwei  Worte 
könnten  Sie  doch  wahrhaftig  alle  drei  Tage  für  mich  haben. 

Ihr  F.  Iv. 


34- 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Düsseldorf]  Montag  [9.  Februar   1857]. 
Gute  Gnädige! 

Endlich  erhalte  ich  einen  Brief  von  Ihnen  und  bin  die  Pferdeangst 
los!  —  lyassen  Sie  mich  doch  nie  wieder  so  lange  warten  .  .  . 

In  bezug  auf  meine  Sache  scheinen  Sie  ja  noch  gar  nicht  tätig  ge- 
wesen zu  sein.  Liebe  Gräfin,  die  Sache  hat  nicht  solche  Zeit  tmd  will 
so  nicht,  sie  will  mit  Leidenschaft  betrieben  sein,  so  betrieben  sein, 
wie  ich  die  Ihrigen  betrieb.  Das  ist  das  Geheimnis,  auch  die  Unmöglich- 
keiten durchzusetzen.  Ich  bitte  Sie,  rendez-moi  la  pareille  imd  zeigen 
Sie  mal  jetzt,  was  Sie  noch  können!  Dann  können,  wenn  es  sich  um 
mich  handelt.  Diese  Lässigkeit  ist  nicht  die  Manier,  es  durchzusetzen. 
Sie  haben  nach  elf  Tagen  noch  keinen  Menschen  gesprochen.  Ja,  du  mein 
Gott,  wenn  es  sich  darum  handelte,  für  Sie  Dinge  durchzusetzen,  die 
Ihnen  so  wichtig  —  oft  viel  schwerer  —  waren,  da  nahm  ich  mir 
nicht  Zeit  zum  Essen  und  Schlafen,  bis  es  gemacht  war.  Ich  war  in 
beständiger  Feuer  auf  regung.  Wenn  Sie  sich  nicht  in  dieselbe  energische 
Leidenschaft  des  Wollens  hineinsetzen,  da  werden  Sie  freilich  nichts 
durchsetzen  —  aber  mir  auch  einen  immensen  Dienst  nicht  tun. 
Zudem  ist  keine  Zeit.  Bereits  Mitte  März  bin  ich  mit  Heraklit  fertig 
imd  gehe  nach  Berlin.  Wenn  ich  da  erst  Hindernisse  finden  oder 
rumlaufen  soll,  die  Sache  einzurichten,  so  verliere  ich  eine  immense 
Zeit  für  die  Publikation  des  Werkes,  die  ich  ja  nicht  eher  anfangen 
kann,  bis  ich  weiß,   ob  ich  auch  dort  bleiben  kann.    Ich  kann  aber. 


—   HO  

ich  will  keine  Zeit  verlieren,  denn  die  schnellste  Pubhkation  brennt 
mir  wie  Feuer  auf  der  Seele.  Sie  müssen  es  durchsetzen,  daß  ich,  sowie 
ich  fertig  hier  bin,  Mitte  März  schon  ungehindert  hingehen  kann. 
Die  Herausgabe  von  Heraklit,  viele  andere  tüchtige  Arbeiten  lasten 
und  brennen  wie  Feuer  auf  mir.  Alles  aber  das  kann  ich  nur  in  Berlin. 
Jeder  Tag  Verlust  wäre  mir  entsetzlich.  Ich  reibe  mich  auf,  zugrimde. 
Handeln  Sie  mit  der  Energie,  Schnelligkeit,  Unablässigkeit,  mit  der 
man  für  eine  Sache  handelt,  wo  es  um  lieben  und  Tod  geht.  Es  handelt 
sich  für  mich  in  der  Tat  um  ebensoviel.  Ich  will  jetzt  hin  mit  der- 
selben vernichtenden,  verzehrenden  Ivcidenschaft,  mit  der  ich  nur  je 
etwas  in  meinem  Lieben  gewollt  habe.  Diese  Intensität  meines  Willens 
muß  auch  die  Intensität  Ihres  Handelns  entsprechend  gestalten.  Als 
Sie  hier  abreisten,  wollte  ich  doch  schon  hin.  Aber  je  mehr  ich  später 
darüber  dachte,  desto  mehr  ist  es  mir  in  den  Kopf  gestiegen.  Ich  will 
jetzt  noch  ganz  anders  hin  mit  unendlich  potenzierter  Leidenschaft. 
Ich  lebe,  esse,  trinke  und  schlafe  nicht  mehr  bis  dahin.  Ich  arbeite 
hier,  bis  die  Knochen  brechen,  trotz  Augen  und  Tod  [und]  Teufel, 
um  nur  einen  Tag  früher  hin  zu  können !  Kurz,  ich  will  jetzt  mit  jener 
Wut  des  Wollens,  die  vernichtend  ist. 

Ich  will  Sie  nicht  tadeln,  daß  Sie  —  in  elf  Tagen  —  noch  nicht 
einmal  G.^)  gesprochen  haben,  was  doch  am  dritten  Tage  sein  mußte. 
Sie  wußten  bis  heran  noch  nicht,  wie  sehr  ich  will,  wie  ich  schon 
im  März  hin  will.  —  Aber  jetzt  wissen  Sie's.  Nun  handeln  Sie 
danach. 

Wie  würde  es  Sie  kränken,  wenn  Sie  es  nicht  fertig  brächten,  und 
ich  es  dann  doch  hingehend  fertig  brächte.  Würde  es  nicht  aussehen, 
als  hätten  Sie  sich  nur  nicht  die  hinreichende  Mühe  gegeben  und  nicht 
hinlänglich  alles  versucht?  Für  mich  wäre  es  aber  schon  ein  immenser 
Zeitverlust  und  innere  Selbstverzehrungsquelle,  wenn  ich  nur  vierzehn 
Tage,  um  es  zu  erlangen,  verlieren  würde. 

Kurz  —  ich  habe  mich  bei  dem  Schreiben  so  aufgeregt,  daß  ich  ganz 
erschöpft  zusammensinke.  Wachen  Sie  aus  dieser  lyCthargie  auf  und 
handeln  Sie,  wie  ich  handeln  verstehe.  Seien  Sie  wieder  mal  das  Trom- 
peterpferd. 

Anbei  die  gewünschte  Quittung  über  die  13  Rt. 

Ich  bin  ganz  schachmatt  vor  innerer  mich  verzehrender  lyeiden- 
schaft. 

F.  I.. 


^)  I^assalle  meint  den  Polizeirat  Goldheini.  Für  seine  Beziehungen  zu  diesem 
vgl.  die  Einführung  zu  Bd.  II,  S.  17. 


=:^--    TTT  = 

LASSAI.LR  AN  SOPKllv  VON  HATZI- IvIvDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  Donnerstag  [12. — 13.  I'ebniar   1.S57]. 

.  .  .  vSie  haben  sehr  unrecht,  meinen  Brief  so  aufzufassen,  als  ent- 
hielte er  Vorwürfe  gegen  Sie.  Das  sollte  er  nicht  und  hat  er  nicht.  Es 
war  ausdrücklich  drin  gesagt.  Nur  antreiben  sollte  er  Sie,  von  nun 
ab  mehr  zu  tun.  Und  das  ist  freilich  ganz  nötig.  Sie  sagen,  die  stürmi- 
schen gewaltsamen  Mittel  stünden  Ihnen  nicht  zu  Gebot.  Sehr  richtig. 
In  quali  bin  ich  ja  auch  mit  Ihrem  Handeln  ganz  einverstanden,  nur 
in  quanto  nicht;  es  muß  mehr  gehandelt  werden,  schneller  hinter- 
einander fort.  Sonst  kommen  wir  zu  nichts.  Daß  Sie  G[oldheim] 
noch  nicht  gesehen  haben,  ist  freilich  nicht  Ihre  Schuld,  aber  doch  sehr 
schlimm,  denn  ich  gebe  darauf,  was  Sie  mit  ihm  beraten  und  fertig 
bringen,  mit  am  meisten.  Aber  da  er  nicht  antwortete,  so  hätten  Sic 
ihm  gleich  noch  einmal,  zweimal,  dreimal  schreiben  soll[en].  Es 
ist  nicht  Zeit,  zu  warten.  So  kommt  die  Karre  nicht  vom  Fleck!  .  .  . 

Ferner:  Daß  Ihnen  Pickwick  den  E.^)  noch  nicht  gebracht  hat,  ist 
ja  auch  ganz  unerträglich  langsam  gehandelt!  Mein  Gott,  was 
habt  Ihr  denn  alle  zu  tun?  Das  heißt  ja,  wie  die  Schnecken  sich  be- 
wegen. Ich  wiederhole  abermals  mid  dreimal:  So  kann  man  zu  nichts 
kommen.  Mit  dem  Manne  hätten  Sie  schon  längst  ganz  gut  Freund 
sein  müssen.  Ebenso  schrecklich  zeitverschwenderisch  ist  es,  daß  Sie 
noch  nicht  bei  Wolff-)  waren.  Dieser  hatte  mir  ja  versprochen,  seinen 
Einfluß  bei  ManteuffeP)  zu  gebrauchen.  Es  ist  am  Ende  am  besten, 
Sie  schicken  gleich  den  Wolff  zum  Man  teuffei,  von  dem  ich  noch 
immer  am  meisten  glaube,  daß  man  es  bei  ihm  am  leichtesten  durch- 
setzt. Wolff  soll  ihm  sagen,  ich  müßte  durchaus  wegen  meiner  wissen- 
schaftliehen Tätigkeit,  der  Herausgabe  meines  Werkes,  nach  Berlin, 
soll  in  ihn  dringen.  Es  wäre  schrecklieh,  mir  meine  wissenschaftliche 
Tätigkeit  abzuschneiden  usw.  usw.  Da  werden  wir  ja  sehen. 

Die  Zeit  ist  jetzt,  besonders  für  Mant[euffel],  sehr  günstig,  es  bei 
ihm  durchzusetzen,  dies  soll  gleich  geschehen.  Dann  wird  doch  end- 
lich einmal  eine  Demarche  versucht  sein.  Denn  bis  jetzt  —  liebe  gute 
Gräfin,  ich  sage  es  ja  nicht,  um  Ihnen  Vorwürfe  zu  machen,  aber  ich 
muß  doch  in  dieser  mir  so  wichtigen  Sache  meine  Meinung  sagen  — 
haben  Sie  ja  gar  nichts  getan.  Sie  haben  ja  noch  nicht  einen  einzigen 

^)   über  die  Persönlichkeit  des  1,.  ließ  sich  nichts  feststellen. 

2)  Lassalle  meint  vermutlich  den  Inhaber  des  Bankhauses  Hirschberg  &  Wolff 
in  Berlin. 

3)  Otto  Theodor  Freiherr  von  ManteufFel  (1805 — 1882)  war  von  1850  bis  185S 
preußischer  Ministerpräsident  und  Minister  des  Auswärtigen. 


=   112  = 

Menschen  gesprochen;  noch  nicht  einmal  den  Gerson,  der  Ihnen  den 
P.  bringen  sollte.  Sie  haben  —  mit  Pickwick  geplaudert  —  das  ist 
alles!  Nennen  Sie  das  handeln??  Ach,  du  mein  Gott!  .  .  . 

Jedenfalls  aber  —  dies  steht  bombenfest  —  halten  mich,  sowie 
ich  die  Feder  von  meinem  Heraklit  ausgewischt,  sowie  ich  das  letzte 
Wort  geschrieben,  alle  Machtmittel  Europas  nicht  länger  hier  zurück. 
Ich  mache  noch  an  demselben  Tage  meinen  Koffer  und  gehe  nach 
Berlin,  stelle  mich  selbst  an  die  Spitze  meiner  Armee  und  sehe,  was 
man  macht,  wenn  man  die  I^eute  ein  bißchen  in  meiner  Weise  durch- 
einander treibt  und  ihnen  Beine  macht. 

Freilich,  freilich  verliere  ich  dadurch  eine  kostbare  Zeit.  Wird  aber 
nun  eben  nicht  zu  ändern  sein! 

Wenn  werde  ich  also  von  hier  fort?  Das  will  ich  Ihnen  sagen.  In- 
folge rasenden  Arbeitens  ist  die  Sache  schneller  gegangen,  als  ich  glaubte. 
Ich  werde  noch  Ende  dieses  Monats  mit  dem  Werk  fertig.  Kömmt 
dann  nur  noch  die  letzte  Durchsicht,  die  mich  nicht  über  vierzehn  Tage 
aufhält,  um  so  weniger,  als  ich  sie  ja  während  des  Druckes  des  Werkes 
beenden  kann. 

Also  zwischen  15.  und  20.  März  packe  ich  meinen  Heraklit  ein  und 
gehe  nach  Berlin.  Haben  Sie  es  bis  dahin  fertig,  daß  man  mich  nicht 
schikaniert,  gut.  Haben  Sie  es  nicht  fertig,  auch  gut.  Nur  keine  Ge- 
mütsaufregung. Ich  muß  zwar  lachen,  daß  ich  dies  schreibe,  denn  ich 
bin,  seit  Sie  fort  sind,  in  einer  kontinuierlichen  Aufregung.  Jedes  Wort, 
das  ich  schreibe,  dauert  mir  zu  lang.  Aber  ich  kann  sie  auch  aus- 
halten.   Adieu  für  heut. 

Ihr 

F.L. 

36. 
IvASSAI^IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Mittwoch  [18.  Februar  1857]. 
Gnädigste ! 

...  Es  tut  mir  leid,  sehr  leid,  daß  ich  Sie  in  einem  fort  hetzen  und 
Ihre  Zeit  okkupieren  muß.  Mais  que  faire?  Ich  habe  Ihnen  jetzt  also 
folgendes  zu  sagen: 

I.  Das  Anerbieten  Pickwicks  akzeptiere  ich  mit  Dank.  Mag  er  also 
gleich  zum  Polizeipräsidenten  gehen  und  in  der  angegebenen  Weise 
mit  ihm  reden.  Nur  mit  der  sofortigen  Produktion  des  Augenattestes 
bin  ich  nicht  einverstanden.  Wenn  man  auf  diesen  Gnmd  nur  es 
fordert,  so  erlangt  man  offenbar  keine  Domizilierung,  sondern  nur  einen 


=^  "3  = 

und  zwar  auch  nur  ganz  kurzen  Aufenthalt.  Ist  nun  freilich  auch  die 
Hoffnung  da,  es  in  diesem  weiterzubringen,  so  ist  doch  ein  solches 
provisorisches  Vegetieren  sehr  untuigenehm  und  wegen  des  Bücher- 
hinschleppens,  der  Wohnung  usw.  mit  vieler  Ungewißheit  und  großen 
Kosten  verknüpft.  Freilich  wäre  es  noch  immer  besser  als  nichts.  — 

Darum  denke  ich,  Pickwick  geht  hin  und  spricht  nur  von  dem 
andern  Grunde  zunächst,  daß  ich  wegen  meiner  wissenschaftlichen 
Tätigkeit,  wegen  der  Herausgabe  meines  Buches  hin  müßte  und  daß 
er  sich  verbürgen  könne,  daß  ich  nur  deshalb  hin  wolle  usw.  .  .  . 

2.  Mit  Wolff  haben  Sie  es  nicht  praktisch  gemacht .  .  . 

3.  Daß  G[oldheim]  noch  nicht  bei  Ihnen  war,  ist  sehr  schlimm. 
Ich  gebe  am  meisten  darauf,  was  Sie  mit  seiner  Hilfe  ausklüngeln. 
Fahren  Sie  gleich  zu  ihm  hin.  Vater  schreibt  ja  ausdrücklich,  daß  er 
sich  gar  nichts  daraus  macht. 

4.  Wenn  der  h.,  wie  Pickwick  sagt,  zu  höflich  ist,  es  Ihnen  ab- 
zuschlagen, sich  Ihnen  vorstellen  zu  lassen,  ei,  dann  hätten  Sie  lange  mit 
ihm  sprechen  sollen.  Was  Pickwick  mit  ihm  fertig  bekommen  kann,  und 
was  Sie,  ist  ein  großer  Unterschied.  Man  muß  seine  Persönlichkeit 
dreinlegen.  Haben  Sie  doch  schon  manchen  zu  etwas  gebracht,  was 
er  im  Anfang  gar  nicht  wollte.  Also  Sie  müssen  sofort  seine  Bekannt- 
schaft machen,  gleich  augenblicklich.  Sie  müssen  ihn  so  viel  als  mög- 
lich sehen.  Kurz,  Sie  müssen  ihn  erobern.  Das  ist  Ihre  Sache.  Was 
sind  das  für  Schuurrpfeifereien,  mich  mit  Pickwicks  Meinung  über  das, 
was  der  Mann  tun  dürfte,  abzufinden!  Sie  müssen  eben  fertig  bringen, 
was  der  Mann  nicht  will.  Das  zu  erlangen,  was  man  einem  anbietet, 
ist  keine  Kunst.  Kurz,  Sie  müssen  den  Mann  sofort  kennen  lernen  und 
ihn  bezaubern,  sich  zum  Freunde  machen.  Er  kann  Ihnen  auch 
noch  oft  nützlich  sein.    Frevren  Sie  sich  dieser  Gelegenheit. 

Ich  erwarte  also  gleich  Nachricht,  daß  Sie  ihn  gesprochen 
haben. 

5.  Wenn  Vater  hinkommt,  so  lassen  Sie  sich  also  gleich  den  G[old- 
heim]  holen.  (Auch  für  ly.  können  Sie  Vater  gebrauchen.  Sie  waren  früher 
gut  bekannt,  mid  er  hatte  ihm  sogar  schon  seine  Hilfe  versprochen.)  Mit 
G[oldheim]  überlegen  Sie  dann  sofort  das  weitere.  G[oldheim]  schlug 
ja  neulich  schon  meinem  Vater  vor,  er  solle  zu  Mantcuffel  gehen.  Ich 
glaube,  daß  das  im  Fall  der  Not  sehr  nützlich  sein  kann.  Dann  schicken 
Sie  also  auch  Vater  hin. 

6.  Kurz,  meine  Gnädige,  ich  bitte  Sie  —  Sie  haben  noch  immer  bloß 
mit  Pickwick  gesprochen!!!  —  Zeigen  Sie  mir  in  Ihrem  nächsten 
Briefe  endlich  einmal  sechs  gemachte  Demarchen  an,  wenn  es  nicht 
anders  ist,  lauter  abschlägliche,  nutzlose,  aber  mindestens  doch 
wirkliche,  effektive  Demarchen  bei  den  Personen,  welche  zu  ent- 

iMayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  8 


==  114  = 

scheiden  haben.  Denn  so  wird  immer  bloß  ganz  müßig  über  die  vSache 
herüber  und  hinüber  gesprochen  und  nichts  getan.  Dann  wäre  doch 
mindestens  was  geschehen,  was  hätte  gelingen  können.  So  kann  es 
nicht  gelingen,  weil  es  nicht  reell  versucht  wird.  Gott,  wäre  ich  nur 
acht  Tage  in  Berlin,  ich  wollte  ja  wie  der  Sturmwind  hineinfahren.  Sie 
sollten  sehen,  wenn  ich  acht  Tage  dort  wäre,  so  hätten  mindestens 
schon  —  ob  mit,  ob  ohne  Erfolg  —  zehn  lyeute  mit  dem  Polizeipräsi- 
denten und  mit  Manteuffel  darüber  gesprochen.  Sie  müssen  der  Sache 
Zeit  widmen,  wenn  Sie  sie  auch  Paul  und  Ihrer  Schwester  entziehen 
müssen.  Daran  liegt  es.  Esmußsein.  Sonst  kommen  wir  zu  gar  nichts. 
Sie  müssen  die  Sache  nicht  gelegentlich  so  mitbetreiben  wollen. 
Da  wird  freilich  nichts  draus.  Sie  müssen  sich  denken,  Sie  wären  ein 
Agent,  der  nur  zu  diesem  Zweck  auf  fremde  Kosten,  nach  Berlin  ge- 
schickt ist  und  über  die  Tätigkeit  jedes  Tages  Rechenschaft  ab- 
legen muß. 

Es  tut  mir  sehr  leid,  Sie  so  zu  quälen  und  zu  treiben.  Aber  qui  veut 
les  fins,  faut  vouloir  les  moyens.  Diese  Weise,  die  ich  da  gezeichnet, 
ist  die  einzige,  es  durchzusetzen.  Also  zürnen  Sie  mir  nicht,  wenn 
ich  Ihnen  den  rechten  Weg  zeige.  Wenn  Sie  acht  Tage  von  Schwester 
und  Sohn  abstrahieren  und  sie  bloß  in  Ihren  müßigen  Augenblicken 
sehen  könnten  —  wäre  alles  eingerichtet.  Nun  leben  Sie  mir  wohl.  Ich 
bin  sehr  traurig  in  meiner  Grabeseinsamkeit.  Es  ist  mir  sehr,  sehr, 
ganz  unbeschreiblich  bange  nach  Ihnen.  Ich  bin  doch  auch  nur  ein 
Mensch,  obwohl  ich  mir  manchmal  mehr  als  einem  solchen  auferlege. 
Da  sitze  ich  nun  schon  fast  drei  Wochen  von  früh  bis  nacht  arbeitend 
und  kein  menschliches  Gesicht  sehend,  das  mir  wohl  will.  Es  ist  mir 
sehr  bange.  Wären  Sie  nur  wieder  da!  Ihrem  zweiten  Briefe  sehe  ich 
entgegen.  Das  sage  ich  Ihnen  aber  im  voraus.  Wenn  Sie  meine  Abreise 
von  hier  aufschieben  wollen  —  tout  ä  fait  impossible.  —  Diese  erfolgt, 
sowie  ich  fertig  bin,  und  da  kömmt  kein  Demosthenes  dagegen  auf. 

Schreiben  Sie  viel,  handeln  Sie  noch  mehr  und  kommen  Sie  bald 
zu  Ihrem 

F.  I.. 

37- 

I.ASSAI,I,E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Düsseldorf,  26.  Februar  1857.] 

.  .  .  Wo  sehen  Sie  denn  immer  die  Vorwürfe  in  meinen  Briefen?  Es 
sollen  ja  keine  sein.  Ich  bin  Ihnen  ja  so  gut  und  sehne  mich  so  nach 
Ihnen  ,  .  . 


=  115  = 

Was  nun  Ihre  Bitte  anbelangt,  so  muß  ich  sie  Ihnen  abschlagen, 
bitte  aber,  sich  die  Sache  recht  zu  überlegen.  Dann  werden  vSie  sehen, 
wie  recht  ich  habe  und  wie  sie  Sie  gar  nicht  inkonnnodiert. 

Übermorgen  wohl  bin  ich  mit  Heraklit  zu  Ende,  dann  l)in  icli 
auch  am  i6.  März  mit  der  Durchsicht  fertig  und  muß  am  20.  spätestens 
hin  .  .  . 

Was  schreiben  Sie  denn  auf  einmal:  Wenn  ich  nach  Berlin  zöge, 
so  schieden  sich  unsere  Wege  auf  längere  Zeit  auseinander?  Warum 
denn?  Sie  kann  man  am  Domizil  dort  unmöglich  hindern.  Besorgt 
es  Ihnen  die  Nostitz  ^)  nicht  ohne  alle  Schwierigkeit,  so  wird  Ihnen 
schon  Dorn  ^)  das  in  aller  Ruhe  durchfechten.  Denn  gegen  Sie  ist  ja 
keine  politische  Verurteilung  ergangen. 

Warum  wollen  Sie  denn  also  auf  einmal  nicht  hinziehen?  Sie,  die 
Sie  immer  wollten,  es  schon  des  Testamentes  wegen  wollten?  Warum 
wollen  Sie  denn  selbst  ohne  Not  sich  ganz  von  mir  trennen  ?  Es  ist  nicht 
klug  daraus  zu  werden!  Aber  es  macht  mich  recht,  recht  traurig!! 
Jedesmal,  wenn  Sie  bei  Ihrer  Familie  stecken,  werden  Sie  ganz  rätsel- 
haft und  imbegreiflich.  Ich  bitte  um  Aufschluß  darüber,  ob  und 
warum  Sie,  wenn  ich  nach  Berlin  ziehe,  nicht  auch  hinwollen. 

Ich  werde  also  gewiß  nicht  länger  hier  warten,  noch  dazu  damit 
Sie  dann  nicht  in  Berlin  sind,  während  ich  vielmehr  will  imd  rechne, 
daß  Sie,  solange  jedenfalls  ich  dort  bin,  auch  dort  bleiben.  Alles  andere 
kann  man  schon  einrichten.  Unbegreiflich,  imbegreiflich,  daß  wir  jetzt 
auf  einmal  nicht  in  derselben  Stadt  sollten  wohnen  können,  weil  es 
Berlin  ist. 

Ferner:  Wie  soll  ich  denn  hier  warten?  Sie  sagen,  ich  habe  eine 
Arbeit.  Aber  ich  will  ja  eben  erst  hin,  wenn  diese  fertig  ist;  dann 
habe  ich  also  keine  mehr.  Sie  wollen  also,  ich  soll  hier  mutterseelen- 
alleine  in  meinem  Zimmer  sitzen,  ohne  Arbeit,  den  brennende [n] 
Drang  der  Herausgabe  auf  der  Seele,  und  dabei  von  früh  bis  abends 
an  den  Nägeln  kauen?  So  grausam  könnten  Sie  sein,  das  von  mir  und 
ohne  Not  zu  verlangen?  Und  wenn  Sie  so  grausam  wären  —  ich  täte 
es  nicht;  auf  Ehrenwort  nicht! 

Wie  ich  fertig  bin,  reise  ich,  nachdem  ich  etwa  drei  Tage  geruht 
und  gepackt,  ab. 

Nun  leben  Sie  wohl.  Ich  bin  sehr  traurig  über  Ihren  Brief.  Ich 
verstehe  Sie  nicht  mehr.  Ich  glaube,  Sie  verstehen  sich  selbst  nicht  mehr. 
Bald  wollten  Sie  stets  nach  Berlin,  bald  wollen  Sie  sich  lieber  von  mir 


^)  Gräfin  Klara  von  Nostitz,  siehe  oben  S.  98  Anni.  i.  Sie  erlag  am  14.  Januar 
1858  einem  Krebsleiden. 

2)  Dorn  war  der  Rechtsanvvalt  der  Gräfin  in  Berlin. 


=  ii6  = 

ganz  trennen,  wenn  ich  hinziehe,  als  auch  hingehen.  Warum,  warum, 
warum?  Und  was  wollen  Sie  denn  eigentlich? 

Ihr  trauriger 

F.Iv. 

P.S.  Aus  dem  Vorigen  ergibt  sich  von  selbst,  daß  es  geradezu  Blöd- 
sinn ist,  wenn  Sie  glauben,  infolge  meines  Hinkommens  könnten  Sie 
Maßregeln  treffen.  Dies  ist  schon  an  sich  nicht  gut  denkbar,  am  wenig- 
sten aber,  wenn  ich  nur  bis  Potsdam  imd  nur  mit  Genehmigung  nach 
Berlin  gehe!  Mit  polizeilicher  Genehmigimg! 

38- 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Freitag  [27.  Februar  1857]. 
Gnädige  Frau! 

Gestern  gerade  schrieb  ich  Ihnen  einen  Brief,  daß  ich  Sie  manchmal 
nicht  begreife,  daß  ich  den  Satz  Ihres  letzten  Briefes,  daß,  wenn  ich 
nach  Berlin  ginge,  ,, unsere  lyebenswege  auf  längere  Zeit  auseinander- 
gehen", kopfbrechend  rmd  kopfschüttelnd,  traurig  durchgrübelte,  ohne 
ihn  zu  verstehen  —  da  erhalte  ich  beiliegenden  Brief  von  der  Agnes, ^) 
die  ich  infolge  Ihrer  Mitteilimg  zur  Rede  gestellt  hatte ! ! 

Ich  bitte  Sie  inständigst,  mir  aufrichtig  zu  sagen,  ob  irgend 
etwas  daran  ist.  Unter  andern  Umständen  würde  ich  nicht  einmal 
gefragt  haben  —  wenn  nicht  eben  jener  Satz  Ihres  gestern  erhaltenen 
Briefes,  mein  Empfang  in  Heidelberg  2)  und  so  manches  sich  freilich  da- 
durch erklärte  und  so  allerdings  mindestens  irgendeine  Grundlage 
dem  Briefe  zu  geben  scheinen  könnte.  Und  wenn  wirklich  irgend 
etwas  daran  ist  — wie  töricht  imd  überflüssig  wäre  es  dann  nicht  auch 
von  Ihnen  gewesen,  mit  Agnes  imd  ihrem  Vater  darüber   zu  berat- 

1)  Der  Brief  von  Agnes,  von  dem  sich  nur  die  erste  Hälfte  vorfand,  ist  aus 
Brüssel  vom  25.  Februar  datiert.  In  Beantwortung  eines  Schreibens  Lassalles  vom 
23.  berichtet  sie  über  Gespräche,  die  sie  und  ilir  Vater  mit  der  Gräfin  in  Wildbad 
gehabt  hatten,  zugleich  aber  erklärt  sie  es  für  unter  ihrer  Würde  sich  ,, wegen 
solcher  Klatschereien  zu  diskulpieren".  Danach  hätte  die  Gräfin  sie  um  Rat  ge- 
fragt, wie  sie  es  anfangen  solle,  vini  sich  von  Lassalle  zu  trennen.  So  vielen  Dank 
sie  ihm  schulde,  verlange  es  sie  doch  in  die  ,, Gesellschaft"  und  namentlich  in  die 
Nähe  ihres  Sohnes  zurück.  An  den  Rand  dieser  Stelle  von  Agnes'  Brief  schrieb 
Lassalle  bei  dessen  Übersendung  an  die  Gräfin  die  Worte:  serait-il  possible?  Vgl. 
hierzu  oben  die  Einführung  S.  21. 

2)  Die  Gräfin  und  Lassalle  hatten  sich  am  10.  August  1856  in  Heidelberg  ge- 
troffen und  von  hier  aus  jene  Reise  an  den  Genfer  See  angetreten,  die  so  unerquick- 
lich verlief.  Siehe  oben  die  Finführung  S.  20. 


=  "7  ======== 

schlagen,  statt  einfach  mir  selbst  ein  einziges  Wort  davon  zu  sagen! 
Dann  war  ja  alle  Schwierigkeit  gehoben,  ohne  daß  vSie  nötig  hatten, 
mit  dritten  Personen  darüber  Rats  zu  pflegen!  Es  ist  mir  ja  niemals 
eingefallen,  Ihnen  lästig  werden  zu  wollen.  Ich  nahm  immer  an,  daß 
ich  Urnen,  unbeschadet  alles  vorübergehenden  Zankes,  zu  Ihrem 
Glücke  notwendig  sei. 

Wenn  das  nicht  ist,  wenn  andere  Rücksichten  mich  Ihnen  be- 
schwerlich machen  —  mein  Gott,  dann  genügt  ja  ein  Wort,  und  jede 
Schwierigkeit  ist  gehoben!  Es  ist  mir  doch  wohl  niemals  in  den  Sinn 
gekommen,  meine  Person  jemandem  als  — einen  Tribut  aufzuerlegen! 

Das  ,,Wie"  also,  wenn  Sie  erst  selbst  wußten,  was  Sie  wollten,  war 
doch  so  einfach! 

Das  ,,Was"  aber  —  ich  kann  doch  nicht  gar  noch  annehmen  —  daß 
Sie  gar  über  das  ,,Was",  darüber,  was  Sie  wollen  und  nicht  wollen 
sollten,  mit  Agnes  und  ihrem  Vater  beratschlagt  haben!! 

Und  auch  das  ,,Was"  ist  ganz  so  einfach  wie  das  Wie.  Denn  wenn 
ich  Ihnen,  wie  gesagt,  nicht  zu  Ihrem  eigenen  Glücke  notwendig 
bin  —  dann  liegt  gar  kein  Grund  vor,  sich  mit  mir  zu  quälen  imd  sich 
irgend  etwas  deswegen  entgehen  zu  lassen.  Nullement!  —  Jeder  folgt 
seines  Herzens  Drange! 

Ich  bitte  Sie  also  recht  herzlich  um  eine  aufrichtige  Antwort, 
was  etwa  an  diesem  Schreiben  Wahres  sein  könnte. 

Merkwürdiges  Zusammentreffen,  wie  ich  diesen  Brief  gerade  tags 
nach  Ihrer  sphinxartigen  Äußerung  von  gestern  erhalte. 

Eheu  fugaces,  Posthume,  Posthume!  ^) 

Genug  und  bitte,  antworten  Sie  bald.  Schicken  Sie  mir  auch  den 
Brief  der  Agnes  wieder  zurück,  bitte  darum, 

F.  L. 


39- 

IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Düsseldorf]  Sonnabend  [28.  Februar   1857]. 
Meine  gute  Gnädigste! 

Ich  habe  zwar  auf  meinen  gestrigen  Brief  natürlich  noch  keine  Ant- 
wort, aber  Ihr  eben  erhaltenes  Schreiben  ist  so  lieb  und  herzlich,  daß 
ich  es  gleich  beantworten  muß.  Ach,  ich  glaube  Ihnen  gerne,  wenn  Sie 
auch  vielleicht  mal  einen  kleinen  Moment  etwa  schwanken  konnten, 
daß  Sie  mir  nie  besser  werden  und  sich  nie  mehr  nach  mir  selmen,  als 


^)  Horaz.  Oden,  Buch  II,   14. 


=  ii8  —  

wenn  Sie  bei  jenen  auswendigen  Menschen  leben.  Das  ist  nur  sehr 
natürlich,  und  wie  oft  habe  ich  es  Ihnen  nicht  im  voraus  gesagt!  Wie 
noch  ganz  anders  würde  es  sich  nicht  mit  der  Länge  der  Zeit  einstellen ! 
Denn  wirklich,  stünde  der  Fall  der  Wahl  zwischen  mir  und  jenen,  ich 
würde,  abgesehen  von  allen  noch  weit  substantielleren  Seiten,  schon 
Ihren  Verstand  nicht  begreifen!  Wer  wirft  echte  Perlen  für  falsche 
weg?  Wer  Rosen  für  Disteln?  Wer  ein  Herz  wie  das  meine  für  ,,Circon- 
stances-Menschen"  wie  jene? 

,,0  Urteilskraft,  du  flohst  zum  blöden  Vieh! 
Der  Mensch  ward  im  vernünftig!" 

Voir  den  Monolog  Hamlets  über  die  Vergleichung  der  beiden  Gatten 
seiner  Mutter.  —  Nein,  wer  nur  noch  fünf  gesunde  Sinne  hat,  und  nicht 
untergegangen  ist  in  Hohlheit  und  Blasiertheit,  der  kann  nicht  so  wahn- 
siimig  sein. 

Warum  aber  meinen  Sie  dann,  wir  würden  nicht  beide  nach  Berlin 
gehen  können?  Warum?  Voyons,  kein  Mißverständnis,  sprechen  wir 
uns  offen  aus.  Wenn  ich  es  durchsetze,  nach  Berlin  zu  kommen,  dann 
kann  sich  Nostitz  usw.  auf  den  Kopf  stellen  imd  kann  es,  was  Sie 
betrifft,  doch  nicht  hindern.  Denn  für  Sie  —  die  nicht  politisch  Ver- 
urteilte —  liegt  keine  Möglichkeit  vor,  daß  man  Ihnen  das  Do- 
mizil dort  verweigere.  Das  Gesetz  ist  zu  klar.  Und  so  offne  Willkür 
scheut  man.  Sollte  —  was  unmöglich  —  ich  mich  dennoch  hierin 
täuschen,  so  wiederhole  ich  Ihnen  hiermit  nur,  was  ich  Ihnen  immer 
sagte,  daß  auch  ich  dann  sofort  meinen  Berliner  Aufenthalt  aufgebe 
und  mit  Ihnen  nach  Breslau,  Leipzig  oder  wo  Sie  sonst  hin  wollen,  gehe. 
Denn  so  fest  ist  mir  doch  noch  nichts  ans  Herz  gewachsen,  daß  ich  mich 
deshalb  von  Ihnen  trennen  sollte.  Das  stimmt  zu  meiner  Art  von 
Freimdschaft  nicht.  —  Aber  andrerseits,  wenn  Sie  nun  die  Polizei  nicht 
hindern  kann  und  ich  es  für  mich  durchsetzen  sollte,  warum  sollten  Sie 
nicht  hin?  Voyons!  Ich  meinerseits  habe  nichts  dagegen,  daß  Sie  jene 
Leute  sehen!  Habe  auch  nichts  dagegen,  uns  so  einzurichten,  daß  wir 
bei  Ihnen  eben  nicht  zusammentreffen.  Das  ist  alles,  was  Sie  von  mir 
in  Frankfurt  wollten,  und  Sie  werden  gestehen,  daß  ich  doch  die  Nach- 
giebigkeit gar  nicht  weiter  treiben  kann.  Daß  Sie  sich  aber  etwa  von 
jenen  Leuten  —  Gott  verzeih  mir  die  Sünde  — ,  gar  noch  sollten  auf- 
erlegenlassen, daß  Sie  nicht  in  Berlin  wohnen  sollten,  wenn  ich  dort  bin, 
daß  Sie  die  Augendienerei  so  weit  treiben  sollten,  deshalb,  des- 
halb, deshalb  sich  von  mir  zu  trennen  —  —  —  nein,  das  wünsche  ich 
mir  nicht,  das  hoffe  ich  nicht  zu  erleben!  Wenn  ich  diese  Gesinnungs- 
losigkeit von  Ihnen  erleben  müßte,  —  ich  wollte  lieber,  Sie  stürben 
mir;  was  mehr  gesagt  ist,  als  wenn  ich  sagte,  ich  wollte,  ich  stürbe 


^^=  119  — 

selbst.  Nein,  dies  Allerhärteste  von  dem,  was  mir  jemals  zukonnnen 
könnte,  —  das  wird  nicht  sein !  Das  würde  mich  zum  Menschenhasser 
machen  ...  Sie  wissen,  daß  ich  nicht  zu  den  Menschen  gehöre,  die  so 
viel  Gesinnungslosigkeit  verzeihen  und  ertragen  können.  Niemals! 
Für  mich  ist  der  Mensch  tot,  wenn  ich  ilm  verachten  muß,  schlimmer 
als  tot.  Nein,  ich  bin  in  dieser  Welt  noch  auf  vieles  Unglück  gefaßt, 
wie  ich  schon  so  vieles  ertragen  habe.  Ich  bin  ein  starker  Mann  und 
gewappnet  bis  an  die  Zähne  und  kann  sagen:  ,,Komm  heraus,  Schicksal, 
und  sieh,  ob  du  Gewalt  über  mich  hast  mit  deinen  stärksten  Schlägen"  — 
aber  dieser  Schlag  —  bei  allem,  was  noch  nicht  ganz  verfault  ist  in  der 
Welt!  — ,  der,  hoffe  ich,  wird  mir  doch  erspart  werden !  — Folglich  werden 
Sie  mit  mir  gehen  nach  Berlin! 

Nun  zu  dem  Nächstliegenden,  meiner  Hinkunft.  Ich  habe  Ihnen 
schon  gesagt,  wenn  ich  jetzt  nach  Berlin  gehe,  so  gehe  ich  nicht  bis 
hin,  sondern  nur  bis  Potsdam  und  suche  dann  von  dort  aus  durch 
G[oldheim]  oder  indem  ich  einmal  zum  Polizeipräsidenten  nach  vor- 
heriger Meldung  fahre,  wenigstens  soviel  zu  erlangen,  daß  ich  während 
des  Drucks  meines  Werkes  dort  sein  kann.  Gestattet  man  mir  dies 
also,  so  ist  es  ja  nicht  denkbar,  ganz  immöglich,  daß  man  deshalb  gegen 
Sie  maßregelt.  (Gestattet  man  mir  es  nicht,  so  gehe  ich  nach  Ivcipzig, 
obwohl  es  ein  harter,  harter  Schlag  für  mich  wäre.)  Sie  müssen  sich 
also  nicht  mit  Phantasmen  und  Einbildungen  plagen.^)  Gestattet  man 
es  aber,  so  hoffe  ich  von  Ihnen  sehr,  Sie  werden  dort  bleiben,  bis  Sie 
Ihre  Badereise  antreten  .  .  .  Wir  haben  doch  wahrhaftig  beide  nicht 
so  viele  Menschen,  die  uns  lieben,  daß  jeder  das  eine  und  beste,  was  er 
hat,  von  sich  fem  halten  sollte.  Also  bitte  sehr,  haben  Sie  nichts  da- 
gegen, daß  ich  hinkomme  .  .  . 

Ich  werde  also  kommen,  und  zwar  wenn  ich  fertig  sein  werde,  wie 
es  in  der  Bibel  vom  Herrn  heißt,  ,,wie  der  Dieb  in  der  Nacht",  d.  h.  ohne 
vorherige  Anzeige  an  Sie.  Erst  von  Potsdam  aus  werde  ich  Sie  benach- 
richtigen. Sehen  Sie  doch,  ich  bitte  Sie  sehr,  durch  Pickwick  und  Vater 


^)  An  den  Vater  schreibt  Lassalle  einige  Tage  später,  am  Dienstag,  3.  März:  ,,\Vas 
Dir  die  Gräfin  über  mich  sclireibt  —  darauf  kannst  Du  diesmal  nichts  geben.  Sie 
macht  sich  Phantasmen.  Sie  denkt,  ich  will  da  Skandal  machen,  während  ich  ihr 
doch  ausdrücklich  geschrieben  habe,  ich  wollte  diesmal  es  nur  in  aller  Güte  ver- 
suchen. Fast  glaube  ich,  sie  wünscht  aus  gewissen  Rücksichten  auf  ihre  Familie 
nicht,  daß  ich  während  ihres  Dortseins  hinkomme.  Solche  Rücksichten  kann  ich 
nun  freihch  nicht  berücksichtigen.  —  Ich  glaube,  die  Gräfin  wird  —  wenigstens  ist 
dies  mein  Wunsch  —  auch  dort  bleiben  .  .  .  Ginge  sie  jetzt  wirklich  von  Berlin 
fort,  um  mich  zu  vermeiden,  was  ich  doch  nicht  glauben  kann,  da  ich  mich  in 
meinem  gestrigen  Briefe  an  sie  energisch  dagegen  ausgesprochen  habe,  so  schadet 
das  nicht,  zumal  wenn  ich  dafür  hinkomme.  Wir  beide  zusammen  werden  schon 
ausrichten,  was  etwa  auszurichten  ist." 


=   120  

durchzusetzen,  daß  mir  wenigstens  für  die  Dauer  des  Drucks, 
mindestens  auf  drei  bis  vier  Monate,  die  Erlaubnis  erteilt  wird. 
Das  kann  gar  nicht  so  schwer  sein.  Das  würde  mir  selbst  Hinckeldey  ^) 
erlaubt  haben,  wenn  ich  ein  Werk  dort  zu  drucken  gehabt  hätte.  Warum 
mährt  denn  der  verdammte  Pickwick  so  lange  ?  Sagen  Sie  ihm,  daß  ich 
ihm|deshalb  zürne.  Vater  würde  dies  bei  Manteuffel  gewiß  durch- 
setzen."^) Aber  sagen  Sie  auch  ihm,  daß  er  das  erst  begehren  soll,  wenn 
er  ihm  das  definitive  Hinkommen  imerbitthch  abschlägt.  Zum  Zweck 
des  letzteren  soll  Vater  auch  zu  Manteuffel  sagen,  er  wolle  selbst  mit 
Mutter  nach  Berlin  zu  mir  ziehen.  Das  wird  einen  guten  Eindruck 
machen.  Hätte  ich  nur  bei  meiner  Rückkehr  aus  dem  Orient  nicht  der 
Blocks^)  wegen  so  durch  Berlin  durchfliegen  müssen.  Ich  hätte  es 
lange  durchgesetzt,  wenigstens  während  des  Drucks  des  Werks.  Nun 
bitte  ich,  geben  Sie  sich  rechte  Mühe,  und  schnell  muß  jetzt  alles 
gehen,  denn  Sie  haben  nicht  mehr  viel  Zeit!  Sagen  Sie  Pickwick, 
ich  ließ  ihm  sagen,  er  könnte  sich  auch  etwas  mehr  beeilen,  dächt' 
ich,  denn  mir  brennt  es.  Anbei  ein  eben  eingetroffener  Brief.  Glauben 
Sie  mir,  es  ist  das  beste,  besonders  für  Sie,  wenn  wir  beide  in  Berlin 
sind.  Ihr  Deben  wird  sich  dann  ganz  anders  gestalten.  Nun  adieu  mit 
dem   alten  Motto   aus  schwerer  Zeit: 

,,Drum  laßt  uns  fest  am  alten  Glauben  halten. 
Ein  einz'ger  Augenblick  kann  alles  umgestalten," 

40. 

I.ASSAI.LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

[Düsseldorf,  Anfang  März  1857]. 
Gnädige  Frau! 

Ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief  und  eile,  noch  mit  heutiger  Post  zu 
antworten : 


1)  K.L.W,  von  Hinckeldey  (1805 — 1856)  war  von  1848  bis  1853  Polizeipräsident 
von  Berlin,  hernach  Dirigent  der  Abteilung  für  Polizei  im  Ministerium  des  Innern. 

2)  Am  Dienstag,  3.  März,  schreibt  Lassalle  dem  Vater,  er  möge  sich  gute  Emp- 
fehlungen an  Manteuffel  verschaffen.  Vielleicht  wäre  es  aber  noch  besser,  Ferdinand 
Friedland  deswegen  nach  Berlin  kommen  zu  lassen.  Dieser  möge  sich  ,,von  einem 
seiner  Erzherzöge  eine  Empfehlung  an  Manteuffel  geben"  lassen  und  dann  mit  ihm 
sprechen.  Am  Sonntag,  23.  März,  schreibt  Lassalle  dem  Vater,  wenn  Pickwick, 
,, diese  hölzerne  Avantgarde",  nichts  ausrichte,  möge  ,,das  Zentrum  des  Heers", 
Friedland,  , .geradezu  auf  Manteuffel  losmarschieren".  Ohnehin  sei  Manteuffel 
allein  derjenige,  von  dem  möglicherweise  sofort  das  feste  Dcmizil  zu  erobern  wäre: 
,,Und  das  wäre  doch  freilich  zehntausendmal  besser."  In  der  Tat  kam  Friedland 
nach  Berlin. 

'')   Die  Bankiers  der  Gräfin  und  Lassalles  in  Düsseldorf. 


121  : 

1.  WasG[oldheim]  sagt,  ist  ganz  richtig;  die  von  ihm  vorgeschlagene 
Operationsmethode  trifft  ja  auch  ganz  mit  meiner  Ansicht  zusanmien. 
Nur  das  eine  akzeptiere  ich  entschieden  nicht,  daß  wir  nicht  beide 
sollten  in  Berlin  sein  können.  Was  erreicht  werden  muß,  ist  eben  das, 
daß  wir  beide  dort  sein  können.  Sonst  ist  mir  gar  nicht  damit  ge- 
dient. Ich  erkläre  Ihnen,  daß  ich  ebensowenig  ohne  Sie  in  Berlin  sein, 
wie  mit  Ihnen  in  Düsseldorf  bleiben  will.  Eines  ohne  das  andere 
nützt  mir  gar  nichts,  will  ich  nicht,  mag  ich  nicht.  Auf  Tempori- 
sieren  lasse  ich  mich  dabei  so  wenig  ein,  wie  der  Mond  auf  eine  Polka. 
Kurz,  falls  Sie  mir  nicht  erklären,  Sie  wollen  —  auch  wenn  es  polizei- 
lich erreichbar  ist  —  nicht  gleichzeitig  mit  mir  in  Berlin  sein,  worüber 
ich  mich  auf  meinen  letzten  rekommandierten  Brief  von  Sonntag 
beziehe  —  so  steht  der  Fall:  beide  oder  keiner.  Fürs  erste  müßte  dann 
nun  noch  alles  versucht  werden.  Gelingt  alles  nicht  (worüber  weiter 
unten),  kann  es  nicht  sein  nach  Erschöpfung  aller  Wege  —  gut,  so 
lasse  ich  Berlin,  gehe  nach  I^eipzig,  gebe  dort  mein  Werk  heraus  und 
bitte  Sie,  mir  dorthin  (bis  zu  Ihrer  Badekur)  zu  folgen.  Denn  es  fällt 
mir  weder  ein,  Sie  zur  Einsamkeit  in  Düsseldorf,  noch  mich  zu  Ihrer 
Entbehrung  zu  verurteilen,  das  mag  ich  nicht.  Auch  nicht  für 
Berlin.  Kommen  Sie  mir  also  nicht  mit  Ratschlägen,  die  meinen  Zweck 
gar  nicht  erreichen. 

2.  (Pickwick  soll  jetzt  augenblicklich  zum  Polizeipräsidenten.) 

3.  Lassen  Sie  sich  G[oldheim]  holen  mid  schärfen  ihm  ein,  geeigneten 
Ortes  vorzustellen,  daß  wir  ja  gar  nicht  daran  denken,  in  Berlin  zu- 
sammen zu  wohnen;  im  Gegenteil,  dies  würde  keinesfalls  statt- 
finden usw. 

4.  Westphalen^)  ist  da.  Dieser  kann,  wenn  er  will,  viel  helfen,  und 
ich  zweifle  keinen  Augenblick,  daß  er  wollen  wird.  Ersuchen  Sie  ihn 
also  in  meinem  Namen  dringend,  und  bitten  Sie  ihn  in  dem  Ihrigen, 
daß  er  zu  Manteuffel  geht,  ihm  vorstellt,  daß  ich  wegen  meiner  wissen- 
schaftlichen Tätigkeit  mich  dort  domizilieren  müßte,  daß  es  höchst 
grausam  sei,  mir  dies  abzuschlagen  usw.  Er  soll  sehen,  in  principali  das 
Domizil,  wenn  nicht  doch  ein  Jahr,  mindestens  aber  die  zur 
Herausgabe  des  Werks  nötige  Zeit  zu  erlangen.  Dies  wird  ihm 
Manteuffel  gewiß  nicht  abschlagen. 

Dabei  soll  er  aber  sofort  zu  Manteuffel  erklären,  Sie  befürchteten, 
daß  man  dann  Ihrem  Aufenthalte  dort  etwas  in  den  Weg  legte.  Erstens 
sei  dies  ganz  grmidlos  usw.,  zweitens  aber,  wenn  die  Erlaubnis  für  mich 
so  gemeint  sein  sollte,  so  könnte  imd  würde  ich  gar  keinen  Gebrauch 
davon  machen  .  .  . 


Graf  Clemens  von  Westphalen. 


=   122  

5-  In  demselben  Sinne  wie  Westphalen  zu  Manteuffel  müssen  Sie 
auch  imd  Vater  zu  G[oldheim]  sprechen. 

6.  Und  müßte  ich,  wenn  alles  andere  fehl  geschlagen  sein  sollte, 
so  ungern  ich  es  tue,  selbst  zu  Manteuffel  gehen,  so  werde  ich  es  tun 
und  so  mit  ihm  reden  —  ganz  vernünftig  und  gemäßigt  — ,  wie  ich  hier 
auseinandergesetzt  habe,  daß  Westphalen  mit  ihm  reden  soll. 

7.  Auf  meinen  rekommandierten  Brief  von  Sonntag,  den  Sie  doch 
schon  haben  müßten,  antworten  Sie  kein  Wort. 

8.  Möglicherweise  tue  ich  Ihnen  unrecht,  aber  halb  und  halb 
scheint  es  mir,  als  wollten  Sie  auch  nicht,  daß  ich  während  Ihrer 
Anwesenheit  dort  bin,  auch  wenn  es  polizeilich  für  ims  beide  ginge. 
Ist  dies  nun  —  was  ich  nicht  behaupte  —  wirklich  der  Fall,  dann  ist 
es  mindestens  Ihre  Pflicht,  es  mir  grade  heraus  zu  sagen.  Dann 
brauchen  wir  uns  nicht  länger  miteinander  zu  quälen ! 

9.  Wollen  Sie  es  aber,  so  müßten  Sie  sehr  ungeschickt  sein,  wenn 
Sie  jetzt,  wo  Sie  außer  G[oldheim]  und  Vater  auch  Westphalen  haben, 
es  nicht  durchsetzen  könnten. 

IG.  Gestern  bin  ich  mit  Heraklit  fertig  geworden.  Kommt  jetzt  die 
Revision.  Mehr  denn  je  eile  ich,  dieselbe  zu  beenden,  um  so  früh  als 
möglich  nach  Berlin  (d.h.  Potsdam,  von  wo  ich  heimlich  bloß  nach 
Berlin  zu  G[oldheim],  Polizeipräsidenten  und  Manteuffel  gehe)  zufliegen. 
Alle  Nächte  will  ich  jetzt  durcharbeiten,  um  früher,  als  ich  selbst  für 
möglich  hielt,  grade  infolge  Ihres  Briefes  in  Potsdam  anzukommen. 
(Möglicherweise  sehr  bald.)  Dies  ist  unwiderruflich  wie  das  Fatum, 
auch  vernünftig  für  meinen  Zweck  .  .  .  ^) 

Ihr 

F.L. 

NB.  ...  Je  mehr  ich  es  überdenke,  je  mehr  muß  ich  Ihnen  erklären, 
ich  traue  Ihnen  nicht  mehr  recht.  Ich  weiß  wohl,  daß  Sie  sich  be- 
mühen, mir  die  Erlaubnis  des  dortigen  Aufenthalts  zu  schaffen.  Aber  Sie 
wünschen  nicht,  sie  mir  zu  schaffen  während  Sie  dort  sind.  Würde 
dieser  Verdacht  Gewißheit  —  dann  würde  ich  Sie  freilich  überhaupt 
auch  nicht  einmal  mit  meinen  Briefen  mehr  inkommodieren.  Wie, 
mit  welcher  Stirn  können  Sie  von  Schroffheit  meinerseits  sprechen, 
wenn  ich  ihnen  doch  in  meinem  letzten  Briefe  vom  Sonntag  erklärt  habe, 
ich  hätte  nichts  dagegen,  mich,  wenn  ich  in  Berlin  bin,  so  einzurichten, 
daß  ich  nie  mit  Ihren  Leuten  bei  Ihnen  zusammenträfe  ?  Wenn  Ihre 
Leute  die  Schroffheit  auch  so  weit  trieben,  dann  wäre  es  ja  gut  und 
kein  Konflikt.  Mit  Redensarten   ändert  man   die  Dinge   nicht.  Wenn 


^)  Wie  öfters  in  seinen  Briefen  an  die  Gräfin,  wiederholt  Lassalle  hier  noch 
immer  wieder  aufs  neue  was  er  vorher  schon  geschrieben  hat. 


123  ===== 

aber  ihre  Leute  so  weit  gehen  und  Sie  ihnen  soweit  nachgeben ,  daß 
wir  nicht  beide  in  derselben  Stadt  Berlin  mehr  sein  können,  dann 
haben  sie  Sie  eben  von  mir  getrennt  und  vSie  sich  trennen  lassen. 
Dann  sind  Sie  für  mich  siebenmal  schlimmer  als  tot.  Mit  Redens- 
arten ändert  man  die  Dinge  nicht.  Nachdem  ich  in  allem  nachgegeben 
habe,  was  Sie  vernünftigerweise  wünschen  konnten  und  in  Frank- 
furt selbst  wünschten,  können  Sie  nicht  mehr  von  einer  Schroff- 
heit meinerseits  sprechen  und  den  Verrat  nicht  zu  einer  beide  Teile 
berücksichtigenden  Vermittlung  um  lügen  wollen  .  ,  . 


41. 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Montag  [Düsseldorf,  9.  März  1857]. 
Gnädige  Frau! 
Mephisto  sagt: 

,,Wie  kannst  du  deine  Rednerei 
Nur  gleich  so  hitzig  übertreiben?" 

Das  kann  ich  wahrlich  auf  Ihre  eben  erhaltenen  Briefe  sagen.  Ich 
forderte  ja  nur  eine  einfache  und  entschiedene  Erklärung,  ob  Sie  —  la 
police  ä  part  —  dort  mit  mir  sein  wollen  oder  nicht.  Und  da  ich  diese 
Erklärimg  immer  nicht  erhielt,  mußte  ich  argwöhnisch  werden.  Jetzt 
habe  ich  sie,  und  damit  ist  es  gut,  und  ich  bin  beruhigt.  Wie  Sie  meinen 
Briefen  ,, Gleichgültigkeit"  vorwerfen  können  (gegen  Sie),  das  bleibt 
mir  ein  wahrhaftes  psychologisches  Rätsel.  Denn  wenn  ich  auch  bei  der 
bloi3en  Unterstellung,  daß  ich  das  letzte  geworden  sein  sollte  von  allem, 
was  Ihnen  lieb  ist,  so  abwütete,  und  wenn  ich  Ihnen  selbst  vorschlug, 
lieber  mit  Ihnen  anderswohin  als  ohne  Sie  nach  Berlin  zu  gehen,  so  lag 
doch  gewiß  in  allediesem  Gleichgültigkeit  für  Sie  am  allerwenigsten. 

Also,  la  paix!  Denn  es  scheint,  daß  wir  uns  gegenseitig  mißverstanden 
haben. 

Was  nun  mein  Hinkommen  betrifft,  so  will  ich,  wenn  Sie  und  Vater 
drauf  bestehen,  daß  ich,  auch  wenn  ich  mit  der  Revision  des  Werkes 
fertig  bin,  nicht  hinkomme  —  so  sehr  es  auch  gegen  meine  feste  Über- 
zeugung läuft,  daß  mein  Hinkommen  schaden  sollte  —  doch  das  große 
Opfer  bringen  tmd  hierbleiben.  Aber  natürlich  nur  dann,  wenn  Sie 
etwa  zwischen  25.  und  30.  März  hier  ankommen.  Denn  soll  ich  dann 
hier,  ohne  alle  Arbeit,  allein  die  Wände  hinauflaufen?  Auch  war  es 
ja  immer  Ihre  Absicht,  noch  im  März  hier  einzutreffen  .  .  . 


=  124  = 

Bitte,  bitte,  wenn  ich  nicht  hinkommen  darf  (ich  armes  Schaf,  es 
wird  über  mich  verfügt  gegen  meine  eigenen  Ansichten),  so  bleiben  Sie 
mir  nicht  über  den  25.  dieses  Monats  aus.  Kommen  Sie  so  früh  als 
möglich!  Ist  Ihnen  denn  gar  nicht  etwas  bange?  Seit  zehn  Tagen  bin 
ich  nicht  aus  dem  Zimmer  gekommen.  Ivange  halte  ich  dieses  Lieben 
unmöglich  aus. 

Über  anderes  ein  andermal. 

Ihr 

F.  lyassalle. 

Ich  glaube,  daß  Westphalen  doch  nutzen  könnte.  Versuchen  Sie 
wenigstens  Ihr  bestes.  Wenn  es  aber  sogar  Ihre  Familie  wünscht  —  ja, 
dann  sehe  ich  nicht  ein,  Nostitz  ^)  könnte  es  gewiß  ohne  jede  Schwierig- 
keit erlangen.  Doch  nein;  lassen  Sie  diese  Leute  aus  dem  Spiel. 
Ich  mag  nichts  durch  sie!  Wohl  aber  Westphalen  reden  Sie  zu. 


42. 

IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonntag  [Düsseldorf,   15.  März  1857,  Poststempel]. 

lyiebe  Gräfin! 

In  Ihrem  Brief,  den  Sie  ,,sans  grande  rancime"  schließen,  haben 
Sie  in  allen  Stücken  imrecht.  Es  ist  mir  sehr  langweilig,  dies  schriftlich 
zu  beweisen.  Ich  bin  nicht  ,, indiskret"  gegen  die  Agnes  gewesen.  Denn 
ich  habe  ihr  die  Sache  nicht  ,, wiedererzählt".  Sondern  sie  formell 
darüber  zur  Rede  gestellt.  Dazu  hatte  ich  das  Recht.  Es  gibt  keine 
Diskretion  für  Sie,  die  Sie  dazu  verpflichtet,  mir  zu  verschweigen,  wo 
man  mir  zu  nahe  tritt.  Wenn  jemand  über  Sie  räsoniert  und  ich  es 
Ihnen  erzähle,  werde  ich  Ihnen  nie  das  Recht  streitig  machen,  sich, 
auf  meine  Mitteilung  berufend,  den  dritten  gebührend  zur  Rede  zu 
stellen.  (Beiläufig  sprach  ich  nicht  von  Ihnen,  sondern  nur  von  Paul.) 
Überdies  hatte  ich  aber  auch  ganz  besondere  Motive,  die  mich 
dazu  —  bloß  in  einem  gegen  Agnes  gerichteten  Sinne  —  veranlaßten, 
die  ich  aber  schriftlich  nicht  entwickeln  kann.  Unbegreiflich  aber  ist, 
wenn  Sie  sagen,  ,,es  sei  im  verzeihlich  von  mir  gewesen,  zu  schwanken, 
wem  ich  glauben  sollte".  Das  war  gar  nicht  der  Fall.  Es  ist  seltsam, 
wie  unrein,  i.e.  unobjektiv  Sie  alle  Vorgänge  auffassen.  Ihre  Augen  sind 


^)  Graf  A.  L-  F.  Nostitz  (1777 — 1866),  Generaladjutant  des  Königs,  der  Schwager 
des  Grafen  Hatzfeldt. 


=  125  —  — 

ein  Prisma,  durch  welches  sich  alles  in  falschen  Farl)cn  bricht.  Tags, 
ehe  ich  der  Agnes  Brief  bekam,  hatte  ich  einen  von  Ilinen  erhalten,  der 
bereits  mich  auf  seltsame  Vermutungen  bringen  mußte  durch  die 
mysteriöse  Äußerung,  „wenn  ich  nach  Berlin  zöge,  gingen  unsere  Lebens- 
wege auf  lange  auseinander".  Da  das  ganz  so  aussah,  als  wollten  Sie 
der  Familie  wegen  nicht  mit  mir  dort  sein,  fragte  ich  Sie  an,  ob  vSie  diese 
rätselhafte  Äußerung  so  oder  anders  meinten.  Ich  imterzeichnete  Ihr 
trauriger  F.  L.^)  Ich  erhielt  aber  fürs  nächste  keine  Antwort.  Tags 
drauf  kam  der  Brief  der  Agnes.  Ich  schickte  Ihnen  denselben  mit  einer 
bloßen  Anfrage,^)  erklärend,  daß  wenn  ich  nicht  grade  tags  zuvor 
jenen  Brief  von  Ihnen  erhalten,  ich  nicht  einmal  diese  Anfrage  an 
Sie  gerichtet  hätte.  Tags  drauf  bekam  ich  eine  Antwort  auf  den  ersten 
Brief,  die  aber  keine  bestimmte  Antwort  auf  die  Frage,  ob  Sie  dort, 
mit  mir  gleichzeitig  en  cas  de  la  possibilite,  wolmen  wollten  oder  nicht, 
enthielt.  Da  der  Brief  aber  sehr  herzlich  war,  antwortete  ich  in  einem 
langen  herzlichen  Briefe,^)  in  dem  ich  Ihnen  sagte,  ich  glaube  es 
nicht  usw.,  aber  mir  wieder  eine  bestimmte  Antwort  mit  Ja  und  Nein 
auf  jene  Anfrage  erbat. 

Hierauf  bekam  ich  einen  Brief,  der  den  der  Agnes  der  Unwahrheit 
beschuldigte,  aber  jene  bestimmte  kategorische  Antwort  wieder  nicht 
gab.  (Es  kommt  dies  wahrscheinlich  daher,  daß  Sie  immer  mehre*) 
Tage  vergehen  lassen,  ehe  Sie  antworten  und  dann  auch  bei  der  Ant- 
wort nicht  noch  einmal  meine  Briefe  zur  Hand  nehmen.  So  antworten 
Sie  denn  in  der  Regel  ins  blaue  oder  allgemeine  hinein,  statt  auf  ganz 
Bestimmtes  ganz  bestimmt  zu  erwädern.) 

Im  Gegenteil  enthielt  der  Brief  grade  wieder  die  unglücklichen 
Wendungen :  Sie  könnten  weder  Ihre  lyiebe  zu  Paul  noch  Ihre  Freimd- 
schaf  t  für  mich  ändern.  Sie  litten  am  meisten  unter  diesen  Konflikten  usw. 

Dies  Gerede  mußte  mich  ja  ganz  handgreiflich  in  der  Meinung  be- 
stärken, Sie  wollten  in  der  Tat  der  Familie  wegen  nicht  mit  mir  zu- 
sammen dort  sein.  Denn  sonst  war  ja  zu  diesem  Gerede  gar  kein  An- 
laß und  kein  Konflikt  vorhanden.  Denn  heiraten  will  ich  weder  Sie, 
noch  Paul,  noch  die  Nostitz.  Und  wenn  mich  Ihre  Familie  also  darin 
nicht  stört,  was  ich  allein  will,  gleichzeitig  mit  Ihnen  in  Berlin  zu  sein, 
so  ist  es  gut  und  ich  weiß  von  keinem  Konflikt. 

Die  larmoyanten  Phrasen,  die  nie  was  taugen,  mußten  also  als  Ant- 
wort auf  meinen  dritten^)  Brief,    in  dem  ich  bereits  vergeblich  um 


^)   Siehe  oben  den  Brief  Nr.  t^-j . 

2)   Siehe  oben  den  Brief  Nr.  38. 

^)  Siehe  oben  Nr.  3g. 

^)   I,assalle  schreibt  of  ,, mehre"  statt  ,, mehrere". 

^)   Siehe  oben  Nr.  38. 


=   120  = 

eine  kategorische  Antwort  auf  jene  Frage  bat,  mir  dieselbe  im  schlimmen 
Sinne  hinlänglich  zu  entscheiden  scheinen.  Dennoch  richtete  ich  jetzt 
noch  einmal  —  jetzt  freilich  in  leidenschaftlicher  Weise  —  die  be- 
stimmte Anfrage^)  an  Sie:  Wollen  Sie  en  cas  que  dort  gleichzeitig  mit 
mir  sein  oder  nicht. 

Noch  als  ich  den  Brief  an  meinen  Vater  schrieb,  dem  ich  meinen 
letzten  an  vSie  nachträglich  beischloß,  hatte  ich  keine  Antwort 
hierauf .  .  . 

Ist  es  also  meine  Schuld,  wenn  man  bei  Ihnen  nötig  hat,  zehn 
Briefe  zu  schreiben,  um  ein  armseliges  Ja  oder  Nein  zu  extrahieren? 
Mangel  an  Bestimmtheit!  Wie  ich  zu  sagen  pflege  .  .  . 

Nun  zur  Sache:  Wenn  Sie  nicht  gegen  Ende  März  kämen,  träfen 
Sie  mich  nicht  mehr  hier.  Wenn  Sie  aber  Grund  haben,  in  Berlin  Ihre 
Kur  fortsetzen  und  deshalb  dort  noch  längere  Zeit  bleiben  zu  wollen, 
so  will  ich  Sie  an  dem,  was  für  die  Gesundheit  nötig  ist,  nicht 
hindern.  Denn  ich  will  dann,  wenn  Vater  die  Erlaubnis  nicht  erlangt, 
lieber  mein  Projekt  für  jetzt  ganz  aufgeben  und  nach  lycipzig  gehen. 
Ihre  Gesimdheit  avant  tout. 

Jetzt  zu  der  Demarche  beim  ^)  Präsidenten.  Ich  schicke  Ihnen  hierbei 
das  gewünschte  Attest  .  .  . 

Wenn  man  mit  dem  Grund  des  Werkes  durchkäme,  so  wäre  es 
besser.  Und  ich  glaube,  daß  man  damit  durchkommen  müßte.  Denn 
das  weiß  ja  jedes  Kind  imd  kann  Pickwick  dem  Präsidenten  sehr  gut 
auseinandersetzen,  daß  es  im  Rheinland  keinen  Verleger  für  Philo- 
logie gibt  und  in  Preußen  Berlin  dafür  der  einzige  Ort  ist.  Dieser 
Grimd  scheint  mir  ebenso  gewichtig,  anständiger  mid  dauerhafter. 

Freilich  muß  aber  Pickwick  gleich  auch  dabei  erwähnen,  meine 
Ärzte  hätten  mir  noch  dazu  die  Augenkur  dort  bei  Böhm  dringend 
ans  Herz  gelegt  imd  ich  verbände  auch  diesen  Zweck  damit .  .  . 

Nun  endlich,  rührt  Euch!  Ich  sitze  auf  Nadeln.  Seit  zwei  Monaten 
sind  Sie,  seit  vierzehn  Tagen  Vater  dort;  noch  ist  noch  keine  effektive 
Demarche  geschehen.  Sicher  ist,  daß  man  einen  Weltteil  in  derselben 
Zeit  erobern  könnte.  Ihr  plant,  statt  zu  handeln.  Wenn  ich  Kom- 
missionen habe,  pflege  ich  etwas  anders  zu  Werke  zu  gehen.  Das  weiß 
Gott! 

Sie  und  Vater  herzlich  grüßend,  Pickwick  sehr  zürnend 

Ihr 

F.  lyassalle. 


^)  Siehe  oben  Nr.  40. 

-)  Der  Polizeipräsident  von  Berlin  Freiherr  von  Zedlitz. 


=   127  — 

43- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Donnerstag  [Düsseldorf,    i.j.  März   1857]. 

lyiebe  Gräfin! 

Wie  können  Sie  mir  nur  so  unrecht  tun,  drauf  zu  beharren,  ich 
traute  Ihnen  nicht.  Ich  habe  Ihnen  ja  darüber  geschrieben,  daß  ich  nur 
die  Erklärung  wollte,  und  da  Sie  diese  gaben,  derselben  vollkommen 
glaube  .  .  .  Ich  leide  hier  fürchterlich.  Nicht  lyangeweile.  Im  Gegenteil. 
In  der  beständigen  Einsamkeit  denke  ich  immerwährend  und  habe 
grade  soviel  Dinge  im  Kopf,  die  mich  fürchterlich  aufregen.  So  tobt 
das  von  früh  bis  nachts  in  mir.  Manchmal  falle  ich  auf  den  Stuhl,  so 
wild  jagen  mir  die  Gedanken  das  Blut  durch  die  Adern,  ich  schwitze 
dann  am  ganzen  lycibe  und  bin  so  ermattet,  daß  ich  zittere.  Ich  bin 
auf  dem  besten  Wege,  ein  Nervenfieber  zu  bekommen.  Ich  kann  diese 
Aufregimg  nicht  länger  aushalten!  Wären  Sie  da,  so  würde  mich  das 
ausruhen,  von  diesem  konzentrierten  Denken  und  der  Unruh  ablenken. 
Aber  so  übersteigt  es  meine  Kraft.  Ungeduld,  Unruhe,  Projekte,  die 
ich  habe,  treibende  Hast  —  alles  schüttert  mich  so  hin  und  her,  daß 
ich,  von  morgens  bis  nachts  darüber  denkend,  nicht  einmal  um  zwei  Uhr 
schlafen  kann,  wenn  ich  mich  lege.  Ich  kann  dies  nicht  länger  aus- 
halten. Ich  muß  diesem  konzentrierten  Zustand,  den  ich  in  der  Ein- 
samkeit nicht  mehr  bemeistem  kann,  eine  Ableitimg  verschaffen,  nach 
dem  I.  finden  Sie  mich  also  nicht  mehr.  Aber  wahre  Wohltat  für  mich 
wäre  jeder  Tag,  um  den  Sie  früher  kommen.  Glauben  Sie  nicht,  daß 
ich  übertreibe.  Ich  bin  im  Gegenteil  noch  sehr  unter  der  Wahrheit. 
Dies  Brüten,  Wollen  und  Projektieren  ohne  Unterbrechung,  seit  Sie 
fort  sind  alle  Tage  und  alle  Nächte  durch,  ist  daran,  mich  total  auf- 
zuzehren. Kaum  kann  ich  arbeiten,  alle  Augenbhcke  jagt  es  mich  auf.^) 
Mit  eiserner  Kraft  muß  ich  mich  wieder  auf  den  Stuhl  hinzwängen. 

Bloem  treibe  ich  nach  Kräften. 

Ihr 

F.I.. 


1)  Am  Sonntag,  22.  März,  klagte  Lassalle  dem  Vater,  daß  er  ihn  weder  über 
seine  noch  über  Friedlands  ,, Operationspläne"  auf  dem  laufenden  halte:  ,,Mein 
Gott,  warum  schreibst  Du  mir  denn  das  nicht.  Bedenke  doch,  daß  ich  hier  auf 
dem  glühendsten  Rost  liege!  Seit  drei  Tagen  bin  ich  mit  meiner  Arbeit  ganz 
fertig.  Ach,  wenn  die  Gräfin  nicht  wäre,  der  ich  es  versprochen  habe,  wie  flöge 
ich  hin  und  wollte  Energie  unter  Eiich  bringen.  Denn  so  scheint  doch  alles  zu  nichts 
führen  zu  können.  Man  schreibt  mir  nicht,  man  tut  nichts,  man  teilt  mir  nicht 
einmal  Friedlands  Pläne  und  mitgebrachte  Moyens  mit." 


=^====  128  =^^^==^=^= 

44. 

IvASSAIylvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Sonntag  [Düsseldorf,  22.  März  1857]. 
Liebe  gute  Gnädige! 

Aus  Ihrem  Brief  geht  hervor,  daß  Sie  sich  nicht  recht  in  meinen 
Zustand  hineingedacht  haben.  Denn  Sie  sagen,  Sie  bHeben  ja  auch  und 
ohne  Sie  ausfüllende  und  in  Anspruch  nehmende  Beschäftigung  häufig 
so  lange  allein.  Aber  das  Alleinsein  ist  es  nicht.  Ich  bin  ja  fast  jedes 
Jahr,  wenn  Sie  ins  Bad  gingen,  ein  bis  zwei  Monate  allein  gewesen.  Wie 
oft  in  den  Gefängnissen  viel,  viel  länger,  sechs  bis  acht  Monate!  Was 
es  diesmal  ist,  ist  daß  ich  grade  zu  sehr  in  Anspruch  nehmende,  zu 
aufregende  Beschäftigung  habe,  verbunden  mit  der  praktischen  Hast 
wegen  Berlin.  Darum  gehen,  da  ich  beständig  dem  hingegeben  bin,  die 
Gedanken  mir  ins  Blut,  das  Blut  mir  ins  Gehirn,  und  ich  bin  in  be- 
ständigem Fieber.  Das  kann  ja  bei  Ihnen  nicht  sein,  wenn  Sie  allein 
sind,  weil  Ihnen  der  Grund  meiner  Aufregimg:  die  wahnsinnige  Kon- 
zentration des  Geistes  auf  meine  verschiedenen  Arbeiten,  verbunden 
mit  der  sanguinischsten  Ungeduld  über  die  Berliner  Entscheidung,  fehlt. 

Doch  bleiben  Sie  nur  immer  bis  zum  i.,  bis  dahin  halte  ich  es  schon 
aus.  Aber  länger  bleiben  Sie  mir  nicht. 

Wenn  Sie  sich  so  wegen  der  Köhier  Aktien  beunruhigen,  dann  hätten 
Sie  dieselben  wirklich  lieber  an  Wolff  für  40  000  Rt.  hingeben  sollen. 

Aber  die  ägyptische  Reise  können  Sie  aus  anderen  Gründen  dies  Jahr 
nicht  machen.  Denn  es  wäre  kompletter  Wahnsinn  und  würde  Sie 
unendlich  gereuen,  weim  Sie  ohne  mich  dahin  gingen.  Sie  hätten 
dann  gar  nichts  davon.  Aus  tausend  Gründen.  Es  ist  sogar  ganz  un- 
möglich, möchte  ich  sagen.  —  Ich  aber  kann  diesen  Winter  noch 
keinesfalls.  Denn  ich  bin  nun  so  alt,  daß  ich  erst  etwas  für  meine  Un- 
sterblichkeit tun  muß,  ehe  ich  wieder  an  mein  sterblich  Teil  denken 
kann.  Drei  große  Schläge  denke  ich  bis  künftiges  Frühjahr  geführt  zu 
haben.  Erstens  meinen  Heraklit,  zweitens  eine  andere  Sache,  die  ich 
bereits  zu  arbeiten  im  Begriff  bin  und  die  mich  eben  auch  furchtbar 
aufregt,^)  drittens  mein  ökonomisches  Werk.  Habe  ich  diese  drei  Coups 
geschlagen,  imd  sie  sind  bis  künftigen  März  geschlagen,  so  stehe  ich  zu 
Diensten.  Sagen  Sie  doch  aber  meinem  Schwager  von  mir  und  dringen 
Sie  in  Ihrem  eigenen  Namen  in  ihn,  er  möchte  doch  ja  seine  Reise  auch 
bis  1858  verschieben.  Dann  gehen  wir  alle  zusammen  hin,  was  frei- 
lich prächtig  wäre  .  .  . 


^)  Lassalle  meint  das  Drama  Franz  von  Sickingen,  das  er  eben  begonnen  hatte. 


=  129  -' 

Seit  drei  Tagen  bin  ich  mit  meiner  Arbeit  fertig.  Glauben  Sie  mir, 
es  ist  ein  großes  Opfer,  das  ich  Ihnen  bringe,  daß  ich  jetzt  nicht  selbst 
nach  Berlin  fliege,  die  Operationen  meines  Heeres  zu  leiten,  denn  ohne 
mich  ist  nirgends  Energie! 

45. 
I^ASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

[Düsseldorf,  zwischen  22.  und  27.  März   1857.] 
lyiebe  Gräfin! 

Ich  kann  Ihnen  und  Vater  nur  erwidern,  daß  nichts  mich  dahin 
bestimmen  kann,  meinen  Abreisetermin  von  hier  über  den  12.  und, 
falls  Sie  nicht  am  i.  kämen,  über  den  2.  zu  verschieben.  Meine  Gründe 
werden  Sie  aus  dem  Briefe  an  Pickwick  entnehmen.  Ein  Breslauer 
Gelehrter  geht  mit  einem  Heraklit  seit  längeren  Zeiten  schwanger.^) 
Dies  ist  sicher.  Alle  Tage  also  könnte  er  möglicherweise  erscheinen 
und  mir  meiner  sauer  verdienten  Ivorbeeren  gute  Hälfte  entreißen.  Sie 
werden  begreifen,  daß  da  von  Aufschub  auch  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Sie  werden  auch  die  Stimmung  und  Ungeduld  besser  begreifen,  in  der 
ich  mich  befinde,  imd  die  jetzt  durch  die  verimglückten  Demarchen  bei 
den  Buchhändlern  (Voir  den  Brief  an  Pickwick)  einen  mir  nicht  mehr 
denn  höchstens  noch  wenige  Tage  erträglichen  Höhepunkt  erreicht  hat. 
In  der  Tat,  solange  ich  nicht  einmal  weiß,  ob  ich  in  Berlin  einen  Buch- 
händler finden  imd  wie  lange  Zeit,  wie  viele  Wochen  vielleicht  ich 
damit  zubringen  muß,  mir  dort  oder  in  I^eipzig  persönlich  einen  zu 
suchen,  —  so  lange  kann  ich  mich  gewiß  nicht  im  Traum  drauf  ein- 
lassen, die  Reise  nach  Berlin,  die  dadurch  herbeigeführte  Entscheidung 
und  im  schlimmen  Falle  darauf  die  Reise  nach  I^eipzig  zur  Beschaffung 
eines  Verlegers  zu  verschieben. 

Ist  es  nicht  merkwürdig,  nicht  einmal  auf  eigne  Kosten  2)  einen 
Verleger  zu  bekommen?  Solche  Dinge  passieren  nur  mir!  Wer  weiß, 
vier  Wochen  muß  ich  vielleicht  noch  in  Berlin  oder  Leipzig  herum- 
laufen (ich  schreibe  an  keinen  mehr,  das  hab'  ich  satt  und  nützt  nichts), 
mir  einen  zu  suchen.  Und  dabei  den  Breslauer  Gelehrten  auf  den  Nacken  ? 

^)  Lassalle  meinte  Jakob  Bernays  (1824 — 188 1),  von  dem  1848  Heraclitea  er- 
schienen waren. 

2)  So  hatte  Lassalle  z.  B.  am  4.  März  das  Werk  an  Georg  Reimer  in  Berlin  an- 
geboten, und  als  dieser  ablehnte,  weil  er  fürchtete,  es  werde  sich  keine  hinreichende 
Zahl  von  Käufern  finden,  am  7.  März  noch  einmal,  freilich  wieder  vergeblich,  der 
gleichen  Firma  geschrieben,  er  selbst  würde  sich  wahrscheinlich  bereit  finden,  den 
Verleger  gegen  einen  etwaigen  Verlust  durch  Deponierung  von  Staatspapieren 
sicherzustellen. 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  q 


^=^=^====  130  — 

Und  mit  alledem  meine  Abreise  von  hier,  das  heißt  die  Einleitung  des 
Versuchs,  einen  Verleger  zu  finden,  auch  noch  verschieben?  Sie  werden 
jetzt  sehen,  daß  dies  immöglich  ist.  Schon  die  Vertagung  bis  zum 
12.  April  kostet  mir  unendlich  viel.  Doch  Ihr  Hiersein  wird  mich  einiger- 
maßen beruhigen. 

Kämen  Sie  nicht,  so  denke  ich  gar  nicht  dran,  mir  diese  Qual  auf- 
zuerlegen, luid  könnte  es  dann  auch  nicht.  Ich  ginge  dann  am  2.  heim- 
lich nach  Berlin  und  bliebe  da,  ohne  daß  es  eine  Seele  wüßte,  acht  Tage 
und  würde  hierbei  auf  die  Betreibimg  meiner  Sache  wirken  können. 
Das  wäre  für  mich  sogar  das  beste.  Denn  Gott  weiß,  ob  und 
was  Vater  und  Friedland  tun  oder  vielmehr  versäumen  .  .  . 

46. 

IvASSAI^IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  27.  März  1857. 
lyiebe,  gute  Gräfin! 

Regen  Sie  sich  nur  nicht  auf.  Es  ist  ja  schon  genug,  wenn  ich  es  bin. 
Beruhigen  Sie  sich.  Sie  sprechen  in  Ihrem  Briefe,  als  hätte  ich  Ihnen 
unliebsam  geschrieben.  Ich  bin  wahrhaftig  mir  dessen  gar  nicht  bewußt. 
Sie  werden  übrigens  auch  aus  meinem  letzten  Briefe  und  dem  an  Pickwick 
schon  erfahren  haben,  in  welcher  fatalen  lyage  ich  bin.  Doch  Geduld! 
Die  Gewißheit,  Sie  in  ein  paar  Tagen  hier  zu  sehen,  fängt  an,  beruhigend 
und  stärkend  auf  mich  zu  wirken.  Wegen  der  Geldaffären  machen  Sie 
sich  doch  keine  Sorge.  Die  Genfer  geben  ihre  Zinsen.  Was  kommt  es 
auf  den  Kurs  an?  Das  Kölner  Unternehmen  wird  ganz  gut  werden. 
Eben  erseh'  ich  aus  der  Zeitung,  daß  auch  in  Minden  eine  solche  Gesell- 
schaft sich  gebildet  hat.  Haben  Sie  Jassyer  gekauft?  Tun  Sie  es,  Sie 
werden  gewiß  dabei  verdienen.  Also  beruhigen  Sie  sich.  Ich  gebe  mir 
auch  alle  Mühe,  mich  zu  beruhigen.  Und  scheitern  alle  Bemühungen  in 
Berlin  —  nun  gut.  Dann  gehe  ich  vorläufig  nach  I^eipzig,  aber  auf  das 
meinige  will  ich  es  bringen,  so  oder  so.  Denn  wenn  man  mich  aufs 
Äußerste  treibt,  so  habe  ich  mich  entschlossen,  ein  sehr  einfaches  Mittel 
zu  ergreifen,  das  zwar  nicht  im  Moment  mir  zu  Gebote  steht,  aber  doch 
etwas  früher  oder  später  sicher  eintritt.  Ich  habe  es  mir  dieser  Tage 
überlegt,  ich  lasse  mich,  wenn  man  mich  au  bout  treibt  und  zu  arg 
schikaniert,  ganz  ruhig  bei  der  nächsten  Wahl  für  Düsseldorf  zur  zweiten 
Kammer  wählen!  Sie  werden  lachen  über  solche  Entschließung.  Aber 
so  schauderhaft  es  mir  selber  wäre,  in  dieser  Kammer  sitzen  zu  sollen,  — 
aufs  Äußerste  gebracht,  ist  es  mein  voller  Ernst.  Und  will  ich  erst  zu 
diesem  Mittel  greifen,  so  kann  sich  die  Regierung  auf  den  Kopf  stellen. 


'     =  131  = 

Sie  wird's  nicht  hindern.  Wenn  ich  mich  auf  die  Beine  mache  und  andre 
auf  die  Beine  bringe,  so  stimmt  nicht  nur  die  ganze  dritte  Wählerklasse 
wie  ein  Mann,  sondern  auch  dreiviertel  der  zweiten  Klasse  unbedingt 
für  mich.  Das  wollt'  ich  schon  dem  Gouvernement  zu  seinem  fröhlichen 
Erstaunen  durch  das  Faktum  klar  beweisen.  Es  wäre  wahrhaft  scheuß- 
lich! Aber  im  Notfall  bin  ich  dazu  entschlossen,  und  wenn  es  mir  im 
höchsten  Grad  zuwider  wäre,  mich  in  diese  Kammer  wählen  zu  lassen, 
so  müßte  es  doch  der  Regierung,  sollt'  ich  meinen,  noch  weit  weniger 
erfreulich  sein.  Sie  würde  noch  weit  weniger  dabei  gewinnen!  Und  wäre 
ich  dann  auch  eine  ganz  , .vereinsamte  Träne"  in  der  Kammer,  ich  wollte 
schon  hinreichend  Ivärm  für  dreißig  machen.  Es  wäre  eine  Stellung, 
wie  sie  z.  B.  lycdru  RolHn  imter  Louis  Philipp  einnahm  in  der  fran- 
zösischen Deputiertenkammer,  auch  ganz  allein  seine  Partei  vertretend, 
was  ihn  nicht  hinderte,  dadurch  ganz  nachhaltig  zu  wirken.  In  imsern 
jetzigen  Verhältnissen  war'  das  noch  dreimal  mehr  der  Fall.  Denn 
selbstredend  kömmt  es  dabei  nicht  darauf  an,  auf  die  Kammer  zu 
wirken,  sondern,  die  Redefreiheit  der  Tribüne  vmd  den  Zeitungs- 
druck, der  den  Reden  der  Deputierten  zuteil  wird,  gebrauchend,  über 
die  Köpfe  der  Versammlung  weg  zum  Lande  zu  reden.  Hurrjeh!  Wie 
wollt'  ich  das,  und  welches  Gemetzel  wollte  ich  anrichten  imter  den 
schlechten,  seichten,  geistlosen  und  unwissenden,  kraß  ignoranten 
Reden,  die  beständig  dort  von  der  Ministerbank,  der  Majorität  und  der 
Opposition  um  die  Wette  oberflächlich  und  salbadernd  gehalten  werden. 
Aber  trotz  des  Privilegiums  zu  reden  und  das  Gesprochene  gedruckt  zu 
sehen,  das  ich  auf  diese  Weise  hätte  und,  wenn  ich  einmal  dazu  greifen 
muß,  erstaunlich  auszubeuten  wissen  würde,  wäre  es  mir  doch,  wie 
Sie  leicht  denken  können,  ein  Äußerstes,  ein  Leidenskelch,  von  dem 
ich  hoffe,  daß  er  an  mir  vorübergehen  wird.  Muß  ich  ihn  trinken,  so 
würde  ich  ihn  auch  bis  zum  Grund  ausleeren! 

Nun,  adieu  für  heut.  Hoffentlich  gibt  es  bald  gute  Nachricht  imd 
bewilligt  man  mir  das  Jahr,  das  ich  brauche,  im  Frieden  und  in  Ruhe. 

Ihr  F.  L. 


47- 
lyASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  nachmittag  [Düsseldorf,  28.  März  1857]. 
Gnädige  Frau! 

Durch  Vermittlung  des  Dr.  Bloem  bekomme  ich  eben  Ihren  Brief. 
Abgesehen  davon,  daß  er  von  der  ersten  bis  zur  letzten  Zeile  in  jedetn 


=^====^^  132  = 

Wort  mein  Mißfallen  erregt,  muß  ich  vor  allem  gegen  folgenden  Satz 
desselben : 

„ich  bringe  Ihnen  ein  wirkliches  Opfer  (indem  Sie  nämlich  rück- 
kommen) schon  wegen  meiner  Gesimdheit  mid  bringe  es  reoht 
gerne", 
entschieden,   nachdrücklichst  und  feierlichst  hiermit  pro- 
testieren. 

Sie  bringen  mir  durchaus  damit  kein  Opfer.  Mir  ist  mit  diesem 
Opfer  gar  nicht  gedient.  Ich  allein  bin  es,  der  dies  Opfer  brachte, 
nicht  schon  lange  hinzukommen.  Jedenfalls  ist  jetzt  Ihr  Opfer  durch- 
aus überflüssig  imd  Ihre  Rückkunft  mir  nur  unangenehm.  Es  wäre  mir 
weit  lieber,  wenn  Sie  dorten  blieben  .  .  .  Auch  würde  das  jetzt  voll- 
kommen angehen.  Auf  meines  Vaters  Wimsch  habe  ich  ihm  eine  Ein- 
gabe an  das  Polizeipräsidium  geschickt,  in  dem  ich  von  diesem  die  Er- 
laubnis zu  einem  sechsmonatlichen  Aufenthalt  begehre.  Diese  Eingabe 
wird  jetzt  nun  bald  entweder  abschlägig  oder  bejahend  entschieden 
werden  .  . . 

Wie?  Ich  soll  mich  wegen  der  Madame  Königin^)  nicht  öffentlich  mit 
Ihnen  zeigen?  Darauf  kann  ich  nur  sagen:  Auf  solche  Leisetretereien 
lasse  ich  mich  nicht  ein.  Pfui  über  den,  der  sich  darauf  einläßt!  Da 
dreht  sich  das  Sprichwort,  und  ich  muß  sagen,  ehe  ich  mir  solche 
Dinge  gefallen  lasse,  da  ist  mir  doch  ein  Quäntchen  Gewalt  lieber  als 
ein  ganzer  Zentner  Güte! 

Unbegreiflich,  wie  Sie  mir  nur  so  etwas  schreiben  können.  Auf 
solche  Konditionen  möcht'  ich  nicht  im  Himmel  sein.  Der  Engländer 
sagt :  I  am  a  free  man  in  a  free  country.  lyctzteres  kann  ich  nun  freilich 
nicht  sagen.  Aber  das  kann  ich  sagen:  Ich  bin  vor  allem  ein  freier 
Mann,  und  das  erste  vor  allem  ist  mir  somit,  daß  ich  in  meinen  persön- 
lichen Beziehungen,  in  meiner  Freundschaft  usw.  mir  keinen  Zwang 
antue  und  nicht  auf  unserer  Königin  Nase,  sondern  lediglich  auf  die 
meinige  sehe.  Dies  kund  und  zu  wissen  für  jedermann,  der  etwa  diesen 
Brief  lesen  sollte. 

Ein  Jammermensch,  wer  nicht  so  denkt .  .  . 

Also  von  „Opfer  für  mich"  in  bezug  auf  Ihre  Rückkunft  zu  sprechen 
haben  Sie  keinen  Grund.  Ich  protestiere  nochmals.  Ich  bin's  allein, 
der  opfert.  Bitte  nur,  mir  anzuzeigen,  ob  Sie  sich  zu  dem  einen  oder 
andern  entschlossen  haben,  damit  ich  im  betreffenden  Fall  meine 
Sachen  packe  und  mich  hinbegebe,  wie  es  das  vernünftigste  wäre. 

Was  Sie  über  den  Verlag  des  Werks  in  Breslau  sagen,  ist  Unsinn. 

In  Eile 

Ihr  F.  I.. 


'^)  Siehe  unten  Nr.  48. 


=  133  = 

48- 

LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  abend  [Düsseldorf,  28.  März  1857]. 
Gute  Gräfin! 

Ich  schrieb  Ihnen  schon  vor  wen'gen  Stunden  mit  dem  Kurierzuge 
in  aller  Hast,  welches  Mißfallen  mir  Ihr  Brief  verursacht  hat.  Dem  muß 
ich  nun  noch  einiges  hinzufügen,  teils  mich  noch  näher  explizieren. 

So  ist  z.  B.  folgende  Äußenmg  in  Ihrem  Brief:  Sie  sprechen  von 
meiner  Anwesenheit  in  Berlin  vmd  sagen  hierüber:  ,,.  .  .  sehe  ich  wiener 
in  dieser  Sache,  daß  niemand  Ihnen  so  Freund  ist  wie  ich,  denn  ob- 
gleich sie  ganz  gegen  mein  Interesse  ist,  so  bin  ich  es,  die 
immer  drängt  und  treibt  usw." 

So?  Also  ,,ganz  gegen  Ihr  Interesse"  ist  sie?  Ei,  warum  denn?  Sie 
sind  durch  viele  Interessen  veranlaßt,  nach  Berlin  zu  ziehen,  Testament, 
Paul,  Familie  usw.,  und  finden  es  gegen  Ihr  Interesse,  wenn  es  mir 
gelingt,  auch  meinen  Aufenthalt  dort  zu  haben?  Begreif 's,  wer's  kann. 
Ich  kann  solche  Äußerungen,  dunkel  wie  die  Rätsel  der  Sphinx,  nicht 
begreifen,  nur  ärgern  können  sie  mich. 

Denn  wenn  ich  erst  dort  sein  kann  —  Sie  kann  ja  kein  Mensch 
hindern,  Ihr  Domizil  dorthin  zu  verlegen.  In  der  Güte,  und  wenn  die 
,,Frau  Königin"  darüber  zu  entscheiden  hätte,  würden  Sie  es  freilich 
dann  vielleicht  nicht  erlangen.  Aber  zum  Glück  bedürfen  Sie  auch 
solcher  Dinge  gar  nicht,  und  zum  Glück  hat  darin  die  Frau  Königin 
nichts  zu  entscheiden.  Sie  stehn  dabei  auf  einem  un  nehm  baren 
Rechte.  Das  lassen  Sie  mein  Kummer  sein.  Ich  habe  Ihnen  das  so  oft 
gesagt.  Auch  haben  Sie  mir  nie  etwas  darauf  entgegnen  können. 

Was  nun  meinem  Schwager  gesagt  worden  ist,  die  Frau  Königin 
wolle  nicht,  daß  ich  mich  öfi'entHch  mit  Ihnen  zeige,  daß  wir  imsere 
Freundschaft  zur  Schau  tragen  —  ja,  darauf  kann  ich  nur  wiederholen 
und  bestätigen,  was  ich  schon  geschrieben  habe. 

Es  sieht  den  Hofschranzen  ganz  ähnhch,  daß  sie  solche  Dinge  zu 
meinem  Schwager  sagten,  aber  es  ist  ganz  sicher,  daß  mich  dieselben, 
statt  von  mir  berücksichtigt  zu  werden,  nur  mit  Fug  erbittern  können, 
im  übrigen  aber  wirkungslos  an  dem  Metalle  meiner  Denkungsweise 
abgleiten.  Dem  Weiber-,  dem  Unterrocksregiment  mich  noch  zu  fügen  — 
dazu  hab'  ich  schon  an  und  für  sich  gar  keine  Lust.  Und  ich  gedenke 
auch  zu  zeigen,  daß  ich  es  nicht  nötig  habe.  Ich  denke,  man  wird  mich 
in  Ruhe  lassen,  und  tut  man 's  nicht,  aus  solchen  Gründen  schwer 
mich  wegbeißen  können.  —  Wir  werden  nicht  zusammenwohnen; 
nicht  der  Frau  Königin  willen,  die  das  nichts  anginge,  sondern  unsert- 


=  134  = 

willen.  Aber  daß  ich  mich  mit  Ihnen  nicht  öffentlich  zeigen,  meine 
Freundschaft  mit  Ihnen  irgendwie  und  wann  verbergen,  verschleiern 
soll  —  mein  Gott,  ich  sollte  denken,  Sie  kennen  mich  genau  genug, 
um  zu  wissen,  daß  ich  mir  lieber  jetzt  gleich  mit  dem  Rasiermesser 
den  Hals  abschnitte,  als  auf  solche  Schmachzumutimgen  einzu- 
gehen. 

Nennen  Sie  das  nicht  Eigensinn!  Dies  sind  Dinge,  wo  der  aufs 
einzelne  gerichtete  Blick  der  Frau  anfängt,  seine  Kompetenz  zu  ver- 
lieren und  des  denkenden  Mannes  gereifte  Ansicht  die  maßgebende  ist. 

Statt  törichten  Eigensinns  ist  die  unverrückte  Festhaltung  dieser 
Gesinmmg  die  Hauptsache  im  ganzen  lieben.  Wer  einmal  davon  läßt, 
der  kann,  der  wird  zwei-,  drei-,  vier-,  allemal  davon  ablassen  imd 
rettimgslos  versinken  in  der  Gemeinheit  tief  unergründlichstem 
Schlund. 

Ich  sage,  es  ist  die  Hauptsache  im  lyeben.  Denn  wahrhaftig,  viel 
ist  an  diesem  Leben  nicht,  um  das  man  auf  so  verschiedene  Weise  be- 
trogen, das  einem  auf  so  verschiedene  Art  verhunzt  werden  kann.  Das 
einzige  noch,  das  diesem  Leben  Würde,  Weihe  und  Bedeutung  gibt, 
das  einzige,  um  dessentwillen  es  sich  lohnt  zu  leben,  ist  echte,  freie 
schöne  Menschlichkeit!  Nach  außen  hin,  im  Staat,  kann  man  die 
jetzt  nicht  verwirklichen.  Das  begreift  sich,  tmd  man  muß  sich  ruhig 
halten.  Aber  in  uns  selbst,  im  Umkreise  unsrer  eigenen  Indivi- 
dualität davon  ablassen — das  hieße,  der  uns  umgebenden  Gemeinheit 
die  Konzession  zu  machen,  auch  gemein  zu  werden! 

Man  hüte  sich,  selbst  nur  mit  solchen  Gedanken  sich  vertraut  zu 
machen.  Es  ist  eine  pente  rapide,  die  schneller  als  man  glaubt,  zum 
sitthchen  und  geistigen  Untergang  führt! 

Nein,  alle  Königinnen  dieser  Welt  werden  niemals  erlangen,  daß 
ich  meine  Freundschaft  zu  Ihnen  verstecken  sollte !  Weit  lieber,  ehe  auf 
solche  Bedingtmgen  nach  Berlin,  noch  heute  nach  Kamschatka!  Um 
wie  viel  lieber  werde  ich  es  also  drauf  ankommen  lassen,  eher  Berlin 
wieder  verlassen  zu  müssen.  Drauf  ankommen  lassen,  sage  ich.  Denn 
es  ist  keineswegs  gewiß,  daß  dies  die  Frau  Königin  gegen  mich,  wenn 
ich  bonne  resistance  mache,  durchsetzen  wird.  Allmächtig  ist  niemand. 
Und  es  fragt  sich,  ob  die  Behörden  aus  solchen  unostensiblen,  ihnen  — 
als  doch  immer  in  ihrer  eigenen  Seele  solchem  widerlichen  Weiber- 
regiment gar  nicht  zugetanen  vernünftigen  Männern  —  selber  nicht  am 
Herzen  liegenden  Gründen  mit  mir  aufs  äußerste  es  treiben  würden. 
Und  wieder  dann:  ob  sie  es  imter  solchen  Umständen  mit  mir  durch- 
setzen würden. 

Was  man  unter  solchen  Umständen,  wo  man  das  gute  Recht 
sonnenklar  und  jedes  Menschen,  selbst  des  letzten  Polizisten  eigenes 


=-  135  = 

Gewissen  auf  seiner  Seite  hat,  bei  der  gehörigen  Energie  kann  —  das 
wissen  Sie  nicht;  das  weiß  niemand  so  genau  und  gut  wie  ich.  Aber 
Beweise  habe  ich  schon  davon  gegeben. 

Genug  davon!  Ihr  Brief  hat  sicher  in  dieser  Hinsicht  nur  die  Be- 
deutung gehabt,  mir  zu  berichten,  gewiß  aber  nicht  die,  mir  dazu 
raten  zu  wollen! 

Wegen  des  ,, Opfers"  habe  ich  Ihnen  schon  geschrieben.^)  Ich  kann  es 
als  solches  durchaus  weder  betrachten  noch  gebrauchen. 

Bleiben  Sie  gern  noch  einige  Monate  in  Berlin,  so  konveniert  mir 
das  sehr.  Ich  wiederhole,  Sie  haben  einen  Gewaltschritt  nicht  zu  scheuen ; 
das  ist  Unsinn.  Und  ich  habe,  wenn  ich  erst  die  Erlaubnis  habe,  wäh- 
rend derselben  die  Machtfülle  der  Frau  Königin  auch  nicht  zu  scheuen. 
Das  wollt'  ich  schon  beweisen. 

Ja,  wollte  man  die  Antwort  auf  meine  Eingabe  verzögern,  so  wäre 
es  das  beste  —  und  in  jeder  Hinsicht  vielleicht  sehr  gut  — ,  ich  ginge 
sofort  nach  Berlin  und  sagte:  Hier  bin  ich!  Wie  steht's  mit  meiner 
Antwort?  Bei  den  Gründen,  auf  die  ich  meine  Eingabe  gestützt  habe, 
dem  Werk,  dem  ärztlichen  Atteste,  gehörte  doch  gar  viel  dazu,  mich 
gewaltsam  aus  Berlin  fortschleppen  zu  lassen,  zumal  nachdem  durch 
die  dortigen  Demarchen  doch  so  weit  vorbereitet  worden  ist.  Es 
wäre  vielleicht  sehr  gut;  denn  auch  das  Faktum  ist  ein  Gott  hienieden 
und  einen  hinkommen  zu  lassen  oder  fortzutreiben  mit  exekutivischer 
Gewalt,  —  das  ist  schon  zweierlei.  Zumal  bei  solchen  dringenden  Motiven, 
die  doch  noch  den  letzten  Rest  von  Scham  hervortreiben  würden,  wenn 
ich  einmal  dort  bin. 

Also,  wollten  Sie  noch  längere  Zeit  dort  bleiben,  so  geht  das  eigent- 
lich mit  meinem  Wunsch  nur  Hand  in  Hand. 

Wollen  Sie  aber  kommen,  so  werde  ich  Sie  erwarten,  bis  zum  i. 
abends,  auch,  damit  Sie  nicht  sagen,  ich  eile  auf  den  Tag,  obwohl 
Sie  schon  früher  zurückkehren  wollten,  bis  zum  2.  —  Ich  sage 
sogar  nicht,  daß  Sie  mich  nicht  auch  später  noch  treffen  würden. 
Aber  eine  Verpflichtung  hierzu  kann  ich  für  später  nicht  über- 
nehmen .  .  .^) 


^)   Siehe  oben  Nr.  47. 

2)  Noch  am  i .  April  schrieb  Lassalle  seinem  Vater  einen  zugleich  für  die  Gräfin 
bestimmten  höchst  ungeduldigen  Brief,  in  dem  er  über  den  „Egoismus"  der  Gräfin 
klagte  und  ihr  ein  Ultimatum  stellte:  kehre  sie  bis  zum  vierten  zurück,  so  wolle 
er  seine  Abreise  bis  zum  zwölften  —  dem  Tag  nach  seinem  Geburtstag  —  ver- 
schieben. Anderenfalls  reise  er  bestimmt  am  vierten  ab.  Die  Gräfin  fügte  sich 
hierauf  und  kam  nach  Düsseldorf. 


136  =============== 

49. 

LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  früh  [Berlin,  Anfang  Mai   1857.]^) 
Gute  Gräfin! 

Um  doch  irgendeinen  Totaleindruck  zu  haben,  habe  ich  bis  heute 
mit  schreiben  gewartet. 

Ich  bin  Mittwoch  früh  imbelästigt  hier  angekommen,  fand  Vater 
und  Pickwick  auf  dem  Bahnhof.  Donnerstag  früh  war  ich  bei  dem 
Präsidenten,  2)  der  mich,  obwohl  das  Vorzimmer  voll  war,  sofort  außer 
der  Reihe  vorkommen  ließ  und  sehr  höflich  mit  mir  war,  obwohl  er  die 
Vorbehalte  seines  Schreibens  sehr  betonend  wiederholte.  Ich  habe  jetzt 
alle  Welt  gesprochen,  außer  W.,  wohl  aber  dessen  Freimde! 

Die  Sache  zerfällt  in  zwei  Teile,  in  das,  was  man  will,  und  in  das, 
was  man  wird.  Anders  ausgedrückt  in  dies,  was  man  bewilligt  imd  ver- 
sprochen hat,  und  in  die  Situation.  In  ersterer  Beziehung  sieht  es  eben 
nicht  viel  anders  aus,  als  wir  schon  von  Düsseldorf  aus  wußten.  Im 
Gegenteil  lag  in  den  Äußerungen  des  Präsidenten  —  nach  G[oldheims]^) 
Interpretation  mindestens  — ,  obwohl  Sie  gar  nicht  erwähnt  wurden, 
als  würde  selbst  während  der  sechs  Monate  mein  Aufenthalt  hier 
beendet  werden  können,  wenn  Sie  herkämen.  —  Ganz  anders  liegt  die 
Situation.  Ich  habe  viele  Vorteile  in  Händen  und  glaube,  daß  es 
mir  mit  Hilfe  derselben  gelingen  wird,  mich  behebig  lange  hier  auf- 
zuhalten. Ich  habe  alle  Ohren  —  und  das  ist  schon  ein  immenser 
Vorteil! 

Es  müßte  just  ein  Machtbefehl  von  ganz  oben  sein,  der  mich  in- 
kommodieren müßte,  und  selbst  einem  solchen  gegenüber,  glaube  ich, 
würden  sich  vernünftige  Vorstellimgen  zu  meinen  Gimsten  und  Gegen- 
bemühimgen  geltend  zu  machen  versuchen. 

En  bref  bin  ich,  da  der  Mensch  nicht  einmal  fürs  Ivcben  selbst,  um 
so  weniger  also  für  die  Inzidentpunkte  im  Leben  Garantien  fordern 
kann,  entschlossen,  meine  Meubles  gleich  nachkommen  zu  lassen  und 
bitte  Sie,  dies  also  zu  bewirken. 

Außerdem  habe  ich  zu  erwähnen: 


1)  Für  die  Datierung  vgl.LassallesWeihnachtsbrief  von  1858.  Siehe  unten  Nr.  105. 

2)  Der  Berliner  Polizeipräsident  von  Zedlitz-Neukirch  hatte  auf  Lassalles  er- 
neutes Gesuch  vom  10.  April  hin  diesem  am  25.  April  die  Erlaubnis  zu  einem 
sechsmonatlichen  Aufenthalt  in  Berlin  gegeben. 

3)  Der  Pohzeirat  Goldheim  war  vom  Polizeipräsidium  mit  Lassalles  Angelegen- 
heit betraut. 


—  137  —  = 

1.  bin  ich  verwundert,  daß  die  Bücherkiste  noch  nicht  da  ist,  ich 
brauche  sie  dringend,  denn  auch  der  gewünschte  größere  Verleger 
ist  schon  gefunden.  War  es  schon,  wie  ich  ankam. i) 

2.  Die  Weinkiste  wünsche  ich  gleichfalls  sofort  noch  vor  den  Meubles 
zu  erhalten  .  .  . 

Wehmütigen  Gedanken  wegen  meiner  Entfernung  geben  Sie  sich 
nicht  hin.  Ich  bin  jemand,  über  den  Zeit  und  Raum  nicht  Macht  hat. 
Auch  die  Trenmmg  wird  keine  sehr  lange  sein.  Es  wird  mir  schon  ge- 
lingen, so  Ihnen  wie  mir  hier  einen  imgeschorenen  Aufenthalt  zu  ver- 
schaffen. 

Ich  glaube,  daß  meine  Kräfte  hier  mit  dem  Terrain  wachsen  werden. 

Bloem  und  Kichniawy  herzlichst  zu  grüßen  und  nun  für  heute 
Gott  befohlen, 

Ihr 

F.  lyassalle. 

50. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  I.ASSALLE.  (Original.) 

Montag  morgen   [Düsseldorf,  Anfang  Mai  1857]. 

Iviebes  Kind,  gestern  erhielt  ich  Ihren  ersten  Brief,  was  nicht  recht 
war,  mich  fast  acht  Tage  auf  die  Nachricht  Ihrer  glücklichen  Ankunft 
warten  zu  lassen.  Nach  Ihrem  Brief  finde  ich  nun  nicht  die  Aussichten 
so  sehr  beruhigend,  allein  Sie  müssen  das  besser  am  Ort  beurteilen 
können,  und  da  Sie  das  Arrangement,  alle  Ihre  Sachen  gleich  kommen 
zu  lassen,  zweckmäßiger  finden,  so  habe  ich  bereits  gestern  mit  Ein- 
packen der  Bücher  beginnen  lassen  .  .  .  Ich  will  jedenfalls  meine  Woh- 
nung zum  I.  Juli  aufgeben  imd  mich  also  mit  meinen  Sachen,  [bejvor 
ich  abreise,  darauf  richten,  denn  ich  muß  sehr  darauf  bedacht  sein, 
mich  so  ökonomisch  wie  möglich  einzurichten;  denn  meine  Finanzen 
sind  in  einem  so  kläglichen  Zustand,  daß  ich  schon  mit  dem  Gedanken 
umgehe,  so  nötig  wie  ich  es  habe,  meine  Badereise  aufzugeben. 


1)  Bekanntlich  erschien  der  Heraklit  bei  Franz  Duncker.  Am  20.  Mai  schrieb 
Lassalle  in  einer  Eingabe  an  Polizeirat  Goldheim:  ,,Ich  habe  mit  meinem  Ver- 
leger Kontrakt  gemacht.  Derselbe,  der  zugleich  eine  Druckerei  besitzt,  hat  zur 
größeren  Beschleunigung  des  Druckes  mehrere  Zentner  griechische  Schrift  gießen 
lassen  müssen.  Bloß  der  finanzielle  Schaden,  der  mich  treffen  würde,  wenn 
man  mir  die  Zusicherung  jenes  Reskripts  bricht,  würde  sich  auf  über  2000  Rt. 
belaufen!"  Lassalle  bezieht  sich  auf  das  Reskript,  das  ihm  den  sechsmonatlichen- 
Aufenthalt  in  Berlin  gestattete  und  in  dem  nicht  davon  die  Rede  gewesen  war, 
daß  er  die  Hauptstadt  verlassen  müsse,  sofern  die  Gräfin  Hatzfeldt  ebenfalls 
hinkäme. 


—  138—  - 

Sie  schreiben  mir  gar  nicht,  ob  Sie  den  Bedienten,  den  ich  Ihnen 
rekommandiert,  genommen  haben.  Vergessen  Sie  nicht,  es  mir  zu  schrei- 
ben, denn  es  würde  mich  beruhigen,  bei  Ihrer  Unordnung  und  über- 
haupt einen  Menschen,  den  ich  für  ordenthch  halte,  bei  Ihnen  zu  wissen. 
Gewöhnen  Sie  ihn  nur  gleich  an  Ordnung  und  Ökonomie;  vorzüglich 
muß  er  ein  Buch  haben,  worin  er  täglich  seine  Ausgaben  notiert  und 
Ihnen  täglich  beim  Frühstück  vorlegt.  Überhaupt  rate  ich  Ihnen 
jetzt  wiederholt  und  dringend  an,  sich  selbst  ein  Ausgabe  buch  zu 
halten.  Es  ist  so  leicht,  wenn  man  sich  daran  hält,  jeden  Abend  die 
paar  Worte  einzuschreiben.  Und  Sie  glauben  wirklich  nicht,  von  welchem 
großen  Nutzen  es  ist,  weil  man  dadurch  allein  einen  Überblick  über 
das,  was  man  ausgibt  imd  ausgeben  kann,  behält.  Ich  habe  es  jetzt 
recht  wieder  an  mir  selbst  empfunden;  ich  habe  voriges  Jahr  wegen 
des  vielen  Reisens  aufgehört,  aufzuschreiben  und  mit  Schrecken  nachher 
jetzt  gefunden,  daß  ich  dreimal  zu  viel  ausgegeben  habe  und  mich  sogar 
sehr  verschuldet  habe,  was  gewiß  nicht  so  geschehen  wäre,  wenn  ich 
jeden  Monat  einen  Überblick  gehabt  hätte.  Auch  fange  ich  erst  jetzt 
sehr  ordentlich  wieder  an.  Tim  Sie  es  auch,  und  ich  kann  Ihnen  ver- 
sichern, nach  sehr  kurzer  Zeit  werden  Sie  sehr  zufrieden  damit  sein  und 
die  wohltätigen  Folgen  fühlen.  Machen  Sie  jetzt  keine  Anschaffungen 
in  Berlin,  vorzüglich  nicht,  ohne  es  mir  gleich  zu  schreiben,  damit  ich 
mich  hier  danach  richte  .  .  . 


51. 

LASSAI.LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  Anfang  Mai  1857.] 
Gnädige  Frau! 

Was  Ihr  Herkommen  anbelangt,  so  habe  ich  in  betreff  desselben 
folgendes  zu  sagen. 

Ich  sprach  neulich  mit  Dorn  wegen  Ihres  Domizils.  Wider  Erwarten 
war  derselbe  der  Meinung,  daß  auch  bei  Ihnen,  trotz  Ihres  gesetzlichen 
Rechtes,  nicht  im  geringsten  daran  gedacht  werden  könnte,  falls  die 
I^eute  nicht  wollten,  die  Sache  durchzusetzen. 

Es  handelt  sich  also  darum,  die  I^eute  wollen  zu  machen,  um  so  mehr, 
als  Sie  sich  ja  auf  Konflikte  gar  nicht  einlassen  wollen.  Die  Ivcute  wollen 
zu  machen  —  das  werde  ich,  wenn  mich  nicht  alles  trügt,  binnen  einigem 
weit  leichter  bewirken  können  als  Ihre  Schwester!  Nur  Zeit,  Zeit 
brauche  ich  dazu,  um  so  mehr  als  grade  jemand  verreist  ist,  nach  dessen 
Rückkunft  erst  gewisse  Dinge  geschehen  müssen,  durch  die  er  mich 


==  139  —  = 

in  den  Stand  setzen  wird,  hierin  zu  wirken.  Wenn  ich  sechs  Wochen 
Zeit  hätte,  würde  ich  nicht  zweifeln,  die  Sache  einrichten  zu  können, 
ohne  ja  und  nein.  Aber  wenn  Sie  schon  den  25.  kommen  wollen,  das 
ist  freihch  etwas  früh.  Kommen  Sie  so  spät  als  möglich.  Acht  Tage 
später  sind  unter  den  obwaltenden  Umständen  ein  großer  Gewinn. 
Ohnehin  wird  man  eklatieren  wie  eine  Bombe,  wenn  Sie  so  früh  nach 
mir  ankommen.  Aber  man  wird  sich  wohl  beruhigen  müssen,  zumal 
wenn  bis  dahin  ein  hiesiger  Freund  von  mir  sein  Versprechen  verwirk- 
licht hat.  Jedenfalls  können  Sie  so  am  i.  Jmii  wohl  kommen,  aber 
acht  Tage  vorher  muß  ich  es  wissen,  muß  auch  von  Ihnen  einen  Brief 
an  mich  haben,  den  ich  zeigen  kann  und  in  dem  Sie  sagen,  daß  Sie  nur 
äußerst  ungern  und  infolge  dringender  Aufforderung  Ihrer  immer 
kränker  werdenden  vSchwester  kämen.  Mit  diesem  Briefe  muß  ich  zu 
Pontius  imd  Pilatus  laufen,  um  zu  verhüten,  daß  die  so  früh,  ehe  ich 
mich  genügend  festgesetzt,  erfolgende  Ankunft  mir  nicht  schadet.  Doch 
werde  ich  mit  den  gehörigen  lyaufereien  das  wohl  bewirken  können, 
ebenso  wie  ich,  ich  wiederhole  es,  in  sechs  bis  acht  Wochen  soweit  sein 
werde,  Ihnen  Ihr  Domizil  zu  verschaffen, 
Zeit  und  Ich  sind  zwei! 

52. 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin]  Sonnabend  früh  [9.  Mai  1857,  Poststempel]. 
Gnädigste  Frau! 

Ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief.  Es  ist  auch  für  mich  sehr  schwer  zu 
sagen,  was  geschehen  soll,  da  ich  eigentlich  ebensowenig  weiß,  was  tim. 
Zwar  daß  man  mich  wieder  expulsiert,  nehme  ich  nicht  an.  Erstens 
glaube  ich  wirklich  ganz  sicher,  daß  ich  das  Terrain  behaupten  werde. 
Zweitens  würde  ich,  selbst  wenn  ich  dies  weniger  fest  glaubte,  doch 
nach  meinen  Ansichten  über  kluges  und  praktisches  Handeln,  stets  mich 
so  einrichten,  als  wäre  es  sicher.  Resultate  kann  man  nur  dadurch  herbei- 
führen, daß  man  sie  antizipiert! 

Also  von  dieser  Seite  bin  ich  ganz  unbekümmert  und  ganz  ent- 
schlossen. Um  so  ratloser  aber  von  andrer  Seite.  Ich  kann  nämlich  ent- 
setzhcherweise  keine  Wohnung  zum  i.  Juli  finden  .  .. 

Ich  bin  sehr  verdrießlich.  Eben  war  mein  Buchhändler  ^)  hier  mit 
einer  Hiobsnachricht.    Der  Druck  meines  Werkes    kann  erst  in  drei 

1)  Franz  Duncker  (1822 — 1888),  der  bekannte  liberale  Politiker  und  Verleger 
der  ,, Volkszeitung".  Für  Lassalles  Beziehungen  zu  Duncker  vgl.  die  Einführung 
zu  Bd.  II,  S.  22  f. 


=  140  = 

Wochen  beginnen,  weil  er  sich  eine  große  Menge  griechischer  Schrift 
dazu  gielBen  lassen  muß,  die  nicht  früher  fertig  ist.  Ich  kann  also  drei 
Wochen  hier  ganz  müßig  hegen!  Scheußlich! 

Sonst  gefälltes  mir  hier  sehr  gut.  Dr.  PritzeP)  —mein  alter  Freund  — , 
den  ich  zwölf  Jahre  nicht  gesehen,  war  neulich  bei  mir;  wir  plauderten 
von  abends  sieben  bis  zwei  Uhr  nachts!  Es  geht  ihm  sehr  gut.  Er  ist 
Archivarius  der  Kgl.  Akademie  imd  Kustos  der  Kgl.  Bibliothek  imd 
will  deshalb  heiraten.  Gestern  war  ich  bei  dem  großen  Ägyptologen 
Dr.  Brugsch.2)  Ich  habe  einen  ganz  erstaunlich  liebenswürdigen  Mann 
in  ihm  kennen  gelernt.  Obwohl  es  der  erste  Besuch  war,  plauderten  wir 
von  elf  Uhr  bis  zweieinhalb  Uhr.  Heut  kömmt  er  zu  mir.  Schade,  daß 
ich  alle  meine  Aegyptiaca  noch  in  Düsseldorf  habe.  Noch  tausendmal 
mehr  schade,  daß  Brugsch  grade  in  acht  Tagen  nach  Ägypten  geht. 
Das  wäre  ein  Mann  gewesen,  wie  er  mir  konveniert  vor  hmidert  andern. 

Herumzulaufen  habe  ich  genug.  Gestern  abend  war  ich  eingeladen 
zum  Souper  bei  meiner  Cousine  Marie  ;^)  auf  morgen  bin  ich  es  zum 
Diner  bei  Herrn  Gebert;  auf  morgen  abend  bei  Fräulein  Fuhr.  Auf 
einen  andern  Abend  beim  Redakteur  des  ,, Kladderadatsch",  einem 
äußerst  liebenswürdigen  Mann,  Dr.  Dohm!*)  Scherenberg^)  ist  in  vier- 
zehn Tagen  mit  einem  neuen  Epos  fertig :  PVanklins  Nordpolfahrt,  das 
er  ims  dann  vorlesen  wird. 

Aber  was  nützt  mir  alle  Auslauferei,  wenn  ich  nach  drei  Wochen 
keine  Korrektur  bekomme  und  nicht  weiß,  wo  ich  wohnen  soll !  Oh !  Oh ! 
Der  Brief  von  Paul  folgt  hierbei  zurück.  Ich  kann  ihn  nicht  gut  benutzen 
und  jemand  zeigen,  weil  erstlich  nicht  darin  steht,  daß  Sie  herkommen 
sollen  und  er  sich  überhaupt  nicht  so  ängstlich  macht,  wie  Sie  —  die 
Sie  mit  dem  Herzen  lesen  —  auffassen.  Da  ist  es  noch  besser,  wenn  ich 
spreche  ohne  Brief.  Da  kann  ich  beliebig  mindestens  kolorieren.^) 

Ihr 

F.I.. 


1)  Dr.  August  Pritzel  (18 15 — 1874),  der  Botaniker  und  Sekretär  der  Akademie 
der  Wissenschaften,  war  einer  der  ältesten  und  nächsten  Freunde  Lassalles. 

2)  Für  des  Ägyptologen  Heinrich  Brugsch  Beziehungen  zu  Lassalle  vgl.  Ein- 
führung zu  Bd.  II,  S.  19. 

3)  Marie  Lessing. 

*)  Ernst  Dohm  (18 19 — 1883),  der  Redakteur  des  ,, Kladderadatsch",  war 
Lassalles  Landsmann.  Mit  ihm  wie  mit  seiner  Gattin  Hedwig  (1833 — 1919)  trat 
Lassalle  von  nun  ab  in  freundschaftliche  Beziehungen. 

'')  Christian  Friedrich  Scherenberg  (1798 — 188 1),  der  bekannte  Dichter.  Vgl. 
Th.  Fontane,  Christian  Friedrich  Scherenberg  und  der  Literarische  Verein  von 
1840 — 1860,  Berlin   1885. 

*)  Die  Gräfin  wollte  wegen  der  schweren  Erkrankung  der  Gräfin  Nostitz,  ihrer 
Schwester,  möglichst  schnell  nach  Berlin  kommen. 


-  141  —  = 

53- 
IvASSAIylvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Dienstag  [12.  Mai  1857]. 
Gute  gnädige  Frau! 

Ich  bitte  Sie  also  jetzt,  mir  alle  meine  Meubles,  Bücher  und 
Sachen  —  alles  ohne  Ausnahme  —  schleunigst  zuzuschicken. 
Ich  habe  nämlich  endlich  gemietet,  und  zwar  eine  Wohnung,  in  der  ich 
jeden  Tag  —  schon  heute  —  einziehen  kann.  Bis  zum  30.  Mai  muß  ich 
aber  auch  die  chambre  gamie  bezahlen.  Mein  Hauptzweck  aber  ist, 
bis  zum  20.  oder  25.  die  ganze  Möblierung  imd  Einrichtung  besorgt  zu 
haben,  und  in  den  letzten  Tagen  dieses  Monats  noch  dort  einzuziehen. 

Also  senden  Sie  aufs  schnellste  alles,  denn  die  Einrichtung  imd 
besonders  die  Aufstellung  der  Bibliothek  wird  doch  gut  und  gerne  zehn 
Tage  erfordern  .  .  . 

Ich  habe  also  gemietet  Potsdamer  Straße  Nr.  131  hautparterre. 
Vor  dem  Hause  ein  kleines  Gärtchen;  in  dieses  geht  der  Balkon  (sehr 
schöner  breiter  Balkon)  meiner  Zimmer,  und  vom  Balkon  führt  eine 
kleine  eiserne  Treppe  in  den  Garten.  Das  Haus  reizend  schön,  Portier, 
verschlossen.  Das  Parterre  hoch  genug,  um  nicht  sehr  feucht  zu  sein. 
Entree.  Unmittelbar  nach  diesem  ein  Zimmer  nach  vorn,  zweifenstrig, 
ziemlich  groß  (wird  mein  Salon  sein),  ein  anderes  zweifenstriges  (beide 
nach  vom)  daneben  (mein  Arbeitszimmer).  Aus  diesem  geht  es  in  ein 
leider  beinahe  kleines  Schlafzimmer  und  aus  diesem  wieder  in  ein  un- 
geheuer kleines  imd  schmales  Alkovchen,  aus  welchem  eine  Treppe  in 
den  Souterrain  führt,  wo  meine  Küche  ist,  die  auch  sehr  klein.  Wo  soll 
ich  nun  den  Diener  schlafen  lassen?  Entweder  im  Souterrain  (der  Küche) 
oder  dem  Alkovchen.  Beides  ist  sehr  mißlich.  In  der  Küche  nämlich  ist 
es  feucht.  Und  im  Alkovchen  erstens  tmgeheuer  eng  und  dann  sehr  un- 
angenehm, —  da  er  an  mein  Schlafzimmer  stößt  — ,  den  Diener  so  auf 
der  Nase  schlafen  zu  haben. 

Ein  Kellerraum  imd  Boden  ist  auch  dabei,  aber  weder  da  noch  dort 
zu  schlafen  möglich.  Das  Ganze  ist  eine  Nußschale,  für  die  ich  285  Rt. 
Miete  und  12  Rt.  für  Gasbeleuchtung  des  Flurs  zahle. 

Die  Vorteile  der  Wohnung  sind  ganz  subjektiver  Natur.  Sie  liegt 
nämlich  der  Druckerei  meines  Verlegers,  wo  mein  Werk  gedruckt  wird, 
unmittelbar  gegenüber,  so  daß  ich  alle  Minute  in  der  Druckerei  sein 
kann  und  die  Setzer  gleich  unter  der  Hand  habe ;  für  einen  Autor  ein 
ganz  unvergleichlicher  Vorteil. 

Ferner:  Der  Druck  meines  Werkes  wird,  wie  ich  Ihnen  schon  letzthin 
schrieb,  erst  am  i.  Juni  begonnen  werden.   Müßte  ich  nun  am  i.  Juli 


=  142  - 

ziehen,  so  müßte  ich  mich  wieder  auf  zehn  bis  zwölf  bis  vierzehn  Tage 
in  der  Arbeit  imterbrechen.  So  aber  besorge  ich  die  Zieherei  vor  dem 
I.  Jmii  und  kann  dann  ohne  Unterbrechung  korrigieren  .  .  , 


54. 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT. 

Mittwoch  [Berlin,   13.  Mai  1857]. 

.  .  ,  Eben  komme  ich  von  N.  N.^)  Er  wollte  mir  wieder  wegen  Ihrer 
Herkunft  den  Kopf  voll  heulen  und  verlangte  nichts  weniger,  als  daß 
ich  ,, mindestens"  währenddessen  nach  Breslau  ginge.  Freundlich  aber 
bestimmt  erklärte  ich  ihm,  daß  ich  mich  auf  alle  solche  Dinge  nicht  ein- 
lassen könne  und  abwarten  müsse,  was  und  wieviel  man  gegen  mich 
unternehmen  würde.  Da  sagte  er  mir,  Sie  möchten  wenigstens  nicht 
vor  dem  28.  oder  29.  d.  kommen.  Denn  Pfingsten  ginge  der  Präsident 
auf  seine  Güter  ab  und  der  König  nach  Marienbad  und  das  wäre  also 
die  beste  Zeit  zum  Herkommen. 

Dies  finde  ich  in  der  Tat  vernünftig  und  meine,  daß  es  Ihnen  auch 
ziemlich  egal  sein  kann,  wenn  Sie  statt  am  25.  wie  Sie  wollten,  erst  am 
28.  herkämen. 

55. 
LASSAI^IyE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Berlin,  22.  Mai   1857.] 
Gute  Gräfin! 

Sachen  und  alles  habe  empfangen.  Bin  in  größter  Arbeit,  größer 
als  Sie  denken  können.  Ich  bitte  Ihre  Ankimft  hierselbst  jedenfalls 
bis  auf  den  28.  zu  verschieben.  Grund  warum,  mündlich.  Vorläufig 
muß  ich  darauf  rechnen  können,  die  Bitte  erfüllt  zu  sehen.  Fällt  der 
Grund  fort,  aus  dem  frühere  Ankunft  mir  störend  wäre,  schreibe  ich 
oder  telegraphiere  irgend  etwas  Beliebiges  an  Bloem.  —  Wegen  des 
Prozesses  bitte  ich  Sie,   sich  nicht  im  geringsten   zu   beunruhigen. 

In  Eile 

Ihr 

F.Iv. 


^)  I^assalle  meinte  Goldheim.  Vgl.  hierzu  Bd.  II  Einführung  S.  i6f. 


-  -    143  - 

56. 
IvASSAI^LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Montag  [Berlin,   25.  Mai   1857]. 

Gnädigste  Frau! 

Was  ich  dieser  Tage  gelitten,  gekämpft  und  gearbeitet  habe,  geht 
über  alle  Beschreibung.  Bei  28  Grad  R.  Diese  ungeheure  Arbeit  mit 
den  Sachen  und  doch  diese  nur  Kinderspiel  gegen  den  gleichzeitig  ge- 
führten Kampf  mit  den  Behörden!  Denn,  obwohl  ich  Ihnen  wie  natür- 
lich bisher  nichts  schreiben  wollte,  ja,  es  wogte  der  männervernichtende 
Kampf  schrecklich  durchs  weite  Gefilde.^)  Jetzt  ist  es  nun  gut.  Kommen 
Sie  ganz  ruhig  den  28.  her.  Je  tins  bon  et  ferme!  Wenn  ich  nicht 
fest  blieb,  ja  dann!  Also  am  28.!  Nicht  früher  und  auch  nicht  später. 
Bis  medio  Juni  können  Sie  jedenfalls  hier  bleiben.  Aber  nicht  gut  länger, 
es  sei  denn  einige  wenige  Tage. 

Den  Bericht  werden  Sie  natürlich  im  Brief  nicht  ei-warten! 

Ihr 

F.Iv. 

P.  S. 

Eben  erhalte  ich  Ihren  Brief  mit  den  leisten.  Darin  ist  die  Äuße- 
rung: ,,Fürs  erste  werde  ich  wohl  nicht  nach  Berlin  kommen  dürfen, 
darüber  morgen." 

Hieraus  scheint  mir  hervorzugehen,  daß  Sie  möglicherweise  von 
Ihrer  Familie  oder  von  Paul  irgend  etwas  gehört  haben  könnten,  falls 
diese  etwas  gehört  haben.  Aber  was  man  Ihnen  auch  geschrieben  habe, 
Sie  haben  sich  in  dieser  Hinsicht  nur  nach  dem  zu  achten,  was  ich 
schreibe,  der  einzige,  der  gut  unterrichtet  ist  und  der  mit  den  Un- 
annehmlichkeiten im  Falle  Ihrer  Ankunft  bedroht  war.  Und  ich  schreibe 
Ihnen,  daß  Sie  ganz  ruhig,  mibesorgt  und  offiziell  am  28.  ankommen 
können.  Ja,  es  wäre  nach  der  achttägigen  Schlacht,  die  ich  nun  ge- 
schlagen habe,  sogar  schädhch,  sehr  schädhch  für  die  Folgezeit,  wenn 
Sie  nicht  kämen!  Ich  würde  dadurch  den  errungenen  vSieg  und  alle 
seine  Früchte  verlieren,  und  es  würde  dadurch  für  später  ganz  unmög- 
lich werden,  während  umgekehrt  jetzt  alles  aufs  glänzendste  steht,  und 
wenn  Sie  herkommen  und  nur  vierzehn  Tage  bleiben,  dies  die  besten 
Folgen  für  später  haben  wird. 

Natürlich  kann  ich  Ihnen  hier  nichts  erklären.  Nur  um  püinktliche 
Nachachtung  muß  ich  bitten,  eine  vertrauensvolle  Befolgung  dessen, 
was  ich  sage,  mit  Hintansetzung  von  allem,  was  Sie  etwa  anderweitig 

^)  I,assalle  sollte  ausgewiesen  werden,  wenn  die  Gräfin  nach  Berlin  käme. 


—  144  —  = 

hören.  Sonst  war  meine  Riesenarbeit  und  Anstrengung  umsonst  durcl 
Ihre  Schuld  und  durch  Sie  Nutzen  in  Schaden,  Sieg  in  Niederlage  ver 
wandelt. 

Nur  muß  ich  bitten,  daß  Sie  nicht  später  als  den  28.  oder  29.  kom 
men,  allerspätestens  den  30.  Aber  wenn  möglich  schon  den  29.  Auf  de 
Bisenbahn  kann  ich  Sie  nicht  empfangen.  Erwarte  aber  sofort  doppelt« 
schriftliche  Benachrichtigimg  von  Ihrer  Ankunft  durch  Klara  auf  de 
Behrenstraße  13,  i.  Etage,    und  Potsdamer  Straße   131  hautparterre 

Also  auf  Wiedersehen. 

Ihr 

F.  L 

Noch  einmal,  wenn  Sie  sich  durch  was  es  immer  sei,  abhalten  lassen 
jetzt  zu  kommen,  so  ist  alles  für  immer  verloren,  während  umgekehr 
auch  für  später  unendlich  gewonnen  ist.  Ich  muß  nochmals  um  pünkt 
liehe  Nachachtung  dieses  Briefes  bitten.  Es  hat  mir  Schweiß  genug  ge 
kostet  und  bitte  ich,  nicht  zu  zerstören,  was  ich  fertig  brachte. 

Wo   bleiben  meine   Vorhänge? 


57- 

IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Montag  [Berlin,  25.  Mai  1857]. 
Meine  Gnädigste! 

Ich  lese  noch  einmal  Ihren  Brief  durch  —  denn  dieser  Tage  hatt( 
ich  wohl  Zeit,  für  Sie  zu  handeln,  wirklich  aber  kaum,  Ihre  Briefe  zi 
lesen  —  imd  finde  darin  die  Frage,  ob  ich  Sie  schon  ganz  vergessen 
Nim,  wie  ich  vergesse,  werden  Sie  bei  Ihrer  Hierherkunft  erfahren ! 

Mit  demselben  Zuge,  mit  dem  dieser  Brief  geht,  habe  ich  Ihnei 
bereits  einen  —  auswendig  an  Bloem  adressierten  —  geschickt.  Icl 
kann  nur  hier  wiederholen  in  aller  Kürze:  Jetzt  ist  es  sogar  gan: 
notwendig,  daß  Sie  herkommen,  und  zwar  nicht  später  als  zwischei 
dem  28.  tmd  30.  Hätten  Sie  mir  nicht  vor  einiger  Zeit  so  sehr  bestimm 
und  trotz  meiner  Gegenvorstellung  geschrieben,  Sie  wollten  und  müßtet 
jetzt  herkommen,  so  hätten  Sie  mir  freilich  ein  rasendes  Stück  Arbeit 
einen  tmgeheuren  Kampf  erspart.  Jetzt  aber  ist  er  nicht  nur  einma 
durchgekämpft  tmd  zu  Ende  gebracht,  sondern  die  Sache  würde  siel 
auch  in  ihr  absolutes  Gegenteil  verkehren,  wenn  Sie  nun  nich 
kämen.  Es  würde  dies  jetzt  von  einem  nicht  wieder  gutzumachender 
Schaden  sein.  Erklären  kann  ich  Ihnen  dies  nicht.  Sie  müssen  glaubet 
und  jedenfalls  kommen,    wenn  ich  nicht  sehr  kompromittiert 


-^  145  = 

abüsiert  und  für  immer  davon  zurückgebracht  sein  soll,  wieder  eine 
Lanze  einzulegen! 

Also  am  29.  sind  Sie  hier.  Wo  sind  meine  Vorhänge  und  das  vierte 
Rouleau?  Ihr 

F.I.. 

58. 
SOPHIE  VON  HATZFBIvDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Dienstag  früh,  Kurierzug  [Düsseldorf,  26.  Mai   1857]. 

lyiebes  Kind!  Soeben  erhalte  ich  Ihre  zwei  Briefe,  einen  durch 
Bloem,  die  mich  in  ein  wahres  Fieber  von  Aufregung  versetzen.  Ich 
hatte  Ihnen  allerdings,  [be]vor  Sie  weggingen,  gesagt,  ich  müßte  Ende 
dieses  nach  Berlin,  weil  es  mich  so  sehr  drängt,  im  klaren  zu  sein 
wegen  des  Domizilwechsels  und  wegen  Klara,  die  es  so  sehr  wünscht. 
Allein  nach  dem,  was  Sie  mir  dunkel  darüber  schrieben,  wie  schwierig 
es  sei,  was  mir  von  anderer  Seite  bestätigt  wurde,  daß  es  fest  stände, 
daß  entweder  ich  die  schlimmsten  Konflikte  habe  oder  Sie  trotz  allem 
gleich  wieder  weggeschickt  würden,  was  ja  nur  bestätigte,  was  ich  selbst 
gehört,  habe  ich  in  der  gänzlichen  Ungewißheit  alle  Vorbereitungen  hier 
aufgegeben  und  sozusagen  schon  darauf  renonciert,  jetzt  hinzukommen; 
da  es  doch  einmal  zu  schrecklich  wäre,  wenn  Sie  wieder  ausgewiesen, 
weil  ich  gar  nicht  in  dem  Zustand  bin,  Konflikte  zu  ertragen  imd  dann 
weil  Klara^)  schon  jetzt  durch  die  Möglichkeit  derselben  so  auf  geregt  und 
verschlimmert,  daß  mich  der  ärgste  und  verdiente  Tadel  treffen  würde, 
wenn  ich  etwas  täte,  was  ihr  schadete.  Überdies  würde  man  mir  dies 
auch  so  übelnehmen,  daß  man  feindselig  gegen  mich  auftreten  würde, 
und  dadurch  wäre  ja  alles  verdorben,  auch  für  die  Zukunft.  Es  muß 
also  felsenfest  sicher  stehen,  daß  keine  Konflikte  irgendeiner  Art 
zu  befürchten  stehen,  wenn  ich  jetzt  komme.  Sie  drücken  sich  so 
dunkel  aus  und  daß  es  nur  bis  zum  15.  möglich  sei,  daß  ich  sehr 
wünsche,  daß  Sie  mit  Paul  darüber  sprechen,  ihm  alles  exphzieren, 
wobei  Sie  dann  auch  erfahren,  was  man  auf  der  andren  Seite  über  die 
Sache  weiß.  Ich  bitte  Sie  also,  Paul  gleich  nach  Empfang  dieses  Briefes 
ein  paar  Worte  zu  schreiben,  ihm  zu  sagen,  daß  Sie  Wichtiges  mit 
ihm  zu  sprechen  und  ihm  ein  Rendezvous  auf  morgen  abend  zu 
geben  imd  mit  ihm  die  Sache  zu  besprechen,  denn  er  kaim  mir  leichter 
sofort  Mitteilung  machen.  Ich  richte  mich  unterdes  so  ein,  daß  ich  am 
I.  abreisen  kann,  wenn  es  dabei  bleibt.  Seien  Sie  aber  mir  zuliebe 
fretmdlich  und  nachsichtig  soviel  wie  möglich  .  .  . 

^)   Die  Gräfin  Nostitz. 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  lO 


—  =^  146  = 

59. 

IvASSAI^IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Mittwoch  früh  [Berlin,  27.  Mai  1857]. 

Ihr  eben  erhaltener  Brief  versetzt  mich  in  eine  ganz  andere  Auf- 
regung als  die,  in  der  Sie  sich  befinden  können.  Es  geht  wirklich  zu 
weit,  und  nur  einem  Narren  wie  mir  können  derartige  Dinge  begegnen! 
Ja,  es  ist  wahr.  Sie  hätten  mir  einen  sehr,  sehr  großen  Gefallen  getaii, 
wenn  Sie  jetzt  nicht  hätten  herkommen  wollen  oder  auf  meine  Gegen- 
vorstellung nachgegeben  hätten.  Sie  taten  das  nicht.  Meine  Freimde 
beschworen  mich  —  als  aus  Düsseldorf  das  Faktum  Ihrer  bevorstehen- 
den Abreise  hergemeldet  wurde  und  infolgedessen  mir  offiziell  meine 
sofortige  Ausweisung  für  den  Fall  Ihrer  Ankunft  angezeigt 
wurde  — ,  Sie  zu  bitten  und  zu  beschwören,  nicht  jetzt  herzukommen. 
Ich  wies  dies  standhaft  zurück,  denn  ich  bin  jemand,  bei  dem  die  Phrase 
Ernst  ist,  und  ich  wollte  Ihnen  meinetwegen  keine  Gene  imd  keine  Ent- 
behrung auferlegen!  Dies  Devouement,  welches  nur  bei  einem  solchen 
Narren,  wie  ich  bin,  denkbar  ist,  belohnen  Sie  jetzt  herrlich! !  Ich  habe 
Ihnen  nicht  einmal  die  Dinge  mitgeteilt,  weil  ich  in  keiner  Weise  durch 
die  Vorstellung,  was  mir  geschehen  würde,  auf  Sie  drücken  woll  te.  Ich 
habe  die  ganze  Zeit  über  die  Sache  für  mich  behalten  und  für  mich 
allein  durchgekämpft !  Ich  war  infolgedessen  genötigt,  Dinge  zu  wagen, 
wie  sie  kein  sinniger  Mensch  in  meiner  Ivage  gewagt  hätte!  Dennoch 
schwankte  ich  nicht!  Acht  Tage,  in  den  fürchterlichsten  Hitzen,  während 
ich  alle  meine  Sachen  fremden  Menschen  überlassen  mußte,  war  ich 
in  der  fürchterlichsten  Pein  und  Marter !  Ich  hielt  fest !  Es  ist  mir  ge- 
glückt, was  eben  unter  Hunderttausenden  keinem  glücken  wird!  Und 
jetzt  kommen  Sie  hinterher,  blamieren  mich  und  tun  mir  wie  Ihnen 
für  die  Zukunft  den  allergrößten,  nicht  wieder  gutzu- 
machenden Schaden!  Glauben  Sie  denn,  daß  Fakta  beliebig  rück- 
gängig zu  machen  sind?  Daß  man  mich  beliebig  en  avant  treiben  imd 
hinterher  blamieren  kann?  Ich  kann  Ihnen  nur  folgendes  sagen:  Am 
30.,  allerspätestens  am  31.  treffen  Sie  hier  ein  (wegen  der  Scheuer- 
schen  Sache  halten  Sie  sich  nicht  auf ;  das  hat  Zeit  und  besorgt  Bloem 
ebensogut).  Über  den  15.  bis  17.  werden  Sie  schwerlich  bleiben  können 
ohne  Unannehmlichkeiten  für  mich  (von  Unannehmlichkeiten  für 
Sie  ist  nie  die  allergeringste  Rede  gewesen). 

Wenn  Sie  dies  nicht  tun,  so  würde  ich  mich  nie  um  irgend  etwas 
mehr,  was  Sie  anlangt,  bekümmern.  Wenn  wir  zusammen  sind  und  Sie 
meine  Gründe  abwägen  können,  dann  können  Sie  meinetwegen  mir 
widerstreiten,  soviel  Sie  wollen.  Aber  auf  die  Entfernung  hin  und  wenn 


-=  147  -  == 

ich  so  deutlich  verlange,  wie  ich  schon  leider  in  meinem  letzten  Brief 
mußte,  da  verlange  ich  pünktlichen  und  blinden  (iehorsam,  sonst 
ist  es  mit  unserer  Freundschaft  entschieden  aus.  Ich  mag  keine 
Ivcute,  auf  die  ich  mich  nicht  verlassen  kann ! 

Schon  dadurch,  daß  Sie  mich  zwingen,  Ihnen  diese  Briefe  zu  schreiben , 
quälen  Sie  mich  aufs  äußerste.  Denn  wenn  sie  gelesen  würden,  würde 
ich  von  neuem  alles  Mögliche  riskieren  und  uns  jedenfalls  der  un- 
wiederbringlichste Schaden  erwachsen! 

Ihren  Herrn  Sohn  darüber  zu  sprechen,  fehlt  mir  zuerst  die  Zeit, 
dann  die  Möglichkeit  —  denn  ich  würde  ihm  doch  kaum  ein  Zehntel 
mitteilen  können;  es  muß  alles  ganz  unter  uns  bleiben  —  und  endlich 
die  Lust.  Wenn  ich  einmal  Ihrem  Herrn  Solme  einen  Dienst  erweisen 
soll,  so  stehe  ich  ganz  zu  Befehl.  Aber  als  Beirat  kann  ich  ihn  nicht 
gebrauchen.  Ich  weiß  selbst,  was  ich  zu  tun  oder  zu  lassen  habe.  Ebenso- 
wenig werde  ich  von  ihm  irgend  etwas  erfahren,  was  mir  unbekannt 
wäre.  Da  müßte  er  wie  Nostitz  doch  weit  früher  aufstehen! 

Über  die  falsche  Rolle,  die  Ihre  Familie  spielt,  die  Beweise  bei 
Ihrem  Hiersein.  Übrigens  ist  sie  ebenso  jämmerlich  schlecht  imter- 
richtet  als  falsch;  während  ich  dagegen  absolut  unterrichtet  bin. 

Die  Punkte  anlangend,  in  denen  Sie  mich  um  Rat  fragen,  so  kann 
ich  Ihnen  zur  Zeit  gar  keinen  geben.  Kommen  Sie  zuvor  den  Rat- 
schlägen nach,  die  ich  Ihnen  gebe,  ehe  Sie  das  Recht  haben,  Rat  von  mir 
über  anderes  zu  fordern. 

Bis  zu  Ihrer  Herkmift  erhalten  vSie  keinen  Brief  von  mir,  auch 
keine  Antwort.  Ich  habe  auch  keine  Zeit  dazu.  Am  30.,  spätestens 
31.  müßten  Sie,  wie  gesagt,  hier  sein. 

Es  ist  eine  Schande,  wie  Sie  diesmal  meine  Zuverlässigkeit  mit 
so  schnöder  Unzuverlässigkeit  vergelten !  Ich  bin  sehr  aufgebracht,  und 
bei  der  geringsten  Schwierigkeit,  die  Sie  etwa  machen,  oder  Nicht- 
befolgung,  entschlossen,  Sie  dem  Kultus  Ihrer  Familiengötter  ganz 
und  gar  zu  überlassen.  Parole  Lassalle!  Ich  werde  schon  Potsdamer 
Straße  131  wohnen. 

F.L. 


60. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSAI.LE.   (Original.) 

Donnerstag  [Düsseldorf,  28.  Mai   1857]. 

Soeben  erhalte  ich  Ihren  Brief  und  kann  Ihnen  nur  mit  Ihren  eigenen 
Worten  antworten,  daß  dies  wahrlich  zu  weit  geht  und  daß  alle  Sachen, 
die    ich   nicht   nur   diese   letzten   Monate,   sondern   seit   zehn  Jahren 


=  148  

erduldet  habe,  nur  einem  Narren  wie  mir  passieren  können,  der  sich 
dahin  bringen  läßt,  jeden  eigenen  Willen  und  Zweck,  jede  Persönlich- 
keit aufzugeben,  und  ferner,  wie  ich  das  Ihnen  schon  oft  gesagt,  daß  es 
Ihnen  sogar  mir  gegenüber,  sobald  es  Ihre  Heftigkeit  gilt,  Ihnen  irgend 
etwas  nicht  nach  Ihrem  Sinn  geht  oder  ich  nicht  sklavisch  genug,  blind- 
lings genug  gehorche,  auf  die  Wahrheit  gar  nicht  ankommt. 
Ihr  Brief  enthält  von  A  bis  Z  falsche  Tatsachen.  Als  Sie  mich  während 
meines  Aufenthaltes  in  Berlin  so  sehr  quälten,  schimpften  und 
drängten,  was  sich,  wie  ich  es  voraus  wußte  imd  später  sich  heraus- 
gestellt hat,  ganz  unnütz  war,  habe  ich  Ihnen  wiederholt  geschrieben, 
wie  es  Ihre  Antworten,  die  ich  gestern  rangiert,  beweisen,  daß  es 
tmmöglich  für  mich  sein  würde,  während  Ihrer  Anwesenheit  wieder 
nach  Berlin  zu  kommen.  Darauf  antworteten  Sie  mir,  daß  Sie  das 
durchaus  nicht  wollten,  daß  ich  hinkommen  müsse,  daß  es  Ihnen 
ganz  recht  sei,  wenn  ich  gleich  nach  Ihnen  einen  Tag  später  käme, 
das  sei  Ihre  Sache.  Ich  schrieb  Ihnen  umsonst,  welche  Hindernisse 
entgegenständen,  Sie  blieben  dabei,  indem  Sie  sehr  unwillig  über 
meinen  Widerstand  waren.  Dies  beweisen  Ihre  Briefe.  Bei  der- 
selben Meinung  blieben  Sie  nun  auch  hier  im  mündlichen  Gespräch. 
Daraufhin  richtete  ich  alles  in  Berlin  dahin  ein  und  versprach,  Ende 
Mai  auf  kurze  Zeit  wieder  hinzukommen.  Ich  sagte  Ihnen,  daß  es 
spätestens  bis  25.  sein  müßte,  weil  ich  nicht  so  spät  nach  Wildbad 
darf,  da  es  mir  imtersagt  ist,  während  den  großen  Hitzen  dort  zu 
baden,  wie  Sie  es  sich  auch  noch  aus  vorigem  Jahr  erinnern  könnten, 
daß  ich  die  Bäder  deshalb  aussetzen  mußte.  Niemals  aber  ist  es  mir 
eingefallen,  zu  denken  oder  zu  sagen,  daß  ich  auf  jeden  Fall  und 
unter  allen  Umständen,  es  möchten  die  Sachen  noch  so  schwierig 
stehen,  wollte  [ich  jedenfalls]  jetzt  nach  Berlin  kommen.  Ich  habe 
Ihnen  im  Gegenteil  stets  gesagt,  daß  ich  mich  keinem  Konflikt,  weder 
mit  den  Behörden  noch  anderweitig,  aussetzen  wolle  imd  könne.  Hätten 
Sie  mir,  seitdem  Sie  dort  sind,  geschrieben,  wie  schwierig  die  Sachen 
ständen,  hätte  ich  sogleich  darauf  verzichtet.  Aber  Sie  schrieben  mir 
gar  nichts  darüber,  sondern  nur  dunkel,  ohne  Angabe  von  Ursache, 
daß  ich  meine  Reise  einige  Tage  verschieben  solle. ^)  Da  nun  überdies 
durch  die  Ungewißheit  der  I^age  und  daß  Sie  keine  Wohnung  finden 
konnten,  die  Absendimg  Ihrer  Effekten,  die  mir  welche  Zeit,  Mühe 
und  Arbeit  gekostet,  um  es  Ihnen  auf  das  bequemste  einzurichten, 
viel  Zeit  für  mich  verloren  gegangen  war,  die  mir  nun  fehlte,  um  meine 
eigenen  Sachen  in  Ordnung  zu  bringen  und  Arrangements  zu  treffen,  da 
ich  überdies  durch  die  plötzlich  eingetretene  Hitze  und  des  vielen  Ar- 
beitens  während  derselben  sehr  imwohl,  sehr  angegriffen  bin,  sowohl  wie 
*)  Siehe  oben  Nr.  55. 


=  149  —  = 

durch  die  Gemütsunruhe  und  mir  Gerhardi^)  entschieden  diese  neue 
Anstrengung  der  Reise  nach  BerHn  auf  so  kurze  Zeit  vor  Wildbad  abriet, 
Weil  ich  zugleich  von  der  anderen  Seite  Nachrichten  erhielt,  welche  meine 
so  schnelle  Ankunft  als  sehr  gefährlich  für  Sie  imd  nachteilig  für 
mich  erscheinen  lassen  mußte,  verzichtete  ich  darauf,  bevor  ich  Ihren 
Brief  erhalten,  und  schrieb  dies  nach  Berlin.  Ich  mußte  glauben,  darin 
noch  viel  mehr  in  Ihrem  Interesse  als  in  dem  meinigen  gehandelt 
zu  haben,  da  ich  ja  vollständig  in  Unkenntnis  war  über  das,  was  Sie 
in  Berlin  unterdes  taten. 

Woher  verdiene  ich  nun  die  maßlosen  Vorwürfe  und  Drohungen? 
War  ich  nicht  viel  mehr  berechtigt,  zu  glauben,  daß  ich  Anerkennung 
für  meine  Rücksichten  verdiente?  Wenn  es  aber  alles  auch  wirkHch 
nicht  so  sich  verhielte,  wie  es  sich  in  der  Tat  verhält,  wenn  es  so  wäre, 
wie  Sie  sagen,  was  nicht  der  Fall  ist,  daß  ich  Sie  bedroht,  jedenfalls 
am  25.  nach  Berlin  zu  kommen,  ist  denn  damit  die  Möglichkeit 
ausgeschlossen,  daß  ich  mich  derzeit  eines  anderen  und  besseren  be- 
sonnen? Wäre  es  ein  Majestätsverbrechen  gegen  Sie,  wenn  ich  aus  Rück- 
sicht auf  meine  Zeit,  meine  Gesundheit,  auf  Konflikte,  die  mich  in  die 
peinlichste  Lage  versetzen,  auf  die  Gesundheit  meiner  aui  so  schmerz- 
liche Weise  sterbenden  Schwester,  um  mir  nicht  für  später  den  Aufent- 
halt in  Berlin  wenn  nicht  gradezu  immöglich,  doch  jedenfalls  unerträg- 
lich zu  machen,  vor  allen  Dingen  aber,  um  nicht,  nachdem  alle  so 
kostspielige  imd  mühsame  Einrichtimgen  gemacht,  Ihren  Aufenthalt 
zu  kompromittieren,  meine  Meinung  geändert  hätte?  Vorzüglich,  da 
ich  von  Ihnen  in  Unkenntnis  gelassen  wurde,  was  Sie  in  dieser  Be- 
ziehtmg  taten,  und  durch  Ihr  Hinhalten  die  Überzeugung  haben  mußte, 
daß  Ihnen  mein  Entschluß,  nicht  jetzt  zu  kommen,  sehr  erwünscht 
sein  würde?  Sie  schrieben  mir  noch  vor  fünf  Tagen,  nicht  eher  zu 
kommen,  bis  Sie  es  mir  schrieben,  und  daß  Ihnen  jetzt  wiederholt 
worden  sei,  Sie  müßten,  wenigstens  während  ich  da  sei,  fortgehen.  — 
Hierauf  schrieb  ich  Ihnen,  daß  ich  nicht  kommen  würde.  Und 
dafür  werde  ich  jetzt  wieder  von  Ihnen  auf  das  schimpf Üchste  aus- 
gezankt wie  für  die  größten  Unwürdigkeiten  \md  mir,  wie  dies  jetzt 
bei  Ihnen  stets  der  Fall,  wenn  ich  mich  nicht  wie  ein  Automat  in  alle 
Ihre  Ideen  sogleich  füge,  mit  Brechen  aller  Freundschaft  und  Umgang, 
mit  Verachtimg  sogar  bedroht!!  Diese  immerwährenden  Gemüts- 
bewegungen, in  die  mich  Ihre  Heftigkeit,  Despotismus  und  wirkliche 
Rücksichtslosigkeit  versetzen,  reiben  wirklich  meine  Kräfte  auf  und 
machen  mich  so  melancholisch,  daß  mir  nichts  anderes  wird  übrig 
bleiben,  um  allen  wahrlich  unverdienten  Vorwürfen  zu  entgehen  und 
das  bißchen  Ruhe,  das  ich  so  nötig  habe,  zu  finden,  als  mich,  von  allem 

^)  Der  Arzt  der  Gräfin  in  Düsseldorf. 


^  150  — 

entfernt,  in  eine  gänzliche  Einsamkeit  zurückzuziehen,  da  für  mich 
nirgends  mehr  ein  ruhiger  Platz  im  Leben. 

Wollen  Sie  sich  einmal  mit  einiger  Gerechtigkeit  einige  Fragen  an 
sich  stellen.  Wenn  Ihre  Bemühungen  nicht  gelungen  wären,  wenn  man 
dabei  geblieben,  daß  wir  nicht  zusammen  jetzt  in  Berlin  wären,  glauben 
Sie,  daß  ich  alsdann  nicht  unbedingt  meine  Reise  aufgegeben  hätte? 
Waren  Sie  davon  nicht  im  voraus  überzeugt?  Hätten  Sie  es  nicht 
auch  verlangt?  Also  von  diesem  Entschluß,  jetzt  nach  Berlin  zu 
kommen,  hätte  ohne  Verbrechen  abgegangen  werden  können,  wenn 
es  für  Sie  nützlich.  Warum  ist  es  ein  Verbrechen,  wenn  ich  mich  über- 
zeugt, daß  es  mir  Verdruß  und  Nachteil  bringen  würde,  wenn  ich 
gleich  käme?  Überdies  war,  als  ich  den  Vorsatz  aussprach,  am  25. 
nach  Berlin  zu  gehen,  nicht  davon,  was  Sie  mir  jetzt  anzeigen, 
die  Rede,  nämlich  daß  ich  am  14.  spätestens  wieder  fort- 
müsse, und  ich  wäre  vollständig  berechtigt,  zu  erklären,  daß  mir  diese 
fatigante  Reise  auf  so  kurze  Zeit  nicht  konvenieren  kann,  um  so  mehr, 
als  ich  Ihnen  stets  geschrieben,  daß  ich,  wie  auch  ganz  natürlich,  acht 
Tage  voraus  wissen  müsse,  ob  ich  kommen  könne  oder  nicht,  und  daß 
dies  die  Lage  der  Dinge  ganz  ändere,  indem  ich  meinen  immer  aus- 
gesprochenen Zweck,  meine  Domizilierung  zu  erlangen,  nicht  in 
ein  paar  Tagen  erlangen  könne  und  somit  jeder  Zweck  jetzt  wegfiele. 
Sie  sagen  ferner,  Sie  verlangen  von  mir  pünktlichen  und  blinden 
Gehorsam,  sonst  sei  es  mit  unserer  Freundschaft  aus.  Wollen 
Sie  einmal  sich  die  Frage  stellen,  [ob],  wenn  Ihnen  immer  eine  solche 
Alternative  gestellt  würde,  was  Sie  dazu  sagen,  was  Sie  tun  würden 
imd  [ob]  welche  Größe  von  Dankbarkeit  Sie  vermögen  würde,  sich  in 
eine  solche  Stellung  zu  fügen?  Sie  haben  gar  nicht  die  Entschuldigung, 
daß  Sie  mir  nichts  mitteilen  konnten,  denn  Sie  hatten  alle  Leichtigkeit, 
durch  Dorn  an  Bloem  zu  adressieren  und  mich  in  den  Stand  zu  setzen, 
ob  ich  unter  diesen  Umständen  und  Restriktionen  kommen  wolle  oder 
nicht.  Verlangten  Sie  denn  nicht  stets,  als  ich  in  Berlin  war,  alles 
genau  mitgeteilt  und  auf  meine  Bemerkung,  daß  die  Briefe  gelesen 
werden  könnten,  wurden  Sie  da  nicht  wütend  und  sagten,  das  mache 
Ihnen  gar  nichts?  Dies  ist  der  wahre  Verlauf  und  die  wirkliche  Ge- 
rechtigkeit der  Sache. 

Ich  kann  nun  nicht  leugnen,  daß  ich  unmöglich  einzusehen  ver- 
mag, wie,  durch  welche  Umstände  es  auch  sei,  es  Ihnen  oder  mir 
schaden  kann,  wenn  ich  jetzt  nicht  komme,  da  es  doch  dasjenige  ist, 
was  alle  Leute  in  Berlin  immer  gewollt  und  gewünscht  haben.  Und  ich 
kann  ebensowenig  begreifen,  warum,  wenn  es  möglich  war,  jetzt  so 
schnell  nach  Ihrer  Ankunft  die  Erlaubnis  zu  erlangen,  daß  ich  auch 
hinkann,  warum  dies  nach  meiner  Badekur  nicht  ebenso  möglich  und 


-^=  151  —  —= 

noch  leichter  sein  soll.  Inwiefern  es  Sie  nun  gar  blamieren  soll,  weiui 
ich  jetzt  nicht  gleich  komme,  ist  doch  gar  nicht  zu  begreifen,  lis  gibt 
(loch  so  viele  wirkliche  und  plausible  Gründe,  die  es,  abgesehen  vom 
Willen,  so  oft  nötig  machen,  eine  Reise  auf  einige  Zeit  zu  verschieben, 
daß  das  jedem  einleuchten  muß,  Geschäfte,  Krankheit,  und  krank  bin 
ich  weiß  Gott  jetzt. 

Die  Sache  steht  also  nun  so.  Ich  hatte  auf  Ihre  Mitteilungen  der 
Schwierigkeiten  und  Verzögerungen  die  Reise  jetzt  aufgegeben  und 
diesen  Entschluß  nach  Berlin  mitgeteilt.  Es  war  mir  von  andrer  Seite 
ebenfalls  mitgeteilt  worden,  wie  durchaus  unzweckmäßig  und  schlinun 
mein  so  schnelles  Hinkommen  nach  Ihnen  sein  würde  und  wieviel 
Unannehmlichkeiten  daraus  entstehen  würden.  Heute  erhalte  ich  zu 
gleicher  Zeit  mit  dem  Ihrigen  einen  andren  Brief,  worin  man  mir  wieder- 
holt sagt,  daß  [alles]  die  Möglichkeit  eines  dauernden  Aufenthaltes  mi- 
bediugt  aufs  höchste  kompromittiert  sei,  wenn  ich  jetzt  gleich  hin- 
komme; es  sei  doch  nur  eine  kleine  Rücksicht  der  Zeit,  in  ein  paar 
]\Ionate[n]  würde  sich  ja  alles  beruhigt  haben  und  wahrscheinlich 
niemand  mehr  sich  darum  bekümmern.  Werm  ich  jetzt  das  Domizil 
verlange,  würde  es  sicher  abgeschlagen  und  nachher  natürhch  alles 
viel  schwieriger  sein.  Vorzüglich  aber  beschwört  man  mich,  aus  Rück- 
sicht für  Klara  jetzt  nicht  gleich  zu  kommen,  sie  sei  so  beunruhigt 
und  angegriffen  durch  die  als  sicher  angesehenen  Fatalitäten  und 
Konflikte,  daß  sie  viel  kränker  geworden  .  .  . 

Es  ist  mir  überdies  ganz  unmöglich,  in  zwei  Tagen  plötzlich 
nach  Berlin  abzureisen,  ich  brauche  wenigstens  sechs  bis  acht  Tage 
dazu,  und  da  meine  Erlaubnis  bis  zum  14.  limitiert  ist  und  ich  mich 
keinen  Falls  einem  längeren  Aufenthalt  aussetzen  würde,  so  würde  ich, 
wenn  Sie  darauf  bestehen,  vier,  fünf  Tage  in  Berhn  zubringen.  Ist 
das  der  Mühe  wert?  Kann  das  einen  Zweck  haben?  Ich  kann  aber  nicht 
früher  abreisen,  weil  ich  nicht  vorbereitet  und  weil  ich  krank  bin, 
jetzt  nach  meiner  Rückkehr  von  Köln  stark  geschröpft  werden  mußte 
und  mich  einige  Tage  unbedingt  ganz  ruhig  halten  muß.  Jetzt  habe 
ich  Ihnen  alles  gesagt,  was  nach  meiner  schwachen  Einsicht  wahr  und 
vernünftig  ist.  Es  ist  meine  feste  Überzeugung  immer  gewesen  und  ist 
es  mehr  denn  je,  daß  Ihre  Wünsche  und  Zwecke  in  Berlin  nur  durch 
große  Vorsicht  und  Rücksicht  Ihrer-  wie  meinerseits  im  Anfang  erreicht 
werden  können,  daß,  wenn  Sie  aber  die  Sache  auf  die  Spitze  treiben 
und  meine  Familie,  die  bis  jetzt  gar  nichts  dagegen  tut,  sich  im  Gegen- 
teil vermittelnd  und  wohlwollend  bis  jetzt  verhält,  dahin  bringen,  feind- 
selig aufzutreten,  ganz  gewiß  und  auf  immer  jede  Hoffnung  verloren  ist. 

Jetzt  wende  ich  mich  an  Ihr  Herz ;  ich  weiß,  daß  ich  durch  Krank- 
heit und  lange   Unselbständigkeit  so  schwach  geworden,   daß,  wenn 


=  152—  

Sie  darauf  bestehen,  ich  gegen  meine  Überzeugimg  mit  schwerem 
Herzen  dennoch  jetzt  auf  ein  paar  Tage  nach  Berlin  kommen  werde. 
Aber  ich  bitte  Sie :  drängen  Sie  mich  nicht  stets  in  eine  so  fürchterliche 
lyage,  drängen  Sie  mich  nicht  immer  zu  eine  Wahl  zwischen  Ihnen  und 
Paul;  wie  diese  auch  ausfallen  möchte,  ich  wäre  rettungslos  unglück- 
lich imd  verloren,  und  was  hätten  Sie  von  einem  solchen  Sieg?  Ich  kann 
Ihnen  versichern,  daß  ich,  abgesehen  von  allen  Gründen  der  Dankbar- 
keit, eine  recht  wahre  Freundschaft  für  Sie  habe,  dai3  diese  niemand 
erschüttern  kann.  Aber  mißbrauchen  Sie  nicht  die  Gewalt,  die  Sie  über 
mich  erlangt  haben,  um  mich  unglücklicher  zu  machen,  als  es  die  Ver- 
hältnisse nötig  machen.  Adieu,  ich  bin  erschöpft.^) 

6i. 
LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIyDT.  (Original.) 

Sonnabend  (Berlin,   30.  Mai   1857]. 

Trotz  des  größten  Willens,  die  Ruhe  zu  behalten,  muß  man  zur  un- 
aussprechlichsten Indignation  durch  das  Lügengewebe  Ihres  Briefes 
hingerissen  werden. 

Der  Sachverhalt,  den  ich  sofort  urkundlich  belegen  werde,  ist 
folgender : 

Kurz  nach  meiner  Ankimft  hierselbst  teilten  Sie  mir  mit,  daß  Sie 
am  25.  hier  ankommen  wollten.  G[oldheim]  erklärte  mir  auf  meine 
eventuelle  Anfrage,  daß  dies  die  schlimmsten  Folgen  für  mich  haben 
könne,  und  unter  seinem  imd  meines  Vaters  Drängen  und  um  nicht 
den  eben  gewonnenen  Aufenthalt  so  schonungslos  ruiniert  zu  sehen, 
schrieb  ich  Ihnen,  bittend,  jetzt  nicht  zu  kommen.  Darauf  antworten 
Sie  mir  mit  folgendem  Briefe,  dessen  betreffende  Stelle  ich  wörtlich 
hier  folgen  lasse.  Ich  bemerke  noch,  daß  die  imterstrichenen  Worte 
nicht  von  mir,  sondern  von  Ihnen  unterstrichen  sind: 

,,Was  mich  betrifft,  so  kann  ich  es  nicht  umgehen,  Ende  des 
Mai  nach  Berlin  zu  kommen,  denn  meine  arme  Schwester  wird  immer 
kränker  und  verlangt  danach  (also  die  Schwester  verlangte  die 


^)  Am  folgenden  Tage  schreibt  die  Gräfin  noch  einmal  in  dem  gleichen  Sinn 
einen  kürzeren  Brief  an  Lassalle.  Sie  weist  aixi  die  Gefahr  hin,  die  für  ihre  Domizilie- 
rung in  Berün  daraus  erwachsen  könnte,  wenn  Graf  Nostitz,  was  er  bisher  nicht 
täte,  einer  solchen  sich  widersetzte.  Am  Schluß  heißt  es:  ,,Wenn  Sie  darauf  ä  tout 
prix  bestehen,  daß  ich  jetzt  komme,  werde  ich  es  tun,  denn  ich  habe  keine  Kraft 
zu  einem  Kampf  mit  Ihnen,  tmd  es  tut  mir  auch  immer  zu  leid,  mich  ernstlich 
mit  Ihnen  zu  entzweien,  aber  dann  auch  auf  Sie  die  Verantwortung,  wenn  Sie 
mir  dadurch  Berlin  für  immer  unmöglich  machen  .  . ." 


—  153  = 

Herkunft,  dieselbe,  welche  sich  jetzt  derselben  opponiert) ;  ich  kann 
es  um  so  mehr  nicht  unterlassen,  als  ich  sonst  wegen  der  Reisen, 
die  ich  später  zu  machen  habe,  sehr  lange  sie  nicht  sehen  könnte, 
tmd  wer  weiß,  wie  lange  sie  noch  lebt.  Ich  schicke  Ihnen  hierbei 
einen  Brief  von  Paul,  woraus  Sie  ersehen,  wie  schlecht  es  mit  ihr 
steht,  und  daß  ich  also  nicht  abschlagen  konnte,  hinzukommen. 
Sagen  Sie  das  denen,  wo  es  nötig  und  gut  ist,  und  schicken  mir 
Pauls  Brief  zurück.   Übrigens  kann  man  doch  unmöglich  Sie  ver- 
antworthch  machen  wollen  für  das,  wofür  Sie  nicht  können,  imd 
die  Ursache  meiner  Reise  ist  so  klar  und  gewichtig,  daß  man 
doch  auch  nichts  dagegen  einwenden  kann,  und  überdies  würde 
ja  meine  Anwesenheit  diesmal  von  keiner  langen  Dauer  sein  können. 
Ich  zweifle  nicht  daran,  daß  es  Ihnen  gelingen  wird,  zu  überzeugen, 
daß  die  Ungerechtigkeit  doch  zu  groß  sein  würde,  Sie  deshalb  zu 
quälen  oder  mich  [von]  an  der  Erfüllung   solcher    Pflichten 
und  natürlichen  Gefühle  zu  hindern,  was  ja  gar  nicht  angehen 
würde." 
Ja,  dieser  Brief  war  eine  Grausamkeit  gegen  mich  in  meiner  Lage. 
Alle  meine  Fretmde  meinten,  es  sei  unerhört,  daß  Sie  so  meine  wesent- 
lichsten Existenzinteressen  Ihren  Familienbeziehungen  aufopferten  und 
drangen  in  mich,  Ihnen  nochmals  mit  größter  Energie  zu  schreiben, 
mir  Ihren  Wunsch  zum  Opfer  zu  bringen.  Anders  Ich!  Ich  wollte  nicht 
Ihnen  in  Ihren  Herzensbedürfnissen  in  den  Weg  treten.  Ich  sagte  mir, 
daß  es  der  Mann  sei,  der  im  Falle  des  Konflikts  ihn  durchzukämpfen 
hat  und  wenn  er  dabei  zugrunde  ginge,  imd  daß  es  eine  schlechte  Rolle 
von  dem  Manne  sei,  vom  Weibe  zu  fordern,  durch  Opfer  die  Konflikte 
zu  beseitigen.  Die  Rücksichtslosigkeit,  die  in  dem  Briefe  lag,  die  Hinten- 
ansetzimg  meiner  hinter  Ihre  andern  Interessen  entging  mir  nicht.  Aber 
ich  betrachtete  diese  Rücksichtslosigkeit  als  Ihr  Recht.  Ich  devouierte 
mich.   Ich  nahm  die  Stellimg,  die  Position,  die  Sie  mir  machten,  an, 
wie  in  der  Schlacht  eine  Abteilimg,  die  sich  zum  verlornen  Posten  be- 
stimmt. 

Ich  begnügte  mich  also  zu  antworten,  es  wäre  gut;  doch  sollten  Sie 
nicht  vor  dem  28.  kommen. 

Einige  Tage  darauf,  und  das  Donnerwetter  brach  los.  Meine  Aus- 
weisung erfolgte.  1)  Selbst  von  seiten  der  höchsten  Behörden  drang  man 
in  mich,  einen  Ausweg  zu  akzeptieren,  einen  zu  finden  usw.  Aber  ich 
hatte  mich  resigniert,  Ihren  Willen  nicht  zu  konterkarieren !  Ich  wankte 
nicht  sondern  ergriff  die  einzigen  Mittel,  die  mir  übrig  waren.  Ich  setzte 
mich  wieder  einmal  auf  die  Karte,  meinen  ganzen  Aufenthalt  hier, 
^)  Vgl.  Paul  Bailleii,  Lassalles  Kampf  um  Berlin,  „Deutsche  Rundschau" 
Jahrgang  29  (1903). 


=  154  = 

meine  Existenzinteressen,  meine  Existenz  selbst  —  ich  spielte 
alles,  tmd  zwar  mit  einer  Chance  von  Null  gegen  Tausend!  Aber  Ihr 
Brief,  Ihr  so  bestimmt  —  gegen  meine  briefliche  Bitte  —  ausgesprochner 
Wille  hatte  meine  Schiffe  verbrannt  und  die  Brücke  hinter  mir  ab- 
gebrochen. 

Sie  sollten  nicht  einmal  erfahren,  was  ich  litt.  Ich  wollte  nicht 
indirekten  Zwang  auf  Sie  ausüben. 

Es  kam  infolge  unerhörter  Schritte  dahin,  daß  ich  durchdrang  — aber 
zugleich  so,  daß  ich  für  immer  blamiert  und  nicht  nur  blamiert, 
sondern  auch  der  fernere  Aufenthalt  hier  über  meine  Reskript- 
dauer  hinaus  jetzt  ganz  unmöglich  für  mich  geworden  wäre,  wenn 
Sie  jetzt  nicht  kommen.  Während,  wenn  Sie  kommen,  auch  für  die 
Zukunft  alles  aufs  brillanteste  steht! 

Schrifthch  kann  ich  Ihnen  das  nicht  explizieren  und  Ihrem  Herrn 
Sohne  kann  ich  die  Präjudice  —  die  unbesieglichen  — ,  die  mich  treffen, 
noch  viel  weniger  explizieren  .  .  .  Genug,  es  ist  so!  Nachdem  Sie  mich 
so  grausam  imd  schontmgslos  vorwärts  getrieben  haben,  mit  gesenktem 
Haupt  gegen  alle  Batterien,  mich  jetzt  ebenso  schonungslos  wieder  auf- 
zuopfern, zu  blamieren  und  in  meinen  wesentlichsten  Interessen  zu  ver- 
nichten —  das  werde  ich  mir  nicht  gefallen  lassen.  Ihr  Hanswurst, 
Madame,  bin  ich  nicht.  Und  so  wahr  ich  Lassalle  heiße,  ist  dies  das  letzte 
Wort,  das  Sie  von  mir  jemals  sehen  und  hören,  wenn  Sie  nicht  am  2. 
spätestens  hier  sind. 

Wie  schonungslos  Sie  übrigens  in  jeder  Hinsicht  getäuscht,  abusiert 
und  verraten  sind  —  werden  Sie  bei  Ihrer  Herkunft  erfahren!  Nostitz 
soll  nicht  erst  feindlich  gegen  mich  auftreten.  Er  hat  es  mit  aller  ihm 
zu  Gebote  stehenden  Kraft  getan.  Er  war  beim  Präsidenten  ^)  gewesen, 
er  ist  souverainement  battu!  .  .  . 

Übrigens  machten  Sie  noch  in  Ihrem  letzten  Briefe  Ihr  Herkommen 
nur  davon  abhängig,  daß  ich  versichern  könne,  es  werde  von  den  Be- 
hörden Ihnen  keinerlei  Konflikt  noch  Unannehmlichkeit  bereitet 
werden.  Diese  Versicherung  gab  ich  und  wiederhole:  falls  Sie  bis  zum 
2.  da  sind.  Bei  längerem  Zögern  stehe  ich  für  nichts.  Schon  diese  Ver- 
spätung ist  äußerst  unangenehm!!  Daß  aber  Ihr  Herkommen  nicht 
wegen  der  Behörden  und  eines  Konfliktes  mit  ihnen,  sondern  auf  das 
Augenzwinkern  Ihrer  Familie  imterbleiben  solle  —  war  mir  neu,  erfuhr 
ich  erst  durch  Paul !  Daß  aber  auch  Sie  wegen  des  Augenfortzwinkerns 
der  Familie  jetzt  nicht  kommen  und  mich  so  grenzenlos  kompromittieren 
und  beschädigen  wollen,  nachdem  Sie  auf  das  Augenherzwinkem  der- 
selben mich  geradezu  gegen  die  Kolben  der  Gendarmerie  vorgetrieben 


^)  Lassalle  meint  den  Polizeipräsidenten  von  Berlin  Freiherrn  von  Zedlitz. 


—  —  155  — 

haben,  erfüllt  mich  mit  einer  sehr,  sehr  großen  Geringschätzung  gegen 
vSie.  Ja,  die  versäumten  zwei  Tage  schon  und  den  nochmaligen  Frage- 
brief werde  ich  Ihnen  nicht  so  bald  und  wer  weiß  ob  je,  ganz  verzeihen. 
Es  ist  Felonie  in  der  Weise,  in  der  Sie  mit  mir  umgehen!  Pfui! 

Ihr  Domizil  hier  werden  Sie  übrigens  seinerzeit  durch  mich  be- 
kommen. Beide  werden  wir  es  aber  nie  erhalten,  wenn  Sie  nicht  jetzt 
sofort  herkommen.  Noch  einmal:  Am  2.  müssen  Sie  da  sein,  sonst  bin 
ich  des  Ekels  satt  und  ein  Schurke  meines  Namens,  wenn  ich  mich 
noch  jemals  auf  die  erbärmliche  Person  auch  nur  mit  einer  Erinnerung 
einlasse,  die  man  aus  Ihnen  mit  großem  Glück  zu  machen  willens  ist. 
Dann  können  Sie  ungestört  in  den  Armen  Ihrer  Familie  schwelgen  und 
sich  ganz  Ihren  lyaren  weihen! 

F.L. 
Potsdamer  Straße  131. 

Auf  ein  weiteres  Hinhalten  durch  Briefe  lasse  ich  mich  nicht  ein. 
Das  ist  gerade  ganz  so,  als  kämen  Sie  nicht.  Ist  es  Ihnen  wegen  An- 
strengung unmöglich,  am  2.  hier  zu  sein,  so  seien  Sie  am  3.  hier. 

Und  zwar  müssen  Sie  vierzehn  Tage  hier  bleiben ! 


62. 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  LASSALLE-  (Original.) 

[Düsseldorf],   31.  Mai  [1857]. 

Ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief,  und  obgleich  ich  sehr  imwohl  tmd 
angegriffen  imd  mir  daher  das  viele  Schreiben  sehr  schwer  wird,  will 
ich  doch  noch  einmal  meine  Verteidigung  gegen  ebenso  ungegründete  als 
beleidigende  Vorwürfe  und  durchaus  verdrehte  Tatsachen  führen.  Es 
ist  ganz  richtig,  daß  ich  Ihnen  kurz  nach  Ihrer  Ankunft  in 
Berhn  schrieb,  daß  ich  Ende  Mai  und  sogar,  wie  ich  hinzusetzte,  späte- 
stens den  25.,  da  es  mir  später  wegen  meiner  Badereise  nicht  mehr 
möglich,  da  die  Zeit  sonst  zu  kurz  sei,  nach  Berlin  kommen  wolle,  weil 
meine  Schwester  wieder  kränker  und  mich  zu  sehen  wihische  .  .  . 
Der  Widerspruch  und  die  Falschheit  meinerseits,  die  Sie  daraus  hervor- 
leiten wollen,  daß  dieselbe  Schwester,  die,  wie  Sie  sagen,  dazumal  mein 
Hinkommen  gewünscht  haben  sollte,  sich  jetzt  demselben  opponierte, 
löst  sich  ganz  einfach  in  sein  Nichts  dadurch  auf,  daß  meine  Schwester 
dazumal  Ihre  Anwesenheit  in  Berlin  nicht  kannte  und  die  Furcht 
vor  unangenehmen  Konflikten  also  nicht  haben  und  aussprechen 
konnte.  Ferner  habe  ich  Ihnen  niemals  gesagt,  daß  meine  Schwester 
sich  meinem  Hinkommen  opponierte,  das  hat  sie  auch  nie  getan, 


156 

sie  hat  nur  gemeint,  daß  mein  so  schnelles  Hinkommen  nach  Ihnen 
große  Unannehmlichkeiten  herbeiführen  würde,  und  mir  ganz  und  gar 
die  Entscheidimg  überlassen.  Auch  sind  mir  von  der  Seite  keine  Dro- 
hungen irgendeiner  Art  gemacht  worden,  wie  ich  sie  von  Ihnen  bei 
jeder  Gelegenheit  erdulden  muß.  Nur  Vorstellungen  über  die  Unzweck- 
mäßigkeit  meines  jetzigen  Hinkommens  hat  man  mir  gemacht,  und 
diese  waren  wohl  sehr  erlaubt.  Es  sprach  sich  aber  in  den  Briefen  meiner 
Schwester,  die  mich  trotzdem  immer  aufforderten,  zu  kommen,  wenn 
ich  es  für  gut  fände,  eine  solche  Unruhe  rmd  Aufgeregtheit  über  die 
Folgen  aus,  daß  ich  es  einesteils  für  Pflicht  hielt,  eine  schon  so  sehr 
kranke  und  imglückliche  Person  nicht  zu  quälen,  was  ihr  unbedingt 
schaden  müsse,  sowie  ich  gerecht  genug  war,  anzuerkennen,  daß  es  die 
erste  und  unbedingte  Pflicht  ihrer  Angehörigen  war,  in  ihrem  Zu- 
stand jede  Ursache  der  Aufregimg  von  ihr  ganz  fern  zu  halten,  woraus 
entstehen  konnte,  daß  wenn  ich  jetzt  gleich  dennoch  hinkam,  ein  ent- 
schiedener Bruch  mit  meiner  Familie  (woran  meine  Schwester  selbst 
ganz  unschuldig  wäre)  die  Folge  war  .  .  . 

Die  zweite  Anklage,  die  Sie  gegen  mich  auf  Grund  des  von  Ihnen 
zitierten  Briefes  basieren,  ist  Grausamkeit,  Schonungs- und  Rück- 
sichtslosigkeit gegen  Sie,  indem  ich  auf  unerhörte  Weise 
Ihre  wesentlichsten  Existenzbedingungen  meinen  Familien- 
beziehungen opferte.  Dies  ist  eine  vollständige  und  wissentliche 
Unwahrheit  von  Ihnen;  denn  Sie  wissen  sehr  wohl,  daß  ich  ganz 
unfähig  dazu  bin,  Ihnen  auf  irgendeine  Weise  schaden  zu  wollen,  am 
wenigsten  Sie  aus  Berlin  zu  verdrängen,  da  Sie  einmal  Ihr  Glück  und 
Ihre  Existenzbedingungen  darin  flnden,  und  daß  ich  unbedingt  darauf 
verzichtet  hätte,  jetzt  hinzukommen,  wenn  Sie  mir  geschrieben  hätten, 
daß  man  Ihnen  bestimmt  angekündigt,  daß  Sie  alsdann  ausgewiesen 
würden.  Dies  haben  Sie  aber  gar  nicht  getan,  ich  kann  also  wohl  nicht 
verantworthch  gemacht  werden  für  das,  was  Sie  mir  verheimlicht 
haben. 

Der  Sachverhalt  von  Anfang  an  ist  dieser:  Seit  einem  Jahr  haben 
Sie  sich  in  den  Kopf  gesetzt,  daß  Sie  nur  existieren  könnten,  wenn  Sie 
in  Berlin  wären,  und  ich  müßte  mich  auch  dort  etablieren.  Zuerst  war 
ich  lange  diesem  Projekt  durchaus  entgegen;  ich  habe  Ihnen  die  un- 
geheuren Schwierigkeiten  und  selbst  Gefahren  für  Sie  selbst  vorgestellt 
und  zugleich  erklärt,  daß  ich  nicht  hingehen  würde,  weil  unter  ob- 
waltenden Verhältnissen  der  Aufenthalt  dort  für  mich  einmal  un- 
erträglich sei  und  auch  die  schlimmsten  Folgen  auf  mein  Verhältnis 
zu  Paul  haben  müsse.  Nach  vielen  und  langen  Debatten  und  Versiche- 
rungen Ihrerseits,  daß  es  Ihnen  gewiß  wie  so  vieles  gelingen  würde, 
gut  einzurichten,  willigte  ich  ein,  vorzüglich  dadurch  bewogen,  daß  ich 


=  157  —  — 

in  Erfahrung  gebracht,  wie  sehr  die  Dispositionen  des  Grafen  Hatzfeldt 
Paul  gefährden  und  wie  nötig  es  für  ihn  sei,  daß  ich  mein  Domizil  unter 
das  Landrecht  verlegte.  Ich  erklärte  aber  stets  auf  das  bestimmteste, 
daß  ich  mich  imter  keinen  Umständen  Konflikten  aussetzen  wollte  und 
daß  der  Aufenthalt  in  Berlin  nur  tmter  der  Bedingung  für  mich  mög- 
lich sei,  wenn  ich  große  Rücksichten  im  öffentlichen  Auftreten  beob- 
achtete, welche  allein  einen  Konflikt  mit  den  Behörden  und  einen  Bruch 
mit  der  Familie,  den  ich  schon  wegen  Paul  vermeiden  müsse,  ver- 
hindern könnten. —  Hierüber  waren  lange  und  für  mich  sehr  peinliche 
Erörterungen;  endlich  gaben  Sie  dies  nach.  Als  ich  nun  in  Berlin  mich 
aufhielt,  überzeugte  ich  mich  immer  mehr,  welch  ungeheure  Hinder- 
nisse Ihren  Projekten  entgegenstanden,  meine  Familie  ganz  unbeachtet, 
wie  schon  von  seiten  der  Behörden  ein  gleichzeitiger  Aufenthalt  wenig- 
stens gewiß  fürs  erste,  bis  die  Zeit  vielleicht  alles  etwas  beruhigt,  nicht 
geduldet  werden  würde.  Ich  schrieb  Ihnen  dies  wiederholt  und  sagte 
Ihnen,  daß,  wie  unangenehm  es  mir  auch  aus  verschiedenen  Gründen 
sein  müsse,  so  wolle  ich  doch,  da  Sie  einmal  darauf  beständen,  es  für 
Ihre  einzig  mögliche  Existenz  anzusehen,  das  Opfer  bringen  und  Ihnen 
Platz  machen.  Darauf  schrieben  Sie  mir  die  wütendsten  Briefe,  die 
sämtlich  vor  mir  liegen,  voll  der  schmählichsten  Vorwürfe  und 
ebenfalls  Drohungen,  jede  Freimdschaft  mit  mir  abzubrechen;  das  sei 
alles  nicht  wahr,  es  sei  bloß  Furcht  vor  meiner  Familie,  eine  Konzession, 
die  ich  ihr  machen  wolle,  ,,Sie  protestierten  also  entschieden 
und  feierlich  dagegen,  einen  Tag  nach  Ihrer  Ankunft  in  Berlin 
könnte  ich  wegen  Ihrer  hinkommen,  am  liebsten  wäre  es  Ihnen, 
wenn  ich  gleich  dort  bliebe".  Nach  meiner  Rückkehr  hier  haben 
Sie  mir  dasselbe  noch  am  Tag  Ihrer  Abreise  wiederholt  und  immer  ge- 
sagt, Sie  wären  mit  ganz  anders  schwierigen  Dingen  fertig  geworden,  und 
wenn  Sie  erst  in  Berlin  wären,  sei  das  Kleinigkeit  für  Sie. 

Auf  diese  Antezedenzien,  die  von  Ihnen  selbst  ausgingen,  war  es 
also  basiert,  daß  ich  den  Entschluß  gefaßt  hatte,  am  25.  nach  Berlin 
zu  gehen,  weil  es  mir  eilig  war,  mein  Domizil  zu  verlegen,  da  ich  auf 
kein  langes  Leben  mehr  rechne,  weil  ich  durch  Sie  überredet  worden 
war,  daß  mit  der  nötigen  Rücksicht  es  ohne  Konflikte  gehen  würde, 
imd  weil  ich  noch  wünschte,  meine  Schwester,  die  damals  kränker,  vor 
einer  längeren  Badereise  zu  sehen.  Und  nun  kommen  Sie  und  wollen 
mir  aus  einer  Sache,  die  Sie  nicht  nur  gewußt,  aber  gewollt  haben, 
ein  Verbrechen  der  Rücksichtslosigkeit  imd  Grausamkeit  gegen  Sie 
machen?!!  Die  Explikation  ist  aber  nach  Ihrem  Charakter  ganz  ein- 
fach: es  htt  Ihr  Stolz  nicht,  daß  ich  recht  gehabt  hatte,  als  ich  Ihnen 
von  Berhn  schrieb,  wie  groß  die  Hindemisse  wären,  und  Sie  unrecht, 
indem  Sie  sie  als  nicht  existierend  oder  von  Ihnen  so  leicht  zu  beseitigen 


=====^=.  158  =====^= 

hingestellt.  Sie  behaupten  aber  jetzt,  mir  von  Berlin  geschrieben  zu 
haben,  um  mich  zu  bitten,  nicht  hinzukommen,  und  ich  habe  nicht 
darauf  eingehen  wollen,  sondern  darauf  bestanden,  am  25.  hinzu- 
kommen, und  führen  zum  Beweis  einen  Brief  von  mir  an,  mit  dem  ich 
Ihnen  einen  Brief  von  Paul  geschickt,  welcher  beweisen  sollte, 
wie  krank  meine  Schwester  sei.  Daß  Sie  diesen  Umstand  des  mit- 
geschickten Briefes  von  Paul  erwähnen,  ist  mir  sehr  viel  wert,  um  die 
gänzliche  Unwahrheit  Ihrer  Behauptungen  zu  erweisen.  Ich  war  wirk- 
lich sprachlos  vor  Erstaunen  über  solche  Verdrehungen. 

Erstens  ist  es  vollständig  unwahr,  daß  Sie  mich  jemals  gebeten 
hätten,  nicht  zu  kommen,  noch  viel  weniger,  daß  ich  es  abge- 
schlagen hätte.  Nur  in  zwei  Ihrer  ersten  Briefe  erwähnen  Sie  in  einem, ^) 
daß  es  am  25.  zu  früh  sei,  ich  sollte  bis  zum  28.  warten,  weil  jemand, 
der  dazu  wichtig,  erst  dann  zurück  sein  sollte.  Im  zweiten  sagen  Sie: 
,,Eben  komme  ich  von  N.  N.,  er  wollte  mir  wegen  Ihrer  Herkunft  den 
Kopf  vollheulen  und  verlangte,  ich  solle  mindestens  während  der  Zeit 
nach  Breslau  gehen  (also  von  keiner  Ausweisung  die  Rede).  Freimd- 
lich  aber  bestimmt  erklärte  ich  ihm,  daß  ich  mich  auf  solche  Dinge 
nicht  einlassen  könne.  Da  sagte  er  mir,  Sie  müßten  dann  nicht  vor  dem 
28.  bis  29.  kommen.  Denn  Pfingsten  ginge  der  Präsident  auf  seine  Güter 
imd  der  König  nach  Marienbad,  und  das  wäre  also  die  beste  Zeit  herzu- 
kommen. Dies  finde  ich  in  der  Tat  vernünftig  imd  meine,  daß  es  Ihnen 
egal  sein  kann,  wenn  Sie  statt  am  25.  erst  am  28.  herkommen."  ^)  Nun 
kommt  aber  das  stärkste:  den  Brief,  den  Sie  mir  als  Grausamkeit, 
Rücksichtslosigkeit  usw.  jetzt  vorwerfen,  haben  Sie  selbst  gefordert, 
um  ihn  vorzuzeigen.  Sie  schreiben  mir:  ,, Jedenfalls  können  Sie 
so  am  I.  Juni  wohl  kommen,  aber  acht  Tage  voraus  muß  ich  es  wissen 
tmd  muß  auch  von  Ihnen  einen  Brief  an  mich  haben,  den 
ich  zeigen  kann  und  in  dem  Sie  sagen,  daß  Sie  infolge  dringender 
Anforderungen  Ihrer  immer  kränker  werdenden  Schwester  kämen.  Mit 
diesem  Brief  muß  ich  herumlaufen,  um  zu  verhindern,  daß  die,  ehe  ich 
mich  genügend  festgesetzt,  erfolgende  Ankimft  mir  nicht  schadet. 
Doch  werde  ich  dies  mit  den  gehörigen  Laufereien  wohl  bewirken, 
ebenso  wie  ich,  ich  wiederhole  es,  in  sechs  bis  acht  Wochen  so  weit 
sein  werde,  Ihnen  Ihr  Domizil  zu  verschaffen."^) 

Hierauf  schrieb  ich  den  Brief,  den  Sie  anführen,  und  legte  dabei 
noch  einen  kurzen  Brief  Pauls  über  den  verschlimmerten  Zustand 
Klaras  bei.  Hierauf  antworten  Sie  mir:  ,,Der  Brief  von  Paul  folgt 
hierbei  zurück.  Ich  kann  ihn  nicht  gut  benutzen  und  jemand  zeigen. 


1)  Siehe  oben  Nr.  51. 

2)  Siehe  oben  Nr.  54.  Die  Gräfin  zitiert  L,assalle  nicht  ganz  wörtlich, 
ä)  Siehe  oben  Nr.  51.  Auch  hier  zitiert  die  Gräfin  nicht  ganz  wörtUch. 


=  159  - 

weil  erstlich  nicht  darin  steht,  daß  Sie  herkommen  sollen,  und  an  sich 
überhaupt  er  nicht  so  ängstlich  macht  wie  Sie,  die  mit  dem  Herzen 
lesen,  auffassen.  Da  ist  es  noch  besser,  wenn  ich  spreche  ohne  diesen 
Brief,  da  kann  ich  beliebig  kolorieren."^) 

So  verhält  es  sich  also  mit  dem  Brief,  den  Sie  von  mir  anführen, 
und  wie  können  Sie  jetzt  kommen  und  ihn  mir  vorwerfen  und  mich 
verantwortlich  machen  wollen  für  das,  was  Sie  mir  absichtlich  ver- 
heimlicht haben?  Ich  kann  verlangen,  daß  Sie  mich  wie  einen  ver- 
nünftigen Menschen  behandeln,  der  in  Sachen,  die  ihn  betreffen,  zuerst 
wissen  muß,  wie  es  sich  verhält,  um  sich  entschließen  zu  können;  nur 
von  einem  Kinde  kann  man  blinden  Gehorsam  verlangen.  Was  ich  an- 
geführt, ist  das  einzige,  was  Sie  mir  über  Schwierigkeiten  geschrieben, 
und  dies  waren  die  ersten  Briefe,  spätere  sowohl  von  Ihnen  wie  von  mir 
handeln  von  dem  Gegenstand  überhaupt  gar  nicht  mehr,  sondern  bloß 
von  Wohnrmgen,  Kommissionen  usw.  In  der  Zeit  hatte  sich  bei  mir 
nach  und  nach  der  Entschluß  gebildet,  nicht  jetzt  nach  Berlin  zu  gehen, 
weil  sich  die  Absendung  Ihrer  Effekten  verzögert,  ich  für  mich  selbst 
noch  Einrichtungen  zu  machen  hatte,  die  Zeit  mir  zu  kurz  wurde,  weil 
ich  sehr  unwohl  war  rnid  weil  ich  mich  durch  das  Wenige,  was  Sie  mir 
mitgeteilt,  überzeugt  hatte,  daß  es  jetzt  gleich  nicht  möglich  sein 
würde,  das  Domizil  zu  erlangen,  nicht  einmal  es  zu  fordern,  und  mithin 
die  Reise  zwecklos  sei;  weil  von  anderer  Seite  mir  mitgeteilt  wurde, 
daß  mein  so  schnelles  Hinkommen  nur  sehr  nachteilig  wirken  könne, 
weil  ich,  weit  entfernt,  ahnen  zu  können,  daß  Sie  darüber  wütend  sein 
könnten,  glauben  mußte,  Ihnen  dadurch  einen  Dienst  zu  leisten,  indem 
ich  Ihnen  längere  Zeit  ließ,  Vorbereitungen  zu  treffen  und  weil  ich  be- 
fürchten mußte  durch  die  Sorge  imd  Aufregimg,  welche  sich  in  den 
Briefen  meiner  Schwester  zeigten,  daß  schlimme  Konflikte  unter  diesem 
Vorwand  mit  Nostitz  ausbrechen  könnten  imd  dieser  Bruch  mein 
späteres  Domizil  unmöglich  machen  würde.  Infolge  aller  dieser  Über- 
legtmgen  zeigte  ich  Ihnen  sowie  meiner  Familie  an,  bevor  ich  Ihre 
Drohbriefe  erhielt,  daß  ich  jetzt  nicht  kommen  würde.  Was  Sie  von 
meiner  Familie  sagen,  ihre  Intrigen  usw.,  so  weiß  ich  davon  gar  nichts. 
Sie  sagen,  Sie  wüßten,  daß  Nostitz  in  dieser  Angelegenheit  beim  Polizei- 
präsidenten gewesen.  Ich  kann  es  deshalb  nicht  glauben,  weil  ich  weiß, 
daß  er  gleich  nach  Ihrer  Ankunft  nach  Hannover  gereist  ist,  wo  er 
noch  ist  und  gar  nicht  wußte,  ob  ich  jetzt  nach  Berhn  kam.  Jedenfalls 
weiß  ich,  daß  meine  Familie  mir  weder  Bedingungen  gestellt,  noch 
Drohungen  irgendeiner  Art  gemacht  hat.  Es  handelt  sich  auch  gar  nicht 
um  meine  Famihe,   sondern  lediglich  darum,  ob  bei  den  obwaltenden 


^)  Siehe  oben  Nr.  52. 


=  i6o  —  = 

Verhältnissen  das  lieben  in  Berlin  so  zu  gestalten  ist,  daß  es  erträglich 
für  mich  ist,  wozu  hauptsächlich  gehört,  daß  ein  gutes  Verhältnis 
zwischen  mir  und  Paul  stattfinde.  . . .  Ich  werde  natürlich,  soviel  ich  kann, 
es  stets  zu  verhindern  suchen,  daß  von  dieser  Seite  irgend  etwas  gegen 
Sie  geschieht.  Ich  habe  meiner  Familie  ganz  offen  erklärt,  welche  Bande 
nicht  nur  der  Dankbarkeit,  aber  der  verdientesten  Freimdschaf  t,  mich 
an  Sie  knüpften,  wie  ich,  um  das  Domizil  in  Berlin  zu  erlangen,  wohl 
viele  Rücksichten  in  der  Öffentlichkeit  nehmen  könne,  aber  niemals 
diese  Pflichten  verletzen  könne  und  wolle.  Ich  habe  von  Paul  und  meiner 
Schwester  hiergegen  keine  Opposition  erfahren,  nur  Besorgnis,  daß  es 
jetzt  gleich  ohne  Konflikte  dennoch  nicht  gehen  würde  .  .  . 

Sie  sagen  nun,  wenn  ich  jetzt  nicht  sofort  hinkäme,  schadete  ich 
Ihnen.  Da  es  nun  unmöglich  ist,  hierbei  einen  Sinn  zu  finden,  so  habe 
ich  Sie  umsonst  wiederholt  gebeten,  mir  die  Gründe  hierfür  mitzu- 
teilen. Sie  haben  mir  Bogen  voll  Invektiven  geschrieben,  aber 
darüber  nicht  eine  Silbe.  Sie  haben  aber  vollständig  das  Mittel,  mir 
alles  mitzuteilen,  indem  Sie  durch  Dorn  an  Bloem  adressieren.  Sie 
sagen  ferner,  es  kompromittiere  Sie,  wenn  ich  jetzt  nicht  käme. 
Das  kann  sich  doch  nur  darauf  beziehen,  daß  Sie  nun  einmal  erklärt 
haben,  daß  Gründe  vorhanden,  daß  ich  kommen  müsse.  Erstens  ist  dies 
nun  doch  eine  kleinliche  Rücksicht  gegenüber  den  schweren  Folgen,  die 
es  für  mich  haben  könnte,  wenn  ich  gleich  käme.  Und  dann  können 
Sie  doch  unmöglich  sich  verpflichtet  haben,  welche  mivorhergesehenen 
Hindernisse  auch  eintreten  möchten,  mich  tot  oder  lebendig  jetzt  gleich 
hinzuliefem.  Für  eine  Verzögerung  lassen  sich  doch  gute  Gründe  genug 
geben;  ich  kann  doch  wie  jeder  Mensch  krank  werden;  daß  ich  aber 
wirklich  krank  bin,  ist  nur  allzu  wahr.  Die  Situation  resümiert  sich 
also  kurz  in  folgendem: 

Meine  Schwester  sowie  Paul  haben  gar  nichts  dagegen,  daß  ich  nach 
Berlin  komme ;  sie  wünschen  es  sogar  und  überlassen  die  Bntscheidimg 
ganz  mir.  Man  hat  mich  nur  aufmerksam  gemacht,  daß  Nostitz,  der  mit 
Ihnen  selbst  in  unangenehmen  Konflikten  gewesen^)  und  nie  sehr 
befreundet  mit  mir  war,  die  Hauptperson  sei,  welche  entscheidend 
einwirken  könne  .  .  .  Sie  können  sich  dagegen  nicht  verschließen,  wie, 
abgesehen  von  allen  Folgen  hiervon  auf  mein  Verhältnis  zu  Paul, 
[welche]  imendliche  Schwierigkeiten  diese  offene  Feindschaft  für  mein 
Domizil  haben  würde  und  daß  ich  die  Rücksichten,  die  die  Behörden 
bis  jetzt  für  mich  in  Berhn  gehabt,  lediglich  meiner  Stellung  zum 
Nostitzschen  Hause  zu  verdanken.  Aber  bedenken  Sie  auch,  wie  ganz 
anders  arg  kompromittiert  Sie  und  ich  wären,  wenn,  nachdem  Sie 


1)  Vgl.  Bd.  I,  S.  261  ff. 


=  i6i  ^ 

als  Notwendigkeit  meines  Hinkommens  die  Anforderungen  meiner 
Schwester  und  ihren  Zustand  hingestellt  haben,  ich  jetzt  hin- 
käme und  gar  nicht  zu  ihr  gehen  könnte.  Wie  blamiert  würden 
wir  dastehen  und  welche  Folgen  würde  dies  haben?  Nicht  nur  jede 
Hoffnung,  das  Domizil  zu  erlangen,  wäre  vernichtet,  aber  die  Situation 
wäre  für  mich  durch  die  Folgen  auf  Paul  so  unerträglich,  daß  ich  selbst 
darauf  verzichten  müßte.  So  steht  die  Sache,  wenn  Sie  ä  tout  prix 
wollen,  daß  ich  jetzt  hinkomme. 

Auf  der  andren  Seite  habe  ich  meiner  Familie  bestimmt  erklärt,  daß 
ich  zwar  öffentliche  Rücksichten  nehmen,  aber  niemals  die  Freund- 
schaftsbande mit  Ihnen  verletzen  würde  .  .  . 

Es  bleibt  von  Ihren  Angaben  nur  eine,  welche  allerdings  für  mich 
vom  größten  Gewicht  sein  muß.  Sie  sagen,  daß,  wenn  ich  jetzt  nicht 
gleich  hinkäme,  Ihre  Stellung  und  die  Möglichkeit,  dort  zu 
bleiben,  zerstört  sei.  Da  ich  nur  gar  nicht  zu  begreifen  vermag, 
wie  durch  irgendwelche  Ursachen  mein  jetziges  Nichtkommen  nur 
darauf  irgendwie  influieren  könnte,  so  habe  ich  Sie  wiederholt  und 
dringend  gebeten,  mich  von  diesen  Ursachen  in  Kenntnis  zu  setzen, 
habe  es  aber  nicht  erlangen  können.  Ich  bitte  ntm  nochmals  darum. 
Sie  können  mir  ganz  leicht  durch  Dorn  an  Bloem  alles  sagen,  und  es 
ist  nur  eine  sehr  billige  Forderung,  daß  [ich]  bei  alledem,  was  ich  auf 
das  Spiel  setze,  indem  ich  gegen  meine  Überzeugung  jetzt  komme, 
wenigstens  wisse,  daß  ich  es  wegen  solch  wichtiger  Ursache  tue.  Es 
ist  nicht  nur  meine  Pflicht,  aber  auch  mein  Wmisch,  alles,  was  ich  kann, 
zu  tun,  um  das,  was  Sie  für  Ihr  Glück  ansehen,  zu  befördern.  Wenn  ich 
also  überzeugt  bin,  daß,  wenn  ich  nicht  jetzt  gleich  hinkomme,  Sie 
nicht  würden  in  Berlin  bleiben  können,  so  werde  ich  gleich 
kommen.  Allerdings  kann  es  wegen  Wildbad  nicht  lange  sein,  ich 
würde  dann  Paul  benachrichtigen,  um  den  größten  Eklat  zu  vermeiden, 
daß  er  auf  einige  Tage  verreist.  Ich  würde  möglicherweise,  wenn  die 
Verhältnisse,  wie  man  sie  jetzt  befürchtet,  eintreten,  nicht  wieder 
nach  Berlin  kommen  können.  Aber  wenn  dies  nötig,  um  Ihr  Dort- 
bleiben zu  ermöglichen,  so  will  ich  gern  darauf  verzichten.  Wenn  indessen 
Ihr  Bestehen  auf  mein  sofortiges  Hinkommen  nach  Ihrer  Meinung 
nur  deshalb  ist,  weil  ich  sonst  größere  Schwierigkeiten  für  die  Zukunft 
haben  würde,so  muß  ich  entgegnen,  daß  nach  dem,  was  ich  von  anderer 
Seite  zu  befürchten  Ursache  habe,  mein  Hinkommen  noch  weit  größere 
Schwierigkeiten  zur  Folge  haben  würde. 

Ich  weiß,  daß  es  leider  ein  fruchtloses  Bemühen,  wenn  Sie  in  solchen 
Stimmungen,  sich  an  Ihr  Herz,  an  Ihr  besseres  Selbst  zu  wenden.  Ich 
kann  nur  wiederholen,  daß  Sie  mir  jetzt,  wie  so  oft,  sehr  unrecht  tun, 
daß  meine  Freimdschaft  für  Sie  eine  recht  wahre,  devouierte  ist,  daß 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  II 


=  l62  = 

Sie  unrecht  tun,  sie  bei  jeder  Gelegenheit  in  die  Schanze  zu  schlagen, 
daß  ich  meinerseits  dies  nicht  tue,  daß  nur  eines  gleichberechtigt  mit 
Ihnen  steht:  mein  Verhältnis  zu  meinem  Sohn,  daraus  haben  Sie  kein 
Recht  des  Vorwurfs  gegen  mich,  und  Sie  ttm  nicht  recht,  diese  beiden 
Sachen  immer  auf  die  Spitze  gegeneinander  stellen  zu  wollen,  Sie  können 
dadurch  nur  erreichen,  mir  den  letzten  Rest  von  Ruhe  zu  rauben  .  .  . 

63- 
I.ASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFBI.DT.  (Original.) 

Dienstag  nachmittag  6  Uhr   lo  Minuten  [Berlin,  2.  Juni  1857]. 

Eben  erhalte  ich  Ihren  Brief.  Zur  Antwort  dient: 

1.  In  allem,  was  Paul  laut  Ihres  Briefes  über  unsere  Unterredimg 
gemeldet,  hat  er  schändlich  gelogen.^) 

2.  In  allem,  was  Sie  über  die  Familie  sagen,  sind  Sie  in  jeder  Hin- 
sicht schändlich  getäuscht. 

3.  Die  kostbare  Zeit  entflieht,  entflieht!  In  Ihrem  letzten  Brief 
versprachen  Sie,  auf  meine  Forderimg  zu  kommen.  Sie  logen.  Ich  forderte, 
Sie  kamen  nicht.  Bei  meiner  Ehre:  sind  Sie  nicht  am  4.  hier  früh  — 
so  kenne  ich  Sie  nie  wieder.  Explikationen  zu  fordern,  schriftliche,  wo 
ich  so  bestimmt  die  Notwendigkeit  erkläre,  ist  so  schmachvoll, 
daß  es  mich  als  eine  Schwäche  anwidert,  Ihnen  noch  zu  schreiben. 

Die  Zeit  vertrödeln  Sie !  Ich  stehe  für  nichts  mehr.  Durch  den  Auf- 
schub grade  vernichten  Sie  das  schönste,  sicherste,  gewonnenste  Spiel. 
Auf  Sie  die  Folgen.  Aber  sind  Sie  nicht  am  4.  hier,  so  sind  Sie  gewesen 
für  mich. 

Ich  danke  für  die  Freundschaft,  das  Vertrauen  und  die  Zuverlässig- 
keit, die  ich  bei  Ihnen  finde,  und  werde  Ihnen  niemals,  auch  wenn  Sie 
kommen,  den  Aufenthalt  verzeihen,  der  alles  stört  und  schädigt. 

Und  sind  Sie  nicht  am  4.  früh  da,  ist  dies  das  letzte  Stück  Papier, 
das  ich  je  an  Sie  richte.  Bei  meinem  Wort! 

64. 

SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  I^ASSAI^LE. 

[Düsseldorf,   3.  Juni   1857.] 
Soeben  erhalte  ich  Ihren  Brief  und  reise  also  übermorgen,  Freitag 
abend,  ab,  früher  kann  ich  nicht,  ich  habe  so  die  größten  Fatalitäten, 

^)  Lassalle  bezieht  sich  hier  auf  den  in  der  Schlußanmerkung  zu  Nr.  60  er- 
wähnten Brief  der  Gräfin  vom  29.  Mai.  Danach  wollte  er  dem  Grafen  Paul  in 
ihrer  Unterredung  nur  gesagt  haben,  seine  Mutter  müsse  jetzt  gleich  nach  Berlin 
kommen,  weil  er  sich  der  Behörde  gegenüber  kein  Dementi  geben  könne. 


i63 

worüber  mündlich.  Kommen  Sie  nicht  nach  der  Bisenbahn,  ich  werde 
Ihnen  dieKlara^)  schicken.  Wenn  Sic  etwas  wollen,  so  fragen  Sie  nichts 
danach,  wie  ich  dabei  fahre,  ob  ich  krank,  ob  meine  Kräfte  es  aus- 
halten, Sie  müßten  doch  Ihren  weißen  Neger  etwas  mehr  schonen. 
Diesmal  bin  ich  wirklich  meiner  Familie  Dank  schuldig,  daß  sie  mir  die 
größte  Unruhe  wenigstens  benommen. 
lieben  Sie  recht  wohl. 

65. 
SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  IvASSALIvE.  (Original.) 

Sonntag  abend  [Düsseldorf,   12.  Juli  1857]. 

.  .  .  Die  letzten  Zeiten,  vorzüglich  dies  letzte  Jahr,  sind  recht  schlimme 
für  mich  gewesen,  viel  Sorge  und  Kummer,  und  meine  Gesundheit,  die 
sich  sonst  immer  im  Sommer  bessert,  ist  dies  Jahr  viel  schlechter.  Ich 
bin  jetzt  viel  trauriger,  als  ich  es  in  den  Prozeßjahren  war.  Da  hatte  ich 
noch  etwas,  was  mich  beschäftigte,  der  Kampf,  und  etwas  Hoffmmg, 
daß  es  anders  und  besser  werden  könnte.  Jetzt  weiß  ich,  daß  es  niemals 
besser  für  mich  werden  kann.  Ich  fühle  mich  ganz  unnütz  auf  der  Welt; 
alles  ist  in  mir  so  gelähmt,  daß  ich  [der]  Kraft  zu  keiner  Beschäfti- 
gung mehr  fähig  bin.  Sprechen  möchte  ich  so  gern  mit  Ihnen,  aber 
schreiben  wird  mir  unendlich  schwer;  ich  kann  nicht  sagen,  daß  mir 
die  Zeit  grade  zu  lang  würde,  aber  ich  kann  nichts  mehr  tun  als  sitzen 
und  brüten  über  meinen  Gedanken,  über  die  Vergangenheit.  Jede  Arbeit, 
jeder  Entschluß  in  der  kleinsten  Sache,  wie  meine  Wohnungsangelegen- 
heit, ist  mir  eine  unsagbare  Qual,  und  ich  lasse  zuletzt  todmüde  alles 
gehen  wie  es  geht.  Ich  bin  total  imselbständig,  unbeholfen  geworden, 
was  mich  nicht  nur  quält,  aber  mich  mit  Mitleid  und  Ärger  über  mich 
selbst  erfüllt.  Ich  bin  mit  einem  Wort  in  einer  trostlosen  Stimmung.  Der 
Abschied  von  Ihnen  ist  mir  wahrlich  näher  gegangen,  als  Sie  glauben; 
und  dies  leere  Haus  trägt  wenig  dazu  bei,  mich  aufzuheitern.  Doch 
genug  der  Wehmütigkeiten,  die  Sie  ja  ohnehin  nicht  lieben.  Nur  wünsche 
ich,  daß  die  Unsicherheit  über  meine  Zukunft  recht  bald  aufhören 
möchte;  sie  quält  mich  sehr,  und  ich  bedarf  unendlich  der  Ruhe.  Wenn 
ich  hier  bleiben  sollte,  müßte  ich  doch  einige  Einrichtungen  treffen, 
denn  obgleich  ich  einerseits  diese  totale  Einsamkeit  besser  wie  viele 
andre  ertragen  kann,  so  fühle  ich  doch,  daß  sie  zerstörend  auf  mich  ein- 
wirkt. Ich  habe  gar  keine  Hoffnung,  daß  die  Geschäfte  in  Köln  sich 
gütlich  oder  bald  einrichten,  und  in  einen  Prozeß  habe  ich  nach  meinen 
Erfahrungen  gar  kein  Vertrauen  imd  sehe  auch  dieses  Geld  eigentlich 

1)  Die  Zofe  der  Gräfin. 


=:    164  = 

schon  für  verloren  an.  Meine  Finanzen  machen  mir  sehr  große  Sorge 
und  Kummer.  Kummer,  weil  ich  doch  eigentlich  noch  gar  nichts  von 
dem  Vermögen,  das  so  sauer  verdient  war,  gehabt  habe  und  nun  jetzt 
doch  durch  diese  unglücklichen  Geschichten  so  viel  verloren  habe, 
wegen  Paul,  der  ganz  allein  auf  mich  angewiesen  ist,  und  weil  es  mich 
zu  Tode  grämen  würde,  wenn  meine  Feinde  den  Triumph  hätten,  wahr- 
gesagt zu  haben,  als  sie  immer  gesagt,  was  man  mir  gäbe,  würde  ver- 
loren sein.  Ich  muß  jetzt  nicht  nur  immerzu  von  meinem  Kapital  zehren, 
aber  ich  habe  viele  große  Schulden  .  ,  . 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  schreiben  Sie  mir  und  trösten  Sie 
mich  etwas,  ich  habe  es  sehr  nötig.  Tausend  der  herzlichsten  Grüße! 
Von  hier  weiß  ich  gar  nichts  Neues  zu  melden,  ich  sehe  aber  auch" 
niemand. 

66. 

IvASSAI^LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Berlin,  Dienstag  [14.  Juli   1857]. 

Recht,  recht  traurig  hat  mich  Ihr  Brief  gestimmt!  Was  ist  mit 
einem  Menschen  zu  machen,  der  niemals  folgt  und  der  dann  doch  hinter- 
her immer  so  sehr  darunter  leiden  muß,  nicht  gefolgt  zu  haben  und  sich 
dennoch  niemals  aus  einem  solchen  Vorgang  die  geringste  I^ehre  zieht !  — 
So  geht  es  bei  Ihnen  stets  vom  Kleinsten  bis  zum  Größten !  Auf  jeden 
guten  Rat  haben  Sie  ein  für  allemal  die  Antwort:  ,,Ich  bin  nun  einmal 
so,"  usw.  Und  hinterher  erfahren  Sie  dann  immer,  daß  Sie  mit  den 
Dingen,  bei  welchen  Sie  Ihrer  Individualität  angemessen  zu  handeln 
glaubten,  vielmehr  regelmäßig  gegen  dieselbe  gehandelt  und  sich  ohne 
Not  empfindliche  Nachteile  herbeigezogen  haben  .  .  . 

Sie  sehen  jetzt,  daß  Sie  aber  ,,nun  doch  nicht  einmal  so"  waren,  wie 
Sie  zu  sein  glaubten;  daß  Sie  trotz  Ihrer  Individualität,  die  Sie  einem 
immer  entgegenhalten  und  besser  zu  kennen  glauben  als  andere  und 
au  fond  am  wenigsten  kennen,  töricht  gehandelt  haben^)  und  sich 
den  sachlichen  Folgen  ebensowenig  als  andere  entziehen  können,  ja, 
sie  nur  härter  als  andere  empfinden. 

Natürlich  spreche  ich  von  dieser  Sache  nur  beispielsweise!  Aber 
es  geht  mit  allem  nur  ganz  ebenso.  Sie  sind  sich  selbst  unklar,  und  das 
ist  die   Quelle  alles  Elends !  .  .  . 

Was  die  Unruhe  betrifft,  die  Sie  wegen  Ihres  Provisoriums  empfinden, 
so  ist  diese  ebenso  grundlos.   Ich  wiederhole  Ihnen:   Spätestens  am 

1)  Die  Gräfin  hatte  gegen  IvassaUes  Rat  ihre  Wohnung  aufgegeben  und  fand 
nun  keine  geeignete  neue. 


=======  i65  ======== 

I.Januar  können  Sie  hierher  ziehen.  Habe  ich  schon  je  mein  Wort 
nicht  gehalten,  wenn  ich  es  gab?  Nicht  bloß  auf  eine  Handlung  meiner 
selbst,  sondern  auch  auf  ein  von  dritten  Personen  abhängiges  Faktum? 
Und  diesmal  ist  ja  gar  nichts  dabei,  was  von  dritten  Personen  abhängt. 
Denn  Sie  wird  man  ja  nicht  hindern,  noch  hindern  können.  Sie 
kommen  also  im  Januar  ruhig  her  —  und  ob  die  Behörden  deshalb 
gegen  mich  wüten  werden,  ist  meine  Sache  . .  . 

Wie  glücklich,  glücklich  könnten  Sie  doch  sein,  wenn  Sie  ein  wenig 
von  der  schlechten  Persönlichkeit  ablegten,  die  Ihnen  Ihr  ganzes  Leben 
verdirbt.  Doch  das  ,,ich  bin  nun  einmal  so",  dieser  widerwillige  dumme 
Widerstand  gegen  die  Vernunft  hindert  einen  nicht  nur  an  der  Vernunft, 
sondern  auch  am  Glück  und  der  Zufriedenheit.  Das  ist  es  ja  eben! 

Mieten   Sie   die  Hüttersche   Wohnung. 

Ich  selbst  bin  noch  immer  krank  und  Stubenhüter.  Heute  noch  dazu 
leide  ich  an  furchtbarer  Kolik,  obgleich  ich  gar  nichts  esse  (seit  vierzehn 
Tagen  bloß  kalten  Kalbsbraten). 

Nun  beruhigen  Sie  sich  etwas,  mein  liebes  gutes  Kind.  Wenige 
Monate  noch  —  und  Sie  sollen  hier  das  angenehmste  und  schönste  lieben 
führen  von  der  Welt,  haben  Sie  nur  etwas  Vertrauen  und  Folgsamkeit. 
Gehen  Sie  aber  jetzt  vor  allem  schleunigst  nach  Wildbad. ^)  Kein 
Wunder,  daß  Sie  sich  krank  fühlen,  schon  Mitte  Juli  und  noch  nicht  im 
Bade!  Und  dann  nach  Schlangenbad.  Für  alles  andere  lassen  Sie  mich 
sorgen,  der  ich  zwei  Arme  habe,  und  für  Sie,  wenn  es  sein  muß,  so 
viele  wie  der  hundertarmige  Riese  Briareus!  Je  ferai  tout! 

Ihr  F.  lyassalle. 

P.  S.  Schicken  Sie  mir  noch  meine  kleinen  orientalischen  Ansichten, 
die  in  Ihrem  großen  Hefte  liegen. 

P.  S.  Noch  einmal,  liebes  Kind,  attristieren  Sie  sich  nicht  über  die 
Zukunft.  Sorgen  Sie  nur,  sich  möglichst  gesund  zu  machen.  Ich  werde 
alles  aufbieten,  Ihr  lieben  angenehm  zu  machen. 

67. 
LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  [Berlin,    16.  Juli   1857]. 

Gnädigste ! 

.  .  .  Ihren  Reiseplan  im  September  anlangend,  bemerke  ich: 
Wenn  Sie  etwas  arrangieren  können,  wobei  Sie  sich  auf  andere  Weise 
amüsieren    imd    eine    andere    Ihnen    konvenierende    Gesellschaft 

1)  In  der  Tat  reiste  die  Gräfin  am  17.  Juli  nach  Wildbad  ab,  wie  aus  einem  nur 
Geschäftliches  enthaltenden,  vom  16.  Juli  1857  datierten  Brief  an  Lassalle  hervorgeht. 


=  i66  = 

finden  können,  so  wäre  mir  das  weit  lieber.  Denn  meine  Abreise  würde, 
wie  ich  mich  überzeugt  habe,  immerhin  den  einstweiligen  Stillstand  des 
Druckes  ^)  zur  Folge  haben  müssen.  Wenn  Sie  aber  nichts  anderes 
haben,  so  bin  ich  selbstredend  gern  bereit,  Ihnen  die  gewünschten  vier- 
zehn Tage  zur  Disposition  zu  stellen.  Denn  es  wäre  eine  wahre  Tod- 
sünde, wenn  der  Sommer  für  Sie  ohne  jedes  Vergnügen  vorüber  gegangen 
sein  sollte,  imd  ich  wäre  zu  diesem  Zweck  zu  noch  ganz  anderen  Dingen 
bereit,  als  zu  einem  Opfer  von  vierzehn  Tagen !  Was  würde  ich  darum 
geben,  gutes  Kind,  wenn  ich  Sie  nur  erst  einmal  dazu  bekommen  könnte, 
wirklich  an  Ihr  Vergnügen  zu  denken! 

Rosen  auf  den  Weg  gestreut 
Und  des  Harms  vergessen. 
Eine  kurze  Spanne  Zeit 
Ward  ims  zugemessen! 

Aber  entschieden  wäre  ich  dagegen,  diese  vierzehn  Tage  am  Rhein 
oder  der  Ahr  zuzubringen.  Für  dasselbe  Geld  und  in  derselben  Zeit 
können  wir  uns  wo  anders  weit  besser  amüsieren.  Ich  würde  vor- 
schlagen —  denn  der  Genfer  See  scheint  für  diese  Zeit  etwas  zu  weit  — , 
uns  am  Züricher  See  oder  auf  Rigi -Scheidegg  oder  in  Seis  oder  in 
Rag  atz  niederzusetzen  auf  diese  vierzehn  Tage,  und  kleine  Ausflüge  und 
Spaziergänge  zu  machen;  welchen  Ort  von  den  genannten  wir  auch 
wählen,  wir  würden  uns  köstlich  amüsieren  tmd  hätten  eine  Natur, 
gegen  welche  die  rheinische,  die  ich  gar  nicht  leiden  kann,  doch  nur 
Quark  ist.  Ja,  wir  lebten  dort  selbst  vielleicht  billiger,  keinesfalls  teurer. 
In  Rigi-Scheidegg  wäre  Bloems  Anwesenheit,  der  Ausflüge  mit  uns 
machen  würde,  auch  eine  große  Annehmlichkeit. 

Mein  gutes  Kind.  Wenn  Sie  nur  einmal  Vernunft  annehmen  imd  sich 
über  Ihren  kleinen  Schmerz  hinwegsetzen  wollten.  Er  erscheint  Ihnen 
nur  deshalb  so  groß,  weil  Sie  wirklich,  mit  Verlaub,  darin  einer  Blattlaus 
etwas  ähnlich,  nie  über  das  Blatt  hinausblicken,  auf  dem  Sie  gerade 
kriechen.  Sehen  Sie  um  sich,  mit  welchem  Heldenmut,  mit  welcher 
Tüchtigkeit  von  andern  im  lieben  noch  ganz  andere  Schmerzen  getragen 
werden,  und  der  Grimd  zur  Klage,  den  Sie  haben,  wird  Ihnen  geringer  er- 
scheinen. Haben  Sie  in  den  Zeitungen  genaues  über  den  dreifachen  kom- 
binierten Aufstand  gelesen,  den  Mazzini  2)  in  Italien  hervorrief?  Ich  wette, 
nein !  Zumal  von  der  Expedition  des  Herzogs  von  San  Giovanni  ?  Karl 


1)  Des  Heraklit. 

2)  Giuseppe  Mazzini  (1805 — 1872),  der  berühmte  italienische  Revolutionär. 
Ein  wichtiger  Brief  von  ihm  an  Lassalle  aus  dem  Jahre  1863  wird  in  Bd.  V  ab- 
gedruckt werden. 


.  .  167  • 

Pisacane?^)  Es  ist  furchtbar !  Die  Nachrichten,  welche  die  Blätter  zuerst 
brachten,  waren  ja  ganz  falsch.  Pisacane  hatte  bereits  in  zwei  Treffen  — 
in  offenem  Felde  —  die  neapolitanische  Soldateska  geschlagen.  Von 
einer  dreifachen  Übermacht  überfallen,  kämpfte  man  mit  dem  Stilett  — 
bis  alles  fast  fiel!  Was  für  Blut!  Was  für  Blut!  Ich  lege  Ihnen  eine 
Nummer  der  ,, Volkszeitung"  bei,  in  der  Sie  eine  kurze  Biographie 
Pisacanes  und  etwas  über  den  Aufstand  finden!  Welches  kämpfende 
Heldenleben!  Und  denken  Sie  sich  in  Mazzinis  Lage,  der  immerwährend 
seine  besten  Freunde  und  Anhänger  ins  Verderben  treiben  und  nieder- 
metzeln sehen  muß.  Bei  Sapri  allein  wurden  viele,  viele  Hunderte  sofort 
erschossen!  (Lesen  Sie  ja  die  beigelegte  Zeitimg.)  Und  doch  muß  er 
stark  bleiben.  Und  dort  die  Zurückgelassenen  und  Verwandten  und  dies 
Kämpfen  und  Ringen  und  Leiden  und  Opfern  aller  seiner  Lieben,  der 
Söhne  und  Brüder  usw.  Das  geht  nun  schon  zehn  Jahre  so  fort  und  wird 
so  heldenmütig  getragen !  Ich  glaube,  wenn  Sie  sich  in  diese  tragischen 
Leiden  hineindenken,  müßte  Ihnen  selbst  der  Lärm,  den  Sie  darüber 
erheben,  daß  Sie  .  .  .  sehr  klein  imd  töricht  erscheinen.  —  Was  haben 
Sie  übrigens  zu  den  Nachwahlen  in  Paris  gesagt?  Napoleon  trotz 
aller  Vorbereitungen  und  Gewamtseins  in  allen  drei  Bezirken  ge- 
schlagen !  2)  Ihr 

F.L. 

68. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag  [Berlin,  7.  August   1857]. 
Meine  gute  gnädige  Frau! 

Ich  bin  es  wirklich,  der  fragen  muß,  wie  kommt  es,  daß  Sie  mich 
so  ganz  vergessen.  Seit  Ihrer  Ankunft  in  Wildbad  haben  Sie  mir  nur 
einmal  geschrieben,  am  26.  Juli.^)  Heute  ist  schon  der  7.  August.  Also 


1)  Pisacane  war  am  28.  Juni  mit  wenigen  Gefährten  in  der  Bucht  von  Sapri 
gelandet  in  der  Absicht,  das  Königreich  Neapel  zu  insurgieren.  Aber  die  kleine 
Schar  wurde  am  30.  Juni  zersprengt  imd  Pisacane  fiel.  Gleichzeitig  gedachte 
Mazzini  in  Genua  loszuschlagen.  Doch  der  Plan  wurde  verraten,  bevor  er  zur 
Ausführung  kam. 

2)  Von  den  acht  städtischen  Wahlbezirken  von  Paris  waren  in  der  Haupt- 
wahl drei,  in  der  Nachwahl  zwei  an  die  republikanische  Partei  gefallen.  In  der 
Hauptwahl  waren  Cavaignac,  Carnot  und  Goudchaux,  in  der  Nachwahl  Emile 
Ollivier  und  Darimon  gewählt  worden. 

3)  In  diesem  Brief  klagte  die  Gräfin  über  ihre  Isolierung,  über  die  unsichere 
Lage  ihrer  Finanzen  und  auch  darüber,  daß  Lassalle,  der  ihr  ,, ängstliches,  krank- 
haftes Gemüt"  kenne,  so  lange  nichts  habe  von  sich  hören  lassen. 


=  i68  = 

zwölf  Tage  lang  ließen  Sie  nichts  von  sich  hören.  Warum  denn?  Tun 
Sie  das  nicht.  Es  bekümmert  und  verstimmt  mich.  Ich  bekomme  so 
gern  Brief  von  Ihnen,  imd  ist  es  gar  ein  solcher,  in  welchem  ich  irgend 
Anflüge  von  guter  lyaime  sehe,  so  werde  ich  gleich  in  die  heiterste 
Stimmung  von  der  Welt  versetzt. 

An  und  für  sich  bin  ich  durchaus  nicht  in  dieser.  Sie  fehlen  mir  gar 
zu  sehr.  —  Ich  habe  hier  Gesellschaft  genug  imd  mehr,  als  ich  will.  Die 
lycute  sind  mir  auch  alle  recht  gut  und  sind  recht  lieb.  Aber  sie  sind 
mir  innerlich  doch  nicht  nahe  genug.  Wenn  man  mit  jemand  so  inner- 
lich verwachsen  ist  wie  ich  mit  Ihnen,  so  fühlt  man  dies  am  meisten 
erst  durch  den  Vergleich  mit  der  relativen  Äußerlichkeit,  in  der  einem 
die  andern  Menschen  bleiben.  Man  kann  sich  mit  ihnen  amüsieren  und 
zerstreuen,  aber  sie  füllen  nicht  aus.   Und  das  ist  nicht  mein  genre! 

Dieser  Brief  wird,  wenn  ich  meine  Maßregeln  richtig  genommen 
habe,  Sie  grade  an  Ihrem  Geburtstag  erreichen.  Tausend  herzlichste 
Glückwünsche!  Mögen  Sie  noch  doppelt  so  viel  schöne  imd  glückliche 
solche  Tage  erleben,  als  früher  traurige  imd  düstere. 

Ich  wollte  Ihnen  gern  was  schenken.  Aber  ich  wußte  nicht  was. 
Erstens  ist  nicht  nur  keine  übermäßige  Flut  in  meiner  Tasche,  sondern 
ich  weiß  Ihnen  doch  nur  mit  Dingen  für  die  Einrichtung  Spaß  zu  machen. 
Die  kann  man  aber  nicht  nach  Wildbad  senden  und  das  bleibt  auch 
besser  auf  später.  So  kam  ich  denn  auf  die  Idee,  Ihnen  irgendeine 
kleine  Gemütsfreude  machen  zu  wollen.  Nach  längerem  Nachsinnen 
beschloß  ich,  Ihnen  nachträglich  von  unserem  lieben,  lebens-  und  geist- 
vollen, so  früh  gestorbenen  G.  Weerth  ^)  ein  Porträt  verschaffen  zu 
wollen.  Er  war  Ihnen  wie  mir  recht  gut!  Und  oft  hat  er  mir,  wenn  wir 
aUein,  den  Teil  erzählt,  den  er  an  Ihrem  I^eiden  nahm.  Ich  habe  das 
Daguerreotyp  abkopieren  lassen  von  einem,  das  Mad[ame]  Duncker 
besitzt.  Hier  folgt  es  anbei.  Möge  es  Ihnen  eine  kleine  Freude  machen  .  .  . 
Ich  arbeite  fleißig  und  halte  schon  am  zweiten  Bogen  des  zweiten  Teils. 
Auch  meine  Vorrede  habe  ich  dieser  Tage  geschrieben.  Sie  klingt  stolz 
genug!  Nun  adieu  und  schreiben  Sie  bald 

Ihrem  F.  L. 

69. 
SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  I^ASSAIvLE.  (Original.) 

Wildbad,   10.  August  [1857]. 

Mein  liebes  Kind,  ich  habe  eigentlich  gar  kein  Recht,  mich  zu  be- 
klagen, daß  Sie  mir  nicht  schreiben,  da  ich  selbst  so  lange  nicht  ge- 

^)  Der  Dichter  Georg  Weerth  (1821  — 1856).  Vgl.  seinen  Brief  an  Lassalle  in 
Bd.  II,  S.  55. 


schrieben.  Und  doch  tue  ich  es  und  fühle  es,  als  wenn  auch  Sie  mir 
fremder  würden,  sich  mehr  meiner  entwöhnten  und  mein  Platz  in  Ihrem 
Leben  immer  kleiner  wird.  Sie  wissen,  welch  ganz  miaussprcchlich 
traurig[en]  Eindruck  es  mir  stets  macht,  mich  so  allein  unter  den  vielen 
Menschen  zu  finden,  wie  mir  dies  stets  die  lange  Kette  von  Unglück 
und  Unrecht,  die  mein  Lieben  so  vernichtet  hat,  so  lebhaft  wieder  vor 
Augen  führt  und  sie  mir  neu  wieder  durchleben  und  durchfühlen  läßt. 
Ich  versinke  dann  in  ein  dumpfes  Brüten,  was  mich  zu  jeder  Beschäfti- 
gung unfähig  macht.  Weit  besser  ist  für  mich,  wie  ich  es  Ihnen  oft  ge- 
sagt, die  tiefste  Einsamkeit.  Ich  bin  weder  physisch  noch  geistig  alt 
genug,  um  diese  Stelltmg  mit  Gleichgültigkeit  anzunehmen,  und  ich 
bin  nicht  mehr  jimg  genug,  um  mit  fröhlichem  Mut  mich  über  diese 
tmverdiente  Reprobation  hinwegzusetzen.  Es  setzt  mich  immer  wieder 
in  neues  Erstaunen,  wie  arg  es  ist,  daß  selbst  die  Leute,  denen  ich  am 
besten  gefalle  und  die  es  am  liebsten  möchten,  es  nicht  wagen  dürfen, 
den  Kreis,  der  mich  von  allen  abschneidet,  zu  überschreiten.  Meine 
Feinde  haben  ein  Meisterwerk  an  mir  vollbracht;  vollständiger  war  es 
nicht  möglich,  jemand  zugrunde  zu  richten,  und  noch  dazu  einen  Men- 
schen, der  von  der  Natur  so  vorzugsweise  mit  Gaben  zum  Glück  aus- 
gestattet war.  Es  regen  sich  auch  dann  immer  wieder  in  mir  Haß-  und 
Rachegedanken.. Doch  was  kann  ich  machen?  Solange  ich  lebe,  wird 
mir  niemand  glauben.  Aber  versprechen  Sie  mir,  Sie,  mein  einziger 
Ereimd,  der  einzige,  der  hinter  allen  diesen  Verleumdvmgen  mein  wahres 
Wesen  erkannt  hat,  daß  Sie  nach  meinem  Tode  mich  rechtfertigen 
wollen,  mein  Märtyrertum  und  was  ich  war,  zeigen  wollen,  und  daß  auf 
meinem  Grabe  nicht  die  Verachtung  mehr  lasten  soll,  die  man  mir 
während  meines  Lebens  aufzubürden  gewußt  hat.  Ich  bin  heute  ganz 
besonders  gedrückt ;  es  ist  mein  Geburtstag,  der  Tag,  an  dem  vor  langen 
Jahren  ich  imwiderruflich  dem  Unglück  preisgegeben  wurde,  und  es 
hat  heute,  wie  an  dem  Tage  eine  richtige  Vorbedeutung  meines  Lebens, 
unaufhörlich  geregnet.  Ich  brauche  diesmal  die  Kur  sehr  stark:  anstatt 
daß  ich  voriges  Jahr  eine  Viertelstunde  badete,  bade  ich  eine  ganze 
Stunde ;  ich  habe  diesmal  nicht  die  gute  Wirkung  gleich,  sondern  fühle 
mich  im  Gegenteil  sehr  angegriffen.  In  vierzehn  Tagen  längstens  hoffe 
ich  abreisen  zu  können.  Schreiben  Sie  mir  doch,  liebes  Kind,  Sie  können 
nicht  glauben,  wie  sehr  mir  ein  Wort  der  Fremidschaft  wohl  tut  imd 
not  tut.  Vergessen  Sie  aber  nicht,  mir  zu  sagen,  wie  es  mit  Ihrer  Ge- 
sundheit geht .  .  .  Adieu,  liebes  gutes  Kind,  schreiben  Sie  mir  doch  imd 
sagen  mir,  wie  es  Ihnen  geht  imd  wie  Sie  leben.  Tausend  herzlichste 
Grüße. 


—  170  ^= 

70. 

IvASSAI^IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  [Berlin,   13.  August  1857]. 
Meine  Gnädigste! 

Mit  einem  wahren  Wutanfall  ersehe  ich  aus  Ihrem  eben  einlaufenden 
Briefe,  daß  Sie  meinen  Brief  nebst  dem  Daguerreotyp  nicht  rechtzeitig  zu 
Ihrem  Geburtstag  erhalten  haben.  Ich  hatte  mir  so  viel  Mühe  gegeben, 
extra  auf  die  Post  geschickt,  um  zu  erfahren,  wenn  ich  es  absenden 
müßte,  damit  es  weder  zu  früh  noch  zu  spät  eintrifft,  und  nun  scheinen 
mir  diese  Schurken  doch  falsche  Auskunft  gegeben  zu  haben !  Nun  be- 
greife ich  auch,  daß  Sie  in  doppelt  wehmütiger  Stimmung  sein  mußten ! 
An  Ihrem  Geburtstage  nicht  einmal  von  mir  ein  Ivcbenszeichen  zu 
empfangen ! 

Wie  können  Sie  aber  solche  Gedanken  haben,  als  entwöhnte  ich  mich 
Ihrer  usw.!  Gott,  wie  falsch,  wie  falsch!  Jeden  Lorbeer  und  jede  Palme, 
die  ich  mir  in  meinem  lieben  pflücken  werde  —  und  ich  denke,  es  werden 
deren  viele  sein  —  werde  ich  ewig  zu  Ihren  Füßen  hinlegen  und  Sie 
damit  bekränzen!  —  Ich  mich  Ihrer  entwöhnen.  ,,Ihr  Platz  in  meinem 
Leben  kleiner  werden."  Auf  mein  Wort:  Jeden  Menschen,  den  ich 
kennen  lerne,  berechne  und  taxiere  ich  nur  nach  der  Annehmlich- 
keit und  dem  Werte,  die  er  für  Sie  haben  könnte!  Ich  soll  Sie  rächen! 
Nach  Ihrem  Tode  rächen!  Wenn  Sie  erlauben,  gedenke  ich  noch  bei 
Ihren  Lebzeiten  viel  darin  zu  tun.  Aber  auch  bis  dies  eintritt,  kann  ich 
noch  besseres  tim.  Kann  Sie  froh  und  glücklich  machen.  Nur  freilich 
gehört  dazu  Vernimft,  und  freilich  mangelt  Ihnen  dieselbe  in  mancher 
Hinsicht  entsetzlich.  Sie  sprechen  von  Reprobation !  Allein  das  bezieht 
sich  doch  nur  auf  jene  verrottet  aristokratischen  Kreise,  die  Sie  in 
Wildbad  vor  sich  sehen!  Mit  diesen  ist  freihch  nichts  zu  machen,  und 
diese  Fäulnis  lohnte  sich  nicht  einmal  der  Eroberung.  Aber  haben  Sie 
diese  Reprobation  auch  gefunden,  würden  Sie  sie  finden  in  dem  Cercle, 
aus  welchem  Sie  hier  bei  mir  Spezimina  sahen  ?  Weder  bei  Männern  noch 
Frauen,  die  diesen  geistig  lebendigen  Kreisen  angehören,  würden  Sie 
auf  andere  Gefühle  stoßen  als  die  der  Bewunderung,  des  Interesses  und 
Respekts.  Wer  sich  schlechte  Plätze  aussucht,  kann  sich  freilich  nicht 
wundern,  schlecht  gestellt  zu  sein.  Osez !  Sieyes  ^)  sagte  zu  seinen  Lands- 
leuten: Vous  voulez  etre  libres  —  et  ne  savez  pas  d'etre  [sie!]  justes! 
Mit  weit  größerem  Rechte  sage  ich  zu  Ihnen:  Vous  voulez  etre  heureux 

1)  Emanuel  Joseph  Sieyes  (1748 — 1836),  der  bekannte  französische  Staats- 
mann, der  Vorkämpfer  des  dritten  Standes  und  des  Dogmas  von  den  natürlichen 
Grenzen  Frankreichs. 


=  171  = 

[sie!]  —  et  ne  savez  pas  d'etre  [sie!]  librcü  Und  doch  ist  dies  des 
Glüekes  erste  Grundbedingung. 

Ja,  Sie  sind  viel,  viel  unfreier,  als  es  geistig  viel  unbedeutendere 
und  weniger  freie  Leute  sind.  Jede  Kleinigkeit  überzeugt  mich  davon. 
Tausend  solche  Kleinigkeiten  könnte  ich  —  und  diese  gerade  stören 
den  heitern  Lebensgenuß  —  zum  Beweis  anführen.  Was  war  das  z.  B. 
immer  für  ein  Getue  und  Getäte,  wenn  Sie  zu  mir  kommen  sollten.  Wie 
mußte  da  den  Leuten  das  Wort  abgenommen  werden,  nichts  zu  sagen. 
Wie  steif  und  fest  behaupteten  Sie  mir,  keine  Dame  in  Berlin  von 
guten  Sitten  usw.  würde  einen  im  verheirateten  Gar9on  besuchen  usw.  usw. 
Gut.  In  dem  Cercle  hier,  mit  dem  ich  umgehe,  befindet  sich  eine  gewisse 
Gräfin  Kalckreuth,  die  Tochter  des  alten  Generals  Kalckreuth.  Ich  kannte 
sie  und  ihre  Familie  schon  von  1846  her  durch  Keyserling  ^)  und  habe 
jetzt  ihre  Bekanntschaft  nur  erneuert.  Sie  spielt  zwar  etwas  die  Person 
von  Geist,  aber  durchaus  nicht  den  Freigeist,  da  sie  vielmehr  ganz 
prononciert  royalistisch  und  noch  mehr  religiös  ist.  Ihre  Brüder 
haben  hohe  Chargen  im  Heer!  (Beiläufig  ist  sie  eine  Spezi alfreundin  von 
Gräfe.-)  Sie  ist  alte  Jungfer,  aber  nicht  über  vierzig  Jahr.  2.  Eine  Frau 
von  Rappard,  sechsunddreißig  Jahre  alt  und  noch  dazu  ganz  hübsch, 
geschieden  von  ihrem  Manne,  der  ein  Taugenichts  war,  aber  eine  Frau 
von  ganz  intaktem  Ruf;  auch  gescheut.  3.  War  die  Frau  von  Dohm^) 
bei  der  Partie.  Wir  und  Pickwick,  Dohm  und  Pritzel  machten  z.  B. 
neulich  eine  Landpartie  nach  Tegel.  Wir  kamen  zwölf  Uhr  nachts  erst 
zurück  und  waren  recht  guter  Laime.  Da  machte  ich  den  Vorschlag, 
den  Nachttrunk  bei  mir  zu  nehmen.  Aber  es  dachte  auch  keine  von 
den  Damen  daran,  irgend  etwas  dagegen  zu  haben.  Jetzt  in  der  Nacht 
12  ^/g  Uhr  begab  man  sich  in  meine  Wohnung  und  trank  bis  zwei  Cham- 
pagner. Ein  andermal  waren  wir  im  Theater  und  hatten  dann  im  Freien 
soupiert.  Die  Nacht  war  schön.  Ich  schlug  vor,  auf  meinem  Balkon 
Kaffee  zu  nehmen,  und  wieder  begaben  sich  die  Damen  ohne  Anstand 
zu  mir  und  blieben  bis  zwei  Uhr. 

Da  haben  Sie  die  Antwort  auf  Ihr: ,,  Keine  Berliner  Dame  würde  usw." 
tmd  die  Kalckreuth  ist  doch  sogar  auch  eine  Gräfin  und  die  Frau  von 
Rappard  eine  Adlige  und  von  ganz  akzeptabler  Hübschheit,  obwohl 
schrecklich  dick! 


^)  Gemeint  ist  wohl  der  Kriegsfeuilletonist  Oberstleutnant  a.  D.  Graf  Archibald 
Keyserling  (1785 — 1855),  durch  den  Lassalle  1846  mit  der  Gräfin  Hatzfeldt  be- 
kannt geworden  war.   Keyserlings  Mutter  war  eine  Gräfin  Kalckreuth. 

2)  Professor  Albrecht  von  Gräfe  (1828 — 1870),  der  berühmte  Augenarzt,  der 
auch  Lassalle  behandelte. 

^)  Hedwig  Dohm,  der  Gattin  Ernst  Dohms,  hat  Lassalle  zeitweise  nahe  ge- 
standen. 


=  172  = 

übrigens  mache  ich  diese  Vorschläge  iind  traktiere  die  Leute  mit 
Champagner  imd  Mokka  immer  nur  in  Rücksicht  auf  Sie,  um  es  zu 
etwas  ganz  Gewöhnlichem  zu  machen,  daß  Damen  des  besten  Genre 
michzu  jeder  Tageszeit  besuchen.  Aus  demselben  Grunde  sind  die  Damen 
auf  morgen  fünf  Uhr  nachmittag  bei  mir  zum  Ka£fee  eingeladen.  Man  wird 
auf  dem  Balkon  bei  aufgezogener  Markise  sitzen !  Schade  nur,  daß  Ma- 
dame Duncker  ^)  verreist  ist  imd  ebenso  Varnhagen.^)  Sonst  hätte  ich  mir 
erstere  auch  schon  eingewöhnt,  imd  letztere  hätte  mir  seine  Nichte,  ein 
jimges,  unverheiratetes  Mädchen  von  neunzehn  Jahren,  zuführen  müssen. 

So  sehen  Sie,  wie  man  Sie  in  der  lächerlichsten  Weise  imfrei  gemacht 
hat.  Denn  freilich,  wenn  Sie  mir  zur  Antwort  geben  wollten:  ,,Was 
andere  ttm  dürfen,  darf  ich  nicht  tun"  —  wenn  Sie  sich  wirklich  auf 
diesen  Armensünderstandpunkt  hindrängen  lassen  —  dann  sind  Sie 
unrettbar  verloren  und  keine  Macht  zwischen  Himmel  und  Erde 
kann  Ihnen  helfen.  —  Nun  leben  Sie  mir  tausendmal  wohl.  Ich  habe 
entsetzlich  viel  zu  tun.  Schreiben  Sie  doch  öfter.  Vergessen  Sie  die  Sache 
mit  Hinschius  nicht  zu  erledigen.  Wo  gehen  Sie  hin  von  Wildbad? 
Wollen  Sie  noch  eine  Reise  unternehmen?  Wollen  Sie,  daß  ich  Sie 
begleite?  Genieren  Sie  sich  nicht!  Sagen  Sie,  und  ich  werfe  alles  zum 
Teufel  und  fliege  zu  Ihnen.  Wenn  Sie  wollten,  würde  ich  selbst  suchen, 
Ihnen  Dohm  mitzubringen,  der  Sie  gewiß  sehr  amüsieren  würde.  Soll 
ich  ?  Wie  gesagt,  brieflich  geht  das  Genieren  und  Nicht-selbst-bestimmen- 
woUen  nicht  an.  Erwägen  Sie,  was  Ihnen  am  liebsten  ist,  und  dann  be- 
stimmen Sie.  Kann  ich  Ihnen  ein  Amüsement  verschaffen,  so  wissen 
Sie  ja,  ist  es  für  mich  selbst  das  größte,  und  wie  sehr  mich  auch  meine 
Arbeiten  drängen,  würde  ich  ihnen  doch  wohl  vierzehn  Tage  ohne  zu 
große  Fatalität  vielleicht  entreißen  können.  Glauben  Sie  aber,  daß  es 
besser  ist,  wenn  Sie  an  den  Rhein  zurückgehen,  so  wäre  auch  das  mir 
ganz  lieb,  weil  es  mir  in  meinen  Arbeiten  und  Bestrebungen  hier  sehr 
zugute  käme.  Wollen  Sie  also,  da  es  für  mich  zwei  gleich  angenehme 
und  unangenehme  Seiten  hat,  nur  sich  befragen. 

71- 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  LASSAlvIvE.  (Original.) 

[Wildbad,  Mitte  August   1857.] 

Iviebes,  gutes  Kind,  meinen  Brief,  am  10.  geschrieben,  werden  Sie 
wohl  erhalten  haben,  den  Ihrigen,  der  an  dem  Tag  ankommen  sollte, 

*)  Ivina  Duncker,  die  Frau  Franz  Dunckers.  Über  ihre  Beziehungen  zu  Lassalle 
vgl.  die  Einführung  zu  Bd.  II,  S.  23. 

2)  Bei  Varnhagen  von  Ense  (1785 — 1858)  hatte  Lassalle  schon  im  Januar  1846 
mit  dem  berühmten  Empfehlungsbrief  Heinrich  Heines  Eingang  gefunden. 


=  173  —  — 

habe  ich  zwar  erst  später  erhalten,  denn  die  Briefe  gehen  sehr  schlecht 
hierher,  allein  nichts[desto]weniger  hat  es  mich  gefreut,  daß  vSie  daran 
gedacht,  ich  wußte  wohl,  daß  Sie  es  tun  würden.  Sie  waren  aber  auch 
wie  immer  der  einzige.  Sehr  hat  mich  das  Bild  von  Weerth  erfreut, 
und  dennoch  war  ich,  kann  ich  nicht  leugnen,  etwas  desappointiert, 
denn  als  ich  den  Kasten  sah,  der  mir  gleich  nach  einem  Bild  aussah, 
glaubte  ich  zuerst,  Sie  hätten  mir  Ihre  eigene  Photographie  geschickt .  .  . 
Schreiben  Sie  mir  recht  bald  recht  gut,  denn  die  Ihrigen  sind  die 
einzigen  Worte  wirklicher  Freundschaft  und  Teilnahme,  die  ich  je  höre, 
und  daher  sollten  Sie  mir  nie  andere  sagen.  Seien  Sie  vernünftig  für  Ihre 
Augen  und  Gesundheit.  Die  allerherzlichsten  Grüße.  Noch  zehn  Tage 
habe  ich  hier  zu  bleiben. 


72. 
IvASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin]  Dienstag,   18.  August  [1857]. 

Vous  voulez  etre  heureux  et 
ne  savez  pas  etre  libre !  ^] 

Denn  mit  diesem  Motto,  meine  Gnädige,  werde  ich  von  nun  an 
fortlaufend  meine  Briefe  an  Sie  schmücken,  weil  es  das  Wahrste  und 
Wichtigste  ist,  was  Ihnen  gesagt  werden  kann. 

Jawohl!  Entledigen  Sie  sich  der  ,, schwerlastenden  Fessel  am  Fuße", 
springen  Sie  heraus  aus  diesem  Wust  von  Rücksichten  und  unmöglichen 
Bestrebimgen,  in  denen  es  neuerdings  gelungen  ist,  Sie  einzukerkern, 
und  Sie  werden  sehen,  wie  schön  und  harmonisch  sich  alle  Ihre  Lebens- 
verhältnisse gestalten  und  wie  bald  Sie  glücklich  sein  werden! 

Daß  Sie  sich  mutterseelenallein  in  einem  Bade  nicht  wohlfühlen 
können,  ist  ganz  selbstredend.  —  Freilich  hindert  Sie  an  manchem  eine 
gewisse  praktische  Ungeschicklichkeit.  Als  solche  betrachte  ich  es  z.  B., 
daß  Sie  noch  keine  Gesellschafterin  haben,  eine  solche,  die  in  jeder 
Hinsicht  konvenabel  ist.  Oder  ist  es  vielleicht  —  verzeihen  Sie  mir  — 
Geiz?  Gewiß  ist  auch  hieran  etwas!  .  .  .  Aber  wozu  soll  Ihnen  denn  Ihr 
Geld,  wenn  Sie  es  nicht  verwenden  wollen,  sich  Ivebensannehmlich- 
keiten  und  Lebensgenuß  zu  erkaufen?  .  .  .  Mit  dem  Gesuch  um  Domili- 
zierung  werden  Sie  schon  bis  Februar  warten  müssen.  Dagegen  aber, 
daß  Sie  im  Oktober  schon  auf  zwei  bis  drei  Monate  zum  Besuch  her- 
kommen, wird,  glaube  ich,  kein  Hindernis  vorliegen  resp.  die  etwaigen 
Hindemisse  zu  beseitigen  sein;  d.  h.  ich  glaube,  ich  werde  es  durch- 


^)  Siehe  oben  Nr.  70. 


—  174  ^ 

setzen  können,   daß  man  mich  non  obstant  Ihrer  Anwesenheit  doch 
nicht  inkommodiert. 

Nun  leben  Sie  wohl  und  noch  einmal  —  seien  Sie  frei,  wenn  Sie 
glücklich  sein  wollen.  Werfen  Sie  ab  die  Ketten  und  verzichten  Sie 
darauf,  Bündnisse  zu  schheßen  mit  dem  ,, Gezücht  der  Schlangen". 
Doch  ich  lasse  am  besten  das  reizende  Sonett  des  Dichters  folgen,  den 
Sie  so  sehr  lieben,  Platens: 

Entled 'ge  dich  von  jenen  Ketten  allen. 
Die  gutgemutet  du  bisher  getragen, 
Und  wolle  nicht  mit  kindischem  Verzagen 
Der  schnöden  Mittelmäßigkeit  gefallen! 

Und  mag  die  Bosheit  auch  die  Fäuste  ballen. 
Noch  atmen  Seelen,  welche  keck  es  wagen, 
lycbendig  wie  die  deinige  zu  schlagen. 

Drum  laß  die  frischen  Lieder  nur  erschallen! 
Geschwätz'gen  Krittlern  gönne  du  die  Kleinheit, 
Bald  dies  und  das  zu  tadeln  und  zu  loben. 
Und  nie  zu  fassen  eines  Geistes  Einheit. 

Ihr  kurzer  Groll  wird  allgemach  vertoben. 
Du  aber  schüttelst  ab  des  Tags  Gemeinheit, 
Wenn  dich  der  heil'ge  Rhythmus  trägt  nach  oben. 

Ihr  F.  Iv. 


73. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Wildbad,   18.  August  [1857]. 

lyiebes,  gutes  Kind,  Sie  schreiben  mir  wirklich  recht  wenig,  denn 
auf  meinen  letzten  Brief  habe  ich  noch  keine  Antwort.  Sie  werden  sagen, 
daß  ich  ebenso  faul  bin,  aber  das  ist  ganz  etwas  anders.  Einmal  bin  ich 
von  der  Kur  sehr  angegriffen,  muß  trotz  des  sehr  schlechten  Wetters, 
das  wir  seit  zwölf  Tagen  haben,  sehr  viel  ausgehen,  bin  sehr  müde,  und 
das  alles  wäre  noch  gar  keine  Ursache,  aber  das  beständige  Alleinsein 
deprimiert  mich  auf  eine  solche  Weise,  daß  ich  wohl  noch  ganz  hebetiert 
und  zum  Automaten  werde,  der  nur  noch  brüten  kann.  Und  da  meine 
Gedanken  nicht  grade  der  fröhhchsten  Art  sind,  so  werde  ich  ein  trüb- 
seliger Narr;  man  kann  mir  darüber  keine  Vorwürfe  machen,  denn  es 
ist  eine  notwendige  Konsequenz.  Der  Geist,  der  ewig  nur  auf  sich  selbst 


=  175  = 

zurückgebogen  ist,  reibt  sich  auf  und  vergeht  oder  schnappt  über;  aber 
gesund  kann  er  nicht  bleiben,  vorzüghch  wenn  man  nicht  wie  ich  ein 
Gelehrter  ist,  der  anstatt  der  Gemeinschaft  der  Geister  die  der  Bücher 
hat.  Und  auch  selbst  dann  wird  demjenigen,  der  vollständig  nur  damit 
beschäftigt  ist,  auf  die  Dauer  eine  wesentHche  Seite  seines  Ichs  be- 
schädigt. Was  soll  ich  schreiben?  Immer  dieselben  Klagen?  Das  ist 
langweilig  für  Sie  und  unnütz.  Von  unangenehmen  Geschäften  ?  Obgleich 
das  recht  notwendig  wäre,  so  hilft  es  jetzt  gleich  doch  nichts,  da  im 
Augenblick  nichts  geschehen  kann.  Es  bleiben  die  Fragen  nach  Ihrer 
Gesimdheit,  Ihren  Augen,  die  Sie  mir  doch  nie  beantworten  und  noch 
weniger  darin  befolgen,  was  ich  Ihnen  anrate.  Sie  können  mir  schreiben, 
was  Sie  tim  und  treiben,  wen  Sie  sehen,  und  Sie  wissen,  wie  sehr  mich 
alles  interessiert. 

Sie  fragen  ^)  mich,  ob  ich  wünsche,  daß  Sie  auf  vierzehn  Tage  zu  mir 
kommen.  Gewiß  wünsche  ich  das,  imd  sehr  würde  es  mein  Gemüt  wieder 
aufrichten,  einige  Zeit  eines  wahrhaft  freundschaftlichen  Verkehrs  zu 
haben,  nicht  ganz  allein  mich  zu  fühlen  .  .  . 


74- 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Sonnabend  [Berlin,  22.  August   1857]. 

Vous  voulez  etre  heureux  et 
ne  savez  pas  etre  libre. 

Gnädigste!  Eben  erhalte  ich  Ihren  Brief  vom  18.,  worin  Sie  sagen, 
Ihr  letzter  sei  noch  ohne  Antwort.  Ich  begreife  dies  nicht,  denn  ich 
habe  Ihnen  zwei  geschrieben,  beide  mit  dem  obigen  Motto  geschmückt, 
woran  Sie  kontrollieren  können,  ob  Sie  sie  alle  erhalten.  Und  zwar 
schrieb  ich  Ihnen  stets  sofort  nach  Empfang  Ihres  Briefes  (wie  auch 
heute).  Woran  liegt  es  also? 

In  tiefster  Seele  schmerzt  mich  die  nur  zu  natürliche  Mißstimmung, 
die  sich  über  Ihre  Isolierung  in  Ihren  Briefen  ausspricht.  Ich  beschwöre 
Sie,  nur  ein  wenig,  nur  sechs  bis  sieben  Wochen  noch  halten  Sie  tapfer 
aus  gegen  den  finsteren  Geist  der  Verstimmung,  der  Sie  beschleicht; 
dann  nahe  ich  zu  Ihrem  Sukkurs  und  zerstreue,  wie  die  Sonne  die  Nebel, 
die  Wolken,  die  sich  Ihnen  nahen.  Es  ist  mir  ganz  klar,  Sie  können 
diesen  Winter  nicht  allein  zubringen,  Gott  behüte!  Sie  kommen  Mitte 
Oktober  nach  Berlin.  Es  wird  meine  Sache  sein,  dies  möghch  zu  machen. 
Sie  kommen  in  der  zweiten  Hälfte  Oktober  her  und  bleiben  hier  zum 


^)  Siehe  oben  Nr.  70. 


-- 176  ■ 

Besuch  ununterbrochen,  bis  Sie  Ihr  Domizil  hier  nehmen  (im  Fe- 
bruar 58).  Ich  lasse  Sie  nicht  mehr  weg. 

Es  bangte  mir,  muß  ich  gestehen,  Sie  würden  mich  wegen  meines 
Reiseanerbietens  beim  Wort  nehmen.  Es  bangte  mich  aber  auch  wieder 
Ihret-,  nicht  meinetwillen.  Denn  Sie  wissen  noch  lange  nicht,  wie  gut 
ich  Ihnen  und  mit  welcher  Sehgkeit  ich  alle  persönlichen  Zwecke 
fortwerfe,  wenn  ich  glaube,  daß  ich  Ihnen  dadurch  irgend  nützen 
kann. 

Aber  ich  habe  die  Sache  reifhch,  reiflich  überlegt,  und  sie  verhält 
sich  so: 

Ich  bin,  glauben  Sie  mir,  ohne  Ehrgeiz.  Schon  weil  ich  die  ganze 
Welt  nicht  eines  Strohhalms  achte.  Ich  trage  die  Bedingungen  des 
Glückes  in  mir.  Sie  aber  brauchen  dazu  noch  manches  aus  der  äußeren 
Welt.  Ich  werde  Ihnen  das  geben,  reichlich  geben.  Damit  ich  es  Ihnen 
aber  geben  kann,  ist  erforderlich,  daß  ich  die  Stellung,  die  mir  gebührt, 
in  der  wissenschaftlichen  Welt  einnehme.  Kein  Zweifel  —  ich  versichere 
Sie,  kein  Zweifel:  ich  habe  gar  viele  Vorbeweise  — ,  daß  mir  die  beiden 
Arbeiten,  die  mich  beschäftigen,  diese  Stellung  überreichlich  ge- 
währen werden.  Darum  in  Ihrem  Interesse,  in  Ihrem  mehr  als  dem 
meinigen,  eilt  es,  daß  sie  erscheinen  und  mein  verschlossenes  Licht  der 
Welt  aufgehe.  Ich  schrieb  Ihnen  schon  letzthin,  jeder  Lorbeer  und  jede 
Palme  hat  für  mich  nur  den  Wert,  sie  zu  Ihren  Füßen  niederzulegen.^) 
Aber  darum  eben  bangte  mir  entsetzlich  wieder  vor  der  Reise.  Denn 
nichts  darf  mehr,  auch  nur  um  Tage,  das  Erscheinen  des  Heraklit  ver- 
zögern, das  andere^)  kann  ohnehin  erst  dann  zu  Ende  gebracht  wer- 
den .  .  . 

Mein  Plan  ist  also  so :  Anfang  September  kehren  Sie  an  den  Rhein 
zurück.  Suchen  zunächst  ohne  mich  und  mit  Bloems  Hilfe,  der  alles 
versprochen  hat  tmd  dem  ich  ganz  gehörige  Briefe  schreiben  werde, 
alles  mit  Düwes^)  zu  ordnen.  Dies  beschäftigt  Sie  auch  und  füllt  Ihre 
Zeit  aus.  Ich  habe  Ihnen  oft  gesagt,  selbst  Sorge  ist  besser  für  Sie  als 
Nichtstun,  wenn  ich  nicht  da  bin.  Zugleich  ordnen  Sie  alles  für  Ihre 
Abreise.  Legen  Sie  die  Sache  mit  Düwes  bei,  so  kommen  Sie  etwa  18. 
bis  22.  Oktober  nach  Berhn  und  bleiben  hier.  Gelingt  es  Ihnen  dort 
nicht,  so  komme  ich  Mitte  Oktober  hin,  ordne  die  Sache  so  oder  so  und 


1)  Siehe  oben  Nr.  70. 

2)  Das  Drama  Franz  von  Sickingen. 

3)  Bei  der  Liquidation  der  Firma  Siegheim  &  Block  hatte  die  Gräfin,  um 
ihr  Geld  nicht  zu  verlieren,  für  Rt.  60000  Aktien  von  deren  Nachfolgerin,  der 
Kommanditgesellschaft  Düwes  &  Co.  übernehmen  müssen.  Diese  hatte  ihr  keine 
Zinsen  gezahlt. 


—  177  = 

kehre  dann  mit  Ihnen  nach  Berlin  zurück.  Also  Mut.  Nur  noch  kurze 
Zeit  sind  Sic  allein.  Kaum  sieben  Wochen.  Dann  hat's  aufgehört,  und 
Sie  sollen  sehen,  wie  sehr  ich  Sie  hier  amüsieren  und  Ihnen  ein  an- 
genehmes und  heiteres  lieben  bereiten  werde. 

Es  fällt  mir  ein:  Wenn  Sie  wollen,  können  Sie  auch  folgendes  tun: 
Am  3.  sind  in  Weimar  die  großen  Feste,  die  Theatermustervorstel- 
luDgen  usw.  Viele  Leute,  auch  von  hier,  reisen  hin.  Wenn  Sie  wollen, 
so  schreiben  Sie  der  Agnes,  gehen  mit  ihr  dazu  nach  Weimar,  lassen 
sich  durch  sie  mit  lyiszt,  der  Fürstin  ^)  usw.  bekanntmachen  und  amü- 
sieren sich  dort  etwas,  drei  bis  vier  Wochen.  Liegt  Ihnen  aber  die 
Düwessche  Sache  am  Herzen,  so  ist  es  besser,  Sie  spielen  noch  einmal 
Geschäftsmann,  gehen  nach  Düsseldorf  und  Köln  und  ordnen  das 
wie  Ihre  Wirtschaftsangelegenheiten  und  kommen  dann  hierher.  — 
Bis  Mitte  Oktober  ist  Heraklit  erschienen,  die  Polizeierlaubnis  erwirkt, 
und  ich  habe  dann  nichts  zu  tun,  als  für  Sie  zu  sorgen,  denn  Franz  -) 
wird  nicht  zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen.  Auch  er  wird  bis  Mitte 
November  erledigt  sein. 

Schon  wie  mein  Heraklit  erscheint,  habe  ich,  glauben  Sie  es  mir, 
eine  ganz  andere  Stellung  und  werde  sie  auszubeuten  wissen  —  Ihret- 
wegen. Sie  werden  sehen,  welch  frohe  Existenz  ich  Ihnen  hier  schaffen 
werde.  Meine  ganze  die  Menschen  (wenn  ich  es  will)  erobernde  Liebens- 
würdigkeit werde  ich  aufbieten.  Sie  werden  einen  Kreis  von  Leuten 
haben,  die  Sie  lieben,  bewundern  imd  verehren,  die  Sie  amüsieren  und 
zerstreuen.  Ich  habe  immer  noch  alles  gemacht,  was  ich  wollte.  Sie 
sollen  sehen,  was  ich  mit  der  Zeit  alles  kann.  Also  kurze  Geduld  und 
standhafte  Tapferkeit  gegen  jene  Mißlaune.  Sind  Sie  erst  hier,  bin  ich 
erst  bei  Urnen,  wird  es  meine  Sache  sein,  sie  zu  verscheuchen. 

Ich  will  Tag  tmd  Nacht  arbeiten,  es  zu  beschleunigen.  Jeder  Tag 
früher,  den  Sie  hier  eintreffen,  ist  mir  Gewinn. 

Nochmals,  was  ich  Ihnen  so  oft  sagte  in  schlimmer  Zeit  und  stets 
noch  zu  bewähren  gewußt: 

Nil  desperandum  sub  Teucro  duce  et  auspice  Teucro! 

Ihr 

F.  L. 


^)  Fürstin  Karoline  von  Sayn -Wittgenstein  (18 19 — 1887),  die  große  Freundin 
Liszts.  Dieser  hatte  bekanntlich  Weimar  zum  Mittelpunkt  der  fortschrittlichen 
Bestrebungen  auf  musikalischem  Gebiet  gemacht.  Für  Agnes  Klindworths  Be- 
ziehungen zu  Liszt  vgl.  oben  die  Einführung  S.  16  f. 

^)  Für  Lassalles  Drama  Franz  von  Sickingen  vgl.  H.  Oncken,  Lassalle,  S.  138  fT. 
Es  wurde  zuerst  1858  bei  Duncker  &  Weidling  iu  Berlin  als  Bühnenexemplar 
gedruckt. 

Mayer,   I.assAUe-Niclil.ns.   IV  12 


178  

75- 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSAIvIvK.  (Original.) 

Wildbad,  30.  August i)   [1857]. 

Liebes  Kind,  Ihren  Brief  ohne  Datum  mit  dem  schönen  Motto,^)  das 
an  mid  für  sich  ganz  richtig  ist,  d.  h.  nur  für  Männer,  habe  ich  vor 
einigen  Tagen  erhalten.  Für  Frauen  wird,  solange  unsre  jetzige  Welt 
tmd  Gesellschaftssystem  besteht,  dieses  Motto  stets  unanwendbar 
bleiben,  und  jede  Frau,  die  es  versucht,  sich  von  den  Fesseln,  die  ihr 
diese  Ordnung  ungerechterweise  auferlegt,  freizumachen,  wird  diese 
Auflehnung  stets  mit  ihrem  besten  Herzblut  bezahlen  müssen.  Dies 
ist  so  sehr  wahr,  daß  es  selbst  den  ausgezeichnetsten,  die  durch  Geist 
und  Charakter  Männer  waren  und  dies  auch  durch  ihre  Werke  der  Welt 
bewiesen  hatten,  was  bei  mir  nicht  der  Fall,  dennoch  so  ergangen  ist. 
Das  frappanteste  Beispiel  dieser  Art  ist  die  George  Sand.  Lesen  Sie 
ihre  Memoiren,  und  Sie  werden  diese  Wahrheit  auf  jeder  Seite  finden. 
Die  Frauen,  die  Sie  mir  in  Berlin  zitieren,^)  beweisen  gar  nichts  für  mich, 
und  was  diese  ungestraft,  weil  man  nicht  darauf  achtet,  tun 
können,  würde  für  mich,  wenn  ich  es  täte,  ganz  etwas  anders  sein.  Die 
einen  haben  Männer  und  sind  durch  diese  geschützt,  die  andren  haben, 
wie  die  Kalckreuth  oder  F[rau]  von  Rappard,  nie  in  der  Welt  gelebt 
oder  sind  dadurch,  daß  sie  weder  durch  ihre  Schönheit,  Geist  oder  be- 
sondre bekannte  Schicksale  Gegenstand  teils  des  Neides  der  Frauen 
oder  besondrer  Beachtung  sind,  eben  durch  die  Vergessenheit,  in  der 
sie  leben,  geschützt.  Die  Kalckreuth  ist  intim  liiert  mit  der  Fuhr  und 
zeigt  sich  überall  ungeniert  mit  ihr.  Fragen  Sie  sich  selbst,  ob  ich  das 
tun  dürfte,  mit  einer  Schauspielerin,  wenn  sie  auch  eine  gute  Reputation 
hat,  öffentlich  freundschaftlich  verkehren,  ohne  daß  der  schrecklichste 
Skandal  darüber  gemacht  würde?  Die  Kalckreuth,  Rappard  können 
auch  zu  Kroll  gehen,  ohne  daß  es  irgend  jemand  bemerkt  oder  davon 
spricht.  Von  mir  würde  den  anderen  Tag  die  ganze  Stadt  voll  sein.  Ich 
kann,  weil  ich  aus  mancherlei  Ursache  die  Aufmerksamkeit  in  einem 
Grad,  den  ich  selbst  nicht  begreifen  kann,  auf  mich  gezogen,  vieles  un- 
gestraft nicht  ttm,  was  andere  unbeachtet  tun,  und  dann  vergessen 
Sie  meine  Familie,  die,  wenn  ich  nicht  völlig  mit  ihr  brechen  will, 
auch  dafür  Sorge  trägt,  mir  es  in  dieser  Beziehung  nicht  leichter  zu 
machen  .  .  .  Daß  Sie,  wie  Sie  mir  schreiben,  jetzt  nicht  zu  mir  kommen, 
hat  mir  einerseits  gewiß  sehr  leid  getan,  denn  ich  hatte  mich  wohl 

1)  Im  Original  heißt  es:  September.  Das  ist,  wie  der  Zusammenhang  deutlich 
zeigt,  ein  Schreibfehler. 

2)  Siehe  oben  Nr.  74. 
^)  Siehe  oben  Nr.  70. 


-  ^=  179  = 

darauf  gefreut,  aber  andererseits  muß  ich  allerdings  einsehen,  daß 
Sie  recht  haben  und  daß  es  so  vernünftiger  ist.  Treffen  vSic  nur  bei 
Zeiten  alle  Schritte,  daß  einer  weiteren  Aufenthaltserlaubnis  nichts 
in  den  Weg  gelegt  wird,  und  versäumen  Sie  nichts  aus  Faulheit  oder 
weil  die  I^eute  Sie  langweilen  ... 

76. 
LASSAU.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Berlin,   2.  September   1857. 

Vous  voulez  etre  henreuse  et 
ne  savez  pas  etre  libre ! 

Meine  Gnädige!  Nicht  einen  —  sondern  drei  Briefe  mit  diesem 
Motto  habe  ich  Ihnen  bereits  geschrieben,  nämlich  zwei,  die  es,  wie 
der  jetzige,  vorn  an  der  Stirn  trugen  und  vorher  einer,  in  dem  ich  Ihnen 
diese  Devise  auseinandersetzte  und  als  das  künftige  Motto  meiner 
Briefe  annoncierte.^) 

Sie  glauben  gewiß,  mit  Ihrer  Explikation,  wie  andere  unbeachtet 
tun  dürfen,  was  Sie  nicht  ungestraft  tun  können,  wunder  wie  Wahres 
gesagt  zu  haben  —  und  haben  doch  eben  nur  recht  deuthch  die  eigene 
Schwäche  aufgedeckt,  die  Ihr  lyeben  vergiftet! 

Zunächst,  welche  ,,Strafgewalt"  hat  denn  diese  sogenannte  ,, Gesell- 
schaft"? Die  des  Gesetzes  nicht.  Und  ebensowenig  die  der  Renten- 
verkürzung gegen  eine  in  so  absolut  unabhängigen  Umständen  lebende 
Person  wie  Sie !  Also  welche  ?  Oh,  gewiß  hat  sie  eine  —  aber  nur  gegen 
solche  Personen,  die  nicht  vollständig  mit  ihr  brechen,  die  schwach 
genug  sind,  noch  an  ihr  zu  hängen,  auf  sie  zu  achten  und  sich  um  sie  zu 
kümmern.  Ja,  jede  Halbheit  trägt  —  mit  Recht  —  ihr  eigenes  Richt- 
beil in  sich!  Jede  halbe  Empörung  liefert  mit  Recht  den  die  Fessel 
noch  nachschleppenden  Sklaven  auf  die  Marterbank!  Ich  begreife  etwa, 
daß  man  noch  vor  zwanzig  Jahren  sagen  konnte:  Tritt  aber  eine  Frau 
aus  diesen  Kreisen  heraus,  so  hat  sie  gar  keine  Gesellschaft,  steht 
ganz  allein,  und  das  ist  auch  ein  Märtyrertum  wie  ein  anderes  und 
eine  Strafe  wie  eine  andere!  Gut!  Aber  jetzt  ist  das  lange  nicht  mehr 
der  Fall,  wie  ich  hier  täghch  sehe.  Bereits  haben  sich  neben  und  außer- 
halb dieser  offiziellen  ,, Gesellschaft"  dissentierende  Kreise  gebildet, 
die  sich  in  jener  Unfreiheit  nicht  wohl  fühlen  und  lachenden  Mundes 
auf  sie  verzichtet  haben.  Warum  —  imd  diese  Kreise  komponieren  sich 
also  notwendig  grade  aus  den  besseren,  tüchtigeren,  geistvolleren 
Elementen   —  können  Sie  sich    nicht  gleichfalls  mit  diesen  Kreisen 


^)  Siehe  oben  Nr.  70,  72,  74. 


i8o  

genügen  lassen?  Sie,  schreiben  Sie  z.  B.,  könnten  nicht  mit  einer  Schau- 
spielerin, so  unbescholten  sie  sei,  umgehen!  Oh,  welche  berauschende 
Milch  der  Freiheit  in  diesen  Worten  fließt,  wie  schön  sie  sind,  wie 
konsequent,  wie  menschlich,  wie  würdig  in  dem  Munde  der  [er],  die 
selbst,  und  für  die  ich,  im  Namen  des  beleidigten  Menschen  gegen  die 
Vorurteile  des  Ranges  und  Standes  in  der  bürgerlichen  Gesellschaft  die 
Fahne  erhob! 

Es  geht  Ihnen  eben  wie  den  Völkern  im  März  1848.  Sie  haben  wohl 
Ihre  äußere  Revolution  gemacht,  aber  den  Gendarmen  in  der  Brust  — 
den  haben  Sie  behalten. 

,, Solange  ich  nicht  völlig  mit  meiner  Familie  breche"  —  heißt  es  in 
Ihrem  Brief !  —  Wer  das  liest  und  die  Vergangenheit  kennt  —  muß  der 
nicht  wirklich  mit  der  Hand  an  die  Stirn  fahren  und  ausrufen :  Wie  ist 
es  möglich!  Sie  mit  der  Familie  brechen!  Umgekehrt:  diese  ganze 
Familie  hatte  ganz,  hatte  schonungslos  mit  Ihnen  gebrochen,  Sie  von 
sich  gestoßen  und  mit  Füßen  getreten,  Sie  verdammt  und  verfolgt 
zugleich  —  und  nachdem  unsere  Waffen  Ihnen  eine  freie  und  unabhängige 
Stellung  erkämpft,  betteln  Sie  sich  bei  ihr  an,  und  diese  Familie  —  hier- 
durch Ihnen  größres  Unglück  bringend  als  durch  ihre  Feindschaft  — 
erlaubt  eben,  daß  Sie  sich  schüchtern  heranschleichen,  akzeptiert  Sie 
nicht  einmal  voll  und  ganz  wie  Sie  sind,  sondern  nur  imter  der  still- 
schweigenden Bedingung  der  Entsagimg  auf  Ihr  eigenes  Leben, 
akzeptiert  Sie  auch  so  nur  wie  eine  partie  honteuse,  die  man  halb  akzep- 
tiert, halb  desavouiert,  die  man  in  den  umfriedeten  Wänden  des  eigenen 
Zimmers  ,, duldet".  Ah,  Madame!  Ah,  Madame!  Darum  ,, Räuber  und 
Mörder"!  Welche  Rolle  spielen  Sie  —  und  wie  konnte  in  Ihr  edles, 
tapferes  Gemüt  der  Geschmack  an  solcher  Entwürdigung  sich  schleichen ! 
Wieviel  größer  waren  Sie  im  Gefängnisse  zu  Köln !  ^)  Wieviel  glücklicher ! 

Welche  Inkonsequenz?  Wie  kömmt  es,  daß  Sie  nicht  einmal  Ihre 
eigenen  Gedanken,  die  Sie  in  verschiedenen  vStimmungen  haben,  zu- 
sammenbringen? Rache  atmete  Ihr  Brief  von  neulich  gegen  die  lycute, 
die  Ihnen  dies  Los  bereiten  —  und  in  Ihrem  heutigen  sind  Sie  wieder 
ganz  Pudel!  Nicht  , .brechen"  mit  der  Familie!  Die  Beziehung,  in  die 
Ihre  Familie  jetzt  zu  Ihnen  getreten  ist,  ist,  wenn  auch  selbst  ohne 
ihre  Absicht,  das  größte  Unglück  von  allem,  die  sie  Ihnen  angetan  hat ! 
Und  nicht  nur  das  größte  Unglück,  sondern  auch  die  erste  wahre  — 
Entwürdigung,  die  es  ihr  geglückt  ist,  über  Sie  zu  bringen! 

Sie  werden  sagen,  ich  bin  grausam.  Aber  Sie  leiden  nicht  allein! 
Wissen  Sie  denn,  was  ein  Mensch  wie  ich,  der  wesentlich  vom  'Geiste 
aus  seine  Eindrücke  zu  erhalten  gewohnt  ist,  leidet,  wenn  er  einerseits 


^)  Siehe  oben  Nr.  2. 


=  i8i  — 

mit  Gewalt  sich  zwingen  muß,  seinen  besten  Freund  —  nicht  gering 
zu  schätzen,  und  andrerseits  selbst  abgesehen  davon  (ließe  sich  nur 
davon  absehen !)  mit  anschauen  muß,  wie  dieser  beste  Freund,  für  dessen 
Glück  er  sein  Herzblut  verspritzt  hat,  nachdem  alle  äußeren  Bedin- 
gungen des  Glücks  erobert  sind,  nun  an  einer  —  Schimäre  zugrunde 
geht!  Denn  so  gewiß  lyOgik  und  Vernunft  ewig  ihr  gebieterisches  Recht 
behalten,  so  gewiß  ist  es,  daß  Sie  steinunglücklich  werden  müssen,  wenn 
Sie  dieser  unmöglichen  Illusion  nicht  entsagen,  von  diesem  Marter- 
holze sich  nicht  frei  machen.  Oder  vielmehr  es  ist  gewiß,  daß  Sie  seiner- 
zeit zuletzt  doch  ,, brechen"  werden  mit  diesem  widersinnigen  Bestreben, 
das  Unvereinbare  ineinander  zu  gießen;  und  doppelt  schade  ist  es  um 
die  trübe  Zwischenzeit,  die  Sie  Ihrem  lyeben  und  dem  Genüsse  desselben 
selbstquälerisch  entziehen.  Inzwischen  frage  ich  mich  traurig;  woher 
kommt  es,  daß  Sie,  die  Sie  stärker  sind  und  sein  müßten  als  andere 
Weiber,  sogar  schwächer  sind  ?  Zum  Beispiel  sogar  die  Fürstin  in  Weimar 
bedauert  weder  noch  achtet  sie  auf  die  ihr  verlorene  ,, Gesellschaft", 
und  sie  hat  sogar  eine  Tochter,^)  die  sie  ruhig  und  mit  Recht,  wie  sich 's 
gebührt,  in  ihren  eigenen  Weg  hineingerissen  hat.  Freilich  hat  sie  zum 
Glück  keine  Familie,  bei  der  sie  Aschenbrödel  spielen  könnte  .  .  .^ 


77- 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSAIvIvE.  (Original.) 

Wildbad,  7.  September  [1857], 

lyiebes  Kind,  Sie  sagen  mir,  mein  Brief  wäre  nicht  mit  Wärme  ge- 
schrieben. Ihre  Antwort  ist  es  gewiß  nicht.  Sie  ist  gereizt  und  warum? 
Weil  ich  meine  Stellung  keine  glückliche  finde?  Ntm,  daß  sie  es  wirk- 
lich nicht  ist,  darin  werden  mir  wohl  mehr  Leute  beipflichten  als  Ihnen. 
Und  überdies,  wenn  ein  Freund  Grund  zu  haben  auch  nur  glaubt, 
sich  nicht  glücklich  zu  fühlen,  so  sind  es  nicht  bittere  Reden,  die  ihm 
diesen  Glauben  benehmen  oder  ihn  darüber  trösten  können.  Überdies 
ist  Ihr  Brief  ungerecht,  denn  Sie  selbst  haben  mir  zu  einer  Annäherung 
mit  meiner  Familie  geraten.  Als  ich  auf  den  zweiten  Brief  Alfreds^) 
gleich  nach  dem  Vergleich  sofort  wieder  mit  ihm  brechen  wollte,  waren 
Sie  es,  die  mich  davon  abhielten  und  mir  sagten,  ich  sollte  es  noch 
versuchen,  imd  mich  darauf  aufmerksam  machten,  daß  Sie,  der  einzige 


^)  I^assalle   denkt   hier    an    die    Fürstin    Wittgenstein ,    die    Freundin    Franz 
Iviszts.     Siehe  oben  S.  177. 

2)   Graf  Alfred  von  Hatzfeldt  (1825 — 191 1),  der  älteste  Sehn  der  Gräfin. 


l82  

Mensch,  den  ich  hätte,  noch  andere  Pflichten  und  Zwecke  hätten,  die  Sie 
unter  gewissen  Verhältnissen  von  mir  entfernt  halten  könnten,  und  wie 
ganz  allein  ich  dann  sein  würde.  Nun  ist  es  aber  doch  ganz  widersinnig, 
anzimehmen,  daß  Leute,  vorzüglich  die  sich  so  nahe  stehen,  in  irgend- 
einem noch  so  förmlichen  Verhältnis  zueinander  bleiben  können,  wenn 
Sie  ihren  gegenseitigen  Ideen  immerwährend  ohne  Rücksicht  ins  Ge- 
sicht schlagen.  Es  gibt  dann  kein  Mittel  als  Schonung  und  Konzessionen 
oder  sofortiger  Bruch,  und  daß  jetzt  ein  erneuerter  Bruch  für  mich 
sowohl  schmerzlich  wegen  Paul,  der  sich  darüber  sehr  unglücklich 
fühlen  würde,  als  auch  sogar  ungerechtfertigt  sein  würde,  da  das, 
worüber  ich  mich  beklage,  doch  keine  Fakta  sind,  läßt  sich  doch  nicht 
leugnen  .  .  .  Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  seien  Sie  nicht  so  scharf 
gegen  mich,  bedenken  Sie,  daß  ich  eine  Frau,  die  nicht  mehr  die  Kraft 
und  Frische  der  Jugend  hat,  daß  ich  viel  gelitten  und  daß  man  von 
einer  Frau  überhaupt  nicht  dieselbe  Konsequenz  und  Schärfe,  vorzüg- 
lich in  Sachen,  wo  das  Gefühl  mit  im  Spiel  ist,  fordern  kann.  Daß  meine 
Briefe  an  vSie  nicht  mit  derselben  Wärme  und  Freundschaft  geschrieben 
wären,  ist  eine  Torheit.  Meine  Gefühle  wie  meine  Gesinnungen  für  Sie 
können  sich  ja  niemals  ändern,  das  wissen  Sie  auch  so  gut  wie  ich.  Die 
besten  imd  herzlichsten  Grüße.  ^) 


78. 

IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Berlin,  Sonnabend,  12.  September  [1857]. 

.  .  .  Mir  ist  meine  kleine  Fernande  gestorben,  wie  ich  vor  wenigen 
Tagen  aus  einem  verzweifelten  Brief  ihrer  Mutter  erfahren  habe.  Die 
arme  Agnes  hat  doch  Unglück.-)  Vor  wenigen  Wochen  hat  Georg  den 
Arm  gebrochen.  Es  tut  mir  übrigens  recht  leid  um  die  kleine  Fernande. 
Ich  wollte  ein  Erziehungsmeisterstück  an  dem  Mädchen  machen.  Muß 
also  warten,  bis  ich  irgendwoher  eine  andere  bekomme.  Armes  kleines 
Kind.  Es  starb  am  Zahnen.  Tut  es  Ihnen  nicht  auch  leid?  Es  hätte 
Ihnen  vielleicht  mal  mehr  vSpaß  gemacht  als  Ihre  Kinder!  Nun  adieu 
mit  Goethes  Worten:  „Doch  der  Boden  zeugt  sie  wieder"  usw.  usw. 


^)   Die  Gräfin  läßt  hier  wie  auch  manchmal  sonst  die  Unterschrift  fort. 

2)  Das  Töchterchen,  das  aus  Lassalles  Beziehungen  zu  Agnes  Klindworth- 
Street  hervorgegangen  war.  Vgl.  hierzu  oben  die  Einführung  S.  18.  Der  Brief 
der  Agnes  liegt  vor.  Er  klingt  nicht  ganz  so  ,, verzweifelt",  wie  Lassalle  ihn  auf- 
faßte.   Vor  allem  verlangte  sie  Geld  für  die  Bestattung. 


^  183  - 

79- 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  I.ASSAivLE.  (Original.) 

22.  September  [1857]. 

Liebes,  gutes  Kind.  Endlich  habe  ich  Ihren  Brief  erhalten,  der  mir, 
ich  weiß  nicht  warum,  nach  Baden,  wo  ich  nur  wenige  Tage  gewesen, 
nachgeschickt  worden  war.  Ich  war  wirklich  ganz  traurig,  nichts  von 
Ihnen  zu  hören,  und  fürchtete  schon,  Sie  wären  krank,  oder  es  wäre 
Ihnen  ganz  etwas  Besonderes  passiert.  Ich  kann  Ihnen  versichern,  daß 
es  mir  wirklich  recht  leid  tut,  daß  das  arme  kleine  Kind  gestorben,  für 
Sie  und  auch  für  mich;  später,  wenn  ich  so  alt,  daß  die  absurdeste 
Dummheit  mich  vergessen  und  in  Ruhe  gelassen  hätte,  wäre  sie  auch 
ein  Interesse  für  mich  gewesen.  Sie  sehen  übrigens  an  dem  Schmerz 
um  ein  ganz  kleines  mid  nie  gesehenes  Kind,  welch  sonderbare  Sache 
es  mit  der  Elternliebe  ist;  tmd  nun  denken  Sie  sich  ein  Kind,  mit  dem 
man  achtzehn  Jahre  lang  mit  jeder  Fiber  des  Herzens  zusammen- 
gewachsen ist,  und  »Sie  werden  begreifen,  daß  das  Herz  einer  Mutter, 
das  noch  ganz  anders  fühlt,  brechen  könnte,  wenn  man  sich  dies  Gefühl 
herausreißen  soll.  Ich  könnte  es  nicht,  darum  haben  Sie  Mitleid  mit 
mir,  versuchen  Sie  nicht,  mir  gewaltsam  die  Augen  zu  öffnen,  die  ich 
krampfhaft  zumache.  Ich  will  nicht  sehen,  was  ich,  wenn  ich  es  mir 
völlig  eingestehen  müßte,  nicht  ertragen  könnte.  Je  mehr  ich  darüber 
denke,  je  mehr  leid  tut  mir  der  Tod  Ihrer  Kleinen,  gewiß  wäre  sie  mir 
noch  eine  Freude  gewesen,  ich,  die  ich  mich  so  sehr  an  Kinder  attachiere ; 
doch  ich  habe  einmal  kein  Glück  und  darf  keine  Freude  haben.  Ihr 
Vater  schreibt  mir,  daß  er  bald  nach  Berlin  kommt,  versäumen  Sie  es 
ja  nicht,  daß  während  der  Zeit  alles  getan  wird,  um  Ihren  Aufenthalt 
zu  sichern.  Sie  schreiben  mir  gar  nicht,  wie  es  mit  Ihren  Augen  ist,  wie 
weit  der  Heraklit  ist.  Ich  würde  ihn  aber  an  Ihrer  Stelle  nicht  völlig 
erscheinen  lassen  vor  Ablauf  Ihres  Aufenthalttermines  in  Berlin  .  .  . 
Nun  leben  Sie  recht  herzlich  wohl,  liebes  Kind,  schreiben  Sie  mir 
recht  bald,  gut,  freundschaftlich,  vor  allem  nachsichtig,  verlangen 
Sie  nicht  mehr  Stärke  von  mir,  als  ich  habe,  Sie  würden  es  nur  um 
den  Preis  des  letzten  Restes  von  Laune,  Gesundheit  und  Fähigkeit  zum 

Glück  durchsetzen  können,  und  das  wollen  Sie  ja  doch  gewiß  nicht. 

Adressieren  Sie  immer  hierher;  wenn  ich  abreise,  wird  es  nachgeschickt. 
Tausend  herzlichste  Grüße. i) 


1)  Ebenfalls  ohne  Unterschrift.  Noch  am  22.  Oktober  beschwerte  sich  übrigens 
Lassalle  bei  der  Gräfin,  daß  sie  ihn  nun  schon  drei  Wochen  ohne  Nachricht 
ließ.  ,,Die  Bekümmernisse,  die  ich  diesmal  empfand,  kann  und  mag  ich  lhne:\ 
nicht  beschreiben." 


============  i84  =========== 

80. 

SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSAlvLE.  (Original.) 

Baden,   19.  Oktober  [1857]. 

Liebes  Kind,  es  ist  wahrlich  recht  sehr  unrecht,  mich  so  ohne  alle 
Nachricht  zu  lassen.  Ich  hatte  Sie  doch  so  sehr  gebeten,  mir  oft  zu 
schreiben  und  gut.  Soviel  können  Sie  doch  nicht  zu  tun  haben,  daß 
Sie  nicht  schreiben  können,  oder  beschäftigt  Sie  die  Krankheit  des 
Königs  auch  so  sehr  wie  die  andren  Leute,  denn  seit  der  Zeit  bekomme 
ich  von  Berlin  von  keinem  Menschen  mehr  Antwort.  Den  Brief  mit  den 
Details  über  Ihre  Aufenthaltsangelegenheiten,  den  Sie  mir  annoncierten, 
habe  ich  auch  gar  nicht  erhalten,  so  daß  ich  gar  nicht  einmal  weiß,  wie 
es  damit  steht,  was  mich  sehr  beunruhigt.  Daß  Sie  noch  in  Berlin  sind, 
glaube  ich  zwar  gewiß,  denn  das  hatten  Sie  mir  doch  wenigstens  ge- 
schrieben. Ich  hätte  nie  nötiger  gehabt  als  jetzt,  oft  recht  freund- 
schaftliche Briefe  zu  bekommen.  Denn  ich  habe  einen  Spleen,  daß 
ich  am  liebsten  sterben  möchte ;  ich  habe,  wie  es  scheint,  zu  viel  Bäder 
in  Wildbad  genommen  und  bin  entsetzlich  angegriffen,  tmd  die  Trauben- 
kur, die  mir  täglich  ein  paar  Stunden  nimmt,  ennuyiert  tmd  fatigiert 
mich  so  sehr,  daß  ich  es  bald  nicht  mehr  aushalten  kann.  Ich  habe  Paul 
zehn  Tage  lang  alle  Tage  erwartet,  und  jetzt  schreibt  er  mir  mit  einem 
Mal,  daß  er  nicht  kommt.  Mein  Neffe  ^)  ist  hier  viel  kränker  geworden, 
was  seine  stete  Gesellschaft  nicht  aufheiternder  macht,  und  tausend 
andre  Gründe,  die  auf  solchen  Reisen  ganz  deprimierend  auf  mich 
wirken,  haben  mich  in  einen  Zustand  versetzt,  wo  ich  wirklich  ganz 
stupid  bin  und  gar  nichts  tue  als  rauchen,  Romane  lesen  und  zum  Zeit- 
vertreib mich  über  mich  selbst  attendriere  und  weinen.  Und  nun  schrei- 
ben Sie  mir  auch  nicht  und  vergessen  mich  ganz,  wie  es  scheint.  Sie 
werden  sagen,  warum  ich  denn  nicht  öfter  und  längst  wieder  geschrieben. 
Weil  ich  in  solchen  Stimmungen,  die  ich  nie  so  arg  gehabt,  mich  zum 
Schreiben  nicht  entschließen  kann.  Ich  bin,  als  wenn  man  mich  vor 
den  Kopf  geschlagen  hätte,  und  es  kostet  mir  in  diesem  Augenblick 
die  größte  Überwindung,  zu  schreiben,  und  wenn  ich  nicht  so  gern 
einen  Brief  von  Ihnen  hätte,  hätte  ich  mich  gar  nicht  entschlossen. 
Meine  Geschäfte  sogar  interessieren  mich  nicht  mehr.  Ich  möchte  gern 
zwar  nach  Hause,  aber  die  Anstrengung,  mich  zu  deplacieren,  ist  zu 
groß.  Ich  werde  aber  doch  jetzt  sehr  bald  fort.  Von  Klara  habe  ich 
auch  lange  keine  Nachricht,  die  letzten  waren  schlecht.  Paul  weiß 
ich  gar  nicht,  wo  er  ist,  er  hat  mir  nur  telegraphiert,  daß  er  nicht  kommen 

1)  Die  Gräfin  pflegte  einen  jungen  Freiherrn  von  L,oe,  ihren  Neffen,  den  Sohn 
ihrer  früh  verstorbenen  nächstälteren  Schwester  Helene. 


=======================  i85  

kann.  Alles  vergißt  mich,  ich  könnte  sterben,  ohne  daß  einer  es  wüßte. 
Nun  adieu,  liebes  Kind,  bitte,  bitte  antworten  Sie  gleich,  Sie  glauben 
nicht,  wie  sehr  es  mich  freuen  wird.  Sagen  Sie  mir,  ob  Sie  meine  Briefe 
bekommen;  im  letzten  schrieb  ich  Ihnen  über  Agnes  und  frug  Sic,  ob 
ich  Ihnen  den  Brief,  der  mir  diese  schlimmen  Details  sagt,  schicken 
sollte.  Tausend  herzliche  Grüße,  schreiben  Sie  schnell  und  vergessen 
mich  nicht  ganz  über  Ihre[n]  Beschäftigungen  und  Vergnügungen. 


8i. 
LASSAI.I.K  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin]   Dienstag,    17.  November   1857  [beendet  Freitag,   20.  November]. 

.  .  .  Was  mein  persönliches  oder  eigentlich  körperliches  Befinden 
anlangt,  so  ist  es  mir  seit  meinem  letzten  langen  rekommandierten 
Brief,  den  ich  nach  Baden  sandte  (Sie  haben  ihn  doch  erhalten?),  fort- 
gesetzt sehr  schlecht  gegangen  .  .  .  Aber  es  kömmt  mir  überhaupt  vor, 
als  dränge  und  treibe  eine  große  Krankheit  in  mir,  die  nächstens  irgend- 
wie einen  Ausweg  suchen  werde.  Habeat  sibi. 

Klingt  dies  schlecht  genug,  so  wird  es  doch  dreimal  voll  aufgewogen 
durch  die  übermütig  glänzenden  Nachrichten  aus  einer  anderen  Sphäre, 
die  ich  mich  jetzt  anschicke,  Ihnen  zu  geben.  Die  kühnsten  Flüge  meiner 
Phantasie  sind  noch  weitaus  übertroffen  worden! 

Am  4.  bekam  ich  die  ersten  Autorenexemplare  meines  Heraklit.  Die 
Auflage  selbst  ist  erst  vorgestern,  am  15.,  vom  Broschieren  zurück- 
gekommen. Am  4.  schickte  ich  Varnhagen  aus  Höflichkeit,  am  5.  an 
Böckh  und  I^epsius,  am  7.  an  Humboldt  und  Johann  Schulze  ein 
Exemplar. 

Am  6.  erhielt  ich  beifolgenden  Brief  Vamhagens,^)  der  zwar  gar  nichts 
beweist,  weil  Varnhagen  kein  Kenner  solcher  Materien  ist,  den  ich  Ihnen 
aber  der  Vollständigkeit  wegen  und  weil  er  so  hübsch  geschrieben  ist, 
beilege. 

Ich  selbst  dachte  an  weiter  nichts  .  .  .  Aber  schon  am  10.  lief  der 
abschrif thch  beigelegte  wirklich  wunderbare  Brief  Böckhs  ^)  ein !  Böckh, 
müssen  Sie  wissen,  ist  nicht,  wie  Humboldt,  ein  Mann,  der  freigebig  ist 
mit  lyob;  er  ist  der  strengste  lobkargste  Urteiler,  den  es  gibt,  und  dafür 
bekannt.  Es  gereicht  mir  wirklich  zur  aufrichtigen  Herzensfreude  und 
Genugtuimg,  Ihnen  gegenwärtigen  Brief  schreiben  zu  können.  Urteile 


^)  Der  Brief  liegt  nicht  vor. 
2)  Vgl.  Bd.  II,  Nr.  59,  S.  131. 


=^i86  = 

wie  „umfassendste  Gelehrsamkeit",  ,,ein  Werk  einzig  in  seiner  Art", 
,,ich  kenne  kein  Werk,  welches  wie  das  Ihrige"  usw.  usw.  usw.  — solche 
Urteile  beweisen  etwas  in  dem  Mimde  eines  Böckh,  der  fünfzig  Jahre 
Lektüre  vor  mir  voraus  hat,  ja  sie  sind  wahrhaft  unerhört  bei  ihm. 
Erinnern  Sie  sich,  meine  Gnädigste,  wie  Sie  selbst  oft  bangten  und 
zagten,  wenn  ich  mich  mit  solcher  wagehalsigen  Revolutionswut,  alles 
Akzeptierte  umschmeißend,  auf  die  rein  gelehrt-philologischen  Fragen 
einließ?  Sie  warnten  mich  wohl  manchmal  davor,  ermahnten  mich, 
mich  mit  der  philosophischen  Seite  zu  begnügen.  Aber  ich  hatte  meinen 
Ehrgeiz  grade  da  hineingesetzt,  beide  Seiten  gleich  vollständig,  ja  die 
philologische  mit  noch  größerer  Ausführlichkeit  und  Gründlichkeit  zu 
erschöpfen.  Gleichwohl  sah  auch  ich  getrost  der  Anerkennung  der 
Philosophen,  auch  jener  von  der  spekulativen  Richtung  der  Philologen, 
entgegen;  von  der  kritischen  Richtung  der  Philologie  fürchtete  ich 
selbst  aber  gar  hartnäckig-ungestümen  Widerspruch  an  jenen  zahl- 
reichen Punkten,  wo  ich  alle  bisher  in  der  Wissenschaft  angenommenen 
Sätze  so  unerbittlich  und  von  Grund  aus  angegriffen  hatte!  Und  nun 
kommt  grade  der  Chef  dieser  kritischen  Richtung,  August  Böckh,  zuerst 
das  Buch  mit  solchem  Lobe  und  solcher  Zustimmung  bedeckend.  Zu 
den  drei  Punkten,  die  Böckh  bei  mir  laut  seinem  Brief  gelesen  hat  und 
die  er  beurteilt,  gehört  meine  Erörterung  über  die  von  mir  zuerst  Heraklit 
vindizierte  Sprachphilosophie  (oder  was  damit  identisch  ist,  die  Dis- 
kussion über  den  Kratylos  des  Plato  in  meinem  Werke).  Wenn  Sie  sich 
•  der  Sache  noch  erinnern,  so  hatte  ich  für  diese  so  hochwichtige  Disziplin, 
die  ich  für  Heraklit  in  Anspruch  nahm,  nicht  ein  einziges  direktes  Zeug- 
nis; ich  mußte  alles  mosaikartig  kombinieren.  Dies  wäre  schon  Grund 
genug  gewesen,  sich  auf  leidenschaftlichen  Widerspruch  der  kritischen 
Philologen  gefaßt  machen  zu  müssen.  Aber  damit  nicht  genug.  Ich 
mußte  zum  Zwecke  dieser  meiner  Theorie  über  die  Heraklitische  Sprach- 
philosophie auch  die  Behauptung  aufstellen,  daß  die  ganze  gelehrte 
Welt  bisher  den  platonischen  Kratylos  von  Grund  aus  mißverstanden 
habe.  (Böckh  selbst  hatte  gelegentlich  über  den  Kratylos  geschrieben.) 
Es  war  also  natürlich,  wenn  ich  voraussetzte,  daß  man  sich  solche  Dinge 
von  einem  homo  novus  nicht  leicht  sagen  lassen  würde.  Und  nun  kommt 
Böckh  und  nennt  u.  a.  grade  diese  Ausführung  ,,im  höchsten  Grade  be- 
friedigend" und  ,, vollkommen  überzeugend  und  lichtvoll".  —  Dies 
ist  der  erste  immense  sachliche  Triumph. 

Am  13.  kam  angestürzt  im  Sturm  der  Liebe  und  im  Drang  seines 
Herzens,  den  Mund  voll  von  Adoration,  Johannes  Schulze,  um  mir  seine 
Honneurs  zu  machen.  Selbst  Varnhagen  sagte  mir,  daß  dies  sehr  viel 
von  ihm  gewesen  sei.  Denn  Sie  wissen,  er  ist  nicht  nur  Wirklicher  Ge- 
heimer Oberregierungsrat,  sondern  Direktor  im  Kultusministerium,  der 


====:^=^    187    ^======== 

erste  nach  Räumer,^)  und  es  ist  daher  keine  Kleinigkeit  für  ihn,  einem  so 
verrufenen  ,, Roten"  wie  ich  zuerst  seine  Aufwartung  zu  machen.  Aber 
Sie  wissen,  er  ist  ein  leidenschafthchcr  Hegelianer,  Hegels  ältester 
Freimd.  Es  hatte  ihm  zu  wohl  getan,  zu  sehen,  wie  die  Hegeische  Philo- 
sophie, die  auch  hier  sehr  in  Verfall  gekommen  ist,  von  neuen  Händen 
so  auf  einmal  durch  ganze  Disziplinen,  Mythologien,  Philologien  usw. 
durchgeführt  wird.  Was  erzählte  er  mir  nicht  alles  für  interessante 
Dinge.  Als  fürchte  er,  ich  würde  eine  Professur  von  ihm  begehren,  fing 
er  an,  zu  klagen  über  den  Haß  des  Ministers  gegen  die  Philosophie  und 
die  Hegelei  insbesondere,  über  seine  Einflußlosigkeit  usw.  Er  blieb  eine 
volle  Stimde  bei  mir,  bat  mich  auf  das  herzhchste,  zu  ihm  zu  kommen, 
versprach  wiederzukommen  usw. 

Schon  am  12.  hatte  sich  am  Ende  der  Sitzimg  der  Akademie  Lepsius 
Pritzel  genähert  (zufällig  hatte  ihm  dieser  acht  Tage  vorher  erzählt, 
daß  er  mein  Freund  sei)  und  angefangen,  ihn  über  mich  auszuholen, 
sowie  seiner  Bewunderung  über  das  Werk  lyuft  zu  machen.  ,, Sagen  Sie," 
rückte  er  endlich  heraus,  ,,ist  das  derselbe  Ivassalle  aus  dem  Hatzfeldt- 
Prozeß?"  —  ,,Ja  gewiß,"  sagte  Pritzel,  ,,er  hat  ja  auch  in  der  Vorrede 
eine  Hindeutung  darauf  gemacht.  Haben  Sie  die  nicht  gefunden?"  — 
,, Jawohl,"  replizierte  Lepsius,  ,,ich  habe  es  mir  auch  so  ausgelegt,  ich 
wollte  nur  meiner  Sache  sicher  sein." 

Am  14.  großer  Sturm  auf  der  gelehrten  Börse,  wie  man  hier  ein 
Zimmer  in  der  Bibliothek  nennt,  wo  die  Gelehrten  sich  vormittags  ge- 
wöhnlich zusammenfinden.  Professor  Gerhard, -)  der  große  Mythologe. 
die  Dozenten  Piper  ^)  imd  Helferich,^)  Professor  Haupt  ^)  kamen  an, 
stürmisch  nach  dem  Buch  verlangend.  Böckh  und  Lepsius  hatten  näm- 
lich bereits  meinen  Ruhm  zu  kolportieren  angefangen.  Natürlich  war 
das  Buch  noch  nicht  da.  Man  forschte  mm,  wo  ich  gearbeitet  hatte, 
jeder  wunderte  sich,  mich  nicht  in  den  Arbeitsräumen  der  Bibliothek 
gesehen  zu  haben,  man  schlug  die  lyiste  der  Bibliotheksbesucher  nach, 
fand  mich  nicht;  endhch  ergab  sich  durch  eines  Kustoden  Geschwätz, 
daß  Pritzel  die  Bücher  auf  seinen  Namen  genommen   und  mir  nach 


1)  Karl  Otto  von  Raumer  (1805 — 1859),  war  von  1850  bis  1858  preußischer 
Unterrichtsminister. 

2)  Eduard  Gerhard  (1795 — 1867),  Archäologe,  Schüler  Böckhs,  seit  1844 
ordentlicher  Professor  an  der  Universität  Berlin. 

3)  Ferdinand  Piper  (181 1 — 1889)  war  Direktor  des  christlich-archäologischen 
Museums  der  Universität. 

■*)  Adolf  Helferich  (18 13 — 1894)  war  seit  1842  als  Privatdozent  für  Philosophie 
habilitiert. 

^)  Moritz  Haupt  (1808 — 1874),  der  bekannte  klassische  Philologe  und  Ger- 
manist, wirkte  seit  1853  als  Fachmanns  Nachfolger  als  ordentlicher  Professor  an 
der  Berliner  Universität. 


=  i88  = 

Hause  geschickt  habe.  Und  die  Sache  schloß  mit  einer  heitern  Nase, 
die  der  Oberbibliothekar  Pertz^)  an  Pritzel  über  seine  Verletzung  des 
Reglements  erteilte. 

Am  15.  endlich  kam  der  abschriftlich  beifolgende  Brief  ^)  von  Lep- 
sius  an.  ,,Ist  er  wirklich  so  rot,  wie  man  sagt?"  hatte  der  politisch  so 
ängstliche  Mann  in  bezug  auf  mich  gefragt.  ,, Blutrot,"  hatte  Pritzel 
lachend  geantwortet.  Aber  das  alles  konnte  den  Enthusiasmus  des 
Gelehrten  nicht  überwinden. 

Ivcpsius  hatte  wieder  grade  unter  anderem  meine  Ausführungen  über 
die  iujivQCoois  und  änoKäOraöig  gelesen.  Sie  erinnern  sich  vielleicht, 
daß  dies  wiederum  eine  Partie  war,  für  die  ich  kein  einziges  direktes 
Zeugnis  hatte,  ja  daß  ich,  um  meine  Theorie  über  die  iKTtvQOJöig  zu 
etablieren,  der  gelehrten  Welt  grade  ins  Gesicht  sagen  miißte,  drei  bis 
vier  Stellen  des  Aristoteles,  zwei  der  wichtigsten  Teile  des  platoni- 
schen Timaeus  imd  Politicus  und  die  gesamte  stoische  Philosophie  total 
mißverstanden  zu  haben! 

Und  wieder  ist  es  dem  Homo  ignotus  geglückt,  auch  diese  Ansicht 
sofort  zur  Anerkennung  zu  bringen.  lycpsius  pflichtet,  wie  Sie  sehen, 
meiner  Theorie  der,  wie  er  mit  mir  sagt,  ,,so  allgemein  mißverstandenen 
injivQCdOts  und  änoKäoraaig"  vollkommen  bei. 

Dies  ist  der  zweite  große  sachliche  Triumph,  und  berücksichtigen 
Sie,  daß  beide  Fragen  —  diese  und  die  über  die  Sprachphilosophie  —  zu 
den  allerschwierigsten  tmd  dunkelsten  Problemen  des  gesamten  Alter- 
tums gehören,  so  werden  Sie  mir  zugeben,  daß  ich  einigermaßen  stolz 
daratif  sein  kann. 

Der  dritte  überaus  große  sachliche  Triumph  ist  der,  daß  Lepsius  und 
Böckh  übereinstimmend  (bei  Böckh  ist  sein  Urteil  darin  enthalten, 
was  er  über  den  Parsismus  Heraklits  und  dann  über  die  yÄööOat  sagt) 
meine  L,ösung  über  das  Problem  des  Zusammenhangs  der  jonischen 
Philosophie  mit  den  orientalischen  Religionen  als  die  richtige  anerkennen ! 
Seit  hundertfünfzig  Jahren  bewegt  und  erbittert  diese  Streitfrage  die 
gelehrte  Welt,  und  bei  der  Zustimmung,  die  jetzt  meine  Lösung  bei 
Lepsius  und  besonders  bei  dem  darin  gleichfalls  so  kritisch  vorsichtigen 
Böckh  gefunden  hat,  kann  ich  jetzt  wohl  mit  Fug  dies  ,,alte  Problem" 
als  endlich  entschieden  und  gelöst  betrachten. 

So  bin  ich  denn  wie  durch  einen  Coup  de  baguette  über  Nacht  zu 
einer  großen  gelehrten  Autorität,  zu  einem  von  Böckh  und  lycpsius 
auf  dem  Fuße  der  Parität  und  ,,  Kollegiah  tat"  behandelten  Manne  ge- 


1)  Georg  Heinrich  Pertz  (1795 — 1876),  der  Historiker  und  Leiter  der  Heraus- 
gabe der  Monumenta  Germanica,  war  seit  1842  Oberbibliothekar  an  der  BerHner 
Königlichen  Bibliothek. 

2)  Abgedruckt  in  Bd.  II,  S.  133,  Nr.  61. 


=z=z=^=^==     189    .^=^======= 

worden,  während  mein  Buch  noch  nicht  einmal  angezeigt,  noch  nicht 
einmal  an  die  Buchhändler  versendet  worden  ist.  Sie  werden  mir  gern 
zugeben,  daß  wir  beide  einen  derartigen  Erfolg  auch  nicht  einmal  ge- 
hofft haben. 

Die  Briefe,  die  ich  Ihnen  abschriftlich  sende,  zeigen  Sie  niemand  als 
an  Bloem  und  Kiclmiawy  und  Evelt,  die  einzigen  Menschen,  die  sich 
dort  für  mich  interessiert  haben;  lassen  sie  aber  durchaus  nicht  von 
Pontius  zu  Pilatus  wandern,  schicken  sie  mir  vielmehr  sofort  zurück. 
Den  entsetzlichsten  Streich  würden  Sie  mir  spielen,  wenn  etwa  in 
irgendeiner  Zeitung  irgend  etwas  davon  erschiene.  Das  darf  durchaus 
nicht  sein.  Und  darum  zeigen  Sie  sie  auch  lieber  Evelt  nicht  —  hören 
Sie?  nicht  —  weil  er  gar  zu  leicht  sich  hinreißen  lassen  könnte,  in 
irgendeiner  Wendung  etwas  davon  in  ein  Blatt  zu  bringen.  Das  könnte 
ich  hier  viel  besser  haben,  das  darf  aber  durchaus  nicht  sein. 
Ich  binde  es  Ihnen   auf  die  Seele. 

Nur  Humboldt  —  er  ist  in  Potsdam  —  hat  noch  nichts  von  sich 
hören  lassen,  tmd  ich  betrachte  grade  das  für  ein  überaus  gutes  Zeichen. 
Der  ,, allgemeine  Briefsteller",  wie  man  ihn  hier  nennt,  scheint  sich  erst 
durchlesen  zu  wollen  vmd  wird  wohl  grade  dann,  zumal  wenn  er  von 
dem  Geschrei  erfährt,  das  die  andern  machen,  sich  ganz  besonders  an- 
strengen wollen. 

Soviel  von  meinem  Erfolg!  Verzeihen  Sie,  wenn  ich  etwas  stolz  und 
ruhmredig  geschrieben  habe.  Sie  sind  ja  die  einzige  Person,  der  gegen- 
über ich  mich  gern  rühme. 

Wie  Sie  wissen,  hat  jeder  persönliche  Erfolg  für  mich  nur  dann 
einen  Wert,  wenn  er  auf  irgendeine  Weise  mit  Ihnen  in  Verbindung 
steht.  —  Dies  ist  nun  bei  dem  Heraklit  hinreichend  der  Fall.  Jeder 
Mensch  sagt:  ,,Wenn  dieser  Mensch  ein  so  ausgezeichnetes  Werk  zehn 
Jahre  imediert  lassen  konnte  (mid  wie  Sie  aus  Böckhs  Schreiben  sehen, 
erinnert  er  sich  merkwürdigerweise,  obgleich  ich  in  meinem  Geleit- 
schreiben an  ihn  nichts  davon  erwähnte,  daß  ich  ihm  1844  von  der 
Sache  schon  sprach)  um  dieser  Frau  willen,  was  muß  das  für  eine  wunder- 
bare Frau  sein!"  Ohnehin  mache  ich  hier  mit  meinen  Kölner  Assisen- 
reden  bei  Herren  und  besonders  Damen  Propaganda  für  Sie.  Vor  acht 
Tagen  erst  gab  ich  eine  an  Varnhagens  Nichte  ^)  und  hatte  dann  von 
ihr  wie  Varnhagen  die  schmeichelhaftesten  Dinge  darüber  zu  hören.  — 

Aber  den  Erfolg  Heraklits  wollte  ich  noch  in  einer  andern  Ihnen 
angenehmen  Weise  ausbeuten.  Es  ist  mir  wohl  erinnerlich  geblieben, 
wie  sehr  Sie  wünschen,  daß  ich  viel  Damen  aus  guter  Gesellschaft  bei 
mir  sehe.  Das  ist  nun  schon  die  ganze  Zeit  über  der  Fall  gewesen.  Aber 


^)  Ludmilla  Assing. 


=  igo  = 

um  einen  grand  coup  social  zu  schlagen,  wartete  ich  klüglich  ab,  bis 
mir  Heraklit  die  Wege  gebahnt  haben  würde!  Ein  solcher  grand  coup 
social  war  es  bei  den  hiesigen  Verhältnissen,  wenn  ich  den  alten  vor- 
nehmen, mit  Orden  bedeckten  Varnhagen  veranlassen  konnte,  seine 
Nichte  zu  mir  zu  bringen.  War  das  der  Fall,  so  genierte  sich  keine  Dame 
mehr  in  Berlin.  Ich  wartete  also.  I^etzten  Sonnabend  hatte  Varnhagen 
gehört,  daß  ich  krank  sei,  und  kam  zu  mir  gelaufen,  traf  mich  aber 
nicht,  da  ich  schon  aus  war.  Abends  aber  ging  ich  zu  ihm,  sagte  ihm, 
daß  ich,  um  mich  für  meine  ausgestandene  Mühe  und  Arbeit  zu  be- 
lohnen, nächstens  einmal  meine  Freimde  und  Freundinnen  bei  mir 
versammeln  wollte,  und  bat  um  seine  Gegenwart.  Kaum  hatte  er  zu- 
gesagt, als  ich  fortfuhr:  ,,Aber  verstehen  Sie  mich  recht,  ich  rechne 
darauf,  daß  Sie  mir  Ihre  Nichte  mitbringen."  Der  feine  Mann  lächelte 
so  schlau,  daß  es  evident  war,  er  durchschaute  sofort,  worauf  es  mir 
ankam.  Aber  Heraklit  warf  seinen  Schatten  über  mich.  ,,Was  für  Damen 
werden  Sie  bei  sich  sehen?"  fragte  er.  Ich  gab  ihm  meine  leiste  (Frau 
von  Rappard,  Frau  Dr.  Dohm,  Madame  lyina  Duncker,  Fräulein  Fuhr). 
Er  verbeugte  sich  sehr  graziös  und  akzeptierte  sofort.  Um  ihn  unrettbar 
gebunden  zu  haben,  ließ  ich  von  ihm  den  Tag  bestimmen,  nächsten 
Sonntag,  dann  lief  ich  noch  zu  seiner  Nichte  Fräulein  Ludmilla  hinüber, 
machte  es  auch  mit  ihr  ab,  und  so  wird  denn  Sonntag  abend  dies  Souper, 
mein  grand  coup  social,  verlaufen. 

Böckh  und  Lepsius  werde  ich  diese  Woche  meinen  Besuch 
machen. 

Soviel  für  heut.  —  Ich  denke  nur  an  Sie,  beziehe  alles  nur  auf  Sie, 
achte  und  schätze  alles  nur,  insofern  es  sich  mit  Ihnen  kombiniert.^) 
Sie  aber  sind  ein  Herz  wie  alle  Alltagsherzen !  Sie  haben  mich  vergessen, 
haben  sich  mir  entfremden  lassen  durch  eine  kurze  Trennung,  mir,  den 
keine  Macht  der  Erde  und  keine  Zeit  Ihnen  entfremden  konnte!  Pfui, 
schämen  Sie  sich!  Seit  über  einundzwanzig  Tagen  haben  Sie  mir  wieder 
nicht  geschrieben.  Das  wäre  nicht  möglich,  wenn  Sie  mir  nicht  ent- 
fremdet wären.  Das  weiß  und  fühle  ich  sehr  wohl,  und  alle  gegenteiligen 
Protestationen  werden  nicht  dagegen  bei  mir  aufkommen.  Bei  so  langem 
Schweigen  muß  jeder  innere  Zusammenhang  zwischen  den  Menschen 
aufhören.  Nun,  wenn  Sie  es  wollen,  hindern  kann  ich  es  nicht.  Aber 
davon  durchdringen  Sie  sich,  wenn  Sie  mich  je  wieder  so  lange  auf  einen 
Brief  warten  lassen,  wie  jetzt  unmittelbar  hintereinander  zum  zweiten- 
mal, so  bekommen  Sie  sechs  Monate  lang  keinen  Brief  von  mir.  Wie  oft 


')  Ähnlich  hatte  I,assalle  am  23.  vSeptember  der  Gräfiu  geschrieben:  ,,Wie 
können  Sie  nur  sagen,  ich  vernachlässige  Sie.  Ich  denke  an  garnichts  anderes 
fast  und  kämpfe  nur  so  energisch  wie  nur  je." 


^  191  = 

werden  Sie  Paul  geschrieben  haben  in  der  Zeit,  in  der  Sie  mir  gar  nicht 
schrieben?  Ich  möchte  ihm  schreiben  und  ihn  fragen,  wo  Sie  sind  und 
was  Sie  machen,  damit  ich  wenigstens  die  Unruhe  los  werde. 

Ihr 

F.  Ivassalle, 

Noch  immer  weiß  ich  nicht,  wo  Sie  sind.^)  Ich  habe  an  Paul  ge- 
schrieben und  empfange  eben  \^on  ihm  beiliegenden  Brief,  daß  er  es 
auch  nicht  weiß.  —  Vorgestern  war  ich  bei  Böckh.  Man  kann  keine 
schmeichelhaftere  Aufnahme  finden,  als  sie  mir  zuteil  wurde.  Derselbe 
[sie !]  schildere  ich  Ihnen  mündlich,  um  so  mehr  als  die  Zukunft  vielleicht 
einige  dunkle  Äußerungen  expliziert,  die  er  machte. 

Es  fährt  fort,  Erfolge  zu  regnen.  Nach  der  gestrigen  Sitzung  der 
Akademie  kam  IvCpsius  zum  zweitenmal  auf  Pritzel  los  mit  den  Worten : 
,,Ich  lese  noch  immer  in  Lassalles  Werk.  Ich  kann  Ihnen  gar  nicht 
sagen,  was  das  für  ein  Buch  ist."  Und  dann  wiederum  dies  und  das, 
was  sich  mündhch  besser  erzählt.  Unter  anderem  richtet  er  die  Frage 
an  ihn:  ,,Will  er  eine  Professur?"  —  ,,Ich  weiß  nicht,  ob  er  sie  annehmen 
würde,"  antwortete  Pritzel  sehr  diplomatisch.  Schon  die  bloße  Frage 
(sie  kam  ganz  stoßweise  und  ex  abrupto  in  die  Unterhaltung  hinein- 
geschneit), nicht  etwa,  wih  er  sich  an  der  Universität  als  Privatdozent 
etablieren?  usw.,  sondern  gleich:  ,,Will  er  eine  Professur?"  als  wenn 
ein  Geringeres  für  mich  gar  nicht  gedacht  werden  könnte,  mag  Ihnen 
zeigen,  wie  die  I^eute  hier  erobert  sind. 

Eben  kommt  Duncker  mit  zwei  gleich  interessanten  Nachrichten 
herüber;  erstens  hat  —  obwohl  mein  Buch  noch  nicht  in  den  Zeitungen 
annonciert,  ja  erst  heute  an  die  Buchhändler  hier  verschickt  worden 
ist  —  bereits  heut  die  Königliche  Bibliothek  einen  Mahnzettel  an 
ihn  geschickt,  mein  Buch  begehrend.  (Der  Fall  ist  hier  unerhört.) 
Dtmcker  hat  es  geweigert  mit  der  Erklärung,  es  sei  noch  nicht  aus- 
gegeben. Er  wird  es  auch  weiter  weigern,  da  er  gesetzlich  ein  Jahr 
dazu  Zeit  hat.  Zweitens  hat  Duncker  aus  sicherster  Quelle  soeben  er- 
fahren, daß  gestern,  obwohl  nach  furchtbarem  Widerstreben,  der 
Minister  von  Westphalen  ^)  die  Order  unterschrieben  hat,  daß  ich 
definitiv  hier  bleiben  könne.  Ich  bin  vor  Überraschung  ganz  wirr; 
denn  von  mir  ist  dies  gar  nicht  ausgegangen,  ja  nicht  die  leiseste  An- 
regung. vSeit  dem  letzten,  vor  vier  Wochen  erhaltenen  Bescheide  von 
Zedlitz,  worin  er  mir  sagt,  daß  er  mich  mit   meiner  Abreise    ,, nicht 

^)  Die  Gräfin  hielt  sich  zur  Kur  in  Baden-Baden  auf. 

2)  Ferdinand  von  Westphalen  (1799 — 1876)  war  preußischer  Minister  des 
Innern  von  1850  bis  7.  Oktober  1858.  Er  galt  als  der  Hort  der  reaktionären  Partei 
im  Ministerium  Manteuffel. 


=   192  = 

drängen"  wolle,  ich  vielmehr  einstweilen  bleiben  könne,  er  sich  aber  zu 
keinerlei  Zeitdauer  verpflichten  könne,  bin  ich  bei  keinem  einzigen 
meiner  Polizeileute  auch  nur  gewesen.  Ich  wollte  immer  hin,  erklären, 
daß  mir  das  nicht  genüge.  Fand  aber  die  Zeit  nicht  dazu,  habe  keine 
von  allen  jenen  Personen  gesprochen.  Und  jetzt  diese  Nachricht.  Es 
muß  wieder  mit  Heraklit  zusammenhängen.  Übermorgen  —  denn 
früher  kann  ich  nicht  —  werde  ich  lyicht  darin  habe[n].  Vielleicht  hat 
Johannes  Schulze  gesprochen,  vielleicht  der  Ruf  vom  Werke  Zedlitz 
bestimmt.  Denn  von  ihm  soll  die  nächste  Initiative  ausgegangen 
sein. 

Hätte  ich  nur  von  Ihnen  eine  Nachricht!  Oh,  wie  schlecht,  wie 
schlecht  von  Ihnen !  Ich  sehe  erst  jetzt,  wie  gut  ich  Ihnen  bin !  Meinen 
ganzen  Autorenruhm,  wie  gern  gäbe  ich  ihn  darum,  wenn  Sie  jetzt 
neben  mir  säßen  .  .  . 


82. 
SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  I.ASSAI.I.E.  (Original.) 

Mittwoch  [Düsseldorf,  25.  November   1857]. 

.  .  .  Ihren  Brief  von  Dienstag  habe  ich  heute  morgen  erhalten.  Wie 
sehr  mich  die  Anerkennung,  die  dem  Heraklit  so  schnell  wird,  freut, 
ganz  abgesehen  von  dem  Einfluß,  den  es  auf  mich  haben  kann,  kann 
ich  gar  nicht  sagen ;  es  ist  mir  wirklich  manchmal  ganz  so  zumute,  als 
wenn  ich  selbst  mit  dazu  beigetragen,  ihn  mitgeschrieben  hätte,  und 
worüber  ich  eigentlich  böse,  ist,  daß  Sie  mir  nicht  Ihr  erstes  Werk 
dediziert;  das  hätten  Sie  eigentlich  tun  müssen.  Wie  steht  es  denn  eigent- 
lich mit  demFranz?^)  Sie  sprechen  ja  gar  nicht  mehr  davon?  Sie  sagen, 
ich  schreibe  nicht  oft,  ich  schreibe  ja  weit  öfter  als  Sie,  was  jetzt 
wohl  auch  billig  und  recht.  Aber  daß  ich  Ihnen  nicht,  wie  Sie  mir, 
Neues  und  Interessantes  schreiben  kann,  ist  wohl  von  hier  nicht  gut 
anders  möglich.  Was  ich  aber  in  Ihren  Briefen  mit  großem  Verdruß 
ganz  vermisse,  obgleich  ich  Sie  wiederholt  so  sehr  darum  gebeten,  sind 
Details  über  die  Art,  wie  Sie  Ihre  Kur  brauchen,  ob  Sie  ganz  zu  Bett 
bleiben,  ob  Sie  eine  Wärterin  haben,  wie  lange  die  Kur  dauern  wird, 
ob  sie  anschlägt,  wer  Sie  besucht  usw.,  es  ist  unrecht,  mir  darüber  nicht 
zu  antworten,  Sie  wissen,  wie  wenig  ich  Vertrauen  in  Ihre  Selbst- 
pflege  setze  .  .  . 


*)  Das  Drama  , .Franz  von  Sickingen",    das  I,assalle  noch  in  Düsseldorf  be- 
gonnen hatte. 


-  -^=  193  = 

83. 

LASSAlvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  früh  [Berlin,  26.  November  1857]. 
Meine  Gnädigste! 

...  In  der  Zwischenzeit  habe  ich  einen  sehr  liebenswürdigen  Brief 
von  Michelet^)  erhalten  und  zwei  Tage  darauf,  obgleich  ich  nicht  bei 
ihm  war,  einen  zweiten,  in  dem  er  mich  einladet,  am  Sonnabend  bei  den 
philosophischen  Symposium,  welches  die  alten  Freunde  Hegels  all- 
monatlich einmal  bei  Mäder  geben,  sein  Gast  zu  sein.  Dieser  Klub  be- 
steht aus  dem  alten  Leopold  von  Henning,  ^)  Michelet,  Vatke  ^)  und 
dem  Grafen  Cieskowski,^)  dem  Führer  der  Polen  in  der  Kammer,  der 
Nationalökonom  und  Hegelianer  ist.  Da  dieser  Klub  die  strengste 
Exklusivität  beobachtet  und,  wie  ich  höre,  nie  jemand  eingeführt  wird, 
wenn  nicht  einmal  ein  bedeutender  Hegelianer,  der  von  einer  anderen 
Universität  zu  Besuch  herkommt,  so  ist  die  Einladung  Michelets  nicht 
nur  eine  Höflichkeit,  sondern  auch  eine  Demonstration! 

Auch  von  Adolf  Stahr^)  habe  ich  einen  sehr  schönen  Brief  be- 
kommen. Diesen  sowie  die  beiden  von  Michelet  schicke  ich  Ihnen  mit 
andern  inzwischen  einlaufenden  nächstens  abschriftlich.  Heute  keine 
Zeit  dazu, 

Professor  Braniß  ^)  in  Breslau,  dem  ich  das  Buch  gar  nicht  schickte, 
hat  bereits,  wie  man  mir  von  dort  schreibt,  vom  Katheder  herunter 
desselben  mit  großem  Lobe  gedacht  und  dabei  seine  Freude  ausge- 
sprochen, daß  der  Verfasser  ein  Landsmann  sei. 

Der  Hauptgrund,  weshalb  ich  Ihnen  heute  schreibe,  ist  folgender: 
Pritzel  hat  mir  begreiflich  gemacht,  daß  ich  der  Academie  des  Inscrip- 
tions  zu  Paris  ein  Exemplar  schicken  muß. 

Dazu  ist  ein  ganz  kurzes  Geleitschreiben  erforderlich,  welches  im 
Deutschen  etwa  also  lauten  würde :  Der  Academie  des  Inscriptions  be- 
ehrt sich  der  Unterzeichnete  als  Ausdruck  seiner  Huldigung  (hommages) 


1)  Für  den  außerordentlichen  Professor  der  Plülosophie  Karl  Ludwig  Michelet 
(1801 — 1893)  vgl.  Bd.  II.  Einführung  S.  21  sowie  die  Nummern  130  und  136. 

2)  Leopold  von  Henning  (1791 — 1866)  war  seit  1825  Professor  der  Philosophie 
an  der  Berhner  Universität. 

^)  Wilhelm  Vatke   (1806 — -1882),   Professor  der  Theologie  in  Berlin. 

*)  Graf  August  von  Cieskowski  (18 14 — 1894),  Geschichtsphilosoph,  Mitglied 
der  polnischen  Fraktion  des  Abgeordnetenhauses. 

5)  Adolf  Stahr  (1805 — 1876),  Altphilologe,  Historiker,  Kunst-  und  Literar- 
historiker, Gatte  Fanny  Lewaids. 

«)  Julius  Braniß  (1792 — 1873),  Professor  der  Philosophie  in  Breslau. 

Mayer,  Lassalle-NachUss.     IV  I -i 


^=  194  -^  — 

ein  Exemplar  seines  soeben   die  Presse  verlassenden  Herakleitos  des 
Dunklen  von  Ephesus  in  tiefer  Ehrfurcht  ergebenst  zu  widmen. 

Es  handelt  sich  nun  darum,  diese  paar  Worte  in  einem  solchen 
Französisch  herauszubringen,  welches  man  der  Pariser  Akademie 
schreiben  kann.  Da  sind  Sie  natürlich  meine  einzige  Rettung.  Also 
quälen  Sie  sich  diesen  Brief  schnell  ab  und  schicken  mir  ihn  her.  Aber 
gleich,  gleich,  noch  am  selbenTage  möglichst.  Denn  die  Sache  hat 
wirklich  nicht  mehr  Zeit... 

84. 
I.ASSAI.LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  abend  [Berlin,  28. — 30.  November  1857]. 
Meine  Gnädigste! 

Ich  komme  soeben  aus  dem  ,, Hegeischen  Symposion"  zurück  imd 
will  den  Abend  anwenden,  mit  Ihnen  etwas  zu  plaudern,  in  meiner  Er- 
zählung chronologische  Ordnung  beobachtend.  —  Gestern  war  ich  bei 
Michelet,  ihm  meinen  Besuch  zu  machen,  traf  ihn  nicht,  ließ  eine  Karte 
zurück.  —  Heute  früh  empfing  ich  den  beiliegenden  lobatmenden  Brief 
Humboldts,  dessen  ungewöhnlich  große  Verbindlichkeit  Sie  selbst  be- 
urteilen werden !  Er  ladet  mich  darin,  wie  Sie  sehen,  ein,  ihn  Montag  um 
zwei  Uhr  zu  besuchen.^)  Sie  wissen,  daß  er  mir  damals  — 1846/47  —  ge- 
schrieben, er  wolle  nichts  mehr  von  mir  wissen !  ^)  Wie  Sie  aus  seinem 
Brief  ersehen,  macht  Böckh^)  es  sich  zum  Geschäft,  mich  zu  kolportieren ! 
Einen  besseren  Kolporteur  kann  man  sich  freilich  nicht  wünschen. 

Heute  um  2^4  Uhr  kam  Michelet  zu  mir,  mich  abzuholen.  Als  wir 
hinkamen,  waren  vorerst  nur  noch  Hofrat  Fr.  Förster  ^)  gegenwärtig 
(der  Präsident  der  Gesellschaft;  Michelet  ist  ihr  Sekretär),  der  alte 
General  Pfuel  ^)  imd  der  Kammerpräsident  IvCtte.^)  Die  Gesellschaft 


1)  Vgl.  Bd.  II,  S.  133. 

^)  Vermutlich  meint  Lassalle  den  Brief  Humboldts  vom  31.  Oktober  1846, 
vgl.  Bd.  I,  Nr.  88.  Aus  dem  Jahre  1847  findet  sich  im  Nachlaß  kein  Brief  Hum- 
boldts an  Lassalle. 

3)   Für  Lassalles  Beziehungen  zu  August  Böckh  vgl.  Bd.  II,  Einführung  S.  18. 

*)  Friedrich  Förster  (1791 — 1868),  Dichter  und  historischer  Schriftsteller. 
Einige  Briefe  und  Gelegenheitsgedichte  von  ihm  an  Lassalle  befinden  sich  im 
Nachlaß. 

^)  General  Ernst  von  Pfuel  (1779 — 1868),  September  bis  Oktober  1848  preußi- 
scher Ministerpräsident,   1858  liberales  Mitglied  des  Abgeordnetenhauses. 

8)  Wilhelm  Adolf  Lette  (1799 — 1866),  der  spätere  Gründer  des  Lettevereins, 
liberales  MitgUed  des  Abgeordnetenhauses,  Vorkämpfer  der  Befreiung  der  länd- 
lichen Gemeinden  von  der  gutsherrlichen  Vormundschaft. 


—  195  == 

ist  nämlich  nicht  mehr  gar  so  exklusiv,  wie  ich  Ihnen  neulich  nach 
Joh.  Schulzes  ^)  Erzählung  schrieb.  Sie  läßt  gegenwärtig  auch  andere 
Leute  zu  als  Hegelianer,  freilich  nur  wenn  sie  sehr  berühmte  Namen 
haben  usw.  Von  den  Anwesenden  nenne  ich  noch  Prof.  Schulz  von 
Schulzenstein, 2)  Prof .  Märker,^)  Prof.  Rötscher'*)  usw.  Pfuel  sollte  heute 
grade  Mitglied  werden.  I^ette  ist  es  schon  länger.  Jedem  der  Anwesenden 
wurde  ich  immer  von  neuem  vorgestellt  mit  dem  Beisatz  „der  Ver- 
fasser des  Herakht".  Dies  wiederholte  sich,  so  oft  jemand  kam  und 
daher  im  ganzen  so  oft,  daß  mir  wirklich  schon  vor  meinem  Heraklit 
übel  zu  werden  anfing.  Da  kam  mir  der  alte  General  Pfuel  zu  Hilfe.  Ich 
kenne  ihn  schon  von  einem  Hotel  aus,  wo  ich  ihn  mehrmals  bei  Tische 
traf,  und  ebenso  aus  den  Kafifeegesellschaften  Varnhagens.  Er  trat  auf 
mich  los  und  fragte  mich:  ,,Also  sagen  Sie,  die  Geschichte  mit  dem 
Grafen  Hatzfeldt  haben  Sie,  höre  ich,  ganz  siegreich  zu  Ende  gebracht?" 

—  ,,Ganz  siegreich,"  erwiderte  ich  mit  übermütigstem  Lächeln  und 
Nachdruck.  ,,Der  wird  sein  Lebtag  an  mich  denken."  —  ,,Das  ist  mir 
äußerst  lieb,"  sagte  Pfuel  .  .  .^)  ,,Da  haben  Sie  wirklich  eine  große  Tat 
getan,"  sagte  er,  mir  die  Hand  schüttelnd.  — ,, Jawohl,"  replizierte  ich 
möglichst  laut,  um  von  so  vielen  Umstehenden  als  möglich  gehört  zu 
werden,  ,,ich  wenigstens  rechne  sie  mir  weit  höher  an  als  den  Heraklit." 

—  ,, Gewiß,  es  ist  eine  praktische  Tat,"  betonte  Pfuel  —  und  damit 
setzten  wir  uns  zu  Tische.  Ich  saß  neben  dem  Kammerpräsidenten  Lette 
und  Michelet!  Gott,  was  ist  das  für  ein  Oppositionschef,  dieser  Lette! 
Unsere  ganze  Kammermisere  konnte  sich  mir  nicht  deutlicher  mikrokos- 
misch malen  als  in  diesem  gutmütigen,  schmunzelnden,  schwächlichen 
Menschlein,  das  sicher  vor  Schreck  gestorben  wäre  —  ich  konnte  diese 
Vorstellung  gar  nicht  los  werden  — ,  wenn  ich  ein  einziges  Mal  an- 
gefangen hätte,  mit  meinem  Volksrednerorgan  zu  sprechen!  Sind  das 
Tribimen!  —  Cieszkowski^)  war  nicht  da,  weil  jetzt  nicht  in  Berlin. 

Den  ersten  Toast  bei  Tische  brachte  Präsident  Förster  auf  das  neu 
eintretende  Mitglied  Pfuel.  Und  zwar  begann  er  diesen  Toast  merk- 


^)  Johannes  Schulze  (1786 — 1869),  der  Mitbegründer  und  langjährige  Leiter 
des  preußischen  höheren  Unterrichtswesens. 

2)  Schultz  von  Schultzenstein  war  Professor  der  Botanik  an  der  Berliner 
Universität. 

3)  Friedrich  August  Märcker  (1804 — 1889),  Privatdozent  der  Philosophie  an 
der  Berliner  Universität. 

*)  Heinrich  Theodor  Rötscher  (1803 — 1871),  Ästhetiker,  Dramaturg,  Theater- 
kritiker der  ,,Spenerschen  Zeitung". 

^)  Hier  folgen  sehr  abfällige  Äußerungen  Pfuels  und  Lassalles  über  den  Grafen 
Edmund  Hatzfeldt  und  sehr  anerkennende  für  die  Gräfin  Sophie. 

^)  Der  Geschichtsphilosoph  Graf  August  von  Cieszkowski,  der  Führer  der 
Polen  im  preußischen  Abgeordnetenhause. 


=  igö  = 

würdigerweise  mit  mir.  ,,Wir  haben  heute  einen  Mann  unter  uns,  der 
die  ruhmreiche  Tat  begangen,  den  dunkelsten  der  Philosophen  ins 
hellste  Licht  zu  setzen"  usw.  Und  nun  machte  er  dann  eine  Art  Über- 
gang, daß  neben  den  Taten  der  hohen  Intelligenz  auch  die  Tat  als 
solche  ihre  Berechtigimg  hätte  und  daß  Pfuel  als  Vertreter  dieses  Genus 
heut  aufgenommen  sei  usw.  Fünf  Minuten  drauf  brachte  Michelet  einen 
Toast  auf  mich  aus,  von  solchem  entsetzlichen  Lobschwalle  voll,  daß 
mir  nach  den  ersten  zwei  Sätzen  Hören  und  Sehen  verging  und  ich  ihn 
wirklich  gar  nicht  gehört  habe.  Professor  Schulz  gri£f  darauf  Moleschotts^) 
materialistische  Theorien  an.  Aber  ich  entblödete  mich  nicht,  sie  männ- 
lich zu  verteidigen  und  mit  mir,  mit  fast  noch  größerer  Bestimmtheit, 
Michelet.  Dann  fragte  mich  dieser,  ob  ich  Mitglied  der  Gesellschaft 
werden  wolle.  Ich  bejahte,  und  er  lief  hinüber,  es  Förster  ins  Ohr  sagen. 
Eine  Viertelsttmde  darauf  erhob  sich  Förster  und  sagte:  ,,Wir  haben 
heut  die  Ehre,  einen  Mann  unter  uns  zu  sehen  usw.  Dieser  Mann  hat 
seinen  Wunsch  geäußert,  Mitglied  dieser  Gesellschaft  zu  werden.  Ich 
glaube,  daß,  wo  es  sich  um  einen  solchen  Mann  handelt,  das  einzig  An- 
gemessene für  ims  ist,  alle  sonst  imter  ims  üblichen  Fönnlichkeiten  der 
Heimlichkeit,  Abstimmimg  usw.  beiseite  zu  setzen  und  ihn  durch 
Akklamation  zu  unserm  Mitgliede  zu  ernennen."  Verbindlichstes  Ge- 
murmel der  Gesellschaft.  Ich  konnte  die  Vorstellung  nicht  unterdrücken, 
daß  sie  mich  noch  vor  drei  Monaten  ebenso  unbesehen  und  ,,ohne  weitere 
Förmlichkeit"  zur  Tür  hinausgeschmissen  hätten,  erhob  aber  mein  Glas 
und  sagte:  ,,Ich  kann  der  Gesellschaft  nur  meinen  ebenso  ergebenen 
als  gerührten  Dank  abstatten."  —  Jetzt  hielt  Professor  Schulz  einen 
wirklich  sehr  interessanten  Vortrag  über  die  organische  Entwicklungs- 
theorie des  Menschengeschlechts,  der  eine  Stunde  dauerte  und  nächstens 
fortgesetzt  wird.  Zuvor  war  das  Protokoll  der  letzten  Sitzung  verlesen 
worden.  Das  Essen  war  nicht  übel.  Welcher  Kultus  aber  während  des 
ganzen  Diners  mit  mir  getrieben  wurde,  welche  Zielscheibe  für  alle 
möglichen  Verbindlichkeiten  ich  war,  ist  wirklich  gut  zu  sagen:  ,,Es 
erfrischt  wirklich,  wieder  einmal  einen  solchen  Philosophen  unter  ims 
zu  sehen,"  riefen  Michelet  und  Förster  abwechselnd  immer  aus  und 
derlei  Redensarten  mehr.  Es  scheint  wirklich,  daß  die  Hegelei  in  Berlin 
gar  sehr  das  Bedürfnis  rüstigen  Zuwachses  schon  lange  gefühlt  hat. 
Um  sieben  gingen  wir  auseinander. 

Montag  früh  [30.  11.]. 

Gestern  war  wirklich  ein  Tag  verschiedentlichen  Peches.  Pickwick 
hatte  mich  gebeten,  mit  ihm  zu  essen.  Ich  ging  deshalb,  während  ich 

1)  Jakob  Moleschott   (1822 — 1893),  ^^^  bekannte  Physiologe  und  Verfechter 
eines  philosophischen  Materialismus. 


=  197  ^^-^  = 

sonst  stets  bis  2^/2  Uhr  in  meiner  Wohnung  bin,  schon  um  i^/g  Uhr  aus. 
Kaum  war  ich  fünf  Minuten  fort,  so  kam  Lcpsius,^)  mir  seinen  Besuch 
zu  machen  und  verfehlte  mich  also,  was  mir  sehr  leid  tut.  —  Aber  das 
war  nicht  alles. 

Aus  meinem  letzten  Briefe  werden  Sie  ersehen  haben,  wie  Herr 
Wetter  -)  vor  einiger  Zeit  beliebte,  mir  hierher  Geld  zur  Einsendung 
an  Becker  ^)  zu  schicken.  Das  war  wirklich  von  ihm  —  sagen  Sie  es  ihm 
und,  wenn  Sie  wollen,  in  meinem  Namen  —  in  hohem  Grade  indiskret. 
Denn  ich  hing  in  bezug  auf  meinen  hiesigen  Aufenthalt  ja  ganz  von  der 
Willkür  der  Herren  ab,  während  Wetter  in  einer  unabhängigen  Lage 
ist.  —  Beiläufig  ist  noch  dazu  (freilich  erst  im  August  oder  September) 
ohnehin  der  Fall  eingetreten,  daß  ich  wegen  der  Geldsendimgen  an  Frau 
Röser^)  ausgewiesen  werden  sollte.  Bei  den  Düsseldorfer  Haussuchungen 
\vurde  nämlich  ein  Brief  von  mir  an  Röser  mit  der  Geldsendung  für 
Frau  Röser  attrapiert,  mid  der  Minister,  dem  dies  herberichtet  wurde, 
erließ  von  seinem  Gute  aus  die  Order  zu  meiner  Ausweisung.  Da  ich 
schon  damals,  wie  Sie  wissen,  ziemlich  fest  saß,  wurde  dies  wieder 
beigelegt.  Ich  schrieb  Ihnen  gar  nichts  davon.  Es  war  mir  nicht  grade 
angenehm,  daß  Wetter  die  Unzartheit  hatte,  mich  während  meines 
hiesigen  Aufenthaltes  mit  jenem  Auftrage  zu  belasten.  Indes,  vSie  wissen, 
ich  bin  nun  einmal  kein  Mann  der  bleichen  Furcht.  So  schrieb  ich  denn 
an  Becker,^)  ich  empfinge  von  Düsseldorfer  Bekannten  den  Auftrag, 
ihm  dies  Geld  statt  ihrer  auch  von  hier  wie  früher  von  Düsseldorf  aus 
zu  schicken,  und  wollte  mich  diesem  Auftrag  nicht  entziehen,  weshalb 
ich  usw.  usw.  Der  Brief  war  von  Berlin  datiert.  Meine  Wohnung  war 
nicht  darin  angegeben.  Gestern  abend  fünf  Uhr  klingelt  es.  Ich  öffne, 
und  herein  tritt  Becker,  dick  und  gesund.  Ich  freute  mich  aufrichtig, 
ihn  zu  sehen.  Er  erzählte  mir,  daß  er  seit  gestern  hier  sei.  Da  sein  Hotel 
von  schlechtem  Gesindel  immer  belagert  werde,  so  sei  er  zu  Oberst 
Fatzke  gefahren,  sich  zu  beschweren.  Dieser  habe  ihm  gesprächsweise 
erzählt,  es  sei  noch  einer  von  seiner  Couleur  hier,  nämlich  ich.  Da  habe 
er  ihn  gefragt,  wo  ich  wohne.  Auf  der  Potsdamer  Straße,  habe  Patzke 
geantwortet,  aber  die  N[ummer]  kann  ich  nicht  angeben.  Er  sei  nun  zu 


1)  Für  Richard  Lepsius  und  seine  Beziehungen  zu  L,assalle  vgl.  Bd.  II,  Ein- 
führung S.  19,  sowie  die  Nr.  58,  61,  139. 

2)  Abraham  Wetter,  Kaufmann  in  Düsseldorf,  Anhänger  des  radikalen  Flügels 
der  Demokraten. 

3)  Hermann  Becker  (1820 — 1885)  büßte  noch  die  fünfjälirige  Festungshaft 
ab,  zu  der  er  im  Kommunistenprozeß  verurteilt  worden  war.  Für  Lassalles  Be- 
ziehungen zu  ihm  vgl.  Bd.  II,  Einführung  S.  5  ff.  und  ebenda  passim. 

■*)   Für  Lassalles  Beziehungen  zu  dem  Zigarrenarbeiter    Peter  Gerhard  Röser 
vgl.  Bd.  II,  Einführung  S.  9. 
5)  Vgl.  hierzu  Bd.  H,  Nr.  55. 


_ —  igS  — 

meinem  Bezirkskommissar  gefahren  und  habe  nach  meiner  Wohnung 
gefragt.  Dort  sei  erst  eine  große  Beratung  gehalten  worden,  ob  man 
sie  ihm  sage  oder  nicht.  Endhch  habe  man  sie  ihm  gesagt  und  die  Be- 
stellung hinzugefügt,  meine  Aufenthaltskarte  sei  jetzt  angelangt.  Becker 
erzählte  mir,  wie  jener  Berliner  Brief  von  mir  von  seinem  Festungs- 
kommandanten nachKöln,  von  da  nach  Berlin  geschickt,  hier  kopiert 
und  zu  den  Akten  genommen  wäre  und  er  ihn  erst  elf  Tage  nach  der 
Absendung  erhielt.  Er  hatte  mir  dies  eben  erzählt,  als  es  klingelt.  Es 
war  sechs  Uhr  abends.  Ich  konnte  daher  nicht  anders  glauben,  als  daß 
es  Pickwick  oder  Pritzel  ist.  Ich  eile,  selbst  zu  öffnen  und  vor  mir  steht  — 
Böckh!  Es  war  wirklich  das  merkwürdigste  Zusammentreffen  von  Um- 
ständen, was  man  sich  denken  kann.  Ich  muß  Ihnen  sagen,  daß  es  mir 
sehr  fatal  war,  obgleich  ich  Ihnen  nicht  den  Grund  schreiben  kann, 
weshalb.  Denn  in  Hinsicht  auf  die  Polizei  ist  es  mir  ganz  gleich- 
gültig. Zur  gegenwärtigen  Stunde  stehen  die  Sachen  bereits  so,  daß  die 
Polizei  in  die  vollständige  Unmöglichkeit,  mich  zu  malträtieren, 
versetzt  ist,  selbst  wenn  sie  es  wollte.  Sie  ist  bereits  zur  Impotenz 
reduziert. 

Aber  aus  andern,  schriftlich  nicht  zu  explizierenden  Gründen  war 
es  mir  grade  mit  Böckh  sehr  fatal.  Gleichwohl  war  nichts  mehr  zu 
machen.  Da  ich  vor  Böckh  stand,  mußte  ich  ihm  Mantel  und  Hut  ab- 
nehmen, konnte  nicht  mehr  zurücklaufen  und  ihn  allein  lassen  und  hatte 
also  auch  nicht  mehr  die  Zeit,  Becker  zu  bitten,  fortzugehen  imd  später 
wiederzukommen.  Ich  führte  also  Böckh  in  das  Zimmer,  erließ  mir  aber 
die  Vorstellung,  zu  der  ich  Böckh  gegenüber  auch  nicht  einmal  be- 
rechtigt war,  Böckh  wurde  sehr  behaglich,  rauchte  zwei  Zigarren  bei 
mir  aus,  blieb  beinahe  eine  Stunde,  erzählte  mir  allerlei.  Unter  anderem 
sagte  er  mir:  ,, Hören  Sie,  Ihr  Werk  hat  selbst  den  Stockphilologen 
die  größte  Ehrerbietung  abgezwungen.  Gestern  sprach  ich  einen,  gerade 
einen  solchen  Stock-Stock-Philologen,  und  selbst  der  sagte  mir:  ja, 
da  müsse  man  allen  Ehr'  und  Respekt  haben." 

Ich  war  natürlich  zu  diskret,  zu  fragen,  wer  dieser  ,, Stock-Stock- 
Philologe"  sei,  glaube  aber,  daß  er  nur  Immanuel  Bekker  ^)  gemeint 
haben  kann.  Über  Humboldts  Brief  freute  sich  Böckh  sehr;  endlich 
stand  er  auf,  um  zu  gehen.  Jetzt  aber,  auf  Becker  zuschreitend,  sagte  er: 
„Nun  muß  ich  noch  bitten,  mir  den  Namen  des  Herrn  zu  nennen!"  — 
,,Habe  ich  das  nicht  getan?"  sagte  ich  verwundert.  ,,Ein  Rheinländer, 
Dr.  Becker  aus  Köln."  Becker  hatte  bis  dahin  am  Gespräch  nur  geringen 
Anteil  genommen,  imterhielt  jetzt  aber  Böckh  mit  einigen  Anekdoten 
aus  seiner  Universitätszeit  recht  gut.  Übrigens  glaube  ich,  daß  Böckh 

1)  Immanuel  Bekker  (1785 — 1871),  der  Herausgeber  zahlreicher  antiker  Texte, 
war  seit  Begründung  der  Universität  in  Berlin  Professor  der  alten  Philologie. 


-=  199  = 

gar  nicht  weiß,  welcher  Dr.  Becker  das  ist,  denn  wie  soll  er  grade  auf 
jenen  denken?  Und  im  übrigen  war  von  Beckers  Personalien  nicht  die 
Rede.  Bald  hatte  ich  Böckh  hinauskomplimentiert. 

Hat  er  es  aber  gemerkt,  so  wäre  es  mir  aus  einem  ganz  speziellen 
Grunde  unbeschreiblich  fatal. 

Nun  noch  eins:  Ich  habe  keine  einzige  von  meinen  Kölner  Reden 
mehr.  Suchen  Sie  alle  —  es  müssen  auf  dem  Boden  noch  Pakete  stehen  — 
zusammen  und  schicken  sie  mir  sofort.  Dies  ist  von  der  größten 
Wichtigkeit.  Es  kann  für  Sie  hier  gar  kein  besserer  Boden  bereitet 
werden  als  durch  möglichste  Verbreitung  der  Kölner  Rede.  ^)  Ich  und 
Hiersemenzel  ^)  haben  es  uns  zum  Geschäft  gemacht,  sie  aller  Welt  zu 
geben.  Varnhagen  sagte  mir,  nachdem  er  sie  gelesen:  ,,Ich  kann  Ihnen 
nur  eins  darüber  sagen,  sie  hat  mich  auf  das  gewaltigste  an  Mirabeaus 
Reden  und  Prozesse  erinnert.  Wie  schade  für  Sie  und  besonders  für  die 
darin  verfochtene  Sache,  daß  diese  Rede  hier  so  wenig  bekannt  ist." 
Aber  nicht  nur  mir  —  sondern  andern  hinter  meinem  Rücken  hat  er 
dasselbe  gesagt.  Auch  wird  er  sie  mit  verbreiten  helfen.  Aber  Exemplare ! 
Exemplare!  Sind  keine  in  hinreichender  Anzahl  da,  so  muß  ein  neuer 
Abdruck  gemacht  werden,  ob  hier  oder  dort,  werde  ich  noch  bestimmen. 
Die  Kosten  —  höchstens  fünfzig  Reichstaler  —  können  Ihnen  dabei 
nicht  ins  Gewicht  fallen.  Vorläufig  schicken  Sie  nach  den  genauesten 
Recherchen  alles,  was  Sie  von  Exemplaren  haben. 

Nachschrift  Montag  früh. 

. . .  Wie  Sie  hier  immer  von  meinen  ,,plaisirs"  sprechen  können,  ist  so 
uneinsichtig  wie  lieblos.  Zu  meinen  plaisirs  gehört,  wie  Sie  wissen,  nur 
das:  im  Zimmer  zu  bleiben  mit  zwei  Freunden,  nicht  aber  da  und  dort 
herumzulaufen,  fremde  Menschen  zu  unterhalten  usw.  Zudem  soll  wohl 
jedem,  wenn  man  solche  Krankheiten  mit  sich  herumträgt  wie  ich,  das 
plaisir  gründlich  vergehen.^)  Von  meiner  Erschöpfung  haben  Sie 
keinen  Begriff.  Aber  es  handelt  sich  für  mich  nicht  um  plaisir,  sondern 
nur  um  Zwecke,  die  auf  Sie  in  Beziehung,  und  die  ich  Ihretwegen 
und  nur  Ihretwegen  betreibe.  Wenn  Sie  noch  einmal  so  von  meinen 
,, plaisirs"  sprechen,  gut,  so  lasse  ich  alles  und  ziehe  mich  auf  meinen 
alten  Fuß  zurück,  mit  Pickwick  und  Pritzel  in  meinem  Zimmer  lebend. 
Ich  bin  ein  unabhängiger  Mensch  und  brauche  niemand  und  habe 
an  niemand  Freunde.  Wenn  ich  mich  quäle  und  abhetze,  Eroberungen 

1)   Lassalle  memt  seine  Verteidigungsrede  im  Kassettenprozeß  von   1848. 

•)  Eduard  Hiersemenzel  (1825 — 1869),  Altersgenosse,  Landsmann  und  Ver- 
bindungsbruder Lassalles,  geachteter  Jurist.  Er  wurde  1859  Stadtrichter  in  Berlin 
und  gründete  die  ,, Preußische  Gerichtszeitung",  die  er  seit  1861  ,, Deutsche  Ge- 
richtszeitung" nannte. 

')  Für  Lassalles  Krankheit  vgl.  oben  die  Einführung  S.  30. 


=  200  = 

ZU  machen,  so  geschieht  es  für  Sie ,  wie  alles,  was  ich  tue.  Ich  strapaziere 
mich  wie  ein  Hund,  sehe  blaß  aus  wie  der  Tod  und  suche  die  Menschen 
zu  gewinnen  und  zu  blenden  Ihretwegen,  Ihnen  den  Boden  zu  bereiten, 
den  Sie  brauchen.  Selbst  diese  furchtbare  Krankheit  kann  mich  im 
jetzigen  Augenblick  nicht  davon  abhalten,  weil  gerade  dieser  Augen- 
blick durch  den  fabelhaften  Nimbus  imd  Enthusiasmus,  der  mich  jetzt 
trägt  und  der  doch  wie  alles  vorübergeht,  vorzüglich  geeignet  dazu  ist. 
Und  das  alles  und  diese  Marter  und  Treue  begreifen  Sie  so  wenig,  daß 
Sie  von  ,,plaisirs"  sprechen.  Schöne  plaisirs!  Alles,  was  ich  tue,  tue  ich 
für  Sie.  Sie  könnten  dies  schon  aus  den  so  langen  Briefen  sehen,  die  ich 
ächzend,  wahrhaft  ächzend,  schreibe.  Aber  es  wird  jedem  Hunde  mit 
Schlägen  gelohnt!  Genug  davon!  Meinen  , .unartigen"  Brief  mit  dem 
Buch  für  Kichniawy  haben  Sie  wohl  inzwischen  bekommen. 

Adieu,  meine  Gute.  Ich  bin  recht  traurig,  trauriger  vielleicht  unter 
meinen  glänzenden  Erfolgen,  als  ich  es  je  war.  Sie  fehlen  mir  sehr,  und 
selbst  bei  Ihnen  ist  keine  Einsicht  und  Anerkennimg!  Ich  bin  so  ab- 
gehetzt, so  abgehetzt  wie  ein  Hase.  Die  langen  Briefe  an  Sie  mitten 
imter  tausend  Dingen,  die  ich  tun  muß,  ruinieren  mich  auch.  Expedieren 
Sie  sich  doch  so  schnell  als  möglich,  um  baldigst  herkommen  zu 
können.  Daraus  schöpfe  ich  nicht  frische  Kraft,  diese  ward  mir  im 
eisernen  Willen,  aber  neue,  warme,  innere  Befriedigung.  Ich  muß  mich 
anziehen  und  zu  Humboldt,  vorher  noch  den  Brief  H[umboldts]  für  Sie 
kopieren. 

Ihr 

F.  L. 

85- 
LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Dienstag  abend  [Berlin,   15.  Dezember   1857]. 

.  .  .  Nun  will  ich  Ihnen  zum  Schluß  des  Briefes  noch  meinen  Besuch 
bei  Humboldt  erzählen.^)  Er  kam  mit  den  Worten  auf  mich  los:  ,,Aber 
Sie  kommen  uns  ja  zurück,  ganz  wie  Sie  gegangen  sind.  Sie  haben  sich 
nicht  verändert  in  der  Zwischenzeit."  Damit  ergriff  er  mich  bei  der 
Hand,  nötigte  mich  auf  das  Sofa,  setzte  sich  vor  mich  und  fuhr  fort: 
,,Sie  haben  da  ja  ein  höchst  merkwürdiges  Buch  geschrieben,  ein  wunder- 
bares Buch."  Es  gibt  eigenthch  nichts  Dümmeres  als  die  Situation 
dessen,  an  den  solche  Dinge  gerichtet  werden,  er  weiß  nicht,  ob  er  be- 
jahen oder  verneinen  soll.  ,,Ich  lese  nun  schon  die  dritte  Nacht  in 
Ihnen.  Es  ist  nicht  eine  Arbeit,  es  ist  ein  ununterbrochener  Genuß,  dies 


Siehe  oben  Nr.  84,  S.  194. 


-  201  - 

Werk  zu  lesen."  Und  nun  fing  er  denn  an,  seine  Kenntnis  desselben  zu 
entfalten  und  endlich  von  da  auf  andere  Dinge  zu  kommen.  Er  sprach  — 
ich  unterbrach  ihn  so  selten  als  möglich,  fast  nur,  wenn  ich  antworten 
mußte  —  höchst  brillant  und  fast  ununterbrochen  dreiviertel  Stunden 
lang,  immer  zeigend,  daß  er  mit  allen  modernsten  Produkten  ganz 
vertraut  sei.  Dieser  neunzigjährige  Mensch  —  es  ist  wirklich  zum  Er- 
staunen! Ich  saß  wie  mit  aufgerissenem  Maule  da.  Seine  Stimme  ist 
stärker  geworden  als  sonst,  wahrscheinlich  infolge  dessen,  daß  —  das 
einzige  Gebrechen,  das  man  bemerkt  —  sein  Gehör  gelitten  hat.  Als  im 
Laufe  des  Gesprächs,  er  kam  auf  Mendelssohn,^)  flüchtig  meine  Ver- 
gangenheit berührt  wurde,  beugte  er  sich  in  der  höchst  grundlosen 
Furcht,  ich  könnte  das  übel  nehmen,  zu  mir  hinüber  und  sagte  mir, 
auf  den  Rücken  klopfend:  ,,Sie  verzeihen,  wenn  ich  auf  Vergangenes 
komme,  ich  meine  es  nicht  böse,  sondern  sehr  gut  damit,  sehr  gut." 
Ich  sagte  ihm  natürhch,  wie  ganz  recht  mir  das  sei. 

Als  ich  mich  endlich,  nach  dreiviertel  Stunden,  empfahl,  sagt  er 
mir:  ,,Ich  hoffe,  daß  Sie  mich  nun  jetzt  recht  bald  und  recht  oft  be- 
suchen. Ich  bin  fast  täglich  von  eins  bis  zwei  für  vSie  zu  Hause,  für  Sie 
zu  Hause,"  —  fügte  er  sehr  scharf  und  verbindlich  betonend  hinzu. 
Dies  ist  ungefähr  bei  Humboldt  wie  der  Schwarze-Adler-Orden.  Noch 
hatte  er  mir  im  Lauf  des  Gesprächs  erzählt:  ,,Vor  einer  Stunde  war 
Böckh  bei  mir;  er  hat  mir  alles  und  mit  noch  größerem  Enthusiasmus 
mündlich  über  Sie  wiederholt,  was  er  mir  geschrieben  hatte."  Es  ist 
dies  um  so  schöner  von  Böckh,  als  fast  zu  wetten  ist,  er  ist  bloß  deshalb 
zu  ihm  hingelaufen.  Denn  zwei  Tage  vorher  hatte  er  bei  mir  von  [sie!] 
gehört,  daß  ich  Montag  zwei  Uhr  bei  Humboldt  sein  würde. 

Außerdem  hat  Humboldt  nun  angefangen,  mich  zu  kolportieren. 
Klotz,  2)  ein  Mitglied  der  Akademie  imd  Naturforscher,  erzählte  Pritzel, 
dessen  besonderer  Freund  er  ist,  von  dem  Buche,  und  als  ihn  dieser 
fragte,  was  er  denn  davon  wisse,  da  er  diese  Materien  gar  nicht  verstehe, 
sagte  ihm  Klotz,  er  verstehe  sie  auch  nicht,  aber  Plumboldt  habe  es 
ihm  so  rasend  gelobt.  Aber  das  ist  nicht  genug.  Das  beste  kommt  nun. 
Sonnabend  drauf  war  Tee  bei  Vamhagen.  ,, Gestern  war  ich  mit  meinem 
Onkel  bei  Humboldt,"  sagte  mir  seine  Nichte,  als  wir  in  einer  Ecke 
plauderten.  ,,Nein,  der  schwärmt  für  Sie,  wie  ich  ihn  noch  nie  für 
jemand  habe  schwärmen  hören.  Sie  wissen,  wie  gern  ich  Sie  loben  höre, 
aber  diesmal  wurde  es  mir  fast  zuviel.  Denn  ich  wollte  ihn  gern  noch 


^)  Arnold  Mendelssohn.  Siehe  oben  Nr.  30  und  die  Einführung  zu  Bd.  I,  S.  29  ff. 

^)  Lassalle  meint  offenbar  den  Kustos  am  Herbarium  der  Akademie  der 
Wissenschaften  Johann  Friedrich  Klotzsch  (1805 — 1S60),  der  seit  185 1  als  ordent- 
liches Mitglied  der  Akademie  angehörte. 


=  202  = 

auf  einige  andre  Dinge  bringen,  aber  umsonst,  was  man  auch  anfing, 
er  kam  immer  wieder  auf  Sie  zurück."  Die  Lobeserhebungen  usw.  über- 
gehe ich  hier  und  will  Ihnen  nur  eine  Geschichte  mitteilen,  die  Ihnen 
zeigen  mag,  wie  weit  ich  es  schon  gebracht  habe.  ,,Br  wurde  selbst  kühn, 
der  alte  Humboldt,"  fuhr  Fräulein  lyudmilla  lachend  fort,  ,,so  kühn, 
daß  ich  gar  nicht  weiß,  ob  ich  Ihnen  auch  das  wiedersagen  soll."  —  ,,Sie 
wissen,"  sagte  ich,  ,,daß  ich  darauf  rechne  (wir  sind  nämlich  sehr  gute 
Freunde),  von  Ihnen  alles  zu  hören,  und  es  nicht  Ihrer  würdig  halten 
würde,  wenn  Sie  irgend  etwas  zurückhielten."  —  ,,0h,"  lachte  sie, 
„ereifern  Sie  sich  nicht,  ich  hätte  es  Ihnen  jedenfalls  gesagt,  denn  ich 
weiß,  daß  Ihnen  das  grade  besondere  Freude  machen  wird.  Auch  ist 
es  für  uns  gar  nicht  kühn,  nur  für  ihn,  den  alten  H[umboldt],  ist  es  fast 
kühn."  —  ,,Also  was  ist  es?"  —  ,,Er  rief  nämlich  unter  anderm  aus: 
Welche  merkwürdige  Natur  das  ist!  Ich  finde  das  so  schön  von 
ihm,  wie  er  sich  geteilt  hat  zwischen  Heraklit  —  und  der  Gräfin 
Hatzfeldt,  und  keins  von  beiden  aus  den  Augen  verloren,  jedem  ge- 
nügend." 

Sie  sehen,  weiter  kann  ich  wirklich  nicht  gehen.  Humboldt,  der  mir 
in  jenem  Briefe,  wie  Sie  sich  erinnern,  wegen  Ihrer  erklärt  hat,  er  wolle 
nichts  mehr  mit  mir  zu  tun  haben,  hat  sich  so  erhitzt,  daß  er  es  um- 
gekehrt jetzt  ,,so  schön"  findet.  Bald  wird  er  sich  eingeredet  haben, 
er  habe  es  immer  so  schön  gefunden.  Welche,  ich  möchte  sagen,  fast 
kopulierende  Wirkung  diese  Äußerung [en]  Humboldts  auf  Varnhagen 
und  alle,  denen  er  sie  im  Vertrauen  weitererzählt,  bei  dem  Humboldt- 
Kultus  der  hiesigen  Welt  haben,  brauche  ich  Ihnen  natürlich  nicht  aus- 
einanderzusetzen. 

Als  ich  an  den  Tisch  trat,  jetzt  erst  Varnhagen  begrüßend,  da  fing 
Varnhagen  laut  an:  ,, Gestern  war  ich  bei  Humboldt"  usw.  und  gab 
nun  —  mit  Ausnahme  der  letzten  Anekdote  natürlich  —  einen  Teil  des 
mir  von  Ivudmilla  Erzählten  laut  zum  Besten.  Sie  können  denken, 
welcher  Gegenstand  der  Verehrung  ich  in  den  Augen  der  Anwesenden 
wurde.  Sie  sehen,  unsere  Galeere  geht  mit  günstigem  Winde  und  schwellen- 
den Segeln. 

.  .  .  Die  Gelehrten  inzwischen  trommeln  immer  weiter.  Ein  neuer, 
unmäßiger  Bewunderer,  Meinecke,  i)  Mitglied  der  Akademie,  ist  auf- 
taucht. Alle  einzelnen  Anekdoten  erzählen,  wäre  lästig.  Anbei  ein  Brief 
von  'Ritschel  ^)  in  Abschrift .  .  . 


1)  August  Meinecke  (1790 — 1870),  klassischer  Philologe,  Direktor  des  Joachim- 
thalschen  Gymnasiums. 

-)  Abgedruckt  in  Bd.  II,  S.  144. 


203  — 

86. 
I.ASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Dienstag  [Berlin,   i.März  1858]. 
Meine  gute,  gnädige  Frau! 

Ich  sehe  Sie  noch  immer  mit  dem  wehmütigen  Ausdruck,  den  Ihr 
Gesicht  im  Augenbhcke  des  Abschiednehmens  hatte,  vor  meiner  Tür 
stehen,  mit  Tränen  in  den  klaren,  blauen  Augen!  Was  war  Ihnen  nur? 
Was  hatten  Sie?  Was  es  auch  gewesen  sein  mag  —  kein  Gedanke  würde 
ungerechter  sein  als  der,  daß  meine  Freundschaft  für  Sie  durch  meine 
hier  entamierten  Fremidschaften  usw.  im  geringsten  gelitten  habe. 
Eigentlich  ist  dieser  Gedanke  bei  dem  Charakter,  den  Sie  an  mir  kennen, 
schon  eine  Art  Blasphemie!  Wenn  ich  mich  auch  mit  andern  Leuten 
amüsiere,  wenn  ich  sie  auch  recht  gern  habe,  nie  würde  das  doch  irgend- 
eine Konkurrenz  aushalten  können  mit  dem  gediegenen  Devouement, 
das  ich  für  Sie  habe.  Sie  selbst  wußten  das  früher,  lachten  oft  mid 
sagten  z.  B.,  Sie  wüßten  genau,  daß  niemals  z.  B.  eine  Liebschaft  meiner 
Freundschaft  für  Sie  gefährlich  werden  könne.  Ich  würde  immer  alles 
stehen  und  liegen  lassen,  wenn  es  sich  irgend  um  Sie  handle!  Was  ich 
hier  sage,  sage  ich  nicht  bloß  Ihnen.  Ich  habe  es  allen  diesen  Leuten  — 
ich  werde  es  Ihnen  bei  Ihrer  Herkunft  beweisen  —  allen  diesen  Damen 
gesagt.  Ich  habe  ihnen  mit  jener  Herrschermiene,  die  ich,  wenn  es  an 
der  Zeit,  anzunehmen  weiß,^)  unverhohlen  angekündigt  und  geradezu 
gesagt:  ,,Jede  von  Ihnen,  die  nicht  für  die  Gräfin  die  wärmste  Freimd- 
schaft  und  Bewunderung  fühlte  und  dies  auf  alle  Weise  an  den  Tag 
legen  würde,  würde  ich  sofort  als  ein  etre  stupide  aus  der  Liste  meiner 
Freundinnen  streichen."  Das  sagte  ich,  ehe  die  Damen  Sie  noch  sahen, 
und  sie  lassen  es  sich  auch  gesagt  sein.  Selbst  solchen,  zu  denen  mich 
doch  gewisse  nähere  Bande  fesseln  und  die  mir  Vorwürfe  machten,  daß 
Ihre  Anwesenheit  ihnen  soviel  Zeit  entzöge,  sagte  ich  ganz  unverholen : 
,,Wie  können  Sie  sich  mit  der  Gräfin  messen  wollen  in  bezug  auf  die 
Ansprüche,  die  Sie  auf  meine  Zeit  erheben?  Sie  kommen  mir  erst  in- 
finiment  nach  ihr,  denn  die  Gräfin  ist  nicht  wie  Sie  meine  Freundin, 
sondern  mein  bester  Freund!" 

Wenn  Sie  wieder  hier  sind,  sollen  die  Damen  es  alle  Ihnen  sagen, 
ob  ich  textuellement  so  gesprochen. 

Nein,  ,,kein  Flitterschein,  kein  Wandel  ist  in  mir".  Jede  Empfin- 
dung und  jeder  Wille  in  mir  ist  ewig,  wie  er  bei  Gott  gedacht  wird. 
Unser  Verhältnis  ist  freilich  ein  endliches.  Aber  nicht  meinerseits;  ich 


^    L,assalle  verschreibt  sich:  annehmen  zu  weiß. 


=  204  = 

bin  kein  endliches  Wesen  in  dem  Sinne  eines  veränderlichen  Wesens. 
Durch  keine  ändere  Freundschaft,  Leidenschaft  usw.  könnte  mein  Ver- 
hältnis zu  Ihnen  im  geringsten  geschwächt  oder  tangiert  werden.  Nur 
dadurch  könnte  es  Eintrag  erleiden,  wenn  Sie  anfingen,  aus  der  Art 
zu  schlagen  und  sich  zu  deteriorieren.  Indes  —  das  werden  Sie  nicht. 
Dazu  ist  zuviel  geistige  Gesundheit  und  geistiger  Fond  in  Ihnen.  Aber 
etwas  außer  Ihnen  Liegendes  wird  Ihnen  nie  bei  mir  Eintrag  trni  .  .  . 

Nun  adieu,  alte,  gute  Gräfin!  Ich  warte  mit  leidenschaftlicher  Un- 
geduld Ihre  ersten  Zeilen  ab. 

Expedieren  Sie  sich  doch  schnell.  Vielleicht  —  es  ist  sehr  wohl 
möglich,  wenn  Sie  Diligence  machen  —  können  Sie  dann  den  April 
noch  in  Berlin  zubringen  rnid  gehen  dann  i.  oder  15.  Mai  von  hier  in 
die  Bäder  imd  sind  am  15.  Juli  fertig. 

Ihr 

F.Iv. 

87. 

IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag,  den   12.  März  1858. 
Gute  Gräfin! 

Wieso  mein  letzter  Brief  an  Sie  nicht  freimdschaftlich  und  freund- 
lich gewesen  sein  soll,  begreife  ich  nicht.  Er  war  geschäftlich.  Die  Stelle 
mit  den  vielen  Nullen,  die  Sie  wohl  allein  bei  jenem  Urteil  im  Auge  haben, 
sollte  bloß  mit  der  höchsten  Energie  ausdrücken,  daß  ich  nichts  mehr 
zu  schreiben  weiß.  Sie  wollen  immer  mehr  rmd  mehr  geschrieben  haben, 
und  benutzen  dann  doch  nicht  das  Geschriebene. 

Auf  Ihren  jetzigen  Brief  ^)  aber  ist  es  wirklich  schwer,  Ihnen  eine  — 
nicht  fremidschaftliche,  denn  das  bleibt  sie  immer  —  sondern  auch 
eine  freundliche  Antwort  zu  geben.  Es  ist  wirklich  sehr,  sehr  traurig! 
Nicht  Ihre  Lage,  aber  diese  ganze  verkehrte  rmd  grundlose  Stimmimg 
bei  Urnen !  Was  soll  ich  tun  ?  Schriftlich  ist  es  doch  immöglich,  Sie  zur 
Einsicht  zu  bringen  und  die  Dinge  zu  widerlegen.  Sie  stellen  sich  alle 
Dinge  falsch  vor  .  .  .  Daß  Sie  unter  solchen  Umständen  weder  eine  Ver- 


^)  Die  Gräfin  hatte  in  einem  Brief  ihre  Vermögensverhältnisse,  die  durch  die 
wirtschaftliche  Krisis  und  tmgünstig  verlaufene  Spekulationen  gelitten  hatten, 
in  den  schwärzesten  Farben  geschildert  und  sogar  die  Meinung  geäußert,  daß  sie 
auf  eine  Badereise  werde  verzichten  müssen.  Sie  schrieb  u.  a. :  ,,Ich  bitte  Sie, 
meine  Lage  einmal  ohne  vorgefaßte  Meinung  zu  überdenken,  und  Sie  werden 
mir  Recht  geben  müssen  und  mir  nicht  mehr  vorwerfen  können,  wenn  ich  recht 
sehr  melancholisch  bin.'" 


205  ========= 

gnüguugs-  noch  eine  Badereise  machen  können,  finde  ich  sehr  ver- 
nünftig und  echt  menschlich.  Ich  billige  es  ganz!  Man  müßte  ja  blind 
sein,  um  das  nicht  einzusehen.  —  Grade  tags  vor  Empfang  Ihres  Briefes 
habe  ich  Dawison^)  im  Avare  von  Moliere  gesehen.  Ich  hätte  nicht 
geglaubt  —  verzeihen  Sie  mir,  ich  schreibe  es  nicht,  um  Sie  zu  be- 
leidigen, ich  schreibe  es  vielmehr  aus  der  bewegten  Tiefe  eines  bluten- 
den Herzen  —  ich  hätte  nicht  geglaubt,  den  Typus  desselben  zu 
meinem  besten  Freunde  zu  haben!  Was  wollen  Sie  denn  machen  mit 
Ihrem  Gelde?  Sich  drin  einsargen  lassen?  Sie  gleichen  wirklich  jenem 
Souslieutenant,  der  mit  zwanzig  Reichstalem  monatlich  fröhhch  lebte, 
und  als  er  einen  Millionär  beerbte,  sich  erschoß  wegen  der  vSorgen,  die 
ihm  die  Hypothekenschulden  auf  den  Gütern  machten.  Traurig,  traurig! 

Ihr 

F.  Ivassalle. 

P.S.    Anbei  Ihr  Brief  zurück!    Sie  lesen  ihn  vielleicht  nochmals 
durch  und  — erschrecken  dann  selbst  davor! 


88. 

IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  [wohl  Frühling   1858]. 

Meine  gnädige  Frau! 

Ich  habe  Ihnen  nun  genug  Geschäftsbriefe  in  diesen  Tagen  ge- 
schrieben und  will  nun  ein  bißchen  mit  Ihnen  plaudern.  Ihr  ,, Pionier", 
wie  ich  mich  zu  nennen  rmd  wirklich  aufzufassen  liebe,  hat  gestern 
einen  sehr  entscheidenden  Abend  geschlagen.  Ich  gab  nämlich  ein 
äußerst  glänzendes  Souper,  glänzend  sowohl  nach  den  dabei  ent- 
wickelten materiellen  Genüssen  als  nach  der  höchst  gewählten  Gesell- 
schaft. Es  war  da  Vamhagen  von  Ense  mit  seiner  Nichte  Fräulein 
Ludmilla  Assing,  der  alte  Böckh,  Professor  Michelet  mit  seiner  Frau, 
Adolf  Stahr,^)  dessen  Frau  (Fanny  Lewald)  zu  seinem  tmendlichen  Be- 
dauern durch  eine  gestern  abend  angekommene,  heute  früh  abreisende 
Cousine  gehindert  war  (ich  rächte  mich  dafür  an  ihr,  indem  ich  ihren 
Mann  ihr  schwer  molum^)  nach  Hause  schickte),   der  Hof  rat  Förster 


^)  Bogumil  Dawison  (1818 — 1872),  der  berühmte  Schauspieler,  gehörte  damals 
der  Dresdener  Hofbühne  an. 

-)  Adolf  Stahr  (1805 — 1876),  der  bekannte  Philologe, Ästhetiker  und  Historiker. 
Seine  und  seiner  Frau  Beziehungen  zu  Lassalle  waren  um  diese  Zeit  sehr  freund- 
schafthche.    Vgl.  auch  Bd.  II,  S.  140. 

^)  Hebräisch:  betrunken. 


=  2o6  = 

(der  bekannte  Hegelianer  und  „Hofdemagoge"  des  verstorbenen  Königs) 
und  außerdem  meine  sonstige  Gesellschaft,  die  vSie  schon  kennen.  Also 
wirklich  die  Elite  der  Berliner  geistigen  und  gelehrten  Welt.  Man  hat 
sich  über  alle  Maßen  gut  amüsiert.  Böckh  war  selig.  Als  ich  ihm  beim 
Fortgehen  erklärte,  daß  ich  nur  aus  pflichtgemäßer  Bescheidenheit  dies- 
mal seine  Frau  noch  nicht  eingeladen,  ich  hätte  gewollt,  daß  er  zuvor 
erst  einmal  allein  bei  mir  sei,  damit  er  sehe,  ob  er  sich  bei  mir  amüsiere, 
versicherte  er  mir,  daß,  wie  äußerst  selten  die  alte  Dame  auch  in  Abend- 
gesellschaften ginge,  es  ganz  selbstverständlich  sei,  daß  er  bei  mir  eine 
Ausnahme  machen  und  sie  mir  jederzeit  gern  mitbringen  werde.  Varn- 
hagen  machte  mir  freimdschaftliche  Vorwürfe,  daß  ich  General  Pfuel 
(seinen  Freund)  nicht  eingeladen,  worin  sich  also  aussprach,  daß  dieser 
mit  Vergnügen  ein  nächstesmal,  was  mir  Varnhagen  ans  Herz  legte, 
akzeptieren  wird,  und  ferner,  daß  Varnhagen  sich  sehr  wohl  fühlte  und 
seinen  Cercle  bei  mir  heimisch  machen  will.  Böckh  hatte  als  der  höchste 
im  Range  den  Ehrenplatz  inne  und  unterhielt  die  Damen  nach  rechts 
und  nach  links,  daß  es  eine  wahre  Freude  war.  Die  Leute  schwammen 
im  Amüsement.  Freilich  hatte  ich  wieder  einmal  fest  an  meiner  Theorie 
gehalten,  daß  auch  bei  den  gescheitesten  Leuten  (wenn  ich  nach  mir 
urteilen  darf,  grade  bei  solchen)  doch  um  das  vollständige  Ver- 
gnügen herzustellen  erforderlich  sei,  das  liebe  Herz,  wie  Homer  sagt, 
an  Speise  und  Trank  zu  erfreuen  in  ganz  andrem  Maß,  als  dies  sonst 
in  den  Abendgesellschaften  hier  üblich  ist.^)  Wir  waren,  da  Fanny  vStahr 
ausgeblieben  war,  dreizehn  Personen,  und  damit  nicht  irgend  jemand 
durch  diese  ominöse  Zahl  sich  unbehaglich  fühle,  hatte  Madame  Duncker 
die  Freundlichkeit,  ihr  kleines  Töchterchen  aus  dem  Bette  holen  zu 
lassen.  Wir  waren  also  dreizehn  und  ein  Kind  und  tranken  fünf  Flaschen 
Bordeaux,    vier    Flaschen    Steinberger    Kabinett   und    acht    Flaschen 


^)  Schon  am  5.  Dezember  1857  schrieb  Lassalle  der  Freundin:  ,,Von  mir  ist 
Ihnen  dagegen  wohl  bekannt,  daß  die  teuersten  und  hauptsächUchsten  Ausgaben, 
die  ich  mache,  alle  von  dem  Gedanken  an  S  i  e  geleitet  sind  und  diktiert  werden 
von  der  Stellung,  die  ich  mir  machen  will,  um  Ihnen  Annehmlichkeiten  be- 
reiten zu  können  .  .  .  Daß  Geld  und  gewisse  Ausgaben  hierzu  ein  ganz  un- 
erläßUches  Mittel  sind,  ist  klar.  Wenn  Sie  meinen,  ich  wollte  aus  purer  Narrheit 
den  Leuten  durch  Geldausgeben  imponieren,  so  kann  ich  dazu  lächeln.  Ein 
Mann  von  meiner  Bedeutung  und  Persönlichkeit  hat  das  nicht  nötig;  er  kann 
weit  besser  durch  sich  selbst  imponieren,  wenn  er  eben  nur  sich  selbst  im  Auge 
hat.  Sowie  man  aber  Zwecke  verfolgt,  die  mit  Frauen  etc.  zusammenhängen 
und  ihrer  gesellschaftlichen  Stellung,  muß  man  ganz  anders  auftreten.  Ihret- 
wegen mache  ich  sozusagen  ein  Haus  und  unterwerfe  mich  den  großen  Aus- 
gaben dafür.  Selbst  Goethe,  der  doch  noch  leichter  imponieren  konnte  als  ich, 
sah  sich  genötigt,  wie  mir  Varnhagen  neulich  erzählte  —  mündlich  will  ich 
Ihnen  das  genauer  erzählen  —  in  solchem  Falle  ,den  Futterkorb  heraus- 
zuhängen', wie  sich  Varnhagen  ausdrückte." 


207  ========================1= 

Champagner,  also  siebzehn  Flaschen  auf  dreizehn  Personen,  worunter 
mehrere  Damen  noch  dazu. 

Der  gestrige  Abend  war  in  dem  Interesse,  das  ich  für  vSie  ver- 
folge, ein  ganz  entscheidender.  Wo  Böckh,  der  mir  jetzt  auch  noch 
seine  Frau  mitbringen  will,  wo  Varnhagen  und  die  Ludmilla  hin- 
ziehen, konnnt  jeder  und  jede,  die  ich  einlade,  mit  Freuden  und 
ohne  allen  Anstand.  Ich  kann  Ihnen  jetzt,  sowie  Sie  herkommen, 
die  Elite  unsrer  Berliner  Welt,  alle  unsere  Berühmtheiten  versammehi 
und  Ihnen  die  beste  Gesellschaft  machen,  die  es  hier  überhaupt  gibt, 
sowie  den  interessantesten  Frauenkreis,  den  ich  hier  getrofiFen  habe. 
Die  Frau  Professor  Michelet  ist  eine  sehr  gebildete  Frau,  Fanny  und 
Ludmilla  Schriftstellerinnen,  Madame  Duncker  und  Frau  Dohm  inter- 
essante Persönlichkeiten.  Nächstens  werde  ich  einmal,  was  ich  schon 
lange  sollte,  Cosima  von  Bülow  (Iviszts  Tochter),^)  die  ich  viel  bei  Varn- 
hagen treffe,  besuchen  und  sie  dann  gleichfalls  einladen;  auch  an  Böckhs 
Schwiegertochter,  Frau  Professor  Gneist,  eine  der  schönsten  imd  geist- 
reichsten Frauen  Berlins,  kommt  nächstens  die  Reihe,  und  wen  ich  will, 
kann  ich  jetzt  haben.  Es  gibt  niemand  in  Berlin,  der  Ihnen  jetzt  eine 
bessere,  zahlreichere  und  glänzendere  Gesellschaft  zu  bieten  vermöchte 
als  ich.  So  bringe  ich,  wie  Sie  sehen,  alles  fertig,  was  ich  will.  Ohne 
Mühe  ist  es  freihch  nicht  gegangen.  Ich  habe  die  Zeit  über  gar  manches 
und  manches  tun  müssen.  Aber  ich  tat  es,  so  wenig  ich  es  sonst  getan, 
für  Sie,  glauben  Sie  mir  das,  es  ist  keine  Berühmerei  von  mir !  Ich  warf 
mein  Geld  auf  die  Straße,  ennuyierte  mich  manchen  Abend,  schluckte 
manchen  Ärger  ein,  riskierte  manche  falsche  Position  Ihretwegen, 
Denn  ich  wollte  Ihnen  hier  einen  glänzenden  und  zahlreichen  Zirkel 
machen  können,  was  ich  jetzt  kann.  Wie  gesagt,  ganz  ohne  Schwierig- 
keiten ist  es  durchaus  nicht  gegangen,  und  ich  habe  manchmal  meine 
gerunzelte  Stirn  in  die  Wagschale  werfen  müssen  und  auch  wieder 
Finessen  aufbieten  müssen,  um  Gar^ontum  und  alles  andere  zu  über- 
winden. Ich  erzähle  Ihnen  dieses  und  jenes,  wenn  wir  beisammen  sind. 
Aber  es  ist  jetzt  überwunden,  und  ich  habe,  was  ich  für  Sie  wollte  und 
Urnen  versprach. 

Nächsten  Winter  will  ich  alle  vier  Wochen  ein  Souper  geben,  außer- 
dem aber  alle  acht  Tage  einen  jour  fixe  haben,  der  dann  nur  in  bezug  auf 
die  Gesellschaft  glänzend,  sonst  bescheiden  sein  soll.  Das  einzige,  was 
mir  noch  dazu  fehlt,  ist  eine  größere  Wohnung.  Denn  ich  kann  in  meiner 
höchstens  sechzehn  Personen  zu  Tische  setzen,  und  ich  muß  womöglich 
vierundzwanzig,  mindestens  zwanzig  bis  zweiundzwanzig  setzen 
können.  Ich  will  noch  heute  gehen  und  mich  nach  einer  Wohmmg  um- 

^)  Cosima  von  Bülow,  die  spätere  Gattin  Richard  Wagners,  damals  die  Frau 
Hans  von  Bülows.  Einige  Briefe  von  ihr  an  Lassalle  befinden  sich  im  Nachlaß. 


==========  208  

sehen,  denn  so  verhaßt  mir  das  Ziehen  auch  in  tiefster  Seele  ist,  möchte 
ich  doch  zum  Winter  eine  andre  haben. 

Nun  adieu.  Ich  bin  vergnügten  Herzens,  das  schön  Vollbrachte 
freudig  überdenkend.  Wie  unrecht  würden  Sie  mir,  wie  ungerechten 
Abbruch  würden  Sie  Ihrer  eigenen  freudigen  Überzeugung  tun,  die  es 
Ihnen  doch  gewähren  muß,  wenn  Sie  mir  nicht  vollständig  glaubten, 
daß  ich  mir  lediglich  Ihretwegen  alle  diese  Mühe  gegeben  habe  und 
es  mir  lediglich  Ihretwegen  diese  Freude  macht.  Auch  müssen  Sie  das 
schon  aus  meinem  Geschmacke  wissen,  denn  ich  liebe  es,  lang  aufs 
Sofa  hingelagert  mit  zwei  bis  drei  guten  Freunden  alten  Rheinwein  zu 
trinken,  nicht  aber  solche  Damengesellschaften  mit  Honorationen  usw., 
wobei  ich  selbst  nur  viel  Mühe  tmd  Qual  habe.  Aber  um  Ihretwillen  ist 
es  mir  ein  Genuß,  tmd  abgesehen  von  dem  angenehmen,  praktischen 
Resultate,  daß  ich  Ihnen  jetzt  eine  Ihrer  würdige  Gesellschaft  machen 
kann,  muß  es  Ihnen  doch  eigentlich  eine  höchst  genußreiche  Über- 
zeugimg sein,  so  jemand  zu  haben,  der  alles,  was  er  tut,  nur  mit  Bezug 
auf  Sie  und  für  Sie  tut,  wie  ich  wenigstens  wollte,  ich  hätte  jemand, 
der  so  für  mich  lebte,  wie  ich  für  vSie.  Adieu. 

Ihr 

F.  I,assalle. 

89. 

IvASSAI^LE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Montag  [31.  Mai  1858]. 

Gnädigste  Frau! 

Wieso  kommt  es,  daß  ich  die  ganze  Zeit  keinen  Brief  von  Ihnen  ge- 
habt habe  ?  Daß  ich  selbst  nicht  schrieb,  liegt  an  einer  Geschichte,  die 
ich  hatte  und  die  mir  viel  zu  tun  gab  und  noch  gibt.  Ich  bin  nämlich 
der  Herr  L,.,  dem  der  Überfall  ^)  passiert  ist;  den  die  Berliner  Zeitungen 
melden.  Ich  schicke  Ihnen  beiliegend  den  Artikel  der  ,, Volkszeitung", 
der  ebenso  in  der  ,, Nationalzeitung"  und  in  der  ,, Vossischen"  und 
,,Spenerschen  Zeitung"  stand. 2)  Natürlich  gab  und  gibt  mir  die  Sache 
äußerst  viel  zu  tim.  Ich  mußte  zu  Zedlitz,  dem  Staatsanwalt,  WrangeH) 

^)  Über  den  Fall  Fabrice  vgl.  H.  Oncken,  Lassalle,  S.  143.  Im  Nachlaß  be- 
findet sich  ein  ganzer  Dossier,  der  sich  auf  diese  Angelegenheit  bezieht.  Vgl.  auch 
Bd.  II,  S.  164  ff. 

2)  In  dem  Artikel  hieß  es  u.  a.:  ,,Ein  derartiger  Anfall  zu  zweien  gegen  einen 
ist  in  der  Geschichte  ähnlicher  Händel  wohl  unerhört." 

3)  Graf  F.  H.  E.  von  Wrangel  (1784 — 1877),  der  preußische  Generalfeld- 
marschall, war  gleichzeitig  Oberkomniandeur  in  den  Marken  und  kommandierender 
General  des  III.  Armeekorps. 


:   209  : 

(denn  die  betreffenden  stehen  unter  der  Militärgerichtsbarkeit)  herum- 
fahren, habe  Eingaben  zu  machen,  zu  erzählen  usw.  usw.  Dazu  kommt 
der  vStrom  der  Besucher,  Böckh,  Förster  usw.  usw.  kamen  alle  gleich 
angelaufen.  Jeder  will  die  Geschichte  erzählt  haben. 

Die  Empörung  ist  in  ganz  Berlin  einstinunig  und  kolossal.  Jeder 
Mensch  parallelisiert  den  Fall  Pene.^) 

Der  Intendanturrat  Fabrice  wird  übrigens  jahrelang  das  Loch  be- 
halten, das  ich  ihm  in  die  Stirn  geschlagen  habe.  Der  Hieb  war  furchtbar 
und  so  stark,  daß  der  goldene  Knopf  meines  Stockes  sofort  vom  Stock 
abbrach,  obwohl  es  sehr  fest  angelötet  war.  (Ich  schlug  ihm  nämlich 
den  goldenen  Griff  aus  aller  Kraft  in  die  Stirn;  sein  ganzes  Gesicht  war 
sofort  von  einem  Blutstrom  Überschossen.) 

Die  Hauptsache  aber  ist  die  Kassation  und  Kriminalbestrafung  des- 
selben und  seiner  Spießgesellen.  Die  Presse  besonders  ist  es,  die  die 
Militärbehörde  zwingen  muß,  alle  Rücksichten  beiseite  zu  setzen.  Die 
hiesige  Presse  steht  mir  darin  nach  Kräften  zur  Seite.  Die  ,, Volkszeitung" 
hat  die  Sache  sogar  formell  zu  der  ihrigen  gemacht. 

Können  Sie  etwas  für  die  rheinische  Presse,  besonders  die  ,, Kölnische 
Zeitimg"  tun,  so  wird  es  mir  sehr  lieb  sein. 

(Ich  selbst  bin,  abgesehen  von  zwei  der  Rede  nicht  werten  Beulen, 
gänzlich  unverletzt.)  .  .  . 

90. 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Mittwoch  [2.  Juni   1858]. 

Der  Vollständigkeit  wegen  schicke  ich  Ihnen  hier  ein  ferneres 
Exemplar  der  ,, Volkszeitung".  Auf  den  neulich  von  mir  überschickten 
Artikel  der  ,, Volkszeitung",  der  in  alle  Blätter  hier  überging,  erschien 
nämlich  ein  von  Fabrice  ausgehendes  durch  und  durch  lügenhaftes 
Inserat  in  der ,,  Vossischen  Zeitung"  als  Erwiderung.  Die  ,,  Volkszeitung", 
die  ich  Ihnen  sende,  druckte  dies  Inserat  nur  ab,  um  die  Erwiderung 
dran  zu  hängen,  die  Sie  dabei  finden.  Außerdem  erschien  in  allen  anderen 
Blättern  eine  von  der  Redaktion  der  ,, Volkszeitung"  unterzeichnete 
Erklänmg,  des  Inhalts,  daß  jener  erste  Artikel  von  ihr  selbst  ausgegangen, 
daß  sie  denselben  in  allen  seinen  Teilen  aufrecht  erhalte  und  in  der  Ver- 
leumdungsklage, die  sie  nunmehr  jedenfalls  erwarte,  den  Beweis  der 
Wahrheit  erbringen  werde.  Der  Unwillen  in  der  ganzen  Stadt  dauert 

^)  Kurz  zuvor  hatte  das  doppelte  Duell  des  französischen  konservativen 
Journalisten  Henri  de  P^ne  (1833 — 1888),  der  schwer  verwundet  wurde,  beträcht- 
liches Aufsehen  gemacht. 

.Mayer,  Lassalle-NachUss      IV  ja 


=  210  =z= 

Übrigens  ungeschwächt  fort.  Durch  das  Inserat  der  Gegner  hat  sich 
kein  Mensch  irren  lassen,  weil  seine  Widersprüche  und  laugen  schon 
durch  die  Umstände  klar  aiif  der  Hand  liegen  .  .  . 

Professor  Gneist/)  der  gestern  bei  mir  war  und  als  Jurist  die  be- 
treffenden Dinge  kennt,  hat  mir  versichert,  ich  könnte  über  die  Be- 
strafung ganz  außer  Sorge  sein.  Der  Zudrang  aller  meiner  Bekannten 
zu  mir  hat  auch  gestern  noch  fortgedauert,  und  wo  ich  hinkomme,  treffe 
ich  nicht  nur,  sondern  höre  auch  aus  allen  Kreisen,  wo  man  mich  nicht 
kennt,  von  der  wärmsten  Sympathie  und  einmütigsten  Indignation  .  .  . 

91. 

I.ASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Berlin,  Anfang  Juni  1858.] 

Wegen  der  Fabrice-Geschichte  kann  ich  Ihnen  nur  nochmals  wieder- 
holen, daß  ich  ganz  unverletzt  bin  und  sogar  schon  gestern  selbst  die 
imbedeutenden  blauen  Flecke,  die  ich  davontrug,  nicht  mehr  zu  sehen 
waren.  Aber  wie  kommen  Sie  denn  darauf,  zu  sagen,  ,,.  .  .  wenn  wegen 
politischer  Meinungsverschiedenheiten  solche  Dinge  passieren 
können".  Stand  denn  davon  etwas  in  den  rheinischen  Zeitungen?  Dann 
bitte  ich  Sie,  mir  dieselben  alle  einzusenden.  Wahr  ist  es  aber  nicht. 
Denn  wenn  auch  der  Unterschied  unsrer  politischen  Ansichten  mit  ein 
Grund  war  für  den  Widerwillen  und  Haß,  den  jener  Herr  gegen  mich 
empfand,  so  war  doch  durchaus  nicht  ein  politischer  Wortwechsel  der 
Grund  der  Forderung,  sondern  dieser  war  ein  ,,Ivächeln"  bei  folgender 
Gelegenheit.  Ich  imd  Dr.  Frese  ^)  befanden  uns  eines  Nachmittags  bei 
Madame  Duncker,  als  Herr  Fabrice  kam.  Da  er  uns  beide  nicht  leiden 
kann,  wollte  er  an  imserem  Gespräche  nicht  Anteil  nehmen  und  trieb 
die  Unhöflichkeit  soweit,  auch  mit  Madame  Duncker  nicht  zu  sprechen. 
Da  er  inzwischen  doch  etwas  tun  mußte,  begann  er  mit  dem  jüngsten 
Kinde  von  Madame  Duncker  zu  spielen.  Madame  sah  sich  das  eine 
Viertelstunde  mit  an  und  sagte  endlich:  ,,Eine  Zeitlang  sind  die  Kinder 
recht  amüsant,  aber  auf  die  Ivänge  der  Zeit  trägt  es  nichts  zur  Gesellig- 
keit bei.  Kinderfrau,  bringen  Sie  das  Kind  hinaus."  Darauf  ging  der 

^)  Rudolf  Gneist  (1816 — 1895),  ^er  berühmte  Rechtslehrer  an  der  Berliner 
Universität,  war  ein  Schwiegersohn  Böckhs. 

2)  Dr.  Julius  Frese,  der  vielseitige  volkswirtschaftliche  und  politische  Schrift- 
steller und  literarische  Übersetzer,  gehörte  mit  Fabrice  zu  den  ältesten  und  intim- 
sten Freunden  des  Dunckerschen  Hauses.  Leider  berichten  weder  die  Allgemeine 
Deutsche  Biographie  noch  die  Konversationslexika  Hinreichendes  über  ihn.  Für 
seine  spätere  Zeit  vgl.  Gustav  Mayer,  Die  Trennung  der  proletarischen  von  der 
bürgerlichen  Demokratie  in  Deutschland,  Leipzig  191 1,  S.  58  ff. 


211   —  = 

Rat  gleichfalls.  Dies  war  im  Januar.  Jetzt,  vier  Monate  nachher  und 
nachdem  er  in  der  Zwischenzeit  noch  oft  mit  mir  dort  zusammen- 
getroffen und  freundlich  verkehrt,  insbesondere  noch  Mitte  März  mit 
mir  das  Gespräch  über  das  Duell  gehabt  hatte,  wobei  er  meine  An- 
sichten erfuhr,  behauptete  er,  ich  hätte  bei  jener  Gelegenheit  gelächelt. 
Weder  ich  noch  Frese  wissen  überhaupt  nur,  ob  ich  damals  gelächelt 
oder  nicht. 

Übrigens  können  Sie  glauben,  daß  einen  die  Prinzipienreiterei  nicht 
wenig  Selbstüberwindung  kostet!  Ich  hätte  einen  immensen  Genuß, 
wenn  ich  es  für  mich  gestattet  halten  könnte,  die  Bestie  jetzt  auf  Pistolen 
zu  fordern;  er  würde  meiner  Kugel  schwerlich  entgehen.  Ich  schäme 
mich  nur,  dabei,  wenn  auch  nur  ganz  ausnahmsweise,  von  meinen 
Grundsätzen  abzugehen.  Was  meinen  Sie  zu  der  Idee?  Ich  habe  Sie 
niemals  als  Frau,  sondern  immer  als  Mann  behandelt.  Schreiben  Sie 
mir  also  als  solcher  Ihre  Meinung.^)  Fragen  Sie  auch  mal  Bloem 
darüber.  Wenn  es  irgend  zulässig  erscheint,  wenn  diese  Ausnahme 
irgend  gerechtfertigt  werden  kann,  so  wäre  es  mir  ein  Seelengaudium, 
es  zu  tun,  und  ich  muß  gestehen,  daß  es  selbst  für  mich,  den  abge- 
härteten Prinzipienmenschen,  diesmal  nichts  lyeichtes  ist,  meinen 
Prinzipien  zuliebe  den  Trieb  meines  Blutes  zu  unterdrücken.  Diese  Idee 
rappelt  vielmehr  seit  gestern  gewaltig  in  mir.  .  .  . 

92. 
SOPHIE  VON  HATZFEDDT  AN  LASSALIvE.  (Original.) 

[Düsseldorf]  Sonntag  [6.  Juni    1S58]. 

.  .  .  Ich  kann  Ihnen  gar  nicht  beschreiben,  wie  mich  der  Vorfall 
ergreift,  so  daß  mir  in  diesem  Augenblick  die  Hand  so  zittert,  daß  ich 
kaum  schreiben  kann.  Der  mir  zugeschickte  letzte  Artikel  aus  der 
,, Ostseezeitung"  hat  mich  im  tiefsten  Herzen  empört  und  betrübt. 
Sie  der  Feigheit  zu  beschuldigen!  Sie,  der  Sie  weit  eher  den  der  Toll- 
kühnheit verdienen!  Aber  man  darf,  weder  Sie  noch  ich,  es  sich  zu 
Herzen  nehmen;  wir  wissen,  daß  es  Wahnsinn  wäre,  da  Ihr  ganzes 
Lieben  laut  genug  spricht,  daß  Sie  nicht  nur  physischen  Mut,  den  leichte- 
sten von  allen,  sondern  den  höchsten  moralischen  Mut  besitzen  und  daß 
die  Leute  selbst,  die  es  jetzt  sagen  möchten,  nicht  daran  glauben,  nicht 
daran  glauben  können  und  es  nur  ein  Mittel  ist,  um  Sie  hinzureißen, 
aufs  äußerste  zu  treiben  und  möglicherweise  zu  beseitigen.  Mir  erscheint 
die  Sache  ganz  klar  und  hier  auch  allen  Leuten;  es  ist  nichts  anderes 

^)  Lassalle  befragte  am  4.  Juni  auch  Marx  um  seine  Ansicht.  Vgl.  Bd.  III, 
S.  125. 


=:    212  :rr.^  

als  ein  montierter  Coup  von  einer  gewissen  Clique,  deren  Ärger  und 
Wut,  daß  Sie  es  fertig  gebracht,  in  Berlin  zu  bleiben  und  sich  dort  eine 
so  geachtete  Stellmig  zu  machen,  wie  ich  ja  persönlich  weiß,  grenzenlos 
ist.  Man  will  Sie  entweder  zwingen,  sich  zu  schlagen,  tmd  dann  würde  es 
bei  dem  einen  nicht  bleiben,  oder  Ihnen  den  Aufenthalt  in  Berlin 
wenigstens  so  verleiden,  daß  Sie  fortgehen.  Und  ich  sehe  mit  Schrecken 
aus  Ihrem  letzten  Brief,  daß  selbst  Sie  anfangen,  wankelmütig  zu 
werden,  und  nicht  viel  daran  fehlt,  daß  Sie  in  die  Falle  gehen  und  auf 
eine  so  wahnsinnige  Forderung  eingehen.  Sie  fragen  mich  um  meine 
Meintmg,  tmd  Sie  haben  recht  darin,  denn  niemand  kann  ein  höheres, 
wärmeres  Interesse  für  Sie  haben,  und  zugleich  habe  ich  für  solche 
Dinge  einen  männlichen  Geist  imd  Auffassung  für  solche  Sachen.  Auch 
wissen  Sie,  daß  ich  sogar  im  Prinzip  nicht  ganz  mit  Ihnen  überein- 
stimme. Also  ist  gewiß  mein  Urteil  ein  darum  um  so  wichtigeres;  und 
ich  sage  Ihnen,  daß  es  nicht  nur  von  vornherein  ganz  richtig  war, 
eine  so  völlig  ungerechtfertigte  Ausforderung  zu  verweigern,  und  ich 
wie  jeder  vernünftige  Mensch  Ihnen,  wenn  Sie  sie  noch  nicht  abgelehnt, 
unbedingt  dazu  raten  würde,  sie  zurückweisen;  daß  also  um  so  mehr 
jetzt,  wo  die  Sache  einmal  so  angefangen  und  diese  ganz  richtige  Er- 
klärung von  Ihnen  abgegeben  worden  ist  und  die  Sache  in  der  Öffent- 
lichkeit eine  solche  Wendung  genommen  hat  vmd  unbedingt  zu  einer 
Partei-  und  Prinzipiensache  geworden  ist,  es  Ihrer  gar  nicht  würdig 
wäre,  schwankend  in  Ihrer  Überzeugung  zu  werden  und  sich  durch 
solch  lächerliche  Verleumdung,  deren  Ungrimd  jedem,  der  Ihr  L,eben 
kennt,  in  die  Augen  springt,  bestimmen  zu  lassen,  Ihre  Handlimgsweise 
zu  ändern.  Dann  würde  man  Ihnen  mit  mehr  Recht  vorwerfen 
können,  daß  Sie  sich  einschüchtern  lassen.  Jetzt  haben  Sie  nur  die 
zu[m]  Feinde  und  Gegner,  die  es  ohnehin  und  imter  allen  Umständen 
sind,  dann  aber  würden  Sie  Ihre  eigene  Partei  gegen  sich  haben.  Treten 
Sie  mit  Ihrer  gewöhnlichen  Entschiedenheit  tmd  Stolz  auf,  vmd  Sie 
werden  alles  für  sich  haben,  was,  wie  Sie  mir  oft  sagten,  [was]  sich  der 
Mühe  lohnt,  und  die  andren  können  Sie  ja  doch  nie  für  sich  haben. 
Aber  verraten  Sie  nicht  die  geringste  Unsicherheit,  seien  Sie  fest  imd 
entschieden;  aber  auf  der  andren  Seite,  ich  kann  Sie  nicht  genug  darum 
bitten,  seien  Sie  äußerst  vorsichtig,  sowohl  für  Ihre  eigene  persön- 
liche Sicherheit  als  jedes  unnütz  provokatorische  Auftreten  zu  ver- 
meiden, denn  Sie  kennen  ja  den  militärischen  und  Junkerkastengeist, 
wovon  Hinckeldey^)  das  Opfer  wurde.   Sie  fragen  mich,  was  Bloem 

^)  Der  Berliner  Polizeipräsident  Karl  Ludwig  von  Hinckeldey  war  1856  von 
von  Rochow-Plessow  im  Duell  erschossen  worden.  Er  hatte  sich,  seitdem  er  einmal 
die  ,,K.reuzzeitung"  verboten  und  einen  adligen  Spielklub  aufgehoben,  bei  der 
feudalen  Partei  unbeliebt  gemacht. 


213  

dazu  sagt;  er  sagte  mir  gleich,  daß  es  unverantwortlicher  Wahnsinn 
gewesen  wäre,  wenn  Sie  sich  hätten  auf  ein  Duell  einlassen  wollen. 
Kichnia^^y  desgleichen.  Ich  ließ  ihn  vor  einigen  Tagen,  als  ich  Ihren 
ersten  Brief  bekam,  sofort  rufen.  Er  ist  seitdem  morgens  und  abends 
gekommen  und  [hat]  mir  versichert,  daß  sich  die  wärraste  Sympathie 
und  Billigimg  für  Sie  allgemein  kundgibt.  Man  sieht  die  Sache  als 
durchaus  politisch  an,  wenn  auch  der  ostensible,  ganz  lächerliche  Vor- 
wand es  nicht  ist,  und  als  ein  Mittel,  ausgesonnen,  Sie  auf  irgendeine 
Weise  zu  beseitigen ;  und  viele  lassen  Sie  bitten,  sich  ja  nicht  irre  machen 
zu  lassen,  wenn  es  Ihnen  auch  noch  schwer  würde.  An  Ihrem  Mut,  den 
Sie  so  oft  bewiesen,  könne  ja  niemand  zweifeln,  Sie  möchten  sich  für 
bessere  Dinge  und  bessere  Zeiten  aufsparen  und  schonen.  Das  seien 
Sie  Ihrer  Sache  und  Person  schuldig. 

Sie  fragen  mich,  wie  ich  dazu  komme,  der  Sache  eine  politische 
Färbung  zu  unterlegen  und  ob  die  Zeitungen  hier  dies  getan.  Die  Zei- 
tungen haben  hier  bis  jetzt  nur  den  ersten  Artikel  aus  der ,, Volkszeitung", 
soviel  ich  weiß,  abgedruckt .  .  .  Wer  aber  der  Sache  einen  politischen 
Hintergrvmd  beilegt,  das  bin  ich  und  alle  Leute,  die  hier  davon 
hören.  Es  geht  auch  aus  der  Sache  selbst  klar  wie  die  Sonne  hervor  und 
ist  der  einzige  richtige  und  durchgreifende  Standpunkt,  von  dem  sie 
betrachtet  und  dargestellt  werden  kann  und  muß. 

Außerdem  ist  es  auch  objektiv  so.  Sie  werden  sich  erinnern,  daß 
vSie  mir  selbst  erzählt,  wie  dieser  Herr  Fabrice  gleich,  als  er  Sie 
bei  Duncker  sah,  der  Frau  Dmicker  seine  Verwunderung  darüber  aus- 
sprach, daß  er  sie  sehr  basiert  auf  Ihre  politische  Gesinnung 
und  Antezedenzien  und  seinen  Widerwillen  gegen  Sie  sofort  aus- 
sprach, der  sich  durch  einige  politische  Erörtenuigen  mit  Ihnen  noch 
steigerte.  Also  ist  der  wahre  Grund  des  Hasses  die  politische 
Meinung  und  der  jetzt  angegebene  nichtige  Vorwand  nur  ein  bei  den 
Haaren  herbeigezogener.  Der  Vorfall  geht  ebensowenig  allein  von 
Herrn  Fabrice  aus,  sondern  ist  ein  montierter  Haß  imd  Parteicoup. 
Gingen  Sie  auf  das  Duell  ein,  so  war  Hoffnung,  daß  Sie  blieben  oder 
krumm  gehauen  wurden  und  Sie  Ihre  Prinzipien  verleugnet  haben 
würden  und  sich  Feinde  unter  Ihrer  eigenen  Partei  gemacht.  Außerdem 
würde  es,  wenn  Sie  diesmal  glücklich  davon  gekommen,  gewiß  nicht  das 
einzige  und  letzte  Renkontre  dieser  Art  gewesen  sein.  Und  wenn  man 
sich  einmal  wegen  solcher  Dinge  geschlagen,  so  kann  man  es  nicht 
mehr  verweigern;  oder  man  konnte  hoffen,  daß  wenn  Sie  [sich]  auch 
nicht  auf  das  Duell  einließen,  aber  sich  irgend  bei  der  Vertretung  Ihres 
Prinzips  schwach  und  schwankend  benahmen,  Ihnen  den  Aufenthalt 
in  Berhn  so  zu  verleiden,  daß  Sie  es  verließen.  Wenn  Sie  aber  diese  eine 
Sache  in  Ihrer  Weise   mit  Mut  und  Umsicht  energisch  durchkämpfen 


=  214  =^ 

und  diese  lyeute,  vorzüglich  Militärs,  einsehen  müssen,  daß  für  sie 
nichts  dabei  zu  holen  als  blutige  Köpfe,  Schaden  und  Mißbilligung,  so 
werden  Sie  ein  für  allemal  Ruhe  haben.  Sie  dürfen  und  müssen  sich 
dreist  mid  öffentlich  auf  die  vielen  Beweise  von  Mut,  die  Sie  gegeben, 
berufen  und  von  einem  widersinnigen  Vorurteil  an  die  bessere  öffent- 
liche Meinung  kühn  und  offen  appellieren.  Übrigens  würde  ich  die  Ge- 
schichte des  Herrn  Fabrice,  daß  er  ein  Duell  als  gegen  sein  Prinzip  aus- 
geschlagen, sofort  in  die  Öffentlichkeit  bringen,  weil  es  sein  jetziges 
Benehmen  in  das  wahre,  helle  lyicht  setzt.  Aber  jedenfalls  muß  der 
Sache  ihre  wirkliche  politische  Färbung  sofort  gegeben  werden;  das 
ist  absolut  nötig,  ich  höre  das  von  allen  Seiten.  Die  vSache  ist  auch  so- 
fort klar,  sobald  gesagt,  daß  Herr  Fabrice  seinen  Widerwillen  gegen 
Sie  sofort  beim  ersten  Begegnen,  basiert  auf  Ihre  politischen  Ten- 
denzen und  Taten,  kundgegeben.  Bedenken  Sie  es  recht,  und  Sie  werden 
gewiß  einsehen,  daß  ich, recht  habe  und  dies  die  Hauptsache  ist  imd 
ohnedem  die  Sache  die  Bedeutung  verliert,  unerklärlich  kindisch  wird 
und  eine  Jungenrauferei  wegen  der  lächerlichsten  Nichtigkeiten  ge- 
nannt werden  könnte.  Suchen  vSie  also,  ich  bitte  Sie  dringend,  die 
Sache  in  dieses  ihr  wahres  lyicht  erscheinen  zu  lassen.  Daß  jeder  fühlt, 
daß  es  so  ist,  ist  sicher,  und  Beweis  ist  schon,  daß  sich  die  Presse  so 
darum  kümmert.  Ich  weiß  nicht,  ob  dieser  Brief  heute  noch  zurecht 
zur  Post  kommt,  denn  eben  war  Kichniawy  hier.  Er  ist  ganz  mit  dem, 
was  Sie  mir  schrieben,  was  hier  geschehen  müßte,  einverstanden,  hält 
es  auch  für  nicht  mehr  als  Pflicht.  Es  wird  alles  angewendet  werden, 
um  es  zu  machen.  Heute  gehen  schon  einige  Boten  ab  in  die  Umgegend, 
und  Kichniawy  wird  heute  abend  wieder  zu  mir  kommen.  Er  sagt  mir, 
die  Entrüstung  sei  groß,  und  er  sei  überzeugt,  daß  auch  viele  Bourgeois 
sich  beteihgen  würden,  er  läßt  Sie  beschwören,  sich  nicht  in  Ihrem  ge- 
rechten Zorn  und  Unmut  gehen  zu  lassen  .  .  . 


93- 

IvASSALUE  AN  SOPHIE  VOH  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonntag  [Berlin,   13.  Juni  1858]. 

.  .  .  Sie  haben  sehr  recht,  wenn  Sie  in  meiner  Sache  zu  Kichniawy 
erklärt  haben,  was  etwa  geschehen  solle,  müsse  entweder  großartig, 
ausfallen  oder  ganz  unterbleiben.  Es  ist  dies  um  so  richtiger,  als  eine 
solche  Demonstration  für  mich  jetzt  nicht  grade  erforderlich  ist, 
angenehm  aber  eben  nur  dann,  wenn  sie  großartig  ausfällt.  Es  wäre 
daher  selbst  gut,  wenn  Sie,  wenn  es  soweit  ist,  ehe  die  Sache  veröffent- 


—  —  215 

licht  wird,  sie  mir  mitteilen.  (Wortlaut  der  Adresse,  Zahl  der  Unter- 
schriften usw.) 

Wenn  Sie  sich  schon  mit  Paul  wegen  Wildbads  verabredet  haben, 
so  ist  es  selbstredend,  daß  ich  nicht  hinkommen  werde.  Nur  hätten 
Sie  mir  das  schon  lange  schreiben  können,  denn  ich  habe  schon  oft 
darüber  angefragt.  Nun  bitte  ich  ferner,  mir  endlich  auch  Antwort  auf 
den  weiteren  Punkt  zu  geben:  Wollen  Sie  die  Schweizer  Reise  nicht 
mitmachen?  Wir  werden  sie  gegen  Ende  Juli  antreten,  d.  h.  Dunckcrs^) 
und  ich,  und  in  Romanshorn  zu  diesem  Zweck  uns  zusammenfinden, 
von  da  über  Zürich,  Reußtal,  Grimsel,  Bemer  Oberland,  Wallis,  Lago 
Maggiore,  Zermatt  nach  Genfer  See.  Bitte  kommen  Sie  doch  mit! 
Und  gehen  Sie  also  so  ins  Bad,  daß  Sie  auch  Ende  Juli  am  Bodensee 
sein  können.  Bitte,  bitte,  bitte,  bitte! 

Sie  werden  sich  herrlich  amüsieren,  und  es  ist  der  letzte  Sommer, 
den  wir  dazu  haben.  Denn  künftigen  Sommer  fängt  die  Welt- 
geschichte   an,   in   Fluß   zu   kommen. 

Wollen  Sie  aber  durchaus  nicht,  was  mich  aber  sehr  ärgern  würde, 
so  ist  noch  wenigstens  der  andre  Fall,  daß  Sie,  was  Ihnen  ohnehin  so 
gut  wäre,  eine  Traubenkur  am  Genfer  See  oder  auch  Lago  maggiore 
brauchen  und  wir  da  zusammentreffen  und  ich  den  September  bei  Ihnen 
bleibe. 

Ausführlich  entschiedene   Antwort 

erbittet 

Ihr  F.  Iv. 

94- 
lyASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  abend  [Berlin,   17.  Juni   1858]. 
Gute  Gräfin! 

Ich  habe  eben  einen  Brief  geschäftlichen  Inhalts  an  Sie  abgeschickt 
und  bereite  jetzt  einen  anderen  vor,  den  ich  heut  wohl  schwerlich  be- 
endigen werde. 

Nachdem  nämlich  jetzt  bereits  die  öffentlichen  Blätter  die  Notiz 
gebracht  haben,  besonders  aber,  nachdem  jetzt  die  Sache  in  ein  Stadium 
getreten,  wo  sie  wohl  ihre  Gefahr  verloren  hat,  kann  ich  Ihnen  mit- 
teilen, was  ich  Ihnen,  um  Sie  nicht  zu  bekümmern,  bisher  verschwiegen, 
daß  ich  am  5.  Juni  ein  meine  Ausweisung  verfügendes  Reskript  des 

^)  Für  die  intime  Freundschaft,  die  I^assalle  damals  mit  Franz  Duncker,  dem 
Besitzer  der  Volkszeitung  und  dem  Verleger  seines  ,,Heraklit"  verband,  vgl.  die 
Einführung  zu  Bd.  II,  S.  22  ff. 


=  2l6  — 

Herrn  von  Zedlitz^)  erhielt.  Gründe  waren  in  demselben  gar  nicht 
angegeben,  außer  folgendem:  Die  speziellen  Zwecke,  zu  denen  mir  der 
Aufenthalt  in  Berlin  gestattet  worden  sei,  seien  jetzt  abgemacht,  mein 
Aufenthalt  mir  auf  weit  längere  Zeit  gewährt  worden,  als  ich  ursprüng- 
lich begehrt,  und  da  es  niemals  in  der  Absicht  gelegen  habe,  mir  einen 
dauernden  Aufenthalt  zu  gestatteten,  so  würde  ich  bei  Vermeidung  von 
Zwangsmaßregeln  —  einer  Notwendigkeit,  deren  ich  ihn  hoffentlich 
überheben  würde  —  aufgefordert,  Berlin  in  kürzester  Frist,  spätestens 
bis  Ende  Juni  zu  verlassen. 

Als  ich  —  am  5.  —  dies  Reskript  erhielt,  war  Zedlitz  schon  verreist 
und  sollte  erst  am  21.  wiederkommen.  Ich  stürzte  vor  allen  Dingen  zu 
meinen  Quellen  und  erfuhr  denn  nun  genau,  wie  die  Sache  zusammen- 
hängt. Daß  das  Attentat  von  neulich  Grund  der  Sache  war,  lag  auf 
der  Hand,  zumal  nach  den  Versicherungen,  die  mir  Zedlitz  im  Februar 
gegeben.  Jetzt  aber  erfuhr  ich  den  näheren  Zusammenhang. 

Man  hatte  auf  Zedlitz  gedrückt;  man  hatte  nämlich  den  Vorwurf 
gegen  mich  erhoben,  daß  wieder  zwei  Beamte  an  mir  zugrimde  gingen, 
noch  dazu  zwei  Militärbeamte  (!!).  Der  Kriegsminister  habe  zwar  eine 
strenge  Untersuchung  gegen  die  Leute  einleiten  lassen,  imd  sie  würden 
ihrer  Strafe  nicht  entgehen,  aber  eben  deswegen  bedürfe  jetzt  (!!)  die 
Armee  auch  ihrerseits  eine  Satisfaktion  mir  gegenüber  (!!),  und 
diese  bestünde  darin,  daß  ich  ausgewiesen  würde.  Leute  aus  dem  Kriegs- 
ministerium und  von  der  Junkerpartei  hatten  dies  bei  Westphalen  2) 
geltend  gemacht.  Westphalen  hatte  seinerseits  wieder  auf  Zedlitz  ge- 
gedrückt, so  daß  er  sich  endlich  zu  jener  Order  entschloß. 

Meine  Quellen  stimmten  darin  überein,  mir  die  Sache  als  äußerst 
bedenklich  darzustellen.  Zedlitz  könnte  kaum  zurück,  weil  die  Sache 
eben  gar  nicht  eigentlich  von  ihm  ausgehe.  Wären  es,  sagte  man  mir, 
Zivilbeamte  gewesen,  so  würde  kein  Hahn  danach  gekräht  haben  —  aber 
daß  es  Militärpersonen  seien  (ein  Intendanturrat  hat  Majorsrang),  das 
vergifte  die  Sache.  ,, Vergleiche  Hinckeldey,"  sagte  mir  einer  meiner 
zuverlässigsten  Gewährsmänner.  ,,Es  sind  ganz  wieder  dieselben  Motive 
im  Spiel  wie  damals,  und  eben  deshalb  wird  Zedlitz  sich  hüten,  nach- 
zugeben." 

Da  hiernach  der  Fall  sehr  schlimm  stand,  beschloß  ich,  nicht  die 
Zeit  damit  zu  verlieren,  Zedlitz'  Rückkehr  abzuwarten,  sondern  voran- 
zugehen. Ich  ging  zu  Westphalen,  überzeugte  mich  aber  sofort,  daß 
ich  von  ihm  nichts  zu  erwarten  habe.  Er  haßt  mich  fürchterhch  und 
fürchtet  sich  so,  sich  auch  nur  in  ein  Gespräch  mit  mir  einzulassen,  daß 

1)  Vgl.  das  Nähere  bei   Bailleu  in  , .Deutsche  Rundschau",  a.a.O.,  S.  370  ff. 
*)  Der   reaktionäre   preußische    Minister    des    Innern   Ferdinand   von   West- 
phalen, der  Schwager  von  Karl  Marx. 


-   217  = 

er  mir  gleich  erklärte,  er  könne  auf  gar  keine  mündliche  Auseinandcr- 
setzmig  eingehen,  sondern  müsse  mich  lediglich  auf  den  schriftlichen 
Weg  verweisen.  Daß  auch  auf  diesem  bei  ihm  nicht  die  geringste  Hoff- 
nung, zeigte  sein  ganzes  Wesen  mit  überflüssiger  Deutlichkeit. 

Ich  wandte  mich  daher  jetzt  an  L.,^)  ließ  durch  diesen  Manteuffel 
vorbereiten  und  begab  mich  tags  drauf  zu  ihm.  Er  empfing  mich,  wie 
das  im  allgemeinen  seine  Manier  sein  soll,  mit  übergroßer  Höflichkeit. 
Die  Unterredtmg  dauerte  fast  eine  halbe  Stunde,  und  ich  habe,  wie 
Sie  denken  können,  kein  Blatt  vor  den  Mund  genommen,  sondern 
mit  der  größten  Virulenz  ihm  meine  Meinung  gesagt.  Er  verhehlte 
mir  seinerseits  nicht,  daß  er  die  Maßregel  in  höchstem  Grade  ungerecht- 
fertigt und  indignierend  finde,  doch  sei  er  nicht  Ressortminister,  auch 
nicht  Westphalens  Vorgesetzter,-)  könne  also  nicht  direkt  in  der  Sache 
verfügen.  Dagegen  erbot  er  mir  aus  freien  Stücken,  falls  ich  ihm  eine 
Immediatbeschwerde  an  den  Prinzen  übergeben  wolle,  dieselbe  selbst 
zu  überreichen  und  zu  rmterstützen.  Ich  behielt  mir  dies  vor  und  ent- 
fernte mich. 

Jetzt  ließ  ich  einige  Tage  hingehen,  während  welcher  ich  eine  mit 
Hörnern  und  Klauen  versehene  Immediatbeschwerde  (fünf  Bogen 
lang)  an  den  Prinzen  verfaßte,^)  in  welcher  ich  ebensowenig  ein  Blatt 
vor  den  Mund  nahm  und  Westphalen  hart  angriff.  Inzwischen  schilderten 
mir  die  Leute,  die  sich  für  mich  interessieren,  die  Situation  immer  be- 
denklicher und  Manteuffel  als  häufig  ganz  vergeßlich  imd  sehr  im- 
zu verlässig.  ly.,  bei  dem  ich  mehrmals  war,  gefiel  mir  auch  gar  nicht 
mehr,  um  so  weniger,  als  ich  mich  mit  ihm  nicht  über  die  Wahl  der 
Mittel  verständigen  konnte,  und  so  entschloß  ich  mich  denn  endlich, 
die  grands  moyens  in  Bewegung  zu  setzen,  um  so  mehr,  als  ich  der 
Polizei  bei  dieser  Gelegenheit  ein  für  allemal  Respekt  vor  meiner  Person 
einzuflößen  wünschte. 

In  meiner  Beschwerde  an  den  Prinzen  hatte  ich  mich  ohnehin  auf 
Böckh  imd  Humboldt  berufen,  ich  ging  daher  Montag  nachmittag  fünf 
Uhr  zu  Böckh.  Ich  kann  Ihnen  gar  nicht  sagen,  wie  dieser  entrüstet 
war  und  wie  er  sich  meiner  angenommen  hat!  Wie  ein  wahrer  Vater! 
Er  eklatierte  wie  eine  Bombe.  Ich  fragte  ihn,  ob  er  meine,  daß  ich  mich, 
wie  ich  beabsichtigte,  an  Humboldt  wenden  solle.  Er  riet  mir  auf  das 
entschiedenste  dazu,  erbot  sich  gleich,  auch  seinerseits  an  ihn  zu  schrei- 
ben, riet  mir,  die  Kopie  der  Eingabe,  die  ich  ihm  vorgelesen  hatte,  auch 
an  Humboldt  zu  schicken,  diesen  um  seine  Ansicht  zu  fragen,  ob  er  sie 

^)  Wer  dieser  L.  war,  ließ  sich  nicht  mit  Sicherheit  sagen. 
-)   Im  preußischen  Ministerium  war   der    Ministerpräsident  ein    primus  inter 
pares. 

^)  Zuerst  abgedruckt  bei  Bailleu,  a.a.O.,  S.  37of. 


=====  2l8  =^=^====^= 

billige  und  für  angemessen  erachte  (zumal  ich  mich  auf  ihn  darin  be- 
rufen), und  endlich  ihn  zu  ersuchen,  sich  in  der  Sache  an  den  Prinzen 
zu  wenden.  Wir  verabredeten,  Böckhs  Brief  solle  früher  abgehen  und 
eine  Stunde  später  der  meinige.  Da  Böckh  seine  Leute  gerade  brauchte, 
so  sollte  ich  in  zwei  Stunden  seinen  Brief  holen  lassen,  und  ihn  zu  Hum- 
boldt schicken.  Aber  schon  vor  Ablauf  einer  Stunde  kam  der  alte  Böckh 
zu  mir  gelaufen,  um  mir  selbst  seinen  Brief,  ehe  er  ihn  einsiegle,  vorzulesen. 
Ich  kann  Ihnen  gar  nicht  sagen,  was  das  für  ein  Brief  war!  Ich  selbst 
hätte  ihn  nicht  mit  größrer  Energie  schreiben  können.  Er  schrieb  ihm 
im  wesentlichen  folgendes:  Wegen  des  auf  mich  verübten  Attentates 
sei  ich  ohne  allen  Grimd  von  der  Polizei  ausgewiesen  worden.  Hierdurch 
werde  nicht  nur  meine  wissenschaftliche  Stellung  im  allgemeinen  sehr  be- 
einträchtigt, sondern  ich  auch  an  der  Bearbeitung  meines  Pythagoras 
gehindert.  Zwar  habe  der  Ministerpräsident  übernommen,  eine  Immedi at- 
beschwerde  dem  Prinzen  zu  überreichen.  Aber  der  Fall  sei  zu  wichtig, 
als  daß  sie  sich  ihrerseits  darauf  verlassen  und  dabei  beruhigen  dürften, 
was  etwa  Manteuffel  tue  oder  nicht.  Bei  dem  empörenden  Charakter 
dieses  Gewaltschritts,  bei  der  Wichtigkeit,  diemeine  wissenschaftlichen 
Arbeiten  für  sie  haben  müßten,  sei  es  ihre  Sache,  aufzutreten.  Seine 
Exzellenz  wisse,  wie  sehr  er  seine  kostbare  Zeit  stets  schone  und  ihn 
gewiß  nicht  in  Anspruch  nehme.  Aber  wenn  je  —  und  er  sei  überzeugt, 
Seine  Exzellenz  werde  ganz  derselben  Ansicht  sein  — ,  sei  es  diesmal 
Pflicht,  daß  er,  Humboldt,  mit  dem  ganzen,  ihm  zu  Gebote  stehenden 
Einfluß  auftrete. 

Kurz,  der  Brief  war  voller  Energie,  Kraft  und  Schärfe.  Um  7^2  Uhr 
schickte  ich  ihn  zu  Humboldt,  und  nach  neim  Uhr  folgte  mein  eigener 
Brief  ^)  an  ihn  nach,  dem  ich  die  Eingabe  beifügte.  Zugleich  schrieb  ich 
ihm,  daß  ich  am  andern  Tag,  Dienstag,  ihm  meine  Aufwartung  machen 
würde,  um  seine  Antwort  einzuholen. 

Als  ich  Dienstag  um  ein  Uhr  zu  Humboldt  kam,  sagte  man  mir, 
er  habe  um  elf  Uhr  fortfahren  müssen,  habe  vorher  aber  einen  Brief  an 
mich  hinterlassen.  Beiliegend  folgt  Abschrift  dieses  Briefes.  Oder  nein, 
ichwilldiese  Abschrift  lieber  hier  einrücken.  Humboldt  schreibt  also: . .  .^) 

Was  sagen  Sie  zu  diesem  Brief?!  Der  Satz,  den  er  mir  aus  seinem 
Schreiben  an  den  Prinzen  mitteilt,  ist  wirklich  hinreißend.  Er  hat  ge- 
schrieben, nicht  bittend  oder  sich  verwendend,  sondern  so,  als  wenn 
erderwahre  Souverän  wäre,  sommierend!  Das  ,, auffordernd",  welches 
mir  den  meisten  Spaß  macht,  steht  nämlich  wörtlich  so  —  erst  hinter 
ihm  schließt  das  Anführungszeichen  —  in  dem  Brief  an  den  Prinzen;  es 

1)  Siehe  Bd.  II.  S.  165   (Nr.  79). 

2)  Der  Brief  wurde  abgedruckt  in  Bd.  II,  S.  78.  Deshalb  durfte  er  hier  fort- 
gelassen werden. 


ist  eine  der  bei  Humboldt  sehr  häufigen  Partizipalkonstruktioncn.  (Er 
wird  also  etwa  gesagt  haben:  ,,Ich  wende  mich  an  Eure  Könighche 
Hoheit,  Eure  Könighche  Hoheit  zu  Gerechtigkeit,  Milde  und  Achtung 
für  die  Wissenschaft  auffordernd."^)  Humboldt  hat  sich  also  auf  sein 
höchstes  Pferd,  auf  sein  Staatsroß  gesetzt  und  durch  die  solennelle 
Energie  seiner  Sprache  dem  Prinzen  ganz  unmöglich  gemacht,  nicht 
zu  willfahren.  Denn  er  hätte  ja  sonst  nach  Humboldts  eigenem  Zeug- 
nis weder  Gerechtigkeit  noch  Milde  noch  Achtung  für  die  Wissen- 
schaft. —  Ebenso  fein  und  wirkhch  von  rührender  Güte  ist  der  Zug, 
daß  er  Man  teuffei  schreibt  und  sich  bei  ihm  bedankt  für  das,  was 
Manteuffel,  ohne  an  Humboldt,  zu  denken,  mir  versprochen  hatte.  Er 
stellt  es  dadurch  als  ein  ihm  persönlich  Erwiesenes  hin,  er  kitzelt 
dadurch  Manteuffel,  der  an  Humboldtsche  Dankschreiben  eben  auch 
nicht  gewöhnt  ist,  vom  Kopf  bis  zur  Zehe,  er  schneidet  ihm  den  Rück- 
weg ab  und  macht  es  ihm  unmöglich,  in  der  Sache  lau  zu  sein,  und  er- 
mutigt ihn  endlich  durch  seine  Unterstützung. 

Böckh  wie  Varnhagen  sagen,  daß  sie  sich  nicht  erinnern,  Humboldt 
mit  dieser  Energie  in  solchen  Sachen  je  haben  auftreten  zu  sehen.  In 
der  Tat,  selbst  Humboldt  kann  solche  Briefe  nur  äußerst  selten  dem 
Prinzen  schreiben :  Oft  würde  man  sie  selbst  von  ihm  nicht  ertragen.  — 
Was  fast  noch  mehr  ist,  ist,  daß  er  mir  den  Satz  abschriftlich  mitteilt. 
Er  gibt  dadurch  den  Prinzen  fast  in  meine  Hände.  Denn  wie  könnte  ich 
diesen  nicht  blamieren,  wenn  er  es  nicht  täte  und  ich  Humboldts  Brief 
mit  der  ganzen  Sache  dann  veröffentlichte.  Humboldt  rechnete  offenbar 
auf  meine  tiefste  Diskretion.  Aber  eben  deshalb  lege  ich  Ihnen 
auf  das  äußerste  an  das  Herz,  daß  nicht  nur  von  der  ganzen 
Sache  nichts  in  die  Zeitungen  kommt,  sondern  Sie  auch 
nicht  einmal  Einsicht  in  den  Humboldtschen  Brief  oder 
mündliche  Mitteilungen  jenes  Satzes  solchen  Personengeben, 
von  denen  irgendwelcher  Mißbrauch  oder  Weitererzählen,  aus  dem 
möglicherweise  irgendeine  Zeitungsnotiz  entstehen  könnte,  zu 
befürchten  wäre. 2)  Nur  Kichniawj^  und  Bloem  geben  Sie  es  zu  lesen, 
sonst  sagen  Sie  nur  im  allgemeinen :  Humboldt  sei  sehr  warm  für  mich 
beim  Prinzen  interveniert.  Aber  auch  das  soll  und  darf  durchaus 
nicht  dort  in  die  Zeitungen.  Was  ich  davon  nach  erledigter  Sache 


^)  Für  Humboldts  Brief  vom  15.  Juni  vgl.  Bailleu  a.a.O.,  S.  370,  Anmer- 
kung. Humboldt  schrieb:  ,,Ich  flehe,  daß  Eure  Königliche  Hoheit  auch  in  dieser 
Sache  Gerechtigkeit  und  Milde  und  Liebe  für  das  Wissenschaftliche  eintreten 
lassen."   Lassalle  irrte  sich  also  mit  dem  „auffordernd". 

2)  Vgl  hierzu  oben  Lassalle  an  Marx,  23.  Juli  1858  (Bd.  III,  S.  133)  und  dann 
Marx  an  Engels,  8.  August  1Ö58. 


=  220  - 

vielleicht  in  die  Zeitungen  bringen  will,  das  werde  ich  selbst  sehen,  und 
dafür  stehen  mir  ja  die  hiesigen  Blätter  zur  Disposition. 

Also  nochmals  bitte  und  beschwöre  ich  Sie  um  die  strengste 
Diskretion  und  Vorsicht.  Bedenken  Sie,  daß  bei  der  geringsten  Zeitungs- 
notiz, die  auf  nicht  zu  berechnenden  Umwegen  entstehen  kann,  ich  es 
ein  für  allemal  mit  Humboldt  verdorben  und  ihn  zum  Dank  für  sein 
wirklich  hochherziges  Benehmen  auf  das  tiefste  gekränkt  hätte. 

Dienstag  um  fünf  Uhr  ging  ich  zu  Böckh.  Auch  der  hatte  schon  von 
Humboldt  Brief,  Humboldt  schrieb  ihm:  ,,Im  innigsten  Danke  (!) 
für  die  Aufforderung,  die  Sie  an  mich  gelangen  ließen,  habe  ich  sofort 
an  den  Prinzen  mit  vielleicht  noch  größerer  Wärme  geschrieben,  als 
Sie  selbst  erwartet  haben  mögen."  Er  habe  auch,  fügt  er  hinzu,  an  den 
Ministerpräsidenten  geschrieben  und  ihn  für  seine  Intervention  zu- 
gimsten  der  Wissenschaft  gedankt.  In  einer  Nachschrift  sagt  er,  es  sei 
doch  zu  toll,  jemand  auszuweisen,  weil  er  angefallen.  Er  habe  den 
Prinzen  zur  Gerechtigkeit  und  zum  Respekt  für  die  Ehre  der  Wissen- 
schaft ermahnt  —  offenbar  derselbe  Satz,  den  er  mir  wörtlich  mit- 
geteilt hat  und  bei  dem  mir  auf  das  lebhafteste  Marats^)  ,,je  vous 
rappelle  ä  la  pudeur"  eingefallen  ist. 

Mittwoch  früh  brachte  ich  meine  Immediatbeschwerde  zu  Man- 
teuffel,  der  natürlich  die  lyiebenswürdigkeit  selbst  mit  mir  war  und  mir 
erklärte,  er  würde  in  spätestens  zwei  Stunden  dieselbe  dem  Prinzen 
übergeben  usw.  Die  Demarche  Humboldts  muß  ihm  offenbar  eine  er- 
staunliche Meinung  von  mir  eingeflößt  haben.  So  ist  denn  wieder  einmal 
eine  Machination  meiner  Gegner  zu  meiner  größten  Ehre  ausgeschlagen 
und  wohl  auch  zu  meinem  Vorteil;  denn  wenn  jetzt  die  Sache  von  oben 
herab  geordnet  wird,  so  wird  die  Polizei  mich  für  die  Zukunft  in  Ruhe 
lassen  und  Westphalen  sich  nicht  wieder  an  mir  so  bald  vergreifen  wollen. 

Gestern  abend  war  Uepsius  bei  mir.  Er  erzählte  mir,  daß  er  Montag 
(also  ehe  Manteuffel  Humboldts  Brief  hatte)  bei  Manteuffel,  mit  dem 
er  befreundet  sei,  gewesen.  Manteuffel  habe  ihn  über  mich  befragt,  und 
er  habe  nicht  wenig  in  das  Hörn  meines  lyobes  gestoßen. 

(Eben  schickt  Depsius  zu  mir  und  läßt  mir  sagen :  Ich  könne  über 
meine  Sache  außer  Sorgen  sein.  Ich  war  auch  gar  nicht  mehr  in  Sorgen 
darüber.  Offenbar  möchte  er  sich' jetzt  das  Verdienst  zueignen,  sie  ge- 
schlichtet zu  haben.) 

Nun  adieu  für  heut.  Sie  sehen,  was  ich  alles  diese  Zeit  über  zu  tun 
hatte  und  noch  habe  und  Uaufereien  genug  und  dann  die  Termine  in 
der  militärgerichtlichen  Untersuchung. 


^)  J.  P.  Marat  (1744 — 1793),  der  berühmte  radikale  Publizist  der  französischen 
Revolution. 


=  221  - 

Ich  bemerke  noch:  Der  Schritt  der  dortigen  Arbeiter  usw.  braucht 
und  soll  nicht  im  geringsten  durch  diese  bereits  vereitelte  Aus- 
weisungssache gehindert  zu  werden;  er  wird  mir  auch  durchaus  nicht 
schaden.  Nur  will  ich,  ehe  die  Adresse  veröffentlicht  wird,  sie  erst  zur 
Einsicht  bekommen  und  hören,  wieviel  Unterschriften.  Aber  das  eilt 
jetzt  und  hat  nicht  mehr  viel  Zeit.  Sonst  sieht  es  kläglich  aus.^) 

Ihr 

F.  Iv. 

Eben  bekomme  ich  noch  einen  Brief  Bloems,  den  ich  beilege. 
Freitag  früh  geschlossen. 

95- 
LASSAEIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,  Dienstag  [20.  Juli  1858]. 
lyiebe,  gute  Gräfin! 

Ich  habe  mich  wirklich  recht  lebhaft  und  innig  über  Sie  zu  beklagen. 
Ich  habe  Ihnen  so  viele  und  herzliche  Briefe  geschrieben,  aber  von 
Urnen  erhalte  ich  nie  eine  solche  Antwort.  Nur  um  der  Geschäfte  willen, 
sonst  nie,  schreiben  Sie  und  lassen  sich  dann  im  besten  Falle  genügen, 
wenige,  durchaus  tmzureichende  und  meine  Fragen  nie  beantwortende 
Zeilen  einfließen  zu  lassen.  Woher  kommt  das?  Hat  die  Trennung,  die 
mir  schwer  genug  ankommt,  Sie  so  schnell  in  Ihren  alten  freundschaft- 
lichen Beziehungen  zu  mir  erkaltet?  Hat  sich  so  schnell  Ihrerseits  unser 
altes  Verhältnis,  jeder  dem  andern  gegenseitig  das  größte  Bedürfnis  zu 
sein,  geändert?  Das  würde  mir  leid  tun !  Denn  bei  mir  ist  es  unverändert 
geblieben  wie  je!  Ja  noch  mehr.  Je  mehr  andere  Menschen  ich  kennen 
lerne,  in  je  mehr  Beziehungen  und  Verhältnisse  der  engsten  und  liebsten 
Art  ich  trete,  desto  mehr  fühle  ich,  wie  gut  ich  Ihnen  bin.  Denn  grade 
am  Vergleiche  mit  neuen  Freunden  und  Freundinnen  kommt  mir  regel- 
mäßig immer  wieder  zum  Bewußtsein,  wie  doch  kein  Individuum 
jemals  mir  auch  nur  entfernt,  entfernt  das  sein  wird,  was  Sie  mir  sind !  — 

Ich  reise  am  25.  oder  24.  d.  M.  ab,  mit  Duncker  nach  Gais,  wo  wir 
tms  aufhalten  werden,  bis  die  Molkenkur  seiner  Frau  daselbst  —  sie  ist 

^)  Am  28.  Juni  schickte  Lassalle  der  Gräfin  eine  Abschrift  von  Humboldts  Brief 
vom  Montag,  der  in  Bd.  II,  S.  167,  abgedruckt  wurde.  Lassalle  fügt  dort  noch  hinzu : 
,,Sie  sehen,  daß  wir  also  wieder  einmal  alle  Bemühungen  unserer  Feinde  abge- 
schlagen haben  und  nun  für  immer  inamovibel  sind.  Die  Polizei  wird  sich  nicht 
wieder  an  mir  vergreifen.  Dieser  Alte  vom  Berge  hat  sich  übrigens  wirklich  so 
großartig  wie  liebenswürdig  gegen  mich  benommen.  Solche  Zuverlässigkeit,  solche 
Energie  in  einem  Alter  von  neunundachtzig  ist  wirklich  bewundernswert.' 


=  222  - 

schon  lange  dort  —  zu  Ende  ist;  dann  —  etwa  den  i.  oder  2.  August  — 
treten  wir  alle  drei  unsere  große  Tour  an,  nach  Zürich,  Berner  Ober- 
land, über  die  Gemmi  nach  I^euk,  nach  Chamonix,  nach  Zermatt  in  die 
Gletscherwelt  des  Monte  Rosa,  an  den  Lago  Maggiore  und  Lago  di 
Como.  Im  einzelnen  steht  unsere  Reise  zwar  noch  nicht  ganz  fest.  Mög- 
lich, daß  wir  von  Leuk  aus  auch  den  Genfer  See  mitnehmen,  möglich, 
daß  wir  ihn  seitwärts  liegen  lassen.  Abernach  dem  lyago  Maggiore  gehen 
wir  jedenfalls. 

Wie  schön  wäre  es  nun,  wenn  Sie  sich  entschließen  wollten,  eine 
Traubenkur  an  den  Ufern  dieses  prächtigsten  aller  italienischen  Seen 
zu  machen.^)  Er  übertrifft  zugleich  an  lyieblichkeit  wie  an  Großartigkeit 
den  Genfer  See  weit.  Und  dieses  Klima  und  diese  Vegetation !  Und  die 
Borromäischen  Inseln!  Ich  bitte  Sie  dringend,  kommen  Sie  hin.  Gönnen 
Sie  sich  und  mir  einige  Wochen  vollen  Genusses.  Denn  ohne  Sie  ist  auch 
mein  Genuß  nicht  vollständig.  Mich  entzückt  die  Natur  nur,  wenn  ich 
den  Freund  habe,  der  das  Glück  teilend  schafft.  Wenn  Sie  hinkommen, 
so  lasse  ich  meine  Reisegesellschaft  allein  die  Rückreise  antreten  und 
bleibe  dort  bei  Ihnen,  solange  Sie  wollen  .  .  . 

P.  S.  Es  hat  sich  jetzt  herausgestellt,  daß  der  Fabrice  politische 
Denunziationen  gegen  mich  bei  dem  Polizeipräsidenten  ge- 
macht hat;  er  hat  politische  Äußerungen  von  mir  und  seinen  Royalis- 
mus als  geheimen  Grund  der  Forderung  darzustellen  gesucht.  Doch  ist 
auch  dieser  Sturm  abgeschlagen.  Qu'en  dites-vous?  .  .  . 


96. 
IvASSAIvUE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Sonntag  früh   (Berlin,   25.  Juli   1858]. 

Gute,  gute  Gräfin! 

Heute  abend  6^/2  Uhr  trete  ich  also  mit  Duncker  meine  Reise  an. 
Meinen  direkt  nach  Wildbad  geschriebenen  Brief  werden  Sie  hoffent- 
lich schon  erhalten  haben  und  ebenso  den  letzten  nach  Düssel- 
dorf gerichteten,  der  Ihnen  nachgeschickt  worden  sein  wird  und  in 


^)  Schon  am  13.  Juli  hatte  I,assalle  der  Gräfin  den  gleichen  Vorschlag  ge- 
macht: , .Liebe,  gute  Gräfin,  es  wäre  so  schön,  so  schön!  Der  Mensch  lebt  nur 
einmal!  Was  haben  Sie  denn  vom  Leben,  wenn  Sie  sich  nicht  einmal  etwas 
gönnen!  Auch  werde  ich  Ihnen  Ihre  Geldangelegenheiten  auch  nach  und  nach 
alle  wieder  in  Ordnung  bringen.  Wer  Lassalle  für  sich  hat,  braucht  doch  nicht 
ängstlich  zu  sein.  Denken  Sie  doch  meines  alten  Wahlspruches,  der  Ihnen  ein 
Anker  war  in  schlimmer  Zeit.'- 


-   223   ================ 

dem  ich  Sie  so  dringend  bat,  den  Herbst  mit  mir  am  Lago  Maggiore  zu- 
zubringen. 

Aus  aller  Kraft  und  mit  aller  Innigkeit  meines  Wesens  wiederhole 
ich  diese  Bitte.  Ich  möchte  so  gern  mit  Ihnen  einige  glückliche  Wochen 
verleben  ohne  Kampf  und  Konflikt,  ohne  Teilung  mit  Familie  usw.  in 
dieser  reizendsten  Gegend,  welche  die  Milde  italienischen  Klimas  mit 
der  Großartigkeit  der  alten  Welt  vereint.  Auch  würde  es  Ihnen  für 
Ihre  Gesundheit  so  nützlich,  so  nützlich  sein,  dort  die  Traubenkur  zu 
brauchen.  Gegengründe  sind  gar  keine.  Die  Reise  dauert  für  Sie  drei 
Tage  nicht  einmal  (über  Luzern  und  die  Gotthardstraße,  mit  der 
Mailänder  Post;  wie  ich  höre,  ist  sogar  von  Luzern  nach  Basel  die 
Eisenbahn  schon  fertig).  Auch  ist  es  dort  sehr  billig,  Sie  leben  da 
vier  Wochen  mit  hundertzwanzig  Reichstaler,  und  warum  sollten  Sie 
sich  und  mir  diesen  Wunsch  versagen? 

Es  würde  mich  sehr,  sehr,  sehr  kränken  und  schmerzen!  .  .  . 


97- 
IvASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Zürich,  6.  August  [1858]. 
Meine  gute,  tapfere  Freundin! 

Gestern  mittag  hier  angelangt,  fand  ich  abends  Ihre  drei  Briefe  zu- 
gleich vor,  von  denen  die  schlimmen  Nachrichten  der  beiden  letzten 
mich  nur  sehr  mäßig  impressioniert  haben.  Einen  desto  rührenderen  Ein- 
druck, eine  wahre  Erschütterung,  hat  der  erste  auf  mich  hervorgebracht. 
Meine  Tränen  flössen  unaufhaltsam,  obwohl  Sie  wissen,  wie  selten  und 
schwer  ich  weine,  und  als  ich  mit  meinen  Gefühlen  auf  einem  Nachen 
den  See  hinunter  fuhr,  war  es  mir  von  neuem,  so  sehr  ich  gegen  kämpfte, 
unmögHch,  den  unaufhaltsam  fließenden  Strom  stiller  Tränen  zurück- 
zudrängen. Ich  glaube,  das  ist  alles  gesagt,  denn  ich  glaube  nicht,  daß 
Sie  sich  erinnern,  mich  in  den  zwölf  Jahren  mehr  als  etwa  zweimal 
weinen  gesehen  zu  haben.  Ich  kenne  bloß  zwei  starke  Neigungen,  die 
sich  in  mein  Herz  teilen  und  die  alles  erschöpfen,  was  ich  an  innerem 
Leben  habe,  zwei  Neigvmgen,  unwandelbar,  die  dauern  werden,  solange 
ich  lebe  und  ohne  welche  mein  Herz  ein  trostlos  ausgebrannter  Krater 
sein  würde. 

Es  ist  meine  Leidenschaft  für  die  große  Sache,  und  meine  leiden- 
schaftliche Freundschaft  für  Sie.  Individuell  glücklich  kann  ich  mich 
nur  mit  und  bei  Ihnen  fühlen.  Ich  will  vSie  mir  nicht  entreißen  lassen, 
und  wenn  keine  Halbheit  in   Ihnen  ist,   wenn  keine  Rücksicht  auf 


=    224  -: 

angeblichen  , .Schaden"  in  Gesellschaft  und  bei  der  Familie  Sie  teilt 
und  hemmt,  wird  es  dem  Unterschied  des  Alters  und  allem  was  Sie 
hierüber  zu  sagen  wissen,  niemals  gelingen,  mich  von  Ihnen  zu  trennen. 
Können  Sie  nicht  mehr,  wie  Sie  sagen.  Schritt  mit  mir  halten,  so  will 
ich  sehr  gern  meinen  Schritt  zu  dem  Ihrigen  herunterstimmen.  Ich 
will  alles  tun,  selbst,  wenn  Sie  es  wollen,  Berlin  verlassen,  nur  von 
Ihnen  will  ich  mich  nicht  trennen  lassen.  Jeder  Mensch  braucht  doch 
einen  Punkt  individuellen  Glückes  und  für  mich  ist  alles,  was  ich  an 
individuellem  Glück  und  wirklicher  Herzensfreude  haben  und  hoffen 
kann,  in  Ihnen  eingeschlossen. 

Sie  schreiben  mir  von  dem  tmauslöschlichen  Eindruck,  den  Ilmen  die 
Erinnerung  an  Ihre  Schwester  gemacht  hat,^)  wie  sie  noch  eben  da  lag 
Worte  der  Freundschaft  sprechend,  und  dann  kalt,  regungslos,  un- 
erreichbar. Aber  ist  das  nicht  eben  eine  um  so  größere  Aufforderung, 
sich  um  so  fester  an  die  noch  lebenden  Freunde  anzuschließen,  an  die, 
die  bei  einigem  guten  Willen,  einiger  Anstrengung  noch  erreichbar 
sind.  Denken  Sie  doch,  daß  einmal  auch  der  Moment  kommen  muß,  wo 
einer  von  uns  beiden  den  andern  in  jener  lyage  sehen  und  wissen  wird, 
kalt,  regimgslos,  imerreichbar.  Ich  zittere  und  weine  heftig,  indem  ich 
diese  Worte  ausschreibe,  und  fast  bin  ich  so  egoistisch,  zu  wünschen, 
daß  Sie  es  sein  mögen,  der  dieser  Schmerz  zuteil  werde.  Aber  welcher 
von  uns  beiden  es  auch  sein  mag,  einer  muß  es  doch  sein  nach  dem  un- 
entrinnbaren Gesetze  der  Notwendigkeit,  und  nun  denken  Sie,  wie  hart 
sich  der  übrig  gebliebene  jede  Minute  vorwerfen  wird  der  Trennimg, 
jede  Minute,  wo  er  den  unerreichbar  gewordenen  treuen  Freund  noch 
erreichen  konnte  imd  nicht  erreicht  hat!  Denken  Sie  an  den  Schmerz 
des  Zurückbleibenden  und  verbannen  Sie  um  seinetwillen  jede  falsche 
Rücksicht,  jede  kleine  Rücksicht,  die  sich  der  Befriedigung  und  dem 
Genüsse,  die  jeder  von  uns  dem  andern  gewähren  kann,  entgegenstellt. 
Fühlen  Sie  nicht,  wie  schon  vor  dem  bloßen  Gedanken  an  diese  Situation, 
vor  dem  Gedanken  voll  trauriger  Kraft  und  Wahrheit  alle  halben, 
schwachen  und  kleinen  Rücksichten  verblassen  und  schwinden.  Ach, 
Kind,  es  gibt  keinen  Zustand  individuellen  Glückes,  kein  festes  und 
dauerhaftes  Gegründetsein  desselben.  Das  individuelle  Glück  ist  etwas, 
das  man  dem  Momente  abgewinnen,  abstehlen  und  jeden  Moment 
immer  von  neuem  zu  erbeuten  suchen  muß.  Wehe  dem,  der  das  nicht 
weiß! 

Ach,  was  gäbe  ich  darum,  wenn  Sie  in  diesem  Augenblick  hier  an 
meiner  Seite  säßen  in  diesem  Zimmer  mit  der  Aussicht  auf  den  stillen, 
blauen  See  und  seine  milden  Ufer!  Ich  würde  den  vierten  oder  dritten 


^)   Gräfin  Klara  von  Nostitz  war  am   14.  Januar  1858  gestorben. 


-  ==  225- 

Teil  meines  Vermögens  nicht  zu  hoch  achten,  um  mir  diese  Befriedigung 
zu  erkaufen.  — 

Wie  ich  Ihre  Briefe  gelesen  hatte,  war  es  mein  erster  Gedanke,  Reise 
und  alles  aufzugeben  und  zu  Ihnen  zu  kommen.  Aber  das  geht  nicht, 
weil  Paul  dort  ist.  Es  bleibt  mir  also  nichts  übrig,  als  meine  Reise  fort- 
zusetzen. 

Aber  energischer  als  je  habe  ich  den  Wimsch,  den  Herbst  an  einem 
stillen,  schönen  Orte  mit  Ihnen  zuzubringen.  Bitte,  schlagen  Sie  mir 
diesen  Wunsch  nicht  ab.  Ist  es  nicht  anders,  so  mag  es  auch  an  einem 
nahen  Orte  sein,  irgendwo  am  Rhein,  so  wenig  ich  ihn  leiden  kann,  oder 
in  Heidelberg,  das  ich  auch  nicht  liebe,  oder  in  Zürich,  wo  es  auch 
schon  für  September  und  Oktober  zu  kalt  ist ;  kurz,  Sie  können  im  Not- 
fall ganz  frei  und  einseitig  den  Ort  wählen. 

Mir  das  lyiebste  und  auch  das  Vernünftigste,  Beste,  Ge- 
sündeste und  Zweckmäßigste  für  Sie  wäre  nach  wie  vor  ein  stiller 
Aufenthalt  von  vier  Wochen  am  Comer  See.  Auf  Grund  meiner  in- 
zwischen eingezogenen  Erkundigungen  muß  ich  nämlich  den  Comer 
See  dem  I^ago  di  Maggiore  weit  vorziehen.  Er  ist  auch  für  einen  Aufent- 
halt von  Fremden  weit  besser  eingerichtet.  Hotels  imd  Villen  überall  un- 
mittelbar am  Ufer  des  Sees  zu  mieten.  Auch  kleine  und  ganz  billige  Häus- 
chen. Die  Fremden  bleiben  da  bis  zum  November.  Wie  wohltuend  würde 
dies  herrliche  Klima  für  Sie  sein !  Wie  gesund !  Des  Weltlaufs  Mühen  und 
Sorgen,  sie  zögen  an  uns  vorbei !  Wollen  wir  nicht  sie  so  vier  Wochen  an 
uns  vorbeiziehen  lassen?  Auch  brauchen  Sie  nicht  zu  fürchten,  ich 
würde  Ihre  Kräfte  durch  Partien  anstrengen.  Ich  will  gar  keine  Partie 
mehr  dann  machen.  Ein  Spaziergang  am  Ufer  des  Sees,  eine  kleine 
Fahrt  in  der  Abendkühle  auf  dem  leichten  Nachen  — das  ist  alles, 
was  ich  will.  Wollen  Sie?  Nichts  steht ^im  Wege.  Rücksichten  auf 
, .Schaden"  bei  der  Familie  gewiß  nicht.  Denn  abgesehen  davon,  daß 
Sie  diese  Rücksichten  doch  ein  für  allemal  überwinden  müssen,  wenn 
wir  wieder  zusammen  leben  wollen  in  einer  Stadt  imd  nicht  imser  Glück 
solchen  törichten  Rücksichten  opfern  wollen,  —  abgesehen  davon  ist  ja 
ein  solcher  stiller  und  abgelegener  Ort  der  letzte,  von  dem  aus  man 
etwas  in  Berlin  erfährt  .  .  . 

Nun  adieu,  mein  liebes  gutes  Kind,  meine  beste  Freundin,  mein 
einziger  Freund!  Gewähren  Sie  mir  und  sich  die  Freude,  um  die  ich 
bitte.  Ach,  meine  Seele  ist  wie  Ulrich  von  Hütten  an  Franz  von  Sickingen 
schreibt,  gesteckt  voll  guter  Gedanken  und  Vorsätze  gegen  Sie.  Ohne 
Sie  habe  ich  keinen  wahren  Genuß  des  Herzens,  keine  wirkliche  Be- 
friedigung. 

Sie  bekommen  diesen  Brief  zwei  Tage  vor  Ihrem  Geburtstag.  Ist  es 
nötig,  daß  ich  erst  meine  heißesten  Glückwünsche  ausspreche?  Zehn 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  IC 


- -  --  ■      =  226  - 

Jahre,  ja  die  Hälfte  meines  lyebens  gab  ich  gerne  hin,  wenn  ich  Sie 
recht,  recht  glücklich  machen  könnte,  und  gewiß  ich  kann  es  auch, 
wenn  Sie  nur  einigermaßen  mitstreben  und  Vernunft  annehmen.  Möge 
dieser  Geburtstag  der  letzte  sein,  den  wir  getrennt  voneinander  zu- 
bringen und  der  Anfangspunkt  eines  ungestörteren  Zusammenseins  wie 
bisher. 

Ihr 

Ivassalle. 
* 

98. 
LASSALI.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

I,ugano  am  Luganer  See  im  Kanton  Tessin,   11.  September  [1858]. 

.  .  .  Meine  Reise  ist  sehr  schön  gewesen,  wenn  eine  Reise,  die  ich 
ohne  Sie  mache,  schön  sein  könnte.  Ich  habe  überall  bloß  die  Empfin- 
dung gehabt.  Orte  auszusuchen,  wo  wir  uns  einmal  zusammen  amü- 
sieren könnten,  und  so  als  Ihr  Pionier  zu  reisen.  Nur  eine  Tour  habe 
ich  ohne  diesen  Gedanken  gemacht,  wissend,  daß  Sie  mir  dahin  doch 
nicht  folgen  würden  und  es  auch  nicht  wünschen  —  die  halsbrechende 
Tour  von  der  Grimsel  nach  Grindelwald  über  die  Strahleck!  —  Im 
übrigen  ist  alles  auch  für  Sie  vortrefflich  passierbar.  Wir  haben  übrigens 
unsere  Reise  weiter  ausgedehnt,  als  wir  wollten. 

In  Aosta  waren  wir  Turin  und  Genua  viel  zu  nahe,  als  daß  es  ver- 
nünftig gewesen  wäre,  daran  vorbeizugehen,  statt  die  neuen  Eisen- 
bahnen durch  die  Apennin  zu  benutzen.  Wir  gingen  also  nach  Turin, 
blieben  da  zwei  Tage,  von  da  nach  Genua,  wo  wir  uns  vier  Tage  auf- 
hielten. Von  dort  —  immer  per  Eisenbahn  —  an  den  Lago  Maggiore, 
schliefen  auf  der  Isola  Bella,  dem  entzückendsten  Aufenthalt,  den  man 
sich  denken  kann,  von  da  hierher.  Noch  heut  geht  es  nach  Bellagio  an 
dem  Comer  See,  da  bleiben  wir  zwei  oder  drei  Tage  allerhöchstens  und 
von  da  zurück  über  den  Splügen  nach  Deutschland.  Ach,  ich  freue  mich 
auf  nichts  so,  als  Sie  wiederzusehen  und  mit  Ihnen  einige  Zeit  in  Ruhe 
zu  leben!  Iveider  kann  ich  nicht  einmal  aus  Ihrem  Briefe  ersehen,  wo 
Sie  gegenwärtig  sein  werden.  In  Wildbad  noch?  Oder  Schlangenbad? 
Jedenfalls  hoffe  ich,  in  Frankfurt  Briefe  zu  finden,  die  mir  mit  Be- 
stimm theit  sagen,  wo  ich  Sie  treffe.  Ob  ich  nach  Baden-Baden  gehe, 
bleibt,  da  Sie  nicht  hinkommen,  noch  sehr  ungewiß.  Jedenfalls  denke 
ich  zwischen  dem  16.  und  20.  September  in  Frankfurt  zu  sein  und 
rechne  darauf,  dort  Briefe  zu  treffen,  die  mir  genau  sagen,  ob  und  bis 
zu  welchem  Datum  ich  Sie  in  W  ildbad  oder  Schlangenbad  oder  Mainz 
oder  Düsseldorf  antreffe.  Aber  richten  Sie  Ihre  Angaben  über  Ihre  Be- 


:    227  : 

wegiingeii  genau  ein,  so  daß  ieli  die  meinigen  mit  Sicherheit  danach 
bestimmen  kann,  ohne  fürchten  zu  müssen,  Sie  zu  verfehlen.  Auf  einen 
lieben,  stillen,  herzinnig  gemütlichen  Aufenthalt  mit  Ihnen  in  Düssel- 
dorf freue  ich  mich  sehr.  Sie  können  mir  das  nun  glauben  oder  nicht, 
aber  ich  gewinne  den  schönsten  Dingen  nur  die  Hälfte  ihres  Geschmackes 
ab,  wenn  Sie  nicht  dabei.  Als  ein  Mensch,  der  vorzüglich  und  mehr  als 
vielleicht  irgend  jemand  im  Inwendigen  lebt,  wandle  ich  halb  träumend 
durch  diese  Paradiese  olme  den  Freund  — der  das  Glück  fühlend  ver- 
mehrt, der  es  teilend  schafft!  Oh,  kein  Dichterwort  wahrer  als  das,  und 
fast  ist  es  sogar  höchst  unrecht  von  Ihnen,  daß  Sie  mich  immer  zu 
solchem  Halbgenuß  verurteilen. 

Ihr 

F.  lyassalle. 

99- 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.   (Original.) 

Sonnabend  früh  [Berlin.    i6.  Oktober   1858]. 
Meine  Gnädigste, 

Ich  traf  also  Donnerstag  ^)  früh  hier  ein,  begab  mich  erst  zu  Dunckers, 
dann  um  10  Uhr  zu  Ludmilla,  wo  ich  bis  zum  Leichenbegängnis  blieb. 
lyudmilla  fand  ich  aufgelöst  im  Schmerz.  Gegen  10^/4  Uhr  fingen  sich 
die  Salons  zu  füllen  an.  Alle  Welt  kam,  Humboldt,  Böckh,  Förster, 
Benary's^)  Johannes  Schulze,  WiUisen,^)  Cosbutt  usw.  usw.  Pückler  *) 
nicht,  da  er  in  Branitz  ist.  Gerade  bei  der  Abreise  dahin  auf  der  Eisenbahn 


1)  Lassalle  hatte,  aus  Berlm  ausgewiesen,  am  26.  Juli  diese  Stadt  verlassen. 
Nach  der  Schweizer  Reise  hielt  er  sich  einige  Wochen  in  Düsseldorf  auf,  während 
seine  Freunde,  voran  Humboldt,  weiter  bemüht  waren,  ihm  die  Rückkehr  nach 
Berlin  zu  ermögUchen.  Hier  erreichte  ihn  am  12.  Oktober  die  Kunde  von  Varn- 
hagen  von  Enses  Tode.  Darauf  reiste  er  nach  Berlin  ab.  Vgl.  hierzu  Hermann 
Oncken,  Neue  Lassalle-Briefe  im  Archiv  für  Geschichte  des  Sozialismus  und  der 
Arbeiterbewegimg,  Bd.  IV  (1914),  S.  439  ff. 

2)  K.  A.  Agathon  Benary  (1807 — 1861)  war  Privatdozent  der  alten  Philologie 
und  sein  Bruder  Fr.  S.  Ferdinand  Benary  (1805 — 1880)  a.  o.  Professor  der  alt- 
testamentarischen Exegese  an  der  Berliner  Universität. 

3)  General  Wilhelm  von  Willisen  (1790 — 1878),  1848  als  Reorganisator  in 
Posen,   1850  Oberbefehlshaber  der  schleswig-holsteinschen  Armee. 

*)  Fürst  Pückler-Muskau  (1785 — 1871),  der  bekannte  Reiseschriftstellerund 
Gartenkünstler.  Lassalles  alte  Beziehungen  zu  ihm  (vgl.  Bd.  I  Nr.  71,  72,  72,) 
wurden  neu  geknüpft,  als  sie  sich  im  Mai  1858  bei  Varnhagen  begegneten:  ,,Er 
war  äußerst  freundlich  gegen  mich,"  berichtete  Lassalle  am  22.  Mai  der  Freun- 
din, , .schüttelte  mir  als  einem  , alten  Bekannten'  beim  Koiunien  und  Gehen 
herzlich  die  Hand,  erkundigte  sich  sehr  angelegentlich  nach  Ihnen  ..." 


228    ==^==z==: 

hat  ihn  die  Nachricht  ereilt,  die  ihn  sehr  erschütterte.  Humboldt  hatte 
gerade  noch  im  Vorzimmer  mit  Böckh  über  meine  Angelegenheit  ge- 
sprochen, als  er  mich  plötzlich  gewahrte.  Er  redete  mich  gleich  an:  Ich 
fürchte,  Sie  sind  noch  zu  früh  gekommen,  und  erzählte  mir  nun,  daß 
Zedlitz  ihm  versprochen  habe,  nach  den  Wahlen  mich  hier  zu  lassen. 
Das  war  also  der  Termin,  auf  welchen  sich  jene  dimklen  Ausdrücke  be- 
zogen. Hätte  ich  das  gewußt,  so  wäre  ich,  da  die  Wahlen  schon  Anfang 
November  stattfinden,  wahrscheinlich  ruhig  bei  Ihnen  bis  dahin  ge- 
blieben. Aber  kein  Mensch  hatte  mir  das  geschrieben,  weder  Böckh 
noch  irgendeiner  das  Wort  ,, Wahlen"  in  den  Mund  genommen.  Mit 
Böckh  sprach  ich  ausführlich.  Vom  Kirchhof  gleich  fuhr  ich  zu  Herrn 
von  Zedlitz  und  traf  ihn.  Er  wollte  zwar  durchaus,  daß  ich  nochmals 
verreise  imd  erst  nach  den  Wahlen  —  er  bezeichnete  mir  den  15.  No- 
vember als  Termin  —  wiederkehre,  dann  wollte  er  mich  unbehelligt 
lassen.  Aber  es  war  mir  unmöglich,  nun  wieder  abreisen  zu  sollen.  Ich 
ließ  daher  nicht  los  und  brachte  es  auch  endlich  dahin,  daß  er  auch 
diese  vier  Wochen  fahren  läßt.  Wenigstens  hat  er  mir  dies  schon  so  gut 
wie  zugesagt,  obwohl  ich  ihn  dieser  Tage  nochmals  aufsuchen  soll.  Doch 
versichere  ich  Ihnen,  daß  das  Resultat  sicher  ist .  .  . 


100. 
LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Berlin,  22.  Oktober  1858.] 

.  .  .  Meine  Aufenthaltsangelegenheit  ist  jetzt  geordnet.  Herr  von 
Zedlitz  hat  mir  schriftlich  eröffnet,  daß  er  von  den  von  ihm  erhobenen 
Hindernissen  jetzt  abstrahieren  wolle,  freilich  wieder,  wie  auch  früher, 
sich  für  die  Zukunft  alles  vorbehaltend.  Ich  bin  jetzt  ganz  sicher  imd 
wird  man  mich  von  nun  ab  in  Ruhe  lassen.  Es  hat  sich  nämlich  wirk- 
lich herausgestellt,  daß,  wie  es  scheint,  Westphalen  damals  ganz  gegen 
den  Willen  des  Prinzen  gehandelt  hat  und  soll  dieser  sehr  böse  ge- 
wesen sein  .  .  . 

Im  übrigen  lebe  ich  ganz  still  und  gehe  äußerst  wenig  aus.  Ich  habe 
nämlich  angefangen,  tüchtig  zu  arbeiten,  esse  deshalb  täglich  zu 
Haus  —  gar  nicht  mehr  im  Hotel  de  Rome  —  und  mache  auch  nur 
solche  Besuche,  die  ich  schlechterdings  machen  muß.  Man  hat  unend- 
lich viel  zu  tun,  wenn  man  die  wissenschaftliche  Entwicklung  in  so 
vielen  Fächern  mitmachen  will  wie  ich  und  in  einigen  noch  produzieren 
will.  Erst  in  zwei  Monaten  etwa  werde  ich  dazu  kommen,  das  Nieder- 


-   229  = 

schreiben  meines  Werkes  ^)  zu  beginnen.  Die  Zeit  bis  dahin  wird  wohl, 
so  rasend  ich  jetzt  lese,  durch  das  Verschlingen  noch  zu  bewältigenden 
Materials  in  Anspruch  genommen  werden  .  .  . 


lOI. 

IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Berlin,  Montag,  25.  Oktober  [1858]. 
Meine  gute,  gnädige  Frau! 

Ich  habe  Ihren  Brief  aus  Altenahr  bekommen  .  .  .  Wenn  Sie  schreiben, 
Sie  übertrügen  meinen  Gehorsam  gegen  Sie  auf  Frau  Duncker,  so  prote- 
stiere ich  dagegen  sehr.  Das  ist  nicht  zu  übertragen,  grade  wie  eine 
Regentschaft.  Das  bindet  sich  lediglich  an  die  Person,  und  ich  bestehe 
darauf,  daß  Sie  Ihr  Hofmeisteramt  selbst  behalten.  Ich  weiß  nicht, 
ob  ich  Ihnen  gut  folge.  Aber  das  weiß  ich,  daß  ich  keinem  auch  nur 
zum  tausendsten  Teil  so  folgen  werde  und  kann  wie  Ihnen,  und  niemand 
anders  folgen  will! 

Zu  erzählen  ist  nicht  viel.  Herr  von  Zedlitz  hat  jetzt  seinen  Frieden 
definitiv  mit  mir  geschlossen  imd  mir  dies  auch  schriftlich  angezeigt. 
Humboldt  ist  nach  wie  vor  äußerst  liebenswürdig  mit  mir.  Er  hat  mir 
vorgestern  ein  sehr  verbindliches  Brief chen  geschickt^)  und  angezeigt, 
daß  er  meinem  Besuche  mit  Vergnügen  entgegen  sehe.  Morgen  werde  ich 
zu  ihm  fahren  .  .  . 

102. 
IvASSALI^E  AN  SOPHIE  VOH  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Berlin,  Donnerstag,  4.  November  [1858]. 

Ist  es  schön,  ist  es  recht,  ist  es  nur  erlaubt  von  Ihnen,  daß  Sie  mich 
wieder  so  lange  ohne  alle  Nachricht  lassen?  Ich  habe  Ihnen,  seitdem 
ich  hier  bin,  schon  drei  Briefe  geschrieben,  nach  Düsseldorf,  nach 
Remagen  (poste  restante),  nach  Altenahr  und  habe  erst  auf  den  ersten 
derselben  eine  Antwort.  Schon  seit  vier  Tagen  hoffe  ich  jedesmal,  wenn 
es  klingelt,  es  sei  der  Briefträger,  der  mir  einen  Brief  von  Ihnen  bringt, 
imd  immer  umsonst.  Ach,  ich  sehe  wohl,  Ihre  Freundschaft  für  mich 
ist  erloschen,  imd  nur  noch  durch  das  persönliche  Zusammensein  wird 
die  verglimmende  Kohle  zu  einem  mühsamen,  matten  Aufglänzen  ge- 

^)  Das  ökonomische  Werk,  zu  dessen  Fertigstellung  es  nicht  mehr  kam. 
2)   Vgl.  Bd.  II,  Nr.  90. 


=^===  230  ===^^==== 

bracht.  Es  ist  Ihnen  nicht  mehr  eigenes  Bedürfnis,  sondern  nur  eine 
lästige  Pflicht,  mir  zu  schreiben.  Ihre  Gedanken  und  Sympathien,  Ihre 
Wünsche  vmd  Hoffnungen  sind  anderswo.  Ich  will  Ihnen  darüber  keine 
Vorwürfe  machen.  Aber  sagen  müssen  Sie  mir  das  dann  wenigstens. 
Denn  es  ist  unrecht,  mich  allein  imd  einseitig  das  alte  Verhältnis  fort- 
setzen zu  lassen,  immer  noch  an  es  glaubend,  mich  es  wieder  herzustellen 
bemühend.  Ich  denke  stets  an  Sie,  unternehme  und  berechne,  schätze 
und  liebe  alles  nur  in  bezug  auf  Sie,  und  stets  ruhen,  wenn  ich,  erschöpft 
von  Arbeit  und  Geistesanstrengungen,  mich  durch  liebe  Bilder  erholen 
will,  meine  Gedanken  bei  Ihnen  aus! 

Ich  bin  nicht  so  egoistisch,  nur  dem  eigenen  Glücke  hingegeben  wie 
Goethe,  der  sich  sagen  kann: 

Weg  du  Traum,  so  gold  du  bist, 
Hier  auch    Lieb  und  Leben  ist. 

Es  ist  Weisheit  darin,  viel  Weisheit.  Aber  ich  habe  mehr  Wille  als  Weis- 
heit. Kurzum,  ich  fühle  mich  sehr  gekränkt,  und  tiefe  Wehmut  über  die 
Vergänglichkeit  alles  Irdischen,  selbst  dessen,  was  nicht  vergänglich 
sein  sollte,  beschleicht  mich.  Was  nützt  mir  meine  ausnahmsweise 
Riesenkraft,  die  sich  auch  im  Festhalten  an  Treue  und  Freimdschaft 
betätigt?  Ich  kann  sie  Ihnen  nicht  mitteilen.  Was  nützen  einem  Kräfte, 
die  man  selbst  hat,  aber  nicht  mitteilen,  nicht  übertragen  kann?  Nur 
um  so  isolierter  fühlt  man  sich,  je  unähnlicher  man  dem  andern  ist,  und 
fast  kömmt  mir  die  Ahntmg,  daß  der  stärkste  Mensch  eben  deshalb  auch 
bestimmt  ist,  der  imglücklichste  zu  sein! 

Von  hier  nicht  viel  zu  melden.  Ich  gehe,  auch  abgesehen  von  einer 
sehr  heftigen  Grippe  und  Husten,  die  mich  seit  gestern  ans  Zimmer 
fesseln,  so  gut  wie  gar  nicht  aus,  arbeite  verzehrend,  fieberhaft.  Ach  ja, 
in  der  Arbeit  ist  noch  Glück!  Das  spannt  an,  reibt  auf,  absorbiert.  Es 
füllt  wenigstens  aus  und  läßt  einen  nicht  dazu  kommen,  in  sein  eignes 
Ich  einzukehren.  Wenn  ich  allein  wäre,  ich  könnte  mir  in  der  Arbeit 
etwa  ein  ausreichendes  Surrogat  des  Glückes  bereiten.  Ich  würde  keinen 
Menschen  sehen,  sondern  mich  ausschließlich  in  diesen  Aufreibungs- 
prozeß vertiefen.  Aber  das  darf  nicht  sein,  Ihretwegen.  So  unterhalte  ich, 
soweit  es  sein  muß,  meine  Beziehungen  zur  Außenwelt.  Und  so  kommen 
mir  alle  Augenblicke  mehr  oder  weniger  gleichgültige  Menschen  in  die 
Quere,  und  der  einzige  Mensch,  nach  dem  ich  mich  sehne,  läßt  nicht 
einmal  ein  Wort  von  sich  hören.  Es  ist  sehr  unrecht.  Schreiben  Sie 
mir  doch  alle  drei  bis  vier  Tage.  Das  ist  ja  eine  so  kleine  Mühe. 
Warum  haben  Sie  mir  denn  das  Bild  noch  nicht  geschickt?  Es  könnte 
lange  gerahmt  sein.  Adieu,  meine  Gute,  ich  bin  traurig  und  wehmütig 
gestimmt.  Ihr  F.  L. 


=^==M^=     231     ========= 

103. 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonnabend  abend  [Berlin,  6.  November   1858]. 
Einige  Stunden  nach  Empfang  Ihres  Briefes  geschrieben. 

.  .  .  Sie  glauben  nicht,  wie  grenzenlos  viel  ich  zu  tun  habe.  Manchmal 
stehen  mir  die  Haare  zu  Berge.  Ich  will  jetzt  das  ökonomische  Werk 
ausarbeiten.  Aber  Sie  kennen  meine  Gewissenhaftigkeit  vom  Hcraklit 
her.  Ehe  ich  nicht  alles  durchgelesen  habe,  was  irgend  in  das  Fach 
schlägt,  beruhige  ich  mich  nicht,  setze  ich  keine  Feder  an.  So  kommt  es, 
daß  ich  trotz  aller,  so  vieler  und  langer  Vorarb_>iten  doch  noch  zehn  bis 
zwölf  Bände  lesen  muß,  che  ich  zu  schreiben  auch  nur  anfange.  Dies 
tue  ich  also  j  tzt,  als  wenn  j.  mand  mit  der  Peitsche  hinter  mir  wäre. 

Aber  dies  ist  nur  eins.  Ich  habe  angefangen,  bei  Dr.  Brugsch,') 
unserem  großen  A.yptolouen,  Hiero;,  lyphenstunde  zu  nehmen.  Er  hat 
den  Hcraklit  geksen  und  sich  in  den  Kopf  gesetzt,  ich  sei  berufen,  das 
Verständnis  des  Totenbuche  s,  c-as  man  bis  jetzt  wohl  übersetzen,  aber 
nicht  verstehen  kann,  der  Welt  zu  eröffnen.  Infol  eelcssen  erbot  er  sich, 
mir  Hiero.  lyphenstunde  zu  geben.  Sie  kennen  meine  alte  Neigung  zu 
diesen  Materien.  Eine  so  vortreffliche  Gelegenheit  konnte  ich  nicht  zurück- 
weisen. Er  gibt  mir  tä;  lieh  eine  Stunde,  kommt  jetzt  sogar,  solange  ich 
krank  bin,  täglich  deshalb  zu  mir,  alles  umsonst,  bloß  für  das  Interesse 
der  Wissenschaft.  Sie  sehen,  daß  man  wirklich  nur  noch  unter  den 
Gelehrten  uneigennützice  Menschen  findet.  Aber  welche  Zeit  kostet 
es  mich!  Die  eine  Stunde  tä.  lieh  wäre  nichts;  aber  das  Lernen  und 
Memorieren  außerdem.  Es  ist  furchtbar  mühsam.  Und  das  ist  ja  lange 
nicht  alles.  In  der  Philologie  muß  ich  mich  au  courant  halten,  außerdem 
manches  Erscheinende  lesen,  Hunderte  von  Statistiken  durchwühlen; 
einige  rechtsphilosophische  Werke,  die  ich  gerade  vorgenommen  habe 
und  vorzunehmen  Veranlassung  hatte,  wollen  auch  gelesen  sein  und 
geben  zu  denken  und  zu  studieren.  Auch  die  Idee,  einen  Pherekydes  -) 
zu  schreiben,  geht  mir  im  Kopf  herum  und  veranlaßt  manche  Unter- 
suchungen. Kurz,  ich  weiß  manchmal  wirklich  nicht,  wo  mir  der  Kopf 
steht.  Bei  jedem  anderen  würde  dies  ein  leidiger,  ihn  zersplitternder 
Dilettantismus  sein.  Nicht  so  bei  mir.  Ich  habe  die  Kräfte  dazu.  Heut 
übers  Jahr  wird  das  ökonomische  Werk  fertig  und  die  Sprache  des 

*)  Ein  Heft,  das  sich  auf  diesen  Unterricht  bezieht,  fand  sich  im  Nachlaß. 
Für  Lassalle  und  Brugsch  vgl.  Bd.  II,  Einführung  S.  20. 

2)  Auch  von  einem  Pythagoras  spricht  Lassalle.  Doch  der  Nachlaß  enthält 
keinerlei  Beweisstücke  dafür,  daß  es  ihm  jemals  ernst  gewesen  ist,  an  dem  Lehrer 
oder  dem  Schüler  die  Riesenarbeit  zu  wiederholen,  die  er  auf  Heraklit  verwendet 
hatte. 


====^  232  =^=^==.^ 

Totenbuches  mir  geläufig  sein.  Und  so  wird  eins  nach  dem  andern 
kommen  und  besorgt  werden,  so  wildfremd  und  disparat  es  aussieht. 
Aber  wenn  ich  auch  die  Kräfte  habe,  so  ist  es  doch  nur  durch  ihre 
rasendste  Konzentration  möglich. 

So  wird  es  Sie  nicht  wimdem,  zu  hören,  daß  ich  fast  gar  nicht  aus- 
gehe. Daß  ich  seit  acht  Tagen  krank  —  eine  schändliche  Grippe  tmd  ein 
fataler  Husten  —  ist  mir  ordentlich  sehr  angenehm,  da  es  mir  das  Aus- 
gehen ganz  erspart. 

Damit  ich 's  nicht  vergesse,  will  ich  Ihnen,  da  nach  Altenahr  viel- 
leicht keine  Zeitungen  kommen,  gleich  das  heut  gebildete  Ministerium i) 
mitteilen :  Fürst  Hohenzollern  Ministerpräsident,  Auerswald  2)  Kabinetts- 
minister ohne  Portefeuille,  Bonin^)  Krieg,  Patow  ■*)  Finanzen,  Flottwell  ^) 
Inneres.  Simons  8)  und  He ydt')  bleiben.  Graf  Pückler  landwirtschaft- 
liches Ministerium.  Bethmann-Hollweg  ^)  Kultus.  Die  bemerkens- 
werteste Persönlichkeit  davon  ist  Patow,  der  in  der  letzten  Kammer 
auf  der  Linken  saß,  was  freilich  nicht  viel  besagen  will. 

Ich  soll  mich  nach  einer  Wohmmg  (Chambre  ganire)  umsehen?  Das 
wiU  ich  tun.  Aber  ich  werde  sie  nicht  Unter  den  Linden,  sondern  in 
meiner  Nähe  suchen.  Ich  weiß  gar  nicht,  wozu  Sie  Unter  den  Linden 
wohnen  sollen.  Aber  Ihnen  einen  Gesamtkostenüberschlag  machen,  das 
kann  ich  nicht .  .  . 

Freilich  tut  es  mir  wehe,  Sie  erst  nach  Weihnachten,  also  Januar, 
somit  erst  in  sieben  Wochen  wiedersehen  zu  sollen.  Indes  ich  finde  es 
vernünftig,  daß  Sie  die  vier  Wochen  lieber  noch  ausbleiben,  um  den 
kostspieligen  Weihnachtsgeschenken  zu  entgehen,  und  will  meinerseits 
diese  Zeit  nun  auch  doppelt  gut  benutzen,  um  vorzuarbeiten  und  somit, 
wenn  Sie  kommen,  um  so  besser  Zeit  für  Sie  zu  haben.    Denn  daß  Sie 


^)  Am  26.  Oktober  hatte  der  Prinz  von  Preußen  die  Regentschaft  endgültig 
übernommen,  am  6.  November  wurde  das  Ministerium  Manteuffel  von  dem  Mini- 
sterium des  Fürsten  Karl  Anton  von  Hohenzollern  abgelöst. 

2)  Rudolf  von  Auerswald  (1795 — 1866),  vom  25.  Juni  bis  7.  September  1848 
Ministerpräsident  und  Minister  des  Auswärtigen,  von  1858  bis  1862  Kabinetts- 
minister ohne  Portefeuille. 

^)  General  Eduard  von  Bonin  (1793 — 1865)  war  von  1852  bis  1854  und  von 
1858  bis  1859  Kriegsminister. 

*)  Freiherr  E.  R.  von  Patow  (1804 — 1890),  1848  Handelsminister  im  Mini- 
sterium Camphausen,  von  1858  bis  1862  Finanzminister. 

*)  Eduard  von  Flottwell  (1786 — 1865)  war  1844  bJs  1846  Finanzminister,  von 
1858  bis  1859  Minister  des  Innern. 

^)  Ludwig  Simons  (1803 — 1870)  war  von   1849  bis  1860  Justizminister. 

')  August  von  der  Heydt  (1801 — 1874)  war  1848  bis  März,  1862  Handelsminister 
und  März  bis  September  1862  und  1866  bis  1869  Finanzminister. 

8)  Moritz  August  von  Bethmann- Hollweg  (1795 — 1877)  war  1848  Professor 
des  Zivilrechts  in  Berlin  und  Bonn,  Unterrichtsminister  1858 — 1862. 


=^233  = 

mir  eine  starke  Bresche  in  die  Arbeitszeit  machen  werden,  ist  freilich 
unvermeidlich,  ist  mir  auch  ganz  lieb  und  recht.  Wie  gerne  laß  ich  mir 
durch  Sie  diese  Bresche  machen.  Aber  eben  deshalb  ist  es  gut,  wenn  ich 
diese  Wochen  um  so  stärker  noch  ausbeute.  Auch  in  andrer  Beziehung 
verlieren  Sie  hier  nicht  viel,  wenn  Sie  bis  i.  Januar  —  aber  auch  nicht 
später  —  warten.  Der  Winter  hat  noch  nicht  begonnen,  noch  nirgends 
von  einer  Gesellschaft  die  Spur.  Im  Januar  erst  beginnt  er.  Dann  kommen 
auch  die  Kammcni,  das  wird  diesmal  etwas  Leben  bringen.  Auch  in 
meinem  kleineu  Kreise  ist  es  bis  dahin  noch  stiller  wie  sonst.  Varnhagen 
tot.  Ivudmilla,  die  ich  oft,  d.  h.  verhältnismäßig  mehr  als  sonst  wen,  be- 
suche, kann  bis  dahin  der  Trauer  wegen  auch  noch  nicht  in  Gesellschaft 
gehen.  Stahr  und  Fanny,  noch  in  Venedig,  kehren  gleichfalls  erst  im 
Dezember  zurück.  Sehen  Sie  aber,  die  Zeit  bis  dahin  gut  auszubeuten, 
d.  h.  reisen  Sie  allerdings,  wenn  dort  die  Trauben  ausgehen,  an  Orte, 
wo  noch  welche  sind,  oder  wollen  Sie  das  schon  absolut  nicht,  so  bleiben 
Sie  wenigstens  den  ganzen  November  in  Altenahr  sitzen.  Auch  Winter- 
landschaften sind  schön  und  spaziert  es  sich  da  ganz  gut.  Zudem  ist  es 
immer  besser  als  Düsseldorf.  Ganz  kleine  Orte  sind  überhaupt  für 
einige  Zeit  gar  nicht  so  ennuyant.  Sie  haben  ein  cachet  von  Ursprüng- 
lichkeit, einen  gewissen  Duft  patriarchahsch  gemütlicher  Verhältnisse, 
der  ganz  gut  tut.  Ganz  große  oder  ganz  kleine  Orte.  Nur  die  Mittel- 
straße kann  einen  zu  Tode  langweilen.  Sie  sagen,  ich  schriebe  nicht  über 
meine  Angelegenheiten.  Meinen  Sie  Franz?  In  acht  Tagen  erst  erfolgt 
die  Entscheidung,  da  N.  N.^)  immer  noch  nicht  seiner  Stelle  sicher  ist. 
Ist  sie  günstig,  so  kommen  Sie  zum  Januar  grade  zurecht,  um  die  Bombe 
platzen  zu  sehen. 

Nim  adieu  und  herzlichen  Gruß.  Wie  vergnügt  bin  ich,  daß  Ihnen 
endlich  einmal  etwas  bekömmt  und  gefällt.  Was  wollte  ich  mit  Ihnen 
laufen,  wäre  ich  nur  bei  Ihnen!  Gehen  Sie  um  [?]  die  Breite  Ley,  so 
denken  Sie  meiner  an  der  Stelle,  wo  ich  Sie  durchtrug. 

Adieu,  es  ist  halb  ein  Uhr. 

Ihr  F.  L. 

104. 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT. 

[Berlin,    11.  Dezember   1858.] 

.  .  .  Ich  habe  Ihnen  auf  Ihren  letzten  Brief  nicht  geantwortet,  weil 
ich  denselben  durchaus  unwahr,  unredlich  und  sophistisch  fand,  zum 

^)  Lassalle  machte  Jahre  hindurch  alle  Anstrengungen,  um  eine  Aufführung 
seines  Dramas  Franz  von  Sickingen  durchzusetzen.  Aber  er  erreichte  es  nirgends. 


234  = 

bloßen  Zanken  keine  Zeit  habe  und  endlich  mich  in  die  Unmöglichkeit, 
etwas  zu  ändern,  finden  zu  müssen  einsehe.^)  Man  muß  eine  Situation 
akzeptieren  können.  Ich  habe  alle  Kräfte,  redhchen  Willen  und  redhche 
Vernunft  daran  gesetzt,  es  zu  ändern.  Es  geht  nicht.  Meine  Seele  ist 
matt  geworden  und  sieht  ein,  daß  es  nicht  mehr  geht.  Ich  ergebe  mich 
also  in  die  Situation,  die  Sie  nun  einmal  nicht  anders  wollen,  daß  unsere 
intensivere  Beziehung,  unser  kameradschaftliches  Verhältnis  aufhört 
und  wir  in  das  gleichgültige  befreimdeter  Personen  zurücktreten.  Schon 
als  Sie  voriges  Jahr  nach  Berlin  kommen  sollten,  ging  es  nicht,  Pauls 
wegen.  Nach  Wildbad  zu  Ihnen  konnte  ich  nicht,  Pauls  wegen.  Nach 
Berlin  wieder  können  Sie  jetzt  nicht,  Pauls  wegen.  Es  wird  mir  endhch 
zu  viel  Paul.  Ich  quäle  mich  hier  ab,  üsiere  und  abüsiere  fast  Personen, 
die  es  nicht  verdienen,  Ihretwegen,  bin  in  allem,  was  ich  tue,  auf  Sie 
bezogen.  Und  Sie  können  nichts  von  dem,  was  mir  lieb  ist,  und  wiederum 
nur  Ihretwegen  heb  ist,  tun,  Pauls  wegc  n.  Ich  kann  nicht  einmal  mehr 
etwas  für  Sie  tun,  Pauls  wegen.  Kann  ich  nichts  für  Sie  tun,  haben  Sie 
für  mich  keine  Zeit  mehr  übrig,  Pauls  wc ;  en.  so  können  wir  uns  auch 
nichts  mehr  sein. 

Das  heißt  keine  gerechte  Teilung,  das  h  ißt,  den  einen  bis  zur  i  änz- 
lichen  Nichtberücksichtigung  des  andern  be  rücksichti;  en.  Ich  ziehe 
mich  also  in  mich  zurück.  Kann  ich  nichts  m(  hr  für  Sic  tun,  nun  so  ist 
es  meine  Pflicht,  meine  Tatkraft  andern  zuzuwenden,  die  nicht  so  von 
lauter  Pauls  barrikadiert  sind,  und  ist  mir  auch  niemand  halb  so  lieb, 
wie  Sie  mir  waren,  so  muß  ich  mich  anstnncen,  mir  jemand  so  lieb  zu 
machen.  Daß  Sie  gar  kein  B-^dürfnis  einfs  Zusammenlebens  mit  mir 
haben  resp.,  was  auf  dasselbe  hii  auskömmt,  dasselbe  beständig  und 
fortgesetzt  anderen  Rücksichten  aufopffrn,  ist  eine  Tatsache,  deren 
Anerkennung  ich  mich  endlich  nicht  entziehen  kann.  Ich  glaube,  es  war 
spät  genug,  wenn  Sie  Anfang  Januar  eintrafen.  Indessen,  es  soll  nicht 
sein.  Ich  beuge  mich  vor  der  Tatsache,  kämpfe  nicht  länger  dagegen 
an  und  gebe  Sie  auf.  Sehen  Sie  zu,  ob  Sie  gut  und  vernünftig  dabei 
handeln  imd  ob  Ihnen  Paul  diesen  Verlust  ersetzen  wird.  Sie  wollen 
nicht,  ich  kann  Sie  nicht  zwingen.  Aber  noch  länger  ein  dupe  zu  sein, 
schickt  sich  nicht  für  mich.  Ich  gebe  also  hiermit  jede  Prätension, 
länger  etwas  für  Sie  und  Ihre  Existenz  zu  tun,  und  damit  jedes  tiefere 
Interesse  an  Ihnen  auf,  da  Sie  es  nicht  anders  wollen,  und  trete  zu  Ihnen 
in  die  Stellung  eines  sogenannten  guten  Freundes,  dessen  Glück  mir 


^)  Die  Gräfin  hatte  L,assalle  fest  versprochen,  zum  i.  Januar  auf  vier  Wochen 
nach  Berlin  zu  kommen,  hatte  aber  ihren  Plan  aufgegeben,  weil  finanzielle  Ver- 
handlungen ihres  jüngsten  Sohnes  mit  seinem  Vater,  seinem  Bruder  und  Onkel 
schwebten  und  sie  fürchtete,  daß  ihre  Anwesenheit  in  Berlin  diese  ungünstig 
beeinflussen  könnte. 


=  235  — 

lieb,  dessen  Unglück  mir  leid  sein,  dessen  Geschick  aber  keinesfalls 
mich  irgend  ausfüllen  wird.  Soll  man  seinen  ganzen  Menschen  hin- 
geben, so  nmß  man  ebenso  einen  ganzen  Menschen  dafür  zurück- 
bekommen, nicht  aber  in  so  lächerhcher  Weise  behandelt  werden. 

Ich  werde  Ihnen  von  nun  an  nur  alle  drei  bis  vier  Monate  schreiben, 
denn  öfter  schreibe  ich  an  meine  guten  Freunde  nicht,  und  grade  weil 
der  Riß  ein  in  meinem  Herzen  noch  blutender  und  ungeheilter  ist,  wäre 
es  mir  lieb,  wenn  Sie  mich  auch  nicht  zu  oft  an  sich  erinnerten. 

Und  somit  vergnügte  Feiertage  wünschend,  bestens 

Ihr 

F.  Lassalle. 

105. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,  am  ersten  Weihnachtsfeiertag  [1858]. 

Traurig  setze  ich  mich  hin,  um  Ihren  traurigen  Brief  zu  beant- 
worten.^) Wie  ist  es  nur  möglich,  daß  jemand  alle  Wahrheit  so  entstellen 
kann,  wie  Sie  es  in  diesem  Briefe  tun,  daß  jemand  es  fertig  bringen 
kann,  sich  gegen  alle  Tatsachen  diese  Dinge  einzureden,  oder,  was  wahr- 
scheinlicher ist,  selbst  nicht  an  sie  glaubend,  sie  dem  andern  zu  schreiben. 

Nein,  wenn  Ihnen  das  eine  Beruhigtmg  ist,  so  kann  ich  Ihnen  ein- 
fach aus  tiefster 'Seele  versichern,  daß  ich  bei  dem  Bruche  mit  Ihnen 
weit  mehr  innerlich  leide  und  verliere  als  Sie  selbst.  Es  ist  nicht  wahr, 
daß  ich  im  geringsten  Ihnen  innerlich  entfremdet,  daß  andere  Nei- 
gungen, Menschen  und  Verhältnisse  im  geringsten  mich  gegen  Sie  er- 
kältet hätten.  Bei  der  einfachsten  Betrachtung  meiner  Persönlichkeit 
könnten  Sie  sich  das  selbst  sagen.  Ich  bin  eine  in  die  Tiefe  hinein  lebende 
Natur,  der  Zerstreuung  nichts  anhaben  kann.  Jeder  Mensch  und  darum 
auch  ich  braucht  eine  Person,  die  er  liebt.  Und  wie  sollte  mir  irgend 
jemand  jemals  die  Ihrige  ersetzen?  Sie  sind  ein  Stück  Lebensgeschichte 
von  mir  geworden,  Sie  stellen  meine  besten  zehn  Jahre  dar.  Sie  allein 
kennen  mich  ganz,  verstehen  mich  ganz.  Sie  verstehen  die  Dinge,  die 
mich  interessieren;  durch  langen  gegenseitigen  Gedankenaustausch 
haben  Sie  meine  eigene  Weltanschauung  im  allgemeinen  angenommen, 
haben  Interesse  und  Verständnis  für  alle  Ideen  bekommen,  die  mich 
beschäftigen.  Sie  sind  mein  zehnjähriger  Zelt-  und  Kriegskamerad  ge- 
wesen, wir  haben  Unglück  und  Elend,  unerhörte  Situationen  und  un- 
erhörte Prouessen  gemeinschaftlich  durchgemacht,  —  wie  soll  ich  von 

^)  Der  Brief  der  Gräfin  fand  sich  nicht. 


236  - 

alledem  nur  den  himderttausendsten  Teil  bei  andern  Leuten  wieder- 
finden? Jedes,  selbst  männliche,  Freundschaftsverhältnis,  das  ich 
jemals  eingehen  werde,  bleibt  mir  äußerlich  und  gleichgültig  gegen  mein 
Verhältnis  zu  Ihnen,  wird  mir  grade  erst  durch  diesen  Vergleich  äui3er- 
licher,  als  es  sonst  wäre.  Sie  irren  sich,  wenn  Sie  glauben,  Sie  seien  meine 
beste  Freundin  —  ich  kenne  mehrere,  die  mir  weit  besser  sind,  als  Sie 
mir  gegenwärtig  noch  sind.  Aber  Sie  irren  sich  jedenfalls  noch  hundert- 
mal mehr,  wenn  Sie  glauben,  meine  Freundschaft  zu  Ihnen  habe  im 
geringsten  nachgelassen.  Oh,  leider  ganz  im  Gegenteil. 

Je  mehr  Sie  mir  fehlen,  desto  mehr  habe  ich  erst  eingesehen,  wieviel 
Unersetzliches  in  Ihnen  für  mich  vorhanden  ist.  Wenn  ich  trotz 
dieser  wärmsten  imd  imersetzlichen  Freundschaft,  die  ich  für  Sie  emp- 
finde, dennoch  mit  Ihnen  breche,  so  geschieht  dies,  weil  es  meine  Prin- 
zipien erfordern  und  ich  fest  entschlossen  bin,  diesen  mein  ganzes 
Leben  hindurch  jedes  Opfer  zu  bringen,  das  sie  erheischen,  gleichviel, 
wie  elend  und  imglücklich  ich  dabei  werden  mag.  Sie  kennen  mich  und 
die  Gleichgültigkeit,  deren  ich  gegen  mich  selbst  fähig  bin,  wo  meine 
Grundsätze  ins  Spiel  kommen.  Es  kann  also  für  Sie  hierin  nichts  liegen, 
was  Sie  bei  mir  überraschen  könnte. 

Nein,  mag  ich  dabei  noch  so  große  Verluste  erleiden,  mag  ich  noch 
so  elend,  freudelos,  unglücklich  werden  —  es  ist  mir  alles  ganz  egal,  wo 
es  sich  um  meine  Prinzipien,  wo  es  sich  um  meine  Selbstachtung  handelt. 

Ich  will  nicht  hinnehmen,  daß  Sie  mich  ungefähr  so  behandeln,  wie 
Paul  1850  Sie  zu  behandeln  anfing.  Und  wenn  ich  Ihnen  damals  sagte, 
es  wäre  Ihrer  würdiger,  ganz  mit  ihm  zu  brechen,  als  das  zu  ertragen, 
so  ist  es  jetzt  meine  Pflicht,  solche  große  Worte  an  mir  wahr  zu  machen, 
und  obgleich  ich  Ihnen  viel  besser  bin,  als  ich  jemals  einem  Sohn  sein 
werde,  wenn  ich  einen  habe,  nicht  in  dieselbe  Weichlichkeit  zu  verfallen, 
in  die  Sie  verfielen,  sondern  ritz,  ratz,  mag  bei  dem  Riß  hängen  bleiben, 
was  will,  lieber  mit  Ihnen  zu  brechen,  als  ein  nicht  entsprechendes  und 
unwürdiges  Benehmen  Ihrer  gegen  mich  zu  akzeptieren. 

Soll  ich  wirkhch  erst  ein  Wort  verlieren,  die  lange  Reihe  von  un- 
wahren Tatsachen  zu  berichtigen,  die  Sie  anführen? 

Es  ist  nicht  wahr,  daß  ich  darauf  bestanden  habe,  nach  Berlin  zu 
gehen.  Es  ist  wahr,  daß  ich  Ihnen  erklärt,  wie  gern,  wie  überaus  gern 
ich  dies  täte.  Aber  ich  erklärte  Ihnen  im  April  1857  vor  meinem  Ab- 
gang ausdrücklich,  daß  ich  bereit  sei,  wenn  Sie  durchaus  nicht  nach 
Berlin  wollten  und  weil  ich  keinesfalls  mein  Zusammenleben  mit  Ihnen 
zerreißen  wolle,  mein  Domizil  in  Leipzig,  Hamburg,  Breslau  (wo  das- 
selbe Recht  herrscht  wie  in  Berlin)  aufzuschlagen,  wenn  Sie  dies 
gleichfalls  wollten.  Sie  weigerten  das.  Sie  erklärten,  durchaus  in 
Berlin  sich  domizilieren,  daselbst  aber  so  wenige  Zeit  als  möglich  zu- 


237  —  = 

bringen,  dann  in  meiner  Stadt  einen  Teil  des  Jahres  verleben  zu  wollen. 
Da  somit  meine  Domizilierung  in  Breslau  usw.  den  Zweck  eines  dauern- 
den Zusammenlebens  nicht  erreicht  hätte  —  Sie  müßten,  sollte  Ihr 
Domizil  in  Berlin  begründet  sein,  jedenfalls  eine  geraume  Zeit  des 
Jahres  dort,  eine  andere  im  Bade  verbringen  — ,  da  mein  Opfer,  mein 
mir  sehr  schwer  ankommendes  Opfer,  zu  dem  ich  mich  dennoch  erbot, 
somit  ein  nutzloses  gewesen  wäre,  so  mußte  ich  mich  für  Berlin  ent- 
scheiden. 

Sie  sagen,  Sie  hätten  im  Frühjahr  (April)  1857  Berlin  meinetwegen 
verlassen  müssen,  obwohl  Sie  daselbst  Grund  gehabt  hätten  zu  bleiben. 
Wo  nehmen  Sie  nur  die  Stirn  her,  dies  als  ein  ,, Opfer",  das  Sie  ,,mir 
gebracht",  anzuführen?  Denn  freilich  mußten  Sie  Berlin  damals  meinet- 
wegen verlassen,  damit  der  hierdurch  getäuschte  Polizeipräsident  das 
mich  betreffende  Reskript  imterschriebe.  Aber  ich  erklärte  Ihnen  sofort 
bei  Ihrer  Ankunft  in  Düsseldorf,  daß  ich  nichts  dagegen  habe,  wenn 
Sie  acht  Tage  nach  meiner  Ankunft  gleichfalls  wieder  einträfen.  Mich 
dort  zu  behaupten,  wenn  ich  einmal  dort  sei,  nähme  ich  auf  mich.  Das 
Opfer,  das  ich  Ihnen  auferlegt  hatte,  beschränkte  sich  also  auf  eine  Ab- 
reise, der  die  Zurückreise  sogleich  folgen  konnte.  Wie  können  Sie  dies 
als  ein  ,, Opfer"  anführen?  Wie  viele  hunderttausend  Reisen  habe  ich 
nicht  für  Sie  gemacht! 

Ich  traf  Anfang  Mai  in  Berlin  ein.  Im  Juni  schrieben  Sie  mir,  wegen 
der  Schwester  hinkommen  zu  wollen.  Da  mir  meine  Polizeiquellen  den 
Kopf  warm  machten,^)  da  die  Hinktmft  damals  zudem  für  Sie,  da  Sie 
bald  ins  Bad  mußten,  keinen  Selbstzweck  haben  konnte,  fragte  ich 
Sie,  ob  Sie  es  nicht  aus  Rücksicht  für  mich,  dem  große  Konflikte  daraus 
entstehen  köimten,  bis  zu  Ihrer  Rückkimft  aus  dem  Bade  verschieben 
könnten.  Sie  antworteten:  Nein,  es  ginge  nicht.  Die  Rücksicht  auf  Ihre 
Schwester  erfordere  es.  —  Ich  wollte  nicht,  daß  Sie  mir  irgendein  Opfer 
brächten.  Ich  erklärte  mich  sofort  mit  Ihrer  Ankunft  einverstanden. 
Ich  benachrichtigte  Sie  aus  Zartgefühl,  um  Sie  nicht  durch  Rück- 
sicht auf  mich  in  Verlegenheit  zu  setzen,  nicht  einmal,  daß  Zedlitz 
die  Ausweisungsordre  gegen  mich  für  den  Fall  Ihres  Herkommens 
bereits  imterschrieben  hatte.  Ich  verschwieg  Ihnen  das  und  die 
wütenden  Szenen,  die  ich  mit  ihm  gehabt,  und  handelte  so  wieder  so 
sublime  und  mit  solcher  Opferhaftigkeit,  wie,  ich  darf  es  sagen,  nur  ich 
zu  handeln  fähig  bin.  Aber  inzwischen  hatte  Paul  erfahren,  daß  ich  da 
sei.  Ihm  konvenierte  nun  Ihr  Herkommen  nicht,  damit  Sie  nicht  zu- 
gleich mit  mir  daseien.  Nun  schrieb  e r  Ihnen,  Sie  möchten  nicht  kommen 
und  siehe !  was  Sie  nicht  aus  Rücksicht  auf  meine  Existenz  zu  tun  ver- 


^)  Siehe  oben  Nr.  61   und  62. 


— —  -  238  

mocht  hatten,  aus  Rücksicht  auf  alle  unübersehbaren  Konflikte,  die 
sich  besonders  Ihre  so  schwarz  sehende  Phantasie  für  mich  ausmalen 
konnte,  das  vermochte  ein  ,, Wunsch"  von  Paul.  Sie  gaben  die  Absicht 
auf,  damals  herzukommen,  obwohl  ich  Ihnen  nun  inzwischen  geschrieben, 
daß  ich  Sie  fest  erwartete.  Aber  bereits  war  nun  inzwischen  meine 
Position  Zedlitz  gegenüber  engagiert.  Ich  durfte  nicht  zurückweichen 
oder  diesen  Schein  auf  mich  fallen  lassen,  wenn  ich  nicht  alles  verderben 
wollte.  Umsonst  schrieb  ich  Ihnen  jetzt  zwei  bis  drei  Briefe.  Sie  wollten 
gegen  Pauls  Wunsch  durchaus  nicht.  Endlich,  nachdem  ich  Gewalt 
gebraucht  —  es  erforderte  die  wütendsten  Anstrengungen  —  kamen 
Sie.i) 

Wie  sehr  Sie  damals  und  bei  Ihrer  späteren  Anwesenheit  mir  hier 
eine  Aschenbrödelrolle  zugewiesen,  wie  Sie  verlangten,  wenn  ich  zu 
Ihnen  käme,  und  Paul  usw.  bei  Ihnen  sei,  solle  ich  fortgehen,  wenn  er 
aber  käme,  und  ich  bei  Ihnen  sei,  solle  ich  mich  durch  Schlafzimmer 
und  Hintertür  heimHch  fortstehlen  —  wissen  Sie  vielleicht  noch.  Trotz 
meiner  Indignation  nahm  ich  auch  das  noch  hin  und  ließ  es  mir  faktisch 
gefallen. 

Sie  sagen,  ich  hätte  nicht  Zeit  für  Sie  gefunden,  im  Herbst  1857, 
wo  Sie  es  Prozesse  halber  wünschten,  für  Sie  nach  Köln  zu  g^hen.  Aber 
wie  konnte  ich  fort?  Erst  am  5.  November  erschien  der  Herakht. 
Dann  ging  es  sofort  an  den  Sickingen.  Die  Beendigung,  das  Korrigieren, 
Abschreiben  usw.  dauerte  bis  Mitte  Mai.  Erst  nun  konnte  der  Druck 
beginnen,  der  erst  im  Juni  (Mitte  oder  Ende)  vollendet  war.  Daß  diese 
Arbeit  aber  nicht  noch  länger  verschoben  werden  konnte,  werden  Sie 
am  besten  daraus  ersehen,  daß  ich  noch  immer  keine  Antwort  habe  und 
es  also  gewiß  notwendig  war,  sie  wenigstens  so  früh  als  möglich  ein- 
zureichen. 2)  Somit  konnte  ich  nicht,  meiner  Arbeiten,  nicht  ,, meiner 
Vergnügungen"  wegen.  Überdies  war  mein  Hinkommen  gar  nicht  so 
wichtig  für  die  Prozesse,  daß  es  in  irgendeinem  Verhältnisse  zu  dem 
Schaden  an  diesen  Arbeiten  gestanden  hätte  oder  überhaupt  unerläß- 
lich gewesen  wäre.  Kaum  aber  hatte  ich  im  Juni  die  Hände  frei,  als  ich 
Ihnen  schrieb,  ich  wollte  im  Juli  zu  Ihnen  kommen,  nach  dem  Wildbad, 
wo  Sie  waren.  Aber  da  hieß  es,  das  ginge  nicht,  Paul  sei  da.  —  Ich  hatte 
Sie  gebeten,  unsere  Schweizer  Reise,  zu  der  ich  mich  engagiert  hatte, 
mitzumachen.  Aber  Sie  wollten  nicht.  Von  Zürich  aus  schrieb  ich  Ihnen 
nun  aber  einen  so  liebevollen,  so  rührenden  Brief !  Vier  Bogen  lang !  ^) 
Ich  wollte   meine  Reisegesellschaft  und  Reiseroute  jeden  Augenblick 

1)  Siehe  oben  Nr.  63  und  64. 

*)  Lassalle  hatte  das  Exemplar  des  Franz   von  Sickingen   beim    Königlichen 
Schauspielhaus  in  Berlin  eingereicht. 
^)  Siehe  oben  Nr.  97. 


=  239  = 

aufgeben.  Ich  wollte  Sie  abholen  irgendwo  und  mit  Ihnen  den  Herbst 
am  Corner  See  oder  Züricher  See  oder  in  Heidelberg  oder  wo  Sie  sonst 
wollten,  zubringen.  Sie  sollten  nur  bestimmen.  Aber  Sie  schrieben  mir 
wieder,  Sie  könnten  sich  nicht  darauf  einlassen,  weil  Sie  nicht  wüßten, 
wie  lange  Paul  werde  bei  Ihnen  bleiben  wollen,  und  dann  der  elenden 
paar  hundert  Taler  wegen. 

Zurückkehrend  ging  ich  zu  Ihnen  und  tat  an  den  Geschäften,  was 
ich  konnte.  Daß  ich  jetzt  großen  Drang  hatte,  nach  Berlin  zurück- 
zukehren, um  aus  der  ungewissen  Situation  mit  Zedlitz  herauszukommen 
und  meine  nationalökonomische  Arbeit  zu  beginnen,  war  klar.  Überdies 
baten  Sie  mich  gar  nicht  sehr,  dort  zu  bleiben,  was  auch  sowohl  in  meinem 
als  Ihrem  Interesse  —  der  Traubenkur  wegen  —  ganz  vernünftig  war. 

Wenn  ich  jetzt  in  Berlin  darauf  drang,  daß  Sie  Anfang  Januar  hier 
seien,  so  war  dies  wieder  nur  in  Ihrem  Interesse,  denn  das  meinige  würde 
meines  Werkes  wegen  sehr  gut  vertragen,  daß  Sie  noch  nicht  kommen. 
Durch  Ihre  Herkunft  verliere  ich  notwendig  eine  unersetzliche  Arbeits- 
zeit, wie  sie  besonders  im  Beginn  eines  Werkes  nicht  ohne  große  Ver- 
langsamerimg  und  Nachteil  verloren  werden  kann.  Es  hätte  mir  also 
ganz  gut  gepaßt,  wenn  Sie  noch  nicht  kamen.  Aber  ich  bin  gewohnt, 
immer  auf  Sie,  nicht  auf  mich  zu  sehen.  Ihr  Interesse  aber  erforderte 
durchaus,  daß  Sie  im  Januar  herkamen.  Und  zwar  aus  zwei  Gründen. 
Einmal  erreicht  der  Winter,  die  Saison,  hier  im  Januar  seine  Höhe. 
Kommen  Sie  erst  gegen  Ende  der  Saison,  so  ist  es  nicht  möglich,  daß 
Sie  die  Bekanntschaften  usw.  machen,  wie  beim  Anfang  der  Saison. 
Und  im  nächsten  Winter  ist  es  dann  wieder  schwieriger,  als  solange  Sie 
eine  ganz  neue  Erscheinung  sind.  Die  Hauptsache  aber,  weshalb  Ihre 
Herkunft  im  Januar  nötig,  ist  Ihr  Zusammenziehen  mit  Fräulein  Lud- 
milla.  Die  Sache  verhält  sich  nämhch  so.  Sie  wissen,  welchen  unge- 
heuren Wert  ich  für  Sie  darauf  lege,  wenn  dieses  so  durch  und  durch 
gescheute,  brave  und  großdenkende  Mädchen  mit  Ihnen  zusammen- 
wohnen würde  und  so  mit  tausend  größeren  Annehmlichkeiten,  als  Sie 
irgendw^o  finden  können,  und  ohne  alle  Lasten  für  Sie,  die  Rolle  einer 
Gesellschafterin  und  Freundin  für  Sie  ausfüllen  wollte.  Nun  hat  dies 
arme  Mädchen  —  glauben  Sie  ja  nicht,  daß  ich  scherze  oder  Gespenster 
sehe  —  eine  ganz  unglaubliche  Leidenschaft  für  mich  gefaßt.^)  Sie 
tut  alles,  was  ich  will,  und  wenn  sie  den  Mond  mit  den  Zähnen  nehmen 
sollte.  Dies  erleichtert  natürlich  meinen  Plan.  Wenn  Sie  jetzt  kommen, 
so  ist  nicht  der  geringste  Zweifel,  daß  sie  es  auf  meinen  Wunsch  tun, 
ja  ein  devouement  hineinsetzen  wird,  für  Sie  zu  leben.  Aber  um  eben 

^)  Sehr  zahlreiche  Briefe  Ludmillas  an  Lassalle  befinden  sich  im  Nachlaß. 
Von  ihrem  Abdruck  wurde  aus  räumlichen  Gründen  Abstand  genommen.  Vgl. 
hierzu  Bd.  II,  Einführung  S.  25. 


=  240  —  

dieser  Ivcidenschaf  t  willen  war  und  ist  meine  Situation  vis-ä-vis  diesem 
Mädchen,  dem  ich  herzlich  gut  bin,  eine  ganz  unerträgliche.  Als  ich 
herkam,  mußte  ich  ihr  versprechen,  die  Woche  mindestens  einen 
Abend  bei  ihr  zuzubringen.  Ich  tat  das  imd  hielt  es,  weil  ich  eben  in 
Ihrem  Interesse  meine  Macht  über  sie  nicht  verlieren  wollte.  Aber  ich 
bin  dabei  stets  wie  auf  Kohlen.  Durch  jeden  Besuch  —  glauben  Sie  um 
Gottes  willen  nicht,  daß  ich  übertreibe  — vermehrtsich  diese  Ivcidenschaf  t 
bei  ihr  so,  daß  ich  alle  Minute  befürchte,  sie  in  einen  Eklat  ausbrechen  zu 
sehen,  und  mehrere  Male  vielleicht  nur  durch  die  künstlichste,  kalte  und 
frivole  Wendung,  die  ich  dem  Gespräche  gab,  einer  Erklärung  entgangen 
bin.  Auf  die  Ivänge  halte  ich  das  nicht  aus,  und  vielleicht  legt  sie  sich 
noch  meine  wöchentlichen  Besuche,  da  sie  weiß,  wie  teuer  mir  meine 
Abende  jetzt  sind,  für  mehr  als  bloße  Freundschaft  aus.  Wäre  die  Rück- 
sicht auf  Sie  nicht,  würde  ich  mir  leicht  helfen,  indem  ich  absichtlich 
nur  alle  drei  Wochen  hinginge  und  sie  so  gewaltsam  von  ihrer  törichten 
Ivcidenschaft  abbrächte.  Aber  das  darf  ich  wieder  Ihretwegen  nicht, 
um  meine  Macht  auf  sie  nicht  zu  verlieren.  Diese  Situation  ist  viel  ver- 
zweifelter, als  Sie  aus  dieser  Schilderung  ersehen  können,  und  ganz  un- 
leidlich. Ich  kann  sie  unmöglich  lange  aushalten.  Sind  Sie  erst  da,  so 
verlasse  ich  mich  auf  Ihre  Anwesenheit,  die  dann  natürlich  jeden  Eklat 
verhütet.  Darum  wollte  ich  Ihre  Herkunft  durchaus.  Jetzt  ist  noch 
dazu  gekommen,  daß  I/udmilla  auf  Ostern  ihre  Wohnung  gekündigt 
hat  und  deshalb  schon  im  Januar  eine  neue  suchen  und  mieten  will 
und  muß.  Solange  Sie  nicht  da  sind,  kann  ich  ihr  aus  hundert  Gründen 
nichts  von  meinem  Plane  sagen.  Dies  geht  erst,  wenn  Sie  sich  beide 
gesehen  haben.  Hat  lyudmilla  aber  erst  gemietet  —  und  dies  geschieht 
im  Januar  gewiß  — ,  so  ist  es  deshalb  wieder  vorbei.  —  Dies  waren  die 
Gründe,  die  mich  nötigten,  Ihre  Herkunft  Anfang  Januar  spätestens 
zu  wünschen. 

Sie  sagen  jetzt,  Ihre  Geldverhältnisse  hielten  Sie  davon  ab.  Dies 
ist  aber  auch  nicht  wahr,  und  ich  kann  es  wiederum  beweisen.  Denn 
im  November  schrieben  Sie  mir:  Sie  wüßten  nicht  recht,  ob  Sie  schon 
vor  Weihnachten  herkommen  sollten ,  denn  wegen  der  Sitte  des 
Schenkens  koste  Ihnen  der  Weihnachten  hier  entsetzlich  viel,  so  daß 
es  vielleicht  klüger  sei,  ihn  noch  in  Düsseldorf  zu  verleben.  Ich  ant- 
wortete sofort,  gut,  wenn  Ihnen  der  Weihnachtsabend  gar  so  teuer 
käme,  möchten  Sie  erst  Anfang  Januar  kommen,  aber  gewiß  nicht 
später.  Darin  aber,  daß  Sie  noch  im  November  unschlüssig  waren  und 
mich  darüber  befragten,  ob  Sie  nicht  schon  vor  Weihnachten  hier  ein- 
treffen sollten,  liegt  klar  erwiesen,  daß,  abgesehen  von  den  Festgeschen- 
ken, Ihre  Geld  Verhältnisse,  in  denen  sich  seitdem  nichts  geändert, 
Sie  nicht  vom  baldigen  Herkommen  abhielten.  Inzwischen  aber  hatte 


-  =  241  -  —  - 

Ihnen  Paul  wieder  jene  Anzeige  gemacht,  und  nun  antworteten  Sie, 
Sie  könnten  nicht,  weil  Paul  dann  an  den  Rhein  wolle.  Nur  diesen 
Grund  gaben  Sie  an.  Wenn  Sie  also  jetzt  die  Sache  auf  die  Geld  Verhält- 
nisse schieben  wollen,  so  ist  dies  doppelt  erwiesenermaßen  unwahr. 

Da  wurde  es  mir  denn  endlich  zu  toll  mit  dem  ewigen  Paul,  den  ich 
immer  und  immer,  wo  ich  meinetwegen,  wo  ich  besonders  Ihretwegen 
einen  Wunsch  hegte,  mir  entgegengestellt  hören  mußte.  Paul  war  zu 
einer  Quelle  von  ununterbrochener  Verneinung  für  mich  geworden. 
Noch  viel  mehr.  Es  war  dahin  gekommen,  daß  ich  von  ihm  sagen  konnte, 
was  Vergniaud  ^)  von  Marat  sagte :  Marat  etait  mon  tyran ! 

Dies  Verhältnis  verletzte  endlich  zu  sehr  alle  Gegenseitigkeit,  alle 
Selbstachtung,  die  ich  mir  schulde,  als  daß  ich  es  fortsetzen  sollte.  Ich 
stand  bisher  zu  Ihnen  in  einem  Verhältnis,  in  welchem  ich  Ihnen  stets 
alles  Individuelle,  meinen  eigenen  Vater  und  mich  selbst  nicht  aus- 
genommen, unbedenklich  nachzusetzen  gewohnt  war.  Ich  kann  nicht 
länger  akzeptieren,  daß  Sie  Ihrerseits  dagegen  mich  und  sich  —  mich 
und  sich,  das  sind  identische  Worte,  denn  ich  will  nur  immer  Ihret- 
wegen —  mit  der  fortgesetztesten  Rücksichtslosigkeit  immer,  ewig, 
ohne  Unterbrechung  Paul  aufopfern,  jedem  Wunsch,  jeder  Laune  von 
ihm.  Ich  hatte  in  dieser  Hinsicht  schon  vieles  ertragen,  was  mich 
indignierte.  Ich  fand  mich  darein.  Ich  glaubte  immer,  Sie  würden  doch 
selbst  eine  Grenze  finden.  Da  diese  Hoffnung  trügte,  da  ich  aufs  Äußerste 
gebracht  wurde,  nun  so  mußte  ich  mich  endlich  insurgieren,  ernsthaft, 
unerbittlich,  imwiderrufHch.  Darum  habe  ich  mit  Ihnen  gebrochen 
tmd  halte  diesen  Bruch  aufrecht. 

Ich  wiederhole  Ihnen,  Sie  haben  keinen  Begriff,  welche  Anstren- 
gungen mich  dieser  Bruch  gekostet  hat  und  noch  kostet.  Mehr  als  wenn 
ein  Vater  zehn  Kinder  verliert.  Denn  Sie  waren  mir  alles,  was  ein 
Individuum  einem  sein  kann,  waren  mein  ganzes  individuelles  Glück. 
Aber  es  ist  mir  ganz  egal,  und  wenn  ich  gleich  augenblicklich  darüber 
zugrunde  gehen  und  selbst  wenn  ich  lebenslang  darüber  steinunglück- 
lich werden  sollte.  Mir  gleich.  Es  steht  geschrieben,  daß  ich  die  Kraft 
haben  werde,  meinen  Prinzipien  nachzuleben,  was  sie  mich  auch  kosten. 
Es  bleibt  also  dabei.  Unter  einer  einzigen  Bedingung  dagegen  bin  ich 
bereit,  das  alte  Verhältnis  zu  Ihnen  wieder  aufzunehmen:  Wenn 
Sie  mir  schriftlich,  auf  einem  besonderen  Bogen  die  Erklärung 
schicken:  ,,Daß  Sie  von  nun  ab  auf  Paul  und  Ihre  Famihe  überhaupt 
nur  soviel  Rücksicht  nehmen  wollten,  wie  ich  selbst  billigen  und  für 
gut  finden  würde." 


1)  P.  V.  Vergniaud   (1759— 1793),  der  bekannte  Führer  der  Girondistenpartei 
in  der  französischen  Revolution. 

Mayer,  I.assalle-Nachlass.     IV  16 


=   242  = 

Ich  hatte  mich  bisher  Ihrer  Rücksicht  und  Ihrem  Ermessen  an- 
vertraut. Ich  bin  zu  schlecht  dabei  gefahren.  So  bleibt  nichts  übrig,  als 
daß  wir  brechen, oder  Sie  sich  auf  Diskretion  meinem  Ermessen  unter- 
werfen. Vielleicht  fahren  Sie  bei  meiner  lyoyahtät  dabei  in  jeder  Hin- 
sicht besser. 

Auf  keinen  Brief,  dem  nicht  ein  besondres  Blatt  mit  dieser  Erklärung 
beigefügt  ist,  werde  ich  antworten.  Es  ist  mir  diesmal  grimmiger  Ernst. 

Ihr  Bild  habe  ich  noch  nicht  erhalten,  es  wird  mir,  wenn  es  kommt, 
eine  sehr  große,  sehr  wehmütige  Freude  machen:  Denn  es  ist  für  mich 
das  Bild  einer  gewesenen  und  verlorenen  Freundin,  mit  der  ich 
alles  reale,  persönliche  Glück  verliere.  Das  andere,  was  Sie  mir  schicken 
wollen,  würden  Sie  mich  verpflichten,  wenn  es  noch  nicht  abgegangen 
ist,  mir  unter  solchen  Umständen  lieber  gar  nicht  zu  schicken.^) 

io6. 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

[Berlin,  6.  Januar   1859.] 

. .  .  Nun  also,  die  schmerzhafteste  von  allen  Erfahrungen,  die  ich  in 
meinem  vielbewegten  Leben  gemacht  habe,  ist  die,  daß  man  seinen 
Verstand  immer  nur  für  sich  selbst  benutzen,  andern  aber  denselben 
nicht  nützlich  machen  kann.  Ich  würde  einen  beträchtlichen  Teil  meines 
Verstandes  dahingehen,  wenn  ich  mit  dem  Reste  Ihnen  beispringen 
könnte.  Allein  das  soll  nicht  sein.  So  muß  man  sich  also  endlich  zu 
resignieren  wissen.  Das  ist  eine  Kunst,  die  man  schwer  lernt  mit  einem 
warmen  Herzen,  aber  doch  endlich  lernen  muß.  Also  bleiben  Sie  fort, 
solange  Sie  wollen,  kommen  Sie  gar  nicht,  dies  Jahr,  künftiges  Jahr,  es 
soll  mir  alles  ganz  recht  sein,  ich  lege  es  ganz  in  Ihre  Hände,  lasse  Ihnen 
die  vollständigste  Freiheit.  Nicht  wahr,  so  bin  ich  doch  liebenswürdig? 
So  tue  ich  doch  ganz  das,  was  Sie  fordern?  Und,  doch  ist  dies  grade 
von  allem  das  Schlimmste!  Aber  ich  kann  es  unmöghch  durchsetzen, 
mich  mehr  für  Sie  zu  interessieren,  als  Sie  es  selbst  tun.  Also  alles  ganz 
wie  Sie  wollen  .  .  . 

107. 

vSOPHlE  VON  HATZFEivDT  AN  I.ASSAI.I.E.  (Original.) 

[Düsseldorf]  9.  Januar  [1859]. 

Liebes,  gutes  Kind,  wie  sehr  hat  mich  Ihr  Brief  erfreut  und  er- 
leichtert. Bei  allem,  was  mich  sonst  mit  Recht  bedrückt,  die  wenige 
1)  Der  Brief  ist  nicht  unterschrieben. 


243  

Freude,  die  mir  sonstige  Verhältnisse  bereiten,  meine  wenige  Gesund- 
heit und  mein  freudloses,  zcrstreuungsloses  Leben,  hatte  mich  Ihre 
wirklich  ungerechte  lyieblosigkeit  und  Härte  ganz  daniedergedrückt, 
und  ich  machte  schon  Anstalten,  mir  ein  stilles  Asyl  zu  suchen,  wo 
ich,  von  allem  losgesagt,  nur  Ruhe  finden  wollte.  —  Gottlob,  daß  ich 
Sie,  wenn  auch  nur  einigermaßen,  wiederfinde.  Glauben  Sie  denn  nicht, 
daß  es  mir  schwer,  sehr  schwer  fällt,  so  zu  sitzen,  wie  ich  es  tue,  und 
auf  alles  zu  verzichten?  Glauben  Sie  nicht,  daß  es  sehr  hart  für  mich 
und  schwer,  ruhig  zu  ertragen,  daß  ich  ohne  meine  Schuld,  durch  bei- 
spiellose Schändlichkeit  der  Blocks  ^)  und  durch  auf  einmal  gekommene 
Unglücksfälle  auf  fast  die  Hälfte  meines  Vermögens  reduziert  bin  und 
ein  solches  Leben  zu  führen  genötigt  bin?  Ich  hätte  weit  eher  Trost 
und  Zuspruch  nötig  und  verdient  als  Vorwurf !  Sie  sagen  aber,  es  sei  in 
meinem  Alter  die  Zeit  das  kostbarste.  Für  mich  reichte  es  gewiß  aus, 
ich  sollte  nur  anmichdenken,  denn  es  hätte  ja  niemand  an  mich  gedacht, 
und  für  niemand  weniger  als  für  mich  existiere  die  Rücksicht,  ob  ich 
nach  meinem  Tode  20000  Rt.  mehr  oder  weniger  hinterließe  und  es  sei 
ein  bedauernswerter  totaler  Unverstand,  mich  dem  zu  opfern.  Erstens, 
liebes  Kind,  handelt  es  sich  nicht  um  etwa  20000  Rt.  mehr  oder  weniger, 
sondern  um  67000,  die  ich  verloren  habe  durch  Papier,  Geschäfte  und  den 
schmählichen  Betrug  der  Blocks,  wodurch  ich  so  schlecht  gestellt  bin, 
als  ich  es  durch  den  schlechtesten  Vergleich  mit  dem  Grafen  gewesen 
wäre.  Zweitens  bin  ich  nicht  eine  Persönlichkeit,  die  es  fertig  bringen 
kann,  nur  an  sich  zu  denken,  und  dabei  glücklich  und  ruhig  sein 
könnte.  Ich  verdiene  darüber  keinen  Tadel,  wohl  eher  lyob,  daß  alle 
Schlechtigkeit  und  Egoismus,  die  ich  erlebte,  mich  doch  nicht  zum 
herzlosen  Egoisten  machen  konnte.  — 

Aber  ganz  abgesehen  von  allen  Rücksichten,  selbst  wenn  ich  ganz 
allein  stände,  an  niemand  dächte,  was  wirkhch  auch  jetzt  gar  nicht 
mein  Hauptbeweggrund  ist,  müßte  ich  aus  Rücksicht  für  mich  selbst 
jetzt  der  Vernunft  gemäß  so  handeln,  denn  bevor  man  an  ein  ange- 
nehmes lycben  denken  kann,  muß  man  in  meinem  Alter  vorzüghch 
an  ein  sorgenloses  denken  .  .  .  Überlegen  Sie  sich  noch  einmal  mit 
Ruhe,  ohne  Illusionen  und  ohne  Vorurteile  die  Uage  der  Dinge,  wie  ich 
sie  schildere  und  wie  sie  ist,  und  sagen  Sie  selbst,  ob  Sie  mir  nicht  raten 
müssen,  mit  äußerster  Vorsicht  zu  handeln,  um  nicht  in  Sorgen  und 
Kämpfe  wieder  hineinzugeraten,  die  ich  die  physische  Kraft  zu  ertragen 
nicht  mehr  habe.  Es  ist  allerdings  sehr  hart  für  mich,  aber  nicht  zu 
ändern  in  meiner  Macht .  .  . 


1)  Beim  Zusammenbruch  des  Bankhauses  Block  in  Düsseldorf  hatte  die  Gräfin 
Ende   1856  eine  bedeutende  Summe  verloren. 


=  244 

io8. 

LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  [13.  Januar  1859]. 

So  oft  ich  einen  Brief  von  Ihnen  lese,  und  so  oft  ich  Ihnen  einen 
schreibe,  geschieht  es  immer  mit  blutendem  Herzen.  Denn  es  ist  immer 
imd  ewig  die  alte  Unvernunft,  wie  sehr  sie  sich  auch  unter  künstlichen 
und  scheinbar  vernünftigen  Argumenten  versteckt .  .  . 

Sie  sagen,  ich  spräche  von  jenem  Verlust,  als  wäre  er  nicht  der  Rede 
wert.  Nun,  Sie  kennen  mich  gut  genug,  um  zu  wissen,  daß  er  mir  sicher 
zehnmal  mehr  zu  Herzen  geht,  als  wäre  er  mir  selbst  passiert,  so  zu 
Herzen  geht,  daß  ich  kirschbraun  darüber  werden  könnte.  Aber  —  ab- 
gesehen davon,  daß  ich  es  weder  für  verloren  hoffe  noch  glaube,  wäre 
es  verloren,  nun,  so  würde  ich  doch  deshalb  nicht  den  Rest  meines 
Lebens  dem  Gelde  nachweinen,  sondern  nur  darauf  sinnen,  mit  dem 
mir  bleibenden  Reste  mein  Leben  so  genußreich  als  möglich 
einzurichten.  Nicht  wahr?  Und  daß  Sie  mit  7000  Rt.  hier  nicht  sehr 
bequem  imd  schön  sollten  leben  können,  werden  Sie  doch  nicht  be- 
haupten? Lessing  ist,  wie  Sie  aus  seiner  Biographie  ersehen  werden,^) 
sein  I/cbtag  daran  zugrunde  gegangen,  daß  er  keine  —  300  Rt.  gehabt 
hat!  Nun,  wenn  daraus  nun  auch  nicht  folgt,  daß  man  mit  300  Rt.  zu- 
frieden sein  könne,  so  wird  doch,  wer  7000  Rt.  Renten  hat,  noch  immer 
finden  müssen,  daß  ihm  ein  sehr  glückliches  Los  beschieden  sei. 

Ihre  lange  Trennung  von  mir  ist  Ihnen  beiläufig  auch  in  dieser  Hin- 
sicht, in  geistiger  und  ethischer  Hinsicht,  nicht  gut.  Sie  lesen  nichts, 
nämlich  nichts  Gediegenes  imd  trocknen  dadurch  geistig  ein,  verlieren 
ganz  das  Ewige  außer  dem  Auge,  das  den  Menschen  über  das  Gewürm 
erhebt,  und  nähern  sich  mehr  dem  Niveau  der  jämmerlichen  Alltags- 
geschöpfe, die,  da  ihnen  jede  höhere'  Befriedigung  versagt  ist,  nichts 
wissen,  als  nach  mehr  und  mehr  Geld  zu  ringen  und  ihr  Herz  daran  hin- 
geben. Ich  bitte  Sie,  kommen  Sie  her,  sonst  gehen  Sie  dort  zugrunde. 
Verstehe  ich  Sie  recht,  so  wollen  Sie,  um  die  2000  Rt.  Schulden  abzu- 
legen, bis  zum  i.  April  in  Düsseldorf  bleiben  .  .  .Lassen  Sie  doch  kommen, 
was  kömmt.  Und  begnügen  Sie  sich,  dem  Genüsse  des  Tages  zu  leben ! ! 
O  was  gäbe  ich  darum,  wenn  ich  ein  wenig  Verstand  in  Sie  bringen 
könnte.  Ich  wiederhole:  das  kostbare  für  Sie  ist  nicht  Geld,  sondern 
Zeit,  Zeit,  Zeit.  Sie  sagen,  Sie  müßten  doch  ein  sorgenfreies  Alter 


*)  Lassalle  hatte  der  Gräfin  Adolf  Stahrs  Lessing-Biographie  geschickt,  über 
die  er  im  November  1858  einen  Aufsatz  geschrieben,  der  aber  erst  1861  im  zweiten 
Bande  der  Demokratischen  Studien,  die  Ludwig  Walesrode  herausgab,  gedruckt 
wurde. 


=  245  

haben.  Du  mein  Gott,  das  haben  Sie  mit  7000  Rt.  immer.  Sind  Sie  erst 
alt,  so  werden  Sie  die  nicht  einmal  brauchen  .  .  . 

Nun  adieu!  Nie  hätte  ich  geglaubt,  Sie  würden  sich  freiwillig  zwei 
Jahre  lang  von  mir  trennen.  Und  so  lang  ist  es  im  April. 
Adieu. 

Ihr 

F.  L. 


109. 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Donnerstag  [20.  Januar  1859]. 
Meine  gute,  gnädigste  Frau! 

Ich  habe  gestern  den  ganzen  Tag  mit  mir  gekämpft,  ob  ich  Ihnen 
schreiben  soll  oder  nicht,  aber  unzweifelhaft  haben  Sie  die  Sie  gewiß 
wieder  so  betrübende  Nachricht  von  dem  Tode  des  Grafen  Max  bereits 
erfahren,^)  und  es  wäre  daher  unrecht  und  zwecklos,  Ihnen  nicht  zu 
schreiben.  Ich  bitte  Sie,  sehr  vernünftig  zu  sein  und  sich  nicht  wieder 
so  zu  grämen  und  zu  alterieren  wie  damals  bei  Klara.  Sie  brauchen  Ihre 
Kräfte  und  Ihre  Gesundheit  für  sich  selbst  und  müssen  haus  damit 
halten.  Schreiben  Sie  mir  doch  bald  ein  paar  Zeilen,  denn  so  lange  ich 
gar  keine  Nachricht  von  Ihnen  habe,  bin  ich  unruhig  und  besorgt,  zumal 
es  schon  lange  her  ist,  daß  Sie  meinen  letzten  Brief  erhalten  und  ich 
noch  ohne  Antwort  darauf  bin.  Ich  bitte  Sie  sehr,  sich  nicht  wieder 
maßloser  Traurigkeit  hinzugeben.  Das  ist  der  Weg,  den  wir  alle  gehen, 
und  ein  solches  Ereignis  müßte  uns  somit  nur  als  Mahnung  dienen,  die 
so  flüchtig  vorübereilende  Zeit  vernünftig  imd  human  zu  genießen,  um 
etwas  vom  Lieben  gehabt  zu  haben,  wenn  es  am  Ende  ist. 

Ich  bitte  Sie,  schreiben  Sie  mir  umgehend.  Der  Tod  erfolgte  gestern 
früh  fünf  Uhr  ganz  plötzlich.  Beim  Prinzen  von  Preußen  sollte  gestern 
abend  Ball  stattfinden,  der  infolgedessen  abgesagt  wurde.  Die  Prinzessin 
hat  gestern  der  Frau  von  Max  Besuch  gemacht. 


^)  Der  preußische  Gesandte  in  Paris,  Graf  Maximilian  von  Hatzfeldt,  der 
Bruder  der  Gräfin  Sophie,  war  am  19.  Januar  gestorben.  Sie  hatte,  wie  ein  Brief 
von  ihr  an  Lassalle  vom  21.  Januar  zeigt,  die  Kunde  bereits  durch  ihren  Schwager, 
den  General  der  Kavallerie  und  ehemaligen  Kriegsminister  Freiherr  von  Schrecken- 
stein erhalten,  der  damals  in  Düsseldorf  kommandierte.  ,, Unvorbereitet  war  ich 
zwar  ganz",  schrieb  sie,  ,,denn  ich  hatte  am  selbigen  Tag  Brief  bekommen, 
daß  es  besser  und  keine  Gefahr,  und  doch  wußte  ich,  daß  mir  großes  Unglück 
geschehen  würde,  denn  ich  hatte  wieder  meine  Träume  gehabt,  die  mich  nicht 
täuschen." 


- —  =  246  — -  — 

Schonen  Sie  sich  und  denken  Sie  an  sich  selbst,  und  wenn  Sie  hierin 
schon  leichtsinnig  sind,  so  denken  Sie  an  die,  die  Sie  lieben,  vor  allem 
an  mich,  der  dies  gewiß  am  meisten  tut. 
Schreiben  Sie  mir  sofort. 

Ihr 

F.  Lassalle. 

110. 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Origmal.) 

[Berlin,  Ende  Januar   1859.] 

.  .  .  Ich  habe  vor  einigen  Tagen  eine  neue  Wohnung  vom  i.  April  ab 
gemietet  für  — fünfhundert  Reichstaler!  Aber  welche  Pracht.  Bellevue- 
straße.  Haut  parterre.  Vier  große  Salons,  die  ineinander  gehen,  in  einer 
Suite !  Erstein  immenser  blauer  Salon,  Bosserie,  vergoldete  Plafonds  usw., 
dann  Speisesaal,  wo  ich  dreißig  Personen  bequem  setzen  kann,  und 
prachtvoll  dekoriert.  Dann  großes  Bibliothekzimmer,  dann  kleineres 
Arbeitszimmer,  dessen  Glasfenster  auf  ein  Treibhaus  stoßen,  so  daß  ich 
stets  die  Palmen  vor  mir  habe.  Gebe  ich  ein  Festin  und  öffne  die  vier 
Türen,  sieht  man  vom  Salon  bis  ins  Treibhaus,  das  ich,  wenn  es  mir 
auch  nicht  gehört,  doch  benutzen  kann.  Seitwärts  Schlafzimmer.  Im 
Souterrain  Küche,  Keller,  Dienerwohnung.  Ich  kann,  wenn  ich  will, 
hundert  Personen  bei  mir  sehen.  Sie  glauben  vielleicht,  daß  ich  verrückt 
bin.  Ach  nein !  Ich  denke  nur,  daß  ich  nur  einmal  lebe  und  daher  mir 
nichts  abgehen  lassen  will.  Natürlich  werde  ich  in  solcher  Wohnung 
auch  von  Zeit  zu  Zeit  entsprechende  Gesellschaft  geben.  Nun,  und  das 
alles  könnte  ich  knapp  mit  2800  Rt.  etwa  bestreiten,  vielleicht  nicht 
ganz,  mit  3000  Rt.  gewiß,  mit  3500  Rt.  reichlich,  mit  4000  Rt.  würde 
mir  jedenfalls  Geld  übrig  bleiben,  so  daß  ich  dann  auf  neue  Ausgaben 
sirmen  müßte,  um  es  anzulegen.  Hätte  ich  aber  gar  5000 — 6000  Rt., 
würde  ich  sie  ohne  Übermut  gar  nicht  tot  zu  machen  wissen.  Nun, 
die  4000  Rt.,  die  ich  zu  reichlichem  Dasein  und  vielen  Festins  in  dieser 
Wohnung  eigentlich  brauche,  gedenke  ich  mir  nächstes  Jahr  durch 
Erneuerung  des  Vertrages  mit  meinem  Schwager  und,  resp.  wenn  er 
nicht  will,  durch  Ankauf  von  Genfem  zu  verschaffen.  Aber  selbst  mit 
3000  Rt.  kann  ich  diesen  Train  durchführen.  Und  nun  Sie  erst  mit 
6000  Rt. !  Daß  ich  ein  bißchen  antizipiere,  kann  Sie  bei  mir  nicht  wundern. 
Das  haben  Sie  nicht  nötig.  Im  übrigen  ist  es  nur  sehr  mäßig  bei  mir 
selbst  der  Fall.  Und  somit  nehmen  Sie  an  mir  ein  Beispiel!  Seien  Sie 
kein  Narr !  Leben  Sie !  Ivcben  Sie !  Was  würden  Sie  hier  schon  für  Ver- 
gnügen durch  mich  haben,  was  Ihnen  gar  nichts  kostete,  da  ich  es  ohne- 


=  247  - — 

hin  ausgebe.  Diesen  Winter  zwar  gebe  ich  gar  keine  Gesellschaft,  wenn 
Sie  nicht  kommen,  und  spare.  Nächsten  Winter  aber  öffne  ich  meine 
Salons  und  gebe  i.  im  Lauf  desselben  drei  bis  vier  große  Gesellschaften 
ä  dreißig  Personen  oder  mehr,  die  mich  —  jede  Gesellschaft  —  loo  bis 
200  Rt.  kosten  können,  und  2.  alle  Woche  jour  fixe  mit  Auftrommlung 
so  vieler  Leute  als  möglich,  am  liebsten  siebzig  bis  achtzig  Personen, 
Die  Kosten  eines  jour  fixe  sind  fast  Null.  Für  die  Einrichtung  meiner 
neuen  Wolmung  will  ich  auch  splendid  sorgen,  an  500  Rt.  oder  mehr 
will  es  mich  kosten  lassen.  Ich  wollte,  Sie  wären  hier,  um  mir  mit  Ihrem 
Geschmack  beizustehen!  Also  seien  Sie  keine  Eule,  keine  Eule!  Leben 
Sie  mit  mir,  wie  ich,  statt  dort  zu  sitzen  und  zu  rechnen. 

,,Hör  auf  mit  Deinem  —  Geld  zu  spielen, 
Das  wie  ein  Geyr^)  Dir  an  der  Leber  frißt. 
Die  schlechteste  Gesellschaft  läßt  Dich  fühlen. 
Daß  Du  ein  Mensch  und  unter  Menschen  bist."  .  .  . 


III. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VOH  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  Februar-März  1859.] 

Ich  bin  sehr  ärgerlich  auf  Sie,  daß  Sie  mich  gestern  wieder  —  ganz 
gegen  meinen  Willen,  denn  ich  wollte  überhaupt  von  allen  diesen 
Thematen  gar  nicht  einmal  mit  Ihnen  reden  —  zur  Leidenschaft  ge- 
bracht haben.  Das  ist  bei  Ihnen  nicht  fertig  zu  kriegen,  daß  Sie,  wenn 
Sie  sehen,  ich  gerate  in  Leidenschaft,  schweigen.  Im  Gegenteil,  Sie 
reizen  um  so  mehr!  Und  doch  sehe  ich  auch  hier  alle  Frauen  gegen  ihre 
Männer  so  handeln,  daß,  wenn  sie  sehen,  es  steht  eine  Explosion  bevor, 
momentan  still  sind.  Wer  sollte  aber  eher  eine  Berücksichtigung  seiner 
Leidenschaft  erwarten  dürfen  als  ich,  der  mehr  davon  hat  als  jeder 
andere  und  bei  dem  sie  auch  sehr  so  seine  Stärke  ausmacht,  daß  er 
auch  die  Ertragimg  ihrer  unangenehmen  Seiten  verlangen  kann. 

Bei  alledem  hat  die  Explosion  wie  immer  bei  mir  in  bezug  auf  Sie 
das  Gute  gehabt,  daß  mein  Unwille  dadurch  entladen  und  wie  nach 
einem  Gewitter  die  Atmosphäre  wieder  heiter  ist.  Ohne  daher  irgend 
etwas  von  meinen  Behauptungen  in  allen  Gebieten,  die  wir  berührten  — 
und  auf  die  wir,  wie  ich  bitte,  gar  nicht  mehr  zurückkommen  wollen  — , 
zurückzrmehmen  oder  als  irrig  zuzugeben,  erkläre  ich  Ihnen  doch,  daß 
mein  Unwille  durch  die  Explosion  verflogen  ist  und  meine  alte  treue 

^)  So  schreibt  Lassalle,  um  seine  Änderung  der  Textstelle  mit  Goethes  Rhyth- 
mus in  Übereinstimmung  zu  halten. 


—  248 

Freiindschaft  für  Sie  in  ihrer  alten  Anhänglichkeit  wieder  allein  das 
Terrain  behauptet.  Eine  Freundschaft  und  Anhänglichkeit,  von  der  vSie 
nicht  einmal  einen  rechten  Begriff,  geschweige  denn  eine  entsprechende 
Erwiderung  für  sie  haben.  Doch  selbst  das  stört  mich  nicht.  Jeder 
kann  nur  geben,  was  er  hat.  Und  so  will  ich  denn  bei  Ihnen  gern  sieben 
grade  sein  lassen  und  tausend  Dinge  nachsehen,  die  mein  Urteil  ver- 
dammt. Nur  das  eine  bitte  ich  mir  aus,  daß  ich  nie  wieder  mit  Dingen 
inkommodiert  werde,  die  ich  meinem  Stolz  und  meiner  Ehre  nicht 
zu  ertragen  schuldig  bin,  daß  ich  nicht  persönlich  inkommodiert  werde 
und  so  mit  der  Nase  darauf  gestoßen,  was  ich  zu  ignorieren  suchen  muß. 

In  dieser  Hinsicht  bin  ich  fest  entschlossen,  keinen  Spaß  zu  ver- 
stehen. —  Dixi. 

Also,  der  heutige  Tag  ist  mir  ganz  zerstückelt.  Ich  fahre  eben  zu 
Humboldt,  esse  bei  Dunckers  imd  muß  abends  zum  Tee  zu  Michelet. 

Aber  von  morgen  an  bin  ich  für  Sie  frei !  Wollen  Sie  mich  morgen 
vormittag  besuchen?  Oder  soll  ich  zwischen  zwei  und  drei  zu  Ihnen 
kommen,  bei  Ihnen  essen  imd  Tag  und  Abend  bei  Ihnen  bleiben? 

Also  wieder  mit  heiterster  lyaune  und  ausgepufftem  Zorn 

Ihr 

F.  Iv. 

112. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  lyASSAI^IvE.  (Original.) 

[Berlin,  Februar-März  1859.] 

lyiebes  Kind,  ich  wollte  heute  morgen  zu  Ihnen  kommen,  aber  ich 
bin  von  einer  sehr  schlechten  Nacht  so  müde  und  matt,  daß  es  in  jeder 
Beziehung  besser,  ich  schreibe.  Ich  wollte  Sie  erstens  fragen,  ob  es  dabei 
bleibt,  daß  die  Damen,  Madame  Duncker,  heute  abend  zu  mir  kommen? 
damit  ich  mich  danach  richten  kann.  Ich  hätte  gern  in  diesem  Fall  noch 
irgendeinen  Herrn  dabei  gehabt,  Schönberg,  ^)  Scherenberg,  2)  Hierse- 
menzel,  da  ich  fürchte,  daß  die  Damen  sich  langweilen;  aber  natürlich 
kann  ich  doch  nicht  dazu  grade  einladen.  Zweitens  wollte  ich  Ihnen 
sagen,  daß  ich  gern  eingestehe,  daß  ich  gestern  viel  zu  heftig  für  die 
augenblickliche  Veranlassung  war  und  daß  mir  dies  herzlich  leid,  sowohl 

^)  Gustav  Schönberg  (1839 — 1908),  der  spätere  bekannte  Professor  der  National- 
ökonomie, hatte  sich  als  jvmger  Referendar  an  Lassalle,  den  er  sehr  bewunderte, 
eng  angeschlossen.  Zahlreiche  Briefe  von  ihm  an  Lassalle  und  auch  an  die  Gräfin 
Hatzfeldt  befinden  sich  im  Nachlaß.  I,assalle  setzte  ihm  wie  anderen  Freunden  in 
seinem  Testament  ein  Bücherlegat  aus. 

2)  Christian  Friedrich  Scherenberg  (1798 — 188 1),  der  Schlachtendichter. 


249  -  

Ihnen  gegenüber  als  Ivudniilla,  der  ich  dies  auch  sagen  werde.  Auf 
der  andren  Seite  ist  es,  glaube  ich,  nicht  in  der  Ordnung,  daß  vSie  in 
allen  Dingen  des  täglichen  Lebens,  selbst  solchen,  die,  wie  gesellige  Be- 
ziehungen und  Ansichten  darüber,  in  das  Reich  sogar  des  willkürlichen 
Beliebens  fallen,  sobald  ich  andre  Meinmigen  habe  und  den  Ihrigen 
nicht  folge,  mir  diese  imponieren  wollen  und  mich  unartig  behandeln, 
selbst  ohne  Rücksicht  vor  fremden  Leuten,  und  dieses  prinzipmäßig 
als  Ihr  Recht  aufstellen;  was  mich  um  so  mehr  verdrießen  muß,  daß 
ich  sehen  muß,  daß  Sie  dieses  Prinzip  nicht  gegen  andre,  deren  Hand- 
limgen  in  dieser  Beziehung  noch  so  ungerechtfertigt,  in  Anwendung 
bringen,  und  ich  mich  doch  grade  in  vielem  dieser  Art,  wo  es  mir  Über- 
windung gekostet,  sehr  nachgiebig  und  gefällig  erwiesen  habe.  Wenn 
Sie  von  mir  die  weiche  Nachgiebigkeit  und  Ausweichen  durch  Still- 
schweigen einer  Frau  (was  überdies  doch  auch  nicht  so  immer  der  Fall) 
verlangen,  so  haben  Sie  auch  meiner  Ansicht  nach  sehr  unrecht.  Mein 
Charakter  war  von  jeher  sehr  weich,  wenn  man  mich  mit  Liebe  behandelt, 
aber  verhärtet  gegen  Zwang;  jahrelange  Kämpfe,  wo  ich  den  Mut  und 
die  Tragkraft  eines  Mannes  entwickeln  mußte  imd  Sie  selbst  jede  Äuße- 
nmg  der  Weiche  und  Empfindung  mit  Gewalt  in  mich  zurückgetrieben, 
haben  mich  hart  gehämmert,  und  ich  habe  mir  dadurch  recht  teuer  das 
Recht  erkauft,  daß  man  mich  in  dieser  Beziehung  auch  wie  einen  Mann 
behandle  und  auf  dem  Fuß  der  Gleichheit  und  gegenseitigen  Rück- 
sichten basiere.  Sie  sagen  ja  immer  selbst  für  sich,  daß  man  nicht  das 
Entgegengesetzte  vom  selben  Charakter  verlangen  könne,  und  von 
mir  glauben  Sie,  es  dennoch  verlangen  zu  dürfen.  Sie  behaupten  hin- 
gegen für  sich  jetzt  prinzipmäßig  das  Recht,  Ihre  Heftigkeit  vmd  Grob- 
heit in  keiner  Weise  zu  beherrschen ;  aber  weit  entfernt,  daß  Freund- 
schaft, Rücksicht  auf  mein  Alter,  Gesundheit,  vieles  Unglück  einigen 
kleinen  Unterschied  zu  meinen  Gunsten  hervorbringen  sollte,  so  richten 
Sie  gegen  niemand  eine  so  schneidende  Schärfe  wie  grade  gegen  mich. 
Ich  habe  Sie  mit  andren,  und  wo  Sie  selbst  im  Recht  waren,  auch  sehr 
heftig  gesehen,  aber  die  Kraft  auch  gesehen,  mit  der  Sie  sich  anstrengten, 
nicht  gar  zu  weit  zu  gehen,  wie  Sie  es  gegen  mich  ohne  Bedenken  tun. 
Glauben  Sie,  daß  das  wohltuend  und  besänftigend  auf  mich  einwirken 
kann? 

Ein  anderer  Vorwurf,  den  Sie  mit  großer  Schärfe  an  mir  verfolgen, 
ist  meine  Schwermut  und  daß  ich  mich  manchmal,  was  doch  auch  nicht 
mehr  oft  geschieht,  zu  einer  Klage  hinreißen  lasse.  Ich  verkenne  gar 
nicht,  daß  Sie  in  einer  Beziehung  vollkommen  recht  darin  haben.  Es 
ist  sogar  ein  Gesetz  wahrscheinlich  der  Erhaltung  der  Natur,  daß  sie 
alles  Kranke  unerbittlich  ausstößt;  die  Tiere  töten  das  Kranke  unter 
ihnen,  bei  den  Menschen,  bei  den  guten  Menschen,  ist  Teilnahme  und 


=-=  250  —  —  

aufopfernde  Tätigkeit  und  Hilfe  für  ein  einzelnes,  großes  Unglück;  aber 
andauernde  Krankheit,  stetes  Unglück  entmutigt  zuerst  die  Teil- 
nahme, dann  wird  es  eine  Last,  und  zuletzt  wird  es  zu  degout  und  Ärger 
gegen  die  Person,  die  einem  dies  unbehagliche  Gefühl  verursacht.  Dies 
ist  vollkommen  natürlich  und  daher  nichts  dagegen  einzuwenden;  Sie 
haben  vollständig  recht,  sich  nicht  in  diesen  melancholischen  Kreis 
hineinziehen  zu  lassen,  und  weiß  Gott,  kein  Mensch  wünscht  dies  weniger 
als  ich,  kein  Mensch  wird  sich  herzlicher  freuen,  Sie  lustig  und  heiter 
zu  sehen,  wenn  auch,  ohne  es  mitmachen  zu  können.  Ich  will  wahrlich 
keine  Last,  kein  Hindernis  für  Sie  sein,  warum  wollen  Sie  mich  denn 
durchaus  dazu  machen,  indem  Sie  mich  zwingen  wollen,  etwas  zu  sein, 
was  ich  nicht  mehr  sein  kann,  anstatt  mir  Ruhe  zu  gönnen,  etwas 
Rücksicht  und  das  Vergnügen,  zu  sehen,  wie  sich  das  Leben  für  Sie 
noch  heiter  gestaltet?  Sie  begehen  nur  eine  große  Ungerechtigkeit 
dabei,  die  Sie  und  mich  quält,  daß  Sie  nicht  einsehen  wollen,  daß  meine 
Lage  eine  ganz  andre  und  daher  auch  meine  von  Ihnen  verschiedene 
Anschauvmg  gerechtfertigt  ist.  Sie  haben  große  Kämpfe  imd  Un- 
glück bestanden,  aber  in  der  frühesten  Jugend,  wo  Ihre  moralische  wie 
physische  Kraft  ganz  frisch,  Sie  früher  kein  Unglück  gehabt  hatten. 
Die  Kämpfe  haben  daher  auch  für  Sie  zur  rechten  Zeit  geendet,  wo  Sie 
das  Leben  noch  vor  sich  hatten.  Sie  haben  seit  der  Zeit  keine  Sorgen, 
keinen  Kummer,  eine  Sie  ausfüllende  Tätigkeit,  Erfolge,  Freunde, 
Familie,  was  fehlt  Ihnen?  Sie  konnten  leicht  die  Vergangenheit  ab- 
schütteln und  ihrer  nicht  mehr  gedenken.  Für  mich  haben  die  ernsten 
Kämpfe  und  Unglück  angefangen,  als  ich  schon  viele  Leiden  ertragen, 
nicht  mehr  also  das  ganz  ungetrübte  Gemüt  mitbrachte,  sie  haben  geendet, 
wie  ich  das  Leben  schon  hinter  mir  hatte,  meine  Gesundheit  dahin 
war,  und  mir  nichts  mehr  blieb  als  das  Zurücksehen  auf  ein  langes, 
leidenvolles,  verfehltes  Leben,  in  dem  nicht  ein  einziger  lichter  Punkt, 
voller  Haß  und  Schmähungen,  die  mich  bis  an  mein  Grab  begleiten,  vor 
mir  nichts  mehr  als  Krankheit,  dadurch  den  andren  zur  Last  sein  und 
endlich  die  Ruhe.  Auch  hatten  diese  Kämpfe  eine  Seite  für  mich,  die 
sie  für  Sie  nicht  haben  konnten ;  ich  behaupte  fest,  an  materiellem  Un- 
glück und  Kämpfen  wäre  meine  Kraft  und  mein  Geist  nie  erlahmt,  aber 
mein  Herz  hat  sich  fast  verblutet,  und  diese  Wunden,  wenn  auch  ver- 
narbt, schmerzen  noch  heftig,  wenn  unsanft  berührt,  was  mir  doch 
häufig  von  allen  Seiten  geschieht.  Sie  begehen  also  die  Ungerechtigkeit 
gegen  mich,  diesen  Unterschied  nicht  zu  bedenken  und  mir  als  Unrecht 
auszulegen  und  zu  strafen,  was  nur  mein  großes  Unglück  ist.  Sie 
könnten  mir  auch  manchmal  ein  Wort  der  Klage,  was  Sie  mit  einem 
Wort  der  Teilnahme  beschwichtigen  könnten,  nicht  so  scharf  anrechnen. 
Wenn  Sie  bedächten,  wie  viele  Stunden  des  einsamen  Nachdenkens  und 


•^^  — —  251  —  = 

Trauerns  ich  zubringe,  so  würden  Sie  doch  einsehen,  daß,  da  eine  Klage 
nur  selten  kommt,  ich  mir  doch  Mühe  gebe,  alles  in  mich  7a\  verschließen 
und  keinen  Menschen  mit  hineinzuziehen.  Ich  bitte  Sie  also  um  einige 
Gerechtigkeit  und  Nachsicht  und  Schonung  und  vorzüglich,  daß  Sie 
mir  nicht  immer  das  Gefühl  geben,  daß  ich  eine  Last  für  Sie  geworden. 
Schon  oft  habe  ich  deshalb  den  Plan  gefaßt,  mich  in  eine  gänzliche  Ein- 
samkeit, die  mich  nicht  mehr  schreckt,  mir  Ruhe  und  Ihnen  Heiterkeit 
geben  würde,  zurückzuziehen. 

Was  nun  den  Punkt  unsres  gestrigen  Streites  noch  anbetrifft,  so  habe 
ich  diese  Unannehmlichkeiten  mit  richtigem  Takt  stets  vorausgesehen 
und  gesagt.  Es  ist  ein  nicht  zu  beseitigendes  Vorurteil,  daß  jemand,  eine 
Frau  vorzüglich,  die  aus  einer  Schichte  der  Gesellschaft  austritt,  in  der 
andren  nicht  wohlgelitten  ist;  bei  mir  kommt  hinzu,  daß  ich  eine  zu 
bekaimte,  vielleicht  hervorragende  Persönlichkeit  bin.  Hier  kommen 
auch  noch  spezielle  Gründe  hinzu,  daß  die  einen  mich  mit  offener  und 
offen  ausgesprochener  Feindseligkeit  empfingen,  was  mir  von  vorn- 
herein eine  schiefe  Stellimg  gab  und  große  Zurückhaltung  nötig  machte, 
wenn  ich  mir  nicht  gar  zu  viel  vergeben  wollte,  mir  auch  von  andren 
Seiten  Rücksichtslosigkeit  zuzog;  andrerseits  ist  meine  Erziehtmg  und 
Haltung  daher  in  Gesellschaft  so  verschieden,  daß  es  natürlich,  daß  das 
alles  nicht  zusammengeht.  Ich  kann  mich  nur  noch  ganz  auf  den  Umgang 
ganz  einzelner  geistreicher  und  vorurteilsfreier  Leute  beschränken. 
Das  tut  ja  aber  auch  gar  nichts,  da  ich  darauf  ja  gar  nichts  halte,  wenn 
Sie  es  nicht  zu  einem  Streit  machen.  Sein  Sie  gut  und  freundschaftlich 
mit  mir,  unterhalten  Sie  sich,  so  gutes  geht,  und  was  recht  und  passend 
für  Sie  ist,  es  wird  mich  herzlich  freuen,  Sie  können  mir  doch  darin 
nicht  vorwerfen,  daß  ich  den  leisesten  Egoismus,  Neid  oder  Prätentionen 
gezeigt  hätte.  Wir  werden  dann  ruhig  und  freundschafthch  neben- 
einander leben,  und  die  Leute,  die  sonst  noch  mich  aufsuchen  wollen, 
werde  ich  gewiß  mit  Freimdlichkeit  empfangen  .  .  . 


113- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  F'ebruar-März  1859.] 

vSo  oft  Sie  mich  in  der  Güte  anreden,  werde  ich  auch  in  der  Güte 
antworten.  Auch  der  Charakter  einer  jeden  Zusammenkunft  hängt  regel- 
mäßig immer  nur  von  dem  Ton  ab,  mit  dem  Sie  mich  empfangen.  So 
kamen  Sie  das  letztemal  —  obwohl  wir  noch  dazu  vorher  gebrief- 
wechselt  — -  nicht  mit  Herzhchkeit,  sondern  mit  Kälte  und  aigreur  zu 


===========.  252  

mir.  Dadurch  war  der  Verlauf  der  Entrevue  von  vornherein  schon 
gegeben.  Soll  nicht  jede  Zusammenkunft  dasselbe  Schicksal  haben,  so 
müssen  Sie  es  machen  wie  ich  und  nicht  mit  unterdrückter  aigreur 
erscheinen,  sondern  mit  Herzlichkeit  und  gänzlich  besiegter  aigreur, 
wie  ich  das  immer  tue  und  fertig  bringe.  Käme  der  Moment,  wo  ich 
meine  aigreur  nicht  mehr  loswerden  kann,  so  würde  ich  gar  nicht 
mehr  erscheinen  .  .  . 

Ihre  Lebensprojekte  anlangend,  so  bleibt  meine  Meimmg  ungeändert, 
daß  Sie  baldigst  hierherkommen  sollen.  Die  Unannehmlichkeiten  des 
diesmaligen  Aufenthaltes  scheinen  mir  nicht  maßgebend  sein  zu  können, 
weil  die  Hauptanlässe  derselben  eben  nur  dadurch  entstanden,  daß  Sie 
zum  Besuche  hier  waren,  aber  nicht  hier  wohnten.  Denn  ist  erst  das 
letztere  der  Fall,  so  wird  wohl  Ihre  Zeit  nicht  so  sklavisch  den  Be- 
stimmungen anderer  offen  gehalten  zu  werden  brauchen.  Auch  werde 
ich  Ihnen  dann  eben  andere  Leute  bringen  können,  die  Sie  amüsieren 
und  erheitern. 

Ich  erwarte  also  Ihre  Bestimmungen  wegen  heute  schriftlich. 

F.  L. 


114. 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag  nacht  3^2  Ubr  [Berlin,  Februar-März   1859]. 

Umsonst  würde  ich  versuchen,  Ihnen  zu  beschreiben,  in  welcher 
vStimmung  physisch  und  moralisch  ich  neulich  zurückgeblieben  bin  und 
wie  lange  sie  gedauert!  Kein  Wort,  das  in  Ihrem  Briefe  steht,  kann  ich 
auch  nur  entfernt  als  richtig  anerkennen,  insofern  es  sich  auf  die  letzte 
Szene  und  auf  Ihren  diesmaligen  Aufenthalt  überhaupt  bezieht.  —  Ich 
würde  Ihnen  unbedingt  sechs  Wochen  böse  sein,  unbedingt  sechs  Wochen 
nicht  mit  Ihnen  sprechen,  wenn  wir  die  Zeit  dazu  hätten.  Aber  ich 
will  Sie  freilich  nicht  so  reisen  lassen,  und  so  fahre  ich  denn  mit  der 
Hand  über  die  Stirn  und  wische  es  hinweg.  Es  sei  vergessen,  wie  so 
vieles. 

Aber  einfach  und  ruhig  bitte  ich  Sie,  in  sich  zu  gehen  imd  sich  selbst 
Beschaffenheit,  Natur,  Veranlassung  und  Verlauf  all  imsrer  Szenen  aus 
Ihrem  diesmaligen  Aufenthalt  (und  wir  hatten  bei  jeder  Zusammen- 
kunft eine,  wenn  nicht  ein  Dritter  dabei  war)  vor  Ihrem  Geiste  vor- 
zuführen und  sich  zu  fragen,  ob  das  zu  ertragen  sei? 

Soll  das  wirklich  das  Ende  einer  so  langen  Freundschaft  sein?  Sie 
haben  ein  furchtbares  Ensemble  von  Fehlern,  die  sich  sonst  nie 


=  253  —  = 

vereint  finden.  Sie  fangen  immer  mit  Unrecht  an.  Sie  provozieren. 
Aber  Sie  hören  auch  nie  auf,  ziehen  sich  vor  keiner  Leidenschaft,  wenn 
Sie  sie  noch  so  anwachsen  sehen,  zurück,  sondern,  als  suchten  Sie  eine 
Ehre  darin,  heizen  Sie  den  Ofen  immer  mehr  und  mehr.  Sie  finden  auch, 
nie  zuerst  ein  begütigendes  Wort!  —  Wie  traurig  ist  doch  Ihre  jetzige 
Anwesenheit  für  mich  gewesen,  von  der  ich  mir  so  viel,  so  viel  ver- 
sprach !  Ich  hatte  mich  ihr  so  entgegengefreut  und  sitze  nun  recht  weh- 
mütig da  und  sage  mir:  alles  ist  eitel.  Aber  wenn  ich  mich  bis  in  die 
innersten  Nieren  prüfe,  kann  ich  den  Fehl  nicht  an  mir  entdecken.  Ich 
hatte  Ihnen  jedesmal  ein  Herz  voll  Liebe  mitgebracht,  und  immer  hatten 
Sie  mir  es  in  Galle  und  Zorn  verwandelt. 

Einmal  waren  es  ungerechte  Vorwürfe  —  mittags  bei  Ihnen  —  und 
obgleich  ich  noch  drei  Stunden  auf  dem  Stuhl  saß,  waren  Sie  hartnäckig 
genug,  mir  Vorwürfe  zu  machen,  und  als  ich  nicht  antwortete,  weg- 
zugehen. Tags  drauf  —  früh  —  waren  es  lumpige  Kleinigkeiten,  eine 
mangelnde  Information  in  Vaters  Brief,  neulich  endlich  mein  Bedauern, 
daß  Sie  nicht  früher  kamen,  und  Ihr  Nichtbegreifen  einer  Rechnung. 
Schon  die  Gegenstände  sprechen  laut  und  deutlich  gegen  Sie.  Denn  aus 
solchen  Anlässen  dürfte  eine  Frau  einen  Mann  niemals  zur  Wut  kommen 
lassen,  er  müßte  denn  gar  ein  sinnlos  Tier  sein,  was  ich  doch  nicht 
bin.  — 

Sie  sind  nie  mit  mir  zusammen  gewesen,  ohne  zu  klagen,  zu  jammern, 
zu  zanken.  Ich  hatte  geglaubt,  es  würde  besser  werden.  Es  ist  schlimmer 
geworden.  Früher  war  das  alles  auch  der  Fall.  Aber  man  hatte  inzwischen 
doch  auch  wieder  herzliche  und  innige  Stunden  miteinander,  aus  denen 
man  neue  Kräfte  für  neue  Stürme  sog.  Aber  jetzt  fehlen  jene,  es  bleiben 
nur  die  Klagen  und  Stürme.  Ist  das  auszuhalten? 

vSo  verdüstert  Sie  auch  lange  schon  gestimmt  sind  —  Sie  hatten  doch 
früher  auch  gute  und  heitere  Stimmungen.  Diese  verlebten  Sie  früher 
gleichfalls  mit  mir.  Das  war  doch  eine  große  Entschädigung.  Jetzt  ver- 
leben Sie  diese  Stimmungen  bei  Paul  imd  Nostitz  und  reservieren  sich 
nur  das  Klagen,  Jammern  und  Raisonniren  für  mich.  Ist  das  aus- 
zuhalten ?  Ich  frage  Sie  einfach :  Ist  es  nicht  so  ? 

Wann  waren  Sie  diesmal  herzlich  und  gut  mit  mir?  Ist  das  nicht 
eine  schreckliche  Frage? 

Und  mit  so  unnötigen  Dingen  verbittern  Sie  ims  die  Zeit.  Es  ist  ja 
gar  nicht  mehr  meine  Sache,  solche  Details  Ihrer  Angelegenheiten  zu 
kontrollieren,  wie  die  Rechnungen  mit  Vater  und  deren  minutiöse 
formelle  Ordentlichkeit.  Bedenken  Sie  doch,  daß  ich  schon  früher  in 
solchen  Dingen  immer  nur  mehr  Streit  mit  Ihnen  hatte,  als  ich  Ihnen 
wirklich  dabei  nötig  war,  daß  ich  aber  jetzt  von  der  Entfernung  aus 
es  gar  nicht  leiten  kann.  Für  Haupt-  und  Staatsaktionen  stehe  ich 


=  254 

Ihnen  gern  zu  Diensten,  aber  aus  diesen  Lumpereien  quillt  Ihnen  kein 
Nutzen  und  mir  nur  Streit. 

Nun,  es  sei  vergessen.  Aber  bedenken  Sie,  bedenken  Sie,  wohin  das 
zuletzt  unvermeidhch  führen  muß,  und  gehen  Sie  in  sich! 

Ich  will  also  wieder  gut  sein.  Aber  die  Satisfaktion  wenigstens  ver- 
lange ich,  daß  Sie  zuerst  zu  mir  kommen.  Sie  treffen  mich  morgen 
(Sonnabend,  d.  h.  also  an  dem  Tage,  wo  Sie  diesen  Brief  bekommen) 
l:)is  zwei  Uhr  zu  Haus  .  .  . 


115- 
I.ASvSAI.I^E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Sonnabend   [i8.  Juni  1859]. 
Meine  gute,  gnädige  Frau! 

Ruhe  und  kalt  Blut !  .  .  . 

Als  Ihr  Brief  gestern  eintraf,  standen  die  Österreichischen  Staats- 
bahnaktien bereits  100!  Also,  da  wir  zu  92  verkauft,  8"/o  Verlust 
=  400  Gulden. 

Unter  diesen  Umständen  hielt  und  halte  ich  nicht  für  vorteilhaft, 
abzuschnappen.  Am  ersten  Tage  nach  der  Mobilmachung  fielen  die 
österreichischen  Papiere  hier  bedeutend.  Und  dies  war  vernünftig 
und  muß  wiederkehren,  da,  wenn  Preußen  am  Krieg  teilnimmt,  dieser 
ungeheuer  und  revolutionär  wird  .  .  .  Devant  Dieu  et  mon  äme,  das 
ist  meine  ruhige  und  letzte  Überzeugung.  Auf  der  Folter  könnte  ich 
nichts  andres  sagen.  Nun  überlegen  Sie  sich's. 

Ebenso  wahnsinnig  ist  es,  wenn  Sie,  wie  Sie  sagen,  ehe  Sie  nach 
Wildbad  gehen,  eine  Reise  machen  wollen,  um  mit  ihm  [Paul  von  Hatz- 
feldt]  zusammenzutreffen  wegen  seiner  Karriere  usw.  Abgesehen  davon, 
daß  er  dahin  kommen  kann,  wo  Sie  sind,  ist  dazu  keine  Zeit.  In  einem 
Jahre  schwimmt  Deutschland  in  Blut.  Adieu  Karriere  und  ähnlicher 
Unsinn.  Jetzt  handelt  sich  für  Paul,  sich  durchzuhalten  und  nicht  große 
Rosinen  zu  verfolgen.  Dazu  ist  der  Moment  nicht  .  .  .^)  Eben  wird  — 


^)  In  einem  Brief  Lassalles  an  die  Gräfin  vom  21.  Juni  heißt  es:  „Wenn  Paul 
Ihnen  politische  Neuigkeiten  von  Wichtigkeit  und  Sicherheit  erzählt  hat,  so 
teilen  Sie  mir  dieselben  sofort  mit.  Es  käme  mir  sehr  gelegen.  Besonders  inter- 
essieren mich  zwei  Dinge :  i .  wie  es  mit  unserem  Kabinett  steht,  und  2.  ob  Napoleon 
einen  Aufstand  in  Ungarn  unterstützen  will."  Lassalle  hoffte  damals,  daß  ein 
Aufstand  in  Ungarn  eine  Revolution  in  Wien  hervorrufen  und  damit  das  Signal 
zu  einer  allgemeinen  revolutionären  Bewegung  geben  würde.  Auch  in  den  folgenden 
Jahren  spekulierte  er  noch  auf  eine  ungarische  Erhebung. 


—  —  255  = 

schon  seit  drei  Tagen  —  eine  zweite  Auflage  meiner  Broschüre  ^)  ge- 
druckt. vSic  hat  immens  gewirkt.  Große  Dinge  stehen  bevor. ^) 


Ihr 


F.  I. 


ii6. 
IvASSAlvIvK  AN  vSOPHlE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

[Berlin]  Freitag,  S.Juli  [1859]. 

.  .  .  Den  Stand  der  Affären  selbst  anlangend,  so  glaube  ich,  daß  die 
Hausse  noch  gut  ein  bis  zwei  Monate  fortdauern  kann,  daß  wir  aber 
im  Herbst  eine  entschiedene  Baisse  erleben  werden. 

Denn  es  ist  Unsinn,  vom  Frieden  zu  reden.  Ks  sei  denn,  daß  sich 
Österreich  zum  Aufgeben  seines  gesamten  italienischen  Territoriums 
entschlösse.  Dies  halte  ich  für  höchst  unwahrscheinlich. 

Sie  haben  ganz  recht,  wenn  Sie  sagen :  Alle,  auch  Napoleon,  wollen 
den  Frieden,  wenn  nur  eben  möglich.  Aber  was  ist  ,,eben  möglich"? 
Das  ist  die  Frage.  Napoleon  kann  keinen  Frieden  machen,  wobei  er 
irgend  einen  Teil  Italiens  in  österreichischen  Händen  läßt.  Nur  diplo- 
matische und  Börsenkreise  können  so  dumm  sein,  sich  mit  solchen 
Illusionen  zu  tragen.  Die  Frage:  werden  wir  Frieden  haben?  ist  also 
ganz  konkret  gestellt,  nur  die  Frage :  wird  Österreich  sich  entschließen, 
Ivombardei  und  Venetien  an  Sardinien  abzutreten? 

Dies  ist  mir,  wie  gesagt,  rmwahrscheinlich  und  wird  es  Ihnen  auch 
sein.  Somit  würde  der  Krieg  fortdauern.  Ist  dies  aber  der  Fall,  so  würde 
im  Oktober  bis  November  spätestens  die  ungarische  Revolution  aus- 
brechen, und  dann  ist's  mit  Österreich  vorbei,  dann  steht  auch  Wien 
auf  .  .  .3) 

^)  ,,Der  italienische  Krieg  und  die  Aufgabe  Preußens.  Eine  Stimme  aus  der 
Demokratie."  Die  Schrift  war  Mitte  Mai  1859  verfaßt,  Ende  Mai  anonym  er- 
schienen und  schon  nach  vierzehn  Tagen  vergriffen;  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Juni  erschien  die  zweite  Auflage  unter  Nennung  des  Verfassers. 

2)  Am  21.  Juni  schreibt  Lassalle  der  Gräfin:  ,,An  einen  faulen  Frieden  zu 
glauben,  ist  eine  große  Torheit.  Ein  Volk  liegt  dazwischen,  und  zwar  ein  so 
aufgeregtes  wie  das  italienische.  Eher  wäre  möglich,  daß  wir  in  der  letzten 
Stunde  noch  neutral  bleiben.  Aber  es  scheint  nicht,  und  —  um  so  besser!" 

3)  Auf  die  Kunde  vom  Präliminarfrieden  von  Villafranca,  die  bekanntlich 
Lassalle  höchlichst  überraschte,  schrieb  die  Gräfin  ihm  am  14.  Juli  aus  Wildbad: 
,, Dieser  Napoleon  hat  ein  zu  großes  Glück,  und  man  muß  immer  mehr  glauben, 
daß  er  eine  Mission  hat  und  ihm  nichts  etwas  anhaben  kann,  bis  sie  erfüllt,  und 
ich  glaube,  dies  ist  noch  lange  nicht  der  Fall  ..."  Ihr  erwiderte  Lassalle  am 
17.  Juli:  ,,Über  Napoleon  sind  Sie  im  Irrtum.  Dieser  Friede  ist  unwiderruflich  sein 
Sturz  und  Verderben." 


—  256  —  —  

117. 

I^ASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.)  i) 

Sonnabend  früh  8  Uhr  [Aachen,  21.  Juli  1860]. 

Wie  schön,  meine  gute  Gräfin,  daß  Sie  so  bald  geschrieben  haben, 
und  wie  schön  auch,  daß  man  hier  so  schnell  Nachricht  von  einander  er- 
hält. Eben  vom  Trinken  nach  Hause  kommend,  finde  ich  Ihren  gestern 
geschriebenen  Brief  vor.  Ich  habe  Ihnen  bereits  gestern  abend  einen 
geschickt,  und  Ems  poste  re  st  ante  adressiert,  den  Sie  jetzt  wohl 
bereits  erhalten  haben,  einen  ausführlichen  mid  langen  Brief.  Was  mich 
betrifft,  so  habe  ich  daher  heute  noch  nichts  hinzuzufügen  .  .  . 

Wissen  Sie,  was  ich  heut  und  gestern  von  Anfang  bis  Ende  durch- 
gelesen? Den  Sickingen.  Ich  hatte  mir  nämlich  vorgenommen,  ihn  jetzt, 
wo  es  so  lange  her  ist,  daß  ich  ihn  las  und  so  viele  andere  Arbeiten  da- 
zwischen gekommen,  daß  er  mir  ganz  so  fremd  und  objektiv  wie 
das  Produkt  eines  Dritten  geworden  ist,  [ihn]  kritisch  aufmerksam 
schnell  hintereinander  durchzulesen.  Das  habe  ich  nun  getan  und  mich 
sehr  darüber  gefreut.  Denn  ich  habe  jetzt,  wo  er  mir  ganz  fremd  ge- 
worden, gesehen,  daß  er  wirklich  gut,  sehr  gut  ist,  und  kann  für  die 
Objektivität  meines  heutigen  Urteils  einstehen  .  .  . 

118. 

IvASSAlvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Sonnabend  früh  9Y2  Uhr  zwischen  Brunnen  und  Bad. 
[Aachen,   28.  Juli   1860.] 

...  In  bezug  auf  die  politische  Situation  bin  ich  gar  nicht  Ihrer 
Meinung.  Ganz  im  Gegenteil.  Es  entwickelt  sich  jetzt  ungeheuer  viel, 
imd  wenn  noch  zwei  Jahre  vergangen,  ist  die  Blase  rettungslos  geplatzt. 
Die  orientalische  Verwicklung,  die  Situation  in  Italien,  die  Teplitzer 
Befreundung  2)    —    alles    treibt   unaufhaltsam    zur    Entwicklung,    die 


^)  Die  große  zeitliche  Lücke  zwischen  diesem  und  dem  vorigen  Brief  erklärt 
sich  hauptsächlich  daraus,  daß  die  Gräfin  inzwischen  ihre  Übersiedlung  nach 
Berlin  vollzogen  hatte.  Eine  Anzahl  von  Briefen  aus  der  Zwischenzeit  ist  vor- 
handen, aber  ihr  Inhalt  brachte  keine  neue  Note,  die  einen  Abdruck  geboten 
hätte.  In  den  Januar  1860  fällt  eine  äußerst  gereizte  Auseinandersetzung  zwischen 
den  Freunden,  die  wiederum  durch  die  Feindschaft,  die  zwischen  Lassalle  und 
den  Verwandten  der  Grälin  herrschte,  ausgelöst  wurde. 

2)  Am  26.  Juli  hatte  in  Teplitz  eine  Zusammenkunft  des  Prinzregenten  von 
Preußen  mit  dem  österreichischen  Kaiser  stattgefunden.  Vgl.  hierzu  I,assalle  an 
Marx,   II.  September   1860,  in  Bd.  III,  S.  322. 


=  257 

Stimmung  in  Ungarn  nicht  zu  vergessen.  Aber  Sie  müssen  um  Gottes 
willen  jetzt  Zeitungen  lesen,  täglich  mindestens  die  „Kölnische"  lesen, 
sonst  kommen  Sie  ganz  und  gar  aus  dem  Zusammenhang.  Es  passieren 
jetzt  täglich  eine  Masse  kleinerer  oder  größerer,  aber  höchst  interessanter 
Fakta,  die  man  genau  wissen  muß.  Können  Sie  dort  die  ,, Kölnische" 
nicht  bequem  haben,  so  schreiben  Sie  sofort  an  meinen  Diener  (Fried- 
richHamels),  daßersie  Ihnen  täglich  unter  Kreuzband  frankiert 
einschickt,  wie  er  mir  die  andern  Zeitimgen  sendet  (die  ,, Kölnische" 
lasse  ich  mir  nicht  nachkommen,  weil  ich  sie  hier  ohnehin  habe). 

Einstweilen  rapportiere  ich  Ihnen  einige  faits  imd  rumeurs.  In 
Pest  haben  in  den  drei  letzten  Tagen  an  jedem  Abende  Straßenauf- 
läufe stattgehabt,  wo  man  Garibaldi  leben  ließ  usw.  imd  Militär  ein- 
schreiten mußte.  Es  läuft  das  Gerücht,  daß  Kossuth  und  Klapka^) 
nach  Bukarest  gehen  imd  —  Sie  erinnern  sich,  daß  ich  lange  auf  diese 
Stadt  als  den  günstigsten  Ort  zur  Betreibimg  der  ungarischen  Revolution 
aufmerksam  machte  —  dort  die  Insurrektion  vorbereiten  wollen.  In 
Neapel  absolute  Ratlosigkeit.  Der  König  hat  einen  Gesandten  an  Gari- 
baldi geschickt,  um  diesen  um  sechsmonatlichen  Waffenstillstand  zu 
bitten,  was  von  Turin  aus  unterstützt  werden  soll.  Garibaldi  natürlich 
s'en  moquera  beaucoup.  Die  ,, Kölnische  Zeitung"  sogar  erkennt  an,  er 
handle,  ,,als  ob  die  ganze  Welt  nicht  vorhanden  wäre".  Aber  beiläufig, 
jedenfalls  müssen  Sie  die  ,,Köhiische  Zeitung"  von  heute,  Sonn- 
abend, den  28.  Juli,  sich  verschaffen  und  den  Artikel  aus  Neapel  über 
das  Fest  der  heiligen  Rosalie  in  Palermo  lesen.  Das  wird  Sie  unendlich 
amüsieren !  Dies  Fest  ist  nämlich  ein  uraltes  sizilianisches  Kirchenfest, 
bei  welchem  der  König  zeremonielle  Funktionen  als  altes,  ihm  vom 
Papst  verliehenes  Vorrecht  auszuüben  hat.  Das  Volk  in  Palermo  wollte 
sich  dies  große  Fest  diesmal  (15.  Juli)  nicht  nehmen  lassen,  und  so 
mußte  denn  Garibaldi  sich  dazu  hergeben,  die  Funktionen  des  Königs 
dabei  in  allem  ihrem  Pomp  auszuüben.  Es  ist  zum  totlachen,  wenn  Sie 
es  im  einzelnen  lesen.  Der  Senat  holte  ihn  im  Palast  in  den  vergoldeten 
vStaatskarossen  ab.  Er  war  aber  nicht  mehr  im  Palast,  sondern  beim 
Truppeneinschiffen,  und  fuhr  vom  Molo  spornstreichs  in  einer  Droschke 
in  die  Kirche.  Hier  empfingen  ihn  nur  die  zwei  Erzbischöfe,  die  ihn 
mit  großen  Reverenzen  in  ihre  Mitte  nahmen,  und  ganz  genau  mit  dem- 
selben Zeremoniale  behandeln  mußten  als  wie  den  König.  Dabei  trug 
er  seine  blaue  Bluse  und  den  roten  Foulard  um  den  Kopf,  und  ein 
Zeremonienmeister  hinter  ihm  sagte  ihm  alles,  was  er  zu  tun  hatte.  — 

1)  Ludwig  Kossuth  (1802 — 1894)  und  Georg  Klapka  (1820 — 1892),  die  Führer 
der  ungarischen  Revolution  von  1848.  Vgl.  oben  S.  254,  Anmerkung.  Klapka  hatte 
1859  eine  ungarische  Legion  auf  piemontesischer  Seite  kommandiert. 

iMayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  jy 


==^=^==  258  = 

Nach  den  jetzigen  Nachrichten  ist  Garibaldi  von  Palermo  jedenfalls 
fort,  aber  man  kann  nicht  klug  daraus  werden,  ob  vor  Messina,  ^)  wo  ihn 
eine  Depesche  am  Fuß  verwundet  werden  läßt,  oder  auf  dem  Wege  nach 
Neapel.  Dort  brauchte  er  bloß  zu  erscheinen,  um  alles  über  den  Haufen 
zu  werfen.  Brinnem  Sie  sich,  wie  ich  Ihnen  neulich  im  voraus  gesagt, 
trotz  allem  und  allem,  was  man  von  dem  Lazzaroni  zu  erzählen  pflege, 
werde  und  müsse  derselbe  für  Garibaldi  sein?  Sie  sehen,  daß  ich  das 
Volk  a  priori  immer  genau  kenne.  Jetzt  strotzen  alle  Zeitungen  von  den 
Berichten,  daß  der  neapolitanische  Lazzaroni  nicht  höher  schwört  als 
bei  Garibaldi,  den  er  ,, Gallebarde"  nennt,  die  Sbirren  tötet,  sich  mit  den 
Truppen  herumschlägt  und  täglich  Demonstrationen  mit  ,,Eviva  Gari- 
baldi" macht. 

Wenn  Garibaldi  nach  Neapel  geht  —  und  ich  sehe  nicht,  was  ihn 
daran  hindern  sollte  —  und  dort  gleichfalls  die  Diktatur  übernimmt, 
so  "hat  die  Revolution  den  archimedischen  Punkt  ,,gib  mir,  wo  ich  stehe" 
{öög  juoi  Ttov  öTCo)  gefunden,  von  wo  aus  sie  Europa  aus  den  Angeln 
hebt. 

Haben  Sie  die  Rede  gelesen,  die  Garibaldi  neulich  bei  Beerdigung 
eines  im  Kampf  gefallenen  ungarischen  Obersten  gehalten?  Er  sagte, 
er  schwöre,  daß  Italien  die  Solidarität  mit  den  imgarischen  Schick- 
salen auf  sich  nehme  usw.  Überhaupt,  seit  er  La  Farina^)  ausgewiesen, 
hat  er  sich  von  Cavour  ^)  völlig  emanzipiert  und  fragt  den  Teufel  mehr 
nach  ihm.  Seine  Popularität  ist  aber  in  ganz  Italien  so  unendlich  ge- 
wachsen, daß  Cavour  imd  Viktor  Emanuel  zusammen  nicht  das  ge- 
ringste mehr  offen  gegen  ihn  imternehmen  können.  Hat  er  erst  Neapel 
in  seiner  Hand,  so  ist  kein  Zweifel,  daß  er  sich  entweder  zuerst  auf 
Venedig  oder  vielleicht  auf  Rom  stürzt  und  so  die  volle  Revolution  in 
Fluß  zu  bringen  anfängt.  Und  wieder  ist  kaum  zu  zweifeln,  daß  er  in 
kurzem  in  Neapel  ist.  Kurz,  der  Knoten  schürzt  sich  mehr  und  mehr. 
Die  syrische  Verwicklung  hat  gleichfalls  die  vorteilhaftesten  Einwir- 
kungen.^) 


^)  Garibaldi  hatte  am  20.  Juli  den  General  Bosco  bei  Milazzo  geschlagen,  am 
28.  Juli  nahm  er  Messina  mit  Ausnahme  der  Zitadelle  und  einiger  Forts.  Auf  das 
neapolitanische  Festland  setzte  er  am  19.  August  über,  in  Neapel  zog  er  am  7.  Sep- 
tember ein. 

2)  Giuseppe  I^a  Farina  (18 15 — 1863),  italienischer  Historiker,  Gründer  der 
Societa  Nationale.  Er  hatte  bei  der  Vorbereitung  des  Zuges  nach  Sizilien  zwischen 
Garibaldi  und  Cavour  vermittelt. 

^)  Graf  Cavour  (18 10 — 1861),  der  große  italienische  Staatsmann,  der  nach 
Villafranca  von  seinem  Posten  zurückgetreten,  war  seit  dem  Januar  1860  von 
neuem  sardinischer  Ministerpräsident. 

*)  Infolge  der  Christenmetzeleien,  die  in  Damaskus  stattgefunden  hatten, 
waren  französische  Truppen  in  Syrien  gelandet.    Sie  blieben  bis  Juni  1861. 


—  -  =^  259 

Was  mich  betrifft,  so  nehme  ich  mich,  darüber  seien  Sie  unbesorgt, 
mit  Diät  und  Witterung  sehr  in  acht.  Meine  wirkHch  wahnsinnig  starke 
Natur  macht  es  mir  möghch,  die  Kur  so  zu  beschleunigen  —  aber 
durchaus  nur  auf  freiwillige  Verordnung  des  Arztes  — ,  daß  ich 
immer  auf  ein  frühes  Ende  derselben  hoffe.  Denken  Sie,  heute  ist  schon 
der  fünfte  Tag  hintereinander,  wo  ich  in  der  Dampfschwefelhölle 
bade  —  und  nicht  die  geringste  Anstrengung  oder  Angegriffensein 
spüre.  Der  Arzt  ist  sehr  entzückt  davon;  es  scheint,  daß  ich  Tag  für 
Tag  Dampfbäder  werde  nehmen  können,  und  dann  machen  allerdings 
vier  Wochen  so  viel  wie  sonst  sechs.  Ich  schlafe  oder  liege  gar  nicht 
einmal  nach  dem  Dampfbad,  d.  h.  wenn  ich  wieder  in  meinem  Zimmer 
bin,  denn  man  muß  gleich  unten  eine  halbe  Stunde  in  Decken  nach- 
schwitzen, sondern  frühstücke  rasend  und  schreibe  dann  sofort,  heute 
z.  B.  diesen  Brief,  denn  ich  bin  jetzt  schon  wieder  seit  einer  halben  Stunde 
aus  dem  Bad.  Also  hoffen  wir  das  Beste! 

Was  nun  Ihren  weitern  Reiseplan  betrifft,  so  scheint  es  mir  auch 
das  Beste,  daß,  wenn  Sie  dort  fertig  sind  imd  ich  noch  nicht,  Sie  direkt 
nach  Wildbad  gehen.  Sowie  ich  dann  fertig  bin,  komme  ich  sofort  dahin 
und  tue  mit  Ihnen,  was  Sie  wollen,  solange  nur  irgend  meine  Zeit 
reicht  .  .  . 

Die  lyangweile  hier  ist  immer  dieselbe.  Ihren  Russen  habe  noch 
nicht  gesehen,  weil  er  um  zwei  Uhr  ißt,  weiß  also  auch  nicht,  ob  er  es 
ist.  Die  einzige  interessante  und  sehr,  sehr  interessante  Persönlichkeit 
hier,  die  auch  an  meiner  table  d'höte  ißt,  aber  leider  nicht  neben  mir 
sitzt,  ist  eine  Gräfin  Zichy.  Die  Ärmste  langweilt  sich  ebenso  wie  ich. 
Denn  sie  ist  hier  mit  Mutter,  kleinem  Kind  und  Gouvernante,  aber  ohne 
Herrn  und  kennt  auch  keinen  einzigen  Herrn  hier.  Sie  muß  sich  also 
langweilen.  Und  ich  langweile  mich  gleichfalls,  während  wir  beide  zu- 
sammen ims  so  gut  amüsieren  könnten.  Aber  es  fehlt  die  Verbindungs- 
brücke der  Vorstellmig.  Wenn  ich  meine  Arbeit  nicht  hätte,  so  würde 
ich  schon  irgendein,  wenn  auch  ungewöhnliches  Mittel  ausfindig  ge- 
macht haben,  ihre  Bekanntschaft  zu  machen.  Aber  so  habe  ich  zu 
abenteuerlichen  Dingen  nicht  die  nötige  Zeit.  Aber  es  bleibt  schon  wahr, 
ä  bas  les  aristocrates,  vivent  leurs  femmes!  Neulich  war  hier  ein  reak- 
tionärer legitimistischer  französischer  Marquis  de  Paroy  bei  mir,  der 
Politik  mit  mir  plauderte  und  sich  so  ärgerte,  daß  er  immer  bis  an  die 
Decke  fuhr!  Zur  Versöhnung,  um  ihm  zu  zeigen,  daß  ich  doch  etwas 
Gutes  anerkenne,  sagte  ich  ihm  dann  diese  Devise.  Sie  hat  ilm  natür- 
lich doch  nicht  versöhnt,  und  er  sprang  immer  wieder  in  die  Höhe 
vor  Ärger.  Er  ist  ein  Feind  Napoleons,  aber  wenn  man  diese  Art  von 
Leuten  sieht,  fühlt  man  immer  deutlicher  die  relative  Berechtigung 
Napoleons  .  .  . 


-  200  I 

IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFKI.DT.  (Original.) 

Sonntag  [Aachen,   5.  August  1860]. 

.  .  .  Beruhigen  Sie  sich  also  gänzlich,  gute  Gräfin.  Es  steht  fest, 
daß  ich  hier  geheilt  werden  werde.  Höchstens  die  Zeitdauer  ist  fraglich. 
Übrigens  habe  ich  heut  früh  beim  Trinken  —  wo  ich  sonst  immer  die 
größten  Schmerzen  habe  —  weit  geringere  Schmerzen  gehabt.  Wenn 
das  auch  morgen  anhält,  so  wäre  es  ein  imleugbarer  und  bedeutender 
Anfang  von  Besserung. 

Ich  weiß  noch  kein  Wort  davon,  daß  Frau  Duncker  nach  Ems  soll, 
obgleich  sie  mir  fast  alle  Tage  schreibt.  Es  ist  aber  ganz  möglich.  Ich 
gerade  riet  ihr  in  Beilin,  dies  mitl^evin  zu  arrangieren.  Möglich  nun, 
daß  sie  das  versucht  hat,  aber  mir  noch  nichts  schreiben  will,  bis  sie  mit 
Franz  die  Sache  ins  reine  gebracht. 

Gestern  fragte  ich  den  Arzt,  wie  lange  er  denn  glaube,  daß  ich  in 
diesem  verfluchten  Nest  hier  würde  aushalten  müssen.  Er  wollte  lange 
hierauf  nicht  antworten  und  sagte,  das  könne  er  gar  nicht  im  voraus 
beurteilen  .  .  .  Jedenfalls  seien  Sie  unbesorgt,  ich  werde  nur  ganz  geheilt 
von  hier  weggehen.  Ich  will  wieder  gesund  sein,  und  Sie  wissen,  wenn 
ich  erst  sage,  ich  will,  so  halte  ich  alles  aus.  Aber  dieser  Wille  ist  auch 
sehr  natürhch  motiviert.  Denn,  liebes  Kind,  ich  habe  Schmerzen  gehabt, 
als  würde  ich  von  vier  Pferden  zerrissen.  Hoffentlich  kömmt  das  nicht 
wieder.  Ich  habe  heute  auch  schon  viel  länger  am  Brunnen  gehen  können 
und  mußte  mich  nicht  immer  setzen  .  .  . 


120. 

I.ASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIyDT.  (Original.) 

Mittwoch  früh  [Aachen,  S.August  1860]. 

...  In  bezug  auf  gewisse  imd  manche  Menschen  verhält  es  sich 
so,  wie  Sie  sagen.  Aber  nichts  heutzutage  ist  gemeingültig,  nichts 
herrscht,  nichts  ist  mehr  allgemeine  Ansicht.  Dies  ist  eben  das 
Sonderbare  und  Charakteristische  der  Zustände,  in  denen  wir  leben. 
Es  gibt  heutzutage  nicht  mehr,  wie  zu  jeder  andern  Zeit,  eine  bestimmte 
Substanz  von  Gesinnungen,  welche  die  ethische  Welt  beherrschen. 
Sondern  es  ist  die  bunteste  Mosaik  der  allerverschiedenartigsten  Welten 
und  Gesinnungen,  die  gleichzeitig  existiert  und  von  denen  jede  von  der 
andern  um  Jahrhimderte  und  länger  absteht.  So  küßten  hier  vor  kurzem 
noch   vierzigtausend   Pilger   das   Schweißtuch  des   Heilands,   wie   im 


=  201  = 

zehnten  Jahrhundert.  Daneben  der  Protestant,  den  das  choquierte.  Da- 
neben die  aufgeklärten  Badegäste,  die  es  wunderte.  Daneben  vSpötter, 
die  es  verhöhnten.  Daneben  deutsche  Atheisten.  Jeder  vom  andern 
geistig  um  tausend  Meilen  entfernt,  jeder  seine  Welt  als  die  heutige 
Welt  betrachtend.  In  dieser  bunten  Mosaik,  in  diesem  Untergegangen- 
sein alles  geistigen  Einklangs  ist  wenigstens  das  Gute,  daß  kein  Indi- 
viduum mehr  allein  zu  stehen  braucht,  daß  es  für  jede  Meinung  Ge- 
sinnungsgenossen und  Glaubensbrüder  gibt,  für  jeden  Standpunkt 
Teilnehmer,  und  daß  es  sich  nur  darum  handelt,  sich  diese  um  sich  zu 
sammeln;  daß  femer  jedes  Individuum  dann  sich  und  seinen  Stand- 
punkt und  Kreis  als  die  berechtigte  und  wahrhaftige  Welt  und  die 
andern  als  nur  individuelle  Unvermmft  und  als  von  sich  in  Bann 
imd  Acht  getan  (wenn  zwei  Standpunkte  sich  ausschließen,  schheßen 
sie  sich  gegenseitig  aus)  betrachten  kann  und  dies  auch  dadurch  nicht 
gehindert  wird,  daß  vielleicht  mehr  Individuen  ihm  gegenüberstehen, 
zumal  wenn  er  dafür  Vernmift,  Wissenschaft  und  die  geschichtliche 
Bewegung  für  sich  hat,  da  es  das  Zählen  der  Individuen  in  keiner  Hin- 
sicht macht.  Die  große  Majorität  der  Bewohner  der  Welt  sind  —  Bud- 
dhisten. Deswegen  steht  die  Welt  doch  nicht  mehr  auf  dem  Standpunkt 
des  Buddhismus.  Die  große  Majorität  der  Einwohner  von  Deutschland 
sind  —  Katholiken.  Deswegen  steht  Deutschland  doch  nicht  mehr 
auf  dem  Standpunkt  des  Katholizismus  usf.  Das  Zählen  macht's  also 
nicht.  Und  es  kann  also  heutzutage  jedes  Individuum  sagen  —  und 
sagt  es  auch  tatsächlich  —  mein  Standpunkt  ist  die  Welt,  und  was 
draußen  liegt,  ist  nur  individuelle  Unvernunft,  von  mir  in  Bann  und 
Acht  getan. 

Und  jeder  wird,  wie  gesagt,  heutzutage  dafür  Genossen  finden,  die 
bereit  sind,  auf  diesem  Boden  mit  ihm  zu  leben.  Und  daß  unsere  Ge- 
nossen gerade  die  schlechtesten  oder  dümmsten  sind,  nun,  das,  denke 
ich,  werden  Sie  selbst  nicht  behaupten.  Immerhin  ist  noch  in  den  paar 
Leuten,  die  wir  in  Berlin  haben,  soviel  Geist  und  Bedeutimg,  wie  auf 
der  ganzen  Wilhelmstraße  zusammen  genommen  nicht. 

Jene  exklusive  Kraft,  von  der  Sie  sprechen,  hat  heutzutage  nichts, 
gar  nichts  mehr.  Alles  besteht  nebeneinander  im  lächerlichsten  Wirrwarr. 
Es  stünde  besser  um  die  Welt,  wenn  sie  noch  etwas  mehr  von  jener 
Kraft  der  Exklusion  hätte,  das,  was  ihr  entgegengesetzt  ist,  nicht  zu 
ertragen  und  zu  negieren.  Aber  Sie  sehen  es  im  Größten  wie  im  Kleinsten, 
wie  heut  alles  nebeneinander  Platz  hat.  Garibaldi  mit  Bluse  und  Kala- 
breser, bedeckten  Hauptes  vor  dem  Hochaltar  stehend,  und  Erzbischöfe, 
ihn  dabei  hofierend.  Garibaldi  als  regelmäßige  Regierung,  und  die 
Heilige  Allianz  duldet  das,  und  Napoleon  rührt  sich  nicht.  Alles  hat 
heut  nebeneinander   Platz.    Die  heutige  Welt  ist  ein  großer  bunter 


=  202  - 

Farbentopf,  und  da  hat  jede  Farbe  so  viel  Recht  und  Existenz  wie  die 
andere.  Vorläufig.  Später  wird  es  schon  wieder  einmal  zur  aneinander 
krachenden,  negativen  Ausschließlichkeit  kommen,  und  das  wird  eben 
nicht  zum  Nachteil  unserer  Farbe  sein  .  .  . 


121. 

IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Aachen,  9.  August  [1860]. 

Mein  guter,  lieber  Engel!  Mit  sehr  warmem  Gefühle  greife  ich  heut 
zur  Feder,  Ihnen  zu  Ihrem  Geburtstag  zu  gratulieren!  Wieviel  Glück 
ich  Ihnen  wünsche  —  nun,  das  läßt  sich  ja  doch  nicht  sagen.  Ich  weiß  es 
am  besten,  und  auch  Sie  sogar  können  immer  nur  zur  Hälfte  ahnen, 
wie  gut  ich  Ihnen  bin !  Ich  bin  traurig,  daß  wir  diesen  Tag  wieder  getrennt 
voneinander  verleben.  Und  Sie  werden  vielleicht  auch  traurig  sein.  Aber 
seien  Sie  guten  Mutes.  Diese  jetzige  Einsamkeit  nicht  nur,  sondern 
alles,  was  sie  stört  und  quält,  geht  vorüber.  Ich  gedenke,  noch  in  jeder 
Hinsicht  alle  Ihre  Wünsche  in  Erfüllung  zu  bringen,  und  Sie  werden 
und  sollen  noch  alles  haben,  was  Sie  begehren.  Reden  Sie  sich  auch 
nicht  ein,  daß  Sie  dazu  zu  alt  oder  alt  überhaupt  sind.  Denn  beides  ist 
nicht  wahr.  Und  es  ist  im  ganzen  eine  ganz  gute  Verteilimg,  daß  ein 
schöner,  genußvoller  und  harmonischer  Abend  des  Lebens  Sie  für  die 
großen  Kämpfe  und  Opfer  Ihrer  Jugend  belohnen  wird.  Vertrauen  Sie 
fest  darauf,  und  seien  Sie  dessen  sicher.  Rechnen  Sie  auf  meine  Kraft, 
die  ich  noch  in  eben  solcher  Unendlichkeit  wie  nur  je  in  mir  fühle,  wie 
nur  je,  wie  schwach  und  elend  ich  auch  in  diesem  Momente  an  meinem 
Schreibtisch  sitze  .  .  . 

122. 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

[Ems]   10.  August  1860. 

lyiebes,  gutes  Kind,  ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief;  ich  wußte  es 
wohl,  daß  Sie  heute  an  mich  denken  würden,  und  Ihre  herzlichen  Worte 
haben  mir  unendlich  wohl  getan  .  .  .  Auch  ist  es  der  erste  Tag,  seitdem 
ich  hier,  wo  es  noch  gar  nicht  geregnet  hat,  sollte  das  eine  gute  Vor- 
bedeutung sein?  Ich  möchte  so  gern  auch  etwas  zu  Ihrem  Glücke  bei- 
tragen können,  mache  mir  Vorwürfe  über  meinen  Trübsinn  und  mache 
die  besten  Vorsätze,  die  Vergangenheit  zu  vergessen  und  so  vieles,  was 
mich  noch  immer  drückt,  glauben  Sie  mir  das  nur;  aber  dann  sinke  ich 


263   ========: 

doch  immer  wieder  um  unter  der  Bürde,  die  ich  zu  lange  und  unaus- 
gesetzt tragen  mußte  .  .  .  Warum  schreiben  Sie  mir  gar  nichts  über 
Pohtik,  die  doch  wieder  anfängt,  mich  mit  Garibaldi  zu  interessieren? 
Wenn  er  nur  standhaft  bleibt  und  sich  nicht  von  Viktor  Emanuel  von 
seinem  Weg  abbringen  läßt.  An  ihm  hängt  jetzt  das  vSchicksal  der  Welt. 
Nun  leben  Sie  wohl,  liebes,  gutes  Kind,  tausend  herzliche  Grüße  und 
Wünsche  für  Ihre  baldige  und  völlige  Herstellung  .  .  . 

123. 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Dienstag  [Aachen,   14.  August   1860]. 
Gute,  liebe  Gräfin! 

.  .  .  Von  meiner  Gesundheit  ist  nicht  viel  zu  melden.  Fortschritte 
habe  ich  seit  dem  einen  —  dem  Nachlassen  der  gar  zu  argen  Schmerzen  — 
nicht  wieder  gemacht!  Ich  bekomme  die  Kur  und  alles  überdrüssig. 
Es  rückt  und  rührt  sich  nichts,  und  schon  sind  es  bald  vier  Wochen, 
daß  ich  hier  .  .  . 

Frau  Duncker  tun  Sie  wieder  einmal  enorm  unrecht!  Es  ist  mir 
wirklich  theoretisch  interessant,  in  diesem  Falle  selbst  zu  sehen  und  zu 
erleben,  wie  manchmal  zwei  Naturen  schlechterdings  zu  keinem  Ver- 
ständnis von  einander  gelangen  können,  auch  nicht,  wenn  sie  einen 
Mittelsmann  haben,  der  sie  versteht  und  ihnen  das  gegenseitige  Ver- 
ständnis geben  könnte.  Was  ich  da  sage,  geht  aber  jetzt  nur  auf  Sie, 
und  nicht  auf  Frau  Duncker,  die  Sie  jetzt  weit  besser  würdigt  als  Sie  sie. 
Die  Art,  gute  Gräfin,  wie  Sie  ihren  Briefe)  auslegen,  ist  haarsträubend, 
und  wenn  ich  Ihnen  die  Briefe  von  Frau  Duncker  an  mich  zeigen  werde, 
die  von  selbst  den  Kommentar  zu  jenem  bilden,  werden  Sie  sich  selbst 
fast  schämen,  so  sehr  ins  Entgegengesetzte  hinein  mit  Ihren  Aus- 
legungen getroffen  zu  haben !  '^)  Sie  werden  dann  wirklich  mit  einigem 
Erröten  sehen,  wie  sehr  sie  ihr  diesmal  unrecht  tun.  Doch  ist  das  bei 
Ihrer  Interpretationsmethode,  gute  Gräfin,  natürlich.  Sie  nehmen  eine 
Interpretation  und  sehen,  ob  diese  paßt.  Scheint  sie  nur  zu  passen,  so 
ist  es  für  Sie  ein  fait.  Sie  bekümmern  sich  dann  gar  nicht  mehr  drum, 
nachzusehen,  ob  nicht  zehn  andere  Interpretationen  ebenso  zupassen 

^)  Der  Brief  Lina  Dunckers  an  die  Gräfin,  von  dem  Lassalle  hier  spricht, 
wurde  in  Bd.  II  als  Nr.  121,  S.  223,  abgedruckt. 

-)  Schon  am  12.  August  hatte  Lassalle  der  Gräfin  geschrieben:  ,,Der  Gerechtig- 
keit halber  muß  ich  erwähnen,  daß  mir  Frau  Duncker  die  ganze  Zeit  über  sehr 
liebe  Briefe  in  bezug  auf  Sie  hierher  geschrieben.  Sie  werden  es  sehen,  wenn  ich 
sie  Ihnen  zeige  und  sich  daraus  überzeugen,  daß  Sie  ihr  unrecht  getan." 


=  264  = 

würden,  und  dann  erst  zu  untersuchen,  welches  zwischen  diesen  ver- 
schiedenen möglichen  Interpretationen  die  wirkliche  ist. 

Ich  würde  Ihnen, ^)  um  Ihnen  zu  zeigen,  wie  erstaunlich  gründ- 
lich Sie  sie  diesmal  verkennen;  aber  dann  müßte  ich  erst  allerlei  wieder 
explizieren  in  bezug  auf  meine  Briefe,  auf  die  sich  die  Antworten  be- 
ziehen, und  das  ist  mir  schriftlich  zu  langweilig.  Aber  ich  werde  sie 
Ihnen  zeigen.  Der  Schlußsatz  in  dem  Briefe  von  Frau  Duncker  ist  aller- 
dings sehr  mißraten,  aber  er  ist  eben  nur  mißraten;  was  er  bedeuten 
sollte,  werden  Sie  gleichfalls  aus  den  Briefen  an  mich  ersehen.  Und  daß 
er  sehr  mißraten  war,  fühlte  sie  nachher  selbst  sehr  lebhaft  und  schrieb 
es  mir.  Also  tun  Sie  ihr  nicht  unrecht,  was  sich  für  eine  so  großherzige 
Person  wie  Sie  gar  nicht  schickt  imd  keinen  überlegenen  Geist  kleidet! 

Mit  den  besten  Grüßen,  sehr  verdrießlich,  sehr  gelangweilt,  sehr 
ärgerlich,  empört,  wütend  über  diese  schändliche  Existenz  und  Krank- 
heit, die  einen  an  allem  hindert, 

Ihr 

F.  lyassalle. 


124, 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Donnerstag  [Aachen,   16.  August  1860]. 

.  .  .  Wenn  Sie  sagen,  Sie  könnten  sich  nur  an  das  halten,  was  Frau 
Duncker  schreibt,  und  die  ungünstige  Auslegung  sei  nicht  Ihre  Schuld, 
wenn  jene  imgeschickt  schriebe,  so  haben  Sie  hierin  ganz  recht.  Sie 
sind  also  ganz  im  Rechte,  wenn  Sie  sich  den  Schluß  ihres  Briefes  auch 
irrtümlich  auslegen,  denn  warum  schreibt  sie  so  ungeschickt.  Das  ist 
ihre  Schuld.  Aber  wenn  Sie  den  Satz :  sie  bedauere,  daß  sie,  meine  heitere 
und  glückliche  Freundin,  nichts  in  dieser  L^age  für  mich  tun  könne,  so 
auslegen,  daß  sie  dadurch  Ihnen  hat  einen  Stich  geben  und  Ihnen 
irgend  etwas  Unangenehmes  sagen  wollen  —  wenn  Sie  femer  den  Satz: 
Sie  hätten  doch  die  kleine  Sängerin  mitnehmen  sollen,  als  so  ganz 
allein  sein  usw.  so  auslegen,  sie  wolle  Ihnen  damit  zu  verstehen  geben, 
Sie  könnten  keine  andern  Menschen  kennen  lernen  usw.  —  ja  du  mein 
Gott,  bei  solcher  Art  von  Auslegung  wird  man  an  das  alte  Diktum 
erinnert,  donne-moi  trois  mots  et  je  te  fais  pendre!  Das  müssen  Sie 
doch  gestehen,  daß  dies  zwei  Auslegtmgen  sind,  gegen  die  es  gar  kein 
moyen  mehr  gibt,  so  daß,  so  ausgelegt,  auch  das  Allerbeste,  Herzlichste 
und  Sj^mpathischste  sich  in  sein  Gegenteil  verkehrt .  .  . 


^)  Lassallp  geht  hier  auf  eine  neue  Seite  über  und  fällt  dabei  aus  der  Konstruktion. 


Sie  gutes  Wesen  bieten  mir  nochmals  an,  zu  mir  herzukommen!  Sie 
sind  wirkHch  sehr  gut!  Ich  hätte  Sie,  wie  Sie  sich  denken  können,  un- 
gefähr grade  so  gern  hier  wie  ein  Verdurstender  einen  Wasser  tropfen! 
Dennoch  darf  es  nicht  sein.  Ich  habe  es  mir  nochmals  wohl  überlegt 
und  gefunden,  daß  die  Vernunft  dies  gebieterisch  fordert.  Wir  hätten 
hier  nur  sehr,  sehr  wenig  v'oneinander  und  würden  uns  damit  weit 
schöneres  und  besseres  verderben.  Es  wäre  ganz  imvemünftig.  Weit 
besser,  Sie  gehen,  sowie  Ihre  Kur  zu  Ende  ist,  nach  Wildbad,  benutzen 
das  gute  Wetter,  von  dem  Sie  schreiben  (seit  heute  ist  es  auch  hier 
schön)  zu  Ihrer  dortigen  Kur,  ich  komme  gesund,  frei  und  rüstig  zu 
Ihnen,  sowie  ich  kann ;  Sie  haben  inzwischen  schon  einen  Teil  der  dortigen 
Kur  zurückgelegt  und  also  Zeit  gewonnen,  und  wir  benutzen  diese  ge- 
wonnene Zeit  dann  irgendwo  zu  einer  kleinen  Reise  oder  einem  ange- 
nehmen Aufenthalt  irgendwo  und  wo  Sie  wollen  werden,  wo  wir  beide 
ä  uotre  aise  sind  und  ich  mich  für  die  unerhörten  Leiden  dieser  Zeit 
etwas  entschädigen  kann.  Hier  hätte  ich  doch  nichts.  Es  ist  also  besser, 
daß  diese  verfluchte  Zeit  ganz  und  gar  verflucht  sei,  und  daß  wir  en 
revancbe  dadurch  Zeit  zu  einer  wirklichen  Erholung  gewinnen.  Beides 
ganz  ist  viel  besser  als  beides  halb.  Daß  ich  Ihre  Ermahnungen  usw.  usw. 
bedürfte,  um  hier  mich  zu  schonen,  zu  halten,  Diät  und  Kur  gut  zu 
beobachten,  und  daß  es  also  einen  Nutzen  hätte,  wenn  Sie  zu  diesem 
Zweck  herkämen,  ist  auch  ein  Irrtum.  In  dieser  Hinsicht  können  Sie 
diesmal  ganz  imbesorgt  sein.  Ich  habe  es  nämlich  zum  Gegenstand 
meines  Willens  gemacht,  daß  ich  gesund  werden  will,  imd  das  wird 
Ihnen  genug  sagen.  Es  heißt  mit  andern  Worten,  daß  ich  in  der  ängst- 
lichsten, pedantischsten,  übertriebensten,  selbstquälerischsten  Weise 
alles  und  noch  dreimal  mehr  tue,  was  sich  nur  tun  läßt,  um  mit  dieser 
verfluchten  Krankheit  imd  diesem  verfluchten  Aufenthalt  zu  enden. 
II  faut  en  finir!  Wäre  es  nötig,  an  kleinem  Feuer  zu  bräteln,  so  würde 
ich  es  auch  tim.  Ich  betreibe  hier  das  Gesundwerden  in  derselben  exzen- 
trischen Weise  wie  alles  andere,  das  ich  einmal  betreibe.  Seit  ich  hier 
bin,  habe  ich  mir  die  Lippen  noch  mit  keinem  Tropfen  Wein  befeuchtet. 
(Aber  was  will  ich  trinken,  wenn  ich  erst  wieder  gesund  bin!) 

In  ganz  Aachen  kein  Kurgast,  der  so  lebt  wie  ich  oder  irgend  so 
strenges  Regime  hält .  .  . 

125. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Sonntag  [Aachen,   19.  August  1860]. 

O  mein  gutes  Wesen !  So  lange  lassen  Sie  mich  ohne  Brief.  Ich  fange 
diesen  hier  an  Sie  [an],    ohne  zu  wissen,    wohin  ich  ilin  senden  soll. 


Hoffentlich  kommt  morgen  Nachricht  von  Ihnen,  ob  Sie  schon  in 
Wildbad  sind. 

Ach,  ich  bin  recht  sehr  verstimmt  und  traurig.  Freitag  waren  es  vier 
Wochen,  daß  ich  hier  bin!  Und  diese  vier  Wochen  zählen,  da  ich  täg- 
lich eins,  jetzt  seit  acht  Tagen  sogar  täglich  zwei  Dampfbäder  täglich 
genommen,  gut  für  zehn  Wochen  der  Kur  eines  andern  (das  zweite  sogar, 
was  ganz  unerhört,  zu  i^/g  Stimden).  Dazu  die  wirksamsten  Medizinen! 
Merkur  innerlich  und  Merkur  äußerlich  und  Einreibungen.  Und  noch 
Jodkali  außerdem :  und  dennoch  rückt  und  rührt  sich  nichts  von  meiner 
Krankheit. 

Es  ist  wahr,  solange  ich  nicht  gehe,  sind  die  Schmerzen  sehr  un- 
bedeutend, aber  immerhin  fühle  ich  sie,  und  nach  zwanzig  Schritten 
im  Zimmer  werden  sie  stark!  Ich  fange  an,  die  Hoffnung  aufzugeben, 
daß  mir  geholfen  wird  —  und  was  dann?  Es  wäre  zu  spitzbübisch,  auf 
diese  Weise  trocken  gelegt  zu  werden  und  um  seine  Aktionskraft  zu 
kommen !  Der  Aufenthalt  ist  gewiß  hier  gräßlich,  und  es  ist  eine  schreck- 
liche Idee,  auch  nur  vierzehn  Tage  noch  hierbleiben  zu  sollen.  In- 
zwischen, wenn  ich  nur  eine  Besserung  vor  mir  sähe,  so  wollte  ich  auch 
noch  vier  Wochen  und  länger  aushalten.  Aber  wie  wenn,  wie  ich  zu 
glauben  anfange,  alles  umsonst  ist?  Ich  würde  es  kaum  ertragen,  ver- 
stümmelt zu  bleiben,  würde  mich  nicht  darein  ergeben  können.  Sagen 
Sie  mir  nicht,  daß  das  Feigheit  ist,  daß  es  noch  viel  andere  Deute  gibt, 
die  unheilbar  krank  sind.  Das  hängt  bei  mir  ganz  anders  zusammen  und 
ist  für  mich  ein  ganz  anderes.  Ich  mache  mir  au  cas  de  besoin  den  Teufel 
aus  den  Schmerzen.  Aber  so  früh  schon  gebrochen  sein  in  dem  Un- 
gestüm meiner  Energie,  in  meiner  Kraft  zu  handeln,  in  der  Stärke  meiner 
Aktionsmittel,  deren  erstes  der  Körper  bleibt,  das  ertrüge  ich  nicht. 
So  ungestüme,  konzentrierte  Willensnaturen,  wie  ich  eine  bin,  so 
despotische,  gegen  sich  wie  die  Welt  gleich  rücksichtslose  Willens- 
fiammen  entstehen  gar  nicht  ohne  einen  so  unverwüstlichen,  un- 
zerstörbaren Körper,  wie  ich  ihn  von  der  Natur  bekommen  habe.  Ohne 
solchen  Körper,  mit  dem  man  alles  mögliche  machen  und  mit  der 
tyrannischsten  Rücksichtslosigkeit  behandeln  kann,  wird  man  gar 
nicht  so,  wie  ich  bin.  Ohne  solchen  Körper  kann  man  nicht  so  bleiben ! 
Es  würde  sich  also  für  mich  nicht  bloß  um  Schmerzen  und  Krankheit 
wie  für  einen  andern,  sondern  darum  handeln,  mein  Wesen  auf- 
zugeben, jene  konzentrierte  Einheit  meiner  Persönlichkeit  aufzugeben, 
ohne  die  ich  nicht  bin,  was  ich  bin,  und  ohne  die  ich  gar  nicht  sein 
möchte. 

Es  ist  ein  melancholischer  Gedanke !  Sonst  sind  diese  Krankheiten 
so  sicher  zu  heilen.  Aber  es  scheint,  als  wenn  sie  bei  mir  teil  an  der  Hart- 
näckigkeit meines  Wesens  hätte. 


-  267  . 

Nun  wir  werden  ja  sehen!  Aber  wenn  ich  hier  Zeit  und  Lebens- 
kräfte umsonst  vergeudet  hätte  und  so  bleiben  müßte,  es  wäre  teufhseh! 

Nun  gut!  Ich  bin  sehr  mißmutig.  In  der  letzten  Zeit  habe  ich  sogar 
den  Trost  des  Arbeitens  beinahe  verloren.^)  Denn  um  elf  Uhr  komme  ich 
vom  ersten  Dampfbad  und  frühstücke,  um  zwölf  Uhr  konnnt  der  Doktor, 
um  zwei  Uhr  gehe  ich  schon  wieder  in  das  zweite  Dampfbad,  wo  ich 
anderthalb  Stunden  bleibe.  So  verliere  ich  die  besten  Stunden  meiner 
Arbeitszeit  von  zwei  bis  fünf  Uhr,  denn  wenn  ich  auch  vor  vier  Uhr  aus 
dem  zweiten  Dampfbad  komme,  so  kann  ich  jetzt  nicht  mehr  arbeiten! 
Zwar  mein  Körper  fühlt  sich  selbst  durch  dieses  anderthalbstündige 
zweite  Schwitzen  noch  gar  nicht  angegriffen  oder  geschwächt.  Ich 
komme  mit  hinreichender  körperlicher  Kraft  aus  dem  Dampfbad,  um 
alles  mögliche  zu  können,  nur  nicht  denken!  Dies  scheint  durch  dies 
beständige  Schwitzen  unmöglich  gemacht  zu  sein.  Es  bleibt  mir  nichts 
übrig,  als  mich  auf  das  Sofa  zu  werfen  imd  einen  Roman  zu  schmökern. 
Schreiben  wäre  mir  unmöglich.  vSo  bleiben  mir  für  Arbeiten  und  Korre- 
spondieren nur  die  paar  Abendstunden. 

Ich  habe  daher,  um  so  mehr  als  ich  in  den  Dampfbädern  selbst 
lese  —  ohne  irgend  Kopfschmerz  zu  bekommen  —  viele  Romane  in  der 
letzten  Zeit  gelesen,  u.  a. :  Klein  Dorrit  von  Boz-Dickens,  der  sehr 
schön  ist  imd  den  ich  Ihnen  empfehle,  dann  Mont-Reveche  von  der 
George  Sand,  für  den  Ludmilla  so  schwärmt  und  der  ganz  abscheulich 
schlecht  ist.  Ein  durchaus  gewöhnliches  und  mehr  als  unbedeutendes, 
geistloses  Machwerk;  gar  nicht,  als  wenn  es  von  derselben  Sand  wäre! 
Jetzt  lese  ich  auch  Consuelo  von  ihr,  der  wieder  ganz  trefflich  ist.  — 
Dieses  viele  Lesen  verdummt  mich  auch,  das  beständige  Schwitzen 
macht  mich  düselich  im  Geiste,  und  ich  bin  wie  im  Fegfeuer. 

Nun  schließe  ich  diese  Herzensergießungen  für  heut.  Ich  kann  ja 
den  Brief  doch  nicht  abschicken,  nicht  wissend,  wo  Sie  sind!  Nun 
adieu! 

Scheint  die  Sonne  noch  so  schön, 
Einmal  muß  sie  untergehn! 

hat  auch  Heine  an  sich  erfahren  und  von  sich  gesungen.  Aber  es  wäre 
stupide,  wenn  die  meine  schon  so  früh  untergehen  müßte.  Mit  halber 
Kraft  bin  ich  gar  nichts. 

Ihr  F.  L. 

NB.  Consuelo  hat  mir  viel  I^ust  gemacht,  nach  Venedig  zu  gehen 
und  ein  florentinischer  Tenor  hier  nach  Florenz.  Ach,  wenn  ich  erst 
wieder  gesund  wäre! 

^)  In  den  ersten  Wochen  seiner  Kur  hatte  Lassalle  nachhaltig  an  seinem 
System  der  erworbenen  Rechte  gearbeitet,  das  im  folgenden  Jahre  erschien. 


=  268  =. 

120. 

LASSAI.I.E  AN  vSOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag  abend  [24.  August  1860]. 

Mein  gutes  Kind,  ich  habe  endhch  heut  Ihren  sehr  lieben  Brief  vom 
Mittwoch  bekommen  (Sie  werden  inzwischen  einen  rekommandierten 
von  mir  erhalten  haben).  Was  zu  tun,  wenn  ich  hier  nicht  geheilt  würde, 
daran  wollen  wir  noch  gar  nicht  denken.  Der  Doktor  verspricht  mir 
immer  bestimmt  vollständige  Heilung.  Ich  muß  einstweilen  hoffen  und 
glauben  .  .  . 

Mit  Mont-Reveche,  mein  Kind,  haben  Sie  unrecht.  Die  Charaktere 
von  Natalie  und  Eveline  sind  freilich  gut  gezeichnet.  Ich  will  sogar 
noch  weitergehen  als  Sie  und  behaupten,  daß  auch  die  Olympia  (nicht 
Clemence)  ebensogut  gezeichnet,  wie  natürlich-möglich  und  in  sich 
natürlich  ist.  Aber  das  ist  auch  alles  und  ist  durchaus  nicht  viel.  Es 
versteht  sich  von  selbst,  daß  keine  Arbeit  von  der  Sand  so  talentlos 
sein  wird,  daß  nicht  einmal  einige  gut  gezeichnete  Charaktere  darin 
vorkommen  .  .  . 

Was  Consuelo  betrifft,  so  sind  große  Schwächen  und  Fehler  darin, 
aber  dafür  zwei  Partien  von  unvergleichlicher  Schönheit,  die  für  alles 
bezahlen.  Zuerst  die  Kindheits-  und  Jugendgeschichte  Consuelos  in 
Venedig,  ein  Bild  von  so  plastischer  Poesie,  von  so  echt  italienischem 
Hauche  und  künstlerischer  Gestaltung  wie  selten  eines.  Und  dann,  dieses 
Pracht-  und  Meisterstück  tief  romantischer  Poesie:  Die  Ge- 
schichte auf  der  Riesenburg,  mit  Graf  Albert,  Zdenko  usw.  usw. !  Es 
summt  mir  immerwährend  im  Kopf  herum: 

II  y  a  lä-bas,  il  y  a  lä-bas  une  pauvre  äme  en  peine 

et  en  travail,  qui  attend  sa  dehvrance 

Sa  delivrance,  sa  consolation  tant  promise! 

Iva  delivrance  semble  enchainee,  la  consolation  semble  impitoyable 

II  y  a  lä-bas,  il  y  a  lä-bas  une  pauvre  äme 

en  peine,  qui  se  lasse  d'attendre! 

Unwillkürlich  hat  sich  mir  das  zu  einer  wehmütigen  böhmischen  Melodie 
gestaltet,  und  ich  bedauere,  nicht  Musik  zu  verstehen,  sonst  würde  ich 
es  wirklich  komponieren  und  eine  ergreifende  Wirkung  damit  erreichen ! 
Es  ist  unerhört,  dies  Weib  versteht  selbst  Volksballaden,  Volksheder 
zu  dichten! 

Ich  müßte  über  die  Tiefen  und  gewaltigen  Schönheiten  dieser  Riesen- 
burg-Episode und  über  den  erstaunlichen  Geist  darin  einen  ganzen  Auf- 
satz schreiben!  Aber  gewiß  nicht  heut.  Denn  es  ist  sehr  spät  nacht[s]. 


=  269  - 

Also  nur  die  Frage:  Kommt  Graf  Albert  in  der  Comtesse  de  Rudolstadt 
nochmals  vor?  Sonst  lese  ich  es  nicht. 
Adieu,  mein  gutes  Herz. 

Ihr  F.  L. 

NB.  Schreiben  Sie  mir  doch  Ihre  bestimmte  Adresse. 


127. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALIvE.  (Original.) 

Wildbad,  Sonnabend  [25.  August  1860]. 

lyiebes  Kind,  ich  habe  Ihren  zweiten  Brief  hier  erhalten  mit  Ein- 
lagen von  Schönberg  und  Frau  Duncker.  Diese  letzte  ist  bereits  mit 
Ihrem  Brief  verbrannt,  was  jedenfalls  viel  sicherer,  als  sie  Ihnen-zurück- 
zuschicken.  Wie  können  Sie  überhaupt  Nachlässigkeit  mit  Papieren  von 
mir  glauben,  ich,  die  ängstlich  sorgfältig  darin  bin;  wenn  Sie  es  nur 
halb  so  viel  wäre[n]!  Wie  oft  mußte  ich  Ihnen  darüber  predigen,  daß 
man  gewisse  Papiere  gar  nicht  verwahrt,  geschweige  denn  so  nach- 
lässig wie  Sie !  Den  Brief  des  kleinen  Schönberg  finde  ich  abgeschmackt, 
sententiös  und  schlecht  rhetorisch  so  sehr,  daß,  wenn  ich  ihn  nicht 
persönlich  kennte,  man  glauben  müßte,  es  wären  hohle  Phrasen,  die 
gar  nicht  gemeint  sind.  Doch  das  ist  bei  ihm  doch  nicht  der  Fall ;  aber  er 
ist  ein  recht  langweiliger  Pedant,  und  ich  fürchte,  etwas  wirklich  Tüch- 
tiges wird  nicht  aus  ihm.  Der  Brief  von  Frau  Duncker  ist  ganz  gut, 
aber  daß  ich  grade  daraus  sollte  ersehen  können,  daß  sie  eine  ganz 
andre  Beurteilung  verdient,  das  habe  ich  gar  nicht,  weder  dies  noch 
das  Gegenteil,  irgendwie  finden  können.  Der  Brief  ist  in  zufriedener 
Stimmung  über  Ihre  häufigen  und  liebevollen  Briefe,  zufrieden  mit 
ihrer  Reise,  das  ist  alles.  Wenn  aber  etwas  ihr  mit  Recht  oder  Unrecht 
nicht  gefällt,  schreibt  sie  in  ganz  andrer  Weise.  Daß  sie  dabei  so  vorüber- 
gehend imd  so  zuversichtlich  von  Ihrer  Gesimdheit  spricht,  ist  mir 
eben  auch  nicht  ganz  recht.  Das  liegt  nun  wohl  in  der  Grundverschieden- 
heit unserer  Gefühlsweise ;  je  lieber  ich  jemand  habe,  desto  besorgter 
bin  ich,  wenn  ihm  das  geringste  fehlt;  wahrscheinlich  dann  viel  mehr 
wie  nötig,  und  ich  bin  schon  oft  Ihnen  damit  lästig  gewesen;  aber  es 
scheint  mir  so  natürlich,  daß  es  eben  nicht  anders  sein  kann,  wenn  man 
jemand  wirklich  sehr  gut  ist.  Doch  lassen  wir  diese  unfruchtbare  Dis- 
kussion, in  der  sich  einer  von  uns  gewiß  sehr  irrt.  Nur  das  kann  ich 
sagen,  daß  ich  herzlich  gern  mich  überzeugen  möchte,  daß  ich  mich 
irre,  wenn  ich  glaube,  daß  sie  keine  wahre,  tiefe  Freundschaft  für 
Sie  hat,  überhaupt  deren  gar  nicht  fähig  ist.  Das  ist  eigentlich  mein 


=   270  

einziges  wahres  grief  gegen  sie ;  aber  was  mich  persönlich  betrifft,  ist 
kaum  der  Rede  wert,  davon  zu  sprechen.  Daß  ich  mich  sehr  freuen 
würde,  zu  glauben,  daß  sie  eine  wahre  Freundin,  die  mich  bei  Ihnen  er- 
setzen würde,  wenn  Sie  mich  nach  dem  I^auf  der  Natur  verlieren,  das 
kann  ich  mit  Wahrheit  versichern  ,  .  . 


128. 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  LASSAIvLB.  (Original.) 

Wildbad,  Montag  [27.  August  1860]. 

.  .  .  Was  Sie  über  Consuelo sagen,  ist  so  hübsch,  daß  ich  den  Roman, 
den  ich  lange  nicht  gelesen,  deshalb  jetzt  noch  einmal  lesen  will.  Warum 
sprechen  Sie  mir  denn  gar  nicht  mehr  von  Politik  und  Garibaldis  Lan- 
dung in  Kalabrien?  Ich  fürchte  sehr,  er  hat  den  günstigsten  Augen- 
blick verpaßt,  sich  zu  lange  von  der  Diplomatie  hinhalten  lassen,  zu 
lange  Zeit  zu  Vorbereitungen  und  Beratungen  gelassen.  Er  ist  ein 
Held,  aber  leider  kein  Staatsmann  und  hat  zu  wenig  persönliche 
Ambition.  Auch  eine  Tugend  kann  zum  Fehler,  vorzüglich  zum  Hinder- 
nis werden.  Es  täte  jetzt  ein  Mann  wie  Danton  not,  der  auch  sagte: 
,,perissent  nos  memoires  et  que  la  patrie  soit  sauvee." 

Nun  adieu,  liebes  Kind,  ich  will  jetzt  ein  wenig  ausgehen,  was  ein 
wahrer  Entschluß  ist,  so  müde  und  träge  fühle  ich  mich  .  .  . 


129. 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Donnerstag  früh  [Aachen,  30.  August   1860]. 

Gute  Gräfin!  Endlich  empfange  ich  Ihren  Brief  von  Montag.  Die 
Briefe  gehen  ja  hier  verdammt  lang!  Vor  allem  muß  ich  Ihnen  sagen, 
daß  es  mir  gestern  bedeutend  besser  mit  den  Schmerzen  ging.  Ich 
konnte  gestern  schon  fünfundzwanzig  Minuten  gehen,  zwar  mit  Schmer- 
zen und  manchmal  nicht  unbedeutenden,  aber  ich  konnte  es  doch.  Ich 
muß  mm  sehen,  ob  das  heute  anhält.  Wäre  das  der  Fall,  so  würde  ich 
mich  allerdings  der  Hoffnung  hingeben,  in  acht  Tagen  etwa  endlich  be- 
freit zu  sein  .  .  . 

Wenn  Sie  die  Memoiren  Ihrer  Familie  schreiben  wollen,  so  kann  ich 
nur  beipflichten.  Es  würde  das  äußerst  wohltätig  für  Sie  in  jeder  Hin- 
sicht sein.  Mit  der  Kopfkrankheit  und  dem  Nichtgewachsensein  der 
Arbeit  hat  es  gute  Wege !  Die  geistige  Kraftlosigkeit,  von  der  Sie  schreiben. 


-   271  = 

daß  Sie  sie  fühlen,  kommt  grade  von  der  Nichtanwendung,  Nicht- 
anstrengung  der  Kraft  her,  und  ist  nur  der  Ausdruck  Ihres  Bedürf- 
nisses, Ihre  geistigen  Kräfte  wieder  zu  äußern.  Ich  kenne  ganz  genau 
dieses  Gefühl  geistiger  Lethargie  und  Kraftlosigkeit.  Ich  empfinde  es 
jedesmal,  wenn  ich  längere  Zeit  nichts  getan  habe.  Es  kann  mir  dann 
vorkommen,  als  wäre  eine  Arbeit,  ja  auch  nur  ein  erheblicher  Brief  eine 
vSache,  zu  der  ich  mich  nie  wieder  in  meinem  Leben  würde  entschließen 
und  emporraffen  können.  Ohne  Arbeit  kann  kein  Mensch  glücklich 
sein.  ,,Amour  et  travail",  sagt  selbst  Dumas,  in  dessen  Mohicans  ich 
jetzt  schmökere,  seien  die  einzigen  beiden  Quellen  von  Glück.  Warum 
aber?  Weil  Glück  überhaupt  nichts  ist  als  Selbstbetätigung. 

Eh  bien:  Nächstes  Jahr  reisen  wir  nach  Italien,  nach  Venedig  und 
Florenz,  Rom,  Neapel  und  Palermo.  Das  steht  fest.  Und  da  will  ich 
Sie  schon  aus  Ihrer  Lethargie  her  ausschütteln.  Wir  müssen  unbedingt 
das  nächste  Jahr  reisen,  es  ist  das  letzte,  das  wir  haben.  Denn  1862  ist 
Krieg  und  Revolution  in  Deutschland. 

Über  Garibaldi  können  Sie  ganz  unbesorgt  sein.  Der  wird  sich  durch 
die  Diplomatie  nicht  irren  lassen.  Er  ist  bereits,  wie  Sie  wissen,  auf  dem 
Marsche  nach  Neapel.  Die  Alhanz  von  Teplitz  hat  unsrer  Sache  die  aller- 
günstigste  Wendung  gegeben.  Nun  ist  alles  für  uns  gewonnen!  Den  Auf- 
stand in  Ungarn  können  Sie  als  gesichert  betrachten,  sogar  in  Rußland 
gehen  die  merkwürdigsten  Dinge  vor.  Es  dauert  nicht  mehr  lange,  und 
die  revolutionären  Banner  fliegen  höher  als  sie  je  geflogen.  Attention 
au  jeu!  Eine  entschieden  reaktionär-österreichische  Wendung  des 
Prinzen,  1)  ein  Wiederaufleben  der  Traditionen  der  Heiligen  Allianz  — 
das  ist  alles,  was  uns  not  tat. 

Ich  habe  jetzt  die  Fortsetzung  von  Consuelo,  die  Gräfin  Rudolstadt, 
gelesen!  Tudieu!  wie  kann  man  sein  eigenes  Werk  nachträglich  so 
systematisch  ruinieren  und  zuschanden  machen,  wie  es  die  Sand  mit 
der  herrlichen  Riesenburg-Episode  durch  diese  schauderhafte  Fort- 
setzung tut ! !  Unbegreiflich,  unbegreiflich !  Es  überkömmt  sie  die  Wut, 
jene  Dinge  zu  ,, erklären"  (!),  und  nun  vernichtet  .sie  in  der  prosaisch- 
rationalistischsten Weise  durch  die  dürrsten  Verstandeserklärungen  den 
ganzen  poetischen  Wert  jener  herrlichen  früheren  Schöpfung.  Sie  schreibt 
nicht  nur  einen  Roman  (die  Rudolstadt),  welcher  für  sich  selbst  das 
unpoetischste,  frostigste  Zeug  von  der  Welt  ist,  dürre  Verstandes- 
raisonniererei,  sondern  sie  hebt  wirklich  dadurch  auch  Wert  und  Schön- 
heit des  früheren  Werks  auf.  Sie  läßt  sich  auf  Dinge  ein  ä  la  Dumas  — 
Balsamo.  Und  nur  das  eine  war  mir  interessant,  hier  das  Vorbild  Dumas' 
für  den  Balsamo  usw.  zu  sehen.  Aber  um  so  viel  die  Sand  sonst  vernunft- 
voller ist  als  Dumas,  gerade  um  so  schlechter  und  untergeordneter  ist 

^)  Des  Priuzregenten  von  Preußen. 


■  272  - 

sie  hier  dadurch  gegen  ihn.  Denn  diese  Vernunft  äußert  sich  hier  bei  ihr 
als  flachster  Rationalismus  und  zwingt  sie,  wie  die  rationalistischen 
Ausleger  der  Bibel,  jedes  Wunder  verständig  zu  erklären,  damit  ja  nichts 
Unmögliches,  Phantastisches  usw.  da  sei  und  das  Überraschendste  sich 
in  einen  natürlichen  Kausalnexus  auflöse.  Solches  Verstandesspiel,  solche 
erklärte  Taschenspielerei  ist  alles,  nur  nicht  Poesie.  Dumas,  in  seinem 
glücklichen  Charlatanismus  sich  gar  nicht  um  solche  Verstandesanfor- 
derungen kümmernd,  ist  ihr  dadurch  viel  überlegner  und  imponieren- 
der .  .  . 

130. 
LASSAIvIvE  AN  vSOPHlE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Aachen]  Sonnabend,   i.  September  [1860]. 
Mein  gutes  Kind, 

Ich  erhalte  mit  Verwunderung  Ihren  Brief,  worin  Sie  sich  be- 
schweren, daß  ich  Ihnen  nicht  schreibe.  Ich  habe  Ihnen  an  jedem  Tage, 
wo  icheinen  Brief  von  Ihnen  erhielt,  immer  sofort  geantwortet  und  auch 
noch  außerdem  hin  und  wieder  geschrieben.  Ich  bin  also  nicht  en  delai. 
Sehr  unrecht  haben  Sie,  zu  sagen,  ich  solle  Sie  nicht  wegen  anderer  ver- 
nachlässigen, womit  Sie  wahrscheinlich  Frau  Duncker  meinen.  Dieser 
habe  ich  seit  vierzehn  Tagen  nicht  geschrieben.  Ebenso  ist,  beiläufig, 
nicht  hübsch  und  nicht  recht,  was  Sie  mir  neulich  schrieben,  Sie  wünsch- 
ten, daß  sie  mir  einst  Sie  ersetzen,  Ihre  Stelle  bei  mir  einnehmen  solle. 
Sie  wissen  sehr  gut,  daß  das  unmöglich  ist,  daß  niemand  jemals  Ihre 
Stelle  bei  mir  einnehmen  wird  und  kann,  daß  dies  ebenso  absolut  un- 
möglich als  gegen  meine  Absicht  ist  und  daß  ich  mich  zu  allen  andern 
ganz  anders  verhalte  und  stets  verhalten  werde  als  zu  Ihnen.  Wozu 
mir  also  solche  Dinge  sagen,  da  Sie  doch  selbst  am  besten  wissen,  wie 
falsch  das  ist. 

|Nein,  wenn  ich  nicht  öfter  schreibe,  so  liegt  das  an  der  Lethargie, 
die  sich  meiner  bemächtigt  hat.  Dies  ewige  Schwitzen  und  Stubensitzen, 
die  beständigen  Schmerzen  und  besonders  die  Hoffnungslosigkeit,  die 
mich  zu  ergreifen  anfängt .  .  . 

131. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  I^ASSALLE.  (Original.) 

Wildbad,  7.  September  [1860]. 
Iviebes  Kind,  »Sie  werden  doch  jetzt  nicht  behaupten,  daß  Sie  pünkt- 
lich antworten  oder  fleißig  Nachricht  geben,  was  grade  jetzt  um  so  un- 
rechter,  als  Ihr  letzter  Brief  keine  guten  Nachrichten  gab  und  Sie 


=  273  = 

daher  wissen  mußten,  daß  ich  um  so  besorgter  sein  würde,  bald  Nach- 
richt zu  haben?  Ihr  letzter  Brief  ist  vom  Sonnabend,  und  heute  ist 
wieder  Freitag,  fast  acht  Tage,  und  ich  habe  keine  Nachrichten.  Ist 
das  recht?  Ich  bitte  Sie,  mir  doch  augenblicklich  ein  paar  Worte  zu 
schreiben,  wie  es  Ihnen  geht.  Von  hier  weiß  ich  Ihnen  nichts  zu  sagen 
als  wieder  viertägiger  ununterbrochener  Regen,  heute  ist  es  etwas 
besser,  aber  noch  immer  kalt;  trotzdem  schleichen  hier  noch  immer 
I/Cute  herum,  einige  alte  Russen,  für  die  ich,  wie  es  scheint,  eine  Attrak- 
tion habe,  habe  ich  Bekanntschaft  gemacht,^)  unter  andren  F'ürst 
Gortschako  ff,  Bruder  des  Ministers,  und  ich  bin  förmlich  in  Erstaunen, 
welche  Sympathien  unter  den  Russen  für  die  Italiener  und  deren  Erfolg 
und  welche  noch  tiefere  Abneigung  gegen  das  österreichische  Gouverne- 
ment herrscht  und  wie  sie  die  Anzeichen  der  Erneuerung  der  Sainte 
Alliance  mit  Mißvergnügen  sehen.  Die  Tochter  des  Fürsten  kommt  eben 
aus  Italien,  wo  sie  zwei  Jahre  zugebracht,  hier  an  und  ist  ganz  enthusias- 
miert über  die  Einmütigkeit,  Opferwilligkeit  aller  Klassen  und  kann 
nicht  genug  die  lyiebenswürdigkeit  und  Sanftheit  dieses  Volkes  dabei 
rühmen;  man  könne  ohne  Gefahr,  wie  sie  es  gewesen,  mitten  in  den 
revolutionierten  Gegenden  sich  befinden.  Nur  ein  Schrei  des  Hasses  sei 
hauptsächlich  gegen  den  Papst,  fast  noch  mehr  wie  gegen  Österreich ; 
dem  geistlichen  Regiment  schrieben  sie  alle  ihre  L,eiden  zu  .  .  . 


132. 
IvASSAIvI.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Sonnabend  und  Sonntag  [Aachen,  8.  und  9.  September  1860]. 
Meine  gute  Gräfin! 

Ich  muß  Sie  doch  gleich  benachrichtigen,  daß  es  mirseitgestem  abend 
etwas  besser  geht.  Die  Schmerzen  fangen  infolge  warmer  Umschläge, 
die  ich  seit  drei  Tagen  mache,  an,  etwas  nachzulassen.  Vielleicht  stellt 
sich  doch  noch  eine  Besserung  ein.  Ich  zähle  die  Tage  bis  zu  unserem 
Wiedersehen !  Gott  sei  Dank  ist  heute  schon  der  achte !  Ich  werde  Ihnen 
wohl  nicht  mehr  nach  Wildbad  schreiben,  da  die  Briefe  ja  so  lange  gehen, 
aber  von  Ihnen  hoffe  ich  sicher,  nicht  nur  Antwort  auf  meinen  letzten, 
sondern  auch  auf  diesen  noch  zu  bekommen. 

Vorgestern  erhielt  ich  beifolgenden  Brief  aus  Berlin  nachgeschickt, 
den  vSie,  um  das  Nachfolgende  zu  verstehen,  hier  erst  in  die  Lektüre  ein- 
schalten wollen. 


1)  Sic! 

Mayer,  I.assalle-NachUss.     IV  ]S 


=  274  = 

So  lästig  mir  auch  alle  solche  Dinge  an  sich  sind,  so  darf  man  es 
doch -schon  wegen  des  gemeinnützigen  Zweckes  nicht  abschlagen,  zumal 
bei  meinen  Prinzipien.  Überdies  ist  es  mir  nicht  einmal  unlieb,  sondern 
im  Gegenteil  ganz  lieb,  insofern  ich  darin  eine  Gelegenheit  erblicke,  mich 
in  Berlin  persönlich  bekannter  zu  machen  und  mein  Laicht  mal  etwas 
leuchten  zu  lassen.  Ich  werde  also  akzeptierend  antworten.  Nur,  was 
fürchterlich  schwer  ist,  ist  gerade  für  mich  die  Auswahl  des  Themas. 
vSie  werden  das  leicht  begreifen.  Brugsch  hielt  z.  B.  in  demselben  Verein 
voriges  Jahr  eine  Vorlesung:  ,,Ein  Tag  in  Kairo."  Sie  fühlen,  daß  es 
mir  ganz  unmöglich  sein  würde,  etwas  Derartiges  zu  liefern.  Was  ich 
geben  soll,  muß  etwas  Bedeutendes,  Eingreifendes,  Packendes 
sein.  Aber  wie  ein  solches  in  dem  Zeitraum  einer  einzigen  Vorlesung 
von  anderthalb  Stunden  —  denn  länger  darf  sie  doch  keinesfalls  dauern  — 
abhandeln?  Alles  hängt  also  hierbei  von  der  Wahl  des  Themas  ab. 
Das  ist  die  Hauptsache.  Ks  handelt  sich,  ein  Thema  zu  finden,  bei 
welchem  man  in  anderthalb  Stunden  etwas  Bedeutendes  leisten  kann, 
ein  Thema,  welches  einerseits  mit  den  Zeitideen  in  Verbindung  steht, 
andrerseits  für  dieses  Publikum  geeignet  ist. 

Sie  wissen,  wie  gern  ich  Sie  in  solchen  Dingen  um  Rat  frage  und 
welchen  Wert  ich  auf  den  Ihrigen  lege.  Ich  bitte  Sie  also,  mir  einige 
solche  Themas  vorzuschlagen,  nicht  eines,  da  mir  das  vielleicht  grade 
nicht  konveniert.  Den  Brief  bitte  ich  mir  zurückzuschicken,  da  ich  ihn 
beantworten  muß. 

Sonntag  früh. 

Ich  erhalte  soeben  Ihren  Brief. ^)  Sie  beschweren  sich  schon  wieder, 
daß  ich  Ihnen  nicht  schreibe,  während  ich  noch  jeden  Brief  am  Tage 
des  Empfangs  beantwortet  und  hin  und  wieder  einen  überzähligen  ge- 
schrieben habe.  Ich  war  es,  der  bis  vorgestern,  wo  ich  Ihren  chargierten 
Brief  erhielt,  in  der  größten  Sorge  war!  Sie  sagen:  Ich  antworte  jetzt 
immer  bloß:  c'est  ga!  Sehen  Sie,  ich  will  auch  endlich  Briefe  von  Ihnen 
bekommen  und  nicht  nur  immer  selber  welche  schreiben!  Will  auch 
welche  lesen!  Sehen  Sie!  Mein  eignes  Interesse  zwingt  mich  dazu.  Ich 
muß  auch  ein  bißchen  an  mich  denken. 

Was  vSie  von  den  Russen  dort  schreiben,  wimdert  mich  keineswegs 
und  stimmt  ganz  mit  meinen  hiesigen  Erfahrungen.  So  sehr  ich  nämlich 
auch  durch  Krankheit,  Arbeit  und  Gleichgültigkeit  gegen  Menschen 
zurückgehalten  wurde,  Bekanntschaften  zu  machen,  so  habe  ich  doch 
natürlich  nicht  so  lange  hier  bleiben  können,  ohne,  wenn  auch  spät  und 
langsam,  welche  anzuknüpfen  und  ohne  mein  Zutun.  lycider  sah  ich 
dann,  daß  hier  sehr  liebenswürdige  Menschen  gewesen  waren  und  daß 

^)  Siehe  oben  Nr.  131. 


=  275  — 

ich  sie  zu  spät  kciiiien  gelernt.  So  machte  ich  die  Bekanntschaft  der 
Gräfin  Zichy^)  (und  ihrer  Mutter)  erst  kurz  vor  ihrer  Abreise.  Die  von 
Signora  und  vSignore  Fanconi  —  einem  el:)cnso  ausgezeichneten  als 
liebenswürdigen  ersten  Sängerpaar,  das  für  März  und  April  an  der  italie- 
nischen Oper  zu  Paris,  für  die  drei  Monate  vorher  in  der  Havanna 
engagiert  ist  und  den  Oktober  vielleicht  in  Berlin  zubringt,  zwar  noch 
lange  vor  ihrer  neulich  nach  Paris  erfolgten  Abreise,  aber  es  war  damals 
innner  noch  so  schlechtes  Wetter,  daß  ich  fast  nie  ins  Hotel  kam.  Bloß 
wenn  Signora  mich  zu  den  soirees  musicales  et  dansantes,  die  sie  gab, 
was  sie  nie  versäumte,  durch  ihren  Mann  einladen  ließ,  fuhr  ich  hinüber, 
tn^erhaupt  sind  die  Ivcute  mit  mir  alle  so  zuvorkommend  gewesen,  wie 
ich  zurückhaltend  mit  ihnen. 

So  lernte  ich  denn  auch  endlich  einen  russischen  Gouverneur  (Mon- 
sieur de  Sontzow)  näher  kennen,  der  hier  mitseiner  Tochter^)  sich  befindet. 
Ich  kann  Ihnen  kaum  sagen,  was  das  für  interessante  Menschen  für  mich 
sind.  Die  Tochter  reizend,  höchst  graziös  (neunzehn  Jahre)  und  sie 
wie  ihr  Vater  von  einer  solchen  Tiefe  der  Bildung,  daß  ich  unendlich 
erstaunt  war.  Dabei  durch  und  durch  revolutionär,  der  Vater  selbst, 
obwohl  hoher  Beamter,  und  revolutionär  auch  in  bezug  auf  Rußland 
und  Polen.  Ich  versichere  Sie,  es  bereiten  sich  in  Rußland  selbst  große 
Dinge  vor.  Und  dort  grade  wird  die  Revolution  einen  immens  gründ- 
lichen Charakter  ihrer  Zeit  annehmen.  Das  Eigentümfiche  für  Rußland 
ist,  und  sein  Glück,  daß  es  keine  Bourgeoisie  hat,  keine  Mittel- 
klasse. Wer  dort  einmal  aus  dem  verfaulten  Regierungszustand  mit 
seiner  Intelligenz  heraustritt,  muß  sich  mit  dem  untersten  Volk 
identifizieren  und  mit  ihm  gehen.  Und  denken  Sie,  das  sagten 
mirneuHchTochter  und  Vaterselbst,  als  ich  dies  anregte.  Diese  Leute 
wissen  das,  gehen  darauf  ein  und  sind  sich  auch  der  Folgen  bewußt. 

Von  ihrer  Bildungssucht,  besonders  nach  deutscher  Wissenschaft, 
haben  Sie  gar  keinen  Begriff.  Ich  fand  sie  mit  den  Namen  von  Strauß  ^) 
und  Moleschott  und  den  äußerlichen  Resultaten  ihrer  Werke  vertraut 
und  mußte  ihnen  neulich  bis  zwölf  Uhr  nachts  Evangelienkritik  aus- 
einandersetzen. Nach  ihrer  Bildung  sind  sie  Ausnahmen,   aber  nach 

^)  Siehe  oben  Nr.  ii8. 

-)  Für  Lassalles  Beziehungen  zu  Sophie  von  Sontzow  (so  schreibt  er  hier!) 
vgl.  Une  page  d'amour  de  Ferdinand  Lassalle  und  —  gleichzeitig  in  deutscher 
Übersetzung  erschienen  —  Eine  Liebesepsiode  aus  dem  Leben  Ferdinand  Lassalles, 
1)eides  beiF.  A.  Brockhaus,  Leipzig  1878.  Dort  findet  man  neben  anderen  Briefen 
Lassalles  an  Sophie  den  berühmten  Manuskriptbrief  von  Anfang  Oktober,  in  dem 
er  ihr  seine  Hand  antrug.  Vgl.  dazu  Hermann  Oncken,  Lassalle,  3.  Aufl.,  S.  194  ff. 

3)  David  Friedrich  Strauß  (1808— 1874),  der  bekannte  theologische  und  philo- 
sophische Schriftsteller,  der  Begründer  der  junghegelschen  Schule.  Für  Lassalles 
Beziehungen  zw  ihm  vgl.  Bd.  II,  Nr.  100. 


=  276  - 

ihrer  Richtung  sind  sie  keine  solche  unter  den  Russen.  Sie  wissen,  daß 
die  Russen  sehr  zusammenhalten.  So  versammelt  sich  denn  bei  ihnen 
jeden  Abend  ein  großer  Teil  der  hier  anwesenden  Russen.  Mit  Ausnahme 
des  alten  Fürsten  Galiczin,  der  täglich  hinkommt  imd  in  seinen  Grund- 
sätzen durchaus  zum  ancien  regime  gehört,  wofür  er  von  den  andern 
auch  weidlich  imd  ziemlich  offen  verhöhnt  wird,  sind  fast  alle  wenigstens 
tmgefähr  von  derselben  Richtimg.  —  Ich  bin  jeden  Abend  dort,  wenn 
meine  Schmerzen  mich  nicht  ans  Zimmer  fesseln,  was  freilich  häufiger 
geschieht  als  nicht.  Gestern,  da  es  regnete,  ließ  ich  mich  in  dem  kleinen 
Handwagen,  den  man  hier  für  Paralytische  hat,  hinüberfahren  (so  ein 
Wägelchen  ä  la  Rotschild  in  Wildbad,  aber  ganz  geschlossen;  denken 
Sie,  soweit  bin  ich  schon  gekommen).  Tochter  und  Vater  sind  um  die 
Wette  liebenswürdig  und  herzlich  für  mich.  Fast  würde  ich  mich  in  die 
Tochter  verliebt  haben ;  sie  ist  dessen  unbeschreiblich  würdig.  Aber  ich 
weiß  nicht,  ich  kann  keine  Leidenschaft  mehr  in  meinem  vom  Feuer  ver- 
zehrten Herzen  aufbringen.  Und  sie  aus  bloßer  Begehrlichkeit  zu  ver- 
speisen, dazu  ist  sie  mir  wirklich  zu  respektabel.^)  Auch  die  einzige  Per- 
son, die  ich  je  geliebt  habe,  sind  doch  Sie  gewesen,  tmd  das  habe  ich 
besonders  im  Jahre  1848  in  meiner  Kölner  Haft  sehr  deuthch  gefühlt! 

Eh  bienl  So  sind  wir  also  beide  jetzt  mit  Russen  umgeben.  Ganz 
immens  ist  der  Haß  dieser  L/Cute  gegen  Nikolaus,  den  sie  noch  im  Grabe 
zerfleischen  möchten.  Savez-vous  ce  qui  nous  a  valu  le  gouvemement 
de  Nicolaus?  sagte  mir  der  Gouverneur  neulich  mit  konzentriertester 
Bitterkeit:  Iva  haine  de  toute  l'Europe.  Trente  defaites  ne  nous  auraient 
tant  affaiblies. 

Ich  spreche  mit  ihm  immer  durch  das  Organ  seiner  Tochter.  Denn 
er  schreibt  zwar  deutsch  und  französisch,  spricht  aber,  was  für  einen 
Russen  merkwürdig,  keins  von  beiden  mehr.  Die  Tochter  spricht  da- 
gegen französisch,  englisch,  deutsch  mit  großer  Geläufigkeit.  Die  geistige 
Unabhängigkeit  dieser  Leute  ist  wirklich  überraschend  und  die  idealisti- 
schen Ideen  des  Mädchens  aus  dem  Munde  einer  Russin  entwickeln  zu 
hören,  ganz  traumhaft.  In  den  letzten  zehn  Jahren  haben  alle  Nationen 
Europas  immense  Fortschritte  gemacht  —  nur  Deutschland  nicht!  — 
Nächstes  Jahr  gehen  wir  beide  ganz  gewiß  nach  Italien.  Ich  will  es  end- 
lich sehen.  Eine  Erzählung  von  Dumas  hat  mir  wieder  rasende  Lust 
dazu  gemacht.  Quant  ä.  Palerme,  sagt  er,  qu'en  dire?  C'est  le  paradis 
du  monde.  Que  la  benediction  des  poetes  soit  sur  Palerme!  Nächstes 
Jahr  also!  Wenn  mein  Werk  erschienen  ist  und  die  Revolution  noch 
nicht  da,  habe  ich  endHch  Zeit,  uns  diese  Belohnung  widerfahren  zu 
lassen,  die  wir  beide  seit  langem  verdient  haben. 

1)  An  Sophie  von  Sontzow  schrieb  er  am  6.  Oktober:  ,,Ich  glaubte  nicht  mehr 
lieben  zu  können.   Sie  haben  in  mir  dies  Gefühl  wieder  erweckt."   A.a.O.,  S- 25. 


=  277  = 

Aber  was  sagen  Sie  zu  diesem  Dumas?  Macht  er  doch  /.ur  Heldin 
dieser  Erzähkmg  niemand  anders  als,  sie  mit  vollem  Namen  nennend 
und  beschreibend,  Madame  Lila  Bulgowski,  die  ungarische  Schau- 
spielerin, die  mir  in  Berlin  gewogen  war!  Es  ist  zu  toll.  Lesen  Sie  ja 
diese  Erzählung  sofort:  Une  avanture  d'amour.  Ganz  neu.  — 

Ich  will  Ihnen  doch  noch  einen  Brief  des  kleinen  Schönberg  über- 
senden, den  ich  neulich  erhielt,  der  menschlicher,  weniger  rhetorisch, 
obgleich  immerhin  noch  genug,  und  mit  wirklicher  Herzlichkeit  ge- 
schrieben ist.  Unmittelbar  vor  seiner  Abreise  kam  er  nämlich  zu  mir 
und  bat  sich,  wenn  ich  irgend  mit  ihm,  seiner  Richtimg  usw.  zufrieden 
sei,  zur  ,, Belohnung",  wie  er  sagte,  aus,  mir  seine  Doktordissertation^) 
widmen  zu  dürfen.  Ich  erteilte  ihm  diese  Belohnung,  und  so  hat  er  sie 
mir  denn  neulich  mit  dem  beiliegenden  Briefe  eingeschickt.  Sie  macht 
ihm  wirklich  alle  Ehre,  und  in  der  Widmung  spricht  sich  doch  minde- 
stens wirkliche  geistige  Unabhängigkeit  aus.  Denn  großen  Nutzen  in 
der  Karriere  wird  ihm  diese  Widmimg  gewiß  nicht  bringen.  Von  dem 
Rhetorischen  muß  man  viel  der  Jugend  zugute  halten,  welche  die 
Phrase  liebt.  Erst  die  Gedrungenheit  des  Mannes  verschmäht  sie. 

Nun  adieu.  ^^^  ^  ^^ 

133- 
LASSALDE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Aachen,   13.  September   1860.] 

Gute  Gräfin,  ich  empfange  Ihren  Brief  und  wiederhole  Ihnen  nur, 
damit  Sie  nicht  erst  in  Köln  abzusteigen  brauchen,  daß  ich  Sie  sehn- 
süchtig hier  in  Aachen^)  erwarte,  wie  ich  das  schon  in  meinem  Letzten 
Ihnen  geschrieben.  Übrigens  ist  nicht  richtig,  wie  Sie  schreiben,  daß  ich 
Sie  mit  Briefen  warten  ließ.  F.  L. 

^)  Schönbergs  juristische  Dissertation  handelte:  De  adoptione  qualis  apud 
Romanos  fuerit. 

^)  Die  Gräfin  traf  in  Aachen  ein  einige  Tage  vor  der  Abreise  Sophies  von 
Sontzow  und  ihres  Vaters.  Sophie  berichtete  (deutsche  Ausgabe,  S.  5) :  ,,Er 
erwähnte  ihrer  oft  in  seinen  Gesprächen  mit  uns,  nannte  sie  , meine  mütter- 
hche  Freundin'  und  sprach  von  ihr  mit  tiefer  Ergebenheit  und  Zärthchkeit.  Wir 
machten  ihre  Bekanntschaft.  Es  war  eine  schon  alte,  aber  noch  imirer  schöne 
Frau,  die  unbestreitbar  Züge  von  Schönheit  konserviert  hatte.  Von  majestätischer 
Gestalt,  unabhängig,  gründlich  gebildet,  was  bei  den  Frauen  der  vornehmen 
deutschen  Kreise  nicht  allzu  häufig  ist,  gehörte  sie  ohne  Frage  zu  den  Ausnahme- 
naturen." Am  26.  September  schrieb  Lassalle  an  Sophie  von  Sontzow,  die  in- 
zwischen nach  Brüssel  gereist  war,  daß  er  am  27.  oder  28.  abfahren,  drei  Tsge  in 
Köln  bleiben  und  am  i .  Oktober  in  Berlin  sein  werde.  Hier  schrieb  er  dann  in  der 
ersten  Oktoberwoche  seine  berühmte  Seelenbeichte.  Vgl.  a.  a.  O.,  S.  30.  Von  den 
Briefen  Sophies  von  Sontzow  an  Lassalle  hat  sich  im  Nachlaß  keiner  vorgefunden. 


278 


134- 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  IvASSALIvE.  (Original.) 

Zürich,   II.  Januar   1862. i) 

.  .  .  Da  Sie  so  sehr  wünschen,  daß  ich  nicht  nach  Berlin  komme,  so 
werde  ich  es  so  lange  verschieben,  als  ich  nur  eben  kann,  wenn  Sie  die 
Gefälligkeit  haben  wollen,  mir  einige  Besorgungen  und  Einrichtungen 
über  die  ich  Ihnen  eine  lyiste  schicken  werde,  zu  machen  oder  machen 
zu  lassen.  Hier  werde  ich  doch  nicht  mehr  lange  bleiben  können;  wo 
ich  dann  fürs  erste  hingehe,  um  nicht  nach  Berlin  zu  gehen,  weiß  ich 
noch  nicht,  vielleicht  etwas  nach  Heidelberg,  um  einen  Arzt  zu  konsul- 
tieren. Ich  werde  Sie  auch  bitten,  mir  einige  Fragen  von  Frerichs^)  bald 
beantworten  zu  lassen.  Rüstow^)  hat  Ihren  Brief  erhalten,  und  er  sowie 
Herwegh*)  waren  sehr  erstaunt,  daß  ich  von  den  Grüßen  ausge- 
schlossen war,  so  wie  Rüstow  schon  Ihr  Abschied  oder  vielmehr  Nicht- 
abschied  von  mir  aufgefallen  war.  Mir  scheint,  daß  ein  solches  Zur- 
schautragen  des  Bruches  (in  diesem  Grad)  eines  derartigen  und  so 
langen  Freundschaftsverhältnisses  weder  Ihrer  noch  meiner  würdig 
ist.  Meinerseits  wird  dies  auch  nicht  geschehen.  Es  kann  niemand 
glauben,  daß  man  in  fünfzehn  Jahren  nicht  den  Gehalt  eines  Menschen 
erkannt  hat  und  eine  feste  Meinung  über  ihn  erlangt  hat.  Machiavell 
selbst  wäre  einer  so  langen  und  unter  solchen  Verhältnissen  festge- 
haltenen Verstellung  ganz  unfähig.  Es  hat  jeder  Fehler  im  täglichen 
Leben  —  und  machen  Sie  vielleicht  darin  eine  Ausnahme?  — ,  die  das 
immerwährende  oder  zu  häufige  Beisammensein  erschweren  imd 
modifizieren  können.  Allein  die  Anerkennung  des  ganzen  Menschen 
kann  es  oder  sollte  es  nicht  aufheben,  und  Ihr  jetziges  öffentliches 
Benehmen  gegen  mich  beweist  das  direkte  Gegenteil.  Ich  will  hier  gar 


^)  Aus  dem  Jahre  1861,  das  Lassalle  und  die  Gräfin  ganz  an  den  gleichen 
Orten  verlebten,  lagen  keine  Briefe  vor.  In  den  Frühling  dieses  Jahres  fiel 
Karl  Marx'  Besuch  in  Berlin;  im  Juli  traten  Lassalle  und  die  Gräfin  ihre  große 
Reise  nach  der  Schweiz  und  dann  nach  Italien  an.  Mitte  November  waren  sie 
auf  Caprera  bei  Garibaldi.  Über  den  vorübergehenden  Bruch,  zu  dem  es  gegen 
das  Ende  dieser  Reise  zwischen  den  Freunden  kam  und  seine  Ursachen  vgl. 
oben  die  Einführung,  S.  25f. 

2)  Friedrich  Theodor  Frerichs  (18 19 — 1885),  Professor  der  inneren  Medizin 
an  der  Berliner  Universität. 

^)  Über  Wilhelm  Rüstow  und  seine  Beziehungen  zu  Lassalle  vmd  zur  Gräfin 
Hatzfeldt  vgl.  oben  die  Einführung,  S.  25  ff. 

*)  Für  Lassalles  Beziehungen  zu  dem  Dichter  Georg  Herwegh  vgl.  die  Ein- 
führung zu  Bd.  II,  S.  26.  Lassalles  Briefe  an  Herwegh  hat  dessen  Sohn  Marcel  1895 
in  Zürich  erscheinen  lassen,  Herweghs  Briefe  an  Lassalle  fanden  sich  in  Lassalles 
Nachlaß.   Einige  wurden  in  Bd.  II  abgedruckt,  andere  wird  noch  Bd.  V  bringen. 


=  279  = 

nicht  von  unsrem  Bruch  und  dessen  Ursachen  reden;  außer  den  Miß- 
handlungen, die  diesmal  gar  zu  heftig  und  rücksichtslos  waren,  haben 
Sie  vorzüglich  mir  Dinge  gesagt  ganz  andrer  Art,  als  es  bis  jc;tzt  in 
Ihren  Wutausbrüchen  geschah.  Sie  reichten  so  weit,  tief  und  klar  und 
s  pe  z  i  e  1 1  in  die  Vergangenheit  zurück,  daß  sie  das  Gepräge  der  v'ölligen 
Wahrheit  trugen,  so  daß  seit  Jahren  Personen,  die  nicht  wert  waren, 
mir  die  Schuhriemen  aufzulösen,  andre  wie  (Fräulein  Sontzow),  denen 
ich  nur  freundliches  erwiesen,  in  einer  Weise  zu  Ihnen  von  mir  sprechen 
durften,  wie  ich  es  jetzt  wie  nie  von  irgend  jemand,  der  mir  noch  so 
nahe  stände,  dulden  würde.  Dies  alles  hat  mich  in  eine  Stellung  ver- 
setzt, wo  ich  nur  schweigen  kann,  und  ich  wünsche  nicht  einmal, 
daß  Sie  mir  jetzt  auf  dies  wenige  antworten.  Vielleicht  kommt  später 
in  unsrem  Leben  ein  Augenblick  dazu. 

Ich  wollte  Ihnen  nur  noch  sagen,  daß  außer  in  vorübergehenden 
Momenten  des  hervorgerufenen  Zornes  ich  nichts  als  die  wahrste 
Freundschaft  für  Sie  habe  und  mich  nur  Ihrer  großen  und  guten  Eigen- 
schaften erinnere  und  daß  mich  nichts  an  der  Vergangenheit  irre  machen 
wird.  Daß  sich  niemand  mehr  freuen  wird,  zu  hören,  daß  Sie  glücklich, 
sich  unterhalten  und  von  Freunden  umgeben  sind.  Daß  ich  stets  in 
meinem  Innern  Ihr  bester  Freund  bleiben  werde,  und  wenn  in  Ihrem 
Leben  Augenblicke  kommen,  wo  Sie  einen  solchen  nicht  bedürfen 
aber  wünschen,  so  erinnern  Sie  sich  meiner.  Ich  wünsche  nicht,  daß 
Sie  mir  auf  den  letzten  Teil  dieses  Briefes  irgend  etwas  antworten, 
wenn  ich  auch  hoffe,  Nachricht  von  Ihnen  zu  erhalten. 

S.U. 

135- 

IvASSAlvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  nach   ii.  Januar   1862.] 

.  .  .^)  Daß  ich  Sie  nicht  grüßen  ließ,  bemängeln  Sie  mit  Unrecht  und 
mißverstehen  es.  Abgesehen  davon,  daß  ich  Sie  nicht  grüßen  lassen 
kann,  lag  gerade  in  dem  Nichtgrüßen  eine  größere  Diskretion.  Denn 
unsere  Beziehungen  von  früher  würden  viel  mehr  erfordern,  daß  ich 
Sie  nicht  grüßen  lasse,  sondern  Ihnen  selbständig  direkt  schreibe. 
Gerade  Gruß  wäre  auffälhg.  Indem  ich  keinen  beifügte,  ließ  ich  Ihnen 
gerade  dadurch  die  Möglichkeit,  indirekt  und  in  der  leichtesten  Weise 
den  Schein  zu  erregen,  als  schriebe  ich  Ihnen  direkt  und  besonders. 
Auf  die  Andeutungen,  die  Sie  auf  das  Recht  und  Unrecht  bei  unserem 

^)  Hier  geht  eine  ausführliche  geschäftliche  Abrechnung  voraus.  Vgl.  dazu 
unten  Nr.  136. 


====^=  280  ======^======== 

Bruch  usw.  fallen  lassen,  werde  ich  mit  keiner  Silbe  antworten.  Ich  habe 
Ihnen  bereits  in  Zürich  erklärt,  daß  ich  jedes  Aussprechen  darüber  für 
völlig  überflüssig  finde,  war  dieser  Ansicht  schon  in  Genua  und  habe 
deshalb  seitdem  Ihren  stummen  Begleiter  gemacht. 

Die  Gründe  dieses  Schweigens  sind  sehr  klar.  Sie  bestehen  einfach 
in  der  —  Unwiderruflichkeit  meines  Entschlusses.  Nachdem  ich  einmal 
klar  und  entschieden  die  unwiderrufliche  Notwendigkeit  des  gänzlichen 
Abbruchs  jeder  persönlichen  Beziehung  zwischen  uns  eingesehen  —  wozu 
dann  noch  Ihnen  Ihre  Schuld  tmd  Ihr  Unrecht  entwickeln?  Tat  ich  das, 
so  hätten  doch  nur  zwei  Fälle  eintreten  können.  Entweder  Sie  hätten 
mit  Ihrer  gewöhnlichen  unwahren  und  uneinsichtigen  Sophistik,  die 
Sie  mir  stets  in  solchen  Unterredungen  bewiesen  haben,  sich  gegen 
jede  Einsicht  und  jedes  Anerkenntnis  der  wahren  Lage  der  Dinge  ge- 
stemmt —  und  dann  hätte  ich  mich  doch  nur  geärgert.  Oder  aber  es 
gelang  mir  durch  die  Macht  der  Wahrheit  wirkhch,  alle  Verdrehvmg  zu 
überwinden,  Sie  zu  erschüttern  und  zu  akkablieren,  zu  überzeugen  und 
moralisch  zu  zerschmettern.  Aber  was  gewann  ich  dabei?  Der  Fall 
wäre  mir  noch  unangenehmer  gewesen  als  der  erste.  Denn  ein  solcher 
Versuch  hat  nur  einen  Sinn,  wenn  man  im  Falle  der  Einsicht  und  Reue 
des  andern,  wie  dies  bei  früheren  Gesprächen  der  Fall  war,  sich  mit 
ihm  versöhnen  will.  Wenn  man  aber  auch  hiervon  die  Unmöglichkeit 
klar  erkannt  hat,  so  ist  es  nur  noch  grausam,  den  andern  durch  den  bis 
zur  Anerkennung  geführten  Nachweis  seiner  Schuld  akkablieren  zu 
wollen.  Zwar  diese  Grausamkeit  ist  strenge,  untadelhafte  Gerechtig- 
keit. Sie  ist  nur  Erschöpfung  des  ganzen  Rechts,  das  man  hat.  Aber 
ich  denke  in  bezug  auf  Sie  viel  zu  gutmütig,  um  mein  Recht  bis  zu 
dieser  Grenze  erschöpfen  zu  wollen.  Nachdem  ich  einmal  die  Unmög- 
lichkeit anerkannt,  mich  selbst  im  Falle  einer  momentanen  Reue  wieder 
zu  versöhnen  —  ist  es  mir  viel  lieber,  wenn  Sie  gar  keine  Reue  emp- 
finden; ist  es  mir  somit  viel  lieber,  wenn  Sie  sich  gar  nicht  im  Unrecht 
glauben,  sondern  dasselbe  sogar  innerlich  auf  mich  wälzen.  Sie  werden 
den  Verlust  meiner,  der  ohnehin  ein  hinreichend  großer  Verlust  für  Sie 
ist,  leichter  tragen,  wenn  Sie  ihn  mir  zur  Last  legen,  sofern  Sie  sich 
überhaupt  so  sehr  selbst  täuschen  können,  als  wenn  ich  Ihre  Einsicht 
zwinge,  sich  an  die  Brust  zu  schlagen  und  auszurufen:  mea  culpa,  mea 
culpa!  Man  öffnet  sich  nicht,  wie  ich  während  fünfzehn  Jahre  für  Sie 
getan  habe,  täglich  die  Eingeweide  für  einen  Menschen,  ohne,  wenn 
man  dazu  meine  Gemütsart  hat,  immer  ein  gewisses  Wohlwollen  für 
diesen  Menschen  zu  empfinden  und  ihn  möglichst  glücklich  zu  wün- 
schen! So  wünsche  ich  in  bezug  auf  vSie  durchaus  nicht,  Ihnen  den 
letzten  Halt  bei  diesem  Bruche  zu  entziehen,  die  Selbsttäuschimg  näm- 
lich, daß  Sie  ihn  unverschuldet  erleiden!  Für  mich  aber  genügt  mir 


r-  ==    281    

mein  eisernes  Gewissen!  Deshalb  also,  weil  keiner  der  beiden  Fälle,  die 
bei  einem  nochmaligen  Aussprechen  eintreten  können,  in  meiner  Ab- 
sicht liegen  kann,  habe  ich  mich  seit  Genua  nicht  mit  Ihnen  ausge- 
sprochen und  werde  es  nie! 

Sie  werden  allerdings  sehr  gut  tun,  wenn  vSic,  falls  irgend  möglich, 
Berlin  vermeiden.  Denn  ich  werde  mich  aus  keiner  Rücksicht  zu  einer 
Scheinfortsetzung  unserer  früheren  Beziehungen  verstehen.  —  Kom- 
missionen, die  Sie  mir  erteilen,  werde  ich  Ihnen,  sofern  ich  kann,  gern 
besorgen;  sollte  ich  es  nicht  können,  Ihnen  dies  anzeigen.  Ich  habe 
Ihnen  überhaupt  bei  unserer  Trennung  in  Zürich  gesagt,  daß  ich  Ihnen 
sachliche  Gefälligkeiten  jederzeit  gern  tun  werde  und  nur  persön- 
liche Beziehungen  zwischen  uns  unmöglich  sind. 


136. 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Zürich,   30.  Januar   1862. 

Ich  habe  Ihren  Brief  erhalten,  als  ich  sehr  krank  zu  Bette  lag,  und 
da  es,  wie  dieses  Frühjahr  in  Breslau,  eine  Art  gastrisches  Fieber  mit 
wütendem  Kopfschmerz  war  und  drohte,  wie  damals,  nervös  zu  werden, 
und  ich  andererseits  von  Ihrem  Brief  ganz  richtig  keine  sehr  wohltätige 
Nervenaufregung  voraussetzte,  so  mußte  ich  das  Lesen  einige  Tage 
und  das  Antworten  bis  jetzt  verschieben.  Das  geschäftliche  wegen 
Luise  Schlech  ^)  und  Friedrich  habe  ich  auf  beiliegende  Blätter  gesetzt. 
Luise  hat  noch  über  20  Rt.  zu  verrechnen  und  bitte  ich  sehr,  sie  zu 
veranlassen,  mir  darauf  spezifizierte  Berechnung  sofort  einzusenden. 
Die  Berechnung  mit  Friedrich  Hamels  ^)  erkenne  ich  natürlich  an  und 
wünsche,  daß  er  mir  über  diese  Posten  sämtliche  Quittungen  einsende. 
Er  hat  also  nach  dieser  Berechnung  von  Ihrem  Vater  für  meine 
Rechnung  nichts  erhalten,  was  ich  der  Ordnung  wegen  hier  gleich 
bemerke.  Ich  erkenne  ebenso  an,  daß  durch  die  von  Ihnen  auf  der  Reise 
und  an  Friedrich  Hamels  für  mich  gemachten  Auslagen  mit  den  jetzt 
mir  überschickten  117  Rt.  die  500  Rt.,  welche  ich  Ihnen  geborgthattc, 
mir  zurückgezahlt  sind.  Ich  muß  dabei  bemerken,  daß  die  Forderung 
Ihrerseits,  daß  ich  eine  Quittung  Ihnen  über  diese  Rückzahlung  aus- 
stellen soll,  eine  ebenso  lächerliche  als  beleidigende  ist,  die  Sie  keinem 
Menschen  unter  solchen  Umständen  außer  mir  zumuten  würden.  Sie 
würden  sich  dessen  schämen,  und  ich  glaube,  daß  grade  mir  gegenüber 

1)  Angestellte  der  Gräfin. 
^)  I^assalles  Diener. 


.=^===  282  

am  wenigsten  Ursache  ist,  eine  solche  zu  stellen.  Ich  schreibe  dies  auf 
das  Konto  so  vieler  absichtlicher  Beleidigungen  gegen  mich. 

Ebenso  wie  ich  auf  Ihren  ausdrücklichen  Willen  und  wiederholten 
Wunsch  nach  Berlin  gegen  meine  bessere  Überzeugung  gekommen  bin, 
ebenso  werde  ich  jetzt  auf  Ihren  Wunsch  möglichst  spät  dorthin  kom- 
men, solange  wie  ich  sehe,  daß  ich  alle  kleinen  aber  doch  notwendigen 
Geschäfte  dort  ohnedem  abmachen  kann,  ebenso  wenn  Sie  mir  eine 
schriftliche  Konsultation  von  Frerichs,  die  ich  sehr  nötig  habe,  ver- 
schaiTen.  Natürlich  wird  es  mir  nicht  möglich,  gar  nicht  mehr  hinzu- 
kommen. Ich  habe  jetzt  einmal  mein  Domizil  dorten  und  kann  es  weder 
gleich  verlegen,  noch  mich  ewig  umhertreiben.  Sie  bedrohen  mich, 
wenn  ich  hinkäme,  gar  keine  Rücksicht  auf  mich  zu  nehmen.  Ab- 
gesehen davon,  daß  mich  Drohungen  nie  von  dem,  was  ich  für  mein 
Recht  und  als  richtig  erkenne,  abschrecken  können,  so  haben  Sie  aller- 
dings darin  recht,  daß  ich  den  Trost  habe,  fest  überzeugt  zu  sein,  völlig 
unschuldig  an  Ihrem  mehr  als  unglaublichen  Benehmen  zu  sein,  ein 
Trost,  den  mir  keine  Deduktionen  jemals  rauben  könnten.  Zweitens  bin 
ich  ebenso  fest  überzeugt,  daß,  wenn  Sie  sich  jahrelang  ,,die  Eingeweide 
geöffnet  haben",  ich  meinerseits  alles  an  Freimdschaft,  Aufopferung, 
Sorgfalt  getan  und  sehr  gern  getan  habe,  was  irgend  in  meinen  Kräften 
stand  und  jedesmal,  wenn  sich  hierzu  nur  eine  Gelegenheit  bot.  Und  mit 
mir  sind  andere,  namentlich  Ihre  Eltern,  derselben  Ansicht.  Fehler  mag 
ich  haben,  die  das  intimere  lyeben  erschweren,  vorzüglich  bei  der  ganz 
verschiedenen  Richtung,  die  Sie  seit  einigen  Jahren  eingeschlagen. 
Wer  hat  solche  nicht?  Am  allerwenigsten  aber  dürften  Sie  es  wohl  von 
sich  behaupten  und  die  Nachsicht  mit  den  Fehlern  anderer  verweigern, 
die  vSie  selbst  so  sehr  bedürfen.  Um  aber  ein  solches  Benehmen,  wie  Sie 
es  seit  Wochen  rücksichtslos  gegen  mich  imd  sich  selbst  beobachtet 
haben,  zu  rechtfertigen,  wäre  absolut  nötig,  daß  man  eine  Infamie  er- 
fahren, welche  den  ganzen  Charakter  des  andren  der  völligen  Verach- 
tung preisgeben  muß.  Es  wäre  komplett  lächerlich  von  mir,  über  die 
Möglichkeit  einer  solchen  Annahme  nur  ein  Wort  zu  verlieren.  Und  Sie 
würden  keinem  Menschen  nur  mit  fünf  graden  Sinnen  glauben  machen 
können,  daß  Sie  während  fünfzehn  Jahren  in  den  schwierigsten  Lagen 
des  Lebens  sich  nicht  ein  festes  und  unumstößliches  Urteil  hatten 
über  meinen  Charakter  bilden  müssen  und  jetzt  erst  die  Augen  über 
meine  Schändlichkeit  öffnen  mußten. 

Wenn  es  nicht  so  sehr  traurig  wäre,  so  müßte  man  es  lächerlich  und 
wahnsinnig  nennen,  daß  solche  Sachen  und  Erörterungen  nur  vor- 
kommen können.  Wiesehr  und  tief  es  mir  wehe  tun  mag  —man  schneidet 
ein  solches  Stück  Leben  und  Herz  nicht  ab  ohne  tiefen  Schmerz,  was 
ich  gar  nicht  zu  stolz  bin  zu  leugnen,  denn  es  gereicht  mir  zur  Ehre  — so 


-  283  

haben  Sie  es  mir  doch  durch  das  Übermaß  und  die  Art  Ihrer  Schmä- 
hungen und  Beleidigungen  ganz  unmögHch  gemacht,  Schritte  zur  An- 
näherung zu  tun,  und  ich  muß  mich  begnügen,  Ihnen  in  meinem  Herzen 
zu  verzeihen,  Ihnen  zu  sagen,  daß  stets  die  Erinnerung  an  die  alte 
Freundschaft  mir  heilig  sein  wird,  daß  Sie  fest  überzeugt  sein  können, 
daß,  wie  Sie  auch  gegen  mich  selbst  öffentlich  handeln  mögen,  ich  es 
nie,  so  wenig  wie  früher,  dulden  [kann],  daß,  wer  es  auch  sei,  in  meiner 
Gegenwart  einen  Tadel  über  Sie  ausspreche.  Im  übrigen  haben  Sie 
mich  diesmal  gezwungen,  mich  nur  abwartend  zu  verhalten.  Wenn 
ich  nach  Berlin  kommen  sollte,  werde  ich  es  Ihnen  wissen  lassen,  und 
Sie  werden  dann  handeln,  wie  Sie  wollen,  wie  Sie  es  vor  sich  selbst 
rechtfertigen  können,  wie  Sie  es  Ihrer  und  meiner  und  der  Pietät 
gegen  die  Vergangenheit  für  würdig  erachten.  Was  die  sachlichen 
Gefälligkeiten  anbelangt,  die  Sie  mir  anbieten,  so  werde  ich  mich  natür- 
lich darauf  beschränken,  um  diejenigen  Kleinigkeiten  in  Berlin  zu 
bitten,  die  Ihrem  Zweck,  mich  möglichst  lange  fern  zu  halten,  ent- 
sprechen. 

Noch  eine  Frage.  Sie  haben  an  Frau  Herwegh  die  Rede  über  den 
Kassettenprozeß ^)  geschickt.  Dies  ist  mir  sehr  unangenehm,  was  ich 
ihr  auch  sagte  und  sie  vollständig  begriff.  Es  ist  mir  eine  wahre  Er- 
holung, mit  Leuten,  selbst  wenn  ich  sie  sehr  lieb  habe,  umzugehen,  die 
von  all  diesen  traurigen  Begebenheiten  nichts  oder  nur  im  allgemeinen 
wissen ;  es  erleichtert  mir  wesentlich,  selbst  nicht  so  viel  daran  zu  denken, 
und  es  wäre  wirklich  Zeit,  daß  ich  nicht  immer  daran  erinnert  werde. 
Dies  würde  leider  doch  nicht  hindern,  daß  Augenblicke  des  Erinnerns 
genug  [kommen]  und  auch  des  vertraulichen  Sprechens  darüber  mit 
Leuten,  die  mir  Freundschaft  bezeigen,  kommen.  Doch  wäre  es  mir 
lieb,  wenn  dies  nach  meiner  Wahl  und  augenblicklichen  Stimmung  ge- 
schähe. Meine  Frage  ist,  ob  Sie  es  auch  an  Rüstow  geschickt?  Ich  glaube 
es  zwar  nicht,  denn  mir  scheint,  daß  ich  an  Ihrer  Stelle  unter  den  Um- 
ständen zwischen  mir  und  ihm  und  vorzüglich  zwischen  mir  und  Ihnen 
jetzt  es  gewiß  nicht  getan  haben  würde,  ohne  Sie  zu  befragen,  es  Ihnen 
überlassen  haben  würde,  darin  zu  tun,  was  Ihnen  recht  sei.  Da  Sie 
indessen  formell  gewiß  unbestritten  dazu  das  Recht  hatten,  so  bitte  ich 
nur  um  eine  Antwort  darüber.  Leben  Sie  recht  wohl.  Durch  Ihren  Brief 
an  Rüstow^)  habe  ich  erfahren,  daß  Sie  wohl,  sich  gut  unterhalten  in 


^)  Vgl.  Lassalle  an  Herwegh,   ii.  Januar,  a.a.O.,  S.  24. 

2)  Die  große  Mehrzahl  der  Briefe  Lassalles  an  Rüstow  hat  sich  nicht  er- 
halten. In  Rüstows  Nachlaß,  den  seine  in  Frankreich  verheiratete  Tochter  be- 
sitzt, befinden  sich  keine  Briefe  Lassalles,  wie  Herrn  Generalleutnant  a.  D.Hans 
Rüstow  in  Göttingen,  der  so  freundlich  war,  Nachforschungen  anzustellen,  mit- 
geteilt wurde. 


================  284  ^===== 

jeder  Beziehung  und  eine  politische  Tätigkeit  gefunden  haben.  Es  hat 
mich  sehr  erfreut  und  glauben  Sie  sicher,  daß  niemand  mehr  innigen 
Anteil  auch  aus  der  Ferne  an  dem,  was  Sie  tun  und  erfahren,  nehmen 
wird  als  ich.  S  v  H 

.  .  .  Herwegh  läßt  Ihnen  sagen,  daß  er  den  Sickingen  an  Dingelstedt 
mit  einem  langen  Brief  geschickt,  aber  noch  keine  Antwort  erhalten.^) 


137- 

IvASSAIvIvB  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Berlin,  Anfang  Februar  1862.] 

.  .  .  Was  meine  Assisenrede  betrifft,  so  vergessen  Sie  pro  primo,  daß 
sie  noch  für  jedermann  öffentlich  im  Buchhandel  für  ^/^  Rt.  zu  haben 
ist.  —  Rüstow  sagte  mir  in  Zürich,  er  habe  sie  damals,  1848,  gelesen, 
das  nähere  aber  wieder  vergessen  und  bat  mich  deshalb,  sie  ihm  zu 
schicken,  was  ich  natürlich  tat,  gleichzeitig  auch  an  Herwegh  eine 
sendend.  Übrigens  kann  die  Rede  nur  auf  jedermann  ohne  Ausnahme 
die  günstigste  Wirkimg  für  Sie  machen,  und  hat  sie  auch  ganz  normal 
auf  Rüstow  gehabt,  wie  gewiß  nicht  minder  auf  Herweghs.  Das  Argument, 
daß  es  eine  Erholung  für  Sie  sei,  mit  Leuten  umzugehen,  die  von  all 
diesen  traurigen  Dingen  nichts  wissen,  paßt  deshalb  nicht  hierher,  weil 
doch  die  meisten  Leute  —  diese  wenigstens  —  ohnehin  etwas  von  den 
Dingen  wissen,  halb  und  schlecht  wissen  meistens,  und  es  daher  nur 
weit  besser  ist,  wenn  sie  es  gut  und  genau,  wie  es  aktenmäßig  steht,  er- 
fahren. Sie  selbst  haben  ja  deshalb  nicht  nötig,  mit  ihnen  über  diese 
Erinnerungen  zu  sprechen. 

Was  Ihre  anderweitigen  Bemerktmgen  betrifft,  so  habe  ich  nichts 
darauf  zu  erwidern.  Diese  gänzliche  Selbstverblendung,  der  totale 
Mangel  an  Gedächtnis,  der  völlige  Mangel  jeder  Selbstkritik  und  diese 
absolute  Selbsttäuschung,  die  in  Ihrem  Briefe  sich  aussprechen,  können 
mich  bei  Ihnen  nicht  mehr  in  Verwunderung  setzen.  Am  wenigsten  aber 
will  ich  sie  bekämpfen,  denn  sie  bilden,  wie  ich  Ihnen  schon  neulich 
sagte,  noch  die  mir  liebste  Stimmung,  in  der  ich  Sie  wissen  kann.  Ich 
habe  also  auch  meinen  kurzen  Bemerkungen  von  neulich  nichts  hinzu- 
zufügen. — 

1)  Dingelstedt  antwortete  am  2o.März  an  Herwegh.  Er  woUe  das  Stück  organisch 
zusammenziehen  und  es  vielleicht  im  nächsten  Herbst  spielen  lassen.  Vgl.  Lassalles 
Briefe  an  Herwegh,  a.  a.  O.,  S.  40,  46,  52.  Aber  auch  diese  Aufführung  kam  nicht 
zustande  Der  Dichter  und  Dramaturg  Franz  Dingelstedt  (18 14 — 1881)  war  von 
1857  bis  1867  Generalintendant  der  großherzoglichen  Hofbühne  in  Weimar. 


—  =  285  = 

Genug  davon! 

Wenn  Sie  in  meinem  Briefe  an  R[üstow]  gelesen,  daß  ich  ,,eine 
politische  Tätigkeit  gefunden"  und  mich  in  jeder  Beziehung  ,,gut  unter- 
halte", so  scheint  mir  eine  eigentümliche,  erweiternde  Auffassung 
meiner  Briefe  unterzulaufen,  welcher  die  Wirklichkeit  leider  wenig  ent- 
spricht! .  .  . 

F.  L. 

P.  S.  Wie  es  eine  ,, absichtliche  Beleidigung"  sein  soll,  wenn  man 
von  jemand,  der  die  verschiedenen  Darlehnsposten,  die  er  einem  gemacht 
hat,  in  alle  seine  Rechnungsbücher  eingetragen  hat,  bei  der  Ab- 
zahlung eine  Quittung  fordert,  um  eventuell  jeden  einstmaligen  Ver- 
dacht, als  hingen  jene  Darlehen  noch,  zu  beseitigen,  ist  mir  auch  neu. 
Doch  ist  der  Gegenstand  zu  unbedeutend,  um  darüber  Worte  zu  ver- 
lieren. 


138. 

SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  I.ASSAI.I.E.  (Original.) 

Zürich,  4.  März  1862. 

Es  ist  mir  so  peinlich,  Ihnen  in  der  Weise  zu  schreiben,  wie  ich  es 
jetzt  tim  muß,  daß  ich  mich  von  einem  Tag  zum  andren  nicht  dazu 
entschließen  konnte.  Auch  kann  ich  nur  denken  nach  dem,  wie  Sie  sich 
gegen  mich  benommen,  daß  Nachrichten  von  mir  Ihnen  wenig  Freude 
machen.  Auch  muß  ich  gestehen,  daß  ich  eine  Zeitlang  brauchte,  um 
den  Eindruck  zu  überwinden,  den  mir  Ihre  Schrif  tensendmigen  machten 
an  Frau  Emma^)  und  Rüstow.  Sie  wußten  sehr  wohl,  daß  es  mir  sehr 
unangenehm  sein  würde,  sehr  nachteilig  auf  meine  Laune  wirken  würde, 
zu  wissen,  daß  man  sich,  während  ich  sogar  anwesend,  mit  diesen 
traurigen  und  ekelhaften  Geschichten  beschäftigte;  denn  ich  hatte 
Ihnen  ja  wie  oft  gesagt,  daß  jede  Auffrischung  derselben  mich  in  Melan- 
chohe  brächte  und  ich  ganz  weit  am  liebsten  weggehen  möchte,  wo 
niemand  etwas  davon  wüßte  und  ich  nicht  daran  erinnert  werden 
könnte.  Solange  Energie  und  Handehi  nötig  war,  hielt  die  Kraft- 
anstrengung aufrecht,  jetzt  habe  ich  nur  noch  Ekel  dafür,  Trauer  für 
mein  ganzes  verlorenes  lyeben.  Sie  wußten  also  sehr  gut,  was  Sie  mir 
antaten,  und  diese  Absicht  war  nicht  schön,  und  wenn  Sie  meine  An- 
sichten darüber  noch  so  kindisch  und  ungerechtfertigt  finden,  so  ist 
es  doch  eine  Ansicht,  für  die  man  Schonung  haben  darf  und  daher 


1)  Zwischen  limma  Herwegh,  der  Gattin  des  Dichters,  und  der  Gräfin  bildete 
sich  eine  dauernde  Freundschaft  heraus. 


=  286  = 

auch  sollte.  Das  zweite  Envoi,  nachdem  ich  Ihnen  geschrieben,  daß 
es  mir  unlieb,  bewies  nur  klar  die  Absichtlichkeit.  Da  man  jedoch, 
obgleich  ich  es  nicht  finde,  sagen  könnte,  es  läge  in  Ihrem  formellen 
Recht,  so  enthalte  ich  mich  wohlweislich  jedes  Schattens  von  Vor- 
wurf und  mache  nur  die  Bemerkung,  daß  ich  eben  weiß,  daß  Sie  mir 
eine  Unannehmlichkeit  antun  wollten. 

Ich  habe  gleich  nach  Ihrer  Abreise  an  Herbertz^)  ausführlich  ge- 
schrieben, um  Nachricht  hierher  gebeten,  habe  aber  gar  keine  Antwort 
erhalten.  Haben  Sie  vielleicht  etwas  gehört?  Ich  reise  nun  am  4.  von 
hier  fort,  habe  ein  Rendezvous  mit  Paul  in  Straßburg  und  komme  dann 
nach  Berlin  auf  kurze  Zeit,  einige  Wochen,  um  meine  Angelegenheiten, 
Rechnungen  usw.  zu  ordnen  und  wieder  abzureisen.  Erstens  ist  dies 
überhaupt  notwendig,  daß  ich  alles  etwas  in  Ordnung  bringe,  zweitens 
ist  es  besser,  einige  Zeit  jetzt  nicht  hier  zu  sein  während  des  erwarteten 
evenements^)  im  Hause  von  R[üstow].  Es  ist  notwendig,  ihn  dabei  in 
keine  so  große  Verlegenheit  zu  setzen,  denn  er  würde  es  nicht  lassen 
können,  ebensoviel  zu  mir  zu  kommen  wie  jetzt,  imd  das  wäre  dann 
nicht  gut.  Ich  kann  mich  aber  auch  nicht  zwecklos  in  der  Welt  herum- 
treiben. Überdies  muß  ich  doch  nach  Berlin,  sonst  hätte  ich  Ihnen  wie 
mir  die  Zurschaustellung  so  trauriger  Verhältnisse,  die  Ihr  unbegreif- 
liches Verfahren  hervorruft,  erspart.  Ich  werde  also  wohl  zwischen  dem 
IG.  und  12.  März  in  Berlin  eintreffen.  Wollen  Sie  mich  besuchen,  so  weit 
es  die  äußere  Form  wenigstens  notwendig  macht,  so  wird  es  mich 
freuen,  weiter  kann  ich  in  dieser  Sache  nichts  mehr  sagen.  Nach  dem, 
wie  Sie  sich  gegen  mich  geäußert  und  benommen,  bin  ich  zu  tief  ge- 
kränkt. Und  abgesehen  davon,  was  ich  überwinden  könnte,  müßte  ich 
jede  Spur  von  Selbstachtung  bis  zur  Verächtlichkeit  verloren  haben, 
wenn  ich  jetzt  noch  darum  bitten  könnte.  Das  werden  Sie  wohl  ein- 
sehen, daß  alles  nur  noch  von  Ihnen  kommen  kann.  Wollen  Sie  aber 
entschieden  in  Ihrem  Benehmen  gegen  mich  verharren,  so  schreiben 
Sie  es  mir,  wenn  ich  da  bin,  in  meine  Wohnung  in  Berlin  durch  die 
Stadtpost.  Ich  werde  dann  noch  einige  Fragen  um  Auskunft  an  Sie  zu 
richten  haben.  lycben  Sie  wohl  und  glauben  Sie,  daß  trotz  allem  niemand 
sich  aufrichtiger  über  Ihr  Wohl  freuen  wird  als  ich,  niemand  Ihr  Schick- 
sal mit  mehr  Interesse  verfolgen  wird. 


^)  Der  Anwalt  der  Gräfin  in  Köln  Martin  August  Herbertz  (f  1884),  später 
Führer  der  dortigen  Nationalliberalen.  [Mitteilung  von  Herrn  Archivdirektor 
Dr.  Paul  Wentzcke  in  Düsseldorf.] 

-)  Frau  Rüstow  erwartete  ein  Kind. 


=======  28y  = 

139- 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

[Berlin]   Dienstag  [wohl   ii.Mürz   1862]. 

Auf  Ihren  letzten  Brief:  daß  ich  mit  Absicht  Ihnen  die  Kränkung 
zugefügt,  zweimal  Dinge  nach  Zürich  zu  schicken,  muß  ich  Ihnen  er- 
widern, daß  diese  Behauptung  Siech  arakteri  sie  rt.  Von  zwei  maligcm 
Senden  weiß  ich  überhaupt  nichts.  Ich  hatte  die  Reden  gleichzeitig 
an  Frau  Herwegh  und  an  Rüstow  geschickt,  ehe  ich  noch  wußte,  daß 
Sie  es  nicht  wünschen.  Soll  vielleicht  die  Patowsche  Stempeleingabe  das 
zweite  Dehkt  darstellen? ') 

Ich  habe  von  neuem  —  vor  ca.  acht  Tagen  —  um  Exekution  bei 
Urnen  zu  hindern  —  32  Rt.  für  Sie  zahlen  müssen,  in  Sachen  Ihrer 
Köchin.  Der  Prozeß  scheint  in  contumaciam  gegangen  zu  sein.  Anbei 
die  Quittung,  in  der  ich  den  Rekurs  gewahrt.  Aber  umsonst,  denn  ich 
ließ  die  Sache  durch  Hirsemenzel  auf  dem  Gericht  nachsehen.  Die 
Rekursfrist  war  schon  abgelaufen.  Ich  bitte  dringend  um  baldige  Über- 
mittlung dieses  Geldes  an  mich.  Denn  mein  Kassavorrat  besteht 
in  25  Rt. 

Ich  habe  keine  Veranlassung,  zu  Ihnen  zu  kommen.  Ich  habe  weder 
ein  Bedürfnis  dazu,  noch  dort  etwas  zu  suchen;  es  geht  gegen  meine 
Grimdsätze.  —  Wenn  Sie  mich  zu  sprechen  haben,  so  bleibt  Ihnen  un- 
benommen, zu  mir  zu  kommen.  Nicht  umgekehrt. 

F.  Lassalle. 

140. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Berlin  [etwa   12.  März   1862]. 

Ich  schicke  Ihnen  hierbei  31  T.  4  Sg.  für  die  Exekution.  Ich  bin 
gestern  angekommen  und  wollte  es  Ihnen  heute  sagen  lassen,  da  ich 

^)  Lassalle  hatte  im  Namen  der  Gräfin  am  12.  Januar  1860  an  das  Abgeordneten- 
haus wegen  eines  Stempels  von  3000  Rt.  reklamiert,  der  ihr  1854  bei  ihrer  Aus- 
einandersetzung mit  ihrem  Gatten  widerrechtlich  abgenommen  \vorden  war,  und 
das  Abgeordnetenhaus  hatte  am  1 1.  Februar  die  Angelegenheit  der  Staatsregierung 
,, zur  Abhilfe"  überwiesen.  Trotzdem  beschied  der  Finanzminister  von  Patow  die 
Beschwerde  abschlägig.  Lassalle  ließ  es  dabei  nicht  bewenden.  Er  verfaßte  jetzt 
eine  ,, Beschwerde  der  Gräfin  Hatzfeldt  über  widerrechtliche  Eigentumsverletzung", 
die  als  Manuskript  gedruckt  wurde.  Sie  ist  vom  2.  Januar  1S61  datiert.  Vgl. 
hierzu  F.  M[ehring],  Zwei  Schriftstücke  Lassalles  in  ,, Neue  Zeit",  XV,  i,S.2i8f. 
Mehring  blieb  der  Ausgang  dieser  Angelegenheit  unbekannt.  Aus  Lassalles  Brief 
an  die  Gräfin  vom  27.  September  1862  (siehe  unten  Nr.  148)  erfahren  wir,  daß  auch 
seinen  erneuten  Bemühungen  der  Erfolg  versagt  bliel). 


^:3^    288  = 

gestern  sehr  unwohl,  um  Ihnen  noch  einmal  zu  erklären,  daß  es  mich, 
falls  es  Ihnen  recht,  freuen  würde,  Sie  zu  sehen.  Daß  i  c  h  unter  bewandten 
Umständen  nicht  zu  Ihnen  kommen  kann  und  noch  dazu  zuerst,  daß 
Sie  diese  Unmöglichkeit  selbst  genau  eingesehen  haben,  als  Sie  mir 
jetzt  schrieben,  um  mir  diesen  Vorschlag  zu  machen,  ist  selbstredend. 
Wenn  Sie  nicht  einmal  die  Höflichkeit  eines  Besuches  für  mich  haben, 
so  ist  unsre  Verbindung  durch  Ihren  Willen  aufgelöst.  Ich  habe  Ihnen 
öfters  umsonst  zu  überlegen  gegeben,  ob  diese  Art  Ihrer  und  meiner 
würdig  sei.  Daß  es  mir  sehr  wehe  getan,  mich  überzeugen  zu  müssen, 
daß  nichts  in  der  Welt  Bestand  [hat],  sowie  daß  ich  die  Pietät  gegen  die 
Vergangenheit  gern  bewahrt  hätte,  hat  jeder  sich  überzeugen  können, 
der  mich  gesehen.  Ich  bin  aber  leider  außerstande,  irgend  etwas  zu 
ändern.  Jetzt  treten  die  politischen  Ereignisse  ein,^)  für  die  wir  so  lange 
zusammen  gelitten  imd  gekämpft  und  sie  so  oft  zusammen  herbei- 
gewünscht, und  wir  sind  jetzt  Feinde;  das  ist  wirklich  eine  Ironie  des 
Schicksals.  Das  heißt,  mein  Feind  sind  nur  Sie,  der  Ihrige  werde  ich 
nie  sein.  S_ 

141. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  I^ASSALLE.  (Original.) 

[Berlin]   11.  April  1862. 

Die  allerbesten  Wünsche  zum  heutigen  Tage.  Mögen  Sie  heute  wie 
immer  so  glücklich  und  heiter  und  umgeben  von  wahren  Freunden  sein, 
wie  ich  es  Ihnen  aus  ganzem  Herzen  wünsche,  Sophie. 

Rüstow  schreibt  ganz  wütend  über  die  Verzögerung  wegen  seiner 
Broschüre; 2)  er  sagt,  er  habe  Jancke  geschrieben,  er  sei  ein  ganz  ge- 
meiner Kerl,  wenn  er  nicht  sofort  drucke,  was  nun  wohl  keinen  be- 
sondren Eindruck  machen  [wird],  da  der  Mann  das  gewiß  allein  schon 
längst  weiß. 

142. 
IvASSAI.IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag  [Berlin,    11.  April  1862]. 

Ich  danke  Ihnen  für  Ihren  Gratulationsbrief.  Hat  er  mich  auch 
nicht,  wie  Sie  voraussetzen,  umgeben  von  wahren  Freimden,  deren  ich 
nicht  habe,  und  überhaupt  nicht  umgeben  von  Freunden  gefunden  ■ — 


Der  preußische  Verfassungskonflikt  näherte  sich  seinem  Höhepunkt. 

W.  Rüstow :   ,,Das  preußische  Militärbudget  von  1862"  erschien  am  17.  April. 


289  ^= 

heut  mittag  essen  zwei  Bekannte  bei  mir,  das  ist  die  ganze  „Umgebung" 
Ziegler ^)  und  Bücher^)  — ,  so  traf  er  mich  doch  in  jener  kalten  und 
ruhigen  Einsamkeit,  auf  die  sich  schließlich  alles  reduziert  und  aus  der 
jeder  stärkere  Mensch  sich  eine  Art  von  Zufriedenheit  zu  machen  wissen 
muß.  — 

Rüstow  hat  unrecht,  wegen  Beschleunigung  zu  schimpfen.  Ich  be- 
komme jetzt  jeden  Tag  einen  Korrekturbogen,  und  das  ist  sehr  viel. 

In  der  Kölner  Sache  möchte  ich  Ihnen  raten,  den  Plan  von  Herbertz, 
dessen  Brief  anbei  zurückfolgt,  nicht  unbesehen  zu  verwerfen.  Auch 
mir  scheint  es  das  beste,  wenn  Sie  nach  Köln  gehen  und  sich  dort  acht 
bis  vierzehn  Tage  um  die  Sache  bekümmern  .  .  .  Die  Akten  von  Herbertz 
will  ich  Ihnen  heraussuchen,  kann  aber,  da  ich  diese  Woche  zwei  öffent- 
liche Vorträge 2)  halten  will,  in  Arbeiter-  und  Bürgervereinen  am  12. 
(morgen)  und  am  16.  und  letzterer  erst  gearbeitet  sein  will,  auch  Rüstows 
und  meine  Korrektur  sowie  die  Beendigmig  meines  Julians^)  mir  noch 
auf  dem  Halse  liegen,  erst  am  18.  oder  19.  dazu  kommen,  es  heraus- 
zusuchen. Muß  es  aber  sein,  so  geht  es  auch  früher. 

'A  propos:  Können  Sie  mir  —  und  konveniert  es  Ihnen  —  mir  eine 
Quantität  Rauenthaler  abzulassen?  Ich  bin  mit  meinem  am  Ende. 

Bitte  eine  Antwort  hierüber. 

Wenn  beabsichtigen  Sie  nach  Köhi  zu  gehen?  Drängen  vSie  in 
Köln  vor  allem  auf  Beendigung  Ihres  Prozesses. 

F.  I^assalle. 


143- 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  IvASSALI^E.  (Original.) 

[Berlin,  Ende  April   1862.] 

,  .  .  Tausend  Dank  für  Ihr  Buch,  was  ich  soeben  erhalte.  Ich  hatte 
schon  davon  gehört  und  freue  mich  recht,  es  zu  lesen.  Ihren  ,,Heraklit" 
und  Ihre  ,, Erworbenen  Rechte"  besitze  ich  bis  jetzt  nicht.  Haben  Sie 


1)  Für  Lassalles  Beziehungen  zu  Franz  Ziegler  (1803 — 1876)  und  Lothar 
Bucher  (1817 — 1892)  sei  vorläufig  verwiesen  auf  Bd.  II,  Einführung  S.  28.  Zahl- 
reiche Briefe  Zieglers  und  eine  Anzahl  der  Briefe  Buchers  an  LassaUe  befinden  sich 
im  Nachlaß.  Eine  Reihe  davon  wird  in  Bd.  V  gedruckt  werden.  Vgl.  auch  Oncken, 
Lassalle,  S.  243  fi".,  für  Lassalle  und  Ziegler  ferner  Gustav  Mayers  Besprechung  der 
Onckenschen  Biographie,  2.  Aufl.,  in  ,, Zeitschrift  für  Politik",  Bd.  VI,  S.  680. 

2)  Die  Reden:  ,,Über  den  Zusammenhang  der  gegenwärtigen  Geschichts- 
periode mit  der  Idee  des  Arbeiterstandes"  und  ,,Über  Verfassungswesen". 

3)  Ende  April  erschien  die  bekanntlich  mit  Hilfe  Lothar  Buchers  verfaßte 
Schrift:  Herr  Julian  Schmidt,  der  Literarhistoriker,  mit  vSetzerscholien  heraus- 
gegeben von  Ferdinand  Lassalle. 

Mayer,  Lassallc-Nachlass      IV  iq 


"-        '-   -   ---  -  290  - 

Goethe,  Schiller  usw.  aufgegeben?^)  Hierbei  die  „Demokratischen 
Studien"  und  eine  Broschüre,  die  in  meinem  Koffer  in  Frankfurt 
geblieben  waren.  Was  den  Schiller  anbetrifft,  so  läßt  Ihnen  Anna  sagen, 
daß  Sie  sich  wohl  erinnern  würden,  daß  in  Zürich  alle  Ihre  Bücher 
auf  Ihr  Verlangen  ausgesucht  und  in  Ihre  Koffer  gepackt  wurden. 

Ich  habe  gehört,  daß  in  dieser  Kammersession  nur  das  Budget 
ordinarium  spezifiziert  vorgelegt  werden  soll,  kein  Extra-ordinarium 
verlangt  werden;  man  will  sich  bis  zum  Winter  ohne  dem  behelfen,  die 
Militärangelegenheit  gar  nicht  diesmal  berührt  werden  soll  und  die 
Vorladung  bis  zum  Winter  vertagt  werden.  Man  hofft,  daß  dann  die 
Aufregung  sich  gelegt  und  das  Ministerium  wird  bleiben  können.  Haben 
Sie  Aufträge  nach  dem  Rhein  oder  Zürich?  Ich  denke,  wahrscheinlich 
am  Dienstag  abend  abzureisen. 

vS.  H. 

144. 
IvASSAlvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  Ende  April    1862.] 

Allerdings,  wenn  Sie  nach  Zürich  gehen  und  von  da  ins  Bad,  so  würde 
ich,  bei  so  langer  Abwesenheit,  jedenfalls  über  Köln  und  mit  Stetter 
sprechen. 

Mein  Julian,  von  dem  ich  gestern  die  ersten  Exemplare  verschickt, 
erregt  bereits  großenjubel.  Schon  ist  von  Böckh  ein  beifallklatschender 
Brief  eingetroffen,  und  Stahr  rennt  'rum  wie  verrückt  vor  Entzücken  und 
hat  bereits  ein  Gedicht  drauf  gemacht.  Ich  bin  hier  in  einer  entsetzlichen 
I^aune,  die  schwer  zu  beschreiben  wäre.  Der  Geldverlust^)  hat  grade 
in  dieser  Stimmung  auch  nicht  den  allergeringsten  Eindruck  auf  mich 
gemacht.  Er  wäre  mir  absolut  einerlei  und  wenn  er  das  dreifache  wäre. 

Habe  ich  Ihnen  mitgeteilt,  daß  ich  am  12.  des  Monats  zum  ersten 
Mal  in  einem  hiesigen  Arbeiterverein  (nicht  dem,  wo  Duncker  ist)  einen 
großen  Vortrag  gehalten?  Nicht  nur  mit  rasendem  Erfolg,  sondern  ich 
habe  meinen  Boden  hier  erobert  damit.  Einen  anderen  Vortrag  neulich 

1)  Lassalle  hatte  beabsichtigt,  eine  Literaturgeschichte  des  deutschen  acht- 
zehnten Jahrhunderts  ,,vom  kulturhistorischen  Standpunkt  aus"  zu  verfassen. 
So  schrieb  er  u.  a.  am  i.  Januar  1860  an  Adolf  Stahr. 

2)  In  ihrem  Brief,  auf  den  Lassalle  hier  antwortet  (siehe  oben  Nr.  143)  hatte 
die  Gräfin  zu  Anfang  einige  geschäftliche  Mitteilungen  gemacht.  Darunter  hieß 
es:  ,,Sehr  betrübt  hat  mich  die  Nachricht,  daß  Sie  wieder  spekuliert  und  un- 
glücklich spekuliert  haben,  mir  scheint,  es  war  in  diesem  Augenblick  keine  Zeit 
zum  Spekulieren.  Ich  habe  auch  an  der  Germania  wieder  verloren,  es  scheint, 
in  Geldsachen  haben  wir  beide  kein  Glück." 


^  291  — 

mit  nicht  geringerem  Beifall  in  einem  Bürger-Bezirksverein.  Nächsten 
Sonnabend  lese  ich  denselben  im  Arbeiterverein.  Wahrscheinlich  lasse 
ich  beide  drucken,  obwohl  der  Arbeitervortrag  sehr  böses  Blut  unter  der 
Bourgeoisie  machen  wird.  Alles  das  ist  Vorarbeit  für  später,  später, 
später!!!  Am  Fichtefest,  das  die  Philosophische  Gesellschaft  gibt  und 
das,  wie  es  scheint,  sehr  großartig  wird  (19.  Mai),  soll  ich  — was  aber 
verschwiegen  bleiben  muß  —  ihren  Redner  machen.^)  Darüber  arbeite 
ich  wie  verrückt,  d.  h.  am  Manuskript.  Sowie  das  vorbei,  werde  ich  mich 
an  und  in  die  Nationalökonomie,  die  ich  machen  will,  stürzen.  Wenn  ich 
mich  nicht  mit  beständigen  Arbeiten  betäubte,  ginge  ich,  glaube  ich, 
vor  Ekel  unter! 

vSie  haben  recht,  daß  Sie  nach  Zürich  gehen.  Amüsieren  Sie  sich  dort 
möglichst,  ich  wollte  Ihnen  die  Juliane  mitgeben,  habe  sie  aber  schon 
direkt  expediert.  Bernays  ^)  war  neulich  bei  Ihnen,  traf  Sie  aber  nicht. 
Jetzt  ist  er  schon  in  der  Klinik  und  läßt  sich  das  Auge  exstirpieren. 

Viele  Grüße  in  Zürich  an  Rüstow  und  Herwegh. 

Mitte  oder  Ende  Juli  komme  ich  vielleicht  auch  nach  der  Schweiz. 
Vielleicht  begleitet  mich  Bucher  oder  Ziegler.  Es  ist  viel  wärmer  in  den 
Gletscherfeldem  als  hier.  Viel  Amüsement.  ^ 

NB.  Ich  wünsche  bei  Ihrer  Abreise  den  großen  Tisch  zurück,  den 
Sie  von  mir  haben.  Geben  Sie  doch  Befehl  hierzu. 


145- 
SOPHIE  VON  HATZFEIyDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

[Bei  Zürich]    11.  Juni   1862. 

Ihr  Julian  Schmidt  hatte  mich  so  erfreut,  daß  ich  schon  längst  an- 
gefangen hatte,  Ihnen  zu  schreiben.  Indessen  bin  ich  seit  der  Zeit  recht 
krank  gewesen,  noch  immer  unwohl,  d.  h.  seit  Berlin  nicht  mehr  wohl 
gewesen,  außerdem  noch  eine  Quetschung  am  Fuß,  die  mich  viel  leiden 
macht,  und  dann  ein  Umzug  aufs  Land,  wo  ich  jetzt  wohne.  Dies  alles 
hätte  mich  nun  zwar  nicht  abgehalten,  den  Brief  abzuschicken,  aber  Sie 
zögerten  so  lange,  auf  meinen  Brief  von  Köln  zu  antworten,  schickten 

^)  In  der  Tat  hielt  Lassalle  hier  zu  des  Philosophen  hundertstem  Geburtstag 
die  Festrede.  Er  betitelte  sie:  ,,Die  Philosophie  Fichtes  und  die  Bedeutung  des 
deutschen  Volksgeistes."  Vgl.  dazu  Gustav  Mayer,  Lassalle  und  die  Fichte-Feier 
der  BerUner   Philosophischen  Gesellschaft  in  Grünbergs  Archiv  Bd.  I,   S.  176  ff 

2)  Den  deutschamerikanischen  Journalisten  Karl  Ludwig  Bernays  (181 5 — 1879) 
hatte  Lassalle  noch  vor  kurzem  für  die  Tageszeitung,  die  er  bei  Brockhaus  er- 
scheinen lassen  wollte,  zu  interessieren  gesucht.  Vermutlich  meint  er  hier  ihn. 
Vgl.  Lassalle  an  Herwegh,   1 1.  Januar  1862,  a.  a.  O.,  S.  25  f. 


— ^  292  - 

mir  Ihre  Broschüren  ohne  Brief,  so  daß  ich  nicht  wußte,  ob  ich  es  tun 
sollte.  Zuerst  will  ich  Ihnen  meine  wirkliche  Freude  über  Ihre  letzten 
drei  Arbeiten  sagen.  Sie  wissen,  wie  oft  ich  Ihnen  früher  gesagt,  wie  es 
mir  lieb  sein  würde,  wenn  Sie  nun,  jetzt,  nachdem  Sie  wirklich  für  jetzt 
genug  für  die  eigentliche  Wissenschaft  mit  Ihren  beiden  großen  Werken 
getan,  sich  darauf  verlegten,  kleinere,  aller  Welt  mehr  zugängliche,  die 
Fragen  der  Zeit  behandelnde  Schriften  in  die  Welt  zu  schicken,  die  wie 
Taten  gleich  zünden.  Julian  Schmidt  ist  vöüig  vernichtet,  selbst  bei 
denen,  wo  kein  noch  so  klar  durchgeführtes  Urteil  über  ihn  geholfen 
hätte,  durch  den  Nachweis  seiner  völligen  Ignoranz.  Und  wie  klein  der 
Mensch,  so  ist  die  Tat  eine  große  und  nachhaltige,  denn  sein  Einfluß  war 
ein  großer  und  schlimmer.  Außerdem  hat  mich  das  Buch  herrlich  amü- 
siert; und  es  ist  nicht  zu  verachten,  daß  man  die  große  Menge,  um  sie  zu 
belehren,  auch  unterhalten  muß.  Ihre  Verfassungsrede  ist  das  beste, 
was  ich  in  dieser  Art  und  zu  diesem  Zweck  gelesen.  Die  Auffassung  des 
Wesens  einer  Verfassung  überhaupt  (die  Diskussion  über  eine  spezielle 
mehr  weniger  schlecht  oder  gute  wäre  nichtssagend)  ^)  herrlich,  die 
Durchführung  und  Sprache  ebenso  faßlich  und  klar  für  jeden  als  schön. 
Ihre  Fichterede  hat  mich  doppelt  gefreut  für  Sie  und  für  mich,  da  ich 
am  ersten  Teil  gesehen,  daß  ich  nicht  ganz  meine  philosophischen  Stu- 
dien vergessen.  Daß  dieser  erste  Teil  aber  etwas  Perlen  vor  die  Säue 
sein  würde  in  der  Gesellschaf  t,  worin  Sie  sie  gehalten,  wußten  Sie  gewiß 
im  voraus. 

Ich  schicke  hierbei  den  Brief  von  Pückler  zurück.  Rüstow  teilte  mir 
mit,  daß  Sie  ihm  geschrieben,  Hiersemenzel  habe  sich  wieder  so  schlecht 
gegen  Sie  benommen.  Es  wundert  mich  nicht;  Sie  wissen,  daß  ich  es 
öfter  gesagt,  er  sei  IhrFreimd  nicht.  Alle  diese  I^eute  in  Berlin,  mit  Aus- 
nahme von  Scherenberg  und  Ihrem  Vetter,  haben  mir,  glaube  ich,  mit 
Recht  nie  gefallen.  Sie  essen  Ihre  Diners,  schmeicheln  Ihnen,  um  Sie 
desto  besser  hinterrücks  zu  verleumden ;  ich  habe  mich  nie  heimlich  und 
angenehm  mit  ihnen  gefühlt.  Wenn  Sie  mir  schreiben,  sagen  Sie  mir, 
bitte,  was  Hiersemenzel  gegen  Sie  getan,  es  wäre  mir  doch  lieb,  zu  wissen 
in  möglich  vorkommenden  Fällen.  Ich  wohne  jetzt,  wie  schon  gesagt,  auf 
dem  Lande  nahe  bei  Zürich  zusammen  mit  Frau  Anneke^)  und  der 
Indianerin,^)  die  beide  eine  große  L/iebe  zu  mir  gefaßt  haben  und  mir  auch 

^)  Hier  vergißt  die  Gräfin,  die  Klammer  zu  schließen. 

2)  Mathilde  Anneke  war  die  Frau  des  ehemaligen  preußischen  Artillerieleutnants 
Anneke,  der  1847  wegen  angeblicher  kommunistischer  Gesinnungen  aus  dem 
preußischen  Heer  ausgestoßen  worden  war  und  dann  in  der  rheinischen  Revolution 
und  am  badischen  Aufstand  an  sichtbarer  Stelle  teilgenommen  hatte. 

^)  Mary  Booth,  eine  junge  amerikanische  Dichterin.  Gedichte  von  ihr,  auch  ein 
absichtlich  in  deutsch-englischem  Kauderwelsch  geschriebener  Brief  an  Lassalle, 
befinden  .sich  im  Nachlaß. 


— =  293 

sehr  lieb  sind  ;  nur  1iin  ich  fortwährend  unwohl.  Über  die  Vorladung  von 
Ivudmilla,  d.  h.  über  die  Enthüllung  ihres  Verbrechens,  einund vierzig 
Jahre  alt  zu  sein,  haben  wir  sehr  gelacht,  sie  ist  noch  in  Florenz  und 
schreibt  noch  nichts  davon,  zurückzukommen.  Ich  muß  gestehen,  daß 
ich  die  Tagebücher^)  an  und  für  sich  nicht  das  finde,  was  man  hätte 
erwarten  können,  aber  sie  kommen  dennoch  sehr  zu  rechter  Zeit. 
Sie  haben  sehr  recht,  nicht,  wie  mir  Rüstow  sagt,  den  Sommer  in  dem 
abscheulichen  Berlin  sitzen  zu  bleiben.  Leben  Sie  recht  wohl,  möge  es 
Ihnen  in  jeder  Weise  so  gut  und  so  angenehm  gehen,  wie  ich  es  Ihnen 
wünsche. 

S.  H. 
Meine  Adresse  ist  nach  Zürich  wie  früher. 


146. 
I.ASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,  22.  Juni  1862. 

.  .  .2)  Daß  Ihnen  meine  letzten  drei  Produktionen  so  gefallen  haben, 
freut  mich,  denn  ich  habe  immer  Wert  auf  Ihr  Urteil  gelegt.  Auch  haben 
sie  eingeschlagen  wie  alle  Wetter,  d.  h.  für  deutsche  Verhältnisse.  Die 
Verfassungsbroschüre  ^)  hat  hier  große  Polemiken  in  der  ministeriellen 
Zeitung,  ,, Kreuzzeitimg",  , .Magdeburger  Zeitung",  ,, Reform"  usw. 
hervorgerufen.  Beihegend  sende  ich  Ihnen  eine  vierte  Produktion,  die 
gestern  die  Presse  verlassen  hat  und  Ihnen,  wie  ich  denke,  eher  mehr 
als  weniger  gefallen  soll,  mein  Vortrag  in  einem  hiesigen  Arbeiterverein.^) 
Die  Bourgeoisie  wird  Mord  und  Tod  schreien.  Bei  alledem  sind  und 
bleiben  die  hiesigen  Verhältnisse  erstaunlich  langweilig;  und  wäre  es 
nicht  ein  innerer  Zwang  meiner  Seele,  mich  um  die  Praxis  der  Idee, 
d.  h.  also  die  Politik  zu  bekümmern,  ich  hätte  mich  lange  in  die  reine 
Wissenschaft  geflüchtet. 

Daß  Sie  gute  Fremidinnen  gefunden  haben,  mit  denen  Sie  zusammen 
wohnen,  ist  mir  lieb  zu  hören.  Einsamkeit  ist  langweihg,  wenn  man  nicht 
fortwährend  büffelt. 


^)  Ludmilla  Assing  hatte  vor  kurzem  die  ersten  sechs  Bände  der  Tagebücher 
ihres  Onkels  Varnhagen  von  Unse  erscheinen  lassen. 

2)  Voraus  gehen  Mitteilungen  über  die  Geschäfte  der  Gräfin  in  Köln,  deren 
Lassalle  sich  auch  jetzt  noch  annahm. 

^)   ,,Über  Verfassungswesen"  erschien  bei  G.  Jansen  in  Berlin. 

*)  Das  Arbeiterprogramm  (wie  Lassalle  seinen  Vortrag  vom  12.  April  nach- 
träghch  nannte)  erschien  bei  Karl  Nöhring  in  Berlin. 


=-  294  —  

Hiersemenzels  Schweinereien  Ihnen  briefhch  zu  erzählen,  wäre  viel 
zu  lang  und  ennuyant!  Mündlich,  wenn  ich  Sie  in  der  Schweiz  sehe,  kann 
ich  das  tun.  Einstweilen  haben  Sie  ja  an  dem  Resultat  genug,  zumal 
wenn  Sie  meine  Langmut  erwägen,  über  die  Sie  mich  so  oft  abgekanzelt 
haben.  Sie  können  daraus  den  Schluß  machen,  daß  er's  diesmal  sehr  arg 
getrieben  hat.^)  Und  bei  diesem  Schluß  werden  Sie  nicht  irre  gehen. 
(Seine  Frau  war  übrigens  dabei  nicht  im  Spiele.) 

Wenn  Sie  sagen,  daß  alle  diese  Ivcute  immer  nur  zu  meinen  Diners  usw. 
kamen  usw.  und  hinterher  über  mich  raisonnierten,  so  kann  ich  ant- 
worten, daß  ich  von  den  meisten  auch  nichts  Besseres  weder  vorausgesetzt 
und  verlangt  habe.  Es  ist  mir  das  häufig  eben  ganz  recht. 

Übrigens  ist  meine  ganze  Gesellschaft  fast  gänzlich  erneuert.  Sie 
würden  nur  sehr  wenige  daraus  kennen.  Fast  alles  neue  Bekanntschaften, 
zahlreich  genug.  Ziegler  übrigens  hat  mich  wirklich  sehr  gern  und  ist 
mit  den  andern  gar  nicht  zu  vergleichen.  Dann  auch  Bucher,  der  aber 
jetzt  in  London.  Die  andern  würden  Sie  meistens  auch  dem  Namen  nach 
kaum  kennen. 

Meine  Reise  nach  der  Schweiz  wird  sich  wahrscheinlich  bis  zum 
Anfang  August  verzögern.  Wahrscheinlich  gehe  ich  nämlich  Anfang 
Juli  nach  Dondon  —  infolge  allerlei  Erwägungen,  Industrieausstellung, 
Pflichtgefühl,  Dondon  einmal  zu  sehen  usw.  —  bleibe  da  vier  Wochen, 
also  bis  Anfang  August,  und  komme  von  da  nach  der  Schweiz,  wo  ich 
also  in  der  ersten  Hälfte  August  eintreffe,  um  bis  Mitte  September  oder 
Ende  September  dort  zu  bleiben.  Wollen  Sie  das  Rüstow  sagen.  Ich 
werde  Sie  entweder  in  Zürich  sehen  oder  es  ist  mir  auch  recht,  auf  meiner 
Reise  ins  Engadin,  bei  der  mich  Rüstow  begleiten  will,  über  Tarasp 
zu  gehen. 

Möglich  übrigens  —  aber  nicht  wahrscheinlich  —  daß  die  Reise  nach 
Dondon  ganz  unterbleibt  —  dann  käme  ich  schon  im  Juli  nach  der 
Schweiz. 

Herwegh  sagen  Sie,  er  solle  doch  wieder  einmal  an  Dingelstedt  ^) 
schreiben.  Ich  habe  von  diesem  noch  nichts  gehört. 

Mit  den  besten  Wünschen  P  Dassalle 

P.S.  Rüstow  —  dem  ich  ebenso  wie  Herwegh  ein  Exemplar  der 
Arbeiterbroschüre  schickte  —  sagen  Sie  gefälligst  folgendes :  Er  solle  das 
Möglichste  tun,  um  dieselbe  in  Massen  in  den  Arbeiterstand  zu 
bringen.  Der  Preis  ist  danach  eingerichtet:  Dadenpreis  3  Sgr.  und  für 
Vereine  oder  solche,  die  Partien  beziehen,  2  Sgr.  per  Exemplar,  wenn 


^)  I^assalle  ver.schreibt  sich:  haben. 
-)  Siehe  oben  Nr.  136. 


— ■  =  295  = 

sie  sich  direkt  an  mich  oder,  da  ich  ja  bald  abreise,  an  Herrn  Dittniann 
(Nöhringsche  Druckerei)  Berlin,  Prinzenstr.  Nr.  27  wenden.  (Von  der 
Verfassmigsbroschüre  schrieb  ich  neulich  irrig  an  Rüstow,  sie  koste 
4  Sgr.,  der  Ladenpreis  war  6  Sgr.) 

Ob  und  was  Rüstow  sowohl  in  Zürich  als  Deutschland  für  diesen 
Zweck  tun  kann,  wird  er  wissen.  Eben  konnnt  Rüstows  Manuskript  an. 


147. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

[Anfang  September   1862.]  ') 

Ich  hätte  Ihnen  gern  geschrieben,  wenn  ich  gewußt  hätte,  wohin 
sie  adressieren,  so  will  ich  Ihnen  wenigstens  einige  Zeilen  hier  zurück- 
lassen und  Ihnen  sagen,  wie  sehr  ich  wünsche  und  darauf  rechne,  daß 
Sie  jedenfalls  und  recht  bald  nach  Wildbad  kommen.  Werden  Sie  denn 
nicht,  [auch]  wenn  der  Ort  auch  langweilig,  gern  eine  Zeit  mit  Menschen 
sein,  die  es  am  besten  auf  der  Welt  mit  Ihnen  meinen?  Vorzüglich  nach 
mancher  schlimmen  Erfahrung,  die  Sie  leider  wieder  in  dieser  Beziehung 
gemacht  haben?  Ich  fühle  das  Bedürfnis,  Ihnen  zu  sagen,  daß  ich  in 
meinem  Herzen  unverändert  für  Sie  dieselbe  bin  und  bleiben  werde,  wie 
es  auch  kommen  möge,  daß  keine  neue  Freundschaften  derjenigen,  die 
ich  in  so  langen  Jahren  und  so  bösen  Tagen  für  Sie  gehabt,  irgend  einen 
Abbruch  tun  könnten.  Ich  reise  von  hier  morgen  früh  nach  Wildbad, 
sehr  unwohl  und  tief  verstimmt  über  die  Nachrichten  aus  Italien.  Sehr 
hat  es  mich  gefreut,  daß  Sie  noch  halb  und  halb  manierliches  Wetter 
zu  Ihrer  Gebirgsreise  hatten,  ich  hätte  Sie  nur  dabei  wieder  geniert  durch 
mein  Unwohlsein  und  schlimmen  Fuß,  sonst  wäre  ich  herzlich  gern  mit- 
gegangen. 

Leben  Sie  recht  herzlich  wohl,  ich  rechne  auf  baldiges  Wiedersehen 
in  Wildbad. 

Sophie. 


^)  Lassalle  befand  sich  im  Juli  und  bis  Anfang  August  in  London.  Die  Gräfin 
verlebte  in  Rüstows  Gesellschaft  den  August  und  September  in  Wildbad.  Am 
14.  August  vermutet  Marx  auch  ihn  dort  (vgl.  Bd.  III,  S.  399).  Da  aber  die  Gräfin 
hier  auf  Garibaldis  unglücklichen  Zug  gegen  Rom  anspielt  und  auf  Lassalles 
Schweizer  Reise,  die  diesen  noch  Knde  August  in  Zürich  festhielt,  so  ist  der  Brief 
der  Gräfin  wohl  von  Anfang  September  zu  datieren. 


:  296  — 

148. 

LASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

[Berlin,  Sonnabend,  27.  September  1862.] 
Iviebe  Gräfin  f 

Solange  Sie  beide  in  Wildbad,  werde  ich  meine  Briefe  an  Sie  und 
Riistow  nur  an  Sie  richten,  da  ich  es  doch  im  ganzen  für  überflüssig 
halte,  die  preußische  Polizei  direkt  von  Rüstows  Aufenthalt  zu  benach- 
richtigen. — 

Infolge  der  in  Pforzheim  an  der  Eisenbahn  bei  der  Billettnahme  ein- 
gezogenen Auskunft  entschloß  ich  mich  kurz  und  schnell  zu  einer  Än- 
derung meines  Vorhabens  und  nahm  Billett  direkt  nach  Berlin,  wo  ich 
also  Dienstag  früh  anlangte.  Ich  bin  mit  dieser  Änderung  sehr  zufrieden. 
Denn  nach  Weimar  habe  ich  geschrieben  und  Dingelstedt  offeriert,  von 
hier  aus  hinzukommen,  falls  er  sein  Versprechen  hält.  ^)  Wenn  nicht, 
was  sollte  ich  in  Weimar?  Höchstens  hätte  man  meinen  Aufenthalt  dort 
auf  die  kleindeutsche  Versammlung  bezogen,  was  mir  fatal  gewesen 
wäre,  und  jedenfalls  war  es  dann  ganz  müßig  und  zwecklos.  In  Kassel 
vollends  wollte  ich  nur  bleiben,  um  nicht  in  der  Nacht  in  Weimar  an- 
zukommen, und  folglich  hätte  ich  drei  Tage  umsonst  verloren.  Ich  tat 
also  viel  besser,  direkt  hierherzugehen,  wo  ich  infolgedessen  schon  einige 
Tage  schön  arbeite  und  daher  vorläufig  in  der  zufriedenen  und  guten 
Laune  bin,  die  mir  tüchtiges  Arbeiten  nach  längerem  Intervall  für  den 
Anfang,  wenn  auch  nicht  gar  zu  lange,  immer  verleiht. 

Auch  sonst  ist  die  Situation  in  Berlin  in  diesem  Momente  immer 
noch  etwas  interessanter,  weil  gespannter,  als  bisher.  Gestern  fuhr  ich 
zum  Meschores,^)  erfuhr  aber,  daß  er  infolge  der  Krankheit  eines  Kindes 
schon  seit  mehreren  Wochen  abwesend  —  auf  dem  Lande  —  ist.  Spe- 
zialissima  habe  ich  also  noch  nicht  erfahren  können.  Aber  schon  bei 
meinem  Eintreffen  hierselbst  war  hier  allgemein  bekannt,  daß  die  Er- 
nennimg von  Bismarck-Schönehose  ^)  schon  erfolgt  sei,  und  daß  Heydt 
seinen  Abschied  gegeben,  weil  er  als  reicher  Mann  einen  künftigen  Regreß 
auf  sein  Vermögen  bei  der  Verausgabung  nicht  genehmigter  Posten 
fürchtet.  —  Noch  am  Tage  meiner  Ankunft  war  ich  zu  einer  Art  von 


1)  Siehe  oben  Nr.  136  und  146. 

2)  Hebräisch  ^=  Diener.  Wer  diese  in  der  Folge  häufig  genannte  Persönlich- 
keit war,  die  Lassalle  über  die  intimen  Vorgänge  in  den  Kreisen  der  Regierung 
und  der  konservativen  Partei  unterrichtete,  ließ  sich  nicht  mit  Gewißheit  fest- 
stellen. 

3)  Bismarcks  Ernennung  zum  Ministerpräsidenten  war  am  24.  September 
erfolgt. 


^  -  =  297  —  — 

politischem  Souper  eingeladen,  an  deren  Spitze  mein  Adjutant  I.oewe  ^) 
steht,  und  wo  ich  auch  Waldeck, ^)  Taddel,^)  vSchulze-Delitzsch  "•)  und 
viele  andere  Deputierte  traf.  Ich  sah  daselbst  wieder,  daß  man  in  Deutsch- 
land keinen  schlechten  Witz  mehr  machen  kann!  Er  wird  sofort  von  der 
Wirklichkeit  ratifiziert  oder  überboten.  Sie  erinnern  sich,  daß  ich  in 
Wildbad  bei  den  Zeitungsgerüchten,  Heydt  wolle  abtreten,  sagte: Jetzt 
wird  Heydt  noch  ein  populärer  Heros  werden!  Richtig,  so  war's!  Das 
ganze  Philisterium  daselbst  —  nicht  Waldeck  —  schwärmte  für  Heydts 
Ehrenhaftigkeit  und  Gewissenhaftigkeit!!! 

Von  Waldeck,  neben  dem  ich  beim  Diner  saß,  ließ  ich  mir  erklären, 
wieso  die  Plenarabstimmung  in  Ihrer  Sache  gegen  Sie  ausgefallen.^) 
Die  Hauptschuld  war  der  Berichterstatter  Kratz,  ^)  der  schon  in  der 
Kommission  überstimmt  werden  mußte.  Doch  muß  ich  zuvor  noch  die 
stenographischen  Protokolle  nachsehen. 

Gegen  Bismarck-Schönehose  ist  hier  alle  Welt  natürlich  wütend  und 
oppositionslustig  bis  zur  Krawatte.  In  der  Tat  bleibt  er,  Sie  mögen 
sagen,  was  Sie  wollen,  ein  durchaus  reaktionärer  Bursche  und  Junker, 
von  dem  nur  reaktionäre  Versuche  zu  erwartensind.  Das  einzige,  was  ihn 
von  der  gewöhnlichen  Kreuzzeitungspartei  unterscheidet,  ist,  daß  er 
nicht  die  doktrinäre  Konsequenz  derselben  hat,  sondern  barock  ist! 
Er  ist  barocker  Kreuzzeitungsmann.  Er  wird  entweder  bloß  ein  obh- 
gates  Säbelgerassel  beginnen,  um  durch  die  Vorschwindlung  eines  Krieges 
die  Armeegelder  durchzusetzen — man  ist  aber  bereits  fest  entschlossen, 
nicht  auf  diesen  Zopf  zu  beißen  — oder  er  wird  wirklich  versuchen, 
irgendein  ,, unschmackhaftes  Gebäck"  von  reaktionärer  Einheit  zu- 
standezubringen. Aber  auf  reaktionärem  Boden  läßt  sich  die  deutsche 
Einheit  nicht  errichten ;  dies  ist  die  lächerlichste,  barockste  Idee  von  allen ! 


1)  Ludwig  Loewe  (1837 — 1886),  der  spätere  bekannte  liberale  Politiker  und 
Großindustrielle,  hatte  sich  damals  mit  jugendlichem  Enthusiasmus  an  Lassalle 
angeschlossen.  In  seinen  Briefen  nennt  er  sich  dessen  ,,Sohn"  und  redet  ihn  Vater 
an.  Bekannthch  war  es  Loewe,  der  kurz  darauf  die  Beziehungen  zwischen  Lassalle 
und  den  Leipziger  Arbeitern  herstellte.  AusführUches  hierfür  in  der  Einleitung 
zu  Bd.  V,  der  auch  Briefe  von  Loewe  an  Lassalle  mitteilen  wird. 

2)  J.B.  Waldeck  (1802 — 1870),  der  Führer  der  preußischen  Demokratie,  war 
1848  noch  immer  die  vielleicht  angesehenste  Persönlichkeit  der  Opposition  im 
preußischen  Landtag. 

^)  Gustav  Ferdinand  Taddel  (1786 — 1876)  vertrat  von  1862  bis  1866  als  Mit- 
ghed  der  Fortschrittspartei   Berlin  im  Abgeordnetenhaus. 

*)  Hermann  Schulze-Delitzsch  (1808 — 1883),  der  bekannte  preußische  Politiker 
und  Volkswirt,  gegen  den  als  den  Vorkämpfer  der  Selbsthilfe  der  Arbeiter  Lassalle 
bald  danach  auftrat. 

^)  Siehe  oben  Nr.  139,  Anmerkung. 

®)  Der  Landgerichtskammerpräsident  Franz  Joseph  Kratz  (geb.  i8og)  war 
Mitglied  des  linken  Zentrums. 


— ^ 298  

Hier  glaubt  alle  Welt  an  das  erste  —  das  bloße  Säbelgerassel.  Freilich 
kann  sich  daraus  forcement  ein  reales  Ereignis  entwickeln.  ,,Das  walte 
Gott."  Übrigens  würde  sich  gegen  die  reaktionäre  Einheit  des  Herrn  von 
Schönehose  und  gar  gegen  das  Projekt  eines  Krieges  deshalb  von 
allen  Seiten  — und  mit  höchstem  Recht  —ein  noch  viel  wütendere  r 
Widerstand  erheben  als  gegen  die  bisherige  reaktionäre  Ruhe.  Alle 
Interessen  würden  verletzt.  Kurz,  ich  glaube,  daß  die  Schwierigkeiten 
für  die  Regierung  jetzt  erst  recht  beginnen,  gleichviel  welchen  Weg  sie 
wählt  und  daß  Herr  von  Schönehose  der  Demokratie  einen  großen  Dienst 
erweisen  wird,  indem  er  die  Situation  in  eine  noch  greulichere  Verwirrung 
bringt,  als  die,  in  der  sie  sich  schon  jetzt  befindet. 

Sagen  Sie  R[üstow]  erstens,  daß  ich  vorgestern  an  Janke  geschrieben, 
noch  keine  Antwort  habe,  ihm  noch  zwei  Tage  Zeit  lassen  und  dann  auf 
die  Bude  steigen  will.  Zweitens,  daß  ich  an  Streit^)  einen  ausführlichen 
Brief  laut  Verabredung  geschrieben  habe. 

Lassen  Sie  sich  auf  dem  Ivcsekabinett  die  Beilage  zur  ,, Offiziellen 
Kaiserlichen  Wiener  Zeitung"  vom  6.  September  (Wochenschrift  für 
Wissenschaft  und  Kunst)  geben.  Sie  finden  da  im ter  der  Überschrift: 
,, Julian  Schmidt  auf  der  Anklagebank"  einen  langen,  wahrhaft  erstaun- 
lichen Dithyrambus  auf  mein  Buch.  Erstaunlich  nämlich,  wenn  man 
bedenkt,  daß  es  die  amtliche  kaiserliche  Zeitung  ist,  die  eine  solche 
Kritik  über  mich  bringt. 

Ihr  Diener  ist  noch  ohne  Engagement.  Wollen  Sie  ihn  wieder  nehmen  ? 

Das  ist  es,  was  ich  für  heute  zu  schreiben  weiß.  Viele  Grüße  an  Sie 
und  R[üstow]  und  baldige  Antwort. 

Auf  dem  neulichen  Souper  habe  ich  schon  vier  Bezirksvereins- 
präsidenten Vorträge  für  diesen  Winter  zusagen  müssen.  Wissen  Sie 
gute  Themata?  Sie  wissen,  für  mich  ist  immer  die  Wahl  des  Themas, 
was  mich  am  meisten  quält.    Herzlich  grüßend 

Ihr 

F.  Iv. 

.  .  .  Sonntag  abend. 

Ich  komme  aus  Wallners  Theater  und  muß  Ihnen  sagen,  daß  die 
Leute  anfangen,  erstamilich  frech  zu  werden.  Es  waren  einige  Possen, 
nicht  übel,  zum  Lachen,  mit  ganz  guten  Couplets.  Mitten  in  einer  Ver- 
höhnung unserer  jetzigen  Situation,  in  einem  Zusammenhang,  der  nicht 
den  geringsten  Zweifel  darüber  ließ,  daß  mit  dem  folgenden  nur  der 
König  gemeint  sein  konnte,  kamen  die  Verse  vor: 


^)  Der  Rechtsanwalt  Fedor  Streit  in  Koburg,  der  Geschäftsführer  des  National- 
vereins. Briefe  von  ihm  an  Lassalle  befinden  sich  im  Nachlaß. 


="  299  = 

..Wilhelm,  Wütrich,  Dietrich 
auf  die  Füße  treten  is  nich!" 

Unermeßlicher  Beifall.  Mit  großem  Beifall  wurden  auch  vStrophen  für 
Garibaldi  und  gegen  Napoleon  aufgenommen.  Valete!  F.  L. 


SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSALLE.  (Original.)^) 

Neustadt  an  der  Hardt,   11.  Oktober   1862. 

lyiebes  Kind,  sehr  lange  habe  ich  nichts  von  Ihnen  gehört,  und, 
Sie  mögen  es  glauben  oder  nicht,  es  fehlt  mir  ungeheuer  und  tut  mir 
wie  so  manche  Ihrer  Äußerungen  ,,über  gänzliches  Alleinstehen,  völlige 
Herzensvereinsamung",  ,, keine  Seele  brauchen"  sehr  wehe.  Daß  ich 
Ihnen  nicht  fehle,  glaube  ich  gern,  aber  ich  mag  sonst  haben,  was  ich 
will,  Sic  werden  mir  immer  sehr  fehlen.  Daß  wir  in  den  letzten  Jahren 
nicht  viel  gegenseitig  vielleicht  zur  täglichen  Annehmlichkeit  unsres 
Ivcbens  beigetragen  haben,  ist  eine  Tatsache;  unsre  Charaktere  sind 
grade  vielleicht  in  manchen  Dingen  zu  gleichartig,  Sie  waren  noch  viel 
schroffer  geworden,  und  mein  physisches  und  moralisches  Leiden  er- 
forderte eine  sehr  weiche,  zarte  Hand.  Ich  wurde  immer  gereizter,  ner- 
vöser, mißmutiger,  was  doch  sonst  meinem  eigentlich  von  Natur  heitern 
und  im  täglichen  lieben  facilen  Charakter  fremd  ist.  Diese  schlimme 
Wechselwirkung  war  einmal  gegeben  und  nicht  mehr  zu  entwirren  wie 
Ursache  und  Wirkung.  Ich  habe,  glauben  Sie  mir,  wenn  Sie  es  auch  nicht 
begreifen  und  ungerechtfertigt  finden,  auch  oft  recht  schwer  daran  ge- 
tragen, aber  ebenso  wahr  ist  es,  daß  es  den  eigentlichen  Kern  meiner 
Freundschaft  für  Sie  nicht  berührt  hat.  Und  sollten  Sie  einmal  wieder 
den  Wunsch  nach  einer  wahrhaft  befreundeten  Seele  haben,  die  Freude 
und  Ueid,  das  Ihnen  widerfährt,  ebenso  fühlt  wie  Sie,  so  werden  Sie 
finden  müssen,  daß  Sie  nie  einen  besseren  Freund  gehabt  noch  haben 
werden  als  mich.  Nun  genug  der  Reden,  die  Ihnen  sentimental  erscheinen 
mögen . 

Ich  habe  Wildbad,  was  mir  diesmal  nicht  gut  getan  hat  (ich  fühle 
mich  überhaupt  seit  länger  als  einem  Jahr  sehr  herabgekommen)  am 
7.  verlassen  und  bin  nun  seitdem  hier  in  [der]  Hardt  zur  Traubenkur, 


^)  Am  I.  Oktober  hatte  die  Gräfin  an  den  Rand  eines  Briefes  Rüstows  an 
Lassalle  geschrieben:  ,, .  .  .  Wir  reisen  am  6.  znr  Traubenkur  nach  Neustadt. 
Vorher  schreibe  ich  noch  ausführlich.  Schreiben  Sie  recht  bald  nach  Neustadt 
poste  restante.  Die  herzlichsten  Grüße.  Arbeiten  Sie  nicht  zu  viel." 


==^==^==  300  — 

auf  die  ich  große  Hoffnung  setze.  Die  Pfalz  ist  wirklich  ein  wunder- 
schönes Ivändchen,  die  Menschen  ein  lustiges,  gutmütiges  Völkchen,  das 
Klima  herrlich,  es  wachsen  Massen  von  Mandelbäumen  im  Freien. 
Außerdem  finde  ich  es  wieder  bestätigt,  daß  im  verstecktesten  und 
kleinsten  Ort  in  Süd-  und  Westdeutschland  die  politische  Bildung  und 
innere  Freiheit  um  hundert  Prozent  über  den  gebildetsten  Ivcuten  in 
Berlin  steht.  Es  besteht  überall  auch  eine  Art  Organisation  und  Ver- 
bindung über  ihre  Kreise  hinaus;  man  hat  Rüstow  und  daher  auch  mich 
mit  vieler  Wärme  aufgenommen,  es  scheinen  recht  gute  Elemente  da 
zu  sein,  und  Sie  können  denken,  daß  ich  keine  Gelegenheit  zur  Wühlerei 
versäume.  Die  Versammlung  der  Vorstände  der  Turnvereine  vom  Ober-, 
Mittel-  und  Unterrhein,  die  am  12.  in  Heidelberg  stattfinden  sollte,  ist 
bis  Ende  des  Monats  verschoben.  Was  die  Garibaldisammlung  anbe- 
langt, so  hatte  ich  Rüstow  darüber  an  Schw[eigert]  ^)  schreiben  lassen, 
der  uns  gestern  antwortet,  daß  die  Sache  zum  Beschluß  in  der  Versamm- 
lung erhoben  und  unverzüglich  in  Thüringen  stattfindet,  hier  soll  es 
auch  in  allen  Turnvereinen  geschehen.  Was  nun  Garibaldi  selbst  an- 
belangt, so  muß  man  gestehen,  daß  es  ganz  unmöglich  ist,  sich  schwächer 
und  tmgeschickter  zu  benehmen.  Man  darf  dies  freilich  nicht  eingestehen 
und  muß  ihn  behandeln  wie  eine  Geliebte,  über  deren  Fehler  man  zwar 
im  Klaren,  die  man  aber  trotzdem  nicht  aufhören  kann  zu  lieben  und 
daher  gegen  jedermann  verteidigt.  Daß  das  allgemeine  Urteil  nicht 
scharf  über  ihn  ausfällt,  hat  er,  glaube  ich,  bei  Freund  mid  Feind  nur 
dem  bei  weitem  überwiegenden  Haß  gegen  die  Piemontesen  zu  verdanken. 
Daß  seine  Expedition,  so  verrückt  sie  angelegt  war,  dennoch  in  mancher 
Beziehung  sehr  gute  Folgen  gehabt,  die  Sache  viel  weiter  gebracht  hat, 
ist  zwar  nicht  sein  Verdienst,  aber  er  ist  und  bleibt  dennoch  der  unent- 
behrliche Mann  der  Situation  und  muß  auf  dem  Schild  erhalten  werden. 
Wenn  er  sich  nur  jetzt  bei  der  Amnestie  ordentlich  benimmt  und  vor 
allen  Dingen  nicht,  wie  es  sein  Brief  befürchten  läßt,  nach  Amerika 
geht.  Dann  wäre  er  freilich  für  alle  Zeiten  fertig,  was  ein  enormes  Un- 
glück wäre.  Ich  bin  gerade  jetzt  besonders  böse  auf  ihn ;  es  ist  nämlich 
mit  seiner  besonderen  Erlaubnis  ein  Tagebuch  über  Caprera  (von 
Adolf  Stahr  übersetzt)  von  dem  ekelhaften  Vecchi^)  erschienen.  Ein 
ekelhaftes  Buch  überhaupt,  voll  der  absurdesten  Lobhudeleien  und 
grade  über  seine  sentimentalen  Narrheiten,  wo  aber  folgende  Stelle  über 
Mazzini  vorkommt,  ,,auch  gedenke  ich  noch  eines  Briefes,  den  ein  von 


^)  Über  den  österreichischen  Hauptmann  a.  D.  Ludwig  Seh  weigert  und  die 
Rolle,  die  er  damals  im  National  verein  spielte  vgl.  Bd.  II,  S.  273.  Vgl.  dort  auch 
seinen  Brief  an  Lassalle  vom   15.  Januar  1862. 

2)  Gemeint  ist  das  Buch:  Garibaldi  auf  Caprera,  deutsch  und  eingeführt  von 
Adolf  Stahr.  Vgl.  hierzu  den  Brief  Rüstows  an  Lassalle  vom   10.  Oktober  in  Bd.  V. 


"  301  

drei  Dämonen,  Neid,  Ehrgeiz  und  Unfähigkeit  besessener  Mann 
(Mazzini)  geschrieben.  Mit  diesen  hatte  er  sich  herausgenommen,  die 
Pläne  des  Generals  7a\  kritisieren,  der  Brief  endigte  mit  einer  unver- 
schämten Enthüllung  seiner  Gedanken".  Es  ist  gewiß  damit  der  wunder- 
volle, so  edle  und  entsagende  Brief  gemeint,  den  vms  Madame  Mario ^) 
gezeigt.  Was  soll  man  nun  davon  denken,  daß  [Garibaldi]  eine  solche 
Veröffenthchung  ausdrücklich  billigt? 

Die  Preußischen  Kammern  gefallen  mir  hingegen  sehr,  sie  tun 
eigentlich  alles,  was  man  kaum  erwarten  konnte,  und  auch  wirklich  alles, 
was  in  der  Situation  gegeben,  möglich  und  nötig,  und  halten  dabei  so 
wundervoll  abgeschmackte  Reden,  daß  man  sich  totlachen  möchte. 
Bismarck  ist  himmlisch,  der  vollständige  gamin,  und  wird  nun  wohl 
bald  mit  dem  ,, etwas,  was  nicht  in  der  Verfassung  steht"  (diese  Rede- 
weise von  van  der  Heydt  ist  doch  zu  klassisch  kindisch)  herausrücken. 
Rüstow  beklagt  sich  bitter,  daß  Sie  ihm  nicht  antworten,  er  wartet 
mit  Schmerzen  auf  die  schönen  Geschichten,  die  Sie  ihm  gewiß  mit- 
zuteilen haben.  Es  geht  ihm  übrigens  sehr  gut,  sein  Fuß  vöUig  her- 
gestellt, sowie  seine  inneren,  durch  lange  Qual  und  Ärger  verursachten 
I/ciden,  seine  nervöse  Reizbarkeit  völlig  verschwunden,  und  er  ist  heiter 
und  vergnügt  wie  ein  Kind. 

Mein  Mantel  ist  noch  nicht  angekommen,  ich  vermisse  ihn  aber  gar 
nicht,  hier  ist  es  noch  völlig  warm.  Warum  konnten  Sie  nicht  länger 
bleiben,  warum  sind  Sie  nicht  hier?  Es  würde  Ihnen  in  jeder  Beziehung 
gut  sein  physisch  und  moralisch,  Traubenkur,  schöne  Gegend  und  ein 
gemütliches,  heiteres  Beisammensein.  Man  kann  doch  auch  zu  Zeiten 
sich  einmal  als  Privatmensch  fühlen.  Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind, 
schreiben  Sie  mir  recht  bald,  wie  es  Ihnen  geht,  was  Sie  treiben,  die 
inneren  Vorgänge,  wenn  Sie  Rüstow  die  äußeren  schreiben.  Ich  will 
Ihnen  nicht  innerlich  fremd  werden. 

Tausend  herzlichste  Grüße  .  .  . 


150. 
EASSAELE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEEDT.  (Original.) 

Dienstag  abend,   14.  Oktober  [1862]. 
Eiebe  Gräfin! 

Ich  habe  heut  Ihren  Brief  erhalten.  Wundern  Sie  sich  nicht,  daß  ich  so 
lange  nicht  schrieb.  Ihr  habt  mir  beide  so  viel  zu  tun  gegeben,  daß  ich, 
wenn  meine  Arbeiten,  die  mir  gleich  Wellen  über  den  Kopf  zusammen- 


1)  Frau  White  Mario. 


schlagen,  nicht  ganz  und  gar  leiden  sollen,  wirklich  nicht  weiß,  woher  noch 
die  Zeit  zum  berichten  nehmen.  Überdies  wird  der  Bericht  selbst  zeigen, 
warum  ich  nicht  früher  schreiben  konnte. 

Der  Garibaldi-Auftrag  war  mir  durchaus  nicht  angenehmer  Natur. 
Diese  Sache  gehört  zu  denen,  von  denen  ich  sehr  gern  habe,  wenn 
sie  überhaupt  geschehen,  von  andern  in  die  Hand  genommen  werden, 
und  bei  denen  ich  mich  gern  mit  Geld  oder  auch  einer  Rede  beteilige, 
die  ich  aber  sehr  ungern  selbst  in  die  Hand  nehme,  weil  dies  eine  Tätig- 
keit und  Zeitverschwendung  erfordert,  zu  der  das  Resultat  in  gar  keinem 
Verhältnis  steht.  Denn  au  fond  ist  damit  weder  für  hier  genützt,  noch 
Garibaldi  irgend  geholfen.  Die  Sache  gehört  zu  den  ,, sympathetischen 
Demonstrationen",  wie  ich  sie  nennen  will,  und  nicht  zu  den  aktiven 
oder  solchen,  die  eine  Krise  weitertreiben.  Indessen  das  war  noch  der 
geringste  meiner  Unlustgründe.  Ich  hatte  noch  weit  gewichtigere,  die 
es  zu  langweilig  ist,  hier  zu  entwickeln. 

Gleichwohl  beschloß  ich  Ihnen  und  Rüstow  zu  lieb,  da  Sie  gar  so 
dringend  schrieben,  alle  persönlichen  Ansichten  beiseite  zu  setzen  und 
in  Ihrem  Sinne  zu  handeln.  Nur  so  viel  war  klar:  Sollten  die  Samm- 
lungen bloß  im  Privatkreise  geschehen,  —  so  kam  natürlich  weder  an 
Geld  noch  Namenzahl  irgend  etwas  der  Rede  wertes  zusammen.  Bloß 
um  sich  zu  blamieren,  unternimmt  man  doch  nichts.  Folglich  bedurften 
wir  der  Öffentlichkeit.  Zu  dieser  aber  hatten  wir  nicht  einmal  die  er- 
forderlichen Zeitungen,  sobald  die  Sache  nicht  von  der  Fortschritts- 
partei ausging.  Und  diese  wirkte  uns  sogar  entgegen,  wenn  die 
Sache  nicht  von  ihr  ausging.  Dann  aber  war  im  jetzigen  Augenblick 
nur  das  kläglichste  Fiasko  zu  erwarten. 

Ich  sprach  mit  allen  meinen  Freunden,  Ziegler  (der  es,  mit  Unrecht, 
für  ganz  unmöglich  hielt),  Ludwig  lyoewe  (meinem  Adjutanten,  nicht 
Calbe),  Bleibtreu,  ^)  Stein  usw.  usw.  usw.  usw.  usw.  darüber.  Alle 
stimmten  —  die  meisten  viel  mutloser  als  ich,  denn  ich  hatte  nun  ein- 
mal den  Kopf  aufgesetzt,  daß  es  geschehen  solle  —  darin  überein,  daß 
es  von  der  Fortschrittspartei  ausgehen  müsse.  Nun  beauftragte  ich  Bleib- 
treu, inmeinemNamen  zuDuncker^)  zu  gehen  (denken Sie,  wie  weitich 
ging !)  und  ihn  aufzufordern,  die  Sache  am  liebsten  in  folgender  Form  in 
die  Hand  zu  nehmen :  Er  solle  mit  mehreren  andern  Fortschrittlern  usw. 
ein  Meeting  in  den  Zeitungen  einberufen  zum  Zweck  einer  Sympathie- 
demonstration für  Garibaldi,  die  zugleich  als  feindselige  Demonstration 
gegen  Napoleon  und  seinen   Kammerdiener  Bismarck  auftreten  sollte; 


1)  Der  Schlachtenmaler  Georg  Bleibtreu  (1828— 1892)  lebte  seit  1858  in  Berlin. 

2)  Mit  Franz  Duncker,  dem  Besitzer  der  ,, Volkszeitung"  und  fortschrittlichem 
Abgeordneten  hatte  Lassalle  schon  im  Januar  1861  gebrochen.  Vgl.  Bd.  II,  Nr.  128, 
S.  235. 


—  =  303  —  = 

auf  diesem  Meeting  sollte  dauii  die  Kollekte  beschlossen  und  begonnen 
und  in  den  Zeitungen  fortgesetzt  werden.  Mit  Duncker  hatten  wir  die 
\'olks-  und  Nation alzcitung. 

Bleibtreu  ging  zu  Duncker  und  kam  mit  der  Nachricht  zurück,  daß 
Duncker  verreist  sei  und  erst  in  vier  Wochen,  wie  es  damals  hieß,  zurück- 
erwartet werde. 

Blieb  mir  also  nichts  übrig,  als  meinen  Adjutanten  I^udwig  Loewe 
zu  Schulze-Delitzsch  —  der  auf  ihn  Rücksicht  nehmen  muß,  weil  er  an 
der  vSpitze  \'on  populären  Vereinen  steht  —  mit  derselben  Kommission 
zu  schicken.  Jetzt  begann  das  Pech.  Dreimal  verfehlte  Loewe  den 
Schulze,  einmal  traf  er  ihn,  ohne  ihm  von  irgend  etwas  sprechen  zu 
können,  so  erschöpft  war  Schulze  gerade  von  Kammeranstrengungen. 
Ich  mußte  inzwischen  nach  Erfurt  reisen,  durch  telegraphische  De- 
pesche meines  dort  wieder  krank  gewordenen  Vaters  dahin  berufen. 
So  dauerte  das  von  Freitag  vor  acht  Tagen  bis  gestern  (Montag). 
Immerhin  war  auch  Schuld  lyoewes  dabei,  der,  von  tausend  Dingen  zu- 
gleich in  Anspruch  genommen,  der  Sache  —  dem  Aufsuchen  Schulzes  — 
nicht  den  hinreichenden  Grad  von  Hartnäckigkeit  gewidmet  hatte.  Sie 
können  aber  dafür,  aus  einem  Brief  Loewes,  den  ich  bald  anführen  werde, 
schließen,  wie  ich  ihn  heruntergeputzt  habe.  Gestern  bei  einem  kleinen 
Diner,  das  ich  gab,  erschien  Doewe  mit  der  Nachricht,  daß  er  Schulze 
wieder  verfehlt.  Gleichzeitig  aber  empfing  ich  von  dem  soeben  zurück- 
gekehrten Adolf  Stahr  die  Nachricht,  daß  Duncker  auch  gestern  zu- 
rückgekehrt sei.  Ich  änderte  sofort  meinen  Auftrag  für  Loewe  dahin  um, 
daß  er  heut  zu  Duncker  gehen  müsse  und  dafür  verantwortlich  sei, 
ihn  zu  treffen.  Infolgedessen  empfing  ich  heut  beiliegenden  Brief  Loewes, 
aus  dem  Sie  ersehen,  daß  Duncker  nicht  abgeneigt  ist,  sich  aber  Bedenk- 
zeitausgebeten. Ich  habe  sofort  Doewe  wieder  geschrieben,  daß  er  wieder 
zu  Duncker  (Donnerstag)  müsse. 

Außerdem  habe  ich  Stahr  und  heut  auch  Fanny  i)  auf  Duncker  gehetzt. 

Außerdem  hat  mir  der  Abgeordnete  Martiny^)  —  der  einzige  an- 
ständige Abgeordnete,  dem  auch  mein  gestriges  Diner  eigentlich  galt  — 
versprechen  müssen,  daß  er  in  seiner  Heimat  Ostpreußen,  wohin  er  heut 
zurückgekehrt  ist,  die  Sammlungen  machen  und  mir  Betrag  und  leisten 
übersenden  werde. 

Außerdem  hat  mir  Stahr  versprochen,  im  Freundeskreise  zu  sammeln 
und  die  Beiträge  zu  überbringen. 

1)  Fanny  Lewald  (1811 — 1889),  die  bekannte  Schriftstellerin  und  Gattin  Adolf 
Stahrs. 

-)  Einige  Briefe  des  Abgeordneten  Martiny-Kaiikelinen  befinden  sich  im 
Nachlaß.  Er  figurierte  später  als  Vertrauensmann  des  Allgemeinen  Deutschen 
Arbeitervereins  für  Ostpreußen. 


=  304  == 

Außerdem  hat  mir  Johann  Jacoby,^)  der  mir  gestern,  grade  während 
wir  bei  Tisch  saßen,  seinen  Besuch  machte  (er  bedauert,  Rüstow,  den  er 
in  Zürich  aufgesucht,  verfehlt  zu  haben)  [versprochen],  daß  er  in  Königs- 
bergsammeln werde.  Jacoby  aber  wird  wohl  seine  Beiträge  direkt  senden. 
Wenigstens  habe  ich  mit  ihm  nicht  ausgemacht,  daß  sie  durch  mich 
gehen  sollten. 

Außerdem  hat  lyoewe  in  seiner  ,, Lesegesellschaft"  die  Sache  an- 
geregt und  da  sehr  geneigten  Boden  gefunden. 

Soviel  hiervon  für  heut.  Nächstens  weitem  Bericht.  —  Ungünstig 
ist,  daß  in  der  Zwischenzeit  die  Amnestie  eingetreten  und  zweitens,  daß 
der  Ivord  Mayor  den  Vorsitz  des  Meeting  abgelehnt  hat  (das  Gegenteil 
würde  Duncker  sehr  gekitzelt  haben).  Doch  denke  ich,  daß  noch  irgend 
was  zustande  kommen  kann. 

2.  Affäre  Janke  •  .  .  ^) 

3.  Affäre  Streit. 

Wie  bereits  gemeldet,  hatte  ich  an  Streit  einen  langen  Brief  wegen 
der  Wehrvereine  und  -Gelder  geschrieben.  Wie  ich  von  Erfurt  zurück- 
komme, finde  ich  einen  Brief  Streits^)  vor,  worin  er  in  sehr  unbestimmten 
Ausdrücken  irgend  etwas  Punkto  der  Wehrvereine  verspricht  rmd  zu- 
gleich anfragt:  ob  ich  es  nicht  auch  für  angemessen  halte,  daß  auf  der 
National-Verein-Versammlung^)  ein  Beschluß  zugunsten  [der]  Frank- 
furter Reichsverfassung  ergehe.  Er  entwickelt  ein  langes  Plaidoyer 
hiefür,  erklärt  aber,  doch  meine  Meinung  wissen  zu  wollen.  Zeit  war 
nicht  zu  verlieren.  Denn  zwei  Tage  drauf  sollte  die  Sitzung  schon  statt 
haben.  Ich  setze  mich  sofort  hin  und  schreibe  Streit  einen  drei  Bogen 
langen  Brief,  worin  ich  ihm  nachweise,  daß  dies  nur  das  Tun  reaktionärer 
Utopisten  sei.  Der  Brief  hatte  kein  anderes  Resultat,  als  daß  Streit 
nicht  für  die  Reichsverfassmig  sprach;  wohl  aber  stimmte  er  dafür. 

Nun,  das  konnte  er  vielleicht  nicht  ändern.  Was  mich  aber  in- 
digniert hat,  ist  der  schwächliche  Beschluß  in  der  Wehrvereinssache 
und  die  Reservierung  der  Flottengelder  für  Flottenzwecke. ^)  Hier 
konnte  jedenfalls  weiter  gegangen  werden  und  resp.  will  ich  mit 
Männern  eines  Vereins,  in  dem  nicht  weiter  gegangen  werden  kann. 


1)  Johann  Jacoby  (1805 — 1877),  der  bekannte  demokratische  Pohtiker,  war 
durch  Adolf  Stahr  und  Fanny  I^ewald  zuerst  auf  Lassalle  ai;fmerksam  gemacht 
worden. 

2)  Es  handelte  sich  hier  um   Differenzen  Rüstows  mit   dem  Verleger  Janke. 

3)  Streits  Brief,  der  vom  i.  Oktober  datiert  ist,  wird  in  Bd.  V  abgedruckt 
werden . 

*)  Der  erste  deutsche  Abgeordnetentag  fand  am  28.  und  29.  September  in 
Weimar  statt,  die  dritte  Generalversammlung  des  Nationalvereins  in  Koburg. 

^)  Vgl.  hierzu  Hermann  Oncken,  Rudolf  von  Bennigsen,  Bd.  I,  S.  ?o6  ff.,  586 
u.  passim. 


=  305  =" 

auch  nicht  das  Geringste  mehr  zu  tun  haben.  Dazu  ist  meine  Zeit  viel 
zu  edel.  Ich  bleibe  Streit  herzHch  gut,  erkläre  aber  Rüstow,  daß  ich 
jede  Verhandlung  mit  Streit  und  alles  Briefeschreiben  an  ihn  entschieden 
für  ewige  Zeiten  verweigere.  Wenn  Rüstow  noch  mit  diesen  Leuten 
weiter  verhandelt,  so  hat  er  einen  bessern  Magen  als  ich.  Ich  will 
für  alle  Ewigkeit,  solange  sie  im  Nationalverein  sind,  nichts  mit  ihnen 
zu  tun  haben.  Und  wenn  die  hiesige  Idee  glückt  (was  mir  noch  sehr 
zweifelhaft;  es  darf  beileibe  zu  niemand  davon  gesprochen  werden), 
einen  Gesamt-Arbeiterverein  für  ganz  Deutschland  mit  dem  Zentralort 
Berlin  zu  stiften  und  mich  an  die  Spitze  desselben  zu  setzen,  so  werde 
ich  meine  Tätigkeit  sofort  mit  einem  Akt  der  Feindseligkeit  gegen  den 
Nationalverein  beginnen. 

Wenn  Rüstow  sich  einigermaßen  die  Zeit  überschlägt,  die  ich  für 
die  bisher  erwähnten  Briefe  und  Demarchen  notwendigerweise  verwendet 
haben  muß,  die  alle  auf  Eure  Rechnung  kommen,  so  wird  er  wohl  selbst 
sehen,  daß  Ihr  mir  eine  schöne  Zeit  in  Anspruch  genommen  habt;  daß, 
wenn  ich  nicht  an  ihn  schrieb,  ich  für  ihn  schrieb;  und  daß  es  also 
schreiend  unbillig  von  ihm  ist,  sich  über  Nichtschreiben  zu  beschweren 
und  mir  Zug  um  Zug  schreiben  zu  wollen. 

Zudem  hat  er  wenigstens  [da]  dort  in  Neustadt  doch  nicht  zu  viel 
zu  tun,  arbeitet  vielleicht  seine  vier  Stunden  im  Tage  und  unterhält 
sich  dann.  Während  mir  der  reine  Angstschweiß  ausbricht  und  ich  nicht 
weiß,  wohin  ich  soll.  Hören  Sie  beispielsweise,  was  ich  seit  meiner  Rück- 
kunft —  es  war,  glaube  ich,  den  23.  oder  24.  September  — getan  habe. 
Ich  habe  den  ersten  Band  von  Monteil,^)  Histoire  des  divers  Etat^ 
14.  Jahrg.  620  Seiten  ausgelesen  und  ihn  fortlaufend  mit  meinen  Noten 
begleitet.  Ich  habe  mir  dann  zu  dem  sehr  wichtigen  Buch  selbst  einen 
Index  gemacht,  der  mich  über  drei  Tage  (von  früh  bis  Abend)  gekostet 
hat.  Ich  habe  dann  den  Darwin 2)  zu  Ende  gelesen,  517  Seiten,  von  denen 
ich  erst  150  gelesen  hatte,  und  ihn  auch  mit  fortlaufenden  Anmerkungen 
begleitet.  Ich  habe  mir  dann  aus  der  ,,Historia  Universitatis  Parisiensis 
a  Bulaeo"^)  (einem  alten,  für  verschiedene  Zwecke  für  mich  sehr  wich- 


^)  A.  A.  Moiiteil,  Histoire  des  Frangais  des  divers  ßtats  aux  cinq  derniers 
siecles.  XIV.  Si^cle.  Volume  I  Paris  1828.  Der  Band  hat  übrigens  nur  4S2  Seiten. 

2)  In  dem  Teil  der  Lassallesclien  Bibliothek,  der  später  in  Schönbergs  Besitz 
kam  und  jetzt  Prof.  Bernhard  Harms  in  Kiel  gehört,  befindet  sich  mit  Strichen 
imd  Bemerkungen  von  Lassalles  Hand:  Charles  Darwin,  Über  die  Entstehung 
der  Arten,  übersetzt  von  Dr.  Braun,  Stuttgart  1860,  vgl.  Eduard  Rosenbaum, 
Ferdinand  L,assalle,  Studien  über  historischen  und  systematischen  Zusammen- 
hang seiner  Lehre,  Jena   191 1,  S.  16. 

3)  Bulaeus,  Historia  Universitatis  Parisiensis,  Paris  1668,  zitiert  in:  ,,Die 
Wissenschaft  und  die  Arbeiter". 

M  a  ver  ,  Lassille-N'ac'iil.iss.     IV  20 


3o6  —  — 

tigen  Werk  von  vier  Folianten)  und  aus  der  ,,Chronique  von  MonstrelefO 
(15.  Jahrhundert)  schriftliche  Auszüge  gemacht,  sechsunddreißig 
Quartseiten  von  meiner  engsten  Handschrift.  Ich  habe  dann  von 
Tookes^)  Geschichte  der  Preise  den  ersten  Band  (999  Seiten),  den  ich 
vor  meiner  Abreise  gelesen  hatte,  kursorisch  rekapituliert,  um  es  frisch 
im  Gedächtnis  zu  haben,  wenn  ich  jetzt  an  den  vierten  Band  gehe, 
ich  habe  ferner  den  ersten  Band  des  Urkundenwerks  von  Theulet  an- 
gefangen. 

Rechnen  Sie  das  zusammen,  so  ist  es  für  mich  selbst  stupend  und 
wunderbar,  wie  ich  dies  in  der  kurzen  Zeit  von  drei  Wochen,  bei 
starker  Korrespondenz  und  einer  Reise  nach  Erfurt,  zusammenarbeiten 
konnte.  Aber  doch  sinkt  es  in  ein  lächerliches  Nichts  zusammen,  ver- 
glichen mit  dem,  was  ich  noch  zu  tun  habe.  Ich  habe,  um  nur  das  un- 
mittelbarste hervorzuheben,  noch  drei  Bände  Monteil,  jeden  zu  ca. 
650  Seiten,  zu  lesen  (früher  hatte  ich  nur  den  fünften  Band  gelesen). 
Ich  habe  den  zweiten  Band  von  Tooke,  wieder  880  Seiten,  zu  lesen. 
Ich  habe  sechs  Bände  »Schelling,^)  die  neu  erschienen,  jeden  7 — 800  Seiten 
aufzulesen.  Ich  habe  das  fünfbändige  Urkundenwerk  von  Theulet  nach- 
zulesen. Ich  habe  zwei  neue  Bände  Louis  Blanc,'*)  mit  denen  ich  im  Rück- 
stand, nachzulesen.  Ich  habe  zwei  dicke  Bände  deutscher  Chroniken  des 
Mittelalters,  die  ich  schlechterdings  brauche,  durchzulesen.  Außerdem 
umstehen  mich  aber  noch  solche  Massen  ökonomischer,  juristischer, 
philologischer  und  philosophischer  Nova,  daß  ich  eine  Stunde  brauchen 
würde,  sie  hier  zu  verzeichnen.  Ich  weiß  nicht,  wo  mir  der  Kopf  steht. 
Alle  diese  Bücher  grinsen  mich  an  wie  ebensoviele  unbezahlte  Schuld- 
scheine. Alle  diese  Bücher  wollen  gelesen  sein.  Es  ist  gar  nicht  möglich, 
alle  diese  Schulden  zu  bezahlen.  Und  dabei  will  ich  doch  mein  ökono- 
misches Werk  jetzt  schreiben  und  dabei  Agitations vortrage  ausarbeiten. 

Kurz,  es  ist  zum  verzweifeln  und  um  entmutigt  zu  werden.  Das 
weiß  ich,  daß,  wenn  ich  wieder  auf  die  Welt  komme,  ich  mir  eine  andere 
Existenz  wähle.  Das  weiß  ich  auch,  daß  ich  mir  eine  unmögliche  Auf- 
gabe gestellt  habe  und  an  ihr  zugrunde  gehen  muß.  Aber  ich  will 
wenigstens  im  zugrunde  gehen  noch  zeigen,  welche  Trümmer  man 
zusammenarbeiten  kann. 


^)  Lassalle  bediente  sich  dieser  Exzerpte  aus  der  Chronik  von  Engvierraud  de 
Monstrelet  in  der  Verteidigungsrede:  ,,Die  Wissenschaft  und  die  Arbeiter"  am 
16.  Januar  1863. 

2)  Thomas  Tooke,  A  history  of  prices,  war  in  der  Übersetzung  von  C.  W.  Asher 
1858  und   1859  in  zwei  Bänden  deutsch  erschienen. 

^)  Nach  Schellings  Tode  (1854)  waren  1856  bis  1861  seine  sämtlichen  Werke 
in   14  Bänden  erschienen. 

*)  Louis  Blanc  (181 1 — 1882),  der  französische  Sozialist,  der  bekanntlich  Lassalles 
praktische  Vorschläge  zur  Verwirklichung  des  Sozialismus  sichtlich  beeinflußt  hat. 


—  --=  307 -^= 

Und  bei  alledem  schreibe  ich  doch  noch,  wenn  ich  einmal  schreibe, 
Briefe,  so  lang,  daß  ich  eben  zum  vierten  Bogen  greife.  Freilich  habe  ich 
auch,  seitdem  ich  vpn  Wildbad  zurück,  noch  nie  über  sechs  »Stunden 
und  häufig  nur  fünf  Stunden  geschlafen.  —  Unter  solchen  Umständen 
einem  die  Briefe  nachrechnen,  ist  kindisch.  — 

Sie  und  Rüstow  wollen  amüsante  Neuigkeiten  haben.  Ich  haljc  keine, 
denn  der  Meschores  ist,  wenigstens  so  viel  ich  weiß,  noch  nicht  zurück. 
Kann  also  nur  erzählen,  was  alle  Welt  erzählt,  daß  nämlich  der  König 
vor  Wut  eine  Uhr  zerbrochen  haben  soll,  daß  er  die  Königin  in  Baden- 
Baden  gekeilt  haben  soll  und  daß  der  Kronprinz  demonstrandi  causa 
abgereist  sein  soll  (nach  Italien)  und  ähnliches  Geschwätz. 

Dagegen  will  ich  Ihnen  erzählen,  was  wahrscheinlich  beim  Wieder- 
zusammentritt der  Kannner  geschehen  dürfte.  Waldeck  beabsichtigt 
Steuerverweigerung.  Er  legt  nämlich  den  betreffenden  Artikel  so  aus, 
daß  nur  die  damals  bestehenden  Steuern  (zur  Zeit  der  Verfassung)  der 
Regierung  zu  erheben  freistehen  solle.  Ich  halte  diese  Auslegung  für 
falsch.  Abgesehen  davon  glaube  ich,  daß  keine  Majorität  für  den  Beschluß 
aufzutreiben  sein  wird.  Und  wenn  selbst,  so  glaube  ich,  daß  der  Beschluß 
ein  entschiedener  und  grober  Fehler  wäre.  Er  wäre  unausführljar  und 
würde  nur  den  Sieg  der  Regierung  in  die  Hand  spielen. 

Ich  habe  dagegen  einen  andern  Gedanken  gehabt,  der,  scheinbar  weit 
weniger  heftig,  doch  viel  gründhcher  ist  und  ohne  allen  Zweifel  die 
Regierung  bezwingt.  Wenn  nämlich  die  Kammer  wieder  zusammen- 
tritt und  die  Militärausgaben,  wie  natürlich,  fortgesetzt  worden  sind, 
erläßt  die  Kammer  einfach  folgenden  Beschluß: 

,,In  Erwägung,  daß  die  Kammer  damals  diese  und  diese  Ausgaben 
verweigert  hat, 
In  Erwägung,  daß  dieselben  dennoch  auch  von  dem  Tage  dieses 

Beschlusses  ab  fortgesetzt  worden  sind. 
In  Erwägung,  daß  somit,  und  solange  mit  diesen  von  der  Kammer 
gestrichnen    Ausgaben    fortgefahren    wird,    die    preußische    Ver- 
fassung eine  Uüge  ist, 
erklärt  die  Kammer,  es  für  der  Volksvertretung  unwürdig  und  für  eine 
Komplizität  an  der  verbrecherischen  Handlungsweise  des  Ministeriums, 
irgendeine  Geschäftsverhandlung  mit  demselben   vorzunehmen,  so- 
lange es  sich  auf  dem  Boden  des  Verbrechens  behauptet,  und  beschließt 
deshalb,  ihre  »Sitzung  auszusetzen  auf  unbestimmte  Zeit  und  auf  so 
lange,  bis  die  Regierung  den  Nachweis  erbringt,  daß  die  verweigerten 
Ausgaben  eingestellt  worden  sind,"  ^) 

^)  Diesen  Gedanken  entwickelte  die  Rede:  ,,\Va.s  nun?",  die  Lassalle  am 
19.  November  1862  als  Fortsetzung  seiner  ersten  Rede  „Über  Verfassungswesen" 
in  Berlin  hielt. 


^3o8  - 

Wenn  die  Kammer  diesen  Beschluß  faßt,  ist  die  Regierung  lahm- 
gelegt. Auflösen  ändert  die  Situation  nicht.  Die  neue  Kammer  würde 
es  sofort  wieder  erklären.  Bleibt  der  Regierung  somit  nur  die  Wahl: 
nachzugeben  oder  sich  der  konstitutionellen  Form  überhaupt  zu  be- 
geben; absolut  weiter  zu  regieren. 

Dies  aber  ist  unmöglich.  Folglich  würde  die  Regierimg  nachgeben. 
Dann  aber  stünde  es  erst  recht  schlimm  für  die  Demokratie.  Denn  dann 
würde  eine  Versöhnung  sein  und  ein  Jubel  tmd  ein  Stolz  und  eine  Freude, 
und  die  Kammer  wäre  so  froh,  aus  dem  Konflikt  endlich  herausgekommen 
und  so  herausgekommen  zu  sein,  daß  die  Regierung  tun  könnte  im 
übrigen,  was  sie  will. 

Gleichwohl  muß  man  darauf  wirken,  daß  die  Kammer  diesen  Be- 
schluß faßt.  Der  Gedanke  desselben  kam  mir  neulich,  als  ich  mit  Bucher 
in  Stadt  Ivondon  aß,  wo  viele  Abgeordnete  waren.  Ich  gab  diesem  Ge- 
danken sogleich  Worte.  Mehrere  Abgeordnete  gingen  mehr  oder  weniger 
schnell  auf  denselben  ein.  Ich  habe  seitdem  noch  manche  Abgeordnete 
gesprochen  und  bin  auf  mehr  oder  weniger  geneigte  Aufnahme  ge- 
stoßen. Bei  manchen  auch  —  z.  B.  bei  Herrn  von  Hennig,^)  den  ich  heut 
bei  Stahr  sprach  —  auf  Bedenklichkeiten.  Aber,  so  schwer  es  den  Herren 
auch  wird,  Gefahr  zu  laufen,  keine  Kammer-  imd  Fraktionssitzungen 
zu  halten,  so  halte  ich  es  doch  für  nicht  unmöglich,  daß  der  Beschluß 
durchgeht.  Denn  etwas  müssen  sie  doch  tim,  und  —  und  das  ist  die 
Hauptsache  —  der  Beschluß  verwickelt  sie  in  keine  Händel  mit  dem 
Staatsanwalt,  ist  ohne  jede  Gefahr. 

Ich  werde  jedenfalls  suchen,  eine  höllische  Agitation  für  diesen  Be- 
schluß loszulassen  in  der  Zwischenzeit. 

Sie  wollen  von  meinem  innern  IvCben  hören?  So  weit  es  nicht  mit 
Wissenschaft  und  Revolution  zusammenhängt,  habe  ich  einstweilen 
alles  innere  lyeben  auf  unbestimmte  Zeit  aufgegeben.  Das  hat  seine  guten 
und  seine  bösen  Seiten.  Keinesfalls  ist  dem  abzuhelfen.  — 

Neuigkeiten :  Frau  Duncker,  die  sehr  krank  ist  und  sich  in  Thüringen 
befindet,  geht  nach  Dürkheim  zur  Traubenkur.  Madame  Olivier^)  —  die 
s<:höne  junge  Frau,  die  Schwester  der  Bülow — ist  tot.  Wochenbett- 
folgen .  .  . 

Mit  vielen  Grüßen  an  Sie  und  Rüstow 

Euer  F.  U 


1)  Julius  Karl  August  von  Hennig  (geb.  1822)  gehörte  dem  I^andtag  mit  ge- 
ringen Unterbrechungen  von  1852  bis  1875  ^^-  Anfangs  zählte  er  sich  zur  Linken, 
dann  zur  Fortschrittspartei,  am  Ende  zu  den  Nationalliberalen. 

2)  Frau  Blandine  Olivier,  die  Gattin  des  späteren  französischen  Ministers  des 
Auswärtigen,  Emile  Olivier.  Lassalle  hatte  noch  kürzlich  die  Bülows  um  eine  Ein- 
führung an  sie  gebeten. 


=  309 

Von  Herbertz  habe  nichts  gehört. 

P.S.  Rüstow  soll  jedenfalls  die  Broschüre^)  schreiben.  Es  ist  sehr 
not.  Ich  fürchte  noch  immer:  für  zweijährige  Dienstzeit  wird  transi- 
giert.  Ich  werde  sehen,  ihm  die  stenographischen  Berichte  zu 
schicken. 

2.  P.S.  Mein  Prozeß  '^)  will  noch  immer  nicht  von  der  Stelle.  Man  zieht 
ihn  hin.  Rüstow  soll  sehen,  mit  Meyer  und  Zeller  zu  kontrahieren  und 
noch  vor  entschiedener  Sache,  so  schnell  wie  möglich,  Abdrücke  zu 
veranlassen. 

3.  P.S.  Ihre  Absicht,  250  Rt.  für  die  Garibaldisache  zu  zeichnen,  ist 
übertrieben.  Die  Sache  ist  nur  eine  Demonstration.  Mit  250  Rt. 
zu  demonstrieren,  ist  Ihren  Vermögensverhältnissen  nicht  angemessen. 
Was  wollen  Sie  denn  geben  zu  reellen  Unternehmungen  ?  Ich  werde 
Sie  daher  nur  mit  50  Rt.  in  die  leisten  aufnehmen.  Ja,  wenn  es  prak- 
tische Zwecke  hätte,  dann  das  zehnfache! 


151- 
IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  Original.) 

Breslau,  Mittwoch,  22.  Oktober  [1862]. 
Iviebe  Gräfin: 

Was  soll  ich  Ihnen  sagen  ?  Gestern  mittag  2  Uhr  bekam  ich  eine  De- 
pesche, nach  Breslau  zu  kommen.  Um  4  Uhr  fuhr  ich  noch  zu  Riem,^) 
mit  dem  ich  eine  lange  Konferenz  hatte  und  den  ich  genau  instruierte. 
Um  10  Uhr  reiste  ich  mit  der  Eisenbahn  nach  Breslau.  Ich  sollte 
meinen  Vater,  meinen  guten  guten  lieben  Vater,  nicht  mehr  lebend 
finden. 

Ach,  was  soll  ich  Ihnen  sagen! 

F.  Iv. 


^)  Wilhelm  Rüstow,  Die  preußische  Armee  und  die  Junker  erschien  noch  1862 
in  Hamburg  bei  Otto  Meißner. 

^)  Erst  am  16.  Januar  1863  durfte  Lassalle  sich  vor  dem  Berlhier  Kriminal- 
gericht wegen  der  Anklage  rechtfertigen,  ,,die  besitzlosen  Klassen  zum  Haß  und 
zur  Verachtung  gegen  die  Besitzenden  öffentlich  aufgereizt  zu  haben."  Seine 
Verteidigungsrede  ,,Die  Wissenschaft  und  die  Arbeiter"  erschien  in  der  Tat  bei 
Meyer  &  Zeller  in  Zürich. 

')  Anwalt  der  Gräfin  in  Berlin. 


-  310 — 

152. 

SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Heidelberg,   26.  Oktober   1862. 
Liebes,  gutes  Kind. 

Soeben  erhalte  ich  Ihren  Brief  vom  22.,  denn  er  hat  mich  in  Heidel- 
berg, wo  ich  eben  eintreffe,  erwartet.  Wie  soll  ich  Ihnen  sagen,  wie  tief 
ich  mit  Ihnen  fühle?  ich  weiß  ja,  wie  lieb  Sie  Ihren  Vater  hatten,  wie  er 
Ihre  menschlich  wärmste  Herzensseite  war.  Trostgründe  imd  Zuspruch 
sind  da  nicht  angebracht.  Wie  soll  ich  Ihnen  aber  auch  sagen,  wie  un- 
endlich wehe  es  mir  tut,  grade  jetzt  nicht  bei  Ihnen  zu  sein,  und  noch 
mehr,  nicht  einmal  überzeugt  zu  sein,  daß  Sie  es  noch  wissen,  daß  ich 
Ihr  bester  Freund  bin  und  immer  sein  werde,  daß  nichts  in  der  Welt 
Sie  von  Ihrem  Platz  bei  mir  verdrängen  kann?  Ich  bitte  Sie  dringend , 
geben  Sie  mir  gleich  Nachricht,  wie  es  Ihnen,  wie  es  Ihrer  Mutter  geht, 
wie  lange  Sie  in  Breslau  bleiben,  wie  es  Ihnen  innerlich  und  äußerlich 
geht.  Schreiben  Sie  nach  Neustadt  an  der  Hardt,  wo  ich  alle  meine 
Sachen  gelassen  und  wohin  ich  morgen  zurückkehre. 

Ich  brauche  nicht  zu  sagen,  über  mich  disponieren  Sie  ganz.  Wenn 
ich  irgend  etwas  zu  Ihrer  Erleichterung,  Ihrem  Trost  beitragen  könnte, 
wäre  ich  glücklich.  Leben  Sie  herzlich  wohl,  ich  muß  den  Brief  sofort 
absenden. 

Die  besten  herzlichsten  Grüße  an  Sie  und  Ihre  Mutter. 

In  großer  Eile  und  recht  wahrer  Betrübnis 

Ihre  Freundin. 

153- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,  4.  November   1862. 
Liebe  Gräfin! 

So  bin  ich  denn  seit  einigen  Stunden  wieder  in  Berlin  zurück,  o  wie 
vereinsamt,  verödet  im  Herzen!  Die  Existenz  fängt  an,  eine  fahle, 
aschgraue  Farbe  für  mich  anzunehmen,  und  alles  nähert  sich  der  Gleich- 
gültigkeit. Sie  allein  wissen,  was  er  mir  war,  Sie  allein  können  vielleicht 
ganz  ahnen,  wie  es  innerhch  bei  mir  aussieht!  Nicht  der  Schmerz  ist  das 
Schlimmste.  Den  werde  ich  niederleben,  obgleich  er  heut,  nachdem  ich 
vierzehn  Tage  in  Breslau  geblieben  imd  dort  einigermaßen  zur  Ruhe 
gekommen  war,  bei  dem  Eintritt  in  mein  Zimmer,  bei  dem  abschließen- 
den Rückbhck  auf  das,  was  ich  verloren,  heftiger  und  greller  vielleicht 


311  

als  im  ersten  Augenblick  bei  mir  ausbrach.  Aber  das  Schlimmste  ist,  daß 
man  innerlich  abstirbt,  abstumpft!  Für  wen  sollte  ich  mich  denn  jetzt 
noch  gar  lebhaft  freuen,  wenn  mir  etwas  Gutes  passiert?  P'ür  wen  mich 
lebhaft  betrüben  und  zur  Wehr  setzen  gegen  das  Schlimme?  Er  ver- 
folgte und  bedeckte  mich  mit  seiner  Liebe  und  war  in  der  letzten  Zeit 
der  einzige,  der  Leben  und  Empfindung  brachte  in  die  Apathie  meines 
persönlichen  Daseins. 

Ach,  Gräfin,  was  habe  ich  verloren!  Was  habe  ich  denn  noch?  Ich 
weiß,  vSie  sind  mir  gut,  und  ich  bin  Ihnen  gewiß  noch  besser  als  Sie  mir. 
Sie  sind  mir  trotz  allem  und  allem  noch  immer  die  liebstePerson  geblieben, 
die  ich  noch  habe.  Aber  das  alte  Verhältnis  zwischen  uns  ist  dahin  und 
wnrd  und  kann  nie  wiederkehren.  Und  jetzt  ist  auch  e  r  dahin.  Ich  komme 
mir  selbst  vor,  wie  vergangen  und  gewesen.  Ich  bin  alt  geworden. 

Ach,  Gräfin,  verzeihen  vSie  mir,  wenn  ich  Ihnen  das  Herz  schwer 
mache.  Aber  ich  kann  nicht  anders.  Sie  sind  die  einzige  Person,  Sie 
wissen  es,  vor  der  es  mir  gegeben  ist,  mich  zu  zeigen,  wie  ich  bin,  und  mein 
Gefühl  auszuschütten.  Und  ich  würde  viel  darum  geben,  wenn  Sie  in 
diesem  Momente  hier  wären,  um  mich  eine  Stunde  mit  Ihnen  auszu- 
weinen. 

Ich  danke  Ihnen  wie  Rüstow  vielmals  für  Ihre  schönen  und  herz- 
lichen Briefe.  Meine  Mutter  dankt  Ihnen  gleichfalls  mit  vieler  Liebe 
und  schüttelt  Ihnen  die  Hand.  Aber  warum  haben  Sie  mir  seitdem  nicht 
mehr  geschrieben  ?  Das  war  unrecht.  Sie  konnten  sich  sagen,  daß  ich 
unmöglich  in  der  Verfassung  war,  zu  antworten  und  daß  eine  zweite 
Zuschrift  von  Ihnen  mir  Freude  gemacht  hätte. 

Ich  habe  mir  ein  Andenken  an  den  Verstorbenen  von  der  Mutter 
für  Sie  geben  lassen.  Es  ist  der  kleine  goldene  Becher,  in  welchem  er 
Ihnen  noch  selbst  in  Wildbad  auf  dem  Wege  von  Calmbach  Wasser  aus 
dem  Quell  schöpfte  und  entgegenbrachte.  Er  steht  vor  mir.  Wenn  Sie 
herkommen,  werde  ich  ihn  Ihnen  geben,  und  Sie  werden  mir  versprechen, 
ihn  immer  wert  zu  halten.  Er  hat  es  um  Sie  verdient,  der  Tote !  Er  war 
Ihnen  stets  so  gut  wie  einer  Tochter.  Sie  wissen,  wie  er  stets  auf  Ihren 
Wink  gewärtig  stand.  Er  liebte  Sie  nicht  nur  um  meinetwillen,  er  ver- 
stand vSie  und  achtete  Sie  auf  das  Höchste. 

Ostern  nehme  ich  meine  Mutter  zu  mir,  die  ja  in  Breslau  zur  ein- 
samen Tränenweide  werden  würde.  Meine  Schwester  wird  wahrschein- 
lich in  zwei  bis  drei  Wochen  auf  ein  Jahr  herziehen.  Sie  grüßt  Sie  gleich- 
falls auf  das  wärmste. 

Ist  es  überhaupt  Ihre  Absicht,  in  diesem  Winter  nach  Berlin  zu 
kommen,  so  wäre  es  freilich  schön  und  freundlich,  wenn  Sie  baldmög- 
lichst kämen.  Aber  verstehen  Sie  mich  wohl :  Ein  Opfer  von  vier  Wochen 
früher  herzukommen,  falls  Sie  überhaupt  auch  ohne  Rücksicht  auf  mich 


312  —  — 

herkommen  wollen,  nehme  ich  an.  Wenn  Sie  aber  sonst  überhaupt  nicht 
hergekommen  wären,  so  tun  Sie  es  beileibe  nicht  meinetwegen.  Es 
würde  mich  dies  nur  quälen.  Denn  Sie  haben  nicht  soviel  Glück  genossen 
in  Ihrem  Leben,  daß  Sie  davon  zu  verschenken  haben,  und  war  es  Ihre 
Absicht,  mit  Rüstow  in  Zürich  oder  sonstwo  zu  bleiben,  so  kann  ich 
Ihnen  dieses  Opfer  nicht  ersetzen. 

Rüstow  schüttle  ich  vielmals  und  herzlich  die  Hand.  Sein  Brief  zeigt 
in  jedem  Worte  sein  wahres  und  warmes  Gefühl  für  mich.  Er  wird  mir 
nicht  zürnen,  wenn  ich  seine  Angelegenheit  bis  jetzt  ruhen  lassen 
mußte  .  .  . 

154- 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,   i8.  Dezember   1862. 

.  .  .  Ihren  Brief  habe  erhalten.  Die  Akte  mit  meinem  Schwager  habe 
geschlossen  imd  meine  Schwester  sehr  gut  gestellt.  Nur  in  ganz  un- 
wesentlichen Kleinigkeiten  habe  ich  nachgegeben.  Dagegen  habe  ich 
mir  allerdings  viel  vergeben  müssen.  Nämlich  ich  habe  ein  für  allemal 
auf  meine  Ansprüche  wegen  des  Prager  Geschäfts  verzichten  müssen, 
so  daß  ich  nicht  mehr  hiergegen  ankam.  Das  ist  viel,  denn  ich  hätte 
eine  Vergleichsumme  von  40  000  Rt.  mindestens  so  gut  wie  Szarbinowski  ^) 
von  ihm  ertrotzt.  Inzwischen  hätte  er  sonst  wegen  der  Schwester  nicht 
nachgegeben,  und  ich  war  allein,  wollte  der  Ruhe  schaffen,  für  mich 
Ruhe  haben  und  arbeiten  können.  Und  so  habe  ich  es  getan.  Wären  Sie 
dagewesen,  so  hätte  ich  es  wahrscheinlich  nicht  getan.  Aber  Sie  mußten 
ja  fortgehen  und  so  war  ich  allein  und  verstimmt  und  wollte  Ruhe  haben. 
Hol's  der  Teufel! 

Neulich  schrieb  mir  die  Herwegh,  ich  solle  jetzt  j  a  schleunigst  das 
Gedicht  in  der ,, Reform"  abdrucken  lassen.  Das  tat  ich  denn  mm,  indem 
ich  einen  Artikel  dazu  schrieb  ,, Aspram onte  und  die  Poesie",  so  ein 
kleines  Brimboriumgeschwätz,  ^)  dessen  Schluß  auf  Garibaldi  berechnet 

1)  Ein  langer  Brief  I,assalles  an  den  Breslauer  Rechtsanwalt  Szarbinowski  vom 
3.  Mai  (1863),  der  sich  mit  diesen  Familienauseinaudersetzungen  befaßt,  befindet 
sich  im  Nachlaß.  Lassalle  bedient  sich  dort  gegen  seinen  Schwager  Friedland  der 
schärfsten  Ausdrücke.  So  schreibt  er  z.  B. :  Schlagen  Sie  mir,  ich  bitte  und  beschwöre 
Sie,  die  Kanaille  an  den  Galgen,  erwürgen  Sie  ihn  in  einem  Prozeßnetz  von  eisernen 
Maschen,  ich  werde  zeitlebens  Ihr  dankbarster  Schuldner  sein  .  .  .  Seine  Zeit, 
schreibt  Lassalle  hier,  sei  ganz  anderen  Dingen  gewidmet;  lieber  als  sich  selbst  auf 
Aktenstudien  einzulassen,  verzichte  er  ,,auf  Geld  und  Gut  und  selbst  auf  Rache" ! 

2)  Vgl.  dazu  Lassalles  Brief  an  Herwegh  vom  gleichen  Tage.  Lassalles  Aufsatz 
wurde  neu  abgedruckt  in  Ferdinand  Lassalles  Briefen  an  Georg  Herwegh,  Zürich 
1896,  S.  53. 


313  = 

ist.  Ich  schicke  Ihnen  heut  zwei  Exemplare  davon  unter  Kreuzband, 
eins  für  Sie  und  Rüstow,  das  andere  lassen  Sie  Garibaldi  zukommen. 
Rüstow  kann  es  ihm  ja  schicken.  Sie  müssen  auf  der  Post  auf  dem 
Bureau  für  Journale  fragen,  das  oft  von  dem  für  Briefe  getrennt  ist. 

Meine  Schwester  ist  jetzt  in  Prag,  kommt  nach  i.  Januar  her.  Ihr 
Schwiegersohn  und  ihre  Tochter  haben  sich  scheußlich  gegen  sie  be- 
nommen. Um  so  mehr  wollte  ich  ihr  in  Ruhe  eine  Existenz  sichern. 

Oft  schreiben  werde  ich  Ihnen  nicht.  Erwarte  aber  viel  Briefe  von 
Ihnen.  Sie  haben  eine  Reise  zu  Ihrem  Vergnügen  angetreten,  Sie  sind 
fortgegangen,  nicht  ich,  der  ich  dasitze,  mir  die  Knochen  abarbeite  oder 
mich  ennuyiere.  Da  kömmt  nicht  auch  noch  die  Arbeit  des  Schreibens 
auf  mich,  sondern  auf  Sie.  Zumal  meine  Briefe  immer  so  lang  werden. 
Aber  je  häufiger  Sie  schreiben,  desto  lieber  ist  es  mir.  Das  Politecnico 
habe  empfangen.  Hier  ist  alles  überaus  langweilig,  und  ich  möchte  mich 
hängen  vor  ennui !  Suchen  Sie  mir  in  Italien  eine  schöne  Frau !  Das  würde 
mich  allein  vielleicht  noch  etwas  zerstreuen! 

Ihr 

F.  Lassalle. 

155. 
LASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,   24.  Dezember   1862. 

Gute  Gräfin !  Es  ist  Weihnachtstag.  Ich  bin  soeben  mit  allen  Vor- 
bereittmgen  erst  fertig  geworden  und  habe  nun  noch  zwanzig  Minuten, 
dann  kommt  Bucher.  Aber  ich  muß  Ihnen  heute  noch  schreiben,  um 
Ihnen  zu  sagen,  wie  leid  es  mir  ist,  Sie  ferne  zu  sehen,  und  wie  lieb  ich 
Sie  habe.  Es  geht  mir  sehr  schlecht.  Innerlich.  Ich  bin  weich  geworden 
und  wie  eine  Tränendrüse,  ich,  der  ich  nie  eine  Träne  weinen  koimte ! 
Der  Schlag  mit  meinem  Vater  scheint  mich  wirklich  aufgeweicht  zu 
haben  und  wie  ausgetauscht.  Ich  habe  all  die  Tage,  wie  ich  die  Ge- 
dichtchen machte  für  meine  Freunde,  mit  denen  ich  die  Geschenke 
begleite,  geweint,  in  einem  fort,  denn  ich  dachte  immer  an  den  Weih- 
nachtsabend in  Düsseldorf,  wo  ich  Ihnen  das  Tierreich  aufbaute  mit 
Verschen,  und  wie  ich  jetzt  noch  viel  einsamer  geworden  bin!  Nun 
gut!  Amüsieren  Sie  sich  wenigstens  aufs  beste  und  schreiben  Sie  doch 
mindestens  häufiger!  Noch  immer  habe  ich  keinen  Brief  aus  Genua^) 
von  Ihnen.  Wenn  Sie  immer  nur  Zug  um  Zug  schreiben  wollen,  so  wird 
die  Korrespondenz  sehr  dünn  werden!  Ich  habe  so  viel  zu  tun,  Sie  gar 
nichts ! 

^)  Die  Gräfin  hielt  sich  in  Rüstows  Begleitung  in  Genua  auf. 


-  314  = 

Heut  abend  sind  bei  mir  Bucher,  Loewe,  Pritzel,  Ziegler  und  Marie. ^) 
Was  ist  das  alles,  da  Sie  fort  sind !  Wehmütig  schaue  ich  auf  den  dummen 
Weihnachtsbaum.  Adieu !  Eben  kommtmein ,, Was  nun  ?"  an.  Ich  schicke 
zwei  Exemplare  für  vSie  und  Rüstow.  Ihr 

F.  lyassalle. 

156. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSAivLE.  (Original.) 

Genua,  24.  Dezember   1862. 
Liebes  Kind, 

ich  habe  Ihnen  zweimal  von  unterwegs  ein  paar  Worte  geschrieben,  haben 
Sie  es  nicht  erhalten?  und  hoffte  sicher,  hier  einen  Brief  von  Ihnen 
[hier]  zu  finden,  aber  warte  leider  bis  heute  vergebens  auf  Nachricht. 
Heute,  wo  ich  ganz  besonders  an  Sie  denke,  muß  ich  Ihnen  doch  wieder 
trotz  Ihrer  Vernachlässigung  schreiben.  Heute  abend,  wenn  Sie  Ihre 
Freunde  um  sich  versammeln,  darf  der  beste  nicht  dabei  fehlen,  und  ich 
bin  in  Gedanken,  davon  seien  Sie  überzeugt,  bei  Ihnen ;  so  wie  am  Neu- 
jahrsabend, an  dem  Sie  wohl  diesen  Brief  haben  werden.  Ach,  liebes 
Kind,  wir  mögen  uns  noch  so  viel  gezankt  und  entzweit  haben,  so  viel 
steht  mindestens  fest,  daß  wir  uns  gegenseitig  für  andre  verdorben  haben ; 
und  das  große  Unrecht,  das  wir  begangen  haben,  zu  glauben,  daß  eine 
solche  Vergangenheit  und  Freundschaft  und  Vertrauen  sich  beliebig 
zerreißen  und  vernichten  lasse,  mußte  sich  wenigstens  vorübergehend 
rächen. 

Ich  bin  denn  endlich  hier  angekommen  nach  einer  beschwerlichen 
Reise,  ich  mußte  mich  in  Basel  einen  Tag,  in  Genf  einen  und  in  Turin 
nach  einer  beschwerlichen  Passage  des  Mont  Cenis,  halb  im  Wagen, 
halb  im  Schlitten,  zwei  Tage  ausruhen.  Hier,  wo  es  recht  kalt  ist,  und 
Sie  kennen  die  italienische  Art  der  Heizung,  nachdem  ich  schon  zweimal 
Wohnung  gewechselt  wegen  der  Kälte,  habe  ich  wieder  einen  meiner  ge- 
wöhnlichen Grippe  anfalle.  Es  ist,  das  sehe  ich  immer  mehr  ein,  ein 
positiver  Wahnsinn,  den  Winter  im  Norden  Italiens  zuzubringen.  Wenn 
man  etwas  von  dieser  großen  Reise  haben  will,  muß  man  wenigstens  nach 
Neapel  oder  Palermo  gehen ;  aber  ich  kann  mich  jetzt  nicht  entschließen, 
noch  weiter  zu  gehen.  Auch  in  politischer  Beziehung  ist  alles  hier 
wenigstens  ebenso  tot  und  langweilig  wie  bei  uns,  eigentlich  noch  mehr, 
da  bei  uns  wenigstens  die  avancierteste  Partei  theoretisch  arbeiten 
kann  und  sich  der  Erfolge  erfreuen.  Diese  Partei  existiert  hier  noch 

1)  Ein  junges  Mädchen  aus  dem  Modegeschäft  von  Gerson,  mit  dem  Lassalle 
damals  in  intimen  Beziehungen  stand.   Briefe  von  ihr  befinden  sich  im  Nachlaß. 


315  =--— 

gar  nicht;  sogar  Bertani,^)  den  ich  in  Turin  sprach,  der  mich  über  die 
verschiedenen  Parteistellungen  bei  uns  befrug,  [befrug]  mich  mit  einiger 
Besorgnis,  ob  es  denn  doch  wohl  ohne  alle  unmöglichen  sozialistischen 
Utopien  wäre.  Hier  verstehen  sie  das  noch  nicht  einmal.  Was  nun 
ihre  eigenen  Angelegenheiten  anbelangt,  so  scheint  alles,  de  Boni^) 
sah  ich  auch,  sehr  decouragiert  und  sich  zu  der  Meinung  bekehrt  zu 
haben,  daß  nichts  zu  tun  sei,  als  sich  im  Inneren  zu  organisieren,  und 
daß  an  eine  revolutionäre  Bewegung  nur  nach  außen  kaum  zu  denken 
und,  wenn  es  geschähe,  nicht  an  das  Gelingen  zu  glauben. 

Über  Garibaldi  widerspricht  man  sich  sehr.  Bald  sagt  man,  seine 
Popularität  habe  gar  nicht  gelitten,  er  könne  150000  Mann  haben,  so- 
bald er  wolle,  dann  wieder,  er  würde  nie  ernstlich  wollen,  er  sei  auch 
nicht  Politiker  genug,  um  eine  solche  Bewegung  nur  leiten  zu  können, 
qu'on  cro^^ait  que  c'etait  un  homme  fini  visw.  Bertani,  der  mir  persönlich 
zwar  besonders  freundschaftlich  war,  aber  im  allgemeinen  viel  gemessener, 
ich  glaube  wegen  Rüstow,  dessen  Buch^)  er  jetzt  gelesen  und  wütend 
darüber  sein  soll,  wie  de  Boni  sagte,  war  noch  hoffnungsloser  als  dieser 
für  die  nächste  Zukunft.  Aber  auch  de  Boni  sagte,  daß  stark  daran  zu 
zweifehl,  trotz  aller  enthusiastischen  Demonstrationen,  daß,  wenn 
Garibaldi  auch  seine  letzte  Expedition  ernstlich  genommen  hätte,  das 
ganze  Volk  dem  Impuls  in  genügendem  Maß  gefolgt  sein  würde ;  diese 
entmutigende  Überzeugung  habe  Garibaldi  selbst.  Auch  sagte  er,  daß 
die  Komödie  von  Aspromonte,  nämlich  sich  nicht  im  Notfall  schlagen 
zu  wollen,  nicht  im  Gedanke[n]  und  Entschluß  von  Garibaldi  selbst  her- 
stamme, sondern  sie  sei  ihm  von  vornherein  als  Bedingung  von  seinen 
Hauptleuten  gestellt  worden.  Dies  würde  natürlich  die  Beurteilung  für 
ihn  ändern ;  nur  begreift  man  doch  nicht,  wie  er  sich  darauf  eingelassen. 
Im  übrigen  fehlt  es  ihm  auch  jetzt  nicht  an  den  enthusiastischsten 
Demonstrationen;  seine  Reise  von  Pisa  nach  Divorno,  wo  er  sich  nach 
Caprera  eingeschifft,  war  ein  wahrer  Triumphzug;  an  jedem  Fenster 
hängt  sein  Bild  unzähligemal,  und  Ihnen  zu  zeigen,  wie  weit  man  das 
treibt,  schicke  ich  Ihnen  hierbei  eine  Photographie  seines  Stiefels  und 
seiner  Kugel.  Es  gefällt  mir  nicht,  daß  er  nach  Caprera  geht.  Bertani 
ging  so  weit,  zu  sagen,  es  wäre  gut,  wenn  er  nach  England  ginge, 
um  sich  dort  etwas  zu  retrempieren !   Rüstow  ist  wie  in  allem  so  auch 


1)  Agostino  Bertani  (18 12 — 1886),  1860  Generalsekretär  der  provisorischen 
Regierung  in  Neapel,  später  Führer  der  radikal-republikanischen  Partei  im  italie- 
nischen Parlament. 

2)  Filippo  de  Boni  (18 16 — 1870),  republikanischer  italienischer  Schriftsteller 
und  Parlamentarier,  Redakteur  des  ,,Popolo  d'Italia"  in  Neapel. 

^)  Rüstow  hatte  in  seinen  Erinnerungen  aus  dem  Feldzuge  von  1860,  Leipzig 
1861,  sich  recht  abfälhg  über  Bertani  geäußert. 


■ — —  3i6  — 

in  der  italienischen  Sache  ganz  decouragiert,  will  sich  um  nichts 
kümmern  usw. 

Was  mich  aber  auch  weit  mehr  interessiert,  ist,  zu  wissen,  was  Sie 
anfangen,  Nachrichten  von  Ihnen  zu  haben.  Es  beunruhigt  mich 
wahrlich,  so  lange  nichts  zu  hören.  Haben  Sie  weitere  Fatalitäten  mit 
Ihrem  Schwager  gehabt?  Warum  schreibt  mir  Ihre  Schwester  nicht, 
wie  sie  es  versprochen,  gleich  zu  tun.  Sagen  Sie  ihr  das  mit  vielen  Grüßen, 
lyiebes  Kind,  schreiben  Sie  mir,  so  oft  Sie  können,  sagen  Sie  mir,  wie  es 
Ihnen  geht,  sprechen  Sie  mir  von  Ihrer  Tätigkeit,  mit  der  sich  niemand 
so  identifiziert  als  ich.  Eine  wahre  Herzensfreude  ist  es  mir  immer, 
Sie  anerkannt  imd  Ihre  Erfolge  zu  sehen.  Sagen  Sie  auch  an  lyoewe,  er 
soll  mir  schreiben,  mir  Nachricht  von  Ihnen  geben ;  er  hatte  mir  ver- 
sprochen, seine  Berichte  anstatt  an  Bertani  direkt,  an  mich  zu  adres- 
sieren, damit  ich  auch  au  courant  der  Sachen  bleibe.  Schreiben  Sie  mir 
nur  recht  oft,  und  seien  Sie  überzeugt,  daß,  wenn  Sie  an  mich  denken, 
•Sie  mich  immer  auf  halbem  Wege  begegnen.  Ich  bin  krank  innerlich  mid 
äußerlich.  Nun  leben  Sie  herzlich  wohl,  liebes  Kind,  ich  hätte  noch 
vieles  auf  dem  Herzen,  was  ich  sagen  möchte,  sich  aber  nicht  gut 
schreiben  läßt,  weil  es  sich  nicht  ganz  so  schreiben  läßt,  wie  man  es 
meint,  und  mißverstanden  wird. 

lyeben  Sie  nochmals  herzlich  wohl,  ich  bin  so  imwohl  und  so  kalt, 
daß  ich  nicht  weiterschreiben  kann.  Schreiben  Sie  ja  recht  bald.  Grüße 
an  alle,  die  sich  meiner  erinnern.  Adresse  Genua,  poste  restante. 


157- 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  IvASSALIvE.  (Original.) 

Genua,  28.  Dezember  1862. 

Endlich,  liebes  gutes  Kind,  gestern  einen  Brief  von  Ihnen,  der, 
Gott  weiß  wie,  acht  Tage  gebraucht  hat,  mir  zuzukommen.  Ich  habe 
mich  recht  sehr  gefreut  über  Ihre  glückliche  Entdeckung,  den  Wechsel 
der  Blocks  betreffend,  ich  kann  es  nicht  leugnen,  daß  ich  eine  große 
und  doppelte  Freude  haben  würde,  diesen  Kerlen  einen  Teil  Ihres 
Raubes  wieder  zu  entreißen  und  dann  dieses  Geld  ganz  anders  und  besser 
anwenden  zu  können  .  .  .  Sehr  und  fast  ganz  ist  mir  indessen  dieser 
Hoffnungsstrahl  in  einer  Sache,  die  mir  schon  so  viel  Kummer  bereitet 
hat,  verbittert  worden  durch  die  Nachricht,  die  Sie  mir  geben,  daß 
Sie  auf  alle  Ihre  Ansprüche  an  Friedland  zugunsten  Ihrer  Schwester 
verzichtet  haben  !!^)  Ist  dies  wirklich  wahr  und  gar  nicht  mehr  zu  re- 


^)  Siehe  oben  Nr.  154. 


=  317  —  ^= 

dressieren?  Sie  hatten  mir  so  sicher  versprochen,  es  nicht  zu  tun!! 
Ich  hatte  Sie  so  sehr  darum  gebeten,  es  nicht  zu  tun.  Welche  Mittel 
konnte  denn  Friedland  haben,  Sie  zu  solcher  Nachgiebigkeit  zu  bringen  ? 
Hatte  er  die  Mittel,  sich  zu  widersetzen?  Und  wenn  denn  nun  Ihre 
vSchwester  etwas  weniger  bekommen  hätte,  hat  sie  denn  solch  absolutes 
devouement  verdient?  Und  noch  dazu  sagen  Sie,  wenn  ich  dagewesen, 
hätten  Sie  es  nicht  getan;  das  ist  sehr  hart  und  ungerecht,  denn  Sie 
wissen  recht  gut,  daß  es  nicht  meine  Schuld,  daß  ich  nicht  da  war,  daß 
mich  Arrangements  und  Versprechen  banden,  die  ich  unter  Verhält- 
nissen eingegangen,  wo  ich  den  Aufenthalt  in  Berlin  nicht  wünschen 
konnte,  und  nicht  ohne  die  schlimmsten  Folgen  und  größte  Ungerechtig- 
keit rückgängig  zu  machen  waren.  Wäre  ich  nicht  wirklich  am  lo.  in 
Basel  eingetroffen,  wäre  Rüstow  entschieden  am  ii.  nach  Berlin 
[gereist].  Sie  sagen,  Sie  langweilen  sich  in  Berlin  und  fühlen  sich  ein- 
sam; ich  kann  nur  sagen,  daß,  wenn  ich  hätte  dableiben  können,  ich 
mich  nicht  gelangweilt  hätte.  Wir  leben  hier  in  der  vollständigsten  Ein- 
samkeit. Am  Weihnachtsabend  hatten  wir  einen  Simulacre  von  Weih- 
nachtsbaum, auf  den  ich  recht  wehmütig  geblickt  habe  und  an  die  vielen 
denken  mußte,  die  wir  zusammen  erlebt  und  oft  trotz  unsrer  Verlassen- 
heit, und  Einsamkeit  freudig  zuzubringen  wußten.  Ach,  liebes  Kind, 
man  lernt  alle  Tage,  und  so  habe  ich  auch  jetzt  gelernt,  einsehen,  wie 
schwer  es  Ihnen  manchmal  geworden,  welche  mouvements  d'impatience 
Sie  hatten  über  meine  Morosität,  mein  dumpfes  Hinbrüten,  wenn  ich 
auch  noch  immer  der  Meinung  sein  muß,  daß  das  gänzliche  Wegleugnen 
der  Ursachen,  die  Verhinderung  jeder  Expansion  und  Klage  [nicht] 
die  richtigen  Mittel  waren,  und  daß  etwas  mehr  Eingehen  darauf, 
etwas  Nachsicht  und  Teilnahme  und  dann  Versuche  zur  Aufrichtung 
und  Erheiterung  wirksamer  sein  würden.  Rüstow  hat  noch  weit  mehr, 
als  es  bei  mir  der  Fall  war  —  und  ich  glaube  gewiß  nicht  mit  mehr 
Grund,  denn  er  leidet  jedenfalls  weniger  lange  — ,  ein  verdüstertes  und 
durch  die  Ungerechtigkeit  des  Schicksals,  Nichtanerkennimg,  Unmög- 
lichkeit [Gelegenheiten],  sich  zur  Geltung  zu  bringen,  seine  unglückliche 
Ehe,  die  ihn  äußerlich  wie  innerlich  in  eine  ihm  ganz  unangemessene 
Lage  bringt,  ein  ganz  verbittertes  Gemüt,  unzufrieden  mit  der  Welt, 
mit  sich,  mit  allem.  Es  ist  unendlich  traurig  mitanzusehen  in  einem 
so  guten,  so  fähigen  und  tüchtigen  Menschen  und  ihm  nicht  helfen  zu 
können.  Er  ist  mir  so  attachiert,  wie  es  nur  möglich  ist,  glaubt,  nicht 
mehr  leben  zu  können  ohne  mich,  aber  Erheiterung  kann  ich  ihm  doch 
nicht  geben.  Ich  sage  Ihnen  dies,  liebes  Kind,  unter  dem  Siegel  der 
tiefsten  Verschwiegenheit  und  bitte  Sie,  nie  etwas  davon  merken  zu 
lassen  und  diesen  Brief  gleich  zu  verbrennen.  Nun  leben  Sie  wohl, 
liebes  Kind!  Wenn  Sie  mir  auch  nicht  viel  schreiben,  so  schreiben  Sie 


—  3i8  — 

oft,  Sie  macheu  mir  dadurch  große  Freude.  Lassen  Sie  mir  durch 
Ivoewe  Details  über  Ihr  äußeres  Tun  und  Treiben,  Ihre  pohtische  Tätig- 
keit schreiben,  daß  ich  au  courant  bleibe.  Vorzüglich  daß  ich  gleich 
alles  über  Ihren  Prozeß  erhalte  und  Ihre  Rede  und  Broschüren  be- 
komme, lycben  Sie  wohl!  Die  allerbesten,  allerherzlichsten  Grüße! 


158. 
SOPHIE  VON  HATZFEivDT  AN  IvASSAI.I.E.  (Original.) 

Genua,   i.  Januar   1863. 

lyiebes  Kind,  heute  ist  Neujahrstag,  und  das  erstemal  seit  vielen 
Jahren  —  denn  auch  im  vorigen  Jahr,  obgleich  entzweit,  waren  wir  doch 
beisammen  —  sind  wir  weit  entfernt.  Gestern  abend  waren  wir  allein, 
ich  und  Rüstow  soupierten  zur  Feier  des  Tages,  und  Schlag  zwölf  Uhr 
wurde  ein  Glas  Champagner  getrunken.  Wie  lebhaft  habe  ich  da  an  Sie 
gedacht,  vSie  mir  vorgestellt  in  der  Umgebung,  die  ich  voraussetze, 
gewiß  zahlreicher  und  bruyanter  wie  die  meinige,  und  auch  mit  dem 
Glase  in  der  Hand  und  auch  an  mich  denkend,  nicht  wahr?  Wie  lebhaft 
sind  nicht  alle  Wünsche,  die  ich  für  Sie  habe,  für  die  Erreichung  Ihrer 
Zwecke,  für  die  Anerkennung,  die  Sie  verdienen,  für  Ihre  Sicherheit 
dabei,  Ruhe  und  Freude  Ihres  Uebens,  und  daß  Ihr  Herz,  das  durch 
einen  harten  Schlag  aus  der  Vereinsamung  durch  absichtliche  Ver- 
steinerung geweckt  wurde,  nicht  wieder  darin  verfallen  möge,  daß  unsre 
Freundschaft,  die  durch  eine  harte  Probe  gegangen,  sich  als  das,  was 
sie  ist,  als  unauflöslich  und  beiden  unentbehrlich  erkannt  — ,  wie  lebhaft 
sind  alle  diese  Wünsche  an  mir  vorübergegangen!  Ich  weiß  nicht,  ob 
Sie  das  ebenso  lebhaft  fühlen  als  ich,  Sie  sind  so  sehr  ein  Teil  meiner 
selbst  geworden,  ich  bin  mit  allem  Denken  so  mit  Ihnen  identifiziert,  daß 
ein  solches  Verhältnis  nur  durch  den  Tod  wirklich  getrennt  werden 
kann.  Ihre  Broschüren  habe  erhalten  und,  obgleich  ich  sie  ja  schon 
kannte,  sofort  wieder  mit  neuem  Vergnügen  gelesen.  Es  ist  wie  ich 
sagte,  unser  Denken  ist  ein  gleiches  und  identifiziertes  geworden.  Ich 
glaube,  alles,  was  Sie  gefunden,  würde  ich  innerlich  auch  gefunden 
haben;  wenn  ich  es  nur  dann  auch  ausdrücken  könnte.  Ich  möchte  gern 
die  beiden  Broschüren  ins  Italienische  übersetzen  lassen,  nur  sind  zwei 
Hindernisse;  das  erste,  äußerliche  ist,  daß  ich  hier  absolut  niemand 
kenne,  Mario^)  ist  auch  nicht  mehr  hier,  der  mir  jemand  dafür  nach- 


^)  Alberto  Mario  stand  an  hervorragender  »Stelle    auf  dem  linken  Flügel  der 
italienischen  Einheitsgesellschaft . 


=  319 ^^= 

weisen  könnte,  alsdann  glaube  ich,  d.  h.  ich  weiß,  daß  hier  noch  nie- 
mand ä  la  hauteur  dieses  Standpunktes  ist,  nicht  einmal  die  In- 
telligentesten, die  wie  auf  eine  überwundene,  gefährliche  Utopie  darauf 
quasi  herabsehen.  Es  ist  wahr,  man  mag  sich  noch  so  sehr,  wenn  man 
dort,  über  die  Dummheit  und  Tatlosigkeit  der  Deutschen  ärgern,  in 
der  Fremde  und  im  Vergleich  lernt  man  sie  theoretisch  recht  hoch 
schätzen  und  weiß,  daß  eine  Zeit  kommen  muß,  wo  man  stolz  sein 
wird,  ein  Deutscher  zu  sein.  Übrigens  höre  ich  und  sehe  ich  jetzt  hier 
gar  nichts  als  durch  die  Zeitungen,  die  weiß  Gott  noch  viel  schlechter 
als  die  unsrigen  sind.  Ihre  auswärtigen  Nachrichten  und  politischen 
Räsonnements  darüber  sind  von  einer  kindischen  Ignoranz.  Es  ist  jetzt 
entschieden  weit  größere  politische  Bewegung  bei  uns  als  hier;  die 
Kammern  sollen  am  14.  zusammenkommen,  und  ich  erfahre  hier  so  gut 
wie  nichts.  Zwingen  Sie  doch,  da  Sie  so  wenig  Zeit  haben,  Loewe,  mir 
zu  schreiben;  er  hatte  es  so  sicher  versprochen,  mir  Rapport  über  Sie 
abzustatten  und  sonst  mir  die  Berichte  für  Bertani  einzuschicken, 
damit  ich  sie  erst  lesen  kann.  Es  ist  sehr  unrecht  von  ihm,  daß  er  es 
nicht  tut. 

Schreiben  Sie  mir  doch,  welches  Wetter  bei  Ihnen,  damit  ich  mich 
etwas  tröste  über  das  hiesige,  wenn  Sie  furchtbare  Kälte  und  Schnee 
haben.  Hier  sind  manchmal  (selten)  Tage  wie  im  Sommer  bei  uns, 
glänzendster  Sonnenschein  und  dann  wieder  kalter  Wind,  Nebel,  Regen 
und,  was  am  schlimmsten,  das  Unkomfortable  der  Zimmer,  was,  wenn 
man  immer  zu  Hause,  sehr  lästig.  Ein  sehr  alter  Bekannter,  der  aber 
übermorgen  waeder  nach  Nizza  geht,  hat  mich  zufällig  gestern  hier  auf- 
gefunden, Chevalier  Uanzoni.  Wenn  er  mich  so  verändert  gefunden, 
wie  ich  ihn !  Was  ich  machen  M^erde,  ob  ich  weiter  reise,  weiß  ich  noch 
gar  nicht,  ich  glaube,  die  Macht  der  Schwerkraft  und  Inertie  und  der 
Gedanke,  daß  soviel  für  die  Rückreise  gewonnen,  wird  mich  hier  fest- 
halten, obgleich  es  in  keiner  Beziehung  hier  schön  und  ich,  glaube  ich, 
von  meiner  Passion  für  Genua  jetzt  mich  kuriere.  Was  mich  schon  jetzt 
sehr  beunruhigt,  sind  die  Berichte  und  was  ich  davon  auch  gesehen, 
von  dem  furchtbaren  Schneefall  im  Norden  und  in  der  Schweiz,  so  daß 
jetzt  schon  die  Eisenbahnen  zwölf  Stunden  lang  dort  unterbrochen 
waren.  Wie  und  wann  kann  ich  wieder  über  die  Alpen?  Diese  Scheide- 
wand, die  einen  verhindern  kann,  beliebig  jeden  Augenbhck  zurück- 
zukehren, ist  eine  große  Nachtseite  dieser  Reise,  wenn  man  nicht  ein 
absoluter  Held  ist. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  die  allerbesten,  herzhchsten  Grüße. 
Ich  schicke  hier  eine  Photographie  Bertanis,  die  Sie  noch  nicht  haben, 
und  die  allerneueste  Garibaldis,  für  die  er  selbst  Sfesessen. 


—  320 

159- 
IvASSAIvI^E  AN  vSOPHiK  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Berlin,  8.  Januar   1863. 
Gute,  liebe  Gräfin! 

Ihre  lieben  Briefe  erfreuen  mich  sehr  und  tun  mir  wahrhaft  wohl, 
obwohl  sie  auch  wehmütige  Gefühle  in  mir  erwecken.  Warum  kommt 
Ihnen  alle  Einsicht  und  alles  Verständnis  dessen,  was  ich  so  häufig 
voraussah  und  voraussagte,  immer  erst,  wenn  es  zu  spät  ist?  In  diesen 
einen  Satz  faßt  sich  beinah  die  ganze  Geschichte  unserer  Beziehungen 
und  Erlebnisse,  im  großen  wie  im  kleinen,  zusammen!  Ich  habe  einmal, 
wie  Kassandra,  das  zweite  Gesicht!  Ich  sehe  mindestens  die  meisten 
Dinge  klar  und  deutlich  im  voraus  —  aber  es  nützt  mir  ebensowenig, 
wie  es  der  Kassandra  geholfen.  Die  Leute  glauben  mir  nicht  mehr  als 
ihr,  und  vSie  selbst  gleichfalls  nicht.  Immer  erst  —  zu  spät !  J  e  t  z  t  schreiben 
Sie  mir,  Sie  fühlten  erst  recht  deutlich,  wie  wir  uns  gegenseitig  für  die 
andern  verdorben  haben.  Ich  habe  das  lang  im  voraus  gewußt!  Er- 
innern Sie  sich,  wie  wir  Marx^)  nach  Potsdam  begleiteten  und  das  Ge- 
spräch scherzhaft  darauf  kam,  daß  Sie  mir  entführt  werden  sollten,  und 
ich  lachend  sagte,  es  könne  mir  nichts  Besseres  passieren,  als  daß  Sie 
mir  auf  ein  Jahr  entführt  würden?  Denn  während  Sie  jetzt  ewig  über 
mich  klagten  und  mit  mir  unzufrieden  seien,  würden  Sie  dann  erst 
einsehen,  wie  ich  doch  der  Beste  für  Sie  sei  und  viel  besser  als  alle 
anderen!  Sie  nahmen  das  damals  halb  übel.  Bei  mir  aber  war  es  nicht 
Scherz,  sondern  klares  Voraussehen. 

Sie  glaubten  es  nicht  —  jetzt  sehen,  jetzt  fühlen  Sie  es.  Und  Ihre 
Briefe  sind,  ohne  daß  Sie  es  wollen,  eine  Variation  auf  dies  Thema.  Sie 
glaubten  es  nicht !  Sie  gingen  —  ich  kann  es  jetzt  sagen,  da  Sie  wissen, 
daß  ich  Ihnen  auch  nicht  das  geringste  Ressentiment  bewahrt  habe  — 
unverantwortlich  in  Italien  mit  mir  um.  Mailand,  und  besonders 
Genua!  Ich  habe  eine  stolze  Seele,  und  es  wird  bei  mir  immer  ein  Punkt 
kommen,  wo  das  Gefühl  der  empörten  Gerechtigkeit  und  Würde  alles 
andere  überwiegt.  Ich  habe  die  Kraft,  mir  alles  selbst  aufzuerlegen,  was 
einmal  sein  muß  —  und  ich  lebe  ja  nur  von  dieser  Kraft-!  So  brach 
ich  mit  Ihnen  —  und  ich  mußte  es  tun,  und  so  sehr  ich  mit  Ihnen  aus- 
gesöhnt bin,  so  werde  ich  immer  stolz  und  zufrieden  damit  sein,  daß 
ich  damals  das  tat  und  es  zu  tun  die  Kraft  hatte!  Was  es  mich  kostete 
—  davon  haben  Sie  mindestens  damals  keine  Ahnung  gehabt!  Sie 
gingen  einer  neuen  Freundschaft  entgegen,  Sie  waren  notwendig  mehr 
oder  weniger  getröstet  tmd  ausgefüllt,  wie  man  es  immer  ist,  wenn  man 

^)  Karl  Marx  war  im  März  1861  Ivassalles  Gast  in  Berlin  gewesen. 


— 321  —  

sich  eine  neue  Seele  erobert  hat!  Ich  aber  ging  zurück  einsam  in  die 
Vereinsamung,  brechend  mit  einer  sechzehnjährigen  Vergangenheit,  mit 
einem  Wesen,  dem  ich  meinen  ganzen  innern  Menschen  hingegeben,  mit 
dem  ich  mich  in  der  absolutesten  und  innigsten  Weise  total,  total 
identifiziert  hatte!!  Alles  Eis  der  Alpen,  während  wir  diesen  Alpen- 
übergang machten,  war  warmer  Sommer  gegen  das  Eis  in  meinem 
Herzen!  Aber  Sie  wissen  es  aus  den  Prozeßjahren  her,  ich  werde  wie  der 
indianische  Wilde  nicht  mit  der  lyippe  zucken,  und  wenn  ich  am  Marter- 
pfahl stehe!  Ich  hatte  die  Kraft,  mir  anzutun,  wozu  Sie  zum  Beispiel 
bei  Gelegenheit  Pauls  nicht  die  Kraft  hatten;  ich  brach  und  ging,  als  es 
so  weit  gekommen  war,  daß  ich  indigniert  war  und  sein  mußte.  Ich 
war  indigniert  —  aber  ich  war  Ihnen  weiter  gut.  Ich  betätigte  das 
zum  Beispiel  durch  die  Strafe,  die  ich  in  diesem  Moment  selbst  an  der 
Herwegh  vollzog.  Aber  ich  brach  und  ging !  —  Denken  Sie  sich,  denken 
Sie  sich,  wenn  Sie  es  vermögen  —  aber  keine  Phantasie  vermag  es  — 
wie  vor  mir,  dem  Einsamen,  als  ich  hier  ankam  in  meinem  einsamen 
Zimmer,  die  Trümmer  meiner  Existenz  herumlagen.  Kein  Mensch  hörte 
von  mir  eine  Klage !  Ich  fraß  und  würgte,  wie  immer,  alles  nach  innen, 
imd  Sie  selbst  haben  auch  seitdem  keine  gehört  und  hätten  keine  ge- 
hört, wenn  Sie  mich  nicht  durch  Ihre  Briefe  zu  einem  Gefühlserguß 
gezwungen.  —  Ich  brach  zur  Rettung  meiner  Würde,  was  unvermeidlich 
war.  Aber  ich  bewahrte  Ihnen  das  alte  Wohlwollen.  Ich  versöhnte  mich 
in  Zürich  mit  Ihnen,  ohne  Anstrengung  Ihrerseits  zu  verlangen.  Ich 
versöhnte  mich  mit  Ihnen  für  Sie  —  denn  ich  ging  fort,  ohne  irgend 
etwas  für  mich  von  Ihnen  zu  fordern,  ohne  zu  wissen,  ob  Sie  je  zu  mir 
nach  Berlin  zurückkämen,  ob  jemals  wieder  etwas  von  Ihrer  Existenz 
auf  mich  kommen  würde !  Ich  versöhnte  mich  mit  Ihnen  rein  um  Ihre  t- 
willen.  Ach  ja,  ich  habe  Sie  immer  sehr  geliebt,  und  so  anmaßend  das 
klingt,  ich  glaube  wirkhch  nicht,  daß  irgendein  Mensch  so  vieler  Güte, 
Liebe  und  Aufopferung  fähig  ist,  wie  ich  Ihnen  bewiesen  habe.  Ich 
versöhnte  mich,  damit  Ihnen  nicht  das  unangenehme  und  schmerzliche 
konfliktvolle  Gefühl  bliebe,  mit  mir  gebrochen  zu  haben,  damit  Sie  zu 
der  sonstigen  Befriedigung  Ihres  dortigen  Daseins  auch  noch  die  Be- 
friedigung, nicht  im  Zwist  mit  mir  zu  sein  oder  in  Kälte,  haben  möchten, 
und  ich  ging  weg,  der  Einsame  in  meine  Einsamkeit,  die  bald  durch  den 
Tod  desjenigen,  den  ich  außer  Ihnen  allein  noch  liebte,  noch  größer 
werden  sollte! 

Ich  begreife,  daß  Sie  jetzt  erst  begreifen,  was  ich  Ihnen  war  und 
wie  ich  zu  Ihnen  war,  und  daß  ich  mehr  getragen,  als  Sie  damals  wohl 
glaubten.  Es  scheint,  daß  Sie  jetzt  erst  einsehen,  wie  Morosität  auf 
Umgebung  wirkt  und  welche  übermenschliche  Geduld  ich  darin  aus- 
geübt! Denn,  Beste  und  Liebste,  was  war  und  ist  aller  andern  Menschen 

Maver,  Lassalle-Nachlass.     IV  21 


— 322  

Morosität  gegen  die  Ihrige !  Und  ein  Mann  trägt  dies  noch  weit  schwerer 
als  ein  Weib !  Und  ich  hatte  noch  während  der  Zeit  immer  zu  kämpfen  — 
während  der  Prozeßzeit  nach  außen  und  nachher  in  gewaltigen  theoreti- 
schen Arbeiten  —  und  zu  beiden  braucht  man  gleich  sehr  die  Seele 
frisch !  Unter  Ihrer  Morosität  in  der  Prozeßzeit  li  tt  ich  unendlich  —  aber 
ich  nahm  sie  Ihnen  gleichwohl  nicht  einen  Augenblick  übel!  Ich 
fand  sie  zu  natürlich  und  gerecht!  Es  war  Ihre  ganze  Existenz,  um  die 
es  sich  handelte.  Übel  nahm  ich  sie  Ihnen  erst  später  von  1858  ab,  als 
Sie  wegen  des  Öhlmühlenverlustes^)  in  eine  noch  größere  Morosität 
gerieten.  Für  ein  Stück  Geld  durfte  nicht  meine  ganze  unsterbliche 
Seele  so  hiugequält  werden  und  auch  Ihre  nicht!  Sehen  Sie  jetzt,  mit 
welcher  Gleichgültigkeit  ich  meinem  Schwager  eine  ebenso  große 
und  noch  größere  Summe  wie  jene  —  und  mir  bleibt  keine  wirklich 
gesicherte  Existenz  wie  Ihnen  —  hingeworfen  habe,  um  mir  nicht  Zeit 
und  Seele  mit  Prozeßärger  aufzureiben?  Oh,  ich  würde  niemals  den 
Mut  haben,  mir  um  meinetwillen  den  zehntausendsten  Teil  des 
Ivcides  zuzufügen,  das  ich  mir  um  Ihretwillen  so  oft  und  so  gern  zu- 
gefügt habe. 

(Bis  ins  Kleinliche  und  Spaßhafte  geht  dies  zu  späte  Einsehen 
dessen,  wie  sehr  ich  recht  hatte.  Ich  sagte  Ihnen  nach  acht  Tagen :  Genua 
ist  kein  Klima  im  Winter;  ich  hatte  es  Ihnen  im  voraus  gesagt.  Aber 
Sie  zehrten  von,  ich  weiß  nicht  welchen,  Traditionen  und  wollten  nicht 
nach  dem  Süden  und  verdarben  sich  und  mir  jenen  Winter  und  ver- 
derben sich  auch  noch  den  jetzigen,  jetzt  endlich  Ihren  Irrtum  ein- 
sehend.) 

Da  sitze  ich  arme  Kassandra  und  lächle  mir  den  bittern  und  weh- 
mütigen Trost  zu,  daß  ich  immer  alles  im  voraus  gewußt  habe  und  weiter 
wissen  werde  und  daß  es  mir  nie  etwas  geholfen  hat  und  niemals  helfen 
wird!  Denn  alles  ,,zu  spät"  ist  in  der  Regel  ,,zu  spät",  und  selten  sind 
die  Götter  so  freundlich,  eine  Umkehr  zu  erlauben! 

So  müssen  Sie  nicht  glauben,  daß,  wenn  Sie  jetzt  alles  einsähen  so 
gut  wie  ich,  eine  Umkehr,  ein  Ungeschehenmachen  so  leicht  sei.  Schwer- 
lich würde  es  möglich  sein.  Die  objektiven  Verhältnisse  würden  sich 
widersetzen,  werden  fortfahren  es  zu  tun,  wie  sie  es  schon  jetzt  tun. 
Ungeschehenmachen  ist  nicht  so  leicht  wie  unterlassen !  Rüstow  ist  ein 
zu  guter  und  gediegener  Mensch,  um  keine  Rücksicht  auf  ihn  zu  nehmen, 


^)  I/assalle  meint  die  Verluste,  die  die  Gräfin  bei  der  Firma  Diivves  &  Co. 
in  Köln  erlitt.  Sie  hatte  in  Höhe  von  Rt.  60000  Aktien  von  ihr  übernommen, 
um  sich  für  den  gleich  hohen  Verlust  zu  decken,  der  sie  bei  dem  Zusammen- 
bruch des  Hauses  Siegheim  &  Block,  dessen  Nachfolge  Düwes  antrat,  getroffen 
hatte. 


=  323 -=== 

nachdem  er  sich  einmal  so  au  Sie  angeklammert  hat!  vSo  wird  mir  nur 
eine  Hälfte,  ein  Vierteil  Ihres  Jahres  bleiben.  vSo  von  Ihiu-n  verlassen, 
werde  ich  mir  vielleicht,  um  doch  jemand  zu  haben  —  wenn  der 
Zufall  mir  hülfe,  ein  günstiger,  so  wäre  dies  nach  meiner  jetzigen 
Stimmung  leicht  denkbar  — irgendeinen  Menschen,  eine  lyebensgef  ährtin , 
die  für  mich  da  sein  soll,  suchen.  Die  steht  dann  wieder  meinerseits 
mehr  weniger  zwischen  mir  und  Ihnen,  und  so  erwachsen  denn  aus  allen 
objektiven  Verhältnissen  Folgen  und  Folgen  und  verketten  sich,  und 
sehr  selten  nur  trifft  es  sich,  daß  etwas  bleibt  wie  nicht  geschehen,  ohne 
reale  Spuren! 

Das  Vorstehende  wird  Ihnen  meine  recht  wehmütige  Stimmung 
vielleicht  klar  genug  machen.  Auch  dies,  mir  ein  Weib  zu  suchen,  haben 
Sie  mir  sehr  erschwert,  wenn  nicht  unmöglich  gemacht.  Denn  freilich 
haben  Sie  mich  durch  Ihre  großen  Vorzüge  verdorben  für  andere  Weiber. 
Wo  soll  ich  ein  Weib  finden,  das  mir  Sie  ersetzt! 

So  werde  ich  einsam  bleiben,  mein  lieben  unter  harter  Arbeit  zu 
Ende  hämmern  und  quälen,  und  welches  ist  meine  Befriedigung  für  alle 
Arbeit  und   Qual?!! 

Sie  sehen  alles,  was  mich  betrifft,  in  zu  hellem,  günstigen  Ivicht! 
Sie  sprechen  von  einer  geräuschvollen  Gesellschaft,  die  ich  Sylvester 
gehabt  haben  werde:  Allerdings,  es  waren  zwölf  Personen,  aber  ich 
glaube,  Sie  waren  in  Genua  doch  besser  dran  —  denn  Sie  hatten  Einen 
wirklichen  Freund  bei  sich! 

Was  meine  Erfolge  betrifft,  so  scheinen  Sie  mikroskopische  Gläser 
in  den  Augen  sitzen  zu  haben.  Es  ist  wahr  und  unleugbar,  mein  eherner 
Tritt  fängt  an,  langsam,  langsam,  aber  unverwischbare  Spuren  zu  hinter- 
lassen und  Erfolge  leise,  leise  zu  erringen !  Aber  Gott,  wie  langsam  geht 
das,  ehe  aus  diesen  lumpigen  Anfängen  irgend  etwas  wird !  Es  ist  wahr, 
ich  gewinne,  so  sehr  sich  alle  mit  vereinten  Kräften  gegen  mich  stemmen, 
ich  Einer  gegen  alle,  beständig  mehr  Terrain!  Aber  soviel  wie  eine 
Schnecke !  Es  wird  einmal  ein  Resultat  haben  —  aber  wer  weiß,  welche 
Reihen  von  Jahren  noch  vergehen,  bis  ich  einen  wirklichen  Erfolg  habe! 
Sie  wissen,  ich  habe  Ihnen  ja  schon  letzthin  mein  Schicksal  voraus- 
gesagt! Schon  ist  mein  Vater  tot,  für  den  mich  Erfolg  freute,  und  wahr- 
scheinlich, ehe  ein  wirklicher  Erfolg  eintritt,  sind  Sie  auch  schon  tot  — 
und  für  wen  soll  er  mir  da  und  was  soll  ich  damit? 

Meine  Seele  ist  matt  und  müde!  Nirgends  eine  Befriedigung,  in  der 
man  sich  baden  kann !  Sie  wissen  es,  Sie  kennen  mich  so  lange !  Ich  bin 
weniger  egoistisch  als  irgendeiner!  Sie  haben  mich  sechzehn  Jahre  lang 
sehen  idealistischer  als  vielleicht  irgendeiner  rein  im  Allgemeinen  und 
für  das  Allgemeine  leben.  Allein,  nach  so  langen  und  harten  sechzehn- 
jährigen Kämpfen,  nach  so  schweren  Arbeiten,  die  in  der  äußern  Welt 


324  == 

immer  keinen  Stein  von  der  Stelle  rücken,  sucht  man,  älter  werdend, 
endlich  nach  einer  Befriedigung  für  sich,  und  wenn  man  da  auch  keine 
findet  und  die  noch  verloren  hat,  die  man  besaß  —  ei  nun,  dann  halst 
man  sich  von  neuem  die  Arbeitslast  wieder  auf  den  Buckel  und  trägt 
fort  und  fort,  aber  es  ist  eben  ein  Sackträgerdasein,  das  man  führt! 

Genug  davon!  Bin  andres  Bild! 

Gehen  Sie  nach  Palermo !  Jedenfalls !  Es  ist  ja  eine  Reise  von  wenigen 
Tagen!  und  hindert  Sie  durchaus  nicht,  zum  April  zurück  zu  sein.  Denn 
das  bitte  ich  mir  aus! 

Geben  Sie  mir  doch  Ihre  Adresse!  Denn  die  Poste-restante-Briefe 
liegen  gewiß  tagelang,  ehe  sie  in  Ihre  Hände  kommen.  Am  Weihnachts- 
tag schrieb  ich  Ihnen  einen  Brief, ^)  den  Sie  Neujahr  —  als  Sie  Ihren 
letzten  schrieben  —  noch  nicht  hatten.  Ebenso  schickte  ich  Ihnen  — 
außer  den  Broschüren,  die  Sie  haben  —  zwei  Exemplare  der  ,, Berliner 
Reform"  mit  dem  Herweghschen  Gedicht  und  einem  Aufsatz  ,,Aspro- 
monte  und  die  Poesie"  von  mir.  Die  werden  Sie  auf  dem  Journalbureau 
der  Post  fordern  müssen. 

Mein  ,,Was  nun?"  macht  großes  Aufsehen.  Die  ,, Kreuzzeitung"  hat 
zwei  lange  I^eitartikel  darüber  gebracht,  natürlich  feindlich,  aber  mit 
höchster  Anerkennung,  mich  ganz  und  gar  von  dem  Fortschritts- 
gesindel \mterscheidend.2)  Ich  kann  sehr  zufrieden  damit  sein.  Dagegen 
tun  die  ,, Volkszeitung"  und  die  ,,National-Zeitung"  nach  wie  vor  nicht 
den  Mund  auf  darüber  (die  Fortschrittler  sind  in  einer  namenlosen 
Wut).  Bei  dieser  Gelegenheit  hat  Ziegler  neulich  ein  zu  klassisches  Wort 
zu  Zabel  in  einer  zahlreichen  Gesellschaft  gesagt,  als  daß  ich  es  Ihnen 
nicht  treu  —  avec  permission  —  wiederholen  sollte.  Er  sagte  ihm  vor 
allen  Hörern:  ,,Sie  gehen  seit  Jahren  systematisch  darauf  aus.  Lassalle 
totzuschweigen.  Sie  glauben,  wenn  Sie  nicht  von  ihm  sprechen,  so  können 
Sie  ihn  niederhalten.  Aber  das  ist  gerade  so,  als  wenn  sich  ein  altes  Weib 
mit  dem  A —  auf  den  Karlsbader  Sprudel  setzte  und  ihn  dadurch  nieder- 
halten wollte,  während  sie  sich  dabei  doch  nur  den  A —  verbrennt." 
Sie  können  sich  das  Entsetzen  denken,  um  so  mehr,  als  Zabel  selbst 
die  Wahrheit  davon  recht  gut  fühlt.  Ziegler  kam  ganz  glücklich  über 
sein  Wort  gleich  damit  zu  mir  gelaufen,  und  wir  haben  den  ganzen  Abend 
darüber  gelacht. 

Am  i6.  des  Monats  ist  mein  Prozeß.  Ich  werde  dreinschlagen,  daß 
es  wettert.  Wer  diese  stolze  Rede  liest,  der  hat  keine  Idee,  wie  mir  inner- 
lich zumute  ist!  Der  Gerichtshof,  durch  das  öffentliche  Gerücht  schon 
benachrichtigt,  daß  ich  eine  immense  Rede  halten  werde,  hat  einen 

^)  Siehe  oben  Nr.  155. 

2)  Vgl.  ,, Kreuzzeitung"  3.  und  6.  Januar  1863.  Der  erste  Artikel  war  ,,Was 
nun? — ",  der  zweite  ,,Wohl  nicht"   überschrieben. 


—  ^  325  —  = 

ganzen  Tag  von  neun  Uhr  abfür  mich  angesetzt,  während  sonstimmer 
vier  bis  sechs  Sachen  auf  einen  Vormittag  anstehen.  Der  Gerichtshof, 
wie  ich  höre,  freut  sich  aus  purer  Neugierde  selbst  schon  gar  sehr  darauf, 
mich  reden  zu  hören.  Die  Freude  soll  ihm  gründlich  werden! 

Die  italienischen  Nachrichten,  die  Sie  geben,  sind  freilich  schlecht. 
Immerhin  sind  die  hiesigen  noch  viel  schlechter.  Auf  die  Länge  der 
Zeit  ist  es  zwar  gerade  um  so  besser,  je  mehr  sich  die  Kammer  blamiert! 
Und  sie  wird  sich  schauderhaft  blamieren.  (Die  ,, Kreuzzeitung"  sagte 
ganz  richtig  und  offen :  Sie  rechne  darauf,  daß  der  Kreisrichter  doch  viel 
lieber  in  der  Residenz  sich  amüsieren  und  seine  Diäten  nehmen,  als  mit 
Herrn  Lassalle  Prinzipien  reiten  werde !)  —  Mit  dem  Meschores  habe  ich 
dringend  wegen  Rüstows  Amnestie  gesprochen.  Ersagtemir,  daßer,  wenn 
erwieder  im  Amte  sei^in  seinen  früheren — ,  es  durchsetzen  zu  können 
hoffe,  daß  er  aber  bis  dahin  nicht  den  dazu  erforderhchen  Einfluß  habe  . . . 

Meine  Schwester  ist  seit  dem  3.  Januar  hier  und  grüßt  Sie  herzlichst. 
Ihr  Umgang  ist  ein  sehr  geringes  Vergnügen  für  mich.  Ihre  Unter- 
haltung usw.  ist  nicht  nach  meinem  Geschmack.  So  dusele  ich  hin !  Wenn 
Sie  imd  Rüstow  hier  lebten,  so  würde  ich  mich  wohl  fühlen,  jetzt  aber 
ist  es  so,  daß  nur,  wenn  ich  mich  in  der  Arbeit  vergesse,  ich  von  Degout 
und  Überdruß  frei  bin  .  .  . 

Nun  leben  Sie  wohl,  beste  und  einzige  Freundin,  gehen  Sie  nach 
Palermo,  das  wird  Sie  amüsieren  und  erschwert  jadie  Rückreise  nicht, 
sondern  verlängert  sie  nur  um  einige  Tage.  Wie  können  Sie  sich  denn 
Ende  März  vor  dem  Schnee  fürchten,  über  den  Mont  Cenis  gehend? 
Da  ist  ja  gar  nicht  die  Rede  davon  I  Daß  Sie  nur  vor  allem  Anfang  April 
hier  sind,  darauf  verstehe  ich  keinen  Spaß!  Sagen  Sie  mir  das  in  jedem 
Ihrer  Briefe,  damit  ich  darüber  beruhigt  bin.  Bucher  läßt  sich  Ihnen 
vielmals  und  bestens  empfehlen.  Sie  wissen,  es  steht  ganz  fest,  daß  ich 
Juni  oder  Juli  mit  ihm  in  die  Hochalpen  reise.  Alle  meine  andern  Freunde 
grüßen  gleichfalls.  lyoewe  hat  versprochen,  Ihnen  zu  berichten.  Er  hat 
freilich  schauderhaft  viel  zu  tun.  Dieser  Brief  ist  wieder  so  lang  und  eng 
geschrieben,  daß  man  sechs  solche  wie  Ihre  aus  ihm  machen  kann! 
Adieu,  adieu!  Ihr  F.  Lassalle. 

160. 
LASvSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Berlin,  20.  Januar  [1863]. 
Gute  Gräfin! 
Sie  beschweren  sich  in  Ihrem  letzten  Briefe  an  mich  vom  9.  Januar 
und  in  dem  an  Anna  vom  13.  Januar,  daß  Sie  keine  Briefe  von  mir  er- 
halten. Ich  begreife  das  nicht !  Ich  habe  Urnen  bisher  in  den  vierzig  Tagen 


—  326  —  

Ihrer  Abwesenheit  drei  Briefe  geschrieben,  einen  bald  nach  der  Abreise/) 
einen  am  Weihnachtstage 2)  auf  den  Sie  mir  eigentlich  gar  nicht  geant- 
wortet) und  einen  etwa  am  8.  Januar,^)  drei  Bogen  lang,  so  klein  und 
eng  geschrieben,  daß  er  wie  fünfzehn  Bogen  von  Ihrer  Hand  war.  Ich 
schrieb  darüber  bis  drei  Uhr  nachts.  Haben  Sie  den  nicht  bekommen? 

Auch  habe  ich  noch  keine  Antwort,  ob  Sie  die  verschiedenen  Zei- 
tungen erhalten  haben,  nämlich  i.  zwei  Exemplare  des  Aspromonte- 
Gedichts  und  Artikels  (,, Berliner  Reform"),  2.  ein  Exemplar  meiner  ersten 
Erklärung  in  der  , .Vossischen  Zeitung"  und  der  ,, Berliner  Reform"  gegen 
die  ,, Volkszeitung". ^) 

Gleichzeitig  mit  dem  Gegenwärtigen  schicke  ich  Ihnen  femer: 

1.  meine  zweite  Erklärimg  gegen  die  ,, Volkszeitung"  (infolge  der  Ant- 
wort derselben),^) 

2.  einen  humoristischen  Artikel  der  ,,Kreuzzeitmig"^)  darüber, 

3.  meinen  Brief  an  die  ,,Kreuzzeitrmg"  über  mein  Verhältnis  zur 
,,  Volkszeitung".') 

Diese  Polemik  hat  der  ,, Volkszeitung"  wirklich  vielen  Schaden 
getan.  Ich  habe  diesmal  das  ganze  Publikum  auf  meiner  Seite  gehabt, 
wie  Ihnen  schon  die  ,, Kreuzzeitung"  zeigt.  Auch  andere,  rheinische 
Blätter  usw.,  haben  sich  dabei  für  mich  erklärt,  und  der  Unwille  hier 
über  die  ,, Volkszeitung"  war  größer,  als  ich  vermutet  hatte.  Ihnen 
wird  die  ganze  Geschichte  sehr  angenehm  sein.  —  Kommt  nun  meine 
Affäre  vom  16.  Januar!  Ich  weiß  nicht,  ob  Sie  den  vorläufigen  Aus- 
gang wissen,  der  —  mehr  als  ich  geglaubt  —  eine  ziemlich  allgemeine 
Entrüstimg  in  der  Stadt  hervorgerufen  hat!  Vier  Monate  Gefängnis! 

Dennoch  habe  ich  den  glänzendsten  Sieg  gefeiert  und  eine 
wichtige  Schlacht  geschlagen!  Der  Gerichtshof  war  nämlich  schon 
ganz  entschlossen  hingekommen,  mir  das  Wort  abzuschneiden. 


1)  Siehe  oben  Nr.  I54. 

2)  Siehe  oben  Nr.  155. 

3)  Siehe  oben  Nr.  159. 

*)  Am  10.  Januar  hatte  die  ,, Volkszeitung"  in  einem  ,, Überspanntheit  und 
Abspannung"  überschriebenen  Artikel  gegen  Lassalles  ,, Was  nun?"  polemisiert, 
ohne  ihn  zu  nennen.  Dennoch  erwiderte  ihr  Lassalle  in  der  ,, Vossischen  Zei- 
tung"  vom  13.  Januar  in  einer  vom  10.  Januar  datierten  ausführlichen  Zuschrift. 

*)  Die  Erklärung  steht  in  der  ,, Vossischen  Zeitung"  vom  15.  Januar  und  ist 
vom   14.  Januar  datiert. 

*)  In  der  ,, Kreuzzeitung"  vom  16.  Januar:  Der  Artikel  ist  — n  gezeichnet 
und  überschrieben;  ,, Lassalle  contra  Volkszeitung." 

^)  In  der  ,, Kreuzzeitung"  vom  18.  Januar  protestierte  Lassalle  in  einem  vom 
16.  Januar  datierten  Brief  dagegen,  daß  er  jemals  mit  der  ,, Volkszeitung"  politisch 
übereingestimmt  habe.  Er  habe  nur  mit  deren  Besitzer  Franz  Dimcker  in  einem 
persönlichen  Freundschaftsverhältnis  gestanden. 


—  327  = 

Der  Präsident  unterbrach  mich  gleich  bei  der  ersten  Äußerung,  die 
ganz  inoffensiv  war,  (dies  erste  Inzident  ist  in  der ,,  Vossischen  Zeitung" 
ziemhch  gut  wiedergegeben)  mit  der  Drohung,  mir  das  Wort  zu  ent- 
ziehen. Alle  Augenblicke  kamen  diese  Unterbrechmigen  und  Drohungen, 
wohl  acht-  bis  neunmal.  Aber  ich  siegte  in  diesem  Kampfe,  der  vier 
Stunden  währte,  vollständig.  Ich  zwang  sie,  das  Gift  bis  zum  letzten 
Tropfen  zu  verschlucken.  Ich  zeigte  ihnen,  was  ,, freie  Verteidigung" 
heißt.  Das  eine  Mal,  als  mich  der  Präsident  unterbrach  und  erklärte, 
er  werde  mir  das  Wort  entziehen  und  es  meinem  Verteidiger  über- 
tragen, erwiderte  ich  ihm:  ,,Das  werden  Sie  nicht!  Wenn  Sie  mir  das 
Wort  entziehen,  so  werde  ich  es  meinem  Verteidiger  entziehen  und  mit 
ihm  den  Saal  verlassen.  Üben  Sie  dann  die  Gewalt  in  der  Form  der  Ge- 
walt. Aber  den  bloßen  vSchein  einer  Verteidigung  werde  ich  nicht 
dulden.  Frei  wird  sie  sein  oder  gar  nicht."  (Das  Inzident  fehlt  leider 
in  der  ,, Vossischen  Zeitung".) 

Dies  machte  den  Präsidenten  stutzig.  Er  ließ  mich  jetzt  lange  und 
imunterbrochen  [sie!].  Endlich  bei  der  Stelle:  ,,Bin  ich  der  wissenschaft- 
liche Prügeljunge  des  Staatsanwalts?"  entzog  er  mir  definitiv  das  Wort. 
Ich  appelliere  sofort  an  den  Hof,  verlange  Beschluß  darüber,  ob  mir 
das  Wort  entzogen  werden  könne,  und  zunächst  hierüber  zum  Worte 
zugelassen  zu  werden.  Der  Staatsanwalt  protestiert  dagegen;  das  Wort 
sei  mir  entzogen,  ich  dürfe  gar  nicht  mehr  sprechen.  Ich:  ,, Welche 
Konfusion  der  Begriffe.  Der  Präsident  hat  mir  das  Wort  entzogen.  Ich 
habe  einen  Beschluß  des  Hofes  darüber  provoziert.  Diesen  Beschluß 
kann  der  Hof  nicht  fassen,  ohne  mich  zuvor  darüber  gehört  zu  haben. 
Ich  verlange  darüber  zu  plädieren,  ob  mir  das  Wort  zu  entziehen  sei." 
Der  Präsident,  wütend  eine  Feder  zerstampfend  und  unter  den  Tisch 
werfend:  ,,Der  Angeklagte  hat  das  Wort  darüber,  ob  ihm  das  Wort  zu 
entziehen  sei."  Der  Staatsanwalt  protestiert  dagegen,  daß  ich  über 
irgend  etwas  anderes  spräche.  Ich:  ,, Beruhigen  Sie  sich  gänzlich,  ich 
werde  bei  der  Stange  bleiben."  Ich:  ,,Zwei  Einreden  habe  ich  zu  er- 
heben ;  die  erste  ist  die,  daß,  wenn  ich  auch  den  Staatsanwalt  beleidige, 
Sie  deshalb  doch  durchaus  nicht  das  Recht  haben,  mir  das  Wort  zu  ent- 
ziehen. Der  Art.  134  gibt  nur  dann  das  Recht,  den  Angeklagten  aus  den 
Debatten  zu  setzen,  wenn  er  durch  ungebührliches  Betragen  die  Fort- 
setzung der  Verhandlungen  stört,  nicht  wegen  Beleidigung  des  Staats- 
anwalts. Wegen  dieser  kann  mich  derselbe  besonders  verfolgen.  Das  ist 
sein  Recht  —  nicht  aber,  mir  wegen  derselben  die  Wahrnehmung  meines 
Rechtes  abschneiden.  Zweitens  aber  hat  der  Staatsanwalt  und  Ihr  Prä- 
sident sehr  irrige  Ansichten  über  das,  was  eine  Beleidigung  des  Staats- 
anwaltes bildet.  Zu  respektieren  brauche  ich  ihn  nicht  und  schonen 
werde  ich  ihn  nicht  (Der  Staatsanwalt  erhebt  sich  von  neuem,  gegen 


=^  328  = 

diese  Beleidigung  protestierend).  Ich  werde  mich  streng  auf  der  äußer- 
sten Grenzhnie  seines  und  meines  Rechtes  halten ;  und  dies  besteht  darin, 
daß  ich  ihn  nicht  beleidigen  werde.  Wann  ist  eine  Äußerung  eine  Be- 
leidigung gegen  den  Staatsanwalt?  Nur  dann,  wenn  dieselbe  Äußerung 
auch  gegen  einen  Privatmann  eine  Beleidigung  wäre.  Denn  eine  be- 
sondere Ehre  hat  er  nicht.  Es  gibt  keinen  Gesetzartikel,  welcher  sagt, 
dies  oder  dies  sei  eine  Beleidigung  für  einen  Staatsanwalt.  Er  darf  also 
nicht  empfindsamer  sein  als  jeder  andere,  und  nur  was  für  jeden  andern 
eine  Beleidigung  wäre,  ist  auch  für  ihn  eine  solche.  Und  nun  setzen  Sie 
den  Fall :  ich  hätte  in  einer  literarischen  Kontroverse  gegen  einen  Privat- 
mann gesagt:  ,Bin  ich  Ihr  wissenschaftlicher  Prügeljunge?'  und  der- 
selbe wollte  vor  Ihrem  Tribunal  eine  Klage  wegen  Injurien  gegen  mich 
erheben.  Sie  würden  ihn  mit  Lachen  abweisen!" 

Der  Präsident,  nachdem  er  zur  Rechten  und  I^inken  mit  den  Bei- 
sitzern leise  gezischelt:  ,,Der  Hof  gibt  dem  Angeklagten  das  Wort 
zurück." 

(Dies  Inzident  ist  in  der  ,, Vossischen"  nur  angedeutet.) 
So  behauptete  ich  denn  das  Wort  siegreich  bis  zuletzt  und  habe 
keine  Schärfe  fortgelassen.  Ihnen  alles  zu  erzählen,  würde  mich  zwanzig 
Bogen  kosten!  Auf  solche  Dinge  muß  man  verzichten,  wenn  man  fort 
ist.  Das  Publikum  —  Arbeiter  waren  nicht  da,  aber  ein  sehr  gebildetes 
Publikum,  dreißig  bis  vierzig  Menschen,  Ziegler,  Stahr,  Förster,  Korff,^) 
eine  Menge  Richter,  Rechtsanwälte,  der  Staatsanwalt  Schelling^)  usw. 
Ich  habe  selbst  bei  lyeuten,  die  mir  durchaus  nicht  zugetan,  allgemeine 
Bewunderimg  erregt.  (Freihch  fehlt  es  auch  nicht  an  entgegengesetzten 
Stimmen:  es  sei  mir  ganz  recht  geschehen;  solche  Unverschämtheit 
gegen  einen  Staatsanwalt  sei  noch  nicht  dagewesen  usw.  usw.)  Am  Abend 
besuchten  mich  noch  viele  und  in  den  folgenden  Tagen,  zu  gratulieren, 
zu  kondolieren  usw.  Korff  —  der  in  seiner  Uniform  wacker  aushielt  — 
schickte  mir  einen  Lorbeerkranz.  Gedichte  wurden  mir  eingeschickt. 
Kurz,  es  war  im  ganzen  ein  nicht  nutzloser  Kampf,  —  Das  vorläufige 
Resultat  sind  vier  Monate.  Ich  werde  appellieren,  noch  einmal  wieder  in 
ganz  andrer  Weise,  am  Kammergericht,  endlich  am  Obertribunal!  Muß 
ich  sitzen,  werde  ich  erst  im  Oktober  sitzen.  Keinesfalls  früher,  um  mir 
meine  Reise  nicht  zu  verderben! 


1)  Baron  von  Korff,  Kürassieroffizier,  Schwiegersohn  des  Komponisten  Meyer- 
beer. 

2)  Hermann  Schelling  (geb.  1824)  Sohn  des  Philosophen  Schelling,  Staats- 
anwalt beim  Berliner  Stadtgericht,  späterer  preußischer  Justizminister.  Lassalle 
hatte  bekanntlich  vor  Gericht  den  Philosophen  gegen  den  Staatsanwalt,  den 
Vater  gegen  den  Sohn  ausgespielt, 


=  329  = 

Ich  schicke  Ihnen  hierbei  noch 

4.  und  5.  die  beiden  Nummern  der  ,, Vossischen"  über  den  Prozeß. 

(Der  Bericht  der  ,, Nationalzeitung"  war  ganz  verstümmelt  und 
schlecht;  der  der  , .Vossischen"  noch  am  besten.)  — 

Es  hat  mir  sehr  gefehlt,  daß  Sie  nicht  da  waren.  Ich  bin  sehr  müde 
und  abgehetzt,  und  Sie  fehlen  mir  äußerst!  Es  ist  ein  trauriges  metier 
de  dupe,  das  ich  spiele.  Dies  Volk  ist  noch  nicht  so  weit !  —  Das  Schlimmste 
ist  die  große  Zeit,  die  ich  verliere!  Ich  muß  nun  wieder  ganz  neue 
rasende  Kraftanstrengungen  für  die  zweite  Instanz  machen  und  komme 
wieder  nicht  an  meine  Nationalökonomie !  Dann  verlangen  die  I^eipziger 
Arbeiter,  ich  solle  ihnen  eine  Broschüre  schreiben.^)  Ich  weiß  nicht, 
wo  mir  der  Kopf  steht !  —  Rüstow  grüßen  Sie  herzhchst.  Ich  werde  ihm 
nächstens  auf  seinen  Brief  antworten!  Jetzt  habe  ich  gar  zu  sehr  alle 
Hände  voll.  Ich  habe  ihm  und  Ihnen  —  unter  Ihrer  Adresse  —  die  Ver- 
teidigungsrede geschickt.  Ich  hatte  auf  jede  eine  Widmung  geschrieben, 
mußte  sie  aber  abschneiden,  weil  die  Post  sie  sonst  nicht  unter  Kreuz- 
band befördern  wollte.  Ihnen  hatte  ich  darauf  geschrieben:  ,, Denkst 
Du  daran,  mein  tapferer  Lagienka?  Denkst  Du  daran,  wie  wir  bei 
Warschau  schlugen  ?"^) 

Ach,  es  war  doch  schöner,  als  ich  meine  Prozesse  für  Sie  hatte!  Sie 
wußten  doch  wenigstens,  was  ich  für  Sie  tat!  Dies  Volk  weiß  es  nicht 
einmal  \md  versteht  es  nicht ! 

Ich  bin  müde,  denn  ich  habe  nichts  und  niemand,  an  dem  ich  mich 
erfrischen  kann!  Hauen  und  hauen  —  die  einzige  Beschäftigung  meines 
Daseins.  Keine  Brust,  wo  ich  Ausruhen  und  Erholung  fände!  Nun 
adieu!  Sie  fehlen  mir  sehr!  Ich  freue  mich  auf  den  i.  April.  Daß  Sie  da 
jedenfalls  zurück  sind!  Denn  Mitte  Juli  muß  ich  spätestens  fort,  und 
von  Oktober  ab  sitze  ich,  wenn  das  Urteil  nicht  von  mir  umgeworfen 
wird,  imd  so  würden  Sie  mich  sonst  das  ganze  Jahr  nicht  sehen. 

Adieu,  adieu! 

Ihr 

F,  Lassalle. 

Zwei  und  eine  halbe  Stunde  blieb  der  Hof  im  Beratungszimmer.  Die 
zwei  andern  Richter  wollten  mich  freisprechen.  Aber  der  Präsident  (Piel- 
chen)  kreischte  zweieinhalb  Stunden  lang,  man  hörte  ihn  im  Saal  wie 
einen  Adler  schreien  —  bis  sie  nachgaben.  (Ganz  ä  la  Hoffmann.)  Es 
stand  schon  ein  paar  Tage  vor  meinem  Prozeß  in  der  Zeitung,  der  Stadt- 
gerichtspräsident Holzapfel  habe  Pielchen  besucht  und  ihm  die  Un- 

^)  Für  die  Vorgeschichte  des  ,, Offenen  Antwortschreibens"  wird  Band  V  wert- 
volles neues  Material  beibringen. 

2)  Aus  Karl  von  Holteys  Singspiel  ,,Der  alte  Feldherr". 


—  330  —  —  . 

Zufriedenheit  des  Justizministers  mit  den  letzten  Freisprechungen  mit- 
geteilt. Sowie  ich  das  las,  wußte  ich,  er  werde  auf  meine  Kosten  sich 
diese  Sünden  vergeben  machen,  und  ich  sei  verloren. 


i6i. 
I.ASSAI.I.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI^DT.  (Original.) 

Berlin,   29.  Januar   1863. 

Gute  Gräfin!  Ihren  Brief  vom  22.  habe  ich  am  28.  erhalten.  Mein 
Brief  vom  6.,  der  Ihnen  am  20.  zuging,  war  nicht,  wie  Sie  sagen,  mein 
zweiter,  sondern  mein  dritter  Brief.  Auch  haben  Sie,  wie  ich  aus  Ihren 
früheren  Briefen  weiß,  die  andern  richtig  erhalten.  Dies  hier  ist  mein 
fünfter  Brief.  Denn  etwa  am  22.^)  habe  ich  Ihnen  den  vierten  geschrieben, 
den  Sie  zur  Zeit  wohl  haben.  —  Wie  Sie  sich  darüber  beschweren  können, 
daß  ich  zu  wenig  schreibe,  begreife  ich  nicht.  Mein  Brief  vom  6.  war 
allein  so  groß,  daß  man  aus  ihm  ein  Dutzend  Ihrer  weitläufig  geschrie- 
benen Briefe  machen  kann,  2)  Es  liegt  in  meiner  Natur  und  besonders  in 
der  Natur  meines  Verhaltens  zu  Ihnen,  daß  ich  Ihnen  —  nur  lange,  ein- 
gehende Briefe  schreibe.  Eben  deshalb  kann  ich  nicht  so  häufig  schreiben 
wie  Sie,  die  Sie  einige  Seiten  weitläufig  geschrieben  mit  Berichten  über 
Schnee-  und  Lawinenfälle  füllen,  die  ich  ja  aus  den  Zeitungen  kenne, 
und  mir  darüber,  wie  Sie  leben,  was  Sie  tun,  wie  Sie  die  Zeit  hin- 
bringen usw.  usw.  usw.  gar  nichts  sagen.  Und  bei  alledem  haben  Sie  mir 
erst  einen  Brief  mehr  geschrieben,  als  ich  Ihnen. 

Ich  will  auch  mit  der  Witterung  anfangen.  Diese  ist  hier  die  ganze 
Zeit  hindurch  —  mit  Ausnahme  von  zwei  Tagen  —  so  unbeschreib- 
lich milde  gewesen,  daß  ich  meinen  Pelz  diesen  Winter  nicht  benutzen 
kann.  Schnee  haben  wir  hier  noch  nicht  gesehen.  Von  Schlitten,  —  auf 
die  ich  mich  freute  —  gar  keine  Rede,  selbst  keine  Hoffnung  darauf. 
Neulich  war  mir  selbst  der  Paletot  zu  heiß,  und  ich  mußte  den  floren- 
tinischen  Mantel  ohne  Ärmel  anziehen.  — 

Frerichs,  den  ich  neulich  bei  einem  Diner  bei  Korff  sprach,  sagte 
mir,  er  gehe  nach  Nizza  Ende  Januar.  Warum  gehen  Sie  nicht  wenigstens 
dahin,  statt  immer  in  dem  beschwerlichen  Genua  zu  sitzen?  — 

Es  ist  doppelt  schade,  daß  Sie  in  dieser  Zeit  nicht  da  waren  und  da 
sind.  Es  läßt  sich  diesmal  nicht  leugnen,  daß  mir  der  Prozeß  erstaun- 
lich genützt  hat.  Nicht,  daß  ich  dafür  bei  dem  großen  Publikum  den 


^)  Es  war  am  20.  Januar.  Siehe  oben  Nr.  160. 

2)  Siehe  oben  Nr.  159.  Das  Datum,  das  I/assalle  setzte,  war  der  8.,  nicht  der 
6.  Januar. 


331  ^=-  

Dank  fände,  den  ich  vielleicht  verdiene.  Durchaus  nicht!  Al)er  es  ist 
im  großen  Publikum  eine  allgemeine  „Anerkennung",  ja  ein  allgemeines 
,, Sichbeugen"  eingetreten,  bei  Freund  wie  Feind  und  selbst  bei  den 
Fortschrittlern !  Plötzlich  ist  über  diese  Leute  das  Licht  gekommen,  daß 
ich  doch  eigentlich  eine  andere  Natur  wäre  als  sie,  ein  andrer  Mensch, 
eine  andere  Klinge  führe  und  daß  sie  sich  vorkommendenfalls,  wenn 's 
an  den  Kragen  geht,  sehr  gut  hinter  meinem  Rockschößel  würden  ver- 
kriechen können.  So  bin  ich  plötzlich  eine  ,, Person"  geworden,  und  ich 
könnte  Ihnen  mannigfache  spaßhafte  Fakta  darüber  erzählen,  aber 
weniger  schreiben.  Die  ,, Kölnische  Zeitung"  ließ  sich  das  Faktum 
meiner  Verurteilung  telegraphieren  und  brachte  die  Nachricht  unter 
den  telegraphischen  Depeschen,  ordentlich  als  wenn  ich  eine  Person 
wäre,  von  der  man  offiziell  Notiz  nimmt.  (Es  wundert  mich  daher,  daß 
Sie  noch  am  22.  von  der  Verurteilung  nichts  wußten.)  Selbst  Schulze- 
Delitzsch  hat  in  der  Kammer  bei  Gelegenheit  der  Interpellation  wegen 
des  Landrats  Olearius,  der  das  Volk  gegen  die  Fabrikanten  aufgehetzt 
hatte,  die  Regierung  wegen  des  Prozesses  ,, gegen  einen  namhaften  Mann 
und  Schriftsteller,  der  —  ich  bin  hier  um  so  unparteiischer,  als  ich  auf 
einem  ganz  andern  Standpunkt  stehe  als  dieser  Mann  —  angeblich  die 
Bourgeoisie  angegriffen  haben  soll,  aber  nur  einen  streng  wissenschaft- 
lichen Angriff  gegen  sie  gerichtet  hat,  den  die  Regierung  nicht  berechtigt 
war,  vor  die  Tribunale  zu  ziehen",  angebrüllt  usw.  usw. 

Alle  Zeitungen  brachten  ziemlich  ausführlich  die  Prozeßverhand- 
lungen usw.  usw.  Die  Verteidigungsrede  erregt  das  immenseste  Auf- 
sehen. Von  Böckh^)  erhielt  ich  einen  äußerst  anerkennenden  Brief  über 
dieselbe,  in  welchem  er  zugleich  seine  stärkste  Indignation  über  das 
Urteil  ausspricht.  Gestern  besuchte  mich  zu  selbem  Zweck  Johannes 
Schulze.  (Auch  die  Polemik  gegen  die  ,, Volkszeitung"  —  vSie  haben  doch 
meinen  zweiten  und  dritten  Artikel  erhalten?  —  hat  gut  getan,  ihr  sehr 
geschadet.)  Zehn  Tage  lang  war  von  nichts  so  sehr  als  von  mir  die  Rede, 
und  selbst  die  widerwilhgsten  Zeitungen  mußten  dazu  dienen.  Unter 
anderem  kamen  dabei  recht  possierliche  Dinge  vor.  Kossack^)  z.  B.,  der 
mich  auch  diesmal  in  der  ,, Ostdeutschen  Zeitung",  wo  er  —  nicht  luiter 
seinem  Namen  —  korrespondiert,  auf  die  perfideste  Weise  angriff,  sah 
sich  gezwungen,  in  seiner  hiesigen  ,, Montagszeitung",  weil  diese  unter 
seinem  Namen  erscheint,  einen  äußerst  verbindlichen  Artikel  für  mich 
zu  bringen.  Die  , .Kölnische"  brachte  einen  erstaunlich  langen  Bericht; 


^)  Lassalle  hatte  Böckh  am  20.  Januar  seine  Verteidigungsrede  übersandt. 
Den  Begleitbrief  veröflFentlichte  am  28.  Dezember  1910  Ludwig  Bernhard  im 
Feuilleton  der  , .Frankfurter  Zeitung".  Böckhs  Antwort,  die  wegen  Unwohlseins 
erst  am  25.  Januar  erfolgte,  wird  in  Band  V  gedruckt  werden. 

')  Ernst  Kossack  (1814 — 1880).  bekannter  Berliner  Feuilletonist. 


=  332  —  = 

die  ,, Vossische"  einen  noch  viel  längeren  (den  schlechtesten  die 
,, Nationalzeitung").  Die  österreichischen  Blätter  und  die  Augsburger 
habe  ich  nicht  verfolgt,  aber  gehört,  es  sei  ganz  ebenso,  zum  Teil  mit 
direkter  Parteinahme  für  mich  gewesen.  Vom  Rhein  schreibt  man  mir, 
das  über  mich  in  den  letzten  acht  Tagen  erschienene  Zeitungsmaterial 
in  den  diversen  Blättern  —  sie  druckten  dort  auch  meine  Polemik  gegen 
die  ,, Volkszeitung"  ab  —  sei  viel  zu  beträchtlich,  um  es  mir  nur  ein- 
schicken zu  können. 

Gestern  ist  endlich  eine  ganz  wundersame  und  mysteriöse  Geschichte 
hier  passiert,  die  ich  Ihnen  um  so  weniger  berichten  kann,  als  ich  sie 
selbst  noch  nicht  weiß  —  alles  Zeichen  von  dem  erstatmlichen  Aufsehen, 
das  der  Prozeß  in  allen  Kreisen  gemacht  hat.  Nicht,  daß  nicht  sehr 
viele  —  oder  mindestens  doch  manche  —  von  den  Philistern  hier,  sich 
zu  der  Überzeugung  hätten  bringen  lassen :  ich  hätte  die  Arbeiter  gegen 
die  Bourgeoisie  ,,  auf  gehetzt",  aber  das  ist  doch  die  unendliche  Minorität, 
und  selbst  bei  diesen  fliegt  —  Sie  wissen,  wie  sehr  der  Philister  von  Schlag- 
wörtern beherrscht  wird,  die  dann  von  Hand  zu  Hand  gehen  und  un- 
besehen von  Nachbar  zu  Nachbar  überliefert  werden  —  alles  andere 
beherrschend,  von  Hand  zu  Hand,  oder  vielmehr  von  Maul  zu  Maul  die 
eine  Parole:  die  ,, geistige  Überlegenheit  Lassalles"!  Sie  wissen,  wie 
wenig  ich  auf  diesen  Chorus  gebe !  Ihr  Lob  ist  mir  so  gleichgültig  wie  ihr 
Tadel,  ich  nehme  beides  mit  gleichem  Achselzucken  hin.  Aber  Ihnen 
die  Sie  sich  wie  jede  Frau  auch  über  Individuelles  und  Momentanes 
dieser  Art  amüsieren,  würde  es  hin  und  wieder  jetzt  Spaß  gemacht 
haben,  tmd  darum  ist  es  schade,  daß  Sie  gerade  jetzt  fort  waren.  (In 
appellatorio  denke  ich  übrigens  die  Kerle  noch  ganz  anders  zu  ver- 
möbeln, noch  ekliger  zu  fassen,  und  dann  sind  Sie,  weil  die  Appellations- 
verhandlung erst  im  April  stattfinden  wird,  ja  jedenfalls  schon  hier.) 
Nun,  wenigstens  wollte  ich  Ihnen  im  allgemeinen  davon  berichten.  Ist 
es  nichts  für  mich,  so  ist  es  doch  etwas  für  Sie,  und  selbst  für  mich  bleibt 
soviel  von  der  Geschichte  nicht  ohne  Gewicht,  daß  es  meinen  Einfluß 
für  später  verstärkt  und  mir  den  Boden  vorbereitet.  Aber,  du  lieber 
Gott!  Wenn  werden  die  deutschen  Zustände  erst  so  weit  sein,  daß  ein 
Mann  von  Ehre  erst  mit  Ehre  auf  diesen  Boden  treten  und  auf  ihm 
fallen  kann!  Es  ist  mehr  als  traurig! 

Einstweilen  benutzen  mich  die  Gegner  als  Wauwau  für  die  Fort- 
schrittler, nutzen  mir  aber  dadurch,  statt  mir  zu  schaden.  Als  Pröbchen 
hiervon  lege  ich  Ihnen  hier  einen  Artikel  der  ,, Norddeutschen"  bei, 
deren  Redakteur,^)  wie  man  sagt,  an  Bismarck  verkauft  sein  soll.  Die 


1)  August  Braß,  der  bekannte  Revolutionär  von  1848,   stellte  in  der  Tat  von 
nun  ab  sein  Blatt  in  Bismarcks  Dienste. 


=  333  ^=^^ 

Bezeichnung  ,,die  Revolution  in  der  Bluse  und  mit  den  antiquarischen 
Stiefeüi"  für  mich,  im  Gegensatz  zu  der  „Revolution  in  Schlafrock  und 
Pantoffeln"  finde  ich  sehr  glücklich  gewählt. 

Während  dieses  ganzen  Rumors  bin  ich  in  der  traurigsten  Lage  von 
der  Welt!  In  der  Lage  eines  Menschen,  der  an  nichts  Spaß,  der  keine 
Art  von  Befriedigung  hat!  Was  sollte  mich  befriedigen,  stärken, 
ausruhen,  erheitern,  kräftigen?  Ich  bin  bestimmt,  von  nichts  und 
wieder  nichts  als  von  devouement  zu  leben!  Wieder  arbeiten,  wieder 
mich  abrackern  und  abquälen  für  die  Wissenschaft,  fiir  ferne  Zeiten  — 
das  ist  alles  ganz  gut  und. recht,  ist  Pflicht  und  schön,  will  es  auch  gern 
mein  Lebtag  tun,  aber  daneben  braucht  doch  jeder  Mensch  etwas, 
woraus  er  für  sich  Befriedigung  und  damit  neue  Kraft  für  neue  auf- 
opfernde Arbeit  saugt,  sei  es  die  teilweise  Realisierung  seines  all- 
gemeinen Strebens  —  die  höchste  Befriedigung  gewiß — ,sei  es  minde- 
stens ein  individuelles  Glück,  ein  liebes  Herz !  Ich  allein  habe  gar  nichts 
und  muß  bloß  von  der  Arbeit,  bloß  von  der  Aufopferung  leben!  Es 
sind  dieKetten  eines  Galeerensklaven,  die  ich  von  früh  bis  Abend  schleppe 
und  trage,  kein  Moment  der  Befriedigung  und  des  Genusses,  außer 
wenn  man  sich  hin  und^)  wieder  einmal  ganz  in  den  Gedanken  vertieft 
hat  und  eben  zu  einer  neuen  Erkenntnis  durchgebrochen  ist,  die  dann 
mit  ihrer  sittlichen  Wärme  erfreut  und  hebt  —  bis  sofort  wieder  der 
bittere  Gedanke  durchschlägt,  wieviele  Dezennien  es  dauern  wird,  bis 
diese  Erkenntnis  auch  für  die  anderen  da  sein  wird  und  wieviele  De- 
zennien hindurch  sie  erst  verhöhnt  und  verspottet  werden  wird,  ehe  sie 
Leben  gewinnt! 

Rüstow  hat  mir  einen  ungeheuren  Tort  getan,  daß  er  Sie  gerade  jetzt 
von  mir  fortgerufen  hat.  Ich  weiß  selbst  nicht,  woran  es  liegt,  aber  nie 
war  ich  in  dieser  Stimmung,  in  der  ich  seit  einem  Jahre  immer  wachsend 
bin.  Und  sie  lastet  um  so  schwerer  auf  mir,  als  ich  sie  keinem  andern 
ausspreche  als  Ihnen.  Sie  wissen,  ich  bin  einmal  gewohnt,  mich  vor  keinem 
aufzuschließen  als  vor  Ihnen.  Ich  bin  ganz  in  der  Stimmimg  Fausts,  für 
irgendeine  naive  Grete  ich  weiß  nicht  welchen  Teil  meines  Wissens 
fortzugeben,  jedenfalls  ein  gutes  Stück!  Wenn  Sie  da  wären,  so  wäre  das 
nicht  so.  Denn  wenn  man  nur  einen  Menschen  hat,  dem  man  ganz  gut 
ist,  so  hat  man  ganz  genug.  Aber  wenn  man  selbst  diesen  einen  nicht 
hat,  für  den  man  so  lange  lebte,  so  ist  es  schlimm !  Ich  wollte,  ich  könnte 
mich  verlieben  —  gleichviel  in  wen.  Ich  wollte  mir  das  Weib  erobern, 
und  wenn  ich  drei  Backzähne  dem  Kalifen  ausschlagen  müßte!  Geht 
aber  nicht!  Kann  mich  nicht  verlieben!  Die  hiesigen  Weiber  sind  nicht 
danach!  Poesie  zu  lesen  —  das  einzige,  was,  wie  Sie  wissen,  immer  eine 


^)   I,assalle  schreibt   ,,iiii<l  hin". 


334  —  —  

stillende  Macht,  eine  besänftigende,  auf  den  Aufruhr  meines  Gemüts 
ausübte,  —  selbst  das  kann  ich  leider  nicht,  da  ich  keine  Zeit  dazu  habe. 
Muß  Ökonomie  treiben  imd  Statistik  und  Zahlen  knabbern !  Da  soll  sich 
der  Teufel  dabei  beruhigen !  —  Meinen  Brief  vom  6.  haben  Sie  recht  un- 
einsichtig beantwortet,  fast  unfreundlich;  ohne  Zweifel  hauptsächlich 
deswegen,  weil  Sie  ihn  nur  sehr  oberflächlich  gelesen  und  sehr  wenig  hin 
und  her  bedacht  haben  werden!  Und  so  haben  Sie  ihn  wenig  verstanden. 
Adieu!  Auf  Wiedersehen! 

Ihr 

F.  I.. 

P.S. 

Freitag  früh,  den  30.  Januar  [1863]. 

Gute  Gräfin  und  lieber  Rüstow! 

Eben  will  ich  meine  gestern  abend  an  Euch  geschriebenen  Briefe  zu- 
machen, als  ich  Eure  Sturmepisteln  bekomme !  Gute  Gräfin,  beruhigen 
Sie  sich!  Diese  Aufregung  überschreitet  ja  bei  weitem  allen  Grad  der 
Veranlassimg!  Zudem  beurteilen  Sie  von  dort  aus,  wie  ganz  natürhch, 
die  Sache  nicht  richtig !  Glauben  Sie  mir,  wie  ich  Ihnen  schon  in  dem 
gestrigen  hier  beigefügten  Briefe  sagte,  die  Sache  hat  mir  entschieden 
genützt  und  nicht  bloß  das,  sondern  einen  solchen  Nutzen  erzeugt, 
der  selbst  mit  den  vier  Monaten  nicht  zu  teuer  erkauft  wäre !  —  Übri- 
gens, es  hat  noch  gute  Wege !  Noch  soll  es  den  höheren  Instanzen  nicht 
so  leicht  werden,  das  wahnsinnige  Urteil  aufrecht  zu  halten!  Ich  will 
hier  nur  sporadisch  einige  Bemerkungen  Euerer  Briefe  beantworten. 

1.  Die  Züricher  Ausgabe  war  gar  nicht  im  Prozeß  (diese  wird  viel- 
mehr —  ist  das  nicht  heiter?  - —  noch  immer  alle  Tage  in  allen  Buch- 
handlungen öffentlich  verkauft)  —  nur  die  Berliner  Ausgabe  war  es. 
Der  Gerichtshof  nahm  auch  selber  an,  daß  diese  nicht  veröffentlicht 
worden  sei ;  auch  hätten  sie  mich  wegen  der  Broschüre  nie  angeklagt,  nur 
auf  den  mündlichen  Vortrag,  weil  er  unmittelbar  an  die  Arbeiter  ge- 
richtet war,  erfolgte  die  Verurteilung. 

2.  Der  Präsident  war  schon  mit  dem  verurteilenden  Urteil  in  der 
Tasche  hingekommen.  Die  Verurteilung  hat  also  meine  Rede  nicht 
hervorgerufen;  allerdings  aber  möglicherweise  den  Straf  gr ad  bestimmt 
(es  mag  ursprünglich  Geldstrafe  oder  vielleicht  vier  Wochen  die  Ab- 
sicht gewesen  sein).  Dohm  erzählte  mir,  daß  ihm  Hiersemenzel  gesagt, 
er  habe  abends  um  sieben  Uhr  am  Prozeßtage  den  Präsidenten  ge- 
sprochen; noch  da  habe  der  Präsident  vor  Wut  gedampft,  Qualm 
sei  ihm  wie  einem  Pferde  aus  den  Nüstern  gestiegen,  und  er  habe  in  einem 
fort  ausgerufen :  so  etwas  habe  er  nicht  nur  nie  erlebt,  sondern  nie  für 
denkbar  gehalten !  Aber  sogar  diese  Wut  ist  sehr  nützlich.  Denn  —  worauf 


—  335  —  

Sie  viel  zu  wenig  Gewieht  legen  —  ich  habe  diese  Kerle  doch  1  )e  /,  \v  u  n  ge  n , 
sie  gezwungen,  mich  von  Anfang  bis  Ende  sprechen  zu  lassen.  Sie 
sahen,  daß  sie  das  nicht  ändern  konnten,  und  litten  ent  setzlich  unter 
dem,  was  ich  sagte !  Sie  sehen  schon  die  P'olgen :  Obgleich  sich  der  »Staats- 
anwalt über  alle  meine  ,, Beleidigungen"  Akt  geben  ließ,  obgleich  sie 
ihm  jetzt  in  der  Verteidigungsrede  veröffentlicht  vorliegen,  hat  man 
doch  keine  Verfolgung  wegen  Beleidigung  eingeleitet  und  ebenso  die 
Verteidigvmgsrede  nicht  säsiert. 

Diese  macht  das  wunderbarste  Aufsehen  nicht  nur  hier,  auch  in 
Leipzig  und  überall. 

3.  Mich,  wie  Rüstow  meint,  in  zweiter  Instanz  vom  Advokaten  ver- 
teidigen zu  lassen  —  geht  nicht!  Ein  Advokat  würde  nie  das  Urteil  zum 
Umwerfen  bringen.  Keiner!  Ich  bin  der  einzige,  der  es  kann,  und 
obwohl  die  zweite  Instanz  schlimmer  ist  als  die  erste  (der  Präsident 
Nicolovius  soll  ein  wahrer  Blutrichter  sein)  —  so  möchte  ich  doch  noch 
drei  gegen  eins  wetten,  daß  ich  in  zweiter  Instanz  freigesprochen  werde. 
In  erster  Instanz  mußte  ich  mich  so  verteidigen,  wie  ich  tat.  An- 
geklagt, muß  und  werde  ich  immer  die  Anklagebank  als  Tribüne  für 
politische  Propaganda  benutzen.  Dies  ist  meine  Pflicht  und  nichts 
daran  zu  ändern !  Anders  stehe  ich  in  zweiter  Instanz.  Da  ich  meine  Ver- 
teidigungsrede als  Appellationsrechtfertigungsschrift  einreichen  werde, 
so  brauche  und  werde  ich  in  dem  mündlichen  Plaidoyer  zweiter  Instanz 
mit  keinem  Wort  darauf  zurückkommen.  Ich  brauche  hier  nur  die 
Dummheit  der  Urteilsmotive  zu  entwickeln,  und  ich  werde  es  mit  solcher 
schneidigen  Schärfe  tun,  daß  den  Richtern  trotz  alledem  die  Röte  der 
vScham  in  die  Wange  treten  soll.  Mein  Plaidoyer  in  erster  Instanz  war 
politisch,  mein  Plaidoyer  in  zweiter  Instanz  soll  sozial  sein.  Weniger 
angreifen,  mehr  zerschneiden.  Ich  werde  mir  das  Schwert  Wielands  des 
»Schmieds  schmieden,  welches  einen  zerschneidet,  ohne  daß  er  es  merkt. 
Schon  steht  dies  Schwert  ganz  und  gar  in  meinem  Kopf,  schlank  und 
vollendet  wie  eine  Statue  des  Phidias. 

(NB.  Eben  bringt  mir  meine  Schwester  vier  lebendige  Maikäfer 
ins  Zimmer,  so  milde  ist  das  Wetter!) 

Der  Prozeß  soll  immer  größere,  immer  riesigere  Proportionen  an- 
nehmen, und  ich  will  zeigen,  was  ,, Einer  kann  gegen  alle".  Für  solche 
Aufgaben  bin  ich  gerade  der  Mann!  Ganz  Berhn  wird  sich  zu  dem 
Prozeß  zweiter  Instanz  drängen  (auch  bei  dem  ersten  war  großer  Zu- 
lauf ;  wegen  des  kleinen  Saals  wurden  aber  sieben  Achtel  des  Publikums 
abgewiesen).  Wie  groß  das  Aufsehen  ist,  mag  Ihnen  daraus  hervor- 
gehen, daß  der  Hof  (nicht  der  Gerichtshof,  sondern  ,,der  Hof")  sich 
Mühe  gegeben  hat,  sich  ein  Exemplar  der  verurteilten  Schrift  zu  ver- 
schaffen. 


336  = 

Mein  Plaidoyer  in  zweiter  Instanz  soll  ein  Wunderding  werden,  wenn 
ich  Zeit  habe,  und  furchtbaren  Eindruck  machen. 

Dann  endlich  bleibt  mir  noch  die  dritte  Instanz,  und  die  Sache  soll 
immer  wachsen!  Zuletzt,  bliebe  ich  selbst  nicht  Sieger, nun  so  sind  ja 
vier  Monate  wahrhaftig  noch  zu  ertragen.  Aber  ein  zweites  Mal  läßt 
mich  die  Staatsanwaltschaft  gewiß  in  Ruhe.  Die  Gerichte  haben  gesehen 
—  ich  führe  Ihnen  hier  das  Wort  preußischer  Richter  selbst  an,  ihr  all- 
gemeines Gespräch  —  daß  sie  niemand  haben,  den  sie  mir  gegenüber- 
stellen können,  daß  ich  Staatsanwälte,  Höfe,  Präsidenten  kurz  und  klein 
in  Stücke  haue,  und  lieben  nicht,  ihre  Kleinheit  von  neuem  zum  Vor- 
schein zu  bringen. 

4.  Haben  Sie  und  Rüstow  denn  nicht  meine  Verteidigungsrede  be- 
kommen? Ich  schickte  sie  noch  vor  meinem  Brief  und  den  Zeitungen  an 
Sie  ab.  Warum  zeigen  Sie  mir  nicht  den  Empfang  an  ?  Lassen  Sie  Stücke 
derselben  in  die  dortigen  Blätter  bringen.  Jedenfalls  aber  zeigen  Sie 
mir  es  an,  wenn  Sie  sie  noch  nicht  haben.  Sie  kennen  sie  zwar  schon  zur 
Hälfte,  aber  auch  erst  zur  Hälfte ,  und  selbst  in  dieser  Ihnen  schon  be- 
kannten Hälfte  habe  ich  nachher  noch  vieles  gemeißelt.  Rüstow,  denke 
ich,  wird  sich  sehr  darüber  amüsieren.  Da  auch  er  mir  kein  Wort  von 
dem  Empfang  derselben  schreibt,  muß  ich  wirklich  fast  zweifeln,  ob 
Sie  sie  erhalten.    (Ich  sandte  beide  Exemplare  unter  Ihrer  Adresse.) 

5.  Haben  Sie  meine  zweite  Erklärung  in  der  ,, Vossischen  Zeitung" 
gegen  Bernstein^)  (,,Erwidrung")  und  meinen  Brief  in  der  ,, Kreuz- 
zeitung" gelesen?^)  Oder  beide  in  der  Hitze  übersehen? 

6.  Das  Urteil  konstatiert  selbst  ausdrücklich,  daß  der  Vortrag 
wissenschaftlich  sei,  und  dann  sagt  es  wieder  das  Gegenteil.  Es  ist 
nicht  aus  ihm  klug  zu  werden.  Sie  empfangen  es  nächstens  gedruckt 
in  den  ,, mündlichen  Verhandlungen  nach  dem  stenographischen 
Bericht". 

7.  In  I/cipzig  hat  das  Polizeipräsidium  die  Erlaubnis  gegeben,  meine 
hier  verurteilte  Arbeiterbroschüre  sogar  durch  Kolporteurs  zu  ver- 
treiben (wozu  man  immer  besondere  Erlaubnis  braucht). 

Ihnen  wie  Rüstow  herzlichst  die  Hand  drückend  und  Ihnen  ver- 
sichernd, daß  siebenundsiebenzig  mal  mehr  als  die  dummen  vier 
Monate  mich  die  Nachricht  betrübt,  die  Sie  mir  vom  Zustand  Ihrer 
Beine  geben,  bin  und  bleibe  ich 

Euer 

F.  lyassalle. 


1)  Aron  Bernstein  (1812 — 1884),  der  Chefredakteur  der  „Volkszeitung",  mit 
dem  I,assalle  verfeindet  war. 

2)  Siehe  oben  S.  326. 


=  337  =" 

102. 

IvASvSAIJ.E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Original.) 

Berlin,   5.  rcbruar   1863. 
Oute  Gräfin! 

Ich  freute  mich  so,  als  ich  heute  wieder  einmal  einen  Brief  von  Ihnen 
bekam.  Ich  dachte,  indem  ich  das  Kuvert  erbrach,  daß  ich  allerlei  liebe 
Plaudereien  zu  lesen  bekommen  würde.  Siehe  aber,  da  stand  nichts  auf 
dem  kurzen  Wisch  als  lauter  Dinge,  die  Sie  mir  schon  dreimal  geschrieben 
haben  und  ich  hätte  die  Briefe  nicht  bekommen,  die  Sie  mir  geschrieben 
wegen  des  Prozesses  bei  Riem  und  wegen  des  Prozesses  in  Köln,  und  ich 
hätte  nicht  darauf  geantwortet,  und  ich  hätte  sie  also  nicht  bekommen, 
und  ich  sollte  sich  [sie!]  der  Sachen  annehmen  usw.  usw. 

Aber  Du  mein  Gott!  Ich  habe  die  Briefe  alle  bekommen,  und  Sie 
selbst  mußten  das  daraus  ersehen,  daß  ich  ja  den  anderweitigen  In- 
halt derselben  Briefe  beantwortet  hatte.  Daß  ich  mich  Ihrer  Sachen  an- 
nehmen soll,  haben  Sie  überhaupt  nicht  nötig,  mir  zu  schreiben.  Am 
wenigsten  aber  hatte  ich  doch  irgendeine  Veranlassung,  Ihnen  etwas 
in  den  Prozeßsachen  zu  schreiben,  sondern  nur  Herbertz  und  Riem. 
Sie  wissen,  daß  ich  in  Geschäftssachen  knapp  bin  wie  ein  Geschäfts- 
mann und  kein  überflüssiges  Wort  schreibe.  Ihnen  in  denselben  zu 
schreiben,  hatte  ich  bisher  gar  keine  Veranlassung,  und  folglich  hatten 
Sie  auch  gar  keinen  Grund  zu  dem  Schlüsse,  daß  ich  die  Briefe  nicht  er- 
halten hätte. 

Ich  war  recht  um  das  Vergnügen  betrogen,  das  ich  mir  bei  dem  An- 
blick Ihres  Kuverts  versprochen  hatte,  und  schaute  traurig  drein,  als 
ich  den  tristen,  knappen  Brief,  der  nichts  enthält  als  den  eben  skizzierten 
Inhalt,  zu  Ende  gelesen  hatte. 

Heute  habe  ich  inzwischen  gerade  Anlaß,  Ihnen  in  Geschäftssachen 
zuschreiben,  erhalten  und  hätte  Ihnen  auch  jedenfalls  den  betreffenden 
Bericht  erstattet .  .  })  Wenn  Sie  seinerzeit  zurückwollen,  so  haben  Sie 
ja  einen  Weg,  auf  dem  Sie  die  Eisenbahn  nicht  verlassen  und  kaum 
einen  Schneeflocken  zu  Gesicht  bekommen.  Nämlich  mit  der  Eisenbahn 
von  Genua  direkt  nach  Triest  (ohne  Venedig  zu  berühren ;  die  Eisenbahn 
geht  von  der  venezianischen  direkt  links  ab  nach  Triest,  wie  damals 
Madame  Rocca  fuhr)  und  von  da  wieder  mit  der  Eisenbahn  über  den 
Semmering  direkt  nach  Wien  und  hierher.  Ich  habe  die  Tour  über  den 
Semmering  1857  ^^^  Januar  resp.  Dezember  1856  gemacht  und  kann 
Sie  versichern,  daß  es  so  bequem  wie  im  Zimmer  ist.  Der  Semmering 
ist  äußerst  leicht  zu  passieren,  ganz  in  Eisenbahn.  — 

^)  Es  handelte  sich  wieder  utn  die  Kölner   Mühlen angelegenhe it. 

Maver,  Lassalle-Nachlass.     IV  22 


^==^=^  338  — 

Was  mich  betrifft,  so  haben  Sie  Zeit,  hier  anzukommen  bis  zmn 
I.  April.  Ob  und  wieviel  früher  Sie  Ihrer  Geschäfte  wegen  kommen 
wollen,  bleibt  Ihnen  überlassen. 

Den  Prozeß  contra  Block  haben  wir  gestern  hier  in  erster  Instanz 
verloren.  Ich  werde  die  Appell  sorgfältig  wahren,  darauf  verlassen  Sie 
sich.  — 

Ich  grüße  Rüstow  vielmals  auf  das  allerherzlichste  und  l^in  Ihr  und 
sein  alter  Freund 

Ferdinand. 

Schreiben  Sie  mir  doch  sofort  genau  Ihre  Adresse.  Denn  für  den 
Fall,  daß  ich  Ihnen  einmal  nötig  hätte  zu  telegraphieren,  weiß  ich  ja 
nicht  wie,  da  ich  Ihre  Wohnung  nicht  kenne  und  das  Telegraphen  am  t 
dort  auch  nicht. 


163. 
IvASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,  6.  März   1863.] 
Poststempel. 

Gute  Gräfin. 

Ihre  Briefe  machen  mich  sehr  mißmutig,  weil  sie  stets  verweigern, 
auf  den  Punkt  sich  einzulassen,  den  ich  in  so  vielen  berührt  habe :  ob 
Sie  Anfang  April  zurück  sein  werden,  wie  Sie  hier  so  fest  versprachen, 
oder  nicht.  — Wenn  Sie  immer  von  meiner  Verteidigung  in  zweiter  In- 
stanz tmd  wie  Sie  die  Nachricht  meiner  Freisprechung  freuen  würde, 
sprechen,  so  liegt  hierin  ein  sehr  deutliches  Zeichen,  daß  Sie  Ihr  Wort 
nicht  halten  werden.  Denn  da  mein  Prozeß  in  zweiter  Instanz  erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Monats  April  verhandelt  werden  kann,  so  wären  Sie 
ja  zu  dieser  Verhandlung  wieder  zurück  und  anwesend,  falls  Sie  Ihr 
Wort  zu  halten  beabsichtigen. 

Es  geht  aber  freilich  aus  den  Verhältnissen  selbst  hervor,  daß  dies 
nicht  der  Fall,  ja  daß  dies  jetzt  —  wenn  auch  durch  Ihre  eigene  Schuld  — • 
sogar  sehr  schwer  möglich  zu  machen  sein  würde.  Denn  da  Sie  erst  Ende 
Februar  nach  Neapel  abgereist  sind,^)  wie  wollten  Sie  schon  Anfang 
April  wieder  in  Berlin  sein.  Dann  blieben  Ihnen  ja  nur  drei  Wochen 
für  Neapel,  und  ich  begreife,  daß  Ihnen  dies  sowohl  für  die  Gesundheit 
als  für  das  Vergnügen,  als  endlich  als  Entschädigung  für  die  weite  Reise 

1)  Aus  dem  undatierten  Fragment  eines  Briefes  von  Rüstow  an  Lassalle,  das 
in  Band  V  erscheinen  wird,  geht  hervor,  daß  die  Gräfin  und  er  am  26.  Februar 
in  Neapel  ankamen. 


=  339  = 

nicht  hinreichen  wird.  Es  konnnt  wieder  daher,  daß  vSic  in  so  langer 
Unentschlossenheit  die  schöne  Zeit  zwecklos  in  Genua  verbummelt 
haben.  Ihre  ewige  Unentschlossenheit  ist,  w^ie  ich  Ihnen  so  oft  sagte, 
Ihr  und  Ihrer  Umgebungen  ewiger  Fluch!  Ich  kann  mir  also  aus  diesen 
Gründen  kaum  noch  eine  Illusion  darüber  machen,  daß  Sie  weder  /.um 
I.  April,  noch  auch  nur  zu  meinem  Geburtstag  am  ii.  April  zurück  sein 
werden.  Ich  will  Ihnen  aus  jenen  Gründen  jetzt  auch  nicht  böse  darüber 
sein.  Aber  das  steht  baumfest,  daß  ich  am  i.  April  meine  Korrespondenz 
mit  Ihnen  abbreche  und  Sie  vor  Ihrer  Rückkunft  nicht  wieder  von  mir 
hören.  Das  soll  meine  Revanche  sein.  — 

Neulich  kam  mit  einem  Briefe  von  Bertani  an  mich  ein  Garibaldischer 
Offizier,  Ungar,  namens  Fränczel  hier  an,  der  auch  Aspromonte  mit- 
gemacht hat,  um  nach  Polen  zu  gehen.  Ich  versah  ihn  mit  80  Taler  Reise- 
geld und  Empfehlungen  nach  Breslau,  um  von  da  Empfehlungen  für 
Krakau  zu  erhalten,  da  er  zu  Langiewicz  ^)  stoßen  will,  mit  dem  er  be- 
freundet ist.  Heute  erhielt  ich  von  ihm  einen  Zettel  aus  Krakau,  wonach 
alles  gut  gegangen  ist,  er  auch  schon  mit  Langiewicz  Verbindung  an- 
geknüpft zu  haben  scheint.  — 

Ich  stehe  jetzt  am  ,, Vorabend"  eines  sehr  wichtigen  Ereignisses  für 
mich.  Das  Leipziger  Zentralkomitee  der  Arbeiter  hat  an  mich  offiziell 
geschrieben,  damit  ich  ihm  in  irgendeiner  mir  passend  erscheinenden 
Form  meine  Ansichten  ausspreche  über  die  Mittel,  welche  die  gegen- 
wärtige Arbeiterbewegung  zu  ergreifen  hat,  um  die  Verbesserung  der 
Lage  des  Arbeiterstandes  in  politischer,  geistiger  und  materieller  Be- 
ziehung zu  erlangen,  insbesondere  auch  meine  Ansicht  über  den  Nutzen, 
der  aus  den  Schulze-Delitzschen  Assoziationen  für  die  Lage  des  Ar- 
beiterstandes erwachsen  kann. 

Ich  habe  nun  geantwortet  durch  ein  ,, Offenes  Antwortschreiben", 
welches  sich  bereits  im  Druck  befindet  und  in  ca.  acht  Tagen  an  das 
Leipziger  Zentralkomitee  abgehen  und  von  ihm  —  es  wird  in  10  000 
Exemplaren  gedruckt  —  an  sämtliche  Arbeitervereine  usw.  verbreitet 
werden  wird.  Ich  habe  mich  in  diesem  Manifest  ofifen  und  imumwunden 
ausgesprochen.  Die  Schwierigkeiten  waren  immens!  Ich  konnte  natür- 
lich in  einem  Manifest  nicht  ein  nationalökonomisches  Werk  schreiben. 
Sowohl  der  erforderlichen  Kürze  wegen,  als  weil  es  jeder  Arbeiter  ver- 
stehen muß.  Und  dennoch  konnte  das  Manifest  nichts  nützen,  wenn  es 
nicht,  an  irgendeinen  festen  Punkt  anknüpfend,  den  Arbeitern  die  ganze 
notwendige  Hoffnungslosigkeit  ihrer  Lage  von  innen  heraus  theoretisch 


^)  Marian  Langiewicz  (1827 — 1887),  der  1860  am  Zuge  Garibaldis  teilgenommen 
hatte,  erklärte  sich  am  10.  März  an  Stelle  von  Mieroslawski,  den  die  Russen  ge- 
schlagen hatten,  zum  Diktator  von  Polen,  mußte  aber  schon  am  14.  März  auf 
österreichisches  Gebiet  übertreten. 


^=340  

klar  machte,  sie  gegen  alle  Illusionen  und  gegen  jeden  Versuch,  meine 
Sätze  bei  ihnen  zu  bekämpfen,  sicherte. 

Es  ist  mir  gelungen,  diese  wirklich  fast  unüberwindlichen  Schwierig- 
keiten in  ausgezeichneter  Weise  zu  überwinden.  Ist  der  deutsche  Ar- 
beiterstand nicht  bis  zum  Entsetzen  träge  und  schläfrig,  so  muß  dieses 
Manifest,  da  es  ohnehin  in  eine  bereits  vorhandene  praktische  Bewegung 
fällt,  ungefähr  eine  Wirkung  hervorrufen  wie  die  Theses  an  der  Witten- 
berger Schloßkirche!^) 

Das  ist  die  eine  Seite  der  Medaille.  Die  andere  Seite  ist  die  Frage : 
wird  es  diese  Wirkung  auf  die  Arbeiter,  und  welche  wird  es  auf  die 
Bourgeoisie  haben?  Ich  las  es,  ihren  Rat  beanspruchend,  in  besondern 
Sitzungen  Bucher  und  Ziegler  vor.  Bucher  erklärte  mir,  daß  er  feier- 
lich jeden  Rat  verweigern  müßte,  ob  ich  das  Ding  abgehen  lassen  solle 
oder  nicht.  Er  deutete  mir  als  Grund  dieser  Weigerung  in  hinreichend 
deutlicher  Weise  an,  daß  er  das  Erscheinen  desselben  sehr  gern  sähe, 
mir  aber  nicht  dazu  raten  wolle,  um  keine  Verantwortlichkeit  zu  haben 
für  den  entsetzlichen  Haß  und  die  scheußlichen  Verunglirnpfimgen,  die 
es  mir  zuziehen  würde. 

Ziegler,  der  beim  Verlesen  des  Manifests  absolut  einverstanden  da- 
mit gewesen  war,  daß  ich  es  losließ,  schrieb  mir  noch  am  selben  Abend 
einen  langen  Brief,  2)  worin  er  (er  istfreihch  nur  politischer  Revolutionär 
und  sonst  Bourgeois  vom  Scheitel  bis  zur  Zehe)  feierlich  gegen  dasselbe 
protestiert.  Es  seien  horreurs.  Ich  sei,  sowie  dasselbe  erschienen,  ein 
toter  Mann,  hätte  mich  für  immer  ruiniert  usw.  usw. 

Ich  habe  auf  das  alles  nur  zu  antworten:  ,,Hier  stehe  ich,  ich  kann 
nicht  anders,  Gott  helfe  mir,  Amen!"  Und  wenn  ich  gleich  siebenund- 
siebzigmal  tot  wäre  und  in  Stücke  gerissen  würde,  ich  könnte  doch  nicht 
anders!  Ich  bin  neugierig  zu  hören,  ob  Sie  es  billigen  werden  oder  nicht. 
Billigen  Sie  es  nicht,  so  ist  es  mir  lieb,  daß  Sie  nicht  dagewesen  sind. 
Denn  abhalten  hätte  ich  mich  doch  nicht  lassen,  und  so  hätte  es  mir 
nur  mehr  Kampf  gemacht. 

(In  polizeilicher  Hinsicht  ist  nichts  zu  fürchten ;  das  Ding  ist  weit 
mehr  innerhalb  der  gesetzlichen  Grenzen  gehalten  als  irgend  etwas, 
was  ich  geschrieben  habe.) 

Das  Schönste  dabei  ist,  daß  das  Manifest  eigentlich  durchaus 
konservativ  ist  — das  Wort  in  seinem  guten  und  intelligenten  Sinne 
genommen  —streng  konservativ  und  die  lebhafteste  Anerkennung 


1)  Des  Vergleichs  mit  Luther  bediente  sich  Lassalle  in  jenen  für  ihn  entscheiden- 
den Wochen  des  öfteren.  Vgl.  u.  a.  seinen  Brief  vom  9.  März  bei  Bernhard  Becker, 
Der  große  Arbeiteragitator  Ferdinand  Lassalle,  Denkschrift  für  die  Totenfeier 
des  Jahres  1865   (Frankfurt,  Selbstverlag),   1865.  S.  7  ff . 

-)  Dieser  Brief  wird  in  Band  V  gedruckt  werden. 


=  341  —  = 

und  Adhäsion  der  besitzenden  Stände  verdiente.  Aber  freilich  ist  ebenso 
sicher,  daß  es  durchaus  revolutionär  wirken  muß,  da  den  besitzenden 
Ständen  eben  jede  Billigkeit,  jede  Gerechtigkeit,  jede  Einsicht  fremd 
ist  und  sie  eben  das  am  wenigsten  wollen,  daß  auf  friedlichem  Wege  die 
arbeitenden  Klassen  sich  ihrem  Privilegium  entwinden.  Je  leichter 
dies  auszuführen  wäre  und  je  mehr  diese  L/cichtigkeit  aufgezeigt  wird, 
ohne  irgendeinen  Besitz  zu   verletzen,  desto  wütender  werden  sie! 

Es  ist  also,  da  die  Bourgeoisie  sich  allerdings  sehr  klar  ist,  und  in 
dem  Falle,  daß  die  Arbeiter  vielleicht  noch  nicht  zur  Klarheit  reif  sind, 
allerdings  sehr  möglich,  daß  ich  heut  über  vierzehn  Tagen  moralisch 
ein  toter  Mann  bin  und  die  Fortschrittspartei  darüber  jubelt,  daß  ich 
mich  gestürzt  und  unmöghch  gemacht  habe.  Aber  auch  das  soll  mir 
egal  sein.  Daiui  abdiziere  ich  endlich  der  politischen  Tätigkeit  und 
ziehe  mich  rein  in  die  Wissenschaft  zurück.  Die  wenigen  Guten  werden 
zudem  immer  auf  meiner  Seite  stehen.  Von  Rüstow  z.  B.  bin  ich 
überzeugt,  daß  er  das  Manifest  mit  lebhaftestem  Beifall  begrüßen 
wird. 

Meine  Schwester  will  mich  durchaus  verheiraten  mit  einem  Mädchen 
schön,  aus  guter  Familie,  mittellos,  lebhaft,  lustig,  gesellschaftlich 
gebildet  (ob  diese  Bildung  tiefer  geht,  über  Geist,  elevation  d'äme, 
weiß  ich  nicht).  Die  Geschichte  ist  sehr  lustig.  Wir  trafen  uns  vor  längerer 
Zeit  in  einer  Gesellschaft,  in  welcher  wir  uns  beide  sehr  gut  gefielen 
—  gegenseitig  —  und  uns  dies  hinreichend  zu  verstehen  gaben.  Seitdem 
hat  sie  die  Familie  mit  einer  unersteiglichen  Burg  umgeben,  und  ich 
kann  nicht  an  sie  heran,  sie  also  nicht  eigentlich  kennen  lernen  imd 
sprechen.  Ich  horchte  durch  Mittelpersonen,  ob  ich  mich  in  dem  Hause 
einführen  lassen  sollte,  könnte,  dürfte  usw.  Da  wurde  geantwortet: 
Nur  dann,  wenn  ich  zuvor  um  ihre  Hand  anhalten  wollte,  sonst  point 
du  tout!  Geben  wolle  man  sie  mir;  aber  man  kenne  mich  schon,  es  sei 
mir  nur  um  einen  neuen  Roman  zu  tun,  man  wolle  mich  nicht  den  Ruf 
des  Mädchens  verderben  lassen  usw. 

Das  Mädchen  selbst  sagte  dem  Vermittler :  sie  würde  mich  sehr  gern 
nehmen,  sich  dann  allen  meinen  Wünschen  fügen,  aber  die  consigne 
ihrer  Familie  könne  sie  nicht  brechen.  Ich  antwortete:  Potztausend, 
man  fängt  doch  nicht  mit  dem  Heiraten  an,  man  hört  nur  damit  auf. 
Wenn  sie  mir  von  innen  so  gut  gefiele  wie  von  außen,  so  würde  ich  sie 
allerdings  nehmen.  Aber  das  könnte  ich  doch  nur  durch  eine  nähere 
Bekanntschaft  in  allen  Grenzen  des  Anstands  erfahren.  Ich  könnte 
doch  nicht  die  Katze  im  Sack  heiraten,  sie  rein  wegen  ihrer  schönen 
Augen  nehmen. 

Darauf  wurde  geantwortet:  das  möchte  sein;  ich  könne  ganz  recht 
haben,  aber  es  bliebe  dabei !  So  stehen  die  Affären  und  ich  [bin]  vorläufig 


=  342  — - 

gewillt,  auch  meinerseits  dabei  zu  bleiben.  Ich  kann  mich  doch 
wahrhaftig,  obgleich  mir  das  Mädchen  sehr  gefällt,  nicht  so  zum 
Heiraten  zwingen  lassen!  Man  springt  doch  nicht  so  geradezu  ins 
Wasser ! 

Was  mich  am  meisten  abhält,  ist  meine  finanzielle  Lage.  Im  Jahre 
1870  habe  ich,  wenn,  wie  höchst  wahrscheinlich,  meine  Gasrente^) 
dann  aufhört,  nur  etwa  1500  Taler  Revenue,  und  wenn  ich  gar  seinerzeit 
meine  Mutter  beerbe,  höchstens  im  ganzen  etwa  2500  bis  2700  Taler 
Revenue.  Damit  kann  ich  doch  nicht  mit  Frau  und  Kinder [n]  leben, 
ohne  mich  mindestens  entsetzlich  einzuschränken.  Das  sind  große 
Opfer.  Und  wenn  sie  nun  nicht  eine  solche  äme  d'elite  ist,  wie  ich  sie 
brauche,  wofür  dann  diese  Opfer  bringen?  1870  habe  ich  mich  an  ihre 
Schönheit  gewöhnt,  dann  erst  —  denn  bis  dahin  kann  ich  auch  mit 
Frau  imd  Kind  anständig  leben  —  fangen  meine  Opfer,  und  sehr  große 
an,  und  wenn  sie  mich  nicht  innerlich  dann  schadlos  hält,  habe  ich  eine 
erstamiliche  Dummheit  gemacht. 

Andrerseits:  wäre  es  für  mich  jetzt  wirkhch  sehr  angenehm  und 
wünschenswert,  zu  heiraten,  zweitens  gefällt  sie  mir  vorzüglich,  ein 
Körper  wie  zur  Wollust  geschaffen;  sie  ist  heiter  und  witzig  und  ziem- 
lich in  mich  verliebt  (nicht  energisch);  drittens  ist  es  doch  möglich, 
daß  meine  Rente  1870  weiter  geht;  dann  aber  finde  ich  keine  Frau 
mehr. 

So  stehen  die  Affären.  Ich  wollte,  Sie  wären  da  und  gäben  mir  en 
connaissance  de  cause  einen  Rat.  Was  meinen  Sie  vorläufig?  Ich  finde 
das  Benehmen  der  Familie  zu  dumm,  besonders  weil  ich  wirklich  nur 
ganz  ehrliche  Absichten  hatte.  Aber  das  wird  mir  eben  nicht  geglaubt! 
Ich  soll  im  voraus  um  die  Hand  anhalten  lassen!   Quelle  idee!-) 

Antworten  Sie  bald  Ihrem 

F.  Iv. 

Sie  hatten  mir  gesagt,  Rüstow  würde  mir  ausführlich  schreiben  über 
Garibaldi  usw.  Ich  habe  kein  Wort  bekommen! 


1)  Auf  diese  hatte  Lassalle  zugunsten  seines  Schwagers  verzichtet.  Siehe 
oben  Nr.  154. 

2)  Da  die  Antworten  der  Gräfin  aus  dieser  Zeit  fehlen,  so  verdient  ein  Brief 
des  mit  ihr  reisenden  Rüstow  aus  Neapel  vom  16.  März  Beachtung.  Man  erfährt 
daraus,  daß  Lassalles  Brief  die  Gräfin  sehr  betrübte.  ,, Wegen  Deiner  Heirats- 
absichten, um  derentwillen  die  Gräfin  auch  unzufrieden  ist,  habe  ich  aufrichtig 
gesagt  keine  Angst.  Ganz  anders  dagegen  steht  es  mit  Deinem  Arbeitermanifest." 
Rüstow  drückt  die  Befürchtung  aus,  daß  Lassalle  sich  ,,dem  Tod  des  Gefängnisses" 
aussetzen  werde,  und  schließt;  ,,Die  Gräfin  ist  sehr  betrübt  um  Dich,  und  sie  ist 
es  um  so  mehr,  als  ihre  Gesundheit  auch  nicht  so  gut  ist,  als  ich  es  von  ganzem 
Herzen  wünschte.  Sie  geht  in  ihren  Befürchtungen  viel  weiter  als  ich."  — 


=  343  ======= 

164. 
LASSALLE  AN  SOPHlK  \'ON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,    13.  April   1863.] 
Gute  Gräfin ! 

Soeben  erhalte  ieli  Ihren  Brief  vom  4.  (am  13.,  nieht  am  11.,  wo  ich 
den  ganzen  Tag  schmerzlichst  einen  telegraphischen  Gruß  von  Ihnen 

erhofft  hatte). 

Aus  Ihrem  Brief  ersehe  ich,  daß  drei  Briefe  von  mir  an  Sie  und 
Rüstow  verloren  sind.  Was  soll  ich  tun?! 

Ebenso  ist  Rüstows  Brief  an  mich  verloren.  Ich  habeihnnicht 
bekommen,  was  mir  sehr  leid. 

Meine  ganze  Seele  atmet  auf,  zu  wissen,  daß  Sie  wieder  im  Begriff 
sind  zurückzukehren.  Sie  glauben  nicht,  wie  ich  Sie  vermißt  habe !  wie 
ungeduldig  ich  mich  auf  Ihre  Ankunft  freue !  Ich  werde  auch  stärker 
und  kräftiger  sein,  wenn  Sie  wieder  da  sind ! 

Ich  habe  keine  Minute  Zeit  zum  Schreiben. 

Nicht  mehr  die  Berliner,  die  gesamte  deutsche  Presse  Ein  Wut- 
schrei gegen  mich!  Der  Schlachtendonner  tobt  wirklich  um  mich  herum. 
Es  ist  ein  Gebrüll  von  Gemeinheit  und  Dummheit,  von  dem  ich  nie  eine 
Ahnung  gehabt  hätte. 

Bloß  als  schwache  Proben  sende  ich  Ihnen  zwei  oder  drei  Artikel 
heut  nach  Genua  poste  restante.  Die  ,, Tribüne"  hat  entdeckt,  daß 
ich  wegen  der  vier  Monate  Gefängnis  meinen  Frieden  mit  der  Regierung 
habe  machen  wollen.  Den  Vorstand —wohlgemerkt  nur  den  Vor- 
stand —  des  Arbeitervereins  Nürnberg  hat  Schulze  zu  der  Erklärung 
bestimmt,  daß  ich  ,,ein  gedungenes  Werkzeug  der  Reaktion"  sei  und 
daß  ich  in  meiner  Broschüre  erklärt  hätte,  „Bildung  sei  für  den  Arbeiter 
nicht  notwendig,  ja  zweckwidrig". 

Eduard Meyeni)  in  der ,, Reform"  erklärt  täglich,  ich  sei  da  angelangt, 
wo  Bruno  Bauer  !^) 

Die  verschiedensten  Zeitungen  enthalten  als  Leitartikel  Offene 
vSendschreiben  gegen  mich  usw.  Ein  Moritz  Müller^)  in  Pforzheim,  den 
Rüstow  wohl  kennt,  hat  gleichfalls  eins  erlassen,  das  ich  noch  gar  nicht 
gelesen. 

Alles  das  nur  schwache  Beispiele  des  allgemeinen  Geheuls. 

V)  Eduard  ]Meyen,  der  einstige  Junghegelianer  und  spätere  politische  Flücht- 
ling, redigierte  jetzt  die  Berliner  ,, Reform".  Lassalle  hatte  sich  mit  ihm  überwerfen. 

2)  Bruno  Bauer  (1809— 1882),  der  einstige  Führer  der  radikalen  Junghegeliancr, 
stand  jetzt  im  konservativen  Lager. 

3)  Moritz  Müller  war  Bijouteriefabrikant.  Vgl.  Bebel,  Aus  meinem  Leben, 
Bd.  I,  S.  115. 


=  344 

Aber  andrerseits  hatsich  der  Arbeiterstand  auf  meine  Stimme  erheben. 

In  einer  großen  Arbeiterversammlimg  zu  Hamburg^)  sind  die  dortigen 
Arbeiter  fast  einstimmig  den  lyeipziger  Beschlüssen  beigetreten. 

Am  II.  April  haben  sowohl  in  Düsseldorf  wie  in  Solingen  die 
dort  zusammenberufenen  Arbeiterversammlimgen  einstimmig  die- 
selben Beschlüsse  gefaßt  und  mir  ihren  Dank  votiert.  Andere  Städte 
werden  folgen. 

Gestern  war  hier  Arbeiterversammlung  von  Schulzes  Kreaturen. 
Ich  war  nicht  dort.  Aber  eine  Anzahl  gebildeter  Männer,  drei  bis  vier, 
hatte  sich  mir  zur  Verfügung  gestellt,  dort  für  mich  zu  pauken.  Es  kam 
noch  nicht  dazu.  Die  Versammlung  beschloß  zuvor,  von  meiner  Bro- 
schüre Kenntnis  zu  nehmen.  Sie  schickte  mir  ihren  Kolporteur.  Ich  habe 
nach  zweitausend  Exemplaren  telegraphiert.  Wir  wollen  sehen,  wie  es 
wird. 

Von  Rüstow  habe  ich  in  meinem  letzten  Brief  verlangt,  er  müsse 
Süddeutschland  bereisen,  wo  er  so  populär  ist,  und  in  jeder  Stadt  die- 
selben Beschlüsse  fassen  lassen. 

Ebenso  solle  er  dem  Leipziger  Komitee  (Adresse  Dr.  O.  Dammer,^) 
Leipzig,  Hospitalstr.  12)  schreiben,  um  sie  für  ihre  Beschlüsse  zu  be- 
glückwünschen. 

Herwegh  schreibt  mir  einen  enthusiastischen  Brief,  lehnt  aber  die 
Einwirkung  auf  den  Züricher  Arbeiterverein,  die  ich  von  ihm  verlangt, 
als  unmöglich  ab.^) 

Die  Fortschrittspartei  zittert.  Sie  sieht  ein,  daß  ein  Schlag  gefallen 
ist,  der  sie  vernichten  muß. 

Ich  bin  toderkältet,  tod heiser  und  muß  am  10.  in  Leipzig  sprechen. 
Was  soll  ich  machen  ?  Ich  schicke  eben  Frerichs  Rezept  in  die  Apotheke. 

Adieu 

Ihr  F.  L. 

165. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Heidelberg,  Hotel  Schrieder,   16.  Oktober   1863. 

Liebes  Kind,  Ihr  Brief  nach  Ragaz  ist  mir  nach  Zürich  nachgeschickt 
worden,  wo  ich  mich  nur  einen  Tag  aufhalten  konnte,  da  mich  eine 

1)  Am  28.  März. 

2)  Der  Chemiker  Dr.  Otto  Dammer  war  anfangs  die  Seele  des  Leipziger 
Zentralkomitees.  Lassalles  Briefe  an  ihn  veröffentlichte  191 2  Hermann  Oncken 
im  Archiv  für  Geschichte  des  Sozialismus  und  der  Arbeiterbewegung,  Bd.  II. 
Zahlreiche  Briefe  von  ihm  an  Lassalle  werden  in  Ed.  V  gediuckt  werden. 

3)  Herweghs  Brief  vom   11.  April  wird  in  Bd.  V  gediuckt  werden. 


—       =  345  — 

telegraphische  Depesche,  zu  gleicher  Zeit  ankommend,  sofort  nach 
Heidelberg  bestellte  zu  einer  Konferenz  mit  Paul  [rief],  die  ich  unter 
obwaltenden  Umständen  nicht  versagen  konnte.^)  Ich  bin  gestern  abend 
um  neun  Uhr  todmüde  hier  angekommen  und  trotzdem  nicht  vor  vier  Uhr 
ins  Bett  [gejkommen.  Ich  wollte  Ihnen  schon  von  Zürich  aus  antworten, 
konnte  aber  an  dem  einen  Tag  wirklich  nicht  einen  freien  Moment  er- 
obern und  will  es  nun  [heute],  obgleich  ich  völlig  wirr  im  Kopf  und  ganz 
krank  und  daher  mein  Brief  völlig  konfus  sein  wird,  heute  dennoch  tun. 
Ich  hatte,  bevor  ich  Ihren  Brief  und  Rede  zugleich  erhielt,  nur  einige 
Andeutungen  in  der  ,, Allgemeinen  [Zeitung]"  über  die  Vorgänge  am 
Rhein  gelesen,  an  deren  Wahrheit  ich  zwar  keinen  Augenblick  in  einer 
Beziehung  glaubte,  die  mich  aber  doch  in  andrer,  was  die  Einmischung 
der  Regierung^)  betrifft,  sehr  beunruhigten.  Aber  ich  wußte  nun  gar 
nicht  mehr,  wohin  Ihnen  schreiben,  da  auf  meinen  Brief  nach  Berlin 
noch  gar  keine  Antwort  erfolgt  war.  Über  diesen  einen  Punkt  der  Folgen 
von  gesetzlichen  Verfolgungen  bin  ich  allerdings  auch  nach  Lesung  Ihrer 
Rede,  die  mich  natürlich  nichts  abhalten  konnte,  sofort  in  Zürich  genau 
durchzustudieren,  für  einige  Stellen  derselben  nicht  beruhigt.  Im 
übrigen  bin  ich  so  sehr  mit  Ihnen  in  allem  einverstanden,  wie  man  es  nur 
sein  kann.  Ich  bin  stolz  auf  Sie  und  würde  eine  ganz  reine  Freude  darüber 
haben,  wenn  mich  die  Sorge  um  Ihr  persönhches  Wohlergehen  nicht  zu 
sehr  beschäftigte  und  mir  dennoch  am  Ende  über  alles  andere  ginge.  Ich 
könnte  heute  schon  sehr  bequem  auch  hier  nachgeschickt  Nachricht  über 
den  Ausgang  Ihrer  Sitzung  am  12.^)  haben,  und  dies  ist,  was  wirklich 
unfreundschaftlich  ist,  daß  Sie  mir  den  Ausgang  nicht  augenblick- 
lich mitgeteilt  haben.  Es  macht  mich  se  hr  besorgt,  denn  ich  kann  kaum 
glauben,  daß  Sie  den  Eigensinn  und  die  unverantwortliche  Verkennung 
meiner  imveränderlichen  Freundschaft  so  weit  getrieben  haben  sollten, 
mir  eine  erfreuliche  Nachricht  vorzuenthalten.  Ich  bitte  aber  jetzt 
sehrdringend  umumgehende  Auskunft  darüber,  adressiert  Heidelberg 

1)  Graf  Paul  von  Hatzfeldt  stand  damals  vor  seiner  Verheiratung  mit  der 
Amerikanerin  Helene  Moulton  (f  19 18). 

2)  Lassalle  hielt  in  der  letzten  Septemberwoche  in  mehreren  rheinischen 
Städten  die  Rede  ,,Die  Feste,  die  Presse  und  der  Frankfurter  Abgeordneten- 
tag. Drei  Symptome  des  öffentlichen  Geistes",  die  ziierst  in  Düsseldorf  im  Ver- 
lag der  Schaubschen  Buchhandlung  erschien.  In  Solingen  kam  es  am  27.  zu  der 
berühmten  Episode,  bei  der  Lassalle  sich  in  einem  Telegramm  an  Bi.smarck  über 
den  ,, fortschrittlichen  Bürgermeister"  beschwerte.  Vgl.  u.  a.  Oncken,  Lassalle, 
S.  387. 

3)  Am  12.  Oktober  erreichte  Lassalle  vor  dem  Kammergericht,  daß  die  vier  Mo- 
nate Gefängnis,  zii  denen  er  vor  dem  Stadtgericht  wegen  des  ,, Arbeiterprogramms" 
verurteilt  worden  war,  in  eine  Geldstrafe  verwandelt  wurden.  Er  hielt  hier  einen 
Teil  der  Rede,  die  gedruckt  erschien  unter  dem  Titel:  ,,Die  indirekte  Steuer  und 
die  Lage  der  arbeitenden  Klassen." 


346  = 

im  Hotel  Schrieder,  da  ich  noch  nicht  weiß,  wieviel  Tage  mein  hiesiger 
Aufenthalt  dauert.  Es  ist  eine  traurige  Zeit  für  mich,  jede  Berührung,  die 
mir  wieder  zeigt,  wie  sehr  ich  mein  ganzes  Lieben  einem  Hirngespinst 
geopfert  und  was  ich  dafür  geerntet,  reißt  alte  Wunden,  die  ich  erhalten, 
wieder  neu  auf.  Ich  kann  nur  existieren,  indem  ich  jede  äußere  Er- 
innerung daran  vermeide,  um  die  innere  unterdrücken  zu  können  .  . . 
Ihre  Ungerechtigkeit  ist  groß,  wenn  Sie  meine  häufigeren  Abwesen- 
heiten von  Berlin  wie  einen  Mangel  an  Freundschaft  hinzustellen  ver- 
suchen, wo  der  gegenteilige  Beweis  so  nahe  liegt.  Berlin  ist  für  mich 
der  letzte  Ort  der  Welt,  durch  traurige  Erinnerungen  und  fortdauernde 
unangenehme  Verhältnisse  der  widerlichste  Ort,  ein  Ort,  wo  ich  durch 
die  Folgen  dieser  Verhältnisse,  wie  migerecht  sie  sein  mögen,  nicht  einen 
Menschen,  ich  sage  nicht  Freund,  sondern  nur  Bekannten  und  Gesell- 
schaft habe,  noch  haben  kann ,  so  sehr,  daß  ich  nur  die  unangenehmsten 
Folgen  gehabt  habe,  wie  ich  mich  bereden  ließ,  zum  Versuch  aus  dieser 
Isolierung  herauszutreten.  Ich  stehe  also  so  allein  dort  wie  auf  einer 
wüsten  Insel;  ich  habe  allerdings  vSie,  und  das  ist  sehr  viel  imd  macht 
mir  den  sonst  ganz  unmöglichen  Aufenthalt  nur  möglich;  denn  Sie 
werden  zugeben,  daß,  was  ganz  natürlich  und  sogar  notwendig  und 
was  ich  gar  nicht  ändern  möchte,  Sie  so  viel  sehr  große  und  auch  kleine 
und  kleinere  Zwecke  und  Beschäftigungen  aller  Art  haben,  daß  mir 
wohl  Zeit  und  Muße  bleibt,  meine  völlige  Isolierung  zu  fühlen.  Dies  ist 
aber  grade  für  mich  der  allerminimste  Punkt,  den  ich  nur  beiläufig 
miterwähne.  Ich  brauche  keine  Gesellschaft  und  repoussiere  sie  sogar  in 
Berlin,  weil  es  erstens  durchaus  kein  angenehmes  Gefühl,  so  bloß  ge- 
duldet nebenher  zu  laufen  und  zu  wissen,  daß,  wie  Sie  nicht  da,  kein 
Mensch  sich  erkundigen  würde,  ob  ich  noch  lebe,  und  dies  Verhältnis 
sich  dort  nicht  ändern  kann  ;  aber  ich  habe  auch  stets  positive  Un- 
annehmlichkeiten gehabt.  Ich  muß  mich  daher  wohl  öfter  fragen,  wenn 
Ihre  Zwecke  und  Beschäftigungen  Sie  öfter  und  längere  Zeiten  anders- 
wohin riefen,  was  würde  aus  mir  unter  diesen  Verhältnissen  werden 
und  um  so  schlimmer,  je  älter  und  kränklicher  ich  würde?  Nun  kommt 
aber  noch  hinzu,  daß  dieses  Klima  für  mich  fast  unerträghch  ist,  und 
die  schlechten  Folgen  davon  haben  sich  unleugbar  für  jeden,  der  sehen 
will,  bereits  erwiesen.  Diese  Anschauung  über  den  Aufenthalt  in  Berlin 
für  mich  stammt  nicht  von  heute  und  gestern,  nicht  aus  neu  hinzu- 
gekommenen etwaigen  Gründen  und  Verhältnissen,  wie  Sie  andeuten 
wollen,  Sie  wissen  sehr  wohl,  daß  diese  Ansicht  über  Berlin  von  jeher 
bei  mir  feststand,  daß  es  mich  aus  vielen  unabänderhchen  Gründen 
physisch  wie  moralisch  deprimieren  muß.  Weshalb  bin  ich  also  mit 
dieser  feststehenden  Überzeugung  und  trotzdem,  daß  mir  voraussicht- 
lich so  wenig  Zeit  auf  dieser  Welt  mehr  bleibt,  so  lange  gegen  meine 


=347 

innigsten  persönlichen  Wünsche  in  Berlin  geblieben?  Warnni  bleilie 
ich  trotz  der  für  mich  nach  meiner  Überzeugung  schon  eingetretenen 
nachteiligen  Folgen  und  trotzdem,  daß  ich  weiß,  daß  wo  anders  die 
meisten  derselben  fortfallen,  warum  bleibe  ich  auch  jetzt  noch  dort? 
Beantworten  Sie  diese  Frage  mit  bonne  foi  und  Erwägung  aller  Ver- 
hältnisse, wie  sie  sind  oder  wenigstens  in  meiner  Anschauung,  was  dann 
für  mich  auf  eins  herauskommt,  und  machen  Sie  mir  dann  noch  Vor- 
würfe über  Mangel  an  Freundschaft.  Es  fällt  mir  dabei  ein,  daß  Riem 
mir  schreibt,  daß  mir  Schleicher  die  Wohnung  zum  i.  April  gekündigt. 
Bitte  gehen  Sie  doch  einmal  bald  vorbei  und  hören  »Sie,  welches  die  Ur- 
sachen und  wie  es  damit  steht. ^) 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  schreiben  vSie  gleich.  Auf  Wieder- 
sehen entweder  schon  in  ein  paar  Tagen,  jedenfalls  in  kurzer  Zeit. 

i66. 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

[Berlin,    19.  Oktober   1863.] 
Liebe  Gräfin! 

Läsen  Sie  Zeitungen,  so  würden  Sie  aus  denen  ersehen  haben,  daß 
am  12.  das  Urteil  nicht  gesprochen,  sondern  auf  heut  (19.)  ausgesetzt 
worden  ist.  Soeben  trifft  die  Nachricht  ein : 

Verurteilimg  zwar  aufrecht  gehalten,  aber  die  Strafe  auf  100  Taler 
Geldstrafe  herabgesetzt. 

Sie  also  werden  lachen !  Ich  aber  mit  höchster  Kraft  Kassation  ein- 
legen, am  Kassationshof  persönlich  auftreten  und  einen  furchtbaren 
Lärm  schlagen.  Ich  muß  durchdringen. 

Wegen  neuer  anderweitiger  Verfolgungen  ängstigen  Sie  sich  doch 
gar  nicht!  Kein  Mensch  denkt  mehr  dran,  mich  verfolgen  zu  wollen! 
Sie  hätten,  um  dies  zu  begreifen,  neulich  in  der  Sitzung  des  Kammer- 
gerichts zugegen  sein  sollen !  Da  hätten  Sie  gesehen,  wie  ich  den  Leuten 
das  Prozessieren  mit  mir  bereits  verleidet  habe.  Es  war  ein  namen- 
loser Triumph.  Holthoff^)  war  vor  Verwunderung  ganz  starr.  Ich 
sagte  die  furchtbarsten  Dinge.  Kein  Mensch,  der  mich  unterbrach. 

^)  Lassalle  antwortete  hierauf  in  seinem  Brief  vom  19.  Oktober:  ,,Icli  habe 
gar  keine  Zeit,  zu  Schleicher  zu  gehen.  Für  Kommissionen  bin  ich,  wenn  nicht 
das  halbe  Leben  davon  abhängt,  nicht  mehr  vorhanden."  Und  an  einer  anderen 
Stelle  schreibt  er:  ,, Durchdringen  Sie  sich  nur  etwas  von  der  Vorstellung,  daß 
Sie  mit  dem  beschäftigsten  Mann  in  Deutschland  zu  tun  haben.  Ihnen 
schreibe  ich  übrigens  doppelt  ungern,  weil  mit  Erbitterung,  weil  Sie  überhaupt 
da  sein  und  ich  also  überhaupt  gar  nicht  Ihnen  zu  schreiben  haben  sollte." 

2)  Aurel  Holthoff,  Lassalles  Anwalt. 


348  === 

Ich  proklamierte  die  Revolution !  Kein  Staatsanwalt  und  kein  Präsident, 
der  auch  nur  gehustet  hätte!  Ich  habe  den  Leuten  gezeigt,  was  eine 
,, freie  Verteidigung"  ist,  und  dsa  durch  den  Skandal  in  erster  Instanz 
und  das  Bewußtsein  des  Kammergerichts,  mich  doch  nicht  einschüchtern 
zu  können  und  mir  durch  Abschneiden  der  Rede  nur  Kassationsgründe 
zu  geben,  so  siegreich  durchgesetzt,  daß  zum  Staimen  aller  Juristen  die 
Leute  sich  ohne  zu  mucken  zum  voraus  in  alles  ergeben  hatten.  Münd- 
lich darüber  näheres.  Es  war  merkwürdig.  Eben  deswegen  wollen  sie 
auch  nicht  wieder  mit  mir  anbinden.  Sie  haben  gesehen,  daß  es  ein  mi- 
dankbar  Geschäft! 

Ich  bin  wieder  der  einzige  gewesen,  der  Recht  behalten  hat  gegen 
alle  seine  timiden  Freunde.  — 

Ich  habe  übrigens  so  viel  zu  tun,  daß  ich  nicht  weiß,  wo  mir  der 
Kopf  steht!  Alles  wogt  mit  mir  auf  und  nieder!  Und  da  noch  Briefe 
schreiben ! 

Ihr  Plaidoyer  gegen  mich  ist  ganz  falsch!  Sie  wollen  behaupten: 
Sie  seien  meinetwegen  in  Berlin?  Aber  Sie  sind  ja  gar  nicht,  und 
können  also  auch  nicht  meinetwegen  sein. 

Betrachten  wir  z.  B.  das  letzte  Jahr.  Heut  ist  der  ig.  Oktober.  Also 
vom  19.  Oktober  1862  bis  19.  Oktober  1863,  wieviel  waren  Sie  denn 
ad  in  Berlin?  Im  November  vierzehn  Tage,  dann  reisten  Sie  unerbittlich 
weg,  obgleich  mein  Vater  gestorben  war  und  ich  Ihre  Anwesenheit  also, 
wenn  je,  so  diesmal  nötig  hatte.  Dann  kamen  Sie  im  Mai  an  und  reisten 
25.  Juni  weg.  Sie  waren  also  im  ganzen  acht  Wochen  während  eines 
Jahres  in  Berlin!  während  des  Jahres,  wo  ich,  durch  Privatverlust  ge- 
beugt und  von  allen  Seiten  angegriffen,  am  meisten  nötig  gehabt  hätte, 
daß  meine  Freunde  sich  um  mich  scharten! 

Nein,  nein!  Alle  Advokatenkunststücke  helfen  da  nicht!  Sie  sind 
auch  nicht  ein  bißchen  gut  gegen  mich!  Ich  bin  Ihnen  deswegen  doch 
gut.  Aber  eben  nur,  weil  ich  Ihnen  einmal  gut  bin  !  Nicht,  weil  Sie  es 
auch  nur  im  geringsten  um  mich  verdienten!  .  .  . 

Ich  bin  übrigens  —  und  das  ist  eigentlich  auch  der  wahre  Grund, 
weshalb  ich  Ihnen  neulich  schrieb  und  heute  schreibe  —  schon  seit  drei 
Wochen  der  bestlaunigste  Bursche  in  der  Welt!  Weiß  nicht,  wie 's 
kommt,  aber  ich  schnaufe  ordentlich  Erfolg  in  allen  Nüstern  !  Es 
ist  eine  Siegesgewißheit  und  Gutlaunigkeit  über  mich  gekommen,  gegen 
die  alle  frühere  Sicherheit  nur  ein  Kinderspiel  war. 

Ich  kam  hier  an  mit  der  Erklärung :  in  spätestens  drei  Monaten  habe 
ich  Berlin,  und  lachte  meinen  Bekannten  ins  Gesicht,  die  mir  ins  Ge- 
sicht lachten! 

Und  in  der  Tat !  Beim  Tag  meiner  Ankunft  waren  wir  zehn  Mitglieder 
hier.  Vorgestern  schon  25  Mitglieder,  und  gestern  habe  ich  das  Bom- 


—  349  == 

bardement  systematisch  begonnen.  Meine  ,, Ansprache",^)  die  ich  Ihnen 
heut  schon  geschickt,  wird  seit  gestern  ausgegeben:  Unsere  Mit- 
glieder —  andere  Kolporteurs  haben  wir  nicht  genommen  —  laufen 
damit  in  die  Fabrikarbeiterviertel.  Große  Aufregung.  Die  , .Ansprache" 
wird  wahnsinniges  Aufsehen  machen  und,  wenn  ich  nicht  sehr  irre, 
große  Wirkung  haben.  Täuscht  mich  nicht  alles,  so  haben  wir  inner- 
halb vier  Wochen  hier  300 — 500  eingeschriebene  Mitglieder,  und  dann 
ist  alles  gewonnen.  Die  Berliner  Arbeiter  fangen  an,  sich  zu  mir  zai  ent- 
wickeln. Wer  hat  recht  gehabt?  Wer?  Wer  hat  gegen  allen  täuschenden 
Schein,  gegen  alles  auswendige  Ansehn  der  Dinge  immer  den  Mut  be- 
halten und  gesagt :  ich  werde  Berlin  haben  wie  den  Rhein  ? 

Etsch!  Etsch!  Etsch! 

Haben  wir  erst  fünfhundert,  so  haben  wir  auch  dreitausend  Mit- 
glieder hier. 

Dann  wollen  wir  weiter  sehn !  Nun  fehlt  mir  vorläufig  weiter  nichts, 
als  daß  Sie  da  sind. 

Sie  haben  sehr  unrecht  —  auch  in  dieser  Beziehung  —  auf  Ihre 
Stellung  in  Berlin  zu  schimpfen.  Die  Gründe  derselben  sind  nicht  lo- 
kaler, sondern  allgemeiner  Art,  wirken  in  Zürich  wie  in  Berlin. 
Und  die  paar  Leute,  die  Sie  in  Zürich  haben  oder  Italien,  haben  Sie 
noch  besser  und  in  noch  größerer  Anzahl  hier. 

Und  was  die  Besserung  dieser  Lage  betrifft,  so  ist  doch  in  mir  immer 
noch  siebenundsiebzigmal  mehr  Kraft,  das  durchzusetzen,  als  in  allen 
andern  Menschen,  die  Sie  kennen,  zusammengenommen.  Es  kömmt  mir 
ganz  vor,  als  ob  ich  gar  sehr  auf  dem  Wege  wäre,  gar  Verschiednes  durch- 
zusetzen. Kurz,  ich  bin  accendente  domo,  und  es  fehlt  mir  nichts,  als 
daß  Sie  wieder  da  sind. 

Machen  Sie  schnell,  schnell,  schnell! 

Ihr 

F.  U. 

Eben  wie  ich  den  Brief  schließen  will,  kömmt  Ihre  telegraphische 
Depesche.  Ich  antworte  aber  nicht  telegraphisch  darauf 

1.  weil  ich  das  obige  doch  nicht  in  eine  telegraphische  Depesche 
zusammen!  assen  und  Sie  also  durch  solches  nur  irreführen  könnte ; 

2.  weil  ich  fürchte,  daß  Sie  sonst  schon  heut  abreisen  und  also  auch 
diesen  Brief  nicht  mehr  erhalten; 

3.  weil  ja  auch  der  Brief  schon  morgen  Sie  erreicht! 

1)  ,,An  die  Arbeiter  Berlins.  Eine  Ansprache  im  Namen  der  Arbeiter  des  All- 
gemeinen Deutschen  Arbeitervereins"  erschien  im  Kommissionsverlag  bei  Rein- 
hold Schlingmann,  Berlin.  —  Lassalles  sanguinische  Erwartung  erfüllte  sich  be- 
kanntlich nicht.  Erst  lange  nach  seinem  Tode  konnte  der  Allgemeine  Deutsche 
Verein  in  Berlin  wirklich  Boden  gewinnen. 


=  350  = 

Wie  Sie  aus  dem  Früheren  ersehen,  wäre  es  nicht  übel,  wenn  Sie 
nach  Köhi  und  Düsseldorf  gehen.  Aber  nötig  ist  es  gerade  nicht.  Denn 
man  kann  das  zuletzt  auch  durch  Briefe  ganz  gut  erfahren. 

Vor  Freitag  aber  treffen  Sie  am  besten  hier  nicht  ein.  Denn  Mitt- 
woch abend  erwarte  ich  Bucher,  i)  der  mir  wieder  geschrieben,  sich 
angekündigt  und  mich  gebeten  hat,  mich  zunächst  allein  zu  treffen. 
Und  da  ich  ihn  sehr  gern  habe,  möchte  ich  erst  alles  mit  ihm  in  Ordnung 
bringen.  Donnerstag  früh  aber  ist  mein  Prozeß  wegen  Beleidigung  des 
Staatsanwalts,  so  daß  wir  da  nicht  gemütlich  zusammen  sein  könnten 
und  Sie  doch  noch  wohl  von  der  Reise  zu  müde  sein  würden,  um  gleich 
in  die  Sitzung  — die  übrigens  erst  um  12  Uhr  beginnt  —  zu  gehen. 

Und  folglich  ist  es  gemütlicher,  wenn  Sie  erst  Freitag  eintreffen, 
mir  aber  vorher  schreiben,  damit  ich  Sie  am  Bahnhof  abholen  lasse 
und  bei  mir  mit  dem  Frühstück  erwarte.  Wenn  Sie  also  bis  Freitag  — 
oder  spätestens  Sonnabend  —  hier  sein  wollen,  können  Sie  übrigens, 
falls  Sie  hinwollen,  bis  dahin  schon  Köln  und  Düsseldorf,  wo  Sie  doch 
nur  zwei  Tage  Aufenthalt  brauchen,  abgemacht  haben. 

Herbertz  wohnt  jetzt  in  Köln,  Domstraße  23. 

In  Düsseldorf  lassen  Sie  sichlycwy-)  (Bilkerstraße  40)  rufen,  der 
Ihnen  dann  ganz  zu  Diensten  stehen  wird.  Auch  können  Sie  sich  von 
Bloem  Ihren"  Akt  mitbringen,  woran  ich  vergaß,  obwohl  ich  mit  ihm 
davon  sprach.  Ganz  Ihr 

F.  L. 

Beinahe  zwei  Stunden  an  diesem  Brief  geschrieben ! ! 


167. 

IvASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

Montag,  Leipzig,  Hotel  de  Baviere  [9.  Mai   1864]. 
Gute  Gräfin! 

Hier  gleich  an  der  Eisenbahn  von  über  250  Arbeitern  mit  furcht- 
barem Hoch  empfangen,  haben  wir  schon  gestern  eine  gemütliche 
Vorversammlung  gehabt  und  heut  die  offizielle. 

Ich  habe  vergessen:  meinen  Rasierpinsel  und  das  Bartseifenpulver. 
Wollen  Sie  das  meinem  Friedrich  sagen,  und  mir  diese  Dinge  sofort 


1)  Zwischen  Bucher  und  Lassalle  hatte  aus  Gründen,  die  sich  aus  Buchers 
Privatleben  erklären,  der  Verkehr  zeitweise  geruht. 

2)  Gustav  Lewy  war  der  Kassierer  und  Düsseldorfer  Bevollmächtigte  des 
Allgemeinen  Deutschen  Arbeitervereins.  Er  war  ein  alter  Bekannter  Lassalles. 
Vgl.  übrigens  Bd.  III,  Einfühnxng  S.  gf. 


=  351  ==^ 

nach  Düsseldorf  seiulfu  lassen.    Ich  hatte  ihm   ül)rigens  ansdrücklich 
eingeschärft,  sie  einzupacken. 

Wenn  die  ,, Norddeutsche"  etwas  über  die  Deputation  der  Weber 
und  ihre  Audienz  beim  Könige  bringt,  so  schicken  Sie  mir  dieselbe  so- 
fort ein. ^)  —  Instruieren  Sie  Willms-)  und  Friedrich,  daß  mir  mein  Paß 
oder  die  darauf  bezügliche  Antwort  aus  dem  Ministerium  sofort  nach- 
geschickt wird,  und  nicht  etwa  dies  für  einen  Gerichtsbrief  gehalten 
und  zu  Holthoff  erst  gebracht  wird.  Solange  Sie  in  Berlin  sind,  können 
überhaupt  Sie  sich  alle  amtlichen  Zustellungen  bringen  lassen,  die  erst, 
insofern  sie  nach  Ihrer  Abreise  kommen,  Friedrich  zu  Holthoff  zu 
bringen  braucht. 

Sagen  Sie  ihm  das  aber  so,  daß  er  es  nicht  mißversteht  und  am  P^ule 
ja  nicht  die  Ordre  wegen  Holthoff'  auch  nach  Ihrer  Abreise  für  auf- 
gehoben hält. 

Nun  adieu!  schreiben  Sie  bald  Ihrem  guten 

F.  L. 

i68. 
SOPHIE  VON  HATZFEDDT  AN  DASSALLE.   (Original.) 

Berlin,  Dienstag  mittag  [lo.Mai   1864]. 

Liebes,  gutes  Kind,  ich  bin  von  abscheulichsten  Laune,  ich  habe  mein 
Geld  noch  nicht,  das  Hypothekengeschäft  hat  noch  Schwierigkeiten. 
Frerichs  hat  mir  noch  nicht  Brief  noch  Attest  fürs  Gericht  geschickt, 
ich  gehe  heute  wieder  zu  ihm.  Holthoff  hat  mir  den  Akt  noch  nicht  ge- 
schickt, und  ich  möchte  so  gern  schleunigst  fort,  kann  aber  so  den  Tag 
noch  nicht  bestimmen.  vSoeben  erhalte  ich  Ihren  Brief,  Ihre  Bestellungen 
an  Friedrich  werde  ich  heute  noch  machen. 

Soeben  werde  ich  durch  den  Besuch  der  schlesischen  Weber  unter- 
brochen, sie  haben  gestern  abend  eine  Stunde  lang  Audienz  bei  B[ismarck] 
gehabt,  der  ihnen  erklärt  hat,  daß  mit  denjenigen  Familien  dort,  welche 
jetzt  brotlos  geworden,  ein  Versuch  der  Gründung  einer  Assoziation  auf 
vStaatskosten  gemacht  werden  solle,  jetzt  gleich,  um  durch  diesen  kleinen 
Anfang  die  Sache  auf  die  Probe  zu  stellen.  Er  sagte  ihnen,  daß  die  Ar- 
beiterfrage gelöst  werden  müsse,  mit  welchen  Gesetzen  und  Mitteln 
es  auch  sei,  das  sei  notwendig  und  er  dazu  fest  entschlossen,  er  ge- 
stehe aber,  daß  er  von  der  Sache  nichts  verstehe,  noch  welche  Mittel 
dahin  führen  können.  Die  Geheimräte,  Minister,  Beamten  verständen 


')  Für  die  Weberdeputation   an   den   König  vgl.  Oncken,   Lassalle,    S.  454  f . 
2)  Eduard  Willms,  Scluvertfeger  aus  Solingen,  war  Sekretär  des  Allgemeinen 
Deutschen  Arbeitervereins.   Briefe  von  ihm  an  I,assalle  wird  Bd.  V  mitteilen. 


— -  352  = 

nach  seiner  Meinung  auch  nichts  davon,  die  Fabrikanten  seien  bös- 
willig, nur  der  Arbeiter  selbst  könne  wissen,  wo  ihn  der  Schuh  drücke, 
und  darum  wolle  er  es  von  ihnen  selbst  erfahren.  Er  sagte,  die  Mittel- 
losen bezahlten  die  Steuern  des  Staates,  denn  es  gäbe  in  Preußen  nur 
200  000  Besitzende,^)  und  so  hätten  sie  auch  das  erste  Anrecht  an  ihn; 
und  hörten  [?]  damit  auf,  den  intelligentesten  der  drei  Leute  2)  zum  Be- 
vollmächtigten zu  machen  mit  dem  Auftrag,  ganz  Schlesien  zu  bereisen, 
mit  den  Arbeitern  Rat  zu  halten  und  Versammlungen,  und  ihm  direkt 
seine  Vorschläge  zu  adressieren.  Seine  Familie  würde  während  der  Zeit 
ernährt,  jede  seiner  Reisen  bezahlt,  er  könne,  so  oft  er  wolle,  nach  Berlin 
kommen,  er  sei  stets  für  ihn  zu  sprechen.  Auch  die  übrigen  jetzt  brotlos 
gewordenen  Familien  werden  ernährt,  bis  eine  solche  Produktiv-Asso- 
ziation  für  sie  gebildet.  Er  erkundigte  sich  sehr  angelegentlich,  ob  er 
nicht  wisse,  wie  es  in  Sachsen  mit  der  Arbeiterbewegung  stände,  dort 
hätten  sie  das  Koalitionsrecht,  wozu  er  übrigens  auch  ganz  bereit  sei. 
Ich  sagte  dem  Weber,  er  habe  nun  einen  sehr  ehrenvollen  und  folge- 
schweren Auftrag,  da  B[ismarck]  ihm  gesagt,  das,  was  er  tun  wolle,  sei 
nicht  für  Schlesien,  sondern  ganz  Preußen.  Es  sei  also  höchst  wichtig, 
daß  er  nicht  vereinzelt  und  nach  eigenem  Gutdünken  operiere,  er  solle 
sich  sofort  an  Sie  mit  der  Sache  wenden,  Sie  würden  gewiß  zu  jeder 
Hilfe  bereit  sein,  er  solle  Ihre  Schriften  lesen  und  verbreiten,  den  aus- 
gesprochenen Anschluß  an  den  Allgemeinen  Deutschen  Arbeiterverein 
bewirken,  er  könne  wohl  beurteilen,  was  augenblicklich  Erleichterung 
gäbe,  aber  nicht  das  Prinzip,  das  dauernde  und  allgemeine  Hilfe  bringe, 
und  diese  zu  bewirken  sei  er  dem  ganzen  Stande  schuldig. 

Es  ist  ein  Ereignis,  aber  ich  muß  gestehen,  daß  es  mich  etwas 
stutzig  macht,  daß  man  es  hinter  dem  Rücken  der  schon  bestehen- 
den Bewegung  macht,  wahrscheinlich  oder  möglicherweise,  um 
durch  einzelne  Maßregeln  und  zu  winzige  Produktivassoziationen  die 
Sache  zu  verflachen  oder  als  ohne  wirkliches  Resultat  darzustellen  und 
die  Arbeiterbewegung  dadurch  wieder  zu  paralysieren? 

Oder  sollte  es  sein,  um  auf  bevorstehende  Wahlen  (ohne  allgemeines 
Wahlrecht)  günstig  einzuwirken? 

Oder  um  Ihnen  die  Ivcitung  aus  der  Hand  zu  nehmen,  indem  man 
direkt  anknüpft  und  hofft,  mit  der  notwendigen  Kurzsichtigkeit  der 
lycute  besser  zu  operieren? 

In  der  ,, Norddeutschen  Allgemeinen  Zeitung"  ist  weder  der  Artikel 
über  Sie  noch  über  die  Weber  erschienen.  Wegen  Ihres  Passes  erkundige 
ich  mich  gleich ;  soll  ich  vielleicht  zu  Z.^)  (Vorwand  der  Paß)  gehen  und 

^)  Siehe  unten  Nr.  169. 

2)  Florian  Paul. 

^)  Die  Gräfin  meint  vielleicht   den  Polizeipräsidenten  Freiherrn  von  Zedlitz. 


353  = 

ihm  dabei  etwas  über  die  Webergeschichte,  daß  es  mit  Ihnen  im  völhgen 
Zusammenhang  steht,  fallen  lassen?  Soll  ich  hingehen  zu  Z.  ?  Und  was 
ihm  sagen? 

Ich  habe  dem  Weber  gesagt,  daß  er  Ihnen  heute  Bericht  nach 
Leipzig  schicken  soll.  Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  bin  in  großer 
Eile  und  bitte  Sie  nur  noch,  wenn  Sie  mich  noch  einige  Zeit  l)ehalten 
wollen,  sich  auf  dieser  Reise  etwas  danach  zu  richten.  Ich  kann  keine 
großen  Dinge  mehr  ertragen. 

169. 
IvASSAIvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Leipzig,  Mittwoch  [11.  Mai  1864]. 
Gute  Gräfin! 

Ich  empfange  soeben  Ihren  Brief.  Die  darin  mitgeteilten  Nach- 
richten sind  jedenfalls  vortrefflich. 

Was  B[ismarcks]  eigenthche  Absicht  ist,  ist  unschwer  zu  durch- 
schauen. Im  wesentlichen  ist  sie  jedenfalls  diese :  Er  hat,  wie  ich  Ihnen 
voriges  Jahr  bereits  sagte,  von  Anfang  an  den  Wunsch  gehabt,  womög- 
lich das  Sozi aleElementder  Arbeiterbewegung  durchzuführen,  moins 
das  politische.  Da  ich  nicht  bereit  war,  hierauf  einzugehen,  versucht  er  es 
jetzt  mit  den  Arbeitern  direkt.  Wäre  diese  Trennimg  möglich,  könnte 
er  sein  Projekt  durchführen  —  so  wäre  sein  Profit  dabei  ganz  klar.  Er 
hätte  die  Macht  dann  ganz  allein  und  brauchte  mit  niemand  abzu- 
rechnen, nicht  mit  Volk,  Kammer,  noch  Bewegung.  Aber  aus  tausend 
Gründen  ist  dies  schließhch  g  an  z  u  n  mö  g  li  c  h.Er  ist  der  Mann  noch  nicht, 
mit  dem  Teufel  Kirschen  zu  essen  !^)  Er  wirtschaftet  jetzt,  willentlich 
oder  nicht,  als  mein  Bevollmächtigter  für  Schlesien.  Je  mehr  er 
in  diesem  Kamine  herumpurrt,  desto  mehr  zieht  er  mir  die  Bewegung 
groß. 

Ich  erwarte  Pauls 2)  Brief,  denn  wie  Willms  mir  schreibt,  will  Paul 
mir  direkt  schreiben,  und  ich  werde  ihm  dann,  soweit  nötig,  antworten. 

Waseigentiich  Paul  in  den  Arbeiterversammlungen  machen  und  an 
B[ismarck]  besorgen  soll,  geht  aus  Ihrem  Brief  nicht  klar  hervor, 
wahrscheinlich  eben  nur  deswegen,  weil  sich  B[ismarck]  selbst  darüber 
gar  nicht  klar  geworden  ist.  Soll  Paul  ihm  von  den  schlesi sehen 
Arbeitern  Vorschläge  über  die  Organisation  der  Produktiv- 
Assoziationen  besorgen,  Vorschläge  über  das  Detail  der  Einrichtungen? 

1)  Dieses  bisher  bloß  durch  mündliche  Tradition  überlieferte  Wort  Bismarcks 
erhält  durch  den  vorHegenden  Brief  historische  Authentizität. 

2)  Florian  Paul,  der  Führer  der  Weberdeputation.  Briefe  von  ihm  an  Lassalle 
und  an  die  Gräfin  befinden  sich  im  Nachlaß. 

.\Iaver,  Lassalle-Nachlass.     IV  23 


—  354 

Das  wäre  doch  nicht  möglich.  Oder  bloß  Nachricht,  ob  die  Arbeiter  da- 
für sind?  Oder  was  sonst? 

Kurz,  es  wird  sich  alles  zeigen.  Aber,  was  auch  geschehe,  es  fällt  der 
Bewegung  in  die  Hände. 

Ich  erwarte  Pauls  Brief.  Sind  vorher  dort  Entschlüsse  zu  fassen, 
so  konferieren  Sie  mit  Bucher,  der  am  meisten  meinen  Gedanken  hat 
und  alles  kennt.  Sagen  Sie  das  auch  an  Willms. 

Eine  Bitte:  Halb  heiser  abgereist,  bin  ich  hier  durch  zweistündige 
Rede  ganz  heiser  geworden.  Bitte,  gehen  Sie  — oder  schreiben  Sie  — 
gleich  an  Frerichs,  er  soll  Ihnen  das  Rezept  geben,  das  mir  so  gut  getan, 
und  schicken  Sie  mir  es  sofort  an  I^ewy  nach  Düsseldorf,  wo  ich  morgen 
anlange.  Ganz  Ihr 

F.  L,assalle. 

170. 

LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEivDT.  (Original.) 

Düsseldorf,  Donnerstag  [20.  Mai]  ^)   1864. 

Gute  Gräfin! 

Ich  habe  Ihnen  schon  einmal  nach  Heidelberg  geschrieben.  Obgleich 
ganz  krank,  wirklich  auf  den  Hund  gebracht,  schreibe  ich  Ihnen  wieder. 
Endlich,  endhch  ist  der  größte  Teil  der  Fatiguen  hinter  mir.  Wäre  ich 
bei  meiner  Abreise  von  Berlin  gesund  gewesen,  so  war  mir  das  alles 

^)  Das  Datum  hat  Lothar  Bucher  später  hinzugesetzt.  Gleich  nach  Lassalles 
Tod  wurde  bekanntlich  auf  Betreiben  und  unter  hervorragender  Mitwirkung  der 
Gräfin  eine  ,, dokumentarische  Darstellung"  seiner  letzten  Lebenstage  für  den 
Druck  vorbereitet.  Nachdem  die  Gräfin  sich  mit  Bucher  überworfen  hatte,  war 
am  Ende  Wilhelm  Liebknecht  der  Bearbeiter  des  Buches,  dessen  Manuskript 
sich  im  Nachlaß  der  Gräfin  fand.  Differenzen  mit  dem  Verleger  Schlingmann  be- 
wirkten, daß  der  Druck,  der  beinahe  vollendet  war,  eingestellt  wurde  und 
das  Erscheinen  unterblieb.  Die  Mehrzahl  der  folgenden  Briefe  war  bereits  in  diese 
Pubükation,  die  niemals  zur  Ausgabe  gelangte,  aufgenommen  worden.  Dem  Heraus- 
geber lagen  sowohl  die  Originale  wie  der  Liebknecht-Hatzfeldtsche  Abdruck  vor. 
Die  Rücksicht  auf  noch  lebende  Beteiligte,  die  damals  zahlreiche  Auslassungen 
und  Abschwächungen  bewirkte,  ist  seither  weggefallen.  Nun  findet  man  freihch 
die  Mehrzahl  der  folgenden  Briefe  auch  in  dem  berüchtigten  Pamphlet  Bernhard 
Beckers  ,, Enthüllungen  über  das  tragische  Lebensende  Ferdinand  Lassalles.  Auf 
Grund  authentischer  Belege  dargestellt.  Schleiz  1868".  Aber  Beckers  Publikation, 
die  auf  Grund  heimlich  und  rechtswidrig  vorgenommener  Abschriften  von  den 
Originalen  und  unter  Benutzung  des  Liebknecht-Hatzfeldtschen  Drucks  erfolgte, 
gibt  einen  vielfach  verderbten  und  verstümmelten  Text.  Sie  ist  selbst  nicht  frei 
von  absichtlichen  Fälschungen,  zu  denen  der  Haß  gegen  Sophie  von  Hatzfeldt 
diesen  Menschen  von  durchaus  brüchigem  Charakter  verleitete.  Vgl.  übrigens  die 
Einleitung  zu  seiner  Schrift  S.  III — V. 


=  355  = 

Kleinigkeit.  Aber  ich  reiste  schon  ganz  heiser  ab,  mindestens  mit  einem 
gehörigen  Katarrh.  Nach  der  Leipziger  Rede  war  es  sofort  schhmm. 
Hier  angekommen,  ging  ich  gleich  zu  Gerhardy^)  und  höUensteinte  an 
mir  herum,  so  daß  es  wieder  notdürftig  ging.  Aber  nachdem  die  Ver- 
sammlung in  Solingen  vorbei  war  —  einer  Rede  von  2  Stunden  —  hatte 
ich  keinen  hörbaren  Ton  mehr.  Mit  nassen  Handtüchern,  heißem  Grog 
und  ähnlichen  Mitteln  stellte  ich  mich  gleichwohl  wieder  so  weit  her,  daß 
ich  tags  drauf  in  Barmen  wieder  reden  konnte.  Hier  schonte  ich  niicli 
ziemlich,  um  den  andern  Tag  in  Köln  bei  voller  Kraft  zu  sein.  Und  wirk- 
lich ä  force  von  Handtüchern  und  Grog  usw.  verfügte  ich  am  andern 
Tag  über  alle  meine  Stimmittel,  sogar  mit  Leichtigkeit.  Eben  das  ver- 
führte mich.  Ich  sprach  nach  der  Rede  noch  den  ganzen  Tag  über  un- 
nötigerweise so  viel,  daß  ich  abends  nicht  mehr  einen  Ton  hatte.  Dazu 
kam  Erkältung,  starker  Husten  usw.  Gleichwohl  mußte  ich  gestern  in 
Wermelskirchen  sprechen,  und  ich  brachte  es  auch  wieder  fertig,  zwei 
Stunden  lang.  Aber  mit  solcher  Ermüdung,  mit  solcher  Überanstrengung 
aller  meiner  Kräfte,  daß  ich  heut  wieder  tonlos  bin  und  auch  außerdem 
erschöpft,  schlodrig,  matt  und  sehr  schlecht  aussehe. 

Glückhcherweise  kann  ich  mich  jetzt  bis  Sonntag  ausruhen.  Sonn- 
tag kommt  die  letzte  aber  auch  größte  Anstrengung  —  unser  Stiftungs- 
fest zu  Ronsdorf,  das  wirklich  großartig  sein  wird.  Dann  sofort  nach 
Ems! 

Physisch  steht  es  also  augenblicklich  schlecht  mit  mir. 

Moralisch  habe  ich  dagegen  hier  hin  und  wieder,  so  am  letzten  Sonn- 
tag und  Montag  und  vor  allem  gestern  in  Wermelskirchen  manchmal 
ganz  überwältigende  Eindrücke  bekommen!  Sowas  habe  ich  noch  nie 
gesehen!  Unwillkürlich  mußten  einem  die  Faust-Szenen  einfallen! 
Sowohl  die  im  ersten  Teil  (,, zufrieden  jauchzet  groß  und  klein,  hier  bin 
ich  Mensch,  hier  darf  ich's  sein")  als  die  am  Schluß  des  zweiten  Teils. 
wo  er  befriedigt  stillsteht.  Hier  war  nicht  mehr  von  einem  Parteifest 
oder  von  einer  Parteiversammlung  die  Rede.  Die  ganze  Bevölkerung 
war  in  einem  namenlosen  Jubel.  Ich  kam  —  ohne  es  zu  zeigen  —  aus 
einer  gewissen  Verwunderung  gar  nicht  heraus,  daß  gerade  die  Land- 
gemeinde diese  Agitation  so  gewaltig  ergreifen  konnte.  Ich  hatte  be- 
ständig den  Eindruck,  so  müsse  es  bei  der  Stiftung  neuer  Rehgionen 
ausgesehen  haben!  Die  Vereinsgemeinde  Wermelskirchen  und  die 
Staatsgemeinde  Wermelskirchen  sind  sich  fast  gänzlich  deckende  Be- 
zeichnungen. (Ebenso  Ronsdorf.)  Kommt  es  wirklich  einmal  zum  all- 
gemeinen und  direkten  Wahlrecht,  so  ist  in  solchen  Gemeinden  wie 
Wermelskirchen,  Ronsdorf,  Solingen,  nicht  von  Majorität  sondern  nur 


^)  Der  Arzt  ll,assalles  und  der  Gräfin  in  Düsseldorf. 


-=  356  

von  Unanimität  die  Rede.  Mann  für  Mann  würde  die  Bevölkerung  aus- 
ziehen, um  für  jeden  zu  votieren,  den  ich  ihnen  bezeichne. 

Anbei  —  wir  bekommen  natürhch  nichts  Ausf  ührhches  in  die  hiesige 
Presse,  obwohl  sich  jetzt  bereits  Blätter  wie  die  ,, Düsseldorfer  Zeitung" 
und  ,, Barmer  Zeitung"  uns  für  kurze  und  abgeschwächte  Berichte  zur 
Verfügung  gestellt  haben  — einen  Bericht  der  ,, Düsseldorfer  Zeitung" 
über  Barmen  und  Köln.  Den  über  Solingen  werden  Sie  noch  in  Berlin 
erhalten  haben. 

Einen  für  den  ,, Nordstern"^)  bestimmten  Artikel  über  Wermels- 
kirchen  lege  ich  in  Abschrift  bei. 

Ich  will  Ihnen  gleich  jetzt  —  denn  ich  habe  nicht  Ihre  schänd- 
liche Gewohnheit,  einem  erst  im  allerletzten  Augenblick  Ihre  Entschlüsse 
mitzuteilen  —  anzeigen,  weil  es  Ihnen  vielleicht  lieber  ist,  wenn  Sie 
es  früher  wissen,  daß  ich  genötigt  bin,  nach  der  Emser  Kur  mich  zu 
einer  Molkenkur  von  drei  bis  vier  Wochen  nach  der  Kuranstalt  auf  dem 
Rigi  zu  begeben.  Übereinstimmimg  von  Frerichs  und  Gerhardy.  Viel- 
leicht kommen  Sie  mit.  Ich  hoffe  das  wenigstens  sehr.  Ihr 

F.  L.2) 

171- 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Rigi-Kaltbad,  22.  Juli  [1864]. 
Gute  Gräfin! 

Selbst  in  der  größten  Mißlaune,  erhalte  ich  Ihre  zwei  Briefe,  aus 
denen  ich  ersehe,  daß  Sie  leider  auch  in  nicht  geringer  Mißlaune  sind. 
Mit  Ihrem  Krankheitszustand  wollen  Sie  Geduld  haben!  Er  ist  gewiß 
nicht  so  schlimm,  wie  Sie  ihn  sich  vorstellen.  Und  die  Wildbader  Kur, 
die  Sie  ja  erst  beginnen,  wird  ihn  doch  jedenfalls  sehr  verbessern. 
Brauchen  Sie  die  Kur  recht  ruhig,  recht  ordentlich.  Ennuyieren  Sie  sich, 
aber  regen  Sie  sich  nicht  auf.  Ihre  andern  Betrachtungen  aber  verstehe 
ich  sogar  zum  großen  Teile  nicht  einmal,  so  seltsam  und  ohne  tatsäch- 
lichen Anhalt  sind  sie !  Sie  machen  sich  auf  einmal  steinalt,  behaupten, 
daß  Sie  der  Geselligkeit  nicht  mehr  fähig  sind  und  ihr  zur  Last  fallen 


1)  Der  Bericht  erschien  im  , .Nordstern"  vom  28.  Mai.  Die  Abschrift  ist  ganz 
von  I^assalles  Hand.  Daß  er  den  Bericht  selbst  verfaßt  hat,  unterliegt  keinem 
Zweifel. 

2)  Dieser  Brief  ist,  ohne  die  Anrede,  von  Anfang  bis  zu  der  Stelle  ,,den  ich 
ihnen  bezeichne",  bereits  gedruckt  in  der  Schrift  von  Bernhard  Becker,  Geschichte 
der  Arbeiteragitation  Ferdinand  I,assalles.  Nach  authentischen  Aktenstücken, 
Braunschweig   1874,  S.  226  f . 


=  357  = 

—  wovon  Sie  doch  gerade  auf  dieser  Reise  die  stärksten  Gegenbeweise 
gesehen  haben  —  klagen  verdeckt  über  mich,  wozu  Sie  niemals  und 
gerade  jetzt  am  wenigsten  einen  Anlaß  haben,  und  behaupten  (kurios!), 
daß  die  Anfeindungen  meiner  Freundinnen  gegen  Sie  dauernde  Zer- 
würfnisse und  Folgen  zwischen  uns  hervorgerufen !  Schon  mit  dem  Wort 
,, Freundinnen"  generalisieren  Sie  wieder  entsetzlich.  Es  kann  nur  auf 
die  einzige  Frau,  D.,^)  gehen.  Die  anderen,  Agnes,-)  Frau  Dohm^)  usw., 
haben  sich  immer  sehr  gut  mit  Ihnen  vertragen.  Von  Frau  D[uncker] 
habe  ich  es  stets  gefordert,  oft  erlangt,  und  als  ihre  Unverträglichkeit 
immer  wieder  durchbrach,  sie  entlassen.*)  Was  also  wollen  Sie?  Auf 
dieser  Reise  glaube  ich  Ihnen  wieder  so  viel  Freundschaft,  Aufmerk- 
samkeit und  Bevorzugung  aller  Art  erwiesen  zu  haben  wie  nur  möglich. 
Was  also  wollen  Sie?  Selbst,  daß  Frau  von  Hofstetten^)  usw.  nach 
Berlin  zieht,  wünsche  ich  hauptsächlich  Ihretwegen,  wie  ich  denn 
noch  niemals  meine  Bestrebungen,  Ihnen  einen  erträglichen  Kreis  zu 
machen,  aufgegeben  habe.  Aber  Sie  sind  blind  für  alles,  weil  ich  kein 
Freund  vom  Wortemachen  bin,  mich  begnüge,  zu  handeln  und  nicht 
erst  meine  Handlungen  in  Worte  und  Absichten  übersetze,  da  sie,  wie 
mirscheint,  deutlich  genug  von  selbst  reden.  Wenn  jemand  den  zehnten 
Teil  dessen,  was  ich  stets  imd  imablässig  für  Sie  tue,  stumm  tue,  Ihnen, 
in  Worten  vortrüge  — so  würde  er  Sie  bis  zu  Tränen  rühren!  Aber  so- 
wie man  nicht  den  beständigen  .Wortdolmetscher  bei  Ihnen  macht, 
wird  alles  verkannt  und  mißverstanden! 

Es  ist,  glaube  ich,  unmöglich,  daß  jemand  eine  Frau  mehr  als 
Freundin  behandelt  als  ich  Sie !  Und  gesehen  habe  ich  wenigstens  noch 
nie,  daß  es  einer  mit  einer  auch  nur  zur  Hälfte  ebenso  tut.  Daß  ich 
jungen  Frauen  die  Cour  mache  und  ihnen  also  ein  ganz  anderes  Genre 
von  Aufmerksamkeiten  erweise,  verschlägt  dagegen  nicht  im  geringsten, 
denn  es  steht  durchaus  nicht  so,  wie  Sie  sagen,  daß  ich  freundschaft- 
liches Frauenelement  brauche!  Im  Gegenteil,  dies  kann  ich  gar  nicht 
gebrauchen,  da  es  bereits  in  Ihnen  seine  beste  und  erschöpfende  Ver- 
tretung hat.  Gerade  nur  spezielle  Beziehung  mit  Frauen  existiert,  außer 
Ihnen,  für  mich. 


^)  Ivina  Duncker. 

2)  Agnes  Klindworth. 

^)  Hedwig  Dohm. 

*)  Vgl.  das  Brieffragment  aus  Aachen  1860  in  Intime  Briefe  Ferdinand  Lassalles 
an  Eltern  und  Schwester,  Berlin  1905,  S.  160,  das  offenbar  an  Frau  Duncker  ge- 
richtet ist. 

^)  Die  Gattin  Johann  Baptist  von  Hofstettens,  eines  ehemals  bayerischen 
Offiziers,  der  damals  bereits  mit  Lassalle  über  die  Gründung  einer  dessen  An- 
sichten vertretenden  Tageszeitung  beriet. 


-  358 

Ich  kann  unmöglich  alle  die  höchst  verkehrten  Vorstellungen  Ihres 
Briefes  berichtigen,  denn  ich  muß  noch  viel  andere  Briefe  schreiben.  Aber 
durchsprechen  können  wir  sie  einmal.  — 

Unangenehm  ist  die  Sache  mit  Helenen  1^)  Sehr  unangenehm  für 
Sie,  und  entließen  Sie  sie  schon  einmal,  so  hätte  ich  ihr  weit  lieber  den 
ohnehin  vakanten  Posten  meiner  Gersonnaise^)  gegeben,  als  sie  in  Elber- 
feld  verheiratet  gesehen !  Nur  die  Rücksicht,  Ihnen  nicht  den  dienenden 
Geist  zu  nehmen,  hielt  mich  ab,  es  mit  ihr  zu  besprechen.  Doch  habe 
ich  Grund  zu  glauben,  daß  sie  damals  gern  darauf  eingegangen  wäre. 
Human  wäre  es  freilich  nicht  sehr,  wenn  Sie  ihr  unter  so  besondern 
Umständen  den  Dienstaustritt  nicht  gestatteten.  Dem  Rechte  nach 
aber  können  Sie  darauf  halten,  daß  sie  das  Quartal  aushält.  Keines- 
falls brauchen  Sie  ihr,  wenn  sie  infolge  eigener  Kündigung  fortgeht,  die 
Rückreisekosten  zu  geben.  Machen  Sie  noch  einen  Versuch.  Sprechen 
Sie  mit  ihr  in  meinem  Namen.  Sagen  Sie  ihr,  ich  ließe  ihr  sagen:  es 
sei  wenig  schön,  wenn  sie  wegen  einer  Heirat  ihre  Herrin  Knall  und 
Fall  im  Stiche  lassen  wolle,  worauf  sie  ohnehin  nicht  einmal  ein  Recht 
habe.  Sie  könne  auch  noch  nach  der  beendeten  Reise,  im  Oktober, 
ebensogut  heiraten,  und  ich  rechnete  daher  darauf,  sie  als  treue  Zofe 
mit  Ihnen  im  August  hier  zu  sehen.  Vielleicht  hilft  das!  Wenn  es  nicht 
hilft,  so  müssen  Sie  freilich  sehen,  zu  einer  andern  Kammerjungfer  zu 
kommen.  Denn  ohne  solche  sind  Sie  ja  verloren.  Vielleicht  finden  Sie  — 
es  ist  doch  wenigstens  nicht  unmöglich — in  Wildbad  eine.  Konsul- 
tieren Sie  die  weiblichen  Glieder  der  Familie  Klumpp.  Nützt 
das  auch  nichts,  so  würde  ich  Ihnen  raten,  dem  Wirt  zum  Hollän- 
dischen Hof  in  Frankfurt  a.  Main  zu  schreiben,  daß  er  Ihnen  eine 
besorgt  und  zuschickt.  Jedenfalls  haben  Sie  dabei  den  Vorteil,  viel  ge- 
ringere Reisekosten  zu  haben  als  von  Berlin  aus.  Weiß  Frau  Esser  in 
Düsseldorf  eine  zuverlässige,  so  lohnt  das  freilich  die  Kosten.  — 
Jedenfalls  könnten  Sie  auch  verlangen,  daß  Helene  Ihre  Kurzeit  mit 
Ihnen  in  Wildbad  zubringt  und  mit  Ihnen  dann  bis  Karlsruhe  geht,  wo 
Sie  wohl  auch  eine  Kammerjungfer  finden. 

Das  ist,  was  ich  über  diese  Sache  zu  sagen  und  zu  raten  weiß.  Jetzt 
zu  einer  andern  wichtigen  Angelegenheit.  Ich  wollte,  Sie  entschlößen 
sich  recht  bald  und  teilten  mir  mit,  wie  lange  Sie  dort  bleiben,  wenn 
Sie  hierher  kommen,  und  besonders  wohin  wir  dann  gehen  wollen.  Im 
voraus  beizeiten  muß  ich  es  wissen,  sowohl  wegen  meiner  Adresse,  die 
ich  beizeiten  nach  Berlin  usw.  geben  muß,  als  weil  ich  mir  von  meinem 
Bankier  Wechsel  senden  lassen  muß  und  wissen  muß,  ob  Wechsel  auf 


1)  Die  Zofe  der  Gräfin. 

2)  Siehe  oben  S.  314  Anmerkung. 


=  359  

Genf  (falls  wir  aii  den  Genfer  See  gehen),  oder  auf  Basel  (falls  ich  nach 
Ostende  gehe).  Mir  ist  es  im  Notfall  einerlei,  wenn  ich  diesmal  um  mein 
Seebad  komme  (so  traurig  es  ist),  falls  ich  die  Zeit  statt  dessen  am 
Genfer  See  zAibringe.  Weiter  nach  Süden  kann  ich  keinesfalls  gehen. 
Nun  muf3  ich  Ihnen  aber  wegen  der  Reise  folgendes  sehr  ans  Herz 
legen :  Wie  es  scheint,  wollen  Sie  (Sie  sagen  mir  natürlich  nie  etwas,  und 
ich  muß  alles  erraten)  die  Reise  mit  Rüstow  machen.  An  und  für  sich 
habe  ich  nichts  dagegen,  daß  er  mitgeht.  Aber  wie  ich  in  Zürich  so  mit 
halbem  Ohr  bei  Herweghs  herausgehört  zu  haben  glaube,  kann  ich 
eben  durchaus  nicht  darauf  rechnen,  in  ihm  einen  liebenswürdigen  Ge- 
sellschafter zu  finden.^)  Wenn  ich  nun  von  allem  absehe,  was  voriges 
Jahr  geschehen  ist,  so  ist  das  gewiß  das  höchste,  was  ich  tun  kann.  Aber 
Sie  müssen  selbst  begreifen:  neue  Unliebenswürdigkeiten  von  seiner 
Seite  kann  und  werde  ich  nicht  hinnehmen  und  als  ,, Vergnügungsreise" 
betrachten.  Es  schickt  sich  zudem  nicht  einmal.  Ich  kann  Ihnen  vieles 
nachgeben  und  gebe  Ihnen  gar  vieles  nach.  Aber  ich  kann  das  unmöglich 
noch  auf  einen  dritten  Mann  ausdehnen.  Ich  würde  also  bei  der  ge- 
ringsten unliebenswürdigen  Haltung  seinerseits  sofort  nach  Ostende 
echappieren.  tJberlegen  Sie  sich  also  vorher  genau,  ob  Sie  seiner  hin- 
reichend sicher  sind.  Wenn  nicht,  können  Sie  die  Reise  mit  mir  allein 
machen,  wo  Sie  sich  ganz  gut  amüsieren  würden,  oder  mit  ihm  allein, 
wo  Sie  sich  ebenfalls  sehr  gut  amüsieren  würden  imd  was  ich  keines- 
wegs Ihnen  auch  nur  im  geringsten  übelnehmen  würde.  Im  Gegen- 
teil, ich  ginge  dann  von  hier  nach  Ostende,  was  mir  auch  ganz  recht 
ist.  Spannen  Sie  aber  beide  Pferde  ein,  so  müssen  Sie  sicher  sein,  daß 
sie  sich  vertragen.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  werden  Sie  statt  des  Ver- 
gnügens, das  Sie  mit  jedem  Einzelnen  von  uns  fänden,  nur  desagrement 
haben.  Sie  würden  ferner  mir  gegenüber  nach  dieser  meiner  Erklärung 
eine  hohe  Verantwortlichkeit  tragen,  und  Sie  würden  femer  mir  das 
bißchen  Vergnügungsreise  total  verdorben  haben,  dessen  ich  doch  sehr 
benötigt  bin.  Also  überlegen  Sie  das  wohl!  Auch  wenn  Sie  mit  Rüstow 
allein  reisen  — was  Ihnen  insofern  anzuraten  wäre,  als  er  länger  in  den 
Winter  hinein  bei  Ihnen  bleiben  und  tiefer  nach  Süden  mit  Ihnen  gehen 
kann  als  ich,  da  ich  am  25.  September  in  Berlin  sein  muß  — ,  können 
wir  deshalb  dennoch  ganz  gut  einige  Tage  en  trois  in  Rigi-Kaltbad  oder 
in  Weggis  zubringen.  Aber  auch,  wenn  Sie  nach  Rigi-Kaltbad  kommen, 
ist  Zürich  ein  großer  Umweg,  Sie  gehen  viel  kürzer  über  Luzem  und 
täten  am  besten,  Rüstow  das  Rendezvous  in  Luzem  oder  Weggis  zu 

^)  Keineswegs  bloß  politische  Erwägungen  hatten  Rüstow  L,assalle  entfremdet. 
Aus  seinen  Briefen  an  die  Gräfin,  die  sich  im  Nachlaß  befinden,  geht  klar  hervor, 
daß  ihm  Lassalle  im  Wege  war  wegen  der  tiefen  und  unausrottbaren  Freundschaft, 
die  die  Gräfin  für  ihn  empfand.  Vgl.  oben  die  Einführung  S.  27  f. 


=============  36o  — 

geben.  Geben  Sie  mir  auf  alles  dies  baldigst  wegen  meiner  Arrange- 
ments —  eine  wohlerwogene,  besonnene  Antwort. 

Ich  war  nur  einen  Tag  in  Zürich,  bei  Herweghs;  bin  hier  mutter- 
seelenallein unter  126  Menschen,  die  mich  in  keinerWeise  interessieren, 
und  in  entsetzlich  schlechter  Stimmung,  nachdenkend,  in  wieviel  froherer 
Stimmung  ich  sonst  immer  auf  dem  Rigi  gewesen  und  wie  sich  alles  für 
mich  verschlechtert !  Beiläufig :  Die  Düsseldorfer  Ratskammer  hat  wirk- 
lich meine  provisorische  Freilassung  verworfen,  um  meinen  Kassations- 
Rekurs  unannehmbar  zu  machen^) !  Ich  habe  nach  Köln  appelliert. 
Weiß  der  Himmel,  was  daraus  wird !  Ich  habe  entsetzlich  viel  zu  schreiben 
und  gleichwohl  habe  ich  heut  erst,  am  22.  Juli  (die  Briefe  gehen  ent- 
setzlich langsam),  Ihren  Brief  bekommen  und  beantworte  ihn  noch  mit 
der  Post  von  heute.  Anbei  meinen  Brief  an  die  Wildbader  Post. 
Geben  Sie  ihn  persönlich  ab  und  bewirken  Sie,  daß  mir  die  Dinge  sämt- 
lich sofort  geschickt  werden. 

Ihr  treuer 

F.  lyassalle. 


172. 

IvASSAIvDE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Rigi-Kaltbad,  22.  Juli  [1864]. 
Gute  Gräfin! 

Es  ist  abends.  Ich  habe  Ihren  heut  um  10  Uhr  empfangenen  Brief 
mit  dem  um  3  Uhr  von  hier  abgegangenen  Boten  noch  beantwortet^)  und 
setze  mich  jetzt  hin,  um  einen  Plauderbrief  anzufangen,  den  ich  dieser 
Tage  beenden  werde. 

Ich  bin,  wie  gesagt,  sehr  mißlamiig.  Zum  Teil  mag  die  Ursache  auch 
daran  liegen,  daß  ich  so  plötzlich  aus  zahlreicher  und  bester  Gesellschaf  t 
in  völlige  Einsamkeit  versetzt  bin.  Denn  hier  bin  ich  unter  125  Menschen, 
meist  Schweizer  und  Badenser,  die  um  mich  herum  bourdonnieren,  so 


^)  Die  Staatsanwaltschaft  hatte  wegen  der  Rede  „Die  Feste,  die  Presse  und 
der  Frankfurter  Abgeordnetentag"  gegen  Lassalle  die  Klage  erhoben,  die  Para- 
graphen 100  und  loi  des  Strafgesetzbuches  übertreten  zu  haben.  Ursprünglich 
hatte  das  Düsseldorfer  Landgericht  ihn  zu  einem  Jahr  Gefängnis  verurteilt.  Vor 
der  korrektionellen  Appellkammer  hatte  er  am  27.  Juni  die  Herabsetzung  der 
Strafe  auf  sechs  Monate  erreicht. 

2)  Siehe  oben  Nr.  171.  Dieser  Brief  wie  viele  der  folgenden,  auch  solche,  die 
nicht  bei  Becker  stehen,  zeigen  Spuren  der  späteren  redaktionellen  Behandlung 
durch  Wilhelm  Liebknecht  und  die  Gräfin  Hatzfeldt.  Vgl.  hierzu  oben  Nr.  170 
Anmerkung. 


==============  301  ===== 

gut  wie  allein.  Sie  halten  sich,  sei  es  absichtlich  oder  unabsichtlich,  von 
mir  zurück  und  tun  sehr  wohl  daran.  Denn  sie  sind  langweilig  wie  die 
Pest  und  niemand  darunter,  auf  den  ich  mich  einlassen  möchte !  —  Das 
Wetter  ist  das  schlechteste:  im  Regen  —  und  alles  wie  mit  einem  Bett- 
tuch verhängt  —  bin  ich  am  ersten  Tag  hier  heraufgekommen.  Am 
zweiten  kalt  und  trüb.  Dennoch  ging  ich  Nachmittag  auf  Kulm  und 
fand  mich  belolmt,  denn  unmittelbar  vor  Sonnenuntergang  wurden  die 
Berge  frei  und  die  Aussicht  war  fast  vollständig.  Gestern  stieg  ich  wieder 
zum  Kulm  hinauf  zum  Sonnenuntergang.  Aber  man  konnte  nicht  die 
Hand  vor  den  Augen  sehen,  obgleich  es  warm,  schön  und  sonnig  war.  Ein 
Nebel  hüllte  alles  wie  in  eine  graue  Schlafmütze  ein.  Heute  war  nicht 
einmal  an  Hinaufsteigen  zu  denken.  Es  goß  den  ganzen  Tag  mit  Kannen. 
Die  Leute  hier  sagen  mir,  daß  sie  schon  seit  acht,  viele  seit  vierzehn 
Tagen  hier  sitzen  und  beständig  solches  Wetter  sei.  Aber  wenn  es  auch 
schön  wäre,  ich  hätte  doch  nichts  Sonderliches  davon!  Zum  Genießen 
brauche  ich  den  Menschen!  Ich  kann  alles  allein,  nur  nicht  genießen! 
So  war  ich  gerade  den  ersten  Abend  als  ich  auf  Kulm  war,  trotz  der 
schönen  Aussicht  sehr  wehmütig.  Ich  überlegte  mir,  \mter  wie  andern 
Verhältnissen  ich  sonst  immer  auf  dem  Rigi  gewesen!  Das  erstemal 
(1850)  bestieg  ich  ihn  mit  Wolff ,  ^)  der  jetzt  tot  ist.  Es  war  noch  in  meiner 
ungestümen  Jugend!  So  trotzig  wie  die  ewigen  Bergeszacken  schaute 
ich  da  noch  in  das  lycben  hinaus !  Dann  war  ich  so  oft  mit  Ihnen  da, 
die  Sie,  trotz  aller  Ihrer  gewaltsamen  Verkennung  meiner,  doch  not- 
wendig zu  meinem  Wesen  gehören.  Dann  einmal  mit  Lydia,  ^)  in  glück- 
lichster Stimmung  und  Laune,  um  die  ich  mich  heut  noch  beneide ! 
Dann  einmal  mit  den  (geliebten)  Eltern,  mit  meinem  treuesten  Freunde 
von  allen,  dem  armen  Vater,  der  jetzt  tot  ist.  Sie  waren,  außer  das  erste- 
mal, stets  dabei :  Und  jetzt  bin  ich  da,  mutterseelenallein,  liege  auf  der 
grünen  Matte,  denke  an  den  Wechsel  des  Irdischen  und  vergangner 
Zeiten  Pracht !  Es  ist  mir,  als  hätte  sich  meine  Existenz  verengert  und 
wäre  ärmer  geworden,  da  ich  jetzt  niemand  mehr  um  mir  habe,  wo  stets 
sonst  welche  —  und  oft  so  viele  —  meinen  Genuß  veniiehrend  um  mich 
waren !  —  Ich  muß  nicht  allein  reisen.  Ich  bin  dafür  nicht  gemacht. 

Dazu  kommen  allerlei  andere  Gedanken,  die  ich  mir  jetzt  zu  machen 
Anlaß  genug  habe.  Kurz,  ich  bin  in  der  Blüte  des  Mißmuts! 

Jetzt  ist  es  10  Uhr  durch.  Ich  lege  mich  zu  Bett  und  schreibe  morgen 
vielleicht  weiter,  wenn  es  meine  anderen  verfluchten  Schreibereien  er- 
lauben. 


')  Wilhelm  WolfE  (1864 — 1865).  ,, Lupus",  Lassalles  Landsmann,  der  Freund 
von  Marx  und  Engels. 

2)  Gemeint  ist  wohl  die  Russin  Lydia  Idaroff,  die  1861  mit  Lassalle  und  der 
Gräfin  in  der  Schweiz  und  in  Italien  reiste. 


—  362  ================ 

Sonnabend,  23,  Juli.  Vormittag. 

Hier  sitze  ich  schon  wieder.  Es  ist  wieder  eben  so  schlechtes  Wetter 
wie  gestern.  Kein  Regen,  aber  alles  in  eine  Nebelkappe  gehüllt.  Kein 
Sonnenstrahl.  Wenn  das  so  fort  geht,  weiß  ich  nicht,  wie  lange  ich  hier  aus- 
halten werde !  Anbei  ein  Brief  von  Dorn,  ^)  den  ich  Ihnen  schicke,  weil  er 
auch  Sie  betrifft.  Hoffentlich  entscheidet  das  Kammergericht  jetzt 
wieder  so,  aber  mit  anders  gewendeter  faktischer  Einkleidung. 

Was  mich  betrifft,  so  sehen  Sie,  daß  mir  Dorn  keine  Sicherheit  geben 
kann,  daß  meine  Sache  nicht  vielleicht  selbst  schon  im  September  vor- 
kömmt, wenn  er  auch  den  Oktober  für  wahrscheinlicher  hält. 

Alles  ist  konträr !  —  Schweitzer  -)  ist  bereits  nach  Berlin  abgereist, 
um  seine  und  Hofstettens  Niederlassung  dort  zu  bewirken.  A  propos, 
schreiben  Sie  doch  Frau  Esser  für  mich,  daß  sie  mir  nun  —  am  besten 
durch  Sie  —  ihre  Entschließung  zukommen  lassen  müßte,  ob  sie  im 
Oktober  bei  mir  eintreten  will.  Adieu,  mein  gutes  Kind.  Hoffentlich 
sind  Sie  ein  bißchen  weniger  mißmutig  als  ich.  Und  hoffentlich  geht  es 
mit  Ihrer  Gesundheit  besser!  Geben  Sie  mir  nur  gleich  Nachricht,  auf 
welchen  Platz  ich  den  Wechsel  von  Oppenheim  ziehen  lassen  soll,  d.  h. 
ob  ich  von  hier  nach  Genfer  See  oder  Ostende  gehe. 

Ihr  sehr  treuer  F.  ly. 

173- 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Wildbad,  22.  Juli  [1864]. 

lyiebes  Kind,  ich  muß  Ihnen  gleich  eine  gute  Nachricht  mitteilen, 
nämlich  daß  ich  eine  Kammerjungfer  gefunden  hier,  sie  ist  jung  und 
ganz  hübsch,  eine  Stuttgarterin,  hat  noch  nicht  gedient,  versteht  aber 
waschen,  bügeln,  nähen  vortrefflich  und  macht  auch  nicht  schlechter 
die  Haare  als  Helene.  Nur  die  ganze  persönliche  Bedienung  und  Ord- 
nung der  Sachen  muß  ich  ihr  beibringen,  sie  hat  ein  sehr  bescheidenes 
Wesen  und  keine  Prätensionen,  und  so  hoffe  ich,  daß  es  sich  mit  großer 
Geduld  meinerseits  fürs  erste  machen  wird.  An  Frau  Esser  habe  ge- 


1)   Justizrat  Dorn  war  der  Anwalt  Lassalles  und  der  Gräfin  in  Berlin. 

-)  Johann  Baptist  von  Schweitzer  (1833 — 1875),  später  Lassalles  Nachfolger 
im  Präsidium  des  Allgemeinen  Deutschen  Arbeitervereins,  bereitete  gemeinsam  mit 
dem  ehemaligen  bayerischen  Offizier  Johann  Baptist  von  Hofstetten  eine  Tages- 
zeitung vor,  die  den  Standpunkt  des  Allgemeinen  Deutschen  Arbeitervereins 
in  Berlin  vertreten  sollte.  Als  zu  Neujahr  1865  die  erste  Nummer  des  ,,Social- 
demokrat"  herauskam,  war  Lassalle  nicht  mehr  am  Leben.  Vgl.  Gtastav  Mayer, 
Johann  Baptist  von  Schweitzer  und  die  Sozialdemokratie,  Jena  1909. 


^-  =^  363  — 

schrieben,  und  ich  glaube  jedenfalls  versprechen  zu  können,  daß  sie 
kommt.  Was  wollen  Sie  ihr  geben?  Fünf  Taler  nionatliclj?^) 

Ich  empfinde  eine  mir  fast  selbst  unerklärliche  Angst  um  vSic.  vSind 
Sie  denn  wirklich  entschlossen,  jedenfalls  nach  Berlin  zu  gehen  ?  t^ber- 
legen  Sie  es  recht  reiflich  und  genau  und  legen  Sie  dabei  zugrunde  die 
Überzeugung,  daß  alles  was  möglicher-  und  auch  fast  unmöglicher- 
weise gegen  Sie  getan  werden  kann,  auch  geschehen  wird.  Ziehen  vSie 
auch  in  die  Rechnung  die  Wut  und  die  Willkür  der  Berliner  vStaats- 
anwaltschaft  wie  Polizei,  die,  wenn  z.  B.  Requisitionen  von  Düssel- 
dorf kämen,  nicht  erst  nach  oben  anfragen  würden,  sondern  heimlich 
haften  und  schnell  exequieren  würden,  und  wie  schier  fast  unmög- 
lich unter  jetzigen  Umständen  es  wäre,  das  einmal  Geschehene,  die 
Verhaftung,  wieder  ungeschehen  zu  machen.  Die  Märtyrerrolle  hat 
sich  zu  jeder  Zeit  als  eine  an  sich  dumme  und  unersprießliche  erwiesen, 
vorzüglich  in  unserer  Zeit;  hat  Blanqui,^)  das  Hauptmuster  hierin, 
etwas  andres  damit  erreicht,  als  vergessen  und  nutzlos  zu  sein? 
Sie  sind  gewiß  am  wenigsten  dazu  bestimmt;  es  wäre  der  größte 
Schaden  für  die  Sache  und  der  straf hchste  Selbstmord  an  sich  selbst. 
Man  hat  nicht  das  Recht,  in  so  entscheidend  ernsten  Sachen  auf 
blindes  Glück  irgendwie  zu  rechnen.  Hören  Sie  etwas  auf  meinen 
Rat,  er  ist  der  Ihres  besten  und  allein  wahrhaft  zuverlässigen  Freundes, 
und  hierin  begegnen  sich  überdies  die  Ansichten  aller  deren,  die  sich 
Ihre  Freunde  nennen  und  denen  Sie  Einsicht  zutrauen.  Wenn  ich  nun 
auch  weder  klug  noch  Jurist  genug  bin,  Ihre  Lage  in  allen  Details 
zu  beurteilen  und  in  jedem  Rat  geben  zu  können,  so  leitet  mich  mein 
Instinkt  für  Sie  schon  intuitiv  richtig,  wenn  ich,  nicht  aus  blinder 
Furcht  aber  bestimmter  Überzeugung  sage,  daß  Sie  jetzt  in  einer 
gefährlichen  Lage  sind,  viel  mehr  als  früher.  Alles,  was  irgend 
Geltung  und  Stellung  hat,  hat  nur  eine  Parole,  und  die  ist,  Sie  un- 
schädlich machen,  Sie  beseitigen,  der  Bewegung,  die  ihnen  viel  zu  groß 
geworden,  den  Führer,  mit  dem  sie  gänzlich  fällt,  zu  nehmen,  und  Sie 
müssen  in  jedem  Schritt  die  äußerste  Vorsicht  gebrauchen,  nichts 
dem  Zufall  oder  Ihrem  gewohnten  Glück  anheimgeben,  nichts 
wagen,  denn  wenn  Sie  dies  Glück  nun  doch  in  diesem  Fall  verließe,  so 
wären  die  Folgen  nach  jeder  Seite  hin  zu  schlimm.  Im  Ausland,  in 
Neapel  wären  Sie,  wenn  auch  viel  behindert,  doch,  so  weit  jetzt  die 


^)  Bis  hierher  wurde  der  Brief  nachträglich  durchgestrichen.  Der  Satz: 
,,Ich  empfinde  eine  mir  fast  selbst  imerklärliche  Angst  um  Sie",  sowie  einige 
Worte,  die  sachlich  nichts  bedeuten,  sind  —  möglicherweise  erst  später  mit 
der  Absicht  auf  die  Veröffentlichung  —  von  der  Hand  der  Gräfin  eingeschoben. 

2)  Auguste  Blanqui  (1805 — 1S81),  der  berühmte  französische  revolutionäre 
Sozialist  und  Putschist. 


=  364  = 

Sache  schon  steht,  auch  sehr  vorhanden  und  tätig  für  die  Leute,  die  da- 
durch nur  angefeuert  würden,  selbst  tätig  zu  sein.  Sie  haben  auch  schon 
Männer  darunter,  die  unter  Ihrer  höheren  Leitung  hinreichend  die  Sache 
erhalten  und  weiterführen  können,  aber  mit  einem  längeren  Gefäng- 
nis, gänzlichen  Entziehimg  Ihrer  Mitwirkung,  tritt  die  gänzliche 
Entmutigung  sofort  ein,  da  die  vollständige  Überzeugung  in  jedem 
vorhanden,  daß  mit  Ihnen  allein  alles  steht  und  fällt.  Völlige  Rat- 
losigkeit würde  eintreten  für  etwa  vorkommende  wichtige  Fälle  und 
Entscheidtmgen,  denn  auf  keinen  anderen  ließe  sich  das  völlige  Zu- 
trauen, der  Gehorsam  übertragen,  die  man  für  Sie  hat.  Ihren  Mut, 
gegen  eine  Anklage  zu  stehen,  werden  Sie  doch  nicht  erst  noch  be- 
weisen wollen  oder  die  etwaigen  Verleumdungen  Ihrer  Gegner  scheuen? 
Das  wäre  eine  Ihrer  nicht  würdige  Kleinlichkeit.  Sie  sehen,  ich  kann 
eigentlich  von  nichts  andrem  sprechen,  so  sehr  bekümmert  es  mich. 
Denken  Sie  daran,  daß  ich  in  allen  Ihren  politischen  Fährnissen  mit 
Mut  und  Entschlossenheit  (ohne  mich  zu  rühmen),  so  weit  es  mir  mög- 
lich war,  zu  Ihnen  gestanden,  den  Kopf  nicht  verloren  habe  wie  viele 
andre,  darum  trauen  Sie  mir  jetzt  nicht  zu  großen  Kleinmut  zu  und 
hören  deshalb  nicht  auf  mich.  Alles  was  nicht  zu  ändern,  was  nötig 
wäre,  würde  ich  auch  jetzt  noch  zu  ertragen  wissen,  aber  ich  weiß  auch, 
daß,  wenn  ich  gar  nicht  so  sehr  dabei  interessiert  wäre  für  das  Wohl  Ihrer 
Person,  so  würde  ich  Ihnen  ganz  dasselbe  für^)  ...  Interesse  der  Sache 
selbst,  für  die  Erhaltung  Ihrer  Zukunft  mit  tiefster  Überzeugung  raten. 

Ich  brauche  meine  Kur  mit  höchster  Energie.  Bad  von  dreiviertel 
Stunden,  Dusche  von  zehn  Minuten  jeden  Tag,  es  echauffiert  mich  nicht 
mehr  wie  sonst,  was  zeigt,  daß  ich  viel  schwächer  geworden,  oder  tut 
es  auch  die  gänzliche  körperliche  Ruhe.  In  vierzehn  Tagen  denke  ich 
mich  gewiß  zu  absolvieren,  schreiben  Sie  mir  also  recht  bald,  welche 
Projekte  für  später  Sie  gemacht.  Wenn  Sie,  bis  ich  komme,  Geld  genug 
haben,  so  brauchen  Sie  keinesfalls  Ihrem  Bankier  zu  schreiben  um  Geld, 
bis  ich  bei  Ihnen  bin,  und  vielleicht  auch  dann  noch  nicht.  Es  kommt 
darauf  an,  was  geschieht,  und  hat  jedenfalls  dann  noch  Zeit. 

Nun  leben  Sie  wohl,  mein  liebes  Kind,  schonen  Sie  sich,  hüten  sich 
vor  allen  Unvorsichtigkeiten,  damit  ich  Sie  recht  wohl  aussehend  wieder- 
finde. 

174. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Wüdbad,  23.  Juli   1864. 

Liebes  Kind,  wie  leid  tut  es  mir,  daß  Ihr  sejour  in  Rigi  so  langweilig 

ist  und  Sie  wieder  so  wenig  Vergnügen  von  dieser  Reise  haben.  Be- 

^)  Hier  sind  —  vermutlich  nachträglich  —  vier  Worte  völlig  unleserlich  gemacht. 


—  365  = 

nutzen  Sie  nun  aber,  bitte,  die  Zeit,  die  Sie  dort  aushalten  können,  um 
Ihre  Kur  recht  ordentHch  zu  gebrauchen;  es  wird  Ihnen  gewiß  gut  für 
Ihren  Hals  sein.  Seien  Sie  so  viel  in  der  Luft,  wie  es  der  Regen  erlaubt, 
aber  hüten  Sie  sich  sehr  vor  Erkältung  und  vorzüglich  nassen  Füßen, 
das  würde  Ihre  Kur  ganz  verderben.  ,,Auf  der  Matte  liegen",  wie  Sie 
sagen,  ist  ja,  da  die  Erde  die  Feuchtigkeit  lange  bewahrt,  bei  diesem 
Wetter  ganz  verrückt.  Und  dann  habe  ich  noch  eine  Sorge,  über  die  Sie 
lachen  werden,  die  mich  aber  jetzt  grade  besonders  quält,  nämlich  daß 
Sie  allein  und  im  Dunklen  vorzüglich  dort  herumlaufen,  wo  die  Wege 
noch  obendrein  durch  den  Regen  glatt,  schlüpfrig,  man  leicht  fallen 
kann.  Überdies  sehen  Sie  nicht  gut,  bei  Nacht  tun  Sie  das 
gewiß  nicht,  ich  bitte  Sie  sehr,  nehmen  Sie  sich  doch  lieber  irgend- 
einen der  langweiligsten  Schweizer,  zum  Nebenherlaufen  ist  er  am  Ende 
gut  genug.  Auf  Ihre  Fragen,  was  wir  tun  nach  respektive  beendigten 
Kuren,  habe  ich  schon  geantwortet,  daß  mir,  und  es  ist  ganz  ernstlich 
gemeint,  alles  sehr  recht  ist,  wo  Sie  glauben,  daß  Sie  einige  Zerstreutmg 
[zu]  finden  [glauben],  und  ich  überlasse  die  Wahl  Ihnen  gänzlich;  nur 
zwei  Sachen  kann  ich  oder  sollte  sie  wenigstens  nicht  tun,  das  ist,  wirk- 
liche Bergtouren  machen,  was  nicht  hindert,  daß  Sie  einen  Standort 
für  mich  ausfindig  machen,  der  eine  reine,  gute  Luft  hat,  nicht  gar 
zu  hoch  gelegen,  etwa  höher  als  4000  Fuß,  von  wo  aus  Sie  Ihre  Touren 
machen  körmen  und  dorthin  zurückkehren.  Sie  werden  besser  als  ich 
solche  Orte  kennen,  nur  weiß  ich  nicht,  ob  endlich  das  Wetter  es  er- 
lauben wird ;  und  dann  möchte  ich  Ihnen  so  gern  einen  angenehmen 
Kompagnon  verschaffen,  da  ich  nichts  mehr  mitmachen  kann,  und  über- 
dies weiß  ich  zwar,  daß  ich  Ihnen,  wie  Sie  sagen,  notwendig  bin,  Ihnen 
etwas  fehlt,  wenn  ich  nicht  da  bin,  aber  zerstreuen  und  unterhalten 
kann  ich  Sie  nicht  mehr,  wir  sind  beide  zu  ernst  und  ich  zu  kränklich 
geworden,  ich  verstehe  das  und  finde  es  sehr  natürlich.  Aber  wo  jemand 
hernehmen?  Ich  kann  über  niemand  verfügen,  wissen  Sie  jemand? 
Wenn  es  auch  einiges  Geld  kosten  sollte.  Zweitens,  nach  Ostende  gehen 
sollte  ich  auch  nicht,  weil  es  dort  stürmisch  und  kalt  ist  und  dies  mir 
sehr  schädlich,  vorzüglich  noch  mehr  gleich  nach  der  Kur  in  Wildbad. 
Ich  fühle  hier  sehr  genau,  was  ich  allerdings  schon  wußte,  daß  viel 
weiche  mir  zusagende  Luft,  aber  ohne  alle  Ermüdung,  das  einzige  ist, 
wobei  ich  michnoch  erträglich  hinschleppen  kann.  Wirklich  helfen  wird 
mir  die  Kur  hier  auch  nicht,  ich  fühle  hier  so  genau,  daß  ich  sie  mit 
dem  Finger  zeigen  kann,  die  vielen  schadhaften  Stellen,  vorzüglich  im 
Rückgrat,  aber  Erleichterung  geben  mir  die  Bäder  imd  helfen  mir  viel- 
leicht besser  über  den  Winter  hinaus.  Auch  komme  ich  hier  der  Vorschrift 
des  Emser  Arztes,  so  wenig  als  möglich  zu  sprechen,  nach,  es  besteht 
nur  in  sechs  Worten  täglich  mit  meiner  Kammer  Jungfer.  Das  [ist]  mir 


366  = 

nun  einerlei,  ich  bin  daran  gewohnt  und  maclie  mir  nichts  daraus,  aber 
ich  habe  keine  Gemütsruhe,  ich  mache  mir  viel  Sorgen  um  Sie.  Über- 
legen Sie  sich  nun  einen  Reiseplan  und  schreiben  es  mir  sobald  als  mög- 
lich, damit  ich  meine  Hinrichtungen  auch  mit  meinen  Koffern  recht- 
zeitig machen  kann.^)  .  .  .  Sie  schreiben  ja  ganz  wehmütig  darüber,  daß, 
wie  Schiller  sagt:  ,,Ach,  schon  in  des  Weges  Mitte  verlieren  die  Begleiter 
sich."  Das  ist  ja  eben  das  Traurige  des  Alters,  wovon  Sie  ja  aber  noch 
weit  entfernt,  daß  erst  einzelne  Stücke  des  Herzens  absterben,  bis  man 
sich  auch  körperlich  nach  und  nach  absterben  fühlt.  Aber  Sie  können 
doch  über  die  eine  Seite,  daß  Sie  viel  Verluste  dieser  Art  schon  erlitten, 
nicht  besonders  klagen. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  schreiben  Sie  recht  bald  und  schlagen 
Sie  nicht  alle  meine  Worte  (meinen  letzten  Brief)  so  ganz  unbeachtet  in 
den  Wind. 

Ich  lese  hier  wenig  Zeitungen,  aber  mir  scheint  der  Friede  und  eine 
Periode  der  Macht  dadurch  für  B[ismarck]  fast  gesichert.  Schreiben 
Sie  doch  an  Dorn  gleich,  daß  er  Schritte  beim  Präsidenten  des  Kassations- 
hofes tue,  daß  Ihre  Sache  nicht  vor  dem  Oktober  an  dem  Kassationshof 
vorkomme.  Er  hat  den  besten  Grund  dazu,  indem  er  Sie  verteidigen 
soll  und  nicht  vor  dem  15.  Oktober  in  Berlin  zurück  ist.  Könnten  Sie 
nicht  selbst  deshalb  an  den  Kassationspräsidenten  schreiben? 

An  Frau  Esser  schreibe  ich.  Herzlichste  Grüße. 2) 


175- 
I.ASSAI.IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

[Rigi,  27.  Juli  1864.] 
Iviebes,  gutes  Kind!^) 

Es  ist  um  die  Pest  zu  bekommen  über  die  Wildbader  Post!  Ihren 
ersten  Brief  —  Poststempel  vom  19.  — empfing  ich  am  22.  und  gleich- 
zeitigeinen Brief  aus  Düsseldorf ,  gleichfalls  mit  Poststempel  vom 
19.  —  Rigi  ist  also  nicht  Schuld,  sondern  Wildbad.  Ich  hatte  Ihnen  vier 
Stunden  nach  Empfang  Ihres  Briefes  noch  mit  der  um  drei  Uhr  hier  ab- 
gehenden Post  geantwortet,  bin  also  nicht  schuld  an  Ihrer  Angst.  Heute 
am  27.  bekomme  ich  Ihren  Brief  vom  24.  Ich  hätte  nicht  übel  Lust,  das 


1)  Hier  sind  acht  Zeilen  mit  Sorgfalt  unleserlich  gemacht. 

2)  Ohne  Unterschrift. 

3)  Dieser  Brief  findet  sich  mit  etlichen  Kürzungen  und  einigen  Entstellungen  ab- 
gedruckt bei  Bernhard  Becker,  Enthüllungen  über  das  tragische  Lebensende 
Ferdinand  Lassalles,   2.  Aufl.,  Schleiz   1868,  S.  22  f. 


=  367  == 

Briefeschreiben  dran  zugeben  und  mich  telegraphisch  mit  Ihnen  zu 
unterhalten ! 

Ihr  Brief  hat  mir  übrigens  in  meiner  äußerst  schlechten  vStimmung 
sehr  wohl  getan.  Erinnern  Sie  sich,  wie  ich  einmal,  als  wir  Marx  das 
Geleit  nach  Potsdam  gaben  und  Sie  beide  gegenseitig  miteinander 
kokettierten  und  scherzend  von  Entführung  sprachen,  lachend  sagte: 
ich  wollte,  es  entführte  vSie  mir  einer  auf  ein  Jahr,  bloß  damit  Sie  sehen, 
daß  ich  eigentlich  der  beste  aller  Männer  bin.  Ich  sei  ganz  unbesorgt 
darüber,  daß  Sie  mir  zurückkommen  würden!^).  .  .  -) 

Ihre  clairvoyance  puncto  der  Düsseldorfer  Angelegenheit  hat  mich 
sehr  amüsiert!  Aber  diese  clairvoyance  hat  Ihnen  nicht  gezeigt,  daß 
das  Düsseldorfer  Gericht  durch  seinen  Beschluß  mir  die  Kassations- 
instanz nicht  abgeschnitten,  sondern  höchstens  nur  unannehmbar 
macht.  Beschleunigt  ist  also  in  der  Straf  e  nichts,  eher  nur  verzögert. 
Denn  ich  werde  auch  gegen  diesen  Beschluß  eventuell  Kassation  ein- 
legen, und  diese  Sache  muß  früher  entschieden  sein.  Kurz,  vor  No- 
vember ist  es  nicht  einmal  menschenmöglich,  mich  zur  Haft  zu 
bringen;  selbst  vor  Dezember  schwerlich,  und  überdies  habe  ich  Mittel, 
dies  noch  weiter  zurückzuwerfen.  Wir  sprechen  darüber  mündlich! 

Jedenfalls  muß  ich  ja  aber  doch  Ende  September  in  Berlin  sein 
und  zwar  gerade  dann  am  meisten,  wenn  ich  Ihrem  Rat  folgen 
und  Deutschland  verlassen  wollte.  Denn  ich  müßte  doch  zuvor  dort 
meine  Sachen  und  Geschäfte  ordnen!  Ich  müßte  also  zuvor  hin, 
gerade  besonders,  wenn  ich  fortgehen  will!  Das  muß  doch  auch  Ihnen 
einleuchten ! 

Aber  noch  mehr :  ich  muß  noch  vorher  in  Hamburg  sein,  wo 
ich  einen  großen,  sehr  großen,  vielleicht  tatsächlich  wichtigen 
Coup  schlagen  will!^)  Auch  darüber  mündlich!  Am  20.  September 
also  muß  ich  die  Schweiz  verlassen.  —  Da  Sie  mir  die  Bestimmung  über- 
lassen, wohin  wir  bis  dahin  gehen,  nun  wohl,  so  entscheide  ich:  an  den 
Genfer  vSee.  Ich  schreibe  morgen  an  Oppenheim  und  lasse  mir  dahin 
(nach  Genf  selbst  oder  Vevey)  neues  Geld  poste  restante  (in  Wechseln) 
schicken. 

Was  mich  bestimmt,  jedenfalls  auf  einige  Zeit,  wenn  es  auch 
nicht  auf  lange  wäre,  an  den  Genfer  See  gehen  zu  müssen,  ist  folgende 
Episode. 

^)  Dieser  Absatz  fehlt  bei  Becker. 

-)  Hier  wurden  im  Original  nachträglich  vier  Zeilen  mit  Tinte  völlig  unleser- 
lich gemacht. 

^)  L,assalle  wollte  eine  Agitation  für  die  Annexion  der  Eibherzogtümer  an 
Preußen  eröffnen.  Vgl.  für  seine  Motive  Gustav  Mayer,  Die  Lösung  der  deutschen 
Frage  im  Jahre  1866  und  die  Arbeiterbewegung.  In  Festgaben  für  Lexis  1907, 
S.  230  f. 


368  ===. 

Vorgestern  sitze  ich  beim  scheußlichsten  Wetter  —  das  hier 
noch  ohne  jede  Unterbrechung  Tag  für  Tag  fortgedauert  hat;  erst  heut 
ist  es  ein  bißchen  besser  —  in  meinem  Zimmer  und  schreibe  —  ich  muß 
hier  leider  wieder  Tag  für  Tag  von  morgens  bis  nachts  ununterbrochen 
schreiben  —  als  ein  Bauernbursch  hereinkömmt  und  mir  sagt,  an  der 
Terrasse  hielte  eine  Dame,  die  mich  zu  sprechen  wünsche.  Ich  war  ganz 
verblüfft.  Wer  konnte  dies  sein?  Ich  riet  —  ja  ich  wußte  gar  niemand, 
auf  den  ich  raten  sollte !  Ich  nehme  also  Hut  und  Stock  und  eile  hinunter. 
Da  hält  hoch  zu  Roß  mit  einer  Engländerin  und  einer  Amerikanerin  und 
einem  Franzosen  —  wer?  Helene,  der  Goldfuchs!  Sie  hatte  von  Holthoff 
brieflich  erfahren,  daß  ich  auf  Rigi-Kaltbad  bin,  und  hatte  sofort  mit 
Freundinnen  eine  Rigipartie  organisiert,  um  mich  auf  Kaltbad  ab- 
zuholen.^) Natürlich  stürmte  ich  sofort  mit  auf  den  Kulm  hinauf,  wo  wir 
alle  übernachteten.  Unglücklicherweise  ist  das  Kind  der  Engländerin 
(bei  Bern  lebend)  vom  Scharlach  Rekonvaleszent  und  die  Mutter  war 
nicht  zu  bewegen  —  trotz  des  fürchterlichsten  Unwetters  —  auch  nur 
einen  Tag  länger  zu  bleiben.  Die  arme  Helene  — ich  hätte  die  Engländerin 
töten  können  — ,  krank  und  brustleidend,  mußte  im  furchtbarsten  Nebel 
und  Regen  (und  wir  alle)  am  andern  Tag  früh  zehn  Uhr  wieder  hinunter. 
In  Kaltbad  trennten  wir  uns! 

Eine  Höflichkeit  ist  aber  doch  der  andern  wert,  und  so  habe  ich 
Helenen  versprochen,  zwischen  dem  15.  und  25.  August  jedenfalls  in 
Genf  zu  sein.  Es  ist  auch  schon  arrangiert,  wie  Sie  sie  kennen  lernen 
sollen.  Denn  auf  ein  paar  Tage  können  Sie  doch  mit  mir  nach  der  »Stadt, 
Genf  gehen,  wenn  wir  auch  stationär  in  Vevey  z.  B.  sind.  Helene,  der 
Teufel,  wird  schon  etwas  anzufangen  wissen,  um  uns  dahin  zu  folgen. 

(Übrigens  darf  von  dieser  ganzen  Episode  kein  Mensch  außer  Ihnen 
etwas  wissen.  Die  andern  sind  auch  vereidet.) 

Daß  ich  also  überhaupt  an  den  Genfer  See  gehe,  folgt  daraus,  freilich 
aber  nicht,  daß  ich  dann  nicht  weiter  nach  Pegli  gehen  könnte.  Alle 
Ihre  schönen  Gründe,  nach  Pegli  zu  gehen,  sind  mir  sehr  gleichgültig. 
Wie  es  mit  Italien  usw.  steht,  weiß  ich  in  meinem  eignen  Kopfe  usw. 
Ich  hätte  einen  weit  besseren  Grund,  nach  Pegli  zu  gehen,  wenn  es 
eben  ginge:  der,  daß  Sie  es  eben  wünschen.  Aber  die  frühe  Rückreise 
von  der  Schweiz  —  20.  September  —  verhindert  das  leider  notwendig. 
Bis  dahin  ist  indes  das  Genfer  Klima  für  Sie  so  gut  wie  das  italienische, 
und  dann  können  Sie  ja  mit  Rüstow  nach  Pegli  gehen.  Denn  so  schmerz- 
lichst ungern  ich  Sie  in  Berlin  entbehre,  nehme  ich  doch  wirklich  An- 
stand, Sie  zu  bereden,  den  Winter  im  Berliner  Klima  zuzubringen.  Doch 


1)   Eine  kurze  zusammenfassende  Darstellung  des  Romans,  bei  dem  Lassalle 
sein  Ende  fand,  bei  H.  Oncken,  I^assalle,  S.  284  ff.    Dort  auch  I,iteraturangaben. 


—  —  369  —  — 

das  besprechen  wir  alles  noch  .  .  .^)  (denn  sonst  wird  es,  da  Sie  ja  wohl 
bis  18.  August  in  Wildbad  bleiben  —  und  um  Gottes  willen  ja  nichts  an 
der  Kur  abbrechen  —  gar  zu  spät). 

Da  ich  hier  ein  lieben  führe,  nicht  wie  ein  Hund,  sondern  wie  drei 
Hunde,  so  habe  ich  heut  nachträglich  an  Helene  geschrieben  und  tele- 
graphiert, mit  mir  (sie  ist  bei  Bern,  bei  der  Freundin,  der  Engländerin) 
eine  Reise  irgendwohin  auf  einige  Tage  ganz  inkognito  zu  machen.  Ich 
setze  es  vielleicht  durch.  In  diesem  Falle  gebe  ich  meinen  hiesigen 
Aufenthalt,  der  mich  in  diesem  Wetter  imd  ohne  jede  Gesellschaft  zu 
Tode  langweilt,  auf,  und  reise  sofort  nach  Bern  zu  ihr.  Dann  würde  ich 
Ihnen  telegraphieren,  wohin  Sie  Ihre  Briefe  richten  sollen.  Bis  dahin 
schreiben  Sie  nur  also  immer  hierher. 

Aber  auch  in  diesem  Falle  käme  ich  immer  an  dem  Tag,  wo  Sie  in 
Ivuzem  eintreffen,  dorthin. 

In  der  Zwischenzeit  hängeich  mich  vielleicht  vor  Langeweile  auf  oder 
mache  —  schrecklich!  —  ganz  allein  eine' Gebirgsreise. 

Adieu  für  heut.  Es  wird  schön,  gibt  zum  erstenmal  Sonnenuntergang. 
Ich  muß  heraus. 

Ihr 

F.  L. 


176. 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.)  ~) 

Rigi,   28.  Juli  [1864]. 

Gute  Gräfin! 

Ich  habe  gestern,  als  ich  so  plötzlich  abbrechen  mußte,  noch  einige 
Punkte  vergessen.  Der  wichtigste  bezieht  sich  auf  Dorns  Mitteilung  von 
der  Kassation  Ihres  Urteils  in  Sachen  contra  Siegheim  und  Block .  .  .  ^) 

...  Es  war  also  gestern  abend  ^4  ^'or  7  Uhr,  als  ich,  in  emsigem 
Schreiben  an  Sie  begriffen,  zufällig  den  Blick  gegen  das  Fenster  kehre  — 
und  siehe  alle  Nebel  und  Wolken  fallend  und  wie  erfrierend  und  die 
Berge  sich  mächtig  und  glanzvoll  befreiend  schaue !  Es  war  nicht  mehr 
möglich,  zum  Kulm  zu  gelangen,  aber  ich  schloß  den  Brief  in  aller  Eile 
und  rannte  auf  das  Känzli  15  Minuten  von  hier,  von  wo  man,  wenn  auch 


^)  Hier  sind  siebeneinhalbe  Zeilen  durch  Tintenstriche  völlig  xmleserlich  geniaclit. 
^)  Dieser  Brief  ist  abgedruckt  bei  Bernhard  Becker,  S.  27  ff. 
^)  Hier  folgen  weitere   Instniktionen,    die  sich  auf  die  Geschäfte  der  Gräfin 
beziehen. 


.Maver,  Lassalle-Nichlass.     IV 


24 


=  370  —  —  

nicht  die  Kulmer  Aussicht,  so  doch  immerhin  eine  überaus  prächtige 
Aussicht  hat,  die  ganze  Stelle  vom  Tödi  bis  Gespaltenhorn  (also  Uri 
Rotstock,  Titlis,  Weißstock,  alle  Berner  Berge  usw.). 

Selten  habe  ich  die  Berge  so  schön,  selten  einen  schönern  Sonnen- 
untergang gesehen !  Der  Eiger  war  im  leisen  Glühen !  Noch  lange  nach 
Sonnenuntergang  konnte  ich  mich  von  der  Stätte  nicht  losreißen !  Und 
ebenso  schön  wieder  heut  früh !  Alle  lyciden  sind  fast  wie  fortgewischt  — 
wie  schnell  vergißt  doch  der  Mensch,  was  ihn  soeben  beschwerte  —  und 
ich  bin  lustig  und  voller  lycbenskraft,  als  hätte  ich  nicht  einen  Augen- 
blick, geschweige  über  zehn  Tage  im  dicksten  Regen  und  undurchdring- 
lichsten naßkalten  Nebel  hier  gesessen !  —  Auch  mit  meinen  furchtbaren 
Schreibereien  für  den  Verein  —  ich  habe  gestern  76  kleingeschriebene 
Seiten  nach  Berlin  geschickt  —  bin  [ich]  endlich  fertig  und  atme  wieder 
frei  auf! 

Wie  Sie  mich  doch  mißverstehen,  wenn  Sie  schreiben:  ,, Können  Sie 
nicht  in  Wissenschaft,  Freundschaft,  schöner  Natur  sich  genügen!"  Sie 
meinen,  ich  müsse  Politik  haben! 

Ah,  wie  wenig  Sie  au  fait  in  mir  sind!  Ich  wünsche  nichts  sehn- 
licher, als  die  ganze  Politik  los  zu  werden  und  mich  in  Wissenschaft, 
Freundschaft  und  Natur  zurückzuziehen.  Ich  bin  der  Politik  müd  und 
satt!  Zwar,  ich  würde  so  leidenschaftlich  wie  je  für  dieselbe  aufflammen, 
wenn  ernste  Ereignisse  da  wären,  oder  wenn  ich  die  Macht  hätte,  oder 
ein  Mittel  sähe,  sie  zu  erobern  —  ein  solches  Mittel,  das  sich  für  mich 
schickt.  Denn  ohne  höchste  Macht  läßt  sich  nichts  machen.  Zum  Kinder- 
spielen aber  bin  ich  zu  alt  und  zu  groß !  Darum  habe  ich  so  höchst  un- 
gern das  Präsidium  1)  übernommen!  Ich  gab  nur  Ihnen  nach!  Darum 
drückt  es  mich  jetzt  so  gewaltig.  Wenn  ich  es  los  wäre,  jetzt  wäre  der 
Moment,  wo  ich  entschlossen  wäre,  mit  Ihnen  nach  Neapel  zu  ziehen ! 
(Aber  wie  es  loswerden?!) 

Denn  die  Ereignisse  werden  sich,  furcht'  ich,  langsam,  langsam  ent- 
wickeln, und  meine  glühende  Seele  hat  an  diesen  Kinderkrankheiten  und 
chronischen  Prozessen  keinen  Spaß.  Politik  heißt  aktuelle,  momentane 
Wirksamkeit.  Alles  andere  kann  man  auch  von  der  Wissenschaft  aus 
besorgen!  —  Ich  werde  versuchen,  in  Hamburg  einen  Druck  auf  die 
Ereignisse  auszuüben  !^)  Aber  wie  weit  das  wirken  wird  —  das  kann  ich 
nicht  versprechen  und  verspreche  mir  selbst  nicht  zu  viel  davon! 

Ach,  könnte  ich  mich  zurückziehen !  —  So  weit  hatte  ich  geschrieben, 
als  ich  einen  Brief  von  Helene  erhalte,  einen  höchst  ernsthaften  Brief! 


1)  Das  Präsidium  des  Allgemeinen  Deutschen  Arbeitervereins. 

2)  Diese  Versammlung  sollte  am  25.  vSeptember  stattfinden.   Vgl.  daz.u  Oncken, 
Lassalle,  4.  Aufl.,  vS.  475  f. 


—  371  -= 

Die  Sache  wird  ernst,  sehr  ernst,  und  das  große  Gewicht  des  Ereignisses 
fällt  mir  wieder  etwas  auf  die  Brust!  Inzwischen  —  einmal  kann  ich 
nicht  mehr  zurück,  und  dann  wüßte  ich  auch  wahrhaftig  nicht,  warum 
ich  zurück  sollte !  Es  ist  ein  schönes  Weib,  und  ihrer  Individualität  nach 
das  einzige  Weib,  das  sich  für  mich  paßt  und  eignet!  Das  einzige,  das 
Sie  selbst  für  geeignet  finden  würden.  Also  en  avant,  über  den  Rubikon ! 
Er  führt  zum  Glücke !  Auch  für  Sie,  gute  Gräfin,  mindestens  ebenso  wie 
für  mich! 

Bei  alledem  ist  es  in  dieser  ohnehin  so  komplizierten  Lage  eine 
immense  Komplikation  mehr!  Bin  wahrhaftig  wieder  neugierig,  wie 
ich  dies  alles  zu  gutem  Ende  führen  werde,  gerade  so  wie  ich,  als  ich 
Ihre  Prozesse  führte,  oft  diese  ganz  unpersönliche,  objektive  Neugier 
hatte  —  als  läse  ich  einen  Roman  —  wie  ich  wohl  mich  und  Sie  aus 
dieser  Lage  noch  retten  würde! 

Nun,  die  alte  Kraft  ist  noch  da,  das  alte  Glück  auch  noch,  ich  werde 
alles  zum  glänzendsten  Ziele  führen.  Aber  daß  ich  Sie  nicht  bei  mir 
habe,  um  mit  Ihnen  zu  sprechen  und  zu  raten  in  dieser  complication 
grave,  das,  muß  ich  gestehen,  stört  mich  sehr!  —  Nun,  brauchen  Sie 
ganz  ruhig  Ihre  Kur  aus. 

Das  nächste  ist,  daß  ich  wahrscheinlich  schon  morgen  früh  nach 
Bern  resp.  Wabern  abreise,  wo  Helene  auf  der  Villa  ihrer  Freundin  ist. 
Sie  erhalten  in  diesem  Falle  noch  telegraphische  Depesche  von  mir, 
Ihre  Briefe  poste  restante  nach  Bern  zu  adressieren,  i)  Sollte  ich  Sie 
absolut  nötig  haben,  nun  ja,  dann  rechne  ich  auf  Ihre  Freundschaft  und 
telegraphiere  Ihnen,  daß  Sie  nach  Genf  kommen.  Aber  ich  denke,  dies 
jedenfalls  bis  15.  August  verschieben  zu  können ! 

Nun  adieu,  altes  Herz !  Die  Brandimg  faßt  mich !  Ist  mir's  zum  Heil  ? 
Reißt's  mich  nach  oben?  wie  den  Schillerschen  Taucher?  faut  voir! 

Ihr 

treuer 

F.  L. 

Absolutes  Stillschweigen  über  alles  hier  Gesagte  gegen  jedermann 
ganz  notwendig. 

A  propos!  Die  Wildbader  Postsendung  ist  allerdings  schon  gestern 
angekommen.  Aber  es  war,  außer  dem  ,, Gedanken"  und  Zeitungen,  nur 
ein  Brief,  während  Sie  zwei  Briefe  anmeldeten.  Sollte  einer  zurück- 
geblieben oder  verloren  sein?  Bitte,  nachzuforschen  auf  der  Post,  denn 
ich  erwarte  seit  lange  umsonst  Brief  von  Szarbinowski  usw. 


^)   Das  Telegramm,   vom  29.  Juli,  befindet  .'^icli  im  Nachlaß. 


—  —  372  = 

177- 
IvASSAI^IvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Bern,  Bernerhof,  30.  Juli  [1864]. 
Gutes,  liebes  Kind !  ^) 

Ihren  Brief  habe  ich  gestern  früh  in  Weggis  noch  glücklich  attrapiert. 
Wenn  Sie  mir  so  gute  Briefe  schreiben,  wie  diesmal,  so  —  nun  ich  kann 
nicht  sagen,  so  bin  ich  Ihnen  besser  als  irgend  jemand  in  der  Welt, 
denn  das  bin  ich  immer  im  tiefen  Herzen,  auch  ohne  gute  Briefe  —  aber 
so  bin  ich  so  gerührt,  daß  das  tiefe  Herz  gegen  meine  Gewohnheit  sich 
zur  Äußerung  drängt! 

So  sitze  ich  denn  also  hier  in  Bern,  War  gestern  abend  bis  zwölf  Uhr 
auf  der  Villa  von  Helenens  Freimdin  und  fuhr  dann  zurück.  Die  Ent- 
fernung ist  höchst  störend.  Noch  weiß  ich  nicht  das  geringste,  was 
mit  mir  wird,  d.  h.  mit  den  nächsten  vierzehn  Tagen.  Den  15.  August 
aber,  von  da  ab,  halte  ich  mich  bereit,  Sie  an  dem  von  Ihnen  zu  be- 
stimmenden Ort  abzuholen,  in  Bern  oder  auch  Luzern  oder  noch  weiter 
Ihnen  entgegen,  wo  Sie  wollen.  Das  habe  ich  auch  Helene  gesagt,  die  es 
ganz  in  der  Ordnung  fand.  Ich  muß  Ihnen  übrigens  überhaupt  be- 
merken, daß  Helene  eine  sehr  große  Sympathie  für  Sie  hat,  eine  der 
allerwesentlichsten  Bedingimgen  meines  Wohlgefallens  an  ihr.  Sie  ist 
darin  ganz  anders  als  die  andern  Weiber.  Nicht  eine  Spur  von  Eifer- 
sucht und  Neid  in  ihr.  So  fand  sie  es  z.  B.  —  bis  ich  ihr  gesagt,  daß  Sie 
selbst  krank  und  einer  Kur  benötigt  seien  —  ganz  schrecklich  resp.  un- 
erklärlich, daß  Sie  mich  nicht  nach  Rigi-Kaltbad  begleitet  hätten,  um 
dort  mit  mir  zu  sein.  Sie  freut  sich  sehr  darauf,  Sie  kennen  zu  lernen. 
Sie  würgt  nie  —  innerlich,  wie  ich  bei  so  vielen  Weibern  so  oft  bemerkte, 
denn  ich  bin  ein  ganz  guter  Merker,  wenn  ich's  mir  auch  nicht  merken 
lasse  —  eine  resistance  Interieure  hinunter,  wenn  ich  das  Gespräch  auf 
vSie  bringe,  sondern  im  Gegenteil  bringt  es  selbst  gern  und  voller  Teil- 
nahme auf  Sie.  Kurz,  dieses  —  enfant  du  diable,  wie  sie  in  Genf  all- 
gemein genannt  wird,  hat  wirkliche  und  innere  Sympathie  für  Sie. 
Ausfluß  davon,  daß  sie  überhaupt  eine  —  Natur  ist,  im  Sinne  Goethes, 
trotz  aller  gesellschaftlichen  äußeren  feinen  Bildung,  die  sie  sich  im 
höchsten  Grade  angeeignet  hat,  die  aber  nie  über  ihren  innern  Menschen 
hat  Herr  werden  können. 

Ihr  einziger  —  aber  riesengroßer  Fehler  ist:  sie  hat  keinen  — Willen! 
Auch  nicht  die  Spur  davon!  An  sich  ist  das  freihch  ein  sehr  großer 


*)  Dieser  Brief  ist  bei  Becker  a.  a.  O.,  S.  31  f.,  gedruckt.  Doch  fälscht  er  die 
Anrede  in  ,,Gute  Gräfin"  und  sperrt  willkürlich  alle  die  vStellen,  die  seinen  sensatio- 
nellen Absichten  Vorschub  leisten. 


=  373  = 

Fehler!  Würden  wir  Mann  und  Frau,  wäre  es  vielleicht  keiner,  denn  ich 
habe  ja  doch  Willen  genug  für  sie  mit,  und  sie  würde  sein  wie  die  Flöte 
in  der  Hand  des  Künstlers. 

Aber  die  Vereinigung  selbst  wird  dadurch  sehr  erschwert  werden! 
Heute  freilich  ist  sie  fest  entschlossen.  Aber  wie  lange  hält  dies  bei 
einem  willenlosen  Wesen  Secoussen  gegenüber  stand? 

Das  werde  ich  ihr  auch  noch  sehr  ernsthaft  auseinandersetzen,  ehe 
ich  anfange,  mich  äußerlich  in  das  Unternehmen  zu  engagieren. 

Meine  Depesche,  nach  Bern  zu  adressieren,  wird  Sie  sehr  in  Ver- 
wunderung gesetzt  haben,  meine  letzten  Briefe  von  Kaltbad  aber  auf- 
geklärt haben.  Hoffentlich  haben  Sie  diese  schon! 

Ihr  F.  L. 

178. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE. i)  (Original.) 

Wildbad,   i.  August  [1864]. 

Liebes  Kind,  ich  habe  gestern  abend  Ihren  Brief  aus  Bern  erhalten, 
und  ich  kann  Urnen  nur  wiederholen,  daß  Sie  nicht  nur  in  2)  Ihrem  eigenen 
Wohl  die  Sache  viel  zu  sehr  übereilen,  aber  Sie  schaden  auch  durch 
Ihre  Hast  dem  Gelingen  der  Sache.  Die  Eltern  mißtrauen  Ihnen ;  ist 
nun  wohl  ein  solches  Drängen  nicht  geeignet  bei  Philistern  (was  die 
Eltern  gewiß  sind)  und  daher  die  Ehe  als  eine  vernünftig  wohl  zu  über- 
legende Sache  ansehen,  gemacht,  sie  Ihnen  geneigter  zu  machen?  [sie!] 
Gewiß  nicht.  Sie  müßten  im  Gegenteil  mit  großer  Ruhe  und  Vorsicht 
vorangehen,  erst  danach  trachten,  daß  man  sich  an  den  Gedanken  nach 
imd  nach  gewöhnt,  denn,  wie  Sie  sagen,  Helene  dahin  zu  bestimmen, 
wider  den  entschiedenen  Willen  ihrer  Eltern,  ist  einmal  sehr  fraghch, 
ob  es  gelingt,  alsdann  auch  nicht  zweckmäßig.  Sie  könnte  sich  bei  ihrem 
schwachen  Charakter  doch  später  darüber  unglücklich  fühlen,  ganz  aus 
ihren  FamiHenrelationen  herausgerissen  zu  sein.  Wenigstens  war  es  doch 
der  Mühe  wert,  es  erst  auf  andere  Weise  zu  versuchen.  Sie  beurteilen 
immer  die  andren  zu  sehr  nach  sich  selbst.  Ist  denn  Helene  auch  groß- 
jährig? Und  ist  es  denn  auch  der  günstigste  Augenblick,  um  die  Sache 
rasch  der  Entscheidung  zuzujagen,  gerade  wo  jetzt  so  viele  Freiheits- 
prozesse gegen  Sie  schweben?  War  es  nicht  zehnmal  klüger,  jetzt  nur 
mit  ihr  einig  zu  werden,  sich  zu  begnügen,  langsam  eine  Annäherung  an 
die  Eltern  zu  versuchen  und  mit  dem  direkten  Antrag  zu  warten,  bis 

1)  Mit   Ungenauigkeiten   und    kleinen    Auslassungen    bei    B.  Becker    a.a.O.. 

S.35ff- 

2)  Dies  Wort  war  nicht  deutlich  zu  lesen. 


=  374  — 

Ihre  Prozesse  so  oder  so  entschieden  ?  Wenn  Sie  sich  entschließen  müßten, 
für  jetzt  Deutschland  zu  verlassen,  so  wäre  das  gerade  die  günstigste 
Konjunktur  für  das  Gelingen  dieses  Planes.  Ich  wünsche  nach  dem, 
was  Sie  mir  sagen,  das  Gelingen,  obgleich  ich  ganz  nur  meinen  Augen 
in  dieser  Beziehung  traue,  aber  ich  fürchte,  Sie  verderben  alles  durch 
Ihr  Stürmen.  Sie  haben  einmal  in  Frauensachen  keine  Vernunft  und 
keine  Ruhe. 

Ich  bin  wieder  in  der  fatalsten  Lage.  Die  Person,  die  ich  hier  nehmen 
nmßte,  kann  trotz  der  heiligsten  Versicherungen  gar  nichts,  aber  so 
nichts,  daß  mir  nie  ähnliches  vorgekommen;  sie  ruiniert,  was  sie  an- 
rührt, und  ich  muß  sie  sofort  wegtun.  Helene  war  nicht  einen  Tag  zu 
halten,  und  so  bleibe  ich  allein  und  habe  sofort  nach  Stuttgart  ge- 
schrieben, mir  eine  zu  schicken.  Ich  habe  wirklich  Unglück  in  diesem  Jahr. 

Ich  kann  nicht  sagen,  daß  die  Bäder  mir  helfen,  das  glaube  ich  nicht, 
aber  sie  erleichtern  mich  sichtlich.  Also,  vSie  haben  sich  entschieden  für 
einen  Aufenthalt  am  Genfer  vSee;  aber  wo  nur  ungefähr?  Ich  habe  von 
einer  Pension  in  Saxon  gelesen,  im  Valais,  dicht  am  See,  es  muß,  wie 
ich  glaube,  entweder  französisches  oder  italienisches  Ufer  sein,  oder 
Chalet  Suisse  ä  Cologny  oder  Ciarens  usw.,  nur  kann  ich  nicht  Berge 
steigen.  Wo  wir  uns  treffen,  hängt  ja  von  dem  ab,  was  Sie  jetzt  vorhaben 
und  kann  noch  immer  danach  bestimmt  werden,  ich  bestehe  nicht  auf 
den  Genfer  See,  und  jeder  andere  Ort,  der  Ihrem  Plane  förderhcher,  ist 
mir  auch  recht,  nur  nicht  Genf  oder  Bern,  um  da  zu  bleiben ;  ich  brauche 
Ivuft,  und  dann  ist  auch  ein  solcher  Gasthof  auf  die  Dauer  nicht  aus- 
zuhalten. 

Und  dann  eines,  liebes  Kind,  kann  ich  doch  nicht  ändern,  das  ist, 
daß  ich  auf  zwei,  drei  Tage  vorher  nach  Zürich  gehe,  nicht  länger,  aber 
man  erwartet  mich  schon  so  lange  dort,  ich  habe  es  so  oft  versprochen. 
Frau  Herwegh,  Frau  Anneke  schreiben  mir  Brandbriefe;  wer  weiß, 
wo  [hin]  ich  von  Genf  aus  gesprengt  werde,  und  es  liegt  mir  dann  für  jeden 
Fall  zurück  zu  sehr  aus  dem  Weg,  anstatt  ich  von  Basel  ein  paar  Stunden 
habe,  und,  gar  nicht  hingehen,  ist  doch  nicht  tunlich  (wäre  nach  der 
früheren  Intimität  doch  zu  ungezogen).  Geben  Sie  mir  darin  nicht  recht, 
liebes  Kind  ?  Wenn  ich  nun  von  hier  direkt  nach  Zürich  gehe,  führt  mich 
dann  mein  Weg  nach  dem  Genfer  See  (falls  Sie  bei  dem  Projekt  des 
Genfer  Sees  bleiben)  über  Bern?  In  welchem  Hotel  wohnen  Sie  dort? 
Bleiben  Sie  da?  Wohin  adressiere  ich  am  besten  meine  großen  Koffer? 

Es  ist  mir  gar  nicht  recht,  daß  Sie  Ihre  Molkenkur  so  ganz  aufgegeben, 
Sie  hätten  sie  doch  nötig ;  können  Sie  sich  nicht  entschließen,  jetzt,  wo 
es  so  schön,  auf  zehn  bis  zwölf  Tage  wieder  hinzugehen?  Es  wäre  gut. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  die  herzlichsten  Grüße. ^) 

')  Ohne  Unterschrift, 


—  375 

179- 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.i)  (Original.) 

Bern,  Dienstag,  2.  August  [1864]. 
Gute  Gräfin! 

Ich  habe  Ihren  Brief  nach  Bern  erhalten.  Aller  Rat  würde  jetzt  zu 
spät  kommen.  Es  ist  alles  unwiderruflich  abgemacht!  Wäre  es  aber 
noch  Zeit,  Rat  zu  geben,  vSie  würden  mir  auch  keinen  andern  geben 
als  den,  zu  handeln  wie  ich  handle.  Dessen  bin  ich  sicher.  Wenn  Sie  in 
Ihrem  Briefe  sagen,  ich  sollte  doch  bedenken,  daß  ich  soeben  erst  sterb- 
lich in  eine  andere  verliebt  war,  so  entgegne  ich,  daß  erstens  ,, sterblich 
verliebt"  sein  bei  mir  zunächst  überhaupt  gar  kein  Begriff  ist;  zweitens 
aber,  daß  noch  heute,  sinnlich  genommen,  Minna^)  einen  größeren  Reiz 
für  mich  hat  als  Helene,  was  Ihnen  also  der  beste  Beweis  sein  kann, 
daß  ich  eben  nicht  bloß  sinnlicher  Neigung  folge.  Im  Gegenteil,  Helene 
paßt  als  Persönlichkeit  so  absolut  zu  mir,  wie  ich  nie  eine  passende  zu 
finden  geglaubt  hätte.  Unter  uns  gesagt,  ist  es  eigentlich  von  dem  ver- 
schiedenen Glück,  das  ich  hin  und  wieder  habe,  das  größte  Glück,  das 
ich  bei  dieser  Gelegenheit  entwickelt  habe! 

Es  ist  wirklich  ein  nicht  geringes  Glück,  in  meinem  Alter  von  doch 
schon  39^/2  Jahren  ein  Weib  zu  finden,  so  schön,  von  so  ungewölmlicher, 
bedeutender,  freier  und  absolut  zu  mir  passender  Persönlichkeit,  ferner 
das  mich  so  liebt  und  endlich,  was  freilich  bei  mir  eine  absolute  Not- 
wendigkeit, ganz  in  meinem  Willen  aufgeht! 

Hier  empfangen  Sie  erstens  den  Brief,  den  Helene  mir  nach  dem 
Rigi  schrieb,  wo  ich  Ihnen  darauf  schrieb,  ,,es  wird  ernsthaft".  Wenn 
darin  der  Satz  vorkommt,  ich  solle  Ihnen  den  Brief  nicht  schicken,  so 
hat  sie  mir  das  später  erklärt.  vSie  hatte  den  Brief  noch  in  der  Nacht 
ihrer  Rückkehr  vom  Rigi,  also  sehr  ermüdet,  geschrieben  und  fürchtete, 
er  sei  deshalb  gar  nicht  präsentabel  ausgefallen  und  könne  Ihnen  eine 
sehr  geringe  Meinung  von  ihr  geben.  Als  ich  sie  darüber  beruhigte  und 
sagte,  es  sei  gar  nicht  Ihre  Weise,  solche  Schlüsse  zu  machen,  erklärte 
sie  sich  von  selbst  damit  einverstanden,  daß  ich  ihn  Ihnen  schicke,  damit 
Sie  sähen,  wie  alles  gekommen  sei.  Ferner:  vorgestern  bat  sie  mich  um 

*)  Auch  diesen  Brief  hat  Becker  a.  a.  O.,  S.  32  ff.,  abgedruckt.  Aber  auch 
hier  hat  er  nicht  die  Stellen  gesperrt,  die  L,assalle  unterstrich,  sondern  die  seinem 
Sensationsbedürfnis  belangreich  erschienen. 

2)  Minna  Lilienthal  die  Tochter  eines  reichen  Berliner  Geschäftsmannes,  eine 
Schülerin  Hans  von  Bülows.  Wie  die  heute  noch  in  Berlin  lebende  Dame  dem 
Herausgeber  erzählte,  schlug  sie  damals  Lassalles  Hand  ab,  weil  sie  einen 
adligen  Gatten  haben  wollte.  Lassalles  Briefe  an  Minna  Lilienthal  wurden  nach 
Japan  verkauft. 


—  376  = = 

die  Erlaubnis,  Ihnen  schreiben  zu  dürfen,  wogegen  ich  natürlich  nicht 
nur  nichts  hatte,  sondern  mich  innerhch  sehr  freute,  daß  der  Gedanke 
selbständig  in  ihr  entstanden  war.  Infolgedessen  gab  sie  mir  nun  gestern 
den  beifolgenden  Brief  an  Sie,  der  Ihnen  ihre  edle  Persönhchkeit  und^) 
den  seltnen  Fischzug,  den  ich  an  ihr  gemacht  habe,  schon  besser  malen 
kann.  Sie  müssen  ihr  natürlich  antworten  und  mir  den  Brief  zur  Über- 
gabe überschicken,  imd  zwar  nach  Genf,  poste  restante,  wohin  wir 
morgen  beide  abreisen.  Ich  bitte  sehr,  liebe  Gräfin  —  dies  einzige  will 
ich  Ihnen  ans  Herz  legen  —  erhalten  Sie  mir  Helene  ihr  ganzes  Leben 
hindurch  in  den  unterwürfigen  Gesinnungen,  in  denen  sie  jetzt  ist  und 
von  denen  mein  ganzes  Glück  —  und  leicht  auch  das  Ihrige  zum  Teil  — 
abhängt.  Sie  allein  könnten  sie  in  dieser  Hinsicht  verderben  und  auch 
Sie  nur  durch  das  Piedestal,  das  ich  selbst  Ihnen  bei  ihr  gegeben  habe. 
Es  wäre  also  siebenfach  Unrecht  und  höchst  unklug!  Sie  werden  das 
also  nicht  tun  und  sie  vielmehr  immer  in  diesem  Verhältnis,  das  ich 
sogar  das  normale  nenne,  zu  erhalten  suchen,  geschweige  denn,  sie  nicht 
davon  abbringen,  auch  nicht  in  indirekter  Weise. 

Was  nun  die  Eltern  in  Genf  sagen  werden  —das  weiß  Gott!  Aber 
sicher  ist,  daß  ich,  wie  sie,  entschlossen  sind,  durchzugreifen;  reiße  da, 
was  reißt.  Zum  15.  August  hoffe  ich  sicher,  Sie  in  Genf  zu  haben,  wo 
wir  dann  über  alles  ausführlich  und  reifHch  sprechen.  Ich  habe  entsetz- 
lich viel  mit  Ihnen  zu  überlegen.  Viel  lieber  freihch  wäre  es  mir  unter 
diesen  Umständen,  Sie  kämen  ohne  Rüstow  nach  Genf,  nach  der  Stadt 
selbst,  wenn  Rüstow  auch  am  Genfer  See,  in  Vevey  usw.  ist  und  Sie  da 
zurückerwartet. 

Ganz  Ihr  F.  L. 

P.  S.  Helenens  Brief  an  mich  muß  ich  von  Ihnen  zurück  bekommen. 


180. 
IvASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Bern,   3.  August  [1864]. 
Iviebe  Gräfin! 2) 

Ihr  eben  erhaltener  Brief,  den  ich  —  in  einer  Stunde  reise  ich  nach 
Genf  —  noch  Zeit  zu  beantworten  habe,  zeigt  mir  wieder,  wie  mißhch 
alle  schrifthche  Verständigung  ist.  Sie  haben  meine  Briefe  —  sind  sie 
wirklich  so  imdeuthch  gewesen?  —  nicht  richtig  aufgefaßt,  daher  ein 

^)  Von  ..und"  bis  ,,habe"  fehlt  bei  Becker. 

2)  Gedruckt  bei  Becker,  S.  37  ff.,  wiederum  mit  lauter  Sperrungen,  die  Lassalle 
nicht  gemacht  hat. 


— ^  —  377  = 

falsches  Bild  von  der  Sachlage  und  daher  ist  Ihr  Brief  diesmal  ganz 
ungeschickt ! 

1.  Sie  sagen:  ,,Dcnn,  wie  Sie  sagen,  Helene  dahin  zu  bestimmen, 
wider  den  entschiedenen  Willen  ihrer  Eltern,  ist  einmal  sehr  frag- 
lich" usw.  Mon  Dieu!  Wo  hätte  ich  das  gesagt?  Ganz  im  Gegenteil! 
Helene  ist  ganz  dazu  entschlossen,  hat  sich  von  selbst  dazu  ent- 
schlossen, war  früher  dazu  fest  entschlossen  als  ich.  Es  war  ja  eben  dieser 
Brief,  in  dem  sie  mir  —  nach  Rigi-Kaltbad  hin,  am  Abend  des  Tages, 
an  dessen  Morgen  wir  uns  getrennt  —  diesen  Entschluß  mitteilte,  in- 
folgedessen ich  mich  erst  entschloß  und  Ihnen  schrieb,  ,,die  Sache  wird 
ernst,  sehr  emst"^)  usw.  Sie  können  sich  ja  auch  bei  meiner  ganzen 
Persönlichkeit  denken,  daß  ich  immer  mindestens  ebensosehr  geheiratet 
werden  als  heiraten,  d.  h.  auf  eine  volle  und  freie  Initiative  seitens  des 
Mädchens  treffen  muß,  voir  Marie  und  Ulrich  von  Hütten. 2) 

Also  Helene  ist  entschlossen,  wenn  ich  will,  morgen  ihren  Eltern 
wegzulaufen  sogar,  und  wenn  ich  wollte  als  Zigeunerin  mit  mir  durch 
die  Lande  zu  ziehen. 

2.  Helene  ist  majeure.  Schhmmstenfalls  sind  wir  mit  drei  actes 
respectueux  unserer  Verpflichtung  gegen  die  Eltern  quitt. 

3.  Sie  wissen  dies  der  Hauptsache  nach  schon  aus  meinem  gestrigen 
Brief  an  Sie,  in  welchem  ich  Ihnen  Helenes  Rigi-Kaltbad-Brief  an  mich 
und  ihren  hiesigen  Brief  an  Sie  schickte. 

4.  Was  Teufel  haben  denn  meine  Verurteilvmgen  und  Prozesse  für 
bestimmenden  Einfluß  auf  meine  Heirat  ?  Meine  Heirat  kann  meinen  Ent- 
schluß in  bezug  auf  die  Verurteilimgen  bestimmen,  aber  nie  umgekehrt. 

5.  Die  ganze  philiströse,  ganz  erstaunlich  langweihge  Operations- 
weise, die  Sie  mir  anraten,  kann  also  gar  nicht  gedacht  werden!  Es 
ist  kein  „Begriff"! 

Heut  abend  sechs  Uhr  lange  ich  in  Genf  an,  wo  Helene  heut  um 
zwei  Uhr  angelangt  ist.  Morgen  um  zwei  Uhr  mache  ich  ihren  Eltern 
meinen  Besuch.  Spätestens  nach  drei  Besuchen,  also  in  drei  Tagen, 
vielleicht  aber  schon  früher,  erkläre  ich  Vater  und  Mutter  meinen  An- 
trag. Geht  alles  gut,  bien!  Treffen  wir  auf  Weigerung,  so  folgt  schon 
zwei  Tage  darauf  der  erste  acte  respectueux  Helenens. 

Ich  hoffe  sehr  —  und  glaube  es  fest  — ,  die  Eltern  werden  gleich  oder 
doch  nach  einigen  Angriffen  stürmischer  Beredsamkeit,  die  ich  auf 
sie  machen  werde,  einwilligen.  Sonst,  beim  großen  Gott,  bin  ich  ent- 
schlossen, Kirchen  niederzubrennen,^)  ehe  ich  mich  im  geringsten  be- 
irren lasse. 


^)  Siehe  oben  Nr.  176. 

2)  In  Lassalles  Drama  , .Franz  von  Sickingen". 

^)   Becker  ändert:  ,,bin  ich  zu  allem  entschlossen". 


378  - 

Für  Ei  le  ist  aber  Helene  noch  mehr  als  ich.  Sie  ist  noch  ungeduldiger ! 

6.  Eine  gute  Kammerjungfer  wird  Ihnen  Helene,  die  Sie  überhaupt 
sehr  liebt,  in  Genf  schaffen.^) 

7.  Daß  Sie  nötig  hätten,  nach  Zürich  zu  gehen,  wegen  des  Übel- 
nehmens der  Freunde,  ist  durchaus  unwahr.  Meine  Geschichte  ist  jeden- 
falls der  beste  Vorwand  für  Sie.  Ich  kenne  keinen,  der  es  Ihnen  übel- 
nehmen könnte,  nicht  nach  Zürich  zu  kommen,  wenn  Sie  schreiben: 
Lassalle  ist  in  Nöten  und  bedarf  meiner. 

8.  Damit  ist  inzwischen  nur  gesagt,  daß  Sie  nicht  nötig  haben,  über 
Zürich  zu  gehen,  noch  nicht,  daß  Sie  es  gerade  absolut  nicht  dürfen, 
wenn  es  Ihnen  selbst  ein  großes  Vergnügen  ist. 

9.  Über  Plan  usw.  kann  ich  ja  noch  nichts  bestimmen  unter  den 
jetzigen  Umständen.  Mein  Platz  ist  zunächst  in  Genf,  wohin  Sie  jeden- 
falls auch  einige  Tage  kommen  müssen,  wenn  Sie  auch  Station  am 
Genfer  See  (Vevey)  nehmen  wollen. 

Wollen  die  Eltern  nicht,  so  beginnt  Helene  mit  dem  acte  respectueux. 
Wird  sie  darauf  gequält  und  sehr  gequält,  so  habe  ich  ihr  tout  bonnement 
gesagt,  daß  sie  das  Haus  verläßt  und  sich  bis  zur  Hochzeit  imter  Ihren 
vSchutz  stellt.  Ich  habe  es  ihr  gestern  abend  erst  vorgeschlagen,  und  sie 
ist  gleich  darauf  eingegangen. 

IG.  Gehen  die  Eltern  darauf  gleich  ein,  so  will  ich  mit  Helene  und 
Madame  Arson  eine  kleine  Schweizerreise  noch  machen,  die  Sie  sehr 
wohl  mitmachen  können  und  mit  großem  Vergnügen  mitmachen  würden 
und  ohne  Schaden,  denn  Sie  brauchten  uns  nur  in  die  Täler,  nicht  auf 
die  Berge  zu  begleiten. 

II.  Das  alles  aber  sind  Nebensachen.  Die  Hauptsache  ist,  daß  ich 
Sie  auf  vier  bis  fünf  Tage  in  Genf  habe,  sobald  es  Ihnen  eben  mit  Rück- 
sicht auf  die  Beendigung  Ihrer  Kur  nur  möglich  ist  —  die  Kur  vor 
allem  — ,  um  mit  Ihnen  vieles,  vieles,  vieles  zu  beraten.  Denn  nur  das 
Wie,  nicht  das  Was  ist  noch  zweifelhaft.  Das  möchte  ich  aber  überaus 
gern  mit  Ihnen  durchsprechen!  Darin  kann  mir  niemand  raten  als  Sie, 
und  diesmal,  wahrhaftig,  braviche  ich  Rat,  der  aber  nur  mündlich  ge- 
geben werden  kann. 

Am  liebsten  möchte  Helene  schon  im  Oktober  als  meine  Frau  mit 
mir  in  Berlin  einziehen.  Und  ich  möchte  es  auch.  Vielleicht  aber  wären 
jetzt  andere  Entschlüsse  indiziert.  Kurz,  kommen  Sie  nach  Ihrem 
letzten  Bade  sofort,  ohne  über  Zürich  zu  gehen,  damit  ich  mit  Ihnen 
berate.  Ihre  Kur  vor  allem.  Aber  wenn  Sie  irgendeinen  andern  Zweck 
als  den  der  Gesundheit  und  irgendeine  andere  Rücksicht  dem  so  dringen- 
den, brennenden  Bedürfnis  vorgehen  lassen  könnten,  das  ich  diesmal 


^)  Dieser  Absatz  fehlt  bei  Becker. 


-"=379  = 

cmptinde,  mit  Ihnen  so  bald  als  möglich  zu  beraten,  so  würde  ich 
Ihnen  das  diesmal  —  serieusement  parle  —  wirklich  auf  das  erstaun- 
lichste et  avec  rancuue  üljelnehmen! 

Ihr 

I'.  L. 

i8i. 

IvASSAlvLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Genf,  4.  August  [1864]. 
Pension  Bovet,  aux  Pacquis  nie  Pacquis  Ko.  27. 

Ich  ^)  kann  nicht  anders,  obgleich  ich  seit  vierundzwanzig  Stunden  da- 
gegen ankämpfe,  aber  ich  muß  mich  ausweinen  an  der  Brust  meines 
besten  und  einzigen  Freundes:  ich  bin  so  unglücklich,  daß  ich  weine, 
seit  fünfzehn  Jahren  zum  erstenmal!  Was  mich  dabei  noch  mehr  zer- 
martert, ist  das  Verbrechen  meiner  Dummheit!  Wie  konnte  ich  so  be- 
schränkt sein,  auf  Helenes  Wunsch  einzugehen,  sie  ihren  Eltern  zurück- 
zulief ern  und  loyal  um  sie  zu  werben.  Ich  hätte  den  Besitzstand  be- 
nützen und  sofort  mit  ihr  entfliehen  sollen!  Jetzt  ist  das  Unglück  da! 
Sie  ist  unter  vollständiger  Sequestration  und  furchtbarster  Mißhand- 
lung! Ich  weiß  noch  nicht,  wie  ich  mich  ihrer  bemächtigen  werde,  ob 
durch  lyist,  durch  Gewalt.  Alles  ist  mir  gleich.  Ich  würde  jedes  Ver- 
brechen ohne  Zaudern  begehen,  das  zum  Ziele  führt.^)  Sie  wissen  nicht, 
was  sie  leidet,  das  edle  Geschöpf!  Ich  fühle  mich  so  steinunglücklich, 
daß  ich  mich  autorisiert  fühle,  Sie  zu  bitten,  bloß  zu  meinem  Tröste 
sofort  herzukommen.  Sie  sind  ja  doch  der  Einzige,  der  weiß,  was  es  heißt, 
wenn  ich  Eiserner  mich  unter  Tränen  winde  wie  ein  Wurm!  Ob  Sie  mir 
werden  helfen  können,  weiß  ich  nicht.  Aber  trösten,  etwas  beruhigen. 
Ich  weiß  zwar  nicht  einmal,  ob  Sie  mich  noch  hier  finden,  und  wenn 
Sie  im  Momente  des  Empfangs  dieses  Briefes  abreisten.  Denn  alle  Tage 
kann  das  Bild  wechseln,  d.  h.  Helene  von  ihrem  Vater,  wozu  er  Dust 
hat,  irgendwohin  fortgeschickt  werden.  Aber  das  ist  doch  nur  eine  sehr 
entfernte  Möglichkeit.  Träte  sie  ein,  so  reise  ich  dann  natürlich  sofort 
ihr  nach,  aber  im  selben  Augenblick  telegraphiere  ich  Ihnen  dann  nicht 
nur  nach  Wildbad,  sondern  Telegraphenbureau  restante  auch  nach 
Basel  und  Bern,  und  lege  hier  noch  in  Genf  poste  restante  einen  Brief 
für  Sie  nieder,  der  Ihnen  besagt,  was  aus  mir  geworden. 

Gehen  Sie  nicht  über  Zürich.  Rüstow  finden  Sie  ohnehin  nicht.  Denn 
ich  habe  ihm  heut  einen  Brief  geschrieben,  auf  den  er  sicher  übermorgen 

^)  Mit  kleinen  Auslassungen  und  Ungenauigkeiten  abgedruckt  bei  Bernhard 
Becker,  S.  44. 

'-)  Dieser  Satz  fehlt  bei  Becker. 


=  38o  - 

hier  eintrifft.  Wohin  bin  ich  gekommen !  Ich,  der  allgemeine  Rater  und 
Helfer  bin  rat-  und  hilflos  und  brauche  andere !  Meine  Dummheit  richtet 
mich  hin !  Der  Gewissensbiß  frißt  mich  auf !  Aber  wenn  ich  mein  Ver- 
brechen nicht  wieder  gut  mache,  koste  es  was  es  wolle  und  um  jeden 
Preis,  so  will  ich  mein  Haupt  scheren  und  Mönch  werden. 
Ach,  Gräfin !  Warum  sind  Sie  nicht  hier. 

F.L. 

P.  S.  Kommen  Sie  noch  nicht.  Alle  Minute  kann  sich  der  Schauplatz 
ändern.  Halten  Sie  sich  nur  bereit,  auf  die  erste  telegraphische  Depesche 
an  den  Ort,  den  ich  Ihnen  bezeichne,  zu  kommen.  — 

Wenn  ich  diese  Sache  nicht  durchsetze  —  und  ich  zweifle  sehr  daran, 
so  bin  ich  für  immer  gebrochen  und  fertig  mit  allem.  Noch  viel  mehr 
vielleicht  als  des  Mädchens  Verlust  zerbricht  mich  meine  Gimpelei. 
Wenn  ich  sie  nicht  durch  Sieg  ausgleichen  kann,  verachte  ich  mich  selbst 
für  immer  auf  das  schnödeste. 


182. 

SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALIvE.  i)  (Original.) 

Wildbad,  5.  August  [1864]. 

Gestern  abend  erhielt  ich  Ihren  Brief,  vor  der  Abreise  nach  Genf  ge- 
schrieben, mit  dem  Ihrer  Braut.  Sie  haben  ganz  recht,  das  Gefühl, 
welches  ihr  eingab,  mir  gleich  zu  schreiben,  war  ein  sehr  gutes  und  rich- 
tiges, das  ich  ganz  richtig  zu  würdigen  verstehe,  und  der  Brief  selbst  ist 
ein  sehr  lieber,  der  allerdings  die  beste  Zuversicht  für  Ihr  künftiges 
Glück  gibt.  Ich  habe  so  lange  in  schlimmen  Jahren  in  Kampf  und  Ge- 
fahren treulich  zu  Ihnen  gestanden  —  wie  Sie  mir  gewiß  das  Zeugnis 
zugestehen  werden,  daß  ich  nie  dem  Appell  gefehlt  habe  — ,  daß  ich  nicht 
erst  Ihnen  zu  sagen  brauche,  wie  ich  im  selben  Grade  mich  tief  innig 
freue,  Sie  glücklich  zu  wissen  imd  meine  herzlichsten  Glückwünsche  Sie 
stets  begleiten  werden,  so  lange  ich  lebe.  Wenn  ich  Ihrer  Braut  nicht 
heute  auch  gleich,  wie  es  mich  drängt,  schreibe,  so  ist  es  nur,  weil  ich 
rasend  abgearbeitet  bin  von  zwar  [von]  den  erbärmlichsten  Kleinigkeiten 
(da  ich  noch  immer  keine  Kammerjungfer  habe),  die  aber  doch  gemacht 
sein  wollen,  und  die  Kur  greift  mich  auch  sehr  an,  und  ich  will  ihr 
wenigstens  zum  erstenmal  ziemlich  anständig  und  ä  tete  reposee  schreiben, 
was  bei  Ihnen  nicht  nötig.  Aber  in  aller  Welt,  wo  nehmen  Sie  denn  den 

^)  Der  Brief  ist  sehr  eilig  geschrieben  imd  der  Stil  wimmelt  —  wie  in  solchen 
Fällen  bei  der  Gräfin  öfter  —  von  Flüchtigkeiten.  Wo  solche  augenscheinlich  zu- 
tage liegen,  wurden  sie  stillschweigend  verbessert. 


38i 

Gedanken  und  die  Furcht  her,  ich  könnte  mich  woUen  in  Ihre  Ehe  ein- 
mischen, Ihre  Frau  influenziercn?  Wie  habe  ich  Ihnen  denn  dazu  Ge- 
legenheit gegeben?  Wie  können  Sie  so  gering  von,  ich  spreche  nicht  vom 
Herzen,  aber  von  meinem  Verstand  denken?  Nichts  liegt  mir  ferner 
als  dieser  Gedanke,  und  es  wird  auch  gewiß  so  bleiben.  Und  dann  woher 
nehmen  Sie  denn  aus  meinen  Briefen,  daß  ich  Iluien  abgeraten,  versucht 
Sie  abzuhalten  ,,wozu  es  jetzt  zu  spät  sei".  Ich  habe  nicht  abgeraten, 
wie  könnte  ich  das?  Ich  kenne  Ihre  Braut  gar  nicht,  habe  also  keine 
Ursache  dazu,  ich  habe  nur  in  der  Art  und  Weise  etwas  Ruhe  und  Über- 
legung geraten,  was  mir  in  den  beiderseitigen  Verhältnissen  zu  liegen 
schien,  worüber  ich  eine  irrige,  aber  gewiß  herzlich  gemeinte  Ansicht 
hätte.  Ich  werde  also,  wie  Sie  es  wünschen,  nach  Genf  kommen,  Sie 
meinten  zwar,  ich  würde  nicht  vor  dem  i8.  hier  abreisen,  so  lange  wird 
es  aber  nicht,  ich  werde  schon  am  i8.,  vielleicht  schon  früher  am  i6.  in 
Genf  sein,  auch  wenn  ich  nach  Zürich  gehe.  Ich  muß  auf  zwei  Tage  hin, 
ich  weiß,  ich  komme  später  nicht  mehr  hin,  und  ich  habe  so  entsetzlich 
wenig  mir  nur  äußerlich  befreundete  Menschen,  daß  ich  diese  wenigen 
doch  nicht  so  absolut  ungezogen  zurückstoßen  muß.  Sie  erwarten  mich 
erst  am  i8.  abzureisen,  und  ich  werde  früher  schon  da  sein,  also  können 
Sie  dagegen  doch  gewiß  nichts  haben.^) 

.  .  .  Nim  das  wird  sich  ja  alles  zur  Zeit  finden.  Nun  leben  Sie  wohl, 
liebes  Kind,  ich  erwarte  mit  großer  Spannung  einen  Brief  aus  Genf, 
wer  weiß,  ob  mich  noch  einer  hier  erreicht,  denn  die  Briefe  gehen  im- 
begreiflich  und  unverschämt  lange  hierher,  sogar  manchmal  laufen  sie, 
Gott  weiß  warum,  über  Stuttgart. 

Ich  bitte  Sie  daher,  gleich  auch  einen  Brief  nach  Basel,  Hotel  Drei 
Könige,  Hotel  restant  zu  schicken,  worin  Sie  mir  auch  sagen,  wohin  in 
Genf  ich  meine  Koffer  adressieren  kann,  welches  Hotel?  Ich  schicke 
die  Koffer  von  hier  nach  Basel,  und  von  dort  will  ich  sie  als  Frachtgut 
direkt  nach  Genf  schicken,  während  ich  zwei  Tage  nach  Zürich  gehe. 
Nun  nochmals  Ivebewohl  und  auf  baldiges  Wiedersehen.  Die  herzlichsten 
Grüße  für  »Sie  und  Ihre  Braut  ganz  vorzüglich.^) 

183. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  IvASSALLE.  (Original.) 

Wildbad,   5.  August  abends  [1864]. 

Ich  weiß  nicht,  woher  es  kommt,  daß  Sie  immer  gleich  gereizt  gegen 
mich  sind,  und  nur  dadurch,  also  aus  einer  Ursache,  die  ich  nicht  weiß, 

^)  Von  hier  ab  sind  anderthalb  Seiten  mit  Tintenstrichen  völlig  unleserlich  ge- 
macht worden. 

-)  Die  Unterschrift  ist  fortgelassen. 


-  382  = 

kann  der  gereizte  Brief  kommen  vom  3.,  den  ich  heute  5.  erhalte.^) 
Meine  Antwort  ist: 

1.  Daß  es  mir  nicht  eingefallen  ist,  wie  Sie  mir  heute  und  gestern 
vorhalten,  Ilinen  in  der  Sache  abzuraten.  Ich  habe  ruhigere  und  vor- 
sichtigere Art  der  Verfolgung  des  Zweckes  angeraten,  sogar  gar  nichts 
anderes  angeraten,  als  aus  dem  ersten  Brief  Ihrer  Braut  selbst,  den  Sie 
mir  geschickt,  hervorgeht.  Denn  sie  sagt,  Sie  wollten  erst  alles  versuchen, 
um  auf  gütliche  ruhige  Weise  die  Einwilligung  der  Eltern  zu  erlangen. 
Dies  schien  mir  auch  besser  imd  nicht  im  Sturmschritt  zu  erreichen. 
Aber  wenn  dies  doch  möglich,  desto  besser,  oder  wenn  sich  die  Ansichten 
Ihrer  Braut  hierüber  geändert,  so  kann  ich  dies  hier  doch  nicht  erraten. 

2.  Zweitens  konnte  ich  ebensowenig  raten,  daß  Helene  großjährig. 
Sie  haben  mir  freilich  nicht  geschrieben,  daß  Helene  entschlossen  sei, 
nicht  gegen  den  Willen  der  Eltern  zu  heiraten.  Sie  schrieben  mir  aber, 
Sie  fürchteten  ihren  unentschlossenen  Charakter  und  daß  ich  Ihre 
späteren  Mitteilungen  für  meinen  früher  geschriebenen  Brief  nicht 
raten  konnte,  ist  doch  auch  nicht  so  ganz  ungeschickt. 

3.  Ist  mir  nicht  eingefallen  zu  sagen,  daß  Sie  Ihren  Heiratsentschluß 
nach  den  Verurteilungen  richten  sollten.  Sie  scheinen  nicht  recht  Zeit 
zu  haben,  meine  Briefe  zu  lesen,  was  ich  ziemlich  natürlich  finde.  Sonst 
würden  Sie  wissen,  daß  ich  für  vernünftig  und  passend  hielt,  bevor  die 
Zeit,  der  Tag  der  Heirat  bestimmt  würde,  Sie  einen  Entschluß  über  Ihr 
Verfahren  diesen  Verurteilungen  gegenüber  gefaßt  hätten.  Ich  meinte, 
daß  es  für  Sie  wie  für  Helene  nicht  zu  empfehlen,  es  darauf  ankommen 
zu  lassen,  wenn  Sie  jetzt  gleich  heiraten  und  zusammen  nach  Berlin 
gehen,  unter  dem  Damoklesschwert  einer  plötzlichen  Verhaftung  zu 
stehen.  Wenn  ich  mich  darin  geirrt,  wenn  meine  Furcht  auch  wirklich 
grundlos,  so  war  der  Rat  doch  aus  bestem  Herzen  gemeint,  und  ich 
kann  auch  noch  nicht  finden,  daß  er  so  ganz  verrückt  sei. 

Ich  wiederhole  hier  nochmals  ausdrücklich,  daß,  sollte  ich  mich 
wirklich  so  ungeschickt  ausgedrückt  haben,  was  ich  zwar  nicht  glaube, 
es  nie  meine  Absicht  gewesen,  Ihnen  irgendwie  abzuraten,  wie  Sie  immer 
wiederholen,  oder  in  meinen  Gedanken  gelegen  hat,  irgend  etwas  in  den 
Weg  zu  legen.  Durch  diese  Redeweise  und  vorgefaßte  Meinung  benehmen 
Sie  mir  alle  nötige  Unbefangenheit,  um  auch  da,  wo  Sie  ihn  verlangen, 
meinen  Rat  auszusprechen. 

In  diesen  letzten  Tagen  muß  sich  also,  Ihrem  Brief  gemäß,  die 
Haltung  der  Eltern  entschieden  haben.  Die  Briefe  gehen  so  langsam, 
meiner  über  drei  Tage,  und  so  unregelmäßig  hierher,  daß  ich  auf  keine 
Antwort  auf  diesen  mehr  hier  rechnen  kann.  Ich  wiederhole  also  mein 
Ersuchen  von  gestern,  mir  sofort  nach  Basel,  Hotel  Drei  Könige,  zir  ant- 

^)  Siehe  oben  Nr.  180. 


383  = 

Worten,  wo  ich  Sie  in  Genf  treffe  und  wohin  ich  dort  meine  Koffer  von 
Basel  schicken  kann.  Ich  rechne  sicher  darauf,  den  Brief  in  Basel  zu 
finden.  Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  herzlichste  Grüße  an  beide  und 
Sans  rancunc  wegen  Ihrer  Ungerechtigkeit.^) 

184. 
SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  IvASSALLE.^)  (Original.) 

Wildbad,   7.  [August   1864]. 

Soeben  Ihren  Brief  erhalten,  bin  tief  gerührt  und  entrüstet,  aber  wie 
verlieren  Sie  gleich  den  Kopf !  Eltern  können  sehr  unangenehmen  Eklat 
nötig  machen,  kurze  Zeit  hinhalten,  garnichts  verhindern.  Sequestrieren 
darf  man  heutzutage  nicht  mehr,  und  man  verliert  sich  auch  nicht  auf 
lange  wie  eine  Stecknadel.  Es  wäre  allerdings  besser,  die  Eltern  einige 
Tage  einzuschläfern,  damit  sie  Helene  nicht  wegbringen,  was  immer 
Schwierigkeiten,  wenn  auch  keine  erhebliche,  macht.  Ich  bin  am  10. 
oder  II.  da,  und  solche  Dinge  sind  mein  Fach,  darauf  verstehe  ich  mich 
und  habe  auch  weit  leichteres  Spiel  als  Sie,  Verbindungen  anzuknüpfen, 
und  Helene  müßte  wirklich  zu  einfältig  sein,  wenn  sie  nicht  in  kurzer 
Zeit  Nachricht  herausbringen  könnte,  vorzüglich,  wenn  ich  ihr  von 
draußen  Gelegenheit  biete.  Also  ich  bitte  Sie  dringend,  keinen  Eklat, 
bis  ich  da.  Helene  müßte  doch  auch  gar  zu  energielos  sein,  wenn  sie  sich 
wegbringen  ließe.  Sie  braucht  dem  sogar  nur  völlige  Inertie  der  Ver- 
neinung entgegenzusetzen,  keinen  Streit,  nur  es  nicht  tun.  Sie  ist  groß- 
jährig und  kann  nicht  gezwungen  werden.  Sie  braucht  bloß  eine  Voll- 
macht heraus  zu  besorgen  für  die  sommations  respectueuses  (warum 
ließen  Sie  sich  diese  nicht  im  voraus  geben?)  und  das  Gesetz  muß  sie 
schützen,  daß  sie  weder  mißhandelt  noch  entführt  werde  bis  zu  ab- 
gemachter Sache.  Wollen  die  Eltern  durchaus  einen  Eklat,  nun,  so  sollen 
sie  ihn  haben.  Das  einzige,  was  für  mich  Wert  hat,  ist  die  Frage:  wird 
Helene  innerlich  fest  bleiben  und  tun,  was  man  ihr  sagt?  Davon  hängt 
alles  allein  ab.  Bleibt  sie  fest,  ist  nichts  verloren.  Bleibt  sie  es  nicht,  nun 
dann,  liebes  Kind,  so  begreife  ich  und  teile  [ich]  Ihren  Schmerz,  der  aber 
dann  nur  auch  ein  Schmerz  der  Täuschung  ist,  denn  dann  war  sie  Ihrer 
nicht  würdig. 

In  größter  Eile.  Nur  Ruhe  und  Geduld !  Stehen  Sie  für  Helene,  dann 
stehe  ich  für  den  Erfolg. 

Am  10.  oder  11.,  ich  packe  sofort,  kann  aber  früher  unmöglich.^) 

^)  Ohne  Unterschrift. 

2)  Aus  diesem  Briefe  entnimmt  Becker  nur  drei  Sätze  und  auch  diese  fälscht 
er  um. 

3)  Ohne  Unterschrift. 


-  -  384  — - 

i85. 
IvASSAIvIyE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

Genf,  7.  August  1864. 

vSie  vous  pouvez  quelque  chose  alors  venez  plus  tot.  Ne  perdez  pas 
mi  moment.  Car  le  14  il  f  ant  que  je  sois  dans  la  raeme  affaire  ä  Carlsruhe. 

Ferdinand. 

186. 

vSOPHlE  VON  HATZFEIvDT  AN  IvASSAI^IvE.  (Depesche,  Original.) 

Wildbad,  7.  August   1864. 

Tranquillite.  Nous  reussirons,  j'en  suis  süre.  Dix  ou  onze  je  suis  ä 
Geneve.  Sophie. 

187. 
IvASSALTvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEI.DT.  (Depesche,  Original.) 

Genf,  S.August   1864. 

Restez.  Le  13  vous  serez  ä  Carlsruhe,  Erbprinz  oü  je  suis  ou  arriverai 
le  14.  Absolument  necessaire.  Ferdinand. 

188. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASS  ALLE.  (Depesche,  Original. 

Wildbad,  8.  August   1864. 

Impossible  avant  le  onze,  voyage  deux  jours.  Si  partez  le  treize  ne 
me  f  altes  pas  venir  inutilement  ä  Geneve.  Reponse  ici  et  le  dix  ä  Bäle; 
oü  est  Rüstow  j'en  suis  inquiete. 

Sophie. 

189. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Wildbad,  S.August  1864. 

Liebes  Kind,  ich  schicke  Ihnen  hierbei  einen  Brief  für  Helene;  ich 
hoffe,  Sie  werden  mit  dem  Inhalt,  der  mir  ganz  gemeint  [sie!],  zufrieden 
sein  und  mir  nicht  wieder  Absichten  unterstellen  noch  Befürchtungen 
haben,  die  ganz  unbegründet  sind  und  die  nur  das  nicht  gute  Resultat 


== ^  385    ================ 

haben  köniicu,  die  kleine  Befangenheit,  die  (ohnehin  sehr  natürh'ch,  zu 
steigern.  Ich  envarte  also  in  Basel,  Hotel  Drei  Könige,  einen  Brief  mit 
der  geforderten  Auskunft.  Ich  weiß  noch  nicht  den  bestimmten  Tag 
meiner  Abreise,  aber  es  wird  doch  sehr  bald  sein,  vielleicht  schon  am 
IG.  bis  II.,  daher  schreiben  Sie  gleich  nach  Basel.  vSie  wissen,  liebes 
Kind,  daß,  als  Sie  früher  bestimmte  Reisepläne  von  mir  forderten,  ich 
es  Ihnen  überHeß,  mit  der  alleinigen  Ausnahme  von  Bergreisen,  die 
Sie  daim  auch  vor  meiner  Ankunft  machen  wollten.  Daß  alle  Projekte 
geändert,  ist  nicht  mehr  wie  natürlich  und  nötig,  aber  Bergreisen  kann 
ich  nicht  machen.  Auch  um  Sie,  wie  Sie  sagen,  immer  in  den  Tälern  zu 
erwarten,  müßte  ich,  um  in  solche  Täler  zu  kommen,  stets  über  Berge ; 
und  weder  meine  Beine  noch  Nerven  leiden  dies  mehr. 

Leben  Sie  recht  wohl,  liebes  Kind !  Auf  baldiges  und  recht  glück- 
liches Wiedersehen.^) 

190. 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original,  Depesche.) 

Genf,  9.  August  1864. 
[nach  Karlsruhe] 

R[  üstow]  doit  rester  ici.  Suivez  mon  ordre.  Desespere. 

Ferdinand. 

191. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSADDE.  (Original.) 

Karlsruhe,    10.  August   1864. 

Die  Sache  hat  sich  sehr  fatal  und  traurig  gestaltet,  macht  sehr  un- 
angenehme Schritte  nötig,  die  besser  vermieden  wären,  tmd  Verzöge- 
rungen sind  vorauszusehen.  Ich  nehme  gewiß  den  innigsten  Anteil 
daran ;  aber  wie  das  Resultat  dadurch  definitiv  kompromittiert  werden 
kaim,  wenn  Helene  fest  bleibt,  ist  mir  ein  Rätsel.  Man  sequestriert  heut- 
zutage nicht  lange  eine  Tochter,  man  zwingt  sie  auch  nicht,  jemand  zu 
heiraten,  den  sie  nicht  will,  und  was  das  Mißhandeln  nun  gar  anbelangt, 
so  bin  ich  doch  der  beste  juge  darin,  was  in  der  Art  tunlich  und  habe 
es  hundertfach  stärker  und  länger  wie  es  hier  möglich  ausgehalten,  ohne 
wankend  zu  werden.  Darauf,  auf  Helenes  Festigkeit,  kommt  schließlich 
allein  alles  an. 

Es  ist  drei  Uhr  nachts.  Mein  Geburtstag,  diesmal  ein  recht  sehr 
trauriger  Tag  ist  angebrochen. 

1)  Ohne  Unterschrift. 

Mayer,   Lassalle-NachUss.     IV  25 


386    = =rz 

Ivcben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  bin  so  abgequält  von  der  Unsicher- 
heit über  alles,  in  der  Sie  mich  lassen,  daß  ich  fürchte,  ich  lege  mich 
hin  und  sterbe  gleich. 

Auch  wegen  Zimmer  hier  müssen  Sie  telegraphieren,  sonst  bekommen 
Sie  keine,  und  ich  weiß  ja  nicht  was,  noch  wann  ich  bestellen  soll. 

lo.  August  1864.  9  Uhr 

Ich  stehe  nur  auf,  um  diesen  Brief  und  einen  an  Rüstow  zu  expe- 
dieren und  muß  gleich  wieder  zu  Bett,  ich  bin  wie  gelähmt  und  habe 
diesen  Morgen  Blut  gespuckt,  was  mir  wie  lange  nicht  passiert.  Ich 
habe  die  beiden  Kuren  in  Ems,  vorzüglich  in  Wildbad,  zu  schnell 
forciert  gebraucht,  ich  wollte  gern  schnell  fertig  sein  luid  nun  die  Un- 
ruhe, Sorge  um  Sie  über  das,  was  mit  Ihnen  vorgeht.  Ungewißheiten 
sind  wie  Gift  für  mich.  lyänger  wie  Donnerstag  kann  ich  es  hier  um- 
sonst nicht  aushalten. 

Daß  Rüstow,  wenn  Sie  nicht  können,  sofort  schreibt  und  tele- 
graphiert. Adieu,  liebes  Kind,  ich  habe  guten  Mut  und  Ahmmgen  für 
Sie,  für  mich  desto  schlechtere. 

Ach  Gott,  warum  zwingen  Sie  mich  hierzubleiben,  es  wäre  gewiß 
besser,  ich  wäre  bei  Ihnen. 

192. 
SOPHIE  VON  HATZFElyDT  AN  I.ASSAI.IvE.  (Original.) 

Karlsruhe,    12.  August  [1864]. 

lyiebes  Kind,  daß  Sie  mir  in  acht  Tagen,  wo  Sie  mich  in  der  töd- 
lichsten Angst  wissen  mußten,  nur  ganz  unverständliche  Depeschen 
geschickt,  daß  Sie,  Rüstow  und  gewiß  haben  Sie  Becker^)  auch,  zu  drei 
nicht  fünf  Minuten  Zeit  finden  konnten,  mich  durch  einen  Brief  von 
zehn  Zeilen  zu  benachrichtigen  und  zu  beruhigen,  daß  Rüstow  mir  [sie!] 
ebenfalls  auf  die  wiederholtesten  Briefe  keine  Silbe  hören  ließ,  war 
nicht  recht  und  hat  mich,  da  die  Ungewißheit  das  einzige  ist,  was  ich 
nicht  zu  ertragen  vermag,  fast  verrückt  gemacht.  Das  ist  nun  vorbei, 
und  ich  habe  mich  ergeben  in  [das,]  was  ich  nicht  ändern  kann.  Ich 
weiß  also  nun  zwar  gar  nicht,  in  welcher  Lage  Sie  sind,  allein  nach  dem, 
was  ich  mir  darüber  denke,  ist  meine  Ansicht,  daß  Sie  persönlich  in 
Genf  nichts  mehr  ausrichten,  daß  es  dort  nur  mit  List  noch  gelingen 
kann;  aber  so  lange  Sie  da,  wird  die  Wachsamkeit  nicht  nachlassen,  und 

^)  Johann  Philipp  Becker  (1809 — 1886),  der  alte  Revolutionär  und  Befehlshaber 
im  Badischen  Aufstand,  lebte  seither  in  Genf  als  Mittelpunkt  der  sozialistisch 
gesinnten  Deutschen  in  der  französischen  Schweiz. 


— —  387  - 

mit  Gewalt  glaube  ich  nicht,  daß  man  jetzt  gleich  zum  Ziel  kommt. 
Ich  bilde  mir  ein,  daß  ich  das  jetzt  dort  am  besten  machen  könnte ;  ich 
habe  ja  früher  Proben  abgelegt,  daß  ich  in  dergleichen  Sachen  geschickt 
bin,  mich  nicht  fürchte,  und  daß  es  mir  für  Sie  an  gutem  Willen  nicht 
fehlen  wird,  das  wissen  Sie  doch  auch.  Man  kennt  mich  nicht  in  Genf, 
ist  also  nicht  gleich  aufmerksam,  und  man  wird  sich  auch  gegen  mich 
bedenken,  Mittel  anzuwenden,  die  man  bei  Ihnen  nicht  scheuen  würde. 
Sie  haben  nicht  einmal  einen  Paß,  und  ich  habe  einen,  den  man  respek- 
tieren muß  für  alle  Leute,  die  mit  mir  sind.  Überdies  sind  ja  Rüstow 
und  Becker  da,  um  zu  beobachten  und  zu  folgen,  wenn  nötig.  Sind 
Sie  meiner  Meinung,  daß  ich  nützlich  sein  kann,  so  telegraphieren  Sie 
sofort  und  sagen  mir,  ob  ich  direkt  nach  Genf  komme  oder  ob  Sie  mich 
besser,  um  alles  Aufsehen  zu  vermeiden,  in  der  Eisenbahnstation  vor 
Genf  sprechen  wollen. 

Die  Eisenbahnzüge  von  hier  nach  Genf  gehen  so,  daß  ich  um  3  Uhr 
morgens  von  hier  abfahre,  bin  den  Abend  6V/2  in  Genf,  sonst  muß 
man  zwei  Tage  haben.  Hier  bin  ich  ja  zu  gar  nichts  gut,  als  mich  krank 
zu  ängstigen,  was  niemand  etwas  hilft. 

Ich  erwarte  Ihre  Entscheidung  hier  darüber.  Wenn  Sie  wirklich 
am  14.  kommen,  was  ich  jetzt  bezweifle,  oder  daß  ich  irgend  hier  etw^as 
tun  kann,  so  bin  ich  natürlich  ganz  bereit  zu  allem.  Ist  das  aber  nicht 
der  Fall,  ist  hier  nichts  zu  tun  und  Sie  wünschen  vielleicht  aus  Gründen, 
die  ich  nicht  weiß,  daß  ich  nicht  nach  Genf  komme,  so  möchte  ich  nach 
Zürich  gehen,  wo  ich  Ihnen  auch  näher  und  schneller  da  sein  könnte, 
wenn  Sie  mich  brauchen  sollten  und  nicht  so  allein  wie  hier  bin.  — ^) 


193- 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

Nyon,   13.  August  1864. 

Arriverai  dimanche  midi.  Retenez  chambre.  Tächez  savoir  hötel  de 
Bülow  et  Hofstetten  demain  Carlsruhe. 

Ferdinand. 2) 


1)  Ohne  Unterschrift. 

*)  Lassalle  traf  am  14.  August  in  Karlsruhe  ein.  Am  9.  hatte  er  von  Genf  aus  an 
Hans  von  Bülow  nach  Berlin  telegraphiert:  ,,Ich  komme  den  14.  nach  Karlsruhe, 
Erbprinz,  nur  um  Sie  zu  sprechen.  Habe  absoluten  Freundschaftsdienst  zu  erbitten. 
Ihre  Nichtanwesenheit  wäre  furchtbar.  Existenzfrage.  Rechne  auf  Ihre  Liebe. 
Telegraphische  Antwort  Genf,  Pension  Bovet."  Unbekannte  Briefe  Lassalles  an 
Bülow  und  Biilows  an  Lassalle,  die  die  Intimität  ihrer  Freundschaft  beleuchten, 
werden  in  Band  V  abgedruckt  werden. 


-  388  ^  

194. 
SOPHIE  VON  HATZFEI.DT  AN  LASSALLE.  (Original.) 


[Mainz],   16.  August  abends. 

Ich  bin  um  3^/3  Uhr  angekommen  und  um  5  Uhr  fuhr  ich  gerades- 
wegs  zum  beabsichtigten  Besuch^)  und  wurde  sogleich  mit  empressement 
vorgelassen  und  brachte  2^/3  Stunden  dort  zu.  Ich  gebe  hier  Bericht 
über  den  Verlauf .  Erreicht  Positives  habe  ich  nichts,  das  war  auch 
durch  mich  in  diesem  speziellen  Falle,  wie  mir  mein  Gefühl  sehr  richtig 
sagte,  unmöglich.  Ich  bin  Katholikin,  und  er  konnte  sich  gegen 
mich,  die  in  den  Schoß  der  Kirche  zurückzuführen  sein  erstes  Bestreben 
sein  mußte  (und  dies  war  auch  der  Gedanke,  der  sogleich  in  ihm  auf- 
stieg, wie  es  sich  deutlich  im  Gespräch  zeigte),  nicht  soviel  vergeben, 
daß  er  mir  blicken  ließ,  daß  rein  äußerliche  Formen  ihm  genügen,  daß 
weltliche  Rücksichten  und  Vorteile  ihn  bestimmen  könnten.  Außerdem 
hat  er  mir  den  Eindruck  gemacht,  als  wenn  dies  wenigstens  zu  drei- 
viertel seine  wirkliche  Überzeugung  sei.  Unter  diesen  Umständen 
konnte  er  ein  Versprechen  irgendeiner  Art  nicht  geben,  aber 
einen  günstigen  Eindruck  habe  ich  jedenfalls  gefunden  und  der  Boden 
war  auch  im  voraus  eher  günstig  gestimmt;  was  daraus  im  stillen 
erwachsen  kaim,  das  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen.  Ich  habe  in  ihm 
einen  sehr  gescheiten  Menschen  mit  dem  feinsten  Takt  für  das  seiner 
Stellung  Angemessene  und  feiner  Beurteilung  gefunden.  Auf  mein  wieder- 
holtes Drängen  nach  allen  Seiten  hin  sagte  er  mir:  ,,Ich  nehme  ein  leb- 
haftes Interesse  an  I^assalle,  an  seinem  ernsten  imd  wahren  wissen- 
schaftlichen Streben,  ich  habe  sehr  viel  ^'on  ihm  gelernt,  ich  billige 
seine  sozialen  Bestrebungen,  sein  Wirken  durchaus.  Wenn  ich  etwas 
für  ihn  tun  könnte,  würde  ich  es  gern  tun,  um  einen  der  Sache  so 
imentbehrlichen  Maim  zu  erhalten.  Denn  wenn  ich  an  die  Realisienmg 
seiner  Ideen  auf  dem  Wege  nicht  glaube,  weil,  wie  es  sich  jetzt  an 
Lassalle  selbst  so  wmiderbar  zeigt,  jedes  Prinzip,  imd  sei  es  mit  noch 
so  eminenten  P'ähigkeiten  vertreten,  wenn  es  der  allein  unwandel- 
baren Basis  der  Religion  entbehre,  nicht  stichhielte,  wenn  der  Sturm 
der  Leidenschaft  darüber  wehte,  so  habe  Lassalle  die  wichtige  Auf- 
gabe, die  Irrtümer  tmd  Lügen  auszurotten,  mit  hohem  Verdienst  und 


^)  Die  Gräfin  schildert  hier  ihren  Besuch  beim  Bischof  von  Mainz.  Wilhehn 
Emanuel  von  Ketteier  (1811 — 1877)  hatte,  wie  auch  sein  Buch:  Die  Arbeiter- 
frage und  das  Christentum  (Mainz  1864)  bewies,  von  Lassalles  sozialen  Gedanken 
einen  starken  Eindruck  erhalten.  Vgl.  Oncken  a.  a.  O.,  S.  456  ff. 


=  380  . 

Erfolg  bis  jetzt  verfolgt,  und  er  müsse  ihr  n halten  Ijleiben.  Kr  Irug 
mich,  wie  denn  überhaupt,  in  welcher  Form  die  Kirche  eingreifen 
könne;  er  sagte  auf  meine  verschiedenen  Einwürfe:  ,,Ja,  wenn  das 
Mädchen  Katholikin  ist,  sich  selbst  an  die  Kirche  wendete  um  Schutz, 
um  Erhaltung-  der  Heiligkeit  des  vSakramentes,  das  seine  wahre  Weihe 
nur  durch  die  innere  Übereinstimmung  der  Seelen  (d.  h.  natürlich  zur 
Ehre  Gottes)  erhielte,  um  Rettung  ihres  durch  die  aufgezwimgene  Lage 
gefährdeten  Seelenheils,  dann  vielleicht  wäre  es  möglich;  aber  Lassalle 
sei  noch  nicht  übergetreten  und  erkläre  diesen  Übertritt  offen- 
bar jetzt  nur  aus  dem  Stürmen  und  zur  Befriedigung  der  Leiden- 
schaft. Er  billigte  übrigens  den  Schritt,  nach  München  zu  gehen  und 
in  loyalerWeise  sein  Recht  zu  suchen,  durchaus,  sprach  wiederholt  seine 
Freude  über  das  bis  jetzt  verfolgte  Verfahren  von  Lassalle  aus, 
da  er  sich  wirklich  für  ihn  interessierte,  da  es  das  einzige  für  ihn  und 
seine  Stellung  Passende.  Er  konnte  auch  nicht  begreifen,  wie  ich  die 
Sache  so  schwarz  ansähe.  Das  Betragen  des  Vaters  sei  sehr  tadebiswert, 
kömie  aber  nicht  von  Dauer  sein  und  mit  Ruhe  und  Ausdauer  das  Ziel 
wohl  zu  erreichen. 

Ich  hätte  so  gern  etwas  Bestimmteres  gemeldet.  Ich  reise  morgen 
früh  nach  Bern,  treffe  morgen  abend,  wie  man  mir  sagt,  um 
II  Uhr  dort  ein,  dort  ist  ein  weit  möglicheres  Feld  der  Aktion  für 
mich. 

Leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  bin  innerlich  wie  äußerlich  halb 
tot.  Immer  steht  Ihr  Gesicht,  wie  ich  es  aus  dem  Waggon  sah,  vor  mir. 
Wenn  Sie  mJch  hart  gegen  Sie  gefunden,  so  glauben  Sie  mir,  mein  Herz 
blutete  dabei  vielleicht  noch  trostloser  als  das  Ihrige.  Ich  kann  sagen, 
daß  ich  für  Sie  das  Gefühl  habe,  als  wenn  Sie  mit  einem  materiellen 
Band  an  mein  innerstes  Sein  gebunden  wären,  das  durchgeschnitten 
die  Verblutung  herbeiführen  muß.  — 


II.i) 

Mainz,   i6.  Aiigiist   1864. 

Liebes  Kind,  ich  bin  um  31/2  Uhr  hier  angekommen  und  um  5I/2  Uhr 
fuhr  ich  zum  beabsichtigten  Besuch,  wurde  sogleich  vorgelassen  und 
brachte  lange  Zeit  dort  zu.  Ich  gebe  hier  Bericht  über  den  Sachverhalt. 
Positives  in  Ihrem  Sinn  habe  ich  leider  nicht  erreichen  können, 
aber  ich  hielt  dies  ja,  wie  ich  es  Ihnen  im  voraus  sagte,  auch  nicht  für 

^)  Schwerlich  Konzept  von  Nr.  194I;  vielleicht  spätere  Redaktion  für  den  Druck, 
da  mit  stilistischen  .Änderungen  von  der  Hand  Wilhelm  I^iebknechts.  Mit  Aus- 
lassungen gedruckt  bei  B.  Becker,  S.  5 59 f. 


=—  =  390  -^  -  

gut  möglich.  Der  Eindruck  indessen,  den  mir  die  Unterredung  machte, 
war  ein  höchst  günstiger,  sogar  sehr  wohltuender.  Ich  habe  einen 
Mann  von  hohem  Verstand  und  feinstem  Urteil  gefunden,  aber  noch 
weit  mehr  als  das,  einen  Manu,  der,  ohne  jemals  im  allergeringsten  von 
dem  seinem  Beruf,  seiner  Stellung  Angemessenen  abzuweichen,  ganz 
frei  ist  von  jener  Scheinheiligkeit,  die  immer  nur  richten  will  und 
so  abschreckend  wirkt.  Er  hat  das  Verständnis  menschlicher  Schwächen, 
Wohlwollen  und  Milde,  und  ich  glaube,  daß  man  in  ihm  immer  weit 
mehr  den  Tröster  als  den  Richter  finden  würde.  Daß  er  ohne  Vor- 
urteile ist,  bewies  mir  die  richtige  Beurteilung  und  Anerkennung, 
die  er  für  Sie  hat,  und  insoweit  fand  ich  den  Boden  für  meine  Be- 
strebmigen  günstig. 

Ich  will  Ihnen  nun,  zwar  zusammenhanglos  —  bei  der  mir  so  kurz 
zugemessenen  Zeit  —  einige  Details  mitteilen,  die,  wenn  auch  viel- 
leicht nicht  immer  ganz  streng  wörtlich  wiedergegeben,  doch 
überall  streng  den  Sinn  beibehalten. 

Ich  fing  also  damit  an,  Ihren  Auftrag  in  Ihren  eignen  Worten 
auszurichten  und  ich  erhielt  die  Antwort:  daß  diese  Worte  so  sehr 
Ihrer  streng  konsequenten  Deukungsart  entsprächen,  daß  Sie  sie  ge- 
sprochen haben  müßten.  Daß  Ihr  angekündigter  Entschluß  auf  rein 
formalen  und  äußerlichen  Gründen  beruhe,  konnte  ihm  natürlich  nicht 
einen  Augenblick  zweifelhaft  sein,  und  ich  war  ihm  wie  Ihnen  die  Wahr- 
heit schuldig  und  bestritt  dies  in  keiner  Weise.  Ich  setzte  ihm  nun  die 
Sachlage  und  um  was  es  sich  jetzt  handle,  auseinander,  imd  nach  langen 
bittenden  Vorstellungen  meinerseits  —  denn  ich  sprach,  wie  Sie  denken 
können,  mit  meinem  ganzen  Herzen  —  und  nach  Anfragen  seinerseits,  in 
welcher  Form  ich  mir  ein  Eingreifen  möglich  dächte,  sagte  er:  ,,Ja, 
wenn  das  Mädchen  Katholikin  ist  (worüber  ich  keine  Auskimft  geben 
konnte),  sich  selbst  an  die  Kirche  wendete  um  Schutz,  um  Erhaltung 
der  Heiligkeit  des  Sakramentes,  zu  dessen  wahrer  Weihe  die  innere  Über- 
einstimmung der  Seelen  erforderlich  ist,  um  Rettimg  ihres  durch  diese 
aufgezwungene  Ivage  gefährdeten  Seelenheiles,  dann  würde  eine  Ein- 
mischiuig  vielleicht  gerechtfertigt  sein."  Was  Ihre  Person  anbeträfe, 
sagte  er,  so  wären  Sie  ja  noch  nicht  katholisch.  Über  Sie  äußerte  er 
sich  in  anerkennender  und  wohlwollender  Weise.  Er  habe  viel  von  Ihnen 
gelernt  und  nähme  ein  lebhaftes  Interesse  an  Ihrem  ernsten,  wahren, 
wissenschaftlichen  Streben,  billige  Ihre  sozialen  Bestrebungen,  Ihr 
Wirken,  und  wenn  er  an  die  Möglichkeit  der  ,, Realisierimg  Ihrer  Idee 
auf  dem  eingeschlagenen  Wege  zw  cifle,  so  sei  es  nur,  weil  —  wie  es  sich 
jetzt  an  Ihnen  selbst  so  wunderbar  zeige"  ^)  — jedes  Prinzip,  und  sei  es 

Von  ,,wie"  bis  , .zeige"  ist  im  Original  durchstrichen. 


—  391  ======^ 

noch  so  richtig  und  von  den  cniincntc-stcn  Fähigkeiten  vertreten,  wenn 
es  der  allein  unwandelbaren  Basis  entbehre,  nicht  standhielte,  so- 
bald der  Sturm  der  Leidenschaft  darüber  hinweht.  Jedenfalls  aber  hätten 
Sie  die  sosehr  wichtige  Aufgabe,  Irrtümer  und  Lüge  aufzudecken  und 
auszurotten,  mit  hohem  Verdienst  und  Erfolg  bis  jetzt  gelöst  und  müßten 
dem  ferner  erhalten  bleiben.  Wenn  er  etwas  für  Sie  tun  könnte,  würde 
er  es  gern  tun,  um  einen  der  Sache  so  unentbehrlichen  Mann  zu  er- 
halten. Ich  schilderte  ihm  das  Benehmen  des  Mädchens  gegen  Sie,  wo- 
nach es  unmöglich  sei,  anzunehmen,  daß  sie  nicht  jetzt  unter  dem 
stärksten  Zwang  stehen  müsse,  Ihr  so  rücksichtsvolles  und  ehrenhaftes 
Benehmen  gegen  Helene,  die  Art,  wie  Sie  selbst  sie  der  Familie  zurück- 
gegeben, das  völlig  unerklärliche  und  von  vornherein  beleidigende  Be- 
tragen der  Familie  Dönniges,  die  Ihnen  doch  zur  wärmsten  Dankbarkeit 
verpflichtet  sei.  Er  freute  sich  über  Ihr  durchaus  ehrenhaftes  Ver- 
fahren. Sie  dürften  es  niemals  bereuen,  es  sei,  wenn  es  Ihnen  auch  bis 
jetzt  Schaden  gebracht,  das  einzig  für  Sie  Passende  gewesen,  und  er 
billigte  Ihren  Plan,  in  der  angegebenen  loyalen  Weise  in  München  Ihr 
Recht  zu  suchen.  Da  ich  sehr  aufgeregt  war  und  unter  immer  wieder 
hervorströmenden  Tränen  sprach,  so  äußerte  er  mir,  er  könne  nicht  be- 
greifen, warum  ich  die  Sache  so  schwarz  ansähe,  das  Betragen  des  Vaters 
sei  höchst  tadelnswert,  könne  aber  nicht  von  Dauer  sein;  und  mit 
Ruhe  und  Ausdauer  sei  das  Ziel  wohl  zu  erreichen. 

Ich  hätte  Ihnen  so  gern  etwas  recht  Gutes  gemeldet,  aber  Sie 
sehen,  war  auch  die  Aufnahme  wie  der  Willen  nicht  ungünstig,  so 
waren  doch  die  in  der  Sache  selbst  liegenden  Schwierigkeiten  zu 
groß. 

Ich  reise  morgen  früh  nach  Bern,  wo  ich  abends  eintreffe,  gehe 
gleich  nach  Wabern  zu  Madame  Arson  und  Madame  Lesley,  ziehe  dort 
alle  nötigen  Erkundigungen  ein,  vorzüglich  über  die  Briefe,  die  von 
Helene  dort  angekommen  sein  sollen,  und  werde  alles  aufbieten,  Madame 
Arson  zu  bewegen,  daß  sie  mit  mir  nach  Genf  reist,  um  mir  behilflich 
zu  sein,  Helene  zu  sprechen,  und  hoffe  endhch  zuverlässige  Kundschaft 
aus  der  streng  abgeschlossenen  Festung  zu  erlangen. 

Nun  leben  Sie  wohl,  mein  liebes,  gutes  Kind,  ich  bin  innerlich  wie 
äußerlich  halb  tot.  Immer  steht  Ihr  Gesicht,  wie  ich  es  noch  aus  dem 
Waggon  sah,  vor  mir.  Wenn  Sie  mich  hart  in  meinen  Ermalmungen 
gefunden  haben,  so  glauben  Sie  mir  sicher,  daß  mein  Herz  dabei  weit 
trostloser  geblutet  hat  als  das  Ihrige.  Ich  kann  sagen,  daß  ich  für  Sie 
das  Gefühl  habe,  als  wären  Sie  mit  einem  materiellen  Band  an  mein 
innerstes  Sein  gebunden,  das  zerschnitten  die  völlige  Verblutung  für 
mich  zur  Folge  haben  müßte. 


=  392  = 

195- 
IvASSAlvI^E  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Original.) 

München,   i8.  August  [1864]. 

Gräfin!^)  Kein  Verdammter  in  so  entsetzlicher  Höllenpein!!!  Ihren 
Brief  erhalten.  — 

1.  Hier  bei  Wagner^)  gewesen.  König  in  Hohenschwangau !  Wagner 
reist  ohnehin  Dienstag  zu  ihm.  Hat  versprochen,  mit  ihm,  je  nach  dem 
Ausfall  einer  Erkimdigung,  die  er  im  Interesse  seiner  eigenen  Stellimg 
einziehen  muß,  [mit  ihm]  zu  sprechen,  und  wenn  er  überhaupt  mit  ihm 
spricht,  d.  h.  wenn  es  ihm  das  Resultat  dieser  Erkundigung  erlaubt,  mit 
aller  Energie  zu  sprechen. 

Aber  wie  Sie  sehen,  ganz  ungewiß. 

2.  Auch  nach  bayerischem  Gesetz  ist  sie  mit  21  Jahren  majorenn. 
Gleichwohl  ist  auch  dann  doch,  da  sie  nicht  emanzipiert  ist,  Einwilligung 
des  Vaters  nötig,  die  aber,  wenn  verweigert,  durch  die  Gerichte  erteilt 
werden  kann  und  wie  mir  Dr.  Hänle^)  sagt,  auch  erteilt  werden  würde. 
Hänle  nimmt  sich  meiner  Sache  mit  aller  Energie  an.  Er  will  die  Klage 
auf  Einwilligung  in  meinem  Namen  anstellen,  macht  sich  zwar  keine 
Illusion,  daß  auf  dem  Rechtsweg  nichts  praktisch  zu  erreichen  sei,  meint 
aber  auch  den  Vater  durch  Furcht  vor  dem  Skandal  einzuschüchtern, 
will  ihm  (sie  kennen  sich,  ohne  sich  leiden  zu  können,  innerlich  doch  ganz 
gut)  einen  Brief  schreiben,  worin  er  ihm  dies  alles  vorstellt  usw. 

3.  Ich  komme  soeben  vom  Minister  des  Auswärtigen  zurück,  Baron 
von  Schrenck,*)  mit  dem  ich  eine  fast  zweistündige  Unterredung  gehabt. 
Der  einzige  schwache,  schwache  Lichtstrahl!  Ich  fand  den  Mann  merk- 
würdig günstig  für  mich.  Es  schmeichelte  und  interessierte  ihn  offenbar, 
mit  mir  zu  tun  zu  haben.  Er  verwickelte  mich  in  ein  politisches  Gespräch 
über  die  gesamte  Situation,  auf  das  ich  mich  einlassen  mußte,  um  ihm 
zu  imponieren.  Er  war,  wie  gesagt,  ganz  auf  meiner  Seite.  Er  ging  z.  B.  so 
weit  zu  sagen :  Ich  würde  Ihnen  tmter  solchen  Umständen  meine  Tochter 
nicht  verweigern,  obgleich  ich  begreife,  daß  es  nicht  angenehm  ist  und 

^)  Mit  sehr  bedeutenden  Auslassungen  gedruckt  bei  Becker,  S.62f.  Es  fehlen 
dort  besonders  der  Abschnitt  über  Richard  Wagner  und  die  politischen  Ausfüh- 
rungen des  Ministers  (von  ,,Der  einzige  schwache"  bis  ,, einzuleuchten  schien"). 

2)  Zu  Richard  Wagner  hatte  Hans  von  Bülow  L,assalle  den  Weg  geebnet. 
Er  , .mißfiel"  Wagner  ,, innigst". 

^)  Der  Advokat  Dr.  Hänle  wurde  von  dem  Minister  von  Schrenck  als  offizieller 
Kommissar  nach  Genf  entsandt,  der  auf  eine  gütliche  Beilegung  oder  eine  vor 
dem  Notar  in  Lassalles  Gegenwart  stattfindende  Willenserklärung  Helenes  von 
Dönniges  hinwirken  sollte.    Siehe  unten  Nr.  197. 

■*)  Karl  Freiherr  von  Schrenck  (1806 — 1884)  war  von  1859  bis  zum  vSeptemberi864 
bajTischer  Minister  des  Aiiswärtigen. 


—  -^=--=  393  =--  ^ 

auch  mir  nicht  eben  angenehm  wäre,  einen  Schwiegersohn  von  so  über- 
wiegender poHtischer  Bedeutung  zu  haben.  Denn  Sie  k<)nnen  nicht 
leugnen,  daß  es  unter  den  gegenwärtigen  Umständen  z.u  einer  Revo- 
lution früher  oder  später  kommen  kann,  und  wer  will  dann  der  Even- 
tualität gern  ins  Auge  sehen,  einen  Schwiegersohn  zu  haben,  der  infolge 
seiner  Stellung  erschossen  oder  gehängt  wird  ?  Ich  erwiderte  ihm,  daß  es 
entweder  zu  keiner  Revolution  kommen  würde  oder  daß,  wenn  es  zu 
einer  käme,  wir  nicht  diejenigen  sein  würden,  die  erschossen  und  er- 
hängt werden  würden.  Käme  sie,  so  würde  sie  jedenfalls  siegreich  sein  — 
was  ihm  einzuleuchten  schien.  In  Summa:  er  war  ganz  für  mich,  war 
sich  nur  nicht  darüber  einig,  was  er  tun  solle  und  könne ;  ein  gütlicher 
Brief  würde  nichts  nützen ;  befehlen  könne  er  nicht.  Zu  den  zwischen  mir 
und  Ihnen  verabredeten,  vom  König  zu  fordernden  Schritten,  die  ich 
auch  ihm  vorschlug,  schien  er  keine  rechte  Lust  zu  haben  (in  seiner  Hand 
würden  sie  übrigens  lange  nicht  so  wirksam  sein),  schlug  sie  übrigens 
auch  noch  nicht  ab,^)  sondern  verabredete  mit  mir,  daß  ich  morgen  um 
12  Uhr  mit  Hänle  zu  ihm  kommen  solle,  um  dann  gemeinschaftlich  mit 
uns  festzustellen,  was  er  tun  könne. ^j 

4.  Anbei  ein  Brief  von  Holthoff.  Er  hat  einen  Brief  Helenens  vom 
9.  aus  Bex  erhalten,  worin  sie  alles  widerruft,  was  sie  ihm  geschrieben. 
Er  legt  aber  gar  keinen  Wert  darauf,  schiebt  es  bloß  auf  rohe  Gewalt, 
erklärt  es  für  ein  Diktat  des  Vaters.  (In  einem  andern  Brief  von  ihm,  den 
ich  soeben  erhalte,  spricht  er  dies  noch  stärker  aus,  sagt,  daß  dem  Brief 
Helenens  an  ihn  sogar  die  gewöhnlichsten  Höflichkeitsformen  fehlten, 
er  im  rohesten  Geschäftsstil  geschrieben  sei  usw.)  Er  hat  wohl  recht! 
Aber  der  Gedanke  ist  dennoch  furchtbar,  furchtbar!  Ich  leide  jetzt  noch 
weit  entsetzlicher  als  bisher.  Meine  Ahnung  hat  sich  bestätigt.  Aber  ich 
muß  sie  trotzdem  wiedergewinnen!  Hölle  ist  nichts  gegen  meinen  Zu- 
stand !^) 

5.  Von  Rüstow  langt  eine  Depesche  an.  Er  hat  Helenen  irgendeinen 
Brief  — ich  weiß  nicht,  ob  einen  ganz  kurzen  lakonischen,  den  ich  ihm 
ließ,  oder  den  langen  beweglichen  sogenannten  Ambemyschen  Brief  — 
endlich  insinuiert  und  von  ihr  Antwort  bekommen,  die  er  mit  ,,ganz 
schlecht"  bezeichnet,  was  in  unserer  Verabredung  heißt,  daß  sie  mich 
aufgibt. 

Das  heißt  natürlich  nicht  mehr  als  auch  der  Brief  an  Holthoff.  Hat 
schwerhch,  hat  keinesfalls  einen  größern  Wert.  Ach,  es  wäre  furchtbar. 


^)  Von  ,,Zii  den"  bis  , .nicht  ab"  fehlt  bei  Becker. 

^)  Eine  noch  ausführlichere  Wiedergabe  von  Lassalles  Unterhaltung  mit  dem 
Minister  findet  sich  in  seinem  Brief  vom  gleichen  Tage  an  Hans  von  Bülow,  der  in 
Band  V  dieser  Publikation  erscheinen  wird  . 

^)  Dieser  Satz  fehlt  bei  Becker. 


394  —  = 

auch  noch  an  einer  Unwürdigen  zugrunde  gehen  zu  müssen!  Und  ich 
selbst  trüge  die  Schuld  ihrer  eigenen^)  Unwürdigkeit!  Furchtbare,  furcht- 
bare Verwicklung! 

6.  Die  Hauptsache  ist  jetzt,  daß  Sie  die  Arson  aufpacken,  mit  ihr 
nach  Genf  gehen  und  Helenen,  vor  allen  Dingen  Helenen  selbst  wieder 
steif  machen.  Sie  müssen  zunächst  Helenen  zu  der  Arson  bringen  lassen 
und  dort  sprechen  (denn  daß  Helene  wieder  in  Genf  ist,  ergibt  sich  aus 
Rüstows  Depesche  zwar  indirekt,  aber  doch  mit  Sicherheit).  Sie  müssen 
also  vor  allen  Dingen  Helenen  bei  der  Arson  sprechen  und  mit  Ihrer 
ganzen  wilden  Beredsamkeit  in  sie  dringen.  Sie  müssen  sie  vor  allem 
enttäuschen,  denn  die  Arme  ist  vor  allen  Dingen  getäuscht,  sie  hält 
sich  für  minorenn,  und  wer  weiß,  was  man  ihr  noch  alles  eingeredet 
haben  wird,  auch  über  mich  usw.  Sie  müssen  ihr  auch  den  sogenannten 
Ambernyschen  Brief  (Rüstow  hat  ihn  und  weiß,  welcher  Brief  mit  diesem 
Namen  gemeint  ist)  insinuieren.  Sie  muß  ihn  auch  womöglich  in  Ihrer 
Gegenwart  mit  allen  seinen  Einlagen  durchlesen.  Sie  müssen  ihr  sagen, 
was  ich  für  sie  tue  und  leide. 

7.  Ich  habe  Rüstow  telegraphiert,  er  solle  von  Helenens  Brief  zuvor 
Abschrift  nehmen  imd  dann  mir  das  Original  sofort  nach  München 
schicken.  Er  hat  also  die  Abschrift.  So  wie  Sie  in  Genf  eintreffen,  lassen 
Sie  sich  dieselbe  von  ihm  vor  allen  Dingen  sicher  (durch  Becker)^)  zu- 
schicken. Sie  müssen  dieselbe  erst  gelesen  haben,  ehe  Sie  mit  Helenen 
sprechen,  um  zu  wissen,  wie  Sie  sie  zu  nehmen  haben.  Stellen  Sie  mir 
nur  Helenen  wieder  her,  dann  verzweifle  ich  noch  nicht.  Die  Arson  muß 
Ihnen  eine  Unterredung  in  ihrem  Zimmer  mit  ihr  verschaffen.  Ich  be- 
schwöre Sie  auf  meinen  Knien  darum. 3)  Diese  Unterredung  rettet 
alles!  Wenden  Sie  ihre  ganze  Beredsamkeit  auf,  daß  die  Arson  mit 
Ihnen  nach  Genf  geht  und  Ihnen  diese  Unterredimg  mit  Helenen  ver- 
schafft. 

Ehe  Sie  Bern  verlassen,  telegraphieren  Sie  mir  hierher  und  melden 
Ihre  Abreise  sowie  das  Hotel,  das  Sie  in  Genf  beziehen  werden,  damit  ich 
weiß,  wohin  ich  schreiben  und  telegraphieren  soll! 

Wie  die  Dinge  laufen  und  da  Helene  dort  ist,  bleibe  ich  wohl  noch 
mehrere  Tage  hier,  wenn  ich  hier  etwas  tun  kann. 

Hölle  im  Herzen 


Ihr 


F.  L. 


1)  Das  Wort  fehlt  bei  Becker. 

2)  Johann  Philipp  Becker. 

3)  Dieser  Satz  fehlt  bei  Becker. 


=  395 ■- 

196. 
SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Original.) 

Beru,    19.  August»)   [1864]. 

Liebes,  gutes  Kind,  ich  komme  soeben  9  IThr  abends  \()n  Wabeni, 
wo  ich  alle  anwesend  gefunden.  Man  ist  voll  der  größten  vSympathie  für 
Sie  und  Bewunderung  über  Ihr  Benehmen.  Sie  hätten  sich  wie  der  echte 
Ehrenmann  benommen,  und  das  könne  und  dürfe  Sie  nie  gereuen.  Die 
beiden  Leslies  haben  mir  am  besten  gefallen ;  auch  Madame  Arson  hat 
mir  mehrmals  aufgetragen,  Ihnen  zu  sagen,  daß  sie  zu  allem  bereit  sei, 
Ihnen  nützlich  zusein,  aber  auch  nur  Ihretwegen.  Sie  möchten  sie 
nicht  verkennen,  weil  sie  Ihnen  nicht  früher  Nachrichten  gegeben,  sie 
hätte  auf  alle  Briefe  keine  Antwort  erhalten.  Die  beiden  Briefe,  die  sie  im 
Anfang  von  Helene  erhalten,  habe  sie  Ihnen  nach  München  geschickt, 
der  dritte,  von  dem  man  Ihnen  gesagt,  sei  gar  nicht  von  Helene.  Es 
herrscht  hier  eine  tiefe  Entrüstung  gegen  die  Familie  von  Dönniges, 
Helene  nicht  ausgenommen.  Madame  Arson  ist  wütend,  daß  es  in  ihrem 
Hause  geschehen,  und  sie  wird  in  einigen  Tagen  nach  Genf  kommen,  um 
dort  mit  Helene  und  der  Mutter  auf  das  eindringlichste  zu  reden.  Leslie 
wird  auch  kommen.  Mir  hat  man  geraten,  nach  Genf  gleich  zu  gehen,  und 
glaubt,  daß  es  mir  sicher  gelingen  würde,  Helene  jetzt  schon  selbst  zu 
sprechen,  ebenso  daß  es  keinem  Zweifel  unterliege,  daß  es  verlangt  werden 
wird,  daß  Sie  eine  Unterredung  mit  ihr  bekommen,  aber  Sie  möchten 
sich  jetzt  nicht  zu  sehr  beeilen,  nach  Genf  zu  kommen,  sondern  erst 
vorarbeiten  lassen.  Der  Walache,^)  den  man  hat  kommen  lassen,  ist 
ein  dummer  Junge,  jünger  wie  Helene,  der  seine  Examen  noch  nicht 
einmal  beendet  hat,  was  der  ganzen  Sache  keinen  schönen  Anstrich  gibt. 
Also  nun,  liebes  Kind,  etwas  Ruhe  und  Geduld ;  das  schwierigste  ist  ge- 
schehen, sie  ist  aufgefunden,  und  man  kann  an  sie  herankommen.  Be- 
stehen Sie  in  München  nur  auf  Ihrem  Recht,  daß  nach  einem  so  posi- 
tiven Eheversprechen  es  Ihnen  nicht  verweigert  werden  darf,  aus  dem 
eignen  Munde  des  Mädchens  ihre  wahre  und  ungezwungene  Willens- 
meinung zu  hören.  Malen  Sie  mit  groben  Farben  das  ganz  ehrlose  Be- 
nehmen der  Familie  gegenüber  Ihrer  so  loyalen  Haltung,  damit  eine 
Stimmung  dort  erzeugt  werde,  die  den  Vater  bang  um  seinen  Posten 
macht.  Drohen  Sie  nötigenfalls  mit  allen  Mitteln  der  Öffentlichkeit, 
um  dadurch  vielleicht  zu  den  Ohren  des  Mädchens  zu  gelangen,  indem 

1)  Nachträgliche  Datierung  von  der  Hand  der  Gräfin.  Der  Brief  ist  von  B.  Becker 
a.  a.  O.  »S.  64!".  abgedruckt,  aber  ungenau  und  mit  Auslassungen. 

2)  Janko  von  Rakowitza,  der  am  28.  August  Lassalle  im  Zweikampf  tötlich 
verwundete. 


396  -^^ 

Sie  es  für  unbedingte  Pflicht  hielten,  sie  mit  jedem  Mittel  vor  Gewalt 
zu  schützen,  bis  Sie  ihre  freie  Willensmeinung  wüßten,  und  dies  sei  nur 
auf  diese  einzige  Weise  möglich,  daß  Sie  sie  sehen.  Die  Ivcute  sind  hier 
alle  der  Meintmg,  daß  Ihnen  bei  der  ersten  Gelegenheit  Helene  wieder 
um  den  Hals  fällt,  aber  sehr  sonderbarerweise,  ohne  daß  ich  ein  Wort 
davon  gesagt,  sprachen  sie  einstimmig  die  Ansicht  aus,  daß  sie  eine 
andere  Heirat  jetzt  gleich  für  gar  nicht  schlimm  für  vSie  halten 
würden ;  es  würde  dadurch  nicht  nur  leichter,  aber  auch  besser,  Ihren 
Zweck  zu  erreichen.  Übrigens  soll  von  einer  plötzlichen  Heirat 
nicht  die  Rede  sein. 

Soeben  erhalte  ich  Ihr  Telegramm,  ich  werde  hier  auf  den  Brief 
warten,  aber  es  tut  mir  leid,  ich  glaube,  es  wäre  sehr  nützlich,  wenn 
ich  gleich  in  Genf  wäre,  sowohl  weil  nur  ich  gewisse  Dinge  tun  kann 
und  dann,  damit  von  Rüstow  nicht  etwa  Dinge  geschehen,  die  meinen 
Plänen  entgegen.  Ich  hatte  den  angekündigten  Brief  fünf  Stunden 
später  in  Genf  gehabt,  aber  ich  mag  doch  nicht  gegen  Ihren  Willen 
handeln. 

Nun  leben  Sie  wohl,  liebes  Kind,  ich  falle  fast  um  vor  Müdigkeit. 

Ihr  treuer  Freund. 

Ich  hoffe,  nicht  länger  hier  zu  bleiben,  ich  glaube,  schleuniger  Aufent- 
halt und  Rücksprache  von  mir  mit  Henri ^)  in  Genf  sehr  vorteilhaft. 
Henri  ist  protestantisch. 


197. 
LAvSSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Original.) 

Freitag  nacht.  München,   [19.  August^)    1864]. 

O  Gräfin !  Ich  gebe  Ihnen  hier  einen  nur  gedrängten  Auszug  eines 
viel  ausführlicheren  Briefes,  den  ich  heut  Rüstow  geschrieben  und  den 
er  Helenen,  für  die  er  mitbestimmt  ist,  insinuieren,  vorher  aber,  falls 
nichts  dadurch  versäumt  ist,  von  Ihnen  lesen  lassen  soll.  Wenn  nicht, 
wird  Ihnen  auch  dieser  gedrängte  Auszug  genügen. 

Ich  fand  also  den  König  nicht  hier,  wollte  nicht  die  Zeit  verlieren, 
nach  Hohenschwangau  zu  ihm  zu  gehen,  war  daher  gestern  ohne  weiteres 
zwei  Stunden  und  heut  über  eine  Stimde  bei  dem  hiesigen  Minister  des 
Auswärtigen,  Baron  von  Schrenck.  Ich  fand  in  ihm  den  günstigsten 
Boden,  er  muß  offenbar  in  den  Blättern  der  großdeutschen  Partei,  die 

*)  Deckwort  für  Helene. 

2)  Nachträgliche  Datierung  von  Lothar  Buchers  Hand.  Der  Brief  ist  unter  Aus- 
lassung aller  politisch  interessanten  Stellen  gedruckt  bei  Becker,  S.  73  f. 


^^^^  397  — 

mich  aus  Haß  gegen  die  Fortschrittler  immer  in  den  Hinnuel  holxii,  sehr 
viel  Vorteilhaftes  über  mich  gelesen  haben.  Er  war,  sowie  er  meine 
Identität  mit  mir  selber  erfuhr,  ausnehmend  kulant  und  entgegen- 
kommend und  sichtlich  geschmeichelt.  Er  verwickelte  mich  in  ein  po- 
litisches Gespräch,  auf  das  ich  mich,  um  ihm  besser  zu  imponieren,  leb- 
haft einlassen  mußte,  über  die  Situation,  die  haute  politique,  die  Re- 
volution —  die  er  kommen  sieht  —  usw.  Er  versprach  alles  zu  tun,  was 
er  könne.  — 

Dies  gestern,  und  irre  ich  nicht,  habe  ich  Ihnen  das  auch  schon 
gestern  gemeldet. 

Heute  wurde  nun  folgendes  praktisches  Konklusum  zwischen  uns 
vereinbart : 

Er  gibt  dem  hiesigen  Advokaten  Dr.  Hänle,  der  sich  sehr  für 
mich  interessiert,  ein  offiziöses  Kommissariat,  d.  h.  einen  Brief  an 
Dönniges,  worin  er  diesem  sagt:  er  habe  Hänle  ersucht,  sich  zu  ihm 
nach  Genf  zu  begeben  und  die  Sache  ä  l'amiable  mit  ihm  beizulegen, 
da  ihm  gütliche  Beilegung  höchst  wünschenswert  sei  usw.  usw.  Für  den 
Fall,  daß  diese  gütliche  Beilegung  nicht  gelänge,  verlange  er  von  ihm, 
daß  er  seine  Tochter  in  meiner  Gegenwart  vor  einem  Genfer  Notar 
sistiere,  damit  sie  mir  vor  diesem  frei  erkläre,  ob  sie  auf  ihrem  Willen 
beharre,  mich  zu  ehelichen,  oder  nicht,  damit  ich,  falls  nicht,  durch 
diese  freie  Erklärung  wenigstens  beruhigt  imd  jeder  Schein  einer  in- 
konvenablen  Gewalt  beseitigt  sei. 

Die  Demarche  ist,  genau  genommen,  schon  wunderbar  und  tmerhört 
genug.  Und  dennoch  hoffe  ich  keineswegs,  daß  sie  den  Widerstand  des 
alten  Dönniges,  seinen  Willen,  brechen  wird.  Aber  Sie  begreifen,  daß 
dennoch  alles  dadurch  gewonnen  wäre,  wenn  Helene  fest  ist.  Denn 
vor  dem  Notar  sistieren  muß  mir  Dönniges  seine  Tochter,  sonst  riskiert 
er  seine  Stelle.  Mir  aber  vor  dem  Notar  gegenübergestellt,  kann  sie  nicht 
nur  ihr  lautes ,,  Ja"  erklären  und  mir  alle  möglichen  General-  und  Spezial- 
vollmachten geben,  für  sie  aufzutreten  und  zu  handeln, sondern  sie  kann, 
majeure  nach  dortigem  wie  hiesigem  Recht,  sofort  auch  Arm  in  Arm 
mit  mir  das  Haus  des  Notars  verlassen,  sich  in  einem  Hotel  oder  bei 
Ihnen  installieren,  sich  unter  Ihren,  meinen  und  des  Gesetzes  Schutz 
begeben  und  gar  nicht  wieder  den  Fuß  in  das  väterliche  Haus  zurück- 
setzen. Alle  Genfer  Behörden  sind  jetzt  auf  tmserer  Seite  und  würden 
sie,  statt  sie  zu  hindern,  nur  schützen.  Sie  kann  endlich  sofort  mit 
Ihnen  und  mir  nach  Itahen  reisen  und  in  drei  Tagen  kathoHsch  getauft 
und  getraut  mein  Weib  sein. 

Alles,  alles,  alles  hängt  also  ab  von  dem  Ausgang  dieser  einen 
Stunde,  die  über  mein  lieben  entscheidet!  Je  tzt  würde  sogar  nicht  ein- 
mal mehr  ein  inkonvenabler  Schein  auf  Helene  zurückfallen,  wie  früher, 


= = 398  -  -= 

an  jenem  Mittwoch  abend.  Denn  jetzt,  nach  jenen  Vorgängen,  nach 
der  furchtbarsten  gegen  sie  verübten  Gewalt,  nachdem  sich  sogar  das 
oberste  Ministerium  in  München  in  Bewegung  gesetzt  hat,  um  durch 
eine  so  auffällige  Demarche  diese  Gewalt  zu  brechen  und  ihr  ihre  Freiheit 
wiederzugeben  —  nach  alle  diesem  kann  sie  auch  in  den  Augen  der  Welt 
das  ohne  den  geringsten  Vorwurf  tun,  was  damals  ganz  anders  war. 

Wenn  sie  umgekehrt  vor  dem  Notar  ,,Nein"  erklärt,  nun  so  ist  alles 
verloren,  so  ist  das  grenzenloseste  Ridicule  die  Folge  dieses  mit 
solcher  Mühe  errungenen  offiziösen  Kommissariats,  so  ist  Dönniges 
gerechtfertigt  und  jede  weitere  Hilfe  für  mich  vernichtet  —  kurz, 
so  hat  mir  die  Undankbare  und  Treulose  selbst  den  Dolch  in  diese 
treue  Brust  gerannt !  Ich  falle  dann  mit  ihrem  rmd  durch  ihren  Willen  — 
ein  furchtbares  Denkmal  davon,  daß  ein  Mann  sich  nie  an  ein  Weib 
ketten  soll.  Ich  falle  dann  durch  den  entsetzlichsten  Verrat,  die  schnö- 
deste Felonie,  welche  die  allsehende  Sonne  je  geschaut  hat. 

Alles,  alles,  alles  hängt  also  an  dem  Gewicht  dieser  einen  Stunde: 

Ihnen  fällt  also  die  wichtigste,  die  folgenschwerste  Aufgabe  zu: 
Helenen,  ehe  dieser  moment  supreme  naht,  wieder  fest  zu  machen! 

Gegenwärtig  s  c  he  i  n  t  es  sehr,  sehr  schlimm  mit  ihr  zu  stehen.  Ihre 
Briefe  an  die  Arson  vom  5.  und  6.  August  zeigen  zwar  schon,  daß  ihre 
Widerstandskraft  gebrochen  ist,  atmen  aber  noch  die  größte  Liebe  und 
Treue!  Sie  ruft  in  der  rührendsten  Weise  den  Tod  herbei:  Rüstows 
gestrige  Depesche  (vom  18.)  sagt  aber  schon,  was  ich  Ihnen  nach  Bern 
gemeldet  (,,ganz  schlecht").  Da  tröstete  ich  mich  noch  mit  dem  Ge- 
danken, daß  dieser  Brief  Helenens,  den  Rüstow  mit  ,,ganz  schlecht" 
bezeichnete,  nur  die  Antwort  auf  einen  ganz  kleinen  trockenen  Zettel 
gewesen  wäre,  den  ich  ihm  hinterlassen,  nicht  auf  den  langen  sogenannten 
Ambernyschen  Brief. 

Ich  telegraphierte  ihm  sofort  um  Aufschluß  hierüber,  und  später 
nochmals  den  Auftrag,  den  Ambernyschen  Brief  von  Stapel  zu  lassen. 
Darauf  bekomme  ich  folgende  heut  (19.  August  11  Uhr  25  Minuten) 
von  ihm  abgegebene  Depesche:  ,, Mitternacht  zwei  Müncliener  De- 
peschen erhalten.  Habe  persönlich  Ambernyschen  Brief  an  Henri 
gegeben.  Henris  Brief  mit  meinigem  seit  gestern  nach  München  unter- 
wegs; weitläufige  Aufklärung.  Wann  kommt  Sophie?" 

Sie  sehen,  daß  aus  dieser  Depesche  nicht  klug,  sondern  nur  toll  zu 
werden  ist.  War  also  Helenens  ,,ganz  schlechter"  Brief  schon  eine  Ant- 
wort auf  meinen  Ambernyschen,  oder,  ehe  sie  diesen  gelesen  hatte,  auf 
den  kurzen  Zettel?  Es  scheint  das  erstere,  und  das  wäre  vernichtend, 
vernichtend :  Ist  also  der  Brief  Henris,  der  mit  dem  von  Rüstow  unter- 
wegs ist,  eben  der  ganz  schlechte  ?  Oder  ist  seit  diesem  der  sogenannte 
Ambemysche  Brief  von  Rüstow  ihr  abgegeben  und  Antwort  eingetroffen 


-  ^===  399  = 

und  bezieht  sich  darauf  das  Wort:  „Weitläufige  Aufklärung?"  Kurz, 
es  ist  um  rasend  zu  werden,  und  jeden  Augenblick  fasse  ich  mich  in 
namenloser  Verzweiflung  am  Haar,  mein  armes  gehetztes  Gehirn  hin  und 
herschüttelnd :  ^) 

Oh,  wenn  Helene  nur  eine  Vorstellung  hätte  von  dem  zchntausendsten 
Teil  meiner  Leiden  — nie,  nie  käme  ihr  der  verbrecherische  Gedanke, 
mir  treulos  zu  werden !  Nein,  so  erbärmlich  könnte  sie  dann  nicht  sein. 

So  traurig  es  wäre,  wenn  Helenens  ,,ganz  schlechter"  Brief  schon 
die  Antwort  auf  den  Ambernyschen  wäre,  so  gebe  ich  doch  auch  dann  — 
denn  daß  ich  weiter  lebe,  beweist  es^)  — noch  nicht  alle  Hoffnung  auf. 

Sondern  meine  Hoffmmg  steht  dann  auf  Sie.  Lassen  Sie  Helene 
durch  die  Arson  sich  holen.  Lesen  Sie  ihr  diesen  Brief  vor.  Be- 
schreiben ihr,  was  Sie  in  Karlsruhe  gesehen.  Dringen  in  sie  mit  aller 
wilden  Beredsamkeit  Ihrer  Zunge! 

An  Ihrer  Zunge,  Gräfin,  hängt  meine  Existenz. 

Wie  aber,  wenn  es  Ihnen  nicht  gelungen  wäre,  die  Arson  mit  sich 
nach  Genf  zu  führen? 

Dann  reisen  Sie  nochmals  nach  Wabern  zurück,  erzählen  ihr  die 
Intervention  des  Ministers  der  auswärtigen  Angelegenheiten,  die  ihr 
Mut  und  Lust  machen  und  ihr  Vertrauen  beleben  wird,  schildern  ihr 
den  bevorstehenden  moment  supreme  vor  dem  Notar  und  wie  alles, 
alles  daran  liege,  daß  Helene  vor  diesem  entscheidenden  AugenWick 
hinreichend  aufgeklärt,  gesammelt,  entschlossen  sei  und  nicht  unvor- 
bereitet von  ihm  überfallen  werde.  Das  wird  die  Arson  begreifen  und 
um  dieses  entscheidenden  Momentes  willen  mit  Ihnen  gehen. 

Oder  halten  Sie  es  für  besser,  nicht  Genf  zu  verlassen,  so  schreiben 
Sie  der  Arson  französisch  alles  das  ausführlich,  was  ich  Ihnen  so- 
eben gesagt  habe  und  beschwören  sie,  sofort  zu  Ihnen  nach  Genf  zu 
kommen. 

Diesen  Brief  schicken  Sie  ihr  aber  dann  nicht  durch  die  Post, 
sondern  durch  einen  Expressen  von  Genf  aus,  aber  einen  intelligenten 
Mann,  dem  Sie  die  Wohnung  beschreiben.  Becker  selbst  oder  ein  ganz 
zuverlässiger  Freund  von  ihm  oder  Mr.  Lesley,  wenn  er  noch  in  Genf, 
wird  die  Güte  haben,  die  Reise  für  mich  zu  machen.  — 

Wie  hat  denn  Rüstow  die  Helene  gesprochen?  Können  Sie  es  auf 
demselben  Wege  ?  Lassen  Sie  Rüstow  gleich  zu  sich  kommen  (aber  mit 
höchster,  höchster  Vorsicht)  und  sich  von  ihm  alles,  wie  es  mit  Helenen 
steht  und  ob  sich  bei  ihr  durch  den  Ambernyschen  Brief  etwas  ver- 
bessert oder  ob  ihr  ,,ganz  schlechter"  Brief  schon  die  Antwort  auf  ihn 
war  imd  was  die  , .weitläufigen  Aufklärungen"  bedeuten  imd,  was  se  i  t  - 

^)  Dieser  Satz  fehlt  bei  Becker. 

^)  Diese  Paranthese  fehlt  bei  Becker. 


—  400  = 

dem  etwa  noch  —  mir  unbekannt  —  vorgegangen,  ausführlich  und 
bestimmt  schildern. 

Ich  reise  wahrscheinlich  Montag  früh  6  Uhr  von  hier  ab  und 
bin  dann  Dienstag  abend  schon  in  Genf.  Ich  könnte  schon  Sonntag 
reisen,  verliere  aber  absichtlich  den  Tag,  um  Ihnen  einen  Tag  mehr 
Vorsprung  zum  Sprechen  mit  Helenen  zu  geben. 

Vielleicht  —  aber  höchst  unwahrscheinlich  —  geht  meine  Reise 
über  Hohenschwangau,  um  den  König  zu  sprechen,  wo  ich  dann  zwei 
Tage  später  erst  in  Genf  einträfe. 

Im  Augenblick  meiner  Abreise  von  hier  telegraphiere  ich  Ihnen 
noch,  ob  ich  direkt  oder  über  Hohenschwangau  gehe.-') 

Ich  erwarte  infolge  meiner  heutigen  Depesche  morgen  telegraphische 
Anzeige  von  Ihnen,  in  welchem  Hotel  (Hotel  des  Berques  oder  wo  sonst) 
Sie  in  Genf  sein  werden. 

Von  der  Schweiz  aus  telegraphiere  ich  Ihnen  dann  noch,  ob  wir 
direkt  nach  Genf  kommen,  oder  ob  Sie  (und  Rüstow)  nur  in  Nyon  auf 
der  Eisenbahnstation  bleiben  sollen,  um  dort  nötigenfalls  zu  übernachten 
und  vor  unserem  Einrücken  in  Genf  Kriegsrat  zu  halten. 

Depeschen  von  Ihnen  treffen  mich  bis  Sonntag  abend  und  nacht 
sicher  hier.  Von  Montag  früh  müssen  Sie  jede  Depesche  nach  fünf  2) 
Orten  aufgeben,  nämlich:  i.  nach  hier,  Hotel  Oberpollinger,  weil  ich 
doch  möglicherweise  noch  hier  bin,  2.  nach  Hohenschwangau,  Tele- 
graphenbureau restante,  3. nach  Ivindau,  Bahnhofbureau  restante 
(zum  Unterschied  vom  Telegraphenbureau  in  der  Stadt),  4.  nach  Ölten, 
Bahnhofbureau  restante,  5.  nach  Bern,  Bahnhofbureau  restante. 

Nun  leben  Sie  wohl !  Es  gibt  keine  Gerechtigkeit,  wenn  ich  dies  Weib 
nicht  erlange.  Denn  so  hat  sich  noch  nie  ein  Mensch  für  ein  Weib  ab- 
gequält, abgehärmt,  abgezehrt! 

Schon  die  physische  Arbeit  —  ich  habe  heut  vielleicht  60  Brief- 
seiten geschrieben,  alle  in  Todesangst — würde  aufreiben,  geschweige 
diese  furchtbare  Pein! 

Mehr  tot  als  lebendig  Ihr  F.  h. 

198. 
SOPHIE  \'0N  HATZFELDT  AN  LASSALIvE.  (Depesche,  Original.) 

Bern,   19.  August  1864. 
Warte  hier  auf  Brief.  Heinrich^)  in  Genf.  Ich  würde  gern  bald  hin- 
gehen. Wäre  wichtig.  Sophie. 

1)  Die  beiden  vorstehenden  Abschnitte  sind  von  B.  Becker  fortgelassen. 
-)  Weil  er  aus  Rücksicht  auf  König  lyudwig  Hohenschwangau  wegläßt,  schreibt 
Becker:  vier. 

^)  Helene  von  Dönniges. 


=  401  -=  == 

199- 
LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.  (Depesche,  Original.) 

München,   19.  August   1864. 
Morgen  Vormittag  haben  Sie  den  Brief.  Dann  schnellstens  mit  Ma- 
dame nach  Genf  und  Heinrich  wieder  fest  machen.  Vor  Abreise  mir 
Genfer  Hotel  telegraphieren.  Schreibe  heute  Ihnen  Genf  poste  restante 
und  wichtig.  Gleich  holen.  Ferdinand. 

200. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  I.ASSAI.IvE.  (Depesche,  Original.) 

Bern,  20.  August   1864. 
Reise  gleich  Genf.  Hotel  Metropole.  Schreibe  heute  Brief  jedenfalls 
abwarten,  dort  bleiben.  Sophie. 

201. 
IvASSAIvIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

München,  20.  August  1864. 

Darf  ich  nicht  vor  Ankunft  Ihres  Briefes  abreisen?  Montag  oder 

Dienstag?  Habe  wichtige  Demarche  in  Händen.  Brief inhalt  ja  mündlich 

mitteilbar;  nur  nötig,  daß  Sie  vor  meiner  Ankunft  Henri  eindringlich 

gesprochen  haben.  Telegraphische  Antwort.  Ferdinand. 

202. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFEIvDT.    (Depesche,  Original.) 

München,  20.  August  1864. 
Abreise  nicht  länger  als  Dienstag  spätestens  Mittwoch  verschiebbar. 
Beauftragter —siehe  Brief  nach  Genf  poste  restante  —  drängt.  Eilen 
Sie,  Hauptterrain  zu  verbessern.  Eventuelle  Verbesserung  sofort  tele- 
graphieren, damit  dann  noch  Dienstag  ohne  Ihren  Brief  reise. 

Ferdinand. 

203. 
SOPHIE  VON  HATZFEIvDT  AN  LASSAIvLE.  (Depesche,  Original.) 

Genf,  21.  August   1864. 
München  bleiben,  bis  ich  telegraphiere.  Hier  schaden.  Heinrich  noch 
nicht  gesehen.  Brief  heute.  Sophie. 

Mayer,  Lassalle-Nachlass.     IV  26 


-   402  = 

204- 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

München,  2i.Augvist  1864. 
Muß  Dienstag  mittag  absolut  reisen.  Bin  Mittwoch  früh  10  Bern, 
Bemerhof .  Um  2  weiter  nach  Genf.  Inhalt  des  Genfer  Briefes  mir  nach- 
senden nach  Bern  Bernerhof  Hotel  restante  schreiben,  weil  ihn  hier  viel- 
leicht verfehle.  Wir  können  auch  in  Genf  einen  Tag  incognito  sein  und 
Anwesenheit  also  nicht  schaden.  Telegraphische  Antwort. 

Ferdinand. 

205. 

SOPHIE  VON  HATZFELDT  AN  LASSALLE.  (Depesche,  Original.) 

Genf,  22.  August   1864. 

Durchaus  nicht  jetzt  Notar-Maßregel.  Wollen  Sie  entschiedenes 
Nein  von  Henri  selbst  am  Arm  des  Walachen?  Alles  wäre  ganz  ver- 
loren. Ruhe,  Zeitgewinn,  Einschüchterung  geben  Hoffnung  des  Gelingens. 
Heute  noch  einmal  Depesche  ausführlich.  Dort  bleiben. 

Sophie. 

206, 

LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

München,  22.  August   1864. 

Kann  Notarschritt  dort  sistieren,  unmöglich  aber  Abreise  über 
Dienstag  hinausschieben.  Stahl  nicht  bei  mir.  Ferdinand. 


207. 
LASSALLE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

München,  22.  August  1864. 

Meisterhafte  Depesche!  Redaktion  von  unvergleichlicher  Vorsicht! 
Sublimer  Verstand!  Außerdem  noch  über  zwei  Tage  umsonst  zurück- 
gehalten. Meine  Absicht  ohnehin  längst  diese,  und  Brief  halb  und  halb 
dazu  hinreichend.  Wir  treffen  Mittwoch  10  Uhr  früh  Bern,  abends  7  Uhr 
Genf  ein,  erst  mich  allein  sprechen.  Julian.^) 


h  Deckwort  für  Lassalle. 


403  == 

208. 

SOPHIE  VON  HATZFEivDT  UND  WII.HEUI  RÜSTOW  AN  I.A- 
SALIvE.  (Depesche,  Original.) 

[Genf,]   22.  August   1864. 
Glaube  uus^)  dies  eine  Mal.  Kannst  von  hiesiger  Lage  keinen  Begrifi 
haben.  Sophie  und  Wilhelm.^) 

209. 

LASSALIvE  AN  SOPHIE  VON  HATZFELDT.  (Depesche,  Original.) 

Olteu,  24.  August  1864. 
Passiere  eben  Ölten.  Um  7  an  Genf.  Zwei  gute  Zimmer  für  mich  und 
Begleiter.  Will  Sie  und  Wilhelm  zuerst  allein  sprechen. 

Ferdinand.^) 


Fragmente') 

(Original). 

Der  Widerspruch,  der  schon  seit  Menschendenken 

Sich  blutig  durch  die  Welt  hat  hingezogen,^) 

Der  Widerspruch,  den  zwischen  Sein  und  Denken 

Ein  finstrer  Glaube  einst  uns  angelogen, 

Der  lyieb'ö)  und  Pflicht,  der  Geist  und  Leib  zerrissen, 

Die  Seele  uns  getränkt  in^)  Bitternissen, 

*)   In  der  Originaldepesche  heißt  es  verstümmelt:   „was". 

-)   Rüstow. 

■')  Mit  dieser  Depesche  endet  der  Briefwechsel  zwischen  Lassalle  und  Sophie 
von  Hatzfeldt.  Am  28.  August  fand  das  Duell  statt.  Am  Morgen  des  31.  August 
drückte  die  Freundin  dem  Toten  die  Augen  zu. 

'•)  Von  Fritz  Mendes  Hand  steht  mit  Bleistift  auf  dem  Manuskript:  In  Frei- 
burg i.  Br.  auf  die  Gräfin  gemacht.  Nur  von  den  ersten  vier  Versen  hegt  außer 
dem  Konzept,  ebenfalls  von  Lassalles  Hand  und  auf  genau  dem  gleichen  Papier, 
eine  Reinsclirif t  vor.  Diese  hat  er  , .Fragmente"  überschrieben. 

5)  Durchstrichen  steht  hier  in  der  ersten  Fassung:  ,, Geschlechter  um  ihr  Recht 
auf  Glück  betrogen". 

^)   In  der  ersten  Fassung:  ,, Glück". 

^)   In  erster  Fassung:  ,,mit". 


404 


Er,  der  Geschlechter  um  ihr  Glück  betrogen. 
Er  eilt,  sich  endlich  in  sein  Grab  zu  senken. 
Doch  eh'  er  ganz  zerschlagen  und  zerstogen,  [sie!] 
Muß  er  noch  einmal  erst  mit  Blute  tränken 
Dem  edelsten,  die  alte  Leidensstätte. 
Ein  Opfer  heischt  er  auf  dem  Sterbebette! 

Ein  Opfer,  wie  fast  keines  noch  gewesen, 

"Wo  man  nicht  weiß,  was  mehr  den  Preis  verdiene, 

Der  hohe^)  Geist,  das  kühne  freie  Wesen, ^) 

Der  kühn're  Leib,  die  heiße  "Wollustmiene, 

Das  Auge  —  tief  wie  alle  Ewigkeiten 

Des  Wuchses  nie  geseh'ne  Üppigkeiten! 

Ein  Herz,  in  welchem  seltner^)  Mut  und  Milde 
Und  Kraft  und  Liebe  um  den  "Vorrang  kämpfen,^) 
Ein  Weib,  in  dessen  göttlichem  Gebilde 
Sich  nie  geeinte  Farben  reizend  dämpfen; 
Der  Tatkraft  Feuer,  der  Begeistrung  Wellen 
vSich  einen  mit  der  reinsten  Güte  Quellen. 

Auf  einem  Schlachtfeld  rings  besät  von  Leichen, 

Stand  düster^)  da  der  Freiheit  Genius, 

Um  seine  Lippen  zuckt,  die  edeln,  bleichen. 

Unsichtbar  hin^)  des  Schmerzes  leiser  Kuß. 

Sie  alle  sind  erlegen  seinen  Streichen, 

Sie  all'  zertrat  sein  roher  erzner  Fuß. 

Wer  je  für  meine  Fahne  hat  gestritten 

Er  hat  gewissen  Märtyrtod  erlitten. 

Dort  jener  Jüngling  mit  den  goldnen  Locken, 
Vorn  in  der  Brust  klaffende  Todeswund', 
Ums  zarte  Kinn  des  Bartes  erste  Flocken, 
"Verklärter  Ausdruck  um  den  selgen')  Mund, 


*)  In  erster  Fassung:  ,, starke". 

2)   In  der  ersten  Fassung  schwankt  Lassalle  zwischen  ,, große"  und  ,,edle' 

^)   In  der  ersten  Fassung:  ,, starker". 

*)  Zuerst  schwebte  Lassalle  der  Reim  „streiten"  und  ,, Saiten"  vor. 

^)  Durchstrichen:  ,, traurig". 

^)   Durchstrichen:   ,,fast". 

^)  Durchstrichen:  ,, bleichen". 


=====  405  ====== 

Ihn  konnten  nicht  des  Götzen  Schätze  locken, 
Geschlossen  hatte  er  mit  mir  den  Bund, 
Für  mich  gegriffen  hatte  er  zum  Schwerte, 
Tot  liegt  er  da  auf  nicht  befreiter  Erde. 

Beglückter  Märtyr,  der  so  früh  gefunden 
Was  andre  nur  nach  ewig  langer  Pein, 
Sieh  jenen  Mann,  aus  dessen  siebzig  Wunden 
Das  Leben  langsam  muß  entflohen  sein! 
Auf  seiner  Wang',  der  hektisch  ungesunden, 
Zuckt  noch  des  wilden  Hohnes  bleicher  Schein; 
Er  hat  Jahrzehnte  mit  der  Welt  gerungen 
Bis  endlich  das  gepreßte  Herz  zersprungen. 

Für  Freiheit  und  Vernunft  war  er  ein  Streiter, 

Er  hat  gekämpft  mit  jedem  Vorurteil, 

Er  drang,  ein  Titan,  ^)  auf  der  Himmelsleiter 

Bis  in  der  Dinge  tief  geheimstes  Teil. 

Jede  Erkenntnis  trieb  ihn  rastlos  weiter 

Den  Weg  sich  lichtend  mit  der  Wahrheit  Beil. 

Des  Wissens  Krone  will  er  kühn  erringen  ^) 

Des  Wissens  Frucht  der  Menschheit  dann  zu  bringen. 

Es  g'nügt  ihm  nicht,  Tyrannen  zu  bekriegen. 
Es  g'nügt  ihm  nicht  der  alten  Götter  Sturz: 
An  des  Besitzes  Kette  sieht  er  liegen 
Das  freie  Ich,  er  sieht  den  Arbeitsschurz 
Gleich  einem  Dejanirahemd  sich  schmiegen 
Verzehrend  um  der  Menschheit  bestes  Teil,  und  kurz 
Und  flüchtig  jenen  Freiheitstraum  verflogen, 
Der  blutigrot  am  Himmel  aufgezogen. 

Er  sieht  den  Irrtum  jener  ew'gen  Toren, 
Die  Rechte  fordern  ohne  Wirklichkeit, 
Da  hat  er  laut  zum  Himmel  aufgeschworen : 
Die  Arbeit  sei,  die  rüst'ge  Kraft  befreit 
Vom  neuen  Lehn',  an  das  sie  jetzt  verloren. 
Dem  goldnen  Netz  sei  unser  Haß  geweiht, 


^)  Durchstrichen:  ,,wie  Jakob". 

2)  Lassalle  schwankte  zwischen  dieser  ursprünglichen,  dann  durchgestrichenen 
und  am  Ende  wieder  hergestellten  Fassung  und  der  herübergeschriebenen:  ,,Des 
Wissens  Tiefen  will  er  kühn  durchdringen". 


4o6  - 

In  dessen  Maschen  sich  verdammte  Geister  quälen, 
Bs  schafft  der  freie  Leib  sich  erst^)  die  freien  Seelen. 

So  hat  er  laut  sein  Kriegeslied  gesungen,^) 
Den  Haß  nicht  achtend,  den  er  sich  erregt: 
Gleich  einem  Felsen  stand  er  unbezwungen, 
Wenn  rings  das  Meer  von  Sturmeswut  bewegt. 
Nicht  Qual  noch  Kerker  ist  es  je  gelungen, 
Daß  er  von  sich  das  Kämpferschwert  gelegt. 
Gleich  einem  3)  Herkules  hat  er  gerungen 
Mit  aller  Erdengeister  Peinigungen. 

Doch  endlich,  wie  die  See  nach  langem*)  Wüten 
Sich  durch  des  Schiffes  feste  Rippen  zwängt, 
Die  Klammern  weichen  und  die  Eisennieten 
Und  jetzt  hinein  sich  Wog'  auf  Woge  drängt, 
Daß  nirgends  Schirm  die  lecken  Planken  bieten, 
So  hat  auch  ihm  das  Eisenhemd  ^)  gesprengt 
Die  wilde  Not  mit  ungestümem  Pochen, 
Des  I/Cbens  Kampf  ihm  Ripp'  auf  Ripp'  gebrochen. 

Es  brach  ihm  Ring  auf  Ring  und  Ripp  auf  Rippe, 
Er  achtet's  kaum,  er  zählt  die  Wunden  nicht. 
Nur  daß  ein  bittrer^)  Hohn  um  seine  Lippe 
Des  Schmerzes  Kränze  unverwelkbar  flicht. 
Endlich  zerschellt  er  an  der  harten  Klippe, 
An  der  das  stärkste  Männerherze  bricht, 
Es  hat  die  Not  der  Seinen  ihn  getötet, 
Wohl  ihm,  so  hat  er  endlich  ausgenötet! '') 

Wer^)  ist  nicht  weit  von  ihm,  das  Weib,  das  bleiche, 
So  lebensmüde  Furchen  auf  der  Wang'? 


')  Dies  Wort  war  nicht  genau  zu  entziffern.  Möglicherweise  wäre  ,,auch"  zu  lesen. 

-)  Durchstrichen:  ,,das  Kampf eslied" . 

^)  Lassalle  erwog  auch  die  Fassung:  „Ein  zweiter  Herkules". 

*)  Ursprünglich  schrieb  I,assalle:  ,,nach  langem,  langem  Wüten". 

^)  Dieser  Vers  machte  dem  Dichter  Schwierigkeit.  Ursprünghch  stand  da: 
,,So  hat  zuletzt  auch  jenes  Panzers  Stahl  gesprengt". 

•)  Durch.strichen  ist:  „wilder". 

')  Ursprünglich  stand  da:  „Er  konnte  länger  nicht  die  Not  der  Seinen,  Den 
Harm  anschauen,  der  Augen  stummes  Weinen". 

*)  Hier  beginnt  ein  neues  Blatt.  Unter  „Wer  ist"  steht —  beides  nicht  durch- 
gestrichen —  „Sieh  dort".  Im  Text  wurde  die  Fassung  gewählt,  auf  die  das  Frage- 
zeichen hindeutet. 


407 


Es  scheint,  daß  diese  rührend  schöne  Leiche 

Dem  Tode  gerne  in  die  Arme  sank! 

Um  ihre  Lippe  schwebt,  die  schwellend  weiche. 

Für  die  Befreiung  ^)  tiefgefühlter  Dank, 

Doch  sieht  man  nichts  an  ihr  von  Todeswunden, 

Durch  deren  Tor  das  Leben  sei  entschwunden. 

Doch  sieh',  mit  Millionen  kleinen  Stichen 

Wie  übersät  ist  dieser  schöne  Leib 

Ach  an  der  Leiden  schlimmsten-)  ist  verblichen. 

An  der  Gemeinheit  Nadelstich  das  Weib 

An  der  Misere  Steckennadelstichen, 

Den  täglichen,  die  wie  zum  Zeitvertreib, 

Die  trockne  Prosa  bohrt  in  alles  Schöne ; 

Es  haßt  der  Erdenton  die  reinen  Sphärentöne. ^) 

Verkauft  um  Geld,  dem  rohen  Mann  zur  Seiten*) 

Füllt  unerfüllte  Sehnsucht  ihre  Brust, 

Sie  fühlt,^)  daß  dieses  ruh-  und  rastlos'  Streiten 

Um  rotes  Gold  nicht  schafft  die  Erdenlust. 

Rings  um  sie  sieht  sie  Reichtümer  sich  breiten, 

Mit  Ekel  nur  füllt  sie  der  tote  Wust. 

In  ihrem  Herzen  will  sich  andres  regen. 

Es  pocht  nach  Liebeslust  mit  heißen  Schlägen. 

Da  hat  sie  einst  gewagt,  gewagt  zu  lieben; 
Der  große  heiße  Drang,  der  in  Natur®) 
Und  Menschengeist  gleich  mächtig  eingeschrieben. 
Er  fand  auch  ihres  Herzens  sichre')  Spur. 
Doch  daß  er  warme  Blüten  drin  getrieben. 
Verdammt  zu  des  Prometheus   Qual  sie  nur^) 


')  Ursprünglich  stand  ,, Erlösung".  Als  Variante  setzte  Lassalle  in  Klammern: 
,,Tief  aufatmend  für  die  Erlösung  Dank". 

-)   Ursprünglich  stand:  ,, ärgstem". 

■')  Lassalle  setzt  als  Variante  in  Klammem:  ,,Taub  ist  der  Erdenton  für  reiner 
Sphären  Töne". 

*)  Ursprünglich  hat  diese  Stanze  beginnen  sollen:  ,,Sie  hatte  einst  gewagt, 
gewagt  zu  lieben". 

')  Zuerst  stand:  ,,ahnt". 

*)  Ursprünglich  hatte  Lassalle  geschrieben:  ,,Die  Liebe  war  in  [?]  ihr  zum 
Ixions-Rad". 

^)  Ursprünglich  stand:  ,, ihres  warmen  Herzens  Spur". 

^)  Eine  andere  Version  Lassalles:  ,, Verdammt  sie  zu  des  Tantals  Qualen  nur '. 


-  4o8  

An  ihrer  Seele  frißt  das  Ungeheuer 
Mit  gier'ger  Wut  der  alte  Glaubensgeier. 

,,Gib  hin  den  Leib,  er  ist  des  Geistes^)  Spiegel,' 
Rief  laut  in  ihr  des  Lebens  Genius, 
,,Gib  hin  den  Leib,  er  ist  der  Seele  Siegel, 
Der  Seelen  Einheit  ist  der  Leiber  Kuß. 
Verbrechen  ist,  nicht  Pflicht,  des  Dogma  Riegel, 
Der  sündlich  absperrt  den  Zusammenfluß 
Der  Wesen,  die  sich  innerlich  umfangen, 
Der  Körper  folge  ihrem  Glutverlangen. 

Zerreiße  nicht  die  holde,  hohe^)  Einheit, 
Die  Seel'  und  Leib  im  All  zusammenschließt,^) 
In  ihr  allein  ruht  jedes  Lebens*)  Reinheit, 
Wie  nur  aus  ihr  das  Leben  selber^)  sprießt. 
Die  Trennung  nur  ist  Sünde  und  Gemeinheit, 
Wie  schon  im  Mythos^)  du  vom  Paare  liest, 
Das  sich  zu  Edens  Räumimg  muß  bequemen, 
Als  es  begann,  des  Körpers  sich  zu  schämen."') 


^)  Zuerst  stand:  ,,der  Seele". 

^)  Durchstrichen  ist:  ,,hohe  hehre". 

^)  Zuerst  stand:  ,,Von  Seel'  und  Leib,  von  Körper  und  vom  Geist' 

*)  Zuerst  stand  —  nicht  durchgestrichen  - —  ,, Wesens". 

^)  Zuerst  stand  —  nicht  durchgestrichen —  ,, schöpf risch". 

")  Zuerst  stand:  ,,Wie  in  der  Mythe". 

')  Hier  bricht  das  Manuskript  ab. 


* 
Druck  der  Deutschen  Verlags'Anstalt,  Stuttgart 


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