Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen.
Philologisch -historische Klasse
aus dem Jahre 1916.
Berlin,
Weidmannsche Bnchhandlnng.
1916.
PS
Druck der Dieterich.chen Unir.-Buchdruckerei (W. Fr. Kaeetner) in Göttingen.
Register
über
die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen.
Philologisch • historische Klasse
aus dem Jalire 1916.
SeHe
Andreas, F, C, Vier persische Etymologien 1
Becker, C. H., Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch 7
Bezold, C, Abbä Gabra Manfas Qeddus 58
Bousset, W., Zur sogenannten Deprecatio Gelasii 135
— Die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens . . . . 469
Goldziher, I., Über igmä' 81
JoUy, J., KoUektaneen zur Kautiliya Arthas'ästra 348
Krusch, Br., Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung 231
— Der neu entdeckte Urtext der Lex Salica 683
Lidzbarski, M., Neue Götter 86
Littmann, E., Anredeformen in erweiterter Bedeutung .... 94
Meyer, "W., Die Verskunst der Iren in rythmischen lateinischen
Gedichten 605
— Drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin . . 645
— Die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende 745
Oldenberg, H., Zur Geschichte des Worts brdhman- . . . 715
Prietze, R, Haussa-Sänger mit Übersetzung und Erklärung. L . 163
— — II 552
Rahlfs, A., Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament . . 315
Eeitzenstein, R., Die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus 367
— Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. Die Bezeichnung Märtyrer 417
Rüge, W., Älteres kartographisches Material in deutschen Biblio-
theken. V. Bericht aus den Jahren 1910 — 1913. . . . Beiheft.
Set he,. K., Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen
Sprache 112
— Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana 2T.5
I
Vier persische Etymologien.
Von
F. C. Andreas.
Vorgelegt in der Sitzung yom 26. Febnuur 1916.
In knapper Form lege ich die von mir seit langem in meinen
Vorlesungen gelehrte Etymologie von vier persischen Wortern vor,
indem ich die darauf bezüglichen ausführlichen Auseinander-
setzungen für ein späteres Heft zurückstelle. Meine Wiedergabe
der neupersischen Wörter in lateinischer Schrift ist für jeden
wirklichen Kenner nicht nur ohne weiteres verständlich, son-
dern auch selbstverständlich.
^ o>
1. qLo-o, bäbribäyän (volkstümliche Aussprache bäbribäyün).
Dies ist die aus dem Schahname wohlbekannte Bezeichnung
des Gewandes, das Rustäm über seinen Harnisch (jausän) anzu-
legen pflegte, wenn er ztim Kampfe auszog. Daneben findet sich
die kürzere, nur aus dem ersten Teile des Wortes bestehende
Form häbr. Die Erklärung von bäbribäyän bietet gar keine
Schwierigkeit. Es ist zusammengesetzt aus bahr, dem persischen
Worte für den Tiger (Felis tigris), und bäyän. In bäyän aber
ist yän genau dasselbe wie in dem von Lagarde (Gesammelte
Abhandlungen S. 39, 23 ff.) erklärten qU«^, hämyän (volkst. Aus-
sprache hämyün) „Gürtel" ^), das auf ein altpersisches homy^hon{om)
{hom + yöhonom von der Wurzel yöh, indogerm. yös, „anlegen, an-
ziehen, umlegen, umtun") zurückgeht, während bä die neupersische
1) Daneben die kürzere Fonn ,.,Lw« miyan (v. A. mii/ün), die durch den
Abfall der Anfangssilbe genau so entstanden ist wie die Verbalpartikel mi
(älter tue) aus häme. Mit miyan „Mitte" hat dieses miyän ,Gürtel" natürlich
nichts zu tun.
KgL Gn. d. Wim. Nftckrickt«. PUL-Ufl Klan«. IM«. Etli 1. 1
2 F. C. Andreas,
Präposition hä ist, die regelrecht das ältere upo fortsetzt. Die
Verbindung von upo mit einem Verbum, das die Bedeutung von
yöh hat, ist durchaus nicht auffällig '). Bäyän läßt sich also streng
lautgesetzlich auf ein altpersisches upoyöhon{om) zurückführen, das
„ein umzuhängendes, überzuwerfendes Grewand" bezeichnete. Die
Bedeutung des Kompositums hähribäyän ist dann „das Tiger-
gewand", das wie ein Mantel über der Rüstung getragen wurde.
Noch eins ist aber ins reine zu bringen. Wie ist es zu erklären,
daß der Vokal der zweiten Silbe von hähribäyän, obgleich nur als
Käsr (?) bezeichnet, an allen Stellen, wo ich das Wort im Schah-
name aufgefunden habe^), lang gemessen wird. Das die Grenitiv-
verbindung anzeigende relative i kann allerdings sowohl kurz als
lang sein, aber von diesem i kann doch hier unmöglich die Rede sein %
Meines Erachtens kann dieser lange in der Kompositionsfuge stehende
Vokal nur das e des mitteliranischen Kasus obliquus gewesen sein.
Denn es ist eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß seit mittel-
iranischer Zeit das Vorderglied der Komposita im weitesten Um-
fange anstatt in der Stammform im Kasus obliquus erscheint*). Im
Neupersischen ist das e des Kasus obliquus fast ausnahmslos verkürzt
worden und dann oft geschwunden, doch gibt es noch vereinzelte
Fälle, wo das e durch ^^ bezeichnet, also als Länge gesprochen
wurde, so z. B. ^^3;^*^, äähexUn „nächtlicher Überfall" neben dem
jüngeren q^^^V^ säbxun, ß^.)^ , käregär , neben ß^ kär*gär „einer,
der etwas bewirkt, wirksam, Handwerker, Künstler" u. a. m.
Hiemach scheint es mir kaum zweifelhaft, daß nicht nur bähre-
bäyän gesprochen worden, sondern auch dementsprechend ur-
sprünglich nicht qLu^, sondern qUxj^ geschrieben worden ist.
Infolge von Nachlässigkeit oder auch vielleicht aus Abneigung, das
Zeichen j dreimal hintereinander zu setzen, ist das erste j (j)
weggelassen und der Vokal als bloßes Käsr (I) bezeichnet worden,
obgleich er in Wirklichkeit eine Länge war und von dem Dichter
des Schahname als solche verwendet wurde.
2. Q'y-f^ pählävän (volkstümliche Aussprache pähbvün).
Von diesem die Helden des Schahname bezeichnenden Wort
ist, soweit ich weiß, die richtige Etymologie bisher nicht ver-
1) Vgl. B. Delbrück, Altindische Syntax S. 455: üpa in Verbindung mit:
jyffor jemandem etwas überdecken, etwas bedecken, umkleiden mit; vyä Qm-
nebmcn, umhangen (die heilige Schnur)".
2) Doch kann ich nicht dafür einstehen, keine Stolle übersehen zu haben.
8) Mohl scheint es allerdings nach seiner Umschreibung „Bebr-i-beyan"
(s. seine Übersetzung III, S. 101 u. 105) für ein solches gehalten zu haben.
4) S. hierzu auch P. Horn, Neupersische Schriftsprache im Qrundr. d, iran.
Philologie I, 2, S. 100 f. (( 49).
Vier persische Etymologien. ^
öffentlicht worden, obgleich sie auf der Hand liegt*). Pählävän
geht auf ein altiranisches *pä&ropäno, aus päd-ro- n. „Schutz" + päno-
m. „schützend", zurück, das die Bedeutung „Schützer, Wächter"
hatte. Aus *pdd'ropäno wurde im Mitteliranischen zunächst *pahro-
pän, später *pähräßän und schließlich im Neupersischen mit dem
ganz gewöhnlichen Übergang von r in Z zu päfdävän (Volksausspr.
pälddvün). Identisch damit ist das armenische ifiii<>uiifMiYi pahapan
^Wächter, Hüter", aus *parhapan = iran. *pähropdn^). Pdhropän-
päliläiän ist aber eine nordiranische Form und gehörte als solche
ursprünglich der Reichssprache der Arsakiden an. Die ihr ent-
sprechende Form der säsänidischen Reichssprache, deren Heimat
der Südwesten Irans, d. i. die Provinz Pars (Färs) ist, ist qL--».j
päsbän; sie zeigt den für das Südwestiranische charakteristischen
Lautwandel von uriranischem dr in s (ursprünglich ss). "Wenn
wir nun sehen, daß in dem nordiranischen pählävän ebenso wie
in mehreren anderen Wörtern') das ältere -pän durch -van re-
flektiert wird, in dem südwestiranischen jnishän aber durch -bän,
so liegt die Vermutung sehr nahe, daß die Formen mit -van aus
dem Norden, die mit -hän aber aus dem Südwesten stammen. —
Neben pählävän findet sich in derselben Bedeutung das kürzere
^jJL^j pähläv, das sich jetzt ohne weiteres auf ein älteres pa^ropä
zurückführen läßt.
Die hier vorgelegte Etymologie von pählävän und pähläv gibt
uns erst, wie ich glaube, die richtige Vorstellung von dem Wesen
der Pählävane: Sie sind die Schützer und Wächter des Königs
und des Reiches. Der gewaltigste von ihnen, Rustäm, führt, wie
sein Vater Z&l und sein Großvater Säm, den Titel q|>^j o*-*^
1) P. Hörn (Grundriß der neupersischen Etymologie S. 76, Xr. 343 u. Neu-
persische Schriftsprache im Grundriß d. iran. Phil. I, 2 S. 57 u. 94) hat den un-
glücklichen Gedanken gehabt, den vor ihm und nach ihm wohl auch noch andere
_gehabt haben, pahlävan von Pähläv = altpers. Par9ava- „Parthien, Parther*
abzuleiten und die Endsilbe als das auf den alten Genitiv Pluralis zurückgehende
Adjektivsuffix an zu fassen. Danach wäre in der Quelle des Firdousi, dem unter
4en Säsäniden entstandenen z«^«"^'»äi die ehrenvollste Bezeichnung für die
Helden der Vorzeit „der Parther" oder „der Parthische" gewesen, was ich
wenigstens nicht glaube.
2) Über armen, uiui'^uiuib pcüiapan und die dazugehörigen persischen und
armenischen Wörter genügt es einstweilen auf Hübschmann, Persische Studien,
S. 204 f. und besonders auf die sorgfaltigen Zusammenstellungen in seiner Ar-
menischen Grammatik I, S. 217 u. 218 (Nr. 495—499) zu verweisen. Unbegreiflich
ist, daß er sich die Gleichung pa(r)hapan = pähiätan hat entgehen lassen.
3) Eine Liste neupersischer Wörter, in denen das altiranische -pano- als -vom
erscheint, gibt Hom in seiner Neupersischen Schriftsprache, Grundriß d. iran.
Phil. 1,2, S. 188; sie läßt sich noch durch einige Beispiele vermehren.
1*
4 F. C. Andreas,
^ihän pählävän oder qI^»- o1>^ pählävän i gihän „der Schützer
oder Wächter der Welt*, die hier das iranische Reich bedeutet.
3. jüL>, xänä, (volkstümliche Aussprache xünä\ „Haus".
Das neupersische Wort für Haus" wl^- %änä (volkstüml. Aus-
sprache xünä), das in der Literatursprache auch in der kürzeren,
suffixlosen Form qL> xän (v. A. ;gwn) *) vorkommt, läßt sich nur bis
ins jüngere Mittelpersische zurückverfolgen. Wie alt aber die mittel-
persische Form ]'iny, "^DZüfn^ zu sprechen jjöwäye, ist, läßt sich einst-
weilen nicht feststellen, da uns das Wort ursprünglich immer in
ideogrammatischer Schreibung entgegentritt, indem dafür das ara-
mäische •*<©) «rr^n gesetzt ist. Eine befriedigende Etymologie ist
für x«»'öi bisher nicht gefunden v^orden. Horn^) will es von einer
Wurzel x«w ableiten, die eine Nebenform von neupersisch kän-dän
„graben" gewesen sei. Aber eine solche Nebenform, für deren
Vorhandensein er sich auf das arabisierte /^«"^^^ jjäwt^äÄ; „Graben,
Festungsgraben" beroit, hat es gar nicht gegeben. Denn daraus,
daß die Araber bei der Herübernahme des mittelpersischen
Mndäk (älter *lcondäk), dessen neupersische Form n^XiS kändä tat-
sächlich von Gawäll^i^) und den persischen Lexikographen über-
liefert wird, aus dem anlautenden k ein x gemacht haben, folgt
doch nicht, daß die Perser neben kändän auch ein jräwtiäw gehabt
haben*). Also damit ist es nichts. Ich bin nun zu einer, wie ich
glaube, erwägenswerten Erklärung von x«^« gekommen, wobei ich
aber gar nicht von jjawä ausgehe, sondern von dem altpersischen
ärahanam (nach meiner Auffassung der Laut Verhältnisse ävohonom
zu sprechen) „Ortschaft, Dorf", eigentlich „das Wohnen, das Be-
wohnen'' (altiranisch *ä-vah- = sanskr. ä-vas- „wohnen, bewohnen")
und mir die Frage vorlegte, was aus diesem Worte nach der uns
bekannten Entwicklung der Laute im Persischen geworden sein
könne oder müsse. Zunächst wurde daraus, durch Kontraktion
von aha {oho) zu ä (ö), ävän (ävön), das tatsächlich als Lehnwort in
1) Das Burbän i Käti' verzeichnet das Wort auch mit der hisher ganz un-
beachtet gebliebenen Orthographie ^^ (j^|, \^ ^ ^iLi» J^ft^ J^^ ^li' L)^
wodurch als ältere Aussprache xön erwiesen wird. Daraus mußte dann x^** werden.
2) Grundriß der Neupersischen Ktymologie S. 103, Nr. 465 u. S. 194, Nr. 865>
und Neupers. Schriftsprache im Orundr. d. iran. Phil. I, 2, S. 66.
8) Öaw&lfl^rs Almu'anab herausg. von Ed. Sachau S. ©a.
4) 8. auch Hübscbmann, Persische Studien S. 88, Nr. 869 und Anm. 2.
Trotzdem vorwendet Dartholomae, Vorgeschichte d. Iran. Sprachen im Orundr. d.
iran. Phil. 1, 1, S. 8, Ü 13 ein angeblich neupersisches xändäi: als Beweis für das
Vorhandensein einer iranischen Wurzel xan.
Vier persische Etymologien. 5
armenisch mi.iub „Dorf, Flecken" (xäur}, iaavXig) vorliegt^). Ans
ävän {ävön) wurde dann nach Schwnnd des v durch eine weitere
Kontraktion an (ön) *), das sich von x«w (lön) nur durch den vo-
kalischen Anlaut unterscheidet. Aber an und ;ud« miteinander zu
vermitteln, das eine als die Vorstufe des anderen wahrscheinlich
zu machen, macht keine Schwierigkeit, da das Persische eine Ver-
stärkung des Vokaleinsatzes zur gutturalen Spirans x kennt, die
ursprünglich im Südwesten (Färs) zu Hanse gewesen zu sein
scheint. Die Beispiele dafür hat Hübschmann in seinen Persischen
Studien S. 265 (§ 162) zusammengestellt, aber ein festes Gesetz,
wonach diese Verstärkung eingetreten ist, hat sich nicht ausfindig
machen lassen. Einen Einfluß scheinen die auf den anlautenden
Vokal folgenden Konsonanten gehabt zu haben. Darunter ist
auch m, das unmittelbar auf den Vokal folgte, wie in j.L> x^"*
(v. A. x"^0 »roh, unreif, unerfahren" aus *ätno- = sanskr. ämd-
„roh, ungekocht, unreif, armen. ^miT ;i;am „unerfahren, unkundig,
ungewohnt", das aus dem Mittelpersischen, der Reichssprache der
Säsäniden entlehnt ist, während armen. '^lmT hum »roh", das
Hübschmann für echt armenisch hält^j, höchst wahrscheinlich aus
der nordiranischen Reichssprache der Arsakiden stammt, und in
jji,y«Li»" lämös (v. A. xümüs) „schweigend, ruhig, ausgelöscht (vom
Feuer und Licht"*), das sicher in irgend einer Weise mit altiran.
*ämursto- = sanskr. ämrsta- „abgewischt, weggewischt" zusammen-
hängt. In den beiden folgenden Fällen ist m durch einen anderen
1) Die von mir herrührende Gleichung armen. ^iLJub atan = altpers. äva-
hanam {ävohonom) (Z.D. M. G. XLVII, 1893, S. 702) hielt Hübschmann seiner Zeit
(Pers. Stud. S. 170 u. Armen. Gramm. I, S. 112, Nr. 78) für unsicher, „da h =
urspr. s im Persischen zwischen Vokalen nicht schwinde". Dabei hatte er aber
ganz die unanfechtbare Etymologie von hämyän „Gürtel" (s. oben S. 1) übersehen.
Heutzutage zweifelt aber wohl niemand daran, daß im Persischen h zwischen zwei
Vokalen schwinden und Kontraktion eintreten könne ; s. Hörn, Neupers. Schriftspr,
im Grundr. d. iran. Phil. I, 2, S. 9« (§ 42, 7 b) und Bartholomae, Altiran. Wörterb.
Sp. 98 u. aitcyävhana- No. 6 u. Sp. 333 u. ä-vahana-, wo aber das dem armenischen
avan entsprechende mittelpers. *ävän (ävän) auf ein eigens dazu konstruiertes alt-
persisches *ävähana-, mit langem Vokal der Wurzelsilbe, zurückgeführt wird an-
statt auf das wirklich vorhandene ävahanam (ävohonom). Wozu diese Künstelei ?
Da doch ävahanam (ävohonom), wenn die beiden mittleren Silben kontrahiert
wurden, nichts anderes ergeben konnte als *ävan. Bartholomae selbst, a. a. 0.
Sp. 1452, hält es ja, und zwar mit vollem Recht, für möglich, daß der altpersische
Eigenname viväna- (viväno) aus vivahana- (vivohono-) entstanden sei.
2) s. Hübschmann, Pers. Stud. S. 168, § 59. „Kontraktion bei mittlerem tj*.
3) s. Armen. Gramm. I, S. 468, Nr. 254.
4) Fehlt in Hübschmanns Zusammenstellung; s. aber Hom, Grundr. d. neu-
pers. Etymologie S. 103 (Nr. 464) u. Neupers. Schriftspr.. Grundr. d. iran. Phil.
I, 2, S. 67 (§ 23, 4).
0 F. C. Andreas, Vier persische Etymologien.
Konsonanten von dem Vokal getrennt : 1) in ,,-Ä3» x^^'w oder j;ä6?wt
„Zorn, Wut" = awestisch VccSüJt") I^TD"'«, sprich *oismo; 2) in U^>.
xurmä „Dattel", dem ein älteres *urmäv zugrunde liegt. Dieses
*urmäv läßt sich mit Sicherheit aus dem armenischen lupJiuL. armav
„Dattel" erschliessen, das die Armenier aus dem Nordiranischen
entlehnt haben. — Wenn nun vor einem Nasal, vor m, der Vokal-
einsatz verstärkt worden ist, so ist es keine zu verwegene An-
nahme, daß dies auch vor einem anderen Nasal, vor n, statt-
gefunden habe, daß also an zu jjdw geworden sei. Damit wäre
wenigstens die Möglichkeit erwiesen, daß aus dem altpersischen
ävahanam {ävohonorn) das neuere ;faw und ;fdwä entstanden sei. Und
damit begnüge ich mich.
4. Jüdischpersisch '{»''S, biyän, „Zelt".
In dem aus Turfan stammenden Fragment M. 3 ^), das einen
Bericht über eine Zusammenkunft Mänis mit dem Könige S&/3ör I.
enthält, kommt auf Zeile 13 der Vorderseite das Wert ari (von
F. W. K. Müller venag gelesen) vor, das bisher unerklärt geblieben
ist. Hier die Erklärung, die ich schon vor mehreren Jahren dem
Herausgeber der Turfan-Fragmente mitgeteilt habe. M*n , zu lesen
viyänäy, ist das jüdischpersische 1lÄ''i, biyän, das in den von Juden
herrührenden Übersetzungen alttestamentlicher Schriften das he-
bräische bnS5 „Zelt" wiedergibt^), erweitert durch das Suffix k (y).
Die ältere Form des Wortes lernen wir aus der mittelpersischen
Übersetzung der Psalmen kennen, wo Ps. 131 (hebr. 132), 5 u. 7
'\»'Tn steht = syr. JjJuuö „Zelt, Wohnung". "jÄT^". {vidän) ist aber
im Mittelpersischen des Psalters eine historische
Schreibung, denn in der Säsänidenzeit sprach man, wie auch das
M'n von M. 3 zeigt, sicher viyän. Dagegen muß sich im Nordiranischen
das intervokalische d noch bis in die Säsänidenzeit gehalten haben.
Dafür spricht die Schreibung des Wortes auf dem nordiranischen
Blatt des Fragmentes M. 2, Spalte 1, Z. 11—12; hier die Stelle:
'p^fr^ 7^^y'b^ n« ■'D [l]»3bW3:«Tl , viöänmändn Jcs «d vx^ßeh vidänän
»die Zeltbewohner, die mit ihren Zelten". Aus dem Nordiranischen
stammt auch das armenische il_pw'b vran „Zelt", wo die stimmhafte
dentale Spirans des Iranischen durch p r wiedergegeben ist, wie
bei allen in der Arsakidenzeit entlehnten Wörtern.
1) 8. F. W. K. Müller, Handschriftcn-lteste aus Turfan II, S. 80 ff.
2) S. Jes. 16,6; 83, 20; 40, 22; 54, 2; Jer. 4, 20; 6, 3; 10, 20«; 49, 29 i«
Lagarde's Persischen Studien.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch.
Von
C. H. Becker.
Vorgelegt von E. Littmann in der Sitzung am 15. Janoar 1916.
Im Anschluß an die Septuaginta ist auch das koptische Daniel-
buch in Visionen eingeteilt und der kanonische Text durch ver-
wandte, von unserer Überlieferung als apokryph bezeichnete Stücke
ergänzt. Die koptische Bibelübersetzung hat nun diese Tendenz
der Angliederung noch weitergeführt, indem sie zu den 12 resp.
13 Visionen der Septuaginta — als 13te zählt die Greschiehte von
Bei und vom Drachen — mit gewissen Umstellungen noch eine
14te Vision hinzufügt. Von ihr sagt schon Bonjour, der die Vi-
sion zuerst behandelt hat, in seinem Werke : In monumenta coptica
seu Aegyptiaca bibliothecae vaticanae brevis exercitatio (Romae
1699) p. 23 ff. : „Nihil aliud est quam aequo liberior paraphrasis
\asionis quatuor bestiarum quibus quatuor regna designantar" —
d. h. also des berühmten 7ten Kapitels unserer Zählung. Die erste
vollständige Edition und Übersetzung bietet, wie mir Crum mit-
teilte, C. Gr. Woide, Appendix ad editionem novi testamenti Graeci,
cum dissertatione de versione Bibliorum aegyptiaca (Oxonii 1799)
Sectio III, p. 141 — 148. "Woides Handschriften sind nach Crum
wohl dieselben, die Quatremere, Notices et Extraits VIII, auch
beschreibt. Eng an "Woide anschließend erfolgt dann H. Tattam's
Edition und Übersetzung der Prophetae Majores in dialecto lin-
guae aegyptiacae memphitica seu coptica (Oxonii 1852). Die Visio
decima quarta steht hier in Band II, S. 387 — 405. Sie ist außer-
dem von Bardelli, Daniel copto-memphitice (Pisis 1849) abgedruckt
(mir unzugänglich). Eine genaue Besprechung der textkritischen
g C. H. Becker,
Stellung des koptischen Daniel gibt A. Schulte in seinem Buche:
Die koptische Übersetzung der vier großen Propheten (Münster i. W.
1892). In einem Anhang S. 84 ff. liefert Schulte hier eine deutsche
Übersetzung der 14ten Vision aus dem Koptischen. In seiner Ein-
leitung S. 8 zitiert er folgendes Urteil Bardelli's über diese Vision:
„Omnes quos vidi Codices coptici ad calcem Danielis hanc addunt
visionem decimam quartam, quae post irruptionem Saracenorum,
imo Turcarum nomine iam cognito, exarata fuit, ideoque certo
apocrypha est".
ßardelli hat ganz richtig gesehen; auch Schulte hat die
„Türken" erkannt (Anm. zu v. 65), aber über diese Allgemein-
heiten hinaus ist meines Wissens ein sachlicher Erklärungsversuch
noch nicht unternommen worden. Die Apokalypse will das Reich
der Ismaeliten und seinen Untergang schildern, aber da sie keine
historischen Namen aus arabischer Zeit, sondern nur dunkle An-
spielungen bietet, war nicht ohne weiteres festzustellen, wie weit
ihr die islamische Geschichte bekannt war. „Wenn der Zeitpunkt
bestimmt werden könnte", schreibt Schulte S. 8, „wann diese Vi-
sion entstanden ist, so hätte man damit auch einen Anhalt für
die Entstehungszeit der koptischen Übersetzung überhaupt; denn
das sprachliche Colorit stimmt mit den übrigen Kapiteln Daniel's
vollständig überein". Von ähnlichen Gresichtspunkten ausgehend,
wandte sich vor Jahren A. Erman an mich mit der Anfrage, ob
ich eine historische Deutung der doch offenbar auf die Kalifenzeit
bezüglichen Apokalypse zu geben vermöchte. Das veranlaßte mich,
den äußerst dunklen, gewollt mehrdeutigen, aber auch gewiß
sprachlich nicht einwandfrei überlieferten Text immer wieder vor-
zunehmen. Wenn auch noch manche dunkle Stelle bleibt — eine
Apokalypse ist keine Chronik — , glaube ich doch die Erklärung
für die Hauptfiguren und für den gesamten historischen Hinter-
grund gesichert zu haben. —
Die jüngeren koptischen Bibelhandschriften haben meist die
arabische Übersetzung in einer Parallelkolumne beigefügt. Ediert
ist bisher nur der koptische Text. Da es sich aber hier um ara-
bische Verhältnisse handelt, schien die Heranziehung der arabischen
Version nützlich, auf die schon Tattam in seinen Anmerkungen
gelegentlich hinweist. Der Tattam'sche Text baut sich auf einer
Pariser, einer Cairoer und zwei in seinem Privatbesitz befindlichen
Handschriften auf, von denen die älteste, die Pariser, a. H. 1071
geschrieben ist. Varianten gibt er nicht an; sie fehlen also wohl.
Ich benatzte auf Rat von Crom die ungefähr gleichaltrige, im
Jahre 1090 H. geschriebene Londoner Handschrift, die in Crum,
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 9
Catalogue of the Coptic Manuscripts in the British Museum als
No. 729 beschrieben ist. Die jüngere Berliner Handschrift von
a. H. 1227 (Ms. Orient. Quart 394) enthält leider die 14. Vision
nicht, die wie schon ßardelli sagt, sonst nicht zu fehlen pflegt.
Andere Handschriften (z. B. Cram, Cat. Copt. Mss. Rylands Li-
brary No. 419) sind mir während des Krieges nicht zugänglich.
Das Danielbuch beginnt in der Londoner Handschrift Fol. 164',
die 14. Vision Fol. 240'. Zu Beginn des Danielbuches steht unten
auf der Seite folgende grundlegende Bemerkung:
Also : „Dieser Text findet sich in einer arabischen Handschrift,
und er findet sich nicht im Koptischen. Wir haben ihn aus dem
Arabischen in's Koptische übersetzt wie folgt". Diese Bemerkung
steht nun aber nicht nur in der Londoner, sondern auch in der
Pariser Handschrift von a. H. 1071. Wenigstens erwähnt Quatre-
mere, Notices et Extraits VIII, 229 folgende Glosse der Hand-
schrift: „Ceci existoit dans l'original Arabe et nous l'avons tra-
duit en Copte". Diese Bemerkung ist um so wichtiger, als diese
Handschrift nicht den arabischen, sondern nur den koptischen Text
enthält. —
In diesen alten Handschriften gibt sich also der ganze kop-
tische Daniel als eine Übersetzung aus dem Arabischen. Es kann
nicht meine Aufgabe sein, diese Behauptung für den ganzen Daniel
philologisch zu erhärten. Jedenfalls ist a priori anzunehmen, daß
der Daniel schon vor dem Aufkommen des Arabischen in's Kop-
tische übersetzt war, da nach Leipoldt, Geschichte der christ-
lichen Litteraturen des Ostens, S. 139, die koptische Bibelüber-
setzung bereits 350 abgeschlossen war. Ich habe die Frage nur
für die 14te Vision nachprüfen können, und dabei durfte ich mich
der eingehendsten Beratung von A. Erman erfreuen. Alle seine
Bemerkungen sind in den Anmerkungen zu meiner Übersetzung
verarbeitet. Ich danke ihm auch hier nochmals aufrichtig für die
große Mühewaltung. Eine Entscheidung, ob unser koptischer Text
Original oder Übersetzung ist, wird durch den Umstand erschwert,
daß eine eventuelle arabische Vorlage nie und nimmer das Original
sein kann, sondern ihrerseits aus dem Koptischen übersetzt worden
sein müsste; denn die Auflösung der Zahlenspekulation bei den
Eigennamen, die unten gegeben wird, hat nicht das arabische,
sondern das griechisch-koptische Zahlensystem zur Voraussetzung.
Auch liegt eine koptische Abfassung der Zeit, in die wir die Apo-
10 C. H. Becker,
kalypse ans anderen Gründen datieren müssen, sowie dem reli-
giösen Zweck, dem sie dienen sollte, viel näher als eine arabische.
Wir müßten also eine zweimalige Übersetzung feststellen. Die
koptisch gedachte und abgefaßte Vision wäre in's Arabische über-
setzt und aus dem Arabischen wieder in's Koptische übertragen
worden. Diese letzte Übersetzung läge der Pariser Handschrift
und damit Woide's und Tattam's Edition, wie der Londoner Hand-
schrift, zu Grande. Bei diesem Tatbestand fallen die gewöhn-
lichen Hülfen (mißverstandene Übersetzungen u. s. w.) fort, da man
nie weiß, wo die Fehler begangen worden sind. Erman hält
(ebenso wie Schulte) das Koptische für das gewöhnliche Bibel-
koptisch und ist deshalb geneigt, den vorliegenden koptischen
Text als Original anzusprechen. Dagegen spricht der zweimal
belegte klare Wortlaut der Handschriftennotiz. Es ist nicht ein-
zusehen, aus welchem Grunde sie erfunden sein soll. Das Koptische
war doch der heilige Text, nicht das Arabische. Der apokryphe
Charakter konnte damit doch nicht angedeutet werden sollen, da
die Vision doch nur sehr selten fehlt, also als kanonisch gilt.
Philologisch unmöglich scheint mir die Übersetzung aus dem Ara-
bischen nirgends, wenn auch die Übersetzung bestimmter Eigen-
namen, wie Suban = Assuan (v. 31, 50), Maris = Sa'id (v. 50)
sehr dafür spricht, den vorliegenden koptischen Text für das
Original zu halten; in anderen Fällen dagegen, die ich in den
Anmerkungen andeute, scheint das Arabische das Original zu sein,
zwingend ist die Beziehung nirgends. Vereinzelt wäre ja eine so
komplizierte Textgeschichte bei apokryphen Texten durchaus nicht.
Die Überlieferungsverhältnisse scheinen mir vielmehr daran Schuld
zu sein, daß die Apokalypse in ihrer vorliegenden Form noch
dunkler und verwirrter ist, als sie es der Natur der Sache nach
zu sein brauchte.
1. Text nnd Übersetzung.
Vorbemerkung.
An Abkürzungen sind verwandt:
D = Daniel-Text.
T = Tattam's Text und Übersetzung.
8 « Schulte's deutsche Übersetzung des koptischen Textes.
E = Äußerungen A. Erman's.
Alle in eckige Klammern gesetzten Worte sind Ergänzungen
nach T und S, die in runden von mir zugesetzte Erklärungen. —
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbnch. IX
Grundsätze der Edition.
Die Handschrift ist möglichst getreu wiedergegeben. Sie gibt
ein stark vulgäres Arabisch, die Casus und die Pronomina werden
durchgehend verwechselt. Es fehlt jede Konsequenz. Verbessert sind
nur falsche Vokale, d. h. fortgelassen. Da s und i bunt wechseln,
habe ich überall, wo ich überhaupt ergänzen mußte, 8 geschrieben.
Das Gleiche gilt für Schreibungen wie luL. Hier habe ich die
richtigen Punkte ergänzt, da folgende 3 Schreibarten vorkamen:
ÄÜS, *aJl3, äaJLj, Neben ,^' j' kommt f^-i^ vor. Ähnliches häufig.
Daniel wird bald mit »>, bald mit 6 geschrieben. Hier habe ich
einheitlich das richtige gesetzt. Sonst gibt der Text die Hand-
schrift wieder. Nur ein Taschdld ist gelegentlich hinzugefügt. —
Zahlreiche Stellen des Textes sind im Manuskript zerstört oder
überklebt; doch sind die Ergänzungen aus T und S meist unschwer zu
entnehmen. — Die Verseinteilung stammt von mir nach T. und S.
yU^ ^\J\ lijj^l
v3l*Jt^ v3jjj ^1 Job J^ ÜÜL. ^U ^^! ^5y*,UJI ^^ ÄÜliJ! iU-JI J^ (1)
U3. v/Ä' ^i L»^ J^?^ *Uai ^\ U^ QJj^ (^Jo-i o-Mö JLöb li! (2) I fol. 240«»
^\ ^ ^^ •i\c>^\ .^ ^ 00^3 lit^ 1^ ^M (3)
f^axiiS j;$^^\ ^j v-^' *U*J' J^j iüu.t toJ^ ^ü^f (4)
ij^ Üir9>^[-.] ^! ^^ ^yiJLl3'(ji^[3] ija} O^-^aj^^ (5)
^\ lil iHi^y ^ X.S^>Lp] X^^l *J5 H^[J] *^^ J5>j| ,jä^^[iy (6)
^jyKXä j> 'v-«[3.] ^Uol v-^[l3] j_^l3 ij;.s\>l 'vi;^iä] jt^
LiL^ LÄi'3-^3 ^>^ "h^ O^i O^' ^^--^ I ['^■A ^1^1 tA^yy (7) fol. 241»
ixJs ^Ji f^ ^J. ^\J\ t,^\^ 9^ ^ t.\-^\ iüJiS ow-«^ ol^ JuJl L^l3 lil Uxs,
1 Nicht j^o« zu lesen.
2 Nach D. und T. in t. 7; vielleicht va<uJ3" oder vtf*jt-yö! oder sonst zu er-
gänzen.
• »
3 Nach D. erwartet man s^^.
12 C. H. Becker,
jfcj^^l J^i*^ er y^^ ^j^ y^i «■^-*'^' d^ *">-*^' C^y tA=*>^'5 (9)
fol 24li> ijo^^ Ji'lj ^j*.L^' «,L«i>l^ tXj«>*- »^^. I X«A^'" Hjj»^ *^3J^ (.f^'^ (10)
Q, v-jyüL'j^Jia ^ax*o qj5 Läsj.! «>j|;5 *— |; i5 O*^ Oiß "^^ CyaJlj (11)
Q, 0<>J(«o <^ y>^ «Jj^ cyajl^ »,Lmj ^yi ^;j»^ «Aä ^^ iuu,! vto^|;5 (12)
JSoi iüu*ö ^-^1 viOx^ v.äJU;S? ^ J^ fcx^i.^ ^Juu
oJLfii \j\ Ut o^ U |JLcl ot^^AJS J^^ JLJI^ i; i, i3yM ^^^dV^ c>ot^^ (13)
fol. 242a y>! ^Jüi^ ^ ^y< ^p]l ^^[1] I [Ju]^| ^! ^bÄ--l .Jui- *I
^ QjjCy« U »i);[Ar>!] t<)ljy«Jö J* s«Ääl ^ Jl5^ ^5^15^5 <i)^' ^^X^^lä (15)
^i iüüt^ ^^Jül (Ji^yi^ oLiOü: Kju,? ;? ;fti>wt qIjJI ui^yi iüu^'211 (16)
fol. 242b j^-^l ^\ I ^y^5 "Jj^ jjyOli^ äU^ täUJ
^^ ^.^yt (iUL« ^ qI--^' JU.^ iü-Äu AJyaj! ^^JÜt ^^UJl (JiJ»^'^ (17)
XJuM yis« cXb>!^ ^U>*-r y^i*^^ (J>A
8^ Ul,< J^. ^5ü> l^JLc ^jiü. "^ JüCU! iU.J^ ^^ (18)
'*^. a^ o^"^' «'^ ^ r^' '-^- ^y^^ i^^' ^^i^' lt^^'^ (19)
fol. 243» «Löiü'S» ,_^[J! ^Jli^] ^ \ lOJÜLi^ ^[ ] ^jj QyJijj Ki- yjJ» ^j'i\ Ja»
^)ua«^t ^^ «Uu^ Ju-'ill ^xx^ w^ ^JJI ^yi jS^^Ji^ (20)
ö^ M,[i] tj^ iüy ^JPJ'i\ j^ ^y^- lO^Jüi (21>
^1^1 c;a^[^] HjLm iul Q, ^^1 ^J,J^ ^J^ ^^ iC^UIt eUi" (22)
1 Ms. (j0. 2 Sic; aoDSt lu^.
Das Beich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. |8
^lyu LXL. Ji^ iM^^ ü^"^^'^ Ti)^i U-y^' Cri'^ 3^ ^^^--^ v$3 (23)
f^\^\ y>\ JU- oy^:i o< ^' iVA*^' ^"^^» er u-^5 «sUJ er u»,^» c>*
ajUaÜ- >^S ,KXc^ ^ J^ I ^^ ^ ^^^ ^^^1 y.L*i, ^jjjm^ p^j f^j 243^
j ^yOJl ,jali?.3 SlyJ! ^^.^3 ^U^l j^ J,X«Ji ^ji^ y^^ ^^j^j,^^ ^^^^
^3 u»^^' ji' ;> Uü» ^i^ ^ ^yjXj ^_5JJ| yi^ ^^U{ ,j)jm^ (25)
c5y^ er >5 '^i+J er '^>^>» "^ i5^ u»;')» J^ tjNjAJÜöl (^Usj^ (26)
*^ r'^^t^^ 'iüy» ^^ *xXU ^ ^yCj ,^1 ^ ^LJI eUUI^ (27)
t^ Li vss^j ^.^ *aXU ^^ xiJüü? jLv'l o«;'^! ^^ Ä-Li^^3 (28)
£**^ C3^- »ä^ 05^.5 o^)^^ *j^^ vi SjÄii' V3j> *J^ i oy^i (29)
'u^>^' cWi *-s^ Vj^ jy^ >^i^ er üJ!^ 8-Ä^j juU juL-, ^5^ (30)
ü>^3 jt^ w^v>^ i^ ^ 05^3 'i^^ o^^J^ ^^ 0!hj^ (32)
o'^>^^ er isjj^' o3^^^
rXÄ:il'2<^ xLil 'äT; »^ ^ -i fjj» ^yjXj ^^i yxft eJUül eUUi^ (33)
,j:^3 «-^ 7j^3 »,^^ ^^^ ^ ^^ ^^j ^ ^yj ^mf^ (34)
1 J^y
2 0. P.
3 Mit Genitivnunation.
4 J^t
6 Kleine Lücke von 2-3 Buchstaben; sichtbar 2 Oberstücke eines |; Er-
gänzung ^^ ausgeschlossen.
7 Mit Genitivnunation.
8 Sic; nicht J»f>-, wie nach T. die Pariser Handschrift hat.
9 Mit Nominativnunation.
J4. C. H. Becker,
fol. 245« [2—3 Worte] I er oiri*^^ t^f^^^ f^ ^ ^^J^' 't*^^ (3^)
,»aA ^o-» ^A*>^ e5j«^i 05H^^ '''^^ c^V f^ o^;'^^- d^y^^i (37)
xJI ^^ vj^l ^^"^ y>"5<l ^5 oL^ cUÜi äUL. j^j lÄi? Jju ^:;,^ (38)
tjcA> (^yiÄÄi xÄ^ s£>.AÄj j^"^! v5^ (39)
fol. 245>> ^_yÄ* ^j-^L^i (äUil^ i^^^ ö-i*«^^ tfj I er t5^ r-^**^. *^^ ^>*^i (40)
^sA^ ^\ »ÄA*.. j3M**.i^ Ju.vXj^! ^ *-«^ j Louflj I^JwXÄ o^^ (41)
U*o fc^tjL^ ü5^^ k »•*.♦?■ u»^"^' J* (*A^ (j«y=» ü5^ *^^^ r~^ L?" (^^)
jj^ fcxjü jjöJ^ j*|>4^3 iütoaJI^ v-^AJ! q, Ij1«>^5 *i 0>^'-^^' i^-^^'s (43)
fol. 246"» I ^XsA Jr
•J}^ juJOj: (.Ij» i^ i >ji-i er ^^^ "^^ ^^uLaj^ g^ ^y »^5y-o^ (44)
jM^t 4^ IjAÜ' LAfj q5^^ *XL« jiU< ^A4^ iUX*. ^yo
Uwl ^^ »jSSj, j L^ Q5<j ^ pJ^ qjXj ^JJt ySos (jM^UJt äUX«^ (45)
JUIÜÄamIj Iü:XU (»^3 Lyt^ml \jf^ liU^ (.^^^^*:)3 (46)
iu.JL:> 4^3 lUAj Vj^^^M ?-^ jA^- ksH}^\ f^ j^UJ! t»m'[J (47)
fol. 246^ {J:i^i >JJm^ mL^Jum »^ ■ijs^ i^^^ ^<^ 1
»jSXt, J'^^'j ya* ^l ••>;^3 **^ Vj^-^j *u*A>. Q* *X>"tj ^yü (48)
^^t ^U^ ^5 -iipiS ^ Jiyo"^! jijJoj^ »^<-**e5 *uft ju^^a:?. «!Läx9 (49)
q|^< ^\ ^y*i3f. vX^y. j*ö^ J^i«^ <S '^^'^^ i5l>^'^'3 y«a^ «i< in»g.ij (50)
fol. 247» J?^"J(^ 'iJb I jV*^^ yÄ/« vXaJuä ,^1^ ^ ju*JL> ^^ cX^I^ 'Jjüuä (51)
l^3jA ^juv. jüaOü: tjüLe« i ;|u^ o>^ c5^' j^ cr^' 'i'^'^ (52)
1 o. P.
2 ^;— fc*l3
3 Lesung ansichor.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. ]:5
»j'li ^yj> ^\ xJLxJt JUj^ Vj*^' '"^P^^ er Vr*" *A^^y^^ (53)
^sJJL»^ ^U3I_^ ^aJI kij!_^ ^JJI ^^yo ^ p^. I j^ Jou ^^^ (54)
Ifjlä */•! U^ J-o«^! j^ ^^ sLI ^^"^ cÄ:-**^ er ^>^ ^j»^ ^ t;y^lJ^'5
I r5>-^' er fol. 247»
**-.! »xxc j^vXit eUI» äUö^ vj^! v5 ^5 (^ ^ ^ (^^»Ä- o"^ (56)
*V^ o^' *Vfc^^ j^5 **A^ ju/^ t^3 .;**^ kS^ y^i ^^.. *^^ (57)
jJ» JÜLü? U-u^ I ^^ "i fc>^ iJ^ (58) fol. 246»
Uly^5 L^Ö ^^^ iLy.^^ ^ Ol jJl ^^ O^U-wi juut (j^lj /JU \ (59)
^5X^3 ^.^suJI iüjol er oUiuo sj^Ut J^ juu. ^^ii ;?5 ?^ Jjüü^ (60)
»5i j*^ i ^|jä ,,^3 ^U«;li yoA^ (^j^^i ,2^äi^ b.H:. u»^^ cLäJI (61)
I gJo^lj iU^ » j fcÜS^ ^Lo1 ^^; fol. 248»
Jo J^Xft ^5 ^ ^ ^y^ "^ j-Ä^ £-1^5 f j^jJI 5J^ iüÜLi ^J5 (62)
^i *-s^ Vj> ^y^i iU*^ /L.^3 **äj^i ,^!^ j ^^ f^fÄj^ (63)
er e^ er ^ Mdy' c5^!^* *3 u-J^.5 "^ e5*^' yC*oJI ju-j^ (64)
*'M I y;1^5 «dj^' (J^Xj i^iji i^l *A^ j5^' ««^v3 ^Xjü, (65) foL 249*
^\ JTj L^Luü? ^f iüuAil i! J3-JU3 ^Jl^ j^ JxUx»3 ^-Uä Jc>a5
li
2 0. P.
3 ,,A*>
16 C. H. Becker,
u»^i^Aj»^U. ^ eUll ^^ ^^ sL<:sp.^ by> *J j^. wlj ,_/yJl U! (67)
«jü^Um^ _^3 joeUl xcyCfi^ i^UxJt) xäjo ^ LmJL>> ^J„^\XJJ^Jlm, L4JL0) (68)
fol. 249 b I j»!^'^! ^A«^$ ^y^^ 8;L^t j(^ Ka^I^ u^JÜt ,^A^«i{ Uiüt tJ^
,»-kLc (^ ^^ M^3 «J^ (iLÄJI ^>c laLwü ^^yül ^! »^^^siai (69)
^U« ^ MM cX^ij ^3 XAfi ^y^. v^^l? («^'•^^ ^:**^i aXw^ ^.*».'>}
»y<*M«3 Jüüamu j^ji'yiit qIs ya/« i>^ "^13 Vj* ^ '^^ (71)
fol. 250» I iißiUj^l ,j.^Jü> er c/y^'j j^"^!* r^^ v)^
"ifj j^Jüü! 8^ Q^ jiv> ^füt l* jtyaj ^5C^ oy*^^ i^^^ v5 Vj^^ ü5^3 (73)
xa/i p1 ^i>Jl jÄ?jII ^;;^ i,^ oyäaf
^[aj] oLjj q« qjXj 'i[^^ aäXU äJU «Ä^-Ijj (j«,3^Xjut^L« ^yxsu ^J^^^i (75)
fol. 260»» t^u J^ er ^ÄÄ-*^' (vw I '^^^*H5 [r^j^^]^'^ ^W^ f^M *s)Jö Jm^ (76)
;2L»ljl (j»y ^ ^1 vy! *J^ iki^fw^
uy u»^*^! o^fi^v^^ S>^^^ S5^ ?^' «-^^' ttß:^"^' gj^' *^'^ ^*J45 (78)
fol. 261» **)' i^ Ij'^^t sJboi^ (»lit XSlä Q5*xä:»3 ULI, | [^^y^ t;v-cyül J*^J (80)
^)yt'i\ ^^ er r^"^' (jh>^ jJ^^^ ^^^«^ »^3 (81)
1 «U
2 Lesung zweifelhaft.
4 KJU
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 17
^^UaJU xiLLJL, ^yL-J! ^^i ,>JUr '^lt^[i\] ^Isf J*l >^\^ ,^1 ö)J[J] (82)
ayUfcÄ ^r>i*^i g**—^' '^M t^*^ l5*^' J^ (^^)
^U^[Jt] ^J ^ ur^-il ^[i^] ^Ji? ^>l:\ ^[^i] O^jJI iä^[\,i] (84)
jgU^,'>3 Jlyj^l *V viS-A«-^^ cs-4 J^'^ li^ 1-^9 (86)
%y]9^^3 ^oh'^^ 'vJ^UJI^ um vX*-^ Jc5>i > v' *iH oJe^^ (87)
f julil ^? JäJI^ [j^I] *I ^JJJ IJü> (88)
Die vierzehnte Vision.
1. Und im dritten Jahre des Persers Cyras, welcher Konig
über Babylon wurde, wurde offenbart eine Rede an Daniel,
dessen Name Baltscbä§ar ist, und die Hede ist Wahrheit:
2. Ich, Daniel, fastete 21 Tage bis zum Abend, ohne Fleisch zu
essen, ohne Wein zu trinken und ohne mich mit Ol zu salben.
3. Es geschah mir, während ich am Tigrisflusse stand, daß mir
eine Sache offenbart wnrde.
4. Da sah ich, und siehe die 4 Winde des Himmels schlugen
(resp. wurden geschlagen) in das größte Meer.
5. Und ich erblickte 4 Tiere, die vom Meere emporstiegen, sehr
furchtbar.
6. Das erste Tier glich einer Löwin ; es hatte Flügel wie Adler-
flügel, und während ich hinschaute, da wurden ihm seine
Flügel ge(nommen?), und es wurde ihm ein menschliches
Herz gegeben, und es stand auf seinen beiden Füßen (d. h.
wie ein Mensch).
7. Und das zweite Tier glich einem Menschenkörper und war
sehr furchtbar. Es stand auf der Seite, und während ich
' (5;^'»
2 Lesung unsicher.
3 In der Lücke ein unverständliches Teschdid sichtbar.
Kgl. Gm. d. Wim. Nachrichten. PhU.-hüt. KUm«. 1916. H«ft 1.
18 C. H. Becker,
hinschaute, da wurden ihm drei Teile aus seinem Munde
gebrochen; der vierte Teil aber von seinem Munde war fest,
und ich sah, daß ihm seine Zähne aus seinem Munde gerissen
waren.
8. Und das zweite Tier glich einem Panther, und es hatte Flügel
und vier Köpfe, und es fraß schnell und zerstreute den Rest.
9. Und das vierte Tier erblickte ich wie einen Löwen, und es
war noch furchtbarer, als sämtliche Tiere, die vor ihm waren.
10. Und es wurde ihm gegeben Herrschaft und gewaltige Kraft,
seine Hände waren aus Eisen und seine Nägel aus Kupfer;
es fraß und zerbrach und zertrat den Rest unter seinen
Füßen.
11. Und ich erblickte zehn Hörner, die auf seinem Kopfe empor-
stiegen, und ich sah weiter ein kleines Hörn, das in der
Nähe der zehn Homer emporstieg, und es wurde ihm eine
mächtige Herrschaft gegeben und eine gewaltige Kraft.
12. Und ich sah vier andere, die zu seiner Linken emporgestiegen
waren, und ich erblickte vier andere, die hinter ihnen empor-
gekommen waren. Alle waren jeder einzelne von ihnen ver-
schieden (vom anderen). Ihre Gesamtzahl war 19.
13. Und ich hörte eine Stimme, die zu mir sagte: „Daniel, Du
Mann des Begehrens, wisse, was du erschaut hast". Ich aber
sprach zu ihr: „Wie vermöchte ich das [jemals zu verstehen]
wenn mich nicht ein Anderer leitete".
14. Da erhob ich meine Augen und erblickte den Engel Grottes
zu meiner Rechten stehend, und seine Flügel leuchteten sehr.
Da fürchtete ich mich und fiel auf die Erde.
15. Da faßte mich der Engel an, richtete mich auf und sprach zu
mir: „Steh auf Deinen Füßen, so will ich Dir erzählen, was
am Ende der Zeiten geschehen wird.
16. Die vier Tiere, die Du erblickt hast, sind vier Reiche, und
das Tier, daß Du einer Löwin ähnlich sahst, das ist der König
der Perser; er wird die Erde beherrschen 555 Jahre lang,
und danach wird er und sein Reich zu Grunde gehen und
nicht stark bleiben auf die Dauer.
17. Und das zweite Tier, welches Du erblickt hast, das einem
Menschenleib glich, das ist der König der Römer. Er wird
die Erde beherrschen wie Eisen und sich über sie ausdehnen,
und er wird in Kraft sein bis in's Land der ^abascha,
und er wird die Erde regieren 811 Jahre lang.
18. Aber über die (Haupt)stadt des Reiches wird er nicht Macht
gewinnen, bis er viele Tage vollendet hat.
Das Reich der Ismaeliten hn koptischen Danielbach. 19
19. Und das dritte Tier, welches Du erblickt hast, das einem
Panther glich, das ist der König der Hellenen. Er wird
über die Erde herrschen 1000 Jahre und 30 Tage; er und
sein Reich werden nicht [bis] zum Ende [bleiben].
20. Und das vierte Tier, welches Du erblickt hast, das einem
Löwen glich, das ist der König der Söhne Ismä'il's.
21. Sein Reich wird auf der Erde sehr stark sein viele Tage.
22. Dies Reich wird sein aus dem Greschlecht Abraham's von
der Magd der Sara, der [Gat]tin Abraham's.
23. Es wird alle Städte der Perser, Römer und Hellenen zer-
stören, und 19 Könige wird es auf der Erde aus jenem Ge-
schlecht der Söhne Ismä'il's geben, bis sich das Ende ihrer
Tage vollendet. —
24. Und der lOte König, der von ihnen sein wird, wird wie ein
Prophet sein, und die Zahl seines Namens beträgt 399. Er
wird Gerechtigkeit üben, die Hungri^jjen speisen und die
Nackten kleiden und die, welche in Knechtschaft sind, er-
retten. Seine Barmherzigkeit wird sich über die ganze Erde
verbreiten, und seine Gerechtigkeit wird sich bis zum Himmel
erheben. —
25. Und der Ute König, der von ihnen sein wird, wird Be-
drückung üben über die ganze Erde, und er wird die alten
mit der Hand gemachten Werke zerstören. —
26. Er wird mit Härte behandeln, die auf der Erde sind, bis
sich niemand mehr findet, der verkauft oder kauft, und sie
seufzen insgesamt 42 Monate. Wenn Gott, der Gott des
Himmels, ihn gewähren läßt, so dauert seine Herrschaft 40
Monate. —
27. Und der 12te König, der von ihnen sein wird, dessen Herr-
schaft wird stark sein, wie die Gebote seines Mundes.
28. Und er wird aut der Erde verschiedenartige Werke ausführen
während seiner Herrschaft, bis er (oder man) sich wundert
über das, was er tut.
29. Und es werden in seinem Reiche viele Kriege stattfinden am
Ende der Zeiten, und es wird ein König sein, der das ganze
Reich der Söhne Ismä'il's beunruhigt 147 Jahre lang.
30. Und im llOten Jahre seiner Herrschaft, da wird sich Krieg
erheben zwischen ihm und den Hubüsch.
31. Und die Söhne Ismä'il's werden über sie herrschen, bis sie
eintreten .... in die Hauptstadt des Reiches, welche ist
Assuan (1. Süba).
20 C. H. Becker,
32. Und sie werden zu ihnen schicken, nm sie um Frieden zu
bitten, und sie werden ihnen viel Silber und Gold geben,
und sie nehmen die Djizja von den Schwarzen.
33. Und der 13te König, der von ihnen sein wird, der kennt
überhaupt kein Erbarmen, und nicht wagt man sich ihm zu
nähern aus Furcht (?), und seine Herrschaft wird in Be-
schwer (?) (nur) wenige Tage dauern.
34. Und der I4te König, der von ihnen sein wird, wird viel
Grold und Süber sammeln und im Lande mit Gerechtigkeit
richten.
35. Und er wird Krieg in Ägypten führen (wörtl. sammeln),
und die Ägypter werden sich ausruhen von [fehlen 2 — 3
Worte].
36. Und die Habasch werden ihm überhaupt nicht gehorchen und
ihm keine Djizja geben, und es wird Krieg im Lande Rüm
(der Romäer) sein in jenen Tagen.
37. Und die Hubüsch werden kämpfen mit den Gegenden (Be-
zirken) der Qibla (des Südens), und sie werden die Dörfer
plündern und alle Städte Ägyptens, bis sie die Stadt er-
reichen, die Cleopatra in Oberägypten erbaut hat, welche ist
Aschmünain.
38. Und danach wird es der König von Syrien hören, und er
wird sich am Ende fürchten; denn der Krieg hat sich ihm
genähert.
39. Und am Ende wird er sein Reich festigen, und es wird gut
bestehen.
40. Und danach wird auftreten ein Knabe von den Söhnen Is-
mä'il's, welcher der 15te König sein wird.
41. Und er wird gewaltig sein und schwer in seiner Seele wie
Eisen, und er wird sein Schwert ausstrecken bis zu den
Gegenden von Rüm (der Romäer) und seine rechte Hand
über IJabasch, und er wird zwei Gesichter und zwei Zungen
haben.
42. Und in den Tagen seiner Herrschaft wird eine gewaltige
Bedrängnis auf der gesamten Erde sein, und seine Rede
wird schwer sein wie Feuer.
43. Und die IJabascha werden ihm Geschenke bringen, Gold,
Silber und Edelsteine, und er wird seine Beschwer legen auf
jeden Einzelnen.
44. Und er wird in Gefangenschaft führen viele Länder und
wird sie (die Bewohner) hart behandeln, und nicht wird
man sich an Brot sättigen können alle Tage seiner Herr-
Das Reich der Israaeliten im koptischen Danielbuch. 21
Schaft, und es wird kein Friede sein die ganze Zeit seiner
Regierung, und es wird viel Plünderung geben in seinen
Tagen.
45. Unter der Herrschaft des 16ten Königs, der von ihnen sein
wird, wird es keinen Krieg geben, und auch er wird nie-
manden mit Krieg überziehen.
46. Und er (resp. es) wird geben eine große, islamische (wohl
gleich friedliche) Zeit, und seine Herrschaft wird bestehen
in Festigkeit.
47. Und zwischen dem 17ten König, der von ihnen sein wird,
und seinem Geschlecht wird Krieg ausbrechen. Er ist der,
dess' Namenszahl 666 beträgt.
48. Es wird sich einer aus seinem Geschlecht erheben und mit
ihm kämpfen und ihn mit den Schätzen seines Reiches nach
Ägypten verfolgen.
49. Da wird er sein Geschlecht und sein Heer verlassen, und er
wird seine Schätze auf den Straßen und öfFentlichen Wegen
fortwerfen.
50. Und er wird mit seinen Schätzen nach Ägypten hinabsteigen
und hinaufsteigen nach Oberägypten, indem er sich nach
Assuan (1. Süba), der Stadt der Schwarzen, mit dem Rest
seiner Schätze begeben will,
51. Und es wird ihn einer aus seinem Geschlecht in den Gegenden
von Überägypten töten und den Rest seiner Schätze erbeuten.
52. Und der 18te König, der von ihnen sein wird, wird im An-
fang seiner Herrschaft gewaltiges Böses tun 1260 Tage lang.
53. Und es wird sich gegen ihn ein Krieg aus dem Maghrib
(Westen) erheben, und er wird den Sieg erlangen bis zum
Tage seines Todes.
54. Und nach diesem wird von ihnen auftreten ein Jüngling, der
Sohn des Vorigen, welcher der 19te König der von ihnen
kommenden sein wird. Und er wird aus zwei Geschlechtem
stammen ; denn sein Vater stammt von den Söhnen Ismä'il's,
seine Mutter aber von den Rom (Romäern).
55. Und es wird Krieg geben in Ägypten und Syrien 21 Monate
lang.
56. Denn ihr Schwert wird unter ihnen selber wüten (?), und
jener König, dessen Namenszahl 666 ist, wird auch noch mit
drei anderen Namen genannt, und diese sind Mämädijüs und
ChaUalä (= Challä) und SäräbTdüs.
57. Denn (sie) er wird herrschen, während er noch ein kleiner
Klnabe ist, und wird gewaltiges Böses tun und wird den
22 C. H. Becker.
Juden, die sich überall befinden, befehlen, daß sie nach Jeru-
salem zurückkehren, und die ganze Erde wird erschüttert
werden in den Tagen seiner Herrschaft, bis der männliche
Sklave verkauft wird für einen einzigen Dinar.
58. Er hat ein Antlitz, das man nicht zum Erröten bringen
kann und das die Furcht Gottes vergißt (oder er vergißt
u. s. w.).
59. Und er erinnert sich weder des Gesetzes seines Vaters Is-
mä'il, noch des seiner Mutter, die nämlich eine ßümijja (Ro-
mäerin) war; und er ist hart und trunken zu jeder Zeit.
60. Und er tötet viele, während sie mit ihm am Tische essen,
durch Getränke aus Zaubermitteln, und es wird viel Ver-
wüstung geben in jenen Tagen.
61. Syrien und das Land Jahüdä wird er freilassen (gedeihen
lassen); aber den Maschriq (Osten) und Ägypten wird er be-
drücken, und im Maschriq werden 2 — 3 Generäle (Statt-
halter) sich folgen in einem einzigen Jahr.
62. Unter der Herrschaft dieses 19ten wird nicht gefragt werden
nach Recht und Gerechtigkeit, sondern Gold wird verlangt
werden zu jeder Zeit (auch aktivisch mit „er" als Subjekt).
63. Und er wird Statthalter (Stellvertreter) in den Gegenden
von Afrika (gemeint ist die Provinz) einsetzen und ge-
waltige Heere, und es wird sich ein Krieg erheben zwischen
ihm und ihnen.
64. Und das Heer, das mit ihm ist, wird zu Grunde gehen, und
er wird in den Gegenden von Afrika mit den Resten seines
Heeres sitzen bleiben viele Jahre lang, ohne darüber Herr
zu werden.
65. Und danach wird sich wider ihn erheben ein fremdes Volk,
welches Türken heißt, und er wird mit ihm kämpfen.
66. Und siehe, Säräbidüs wird Herr werden über viele von den
Rom und Pentapolis und Almähijün (kopt. metos, Meder)
und ihre Beute erwerben und über ihre Städte herrschen
und in die Stadt einziehen, die er sich erbaut hat, und in
die Provinzen, die sein Vater zusammengebracht hat.
67. Der Türke aber, der rüstet gegen ihn den Krieg und will
das Königtum dem Säräbidüs fortnehmen.
Ö8. Und während nun Säräbidüs in seinem Hause sitzt, die
Beute vor ihm aufgehäuft, und diesen gewaltigen Reichtum,
das Gold und Silber und alle die edlen Steine und alle Ge-
fäße betrachtet,
Das Beich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 23
69. Da berichtet man ihin, daß der Türke schon über ganz Sy-
rien und seine Grenzen Herr geworden ist. Da zieht er
aus in großer Bestürzung mit seinem gesamten Heere, und
alle Beute- und Plünderungsstücke läßt er zurück und nimmt
nichts davon mit sich,
70. Sondern mit verstörtem (wörtlich: tierischem) Herzen sinnt
er darüber, was er machen soll.
71. Wenn er auf der Flucht nach Ägypten kommt, so wird ihm
der Türke mit seinem Heere zuvorkommen.
72. Sie werden aneinandergeraten mit ihren Heeren, und sie
werden miteinander kämpfen, bis das Blut in Menge fließt,
und der Türke ist aus dem Geschlecht der Rumänin (sie,
wohl Romäer).
73. Und es wird Kampf geben in der Stadt Aschmün, bis sich
das Wasser des Stromes in Blut wandelt von der Masse der
Toten und niemand aus ihm Wasser zu trinken vermag.
74. Und viele von den Leuten werden darch's Schwert sterben;
ihre Zahl wird nicht gezählt werden, und wer übrig bleibt,
wird zu seiner Provinz zurückkehren, zu dem Orte, von dem
sie ausgegangen sind.
75. Der Türke wird den Säräbidüs töten und die Herrschaft von
ihm nehmen, und die Söhne Ismä'll's werden danach nicht
mehr bestehen, sondern ihre Zahl ist damit vollendet.
76. Danach wird sich erheben über sie der König von Rüm, und
er wird sie austilgen mit der Schneide des Schwertes vor
den Söhnen Ismä'irs (resp. von Seiten der Söhne Ismä'll's)
in der Wüste Atrib, welche das Land ihrer Väter ist.
77. Und die Söhne Ismä'il's werden den Rüm Untertan sein, und
die Rüm werden herrschen über Ägypten 40 Jahre lang.
78. Und danach werden herauskommen zwei Völker, deren Namen
ist Gög und Mägög, und sie werden die Erde erschüttern
viele Tage lang. —
79. Das sind die, deren Zahl ist wie der Sand des Meeres, und
es wird der Antichrist erscheinen, und er wird viele ver-
führen, bis er, wenn er vermag, auch die Auserwählten
verführt.
80. [Und er wird die beiden Propheten Henoch] und Elia [töten],
und sie werden drei und einen halben Tag tot auf den
Straßen der größten Stadt, Jerusalem, liegen.
81. Und danach wird sie auferwecken von den Toten der Alte
der Tage.
82. Jener, den ich gesehen habe auf der Höhe der Wolken des
24 C. H. Becker,
Himmels wie eines Menschen Sohn ; seine Herrschaft ist eine
ewige Herrschaft, und sein Reich vergehet nicht.
83. Er wird den Antichrist und seine gesamte Heeresmacht
■•/'; töten.
84. Dann in Wahrheit wehe den gesamten Lebewesen, die sich
in jener Zeit auf der Erde befinden, denn es wird Gre walttat
herrschen und gewaltiger Zusammenbruch und Weinen, und
die Rettung der Menschen wird die Hand des Himmels-Gottes
sein, und das ist das Ende der Rede.
85. Da sprach zu mir der Engel: „Daniel, Daniel, verbirg diese
Worte und versiegele sie bis zu der Zeit, in der sie sich er-
füllen; denn dies ist das Ende von allem".
86. Und ich, Daniel, erhob mich und verbarg diese Worte und
versiegelte sie.
87. Und ich pries Gott, den Vater jedes Einzelnen und den
Herrn der Gesamtheit, den Kenner der Zeiten und der Jahr-
hunderte.
88. Ihm gebührt [Ruhm] und Majestät bis in Ewigkeit. —
Anmerkungen zur Übersetzung.
Wo der koptische Text wesentlich abweicht, sind die Übersetzungen
von T., S., E. beigefügt.
3. Es geschah „mir"; ^j^ nicht ^ zu lesen, da es Übersetzung
des koptischen üaioi „an mir", d. h. mir, ist (E.).
6. „Löwin" T. ursus, S. Bär; E. „gewiß Löwin; für 'J-AöJioi gibt
Glossar t^l. Der Bär beruht auf Apoc. 13, 2". „genommen";
„Das nach T. hier stehende Verbum j6aiA soll Ps. 68, 3 'heiser
werden' bedeuten. Außerdem ist *.cj6aiA (3. fem.) in einem
Glossar mit \S:^<^. wiedergegeben, wofür Peyron y^K^. ver-
mutet". E. „stand" arabisch möglich auch „wurde gestellt*
nach D. 7, 4 : kerd^ri ; wenn das kopt. nach T. S. E. aktivisch
bildet, so hat der Autor nicht die Septuaginta, sondern ein
arabisches Aktivum wie *^^ vor Augen. Letzteres kann
aber sehr wohl auf die koptische Entsprechung von iera^
zurückgehen. Nach E. nicht zwingend.
*13. „wissen"* „verstehen" nicht kausativ zu lesen, da T. scire
S. £. wissen.
15. vjüH hier Imperativ.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 25
16. E. „wird er zu Grunde gehen mit seinem Reiche; er wird
nie wieder stark sein''. Ahnlich T. S.
17. T. habitabit in exercitu usque ad terram Aethiopum ; ähnlich
S.; E. „er wird die Erde besitzen wie Eisen (sie); er wird
in Kraft werden (d. h. voll Kraft sein) bis zum Lande der
Äthiopen«. — 811 Jahre; kopt. Text 911 Jahre T. S. E.
18. E. ;,bi8 viele Tage vollendet sind*' ; so auch T. S. ; man
konnte auch das Arabische so übersetzen, wenn man, wie
häufig, die Casus verwechselt sein läßt.
19. Die erste Klammer ist keinesfalls ^ zu ergänzen, da T. S. E.
nur vom Reiche sprechen, nicht vom König; vermutlich
fehlt nichts und ^ ist Dittographie.
23. T. S. perdentur; E. er wird alle Städte .... verderben, —
E. „bis zur Vollendung ihres Endes, welches (oder welche)
sein wird. sie. Dieses „welches sein wird" steht z, B. Mark.
10, 32 für xa. ftekkovttt'^ .
24. E, „und Gerechtigkeit (nicht seine) wird sich . , . ."
25. Es ließe sich auch die Übersetzung rechtfertigen: «die mit
der Hand gemachten Werke der Früheren", duch schließt E.
diese Lesung aus. E.: Handarbeiten, der gewöhnliche kop-
tische Ausdruck für %£t()07tot77Toc oder TÜäe^a.
26. T. Et persequetur eos qui sunt super terram, ut non re-
perias inhabitantem, neque resistentem. Ahnlich S.; E. „er
wird bedrücken, die auf der Erde sind, und Du findest nie-
mand, der da kauft (lies cgtun statt gon) oder verkauft,
indem sie alle seufzen 42 Monate. Auch im Wortlaut nach
Apok, 13, 17".
28. verschiedenartig, vielleicht „verkehrt" zu übersetzen, wie
S. E. ; T. opera perversa. E. vergleicht Matth. 17,17; Luk.
9, 41. — „Man" so T. S. E.
29. Den arabischen Text kann man nur so übersetzen. „Am
Ende der Zeiten" gehört nach T, S. zum zweiten Satzteil.
E. zweifelhaft, da Koptisch zwei unverbundene Sätze hat,
aber nach E. wie nach meinem Gefühl ist das Arabische
hier nicht richtig.
31. T, donec depraedati fuerint urbem regni, quae non sancta
est, S. „bis sie weichen von der Stadt des Reiches, welche
' nicht heilig ist. E. „bis sie herankommen zur Stadt des
Reiches, welche Suban ist". Dies Wort „herankommen" be-
gegnet nach E. auch in 50, 66, 74 und heißt ursprünglich
„fliegen", wird aber dann als allgemeines Verbum des Gehens
gebraucht; E. vermutet bei T. Anlehnung an Woide, der
26 C. H. Becker,
das volare des Lexikons mit „voler" verwechselt haben
mag. — Assuan ist zweifellos nicht gemeint; denn es war
niemals Hauptstadt der Athiopen. Ich vermute, daß das
coffii*.« des koptischen Textes vom Araber hier und in V. 50
als coyÄii = Uv^vT] = Assuan gedeutet wurde, während
Ajj^ Söba, Süba, die Hauptstadt des südnubischen Reiches
Aloa im Sudan gemeint ist; vgl. Ja'qübi 1, 217, wo der
Herausgeber Soba nach Lepsius, Nubische Grrammatik
p. CXIX vergleicht. Neuerdings auch Marquart Benin-
Sammlung COLI.
32. wörtlich: „sie werden ihnen tributgebend werden in den
Athiopen (etwa — es wird ihnen unter den Athiopen Tribut
gegeben werden)", doch bezweifelt E. den Wortlaut. Sicher
ist x,^i Tribut, Abgabe, xfjvöos (Matth. 22, 17; Mark. 12, 14).
33. T. Rex qui erit ex illis decimus tertius, omnino non habi-
tabit in eo (regno), neque timebunt eum: et regnum eius
durabit paucos dies in ignorantia. Das ignorantia laut Anm.
nach dem arabischen ,)-^Ij. S. „wird wenige Tage dauern
in Angst", sonst wie T. E. „Der IBte König, welcher sein
wird von ihnen, in dem ist gar kein Mitleid und nicht (wohl
Lücke) Furcht vor ihm. Seine Herrschaft wird wenige Tage
dauern Tkeoc, In -^eoc mag nach E. eine Partikel stecken,
wie „nur", „kaum", aber nicht belegbar. Die Übersetzungen
von T. S. sind undenkbar. Der Text ist zweifellos verderbt.
Natürlich ist J^Ij „in Unkenntnis" ebenso möglich. Vielleicht
auch ^^Ij. Methodisch richtig ist es jedenfalls, die Lesung
des Manuskriptes beizubehalten, so lange nichts entschieden
Besseres sich bietet. „Beschwer" nach Lane; nach Glossar
Bajän und Dozy sogar „manque de vivres".
35. T. Congregabit bellum in Aegypto, ut Aegjrptus commoretur
in molestia et suspirio suo. Ahnlich S. — E. „Er wird einen
Krieg (das gleiche Wort auch v. 67) sammeln (auch: zusammen-
bringen) und Ägypten wird zur Ruhe gehen (Ausdruck auch
vom Entschlafen gebraucht) bei ihren (3. Plur. Ägypten =
Ägypter) Schmerzen und ihrem Seufzen".
36. Djizja, kopt. Tribut wie v. 32. E. T. S. Land der Römer.
37. E. „mit den Gegenden des Südens".
38. T. timebit iinem; desgl. S. ; E. „er wird sich endlich
fürchten".
41. E. „Er wird stark sein in seiner Seele wie das Eisen. Er
wird sein Schwert setzen bis zu den Römern, seine rechte
Hand auf die Athiopen".
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 27
43. Edelsteine, T. S. E. margaritas.
46. E. „Man wird (kopt. Passivomschreibung) ihm eine große
friedliche Zeit geben'-. S. igrivixov. — , Festigkeit", T. S. in
rectitudine. Diese Übersetzong auch im Arabischen möglich.
49. Geschlecht und Heer können im Arabischen auch Subjekt,
„er" Objekt sein, im Koptischen jedoch nicht.
50. E. „Wenn er aber nach Ägypten mit den Schätzen herab-
steigt, da wird er nach dem Oberland (jmewpHc) in Ägypten
gehen, indem er nach Suban, der Stadt der Äthiopen, mit
dem Rest der Schätze gehen will", vgl. Bemerkungen zu
V. 31. "Wenn der Kopte aus dem Arabischen übersetzt hat,
ist die Wiedergabe von Sa'ld durch Maris auffallend; aber
auch sonst belegbar; Am^lineau, G^ogr. de l'Egypte 574.
53. T. in regionibus septentrionalibus. T. S. «in den westlichen
Gegenden".
56. T. gladium enim eorum projiciet in illos ipsos in hello rex
üle, cuius nomen faciet numerum 666. Ebenso S. ; E. „denn
ihr (3 Plur.) Schwert wird in sie selbst werfen (sie; ob ge-
worfen werden?) in dem Kriege. Jener König (kann nicht
Subjekt des vorigen Satzes sein), der, dessen Name 666 an
Zahl beträgt, der wird auch genannt u. s. w" E. also wie
der Araber, der sich allerdings sehr umständlich ausdrückt.
57. E. wie Araber gegen kleine Abweichungen bei T. S., die fiir
„ankaufen" tradiderint resp. „verraten" haben.
61/62. T. et ordinabit epistolarios in Aegypto (S. Briefboten).
Oriens bis et ter uno anno erit erga semetipsos in regno
hocce quod est decimum nonum (S. ebenso). Das ist natür-
lich Unsinn. E. gibt folgende Lesung: „er wird Epistolarii
einsetzen in Ägypten, dem Osten (entweder streiche Ägypten
oder füge „und" ein), zwei und drei aufeinander in einem
einzigen Jahre in der Herrschaft dieses, der der 19te König
ist". Diese Konstruktion scheint mir sogar besser als die
arabische; dann wären die ersten Worte von 62 an 61 an-
zugliedern und das 3 zu streichen. Epistolarii und quwwäd
entsprechen sich aber nicht. Quwwäd ist guter alter Sprach-
gebrauch, z. B. Tab. III, 49, 7. Sollte vielleicht der Kopte,
der ja aus dem Arabi^^chen übersetzt haben will, statt o\yi
etwa *>?.j gelesen und darin einen Plural von juj oder
Kj'^.ji = ßegidägios (vgl, die Aphroditopapyri !) vermutet
haben? Dann wären die unsinnigen Epistolarii erklärt und
zugleich die Übersetzxing aus dem Arabischen gesichert.
Daß der häufige Wechsel der Kalifen und Statthalter den
28 C. H. Becker,
Zeitgenossen autgefallen ist, sehen wir aus Severus (s. unten).
Der Schluß von 62 ist im Koptischen aktivisch gewandt, was
auch im Arabischen möglich und bei der nach E. empfehlens-
werten Textverbesserung sogar wohl richtiger ist.
63. T. ordinabit epitropos. E. „Und er wird einen Epitropos
einsetzen mit einem großen Heere",
65. „Türken"; T. Pitourgos ; E. „ Ein fremdes Volk, welches man
den Turgos nennt", pi ist der koptische Artikel.
66. „Einziehen" T. depraedabitur, vgl. v. 31. — Provinzen, im
Kopt. steht x^Q^i i°^ Arabischen das davon abgeleitete Küra.
69. T. cum omni multitudine sua; desgl. S. ; E. „mit seinem
ganzen Heere".
70. Wörtlich: Sondern er wird werden mit tierischem Herzen,
indem er . . . Genau so der koptische Text nach E.
72. E. „Sie werden einander begegnen mit ihrem Heere" (Sing. !).
So auch T.; S. Plur.
73. E. „Der Krieg wird sein in Schmün, der Stadt* (nicht die
übliche Verbindung, die Stadt Schmün). E. „ bis sie
nicht Wasser aus ihm trinken können" ; 1. nVoYsgr^cjui statt
nnoyig'^ejui.
74. E. „eine unzählige Menge"; „was von ihnen übrig bleibt,
die werden nach ihrem Lande gehen (S. T. hier wieder das
unsinnige depraedabuntur ; vgl. v. 31), dahin, von wo sie ge-
kommen sind".
75. T. (ähnlich S.) ne restituat amplius regnum filiorum Ismaelis.
E. wie Araber, doch hält er den Text für verdächtig.
76. T. Postea surget super eos rex Romanorum, et delebit eos
ore gladii inter filios Ismaelis in deserto Thribon terrae
patrum ipsorum. S. „ er wird aufräumen mit der
Schneide des Schwertes unter den Söhnen Ismael's in der
Wüste d^QCßav (arab. Atrib), dem Lande ihrer Väter". E. :
„Er wird ihnen (den Türken) Ausrottung geben (sie;?) mit
der Schärfe des Schwertes unter den Söhnen Ismael's in
der Wüste von -»pifiiuin, dem Lande ihrer Väter". E. denkt
bei -epifiiiun nicht ohne weiteres an *.-»pifei , das v_j ji der
Araber, da es nicht bei der Wüste, sondern bei dem heutigen
ßenha liegt; er vermutet beim Araber eine falsche Beziehung
des bekannten Atrib auf ein unbekanntes Thribon, ähnlich
wie oben Suba auf Assnan gedeutet wurde.
79. T. cum vero invaluerit, seducet etiam electos. S. ebenso,
nur verfolgen. E. „er wird eine Menge täuschen, sodaß,
wenn er kann, er auch die Auserwählten verführt". E. hält
Das Reich der Isicaeliten im koptischen Danielbach. 29
„wenn" für verderbt. Das Arabische stimmt wörtlich zu E.
Da der Antichrist die Anserwählten tatsächlich verführt,
mochte man das qadara gern nach dem Sprachgebrauch der
islamischen Theologie behandeln, doch geht das wohl nicht
an. Der Antichrist erscheint hier nicht wie im Islam als
Dadjdjäl, sondern wortlich als Gegenmessias.
80/81. T. S. 3 Tage, halbtot; E. „und sie werden 3V2 Tage ver-
bringen, tot seiend, auf dem Platze . . . . , und danach wird
82. Die 2te Person wäre natürlicher als die Ite, da der Engel
spricht; im Arabischen natürlich gerade so gut möglich,
aber der Kopte hat nach T. S. E. die Ite Person. Sollte
hier nicht beim Kopten eine falsche Übersetzung des Ara-
bischen vorliegen?
83. T. multitudo, S. Menge, E. Heer.
84. „Wahrlich, wehe jeder Seele . . . .; denn wehe, es wird Ge-
walt und großes Zerbrechen und Weinen sein. Und das
Heil der Menschen ist in den Händen Grottes vom Himmel".
T. S. ähnlich.
86. E. „ich siegelte die Rede und ich versiegelte" (sie). So auch
T. S.
2. Erklärung der Apokalypse.
Ehe man die historische Deutung beginnen kann, muß auf das
typisch Apokalyptische hingewiesen werden. Auf die Tiere und
Hörner, auf Gog und Magog, den Antichrist, den Alten der Zeiten
(vgl. Daniel 7, 9—12), auf Tod und Wiedererweckung von Henoch
und Elia — vgl. dazu Bousset, Religion des Judentums in neu-
testamentlicher Zeit 2. Aufl., S. 267; Ders. Antichrist S. 134 f. —
gehe ich nicht weiter ein; das sind typische und bekannte Sachen.
Die Endherrschaft des Römerreichs ist nach Bousset ebenfalls ein
stehender Zug. Auch manche Zahlen mögen zum apokalyptischen
Schema gehören. So gewiss die 555 Regierangsjahre der Perser
(v. 16); auch die 811 (resp. 911) Jahre der Römer (v. 17) sind
verdächtig, doch kenne ich kein Vorbild. Die Dauer des Hellenen-
reiches von 1000 Jahren und 30 Tagen ist einfach ein „Tag vor
Gott" imd ein Monat. Es wäre wohl ganz verfehlt, hier histori-
sche Berechnungen anstellen zu wollen. —
30 C. H. Becker,
Andere Zahlen entstammen direkt der Offenbarung Johannis.
Für die 42 Monate (v. 26) vgl. Ap. Joh. 13, 5, wo sie ein Reflex
der 3V2 Zeiten in Dan. 7, 25; 12, 7 sind — 1 Zeit = 12 Monate — :
man vergleiche dazu BoU, Aus der Offenbarung Johannis 25.
Ebenso sind die 1260 Tage (v. 52)] apokalyptisches Grut (Ap. Joh.
11,3; 12,6). Dan. 12, 11 heißt die Zahl allerdings 1290; da ist
zu den 1260 Tagen = 42 Monate noch ein Schaltmonat hinzu-
gerechnet. Auch die 21 Monate (v. 55) sind wohl nur eine Multi-
plikation der zauberischen Grundzahlen 3 und 7, oder es ist die
Hälfte der 42 Monate genommen. Die 40 (v. 26) ist auch eine
heilige Zahl. Die Zahl 147 (v. 29) und 110 (v. 30) sind mir nicht
verständlich, doch siehe darüber unten. Deutlich apokalyptisch
sind auch die Zahlen 399 (v. 24) und 666 (v. 47), obwohl sie eine
historische Deutung haben. Im Mittelpunkt steht der König 666.
Es ist natürlich dabei an Ap. Joh. 13, 18 gedacht, das berühmte,
viel umstrittene Tier, über dessen Deutung (wohl = Nero redi-
vivus) man Bousset, Die Offenbarung Johannis 6. Aufl., S. 373;
Holtzmann - Bauer im Hand - Kommentar zum neuen Testament
Bd. IV, 400, und auch Boll o. c. S. 23 vergleiche. Ich vermute,
daß der Ausdruck qalb wah§i (v. 70). T. cor animalis, noch ganz
bewußt auf das d^rjQLov der Offenbarung anspielt. Die Zahl 19
bei den Königen ist wohl historisch, wenn sie sich auch aus der
gegebenen Hörnerzahl von 10 -i- 1 + 4 durch schematische Er-
gänzung einer parallelen 4 ergeben könnte. —
Nun aber zur historischen Deutung!
Die Tatsache, die den Apokalyptiker am meisten beschäftigt
— sie wird zweimal erzählt — ist zweifellos der Untergang des
Sarapidos, auch Challe, Mametios und König 666 genannt, der bei
AschmQnain von seinen Stammesgenossen, also den Ismaeliten, die
aber wieder mit den Türken zusammenfließen, erschlagen wird.
Wer ist Sarapidos? "Was sind das für Türken? Es gibt nur
einen Kalifen, der bei Aschmünain ermordet wurde, und das war
Merwän II., der letzte der syrischen Omajjaden. Schreiben wir
Merwän griechisch-koptisch Magovav, so bekommen wir als Zahlen-
wert 40 -I- 5 -f 100 -t- 70 -f- 400 -f- 1 -f- BO = 666. Die anderen Namen
sind nun nichts anderes als willkürliche Umschreibungen der
gleichen Zahl 666.
Maiisriog = 40 -f- 1 + 40-F 6 -|- 300 -f 10 -f 70 -H 200 = 666.
Xane = QOO+l + SO + dO + + b = 666.
Zagajtidog = 200 -f- 1 + 100 + 1 H- 80-}- 10 + 4 + 70 -f 200 = 666.
Was hat nun aber Merwän mit den Türken zu tun ? Die Chora-
sanier werden von der christlichen Überlieferung als Türken gehaßt,
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 31
ja, schon Merwän selber z. B. von Severus von Aschmünain als
König der Türken (malik el-Tark) bezeichnet (ed. S[eybold] ^)
173, 20; ed. E[vett8]2) 118). Da letztere unter arabischer Führung
standen, ist also kein Widerspruch in der Angabe, daß Sarapidos
von Stammesgenossen und doch zugleich von Türken gestürzt
wird; es zeigt vielmehr, wie genau dem Apokalyptiker der Tat-
bestand bekannt ist. Über Einzelheiten vgl. Abschnitt 4. Der
wesentliche Inhalt der Visio XIV i.?t also der Sturz des Omajjaden-
reiches, mit dem aber ihre historische Kenntnis auch aufhört;
denn die 40jährige Romäerherrschaft und Gog und Magog sind
rein legendär. Die Vision dürfte also unter dem un-
mittelbaren Eindruck des gewaltigen historischen
Ereignisses der Katastrophe des Omajjadenreiches
geschrieben sein, eine Feststellang , die für die Geschichte
des koptischen Kanons von Wichtigkeit ist. —
Damit ist eine Grundlage gelegt, auf der wir weiterbauen
können. Sarapidos Merwän erscheint als 17ter König, und doch
schließt die Apokalypse mit seinem Tod, der in der Reihenfolge
beim 17ten König und dann nochmals beim 19ten König erzählt
wird. Wie verhält es sich mit dieser Zahl von 19 Königen?
Nach unserer Zählung hat es 14 Omajjaden gegeben ; rechnet man
dazu die 4 orthodoxen Kalifen und den Propheten oder Hasan b.
*Ali oder 'Abdallah b. Zobair, so ist die Zahl 19 leicht zu er-
reichen. Wie zählt nun die Apokalypse? Wenn Merwän der
17te ist, so zählt sie vermutlich 4 orthodoxe Kalifen (resp. Mu-
hammed und seine drei ersten Nachfolger unter Auslassung 'Ali's,
da für diesen ja Mu'äwija zählt, wie Stephanus Alexandrinus, von
dem sub 5 am Ende die Rede sein wird) und 13 Omajjaden, indem
sie den ja so häufig nicht mitgerechneten ephemeren Mu'äwija IL
fortläßt. Diese Zählung wird bestätigt durch die Angabe, der
lOte König habe die Namenszahl 399. Das müßte Sulaimän sein.
Nun ergibt die koptisch-griechische Schreibung ZoXrjpLav tatsächlich
200 + 704-30 + 8-f-40 + l-f-50 = 399. Damit steht das Ge-
rippe fest; alles Weitere ist aber völlig zweifelhaft. Schon
die Beschreibung „wie ein Prophet, der Gerechtigkeit übt, die
Hungrigen speist und die Nackten bekleidet" paßt mit Ausnahme
des Propheten (wegen des Namens) wenig auf Sulaimän. Die
Charakteristik des Uten Königs paßt zur Not auf 'Omar IL, wie
ihn die Christen angesehen haben mögen. Die Zerstörung von
1) Corp. Script. Christ, or., Script. Arab. ser. lU, tom. IX.
2) Patrol. Orient. V.
32 C. H. Becker,
Bildwerken der Vorzeit wird zwar meist dem Jazid II. zuge-
schrieben, ist aber schließlich auch bei 'Omar II. möglich. Auch
die runde Zahl von 40 Regierungsmonaten mag die kurze Re-
gierungszeit von 99 — 101 H. bezeichnen. Die Angaben über den
12ten König, der Jazid II. sein müßte, sind mir gänzlich unver-
ständlich, namentlich die Zahlen 147 und 110. Das Jahr 110, das
den Krieg mit den ^abasch bestimmt, könnte ein Hedjrajahr sein,
aber Jazid ist schon 105 gestorben. Gänzlich unmöglich ist
weiter die Parallele bei dem 13ten König, der nur wenige Tage
regiert, während der ihm nach der Zählung entsprechende Hischäm
neben Mu'äwija I. und 'Abdulmalik der am längsten regierende
Herrscher des Hauses Omajja war. Wenn Nr. 12 und 13 ver-
wechselt wären, dann fiele das Jahr 110 der Hedjra in seine Re-
gierungszeit. Auch bei anderen Königen ist man versucht, sie
mit Omajjaden zu identifizieren, denen sie in der Reihenfolge nicht
entsprechen können. So denkt man beim 19ten König an Walid III.,
der wegen seiner nichtarabischen Mutter berühmt war, rühmte er
sich doch ein Nachkomme des Kesrä, des Kaisers und des Chäqän
zu sein. Es handelt sich aber hierbei wohl nur um übernommene
Züge, die von einzelnen Omajjaden bekannt waren.
Auch eine historische Erklärung für König 18 und 19 in ihrer
Stellung hinter Merwän und für das Zusammenfließen von Merwän
mit Nr. 19 ist nicht zu geben. Man könnte an Saffäh und Mansür
denken und diese beiden haben auch die größte Wahrscheinlichkeit
für sich; denn wenn der Apokalyptiker den Tod Merwän's erlebte,
so hat er auch die Thronbesteigung des Safi^äh und vermutlich
auch die Mansür' s noch miterlebt. Die Abfassung muß nur erfolgt
sein, ehe die Herrschaft Mansür' s sich befestigte und solange die
Wirren noch anhielten, die einen Zusammenbruch des Ismaeliten-
reiches einzuleiten schienen. Für Safl'äh spricht die Regierungs-
zeit von 1260 Tagen; nun liegen zwischen dem Tod des Merwän
und dem des Saffäh ungefähr 4 islamische Jahre. Die Zahl seiner
wirklichen Tage wäre also nur unerheblich größer. Auch die
Nennung einer nicht arabischen Mutter stimmt bei Man§ür, der
der Sohn der berberischen Umm walad Saläma war (Sojüti ta'rich
261, 12). Entscheidend ist das aber nicht, da auch Merwän, auf
den diese Stelle ja auch bezogen werden kann, ebenfalls eine nicht
arabische Mutter hatte. Eutychius ed. Cheikho 47, 8 nennt sie
eine Armenierin, Tabari 111,51,11; Belädhori ed. Ablwardt26;
Abu'l-Mabäsin I, 357, 13 eine Kurdin. Vielleicht handelt es sich
aber dabei, wie gesagt, nur um einen freien Zug, der von Wa-
lid III. bekannt sein mochte. Bei einer Beziehung der Könige 18
Das Beich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 33
und 19 auf die beiden ersten 'Abbäsiden darf uns jedenfalls nicht
stören, daß 19 als Sohn von 18 aufgefaßt wird. Den zeit-
genössischen Christen Ägyptens waren die Kalifen doch unendlich
fern, wie aus Severus von Aschmünain überall deutlich hervor-
geht; gerade er macht nun auch den Mansür zum Sohne des
Safiah (S. 207, 11; E. 193,2; Hamb. 198, 12). Auch ist an Abu
Muslim und Saffah zu denken, welch' letzteren die koptische Le-
gende bei Severus, die unten besprochen ist, unbedenklich zum
Sohne des Abu Muslim macht. Wenn das schon am grünen
fiolze der Chronistik — und zwar einer für Ägypten glänzenden
Chronistik — geschieht, was dürfen wir dann von der Apoka-
lyptik erwarten?!
Wir müssen uns mit einem non liquet bescheiden. Es ist ent-
weder durch die Textgeschichte oder, wie mir wahrscheinlicher
ist, durch die Unkenntnis des Verfassers ein heilloser Wirrwarr
entstanden. Alle hier möglichen Umsetzungen sind unmethodische
Spielereien. Es genügt festzustellen, daß die einzelnen Könige
der Apokalypse in ihrer Charakterisierung nicht den historischen
Personen entsprechen, mit denen man sie der einfachen Zählung
nach identifizieren müßte. Nur Sulaimän und Merwän sind ge-
sichert. Es sind auch die einzigen, deren Namenszahlen er angibt.
Der Apokalyptiker hat ja nicht Geschichte schreiben wollen. Er
hat den Zusammenbruch des Omajjadenreiches darstellen wollen
und den Untergang Merwän's greifbar deutlich geschildert. Selbst
auf die neue Residenz Merwän's, Harrän, wird angespielt, und der
Todesort, Aschmünain, direkt genannt. Die diesem Hauptereignis
vorangehende Charakterisierung seiner Vorgänger ist ganz will-
kürlich. Bekannte Züge einzelner Kalifen — Nr. 10 klingt wie
die islamischen Verherrlichungen Omar's II. — werden wahllos
auf die Nummern verteilt. Hätte der Verfasser alle Na-
men gekannt, hätte er gewiß die Zahlenspekulation
noch weiter durchgeführt. Auch in den sonstigen histori-
schen Angaben liegen wohl nur allgemeine Erinnerungen an Er-
eignisse der Omajjadenzeit vor; so sind die Kämpfe im Maghrib
vielleicht Anspielungen auf den großen Berbernaufstand unter
Hischäm oder wahrscheinlicher auf die verunglückte Expedition
im 4:ten Jahre des SaflPäh gegen 'Abd el-rahmän b. Habib, auf
die Severus von Aschmünain hinweist (S. 207, 9; E. 192; Hamb.
198, 8). —
Manche Einzelzüge sind aber wohl garnicht historisch ge-
dacht, sondern einfach aus der Rüstkammer der Apokalyptik
übernommen. Bousset hat in seinem Antichrist überzeugend nach-
Kgl. Gee. d. Wia. Kschrichten. PMl.-hist. Klave. 1*16, Haft 1. ' 3
34 C. H. Becker,
gewiesen, welche seltsamen Schicksale diese apokalyptischen Züge
manchmal haben und in welch' fremden Zusammenhang sie ge-
raten können. Sollte z. B. die merkwürdige Zurückführung der
Juden nach Jerusalem in unserer Apokalypse v. 57 nicht mit dem
typischen Zug, den Bousset o. c. 126 anführt, „tunc confluent ad
eum in civitatem Hierusalem undique omnes" zusammengehören?
Dort ist zwar von allen Völkern die Rede, hier nur von den
Juden ^). Oder sollte nicht der Brotmangel in v. 44 mit der apo-
kalyptischen penuria panis (Bousset 130), das Kaufen und Ver-
kaufen in V. 26 mit dem Kaufen im Zeichen des Antichrist (Bousset
132) irgendwie zusammenhängen ? Sollte das Blutbad in der Wüste
Thribon (v. 76) nicht das apokalyptische „große Blutbad außerhalb
der Stadt" (Bousset 147) und der zu Blut gewandelte Strom (v. 73)
nicht typische Stellen wie Bousset 148 „et fluet sanguis more tor-
rentis" wiederspiegeln? Auch die Stelle v. 56, wo die Ismaeliten
sich gegenseitig mit dem Schwert vernichten, erinnert lebhaft an
die Bousset 127 gegebene Schilderung von der Herrschaft des Anti-
christ „et cadent unus super alterum et gladiis se invicem de-
struent".
Ich gebe diese Vergleiche rein h3^othetisch und übersehe
nicht, was dagegen spricht; aber da wir einen festen historischen
Rahmen haben, die Einzelcharakteristik aber unhistorisch ist,
liegt die Beziehung auf das Schema der Apokalyptik doch
sehr nahe.
3. Die Erwähnnng der Nnbier.
Von speziellem Interesse sind die Angaben über die IJabasch,
?aba8cha oder Hubösch, womit die Nubier gemeint sind, die dem
christlichen Ägypten natürlich besonders naheliegen. Hier spricht
der Apokalyptiker von Verhältnissen seiner engeren Heimat,
welche die islamische Reichsgeschichtsschreibung meist über-
geht, die aber in den christlichen Chroniken eine große Rolle
spielen. —
Die historischen Daten über die Nubier hat schon Quatremere,
Mömoires g^ographiques et historiques sur l'Egypte, II, 1 ff., und
neuerdings G. Roeder in Zeitschrift für Kirchengeschichte 33
1) Die Juden kommen dafür vor in der armen. Henochapokalypse S. 819;
Tgl. tinten S. 55.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielhach. 35
(1912), 364 ff. zusammengestellt. Die islamische Überliefernng
weiß von Nubiereinfällen in Ägypten unter den Omajjaden nichts.
Sie kennt den berühmten Vertrag vom Ramadan des Jahres 31 H.,
durch den der nubische Tribut festgelegt wird (Enz. IsL, Artikel
Bakt und dazu ib. II, 6 rechts oben) und dann erst wieder Ver-
hältnisse aus der Zeit des Kalifen Mu'tasim. Die große Lücke in
der literarischen Überlieferung — urkundlich gibt es einige dürf-
tige Angaben — wird ausgefüllt durch einen höchst merkwürdigen
Bericht, den Severus von Aschmünain erhalten hat, der von ihm
auch in andere christliche Quellen (Abu Sälih Fol. 97 a) über-
gegangen, dann von Quatremere o. c. 55 und nach ihm von allen
Späteren behandelt worden ist. Der Nubierkönig Kyriakos soll
danach zur Befreiung des von den Arabern festgesetzten Pa-
triarchen Michael (Chael) einen Gesandten und nach dessen Ge-
fangennahme ein Heer nach Ägypten geschickt haben. Der Gesandte
und der Patriarch werden dann sofort freigelassen, wodurch der
Nubierkönig zu schleuniger Umkehr veranlaßt wird. Bei diesem
Anlaß wird allerlei auch über die unmittelbar vorangehenden
Könige berichtet. Der hierbei genannte König Merkurios ist in-
schriftlich, und zwar für das Jahr 710 Chr. gesichert (Röder 1. c.
382). Also die Nachrichten sind gut. König Kyriakos ist bisher
nicht sicher datierbar; Röder sagt a. D. 737 oder 752. Und doch
enthält die Severusstelle für den Zug nach Ägypten ein ganz
präzises Datum. In der Ausgabe von Seybold S. 186, 3 lesen
wir: ^Dies geschah im Jahre 64 seit dem Aufkommen der Herr-
schaft der Muslime". Dies Datum — also a. D. 683 — 4 — ist aber
falsch, da das Ereignis unter das Patriarchat des Michael fallen
soll, der a. D. 744 — 768 den Patriarchensitz innehatte. Nun hat
uns Seybold die wertvolle alte Vorlage des Severus, die in einer
Hamburger Handschrift erhalten ist, beschert*). In ihr findet sich
S. 178, 8 dsis Jahr 64, aber ohne die muslimische Ära. Da nun
in der ganzen Vita nach der Märtyrerära (Diokletiansära) ge-
rechnet wird — Hamb. 159, 13 kommt das Jahr 459, ib. 198, 9
das Jahr 470 vor — so ist an dieser Stelle zweifellos 464 zu
lesen, da man in allen Zeitrechnungen ja häufig die Hunderter
fortläßt. Damit wäre für den nubischen Einfall 464 Diokl, = a. D.
748/9 anzunehmen. Der Patriarch wird, wie weiter unten be-
richtet wird, am 12. Bäbä, endgültig sogar erst Ende Tübah —
1) Severus Ibn al Muqaffa, Alexandrinische Patriarchengeschichte, ed. Sey-
bold, Hamburg 1912 (Veröffentlichung aus der Hamburger Stadtbibliothck), zitiert
Hamb.
3*
36 C. H. Becker,
das muß aber schon a. Diokl. 465 gewesen sein — freigelassen.
Also fiele der Nubiereinfall in die letzten Monate von a. Diokl.
464, d. h. in den Sommer 749. Wie lange er dauert, wissen wir
nicht. Am 28. August 749 ging a. Diokl. 464 zu Ende; am 20.
August 749 hatte das islamische Jahr 132 begonnen. Dazu paßt
nun vortrefflich, daß als Statthalter Agypten's ein gewisser 'Ab-
dulmalik genannt wird. Gemeint ist 'Abdulmalik b. Merwän b.
Müsä b. Nusair, der im Jahre 132 H. Statthalter wurde, nachdem
er bereits vorher Finanzpräfekt gewesen war. Die Finanz-
präfekten werden aber von der Chronik des Severus durchweg
als die eigentlichen Herrscher Ägyptens bezeichnet. Die Statt-
halter werden nur in seltenen Fällen genannt; den Kopten inter-
essierte nur der Chef der Steuereinzieher, in dem er den wahren
Herrn Ägyptens erblickt. Erst nachdem ich dies errechnet hatte,
sehe ich, daß auch Evetts in seiner Ausgabe an dem Jahre 64 H.
Anstoß genommen hat, aber statt den Zusatz Hedjra zu streichen,
hat er falsch a. H. 130 korrigiert. —
Im Jahre 748, aber nicht viel früher — denn sein Vorvorgänger
korrespondiert schon mit Michael — , ist also Kyriakos König von
Nubien. Seine Herrschaft dauerte länger als das Patriarchat des
Michael; denn der Biograph sagt, daß er zur Zeit der Abfassung
der Vita des Michael noch regiert habe (S. 185, 10; E. 144, 1;
Hamb. 177, 17). Er regiert also mindestens a. D. 748—768; viel-
leicht auch noch früher und später. Damit ist ein neues festes
Datum für die ältere Geschichte Nubiens gewonnen. —
Der Vulgatatext des Severus stellt nun die Sache so dar, als
ob Kyriakos mit seinem Heere bis nach Fustät-Misr gekommen
sei und daß die Birket al-öabasch, der Abessinierteich in Fustät,
so genannt worden sei, weil die Abessinier-Nubier — man sagt
bald Habasch, bald Nüba — dort gelagert hätten (S. 185, 16;
E. 144). Das ist natürlich ganz unmöglich. Ein siegreiches Nu-
bierheer vor den Toren der Hauptstadt hätte die islamische Chro-
nistik nicht verschweigen können. Da sie aber nichts davon weiß,
hatte ich den ganzen Nubierzug für eine Erfindung des christlichen
Biographen zu Ehren seines Helden, des Patriarchen Michael,
gehalten. Nun kennt aber auch die Danielapokalyse Nubier-
einfälle bis auf die Höhe von Aschmünain (v. 37; über Cleopatra
vgl. Abschnitt 4). Damit treten die Angaben des Se-
verus aus ihrer Isolierung. Und nun löst der Hamburger
Text auch die Schwierigkeit mit der Birket al-Habasch; denn
hier (Hamb. 177 pu.) fehlt die Beziehung auf Birket al-Habasch, die
ganze Etymologie ist also eine Glosse des späteren Vulgatatextes.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 37
Es ist Misr = Ägypten, nicht = Fustät gemeint, und es handelt
sich um einen Einfall in Oberägypten. Beunmhigangen durch
(rrenzstämme haben die ägyptischen Chronisten nicht für wichtig
genug gehalten, um darüber zu referieren; das waren alltägliche
Sachen. Auch haben die Muslime eine ganz andere Etymologie
für Birket al-?abasch (Maqrizl, Chitat II, 152,21; B. Duqmäq IV,
55, 16; Kindi 370, 15). Gegen Ende der Omajjadenzeit hatte also
wieder einmal ein Nubiereinfall in Oberägypten statt, wie sie
auch die Danielapokalypse kennt. Ein nubischer Gesandter scheint
zurückbehalten gewesen zu sein. Gleichzeitig war auch der Pa-
triarch gefangen gesetzt, und da hat der Chronist die Freilassung
seines Helden mit dem Einfall der christlichen Nubier in Verbin-
dung gebracht. Vielleicht hat es der Statthalter in dieser Zeit
der Wirren für richtig gehalten, die religiösen Beziehungen des
Patriarchen zu den Nubiem politisch auszunutzen. Das wird wohl
der historische Sachverhalt gewesen sein. Der Severustext und
•die Daniel apokalypse stützen sich gegenseitig. Die Nubiereinfalle
sind also historisch. —
Viel häufiger als die Erzählungen von nubischen Einfällen
sind in der ägyptischen Literatur die Berichte von ihren Tribut-
karawanen. Namentlich aus der von Tag zu Tag fortschreitenden
Chronistik der späteren Zeit ist uns manches darüber bekannt
(Abu'l-Mahäsin I, 725 ; Chitat I, 202, 13). Für die ältere Zeit vgl.
Enz. Isl. Artikel Bakt. Daß die Habascha in v. 43 Gold, Silber
und Edelsteine bringen, ist wohl übertrieben oder ein typischer
Zug. Sie lieferten Sklaven und seltene Tiere ; aber natürlich war
der Södän das Land des Goldexports, und die Smaragdminen
lagen unweit des Nubierlandes. Aber wir dürfen hier keinesfalls
«ine genaue Chronistik voraussetzen. —
Daß die Muslime bis Söba — s. Anm. zu v. 31 — vorgestoßen
seien, ist kaum anzunehmen; das südliche nubische Reich, Aloa.
erfreute sich voller Selbständigkeit. Weiter als Donkola sind die
Heerführer der Omajjaden nicht gekommen. In v. 50 spricht der
koptische Text von Maris und Suban, der arabische von Sa'id und
Assuan als dem Zufluchtsort Merwän's. Maris ist im Koptischen das
Oberland, Oberägypten schlechthin, bei den Arabern dagegen die
nubische Nordprovinz, über die Marquart, Benin CCXLIX, zu ver-
gleichen ist. Daß sich Merwän auf seiner Flucht in den Sudan retten
wollte, ist übrigens von Severus — s. unten sub 4 — bezeugt.
Auch das Schicksal seiner Söhne beweist das. Süba war wohl
die südlichste dem Apokalyptiker bekannte Stadt; deshalb nennt
er sie hier.
38 C. H. Becker,
4. Eine zeitgenössische Chronik als Parallele.
Über diesen Einzelzug hinaus ist der Severnstext die beste
Parallele, die wir uns zur Danielapokalypse denken können. Auch
Severus zeigt uns, welch' gewaltigen Eindruck das Ende Merwän's
auf die Christen Ägyptens gemacht hat; denn Severus bietet uns
die ausführlichste Schilderung der letzten "Wochen und Tage Mer-
wän's, die sich überhaupt erhalten hat, und zwar aus der Feder
eines an den Ereignissen beteiligten Klerikers. Schon bei einer
anderen Gelegenheit (Islam II, 360 iF.) habe ich auf die große Be-
deutung des Severustextes hingewiesen. Keine islamische, aber
auch keine christliche Quelle gibt so deutlich die Verhältnisse
Agypten's wieder, wie sie aus den Papyri sprechen. Eine bessere
Empfehlung gibt es für einen Historiker nicht, als daß er mit
den Urkunden übereinstimmt. Auch in der Nubierfrage wird Se-
verus durch Inschriften bestätigt. Es wäre also Hyperkritik,
seine übrigen Angaben, namentlich sofern er sie als Augenzeuge
gleichsam tagebuchartig schildert, zu bezweifeln. Natürlich wird
man eine gelegentliche Hyperbel abziehen dürfen ; aber als Granzes
genommen haben wir jedenfalls hier eine Schilderung vom Ende
der Omajjaden vor uns, wie es sich in den Augen gebildeter Zeit-
genossen spiegelte. Die Apokalypse stammt von einem weniger
gebildeten Autor, aber aus der gleichen Zeit und dem gleichen
Milieu. Das möge eine Besprechung der Severusstelle rechtfertigen,
die zwar schon dreimal ediert und von Evetts übersetzt ist, aber
noch nirgends eine historische Würdigung erlebt hat. Ich be-
schränke mich natürlich auf die Stellen, die zur Erklärung der
Danielapokalypse beitragen. —
Nur ein Wort über den Verfasser als Augenzeugen. Ich mag
hier nicht auf die dunkle Kompositionsgescbichte des Severus-
textes eingehen. Darüber dürfen wir die kompetenten Äußerungen
der Herausgeber erwarten. Die Vita Michaels ist ein in sich ge-
schlossenes Ganzes mit einem individuellen zeitgenössischen Ver-
fasser, der in der Einleitung auf seine Vorgänger hinweist und
sich dadurch als Historiker fühlt und in der Ich-Form schreibt.
An einer Stelle, wo er die Gefangenschaft des Patriarchen nach
Merwäns Ankunft beschreibt (E. 179; S. 201, 3; Hamb. 192,8),
nennt er sich selbst mit Namen als Schammäs (Diakon) Johannes,
geistiger Sohn des Bischofs Moses. Diese Stelle ist natürlich
längst bekannt, und schon Quatremere, S. 55, spricht vom „diacre
Jean" als dem Verfasser der Vita des Michael. Dazu maß nun
Das Keich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 39
aber eine andere Stelle verglichen werden. Im Yulgatatext (S. 181 ;
E. 135 ; Hamb. 173, 14 mit Recht von Seybold ergänzt) erzählt
hier der Autor : Als der Patriarch Michael gefangen gesetzt wurde,
war niemand bei ihm außer Moses, Bischof von Waslm, Theodoros,
Bischof von Misr und Elias Paulus, der geistliche Sohn des Bi-
schofs Moses. Dann erzählt er weiter von den geistlichen Ge-
sprächen im Kerker und sagt: „Ich stand im Dienste dieser drei
unblutigen Märtyrer Tag und Nacht". (Hamb. 174, 3; S. 181, 24;
E. 136). Da oben mit dem Patriarchen vier genannt waren und
der Verfasser dabei war, mußte er selbst der Vierte sein. Er
hieße also Elias Paulus, wie verhält sich nun dieser Elias Paulus
zum Diakon Johannes? Beide sind Augenzeugen. Beide sind
geistige Söhne des Bischofs Moses. Sollten sie nicht auch die
gleiche Person darstellen? Vermutlich aber drückt sich der Ver-
fasser nur ungeschickt aus und war Johannes eben der Fünfte.
Wie er auch hieß, jedenfalls gehörte er mit seinem geistlichen
Vater zur nächsten Umgebung des Patriarchen. Ein innerer
Grund für seine Autorschaft ist auch noch sein ständiges Hervor-
heben des Bischofs Moses, der fast mehr gefeiert wird als der
Patriarch. Der Autor ist also ein Augenzeuge ; die verschiedenen
Ausgaben stehen in ihrem Wert nebeneinander und müssen wie
verschiedene Handschriften benutzt werden. —
Der Verfasser beginnt seinen Bericht (E. 88; S. 160; Hamb.
151) mit einer Schilderung der Willkürherrschaft des Finanz-
präfekten El-Qäsim, des Sohnes seines nicht minder berüchtigten
Vorgängers 'Ubaidalläh b. al-Habhäb. Er erlaubt den Malkiten,
die seit der Araberherrschaft ohne Patriarchen gewesen waren,
den ungebildeten Kosmas zum Patriarchen zu erwählen, während
die Jakobiten ohne Oberhaupt bleiben. Man vergleiche dazu den
Malkiten Eutychius ed. Cheikho 45. Erst der neue Wäli — dieser
Titel wird gebraucht — , Hafs b. al-Walid, gestattet die Wahl-
handlung, und Michael wird nach schwierigen Verhandlungen zum
Patriarchen erkoren (a. Diokl. 459). Einen großen Teil seines
Berichtes füllen nun die Streitigkeiten zwischen Michael und Kos-
mas aus, die vor der muhanmiedanischen Behörde geführt werden.
Sie bleiben hier bei Seite. Von der Reichsgescbichte kennt der
Verfasser die Ermordung Walid's 11. durch Ibrahim. Die Kalifen
werden durchweg als Könige (mulük) bezeichnet. Ibrahim ernennt
den Hassan b. Abi 'Atähija zum Statthalter oder, wie alle drei
Texte sagen: „nach einer Handschrift den -ilu ^ L»ol", was na-
türlich nur phonetische Schreibung für 'Isä b. Abi 'Atä ist, wie
beide Editoren erkannt haben. Nach Kindi war Hassan Statt-
40 C. H. Becker,
halter, *Isä Finanzpräfekt. Nun reißt ein gewisser Radjä die
Herrschaft an sich. Gemeint ist Ibn al-Aschjam (vgl. Kindi ed.
Gaest 87, 4; 89, 2). Ihm schließt sich der frühere Statthalter,
5afs, an, und sie vertreiben den 'Isä. Es handelt sich um den
bekannten ägyptischen Dissens unter Merwän, der meist als
drittes Emirat des 9afs in den Quellen bezeichnet wird. IJafs
sucht die Christen zum Übertritt und damit in sein Heer zu
zwingen (vgl. Islam II, 366). In dieser Zeit prophezeit Bischof
Moses, daß noch im gleichen Monat Hafs mitten in Fustät ver-
brannt und Radjä mit dem Schwert getötet werden solle. Und
richtig, das tritt ein, als Merwän den Hauthara mit 5000 Mann
— Kindi 88, 5 sagt 7000 — schickt und die Ordnung wieder-
hergestellt wird. Nach Kindi 90, 8 wird tatsächlich Radjä mit
dem Schwert hingerichtet, über IJafs' Hinrichtungsart herrscht
Dunkel, doch sagt Abu '1-Mahäsin I, 325, 7 : „Die Geschichte seiner
Hinrichtung (maqtal) ist (zu) lange". Da alle anderen Angaben
unseres Autors mit der besten islamischen, von ihm ganz un-
abhängigen Quelle übereinstimmen — nur war Hassan nicht von
Ibrahim, sondern schon von Merwän entsandt ; aber das hat nichts
zu sagen, da ja Ibrahim nur einige Wochen regierte — , so dürfen
wir unserem Autor auch getrost folgen, wo er Nachrichten bringt,
die wir nicht kontrollieren können. Ich betone das immer wieder,
da diese Nachrichten höchst merkwürdig sind. —
Damals gab es viel Unruhe in den außerägyptischen Provinzen
des Reiches, und die Menschen bekämpften sich untereinander,
daß der jedesmalige Herrscher nicht einmal ein Jahr lang an der
Spitze blieb, bis sich ein Mann erhob, der Merwän (und) ^) König
des Türkenlandes genannt wurde. Er eroberte das Reich mit Ge-
walt und herrschte über es mit starkem Arm wie Pharao. Keiner
vermochte ihm entgegenzutreten, ohne daß er ihn mit dem Schwert
vernichtete, und er vergoß viel Blut jedes Jahr. In Ägypten aber
herrschte Frieden und Ruhe fünf Jahre lang. Dann wurde der
ägyptische Statthalter ersetzt durch 'Abdulmalik b. Merwän, den
Enkel des Eroberers Spanien's, Müsä b. Nusair, von dem oben
schon die Rede war. Der war ein großer Christenhasser und
brachte gewaltige Beschwer (ta'b, wie in der Apokalypse) über
Ägypten. Er konfiszierte alle Metalle und bedrückte das Volk.
Unter ihm spielt sich der Hauptstreit der feindlichen Brüder in
1) Das „und« steht Hamb. 165, 16 ^^\ jtib er ^^^^ o'^J*"- ^J*^ O*-^^
ß. 173, 20 eJyJI ,4)ÜU; E. 118 ^yJi ,^ ^j)JU.
Das Beich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 41
Christo ab, der oben erwähnt wurde. In dieser Zeit entbrannte
im Osten der Kampf gegen Merwän, und sie bekämpften sich
heftig untereinander. Der Statthalter benatzt diesen Anlaß zu
einer allgemeinen Gelderpressung. Auch der Patriarch wird zu
Erpressungszwecken in's Fußholz gesetzt, mit einer Eisenkette
belastet und eingesperrt. Es begleiten ihn die oben genannten
Personen. Die Gefangenen sahen kein Sonnenlicht vom 11. Tot
(Sept.) bis zum 12. Bäbä (Oktober a. D. 749). Im Gefängnis führen
sie religiöse Gespräche, aus denen der Verfasser mancherlei zitiert.
Sie werden dann freigelassen, um in Oberägypten Geld zu sammeln.
Bei dieser Gelegenheit wird auch der Statthalter als Malik be-
zeichnet. Sie kehren am 21ten Tübah (Januar 750) nach Mi§r
zurück. In dieser Nacht fand ein schweres Erdbeben statt, und
zwar im ganzen Orient. In Ägypten wurde nur Damiette be-
schädigt. (Es ist dies das Erdbeben, über das Theophanes Chrono-
graphia 426 berichtet; das war a. D. 750). Abdulmalik läßt unter
dem Eindruck dieses Ereignisses den Patriarchen frei und begnügt
sich mit dem von ihm gesammelten Gelde. Dann folgt die nu-
bische Episode, fest verankert im Fluß der Erzählung. Man sieht
aus der doppelten Motivierung, daß die Beziehung des nubischen
Einfalls zur Freilassung des Patriarchen nur eine Ausschmückung
des Chronisten ist. Ägypten aber fand keine Ruhe unter 'Abdul-
malik; denn keiner von den „Königen der Ismaeliten" war wie
er, der in seinem Christenhaß tat, was er wollte. Nachdem dem
Patriarchen aber eine wunderbare Heilung einer Tochter des Statt-
halters gelungen war, geht es den Christen besser. Michael kann
Kirchen restaurieren, und es tritt sogar ein Muslim zum Christen-
tum über. —
Dann folgt der uns wichtigste Teil der Vita, die Erzählung
vom Aufkommen der 'Abbäsiden und dem Ende Merwän's. Darin
kommen folgende Daten vor:
Ankunft Merwän's: 20. Baüna (Juni).
Ankunft der Verfolger: 18. Ablb (Juli).
Todesmonat Merwän's: Misrä (August).
Als Jahr wird 467 Diokl, angegeben. Das wäre a. D. 751—2,
was unmöglich ist. Es muß 465 Diokl. heißen; xmd das ergibt
sich auch aus dem Fortschreiten der Erzählung von Monat zu
Monat. Die entsprechenden Daten der islamischen Überlieferung
sind:
Ankunft Merwän's: 22. Schawwäl 132 — 3. Juni 750
(Kindi 95, 3).
42 C« H- Becker,
Ankunft der Verfolger: 15. Dhu l-^idjdje — 26. Juli
(Kindi 96, 11).
Tod Merwän's: Ende Dhu '1-IJidjdje — Anfang August.
In Bezug auf den Tag schwanken die Angaben der besten
Quellen, Kindi 96, 16; Tabari III, 50, 15; 51, 8; B. Athir V, 327,12;
Masudi B. G. A. VIII, 328, 3; K. Agbäni IV, 92; deshalb hat auch
schon Wellhausen, Arabisches Reich 342 sich begnügt, als sicher
nur den Anfang August 750 zu bezeichnen. —
Vergleicht man nun die muslimische und die christliche Über-
lieferung bei Severus, so zeigt sich, daß die Monate überein-
stimmen. Die Tagesangaben schwanken ebenso wie in der mus-
limischen Überlieferung. Daß sieh Severus in der Jahresangabe
um zwei Jahre geirrt hat, was sich aus seiner eigenen Erzählung
ergibt, darf uns nicht Wunder nebmen. Ganz abgesehen von
gerade bei Zahlen häufigen Fehlschreibungen, weiß jeder aus
eigener Erfahrung, daß man sich bei einige Jahre zurück-
liegenden Erlebnissen viel genauer der Jahreszeit als der Jahres-
zahl zu erinnern pflegt. Irrtümer passieren uns dabei alle Tage.
Deshalb dürfen wir sie unserm Chronisten nicht allzu sehr nach-
tragen, freuen wir uns lieber, daß die genaue Entsprechung in den
Monatsangaben mit der islamischen Tradition den Wert unseres
Autors als historische Quelle bestätigt. —
Im Folgenden skizziere ich den weiteren Inhalt des Severus-
berichtes, und zwar beginnend mit S. 188, 7; E. 150; Hamb. 190,4.
In dieser Zeit war Merwän König von Persien bis nach
Spanien. Seine Hand lag schwer auf seinem Heer wegen der
Menge seiner Kriege, bis sie schließlich untereinander Krieg be-
kamen und gegenseitig ihr Blut vergossen. An einem Tage fielen
20000, ein andermal 30000, ja, sogar einmal 70000 Mann. Sie
hörten nicht auf sich zu bekämpfen während der ganzen 7 (resp. 9)
Jahre seiner Herrschaft. Im siebten Jahre hatte ein Jüngling
namens 'Abdallah einen Traum und hörte eine Stimme mehrmals
sprechen: „Bekämpfe den Merwän (mit Gott, so wirst Du Herr
über ihn werden)". 'Abdallah wohnte in der Wüste (und war ein
Beduine), und sein Vater (sie) war ein Scheich namens Abu Muslim.
Der Vater hatte den gleichen Traum, schrieb ihn auf und schlug
ihn an seinem Zelte an. Er erzählte den Muslimen die Geschichte
des Traumes, und sie versprachen ihm Hülfe und im Falle des
Erfolges die Herrschaft. Es versammelten sich bei ihnen 20000
Reiter, die aber keine Waflfen hatten. Da schnitten sie Stiele
Ton Palmblättern (djarä*id) ab und setzten Lanzenspitzen darauf.
So zogen sie in den Kampf, und die Kraft Gottes war mit ihnen.
Daa Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 43
Merwän aber zog wider sie mit 100000 Streitern. 'Abdallah
teilte sein Heer in zwei Teile. Als er sie erblickte, sprach Mer-
wän, wie einst Goliath zu David (1. Sam. XVII, 43): „Du kommst
zu mir mit einem Stock; bin ich denn ein Hund?". Und Merwän
stellte 40000 wohlgepanzerte Krieger gegen sie in's Feld, doch
sie wurden vernichtet von 'Abdalläh's ersten Zehntausend nach
dem Bibelwort: „Einer wird 1000 in die Flucht schlagen" (Josua
23, 10 und sonst). Abu Muslim erblickte aber den Engel des
Herrn, und in seiner Hand war ein goldener Stab (qa4ib), an
dessen Spitze sich ein Kreuz befand, und damit schlug er seine
Feinde in die Flucht. "Wo aber das Kreuz hinkam, da fielen die
Männer tot hin, und seine Genossen erbeuteten ihre Pferde und
Waffen. Dann schickte Merwän wider sie andere 40000 in der
vierten Stunde des Tages, und mit ihnen kämpften 4000 Anhänger
Abu Muslim's; Gott aber überantwortete die 40000 in ihre Hand
mit ihren Tieren und Waffen. —
Als das Merwän sah, floh er, gebrauchte aber die List, seine
Schätze auf dem Wege zu zerstreuen — vgl. unsere Apok. v. 49 — ;
deren Einsammlung hielt seine Verfolger sieben Tage auf, und so
entkam er mit 20000 Mann. Von diesen rettete er über den Eu-
phrat — beim Übergang ertranken viele, und die Schiffe ver-
brannten — nur 8000 Mann. Abu Muslim aber ließ Kreuze aller
Art machen und sie vor ihnen hertragen und sprach: „In diesem
Zeichen gibt uns Gott den Sieg". Von allen Seiten strömten die
Scharen ihm zu, aus Choräsän, Färs und Rüm, und wer in der
Feme davon hörte. In allen Städten, die sie nahmen, setzten sie
ihre Leute ein. Merwän aber verbrannte jeden Ort, den er auf
seiner Flucht erreichte. Als seine Verfolger an den Euphrat
kamen und den Brand in den Schiffen sahen, da zogen sie schwarze
Gewänder an, ließen ihre Haare wachsen, verkehrten nicht mehr
mit ihren Frauen und fasteten, bis Gott ihre Feinde in ihre Hände
überlieferte. Sie brauchten sechs Monate, bis sie die Schiffe er-
neuert hatten. Dann folgten sie Merwän. Wenn sie bei ihrem
Vordringen Christen trafen, die auf Stirn und Kleidern das
Zeichen des Krenzes trugen, oder Muslime, die schwarze Kleider
trugen, dann schonten sie sie; alle Anderen wurden getötet;
denn die Genossen Merwän's gehörten zu Quraisch*). Sie töteten
1) Es ist hier und an anderen Stellen textlich stets zweifelhaft ob ^jüjj»
oder ^^ j ob ^j.ajwJ oder ^j^j^^ zu lesen ist. Ich halte die Lesong „Qurei-
schiten" für richtiger; denn es war doch eine persische Reaktion gegen die
Araber.
44 C. H. Becker,
aber alle seine Genossen, ja, sie spalteten die Bäuche der schwan-
geren Frauen, um ihre Kinder zu töten; denn sie sollten keinen
Samen auf Erden hinterlassen. —
Merwän betrat aber sein Schatzhaus (Vulg. in Damaskus) und
nahm viele Schätze heraus und verbrannte den Rest mitsamt der
Stadt, und er machte es so mit sieben Provinzen (Küra's). Als
das 'Abdulmalik, der Statthalter von Ägypten, hörte, schrieb er
ihm listig einen Brief und lud ihn ein, nach Ägypten zu kommen,
wo er vor seinen Feinden sicher wäre. Da machte sich Merwän
auf den Weg nach Ägypten. Auf dem Wege tötete er die Ober-
häupter der Orte und Provinzen und zog ihre Schätze ein. Ebenso
behandelte er die Klöster, so vor allem ein reiches Kloster in Pa-
lästina, „und der Name jenes Klosters war Mön(asterium) und in
unserer Sprache Der Bü Hermänüs" ^). In der Nähe des Klosters
aber lebte ein Säulenheiliger, der schon mehrere Jahre auf seiner
Säule lebte, ein orthodoxer Theodosianer. Auf Rat seiner Be-
gleitung, die ihn auf die Wahrsagegabe des Heiligen aufmerksam
macht, befragt ihn Merwän über sein Schicksal. Da sprach er wie
Jeremias: „Wenn ich die Wahrheit künde, wirst Du mich töten;
aber ich will Dir sagen, was mir Gott offenbart hat, und was mir
Gott gesagt hat über Dich: Mit dem Maß, mit dem Du gemessen
hast, wird Dir gemessen werden. Wie Du die Mütter kinderlos
gemacht hast, so wird Deine Mutter kinderlos werden, und Dein
Weg wird schrecklich sein für alle, die Dich vor sich sehen, und
Deine Kinder und Weiber und alle die Deinen werden sie in Ge-
fangenschaft führen, und Dein Königtum wird an sich reißen der,
welcher Dir jetzt auf den Fersen ist. Und keiner aus Deinem
Geschlecht wird König werden bis in Ewigkeit, und sie werden
Dich verfolgen (sie), bis Du gelangst nach Abu Abis zu Cleo-
patra^). Dies alles wird Dir noch in diesem Jahre passieren im
Monat Misrä". Als das Merwän gehört hatte, ließ er die Säule
umstürzen und den Heiligen lebendig verbrennen. Dann kam er
nach Ägypten am 20. Baüna des Jahres 467 (lies 465) der Mär-
tyrer. —
Schon früher aber hatten sich die Baschmüriten '') gegen den
Statthalter 'Abdulmalik empört. Wegen ihrer günstigen Lage im
1) In Bü Hermänüs steckt nach Littmann wohl Romanus ; das „Her" erinnert
an f. Das Oj^ für ^ eines Textes ist wohl spät.
2) über diese Namen siehe unten.
3) Vgl. über sie Kindl 96; Maqrizi, Chitat I, 79, 31; 804, 9; II, 493, 12:
über den Ort s. Jäqüt I, 634; auch sonst gelegentlich erwähnt.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 45
Delta war ihnen nicht beizukommen. Nach Merwän's Ankunft
sagen sich die Araber in Alexandria von ihm los, Merwän schickt
den Emir Hauthara, die Stadt wird genommen und unter anderen
auch der Patriarch gefangen gesetzt. Er soll, da er nicht zahlen
will, hingerichtet werden, wird aber im letzten Moment frei ge-
lassen, da man durch ihn auf die Baschmüriten wirken will.
Inzwischen waren 'Abdallah und seine Genossen Herren von
Syrien geworden, und Merwän sammelt seine Soldateska um sich,
der er jede Ausschreitung gestattet, nachdem sie von den Basch-
müriten geschlagen worden war. Diese hatten Rosette geplündert
— Kindi 96, 5 — und die dortigen Muhammedaner erschlagen.
Nun wird der Patriarch zu Merwän geschickt und auf dem Wege
dorthin kommt er an Wasim vorbei, wo sich ihm der Bischof
Moses und der Verfasser Johannes anschließen. Johannes be-
richtet dabei in der Ich-Form, daß schon vor der Ankunft Mer-
wän's in Ägypten Bischof Moses prophezeit hatte: „Dieses Reich
wird zu Grunde gehen mit allen seinen Heeren, und danach wird
ein neues Reich kommen". Als nun am Sonntag, den 10. Abib,
morgens, der Patriarch Michael vorbeigeführt wird, erklärt Moses,
die Stunde der Erfüllung sei gekommen. Sie nahmen noch das
Abendmahl aas der Hand des Patriarchen, und schon sehen sie
Flammen über Fnstät emporschlagen, wo Merwän die Vorratshäuser
verbrennt, damit sie nicht in die Hände seiner Feinde fallen.
Jetzt werden die Soldaten unruhig und drängen zum Aufbruch.
Johannes und Moses begleiten den Patriarchen.
Merwän hatte nämlich den Befehl gegeben, ganz Fustät anzu-
stecken, und es brannte vom Süden bis zum Norden, bis zur
großen Moschee ^). Drei Tage vorher hatte er es von allem Volke
räumen lassen. Auf der Flucht vor dem Feuer waren zahllose
Leute im Flusse ertrunken, da sie keine Übersetzgelegenheit fanden.
Das Volk füllte die Straßen und Plätze in Gizeh. Es fehlte an
Lebensmitteln, da Merwän die Vorratshäuser verbrannt hatte.
Als der Patriarch mit seinem Gefolge ankommt, bekommt Merwän
gerade die Nachricht, daß die Chorasanier bereits El-Faramä er-
reicht haben. Er schickt nun Truppen aus, alle Boote in dem
zwischen ihm und seinen Feinden liegenden Lande zu verbrennen
und Städte und Dörfer zu zerstören^). So kamen sie bis nach
Atrib. Hier hoffte Merwän, dank der vielen Wasserläufe den
1) Die islamische Überlieferung kennt nur die Niederbrennung der Ber
Mudhahhaba, des Palastes der Merwäniden; vgl. Kindi 95, Abu'l-Mahäsin I, 351;
Maqrizl, Chitat I, 304, 8 ; Brücke und Umgebung nach Tab. in, 49, 9.
2) Ähnliche Nachrichten bei Tab.
46 C. H. Becker,
Vormarsch seiner Feinde zu verhindern, doch später stellte es
sich heraus, daß er nicht mit den Furten gerechnet hatte. Darauf-
hin zog Merwän seine Truppen von Atrib zurück, und die Stadt
wurde gerettet. Am 18. Abib verbrennt Merwän die Burg von
Misr, nachdem er sich mit seinen Truppen auf das westliche Nil-
ufer zurückgezogen hat^). Am 19. Abib erscheinen die Chora-
sanier auf der gegenüberliegenden Seite. Sie schlagen ihre Zelte
im Norden^) von Fustät auf. Ihr Lager erstreckt sich von dem
Astabal (Stall)') genannten Platze bis an das Grebirge; während
hier ihre Vorhut stand, war ihre Nachhut auf dem Wege nach
El-Faramä. In der Nacht des 20. Abib werden der Patriarch mit
Begleitung zu Merwän befohlen. Zitternd und bebend werden sie
zu dem Zelte Merwän's gebracht, worauf sie Merwän fragt: „Wer
von Euch ist der Patriarch?" Der Patriarch wird von ihnen ge-
trennt, der Bischof Moses gemartert, um Greld von ihm zu er-
pressen, während der Verfasser im Mönchsgewand nicht weiter
belästigt wird. Der Patriarch stand vor Merwän, während dieser
nach der anderen Nilseite blickte, wo seine Feinde sich ver-
sammelten. Das ganze Volk von Misr sah, zusammen mit den
Chorasaniern , was mit dem Patriarchen geschah, und sie be-
schimpften Merwän. Die Baschmüriten hatten sich in El-Faramä
den Chorasaniern angeschlossen und ihnen gesagt: „Merwän hat
unsern Patriarchen gefangen gesetzt, weil wir gegen ihn gekämpft
haben und seine Truppen vor Earer Ankunft in die Flucht ge-
schlagen haben". Der Emir Hauthara aber stand vor Merwän
und sagte ihm, dieser Patriarch pflegte zu den Alexandrinern zu
sagen: „Gott wird das Reich von Merwän nehmen und wird es
seinen Feinden übergeben". Als er dies hörte, sprach der Dol-
metscher im Auftrage Merwän's zum Patriarchen: „Bist Da der
Patriarch von Alexandrien?" Da antwortete der Patriarch: „Ja,
ich bin es, Dein Knecht". „Und", sagt der Verfasser, „ich hörte
€8, da ich in der Nähe war". Da sagte Merwän zu ihm: „Sprich,
Du bist also das Oberhaupt der Feinde der (islamischen) Religion?"
Der Patriarch antwortete: „Ich bin nicht das Oberhaupt schlechter,
sondern guter Menschen, und die Meinigen tun nichts Böses,
sondern die Beschwer hat sie zu Gfunde gerichtet, bis sie ihre
1) Gemeint ist wohl der Brückenkopf; denn die islamische Überlieferung
spricht davon, daß er „die zwei Brücken" zerstört.
2) Wenn ^^jO^. hier Norden heißt.
3) Astabal Qorra ist gemeint, die spätere Birkat al-Habasch ; Stollensammlung
in Papyri Schott-Reinhardt I, 18 und 8. de Sacy, Relation de TEgypte 400.
Das Beich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 47
Kinder verkaufen mußten". Mehr aber sagte er nicht. Darauf
wurden auf Befehl Merwän's dem Patriarchen die Barthaare aus-
gerissen und in den Nil geworfen. Der Berichterstatter fügt
hinzu : „Und ich sah sie mit meinen eigenen Augen auf dem Wasser
schwimmen, und sein Bart war groß und schön gewesen und floß
auf seine Brust herab, wie bei Jakob". Die Leute auf dem anderen
ITfer sahen dem zu. Und sie wären gern herübergekommen,
Merwän zu töten; aber sie fanden keine Gelegenheit zum Über-
setzen, Die wenigen Furten waren den Chorasaniem noch nicht
bekannt; Merwän aber ließ sie bewachen. Als die Märtyrer so
in schwerer Bedrängnis waren, da öffnete Gott die Augen des
Bischofs Moses, und er sah zwei Heilige über den Fluß reiten.
Es sah sie aber niemand außer Merwän und ihm, und sie sprachen
zu Merwän: „Was sitzest Du hier, wo doch Deine Feinde schon
nach dem Westen übersetzen?" Da gab Merwän den Befehl auf-
zubrechen und sie am folgenden Tage wieder vorzuführen. Das
geschieht, und, obwohl eigentlich der Patriarch allein vorgeführt
werden soU, drängt sich seine ihm treu ergebene Begleitung doch
mit in das Zelt Merwän's. Merwän saß am Ufer des Flusses, und
der Patriarch stand 10 Stunden vor ihm, ohne daß ihn Merwän
ansprach. Wieder werden allerlei Martern vorbereitet, wieder
schaut das Pablikum vom andern Ufer zu, bis schließlich der
älteste Sohn Merwän's, 'Abdallah, sich in's Älittel legt und seinem
Yater rät, den Patriarchen nicht zu töten, da sie bei ihrer wei-
teren Flucht doch wohl oder übel mit dem Wohlwollen der Nubier
zu rechnen hätten und der Patriarch auch deren geistiges Ober-
haupt sei. Der Patriarch wird also nicht getötet, sondern mit
seiner Begleitung wieder in's Gefängnis zurückgeführt. Die Für-
sprache 'Abdalläh's ist zweifellos eine Ausschmückung des Chro-
nisten, da 'Abdallah der einzige der Söhne Merwän's war, der
dem allgemeinen Blutbad entrann, und diese Errettung vor der
Strafe Gottes durch irgend eine besonders gute Tat des 'Abdallah,
der überhaupt gelobt wird, motiviert sein mußte. So konnte die
Rettung des 'Abdallah einem Fürbittegebet des Patriarchen zu-
geschrieben werden. Zunächst aber bleiben der Patriarch und
seine Begleitung unter schweren Qualen 10 Tage und 10 Nächte
im Gefängnis ; das war, wie man aus dem Text nachrechnen kann,
vom 21. Abib bis zum 1. Misrä. Der Bischof Moses prophezeit
im Gefängnis, diesmal würden sie nicht getötet werden; aber sie
kämen erst heraus, wenn Merwän tot wäre. Nach der eigenen
Erzählung des Chronisten kommen sie am 1. Misrä heraus, nachdem
das Heer Merwän's geschlagen ist; er selbst ist aber sicher erst
48 C. H. Becker,
einige Tage später gefallen. Das Gefängnis befand sich auf einer
Insel, deren Name verschieden überliefert worden ist^). Da auf
dieser Insel sich aber viele Schiffe befinden — ein jüngerer Sohn
Merwän's führt hier das Kommando, bis er bei Ankunft der Gegner
weichen muß — , so handelt es sich offenbar um die Insel E,ö(Ja,
deren Arsenal berühmt war. Dazu paßt auch vorzüglich, daß die
Geistlichen nach ihrer Befreiung noch in der gleichen Nacht nach
der Petruskirche in Gizeh gelangen. —
Da unser Verfasser die entscheidenden 10 Tage im Gefängnis
verlebt, so läßt seine Darlegung im Folgenden leider etwas die
notwendige Klarheit ermangeln; außerdem weichen die drei Texte
so erheblich voneinander ab, daß sie Merwän sogar an verschie-
denen Orten sterben lassen. Wahrscheinlich ist diese Unsicherheit
der Handschriften dadurch hervorgerufen, daß man später nicht
genau wußte, ob Merwän in Gizeh, auf der Höhe des FajJQm oder
im Bezirk Aschmünain gefallen sei. Als sein Todesort stand Büsir
fest. Nun gab es ein Büsir in der Provinz Gizeh, eins am Ein-
gang des Fajjüm und endlich ein schon sehr früh vollständig in
Vergessenheit geratenes Büsir bei Aschmünain. Da die Rekon-
struktion des Textes von der Fixierung des Todesortes Merwän's
abhängt, muß hier erst kurz erwiesen werden, daß er tatsächlich
bei Aschmünain gefallen ist. Noch, als ich den Artikel Büsir in
der Enzyklopädie des Islam schrieb, entschied ich mich auf Grund
meist ägyptischer Quellen und der lebendigen Lokaltradition für
das Büsir am Eingang des Fajjüm, meist Büsir el-Malak, früher
Büsir Kuraidis genannt, während Wellhausen in seinem Arabischen
Reich S. 342, auf meist östHche Quellen gestützt, sich für Büsir
im Bezirk Aschmünain aussprach. Wellhausen's Hypothese wird
nun durch alle neuen Quellen bestätigt. Unsere Apokalypse iden-
tifiziert den Ort Cleopatra mit Aschmünain (Vers 37) und läßt
Merwän bei Aschmünain fallen. Dies selbe Cleopatra kennt nun
auch Severus (S. 190, 24; 204, 12; E. 156, 186; Hamb. 182, 9;
195, 17), ohne es^ aber Aschmünain zu nennen^). Es wird nun
dabei ein Djabal Aba genannt, der aber auch anders geschrieben
1) Die Editionen haben oLPiJÜI (E. 178); oL^jxJI (S. 200, 19) und oLP^i
S. 203, 7; 10; Hamb. 194, 12 ff. Davor steht meist ^^. oder »ji». i^j^-.
Röda wird oft als «JuL« bezeichnet. Ob man in diesem Appellativum einen
Fingerzeig für die Lesung oder gerade den Grund der Falschschreibung sehen
soll, wage ich nicht zu entscheiden.
2) Aba Salih in Cburchcs and Monasteries ed. Evetts u. Butler fol. 76 b
n. 77 a ToUzieht aber, gestützt auf Severus, die Identifikation.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 49
•wird und der nicht zu belegen ist. In der oben zitierten Weis-
sagung des syrischen Mönches wird auch Cleopatra genannt und
dabei ein Ort namens Abi Abis, worin wir zweifellos eine Ent-
stellung von Abisir resp. Abüsir erkennen können. Auch Ja'qübi
II, 414 und Mas'üdi in B. G. A. VIII, 328, 3 enthalten Namens-
formen für das Abüsir im Bezirk Aschmünain, die unsere Deutung
der Severusstelle rechtfertigen. Auch diese Autoren fixieren hier
den Tod Merwän's. Desgleichen B. 9auqal B. Gr. A. II, 105, 2; vgl.
Quatremere o. c. I, 112. Ob der Ort wirklich Abüsir hieß, mag
dahingestellt sein ; vielleicht ist es nur eine lautliche Angleichong
an einen bekannten Ort. Jedenfalls ist das merkwürdige Cleo-
patra nicht unbekannt Amölinean, Gr^ographie de l'Egypte hat
S. 226 einen Artikel über die Stadt Cleopatris, wobei er sich im
Wesentlichen auf Quatremere, M^m. geogr. p. 491 stützt. Es ist
ein Zeichen der bewundernswerten Gelehrsamkeit Quatremere's,
daß auch er schon das Cleopatra der Severusstelle mit dem der
14. Vision Daniel's zusammenstellt. Nan kennt Am^lineau S. 7
eine von der Cleopatra-Frage ganz unabhängige Stelle, an der
von einem „Abüsir im Westen von Aschmünain" berichtet wird.
Nach Severus wird Merwän — nach Hamb. 195, 17 offenbar nur
sein Sohn — nach dem Westen von Cleopatra verfolgt; also darf
man wohl mit Recht annehmen, daß Abüsir im Westen von
Aschmünain zu suchen ist. Dort liegt heutigen Tages der Gabal
Tünah; vermutlich ist das der heutige Name für den von Severus
genannten Djabal Aba. Da nun auch noch Kindi — allerdings im
Gegensatz zu dem sonst zuverlässigen Ibn Züläq — auch aus-
drücklich von Büsir bei Aschmünain spricht, da ferner, um eine
ganz andersartige Quelle zu nennen, auch der von Mommsen
herausgegebene Cont. hisp. (Mon. germ. chron. min.. Band U, 367, 3)
des Todesort Merwän's Azunummin nennt, worin wir zweifellos
Aschmünain erkennen dürfen, so scheint mir das Idjmä' der besten
Quellen zu ergeben, daß Merwän eben in dem Bezirk Aschmünain
gefallen ist. Nach Tab. III, 51, 18 und B. Athir V, 326 u.
wurde Merwän mit seinem Harem in einer Kirche zu Büsir über-
rascht. —
Steht so der Todesort Merwän's fest, so können wir eine Re-
konstruktion der letzten Ereignisse auf Grund der Severustexte
wagen. Ich kann dabei nicht in jedem Einzelfall meine Ent-
scheidung motivieren, da das zu weit führen würde. Ich habe
aber sämtliche Texte genau verglichen. Natürlich kann man die
Dinge auch anders rekonstruieren; aber ich glaube, der historischen
Wahrheit ziemlich nahe zu kommen, wobei ich mir natürlich be-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. PhU.-hiat, Kla«e. 1916. Heft 1. ' 4
50 0. H. Becker,
woßt bin, daß unser Autor nicht Militär - Schriftstellerei be-
treiben, sondern eine erbauliche Verherrlichung seines Helden
geben wollte. —
Während der Grefangenschaft des Patriarchen schickte Merwän
(E. 181; S. 202; Hamb. 193) den Zabbän, einen Nachkommen des
berühmten Statthalters 'Abd ul-'Aziz b. Merwän nach Oberägypten,
wie übrigens auch Kindi 96, 6 berichtet. Seine Scharen verwüsteten
das ganze Land von Memphis bis Theodosia^) und töteten viele
Christen. Endlich setzte die Rache Grottes ein. Die Chorasanier,
geführt von Sälih und Abu 'Ann setzen auf das Westufer über.
Der Verfasser erzählt, daß das Heer der Abbasiden in vier Teile
geteilt worden sei ; es ist unklar, wo die einzelnen Teile angesetzt
werden, es scheint aber, als ob Abu 'Ann eine große Umfassungs-
bewegung gemacht und den Nil bei Schatanüf — der Ort existiert
beute noch unweit der Barrage von Kaliüb — , also da, wo der
Nil sich spaltet, überschritten habe. Einer der Anführer der
Truppen Merwän's, ein Mann Namens Jazid — , vermutlich der,
der eine Zeitlang die Aufsicht über die Gefangenen geführt hatte
(S. 200, 3; 200, 19; E. 177; 178) und deshalb unsern Verfasser be-
sonders interessierte, flieht nach dem Djabal Wasim, was zur
geographischen Lage gut paßt, wird aber unterwegs von seinen
eigenen Leuten ermordet, die sich den Chorasaniern ergeben.
Versprengte Flüchtlinge gelangen bis in's Wädi yabib, das heutige
Wädi Natrün. Die dortigen Mönche haben in wunderbarer Weise
an dem Erfolg der Chorasanier mitgewirkt; denn an dem gleichen
Samstag, dem 30. Abib, an dem sie sich zu einer besonderen Ge-
betsveranstaltung für den Patriarchen und für die Befreiung
Ägyptens von den Quälereien Merwän's versammelt hatten, gelang
Abu *Aun die Überschreitung des Nil. Scheinbar gleichzeitig oder
bald danach glückte dem Sälih der Frontalangriff über den Nil
und die Insel Röda nach Glzeh hinüber. Dieser Punkt ist nicht
sicher; die Hauptaktion war jedenfalls die Aufrollung der Front
von Schatanüf an. Merwän war bereits zwei Tage vorher, also
am 28. Abib, nach Oberägypten abgereist. Sein jüngerer, erst
15 Jahre alter Sohn führte das Kommando auf der genannten
Insel und war gerade dabei, dort nicht nur die Schiffe, sondern
auch alle Häuser anzustecken, wobei er den Patriarchen mit
seiner Begleitung im Gefängnis verbrennen lassen wollte, als
plötzlich eine furchtbare Stimme ertönte, daß die Feinde da wären.
Merwän's Sohn flieht Hals über Kopf und stößt dann in Ober-
1) Der Ort ist nicht belegbar.
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 51
ägypten zn seinem Vater, während das Fener von den herbei-
eilenden Rettern gelöscht and die Geistlichen befreit werden.
Von den urspränglich 80000 Mann — gemeint sind wohl 8000 — ,
die Merwän noch mit nach Ägypten gebracht hatte, behielt er nur
noch 400. Als Hauthara das sah, snchte er an Merwän Verrat zu
üben und sich mit den Chorasaniem zu verständigen. Diese ver-
langten jedoch die Auslieferong Merwän's. Hauthara versucht
nun, Merwän zu bewegen, mit ihm und seinem Harem Schiffe zu
besteigen, um nach dem Lande der Romäer zu fliehen; er wollte
ihn aber nur den Chorasaniem in die Hände spielen. Merwän
durchschaut den Plan und schlägt mit eigener Hand Hauthara
den Kopf ab. Er selbst flieht weiter, bis er schließlich bei dem
vorbesprochenen Djabal Aba westlich von Cleopatra von seinen
Feinden eingeholt und erschlagen wird. Ein Datum ist nicht ge-
nannt; auf Grund der Prophezeiung des Mönches muß es im lilisrä
gewesen sein. Sein Sohn fällt mit ihm. Merwän's Leichnam
wird dann mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Das muß — der
Ort ist genannt, aber unsicher — in der Nähe von Fustät gewesen
sein ; denn unser Chronist hat diese Ausstellung der Leiche selbst
gesehen, und es ist kaum anzunehmen, daß er inzwischen nach
Oberägypten gereist war. Die schimpfliche Ausstellung in der
Hauptstadt ist auch das an sich wahrscheinlichere. Damals wird
es passiert sein, daß eine Katze Merwän's Zunge fraß, wovon uns
berichtet wird (vgl. Wellhausen 1. c). Auf dem ganzen Zuge
hatten die Abbasiden überall die Bevölkerung aufgefordert, auf
Stirn und Kleidern oder an den Häusern Kreuze anzubringen.
Wer das nicht tat, wurde erschlagen. Die Chorasanier machten
selbst Kreuze an die Hälse ihrer Pferde (also nach der allbekannten
Sitte des Amulettragens bei Tieren). Bei der Rückkehr von Ober-
ägypten zerstören die Chorasanier den alten Omajjadensitz I^olwän
und schlitzen dort den schwangeren Omajjadenweibern die Bäuche
auf. Der Nil, der sich nicht gerührt hatte, ja, dessen Gizeh-Arm
sogar ganz ausgelaufen war, daß man zu Fuß hinübergehen konnte,
begann unmittelbar, nachdem die Chorasanier ihn überschritten
hatten, zu steigen, und zwar genau in der Art, wie es für die
Landwirtschaft am günstigsten ist. Der Patriarch und alle Christen
werden von den Chorasaniem aufs Beste behandelt; es wird ihnen
ein Steuererlaß gewährt, und in wunderbarer Weise ist auch der
Bart des Patriarchen wieder gewachsen, daß er schöner ist als
xnvor. Später aber vergessen dann die Chorasanier wieder, daß
sie eigentlich im Zeichen des Krenzes gesiegt haben, und die alt©
Bedrückung beginnt wieder von neuem. —
4*
52 C. H. Becker,
Abgesehen von manchen Einzelheiten liegt also die Berührung
dieser Severusstelle mit unserer Apokalypse hauptsächlich in dem
großen Interresse, das die Christen dem Sturz der Omajjaden-
Dynastie entgegenbringen. Die 14. Vision zeigt uns die christ-
lichen Hoffnungen und die Stellung zu Merwän als dem Antichrist
in apokalyptischer Form, während der Diakon Johannes als Chro-
nist zu uns spricht; aber die Stimmung ist bei beiden zweifellos
verwandt. Die Abbasiden, die bei ihrem Aufkommen sich überall
stark auf die Mawäli stützen, haben gewiß auch den Christen ein
neues goldenes Zeitalter versprochen. Die Christen beteten für
die Abbasiden und ersehnten den Zusammenbruch des Omajjaden-
reiches, ja, sie kämpiten wenigstens in Ägypten, wie Severus
durchblicken läßt, direkt für die neue Dynastie. Aus solchen
Taten und Stimmungen erklärt sich die sonderbare Geschichte
von der Verwendung des Kreuzes durch die Abbasiden. Merwän
ist dafür natürlich ein Hasser des Kreuzes (S. 199, 25; E. 176;
Hamb. 191, 5). Die vielen Weissagungen, die auch unsere Chronik
enthält, sind echtes zeitgeschichtliches Kolorit. Obwohl der Ver-
fasser doch das Erstarken des Abbasidenreiches, die Blüte des
Islam, noch erlebt, wirkt der Zusammenbruch des Omajjaden-
staates auf ihn so stark, daß man an manchen Stellen fast eine
Apokalypse zu lesen glaubt. —
5. Apokalyptische Parallelen nnd Verwandtes.
Dieser apokalyptische Einschlag bei Severus, wie die 14te Vi-
sion überhaupt, erklären sich aus der literarischen Zeitstimmung.
Seit (t. van Vloten's Recherches sur la Domination arabe, le
Chiitisme et les Croyances messianiques sous le Khalifat des
Omayades, wissen wir, daß die ganze Zeit, die dem Aufkommen
der Abbasiden voranging, von Heilshoffnungen aller Art erfüllt
war. Diese stützen sich auf allerlei Weissagungen, die aus christ-
lichen und jüdischen Kreisen stammten. Van Vloten, S. 56, sagt
über diese prophetischen Bücher folgendes: „Ces livres ne furent
pas d'abord entre les mains des Arabes. Ils n'en avaient connais-
sance que par l'intermödiaire des juifs et des chr^tiens, qui dejä.
de longue date possödaient leurs proph^tes, pseudoproph^tes, si-
byllines et une foule d'autres livres apocalyptiques. Ce sont des
meines, des ermites, des coptes, des juifs etc. qui en communiquent
les rövölations aux Arabes. —
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 53
Dans les livres de cette espece on trouvait la
description des personnes sans leur nom et les noms sans la
description des personnes (Xabari II, 1138). Les khalifes y ap-
prenaient la duröe de leur regne. Y^zid ibn Abdalm^lik apprit
par un juif qu'il r^gnerait pendant quarante ans. Un autre juif
n'y vit qa'un mensonge. 'II a vu', dit-il (dans ses livres), 'que
Y6zid rögnera quarante qa9aba (verge, aune) or ces qapaba d^-
signent des moia et non paa des annees' (ibid. II, 1464). —
Ces livres sont appel^s simplement kotob (livres) ou bien kotob
qadimät (livres anciens) (Iqd II, 347, Tabari III, 25). II est d^jä
question au premier siecle de l'Hegire d'un „livre de Daniel"
contenant des propheties, dans lequel le khalife Omar 6tait men-
tioun^ sous le nom al-dardouq al achadj l'enfant cicatrise (Ibn
Qotaiba p. 184. Dardouq est un mot d'origine aram^ienne). Le
nombre des livres de Daniel ou (s'il m'est permis d'user de ce
terme) des prödictions dani^liennes se multiplie par la suite. Les
bibliotheques du British Museam, de Vienne, de Gotha et de
l'Escurial en possedent des exemplaires, dont aucun pourtant ne
remonte au premier siecle. —
Zu dem von van Vloten hier angeführten Material möchte ich
noch eine gerade Merwän II. betreffende, äußerst charakteristische
Stelle erwähnen. In der von Chabot herausgegebenen und über-
setzten Chronique de Michel le Syrien findet sich Band II, S. 507
der Übersetzung folgende Nachricht: „Or, Cyriacus du Segestan
prit avec lui un mechant docteur, Bar Salta de Re§'ayna, et ils
composerent un livre de mensonge qu'ils intitulerent Apocalypse
d'Henoch. Ils y ins^rerent des paroles qui signifiaient que Mar-
wan regnerait, et son fils apres lui. Le livre ayant ^i6 present^
ä Marwan par un de ses devins, ü le lut et s'en rejouit, comme
un enfant. 11 ordonna que Cyriacus en fit un commentaire : et
celui-ci l'interpreta conformement aux d^sirs du roi''.
Wir hätten hier also das Gegenstück zu der Prophezeiung
des Säulenheiligen bei Severus. Für und gegen, vor den Ereig-
nissen und nachher wurde also mit solchen literarischen Mitteln
gearbeitet. Es ließe sich eine ganze Geschichte der durch den
Sturz der Omajjaden ausgelösten Apokalyptik schreiben, aber das
ginge weit über den Rahmen, den sich die vorliegende Arbeit
steckt. Es seien hier nur noch kurz die wichtigsten Parallelen
zur 14ten Vision zusammengestellt, wobei ich entsprechend dem
Titel dieser Arbeit unter Parallelen nicht den literarischen Typus,
sondern die zeitgeschichtliche Beziehung auf das Reich der Is-
maeliten verstehe. Zum Verständnis des literarischen Typus ist
1^ C. H. Becker,
Bousset's Antichrist ein unentbehrlicher Führer. Ich bekenne
dankbar den großen Nutzen, den ich von diesem schönen Buche
gehabt habe. Für die jüdische Literatur danke ich Goldziher die
erste Orientierung; auf den armenischen Henoch hat mich Litt-
mann und auf Stephanus hat mich BoU freundlicherweise hinge-
wiesen. —
Der Sturz der Omajjaden bildet mehrfach den Gegenstand
christlicher und jüdischer Apokalypsen. Die beste christliche Paral-
lele zur 14ten Vision ist zweifellos das äthiopische Clemensbuch^
über das Dillmann in Gott. Gel. Nachr. 1858 S. 185 ff.; 201 ff.
handelt. Auch hier ist von den vier Reichen die Rede, das zweite
ist das der Kinder Eidejos; es ist das Omaj jadenreich. Auf die
einzelnen Herrscher wird ziemlich deutlich angespielt. Es werden.
17 Könige genannt, aber noch auf einen in der Reihe angespielt,
sodaß man 18 zählen muß. Merwän ist deutlich erkennbar; am
Schluß stehen sich der König des Südens (Merwän) und der König
des Ostens (Abbasiden) gegenüber. Es scheint mir nicht ganz
sicher, ob der Verfasser schon Merwän's Tod erlebt hat — den»
er läßt ihn scheinbar in Persien sterben — ; jedenfalls sieht er
aber den Znsammenbruch voraus. Dann aber erwartete er un-
mittelbar das Ende des Islam durch die Erscheinung des Löwen-
sohnes — das Bild ist nach Bousset o. c. 48 älteres apokalyptisches
Gut — ; in diesem sieht Dillmann Constantin V., den Sohn Leo's III.
(741 — 775), der während der dynastischen Kämpfe im Islam gegen
die Muslime kriegerische Vorteile errang, und von dem man des-
halb die Wiederherstellung der Romäerherrschaft über den Orient
erhoffen mochte. Diese äthiopische Schrift gehört in den Schriften-
kreis der Petri apostoli apocalypsis per dementem, über den
Bratke in Zeitschr. f. wiss. Theol. 1893, I, 454 ff. und Bousset o. c.
45 ff. gehandelt haben. Es ist zum großen Teil handschriftliches
Material, dessen Veröffentlichung sehr erwünscht wäre. —
Das jüdische Gegenstück bilden „Die Geheimnisse des R. Si-
mon b. Jochai" ('^m'» p y^SWO 'n mnno:), die, schon 1743 in Salonik
gedruckt, in Jellinek's Bet - ha - Midrasch III, 78 ff. wieder abge-
druckt, dann von Graetz in seiner Geschichte der Juden (3. Aufl.)
V, 158 ff. ; 406 f. ausführlich gewürdigt und auch später noch oft
behandelt worden sind (z. B. Jewish Encycl. I, 683, 10; Stein-
schneider Z. D. M. G. XXVIII, 635 ff. , wo wohl mit Unrecht die
Apokalypse in spätere Zeit gesetzt wird; Wünsche, Leiden des
Messias, 120 nach Bousset o. c. 67 ; 149). Der Text ist leider nur
lückenhaft erbalten und auch manche Deutung von Graetz nicht
zweifelsfrei; aber über die Erklärung im Ganzen kann kein Zweifel
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbach. 56
bestehen. Nicht nnr die Ismaeliten, sondern auch die einzelnen
Herrscher, mit Muhammed beginnend, sind zxun Teil ganz sicher
J5U identifizieren, so besonders die späteren Omajjaden Sulaimän,
Bischäm, Walid II.; andere Herrscher werden dagegen ausge-
lassen, Merwän II. aber direkt mit Namen genannt und gesagt,
daß mit ihm das Reich der Ismaeliten zusammenfallen werde.
Nach ihm kommt dann noch ein frecher Fürst, der aber nur drei
Monate regieren wird. Hier also stimmt die Apokalypse nicht
mehr mit der Geschichte. Graetz läßt sie deshalb mit Recht
unter dem unmittelbaren Eindruck des Endes Merwän's und der
Omajjaden entstanden sein (750/751). —
Daß Christen und Juden sich in ihren apokalyptischen Phan-
tasien mit dem Islam beschäftigt haben, liegt im Wesen der
Sache. Bousset, der unsere 14te Vision nicht benutzt hat, gibt
S. 179 einen Überblick übor die Entwicklung der Apokalypse, die
sich mit der Niederwerfung des Islam beschäftigt. Sie setzt nach
ihm ein in der Zeit des Heraklius, der wohl der Prototyp des
Löwensohnes ist; später knüpft sie die Erwartung an Leo den
Isaurier, danach, wie wir sahen, an Konstantin V. und schließlich
an die Kaiserin Irene. In den von A. Vassiliev in den Anecdota
Graeco-Byzantina I veröffentlichten und von Bousset besprochenen
Texten wird auf die Ajaberinvasion in Süditalien angespielt. Für
alle diese Fragen sei auf Bousset, auf Krumbacher's Geschichte der
byzantinischen Literatur und auf die Zusammenstellung im Artikel
Apocalyptic Literature der Jew. Encycl. hingewiesen. Auch Stein-
schneider gibt in Z.D.M G. XXVUI. 627 ff.; XXIX, 162 ff. ein
reiches Material. Neuerdings hat Israel Levi Une Apocalypse
Jud^o-Arabe in Rev. Et. Juiv. LXVII Nr. 134 (1. IV. 14) behan-
delt. Es ist ein schon 1894 von Wertheimer herausgegebenes
Fragment nach Art der Geheimnisse des Simon b. Jochai, nur
werden die einzelnen Omajjaden ganz offen mit Namen genannt.
Der Text bricht leider mit der Erwähnung Omar's IL ab. —
In diesen Schriftenkreis gehört auch eine armenische Henoch-
apokalypse. die, soweit ich sehe, in den genannten Werken noch
nicht behandelt ist. Sie findet sich in englischer Übersetzung bei
Dr. J. Issaverdens, The Uncanonical Writings of the Old Testament,
found in the Armenian Mss. of the Library of St. Lazarus, Venice
1901, S. 309 ff. -
Der Inhalt ist kurz folgender: Ein Adler mit 8 Flügeln und
3 Köpfen wird von einem aus Süden kommenden Drachen mit
9 Augen angefallen und flieht nach Norden. Der Drache ver-
schlingt alle Völker und hält die Herrschaft sixteen times six,
56 C. H. Becker,
that is ninety six years. Dann kehrt der Adler auf einem von
weißen Pferden gezogenen Wagen zurück, besiegt den Drachen,
der aber nicht untergeht, sondern nur nicht mehr seine alte Kraft
besitzt. Der Adler wird als König der Griechen und Römer, der
Drache als Kinder Ismaels gedeutet. Die 9 Augen bedeuten 9
Könige, die nach dem ersten Herrscher kommen sollen. Nun ist
nach dem oben festgestellten Schema der lOte König Sulaimän;
er regiert bis 717; zählen wir die 96 Jahre zu den 622 des Ara-
beginns, so kommt 718 heraus, also eine gute Entsprechung. Diese
Zeit ist nun deshalb apokalyptisch so wichtig, weil von 716 — 717
die große (zweite) Belagerung von Constantinopel stattfand, die
bekanntlich mit einem großen Mißerfolg endete, und nach der die
Expansionskraft des Islam gebrochen erscheint. (Man vgl. Well-
hausen, Kämpfe der Araber mit den Romäern, S. 27; Geizer bei
Krumbacher o. c, 960). Tatsächlich deutet nun die Apokalypse
auch diese Verhältnisse an (318): so when the Romans shall de-
stroy the Southern people, they shall smite them first upon the
sea, and the Lord shall cause a storm to rise and drown them. . . .
And again he shall smite them six times upon the land, and the
remnant of them shall he drive away to their own land, and shall
carry away captive their wives and their children to Greece and
to Sicily". Sizilien ist also noch byzantinisch. Nicht dazu stimmt
die Angabe, daß der siegreiche König noch 12 Jahre regiert. Es
werden im Übrigen byzantinische Verhältnisse geschildert und
auch Namen angegeben; so Phouvive = Tiber, regiert 33 Jahre;
Hertzik regiert 3 Jahre. Dann Zerfall in 10 Reiche; ein Rebell
wird König, erklärt sich für Gott, wird von dem Herrn mit Feuer
verbrannt; Weltende. Zahlreiche Züge entsprechen dem von Bousset
gegebenen apokalyptischen Bilde. Die Namen sind ohne philo-
logische Nachprüfung des armenischen Textes nicht zu deuten.
Der Zusammenhang mit der zweiten Belagerung Constantinopels
ist sicher. Die Episode mit dem Sturm steht sogar bei Theo-
phanes. —
An letzter Stelle sei auf das von Hermann Usener heraus-
gegebene und erklärte Stephani Alexandrini quod fertur opusculum
apotelesmaticum (Bonner Univ.-Programme 1879) aufmerksam ge-
macht. Hier ist nicht apokalyptisch, sondern aus dem Lauf der
Sterne das Schicksal vorhergesagt, und Usener hat — nach den
gleichen Grundsätzen wie wir oben — als Abfassungsjahr das
Jahr 775 errechnet. Es werden 24 islamische Herrscher be-
schrieben, ohne genannt zu werden. Usener hat die historischen
identifiziert. Uns interessiert besonders, daß Sulaimän als der
Das Reich der Ismaeliten im koptischen Danielbuch. 57
lOte, Merwän als der 17te erscheint; Saffäh und Man^ör sind
18 und 19. -
Es wäre eine schone Aufgabe, auf Grund der im Vorstehenden
gegebenen Materialien und Stadien einmal eine wirkliche Geschichte
des Reiches der Ismaeliten in der christlichen und jüdischen Apo-
kalyptik zu schreiben. Jedenfalls gehört die 14te Vision in einen
großen und weiten Zusammenhang, und sie beleuchtet zusammen
mit den verwandten Texten eigenartig die gewaltige weltgeschicht-
liche Katastrophe vom Untergang des arabischen Reiches. —
Abba Gabra Manfas Qeddus.
Von
C. Bezold.
Vorgelegt von Enno Littmann in der Sitzung vom 15. Januar 1916.
Im dritten Kapitel von Bach IIT seiner unschätzbaren Historia
Aethiopica führt Hiob Lüdolf nach einem Berichte des Jesuiten
Antonius Fernandes aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts den
durch besondere (praecipua) Heiligkeit berühmt gewordenen j,Gabra
Menfes Ksddus, i. e. Servus Spiritus Sancti" und dessen ihm aus
dem jetzt noch unveröffentlichten Werke „Lob der Himmlischen
und der Irdischen" ^) bekannten Festtag, den 4. März, an und be-
richtet im Commentarius dazu — nach der wörtlichen Anführung
und Übersetzung der betreffenden Stelle aus dem Weddäse —
(p. 292): In hunc sanctum PP. Societaüs maximö invehuntur, ejus-
que vitam decempedalibus fabulis refertam scribunt, quarum ali-
quas vere blasphemas refert Sandovallus ^) : quod colloquia cum SS.
Trinitate & Salvatore nostro habuerit. Superba responsa hujas Sancti,
quae dictus autor narrat, referre horresco, nee putaverim id apud
Aethiopes ipsos ullam fidem invenire.
Der erste Europäer, der das Leben des Heiligen genauer
kennen lernte, war wohl Dillmann, der bei seiner Katalogisierung
der äthiopischen Handschriften im Britischen Museum das einzige
damals dort vorhandene Exemplar des Gadl durchging und in der
bekannten mustergiltigen Art für sein Lexicon (vgl. dort col. XI)
verzettelte. Seither ist die Schrift aber offenbar nicht eingehend
studiert worden. Dagegen wurde die in Schoa verbreitete Le-
1) S. Ewald, ZDMGl,37f., Dillmann, Catal ... Oxon. p. 36f. und zu-
letzt Littmann, Oesch. d. äthiop. Lit. S. 212.
2) Vgl. Commentarius p. 14.
Abbä Gabra Manfas Qeddns. 59
gende vom Leben imd den "Wundem des Heiligen durch den fran-
zösischen Forschungsreisenden Paul Soleillet nach mündlichen Mit-
teilungen aufgezeichnet und in seinen Explorations eihiopiennes^)
veröffentlicht, und sie deckt sich, wie wir sehen werden, in weitem
Umfang mit dem Inhalt des Gadl.
Conti Rossini erhoffte von letzterem, den er in die Regierungs-
leit Däwit's I. (1382—1411) setzte*), Aufschlüsse über die Zeit
der Zägue-Dynastie und lehnte auf Grund der flüchtigen Durch-
nahme {un rapido esame) eines von ihm erworbenen Exemplars der
Schrift — mit Recht, vgl. unten, S. 74, N. 1 — die Ansicht SoLEmLEr's
ab, daß darin eine Quelle der Überlieferung über Lälilabä zu
suchen sei^). Güidi weist das Hypokoristikon Abbo des Heiligen,
das schon d'Abbadie bekannt war*), in dem Namen J*P l OLJP
in einem amhariscben Text nach^). Endlich findet sich auch eine
kurze Angabe über den Gadl, „xma delle piü fantastiche storie di
questa specie", in Rossini's I^ote per la storia letteraria ahissitm^
nebst einer Aufzählung der meisten damals bekannten Hand-
schriften^, die sich jetzt vermehren läßt*).
Als mir vor zehn Jahren durch die gütige Vermittlung I. Gumi's
1) S. Sociäi normande de Geographie, Bulletin de Vannie 1886, t. VUI
(Ronen 1886), p. 28 suiw. Für die Übermittlung dieses Bandes danke ich hier
der Münchner Geographischen Gesellschaft und besonders meinem Freund L.
SCHERMAN herzlich.
2) Eendic. deüa B. Ac. dei Lineei, cl. di sc. mor. IV (1895), p. 444. VgL
auch LiTTMAXN, a. a. O. S. 207.
3) Bicerche e studi suiV Eiiopia (Roma 1900), p. 16.
4) Cot. ... d'Ahhadie p. 45.
5) Uno squareio di storia ecclesiastica di Ahissinia (aus Sessarione V, in),
Borna 1900, pp. 22 und 24^> 23.
6) In den genannten Bend. VIII (1900), p. 215 sq.
7) Ib. p. 618.
8) leb habe mir notiert: 2 Handschriften im Besitz der äthiopischen Ge-
meinde in Jerusalem (Littmaxn, ZA 16, 119. 377), 2 Hss. in Berlin (Flemming,
Ztrlbl. f. Bihlioth. 23, 18), 2 Hss. im AsiatiscTien Museum zu St. Petersburg (Tu-
»AEV, ZapisH 17, S. 85 f. des Separatabdrucks) und 1 Hs. in Wien (Rhodo-
KANAKis, Sitzher. Ak. Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 151, 4. Abb., S. 74). Auch München
besitzt jetzt eine aus der Sammlung v. Arnhard's erworbene Hs. aus dem 18. Jahr-
hundert (Cod. Aethiopicus. Monac. 40 = Amh. 2c). und meines Wissens jetzt
in Stuttgart befindet sich eine Hs. aus dem Nachlaß C. von Eklaxger's (vgl.
ZA 16, 119, N. 1), die ich für ihn im November 1901 katalogisierte: ein Pergament-
band mit Lederrücken und einfachem Holzdeckel, 20 x 18 cm, 78 Blätter, 2 Spalten
mit je 21 — 23 Zeilen, der wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 18. Jahrh.
stammt. Über Rossixi's Hs. s. oben Anm. 3, über meine eigene unten S. 60.
60 C. Beeold,
von den Herausgebern des Corpus scriptorum Ghrisüanorum Orien-
talium die Bearbeitung des Gadl und der „Wunder" ('t'^P^C)
des Heiligen übertragen wurde, machte ich mich alsbald mit den
mir von Herrn Nau in guten Photographien übersandten Texten
vertraut, erlebte aber auch meinerseits die Enttäuschung, daß sie
zur Erweiterung unserer Kenntnis der Greschichte Abessiniens
so gut wie nichts beitragen. Leider hat sich der Abschluß der
Arbeit bis jetzt verzögert, und der Druck des Textes und der
Übersetzung erscheint unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch
weiter in die Ferne gerückt. Das große Ansehen, das Grabra
Manfas Qeddus in fast ganz Abessinien offenbar stets genossen
hat und noch genießt, wird es aber wohl gerechtfertigt und auch
den Herausgebern des Corpus billig erscheinen lassen, wenn als
Vorläufer der Edition in den nachfolgenden Blättern eine kurze
Inbaltsangabe der Schrift mitgeteilt wird.
Der dafür zu Gebote stehende handschriftliche Apparat ver-
hält sich wie folgt. Von den 6 Hss. des Britischen Museums
(Wright, Cat. p. 346) liegen mir Photographien des Cod. Oriental 701
aus dem 18. Jahrh. (ib. p. 184) ^), im Folgenden mit „L'^ bezeichnet,
von den zwei Manuskripten des älteren Bestandes der Bibliotheque
Nationale solche des jüngeren: Eth. 122, gleichfalls aus dem 18.
Jahrh. (Zotknberg, Cat. p. 205, no. 137), mit „P" bezeichnet, vor,
dagegen von den vier früher im Besitze d'Abbadie's befindlichen
Mss. Photographien der beiden „alten" no. 36 (in d'Abbadie's Cat.
p. 44) — im Folgenden „AI" — und no. 126 (ib. p. 146) — „A2''.
Endlich hat mich vor einigen Jahren Enno Littmann durch das
Geschenk einer von ihm aus Aksum gebrachten Hs. des Gadl hoch-
erfreut, wofür dem um die äbessinischen Studien viel verdienten
Freunde auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei: eine nach-
lässig geschriebene, an manchen Stellen korrigierte Pergament-
handschrift des 18. Jahrh. von 16 X 10,5 cm. mit einfachem Holz-
deckel und 50 einspaltig beschriebenen Blättern zu je 17 — 18
Zeilen — im Folgenden „B". Indessen erschöpfen die erwähnten
Photographien nur für L (foll. 57' — 125"^) die auf Gabra Manfas
Qeddus bezüglichen Teile der betreffenden Handschriften. Von P
sind mir nur die Blätter 112^ — 143' zugänglich gemacht worden,
deren letztes im ersten „Wunder" abbricht, während der weitere
10 Blätter füllende Rest der „Wunder" fehlt. Desgleichen liegen
1) Leider nicht der ron Wriqht, ib. p. 189, dem 15. Jahrh. (s. jedoch
unten, S. 64) zugeschriebene Cod. Oriental 711.
AbbS Gabra Manfas Qeddus. 61
mir von den 71 Blättern von A 1 nur 25 vor ^) nnd von den 64
Blättern von A2 nur 10 (vgl. unten), wodurch zunächst die text-
kritische Würdigung zumal der letzten beiden Handschriften er-
schwert, ja für A2 fast -unmöglich wird.
Immerhin läßt sich Folgendes feststellen. Die Texte von L,
P und A 1 sind im wesentlichen identisch ^). Am vollständigsten
erhalten ist — trotz mehrerer Lücken — L, dem gegenüber P
gegen das Ende des Gadl zu eine sich über mehr denn 4 Blätter
von L erstreckende Lücke aufweist und zudem die Schluß-Zu-
sammenfassung der „Wunder" (unten S. 78 ff.) vermissen läßt.
Zur Herstellung eines möglichst einheitlichen Textes erscheint es
daher ratsam, L zugrunde zu legen, und dies ist auch — unbe-
schadet einzelner besserer Lesarten in P und dem älteren AI —
für die folgende Inhaltsangabe geschehen^).
Einen ganz andern Text enthält B, der unten in den An-
merkungen (mit Auslassung unwesentlicher Momente) zu skizzieren
versucht wurde. Aber auch der Text des Gadl^) in A2 weicht
von B wie auch von LPA 1 , soweit sich nach den wenigen ver-
fügbaren Proben erkennen läßt, bedeutend ab: von den vier
Blättern 100, 120 (?)*), 130 und 131' enthält das erste Ermah-
nungen an die Priester (^U^*^), die nicht in LP stehen, und
das zweite eine langatmige Auseinandersetzung darüber, daß die
Propheten und Apostel wohlberechtigt sind, Gabra Manfas Qeddus
;,unser Verwandter" (H<^r^J) anzureden, ein Gedanke, der in
LP nur ein paar Mal gestreift wird (vgl. unten S. 72, N. 1) ; dagegen
kommen in den letzten beiden entschiedene Anklänge an LP und
ein kurzer, damit wörtlich übereinstimmender Satz vor (vgl. unten,
S. 72, N. 4). Endlich entspricht die von Soleillet in Schoa aufge-
zeichnete Legende^) zwar im Ganzen Großen der GaJ/-Erzählung von
LP, weicht aber von dieser doch in einer erheblichen Anzahl von
Einzelheiten ab^ und enthält außerdem Züge, die dort nicht zu
1) AI foU. 3» = L57rt; 4' = LST^b; u = L 67'»; 24 = L76^«; 33»
= L 85rt ; 34r = L SB»!» ; 57—74 = L 105" ff. Die Wunder begionen fol. 59^»
und sind vollständig.
2) Auch die Reihenfolge der Wander ist dort — gegenüber der Aufzählung
in A 1 und in der (L selbst angehörigen !) „Zusammenfassung" — nach L wieder-
gegeben.
3) Der Text der sieben ersten Wunder auf foll. 131t— 136», womit die Hs.
schließt, entspricht dem von LPA 1.
4) Das Fragezeichen nach der Ziffer auf der Photographie rührt von Herrn
Näu her.
5) Im Folgenden kurzweg als Legende bezeichnet.
6) Ygl. unten S. 67, N. 2; S. 68, N. 2. 4; S. 69, N. 1. 4; S. 70, N. 1; S. 71»
N. 5; S. 74, N. 1.
62 C. Bezold,
finden sind: die Unterhaltang Abbo's mit den Vögeln, Fischen,
Pflanzen und Elementen usw., sein Hadern mit Gott kurz vor
seinem Tode ^) und die allmonatliche Eeier seines G-edächtnisses ^).
Die wahrscheinliche Annahme zugegeben, daß auch die Le-
gende auf schriftliche Aufzeichnungen zurückgeht, haben wir also
zwar einen einheitlichen Text der „Wunder", dagegen eine vierfache
Rezension des Gadl überkommen. Ich möchte glauben, daß LPAl
die ursprüngliche oder nahezu ursprüngliche Form dieses Gadl re-
präsentieren, der einen für solche Aufzeichnungen ungewöhnlich
langen Text enthält^). In der mündlichen Tradition geriet vieles
davon in Vergessenheit, und anderes wurde mehr oder weniger
durchgreifend verändert (Legende). Andrerseits aber wurden einzelne
Stücke der Schrift aus dem Ganzen herausgenommen, in neuer Dar-
stellung wesentlich erweitert und um frisch hinzugekommene Er-
zählungen bereichert, und diese literarischen Produkte gaben sich
gelbst wieder als den (eigentlichen) Gadl des Heiligen (gelegentlich
aber auch „Wunder" genannt) aus, so B und vermutlich auch A 2.
Um welche Zeit der Heilige gelebt hat und wann und wo die
Aufzeichnungen über sein Leben entstanden sind, ist zur Zeit mit
Sicherheit schwer zu bestimmen. In der „Epitome", die sich C
Rossini aus dem kostbaren, leider am 5. Juli 1902 in Flammen auf-
gegangenen Codex mit den Akten des H. Mercurius gemacht und
später veröffentlicht hat*), wird Gabra Manfas Qeddus unter einer
Reihe von Mönchen beim Tode Königs Senf-Ar'ad als „discipulus",
also noch als jüngerer Mann, aufgeführt. Da nun die „Epitome"
als die Nachfolger jenes Königs Wedem-Ar'ad und 'Amda-Sejon
nennt, so kann nach der äthiopischen Chronik Brit. Mus. Cod.
Or. 821 (Wright, Cat. p. 316, vgl. p. 6, note t) mit Senf-Ar'ad nur
der Sohn Agbe'a-Sejon's, des Nachfolgers Jekuno-Amläk's ge-
meint sein^). Damit fiele die frühe Wirkungszeit des Heiligen
1) Ein entfernter Anklang daran findet sich in L fol. 121^ (= A 1 fol. 73«-«>
am Schlüsse der „Wunder".
2) Vgl. d'Abbadie, Cat. p. 45.
3) Nach oberflächlicher Schätzung wird der Umfang dem des Kebra Nagait
um weniges nachstehen.
4) Gadla Marqoretcos, versio (Parisiis 1904), p. 24.
6) Senfa-Ar'ed, der Nachfolger Agbe'a-Sejon's, des Nachfolgers Mähbara-
Wedem's (Wright, ib. p. 316; Perrüchon, Vie de Lalibala, p. II, note 2) ist aus-
geschlossen (ebenso natürlich der gleichnamige König um Christi Geburt; vgl.
Rossini, Les Lutea des roia d^Afcsoum im Journ. as. sept. — oct. 1909, 269. 279).
Damit entfällt auch die Möglichkeit, unseren Heiligen noch in die Zägue-Zeit zu
setzen, wie bisher angenommen wurde (vgl. Rossini in don gen. Eendic. VIII
(1900), p. 618; Littmann, Lit. S. 207).
Abbä Gabra Manfa« Qeddus. 63
— die historische Grlaubwürdigkeit dieser Notiz vorausgesetzt ^) —
in die letzten Jahre des 13, Jahrhunderts.
Gabra Manfas Qeddus gilt, obwohl aus Ägypten gebürtig, als
einer der bedeutendsten einheimischen äthiopischen Heiligen.
Der oder die Verfasser seines GaiU und seiner ^Wunder" waren
also auf die Gestaltung zufälliger Ereignisse zu wunderbaren Be-
gebenheiten und im übrigen auf ihre religiöse Einbildangskraft
angewiesen, und es verlohnte sich wohl, an der Hand von Lucius-
Axrich's lehrreichem Buche Die Anfänge des Heiligenktüts in der
eknstUcJien Kirche (Tübingen 1904) zu prüfen, wie weit hier die
Entstehungsbedingungen der Mönchslegende gegeben und erfüllt
sind. Sicherlich ging es aber bei der Komposition des Gadl, in
dem allerlei Wiederholungen und Widersprüche in Einzelheiten
vielleicht der Unbeholfenheit des Verfassers zuzuschreiben sind,
nicht ohne Anlehnung an naheliegende Vorbilder aus der biblischen
Geschichte (vgl. z. B. unten S, 70, N, 2) wie auch aus der Mönchs-
literatur selbst ab. So hat gewiß der Gadl von Basalota Mikä'el
in mehreren Wendungen zum Vorbild gedient"), und weitere Studien
mögen ähnliche Zusammenhänge mit den damals bekannten Heiligen-
leben ergeben, wie sich andrerseits auch unser Gadl als Quelle
zu ähnlichen späteren Kompositionen, wie z. B. den TiCamer des
Zar'a-Buruk erweisen dürfte, deren stoffliche Abhängigkeit neulich
C. Jaegeb geprüft hat^).
Beachtenswert ist die unten S. 74, N. 1 mitgeteilte Ety-
mologie von 4^'fl, die, wie ich glaube, nur auf arabischem Sprach-
gebiet ihre Erklärung findet. Es ist deshalb wenigstens für unsere
Bandschrift B wahrscheinlich, daß ihr Text von einem arabisch
redenden und schreibenden Ägypter verfaßt wurde, ähnlich wie die
Biographie des in ihr genannten (vgl. ebd.) Abbä Garimä und so
manche andre*). Für den Gadl in LP AI bin ich vor der Hand
nicht im stände, einen ähnlichen Anhaltspunkt aufzuweisen.
Die „Wunder" mögen etwas, aber kaum viel später als der Gadl
aufgezeichnet sein. Sie sind, wie der Inhalt ergibt ^j, sämtlich
posthume oder Reliquienwunder, und da ja auch im Gadl selbst
wahrlich genug Wunder geschehen, so erhebt sich die Frage, ob
1) Es Terdient Beachtung, daß dort unter den Mitschülern des Heiligen ein
Zar'a-Baruk genannt wird: vgl. unten S. 72 f. Ob der ebenso genannte Abrehäm
mit dem unten S, 68 erwähnten gleichnamigen Bischof identisch ist, läßt sich
nicht entscheiden.
2) Vgl. unten S. 68, N. 1 ; S. 69, N. 5. 6.
8) Vgl. ZA 25, 264 ff. 4) S, Kd}ra Nägait S. XXXV.
5) Vgl. auch die ausdrückliche Bemerkung von Aää. 16198 in Dillmäitn's
Londoner Cat. p. 51.
64 C- Bezold,
nicht 't'Kf^O hier (und anderwärts?) geradezu als Terminus
technicns für „posthume(s) Wunder" gebraucht wird. Die Nennung
König Nä'od's (1494 — 1508) im 8. Wunder zeigt übrigens, daß wir
sicher die „Wunder" und wahrscheinlich auch den Gadl ein Jahr-
hundert später ansetzen müssen, als dies von C. Rossini (vgl.
oben S. 59) geschah, und daß die Handschrift Brit. Mus. Cod,
Or. 711 — falls sie, wie anzunehmen ist, dieses Wunder ent-
hält — nicht mit Wright {Cat. p. 189) in „the latter half of the
XV*** Cent." hinaufgerückt werden kann.
Einzig in L erhalten ist die von mir sogenannte „Zusammen-
fassung" des Inhalts der „Wunder". Die äthiopischen Schrift-
steller gefielen sich offenbar darin, in ihren „Poesien" mit knappen
Worten Anspielungen zu häufen, deren Sinn nur dem Einge-
weihten verständlich sein konnte, wobei sie ursprünglich gewiß vom
Inhalt der ihnen bekannten biblischen Literatur^) ausgingen.
Als Musterbeispiel solcher Dichtung kann das Tahiba tahihän (in
Dillmann's Chrestomathie p. 108 ff.) dienen. Diese Art der Dar-
stellung — nach Littmann vielleicht zu liturgischen Zwecken —
ist hier auf die Tä'ämer unseres Heiligen übertragen: sie wäre
ohne vorausgehende Kenntnis ihres Inhalts absolut unverständ-
lich, während sie als „Zusammenfassung" dieses Inhalts keinerlei
Schwierigkeiten enthält ^).
Grammatisch enthält der Text der Schriften des Grabra Manfas
Qeddus mit verschwindenden, noch näher zu untersuchenden Aus-
nahmen (ich denke besonders an den Gebrauch von (D) H und
Y\^) keine augenfälligen Besonderheiten: er ist in gutem, wenn
auch durchaus nicht immer fließendem Ge'ez geschrieben^. Auch
der Wortschatz entspricht im Ganzen dem bekannten Sprachgut.
Von einer Reihe von Wendungen und Ausdrücken, die das Lexikon
bereichern, erlaube ich mir hier eine Auswahl der markanteren zu
geben, mit besonderer Berücksichtigung der Wörter, die bisher
nur aus dem amharischen Wörterbuche bekannt waren*).
1) Vgl. NöLDEKE a. d. unten S. 70, N. 2 a. 0.
2) Bei meiner ersten Durchnahme von L fielen mir zunächst die selteneren
Worte und die Satzstellung des Stückes auf, bald nachher auch die Reime, worauf
ich schließlich zum Überfluß die ausdrückliche Bezeichnung ^^^^JB las. Aber
eine „Hymne an den Heiligen", die Wright (Cat. p. 184) in dem Abschnitt sah,
ist er nicht. — Von einer Übersetzung des Stückes, dessen Versabteilung natürlich
von mir herrührt, glaubte ich nach der Inhaltsangabe der „Wundei" absehen zu sollen.
8) Die Orthographie der Hss. ist unten in den Zitaten absichtlich durchaus
beibehalten worden. Nur die Interpunktion in der „Zusammenfassung" habe ich
sinngemäß zu ändern versucht.
4) Der wohlgesinnte Leser wird es mir nicht verargen, wenn ich vor der
Abbä Gabra Manfas Qeddos. 65
AU4^ „schwer sein" vom Inhalt der Wagschalen, anch über-
tragen, „schwerwiegen* von der Sünde; vgl. amh. A^ (Güidi,
Vocab. amariro-itul. col. 22) — A^lrfl „nachlassen" von der Liebe
— An.I^:,^<^ „blutüberströmt« — AYl/l „stechen" von der
Sonne — ÖQAOA:^JB „superior« — Ö^AÄ „Opfermesser" ■■
A4^/nfl '. (titt'A'i „gehalfterte, aufgezäumte Pferde" i" CT^fhA,
„perjnra" fem. — (f^C, nachgesetzt; s. unten S. 80, Z. 4 —
'l'f^^OH „durchdrungen werden" vom Licht der Gnade —
i^^/^'n^ „Schwelle« (GriDi 107 s. v. C^J^A'H) ■■ ^UlAfl,
cf. Dillmann, col. 230 — jft'^^C „eingesetzf von Perlen —
AV"ifCÄ Flügel „wachsen lassen" — lU^lU^t» .auspicken";
vgl. amh. rtcl)f|<|> (Ooim 165) — C^fl4^*5^ = C^^f^i^^
— IttiCP'?, Var. ArbCfD*? „Seide" « {f^/,'./,'^^ (so) „procul
abiit" — ÄC<^il<^fl „berühren" (vgl. Keb. Nag. S. XXIV a)
— Zi-flO „Stadtviertel" — ^YmiOr^'l' „losfahren auf"
™ flACi den Sinn „verwirren'' (vgl. Keb. Nag. S. XXIV b) —
ill^'f.'Ö^/hA „den Eid verletzen" — flCdlK^^/, „Hunig
machen" von der Biene — J*l^/, c. acc. jumenti — fl*^A „er-
hoben" von den Augen gen Himmel — AtliflA II 2 „an Ketten
ziehen" — Äfl^OA „das Fleisch" eines Apfels ChA) — ÜPl/i't:
tl^n^ „die den Sabbath entweihte" — tl^dl „herabreichen"
vom Haar m ^A4^ „die Riegel, Querbalken" — «t^OA (ohne
/<i^) „Aschermittwoch-^ — ^^'flTv'l' fem. von ^A^X — A4>ö^ :
iTZ, „eine Angelegenheit ausführen" — ^fll^ „Gesichts-
röte« - A^BA:ä>4: „er ließ Haar sprießen" — <t>^Ä4^
„Gebilde" von dem verklärten Heiligen ^ "fllif^^E „Anachoret"
— n^^^'^l' „Augenweide" beim Anblick eines Edelsteins —
PA c. A et inf. „sich zu etwas anschicken" ; PA '. "JÄ-rh I /\f^^
„aus etwas rein hervorgehen, rein werden" — 't'OJ?/! absol. „ujn
die Wette laufen", auch einfach: „eilen'^ i" A^ACD c. inf. „noch
einmal tun« — 't'CfX^^fl „tribunas" — 'VCA, „ausbleiben"
vom Lohn — 'l^l'^TlA „sich stützen auf-* i" '}A4^ „erschüttert
sein" — A'iP^ „zusammenklingen lassen" (Harfe und Psalter)
— 't'lJ^A einer Sache (acc.) „nicht gewachsen sein" ^ A'JP^I
CKt^ c. subj. „sich in den Kopf setzen, beschließen" (etwas zu
Hand hier vom Zitieren der Handschriften, die ja zunächst doch keinem Deatschen
zugänglich sind, absehe. — Ganz auflfallend ist, daß eine Menge (in dieser Liste
nicht aufgeführter) ungewöhnlicher Wörter und Wendungen unserer Texte in
Dillmann's Lexicon mit dem Sigl „M. M." d. i. Mas^uifa Mestir wiederkehren.
Ich halte bei dieser Übereinstimmung einen Zufall für ausgeschlossen ; aber welcher
Zusammenhang mag zugrunde liegen?
Kgl. Gea. d. Wiw. Nacbriehton. PbU.-biat. KluM. 1916. Haft 1. 5
0ß C. Bezold,
tun) — 'T'iYi/, „bewundert werden" — iM „Leben gewinnen**
von einem Bild (P-'OA) — 'K'?'2J? „selten, fremdartig" (unten
S. 79, Z. 1); vgl. GciDi, 1. c. 474 — 'il4:^ fem. von '57-4: -
ATI L95- Var. zu i^'i P 138'^ (in JBf^0'H:^<^:/?2:
Z.J^lHCDCdl'.i^'^), vielleicht korrumpiert aus Ü^T^; cf.
Esth. 8.9 der amh. Bibel (ed. London 1887, p. 441) « -pA^P^C
mitSing.-Bed.- (^•n't'/^:)AZiCnL77-)-'hi^^ „Höllen-
feuer" — AflP von einem leblosen Gregenstand gebraucht —
ÄOrArlt^'i = AdPA'l^ - 'Kin „Wagschale" - A.i?4^
„Kot" (vgl. Keb. Nag. S. XXIX b) — 'KÄ.J^'.V^:) „eucharistia"
■■ YlAA „nehmen", den Schmutz, vom Waschwasser — ^UJ't'I
A»^{ „die Zunge lösen" — YY'ClfXi (so L und P) „aula eccle-
siae" — n«fl^l^ „säubern«; vgl. aDiDi533 — Yl-flC „Selbst-
herrlichkeit" — TifiCi „umzingeln" — 'tl'll'a-fl „Fest" (im
allgemeinen; vgl. Oriens Christ. 1912, S. 158) — Ylifl HI 2 „sich
scharen um" — Yl^^ ^geöffnet" von einem Grab; vgl. Güidi549
■- 't'CDCü) ..hinabstürzen" in einen Abgrund (A^4^) — OT'^fll.'t'
(neben (STt^fTh):!^^ „das Innere der Wüste" — 'fUh'i:
OA:^'t' „oftmals" - -far^fl „Belobung** — ^T^^OXA:
X»^^ „von Feuer umgeben" — (DÖA „auf die Welt kommen"
— (DidLClCDAirOr „Kommen und Gehen" — iJ^OflA „Ge-
schoß" unten S. 79, Z. 15 - O^T^ (für 0^(1)^) „Bezahlung"
— nO/f'fl'1' : fl^'Th „in der schweren Stunde" (des Gerichts)
■■ f^AG) („würdig" =) „rein sein" von den Händen — J^'P^ffx
„Behälter" des Blutes Christi, vom Wein — J^C^Z,:^ill\.
^rechnen unter" (die Böcke, fllA.) — J^f^^Ülfl „zermalmen",
von einem Felsen — J^-QQ^ „Schirme" (unten S. 73) — JR/^i^l
A.^4: »^^^ Felsstück, das (jemanden) verschüttet" ■■ IAO
„ Holzdeckel" an einem Buch — 'hcft/i „Nilpferd" ; Güidi 715 —
l/nOr^J't' pl. von -J/niin- - °2nC und ^-n/.'t' „Ge-
bäulichkeit, Bau" einer Kirche — die Schöpfungselemente (fllQ^^I
4^^A^) des Menschen sind Wasser und Erde {<^^^), Luft
und Feuer wie die Al'fiC'V '. /^ CtC „Faktoren des Tons" —
f^^OC „Tatkraft" — P"? „großes Gefäß"; Gumi 753 — l^A,
„weihen" (als Opfer) » m-Arh.^, ^A.^ (unten S. 76, N. 2)
„Königsweihe"; Güidi 840 - lüTJP'i t. t. = C^A'h'ii't':
ÄAö^^ — niP4> „(einen Geruch) empfinden"; III2 „erscheinen"
von einem Gedächtnistag — '1^4:^0^ fem. von 'P^ZfX " /^ AO^
„Felsenwohnung"; vgl. Dillm. col. 1262 — >i<^(D „den Todeskampf
kämpfen" — /f f-Ö.'jA „die richtige Sprache** (der Erwachsenen,
im Gegensatz zum Stammeln der Kinder) — JiJ^^ „ein 'Ge-
rechter' werden" — AT* „Bereich" m ^{JJ^ih. „entzückend",
AbbS G&bra Manfas Qeddas. 67
von einem Edelstem — fil^l^ '. S,fJ^ c subj. ^er bekam Lust,
zu . . .« (unten S. 78, Text, Z. 3).
Die folgende Inhaltsübersicht des Gadl und der Ta'ämer ^) will
den wesentlichen Zusammenhang der Texte zeigen und sieht von
allen "Wiederholungen und Variationen gleicher oder ähnlicher Ge-
danken ab. Auch die zahlreichen Gebete, Bibelzitate und lang-
atmigen Ausschmückungen der einzelnen Berichte sind unterdrückt.
Daß auch dann noch bei der Aufzählung des vielen Unvernünftigen,
was der schreibselige Verfasser zusammengetragen hat, der Willkür
und dem Geschmack ein weiter Spielraum eröffnet war, ist unleug-
bar; ich darf aber vielleicht hoffen, im Ganzen und Großen einen
der abessinischen Denkweise entsprechenden Einblick in eine Welt
religiöser Wunder zu eröffnen, deren Glanz noch heute, so nichtig
€r uns Abendländern scheinen will, die Bevölkerung eines großen
afrikanischen Kaiserreichs entzückt.
Das Leben des Gabra Manfas Qeddus.
Abbä Gabra Manfas Qeddas (AQ .' 7-il^ : Ö^^^fl .' *J?.fl)»
der seelige und heilige, geehrte und asketische Glaubenskämpfer,
der Stern der Wüste {'nB^<):(D^^h:"firtC:(S)^<^^J^:
C^tl'V'P^A:i^Y\n:lJii^) war geboren am 29. Tähsäs (De-
zember) 2) in der ägyptischen Stadt Nehisä (U7/C:l/h.'^ : <?=>'t'rh't'.'
f^J^-ClX^^r^n-niH^-ni?)'), wohnte 562 Jahre in der
Wüste (7J?f^), davon 262 Jahre in Zequälä v*H$A)*) und dort
in der Nähe im Lande Kabd {Ci-inM ', n^^^/.lTi'fi^)')
und starb am Sonntag, den 5. Magäbit (13. März Greg.), dem Feste
von Peter und Paul.
Seine gläubigen Eltern aus vornehmer Familie, Simeon
(flf^^*?) und Aqlesejä {K^AhJP), die Tochter Benjäm's
('fl^ J*f^)i blieben bis zum dreißigsten Jahr ihrer Ehe kinderlos.
Dann wurde ihnen auf ihr Gebet von der Dreieinigkeit ein Sohn
verheißen, dessen „Hörn" (<f^Cf») höher als alles andere sein,
1) Daß im letzteren der Tazkär (zum Begriff s. Jaegek und Reitzensteen,
ZA 25, 272 ff.) eine große Rolle spielt, entspricht den praktischen Bedürfnissen
der Kirchenvorsteher.
2) Legende: le jour de Noel, ä minuit.
3) Vgl. Zotenberg, Cot. p. 205.
4) S. C. Rossini, Catalogo dei nomi propri di luogo deü' Etiopia ^Genov»
1894) p. 54.
5) Rossini, 1. c. p. 34. P liest: fl AfLV I (°icht mit Zot. . . fj. •)
Q>iW^^l,\H\'nj^- nAfkV wird Schreibfehler für [Y^' sein.
5*
68 C- Bezold,
dessen Priestertum das von Melchisedek und Abel übersteigen und
der Johannes und den Propheten Elias überragen sollte. Den
Namen des Neugeborenen: Grabra Manfas Qeddus, bestimmte der
Engel Gabriel, der der Mutter in Menschengestalt erschien. Schon
als Säugling konnte das Kind stehen, wußte die Doxologie zu
sprechen^) und zeigte Abneigung gegen jegliche Bekleidung^).
Nach drei Jahren entführte auf Grottes Befehl Gabriel das
Kind seinen Eltern, trug es auf seinen Flügeln empor zum siebenten
Himmel, wo es von Gott gesegnet wurde, dann zu abermaliger
Segnung zu Maria, stellte es femer Abraham, Isaak und Jakob,
allen Aposteln, Märtyrern, Anachoreten, sowie den nm Gottes-
wülen durch Herodes umgekommenen Kindern vor und brachte
es dann vor die Türe des Einsiedlers Abbä Zamada-Berhän (AQ I
a_C^J^'.'i\C.y'i)i der es dort fand, aufzog, unterrichtete und so-
dann zu einem Bischof namens Abrehäm (Aj A.ll l ^j^tl l Ull^^^ l
A"flCV^^^^) führte, von dem der Knabe zum Diakon ernannt
wurde ^). Gott verlieh ihm ein heiliges Mönchsgewand wie das von
Antonius und Makarius. Einige Zeit darauf wurde er zum Pres-
byter ernannt, zog dann (wieder) in die Wüste, tat Wunder und
Zeichen, trieb Dämonen aus und heilte Kranke. Viele Priester und
Bischöfe kamen zu ihm aus Geb§ und Mesr, von Nehisä und von
Sabrisä (Xf^fl-llA.ll-nZ'l, P 'hi^\3lZ,:^'ntl^Q> und
er liebte die Falascha.
Bei einem abermaligen, in ähnlicher Weise wie das erste Mal
ihm ermöglichten Aufenthalt im Himmel erhält der Heilige dann
von Gott die Weisung, Anachoret zu werden und mitten in der
Wüste zusammen mit 60 Löwen und 60 Leoparden (A^f^^C^)
zu wohnen. Sein Haar war mittlerweile täglich um über 7 Ellen,
sein Bart täglich um über 3 Ellen gewachsen, und er hatte 50000
Heilungen vollbracht. Nun wohnte er viele Jahre in der Wüste,
bei Hitze und Kälte nackt, nur mit einem härenen Lendentuch*)
bekleidet; irdische Nahrung fand und begehrte er nicht, wurde
1) Vgl. den Gadl von Basalota Mikä'el, ed. Rossini (Romae 1905), p. 6,
17 ff. — Ähnlich die Legende.
2) In B ist die Kindheitsgescbichte weit ausgesponnen. — Dort wird auch
mitgeteilt, daß der Vater, Simeon, ein hoher Beamter vom Stamme Rome (OjyjfJ^Jß l
^^Yl*''?^ ', /^^'^H^J? I C^^) "°^ ^^® Mutter aus priesterlichem Ge-
schlecht war (if^^^H^r'? 'm 'OU^'^)- ^^^^^ der Legende waren seine
Eltern angehörig aux plus grandes familles du pays des Francs.
3) In B wird umgekehrt der Knabe von dem Erzbischof {j\j^ ', ^ ^•*1'1')
Abrehäm erzogen und kehrt dann auf Gottes Befehl nach Nehisä zurück, wo ihn
Zamada-Berhän aufnimmt.
4) Legende: une ceintare falte en poil de crini^re da lion.
Abbä Gabra Manfas Qeddas. 69
aber mit Himmelsbrot gespeist und mit Paradieseswasser getränkt*).
Da ward sein Körper trocken, seine Hant klebte an den Knochen,
und da er keine Gewandnng wünschte, ließ ihm Gott am ganzen
Körper wie bei einem Schaf rabenschwarze Haare wachsen; so
ward seine Erscheinung wie die eines Löwen, seine Statur wie
die eines Palmstammes, und sein Wohlgeruch, wie von köstlicher
Salbe, erfüllte die ganze Wüste. Die wilden Tiere aber, Bären
(,]?^)2), Löwen, Wölfe, Schlangen und Drachen ('t'<^'i) konnten
ihm ebensowenig etwas anhaben wie Daniel; sie legten sich zu
seinen Füßen nieder, streckten ihm die Tatzen entgegen, beugten
die Knie und huldigten ihm.
Tag und Nacht betete und psalmierte er ohne Unterlaß (rezi-
tierte z. B. an einem Tage den Psalter David's 45040 Mal), bis
endlich die Engel kamen und nach seinem Begehr fragten. Auf
diese Weise ward schließlich sein Wunsch erfüllt, Gott ebenso zu
schauen, wie ihn die Propheten und Apostel erschauten. Und vor
dem Throne Gottes, der ihm den Zehnten aller Verdammten zu-
sprach, befreite er durch seine Fürsprache 30000 Seelen aus der
Verdammnis, die dann nach Äthiopien zurückkehren durften').
Übrigens hatte sich der Heilige, damit sich Gott der Sünde
Äthiopiens erbarme, kopfüber ins Meer gestürzt ('l^l'^AI
nCXrt'.'nami'iarhC)*) and Wieb dort in dieser Stellung
ein Jahr lang; sein Blut ergoß sich in's Meer, sein Kopf trennte
sich ab, das Wasser floß herum und war wie Blut, und seine
Knochen erschienen wie Schnee.
Nunmehr verlieh ihm Gott einen Windwagen (Ai^7A. .' J^fl) ^)
auf dem er samt seinen Löwen und Leoparden nach Äthiopien, nach
Kabd und nach Zequäl (vgl. oben) im Hochlande fuhr. In Kabd,
wo er sieben Monate lang, wie eine Säule aufgerichtet^), mit
1) In den mehrfachen Wiederholungen und mannigfachen Variationen dieser
Gedanken wird der Heilige gelegentlich wieder ohne jegliche Kleidung und Nahrung
beschrieben; so auch in der Legende.
2) E. LiTTMANX teilt mir mit, daß der Bär in Abessinien nicht vorkommt
und daß die Abessinier vom J^'jfl (Tigrina-Tigre : J^fT ) die merkwürdigsten
Vorstellungen haben: vgl. Princeton-Exped. to Abyssinia, Vol. LI, S. 77.
3) Hier folgt in L eine Lücke, in P ein Einschub (?) mit einer gedrängten
Erzählung der Geschichte Christi.
4) Vgl. die Legende: „Abo se mit en priere la tete en bas et les pieds en baut".
5) Der Windwagen ist aus dem Kebra Nagast (62'» 5) genügend' bekannt und
könnte von dort ebenso in unsere Erzählung wie in den Gadl von Basalota
Mikä'el (20, 26) gekommen sein.
6) cI>^Cp;"^Ylt'A.'*QÖ^:'3iP^^; vgl. den Gadl von Basalota
Mika el 4, 2 Jß^Opf^ '. Yl^ '. ^^J^
70 C. Bezold,
offenen Augen gebetet hatte, wurden ihm diese vom Satan, in
Gestalt eines Raben (^0)^), ausgepickt, aber von Michael und Gra-
briel durch Anblasen wieder geheilt. Auch verschafften ihm drei
Greise, die er wegen ihrer Müdigkeit getragen hatte, indem sie
sich in die Dreieinigkeit verwandelten^), abermals Zutritt in den
Himmel.
Es folgt der Besuch dreier Heiliger bei Gabra Manfas Qeddus,
nämlich AbbäSämu'el (AOI^^Ö^AA) von Wäldebbä (HTA^Q) %
Abbä Anbas (ÄQ .' Älnfl) vom Lande Zähelo {U^J^Z. '. HU A»)
und Abbä Benjämi (AO. ä "fl"? JP^) von Nieder - Magäbemedr
(H7\^:^rh:^JB:cP;7n>:f^J^C), jeder mit zwei Löwen, die
von den Löwen unseres Heiligen zuerst gefressen, dann aber auf
sein Geheiß wieder ausgespieen und von ihm wiederbelebt werden.
Gabra Manfas Qeddus erhält für diese Heiligen im Himmel je drei Brote
und dreiKelche, die ihnen derEngelJonänä'el(P'^5"AA)herabbringt.
Ganz Äthiopien wird nun die Begnadigung zuteil, versinn-
bildlicht durch eine Wage, deren eine Schale mit Unrat, Unkraut
und Disteln — den Sünden Äthiopiens — hochschwebt, während
die andere mit Honig und Weizen — Fasten und Gebet, Läute-
rung und Anbetung — niedergeht. Darüber trauern die von dem
Heiligen vertriebenen 70 Millionen Dämonen, die er dann durch
einen Segensspruch zu Asche verbrennt.
Nach vierjährigem vollkommenem Fasten führte ihn Gott
abermals in den Himmel, in den Garten Eden: ein Zelt mit Gold
und Süber und anderthalb Millionen Säulen, darinnen Milch und
Honig fleußt; und stellte ihn ferner auf die ^große Straße", da
Richter und Würdenträger einherschreiten (A*I^^ '» dP^'t' l
ua^ 14,^^ : iiw^ : (Dcr^TK'i'i^ : -ici : ^yi^ä), wo
seiner ein Martyrium doppelt so groß als das aller Märtyrer und
Gerechten wartete. Der ungläubige König von Persien (^C^)
wollte nämlich den Heiligen als Knecht Jesu verbrennen, aber das
Feuer ward zu Flußwasser; und als der König hineinsprang, um
ihn zu köpfen, da wurden er und seine 40000 (Var. 40 Millionen)
Krieger vom Blitz erschlagen; letztere aber 30 Jahre später im
Lande Arabien {^J^Z,',ö/,'f\) auf die Fürbitte des Heiligen
hin wieder auferweckt und zum Christentum bekehrt.
1) Legende: un vautour.
2) Vgl. die in Nölüeke's Übersicht über die äthiopische Literatur (Die
Kultur der Oegeritoart f, YII, S. 127) erwähnte Legende des heiligen Filpos. Nach
£. Littmann wird in der äthiopischen Malerei die Trinität durch drei Qreisen-
köpfe dargestellt.
8) Rossini 1. c. p. 51.
Abbä Gabra Manfas Qeddas. 71
Nach mehrjährigem Aufenthalt in Äthiopien besuchte Gabra
Manfas Qeddus nochmals Arabien — diesmal zusammen mit Abbä
Benjämi und Abbä Fere-Qeddus (ÄO:4^ii:^J?.fl) — , wo mittler-
weile aus seinen in einem Abgrund, auf einem Stein zurückge-
lassenen Zähnen — er war Jahre lang auf diesem Stein Kopf ge-
standen ^) — Moschus und Weihrauch und aus den mit seinem Blut
verschütteten Eingeweiden seines Leibes ein großer Weinberg ent-
standen war. Abbä Benjämi zog dann nach dem Lande Bagemedr
{^^Al fili^^J^O*), Gabra Manfas Qeddus aber zurück nach
Äthiopien, nach Kabd, wo er das Land mit seinem Gebet „be-
wässerte" und Dornen und Unkraut, d. i. Satan und Sünde, aus-
jätete, mehrere Einsiedler traf, darunter Johannes von Dabra Wifät
(Än'J:P'rfl^fi:HJ?'n^:^4,^i') und Krankenheilungen so-
wie andere Wunder wirkte. Dreimal jährlich — am Weihnachts-
fest, am Tag der Taufe Christi und an Ostern — ging er nach
Jerusalem und tat auf Golgatha am Heiligen Grab Fürbitte für
die Bewohner Äthiopiens, worauf ihm aus geöjffnetem Himmel die Drei-
einigkeit 600000 Gnadengeschenke in Form des Zehnten ,A\^Zn'T'l
f^^ttiZ,^) spendete. Und in Bethlehem feierte er ein Fest mit
allen heilsgeschichtlichen Personen: Adam und Eva; Mose und
Samuel; David, Salomo und den anderen Königen; Ezechiel, Daniel,
Peter und Paul; ferner mit Maria; den Kindlein von Galiläa, die
ihre Gewänder mit dem Blut des Gotteslammes wuschen; Surafel
und Kirubel; Michael und Gabriel; Rufä'el, Urä'el, Säque'el und Rä-
guel (4u^/bA, A-Z^iCfeA, '14>^^A*), /^7./\.A); dazu den 99
Engelordnungen und Zehntausenden und Millionen von Engeln, den
Propheten und Aposteln, den Frommen und Märtyrern^). Mit
1) Offenbar eine Dublette der oben, S. 69 und N. 4 wiedergegebenen Er-
zäblang.
2) Vgl. Rossini, 1. c. p, 18 sab Mgamder.
3) Nur in P genannt.
4) Vgl. Henoch 20,6 (ed. Flemmisg, p. 25); Synctr. 5. Hamle (ed. Gmoi,
p. 254); Dillmann col. 1412.
5) Nach der Legende begiebt sich der Heüige unmittelbar von seinem Vater-
haose aus nach Jerusalem und erst von dort nach Äthiopien, Zequäla und Kabd.
— In 6 wird diese Reise ins heilige Land zu einem förmlichen Itinerarium aus-
gesponnen : der Heilige kommt zunächst nach Bethlehem, das er mit einem ScUäm
besingt ; dann nach Golgatha (meist abgekürzt "J^ genannt), das ebenso besungen
wird, wie auch die Stätte des Kindermordes ; dann nach Nazareth (mit Sa am),
nach Galiläa, nach Quesquäm (Rossrxj, 1. c. p. 42; mit der kurzen Begrüßung
AAf^ : AYX : ^Ih?/: : «t>-h^f^ : DIZ, : AÖ-A) ^^^ allen Gauen
{AJ^^f^) Ägj-ptens; femer zum Jordan (mit Saläm), wo er sich taufen
läßt; zum Ölberg (mit Saiäm); zum Berge Tabor (mit Saläm), der als Mysterien-
72 C. Bezold,
diesen unterhielt er sich — denn er war ihr Verwandter^) — in
der hebräischen Sprache, die ihn der Engel des Antlitzes (^AAYl!
VÄ")^) gelehrt hatte, ebenso wie früher den Abraham, als die
Sprache der Länder, die an der Mauer von Sinear zerstreut wurde,
den Heiden überlassen ward^).
Nachdem Gabra Manfas Qeddus nun lange Zeit Mühsale und
Leiden erduldet hatte,- mit ausgebreiteten Händen im G-ebet stehend
wie eine Steinsäule, die in der Sonnenhitze nicht verwittert oder
zerbricht (vgl. oben), machte ihm Grott eine Art Zelt, und die
Engel liefen wie Diener mit einer Art Schirm neben ihm her. Ent-
fernte er sich unter diesem Zelt von einem Ort, wo Regen fiel, so
fuhr es dort zu regnen fort.
Endlich befahl ihm Gott, am 7. (L 27.) Magäbit nach dem
Vorbilde unseres Herrn einen Tazhär, eine Feier seines Todes zu
seinem eigenen Gedächtnis zu veranstalten, wozu der Heilige den
Priester Fere-Qeddus und den Diakon Zar'a-Buruk (HC A ', Hr^^ft)
mit sich nimmt. Ein Einsiedler geleitet sie in die Kirche der
Residenz, und dort vollzieht sich das Wunder, daß an Stelle der
irdischen Kirche eine himmlische, ein Bau ohne seinesgleichen auf
Erden erscheint, in dem die ganze zum Opfer nötige Einrichtung
vorhanden ist. Christus wird zum Opferlamm, das der Heilige
zerstückt, um nach Beendigung der Opferhandlung seinen heiligen
Leib und sein verherrlichtes Blut zu genießen, worauf unter Donner
und Blitz die Kirche wieder ihre frühere Gestalt annimmt*).
Das Scheiden aus dieser Welt ins Land der Lebendigen, wo
die reinen Geretteten um Henoch und Elias wohnen, war für
Gabra Manfas Qeddus nichts ungewohntes ; war er doch schon oft-
und Wunderberg, als Gotteshaus und Himmelspforte (ri,'l'l7\°?H-A''flffl»C'
(DAlf^t*/^ IIjI^^) beschrieben wird; endlich nach Jerusalem (mit Saläm),
wiederum nach Golgatha und zum Grabe Christi, wo ihm der Herr erscheint und
einen Bund mit ibm schließt.
1) Die übrigens auch in LP öfter erwähnte Angabe, wonach die Propheten
und Apostel von dem Heiligen als „unser Verwandter" (H^^J^J) sprechen,
wird in A2 fol. 120 (V, vgl. oben S. 61) weiter ausgesponnen.
2) E|)ipbanius (bei Charles, Book of Jubilees, p. 5) : 7:po TzpoüioTroy.
3) (DUZ. : nfharCt-fi : hi-hCcd : n^^öo : ^^ac :
't'ij^l : AAfhH-n ; «ur in p.
4) Einzelne Züge dieser Erzählung, wie die Anwesenheit Zar'a-Buruk's bei
der heiligen Handlung, das Niederschweben des Heiligen Geistes in Gestalt eines
weißen Vogels (tM^^'Ä^»?)' *^*^ unverzagte Handanlegen an das Opfer mit
Fingern wie die Zange der Seraphim ('T^fll't'Il^^i^ A 5 ^ß'- *^®^- ^» ^ ' ^^^^^
Nag. 47», IG ff.) und die Rückverwandlung der Kirche finden sich in A2 fol. 130,
zum Teil wörtlich, wieder; vgl. oben, ä. 61.
Abbä Gabra Manfas Qeddas. 73
mals auf seinem Wagen dorthin gezogen und hatte von Ascher-
mittwoch bis Ostern mit ihnen das Fest begangen. Noch vor
seinem Tode aber ward ihm die Verheißung zuteil, daß der Name
eines jeden, der seinen Tcuskär begehen, seinen Namen anrufen und
an sein Gebet glauben, die Schrift seines Gadl schreiben lassen
oder sie vertrauensvoll zu Herzen nehmen werde, ins Buch des
Lebens eingeschrieben werden solle, und daß, wer immer Gaben
wie Teig oder Salböl, Wachs, Weihrauch oder Wein an seinem
Gedächtnistag zur Kirche bringen oder ein Opfer darbringen
werde, tausend Jahre mit ihm zu Tische liegen solle. Nun er-
krankte der Heilige am Freitag, den 3. Magäbit, in der Wüste
Kabd. Die „verborgenen" Einsiedler^), deren Haupt er war,
Fere-Qeddus, Zar'a-Buruk, Jä'qob !'jPO<!>-n}, Benjäm l-fl^J*^^
und Joseph iP'l'b^^ ' riefen, als am folgenden Abend Schweiß und zu-
nehmende Schwäche eintraten, Gabra Enderjäs "l'TiZ^VWi^C^tl!
herbei, der am Sterbebett bitterlich weinte, sich aber dann wieder
entfernte. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, in der siebenten
Nachtstunde, verschied der Heilige unter donnerartigem Geräusch,
während vom Himmel, wie wenn Hagel oder Schleudersteine
(iK'flJ \ <^^/^} niederprasselten , Leuchten , heller als Sonne,
Mond und Sterne, herabkamen, die Erde erbebte und die Berge
wankten. Der Entschlafene wird ins Jenseits aufgenommen, in die
Häuser des Lichts, das zwölf mal heller als die Sonne leuchtet,
zum Empfang der „Talente'' P^^A/V) — 12 von Michael, 3 von
Gabriel und 3 von Kirubel — : der viermal 100000 Leuchten
(^'i'f'T) — vor und hinter ihm, rechts und links — ; der vier-
mal 12 Edelsteine des Lichts '^05*4^ .' 'flCV^ > jeder doppelt
so stark leuchtend wie der Morgenstern, und der viermal 100000
Schirme ,^QQT;5 ferner von einem blitzfarbenen Gewand aus
1062 Tuchlagen und von Pferden mit Adlerfliigeln, die im Augen-
blick zum Himmel fliegen können.
Abermalige Fürbitten des Heiligen gelten der Erlösung der
Bewohner von Wasanä ((DAS",-), Gejon (^P"*? und Godjam
('2^'H'f^'^y 3j letzteres berüchtigt durch seine vielen Zauberer. End-
lich bewundem noch die „geistigen" Könige*): David, Salomo und
Honorius h^^fbtl, die Ägypter (^ A» : "J-fl^OJ' JP*} , sowie
Käleb ',Vl/\,.n) und LäUbalä (AA.n^;, die Äthiopier A'^P'
ÄJ'QX'JP 2)) den Körper des Heiligen, dessen Finger und Zehen
1) 1^ J'QX'J'^ ." 'ifl'^i^ : auch f^CtKi aUein wird in diesem
Sinne gebraucht.
2) Rossini, 1. cp. 52. 3) Rossini, 1. c. p. 29.
*) ilV^h:^'.<^'^Afl(SrJP*i, ▼obl im Sinne Ton „abgeschieden".
74 C. Bezold,
wie eine Leuchte in Gestalt eines Kreuzes funkelten und aus 20
zu 60 wurden, dessen Haar von Milch träufelte und aus dessen
Mund eine schneeweiße Biene herauskam und dann dorthin zurück-
kehrte, — um in den Häusern des Lichts Honig zu bereiten, so-
daß die, so den Tazkär des Heiligen begehen, essen, sich freuen
und satt werden. Dabei erhält Lälibalä, der sich über die un-
vergleichlichen Gnadenbeweise gegen Gabra Manfas Qeddus ver-
wundert, besonders über den „Zehnten der Barmherzigkeit" für die
Sünder, von Gott den Bescheid, daß eben jener in Niedrigkeit ge-
wirkt und in Fasten, Beten und Glaubenskampf unzählige „Häuser
des Lichts" (Ä'ilJP't'r'nCV^) erbaut habe, er selbst aber,
Lälibalä, ja auf seinen eigenen Wunsch im E-eiche der Welt ver-
blieben sei, die „Kleidung der Herrschaft" getragen und in seinem
Reiche die Residenz Asron (?) gegründet habe ((DrflJÄYlI
1) Von der Wiedereinsetzung des durch seinen Bruder des Thrones be-
raubten Lälibalä seitens des Heiligen, wovon die Legende zu berichten weiß, ist
sonst nirgends die Rede. Dagegen findet sich eine von der obi^^en abweichende
Erzählung in B, die hier im Zusammenbang mit dem übrigen Inhalt der Hand-
schrift kurz skizziert werden soll. Nach der oben, S. 71, N. 5 erwähnten Reise
begiebt sich der Heilige auf Gottes Befehl nach Gabä'on (*70^^) «Qter die
„Wölfe" ('t'YY'A.'^) *)' "™ *^^® Schlechtigkeit seiner Bewohner kennen zu
lernen. Nicht nur wilde Tiere verfolgen ihn, wie Schlangen, Hyänen ('HO"fl)
und ein Stachelschwein (^3f4^'H)j ^®™ *^^^ Heilige durch sein Gebet die stacheln
(l^^^) abfallen läßt, aber später — wie der Herr des Malchus Ohr — wieder
anheftet ; auch der Satan bedroht ihn in Gestalt einer schrecklichen Schlange, die
dann zu Stein verwandelt wird, und die Einwohner halten ihn für einen Zauberer
(^^UJCE) ^^^ bedrängen ihn, da er sich als Christ bekennt, hart, bis endlich
Gott durch seine Fürbitte sich auch ihrer erbarmt. In Gabä'on empfängt Gabra
Manfas Qeddus auch eine Anzahl Leute, die seine Eltern ausgesandt hatten, um
ihren verlorenen Sohn zu suchen: er gibt sich ihnen nicht zu erkennen, bestellt
aber an die Eltern die — nachmals eintretende — Prophezeiung, sie würden an-
statt des nie mehr — weder lebendig noch tot — wiederzufindenden Sohnes einen
anderen bekommen, den sie Nöb (^^"jQ)» ^* ^- »Sohn der Unfruchtbaren*
((DAf^ I ^Tl^) nennen sollten. (Diese Etymologie vermag ich nur aus dem
Arabischen zu deuten: ^^ pl. von s— ^li = jJlX« [^ "^^ ) — Von Gabä'on
gelangt der Heilige dann ins Land der Seeligen (-üftbi^ I •fll5^•0|^^ wo e""
drei Jahre bleibt und ihm Christus, wie früher seiner Mutter Maria, den „Zehnten*
der sündigen Seelen verheißt. Und dort erhält er die Weisung: Sage Lälibalä,
meinem geliebten Erben (^^Y(^il^, sing., vgl. Kehra Nag. S. XXX b) meines
Reiches: „willst du das Reich der Welt oder das Himmelreich empfangen?
Wähle, welches Reich besser istic Er trifft nun Lälibalä im Begriff, nach Jeru-
») E. LiTTMAMN weist darauf hin, daß 'J'Ylf'A "» Wirklichkeit der HyÄnen-
hund (Cania pictns, Lycaon pictas) ist.
Abbä Gabra Manfas Qeddus. 7^
Vierzig „Verborgene" und vierzig Wüstenbewohner, nicht von
Äthiopien, sondern von Ägypten, aus der Wüste Asqetes \']J^C^l
Äfl*I"5^il)? nahmen den Leichnam des Heiligen mit einem Wagen
in Empfang und bestatteten ihn auf Gottes Befehl in Jerusalem
— rechts vom Altar.
Die Wunder des Gabra Manfas Qeddus
werden am 5. Sane (30. Mai) verlesen.
[1.] ^) Ein sündiger Mönch, der Zaubereien ausführte und mit
Hunden, lebendigen oder aus Erde geformten, Unzucht trieb, wurde,
nachdem er am 5. Magäbit den Gadl des Heiligen angehört hatte,
von Räubern erschlagen ; seine Seele wird aber durch die Fürbitte
von jenem aus der Verdammnis erlöst.
[2.] Ein von einem Mittagsdämon iPÜI*f*^C^ besessenes
"Weib überredet auf den ßat eines Priesters seinen Vater, durch
Weihung eines Joches Ackerochsen den TasJcär des Heiligen zu
begehen, worauf dieser erscheint und den Dämon mit einem Blitz
erschlägt, sodaß er, hundert ^ Ellen und eine Spanne lang, schwarz
wie ein Baumstamm und mit einem Affengesicht, vor der Haustüre
niedergestreckt liegt. Ihn fortzuschaffen und in einen Abgrund zu
werfen, sind alle Stadtbewohner zusammen nicht imstande, wohl
aber das geheilte Weib allein.
[3.] Eine Nonne v'fl/^lX't" .' ^HA*'!';, die zweimal jährlich
den Tazhär des Heiligen beging, sonst aber kein gutes Werk tat,
wurde, als sie Früchte für einen solchen TazTcär gesammelt hatte,
von einem Wegelagerer dieser beraubt und von einem anderen in
die Wüste geschleppt. Dort befreite sie ein mit menschlicher
salem zu fahren, und entledigt sich seines Auftrags, worauf der König das Himmel-
reich dem vergänglichen Reich auf Erden vorzieht. Nach einer Schilderung des
Landes der Seeligen (mit Monogamie usw.) durch den Heiligen und seiner Weige-
rung, zum König zu ziehen, begeben sich beide auf den Berg Zaquälä ("H'^/V)?
gen Westen (CP^7A:f^6Zi'n, ^o sie Abbä Garimä (AQlVZc^)
und Abbä Gubä (/^Q ' *?*0.) *refFen. Letztere beiden müssen aber den heiligen
Berg mit Lälibalä wieder verlassen, da diesem der Tod naht, der ihn in seinem
Palast {[^C,it\) ereilt. — Der Bericht vom Ableben und der Bestattung des
Heiligen selbst entspricht im wesentlichen dem oben angedeuteten.
1) Die Nummerierung der Wunder fehlt in L, dessen Text ich auch hier
folge ; die Zahlen sind aus A 1 und A 2 zugesetzt.
2) Vgl. WoKREL, ZA 29, 133.
3) Unten, S. 73, Text, Z. 10: neun.
76 C. Bezold,
Sprache begabter Löwe, und bei ihrer Heimkehr fanden sich die
Früchte wieder.
[4.] Eine unzüchtige Frau erkrankte zur Strafe an einer in
ihren Leib gekrochenen und dort lebenden großen Schlange^), die
alles fraß und soff, was sie aß und trank, und, wenn sie nichts
genoß, von ihren Eingeweiden und ihrem Blut lebte, sodaß sie
wie Holzrinde und Rohr wurde, ja die, bei Gelegenheit einer Be-
gattung, auch ihren Mann tötete. Nach fünf Jahren beging sie
auf den Rat eines frommen Mannes aus fernem Lande den Taslzär
des Heiligen durch Weihung von Speise, Weihrauch und Lichtern;
da fuhr die Schlange aus und sättigte sich von nun an wieder
von Erdstaub.
[5.] Eine Nonne (ö^OA^)? die sich vergangen hatte und
schwanger geworden war, weihte dem Heiligen ein wenig Weih-
rauch und Rosenblüten; ebenso nahm eine unfruchtbare Ehefrau
ihre Zuflucht zu ihm. Da befahl auf die Weisung Gottes Gabra
Manfas Qeddus beiden Frauen, am Holzeinband der Schrift seines
Gadl zu lecken, wodurch die Leibesfrucht der Nonne in die Ehe-
frau überging.
[6.J Einem Mann aus fernem Lande hatte am 5. Magäbit eine
Königsweihe ^) seine neue Halsschnur (^0"t^"fl) ^) vom Kopfe ge-
zogen und fortgetragen, worauf er seine Zuflacht zu dem Heiligen
nahm und in der Kirche ein Opfer darbrachte. Bei der Rückkehr
fand er die Königsweihe tot, mit seiner Schnur um den Hals.
[7.] Von einer Anzahl Kinder, die am 3. Magäbit beim
Spielen am Fuße eines Felsens durch ein losgelöstes Felsstück
zermalmt worden waren, kehrte auf die Fürbitte des Heiligen ein
Knabe, dessen Mutter seinen Tazkär begangen hatte, ins Leben
zurück. Daraufhin begingen in der Nacht des dritten Tages alle
Stadtbewohner mit Weihrauch und Lichtern in der Kirche gleich-
falls den Tashar und gewannen dadurch die sämtlichen ver-
schütteten Kinder lebend zurück*).
[9.J^) Ein sehr reicher Mann aus fernem Lande erhält den
Besuch eines fremden Gottesmannes, der ihm, um Rat über eine
zu begehende fromme Handlung befragt, rät, den Tazkär von
1) Yl^l*l,i vß'- Littmann bei Worrel, a. a. 0. S. 135.
2) AI fll-Afh.^, I^ ^A^, A2 (zweimal) 7H, offenbar = 7.^,
7^1^ {Kebra Nag. p. XXXa). Daß derartige Vögel frech sind, erz&hlt C. von
Erlanger im Journ. f. Ornith. 1904, S. 207 f.
8) Nach Littmann ist diese blaue Schnur, die jeder Christ am den Hals
tr>, ein Erkennungszeichen der Christen.
4) Ende von A 2. 5) A 1 fol. 67Tb.
Abbä Gabra Manfas Qeddas. 77
vier Märtyrern: Fäsiladas (4.fl.AJ^l\h Tewoderos dem Orien-
talen 'i{DJ^Ch:^\"/nf'^, Galädewos i7A;epfi;, Gijorgis
i2P^C2h) nnd von vier^) Heiligen: Abbä Sinodä (AOIlX^".?).
Abbä Latsun 'AO.'A^Ä-TS Abbä Kiros (AOlYXCi^' «nd
Abbä Gabra Manfas Qeddas zu begehen. Nach der Befolgung
dieses Rats erscheinen nach einander dem Manne jene Frommen
— mit Ausnahme von Gabra Manfas Qeddus — und jeder von
ihnen verspricht ihm die Erlösung von seinen Sünden, wenn er
ihm allein und nicht den anderen angehören wolle. Dies schwört
der törichte Mann jedem von ihnen zu. So stritten sich nach
seinem Tode jene Heiligen und Märtyrer um seine Seele, bis Gabra
Manfas Qeddus, von Gott entsandt, mit viermal 30 Blitzen da-
zwischenfährt und die Seele zum Himmel hinaufbringt.
[10.] Einen Mann trieb Verarmung zum Satan, der ihm einen
wie Gold aussehenden ellenlangen Stein anbot, worauf jener drei-
mal alles abschwor: die Dreieinigkeit; Maria; die Propheten und
Apostel ; die Frommen, die Märtyrer und die Heiligen Kinder ; die
vier Tiere, die den Thron der Dreieinigkeit tragen ; die 24 Priester
des Himmels; alle Kirchen, Opfer und Sabbathe; den Himmel,
Seinen Thron, und die Erde, den Schemel Seines Fußes. Als aber
der Satan ihn aufforderte, auch den heiligen Gabra Manfas Qeddas
abzuschwören, erwiderte er: „der sei mir Weg und Stab, alle
(anderen) habe ich abgeschworen, aber mit ihm will ich sterben".
Nachdem ihn daraufhin der Satan mit dem Stein erschlagen hatte
und seine Seele auf den Befehl Gottes in die große Hölle ge-
schleppt werden sollte, deren Tiefe bis in hundert Jahren nicht
erfunden wird, führte dessentwegen Gabra Manfas Qeddus bei
Gott Beschwerde und erreichte nach längerem Hin- und Wider-
reden, daß der Seele erlaubt wurde, in ihren Körper zurückzu-
kehren und später, nach dem zweiten Ableben des dem Heiligen
ergebenen Mannes, ins Himmelreich einzugehn.
[11.] Da einst der 5. Magäbit in die Fasten fiel, beschloß ein
frommer Mann, der zum Taskär des Heiligen einen Ochsen und
ein Schaf weihen wollte, damit bis zu seinem folgenden Geburtstag,
den 29. Tähsäs, zu warten. Da raubten ein Löwe und ein Leopard
Ochsen und Schaf und entführten sie in die Wüste. Der Heilige
aber befahl den Raabtieren, ihre Beute bis zu seinem Geburtstage
zu hüten und an diesem in die Kirche zu treiben. Dies geschah
und veranlaßte alle Stadtbewohner, die das Wunder sahen, zeit-
lebens den Tazliär des Heiligen zu begehen.
1) Unten S. 79, Z. 25 : drei.
78 C. Beeold,
[12.] Einem armen Mann, der sein einziges Besitztum, einen
Hahn, dem Heiligen weihen wollte, stahl ein Dieb diesen Hahn
und aß ihn auf. Der Hahn aber krähte um Mitternacht in seinem
Leibe und flog am Morgen, nachdem der Dieb gestorben und be-
graben war, aus dem geöffneten Grab, das einen zerfleischten
Leichnam sehen ließ, auf die Kirche und blieb dort drei Jahre lang.
(Die hier folgende Beschreibung der wunderbaren Trauer aller
Kreatur beim Tode des Heiligen und die Erzählung seiner Himmel-
fahrt — zum Teil eine Wiederholung des im Gadl Berichteten —
wird in AI fol. 72^* als 13. "Wunder gerechnet.)
[8.] ') Unter der Regierung des Königs Nä'od (^iPJ?') brachte
eine Frau den Körper ihres gestorbenen Söhnchens in ein großes
Gefäß, das sie in der Kirche dem Heiligen weihte, worauf das
Kind wieder lebendig wurde.
Zusammenfassung.
7-n^ : cr^^zxi : *^^l : ao-p i -t-Af^zYi : Tüi.^ ::
•fi'KiX : (^i'c^fi : H-^m. A-t : 4-^i^ :
viA'ni. : nsyl^'n : jBiaC : nKi^ : Hn/tr^ : A,f^ l
a-^jBA : YXJ?^ Yi : QAiti'o : (DA^ : n4^C^ ::
Adi-t.-nxix^:
i-nz, : (^ü/ifi : ^^h : -^jpa : onuA : ^fxjs : ^^arh^ :
7\f^Pi^ : ^(Dfin : H W-A "5 j^ü- : /^a^^ :
a) J.-^ : *ö^ : -ths^-ip : n^Kö^l- ::
uiüh : -i-A^zYi :: •ii'KjX^ : Arht :
f^"2a4:uj^j2:7\^'r:AAa't:
5\1f fiA : .i?'hö^ : 7a4 : t-Vn/. : nqiAYi : X^H : ai: :
r»n : -i^-^pa : nariw/a : 7^f^ : a-t :
7-n4:ö^^Xfi:*J^fi:A.^"5n:'Kf^-nxa:<^iirht::
Zi-no : 1-A^zYi :: 7-n4 : c^i/j:fi : *j^fi : rfiset^ l
A-fi/^iX-t- : Afhi: : •nH'i'i' : 7;]^ : (Dhn^ :
nhj'P : rhf^H- : <^/iC : n A^»^ a : ö^ : ^»i/: : A^ri'i :
tlti'riz^n : ^7nc : 'KiH^y^ : i^n : A^n^^ : Ch^ :
Yij2rt, : Aor^X'a : hu a» : n Yicw ::
1) A l fol. 67»».
Abbä Gabra Manfas Qeddas. 79
^^hAiAfvt'ii'P^fJicR^Hi: V fiÄ^iC :0^"5: (Dä2: 4.? :
i^n : Afhfi : a»^^ : H^/<-rh4:^ : aaj? :
•$n:YiCUj:^n^:'r^^m:Aö^h^:a)AJ?::
i^^^-fi : 'i^Äf^z'a : ArhA,^p : oho : ')
i-n/.: (^'i/iti: 4>^fi: An-p : f^ a- A : fi ap^: (D-r^-nn ::
ö-n7\ix : 4:*^ : H ati : A-t-o :
r»n : jB^ö^P'P : c^^^j^C : nnuA n : ^^n :
n^»^^ : A"?^ .v:Yin : rh^ii ; ^:a'^p ::
7-n^ i^^/lh: ^;?,fi: A op : <:^f^UiC : A AP^: (D-r-^C^ :
A^.OA'i^.o-noicD't'rhar'o:
Afi-n>i : 1-Af^/^Yi : hcd a^ : <^c\a^ : irin'o :
:?H. : 7\<^0n A> : Aoj?'^^ : 'i^op : AlwX'o ::
i^^l : ') -r Af^z Yi : c^fi-r^^i^ft^ : A AQ-n : (Drh a.^ :
7-ni^ :^^.4;fi :*;e,fi .An-p :p^yv A .i^a^'? :a)p^A5i51
HP A^ : -n^MX^ : a-r : t-n^c^ : i-A^^ :
(Dö A^ : i^av : 4: v^rh'^ : ir: : Yise^ :
"K^H : ^^LW A,!^ : ^A-n^i : Af^arl- : rh^f ::
i-nz. : c^^l^fi : ^;?,fi : An-p : -r Af^zYi : t-riq?* ;:
AQOA : ö7a^ : -Minc^ : a^ jecd* :
Tk<^ : ^fi^p : J^'iz, : -i-np.^p : A>-fc :
fi^O:r^ : ^-t : (D^^$>li : lu Afi-t ::
^^C : -TAf^zYi :: -n^iix : 0 :
'K'jn jBj : ^^-fe : H^irh^ : AA-n : (dcda^ :
-in : aiti4 : 'K^'t- : <^4:,CiJ : h^/IAAi : q^7Ä ::
1) S. Dillmann, col. 160.
2) Etwas verwischt.
3 Text i^-nO-
gO G. Bezold, Abbä Gabra Manfas Qeddas.
Ht'7-niC : (D^i : n aöa : Aln»^ : (Djf^c :
7-04 : <^"?/lfi : ^^h : rifb/h : n a'5<i>ä : yy-tV : 57C •
Ht-A^zih : ■OH-'i : ')'h^'^^ : HQihC ::
i-A^zYi : AWC : (D^A A : AJ?f^ : ^4> : (DIü5"jb :
n AO A : uuz,^ : iVoi : cd aöa : ^ecir : i-o^^irjB ::
7-fl>c : <^^4fi : *.^fi : um : om-t- : •H'5-t : i^-jA^ ::
Yx J^Yi : H-rcD Yi A : jb^^ A. : j?-ar^ i
(D'Kc^/^^ : ^^iiJ/7\ : ') {^^ ::
:Kf^ii-nfh'tYi : H5"f^ : 5^11- : h.4"^ : ^4:^4 :
n^^c^^Yi : p-f^ : yi*E4" : arft-z. :
7-n^ : <^^/;^fi : ^j^ti : n a^ : Ymit- Yi : A4 1
^4ü/üi : c\A.c\ : f^^^-C : (Dr-iiujß : hazI i
T^riö^: flA^JB .Tif^Yl : l-Ärh^ :."
1) Text 5\f?^^.
2) Text -flH-^.
3) Text ß^Z.^'K
über igmä'.
Von
Ignaz Goldzlher.
Yorgel^ Ton £. Littmann in der Sitzung vom 15. Jantuir 1916.
Es wird im allgemeinen angenommen, daß im Sinne der un-
bestrittenen islamischen Auffassung die Verleugnung einer im
igmä' begründeten religiösen Lehre oder Gepflogenheit die Quali-
fikation als käfir nach sich ziehe.
Auf Leute, die sich dessen schuldig machen (J^a**» -aä ^^3
{jJ^^^) werden ja die Höllendrohungen in Sure 4, V. 116^) und,
mit leichter Begriffsverschiebung, das Urteil in einem Qadit-Spruch
bezogen, wonach „wer sich von der G-esamtheit auch nur auf
eine Spanne weit trennt, die Halfter des Islams von seinem Nacken
geworfen habe" :
'' -•*-, • ^ , .. ^, ^
ma£ q, f^"^' *Äj, jl3. Jifiä (Var. ^j^) jxjS» J^ jUUjt ^3^13 er»
Der Begriff der gamä'a, als der durch die zur Anerkennung
gelangte Obrigkeit vergegenwärtigten politischen und kirchlichen
Gemeinschaft^) wird, unterstützt durch die etymologische Zu-
1) Vgl. Snouck-Hurgronje, Nieu'we Bijdragen tot de kennis van
den Islam (Bijdr. tot de TLV van Ned, Indie 1882, 45).
2) In diesem Sinne wird der ^. die fit na entgegengesetzt bei Schol. Na-
kä'id ed. Bevan 366,18; Farazdak gebraucht für Auflehnung gegen die g. das
Bild k-gl,^il J,a3^ tf)^^ er* ^si^'^^s (ibid. 51, 6). Das Hadit, in welchem es
dem Muslim zur Pflicht gemacht wird, selbst gegen die in religiöser Beziehung
bedenkliche Staatsobrigkeit im Interesse der Einigkeit der Islamgemeinschaft sich
nicht aufzulehnen (vgl. Buchäri, Fit an nr. 11) führt den besonderen Namen
hadit al-^amä'a (Ihn Sa'd VII, i 38, 18). Vgl die Antithese "->. L^ und
Kgl. Gm. d. Wim. Nachriehtra. Phil.-hüt Klane. 1»I6. 1. Heft. 6
g2 IgnazGoldziher,
sammengeliörigkeit , in der Anwendung dieser sowie anderer ver-
wandter Sentenzen auf den terminus igmä'' übertragen^).
Diese Auffassung kommt in den meisten darüber handelnden
Lehrbüchern zum Ausdruck^). Wir führen nur zwei maßgebende
Autoritäten, eine hanefitische und eine ^äfi'itische, an:
'Ubejdalläh b. Massud, bekannt als Sadr al-sari'a (st.
747/1346) in seinem Tau^il? (ed. Kazan 1883): ^15 ^^ t^-^^^^
Ibn 5agar al-Hejtami (st. 973/1565) in al-Sawä'ik
al-muhrika fi-1-radd 'alä ahl al-bida' wal-zandaka
(Kairo, raatb. Mejmenijje 1312) 155, 15, wo die Zurückweisung der
Chalifatsberechtigung des Abu Bekr als kufr gekennzeichnet wird,
mit der Motivierung: cUj eU:>-^ jüiÄiLs^ xÄ^Uf yCJL« jj^lÜH «-aa«» q^
Dieser Standpunkt in bezug auf die Beurteilung der igmä'-
Negation wir d jedoch in dieser absoluten Fassung bei weitem nicht
von allen Theologen des Islams eingenommen. Wir werden ferner
sehen, daß auch die Formulierung des Ibn Hagar bereits eine Ein-
schränkung der durch Sadr al-äari*'a vertretenen darstellt.
Ganz abgesehen von rationalistischen Einwendungen
gegen die h(jhe Bewertung des igmä', ist es, wie ich anderwärts^)
zu betonen Gelegenheit hatte, gerade der rigoroseste Flügel der
Orthodoxie, die hanbalitische Schulrichtung, in welcher, mit
(J^'t'y- bei öahiz (Dahabi Tadkirat al-huffä?. I 341, 2). — Eine jüdische
Parallele ist "llSSn •\)2 tjns (Misnah, Äböth 2,5) n^aSt "^Syi'ü ünißH (Se-
mächöth 2,10; vgl. Maimüni, Misneh Törah, H. Tesübah 3,6).
1) Z.B. bei Gazäli, Minhäg al-'äbidln (Kairo, matb. Chejrijja 1306)
18, 4 ; bei Gelegenheit des Spruches yr\ f^\r aXaIc werden drei Erklärungsmög-
lichkeiten angeführt, die eine : »J^ ^^^ ^ i| ^JÜI^ ^^^jjj{ j ^ jju ^jl
6.JJi^\^ )U^\ ^5^^ xJLe u o^Ls? ^«jC^3 ^U>^J ^^ iüXto J^ iU^il
JXto^ JJali LjJLä- Die Autorschaft des Gazäli an dieser Schrift, die gewöhnlich
als sein letztes literarisches Produkt gilt, wird von Muhji al-din ibn al-'Arabi
bestritten (vgl. Murtadä, Ithäf al-sädat [ed. Kairo] II 381 unten; Völlers
Leipziger Katalog zu nr. 162).
2) Vgl. auch 'Abdalk&hir al-Bagdadi, al-Fark 387, 7 ff. O^^ü'?,), wo
jedoch nur igmä' al-salaf oder i. al-sahäba betont wird.
3) Katholische Tendenz und Partikularismus im Islam (Bei-
träge zur Religionswissenschaft, Stockholm, I 140; vgl. zu ^U>.^; Ljd^ Zä-
hiriten 33 Anm. 1. C *
über i^ft'. 83
Berafong auf Ahmed b. 5aiibal selbst, die Skepsis am igmä* als
theologischem Kriterium, laut geworden ist. Anders wäre es ja
kaum begreiflich, daß eben die strengsten Repräsentanten der han-
balitischen Orthodoxie, die Wahhäbiten den Kampf gegen Lehren
and ÜbuDgen aufnahmen, die ihre Begründung im historischen
igmä' gefunden hatten; daß sie die Bedeatung des letzteren im
allgemeinen prinzipiell in Frage stellen ^).
Jedoch auch außerhalb der rationalistischen und hanbalitischen
Kreise ist an der strengen Bewertung dieses Prinzipes, wonach
die Negation eines in demselben begründeten religiösen Momentes
die Qualifikation als käfir bewirke, gerüttelt worden. .
Zunächst ist es eine vielfach verbreitete Lehre, daß die käfir-
Brandmarkung eines Lengners der nur im igmä* festgelegten Lehren
auf das dogmatische Grebiet keine Anwendung finden könne.
Ibn Rusd erwähnt im Namen des Guwejnl und des Graz all
den Grandsatz, daß die Abweichung vom igmä* in der Erklärung
der Anthropomorphismen der heiligen Texte keinen kufr be-
gründe 2). ßtki ^IiSj "i J Jai^\ iüji ^J^ ^:f^i >i^' yiS Jü»L>^1 JÄ
Ju^üJI j p''*^?"^' (3/^ er (Fasl al-ma^äl [Kairo, matb. 'ilmijja.
1313] 8, 15). Wie nachsichtig und zurückhaltend Grazäli in der
Beurteilung dogmatischer Abweichungen war, ist ja aus seinen
Schriften genügend bekannt. Die Ablehnung der kufr-Qualifikation
auf Grund der Abweichung von der igmä'-Orthodoxie in dogmati-
schen Fragen wird auch von al-Igi (st. 756/1355) deutlich aus-
gesprochen: jS^ ^J^ p'-k^'i' .•if> nnd ijstf «iui? ^^ gf-^^' t*^
(Mawäkif ed. Soerensen 293, 7. 16).
GazälT beschränkt jedoch diese Nachsicht nicht auf das dog-
matische Gebiet. Ohne die Geltung des igmä* als „Wurzel" und
religiöse Erkenntnisquelle (hugga) anzutasten (Ihjä [Büläk 1289]
115, al-Mustasfä min 'ilm al-usül [Büläk 1322— 24] 1 173ff.),
dehnte er seine Nachsicht gegenüber der , Zerreißung des igmä'"
auch auf nicbtdogmatische Fragen aus.
Davon gibt er bereits in einem der Werke seiner ersten bag-
däder Periode deutliches Zeugnis. Er bespricht die Frage : ob
Leute, die die Berechtigung der Chalifatsnach folge des Abu Bekr
leugnen und dieselbe dem 'Ali zusprechen, als dem kufr verfal-
lene Ketzer zu beurteilen seien, insofern sie sich dem igmä' wider-
1) Juynboll, Handbuch des islamischen Gesetzes 43 Anm. L
2) Vgl. Senüsl, Prol^gomenes th^ologiques ed. Laciani (Alger 1908)
103.
6*
84 Ignaz Goldziher,
setzen. Grazäli kommt dabei zu dem Resultat, daß dies nicht zu-
lässig sei, da der ^lUgga-Wert des bloßen igmä' eine umstrittene
Frage ist (er nennt die Na?zäm-Schule als Vertreter der Op-
position). Man müsse sich daher beschränken , die Ablehnung des-
selben als Irrtum oder als Verfehlung, keinesfalls als Akt
des Unglaubens zu beurteilen: ^^ f'«-«^"^^ (b^ o' ^ O^ ^
äLJLäJ} iaüai? ^^ liyaÄä?^ iu.^^ «^i^o ^ y«"iH !^ (Fa^ä'ih al-Bä-
tinijja, Hdschr. des Brit. Mus. Or. 7782 fol. 72^0).
Den Standpunkt, den er in seiner älteren Periode einnahm,,
hat er in seinem späteren Entwicklungsgange, auf dem er seine
Neigung zur Toleranz in fortschreitender Klarheit entfaltete, na-
türlich nicht verlassen. ImFejsal-al-tafrika (Kairo, ed. Kab-
bänl 1901) 65 entscheidet er sich, nach der Auseinandersetzung
der Schwierigkeiten, den igmä* in einer Frage festzustellen (til^Oi
iUÄ'iii jja*xl Q, dU3 für dies Urteil : ^a^^. ^*, g|-*^^' s^\js> q^ I jlä
«jAftXj Q^4ij ^3 v-jÄK^j jj<*t^^ L^^^ ^^ y^ »J^ BvXJL«. Auch m sei-
nem letzten Filch- Werke, dem Musta^fä beurteilt er den Muslim,
der sich dem igmä* widersetzt, als \io oder cJüCa^ (1 176 ult.), als
\;jiXj'^\ i)>-^A*» jt^ äUU» (ibid. 189, 8 mit Bezug auf den Koranvers
4, 115) und noch deutlicher: ^Laüil ^ fs^^ t''*^^' '^^^^'yff o*
Ijiä X\ \^ ^U^aiyoiJI (Mu8ta§fä II 358,4 vgl. ibid. Z. 11).
Überall wird hier der käfir- Charakter des igmä'-Leugners ab-
gelehnt.
Imll^tisäd f i-l-i * tikäd (Kairo o.J. ed. Kabbäni)') 114,13,
in dessen Scblußkapitel er auf die Frage des takf Ir zurückkommt,
macht Graz, sogar das unverhohlene Geständnis, daß es in der An-
erkennung des igmä' als hag^a viele Zweifel und Bedenklichkeiten
gebe : iüJaS 'iJf^s»^ ^Uj>^? q/ j 8^ *1äJI '^ , weiter : o^UCä^I öS
gJt^/ j8^«).
1) Er beruft sich darauf im Ihjä I 40,7; 97,8 (am Schluß der Jcfity»
JuLJükil; n 130,18 und zitiert es auch in alKistäs al>mustah.Im (Kairo
1900, ed. Kabbäni) 94 ult.
2) Vgl. Fej9al al-tafrika 68, penult. i]^ ^U>"JI ^y/ iüyw. ^
über i^ä'. 85
Man kann nicht übersehen, daß er hier, wie auch anderwärts,
den Dissens des Mu'taziliten Nazzäm ernstlich in Betracht zieht.
Freilich verhehlt er sich im Laufe dieser Feststellangen auch die
bösen Folgen nicht, die durch die Ausschaltung des igmä' aus der
Reihe der verbindlichen Lehrquellen entstehen könnten.
Es ist wohl dem Einfluß der durch die Skepsis des GrazälT
angeregten Erwägungen mit zuzuschreiben , daß die späteren Ge-
setzesgelehrten, namentlich die der ääfi'itischen Richtung, das
igmä*-Thema einer eingehenden Revision unterziehen und sich viel
Mühe geben, scharfsinnige Distinktionen in der Abgrenzung der
die käfir-Erklärung herbeiführenden igmä'-Leugnung zu ergründen.
Zunächst wird z.B. die Frage erwogen, inwiefern zur Fest-
stellung eines dies strenge Urteil verursachenden i^mä' die Mit-
wirkung des t a w ä t u r - Charakters desselben erforderlich sei ;
ferner eine scharfe Grenzlinie gezogen zwischen theoretischer Ab-
lehnung des igmä'-Prinzips (cU>^i *X» ^'j) und der Zurück-
weisung einer konkreten Gesetzeslehre, die den Grand ihrer
Verbindlichkeit im igmä' findet (äJLc «^».^OI Jo-L») n. a. m.
Die Verhandlungen über diese, für die islamische Theologie
sicherlich einschneidenden, durch zahlreiche Einzelbeobachtungen
komplizierten Fragen sind durch den hier bereits genannten mek-
kanischen Gelehrten, Ibn IJagar al-Hejtami, der im säfi'iti-
schen madhab als eine der abschließenden Autoritäten anerkannt
ist, in seiner Schrift al-I'l am bi-kawäti' al-isläm^), die
sich speziell mit der Aufzählung von Fällen beschäftigt, durch
welche sich der MusUm die Qualität des käfir mit allen ihren
schweren Folgen zuzieht, mit Berücksichtigung der Meinungsäuße-
rungen der kompetentesten Autoritäten, eingehend dargestellt
worden.
1) Bro ekel mann II 388 nr. 3, wo die an den Rand des II. Bandes des
unter nr. 5 aufgeführten al-Zawägir 'an iktiräf al-kabä'ir (Kairo, matb.
Mejmenijja 1310) gesetzte Druckaasgabe dieser Schrift nachzutragen ist; am
Rande des I. Bandes ist die bei Brockelmann als nr. 24 (im Titel lies : m u h a r -
ramät) verzeichnete Schrift gedruckt. — Die hier bezogene Stelle ist II 43 — 49.
JSTeue Götter.
Von
Mark Lldzbarski.
Vorgelegt von E. Littmann in der Sitzung vom 15. Januar 1916.
Der Magier Simon, wie er in der Apostelgeschichte nnd bei
den älteren Kirchenvätern geschildert wird, ist wahrscheinlich
eine historische Persönlichkeit. Aber unverkennbar haben sich
mythische Züge an seine Person geknüpft. Der Märtyrer Justin^
selber samaritischer Herkunft, sagt: Kai exsdbv nävtsg [isv 2Ja^a-
gstgy ökiyoi ds xul iv äXXoig i^veOiv, ag rbv ng&tov ^sbv ixetvov
öiioXoyovvreg, ixslvov xal 7iQ06xvvov6i' xal 'EXevi^v xivd, xi}y vcbqlvo-
öx'^6tt6av avTip xät' ixelvo xov xulqov, jiqoxsqov btcI xiyovg öxad^stöav,
xi^v vji^ ttvzov evvotav JtQthxTjv ysvoiiivriv Xsyoväi (Apologie I, 26
ed. V. Otto ^). Von besonderem Interesse ist was Hippoly t von der
Verehrung des Paares seitens der Samariter sagt: sixova xs xov
£i(ic}vog ^%ov6iv eig /liog ^OQ(priv xal rijg 'EXivrjg iv iiOQ(pri lA&r}vagj
xal xavxag jcqo6xvvov6l, xhv ^hv xaXovvxsg xvqiov, xrjv dh xvQiav
(Refutatio, ed. Duncker und Schneidewin, VI, 20, vgl. auch Ire-
naens I, 23, 4). Diese Angabe macht einen durchaus glaubwürdigen
Eindruck, um so mehr als man bei einer Helena die Darstellung
als Athena nicht erwartet. Daß es sich hier um ein im Bereiche
Samariens verehrtes Götterpaar handelt, wird allgemein ange-
nommen, aber eine Identifikation, die in authentischer Über-
liefernng eine Stütze hätte, ist bis jezt nicht gelungen. Funde
und Beobachtungen der letzten Jahre lassen uns jetzt weiter
schauen.
Unter den Göttern der Völkerschaften, die von den Assyrern
in Samarien angesiedelt wurden, wird 11. Kön. 17, 30 auch »tt"»«?»
Neue Götter. 87
genannt, nnd diese Gottheit findet sich wahrscheinlich auch Arnos
8, 14 in Verbindung mit Samaria. In dem vielerörterten ara-
mäischen Papyrus aus Elephantine, der die Abgaben der jüdischen
Mitglieder der Kolonie an den Tempel des Jahn verzeichnet,
werden neben Jahn auch die Gottheiten Ctrs und r:y genannt,
die dort in Verbindung mit einem ;i{r'»3 stehen. Mit Recht wurde
die Ansicht ausgesprochen, daß diese Gottheiten von Juden sa-
maritischer Herkunft nach Ägypten gebracht worden. In Er-
örterungen über diese Götter Ephemeris III, p. 247 ff., 260ff.
suchte ich den Zusammenhang des 2CS mit Gottheiten ähnlicher
Benennung nach2niweisen, die besonders in griechischen Inschriften
aus Syrien nnd Phönizien genannt werden. Sie sind bald männ-
lich, bald weiblich. In diesen Namensformen erscheint der Vor-
satzvokal vor dem s-Laut nicht. Man kennt die Formen Zeiynoq^
ZCfiiog, 21C[ia, Zr/^iea, Usiisa und andere. Ferner suchte ich zu
zeigen, daß zu dieser Gruppe, auch der pbönizische Gott "paCÄ
gehört, und daß allen diesen Benennungen DB „Name" zu Grunde
liege. Dieses habe in ■jT2t;x eine Endung erhalten, die im Phönizi-
schen ün, im Hebräischen ön gesprochen wurde, und die sich auch
sonst nachweisen läßt. Diese Untersuchungen, bei denen ich an
einen Zusammenhang mit Simon Magus nicht dachte, führten da-
nach zur Annahme einer Namensform seni-^ön, die lautlich IJCuav
sehr nahe steht. Trotzdem könnte es sich hier um einen Zufall
handeln. Ist es ja unserem Hauptgewährsmann über Simon passiert,
daß er eine fremde Gottheit, die mit Simon sicherlich nichts zu
tun hatte, den sabinischen Semo Sancus, auf die Lautähnlichkeit
hin mit Simon identifizierte. Aber Uttiü wird in dem Papyrus
nicht allein, sondern zusammen mit rzy genannt. Von dieser
wissen wir aber mit Bestimmtheit, daß sie mit Athena identifiziert
wurde. In der Bilinguis CIS I 95 aus Lapethos in Cypern, Ende
des 4. Jahrhunderts v. Chr. , steht phönizisches r::? griechischem
^A^vä gegenüber. Die Gleichsetzung geschah daraufhin, daß r:y
von Alters her eine Kriegsgöttin war. Wir finden also hier tat-
sächlich die mit Simon als Athena verehrte Partnerin wieder.
Baudissin suchte einen Zusammenhang zwischen TCCS und
Adonis nachzuweisen. Nach Hippol^t wurde Simon ytvQiog, seine
Gefährtin xvgCa genannt. Ich möchte hierin keine Stütze suchen.
Denn die Bezeichnung göttlicher Wesen männlichen und weiblichen
Geschlechts mit Herr bezw. Herrin ist bei den Semiten ganz all-
gemein. Von Benennungen menschlicher Wesen, die in besonderer
Verehrung standen, sei hier nur auf Mag^ovg und MuQ^dva als
gg Mark Lidzbarski,
Namen zweier Frauen aus der Nachkommenschaft des Elxai hin-
gewiesen (Epiphanius, Haer. LIII, 1).
Die Bemerkung AGr 8, 10 über die Benennung Simons seitens
seiner Anhänger leyovreg ' oiSrdg iönv t] dvva^ig tov d^sov tj (xaXov-
(livrj) [isyccKrj bietet keinen Anlaß, sie anders zu nehmen, als der
griechische Wortlaut besagt ^). Der Versuch, [isyccXrj als n^S'Q zu
deuten, ist verkehrt. Man könnte allenfalls in Erwägung ziehen,
ob d'övKfiig hier im gewöhnlichen Sinne stehe. Die Pgittä hat
{otiSs; JLai o»:5»->jL», und im Munde der Samariter wird der Ausdruck
nicht viel anders gelautet haben; jedenfalls haben sie das Wort
ifh^n gebraucht. Aber i^^Tl bedeutet nicht nur „Kraft", sondern
auch „Wundertat", wie auch Swafiig im NT. Da ist es nun
interessant, daß in der angeführten Bilinguis 'Anat als „Kraff
bezeichnet wird. Im phönizischen Teile hat ri:3> das Epitheton
D'^n ty, im griechischen wird 'Ad-rjvä als UatsCga NCxri bezeichnet.
Die Beiwörter berühren sich, entsprechen sich aber nicht ganz.
DTi hatte wohl auch schon bei den Phöniziern den Sinn von öa-
xriQitt, Dagegen ist T^ „Kraft", dvvufiLg in diesem Sinne, und die
beiden Wörter entsprechen sich auch im AT. Leider ist es un-
sicher, ob die Wörter DTI 73? koordiniert sind oder im st. constr.
stehen. D'^n T3? kann dvvcc^Lg ^(orjg bezw. öatrjgiag und dvvufiigy
^cDT] bezw. 6G)xriQCa bedeuten. Doch ist ersteres wahrscheinlicher.
Der gnostische Charakter des Ausdruckes wird niemandem ent-
gehen. Nicht minder interessant ist, daß hier, zu Beginn der
hellenistischen Zeit, der griechische Text diesen Ausdruck nicht
hat, sondern Beiwörter für die Göttin gebraucht, die in älteren
griechischen Anschauungen, nicht in den aus der Fremde einge-
drungenen Spekulationen fußen.
Näheres über den Grott, der in die Figur des Simon hinein-
ragt, ist aus den alten Urkunden nicht zu gewinnen. Mit Zeus
wurde er als ngätog d^sög identifiziert. In der Inschrift von Kefr
Nebo steht 2si(iiog an der Spitze der d-sol naxQfpoi. Bei seiner
Genossin zeigte es sich, daß sie als Athena ursprünglicher ist,
denn als Helena, daß es sich also umgekehrt verhält, als Waitz
PRE XVIII^ p. 361, 23 ff. annimmt. Man versteht ja auch eher
Athena, die dem Haupte des Zeus entsprungene Göttin, als ^vvoia
ngcÖTr] denn Helena. Die Vorstellung der ivvoia jcgcatrj ist viel-
leicht auch auf semitischem Boden entstanden. Der entsprechende
Ausdruck «n-'ÄTansp «naxüsn, «n'»»iD-<n »na««Kn findet sich einige-
mal in der mandäischen Literatur. Zu Johannesbuch 10, 6 vgl. II,
1) Vgl. auch Deißmann, Bibelstudicn, p. 19, n. 6.
Neue Götter. 89
p. 17, n. 1. Im Cod. Sab. Paris. 25, f. 34 b wird in einer Ansprache
an das große Leben der Ausdruck srr^SfaTi^ pD^^sraSTCSn „dein erster
Gedanke" gebraucht, in Parallele zu Vin-'Xnp vr«:»"! «"onn ,,der
Erstgeborene, den du geschaffen hast". Im Pariser Diwan Z. 466f.
wird der Genius §i§lam vom „Herrn der Größe" als •jSrmrxn
Stn'<WD'<n „unser erster Gedanke" angesprochen.
Daß die Einführung der Helena bei den Samaritern auf phöni-
zischen, speziell tyrischen Einfluß zurückgeht, wird mit Recht an-
genommen; von dorther ist ja auch der Kult des Herakles zu
ihnen gedrungen^). Aber welche Figur aus dem M;j'i;hus der
Phönizier von diesen mit Helena identifiziert wurde und auf
Grund welcher Übereinstimmungen die Identifikation stattgefunden
hat, muß ich als unsicher bezeichnen. Vielfach findet sich die
Ansicht, daß Helena als 27fXtjVi^ bei ihnen Eingang gefunden habe *).
Mir ist es trotz des Auftauchens der Lana in den clementinischen
Recognitionen nicht wahrscheinlich, daß die gelehrte Ausdeutung
auf die Identifikation von Einfluß war. Es waren eher populäre
Züge aus dem Mythus. Vielleicht war es die Sage von der Geburt
aus einem Ei, an die angeknüpft wurde, doch eher noch die Vor-
stellung von ihr als entführter. Die Einrührung in Herodots
Geschichtswerk zeigt, wie verbreitet das Motiv der entführten
oder geraubten Frau im östlichen Mittelmeer war. Auch daß
griechischerseits schon früh die Entführung der Helena mit Phöni-
zien in Verbindung gebracht wurde (Ilias VI, 290 f.), läßt ver-
muten, daß hier Anknüpfungspunkte bestanden. Aber auch laut-
liche Berührungen können mitgewirkt haben. Der Einfluß dieses
Momentes bei der Identifikation östlicher Götter mit westlichen
ist nicht zu unterschätzen. Bei der Gleichsetzung der 'Anat mit
Athena hat sicherlich auch die lautliche Ähnlichkeit, bei Henoch
mit Hermes, bei Esmun mit Asklepios die Berührung im Anlaut
mitgewirkt. Die Leute waren im Leben beim Umtausch der
Namen daran gewöhnt, sich mit geringfügigen Anklängen zu be-
gnügen. Doch ist der Name einer phönizischen Göttin, der an
"Ekivri anklingt, bis jetzt nicht bekannt. Ich würde Dbx heran-
ziehen, das sich als Bezeichnung für Astarte, auch für Isis findet
(Ephem. I, p. 158), wenn nicht damit jede beliebige Gottheit be-
zeichnet werden könnte.
Anscheinend in alexandrinischen Kreisen wurde dem Simon
1) Vgl. J. Freudenthal, Hellenistische Stadien, p. 133 fF.
2) Vgl. besonders Lipsins in Schenkel's Bibel-Lexikon V, p. 318 and Boasset,
Hauptprobleme der Gnosis, p. 77 ff.
90 Mark Lidzbarski,
von seinen Verehrern das Beiwort iörag gegeben ^). Waitz zeigt,
daß Philo das Wort von Gott gebraucht; dem Simon sei das Bei-
wort aus göttlicher Verehrung verliehen worden. Da sei nun
darauf hingewiesen, daß der Ausdruck sich auch auf semitischem
Gebiete mehrfach in Anwendung auf Götter findet. In Daniel
(6, 27) und später bei den Juden wird D^J? „feststehend, dauernd"
von Gott gebraucht. Danach nennt auch Muhammed Gott j,yJüP).
Die Namen D)?'^ns|: (hebr.) „mein Bruder steht", DpnN (phön.) „mein
Vater steht" sind ebenso theophorisch aufzufassen, wie die son-
stigen entsprechenden Bildungen, und so kann denn Dpi'' (Nord-
sem. Epigr., p. 287 b) ebensogut Dpi"' wie Dpi"i sein. Die Namen
Dipnny und nipTT in sinaitischen Inschriften weisen auf Dip als
Gottesnamen hin. Dip ist wohl j»|y> in demselben Sinne wie D^p,
0j^: daß es etwa eine Abkürzung von Dipbs:?'-t3 sei, ist unwahr-
scheinlich.
*
In Weihinschriften aus Cirta an Baal-Hammon allein oder an
ihn und Tanit findet sich mehrmals die Wendung ms l>'o'). In
einigen Inschriften kann man die Worte auf die Gottheit, in
anderen auf die weihende Person beziehn. Der Ausdruck muß
aber in allen Texten in einheitlichem Sinne gebraucht sein, zumal
sie aus demselben Orte stammen oder in Beziehung zu diesem
Orte stehen. Dies ist jedoch weder bei der Beziehung auf die
Gottheiten, noch auf den Weihenden möglich. Ich habe Ephem.
I, p. 42 in Betracht gezogen, ob D*li< ^btt nicht im Sinne von
D"TÄ ib'a 3S2 stehe und die . geweihte Stele bezeichne , habe aber
diese Deutung aufgegeben. Sie scheint mir jetzt die richtige zu
sein. Diese Auffassung allein paßt für alle Stellen. In CIS I,
123 a, 147, 194, 380 wird die Stele als b:?n "(bu nsa, in 123 b als
"ID» ^bl^ nS5 bezeichnet, obwohl sie Baal-Hammon oder ihm und
Tanit geweiht ist. Wie nun mit b:?3 'f^^ und "IDS ibtt zweifellos
eine Gottheit gemeint ist, so ist es auch mit ms5 'f^'ü der Fall.
DlK als Gott ist uns ja schon durch den Namen D1S133^ in den
Inschriften CIS I, 295, 4, Altib. II (Ephem. I, p. 42 nnt.), die
beide Beziehungen zur genannten Gruppe haben, nahegelegt*).
1) Vgl. H. Waitz, ZNTW V (1904), p. 138 ff.; PRE XVIII», p. 360.
2) Unter den verschiedenen Erklärungen des Wortes bei Tabari, Tafsir
(1321), III, p. 4 f. steht die richtige (^tjJ5 -jLftJl) am Ende.
3) Vgl. CIS I, p. 366f.; Ephem. 1, p. 41 f.
4) Hingegen erwies sich die Lesung und Ergänzung f'jnl'^tt^K »n l>er. 19,
▼gl. Nordsem. Epigr., p. 208, als unrichtig, vgl. Epheui. 111, p. 101 X.
Neue Götter. 91
Wer ist nun dieser C^«? In OHK "tnj? 11 Sam. 6; I Chron. 13 ff.
kann allenfalls das Volk Edom oder sein Gott enthalten sein ^),
daß auf panischem Gebiete D"X irgend etwas mit den Edomitem
zu tun habe, ist ausgeschlossen.
In dem angeführten Ausdrucke 5^3 "Tbtj ist die Funktion des
bys unsicher, aber in "CK 1*12 ist 1C8 sicher ein Unterweltsgott.
"10» hat das Beiwort ibtt, und auch beim ^btt des AT's hat man
es wohl mit einer chthonischen Gottheit zu tun''). Den Mdkxav-
ÖQog in Plutarchs Osirisfabel suchte Isid. Levy als TIS ^b^3 und
Unterweltsgütt nachzuweisen '). Das weibliche Beiwort PDbtt findet
sich in phönizischen Texten nur an einer Stelle in sicherer Be-
ziehung zu einer Göttin, und da ist es die ünterweltsgöttin rnn^V
Wie nun diese punische mn mit der n^n der biblischen Urge-
schichte identisch ist, so identifiziere ich den punischen mx mit
dem biblischem 0*1» und fasse ihn als chthonische Gottheit auf.
Der Zusammenhang von 0*:» mit nr"]» (Gen. 2, 7) wird ver-
worfen^), rnvt xmd ^Ijt mögen zusammengehören, aber dann ist
f!6\ das Sekundäre, denn auch das Südarabische hat D^X. Bei der
Verbreitung der Vorstellung vom Zusammenhange des Menschen
mit der Erde, wo auch homo zu humus gehört^), scheint mir die
Herleitung von D"S aus T^iQ'ia wohl zulässig. Aus den angeführten
Momenten schließe ich nun, daß aus nr"t» zunächst ein Erdgott,
ein König Erd, wurde. Er und die Erdschlange wurden zum
ersten Menschenpaar.
In den sinaitischen Inschriften findet sich öfter der Name
•^Tisna?^. An zwei Stellen sieht es aus, als ob l-^nx dastände"),
aber an der Mehrzahl der Stellen ist das He sicher, und dort
dürfte eine Ungenauigkeit der Zeichnung vorliegen. Nach der
Zusammensetzung mit nar ist T'n» am ehesten ein Gottesname.
Eine befriedigende Erklärung ist bis jetzt dafür nicht gefunden.
1) JßsdSaQCi, Aßsödagafi LXX ist freilich keine besondere Stütze dafür.
2) Vgl. Lagrange, Religions semitiques-, p. 109, doch auch Baadissin ZDMG
LVn (1903), p. 819 f.
3) Revue archeologique 1904 II, p. 385 ff., dazu Ephera. II, p. 164 f.
4) Hingegen ist in dem Ausdruck Q-^rcn nD^TS 123 in CIS I, 198 die Be-
deutung von 0^5733 robtt noch immer unsicher.
5) Vgl. Xöldeke, Archiv für Religionswissensch. VIII (1905), p. 161.
6) Siehe Dieterich, Mutter Erde», p. 76.
7) Siehe das Verzeichnis CIS II, 2, p. 241.
8) 1039, 3211. In 2167 ist der Buchstabe ein r\
92 Mark Lidzbarski,
In Ephem. III, p. 270, n. 1 wies ich darauf hin, daß ^^-^^., das
hebräischem TyilV^ entspricht, nabatäisch ITli geschrieben wird, daß
danach T^nit hebräischem T\y]Vi gleicht, was ein auffallendes Zu-
sammentreffen mit ninx nos n-ri« Exod. 3, 14 bietet. In Wirk-
lichkeit kann ITIX nicht n;;ns< sein. Hin ist nicht arabisch. Sollte
lins* jüdischen Kreisen entlehnt sein, was an sich möglich ist, so
wäre namentlich bei einem zum Grottesnamen gewordenen Worte die
ursprüngliche Schreibung beibehalten. Littmann leitet T^n» vom
ägyptischen Ehi ab^), aber dann ist das Waw unerklärlich. Aus
Ägypten scheint auch mir der Gottesname zu den Arabern ge-
kommen zu sein, aber nicht aus der einheimischen Religion. Ich
sehe in TTlit eine Wiedergabe der Vokalreihe asriiovco.
Es ist bekannt, wie verbreitet im ausgehenden Altertum die
Spekulation mit den sTttä cpcavT^svta war, wie in der Mystik und
in der Astrologie mit ihnen gespielt wurde, wie sie zu verschie-
denen göttlichen und kosmischen Wesen, namentlich zu den Pla-
neten, .in Beziehung gesetzt wurden. Es genügt auf Baudissin,
Studien zur semit. Religionsgeschichte I, p. 243 ff. ; Röscher, Phi-
lologus LX (1901), p. 369 ff.; Lexikon III, 2, col. 2530 f.; Diete-
rich, Mithrasliturgie, p. 33 f. zu verweisen. Daß die sieben Vo-
kale einheitlich zu einem Grottesnamen zusammengefaßt werden
konnten, zeigt was Hippolyi: von der Lehre des Gnostikers Marcus
berichtet. Nach ihm töne ein jeder der sieben Himmel in einem
besonderen Vokale. Ai ts dwcifisig ^läöat, slg sv (jv^tcIccxsIökl ri^ovöi,
ncd 8oi,oit,ov6iv ixetvov, vcp^ ov nQOsßlrld^rjßav, rj öe öö^a ri}? rjx^öEoas
&ve7tsfig}&ri XQog tbv TtQondroQa. Tavtrig nsvtoi Tfjg do^oloyiag rbv
^%ov^ slg trjv yrjv (pEQO^svov, q)ri6l JcXd6rriv yCrsöd-ai xal ysvvTqxoga
tcbv inl rrjg yfjg (Refutatiö, p. 320, 78 ff.). Das Spiel mit den
Buchstaben war auch in Ägypten sehr beliebt, vgl. Reitzenstein,
Poimandres, p. 256 ff. ; A. Wiedemann, Archiv für Religionswissen-
schaft VIII (1905), p. 552 ff. Von dorther ist asrjiovG) als Gottes-
name nach der Sinaihalbinsel gedrungen. Ich habe verschiedentlich
zu zeigen gesucht, wie weitreichend der Einfluß war, der von
Ägypten aus auf die Religion der nördlichen Araber ausgeübt
wurde. Man wird diese Einwirkung namentlich auf der Sinai-
hai binsel begreifen.
IT!« ist eine passende Wiedergabe von asr^Lovco. Wir finden
n im Westen und im Osten für den e-Laut verwandt (Nordsem.
Epigr., p. 393 f.), außerdem konnte es hier noch den Hiatus zur
Darstellung bringen. Der Name war erstarrt, an die Siebenheit
1) Nabatasan Inscriptions 19U, p. XYIII.
Neue Götter. 93
wurde nicht mehr gedacht, sie konnte auch in der semitischen
Schrift nicht wiedergegeben werden. Ich habe auch die Möglich-
keit erwogen, daß vn« keine bloße Wiedergabe der griechischen
Vokalreihe sei. Wie im Hebräischen, so werden auch im Naba-
täischen "nn« als Vokalbuchstaben verwandt. Wollte ein Nabatäer
aus seiner Schrift die Vokale darstellen, so konnte er "nx, aber
auch ■'in« nehmen. Zu diesen Buchstaben mußte er greifen, wenn
mit ihnen etwa die Vorstellung einer kosmischen Vierheit, z. B.
der vier Himmelsrichtungen, verknüpft war. Aber eine bloße
Wiedergabe der vier Vokalbucbstaben ohne die griechische Vokal-
reihe als Basis liegt hier jedenfalls nicht vor, sonst wäre die
Reihenfolge eine andere.
Anredeformen in erweiterter Bedeutung.
Von
Enno Littmann.
Vorgelegt in der Sitzung am 15. Januar 1916.
Es ist allgemein bekannt, daß es in unseren europäischen
Sprachen eine Anzahl von Substantiven gibt, die ursprünglich
Anredeformen oder Vokative waren, dann aber verallgemeinert
und auf die anderen Kasus übertragen wurden. Da haben wir
zunächst Worte wie monsieur, monsignore, mijnheer (meist memr
gesprochen); letzteres wird im Englischen als mynheer sogar für
den Holländer überhaupt gebraucht. Die weiblichen Gegenstücke
dazu sind madame, mademoiselle, mevrouw, mf^jnffrouw (bezw. mejuffer,
mejonkvrouw, wovon das zweite nur für adelige Frauen gebraucht
wird), ferner madonna, Notre Dame, Nossa Senhora, Unsere Liehe
Frau u. s. w. Die Übertragung dieser Formen, die alle ursprüng-
lich der Anrede entstammen,' auf andere syntaktische Zusammen-
hänge hat sich aber in verschiedenem Grrade vollzogen. Während
man im Französischen ruhig ce monsieur sagen kann, muß man im
Holländischen de heer sagen. Im Italienischen ist es durchaus
sprachrichtig la madonna zu sagen, aber im Französischen sagt
man nur la (cette) dame und la (cette) demoiselle. Wo solche For-
men in anderen Sprachen entlehnt werden, wird die Grundbedeutung
natürlich viel leichter vergessen, und so konnte und kann man im
Deutschen die Mamsell sagen; in Nord Westdeutschland ist die Mam-
sell auf größeren Bauernhöfen die Vorsteherin des Gesindes. Wenn
im Englischen Mylord und Mylady außerhalb der Anrede gebraucht
wird, so empfindet man es doch als Mißbrauch.
Auch die Worte Papa und Mama gehen ursprünglich auf An-
rufe zurück, aber das Kind, das diese Worte im Anruf und in der
dritten Person gebraucht, empfindet freilich den Kasusunterschied
E. Littmann, Anredeformen in erweiterter Bedeutung. 95
noch nicht. Wenn nun die Erwachsenen der Papa, des Papas sagen,
sü haben sie eine mehr oder minder bewußte Kasusübertragung
vollzogen.
Das lateinische Wort domine ist schon früh außerhalb der
Anrede gebraucht worden. In Grimmelöhausens Simplicior Simpli-
cissimus heißt es im IV. Buch, zu Anfang des 20. Kapitels: „loh
war kein ehrbarer Domine geworden". Und in England und Ame-
rika sagt man domine, daminie, dominee ziemlich allgemein vom
Geistlichen; in Schottland wird der Schulmeister so bezeichnet.
Auch in Holland gebraucht man domine in der Bedeutung „Pfarrer",
worauf mich J, Wellhausen aufmerksam machte. Im Französi-chen
hat die Bedeutungsentwicklung dieses Wortes eine andere Wendung
genommen: da viele Kirchengebete mit domine beginnen, bedeutet
iin domine ein liturgisches Gebet. Damit ist das deutsche Wort
„Vaterunser" zu vergleichen.
Man könnte versucht sein, auch Namensformen wie Peter,
Paul u. s. w. auf die Vokative Petre, Paule zurückzuführen, zumal,
wie wir unten sehen werden, im Orient diese griechischen Eigen-
namen ziemlich allgemein im Vokativ übernommen wurden. Aber
Edw. Schröder belehrt mich, daß im Deutschen Peter und Paul
auf die Genitive Petri und Pauli zurückgehen, wie ülierhaupt bei
Tagen, Kindern und Orten, die nach Heiligen oder anderen Per-
sonen benannt wurden, der Genitiv angewandt wurde. Den Namen
des Heilands gebrauchen wir im Deutschen jetzt meist in der
Nominativform Christus, während früher auch „Chrisf^ gesagt
wurde ; im Französischen und Englischen ist letzteres die Normal-
form geworden.
Andererseits aber machte mich Edw. Schröder, in Briefen aus
dem Felde, noch auf einige andere schlagende Parallelen aus dem
Germanischen aufmerksam, wofür ich ihm auch hier herzliehst
danken möchte. Er schrieb mir am 17. 12. 15: „Herr und Fürst,
ahd. herro und furisto, sind ursprünglich schwache Adjektiva. Die
schwache Form des Adjektivs, die deiktische, ist aber die Form
der Anrede (letzter Rest: „lieben Freunde!"*). Ich bin längst
überzeugt, daß diese Substantiva sich aus der Anrede entwickelt
haben: „o du Älterer!" „o du Erster". Später wies er mich auf
Folgendes hin: „Polzin hat in seiner Schrift über das Diminitivum,
die von Roethe angeregt und 1901 in den Straßburger Quellen
und Forschungen erschienen ist, den Nachweis erbracht, daß sich
die wenigen Diminutiva des Gothischen bei Ulfila ausschließlich in
der Anrede finden: (sa) magus ^ der Knabe", (so) matci „das Mäd-
chen", ßata harn ^das Kind", aber tnagula „o Knabe", tnawilo „o
96 ^' Littmann,
Mädchen", harnilo „o Kind!" Daraus ergibt sich mit ziemlicher
Sicherheit, daß das Diminutivum, das von Haus aus nur Personen
(Menschen, dann auch Tieren) zukommt, bei uns aus der Anrede
stammt".
Die Schwierigkeit der Kongruenz in den Satzteilen, wenn eine
Anrede innerhalb eines Satzes als Nominativ, Dativ oder Akkusativ
verwendet wird, hat Paul in seinen Prinzipien der Sprachgeschichte ',
S. 281, unter Anführung mehrerer Beispiele besprochen. Auch
Brugmann weist in seiner Vergleichenden Grammatik der Indo-
germanischen Sprachen auf die Verwendung der Vokative als Sub-
jekt hin und führt als Beispiele böot. Msvvst und latein. Jupiter
an (Kurze vgl. Gramm., S. 445, § 567). Auf Jupiter hatte mich
auch J. Wackemagel verwiesen.
Im folgenden nun möchte ich eine Anzahl von Beispielen zu
dieser Erscheinung aus orientalischen Sprachen geben; diese Bei-
spiele wurden nur bei Gelegenheit gesammelt und machen durch-
aus nicht den Anspruch das Material erschöpfen zu wollen.
Beginnen wir mit der ältesten semitischen Sprache, der assy-
rischen so finden wir, daß bei Götternamen, die eben meist im
Anruf verwandt wurden, die Anredeform, die aus dem reinen
Stamm besteht, zur Normalform geworden ist. So werden Bei,
Warnas, Marduk, Istar als Götternamen gebraucht; man unter-
scheidet sie dann aber von den Fällen, in denen einzelne dieser
Wörter noch ihre appellative Bedeutung beibehalten haben. So
heißt der Gott Bei, aber helu ist „Herr"; neben Warnas „Sonnen-
gott" steht samsu „Sonne". Zu diesen Fällen vgl. man Meißner^
Kurzgefaßte Assyrische Grammatik, S. 27, § 40 d ; Ungnad, Baby-
lonisch-assyrische Grammatik, . S. 19, § 20 b ; Brockelmann, Grundriß
der vergleichenden Grammatik der semitischen Sprachen, II, S. 35,
§ 19g. In dem babylonischen Götternamen Belti „meine Herrin",
Belitm „unsere Herrin", der ins Aramäische als Belti, Beltln über-
gangen ist und griechisch durch Bfjktig wiedergegeben wird, haben
wir bereits ein uraltes Vorbild zu der oben genannten Madonna,
Notre - Dame n. s. w. ; vgl. Zimmern, Akkadische Fremdwörter als
Beweis für babylonischen Kultureinfluß, Leipzig 1915, S. 68/69.
Im Hebräischen sind es zwei Ausdrücke für „mein Herr", die
aus der Anrede in allgemeinere Verwendung übergingen. Im
Alten Testament wird *adönäi „mein Herr* sowohl in der Anrede
an Gott wie auch in der Rede von Gott gebraucht. Später ist
es fast mm Eigennamen geworden. Dagegen wird im späteren
Hebräisch rabhi „mein Herr" von Menschen gesagt, die man so
anredete. Der Rabbi, auch verkürzt und mit Umlaut Rebb ge-
ADredefonnen in erweiterter Bedeatong. 97
«prochen, ist das genaue Gegenstück zu dem domine bei Grimmels-
hausen, im Englischen und im Holländischen. Man kann natürlich
im Deutschen unter völliger Nichtachtung des -i sagen ^mein
Rabbi^, „unser Rabbi'^ u. s.w. ; vgl. unten S. 102, 107.
Im Syrisehen, Armenischen ^ Georgischen und Koptischen
bietet die Übernahme der griechischen Eigennamen eine große An-
zahl von Parallelen. Man hörte diese Namen eben hauptsächlich im
Anruf, im Vokativ, und übertrug diesen dann auch auf die anderen
Kasus. Das geschah nicht nur in heimischer Sprache und Schrift,
sondern auch griechisch geschriebene Namen erscheinen im Orient
gelegentlich im Vokativ, wo man einen anderen Kasus erwarten
würde. So heißt ein Graffito auf einer Felswand bei el-'Öla
MNHC0H KACCIAP0M6; vgl. den von mir herausgegebenen 2. Teil
von Euting's Tagbuch einer Reise in Innerarabien, S. 250.
Für das Syrische haben wir den besten Führer in Nöldeke's
Syrischer Grammatik. Seine Bemerkungen auf S. 84/85 der 2. Auf-
lage gebe ich hier wieder, indem ich die syrischen Worte um-
schreibe und eine Anmerkung über ostsyrische Orthographie fort-
lasse. rJyie griechischen Eigennamen auf og und ag werden ent-
weder in der Nominativ- oder in der Vocativform gebraucht :
Faulös, Petras, Aleksamlrös, Teudas u. s. w., oder, und zwar auch
als Subjekt u. s. w. Patde, Pefre, Aleksandre, Teödöre, Teuda^ Ar-
fema u. s. w.
Die Endung log, eiog fällt sehr gern ganz ab; zuweilen bleibt
davon noch ein y : MWBYK neben M WBYKYS MavQ^xios; 'YGNT
'lyvärtos; BSYL, B'SYL, B'SYLY BaöCXsiog-, ZYNWB, Z'NWB,
ZYNB Zrivoßiog (auch Z'NWBYWS)] UWNT, VWNTY Mövxiog
U.S.W. Viel seltner geschieht dies mit dem einfachen og; z.B.
Bas(s), neben BS WS, Basse Bä00og; "NTWNYN 'Avxanflvog^
Der Wegfall der Endung tog beruht natürlich auch auf dem
Gebrauch der Vokativformen. Wir können etwa annehmen, daß
u zu i wurde und daß dies innerhalb des Syrischen schwand wie
jedes auslautende -f. Der Auslaut e konnte sich eher halten, da
er in der syrischen Verbal- und Nominalflexion häufiger vor-
kommt.
Vokativ- und Nominativform pflegen auch wohl friedlich neben
einander zu stehen. In der Stoa-Inschrift von Bäbiskä vom Jahre
547 n. Chr., die ich 1899 fand, stehen neben einander SRO WN,
TYDWR\ und BKWS, also „Sargon, Theodore und Bacchus«.
Vgl. Semitic Inscriptions, New York 1904, S. 34, 36; die Lesungen
TYDWR' und BKWS habe ich im Jahre 1905 von neuem in Bä-
feiskä festgestellt und deutlicher kopiert als 1899. Vielleicht ist
Kjl. Gm. d. Wta. N»chTicht«n. Pkü..hu*. Kluae. )•!«. Haft 1. 7
9g £. Littmann,
auch der in derselben Inschrift vorkommende Name YHN* eher
Yöhanne zu lesen denn Yöhannä, wie ich damals annahm.
Die Formen auf -e waren die volkstümlicheren, da sie aus der
gesprochenen Sprache übernommen wurden. Die Formen auf -ös
sind im allgemeinen eher als literarisch zu bezeichnen. Als daher
das Grriechische in Syrien nicht mehr gesprochen wurde und auch
das Syrische aufhörte eine lebendige Volkssprache zu sein, wurden
die Namen auf -og wieder häufiger, aber natürlich nur in der
syrischen Literatursprache, die künstlich weiter gepflegt wurde.
In der Zeitschrift für Assyriologie, Bd. XXIX, S. 308, habe ich
darauf hingewiesen, daß in späterer Zeit selbst bei semitischen
Namen die griechischen Formen als feiner empfunden wurden.
Auch die syrischen Formen für „mein Herr'', „unser Herr"
sind aus der Anrede auf andere syntaktische Verbindungen in
ausgedehntem Maße übertragen. Das Wort *märe „Herr'' lautete
mit dem Suffix der 1. Pers. Sing. *märi „mein Herr"; dies wurde
zu märi und dann mit Abfall des auslautenden -i zu mär. Letz-
teres ist die gewöhnliche Form im Syrischen, aber in der christlich-
arabischen Literatur der Syrer und Kopten kommt gelegentlich
die Form märi vor; diese mag auf gelehrter Repristination be-
ruhen. Dies Mär ist die ganz allgemeine Bezeichnung für Heilige
und Kirchenfürsten geworden und entspricht einerseits dem abend-
ländischen „St." = Sanct, andererseits aber auch genau dem Mon-
signore. Neben einander kommt mär als Subjekt und als Anrede
z. B. in folgender Stelle vor ''ämar leh Mär Afrem la mär „sprach
zu ihm der heilige (monsignore) Ephraim: Nein, mein Herr"; vgl.
Brockelmann, Sjrrische Grammatik ^, Chrestomathie, S. 29, Z. 7.
Mit dem Suffix der 1. Pers. Plur. lautet dies Wort märan
„unser Herr". Dies ist im Syrischen die gewöhnliche Bezeichnung
für Jesus; man schreibt auch gern in einem Worte niäranyesiC
oder märanyesum^sihä „unser Herr Jesus Christus". Natürlich
hat hier das neutestamentliche 6 xvptog i^iäv 'Itjöovg Xpiörög ein-
gewirkt; aber dieses wiederum wird von semitischer Redeweise
beeinflußt sein. Über die Bedeutung und den Ursprung des Kyrios-
Titels für Jesus hat W. Bousset in seinem Werk „Kyrios Christos,
Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christen-
tums bis Irenaeus" (Göttingen 1913) ausführlich gehandelt. Er
weist nach, da£ der Titel 6 xvgiog erst in den paulinischen Briefen
zur Geltung kommt, daß 6 xvgiog iniav 'Irjaovg Xgtörög eine ste-
hende Formel ist und daß der Zusatz ^/iöv eben fast nur in dieser
Formel vorkommt. Über das Verhältnis von xvgiog zum aramäi-
schen märä, soweit es für Jesus in Betracht kommt, spricht Bousset
Anredeformen in erweiterter Bedeutung. 99
auf S. 99, femer in seiner zweiten Schrift „Jesus der Herr'' (Got-
tingen 1916), S. 13 ff. Auf diese Fragen kann hier nicht näher
eingegangen werden. Es genügt hier festzustellen, daß die Form
mit dem Zusatz „unser" wahrscheinlich auf semitische Vorbilder
zurückgeht und dort aus der Anredeform entstanden ist. Natür-
lich ist dann der Ausdruck auch in alle morgenländischen und
abendländischen Übersetzungen übergegangen ; man vgl. unser Herr,
2\otre Seigneur, our Lord u, a. m. Während nun bei Paulus 6 xvgiog
sowohl wie 6 xvQiog ij^äv Jesum bezeichnet, macht das Syrische
den Unterschied niäryä „der Herr" = Gott, und märan „unser
Herr" = Jesus. Derselbe Unterschied findet sich wohl in den
meisten Sprachen christlicher Völker. In diesem Unterschiede sind
wahrscheinlich Altes und Neues Testament eine Verbindung ein-
gegangen, und zwar ersteres in seiner griechischen Übersetzung,
in der 6 xvqlos für ^adönäi (s. oben S. 96) steht. Die Hinzusetzung
des Suffixes ist eben semitisch, die Weglassung ist hellenistisch-
griechisch; das haben Bousset und Dahnan nachgewiesen. So
würde märyä als Bezeichnung Gottes im Syrischen auf das Grie-
chische zurückgehen. Aber die ganze Frage verdiente noch eine
eingehendere Untersuchung.
Andererseits bezeichnet „unser Herr" im Orient seit alter
Zeit und bis auf den heutigen Tag vielfach den Landesfürsten.
So heißt es in der Lehre des Apostels Addai märan Tlherls qesar
„unser Herr Tiberius Caesar", vgl. Brockelmaoin, 1. c, S. 12, II,
Z. 2; märan qesar Tlherls, ib., S. 16, Z. 22. Ebenso heißt auch in
einer alten Chronik der König Abgar von Edessa „unser Herr
König"; vgl. märan Ahgar malM, ib., S. 21, Z. 11; S. 23, Z. 2—3;
und nur märan malkä, ib., S. 22, Z. 4. Gemeint ist Abgar IX., der
Große, der von 179 — 216 regierte. Diese Bezeichnung hängt natürlich
zusammen mit dem griechischen und lateinischen Titel der römischen
Kaiser 6 xvqlos riuäv und D"N (= dominus noster). Wahrschein-
lich hat der Übergang der Anredeform in die Normalform bei
dieser Bezeichnung im Orient stattgefunden, da dort Vokativ und
Nominativ der Form nach nicht verschieden waren. Dann wären
der griechische xmd der lateinische Titel aus dem Orient gekommen.
Entsprechend seinen beiden Bedeutungen kann märan auch
kurz nach einander einmal den Landesfürsten und einmal Christus
bedeuten ; gleich hinter der soeben angeführten Stelle aus Brockel-
mann's Chrestomathie, S. 16, Z. 22, heißt in Z. 23 märan „Christus".
Das Femininum ist niärta „Herrin", mit Suffix der 1. Pers.
Sing, märt (ursprünglich *märti). Diese Form wird auch außerhalb
der Anrede gebraucht, und zwar naturgemäß besonders für Maria.
100 E. Littmann,
Ein anderes syrisches Wort für „Herr" ist rahbä. Dies wird
eher mit dem Suffix der 1. Pers. Plur., als mit dem des Sing,
verbunden, und rabhan „unser Herr" bezeichnet den „Abt eines
Klosters" oder den „Patriarchen", kommt im Neuen Testament
aber auch für Christus vor; so z. B. Mark. 14,14, wo im Griechi-
schen 6 diödexakog steht.
In einem nur durch Inschriften überlieferten aramäischen Dia-
lekt, dem Nabatäischen, kommen die lateinisch - griechischen
Namen fast immer in der Nominativ-Form vor; nur einmal findet
sich ''LKSY = Alexios. Diese Namen sind in meinen Nabataean
Inscriptions, Leiden 1914, S. XVII, aufgezählt. Vielleicht deutet
dies darauf hin, daß im Nabatäischen solche Namen nicht recht
volkstümlich waren und auch nicht im lebendigen mündlichen Aus-
tausch übernommen wurden.
Auch bei den Nabatäern wurde der Landesfürst „unser Herr"
genannt. In Nab. Inscriptions, Nr. 28, Z. 2 ist MKN" der Naba-
täer- König Mälik II., der von 40 — 75 n. Chr. regierte; ebendort
in Nr. 101, Z. 1, in einer Inschrift, die aus dem Jahre 29/30
n. Chr. stammt, und zwar aus einem Orte, der damals nicht zum
Nabatä erreiche gehörte, ist MRN'' der Tetrarch Philippos. "Wahr-
scheinlich ist in der Inschrift Nr. 72 mit MKN der König der
Nabatäer gemeint. Die kurze Inschrift lautet: „Dies ist der 're-
servierte Platz unseres Herrn' Mälik". Über die Einzelerklärung
vergleiche man meinen Kommentar zu der Inschrift und Lidzbarski,.
Ephemeris, III, S. 293.
Andererseits wird der Vertreter des Landesfürsten, also der
Mann, mit dem die Untertanen zunächst in Berührung kommen^
„unser Herr" angeredet. So heißt heute, wie wir unten S. 103
sehen werden, der türkische Statthalter des Qigäz efendma. So
hießen aber auch schon im 5. Jahrh. v. Chr. die persischen Statt-
halter in Ägypten und in Jerusalem MKN; mit diesem Titel
werden sie in den Überschriften der Papyrusurkunden von Ele-
pbantine bezeichnet.
Im Anschluß an die nabatäischen Namensformen sei erwähnt,
daß die in Schürer's Verzeichnis der Personennamen in der Mischna
sich findenden griechischen und lateinischen Namen ausnahmslos
im Nominativ stehen und auf -ös oder -äs enden.
Ein Beispiel aus dem Neusyrischen von Ma'lölä teilte mir
Prof. Th. Nöldeke noch ganz vor Kurzem mit. In jenem Dialekt
liegt den Formen fiir Vater durchweg öh zugrunde; so heißt öbu
„sein, bezw. ihr Vater", öhu}^ „dein Vater" u. s. w. Dies lange ö
entspricht eben altsyrischem d, und altsyrisch sagt man ^{Ü)(i)
Anredeformen in erweiterter Bedeatong. 101
^mein Vater" ; diese Form, mit langem a, war ursprünglich Vokativ-
form, wurde dann aber zur Normalform, mit dem Suffix der 1. Pers.
Sing. Ebenso gehen im Syrischen auch die Formen (lh(ij „mein
Bruder**, häm(i) „mein Schwiegervater", bär(i) „mein Sohn" auf
die Anrede zurück.
Im Armenischen sind die Vokativformen der griechischen
Eigennamen bei weitem nicht so gebräuchlich wie bei den Syrern;
meist enden die übernommenen griechischen Eigennamen auf -o.«?. Zwar
führt Aucher in dem Eigennamenverzeichnis zu seinem Dictionnaire
Armenien - fran9ais eine Anzahl von griechischen Namen ohne En-
dung an, wie z. B. Alek'sandr (neben AhU sandros) für Alexander,
Prohl (neben Prokios) für Proclus; aber er hat auch viele moderne
nnd europäische Namensformen und kommt daher für uns hier
weniger in Betracht. Die alten Formen, aus dem 4. und 5. Jahr-
hundert, sind in Hübschmann' s Armenischer Grammatik S. 333 ff.
zusammengestellt. Daraus ergibt sich, daß die auf -tog endigenden
Namen gerade so wie im Syrischen häufig ihre Endung verlieren;
vgl. Basil = Baöiksiog, Levond = Asovxiog u. a. m. Einmal hinter-
läßt die Endung ein »', in Etdali = Evkahog, einmal ein e, in Me-
Ute = Mskexios; beide stammen aus der Moskauer Ausgabe des
Elisaeus. Bei Namen auf -og ist die Endung in alter Zeit immer
«rhalten; aus späterer Zeit führt Hübschmann noch an Kostandin
= KojvGxavTlvog^ K'ristap'or = XQiGtotpögog u. a. m. Von Namen
auf -as gibt er T'öma = Bcafiäg; aber hier könnte die semitische
Endung, ohne -s, vorliegen. Eine Vokativform auf e gibt er nicht,
man müßte denn Melite (für *Meletie) als eine solche ansehen.
Anders liegt die Sache im Georgischen. C. F. Andreas machte
mich darauf aufmerksam, daß in der georgischen Übersetzung des
Physiologus alle Eigennamen im Vokativ vorkommen; in Th, Kluge*s
Übersetzung (Wiener Zeitschr. f. d. Kunde d. Morgenl , XXVlIi,
S. 119 ff.) findet sich sehr häufig iv k'e = „Jesu Christe" im Nomi-
nativ, femer iowane (= Johannes), paicle (= Paulus), petre (= Pe-
trus) u. a. m. Th. Kluge nimmt an, der georgische Physiologus
sei nicht aus dem Armenischen, sondern aus dem Griechischen
übersetzt. Die Formen der Eigennamen scheinen dafür zu sprechen.
Aber Andreas verwies mich auf die Stelle, an der gesagt wird,
der Phönix komme "in die stadt areg" (Kluge, 1. c, S. 130), und
erkannte scharfsinnig, daß hiermit nur die armenische Übersetzung
von Heliopolis „Sonnenstadt" gemeint sein kann. Die Formen der
Eigennamen haben die Georgier jedoch von anderswoher bezogen;
ob von den Griechen oder von den Syrern, kann ich nicht fest-
stellen.
102 E. Littmann,
Im Koptischen sind die Vokativformen der Namen auf -os
und -log sehr gewöhnlich. Stern führt in seiner Koptischen Gram-
matik, S. 78, § 170 aus dem Sahidischen an George, Theodore, Ma-
Jcare, Maximine, Petröne, aus dem Boheirischen Makari. Das Bo-
heirische behält also bei Namen auf -log den i-Laut bei, während
er im Sahidischen dem e der Vokative von Namen auf -og ange-
glichen ward; das wurde natürlich durch die sahidische Endung
-e, die boheirischem -i entspricht, begünstigt. Die griechischen
Eigennamen im Koptischen bieten also ein neues Beispiel dafür,
wie lebhaft der mündliche Austausch zwischen Griechen und Ägyp-
tern gewesen ist. Aber die Formen auf -os kommen auch im
Koptischen vor, und zwar in höherer, literarischer Sprache. Die
Namen der Apostel Paulos und Petros stehen im Neuen Testament
durchaus in dieser Form; darauf wies mich K. Sethe hin.
Im Arabischen sind es wiederum die Worte für „Herr", die
mit dem Suffixe der 1. Pers. Sing, und der 1. Pers. Plur. ver-
bunden aus der Anrede auf andere Kasus übertragen und für
Gott, Heilige, Landesfürsten und Männer in hervorragender Stel-
lung gebraucht werden. Es handelt sich um die Worte salyid
(später sid), maulä, ralb und das griechisch - türkische effendi (aus
av^Evrrjg, neugriech. afpendl). Der Muslim spricht vom sidi (auch
abgekürzt zu s?), wörtlich „mein Herr", bei seinen Heiligen, wie
der Syrer vom mär; der christliche Araber vom saiyidna (sidna),
„unser Herr", d.i. Christus, und von der sittl, „meine Herrin", d. i.
Maria, wie der Syrer von märan und märt. In dem von Nöldeke
herausgegebenen und übersetzten hübschen Märchen vom Doctor
und Garkoch (Abh. d. Berl. Akad. 1891), S. 48, Z. 6 erscheint "der
Maghribi Mauläja Muhammed aus Fes" ; der ist natürlich wie alle
Maghrebiner ein großer Zauberer und hat daher Anspruch, ;,mein
Herr" angeredet und genannt zu werden. Dasselbe Wort mit dem
Suffix der 1. Pers. Plur., maulänä „unser Herr", bezeichnete zur
Zeit der Mamlukensultane den Landesfürsten; der Titel kommt
öfters in Inschriften vor, vgl. z. B. meine Semitic Inscriptions,
Arabic Inscriptions 26, 27, 31, 34 a u. a. m. Andererseits bezeichnet
aber dasselbe Wort auch den Gelehrten und den Derwischheiligen.
Bei den muhammedanischen Indern ist jeder Gelehrte ein Maulänä;
ja, man kann dort auch von „unserem Maulänä" sprechen. Und
der Derwischheilige Mewlänä Öeläl ed-Din Rümi ist allgemein
bekannt ; er wird sogar oft als Mewlänä schlechthin bezeichnet. —
Die neuarabische Bezeichnung der Großeltern als sid(i) und siit(l)
geht ebenfalls auf die Anrede zurück; dazu vgl. auch das amha-
rische ahiitöy unten S. 106 f.
Anredeformen in erweiterter Bedentong. 103
Unter den heutigen ägyptischen Arabern ist rabhtina, „unser
Herr" eine Bezeichnung für „Gott". Mit dem Suffix der 1. Pers.
Sing, ist rabbi im eigentlichen Arabisch wohl stets Anredeform
geblieben; aber in einigen afrikanischen Sprachen hat dies Wort
die Bedeutung -Gott" erhalten, wie unten auszuführen ist. Eben-
falls in Ägypten wird das Wort äfänd'mä „unser Herr"" allgemein
für den Chediven gebraucht ; in Spiro's Arabic-English Vocabulary
wird S. 14 afandyna durch „His Highness the Khedive" übersetzt.
In Mekka dagegen nennt man den türkischen Wäli (Statthalter)
efendinä; vgl. Snouck Hurgronje, Mekkanische Sprichwörter und
Redensarten, S. 71, Anm. 2; S. 72, Z. 1—2; S. 108, Anm. 4.
Recht bezeichnend ist im heutigen Ägypten auch der Unter-
schied zwischen den Formen ihtä (bezw. tistä, ustä) und ustäs.
Beide gehen auf das persische Wort ustää „magister, doctor" zu-
rück. Erstere ist die volkstümliche und bezeichnet hauptsächlich
den „Handwerksmeister" ; der „Kutscher^ wird auch so genannt,
aber gewöhnlich nur in der Anrede (yä-ustü oder yä-stä), während
man sonst von ihm als 'ar(a)bdgl spricht. Letztere, ustäz, ist
die literarische und bezeichnet den „Gelehrten "^ oder „Professor";
vielleicht ist sie sogar erst künstlich wieder ins Leben gerufen.
Im Arabischen wird beim Anruf der Ton weit zurückgezogen, und
das Ende des Wortes wird dann häufig verkürzt. Somit ist auch
üsta eine Anrufeform. Dann würden sich listä und ustds zu ein-
ander verhalten wie die <?-Formen der Eigennamen zu den os-For-
men im Syrischen, Koptischen und Äthiopischen.
In anderer Weise ist im Arabischen ein Anruf zu einem Eigen-
namen geworden, der dann für alle Kasus stehen kann. Das ist
der Name Babbah, ein Beiname des 'Abdallah ihn al-HäriJ); vgl.
Wüstenfeld, Register zu den genealogischen Tabellen der Arabi-
schen Stämme und Familien, S. 15, vorletzter Absatz, und Ibn
Doreid's genealogisch-etymologisches Handbuch, hrsgg. v. Wüsten-
feld, S, 44, Z. 7 ff. Der Name stammt aus der Kinderstube ; der
kleine Knabe wurde Babbah genannt, weil er viel nach seinem
„Babba" rief. Ein Kindervers, den Babbahs Mutter dem Kleinen
vorsang, ist bei Ibn Doreid überliefert. — Dieser Abschnitt könnte
noch durch viele Parallelen vermehrt werden, aus den semitischen
sowohl wie aus anderen Sprachen. Es genügt aber, auf Xöldeke's
Beiträge zur Semitischen Sprachwissenschaft, S. 90 ff., besonders
S. 93—94, zu verweisen ; ferner auf Kretschmer's Einleitung in die
Geschichte der griechischen Sprache, S. 334 ff., sowie auf die von
Nöldeke und Kretschmer in den Anmerkungen angeführte Literatur.
Daß alle LaUnamen auf Anrufe zurückgehen, will ich durchaus
204 E. Littmann,
nicht behaupten; in vielen Fällen können es natürlich auch Aus-
rufe sein. Allein es ist unmöglich, in der Kindersprache zwischen
Anruf und Ausruf reinlich zu scheiden. Ebenso ist es schwer fest-
zustellen, ob Eigennamen, die mit einem Suffix der 1. Pers. Sing,
gebildet sind, ursprünglich als Vokativformen oder als Nominativ-
formen gedacht sind. Solche Namen wie „mein Sohn", „mein Söhn-
chen", „meine Tochter", „mein Junge", „meine Rose" u. s. w. sind
von Nöldeke, 1. c, S. 91 in großer Zahl angeführt. Natürlich kann
der Vater beim Anblick des Neugeborenen sagen „das ist mein
Sohn", und hier kann der Name „mein Sohn" auf einen Aussage-
satz zurückgehen und von jeher im Nominativ gestanden haben.
Die allermeisten dieser Namen jedoch werden auf Anredeformen
zurückgehen. Andererseits ist es bezeichnend, wenn im heutigen
Ägypten die Europäer arabische Anredeformen nicht in ihrer eigent-
lichen Bedeutung erkennen und anders verwenden. Im Arabischen
heißt abüyä ,,mein Vater" und dhüyä ,,mein Bruder". Von Deut-
schen in Ägypten habe ich gehört: „Das Kind ruft immer nach
seinem abüyä*^ oder: „Wie der Kerl in Not ist, kommt sein ahuyä
und hilft ihm". Die Europäer haben gehört, wie die arabischen
Kinder immer abüyä rufen und wie Erwachsene einander mit a^üyä
anreden. Das ist eine genaue Parallele zur Übernahme der grie-
chischen Namen im Vokativ.
Über das arabische abüna als Bezeichnung der Greistlichen s.
unten S. 105.
Im Äthiopischen haben die griechischen Eigennamen im allge-
meinen immer die Endung -ös. Das war auch zu erwarten, da
eine lebendige Berührung zwischen Grriechen und Abessiniern nur
wenig stattgefunden hat, obgleich ein König von Aksum der grie-
chischen Sprache mächtig war und obgleich einige griechische In-
schriften auf altaksumitischem Boden gefunden sind ; vgl. die Adu-
litana und meine Ausgabe der anderen Inschriften in Bd. IV der
Deutschen Aksum -Expedition. Die meisten griechischen Namen
wurden eben schriftlich aus dem griechischen Alten und Neuen
Testament oder aus Apokryphen, Pseudepigraphen und theologi-
schen Werken herübergenommen. Das hindert freilich nicht, daß
bereits in alter Zeit solche griechische Namen aus der heiligen
Literatur auch in das Volksleben eindrangen; in der Tat finden
sich unter den Graffiti von Cohaito auch griechische Namen aus
alter Zeit, vgl. Aksum-Expedition, Bd. IV, Nr. 40 — 100. Dabei zeigt
sich hin und wieder auch der Unterschied zwischen geschriebener
und gesprochener Form ; so wurde der Name Koöfiag vielfach Koa-
mas gesprochen, und daher kommt im Griechischen wie im Syri-
Änredeformen in erweiterter Bedeatang. 105
sehen und Äthiopischen neben der Schreibung mit s auch die mit
s vor.
Nun bietet aber die äthiopische Literatur auch eine Anzaiil
von griechischen Namen in der Vokativform und zwar in merk-
würdig wechselnder Schreibweise. So Antönä und Andöm neben
Antonios; Bäula, Bülä, Pauli neben dem gewöhnlichen Paulos;
Tädrä neben Tiödörös; Qüsmä, Qasmä neben Qösmös {Ko6(ucg); Ki-
rynk neben Keryäkös (KvQiaxos) u. a. m. Diese Namen verdienten
einmal eine genauere Untersuchung; dabei wird sich wahrschein-
lich herausstellen, daß sie sämtlich auf koptisch - arabische und
allenfalls gelegentlich auf syrische Vorbilder zurückgehen.
Eine äthiopische Anredeform ist ahüna „unser Vater". Dies
ist die Bezeichnung für den Metropoliten der abessinischen Kirche
geworden. Man redet allgemein vom Ahüna oder, in verkürzter
Form Ahün. In Nordabessinien werden auch die Abte der Klöster
so genannt ; vgl. Guidi, Vocabolario Amarico-Italiano, Sp. 455. Frei-
lich nennen ebenfalls die koptischen Christen in arabischer Sprache
ihren Patriarchen ahünä, und gebrauchen diesen Titel auch ziemlich
allgemein für Geistliche, so daß Spiro in seinem ägyptisch - arabi-
schen Vocabulary das Wort abüna ohne Weiteres mit „Reverend"
übersetzt^). Man könnte daher annehmen, daß der abessinische
Sprachgebrauch von Ägypten her beeinflußt wäre, zumal in Hin-
sicht auf die engen kirchlichen Beziehungen zwischen beiden Län-
dern. Aber das ist nicht nötig. Solche Anreden entwickeln sich
selbständig an verschiedenen Orten. Neben abüna kommt abüya
„mein Vater" als Anrede an Geistliche und Heilige vor; so z. B.
häufig in dem oben S. 78 ff. von C. Bezold veröff'entlichten Lob-
gesang auf den heiligen Gabra Manfas Qeddüs. Und andererseits
ist abba ,.0 Vater", der Ehrentitel der Patriarchen, Bischöfe, Abte,
Gelehrten, Mönche und Einsiedler*), ein echt äthiopischer Vokativ.
Neben abbä kommt ferner auch die Form abbö vor, die noch die
nachgesetzte Vokativpartikel ö enthält. Und gerade dies Wort,
das man etwa durch ,, Väterchen" wiedergeben könnte, ist zum
volkstümlichen Beinamen des in Abessinien viel gefeierten Gabra
Manfas Qeddüs geworden; s. Bezold, oben S. 59. Sogar in neu-
gebildeten Eigennamen kommt diese Form vor; so hat, woraxif
auch Bezold hinweist, Guidi den amharischen Namen Yäbbö-bäryä
(d. i. „Kiiecht des Abbö") nachgewiesen.
1) Dort gibt er auch an abäna ellazy „the Lord's Prayer". Die Worte be-
deuten wörtlich „unser Vater, der" ; vgl. oben S. 95 «u „Vaterunser".
2) Vgl. Dillmann, Lexicon, col. 755.
106 E. Littmann,
Die Bezeichnung des Vaternnsers ist im Äthiopischen abüna
sa-la-samäyät „unser Vater, der [du bist] im Bimmel" ; dieser Aus-
druck wird wie Paternoster, Vaterunser u. s. w. als eine Art Sub-
stantiv gebraucht.
Aus dem Amharischen, der Sprache von Mittel- und Süd-
abessinien, läßt sich zunächst wieder die Anrede an den Landes-
fürsten hier anführen. Sie lautet allerdings ganz anders als in dem
Kulturkreise des Mittelmeers. Während wir oben eine Anzahl
verschiedener Ausdrücke für „unser Herr" hatten, haben wir im
Amharischen zänhöi oder gänhöi „o Elefant!". Es wird zunächst
in der Anrede an den Kaiser gebraucht, wie unser „Majestät",
dann aber auch in den anderen Kasus; vgl. u. a. Gruidi's Vocabo-
lario, Sp. 637. Neben dieser Form mit nachgesetzter Vokativ-
partikel scheint auch eine andere mit vorgesetztem ö existiert zu
haben, also ögän oder öMn, und hierauf geht wahrscheinlich der
im Westen Afrikas berühmte Ogane zurück; vgl. meine Aus-
führungen im Internationalen Archiv für Ethnographie, Bd. XXII,
1915, S. 263. Über die Etymologie dieses Namens ist man sich
nicht einig. Die Abessinier selbst wollen darin nur das Wort für
„Elefant" sehen; vgl. Mittwoch in Zeitschr. f. Assyriologie, XXV,
S. 281 ff. Ich halte dies für das Richtige. Nicht nur wird der
abessinische Kaiser offiziell als „Löwe" bezeichnet, sondern in ganz
Afrika gilt „Elefant" als Bezeichnung starker, bedeutender Men-
schen, Helden und Herrscher. So kommt das Wort oft in den
von mir veröffentlichten Tigre-Liedern vor ; in dem Dictionnaire de
la langue Tigrai' von Coulbeaux und Schreiber, Wien 1915, S. 21
wird als Bedeutung des Wortes harmäz angegeben „öl^phant ; au
fig. homme robuste, tres fort". Und ebenso wenig europäisch wie
die Bezeichnung des Kaisers als Elefant mutet es uns an, wenn
der Haussa-Sänger seine liebe Frau oder seine Geliebte als „Ele-
fant" bezeichnet. In den „Haussa-Sängem" von R. Prietze (Nach-
richten der Gott. Ges. d. Wiss., Sitzung vom 18. Dez. 1916) finden
wir I 14 folgenden Vers :
„Mich liebte niemand auf der Welt
Als Rämatu, der Elefant".
Rämatu ist die Lieblingsfrau des Sängers. Ebendort 1 169 heißt es
„Gruß dir, Tochter des Biri, Nichte des Meisters Magaii,
Elefant, Nichte des Maizägo".
Im Amharischen wie in anderen neuabessinischen Sprachen ist
das Wort abet (bezw. ab^töY) ein Anruf und Ausruf, der oft mit
1) Echt ainharisch wäre at^U zu sprechen.
Aoredeformen in erweiterter Bedeutung. 107
„Herr!" zn übersetzen ist. In Schoa wird er auch statt ganJiöi
gebraucht. Überall ist der Ausdruck auch in andere Kasus über-
gegangen und abetö oder die verkürzte Form atö wird namentlich
in Südabessinien für „Herr" im allgemeinen gebraucht; vgl. Guidi's
Vocabulario, Sp. 454 u. 457. Vielleicht ist dies atö auch in dem
Tigre- Namen "atö enthalten, da ja „Meister, Herr, Master, Lemaitre,
Lord" u. a. auch in Europa als Familiennamen vorkommen; vgl.
Publ. of the Princeton Exped. to Abyssinia, Vol. 11, S. 181, Nr. 771.
Die Etymologie von abet(ö) bietet Schwierigkeiten; auch die von
mir in Zeitschr. f. Assyr., XXV, S. '622t, vermutete Ableitung
ist doch recht unsicher. Hier kommt es aber nur darauf an, daß
das Wort aus der Anrede auch in die anderen Kasus übergegangen
ist. In einem altamharischen Kaiserlied, Guidi, Le Canzoni Geez-
Amarina, Rom, Rendiconti Acc. dei Lincei, 1889, Nr. VII, V. 2,
habe ich alstäöö übersetzt „sein Ahne"; vgl. Die altamharischen
Kaiserlieder, Straßburg 1914, S. 24. Hier scheint ahet(ö) ,,Herr"
von dem Großvater gebraucht zu sein, genau wie in neuarabischen
Dialekten std „Herr", sitt „Herrin" für „Großvater" und „Groß-
mutter"; dazu vgl. auch Snouck-Hurgronje, Mekkanische Sprich-
wörter, S. 81, Anm. 2.
Im Tigre sowie in den nördlichen Dialekten des Tigrina
heißt ,,Gott" rähhl, arabisch wörtlich „mein Herr" ; das einheimi-
sche Wort für „Gott" ist dort fast ganz unbekannt. Da die Suffix-
bedeutung des -~i im Tigre ganz verloren gegangen ist, kann man
z. B. auch sagen räbbihii ,,sein Gott", u. a. ; das wäre im Arabischen
undenkbar. Dieser arabische Anruf scheint weit in Afrika ver-
breitet zu sein. Montandon, Au Pays Ghimirra, S. 339, sagt von
einem Erntefest der heidnischen Galla: „La fete se nomme en
galla Yarabbi, mot qui n'a pas de signification en amharique".
Wenn kein Mißverständnis seitens des Verfassers vorliegt, so wird
das Fest nach dem Anrufe an Gott (yä rdbhi „o mein Herr") be-
nannt. Aus Zentral - Afrika möge noch das Haussa angeführt
werden. In R. Prietze's oben S. 106 erwähnten Haussa - Sängern
kommt 128 räbbi und 130 rabba-na als Bezeichnung Gottes vor.
Man könnte zunächst schwanken, ob rabbi wirklich das Suffix der
1. Pers. Sing, enthalte, da arabische Worte mehrfach mit der En-
dung u(o), t oder a ins Haussa übernommen werden. Aber jene
arabischen Worte haben meist den Artikel , und so glaube ich aus
dem Fehlen des Artikels sowie aus der Analogie des Tigre u. a.
schließen zu müssen, daß hier rabbi wirklich „mein Herr" bedeutet
und Anredeform ist. Bei rabba-na haben wir die Wahl zwischen
dem Haussa-Suffix -na „mein" und dem arabischen Suffix -na „unser".
108 £• Littmann,
Somit könnte rabba-na im Haussa gleichbedeutend mit rähbi sein
oder dem oben erwähnten ägyptisch-arabischen rabbüna entsprechen.
Das arabische Suffix -na kommt hie und da im Haassa vor.
Im Ncupersischen werden die Formen amu „Onkel väterlicher-
seits" und ]iälu „Onkel mütterlicherseits" nach Andreas für alle
Kasus gebraucht. Beide sind aller Wahrscheinlichkeit nach hypo-
koristische Anredeformen; ersteres würde im Syrisch- Arabischen
"ammö lauten. Die hypokoristische Endung -o ist im Kurdischen,
Neusyrischen, Syrisch-Arabischen sehr verbreitet; woher sie ur-
sprünglich stammt, bleibe dahingestellt.
Die beiden genannten Wörter sind, wie mir Herr A, Siddiqi
mitteilte, auch nach Indien gedrungen. Im Hindustani wird amu
n u r in der Anrede gebraucht ; in den anderen Kasus wendet man
ein einheimisches Wort an. Man hat aber von dieser Form ein
Beziehungsadjektiv gebildet, das man gern in Adressen anwendet,
wo die Titel gehäuft werden, so z. B. genäb-i ämvi. Anders steht
es mit dem Onkel mütterlicherseits; hier hat man beide Formen,
mit und ohne u, und man unterscheidet fiäl ^,Bruder der Mutter",
}iälu „Mann der Schwester der Mutter".
Aus dem Türkischen sind wiederum eine Anzahl von Wörtern,
die „Meister, Herr, Herrscher" bedeuten, in der erweiterten An-
redeform belegt. So weist z. B. von Le Coq in seinen Sprichwörtern
und Liedern aus Turfan (Baeßler- Archiv 1910) mehrfach auf solche
Erscheinungen hin. Er sagt S. 1, Anm. 3, daß in Turfan xögam
(d. i. „mein Herr") in gewöhnlichem Sprachgebrauche immer für
Xöga (d. i. „Herr") stehe. Ahnlich wird äpändim (= osmanisch
efendim „mein Herr") dort auf S. 69 ff. mehrfach gebraucht. Und
S. 17 in Nr. 68 sagt von Le Coq: „Man spricht vom Fürsten als
"bägim (d. i. „mein Bey"), yögatn, x^am^ nicht nur in der Anrede".
Endlich vergleiche man noch aus von Le Coq's Werk räbbhn AUä,
S. 63, Z. 2 V. u. und S. 65, V. 29, als Parallele zu dem oben S. 107
genannten räbbi.
Diese Formen sind ein deutlicher Hinweis darauf, daß auch
die Wörter beyum und Jianiim (jetzt meist hanym) das Suffix der
1. Person enthalten und ursprünglich Anredeformen sind. Das
Wort begiim bedeutet in Zentral-Asien und in Indien, wohin es
durch die Mongolen gelangt ist, „Prinzessin", in Persien etwa
„Dame''. Die (Grundbedeutung wird sein „mein Herr" oder „meine
Herrin". Freilich wird beg (bey) im Osmanisch-Türkischen nur als
Masculiniim gebraucht, aber bei dem Mangel des grammatischen
Geschlechts im Türkischen kommen manche Vertauschungen vor.
So wird ja gerade auch das Wort suJßn als Titel der türkischen
Anredefonnen in erweiterter Bedeutung. 109
Prinzessinnen gebraucht, allerdings wohl immer mit vorhergehen-
dem Eigennamen. Andererseits werden auch Frauen mit efendim
angeredet; vgl. z. B. H. Paulus, Hadschi Vesvese, Erlangen 1905,
S. 28, letzte Zeile. Wenn dieser Gebrauch von efendim auch eine
gewisse Ähnlichkeit hat mit der französischen Anrede nwn cheri an
weibliche Personen ^), so liegt die Sache im Türkischen, eben wegen
des Mangels des grammatischen Geschlechts, doch wesentlich anders.
So wird in Hadschi Vesvese, S. 38, letzte Zeile z. B. eine Araberin
hadschi, d. i. „Pilger**, tituliert. Wie mit beginn so steht die Sache
auch mit iMtium. Heute wird in der Türkei jede anständig ge-
kleidete Frau hanym genannt. Bianchi-Kieffer sagen jedoch in ihrem
Lexikon I, S. 737f. : ^khänum. Madame, titre que Ton donne aux
saltanes et aux öpouses du grand vizir, et, par extension, aux
femmes des personnes de distinction". Ich glaube, daß hannm in
Jä«-Mw zu zerlegen ist und daß wir hier dasselbe Wort wie J^n
„Herrscher, Fürst" u. s. w. haben. Dies Wort mag ursprünglich
mongolisch sein (vgl. Schmidt, Mongolisch-deutsch-russisches Wörter-
buch, S. 126, c), und auch heg mag dorther stammen. Auf die
Etymologie der beiden Stammwörter kommt es hier nicht an, son-
dern darauf, daß beide mit dem Suffix der ersten Person ver-
bunden sind. Vullers gibt in seinem persischen Lexikon die Worte
^näm, begäm, begä für „regis nxor, domina, matrona". Man könnte
sogar versucht sein begäm als eine Verkürzung von begä-äm und
b?gä als Femininum von beg anzusehen. Aber das ist unmöglich.
Ebenso sei hier gleich die Möglichkeit ausgeschaltet, daß hanäm
etwa ursprünglich „mein Haus" bedeuten könnte. Zwar nennt der
Orientale seine Frau oft „sein Haus" oder „seine Familie" ; vgl.
z. ß. türkisch ehlim, neuarabisch el-'äyla. Aber hän ist hier eben
kein persisches Wort, sondern gehört dem Türkisch-Mongolischen
an. Wenn die Worte hänäm und begäm bei Vullers richtig vokali-
siert sind, so können sie nur persische Nachbildungen von hanum
und beginn sein. Nach Andreas spricht man freilich heute auch in
Persien nur ]w,num und begutn; die Form bSgä ist ihm ganz un-
bekannt. Andererseits aber sind im Hindustani, wie mir A. Siddiqi
mitteilt, die Formen hänam und begam gebräuchlich. Diese sind
wahrscheinlich durch das persische Suffix -am beeinflußt; dazu
kommt hinzu, daß man in Lidien eine besondere Vorliebe für den
a-Vokal hat und ihn gern in zweifelhaften Fällen einsetzt.
Eine schöne Bestätigung meiner Aufi'assung der Form hänwn
wurde mir von Andreas freundlichst mitgeteilt. Er verwies mich
1) Vgl. Tobler in Site.-Ber. d. Berl. Akad., 1908, S. 1026 ff.
110 E. Littmann,
zunächst auf R. B. Shaw, A Sketch of the Turki Language as
spoken in Eastem Turkistan, S. 107, wo über das Wort fiän ge-
sagt wird „king, prince; also used in Käshgar as an ending for
the names of women (not of men as in India) as : Ai" Khan „moon-
princess", Mairam Khan „lady Mary". Und femer stellte er mir
folgende Bemerkungen, die er sich selbst nach Angaben von Ave-
taranian über das Osttürkische gemacht hatte, zur Verfügung:
„Xänim, Anrede an die Frau eines vornehmen Mannes (nur als
Anrede gebraucht). — Beglm wird in KaSgar nicht als Appellati vum
gebraucht, sondern nur als Frauenname. — äyäca ehrerbietige Be-
zeichnung der Frau eines anderen, wenn man zu ihm von ihr
spricht, etwa ""Frau Gremahlin'". Grerade auch der weibliche Ge-
brauch von a'yä{cä), das im Osmanisch-Türkischen und im Tatari-
schen, soweit mir bekannt ist, nur männlich gebraucht wird, be-
weist, daß alle diese Titel sowohl männliche wie weibliche Per-
sonen bezeichnen können, daß also auch Jiänum und bsgum auf ^än
und heg zurückzuführen sind.
Die alte orientalische Bezeichnung des Landesfürsten als
^unser Herr", die uns schon in verschiedenen Sprachen begegnet
ist, kehrt auch im Osmanisch-Türkischen wieder. Der offizielle
Titel des Sultans , sowohl in der Anrede wie aueli sonst , ist
efendimiz. Statt dessen wird aber auch vielfach pädüähymyz „unser
Kaiser" gesagt. Diese Form ist natürlich ebenso zu beurteilen. —
Sodann sei noch ermähnt, daß die türkische Ehefrau von ihrem
Mann mit demselben Worte spricht, mit dem sie ihn anredet,
nämlich efendim „mein Herr"; vgl. Hadschi Vesvese 36, Z. 1. 13; 38,
Z.H.
Diese Sammlung könnte noch sehr vermehrt werden ; doch das
Gebotene mag hier genügen. Fast durchgängig handelt es sich
um Eigennamen oder um Worte wie „Herr, Meister" u. ä., die
ihren Grebrauch von der Anredeform aus verallgemeinert haben.
Nahe verwandt mit dem Vokativ der Substantiva ist der Imperativ
der Verba. Auf die erweiterte Bedeutung des Imperativs sei hier
nur kurz hingewiesen. In germanischen sowohl wie romanischen
Eigennamen und besonders in Beinamen werden häufig Imperative
mit Substantiven zu einer Einheit verbunden. Dasselbe ist, wie
R. Prietze berichtet, im Haussa der Fall. Im Koptischen werden
bekanntlich die griechischen Verba stets im Imperativ gebraucht;
das deutet natürlich wieder auf lebendige Herübernahme, da die
Kopten von den Griechen den Imperativ am meisten gehört haben
werden. Zwei bezeichnende Parallelen aus dem Neupersischen, die
ich, wie so vieles andere, C. F. Andreas verdanke, seien hier an-
Anredefonnen in erweiterter Bedeutung. 111
geführt. Man sagt in der Umgangssprache bidih däräd „er hat
Schulden" und veles hin „laß ihn los!". Ersteres bedeutet wört-
lich „er hat: gieb!", d.h. er muß das Wort „gieb" oft hören.
Letzteres heißt wörtlich „mache sein 'laß-los'!*; denn vel steht für
hiJiil. In beiden Fällen ist ein Imperativ zum Substantiv geworden.
Noch anderer Art ist der Ausdruck Jiätricin, den ich in Syrien
für „Bestechung" mehrfach hörte. "Wenn man dem Beamten oder
irgend einem hochgestellten Herrn eine Gabe bringt, die sein Wohl-
wollen herbeiführen soll, so sagt man auf Türkisch ^ätyr icün „um
der Gesundheit (des Wohlbefindens) willen!" Daraus haben die
Araber mit etwas veränderter Aussprache des türkischen Wortes
icün „wegen" das Substantiv Jyitricm gebildet! — Im Türkischen
selbst ist aus einem Ausruf ein neues Substantivum entstanden;
aus }y)s imdi „gut, warte nur ab!" ist Äo^j4n<7u geworden, und dies
wird als Substantiv für „Rache, Racheplan" gebraucht; vgl. Jacob,
Türk. Bibliothek I, S. 111 ; Paulus, Hadschi Vesvese, S. 18, Anm. 3.
Die Frage nach der Erweiterung des Imperativs und des Aus-
rufs sowie die Sammlung von weiterem Material zu den Anrede-
formen sei der Mitarbeit der Fachgenossen empfohlen!
Spuren der Perserherrschaft
in der späteren ägyptischen Sprache.
Von
Kurt Sethe.
Vorgelegt in der Sitzung vom 29. Januar 1916.
Die Herrschaft der Perser über Ägypten, die von 525 bis
404 V. Chr. gedauert hat und dann nach etwa 60 jähriger Unter-
brechung noch einmal für ein kurzes Jahrzehnt (343 — 332) erneuert
wurde, bis ihr Alexander der Große für immer ein Ende bereitete,
hat in der langen Geschichte des ägyptischen Volkes nur eine
kurze Episode gebildet, die für das Empfinden der Ägypter in
ihrer Gesamtheit niemals den Charakter der vorübergehenden
lästigen Fremdherrschaft verloren hat.
Es kann daher nicht verwundern, daß diese Episode in der
Sprache des Landes so wenig Spuren hinterlassen hat. Was als
solche angesehen werden kann, ist bezeichnenderweise aramäischen
Ursprungs resp. durch das Aramäische vermittelt und bildet so
ein neues Zeugnis für die altbekannte, durch die Papyrusfunde
von der Insel Elephantine so glänzend bestätigte Tatsache, daß
das Aramäische die offizielle Staatssprache des persischen Reiches,
zum mindesten in den westlichen Provinzen, gewesen ist.
Sieht man von Pflanzennamen und ähnlichen Bezeichnungen
ab, die jederzeit und überallhin mit dem von ihnen bezeichneten
Dinge wandern können^), so beherbergt die ägyptische Sprache
1) Z. B. ofp-r „Rose", ilgm (demotisch), „Raps", s. Sethe-Partsch,
Demot Bürgschaftsurkunden Nr. 9.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 113
der griechisch-römischen Zeit (in christlicher Zeit koptisch ge-
nannt), soviel wir sehen können, nur ein Wort, das persischer Ab-
kunft sein und zugleich als Zeuge der persischen Herrschaft über
Ägypten angesehen werden könnte: p-rofe sahid. : ep-rofe bohair.,
mit zahlreichen Varianten, die teils dialektische Nebenformen,
teils unortbographische Schreibungen darstellen *), die Bezeichnung
für das Kommaß der Ägypter, den ägyptischen Scheffel, die- noch
heute in Ägypten in der arabischen Form *irdabbun v^^', heute
gesprochen ardeh^ (Pluralis arädib), fortlebt und der in den grie-
chisch-ägyptischen Urkunden, von den Zeiten der Ptolemäer an,
das von Herodot 1 192 u. a. als persisches Maß bezeugte aQtäßrj
entspricht.
Dieses Wort agtußr] wird deshalb seit Lagarde allgemein
für ein persisches Wort angesehen, wozu sein Klang ja auch gut
stimmen würde; gleichwohl ist dieser Schloß keineswegs sicher.
Ein persisches Maß könnte sehr wohl einen aramäischen Namen
gehabt haben.
Aus dem Persischen soll, so nimmt man an, das Wort in das
Aramäische als 'arrfaft'), status emphaticus ^ardebä oder ^ardäbä
(Pluralis ^ardebin, also mask.)*), sowie in das Spät- Akkadische (wie
man das Assyrisch-Babylonische neuerdings nennt) als ardabi über-
gegangen sein*^). Im Armenischen findet es sich als afdov^. Auch
im syrischen Arabisch ist es als ardib oder ardeb heute noch
ebenso zu Hause wie im ägyptischen Arabisch.
Es fragt sich nun, wann und wie das Wort in das Ägyptische
1) Z. B. "pTd^fii (achmimisch beeinflußt), &.pTo& (griechisch beeinfluBt),
cp-xon (bohairiscb) usw. Zahlreiche Belege bei Crum, Coptic Ostraca, Index.
— Zu der Schreibung ep-xon (Zoega 131 neben ep-xofe belegt) vgl. oTfOn „rein
werden" für *w'öh, cain „Rebell" für söb (aus *söb{et)), g^in ^Ibis" für Mb (aus
*hibeK) usw., s. mein Verbum I § 210, 2.
2) Spiro, Arabic-English Vocabulary gibt ardabb an.
3) So 3'TnS im jüdischen Aramäisch nach Mitteilung von Zimmern.
4) Diese Formen verzeichnet, wie mir Littmann mitteilt, Payne-Smith.
Der Singularis STlS und der Pluralis pns kommen auch in den von Sa c hau
herausgegebenen aramäischen Papyri von Elephantine mehrfach vor. Zu der Form
'art*bä mit t statt d s. u.
5) Zimmern, Akkadische Fremdwörter als Beweis für babylonischen Kultur-
einfluß (Leipzig 1915), S. 22. — Das Wort ardabi kommt, wie mir Zimmern
brieflich mitteilt, mehrfach bei Straßmaier, Inschriften des Cambyses Nr. 316
(vgl. Jensen, Ztschr. f. Assyr. 13, 335flF. Meißner, Supplement zu den assyr.
Wörterbüchern S. 16) vor. Statt ardabi könne auch artabi gelesen werden.
6) Lagarde, Ges. Abhandl. 17.
Kgl. Gm. d. Wi<% Nacbriditen. PUl.-Uft. KImm. 1»1«. Haft I. 8
114 Kurt Sethe,
gekommen ist, wenn es nicht etwa wider Vermuten ägyptischen
Ursprungs gewesen ist und sich von Ägypten ausgehend in um-
gekehrtem Laufe die Welt erobert hat, als es angenommen wird.
In der Ptolemäerzeit ist es in den demotischen Texten nur in-
direkt und nicht völlig unzweifelhaft bezeugt. Der Umstand, daß
das mit dem Ideogramm des Kornmaßes ^ geschriebene Wort für
„Scheffel", dem in den zugehörigen oder gleichzeitigen griechischen
Urkunden der Ausdruck ij aQvdßrj (Femininum!) entspricht^), stets
als Maskulinum behandelt erscheint, wie das kopt. pvofc und die
semitischen Formen, während das altägyptische Äquivalent dafür
hJci.t ein Femininum war, laßt die von den Ägyptologen allgemein
angenommene Lesung rdh oder irdh (s, u.) sehr wahrscheinlich er-
scheinen. Die im Demotischen so häufige Verbindung pi "f n sw^
„die Artabe Weizen" ^), die in dem griech Texte der Inschrift von
Rosette einfach durch r^g ccgrdßrjg wieder^jegeben ist^) und in den
demotischen Urkunden oft zu pi sw „der Weizen" abgekürzt wird,
zeigt in der Tat die vollkommenste Übereinstimmung mit dem
irepToA Tt-cofo (z. B. Zoega 131), das ebenso regelmäßig als feste
Verbindung in den koptischen Texten auftritt.
Die Verschiedenheit des (Tcschlechtes, die zwischen dem äg.
rdb (pxo£i) und dem griech. äQvdßr] besteht, macht es wahrschein-
lich, daß beide Bezeichnungen unabhängig voneinander waren, daß
beide aus einem Stamme entsprossene Verwandte waren, nicht
eine die Tochter der anderen. Daiür spricht auch das, daß sonst
im allgemeinen die ägyptischen und griechischen Bezeichnungen
für ein und dasselbe in Ägypten gebrauchte Maß nicht identisch
zu sein pflegen, sondern daß in der Regel die Ägypter eine ägyp-
tische, die Griechen eine griechische Bezeichnung dafür anwenden,
z.B. äg. mh («*.£e) ::= griech. nrixvq „Elle", äg. sti...lh (ce^-oi^c)
= griech. uQovga „Morgen", äg. jtr (*cioop) = griech. öxoivog
„Meile", äg. TpdJ d Kupfer-Kne) = griech. ößolög „Kupferobole",
äg. kd.t 2.t (2 Silber-Riif) = griech. atarrlQ „4 Silberdrachmen"*),
äg. krkr («'in<*'uipj*) = griech. Ta>lavrov „Talent" usw.
1) Z. B. in. der unten zitierten Stelle der Inschrift von Rosette.
2) Die Festigkeit der Verbindung zeigt sich z. B. darin, daß man für „die
6 Artaben Weizen" nie pi rdb 5 n sw, sondern stets pl rdb n sw 5 sagt.
3) Demot. 17 = griech. 3Ü (Urk. il 184).
4) Z. B. in der Formel, die den Kurs des Kupfergeldes angibt: ftm< kd4 24
r kd.t 2.t „24 Kupfer-Kite auf 2 Silber-Kite" = Xr]t^6(t,t&a dßoXovs xd' slg zbv
azat^Qa. Bei der Umrechnung ägyptischer Silherlinge (hd „Silber" = 20
Drachmen = 1 dapetxöff) in Statere {avatriQ = V^ SagsiiiSe) wird dagegen stets
daa Wort sür (fem.!) gebraucht, das auch im Kopt. als ce^Teepe erhalten ist
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 115
Es wird also voraussichtlich die ägtdßrj, deren griech. Form
uns ja in der Tat schon bei Herodot begegnet, als griechische
Maßbezeichnung mit der bereits vorliegenden ägyptischen Bezeich-
nung erdöh auf dem Boden Ägyptens bei der makedonischen Be-
setzung des Landes zusammengetroffen sein*). Daß das Neben-
einanderbestehen beider Bezeichnungen in der Ausdehnung des
persischen Reiches, das einerseits die griechischen Teile Klein-
asiens, andererseits das Niltal einbegriff, seine Ursache gehabt
haben wird, wird niemand in Zweifel ziehen. Dann ist aber zu
erwarten, daß das Aramäische die Vermittlerrolle bei dem Über-
gang des Wortes in das Ägyptische gespielt habe, und wir wer-
den nach etwaigen Anzeichen dafür Ausschau zu halten haben.
Das ägj'ptische Wort zeigt die Vokalisation eines echtägyp-
tischen endungslosen maskulinen Nomens, sei es nun eines drei-
Es ist schwerlich aus dem Griechischen direkt entlelmt, sondern gewiß erst durch
Vermittlung einer andern Sprache. Als Si^rO findet es sich, wie mir Littmann
zeigte, auf dem aramäischen Gewicht in Löwengestalt aus Abydos (de Vogü6,
Melanges d'arch^ologie Orientale 183), als "'imO häufig in den aramäischen Pa-
pyri von Elephantine (E<1. Meyer, Sitz.-Ber. Berl. Akad., Phil.-hist. Kl. 1911,
1034). Die kopt. Form sieht aus, als ob sie aus *staterje{t) entstanden wäre.
5) Das semit. 1S3, vermutlich gleichfalls ein in der Perserzeit in das Ägyp-
tische übergegangener Ausdruck. Die demotische Schreibung krkr wird eine ety-
mologisierende Wiedergabe von kikkör sein, wie die spätere hieroglyphische
Schreibung smsm für das alte ssm „Pferd" (eig. Pferdegespann, STOIO, gesprochen
etwa *süsem). Da das Äg. von Haus aus Wörter mit identischem ersten und
zweiten Konsonanten nicht kennt und derartige äg. Wörter, wo sie später vor-
liegen, meist aus Reduplikationen durch Ausfall oder Veränderung eines Konso-
nanten hervorgegangen sind (z. B. s.va's. »Kopf« aus *döidei, RoyKTx „Tjrmpanum'*
aus kemkem, wie das Wort im Bohair. noch heißt), glaubte man es auch bei *ktkkör
und *süsem mit solchen verunstalteten Reduplikationen zu tun zu haben. Die kopt.
Form (^ina'oip sabid. (im Bohairischen zu '&in(3'inp geworden) beruht ihrerseits
dann wieder auf Dissimilation von *kikkör (wie syr. ganbär, aus gabbär, hebr. "1133),
wobei eine falsche Etymologie (vgl. die von Infinitiven gebildete Nomina actionis,
wie z. B. sahid. -r-cs'in-canli. „das Hören" = bohair. n-xm-caiTCju) entweder
mit im Spiele oder aber die Folge gewesen zu sein scheint. Aus ihr würde sich
auch der lange Vokal ö statt des zu erwartenden o erklären; er ist den mask.
Infinitiven eigen. Rätselhaft ist, daß diese Form mit Dissimilation schon in
den aramäischen Elephantine-Papj-ri aus dem Ende des 5. Jahrhunderts vor Chr.
bezeugt ist ("{"«ISSD „Talente" in dem Schreiben an Bagoas, Z. 28), also älter als
die demotischen Schreibungen mit krkr, die wiederum zeitlich zwischen diesem
knkr und dem ihm genau entsprechenden kopt ö'ma'inp stehen.
1) Im Syrischen kommt, wie mir Litt mann sagt, neben der oben ange-
führten mask. Form 'ard*bä auch eine fem. Form 'art'bä (Plur. 'art*bas) mit t
vor, die nach L. auf das griech. igtcißri ztirückgehen dürfte.
8*
116 Kurt Sethe,
konsonantigen Stammes rdh mit dem vor der anlautenden Doppel-
konsonanz erforderlichen Vorschlagsvokal mit Aleph prostheticnm
(wie das kopt. ncgo-r : enogo-x „hart werden" vom Stamme 'n'^t\ sei
es eines vierkonsonantigen Stammes irdh mit dem ersten Radikale
Aleph (wie das kopt. q-roo-v „vier" vom Stamme ifd, mit der
Pluralendung w). In der letzteren Form liegt das Wort in der
Tat in den semitischen Sprachen vor.
Im Koptischen haben alle echtägj^tischen Wörter nur noch
einen vollen Vokal in der letzten oder vorletzten Silbe, auf der
der Ton ruht. In den Nebensilben ist der ursprünglich vorhandene
Vokal stets zu einem Hülfsvokal e (vor gewissen Konsonanten zu
ä geworden) verflüchtigt. Dasselbe ist nun auch bei unserem Worte
■p'xotrep'rot der Fall, dessen erste unbetonte Silbe statt des ur-
sprünglichen a (griech. ccQtäßrjj aram. ""ardebä, assyr. ardabi) eben
diesen Hülfsvokal e, in üblicher Weise im sahidischen Dialekt
durch den Strich über dem p, im bohairischen durch e bezeichnet,^
zeigt. Dem Worte wird vielleicht auch deshalb ein gewisses Alter in
der ägyptischen Sprache zuzuerkennen sein. Denn nicht alle Lehn-
wörter, die das Koptische in ägyptisierter Form enthält^), haben
diese Verflüchtigung des a in den Vortonsilben erfahren, vgL
^«.^«.gT „Kessel" (nn^p), ö'd.juoyA : •xe.As.oT A „Kamel" (hebr. btta),
ciwcepe : c»>-»epi „Denar" fem. (griech. örarr^p)^), bereits im Demo-
tischen der Ptolemäerzeit als Lehnwort vorkommend (s. ob. S. 114),
«-«.AiA : -xö^AA „Rad" (hebr. b-^ba).
Andere, die sie gleich unserem Worte erfahren haben, werden
eben vermutlich einer älteren Schicht angehört haben, z. B. gfimp
„Genosse" (hebr. nnn), ö^iA „ßrandopfer" (hebr. b-'bs), xxe<^To7s.:
xxi'2srro'\ „Burg" (hebr. b'^Oiti, entstanden aus mägdäl), noch im ägyp-
tischen Griechisch iiuydaXov^), nvQyo^dydoaXov.
Daß diese Reduktion des unbetonten ä zu « z. T. aber auch
noch verhältnismäßig recht spät bei Lehnwörtern eingetreten ist,,
scheint das unten zu besprechende oTfecienm zu lehren, das gleich-
falls in der Perserzeit nach Ägypten gekommen sein muß.
Als Vokal zeigt p"xofli einen o-Laut, wo die griech. Form
icQxdßri wie die semitischen Formen übereinstimmend einen a-Laut
1) Von den Fremdwörtern, die ihre fremdsprachliche Form im wesentlichen
behalten haben, wie z. B. ^r&.A&.inuipoc, «^pi^juoc, &n«^rimuiCKe usw., ist
natürlich nicht die Rede.
2) Rätselhaft sind das weibliche Geschlecht und die weibliche Form des
Wortes, sowie der kurze, im Sahid. gebrochene e-Vokal.
3) Preisigke, Fachwörter des öffentlichen Verwaltungsdienstes Ägypten»
S. 120.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 117
zeigen *). Dieser Übergang von a zu o (resp. ö nach m und n) scheint
eine Eigentümlichkeit des Ägyptischen zu sein, die wir nicht nur
bei zahlreichen Lehnwörtern (vgl. die oben angeführten ö'mtf'aip,
^iKxxoy\ xx\<^'ro\ und unten g^^op, jua.-voi) *), sondern auch bei
solchen Wörtern finden, die dem Ägyptischen mit den semitischen
Sprachen als urverwandtes Sprachgut gemeinsam waren (z. B.
«gjuoTn „acht" = arab. tamänin, der Infinitiv cta-vli. = arab.
falun).
"Was den Konsonantismus anlangt, so verdient der <-Laut nä-
here Beachtung. Im bohairischen (d. h. unterägyptischen) Dialekte
pflegt nämlich jedes t, das auf ein altägyptisches o t (semitisch
n) zurückgeht, vor dem Vokal der Tonsilbe aspiriert zu werden,
dagegen unterbleibt in der gleichen Stellung die Aspiration, wenn
das T aus einem alten «-"-^ d (semitisch l) hervorgegangen ist. In
dieser Verschiedenheit hat sich allein noch eine Spur des alten
Unterschiedes zwischen i und d erhalten. Im übrigen scheinen t
und d seit dem mittleren Reich zusammengefallen zu sein, indem
die stimmhaften Laute d, g, z nunmehr stimmlos wie /, k, s ge-
sprochen werden'). Das d nichtägyptischer Worte wird daher von
dem Agj'pter im allgemeinen je nachdem durch t oder d wieder-
gegeben. In der Perserzeit und in christlicher Zeit wird dann
auch vorübergehend der Versuch einer genaueren Bezeichnung des
d gemacht. In Fremdwörtern (z. B. Dareios) und da, wo im Ag.
aus besonderen Umständen das -r die Aussprache d angenommen
hatte (achm. nofn-ye = nude für altes nute) deutet man das d
durch die Konsonantenfolge nt oder nd (kopt. ht, n-^) an wie im
Neugriechischen*), während man im Kopt. in griechischen Lehn-
wörtern und über das Griechische aufgenommenen Namen (wie
•^e^yei-Ä.) einfach das -2^ beibehielt.
Das oben erwähnte Aspirationsgesetz zeigt nun aber, daß die
Angleichung des d an das t in den alten äg. Wörtern trotzdem
keine ganz vollständige gewesen ist, sondern daß sich ein gewisser
Unterschied zwischen beiden Lauten noch immer in der Aussprache
bemerkbar machte, gerade wie das bei den A-Lauten der Fall ge-
1) Die armenische Form ardov zeigt dagegen ein o.
2) Dieser spezifisch ägyptische Übergang zeigt sich bemerkenswerter Weise
-»ach in der masoretischen Punktation des Wortes migdal „Burg", die es da er-
hält, wo es als Name der ägyptischen Grenzfestung gegen Palästina (neuäg. MgcU)
erscheint : ^lyü oder 5'i"n3Ta während es als hebräisches Appellativum bl^ü vo-
kalisiert wird.
3) S e t h e, Äg. Ztschr. 50, 96 ff.
4) Rahlfs, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. 1912, 1036 ff.
118 Kurt Sethe,
wesen sein muß, die im sahidischen Dialekte des Koptischen zwar
alle gleich durch g bezeichnet erscheinen, aber nach Ausweis des
achmimischen und bohairischen Dialektes doch noch inuner gewisse
Unterschiede bewahrt haben müssen.
Daß jenes Aspirationsgesetz auch auf die im Koptischen vor-
handenen Lehnwörter ebenso Anwendung fand, wie auf die autoch-
thonen ägyptischen Wörter, lehrt das oben S. 116 zitierte c«.-»cpi,
das das vor dem Vokal stehende griechische t regelrecht aspiriert
zeigt. Dagegen ist die Aspiration bemerkenswerter Weise nicht
eingetreten in juh-stto^ (plVQ) und in dem unten zu besprechenden
juÄ.'voi ("»Ta), wo es beide Male semit. 1 wiedergiebt. Hier stellt
sich das semitische 1 ganz an die Seite des altäg. d, obgleich
dieses längst stimmlos geworden war. Man gibt, wie diese Formen
zeigen, das semitische T im Kopt. nicht durch -ä. (Delta) wieder,
das in den griechischen Lehnwörtern regelmäßig das S bezeichnet,
sondern durch ein nicht aspirationsfähiges t genau wie das mit
dem aus altäg. d hervorgegangenen t geschieht \).
Da nun auch in p'To&iep'xofi die Aspiration des -x in gleicher
Weise im bohair. Dialekt unterbleibt, so wird man es hier gleich-
falls notwendig auf ein nichtägyptisches bezw. semitisches d zu-
rückführen müssen. Und in der Tat hat ja, wie wir oben sahen,
das Wort für „Artabe" im Aramäischen, ebenso wie im Spät-
akkadischen und Arabischen, ein d, wo das Griechische aQXKßrj ein
T hat.
2. g*k.<3'op.
Ein zweites Wort persischer Abkunft, das gleichfalls dem
öffentlichen Leben angehörte, glaubte Bruno Keil in einer Stelle
des demotischen Papyrus Spiegelberg (Anfang der röm. Kaiser-
zeit) zu finden ^) ; dort heißt es von einem Schreiben, das der Fürst
des Gaues Arabia (im Osten des Delta) vom königlichen Hofe zu
Theben in seine Heimat absandte: „man verschloß den Brief, man
siegelte ihn mit dem Siegel des Fürsten . . ., man gab ihn in die
Hand eines hgr^), um ihn zu tragen nach Norden (Unterägypten)
in der Nacht wie am Mittag" Pap. Spieg. 13, 7 ff.
•
1) Daß das griech. '^ nicht etwa von den Ägyptern auch wie t gesprochen
wurde, zeigt der Gebrauch dieses Zeichens ik für ^ nach n in äg. Wörtern und
die gelegentliche Schreibung n-^ für d in griech. Wörtern; s. Rahlfs, Sitz.-Ber.
d. Berl. Akad. 1912, 1044.
2) Bei Spiegelberg, Der Sagenkreis des Königs Petubastis (Demot.
Studien III), Glossar Nr. 568.
8) Vor hgr steht der unbestimmte Artikel tc' „ein", den Spiegel her g in
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 119
In dem mit dem Fremdendeterminativ versehenen Worte hgr,
das hier den Briefboten bezeichnet und sich auch sonst im Demo-
tischen in den gleichwertigen Schreibungen hgr und hkr mehrfach
als Titel oder Berufsbezeichnung nachweisen läßt^), wollte Keil
dieselbe persische Bezeichnung für den reitenden Boten des persi-
schen StaflPettenpostdienstes (ayyapjjlov Herod. ¥11198 2) erkennen,
die im griechischen Postwesen als ayyagos weiterlebte^) und nach
Andreas*) im Persischen hnngär, alt honhära, gelautet haben könnte.
Keil's bestechender Erklärung stehen indeß Bedenken gegen-
über. Zunächst die Schreibung mit dem Fremdendeterminativ. Sie
findet sich in der Tat nicht nur bei Volkernamen und fremd-
sprachigen Eigennamen, sondern auch bei fremdsprachigen Be-
rnfsbezeichnungen, wie z. B. pi hgmn „der Hegemon" Ag. Ztschr.
42,50^); ipjstts „Epistates" Straßb. Wiss. Ges. 18.6fF.^; pj luTcnwms
„der Oikonomos" Dem. Bürgscbaftsurk. Nr. Iff.; pi srtkus „der
Strategos" Corp. pap. II 3, aber das Maßgebende dabei scheint duch
immer nicht die fremdländische Form des Wortes zu sein, sondern
die fremdländische Herkunft der Person, die das betr. Wort be-
zeichnet. So sind die griechischen Titel Epistates, der Hegemon,
der Oikonomos, der Strategos augenscheinlich nur deshalb mit dem
Fremdendeterminativ geschrieben, weil ihre Träger in der Regel
wirklich Fremde, d. h. Makedonier waren. Fremdländische Wörter,
die Gegenstände bezeichnen, werden niemals mit dem betr. Deter-
minativ versehen.
seiner Umschrift des Textes (a. a. 0. S. 28) übersehen hat und der bei der Deu-
tung „Eilbote" nicht fehlen darf, deutlich da, von S p. im Glossar unter w' Nr. 73
richtig aufgeführt, aber versehentlich mit der Angabe 8, 13 statt 13, 8. Damit ist
die Deutung des hgr als Eigenname (Hakoris), die Sp. anfangs in seiner Über-
setzung (S. 29) angenommen hatte, ausgeschlossen.
1) Pap. Ryl. 12 (hkr, vor dem Namen stehend und daher, wie üblich, ohne
Artikel). Ostrakon Straßb. D. 109 Verso (hgr, hinter dem Namen und daher mit
dem bestimmten Artikel; Mitteilung von Spiegelberg).
2) Vgl. La gar de, Ges. Abb. 184,22.
3) Vgl. dazu Wilcken, Grundzüge der Papyruskunde S. 372. Seeck in
Pauly-Wissowa's Realenzyklop. 1 2184/5. Nach Hesychios (s.v. ayyagog) und
Suidas (s. v. tiyyapcvo)) bezeichnet ayyuQOs und seine Derivate im Griechischen
schließlich nicht nur speziell den Brief boten, sondern auch den Lastträger, Dienst-
mann im allgemeinen. Bei Aischylos bezeichnet andererseits hvq ayyuQov das von
Ort zu Ort weitergegebene Feuersignal, sodaß hier nur der Begriff der weiter-
gegebenen Botschaft, nicht die schriftliche Form derselben dem Worte zu in-
härieren scheint.
4) Bei Spiegelberg a. a. 0. S. 76.
5) Ebenda orguTiäytris ohne Fremdzeichen.
6) Ebenda dixacrrij;, sCaayayBvß ohne Fremdzeichen.
120 Kurt Sethe,
Man wird daher notwendig annehmen müssen, daß der Titel
hgr, wie er uns im Pap. Spiegelberg und an den andern oben
zitierten Stellen begegnet, einen Ausländer oder einen vorzugs-
weise von Ausländern ausgeübten Beruf bezeichnen muß, Grriffith
war daher geneigt, in dem Worte vielmehr einen Angehörigen
des nordarabischen Stammes der ^AygttZoi^ hebr. Di"i5n*) zu sehen,
deren Heros Eponymos augenscheinlich Hägar (nan, "AyaQ^ arab.
j>-\J>) „die ägyptische Magd^, die Mutter Ismaels, ist -). Und dieser
Ansicht schließt sich jetzt auch Spiegelberg, wie er mir schreibt,
an, nachdem er das Wort an zwei Stellen als geographische Be-
zeichnung gefunden hat. In dem, von ihm demnächst neu heraus-
zugebenden Leidener demotischen Pap. 384, der unter dem Namen
Kufi bekannt ist, heißt es (3, 32) von der Sonne, ihr Leben sei
„unter (= zwischen) den Ä/i;>(-Leuten)" ^) und in dem demot. Pap.
Kairo 30799 Rs. findet sich Min, der Gott von Koptos und berufs-
mäßige Grebieter der Wüsten zwischen Nil und Rotem Meer, als
„Herr von Hgr"' betitelt. Der Zusammenhang scheint an beiden
Stellen in der Tat nicht übel zu Grriffith's Identifikation zu
passen.
Andererseits kann es nach dem ganzen Zusammenhang der
Stelle im Pap. Spiegelberg aber auch nicht zweifelhaft sein, daß
dort wirklich mit hgr ein Briefbote gemeint ist, und man wird
nun durch jene Stelle geradezu zu dem Schlüsse gedrängt, daß
das Volk der Hgr die Tätigkeit des Eilbriefboten berufsmäßig
ausgeübt haben wird und daher dem Berufe den Namen gegeben
haben könnte, wie wir das unten bei den A**.'roi finden werden.
Das Türkische bietet, wie mir E. Littmann zeigte, in der Be-
zeichnung tätär^ d. i. eig. „Tärtare", für den Kurier eine hübsche
Parallele dazu*).
Damit gewinnt dann aber auch die Frage nach dem Zusammen-
hange zwischen dem persischen Prototyp von äyyuQog und unserem
ägyptischen Ausdruck hgr ein ganz neues Gesicht. Sie kehrt sich
jetzt dahin um: geht der persische Ausdruck nicht vielmehr eben
auf diesen Namen des Volkes der hgr Idygaloi zurück, die an der
1) Vgl. Nöldeke in der Encyclopedia biblica s. v. Hagar.
2) Daher die Benennung ^AyagrivoC bei Planudes.
8) Iw.ir (cpe-) T^j-f 'nb Itct (ofre-) ni Hkr.xo. Zu der Schreibung Hkr
mit h statt g s.u.
4) Bianchi-Kieffer, Dictionnaire Turc-fran^ais I S. 443: „^titf Tartare,
courrier. Le nom ethnique est devenu, en Turquie, le nom appellatif, parce que
c'ätait ordinairement les Tartaros qu'on employait au service de courriers*.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 121
von Babylon nach Ägypten führenden Straße wohnend ^), etwa als
Kamelreiter in der Tat die gegebenen Übermittler für die Post
zwischen beiden Ländern schon in vorpersischer Zeit gewesen sein
mußten? So könnte die Bezeichnung hgr dann über die Babylonier
zu den Persern, von diesen zu den Grriechen gekommen sein^).
Assyriologischerseits ist man übrigens längst dafür eingetreten,
daß das persische Institut des Postverkehrs ein babylonisches Vor-
bild gehabt hat ^). Ja, man hat das Wort ayyagog resp. sein persi-
sches Prototyp geradezu aus dem babyl. agäru oder aggaru her-
leiten wollen^). Doch scheint dieses Wort nicht in der speziellen
Bedeutung „Bote" o. ä. belegt zu sein, sondern allgemeiner „Lohn-
arbeiter", „Mietling'^ zu bedeuten; man leitet es, vielleicht zu Un-
recht, vom gemeinsemitischen Stamme y>l „mieten" ab %
Besteht aber wirklich ein Zusammenhang der oben vermuteten
Art zwischen dem Volksnamen hgr und dem persisch-griechischen
ayyuQog, so wird man sich das darin vor dem g erscheinende n als
eine Zutat zu denken haben, die das Wort auf seinem Wege von
Ägypten nach Persien resp. Griechenland aufgenommen hat. Man
könnte darin eine Parallele zu dem äg. «s'ma'tup „Talent" (aus
*kil-kör), und dem aram. ganhär „Held" (aus *gabbar), s. ob. S. 115,
erkennen. Auf dem Wege über das Aramäische oder eine andere
semitische Sprache könnte ein *hagyar wohl zu *)iangar geworden
sein^). Der Wegfall des h würde, wenn der Weg des Wortes bei
seiner Wanderung nach Persien wirklich über Babylonien gegangen
1) Vgl. D. H. Müller in Paully-Wissowa's Realenzyklop. 1 889.
2) Man hat ayyapog indessen auch mit &yytXos und sanskr. angiras „Götter-
bote" zusammenstellen wollen, s. dazu unten.
3) Fries, Klio II1169 ff.
4) Jensen bei Hörn, Grundriß der neupersischen Etymologie S. 29 Anm.
Zimmern, Klio IV 117 ff. — Muß-Arnolt 1 15 verzeichnet ag-ga-ru als „hired
labourer", „messenger".
5) So sicher unrichtig auch das unten zu erwähnende egirtu „Brief, wogegen
schon Nöldeke ZDMG. 40, 733 Einspruch erhoben hat.
6) Es wäre vielleicht auch denkbar, daß die Nasalierung erst im Griechischen
eingetreten sei, d. h. daß die Griechen das Wort als aggar übernommen, aber,
gemäß ihrer Aussprache des yy als tig (resp. ihrer Schreibung yy für ng), früher
oder später angar gesprochen hätten. H. Lommel macht mich hierzu auf die
Schreibung fyyovog für fxyoro? aufmerksam, die man meist irrig als engonos auf-
faßt, die aber ein eggonos mit Assimilation des x an das y darstellt. Lommel
bezweifelt aber, daß die Griechen ein fremdes gg anders als durch einfaches y
wiedergegeben haben würden. — Das talmndische «"»"O:« „Frohn- und Spann-
dienst", auf das Lagarde, Ges. Abh. 184,22 hinweist, geht auf das griechische
icYyagüa oder das lat. angaria zurück, s. Krauß, Griech. und lat Lehnwörter
im Talmud II 63.
122 Kurt Sethe,
sein sollte, schon im Babylonischen erfolgt sein, das ja durch-
gehend das h verloren hat (vgl. das oben als eventuelles babyloni-
sches Äquivalent dazu erwähnte agani oder aggaru), andernfalls
vielleicht erst im Persischen oder gar erst bei der Entlehnung
durch die Griechen.
Wie weit das in den biblischen Schriften der Perserzeit vor-
kommende hebr. rriiiS^ aram. »"^as (stat. emphat. snnSS) für „Brief
und das von Delitzsch dazu gestellte babylon. egirtu (vgl. dazu
Nöldeke ZDMGr. 40,733) damit zusammenhängen, muß ebenso
dahingestellt bleiben wie die Frage, ob das persische angird, avest.
hankuru-tis, neupers. angara „Erzählung", „Bericht" ^) einerseits,
das griechische schon sehr früh belegte, aber anscheinend völlig
isoliert dastehende äyyslos^) andererseits mit jenem ayyaQog zu-
sammenhängen.
Obwohl das oben besprochene äg. Wort hgr weder als Berufs-
bezeichnung noch als Volksname im Kopt. erhalten ist, können
wir seine Vokalisation doch noch ermitteln. Einer der einheimi-
schen Könige Ägyptens, der in den Jahren 392 — 380 das von der
Perserherrschaft befreite Land regierte, führte unser Wort als
Namen: Hagor, griechisch wiedergegeben durch "AxoQiq (Diodor),
"AxtoQcg (Theopomp), "Axcagig (Manethos) ; hieroglyphisch Higr, Hgir^
Hkr '), in seiner Schreibung deutlich als Fremdwort mit dem Kon-
sonantenbestande Hgr oder Hkr charakterisiert; demotisch Hgr,
nicht selten mit dem Fremdendeterminativ geschrieben wie unser
Wort*). In der Schreibung Axcagig findet sich der Name auch in
griechischen Inschriften und Papyri Ägyptens bis in die Kaiser-
zeit als Name von Privatpersonen in Gebrauch^). Wie Stern
gesehen hat, hat er sich auch im Kopt. noch in entsprechender
Gestalt als £*.<3'op erhalten^).
1) Andreas bei Marti, Gramm, des Bibl. Aramäisch ' S. 57*.
2) Man stellt ayysXog wie ayyagos meist mit dem altind. awgrtros, das
Götterbote bedeuten soll, zusammen. Wie mich Oldenberg freundlichst belehrt,
ist dieses bereits in den ältesten Texten, den Hymnen des Rgveda, vorkommende
Wort der Name gewisser mythischer Vorfahren der für die Zeit des Rgveda
gegenwärtigen Priestergeschlechter. „Auch der priesterliche Gott Agni (d. i. Feuer,
insbesondere Opferfeuer) wird oft als Ahyiras bezeichnet, indem er jenen Priestern
aus der Anfangszeit des Wehlebens assimiliert wird". — Hiernach erscheint es
recht fraglich, ob dem Worte wirklich die Bedeutung des Boten inhäriert.
3) Lepsius, Königsbuch Nr. 670.
4) Spiegelberg, Demotische Chronik S. 93.
5) Lepsius, Denkm. VI 75 = Text H 52. BGU. 526, 89 (86 nach Chr.).
6) Äg. Ztschr. 23, 151. — Stern bezeichnet den Namen dort als libysch
ohne ersichtlichen Grund.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache 123
Wie man sieht, hat sich in diesem Falle das a der ersten, im
Äg. nicht betonten Silbe, anders als in pTrofc „Artabe", ebenso er-
halten, wie in «'djao-j-'A und Genossen (s. ob. S. 116). Das a, das
nach üyyagog in der zweiten, im Ag. betonten Silbe zu erwarten
wäre, ist wieder wie in "p-rofi durch o vertreten. Dieses o war
nach der kopt. Form ^«.«"op kurz. Das o, das die griechischen
Formen z. T. dafür haben, ist eine Ungenauigkeit, wie wir sie bei
griechischen Wiedergaben ägyptischer Wörter oft beobachten können.
Speziell findet sich gerade o fast regelmäßig statt des äg. ö, z. B.
in 'Ori/oqpptg (kopt. oTcnoqpc), Zfötaerptg (äg. *Se-tcösre), 'Egfiäv^is
(kopt. ncpjuon-x) ^), '^^/KDötg, ^egas oder ^agaa (kopt. "ppo), W^f-
vad^rjg (äg. Atneii-hÖfp), Za^ig (äg. *Söte aus *Söpdet), Uaäcpt (kopt.
HÄwOTie) usw. Der lange äg. o- Vokal, den die kopt. Wörter zeigen,
wird, wenigstens in den älteren griechischen Umschreibungen, in
der Regel durch v wiedergegeben, vermutlich weil er damals noch
M gesprochen wurde*).
Was den /i-Laut im Innern unseres Wortes anbelangt, so ist
«*, das die kopt. Form ^«>(*'op zeigt, der Buchstabe, der in äg.
Wörtern regelmäßig dem altäg. ö g entspricht. Dieser alte Laut
war allem Anschein nach, wie das alte c^:? d, seit dem mittleren
Reich stimmlos geworden, und das <f wurde, wie Rahlfs gezeigt
hat, als palatales k' gesprochen, ehe es zu ö und dann zu ä wurde,
wie es heute gesprochen wird^). Daher wird denn auch griech. y
im Kopt. nie durch dieses Zeichen, sondern durch ^' wiedergegeben,
das sich in äg. Wörtern nur nach n statt des k findet. In selt-
samem Gegensatz hierzu gibt das <^ aber in semitischen Lehn-
wörtern regelmäßig das Di wieder, vgl. die oben zitierten Formen
juc«'-xoÄ, «"äaiotA, (3'*w".\iA (S. 116), «.ö'oA'ire „Wagen", daneben aber
auch das p (ö'e.Ai.g^'x) und das 3 (a^A S. 116; «'mcs'uip S. 114 Anm. 5;
icpeö'ojoT'x „Wagen") und griechisches x vor i («'m-^ynoc, <s'iAiö'i*>)*),
wie es vereinzelt auch altägyptischem h oder k entspricht^), die
sonst im Kopt. regelmäßig durch k bezw. x vertreten sind. Man
sieht aus der konsequenten Wiedergabe des semitischen g durch <^,
das Äquivalent des alten äg. g, und das Nebeneinander von ö* und
R im Kopt., daß sich auch hier wie beim d ein geringer Unter-
schied zwischen der ursprünglichen Tennis {t, k) und der stimmlos
gewordenen alten Media (d, g) noch immer erhalten haben muß.
1) Vgl. meine Unters, z. Gesch. n. Altertumskunde Äg3rpten8 II 8, Anm. 3.
2) Sethe, Verbum I § 44. Äg. Ztschr. 50,82.
3) Rahlfs, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. 1912, 1038.
4) Rahlfs, Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1912, 1036 ff.
5) Sethe, Verbum I §282. 284.
124 Kurt Sethe,
Bemerkenswert ist, daß auch hier das Kopt. ebensowenig daran
denkt, das semitische d gleich dem griechischen g durch f wieder-
zugeben^), wie das semitische d gleich dem griech. d durch ':i..
Daß einige hieroglyphische Varianten des Königsnamen Hgr
(Hakoris), wie auch einzelne demotische Schreibungen des Völker-
namens Hgr (z. B. Leid. 384, 3, 32. Pap. mag. 19, 33) und der Be-
ruf sbezeichnung hgr (Ryl. 12 h) k statt g setzen, hat nichts zu
sagen. Dieser Wechsel findet sich auch sonst und beruht auf der
dem k nahestehenden Aussprache des g (kop. «s*); man vergleiche
dazu nur die hieroglyphischen und demotischen Schreibungen der
Namen Berenike, Kleopatra, Kaisaros, Autokrator, die bald mit
g, bald mit h oder k geschrieben werden*). Der koptische Buch-
stabe ö*, der etymologisch dem alten g zu entsprechen pflegt, ist
überdies selbst seiner Form nach aus dem alten Zeichen für k
entstanden, so daß man die Schreibungen von Hgr mit k geradezu
als jüngere, der koptischen Schreibung ^«.«"op entsprechende Ortho-
graphie ansehen könnte.
Die griechische Wiedergabe des g (kopt. <^) von Hgr durch x
{"AxoQLg, "dzdQis) ist nach dem Gesagten nur natürlich. Das % in
der manethonischen Form "A%G3Qig ist ein Grräzismus. Die Aspiration
von Lauten, die im Ag. selbst nicht aspiriert waren, ist in den
griechischen Wiedergaben ägyptischer Namen eine alltägliche Er-
scheinung. Von den unzähligen Beispielen, wo sie wie gesetzmäßig
unmittelbar nach dem Tonvokal des Wortes eintritt^), abgesehen,
seien hier nur genannt Msyx^grjg (Herodot's MvxsQtvog, äg. Mn-ki . w-r')
Wccfifir]Tixog (äg. Psmtk), Es^svrig (äg. Sndj), ^SQcag = 0aQaa) (kopt.
nppo), l4cp(o<pLg (äg. Ippj), 2Je&(o6ig (äg. Stij\ Nbxocg) (Herodot iVfxög),
'A&69rjg (äg. litj), HsGäyiig (äg. ÄsnÄ pTC'^TÖ mit k, das im Kopt.
bei einer Vokalisation wie Sesonk nie aspiriert werden könnte).
3. JUL&.'XOI.
Wie das Wort fiir „Artabe" ist offenbar auch der Name, den
die Ägypter in den auf die Perserzeit folgenden Zeiten für das
Volk der Perser selbst gebrauchten, über das Aramäische zu ihnen
gelangt.
1) Hängt es damit etwa auch zusammen, daß das Oriecbische den Namen
des Kamels als yiäfnilos mit x rezipiert hat und nicht mit g'^
2) Kleopatra hierogl. mit k, demotisch meist mit g; Berenike hierogl. mit g
oder k, demotisch mit g.
3) Z. H. 2i)Q; '/fiovdrjc, MoDÖ-, N^X9, ^agfiold^i, 'Afitvmd-ris, BivoaO'Qigj Ssf-
liov&ig, ^Afieviotpig , nuwcpi , ^Eaticpi , T(fi(pis , Oiä<pQi.s (äg. Wib-lb-r' mit h !),
Zo^%os usw.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 125
Es ist bekannt, daß die meisten Völker des alten Orients die
Perser mit dem Namen des iranischen Volksstammes benannt haben,
der ihnen zuerst bekannt geworden war, der Meder, gerade wie
uns die Franzosen als Alemannen, die Serben und andere Slaven-
völker als Schwaben und Sachsen bezeichnen. Meder werden die
Herren des Perserreiches nicht nur von den Hebräern und Ara-
mäem (Mädaf), Arabern (Safaiten und Minäem, "'TTa)^), sondern
auch von den Griechen der älteren Zeit (MT,doi) genannt ^). Ebenso
nennen die Ägypter der Ptolemäerzeit die Perser, wenn sie sie
nicht nach ihrer Heimat Prs „Persien" als ai rnit.w Prs „die Leute
von Pars (Dekret von Kanopus demot., Tanis 12 = Eom el Hisn 3)
oder als hs.tv ntc Prs „die Elenden von Pars" (ibid. hierogl.) be-
zeichnen ').
Diese ägyptische Form des Namens „Meder" ist in ihrer demo-
tischen Schreibung 3Jdj mit dem Pluraldeterminativ und dem be-
stimmten Artikel ni (ni Mdj „die Meder") zuerst von Revillout
in der „demotischen Chronik", die der älteren Ptolemäerzeit an-
gehört, gefunden und richtig erkannt worden*). Spiegelberg
fand ihn dann in einer demotischen Steinbruchinschrift derselben
Zeit wieder*), in der Jemand sagt, er habe „dem Könige Necht-
har-ehbet" (Nektanebos, der letzte einheimische König Ägyptens,
bis 343 V. Chr.), „den Medern"' {ni Mdj, d. i. die Perser, 343—332
V. Chr.) und „den Joniern" {ni Wjnn, d. i. die Griechen, vom J. 332
an) gedient.
An dieser letzteren Stelle wie auch an anderen Stellen, wo
das Wort Mdj vorkam, hatte man es bisher in der Bedeutung
, Soldaten" nehmen wollen®), weil man es (wie wir sehen werden,
vermutlich mit Recht) dem kopt. ui«».'xoi „Soldat" gleichsetzte. Dieses
jut-ewToi leitete man indes aus dem Namen eines nubischen Volkes
her, der Mdi, die uns in den Inschriften des alten Reiches unter
den nubischen Hülfsvölkem des ägyptischen Heeres, in denen des
neuen Reiches als Jäger in der Wüste bei Koptos und Gendarmen
der Nekropole von Theben begegnen. H. Schäfer hat in diesem
Namen Mdi gewiß mit Recht den Namen wiedererkannt, mit dem
1) Littmann, Ztschr. f. Assyriol. 17, 379flF. — Hartmann, ibid. 10, 32 ff.
2) Vgl. Ed. Meyer, Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1915, 298.
3) Als Ländername kehrt dieses Prs auch in dem Titel srs n Prs „D^'IO Ton
Pars" in den Inschriften der persischen Statthalter von Koptos in den Stein-
brüchen des Wadi Hammamät wieder (Leps., Denkm. III 283).
4) Siehe jetzt Spiegelberg in seiner neuen Ausgabe dieses Textes S. 94.
5) Leps., Denkm. VI 69, demot. 162.
6) "W. Max Müller, Asien und Europa S. 24, Anm. 3 und S. 370 Anm. 3.
126 Kurt Sethe,
sich heute die die oberägyptische und nubische Wüste im Osten
des Niltals, das Edbai, bewohnenden Nomadenvölker der 'Ababde,
Bischärm und Hadendoa als Gesamtvolk bezeichnen: Bega {Bovya-
sttai)^); ihre Sprache to hedamje. Die neuäg. Schreibung des Namens
mit dem Zeichen d\ scheint nun aber zu bezeugen, daß das in dem
Namen enthaltene °^ d (kopt. -s) den Übergang in c^-^ d (kopt.
-x) nicht mitgemacht hat, der in so vielen altäg. Wörtern im mitt-
leren Reiche eingetreten ist. Schon dies machte die Identifikation
jenes Md} mit dem kopt. juckt-oi „Soldat" recht unwahrscheinlich.
Griffith^) hat dann als erster das kopt. iaä.-voi nicht mehr
auf das alte Mdi, sondern auf jene von Revillout nachgewiesene
demotische Bezeichnung der Perser Mdj „Meder" zurückgeführt,
die man, wie gesagt, schon früher richtig damit identifiziert, aber
unrichtig eben deswegen mit „Soldat" übersetzt hatte ^).
Die Zwischenstufe für den ßedeutungsübergang von „Meder**
zum ,, Soldaten" erblickte er in dem häufigen IliQörjg rfis iTtiyov^s
der griechischen Papyrusurkunden ans Ägypten. Nach der sehr
wahrscheinlichen, jetzt fast allgemein durchgedrungenen Annahme
bezeichnen die Nationalitätsangaben mit diesem Zusätze xrjg hm-
yoi/ijg die durch Geburt erlangte Zugehörigkeit zu der militärischen
Ansiedlerschaft*). Ein nigerig tijg ijtLyovrjs wäre demnach der
militärpflichtige Abkömmling und Erbe eines als Katök (xdtoLxog)
angesiedelten persischen Soldaten. Die Häufigkeit, mit der nun
aber neben den verschiedenen Stämmen des griechischen Volkes,
wie Kretern, Rhodiern, Karern usw., gerade von Persern Nationa-
lität oder Personenstand in dieser Weise angegeben wird, ist nur
verständlich, wenn es sich dabei um Nachkommen der alten persi-
schen Besatzung des Landes aus der Zeit der persischen Herrschaft
handelte.
1) Vgl. C. Ritter, Afrika S. 666; Littmann, Deutsche Aksum-Exped. I, S. 44.
2) Catalogue of the Demotic Papyri in the John Rylands Library Manchester
III 319.
3) Brugsch, Ägyptologie 487 Anm. 1: „In der demotischen Chronik ...
bezeichnet das Wort M-d-i oder M-t-i [irrige Transskription der neuäg. Schreibung
von M^], aus älterem M'-di-y hervorgegangen, regelmäßig die Perser. Man er-
kennt daraus, welch' eine Umwandlung seiner ursprünglichen Bedeutung im Laufe
der Zeiten stattgefunden hatte. Im Koptischen dient dasselbe Wort in der Gestalt
ju«.'roi ganz allgemein zum Ausdruck für Soldat und Söldner". — Er hat also
die Identität von kopt. aa&toi und demot. Mdj erkannt, leitet letzteres aber,
trotzdem es die Perser bezeichnet, ersterem zuliebe von dem Nubiervolk Mdi ab.
4) Vgl. Wilcken, Grundzüge der Papyruskunde 1884. Lesquier, Les
institutions militaires de T^gypte.
Spnren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 127
Griff ith fa. a. 0. III 150) hat nun weiter auch das ägyp-
tische Äquivalent des xrjg iTCiyovijg gefunden in dem Zusätze ms n
Kmj „geboren in Ägypten", der in den demotischen Urkunden
den gleich einem Titel gebrauchten Nationalitätsangaben der kon-
trahierenden Parteien zugefügt wird, z. B. Wjnn ms n Kmj N. N. ^)
„der in Ägypten geborene Grieche X. N.~ passim*). BIhmw ms n
Kmj N. N. „der in Ägypten geborene Blemmyer N. N." Haus-
waldt 6. 15.
Das viel umstrittene rrjg iniyovrjg enthält also gewissermaßen
eine Einschränkung der Nationalitätsangabe dahin, daß die betr.
Person die Nationalität nur als Nachkomme eines echten Griechen,
echten Persers usw. habe, selbst aber im Lande geboren sei.
Dem nigeiig xf^g imyovrjg entsprechend begegnet uns nun auch
in einem von Sottas im Journ. asiat. 1914, 145 ff. veröffentlichten,
danach auch von mir in den mit Parts ch zusammen herausgege-
benen Demotischen Bürgschaftsurkunden (Abh. Sachs. Ges d. Wiss.)
unter Nr. 22 behandelten Papyrus von Lille vom J. 243 v. Chr.,
aus dem Faijum, ein Mdj (ms)^) n Kmj ...-shJc si Nht-dhutj ntj Iw-
w dd n-f Pgtt „der in Ägypten geborene Meder . . . -subek, Sohn
des Necht-dhowt, der genannt wird Pgtt^.
Der Mann hat also wie schon sein Vater einen ägyptischen
Namen (in seinem Falle mit dem Namen des im Faijum heimischen
Lokalgottes Suchos gebildet) ganz wie die IJagöai rf,g s:iLyoinijg
der griech. Urkunden; daneben trägt er aber noch einen persischen
Namen, der im Demotischen durch Pgft mit dem Fremdendeter-
minativ wiedergegeben ist. Andreas hat darin ein Baghodhata
vermutet.
Eben diese von alten persischen Soldaten abstammenden Militär-
1) In den Worten hntc tö Jurd.w n Srtjts „von den Kindern des Stratides
(o. ä.)", die Ryl. 21, 7 uud sonst nirgends diesem Ausdrucke folgen, hat man
einen besondem, individuellen partitiven Zusatz zu sehen, nicht mit Griffith,
der sie amongst the descendants of the argaxi&vat übersetzt, ein notwendiges
überall zu ergänzendes Komplement, das das tfjg iniyov^s erst vollständig machte.
2) Das griechische Äquivalent dieses sehr häufigen Ausdrucks wird wohl
nicht nur MaxfÄcb» t^s iitiyov^g, sondern auch Kgiig zf^g iitiyovf/g, ' Pödiog t^s
imyovijg usw. sein. — Auch dem ^Als^avdQSvg r^g iniyoviig „Alexandriner von
Abkunft" (Schubart, Arch. f. Pap.-Forschung Y 106) wird ägyptisch ein „in
Ägypten geborener Grieche" entsprechen. Das Land Ägypten (i^ za>pa) steht
ja immer im Gegensatz zu der griechischen Hauptstadt, die nicht dazu gerechnet
zu werden pflegt.
3) Das Zeichen, mit dem der Schreiber in dieser Verbindung das Wort ms
„geboren" schreibt (z. B. in dem 2. demot. Papyrus von Lille), hat er hier hinter
dem ähnlich aussehenden Fremdendeterminativ von Mdj versehentlich ausgelassen.
128 Kurt Sethe,
kolonisten sind offenbar auch gemeint, wenn der General Cha*-
hape, der im J. 203 vor Chr. zu Memphis starb, auf seinem Grab-
stein sich und seinen Vater als „Oberst (hrf) des Fußvolkes (pl
ms') der Mdj'^ betitelt ^). Dabei ist das Wort Mdj im demotischen
Texte genau so wie in den oben angeführten Fällen geschrieben
und mit dem bestimmten Artikel versehen {ni Mdj)-, im hierogly-
phischen Texte aber, wo es naturgemäß ohne Artikel steht, ist es
^v |]T| cy:i£l'l^j geschrieben mit | d, das infolge des häufigen
Überganges von d in d in späterer Zeit ja auch sonst vielfach un-
richtig, gleichsam als irrige Archaisierung, für d geschrieben wird.
Determiniert ist das Wort hier mit den Zeichen für frepide Länder
(C^O^) und Völker Cnu ^^^ dem Pluralzeichen (drei Striche).
Cha'-hape ist nach seinem Aussehen, wie es uns sein Porträt-
bild auf dem Grabstein zeigt, ein Semit gewesen. Schäfer hat
<a. a. 0.) in ihm einen der OoCvike? Tvqiol vermutet, die nach H e -
rodot II 112 in Memphis angesiedelt waren und das nach ihnen
benannte TvqCov örgaröjisdov daselbst bewohnten. Josephus be-
zeugt ebenfalls in der Nähe von Memphis, oberhalb des Delta,
einen Ort 'lovöaCav ötQUTÖJcsdov^), das möglicherweise auch in
der Grabinschrift des Cha'-hape genannt war. Dieser nennt sich
nämlich einmal (unmittelbar vor seinem Haupttitel „Oberst des
Fußvolks der Meder") : „Oberwerkmeister (äg. wr-irp-hn-t, hier
mit dem Stadtdeterminativ geschrieben, sonst der alte Titel der
memphitischen Hohenpriester) von P-U-JJit"- '). Dieses P-Ü-Jht „das
«/"Ä^-Land", das mit dem Determinativ der Städte und Dörfer ge-
schrieben ist und einen Ort im Gebiete von Memphis bezeichnen
muß, dürfte in der Tat nichts anderes bedeuten als „das Juden-
Land". Jht^ das in seiner reinen Buchstabenschreibung und mit
der Hieroglyphe „Doppelschilfblatt" für anlautendes / ganz wie
ein Fremdwort aussieht, würde die gegebene hieroglyphische Schrei-
bung für Jehüd sein, da die Wiedergabe des semitischen d durch
hierogl. t nicht nur durch die oben (S. 117) dargelegten Verbält-
nisse hinreichend begründet wäre, sondern auch tatsächlich ganz
gewöhnlich ist*). J^hüd ist die aramäische Form des Stammes-
1) Schäfer, Äg. Ztschr. 40, 31 ff.; b. jetzt auch meine Ausgabe des Textes
ürk. n 164 ff.
2) Antiqu. XIV 8, 2. Bell. Jud. 1 9, 4.
3) Das t könnte indeß auch zu dem Stadtdeterminativ gehören und nicht zu
lesen sein. Deshalb ist die Deutung des Namens, die im Folgenden gegeben wird«
nicht ganz sicher. 4) Rahlfs, Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1912. 10, 42/8.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 129
namens, der hebr. JeJiüda lautet, und entspricht dem arab. Jahüd,
das als Kollektivum „Juden" in ihrer Gesamtheit bezeichnet.
Schäfer faßte seinerzeit den Ausdruck 3/<7; in dem Titel des
Cha'-bape und seines Vaters noch im Sinne des kopt. aia^ttoi als
appellativische Bezeichnung für „Soldaten" auf, obwohl das eigent-
lich schon die Verbindung ;>} ms' n m Mdj „das Fußvolk (Xaög)
der Mäj"^ verbot. Wenn das Wort Mdj nun aber, wie wir jetzt
wissen, „Meder" bedeutete und wenn darunter im vorliegenden
Falle wahrscheinlich Nachkommen der alten persischen Besatzung
Ägyptens zu verstehen sind, so erinnert uns das in Verbindung
mit der Nationalität des Cha'-hape an die durch die aramäischen
Papyri von Elephantine so grell beleuchtete Tatsache, daß die
persische Landesbesatzung zu einem großen Teile aus Semiten be-
stand. Dazu werden auch die Tyrier und Juden gehört haben,
nach denen jene „Lager" bei Memphis bezw. „das Judenland" der
Inschrift des Cha'-hape, benannt waren. Und es ist nun aller-
dings wohl denkbar, daß in dem Ausdruck 7ii Mdj _die Meder"^ in
dem Titel des Cha'-hape nicht bloß Leute des persischen Militär-
standes von echt persischer, sondern auch solche semitischer Ab-
kunft, wie der Greneral Cha'-hape selbst, einbegriffen gewesen
seien. Damit wäre dann in der Tat ein wesentlicher Schritt in
der Bedeutungsentwicklung des Wortes vom Meder im speziellen
zum Soldaten im allgemeinen getan gewesen.
Ob auch das in der Inschrift des äthiopischen Königs Nastesen,
des Gregners des Kambyses, genannte feindliche Volk der Mdj,
geschrieben ^^^V'fl!) o| | (auch mit Pluraldeterminativ), das Weih-
geschenke aus gewissen Tempeln Xubiens am 3. und 4. Nükatarakt
geraubt haben soll^), „die Meder", d.i. die Perser, das Heer des
Kambyses, darstellt, ist ungewiß, aber keineswegs unmöglich.
Jedenfalls hat aber das in der Siegesinschrift des Königs Sar-si-
jotef, des Vorgängers des Nastesen, genannte feindliche Volk Mdd
\7i. 81 — 89) nichts damit noch mit den Medem zu tun.
Sicher in seiner eigentlichen Bedeutung erscheint das Wort
Mdj, in der gleichwertigen Schreibung ^^MofXn'i Mtj, in dem
bekannten Texte von Edfu, der die einzelnen Namen der uralten
„Neun Völkertafel" der Ägypter, der 9 Völker, über die der äg.
König gebieten sollte, der „9 Bogen", wie die Ägypter sie nannten,
1) Schäfer, Die äthiopische Königsinschrift des Berliner Museums S. 41.
— Er sah in dem Volk damals noch die nubischen Bega.
Kgl. Ges. d. Wiss. Kacliriclit«i>. Phil.-liist. Ela«8e. 1916. 1. Heft. - 9
130 Kurt Sethe,
erklärt *). Dort wird das 7. Volk der Pd-tj-wSw (usw. „die Bogen-
schützen der Leere" d. i. der Wüste) erklärt als das Bogenvolk
der Schös-Beduinen, d. i. die Semiten Palästinas und Syriens, und
„das Land der Meder" (p ü ni Mtj), „welche leben vom Wasser
von Nil (d. i. Fluß) und Bach" ^). Wenn auch auf die vielfach ge-
radezu unsinnigen Ausdeutungen, die dieser der Ptolemäerzeit ent-
stammende Text den uralten, z. T. längst nicht mehr verstandenen
oder falsch bezogenen Völkemamen gibt, nichts zu geben ist, so
ist doch völlig klar, daß an unserer Stelle mit den Mtj ein in
Asien an größeren Strömen wohnendes Volk gemeint sein muß.
Ln Kopt. bedeutet Axa.Toi, wie gesagt, nur noch „Soldat". Der
Volksname ist also, wie das oben bei g^Ä.ts'op vermutlich der Fall
war, zur Berufsbezeichnung geworden. Dafür gibt es ja genug
Analogien. Außer der schon oben zu ^*.(?'op angezogenen Parallele
aus dem Türkischen sei hier nur auf die „Schweizer" verwiesen,
die dem Papst als Leibwache dienen und bei uns die Milchwirt-
schaft leiten. Oft sind es wirklich noch Leute aus der Schweiz,
keineswegs aber immer. Eine gerade mit Bezug auf den speziellen
Beruf der-Aiö^Toi passende Parallele weist mir E. Littmann aus
dem Syrischen nach, wo der römäjä, d. i. Römer, den „Soldaten"
bezeichnet. Das Kopt. selbst hat zwei Parallelen in den Worten
für „Hirt", *^AAe und uguic, die beide auf ältere äg. Benennungen
der Semiten zurückgehen, ersteres auf das uralte 'jm (d. i. uy
„Volk"), letzteres auf das im neuen Reich übliche Sisw, das viel-
leicht seinerseits ursprünglich eine appellativische Bezeichnung („die
Wandernden") gewesen sein mag. Weil die Semiten im Unterschied
zu den seßhaften, Ackerbau treibenden Ägyptern zum nomadisie-
renden Hirtenleben neigten, wurde ihr Name zur Bezeichnung des
Hirtenberufes.
In seiner ursprünglichen Bedeutung als Name eines Volkes
scheint sich jui*.toi jedoch auch im Kopt. noch in Eigennamen er-
halten zu haben. Wenn eine Frau den Namen -x **.&'» oi führt ^), so
kann das doch wohl nur „die Mederin", d. i. Perserin (vgl. griech.
JIsQöig als Frauenname) bedeuten, ein Name, der sich dem häufigen
männlichen Personennamen nea'iuig „der Nubier" (vgl. unseren Namen
„Mohr**) an die Seite stellt. Vgl. dazu auch die dem neuen Reiche
1) Roug<5, Inscr. d'Edfou pl. 113 = Brugsch, Äg. Ztschr. 3, 26 ff.
2) In dem Text wird bei jedem Volke festgestellt, woher es sein Wasser
bezieht, ob aus Regen („Wasser des Himmels"), aus Brunnen, aus Flüssen („Nil",
so z. B. die Assyrer), aus Bächen (s7^, mAep so z. B. die Inseln des ägäischen
Meeres).
8) Gram, Kopt. Rechtsurkunden 119.
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 131
entstammenden Eigennamen Pij-nhsj ^dieser Neger" (hebr. cnrB)
und Pij-filric „dieser Syrer*^'
Was die Form des Wortes a«.*.toi, gesprochen Matöt, betrifft,
so ist sie in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Das t verhalt
sich wie bei p'^ok, d. h. es wird im bohairischen Dialekt nicht
aspiriert, also ganz so bebandelt wie das aus altem äg. d hervor-
gegangene T, im Unterschied zu dem aus altäg. t hervorgegangenen
T. Der Vokal a der unbetonten ersten Silbe hat sich dagegen,
ebenso wie in ^^^.(S'op, erhalten und ist noch nicht wie in p"Tofe zn
e verflüchtigt worden. Der betonte Vokal o (o) aber steht offenbar
wieder für a.
Die Grundform des Wortes dürfte das aramäische Mädäj
(•'Ta) gewesen sein. Der Name der Perser würde demnach in die
äg. Sprache in der Form eingedrungen sein, in der ihn die Ägyp-
ter von der persischen Verwaltung und dem persischen Heer, die
sieh eben der aramäischen Sprache bedienten, gehört hatten, und
das ist durchaus glaubhaft.
4. «yfcciciun.
Auf demselben Wege, über das Aramäische, ist nun aber auch
der Name des Volkes, das die Perser als Herren Ägyptens abloste,
der Griechen, zu den Ägyptern gelangt. Die hieroglyphischen In-
schriften nennen die Griechen seit den Zeiten der 26. Dyn., in
denen die ersten Niederlassungen von Griechen im Nildelta statt-
fanden und die ersten Anwerbungen griechischer Soldtruppen durch
die ägyptischen Herrscher erfolgten, mit dem uralten Namen Hi . w-
nh.ict, der seit den ältesten Zeiten der äg. Geschichte die Be-
wohner der Inselwelt des ägäischen Meeres bezeichnete.
Erst in den demotischen Texten der älteren Ptolemäerzeit,
— vermutlich nur zufällig nicht früher, weil es an älteren demoti-
schen Texten, die die Griechen erwähnen, fehlt — tritt dann dafür
der Name auf, der noch im Koptiachen die Griechen bezeichnet
und der, wie das sogleich schon von den ältesten Agyptologen er-
kannt wurde, ebenso auf das griech. 'Jcaveg zurückgeht, wie die
Benennung der Griechen bei den semitischen Völkern, insbesondere
den Hebräern xmd Aramäern. Es liegt hier ganz etwas Ahnliches
vor, wie bei der Benennung der Perser als Meder durch dieselben
Völker. Der Stamm des Volkes, den man zuerst kennen lernte,
gab den Namen für das ganze Volk her.
Der auf den Namen der Jonier zurückgehende äg. Name für
die Griechen, der, wie gesagt, zuerst in der Ptolemäerzeit nach-
132 Kurt Sethe,
weisbar ist, wird in den demotischen Texten dieser Periode stets
rein konsonantisch Wjnn (auch als Singularis) geschrieben^). Im
Kopt. lautet er: sahidisch oyeeif mti oder oTfeiemn, d.i. gesprochen
üeiemn, bohairisch oYeini«, gesprochen Ueimn, in seinem Kon-
sonantengerippe Wjnn also durchaus jener demotischen Schreibung
entsprechend.
Der dem 3. nachchristlichen Jahrhundert angehörende demo-
tische magische Papyrus von Leiden und London, das jüngste de-
motische Schriftdenkmal, das wir besitzen, gebraucht vielfach
Schreibungen, die die Vokale durch Konsonantenzeichen („Matres
lectionis") anzudeuten suchen. So auch bei unserem Worte, das
in dem Papyrus einmal (27, 85) in dem Ausdruck nid . t Wj'nj =
kopt. juiii'r-oyeeiemii sah. : juie-x-oTfeinm boh. „griechische Rede",
d. i. „griechische Sprache", vorkommt. Da der Text das Zeichen
für ' sonst überall bei Vokal andeutungen für den Vokal a gebraucht
und das e durch das alte Zeichen für das Hülfszeitwort iw (kopt.
e) andeutet, so wird man hier Wajani (resp. emendiert WajanmT)
zu lesen und darin vielleicht eine ältere Form der Vokalisation
zu erkennen haben, bei der das a der Nebensilben noch nicht zu e
verflüchtigt war, wie bei den äg. Wörtern.
Daneben findet sich ib. 12, 25 für das Femininum „Griechin"
eine Form, die WfnjnCw.t geschrieben ist und nach dem eben
Gesagten Wajanäine zu lesen wäre. Dies ist eine gute Femininal-
bildung zu dem Maskulinum Wajantn, die im Kopt. ihre Analoga
hat, sowohl in:
ÄeA-ugipi boh. „Jüngling" — fem. ^eA-ogöwipi „Jungfrau*,
das ebenfalls die Entsprechung von « — ai aufweist, als in:
(^i).xxoy\ „Kamel" — fem. «^«.Aid^TfAe
^oyip „taub" — fem. Kd^ypi boh.
Novv Elementargott — fem. Navvi
Hiiovv Elementargott — fem. ^Jfiavvi,
wo ganz entsprechend ü und au einander gegenüberstehen^). In
beiden Fällen ist ein langer Vokal i oder ü bei der Ableitung der
Femininalformen so behandelt, als ob er diphthongischen Ursprungs
sei {ej, ew)^), was bei ö'äjuotA, 'J(iovv und ujipi völlig ausge-
schlossen ist.
Was nun die kopt. Form oyceiemn : oTemm und ihre demo-
tischen Prototype, die wir eben betrachtet haben, anlangt, so hat
1) So z. B. schon in der oben S. 125 zitierten Inschrift Leps., Denkm. VI 69,
demot. 162.
2) Vgl. Sethe, Verbum I § 45. Äg. Ztschr. 47,24.
3) Vgl. dazu die boh. Formen: ugniiu „Nachricht" neben sah. igme, Ver-
Spuren der Perserherrschaft in der späteren ägyptischen Sprache. 133
bereits W. Max Müller, Asien und Europa 370 Anm. 3 in dem
Element v«, auf das sie ausgeht, die aramäische Pluralendung er-
kannt und deshalb aramäischen Ursprung für die äg. Namensform
postuliert. Im übrigen konnte er die seltsam gestaltete Form aber
nicht erklären.
Die Erklärung ergibt sich aber von selbst, wenn man sich
vergegenwärtigt, wie leicht im Ägyptischen Metathesis tritt. WS-
jenin resp. sein Prototyp Wajantn sind aus *Waj janin zu erklären,
das seinerseits aus *Jawnajin durch doppelte Umsetzung von jau)
zu waj und von naj zu jan hervorgegangen sein dürfte.
Für die Metathesis der Konsonantenfolge jw zu wj^) bietet
das Kopt. vielleicht gewissermaßen eine Parallele in der Form
of i-^ei, die der fajjumische Dialekt für lovdatoi bietet (Ag. Ztschr.
47, 22 Anm. 1). Wie weit bei dem in den Pyr.-Texten zu beob-
achtenden Übergang des alten gemeinsemitischen Wortes für
„rechts" jnm zu dem wnmj der historischen Zeit (kopt. ofni^Ju.
sah. : «yfin*.*! boh. : iinn*juL fajj.) etwa auch eine solche Metathesis
im Spiele gewesen sein mag, entzieht sich vorläufig unserer
Kenntnis.
bum I § 24, 3, und cgd^ncY^ „ernährt sein" neben sah. ce^noTig, Verbum I § 46,
wo beide Male rein vokalisches i und ü in die Diphthonge ei (mit sekundärer
Dehnung des e vor dem t) und eu zerlegt ist.
1) Vgl. auch den Übergang von jw zu wj bei dem Pronom. absolutum 1. sg.
im Altägyptischen.
Zur sogenannten Deprecatio Gelasii^).
Von
W. Boosset.
Vorgelegt in der Sitzung vom 20. NoTCmber 1915.
Wilhelm Meyer hat im Anhang II zu seinem Aufsatz Gildae
oratio r;>i:hmica^) unsere Aufmerksamkeit auf eine Deprecatio Papae
Grelasii gerichtet, welche die Pariser Handschr. 1153 enthält.
Die Deprecatio ist eine Fürbittenreihe von 14 Bitten (nebst
Einleitung und Schluß), die sämtlich mit pro beginnen: pro imna-
culata dei vivi ecclesia . . . divinae bonitatis opulentiam deprecamur
(domine miserere). — W. Meyer zählt eine Reihe eng mit der de-
precatio verwandte Stücke auf. 1) Das entsprechende Gebet des
Stowe-Missals '). 2) und 3) Zwei Gebetsstücke , die sich in einer
Handschr. des gregorianischen Antiphonars in der Bibl. Angelica in
Rom finden (Angelicus a. b.) *). 4) und 5) Zwei Mailänder Texte
(Mailand a. b.) % 5) Ein Text der Handschr. Wien lat. 1888 fol.
110*«).
Außerdem hat W. Meyer uns auf verwandte Gebete in den
altgallischen Sacramentarien , dem Missale Gothicum, dem Missale
Gallicum vetus, dem Sacramentariom Gallicanum") sowie auf ent-
sprechende der altspanischen Liturgie im Missale mixtum *) und
1) Der kleine Aufsatz war als Anbang zn der üntersachong im 3. Heft (1915)
gedacht und erscheint nunmehr unter besonderem Titel.
2) Nachr. d. Gesellsch. d. Wissensch. Göttingen 1912. S. 87.
3) F. Probst, d. abendl. Messe. 1896. S. 47.
4) Jos. Maria Thomasius opera V 241 und U 570.
5) Thomasius opera II 572.
6) Gerbert, Monumenta veteris liturgiae Alemanniae II 89.
7) Muratori, Liturgia romana vetus II 585—589; 736—738; 843 — 845.
8) Migne, Patr. Lat. Bd. 85. 448—470.
KsL Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phfl.-hist Klasse. 1916. Heft 2. 10
136 W. Bousset,
im Liber ordinum ^) hingewiesen. — Endlich liefert uns das Gre-
gorianum (Muratori II 57) eine Parallele (dasselbe Grebet auch im
sogenannten Gelasianum; Wilson 1894 p. 75).
Diese Gebete haben nach den einzelnen Zeugen einen ver-
schiedenen Platz. Nur das Stowe-Missale enthält das Gebet als
festen Bestandteil der regulären Tagesmesse. Angelicus a ist für
die Dominica secunda in Quadragesima bestimmt, Angelicus b für
die Dominica prima in Quadragesima (Thomasius V 241) ; ebenso
Mailand a und b für die 1. und 2. (oder 2. und 3.) Sonntage der
Fastenzeit '^).
Während so in den Zeugen der alten Mailänder Liturgie (auch
Angel, a und b gehören wohl dorthin) das Gebet als Bestand eines
Sonntags der Fastenzeit erscheint, steht es in den alten gallikani-
schen und spanischen Liturgien als ein Teil der Ostervigil ').
Das Sacramentarum Gregorianum ordnet endlich die Litanei
für den Karfreitag an.
In einem besonders engen Verhältnisse stehen von allen diesen
Zeugen die Deprecatio Gelasii und das (irische) Stowe-Missale.
Das zeigt sich besonders deutlich am Anfang und am Schluß.
Gelas. beginnt: Dicamus omnes: Domine exaudi et miserere.
Das Stowe-Missale : Dicamus omnes ex toto corde et ex tota mente :
domine exaudi et miserere, domine miserere*).
Am Schluß hat Gelas. noch eine Reihe von Bitten, die sich
von der Pru-Reihe durch ihre andere Form scharf abheben und
die mit dem Refrain praesta, domine, praesta schließen. Auch
einige der anderen Zeugen (Stowe-Missale, Mail. a. b. Angel a. b.)
haben Schlüsse. Sie stimmen aber alle nicht mit Gelas. überein.
Doch in dem Schluß des Stowe-Missale kehrt die charakteristische
1) Monumenta ecclesiae liturgica hrsg. v. Cabrol und Leclerq. V. 1904.
M. F^rotin, Le liber ordinum, en usage dans l'dglise Wisigothique et Mozarabe
d'Espagne du 5 au 11 sifecle p. 217—223.
2) W. Meyer S. 89. Vgl. auch für Mailand a Pamelius Rituale S. Patrum
I 328 und für Mailand b ib. I 331. — Der Text des Mailändischen Rituals bei
Pamelius ist deshalb wichtig, weil er uns die Stelle, welche dies Gebet in der
Messe einnahm, deutlich macht.
3) Vgl. die Überschrift im Gothicum : Orationes paschales duodecim , im
Gallicanum vetus und Sacram. Gallicanum: Orationes in vigilia Paschae.
4) Von den übrigen Zeugen kommt Wien f. 1888 110 am nächsten: dica-
mus omnes, domine miserere. ex toto corde et ex tota mente oramus. te. Dana
Mailand a: divinae pacis et indulgentiae munere(?) supplicantes ex toto corde et
ex tota mente precamur te D. mis. u. s. f. Vgl. W. Meyer 102 , der vorschlägt
nach dem Stowe-Missale am Schluß vom Gel. noch eventuell domine misbrere
hinsuzufügen.
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 137
Formel praesta domine praesta (wie auch das dicamus omnes des
Anfangs) wieder.
Das Stowe-Missale enthält (von zweiter Hand) die Aufschrift
Canon papae Gelasi'). Demgemäß wollte Bäamer in diesem Mis-
sale den Text der gelasianischen Messe finden^). Probst will
freilich mit dem Ansatz für die Entstehung des Stowe-Missale
noch über die Zeit des Gelasius hinübergehen, die Grundlage des
Stowe-Missale auf die alte durch Patrick eingeführte irische Messe
zurückführen und in ihr die unter Papst Coelestin (422 — 432) ge-
lesene römische Tagesmesse erkennen (vgl. S. 42 a, a. 0. und den
Beweis 56 ff.). Ob Probst seine These wirklich bewiesen hat, steht
dahin. Aber für die Abstammung des Stowe-Missale aus römischer
Messe hat er gewichtige Gründe beigebracht. Und die enge Ver-
wandtschaft, in der das von uns zu untersuchende Gebet mit der
Deprecatio Gelasii steht, ist geeignet, diese These von dem rö-
mischen Charakter des Stowe-Missale von neuem zu bestätigen.
Sehen wir uns nunmehr den parallelen Text in der Deprecatio
und im Stowe-Missale auf seinen Inhalt an , so ist der größere
Bestand desselben ja , wie auf den ersten Blick ersichtlich , gar
nichts anderes, als das allgemeine Fürbittengebet, das wir aus
der griechischen Liturgie als ständigen Bestandteil der Messe so
gut kennen, das aber aus der späteren abendländischen Liturgie
nahezu verschwunden ist. Damit hängt es denn auch zusammen,
daß es, wie wir sahen, in seinem Gebrauch nach fast allen unseren
Zeugen (mit Ausnahme des Stowe - Missale) auf einen Tag des
Jahres beschränkt erscheint'). Nur Stowe-Missale gibt das Gebet
als einen Bestand der gewöhnlichen Messe; es geht also auf eine
Zeit zurück, in der man in Rom das Fürbittengebet als einen
festen Bestandteil des Gottesdienstes noch kannte. Wenn es als
Deprecatio Gelasii in dem verwandten Text bereits für sich über-
liefert ist, so weist das wohl darauf hin, daß zur Zeit der Ent-
stehung dieses Zeugen das Gebet sich bereits aus der Tagesliturgie
losgelöst hatte und sein Sonderdasein führte., Ob Gelasius (492 — •
496), unter dessen Namen das Sonderstück nunmehr erscheint, mit
dieser liturgischen Änderung ursächlich zusammenhängt?
1) F. Probst, die abendländische Messe. S. 47.
2) S. Bäumer, das Stowe-Missale, Ztschr. f. kath. Theol. Innsbruck 1892.
S. 446 ff.
3) Nach P. Drews (Stud. z. Gesch. d. Gottesdienste 2—3, 1906), Untersu-
chungen ü. d. klementinische Liturgie S. 128 kannte noch Felix III. (483—492)
das Gebet. — Leider wissen wir nicht genau, wann es gefallen ist. Wir hätten
sonst einen terminus ad quem der Entstehung des Stowe-Missale.
10*
138 W. Bousset,
Aber das Gebet hat noch (in Gelas. und Stowe-Miss.) eine
zweite Hälfte resp. einen charakteristischen Schloß, und dieser
Schluß soll uns dienen, seine Beziehungen zur griechischen Liturgie
aufzuhellen. Denn das allgemeine Fürbittengebet ist ja so weit
verbreitet und in so viel Nuancen und Varianten vorhanden, daß
eine Untersuchung nach besonderen Verwandtschaftsverhältnissen
hier außerordentlich schwierig ist.
Die Herkunft des Schlusses aber können wir noch mit aller
"wünschenswerten Deutlichkeit bestimmen. Die älteste griechische
Parallele liegt nämlich in den apostol. Konstit. VIII 36 u, 38 vor. Was
wir hier haben, ist das Diakongebet, das nach den Konstitutionen
in dem täglichen Abend- und Morgengottesdienst gesprochen wurde ^).
Wir haben auf dieses Gebet bereits oben S. 483 hingewiesen und
ausgeführt, daß die Diakon-Bitten, um die es sich hier handelt, in
der Tat auch dort an das allgemeine Fürbittengebet im
täglichen Gottesdienst des Morgens und des Abends
anschlössen.
Der Beweis für die Verwandtschaft des Schlusses der Depre-
catio mit ihnen ist, wenn sich auch nicht alle Sätze desselben dort
belegen lassen, leicht zu erbringen. Ich stelle die in Betracht
kommenden Bitten (nebst einer Parallele aus dem Stowe-Missale)
gegenüber, wobei ich den Konstitutionentext, der nur die Anfänge
der Gebete gibt (s. o.), aus der Jakobus-Liturgie (Brightman 39)
ergänze.
Deprecatio Gelasii. apost. Konst. VIII 36. 38.
e. gratum vitae ordinem et pro- ta xaXot xal ta oo|icpspovTa [taic
babilem exitum praesta domine, <{>o)^ai<; fjjtwv xal elpifjvTjv ttp xdo(j.(j>
praesta! Tcapa toö xop[oo aiTTf]otö(i,eda].
{Stowe-Miss. : Christianum et pa- Xptouava ta ziXf] [t/^c C<«)'^<; i^itöv
cificum nobis finem concedi a do- avwSova . . . alt7]ocb|tedaJ.
mino deprecemur. praesta, do-
mine, praesta!
f. angelum pacis et solacia sanc- (töv) ÄYfeXov (zbv hzl f^?) slpi^v/j«:
torum praesta, domine, praesta! [iciotöv 687J7ÖV, ^oXaxa twv tj^o^^wv xal
g. nosmet ipsos et omnia nostra, altTjOwjisda]. iaotoix; xal aXXT^Xoo?
quae orta, quae aucta per domi-
1) Chrysostomus bestätigt die Sitte eines täglichen Abendgottesdienstes für
Antiochia in seinem Kommentar zu Ps. 140 c. 1. Vgl. Funk zu Konst. VIII 36,
in seiner Ausgabe, Didascalia et Constit. apost 1906.
zur sogenannten Deprecatio GeltsiL 139
num ipso auctore suscipimus . . .,
ipsius misericordiae et arbitrio t(p Cwvtt ^e^
providentiae commendamus. Sux toö Xpiotoö aotoü xapadwpLs^a.
Der Beweis ist durch diese Zusammenstellang geliefert. Der
Schluß der Deprecatio Gelasii ist das alte Abend- (Morgeii-)Gebet des
täglichen Gottesdienstes in den Konstitutionen ^), von dem uns an-
dererseits das Stowe - Missale noch eine Reliquie im Wortlaut
(Xptouavdt ta t^Xtq) aufbewahrt hat^). Ja noch mehr, die ganze
Deprecatio Gelasii ist gar nichts anderes, als die Zusammenstellung
von allgemeinem Fürbittengebet und Abend-(Morgen-)Bitte, wie sie
die Konstitutionen für den täglichen Gottesdienst vorschreiben.
Ja man kann vielleicht noch einen Schritt weitergehen. Die abend-
ländische Überlieferung stimmt, wie wir durch den Vergleich sahen,
nur mit den Anfangsformeln der einzelnen Bitten überein. Es ist
sehr wohl möglich, daß die Gebetsvorschriften in der abgekürzten
Form der Konstitutionen ins Abendland wanderten und dort ihre
eigene Ergänzung erhielten.
Auf welchem Wege ist diese Wanderung erfolgt? Kaum wird
man einen Einfluß des Konstitutionentextes im Abendland an-
nehmen dürfen. Dafür femer, daß hier das Gebet Bestand eines
täglichen Abend- oder Morgengebetes gewesen sei , ist kein An-
zeichen vorhanden. Unser bester Zeuge in dieser Hinsicht, das
Stowe-Missale, bringt das Gebet als einen Bestand des eucharisti-
schen Gottesdienstes. Wir werden also die Frage zu erheben
haben, ob diese Gebets Formation sich innerhalb der griechischen
Liturgie als Bestand des eucharistischen Gottesdienstes erweisen
läßt. Der Nachweis läßt sich erbringen. Die Jakobusliturgie
(Brightman 38 f.) bietet nach der Evangelienverlesung am Beginn
der Gläubigenmesse dieselbe charakteristische Erscheinung: Ver-
bindung der Fürbittengebets mit dem Abend-(Morgen-)Gebet. Man
würde also von hier aus zu der These einer Abhängigkeit der
römischen Messe von der Jakobusliturgie kommen, die ja für viele
andere Punkte bereits Drews in seiner Schrift über die Entstehungs-
1) Dieses erscheint übrigens auch als Schluß des Gebets für die Eatechu-
menen, das der Diakon bei deren Entlassung aus dem Gottesdienst spricht Konst.
VIII 6, und diese Kombination setzt bereits Cbrysostomus de incomprehens. Dei
natura III 7 (vgl. Brightman 471) voraus. Sie ist dann (Br. p. 374) in die by-
zantinische Liturgie weitergewandert.
2) Die ersten beiden Bitten der Deprecatio (bei W. Meyer c. und d.) lassen
sich im griechischen Text nicht nachweisen. Sie werden vielleicht Erweiterung
der Deprecatio sein.
140 ^- Bousset,
geschichte des Kanons i. d. römischen Messe behauptet hat' ^).
Allerdings, in der uns vorliegenden Form kann auch die Jakobus-
liturgie kaum die Quelle für die Deprecatio Gelasii gewesen sein.
Denn gerade an dieser Stelle bringt sie das Fürbittengebet in einer
außerordentlichen Verkürzung. Man müßte schon annehmen, daß
der Redaktor, der jene Gebetsformation in die abendländische
Messe einführte, daneben die viel umfangreicheren Fürbittengebete
der Jakobusliturgie unmittelbar vor der Anaphora (Brightman 44 ff.)
und das Intercessionsgebet (Br. 54 ff.) benutzt hätte, oder daß er
die Jakobusliturgie in einer älteren Form kannte, oder endlich
daß er daneben ein älteres römisches (ebenfalls aus der griechischen
Liturgie übernommenes) Fürbittengebet — ein solches existierte
sicher — benutzt habe.
Auch sind mit der Parallele der Jakobusliturgie nicht alle
Parallelen der morgenländischen Liturgie erschöpft. Wir finden
drei weitere in der byzantinischen Liturgie (Chrysostomus- und
Basilius-Liturgie).
Für die Chrysostomusliturgie ''') in ihrer gegenwärtigen Form
kommen zum Vergleich vier Stellen in Betracht: a) ein umfang-
reiches allgemeines Fürbittengebet steht bereits in der Enarxis
(Brightman 362), b) ein zweites derartiges, verbunden mit dem
Entlassungsgebet für die Katechumenen und der Evangelienver-
lesung (Br. 373), c) ein stark verkürztes Fürbittengebet (Gebet
der Gläubigen) verbunden mit dem Ab en d - (Morgen-)
Gebet unmittelbar vor Glaubensbekenntnis und Prosphora (Br. 380),
d) eine ähnliche Kombination wie die letztere nach dem Vaterunser
(Br. 390)3).
Diese liturgischen Stücke zeigen nun in mehrfacher Hinsicht
auffällige Berührungspunkte mit der Deprecatio Gelasii und dem
Stowe-Missale.
1) Es wird aus den weiter unten zu gebenden Zusammenstellung
hervorgehen, daß eine der 14 Fürbitten der Deprecatio nirgends in
sonstigen lateinischen oder griechischen Zeugen ihre wörtliche Par-
1) Studien z. Geschichte des Gottesdienstes, Heft 1, 1902.
2) "Wir können den ältesten Zeugen der Chrysostomus-Basiliusliturgie den
Codex Barberini (VIII. Jahrh.) nicht benutzen, weil dieser überhaupt keine Dia-
kongebete enthält ; müssen also hier mit der endgültigen-späteren Form der ('hrj-
sostomusliturgie arbeiten.
3) In der von Probst (Liturgie des vierten Jahrhunderts, Münster 1893) in
Übersetzung mitgeteilten „Liturgia basiliana juxta M. S. Isidori Fyromali" linden
sich sämtliche Stücke (in allerdings abweichendem Text) als erste, zweite, dritte,
vierte Litanei bezeichnet wieder : S. 892. 894. 396. 405.
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 141
allele findet. Das ist die Bitte Nr. 12: pro omnibTis intrantibos
in haec sanctae donrns domini atria, (qui) religioso corde et supplici
devotione convenerunt, dominum gloriae deprecamur. Die Parallele
findet sich in der Chrysostomuslitnrgie Stück a Br. 363 (hier Nr. 3) :
oitfep Toö aYioo 01X00 toötoo xai tojv fteta zioxsax; söXaßeta? xal
^ößou ö-eoö eloiövTMv Iv aötij) toö xopioo SsTjd'wjxsv und ebenso in
c. Br. 380 (d. h. innerhalb der eigentlichen Parallele znr Depre-
catio).
2) Wir notierten oben den übereinstimmenden Eingang der
Deprecatio und des Stowe- Missale:
Dicamus ^) omnes (+ ex toto corde et ex tota mente St.-M.)
domine exaudi et miserere (+ domine miserere St.-M.).
In der Chrysostomusliturgie lesen wir im Anfang von b : si-
:rö)|t6v ^) ^ravTsc H oXi]? t^c «{»ox'^C xal ki SXij? t^c Siavoia? Ei7ccü|iev —
xöp'.e IXsirjoov.
Auch im folgenden gehen Deprecatio und Chrysostomusliturgie
zusammen :
Patrem nnigeniti et dei filium xopis TtavtoxpdTOp 6 ^sö? twv Tca-
genitoris ingeniti et sanctum de- tspcüv -^ji-wv ")
um spiritum fidelibus animis in- ösöjxe^a^) ooo
Yocamus [respice domine, exaudi eiraxoooov xal
et miserere]. IXstjoov.
3) Endlich aber scheint von hier aus auch der Schluß, in wel-
chem das Stuwe-Missale alleinsteht, seine überraschende Aufhellung
zu erhalten. Ich stelle die in Betracht kommenden Parallelen
gegenüber.
Stowe-Missale Chrysost. Lit. d. (Br. 391 f.)
et divinum in nobis permanere (391 le Schluß von d.) : ttjv hö-
vinculum caritatis sanctum do- nrjta t^c «tiotswc xal ttjv xoivcoviav
minum deprecemur. praesta! toö a^loo TWcOjjLatoc alTYjod{i.svoi i-
aoTou? xal aXXijXooc ... zip ^e^
«apa^düfteda.
sacrificium tibi, domine, celebran- (390 21 = 380 32 Stück c) ÖTrsp täv
dum placatus intende ^) Äpooxojtia^svtwv xal aiftaoO-svtwv
1) Beachte den Parallelismus dicamus — eineuiAev, invocamus — oeofxe&a bis in
die Geringfügigkeiten der Modi.
2) Chrjsostomus-Lit. hat eine gani archaistische Formel gegenüber der
trinitarischen der Deprecatio. — Angelicus a. bietet die trinitarische Formel ein-
facher. Stowe-M. ganz abweichend: qui respicis super terram et facis eam tre-
mere (ähDlich wieder Angel, b. und Mail. b.).
3) Das Gebet, daß Gott die dargebrachten Gaben gnädig annehmen wolle,
findet sich bereits als Nr. 1 der Diakonprosphonesen Konstit. VIII 13, 3.
142 W- Bousset,
(oTTox; 6 (ptXdvö-pcöTroc dsö? i^jtwv 6
TrpooSeSdjisvo? aora . . .)
quod et nos a vitiis nostrae con- (381 3) oTcsp toö poodTjvat i^jjiä«; äzb
ditionis emundet et tuo nomini TrdoTjc -ö-Xitjjsüx; ipY^? [xtvSovoo xai
reddat acceptos. (iva^XY]? toö xoptoo SsyjO'witEv].
Nimmt man noch hinzu, daß von den in der Mitte zwischen
390 21 und 39 1 le stehenden Gebeten sich wenigstens noch das eine
Griied (Christianum et pacificum nobis finem Xpiouava zä xkXri)
hüben und drüben nachweisen läßt, so ist der Parallelismus ein
außerordentlich starker, wie denn überhaupt nach dem obigen Nach-
weis über das „dicamus omnes", das sich im Stowe- Missale nicht
nur am Anfang, sondern auch am Ende findet, alle Grlieder seines
Schlusses nunmehr in der griechischen Liturgie nachgewiesen sind.
Nur eines bleibt freilich rätselhaft. Die Stellang des Gebets im
Stowe-Missale. Dieses steht hier nämlich nach der Verlesung der
Epistel und des Graduale und vor der des Evangeliums '). Das
entspricht keinem der Orte, an dem sich die Parallelen in der
Chrysostomusliturgie finden.
Nun erhebt sich freilich die Frage, ob diese Stücke der by-
zantinischen Liturgie, die wir nur in ihrer späteren ausgebildeten
Form nachweisen können, so alt sind, daß von einem Einfluß von
hier aus auf die römische Liturgie die Rede sein kann. Aber wir
wiesen bereits darauf hin, daß die vier in Betracht kommenden
Stücke — wenn auch im Wortlaut abweichend — sich auch in der
späteren Basiliusliturgie finden.
Vor allem begegnen uns zu den Stücken der Chrysostomus-
liturgie charakteristische Parallelen in der armenischen Liturgie :
zu b ein Fürbittengebet Br. 423 f., allerdings vor der Verlesung
der Lektionen^), zu c eine Kombination von Fürbittengebet und
Abendgebet zu Beginn der Messe der Gläubigen Br. 428 f . , zu d
eine ähnliche Kombination vor dem Vaterunser Br. 444 f. — Auch
einige spezielle Formeln finden sich hier wieder; d schließt:
„Laßt uns alle einmütig sprechen, Herr erbarme Dich" (44536), die
Bitte um die Einigkeit findet sich in der Form: "Wiederum in
Einigkeit für unsern wahren und heiligen Glauben laßt uns den
Herrn bitten, Herr erbarme Dich (44021. 429 1; vgl. den Engel des
1) Darüber bat Probst, abendländische Messe 60 f. 68 eine umfangreiche Er-
örterung angestellt. Er vermutet eine nachträgliche Verschiebung im Stowe-
Missale.
2) Das erinnert an die Stellung des Fürbittengebets im Stowe-Missale, s. 0.
ZOT sogenannten Deprecatio Gelasii. 143
Friedens 4288«). — Übereinstimmungen zwischen byzantinischer
und armenischer Messe können aber als ein Zeugnis für höheres
Alter der betreffenden Stücke genommen werden.
Es wird vielleicht nach alledem nicht mehr möglich sein, die
Kanäle ganz bestimmt nachzuweisen, durch welche die morgenlän-
dische Liturgie das Abendland beeinflußt hat. Unsere großen grie-
chischen Liturgien sind uns sicher nicht genau in der Form er-
halten, die sie damals hatten, als ihr Einfluß nach Westen wanderte.
Aber daß dieser vorliegt, ist unbestreitbar. Umkehren wird man
das Verhältnis nicht können , ein lateinischer Einfluß auf das
Morgenland ist kaum denkbar. Die charakteristische Gebetsfor-
mation, der wir nachgingen, ist für das Morgenland bereits durch
die Konstitutionen (und Chrysostomus) bezeugt, der Schreiber der
Konstitutionen ist wiederum aller Wahrscheinlichkeit nach nur
Redaktor nicht Schöpfer der klementinischen Liturgie. Die Ge-
bete werden im Morgenland zum mindesten in der Mitte des
vierten Jahrhunderts existiert haben. Andererseits ist es nicht
gut möglich, daß das Abendland auf spätere Ausgestaltung der
Liturgien des Morgenlandes mit einer Gebetsformation Einfluß ge-
habt haben sollte, die — wie überhaupt das allgemeine f üibitten-
gebet — vielleicht schon um 500 aus dem regulären Gottesdienst
verschwand, die eine selten gebrauchte Reliquie wurde und sich
in der allsonntäglichen Messe nur in der irischen Kirche länger
erhalten hat.
Nachdem so der Versuch gelungen ist, den Ursprung der De-
precatio Gelasii und des Gebets des Stowe-Missale aufzuhellen, gehe
ich (nunmehr unter Heranziehung aller übrigen Zeugen, besonders
der enger verwandten Angelicus a. b., Mailand a. b., Wien) noch
etwas näher auf den ersten Teil jener Gebetsformation, das allge-
meine Fürbittengebet ein.
Auch hier wird uns die morgenländische Liturgie allerlei Auf-
schluß liefern können. Was zunächst die Form in der Deprecatio
und den ihr verwandten Gebeten betrifft, so beginnen (nach der
Einleitung) die einzelnen Bitten alle mit pro und schließen, wenn
sie im vollständigen Text überliefert sind, mit dem Indicativ oder
auch mit dem Konjunctiv der ersten Person Pluralis: pro . . . ec-
clesia . . . deprecamur^) oder deprecemur '). Darauf folgt noch das
1) So Gelas., Stowe-Missale, (doch vgl. bei beiden die Einleitung dicamus
omnes), Mail. a.
2; So z. B. Angelicus a : deprecemur, Angelicus a in der einleitenden Bitte
invocemus. Thomasius hat [vgl. W.Meyer 100, II. Band seiner Opera 1747 p. 571]
auch in der Deprecatio überall den Conjunctiv deprecemur gesetzt.
144 W. Bousset,
domine miserere (Wiener Handschr. ; Deprecatio? s. "W. Meyer
S. 102 ; Mail, a) ; domine exaudi et miserere (Stowe-Missale); Kyrie
eleison (Angelicus a. b., Rest des griechischen Einflusses). Treffend
hat außerdem "W. Meyer hervorgehoben, daß allein die Deprecatio
in dem Pro-Satz keine direkte Anrufung Gottes enthält, sondern
nur die Aufforderung an die Gemeinde (deprecamur), während in
allen übrigen ein an Gott gerichtetes Gebet erscheint, z. B. Stowe-
Missale : pro piissimis imperatoribus . . . oramus te.
Diese Form ist uns aus der morgenländischen Liturgie als die
des Prosphonesengebets des Diakon bekannt. Auch über die Ent-
stehung des Prosphonesengebets des Diakon sind wir im allge-
meinen unterrichtet, wenn wir hier freilich auch nur mit Rück-
schlüssen aus den morgenländischen Liturgien operieren können.
Anfänglich ist das große Fürbittengebet nämlich vom Bischof
gesprochen*). Dann kam wohl infolge der Länge desselben die
Sitte auf, daß der Priester das lange Gebet, das später auch durch
andere ersetzt wurde, still betete und der Diakon der Gemeinde
nebenher dessen einzelne Hauptpunkte laut mitteilte, wobei dann
eben jene kettenartige Aneinanderreihung (griechischer Name des
Gebets: Synapte!) der einzelnen Bitten entstand, die im Abend-
land als Litanei bekannt ist.
Dabei können zwei Formen des Diakongebets entstehen: ein-
mal die einfachen Pro (67r^p)-rormen. Der Diakon spricht OÄsp x-^?
aflac, IxxXTjota? . . . Ss'/j'ö-wji.ev '■'), oder auch direkt im Imperativ jrpoo-
sö^ao^s oTcsp^), die Gemeinde (der Chor) antwortet xopts IXdirjaov.
1) Vgl. Justin Apol. 1 65. 67. Justin redet freilich von xoival tbyal . . . xotvQ
rdtTvec tuyai 7:^(i.::op£v. Aber schwerlich setzt er mit diesen Ausdrücken die Sitte
voraus, daß die betreffenden Gebete von der ganzen Gemeinde gesprochen seien.
Nach dem Zeugnis der aquitanischen Pilgerin im itinerarium wurde noch am
Ende des vierten Jahrhunderts in Jerusalem bei der Matutin und den Hören das
allgemeine Kirchengebet durch den Bischof allein gebetet. Umfangreiche Gebete,
die etwa dem allgemeinen Fürbittengebete entsprechen, stehen in der Liturgie des
Serapion (vgl. etwa Funk. Didasc. et Const. apost. II. 159 ff.), die, wie es scheint,
nur Gebete für den Bischof enthält. Viele Intercessionsgebete der Messe, so
das in den Konstitutionen, dasjenige der griechischen Jakobusliturgie (Brightnian
p. 54), das der äthiopischen Messe sind dem Bischof resp. dem Zelebranten allein
bewahrt geblieben. Vgl. hierzu A. Baumstark, die Messe im Morgenland inoc
8. 12—14. 100 f.
2) Beispiele: Konstit. VIIUO, VIII13, Jakobusliturgie Br. 34. 36. 39 und
besonders das groBe Gebet zum Beginn der Messe p. 44 — 49. Der Indicativ ot6-
[leöa ist, wie es scheint, selten. Doch vgl. Chrysostomusliturgie : ttTrujfxev Tra'vTcc
. . x6p(( Scjfxt&d aou.
8) Griechische Markusliturgie Br. 114 (die t)>xai Y) 119 ff., Liturgie der kop-
tischen Jakobiten Br. 160 (159) 160.
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 145
Oder — das ist die seltenere Form — der Diakon referiert knrz
den Inhalt der Gebete. Beispiele liefert etwa die syrische Ja-
kobusliturgie (Brightman 89 ff.): „Laßt uns unsem Herrn und
Gott bitten und anflehen für unsere Väter und Herrscher, die
heute über uns in diesem gegenwärtigen Leben regieren und die
heiligen Kirchen Gottes leiten" . . . j, Wiederum gedenken wir aller
unserer gläubigen Briider, der treuen Christen, welche . . .'^ Oder
äthiopische Liturgie (Brightmann 206): -Für unsere Kirche bitten
wir, daß der Herr uns bis zu Ende in der Gemeinschaft des
heiligen Geistes bewahre" (vgl. nestorian. Liturgie Br. 263). Dazu
verrichtet dann der Priester (Bischof) das ausführiichere Stillgebet,
der Terminus dafür lautet kizBb-^&xai.
Den Sinn dieser ganzen Einrichtung lassen die nichtgriechischen
morgenländi&chen Liturgien noch am besten erkennen. In der sy-
rischen Jakobnsliturgie (Br. 89 ff.) ist wirklich jede einzelne Bitte
des viel längeren (stillen) Priestergebets von einem kürzeren (lauten)
Diakongebet begleitet. Zum Schluß spricht dann der Priester die
letzten überschlagenden Sätze seines Gebets noch laut, und dann
antwortet das Volk mit Amen. In der Liturgie der koptischen
Jakobiten (vorangestelltes Intercessionsgebet der Anaphora Br. 165ff.)
spricht der Diakon die Aufforderung an den Priester (Bitte für
den Frieden der einen heiligen katholischen Kirche u. s. w.) und
gibt jedesmal laut das Thema des Gebets an. Dann betet der
Priester sein ausführliches Stillgebet, durch ein Zeichen verständigt
er den Diakon (s. die Bemerkungen Brightmans 165) über die ein-
zelnen Abschnitte des Gebets, so daß dann am Schluß der einzelnen
Fürbitte das Volk mit Kyrie eleison einfallen kann , worauf der
Diakon mit der neuen Aufforderung fortfährt.
Etwas entstellt ist der Sinn der -Synapte" in der uns er-
haltenen Form des großen Fürbittengebets am Beginn der Messe
der griechischen Jakobusliturgie (Br. 45ff.\ Denn hier stellt, wie
es nach den Angaben erscheint, das die Synapte begleitende Priester-
gebet einen ganz andern Text dar, und ist nicht mehr die längere
Ausführung der Synapte. Diese Umänderung scheint aber bereits
in der (klementinischen) Liturgie des achten Buches der Konsti-
tutionen vorliegen. Hier haben wir VIII 10 ein sehr langes Pro-
sphonesengebet des Diakon nebst einem (VIII 11) kürzeren Begleit-
gebet (Stillgebet) des Bischofs (essoxeo^w ohv 6 ap/ispsu? xai
XeifEiw).
Endlich kommt es auch schon in der griechischen Liturgie
vor, daß das Stillgebet des Bischofs ganz versehwindet und nur
das Diakongebet stehen bleibt. So finden wir ein Gebet der Pro-
146 W. Bousset,
(67:ep)-Form *) des Diakonen alleinstehend in der Liturgie der kop-
tischen Jakob iten Br. 159^), ein Diakongebet der zweiten Form
(kurze Inhaltsangabe des Gebets) in der äthiopischen Liturgie
Br. 206 f. ; beide Formen als Parallelexemplare neben einander in
der nestorianischen Liturgie Br. 262. 263.
Dabei ist streng auf den Unterschied geachtet, daß der
Diakon nur zum Gebet auffordert, oder den Inhalt
des Gebets angibt; während nur die Gebete des
Priesters direkt an Gott gerichtet sind. Dieser Unter-
schied bleibt durch alle Liturgien hindurch, soweit ich sehe, fast
ohne Ausnahme') in Geltung.
Für das Alter dieser Umwandelungen besitzen wir endlich
einen terminus a quo in den apostolischen Konstitutionen. Wenn
unsere Deutung oben richtig war, so haben wir hier in VIII 10
die Synapte des Diakonen und in VIII 11 das dazu gehörige Still-
gebet des Bischofs. Doch werden wir wohl mit der ganzen For-
mation dieser Gebete noch etwas weiter hinaufgehen müssen.
Baumstark (die Messe im Morgenland S. 102) urteilt: „Die Gestalt
der vom Diakon vorgebeteten Litanei hatte . . . das allgemeine
Kirchengebet schon am Ende des vierten Jahrhunderts in der an-
tiochenischen Messe gewonnen".
Wenden wir die gewonnenen Erkenntnisse auf unsere latei-
nische Gebetsliturgie an, so ergibt sich, daß wir hier ein altes
Prosphonesengebet des Diakon vor uns haben. Hat sich dieser
Charakter des Gebets auch im Abendlande erhalten? Im allge-
meinen enthalten ja unsere Zeugen keine Vermerkung über Stellung
und Gebrauch des Gebets im Gang des Gottesdienstes. Aber wir
stoßen sofort wenigstens auf eine unsere Erwartung glänzend be-
stätigende Ausnahme. In der von Pamelius veröffentlichten mai-
ländischen Liturgie finden wir I 328 den Gebetstext, den W. Meyer
mit Mailand a bezeichnet, wieder*), mit der Überschrift: finita^}
1) Daß wir hier eine Reliquie haben, zeigt der griechische Text des Ge-
bets. — Die Formation des Gebets ist interessant. Der Diakon spricht : in\ upoa-
euj(V otaö^Ts — TTpooeü^aade bnip — xX(v(U|xev xd ■j6waxa, dvaatüjfxev (dreimal), 6
Äodf xupie ^/.^Tjaov.
2) Vgl. noch byzantinische (Chrysostomus-Liturgie) Br. 362 f.
8) Ich finde im ersten Diakongebet der nestorianischen Liturgie Br. 262 ein
direktes: Wir bitten Dich, auch in der Chrysostomusliturgie Br. 373 heißt es Uo-
(leOa aou.
4) In der Messe zur Dominica quadrag. dicta „de samaritana",
5) liier steht das Gebet noch zu Beginn der eigentlichen Gläubigenmesse
Dach dem introitus, vor den orationes super populum, super sindonem, super obla
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 147
ingressa preces per diaconum pronnnciatae respondente
ch oro.
Schwieriger ist es, sich über die Anordnung im Stowe-Missale
klar zu werden. Wie es scheint, ist das was hier geboten wird,
als Bischofsgebet gedacht. Aber Probst (S. 67) hat mit Recht
vermutet, daß das Gebet, das wir^hier haben, eigentlich die Pros-
phonese des Diakons gewesen sei. Die ursprünglich dazu gehörige
direkt an Gott gerichtete Epiklese (Stillgebet) des altirischen
Rituals finde sich tatsächlich noch in dem Gebet, das in der
Redaktion Moels auf die Prosphonese folge (S. 47): Ante oculos
tuos, Domine, reus conscientiae testis assisto. Hier bete tatsächlich
ein einzelner, während der Beter vorher im Namen der Gesamt-
heit spreche. Propst urteilt: „Die Oratio pro fidelibus ließ die
erste Hand bei der Reform des alten irischen Mis^ale stehen, um
dasselbe durch Auslassung nicht zu sehr zu alterieren. Dagegen
machte sie die Prosphonese des Diakon zur bischöf-
lichen Epiklese unddadurch dies e überflüssig, sodaß
sie ohne Störung ausfallen konnte".
So wird denn auch von der Deprecatio Gelasii dasselbe zu
gelten haben. Sie repräsentiert wenigstens ursprünglich die alte
Prosphonese des Diakon. An diesem Punkt tritt übrigens die re-
lative Vorzüglichkeit der Überlieferung der Deprecatio in helles
Licht. Wie W. Meyer trefPlich hervorgehoben hat, ist in ihr
allein der Charakter der reinen Gebetsanfforderung bewahrt. In
allen anderen Zweigen wird dagegen Gott direkt angerufen. So
heißt es z. B. im Stowe-Missale: „pro sancta ecclesia catholica . . .
oramus te Domine, exaudi et miserere". Die lateinische Überiie-
ferung hat also jenen von der morgenländischen Liturgie so streng
gewahrten Unterschied im allgemeinen nicht aufrecht erhalten,
selbst der Text der Mailänder Litugie nicht (Pamelins I 328), wo
das Gebet noch ausdrücklich als Diakongebet bezeichnet ist.
Man wird dagegen nicht einwenden dürfen, daß das Gebet wie
z. B. im Stowe-Missale (und der Mehrzahl der übrigen Pro-Texte) nicht
die charakteristische Form der Gebetsaufforderung enthalte (Sstj-
dtüjisv), sondern den Indicativ (invocamus, deprecamur, oramus), daß
aber gerade das Merkmal des Diakongebets der Konjunktiv der Auf-
forderung sei (s. 0.). Dsfür könnte man anführen, daß in den Kon-
tionem ; dann folgt das Präfationsgebet der Anaphora. Die Anomalie des Stowe-M.
(Stellung vor der EvangelienTerlesung) wird nicht bestätigt. — Übrigens wird auch
das zweite Gebet Mailand b (Pamelius I 331 dem. quadrag. de Abraham) ebenso
als finita ingressa erfolgend angegeben, nur daß hier der ausdrückliche Hinweis
auf den Diakon fehlt.
148 W. Bousset,
stitutionen in der Tat in dieser Weise formal zwisclien Bischofs-
gebet und Diakongebet in der Intercession geschieden wird. Das
Bischofsgebet beginnt VIII 12, 40 mit l'ct Ssöiisda — sti zapaxa-
XoDjiev u. s. w., das Diakongebet mit eti xal stt Serj^wjtsv.
Dagegen aber gilt erstens, daß sich auch in der griechischen
Liturgie der Indicativ im Diakongebet zeigt, namentlich in de-sen
oben festgestellter zweiter Form; zweitens, daß in unseren Pro-
Zeugen der Indicativ nicht sicher steht , vielmehr auch der Kon-
junktiv, wenn auch vereinzelt bezeugt ist; vor allem drittens,
daß auch in der Deprecatio und im Stowe-Missale eigentlich die
Form des Konjunktivs tatsächlich gegeben ist in dem Anfang:
Dicamus omnes, Domini exaudi et miserere (dann erst precamur)
und daß das genau dieselbe Form ist, die uns im Diakongebet der
byzantinischen Liturgie begegnet (s. o.).
Es wird dabei sein Bewenden haben. Ursprünglich hat unsere
Gebetsreliquie auch in der abendländischen Liturgie als Prospho-
nesengebet des Diakon gestanden.
Von hier aus versuchen wir nun auch Aufschluß über die
zweite Gruppe abendländischer Zeugnisse zu gewinnen, über die
Vertreter der altspanischen und der altgallischen Messe, welche
unser Gebet in der Liturgie der Ostervigil erhalten haben. Das
Missale mixtum sec. regulam Isidori (Migne Bd. 85 p. 448—470)
bietet weiter keine Schwierigkeiten des Verständnisses. Hier wird
ausdrücklich dem Diakon (dicat diaconus) die Aufgabe zugewiesen,
mit pro den Inhalt der Gebete anzugeben, dann folgt die Angabe
flectamus genua . . . levate, dann das (xebet des Bischofs. Das er-
innert am meisten etwa an die Beispiele , die wir oben aus der
ägyptischen Liturgie beibrachten. Merkwürdig ist hier nur, daß
sowohl das flectamus genua wie das levate im Text jedesmal
dem Gebet des Bischofs vorausgeht. W. Meyer ist (S. 91) der
Ansicht, daß das nur der Kürze halber so notiert sei. Es ist
aber auch mögHch, daß wir uns das Priestergebet als Stillgebet
und nur als Begleithandlung zu denken haben. Dann war es na-
türlich sachgemäß, wenn die Anweisungen für den Diakon un-
mittelbar neben einander standen. Jedenfalls bestätigt uns das
missale mixtum von neuem, daß auch das Abendland die Sitte
kannte, daß die Pro-Reihen vom Diakon gesprochen wurden.
Sehr viel komplizierter ist die Anlage in dem von Förotin
(Monumenta ecclesiae liturgica V) herausgegebenen Liber ordinum
p. 217 — 222 und im Gregorianum (Mercator II 57). Im Liber or-
dinum steht zunächst eine Aufforderung des Priesters an die Ge-
meinde (deprecemur) mit Angabe des Gebetinhalts, dann fordert der
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 149
Diakon mit pro und wiederholter Angabe des Inhalts noch einmal
zum Gebet auf, dann endlich spricht der Priester das an Gott ge-
richtete wirkliche Gebet. Etwas einfacher ist das Gregorianum
gestaltet. Auch hier stehen Aufforderung des Priesters an das
Volk (oremus pro) und wirkliches Gebet paarweise neben einander.
Vor dem eigentlichen Gebet spricht der Diakon ^flectamus genua",
hinter diesem „levate".
Merkwürdiger Weise findet sich gerade zu der kompliziertesten
Form des altspanischen Rituals eine genaue Parallele in der ägyp-
tischen Liturgie. Baumstark (die Messe im Morgenland) S. 13
macht darüber folgende Angaben : In Aegypten pflegt seit alters
her der Bischof oder Priester selbst vor jedem solchen Gebet eine
ausführlichere Gebetsaufforderung an die Gemeinde zu richten,
in welcher er den einzelnen Gebetsgegenstand bezeichnete. In
kürzerer Form und wiederum in der des Befehls wiederholt der
Diakon diese Aufforderxmg, indem er in Bußzeiten des Kir-
chen jahrs^) die Gemeinde zugleich zu einer dreimaligen Kniebeu-
gung (vgl. Gregorianum, Karfreitagslitorgie !) anweist. Als Zeugnis
für seine Behauptung weist uns Baumstark S. 101 auf die kop-
tische und die abessinische Taufliturgie hin und darauf, daß sich
in der Meßliturgie diese Sitte teilweise bis heute erhalten habe ^).
Ich verweise noch auf ein sehr interessantes Gebet der äthio-
pischen Liturgie, das in unseren Zusammenhang hineingehört. Am
Schluß jener äthiopischen Kirchenrechtssammlung, welche die „apo-
stolische" Kirchenordnung (c. 1 — 21), die sogenannte ägyptische
Kirchenordnung (22 — 48) und den Paralleltext (Epitome) zu Konst.
Apost. VIII (c. 49—72) enthält, steht ein allgemeines Fürbitten-
gebet ^), das bemerkenswerter Weise mit einem Morgengebet (s. o.)
beginnt, und Bitten für den Kranken, die Reisenden, den Regen,
die Feldfrüchte, das Wasser der Flüsse (Nilschwelle !), den König,
die Gabendarbringer, die Katechumenen, die Entschlafenen enthält
und mit der in der ägyptischen Messe bekannten Formation der
drei Gebete (für den Frieden der gesamten Kirche, die einzelne
1) So wird das schon oben erwähnte Diakongebet der koptischen Messe
Br. 159 mit einer dreimaligen Aufforderung zur Kniebeugung nur an Fasttagen
(Br. 158 u.) gesprochen.
2) Vgl. den Schluß des allgemeinen Fürbittengebets (der tpel« 6*>/ai) in der
koptischen Messe, Brightman 160, und in der abessynischen Br. 224. — Merk-
würdigerweise steht nach den Angaben Brs hier der Diakonruf nicht hinter der
Gebetsaufforderung, sondern mitten im eigentlichen Gebet des Priesters, das zum
größeren Teil als Stillgebet gedacht sein wird (dazu vgl Baumstark S. 12).
3) G. Homer, Statutes of the apostle 1904. 222.
150 W. Bousset,
Kirche, den Papas) schließt. Hier finden wir jene komplizierte
Anordnung von Anfang bis zu Ende durchgeführt^).
Baumstark S. 101 ist, wie es scheint, geneigt, — ganz deutlich sind
seine Ausführungen nicht — , hier eine Mittelstufe der Entwick-
lung zu sehen , die von der alten Sitte, daß der Bischof das all-
gemeine Gebet sprach, allmählich zu der Anordnung herüberführt,
daß nur die Prosphonesen des Diakon laut gesprochen wurden,
während das Gebet des Priesters zum begleitenden Stillgebet herab-
sank und schließlich ganz verschwand. Eine gewisse Logik hat
diese Konstruktion des Entwicklungsganges ja für sich. Auch
könnte die Tatsache, daß sich nunmehr die Verbreitung dieser Ge-
betsformation jenseits Ägyptens in spanischer wie in römischer
Messe hat erweisen lassen, für Baumstarks These, daß wir es hier
wirklich mit einer verhältnismäßig alten Sitte zu tun haben, ins
Gewicht fallen.
Andererseits kann ich doch diesen Schluß nicht für sehr ein-
leuchtend halten. Unsere Gebetsformation ist in sich zu kompli-
ziert und verworren, als daß ihr ein ursprünglicherer Charakter
zukäme. Was hätte denn diese Verdoppelung des ohnehin schon
recht langen Gebets durch die jedesmal vorgestellte GebetsaufFor-
derung des Priesters ursprünglich für einen Sinn gehabt ? ! Baum-
stark hebt überdies selbst hervor (S. 13), daß im Gegensatz zu
seiner Gebetsaufforderung der Zelebrant in der ägyptischen Messe
durchweg den größeren Teil seines Gebets als Stillgebet verrichtete.
Und was sollen nun die Diakonrufe (in der ägyptischen und der
spanischen Messe) neben der Gebetsaufforderung des Zelebranten?
Ich möchte wenigstens die Vermutung wagen, daß wir hier
eine komplizierte Rückbildung vor uns haben. Zu Grunde läge
dieser ägyptisch-abendländischen Gebetsformation die (oben nach-
gewiesene) Sitte, daß der Diakon (in einem referierenden) Satz die
Gebetsaufforderung an die Gemeinde (resp. an den Priester) aus-
sprach, worauf dann das Gebet des Priesters folgte. In Gegenden,
wo man den Anteil des Diakons an der Liturgie wieder zu be-
schränken suchte, hätte man darauf dem Priester selbst jene Ge-
betsaufforderung wieder zugewiesen. So wäre die Form, wie sie
im Gregorianum vorliegt, entstanden. Dann wäre endlich in diese
Form doch wieder auch die Sitte eingedrungen, durch kurze Be-
1) Nur das Gebet für die Entschlafenen macht eine Ausnahme. Eine Par-
allele dazu liegt in dem koptischen Intercessionsgebet Brightman 169, wo wenig-
stens die erste allgemeine Fürbitte für die Toten ohne Gebetsaufforderung des
Diakon gelassen ist.
zur sogenannten Deprecatio Gelasü. 151
fehlsrufe des Diakon die einzelnen Gebete zu markieren. In den
ägyptischen Formularen und dem spanischen des liber ordinum
hätten wir dann den Endpunkt einer komplizierten Entwickelung
und vielfachen Vermittelung.
Und nun endlich können wir den Tatbestand ins Ange fassen,
wie er in der altgallischen Messe vorliegt! Hier finden wir im
Missale Gothicum und im Missale Gallicanum vetus ohne nähere
liturgische Angaben jene charakteristischen Gebetspaare wieder,
bei denen jedesmal das erste Gebet die Gebetsaufforderung (in
einem ganzen Satz mit pro), das zweite die eigentliche an Gott
gerichtete Bitte enthält. Die einzelnen Gebetspaare enthalten
Überschriften mit pro , z. ß. pro sacerdotibus, doch scheinen mir
diese Überschriften nur literarische, keine liturgische Bedeutung
zu haben ^). Im dritten Zeugen der gallischen Liturgie, dem sacra-
mentarium Gallicanum ist nur die erste Gebetsreihe in derselben
Reihenfolge wie im Gothicum mit Pro-Überschriften stehen ge-
blieben.
W. Meyer 92 nimmt nun ohne weiteres an, daß derjenige,
welcher das Urbild des gallikanischen (und auch des spanischen)
Rituals geschaffen habe, aus dem Gregorianum die Form der Ge-
betspaare entlehnt habe. Daß ein so alter liturgischer Zeuge wie
das Urbild der gallischen und altspanischen Liturgie vom Gregori-
anum abhängig sein soll, scheint mir im höchsten Grade unwahr-
scheinlich zu sein. — Ich möchte eher — nach allem Gesagten —
annehmen, daß in den gallikanischen Ritualen die ältere Gebets-
formation vorliegt. In den Gebetspaaren hätte man dann, wie in
den oben angeführten orientalischen Parallelen, einerseits die Ge-
betsaufforderong des Diakons , andererseits das Gebet des Zele-
branten (Stillgebet) zu erblicken. Ob das dem Schreiber unserer
Texte in den gallikanischen Messen noch deutlich war, mag dahin-
gestellt bleiben. Dafür aber, daß das der ursprüngliche Sinn der
Gebetsdubletten war, deutet noch eine Spur im Inhalt der Gebete.
In der Bitte No. 10 des Gothicum lautet die Aufforderung
zum Gebet : „pro spiritibus carorum nostrorum, qui nos in dominica
pace praecesserunt", im Gebet selbst aber wird gebetet: „dona
consacerdotibns et caris nostris qui in tua pace requieverunf ^).
1) Sollten die Überschriften auf Diakonrufe deuten, so müßten sie nach
unseren Parallelen zwischen, nicht vor den Gebetspaaren stehen.
2) Vgl. übrigens den enstprechenden Text in der Deprecatio : pro refrigerio
fidelium animarum, praecipue sanctorum domini sacerdotum, qui huic ecclesiae
praefuerunt catholicae . . . deprecamur. Die Doppelfürbitte für die Verstorbenen
Kgl. Ges. <J. Wiss. Nachrichten. Phil.-hisL KUssc 1916. Heft 2. 11
152 W. Bousset,
Diese merkwürdige Diskrepanz zwischen der Aufforderung und
dem Plus in deren Vollzug begreift sich dann leicht , wenn die
Gebetsaufforderung einmal vom Diakon an das Volk gerichtet
wurde, während das Priestergebet für die consacerdotes (als Still-
gebet) nebenherging ').
So erklärt sich auch am besten, daß die Texte der gallikani-
schen Messe, wie W. Meyer 98 f. treffend nachgewiesen hat, sich
fast durchweg als verwandt mit jener älteren Fürbittenreihe in der
Deprecatio und den ihr verwandten Zeugen erweisen. Die Sache
steht nicht so, daß jene ihre Form dem Gregorianum, ihren Inhalt
wesentlich den älteren Pro-Reihen zu verdanken haben. Sondern
ihre Form ist wahrscheinlich älter als das Gregorianum und dem
entspricht der ältere Inhalt^).
Wenn dann schließlich in einem der drei gallischen Missale
im allgemeineu und die verstorbenen Priester im besonderen ist also alt. In der
Urform des Gothicum wurde sie auf Diakonprosphonese und Zelebranten verteilt.
1) Gegen obige Vermutung scheint allerdings die Aufforderung zur Fürbitte
iür die Priester zu sprechen. Sie lautet im Gothicum: „in sanctorum sancta ad-
missi et altaris coelestis sacerdotii aeterni participes effecti, deprecemur ut sacer-
dotes suos ac ministros donis repleat spiritalium gratiarum. Die Attribute im An-
fang können sich doch kaum auf die Teilnehmer am Sakrament, scheinen sich viel-
mehr nur auf Priester beziehen zu können. Und dann würde hier der Priester
sprechen. Das sacrament. Gallicanum formuliert die Bitte: pro sacerdotibus ac
ministris ecclesiae suae, fratres carissimi supplices deprecemur, ut ingressi sancta
sanctorum totiusque participes altaris spiritalium gratiarum donis abundantiaque
multimoda repleamur. Hier brauchte man nur, das zu der Anrede fratres carissimi
— also doch das versammelte Volk — nicht passende repleamur in repleantur zu
verwandeln und alles wäre in Ordnung. Doch mag die jetzige Form der Bitten
immerhin darauf hindeuten, daß die Redaktoren der Liturgien hier das Gebet als
Priestergebet auffaßten.
2) Ob nun die Gebete in den gallischen Messen oder in den reinen Pro-
Reihen älter sind, wird sich schlecht entscheiden lassen. W. Meyer 88 f. ist für
die erstere Eventualität eingetreten. Er hält den Ausdruck militia (Deprecatio)
in der Königsbitte für älter als exercitus. Aber wir werden noch sehen (s. u. d.
Zusammenstellung), daß beides seine Parallelen in der griechischen Messe hat.
Er zitiert als ein besonderes Beispiel des halb barbarischen, bombastischen Stils
des Missale Gothicum den Ausdruck : virgines sacras et spadones voluntarios i. e.
pretiosas ecclesiae margaritas. Aber gerade die euvoüxot finden sich neben den
Trapö^vot in der Parallele der apostol. Konstit. (s. u. die Zusammenstellung). Und
ich kann das Beiwort „die kostbaren Perlen" der Kirche wirklich nicht für so
barbarisch-bombastisch erachten. — Daß die gallisch-mozarabischen Rituale an
einem Punkte, nämlich in der Umwandlung des Gebets zu einem Pascha-Vigil-
gebet (mit der Einleitung pro solemnitate paschali, der ersten Bitte für die un-
freiwillig Abwesenden und der Verwerfung der ursprünglichen Anfangsbitte pro
ecciesia) sekundär sind (W. Meyer 97 u. 98), ist natürlich richtig.
znr sogenannten Deprec&tio Gelasü 153
das eigentliche Gebet des Priesters ganz verschwanden und nur
die Aufforderungen zum Gebet stehen (ursprünglich des Diakonen)
geblieben ist, so haben wir für diesen Vorgang Parallelbeispiele
in der morgenländischen Messe bereits beigebracht. Es erklärt sich
dies Verschwinden sehr gut, wenn wir auch hier annehmen dürfen,
daß das wirkliche Gebet des Priesters nur als Stillgebet gesprochen
wurde. Aber es soll auf diese Vermutung kein Gewicht gelegt
werden.
Wir wenden endlich unsere Aufmerksamkeit noch dem Inhalt
des allgemeinen Fürbittengebets namentlich der Deprecatio und des
Stowe-Missale zu. Stammt seine Form, wie das hier am deut-
lichsten bewiesen ist, aus der morgenländischen Liturgie, so wird
es sich mit seinem Inhalt ähnlich verhalten. Ich wage eine Zu-
sammenstellung des Hauptinhalts der abendländischen und morgen-
ländischen Überlieferung in tabellenartiger Form. In die erste
Spalte stelle ich den Text der Deprecatio mit den (durch Druck
abgehobenen) Varianten der verwandten Zeugen (St. = Stowe-
Missale, M'-''- = Mailand a. b. ; A*-^- = Angelicus a. b. ; W = Wiener
Handschrift). Dann stelle ich daneben den Text der griechischen
Liturgien, zu denen wir spezielle Beziehungen unseres Gebetes
nachgewiesen : Spalte 2 — 4 die Texte der apostolischen Konstitu-
tionen a) Vni 13 (Diakongebet bei der Intercession), b) VIII 12,40ff.
(Intercessionsgebet des Bischofs), c) VIII 10 (Fürbittengebet des
Diakon am Anfang der Gläubigenmesse) ; Spalte 5 Jakobusliturgie,
Fürbittengebet des Diakon am Anfang der Gläubigenmesse (Bright-
man 44), dazu im Druck abgehoben Intercessionsgebet des Bischofs
{ib. 54); Spalte 6 Chrysostomusliturgie (Diakongebet in der Enarxis).
Die Reihenfolge gebe ich nach der Deprecatio. Durch Kummern
habe ich die Reihenfolge der Bitten in den übrigen Liturgien
deutlich gemacht.
11'
2) ojrsp x^q sxxXirjota?
laÖTTTj? xal Toö Xaoö
3) OTTSp TcdOTJC k'KlOV.O-
154 W. Bousset,
Deprecatio Gelasü. Ap. Konst. Vni 13, 3. Ap.Konst.VIII12,40.
St. : pro altissima pace
et tranquillitate tempo-
rum. Ä^ : ut Concor -
diam veram et pacem
bonam nöbis omnibus
donare digneris. -M*
pro pace ecclesiarum
. . . quiete populorum.
1) pro immaculata dei
vivi ecclesia
St. pro sancta ecclesia
catholica, quae est a
finibus usque ad termi-
nos terrae {vgl. A*. W.
2) pro sanctis ... sa-
cerdotibus et mini-
stris cunctisque vere
colentibus. 3)prouiii-
versis recte tractanti-
bus verbum veritatis
St. pro pastore N., epi-
scopo et omnibus episc.
et presbyterio et dia-
conis et omni clero
{In anderen Zeugen
noch weitergehende Spe-
zialisierung).
4) pro bis qui se mente
et corpore . . . castifi-
cant . St. pro v irginibus
viduis orphanis {vgl. M*
Galt. vet). Goth. : vir-
gines sacras et spa-
dones voluntarios.
St. pro hoc loco et in-
habitantibus in eo {vgl.
5) pro religiosis prin-
cipibus omnique mi-
;cavTÖ(; Tcpsoßorepioo ää-
oirjc . . . Staxovia? xal o-
nf]peota<;
4) bnkp ßaaiXdtov
1) OTCsp ifii otfia? 000
IxxXiTjoiac f^i;
aicö Tcspdttov iü)? «epa-
TCDV.
2) xal OTCsp uaoTfjc kni-
aXOJr-^C tfl<: Öpd-OTOIAOD-
a-qq töv Xöfov zffi aXr]-
•d-Eta?
3) Bitte des Priesters
für sich selbst
oTc^p TtavTÖ? V. Äpsoßo-
Tspioo ... X. 8taxöv(ov
. . . T. xXiJpoo 6) u. t.
Xaoö TOOTOo
7) oTclp Twv ev Tcapd-s-
vfoj xal (^Yveloj, OTclp x.
^C/jpÄv . . . ojc^p X. ev
oe|jLVOic 7d|ji,otc . . . oTcäp
T. VTfJTCl'wV
8) oTt^p T. TiöXeo)? xao-
tY]C xal X. dvTOtXOÖVTWV
4) u;c^p toü ßaoiXdox;
zur sogenannten Deprecatio Grelasii.
155
Konst. Ap. Vni 10
1) OTtep t^c slpTfjVKjC
xöa[JLOU xal twv aYtwv
ixxXrjOiÄv
Jakobus-Litnrgie
Br. 44. 54
1) orsp r^? äyo>dsv sl-
pijvTjc . . . oTcäp c. elpij-
V7)C T. oopLTravTO? XÖOftOO
xal i'.'waswc «aoöv t.
d^. t. d«oö IxxXtjaiÄv
Chrysostomus -Litur-
gie Br. 362
1) OICSp tfjC 3^V(i>deV sl-
pi^VT]«; . . . 6, T. £tpT]VTf]C t.
(j6ji.ÄavT0<; xöa|ji.oo
2) orsp T. (XYia? xado- 2) (vgl. i) ojcsp t. «7. eoota^sia^ twv «y. ^-
Xtx^? xal äTcootoXiXTjc xadoXix^C xal dtjrooto- xXtjoiwv xal tt^c täv
ixxXifjaiac t^<; a?cö xe- Xix*^? IxxXtjoia? t. izö zavtwv Ivcoosw?
pdttov £(0(; TCEpdTODV Y"^? [7cepdt(üv] jt^px^ t-
jcspdtcDV a^T^c
4)üKep rdo>j?lTC'axo7r^<; <2) fitn]6^riTi xvgis x.
T. o~6 TÖv oipavöv twv r. ^ avri] ay. xaregav
^pO-OTojtoovtwv TÖv XÖ70V ^/iöv X. ixiöxÖTtov rav
r^C of^i; dXijdsla«; [3 6. ... ÖQd^oTOfwvvrav x.
t. IvddSs ^Y' TCapotxta?] >U5yov t. tf^g äXijd^sCag
5) ortlp toö Iäktxöicoo 5) J5i7<€ <fe5 Priesters 3) owip toö ap)(ts7ctoxö-
f^jtwv ['laxtüßoo] . . . twv für sich selbst u. f. d. xocf^ji.jt.ttftiourpeoßo-
«peoßutspwv . . . irdoTjc xvxXovvxBg diccxovoi tspioo, t^(; . . . 6iaxovtac,
t.Staxovia^x.orifjpeoia; iravtö? t. xXijpoo x. t.
6) dvaYvwatwv «{»aXtüv Xaoö
;:apdsv{üv X'iQP'*^ ^^ **^ 7) 6;clp t. fev rapO'Svla
öp^avwv, 6. t. Iv ooCo- xal dY^eic^ xal doxYjost
Ytaic. . oicfep sovoo- [xal Iv oejivcp ^d^(f]
X w v . . . 6. t. Iv Iy-
xpatsic^ xal euXaßetof
4 = 4) 6. t. ÄY- [Xpi- 5) bickp t. i^Y« [l«>v^C
oto5] t. d^soö [iQttttv] tq] äöXs«? ... X. t.
166
W. Bousset,
litia eorum. St. pro
piissimis imperatoribus
et omni romano exer-
citu . . . pro Omnibus
qui in sublimitate sunt
(vgl J/*).
xai twv ev oTtepo^^
xai T<öv Iv OÄspox"^ xal
TcavTÖ? xoö otpatoTr^So»
6) pro jocunditate „et
serenitate" (J.* sere-
nitatis et opportunitate)
pluviae atqne orarum
{A'^ aurarum) vitalium
blandimentis ac pros-
pero diversomm tem-
porum cursu
7) pro bis quos prima
Christiani nominis
incitavit agnitio. St.
pro poenitentibus et ca-
tecJmmenis.
8) pro his, quos hu-
manae infir mitatis f r a-
gilitas et quos nequi-
tiae spiritalis invidia
. . . involvit (itf* quique
spiritibus vexantur ali-
enis)
9) pro liis quos pere-
grinationis necessitas
aut iniquae potestatis
impietas vel hostilis
vexat aerumna. Jf'
pro . . . captivis , pro
navigantibus iter a-
gentibus [vgl. St.pere-
grinantibus iter agenti-
bus . . . navigantibus] in
carceribus, vinculis, me-
talliSf exiliis constitutis
10) pro judaica falsi-
6) oTcfep TTjc eöxpaata?
piac t(0V xapTcüv
7) OÄ^p tWV VSO^WTtOTCOV
16) oTcep xfiz eoxpaoiac
xoö aipoz xai r^? s6-
cpopiac xüv xapTcwv
13) oTtsp xwv xaf/j)(OD-
15) OÄSp T. iv (tSTaVOlOf,
dSeX^üv
9) DTcsp Twv SV appwat'lcf
14) bnkp t. )(6iji,aCo[ts-
vwv OTCÖ T. aXXotptoo
10) hickp twv Iv Tcixp^
SooXeiQ^ . . . kv l4opiAi(;
Iv STjjteöoeij oTilp tcXeöv-
t(ov xai 68ot7copoDVT(i)v
[11) OTlIp T. |l,t006vX(öV
T^liä« xai 5t(i)xövx(öv YJ-
(iä? 8ia xö övojtd ooo]
12) Gff&p xwv S^o) ^vx(i>v
zur sogenannten Deprecatio üelasii.
157
zoUtüi... X. T. öpO-o- jciotei olxoovtwv 6v aorg
SöSwv irtötei olxoovtwv
3 = 5) oTcsp twv eoos- 4) ojcep wv eoaeßeata-
ßeatdtwv . . . f^ttwv ßa- t(öv . . . ßaoiXewv i^^|iäv,
otX^tüv, Äavtöc Toö Tca- savtö? t. iraXarioo x, t.
Xatioo xai toö otpato- atpato:r£8oo aütöv
äeSoü a'JTwv
13 = 11) oÄsp euxpaota? 6) oicsp soxpaai a; oepwv
a^pcöv.SpLßpwv elpTjVtxwv, siKpopiotc twv xap-wv t.
8p6a(ov a-ya^wv, xapswv yt^c xal xatpwv elpr^vt-
socopiac, teXsia? eäetTj- xwv
piac, . . . toö otecpdvoo t.
Iviaotoö
8) ozsp twv veo^cotiotwv
äSeX^wv
9) ojclp twv h> appwotia 6) oTcsp t. Iv Yi^poj x. 7 b) voooövtwv xapöv-
äSovaiticfSvtwv jvoooöv- twv
twv xajivövtwv" (= 7)
10) ojclp «Xeövtwv xal
oSotitopO'Jvtwv . . . ÖTTSp
t. Iv [UtäXXot? . .. e^o-
piai? cpoXaxat? . . . Sea-
[toi? . . . Iv itixp4 8oo-
Xeio^ xataTCovoojjLSVwv
[11) oitsp fex^pwv X.
jtiooDVtwv . . . owep t.
Siwxdvtwv ii\x.. 8ia tö
ovoiJLa t. xopioo]
8 = ff) orsp TcXeövtwv 7 a) osep irXsövtwv 65oi-
oSoiitopoövtwv ^evtteoöv- iropoövtwv
xwv xai t. [-\-iv ds6-
Hots] ^v al-/{>,aXwoiaic.
. . . kiopioLK; . . . cpuXa-
xat? . . . [+ Töv iv /i£-
raAAoisx. /3a<yai/ot5] .. .
Äixpaic SooXsiaK;
10 = 6) xai OÄsp udoiQc
«{jo^r^c Xpiotiav^c ^Xi-
ßo(L8vr^C
7 c) alxitJxXwtwv X. t.
owtTjptac aötwv
12) onkp twv liw öv- 11) xai SÄiotpoip-^C c.
158
täte et haeretica pra-
vitate vel gentilium
superstitione perfasis
11) pro operariis pie-
tatis et bis qui ne-
cessitatibus laboran-
tam . . . subveniunt.
St. M^ pro his qtii in
sanda (tua) ecclesia
frudus misericordiae
larghmtur.
W. Bousset,
xal 7r£7tXav7]|i^V(ov
5) TÄv (XYtwv (taptöpcDV
{i,VYj[i.ovs6a(i)jiev. oic^p
12) pro Omnibus in-
trantibus in haec
sanctae domus . . . a-
tri a (qui) religioso
corde et supplici de-
votione convenerunt.
13) pro emundatione
animarum . . . ac venia
peceatorum
14) pro refrigerio fide-
lium animarum prae-
cipue sanctorum do-
mini sacerdotum. Goth.
pro spiritibus caroriim
nostrorum {pausan-
timn). St. sandorum
apostoJoruni et marty-
rum mcmores simus.
Das Resultat dieser Vergleichung entspricht völlig unserer
Erwartung. Es kann kein Zweifel daran sein, daß sämtliche Q-e-
bete auf einen gemeinsamen Grundstock aufgebaut sind.
Vergleichen wir die lateinischen Gebete mit der morgenländi-
schen Messe, so lassen sich ihre sämtlichen Bitten in der griechi-
schen Liturgie ohne Ausnahme nachweisen. Selbst die Bitte der
Deprecatio, deren verhältnismäßige Singularität W. Meyer S. 94
hervorhob, Nr. 10 pro judaica falsitate etc., gewinnt ihre Parallele
in den Clementinen oTcäp twv ^^w ävtwv xal TceTCXavYjjiivcov. An dem
Parallelismus kann gerade, wenn man auf das Ganze schaut und
die Stellung der Bitte im Gesamtgebet ins Auge faßt, kein Zweifel
5) D. TrdvTwv T. ftTc' al(o-
vo? eoapeoTYjodvTwv ooi
äfmv 7ratpiap5^(öv irpo-
cpiQtwv Sixatwv iTcoord-
Xö)V {tapTÖpcov öpLoXo^Y]-
Ttöv Ittioxötccöv (die wei-
teren Rangklassen)
Xatxwv X. icdtVTcov wv . . .
iTTtaraoai ta 6v6^ata.
zur sogenannten deprecatio Grelasii.
10) TCavöov rä 6xC0uccTCi
X. ixxXrjö. xai x. t. at~
7) 0. T. xap7ro<popo6vT(i)v QEGeav inavaöxdöBig,
£v ocY- k%if.\rpir^ x. rot- xßtßAvffoi/ tu (pQvdy-
O'jvtwv T. icsvYjaiv t. iXs- uara t. t^i'öf
Tfjltooovac
5 = i2 (P) 6. t. xapxo-
(popoüVTcov X. xaXXtsp-
IfOÖVTCöV Iv t. a^. T. ^soO
IxxX. |i.s{tvriiJ.sva)v twv
159
9) ozsp T. rapdvTtüv x. 2)o7repT.aY.oixootoutoo
ouvso/oftevcöv i^^fiiv ev x. t. [tstd jctorsox; soXa-
xa6tiQ T^ aY'4 Spoj ßsia? x, ^ößoo ^soö sloi-
12)ozspd5e3=ü)?äjj,ap- {Br.3732i) vzhq övy-
T'.wv X. a'JYy.'«>p'']<3sa)<; j^mpr^fffcD^ xai acptösag
7cXTj{i[i£Xarö>v
evaQEöxriödvTGiv . . . d-
yiGJv naxägav nccxQiag-
Xäv nQoq)TjXG>v d:to6x6-
X(ov (lUQxvQOv öfiolo-
yr^xGiv didccöxdXav 6-
6Cg)v, jcavxbg nvsvfia-
tog dixaiov.
ufiOQXiav
sein. Die abendländische Bitte wird eine Erweiterung und Spe-
zialisierung der morgenländischen sein. Daß nach Probst, abendL
Messe S. 118, der Verfasser von de vocatione gentium I 12 und der
Papst Coelestin in einem Briefe Bekanntschaft mit der Bitte zeigen,
ist wertvoll für die Datierung der Herübemahme des Gebets im
Abendland. Auch die seltene Bitte für die, welche die heiligen
Hallen des Gotteshauses betreten, findet ihre wörtliche Parallele
in der byzantinischen Liturgie, ihre sachliche in der griechischen
Jakobusliturgie. Die Bitte um Sündenvergebung, die so weithin
aus der Abendmahlsliturgie verschwunden ist, ist doch in der
Jakobusliturgie (und auch in der byzantinischen) stehen geblieben.
160 W. Bousset,
Auch das Plus , das namentlich das Stowe-Missale nebst den
verwandten Zeugen über die Deprecatio hinaus bietet, ist meist
in den morgenländischen Liturgien zu belegen. So gleich im An-
fang die charakteristische Bitte OÄsp t"^? slpYjVYj«; xal zfiz eootad'eiac xoö
xöojtoD (Stowe-M. Ang. b. Mail, b.) ; das ätcö TuepdTwv iw? itspatwv t^c
Y^C in Bitte 2 ; die genauere Formulierung der Bitte für den Klerus
in 2 ; das Gebet pro loco et inhabitantibus in eo (Stowe-M. Angel.
a. b. Mail a. b); die virgines, viduae, orphani des Stowe-M. etc., die
ich zu Bitte 4 notierte ; die Wendung xai twv Iv oTcepoy-^ in Nr. 5 ;
die wörtlichere Parallele in Nr. 11 pro his qui in sancta (tua) ec-
clesia fructus misericordiae largiuntur (Stowe-M. Maü. a); selbst
das sanctorum apostolorum et martyrum memores simus (zu Nr. 14)
im Stowe-M. findet seine überraschende Parallele. Die schon
für die meisten dieser Varianten von W. Meyer S. 95 ausge-
sprochene Vermutung größerer Ursprünglichkeit findet ihre defi-
nitive Bestätigung.
Von andern Kleinigkeiten sehe ich ab und verweise auf die
Zusammenstellung der Texte. Nur das eine möchte ich hervor-
heben, daß die seltsame Bitte Nr. 3 der Deprecatio (vgl. W. Meyer
S. 103 : „eine mir unklare Grattung von gelehrten Greistlichen") ihre
völlige Erklärung aus der obigen Zusammenstellung findet. Die
Deprecatio hat die griechische Bitte, etwa ojcsp TcdoYj? sTrtaxojr-^? . . ,
Tü>v 6pdoTO[j.o6vTö>v TÖv XoYOV ti)? dXTjdetac, in zwei Bitten Nr. 2 und
3 zerschnitten.
Aber nicht nur der Inhalt, auch die ganze Anlage des Gebets
und die Reihenfolge der einzelnen Bitten sind hüben und drüben
außerordentlich parallel. Man vergleiche nur die lateinische Reihen-
folge mit der in der zweiten Spalte stehenden Parallele (Interces-
sionsgebet des Diakons), die freilich nur für die erste Hälfte zum
Vergleich in Betracht kommt, da ihr die Bitten der zweiten Hälfte
fehlen. Aber auch bei den übrigen Texten ist der Parallelismus
der Anlage vollkommen deutlich. Abweichungen sind natürlich
vorhanden. So stellt Konst. VIII 12, 40 ff. die Bitte für den König
weiter nach vorne, die für die Witterung und die Saat ganz an
den Schluß (ebenso die Jakobusliturgie, doch nicht die byzantinische),
und hat die Fürbitten für die Notleidenden (9 - 15) in veränderter
Reihenfolge. Auffällig parallel ist wiederum das Stück Konstitu-
tionen VllI 10. Nur daß hier die Fürbitte für die Wohltäter der
Gemeinde (7) sich unmittelbar an die Geber für die einzelnen Klassen
der Gemeinde anschließt. Besonders verwandt erweist sich endlich
wiederum die byzantinische Liturgie, die freilich viele Stücke des
Gebets nicht enthält.
zur sogenannten Deprecatio Gelasii. 161
Umgekehrt läßt sich auch die Beobachtung machen , daß die
verschiedenen griechischen Gebete , wie man sich durch die fort-
laufende Nummerierung überzeugen kann, mit wenigen Ausnahmen
ziemlich restlos von den abendländischen Gebeten übernommen
sind.
Nur eine wichtige Ausnahme ist zu notieren. In den beiden
Gebeten der Konstitutionen VI1I12, 40flP. und Xin 6 steht (Zu-
sammenstellung Nr. 11) eine sehr wichtige Bitte, die sich in keinem
der abendländischen Texte findet, das ist die für die Feinde und
die Verfolger Siä tö ovofta toö xopioo. Es ist nicht zufällig, daß
gerade diese Bitte ausfiel. Der Umstand zeigt aber einerseits,
daß die Urform des allgemeinen Fürbittengebets aus der Verfol-
gungszeit stammt, und daß die Aufnahme des Gebets im Abendland
in eine Zeit fiel, in der diese Bitte als nicht mehr zeitgemäß emp-
funden wurde. Dabei ist andererseits die in dieselbe Zeit weisende
Fürbitte für die in den Bergwerken und Verbannung, in Gefäng-
nissen und Banden Befindlichen in einigen Exemplaren stehen ge-
blieben (vgl. Mail, a.), aber schon die Deprecatio hat eine verallge-
meinernde Umschreibung.
Zu demselben Resultat führt eine Vergleichung der Fürbitte
für die Könige. Das Diakongebet Konst. VIII 10 hat diese Bitte
überhaupt nicht; das beruht schwerlich auf Zufall. Die römische
Obrigkeit war während der Verfolgungszeit vielleicht einfach in
die Bitte für die Feinde und die Verfolger eingeschlossen. Aber
auch der Vergleich des Wortlautes der Bitte führt zu interes-
santen Resultaten. Apost. Konst. VIII 13, 5 lautet das Gebet :
oTcsp ßaoiXstöv xal twv Iv 'jrepox"ä Ssr^O'Wjisv , iva slpTrjvsöwvtai ta
rpö? fj[iä? (folgt I. Tim. 2if.)^). Da haben wir nun wieder die
Zeiten der Verfolgung und Bedrängnis durch den römischen Staat !
Ganz anders klingt das Gebet in der Deprecatio: pro religiosis
principibus omnique militia ^) eorum ; im Stowe-Missale : pro p i i s -
8 i m u s imperatoribus et omni romano exercitu und dementsprechend
1) Vgl. übrigens hier die Aufforderung zur Königsbitte im Missale Gothicum:
„ut nobis populo suo pacem Regum tribuere dignetar, ut mitigatis eo-
rum mentibus requies nobis congregationis istius perseveret (vgl. die Bitte : da
regum eulmini religionis prosperitatem et pacis, ut nobis regno tuo coelesti in
terris adhuc positis liberius liceat desenrire). Ist hier altertümliches konserviert
oder das Gebet auf fränkische Verhältnisse adaptiert? Ganz anders lautet Galli-
canum vetus: ut Regum nostrorum exercitum ita tua virtute corroboret, ut per
eosdem gentibus subditis vel fugatis Deo vivo jugiter serviamus.
2) W. Meyer S. 89 im Sinne der höheren Staatsbeamtenschaft. Das ent-
spräche dann etwa dem toü zoAatt'oj in der griechischen Liturgie.
162 W. Bonsset, zur sogenannten Deprecatio Gelasii.
in der Jakobus- wie in der Chrysostomusliturgie : oTcsp täv eoos-
ßectatcDV i^fjLwv . . . ßaotXdcov , iravtö? toö icaXatiou xal toö atpatoTriSo»
aottöv.
Der Grundstock des lateinischen Fürbittengebets muß also in
der Zeit nach dem Ende der Christenverfolgung aus dem Osten
übernommen sein und wiederum, wie es scheint, vor der endgültigen
Trennung des östlichen und des westlichen römischen Reiches^),
also etwa im Laufe des vierten Jahrhunderts. Die Beobachtung,
daß in den lateinischen (wie im Grundstock der morgenländischen
Liturgien)^) das Mönchstum noch keine Rolle spielt und nur ganz
allgemein eine Fürbitte für die Asketen (die Jungfräulichen) aufge-
nommen ist, deutet bestimmt in dieselbe Richtung.
Daneben aber haben wir erkannt, daß für die Form, in der
uns das allgemeine Fürbittengebet in der Deprecatio und im Stowe-
M. erhalten ist, noch eine zweite Einströmung griechischen Ein-
flusses angenommen werden muß. Und daß diese einer etwas
späteren Zeit angehört, beweisen die gerade hier sich findenden
stärkeren Berührungen speziell mit den ausgebildeten Liturgien
des Morgenlandes, der Jakobus- und Chrysostomusliturgie.
1) Wenigstens möchte Probst S. 66 das aus der Wendung des Stowe-M. pro
püssimis imperatoribus et omni romano exercitu schließen.
2) Vgl. besonders die lange Liste des griechischen Textes im Gebet für die
Verstorbenen. Hier sind zwar die Märtyrer, aber weder die Mönche noch die
Asketen genannt.
Haussa - Sänger,
mit Übersetznng und Erklärung.
Von
Rudolf Prietze.
Vorgelegt von Enno Littmann in der Sitzung rom 18. Dezember 1915.
Einleitung.
Nachdem 1896 *) in den Specimens of Hausa Literature by Bishenee Ver-
Charles Henry Robinson sechs lange geistliche Gesänge im Manu- ' ^ '^
skript nebst Übertragung und Erklärung erschienen waren, habe
ich 1904 in 47 kurzen, in Tunis aus dem Munde zugewjinderter
Haussa sechs Jahre zuvor von mir gesammelten Liedern ein Bild
ihrer Volksdichtung geboten.
Inzwischen gewann ich, z. T. noch in Tunis, besonders aber
seit 1904 in Kairo im Verkehr mit Zöglingen der Azhar-Moschee
aus dem Sudan einen deutlicheren Eindruck von dem Umfang, in
welchem das Lied in den Haussaländern ffepflefft und besrehrt wird. Lebhafte
Sangespflcge
Nicht als ob diesem heiter - sinnlichen , weltgewandten, oberfläch- der Haussa auf
liehen Mischvolke ein tieferes Gefühl für Poesie innewohnte ; Quelle Geistesanlage,
seiner Empfänglichkeit ist nicht sowohl das Herz, als seine be-
hende Auffassung oder, um an eine naheliegende Parallele zu er-
erinnem, sein Esprit, der in treffenden Einfällen, wohlgeprägten
Schlagworten, vor allem im Mri-m magdna d. h. in Bilderrede,
versteckten, nur dem Eingeweihten verständlichen Anspielungen
1 ) ÜDserm weitus besten Kenner des Haussa, Gottlob Adolf Eranse,
gebührt insofern die Priorität, als er schon vor 35 Jahren eine große Anzahl arabisch
geschriebener Haassalieder gesammelt hat, von denen einige sich in der Königl.
Bibliothek zn Berlin befinden, die meisten aber mit dem größten Teil seiner Auf-
zeichnungen verloren gegangen sind. Eine Probe, von der unten in den Be-
merkungen zur Prosodie die Rede sein wird, hat er 1896 im Feuilleton der Kreuz-
zeitung veröffentlicht.
164 Rudolf Prietze,
Befriedigung sucht. Ein glückliches Bonmot ist bei ihm, wie die
kiräfi in meinem Aufsatz „Pflanze und Tier im Volksmunde des
mittleren Sudan" (Zeitschr. f. Ethnologie 1911, Heft 11) beweisen,
der Unsterblichkeit sicher. Und wie in Ländern höherer Kultur
die Presse, unentbehrlich, geschätzt und gefürchtet, wirkt dort
noch der Sänger nicht allein als Bringer der Lust, sondern als
Träger und Schöpfer der öffentlichen Meinung.
Äußere Verhältnisse kommen der Verbreitung seiner Kunst
entgegen. Das von einer dünnen Fulbeschicht beherrschte Haussa-
gebiet, an sich schon verhältnismäßig reich an größeren und klei-
neren ge werbfleißigen Verkehrszentren, hat Dank dem Handels -
geist seiner Bewohner nach allen Seiten Kolonien ausgestrahlt, in
denen der Drang nach außen fortstrebt. Eine unbegrenzte Wander-
lust waltet, soweit die Haussazunge klingt. Allenthalben fühlt
sich der reisende Kaufmann daheim , und seinen Fußtapfen folg
truppweise fahrendes Volk, vom Verdienst der Landsleute zu leben.
^^^voiik^"''^ An der Spitze eines jeden solcher Trupps steht ein Führer,
gfirdi (PL gerdawa) genannt. Die niedrigste Stufe des Landstreicher-
tums bilden die mit Weib und Kind wandernden türdawa (Sg. türäe),
die schlechthin vom Bettel {roho) leben und daneben höchstens
Kräuterzauber verkaufen. Etwas besserer Greltung erfreut sich
das Gefolge des gerdi-yn mäciäi, die Schlangenbeschwörer, die gleicii-
falls familienweise ziehn und den Handel mit allerlei Zauber als
Nebengewerbe betreiben. Hoch über beiden steht der Chor des
gerdi-m hdra, die fahrenden Schüler unter ihrem Sangesmeister.
Sie wie auch der wandernde Mälem (Schriftgelehrte) mit seinen
Jüngern ziehn nicht allein aus dem Verkauf von Zauberzetteln
Gewinn, sondern in erster Linie aus dem bdra, dem Bettelliede,
das der gerdi vorträgt, während die almääirei (Schüler, Umformung
des arabischen almohäjir; ei ist ursprünglich Dualendung) nach
jedem Verse eine Gottesanrufung singen. Zwischen den drei Gat-
tungen von Wandertrupps herrscht bitterste Fehde; durch Zauber
suchen sie sich vor einander zu schützen.
Sangesmeutcr. Mit den fahrenden Schülern sind wir in den Bereich der
Sänger eingetreten; denn der gerdi-m hdra ist eine zabia (PI. zä-
hi(n) — ein Wort dunkler Herkunft, das stets feminin ist und
Meistersinger bedeutet, sei es Mann oder Frau. Die Kunst ist
auch dort an kein Geschlecht gebunden, wird indeß meist vom
stärkeren geübt. Es ist der selbstdichtende Sänger, den ein Kreis
von Musikern und Jüngern umgibt; stirbt er, so wird aus diesen
sein Nachfolger gewählt. Von der zdhia zu unterscheiden sind die
zahllosen vorwiegend reproduzierenden Lokalsänger, die zwischen
Haussa - Sänger.
165
Tanzweisea.
•den nächtlichen Tänzen nach bekannten Weisen Lieder vortragen.
Solche Volksweisen, die bald getanzt bald gesungen werden, tau-
chen plötzlich auf und herrschen Jahre lang, bis andere sie ablösen.
Die erste, deren mein Gewährsmann Jlüsa sich entsinnt, nannte
sich nach ihrem Urheber Semba, die folgende hieß Dädua. Danach
mag vor 25 bis 30 Jahren die sehr verbreitete Mägara aufge-
kommen sein. Ihr folgte drei Jahre später der GaUii, vor 20
Jahren die Lelua und im Jahre darauf der Zali. Nach allen diesen
Weisen sind Lieder von ziemlichem Umfang gedichtet worden, die
ich mir aufzeichnen ließ; so gehört die an zweiter Stelle von mir
veröffentlichte Liedersammlung, der Diwan des „Heimchens", der
Mä'jara an.
Natürlich ist der Geltungsbereich der einzelnen Sangesmeister
verschieden. Manche befinden sich vorwiegend auf der Wander-
schaft, andere sind seßhaft; doch bringen auch diese auf zeit-
weiligen Kunstreisen ihren Vorrat an Dichtungen zum Gehör, ge- Kunstreisen.
legentlich auch volkstümliche Lieder anderer Verfasser beifügend,
wie in der eben genannten Sammlung die Sprüche des Negele. So
finden ihre Erzeugnisse oft weit über die Grenzen der engeren
Heimat hinaus Verbreitung, mehren das geistige G-emeingut und
tragen in Ermangelung einer Literatursprache zur Angleichung
und Bereicherung der zahlreichen Mundarten bei.
Das Auftreten der säbia wird durch ein zahlreiches Gefolge
unterstützt. Den Kern bilden die Musiker; andere schließen sich
an, um beim Einsammeln der Gaben behilflich zu sein. Auf Reisen
wird ein möglichst stattlicher Eindruck erstrebt. Danuma, von
dem die nachstehenden Lieder des „ Papageis ~ herrühren, soll an
der Spitze eines Zuges von 16 Berittenen wie ein Pascha auf-
getreten sein. Ist man in einer Stadt angelangt, so dient in der
Regel die Behausung eines angesehenen Gastfreundes als Ab-
steigequartier. Die Vorträge finden dort wie daheim auf dem
Tanzplatz des Ortes statt. Nach der Mahlzeit ruft die große
Trommel (gangd) die Einwohner zusammen. Sobald die musikali-
schen Begleiter, 10 bis 20 an der Zahl, ihr Konzert vollführt
haben — eine Beschreibung ihrer Instrumente s. am Schluß dieser
Einleitung — trägt der Sänger, von der Musik mit Ausnahme der
Trommeln leise begleitet, seine Stücke vor. In den Pausen oder
am Ende bringen die Zuhörer ihre Geschenke, oft sehr beträcht-
liche, und die vorhin erwähnten Schmarotzer, Namen und Spende
des Gebers ausrufend, erhöhen deren Ziffer in ihrer Trinkgeld-
hoffnung noch um vieles.
Den Vortrag des Meistersingers darf man sich, so gern er
166 Rudolf Prietze,
Anwesende apostrophiert, im allgemeinen nicht als Improvisation
vorstellen. Er wird größtenteils daheim wohlvorbereitet, nicht
selten zur Stütze des Gredächtnisses aufgezeichnet und im häus-
lichen Kreise auf seine Wirkung geprüft. Einschiebsel und Um-
gestaltungen ergeben sich später von selbst.
^tti*ngen" "^^^ stchcude Gattungen ihrer Dichtkunst nennen die Haussa:
yähö (Preislied), sanho oder sambö (Spottlied) und hege (Lied der
Liebe, der Sehnsucht, der Trauer). Freilich fallen viele ihrer
poetischen Erzeugnisse, wie die geistlichen, moralischen und poli-
tischen Betrachtungen oder die dem Tanz und der Greselligkeit
geltenden Lieder, aus dem Rahmen heraus, während in anderen,
z. B. in ITk u. p (s. u.) zwei, ja alle drei Gattungen sich drollig
vermischen. Die Gültigkeit der Einteilung ergibt sich indeß aus
dem praktischen Gesichtspunkte des Sängers : er will entweder
durch Schmeichelei die Gebelust wecken oder, sei es für sich, sei
es gegen gute Bezahlung für andere, einem Gefühl der Rache, des
Verlangens, des Leidens Worte leihen. Den Ausdruck des be-
wegten Gemüts wird man zumeist im hege, sodann im sambo zu
suchen haben; an Masse jedoch überwiegen, dem vorherrschenden
Erwerbssinn entsprechend, weitaus die Leistungen im yähö. Jeder,
der überhaupt etwas zu spenden hat, findet eine zahia, die ihn
besingt, und wehe ihm, wenn er zu karg ist! Der drohende
zamhö lauert im Hintergrunde (vgl. Ik). Wie in der Blütezeit
unseres sangfrohen Mittelalters ist diu milte hier erste Tugend des
Starken und Reichen. Den Gebieter zu preisen, liegt dem offi-
ziellen Hofpoeten ob, doch werden kluge Machthaber, denen es
um „eine gute Presse" zu tun ist, auch den freien Sänger, der
ihren Ruhm mit Geschick zu verkünden weiß, fürstlich belohnen.
Man ist in diesem Punkt in den Haussaländern gewitzter als in
manchen Zentren europäischer Kultur. Daneben scheint im Sudan
die Eitelkeit als noch stärkere Triebfeder zu wirken. Wem der
Herrscher zu fern wohnt oder zu sehr umworben ist, der wendet
sich mit seinem Preislied an den bürgerlichen Gönner und kommt
in der Regel auf seine Rechnung. Es gibt Spezialisten, die nur
Jäger besingen; denn so niedrig der Waidmann in der Achtung
der Honoratioren und besonders der in Zaubermitteln mit ihm in
Wettbewerb stehenden Gelehrten angeschrieben ist, er pflegt nach
erfolgreicher Jagd sehr freigebig zu sein. Andere richten ihre
dem Forscher manch fesselnden Einblick gewährenden Huldigungen
an Ackerbauer, Färber, Mörserhauer, ja selbst an so wenig ange-
sehene Handwerksmeister wie Fleischer und Schmiede, und erhalten
ihren Lohn in natura. Sogar einem Straßenräuber und einem er-
Hanssa - Sänger. 167
folgreichen Diebe widmet ein Barde begeisterte Hymnen, um an
der Beute teilzunehmen.
Greringer als an Lobgesängen, aber gesalzener ist mein Vor-
rat an Schmähliedem. In ihnen entfaltet der Haussa eine be-
sondere Stärke. Gleich den Pfeilen des Archilochos soll ein Teil
derselben den G-egner in Verzweiflung und Tod getrieben haben.
Das bege hingegen, das in der Poesie der ostlichen Nachbaren
(vgl. meine Bornulieder) rührende Wirkung erzielt, dürfte ihm
seltener gelingen.
Als erste Stücke meiner Sammlung lasse ich Lieder zweier P*« '>«,'<'«•' »o^*
liegenden „Di-
Sänger folgen, die nicht allein in ihrer Begabung hervorragend, wanc".
sondern auch in ihrer Persönlichkeit als typische Vertreter ihres
Standes erscheinen. Ein befähigter Haussa namens Ahmed (A) hat
sie mir in Tunis im Frühjahr 1902 als je ein Ganzes aufgezeichnet
und Satz für Satz erklärt; doch erst nach erneuter sorgfältiger
Untersuchung mit Hilfe eines noch einsichtigeren Gewährsmannes
M^) vermochte ich vor drei Jahren in Elairo die Teile reinlich zu
scheiden und über den Sinn im einzelnen eine hinlängliche, wenn
auch nicht restlose Klarheit zu gewinnen.
Es sind Liedersträuße, von ihren Urhebern unter sinnvoll ge-
wählten Tiernamen einem dankbaren Hörerkreis als ihr derzeitiges
Repertoire dargeboten, die sich füglich, si parva licet componere
magnis, als „Diwane" bezeichnen lassen.
Beide Sänger legen ein beträchtliches Selbstbewußtsein an den
Tag. In jedem von ihnen steckt ein kleiner Aretin, der sich als
Herrn über den Leumund seiner Landsleute fühlt und in der Aus-
übung solcher Gewalt keine Skrupel kennt. Der fromme Ernst
der geistlichen Dichter Robinsons ist Beiden fremd. Wie der
überwiegende Teü ihres Volkes bekennen sie sich zwar aufrichtig
zum Islam, wissen sich aber mit seinen moralischen Forderungen
behaglich abzufinden.
Bei aller Übereinstimmung in den Grundanschauungen heben sie
sich in ihrer Eigenart scharf von einander ab. Der, welcher sich „Der Pap«cci.
1) Müsa war in Borna geboren, aber noch im Knabenalter zum Studium
bei einem Mälem nach Zindir, der Hauptstadt des nordöstlichsten Haussadistrikts
Damägaram, gelangt und hatte dort sowie auf Reisen im Lauf der folgenden
fünfzehn Jahre die Landessprache so vortreflflich gelernt, daß er sie mindestens
so gut verstand wie seine heimatliche und zu seiner großen Genugtuung von
seinen Haussakommilitonen in der Azhar für einen der Ihrigen gehalten wurde.
Ich danke seinem kritischen Scharfsinn wie seiner Zuverlässigkeit und seinem
außerordentlichen Gedächtnis nicht minder als seinem Geschick, mir femliegen<le
Gedankengänge zu erschließen, die besten Ergebnisse dieser Arbeit.
£tjl. Ges. d. Wiss. Nacbricbton. Phil.-hitt. Klüse. 191«, Heft 2. 12
168 Rudolf Prietze,
^n der Spitze seines Diwans als Papagei einführt und seinen wirk-
lichen Namen Danuma in 56 und 144 verrät, betrachtet die Welt
ausschließlich aus dem Gresichtspunkt des fahrenden Sängers und
seines Bedarfs. Trotz des oben erwähnten pomphaften Auftretens
macht er aus seiner Abhängigkeit von der Gunst der Mächtigen
kein Hehl (vgl. Gr, Q und S); er wünscht von seiner Kunst ohne
Anstrengung zu leben (vgl. F, J), und wäre es durch Erpressung
(H); selbst das Gebet scheint ihm ein erlaubtes Mittel zu unlau-
terem Zweck (E). Der gute Geber erfährt warmes Lob (D, M,
N, U), der Widersacher oder schlechte Zahler seinen oft witzigen,
meist gutgelaunten Spott (K, N, R, J); mit Bitterkeit äußert er
sich über Verwandte (0, P) und die Fulbe (Q) nur, weil sie nichts
für ihn übrig haben. Versöhnend neben soviel engem Eigennutz
wirkt seine Dankbarkeit für frühere Wohltat (B, L) und ein wohl
nicht bloß nachgeahmter Hymnus auf die Größe und Güte Gottes
(E) ; auch besticht er durch die Leichtigkeit seines Stils und Sinnes,
seine Schelmerei und kindliche Unbefangenheit diesseit von Gut
und Böse,
'^he""*" Hervorragender, wo nicht als Dichter so doch als Persönlich-
keit, ist der Sänger, der sich unter dem Pseudonym Heimchen
verbirgt. Er hieß laut A. Babale (etwa „kleiner Großvater" oder
„Bruder des Großvaters"), stammte aus Wangara bei Gezawa, einem
kleinen Ort in der östlichen Umgebung von Kano, und lebte von
Gartenbau. Nicht sowohl um Lohn als des Beifalls wegen und
um die Gunst der Mädchen zu gewinnen, hat er in jungen Jahren
viele Lieder gedichtet und gesungen, darunter den vorliegenden
Diwan, der im „Kometenjahr" entstand und, wie sich aus manchen
Anzeichen ergibt, nicht daheim, sondern mindestens in seinen
Hauptbestandteilen (A, B, D, K, N, 0, P, Q) auswärts vorgetragen
wurde, vermutlich in Garko (vgl. Anm. zu II 84), dessen Verhält-
nisse im Vordergrunde stehn.
Ein sicheres Selbstgefühl und starke Leidenschaft zeichnen
ihn aus. Mit ätzendem, ja unflätigem Hohn verfolgt er einen
Sänger dienenden Standes, dessen Wettbewerb in der Handhabung
der Tanzweise Magara (s. o.) ihm unbequem ist (B). Auch seine
Preislieder lieben ironische Färbung (K, P). Nur in seinen den
jungen Mädchen gewidmeten Versen (E, L) weiß er sanftere Töne
anzuschlagen. Sein Hauptaugenmerk gilt der gefahrvollen poli-
tischen Lage. Der Schrecken jener Tage war Hardna, der Räuber-
hauptmann, von dem auch der 1886 die Haussaländer durch-
forschende Staudinger in seinem Reisewerk S. 283 berichtet. Ein
Haussa unbekannter Abstammung, hatte er sich an der Spitze
Hanssa - Sänger. 169
zahlreicher Krieger, vornehmlich aus dem Heidenstamme der Kerr^-
kerr^, in dem Felsennest Ningi an der G-renze der Staaten KAno,
Zauzau und Bauci festgesetzt und brandschatzte in fortwährenden
Streif zügen die gesamte Umgegend. Bei straffem Zusammenhalt
würde es dem meistbetroffenen Kano ein leichtes gewesen sein, des
Unholds Herr zu werden; allein dem starken Fulbegeschlecht, das
sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Haussaländer Unter-
tan gemacht hatte, war grade an den entscheidenden Stellen minder-
wertiger Nachwuchs gefolgt. Der in Blano herrschende Bello, Sohn
des Ig genannten Königs Abdu, Enkel des Dälo (II 161), weit
entfernt, den Störenfried mit Heeresmacht in seinem Malepartus
aufzusuchen, hemmte noch durch ausdrückliche Weisung die Kampf-
lust des ihm untergebenen sogenannten Wesirs von Garko. In
dieser Bedrängnis erfüllt der Sänger seinen Beruf als eifriger
Warner und Mahner. Gewiß wäre es verfehlt, in einer Umwelt,
der Vaterlandsliebe ein unbekannter Begriff ist, einen Waltber
von der Vogelweide wiederfinden zu wollen, zumal auch das Inter-
esse des Grundbesitzers an einer Wiederherstellung des Land-
friedens stark beteiligt war. Immerhin entbehrt es nicht einer
gewissen Großzügigkeit, wenn das Heimchen die Häupter ringsum
strengen Blickes mustert, die Bewährten preist (K, N), diejenigen,
die es an Mannheit und Tatkraft fehlen ließen, aufs schärfste
tadelt (H, K, M, N), selbst den Oberherrn mit freimütigem Spott
überhäuft (0), dem Feinde seine Trutzbotschaft sendet (98 ff., 149 ff.),
die Aussichten des Erfolges überschlägt (0) und zu sorglicher
Rüstung mahnt (0, Q); hier führt nicht der Revolverjournalist das
Wort, sondern der ernste Vertreter des Gemeinwohls.
Wie bei meinen Bomuliedern muß ich bedauern, daß sich aus zur versWunst
der Haussa.
den vorliegenden Diwanen das Wesen ihrer Form nur sehr unvoll-
kommen erschließen läßt. Sie wurden mir in A.s Niederschrift
ohne jede Interpunktion, ohne jeden Absatz zur Kennzeichnung
der Verse und Strophen überliefert und ohne das Bewußtsein
solcher Gliederung gedeutet. Auch M, der kundigere und scharf-
sinnigere Erklärer, bestritt das Vorhandensein prosodischer Regeln,
wie die arabische Poesie sie aufwiese, für das Haussa schlechtbin.
obwohl er nicht umhin konnte Verkürzungen auf die Forderung
des Verses zurückzuführen und selber gelegentlich auf den mäimai
„Wiederholung", hier wohl Parallelismus membrorum, als dichte-
rischen Grundsatz hinwies.
Daß auch die Haussapoesie Gesetze kennt, bestätieren die am Z^-"* **^ ^'^
_,. *^ , ' o birsons Speci-
Emgang erwähnten versmäßig geschriebenen Specimens von Ro- ^^°^
12*
170 Rudolf Prietze,
binson. Leider hat dieser es während seines Aufenthalts in jenen
Ländern versäumt, sich die Texte von einem Sachverständigen vor-
lesen oder vorsingen zu lassen, um dem Prinzip des Versbaus auf
die Spur zu kommen. Die bloße Durchsicht läßt nicht mit Sicher-
heit erkennen, ob es auf Quantität, Betonung oder Silbenzählung
beruht ; doch spricht m. E. die Wahrscheinlichkeit für die letzte.
Nur weichen die sechs Gesänge, von denen je zwei auf einen Ver-
fasser zurückgehn, im einzelnen stark von einander ab. Gemeinsam
ist ihnen die in grundsätzlich gleiche Hälften (a u. b) zerfallende
Langzeile. Eine Gleichheit der Silbenzahl innerhalb der einzelnen
Gesänge wird mutmaßlich beim Vortrage durch Zusammenziehung,
Verschleifung u. dergl. erzielt.
Bei dem Dichter von A und C zählt die Halbzeile 11 — 14,
durchschnittlich 13 Silben. In der Regel werden Langzeilen durch
den Keim bezw. den Gleichklang am Schluß von b zu kleineren
und größeren Komplexen verknüpft, in A gewöhnlich durch die
Endungen ari, erri, auch iri (7 mal kafiri), in den 55 Langzeilen
von C 53 mal durch ia (darunter 39 mal dünia). Ferner schließen
a und a zweier benachbarter Langzeilen gern mit demselben Wort,
z. B. lahira, fätiha. Dagegen scheint Reimverbindung von a : b in
derselben Langzeile nur zufällig zu sein.
Der zweite Autor, Mälem Mohammed, bietet in den 174 Lang-
zeilen von B Halbverse, die fast durchweg 10 — 11 Silben zählen.
Dagegen schwanken sie in D, seinem andern Gesänge, zwischen
12 und 17 und ermangeln einer natürlichen Sonderung ihrer Hälf-
ten, ja 7 mal sind Wörter auseinander gerissen, um in ihrem ersten
Teil den Schluß von a, im zweiten den Anfang von b zu bilden.
Der Reim ist bei diesem Dichter Ausnahme, nicht Regel. Die
Frage, ob er vorkommenden Falls erstrebt war, läßt sich bei a
und b der einzelnen Langzeile eher bejahen als bei a und a, b und
b der benachbarten.
Am sorgfältigsten hat der Fulbescheich Osmän, der 1809 ver-
storbene Eroberer der Haussaländer, als Verfasser von D und F
eine Form beobachtet. Die Silbenzahl seiner Halbverse beträgt
überwiegend 12 bis 13, keiner zählt über 14, keiner unter 11. Von
den 52 Langzeilen von D endigen nur 9 nicht auf a, von den 257
von F schließen 145 auf awa, 81 mit dem Worte Icöwa] im ganzen
endet b in F 249 mal auf wa. Da auch am Schluß der ersten
Halbverse in beiden Gesängen a vorherrscht, so scheint ein Gleich-
klang auch bei a : a, a : b gern gesehn, wenngleich nicht Regel zu
sein; a: a paren sich durch gleiche Wörter am Schluß 2 mal in D,
12 mal in F.
Haassa - Sänger. 171
Von diesem Osmän rührt auch das zu Beginn dieser Einleitung
am Schluß der Fußnote erwähnte Haussalied her, Herr Gr. A-
Krause teilt mir darüber brieflich aus seiner Erinnerung fol-
gendes mit^):
„Nachdem ich viel darüber nachgedacht, hin- und hergeraten
habe, glaube ich das folgende als feststehend angeben zu können:
Jede Zeile, oder jeder Vers, besteht aus acht Silben, deren 1.,
3., 5. und 7. besonderen Ton haben. Je vier (oder fünf) bilden
eine Einheit für sich in doppelter Weise. Einmal ist der Sinn
damit abgeschlossen, und dann haben die ersten vier gleichen End-
reim, der sowohl nur die Endsilbe wie auch die beiden letzten
Silben treffen kann. Alle fünften haben durch das ganze Lied
hindurch gleichen Endreim, der hier . . . . ki ist. Vier habe ich
mir ins Gedächtnis zurückrufen können:
1. Mäsu iägo, zdiigu üku
2. Sunka köre sänsaninku
3. ZdsH bifiku hdr garinku
4. AnniydnsH ein hazitiku
B. vergessen Jei.
Vom Schluß des Liedes kann ich drei angeben, ich weiß nicht,
wo die Lücke ist:
1. Gdsu cdn muzdbzabina
(? hier )
J}uhiehu täß dina
(? oder hier . . . .)
4. Mü amtru-l tmiminina
5. Mün ha sämu mün yi särJci.
Osmän war Missionar ; seine Missionsreisen, auf denen er später
meist von seinem jüngeren Bruder Abdullähi begleitet war, er-
streckten sich nicht bloß auf das Haussaland; er ist bis jenseits
des Niger ins Gurmaland gezogen, hat überall gepredigt, Schulen
errichtet und gedichtet.
Osmäns wichtigstes Lied ist wohl das sogenannte Abdulkädir-
Lied. Ich kann nicht sagen, ob er es zuerst in haussanischer oder
fulischer Sprache gedichtet hat. Abdullähi hat es später ins
Arabische umgedichtet. Das Abdulkädir - Lied, dessen Urtext mir
unbekannt und das ich nur in der arabischen Übersetzung kenne,
ist sozusagen die haussanische Marseillaise, das haussanische Re-
volutionslied. Gedichtet ist es, irre ich nicht, gegen Mitte des
Jahres 1803, vor dem Aufstande".
1) Ich gebe es in der ron mir angewendeten Schreibung wieder.
172 Rudolf Prietze,
voik7Heder"von Über die Form der Eingangs berührten 1904 herausgegebenen
1904. Volkslieder, die ich mir in Tunis hatte diktieren lassen, vermochte
ich von den weder der Schrift noch der Verstechnik kundigen Ge-
währsmännern keinerlei Andeutung zu gewinnen. Ich war im Auf-
spüren der Griiederung auf eigenes Ermessen angewiesen und glaube
nach eingehender Prüfung noch heute, im ganzen das richtige ge-
troffen zu haben. Eine dreifache Abweichung von der vorhin er-
läuterten Kunst jener Specimens scheint mir unverkennbar: Statt
der Silbenzählung waltet der Rhythmus in Hebungen und Sen-
kungen, die Kurzverse werden mit Vorliebe durch den Reim ver-
bunden, und ein Streben nach wirklichem Strophenbau tritt zu
Tage.
Auch hier paren sich die Halbverse gewöhnlich (77 %) zu
Langzeilen. Daneben treten in 20 7o der Fälle je drei zu einer
Einheit zusammen, die mehrfach einer oder zwei andern strophisch
entspricht, während ich nur 18 einzelne finde, von denen acht im
Eingang von Liedern, fünf am Schlüsse stehn. Die Zeilen sind
erheblich kürzer als in jenen geistlichen Gresängen; die meisten
Kurzverse zählen nur fünf bis acht Silben (71 % ; sehr wenige
über zehn) bezw. zwei bis vier Hebungen, und zwar machen vier
Hebungen 40 %, drei 38 % und zwei 16 % des Bestandes aus.
Etwa die Hälfte der zu Langzeilen geparten Verse ist durch ein-
silbigen Endreim verbunden; auch von den zu dritt vereinigten
reimt fast die Hälfte durch alle drei Glieder, 26% wenigstens
durch zwei. Der Reim ist ein wesentliches Hilfsmittel strophischer
Gliederung.
Nicht wenige der Lieder schließen zwei oder mehr Langzeilen
zu Strophen zusammen. Besonders deutlich fällt dies Bestreben
bei dreigliedrigen Einheiten ins Auge. Die Lieder 2 und 30
ordnen sich nach dem Schema aabaab, in dem a durch zwei oder
mehr Strophen auf a reimt, b auf b ; nur gegen Schluß tritt etwas
Abweichung ein. In beiden Liedern haben zudem die einzelnen
Kurzverse überwiegend die gleiche Zahl von Hebungen, nämlich
in 2 vier, in 30 drei. In dreigliedrige Strophen zerlegen sich
auch L. 44 und L. 17, nur beginnen sie mit eingliedrigem Auftakt,
und 17 hat auch eingliedrigen Schluß. Strophenartig wirken auch
an durchgereimten dreigliedrigen Einheiten drei in L. 1 und 27;
L. 21 beginnt, L. 88 schließt mit einer solchen. Desgleichen ord-
nen sich in einer Anzahl von Liedern zweigliedrige Langzeilen
zu Strophen:
In L. 14 nach eingliedrigem Auftakt, indem der Halbvers b stets
derselbe bleibt.
Haassa - Sänger. 173
In L. 9, indem a stets mit dem gleichen Worte schließt und die
bb reimen.
„ „ 6, indem alle fünf Halbzeilen reimen.
, „ 32, „ j, vier „ „ , nur die zweite nicht.
In den vierzeiligen LL. 18 und 28 ordnen sich die ersten
beiden Zeilen durch Reime in a : a. b : b, die letzten beiden von
L. 18 in b : b, von L. 28 in a : a, während hier bb gleich sind.
In L. 33 und 35 reimen b : b. '
L. 29 gliedert sich in xmregelmäßige Strophen.
Teilweise strophisch bei zweigliedriger Langzeile sind noch:
L. 19, wo zwischen der ersten und der letzten in drei Zeilen a : a,
b : b reimen.
„ 20 und 34. wo in zwei Zeilen a : a. b : b reimen.
„ 36, wo nach einem Auftakt in zwei Zeilen b : b reimen und in
einem Zeilenpar. später in drei Zeilen b annähernd gleich ist.
„ 1, wo mehrere Zeilen durch gleiches b oder dessen gleichen
Ausgang verknüpft sind.
., 16, wo in mehreren Fällen b : b reimen.
„ 24 und 42, wo in zwei Zeilen b : b reimen.
Der Umstand, daß mir die Lieder des Papageis (1) und des f^^^^^jj^^^-
Heimchens (II) von vornherein schriftlich vorlagen, kam, wie be-
reits bemerkt wurde, meinem Einblick in ihren Versbau in keiner
Weise zu Hilfe. Auch hier habe ich für die Abgrenzung der ein-
zelnen Teile eines kundigen Beistandes entraten müssen; doch er-
gaben sich Schwierigkeiten nur in mäßigem Umfang. Daß ein be-
stimmtes Maß der Elementarglieder erstrebt wird, beweisen die
poetischen Verkürzungen wie 1 109 II 145 ma für ma-la, II 107 de
statt des dm in 106 und die so häufige Auslassung des Personal-
suffixes vor Hilfsverben. Ersichtlich fügen sich dann Kurzverse
vermöge ihrer syntaktischen bald über- bald beiordnenden Ver-
knüpfung in überwiegender Mehrzahl zuzweit zu einer Langzeiie
zusammen: der einzelne 134 beruht wohl auf einem Vers ehn. Ein
Übergreifen des Satzgefüges aus einer Langzeile in die andere
(Enjambement) beschränkt sich auf ganz vereinzelte Fälle wie
II 124 und wohl auch 135. Dreigliedrige Langzeilen weist II nur
in 132 und 162 auf, während sie in I 18 mal vorkommen. Sonst
weichen die beiden Dichter lediglich im Stil, nicht in der Versform
von einander ab. Sie stehn hierin zwischen dem geistlichen Ge-
sänge bei Robinson und den Volksliedern, insofern im Vergleich
mit dieser erstens ihre Zeilen durchschnittlich etwas länger, meist
sieben bis neun Silben, und besonders die kurzen von fünf bis sechs
174 Rudolf Prietze,
Silben hier so selten (9 %) wie dort häufig sind (38 %), zweitens
Reim- und Strophenbildung nicht derart im Vordergrunde stehn;
nur die den Schluß von II bildenden Sprüche N^geles schließen
sich formal völlig den Volksliedern an. Prinzipiell indeß stehn
auch Papagei und Heimchen ganz auf dem Boden der letzteren.
Auch bei ihnen wird, wie sich aus dem Vortrag meiner Grewährs-
männer und andern Erwägungen ergibt, nicht nach Silbenzahl,
sondern nach Hebungen gemessen, denen ein- bis zweisilbige Sen-
kungen zur Seite stehn, und zwar hat ihr Kurzvers gewöhnlich
vier Hebungen, seltener drei. Der Reim, der sich wie in den
Volksliedern auf die Schlußsilbe beschränkt, waltet nicht im dor-
tigen Umfang vor, scheint aber als Schmuck und zur Verknüpfung
von strophischen Gebilden willkommen zu sein. Freilich läßt sich
im Einzelfall kaum je mit Sicherheit entscheiden, ob er beabsichtigt
oder zufällig ist. Am häufigsten reimen a und b, deren enge Zu-
sammengehörigkeit stilistisch noch augenfälliger hervortritt. "Wo
m. E. Langzeilen auf diesem Wege zu Strophen vereinigt werden,
geschieht es auch hier manchmal nach dem Schema a : a, b : b. So
in 1108-109, 1178—79, 146—147, 149—150, 187—188. In IL8S—
85 liegt vielleicht eine dreizeilige Strophe vor. Öfter finde ich
nur b : b gereimt. So für acht Langzeilen in II 120 — 1 28, für sechs
in 1150-155, für drei in 116—18,71—73, 1127—29,102—104,
für zwei in I 23—24, 65—66, 167—168, II 23—24, 46—47, 59-60,
75—76, 98—99, 193—194. Die bloße Bindung b : b habe ich in der
Übersetzung nachzubilden unterlassen.
Während der Strophenbildung in den Volksliedern vorwiegend
der Reim diente, verwenden Papagei und Heimchen, namentlich
ersterer, lieber ein rhetorisches, dort an zweiter Stelle gepflegtes
Bindemittel, die Wiederholung ganzer Verse oder Versteile, und
zwar liebt der Papagei diesen Parallelismus der Langzeilen in
beiden Halbversen auszuprägen, das Heimchen entweder in a oder
in b. Langzeilen, die nur in wenigen Worten von einander ab-
weichen, sind: 19—13, 46—49, 87—88, 110—111, 125—129, 148—
149, II 168—169. In folgenden besteht eine Gleichheit der Schluß-
oder Eingangs Wendungen sowohl in aa als in bb: 138 — 41, 62—63,
54-56, 60—62, 135-139, II 16—17.
Durch gleiche bb schließen sich zusammen II 1—2, 3—4, 14—
16 — durch gleiche aa 1177—178, 1161—62, 72—73 — durch
Gleichheit oder große Ähnlichkeit des ersten b mit dem zweiten
a 1174-175, 175-176, 1186—86, 109—110 — durch gleiche Wen-
dung am Eingang von aa 135—36, 69—70, 77—79, 84—85, 113—
114, 145-147, 1137—38, 41—42, 140-141, 172—173 — durch
Haussa - Sänger. 175
gleiche "Wendung am Schluß von aa 1 5 — 6, II 48 — 50 — am An-
fang von bb n 174—176 — am Schloß von bb II 20—22, 158—160,
163—166, 168-169. Gleicher Beginn des 1. und 3., 2. und 4. a
verbindet n 94—97.
Von den dreiteiligen Langzeilen in I verknüpft sich 63 mit 64
durch den Reim, ebenso 182 mit der zweiteiligen 133, ähnlich 116
mit der zweiteiligen 115. Wie kleine Strophen wirken auch die
durchgereimte 143 und die mit gleichen Schlußwendungen ver-
sehene 16.
Natürlich erheben die . vorstehenden Ergebnisse, dürftig und
z. T. noch unsicher wie sie sind, keineswegs den Anspruch, ein
klares oder gar abschließendes Bild der Haussaverskunst zu bieten.
Genauere Aufschlüsse würden aus dem Verkehr mit zünftigen
Sängern und ausführlichen phonographischen Aufnahmen ihrer
Vorträge zu gewinnen sein. Vielleicht gelingt es, in Ermangelung
des besseren, einer Untersuchung meines noch größtenteils unaus-
gearbeiteten, die nachstehenden an Umfang um vieles übertreffen-
den Vorrats an Liedern, etwas mehr Licht zu schaffen.
Die Mundart des Papageis und Heimchens ist die von Kano, Mundart,
in welcher auch mein Gewährsmann A aufgewachsen war. Da
seine Niederschrift mir orthographisch nicht genügte, ließ ich M
nach meinem Diktat eine zweite anfertigen. Sein östlicher Dialekt
(Zindir) hat im Text nur für einige seiner Konjekturen und eine
zu II 190 erzählte Fabel, außerdem noch in dem unten folgenden
Verzeichnis der Musikinstrumente Aufnahme gefunden. Er unter-
scheidet sich von dem obigen am augenfälligsten durch 1 statt r
des weiblichen Artikels und durch das Präfix mi statt mai.
Meine Schreibung ist wie bisher die von Lepsius, jedoch Schreibune.
mit folgenden darch die Eigenart des Haussa bedingten Abwei-
chungen :
Meine b, (J, z, k bezeichnen nicht zerebrale, sondern solche
Laute, die durch festen Absatz bezw. anschließende Artikulations-
pause zu den sogenannten emphatischen des hamito - semitischen
Sprachkreises in Parallele treten. Ich habe, nachdem (J, z und k
mir in ihrer Besonderheit aufgefallen waren (auf b wurde ich erst
später aufmerksam gemacht), in der Einleitung zu Tiermärchen der
Haussa 1907 das Ergebnis meiner damaligen Beobachtungen dar-
gelegt, glaube aber, daß es noch exakter Untersuchung in den
verschiedenen Dialekten bedarf, um ihren Charakter endgültig zu
bestimmen ; es wird u. a. festzustellen sein, ob b und d überwiegend
176 Kudolf Prietze,
stimmhaft oder, wie von meinen bisherigen Gewährsmännern, stimm-
los gesprochen wird.
Mein r ist ein mittleres Alveolarer, das zugleich etwas bila-
teral artikuliert wird und sich somit dem 1 nähert; am Silben-
schluß wird es zu dem an den unteren Alveolen hervorgebrachten
r, das im Auslaut sehr häufig ist z. B. im weiblichen Artikel, sich
aber, obschon seltener, im Silbenanlaut gleichfalls fi.ndet, und zwar
in arabischem Lehngut durchgängig, doch auch in echten Haussa-
wörtem wie räkadi, bära, kireki. Man wird also zweierlei r als
bodenständig annehmen müssen. Beide werden nach meiner Wahr-
nehmung nicht sowohl rollend, als mit einmaligem Ausschlag des
Zungenblatts hervorgebracht.
Endlich ist neben der konsonantischen Verwendung von i und
u, die durch y und w bezeichnet wird, eine solche von e und o so
deutlich unterscheidbar, daß es mir richtig scheint, sie durch e
und o wiederzugeben.
Es werden mithin folgende Buchstaben verwendet:
Vokale a, e, e, e, i, o, o, u bis auf den Murmelvokal e sowohl
kurz als lang; doch scheint die Länge des offenen e und g
nur im Kanodialekt hier und da vorzukommen. — Der Schluß
ist anceps, nie als schlechthin kurz anzusehn. Ein- und Ab-
sätze sind leise, daher zahlreiche Zusammenziehungen.
Diphthonge ai, ei, au, oi.
Konsonanten w, y, §, q, r, r, 1, m, n, n, z (stimmhaftes s), i (fran-
zösisches j), z (stimmlos mit festem Absatz, bisher meist ts
geschrieben, so noch jetzt von Mischlich und Robinson), s
(stimmlos), s (seh), h, f (bilabial, daher leicht in h übergehend),
b, b, d, i, g, g (palatal, fast wie gy), t, k, ^, k' (palatal,
Äffrikata), j = d^. ö = tg.
Ich schreibe die Wörter jedesmal, wie ich sie höre, also nicht
immer gleich. So treten häufig j und 1 für einander ein, wie in
italienischen Dialekten.
Akzente habe ich hier nur gesetzt, wo ich den Iktus deutlich
wahrnahm. Sie gelten also dem Verse, nicht dem Wort oder Satz,
und sind bei der verstechnischen Unkunde meiner Gewährsmänner
nicht als unfehlbar anzusehn.
°*' vereion"**'^ Eine Zwischenlinienübersetzung kann nicht immer ganz wört-
lich sein, wenn sie verständlich bleiben soll. Auf Kosten der
Folgerichtigkeit sind Zugeständnisse nach beiden Seiten unver-
meidlich, So habe ich den suffigierten Artikel n, Fem. Sg. r, der
sich zumeist nur vor dem Genetiv oder bei adjektivischem Attribut
Haussa - Sänger. 177
vor dem nachfolgenden Hauptwort erhalten hat, einerseits stets
an seinem Platz übersetzt, andererseits aber in dem Geschlecht
wiedergegeben, das ihm im betr. Fall im Deutschen zukommt.
Bei den mechanisierten "Wörtern wie dem Hilfszeitwort za „gehn''
für das Futur und Präpositionen z. B. c'iki in, eigentlich Bauch,
hi-^n auf, eigentlich der Kopf, gab ich die ursprüngliche Bedeutung.
Für die Negation ba, die in ihrer Doppelsetzung vor und hinter
dem zu verneinenden Ausdruck zur reinen Partikel geworden ist,
sonst aber ihren von Haus aus verbalen Charakter durch Personal-
suffixe offenbart, ließ sich dieser nicht kennzeichnen. Besondere
Schwierigkeiten erwuchsen noch aus dem vom Deutschen abwei-
chenden Wesen der Zeitformen. Das Haussa unterscheidet im
Grunde nicht Gegenwart und Vergangenheit, sondern wie die
alten semitischen Sprachen vollendete und unvollendete Handlung ;
nur ein eigentümliches Tempus mit zweigipfliger Betonung der
Präformative, das jedoch meist durch Umschreibung mit dem eben
genannten za vertreten wird, scheint ausschließlich der Zukunft
zu gelten. Der Aorist, das einfachste Tempus, das dem Verbal-
stamm die Personalelemente Sg. 1. na, 2. Aa, fem. hi, 3. ya, ye,
fem. fa, PI. 1. mn 2. ku 3. su vorsetzt, entspricht bald unserm
Präsens, bald unserer erzählenden Form. Und das Tempus der
Vollendung mit den Präformationen Sg. 1. na 2. Ä'ä, fem. hn,
3. yä, fem. tä, PL 1. mw» 2. hin 3. sun (für welchen PI. auch
1. mu-la od. mun-ka 2. ku-ta od. kun-ka 3. su-ka od. sun-ka ein-
treten) ist nicht selten präsentisch wiederzugeben, insbesondere
wie im Arabischen beim Bedingungs- und Folgesatz.
Abkürzungen.
H: Haussa.
A: mein Gewährsmann Ahmed.
M: „ „ Müsa.
B : Verzeichnis von Haussawörtem in den zentralafrikanischen Vo-
kabularien von Dr. Heinrich Barth 1866.
R: Dietionary of the Hausa Language by Robinson 1899.
Mi.: Wörterbuch der Haussasprache von A. Mischlich 1906.
St: Staudinger, Im Herzen der Haussaländer 1889.
HL: Die 1914 von mir herausgegebenen Haussalieder, Leipzig, O.
Harrassowitz.
Tierm.: Tiermärchen der Haussa, in d. Ztschr. f. Ethnologie 1907.
Pfl. u. T. : Pflanze und Tier im Volksmunde des mittleren Sudan,
in derselben Ztschr. 1911 von mir veröffentlicht.
Die mehrfach angeführten 24 Bornulieder und 377 Bornu-
178 Rudolf Prietze,
Sprichwörter habe ich 1914 und 1915 in den Mitteilungen des
Seminars für orientalische Sprachen zu Berlin herausgegeben.
Anhang.
Die bei den Haussa üblichen Musikinstrumente
nach Angaben von M.
Die Spielleute nennen sich mä-Jcada (Sg. md-Jcadi von kada
schlagen. Md-kada als Sg. heißt Trommelplatz, kidi Trommel-
schlag), wenn sie Trommeln oder Saiteninstrumente handhaben.
Die Bläser heißen tnä-busa (Sg. md-busi v. hüsa blasen).
A. Trommeln.
Sie gehören nicht zur eigentlichen Begleitung des Sängers,
sondern zum Tanz. Ihr Zylinder besteht wie der Schlägel {md-
kedi) aus Holz ; über den offenen Kreis ist bei den einen Rinds-,
bei den andern Ziegenleder gespannt.
1) Gangd, große Lärmtrommel. Ihr Zylinder mag eine Elle
hoch sein, ihr Kreis 1 m im Durchmesser betragen. Ihr Spieler,
der mai-gangd, trägt sie über die Schulter gehängt auf der linken
Seite und bearbeitet die Ziegenhaut der Schlagseite mit einem
starken Schlägel.
2) Dmidüfa, bei Mi. u. E, als große Trommel verzeichnet, ist
eine Trommel von mehr als meterlangem Zylinder. Sie findet sich
jedesmal, nach der Breite und somit der Tonhöhe abgestuft, in
drei Exemplaren. Die tiefste, mit einem Querdurchmesser von etwa
Vam, heißt uwe-l dundüfa „Mutter der D.". Die höchste, kydure .
„hochstimmig" oder da-n dundüfa „Kind der D." genannt, ist er-
heblich schmaler. Zwischen ihnen in Breite und Ton steht die
kanive-l uwq-1 dundüfa „jüngere Schwester der Mutter der D.'',
auch kurz kanw§-l dundüfa. Sie werden von je einem Manne
wagerecht auf dem Kopfe getragen. Um sie zu spielen, stellt
man sie senkrecht neben einander auf, indem man ihr unteres Ende
etwas in den Boden treibt, und ein morka/U schlägt alle drei ab-
wechselnd mit kleinen Klöpfeln. Ihr Trommelfell ist Rindsleder.
3) Kaeagi, bei Mi. u. R nicht angegeben, ist kleiner als die
vorige. Auch hier übertrifft der Längs- den Querdurchmesser
bedeutend. Der Zylinder verjüngt sich nach der Mitte zu. Über
beide Seiten ist Ziegenhaut gespannt. Der Spieler trägt das In-
strument an einem um den Nacken gelegten Riemen, so daß es
ihm über den Bauch hinabhängt, und bearbeitet die Oberseite mit
zwei Schlägeln. Ein Orchester erfordert stets zwei Äa^a^/'- Spieler.
Haussa - Sänger. 179
4) Kiirl'utu (bei Mi. kleine Trommel mit nur einem Trommel-
fell), etwas größer als kazcuji, hat einen kegelförmigen R^sonanz-
raum mit konvexen Wänden. Die offene Seite, etwa eine Elle im
Durchmesser, ist mit Rindshaut überzogen, die der Spieler, das
Instrument hockend zwischen den Oberschenkeln haltend, mit zwei
Klöpfeln schlägt.
5) Zauäati (bei Mi. jauje, doch ist dies nach M der Bomuname).
Hier fehlt mir die nähere Beschreibung. Nach Mi. ist es eine kleine
Kriegstrommel, nur an einem Ende mit einem Fell tiberspannt und
beim Trommeln unter dem linken Arm getragen.
6) Kalango (Mi. kdlangu, R kalango), kleiner als die vorige,
mit Ziegenhaut überspannt, wird unter dem Arm getragen und
mit einem Schlägel bearbeitet. Nach Mi. kleine in der Mitte des
Bauches verjüngte Trommel mit FeU auf beiden Seiten, beim
Schlagen unter den linken Arm genommen. Nach R Trommel aus
Holz oder aus einer Kalebasse, unter dem Arm getragen, in ihrem
Ton durch Spannung der Schnüre beeinflußt.
7) Közo (= Mi.), wieder kleiner, mit nach unten verjüngtem
Zylinder, auf der schmalen Seite ohne Überzug, auf der andern
mit Ziegenhant bespannt, mit den Händen geschlagen. Dieselbe
Trommel im Gebrauch des Landmanns heißt gänyi (= Mi ).
Die in Ägypten und Nubien übliche mit Handballen und Fin-
gern geklopfte tönerne Darbüka ist den Haussa fremd geblieben.
Zwischen Trommel und Saiteninstrumenten nenne ich die kugd
oder kuge (Mi.). Sie ist eine Art Zymbel, ein auf beiden Seiten
zugespitzter Metallstreifen, unfern der Mitte so umgebogen, daß
er einen spitzen Winkel bildet, in dessen Scheitel sich eine Schleife
befindet; seine ungleichen, mithin verschieden tönenden Schenkel
werden mit Holz- oder Metallstäbchen geschlagen.
B. Saiteninstrumente.
Die Saite, zifkia (vgl. Mi. tsirkiya Bogensehne), besteht aus
Ziegenhaut, der Schaft aus Holz, daher sandd Stock oder itace^
itce Baum genannt.
1) Die nach Art einer Mandoline mit den Fingernägeln ge-
spielten Instrumente:
a) Gurmi, guremi (Mi. gitrmi Art Zither, R gurumi Art Gui-
tarre) hat zwei Saiten. Ihr Resonanzboden besteht aus einem
Kürbis und heißt köjfo. Der Sänger Kanankäda erhielt davon den
Beinamen ma-kadi-n köko.
b) Garaya (Mi. garäya, R garaiya Harfe), nach R besonders
180 Rudolf Prietze,
von Jägern gespielt, ebenfalls zweisaitig, etwas größer; ihr Re-
sonanzkürbis heißt kömo.
c) Maulö (Mi. maiilo, mölo Guitarre, R mölo Musik), ähnlich
den vorigen, aber drei- oder viersaitig,
2) Nach Art der Guitarre gespielt, d. h. mit den Fingern ge-
zupft wird gaobsäu, auch gomsäu und gobsö gesprochen (vgl. Mi.
gohso Stoß, Puff, R gobso Junggesell), mit zehn Saiten.
Diese Saiteninstrumente dienen in erster Linie nicht dem Tanz,
sondern füllen die Pausen des Gesanges aus, einzeln oder in Mehr-
zahl, wobei sich die so eben aufgezählten sämmtlich gemeinsam
beteiligen können. Der Saitenmusik wird die stärkste seelische
Wirkung beigemessen (vgl. 120). Eine besondere Aufgabe hat
nach dieser Richtung
3) Göge, eine Art Geige mit 10 bis 20 Saiten. Sie wird der
in der Einleitung zu meinen Bornuliedern S. 9 beschriebenen ku-
Jxüma der Kanuri sehr nahe stehn. "Wie bei dieser scheint als
Saite, die demgemäß i^gä heißt, Pferdeschwanzhaar zu dienen;
jedenfalls ist dies der Stoff des Fidelbogens, der da-n göge (Sohn
der Geige), auch maJcadi-n (Schläger) göge oder tnakadi-n böri ge-
nannt wird, letzteres zufolge der Hauptbestimmung des Instru-
ments, den ekstatischen Böri-Tanz der Haussaweiber zu begleiten,
bezw. die Genien dazu herbeizurufen. Näheres darüber s. in meinen
Bomusprichwörtem zu 293. Daneben wird es, wie bei den Bornu-
leuten die JmJcüma, in den Liebes- und Klageliedern (hege) zum
Zwischenspiel verwendet. Zuweilen wird unter göge nur der Fidel-
bogen verstanden, und dieser scheint außer dem Spiel der Finger
auch für die oben genannten maulö und gomsäu im Gebrauch zu sein.
C. Blasinstrumente.
Sie vereinigen sich mit den Trommeln zur eigentlichen Tanz-
musik, an der die Saiteninstrumente nur gelegentlich teilnehmen.
1) Die algdita (Mi. Trompete, R Flöte wie ein Dudelsack ge-
blasen), Flöte aus Holz mit fünf bis zehn Löchern.
2) Die sarewa (A Mi. R Flöte), Querpfeife aus Rohr mit fünf
oder mehr Löchern.
3) KakaJci, ein langes, gerades, blankes Blechinstrument (Mi.
Posaune, R Trompete), das aber nicht der Lustbarkeit, sondern
den Signalen des Fürsten dient.
Die Spieler dieser drei Instrumente gehören zu den ständigen
Hof Chargen; ihr Führer, der Flötenbläser, ist zugleich der Hof-
poet.
4) Es gibt auch einen Dudelsack, safSwa salka (Schlauch) ge-
Haussa - Sänger. 181
nannt, das einzige Instrument von den bei den Haussa üblichen,
das in Bornu keine Verbreitung fand.
Instrumente, die lediglich für Kinderspiel in Betracht kommen,
sind Jcarkdra, Schalmei aus der Halmhülse der Hirse oder aus Baum-
rinde, durch eine längliche Seitenöffnung geblasen (vgl. 1 101), und
santü (Mi. säntü kürbisähnliche Pflanze, aus deren Frucht Kinder
sich eine Rassel machen, R santo langer als Trommel gebrauchter
Flaschenkürbis). Es ist eine meterlange Kidebasse, die von Kindern
und Frauen ausgehöhlt und teils geblasen, teils mit der Hand ge-
trommelt wird.
182 Kudolf Prietze,
I.
Wönnan wäka-r zunzü ne,
Dies Lied das Vogels ist
süna-n-sa akü.
Name sein Papagei.
A.
Karmämi sai sanid,
Stroh nur Kuh,
ingirici sai godiä,
Heu nur Stute,
Kunu-n Jcanwa na ma-häifua;
Mehlschleim der Natrons der der Gebärerin;
Ttaddm ha ta-sd don äinHri ha,
wenn nicht sie trinkt wegen Säuglings,
ta-sa don danyi-n äiki.
sie trinkt wegen Unreife des Leibes.
Ni akii zimzu-n atd^rei,
Ich Papagei Vogel der Kaufherren,
ni tuo-n tulü sai säkdta.
ich Brei der Krugs nur löffelnd.
Na Kwdra tuo-n guzü-n hwQfi.
Der der „ Brei der Bodens des Köchers.
sai Jcihia ce za-ta ci.
nur Pfeilspitze ist geht sie essen.
1 a) Mi.s Wiedergabe von karmämi als Getreide ohne Frucht ist mißverständ-
lich. Das Wort bezeichnet (vgl. auch R karamami, karmämi) den Stengel nebst
Blättern ohne die Ähre. — b) Ingijici (Mi. R = Heu) ist gemähtes Gras oder
Kraut (vgl. 6), und zwar wie karmämi sowohl in grünem als in trockenem Zustande ;
in trockenem ist es Pferdefutter.
2 a) Künu bei Mi. Mehlsuppe, Meblschleim, nach R auch aus Reis. Vgl.
St. 426. Natronzutat bezweckt leichtere Verdauung. — c) Danye ist das Frische,
Grüne, daher auch das Unreife, Unzulängliche.
3 a) AtäÜri, PI. (ursprüngl. Dual) atäSirei, der reisende Kaufherr, dann der
Reiche überhaupt, ist dem Arab. entlehnt, wobei dessen Artikel wie in litäfi Buch,
labäri Nachricht zum Bestandteil des Stammes wurde. — b) Tubi, PI. tüluna,
großer irdener Krug mit enger Öffnung ; daher läßt sich der Inhalt nur in kleinen
Portionen herausnehmen (Mi. sakdta herausholen mittels eines Instruments == M
Haassa- Sänger. 183
I.
Dies ist das Lied eines Vogels,
der sich Papagei nennt
A.
Selbsteinschätzung des Sängers: Während anderes
dem Bedarf leicht zur Verfügung steht, ist er, der
Papagei, nur langsam und schwer zu gewinnen, ja
bleibt für manchen wegen seiner bösen Zunge
ein Schrecknis.
1 Das Stroh ist Futter für die Kuh,
Heufutter kommt der Stute zu.
2 Mehlschleim mit Natron der Wöchnerin;
wenn nicht dem Säugling zum Gewinn,
trinkt sie dem schwachen Leib zu lieb.
3 Ich, Vogel der Reichen, ich Papagei,
bin Krugbrei, den man nur löffelnd erlangt
4 Kwära^s Bruder ist Brei auf des Köchers Grund:
ihn wird nur essen der Pfeilspitze Mund.
soakdta). Das Bild will sagen : Meine Gunst ist nur durch fortgesetztes Werben,
durch unablässige Freigebigkeit zu gewinnen.
4 a) Das demonstrative na vor einem Namen bezeichnet nach M in der Regel
den Binder des oder der Genannten. Ktcäfa, der Name seiner Schwester, be-
deutet den Kern der kaddnya (Bassia Parkii), aus dem Butter bereitet wird.
Wahrscheinlich wurde die Schwester bei der Ernte dieser Kerne geboren. Neben
der offiziellen mohammedanischen Namengebung eine Woche nach der Geburt be-
steht bei den H die ältere heidnische Sitte, daß dem Kinde, sobald es zur Welt
kommt, von den Familienältesten ein Name beigelegt wird, der auf die Umstände
seiner Geburt Bezug zu haben pflegt, und zwar scheint dieser süna-n kakanü
(Name der Großeltern) der eigentliche Rufname zu seiu. Wir werden ihm auf
Schritt und Tritt begegnen. Von ihm zu unterscheiden ist der Jbfdfi (von Idra
nennen, vgl. Pfl. u. T., Einl.), d. h. der Beiname, den mancher im Lauf seines
Lebens erwirbt. Zu gu^u vgl. 15 u. 54. — b) Mi. R hhia Pfeil ; es bedeutet aber
genauer die Pfeilspitze. Der Schaft heißt seme, das bei R als Rohr, bei Mi. als
Strauchart angegeben ist, aus deren Zweigen die Pfeile hergestellt werden.
Kgl. Gw. d. Wim. Nachriditeii. PhU.-kut Klane. 1916. Hefl 2. 13
104 Rudolf Prietze,
5 B,ua-n ivnnka-n gawa na Kwara
Wasser das Waschen des Leiche der der „
hä-ni ma-sai ho kadän.
nicht mich Trinkender ob wenig.
6 Ni ingirici-n täba na Kwäfa:
Ich Kraut das Tabaks der der „
doki ha sa-'i ct-ni ha.
Pferd nicht geht es essen mich.
7 Äbi-n da na-bai tva iSa-tvuyd, i
Ding, welches ich gebe zu „ „ |
ha na-bai wa Dodä-n-gaba.
nicht ich gebe zu „ „ „
8 Abi-n da na-bai wa Eämatü,
ha na-bai wa Ea-r-go^e ha.
9 Saa-n da ne-Jce so-n Eämatü,
Zeit welche ich tat Lieben das der „
figa-n kirki tä-i iiyd.
Tobe die der Güte sie machte Schwierigkeit.
10 Saa-n da ne-ke sg-n liämatti,
wqndo-n kirki y^-i uyd.
Beinkleid das der Güte es machte Schwierigkeit.
11 Saa-n da ne-ke SQ-n Eämatü^
rauani-n kirki ye-i uyd.
Kopfbinde die der Güte machte Schwierigkeit.
12 Saa-n da ne-ke so-n Eämatü.
küdi-n gi§iri sü-ü uyd.
Geld das Salzes sie erschwerten.
5 a) Wie der Artikel n (für n) zeigt, ist ftia trotz der Endung a männlich
wie näma Fleisch, Tier, gida Haus u. a. — b) Bä-ni zeigt durch sein Suffix den
ursprünglichen Verbalcharakter des negativen ba; in diesem Fall kann ihm ein
Zeitwort im Infinitiv folgen. Tritt ba dagegen, zur Partikel mechanisiert, vor und
hinter das zu verneinende Zeitwort, so wird dessen Präfix in der 1. u. 3. Sg. gern
lautlich reduziert, in der 1. aus na zu n (vgl. 47 £F.), in der 3. aus ya oder yd
la • (vgl. 18).
G a) Ingirici s. 1.
7 f. Der Artikel n mit folgendem da „mit" dient als Relativ. Die Rufnamen
in 7 und 8 haben wie Kwäfa 4 flF. individuelle Bedeutung, nur dürften sie, weil auf
das spätere Leben bezüglich, der dort genannten Kategorie des kifäri angehören.
Hanssa - S&nger. 185
5 Kwärä'e Bruder ist Leichenwaschwasser :
kein Mensch trinkt auch nur einen Schluck davon.
6 Ich, Kwära'B Bruder, bin Kraut vom Tabak,
davon kein Pferd etwas fressen mag.
0
B.
Die soziale Stufenfolge seiner vier Frauen und dank-
bares Verweilen bei Rämatu, der einzigen Gefährtin
seiner ehemaligen Armut.
7 Das, was ich gebe der Sdicuyä,
das geb' ich nicht der Doddngaba.
8 Das, was ich gebe der Bamatu,
das geb' ich der Eargoie nicht.
9 Als ich nur liebte RdtnatUy
«schwang ich keinen feinen ßock.
10 Als ich nur liebte RamcUu,
erschwang ich keine feine Hose
11 Als ich nur liebte BdmoUu,
erschwang ich keinen feinen Turban.
12 Als ich nur liebte Rämatu,
da war das Geld zum Salz noch knapp.
Sa-wttya „trink Schwierigkeit" besagt, daß seine Trägerin wohl als Waise eine
schwere Jugend hinter sich hat. Der Sänger wird sie billig erworben haben und
spendet ihr daher weniger als der kraftbewußten Dodd-n-gaba („Kobold voran",
aus dodo Spukgeist mit einem den folgenden Vokalen assimilierten Auslaut und
gaba Brust, vorn), weil sie von Kind auf stets die Erste sein wollte. Das hinter
Doddfigaba geforderte zweite ba wird des Rhythmus oder der Euphonie halber
fortgefallen sein ; vgl. 8b). Eämatu, arabischen Ursprungs, benennt Töchter, die von
verstoßenen Gattinnen geboren wurden ; ein Sohn hat in solchem Falle den gleich-
bedeutenden Namen Zefdu („ Wegwurf " von Sefa werfen). Ea-r-göze, im Osten
E-l-göze für Die-l-göie, ist „Tochter der Exzellenz" ; göze, das bei B, R und ML
fehlt, soll wie kaura das Prädikat eines hohen Hofamts sein, nach Mi. und R
auf Ka?ena beschränkt, wo es nach Mi. Feldmarschall, General, nach R Stall-
meister bedeutet. Eargöze ist durch ihre Abkunft zu größeren Ansprüchen be-
rechtigt als Rämatu, seine erste Liebe.
9 a) So-n, substantivischer Infinitiv nach Hilfsverben wie Ve und na. Wohl
nur des Rhythmus wegen fehlt in diesen Wendungen das durch den Sinn gefor-
derte sai = nur. — b) Ti (nach vokalischem Präfix meis\ i) tcuyd Mühe machen
heißt hier und im folgenden: nicht zu erschwingen sein, nicht ausreichen.
12 Su-h uya, poetisch verkürzt aus su-n yi tcuya\ n wird im Auslaut de«
H oder zwischen Vokalen gern zu n. Der PI. ist constructio ad sensum zu dem
Subjekt kudi (= Icurdi).
' 13*
186 Rudolf Prietze
13 Saa-n da ne-ke so-n Rämatu,
Jcudi-n näma sü-n uyd,
Geld das Fleisches sie erschwerten.
14 JBäbu wqnda ke sö-na a dura,
Nichts welches tat Lieben mein in Welt,
sai-ko gtiva Rämatu!
nur Elephant „
c.
15 Da-n Z§(ß(ji, so ka-äi!
Sohn der des „ komm höre!
Güzu-n tepni, so ka-si!
Boden der Mörsers, komm höre!
Güzu-n demya, so ka-äi!
Boden der Pflaumenbaums, komm höre!
16 Malern, äika-m mäi-bakä,
Meister, Enkel der des Herrn des Bogens,
ka-sö ka-si sance-n z'irkia!
komm höre Rede die der Saite!
17 Zirkia-ta duk küka ta-ke,
Saite mein ganz Weinen sie tut,
ha sä-ta gidd-m mai-habu bd,
nicht geht sie Haus das Herrn (v.) Nichts,
18 mai-habu da säfi-n sücia,
Herrn (v.) Nichts mit Hitze der Herzens,
ko küturü ha i - ß - si ha.
ob Aussätziger nicht er übertrifft ihn.
19 MäJ§m, äika-m hausi,
Meister Enkel der Bogenholzes,
ka-kdda mi-ni gür§mt!
schlage zu mir Saiteninstrument!
20 Don ubd-n-ka, koda sola kar ka-i!
Wegen Vaters dein, obwohl Gebet daß nicht du tust
Dädi-n güf^mi yCL-isd.
Annehmlichkeit die des „ ist genügend.
14 a) Hier läßt dichterische Lizenz das Pron. ye vor ke fort. Der substant.«
Charakter des Inf. $o (vgl. 0) kennzeichnet sich durch das Possessivsuffix. DärOf
Ton arab. Herkunft, wird für Welt gebraucht im Sinne des Wandelbaren, Flüch-
tigen, — b) Der Vergleich mit einem lilephanten soll die Tüchtigkeit, Zuverlässii
keit der HUmatu ehren; hiernach sind die Bemerkungen zu Pä. u. T. 129
ergänzen.
Haossa - Sänger. 187
13 Als ich nur liebte Rämatu,
da war das Geld zum Fleisch noch knapp.
14 Mich liebte Niemand auf der Welt,
als Rdmatu der Elephant!
c.
Aufruf an die Genossen und Preis des vom giftigen
Geizhals nicht gewürdigten, wonnespendenden Saiten-
spiels, über dem man unvermeidliche Übel vergißt,
gegen drohende indeß auf der Hut bleiben soll.
15 Z^igi'a Sohn, komm her und lausche!
Mörsergrund, komm her und lausche I
Pflaumenbaumstumpf, komm her und lausche!
16 Meister, deß Ahn mit dem Bogen gejagt,
komm, höre, was die Saite sagt!
17 Voll Klage tönt mein Saitenspiel,
will nicht zum Hause des Habenichts,
18 des Habenichts mit dem Herzen voll Grimm —
kein Aussätziger ist so schlimm!
19 Meister, Bogenbaums Enkelkind,
schlage die Laute mir geschwind !
20 Bei deinem Vater, selbst Beten laß sein!
Man kann an der Laut« g^nug sich freun.
15 a) Den Namen Zggigi zu deuten gelang mir nicht. — b) (htfu-n i^rmi
„Boden des Mörsers" (vgl. 125) ist ein ähnlicher Xeckname wie §a düka II 10:
der an Stöße Gewöhnte. — c) M glaubt, der Spitzname des dritten Spießgesellen
laute nicht Gü?u-n d§mya (im Osten dumyiia, B dummia, R dumia, Mi. dünya)
= Stumpf eines Baumes von süßer, schwarzer, pflaumen- oder feigenartiger Frucht,
was keine rechte Pointe ergäbe, sondern GM?u-n dünia = cannus mundi, gleich-
sam Gegenstand allgemeiner Last.
16 Die Bezeichnung mälpn beschränkt sich nicht auf Gelehrte, sondern gilt
auch von solchen, die sich auf irgend ein Gewerbe verstehen, wie hier auf Musik.
17 A schreibt hier und in 43 du. Da er dasselbe jedoch in 45 vor na zu
duk verbessert und die gewöhnliche Form diika lautet, ist er sich hier des Te
wegen des folgenden fc wohl nicht bewußt geworden. Freilich giebt es auch, viel-
leicht grade aus solchem Grunde, du neben duica und duk.
18 Zu ha, das sich hier mit dem Personalpräfix t (für ya) zum Diphthong
vereinigt s. 5.
19 a) Battsi Baum, dessen Wurzeln den Stoff zum Bogen liefern, daher
Spitzname für Jäger vgl. II 11. — b) Zu gür§mi s. Einl. (Musikinstrumente).
20 Don %tbä-n-ka Beschwörungsruf (ranzua). Kar, M Jbo^ ist aus kada
verkürst.
188 Rudolf Prietze,
21 Ni ha mütua ne-ke tuna ha,
Ich nicht Tod ich tue denken,
haha-n häiva mäi-gizö,
groß der Sklave habend Wollkopf,
22 wonda hd-si da tdiisai Jco kadän,
welcher nicht er mit Mitleid ob wenig,
ha t^miere ha ke düha —
nicht Leistengeschwulst tue anschauen —
23 mai-fdsa käi ke tund,
zerbrechend Kopf tue denken,
mai-fdsa käi kabua ;
zerbrechend Kopf Syphilis;
24 ta-kan fdsa alö-n kafada,
Sie pflegt zerbrechen Tafel die der Schulter,
ta-kan fdsa koko-n guiwa.
sie pflegt zerbrechen Becher den Kniees.
B.
25 Mdl§m, ko kä-sd gid,
Meister, ob du trankst Wein,
ha kä-ki fadd-m mai-hä-ka ha.
nicht du haßtest Gespräch das Gebers dein.
26 Mdl§m, ko kä-äe Gumel,
Meister ob du gingst (nach) „
ba kä-ki imitan DanSiiya ha
nicht du haßtest Leute (von) „ ,
27 mutan jDanMya müm^nei,
tnutan JDanäüya ädflei,
a cdn su-ka äuya dükid.
in dort sie haben gewechselt Güter.
21 Laut M heißen die beiden Engel, die den Toten im Grabe befragen, im
H Munkaran und Walekiri. Letzterer ist der böse, schwarze, dem die hier ge-
nannten Epitheta gelten. Gizo ist ein Kopf voll dichten Haares, vgl. Mi. gizo
Wollkopf, nach R die Haarfülle der Tuareg und Schlangenbändiger. Statt baba-n
schreibt A banba-n. M spricht und schreibt babbd (auch Mi. bat babbä neben
babd) und unterscheidet davon: 1) das dem Bornu, wo es arab. Lehnwort für
Vater ist, entnommene bäbdh (mit gehauchtem Absatz gesprochen), neben dem jedoch
auch babd nicht selten ist (vgl. 95 u. a.), der väterliche Oheim, dem bei den H
eine besondere Autorität zusteht und häufig Neffen und Nichten zur Erziehung
Haassa - Sänger. 189
21 Da denke ich nicht mehr an den Tod,
den großen Sklaven mit dichtem Schopf,
22 der nicht das geringste Erbarmen kennt,
achte auch nicht auf ein Leistengeschwür —
23 nur was den Kopf tilgt, liegt mir im Sinn,
Lues, die Kopfzerstörerin ;
24 sie ist's, die das Schulterblatt zerbricht,
sie macht die Scheibe des Kniees zunicht.
D.
Lob der guten Stadt DanSüya, an welcher der Sänger
mit seinen Gefährten ungern vorbeizöge.
25 Meister, auch wenn du getrunken den "Wein,
wird des Spenders Gespräch dir nicht lästig sein.
26 Meister, auch wenn du nach Gumel gingst,
wird Daniüya's Volk dir nicht lästig sein,
27 Baniüyd'B Volk das gläubige,
Daniüya's Volk das redliche;
dort tauscht man Güter aus und ein.
übergeben werden. 2) bäba Indigo. Der Eonuch (Mi. bdbä) dürfte zu 1) gehören.
Vgl. hierzu noch II 24.
22 Turniere ist nicht mit B, R, Mi. als SyphOis im allgemeinen aufzufassen,
sondern als ihr Vorläufer, der Schanker. Wie auch in 23 ist vor ie aus 21 n«
zu ergänzen.
23 a) Kai nach A's Schreibung und der in Kano üblichen Aussprache, die
sich hier dem Rhythmus besser einfügt als das gewöhnliche Jta». — b) KabvM (in
Kairo Icdbha) ist die Syphilis im 2. Stadium. M behauptet indeB, dies Leiden
heiße l'ägua, ursprünglich Krebs, weil es den Leib vielgliedrig überkrieche. Er
zitiert als kiräri-n Tcdgua d. h. als geflügelte Worte über die Lues: Mügu-n «tco
= böse Krankheit, citco-m himi = Stadtkrankheit (so bei B), gdikau kä-fi diki-m
mälpn sai höka = Seuche, du bist stärker als die Arbeit (d. h. Zauberzettel) des
Malern, nur der Kräuterdoktor (kann helfen).
24 Alö ist in ähnlicher Weise dem Arab. entlehnt wie ataiiri in 3.
25 Mcü^ 8. 16. Gia nach Mi. Bier, Wein, nach M u. R Hirsebier (in
Kairo böza) nach A = bäräsd, das St. 134 u. R als Schnaps, M als Dattel-
schnaps bezeichnet, jedenfalls ein berauschendes Getränk.
26 Mutan des Verses halber für mutane. Dan zuya „Sohn des Austausches"
Tgl. 27. Mumenei, äd§lei dem Arab. entlehnt.
27 Su-ka bezeichnet hier, wie z. B. in su-ka ce .man sagt" das Gewohnheits-
mäßige.
190 Rudolf Prietze,
E.
J28 Komi sä-ka i, da-n Adam,
Was auch gehst du machen, Sohn der des „
ka-dmbaci süna-n rdbhi,
rede an Namen den des Herrn.
29 Idan kä-Jcai kära ga rabbi,
Wenn du bringst Hilferuf zum Herrn,
aiki-n ba m-i bdci ba.
Werk das nicht geht es verderben.
30 Köda sota sä-ka i,
Ob aueh Diebstahl gehst du machen,
kai Tcärd gun rdbba-na.
bring Hilferuf Ort Herrn unseres.
31 Ko nema-m mäta kd-ke i,
Ob Suchen das (v.) Weibern du tust machen,
ka-dmbaci süna-n rabbi.
rede an Namen den des Herrn.
32 Ko füda-r bäba kd-ke i,
Ob Furchen das Indigos du tust machen,
kai Tpara guii rabbi, aiki-n ba-iya bäci.
bring Hilfruf Ort des Herrn, Werk das nicht es verderben.
33 Kä-gani, da kai käfa ga rabbi,
Du hast gesehn mit bringen Hilfruf zum Herrn
aiki-na ba i-baci ba.
Werk mein nicht es verdirbt.
34 Häl^ku si ne rabbi!
Schöpfer er ist Herr!
35 Wonde ye-i karge ye-i ääbafa,
Welcher er macht ,, er macht „
§i ye-i düf§mi yQ-i yendi.
er er macht ,, er macht „
28 R amhaci sich wenden au, vgl. Mi. anbata anreden. Bei rabbi „mein Herr",
das in der Bedeutung „Gott" im islamischen Afrika vorkommt, ist t arab. Posses-
siv, nicht einheimische Endung, wie in andern Fällen. Das H pflegt nämlich nomi-
nale Entlehnungen aus dem Arabischen bald mit i (vgl. die unter 3 erwähnten
litäß, labäri), bald mit u (vgl. Hälgku 34, Idirlsti 83, Adäudu 98, Saidu 165),
bald mit o (vgl. ieko H-Licder 37, wohl auch samdko 177) zu schließen. Letztere
mögen der klassischen Sprache entnommen sein.
21» a) Idan (arabisch, M dafür in) nicht selten statt des echten H-Wortes
kadan (verkürzt kan) wenn. — b) In aiki-n haben wir den selteneren, jedoch
keineswegs vereinzelten Fall des Artikels ohne folgenden Genetiv.
Haussa - Sänger. 191
£.
Mahnung, bei jedem Vorhaben, selbst dem sündigen,
Gott anzurufen, undPreis des allmächtigen Schöpfers
und Versorgers.
28 Was du auch tun willst, Menschenkind,
rufe den Xamen des Herrn an,
29 Wenn du den Herrn zu Hilfe rufst,
80 wird das Werk nicht mißlingen.
30 Und gingst du auch auf Diebstahl aus,
bitte um Hilfe bei unserm Herrn!
31 Und liefst du auch den Weibern nach,
rufe den Namen des Herrn anl
32 Auch wenn du Furchen für Indigo ziehst,
rufe zum Herrn, und das Werk gelingt.
33 Du hast's geseh'n, mit dem Ruf zum Herrn
ist nie mein Werk mißlungen.
34 Der Schöpfer ist der Herr!
35 Der den Kargo schuf und den Schabarastrauch,
der schuf auch Durmi und Yendi.
30 Cruh aus guri-h der Ort (wofür öfter tcuri-n) neben dem im Westen ge-
bräuchlichen ga (östlich tca s. 7 ff.). Zu rc^ba-na s. Anm. zu 28. Das dem ara-
bischen gleiche Possessivsufiix 1. PI. na findet sich zuweilen neben mu; sonst ist
na im H-Possessivsuffix der 1. Sg., wie 33.
32 Füda ist nöma im engeren Sinne : Furchen ziehn, bezw. Reihen häufeln,
ygl. 92 Anm. Der 2. Halbvers ist vielleicht wieder zu zerlegen. Zu ba-iya vgl.
5 Anm. ; das y von ya gehört beiden Silben an und vereinigt sich mit dem a der
ersten zum Diphthong.
33 Statt gani ist vielleicht zu schreiben ga-ni : ga kürzere Stammform, n»
= mich. Zu ba i- vgl. 18.
34 Hier dürfte ein Halbvers fehlen. Häl§ku (vgl. 23 Anm.) hat sich im 1.
u. 3. Radikal dem Lautstande des H angepaßt, wie überhaupt ein arab. q fast
immer als k entlehnt, also keineswegs als identisch mit dem Ä- des H empfunden wird.
35 Wonde assimiliert aus wonda. A kargo M IcaJgo = Bauhinia purpurata;
sdbara gelbblühender Strauch. Näheres über beide in meinem Aufsatz „Arznei-
pflanzen der Haussa" Ztscbr. f. Kolonialspr. Bd. IV, Heft 2. Ihnen werden die
beiden hohen Schattenbäume dur^mi und yendi gegenübergestellt. Dufgmi (Mi. u.
R dürnmi) wird gern im Hof und auf freien Plätzen angepflanzt, yendi (anderswo
nicht angegeben) wächst wild und erreicht größere Höhe. Die Frucht der düremi
ähnelt der Kolanuß, wird daher auch göro-n teleka „Guro der Armen" genannt
and ebenso wie die geringer geschätzte des yendi gegessen; beide sind grün, und
ihr Genoß färbt die Zähne rot.
192 Rudolf Prietze,
36 Wonde ye-i demya, si ye-i goruba,
Welcher er macht Pflaumbaum, er er macht Dumpalme,
si yQ-i ibiro ye-i ätca.
er er macht „ er macht „
37 übdngiM mai-lcautd^ ya karimu!
Herr habend Geschenk, o freigebiger!
Hal§}iu si ne rahba-na.
Schöpfer er ist Herr unser.
38 Kaddn yä-bdi iva mai-oa,
Wenn er giebt zu habend Mutter,
maräya ma yä-sdn da si.
Waisenkind auch er weiß mit ihm.
39 Kckddn yä-bdi wa mai-kdfa,
Wenn er giebt zu habend Fuß,
gür§gu md yä-sdn da si.
Lahmer auch er weiß mit ihm.
40 Kaddn yä-bdi wa mai-ido,
Wenn er giebt zu habend Auge,
malcäfo md isa-i ba-si ne.
Blinder auch geht er geben ihm.
41 Kaddn yä-bdi wa mai-güdii,
Wenn er giebt zu habend Lauf,
na sdtnne md sa-i bä-si ne.
der des Sitzens auch geht er geben ihm.
42 Mägani-'ü-Tca m-n yi, ya karimu!
Mittel dein gehe ich machen, o freigebiger!
Älla si ne magani-n kömi.
Gott er ist Mittel das wessen auch.
43 Abi-n kasa duk käyd-n-sa ne,
Ding das der Erde alle Gepäck sein ist.
abi-n sdma duk käyd-n-sa ne.
44 Nä-duha ciki-n kasa:
Ich habe geschaut Leib den der Erde:
h&bu kamd-r Allah k.
nichts Gleichheit die Gottes.
45 Sama duk nä-düba:
Himmel alles ich habe geschaut:
ba n-ga kamd-r Allähu ha.
nicht ich sah Gleichheit die Gottes.
86 a) Pfmya s. 16. — b) A schreibt zibiro statt ibiro, anca statt atca.
Beides sind kleine körnige Ilirsearten, vgl. dtca u. iburu St. 630.
Haassa - Sänger. 193
36 Wer den Pflaumenbaum schuf, schuf die Dtunpalme auch,
schuf Ibiro, schuf Atscha.
37 O gütiger Herr, an Gaben reich!
Der Schöpfer ist unser Herr.
38 Wenn er dem giebt, der eine Mutter hat,
gedenkt er doch der "Waise auch.
39 Und giebt er dem, der Füße hat,
gedenkt er doch des Lahmen auch.
40 Und giebt er dem der Augen hat,
wird er doch auch dem Blinden geben.
41 Und wenn er dem giebt, der da lauft,
wird er auch dem, der rastet, geben.
42 Mit dir will ich zaubern, Gütiger!
Gott ist der Zauber für jedes Ding.
43 Auf Erden alles ist sein Besitz,
im Himmel alles ist sein Besitz.
44 Ich habe geschaut, was die Erde hegt:
Nichts giebt es, was Gott gliche!
45 Den ganzen Himmel hab' ich beschaut:
Nichts sah ich, was Gott gliche.
37 Uhangizi = uba-n-ffidä Vater des Hauses.
40 f. Das scheinbar pleonastiscbe ne wird von A im Sinne von bald, von M
im Sinne von auch, als Verstärkung von tna, gedeutet.
42 Bei A lautet die Stelle: Mägani ka (poetisch für kaka) za-n y» = wie
soll ich ein (Zauber-)Mittel machen? Ich habe hier M's Konjektur vorgezogen.
Das gemeinte Mittel ist nach ihm die Geduld.
44 ff. Kama ist die im H zum Hauptwort gewordene arabische Partikel.
45 flF. Zu 6a n-ga vgl. 18 Anm.
194 Rudolf Prietze,
46 Gebes mä nä-düba:
Osten auch ich habe geschaut:
ba n-ga kamd-r Allahu ba.
47 Küdu mä nä-düba:
Süden auch ich habe geschaut:
ba n-ga kamd-r Ällähu ba.
48 Afewa md nä-düba:
Norden auch ich habe geschaut:
ba n-ga kamd-r Allahu ba,
49 A yamma md nä-düba:
Zu Westen auch ich habe geschaut :
ba n-ga kamd-r Allahu ba.
50 Sarki-n dere mai-rana, ya karhnu!
König der der Nacht habend Tag, o freigebiger!
Alla si ne yd-isd.
Gott er ist er genügt.
F.
51 Ni ivone dUd sd-in yi?
Ich welche Arbeit gehe ich machen?
ni ivoce jdura zd-in yi?
ich welchen Handel gehe ich machen?
52 Jdura Gonäa bdnda ni,
Handel v, „ außer mir,
ma Adamdiva bdnda ni.
Gehn (nach) „ außer mir.
53 Füda-r hdba bdnda ni,
Furchenziehn das Indigos außer mir.
füda-r rögo bdnda ni.
Furchenziehn das Kassada außer mir.
54 B§lbela ta-dogafd,
Rinderhüter hat sich gestützt,
a güzu-n §änu eä-ta öi.
in Grund dem der Kühe geht er essen.
55 JJrigtdu md tä-dögafa,
Schmutzgeier auch hat sich gestützt,
gafc-ku, mdfauta, zd-ta 6i.
bei euch, Fleischer, geht er essen.
49 Für yamma schreibt A yanma.
50 Sarki-n derl mai-rdna ist eine mündliche Verbesserung A's. Im Text
Eaossa • Sänger. 195
46 Nach Osten hab' ich hingeschaut:
Nichts sah ich, was Gott gliche.
47 Nach Süden hab' ich hingeschaut:
Nichts sah ich, was Gott gliche.
48 Nach Norden hab' ich hingeschaut:
Nichts sah ich, was Gott gliche.
49 Nach "Westen hab' ich hingeschaut:
Nichts sah ich, was Gott gliche.
50 0 gütiger König der Nacht und des Tags!
Gott ist es, der Genüge schafft.
F.
Der Sänger erklärt den Bewohnern vonKano, er suche
sein Heil weder im Handel noch im Landbau, sondern
in ihrer Gunst.
51 Was für Arbeit ßoll ich tun?
Was für Handel treiben nun?
52 Handel mit Gonza ist nichts für mich,
Adamauareisen nichts für mich.
53 Indigopflanzen ist nichts für mich,
Kassadapflanzen nichts für mich.
54 Der Rinderhüter verläßt sich darauf,
zu Füßen der Kühe zu schmausen.
55 Der Schmutzgeier auch verläßt sich drauf,
bei euch, ihr Fleischer, zu schmausen.
schreibt er sarlci-n haitca König der Gabe. Für ya karimu schlägt M vor: yä-
käre-mu er hat uns beschützt. Yd-i^d Prät. im Sinne des allzeit Gültigen, vgl. 129.
51 Für wQce schreibt M KQta. Das Wort jaura für Handel entstammt nach
M dem Kanuri; er schreibt es 52 mit Artikel: jaura-l wegen des folgenden Gonza.
52 a) Gonia ist der Distrikt oberhalb der Goldküste, der die Kolanuß er-
zeugt. Nach M wäre bdnda als bäbu-n-da zu deuten : nichts mit, nichts welches.
In der Tat könnte das im Osten gesprochene ham „verschieden" in da-bam, bam-
da,_ bam-bam und seinen Ableitungen auf bcAu-n zurückgehen und im Westen in
Folge der häufigen Verbindung mit da zu ban geworden sein. Es könnte jedoch
auch das aus bäya-n „hinter" verkürzte ban sein (s. 85 Änm.). — b) Adamaua gilt
als Bezugsquelle für Elfenbein.
53 Zu füda vgl. 32 und 92. Eögo ist Kassada, Manihot utilissima. Vgl.
St. (?34, Pfl. u. T. 12.
54 Bslbela, PI. belbeloli, auch falfela (vgl. Pfl. u. T. 159), Ärdea bubulcus,
ist ein von Rinderherden unzertrennlicher weißer Vogel. Gü^u s. 15.
55 a) Bei ungulu, M dgulu Schmutzgeier (s. Pfl. u. T. 116) ist bemerkens-
wert, daß er trotz der Endung u Feminin ist. — b) Ma-fauia, PL v. ma-fauH
Fleischer, auch mü-fauta und ma-hauta (M).
196 Rudolf Prietze,
56 jpdnumd yä-dögara
„ er hat sich gestützt
gare-Jcu, Känäwa, sa-i ci.
bei euch, Kanoer, geht er essen.
G.
57 Da-n SuUi, da-n Äutd,
Sohn der des „ Sohn der der „
taimaM-ni, giigä-na na rijia!
hilf mir Eimer mein der Brunnens!
58 Na-i zöhari, har nä-gaäi,
Ich habe gemacht Fanghaken, bis ich ward müde,
gänßi, mai-fäda, halärahe !
Bogenhalt, Herr der Residenz, Araber!
59 Ba-n Äutä, köiva gamS-Jca,
Sohn der der „ wer auch schimpft dich,
räma, don ha i - ß - ha ha.
räche, denn nicht er übertrifft dich.
60 Ni wone Jcüka sa-in yi?
Ich welch Schreien gehe ich machen?
Küka-n sänu zä-in yi?
Schreien das der Kühe gehe ich machen?
61 Ko na tumäki sä-in yi?
Oder das der Schafe gehe ich machen?
Ko na aiväki zä-in yi?
Oder das der Ziegen gehe ich machen?
62 Küka-n zakai m-ln yi?
Schreien das der Esel gehe ich machen?
Küka-n ddki eä-in yi?
Schreien das des Pferdes gehe ich machen?
63 Na alfadari ha m-här-si ha,
Das des Maultiers nicht ich lasse es,
ko ööfa eäkara vä-ke i,
sogar Krähn ilahns ich tue machen,
in-sämu gidä-m mai-fäda.
daß ich finde Haus das Herrn der Residenz.
56 I>d-n-uma, der wirkliche Xame des sich im Eingangslied als Papagei
einführenden Sängers könnte als „Sohn der Mutter" gedeutet werden, falls es
zulässig ist, eine Anähnlicbung von uwa Mutter an das Arabische anzunehmen.
57 a) Sulti für Suleimän. Auta ist das jüngste Kind u. der kleine Fini^er.
Gemeint ist Nagyätum, der als Freund des Königs Abdu in Kano allmächtig war,
ohne ein Amt zu bekleiden. Der Name Nagyätum I)e8agt etwa: der von Groß-
Haussa- Sänger. 197
56 Und Dänuma verläßt sich drauf,
bei euch, ihr von Kano, zu schmausen.
e.
Lied, mit welchem der Sänger von dem Freunde des
Königs Abdu von Kano, Nagydtum, die Freilassung
seiner wegen Glücksspiels gefangen gesetzten Söhne
erbittet. Zum Schluß Mahnung an sie, — sich nicht
wieder erwischen zu lassen.
57 Du Sohn der Äuta und des Sulei,
mein Brunneneimer, steh mir bei!
58 Ich fischte nach dir, bis ich müde ward,
du Bogenhalt, Hofherr, weißer Mann!
59 Sohn Äuta' 3, wer lästernd von dir spricht,
vergilt's ihm; denn er überragt dich nicht.
60 Welch Geschrei soll ich beginnen?
Soll ich brüllen wie die Kühe?
61 Oder blöken wie die Schafe?
Oder meckern wie die Ziegen?
62 Soll ich wie die Esel schreien?
Soll ich schreien wie das Pferd?
63 Nicht den Schrei des Maultiers spar' ich,
krähe \ne der Hahn sogar,
um des Hofherm Haus zu finden.
eitern Erzogene, vgl. gyätuma alte Frau (Masc. gydtemi), Mi. gyatüma, z. B. in
dem Sprichwort Dünia gyatüma ce die "Welt ist eine alte Frau, d. h. es geschieht
nichts neues unter der Sonne. — b) Gugd ist trotz seiner Endung Masc, vgl. 5.
Der Brunneneimer dient öfters als Gleichnis für Helfer, Vermittler.
58 a) Zdbari Instrument, um herauszuholen, was in den Brunnen gefallen
ist, nach Mi. eine mehrzinkige Gabel, nach Ä Bündel von 5 Ketten mit je 4 Haken.
Seine Handhabung bei der Suche nach dem Eimer versinnbildlicht die Bemühungen
des Sängers, NagyätunCs Huld zur Befreiung seiner Söhne zu gewinnen. — b) Gdnfu,
nicht bei Mi. u. R, nach A ein Holz, das bei Anfertigung eines Bogens an diesem
befestigt wird, ihm die gewünschte Krümmung zu geben, daher nach M Symbol
der Stärke. — Mai-fäda nach M Günstling des Hofes (fäda Königshof). — Balä-
rahe (entlehnt und mit H-Präfix) oder Batüre redet der Schmeichler auch Ein-
geborene an, vgl. Bornulieder VI 6, IX 2.
59 a) In Prosa köwa yä-game-Tca; M gamd = zagd schimpfen, dagegen
^dmo . vollenden. — b) Bäma wiedergeben, rächen. Steigerung der Schmeichelei:
Du brauchst dir von Niemand etwas gefallen zu lassen, weil du am höchsten stehst
61 Tumdki, PI. v. tumkia weibl. iichaf, aicdki, PI. v. aküya Ziege, sind wie
dawdki v. döki Pferd u. a. innere Pluralbildungen ähnlich den arabischen.
63 Zu 5a m- vgl. 5. In-sämu ist wie schon zä-in 60 ff. Konjunktiv, ein
Modus, der sich nur am Pron. 1. Sg. (m für na) ausprägt.
198 Rudolf Prietze,
64 Kadani biri ye-i banna,
Wenn Affe er tut Verwüstung,
Güdu yd-Jcan yi,
Laufen er pflegt machen,
mai-göna bd i-gdn-si ba.
Herr des Ackers nicht er sieht ihn.
H-
65 Nd-Jcafa tdreko nd-gaji;
Ich habe gestellt Falle ich bin ermüdet;
nd-kafa tdreho-n mekia.
ich habe gestellt Falle die des Geiers.
66 TJngülu mai-wäwa-n koddi,
Schmutjgeier habend Narren den der Gier,
ungülu td-zo tä-sigd.
Schmutzgeier ist gekommen, ist hineingegangen.
67 And zagagi da kosakosd?
Wo Sumpfvogel mit Pelikan?
Su borintemke düs su-zö.
• o
Sie „ alle sie kommen!
68 Wdlldhi, kam ba n-sämo mekia ba,
Bei Gott, wenn nicht ich erlange Geier,
ungülu, ba za-m bdr-ki ba.
Schmutzgeier, nicht gehe ich lassen dich.
I.
69 Domin wuya ke gaiya, ed-n samafi,
Wegen Schwierigkeit tut Aufgebot, Kinder die der Burschen
don a-köma ke tö§i.
weil man kehrt wieder tut Trinkgeld.
64 Für banna hat A wie Mi. barna. M schreibt das 6 hier mit demselben
Zeichen, mit dem er d und ^ wiedergibt, dem arab. ta.
65 a) Hier nä-gaji, 58 nä-gazi; j und i wechseln in der Aussprache wie in
manchen Teilen Italiens. — b) Mekia ist der größte der Geier.
66 Zu ungülu vgl. 55. Mai-wäwa statt des einfachen wäwa Narr ist auf-
fallend.
67 a) Der fagagi ist nach R eine Wassergans mit weißer Brust, nach Mi.
ein weißer Vogel mit langen Beinen und langem rotem Schnabel, doch nach A
größer als der eigentliche Storch, welcher sämua heißt. KosäJcQsa ist nach M's
Beschreibung der Pelikan, nicht der Schwan, wie Mi. angibt. Freilich nennt B
für Pelikan mai-zika „Beutelherr" = Mi baba da jika, doch hiermit bezeichnete
M im zoolog. Garten den Marabu oder Kropfstorcb (Leptoptilus cruminifer nach
St. 247). -- b) Borintftnke (A borintinke, Mi. borinttimke, R borintunki) nach Mi.
Hanssa - Sänger. 1 99
(Epilog; Die Söhne sind entlassen.)
64 "Wenn der Affe Frevel übt,
weiß er sonst davonzulaufen,
eh' des Feldes Herr ihn sieht.
H.
Der Sänger schildert unter dem Bilde einerFalle und
verschiedener großer Vögel, deren jeder eine be-
stimmte Person bedeutet, wie er ein ursprünglich auf
einen andern gemünztes, von diesem jedoch darchGe-
schenke rechtzeitig abgewehrtes Spottlied auf den
übertragen habe, der sich weniger zahlangs willig
zeigte, und lädt Zuhörer ein.
65 Mit Fallenstellen müht' ich mich ab,
dem Großgeier hatt' ich die Falle gestellt.
66 Da kam Schmutzgeier, der gierige Narr,
Schmutzgeier kam und ging hinein.
67 "Wo sind der Storch und der Pelikan?
Schaf reigen, alle mögen sie nahn!
68 Bei Gott, war der Großgeier nicht zu fassen,
Schmutzgeier, dich werd' ich nimmer lassen!
I.
Der Sänger verwirft unnötige Anstrengung und
verspricht sich müheloseren wie reicheren Gewinn
von den kleineren Orten der Umgegend als von
Kano selbst, das ihn, wie er durch die Blume zu
verstehn gibt, enttäuscht hat (vgl. F), weil es mit
unechter Freigebigkeit prahle, ohne wirklich wohl-
zutun.
69 Ihr Bürschlein, für Schweres nur kommt man zu Häuf;
nur der Wiederkehr halb zahlt man Trinkgeld drauf.
Pelikan, nach R eine Art Storch, auch nach M's Beschreibung dem Storch ähnlich,
nur etwas größer und mit weißen Flügeln. Der Name scheint den Anblick einer
Schar dieser Vögel mit einer Schafherde zu vergleichen (s. 62 tümkia, PI. tumäki) ;
denn bort ist hier synonym mit taj-o Herde, während es eigentlich einen ekstati-
schen Tanz der H- Weiber bezeichnet, vgl. Einl., Saiteninstrumente; näheres ist
zu 293 meiner Bornusprichwörter ausgeführt. Zu su mit folg. Sg. s. II 9. M
spricht hier dus, durch Assimilation aus duk s. 17 Anm. Im Text ist hier der
2. Halbvers von 66 als 3. Zeile wiederholt, meines Erachtens irrtümlich.
69 Hier und in 70 ist a man vor /e ausgelassen, dem in Prosa auch yi
„machen" folgen würde. Gaiya ist Volksaufgebot, Heerbann. Ea Kinder gibt hier,
Kgl. Ues. d. Wim. Nachrichten. Phil.-hist. Klia««. 1916. Heft 2. 14
200 Rudolf Prietze,
70 Domin defe ke sandd,
Wegen Nacht tut Stock,
don da räna ko da kafa na-fökara.
weil mit Tag ob mit Rohr ich stütze mich.
71 Kai-ni Äletini, Tutnbäu,
Earigiso^ Kätarkatva, Sabongari!
72 Nä-sa zuma nä-kosi.
Ich trank Honig ich wurde satt.
Mi za bai madi-n demya sai Jcornafi?
Was geht geben Syrup der v. „ außer Übelkeit?
73 Mai-madi ke talla,
Habend Syrup tut ausrufen,
mai-suma ya-na ddka a - tarda -si.
habend Honig er tut hausen man begegnet ihm.
K.
74 JSä-däina wäka-r Dälu,
Ich gab auf Lied das des „
tun a bäfa rigd ce ba i-bä-ni ba.
seit in letztem Jahr Tobe ist nicht er gab mir.
75 B^ki-n domd na küsei,
Schwarz der Kürbis der der Gräber,
kas mdfafa, Dolo ätka-n äaäi!
töte Zerschneider, „ Enkel der des Handelsherrn.
76 Ze-ktty dauko, kawö, kasö!
Geh, hole, bring heim, komm !
ka-bai ma-roki, bd-iya sdta.
gib Bettler, nicht er Diebstahl.
77 Nä'äi burumburiim a tükanc —
Ich hörte Geklirr in Töpfen —
mäta, ku-düba Dälu ko yä-tä§i ne.
Frauen, seht nach „ ob er ist aufgestanden.
wie häufig sein Sg. da, dem folgenden Wort Diminutivcharakter. Don ist aus
domin (da-mi-n) zusammengezogen. Tost, bei Mi. u. R Bestechung, ist genauer
Bakschisch. Der Sänger will sagen, wer sich der Gunst eines Mädcliens erfreut
habe, tue nur dann ein übriges, wenn er wiederkommen wolle.
70 Zu tökara vgl. 54 ff. dogara. Auch R hat tokara.
71 Die hier genannten kleineren Städte liegen alle bei Kano. Die ersten
beiden sind Fulbe-Namen. Ea-n gizo (vgl. 69 u. 21) bedeutet „Kinder des Woll-
kopfs", weil den Einwohnern ein besonders dichter Haarwuchs zugeschrieben wird.
Sdbo-n gar* ist Neustadt.
72 A schreibt za, nach welchem wohl das » der 3. Sg. verloren gegangen ist,
M §a-n: Was soll ich dem Syrup zuschreiben, als Übelkeit? Modi ist ein aus
Haassa - Sänger. SOI
70 Zum Nachtgang nur wird i&r Stock benutzt,
derweil am Tag schon ein Bohr mich stützt.
71 Nach AUtini führe mich, nach Tumbdu,
Eangizo. Neustadt, Katarkatca!
72 In Honig hab' ich mich satt getrunken:
was schafft Pflaumsyrup als Übelkeit?
73 Der Syrup träger schreit aus zum Verkauf,
den Honigmann sucht mau zu Hause auf.
K.
Spottlied auf Dälu, der demSänger eine versprochene
Tobe schuldig geblieben ist, deshalb für einen Dieb
erklärt und ironisch aufgefordert wird, sichnunauch
gründlich und mit Erfolg als solcher zu bewähren.
74 Den Sang auf Dalu gab ich auf,
er schuldet ein Kleid mir seit vorigem Jahr.
75 Schwarzkürbis vom Friedhof, des Spalters Tod,
Dalu, du Kaufhermenkel!
76 GFeh, hole, bringe heim und komml
Gib dem, der bittet — er stiehlt ja nicht!
77 Da hört' ich, wie's bei den Töpfen kracht —
schaut, Frauen, ob Dalu sich aufgemacht!
Früchten gewonnener Syrup (näheres II 169). Demya s. 15. Kömafi (nicht bei
Mi. und R) ist Unbehagen im Magen, etwa Sodbrennen oder saures Aufstoßen,
ähnlich gamba, das Mi. (gänba) durch Vielfrä£igkeit wiedergibt, während es nach
M vielmehr Rülpsen bedeutet.
73 a) Vor ke fehlt ye vgl. 14. Zu talla vgl. B mai-talla Trödler. — b) Daka
ist Zeitwort zu daki Hütte, Zimmer: das Haus hüten, daheim bleiben vgl. 11 1.
74 Dalu (vgl. Pfl. u. T. 145 daio Bullenkalb) hieß ein Mann in Gezdwa bei
Kano, der für die ihm gesungenen Lieder Geschenke versprach, aber nie gab.
Der Name wurde für seinesgleichen typisch; es findet sich der PI. ddloli.
75 a) A damd, PI. di'tmami, M d^ma, PI. demomi, laut Mi. {dümä) Flaschen-
kürbis, Lagenaria vulgaris L, nach R nicht gegessen, sondern zur Herstellung von
Wassertöpfen verwendet. Küsei oder küseyi, PI. von küievoa Grab (Mi.). —
b) Kas häufige Verkürzung für ka8e\ der Imperativ mit Objekt ist, wie auch iq
germanischen und romanischen Sprachen, eine beliebte Form für Beinamen. Zu
ma-fafa vgl. Mi. fäfi Zerschneidung, besonders von kugelförmigen Körpern. Der
Kürbis wird zu obigem Zweck in der Mitte der Quere nach gespalten. Stammt
«r vom Friedhof, so stirbt nach dem Volksglauben der, der es tut. Zdii ist du4
Bomuwort für H madugu Karawanenhaupt, dessen unwürdiger Enkel also Däiu war.
76 Die erste Zeile ist ein Diebsmotto, das dem Dälu beigelegt wird. Ze-ka
altertümlich für ka-ie. Zu bd-tya vgl. 32.
77 a) Burutnbürum Nachahmung rasselnden Geräuschs vgl. II 190 kifikkirin.
Tukane, PI. v. iukünya irdener Topf (Mi.); vgl. d. PIl. 61. — b) Zu ne vgl. 40.
14*
202 Rudolf Prietze,
78 Kddd ka-M zoro~n düJca,
Daß nicht du fühlst Furcht die der Hiebe,
Dälu, Mki ma ya-sd-si.
„ Esel auch er trinkt es.
79 Kdda ka-äi zoro-n rdmi.
Daß nicht du fühlst Furcht die des Lochs,
ko gafid ma na sigd.
sogar Ratte auch tut hineingehn.
80 Nd-ki äiki-m hdnza,
Ich hasse Werk das des Nutzlosen,
nä-lä fqjpe, hd-n-na SQ-n mai-fqjfe!
ich hasse Stümperei, nicht mein Lieben das des Stümpers!
81 Aiki-m hdnza sai kafS,
Werk das des Nutzlosen nur Hund,
sai gadii mai-sdre-n tabq.
nur Wildschwein habend Hauen das des Schmutzes.
L.
82 Ni and da and za-n kqma?
Ich wo und wo gehe ich zurückkommen?
m Kankaii za-n köma
ich nach „ gehe ich zurückkommen
83 gida-n Idirisu,
(zum) Haus dem des „
ma-sa yalö bäbd-m Fazum.
trinkend Preis Oheim der der Fatma.
84. Yä-bid-ni, bd-si da fingi-m mä-gamu
Er bezahlte mich, nicht er mit B-est dem
ko da bla-m bäsi ne.
ob mit Bezahlen dem der Schuld ist.
85 Yä - bid - ni, düzi ba-iya fdrgabd.
Er bezahlte mich. Stein nicht er Herzklopfen.
Malern Idirisu, ka-zö ka-M.
Meister „ komm höre.
78 Zur phraseologischen Verwendung von sa trinken vgl. H-Sprichw. 102.
79 Na poetisch für ta-na, wie 14 Ice für ye-tce. Nach diesem Verse stand
im Text als 3. Zeile gitgd ma ya-sd-si den Eimer auch trank (nahm auf) das IjOch.
Doch hätte nach M kada ka-zi ?oro-n rämi davor wiederholt werden müssen.
Ohnehin lag schon der Parallelismus membrorum (H maimai) von 78 u. 79 vor;
mitiiin dürfte gitgä etc. nur eine schleppende Interpolation sein.
80 a) Zeitwörter wie ^t hassen, fi ühertreifen, sani wissen stehn in der Regel
wie hier im Praot. im Sinne des jederzeit, dauernd Gültigen. — b) A fS^e oder
Haassa - Sänger. 203
78 So fürchte dich doch vor Prügel nicht,
Dalu, der Esel bekommt sie auch.
79 Und fürchte dich nicht vor dem Loch,
geht doch die Ratte selbst hinein.
80 Zwecklose Mühe ist mir verhaßt,
Gestümper, ich mag den Stümper nicht.
81 Zwecklose Mühe treibt nur der Hund,
treibt nur der Eber, der Dreck aufwühlt
L.
Trostlied zu Ehren des Idris, eines ehedem freigebigen,
jetzt verarmten Grönners, nebst einem Lobspruch auf
dessen jungen Freund, der den Sänger für dies ynho
belohnt hat.
82 Wo, ja wo kehr' ich wieder ein?
In Kankan kehr' ich wieder ein
83 im Haus des Idirisu,
bei Fatma's vielgepriesenem Ohm.
84 Der hat mich bezahlt, der vertagt keinen Rest,
als wär's eine Schuld, die er begleicht!
85 Der hat mich bezahlt, der Fels, der nicht bebt.
Meister Idris, komm und vernimm.
höhe, M föki (ö scheint dem Osten fremd zu sein) wurde mir als synonym mit
bansa angegeben. Vielleicht bieten Mi. fukd R fttku Atemnot, Asthma einen
Fingerzeig für den genauen Sinn. Das Possessi vsuf fix an ba-n-na zeigt das or-
sprüngl. Zeitwort ba nichtsein als substantivischen Infinitiv, vgl. 5 Anm.
81 Die zwecklose Tätigkeit des Hundes ist sein Herumlaufen, die des Ebers
das Aufwühlen des Bodens mit seinen Hauern; säfe bezeichnet den Hieb mit
scharfer Waffe, daher auch den Biß der Schlange. Tabö Schlamm und tdbo Narbe
werden in der Betonung und durch verschiedenes b auseinandergehalten.
82 Kankan ist eine kleine Ortschaft südlich von Kano in der Nähe von
Gezäica, der Heimat des oben verhöhnten Dälu. Koma findet sich im Kano neben
köma.
83 Zu bäbd vgl. 21 Anm. Fa^um eine lautlich bemerkenswerte Nebenform
von Fätuma.
84 Für das westliche fingi hat M's östliche Mundart hihgi, und für mä-gamu
setzt er mu-gamu. Beides soll eine spätere Zusammenkunft bezeichnen, bis zu
welcher der Schuldner die Abtragung des Restes verschieben will, vgl. Mi. gamö
Zusammentreffen, mä-gama Zusammentluß. Da gamu indeß auch übereinkommen
bedeutet, sind mä-gamu u. mu-gamu vielleicht als Verbalformen anzusehn {mä
Präfix der 1. PI. im Futur, mu im Aorist) und ringi-m mä-gamu als Redensart
des säumigen Schuldners : Über den Rest werden wir uns einigen.
85 Zur Kennzeichnung eines fröhlichen Gebers wie Idris dient im östlichen
•H-Gebiet die Wendung: Tä-fi kaute -l gewoya ban (aus bäj/a-n) 4öJei Jea-köma
204 Rudolf Prietze,
86 Ka-so n-gaia md-ka aljhna,
Komm daß ich sage zu dir Kede,
ahi-n da Kanawa su-n-ka de:
Sache welche Kanoleute sie haben gesagt:
87 Ko linmmi yä-kafei,
Ob Zügeleisen es zerbrach,
yd-fi gaba-m baki-n kare.
es übertrifft Klafter das Mundes des Hundes.
88 Koda sirdi yä-karei,
Ob auch Sattel er zerbrach,
yä-fi gabd-ni bayd-n kare.
er übertrifft Klafter das Rückens des Hundes.
89 Koda tdkobi yd-bar gidd-n-sa,
Ob auch Schwert es verließ Haus sein,
yd-fi teyi-n haiiyd bidr.
es übertrifft Angebot das (v.) Hacke fünf.
90 Yä-fi yankd-n kaii, sai ko ya-yaüka
Es übertrifft Schlachten das Hühner, außer oder es schlachtet
da-n aküya ko temkid.
Sohn den der Ziege oder Schaf.
91 Käfo da käro fagö ya-kan yi,
Stoß mit Stoß Widder er pflegt machen,
da-n (iküya sai mwoyi.
Sohn der der Ziege nur Diai'rhoe.
92 Masokdno, gdrtna Tpdre aiki,
„ Hacke beende Arbeit,
§i^ge kafi-n duduga !
Gehege Schutz der der Baumwolle!
93 Kane - n Lamara, yayd-n üsaini
Jüngerer Bruder der der „ , älterer Br. der des „
yäfo ne mai-züöia.
Knabe ist habend Herz,
ha-na küka das ist ein besseres Geschenk, als wenn man (der Geber) nachher
hinter dem Hause herumgeht (um sich zu fassen) und heulend wieder zum Vor-
schein kommt. — Zu ba-itja vgl. 32. Färgabd bei Mi. Sorge, Angst, Kummer
M falgabd Herzklopfen. Zu mdl^m vgl. 16.
86 a) Aljitna gehört zu den Fremdwörtern, die im entlehnenden Volk eine
andre Bedeutung gewinnen als daheim. — b) Su-ii'ka ce ist nicht mit Schön als
Plusquamperfekt dem Perfekt au-ka ce gegenüberzustellen, sondern nur als dia-
lektische Variante des Westgebiets an/.usehn. Über au-ka-ce man sagt, es beißt
bei ihnen s. meine H-Sprichwörter 1, H, 13 f. u. a.
87 a) Lintümi, bei Mi. lieami Zügel, eine Entlohnung wie lüä^, labari (vgl.
Haassa - Sänger. '^ 206
86 Laß mich ein Wort dir künden,
das in der Kanoer Munde lebt.
87 Auch wenn des Zügels Gebiß zerbrach,
reicht's weiter als ein Hundemaul.
88 Ein Sattel, riß er aach entzwei,
reicht über Hunderücken hinaus.
89 Ein Schwert, ob's auch die Scheide verlor,
ist doch für hundai noch nicht feü.
90 Zu gut zum Hühnerschlachten — o nein,
es muß schon ein Ziegen-, ein Schaflamm sein.
91 Der Widder leistet Stoß um Stoß,
das Zicklein kriegt den Durchfall bloß.
(Zu dem jungen Freund des Idris):
92 Kanolieb, Hacke, die hurtig schafft,
des Baumwollfeldes schirmender Zaun!
93 Der Lamara Bruder und Husseins
ist ein beherzter junger Mann.
8, 28), soll hier genauer das Eisen im Maul bedeuten Karei^ eine auffallende
poetische Nebenform für das zu erwartende kan'i, dient wohl dem unübersetzbaren
Wortspiel mit kare. — b) Gabd, eig. Brust, als Präposition „vor", könnte auch
in diesem Sinne zur phraseologischen Verstärkung von yä-fi dienen ; doch ist hier
vermutlich seine zweite Bedeutung Klafter heranzuziehn. Das Gleichnis will wie
die folgenden hervorheben, daß ein Mann wie Idris auch nach Verlust seiner Habe
mehr bedeute als Leute gewöhnlichen Schlages. Zu yä-fi vgl. 80 Anm.
89 Der Umstand, daß hauya Hacke, Schaufel und zugleich neben dem ent-
lehnten asrin 20 bedeutet, läßt wohl den Schluß zu, daß die Hacken ehedem, wie
heute die BaumwoUstreifen, als Zahlungsmittel dienten. Gemeint sind 100 Kauri,
in deutscher Münze 10 Pfennig.
90 Das Bild vom Schwert wird beibehalten und zum Hinweis darauf ver-
wertet, daß Idris den Gast nicht mit den üblichen Hühnern, sondern mit Lamm-
braten zu bewirten pflegte.
91 Das eben Gesagte bringt den Sänger auf einen neuen Vergleich für seinen
Helden und dessen Gegensatz.
92 a) Der für Idris eintretende junge Freund trägt den Namen Ma-so Kano,
weil seine Mutter während ihrer Schwangerschaft nach Kano zog und ihn dort
gebar. A gdrma, PI. gdrmomi, bei M gilmä, ist nicht, wie Mi. ergibt, ein Pflug,
sondern eine Hacke mit breitem Eisen, die im Gegensatz zu der 89 genannten,
den Boden nur geschoben auflockernden hauya tiefe Furchen zieht (= fudd, vgl.
32, 53). — b) M schreibt simge (= Mi. R) und kar* ahduga; kafi und in der
1. Zeile köre sind Imperative in ähnlicher Verwendung wie kos 75.
93 Yayd, d. ältere unter Geschwistern, ist ein Bomuwort; im H heißt der
ältere Bruder sonst wa.
206 Rudolf Prietze,
M.
94 Mälem, äa-mii, ka-Mi-mu,
Meister, zieh uns, führe uns,
Kogör ta Kanäwa sa-mu ie,
Nach „ dem der Kanoer gehn wir gehn,
95 gidä-m Beki da-m Maisägo
zu Haus dem des „ Sohnes des „
mai-yäna haba-m Bardu.
habend Schaum Oheim der des „
96 Koda ydna id-'i wuyä,
Ob auch Schaum macht Schwierigkeit,
ha a-resa ydna gün-Jca ha.
nicht man ermangelt Schaum Ort dein.
97 Mai-tüdu-n däfawa, habo-n Guruea^
Habend Hügel den Aufstützens Oheim der „
mai-yäna hahd-n Isdu,
habend Schaum Oheim der „
98 Mai-ddmhugu ha-h gangdu, da-n Addudu,
Habend Schlägel nicht du Loch, Sohn der Davids,
kdr Jca-büga don lämuni!
daß nicht du schlägst wegen Bürgschaft!
99 Mai-hügn da hdgum bügu da däma
Habend Schlag mit links Schlag mit rechts
sai Beki, dd-m Maisägo.
nur „ Sohn der des „
100 Arddu, tue na däwa,
Donner, Brei tut Hirse,
sinkäfa na so-n tabo.
Reis tut Lieben das Schlammes.
94 a) Mäl§m s. 16, 25. Sein musikalischer Begleiter, an den Lied C ge-
richtet war, ist gemeint. — b) Kogör ist wie Kankan (82) ein kleiner Ort bei
Qezdwa. Städte werden, auch wenn sie nicht auf a endigen, als weiblich behandelt.
Der Zusatz ta Kanäwa unterscheidet es von der Fulbe-Siedlung Kogör ta FtUäni.
Die Invasion der Fulbe hat eine ganze Reihe solcher Parallelorte geschaflfen.
!)5 a) Bski schwarz ist hier Name bezw. Beiname, der wie Duna Leuten
Yon auffallend dunkler Hautfarbe gegeben wird. Mai-zägo, der Name seines Vaters,
bedeutet nach M wörtlich : Besitzer eines aus vollem Kücher herausragenden Pfeils
oder einer vorragenden Lanze, vgl. Mi. R edgo Harpune, Mi. zdgö (von zage) das
Vorbeigehn. — b) Ydna ist der Schaum auf frischem Indigo, der satte Färbung
verbürgt ; alter Indigo hat keinen Schaum mehr und färbt matt. Den Namen Ba-
fdu (von bar lassen) deutet A als überlebendes Kind, dessen Geschwister starben,
M wohl richtiger als den Sohn, welchen eine verstoßene Frau nach ihrer Wieder-
Haussa- Sänger. ^37
M.
Preislied auf den Färbe rJ5c^-<(Schwarz, Mohr) in Kogör,
eins der in der Einleitung erwähnten Handwerks-yafto.
Dem seiner Geschicklichkeit gespendeten Lob reihen sich Gleichnisreden an,
die gleichfalls auf ihn Bezug haben sollen: 100 f, erläutert die Anziehungs-
kraft, die Leute wie Beki auf den Sänger üben, 102 — 104 die schwierige
Lage, die ihm als hilfsbedürftigem Schafbock oder Hunde daraus erwachse,
daß er die Gunst des Löwen ü^ki der der Hyäne, eines Gegners des
Beki, vorgezogen habe.
94 Meister, leite und führe uns,
nach Kogor, dem Haussa-Ort, wollen wir ziehen,
95 zum Hause von Mohr, Maizä-gd's Sohn,
dem indigoschaumreichen Ohm des Bafdu.
96 So schwer der Schaum zu gewinnen ist,
er wird bei dir doch nie vermißt,
97 Guruza's Ohm mit dem Bühl, der dich stützt,
Ohm Esau's, der Indigoschaum besitzt,
98 Sohn David's, der nimmer ein Kleid zerklopft,
klopfe nie anders als gegen bar!
99 Mit der linken Hand und der rechten dazu,
80 klopft nur Mohr, Muizägö'B Sohn!
(Gleichnisse für des Sängers Wahlverwandtschaft
mit dem Besungenen:)
100 Beim Donner, Hirse gehört zum Brei,
der Reis begehrt morastige Flur.
anfiiahme geboren hat: eine Tochter würde in solchem Falle Äbafa genannt
werden. Vgl. II 23.
96 Zu gun-lia vgl. guh 30. M schreibt a gidä-ii-lia in deinem Hanse.
97 Tüdu-n däfavca ist das Häufchen Erde, an das der Gelagerte sich be-
haglich lehnen kann, ein Bild für den Besitz, von dem er lebt. Gurüza nennt
man laut M ein Kind mit großen vorstehenden Angen. Bäbq^n assimil. aus habä-n.
98 Da-m bügu „Sohn des Schlages" ist nach Mi. ein kurzer Holzschlägel,
mit dem man frisch gewaschenes oder gefärbtes Zeug schlägt, um es glänzend zu
machen. M setzt ha-k, poetisch verkürzt aus bä-ka für A's ba ; vgl. 17 Anm. zu
du. Gangdu (nicht bei Mi. R, bei M gaugau) ist das Loch im Kleide. A Adaudu
M Daitdu David ist der Oheim (vgl. 21), da ja der Vater Maizdgo heißt. A jfcor,
M Ical für kdda. Zu lamuni vgl. 3, 28. Es ist hier der Kredit, den der Besteller be-
anspruchen möchte, nicht etwa ein Pfand, das Bski vor seiner Arbeit zu geben hätte.
99 Btki hat in jeder Hand einen Schlägel und klopft abwechselnd, während
andre Färber nur mit der rechten klopfen.
100 Arädu ist wie waVähi 68 ein Beteunmgsruf. Na in der 2. Zeile ist
Hilfsverb, bei dem das Präfix fehlt, wie bei jfe'* in 14. 22 f., in der 1. wohl gleich-
208 Kudolf Prietze,
101 Wäsd na so-n karJcära,
Spiel tut Lieben das der Schalmei,
ciki-n jeäl sai ea-m bakä.
Bauch der Wildnis nur Kinder die Bogens.
10J8 Yäu ga küfa ga mJci,
Heut sieh Hyäne sieh Löwe,
ga ragö a gabä-n-su can.
sich Widder in Brust ihrer dort.
103 Ranä-n hadan woni hm läfia,
Tag den wenn Einer ruht (in) Gesundheit,
ranä-n woni bä sa-i gan-ta ba.
Tag den Anderer nicht geht er sehn sie.
104 Bän-da kure yä-sänsano
Tag den Hund er schnüffelte
tukünya küra, ya fädd.
Topf Hyäne, er fiel.
N.
105 Alla särki, da-n dmväki,
Gott König, Sohn der der Pferde,
sdfo mal - karefi - n gabd!
Falke habend Stärke die der Brust !
106 Baldrabi-nä, ga M reba gardama,
Araber mein, sieh ihn trennen Streit,
garä ba säka-l äiki!
Termite gib Änderung die der Arbeit!
a 6an na-ga käreß-n mcia.
in dort ich sehe Stärke die des Herzens.
107 Mai-demi tara ya-ki jini-n zakd^
Habend Garbe neun er haßte Blut das der Armensteuer,
ga mai-öku na nima y§-i.
sieh habend drei tut Suchen er macht.
falls Hilfsverb mit fehlendem Präfix, wobei aus der folgenden SQ-n zu ergänzen
wäre, könnte jedoch aurh Demonstr. mit folgendem Genetiv sein. Brei wird auch
aus Bohnen bereitet, mit Vorliebe aber aus Hirse.
101 Karkdra s. im Anhang zu den Blasinstrumenten in der Einleitung be-
schrieben. Die Verbindung mit wäsa zeigt, daß hier karkdra gemeint ist, nicht
karkdra bebautes Feld, an das man wegen des folgenden jeii denken könnte.
£in andres bei Mi. genanntes karkdra Ausschaben schreibt M kahl:dra.
103 In fana-w, bei A r<tn nun aus r^'^a nan (Tag dort), tritt die Bedeutung
von n, n als Artikel zu Tage. M nennt red-da aus ran-da (104) für rf^^^c^-** da
als gleichbedeutend mit rf^^fift-i* kadan. A kun, für das M kwa setzt, ist poetische
Haussa - Sänger. 209
101 Der Kinder Spiel verlangt Schalmei,
die Wildnis herbergt Jäger nur.
102 Nun sieh die Hyäne, sieh den Lenn,
sieh dort vor ihnen den Widder stehn:
103 Wird Einer sich ruhigen Wohlseins freun,
dann wird's der Andere nimmer sehn.
104 Und roch der Hund der Hyäne Topf,
am selben Tage ist's aus mit ihm.
N.
Lob eines fröhlichen Gebers, des Stallmeistersohns,
und Spott über dessen reichen, aber geizigen Stief-
bruder.
Der Sänger hat jenem die Gunst eines Mädchens gewonnen, das von diesem
begehrt war, und verhöhnt den Verschmähten mit salbungsvollem Trost,
worauf er sich selber wie in 5 f. lachend als unausstehlichen Plagegeist
schildert.
105 Gott ist König! Stallmeistersohn,
du Falke mit der starken Brust.
106 Mein Weißer, unbestritten voran,
Termite, die neue Arbeit schafft,
da seh' ich doch des Herzens Kraft !
107 Zur Spende, die der Neungarbenherr scheut,
ist er, der nur drei hat, mit Eifer bereit
Verkürzung von Jcwana rasten. Wöni-icöni sind I^öwe und Hyäne in ihrem Wett-
bewerb um den Widder; der Sieg des Einen ist der Untergang des Andern.
104 Sansano schnüffeln ist bei Mi. und R nicht genannt. Dies Sprichwort
von der Todfeindschaft zwischen Hyäne und Hund fällt aus dem Rahmen des
vorhergehenden heraus.
105 a) Alla sarki Eingangsfloskel. M schreibt bald sarki, bald safiki; letz-
teres sei das ursprünglichere. Daicäki, PI. v. dölci Pferd, ist hier nach A Eigen-
name, laut dem sorgfältigeren M der abgekürzte Titel des Stallmeisters am Königs-
hof, eigentlich sariki-n datcdki. — b) Kafefi Eisen, Kraft, dagegen kaf^ tönerner
Wassertopf.
106 a) Zu balärabi vgl. 58. Die beliebte Wendung fefta gardama besagt,
daß sein Erscheinen jeden Streit um den Vorrang beendet, weil er ersichtlich der
Erste ist. — b) Die Termite, deren Zerstörungen immer wieder ausgebessert sein
wollen, .ist ein Bild für den Krieger, der die Zauber des Feindes stets zu über-
bieten weiß und zu erneuern zwingt. Zu ba vgl. kas 75.
107 a) Der phraseologische Sinn von jini verdeutlicht sich in der Redensart
näki jini-n-aa ich mag ihn nicht leiden, wörtlich : ich hasse sein Blut. Zu yä-ki
vgl. 80, zu na vgl. 100. Zaka ist die Armensteuer des Koran. — b) Von nema
ist ye-i abhängig zu denken: er trachtet zu ton.
210 Rudolf Prietze,
108 Kömi-n dädi-n Idhira,
Was auch Angenehmes das des Jenseits,
gado da Txüdi yä - fi - ta.
Bett mit Wanze es übertrifft es.
109 Kömi-n dadl-n da-n tihä-n-Jca,
Was auch Angenehmes das Sohnes Vaters dein,
£!e-i hatä ma zücia.
geht es verderben zu (dir) Herz.
110 JBäwa, ka-bär fisi da ma-soyi:
Sklave, laß Groll mit Lieb:
kan kä - resa - si, Alla ne ha i-bä-ka ha.
wenn du hast vermißt es, Gott ist nicht er gab dir.
111 Bäwa, ka-bär fisi sämu,
Sklave, laß Groll Erlangens,
kan kä-resä-si, Alla ne ha i-bä-ka ha.
112 Alla ya-bai da-n dawakl;
Gott er hat gegeben Sohn dem der Pferde;
sdura-n sai su-i ciso hannü.
Rest der nur sie machen Biß Hand.
113 Ni ktirma-n hankaka na Säi:
Ich taub der B.abe der des „
a-na kofä-n-ka, ka-na dirä.
man tut Verjagen dein, du tust Herabhüpfen.
114 Ni Jcesfi ci fqska na - zo,
Ich Ausschlag iß Gesicht ich bin gekommen,
ni ne särzQ-n säkira, ni kora 6i käi.
ich bin Splitter der des Hintern, ich Glatze ist Kopf.
0.
115 Kaddti ba ka-sän ha tä-sdn da zamd-ri-ha ha,
Wenn nicht du weißt sie weiß um Weilen dein,
ka-san tä-san da zamä-n-ka ne.
wisse sie weiß um Weilen dein (ist).
108 Dieser dem Geizhals zugeschriebene Gedanke parodiert den frommen
Spruch kömi-n dät^i-n dünia, lähira tä-ft-ta so wonnig das Leben ist, das Jenseits
ist besser. Kömi-n hat den nämlichen Artikel, der bei domi-n, domi-n 69 f. auf-
fällt. Zu yä-fi-ta vgl. 80. Küdi (Pfl. u. T. 57) wäre Homonym zu Jfeu^t Gold,
wenn dies nicht, weil aus kurdi hervorgegangen, genauer ku44* lautete.
109 Sinn : Dein Stiefbruder ist dir trotz seiner Liebenswürdigkeit ein Dom
im Auge, weil er mit dir erbt, beide, von verschiedenen Müttern, haben den-
selben Vater; doch wird nur der Jüngere Stallmeistersohn genannt, weil der Vater
Haussa - Sänger. 211
(Von hier ab richtet sich die Rede an den Stiefbruder:)
108 Wär's Jenseits wonnig noch so sehr,
ein Bett voll Wanzen gilt dii- mehr,
109 Dein Stiefbruder, ob er der netteste wär\
er macht dir doch das Herz nur schwer.
110 Knecht Gottes, laß ab vom Groll um das Lieb;
entbehrst du'ß — nun, Gott gab dir's nicht!
111 Knecht Gottes, grolle nicht um den Besitz:
entbehrst du's — nun, Gott gab dir's nicht!
112 Gott gab's dem Sohne des Stallmeisters;
da kann man eich nur in die Hand noch beißen!
113 Bin ein tauber Rabe, ich Bruder des Schal:
man wird gescheucht — und man hüpft herbei!
114 Als Krätze kam ich, das Antlitz zerfressend,
bin Splitter im Hintern, bin Haarschwund am Kopf,
0.
Klage, bei Fremden denRückhalt finden zu müssen,
den Verwandte versagen.
Die Amede, absichtlich dunkel gehalten, um nur von Eingeweihten ver-
standen zu werden, gilt einem Schwager, der, seit er reich geworden ist,
sich von dem Sänger und dessen Frau, der Schwester der seinigen, zurück-
gezogen und den Ort gewechselt hat.
115 Weißt du nicht, daß sie nicht weiß, wo du weilst,
so wisse, daß sie weiß, wo du weilst
erst nach Geburt des Älteren zu dieser Würde kam. Zi-i assimil. aus za-%. Ma
poi'tisch für tna-ka dir.
110 a) Bdtca für bäwa-n Alla. Fisi ist der stille Verdruß, haust der rach-
süchtige Grimm. Um die Anspielung nur den Nächstbeteiligten Terständlich zu
machen, gebraucht der Sänger, obwohl es sich um ein Mädchen handelt, das Masc.
nm-üoyi, nicht ma-soyia. — b) Kan aus kaddh für kaddn wenn.
111 Auch mit sämu ist das Erlangen der Geliebten gemeint.
112 Sich in Hand oder Finger beißen ist eine landesübliche Geberde ohn-
niät htigen Grimms.
113 Attribute, die Farben oder leibliche Mängel ausdrücken, werden wie
hior kupna mit dem Artikel vor ihr Hauptwort gestellt. J§di, Bruder des Sängers
(vgl. 4), hat seinen Namen von sa, saye trinken, vermutlich weil er als Kind eine
Vorliebe für Kloßbrühe hegte. — b) Die 2. Sg. steht häufig für unser „man".
114 Kssfi, nicht bei Mi. u. R, ist ein juckender Ausschlag. Zu Ü s. kos 75,
zu kdi s. 23.
115 So nach M's Konjektur. .A.'s Lesart Kcidän ka-sam ba ta-san da zätna-
n-ka-sdm ba, ka-san tä-sdn da zamd-n ka-san, wenn du weißt, sie wisse nicht.
212 Rudolf Prietze,
116 Kadän ha ha-sam ma-lcori-n-ta ha:
Wenn nicht du weißt Bedeutung ihre:
kadän ha l'a-san da zamä-m-mu ha,
wenn nicht du weißt um "Weilen unser,
mü mu-n sdn da zama-n-ka ne.
wir wir wissen um Weilen dein.
117 Nä-sa gero za-i Ms-ni,
Ich trank Hirse geht es töten mich,
iäha tä-i mi-rd mägani.
Tabak er macht für mich Heilmittel.
118 Kadän ba ka-san ma-kari-n-ta ha:
Wenn nicht du weißt Bedeutung ihre:
dengi-na dük zä-su kds-ni,
Verwandtschaft mein alle gehn sie töten mich,
hare sii-n cece-ni.
Fremde sie haben gerettet mich.
P.
119 Ba don künga-r Ahda ha,
Nicht wegen Scham der (vor) „
ahi-n da na-ke so, zd-m fadä.
Ding, welches ich tue wollen, geh ich sagen.
120 Mai-Öa da herici-n ranä
Habend Mutter mit Schlafen dem Tages
hä-ni so-n-ta, ha-n-na ko gaise-ta,
nicht ich Lieben ihr, nicht mein sogar Grüßen sie,
121 iiä-r kinihihl, ^egia,
Mutter die der Ohrenbläserei, uneheliche Tochter,
uä-r kitiko, algüngamä,
Mutter die der Lüge, Zwischenträgerin,
ta-siga däki td-ßtä.
sie ging hinein Hütte, sie ging hinaus.
122 Mi a-ka hat wa hora'^
Was man gibt zu Nebenfrau?
Böfa hdüca-r kiSUi.
Nebenfrau Sklavin die der Mitfrau.
das Weilen, das da weißt, so wisse, sie weiß das Weilen, das du weißt", ist noch
verzwickter. Tö geht auf die Frau des Sängers, wie mu im folgenden Verse auf
sie und den Sänger; zum Tempus vgl. 80. Ne (vgl. 40 f.) scheint hier gegenüber
der Negation des ersten Satzes die Bejahung hervorzuheben.
Haussa - Sänger. 213
116 Und weißt du davon nicht den Sinn:
Wenn du nicht, wo wir weilen, weißt,
80 wissen wir doch, wo du weilst.
117 Kloßbrühe trank ich und starb fast daran,
da ward mir Tabak zur Arznei!
118 Und weißt du davon nicht den Sinn:
All meine Sippe sann mir Tod,
da retteten mich Fremde.
P.
Schmählied auf eine Verwandte (die für das vorige
Lied vorausgesetzte Schwägerin?), welcher das Los,
von einer begünstigten Nebenfrau totgepeinigt zu
werden, zugeschrieben oder gewünscht wird.
119 War' mir nicht Scheu vor Abdu bewußt,
ich spräche mich aus nach Herzenslust.
120 Die Tochter von der, die da schläft am Tag,
sie, die ich nicht leiden, nicht grüßen mag,
121 die Mutter des Klatsches, die Bastardin,
die Mutter des Trugs, die Verhetzerin,
von Haus zu Haus ging sie her und hin.
122 Was gibt man wohl der Nebenfrau?
Sie ist die Sklavin der Lieblingsfrau,
116 Zu n« s. vorige Anm.
117 Gero Pennisetum spicatum ; hier ist /"«rd, der daraus bereitete, in Wasser
oder Milch aufgelöste Kloß, gemeint. Kas-, auch lian-ni aus kdse-ni, vgl. 75.
118 Bare ist bei R als an alien angegeben.
119 Abdu ist nach A ein Vetter des Sängers, nach M der König von Kano
(vgl. Überschrift zu G). Za-tn für zd-n, weil das folgende f bilabial ist.
120 Hier 6a wie 38, 121 u. a. Bä-ni s. 5, ba-n-na s. 80.
121 a) Kinibibi nach A Ohrenbläserei, Klatsch. Sege, in Kano auch sege,
PI. segu (134), im Feminin segia (Kano segia) bedeutet ursprünglich uneheliches
Kind, dann verkommenes Geschöpf und ist ein beliebtes Schimpfwort. — b) Küikö,
nicht bei Mi. und R, ist nach A Übertreibimg, Aufschneiderei, nach M Lüge.
Algungumi ist der, der zwischen Freunden und Verwandten Zwietracht sät —
c) Ddhi der Einzelwobnraum, daher Stube, Hütte, vgl. 73.
122 Hier hat ka den Sinn des Gewohnheitsmäßigen, vgl. 86. A M böra, PI.
boron, ist die vernachlässigte Gattin, möa, PI. mooi, die Lieblingsfrau, wofür hier
einfach kisia Mitfrau (von kisi Eifersucht) gesetzt ist.
214 Rudolf Prietze,
123 Baga da - l - lauäe sai da - n kori
Von Kind dem der Sichel bis Kind dem des Köchers
si a-ka hai wa böra.
124 Ta-sdre daki-n kisia,
Sie fegt Häuschen das der Mitfrau,
ta-wonke kaya-n kisia.
sie wäscht Zeug das der Mitfrau.
125 Kadäm wonnän ha i-kas-ta ha,
Wenn dies nicht es tötet sie,
ta-cäsa demi-n gero dafi.
sie drischt Garbe die v. „ hundert.
126 Kadäm ivonndn ha i-käs-ia ha,
ta-cäsa demi-n däwa dafi.
127 Kadäm wonnän ha i-käs-ta bä,
ta cäsa demi-n maiwä dari.
128 Kadäm wonnän ha i-kns-ta hä,
ta-sö ta-i casa-n dengifä,
sie kommt sie macht Dreschen das der Plachskapsel.
129 Kadäm wonnän ha i-käs-ta ha,
ku-dangäna, Alla ya-isä.
harret, Gott er genügt.
130 Malern, Mka-m wäi - hakä,
Meister, Enkel der des Herrn des Bogens,
sa güffimi, sa zifkia!
setze „ , setze Saite!
123 In da-l ist l nicht feminin, sondern assimiliertes n. Da drückt hier das
Diminutiv aus: nur das winzigste, wertloseste wird der vernachlässigten Frau
gegeben bezw. vererbt.
124 a) Zu däki vgl. 121. Im Gehöft des (Utten hat jede seiner Frauen ihr
Häuschen. — b) Wie der Artikel zeigt, reiht sich käya in seinem Geschlecht den
unter 5 genannten Wörtern ein; es wird ursprünglich Last bedeuten, wohl von
kai bringen, sodann Gerätschaften, Sachen, Zeug.
1 25 flf. Kadäm aus kaddn vor w. Das cdsa, in seinem Zweck unserm Dre-
schen entsprechend, ist das Stampfen der Ähren bezw. Rispen mit einem schweren
Stößel {täbafia, PI. tdbäre) in einem großen Mörser {türumi, PI. türäme, vgl. 15).
Beide bestehn aus Holz, gewöhnlich aus dem des gamü (Mi. gan^ji breitblättrige
Kautschukbaumart) oder der ka^änya (Bassia Parkii). Das Qualvolle dieser Tätig-
keit ist nicht sowohl die Anstrengung, als die dabei aufsteigende Spreu {kaikai),
die aberall in die Poren eindringend ein unerträgliches Jacken erzeugt, und zwar
Haassa • Sänger. 215
128 Vom Sichel- bis Köcherchen — kleinstes nur,
das bietet man der NebenfrarL
124 Sie fegt das Haus der Lieblingsfrau,
sie wäscht das Zeug der Lieblingsfrau.
125 Und richtet dies sie nicht zu Grund,
so drischt sie Gero, hundert Bund.
126 Und richtet dies sie nicht zu Grund,
so drischt sie Dawa, hundert Bund.
127 Und richtet dies sie nicht zu Grund,
80 drischt sie Maiwa, hundert Bund.
128 Und macht auch das ihr nicht den Garaus,
so kommt und drischt sie Flachssamen aas.
129 Hat sie auch das nicht hingerafft,
so harrt! Es ist Gott, der Genüge schafft.
Der Sänger äußert sich bitter über die Fulbe, die
größtenteils seine Kunst nicht zu schätzen wüßten,
sondern ihn darben ließen, und ergießt die volle
Schale seines Grimms über den Fulbe-Bürgermeiater
von Dausai.
Er schildert diesen, der ihm beim Streit um die Jagdbeute einen Freund
erschlagen hat, als heruntergekommenen, im Schmarotzen mit ihm selber
wetteifernden Kerl.
(Die "Wirkung eingestreuter Fulbe -Brocken, denen sich unten in 158 ein
Fulbe - Sprichwort anreiht, versucht die Übersetzung durch französische
"Wiedergabe zu veranschaulichen.)
130 Meister, des Jägers Enkelkind,
schlage die Laute, die Saite geschwind !
ist dies kaikai bei däxca schlimmer als bei gero, noch schlimmer bei mctiuia, am
schlimmsten bei dengifa. Gero (s. 117) wird höher geschätzt als däica (vgl. 100)
das Sorghum vulgsü-e. Näheres über beide St. 626 ff. Maiwa ist eine weißliche,
kleinkörnige Hirseart, von B als Holcus cemuus bezeichnet.
129 Mi. ddhgatui verpfänden, versetzen ; dahgäna Pfand, Sicherheit, Geduld,
Vertrauen. Letzteres bedeutet bei R früh verwaiste, in Pflege gegebene Kinder.
Ku geht auf die Lieblingsfrau und den Gatten. Alla yä-isa s. 50.
130 Diese Anrede findet sich, wie hier an den ersten Musikus seiner Be-
gleitung gerichtet, schon 16 und ähnlich 19. In 19 wird fortgefahren: ka-Jcä4<i
mini yuj-fmi. Hier wurde mir sa als synonym mit kdda angegeben.
Kgl. G«8. d. Wui. KaehrichUn. Ffail.-hiat. Klasse. 1916. Heft 2. 15
216 Rudolf Prietze,
131 Nd-kada fdke-n segid,
Ich habe geschlagen Weise die der Bastardin,
ringi täfce-n ^Igß-
Rest Weise die des Bastards.
132 A can na-ga wäzewd-r gari;
In dort ich sah Auseinandergehn das der Stadt;
riMa tä-bä-ni,
Brunnen er gab mir,
gugä na nema ye-hi.
Eimer tut Suchen er meide.
133 MutmiQ-n kireki su-m bide-ni,
Menschen die (v.) Güte sie haben gesucht mich,
wöß su-n kore-ni.
(v.) Wertlosigkeit sie haben verjagt mich.
134 Fulani-n kireki sü-n tafi,
Fulbe die (v.) Güte sie sind gegangen,
su-m bar-mu da segu ed-n kare.
sie haben gelassen uns mit Bastarden Kindern den Hundes.
135 Sai käsua „mi-dille",
Nur Markt
da-n kösdi „mi-nydmö",
Kind das Bohnenkloßes
136 ed-r ivoind „mi-nyäme",
da-n fögo „mi-nydme" ,
137 da-n sötö „mi-nydme",
kuleJpuU „mi-nydrnB",
138 da-n kilisi „mi-nydms",
da-n tubdni „mi-nydme",
131 Take bedeutet nach Mi. Beiname, nach M die Kennzeichnung nicht so-
wohl durch das Wort, als durch die musikalische Weise, also eine Art Leitmotiv.
Es hängt wohl mit täki Tritt, Fuß zusammen und gelangt zu seinem jetzigen Sinn
entweder vom Rhythmus des Tanzschritts aus oder vom Fuß als Maß aufgefaßt.
Zu segiä, segq vgl. 121.
132 Zu wä^ewa vgl. Mi. watse sich zerstreuen, verziehen. Es bezeichnet
hier das Auseinandergehn der Leute angesichts des Sängers ; sie drücken sich,
um nichts geben zu müssen. Mit dem Brunnen ist nach M der Fulbe-Häuptling
des betr. Orts gemeint, mit dem Eimer (vgl. 57) sein Hofgesinde gleichen Namens.
Zu VM nema ye-ki vgl. 107, wo die gleiche Konstruktion vorliegt.
133 a) Bi4a = nema suchen. B, der den d-Laut noch nicht kannte, schreibt
hidda, ähnlich R bid(d)a. — b) M^oß setzt wohl das vorhergehende mutane - h
voraus und ist dann als abstraktes Neutrum anzusehen; wäre es Subjekt ohne
jene Ergänzung, so würde der Plur. des Zeitworts auch den des Subjekts fordern,
der wofufüka lautot
Hanssa - Sänger. 217
131 Der Hurentochter spielt' ich sie schon,
nun fehlt noch die Weise vom Hurensohn.
132 Dort, seh ich, drückt man sich insgemein;
wohl gab der Brunnen mir, allein
der Eimer trachtet mich los zu sein.
133 Die Gnten haben nach mir begehrt,
Nichtsnutzige mich abgewehrt.
134 Die guten Fulbe zogen fort,
ließen nur Huren- und Hundsbrut uns dort
135 Nur auf den Markt kann ich „aller'^,
ein bißchen Bohnenkloß „manger'^,
136 muß Hirsekügelchen „manger",
ein wenig Knollenfrucht „itianger",
137 muß Bohnenstängelchen „ntanger",
ein Häppchen Erdnußkloß „maiujer",
138 ein Schnittchen Trockenfleisch ^wanger^,
ein bißchen Bohnenbrei „inavger",
134 Fulani ist PI. zum Sg. Bafulätani. Zu seyu vgl. 121.
135 ff. Die Zeitwörter dieser Verse gehören dem Fulfxdde an. A, der es
verstand, sprach diUe, nyäme, schrieb aber dinlai, nyämai, hatte also wohl das
auf ai, mundartlich vielleicht auch auf e endende l'utiir im Auge; mi-diiU hieße
demnach: ich werde gehn, mi- nyäme ich werde esseu, vgl. die Lehrbücher von
Reichardt und Westermann. Da gibt wie in 123 dem folgenden Worte Diminutiv-
charakter, ebenso 136 das Feminin ^a-r, für das M hier da-l schreibt statt
seines sonstigen i-l. Die hier angegebenen Gerichte sind die wohlfeilsten und am
wenigsten geschätzten der Haussa-Kücbe, wie der Markt sie bietet. Kösäi nach A
gebackene Klößchen von gestampften Bohnen und Wasser, nach M kleine in
heißem Öl oder Scbibutter gebackene Klößchen aus Bohnenmehl.
136 a) Fa-r s. vorige Anm. Woind (Mi. wdinä) gestampfte Durra, mit Öl
zu kleinen Kuchen von 10 cm Durchmesser verbacken, nach Mi. Pfannkuchen. —
b) Bögo (vgl. 53), nach St. an der Küste Cassawa genannt. Wenn der Volks-
mund laut Pfl. u. T. 12 dieser Knollenfrucht nachrühmt, wer sie baue, errege den
Neid seiner Verwandten, so hängt dies wohl damit zusammen, daß sie laut St. 634
während der Trockenzeit, bevor Mais und Gero (vgl. 117) reif werden, nach Be-
darf aus dem Boden gezogen wird und stellenweis das Hauptnahrungsmittel bildet.
137 a) Söto, M soto, wird von Mi. mit kösai (135) identifizien und unter-
scheidet sich auch nach A nur insofern davon, als kösai in runder, söto in Stangen-
form gebacken wird. — b) Kulekidi, bei Mi. u. R nicht angegeben, bezeichnet
die Klöße, die aus den Rückständen der zur Ölgewinnung ausgepreßten Erdnuß
bereitet werden und mit Salz vortrefflich munden sollen. Vgl. hiermit das von 3
Centralafr. Vokab. S. 176 Anm. 7 unter dem Namen p<ise (Brechen) beschriebene
aus der bitteren Mandel bereitete Nationalgericht.
138 a) Kilisi, PI. hUisosi, die getrockneten Streifen Fleisch, die als Reise-
Torrat dienen. — b) Tuhäni ist mit Wasser verrührtes Bohnenmehl, das in Mais-
blätter eingewickelt gekocht ist. Dieser Verwendbarkeit dankt der Mais das
Epitheton mai-yewan zane der mit viel Zeug behaftete.
15*
218 Rudolf Prietze,
139 ea-r gujid „mi-nyäme",
ea-r tafasä „mi-nyame" —
140 M - ji, Fülani wöfi,
du hast gehört, Fulbe nichtig,
„birawandu" , bä-su da kunya ho kaddn.
nicht sie mit Scham ob wenig.
141 Kanäwa-n Zaugdna su-n Jcird-ni,
Kanoer die (v.) „ sie haben gerufen mich,
Dausai yä - köre - ni
„ er hat verjagt mich
Dausai mai-äa-r tagta.
„ habend rot die Kappe.
142 Mü-n £e gära ni da käi,
Wir sind gegangen Gelage ich mit dir,
mu-n wasoso ni da käi,
wir haben gegrapst ich mit dir.
143 MäJ§m heki-m mä-farauci,
Meister schwarz der Jäger,
mai-kwdnta-kqriki.
habend Biesenknüttel,
mai-kütumd ka-ce kgri!
habend Penis du sagst Köcher!
144 Mälgm beki-m md-zlaci!
Meister schwarz der dürftiger!
Si ne ya-kas Ättku,
Er ist er tötete „
md-soyi-n Danuma.
Freund den des _
139 a) Gvjia, M guUa, der östliche Name für Arachis hypogaea (vgl. Pfl.
a. T. 14), im Westen gyeda, B's yerkurga ist vielleicht aus (a-r gujia korrumpiert.
— b) Tafasa Kraut mit kleinen Blättern, die im Sommer getrocknet die mia
(Gemüsebrühe) würzen, im Winter grün mit Öl und Zwiebeln in Wasser gekocht
werden. Es gilt für wenig bekömmlich, Kost armer Leute, vgl. Pfl. u. T. 2.
140 Das Fulbe-Wort hirawandu ist = H da-n kari Hundesohn. Es muß
also ein Einzelner gemeint sein, nämlich Dausai (141 ff.), der nach seiner Stadt
benannt wird und auf den schon sege in 181 vorausweist.
141 Zaugdna ist eine kleine wenig angesehene Stadt des Kanogebiets, von
■der man sagt ha gaji ha ce sai kargö da sabdra {kargo u. sdbara s. 35), d. h. es
ist gar keine Stadt, sondern nur Busch ~ also rein ländlich. Dausai Name einer
Haussa - Sänger. 219
189 muß ein paar Erdnüßlein „manger'',
ein wenig Schmalhanskraut „manger'^ —
140 Nun weißt du's, Fulbe taugen nichts,
„fils d'un chien^, ohne die mindeste Scham!
141 Die Haussa Zaitgana's riefen mich,
doch Dausai hat mich fortgejagt,
Dausai mit der dreckigen Kappe.
142 Zum Gastmahl zogen wir, ich und du,
um die Wette fraßen wir, ich und du.
143 Du schwarzer Patron der Jägerei
mit dem klobigen Stock und dem Glied dabei —
man meint schier, daß es ein Köcher sei !
144 Der schwarze, elende Patron!
Er ist's, der Atiku gemordet hat,
den Trautgesellen Danuma'B.
Ton Fulbe bewohnten Stadt, hier von ihrem Oberhaupt gebraucht. Tagia, arab.
taqiya, weiße Schweißmütze: za rot bezeichnet ihre Unsauberkeit.
142 a) Gära bei Mi. 1) gute Mahlzeit, 2) Morgengabe, bei R Zugabe, Ge-
winn beim Handel, bei M Gastmahl, wie es hier vorliegt. Da gära auch besser,
lieber bedeutet, liegt die Annahme einer frühen Entlehnung des arab. Jatr nicht
fern. — b) Wasöso, nach Mi. das Grapsen, ist der hastige Wetteifer, wie beim
Spiel, so bei der Arbeit und beim Essen, wie hier. Mu-ii steht in poetischer
Kürze für mu-n yi wir haben gemacht. Der Sänger wirft ihm vor, ein ebenso
armseliger Schmarotzer zu sein wie er selber.
143 a) MäJem (vgl. 16) ist hier höhnisch gemeint. Ferner ist befn nicht
Name wie 95, sondern in dem Sinne zu verstehn, in dem der Neger in Nord-
amerika seinesgleichen bloody nigger nennt, doppelt verletzend für einen Vertreter
des hellfarbigen Fulbe-Volks. Auch md-farauci Jäger soll hier herabsetzend wirken,
im Einklang mit dem Sprichwort mdfarauci bä-si da kövii sai kamuka-n-sa ein
Jäger hat nichts als seine Hunde. — b) Zur Deutung des rätselhaften kicanta-
köriki bieten Mi. u. R keinen Anhalt. M gibt anheim, ob nicht mi-kwQnto a
dkurki sich duckend im Hühnerkorb gemeint sei, erklärt indeß auch A's Deutung
„großer, dicker Knüttel" für haltbar. Kwanta-kanki oder kwanta-korama werde
in diesem Sinne für sandd den gewöhnlichen Stock gebraucht und auch allge-
meiner als Bild des Ungeschlachten, so in der Verbindung ktcanta-koriki-n döki
Riesengaul, kwanta-koriki-n mutütn Schlagetot, kicanta-kofiki-n tnace Überweib usw.
Der Knüttel solle den Verspotteten entweder als seine Waffe mit Dieben in Pa-
rallele stellen oder wie kütuma (nicht bei B, Mi. u. R) nach einer bekannten
Wendung als einziges Besitztum gelten. — c) Ka-ce im Sinne von „man möchte
sagen, sollte meinen** H L 38. Unförmigkeit der Pudenda ist ein beliebter Vor-
wurf in Spottliedem, vgl. II 17.
144 Danuma s. 56. AHku ist ein Fulbe-Name aus dem Arabischen.
220 Rudolf Prietze,
B.
145 Babdrbare mai-suU, and
Bomuer, habend Glatze, wo
uwd-Jca td-tafi diba-n yäkua?
Mutter dein sie ging Suche die der „
146 Babdrbare da-m Bornö da-n Gaiawa,
Bomuer Sohn der v. „ Sohn der v. „
§eg^ mai-hdsi-n zaki.
Bastard habend Kot den Schrotmehls.
147 Babdfbare da-m Fanna si ne,
Bomuer Sohn der der „ er ist,
ya-Jcdmu gurmi-na sa-i zenka.
er faßt Mandoline mein geht er zerreißen.
148 2^a-ce: akül Jca-zenka gmmi,
Ich sage: Wenn du zerreißt Mandoline,
mä - i fdda da alküli sa-i san da mu.
wir werden machen Streit und Richter geht er wissen mit uns.
149 Akul ka-zenka gurmi,
mä - i fdda da sariki Bello yä - gam - mu.
wir werden machen Streit und König „ er wird sehen uns.
s.
150 Nasan sana-m md-kej-i,
Ich weiß Kamen den des Schmiedes,
nä-san süna-m md-kerd.
ich weiß Namen den der Schmiede.
151 Ni ne Alla-n segia,
Ich bin Gott der der Bastardin,
ba woni ne Alld-n-ta ba.
nicht anderer ist Gott ihr.
146 a) M erklärt suU für Glatze (= _ra 114) und bestreitet A's Wieder-
gabe von mairSuU durch : ohne Hose. — b) Statt uwä-ka^ wie man in Daufa sagt,
wäre die übliche Kano-Form uwä-r-ka zu erwarten ; doch werden grade von diesen
Femininzeichen in den einzelnen Landschaften nicht selten eigne und fremde
nebeneinander gebraucht (vgl. 106 säka-l statt säka-r). Sonstige Varianten nach
M : Uicd-l-ka in Damdgaram (Zindir), uwd-r-ka in Azhcn, uwa-t-ka in Ha^eia,
uwo'k-ka in Kebbi, uwa-n-ka in Sokoto. YäktM ist nach Mi. ein Kraut, dessen
Blätter zur Saucenbereitung dienen; vgl. St. 649. Es ähnelt nach M dem Flachs,
wird in Bomu gern zu Brühe verkocht, gilt aber hei den H wie tafasa (139) für
die Kost kleiner Leute in schlechten Zeiten.
146 a) M schreibt Ma-bdrbare, eine Dissimilation aus dem regelrechten Ba-
häfbare. Oaiawa ist eine von Bornuleuten bewohnte Stadt im H-Gebiet unweit
Oaia. — b) Auch die Exkremente müssen zum Spott herhalten (vgl. 1130), hier
Haassa - Sänger. $^
s.
Schmählied auf einen Bornumann, der des Sängers
Mandoline Cgurmi) angefaßt hatte.
145 Du BorDtunann mit der Glatze, sag',
wo ging deine Mutter dem Hungerkraut nach?
146 Kanuri aus Bomu, aus Gaiawa,
du Hurensohn mit dem Graupenkot!
147 Er ist's, der Kanuri, der Fannasohn,
der mein Saitenspiel packt und zerreißen will.
148 Ich sag' dir: Zerreißt du mein Saitenspiel,
gibt's Streit zwischen uns, und der Kadi erfährt's.
149 Wenn du mein Saitenspiel zerreißt,
gibt's Streit, wo uns Belle der König sieht
8.
Offene Geständnisse des Sängers über seine Lage
und Grundsätze, also Variationen über das Thema:
Wes Brod ich esse, des Lied ich singe — und umge-
kehrt.
150 Ich weiß, was ein Schmied zu bedeuten hat,
ich weiß auch, was für Schmiede es gibt
151 Der Hurentochter Gott bin ich,
sie hat keinen anderen Gott als mich.
in Anspielung auf schlechte Kost, mit der die Bomuleate von den H gehänselt
werden, vgl. Bornulied 24.
147 a) Fanna oder FaniKüa, beliebter weiblicher Name in Bomu, auf die
Affin übertragen, gleichfalls Gegenstand der Neckerei. — b) M futnka, Mi. tsunka
zerreißen. Gupni s. Einl.
148 a) Akul, bei Mi. u. R nicht angegeben, soll für kadan wenn stehn ;
man könnte es sonst für arab. aqül halten. — b) Mä mit zweigipfligen Uochton
ist Futurbildung. San da s. 38 f., 115 ff.
149 Wenn mit Bello der König von Kano gemeint ist, so wäre dies der
Nachfolger (s. II 164 flF.) des zu G genannten und wohl auch 1 19 gemeinten Abdu,
R mithin jüngeren Ursprungs. Von yä gilt das zu 148 über tnä gesagte. Gam-mu
steht für gani-mu.
150 Mit süna ist nach M nicht der Name eines bestimmten Schmiedes,
sondern der Typus Schmied gemeint, der bei den H in geringer Achtung steht.
Die Wendung ist aufzufassen nach Art des Sprichworts Nä-sani Fuläfula märas-
kirki, nä-sani lulani masn-kirki ich weiß, der Fula taugt an sich nichts, aber ich
kenne auch gute Fulbe (vgl. 134, 140). Der Sänger will sagen, er schätze die
Leute nicht nach ihrem Stande, sondern nach ihrem Wert, d. h. dem Wert, den
sie für ihn haben.
151 Hier ist segia kollektiv zu verstebn; M setzt den PI. (eigentlich Dual)
segiäi und demgemäß nachher Aüa-n-su. A erläutert den Vers dorch die Angabe,
222 Rudolf Prietze,
152 Kadäm mai-hauta yd-game-ni,
Wenn habend Geschenk er schmähte mich,
ni mai-röa za-n gamä.
ich Geizhals gehe ich schmähen.
153 Mai-Tiautd nä-san gidd-n-su,
Habend Geschenk ich weiß Haus ihr,
si Jcua ha i-san na-mu ha.
er auch nicht er weiß das unsere.
154 Gidä-m mai-rÖa nä-zane-si,
Haus das des Geizhalses ich quälte es,
hä-n-na so-n mai-so-n-sa md.
nicht mein Lieben das des Liebenden sein auch.
155 Güzu-n termi, ha-zö ka-H:
Boden der des Mörsers, komm höre:
zaya in - gdia md-ha aljema.
steh daß ich sage zu dir Rede.
156 Gidd-ni mai-röa za-ku ie,
Haus das Geizhalses geht ihr gehn,
ku-n ci käme, kwa kiin käme,
ihr eßt (s. Anm.) schlaft,
kudi-n gisri ma su-n ivuyd.
Geld das Salzes auch sie erschweren.
157 Fulätanci ne ya-fadd,
Fulisch ist es hat gesprochen,
ha i-yi fada-n käria ha:
nicht es macht Spruch den der Lüge:
158 To böte ivoni, dorn mangöni,
kam bäbii böte ha mangü.
wenn nichts nicht.
T.
159 Ni ha ixifia ha na-ke fadd,
Ich nicht Lüge ich tue Rede,
juyi-n dära na-ke fadd.
Wechsel den der Welt ich tue Rede.
die betr. Weiber hätten den Sänger beschworen, sie nicht länger zu verspotten,
und sich dabei der Wendung u-räsek bei deinem Haupt statt des üblichen wallähi
bei Gott (vgl. 68) bedient.
152 Gama s. 59.
153 Sinn : Für mich ist wichtig, wo ich Qeber finde, für sie gleichgültig,
wo ein armer Teufel wie ich wohnt. Der PI. su, mu gilt den Hausgenossea.
Ba-n-na s. 120.
Haussa - Sänger. 223
152 Wenn der, der mich beschenkt, mich schimpft,
schimpf ich dafür den Greizigen.
153 Ich weiß schon, wo ein Geber wohnt,
doch er weiß nicht, wo unser eins.
154 Des Geizigen Hause schuf ich Pein,
ich mag auch den nicht, der es liebt.
155 Komm her vmd lausche, Mörsergrund,
laß mich ein Wort dir künden.
156 Geht ihr zum Haus des Geizigen,
speist ihr von nichts und schlaft mit nichts,
selbst an dem Geld für Salz gebricht's.
157 Auf Fulisch gibt es einen Spruch,
der redet keine Unwahrheit:
158 Oü ü y a le pourboire, il y o Ja gloire;
wo kein pourboire, auch keine gloire.
T.
Angriff auf einen Ungenannten, der die Erwartungen
des Sängers täuschend ihm Böses erwiesen habe und
den er dafür als schauerlichen Unhold hinstellt.
159 Nicht Trügerisches rede ich,
vom Wechsel des Irdischen rede ich.
155 a) Vgl. 15. — b) Vgl. 86, zu n-gaia noch 63.
156 Die Satzverbindung ist eine poetische Form von Bedingungs- und Folge-
satz : ersterer steht im Fut. ohne einleitende Konjunktion, die Nachsätze im Prät.
¥rie gewöhnlich ; nur bei kwa vermag ich nicht zu entscheiden, ob es mit M als
kua „wieder, auch" aufzufassen oder, wie A will, analog dem mä in 148 als
2. PI. des Fut. anzusehn ist. Zu su-n für su-n yi vgl. die nämliche Stelle 12.
Das bei Mi. u. R nicht angegebene käme soll zunächst die geschlossene Hand
dessen bedeuten, von dem eine Gabe erwartet wird, sodann die leere des vergeb-
lich Bittenden.
158 In diesem zu gleichem Zweck wie die betr. Wörter 135 ff. französisch
wiedergegebenen Fulbe-Satz ist laut den Lehrbüchern von Reichardt imd Wester-
maun to = wo, icotti das Verbum substantivum, das in mangöni mit tnangu Ehre
zusammengezogen ist, d{^i = dort. Bote erklärt A als gleichbedeutend mit H
mofi^ Gewinn, Geschenk. Kam steht für kadan wenn, bä (vielleicht bäm?) für
bäbu. A nennt erläuternd noch den ähnlichen Fulbe-Spruch : Takungo nostete,
ngo takdi mostatäki und übersetzt : Eine Hand, an der etwas klebt (z. B. Honig),
leckt man ; wo nichts klebt, leckt man nicht. (Vgl. hierzu in Westermann's Lehr-
buch: taka klebe, Part. Präs. taku, Xeg. der 1. Prät. Sg. takäi; musta küssen,
mediale Intensivform mustete, Neg. der 1. Prät. viustatäke.)
159 Dära s. 14, Juy» ist Sahst, zu jüya, iüya s. 27.
224 Radolf Prietüe,
160 Nd-dauki kare don habsi,
Ich nahm Hund wegen Bellen,
yä - komo ea-ya i iünkui.
er kehrte zurück geht er machen Stoß.
Iko-n Alla yä-isd.
161 Dödo mai-ci-n ea-m mütane,
Spukgeist Esser der Kinder der Menschen,
kar ka-ci ea-m mütane,
sai ka-gd mai-siri-n nenia-n mata-ka.
außer du siehst Vorbereiter den Suchens des Weibes dein.
162 Dödo ha näina yä-so mUi-n defS —
Spukgeist gib Fleisch er kam Mann der der Nacht —
zära da tä - san - ka,
Altersgenossenschaft all sie kennt dich,
wa zdri rikd da kai?
wer geht er halten mit dir?
ü.
163 Da-n galadima, da-n sariki-)i Kogor
Sohn der Thronfolgers, Sohn der Königs von „
Bello ya-na fama da ni.
„ er tut Kampf mit mir.
164 Bello, kaiikdiva, hd-iya ado,
„ schön nicht er Prachtkleid,
riga ddiu ma ai td-isd.
Tobe eine auch sie genügt.
165 Mai-imya ye takandd, da-n Saidu,
Habend Hals wie Zuckerrohr, Sohn der des „
ea-m mäta Gdbidu su-ka ce:
Kinder die Weiber „ sie haben gesagt:
160 Komo, gewöhnlich Icömo, hierher zurückkehren wird wie das gleich-
bedeutende wolngin das Kanuri in der Bed. werden zu etwas gebraucht: der, den
ich zum Haushund nahm, stellte sich als Bock oder Stier heraus. — Zum Flick-
vers am Schluß vgl. 50, 12!J ; er entspricht als Ausruf wohl dem arab. mäsallah.
Jko Kraft.
161 Dödo, ein arger Beiname für den Angegriffenen, ist ein böser Dämon,
wie der arab. 'Afrlt, nicht zu verwechseln mit »Myi, mäye Zauberer, Werwolf.
Tötet mäyi durch den bösen Blick, so dödo durch Schrecken. Daher heißt >}%,
überhaupt viel öfter bildlich gebraucht als unser essen, liier töten. Kar daß nicht
8. 20. Zu matä-ka vgl. 145 utcä-ka.
162 a) Ba näma „gieb Fleisch'*, ein Epitheton des .lilgers, weil er von
seinem Wildpret andern mitteilt, wird hier dem Menschenjager beigelegt. Mizi-n
deri ist der nächtlich auf Kaub Ausgehende. — b) Das von Mi. durch Alters-
Uaussa - Säuger. 225
160 Ich hab' einen Hund für's Bellen genommen,
da ist er als stößiger Bock gekommen. —
Genugsam waltet Gottes Macht I
161 Spukgeist, du Mörder der Menschenkinder,
BD morde doch nicht die Menschenkinder,
du sähst denn, man stellt deinem Weibe nach.
162 Als Nachtschächer kam er, der Mordgesell —
alle Gefährten kennen dich,
wer hielte es wohl je mit diil
Ü.
Preislied des Sängers auf seinen schönen Freund ^§?io
von Kogqr (s. M.) und dessen Geliebte Al^umma mit
anschließender Verhöhnung eines ungenannten von
ihr verschmähten Bewerbers.
Diesem wird eine Anzahl angeblicher Zaubermittel empfohlen und seine
Unzulänglichkeit betont. Zum Schluß Mahnung an das Liebespaar, nicht
zu weit zu gehn.
163 Des Erben Sohn, Sproß des Herrn von Kogqr,
B§llo müht sich im Kampfe für mich.
164 Bello der Schöne braucht keinen Prunk,
ein einzig Kleid genügt ihm schon.
165 Sohn Satd's mit dem Halse schlank wie ein Rohr,
die Mädchen Gdbidus sprachen zu dir:
genösse, Gefährte wiedergegebene ^ära, Mask. u. Fem., steht hier kollektiv. Du
(vgl. 17) wäre vielleicht auch hier besser dut (für duk vor t) zu schreiben. —
c) Mi. übersetzt nka, wie er unrichtig schreibt, mit beständig etwas tau, anfangen,
fortfahren, machen, rike mit halten, festhalten = R rik(k)e, r%k(k)a. Hier ist mir
M's Deutung, laut welcher die 3. Zeile gleichbedeutend ist mit wa ze-i gasa-l-ka
„wer wird dich nachahmen", zweifelhaft.
163 a) Galadlma, ein Bornuwort, ist meist der Titel des Tronfolgers (näheres
zu II 195) ; das zweite da bedeutet mithin Enkel. — b) Fama ist der Kampf, den
Bello für den Sänger mit den Seinigen führt, ihm Geschenke und Ansehn zu ver-
schaffen.
164 a) Die Bildung kaukäica von kau (kgau), kätco Schönheit findet sich bei
Mi. u. R nicht. Zu ba-iya vgl. 32. Ado ist bei Mi. Verzierung, Anzug, bei R
prächtige Kleidung. — b) Die Partikel ai, nach Mi. Ausruf der Verwunderung,
nach R u. A = wirklich, wahrhaftig, tindet einheimische Anlehnung an a-i man
macht. Die Verwendung solcher Wörtchen mag mundartlich verschieden sein; so
verzeichnet Mi. kai als Aufruf des Abscheus, Schreckens, während es nach M
nur sagen will: Nein, es ist nicht so.
165 f. Ea-ni müta „Kinder der Frauen" sind junge Mädchen; man vermifit
am Schluß den Pluralartikel n. Gdbidu Stadt im Kanogebiet. Dorthin hatten die
226 Rudolf Prietze,
166 In - deka ma-lca ko in - nika ma-ka,
Daß ich stampfe für dich oder daß ich mahle für dich,
in-däma ma gäri ka-sä?
daß ich rühre Mehl du trinkst?
167 Aiita yäro kankane,
Jüngster Knabe kleiner,
ma-sd nönö zinäria,
trinkend Brust Gold,
168 döngore sa mamä,
Säugling trink Mutterbrust,
gqrzo^ na Alzümmal
Kerl der der „
169 Sanü-n-ki, ^a - r -Bt«, ea - r mäl^m MagaH,
Gruß dein, Tochter die des „ , Nichte die Meisters „
güva, ea-r Maisägo.
Elephant, Nichte die des „
170 Yä-sa däri, yä-sa hai:i-n düfti —
Er trank Kälte, er trank Schwarz das der Finsternis —
AUumma tä - kl da • n yäro.
„ sie lehnte ab Sohn den des Knaben.
171 Ka-sö in - gaia mä-ka mägani :
Komm daß ich sage zu dir Mittel:
Ka-nemi haka^r belbela,
suche schwarz den Kinderhüter,
17J3 ka-nemo käuci-n kanya,
Suche dir Mistel die der „
ka-nemi Mni-n fara hiar.
suche Blut das Heuschrecken fünf.
173 Ka-äe ka-deho kauci-n kaidaäi
Geh pflücke dir Mistel die des „
na Kuäfa, ka-sö mu-i säwari.
des Niger, komm wir machen Rat.
jungen Leute von Kogör einen magi (nicht bei Mi. u. R) ausgeführt d. h. einen
Vergnügungsausflug, wie er von einer Schar junger Burschen und Mädchen gern
nach der Ernte unternommen wird, und die Jungfrauen von Gdbidu hatten gewett-
eifert, den schönen Bello zu verpflegen, sei es mit furä, dem Hirsekloß, der in
Wasser oder Milcl» gelöst zur Erfrischung während der Tageshitze getrunken
wird, sei es mit tüo, dem Mehlbrei, der das abendliche Hauptgericht bildet, vgl.
St. 627. Dieser tüo wird durch feines Mahlen aus däwa hergestellt (s. 100), die
fura durch Stampfen aus einer andern Hirseart; däma bezeichnet das Einrühren,
wodurch die fufd trinkbar wird. In-deJca, in-nika, in-däma Konjunktive vgl. 68.
Ma poetisch statt md-ka für dich.
Haussa - Sänger. 227
166 Soll ich stampfen oder mahlen für dich,
soll ich Mehl einrühren dir zum Trank?
167 Du jüngstgeborenes Knäblein,
an goldenem Busen genährt,
168 du Säugling, erstarkt an der Mutterbrust,
du Hüne, der AUumma Lust!
169 Heil, Tochter Affe's, dir, Elephant,
des Lehrers Maga^, JMaizdgo's Nichte!
170 Er litt die Kälte, das Dunkel der Nacht —
doch Aläununa mochte das Bürschlein nicht.
171 Komm, laß mich Zauber dir nennen:
Den schwarzen ßinderhüter suche,
172 such' dir der Kanya Mistel,
von fünf Heuschrecken such' das Blut.
173 Geh, pflück' dir die Mistel des Rosenbaums
vom Nigerstrom; komm, pflegen wir Rats!
167 a) Zu auta vgl. 57 f. — b) Die goldne Mutterbrust versinnbildlicht die
Abkunft aus wohlhabendem Hause.
168 a) Böngore (nicht bei Mi. u. R) ist ursprünglicb der wohlgeptiegte Säug-
ling und wird gern auch auf kraftstrotzende Männer übertragen, wie z. B. in dem
für starke Krieger beliebten Beiwort dongore ci savri (für samri) = Säugling,
iß (d. h. töte) Jünglinge. — b) Görzo, PI. göraze, ist der baumstarke Mann, vgl.
Mi. görzo athletisch, sehr kräftig, ursprünglich Mann im besten Alter. Na, das
vor weiblichen Namen meist den Bruder (vgl. 4), seltner den Gatten bezeichnet,
geht hier auf den Geliebten. AHumma „die Freitags Gehörne" nach M mit mm
gesprochen.
169 Ea (vgl. 8) kann nur im 1. Fall Tochter heißen, in dem folgenden ist
es Nichte (vgl. 98). Der Name Biri Aflfe haftet manchem seit seiner Kindheit
wegen damaliger Neigung zu Unfug an. Magazi, hier Eigenname, bedeutet Erbe.
Maizdgo s. bereits 95, 99. Sein Sohn, der dort besungene Färber Biki von Kogör,
mag also ein Vetter der Alzumma sein. Schon 14 wurde ein Weib ehrend mit
einem Elephanten verglichen; hier der Größe und Stärke wegen.
170 In da-n yäfo gibt da Diminutivcharakter. Der unglückliche Liebhaber
ist ein unansehnlicher Jüngling, der nächtlich ihr Haus umschlich und nun des
Sängers Spott erfährt.
171 Baku Fem. zu beki. Zu in-gaia vgl. 63. NB es gibt nur weiße Rinder-
hüter, vgl. 54.
172 f. Während es Heuschreckenblut ebensowenig gibt wie schwarze Rinder-
hüter, ist die Schmarotzerpflanze kauci (näheres Arzneipfll. der H 56) den genannten
Bäumen nicht fremd, nur sehr schwer zu erlangen. Kanya ist Diospyros mespüi-
formis (nach St.), kaidazi ein dorniger Baum mit rosenartigen Blüten. Das o in
nemo und debo läßt die Handlung zu Gunsten des Handelnden bezw. zu seinem
Orte hin geschehn.
173 Kuära ist der auf der Karte ehedem ungenau als Quorra verzeichnete
H-Name des Niger; man schildert ihn als eine große Masse schwarzen Wassers
fern im Westen.
228 Rudolf Prietze,
174 Yäro ha-iya iya yäro,
Knabe nicht er können Knabe,
güf^gn ha jsa-i kos gada ha.
Lahmer nicht geht er töten Gazelle.
175 Güregu ha sa-i kas gada ha —
sai kwäna yä-kärc.
außer Tag er ist beendet.
176 Koda kwana ya-cikä,
Ob auch Tag er ist erfüllt,
masu-kafä sua - koäce.
Beinbesitzer sie werden wegnehmen.
177 Makafo ha se-i samako ha,
Blinden nicht geht er Frühaufbruch,
sai ko käria sa-ye i,
außer ob Lüge geht er machen.
178 Makafo ha ze-i samako ha,
sai äa-gora ya-na, gabä.
außer Zieh-Bambus er tut vorn.
179 Ko äa-gora ya-nä gahä,
sai hanzi ya-tdke,
außer Vormittag er ti'itt.
180 Küturii ya-hau kdia ye-ce:
Aussätziger er stieg Dorn er sprach:
Kinni za-a yi se a-yi.
Was auch geht man machen nur man macht.
181 Küturii yä-sa deß ye-ve:
Aussätziger er trank Gift er sprach:
Komi za-a yi se Or-yi.
182 Zumu zmrimuä tie, dddi gare-si,
Genosse Honig, ist Lieblichkeit bei ihm,
käda ka-läse, bar kaddn.
daß nicht du leckst, laß ein wenig.
174 a) Zu yäro etc vgl. II 147. Auch ist dau(ka) heben, tragen zu ergänzen.
— b) Nach A ist gürugu, PI. gürägu, der, welcher keine Füße hat, nach Mi.
gwrgu, PI. güragü, einfach lahm, ebenso nach M und 11. Zu kas vgl. 75.
175 Kwäna, Masc. wie r<*na, hier Tag im Sinne von Lebensdauer.
176 Zu dem Futurpräfix sua vgl. «ja 148, auch kwa 156.
177 &) Zi-i und das zd-ye i der 2. Zeile weiclien nur in Folge der Forde-
rungen des Rhythmus von einander ab. Samako, Mi. samdko, A sanmako, R sau-
mako wird von R auf das arabisclie ßabä^ zurückgeführt, eine Vermutung, die
in M'8 Nebenform sabko eine StJütze findet. Zu dem vokalischen Schluß bei Ent-
Haassa - Sänger. 229
174 Ein Knabe trägt keinen Knaben,
ein Lahmer erlegt die Gazelle nicht.
175 Ein Lahmer erlegt die Gazelle nicht,
es sei denn ihr Leben vollendet
176 Und wäre auch ihre Zeit erfüllt.
auf Beinen niu- kann man sie haschen.
177 Ein Blinder macht nie in der Frühe sich auf,
er müßte denn lügen wollen.
178 Ein Blinder macht nie in der Frühe sich auf,
es sei denn, der Rohrschlepper schreite vorauf.
179 Und schreitet der Rohrschlepper auch vorauf,
es trifft ihn Vormittagssonne.
180 Der Aussätzige trat auf Domen und sprach:
Das, was geschehen soll, geschieht.
181 Der Aussätzige trank Gift und sprach:
Das, was geschehen soll, geschieht.
182 Der Freund ist Honig, voll Süßigkeit,
doch leck' ihn nicht auf, laß etwas zurück!
lehnungen aus dem Arabischen vgl. 28. — b) Piese 2. Zeile findet sich manchmal
formelhaft hinter einem negativen Satz, z. B. II 1-18, ist auch in A's Handschrift,
wohl versehentlich, dem Vers 174 angehängt.
178 Mit za-göra „zieh den Bambus" ist der Führer gemeint, der mit dorn
einen Ende des Rohrs in der Hand vorangeht, während der Blinde, das hintere
fassend, folgt. Die Bildung entspricht dem italienischen fa legname, vgl. auch
75, 106.
179 Hanzi nach B Morgen, Zeit vor der großen Hitze, nach Mi. die Zeit
von 8 — 9 ühr Morgens, nach A (Tierm. III 17) die Zeit, wo man die Pferde tränkt,
etwa 3 Stunden vor Mittag, nach M etwa 2 Stunden nach Sonnenaufgang. Take,
ursprünglich treten, wird auch vom Eintreten einer Tageszeit gebraucht.
180 Hau hier = trat: der Aussätzige fühlt die Verletzung nicht. Te-ce
stehend für das zu erwartende ya-ce des Aorist, das ich nie gehört habe; dagegen
yd-ce Perf. : er hat gesagt. Se hier für das gewohnte sai.
182 Hier wird Alzumma ermahnt, die Freigebigkeit ihres Liebhabers nicht
zu sehr auszubeuten. Das Wortspiel am Anfang entzieht sich der Wiedergabe.
Zutnu ist Bruder, Landsmann, zumtnua (so nach A, M und B) Honig, Mi. ver-
zeichnet züma, zümutcä als Biene und Honig, während B für Biene kuda-n zum-
mua = Honigfliege angibt; ähnlich R ztima oder zumua Honig, kudan zumua
Biene. Läse lecken ist wohl eine Umgestaltung des betr. arab. Stammes. Es Hegt
hier übrigens eine schwerlich zufällige Übereinstimmung vor mit einem von Spitta
in seiner Grammatik des arab. Vulgärdialekts von Ägypten nach Tantavy mitge-
teilten Sprichwort (Nr. 3) : In kän sajjihak 'asal md tilhasuhs kuUuh wenn dein
Freund Honig ist, so lecke ihn nicht ganz auf. Vgl. auch Littmann-Singer, Arabic
Proverbs, Cairo 1913, S. 1 f.
280 Rudolf Prietze, Haussa- Sänger.
183 Älla ya-kdi damo ga haräwa,
Gott er bringt Tirol zu Bohnenranke,
]co ha i-ci ba, ya-sänsand.
ob nicht er ißt, er hat gerochen.
184 Ku-i mi-ni aiJci-n gdfara,
Macht zu mir Arbeit die der Verzeihung,
sai wota räna nid - gamü!
nur andern Tag wir werden zusammentreffen.
183 Gott führt zur Bohnenranke den Molch,
und frißt er auch nicht, er roch doch daran.
184 Nun seid bemüht, mir zu verzeihn!
Auf Wiedersehn ein andres Mall
183 Das sprichwörtliche Gleichnis vom Urol {damo, PI. damomi u. damuna)
und der Bohnenranke {haräwa, PI. haräfowi), ähnlich schon in Pfl. u. T. 74, dient
als Bild für das besungene Liebespaar und enthält einen versteckten Wink für
den Liebhaber, sich in Schranken zu halten. Lockere Verhältnisse dieser Art,
die gewöhnlich auf keine Ehe abzielen und gewisse, für europäische Begriffe recht
weit gezogene Grenzen beobachten, sind in den Haussaländern sehr verbreitet und
werden ?drence genannt ; Mi. gibt dies Wort ungenau durch unzüchtige Handlung
wieder. Zu sänsana riechen vgl. 104 sansano; M schreibt hier sinsina.
184 Diese Schlußbitte des Sängers, seine freien Reden zu verzeihen, stand
in A's Niederschrift, wohl aus Versehn, vor dem vorigen Verse. Zu mä-gamu
vgl. 148-, sai WQta fäna entspricht dem französischen ä bientöt.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung.
Von
Bruno Krosefa.
Vorgelegt von W. Meyer in der Sitzung vom 26. Februar 1916.
Wohl keine Quelle führt uns den Betrieb der merovingischen
Verwaltung in so lebensvollen Bildern vor Augen, wie die Formel-
gammlung des Mönches Marculf, die reichhaltigste, systematisch
geordnetste und verbreitetste unter den fränkischen Sammlungen
dieser Art, und ihre Bedeutung für die Kenntnis des königlichen
und privaten Kanzleiwesens ihrer Zeit, wie der damaligen Rechts-
zustände überhaupt, aber auch ihr Einfluß auf die frühe karolin-
gische Kanzlei, die sie als offizielles Muster benutzte, rechtfertigen
vollkommen das große Interesse, welches die Forschung von jeher
an der Person des ebenso verdienten wie bescheidenen Mannes ge-
nommen hat, dem wir sie zu verdanken haben. Auf Geheiß eines
Bischofs Landerich stellte Marculf im Alter von über 70 Jahren
mit zitternder Hand und halb erloschenen Augen die Formeln für
die Greschäfte bei Hof und im Gau auf Grund wirklich ergangener
Akten zusammen, und indem er viel weiter ausgriff, als ihm aufge-
tragen, hatte er den Unterricht der Knaben im Auge, schrieb
also für die Bedürfnisse seiner Klosterschule, welche durch die
Anleitung der Jugend zur Entwerfung von Urkunden wenigstens
den Aufgaben des praktischen Lebens gerecht zu werden suchte,
da der tiefe Verfall der Sprache höhere Ziele doch ausschloß. Seine
Willfährigkeit und die Unzulänglichkeit seiner Kräfte hat Marculf
in Erinnerung an den Computus, den er seinen Schülern einzu-
prägen hatte, mit den Worten geschildert, mit denen einst Victorius
sein Paschale dem späteren Papst Hilarus überreicht hatte ^). Ein
1) Vgl. N. A. IV, S. 172.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. PhU.-hist Klasse. 1916. Heft 2. 16
232 Bruno Krusch,
geplagtes Schulmeisteriein , von dessen Sorgen ein in den Hss.
überlieferter Schmerzenssclirei eine Vorstellung gibt ^) , ist durch
ein elementares Übungsbuch für seine Zöglinge, ohne, es zu ahnen,
zum Lehrmeister der stolzen Reichskanzlei geworden, und hatte
nicht einmal den Bischofssitz seines Auftraggebers genannt , so
daß Zeit, Ort, Heimatland, kurz alle zur Beurteilung seiner Schrift
notwendigen Umstände dem Scharfsinn der Nachwelt zu ermitteln
übrig bleiben.
Sämtliche Fragen sind sofort beantwortet, wenn man unter
Landerich den bekannten Bischof von Paris versteht, der 654
dem Kloster St. Denis seinen Freiheitsbrief gegeben hat ^), und die
allgemeine Meinung war dies früher. Noch in Sickels ^) Augen ist
„offenbar" dieser der Auftraggeber, und Marculf schrieb „wahr-
scheinlich" in der Pariser Diözese, seine Heimat wäre also Fran-
cien. Die nach Sickels Ansicht einzige „entschieden" ältere Ur-
kunde, die als Vorlage für das Königsprivileg Marculfs I, 2 gedient
hat, ist nun freilich für kein Pariser Kloster gegeben, sondern für
das Kloster Rebais in der Diözese Meaux, es ist Dagoberts I. Pri-
vileg für dieses Kloster von 635/6, und das vorausgehende an
eine Elloster-Kongregation gerichtete Bischofsprivileg bei Marculf
I, 1, die einzige nichtkönigliche und nicht einmal an einen König
gerichtete Urkunde im ersten Buche, die lediglich als Vorurkunde
für die folgende Königsurkunde für Rebais in diesem Teile der
Sammlung eine gewisse Berechtigung hat, stimmt wieder zum
größten Teil wörtlich mit dem Privileg des Bischofs Burgundo-
faro von Meaux für das Kloster Rebais von 637/8 überein. Der
Anfang der Marculfschen Formelsammlung führt also in die Diö-
cese Meaux, und daß ein Mönch gerade für die G-rundlagen der
Klosterverfassung diese Vorbilder gewählt hat, kann für die Kritik
nicht bedeutungslos sein.
Ein Bischof Landerich von Meaux ist nun in der Tat durch
die Gesta ep. Camerac. II, 46*), bezeugt in einer Nachricht über
das belgische Kloster Soignies, dessen Stifter, der H. Vincentius,
dort zusammen mit jenem Landerich, seinem Sohn, begraben lag : 'cum
filio 8U0 Landerico Meldensi episcopo'. Die Stelle stammt nicht,
J) M. 0., Formulao, ed. Zeumer S. 82.
2) Nur die Bestätigung von Chlodoveus II. ist erhalten, Pertz, Dipl. I, S. 19 ;
J. Havet, Oeuvres I, S. 237.
3) Sickel, Beiträge zur Diplomatik (S. B. d. Wiener Akad. d. Wissensch.,
PhiL-hist. Kl. Bd. 47, S. 580'); Acta. Karolin. I. Urkundenlehro, S. 112.
4) SS. VII, 466.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 233
wie man gemeint hat, ans der V. Antberti^), wo von Landerich
keine Spur zu finden ist, sondern ist eigener Zusatz des um
1043 schreibenden Chronisten, der also Landerich für einen Bischof
von Meaux gehalten hat, und da es sich bei der Angabe nur um
die rein lokale Kenntnis einer Begräbnisstätte handelt, braucht in
dem späten Alter des Qaellenzeugnisses noch kein Grund für seine
Unglaubwürdigkeit zu liegen. Von den Bischöfen von Meaux ist
nach Burgundofaro bis zur Mitte des 8. Jahrh. fast nichts bekannt,
und nur ein ganz spätes Zeugnis enthält noch eine schwache Er-
innerung an Landerich. Ein Bischofskatalog von Demochares (d. i.
Antoine de Mouchy^) f 1574), den zuerst Colvenerius ') anführt,
nennt Landricus als 24. Bischof von Meaux , und setzt ihn , wohl
in der Schreibung Lendicus*), hinter Burgundofaro, Hildevertus,
Hellingus, Pathasius, Ebrigisilus, von denen Hellingus wohl mit
einem 683 beglaubigten Bischof Herlingus identisch ^) ist. Steckt
in dieser späten Angabe noch ein Körnchen richtiger Überlieferung,
dann würde man Bischof Landerich von Meaux wohl eher in den
Anfang des 8. als in das Ende des 7. Jahrh. zu setzen haben. Ein
unglücklicher Gedanke war es, ihn zusammen mit dem H. Pirmin
für einen Chorbischof in dem utopischen 'Meteleshem' ^) zu erklären
oder in unkritischer und willkürlicher Veränderung des Namens
einen ganz neuen Bischofssitz Melsbroeck für ihn zu creieren '),
unter Mißdeutung des 'Castellum Melcis' der V. Pirminii c. 1. das
vielmehr wiederum unser liebes Meaux ist^j.
Nach Metz versetzt den Bischof Landerich von Meaux eine
Lesart späterer und schlechterer Hss. der Gesta ep. Camerac,
welche die Herausgeber in den Noten anführen ^), ohne ihr eine
1) Ghesquierus, Acta Sanctorum Belgii (1785) III, 551.
2) Vgl. Pfister, Note sur le formulaire de Marculf (Revue historique 1892,
tome 50, S. 51).
3) G. Colvenerius, Chronicon Cameracense et Atrebatense sive historia utrius-
que ecclesiae conscripta a Balderico, Duaci 1C15, S. 539.
4) A.A. SS. Apr. II (1675) S. 489: Interim sub S. Farone episcopo insti-
tutus fuerat S. Hildevertus, eidemque in episcopatu subrogatus, dein successerunt
Hellingus, Pathasius, Ebrigisillus, quibus a Demochare . enumeratis tandem appo-
nitur Landricus seu Lendicus hoc nostro S. Landrico multo junior, nämlich als
der Metzer Landerich, den Henschen in das Ende des 7. Jahrb. setzte.
5) Duchesne, Fastes ^piscopaux II, 478*.
6) Toussaints du Plessis, Histoire de l'eglise de Meaux (1731) I, 67; vgl.
S. 695.
7) G. Morin in Revue B^nMictine XXIX, 1912, S. 262 ff., vgl. Levison, N. A.
XXXVIII, S. 351.
8) Vgl. SS. rer. Merov. VI, 521, N. A. XXXIX, S. 551.
9) G. Colvenerius a. a. 0., S. 539, bezeichnet die zwei älteren und besseren
16*
234 Bruno Krusch,
Bedeutung beizumessen. Konnte man sich über eine solche Va-
riante leicht hinwegsetzen, so hatte doch mehr Gewicht eine von
Poncelet aus einer Hs. saec. XI. ans Licht gezogene ältere V. Vin-
centii Madelgarii mit der bestimmten Angabe, Landerich habe das
Metzer Bisthum lange Zeit verwaltet^), bevor ihn der Vater an
seinem Lebensende als Leiter seiner Klostergründungen zu sich be-
rieft). An Alter dürfte diese Quelle den Gesta ep. Camerac. nicht
erheblich nachstehen, doch sonst fand der Herausgeber bei ihrer
Untersuchung wenig an ihr zu loben : eine unverschämte Schwindel-
schrift, welche ihren Helden durch Wunder glänzen läßt, die aus an-
dern Quellen ausgesehrieben sind.; Als Metzer Bischof hat Landerich
ßogar einen eigenen Biographen gefunden, indessen mit dieser V.
Landerici') ep. Mett. ist es noch schlimmer bestellt, denn sie ist
augenscheinlich erst wieder unter Benutzung der kürzeren V. Vin-
centii geschrieben. Die Homilia de actibus S. Gisleni, die in
einer Hs. des 10. Jahrb. überliefert ist, nennt Landerich den Sohn
des Vincentius, ohne etwas von seiner Bischofswürde zu erwähnen*).
Der ältesten Metzer Geschichtsschreibung des 8. Jahrh. ist ein
Bischof Landerich durchaus unbekannt. Der Verfasser der Versus
de episcopis Mettensis civitatis, wenn nicht Paulus, so doch dessen
Quelle^), ebenso wie die 783 auf Geheiß des Bischofs Angilram
Hss. als Grundlage seiner Lesart 'Meldensi' und führt nur aus einer, nach seiner
Vermutung von A. Gentius (f 1543, vgl. Anal. Boll. VI, 31 ff.) geschriebenen Hs,
Rubeae vallis, d. i. Rouge-Cloitre bei Brüssel (Poncelet, Anal. Boll. XXIX, S. 13),
den Zusatz 'alias Methensi' an, den er auf die Bekanntschaft mit der V. Landerici
zurückführt. Le Glay, Chronique d'Arras et de Cambrai par Balderic, Paris 1834,
S. 241, notiert zu 'Meldensi' die Varianten 'Mettensi' aus D, d.i. Douai 665 u. 221,
nach den BoUandistcn jetzt 851, saec. XIII. (Anal. Boll. XX, S. 406). Bethmann,
schreibt nach derHaupt-Hs. 'Meldensi', ohne eine Variante anzuführen, nach dem
damals für entlehnte Partien in den Mon. Germaniae maßgebenden Grundsatze j
cf. N. Archiv II, 462.
1) Anal. Boll. XII, S. 480: 'Floruitque postmodum multis virtutibus rexit-
que ecclesiam Mettensium in episcopatu diebus multis'.
2) Nach der späteren V. Vincentii, A. A. SS. Jul. III, 677, hätte er hernach
noch als Bischof weiter gewirkt.
3) A.A. SS. Apr. 11, 488.
4) Anal. Boll. VI, 256. Ebenso Gislebert, Chronicon Hanoniense, SS. XVI,
495. Die V. Aldegundis, SS. rer. Merov. VI, S. 86, der Schwester der Walde-
trudis, der Gattin des Vincentius, die älteste Quelle in diesem Sagenkreise, wenn
auch nicht gerade saec. VII, wie Pfister a. a. 0. S. 50 meinte, so doch nach Le-
visoii saec. IX, kennt Gundeland und Landerich als Onkel der H. Aldegunde : das
sind just die Namen zweier Neustrischen Maiordomus, von denen der erste 613
dem zweiten gefolgt ist.
5) M. G. Poetae I, S. 61, SS. XIII, 304: •
Ursprung und Text Ton Marculfs Formelsammlung. 235
von Metz *) entstandene Schrift des Paulus von den Metzer Bi-
schöfen ^j lassen auf Arnulf folgen: Groericus - Abbo , Godo und
Arnulfs Sohn Chlodulf. Der Versuch Pfisters (S. 56) zwischen
den beiden letzteren Landerich einzuschieben, scheitert an dem
Mangel jedes Beweises und der Geschlossenheit der Metzer Bi-
schofsliste; einer Beschränkung seiner Sedeszeit auf einen mög-
lichst kurzen Zeitraum steht aber das ausdrückliebe Zeugnis der
V. Vincentii entgegen, die ihm im Gegenteil eine lange Sedeszeit
zuschreibt. Seine Ansetzung um 650 für die Zwecke des Marculfs-
schen Widmungsbriefes erledigt sich von selbst durch die Benutzung
späterer Urkunden durch Marculf, worauf später einzugehen ist.
Ebenso unhaltbar erweist sich die Identifizierung des Bischofs Aegli-
dulf, der in der Hs. B des Widmungsbriefes an Landerichs Stelle ge-
setzten Person, mit Bischof Chlodulf, die Pfister (S. 58) ') nach Sickels
Vorgange und mit denselben nichtigen Gründen von neuem versucht.
Sehr verständig hatte der Generalvikar Primeau in Meaux *) unter
Betonung der Unmöglichkeit einer Einschiebung in Metz auf die
Möglichkeit in Meaux hingewiesen, wo bis 748 eine große Lücke
klafft, und noch ein anderer Umstand muß uns für Meaux be-
stimmen. Ein Bischof von Metz , der Inhaber des berühmten Bi-
schofsstuhles des H. Arnulf, des Stammvaters des Karolingerhauses,
und seines Sohnes Chlodulf war ein weit dankbarerer Gegenstand
für hagiographische Zwecke, als ein Bischof von Meaux, und eher
hat man aus 'Meldensis' ein 'Mettensis' gemacht, als umgekehrt:
tatsächlich ist Bischof Landerich auf diesem Wege später in den
Stammbaum Karls d. Gr. gelangt*).
Inde Goericus praeest, vocitatus et Abbo.
Post Godo terdenus servat pia culmina primus.
Subsequitur sancto Cblodulfus germine cretos.
1) Hist. Langob. VI, 16.
2) SS. II, 267.
3) Sickel, Urkundenlehre S. 112 und Pfister halten sich an die Abtrennung
der ersten Sylbe in der Hs. : 'papaae glidulfo", aber dieser Glidulf hat noch recht
wenig Ähnlichkeit mit Chlodulf, und erst die Heranziehung einiger anderer
zweifelhafter Namensformen muß die Verwandlung vortäuschen. Gegenüber diesem
planlosen Herumirren hat Zeumer, N. A. VI, S. 27, erfreulicher Weise an dem
überlieferten Namen Aeglidulf festgehalten und auch ganz richtig auf die Ähn-
lichkeit mit dem Namen Aylidulf (Catalogi ep. Argentin. , SS. XIII, p. 322 fg.)
oder Helidulf (MG. Libri Confratem. p. 212) eines Bischofs von Straßburg zwischen
760 u. 778 hingewiesen, über den P. Wentzke, Regesten der Bischöfe von Straßburg,
Innsbruck 1908, I, S. 226, neuerdings gehandelt hat
4) Bei Le Glay Chron. d'Arras et de Cambrai (1834) S. 510.
5) Florarium Sanctorum (A. A. SS. Apr. II, 488) : 'S. Landrici episcopi et
236 Bruno Krusch,
Es ist Zeumers ^) Verdienst, unter Hinweis auf den Zusammen-
hang mit Dagoberts Privileg für Rebais von 635/6, dessen direkte
Benutzung durch Marculf ihm außer allem Zweifel schien, den Wid-
mungsbrief wiederum dem Bischof Landerich von Meaux zugestellt
zu haben, an den zuerst Launoy ^) gedacht hatte ; ja er hielt es
nicht für unwahrscheinlich, daß Marculf sogar direkt in Rebais
geschrieben habe. Die Abfassungszeit rückte er bis an das Ende des
7. Jahrh. hinab, weil „alle Neueren" ') den Bischof Landerich von
Meaux gegen 700 setzen, und zu dieser Rechnung paßte seiner An-
sicht nach die Erwähnung der Teilnahme des Majordomus am Hof-
gericht in der Marculf-Formel I, 25, die er nur noch in einer Urk.
von 697 bezeugt fand. Bei allen seinen Ergebnissen gelangte er immer
nur zu Möglichkeiten von größerer oder geringerer Wahrschein-
lichkeit, und unmöglich erschien ihm eigentlich nur die Metzer An-
sicht, für welche die älteste Quelle damals noch nicht vorlag.
Auch Meaux erschien ihm nur „wahrscheinlicher" als die Pariser
Herkunft, die er in Zweifel zog, und zu „unbedingter Gewißheit",
meinte er, würde man nach dem vorliegenden Material nicht kommen
können. Für den „Charakter und die Benutzung" des Marculfschen
Werkes verwies er nur auf die „vorzügliche Auseinandersetzung"
Sickels in seiner Urkundenlehre (§ 43), der zwar auf eine Anzahl
ähnlicher Urkundentexte aufmerksam macht, im übrigen aber die
Quellenfrage nur berührt, ohne sie lösen zu können. War er doch
durch seine Erklärung für Paris und die Mitte des 7. Jahrh. ge-
bunden, und lagen nicht fast alle gleichen oder ähnlichen Ur-
kundentexte später? Eine direkte Abhängigkeit konnte bei seiner
vorgefaßten Ansicht gar nicht in Frage kommen, und als einziger
Ausweg bot sich ihm die Annahme gemeinsamer Quellen, älterer
Formulare, die Marculf und die Urkundenschreiber in gleicher
Weise benutzt haben sollten. Sobald aber die Ansicht Sickels über
Zeit und Heimat der Sammlung ins Wanken geriet, änderten sich
natürlich auch die Grundlagen für die Beurteilung der Übereinstim-
mungen Marculfs mit den Urkundentexten, und es liegt auf der
Hand, von wie großer Bedeutung für die ganze Marculfkritik eine
confessoria de stirpe Karolidarum'. Vgl. Bonnell, die Anfänge des karolingischen
Hauses S. 52.
1) Zeumer, Über die älteren fränkischen Formelsammlungen, N. A. VI,
S. 39 fg.
2) J. Launoii Inquisitio in chartam immunitatis, quam b. Germanus Pari-
siorum episcopus suburbano monasterio dedisse fertur, 2. ed., Paris 1676, S. 25.
3) Vgl. z. B. Biographie Nationale de Belgique, Brüssel 1890—1891, Bd. XI,
col. 260,
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 237
umfassende Heranziehung der erhaltenen Urkunden, die Prüfung
des Verhältnisses zu ihnen und besonders die Feststellung des Zeit-
punktes hätte werden müssen, wo Marculfs Urkundenbenutzung
aufhört , und seine Schrift anfängt , den Urkundenschreibem als
Vorlage zu dienen. Nur auf diesem Wege ließ sich ein Einblick
in die Arbeitsweise des Verfassers gewinnen, und zugleich konnte
ein solches Verfahren die Textkritik bisweilen sicherer begründen,
als es bisher möglich gewesen war.
Man wird es den Parisern nicht verdenken können, daß sie
sich der Möglichkeiten zu erwehren suchten, die ihnen einen so ver-
dienten Landsmann rauben sollten ; vielleicht aber hatte sich ihr
Anwalt Tardif ^) die Arbeit etwas zu leicht gemacht und jeden-
falls besaß er nicht die Erfahrungen, um in Textfragen ein Wort
mitsprechen zu können. In einem Punkte scheint er mir aber
richtig gesehen zu haben. Die Anwesenheit des Majordomus am
Hofgericht in der Marculflformel I, 25, ist nicht für die Datierung
in der Weise zu benutzen, wie es Zeumer getan hat. Wenn in den
Urkunden der Majordomus Pippin 697^) als Beisitzer erscheint und
weder vorher noch nachher ein Majordomus als solcher, so hat
doch Tardif mit Recht auf das Verhältnis des auch Zeumer be-
kannten Nordebert ^) zu Pippin hingewiesen, der in früheren Pla-
cita genannt wird und nach dem Lib. h. Fr. c. 48 als sein Stell-
vertreter bei König Theuderich fungierte , während Pippin selbst
nach Austrien heimkehrte. Zeumer hatte als erster die Ansicht be-
kämpft, daß der Majordomus nie Beisitzer des Hofgerichts ge-
wesen sein soUte, aber schließlich diese Tätigkeit auf das Jahr 697
beschränkt. Nach Nordeberts Tode hat Pippins Sohn Grimoald
710 als Hausmeier an des Königs Stelle selbständig das Hofgericht
gehalten^), wie sein dritter Sohn Karl überhaupt vollständig den
König ersetzt^). Fällt somit jeder Gedanken weg, daß die Nicht-
teilnahme des Majordomus in jenen Zeiten einen anderen Grund
gehabt haben kann, als den eigenen Willen des allmächtigen Be-
amten, so hatte es außerdem mit der Teilnahme am Hofgerichte
697 noch eine ganz besondere Bewandtnis, die eine generelle Ver-
wertung ausschließt, vor der sich auch Waitz gehütet hat. Pippin's
1) Bibliotheque de l'ecole des chartes, Paris 1883, Bd. XLIV, S. 352 ff.
2) Pertz, Dipl. I, S. 62.
3) Tardif, Etüde sur la date du formulaire de Marculf (Nouvelle Revue
historique du droit fran^ais et etranger 1884) VIII, S. 557 ff., und Nouvelles ob-
servations sur la date du formulaire de Marculf, ebenda (1885) IX, S. 368 ff.
4) Pertz, Dipl. I, S. 69 fg.; Waitz, VG. II, 2», S. 78. 399.
5) Pertz, Dipl. I, S. 97. Waitz, YG. II, 2», S. 90.
238 Bruno Krusch,
eigener Sohn Drogo war nämlich damals Beklagter, und der Vater
wurde beschuldigt bei der Tat, der Entwendung einer klösterlichen
Villa, Beihülfe geleistet zu haben; auch sein anderer Sohn Grrim-
oald war erschienen, so daß sich also ungefähr der ganze karo-
lingische Mannesstamm auf diesem Hofgericht ein Stelldichein gab.
Das Urteil fiel gegen Drogo aus, und es würde kein Ruhmesblatt
in der Greschichte des Karolingerhauses gewesen sein, wenn sich
der Fall noch öfter ereignet hätte.
Auch in Tardifs Bedenken gegen den Text der Formel I, 25
scheint mir ein richtiger Kern zu stecken, wenn man sie gegen
Marculf selbst und nicht gegen Zeumers Text richtet, und im Ver-
lauf der Untersuchung wird sich noch zeigen, daß Marculf keines-
wegs der 'maitre consomme' war, für den ihn Tardif hält. Schon
bei der Aufzählung der Aufgaben des Hofgerichts sind nach 'ad
universorum causas' (S. 59, i) ^) die ganz unentbehrlichen Worte
'audiendas vel' durch seine Schuld ausgefallen^). Marculf schließt
hieran die Aufzählung der Beisitzer zuerst als Bischöfe und Op-
timaten ohne Namen, dann wiederum mit den Bischöfen an der
Spitze mit den Namen , oder vielmehr mit seinem stereotypen
'illis' für die Namen, eine Verdoppelung, welche nicht bloß A2
durch Auslassung, sondern auch B durch Umarbeitung beseitigt
und für die ich auch in den erhaltenen Placita kein Beispiel finde.
Diese haben entweder eine allgemeine Fassung ^) oder die spezielle
mit Namen *), und Tardifs Annahme einer Vereinigung zweier ver-
schiedener Protokolle findet darin eine gewisse Stütze, nur hätte
er den unwissenden Schreiber, der mit der Praxis der königlichen
Kanzlei nicht vertraut gewesen sei, nicht für einen Interpolator
des Textes halten sollen , sondern für Marculf selbst. Insofern
war Zeumers Entgegnung berechtigt ^). Wie Marculf die Formel
vorher verkürzt hatte, so hat er sie weiterhin durch Zutaten er-
weitert, und solche Erweiterungen begegnen bei ihm überall. Ein
ungeübtes Auge aber konnte die durch ein Homöoteleuton verur-
sachte Lücke in A 2 vielleicht um so eher für die Urform halten,
als Zeumer dieser Hs. eine gewisse Sonderstellung eingeräumt hatte,
worauf unten noch einzugehen ist, Tardif hatte sich durch Zeu-
mers Lobsprüche auf diese Hs. täuschen lassen und die hinzuge-
fügten Einschränkungen nicht beachtet, aber er war überzeugt,
1) In Zonmers Ausgabe der Formulae.
2) Vgl. die Placita von 693. 709. 711. 749.
8) Placitum von 663, ed. Pertz S. 38.
4) Placitum von 697, od. Pertz S. 62.
6) N. A. X, 886.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 239
daß sich auch andere in gleicher Weise über seine wahre Ansicht
hätten täuschen können.
Tardifs Einwendungen gaben Zeumer Gelegenheit, neue und
beachtenswerte Gründe für die Entstehung der Sammlung nach
der Zeit des Bischofs Landerich von Paris vorzulegen *), ganz fallen
ließ er diesen aber immer noch nicht, sondern nach wie vor wollte
er nur die Berechtigung seiner Bedenken gegen diese Ansicht nach-
weisen und für seine eigene „Hypothese" einen gewissen Grad
von Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen ; sollte aber der Bi-
schof Landerieh von Meaux nicht existiert haben, dann wollte er
lieber an einen dritten Bischof Landerich denken, als an den Pa-
riser. Also nicht weniger als drei Möglichkeiten mit absteigenden
Wahrscheinlichkeitsaussichten: ein Bischof von Meaux, ein unbe-
kannter Bischof Landerich, und der von Paris ! Ganz ausgeschlossen
blieb nur Bischof Landerich von Metz, und doch sollte sich ge-
rade für dessen problematische Persönlichkeit noch lebhafte Teil-
nahme zeigen.
Pfisters ausgezeichnete Beobachtung, daß sich gewisse Formeln
der Marculfschen Sammlung nur auf Austrasien beziehen könnten,
und sein Schluß daraus, daß die Sammlung nicht in Neustrien,
sondern in Austrasien entstanden sei, brachte ein völlig neues
Moment in die Discussion, das dem Pariser Landerich den Todesstreich
versetzte. Indessen dem vielversprechenden Anlauf folgte ein arger
Fehlsprung, der die Forschung abermals mißleitete. Meaux wurde
bei Seite geschoben , das bisher allgemein , auch von Tardif , zu
Neustrien gerechnet war, und so blieb allein noch Metz übrig, die
Hauptstadt Austrasiens. Marculf aber sollte der Cellerarius dieses
Namens im Kloster Salicis etwa um 600 gewesen sein *), eine ganz
unglückliche und auch zeitlich ganz unmögliche Annahme, die schon
von Mabillon^) und Lebeuf*) abgelehnt war. Pfister nahm damit
eine These auf, die vor ihm Digot *) aufgestellt hatte, dessen Werk
Zeumer unbekannt geblieben war, und alles was er seinem unkri-
tischen Gewährsmann sonst noch nachschrieb, sind ganz unhaltbare
Behauptungen. Li die Quellen aber hatte er sich mit großer
Gründlichkeit vertieft, und der Beweis für Austrasien stand ganz
1) N. A. XI (1886), S. 338 ff.
2) Jonas, V. Columbani I, c. 7.
3) Ann. ord. S. Benedict! I, 419.
4) Lebeuf, Dissertations sur l'histoire eccl^siastique et cirile de Paris, Pari»
1739, S. LXXI.
5) A. Digot, Histoire du royaume d'Austrasie, Nancy 1863, II, S. 325 ff.
240 Bruuo Kruscb,
nnabhängig und wurde von der falschen Behauptung nicht be-
rührt.
Die augenscheinlich ernste wissenschaftliche Arbeit mußte in G-e-
lehrtenkr eisen einen gewissen Eindruck machen, obwohl im Neuen
Archiv nur ein kurzes anonymes Referat von ihrem Erscheinen
Kenntnis gab ^). Es konnte nicht ausbleiben, daß nun den beiden
mehr oder weniger approbierten Annahmen über die Heimat Mar-
culfs, Meaux und Paris, als dritte Metz unter Verweis auf Pfister
hinzugefügt wurde, also gerade die von Zeumer ausgeschlossene
Möglichkeit. Eine ganz harmlose Bemerkung Caro's ^) hat zu einer
scharfen Auseinandersetzung mit Zeumer ^) geführt, auf die nicht
weiter eingegangen werden soll, da beide Streiter inzwischen die
kühle Erde deckt. Genug Zeumer hielt auch jetzt noch die Mög-
lichkeit des Pariser Landerich nicht für völlig ausgeschlossen,
wohl aber die Versetzung nach Metz. Pfister hatte in Zeumers
Augen nur aus Unkenntnis der neueren Literatur jenen uralten
Irrtum erneuert, der längst abgetan gewesen sei ; aber fielen denn
seine ganz neuen und sehr beachtenswerten Ausführungen über die
Abfassung in Austrasien unter diesen uralten Irrtum, der doch
lediglich Metz betraf, und sollte er wirklich die neuere Literatur
so wenig gekannt haben, mit der er sich doch auseinandersetzt?
Ein merkwürdiges Zusammentreffen war es , daß ganz unab-
hängig von dem Pfister' sehen Aufsatz, dessen Bedeutung für die
Marculf kritik aus der Polemik nicht zu ersehen war, mein Bei-
trag für die Zeumer-Festschrift ^) die betreffenden Marculfformeln
in dieselbe Beziehung zur austrasischen Geschichte brachte und
ungefähr in derselben Weise für die Heimat des Verfassers ver-
wertete, nur daß ich für den westlichen Teil Austrasiens eintrat,
während Pfister nach der andern Seite abgeschwenkt war. Doch
noch eine neue Überraschung sollte sich bieten! Schon der alte
Valesius hatte den Zusammenhang der Marculfformel I, 40 mit
der Erhebung des austrasischen Königs Sigibert III. 634 richtig
erkannt, denn er schreibt Res Francicae III, 114: 'Scriptis a
Rege litteris iussi sunt Austriae comites, sui quisque pagi incolas
1) N.A. XVIII, 710.
2) G. Caro, die Landgüter in den fränkischen Formelsammlungen, Historische
Vierteljahrsschrift (1903), VI, S. 311, und Zur Herkunft der Formelsammlung des
Markulf, ebenda (1905), VIII, S. 127.
3) N.A. (1904) XXIX, S. 539; ebenda (1905) XXX, S. 716.
4) Der Staatsstreich des fränkischen Hausmeiers Griraoald I, in Historische
Aufsätze Karl Zeumer zum GG. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schü-
lern, Weimar 1910, S. 414.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlang. 241
cum Francos tom Romanos ceterarumqae nationum homines con-
vocare, et praesente Misso Dominico a coDgregatis per urbes, vicos
et castella iusinrandnm exigere, Regi et praecelso filio ipsius,
quem consensu Procerum suorum regnare in Aastria iussisset,
fidem conservaturos', ohne jedoch für Marculfs Heimat irgend welche
Schlüsse daran zu knüpfen. Der Altmeister der fränkischen Ge-
schichte hatte also wieder einmal durch seine gründliche Quellen-
kenntnis und feine Kombinationsgabe eine wichtige Entdeckung
gemacht, ohne doch bei der späteren Geschichtsforschung irgend
welche Beachtung zu finden.
Zu einer besseren Ergründung der Verhältnisse, unter denen
Marculf seine Sammlang zusammenstellte, läßt sich, wie ge-
8£igt, durch genauere Vergleichung mit den erhaltenen Urkunden
kommen, und schon ein gelegentlicher Streifzug erbrachte einige
interessante Feststellungen ^). Marculf I, 2 hat in dem Privileg
Dagoberts I. für Rebais von 635/6 die Bestimmung über die freie
Abtswahl und das Institutionsrecht des neuen Abtes durch die
Kongregation stillschweigend übersprungen, welche Lücke der
Schreiber der Urk. Childerichs 111. von 744 für Stavelot und
Malm^dy bei Benatzung der Formel an der unrechten Stelle er-
gänzt hat, und ohne eine solche Ergänzung standen die auf Grund
der MarcuLfformel befreiten Klöster erheblich schlechter als Re-
bais, dessen Privileg als Vorlage gedient hatte. Handelte es sich
doch um das höchste Recht der befreiten BHöster *), dessen Ver-
leihung noch Sickel nicht erkannt hatte ^). Die Stelle ist in ganz
unauffälliger Weise (S. 42,11 nach 'facilius') bei Seite gebracht, und
alles schließt so ausgezeichnet an einander, daß nur die Verglei-
chung mit der Quelle die Lücke erkennen läßt. In Zeumers Aus-
gabe macht leider keine Note den Leser auf das Fehlen dieser
wichtigen Bestimmung aufmerksam, und auch die Zusätze und Ab-
änderungen Marculfs sind nicht zu erkennen, die sofort ins Auge
springen würden, wenn nach den Grundsätzen der Mon. Germ, die
entlehnten Partien mit kleinerer Schrift gedruckt wären. Dieselbe
Bestimmung ist nun auch in dem bischöflichen Privileg I, 1 bei
der Wiedergabe der Urk. des Bischofs Burgundofaro von Meaux
für Rebais*) 638 (nach S. 40, 12 'presumat') ausgefallen, was die
1) N. A. XXXI, S. 363.
2) N. Ä. XXV, S. 134.
3) Sickel, Beiträge zur Diplomatik IV, SB. der Wiener Ak. d. Wiss. phil.-
hist. Kl. XL VII, S. 571 ; vgl. Jonas S. 45.
4) Pardessus, Dipl. II, S. 40.
242 Bruno Krusch,
Annahme eines Zufalls wohl ausschließt, und ebenso sucht man
hier vergebens das Recht des Klosters zur Zuziehung eines fremden
Bischofs für die bischöflichen Weiheakte, Ordinationen u. s. w. und
den entsprechenden Verzicht des DiÖzesanbischofs für sich und
seine Organe.
Im Gegenteil in der Formel I, 1 spricht der Diözesanbischof
sich selbst in der dritten Person ('predictus episcopus') die Aus-
übung der Weihegewalt und Einsetzung des Abtes zu: 'episcopus
ipse promoveat abbatem', und er selbst beansprucht für sich die
Verleihung der Grrade an den Klosterbeamten, für den Abt und
Kongregation nur das Vorschlagsrecht haben, den Prior, wie eine
Glosse von A 3 ('prior est') ergänzt : und das alles unter teilweiser
Benutzung des Wortlauts der ausgefallenen Stellen, deren Sinn also
just in das Gegenteil verkehrt ist. Überhaupt beginnt das bischöf-
liche Privileg bei Marculf mit der Feststellung der Rechte des
DiÖzesanbischofs gegen das Kloster , die die Vorlage aufgehoben
hatte, wodurch sich eine durchgreifende Umarbeitung von selbst
ergab, und die Tendenz der neuen Formel ist geradezu die teil-
weise Wiederherstellung dieser Rechte. Der Bischof beschränkt
bei Marculf dem Abte das unbeschränkte Disziplinarrecht über
seine Mönche durch den Zusatz : 'si praevalet' (S. 40, 21), und legt
sich, wenn dieser Fall nicht zutrifft, selbst die Strafgewalt bei :
'pontifex de ipsa civitate choercire debeat'; er macht sich auch
beim Besuch des Klosters für gottesdienstliche Handlungen ein
frugales Mahl aus, während er in ßurgundofaros Privileg sofort
('statim') nach beendigter Ceremonie zu verschwinden hatte. Ihm
gibt Marculf (I, 1) bei der Privilegierung den Vortritt, den in
Wirklichkeit in Rebais der König gehabt hatte, und wie Bischof
Burgundofaro auf die vorausgegangene Urk. Dagoberts I. Bezug
nimmt, so umgekehrt der König bei Marculf (I, 2) in einem eignen
Zusatz, allerdings an wenig passender Stelle (S. 42,«), auf das vor-
ausgehende bischöfliche Privileg , das er gelesen habe. Wenn
bisher nur die Entlehnung von I, 2 aus Dagoberts I. Urkunde für
Rebais anerkannt war, so lag dies an der starken Überarbeitung
des ersten Teils der Urk. Burgundofaros durch Marculf in I, 1,
doch hat dieser auch wieder Flicken von Dagoberts I. Urk. in den
Text des bischöflichen Privilegs herübergenommen, und die Stelle:
'Et ne nobis aliquis detrahendo — videntur consistere' (S. 39, 11)
ist sogar ausführlicher ausgeschrieben als in I, 2 (S. 41, 21), indem
die Namen der Klöster Lerinum, Acaunum und Luxeuil ausnahms-
weise genannt sind, die in I, 2 das stereotype 'illorum' ersetzt ; auch
weiter unten ist 'ordinatores' (1,1, 8.40,?) derselben Quelle ent-
Ursprung and Text Yon Marctüfs Formelsammlung. 2-13
nommen (= I, 2, S. 42,5), während umgekehrt die Archidiakonen
in 1, 2 (S. 42,5) wieder dem bischöflichen Privileg (= I, 1, S. 40,6)
entstammen. Gibt man die Entlehnung aus den Privilegien für
Rebais bei I, 2 zu , so muß man sie auch bei I, 1 zugeben ^), und
eine solche Versetzung von Urkundenteilchen und ihre vielfache
Verwendung entspricht durchaus der Arbeitsweise Marcolfs. Beide
Formeln haben zur Abwehr des Vorwurfs von Neuernngen (S. 39, 12.
41,22) hinter 'nova decernere' den selbständigen Zusatz Marculfs
'carmina', der aus dem Urkundenstil so vollständig herausfällt, daß
sich schon dadurch die geäußerte Vermutung ^) erledigt , Marculf
habe als Gerichtsschreiber oder gar im Dienste der königlichen
Kanzlei praktische Erfahrungen gesammelt. Überall tritt er uns
vielmehr als reiner Buchgelehrter entgegen, der bei seiner Arbeit
literarische Zwecke verfolgt , und iiuch die weitere Untersuchung
wird noch zeigen, wie wenig er sich auf den praktischen Geschäfts-
verkehr verstanden hat.
Wir kommen also zu dem überraschenden Ergebnis, daß Mar-
culf zwar die beiden Privilegien für Rebais in den ersten Formeln
benutzt hat, die er zusammen nur in dem Klosterarchive von Re-
bais finden konnte, aber durchaus nicht im Sinne und für die In-
teressen dieser Klostergemeinschaft , und ich hatte schon früher
bemerkt '), daß aus jener Benutzung nicht gerade zu schließen sei,
daß die Formeln in Rebais geschrieben seien. Es ist gar nicht
so wahrscheinlich , wie Zeamer *) meinte , daß Marculf ein Mönch
von Rebais gewesen, daß er seine Sammlung dort geschrieben habe,
vielmehr kann die genaue Vergleichung der Formeln mit den Ur-
kunden eher das Gegenteil erweisen, da er, was bisher völlig über-
sehen ist, die Interessen seines Bischofs gegen das Kloster durch
Beschränkung der einst von Bischof Burgundofaro von Meaux und
dem König erteilte Freiheiten gewahrt hat. Er hat so durch die
Tat bewiesen, daß er auf Geheiß des Diözesanbischofs, des Bischofs
Landerich von Meaux, geschrieben hat, dem sein Werk gewidmet
ist, und mit Hilfe des abgeänderten Formulars konnte dieser wich-
tige alte Rechte gegenüber dem Kloster vorkommenden Falls wieder
durchdrücken, die sein Vorgänger Burgundofaro in dem Privileg
auf Kosten des Bischofsstuhles von Meaux leichtsinnig preisgegeben
1) Vermutungsweise hat diese Ansicht auch später Zeumer in der Vorrede
zu seiner Ausgabe, Formulae S. 33, geäußert.
2) H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre II, 231*.
3) N. A. XXXI, S. 363.
4) N. A. VI. 40; XI, 345.
244 Bruno Krusch,
hatte. Schwerlich hätte sich ein Mönch, von Rebais zu einem solchen
Geschäft hergegeben , und nach dem alten Satze : *Is fecit , cui
prodest' ist Marculf in der Umgebung des Bischofs von Meaux zu
suchen.
Vielleicht kann man nun auch eine Stelle in Marculfs Vor-
rede besser verstehen, worin er Bischof Landerich schreibt, er
habe gesammelt, was er bei den Vorfahren ('maiores') nach der
Gewohnheit des Ortes, wo 'wir' leben ('loci, quo degimus') gelernt
oder sich selbst ausgedacht habe. Können diese Worte einen an-
deren Sinn haben, als daß Bischof Landerich und Mönch Marculf
an demselben Orte gelebt haben? 'Loci' läßt sich doch wohl nur
sehr gezwungen mit Mabillon ^) als Diözese fassen, und schwerlich
wird man zu Zeumers Erklärungen^) greifen, wenn nicht gerade
ein zwingendes Bedürfnis vorliegen sollte, Marculf nach ßebais zu
versetzen. Vielmehr scheinen mir Caros Bedenken^) in diesem
Falle beachtenswert, und sein Schluß, daß Marculf nicht dem
Kloster Rebais angehörte, wohin ihn Zeumer versetzte, trifft voll-
kommen mit den Ergebnissen zusammen, zu welchen die Untersu-
chung der ersten beiden Formeln geführt hat.
Nun gab es auch in Meaux ein Kloster, nämlich das H. Kreuz,
und der Bischof von Meaux, der in Rebais nach Burgundofaros
Privileg nicht gerade viel mehr zu sagen hatte, muß zu diesem
Kloster in sehr nahen Beziehungen gestanden haben; er scheint ihm
zugleich als Abt vorgestanden zu haben, wie dem Verbrüderungs-
buche von Reichenau^) zu entnehmen ist ^), und Bischof Burgundofaro
soll in diesem Kloster begraben sein; man hält es für eine Stif-
tung desselben, und sicher hat es später seinen Namen getragen (S.
Faron). Wenn Rebais wegeij der Stellung Marculfs zu dessen Pri-
vilegien unmöglich ist, und die Änderungen vielmehr die Hand
eines Parteigängers des Diöcesanbischofs verraten, wie auch die
Vorrede auf denselben Ort hinweist, dann scheint es mir eine immer-
hin ganz annehmbare Vermutung zu sein, den Mönch Marculf für
einen Insassen des Klosters S. Crucis in Meaux zu halten.
Wie die beiden aus den Klosterarchiven von Rebais geschöpften
Formeln am Anfang des ersten Buches, welche zu dem Bischof
Landerich von Meaux im Widmungsbrief Marculfs so ausgezeichnet
stimmten, so stehen auch die beiden Schlußformeln desselben Buches,
1) Ann. ord. S. Benedict! I, 419.
2) N.A. XXX, S. 716.
3) Historische Vierteljahresschrift (1905) VIII, 128.
4) M. G. Lihri confrat. ed. Piper p. 237.
ö) SS. rer. Merov. V, p. 172.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 245
I, 39. 40, in engem Zusammenhange : vielleicht die merkwürdigsten
und historisch wichtigsten Dokumente der ganzen Sammlung, aas
denen sich ebenfalls interessante Schlüsse auf die Personalverhält-
nisse des Verfassers ziehen lassen. Es ist fast unbegreiflich, wie
diese Prachtstücke so vollständig der Marculfkritik vor Pfister
entgehen konnten. Ein Frankenkönig befiehlt in der Herzensfreude
über die Geburt seines Sohnes dem Adressaten und den „andern"
domestici im ganzen Reiche die Freilassung von drei Sklaven bei-
derlei Geschlechts in jeder königlichen Villa (I, 39). Er befiehlt
weiter in der nächsten Formel (I, 40), ihm selbst und seinem Sohn
den Huldigungseid zu leisten, nachdem er diesem mit Zustimmung der
Großen in seinem Reiche die Regierung überlassen. Beide könig-
liche Erlasse sind an einen Grafen gerichtet, und wenn Bischof
Landerich der von Meaux ist und auch Marculf dort lebte, müßte
man zunächst an den Grafen von Meaux denken, aus dessen Ar-
chiv oder Kanzlei die Schriftstücke stammen würden. In der ersten
Formel (I, 39) ist der Adressat den andern 'Domestici' gegenüber
gestellt, so daß fast ein Schreibfehler in der Adresse zu vermuten
ist, und merkwürdigerweise hat die Hs. A 3 die Lesart : 'maiorem
domus' für 'illo comitae', auf die ich einst die Aufmerksamkeit ge-
lenkt ^) habe, indessen die neu aufgefundene Hs. der Sammlung
von Flavigny in Kopenhagen, Universitäts-Bibliothek, Coli. Fa-
bric. n. 84, saec. IK (= B 2) ^), liest ebenfalls 'iU. comite', und
bei der Verwandtschaft des B- Textes mit A 3 ist dies wohl
als die Lesart der gemeinsamen Vorliige aller Hss. anzusehen.
Waitz ^) erklärte sie so , die Trennung der Befugnisse der Amter
der Domestici und Grafen sei nicht strenge innegehalten worden.
Nun steht aber im 2. Buche und wiederum am Schlüsse (11, 52)
der in Ausführung des königlichen Befehls (I, 39) ergangenen Frei-
lassungsbrief zu Ehren der Geburt des Königssprosses, und hier
ist als Aussteller 'ill. domesticus' genannt, ja der Domesticus be-
zeugt ausdrücklich in dem Dokumente, daß der königliche Befehl
generell an alle Domestici ergangen sei: 'generaliter ad omnes
domesticos'. Demnach müßte doch wohl die Adresse 'comitae' in
I 39 aus 'domestico' ('com* aus 'dorn') verschrieben sein, und das
1) Zeumer-Festschrift S. 414.
2) Vgl. Zeumer, N. A. XIV, S. 593, der leider nur wenige sachlich wichtige
Ergebnisse seiner Vergleichung der Hs. mitgeteilt hat und im Übrigen für Einzel-
heiten auf eine später etwa nötige Neubearbeitung seiner Ausgabe vertröstet.
Der gütigen Vermittelung des Herrn Bibliotheksdirektors Dr, Sofus Larsen in
Kopenhagen verdanke ich die Vergleichung einiger Formeln durch Fräulein Dr.
phil. Ellen Jörgensen.
3) Waitz, VG. H, 2, S. 49«.
246 Bruno Krusch,
Original des königlichen Erlasses und das Konzept des Freiheits-
briefes wären in der Kanzlei des Domesticus in Meaux zusammen
zu finden gewesen.
Die Abtretung eines Reiches durch einen Frankenkönig noch
bei Lebzeiten an seinen Sohn, wie sie die Huldigungsformel I, 40
zur Voraussetzung hat, ist nach Roth's richtiger Beobachtung^)
zum letzten Mal 634 erfolgt, als Dagobert I. seinen dreijährigen
Sohn 'cum consilio pontevecum seo et procerum' ^) zum König von
Austrasien einsetzte, und auch in der Marculfi'ormel erfolgt die
Erhebung 'cum consensu procerum nostrorum'. Der junge Sigibert
war erst drei Jahre vorher (631) von einer Magd Ragnetrude ge-
boren, und dazu würde die vorhergehende Formel I, 39 mit dem
Freudenerguß des Königs ausgezeichnet stimmen. Auf keine frü-
here Königserhebung passen die beiden Formeln so gut wie auf
diese, und nicht bloß Valesius, auch Waitz, VGr. II, 1, S. 168',
hatte I, 40, auf die Erhebung Sigiberts 634 in Austrasien bezogen.
In Neuster und Burgund ist ein solcher Fall überhaupt nicht vor-
gekommen. Das Creditiv eines Königs für eine Gesandtschaft an
einen anderen König, seinen Bruder, (I, 9), bezieht sich ebenfalls
auf einen Fall, der zum letzten Mal zur Zeit Sigiberts und seines
Bruders Chlodoveus 11. eingetreten ist.
Die große Frage ist nur, wie sich Austrasien mit den Be-
ziehungen Marculfs zu Meaux vereinigen läßt, und hier ist Pfister
nach der falschen Seite abgeschwenkt. Er schloß aus den beiden
Formeln , daß Marculf nicht in Neustrien , sondern in Austrasien
geschrieben habe, und der Bischof Landerich des Widmungsbriefes
nicht der Bischof von Paris gewesen sein könne, aber hinsichtlich
der politischen Zugehörigkeit von Meaux konnte er sich nicht von
dem alten Irrtum losreißen, der die Forschung bisher beeinflußte ^).
Meaux ist fast vor den Toren von Paris belegen, und die Frage
nach dem Reichsteile, zu welchem es einst gehörte, konnte bei
einem Blick auf die Karte leicht zu Gunsten von Neustrien be-
antwortet werden.
Indessen hatten die austrasischen Könige es doch verstanden,
ihre territorialen Beziehungen bis in das Herz Frankreichs zu
tragen, und auch noch in viel späterer Zeit läßt sich bei territo-
1) P. Both, Geschichte des Benefizialwesens S. 279.
2) Fredegar IV, 75.
3) Schon Ilenschen, AA. SS. Apr. II, 489 führt als Vorzug von Metz vor
Meaux an, daß jenes zu Austrasien, dieses zu Neustrien gehört habe: 'cum Mel-
dcnsis ditio fuerit sub regno Neustriae'.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 247
rialen Teilongen das Bestreben nach einem leichten Zugang zu
dem politischen Zentrum beobachten, was durch die keilförmige
Schneidung der Lose nach Art eines Kleeblattes erreicht wurde.
Schon der in Metz residierende austrasische König Sigebert I. besaß
ein Drittel von Paris ^) , das ihm nach dem Tode seines Bruders
Charibert 567 zugefallen war, und zugleich neben anderen Städten
auch Meaux^), das also damals zu Austrasien gehörte. In Meaux
wurden seine Töchter nach seinem Tode von Chilperich in Ge-
fangenschaft') gehalten; in Meaux weilte auch sein Sohn Childe-
bert n, als er 584 die von Chilperich^) hinterlassenen Schätze in
Empfang nahm. Meaux erhielt Childebert II. durch den Vertrag von
Andelot zurück, nachdem schon Gunthram als Vormund von Chil-
perichs Sohn Chlothar II. die Hand darauf gelegt hatte % der nur
das Drittel von Paris behalten durfte ^). Meaux und Soissons baten
durch ihre Machthaber ('viri fortiores') Childebert 11. bei seiner
Anwesenheit in Straßburg 589 um einen seiner Söhne zur leichteren
Verteidigung der Grenzen, und unter dem Jubel des Volkes hielt
damals sein ältester Sohn Theudebert II. seinen Einzug *), der nun
auch König ^) von Gregor genannt wird. Theudebert II. war noch
61U/1 der Herrscher über Meaux, als den H. Columban ^) sein Weg
dorthin führte. Die Vereinigung der Monarchie unter Chlothar II.
613 war nicht von langer Dauer. Die Interessengemeinschaft der
Austrasier verlangte wiederum eine eigene Regierung und 622/3
setzte ihnen der König seinen Sohn Dagobert I. als König unter
Ausschluß der romanischen Gebiete ^) ; doch schon drei Jahre nach-
her forderte und erhielt der Sohn das ganze austrasische Reich ^"),
und nur die südfranzösischen Landesteile blieben ihm noch vorent-
halten. Er selbst hat dann nach des Vaters Tode 629 das Reich
ebensowenig zusammenzuhalten vermocht. Die Austrasier fühlten
sich gegen Neuster zurückgesetzt, und nur die Einsetzung seines
1) Greg. H. Fr. VI, 27. VII, 6.
2) Ebend. IX, 20.
3) Ebend. V, 1.
4) Ebend. VII, 4.
5) Ebend. VHI, 18.
6) Ebend. IX, 36.
7) Gregor, H. Fr. IX, 37. P. Roth, Gesch. des Benefizialwesens, Erlangen
1850, S. 279, nimmt eine Abtretung an und nennt Theudebert König in Soissons,
während ihn Waitz nur als Vizekönig oder Statthalter gelten lassen wollte. Vgl.
jetzt Waitz, VG. U, 1, S. 167».
8) Jonas, V. Columbani I, 26.
9) Fredeg. IV, 47.
10) Ebend. IV, 53.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachriditen, PhiL-hiat. Klasse. 1916. Heft 2. ' 17
248 Bruno Krusch,
dreijährigen Sohnes Sigibert als austrasischen Königs in Metz 633/4,
das denkwürdige Ereignis , worauf sich die besprochene Marculf-
formel bezieht, vermochte ihre Eifersucht zu beschwichtigen, so
daß sie nun die Grenzen des Reiches kräftig gegen die "Wenden
verteidigten.
Die Behauptung Pfisters (S. 54), daß weder 622 noch 633
Meaux in dem austrasischen Reich einbegriffen gewesen sei, ist
im ersten Teil richtig, aber belanglos, weü ein Vorbehalt vorlag,
im zweiten unwahrscheinlich wegen des Gegenteils; seine weitere
Behauptung aber, es sei „fast" sicher, daß es auch 625 nicht
zu diesem Reiche geschlagen sei, ist falsch und das Gegenteil
nicht bloß „fast" sicher, sondern sicher, denn wir haben das be-
stimmte Zeugnis Fredegars (IV, 63), daß Dagobert I. damals das
„ganze" austrasische Reich mit der genannten Beschränkung er-
halten hat: 'reddensque ei soledatum quod aspexerat ad re-
gnum Austrasiorum'. Man weiß nicht recht, was Pfisters Hinweis
auf Longnons Karte im Atlas historique (Taf. IV) gegenüber einem
solchen Quellenzeugnis eigentlich besagen soll, aus dem doch viel-
mehr jener Irrtum zu berichtigen wäre ^) ! Und auf der Karte von
639 hat Longnon richtig Meaux zu Austrasien gerechnet! Alle
Begriffe übersteigt es aber, wie Pfister diese richtige Karte Long-
nons zu discreditieren sucht, während er auf die falsche eben sein
ganzes Luftschloß baute : Longnon „scheine" zu vermuten, daß Meaux
„zufällig" beim Tode Dagoberts 639 zu Austrasien gekommen sei.
Weder Vermutung, noch Zufall, sondern wiederum das bestimmte
Zeugnis Fredegars (IV, 76) läßt dem jungen Sigibert schon, ein
Jahr nach seiner Königserhebung 634/5 Austrasien in seiner Ge-
samtheit: 'in integretate', garantieren, nämlich alles, was von alters-
her ('iam olem') dazu gehört habe , und dazu gehört hatte eben
auch Meaux ; dafür sollte sein jüngst geborener Bruder Chlodoveus
Neuster und Burgund vollständig erhalten. Auf Grund dieses
ältesten Zeugnisses und nicht auf leere Vermutung hin hat Longnon
Sigiberts Reich bis Meaux ausgedehnt, und noch die Karte von 714
dehnt das Herzogtum Austrasien soweit aus. Von den Zeiten
Sigiberts I. an hat, soweit kein Vorbehalt gemacht war, Meaux
zum austrasischen Reiche gehört, und der Versuch, das Gegenteil
zu beweisen, um Bischof Landerich den Weg zum Metzer Bischofs-
stuhl zu bahnen, ist kläglich mißlungen.
1) Da Longnon selbst im Texte explicatif S. 41 schreibt: 'touvS les pays
septentrionaux qui ont d^pendu de TAustrasie', so kann fast nur ein kartogra-
phischer Zeichenfehler die Unterlage für Pfisters Ausführungen bilden.
ürsprang and Text zu Marcolfs Formelsammlang. 249
Austrasien paßt also nicht blos ausgezeichnet zu Meaux, son-
dern Meaux würde überhaupt unmöglich sein, wenn sich ein an-
deres Teilreich als Heimat Marculfs ergeben hätte. Als eine Art
Landsmann von uns hat uns Marculf die für unsere deutsche Gre-
schichte hochwichtigen Erlasse und Verfügungen überliefert, welche
aus Anlaß der Geburt und Erhebung des austrasischen Königs
Sigibert III., des Sohnes Dagoberts I, ergangen sind, und diese
vor Pfister unbeachteten Dokumente am Schlüsse beider Bücher
sind nicht minder bedeutungsvolle Merksteine für die Markulfkritik,
wie die aus dem Klosterarchiv in Rebais, in der Diözese Meaux,
stammenden beiden Formeln am Anfang der Sammlung, welche den
Sitz des Bischofs Landerich bestimmten.
Mochte Pfister im Vertrauen auf diese Urkunden seinen an-
geblichen Bischof Landerich von Metz in die Mitte des 7. Jahrh.
gesetzt haben, so führte doch eine andere australische ürk. über
diese Zeitgrenze hinaus , deren Verwandtschaft mit der Marculf-
formel I, 14, bereits Sickel erkannt hatte. Es ist die Schenkung
der fiskalischen Villa Barisis-au-Bois ^) im Gau von Laon seitens
des jugendlichen Königs Childerich JI. von Austrasien und seiner
Tante ^), der Gemahlin Sigiberts III., der Königinwitwe Chinine-
childis an den Bischof Amandus 663 zu Behuf seiner Mönche.
Schon Zeumer') hatte bei der Ergänzung seines Beweismaterials
diese Urk. für eine Abfassung nach der Mitte des 7. Jahrh. und
gegen den Pariser Landerich verwertet, allerdings nicht ohne (S.
346) mit einem „vielleicht^ die Umarbeitung durch einen „späteren
Diktator der königlichen Kanzlei" einzuschalten, und er hielt es so-
gar für nicht unmöglich, wenn auch nicht für wahrscheinlich, daß
man 663 „einen schon unten früheren jugendlichen Königen ge-
brauchten Urkundenprolog " wieder hervorgesucht habe. Das war
gerade die Annahme, die Pfister gut gebrauchen konnte, und sie ist
von ihm begierig aufgegriffen und gründlich ausgeschöpft worden.
Die Schenkung erfolgte nach der Urk. Childerichs 11. zur Belohnung
der zweifachen Dienste des Amandus für die Verwandten des
Königs ("pro parentibus nostris') und für seine eigene Jugend
('pro nostrae adolescentiae aetate'), während Marculf die zweiten
Dienste der Person des Königs von Jugend an ('nobis ab aduli-
scentia aetatis') leisten läßt: eine leichte Änderung, die aber, wie
Zeumer richtig erkannte, die Fassung der Urk. erst für alle Fälle
1) Pertz, Dipl. S. 25 ; vgl. SS. rer. MeroT. V, S. 398.
2) G. Waitz, VG. II, P, S. 187, N. 2, schreibt irrig „Mutter«.
3) MG. Formulae S. 84; N. A. XI, 346 fg.
17*
250 Bruno Krusch,
brauchbar machte. Die Urk. war gerade auf den Regentschafts-
fall zugeschnitten, wie er 663 vorlag, und auch durch die Änderung
schimmert hindurch, daß es sich um einen noch jungen König
handelt. Lag aber schon für Marculf selbst das Bedürfnis der
Änderung vor, um den Spezialfall als Formel verwendbar zu machen,
warum soll man dann noch seine direkte Benutzung durch einen
Nebel von Möglichkeiten verhüllen, für die sich auch nicht der
mindeste Anhalt findet? Pfister haben diese Irrlichter zu den
wunderlichsten Aufstellungen geführt. Er vermutet ältere Ur-
kunden der „Kinder" Dagobert I. und Sigibert III. mit dieser
Arenga, und da damals das Königshaus stark zusammengeschmolzen
war, muß er nun 'parentes' als Vater und Sohn erklären, was
wegen der zweiten Alternative und auch an sich nicht angeht;
er vermutet weiter die Übertragung der Formel auf Childerich IL
663, was wieder dieselben Verhältnisse wie bei den früheren Regenten
voraussetzen würde, und schon für die 'parentes' in seiner eben ge-
gebenen Erklärung stimmt das nicht, denn Childerichs Vater war
längst tot. Pfisters Vermutungen haben zu offenbarem Unsinn geführt,
und er gesteht das selbst mit den dürren Worten ein : 'cette ha-
rangue perdra plus tard s o n s e n s pr^cis'. Unter 'parentes' ver-
stehen die merovingischen Könige im allgemeinen ihre Verwandten,
besonders auch Vettern, und Childerichs IL Verwandte waren da-
mals sein Bruder Chlothar III. und sein nach Irland verschickter
Vetter Dagobert IL, der Sohn der Königin Chimnechilde.
Hätte man die Vergleichung der Urkunde von 663 mit Mar-
culf über die Arenga hinaus ausgedehnt, so würde man gefunden
haben, daß sich die Übereinstimmung in einzelnen zusammenhän-
genden Ausdrücken noch weiter auf die Fassung des Schenkungs-
aktes erstreckt, und hätte man nun auch noch die folgende
Marculff'ormel I, 15 nachgelesen, so würde man eine Entdeckung
gemacht haben, die allen Möglichkeiten mit einem Mal ein Ziel setzt.
Marculf hat auch noch die folgende Formel I, 16 'Cessio ad loco
sancto' aus Childerichs Urk. von 663 [genommen, und nicht gar
viele unbelegte Ausdrücke und Sätze bleiben übrig, von denen
übrigens einige in anderen Urkunden aus späterer Zeit zu finden
sind ^). Marcalf hat eine Urkunde zu zwei Formeln verarbeitet,
unter eigenen Ergänzungen, wie er sie im Widmungsbrief andeutet :
'vel ex sensu proprio cogitavi', und schon bei der Untersuchung
des Verhältnisses zu den Urkk. von Rebais am Anfang des ersten
1) Z. B. in der Urk. für St. Bertin von 687 (Pertz, Dipl. I, S. Bl,»), und
von Marculfs Beziehungen zu diesem Klosterarchive wird noch unten zu reden sein.
Ursprung und Text Ton Marculfs Formelsammlang. 251
Buches bemerkten wir, wie er Stellen aus der einen Urk. in die
andere versetzte. Bisweilen schließt sich sogar die zweite Formel
enger an die Vorlage an als die erste : sie redet z. B. gerade wie
die Urk. die Adressaten mit 'magnitudo seo utüitas vestra' an,
I, 14. aber mit *m. seo strenuetas vestra' ; sie allein hat nach 'nos'
den Zusatz 'propter nomen Domini'; sie allein liest (S. 53, s) richtig
'prumptissima devotione' mit der Urk., während in I, 14, 'pmmp-
tissima volontate' (S. 52, 15) geändert ist. Für eine Schenkung an
eine geistliche Anstalt ('äd loco sancto' I, 15) war die Schenkungs-
urkunde Childerichs an das Kloster des Amandus besser zu ge-
brauchen als für die vorhergehende Schenkung an einen weltlichen
Oroßen, und bei der notwendigen Umarbeitung des Formulars für
weltliche Zwecke hat sich dann auch Marculf arg verfahren. Er
fand die Eigentumsübertragung der fiskalischen Villa auf Amandus
mit der Schutzklausel 'absque ulla contradictione vel dimino-
ratione' versehen, ähnlich wie später Theuderich III. 677 für eine
Güter konzession bestimmte^): 'nee quislibet contradicere nee
minuare — non praesummatis', und verfiel durch eine sprachlich
leicht zu erklärende Verwechslung ('cum tradicione' für contradic-
tione') auf eine ganz andere Formel der privaten Schenkungs- oder
Leiheurkanden^) : 'absque ullius expectata iudicum tradieione'. Mit
dieser Formel wurde in privaten Schenkungsurkunden bei Vorbe-
haltung des Nießbrauchs der automatische Heimfall der Grrund-
stücke ohne Dazwischentreten des Richters nach dem Tode der Ge-
schenkgeber xmd ähnlich bei Leiheverträgen das automatische Kück-
fallsrecht ausgemacht. Es liegt auf der Hand, daß eine solche
Bestimmung für eine königliche Schenkungsurkunde nicht paßte,
aber nicht minder, daß eine königliche Schenkungsurkunde an einen
Privatmann für einen Mönch wie Marculf schwer zu erlangen war.
So mußte die Urk. für St. Amand auch dieses Bedürfnis decken ;
bei ihrer doppelten Beziehung ist es aber wohl ausgeschlossen,
daß ihre Übereinstimmung mit der Formelsammlung noch anders
1) Pertz, Dipl, I, S. 44, 4,. Auch der Schluß der Formeln I, 14 und I, 15
kann mit dieser Urk. verglichen werden : 'liciat ei per nostro permisso res
— delegare vel quicquid exinde facere voluerit liberam et fir-
missemam in omnebus habiat potestatem'.
2) Marculf selbst hat die Formel richtig angewandt S. 75, x,. 78, ,3. j«. 99, u.
100,1,. In den Formeln von Tours lautet sie häufig 'absque ullius expectata tra-
ditione vel iudicum consignatione* (S. 136, 4 u. s. w.). In den älteren Weißenburger
Urkunden steht 713 u. 715 (Pardessus 11, 440. 444): 'absque ullius iudicis inter-
pellatione', aber schon 734 ist hier die MarculflFormel 11, 3 eingedrungen (Par-
dessus II, 457).
252 Bruno Krusch,
erklärt werden könnte, als durch direkte Entlehnung seitens
Marculfs.
Für die Entstehung der Marculfschen Formelsammlung hat
Brunner *) das Ende des 7, Jahrh. angenommen unter dem Eindruck
der Vermutung Zeumers, die sich im wesentlichen auf die Teil-
nahme des Majordomus Pippin am Hofgerieht 697 gründete, und
bei der Unsicherheit dieser Grundlage wird man den Ergebnissen
nicht ohne Interesse entgegensehen, zu welchen sich auf dem be-
schrittenen Wege der Textvergleichung mit den Originalurkunden
gelangen läßt. Wenden wir uns zunächst zu den beiden Formeln
I, 3. 4, über neue Immunität und Immunitätsbestätigung, so hatte
schon SickeP) richtig erkannt, daß die erstere mit keiner Mero-
vingerurkunde dieses Inhalts irgendwie verwandt sei, ohne sich doch
über die Ursache dieses auffallenden Umstandes auszulassen. Die
Immunität war dem Kloster Eebais in Verbindung mit dem Privileg
von Dagobert verliehen worden ^, während Marculf eine besondere
Formel für neue Immunität um so weniger entbehren konnte, als
er den Akt des Königs I, 2 zu einer 'Cessio ('Concessio' A2) regis
de hoc Privilegium', zu einer bloßen Ergänzung des bischöflichen
Aktes herabgedrückt hatte. Im Klosterarchiv von Rebais war
also ein Vorgang für reine Immunitätsverleihung nicht vorhanden,
und wie bei der Schenkung an den Weltmann (I, 14), hat Marculf
nun bei der Entwerfung dieser Formel im wesentlichen seine eigene
Erfindungsgabe walten lassen.
Für die Immunitätsbestätigung in I, 4, lag dagegen eine Über-
fülle von Material vor. Schon von Sickel *) bemerkt war die Ver-
wandtschaft mit zwei erhaltenen Immunitätsbestätigungen, einer
Theuderichs III 683 für Montierender % die der desselben Königs für
Malmedy und Stavelot nahe steht % und einer anderen Chilperichs II.
für St. Denis 716 '); außerdem zeigt aber das Formular große Ähn-
lichkeit mit den Bestätigungen Chlodovechs III 691 für St. Bertin^)
und Childeberts III für das Kloster S. Sergii in Angers c. 705^).
1) Brunner, deutsche Bechtsgeschichte I, 579*.
2) Sickel, Beiträge zur Diplomatik III, 217.
3) Ebend. IV, 570.
4) Acta Karolin. I, 116.
6) Pertz, Dipl. I, S. 49.
6) Pertz, Dipl. I, S. 193, setzt sie irrig unter die Fälschungen; vgl. SS. rer.
Merov. V, 93 ; Levison in N. A. XXXIII, S. 749.
7) Pertz, Dipl. I, S. 72 ; tgl. Sickel III, 217.
8) Pertz, Dipl. I, 8. 52.
9) Derselbe S. 65.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 253
Die Arenga beginnt ähnlich wie 683') und läßt sich weiter mit
Urknnden von 716 und 717 ^) vergleichen ; mit der vorhergehenden
Formel I. 2 berührt sie sich in dem Ausdruck 'benigna' (S. 41,8),
der sich dort in einem Zusätze Marculfs zu Dagoberts Urk. für
Rebais findet. Führt die Formel I, 4 die Befugnisse ^ des öffent-
lichen Richters, welche im Immunitätsgebiet ruhten, zweimal an,
bei den früheren Verleihungen und bei der Bestätigung, so liefert
hierfür außer der Urk. für St. Denis 696*) nur noch die von 705
ein Beispiel, und mit dieser letzteren schreibt Marcnlf an der
zweiten Stelle 'ad agendum'. aber nicht an der ersten, wo viel-
mehr die Formel von 691 begegnet. Diese Urk. von St. Bertin
führt die aufgehobenen richterlichen Befugnisse in großer Ausführ-
lichkeit bei den früheren Verleihungen an und bestätigt allein,
ebenso wie die späteren Urkk. für St. Bertin von 718 u. 721, an
dieser Stelle einen Zusatz Marculfs über den Grerichtszwang der
Stiftsuntersassen, der sich außerdem nur noch in einer Urk. von
700 % aber hier im disponierenden Teil findet. Allein mit der Urk.
von 705 und einer für St. Denis von 706^) läßt MarcuK bei der
Bestätigung hinter den Worten 'quislibet de iudiciaria potestate'
das sonst in den Urk. stehende 'accinctus' aus, und überhaupt ist
diese Phrase, wie schon Levison erkannte, nicht vor c. 681 ^ nach-
weisbar. Marculf erwähnt alsdann ein zweites Mal die Schenkungen
gottesfürchtiger Leute (S. 45, 4), die er schon bei den Vorurkunden
erwähnt hatte (S. 44, u), schließt aber nun bei der Bestätigung
einen ganz ungehörigen Zusatz über die Untersassen an, der zum
Gerichtszwang und hinter 'homines' (S. 44,i6) gehörte, wo er auch
in den Urkk. für St. Bertin steht. Er ist nämlich in die hier un-
mögliche Stilisierung (S. 45,5 'tarn de ingenuis quam de servienti-
bus') der Urk. Dagoberts für Rebais in Formel 1,2 (S. 42,2$)
hineingeraten, wo 'de" von 'poterat sperare' abhängt, das aber bei
ihm erst am Schlüsse auftaucht (S. 45, 12), und hatte durch die
Vorwegnahme der Personen für den Gerichtszwang nicht mehr das
Objekt, das er oben bei den Vorurkunden gehabt hatte. Er hat
daher (S. 45, 7) mit einem schwer zu deutenden 'eos' auf die vor-
1) Ich bezeichne die Urkk. nach den Jahren der Pertzschen Ausgabe, die
zur Vermeidung von Miäverständnissen nicht berichtigt werden.
2) Pertz, S. 75, „. 78, ,0-
3) Waitz, VG. IV, 301«.
4) Pertz, S. 61.
5) Derselbe S. 64, „.
6) Derselbe S. 67, jo-
7) Derselbe S. 46, »j. 193, ,8.
254 Bruno Krusch, ,
ausgegangenen Untersassen zurückgegriffen, wofür dann König
Pippins Kanzlei bei der späteren Benutzung der Formel das klare
'homines ipsius ecclesiae' eingesetzt hat ^), wie sie auch den voraus-
gehenden konstruktionslosen Satz durch Einfügung einer Erläute-
rung verständlich machte. Marculfs eigene Zutaten und Ände-
rungen hatten die Formel unverständlich gemacht, die nun nicht ohne
gewisse Korrekturen seitens der frühkarolingischen Kanzlei ver-
wendbar war. Am stärksten hat auf ihn der Urkundentyp von St.
Bertin eingewirkt, aber auch die Übereinstimmung mit der ürk. von
Angers 705 ist nicht unerheblich, deren Einfluß sich auch in der
Konfirmation für einen Weltmann 1, 17 (S. 54, 21) bemerkbar macht.
Der Schluß der Urk. für St. Bertin 691 weist kurz auf den Inhalt
der früheren Urkk. hin und daß das Kloster von den öffentlichen
Richtern nichts zu fürchten habe.', Hier hat sich Marculf mehr an
das Muster der Urk. von 716 für St. Denis gehalten. Überhaupt
lassen sich fast alle seine Wendungen in der Formel I, 4 aus den
erhaltenen Urkk. belegen, und besonders aus den späteren bis 716 :
auch wenn er nur ähnliche Urkk., nicht die gleichen benutzte, würde
man ihn nach diesem Beispiel eher in den Anfang des 8. Jahrh.
als um das Ende des 7. Jahrh. zu setzen haben.
Einige dieser Wendungen kehren nun aach in der von Marculf
frei stilisierten Formel für neue Immunität I, 3 wieder und z. T.
mit Zusätzen, die in den Urkunden ihre Bestätigung finden, also
erst von Marculf in I, 4 gestrichen sind ^) , ja die hier aus dem
Zusammenhang gerissene Bemerkung über die Untersassen (S. 45, 5),
deren wir oben gedachten, steht in I, 3 noch in der richtigen Ver-
bindung, in der sie sich in der Urk. Dagoberts für Rebais findet
(S. 42, 28), und es sind auch noch die nächsten Worte der Urk. :
'ex indulgentia nostra' hinzugefügt, wie auch sonst der Ausdruck
hier bei weitem mehr den Urkk. gleicht ^) als in I, 4. Wenig glück-
lich ist dagegen Marculfs eigene Ergänzung der Freien und Un-
freien auf den kirchlichen Besitzungen in beiden Formeln I, 3. 4
1) M. G. Dipl. Carol. I. S. 8,33.
2) Den Zusatz 'quoque tempore' vor *non presumat ingredire' I, 3 (S. 43, u).
der in I, 4 (S. 45,8) weggelassen ist, bestätigen die Urk. von 700 und 716.
3) Die Bezeichnungen 'infra agros' und 'super terras' für die Ansiedlungen
der Untersassen in I, 3 stimmen mit den Urk. Dagoberts (= Marculf I, 2, S.
i42,28) und von 691. 718 (Pertz S. 62,35. 79,5o), während in I, 4 (S. 45,,) 'in —
villas' steht, und auch die Corroborationsformel 'inviolata Deo adiutori permaneat'
n I, 3, schließt sich an 'inviolata permaniat' der Urk. von 716 enger an, als 'in-
violata Deo adiutori possit constare' von I, 4, was ähnlich schon vorher in I, 2
(S. 41,, 4), aber mißverständlich und unter Störung des Zusammenhanges einge-
fügt war.;
Ursprung und Text Ton Marculfs Formelsammlung. 255
durch eine neue Gruppe der „übrigen Nationen", und vielleicht hat
ihm hierbei eine Gregenüberstellung , wie in der Grafenbestallung
1,8 vorgeschwebt, wo die „übrigen Nationen" den Pranken, Ro-
manen und Burgundern entgegengesetzt sind.
Das Beste kommt aber noch. Am Schluß der Formel I, 3
wendet sich der König in dem feierlichen Befreiungsbriefe (S. 44, 2)
für einen Bischof nicht bloß an die königliche Hoheit, also an sich
selbst und seine Nachfolger, sondern auch an die grausame Gier
('saeva cupiditas') der königlichen Richter, um sie vor einer Ver-
letzung seiner Immunitätsbewüligung zu warnen. Diese wenig
königliche Grobheit des biedern Schulmeisters, die seiner klerikalen
Auffassung derben Ausdruck gab, hat den Kanzleien ebensoviel
Ärgernis bereitet wie der modernen Kritik. Pippins Kanzlei än-
derte 743 die Stelle*), während sonst die Formel getreu kopiert
ist. Gedankenlos wiedergegeben wurde sie aber von Pippins kö-
niglicher Kanzlei 758 in der Immunitätsurkunde für Honau * ) ,
und dies hat die Urk. in "Waitzens ^) Augen so verdächtigt, daß er
sie zu den falschen oder zweifelhaften warf, wiewohl ihre un-
zweifelhafte Echtheit schon von Sickel^) dargetan war. Auch in
der Immunitätsverleihung für Fulda 774 ist die anstößige Bemer-
kung getreu wiederholt, doch streicht der Codex Eberhardi wenig-
stens das böse 'saeva'^).
Häufig hat sich Marculf nur ganz leichte stilistische Änderungen
am Texte der ürkk. erlaubt, die ohne Heranziehung der Quellen
überhaupt nicht zu erkennen waren, und die besonderen Eigenheiten
seiner Feder gibt schon das älteste Beispiel für die Benutzung der
Formel I, 4, Pippins Urk. für Utrecht 753^), sklavisch wieder^;.
Finden sich solche Lieblingsausdrücke Marculfs nicht in den Urkk.
der merovingischen Könige des angehenden 8. Jahrh., so kann
wohl die Verwandtschaft mit ihm nur in dem Sinne gedeutet
1) Pertz, S. 104,18.
2) MG. Dipl. Carol. I, S. 15.
3) Waitz, VG. IV, 301».
4) Sickel, Beiträge zur Diplomatik III, 197.
5) MG. Dipl. Carol. 1, S. 123,48-
6) Ebend. S. 8.
7) Sie ist die älteste unverdächtige fränkische Königsurkunde, die nach
Marculfs (S. 44, ,j. 54, 3^. 55, ig. 64,15. 65, ,8. 66,45) Vorgange 'Praecipientes ergo'
schreibt für 'Praecipientes enim' (so richtig Marculf S. 54, 4. 62,„); die Urk.
Theuderichs III. für Corbie über die Wahl des Abtes Erembert ist verdächtig
(Pertz, Dipl. I. 47, „; N. A, XXXI, 342ff.). Sie schreibt auch mit ihm 'tarn pre-
sentibus' ('tarn presentis' constant Marculf S. 44, 4. 45, u) für 'tarn n 0 s tr i s quam
futuris temporibus', was in den Merovingerurkunden der stehende Ausdruck ist.
256 Bruno Krusch,
werden, daß die Beeinflussung von den Urkk. ausgegangen ist, und
diese nicht unter Benutzung von Marculfs Formelsammlung ent-
standen sind.
Das ist ganz ausgeschlossen bei der Formel I, 11 für freie
Beförderung und Verpflegung einer fränkischen Gesandtschaft,
'Tracturia ligatariorum vel minima facienda istius instar', deren
Quelle ich in einer Urkunde Chilperichs II. für das Kloster Corbie
von 716 ^) gefunden zu haben glaube, und zu demselben Jahre hatte
uns schon eine Urk. desselben Königs für St. Denis geführt, deren
Beziehungen zu Marculf auch Sickel bemerkt hatte. Die Schwierig-
keiten, welche dem Mönche Marculf die Beschaffung der Unterlagen
für die auf weltlichem Gebiete liegenden Formeln bereitete, wurden
schon bei der Schenkung an einen 'vir illuster' (I, 14) berührt,
und wie dort ist auch hier eine Klosterurkunde für den neuen
Zweck zurechtgestutzt worden, und zwar in höchst origineller
Weise. Der König bestimmt in der Formel ^) seiner Gesandtschaft,
einem Bischof und einem 'inluster vir', außer Pferden mit Fudern
von Heu und Stroh folgendes zu reichen: Massen von Lebens-
mitteln und Getränken, Fleischwaren und Schlachtvieh aller Gat-
tungen , allerlei Spezereiwaren, Zimt, Gewürznelken , Kostwurz,
unter anderen Kümmel pfundweise : 'cimino 1 i b e r a s tantas', ferner
Datteln, Mandeln, Pimpernüsse und schließlich noch Fuder Holz
und Späne, — Waren, die zur Ausstattung eines Handelsgeschäfts aus-
gereicht hätten! Und alle diese Vorräte noch dazu täglich ('diebus
singulis) und außerdem nur als Mindestmengen, wie in der Über-
schrift bescheiden angedeutet ist! Welches gesegneten Appetits
müßten sich die beiden Männer erfreut haben, und welcher Magen
gehörte allein dazu, die Pfunde Kümmel alltäglich zu verdauen!
Welche Vorräte an Kolonialwaren müßten auf den königlichen
Gütern damals aufgespeichert gewesen sein, um nur zwei solcher
Gesandten zu beköstigen! Waitz^) erklärte sich die Sache so, die
Meinung sei „offenbar", daß alle Untertanen nach Verhältnis ihres
Besitzes die Leistung aufbringen sollten. Sollten die Bauern wirklich
1) Pertz, Dipl. I, S. 76. Zu der neuen Ausgabe von L. Levillain, Examen
critique des chartes Märovingiennes et Carolingiennes de Tabbaye de Corbie, Paris
1902, S. 236 , habe ich aus der Hs. Verbesserungen nachgetragen , N. A. XXXI,
S. 373.
2) Sie beginnt mit denselben Worten wie I, 23 , und auch hier werden die
beiden Würdenträger genannt, aber durch 'auf getrennt, und die dritte Formel mit
dem gleichen Anfang I, 40, über die Königserhebung Sigiberts III. hat dieselbe
Fassung des Befehls : 'adeo iubemus\
3) Waitz, VG. II, 2, S. 297».
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 257
in jenen entlegenen Zeiten mit Datteln, Mandeln, Pimpernüssen
nnd Kümmel so reichlich versehen gewesen sein? Es ist wunderbar,
daß niemand bisher die Seltsamkeiten bemerkt hat, die diese Formel
birgt. Solche Warenlager, wie sie Marculf hier für den täglichen
Unterhalt der beiden Gresandten voraussetzt, waren im fränkischen
Reiche an den Zollstätten aufgespeichert, da die Zölle regelmäßig
in den von den Kaufleuten durchgeführten "Waren erlegt wurden ^)
und der Inhalt seiner Gesandtschaftsformel I, 11 deckt sich mit
der schon genannten Zollbestätigungsurkunde Chilperichs II. für
das Kloster Corbie 716 in einem Umfange, daß nur ein kleiner Teil
als sein geistiges Eigentum übrig bleibt. Es handelt sich in jener
Urk. um eine große Warenschenkung der königlichen Gründer des
Klosters Corbie, Clothars III. und der Balthilde, aus dem Zoll
zu Fos (Bouches-du-Rhone), die der Kloster-Cellerarius alljährlich
auf 15 Wagen abholte, u. a. nicht weniger als 10 000 Pfund Öl,
und um die Gewährung freier Fahrt und freien Unterhalts für
die Abgesandten ('ad missus ipsius monasterii') bei ihrer jährlichen
Hin- und Rückreise. In der Urk. sind die Zollwaren für das
Kloster von den Waren für den Unterhalt der klösterlichen Ab-
gesandten unterschieden , und Marculf hat das Unheil dadurch
angerichtet, daß er von der unteren Reihe in die obere überge-
sprungen ist. Die Pfunde Kümmel stammen aus der oberen Reihe,
und zwar sind es dort 150; die klösterlichen Abgesandten erhielten
nach der unteren jährlich nur ganze zwei Uncien I Marculf begann
zuerst die Lieferungen für sie zu copieren, immer mit dem unbe-
stimmten Formelausdruck 'tantos' n. s. w., wie es seine Gewohnheit
war, also Pferde, Weiß- und Schwarzbrot, Wein, Bier, Schinken
und Fleisch, nicht ohne schon hier Schweine, Ferkel, Hammel,
Lämmchen, Gänse und Fasanen dem Riesenappetit seiner zwei
königlichen Abgesandten mit mehr als königlicher Freigebigkeit
zuzulegen, und bei den Gewürzen hat er dann den verhängnis-
vollen Sprung in die obere Reihe der dem Kloster überlassenen
Zoll waren gemacht :
Chilperich II. 716. Marculf I, 11.
'pipere lib. 30, cumino lib. 150, 'cimino liberas tantas, piper
cariofile lib. 2, cinnamo lib. 1, tantum, costo tanto, cariofilo
spico lib. 2, costo lib. 30'. tanto, spico tanto, cinamo tanto'.
Wenn der karolingische Bearbeiter der Formelsammlung c. 20 :
1) Ebend. S. 301 ».
258 Bruno Krusch,
'cumino vel piper' schrieb^), also 'liberas' durch 'vel' ersetzte, so
scheint er den Unsinn bemerkt zu haben. Zugleich mit den Pfunden
Kümmel sind aber auch Gewürznelken, Nardus (spico) , Zimt und
Datteln, Pimpernüsse und Mandeln aus den Zollwaren auf die
Speisekarte der königlichen Gresandten gelangt, und höchst er-
götzlich ist es dann noch, wie unser Marculf am Schluß mit kühnem
Federstrich die Jahreslieferungen an den Klosterkellerer und seine
Genossen in Tageslieferungen an die zwei königlichen Abgesandten
verwandelt hat, die damit vor eine nicht leichte gastronomische
Aufgabe gestellt wurden:
Chilperich II. 716. Marculf I, 11.
'qui hoc exigeri ambularent — . 'Haec omnia diebus singulis,
Haec omnia superius memorata tam ad ambulandum quam ad
locis convenientibus annis sin- nos in Dei nomen revertendum,
golis eisdem tam euntibus quam unusquisque vestrum loca con-
redeuntibus absque mora dare et suetudinaria eisdem ministrare et
adimplere deberitis, etiam ad adimplerepr ocuretis, qualiter
revertendum carra 15 de loco in nee moram habeant'.
loco pro loca consuetudinaria,
qualiter pro eorum mercide
absque dispendio ipsius monaste-
rii; deberet provenire. ad
missus ipsius monasterii dare et
adimplere procuretis'.
Mangel an praktischem Blick und ein gewisser Hang zur Über-
treibung, der sich auch anderwärts^) in der Formelsammlung be-
merkbar macht, haben das Unheil angerichtet, und die Aufdeckung
des Sachverhalts läßt einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise
Marculfs tun, dürfte auch für die Beurteilung seiner Schrift von
nicht geringer Bedeutung sein. Die Bestätigungsurkunde Chilpe-
richs II. für Corbie 716 wirft einen hellen Lichtstrahl in die Zelle
des alten Mönches, und die Übereinstimmung erstreckt sich über
den erzählenden Teil hinaus in den verfügenden des Königs. In
ihm stehen nämlich die von Marculf gebrauchten Worte: „et
adimplere procuretis", während dort dafür 'et adimplere deberitis'
geschrieben ist. Den Schluß der Formel, die Drohung des Kö-
nigs mit Entziehung seiner Gunst schon bei einer bloßen Ver-
1) Forraulae Marculfinae aevi Karolini, Formulae S. 122.
2) Man beachte gewisse Superlative , z. B. S. 44, lo 'robostissimo iure', und'
verstärkende Zusätze, wie S. 39, ,, 'innumerabilia'.
Ursprung und Text Ton Marcnlfs Formelsammlung. 259
zögerung der Lieferungen an die Gesandten: 'si gratia nostra
obtatis habere', fand ich nach vielem Suchen in den königlichen
Zollbefreiungsurkunden für St. Denis 692 ^) und 716 wieder, wo der
Satz in besserem Zusammenbange steht und auch mit den wider-
rechtlichen Zollerhebungen besser begründet erscheint. Auch dieser
Ausklang verrät also den Ursprung der Formel für den Freipaß
der königlichen Gesandten aus klösterlichen Zollurkunden.
Eine ergiebige Quelle konnte für Marculf das Archiv von St.
Denis werden bei seinen reichen Schätzen an fränkischen Königs-
urkunden, die sich durch die Gunst des Königshauses fortwährend
mehrten, und der Glanz der berühmten Abtei, die auch in dem
nahen Meaux''*) Güterbesitz hatte, strahlte so hell, daß es ver-
wunderlich gewesen wäre, wenn Marculf von seinem Kloster aus
nicht den Versuch gemacht hätte, diese Schätze für die Sammlung
nutzbar zu machen, die er unter der Feder hatte. Ein Placitum
Cblodoveus m. für St. Denis von 692') ist in der Marculfformel
I, 37, einem Hofgerichtsurteil in einem nach der Prozeßordnung der
Lex Salica angestellten Gerichtsverfahren wegen Raubes ('rauba'),
so stark benutzt, daß schon Sickel auf die Übereinstimmung auf-
merksam wurde, nur schrieb Marculf nach 'suggessit' nicht 'eo
quod' sondern 'quasi', ebenso wie I, 29, wo es sich wieder xim einen
Raub handelt. Das Placitum für St. Denis von 692 nimmt auf
'noticias paricolas' der Parteien Bezug, und merkwürdiger Weise
folgt auf die von ihm abhängige Formel I, 37 in I, 38 eine solche
'Carta paricla'*). Diese Formel I, 38 beginnt mit den Worten
des Placitums Chilperichs IL für St. Denis von 716^), in dem
allein die in der Formel gebrauchte Wendung: 'Sed dum inter se
intenderent' nachweisbar ist, und hier findet sich auch, wie schon
Zeumer ^ bemerkte, der in der Formel LT, 18 wiederkehrende Aus-
druck für die Sicherstellung des Wergeides für einen Erschlagenen
durch Wette. Für die Fortsetzung der Formel I, 38 hat ein
älteres Placitum für St. Denis von 679 ') Verwendung gefunden,
und insbesondere stammt aus ihm der Ausdruck für die Ableistung
des Eides: 'super capella domni Martini, ubi reliqua sacramenta
1) Pertz, Dipl. I, S. 55. 73 : 'vidite, ('videtis' 716), ut aliud ob hoc non fa-
cialis, se gratia nostra optatis habire propicia'.
2) Vgl. N. A. XL, S. 315.
'3) Pertz, Dipl. I, S. 54.
4) Von dieser ürkundenart handelt Bresslau, ürkundenlehre I, S. 668».
5) Pertz, Dipl. I, S. 74.
6) Formolae S. 88. N. 2.
7) Pertz, S. 45.
260 Bruno Krusch,
percurrunt'. Nur die Örtliclikeit ist bei Marculf verändert, in-
dem er 'in palatio nostro' schrieb für 'in oraturio nostro' ^).
Von der größten Wichtigkeit für unser Gesamtergebnis sind
aber die Beziehungen Marculfs zu den Urkunden von St. Bertin,
dessen Archiv Folcwins ^) fleißige Feder der Nachwelt erhalten hat.
Wie schon früher der Reflex der Immunitätsbestätigung dieses
Klosters von 691 in der Formel I, 4 zu erkennen war, so führt
wieder dorthin die jüngste Spur einer Urkundenbenutzung in der
Formell, 16. Die Arenga dieser Formel, einer Schenkungsbestätigung,
ist nur noch in der Immunitätsbestätigung Theuderichs IV. für St.
Bertin vom 10. November 721 ^) erhalten und kehrt gleichlautend
wieder in der späteren Bestätigung für dasselbe Kloster von 743*),
die für die Textkontrolle von Wert ist, da Folcwin Schreibfehler ^)
begangen hat, die sich teilweise aus der Kopie der späteren Urk.
verbessern lassen. Auch Zeumer hatte eine direkte Beziehung der
Formel 1, 16 zu der Urk. von 721 zuerst angenommen, doch umgekehrt
Marculf für die Quelle gehalten, so daß der Fall als ältestes Beispiel
einer Entlehnung dienen könnte ^), aber später hat er von einer sol-
chen Verwertung abgesehen '), und in der Tat lassen sich vielmehr
für die entgegengesetzte Auffassung mancherlei Gründe anführen.
Auf eine direkte Beziehung scheint der Gebrauch seltener Ausdrücke
hinzuweisen, die hauptsächlich in den Urkk. von St. Bertin zu finden **)
1) Vgl. Waitz, VG. II, 2», S. 102; IH', S. 516. Nach Ausweis des Placi-
tums Childeberts III. für St. Denis von 710 (Pertz I, S. 69) hat sogar der Haus-
meier Grimoald als Stellvertreter des Königs im Hofgericht Parteien einen Eid
'in oraturio s u o super cappella sancti Marcthyni' auferlegt , also in seinem Ora-
torium, nicht dem des Königs. Vgl. W. Lüders, Capeila, Archiv für ürkunden-
forschung II, S. Uff.
2) Cartulaire de l'abbaye de Saint-Bertin publik par M. Guerard in Collection
de documents inedits sur l'histoire de France, Paris 1841.
3) Pertz, Dipl. I, S. 81.
4) Ebenda S. 86.
5) Schon Stumpf in v. Sybels Hist. Zeitschr. 29, S. 365 hat in dem Refe-
rendar 'Conradus' den 'Eonardus' der Urk. von 726 erkannt (Pertz S. 84). Vgl.
Bresslau, Handbuch der ürkundenlehre P, S. 369.
6) Formulae S. 33, N. 1.
7) N. A. XI, 356 ff.
8) 'Clementiae regni nostri detulit in notitia' (statt *cl. r. n. suggessit') bei
Marculf I, 16, steht in den Urkk. von St. Bertin 721 u. 743 (Pertz, S. Sl,^,. 86,33)
und ähnlich schon in den älteren Urkk. desselben Klosters 662 (S. 36,7): 'cl. r. n.
detulerunt notitia' und 687 (S, 50, 41): 'cl. r. n. intulerunt'. In der Urk. von 721
geht 'per missos suos' vorher, wie auch in den Urkk, für St. Calais von 692 und
695—711 (Oeuvres de J. Havet I, S. 162. 164). Die Worte 'propter nomen Doinini
et' vor 'reverentia ipsius sancti loci' bei Marculf (S. 54,,) begegnen zum ersten
Mal in der Urk. von 721.
Urepnmg und Text Ton Marcnlfs Formelsammlung. 261
sind, und die Selbstständigkeit der Urk. von 721 ergibt sich viel-
leicht aus der Abwesenheit aller derjenigen Wendungen Marculfs,
welche sich als eigenmächtige Änderungen des überlieferten Urkunden-
textes darstellen und teilweise als solche bereits besprochen wurden ^),
aber auch aus der richtigen Ausfüllung der Abstriche, die er am
Text gemacht hat ^). Nach den Worten 'sub eo ordine' hat er (S. 54, e)
die Immunitätsbestätigung von St. Bertin 721 beiseite gelegt und
ist am Schlüsse in das Schenkungsformular der vorhergehenden
Formel 1, 15 'Cessio ad loco sancto' eingeschwenkt, von dem schon
die Rede war.
Für die richtige Beurteilung des Verhältnisses Marculfs zur
Urk. von St. Bertin 721 kommt noch ein nicht unwichtiger Umstand
in Betracht, die überaus merkwürdige Verwandtschaft einer der
Formeln für Privaturkunden im 2. Buche (II, 6) mit einer Privat-
urkunde für St. Bertin von 685, auf die ich hiermit die Aufmerk-
samkeit lenken möchte. Die am Schlüsse gegen die Übertreter
der Urkundenbestimmungen geschleuderten Verwünschungen sind
in dieser Formel mit den damals in Privaturkunden üblichen Worten
ausgedrückt (S. 79, s) : ['inprimitus' Zus. A 3] iram trine maiestatis
['trini magestatis' A 2] incurraf, und nur durch die Einsetzung der
Dreieinigkeit in die Stelle des allmächtigen Gottes ^) unterscheidet
sich der Text von den meisten Privaturkunden; doch Marculf hat
hier nichts geändert, denn zwei noch erhaltene Urkk. von 673*)
und 690 schreiben ebenso , und die zweite , die Schenkung von
Vandemiris und Ercanberta an Pariser Kirchen, nimmt hernach
ähnlich wie MarcuK auch auf die Kirchen-Heiligen Bezug =). Mar-
1) Die Urk. von 721 schreibt richtig 'quod*, wie alle anderen merovingischen
Königsurkunden, während Marculf (S. 53, „), wie wir schon bei der Formel I, 37
(S. 67, j) sahen, 'quasi" ändert. Sie schreibt auch mit der Mehrzahl der Urk. -ut
quicquid constat', während Marculf hier und schon 1.4 (S. 54,4. 44,^): 'ut
sicut constat' vorzieht in Anlehnung an die Urk. von 705 (Pertz S. 66,3).
2) Aus der Urk. von 721. (Pertz S. 82,,) lassen sich im Marculftext S. 53, ,7
'Sed pro firmitatis custodiam' (lies 'estodium' nach der Urk. von 716, Pertz S. 75, 1)
vor 'petiit celsitudine nostrae' ergänzen und S. 54,3 zwischen 'prestetisse et' und
confirmasse cognuscite' die Worte 'in omnibus', die schon bei Marcnlf I, 4 (S. 44, ,5)
fehlten, die aber seit dem Ende des 7. Jahrb. die Urkk. fast ausnahmslos bestätigen.
3) So schon Dagoberts I. Privüeg für Rebais (Marculf I, 2, S. 42,,,), das äl-
teste Zeugnis für die Formel und wohl die Quelle der Privaturk.: 'quod primitus
est, et Dei iram incurrat et nostram ofFensam'.
4) Pardessus II, S. 156.
5) Pardessus II, 210, R. de Lasteyrie, Cartulaire gen^ral de Paris, Paris
1887, S. 19: 'inprimetis iram trini magestatis incurrat, üb . . . ipsis domnis sanctis,
quorum reliquiae in sepefatas basilicas inserte esse nuscuntur, et ab omnebus ec-
clesiis excomunis apariat, nee hie nee in futurum veniam p . . . rire non possit'.
262 Bruno Krusch,
culf tut es aber in einer ganz abweichenden Fassnng: 'et cum
suprascripto sancto illo ante tribunal Christi deducat ra-
tiones; insuper', indem er den Frevler zur Auseinandersetzung
mit dem oben genannten Heiligen vor den Richterstuhl Christi
ladet, und oben genannt ist der Patron der Kirche, zu dessen
Ehren sie erbaut war. Die gleiche Fassung findet sich nun wäh-
rend der ganzen Merovingerzeit nur noch in zwei Urkk. von St.
Bertin von 685 und 745 '), doch ist letztere durch Zusätze er-
weitert. Dagegen stimmt der Text von 685 fast genau mit Mar-
culf überein: 'inprimitus iram Dei omnipotentis incurrat et ante
tribunal Christi cum ipso sancto Petro in die iudicii de-
ducat rationes, et insuper'. Der oben genannte Heilige bei
ihm ist also in der Urk, von 685 der H. Petrus, der oben unter
den Patronen an erster Stelle genannt war, und diese praktische
Verwendung des Kirchenheiligen zum Schutze der Stiftungen hat
Marculf dem Petruskloster in St. Bertin abgelernt^). Die Corro-
borationsformel von Marculf II, 6 (S. 79, ii) stimmt in der Schrei-
bung 'vindicare' statt des gewöhnlichen 'evindicare' mit einer Tausch-
urkunde von Tuncionis-Vallis im Archiv von St. Denis von 691 ^)
überein. Die Motivierung der Tat des Kirchenfrevlers mit den
Worten (S. 79, e) : 'calliditate commotus aut cupiditate preventus',
stammt aus dem bischöflichen Privileg Burgundofaros, mit dem auch
das Privileg des Bischofs Berthefrid für Corbie zusammenhängt*),
und nur der Zusatz 'commotus' ist Eigentum Marculfs. Anderes ist
sehr wahrscheinlich der Schenkungsurkunde des Amandus über Ba-
risis-au-Bois für seine dortige Klostergründung 666^) entnommen,
und auch die kgl. Schenkungsurkunde über dieselbe Villa für Amandus
663 hat Marculf wieder einzelne Brocken geliefert®), die wir ihn
schon oben für seinen Zweck benutzen sahen.
Eine solche Bezugnahme auf den Patron fand ich noch in der Schenkungsurk.
des Herz. Godefridus für S. Arnulf in Metz von 691, Pardessus II, 216.
1) Guörard, Cartulaire de Saint-Bertin S. 31. 55.
2) Die mit der Urk. von 685 fast gleichlautende von 745 (S. 53) beginnt
'Sicut Dominus in euangelio ait', während in jener noch 7 Zeilen vorangehen, die
fast wörtlich mit dem Anfang des Prologes bei Marculf II, 2 stimmen, indessen
in ihrem unvollständigen Abbrechen und durch die Beschaffenheit des Textes den
Eindruck eines späteren Zusatzes machen zur Verschönerung des etwas plötzlichen
Anfanges, wie er in der Urk. von 745 vorliegt.
3) Pardessus II, 220.
4) N. A. XXXI, S. 371.
5) Pardessus II, 133. Amandus schrieb wie Marculf (S. 79,,): 'vel reliquis
quibuscumque beneficiis', und stilisierte ähnlich wie jener (S. 79,7): 'quam ego
spontanea voluntate mea fieri rogavi'.
6) Pertz, Dipl. S. 25, Z. 40: 'habendi, tenendi, vel quicquid
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 263
In seiner Klosterzelle hätte natürlich ein Mönch wie Maxcnlf
eine solche Formelsammlung niemals zustande bringen können,
wenn er nicht zur Ergänzung des heimischen Materials mit aller-
hand fremden Klöstern in Verbindung trat, und die Ausstellung
eines neuen königlichen Klosterprivilegs war für ihn ein solches
Ereignis, daß die Erlangung einer Abschrift sein höchster Wansch
sein mußte. Selbst nach Burgund führen einige Spuren in seiner
Sammlung, und Beziehungen dorthin waren auch schon früher an-
genommen worden, aber mit ganz unstichhaltigen Gründen \\ Die
Formel I, 21 ist, wie schon Sickel gesehen hatte, mit einer Ur-
kunde Chlothars III. von 667 für das Kloster Beze*) verwandt,
und wenn dann für die Formel I, 33 ähnliche Umstände den Grund
der Beurkundung bilden, wie sie in dieser und einer anderen^)
Urk. von Beze geschildert sind, nämlich ein feindlicher Überfall
und der Verlust der 'instrumenta certarum', wenn ferner die Formel
I, 35 in erster Linie an einen Patricius gerichtet ist, den es außer
in der Provence nur noch in Burgund gegeben hat*), dann wird
man annehmen dürfen, daß Marculf auch in Burgund und zwar in
Beze oder in der Nähe einen guten Freund gehabt hat, der ihn
mit Materialien für sein Werk versorgte. Bei der Verwendung
der Formel I, 35 in König Pippins Kanzlei für die Privilegienbe-
stätigung des Klosters Honau*) ging der schwer unterzubrin-
gende Patricius durch die Andernng 'patribus' in den geistlichen
Stand über, und die Zurückführung der Privilegierung auf die
Einrichtung 'priscorum patrum' und der übrigen Bischöfe brachte
die Väter auch an die Stelle der 'sedes apostolica', die Marculf
hier nennt. Wäre es gestattet, unter dem apostolischen Stuhle
den Papst zu verstehen, was für diese Zeit allerdings keineswegs
sicher ist ^), so war die Zahl der vom päpstlichen Stuhle privilegierten
Klöster damals im Frankenreiche so gering, daß sich kaum an ein
anderes als das Martinskloster im Autun denken ^ ließe, das seinen
Freiheitsbrief Gregor I. verdankte.
b
I
elegerint faciendi liberam ac firmissimam per nostram auctoritatem ha-
beat potestatem'.
1) Widerlegt von Sickel, Beiträge zur Dipl. IV, 580; ürkundenlehre I, 113.
2) Pertz, Dipl. I, S. 41.
3) Ebenda, S. 40.
4) Waitz, VG. H, 2, 49 ^
5) M. G. Dipl. Karol. I, S. 16.
6) Immerhin ist der absolute Gebrauch des Ausdrucks ohne 'illius' zu be-
achten, der vielleicht gegen den Diöcesanbischof spricht, und sicher schreibt Mar-
culf in einem ähnlichen Falle (S. 42 j) 'ab i 1 1 o pontifice'.
7) Vgl. SS. rer. Meroving. V, 254.
Kgl. Ocs. d. Was. Nachridrten. Phil.-taist. KUsse. 1916. Heft 7. 18
264 Bruno Krusch,
Jedenfalls hat in der Diözese Antun, in dem unweit Beze be-
legenen Kloster Flavigny der dortige Abt Widerad schon am
18. Januar 722 ^) für sein Testament den Anfang der Marculf-
formel U, 17 benutzt, die auf eine Mehrzahl von Erblassern, Mann
und Frau, und ebenso von Legataren zugeschnitten ist, während
er als einzelner Mann und für seinen einen Legatar Amalsindas
nur den Singular gebrauchen konnte; er hat nun auch den Text
seinen Verhältnissen entsprechend umgeschrieben, aber leider einen
Plural stehen gelassen^), der seine Abhängigkeit von der Formel
noch heute verrät; er hat ferner das echte römische Testaments-
formular Marculfs, das mit der Erbeseinsetzung beginnt, aus Un-
wissenheit jämmerlich verhunzt. Sowohl Zeumer^) als ich*) haben
denn auch Marculf als Quelle angesehen. In Flavigny im König-
reich Burgund ist also der erste praktische Grebrauch von der
Formelsammlung gemacht worden, und in Flavigny ist später auch
die Umarbeitung und Erweiterung der Marculfschen Formelsamm-
lung entstanden, bei der jene von Widerad benutzte Formel um-
gekehrt wieder aus seinem Testamente vervollständigt wurde ^)
(in c. 8) und sogar noch ein Stück vom Datum: 'XV. Kai.' ange-
hängt erhielt, zu dem aus der Quelle 'Febr.' zu ergänzen wäre.
Durch welche Umstände unmittelbar nach der Vollendung des
Werkes ein Exemplar nach Flavigny gekommen ist, und über et-
waige Beziehungen des Verfassers zu diesem burgundischen Kloster
läßt sich nicht einmal eine Vermutung äußern. Bemerkenswert ist
aber doch, daß der von Widerad eingesetzte Legatar, der 'inluster
vir Amalsindo', also ein hoher Beamter, mit dem Königssiegel ('si-
gillo regio') das Testament des burgundischen Abtes untersiegelt
hat. War dieser Amalsindo der königliche Referendar? Die Ver-
mutung ist in der Tat geäußert worden^), und das natürlichste
wäre es wohl gewesen, wenn Marculf sein für die königliche
Kanzlei so wichtiges flilfsbuch nach der Vollendung sofort dem
Vorsteher derselben zugesandt hätte. Ein einzigartiger Fall ist
das 'sigillum regium' in einer Privaturkunde, und auf alle Fälle
schlägt sein Erscheinen in der ältesten Marculfentlehnung die Brücke
von der stillen Mönchszelle in Meaux zu der Reichskanzlei. Es war
1) Pardessus II 323. Zur Datierung vergl. N. A. X, 94 und Levison, N. A.,
XXXV, 38
2) Er schreibt einmal 'tcstamenti nostri', vorher aber richtig 'testamen-
tum meum'.
3) N. A. XI, 357.
4) Ebend. XX, 540.
6) Zeuraer, Formulae S. 470.
6) Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre I, 369*.
Ursprung und Text von Marcnlfs Fonnelsammlang. 265
früher fast erstaunlich ^), daß die Urkimdenschreiber und besonders
die königlichen Notare ein so nützliches Buch, wie die Marculfsche
Sammlung, so lange nicht gekannt haben sollten: in dieser Be-
ziehung kommt das neue Ergebnis geradezu einem Bedürfnis ent-
gegen.
Die älteste nach Marculfs Muster stilisierte fränkische Königs-
urkunde ist von 744, und nur wenige Jahre früher haben sich die
Hausmeier seiner Sammlung zu bedienen begonnen. Das älteste mir
bekannte Beispiel liegt in der Schenkungsurkunde Karl Martells
für St. Denis 741 vor^j, die zum größten Teil nach der oben be-
sprochenen Formel II, 6 konzipiert ist, und dann folgt eine Im-
munitätsbestätigung*) Pippins, für die Marculf I, 3 benutzt wurde.
Schon vorher hatte im Elsaß Eberhard , der Sohn Herzog Adal-
berts, seiner Schenkungsurkunde für das Kloster Murbach von
728^), richtiger 735/7*), Marculfs Formeln für große Schenkungen
II, 2, 3 zu Grunde gelegt.
Wenn Marculf, wie es scheint, um die Wende des Jahres 721
seine Formelsammlung beendete, so schrieb er unter Karl Martell,
als eine Reihe von Schattenkönigen sich auf dem fränkischen Throne
folgte und die faktische Regierungsgewalt bereits der Majordomus
ausübte. Das Vorrücken des Majordomats in die Thronrechte kommt
in der Tat in unsem Formeln nicht bloß an einer Stelle zur Er-
scheinung. Anträge von Bürgern (I, 7) und Gaugenossen (1, 34)
wurden an den König und den Majordomus gerichtet, und diesen
reden die Bürger als ihren 'senior communis (I, 7) an, so daß
man ihn sogar mißverständlich für den König selbst gehalten
hat'), obwohl über die Bedeutung des streitigen Ausdrucks kein
I
1) Zeumer, Formulae S. 34.
2) Pertz, Dipl. S. 101. Vgl. Sickel, Urkundenlebre I, S. 116. Der Satz
^agere aut aleqaam calumniam generare voluerit' stammt aus dem Formular einer
anderen ürk. und findet sich ebenso in den Urkk. für Uonau 722/3 . Pardessus
II 337. 341.
3) Für Pertz, Dipl. I, S. 87 ff. war Marculf I, 2 die Vorlage.
4) Für S. Vincenz in Mä^on von 743, Pertz, Dipl. I, S. 104.
5) Pardessus II, 355, vgl. Zeumer, Formulae S. 33.
6) Lenson, N. A. XXVII, S. 382. 388.
7) Roth, Gesch. des Beneficialwesens S. 371, hielt den Ausdruck unter Ver-
kennung der Bedeutung von 'veP (=: 'et") für eine Tautologie des Königs, und
auch Waitz, VG. II, 1^ S. 188, N. 3, versuchte noch eine Erklärung in diesem
Sinne, die Zeumer, Formulae I, 47, N. 1, nur für weniger wahrscheinlich hielt, also
nicht ganz ablehnte. Die Vergleichung mit der Formel I. 34 (S. 64, i,) macht es
zur Gewißheit, daß der Majordomus gemeint ist, und 'senior communis' darf viel-
leicht als „gemeiner Herr", d. i. 'dominus publicus', übersetzt werden.
. 18*
266 Bruno Krusch,
Zweifel sein kann, da an derselben Stelle der Hausmeier in der
anderen Formel (I, 34) steht. Wenn eine karolingische Überarbei-
tung^) für den veralteten Amtstitel hier die stolze Fürstenwürde
mit 'vel p r i n c i p i illo' einsetzt, welche die tatsächliche Machtstellung
des Hausmeiers besser zum Ausdruck bringt, so hat sogar schon Mar-
culf selbst in der Überschrift der Formel I, 24 dem Königsschutz den
Fürstenschutz des Major domus mit den Worten zur Seite gestellt:
'Carta de mundeburde regis et principe s', woraus bereits SickeP)
die Veränderung der Regierungsgewalt zugunsten des allmächtigen
Beamten richtig erkannte. Im Text der Formel heißt er noch Maior-
domus, doch erscheint der Schutz des Maiordomus und seine Ver-
teidigung als die eigentliche Ausführung des Königsschutzes, und
offenbar war dieser ohne jenen nichts mehr wert. Tatsächlich hat
den Schutzbrief für Bonifaz 723 der Hausmeier Karl Martell ausge-
stellt % und kein glänzenderes Zeugnis gibt es für die Verschie-
bung der Machtverhältnisse, wie sie Marculf vor Augen schwebt.
Als 'princeps' in der Überschrift ist der Maiordomus ein vielsa-
gender Kamerad des Königs, denn 'princeps' bezeichnet in den
echten Merovingerurkunden , auch noch in einer Arenga Marculfs
I, 5 (S. 45,18), ebenso wie in den älteren Geschichtsquellen*), den
König selbst und seine Verwandten, und wird erst seit Pippin II.
(t 714) und besonders Karl Martell allgemeiner dem Maiordomus
beigelegt ^). Schon Zeumer meinte daher, daß der Titel mehr einer
späteren Zeit als der Mitte des 7. Jahrh. entspreche.
Um 721/2 hat also der Mönch Marculf in seiner den Bischof
Landerich von Meaux gewidmeten Formelsammlung hauptsächlich
aus Klosterarchiven , zunächst des nahen Rebais , dann von St.
Bertin, Corbie, St. Denis, vielleicht auch von Beze die Formeln
für das weltliche und geistliche Urkundenwesen zusammengestellt,
und da es mit seinem Vorrat an weltlichen Urkunden schlecht be-
stellt war, nicht bloß einmal geistliche Urkunden für weltliche
Zwecke umgeschrieben , wie das Formular 1 , 14 für weltliche
Schenkungen und die Tracturia für königliche Gesandte I, 11 be-
1) Formulae Marculfinae aevi Earolini 19, S. 120; vgl. S. 114.
2) Beiträge zur Diplomatik III, 182.
8) M. G. Ep. III, S. 270 ; Bonifatii et Lulli epistolae, hersgg. von M. Tacgl
1916. S. 37.
4) Fortunats V. Radegundis c. 7; V. Arnulfi c. 16.
5) Vereinzelt wird schon der Maiordomus Erchinoald in der V. Balthildis
c. 2 'princeps Francorum' genannt. Pippin II. erhält nach der Besiegung Ber-
ohars im Lib. h. Fr. c. 49 direkt den Titel 'Princeps', während die Fortsetzungen
Frcdegars (c. 8) ihn noch 'dux' nennen und erst Karl Martell von 724 an (c. 11)
den stattlicheren Titel geben.
Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung. 267
weisen. Die nachweisbar von ihm benutzten weltlichen Urkunden
von historischer Bedeutung am Ende des 1. und 2. Buches be-
ziehen sich auf die Regierung des Teilreiches Australien und ver-
stärken nur den Beweis für Meaux, dessen politische Zugehörig-
keit man sich hüten muß darch die Nachbarschaft von Paris zu
bestimmen. Jene hochwichtigen weltlichen Dokumente, von denen
die Rede war, waren in den Archiven oder Registraturen der lo-
kalen königlichen Beamten zu finden , an die sie gerichtet sind,
und wenn man hier zunächst auf die betreffenden Beamten in
Meaux raten darf, so würden ihre Amtsakten den Hilfsquellen
Marculfs zuzuzählen sein. Manche allgemeinere Fassung in den For-
meln darf da nicht irreführen : so sind in der Überschrift der Be-
stallungsformel I, 8 Dakat, Patriziat, Comitat in dieser Reihen-
folge angegeben, im Texte fast umgekehrt zuerst die 'comitia' und
dann Dukat, Patriziat, und augenscheinlich entscheidet der bei-
gefügte Verwaltungssprengel , der Gau ('in pago illo') , für den
Grafen : war die zu Grunde liegende Bestallungsurkunde ursprünglich
für ihn berechnet, und hat ihr erst Marculfs Feder allgemeinere
Anwendbarkeit gegeben, so ließ sich dieses Verfahren bei ihm
noch öfter beobachten. Er liebte auch die Formeln teilweise mo-
saikartig zusammen zu setzen, indem er Flicken bald daher, bald
dorther nahm, ohne daß gerade die erhaltenen Urkk. ihm immer vor-
gelegen zu haben brauchen, sondern vielleicht nur ähnliche. Bei allen
Mängeln seiner Formelsammlung darf aber nicht vergessen werden,
was er mit den unzureichenden IVIitteln und ohne größere prak-
tische Erfahrungen geschaffen hat, und vor allen Dingen, daß er
als Schulmeister eine ihm ziemlich fernliegende, für die Staatsver-
waltung äußerst wichtige Arbeit in Angriff nahm , die eigentlich
die Beamten der königlichen Kanzlei hätten ausführen sollen.
Wenden wir uns nun zur Textkritik, so hat Zeumer die vor-
handenen Hss. A 1. 2. 3 B richtig bewertet ^) und seine Ausgabe
auf sachgemäßer Grundlage aufgebaut, so daß spätere Forschungen
nur an einzelnen Stellen zu bessern haben werden. Da es sich
aber bei Marculfs Formelsammlung um ein Hilfsmittel des prak-
tischen Geschäftsverkehrs handelt, das nach den Bedürfnissen der
Zeit durch Umordnungen, Streichungen und Erweiterungen ver-
1) in seiner Ausgabe S. 34 bezeichnet A 1 Leiden 114, 8°, saec. IX, A 2
Paris 4627, saec. IX, A3 Paris 10756, saec. IX, B Paris 2123, saec. IX, während
in seinem ersten Aufsatz N. A. VI, S. ISflf., noch unter Beibehaltung der Bezeich-
nungen de Rozieres die Buchstaben L A C B gebraucht sind.
268 Bruno Krusch,
ändert and auch stilistisch verbessert worden ist, so hat jede der
erhaltenen Hss. ihre Vorzüge und ihre Mängel, und die Textkritik bat
nicht bloß zwischen den Lesarten der verwandten Hss.-Grruppen A 1. 2
einer-, A3B andererseits zu wählen, sondern auch zwischen Kom-
binationen einzelner Hss. aus beiden Gruppen unter sich, besonders
in grammatischen Eigenheiten, die bald hier, bald dort die Feder des
Korrektors beseitigt hat. Bei diesem Stande der Dinge bieten einen
sehr willkommenen Maßstab für den Herausgeber die Merovinger-
urkunden, die entweder direkt Marculf als Quelle gedient haben, oder
doch seinen Quellen nahe stehen, und auch die auf seiner Samm-
lung fußenden karolingischen Urkk. können in einzelnen Fällen in
Betracht kommen, wenn sie auch nicht die Bedeutung haben, wie
jene. Seit Bignons und Lindenbruchs Tagen hat nun A 2 als die
vollständigste Hs. hervorragendes Ansehen genossen, die uns u. a.
die Vorrede Marculfs zusammen mit der Sammlung von Flavigny
(B), einer karolingischen Überarbeitung^), allein erhalten hat. Es
ist Zeumers Verdienst, die treuere Überlieferung , besonders auch
der merovingischen Sprache und Orthographie , in A 1 richtig er-
kannt und dieser Hs. den. Vorrang vor A 2 eingeräumt zu haben.
Ganz freilich hat er sich von dem alten Vorurteil nicht loszu-
reißen vermocht. Alle übrigen Hss. schieben sechs Formeln ein,
welche in A 2 fehlen , und wegen des Fehlens dieses Supplements
nahm Zeumer an, daß sich A 2 noch vor dieser Interpolation von
der gemeinsamen Überlieferung getrennt habe, gab also dieser Hs.
eine Sonderstellung gegenüber allen Hss., welche die Gegner zu
dem Versuche ermuntern konnte, ihr den verlorenen Ehrenplatz
zurückzuerobern. Das günstige Vorurteil, welches seine Annahme
erwecken mußte, fand er nun leider nur „teilweise" bestätigt; die
Lesarten von A 2 stehen im allgemeinen der gemeinsamen Quelle
keineswegs am nächsten, wenn auch Ausnahmen aus den oben ent-
wickelten Gründen vorkommen.
Zeumers Annahme stellen sich vor allem gemeinsame Fehler
von A 2 mit A 1 entgegen , die A 3 B verbessern , und es war
ein schweres Stück Arbeit, bei dieser Sachlage noch eine frühere
Abzweigung von A 2 glaubhaft machen zu wollen. Eine neue An-
nahme Zeumers führte diese Fehler schon auf die allen Hss. gemein-
same Vorlage zurück, so daß sie also ursprünglich auch in A 3, B
gestanden haben müßten, die sie tatsächlich nicht haben, und nun
wurde abermals eine Annahme nötig, um sie aus ihnen wieder weg-
zuschaiFen, was durch Korrekturen teils aus dem Zusammenhange,
1) Zeumer, Formolae S. 470.
Ursprung und Text von Marculfe Formelsammlung. 269
teils auch unter Zuhilfenahme eines besseren Exemplars geschehen
sein sollte. Zeumer hat drei gemeinsame Fehler von A 1. 2 als
Beispiele angeführt, wo also nach seiner Vermutung solche angeb-
lichen Korrekturen den Hss. A 3 B den Vorzug vor jenen ver-
schafft haben müßten : S. 42, 25 'servorum'] A 3 B richtig mit Dipl.
Dag., 'sanctorum' A 1. 2; 45, 21 'ut'] A 3 B; fehlt A 1. 2; 48, 13 'pro-
speritate (i')] A 3 B; 'proprietate (m)' A 1. 2, und auch unter den
sonstigen Übereinstimmungen zwischen A 3 B. die er aufzählt ^),
finden sich neben Fehlern einige richtige Lesarten *). Endlich sind
eine Anzahl richtiger Lesarten allein in A 3 überliefert, indem das
sehr unvollständige B entweder ganz fehlt oder als Überarbeitung
für die Textkritik nicht in Betracht kommt. A 3 hat allein S. 79, 8
'inprimitus' vor *iram trine maiestatis incurrat' überliefert, das
die Urkunde von St. Bertin 685 und die Karl Martells 741 % also
Quelle und Ableitung, bestätigen. Es hat auch allein die Formel
II, 37 vollständig erhalten, wo A 1 ganz fehlt und A 2 ein paar
Zeilen überspringt. In erheblichen Gegensatz setzt sich dann A 3
zu A 2 und sogar zu A 1. 2 in der Fassung einzelner Überschriften
des zweiten Buches (II, 38. 41. 52), und Zeumers Text folgt hier
überall der anderen Überlieferung. Wenn man aber sieht, daß
im Kapitelverzeichnis am Anfang des Buches überall anch A 2
den Wortlaut von A 3 bestätigt , wo auch Zeumer unbedenklich
die Lesart dieser beiden Hss. in den Text setzt, daß ferner die
Abweichung von A 1. 2 in der Überschrift II, 41 nur die notwen-
dige sprachliche Verbesserung einer ungeschickten Stilisierung dar-
stellt *) , und ebenso II, 62 , wo außerdem noch 'ex ordinatione
dominica' von A3 in Übereinstimmung mit dem Register von
A 2 entschieden die Präsumption des höheren Alters gegenüber
'ex ordinacione regis' für sich hat und im Texte aller Hs. durch
die Wendung 'ex familia dominica' beglaubigt wird, dann möchte
man sich in diesen drei FäUen doch wohl besser für die allein in A 3
überlieferte Fassung entscheiden , wodurch zugleich die störende
1) N. A. VI, 25.
2) Der von Zeumer in der Ausgabe S. 47, ^ in Klammem gesetzte Zusatz
Ton A 3 B : 'dignanter' A vor 'adnuere' gehört in den Text nach der gleichlau-
tenden Stelle S. 64, j3, nach welcher auch 'iuxta' vor 'petentibus' in 'iusta' zu
bessern wäre, wie A 2. 3 schreiben.
3) In der Ausgabe steht 'inprimis' (Pertz. Dipl. I, S. 101, 4«), "wie in der
Urk. Karl Martells von 717, wo aber noch die Lesart der Hs. 2 (Pertz S. 97,45)
•inprimitus' die böse Wortbildung verbürgt, die sich in gebildeteren Zeiten na-
türlich nicht halten konnte.
4) 'Prestaria qui' von A 3 ist mit A 2 im Eapitelverzeichnis in 'Precaria
qui' zu verbessern.
270 Bruno Erusch,
Disharmonie der Überschriften des Textes mit dem Kapitelver-
zeichnis beseitigt würde. Stimmt man mir darin bei, dann liegen
hier willkürliche stilistische Abänderungen schon der Vorlage von
A 1. 2 vor, von denen allein A 3 unberührt geblieben ist.
So wenig der Hs. A 1 die treuere Wiedergabe der merovin-
gischen Grrammatik und Orthographie bestritten werden soll, so
verdient doch an einigen Stellen auch in dieser Beziehung A 3 den
Vorzug, dem bisweilen sogar A 2 gegen die Haupths. beipflichtet,
und auch hier läßt sich immer dann mit größerer Sicherheit eine
Entscheidung treffen, wenn Parallelen in den erhaltenen Urkk. einen
festen Maßstab liefern. Auf Grrund solcher Zeugnisse möchte ich
folgende Änderungen des Zeumerschen Textes nach A 3 oder A 2. 3
vorschlagen: S. 52, le 'termino'] 'termine' richtig A2. 3 nach Chil-
perichs Urk. von 717 (Pertz S. 77, 32. 4o) und so auch Marculf S. 77, 4.
S. 56, 17 'inlustris vir'] 'inluster vir' A 3 mit der benutzten Urk. für
Beze von 667 (Pertz S. 41,9) und ebenso Marculf S. 41, u. 67, 11,
wie auch S. 68, 1 'inluster ('inl.' A 3) vir', aus der Urk. von 680
(Pertz S. 45, 25) herzustellen wäre. S. 59, s 'referendariis'] 'refren-
dariis' A 2. 3 mit der Urk. Chlodoveus III. (Pertz S. 58, 41), ja
sogar schon bei Gregor von Tours S. 389, 9 bezeugt ; vgl. Bonnet,
Latin S. 146. 434; J. Pirson, Le Latin des formules mörovingiennes
et carolingiennes (bei Vollmöller, Romanische Forsch. Erlangen 1909,
XXVI, S. 884. S. 65,5 'quae ad profectum pertinet'] 'qui ad pr.
pertenit' A3; 'qui pro affectum — pertenit' Urk. Childeberts III.
von 696 (Pertz, Dipl. S. 61,85). S. 78,22 'veniam delictis meis con-
sequi merear'] 'v. de delectis meis c. m.' A 3 mit der abgeleiteten
Urk. Karl Martells von 741 (Pertz, S. 101, si).
Gleich in der Überschrift des 1. Buches hatte Zeumer der
Lesart 'hinc' von A 1 so stark vertraut, daß er sie zu den wich-
tigeren Stellen für die vortreffliche Textbeschaffenheit dieser Hs.
rechnete ^), während *hic' von A 3 eine „unpassende" Korrektur
sein sollte, doch scheint mir der Gedanke, daß der Besitzer der
Formeln sie vom Kopftitel an besitze, selbst für Marculfs Bildungs-
stand zu trivial zu sein, und gerade die Lesart von A 3 stimmt
vielleicht besser, daß er „diese" Formel sich anzuschaffen beliebte
und nichts besseres wisse: 'cui hie formola habere placuerit et
melius non valit', was auch an einen in der Vorrede von Marculf
geäußerten Gedanken ^) wenigstens erinnert. 'Nee' für 'ne' in A 3,
1) N. A. VI, S. 29.
2) S. 37,10: 'Cui übet exinde aliqua exemplando faciat; enim si vero dis-
plicet, nemo cogit invitum'.
Ursprung und Text von Maurculfs Formelsammlung. 271
S. 47,9, gehört wohl in den Text, wie es S. 42, 15 von Zeumer auf-
genommen ist, und hier schützt es sogar das Privileg Dagoberts
für Rebais , worin Zeumer ^) eine Übereinstimmung Marculfs mit
der Quelle sogar in Fehlern erblicken wollte. Die Schreibung
findet sich schon bei Fredegar (S. 79,32) und ist auch noch bei
Paulus beobachtet worden^). So starke vulgärlateinische Mißbil-
dungen von A 3, wie die Rekomposition 'terratorio' und 'terra-
turio' (S. 72, 7) und 'coniuva sua' für 'coniuge sua', die die Freude
der Romanisten bilden'), sind wahrscheinlich eher später heraus-
korrigiert, als in den Text hineingebracht worden, und tragen also
den Stempel der Echtheit an sich. Andererseits kann die Ver-
gleichung einer zweifelhaften Form mit Parallelstellen des Verf.
auch der Grammatik wieder zu ihrem Recht verhelfen*).
Ein Gesamtüberblick über die besseren Lesarten von A 3 B
oder A 3 gegenüber A 1. 2 oder A 2 zeigt uns an einzelnen Stellen
eine so stark abweichende Überlieferung, daß rein zufällige Um-
stände wie nachträgliche Korrekturen zur Erklärung nicht aus-
reichen würden , und damit erledigt sich Zeumers Annahme. Er
war übrigens schon selbst bei der Ausarbeitung seiner Vorrede
(S. 35) schwankend geworden , ob seine Vermutung zutreiFe, und
wollte nun das Fehlen des Supplements in A 2 lieber auf einen Irrtum
oder Fehler zurückführen. Er hatte auch schon eine ziemlich
günstige Auffassung von A 3 gewonnen , daß es in vielen Einzel-
heiten recht gut sei. Es ist die einzige Marculf hs. , die ein Da-
tum trägt, indem zu der Überschrift der ersten Formel (S. 39, ts)
zugesetzt ist : *anno sexto regnante Carolo rege' = 774, vermutlich
das Jahr, in welchem ein Privileg auf Grund dieser Formel aus-
gestellt wurde.
Auf der anderen Seite haben aber auch A 3 B gemeinsame
Fehler und besonders gemeinsame Lücken, und an der von Zeumer
getroffenen Anordnung der Hss. darf nichts geändert werden. Die.
von ihm an die Spitze gestellte Hs. A 1 überragt alle anderen,
doch sind entschieden alte und echte Sprachformen bisweilen auch
nur in A 2 erhalten, und allein nach dieser Hs. möchte ich S. 63, is
'incensa' in Zeumers Texte in 'incenduta' verbessern, eine wenig
1) N. A. XI, 345, N. 2.
2) Waitz, N. A. 1, 562.
3) Vgl. Pirson a. a. 0. S. 932. 935.
4) S. 53,24 'absque ullus (so A 1.2) introitus indicum' würde die Lesart
'ollius' von A 3 {'ulius' B) wohl doch vorzuziehen sein , wenn man die gleichlau-
tenden Stellen S. 52,23. ,4. 54, ,8 vergleicht; dagegen ist 'absque introitus indicum'
alt und nicht zu ändern.
272 Bruno Krusch,
klassische Konjugation, die aber durch die karolingische Bearbeitung
der Lex Salica verbürgt ist ^). Auch die Vergleichung mit den er-
haltenen Urkk. entscheidet bisweilen zu Gunsten dieser Hs. Allein
A 2 schiebt in der Formel II, 6 S. 78, so 'aedificiis' nach 'domibus*
ein, das die beiden Quellen, die Urkk. des Amandus von 666 und
die von St. Bertin 685 , wie auch die abgeleitete TJrk, von 741
gleichmäßig bestätigen, und erklären ließe sich ja wohl, daß eine
solche ganz handgreifliche Tautologie an dieser Stelle von zwei
Abschreibern gestrichen wurde ; Marculf hat 'aedificiis' sonst stets,
aber allerdings einmal (S. 82, 4) fehlt es auch bei ihm in allen Hss.
Sicher würde weiter unten S. 79,9 die Lesart 'trini magestatis' allein
aus der Hs. A 2 aufzunehmen sein, denn 'trini maiestatis' liest auch
die im Original erhaltene Urk. von Vandemiris und Ercanberta
690 ^). Schwanken kann man , ob der Zusatz 'opposita' S. 89, gi
zwischen 'qualibet' und 'persona' auf echter Überlieferung oder In-
terpolation beruht, denn auch weiter unten S. 90,2? hat Marculf
die allbekannte Formel- ohne jenen gebraucht; sicher ist der Zusatz
'ligum' A 2, 'ligumina' B, und ebenso die Kopenhagener Hs.,
vor 'ligna' (S. 49, le) auf Grund des Zeugnisses von A 1. 3 zu
streichen, so glücklich auch die Stelle für die Interpolation ge-
wählt ist, denn er fehlt auch in der Quelle, der Zollurkunde für
Corbie 716.
Verdächtige Zusätze hat Zeumer sogar in AI gefunden und
auch gegen die Mängel dieser Hs. hat er sich nicht verschlossen.
Er hat selbst in I, 35 eine willkürliche Textänderung von A 1
nachgewiesen und wundert sich nur, daß es in derselben Formel
eine andere Stelle angeblich allein echt überliefere. Gemeint sind
die Worte 'gloriosi regni nostri petiit', wie allein A 1 schreibt, wäh-
rend A 2. 3. B 'gloriae regni nostri petiit' lesen, und Zeumer ließ
sich durch die Lesart des aus der Formel abgeleiteten Diploms
Pippins für Honau bestimmen ^) : 'gloriosi regni nostri maiestatem
peciit' ; nur meinte er, Marculf habe nicht 'maiestatem', sondern
'clementiam' geschrieben *). Nach seiner Auffassung würde also hier
eine Lücke in unserer Überlieferung vorliegen, und dieselbe Lücke
hätte auch das von der kgl. Kanzlei benutzte Marcnlfexemplar
aufzuweisen gehabt, so daß 'gloriosi' den Vorzug vor der Lesart
'gloriae' von A 2. 3 B verdienen würde. Das war ein Irrtum, denn,
1) Lex Salica c. 75 (ed. Hesseis col. 357): 'De basilica incenduta'.
2) de Lasteyrie, Cartulaire gdndral de Paris I, S. 18.
3) M. G. Dipl. Karol. I, S. 16.
4) N. A. VI, S. 36, Formulae S. 65.
Ursprang und Text von Marculfs Formelsammlung. 273
wie der eigene Text Marculfs ausweist (S. 55. 15. 56,1?), verbindet
die merovingische Sprache dieser Zeit 'petere' mit dem Dativ, und
'gloriae regni nostri subgessit' statt des gewohnlichen 'clemen-
tiae' schreibt auch die Urk. von Beze 665 ^). Die Lesart der Mehr-
zahl der Hss. liefert also eine tadellose merovingische Verbindung,
und 'gloriosi' von A 1 ist Schreibfehler , den auch die königliche
Kanzlei Pippins in ihrem Exemplare fand. Daß auch Zeumers
zweites noch „sichereres" Beispiel für die angeblich gleiche Lücken-
haftigkeit unserer Überlieferung und des karolingischen Kanzlei-
exemplars keineswegs so sicher war, wie er meinte, hat er hinterher
selbst gesehen und es zurückgezogen*).
Gewiß sind in Marculfs Formelsammlung Fehler und Mißver-
ständnisse vorhanden, wie ja auch in vorstehender Untersuchung
solche bereits nachgewiesen sind, aber es liegt kein Grund vor,
andere dafür verantwortlich zu machen als den Verfasser. Bei
einer Abweichung gegenüber dem Texte der Quelle in der Formel
1,2 (S. 42,10): 'ipsud si fuerit cum volontate abbatis' scheint trotz
der Unsicherheit unserer Überlieferung der Urk. Dagoberts: 'et
episcopus , nisi fuerit' diese doch den Vorzug zu verdienen, und
die falsche Auflösung der Abkürzung für 'episcopus' (= 'eps') jenes
'ipsud' verschuldet zu haben. Andererseits ist in derselben Urk.
Dagoberts (Pertz, S. 17, is) 'pecoribus' nach dem handschriftlich
besser beglaubigten Marculftext (S. 41,25) in 'corporibus' zu be-
richtigen, wie die Urkk. von 696 u. 716 (Pertz S. 62,5. 75,3?) lesen.
Fassen wir unser Urteil zusammen, so können wir nur Zeumer ')
beistimmen , daß keine der erhaltenen Hss. ein so überwiegendes
Ansehen verdient , daß man ihr blind vertrauen darf, und genau
genommen kann die richtige Überlieferung fast jede Hs. allein er-
halten haben. Wer heute eine neue Marculf ausgäbe machen wollte,
müßte die Arbeit gerade so anfangen, wie Zeumer, und im allge-
meinen kann man sich auf seinen Text verlassen. Im einzelnen
lassen sich allerdings die Keile tiefer treiben, und feine gründlichere
Ausbeutung der erhaltenen Merovingerurkunden, zu der dieser Auf-
satz nur die Anregung geben soll, würde Zeumers Ergebnisse auf
sichereren Boden gestellt haben, speziell auch der Textkritik zu
gute gekommen sein. Die vielen Möglichkeiten , die seine For-
schungen offen ließen, haben verhindert, daß seine richtige Er-
kenntnis voll zur Geltung kam, und ihn sofort nach Erscheinen
1) Pertz, Dipl. 1, S. 40, 4.
2) N. A. VI, S. 115.
3) N. A. XI, S. 352.
274: Bruno Krusch, Ursprung und Text von Marculfs Formelsammlung.
seines Bandes in eine Polemik verwickelt, die sich fast bis zuletzt
weiter gesponnen hat. Hier Licht und Schatten richtig zu ver-
teilen, war ein Bedürfnis und zugleich ein Gebot der Grerechtig-
keit. Wie ich mich hinsichtlich der allgemeinen Auffassung fast
in allen Punkten Zeumer anschließen konnte, so freue ich mich
doppelt, diesen Aufsatz mit der ausdrücklichen Anerkennung seiner
verständigen Arbeit beschließen zu können ^).
1) In meiner gleich nach Erscheinen des Zeumerschen Formelbandes ver-
öffentlichten Besprechung, in v. Sybels Hist. Zeitschr. Bd. 51, S. 515, verdienen
vielleicht noch heute Beachtung die Vorschläge zur Lesbarmachung des in den
Marculf-Hss. überlieferten schwer verdorbenen Prologes 'ad omnes potentes cupidos'
(N. A. VI, 21), besonders der Hinweis auf die 'Filii Jambri' in 1. Macc. 9, 36.
Zur Geschichte und Erklärung der ßosettana.
Von
Knrt Sethe.
Mit einer Abbildung im Text und einer Tafel.
Vorgelegt in der Sitznng vom 25. März 1916.
I. Zur Geschichte des Textes.
Wenn je ein Text das alte Wort „Habent sua fata libelli"
gerechtfertigt hat, so ist es der Text, auf den sich die Aegypto-
logie gründet, die „ Rosettana ". Seine Geschichte besteht aus
einer Kette seltsamer Schicksale, die z. T. mit den großen Ge-
schehnissen der Weltgeschichte in eigenartiger Weise verknüpft
erscheinen.
1. Das Dekret von Memphis.
Als im Jahre 205 v. Chr., am 28. Nov. ^), König Ptolemaios V.
Epiphanes, noch nicht 5 Jahre alt^), seinem Vater Ptolemaios IV.
Philopator, dem ersten in der langen Reihe entarteter Nachkommen
des Lagidengeschlechtes, auf dem ägyptischen Thron folgte, zeigte
das ägyptische Reich alle Symptome beginnender Auflösung.
Aegypten selbst war der Herd von immer wieder aufflackernden
Aufständen, die im Jahre 207/6 in Oberägypten zur Errichtung
eines selbständigen Königtumes mit der Hauptstadt Theben ge-
führt hatten. Die auswärtigen Besitzungen in Syrien, Kyrene,
und auf den griechischen Inseln waren durch die alten Rivalen
der Ptolemäer, die Könige von Syrien und Makedonien, Antiochos III.
1) 17. Paophi nach der Angabe der Rosettana (ürk. II 194, 3).
2) Geb. am 8. Okt. 209 = 30. Mesore nach der Angabe der Rosettana (ürk.
II 194, 1). Nach Hieronymas (in Dan. 11, 13) war er 4 Jahre {IV annorutn),
nach Justinus (30, 2, 6) 5 Jahre alt {quinquennis), als er König wurde.
276 Kurt Sethe,
und Philipp V., die sich bald darauf gegen Aegypten verbündeten,
stark gefährdet. Die größte Grefahr für das Reich aber zog, der
Gegenwart noch unbewußt, in den Römern herauf, die soeben
nach 14jährigem schwerem Ringen mit Karthago die Oberhand
behielten und alsbald ihre Blicke nach dem Osten wandten. Sie
warfen sich zu Beschützern des jungen Königs gegen seine Feinde
auf und begannen damit eine Vormundschaft über das Ptolemäer-
reich zu begründen, der sich auch die folgenden Herrscher der
Dynastie nie wieder ganz entziehen haben können.
Die Regierung für den unmündigen König führten, nach Er-
mordung seiner Mutter, der Königin Arsinoe, zunächst die Minister
Sosibios und Agathokles, die bereits seinen Vater in dessen letzten
Jahren völlig mit Hilfe von Mätressen beherrscht hatten. Nach
dem Tode des Sosibios und der Ermordung des Agathokles durch
den Alexandriner Pöbel lag die Regierung nacheinander in den
Händen der Söldnerführer Tlepolemos, Skopas und Aristomenes.
Diesem letzteren Regenten gelang es gegen Ende des 8. Re-
gierungsjahres des Königs (Sept. 197 v. Chr.) die Stadt Lykopolis
im busiritischen Grau, im Herzen des Nildeltas, in der sich die
unterägyptischen Rebellen verschanzt hatten, nach längerer Be-
lagerung zu nehmen. Die Führer der Rebellen wurden in Memphis,
der alten Hauptstadt des Landes, hingerichtet, vielleicht der ur-
alten Sitte der Hinopferung der Kriegsgefangenen folgend. Im
Anschluß daran ward der junge König ebendort, augenscheinlich
um die Gemüter der Nationalägypter zu gewinnen, nach den alt-
hergebrachten Gebräuchen der ägyptischen Könige zum König
gekrönt. Die ägyptischen Priester, die aus allen Teilen des
Landes, soweit sie der Herrschaft des Königs unterstanden, zu
dieser Feier zusammengekommen waren, faßten am 4. Xandikos
= 18. Mechir des Jahres 9 (27. März 196 v. Chr.) einen feierlichen
Beschluß, „die dem Könige und seinen Vorfahren in den ägypti-
schen Heiligtümern zustehenden Ehrenrechte zu vermehren".
Wie bei solchen Ehrendekreten ^) üblich, wurde diesem Beschluß
zunächst eine ausführliche Begründung vorausgeschickt, bestehend
aus einer Aufzählung der Wohltaten, die der König dem Lande
und insbesondere den Heiligtümern erwiesen haben sollte. Im
vorliegenden Falle waren es Befreiungen von Abgaben und Lasten,
die auf den Tempeln, ihren Besitztümern und ihrem Personal
1) Das älteste und am vollständigsten erhaltene Priesterdekret, das wir aus
der Ptolemäerzeit besitzen, ist das Dekret von Kanopus, das 238 v. Chr. zu tihrcn
des Königs Ptolemaios III. Euergetes und seiner Gemahlin Berenike erlassen wurde.
Zar Geschichte and Erklärung der Rosettana. 277
ruhten, Amnestie für Vergehen, Sorge iür das Heer, Aufhebung
der Pressung zam Dienst in der Flotte, "Wiederherstellung der
durch die Innern Unruhen gestörten Rechtsordnung, Amnestie für
die freiwillig zurückkehrenden Teilnehmer an den Unruhen, Schutz
des Landes gegen äußere Feinde. Niederwerfung des unter ägypti-
schen Aufstandes und Bestrafung der Rädelsführer in Memphis,
Fürsorge für den Kult des Apis und der Götter im allgemeinen.
Der Begründung folgte dann der eigentliche Beschluß, der
seinerseits eine Aufzählung und eingehende Bestimmung der zu
Ehren des Königs beschlossenen Maßnahmen enthielt. In unserm
Falle umfaßte er folgende Punkte:
1) In allen Tempeln des Landes soll eine Statuengruppe auf-
gestellt werden, die den König darstellt, wie ihm der jeweilige
Hauptgott des Ortes das ,, Siegesschwert" reicht, und die den
Namen „Ptolemaios der Rächer Aegyptens" führen soll.
2) Desgl. soll ebendaselbst ein Holzbildnis des Königs in einem
goldenen Schrein besonderer Ausstattung aufgestellt werden und
bei den Festesprozessionen mit den andern vorhandenen Schreinen
dieser Art herumgetragen werden.
3) Der 17. und 30. Tag eines jeden Monats soll zur Erinnerung
an den Thronbesteigungstag (17. Paophi) und den Greburtstag des
Königs (30. Mesore) in allen Tempeln festlich begangen werden.
4) Alljährlich soll am Anfange des Kalenderjahres in allen
Tempeln ein Stägiges Fest dem Könige gefeiert werden.
5) In die offizielle Titulatur der Priester soll auch der Titel
eines „Priesters des Grottes Epiphanes Eucharistos" aufgenommen
und in allen Urkunden und auf den Siegeln genannt werden.
6) Es soll auch Privatleuten erlaubt sein, ihrerseits einen
Schrein mit dem BUde des Königs wie den unter Nr. 2 genannten,
in ihren Häusern zu haben und die oben unter Nr. 3 und 4 ge-
nannten Feste zu begehen.
Den Schluß des Dekretes bildet eine Bestimmung über seine
Publikation. Sie lautete, wie es bei solchen Ehrendekreten der
Ptolemäerzeit allgemein üblich war, dahin, daß das Dekret auf
einem Denkstein {ötrjkrf) aus hartem Stein in den drei Sprachen
des Landes aufgezeichnet werden solle, nämlich:
1) in der alten längst erstorbenen, auf den Denkmälern aber
traditionell beibehaltenen Sprache der alten Literatur der Aegypter,
dem Altägyptischen (dem Lateinischen zu vergleichen), geschrieben
in der dafür üblichen alten Bilderschrift, den Hieroglyphen (Cegä
yganiiara),
278 Kurt Sethe,
2) in der lebenden neuägyptischen Sprache (dem Italienischen
zu vergleichen), geschrieben in der aus der Hieroglyphenschrift
abgeleiteten Kursivschrift, die wir demotisch nennen {eyxmQia oder
di]fiotLX« ygccfifiara),
3) in griechischer Sprache, geschrieben mit griechischen Buch-
staben {'ElXrjvixcc ygcc^fiuTCi).
Das solchergestalt auf einem Denkstein aufgezeichnete drei-
sprachige Dekret sollte in allen Tempeln ersten, zweiten und
dritten Ranges an sichtbarster Stelle aufgestellt werden. Wieviel
Tempel unter diese Bestimmung fielen, wissen wir nicht ; aber, da
ein jeder der 42 ägyptischen Gaue gewiß zum mindesten einen
Tempel dritter Ordnung aufgewiesen hat, so hätte das Dekret
nach den Intentionen seiner Urheber also mindestens in 42 Exem-
plaren hergestellt werden müssen. Und wenn davon auch die
Tempel des südlichen Oberägyptens, das damals wie gesagt unter
eigenen Königen stand, abzuziehen sind, und wenn auch wohl an-
zunehmen ist, daß der Beschluß für manches der kleinen Heilig-
tümer wohl nur auf dem Papier (richtiger Papyrus) stehen geblieben
sein wird ^), so mußte doch nach menschlichem Ermessen alles getan
sein, um den Ehrenbeschluß nicht bloß zur Kenntnis der Gegen-
wart zu bringen, sondern auch der Nachwelt zu überliefern. Gewiß
haben die Priester, die bei dem Beschlüsse mitwirkten, erwartet,
daß er auch nach 2000 Jahren noch der Nachwelt vorliegen werde,
wie ihnen selbst so unzählige alte Denkmäler im Lande vorlagen.
Und ebenso gewiß ist auch, daß sich keiner von ihnen hat träumen
lassen, welche besondere Rolle vom Schicksal ihrem Werke bestimmt
war, das doch nur ein Dutzendbeschluß, wie es viele seiner Art
gab, war. Niemand von ihnen konnte ahnen, daß schon nach einem
halben Jahrtausend für ihre eigenen Nachkommen nicht nur ihre
alte Denkmälerschrift, die Hieroglyphen, sondern auch ebenso die
Schrift der Gegenwart, das Demotische, ein Buch mit 7 Siegeln
sein würde, und daß es just ihr Beschluß sein würde, der nach
abermals V/t Jahrtausenden in der Hand der Nachkommen roher
Barbaren aus dem fernen Nordwesten zum Schlüssel zu der völlig
versunkenen Gedankenwelt des alten Aegyptens werden sollte.
1) Wie wenig genan es mit der Ausführung solcher Beschlüsse genommen
wurde, lehrt das Fehlen des griech. Textes bei den Philaedekreten (s. u.) und
bei dem Kom el Ilisn-Exemplar des Dekrets von Kanopus, wie das Fehlen des
demotischen und des griechischen Textes auf der Nobaireb-Stele.
Zar Geschichte und Erklänmg der Rosettana. 279
2. Der Stein von Rosette.
Es war im August des Jahres 1799 unserer Zeitrechnung, im
Fructidor des Jahres 7 der französischen Republik, kurz bevor
Napoleon Bonaparte seine so verheißungsvoll begonnene und
so jämmerlich endende ägyptische Expedition unter dem Druck
der englischen Seemacht aufgab und unter Zurücklassung der Reste
seines Heeres heimlich nach Frankreich zurückkehrte. Die fran-
zösischen Truppen behaupteten damals noch immer die ägj'ptische
Küste erfolgreich sowohl gegen die zur See operierenden Engländer
wie gegen die von ihnen als Sturmbock zu Lande benutzten Türken.
Bei Rosette, an der westlichen von den beiden Mündungen, durch
die sich heute der Nil ins Meer ergießt, arbeitete man an den
Befestigungen, die dieses Einfallstor des Nildeltas schützten. Bei
den Schanzarbeiten, die der Ingenieuroffizier Bouchard daselbst
leitete, stieß man am 2. Fructidor auf einen Inschriftstein aus
schwarzem Basalt, der 3 Inschriften in verschiedener Schrift trug,
eine hieroglyphische, eine demotische, die man zunächst irrtümlich
für syrisch hielt, und eine griechische^). Es war ein Exemplar
des oben besprochenen Priesterdekretes vom Jahre 196 v. Chr.,
das hier, seltsamerweise an einem Orte, der sonst keine Spuren
des ägyptischen Altertums aufzuweisen hat, nach fast genau
2000 Jahren wieder zutage kam. Die Bedeutung des Fundes wurde
sogleich erkannt.
Der Stein wurde zunächst nach Kairo gebracht, um von den
Gelehrten des ägyptischen Institutes, das Bonaparte dort be-
gründet hatte, studiert zu werden. Es wurden auch Abdrücke
von ihm genommen und nach Frankreich gesandt. Der Stein kam
dann nach Alexandrien. Dort befand er sich im Hause des fran-
zösischen Oberbefehlshabers Menou, als dieser im September 1801
vor den Engländern, die inzwischen ein Heer gelandet hatten,
kapitulieren mußte. In die Kapitulation waren ausdrücklich auch
die Altertümer eingeschlossen, die die Franzosen während der
3 Jahre ihrer Anwesenheit im Niltale zusammengebracht hatten.
Den Stein von Rosette, der Tür die Wiedererschließung des ägyp-
tischen Altertums so wichtig sein mußte, suchte man französischer-
seits bei der Ausführung der Kapitulationsbedingungen für Frank-
reich zu retten, indem man vorgab, er sei das Privateigentum des
Generals Menou und daher nicht in die Kapitulation einbegriffen.
1) Courier de l'Egypte No. 37 vom 29. Fructidor des J. 7, abgedruckt bei
Hartleben, Champollion II S. 565.
Kgl. Ges. d. Wis$. Nachrichten. Phfl.-hisL KUsse. 1916. Heft 2. 19
280 Kurt Sethe.
Der englische Oberkommandierendej Lord Hutchinson, bestand
indes auf der Auslieferung „mit gewohntem Eifer für die Wissen-
schaft". Einer seiner Offiziere, der nachmalige Greneralmajor
Turner, dessen Bericht an die Society of Antiquaries vom Jahre
1810^) diese Angaben zu entnehmen sind, ließ den Stein aus dem
Hause Menou's wegschaflPen „unter den höhnischen Spottreden
zahlreicher französischer Offiziere und Soldaten" (amidst the sar-
casms of numbers of French officers and men), die die Frankreich
damit angetane Schmach schmerzlich empfanden.
An Bord der im Hafen von Alexandria erbeuteten französischen
Fregatte ÜEgyptienne mußte der Stein die Reise nach England
antreten, wo er im Februar 1802 in Portsmouth landete. Im März
wurde er in den Räumen der Society of Antiquaries ausgestellt
und dann nach einigen Monaten in das Britische Museum über-
führt ^). Dort steht er nun, gleich den anderen ägyptischen Alter-
tümern, die die Engländer damals den Franzosen abjagten, mit der
stolzen Inschrift geschmückt: conquered hy the British armies, ein
sinnfälliges Denkmal für die Wandelbarkeit des Grlückes und auch
der Menschen, denkt man an die heutigen Dinge.
Wenngleich es den Engländern so gelungen war, den Fran-
zosen den kostbaren Stein selbst zu entreißen, sollte ihnen seine
geistige Eroberung doch nicht gelingen. Zwar bemühte sich der
große englische Physiker Thomas Young, auf den älteren Er-
gebnissen des Schweden Akerblad und des Franzosen de Sacy
fußend, nicht ohne Erfolg um die Bestimmung der hieroglyphischen
und demotischen Buchstabenzeichen, die in den griechischen Königs-
und Königinnen-Namen wie Ptolemaios, Kleopatra, Arsinoe usw.
vorkamen, aber die eigentliche Entzifferung der Hieroglyphen wurde
erst 1822 durch den Franzosen Frangois Champollion (geb.
1790), die der demotischen Schrift 1848 durch den Deutschen
Heinrich Brugsch gegeben.
Um das Verständnis des griechischen Textes, der den Aus-
gangspunkt dieser Entzifferungen bilden mußte, haben sich als
erste der Göttinger Heyne (1802) und der Franzose Ameilhon
(1803), später der Engländer Porson, der Franzose Villoison,
1) An Account of tlie Rosetta Stone by order of the President und Council
of the Society of Antiquaries of London 1811,
2) „where I trust ü will long remain, a most valuahle reite of antiquity,
the feeble, but only yet discovered link of the Egyptian to the known languages,
a proud trophy of the anm of Britain (I could almost sag spölia opima), not
plundered from defenceless inhäbitants, but honourablg acquired by the fortune
of war", so schließt Turner bezeichnenderweise seinen Bericht.
Zar Geschichte und Erklärung der Rosettana. 281
der Deutsche Dramann (1822) und vor allem der gcoße fran-
zösische Hellenist Letronne (1840) die größten Verdienste er-
worben.
Den demotischen Text, den B rüg seh undRevillout be-
arbeitet haben, hat zuletzt der Schweizer J. J. Heß in endgültiger
Form herausgegeben.
Der hieroglyphische Text ist, nachdem er seine Dienste als
Entziiferungsmittel get^n hatte, lange Zeit ziemlich unbeachtet
geblieben. Wir waren bis vor Kurzem für ihn noch immer auf
die alten Reproduktionen der Description de l'Egypte und von
Lepsius angewiesen. Erst 1913 gab die Direktion der ägyptischen
Abteilung des Britischen Museums eine gute Photographie heraus
in der kleinen Broschüre „The Rosetta Stone" aus der Feder von
Budge. Eine kritische Ausgabe unter Benutzung alles zugäng-
lichen Materials zur Herstellung des Textes ist zum erstenmal
von mir versucht worden in dem letzthin erschienenen Heft 3 der
von G. Steindorff begründeten Urkunden des ägyptischen Alter-
tums, Abt. IT. Dort habe ich den Text auf Grund von Abklatschen
und Photographien, mit Sat^eilung und Untereinanderstellung der
entsprechenden Worte des demotischen (in Umschrift) und griechi-
schen Textes, neu herausgegeben.
Der Stein von Rosette, nach dem wir das Dekret vom Jahre
196 V. Chr. die Rosettana nennen, ist uns nun aber nicht voll-
ständig erhalten. Es fehlt ihm ein beträchtliches Stück von der
rechten unteren Ecke des griechischen Textes (Enden der letzten
27 Zeilen) und ein kleines Stück von der rechten oberen Ecke
des demotischen Textes (Anfänge der ersten 14 Zeilen). Vom
hieroglyphischen Text ist überhaupt nur ein kleiner Teil erhalten ;
etwa die Hälfte der Zeilen ist ganz weggebrochen und der er-
haltenen unteren Hälfte fehlen ebenfalls noch große TeUe. Die
Verluste des demotischen und des griechischen Textes waren wohl
zu verschmerzen, da sich die Lücken fast sämtlich mit großer
Sicherheit ergänzen ließen^).
Umso schmerzlicher war für die Aegyptologie die starke
Verstümmelung des hieroglyphischen Textes, zumal in den ersten
Jahrzehnten des Bestehens dieser Wissenschaft, in denen der Be-
1) Nur an einigen wenigen Stellen des griechischen Textes, an denen der
ägyptische Text der Rosettana im Stich ließ, und der griechische Text für sich
nicht genügte, um den Zusammenhang bis ins Einzelne wiederherzustellen, hat
sich der durch Letro nne aufgestellte oder von seinen Vorgängern übernommene
Wortlaut als der Verbessening bedürftig erwiesen. S. hierzu den 2. Teil dieser
Arbeit.
19*
Kurt Sethe,
sitz einer Bilinguis einen unendlich viel größeren Wert hatte, als
heute, wo man ihrer als Hülfsmittel zum Verständnis der Sprache
kaum noch bedarf.
3. Das 1. Dekret von Philae.
Es ist daher durchaus verständlich, mit welcher Freude die
gelehrte Welt im Jahre 1844 die Kunde vernahm, daß die von
Lepsius geleitete große preußische Expedition das Glück gehabt
habe, auf der Insel Philae ein Duplikat des hieroglyphischen und
demotischen Textes der Rosettana neben einem zweiten Dekret
andern Inhalts aufzufinden, leider stark beeinträchtigt durch Re-
liefs und Inschriften eines spätem Ptolemäers (Neos Dionysos),
die darüber geschnitten sind und den Text der beiden Dekrete
tatsächlich zu einer Art von Palimpsest gemacht haben ^).
Die Pariser Akademie entsandte noch während der Dauer der
Lepsius 'sehen Expedition Herrn Ampere nach Aegypten, um
Abdrücke von den Inschriften zu nehmen. Es knüpfte sich daran
ein törichter Prioritäts streit. Französischerseits beanspruchte man,
insbesondere der auf dem Gebiete des damals noch unentzifferten
Demotischen dilettierende Ingenieur de Saulcy, einerseits die
Ehre der Entdeckung des Philae - Dekretes für Champollion,
der die Inschrift in seinen Notizen zwar erwähnt, aber ihren In-
halt nicht erkannt hatte, andererseits suchte man zugleich die
Wichtigkeit des Fundes herabzusetzen, indem man die mangel-
hafte Erhaltung des Textes hervorhob und behauptete, das
Dekret habe mit der Rosettana überhaupt nichts zu tun. Dem-
gegenüber konnte Lepsius^) mit Recht betonen, daß es nicht
darauf ankomme, etwas zuerst mit Augen zu sehen, sondern seine
•Bedeutung zuerst zu erkennen. Zugleich zeigte er das wahre
Verhältnis des Philae-Textes zur Rosettana auf. Es handelt sich
dabei in der Tat nicht, wie es beim ersten Anblick geschienen
hatte, um ein richtiges Duplikat des Dekretes vom Jahre 9, sondern
um eine Republikation desselben^) vom Jahre 21 des Königs
1) Der zugehörige griechische Text fehlt bei beiden Dekreten. Lepsius
nahm an, daß er vielleicht nur in roter Farbe auf den freien Raum unter dem
demotischen Text aufgemalt gewesen sei. Das ist möglich, aber keineswegs not-
wendig (s. u.).
2) Z.D.M.G. l,264ff. Rev. arch. IV (1847), 1 ff. 241 ff.
3) Auf das Dekret vom Jahre 9 wird, was Lepsius noch nicht gesehen hat,
in dem Texte an zwei Stellen Bezug genommen : „das Dekret, das die Priester
der Tempel gemacht haben im Jahre 9 unter der Majestät des Königs Ptolemaios,
<]es ewig Lebenden, von Ptah geliebten, zu seinen Ehren" Urk. II 207, 4 ff.; „das
Dekret vom Jahre 9" ib. 210, 5.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 283
(185/4 V. Chr.) mit dem Zwecke, die im ersten Dekrete dem Könige
zuerkannten Ehren nun auch in sinngemäßer Weise auf die Königin
Kleopatra auszudehnen, die Tochter Antiochos' III., die Ptolemaios
inzwischen als Gemahlin heimgeführt hatte.
Demgemäß zeigt der eigentliche Beschluß in diesem Dekret
im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie die ßosettana, nur
mit den auf die Königin bezüglichen Zasätzen. Die ihr zuerkannten
Ehren bestehen darin,
1) daß ihre Statue neben der des Königs und des Ortsgottes,
der ihm das Siegesschwert reicht, aufgestellt werde (TJrk. II
206-207).
2) daß ein Holzbild der Königin zusammen mit dem des Königs
in einem und demselben tragbaren Kapellenschrein aufgestellt und
bei den Prozessionsfesten herumgetragen werde (ürk. II 203 — 209).
3) daß dieser Schrein neben der Krone des Königs eine
Königinnenkrone als Abzeichen tragen solle (Urk. 11 209 — 210).
4) daß neben den Gredenktagen, die der Geburt und der Thron-
besteigang des Königs galten, ein solcher Gedenktag wegen der
Geburt der Königin (23, Thoth) allmonatlich am 23. Tage in den
Tempeln begangen werde (Urk. II 210 — 211).
5) daß das Stägige Jahresfest am Anfange des Monats Thoth
dem König und der Königin gefeiert werde (Urk. II 211 — 212).
6) daß die Priester den Titel eines „Priesters der beiden er-
schienenen Götter" (d. i. QeoI imcpavsts) führen sollen (Urk. II 212).
7) daß es den Privatleuten freistehen solle, auch ihrerseits in
ihren Häusern dem Königspaar diese Ehren zu erweisen (Urk.
n 213).
Dagegen weicht die Begründung für den Beschluß, die wesent-
lich kürzer gehalten ist, erheblich ab, indem einerseits die Dinge,
die im Jahre 9 hochaktuell gewesen waren, jetzt aber ihr Interesse
verloren hatten, wie die Niederwerfung des unterägyptischen Auf-
standes und die Amnestie für die Teilnehmer, unerwähnt bleiben
mußten, andererseits neue Wohltaten des Königs und auch gewisse
Verdienste der Königin zu rühmen waren. Unter den ersteren
sind zu nennen:
1) Erlaß der Abgaben, mit denen die Tempel und die Priester -
Schaft im Rückstände geblieben waren bis zum Jahre 19 (ürk. 11
202 — 203), d. i. dem Jahre, in dem nach dem 2. PhUae-Dekret die ober-
ägj-ptischen Rebellen besiegt wurden und ihr Reich zerstört wurde.
2) Wiederherstellung der für den Kult der Arsinoe Philadelphos
und der Götter Philopatores festgesetzten Einkünfte, die während
der Unruhen geschmälert waren (Urk. II 203—204).
284 Kurt Sethe,
Der Königin wird nachgerühmt, daß sie Grold, Silber und
Edelsteine in großer Menge für den Kult der Götter und Göttinnen
des Landes hergegeben habe (Urk. II 204).
Auch die Gelegenheit, bei der dieser Beschluß zu Ehren des
Königspaares von den wiederum im Tempel von Memphis ver-
sammelten Priestern der ägyptischen Heiligtümer gefaßt wurde,
ist natürlich eine andere. Es ist die „Begegnung des Apis" {sjin.w
Sp, demot. mit dem bestimmten Artikel pi)^ eine Zeremonie, wie
sie nach der Mendes-Stele (Urk. II 36—37, aus der Zeit des Ptole-
maios Philadelphos) der König mit den vornehmsten der heiligen
Tiere der Aegypter zu vollziehen pflegte. Daß es auch im vor-
liegenden Falle der König war, der diese „Begegnung" in eigener
Person vollzog, ist in dem Texte zwar nicht ausdrücklich gesagt,
aber wohl anzunehmen, da gerade darin das Bedeutsame dieser
„Begegnung" gelegen zu haben scheint. Auch ist es a priori wahr-
scheinlich, daß es eben das Zusammentreffen mit dem Herrscher
bei solch einer festlichen Gelegenheit gewesen ist, das in der
Priesterschaft den Entschluß zur Ehrung des Königspaares auslöste.
Den hieroglyphischen Text dieses Dekrets von Philae, das wir,
zum Unterschied von dem daneben stehenden aus der Zeit desselben
Königs Ptolemaios' V. Epiphanes stammenden zweiten Dekret, als
Philensis I bezeichnen, findet man mit einer Umschrift des demoti-
schen Textes jetzt ebenfalls in dem genannten Hefte der „Urkunden
des äg. Altertums", in dem ich die Rosettana neu herausgegeben
habe, auf S. 198 ff. Die noch immer ausgezeichnet brauchbaren
alten Papierabklatsche der Lepsius sehen Expedition von 1843/5,
sowie die schönen Photographien der 1908—1910 von der Berliner
Akademie zur Aufnahme der dem Untergange geweihten Denkmäler
der Insel Philae entsandten "und von H. Junker geleiteten Ex-
pedition der Berliner Akademie der "Wissenschaften, ermöglichten
es mir, den Text, soweit er noch zwischen und unter den über-
geschnittenen Skulpturen späterer Zeit zu erkennen ist, fast über-
all zweifellos festzustellen.
4. Der Stein von Nobaireh.
So nützlich dieses Dekret von Philae, die Philensis I, auch
für die Wiederherstellung mancher Einzelheiten in der Rosettana
war (wie übrigens auch jenes 2. Dekret, das aus dem 19. Jahre
des Königs stammt und manche Parallelen zur Rosettana aufweist),
80 mußte es doch für alle die, die eine Wiedergewinnung des
ganzen verlorenen Teiles der Rosettana davon erhofft hatten, eine
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 285
rechte Enttäuschtmg sein. Noch war ja aber auf die Wiederauf-
findung eines der vielen Duplikate, die die ßosettana nach den
Schlußbestimmungen des Dekrets gehabt haben sollte, zu hoffen.
Diese Hoffnung schien sich denn auch zu erfüllen, als das
Museum von Kairo im Winter 1884/5 einen Denkstein mit hiero-
glyphischer Inschrift kaufte, der zu Nobaireh oder Nebireh bei
Damanhur im Delta gefunden worden war und ein Priesterdekret
aus der Zeit des Ptolemaios Epiphanes wie die Rosettana und die
Philaedekrete enthielt mit derselben Schlußbestimmung über die
Poblikation in den 3 Sprachen, obwohl der Denkstein selbst nur
den hieroglyphischen Text und zwar in recht schlechter Ausführung,
jedoch im Stile der Zeit, enthält.
In der Tat zeigte es sich bei Betrachtung des Inhalts, daß
der "Wortlaut nicht nur in vielen Teilen mit dem der Rosettana
wörtlich übereinstimmte, sondern z. T. auch verlorene Teile der-
selben in wünschenswertester Weise ergänzte. Andererseits waren
große Auslassungen zu beobachten und die ganze Datierung am
Anfang des Textes war völlig von der verschieden, die für die
Rosettana nach dem demotischen und griechischen Texte zu ver-
langen ist. Das Datum nannte nämlich nicht den 4. Xandikos =
18. Mechir des Jahres 9, sondern den 24. Gorpiaios = 24. Phar-
muthi des Jahres 23 (29. Mai 182 v. Chr.), und demgemäß waren
auch die eponymen Ptolemäerpriester, wie sie in der Datierung
der ptolemäischen Urkunden genannt zu werden pflegen, andere
als in der Rosettana vom Jahre 9.
Danach konnte es zunächst so scheinen, als ob wir es auch
bei diesem Denkstein von Nobaireh wieder mit einer abgekürzten
Republikation des Dekretes vom Jahre 9 zu tun hätten, ähnlich
der Philensis I. Und dies ist denn auch bis jetzt die allgemeine
Ansicht Aller gewesen, die sich, mehr oder weniger eingehend,
mit der Inschrift beschäftigt haben, sowohl der französischen Ge-
lehrten Bouriant^) und Baillet^), die die Inschrift zum Gegen-
stande besonderer Arbeiten gemacht haben, als ihrer Landsleute
Daressy^) und Bouche-Leclercq*), die bei Gelegenheit von
anderen Arbeiten auf sie Bezug genommen haben.
Sie erweist sich indes als falsch, sobald man nur einmal den
Wortlaut der Inschrift dem der Rosettana genau gegenüberstellt,
!)• Reo. de trav. 6, 1 ff.
2) Le d^cret de Memphis et les inscriptions de Rosette et de Damanhour
(1888).
3) Reo. de trav. 33,1. '
4) Histoire des Lagides I 369/370.
286 Kurt Sethe,
wie ich das in meiner Ausgabe dieses Textes getan habe. Hierbei
zeigt es sich zunächst — man sollte meinen auch für das blödeste
Auge leicht erkennbar — , daß die Auslassungen des Nobaireh-
Textes keineswegs derart sind, daß man diesen als eine „abgekürzte
Fassung'^, ein „abrege", ansehen kann. Es sind nämlich nicht
etwa ganze Abschnitte, Sätze oder zusammenhängende Satzteile
ausgelassen, sodaß das, was verblieb, einen brauchbaren Sinn gab,
sondern es fehlen Sätze und Satzteüe, die schlechterdings nicht
entbehrt werden können, wie z. B. in den folgenden Fällen (die
ausgelassenen Textstücke sind in eckige Klammern eingeschlossen):
„dieweil König Ptolemaios usw. [ tutj alles Gute" Urk.
n 173, 7.
„Seine Majestät ging nach der Stadt LykopoHs [im busiritischen
Gau, die durch die Rebellen für die Belagerung befestigt war,
indem viel Kriegsgerät in ihr war. Er schloß sie ein mit Mauern-,
Wällen und Gräben, wegen] der Rebellen, die in ihr waren'' Urk.
II 180,4-8.
„er dämmte ab alle Kanäle, welche führen zu [dieser StadtJ"
Urk. II, 181, 3.
„Seine Majestät setzte Fußsoldaten [und Reiterei an die Mün-
dung dieser Kanäle, um sie zu bewachen"] Urk. II 181, 6 — 7.
„[dieselbigen Kanäle waren es, die Wasser auf viel Land
brachten, indem sie waren] sehr tief" Urk. II 182, 2.
„er gab alles, dessen man bedurfte, [um einzubalsamieren] ihren
Leib, reichlich und prächtig" Urk. II 185, 6.
„der Anfang von allem [Guten, das gehört den] auf Erden
Lebenden" Urk. II 194, 4.
„[und man soll ein Fest feiern in allen Tempeln Aegyptens
dem] König Ptolemaios alljähtlich vom 1. Thoth bis zu 5 Tagen*
Urk. II 195, 6-8.
„und man soll diese Feste feiern allmonatlich, all[jährlich,
damit erkannt werde, daß die Bewohner Aegyptens den Gott
Epiphanes Eucharistos ehren, wie es recht ist. Und es soll dieser
Beschluß eingegraben werden auf einem Denkstein von hartem
Stein in der Schrift der Götterworte, der Schrift der] Briefe, der
Schrift der Griechen« Urk. II 197, 5—9.
Nicht selten sind bei diesen Auslassungen auch TeUe von ein-
zelnen Worten mit weggerissen worden, sodaß jetzt ein halbes
Wort auf ein anderes folgt, z. B. :
„Desgleichen das Geben des Rech[tes den Menschen, wie Thoth,
der Große und Große, tat. Er befahl aber auch wegen derer, die
wiederkommen würden von den Kriegsleuten und den iibrigen
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 287
Leuten, die an den Unruhen teilgenommen hatten, daß sie zurück-
kehren sollten an ihre Orte und daß bleiben sollte das Ihrijge in
ihrem Besitz" Urk. II 178, 8—179, 5. — ffier folgt auf das qj von
tp-nfr „Rechf unmittelbar das zu i^.t-sn „ihre Sachen", „das
Ihrige" gehörige, diesen Ausdruck beschließende Pluraldeterminativ.
„Die Rebellen aber, die gesammelt hatten Trup[pen und an
ihrer Spitze gestanden hatten usw., die Götter gaben, daß er sie
bestrafte in Memphis] am Feste der Uebernahme der Königsherr-
schaft von seinem Vater'' Urk. II 183, 1—5.
„Er ist ein Gott, der Sohn eines Gottes, den eine Göttin gab
[zu Boden, injdem er gleicht dem Horus, dem Sohne der Isis, dem
Sohne des Osiris" Urk. 11 173, 9—174, 1. — Hier sind die Worte
r ti ;,zu Boden", die den Ausdruck rdj r ti „zu Boden geben*'
d. i, „zur Welt bringen" vervollständigen, und das / von iiv-f „in-
dem er" ausgelassen.
„mÖ[ge man diese Tage, den 17ten und 30sten in jedem Monat,
als Fest feiern in allen Tempeln Aegyptens" usw.] Urk. II
194, 6 — 7. — Hier folgen auf den Anfangsbuchstaben des Wortes
iw.mj „möge" (eig. „gib") gleich die Worte „König Ptolemaios" von
Urk. II 195, 7 (s. ob. S. 286).
„indem ein Kranz an ihrem Haupte ist und ff estlich gemacht
werden die Altäre" usw.] Urk. II 196, 1.
Besonders arg ist aber dem Teile des Textes mitgespielt
worden, der den Zeilen 4—8 des hieroglyphischen Textes der In-
schrift von Rosette entsprach. Hier fehlt der ganze Anfang des
eigentlichen Beschlusses, also der springende Punkt des ganzen
Textes, und es schließt sich in Zeile 26 an den unterbrochenen
Satz von Urk. 11 185, 8 unmittelbar ein Stück aus Urk. II 192, 3,
ebenfalls mitten in einem Satze beginnend, an.
Nach alledem ist es klar, daß wir es nicht mit einem planvoll
hergestellten Textauszug, sondern mit einer sinnlosen Textver-
stümmelung zu tun haben.
Der Nobaireh-Text erscheint nach den angeführten Beispielen
in der Tat als eine Zusammenflickung einzelner aus dem Text
herausgerissener Bruchstücke. Dieser Eindruck wird durchaus
verstärkt durch den eigentümlichen Befund in Zeile 26 — 27. Dort
sind nach der Stelle, wo soeben die große Lücke konstatiert wurde,
zwei Bruchstücke des Textes umgestellt. Es folgen dort auf d&s
Wort wdn „Opfer" von Urk. II 185, 8:
a) die Worte von Urk. 11 192, 3 — 4: tp-'-sn m w" nb Cm mj Cr
tp-nfr m shn.w nb hr-tp gi{.t) „vor ihnen (ist) bei einer jeden
288 Kurt Sethe,
davon, wie es zu tun üblich ist bei allen Kronen, auf [diesen]
Kapellenschrein", welche Worte hinter das Stück b gehören.
b) die "Worte von ürk. II 191, 8—192, 3: gi{.t) sps \n] ntr pr
nb nfr . w hr-sn r rdj . t sÜ-wt gi{. t) tn m hrw pn r hntj rnp . wt
mwt-ivt dj shn.w 10 nw hm-f r iüniv{.t) „den^) herrlichen Kapellen-
schrein des Gottes Epiphanes Eucharistos mit ihnen (d. i. den
andern Schreinen). Damit erkannt werde dieser Kapellenschrein
von heute bis in alle Ewigkeit, soll man 10 Kronen seiner Majestät
setzen, indem eine Uräusschlange". Diese Worte gehören in Wahr-
heit vor die Worte des Stückes a und werden durch sie direkt
fortgesetzt.
c) die Worte von Urk. II 193, 3: [V'(. ^)] mjt.t [hr nh mh hr-s]
hr Tph-s iib ^[eine Uräusschlange] desgleichen [auf einem Korb,
unter dem eine Papyruspflanze ist,] auf seiner (des Schreines)
linken Ecke" mit der durch eckige Klammern angegebenen Aus-
lassung.
Von hier an läuft dann der Text wieder eine Strecke lang
in richtiger Folge fort.
Wie der Redaktor oder besser Verfertiger des Nobaireh-Textes
zu dieser sinnwidrigen Umstellung der Stücke (a vor b) kam, verrät
uns nun aber der Umstand, daß das Stück b mit demselben Zeichen
beginnt, das zugleich das Ende von a bildet, nämlich dem Wort-
zeichen (Ideogramm) für „Kapellenschrein". Dieses gehört also
beiden Stücken gemeinsam an. Und ebenso sollte auch c mit dem
Wortzeichen für V(.^) „Uräusschlange" beginnen, das am Ende
von b als Determinativ des synonymen Wortes ivnii-{. t) dasteht ^).
Es ist danach klar: der Redaktor hatte hier Bruchstücke
der Inschrift vor sich, die er so aneinander paßte, daß die Reste
des Bildes des Kapellenschreines resp. der Uräusschlange, mit
denen das eine Fragment schloß, sich mit den Resten des gleichen
Zeichens, mit denen das andere Fragment begann, zu einem vollen
Zeichen ergänzten.
1) Vorher fehlt „und mau soll in Prozession ausführen".
2) In korrekter Hieroglyphenschrift sollte freilich die Uräusschlange eigent-
lich in r'(.t) auf ihrem Schwänze ( ^ | liegen, in wnw{^.t) aber darauf stehen
Der Verfertiger unseres Steines kennt diesen Unterschied aber nicht,
iU
sondern gebraucht das letztere Bild (der stehenden Schlange) auch statt des
ersteren, so z. B. in dem Königstitol nb.ij, der an unserer Stelle gleich darauf
folgt (unter Weglassung des Korbes, auf dem die Schlange hier eigentlich liegen
soll). Ebenso in Zeile 1.
Zur Geschichte ond Erklärung der Rosettana. 289
Damit ist das Rätsel der seltsamen Textzerreißung, die der
Denkstein von Nobaireh an den oben zitierten Stellen zeigte, ge-
löst. Der Stein ist eben nichts als eine alte Reproduktion einer
Reihe von Fragmenten eines zertrümmerten älteren Originales.
Diese Lösung erfährt eine glänzende Bestätigung durch eine
Stelle in Zeile 9 des Steines (Urk. II 173, 4 ff.)- Dort sollen wir
die stereotype Eingangsformel für die Begründung des Beschlusses
lesen, wie wir sie in allen Priesterdekreten aus der Zeit des Pto-
lemaios Epiphanes (Phil. I., Phil. II., Rec. de trav. 33) angewendet
finden : „dieweil König Ptolemaios der Gott Epiphanes Eucharistos,
[der Sohn des Königs Ptolemaios und der Herrscherin und Herrin
der beiden Länder Arsinoe, der beiden vaterliebenden Götter, tutj
alles Gute" usw.
So steht auch, wie zu erwarten, da; nur fehlen die in eckige
Klammern geschlossenen Worte, die die Abstammung des Königs
von den Göttern Philopatores angeben, zusammen mit dem darauf
folgenden „tut" (hr ir), eine Auslassung, wie sie unser Stein, wie
gesagt, ja allerorten aufweist. Diesem Manko steht merkwürdiger-
weise aber ein Plus an anderer Stelle der Formel gegenüber.
Hinter den Anfangsworten m.^-ntj xcn „dieweil" schiebt unser Re-
daktor nämlich vor den Worten „König Ptolemaios der Gott
Epiphanes Eucharistos" die völlig sinnlosen Worte "^^ J '^^ \
ein. Sie sind nichts anderes als eine Kombination der verderbten
Ueberreste jener ausgelassenen Partie „der Sohn des Königs
Ptolemaios und der Herrscherin und Herrin beider Länder Arsinoe,
der beiden vaterliebenden Götter". Die sinnlose Zeichenkombination
^^ J ist der mißverstandene Schluß des Namens Arsinoe
( ^ ^^^^"^ i' ^^^ Reste des Endes des Namensringes hielt
der Redaktor für ein J, das im Hieratischen in der Tat ebenso
aussieht. Das darauffolgende, in seiner Vorlage vermutlich nicht
sehr wohl erhaltene JJ „die beiden vaterliebenden Götter"
T — r
ergänzte er zu | | | „von den Göttern (plur.) geliebt", wie er
ähnlich in Zeile 11 des Steines aus dem j^f} „die Tempel Aegyp-
tens" seines Originales ein fTO^ mit 3 statt 2 Wasserkriigen er-
gänzte (Urk. II 174, 5). Schließlich fügte er das Wort hi „und"
ans den Worten „des Königs Ptolemaios und der Königin Arsinoe"
290 Kurt Sethe,
hinzu. Vielleicht weil es anf einem Fragmente stand, das sich durch
seine Färbung oder sonstwie als aus der Nachbarschaft stammend
verriet, wie vermutlich auch das vorhergehende Stück aus ähnlichen
Gründen an seiner Stelle eingeordnet worden sein wird.
Aus der Natur des Steins von Nobaireh, wie sie sich uns hier
enthüllt hat, erklären sich nun auch eine Reihe von anderen un-
regelmäßigen Erscheinungen, die bei ihm zu beobachten sind. Zu-
nächst die zahlreichen Mißverständnisse, die sich in verschiedener
Weise äußern, nämlich in der Ersetzung einzelner Schriftzeichen
durch ähnlich gestaltete andere Zeichen ^), in der undeutlichen und
unbestimmten Wiedergabe mancher Zeichen durch aufgelöste Strich-
gebilde, die oft an die Wiedergabe der Hieroglyphen in modernen
Fälschungen oder in den älteren Publikationen des 18. und 19.
Jahrhunderts unserer Zeitrechnung erinnert^), in der unrichtigen
Anordnung der Zeichengruppen ^), in der Einsetzung völlig sinn-
loser Zeichen an Stellen, wo eine Lücke im Text klaffte*), also
da, wo am Rande eines Bruchstückes Zeichenspuren sichtbar ge-
wesen sein werden, die der Redaktor nicht erkannte, usw. Man
sieht aus alledem: der Verfertiger der Inschrift verstand nichts
von dem Inhalt. Da es sich bei dem hieroglyphischen Text tat-
sächlich ja um eine tote Sprache handelte, die nur besonders Ein-
geweihte noch lesen konnten, ist das nicht allzu verwunderlich.
Verschiedentlich ist zu beobachten, daß auf dem Steine wesent-
liche Bestandteile der Schreibung eines Wortes fehlen, die auf dem
Stein von Rosette richtig dastehen, daß aber der Raum, den diese
fehlenden Zeichen einnehmen sollten, frei gelassen ist ^). Man wird
1) Z. B. des h in Hjrni.t ürk. II 171,8 (Anm. f); des m 172,4 (Anm. d);
des Determinativs der Zeit (Sonne) in ^6 „Fest" 172,7 und in rk „Zeit" 175,3;
des nb 173,8 (Anm. f ) ; der beiden- Krüge von Icbji.wj 174,5 (s. dazu unten); der
beiden «^'-Zeichen 178,5; der strahlenden Sonne in Itnmm.t „Menschen" 175,5;
der Eule m 175,6; der Worte Jr r-pr.w 183,9; der Worte mjt.t {l)r.w „des-
gleichen" 194,8; hr-h'.t „früher" 194,2; des Wortes ntj 194,1; mir „gerade"
178,7 usw. Ständig schreibt der Stein q statt X, so in m ss mi' „sehr" 182,2;
ms' „Heer" 183,1; mnj und tr „Byssos" 184,3.
2) Z. B. Urk. II 177, 6. 8. 180, 4. 8. 182, 8. 5. 185, 6 und allenthalben (man
betrachte nur das Original oder eine Photographie).
8) Z. B. in mnfj.t „Truppen" ürk. II 175,2; Jft nw Irr „Weinberg" 176,5;
wn l}r „aufliegend", „geschuldet von" 184,2; mjt.t (l)r.w „desgleichen" 194,3;
nfrj.t r „bis zu" 183,9; riö-t tn „diese Stadt" 182,3; Is.t „Isis" 174,1; ntr.t
„Göttin" 173,9; ntj 173,4.
4) Z. B. Urk. II 194, 5 (nf statt sp „empfangen") ; ib. 197, 3 (pn statt O-
5) So z. B. der senkrechte Strich in (l)tf-s „ihr Vater" Urk. II 171, 8 (Anm. b);
desgl. in hrw pn „dieser Tag" ib. 172,2 (Anm. a) ; das zweite t in ntr.wj mr-jt
„die beiden vaterliebenden Götter" ib. 171, 3 (Anm. k); dasj? und das Determinatir
des bewaffneten Armes in ip „empfangen" ib. 194, 8.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 291
sich das nan nach dem, was oben ermittelt wurde, so erklären,
daß die betr. Zeichen auf dem Exemplar, das der Verfertiger des
Nobaireh-Steines als Vorlage benutzte, ursprünglich an ihrer rich-
tigen Stelle gestanden hatten, bei der Zertrümmerung der Inschrift
aber zerstört oder unkenntlich geworden waren.
Eine Besonderheit des Steines von Nobaireh ist es, daß er
den Text nicht, wie es im Allgemeinen üblich ist und auch bei
allen andern Dekreten der Ptolemäerzeit geschieht, von rechts
nach links schreibt, sondern in der umgekehrten Richtung. Das
geschieht ja bei hieroglyphischen Inschriften auch sonst nicht
selten; soviel wir sehen können, aber doch nur dann, wenn ein
triftiger Grund dafür vorliegt, wie z. B. bei Wand- und Tür-
inschriften, wo aus dekorativen Rücksichten eine Inschrift als
Pendant zur andern gestaltet werden soll, oder bei den Beischriften
zu Bildern, wo die Schriftzeichen in demselben Sinne zu stehen
oder zu gehen haben wie die im Bilde dargestellten Dinge, zu
denen sie gehören'). Es ist also zweifellos ungewöhnlich, daß in
unserm Falle, wo es sich um einen selbständigen, freistehenden
Denkstein handelt^ diese umgedrehte Schriftrichtung gewählt ist.
Man könnte danach auf den Gedanken kommen, daß ein Nicht-
ägypter (Grieche) den Stein verfertigt habe. Die stillosen Formen,
die manche Zeichen haben, würden dazu stimmen.
Eine weitere Eigentümlichkeit unseres Steines ist nun aber,
daß er im Gegensatz zu dieser von ihm im Allgemeinen angewandten
Schriftrichtung die einzelnen Zeichen oder auch Zeichengruppen
vielfach wieder umgedreht, gleichsam als Spiegelbilder, gibt, sodaß
sie nach rechts blicken und für sich allein von rechts zu lesen
sind, wie es bei der normalen Schriftrichtung der Fall ist. Es ist
daraus zu ersehen, daß das vom Verfertiger unseres Steines ko-
pierte ältere zertrümmerte Original die gewöhnliche Schriftrichtung
von rechts nach links mit nach rechts gewandten Bildern aufgewiesen
hat wie der Stein von Rosette und die andern uns im Original
erhaltenen Ptolemäerdekrete.
Auch in einem andern Punkte läßt sich für das verlorene
Original, das unser Stein wiedergeben sollte, eine TIebereinstimmung
mit dem Stein von Rosette feststellen. Vergleicht man die auf
den beiden Steinen, dem von Rosette und dem von Nobaireh, zu-
gleich erhaltenen Stücke (s. S. 292), so zeigt sich, bis auf einige
1) So läuft z. B., wenn zwei Menschen sich gegenüberstehen, die Beischrift
des einen der Beischrift des andern entgegen, sodaß sich die Schriftzeichenbilder
ebenso ansehen wie die Menschen selbst
292
Kurt Sethe,
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Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 293
geringfügige Verschiedenheiten an drei Stellen *), eine überraschende
Uebereinstimmung in der Orthographie und Zeichenanordnung ■^).
Sie ist umso bemerkenswerter, als es für beides in der Hiero-
glyphenschrift, zumal in der Spätzeit, keine bindenden Regeln
gab, und führt zu dem zwingenden Schluß, daß beide Texte (das
verlorene Original des Xobaireh-Steins xmd der Stein von Rosette)
auf einunddenselben Urtext zurückgehen müssen, dessen Ortho-
graphie sie möglichst zu bewahren suchten.
In dieser Uebereinstimmung liegt für uns die Gewähr, daß
dem Nobaireh-Stein trotz aller seiner Verderbnisse ein gewisser
Wert für die Rekonstruktion der verlorenen Teile des Rosette-
Steines zuerkannt werden darf. Wir dürfen danach aus seinen
Schreibungen Schlüsse auf die Fassung und Schreibung des Rosette-
Steines ziehen, wenn diese Schlüsse natürlich vielfach auch nur
negativer Art sein können.
Noch ein Punkt aber harrt der Aufklärung. Es wurde oben
schon erwähnt, daß der Stein von Nobaireh ein anderes, um
14 Jahre späteres Datum trägt, als die Rosettana, und daß er
deshalb in den Verdacht kommen konnte, eine Republikation des
alten Dekretes vom Jahre 9 zu sein, wie die Philensis I, die aas
dem Jahre 21 stammte. Daß eine solche Erklärung für den No-
baireh-Stein nicht zutreffen kann, liegt für uns jetzt aber auf der
Hand. Die oben festgestellten Uebereinstimmungen zwischen ihm
und dem Rosette-Stein in Fassung und Orthographie des Textes
schließen es schon aus. Nicht minder aber der Inhalt. Hinsicht-
lich seiner stimmt unser Stein überall mit der Rosettana überein,
auch da, wo die anscheinend um 2 Jahre ältere Philensis I von
der Rosettana so stark abweicht, wie z. B. in der Behandlung des
unterägyptischen Aufstandes und seiner Niederwerfung ün Jahre 8.
Vor allem aber nennt der Text des Dekretes in der Inschrift
von Nobaireh mit keinem Worte die Königin Kleopatra, auf die
doch die Republikation vom Jahre 21 ausdrücklich die dem Könige
früher zuerkannten Ehren ausgedehnt hatte. Auf dem Nobaireh-
Stein ist überall, in dem Beschlüsse selbst wie in seiner Begrün-
1) R. 11 = N, 29 {Hw.t-fmnli.t); R. U = N. 30 (m r.tc-pr nb ftr m-f m
und JSr vor dem Königstitel).
2) Bei dem Vergleich darf man natürlich die ohen erörterten Eigentümlich-
keiten, die, auf Rechnung des Verfertigers des Nobaireh-Steines gehen, wie die
Verwechslung und die Umdrehung von Zeichen, nicht außer acht lassen. Auch daß
der Stein das n niemals in seiner genauen Form (Wasserlinie) wie der Rosette-
stein, sondern stets abgekürzt als einfachen wagerechten Strich gibt, ist zu be-
rücksichtigen.
294 Kurt Sethe,
düng, nur vom König die Hede, wie in der Rosettana. Dabei
erhält der König ebenso wie dort stets den doppelten Ehrentitel
ntr fr nh nfr.tv „der erschienene (gleich der Sonne aufgegangene)
Gott, der Herr der Güte", der dem dsbg imcpavYig svxccQi6rog des
griechischen Textes der Rosettana entspricht. Der zweite Be-
standteil dieses Titels, das Prädikat nb nfr.w „Herr der Güte"
= sv%dQi6tog, fehlt nun aber bemerkenswerterweise in den beiden
Dekreten von Philae, die aus den Jahren 21 und 19 des Königs
stammen, ebenso wie in dem gleich zu erwähnenden Dekrete vom
Jahre 23 (demselben Jahre, das die Datierung des Nobaireh- Steines
nennt) und einem andern Dekrete vom 17. Audnaios des Jahres
20 (Kairo 22184). In diesen 4 Dekreten aus den Jahren 19—23
heißt der König überall nur ntr pr „der erschienene Gott" {^ihg
iTticpccvrlg). Es scheint daraus hervorzugehen, daß das Prädikat
svxKQLötog, das der König in griechischen Inschriften gelegentlich
auch noch nach seinem Tode erhält ^) , ihm in ägyptischen
Texten in den späteren Jahren seiner Regierung, zum min-
desten vom Jahre 19 ab, nicht mehr gegeben worden ist^). Wir
werden also auch aus diesem Grunde nicht glauben können,
daß das Original, das der Verfertiger unseres Steines bei der
Wiedergabe des Beschlusses und seiner Begründung kopierte,
wirklich aus dem Jahre 23 stammte. Mit andern Worten heißt
das: der Verfertiger unseres Steines wird die Datierung einem
anderen Denkmal entnommen haben. Sie wird bei dem zer-
trümmerten Steine, den er kopierte, verloren gewesen sein, wie
so vieles andere im Verlauf des Textes. Während er diese anderen
Verluste aber dem oberflächlichen Beschauer leicht durch einfache
Uebergehung der Lücken verbergen konnte, mußte er hier am
Anfange für Ersatz sorgen, da das Fehlen des Kopfes mit Datum,
Königsnamen und eponymen Priestern sofort jedem, der ägyptische
Denkmäler zu sehen gewohnt war, hätte auffallen müssen.
• Dieses zu postulierende Denkmal vom 24. Gorpiaios = 24.
Pharmuthi des Jahres 23 des Ptolemaios Epiphanes, das dem Ver-
fertiger des Nobaireh-Steines den fehlenden Kopf seiner Inschrift
lieferte, kennen wir nun in der Tat. Es ist ein Priesterdekret
wie die Rosettana und die Philae-Dekrete, das ebenfalls zu Mem-
phis beschlossen wurde und zwar bei ähnlicher Gelegenheit wie
1) z.B. Strack, Dynastie der Ptolemäer Nr. 98.
2) Auch in den Aufzählungen der Ptolemäer werden die Götter Epiphaneis
auf den ägyptischen Denkmälern der späteren Zeit immer nur „die beiden er-
schienenen Götter" ohne einen Zusatz, der dem ei^^^^tffroi der griech. Denkmäler
entspräche, genannt.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 295
die Philensis I, nämlich bei der „Begegnung des Mnewis" {shn.w
Mr-wr), eines neben dem Apis verehrten andern heiligen
Stieres. Den eigentlichen Anlaß zu dem Beschlüsse aber bot ein
Sieg, den Aristonikos, der Günstling des Königs, soeben, wie es
scheint, an der syrischen Küste davongetragen hatte. Auf einem
Denkstein, den das Museum von Kairo vor einigen Jahren erwarb,
und den Daressy im Jahre 1911 veröffentlichte^), hat sich uns
dieses Dekret in hieroglyphischer Fassung erhalten. Der Beschluß
selbst und, von Einzelheiten abgesehen, auch seine Begründung
haben mit unserm Texte bezw. mit der ßosettana nichts gemein;
dagegen deckt sich die Begründung zu einem großen Teile mit
der im 2. Dekret von Philae, das aus dem 19. Jahre des Königs
stammt und das gleichfalls den Aristonikos, hier als TJebermittler
der Nachricht vom Sieg über die oberäg. Rebellen, nennt.
Die Datierung dieses Dekretes vom 24. Gorpiaios des Jahres 23
stimmt nicht nur im Datum selbst, sondern auch in der Nennung
der eponymen Priester des Ptolemäerhauses mit der des Nobaireh-
Steines wörtlich über ein und zwar auch hinsichtlich des Punktes,
der oben erörtert wurde, der Nennung des Königs Ptolemaios
Epiphanes. Während der Nobaireh-Stein im eigentlichen Texte
des Dekretes, wie gesagt, stets in Uebereinstimmung mit der Ro-
settana vom Jahre 9 nur von dem ntr pr nb nfr.w „erschienenen
Gott, dem Herrn der Güte" (= ^sbs enirpav^s svxdQiöros) redete
ohne die leiseste Erwähnung der Königin Kieopatra, lesen wir
hier in Zeile 4 in der Aufzählung der vergötterten Ptolemäer,
denen der eponyme Priester dient, ebenso wie in dem Kairiner
Dekret vom 24. Gorpiaios des Jahres 23, ntr .wj pr „die beiden
erschienenen Götter" d. i. Qeol imtpavels (TJrk. 11 171,4). Und
das Gleiche steht versehentlich in Zeile 2 hinter dem Namen des
Königs (Urk. II 170, 8) statt des einfachen singularischen ntr pr
,der erschienene Gott, d. i. d-ebg ennpav^s (ohne den Zusatz rü>
nfr.w „Herr der Güte* = £v;fa9töTog), wie das Kairiner Dekret
vom Jahre 23 hier richtig hat.
An beiden Stellen hatte dagegen die Rosettana, nach Aus-
weis des demotischen und griechischen Textes, dieselbe Bezeichnung
für den damals noch unverheirateten König allein, die sie auch
im eigentlichen Texte des Dekretes überall, ebenso wie der No-
baireh-Stein sonst, verwendet: ntr pr nb nfr.w „der erschienene
Gott, der Herr der Güte" = ^sog inig)avrjg sviägiCtog.
1) Reo. de trav. 33, 1 ff. — Diese Veröffentlichung ist unzulänglich und ge-
stattet ohne Nachprüfung des Originads noch keine Verwendung für die Sammlung
der Urkunden des äg. Altertums.
Ksl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 2. 20
296 Kurt Sethe,
Daß der Verfertiger des Nobaireh-Denksteins die Datierung
von einem andern Denkmal entlehnt hat, als den übrigen Text,
scheint sich denn auch beim Betrachten des Steines selbst noch zu
verraten (s. die Tafel am Ende). Die Zeilen 1 — 7, die die Datierung
und den Beginn des Dekretes enthalten, zeigen einen andern
Schriftcharakter, als die übrige Inschrift. Die Zeichen sind auch
größer, tiefer eingegraben und besser ausgeführt. Die Zeilen sind
durch breitere und tiefere Linien getrennt. In Z. 8 ist die Schrift
dagegen schon ebenso leicht und flüchtig eingeritzt, wie im ganzen
Rest der Inschrift. Hier heißt der König denn auch gleich anders
als vorher, nämlich wie in dem übrigen Texte und in der ßosettana
„der erschienene Gott, der Herr der Güte".
Mit dem Anfang der Inschrift zusammen muß auch die bild-
liche Darstellung entlehnt sein, die der Stein von Nobaireh in dem
oberen Halbrund unmittelbar über der ersten Zeile trägt. Denn
sie zeigt den König, der (von rechts kommend) vor den Göttern
des Ortes (Sw, der ihm das Siegesschwert reicht, und seine löwen-
köpfige Schwester Tfn.t) und seinen königlichen Ahnen (3 Paare,
von links kommend) einen Feind ersticht, nicht allein, sondern in
Begleitung seiner Gemahlin.
Wie sich uns der Stein von Nobaireh nach diesen Ermittlungen
nun darstellt, ist er nicht nur ein merkwürdiges Glied in der Kette
seltsamer Schicksale, aus denen die Geschichte der Rosettana be-
steht, sondern bildet auch für sich eine große Merkwürdigkeit.
Versuche zur Herstellung zerstörter Texte aus Bruchstücken
werden im Altertum gewiß oft vorgenommen worden sein, reden
doch die Texte so oft von der Wiederherstellung des „zerstört
Gefundenen" ^), aber wir kennen bis jetzt kein zweites Beispiel,
wo wir das so evident erweisen und zugleich dem Verfasser des
hergestellten Textes so deutlich in die Karten sehen können. In
seiner Art steht der Stein von Nobaireh bis jetzt in der ägypti-
schen Altertumskunde durchaus vereinzelt da.
Haben wir nach alledem auch in dem Stein von Nobaireh
noch immer nicht eines der Schwesterexemplare der Rosettana.
sondern nur eine stark verstünmielte und vielfach arg verderbte
Kopie eines solchen vor uns, so ist der Nutzen, der daraus für
die Herstellung des hieroglyphischen Textes der Rosettana gezogen
werden kann, doch nicht unerheblich, eben wegen der nahen Ver-
wandtschaft beider Texte. Die Größe der Lücken, die in meiner
1) Es gibt in der alten religiösen Literatur der Aegypter nicht wenige Fälle
von Textverwirrung, die in dieser Weise erklärt werden könnten, z. B. Pyr. Spruch
263 ff. (vergl. Spruch 473. 481. 609).
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 297
Ausgabe der Rosettana noch unausgefüllt bleiben maßten, und die
Zahl der Verderbnisse, die sich vorläufig noch nicht heilen ließen,
ist nach Hinzuziehung der Philae-Dekrete, die manche Parallele
bieten, nicht mehr aUzugroß. Immerhin dürfen wir der Auffindung
eines wirklichen Duplikates der Rosettana noch mit gespannter
Erwartung entgegensehen.
5. Die Bruchstücke von Elephantine.
Dürfte man den Angaben von Clermont-Ganneau und
C 1 ^ d a t trauen, die bei ihrer vergeblichen Suche nach aramäischen
Papyri auf der Insel Elephantine im Jahre 1907 Bruchstücke des
hieroglyphischen Textes der Rosettana gefunden haben wollen,
ihren Fund aber bisher nicht veröffentlicht haben, so könnte viel-
leicht wirklich schon heute ein weiterer Schritt in der Herstellung
des Textes möglich sein. Man darf der Versicherung der beiden
französischen Gelehrten aber mit Skepsis gegenübertreten. Denn
die Insel Elephantine stand zur Zeit, als das Dekret der Rosettana
erlassen wurde, im Jahre 9 des Ptolemaios Epiphanes, nicht unter
der Botmäßigkeit des Königs, sondern gehörte entweder zum
Reiche der oberägyptischen Gegenkönige, die in Theben saßen,
oder zum Reiche der untemubischen Könige Ergamenes und seines
Nachfolgers, die sich auf der Insel Philae zwischen Ptolemaios IV.
Philopator und Ptolemaios V. Epiphanes als Bauherren einschieben.
Wir wissen aus dem Dekret, das sich uns auf der Insel Philae
neben der Republikation der Rosettana (Philensis I) aufgezeichnet
erhalten hat (Philensis II), daß die Macht der Eingeborenenkönige
in Theben erst im Jahre 19 des Königs Ptolemaios Epiphanes ge-
brochen und Oberägypten erst damals wieder der makedonischen
Herrschaft unterworfen worden ist^). Dasselbe ging auch aus den
Angaben der Bauinschrift von Edfu und den Datierungen der
thebanischen Rechtsarkunden aus dieser Zeit hervor"^).
Demnach ist es eigentlich so gut wie ausgeschlossen, daß das
Dekret der Rosettana auf der Insel Elephantine durch ein Exemplar
vertreten war. Was die französischen Gelehrten dort gefunden
haben, wird vielmehr voraussichtlich zu der Republikation vom
Jahre 21 (Philensis I) oder einem der andern späteren Dekrete
aus der Zeit des Königs, die sich ja vielfach in einzelnen Sätzen
nnd Wendungen mit der Rosettana berühren, gehört haben.
1) ürk. II 214 flf. üeber die historische Bedeutung dieses 2. Dekretes von
Philae gedenke ich an anderer Stelle zu handeln.
2) Brugsch Aeg. Ztschr. 16, 43fF.
20*
298 Kurt Sethe,
So steht denn der Stein von Rosette wahrscheinlich noch
immer als einziges von den vielen Exemplaren, die mit ihm gleich-
zeitig aufgestellt werden sollten, da*), durch das Schicksal zu
großen Zwecken für die Nachwelt aufgespart.
II. Zur Erklärung und Herstellung des Textes
mit besonderer Berücksichtigung des Griechischen.
Letronne ist seinerzeit immer wieder auf das Wärmste
dafür eingetreten, daß der griechische Text der ßosettana der
G-rundtext des Dekretes sei, aus dem die ägyptischen Texte erst
übersetzt seien. Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten.
Das meiste von dem, was Letronne an Beweisen für seine Auf-
fassung anführte, läßt sich auch umkehren und auf die Priorität
des ägyptischen Textes deuten.
Unbestreitbar erscheint es allerdings, daß der äg. Text die
herkömmlichen Einleitungsformeln der griechischen Dekrete, die
der griech. Text anwendet, nachahmt. Ihre äg. Aequivalente
sehen in der Tat unägyptisch genug aus. Das gilt vor allem für
das hierogl. hyC s^n.w nfr, demot. irm pi s^nj nfr „mit dem guten
Ereignis", das das griech. aya^ij xv%ri wörtlich übersetzt (Urk.
11188,1).
Im Uebrigen enthält der griech. Text aber tatsächlich eine
ganze Reihe von Punkten (Zweideutigkeiten, Ungenauigkeiten,
Seltsamkeiten des Ausdrucks), die schon Letronne und den
anderen Hellenisten, die sich vor ihm mit der Inschrift beschäftigt
hatten, viel Kopfzerbrechen gemacht haben und sie zu den scharf-
sinnigsten Auslegungen veranlaßt haben. Zieht man den ägyptischen
Text heran, so zeigt es sich nicht selten, daß diese Interpretationen
irrig waren, und daß sich die Anstößigkeiten, die der griech. Text
zu bieten schien, leicht erklären lassen, wenn man annimmt, daß
der Grieche den äg. Text übersetzt hat.
1) Der Stein von Menuf, in dem man in den ersten Zeiten nach der Auf-
tindung des Rosette-Steines die Ueberreste eines der Duplikate der Kosettana zu
besitzen glaubte, gehörte nach dem, was Du Bois-Aym(5 und Jollois in der
Description de TEgypte (Etat moderne, tome II, S. 99) darüber mitgeteilt haben,
zu einem andern Ptolemäerdekrete verwandten Inhalts. Dasselbe gilt von dem
Stein, den man gleichfalls während der Napoleonischen Expedition in einer
Moschee zu Kairo verbaut vorgefunden hatte (jetzt im Louvre C. 122), und in
dem man damals ebenfalls ein Duplikat der Rosettana vermutete. Er gehörte
einem Exemplar des Dekrets von Kanopus an.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 299
Macht man sich einmal die Umstände klar, unter denen ein
solcher Beschluß der äg. Priester, wie ihn unser Dekret enthält,
entstanden sein wird, so ist es a priori doch wohl das Wahrschein-
lichste, daß die Priester, die des Griechischen nur z. T. mächtig
gewesen sein werden, ihn zunächst in der lebenden äg. Sprache,
also dem Demotischen, abgefaßt haben werden. Dieser authentische,
in der Versammlung festgesetzte Beschluß wird dann der griechi-
schen Behörde zur Genehmigung unterbreitet worden sein, wozu
voraussichtlich eine griechische Uebersetzung eingereicht werden
mußte. Diese wird dann unter Umständen manche Abänderungen
erfahren haben und so konnte es sehr wohl dahin kommen, daß
die so abgeänderten Stücke dann ihrerseits wieder in das De-
motische übersetzt werden mußten. Der hieroglyphische Text
wird dann nach endgültiger Feststellung des "Wortlautes von be-
sonders gelehrten Priestern ins Altägyptische bezw. die Hiero-
glyphen übertragen worden sein. Diese Uebertragung ist vielfach
ziemlich frei.
Für die Priorität des Demotischen vor dem Griechischen, die
jetzt auch Bouche-Leclercq annimmt^), sprechen z.B. die Be-
schreibungen des Kapellenschreins (Urk, 11 191, 9 ff. = griech.
43—46) und der Statuengrnppe (ib. 189, 7ff. = griech. 38-40).
Sie sind im Demotischen viel ausführlicher als im Griechischen
und wirklich zweckentsprechend; im Griechischen fehlen hier so
viele Details, daß eine sinngemäße Ausführung des Beschlusses
nach der griechischen Anweisung schlechterdings nicht möglich
gewesen wäre^).
Die Priorität des demotischen Textes vor dem hieroglyphischen
verrät sich, abgesehen von der Wahl mancher Ausdrücke, wie
rsj.t „Stadt^ Urk. 11182,3, z.B. deutUch an der SteUe Urk. 11
189, 8 — 9 , wo im Hieroglyphischen eine altäg. Benennung über-
flüssigerweise in die lebende Sprache übersetzt ist, wie es im
demotischen Texte sinngemäß geschehen war (s. u. Nr. 19).
1. Urk. n 169, 9 (griech. 1). Man hat dieses %aQaXaß6vxos
xriv ßaCiXsCav nagä tov xccrgog ebenso wie die Erwähnung der
1) Eist, des Lagides I 368.
2) Dieser keineswegs unwesentlichen Verkürzung des Textes im griech. Teile
steht die versehentliche Auslassung des „geliebt von Ptah" hinter „Ptolemaios
der ewig Lebende" im demot. Texte ürk. 11 188,3 gegenüber, die Letronne
seltsamerweise als Beweis für die Priorität des griech. Textes nahm, obwohl es
sich doch gerade hier um etwas spezifisch Aegyptisches, den offiziellen altägyptisch
abgefaßten Namen des Königs handelt, den der demot. und der griech. Text
übersetzen.
300 Kurt Sethe,
^Uebernahme der Königsherrschaft von seinem Vater" Urk. II
172, 7 (griech. 8). 194, 3 (griech. 46/7) auf eine angebliche Berufung
des Königs zur Mitregentschaft an der Seite seines Vaters beziehen
wollen. Da ist es bedeutsam festzustellen, daß an unserer Stelle
die äg. Fassung des Prädikates, das zum offiziellen ag. Namens-
protokoll des Königs (seinem „Horusnamen") gehört, lautet: „der
als König erschienen ist an der Stelle seines Vaters". Es enthält
also nicht nur nichts von der Uebergabe der Königswürde durch
den Vater, sondern bezeichnet den König im Gegenteil geradezu
als Nachfolger seines Vaters, also ganz im Sinne der Auffassung
Letronne's, die Bouch^-Leclercq bekämpft hat. Das was
dieser und andere aus unserer Stelle herauslesen wollten, wird in
dem Namensprotokoll anderer Könige des Ptolemäerhauses tat-
sächlich in ganz anderer Weise ausgedrückt, nämlich durch Worte
wie „ihn hat sein Vater gekrönt" (Ptol. Philometor, Lepsius,
Königsbuch Nr. 699), „ihn hat seine Mutter gekrönt" (Ptol. Ale-
xander I, ib. Nr. 714).
2. Urk. II 170, 3. 6. 7 (griech. 2— 3). Let rönne wollte aus
der dreifachen Nennung des Sonnengottes in den Titeln und Prä-
dikaten ßciöiXEcog xad-ccTtSQ 6 "HXlos, g) 6 "HXtog sdcoxsv rijv vlxtjv
und vlov tov llXtov, die der König hier führt, schließen, daß es
zu Memphis einen Tempel des Helios (Phre) gegeben habe, wie es
dort auch einen Tempel des Ptah gab, mit dem der König in den
Prädikaten xvqiov XQiaxovraetriQCdcov xcc&ccjcsq 6 ""HcpaLötog 6 ^syag
(Urk. II 170, 2) und bv 6 "H(pai6rog idoxt^aesv (ib. 5) in Beziehung
gesetzt erscheint. Der Schluß, den auch Dittenberger noch
wiederholt, ist aber falsch, was für Nichtägyptologen zu bemerken
wohl nicht ganz überflüssig ist. Es handelt sich hier um Bestand-
teile der Königstitulatur und des Königsnamenprotokolls ganz
allgemeiner Art, die durchaus nichts Memphitisches an sich haben.
3. Urk. II 170, 4 (griech. 3). Die Worte ^syag ßaöLkevg räv
TS ava xttl t&v xccto jjojpöv werden seit Letronne wegen des
Nominativs auf den Sonnengott bezogen, mit dem der König vor-
her verglichen ist {xa^KTCSQ 6 "HXiog), und demgemäß wird das
r&v re avco xal r&v xcctco xfOQäv auf die oberen und unteren Teile
der Welt gedeutet. Die äg. Texte lassen aber keinen Zweifel, daß
dieser Nominativ ein Irrtum des griechischen Uebersetzers ist und
daß die Worte auf den König zu beziehen sind, also im Grenitiv
stehen sollten. Sie entsprechen dem alten hieroglyphischen Königs-
titel n-Sw.t-bj-t „König von Ober- und König von Untecägypten",
der hier wie üblich dem ersten der beiden in den ovalen Ring ge-
schlossenen offiziellen Namen des Königs (dem sogenannten Re'-
Zur Geschichte and Erklärung der Rosettana. 301
Xamen) vorangeht: „der Erbe der beiden vaterliebenden Götter,
von Ptah erwählt, User-keJ-re', das lebende Bild des Aman" (im
Griechischen und Demotischen übersetzt resp. paraphrasiert). Dies
wie die demotische Wiedergabe Pr-i n m ts . w ntj hrj ni ts . ic ntj
hrj „der Pharao der oberen Gaue (t^ouj) und der unteren Gaue"
(vgl. Phü. I d. 1 = Urk. II 199, 13) schließt auch die Deutung auf
„die oberen und unteren Teüe der Welt" aus.
4. Urk. II 172, 2—9 (griech. 6—8). Die nach dem üblichen
Schema gebaute griech. Einleitungsformel des Dekretes ^r/'qptöfia*
ol &QXLEQsls usw. öwax^svteg iv xä iv Ms[i<pei Ugä rfi rnuQ(f tavrij
elnav (vgl. im Dekret von Kanopus tlf^rfcpiöficc • et apjrtfpf r? 6vv~
iÖQ£v6uvT£s rccuTT] T7J iili'^Qtf iv TO SV KavGiTic) IsQä .... eiciuv) hat
bei aller Anlehnung an das griech. Vorbild doch im Aeg. eine ge-
wisse Umänderung erfahren müssen, um nicht zu unägyptisch
auszusehen.
Zunächst wurde das dem ra-vtr] trj rjuEQo: entsprechende hnc pn
„an diesem Tage" (auch im Demot. altertümelnd beibehalten in
der Schreibung hrw Ipn „an gedachtem Tage") unmittelbar hinter
das Datum gestellt, wie es in den Inschriften der Spätzeit üblich
ist'), vgl. „Jahr 7, Monat 2 der Winterjahreszeit, Tag 6", hrw pn
smi-tiu Ws-ir N.N. „an diesem Tage Bestattung des Osiris N.N.",
Sharp e, Eg. Inscr. 13. 48. Young, Hierogl. 48(ptolem.); „Jahr 1,
Monat 3 der Sommerjahreszeit, Tag 29" hrw pn spr si.t n-sw.t
'n^-n-s-Nfr-ib-r' r Wis.t „an diesem Tage Gelangen der Königs-
tochter 'Anch-nes-Nefer-'eb-re' nach Theben" Ann. du serv. 5, 85
(sait.).
Hierauf hatte der Ausdruck für das Geschehnis des betr.
Tages (im Aeg. meist ein Infinitiv) zu folgen. Im vorliegenden
Ealle mußte dies das dem griech. tl;r}(fi6^a entsprechende Wort
für „Beschluß" sein: hierogl. shi.iu (eig. „Gedenken"), demot. ivt,
vgl. Urk. II 197, 8 (griech. 53) und ib. 207, 5. 210, 5 (die oben
S. 282 Anm. 3 zitierten Stellen der Phil. I, die auf unser Dekret
Bezug nehmen).
Nunmehr hatte das logische Subjekt, die beschließenden Priester
(ot dgxiegslg etc.), zu folgen. In der hierogl. Fassung ist es hier
wie in allen anderen Priesterdekreten dieser Zeit durch ein völlig
sinnloses itv angeknüpft, das wie das zur Partikel gewordene
Hülfsverbum Iw „es ist", „es war" (kopt. e-, resp. epe-) aussieht.
1) In älterer Zeit läßt man stattdessen dem Datnm ein appositionelles hnc
«... „Tag des . . ." mit folgendem Infinitiv folgen, also so : „Jahr 7 usw., Tag
des Bestattens den N.N.", vgl. mein Verbum II § 586. 587.
302 Kurt Sethe,
Es findet sich vereinzelt anscheinend auch im demotischen Text
in ungewöhnlicher, vielleicht altertümlicher, Schreibung wieder
(Kanopus-Tanis), falls die betr. Gruppe nicht vielmehr als histo-
rische Schreibung des in Anm. 1 genannten in zu erklären ist.
Meist aber folgt das logische Subjekt dem Worte „Beschluß" im
Demotischen unvermittelt (Rosettana, Kanopus-Kom el Hisn), wie
in der oben zitierten Stelle Ann. du serv. 5, 85, also anscheinend
als Grenitiv^). Stattdessen findet es sich aber in Phil. I durch
l . Ir angeknüpft, d. h. die historische neuäg. Schreibung der ßelativ-
form des Verbums tr „tun". Diese Form wäre nach neuäg. Gre-
brauch hier auch durchaus am Platze, vgl. (Datum) hrw n s^k l.ir
rmt Hij pij-j Iff r pi ^r „der Tag des Eintretenlassens, das Jemand
machte, IJaj meinen Vater in die Nekropole" d. i. „an welchem
Tage man den 5. in die Nekropole eintreten ließ", Inscr. hierat.
char. 14 (Sethe, Verbum II § 587).
Das sinnlose iw der hierogl. Fassung wird entweder aus diesem
neuäg. i.lr „welches N.N. tat", oder aus dem in Anm. 1 erwähnten
altäg. in, das auch in neuäg. Aktenstücken in Fällen wie dem
unsrigen damit wechselt, zu erklären sein. Das erstere ist deshalb
nicht ausgeschlossen, weil dieselbe Schreibung l . ir im Demot. nicht
selten auch das zu epe- erweiterte alte liv bezeichnet^). In beiden
Fällen würde es sich um die falsch etymologisierende Wiedergabe
eines der lebenden Sprache verloren gegangenen Ausdrucks handeln,
der sich im Aktenstil in den Datierungen als fossiles XJeberbleibsel
erhalten hatte.
Der dem Partizipium conjunctum 6vva%%-ivt8g (resp. evvsÖQEv-
öavtsg) entsprechende äg. Ausdruck hat im Demot. entweder die
Form eines Relativsatzes i.lr twtw „die sich versammelt hatten"
(Ros., Kanopus-Kom el Hisn, in anderer Schreibung ir tw Phil. I) '),
1) In Wahrheit wird dieser scheinbare Genitiv mit seinem beim Lesen za
ergänzenden Exponenten n auf den alten Ausdruck für das logische Subjekt
mittels der Partikel In (schon im Neuäg. wie der Genitivexponent und die Prä-
position m nur noch en- gesprochen) zurückzuführen sein, vgl. das Verbum 11 586
zitierte Beispiel Abbott 4,11/2.
2) Für diese Erklärung des Iw scheint recht stark eine Stelle der Phil. II
(Urk. II 228, 6 — 8) zu sprechen, wo gleichfalls auf ein Datum mit dem appositio-
nellen Zusatz hrw n smjw-s „der Tag des es Meldens" das zu dem genitivischen
Infinitiv gehörige logische Subjekt („der Reiteroberst Aristonikos") im Demotischen
durch das relativische ^ . ^r „welches tat", im Hieroglyphischen durch ein sinnloses
iw angeknüpft folgt (demot. „der Tag des Meldens, welches Aristonikos tat, vor dem
Könige", d. i. „der Tag, an dem Aristonikos meldete"). Auch ib. 228, 10 stand
wahrscheinlich [hrw] rdj.t ([w imnws] „der Tag des Gebens durch Amnos".
8) Phil. II ist hier zerstört.
Zar Geschichte and Erklämng der Rosettana. 303
oder eines Zastandssatzes iw-w twtw-iv „indem sie sich versammelten*
(Kanopus-Tanis). Im Hierogl. steht eine Form "b-SYi (Ros., Phil.
I. II, Dekret vom Jahre 23) oder twt-sn (Kanopas — beide Exem-
plare), die beides sein kann.
Das im griech. Texte mit dem Subjekt „die Priester" zu einem
Hauptsatze verbundene „sie sagten" {el:iav) mußte im Aeg. natur-
gemäß zu einer Fortsetzung des Satzes „es wurde durch die
Priester beschlossen" werden, der in den Worten „Beschluß seitens
der Priester" usw. latent enthalten ist. Diese Fortsetzung erfolgt
in den demot. Texten der Ptolemäerdekrete in der Regel wieder
durch einen Relativsatz, der sich auf „die Priester" bezieht, i.ir
dd „die sagten*. Nur Phil. II ^) hat stattdessen einen Zustands-
satz Iw-w dd „indem sie sagten". Die hierogl. Texte übernehmen
z.T. das demot. i.ir dd in der ihrer Orthographie angemesseneren
Schreibung ir dd (Kanopus — beide Exemplare) oder sie setzen
dafür is-sw ki-sn „und sie sagten" (Ros., Phil. I, Dekret vom
Jahre 23) oder nur ki-sn „sie sagten" (Phil. 11).
Der äg. Wortlaut ist also etwa so wiederzugeben: „an diesem
Tage Beschluß seitens der Priester , die sich versammelt
hatten (oder: indem sie sich versammelten) .... und sagten".
5. Urk. II 172, 7/8 (griech. 7—8). Die Fassung des griech.
Textes nQog rrjv TcavrlyvQiv tfjg naQaXi]tlfsas tfjg ßaßilsvag Tr\g Ilto-
XsfiaCov aicovoßiov '^yanrjusvov v%b tov O&ä ^eov knLtpavovg «v;ga-
giötov, tJv xagskccßev Tcagä tov aargog ccvrov ist ganz augenschein-
lich nur eine unbeholfene Uebersetzung des demot. Textes, der
wörtlich so lautet: „an dem Feste des Uebernehmens das Königs-
tum, welches (seil, das Uebemehmen) tat der König Ptolemaios,
der ewig Lebende, der von Ptah geliebte, der er-
schienene Gott, dessen Güte angenehm ist, aus der Hand
seines Vaters".
Der genitivische Infinitiv „des Uebernehmens" (r^g xaQaXrjtl^sag),
dem sein logisches Subjekt in einem Relativsatz „welches der und
der tat" (ijv nuQiXaßav) angeknüpft wird, ist echt ägyptisch (s. ob.
S. 302). Im Neuäg. und Demot. kann man sich in solchen FäUen
garnicht anders ausdrücken. Der oben wörtlich mit ,,aus der
Hand" übersetzte Ausdruck n-d.t ist in der Zeit unseres Textes
längst zu einer einfachen Präposition „von" geworden, die dem
nagd genau entspricht. Er darf nicht so wörtlich genommen
werden, daß darin etwa eine Bestätigung dafür gesehen werden
könnte, daß Ptolemaios Epiphanes noch zu Lebzeiten seines Vaters
1) Phil. I ist hier zerstört.
304 Kurt Sethe,
von diesem zum Mitregenten berufen worden sei, wie diesRevil-
lout (ßev. egyptol. 3,1 ff.) und Bouche-Leclercq (Hist. des
Lagides I 322. 335, Anm. 2) angenommen haben.
6. Urk. ir 172, 9 (griecb. 8). Man hat sieh über die Bezeich-
nung rc5 Bv MinxpBi tsgä ohne Nennung des Ortsgottes Ptah, die
an der Parallelstelle Urk. II 192, 6 (griech. 44) wenigstens im
hieroglyph. Text steht, gewundert. Namentlich Letronne hat
daran Anstoß genommen, weil er aus den Angaben der Serapeum-
papyri aus der Zeit des Philometor irrig folgerte, daß als der
Tempel von Memphis par excellence zu damaliger Zeit das Se-
rapeum gegolten habe, das tatsächlich fern von der Stadt Memphis
in der Wüste gelegen war (korrekter jtQoq Msiitpsi).
Die Nennung des Tempels nur mit dem Ort, wie sie an unserer
Stelle und an der genannten Parallelstelle Urk. II 192, 6 (griech.
44) im demot. und griech. Texte steht (h.t ntr n Mn-nfr „der
Tempel von Memphis", griech. tö ev Mdiicpsi, lsqöv), ist nun aber
typisch ägyptisch. Die demotischen Texte verfahren nie anders,
als es unser demot. Text hier an beiden Stellen tut, vgl. h.t-ntr
n Dhi „der Tempel von Edfu" (Pap. Eleph. herausg. v. Spiegel-
berg), h.t-ntr n Tij-tv-dij „der Tempel von Tewdoj" (Pap. Ryl. 9),
h.t-ntr n Ntv.t ^der Tempel von Theben" (Pap. de Ricci 10,4).
Der hierogl. Text wendet an unserer Stelle für Memphis be-
zeichnenderweise den Ausdrack m^i.t ti.wj „die Wage der beiden
Länder" an. Diesen Namen führte der Ort mit Bezug auf die
Rolle, die er einst bei der „Vereinigung der beiden Länder'' ge-
spielt hatte (vgl. das „Denkmal memphit. Theologie" Z. 16), jenem
Ereignis, auf dem der äg. Staat der historischen Zeit beruhte und
das jeder König bei seiner Thronbesteigung und Krönung sym-
bolisch wiederholte. Wie wir aus unserem Texte selbst und an-
deren Zeugnissen der griechisch-römischen Zeit lernen, geschah das
auch damals noch immer womöglich eben im Tempel von Memphis ^).
7. Urk. 11174,5 (griech. 11). Seit Villoison gilt es als
ausgemacht, daß in dem Ausdrucke tä hgä xaraönjöacfd-ai mit dem
Worte rä legä nicht wie sonst die Tempel, sondern der Kult ge-
meint sein müsse, weil von den Tempeln erst nachher die Rede
sei und xa&ierdi/at bei ihnen nicht am Platze sein würde. Die
äg. Texte widerlegen die scharfsinnigen Schlußfolgerungen der
Hellenisten aber, wenn man nicht annehmen will, daß die Aegypter
das griech. isgd falsch übersetzt haben. Das Hierogl. hat: r sdd
1) Vgl. meine Unters. III 135. Letronne zu unserer Stelle (Oeuvres
cboisies II 289).
Zur Gfschichte nod Erklärang der Rosettana. 305
Ikbh.icj „nm die beiden M>h dauernd zu machen'' mit dem auf den
Dualismus des ägyptischen Landes Bezug nehmenden Ausdruck
kbh.tcj^), der in dieser Zeit (ebenso wie Itr.tj „die beiden Tempel-
paläste") die Gesamtheit der Tempel von Ober- und Unterägypten
bezeichnet (z. B. Urk. 11 190, 1 = 226, 8). Der demot. Text hat
r smn ni irpj .tv „um die Heiligtümer zu konstituieren" mit dem ge-
wöhnlichen Wort für „Tempel", das auch im Kopt. noch erhalten ist
(pnc) und das in den demot. Texten der Dekrete den verschiedensten
alten hieroglyphischen Synonyma gegenübersteht. Das dem xara-
ertjGccö&at entsprechende Verbum smn (constituere) ist dasselbe,
das Urk. II 187, 8 (griech. 36j dem öca^ievovörjg entspricht, im De-
kret von Kanopus aber dem svdzad^ovöav (griech. 19). Die Ent-
sprechung hierogl. ad (alt ddj) „dauern^, „bestehen" und demot.
smn findet sich auch Urk. II 194, 2 (griech. 47), wo der griech.
Text das äg. „die weil der Geburtstag des Königs früher fest-
gesetzt geworden ist als Fest in den Tempeln" ganz frei durch
i3C(ovv(iovg v£voiiixu6iv iv tolg Csgoig wiedergegeben hat. Es könnte
auch hier vielleicht die Uebersetzung aus dem Aegyptischen an
der Wahl des anscheinend den Hellenisten so anstößigen xaraöTjj-
öttöQ-aL die Schuld tragen.
8. Urk. II 174, 6 (griech. 12). Hier ist man allgemein in der
Auffassung des rccig ts iaxrcov övvctfießLv jf£(fiXav&Q(önr(xe itdöaig
durch eine Bemerkung von Champollion irregeführt worden.
Nach der Fassung des ägyptischen Textes „er hat Belohnung ge-
geben der ganzen Heeresmacbt, die in seinem Reiche ist" unterliegt
es keinem Zweifel, daß ratg iavxov dvväߣ6cv Jiäöaig „allen seinen
Truppen" bedeutet (vgl. griech. 20) und nicht „mit allen seinen
Kräften".
9. Urk. 11175,2 (griech. 12). Seit Letronne werden die
Worte o TS Aßög xal ol a^Aot ndvxsg so gedeutet, daß unter /xcög
das Volk (Ackerbauern, Gewerbetreibende usw.), unter et aXXoi
XttVTsg Soldaten, Priester und Beamte zu. verstehen seien. Der
hierogl. Text würde eher erwarten lassen, daß Xaog hier noch in
seiner alten Bedeutung „Heer" gebraucht sei, denn es entspricht
ihm im Hierogl. mnfj.t mit dem Determinativ der Soldaten, im
Demot. p\ ms" „das Fnßvolk", das in dieser Zeit zwar auch schon
in der allgemeineren Bedeutung „Volk", „Menge" (so z. B. in der
Rosettana selbst Urk. II 190, 1. 197, 1) gebraucht wird, hier aber
1) Die beiden fcft^ „Wasserflut" sind eigentlich die die beiden Länder im
Norden und Süden begrenzenden Gewässer, das Mittellündische Meer („der Icb^
4es Horus") und der Katarakt Ton Syene („der hb^ des Seth").
306 Kurt Sethe,
im Zusammenhang doch wohl das Heer bezeichnen muß (wie an den
Stellen Urk. II 179, 7. 181, 6. 183, 1). Denn das dem xal ot 'dkXoi
ndvxeg entsprechende demot. irm m hj .w rmt dr-w „und die andern
Menschen alle" klingt doch so allgemein, daß es schwerlich in dem
von Letronne angenommenen Sinne verstanden werden kann.
Das Hierogl. hat überhaupt nur hn^ wnn.w „und die Menschen",
mit demselben allgemeinsten Ausdruck, der Urk. II 178, 8 (griech.
19) dem nädiv, ib. 197, 1 (griech. 52) dem tols äXXoig idicoTccig des
griech. Textes entspricht. Vielleicht beruht aber die Nennung
des kccog auf einer ungenauen Uebersetzung des äg. Textes durch
den Griechen?
10. Urk. II 175, 3 (griech. 13). Dem enl r^g savrov ßaeiXsCag
entspricht im demot. Text n pij-f hiw ntj Pr-'i „in seiner Zeit des
Königs", wie an der Parallelstelle 187, 3 (griech. 35). — Das ntj,
in dem man mit Heß (S. 55) die kopt. Genitivpartikel «-ve- zu
erkennen hat (vgl. Urk. II 172, 9. 201, 7. 217, 2). ist an beiden
Stellen nach Photographie und Abklatsch völlig sicher. Der kleine
Ansatz, den das Zeichen für ntj an der 2. Stelle oben zu haben
scheint, und der es einem Ir „tun" ähneln läßt, beruht auf Zufall.
Tatsächlich hat auch das Zeichen ir in unserer Inschrift sonst eine
andere Linienführung. — Der hierogl. Text bietet in seinem md-
nh-iv" „Alleinherrnangelegenheit" für ,, Alleinherrschaft" eine selt-
same Mischbildung, die nach dem Muster des ganz modernen Aus
drucks md-Pr-'i „Königtum" (eig. „Königsangelegenheit", kopt.
AinV-ppb) von dem älteren Ausdruck nh-w' „Alleinherr" für
,, König" (häufig z. B. in den Inschriften des neuen Reichs) gebildet
ist. Hier entspricht also m rk-f n md-nb-w" „in seiner Zeit der Allein-
herrschaft" dem griech. inl tfjg iavtov ßaötXeiag. Man könnte,
wenn man den Ausdruck beim Wort nähme, hier einen Gegensatz
zu der vermuteten Mitregentschaft des Königs neben seinem Vater
(s. ob. Nr. 1 und Nr. 5) heraushören.
11. Urk. II 175, 5 (griech. 13). Dem tä ßaöihxä dtpeiXilfiata
steht hier, wie dem synonymen tä 6(psik6fisva eig t6 ßaöihxöv
ib. 183, 9 (griech. 28/9), im Demot. ni sp . tv n Pr-i „die Reste des
Königs" gegenüber*). Der Ausdruck mj sp.tt; findet sich in gleicher
Bedeutung auch in den demot. Papyri von Elephantine aus der
Zeit des Ptolemaios Euergetes I. (s. Sethe-Partsch, Demot.
Bürgschaftsurkunden Nr. 13. 14). Hieroglyph. entspricht an der
2. Stelle (II 183,9) grh.w mv hm.f „die Defizits seiner Majestät"
1) Das Zeichen für sp ist an unserer Stelle nur z. T. erbalten.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 307
(vgl. kopt. (S'pcD^ sah. : (»"po^ boh., vöregrj^a, evöbio). An der an-
deren Stelle (II 175, 5) folgte auf dasselbe Wort grh . w an Stelle
des Attributes „des Königs" ein anderer Ausdruck, der auf der
Nobaireh-Stele in einer vermutlich verderbten Form vorliegt.
12. Urk. II 176, 5 (griech. 15). Die xa<s xa^rixovöag änopLoigug
Toig d-£otg ccnö rs ri}g a^xsXnidog yf^g xai täv nagadeiöav deutete
Dittenberger, unter Verweis auf Wilcken Ostraka 156
Anm. 3 und Petrie Pap. 46, auf die der Arsinoe Philadelphos
und den Philopatoren gemeinschaftlich zustehenden Abgaben, die
Phil. 15 (Urk. 11204,2) im hierogl. Text als „die Anteile (dnl.t)
der Bruderliebenden und der beiden vaterliebenden Götter" be-
zeichnet sind. An unserer Stelle ist aber in allen drei Texten
von den Anteilen, die ,,den Göttern" im Allgemeinen zustehen,
die Rede; im hierogl. Text sogar von „allen Anteilen der Götter",
wie auch an der Parallelstelle Rec. de trav. 33, 4 (Dekret vom
14. Gorpiaios des Jahres 23) = Phil. U 5 (Urk. II 219, 7). Das
kann doch schwerlich so eng. nur auf diese drei vergötterten
Ptolemäer beschränkt, verstanden werden.
13. Urk. II 177, 2 (griech. 16). Das iag tov ngarov irovg hcl
rov xatQog ccvrov ist verschieden aufgefaßt worden; zunächst so,
daß damit das erste Jahr der Herrschaft des Vaters des Königs,
also des Königs Ptolemaios Philopator gemeint sei, sodaß der betr.
Zustand, von dem hier gesagt wird, daß er bis zu diesem Jahre
bestanden habe, in die Zeit des Ptolemaios Euergetes I. und früher
gefallen wäre. Letronne verwarf diese Deutung, weü sie einen
Gebrauch von sjil voraussetzt, der sonst nirgends zu belegen ist.
Er bezog das „erste Jahr" auf den regierenden König Ptolemaios
Epiphanes, wie das ja bei den analogen Jahresangaben ohne
Nennung des Königs an anderen Stellen des Textes zweifellos der
fall ist. In dem exl rov jcargog avrov sah er eine appositioneile
Einschränkung dieser nach rückwärts unbegrenzten Zeitbestimmung
„bis zum Jahre 1'' und fügte demzufolge vor den Worten „unter
seinem Vater" ein Komma ein.
Zu dieser Auffassung scheint auch der demot. Text zu stimmen,
der genau entsprechend r-hn{-r) hi.t-spl.t l.ir-hr pij-fjt „bis zum
Jahre 1, unter seinem Vater" hat. Auch dort kann das l.ir-hr
pij-fjt „unter seinem Vater" kaum mit dem vorhergehenden „Jahr 1"
verbunden werden. Man würde dafür im Demot. ebenso die Ge-
nitivverbindung M.t-sp l.t n pij-f jt j^Jahr 1 seines Vaters" ge-
braucht haben, wie im Griechischen.
Dagegen spricht der hierogl. Text, wie er uns auf dem No-
baireh-Stein vorliegt, für die ältere Auffassung, und dies hat auch
308 Kurt Sethe,
mich in meiner Ausgabe des Textes leider dazu verführt, dieser
von Letronne verworfenen Auffassung zuzustimmen. Es steht
nämlich da: nfrj.t r M.t-sp l.t hm {i)tf-f sps „bis zum Jahre 1
der Majestät seines erhabenen Vaters".
Vergegenwärtigt man sich aber, was oben über die eigentüm-
liche Natur dieses Steines festgestellt wurde, so wird man kein
Bedenken tragen, auch hier, wie an so vielen anderen Stellen, eine
Lücke im Text anzunehmen. Man wird die Stelle gewiß zu nfrj J
r hi.t-sp l.t [m rk] hm {i)tf-f §ps „bis zum Jahre 1, [in der Zeit]
der Majestät seines erhabenen Vaters" zu ergänzen haben.
Daß eine Ungeschicklichkeit des Ausdrucks vorliegt, die sich
in allen drei Texten in gleicher Weise bemerkbar macht und den
minder aufmerksamen Leser irreführen muß, ist nicht zu leugnen.
Sie ist nicht nur sprachlicher, sondern auch sachlicher Natur ; denn
die Angabe „zur Zeit seines Vaters" ohne das ;,bis zum ersten
Jahre" hatte ja allein schon vollauf genügt, um das zu sagen,
was gemeint war.
14. Urk, II 179, 5 (griech. 20). Dem xatElQ-dvTaq (isvslv STtl
räv lölcav xt'rjöecov entspricht im demot. Text „daß sie zurückkehren
sollten an ihre Orte und daß ihre Sachen in ihrem Besitz bleiben
sollten". (Das zerstörte Verbum für „zurückkehren" ist nach dem
reflexiven Objekt st sicher sti gewesen.) Das zeigt, daß Letronne
zwar im Allgemeinen Recht hatte, als er das xatsld-övrag auf die
Heimkehr von Emigranten deutete, nicht aber darin, daß er es
mit den t&v idiav xn^öscov verbinden wollte, dergestalt, daß die
obigen Worte soviel bedeuteten, wie xatekd-övxag sig rag löiovg
^f^ösig (isvsiv in' avx&v.
15. Urk. II 183, 9 (griech. 29). Letronne's Auffassung des
aag rov ^ydöov hovg als Inklusivfrist „bis zum Jahre 8 einschließ-
lich", im Unterschied zu der oben besprochenen Fristangabe mg
rov TCQGjrov hovg, die „bis zum Jahre 1 ausschließlich'' bedeutete,
wird durch den äg. Text bestätigt, der beidemal, hierogl. und
demot., „bis zum Jahre 9 (d.h. ausschließlich)" hat.
16. Urk. 11184,5 (griech. 30). Die von Letronne vor-
geschlagene, von Dittenberger angenommene und auch in
meinen Text übernommene Ergänzung «[jcorcrayJ/icVijg ist doch
sehr bedenklich, da sie viel zu viel Raum beansprucht. Das von
Mahaffy vorgeschlagene a[(p(0QL6]^svr}g würde besser passen, da
nur etwa 5 Buchstaben fehlen.
17. Urk. II 187, 2—3 (griech. 35). Zwischen den beiden äg.
Texten einer- und dem griech. Texte andererseits besteht hier ein
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana. 309
Widerspruch. Das griech. :tQ067Cvv^av6fi£v6g rs tä räv legav
TifiLaxara ävavsovto kann, wie Letronne richtig gesehen hat,
nur bedeuten: ^und die geehrtesten unter den Tempeln erfragend
(bezw. erkundend) erneuerte er sie*". Die äg. Texte haben dagegen:
„indem er fragte nach den Ehren der Tempel, um sie zn erneuern".
Um Uebereinstimmung zwischen beiden Versionen herznstellen,
müßte man im griech. Texte rt^t« statt xtuiaraxa haben, vgL
Urk. n 186, 1. 188, 3 (griech. 33. 36).
Letronne war es bei seiner Voraussetzung, daß der griech.
Text vor dem ägyptischen die Priorität haben müsse, nicht
zweifelhaft, daß ein Uebersetzungsfehler seitens der Aegypter vor-
liege. Aber das Fragen und das Erneuern passen doch wohl besser
zu alten, in Vergessenheit geratenen Rechten, als zu „den an-
gesehensten der Tempel", die, wenn sie diese Bezeichnung ver-
dienten, doch hinreichend bekannt sein mußten und nicht erst
„erfragt" zu werden brauchten. Wäre an unserer Stelle aber
wirklich von der Erneuerung der angesehensten Heiligtümer die
Eede, wie es nach dem griech. Text der Fall zu sein scheint, so
würde das in dem Zusammenhange, in dem es steht, eine Tauto-
logie schlimmster Art ergeben, denn der ganze Abschnitt lautet
ja so: „er gründete Heiligtümer, Kapellen, Altäre neu für die
Götter und stellte die der Herstellung bedürfenden wieder her"
(T« TS TCQoedeofieva i:tL6xevil5 jiQoödioQ^aöaro, demot. : „er ließ
andere ihre Art tun'' d. h. versetzte sie in ihren alten zweckdien-
lichen Zustand), da er wohltätigen Herzens gegen die Grötter war,
indem er die Ehren der Tempel erfragte, um sie zu erneuem in
seiner Regierungszeit, wie es sich gehört".
Glücklicherweise kehrt nun der strittige Satz, mit leichter
Variation, auch in dem 2. Dekret von Philae wieder (Urk. II 221, 3),
— ein Umstand, der uns in den Stand setzt, die hierogl. Fassung
auch an unserer Stelle herzustellen, — und dort läßt in der Tat der
Zusammenhang keinen Zweifel, daß wirklich von den „Ehren"
(riuia) nnd nicht von den „angesehensten" {xiuiäxaxa) der Tempel
die Rede ist: „Sie (König und Königin) traten Anordnung, daß
alles (im Kult) geschehe gemäß der alten Schriftsatzung des Thoth,
des Großen und Großen. Die Ehren, die den Tempeln gebührten,
und die übrigen Ehren Aeg^'ptens [vermehrte] der König, indem
seinHerz wohltätig war gegen dieGötter, fragend
nach ihren Ehren, um sie zu erneuern in seiner
Zeit^. Die gesperrt gedruckten Worte stimmen mit unserer
Stelle genau überein mit dem eiuen und sehr bedeutsamen Unter-
810 Kurt Sethe,
scliiede, daß hier für die Ehren der Tempel die Ehren der Grötter
eintreten.
Wie die Sache liegt, gibt es für die Divergenz des äg. und
des griech. Wortlautes an unserer Stelle der Rosettana wohl nur
eine Erklärung: Der griech, Text muß zunächst in seiner ersten
Passung (vermutlich als Uebersetzungsversuch des äg. Textes) tä
Tcbv Cegäv ti^ia resp. tä xCina xöbv lsqcöv, was dem Stil des Textes
besser entspräche, gehabt haben. Dies ist dann von einem Ueber-
arbeiler irrig als ;,die angesehenen der Tempel" verstanden worden
und durch Einsetzung des Superlativs deutlicher gemacht worden.
18. Urk. II 188, 4 (griech. 37). Im griech. Text sind hinter
T« VTtaQiovra x\CiLitt Ttdvra] ra aicovoßCco ßaöiXet IltoXsiiata) rjyccztj-
fiEvca vjco xov ^Q^ä %^E<p enicpavBl evxccQCöxa die Worte ev xotg Cegots
ausgefallen, die beide äg. Texte und auch die beiden Philae-Dekrete
hier erwarten lassen.
19. Urk. II 189, 8—9 (griech. 39). Die Statue des Königs hat,
wie es sich für ein solches äg. Denkmal gehört, einen Namen, der
in altäg. Sprache abgefaßt ist und natürlich in Hieroglyphen auf
ihr eingegraben sein soll : Ptlwmjs nd hik . t „Ptolemaios, der Schützer
Aegyptens". Für den ungelehrten Aegypter von damals bedurfte
das einer Uebersetzung, die im demot. Texte durch Ftlivmjs i.ir
nht n Kmj gegeben ist. Dabei sind die altäg. Ausdrücke für
„schützen" {nd) und „Aegjrpten" (ijÄ.if), die der lebenden Sprache
nicht mehr angehörten, durch die modernen, noch im Kopt. lebenden
Ausdrücke Ir nht (p-n*.g'ie) und Kmt (khaic) wiedergegeben.
Seltsamerweise ist diese Uebersetzung des altäg. Namens nun
aber nicht nur im demot. Texte zu finden, wo sie am Platze ist,
sondern auch im hierogl. Texte, der dabei nur statt der Um-
schreibung i.ir n^t „der Schutz machte" (für „der schützte") ein-
fach nht hat, als ob es ein Verbum n^t „schützen" gäbe, dessen
Partizip hier nach altäg. Weise vorläge ^).
In der Herübernahme resp. Wiedergabe dieser demotischen
Uebersetzung des altäg. Namens in den altäg. (hierogl.) Text
verrät sich auf das Deutlichste dessen Abhängigkeit vom demoti-
schen Texte.
Der griech. Text kann und will diese Erklärung des altäg.
Ausdruckes durch den neuäg. (demotischen) natürlich nicht wieder-
1) Im Demot. werden die alten Partizipia durch das Partizip von ir „tun"
(eben unser l.lr) mit folgendem Infinitiv umschrieben. Der Verfasser des hierogl.
Textes glaubte eine solche Umschreibung vor sich zu haben, während das Wort
nlft in Wahrheit ein Substantiv war.
Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana 311
geben. Er begnügt sich damit, den äg. Namen einfach in griech.
Uebersetzung zn geben: ?) TiQoöovoiiuö^riöaTut Uroke^uiov tot) tTta-
fivvavTOg vfi Alyvnxa.
20. Urk. II 189, 10 (griech. 39) ^). Das demot. Äquivalent des
6 y.vQicixaro$ 9sbg tov Csqov, der dem König das Siegesschwert
{oTckov vLxritixöv, äg. ]ips „Schenkel") überreichen soll, wie das die
Denkmäler so oft darstellen^), bot bisher eine Schwierigkeit. Der
auf die Worte pi ntr „der Grott" folgende unterscheidende Zusatz
konnte nicht sicher gedeutet werden. Heß dachte an eine appo-
sitionelle oder attributive Bezeichnung des Gottes selbst, wie nb
psd.t^) „Herr der Götterneunheit''. Revillout hatte in richtiger
Erkenntnis, daß das erste Zeichen des Ausdrucks der bestimmte
Artikel m (plur.) oder fi (fem. sg.) sein müsse, einen genitiviscben
Zusatz darin vermutet; er las ni rmt.tv „der Menschen", das Ganze
also „der Gott der Menschen", was natürlich sinnlos war.
Sah man von den Zeiclien, die dastehen, zunächst einmal
ganz ab und faßte nur den Sinn ins Auge, so war anzunehmen,
daß ein Aequivalent des uralten Ausdrucks ntr nw.ij „der Stadt-
(oder Orts-)Gott'*, mit der seit alter Zeit die unzähligen Lokal-
gottheiten der verschiedenen Orte Aegyptens bezeichnet werden,
vorliegen werde. Und da, wie gesagt, der Artikel ti oder m da-
steht, so mußte die Lesung jh ntr fi nwJ „der Gott der Stadt"
die zu erwartende Lesung sein. Aus einer Verderbnis der rich-
tigen demot. Schreibung für nw.t „Stadt" ließ sich denn in der
Tat auch wohl das Wort, das von Revillout rmt.ic „Menschen"
gelesen wurde, erklären.
Daß diese Deutung tatsächlich richtig ist, ergaben die Parallel-
stellen der beiden Philae - Dekrete (Phil. 18 = Urk. II 207, 3 ;
II 13 = ib. 226, 10). Sie zeigen im hierogl. Texte deutlich ein
ntr nw.t „der Gott der Stadt"", das die genaue altäg. Entsprechung
dazu bildet, und das, da es sonst im Altäg. durch den synonymen
Ausdruck ntr nie Aj d. i. wörtlich „der zur Stadt gehörige Gott"*,
„der örtliche Gott" vertreten ist, wohl als Uebersetzung aus dem
Demotischen zu werten ist.
21. Urk. 11190,2 (griech. 39—40). Letronne hat in der
Angabe a iötai xaxs6%eva6iiiv\a tov jiiyvnxiav] xqötcov, der im
1) In meiner Wiedergabe des griech. Textes ist das, durch Abirren des
Auges auf das kurz vorhergehende TtQ06ovouaa9T]asrai verursachte, unsinnige
jrcefffTTjfffrai in nagsatri^erai zu verbessern, wie das Original völlig deutlich hat.
2) S. auch unsere Tafel.
3) Bei Heß nach älterer Weise neb paut nfer umschrieben.
K«l. Oes. d. Wiss. Nachriditen. Riil.-hist Klasse. 1916. Heft 2. 21
312 Kurt Sethe,
Demot. ein gleichbedeutendes Iw-w r ^) r-h jp rmt (n) Kmj „indem
sie gemacht sind ^) nach der Weise von Aegypter- Arbeit" entspricht,
wieder einen schlagenden Beweis dafür finden zu dürfen geglaubt,
daß der griech. Text der ursprüngliche sei. Er meint, so könne
nur ein Nichtägypter reden; ein Aegypter hätte gesagt „nach
unserer Weise" (t6i^ xaO'' i^juag rgönov o. ä.). Ich möchte glauben,
daß Letronne sich hier wieder einmal durch seine vorgefaßte
Meinung hat in die Irre führen lassen. Was er von den Aegyptem
erwartet, scheint mir etwas sehr modern gedacht. Ob ein Grieche
sich in dieser Weise ausgedrückt haben würde, wage ich nicht zu
entscheiden; ein Aegypter hätte es sicherlich nicht getan. Ein
derartig subjektiv gefärbtes, Gremeinsamkeits- oder Nationalgefühl
verratendes „wir" findet sich m. W. im ganzen äg. Schrifttum nie-
mals. In einem so objektiv abgefaßten Dekret, in dem sich die
Beschließenden selbst nur an einer Stelle und dort in 3. Person
nennen („es kam iu das Herz der Priester" = adol,ev rotg Isqevöi)
würde es — ich möchte glauben, auch im Grriechischen — vollends
nicht am Platze sein.
Der hierogl. Text, der sich nach Phil. 1 8 (Urk. II 207, 1). II 11
(Urk. 11226,9) herstellen läßt, hatte m B .t msn Jj .w nw hik .t „in
der Arbeit der Bildhauer Aegyptens". Hier tritt der Zweck dieser
Angabe deutlich hervor; es ist der, zu sagen, daß die in den
Tempeln aufzustellende Statue des Königs nicht, wie das sonst
oft genug geschah, ein griechisches, sondern ein ägyptisches
Kunstwerk sein sollte, das den König nicht als Hellenen, sondern
als Aegypter, ägyptisch aufgefaßt und geschmückt, darstellte.
22. Urk. II 192, 3—4 (griech. 43). Hier ergänzte man mit
Porson, in völliger Verkennung des Sinnes, so: inixstöd-ai rca vaa
rag rov ßaöiXscog XQ^^^S ßccöiXeCag dexa, aig jCQOöKstösrai ccGTtlg [xcc~
&äjtsQ xal knl naöäv] räv döTttdosidav ßccöilsLcbv tav iTcl täv aXXav
vaav. Der entsprechende ägyptische Text lautet aber „man soll
10 Kronen des Königs — indem vor einer jeden von ihnen eine
Uräusschlange ist, wie es Sitte ist zu tun mit allen Kronen —
setzen auf diesen Kapellenschrein anstatt der Uräusschlangen, die
auf den Kapellenschreinen (sonst) sind". Der Schrein (vaög) soll
also im Unterschied zu den gewöhnlichen Schreinen 10 Königs-
kronen statt des üblichen Frieses von Uräusschlangen erhalten.
1) Zu dieser Form des Vcrbums Ir „machen" s. meine Bemerkungen Aeg.
Ztschr. 60, 12G. Die Parallelstelle Phil. II d. 11 (Urk. II 220, 9) hat dafür die
Nebenform Irj.ij, die meine Auffassung von der Natur dieser Formen durchaus
bestätigt.
Zar Geschichte und Erkläning der Rosettana. 313
Es ist also zunächst vor räv uXXav sicher &vzi zu ergänzen. Für
das, was vorherging, ist ein Raum von ISVz Buchstaben da. Es
muß daher eine sehr kurze Paraphrase des äg. Satzes „wie es Sitte
ist zu tun mit allen Kronen" dagestanden haben (wie das ja auch
Porson annahm), also vermutlich einfach „wie es Sitte ist" o.a.
Den richtigen Wortlaut dafür, der sich dem ganzen Satz vorzüg-
lich einpaßt, fand Alfred Rahlfs in dem dem Sprachgebrauch
der Septuaginta und der griechisch-ägyptischen Papyri der Ptole-
mäerzeit gleich geläufigen natu x'ov i&ie^iov (vgl. Judith 13, 10.
Makkab. II 12, 38. Gen. 31, 35. Tebtunis Pap. I 6, 40. 40, 25. 50, 24
usw.). Es ist also zu lesen : . . . alg ngoexslotrai aöxls [xaxä tov
id^Löuöv, ävtl] räv ttöxidosidärv ßaöiXsiav . . .
23. TJrk. II 192, 7 (griech. 44—45). Das von Letr onne wegen
des Konjunktivs [öwlteksod-fj mit Sicherheit hergestellte [oxag h
ttvxm 6w\xEXs69fi rä vo^ii^6[isva r^ «agakijtlfeL tr}g ßaöilsiag wird
eine freie Wiedergabe des demot. Textes sein, der so lautet: „als
man ihm tat das, was zu tun Gesetz ist bei der Uebernahme der
Königswürde". Der hierogl. Text lautet: .,als (resp. nachdem) ihm
getan wurde alles, was zu tun ist bei der Einführung des Königs
in den Tempel, wenn er seine große Würde übernommen hat".
24. ürk. II 193, 1— 4 (griech. 45). Dittenberger las hier,
mit leichter Korrektur [ovo statt dsxa) der Letr onne 'sehen Er-
gänzung, so: £:c(,&slvai de xal (pvlaxxylgia iQv[6ä ovo olg iy-
yQccq:ilO€xai\ oxi iöriv xov ßuöi/Jag xov eTCicpavi] :iOLrj6uvxog tijv xs
äv(o xai xi)v xüxa. Der ägyptische Text, der hier viel ausführlicher
ist, zeigt aber, daß es sich bei diesen (pvkaxxriQLa um die alten
Wappenpflanzen oder Symbole der beiden Länder Ober- und Unter-
äg^^pten (Binse und Papyrus) in Verbindung mit den darüber auf
einem Korbe stehenden Schutzgöttinnen derselben beiden Länder
(des Geiers der Eileithyia "Js und der Uräusschlange der Bato ^)
handelt, eine symbolische Darstellung, die sich auf den Denkmälern
so oft abgebildet findet. Die Anbringung dieser Darstellung in
figürlicher Form auf dem Kapellenschrein des Königs, gegenüber
der Königskrone, soll nach dem ägyptischen Text andeuten, daß
der Schrein einem ^£^ (d. i. dem mit den genannten beiden Göt-
tinnen identifizierten Könige) gehöre, der die beiden Länder hell
(durch die Krone angedeutet) gemacht habe. Demnach ergibt sich
für die etwa 21 Buchstaben fassende Lücke des griech. Textes als
einzig mögliche Ergänzung: <fvXaxxi]Quc XQv\6ä räv ovo xo>Q^v 6ri-
ftatVorra] oxl usw. Die Richtigkeit der Ergänzung xäv ovo xagdv
314 Kurt Sethe, Zur Geschichte und Erklärung der Rosettana.
wird dadurch erhärtet, daß der Text nachher trjv ts ävoa xal f^v
xatG) ohne das zugehörige %c)Qav sagt.
25. Urk. II 195, 3 (griech. 48). Die von P o r s o n vorgeschlagene,
von Letronne verworfene, Ergänzung ÖLdövat dürfte den Sinn
ungefähr treffen. Denn der äg. Text bietet : ,, alles, was an diesen
Festen geopfert wird, werde geleitet {ssm, so hierogl.), resp. be-
stimmt {ts, so demot., seltsamerweise mit dem Determinativ der
geistigen Tätigkeit statt mit dem der Handtätigkeit) an alle Leute,
die im Tempel Dienst tun" (jtaQSxoiisvoLg). Zu dem aktiven In-
finitiv vgl. iniQ'stvai ob. Nr. 24, xad^idQvdai Urk. II 191, 5 (griech. 42),
xataxcoQCöcci unten Nr. 26.
Nach dem äg. Wortlaut ist aber vielleicht statt des von
Porson vorgeschlagenen rotg Isqevölv totg nuQsxo^ävoLg besser
nädLv totg nagexo^svoLg zu lesen. Dann würde vorher für etwa
5 Buchstaben mehr Raum da sein, als didovca beansprucht (im
Ganzen 12 Bachstaben von voller Breite). Man könnte dann an
xataiisQCöcci o. ä. denken.
Der bisher ungelesene, auch in meiner Ausgabe nicht um-
schriebene, Ausdruck, der im Demot. dem w5 rmt.iv ntj snis ,,die
Leute, welche dienen" vorangeht, und der den mask. Artikel pl
nebst einem kurzen, aus einem Zeichen bestehenden, Worte zu
enthalten scheint, wird das Aequivalent von nh ,,alle", das der
hierogl. Text bietet, sein, also ,,die Gesamtheit", „die Menge" o. ä.
bedeuten („die Gesamtheit der Leute, die dienen"). An dmd kann
aber nicht gedacht werden, da dies im Demot. ohne den Artikel
zu bleiben pflegt.
26. Urk. 11196, 8 (griech. 51). Dittenberger will hier
mit Mahaffy auf Grund des Dekrets von Kanopus lesen: xal elg
Toirg d[axrvXiovg oi)g q)0Q0v6L 3tQ06syxoXd7ttE6d-ai ti)v] isQutelav «vrov.
Die Lücke ist für diese Ergänzung aber viel zu klein. Außerdem
entspricht das passivische nQoöEyxokdnxeö&ai garnicht der aktivi-
schen Fassung des vorhergehenden xal xatccxagCöai elg ndvtag xovg
XQrj^avLßfiovg, zu dem der Akkusativ [tt^v] UgatsCav adrov in gleicher
Weise als Objekt gehört. Dies wie die Größe der Lücke führen
mit Notwendigkeit auf die Ergänzung ivxokccijjai (so statt iyxoXdtjjai
nach der Orthographie des Textes).
27. Urk. II 197, 8 (griech. 53). Dittenbcrger's Ergänzung
[eig öt^kag ö]teq£ov XC&ov ist nach beiden ägyptischen Texten zu
verwerfen; es muß ör^kijv gestanden haben.
Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Oöttingen.
PhU.-hist Klasse 1916, Heft 2 (Sethe).
i^-
Der Oberteil des Steins von Nobaireh
nach einer Photographie von Emil Brugsch.
H
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament.
Von
Alfred Bahlfs.
Vorgelegt von E. Litt mann in der Sitzung vom 12. Febrnar 1916.
Abkürzungen: Brock. = C. Brockelmann, Grundriß der vergleichenden Gram
matik der semitischen Sprachen. I: Laut- und Formenlehre
BerUn 1903.
Ges. = W. Gesenius' hebräische Grammatik, völlig umgearbeitet
von E. Kautzsch. 28. Aufl. Leipzig 1909.
Lidzb. = M. Lidzbarski, Handbuch der nordsemitischen Epi-
graphik. I : Text. Weimar 1898.
Schröder = P. Schröder, Die phönizische Sprache. Halle 1869.
Seirol wird durch ^ transkribiert. Die Quantität der auslautenden Vokale ist oft
als zweifelhaft absichtlich nicht angegeben.
Kapitel 1.
Inkonsequenzen in der Setzung der Lesemütter.
Man nimmt gewiß mit Recht an, daß die nordsemitische Schrift
ursprünglich eine reine Konsonantenschrift war, da£ nur die Kon-
sonanten bezeichnet und alle Bachstaben wirklich als Konsonanten
ausgesprochen wurden. Aber ein Denkmal, welches diesen ur-
sprünglichen Zustand noch bewahrt hätte, besitzen wir nicht. Schon
in unseren ältesten Inschriften spielen die sogenannten Lesemütter
eine mehr oder minder große Rolle. Sie sind bekanntlich ein Pro-
dukt der schon in sehr alter Zeit beginnenden lautlichen Zersetzung
der nordsemitischen Dialekte. Besonders 1 und "• sind schon früh
in manchen Fällen in der Aussprache fortgefallen. Infolgedessen
gab die Schrift nicht mehr den wirklichen Lautstand wieder, und
man konnte nun zwei "Wege einschlagen : entweder konnte man
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. 22
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament.
Von
Alfred Bahlfs.
Vorgelegt von E. Littmann in der Sitzung vom 12. Februar 1916.
Abkürzungen: Brock. = C. Brockelmann, Grundriß der vergleichenden Gram
matik der semitischen Sprachen. I: Laut- und I-ormenlehre
Berlin 1908.
Ges. = W. Gesenius' hebräische Grammatik, völlig umgearbeitet
von E. Kautzsch. 28. Aufl. Leipzig 1909.
Lidzb. = M. Lidzbarski, Handbuch der nordsemitischen Epi-
graphik. I: Text. Weimar 1898.
Schröder = P. Schröder, Die phönizische Sprache. Halle 1869.
Segol wird durch f transkribiert. Die Quantität der auslautenden Vokale ist oft
als zweifelhaft absichtlich nicht angegeben.
Kapitel 1.
Inkonsequenzen in der Setzung der Lesemütter.
Man nimmt gewiß mit Recht an, daß die nordsemitische Schrift
nrsprünglich eine reine Konsonantenschrift war, daß nur die Kon-
sonanten bezeichnet und alle Buchstaben wirklich als Konsonanten
ausgesprochen wurden. Aber ein Denkmal, welches diesen ur-
sprünglichen Zustand noch bewahrt hätte, besitzen wir nicht. Schon
in unseren ältesten Inschriften spielen die sogenannten Lesemütter
eine mehr oder minder große Rolle. Sie sind bekanntlich ein Pro-
dukt der schon in sehr alter Zeit beginnenden lautlichen Zersetzung
der nordsemitischen Dialekte. Besonders 1 und "^ sind schon früh
in manchen Fällen in der Aussprache fortgefallen. Infolgedessen
gab die Schrift nicht mehr den wirklichen Lautstand wieder, und
man konnte nun zwei Wege einschlagen : entweder konnte man
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 3. 22
316 Alfred Rahlfs,
die aus alter Zeit überlieferte Schreibung beibehalten, oder man
konnte das alte Prinzip, nur die Konsonanten zu schreiben, auf-
recht erhalten und die nicht mehr als Konsonanten gesprochenen
Buchstaben fortlassen. Im ersten Falle war die Orthographie
historisch, im anderen phonetisch.
Die Hebräer haben mehr den ersten Weg eingeschlagen.
Sie behielten die alten 1 und "^ gewöhnlich auch da bei, wo sie in
der Aussprache geschwunden waren und nur noch rein vokalisches
ü, ö, ^, e gesprochen wurde, und sie übertrugen dann l und "• als
bloße Vokalzeichen mit der Zeit in immer weiterem Umfange auch auf
solche Fälle, wo nie ein Konsonant 1 oder "^ vorhanden gewesen war.
Umgekehrt bevorzugten die Phönizier in der Regel die
phonetische Schreibung, so daß bei ihnen z. B. p nicht nur = hebr.
"jS „Sohn" ist, sondern auch = '^yi „Söhne", nsa „er baute" und
153 „sie bauten"^). Erst die Punier haben manchmal, wenn auch
sehr unregelmäßig, Lesemütter hinzugefügt, s. Schröder S. 119 f.;
hierauf gehe ich jedoch nicht ein, sondern beschränke mich überall
auf das eigentliche Phönizische.
Eine Mittelstellung nehmen nach der Mesainschrift die Moa-
biter ein. Einerseits schreiben sie sehr oft phonetisch, z.B. Mesa-
inschr. Z. 4 isyon „er rettete mich" statt "isy^in, 7 nnni „in
seinem Hause" = hebr. in'iaa und 23. 27. 30 (zweimal) ril „Haus"
st. nia, 13 niDSI „und ich ließ wohnen" st. möix'}. Andrerseits
finden sich aber auch historische Schreibungen wie nJT^na „in sei-
nem Hause" Z. 25, so daß hier bei demselben "Worte und sogar
bei genau derselben Form die beiden Schreibungen miteinander
wechseln: Z. 7 nnna, 25 nn^na.
Eine vollkommene Konsequenz finden wir bei keinem der drei
Völker. Selbst bei den Phöniziern kommen, wie wir im nächsten
Kapitel sehen werden, einige Ausnahmen von dem Prinzip der
streng phonetischen Schreibung vor.
Derartige Inkonsequenzen sind aber auch nur natürlich.
Die Orthographien von Literatursprachen, die schon eine längere
Greschichte hinter sich haben, sind niemals rein phonetisch, sondern
weisen stets einen mehr oder minder großen Zusatz historischer
Schreibungen auf. Und das ist für das Verständnis des Geschrie-
benen in der Regel auch nur ein Vorteil. Denn da bei fortschrei-
tender Zersetzung der Sprachen manche anfangs vorhanden ge-
wesene Unterschiede fortfallen, so pflegt durch streng phonetische
1) Die Belege s. bei Lidzb.; außerdem kommt p noch als p „in mir" vor
(ESmun'azar-Inschrift Z. 5).
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 317
Schreibung , wie wir z. B. an dem noch nicht einmal ganz konse-
quenten Phönizischen sehen, das Verständnis eher erschwert als
erleichtert zu werden ^). Aber jene historischen Schreibungen bilden
doch regelmäßig nur einen mehr oder minder großen Bruchteil des
Oanzen. Streng historische Schreibung ist, zumal im Altertum,
schon deshalb ausgeschlossen, weil die Schreibenden den Urzustand
ihrer Sprache und Orthographie gar nicht mehr kennen. Und
immer wird sich doch auch wieder das Bestreben geltend machen,
zu schreiben „wie man spricht". So finden wir in den Ortho-
graphien regelmäßig einen Kampf zwischen historischer und pho-
netischer Schreibung. Und die Kompromisse, die dabei heraus-
kommen, sind naturgemäß inkonsequent.
Granz besonders zahlreich aber sind die Inkonsequenzen in der
Setzung der Lesemütter im Alten Testamente. Noch unsere Hand-
schriften, die doch durchweg erst einer recht späten Zeit ange-
hören und im übrigen schon einen im großen und ganzen durchaus
festen Text bieten, gehen gerade in der Setzung der Lesemütter
sehr oft auseinander. So schwanken z. B. , um nur einen charak-
teristischen Fall anzuführen, die von Grinsburg*) verglichenen Hand-
schriften in Jes. 10 13 zwischen "'r'ua;, Ti^'^:, "»räa: und "^ria: „ich
bin klug", so daß hier in der Schreibung des ü und ö alle nur
denkbaren Kombinationen vertreten sind.
Diese Inkonsequenzen erklären sich zu einem guten Teile
daraus, daß sehr viele Lesemütter erst im Laufe der Zeit von
den Abschreibern hinzugefügt sind. Die echte Orthographie der
Zeit Jesaias haben wir durch die Siloahinschrift kennen gelernt.
"Wenn diese z. B. O» „Mann" = «TS, "I2 „Fels" = TS, Ifü-' „rechte
Seite" = ■)'<T2* schreibt, so hat Jesaia natürlich ebenso geschrieben,
1) Aus diesem Grunde haben z. B. die Syrer die historischen Schreibungen
-hjfndu (o Frau)~ und ^)^\^ _du (o Frau) tötetest" beibehalten, um die Femi-
nina von den gleichlautenden Maskulinis ÄjJ'und £\^ zu unterscheiden. .Ja die
Westsyrer haben in jüngerer Zeit sogar statt ''^^ „sie (die Frauen) töteten", um
es von "''^^ „er tötete" zu unterscheiden, sA^ geschrieben, obwohl es nie auf
einen t- oder e-Laut ausgegangen ist, sondern ursprünglich S5pp hieß; -A^ä ist
bloße Analogieschreibung : wie im Mask. neben der längeren (sekundären) Form
,^^ die kürzere Form di^ stand, so bildete man auch im Fem. zu der län-
geren (sekundären) Form ^^^ eine kürzere ^^^. Ähnlich unterscheiden die
Araber durch abnorme Hinzufügung der Lesemutter ^^\ „diese" von ^\ „zu",
,_^ „'Amr" von _^ „'Omar".
2) Prophetae posteriores düigenter revisi juxta Massorah atque editiones
principes cum variis lectionibus e mss. atque antiquis versionibus collectis a C.
D. Ginsburg, Lond. 1911.
22*
318 Alfred Rahlfs,
und die volleren Schreibungen, die wir jetzt im Buche Jesaia fin-
den, gehören erst den späteren Abschreibern an, die entsprechend
dem Brauche ihrer Zeit viele früher defektiv geschriebenen Wörter
plene schrieben. Solche E-eno vier un gen der Orthographie von Lite-
raturwerken kommen ja auch heutzutage fortwährend vor. Selbst
Ausgaben von Groethes Werken pflegen, wenn sie nicht für speziell
gelehrten Gebrauch bestimmt sind, nicht mehr in der Orthographie
seiner uns doch noch gar nicht so fern liegenden Zeit gedruckt
zu werden, sondern in der jetzt üblichen Orthographie. Dabei ist
aber ein bedeutsamer Unterschied zu beachten. Goethes Werke
kann jeder geschulte Setzer mit Hilfe des Duden, der über die
zu wählende Schreibung fast nirgends im Zweifel läßt, in die heu-
tige Orthographie übertragen. Dagegen ist die hebräische Ortho-
graphie gerade in der Setzung der Lesemütter nie zu einer so
strengen Regelung gekommen. Daher ist die an sich schon mit
der Entstehung der Lesemütter gegebene Inkonsequenz durch in-
konsequente Renovierung der Orthographie der alttestamentlichen
Schriften noch gesteigert.
Aber wenn auch in weitem Umfange die Willkür der Ab-
schreiber maßgebend gewesen ist, so ist doch keineswegs alles von
ihr abhängig gewesen. So sehr auch die Abschreiber in dem oben
angeführten Beispiele aus Jes. 10 13 hinsichtlich der Schreibung
von ü und ö in ''n(1)D(1jn: auseinander gehen, so stimmen sie doch
alle in dem schließenden "< überein. Und während wir bei ü und
ö das Gefühl haben, daß keine der vorkommenden Schreibungen
unbedingt den Vorzug verdient oder schlechterdings zu verwerfen
ist, empfinden wir bei dem auslautenden « sofort, daß dieses in
der Tat unbedingt plene geschrieben werden muß ; n^ViD^ljDS ohne
•^ würde für das Alte Testament entweder eine ganz abnorme,
geradezu fehlerhafte Schreibung oder eine andere Form sein.
Daß bei aller Willkür doch gewisse Regeln herrschen, ist
natürlich den Grammatikern nicht entgangen. Ganz richtig be-
merkt z.B. Ges. §7.(7, daß „der auslautende lange Vokal mit sehr
wenigen Ausnahmen durch einen Vokalbuchstaben angedeutet wird".
Aber für das Verständnis dieser und ähnlicher Erscheinungen ist,
soweit ich sehe, erst wenig getan. Und doch läßt sich, wie ich
glaube, hier noch manches, namentlich mit Hilfe der Inschriften '),
1) Ich zitiere in der Hegel nur die Mesainschrift und die Siloahinschrift
auRdrücklich. Für die idiönizischcn Inschriften stütze ich mich auf die gramma-
tisch-lexikalischen Zusammenstellungen von Schröder und Lidzbarski. Die ara-
mäischen Inschriften ziehe ich in der Regel nicht heran, da es mir nicht auf
Vollständigkeit ankommt und sie gewöhnlich nichts Neues lehren.
Zar Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 319
historisch verstehen. Ich will dies an einigen besonders wichtigen
Punkten za zeigen versuchen.
Kapitel 2.
Lesemütter am Wortende.
Nicht nur die Hebräer deuten gerade den auslautenden Vokal
besonders häufig durch eine Lesemutter an. sondern auch auf der
Mesainschrift finden sich die meisten Lesemütter am Wertende^),
und ebenso kommen bei den Phöniziern die ziemlich spärlichen
Lesemütter, wie schon Schröder S. 118 bemerkt hat, „für gewöhn-
lich nur im Auslaut der Wörter vor". Diese Übereinstimmung
läßt auf einen tiefer liegenden Grund schließen. Um ihn zu er-
mitteln, müssen wir uns die Fälle, in welchen am "Wortende plene
geschrieben wird, genauer ansehen. Dabei machen uns aber die
Inschriften insofern Schwierigkeiten, als wir ja keine Überlieferung
über die bei ihnen zu ergänzende Vokalisation besitzen und die
jetzige Vokalisation des Alten Testamentes, welche nicht einmal
die althebräische Aussprache ganz unverändert wiedergibt, erst
recht nicht ohne weiteres auf die verwandten Dialekte übertragen
dürfen. Hier bedarf es also besonderer Vorsicht, und gewisse
Punkte werden naturgemäß unsicher bleiben. Immerhin aber läßt
sich doch mit Hilfe der vergleichenden Sprachwissenschaft und
durch Beobachtung der Schreibung verwandter oder ähnlicher For-
men ein hinreichend sicheres Fundament gewinnen.
Für das Phönizische führt Schröder S. 118 f. außer ein-
zelnen plene geschriebenen Wörtern, die ich als nicht sicher ver-
wendbar beiseite lasse, drei häufig wiederkehrende Endungen an:
1) die Nisbe-Endung, 2) das Pronomen suffixum der 1. Pers. Sing,
in Verbindung mit einem Nomen. 3) das Pronomen suffixum der
3. Pers. Sing. Mask. und Fem. in Verbindung mit einem Nomen
oder einem Verbum. Alle diese Endungen werden im Phönizischen
ohne jeden Unterschied durch ein i- angezeigt, nur ,.im Dialekt
von Byblus" heißt das Suffix der 3. Pers. Sing, im Mask. ^- , im
1) Im Wortinneren kommen Lesemütter nur da vor, wo ursprünglich der-
selbe Buchstabe als Konsonant gestanden hat, z. B. in niT^aa „in seinem Hause"
Z. 25 (s. oben S. 316). Ursprüngliche einfache Vokale werden nur am Wortende
durch Lesemütter angezeigt, z. B. in der L Pers. Sing. Perf. TSbo „ich wurde
König" u. dgl. (s. unten S. 323). Beim Antritt eines Suffixes wird aber auch
diese Form nicht mehr plene geschrieben: Z. 17 nm2"inn „ich weihte sie".
320 Alfred Rahlfs,
J^'em. n- % s. Lidzb. S. 395 f. 404 (S5- als Zeichen der 3. Pers. Sing,
kommt nur im Punischen vor).
Die Nisbe-Endung, für welche Lidzb. S. 398 viele Beispiele
beibringt, lantete ursprünglich -ij {-ijj). Im Hebräischen ist -ij
{-ijj) am Wortende und vor der Femininendung -t stets zu -i ge-
worden, und auch im Inlaut ist es mit dem -?- der Pluralendung
des Mask. gewöhnlich zu einem einzigen -«- zusammengeschmolzen,
z.B. '''^ny „Hebräer", D^iW, r\^yüiya „Moabiterin'' (ni-iSS; kommt,
wohl zufällig, nicht vor). Dagegen hat sich -ij {-ijj) im Hebräi-
schen stets vor einer vokalisch, aber nicht mit -i- beginnenden
Endung und gelegentlich auch vor -i- gehalten : n^iS^ , ri'i'^nay ,
D"<''"iny. Die Phönizier schreiben nicht nur das Fem. ns^S „Sido-
nierin", sondern auch den sehr oft vorkommenden Plur. Mask. D312
mit Ausnahme einer einzigen Inschrift stets defektiv (Lidzb. S. 356),
haben also das ursprüngliche -ij- in diesen Formen fragelos ebenso
zum reinen Vokal -i- gemacht wie die Hebräer. Daher ist es so
gut wie sicher, daß sie ''- auch im Sing. Mask. i3lS rein vokalisch
gesprochen haben, zumal der ursprüngliche Konsonant -;' gerade
am Wortende besonders leicht schwinden konnte. Konsonantische
Aussprache des ''- in ^T\,1 wäre nur dann erklärlich, wenn die
Phönizier noch die alten Kasusendungen bewahrt hätten. Aber
gewiß mit Recht sagt Schröder S. 177 : „Den lebendigen Gebrauch
von Casusendungen, wie er dem Altarabischen eigen ist, kennt das
Phönizische in der Zeit, aus welcher die uns vorliegenden Texte
stammen, ebensowenig mehr, als die Sprache des alten Testamentes".
Das Pronomen suffixum der 3. Pers. Sing, hieß ursprünglich
im Mask. -hu oder -/w, im Fem. -ha. Historisch ist also die Schrei-
bung beider Suffixe mit n-, die wir im Moabitischen finden werden
(s. unten S. 321 f.). Im Phönizischen kommt diese historische Schrei-
bung nur noch im Dialekt von Byblus vor und zwar nur boira
Femininum. Das Mask. wird in jenem Dialekt mit V, beide Ge-
schlechter im übrigen Phönizischen mit ''- geschrieben. Das setzt
voraus, daß die Phönizier, wie z. T. auch die Hebräer, das -h- der
ursprünglichen Formen verloren hatten. Dann werden sie aber
auch wie die Hebräer bei einem Nomen im Singular ursprüngliches
-a-hu zu -ö, resp. -a-hi zu -e zusammengezogen haben (vgl. Schröder
S. 147 f.), so daß 1- und "i- hier bloße Lesemütter sind.
Das Pronomen suffixum der 1. Pers. Sing, am Nomen hieß
ursemitisch -ja, später in Verbindung mit einem singularischen
1) Ob das Nomen, an welches das Suffix antritt, im Sing, oder Plur. steht,
kommt in diesem Dialekt ebensowenig wie im übrigen Phönizischen zum Ausdruck.
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 321
Nomen meistens -/. Auch die Punier sprachen nach Plautus -i
(oder -e), s. Schröder S. 145. Daß die Phönizier ebenso gesprochen
haben, läßt sich nicht beweisen, ist aber sehr wahrscheinlich.
Aber weshalb haben nun die Phönizier gerade für die Nisbe-
Enduno: und die Pronomina suffixa gegen ihre sonstige Gewohnheit
Lesemütter verwendet ? Ich glaube : deshalb, weil das Verständnis
des Geschriebenen sonst gar zu sehr erschwert worden wäre. Denn
mit diesen Endungen stand es doch anders als mit den vokalischen
Ausgängen der Nominal- und Verbalflexion, die, wie wir oben
S. 316 sahen, unbezeichnet blieben. Bequem war es ja auch nicht,
daß in „Sohn" und „Söhne", „er baute" und »sie bauten" heißen
konnte; aber ob an der betreffenden Stelle ein Nomen oder Ver-
bum zu erwarten sei, und ob dieses Nomen oder Verbum im Sin-
gular oder Plural stehen müsse, konnte man in der Regel wohl
ohne zu große Mühe aus dem Zusammenhange erkennen. Sagte
man aber „sein Sohn" oder „er baute ihn", so kam zu „Sohn"
oder „baute" ein ganz neuer Begriff hinzu, der sich nicht ohne
weiteres ergänzen ließ, sondern auch in der Schrift, wenn sie ver-
ständlich bleiben sollte, irgendwie zum Ausdruck kommen mußte.
Daraus erklärt es sich, daß man das Pronomen suffixum, wo es
nur noch aus einem Vokal bestand, wenigstens durch eine Lese-
mutter andeutete. Ahnlich war es bei der Nisbe. Fügte man zu
pS „Sidon" die Nisbe-Endung -7 hinzu, so entstand dadurch ein
ganz neues Wort, und dieses mußte man auch in der Schrift von
dem Grundworte unterscheiden. Daher schrieb man ■':":s plene,
aber auch nur "»STS selbst, nicht das Fem, n:'TS und nicht (mit einer
Ausnahme) den Plnr. Mask. d:"2, da diese Formen sich schon durch
ihr n- oder C- von p2 unterschieden.
Sonst erwähne ich noch das Wort ''tn „Hälfte", welches nach
allem, was wir sonst vom Phönizischen wissen, gewiß nicht mehr
mit konsonantischem "', sondern wohl ähnlich wie das hebr. "'sn
gesprochen wurde '). Wenn trotzdem die historische Schreibung
mit ■> beibehalten worden ist, so wird man den Grund darin suchen
dürfen, daß "^ITi „Hälfte" sonst mit den, allerdings im Phönizischen
noch nicht sicher belegten, Wörtern 7n „Pfeil" und fn „Straße"
zusammengefallen wäre.
Gehen wir sodann zum Moabiti sehen über, so ist zunächst
zu bemerken, daß die Mesainschrift im Unterschied vom Phönizi-
schen das Pronomen suffixum der 3. Pers. Sing. Mask. und Fem,
1) Vgl. das phonizische IB „Frucht", welches entweder wie im Hebräischen
•^■^B , oder wie im Syrischen 1B gesprochen worden sein kann.
322 Alfred Rahlfs,
in Verbindung mit dem Nomen und Verbum stets nach dem ur-
sprünglichen Lautstande (s. oben S. 320) mit n- schreibt, vgl. z. B.
nn Z. 7 „in ihm" und Z. 8 u. ö. „in ihr'^ nsa Z. 6. 8 „sein Sohn",
nia'i Z. 8 „seine Tage'', n^n^ü Z. 22 „ihre Tore", r\rh^yü ebenda
„ihre Türme", nsbnil Z. 6 „und er trat an seine Stelle '^j nnttinn
Z. 17 „ich weihte sie". Die entsprechenden hebräischen Formen
werden z. T. noch wirklich mit konsonantischem n- gesprochen,
und auch die Moabiter werden wohl noch in manchen Fällen den
Konsonanten n- bewahrt haben; auch tra'^ „seine Tage" = hebr.
1112^ mag etwa H'a'; gesprochen worden sein, vgl. im Hebräischen
Nah. 24 ini'iiiia „seine Helden", Hab. 3io ^n^l^ „seine Hände", Hiob
2423 irr^r? »seine Augen". Ob n- aber überall noch Konsonant
war, oder ob etwa nsa „sein Sohn" wie hebräisches 133 gesprochen
wurde, ist eine Frage, die sich nicht beantworten läßt.
Im übrigen finden sich die oben aus dem Phönizischen ange-
führten Pleneschreibungen genau so auch auf der Mesainschrift.
Die Nisbe- Endung liegt vor in 'isa^l „Daibonit" Z. 1/2, das Pro-
nomen suffixum der 1. Pers. Sing, am Nomen in "iDSi „mein Vater"
Z. 2. 3, ^b „mir" Z. 14.- 32 u. dgl. ; das Wort -»sn „Hälfte" findet
sich in Z. 8. Leider läßt sich jedoch über die wirkliche Aussprache
auch in diesen Fällen nichts Sicheres ausmachen , da uns hier In-
dizien, wie sie im Phönizischen vorhanden waren, fehlen.
Außerdem aber hat die Mesainschrift Pleneschreibung auch
noch in anderen Fällen, wo die Phönizier defektiv schreiben, oder
die betreffenden Formen im Phönizischen noch nicht nachgewiesen
sind. Darunter finden sich allerdings wiederum mehrere Fälle, in
welchen die wirkliche Aussprache nicht sicher festzustellen ist,
nämlich das Pronomen suffixum der 1. Pers. Sing, am Verbum ■>;-
(Z. 4 isyon „er rettete michf und ''jSnn „er ließ mich sehen"), ur-
sprünglich wohl -n/ja, phönizisch ]- geschrieben; die Endung des
Stat. constr. im (Dual und) Plural des Mask. ">- (Z. 8 "»«^ „Tage",
13. 18 "^SD „Gresicht" u. dgl.), ursprünglich -aj, phönizisch überhaupt
nicht geschrieben; die Partikel "^D „daß, denn" Z. 4 u. ö-, ursprüng-
lich vielleicht mit konsonantischem -;", vgl. arab. ^S (Brock. S. 74),
phönizisch D; auch der Imperativ ItDS' „macht" Z. 24, bei welchem
trotz des hebräischen itüV diphthongische Aussprache nach Ana-
logie des syrischen oäJ nicht ganz ausgeschlossen wäre (im Phöni-
zischen kommt nach Lidzb. S. 401 ff", kein Imperativ vor, doch wird
das Perf. „sie bauten", hebr. 123, bloß p geschrieben). Aber an-
drerseits gibt es doch auch im Moabitischen einige Fälle, in welchen
sich auf Grund verschiedener Erwägungen mit großer Sicherheit
behaupten läßt, daß es sich nur um Lesemütter handeln kann.
Zar Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 323
Der erste und wichtigste Fall ist die auf der Mesainschrift
häufig vorkommende 1. Pers. Sing. Perf. , die am Schlüsse stets
mit ■'- geschrieben wird, vgl. z. B. '>r35'D „ich wurde König' Z. 2/3,
•^r:! „ich baute" Z. 21 ff. = hebr. TiiIS. Die Endung dieser Yer-
balform lautete in den verschiedenen semitischen Dialekten ver-
schieden : -Tcu, -tu, -ti (Brock. § 262 e), ging aber in allen auf einen
Vokal aus. Daß die Moabiter hier im Gegensatz zu allen übrigen
Semiten einen Konsonanten ">- gehabt haben sollten, ist schlechthin
unglaublich; auch wird in Z. 17, wo an die 1. Pers. Sing. Perf.
noch ein Pronomen suftixum angehängt ist, defektiv nn'Qinn „ich
weihte sie" geschrieben. In diesem Falle wird also ■^- sicher nur
ein Zeichen für den Vokal -i sein. Das Vorhandensein einer solchen
Vokalbezeichnung setzt aber voraus, daß vorher schon in anderen
Fällen ein ursprünglich konsonantisches "«- in den Vokal -i über-
gegangen war ; denn nur wenn dieser Übergang schon öfter statt-
gefunden hatte, erklärt es sich, daß man '^- als Zeichen für -i be-
trachtete und nach der Analogie auch da schrieb, wo von Haus
aus kein Konsonant "^ gestanden hatte. Hieraus können wir weiter
schließen, daß i- auch in mehreren der vorher angeführten Fälle,
bei denen an sich nichts Sicheres über die Aussprache zu ermitteln
war, bloßes Vokalzeichen ist. Speziell wird diese Annahme er-
laubt sein für die Pronomina suffixa der 1. Pers. Sing, "i- in "^nK
„mein Vater" etc. und "*> in i:yün „er rettete mich" etc. Denn
die Suffixe ^- und ■>:- und die Verbalendung Ti- stimmen nicht nur
im Ausgang auf -i überein, sondern sind auch sachlich verwandt,
da sie alle drei die 1. Pers. Sing, bezeichnen. Je näher aber die
Verwandtschaft ist, desto leichter kommt es zu Analogiebildungen
und auch zu Analogieschreibungen. Daher darf man geradezu an-
nehmen, daß die Schreibung T- durch die Analogie von "*- und
i;- veranlaßt ist.
Zwei andere Fälle liegen vor in n:n „er baute" Z. 18 und
nbb „Nacht" Z. 15. Bei beiden läßt sich mindestens mit Sicher-
heit behaupten, daß n- kein aus der Urzeit stammender Konsonant
ist. Die Verba n"'5 hatten als letzten Radikal ursprünglich ic oder
;■; mit "- schrieb man sie erst, nachdem der letzte Radikal fort-
gefallen war. In nbb wäre n- nach der hebräischen Punktation
tiyo (mit Ton auf der ersten Silbe) fossile Akkusativendung. Ur-
sprünglich hat es aber vielleicht nb'^b = syr. u^..^ (^'gl« den arab.
Plur. JLJ) geheißen, s. (xesenius-Buhl, Hebr. u. aram. Handwörter-
buch s. V. Auf jeden FaU wird n- auch hier jüngeren Datums
sein. Selbst wenn die Akkusativenduaff in der Urzeit -hä srelautet
324 Alfred Rahlfs,
haben sollte (vgl. Brock. § 245 a), dürfen wir diese Urform für das
Moabitische wohl sicher nicht mehr zugrunde legen.
Über die Entstehung der Lesemutter n- wird beim Hebräi-
schen ausführlicher zu handeln sein (s. unten S. 329 f.). Hier sei
nur bemerkt, daß die von Brock. S. 409 Anna. 1 vertretene Her-
leitung dieser Lesemutter von der Femininendung des Nomens ge-
rade durch das Moabitische widerlegt wird. Denn wenn Brock,
sich zum Beweis für seine Annahme auf das Phönizische beruft,
welches noch die alte Femininendung n- erhalten hat und, wie
Brock, meint, aus diesem Grunde auch noch keine Lesemutter n-
kennt, so hat er dabei übersehen, daß das Moabitische genau so
wie das Phönizische noch die Femininendung n- hat und trotzdem
in nsn und nbb schon n- als Lesemutter verwendet. Von wo solche
Schreibungen wie nsi und nbb in Wirklichkeit ausgegangen sind,
können wir nicht sicher feststellen und infolgedessen auch keine
weiteren Schlüsse aus ihnen ziehen.
Wir haben gesehen, daß ">- und n- auf der Mesainschrift in
gewissen Fällen Lesemütter sind, und müssen nun die Frage auf-
werfen: Was veranlaßte die Moabiter zur Setzung dieser Lese-
mütter? Hier lautet die Antwort ebenso wie früher bei den phö-
nizischen Plenesehreibungen : die Rücksicht auf das Verständnist
Man schrieb die 1. Pers. Sing. Perf., z. B. inDbia , mit ">- , um sie
von der 2. Pers. Mask. und Fem., hebr. PS^'a und Tdyn, zu unter-
scheiden. Man charakterisierte die Verba n"b , die bei streng pho-
netischer Schreibung in vielen Formen mit den Verbis Y'y, i"3? und
y"? zusammenfielen, durch die Hinzufügung des n-. Man unter-
schied nbb durch das n- von der kürzeren Form, die im Hebr»
b'b, im Arab. J»aJ heißt. Ebenso wie diese Fälle, in welchen es
sich sicher oder höchst wahrscheinlich um bloße Lesemütter handelt,
lassen sich aber auch die übrigen Fälle erklären, bei welchen die
Möglichkeit konsonantischer Aussprache an sich nicht ausgeschlossen
war. Daß man die Nisbe-Endung und das Pronomen suffixum der
1. Pers. Sing, am Nomen mit "- schreiben mußte, weil sie sonst
in der Schrift überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen wären,
und daß man "^in zum Unterschied von yn und yn plene schrieb,
haben wir schon beim Phönizischen gesehen. Analoge Rücksichten
auf das Verständnis können auch für die übrigen Plenesehreibungen
des Moabitischen maßgebend gewesen sein. Das Pronomen suffixum
der 1. Pers. Sing, am Verbum "i:- fiel, nach phönizischer Weise
bloß "}- geschrieben, mit dem Suffix der 1. Pers. Plur. 13- zusammen.
Ließ man die Endung des Stat. constr. im Dual und Plur. des
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 325
ATask. ■^- fort, so war der Dnal und Plur. nicht vom Sing, zu un-
terscheiden. "^D »daß, denn", defektiv geschrieben, fiel mit D »w^ie"
zusammen. Und im Imperativ hätten bei streng phonetischer
Schreibung die drei Formen TWS , "'TB? , ^TOV ganz gleich ausgesehen.
Hierdurch wird es wahrscheinlich, daß es sich auch in diesen Fällen
— ebenso wie im Hebräischen, das ja mit dem Moabitischen eng
verwandt ist — in der Tat nur noch um Lesemütter, nicht mehr
um wirklich ausgesprochene Konsonanten handelt. Und dafür
spricht auch die Beobachtung, daß das Moabitische im Inneren der
Wörter, wie besonders n55 „Nacht" Z. 15 = hebr. ro"^^ und "jr«^
„zweihundert" Z. 20 = hebr. O'^rs^'C beweisen, sogar schon mehr
alte Konsonanten verloren hat als das Hebräische.
Anhangsweise sei hier noch das Pronomen separatum der 1.
Pers. Sing, erwähnt, welches auf der Mesainschrift stets i:x ohne
■1- geschrieben wird (Z. 1. 2. 216*.). Zu dieser Schreibung bemerkt
M. Lidzbarski, Altsemitische Texte 1 (1907), S. 5 in Übereinstim-
mung mit Th. Nöldeke (Die Inschrift des Königs Mesa von Moab
[1870], S. 33) und anderen Forschern: „TX, wahrscheinlich ohne
auslautendes i gesprochen, da dieses in der Mesainschr. ausge-
schrieben wird ("»a» , Tsbtt)". Aber wenn man auch bei der De-
fektivschreibung i:k naturgemäß nicht sicher behaupten kann, daß
die Moabiter das auslautende -i noch bewahrt hatten, so darf man,
glaube ich, aus ihr noch viel weniger den Schluß ziehen, daß die
Moabiter das -i verloren hatten. Denn der Fall liegt bei TK ganz
anders als bei "i^S und TObTS. Diese mußte man plene schreiben,
weil sie sonst nicht von as „Vater" und ra^'a „da wurdest König"
zu unterscheiden waren. Defektiv geschriebenes ^:s dagegen konnte
höchstens mit ^IS ,,Blei"' verwechselt werden ; eine solche Ver-
wechselung war aber wohl stets schon durch den Zusammenhang
ausgeschlossen. Daher war hier die Hinzufügung einer Lesemutter
gar nicht nötig, und so ist es nicht zu verwundern, daß auch im
Phönizischen und im Altaramäischen (Hadadinschrift Z. 1) 1:S5 ge-
schrieben wird ^). Umgekehrt muß es eher auflPallen, daß daneben
im Altaramäischen (Panammuinschrift Z. 19) und sogar im Phöni-
zischen (s. Lidzb. S. 2*22) die Pieneschreibung i-:s5 vorkommt. Und
diese Tatsache beweist doch wohl zur Grenüge, daß auch die alten
Aramäer und die Phönizier trotz der Defektivschreibung das alte
-i bewahrt hatten^). Daher glaube ich, daß auch die Moabiter
1) Hierzu führt mir K. Sethe eine ägyptische Parallele an: „Das Ägyptische
schreibt das Aleph prostheticum nie bei Formen mit Gemination, weil es bei
diesen zur Erkennung der Formen nicht nötig war".
2) M. Lidzbarski, Altsemitische Texte 1 (1907), S. 12 schließt aus dem
326 'Alfred Rahlfs,
*'Dbb5 gesprochen und zu 12« nur deshalb keine Lesemutter hinzu-
gefügt haben, weil 13S ohnehin deutlich genug war.
Im Hebräischen müssen alle auslautenden Vokale außer
■ä stets plene geschrieben werden. Die Lesemütter sind wie im
Moabitischen 1-, ">- und n-; daneben kommt S?- als quieszierender
Buchstabe vor, jedoch mit verschwindenden Ausnahmen nur in
Fällen, wo ursprünglich ein Konsonant S- gestanden hatte, so daß
wir hier von ihm absehen können. Die Lesemütter verteilen sich
auf die verschiedenen vokalischen Ausgänge in folgender Weise:
-U und -I stets ■=!- und ''-7-
-ö und -e entweder i- und "^-^j oder fC — und H-;;-
-a und -^ stets n^^ und H-^, falls -ä nicht unbezeichnet
bleibt.
Darin, daß alle auslautenden Vokale außer -ä stets bezeichnet
werden müssen, so daß also hier z. B. auch nicht mehr i:i5, sondern
nur "»DIS? erlaubt ist, läßt sich eine gewisse Systematisierung nicht
verkennen. Doch ist dieselbe gar nicht so künstlich , wie sie auf
den ersten Blick erscheinen könnte, sondern fast mit Naturnot-
wendigkeit aus dem Zusammenwirken zweier Tendenzen, die wir
bereits kennen gelernt haben, erwachsen, nämlich 1) dem konser-
vativen Zuge der hebräischen Orthographie, 2) der Rücksicht auf
die Verständlichkeit des Greschriebenen. Ich werde dies im ein-
zelnen zu zeigen versuchen und beginne dabei mit der Bezeich-
nung von -ü und -i durch 1- und '^-.
Der konservative Zug der hebräischen Orthographie zeigt sich,
wie schon S. 316 bemerkt, darin, daß die alten Konsonanten 1 und
"i in der Regel auch da beibehalten sind, wo sie in der Aussprache
geschwunden waren und nur noch ein Vokal übriggeblieben war.
Besonders streng ist diese Praxis am Wortende durchgeführt. Das
erklärt sich daraus, daß 1 und "^ gerade am Wortende für das
Verständnis besonders wichtig waren. Denn in der Regel handelte
es sich hier entweder um kurze Wörter wie ^nn „Wüstenei", i»
„oder", "inö ,, Frucht", "'ly „arm", '^n') „er werde", oder um Endun-
gen, welche wie die Nisbe-Endung -l, das Nominalsuffix der 1. Pers.
Sing, -l und die Endung des Stat. constr. im Dual-Plural des Mask.
-e jetzt nur noch aus einem Vokal bestehen. Jene kurzen Wörter
Vorkommen der beiden Schreibungen "^SK und ''SSS im Phönizischen auf einen
dialektischen Unterschied. Ich halte es für wahrschcinliclier, daß es sich nur um
einen orthographischen Unterschied handelt, ebenso wie im Altaramäischen , wo
der Vater Panammu (in der Hadadinschrift) ^DS , der Sohn Barrekub dagegen (in
der Panaramuinschrift) "^DDS schreibt.
Zur SetztiDg der Lesemütter im Alten Testament. 327
wären bei defektiver Schreibung gar zu nnkenntlicb geworden und
auch oft mit anderen Wörtern zusammengefallen, z. B. '^"'S ,, Frucht'
mit IE „junger Stier'', "^I^ „arm" mit y^7 „Auge" u. dgl. (vgl. das
oben S. 321 über isn „Hälfte" Bemerkte). Die nur noch aus einem
Vokal bestehenden Endungen aber wären bei Defektivschreibung
überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen und werden ja deshalb,
wie wir sahen, sogar im Phönizischen z. T. plene geschrieben.
Aber die Hebräer sind nun nicht dabei stehen geblieben, die
aus der Urzeit überlieferten V und "'- zu konservieren, sondern
haben diese Buchstaben auch da, wo ursprünglich kein Konsonant
"- oder 1- vorhanden gewesen war, als Lesemütter hinzugefügt,
und zwar nicht bloß gelegentlich wie die Phönizier und Moabiter,
sondern überall, wo ein Wort auf -ü oder -l ausging. Indessen
ist auch für diese Verwendung von "i- und •'- als bloßer Lesemütter
in der Regel die Rücksicht auf das Verständnis maßgebend ge-
wesen. Es gab im Hebräischen viele Fälle, in welchen ähnliche
Formen sich nur dadurch unterschieden, daß die eine auf -ü oder
-T, die andere auf einen anderen Vokal oder vokallos ausging.
Hätte man hier nun bloß die Konsonanten geschrieben, so würden
diese Formen in der Schrift ganz zusammengefallen sein. Daher
zeigte man das aaslautende -ü oder -? durch V oder ^- an. Fol-
gende Fälle, in welchen wir mit Sicherheit anndimen können, daß
ursprünglich kein Konsonant 1- oder ■>-, sondern nur ein Vokal
vorhanden gewesen ist, kommen hier in Betracht.
Das Pronomen personale separatum der 2. Pers. Sing, hieß
ursprünglich im Mask. \i)da , im Fem. "anti. Das Mask. wird im
Alten Testamente gewöhnlich nn» geschrieben (vgl. unten S. 338.
341 f.), das Fem. dagegen zuweilen TS (Ges. § 32/<), also mit ">- für
-i zur Unterscheidung vom Maskulinum (vgl. oben S. 317 Anm. 1\
Gewöhnlich allerdings fehlt '^-, da das Fem. seinen auslautenden
Vokal früh verloren hat; und auch da, wo TÄ geschrieben ist,
hat das Q^re es in rs korrigiert.
Im Pronomen personale suffixum hießen die entsprechenden
Formen der 2. Pers. Sing, -la und -Jci. Auch hier kommt beim
Fem. gelegentlich ^2- vor (Ges. § 58^. Qle.l) zum Unterschiede
vom Mask. 7^- (selten ro-). Gewöhnlich allerdings fehlt auch hier
das ■^- aus demselben Grunde wie bei "^ns.
Das Pronomen suffixum der 3. Pers. Sing, hieß ursprünglich
im Mask. -hu, im Fem. -ha. Dementsprechend schrieb die Mesa-
inschrift, wie wir S. 321 f. sahen, für beide Geschlechter stets n-,
und auch im Althebräischen kommt n- noch zuweilen für das Mask.
vor, z. B. Gen. 9 21 u. ö. 7<^nili (Q^re V;nj{) „sein Zelt", Exod. 3225
328 Alfred Rahlfs,
nb^nö ,,er überließ ihn sich selbst" (Ges. § 58*7. 91 e). Aber später
haben die Hebräer n- nur für das Fem. beibehalten, dagegen für
das Mask., je nachdem es sein -Ji- bewahrt oder verloren hatte,
in- oder 1- eingeführt, letzteres nicht nur in io'io „sein Pferd",
ib'üp „er tötete ihn" u. dgl. (s. unten S. 334). sondern auch in
^UB'a „von ihm", inbi:p „sie tötete ihn ^^ ^^btOj?"] „er wird ihn töten".
Das Pronomen sufRxum der 1. Pers. Plur. -nu (oder -na ?) wird
im Phönizischen ebenso mit bloßem )- geschrieben wie das Verbal-
suffix der 1. Pers. Sing, -ni (ursprünglich -nija). Die Hebräer
unterscheiden 1i- und i3-.
Ebenso unterscheiden sie durch die Hinzufügung der Lese-
mütter ""ü „wer?" von rra „was?" und das Relativpronomen ^T
von HT „dieser".
Beim Nomen ist die alte Grenetivendung -i zuweilen noch fossil
erhalten. Sie wird durch "i- angezeigt, weil sie sonst in der Schrift
gar nicht zum Ausdruck käme.
Beim Verbum wird die 1. Pers. Sing. Perf,, wie auch im Moa-
bitischen (s. oben S. 323), aber nicht im Phönizischen (Schröder
S. 193. 204. Lidzb. S. 399 ff.), durch die Pleneschreibung ^nbt2p von
der 2. Pers. P|bp|5 und ribt:]? unterschieden. Auch die 2. Pers. Fem.,
die im Althebräischen ebenso wie die 1. Pers. auf -ti ausging, wird
zuweilen noch mit "i- geschrieben (Gres. § 44//), aber das Q^re hat
das 1- hier ebenso getilgt wie bei dem entsprechenden Pronomen
personale separatum 'itiN.
Die 3. Pers. Plur. Perf. V?::]? wird pleno geschrieben, weil sie
sonst mit der 3. Pers. Sing, btsp zusammenfiele.
Im Imperfektum und Imperativ werden die auslautenden Vo-
kale -i und -u in "'büpn , ^bup'; , ib'jpn und ""bi:]? , ibt:]? durch ■'- und
1- angezeigt, weil "^btspn und 'ibupF) sonst mit bbpn, ^bi:]?'^ mit
biap';!, "»bpp und ^bpp mit bbjp zusammenfielen.
In allen diesen Fällen erklärt sich die Hinzufügung der Lese-
mutter aus dem Streben, die betreffenden Formen von anders aus-
lautenden Formen, mit denen sie sonst in der Schrift zusammen-
fallen würden , zu unterscheiden. Nur wenige Fälle bleiben nun
noch übrig, in welchen solche konkurrierenden Formen nicht vor-
handen sind: die Pronomina personalia separata "ipbs und "^rs
„ich", isn?» oder 'irn? „wir", und beim Verbum die 1. Pers. Plur.
Perf. IDb'jp „wir töteten". Allerdings waren auch hier gewisse
Verwechselungen möglich ; z. B, konnte defektiv geschriebenes ''Dbx
auch als -TSIä „Blei", defektiv geschriebenes isbup auch als ibüp ,,er
tötete sie (die Frauen)" oder ibü)? „ihr (der Frauen) Töten" auf-
gefaßt werden. Aber solche Verwechselungen kamen praktisch
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament 329
kaum jemals in Betracht und dürfen bei der Vieldeutigkeit, welche
so vielen hebräischen Wörtern trotz der Lesemütter eignet, nicht
in Rechnung gestellt werden. Daß man trotzdem auch diese Formen
nach Analogie der übrigen auf -f und -ü auslautenden Formen
plene geschrieben hat, erklärt sich um so leichter, als gerade hier
ganz besonders nahe Parallelen vorhanden waren, welche die Ana-
logieschreibung aufs leichteste hervorrufen konnten. Denn wenn
man die Pronomina suffixa der 1. Pers. Sing. •>- und "^:- und die
Endung der 1. Pers. Sing. Perf. Tv- mit "^ schrieb, so lag es doch
sehr nahe, dieselbe Schreibung auch auf die Pronomina separata
der 1. Pers. Sing. ''Drs und '':s, welche ebenso wie jene auf -i aus-
gingen, zu übertragen. Und wenn man einmal das Pronomen suf-
fixum der 1. Pers. Plur, M- mit V schrieb, so wäre es fast ein
Wunder zu nennen, wenn man die ganz genau so ausgehenden und
gleichfalls die 1. Pers. Plur. bezeichnenden Formen i:n:«, i:n: und
i;bi2p nicht ebenso geschrieben hätte.
Während -ü und -i stets durch "[- und "'- bezeichnet werden
müssen, können -ö und -e entweder 'gleichfalls durch "-
und •'-, oder durch n- angezeigt werden, i- und "'^^ er-
klären sich ohne weiteres als Analogieschreibungen nach Wörtern,
in welchen ein ursprünglich konsonantisches 1- oder "»- in Verbin-
dung mit vorhergehendem a zu rein vokalischem -ö oder -e ge-
worden war, z. B. is ,,oder' aus 'atc und ■'ra „Söhne'' aus IjanaJ.
Verwickelter liegt die Sache bei der Bezeichnung von -ö und -e
durch n-, zumal dieselbe Lesemutter außerdem auch zur Andeutung
von -ä und -e dient. Daher müssen wir zunächst auf die Frage
eingehen : Wie erklärt sich diese vielseitige Verwendung des n ?
Wie 1 und ^ , ist auch die Lesemutter n in gewissen Fällen
ursprünglich Konsonsint gewesen. Ein aus der Urzeit stammendes
h liegt vor 1) in theophoren Eigennamen wie n^'5S aus ^n^'"S ,
2) beim Pronomen suffixum der 3. Pers. Mask. Sing, -ö aus -a-hu.
welches, wie oben S. 327 f. bemerkt, zuweilen noch mit n- geschrieben
wird. Jüngeren Datums ist n- z. B. bei der Femininendung des
Nomens im Status absolutus, ursprünglich -at, später -ah. Daß
auch hier das h einst, wenigstens in gewissen Fällen (in Pausa),
wirklich ausgesprochen wurde, nimmt man, glaube ich, mit Recht
an. Die Parallele des Arabischen, welches die Feminiuendung
gleichfalls durch -h anzeigt, spricht entschieden dafür ^) ; auch kann
man sich schwer vorstellen, weshalb die Hebräer gerade n- und
1) Nach einer Mitteilung von E. Littmann hat J.-J. Heß von Zentralarabem
das -h der Femininendung in Pausa noch deutlich gehört.
330 ' Alfred Rahlfs,
nicht etwa S<- als Lesemutter gewählt haben sollten, wenn nicht
wirklich in gewissen Fällen ein -Ä gesprochen wäre. Nur glaube
ich aus dem oben S. 324 angegebenen Grunde nicht, daß die Lese-
mutter n- gerade von der Femininendung ausgegangen ist. Meines
Erachtens liegt auch gar kein Grrund vor, weshalb sich jenes se-
kundäre -h gerade bei ihr zuerst entwickelt haben sollte. Über-
all, wo man einen vokalischen Ausgang mit Nachdruck spricht,
kann hinter ihm leicht ein Hauchlaut entstehen. Brock. S. 48
bringt lehrreiche Beispiele dafür bei , z. B. die arabische Endung
des Ausrufs -äh neben -ä in ja "abatäh „o Vater" ^) und aus der
Sprache des Negd dah „dieser"; auch stellt er damit gut die klas-
sisch-arabischen Formen äihi und tihi für dt und tt zusammen, in
denen der nachdrücklich gesprochene Endvokal zweigipflig geworden
ist und einen Hauchlaut zwischen den beiden Gripfeln bekommen
hat^). Jenem dah entspricht im Hebräischen HT „dieser" nebst
dem Fem. n'T „diese". Andere hebräische Wörter, deren n- sich
leicht aus nachdrücklicher Aussprache des Endvokals erklären läßt,
sind "Ta oder TVü ,,was?" (vgl. die arab. Pausalform mah Ges. § 37 b.
Brock. §110b), n^K „wo?", nsn „siehe da!", nb „so"^), ns „hier"^).
Von solchen vielgebrauchten Wörtchen kann die Verwendung des
1) Vgl. im Deutschen „oh"' neben „o". Jenes hat man nach Duden zu
schreiben, wenn es sich um einen nur aus dem Wörtchen „oh!'* bestehenden Aus-
ruf handelt (also in Pausa) , dieses in Verbindung mit anderen Wörtern, z.B.
„0 ja."", „0 König!''.
2) Ebenso hörte ich von meinen Kindern und Dienstboten bei nachdrück-
licher Beteuerung deutlich ,Jaha^ statt „ja^. Etwas anders erklärt Brock. S. 48
die Formen.
3) ns aus kä ist schon an sich wegen der Länge des Vokals gegenüber S
aus kä (vgl. HD^X, HM) eine Nächdrucksform.
4) Analog erklärt sich die Schreibung von Xb „nicht" mit S5 ; wie mir Litt-
mann mitteilt, wird ^ „nein" noch jetzt im Neuarabischen mit hörbarem JA ge-
sprochen (vgl. Brock. S. 48). Auch HB „hier" ist einmal (Hiob 38 u) XB ge-
schrieben. Ein großer Unterschied wird zwischen H- und S- kaum gewesen sein ;
darauf weist der Wechsel von H- und i5- im älteren Aramäischen hin (erst im
Syrischen hat X- die Alleinherrschaft errungen). Übrigens mußte xb im Hehr,,
Aram. und Arab. auch deshalb mit S- geschrieben werden, weil es sonst mit nb
ot^ äI „ihm, ihr" oder, wenn man es defektiv geschrieben hätte, mit b ^ J
„zu" zusammengefallen wäre (doch kommt die Defektivschreibung b „nicht" ver-
einzelt im Aram. vor, s. Lidzb. S. 301 ; auch setzt die Wiedergabe von "jsb „darum"
durch oix ovToog in der LXX Gen. 4 lö. 30 15 u. ö. die Auffassung von b als „nicht"
voraus). Ähnlich steht es mit NIB» (oder IB«) „nun, denn" ; es wird durch die
Schreibung mit S- von HB"'« „wo?" unterschieden.
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 331
n- als Lesemutter ebensogut ansgegangen sein, wie von der Fe-
mininendung. Das Herabsinken des eigentlich konsonantisclien -h
zur bloßen Lesemutter erklärt sich daraus, daß es nicht immer,
sondern nur bei nachdrücklicher Aussprache lautbar wurde, trotz-
dem aber begreiflicherweise, nachdem es sich einmal eingebürgert
hatte, stets geschrieben und auch auf andere Fälle mit denselben
vokalischen Ausgängen übertragen wurde.
Aus der dargelegten Entstehung der Lesemutter n erklärt
sich ohne weiteres, daß sie im Gegensatze zu ^ und ^ nur am Wort-
ende vorkommen kann ^). Daraus erklärt es sich aber auch , daß
sie im Gregensatze zu 1 und "^ nicht auf eine bestimmte Yokalgruppe
beschränkt, sondern im Grrunde gegen den Vokal völlig indifferent
ist. Während nämlich l und ^ häufig in ü und i übergegangen
sind oder durch Zusammenziehung mit vorhergehendem a ein ö
oder e ergeben haben, hat n auf den Vokal, den es jetzt als Lese-
mutter anzeigt, nirgends einen Einfluß ausgeübt. In den beiden
Fällen, in denen es sich um ein aus der Urzeit stammendes h han-
delte, schwankt der Vokal zwischen « in n~'"S und ö in «Tbri? , und
weder das ä noch das ö ist von dem 7/ beeinflußt ; denn "^'5K ist
eine einfache Verkürzung von ^n*!:i? ohne jede weitere Verände-
rung, und das Pronomen suffixum -0 ist durch Monophthongierung
aus -rü-hu nach spurlosem Ausfall des h entstanden. Erst recht
aber zeigt sich die Neutralität des n- bei jenen vielgebrauchten
Wörtchen mit sekundärem -//, von denen ich die Lesemutter n- in
1) Keine Ausnahme bilden natürlich die aus zwei Wörtern zusammengesetzten
Eigennamen ^Knin (aber gewöhnlich bSTH geschrieben), 5KntD7, ^5?n"E (so
TokaUsiert ! als ob H Konsonant wäre) und n'SnrB , da T\ bei ihnen den Schluß
des ersten Wortes bildet. — Ein eigentümlicher Fall liegt vor bei dem, soweit
ich sehe, noch immer nicht lichtig gedeuteten -iST' als erstem Bestandteil von
Eigennamen. Dies -in*' ist nämlich nicht, wie man fabelt, aus einem ganz uner-
klärlichen -"n") für -"y-i^ entstanden und dann später zu -'!'' zusammengezogen,
sondern umgekehrt erst durch eine ganz junge Distraktion aus -i"' entstanden.
Nur -T' erklärt sich naturgemäß : wie süs-a-hu „sein Pferd" nach Ausfall des h
zu süsö geworden ist, so Jahu- zu Jö-. Dies Jö- wurde nun manchmal phonetisch
-"* geschrieben; manchmal dagegen behielt man die historische Schreibung -in*'
bei. Diese historische Schreibung aber bereitete den späteren Juden große Schwie-
rigkeiten, da n im Wortinneren sonst nicht quieszierte. Daher faßten sie das n
auch hier als Konsonanten und sprachen statt Jö- mit Einschiebung eines Schwa
J*fiö-, ähnlich wie sie das historisch allein berechtigte rSTD „aufheben", das in
rsicb (Ges. § 76 &) noch erhalten ist, zu rxfc , und rS©T2 „Aufhebung", wie
eigentlich gesprochen werden müßte, zu rSTCr distrahierten ; vgl. auch pcin"^ Ps.
81 6 (auch inschriftlich vorkommend, s. Lidzb. S. 286) neben dem sonst üblichen '^y^.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. - 23
332 Alfred Rahlfs,
erster Linie herleiten möchte: JTO hat -ä oder -^, HT -^ oder -ö,
rr^ii und nsn -e, ns und ns -0. Hier sind also alle im Auslaut
vorkommenden Vokale außer den stets durch V und "i- bezeich-
neten -li und -* vertreten.
Kehren wir nunmehr zu der Bezeichnung des auslautenden -ö
und -e zurück, so zeigt sich folgendes :
-ö wird außer in den bereits angefülirten Fällen (n^n»; h't,
ns, nb, vgl. auch oben S. 330 Anm. 4) stets oder gewöhnlich durch
n- angedeutet im Infin. abs. der Verba n"b (rfba) und in mehreren
Eigennamen, besonders dem Königsnamen nidbö, den Ortsnamen
n'ba , nbito ^) und rtbü (vgl. J. Olshausen, Lehrbuch der hebr. Sprache
[1861], § 215 g. Ges. § 85 v) und auch den ägyptischen Wörtern
nb"iB (Titel des Königs) und Jnb5 (Königsname), die hier mit anzu-
führen sind, weil ihr n- spezifisch hebräisch ist und im Ägypti-
schen überhaupt kein konsonantisches Äquivalent hat^).
-ö wird 1- geschrieben 1) gewöhnlich im Pron. suff. der 3. Pers.
Mask. Sing, -ö aus -a-hu, 2) in der fossilen Nominativendung -ö
aus -u, 3) in der archaistischen Form des Pron. suff. der 3. Pers.
Mask. Plur. -mö aus -humu, 4) in dem poetischen iUS „wie" aus
ka-mä, 5) auch in anderen, unten zu erwähnenden Fällen.
-e wird außer in den bereits angeführten Fällen (H)^S, nsn)
durch n- angedeutet im Imperativ der Verba n"b (nbä) und im
Stat. constr. des Singulars der Nominalbildungen von Wurzeln
1) T\yW kommt auch auf Krugstempeln vor, s. M, Lidzbarski, Epbemeris
f. sem. Epigraphik 1 (1902), S. 54. 179.
2) Nach K. Sethe, der hierzu bemerkt: „Das Aleph, das das altägyptische
Prototyp von liyysi hinter dem • 'Ajin enthielt (Pr-'i „großes Haus"), war seit
dem neuen Reich sicherlich längst verloren, da das Wortbild von ' i „groß" (kopt.
o) bereits damals zur Schreibung des einfachen 'Ajin in Fremdwörtern verwendet
wurde. Der 0- Vokal, den die koptische Form nppo aufweist, wird durch die
Wiedergabe des Wortes in den Annalen Sargons bereits für das Ende des 8. Jahrh.
V. Chr. bezeugt: Pi-ir-'-u, s. G. Steindorfi' in den Beiträgen zur Assyriologie und
vergl. semit. Sprachwiss. 1 (1890), S. 342. — Die Annalen Assurbanipals geben
den Namen Necho durch Ni-ku-u oder Ni-ik-ku-u wieder (a. a. 0., S. 346). Der
seiner Herkunft nach vermutlich libysche Namo wird hieroglyphisch N-ki-w mit
dem Zeichen ki oder dem gleichwertigen Bilde des Stieres an seiner Stelle ge-
schrieben. Das kann aber nach der ganzen Art der Schreibung nur eine soge-
nannte „syllabische" Schreibung für den Konsonanten k sein, wie sie bei Fremd-
wörtern üblich war. Ein » ist damit nicht bezeichnet. Der Name ist also Nkw
d. i. 1D5 zu lesen. SteindorflF (a. a. 0., S. 347) hält das w für die Bezeichnuiu,'
eines konsonantischen Waw. Dagegen spricht jedoch die demotische Schreibung,
die nur N-ki d. i, ^D gibt (Griffith, Catalogue of the Demotic Papyri in the John
Rylands Library Manchester HI [1909], S. 243, Note 7).«
Zar Setzung der Lesemütter im Alten Testament. B33
n"5 (nba , nnie), auch in dem Worte n;n« „Lowe" und in der Form
nniDy, welche das Zahlwort „10" bei den weiblichen Zahlen 11 — 19
annimmt.
Bezeichnung von -e durch "»- findet sich fast nur in Fällen,
wo ursprünglich ein Konsonant ''- vorhanden gewesen war (^SC
„wo?"; Endung des Stat. constr. des Daal-Plurals "^^rj archaisti-
sche Formen einiger Präpositionen wie ^b7). Die einzige mir be-
kannte Ausnahme ist "'bib .,wenn nicht'" neben dem ursprünglicheren
Daß man das auslautende -ö und -e überhaupt irgendwie an-
deutete, erklärt sich in den meisten Fällen leicht. Bei den ein-
silbigen Wörtchen nt, 713, nis war die Hinzufügung des n-, ganz
abgesehen von dem oben S. 330 Dargelegten, auch deswegen not-
wendig, weil Wörter, die nur aus einem einzigen Buchstaben be-
stehen, nach einer auch aus dem Syrischen und Arabischen be-
kannten und schon auf der Mesainschrift befolgten Regel nicht als
selbständige Wörter, sondern als Präpositionen gelten und mit
dem folgenden Worte zusammengeschrieben werden; überdies wäre
n's „so" bei Defektivschreibung mit "'S „denn, daß" und 3 ,,wie"
zusammengefallen. Ableitungen von Wurzeln n"b wie nba , nba ,
nba, TVTtt wären ohne Andeutung des vokalischen Ausganges gar
zu unkenntlich gewesen und oft mit Ableitungen von Wurzeln
1"?, "»"y und y"y (z. B. b'^y und bby) zusammengefallen. Hätte man
in TVQ'^ti das schließende -ö nicht bezeichnet, so wäre dieser Eigen-
name nicht von dem anderen Eigennamen O^^TD und auch nicht von
cbc ..vollständig", Dlbr ,. Wohlbefinden" u. dgl. zu unterscheiden
gewesen. Ebenso wären bei Defektivschreibung die längeren Formen
n^S , nsn , n^'^S mit den kürzeren "'S , "jn , ins und die archaistische
Suffixform iT3- mit der gewöhnlichen Form, die oft aus bloßem 3-
besteht, zusammengefallen. Und gar das Pron. suff. -ö und die
fossile Xominativendung -ö wären bei Defektivschreibung überhaupt
nicht zum Ausdruck gekommen. Allerdings läßt sich nicht Tür
schlechthin jeden Fall ein ähnlich zwingender Grrund zur Plene-
schreibung aufweisen; aber wenn in so vielen Fällen die Hinzu-
fügung einer Lesemutter notwendig war, so ist die Verallgemeine-
rung der Pleneschreibung eigentlich selbstverständlich.
Von den beiden Bezeichnungen des auslautenden -ö scheint
die durch n- die ältere zu sein. Ein so alter Eigenname wie Sa-
lomo wird stets mit H- geschrieben, und auch die alten Moabiter
verwendeten n- für -ö, ganz sicher z. B. in dem Namen der Stadt
Nebo, die auf der Mesainschrift Z. 14 nn;, im A. T. dagegen ".23
geschrieben wird. Umgekehrt erscheint > gerade in jüngeren
. 23*
334 Alfred Rahlfs,
Schriften des A. T. Öfters in Wörtern, die in älteren Schriften mit
n- geschrieben sind: nur in der Chronik und im Q^re von Jos. 1048
findet sich iDitO statt des nicht bloß in Jos., Sam. I und Kön. I
überlieferten, sondern jetzt auch durch Krugstempel (s. oben S. 332
Anm. 1) bestätigten nbite oder nbto; nur bei Ezechiel kommt is
neben dem sonst allein üblichen HB vor (vgl. unten S. 346 Anm. 1).
Doch läßt sich in der vielfach modernisierten Orthographie unseres
hebräischen Textes die geschichtliche Entwickelung nicht mehr
deutlich verfolgen: 'ib("'~jTä kommt in verschiedenen Büchern neben
ribtä vor, 132 findet sich nicht nur in der Chronik, sondern auch
bei Jeremia statt des nb3 des Königsbuches, und andere Eigen-
namen , z. B. Jericho und Megiddo, v^erden sogar regelmäßig mit
V geschrieben (Ausnahme nur Kön. I 16 34 niriT , wozu Ginsburg
als Q^re itT^n'^ angibt). Im ganzen kann man sagen, daß die jetzt
im A. T. vorliegende Orthographie entschieden V bevorzugt ^) ; selbst
im Infin. abs. der Verba li'b erscheint schon öfters "1- statt n- (Ges.
§ 75 w), obwohl gerade hier die Beibehaltung des für diese Ver-
balklasse charakteristischen n- besonders nahe lag.
Der Übergang von n- zu V ist wohl begreiflich. Die Schrei-
bung mit V erklärt sich in dem am häufigsten vorkommenden Falle,
dem Fron. suff. der 3. Pers. Mask. Sing, beim Nomen (io^D „sein
Pferd") und Verbum (ibüiP „er tötete ihn"), sofort aus der Rück-
sicht auf das Verständnis. Bei der auf der Mesainschrift stets
und zuweilen auch noch im A. T. vorkommenden Schreibung des
Suffixes mit n- (s. oben S. 321 f. 327 f.) ist das Mask. nicht vom Fem.
zu unterscheiden. Daher hat man, wie schon S. 328 gezeigt, das
Mask., wenn es -hü oder -w lautete, in- oder 1- geschrieben. Daher
hat man auch, wenn es -ö lautete, n- durch V ersetzt; schon die
Siloahinschrift schreibt Z. 2. 3. 4 Vn d. i. i^n „sein Genosse". Ein
ähnlicher Grund war für die Schreibung der fossilen Nominativ-
endung -ö mit 1- maßgebend : hätte man sie n- geschrieben, so wäre
sie von der Akkusativendung n -^^ und auch von der Femininendung
n-^ nicht zu unterscheiden gewesen. Und ebenso wäre das poeti-
sche ittS, wenn man es nttS geschrieben hätte, mit nias „wieviel?"
zusammengefallen. Daraus erklärt es sich , daß man in diesen
Fällen die Bezeichnung des auslautenden -ö durch "i- wählte und
diese Schreibung, nachdem sie besonders durch das Pron. suff. *!- 1
sehr geläufig geworden war, mit der Zeit auch auf andere Fälle
1) Vgl. die neuhebrftische Orthographie, in der aus T^ytß und IDittJ schließ-
lich hDio geworden ist.
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 335
übertrug, ohne daß jedoch die alte Schreibung mit n- ganz aus-
gerottet wäre.
Die Bezeichnung des auslautenden -e durch n- bei verbalen
und nominalen Ableitungen von Wurzeln n"5 ist ebenso natürlich,
wie die Bezeichnung von -ö durch n- bei derselben Wurzelklasse.
Während aber der Infin. abs. nba auch schon öfters mit \- ge-
schrieben wird, ist die Bezeichnung des -e durch n- in Formen
wie nba, nbh, rrni durchaus fest geblieben. Dies erklärt sich vor
allem daraus, daß ein Wechsel der Orthographie hier sehr leicht
zu Mißverständnissen geführt hätte. Im Imperativ wäre das Mask.
nba mit dem Fem. "^ba , bei den Nominalbildungen der Sing, nbä ,
TTTiD mit dem Plur. iba, i'lTD zusammengefallen. Auch bei n;;-!K
konnte das -e nicht wohl durch i- bezeichnet werden, weü schon
der vorletzte Buchstabe ein "^ war, und man es möglichst vermied,
eine Lesemutter T oder i unmittelbar hinter einen Konsonanten ^
oder "^ zu setzen, vgl. Ges. § Sh. Nur bei nntD^ lag kein beson-
derer Grund für die Beibehaltung des n- vor; doch hat sich bei
diesem Worte die altüberlieferte Schreibung öfters noch bis ins
Jüdisch-Aramäische erhalten, wenn auch die Schreibung "nzv oder
•''loy dort schon bevorzugt wird, s, G. Dalman, Gramm, des jüd,-
paläst. Aramäisch, 2. Aufl. (1905), S. 126 f. und vgl, oben S. 334
Anm. 1.
Endlich kommen wir zu der Bezeichnung von -a und -f
durch n-. Wie man dazu gekommen ist, diese beiden Vokale
durch n- anzudeuten, habe ich oben S. 329 f, gezeigt. Daß Schrei-
bung mit 1- und ^- hier nicht vorkommt, wird sich daraus erklären,
daß die auf -ä und -^ ausgehenden Formen von Wurzeln n"b, bei
denen eine solche Schreibung historisch möglich wäre, z. B. nba
aus galaj , nbj") aus jnjlaj , ihren letzten Radikal V oder '^- schon
sehr früh verloren haben; schreibt doch schon die Mesainschrift
n:a „er baute" (s. oben S, 323) und die Siloahinschrift Z. 1 n"n
„es war".
Auslautendes -e muß stets bezeichnet werden. Das ist leicht
begreiflich, da -f meistens in Ableitungen von Wurzeln n"b vor-
kommt, für welche die Schreibung mit n- überhaupt charakteristisch
und zur Erleichterung des Verständnisses dringend erwünscht war,
vgl. oben S. 333. Auch bei den einsilbigen Wörtchen nt „dieser",
na „was ?", ns „Mund", nilJ „ein Stück Kleinvieh" ist Pleneschrei-
bung notwendig, weil sie sonst nach dem oben S. 333 erwähnten
Grundsatz zu Präpositionen herabsinken würden.
Auslautendes -a wird oft durch n- angedeutet, bleibt aber in
einigen Fällen unbezeichnet. Ich werde zu zeigen versuchen, wie
336 Alfred Rahlfs,
auch hierfür die Rücksicht auf das Verständnis maßgebend ge-
wesen ist. Dabei beginne ich mit den Fällen, in welchen n- ge-
schrieben wird.
Beim Pronomen personale separatum haben wir in der 2. Pers.
Fem. Plur. die längere Form n;r)i? neben der kürzeren "jp^, in
der 3. Pers. Mask. Plur. die längere rrari neben der kürzeren DH.
Hier erklärt sich die Pleneschreibung aus der Notwendigkeit, die
beiden Formen zu unterscheiden. Und es ist leicht begreiflich,
daß man dann auch die 3. Pers. Fem. Plur. T\3T\ geschrieben hat,
obwohl "jSn nicht als Pronomen separatum, sondern nur in Verbin-
dung mit Präpositionen vorkommt.
Auch bei den entsprechenden Pronomina suffixa kommen neben
den hier durchaus vorherrschenden kürzeren Formen zuweilen län-
gere vor: 2. Pers. Plur. Fem. n:?-, 3. Pers. Plur. Mask. n^n-,
Fem. T^lT}- 0. ä. (Ges. § 91 /'. l). Auch sie müssen natürlich zum
Unterschiede von )> , DH- , "JH- plene geschrieben werden.
Das Fragewort fra ,,was?" ist unter Umständen wohl wirk-
lich mit -h gesprochen , s. oben S. 330. Außerdem mußte es von
"•■a ,,wer?" unterschieden werden. Dafür hätte es allerdings ge-
nügt, ^"n plene zu schreiben und das defektive "a für „was?" zu
reservieren ; und in der Tat findet sich einigemal bloß "ü für ,,was?",
s. Ges. § 37 c. Aber dann muß "ü nach der schon zweimal er-
wähnten Regel mit dem folgenden Worte zusammengeschrieben
werden , vgl. z. B. Jes. 3 15 D^^'ö „was ist euch ?" Dadurch ver-
liert sich aber das Wort zu sehr; auch fällt es mit dem in allen
möglichen Bildungen vorkommenden Präformativ -"ü (bl2)Pa, Dip'a
u. dgl.) und der Präposition -ü zusammen. So ist es auch von
diesen Gesichtspunkten aus leicht begreiflich, daß man regelmäßig
rra geschrieben hat.
Beim Nomen wird -a als Akkusativendung und als Feminin-
endung stets durch n- angezeigt, vgl. den Akkusativ (?) nbb ,, Nacht"
auf der Mesainschrift (s. oben S. 323) und die Feminina nnp3
„Durchstich", nnr „Spalte (?)", HD-Q „Teich", nax „Elle" auf der
Siloahinschrift. Ohne das rt- wären beide Endungen überhaupt
nicht zum Ausdruck gekommen, und man hätte die Form mit der
Akkusativendung nicht von der Form ohne Endung und das Fem.
nicht vom Mask. unterscheiden können.
Entsprechend schreibt man beim Verbum nbüy? „sie tötete"
zum Unterschiede von bü)? „er tötete" und bezeichnet auch die
Kohortativendung stets durch H— . Überflüssig aber und nur aus
der Wirkung der Analogie zu erklären ist die Pleneschreibung der
Endung ns- im Imperativ und Imperfektum , da die Endung nicht
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 337
aus dem bloßen Vokal -ä besteht und Verwechselung mit anderen
Formen zwar möglich ist — tr^y^ „tötet (o Frauen!)" könnte auch
■""uP „er tötete sie (die Frauen)** oder y^^'p^ „ihr (der Frauen)
Töten" gelesen werden — , aber doch nicht naheliegt. In der
Tat kommt hier auch noch gelegentlich, besonders im Pentateuch,
die Defektivschreibung vor, s. G-es. § 46/. 47 1 und Fr. Ed. König,
Historisch-kritisches Lehrgebäude der hebr. Sprache 1 (1881), S. 289 f.
609 f. ^).
Daß auch das auslautende -ä der Verba n"5 plene geschrieben
werden muß. bedarf nach dem öfter über diese Verbalklasse Ge-
sagten keiner Begründung mehr. Als einzelnes Wort sei noch
HD"»»? „wie?" genannt, das durch die Pleneschreibung von der kür-
zeren Form ?fS unterschieden wird.
Während -ä in den angeführten Fällen regelmäßig plene ge-
schrieben wird, wird es in drei anderen Fällen ebenso regelmäßig
defektiv geschrieben, nämlich beim Pronomen personale suffixum
in der 2. Pers. AFask. Sing. T|- und in der 3. Pers. Fem. Sing, n-
und beim Perfekt des Verbums in der Endung der 2. Pers. Mask.
Sing. n-.
In allen drei Fällen besteht die Endung nicht aus dem bloßen
Vokal -ä, sondern diesem geht noch ein Konsonant voraus. Schon
durch die Schreibung dieses Konsonanten kam die Endung in der
Schrift zum Ausdruck ; daher war Pleneschreibung nicht unbedingt
erforderlich. Bei dem Suffix ~- war sie aber nicht einmal mög-
lich, da es schon ein n als Konsonanten enthält, und man dazu
nicht noch ein n als Lesemutter hinzufügen konnte, vgl. Ges. § 8 h.
Daher ist die Defektivschreibung gerade bei rj- ganz streng auf-
rechterhalten^). Auch konnte eine Verwechselung mit dem mas-
1) König sieht in '\TClt Gen. 423 und ^^"^p Exod. 2 20 wohl mit Reclit
durch die Defektivschreibung veranlaßte falsche Vokalisationen für "pTStJ und
"if^p (so ist in Kuth I20 vokalisiert). Allerdings fällt der auslautende Vokal
der Endung -na, wie mir Littmann bemerkt, in mehreren neuarabischen Dialekten
fort, und es wird dann vor dem -n ein Hilfsvokal eingeschoben , s. Brock. S. ö59
und L. Bauer, Das Palästinische Arabisch, 3. Aufl. (1913), S. 23 (tcÜiWn „schreibt
[0 Frauen!]", udrübin „schlagt!", ifhdmin „versteht!").
2) Wenn jedoch das h des Suffixes -hä ausfällt und nur noch der Vokal -ä
übrigbleibt, wie in T^i'ß'Q „von ihr", nP5i:j: „sie tötete sie", nsbcp"] -er wird
sie töten", den Femininis der oben S. 328 angeführten Maskulina '^i'ß'Q, 'Pbsp ,
^abtSp"], so darf das -a nicht etwa auch defektiv geschrieben werden, da das
Suffix dann in der Schrift gar nicht zum Ausdruck kommen würde, sondern das
Suffix muß auch dann durch ein TV, das in diesem Falle natürlich nur noch Lese-
mutter ist, angezeigt werden.
338 Alfred Rahlfs,
kulinischea Suffix -hü ja niclit mehr stattfinden, seitdem man dieses
in- (oder 1-) schrieb, vgl. oben S. 327 f. 334. Eher wäre Plene-
schreibung bei '?;- und T\- möglich und in gewisser Weise auch an-
gebracht gewesen, da diesen maskulinischen Endungen ebenso ge-
schriebene femininische gegenüberstehen, und in der Tat kommt
auch gelegentlich HD- (Gres. § 58^. i. 'dld. e. 103 ^r) und HPi- (§ 44^)
vor. Auch wird das entsprechende Pronomen separatum nrix „du"
fast immer zum Unterschiede vom Fem. Hii mit n- geschrieben
(§ 32 f/). Aber dies hat seinen besonderen, später zu erörternden
Grund (s. unten S. 341 f.). Im übrigen muß man sagen, daß eine
Unterscheidung der beiden Geschlechter gerade bei der 2. Pers.
nicht unbedingt nötig war, da sich aus dem Zusammenhange sofort
ergab, ob der Angeredete ein Mann oder eine Frau war.
So sehen wir, wie auch für die Pleneschreibung der auslau-
tenden Vokale im A. T. in erster Linie die Rücksicht auf das
Verständnis maßgebend gewesen ist. Und vor allem hat sich
ein Grundsatz ergeben, den ich hier noch einmal ausdrücklich for-
mulieren und an zwei weiteren Beispielen illustrieren möchte:
alle Endungen, die nur aus einem Vokal bestehen,
müssen plene geschrieben werden, da sie sonst in der
Schrift nicht zum Ausdruck kommen würden. Bei ?]b »dir" kommt
das Suffix bereits in dem ^- zum Ausdruck, daher genügte hier
die Defektivschreibung; bei Hob ,,geh!" dagegen heißt schon die
Form an sich ^b , und die hinzukommende Kohortativendung würde
gar nicht erkennbar sein, wenn man sie nicht durch das n- an-
gezeigt hätte. Der Plural D']ia „Völker" ist regelmäßig defektiv
geschrieben , weil man hinter *> als Konsonanten nicht noch ein ^
als Lesemutter hinzufügen mochte (Ges. § 8 ^•) ; ebenso on^^ia (Gen.
10 5. 20. 81. 32), weil diese Form schon durch ihr DH- hinreichend als
Plural charakterisiert war; dagegen ist der Status constr. des
Plurals i;)ia trotz des doppelten 1 ebenso regelmäßig plene ge-
schrieben, weil sonst der pluralische Charakter der Form in der
Schrift nicht zum Ausdruck gekommen und der Plural nicht vom
Singular zu unterscheiden gewesen wäre. Dies ist übrigens nur
eine Weiter ausgestaltung desselben Prinzips, das wir, freilich nur
recht keirahaft, im Phönizischen fanden: hat man dort wenigstens
die Pronomina suffixa und die Nisbe-Endung stets irgendwie in
der Schrift angezeigt (s. oben S. 320 f.), so hat man hier dafür
gesorgt, daß alle Endungen in der Schrift zum Ausdruck kamen.
Und noch etwas anderes, was gelegentlich vorgekommen ist,
möchte ich zum Schluß noch einmal hervorheben. Wenn man die
hebräische Orthographie auch zweifellos in erster Linie aus dem
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 339
Streben nach Unterscheidung sonst zusammenfallender Formen er-
klären mnß, so darf man doch nicht so weit gehen, dabei auf alle
Verwechselungen, die irgendwo und irgendwann einmal vorkommen
können, zu reflektieren, sondern muß sich auf die näher lie-
genden Verwechselungen beschränken. So ist z. B. die
Gleichschreibung von Pbi:j5 „du, o IVIann, hast getötet" und Rbt:]?
„du, o Frau, hast getötet", wie schon bemerkt, durchaus erträg-
lich, weil der Zusammenhang sofort lehrt, ob der Angeredete ein
Mann oder eine Frau ist. So macht es auch nichts aus, daß !fb
„geh!" und 7\b „dir" gleich geschrieben werden; denn aus dem
Zusammenhange wird sich regelmäßig sofort ergeben, ob „gehl"'
oder „dir" gemeint ist: und selbst wenn z. B. in Gen. 22-2 l'> Tb
geschrieben steht, weiß doch der Kundige sofort, daß es „geh dir!"
heißen soll. Dagegen ist die phönizische Gleichschreibung der 1.
und 2. Pers. Sing. Perf. (rbt2p) eigentlich unerträglich und die
Differenzierung im Moabitischen und Hebräischen ganz natürlich:
denn ob derjenige, der zu einem anderen redet, von sich selbst
oder von dem anderen spricht, das konnte in der Tat oft genug
zweifelhaft sein.
Kapitel 3.
Pleneschreibung kürzerer, Defektivschreibung längerer
Formen.
Man hat längst richtig beobachtet, daß dieselben Vokale oft
in kürzeren Formen plene, in längeren defektiv geschrieben werden.
So heißt es z.B. bei Ges. § 8^,
j.daß die scriptio plena in zwei aufeinanderfolgenden Silben
im allgemeinen vermieden wurde ; vgl. z. ß. N"^!: , aber n^xa: ,
pi-M^, aber D-^p'^s^); bip, nibp; :?cin^ ^ns2ü".
Und schon der alte Gesenius selbst bemerkt in seinem ,, Ausführ-
lichen grammatisch-kritischen Lehrgebäude der hebräischen Sprache"
(Lpz. 1817), S. 50.
„daß die defective Schreibart vorzüglich dann gewählt wurde,
1) Dies Beispiel, das sich aus der gleich anzuführenden Stelle des alten
Gesenius bis in den neuesten Gesenius-Kautzsch fortgeerbt hat , ist schlecht ge-
wählt. Denn D^p'HS kommt nach Mandelkerns Konkordanz nur dreimal vor (Kön.
I 2 32. II 109. Hos. 14 10). Sonst ist immer D'^p'^'^S geschrieben, oder auch Dp'^'^2
(Gen. 18 24 zweimal. 26.28. Deut. 4 8. 16 19, d.h. an allen Stellen, wo der Plural
im Pentateuch vorkommt, außer Exod. 23 8; außerdem Ezech. 23 45).
340 Alfred Rahlfs,
wenn das Wort hinten gewachsen war, und man orthographiscb
ersparen wollte. Von 2 quiescentibus wird dann in der Regel
die erste defectiv geschrieben , z. B. rtibs Plur. D'^rtb^'l , ^^^T
mit Suff. ^bnT; p^-^S Plur. D^p^2; rnns« mit Suff. DD^nhS; sel-
tener die zweyte, z.B. n'bip (statt nibp); D:inD 4 Mos. 8,17
[lies 16]. 19 (gew. D^sns 4 Mos. 3, 19 [lies 9]) ^) ; ' ni''nte 1 Mos.
40, 10 (dagegen U^Tß^ V. 13 [lies 12]) ; am seltensten werden
beyde defectiv gefunden z. B. QTöbtö 2 Mos. 14, 18 [lies 7] f.
D^Tt'^bTö ; UT]'^ Ezecb. 22 [lies 32], 18, oder die Grundform selbst
ohne hinzugekommene Verlängerung, z.B. bp f. bip Stimme;
0^3 5 Mos. 32, 34 f. D^ias , n: f. n^3 (Leuchte) 2 Mos. 23, 2
[gemeint ist wohl 3 Mos. 24, 2, wo aber nicht 1D, sondern IS
steht]."
Die vom alten Gesenius angeführten Beispiele zeigen zugleich,
daß hier, wie überhaupt bei den Lesemüttern im Inneren der
"Wörter, von strenger Regelmäßigkeit keine Rede sein kann ; auch
gehen die hebräischen Handschriften, wie schon früher (S. 317)
bemerkt , gerade in der Setzung dieser Lesemütter sehr oft aus-
einander. Trotzdem kann das Vorhandensein einer starken Ten-
denz, kürzere Formen plene, längere defektiv zu schreiben, jedem,
der die uns vorliegende Orthographie des Alten Testamentes auf-
merksam betrachtet, durchaus nicht zweifelhaft sein.
Wie erklärt sich diese Tendenz? Ich glaube: daraus, daß
längere Formen im allgemeinen schon an sich leichter zu
erkennen und weniger zweideutig sind als kürzere, so daß
es bei ihnen auch weniger notwendig war, das Verständnis durch
die Hinzufügung von Lesemüttern auf die richtige Spur zu leiten.
Nehmen wir z. B. das erste Wort, welches der alte Gesenius
anführt, nibs? „Gott". E§ kommt im Sing, mehr als 50mal, im
Plur. unendlich oft vor und wird, wie Gesenius richtig angibt,
regelmäßig im Sing, plene, im Plur. defektiv geschrieben. Defek-
tivschreibung des Singulars findet sich nach Mandelkerns Konkor-
danz , die, wenn sie auch die Varianten der Handschriften und
Ausgaben unberücksichtigt läßt, doch ein für unsern Zweck hin-
reichend treues Bild gibt, nur in Deut. 32 1? (aber 32 is 'if^^)- Kön.
II 17 81 (aber Q'^re richtig ""Tp)^). Dan. 11 ss (fü'^ijb';* , aber gleich
darauf in demselben Verse nibsbl), außerdem an der einzigen Stelle,
wo der Singular mit einem Suffix verbunden ist: Hab. In inbxb.
Im Plural wird das ö im Stat. abs. D'^nbs stets defektiv geschrieben ;
1) Die Ausgaben von Kittel und Ginsburg haben umgekehrt D3^r)3 in Nuni.
3 9, D'^SnS in Num. 8 16. 19,
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 341
PleneschreibuDg findet sich nur ein paarmal in anderen Formen
des Pinrals nnd zwar nur im Psalter: Ps. I847 '•n^'i? faber in der
Parallelstelle Sam. 11 22 <: '^rf:»), 145i -»nibK und in Pausa 143 10
'»n'^bt*. Diesen Unterschied erkläre ich mir daraus, daß der de-
fektiv geschriebene Singular "bs auch nbs ..Fluch", nbs oder n'ss
.,Terebinthe", n3K „diese" gelesen werden konnte, der Plural Dinbs
dagegen , sobald man nur die Endung plene schrieb , absolut un-
zweideutig war und selbst bei völlig defektiver Schreibung (nnbx),
die aber in Wirklichkeit im A. T, nicht vorkommt, höchstens mit
defektiv geschriebenem cnbs ,,zu ihnen" hätte verwechselt werden
können. Ebenso war auch der, wie gesagt, nur einmal vorkom-
mende Singular mit Suffix schon in der Schreibung inbs ganz un-
zweideutig und bedurfte keiner weiteren Verdeutlichung,
Ein anderes Beispiel ist r^i^ ,, Zeichen". Nach Mandelkern
wird es im Sing, fast immer plene geschrieben; nur wenn es mit
dem Artikel oder der Präposition b verbunden ist, kommt zuweilen
üefektivschreibung vor: Exod. 4$ zweimal. 819 nsn (sonst 9mal
niS"), Exod. 12 13 ri^b (sonst 14mal r.ixb). Dagegen wird der Plur.
^öthöth trotz seines doppelten ö häufig ganz defektiv (r.rs) ge-
schrieben, und auch da, wo die Lesemutter 1 hinzugefügt ist, ist
sie, obwohl der Plur. ohne und mit Suffix 35 mal vorkommt, doch
niemals in beiden Silben hinzugefügt, sondern nur entweder in der
ersten oder in der zweiten Silbe. Der Plur. mK war eben schon
an sich unverkennbar, während der Sing, r«, besonders wenn er
weder den Artikel noch eine Präposition vor sich hatte, mit dem
Akkusativzeichen TS, der Präposition nx „mit", dem Pronomen
pers. separ. der 2. Pers. Sing. FS? (allerdings fast immer nPS ge-
schrieben) nnd rs und auch mit rs ,, Pflugschar (?)" zusammenfiel.
Wie maßgebend für die Plene- nnd Defektivschreibung die
Rücksicht auf das Verständnis gewesen ist, sieht man auch an dem
Worte "1^35 „Held", das im Gegensatze zu der sonst herrschenden
Tendenz auch im Plural meistens mit 1 geschrieben wird. "i^Sä
„Held" wird durch das 1 von 123 „Mann" unterschieden. Diese
Unterscheidung war aber nicht nur im Sing. , sondern auch im
Plur. angebracht, da auch die Plurale C^as und D^^ias gleich aus-
sehen, wenn man nicht in ff^^S^i das 1 einsetzt.
Durch die bisherigen Darlegungen wird die Tendenz, kürzere
Wörter mehr plene, längere mehr defektiv zu schreiben, genügend
erklärt sein. Diese Tendenz hat nun aber, nachdem sie sich ein-
mal ausgebildet hatte, zu einigen eigentümlichen Kons equenzen
geführt.
Ich habe im vorigen Kapitel (S. 338) bemerkt, daß nrx „du"
342 Alfred ßahlfs,
fast immer, das Suffix T[- und die Perfektendung n- zuweilen plene
geschrieben werden. Die Pleneschreibung hat bei nnsi ihren guten
Grund : bloßes rii? ist, wie wir eben bei n'ii? sahen, recht vieldeutig.
Ebenso erklärt es sich leicht, daß man die 2. Pers. Mask. Sing.
Perf. von ln^72 ,, sterben" und rrilö ,, setzen" plene geschrieben hat:
Ezech. 288 nnttl, Ps. 87 nniü (ebenso Ps. 908 Q're, aber K«thlbh
nffi) ; denn da das t der Endung mit dem t des Stammes zusammen-
fiel, kam die Endung bei Defektivschreibung gar nicht zum Aus-
druck, und die 2. Pers. Mask. war nicht von der 3. Pers. Mask.
tra und niö zu unterscheiden ^). Sonderbar aber ist es, daß man
nun auch zu P,n3 „du gäbest" sehr oft ein n- hinzugefügt hat
(63mal npriD , 26mal JPini). Hier kann man, da schon nn; unzwei-
deutig ist, keinen anderen Grund für die Pleneschreibung annehmen
als die durch die Assimilation des 3. Radikals hervorgerufene
Kürze der Form; und es scheint nicht einmal bloßer Zufall zu
sein, daß P\rü noch etwas häufiger defektiv geschrieben wird, wenn
es ein 1 vor sich hat und dadurch schon etwas verlängert ist (19
mal 1^57151 > 40mal nrin;*!) , als wenn es für sich allein steht (7 mal
S^Pi , 23 mal npns). Auch kann man erwähnen , daß unter den
übrigen Beispielen für plene geschriebenes np-, welche Ges. § 44 7
anführt, zwei besonders kurze Formen sind : Gen. 21 23 nr|"\5 ,,du
weilst als Fremdling", Kön. II 93 nripS') „und du sollst fliehen".
Doch stehen daneben einerseits längere Formen von anderen Verben,
die gelegentlich gleichfalls plene geschrieben werden, z. B. ni^'l^
„du weißt" Sam. II226 (vgl. Ges. a. a. 0.), andrerseits ebenso kurze
Formen, die defektiv geschrieben werden, z.B. P'»]? „du standest
auf" Sam. II 12 21 u. ö.
Ebenso sonderbar wie die Pleneschreibung nrin: und ebenso
nur aus der durch die Assimilation hervorgerufenen abnormen
Kürze der Form erklärbar ist die Pleneschreibung des Suffixes T^-
in nDDi ,,er wird dich schlagen", die sich ausnahmslos an allen
sieben Stellen findet, wo die Form vorkommt: Deut. 2822.27.28.35
nDS;;', Jes. 10 24. Jer. 40 15. Ps. 1216 n35\ Auch in einigen anderen
Fällen, wo dasselbe Suffix plene geschrieben wird, ist der Grund
in der Kürze der Formen zu suchen :
ns^i? „wo bist du?" Gen. '69 (sonst nicht mit diesem Suffix
vorkommend)
1) Allerdings fällt bei der Pleneschreibung die 2. Pers. Mask. mit der 3. Pers.
Fem. nntt und Simö zusammen. Aber dies wurde nicht als so störend empfunden,
da das Geschlecht sich meistens aus dem Zusammenhange leichter ergibt als die
Person.
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 343
nycD „wie du" Exod. 15 n zweimal , sonst stets TfittS
nrss „dein Kommen" Gen. 10 19 zweimal. 30. 13 10. 25 is. Kön.
I 18 46, sonst m^2 oder T]»'3.
In den beiden letzten Fällen kann ein Zufall kaum obwalten, da
die Pleneschreibung des Suffixes nur dann vorkommt, wenn das ö
von TCD und 6«"Q defektiv geschrieben und das Wort dadurch in
der Schrift kürzer geworden ist.
Kapitel 4.
Wechsel der Orthographie.
Auf der Mesainschrift wird, wie schon S. 316 bemerkt,
„in seinem Hause" in Z. 7 defektiv nraa, in Z. 25 dagegen plene
Pr;"'3n geschrieben. Ebenda werden die Formen rrc"" „seine Tage"
Z. 8 und nc-i „seine Armen (?)" Z. 20, die etwa ini^^ und ^n-'cn
zu sprechen sind (s. oben S. 322), defektiv, dagegen ni"iT« „ihre
Tore" Z. 22 plene geschrieben; daß n">ny83 weibliches, TVü^ und rrct
männliches Suffix haben, macht nichts aus, da die Mesainschrift
sonst zwischen beiden Suffixen keinerlei Unterschied macht, s. oben
S. 321f. ^). Diese Inkonsequenz fällt uns auf; sie ist aber vielleicht
beabsichtigt. Vielleicht hat der Schreiber der Inschrift in diesen
Fällen, wo verschiedene Schreibungen möglich waren, absichtlich
zwischen ihnen gewechselt. Über bloße Vermutung kommen wir
allerdings hier, wo das Material so dürftig ist, nicht hinaus'-).
Mit Sicherheit dagegen können wir solchen absichtlichen Wechsel
der Orthographie im Alten Testamente konstatieren. Aller-
dings wird auch hier die Untersuchung von manchen Schwierig-
keiten bedrückt. Die alttestamentliche Orthographie ist uns, wie
1) Das gleich auf •T'iyiD folgende nn'5~:^T3 n^^^ Türme" muß hier aus
dem Spiele bleiben, da die Moabiter noch die ursemitische Form Sli'b'^^Ta statt
der hebräischen n''rib"j|'Q gehabt haben können.
2) Analoge Beobachtungen würde man gewiß auch an anderen Inschriften
machen können. Ich kann allerdings zur Zeit, da ich die Inschriften nicht darauf
durchgesehen habe, nur noch die Inschrift des Königs Jehawmelek von Byblus
(M. Lidzbarski, Altsem. Texte 1 [1907], S. 12—14) anführen, in der das Akku-
sativzeicben in Z. 3. 7 ns , in Z. 8. 15 dagegen H^S geschrieben wird, ein
Wechsel, der kaum zufällig ist, da dieselbe Inschrift in Z. 4—6 auch zwischen
den sinngleichen 'Demonstrativis IT und T und zwischen Substantiven mit und ohne
Artikel wechselt ("(T und T lösen sich dort ganz regelmäßig ab : "JT , T , "JT , T , ]T ,
zum Schluß das Fem. ST),
344 Alfred Rahlfs,
schon S. 317 f. bemerkt, nur in stark modernisierter Form erhalten,
und durch die Modernisierung sind gewiß manche Inkonseq,ueazen
rein zufällig in sie hineingekommen. Auch müssen wir infolge
dieser Modernisierung natürlich darauf verzichten, feststellen zu
wollen, inwiefern der Wechsel der Orthographie etwa schon auf
die Originale der alttestamentlichen Schriften selbst zurückgeht.
Aber bei aller gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung dürfen wir
doch sagen, daß jener Wechsel der Orthographie bei Wiederkehr
derselben Wörter so häufig ist, daß man ihn unmöglich aus bloßem
Zufall erklären kann.
Schon Fr. Böttcher, Ausführl, Lehrbuch der hebr. Sprache 1
(1866), S. 95 hat einen häufigen Fall solchen Wechsels, bei dem
sich ohne die Annahme einer Absicht nicht wohl auskommen läßt,
beobachtet. Er sagt: „Weggelassen sind die sonst gewohnten Vo-
cal- oder Dehnbuchstaben . . . nicht selten, wo dasselbe Wort oder
ein entsprechendes, schon mit Vocalbuchstab verdeutlicht, kurz
zuvor da war'', und er führt eine größere Zahl von Beispielen an,
als erstes Gen. 19 33 rttt^pai und 35 •^^|?:il „und in ihrem Aufstehen".
Sehr viele weitere Beispiele ließen sich mit leichter Mühe hinzu-
fügen. Ich führe nur zwei charakteristische an:
1) In der Fabel Jothams in Rieht. 9 ist „werde König" zu-
erst plene geschrieben: s HDlbls (nach dem K^thibh), dann defektiv:
10 '^sb'a, dann wieder plene: 12 "^DlbTa (nach dem K°thibh), und
schließlich wieder defektiv: i4 "ibia.
2) In der Geschichte von den Träumen Pharaos Gen. 41, wo
sehr oft dieselben Worte wiederkehren, ist „Kühe" zuerst regel-
mäßig plene geschrieben: 2 ff. Tt^\^, aber nachher einmal defektiv:
26 ti'lB. Ebenda stehen nebeneinander
2 Tht"* und 4. 18 rib"; „schöne"
8. 4. 19. 20 tr\y'\ und 27 ni?n „schlechte"
3. 6. 7. 23 riip'n und 4. 24 np'n „dünne"
6 ^). 22. 24. 35 fiinu uud 26 zweimal nhb ,,gute"
7 n2:Pban;i und 24 13?bnri^ „und sie verschlangen"
7 n'isbu und 22 ns«bia „volle".
Aber das zuletzt genannte Kapitel Gen. 41 zeigt zugleich,
daß durchaus nicht immer zuerst die Plene- und dann die Defek-
tivschreibung kommt, sondern daß es auch umgekehrt sein kann.
„Heraufkommende" wird, obwohl gerade dieses Wort die erste
der in diesem Kapitel so zahlreichen femininischen Pluralformen
ist, doch zuerst defektiv geschrieben : a rib'y , und erst dann plene :
1) Aber Kittel: 5 n3b.
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 345
3. 5 rhbiy; und dieselbe Erscheinung wiederholt sich nachher, wo
der Pharao seine Träume erzählt, denn auch hier wird das Wort
wieder zuerst defektiv geschrieben: is rbir ^), und erst dann plene :
19 nnby; zum Schluß aber kommt wieder Defektivschreibung: 22. 27
r'b?. Ebenso geht die Defektivschreibung r"i5''i3 „fette" 2. 4 der
Pleneschreibung rns'^na 5. 7. is voraus, und erst zum Schluß kommt
wieder Defektivschreibung : so njf^nn. Auch ,, versengte" wird in
der Endsilbe zuerst defektiv geschrieben: e ns^"p, und nachher
plene : 23. 2- rriBnö ; doch geht mit diesem Wechsel ein anderer
Hand in Hand, da das in der Endsilbe defektiv geschriebene Wort
Pleneschreibung in der mittleren Silbe hat und umgekehrt.
Entsprechende Beobachtungen lassen sich auch an vielen an-
deren Stellen des A. T. machen. Gleich in Gen. 1 finden wir
„Lichter" zuerst völlig defektiv geschrieben : 14 nnSTS , erst dann
in der mittleren Silbe plene : 15 n'nij^ia , und zum Schluß wieder
defektiv : le rnxc In Gen. 10 ist das gewöhnlich plene geschrie-
bene Wort „Held"^ (vgl. oben S. 341) zuerst zweimal defektiv ge-
schrieben: 8. 9* "133, und erst zum dritten Male plene: 9^ "^133. Und
bei dem Worte , .nackte" ist in Gen. 225 zwar die zweite und
dritte Silbe plene geschrieben, aber die erste defektiv: a"'S'.TJ,
während bald darauf in 3: die erste Silbe plene und die beiden
anderen defektiv geschrieben sind: C'iZn'^y. Beabsichtigt ist hier
m. E. in beiden Fällen dieselbe Aussprache. Überhaupt glaube ich
nicht, daß es neben zh'^y auch ein Di7 „nackt" gegeben hat. ITT^
verdankt seine Existenz lediglich der Punktation, die sich zu
mechanisch an die überlieferte Orthographie klammerte und da,
wo die erste Silbe defektiv geschrieben war, regelmäßig D"^? statt
Ciy vokalisierte , freilich nicht ohne inkonsequenterweise einige
Ausnahmen zuzulassen und auch defektiv geschriebenes C\7 zu-
weilen (nach Mandelkern Ezech. 16 7. 18 le. 2329) ff^IP zu vokalisieren.
Dieser häufige Wechsel der Orthographie läßt sich, da er sich
oft in dicht aufeinander folgenden Versen findet, nicht ausschKeß-
lich aus Nachlässigkeit bei der B-enovierung der alttestamentlichen
Orthographie erklären. Es wäre doch zu sonderbar, wenn man
z. B. ein ursprüngliches UXnS in Gen. 2 25 zu O'^'QIt:? und wenige
Verse darauf aus purem Mangel an Aufmerksamkeit zu c^i"»? ge-
macht hätte. Wir müssen vielmehr die den alten Hebräern eigene
Freude an der Abwechselung zur Erklärung heranziehen.
Diese Freude liegt ja den Hebräern sozusagen im Blute. Der
Dichter bemüht sich vor allem, denselben Gedanken in den par-
1) Aber Kittel: 18 riby.
346 Alfred Rahlfs,
allelen Versgliedern auf möglichst verschiedene Weise auszudrücken,
und wechselt daher, um nur ein Beispiel anzuführen, gern auch
zwischen Perfekt und Imperfekt, was unter Umständen zur Folge
hat, daß wir gar nicht ausmachen können, von welcher Zeit er
eigentlich spricht. Und auch der Prosaiker liebt, falls er nicht
gerade durch genaue Wiederholung derselben Worte einen beson-
deren Eindruck erzielen will, sehr die Abwechselung. Sogar der
Priesterkodex , als dessen Charakteristikum mit Recht die stete
Wiederkehr derselben Ausdrücke hervorgehoben wird, ist nicht so
eintönig, wie man danach glauben könnte. Man braucht nur ein-
mal in Gen. 1 die Verse 11 und 24, weiche Befehle Gottes ent-
halten, mit den Versen 12 und 25, welche über die Ausführung
dieser Befehle berichten, zu vergleichen, oder in Gen. 23 sich die
mehrfach variierte höfliche Bitte um Gehör anzusehen (nach rich-
tiger Herstellung des Textes 5/6 "i'-^i? ^s^^tttö ^b , u ''??ttTß ^5'lS ^b ,
13 ''2y'at3 'nb nriS-DSi -fi? , 14/15 wie n), so wird man merken , daß auch
dieser Schriftsteller bei aller Gleichförmigkeit seiner Ausdrucks-
weise doch im einzelnen nach Abwechselung strebt. Dieses Streben
erstreckt sich auch auf die grammatischen Formen: „nach seiner
Art" heißt Gen. In is'^'ab , dagegen 12. 21. 25 ^njiiab, und wiederum
Lev. 11 15. 22 (P) iD-ipb , 16. 22 (2"-4°). 29 ^ns-i^b , Deut. 14 14 TOb,
15 ins'i'ab. Erst recht findet sich solcher Wechsel zwischen gleich-
wertigen Formen natürlich bei anderen Schriftstellern ; hier nur
einige Beispiele aus Stellen der Genesis , die nicht dem Priester-
kodex, sondern dem Jahwisten oder Elohisten angehören: 810.12
bnil und bni^l d, i. nach richtiger Aussprache bn'^l und bfi'^'^l „und
er wartete", 1933. 35 i5in nb-^bs (vgl. Ges. § 126«/) und «inn nb';'b5
„in jener Nacht", 21 28. 29 "iH'^ab und HD'nnb „für sich allein" (beides
seltene Formen für H^b), 2423.25 "j'^bb und "Jlbb „zu übernachten",
37? D'^isbs „Garben" und DD'iK'abi? „eure Garben". Auch in den
aramäischen Stücken des A. T. finden sich analoge Erscheinungen,
z. B. wechseln in demselben Verse Jer. 10 n die beiden Formen
«pjnii und »Ty» „die Erde", vgl. Aramaic papyri discovered at As-
suan ed. Sayce and Cowley (1906), Papyrus B, wo in Z. 15 f.
gleichfalls zuerst Kpn« und dann »:pnK erscheint.
Nach alledem ist es wohl zu begreifen, daß sich das Streben
nach Abwechselung auch auf die Orthographie ausgedehnt hat, und
die verschiedenen möglichen Schreibungen oft miteinander wechseln ^).
1) Übrigens wechseln nicht nur Plene- und Defektivschreibung, sondern auch
verschiedene Arten der Pleneschreibung : in Hiob 38 u wird zuerst HB „hier"
geschrieben, dann KJS ; in Ez. 40 10 zuerst dreimal T\B , dann einmal 1B ; ebenda
Zur Setzung der Lesemütter im Alten Testament. 347
Die späteren Juden haben allerdings an dem Wechsel der Ortho-
graphie zuweilen Anstoß genommen und ihn beseitigt; so haben
sie in Gren. 19 33 das zweite ^ von rrcipm „und in ihrem Aufstehen"
durch einen übergesetzten Punkt getilgt, um dieselbe Schreibung
mspm wie in 1935 herzustellen^). Aber sie haben auch an dem
Wechsel der Formen zuweilen Anstoß genommen und z. B. in Gen.
810.12 statt brr^ und br.|;"l , um diese beiden Formen einander mög-
lichst anzugleichen, bn^l und bn^'^ gesprochen, obwohl bn^> nicht
von bn*' , sondern von bTi oder bbn herkommt, und bn^^ eine ganz
unmögliche Bildung ist.
40 12 zuerst einmal HE , dann zweimal iß (oder nach Ginsburgs neuester Ausgabe
zweimal nis und einmal IE) ; ebenda 40 39 zuerst einmal ifi , dann einmal TVS ;
ebenda 4048 zuerst zweimal HB, dann zweimal is (auch sonst wechseln in Ez. 40
nis und iE, während in Ez. 8 nur ni« , in Ez. 41 nur ^B vorkommt [nur in
diesen drei Kapiteln kommt das Wort bei Ez. vor]).
1) Die Punktation erkennt jedoch wiederum diese Tilgung nicht an, sondern
Tokalisiert ma^pSI .
KgL Oes. d. Wiss. Nachrichten. Pbfl.-hisL Klasse. 191& Ucft 3. 24
Kollektaneen zum Kautillya Arthasästra*).
Von
Julius Jolly.
Vorgelegt von Herrn H. Oldenberg in der Sitzung vom 25. März 1916.
Zur Datierungsfrage.
Die überragende Wichtigkeit des K.A. für die altindische
Staatsverwaltung, Politik und Kriegskunst, Rechts- und Wirt-
schafts-, Kultur- und Literaturgeschichte muß es entschuldigen,,
wenn hier der Versuch gewagt werden soll, die schon viel ven-
tilierte, schwierige Frage nach der Zeit seiner Entstehung noch
einmal aufzugreifen.
Das von mir ZDMGr. 68, 355 ff. aus Dandins idäninv entnommene
Argument, daß dieser Dichter des 7. Jahrhunderts n. Chr. das K.A.
als ein nicht lange vor seiner Zeit geschriebenes Werk angesehen
habe, ist von H. Jacob i ZDMG. 68, 603 — 605 beanstandet worden,,
und ich gebe die Möglichkeit zu, das „kürzlich" von dem histori-
schen Milieu zu verstehen, in das der Dichter seine Märchenerzählung
versetzt. Dann wäre die Stelle für die Datierung des K.A. ohne
Bedeutung. Für viel wahrscheinlicher halte ich jedoch, daß ein
„aus der Rolle Fallen" Dandins vorliegt, der dem Verfasser des
damals modernen, oder wenigstens von ihm für modern gehaltenen
Lehrbuchs der Politik, das offenbar zu seiner Zeit viel gelesen
und auch von ihm selbst fleißig benutzt war, einen Hieb versetzen
wollte. Gerade wenn Dap^in ein berechnender Schriftsteller war,
wird er die etwas weit hergeholten satirischen Anspielungen auf
das K.A. seiner Dichtung nicht ohne solchen besonderen Anlaß
1) Die vorliegenden Untersuchungen schließen sich an die ZDMG. 68, 345 flF.,
69, 369fiF. veröffentlichten an.
Julius Jolly, KoUektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 349
eingeflochten haben. Meine weitere Vermntong, daß das Maurya
in Mauryärthe bei Dandin vielleicht 'König' bedeuten solle, war
hauptsächlich durch den auffallenden Gleichklang dieses Kompo-
situms mit narendrärthe K.A. 75, 9 hervorgerufen. Es kann aber
auch noch darauf verwiesen werden, daß nach der indischen Glosse
bei Hesychios: pnoQuZs' oC x&v 'Ivöäv ßaöLXsls^) Moriya auch dem
griechischen Altertum als ein indischer Königstitel bekannt war.
Der Bedeutungsübergang wäre ähnlich zu denken wie bei der
Entwicklung des Individualnamens Caesar zur Bezeichnung der
Kaiser.
Meine von Jacob i nicht berücksichtigte Hauptschwierigkeit
in Bezug auf eine allzu frühe Datierung des K.A. liegt nach wie
vor in den nahen Beziehungen dieses Textes zu den jüngeren
Gesetzbüchern, auf die ich schon in einem früheren Artikel ZDMG.
67, 49 — 96 ausführlich hingewiesen habe. Ist das K.A. wirklich
seinem ganzen Umfang nach schon um 300 v. Chr. entstanden, so
klappt die ganze bisher angenommene Chronologie der Smrtis wie
ein Kartenhaus zusammen. Dadurch sieht sich der Arbeiter auf
dem Gebiet des Dharmaäästra genötigt, zu dieser Datierungs frage
Stellung zu nehmen.
Nun hatte ich früher die Möglichkeit offen gelassen, jene un-
verkennbaren Beziehungen aus der Aufnahme jüngerer, aber mit
dem Grundstock des Werks geschickt verschmolzener Elemente
aus den späteren Gesetzbüchern in das K.A. zu erklären. Jedoch
schwinden, je eingehender man sich damit beschäftigt, desto mehr
alle Zweifel an der Einheitlichkeit des ganzen Textes. Besonders
die zahlreichen Verweisungen nach rückwärts und vorwärts zeigen,
daß das K.A. ein Werk aus einem Gusse ist, wie dies ja auch
Jacobi annimmt^).
Die Smrtis oder Dharmasästras bieten uns das deutliche Bild
einer historischen Entwicklungsreihe, von den noch deutlich znr
vedischen Literatur gehörigen, teilweise als Bestandteile der alten
Lehrbücher vedischer Schulen enthaltenen Dharmasütras zu dem
metrischen Dharmasästra des Manu, und von diesem zu den jüngeren
versifizierten Smrtis des Yäjnavalkya, Närada, Brhaspati u. a.
Zuerst wurde diese Reihenfolge an der Yäjnavalkyasmrti fest-
gestellt, von der schon Stenzler bemerkte, daß sie die nächste
Stufe nach Manu darstellt. Während z. B. Manu 3, 13 die Ehe
eines Brahmanen mit einer Südrä noch zuläßt, polemisiert Yäjiia-
1) Vgl. Charpentier, Zu den indischen Glossen bei Hesychios K.Z. 45, 90.
2) Ahnlich auch Hertel WZKM. 24,419.
24*
350 Julius Jolly,
valkya 1, 36 mit klarem Hinweis auf Manus Regel gegen diese
Anschauung. Einen noch jüngeren Standpunkt als Yäjnavalkya
vertritt Närada, schon darin, daß bei ihm das weltliche Recht
ganz von dem religiösen abgelöst und für sich dargestellt ist.
Eine noch etwas spätere Stufe der Rechtsentwicklung scheint bei
Brhaspati vorzuliegen. Diesen relativen Kriterien entsprechen die
absoluten, die besonders in den jüngeren Texten vorliegen, so
wenn Y. auf Grund seiner Bekanntschaft mit der griechischen
Astrologie nach früheren Untersuchungen Jacobis^) frühestens
in das 3. Jahrh. n. Chr. zu setzen ist, wenn die jungen Münznamen
nänaka und dmära-SrjvdQiov {rj schon als t zu sprechen), ersterer
bei Y., letzterer bei N. und Br. auftreten. Aus solchen Daten
ergeben sich freilich nur ungefähre Schätzungen, und ich kann
Winternitz^) zugeben, daß es auch möglich wäre, N. und Br.
in eine etwas frühere Zeit zurückzudatieren als 500 — 700 n. Chr.
Doch bildet die untere Grrenze für N. bisher nur die Erwähnung
des Näradiyadharmasästra bei Bäpa (7. Jahrh.).
In diese Entwicklungsreihe ist nun unerwartet die hochbedeut-
same Darstellung des altindischen Rechts im K.A. hineingetreten,
die den zentralen Teil dieses Textes ausmacht und schon deshalb
nicht als spätere Beifügung ausgeschaltet werden kann. Trotz
ihrer Eigenartigkeit berührt sich diese Darstellung vielfach wört-
lich mit allen Gesetzbüchern, weitaus am meisten aber mit Y.
und N., überhaupt mit den jüngeren Gesetzbüchern. Näheres
s. ZDMG. 67, 49 ff. Auch indische Sanskritisten haben diese Über-
einstimmungen hervorgehoben, Shama Sastri besonders die Be-
ziehungen zu Y., K. S. JayaswaP) die Parallelen bei N., der
nach seiner Auffassang sowohl die Beschreibung des Gerichts-
verfahrens als die dem Dharmasthiya des KA. analoge Einteilung
des materiellen Rechts aus letzterem Werk übernommen und solb^t
in der Prosaeinleitung p. 1 im Allgemeinen die Kapitelüberschriften
des K.A. reproduziert haben soll. Nun verdient auch diese Er-
klärungsmöglichkeit, die Annahme einer Abhängigkeit der jüngeren
Smrtis von dem K.A., gewiß alle Beachtung, ich habe auch selbst
schon auf die Erwähnungen des Arthaäästra in diesen Texten und
die sich daraus ergebende Möglichkeit einer Benutzung speziell
des KA. hingewiesen. Zwingend wäre die Annahme einer weit-
gehenden Beeinflussung dieser Art jedoch nur dann, wenn aus
1) ZDMG. 30, 806 f.
2) DLZ. 1914, 2430.
3) Calcutta Weekly Notes 1913, No. 44. Die Närada?mrti setzt Jayaswal
in das 4. Jahrh. n. Chr.
Kollektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 351
anderen Gründen das K.A. unbedingt als das ältere "Werk anzu-
sehen wäre, während doch tatsächlich nur das Dharmasästra ein-
schließlich des von Anfang an dazu gehörigen räjadharma, nicht
aber das Arthasästra bis in die vedische Literatur zurückverfolgt
werden kann.
Ist nun die Verfasserschaft des Ministers Cäijakya, von der
die frühe Datierung des K.A. abhängt, durch die eigenen Angaben
des Autors und durch die alten Zitate aus dem K.A. sicher zu
erweisen? Aus der bekannten Schlußstelle K.A. 429 kann die
persönliche Note, das berechtigte Selbstbewußtsein eines großen
Staatsmannes zu uns sprechen, vorausgesetzt, daß das Werk wirk-
lich von dem Minister Candraguptas selbst verfaßt ist. Es kann
aber darin auch nur eine geschickte Reklame liegen, wie sie in dem
verwandten Dharmasästra oft vorkommt und auch in Nititexten
vertreten ist. Jacobi Sitzungsber. 1912,848 charakterisiert es als
„eine Fälschung, wenn sich ein Werk als von Manu, Yäjnavalkya,
Vyäsa oder von sonst irgendeinem Gott oder Rsi verkündet aus-
gibt**, unterscheidet aber von solchen Fällen als einen Betrag, der
nicht der indischen Anlage entspreche, den Mißbrauch des Namens
einer historischen Persönlichkeit mit studierter Anpassung des
Werkes an letztere. Die Geschichtlichkeit Cänakyas ist nicht
ganz unbestritten, weil sein Name in den abendländischen Berichten
über Sandrakottos nicht vorkommt. Davon abgesehen, ist es be-
kannt, daß mit wenig berühmten Namen in der Sanskritliteratur
so viel Mißbrauch getrieben ist als mit Cä^akya, dem man als
dem klügsten Mann der Vergangenheit die jeweils populäre Spruch-
weisheit ebenso zuschrieb, wie der weise Vyäsa das Mhbh. und
die Puränas verfaßt haben sollte ^). Über das Auftreten des Autor-
namens C. als Moralist und Mediziner in der arabischen Literatur
vgl. Zachariae WZKM. 28, 183. Da Kautilya ein altes, schon in
den Puränas vorkommendes Synonym für C. ist, so wird man
einem Verfassemamen Kautilya mit dem gleichen Mißtrauen be-
gegnen müssen wie C. Li der Deutung von Kautilya stimme ich
mit Winternitz 1. c. überein, der es nicht auf das allerdings
auch gut belegte Kautalya zurückführt, da „ Tartuffe " zu gut auf
den Minister C. der Tradition passe. Dann sei aber nicht anzu-
nehmen, daß C. sich selbst K. genannt hätte, und so spreche das
im K.A. so oft wiederkehrende iti Kautilya)}'^) doch gegen die
Autorschaft des berühmten I\linisters. Die Durchführung dieses
1) Vgl. Monier Williams, Indian Wisdom' 508.
2) Vgl. darüber auch Hillebrandt, Zu Kautüya ZDMG. 69,360—364.
352 Julius Jolly,
demnach fingierten Namens im K.A. erinnert überdies ganz an die
Aufmachung bei Manu und anderen angeblichen Smrtiverfassern.
So wird in der Manusmrti Manu 19 mal als Autorität für einzelne
Gresetze genannt, obschon er in der Einleitung allgemein als der
einzige Kenner des heiligen Rechts erscheint, dessen Übermittlung
an die großen Rsis er dann 1, 59 seinem Sohn Bhrgu überträgt.
In 2, 7 wird noch einmal die Allwissenheit Manus betont. Ähnlich
wird im K.A. Kautilya am Schluß des ersten Kapitels und am
Schluß des ganzen Werks als der Verfasser desselben bezeichnet,
außerdem aber noch an sehr vielen Stellen mit iti Kautilyah als
Autorität für einzelne Lehrsätze angeführt und in dem Kapitel
über Urkundenlehre speziell als der Verfasser dieses Kapitels ge-
rühmt. Eine Bestimmung über Verheiratung mit einer Südrafrau
wird M. 3, 16 in die Form einer Klimax von verschiedenen Schul-
ansichten gebracht, die mit der streng abweisenden Lehre des
maßgebenden Bhrgu ihren Gipfelpunkt erreicht. Granz den näm-
lichen Kunstgriff zur Belebung seiner Darstellung wendet, wie
Jacobi Sitzungsber. 1912,840 gezeigt hat, das K.A. an, wobei
dann die fingierte Diskussion mit dem jedesmaligen iti Kautilyah
ihren Abschluß erreicht. Vgl. die Zitate im Kämasütra. Übrigens
hat schon A.Weber I. Str. 1,255 über die obige Dandinstelle
im D.K.C. bemerkt, daß das dort erwähnte Lehrbuch der dandanlti,
unser K.A., als von Visnugupta für den Mauryafürsten verfaßt
galt und es als C.s angebliches Lehrbuch bezeichnet, kann
es also nicht für echt gehalten haben.
Über die bisher nachgewiesenen älteren Anführungen aus dem
K.A. kann auf die bekannten Arbeiten von Zachariae, Hille-
brandt, Hertel, Jacobi u.a. verwiesen werden, auch ist in
meinen früheren Artikeln manches Bezügliche zur Sprache ge-
kommen. Für den Jainatext Ya^astilaka wird das Datum 959 n. Chr.
nach Hultzsch ZDMGr. 68, 698 bestätigt durch eine im gleichen
Jahr ausgestellte Urkunde. Zahlreiche Zitate enthält besonders
Pancatantra -Tanträkhy äy ika , das auch einleitend C. unter den
benutzten Quellen mit Auszeichnung erwähnt und dessen angeb-
licher Verfasser Visnusarman eine Kopie Visnuguptas, des angeb-
lichen Verfassers des K.A. ist. Die Entstehungszeit dieses poli-
tischen Märchenbuchs möchte ich im Anschluß an die Argumentation
von Winternitz DLZ. 1910, 2766 nahe an die Zeit der Pehlevi-
übersetzung heranrücken. Im MR. besitzen wir ein Drama, das
die Nitilehren veranschaulicht und Kautilya als Helden hat. Doch
konnte ich außer der von Hi lieb ran dt nachgewiesenen Nitistelle
KoUektaneen zum Kautillya Arthasästra. 353
im 4, Akt ^) bisher keine als Zitat aus dem K. A. deutbare Stelle
darin entdecken, und die Ähnlichkeiten in der Terminologie könnten
auch auf der Benutzung eines anderen Arthasästra beruhen.
Zur Bestätigung der Möglichkeit, die Stelle im 2. Akt der Sakun-
talä über die Vorzüge der Jagd als ein Zitat aus K.A. 327 an-
zusehen (ZDMG. 68, 350), könnten die von Zachariae WZOI.
27,404 und von Mookerji bei Law, ffinduPolity (1914) p. XVIII
angeführten KäHdäsastellen dienen. Die umfangreichen Zitate aus
adhikarana I bei Medhätithi (9. Jh.) sind jetzt gesammelt in Val-
lauris sorgsamer Übersetzung dieses Stückes'^).
Diese alten Zitate beweisen die angesehene Stellung des K.A.
innerhalb der klassischen Literatur, aber die Frage, ob dasselbe
in einer weit früheren Zeit von dem Minister Cä^iakya verfaßt
wurde, wird schwerlich durch die Zitate zu lösen sein, außer wenn
noch sehr viel ältere als die bisherigen entdeckt werden^). Da-
gegen kommt, wenn die Dandinstelle keinen chronologischen Wert
besitzt, für die Bestimmung der oberen Grenze das Zitat: nacam
sarävam KA. 366,1 aus Bhäsa (ca. 3. — 4. Jahrh. n.Chr.?) in
Betracht, falls dasselbe nicht eine Glosse ist, wie Jacob i*) des-
halb vermutet, weil sonst solche Zitate im K.A. nicht auftreten.
Durch die besonders feierliche Situation einer ermutigenden An-
sprache an die Truppen vor der Schlacht wird aber die Anführung
eines passenden Dichterworts vielleicht gerechtfertigt. Der 4. päda:
yo hhartrpindasya krte na yudhyet wird auch in Vämanas Lehrbuch
der Poetik 5, 2, 30 zitiert^), die Bhäsastelle besaß also eine gewisse
Berühmtheit. Für alte Beziehungen zu Bhäsas Dramen spricht
auch der Umstand, daß dieselben sich ebenso wie das K.A. im
äußersten Süden Indiens erhalten haben, vielleicht dort entstanden
sind, wie auch die geographischen Beziehungen im K.A. besonders
auf den Süden hinweisen. Auch daß der allerdings sehr bekannte
Udayana K.A. 358, 3 zitiert wird, könnte mit seiner Eigenschaft
als Held zweier Dramen Bhäsas zusammenhängen ^).
1) Vgl. jetzt HillebrandtB Ausgabe 103,9; KA. 248,2.
2) Dr. M. Vallauri, H I Adhikarapa dell' Arthacästra di Kautilya. Riv.
degU studi Or. VI, 1317—82 (1915).
3) Die unleugbaren Beziehungen zu den Asokainschriften, besonders in alten
Beamtennamen, die namentlich in den wichtigen Untersuchungen von F. W.
Thomas JRAS. 1909, 467 f. und 1914, 383—395 hervortreten, dürften sich aus
dem von Hillebrandt, Üb. d. K. 13 hervorgehobenen Feststehen der Termino-
logie des Staatswörterbuchs erklären, die frühe ausgebildet wurde.
4) Internat. Monatsschrift 1913,655. Über die Bhäsastelle vgl. Gapapati
Sästris Svapnaväsavadattä, Introd. XXVIII, sowie Macdonell JRAS. 1913, 188.
5) Vgl. Gaijapati Sästri 1. c. XXII.
6) Vgl. Charpentier WZKM. 28, 239.
354 Julius Jolly,
Was die Datierung nach inneren Grründen betrifft, so liegen
über die sagengeschichtlichen Elemente im K.A. jetzt die eingehenden
Untersuchungen von Charpentier^) vor, mit dem Hauptergebnis,
daß der Sagenschatz desselben z. T. besser mit der vedischen und
altbuddhistischen als mit der uns vorliegenden epischen Literatur
übereinstimmt. Die halbgeschichtlichen Erzählungen des K.A. von
den im Harem ermordeten Fürsten sind dabei nicht berücksichtigt
und einer besonderen Erörterung vorbehalten. Bis dieselbe vor-
liegt, darf ich wohl daran festhalten, daß diese Greschichten, soviel
bisher bekannt, sonst zuerst im 6. und 7. Jahrh. bei Varähamihira
und Bäna auftreten^). Die kleine Differenz zwischen K.A. und
Mhbh. in der Legende von Mändavya kann darauf beruhen, daß
dieselbe aus einem der Gesetzbücher in das K.A. übergegangen
zu sein scheint^). Wichtig für die Beurteilung des Verhältnisses
zwischen K.A. und Mhbh. ist auch der Umstand, daß die meisten
und häufigst zitierten Autoritäten des K.A. auf dem Gebiet der
rajaniti auch im Mhbh. ähnlich nachweisbar sind. Dahin gehören,
die Auäanasäh (U^anas im Mhbh.), Kaninka Bhäradväja (Kanika),
Kätyäyana, Kau^apadanta (Bhlsma), Parääara oder Päräsara, Pä-
rääaräh (Parääara), Piäuna nebst Pi^unaputra (Närada, der seinen
Spitznamen Piäuna wohl den jetzt von Hopkins, Epic Mythology
189 gesammelten Stellen im Mhbh. verdankt), Bärhaspatyäh
(Brhaspati), Bähudantiputra (Indra), Bhäradväja (Bhäradväja), Mä-
naväh (Manu), Viääläksa (Viääläksa oder Siva). Es ist einfacher
anzunehmen, daß diese mythologischen Namen aus dem Mhbh. oder
der epischen Tradition in das K.A. übergegangen sind, als um-
gekehrt, daß ihre Träger z. T. erst im Mhbh. von Menschen zu
Göttern erhoben wurden*). Was Kanifika Bhäradväja betrifft, so
hat Charpentier ^) denselbeii nicht nur mit dem Kanika des Mhbh.
identifiziert, sondern auch in den Reden dieses Kanika interessante
Anklänge an das K.A. nachgewiesen. Es hindert nichts, hier
direkte Entlehnungen des K.A. aus dem Mhbh. anzunehmen, wenn
auch vielleicht aus einer älteren Rezension des letzteren. Daß
der Hauptinhalt des Mhbh., d. h. die Geschichte der Knruiden und
Pän^uiden, wenigstens ihren Hauptzügen nach, zur Abfassungszeit
des K. A. bekannt war, nimmt auch Charpentier an ^). Hertel sagt
1) 1. c. 211—240.
2) ZDMG. 68, 359.
3) ZDMG. 67, 85.
4) Vgl, Jacobi, Sitzungsber. 1911,973; Charpentier I.e. 215.
5) 1. c. 216.
6) 1. c, 239.
Eollektaneen zum Eaatiliya Arthasästra. 355
einfacli, es falle schwer zu glauben, daß Kautilya das Mhbh. nicht
schon gekannt haben sollte^).
In inhaltlicher Beziehung machen die vielen Einzelheiten im
K.A. über Spione, Gesandte, Prinzen, Beamtentitel, Verwaltung
und Finanzen, Unterschlagungen, Bergwerke und Fabriken, Miinz-
wesen, Besteuerungsarten und Steuernamen, Zoll- und Paßverhält-
nisse, Fluß- und Seeschiffahrt, Pferde- und Elefantendressur,
Straßenpolizei, Kunstbauten, gerichtliche Tortur, außergewöhnliche
Steuern, Staatsverträge und Diplomatie, Kriegskunst und Strategie
u. a. nicht gerade den Eindruck besonderer Altertümlichkeit. Ich
lasse hier als Probe einen Übersetzungsversuch der besonders
charakteristischen adhy. 12 — 14 des 2. Buchs über Metallurgie und
Münzwesen folgen, wobei freilich vieles unsicher bleibt, obschon
dafür die beiden Übersetzungen von Shama Sastri und die Diss.
von Sorabji (ZDMG. 69,378) benutzt werden konnten.
II, 12. Über den Betrieb von Bergwerken und Fabriken.
1. Der Bergwerksinspektor, vertraut mit der Lehre von den Kupfererzen,
mit dem Quecksilberkochen (Chemie) und mit der Farbe der Edelsteine*), oder
unterstützt von Kennern dieser Wissenschaften {°sakho zu lesen), ausgerüstet mit
den dazu nötigen Arbeitern und Gerätschaften, soll entweder alte Bergwerke (oder
Fundorte) untersuchen, die durch Metallausscheidungen (Eisenrost), Schmelztiegel,
Kohle und Asche als solche kenntlich sind, oder neue (ausfindig machen), deren
Erze in der Ebene, an Felsabhängen, oder in Flüssigkeiten (Wasser, Quecksilber
u. a.) auftreten') und sich durch auffallende Färbung oder Schwere auszeichnen,
oder einen durchdringenden Geruch oder Geschmack haben.
2) Goldhaltige Flüssigkeiten sind solche, welche auf ihrer Örtlichkeit nach
bekannten Bergen aus verdeckten Höhlen hervorquellen, die sich in Klüften,
Felsenspalten oder Bergabhängen befinden; deren Farbe die gleiche ist wie die-
jenige von Früchten des Jambübaums, Mangobaums oder der Fächerpalme, von
einem Stück reife Gelbwurz, von Rauschgelb, Honig, Zinnober, Lotusblüten, Pa-
pageien- oder Pfauenfedern ; die ähnlich gefärbtem Wasser oder Pflanzen benach-
bart sind; klebrig, durchsichtig und schwer sind.
3. Auch solche, die, wenn man sie auf Wasser gießt, sich wie Öl darin
verbreiten, Schlamm und Schmutz an sich ziehen und bei einer Verbindung mit
Kupfer oder SUber (diese Metalle in Gold verwandeln und) um mehr als da«
Hundertfache (ihres ursprünglichen Gewichts an Gewicht) vermehren*).
1) WZKM. 24, 419.
2) Nach dem Komm, ist die Auffärbung, nach Sh. S. die Prüfung der Edel-
steine gemeint, matiiräga kann auch „Rubin" bedeuten, so 36, 3 nach Vallauri 1. c.
3) Der Komm., dem Sh. S. folgt, bezieht dhätu auf den Reichtum der Erze
(sattvaprakrti^). Eine andere Möglichkeit wäre die, rasadhätu als eine Bezeichnung
des Quecksilbers zu fassen, wie es z. B. unter den Quecksilbernamen bei Garbe,
D. ind. Min. 15, Nr. 109 vorkommt.
4) So nach dem Komm., vgl. Festschrift für E. Windisch, 103 f.
356 Julius Jolly,
4. Dem Aussehen nach gleicht ihnen Steinharz, hat aber einen durch-
dringenden Geruch und Geschmack.
5. Gelbe, kupferrote, oder rotgelbe Erze in der Ebene oder an Felsabhängen,
die isoliert auftreten^), blaue Streifen enthalten, oder wie schwarze oder grüne
Bohnen oder wie Sesamspeise gefärbt sind, gesprenkelt wie Klöße aus Tupfen von
Quark, safrangelb wie Gelbwurz, Myrobalane, Lotusblüten, (die Wasserpflanze)
Saivala, wie die Leber oder wie die Milz; die, wenn man se spaltet^), feinen
Sand, Striche, Tupfen oder ein Svastikakreuz enthalten ; die runde Klumpen auf-
weisen ; die glühend von Erhitzung nicht splittern, aber viel Schaum und Rauch
von sich geben — sind Golderze, die, wenn man sie (pulverisiert) mit Kupter
oder Silber vermischt, (dasselbe in Gold) verwandeln ^).
6. (Jene Erze), welche die Farbe von Muscheln, Kampfer, Bergkrj-stall (oder
Alaun), frischer Butter, einer Taube oder Turteltaube, (dem hellroten Juwel) Vima-
laka, oder eines Pfauenhalses haben; die wie ein Saphir oder Achat oder wie
Kandiszucker oder Zuckerwürfel gefärbt sind; oder die Farbe der (purpurroten)
Blüte von Kovidära, Lotusblüte, der (scharlachroten) Blüte von Pätali, der (dunkel-
farbigen) Blüte von Kaläya, der Flachsblüte und Leinenblüte haben ; die mit Blei
oder mit Antimon verbunden sind; muffig riechen; isoliert auftreten*); weißlich,
schwarz, schwärzlich oder ganz weiß, oder alle mit Strichen oder Tupfen ge-
zeichnet; weich; die beim Schmelzen nicht splittern (oder zischen), aber viel
Schaum und Rauch von sich geben — sind Silbererze.
7. Bei allen Erzen ist der Gehalt (oder Wert) um so größer, je schwerer
sie sind. Von denselben werden die (nur oberflächlich) verunreinigten oder durch-
aus unreinen (eigentl. totgeborenen) gereinigt und (beim Schmelzen) flüssig, wenn
man sie mit menschlichem und tierischem Urin und mit Asche (Lauge) beizt und
mit einem Teig von Räjavrksa, Vata, Pilu, Gallenstein des Rindes, dem Harn und
Kot von Büffeln, Eseln und Elefanten vermischt, zusammenrührt oder bestreicht.
8. Bestreuung (oder Begießung) mit (einem Pulver von) Kandall und Vajra-
kanda nebst der Asche von Gerste, Bohnen, Sesam, Paläsa, Pllu oder nebst Kuh-
milch und Ziegenmilch bewirkt Weichheit (der Metalle).
9. Honig, Süßholz, Ziegenmilch, nebst Ol, vermischt mit zerlassener Butter,
Melasse und Hefe, nebst (Pulver von) Kandaliblüten : durch dreimaliges Besprengen
mit diesen Stoffen wird auch ein hunderttausendfach zersprungenes Metall weich.
10. Bestreuung (Calcinierung) mit (pulverisierten) Zähnen und Hörnern einer
Kuh bewirkt andauernde Weichheit.
11. Schwere, fettige und weiche Erze an Bergabhängen oder in der Ebene,
die rotbraun, grün, blaßrot oder rot sind, sind Kupfererze.
12. Schwarz wie eine Krähe, oder von der Farbe einer Taube oder der
Gallenblase des Rindes, oder weiß gestreift, muffig riechend sind Bleierze.
13. Gesprenkelt wie salziger Boden oder von der Farbe eines gebrannten
Lehmklumpens sind Zinnerze.
14. Orangefarben oder hellrot oder von der Farbe der Sinduvärablüte sind
Eisenerze.
1) Doch kann hhinna (v. 1. chinna) auch zerschlagen oder aufgeplatzt be-
deuten, wie wahrscheinlich nachher 82, 8.
2) bhinna, vgl. die vorige Note.
8) Vgl. obige Festschrift, 104.
4) bhinna, vgl. Note 1 und 2.
Kollektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 357
15. Von der Farbe des (roten) Blattes der (Bohnenart) Käkä^da oder des
Birkenblattes sind Vaikrntaka-Erze *).
16. Hell, glatt, glänzend, klingend, kalt und hart, schwach gefärbt sind
Edelsteine.
17. Den Ertrag der Erse (an Gold und anderen Metallen) soll (der Berg-
Tverksinspektor) den dafür bestimmten Werkstätten übergeben.
18. Den Handel in den (aus Metall) verfertigten Gegenständen soll er nur
an einem bestimmten Orte gestatten (zentralisieren) tmd solchen, die sie ander-
wärts herstellen, kaufen oder verkaufen, eine Strafe auferlegen.
19. Einem Bergwerksarbeiter, der (Erze) stiehlt, soll er eine Buße im acht-
fachen Betrag (des Wertes) abverlangen, außer* im Falle von Edelsteinen (auf
deren Entwendung die Todesstrafe steht).
20. Einen Dieb (von Erzen oder Mineralien), ebenso einen, der ohne Er-
laubnis danach gräbt, soll er in Fesseln (in den Gruben) arbeiten lassen.
21. Solche Bergwerke, aus denen man für die Herstellung von Gerätschaften
dienliche Erze fördert'*), oder deren Betrieb besondere Ausgaben erfordert, soll er
gegen einen Anteil am Ertrag oder gegen eine feste Rente vermieten. Ein Berg-
werk, das wenig Kosten verursacht, soU er selbst betreiben.
22. Der Metallinspektor soU die Bearbeitung von Kupfer, Blei, Zinn, Vaikrn-
taka'), Messing, Stahl*), Bronze, Rauschgelb und Eisen (lodhra für loha"*) in
besonderen Werkstätten besorgen ; auch den Handel in Gerätschaften aus Metall
(soll er organisieren).
23. Der Münzinspektor soll Silbermünzen herstellen lassen, die vier Teile
Kupfer enthalten, dazu entweder Eisen oder Zinn oder Blei oder Bleiglanz im
Gewicht von je 1 Mäsa (d. h. Vie) als Bindemittel {hija) :
24. Einen Pana, einen halben Paija, ein Viertel und ein Achtel. Kupfer-
münzen mit einem Zusatz, der ein Viertel ihres Gewichtes beträgt *), (davon präge
er) 1 Mäsa, V2 Mäsa, 1 Käkarii und '/a Käkani.
25. Der Münzprüfer soll den Münzfuß feststellen, sowohl für das umlaufende
Geld als für dasjenige, welches in den Schatz des Königs zahlbar ist.
26. (Von dem letzteren sind zu erheben :) 8 "/o ^Is rüpikam (Münzsteuer),
5°/o als vyäji^), Vs Paija vom Hundert als jjärifcsitam (Prüfungskosten), außerdem
1) Garbe 1. c. 89 erklärt das analoge vaikränta als Scheindiamant (Berg-
krystall). Im Rasaratnasamuccaya ist es ein achteckiger, glatter, schwerer Stein
von mannigfacher Färbung, diamantartig und als Ersatz für Diamanten dienend,
vgl. Ray, Hindu Chemistry I,45f. Sorabji vermutet in raikpitaka einen
Quecksilbernamen.
2) Der Komm., der bhändopakärinas ca \ liest, zieht diese zwei Worte noch
zu Nr. 20: solche, die wegen Verdacht der Entwendung von Erzen festgenommen
werden, soUen, wenn sie keine Buße bezahlen können, dafür Zwangsarbeit leisten.
3) Über Vaikrntaka vgl. die Anmerkung zu Nr. 15.
4) Nach vartaldha, nach Garbe 1. c. 40 „damaszierter Stahl", wird wohl auch
iyrtta eine Art Stahl sein.
5) Nach dem Komm, sollen die Kupfermünzen V« SUber, "/ig Kupfer und
Vis Eisen, Zinn, Blei oder Bleiglanz (wie die Silbermünzen) enthalten.
6) Auch in 28, 29 und K.A. 193, 1 — 4 erscheinen rüpam und vyäjl als Nameu
einer 8% (Va^/o) und 5 »/o Steuer.
358 Julius Jolly,
noch 25 Papas als Buße (für einen Gewichtsverlust Ton Vs an 1 Papa) *), außer
bei dem Verfertiger, Käufer, Verkäufer oder Prüfer (die im gleichen Falle die
höhere Buße von 1000 Panas zu zahlen haben).
27. Der Inspektor der Fundorte (im Meer) soll die Gewinnung der Muscheln,
Diamanten, Juwelen, Perlen, Korallen und Salze veranlassen und den Handelsver-
kehr (in diesen Gegenständen überwachen).
28. Der Salzinspektor soll rechtzeitig (den fälligen Anteil des Staates an
dem) durch Sieden gewonnenen Salz als Salzsteuer und dazu den Pachtzins erheben.
Aus dem Verkauf (des Salzes) soll er den Preis desselben und (die Prüfungsgebühr
von Vs % als) Tüpam, sowie (die 5 % Steuer) vyäji erlösen.
29. Von auswärts eingeführtes Salz soll ein Sechstel (als Zoll an den König)
abgeben. Nachdem die Abgabe (von einem Sechstel an den König) nebst der
weiteren Abgabe (von 5 % als Unterschied des königlichen Kubikmaßes von dem
bürgerlichen)*) geleistet ist, soll der Verkauf fünf vom Hundert als vyäjl, (VsVo
als) rüpam und (8 Vo als) rüpikam (ergeben). Der Käufer soll den Zoll und dazu
als Entschädigung einen Betrag bezahlen, welcher der an dem königlichen Monopol
erlittenen Einbuße gleichkommt. Andernfalls (soll) der Käufer 600 Papas als
Buße (bezahlen).
30. Verfälschtes Salz soll die höchste Buße bezahlen, ebenso wer ohne Er-
laubnis Salz verfertigt , von Waldeinsiedlern abgesehen. Gelehrte Brahmanen,
Büßer und Frohnarbeiter (die bei der Salzgewinnung beschäftigt sind) dürfen sich
Salz zu ihrer Nahrung mitnehmen. Sonstige Salze oder ätzende Stoffe ^) müssen
Zoll bezahlen.
31. 32. So beziehe er aus den Gruben (und Fundorten) ein Zwölffaches,
nämlich den Erlös (aus ihrer Ausbeute), den Anteil (des Königs an der Ausbeute),
die (5 °/o Prämie) vyäji, die (Münzsteuer) parigha, die (obige) Buße (von je
25 Papa), den Zoll, die Entschädigung (für Beeinträchtigung eines königlichen
Monopols), die (jeweilige besondere) Buße, den Schlagschatz (bei Silber- und
Kupfermünzen) und die (8 "/o) Münzsteuer, die Metalle (selbst) und den Handels-
gewinn. Auf diese Weise ist bei allen Waren die Besteuerung des Ertrags (?)
festzusetzen.
33. Aus den Bergwerken stammt der (königliche) Schatz, auf dem Schatz
beruht das Heer. Die Erde wird durch den Schatz und das Heer erlangt iu\d
durch den Schatz geschmückt.
II, 13. Der Goldinspektor in der Goldschmiede.
1. Der Goldinspektor soll für die Bearbeitung von Gold- und Silbersachen
eine Goldschmiede (Münze) mit vier nicht mit einander zusammenhängenden Ar-
beitsräumen und einer Tür einrichten. Mitten an der Hauptstraße soll man einen
geschickten Goldschmied aufstellen, aus guter Familie und von zuverlässigem
Charakter.
1) Nach dem Komm, sollen Privatleute oder Gehülfen des Münzbeamten für
einen Minderwert des Papa von Ve eine Buße von 25 Papas bezahlen, für einen
Minderwert von V4 eine Buße von 50 Papas u. s. w. Die Verfertiger u. s. w. zahlen
die höhere Buße von 1000 Papas.
2) So nach dem Komm, bei Sh. S.
3) Aufgezählt 94, 13 f.
KoUektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 359
2. Jämbünada (vom Flusse Jambü kommend, der auf dem Götterberg Meru
entspringt und Ton der Farbe des Jambüsaftes), Sätakumbha (von dem Berg
Satakumbha stammend und lotusfarbig), Hätaka (aus dem Goldbergwerk Hätaka
stammend und von der Farbe der Karandablüte), Vaipara (rom Berg Ve^u
stammend und von der Farbe der Karpikärablüte), Srngasuktija (von Srngasukti
stammend und von der Farbe des roten Arseniks), Jätarüpa (schönfarbig), Raaa-
viddha (mit Quecksilber amalgamiert) und Akarodgata (in Bergwerken oder Gold-
sand gewonnen) sind (die verschiedenen Arten von) Gold *).
3. Das lotusfarbige, weiche, glatte, lange klingende, glänzende ist am besten.
Das rotgelbe ist von mittlerer Beschaffenheit. Das rote ist gering.
4. Von den besten Arten ist unvollständiges (unreines) Gold gelblich oder
weiß. Man reinige (legiere) es mit der \-ierfachen Menge an Blei von demjenigen
(MetaU oder Mineral), mit dem es verbunden ist. Wenn es durch die Verbindung
mit Blei brüchig wird, muß man es mit Stücken von (angezündetem) trockenem
Kuhmist zum Schmelzen bringen. Wenn es infolge seiner Härte zersplittert, muß
man es in Ol vermischt mit Kuhmist eintauchen (mazerieren).
5. Bergwerksgold, das durch die Verbindung mit Blei brüchig wird, muß
man (in erhitztem Zustand) auf einem Ambos (? vgl. 93, 4) zu dünnen Platten
schmieden. Oder man muß es in einem Teig von KandalTblüten und Vajrakanda
beizen.
6. Tutthodgata (aus dem Berg Tuttha stammend und jasminfarbig), Gaudika
(axis dem Lande Assam stammend und der Aloeblüte gleichend), Kämbüka (von
dem Berg Kämbu stammend und wie die Kundablüte gefärbt) und Cäkravälika
(aus dem sagenhaften Gebirge Cakraväla stammend und von gleicher Farbe wie
die vorige Art) sind (die verschiedenen Arten von) Silber.
7. Das weiße, glänzende und weiche ist am besten. Andernfalls und wenn
es (beim Schmelzen) platzt (oder zischt), ist es schlecht. Solches soll man mit
einem Viertel so viel Blei reinigen (schmelzen).
8. Wenn es Blasen zieht, klar, glänzend und molkenfarbig wird, ist es rein.
9. Die einzige Art (Varpaka) von reinem Gold ist das (mustergültige) Gold-
stück (Suvanaa) *). Wenn man davon (je eine Käkapi Gold) wegnimmt (und dafür)
je eine Käkaiji Kupfer (hinzufügt), bis zum Betrag von vier (Mäsa = 16 KäkanI),
80 erhält man 16 (weitere) Goldarten (Varnaka)').
10. Zuerst mache man mit dem Goldstück (Suvarpa) einen Strich auf dem
Probierstein, dann (daneben) einen Strich mit dem zu prüfenden Golde. Wenn ein
einfarbiger Strich, auf nicht vertiefter oder erhabener Fläche des Probiersteins ein-
getragen, sich abwischen oder ablecken läßt, oder wenn der Strich von unter den
Nägeln befindlichem gelben Ocker herrührt, so ist ein Betrugsversuch anzunehmen.
11. Wenn man die Fingerspitzen in eine Lösung von Zinnober oder gelb-
lichem Eisenvitriol eintaucht, die mit Kuhurin gebeizt ist, und benetzt das Gold-
stück (Suvarpa) damit, so wird es weiß.
1) Der Komm, nimmt an, daß die drei letzten Arten, von Jätarüpa ab, die
dreifache Entstehungsart der fünf vorausgehenden Goldarten angeben. Vgl. Garbe
L c. Nr. 8—13, wo ähnlich mit dem rasavedhajam eine neue Reihe anfängt, die
auf den Ursprung des Goldes geht.
2) Vgl. Sorabji und den Konun. Nach Sh. S. wäre von dem Strich auf
dem Probierstein die Rede, der bei reinem Gold die Farbe von Gelbwurz hat.
3) Es sind also mit dem reinen Gold zusammen 17 Abstufungen (Komm.).
360 Julius Jolly,
12. Ein Probierstein, der wie grünes Eisenvitriol gefärbt, glatt, weich und
glänzend ist, ist der beste.
13. Ein Probierstein, der aus dem Lande der Kaiingas stammt und die Farbe
der grünen Bohne hat, ist auch von der besten Beschaffenheit.
14. Der einfarbige ist sowohl für den Verkauf als für den Kauf (von Gold)
vorteilhaft.
15. Der elefantenfarbige, grünliche, einen Reflex gebende ist für den Ver-
kauf (von Gold) vorteilhaft.
16. Der harte, imebene, bunte, keinen Reflex gebende ist für den Kauf (von
Gold) vorteilhaft.
17. Der weiße, klebrige, einfarbige, glatte, weiche und glänzende ist der beste.
18. Dasjenige Gold, welches in der Glut *) äußerlich und innerlich unver-
ändert bleibt und die Farbe des Lotus oder der Kära^idakablüte hat, ist das beste.
Das schwarze oder blaue ist unrein (oder die Unreinheit).
19. Über die Wage und das Gewicht werden wir in dem Kapitel über den
Gewichtsinspektor handeln (II, 19). Nach den dortigen Vorschriften soll man das
Silber und Gold geben und nehmen.
20. Die Goldschmiede soll kein Unbefugter betreten. Wer sie dennoch be-
tritt, soll vernichtet werden^).
21. Ein Angestellter, der Silber oder Gold bei sich trägt, soll desselben ver-
lustig gehen.
22. Erst nach Untersuchung ihrer Kleider, Hände und ihres Afters dürfen
die Arbeiter in Gold, hohlen Schmucksachen (pf§ita)^), Fassungen (oder Gold-
plattieren) und lauterem Gold, ferner die Bläser (oder Blasebalgtreter), Späher und
Staubkehrer eintreten oder hinausgehen. Auch müssen ihre sämtlichen Gerät-
schaften und ihre unvollendeten Arbeiten dort an ihrem Platze bleiben. Das von
ihnen (zur Bearbeitung) empfangene Gold und die angefangenen Arbeiten muß man
in die Mitte der Werkstatt bringen. Am Abend und in der Frühe muß man (die
Wertgegenstände) verwahren, nachdem sie mit dem Siegel des Arbeiters und des
Arbeitgebers kenntlich gemacht sind.
23. Kßepatia, gurj^a und Tisudra sind (die drei Hauptarten von) Juwelier-
arbeit.
24. K?epana ist die Fassung von Glasperlen (oder Juwelen) in Gold u. dgl.
25. Guna ist das Ziehen von Fäden (oder die Verfertigung von Ketten)
u. dgl..
26. Die Anfertigung von massiven Artikeln, hohlen Gegenständen und von
mit pf?üa u. dgl. verbundenen Schmucksachen*) nennt man k^drdka (geringe
Arbeit).
27. Für die Fassung von Glasperlen (oder Juwelen) übergebe man (dem
Juwelier) fünf Teile Gold (für die Unterlage) und zehn Teile als „Maß" (für die
1) Für täpo ißt täpe zu lesen, vgl. dähe bei Garbe 1. c. 86, Nr. 12.
2) Auch M. 9, 292 schreibt für unredliche Goldschmiede eine verschärfte
Todesstrafe vor.
3) Nach Sorabji ist mit Rücksicht auf 88,2 — 7 vielleicht zu lesen: käca-
pr?ita, was Arbeit in vermischten Glasperlen oder Juwelen bedeuten könnte. Ich
folge Sh. S.
4) Sh. S. bezieht prfitädiyuictatti auf Kügelchen mit einer runden Öffnung in
der Mitte.
Kollektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 361
Befestigung). Letzteres soll in Silber legiert mit einem Viertel Kupfer, oder in
Gold legiert mit einem Viertel Silber bestehen. Feingold soU man davon fern-
halten (d. h. nicht für das „Maß" verwenden).
28. Für die Fassung von Glasperlen (oder Juwelen) in hohlen Schmucksachen
(prsita) dienen drei Teile (Gold) als Einfassung, zwei zur Unterlage, oder vier
Teile (dienen) als Unterlage, drei als Fassung.
29. Bei Plattieningsarbeiten (?) belege man die Kupferplatte (oder den
kupfernen Gegenstand) mit der gleichen Menge Gold. Einen silbernen Gegen-
stand, der massiv, oder teils massiv teils hohl ist, bestreiche man mit der halben
Menge Gold (um ihn zu vergolden). Oder man trage Gold im Betrag eines Viertels
(des Silbers) darauf auf, mit einer Lösung oder einem Pulver von feinem Zinnober.
30. Lauteres Gold (tapantt/a) ist das beste, funkelnde Gold. Wenn man
dasselbe mit einer gleichen Menge Blei verbindet, mit (angezündetem) trockenen
Kuhmist zum Schmelzen bringt, zusammen mit Steinsalz, so wird es zur Grundlage
für blaue, gelbe, weiße, grüne, papagei- und taubenfarbige Legierungen.
31. (Das Metall) tiksyia^), von der Farbe des Pfauenhalses, mit weißen
Tupfen, prickelnd (blendend), mit Rauschgelb gefüllt (oder verrieben), im Gewicht
einer Käkapi ist der FarbstoflF eines Goldstücks.
32. Silber (unrein) oder gereinigt, wenn man es 17 mal mit Kupfervitriol
bearbeitet, und zwar durch \-iermalige (Erhitzung mit einer) Mischung von (pul-
verisierten) Knochen und Kupfervitriol, viermal mit einer gleichen Menge Blei,
viermal mit trockenem Kupfervitriol, dreimal in kapäla (einem Schmelztiegel von
reinem Ton), zweimal in (getrocknetem) Kuhmist, femer es zusammen mit Steinsalz
z\ir Siedhitze bringt : von dieser Masse ist eine Käkaiji bis zu 2 Mäsa (8 Käka^i)
auf ein Goldstück (Suvarpa) *) zu gießen, alsdann ei^bt die Vereinigung der Farben
weißes Silber.
33. Wenn man drei Teile von lauterem Golde {tapanxya) mit 32 Teilen von
weißem Silber zusammenschmilzt, so entsteht eine weißlich-rote (Mischung). Nimmt
man Kupfer (statt Silber), so bringt es eine gelbe (Mischung) hervor.
34. Wenn man nach Erhitzung des lauteren Goldes drei Teile (des in 31
erwähnten üksna) als Farbstoff darauf gibt, so nimmt (die Mischung) eine gelbe
Färbung an.
35. Zwei Teile von weißem Silber und ein Teil von lauterem Golde ergeben
eine Mischung von der Farbe der grünen Bohne.
36. Wenn man (lauteres Gold) mit (einer Lösung von) der halben Menge
schwarzes Eisen bestreicht, so wird es schwarz.
37. Mit einem Zusatz von Quecksilber (zu dieser Lösung) doppelt bestrichen
nimmt das lautere Gold die Farbe der Papageienfedem an.
38. Ehe man sie in Gebrauch nimmt, soll man bei diesen verschiedenen
Mischungen einen ihren Gehalt angebenden Stempel anbringen').
39. Auch soll man sich über die Prüfung von tik^na und Kupfer (aus
Büchern oder durch Befragung von Sachverständigen) unterrichten.
1) Nach Sh. S. ist Kupfervitriol gemeint, vgl. 14, 5. Der Komm, zieht txk^vMttt
cäsya zu 30.
2) Sh. 3. zitiert eine Kommentarstelle, wonach Suvarpa hier einen Karsa von
Silber bedeuten soll.
3) So nach Sorabji, während nach Sh. S. von einem Strich auf dem Pro-
bierstein die Rede ist.
362 Julius Jolly,
40. Daraus (erkennt man) die Gegengewichte für Diamanten, Juwelen, Perlen,
Korallen, sowie Münzen und die für die Herstellung von Silber- und Goldschmuck
erforderlichen Mengen (von diesen Metallen).
41, 42. Von gleichmäßiger Färbung, von gleicher Beschaffenheit wie das als
Muster gebrauchte Gold, frei von hohlen Blasen, fest, ganz glatt, ohne Zusätze,
richtig verteilt, angenehm (als Schmuck) zu tragen, milde glänzend (und doch)
funkelnd, eine liebliche Masse, ebenmäßig, das Gemüt und die Augen erfreuend:
so werden die Eigenschaften von lauterem Golde angegeben.
II, 14. Bie Tätigkeit des Goldschmieds in der Hauptstraße.
1. Der Goldschmied soll das Silber und Gold der Städter und Landbewohner
von seinen Arbeitern (zu Münzen, Schmuck u. s. w.) verarbeiten lassen. Diese
sollen ihre Arbeiten rechtzeitig und der Bestimmung gemäß (und für den ver-
abredeten Lohn) verrichten.
2. Wenn sie, unter dem Vorwand, daß die Zeitdauer und Art der Arbeit
nicht festgesetzt worden sei ^), ihre Arbeit nicht ordentlich verrichten, so sollen
sie ihren Lohn verlieren und den doppelten Betrag desselben als Buße bezahlen.
Wenn sie die Zeit verstreichen lassen, sollen sie ein Viertel von ihrem Lohn ein-
büßen und doppelt so viel als Buße bezahlen.
3. Wie sie die (Gold- und SLlber-)Barren (von den Eigentümern) empfangen,
in der gleichen Beschaffenheit und von gleichem Gewicht sollen (die Arbeiter)
dieselben (als Münzen oder Schmucksachen u. s. w. an die Eigentümer) zurück-
geben. Auch nach langer Zeit sollen (die Eigentümer ihr Gold und Silber) un-
verändert (von dem Goldschmied oder dessen Erben) zurückempfangen, außer was
davon abgenutzt oder zerbrochen ist*).
4. Durch die Arbeiter soll (der Goldschmied) alles herausbringen, was auf
das Gold, die metallische Masse, die Stempel und den Tauschwert Bezug hat (um
dadurch Streitigkeiten mit den Eigentümern des Metalls entscheiden zu können,
oder um Unterschlagungen seitens der Arbeiter vorzubeugen).
5. Wenn aus Gold oder Silber (eine Münze im Gewicht von einem) Suvarija
(=: 16 Mäsa) geprägt werden soll, muß man als Schlagschatz eine Käkapi (= Vi
Mäsa) dazugeben. Als Farbstoff gebe man zwei KäkaijiT von tlk^na (Kupfervitriol).
Davon geht ein Sechstel (bei der Prägung) verloren.
6. Wenn die Beschaffenheit einer Münze im Gewicht von 1 Mäsa wenigstens
verschlechtert wird, soll die erste Buße bezahlt werden ; wenn das Gewicht zu
gering ist, die mittlere Buße ; wenn in Bezug auf die Wage oder das Gegengewicht
ein Betrug versucht wurde, die höchste Buße; ebenso bei einem Betrugsversuch
in Bezug auf eine fertige Münze oder Schmucksache (z. B. durch Vertauschung
derselben mit einer anderen).
7. Wer hinter dem Rücken des Goldschmiedes oder anderwärts (als in der
königlichen Goldschmiede) Gegenstände (aus Edelmetall) herstellen läßt, soll eine
Buße von 12 Papas bezahlen ; wer sie selbst verfertigt, das Doppelte. So wenn
(der Besteller auf Befragen) die Herkunft (der Münzen) angibt.
1) Zu lesen und abzuteilen: anirdi^takälahäryäpadeiatfi käryaayänyaihakarane.
2) So nach dem Komm, bei Sorabji, während nach Sh. S. der Goldschmied
und «eine Leute als Subjekt zu denken und die geprägten Münzen von ihnen
jederzeit wieder zurückzunehmen wären, außer im Falle der Abnutzung und Wert-
verminderung.
EoUektaneen zum Eaatiliya Arthasästra. 363
8. Wenn er ihre Herkunft nicht angibt, soll das (in adhikarana IV be-
schriebene) Verfahren zur Entdeckung von Übeltätern gegen ihn eröffnet -werden.
Der Verfertiger soll (in solchem Falle) 200 Parias als Buße bezahlen, oder man
soll ihm die Finger abschneiden.
9. Die Wagegerätschaften und die Gewichte soll man bei dem Wägungs-
inspektor (II, 19) kaufen, andernfalls ist eine Buße von 12 Parias zu bezahlen
(wenn man sie selbst anfertigt oder anderswo kauftj.
10. Massive Arbeiten, massive und zugleich hohle Arbeiten (z. B. goldene
Krüge oder Vasen), Löten, Bestreichen (Amalgamieren), Zusammenfugen (z. B. eines
Gürtels), Vergolden: dies sind die verschiedenen Arbeiten der Juweliere.
11. Eine falsche Wage, Wegnehmen, Abzapfen, petaka (Falten, Zusammen-
schieben), pinica (VertauBchung ?) sind die ünterschlagungsmittel (der Goldschmiede).
12. Mit sich biegendem Wagebalken versehen, mit hohem (und innerlich
Quecksilber enthaltendem) Zapfen, mit zerbrochener Spitze, mit hohlem Halse •),
mit schlechten Stricken, mit schiefen Wagschalen, hin und her schwankend, mit
einem Magneten verbunden : dies sind die (verschiedenen Arten von) gefälschten
Wagen.
13. Zwei Teile Silber, ein TeU Kupfer heißt Triputaka (drei Schichten). Wenn
dies an die Stelle von Bergwerksgold (oder Flußgold) gesetzt wird, so heißt das
Triputakävasäritam (Wegnahme durch die drei Schichten). Wenn (das echte Gold)
durch Kupfer (ersetzt wird), so heißt dies Sulbävasäritam (Wegnahme durch
Kupfer). Wenn durch vellaka (eine Legierung von halb Eisen und halb Silber),
so heißt dies VelL.kävasäritam. Wenn durch eine zur Hälfte Gold, zur Hälfte
Kupfer enthaltende Mischung, so heißt dies Hemävasäritam (Wegnahme durch eine
Goldlegierung).
14. Ein Schmelztiegel mit einem hohlen Boden, Metallausscheidungen (Eisen-
rost j, die Öffnung einer Beißzange (oder eines Kamins), eine Ahle und Zange (oder
eine ahlenartige Zange), eine jongani -) und Natriumsalz (für chemische Prozesse) :
dies sind die Mittel zur Unterschlagung (Wegnahme) von Gold.
15. Wenn vorher aufgeschütteter feiner Sand^) nach dem (absichtlichen)
Bersten des Schmelztiegels aus der Pfanne aufgelesen und (die ganze Masse) nach-
her zusammengeschmolzen wird; oder wenn bei der Prüfung einer Menge von
Goldsachen*) ein silbernes Stück (mit einem goldenen) vertauscht wird, so heißt
dies Abzapfen (vgl. 11). Ebenso wenn feiner Sand (Goldsand) mit Sand von einem
unedeln Metall vertauscht wird.
16. Petaka (vgl. 11), sei es fest oder lose, geschieht beim Löten, Amalga-
mieren und Zusammenfügen (Plattieren). Wenn ein Bleistück (Bleimünze) mit
einer Lage von Gold überzogen und innen mit Lack verkittet wird, so heißt dies
fester Petaka. Das nämliche Verfahren mit (bloßem) Aufeinanderlegen (ver-
schiedener) Lagen heißt loser (Petaka).
1) Oder „knotenreich", nach der Lesart upakarninl und dem Komm, bei
Sorabji.
2) Nach dem Komm, und Sorabji ein metallenes Kästchen oder hohles
Rohr zum Verbergen des gestohlenen Goldes.
3) Nach Sh. S. handelt es sich um kleine Stücke unedeln Metalls, nach
Sorabji um aufgeschütteten feinen Sand, mit dem beim Springen oder Umfallen
des Tiegels das flüssige Metall aufgefangen wird.
4) So nach dem Komm, bei Sorabji.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 3. 25
364 Julius Jolly,
17. Beim Amalgamieren wird eine (mit dem unedeln Metall verbundene)
Platte oder eine doppelte Lage (von Edelmetall) verwendet. Kupfer oder Silber
wird als Kern der Platten beim Zusammenfügen (Plattieren) verwendet. Ein
Kupferstück, mit einer Goldplatte überzogen und (im Feuer) geglättet, heißt
supärsva (schön auf der Oberfläche). Ein ebensolches Stück aus Kupfer oder
Silber, mit einer doppelten Platte von Gold (oben und unten) überzogen und im
Feuer geglättet, heißt uttaravarnaka (von schönster Farbe).
18. Die beiden Arten (von petaka) kann man durch Erhitzung oder durch
Aufstreichen (der Münze) auf dem Probierstein erkennen, oder an dem Fehlen
eines Geräuschs beim Zerschlagen oder durch Bearbeitung mit einer ätzenden
Flüssigkeit '). Den losen (petaka) stellt man fest durch ein Bad in (dem sauren
Saft von) Badarämla oder in Salzwasser. Soweit der Petaka.
19. In einem teils massiven teils hohlen Gegenstand bleiben Stückchen von
Goldsand^) oder eine Paste von Zinnober in erhitztem Zustand haften. Auch an
einem ganz kompakten Gegenstand bleibt eine Mischung von (metallischem) Sand
oder eine Paste von rotem Lack und rotem Blei^) in erhitztem Zustand haften^).
Bei beiden Arten (von Verunreinigung) geschieht die Reinigung durch Glühen und
Abreißen. An einem mit einer Einfassung versehenen Stück bleibt Salz haften, wenn
man es durch eine Flamme zusammen mit hartem Kies erhitzt. Hier geschieht
die Reinigung durch Sieden (in einer ätzenden Flüssigkeit). Eine Schicht von
Talk wird durch Lack mit einem doppelt (oben und unten mit Gold oder Silber)
plattierten Gegenstand verbunden. Bei einem solchen mit Talk (oder Glas) be-
deckten Gegenstand geht, wenn man ihn in Wasser eintaucht, ein Teil (der keinen
Talk enthält und daher schwerer ist) darin unter; oder man kann mit einer Nadel
in die inneren Schichten hineinstechen. Edelsteine, Silber oder Gold können bei
teils massiven teils hohlen Gegenständen (mit Nachahmungen) vertauscht werden.
20. Hier geschieht die Reinigung (und Entdeckung) durch Glühen und
Abreißen. Soweit der Pinka (Vertaüschung, vgl. 11).
21. Daher muß (der Goldschmied) an den Diamanten, Juwelen, Perlen, Ko-
rallen und Münzen ihre Art, Gestalt, Farbe, ihr Gewicht, ihren Stoff und besondere
Kennzeichen (Stempel) untersuchen.
22. Bei der Prüfung verfertigter (neuer) Gegenstände (von Metall) oder der
Ausbesserung alter (metallener) Gegenstände gibt es vier Arten des Betrugs:
Hämmern, Abschneiden, Abfegen und Abreiben.
23. Hämmern besteht darin, daß man unter dem Vorwand eines (Betrugs-
versuchs durch) petaka einen hohlen Gegenstand (pf-$ita, vgl. 13, 22), einen Gold-
faden oder ein Gefäß (von Edelmetall) zerschlägt.
24. Abschneiden besteht darin, daß man bei aus zwei Lagen bestehenden
Artikeln (dviguV'avästukänäin zu lesen) für das Edelmetall Blei einsetzt und das
Innere ausschneidet.
25. Abfegen besteht darin, daß man massive Stücke mit Kupfervitriol be-
arbeitet.
26. Abreiben besteht darin, daß man entweder mit einem Pulver aus einem
der folgenden Stoffe: gelber oder roter Arsenik oder Zinnober, oder mit einem
1) Ebenso.
2) Zu lesen auvari^amfdvälukä.
3) So nach Sorabji, doch bleibt gändhära unsicher, nach Sh. S. bedeutet
das Kompositum 'the waxlike mud of G&ndhära'.
Kollektaneen zum Kautiliya Arthasästra. 365
Pulver von (zerriebenem) Rubin (oder mit Schmirgelpulver) ein Tuch bestreicht
und damit (den metallenen Gegenstand) abreibt.
27. Durch solche (Bearbeitung) werden goldene und silberne Gegenstände
abgenutzt, doch erfahren sie keine Beschädigung (dadurch).
28. Bei zerschlagenen, zerschnittenen, oder abgeriebenen gelöteten Stücken
kann man durch Vergleichung mit einem ähnlichen (jedoch unverletzten) Stück
(den Verlust) abschätzen. Bei amalganiierten Stücken (oder bei abgekratzten, nach
der Lesart avalekhyänätn) schneide man ebenso viel, als davon abgeschnitten wurde,
von einem anderen Stück ab und bestimme danach (den Verlust). Verdorbene
muß man oftmals erhitzen und dann im Wasser kühlen.
29. Wegwerfen, Gewichte, Feuer, Ambos (? s. o. 13, 5), Handwerksgerät,
der Arbeitsplatz (?), Flederwisch, Faden, Kleiderfalten*), der Kopf*), der Schoß,
Fliegen (um sie abzuwehren), Hinsehen auf den eigenen Körper, der Blasebalg,
die Wasserschale, die Pfanne: (auffallende Beschäftigung mit diesen Dingen) läßt
auf eine (von dem Arbeiter beabsichtigte) Unterschlagung (?) schließen.
30. Bei Silbersachen läßt muffiger Geruch, Anziehung von Unreinigkeiten,
Unebenheit, Härte und Glanzlosigkeit auf Fälschung schließen.
31. So muß man neue und gebrauchte, verdorbene und von Haus aus
schlechte (Gegenstände von Gold und Silber) untersuchen und Bußen dafür, wie
angegeben, verhängen.
Vergleicht man mit den vorstehenden Angaben die Vorschriften
der medizinischen Werke über die Verarbeitung der Metalle und
Mineralien zu Arzneien, so tritt eine überraschende Ähnlichkeit
in der Terminologie zu Tage, die sich aber, gerade wie bei der
juristischen Literatur, weit mehr auf die späteren^), als auf die
alten Texte bezieht. So kommt in diesen 3 adhy. des K.A. 9 mal
als Bezeichnung des Kupfers sulba vor, das, wie man auch über
seinen angeblich lateinischen Ursprong*) urteilen mag, jedenfalls
bisher nur in späten Texten als Kupfername nachgewiesen ist.
Vielleicht noch wichtiger sind die Hinweise auf das Quecksilber,
das in rasapäka 81, 14 (= 12, 1), rasaoiddham 85, 14 (13, 2) und prä-
ülepinä rasena (päradena Komm.) 89, 2 (13, 37) deutlich vorliegt. Da
Quecksilber meist aus Zinnober {hingula) gewonnen wurde, das in
Dardestan häufig vorkommt (vgl. Ray, Hist. of Hindu Chemistry
1, 43), so kommt für eine ausgiebige Bekanntschaft mit dem Queck-
1) Nach der Lesart cellajollanam nebst Erklärung bei Sorabj i.
2) Glätten der Haare, Kratzen u. dgl. (Komm.).
3) Der in Garbes Ind. Mineralien bearbeitete Räjanigha^tu , zu dem das
K.A. auffallende Parallelen bietet, ist im 13. Jahrh. n. Chr. verfaßt.
4) Nach dem PW. läge sulphur zu Grunde, vgl. Garbe 1. c. 35 zu sulba :
„erschlossen aus dem Lehnworte sulbäri = sulphur, dessen falsche Zerlegung
in sulba ~- ari „Feind des sulba" einem sulba in der Bedeutung „Kupfer" das
Leben gab." Doch wie soll das lateinische sulphur nach Indien gelangt sein ?
Über die umgekehrte Hypothese, der zufolge lat. sulpur aus sulbäri entlehnt sein
soll, vgl. O. Schrader, Reallexikon s.v. Schwefel.
25*
366 Julius Jolly, KoUektaneen zum Kautiliya Arthasästra.
Silber auch die fünfmalige Erwähnung von hingula in Betracht.
Über das Auftreten des Quecksilbers in der älteren indischen
Medizin ist jetzt Hoernles Anmerkung zu Bowerhs. 11,297
(Calc. 1909) zu vergleichen, wonach dasselbe zwar in der Bowerhs.
und bei Caraka je einmal, bei Su^ruta zweimal vorkommt, aber doch
in Lehrbüchern der allgemeinen Medizin, selbst späten Datums,
selten erscheint. Später ist es bekanntlich das Hauptmittel ge-
worden, vgl. meine Medicin § 26, Megasthenes erwähnt von in-
dischen Metallen nur Silber, Grold, Erz, Eisen und Zinn, ähnlich
wie nach den älteren indischen Aufzählungen. Von den mannig-
fachen chemischen und metallurgischen Prozessen im K.A. ist be-
sonders die Verbindung von Kupfer und Silber und anderen
minderwertigen Metalien mit Quecksilber und anderen rasa von
Interesse, weil dadurch das Goldmachen, eine Verwandlung unedler
Metalle in Gold zugleich mit vielfacher Vermehrung des ursprüng-
lichen Gewichts, bewirkt werden soll, die ganz den Lehren der
abendländischen Alchimie entspricht, vgl. o. 12, 2, 4 und 13, 2, dazu
,,Der Stein der Weisen" in der Festschrift an E. Windisch, 103 f.
Auch Ray, der das Alter der indischen Alchimie und latrochemie
sehr hoch schätzt, kennt keinen älteren Sanskrittext darüber als
das nepalesische Kubjikätantram in einer nepalesischen Hs. angeb-
lich aus dem 6. Jahrh. n. Chr. (1. c. II, XLIIff.).
So ergeben die Parallelen in medizinischen Texten ebenso wie
die Analogieen in den juristischen das Bild einer viel jüngeren
Stufe der Anschauung, als man in einem Werk des 4. Jahrhunderts
V. Chr. erwarten sollte. Ungeteilte Zustimmung hat ja die Autor-
schaft des Ministers Cänakya, des indischen Bismarck, bei indischen
Gelehrten gefunden. Sollte dabei aber nicht etwas der indische
Nationalismus mitsprechen, der die Errungenschaften der indischen
Kultur in möglichst frühe Zeiten zurückschieben möchte '? Bei den
Dharmaäästras dringen wir nirgends bis zu den wirklichen Ver-
fassernamen durch, bei den nahe damit verwandten Arthasästras
wird es nicht anders sein.
Die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus.
Von
B. Beitzen stein.
Vorgelegt in der Sitzung am 8. April 1916.
In dem neusten Heft der Preußischen Jahrbücher (Band 164,
S. 1 ff.) hat V. Harnack vor einem weiteren Publikum über den
Ursprung der Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" gehandelt und
dabei einen doppelten Angriff gegen mich gerichtet. Ich soll
durch wissenschaftliche Hypothesen die Originalität der christ-
lichen Religion mehrfach schwer verletzt haben und soll in meinem
Buch ^Historia monachorum und Historia Lausiaca"^ gegen die erste
Pflicht jedes Forschers, das ihm bekannte Material für seine Be-
hauptungen vorzulegen, in ganz unbegreiflicher Weise verstoßen
haben, und zwar in einem Falle, in welchem dieses Material zwin-
gend gegen mich spräche. Es handelte sich um eine dort beüäufig
gegebene Deutung der Worte des Paulus I. Kor. 13, 13 vovi 8k
|j.svsi Tciat'.?, tkiz'.q, aYaTTTj, ta tpia taöTa" tJLe'lCoüv 5s tootcüv r^ aYarTj.
Auf den Vorwurf, die Originalität der christlichen Religion
schwer verletzt zu haben, der ohne nähere Angaben auch auf
meine frühere Tätigkeit ausgedehnt wird, gehe ich an diesem
Orte nicht ein. Nur für „einen größeren Leserkreis'" bestimmt, muß
er wohl oder übel vor diesem verhandelt werden. Sollte er doch
recht eigentlich die Persönlichkeit verletzen und zugleich, an dieser
Stelle vorgebracht, durch ein autoritatives und mikontrollierbares
Urteil nach außen diskreditieren '). Persönliches scheidet hier aus.
1) Die Redaktion der Preußischen Jahrbücher, die ich um Aufnahme einer
Darlegung des Sachverhalts bat, hat sie mit der Begründung abgelehnt, daß ihre
mehr der allgemeinen Bildung als der Fachwissenschaft dienende Zeitschrift Ar-
tikel von zu weit gehender philologischer und theologischer Gründlichkeit nicht
368 R. Reitzenstein,
Auch gegen den zweiten Vorwurf, den ich vor jenem größeren
Publikum mit berücksichtigen mußte, weil er den ersten verschärfen
sollte (vgl. V. Harnack S. 13. 14) , werde ich in diesem Aufsatz
nicht viel mehr sagen. Er beruhte auf einer willkürlichen Miß-
deutung meiner Worte, die nach v. Harnack enthalten sollen, die
Zusammenstellung der Begriffe Glaube, Liebe und Hoffnung, ja
die Begriffe selbst habe Paulus aus einej* hellenistischen Mysterien-
religion entlehnt, während ich nur von dem einen Verse gesprochen
habe, der bei ihm diesen drei Gotteskräften überraschender Weise
ein Bleiben im Jenseits zuschreibt und zugleich allein eine For-
mel bietet. Er beruhte ferner auf der Überzeugung v. Harnacks,
was er selbst vorbrächte, sei „Material" für diese Frage, d. h. be-
einflusse irgendwie ihre Entscheidung. Sollte diese Überzeugung
ihm erschüttert werden, so wird der in konziliantesten Formen ^)
und kränkendstem Sinn vorgebrachte Vorwurf wohl von selbst
wegfallen. Mich beschäftigen also hier nur die sachlichen Auf-
stellungen V. Harnacks über den Ursprung der Formel „Glaube,
Liebe, Hoffnung" und sodann die philologische Interpretation des
„Hohen-Liedes von der Liebe", I. Kor. 13.
1.
Den Ursprung der Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" will
V. Harnack aus einem Vergleich mit der truiitarischen Bekenntnis-
formel gewinnen „Gott Vater, Sohn und Geist". Es ist klar, wie
er dabei den Begriff Formel faßt; er bezeichnet sie später als
Idee oder Schöpfung. Wie sich nun nach ihm die trinitarische
Bekenntnisformel aus zwei binitarischen Formeln „Vater und
Sohn" und „Vater und Geist" durch eine Art Addition und zu-
gleich auf Grund eines Empfindens für die Vollkommenheit der
Dreizahl entwickelt haben soll, so die Formel „Glaube, Liebe,
Hoffnung" aus zwei ähnlichen binitarischen Formeln „Glaube und
Liebe" und „Glaube und Hoffnung". Ich bin gegen solche Beweise
durch einen Vergleich mißtrauisch, zumal wenn der Vergleich hinkt.
In der Verbindung der drei Begriffe Vater, Sohn und Geist ist
im Bekenntnis der formelhafte Charakter von selbst gegeben: drei
verschiedene Begriffe, und nur diese drei, geben eine höhere Ein-
aufnehmen könne. Da die Redaktion der Historischen Zeitschrift die Annahme
dieses Aufsatzes gütig zugesagt hat, wird wenigstens ein Teil der Leser sich dort
überzeugen können, wie v. Harnacks Vorwurf begründet und wie er eingeführt war.
1) Populärer ist die Form in den Aufsätzen, die sich an ein engeres Publi-
kum wenden, so in der gegen mich gerichteten Bemerkung in den Sitzungsbe-
richten d. Kgl. Preuß. Akad. zu Berlin 1916 S. 541, 2.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 369
heit; das wird bei der Nennung dreier Tugenden durchaus nicht
immer der Fall sein ; die altchristliche Literatur bietet, wie v, Har-
nack selbst andeutet, eine Fülle der verschiedensten Kombinationen
und Zahlensysteme (von 2 bis 12). Femer, bei dem Glaubens-
bekenntnis mochten ältere Verbindungen wie „Vater und Sohn"
oder gar „Vater und Greist", also eine Verbindung, die ursprüng-
lich sicher keine Formel ist, dem Wesen der Sache nach
als Formeln oder vielmehr als Material für die Formel gefaßt
werden; bei Aufzählungen von Tugenden ist das durchaus nicht
nötig. Nur eine fast uneingeschränkte Herrschaft zweier binita-
rischer Formeln konnte hier den Additionsprozeß verlangen. Ein
bloßer Nachweis der Existenz der Begriffe würde nicht genügen.
Sie sind an sich in jeder individuellen Religion natürlich und
daher fast überall nachweisbar; auffällig werden sie nur durch
die Beschränkung auf eine bestimmte Zahl. Nur hierin kann das
Wesen der Idee oder Schöpfung oder Formel im engem Sinne
liegen. Von Hamack ist hierauf nicht eingegangen, sondern fol-
gert aus seinem Vergleich sofort: da die drei Begriffe neben ein-
ander — er sagt die Formel — „Glaube, Liebe, Hoffnung" sich
schon in dem frühsten Briefe des Paulus (L Thess.) finden, so
ist die Formel vielleicht sogar vorpaulinisch und müssen die beiden
binitarischen Formeln „Glaube und Liebe" und „Glaube und Hoff-
nung" noch älter sein; sie reichen, wenn wir das auch für die eine
literarisch nicht voll erweisen können, sicher bis in die Urzeit des
Christentums zurück. Nun ist freilich auch für die trinitarische
Formel irgendwelche Herrschaft in der Literatur^) nicht erweis-
bar; aber da diese „Schöpfung" in junger Zeit allgemein ange-
nommen ist, können wir uns mit der Annahme helfen, daß die
Gemeinde die trinitarische Formel sofort nach ihrer Auf-
stellung als beste Devise der christlichen Frömmigkeit und
Überzeugung erkannt hat ; sie nannte nach den einzelnen Begriffen
sogar ihre Frauen. So erhielt sich in einer gewissermaßen unter-
literarischen Schicht jene Uridee des Christentums, in der es sich
am originellsten und vollkommensten ausprägt, durch anderthalb
Jahrhunderte, bis endlich die Theologie ihre Abneigung aufgab
und diese Idee rezipierte. So der Gedankengang v. Harnacks, so
weit ich ihn aus seiner Darstellung zu deuten vermag.
Zugrunde Hegt, soweit ich sehe, trotz einzelner Berichtigungen
und Zusätze eine von A. Resch „Agrapha", Texte und Unter-
1) Von Harnack sagt: „in der Theologie" und nennt die Apologeten. Daß
die Beschränkung falsch ist, werde ich unten erweisen.
370 ^- Reitzenstein,
suchungen, Bd. 30 (N. F. 15), Heft 3, S. 153 ff. vorgetragene Be-
hauptung. Ihr hat v. Harnack Grrundauffassung und Methode, die
Mehrzahl der Zitate und die Anlässe zu Mißverständnissen und
Flüchtigkeiten entnommen. Nur hatte ßesch einen anderen Aus-
gangspunkt, der seine dem Philologen befremdliche Argumentations-
art bestimmte. Er glaubte, daß jene seltsamen Predigten unter
dem Namen des Macarius (hom. XXXVII Anf.) ein Herrenwort
bezeugten: iTctjisXeio^s TTtatsw? xal IXTriSo?, St' wv Ysvvärat ii cptXö-
dso? xai (ptXdtvö-pwTCO? öcYaTCT] ii tyjv aldbviov Cwtjv -KapByoviCici.^). Resch
hielt es für echt und suchte durch eine kritiklose Sammlung aller
frühchristlichen Stellen, an denen die drei Begriffe in beliebiger
Entfernung von einander und in beliebigen Zusammenhängen vor-
kamen, zu erweisen, schon Jesus könne so gesprochen haben. Auf
die Formel, die ja in dem vermeintlichen Herrenwort gar nicht
liegt, kam ihm nichts an; die einzige Stelle, wo sie sicher ist
(I. Kor. 13, 13), stand bescheiden am Ende der ganzen Reihe. Für
V. Harnack ist diese Stelle und die Formel die Hauptsache, das
Logion hat er aufgegeben, das „Material" aber großenteils beibe-
halten, ja noch ergänzt. Den urchristlichen Ursprung der Formel
muß nun ihre Herleitung aus den zwei binitarischen Formeln er-
weisen, d. h. das Fundament Reschs ist aufgegeben, oder vielmehr
durch eine Hypothese ersetzt, der Oberbau ist geblieben und noch
etwas stärker belastet. Ich prüfe zunächst, ob die Hypothese ihn
überhaupt noch tragen kann.
Vorher freilich müssen wir uns über den Begriff des Wortes
Formel klar werden, der durch den in mehr als einer Hinsicht
schiefen Vergleich mit der Bekenntnisformel so unklar geworden
ist, daß man von Schöpfung einer Formel im verschiedensten Sinne
reden und auf ganz verschiedene Weise meinen kann ihren Ur-
sprung zu beweisen. Hier liegt, glaube ich, die Ursache jener Miß-
deutung v. Harnacks, die ich im Eingang erwähnte. Wenn in
Athen die vier Tugenden avSpeia, awf poaovYj, StxatoaövY], (ppövYjOK; für
die Kardinaltugenden erklärt werden, mit dem Zusatz, daß die
(ppövYjot? die G-rundtugend ist, so erkenne ich hierin eine Idee und
kann den Lehrsatz selbst als Formel bezeichnen. Würde ich ihre
1) Über das Logion selbst verliere ich kein Wort; wer die sprachlicbe Ent-
wicklung im frühen Christentum etwas kennt, muß es für jung erklären. Zudem
hatte schon Ropes richtig betont, daß die einführenden Worte des Macarius gar
nicht besagen, daß er ein überliefertes Wort anführen wolle; Reschs Gegen-
gründe zeigen nur den Mangel jeder philologischen Schulung, etwa wie die köst-
lich ungriechische Textgestaltung, die er im gleichen Zusammenhang für Barnab.
1,6 vorschlägt. Ich kenne keinen Forscher, der das Logion noclf verteidigt.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 371
Erfindung dem Plato zusprechen, so könnte ich wohl nicht damit
meinen, daß er die Begriffe erfunden oder sie zuerst als „Tugen-
den" bezeichnet habe. Ein Verweis auf den Preis einer einzelnen
aus älterer Zeit würde mich nicht widerlegen, auch nicht die Be-
obachtung, daß sehr viel ältere Grabepigramme in Attika schon
zwei Begriffe vereinigen und vom Manne immer wieder sagen: „er
war tapfer im Kriege und maßvoll im Frieden" {arfct^ob xal ow-
^povo? ävSpö?) oder von seiner apstT] ■i^^h aao^pooövif] reden. Ich
würde höchstens anerkennen : solches Empfinden lag Plato besonders
nahe. Aber weiter: auch ocYaO-oö xal ato^povo? ävSpo'? kann ich als
formelhaft bezeichnen, zunächst im sprachlichen Sinne; es wieder-
holt sich ja in Attika ziemlich oft und wird sogar Vorbild für die
Scipioneninschrift fortis vir sapiensquc. In gewissem Sinne sogar
als sachliche Formel. Die beiden Eigenschaften treten für das
allgemeine Empfinden hier so besonders hervor, daß unter dem
metrischen Zwang zu kurzem Ausdruck nur sie erwähnt werden \).
1) Die Frage tautologischer oder gegensätzlicher Verbindung spielt dabei
eine gewisse Rolle: je näher sich die beiden unter sich verbundenen Begriffe
stehen, um so klarer ist der Charakter der rein sprachlichen Formel. So steht
neben dem Lob des Mannes äyaSö; xal awopiuv später ein ähnlich doppelgliedriges
Lob der Frau awtppwv xal xpr^rd^ (besonders charakteristisch Kaibel 60), in dem
die beiden Adjektiva einander weit näher stehen ; es ist wohl Nachbildung. Klarer
wird ein modernes Beispiel sein. Für uns ist „Glauben und Wissen" eine sach-
liche Formel , die Verschiedenartiges , ja Gegensätzliches verbindet. Für den
Dichter des Kirchenliedes „Nun weiß und glaub ich feste, Ich rühm's auch ohne
Scheu, Daß Gott, der Höchst und Beste, Mir gänzlich günstig sei", ist es eine
rhetorische Formel, die keinerlei Zeugnis für das Alter und die Verbreitung der
sachlichen (Glauben und Wissen) bietet. Aber diese rhetorische Formel ist noch
sonst lehrreich. Sie zeigt, wie wenig bei stilistischen Entlehnungen der Inhalt
mit entlehnt zu sein braucht. Ich empfinde Paul Gerhardt hier beeinflußt von
der lateinischen Rhetorik , die diese tautologischen Verbindungen seit ihrer
Urzeit besonders liebt (vgl. Cato Or. fr. 1, 1 scio ego atqice tarn pridem cognovi atque
intellexi atque arhitror) und werde durch die Wahl der beiden Epitheta Gottes
darin bestärkt. Ich höre in Zeile 3 und 4 deum Optimum maximum mihi plane
propitium esse, weiß, daß Paul Gerhardt lateinisch las und dichtete, und verfolge
mit Interesse, wie man mit glücklichem Empfinden aus einem recht bänkelsänge-
rischen Parallelgedicht („Ich hab oft bei mir selbst gedacht") für die zu latei-
nische Wendung „gänzlich günstig^ eingesetzt hat „Freund und Vater", und wie
das Lied uns nun in dieser Gestalt lieb und vertraut geworden ist. Wenn ein
Gegner, ohne die Zusammenhänge zu erwähnen, einem Laienpublikum berichtete,
ich „verletze" die Originalität Paul Gerhardts oder gar des Protestantismus und
leite seine Vorstellungen von der Erhabenheit und Güte Gottes aus dem Kulte
des lupiter optimus maximus ab, während diese Vorstellungen nicht nur urchrist-
lich , sondern zugleich unser teuerster Besitz und das einigende Band der zer-
spaltenen Christenheit seien, so würde ich das für eine etwas voreilige Polemik
halten.
372 R. Reitzenstein,
Felilte dieser Zwang, so könnten natürlich auch andere hinzutreten;
eine Idee liegt nicht zugrunde, wenigstens nicht so, wie in der
platonischen Formel. Gesellen sich ihnen in Mahnreden oder En-
komien noch andere, individuellere Eigenschaften oder Epitheta,
so werde ich von Formeln überhaupt kaum mehr reden. Nun ge-
hört noch dem vierten Jahrhundert eine G-rabschrift (Kaibel 54)
{iV^IJLa SixaiooövTji; %al ow^pocDvir]? apet'^'; ts. Ich werde kaum daraus
schließen, daß sich schon in vorplatonischer Zeit aus der binitari-
schen eine trinitarische Formel gebildet habe und Plato sie annahm,
etwa weil er den Theognis schätzte, in dessen Sammlung sich ja
ein Spruch (147) findet Iv Ss Sixatooovifj oDXXYjßSTjv Tcäa' apez-q eonv,
endlich, daß er aus anderen Formeln auf Grund einer Vorliebe für
die Vierzahl als Vollzahl die ^pöv/jais zugefügt habe; die attische
Komödie zeige ja Frauennamen wie <i>povif]c3iov (und wohl auch
<I>pövYjoi(;). Das Bild, welches wir auf Grund derartiger Behaup-
tungen von der Entwicklung der griechischen Ethik empfingen,
wäre abenteuerlich ; auch genügte Plato selbst, um es zu widerlegen.
Wenden wir nun den Blick zu der Formel „Glaube, Liebe,
Hoffnung". An einer einzigen Stelle des Neuen Testamentes,
I. Kor. 13, 13, erscheint sie in dem Sinne einer „Idee", also wirk-
lich als Formel. Dagegen wird in einer immerhin größeren An-
zahl von Stellen Glaube und Liebe als besonders wichtig hervor-
gehoben, ja die beiden Tugenden verbinden sich nicht ganz selten
zu einer Quasi - Formel, etwa wie in dem Beispiel a^fcnd-oü xai aw-
(ppovo? avSpö?. Im zweiten Jahrhundert werden sie sogar von Ig-
natius als echte Formel gebraucht, vgl. Eph. 14 wv oöSsv Xavddvei
ujjiä?, lav TsXetw? sl? 'Iirjaoöv Xpiotöv l'xTjts ttjv itioziv xal ttjv aYocTtTjv,
tjtk; latlv ap/Y] Cw^? %al t^Xog" ^pxh l*-^^ ittatK;, tsXo? 8k aYaTCYj, ta
8s Soo Iv ivÖTirjTi Ysvdjieva be6<: kaxiv ta S^ aXXa Tcdcvta sl? xaXoxaYa-
■d'iav axöXoodd louv. Das ist eine „Idee", eine Lehre, wie jene
Lehre von den vier Kardinaltugenden; sie wird sich uns freilich
in dieser Form als hellenistisch erweisen. Die einfache Hervor-
hebung und Zusammenstellung der beiden Begriffe hat niemand
für hellenistisch erklärt und niemand je die grundlegende Be-
deutung der Begriffe für das Christentum bestritten.
Anders steht es mit der angeblichen Formel „Glaube und
Hoffnung", deren Existenz v. Harnack für das Urchristentum
nachweisen will. Es ist die Grundlage seiner ganzen Beweis-
führung und das Neue in ihr. Beide Begriffe grenzen nahe an
einander, ja sind je nach des Auffassung des "Wortes Trtottc für
einzelne Autoren und Zusammenhänge fast synonym, vgl. Hebr.
11, 1 sott Sä Tclottc IXTTiCojJievwv oTcöotaoK;, TrpaYlidxwv IXsyxO'I o^ ß^*~
die Fonnel „Glanbe, Liebe, Hoffiiung" bei Paulus. 373
?:o|iiv(öv (vgl. die FortsetznDg besonders v. 7 und 27). Es ist
schwer denkbar, wie sie überbanpt eine Formel, sei es auch nur
in dem neutestamentlichen Sinne von „Glaube und Liebe'', bilden
können. Ich muß wortgetreu anführen , wie v. Harnack die
Existenz und das Alter dieser befremdlichen Formel beweist
(S. 10. 11).
Paulus schreibt Böm. 15, 13: „Der Gott der Hoffnung erfülle
euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, auf daß ihr Über-
fluß haben wöget an Hoffnung" ; Gal. 5,5: „Aus dem Glauben
entnehmen wir die Hoffnung'*; Koloss. 1,23: „Beharrt auf dem
Glauben ... nicht wankend von der Hoffnung" ; 1. Petr. 1,21:
„Auf daß euer Glaube und Hoffnung sei auf Gott" ; Hebr. 6, 11 f.:
„Zur Vollbereitung der Hoffnung durch Glaube und Langmut^;
Tit. 1, If: „Nach dem Glauben der Erwählten . . . auf Hoffnung
des Lebens"; 1. Clemens 58: „Gott, der Herr Jesus Christus und der
hl. Geist sind der Glaube und die Hoffnung der Erwählten";
JBarnabas 1: „Die Hoffnung auf dc^ Leben ist Anfang und Ende
unseres Glaubens". Nach diesen und anderen Stellen kann es nicht
zweifelhaft sein, daß „Glaube und Hoffnung" eine uralte, wahrschein-
lich schon hinter Paulus liegende Formel in der Christenheit war.
Also stand die Hoffnung von Anfang an beim Glauben, und sogar bei
der Liebe kam sie als ihre Ergänzung zum Ausdruck. „Die Hoff-
nung macht nicht zu schänden", schreibt Paulus (Rom. 5,5); „denn
die Liebe Gottes ist ausgegossen" und ßarnabas (c. 1, 4) spricht von
„der Liebe auf Hof f nun g des Lebens". *
Ich aweifle nicht, daß das „weitere Publikum" durch die immer
wieder in Sperrdruck neben einander gestellten Worte überzeugt
ist. Aber wie lauten die Stellen denn wirklich?
1) Rom. 15, 13 6 Ss dsöc tt^? IXkiSix; TtXr^pdioii ö{i.äc zdoTj? x*P*^
xal elpTfjvir]? Iv tq) Triotsostv, sl? tö Trsptoaeosiv 6|iä(; Iv rg IXäiS» fev do-
vd{ji£'. iT/sufJLato? dcYioo. Lietzmann übersetzt: „Grott aber, von dem
die Hoffnung kommt, erfülle euch mit aller Freude und Friede,
indem ihr glaubt, auf daß ihr reich werdet an Hoffnung durch die
Klraft des heiligen Geistes". Die Änderung der Infinitivkonstruk-
tion zum Substantiv macht an sich wenig aus ; aber von einer
Formel kann doch wohl nicht die Rede sein: wer in Frieden
und Freudigkeit glaubt, hat vollere Hoffnung.
2) Gal. 5,5 rj{jL£i<; fdcp mtb^azi Ix ^riatsü)? feX::i5a S'.xatooovYj?
otTTsxSsxopisda. Hier ist durch die Unterdrückung des Genetivs,
den selbst Resch beibehält, der Sinn vollkommen geändert. Der
Zusammenhang ist: wer sich als Christ beschneiden läßt, ist ver-
pflichtet das ganze Gesetz zu erfüllen; Christus ist für den wir-
374 R. Reitzenstein,
kungslos, der aus dem Gesetz sich selbst rechtfertigen will ; er ist
von der Gnade (^apt?) ausgeschlossen. Denn wir Christen empfangen
nur auf Grund des Glaubens Hoffnung auf Gerechtigkeit, d. h, eine
zukünftige Gerechtigkeit. Wie in dem ganzen Briefe entsprechen
sich auch hier Glaube und Gerechtigkeit, nicht Glaube und Hoff-
nung; IXttic bezeichnet hier gar nicht die Tugend. Jeder Gedanke
an eine Formel ist abzulehnen.
3) Kol. 1, 20 ff. cTt £dSöx7]0£V . . , irapaof^oat ofiä? aYtoo? xal
«{xw^iOD? xax aveYxXvjTOo? xaTsvwTiiov aoioö, s'i ^s l;ri[i£V£t£ t^ Tciatei
T£^e^EXt(0{jL£voi xal iSpaioi *) xal {itj (i£Taxivoö{i£VOt aTrö triz IXtciSo?
TOÖ zhcL"^"^ tXlOVi 00 Y]Xo6oaT£, TOÖ XYjpO^C&^VTO? Iv Tcaoif] xttosi
T-ji OTTO TÖv oopavö'v, OD iY£VO!J'''''l^ ^"^^ IlaöXos §icxxovo?. Auch hier
schließt der Zusatz bei IXul? jede formelhafte Beziehung der
beiden weit von einander entfernten Substantive ttiotic und IXtti?
aus ; eine Formel müßte ganz anders wirken ^).
4) I. Petr. 1, 18 f. £ISÖT£? ozi oh cp^apTOi?, ap^optcj) t) ^poai(p, iXo-
'cpw'd'Yj'CE . . . aXXa ttpilq) aijiaTi . . . Xpiotoö, 7:po£YV(oaji£Voo {ifev Tcpö
xataßoX"^«; xöa[i.oo, ^avEpW'ö-EVTO? 8s iz' koyjxzo^ täv ypdvwv St' ofiä«;
tobq SC aDToö Tutatoug £1? ■8-eöv iöv ly^^P*^'^* auxöv Ix VEXpwv xal Sö^av
ai)t(p Sövta, woTs njv Triattv 6[i(ii)v xal IXxtSa elvat eI? ■ö-eöv. Es ist die
einzige korrekt übersetzte Stelle; zwei eng verwandte Begriffe
sind neben einander gestellt, vielleicht weil mit der Tatsache, daß
Gott Christus wieder erweckt und verklärt hat, sich die Erwartung,
das Gleiche selbst zu erleben, verbinden soll, vielleicht nur der
Fülle halber. Für eine Formel spricht nichts.
5) Hebr. 6, 11 f. e7ri'9'0|io5[i£v Ss sxaatov dijlwv tyjv ahvifv IvSeIxvo-
o^ai otcooStjv npbq izkriporpopia)/ t-^c IXtiiSo? ä/pt teXoo?, tva (jltj vw^pol
7£V7]a^£, jitjtrjtal 8k twv Sia Trtaxsü)? xal [laxpoO-uiita? xXy]povo{Jlo6vt(ov ta?
kita^^zkicLq. Keine Beziehung der beiden fraglichen Substantive auf
einander ist spürbar. Das Wort Triati? verbindet sich, wie die
Fortsetzung zeigt, eng mit {xaxpodo{xla, das Wort IXtci? bezeichnet
das Gehoffte. Die Übersetzung entstellt den Sinn.
6) Titus 1, 1 IlaöXoi; SoöXo? •&£oö, aTcöatoXo; 8k Xpiotoö 'lYjaoö
xata TTiOTtv IxXsxTwv •9-eoö xal ItuIyvcöocv aXifj^sta; f^? xat' Eoo^ßEiav
Itt' IXttISi Cw^? alwvloo, ^v iTCTjYYe^Xato 6 a({)Eo5Y]<; •O-eöc Tcpö )(pöva)V
alwvitov. Verbunden sind «Iotk; und iTclYvtoot«; aX-zj^sia? (Glaube und
Vollerkenntnis der Wahrheit), zu letzterem Gliede zugefügt ist
xat' E^oEßEiav Itt' hXm8i Cw^? aiwvioo. Eine Formel ist nie daraus
zu gewinnen. Die sDo^ßsta hat ihren Grund in der Hoffnung.
1) Vgl. Ephes. 3, 17. 18.
2) Auch darf man zweifeln, ob iXizk überhaupt hier als Tugend gefaßt ist
und nicht objektiv „das Verheißene" bedeutet {i; aiutr^pia ^ eiayyeXiaöelaa).
die Formel -Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 375
7) I. Clemens 58, 2 wird in der Ubersetzimg v. Harnacks wohl
jeden Leser befremdet haben: „Gott, der Herr Jesus und der
heilige Geist sind der Glaube und die Hoffnung der Erwählten'^.
Überliefert ist : C'fl Tfap O deö? xal C"n ö xöpio? 'Itjooöc Xpiatöi; v/il zb
7rv£Ö{i.a zb aY'.oy ri ze ziozi<; Kai f; kXzK; twv IxXsxrcov ozi 6 ^ro'.TJaa? ev
taTTstvocppoaüvxj {ist' Ixtsvoö? iTiiä'xsia? a'jicTaijLsXTJTo)!; ta 6~6 xoö dsoü
SeSojisva Stxa'.a)|iata xal :rpoaxaY{iaTa, ooto? ivTsta7{i,6voc xal sXXo^'.jto?
lotai et? TÖv aptd[iöv täv oü>Co{isv(ov 5'.a 'Ir^ooö Xp'.atoö, also deutsch:
„Denn so wahr Gott und der Herr Jesus Christus und der heilige
Geist leben, lebt auch der Glaube und die Hoffnung der Erwähl-
ten^), daß wer in Demut . . . erfüllt hat, dieser eingeordnet und
eingerechnet werden wird in die Zahl derer, die durch Jesus
Christus das Heil finden". Die feierliche Rede rechtfertigt die
tautologische Verbindung iriat'.? xal IXtti? (ziatsow xal iXiriCc» ott).
Von einer Formel ist nicht die Rede.
8) Bamabas 1, 6 xpia ouv 5ö7{taxd saxiv xoptoo Cö>^C**) ^Xict?, ipxh
xal xsXo? ziaxsö)? f^ficöv, xal SixatoaövT], xpiaeo); °'-9X'^ **^ tsXo?, <xai>
ä^äTzt], <(j.sx'> eo^pooovTj? ') xal aYaXXtdoswi; epYwv S'xa'.oaovrj? piapTOpia.
Hier liegt wirklich der Versuch, eine echte Eormel zu bilden, vor
und das ist für die Beurteilung späterer Stellen entscheidend. Die
Formel lautet IXtii?, Sixaioauvr], afÖLzri. Sie hat v. Hamack überhaupt
übergangen*). Das Einzelglied, was er aus ihr herausbricht und
in der Übersetzung selbständig macht, kann eine Formel gar nicht
sein, wenn es auch äußerlich einer Formel angeglichen ist. Man
vergleiche Ignatius Eph. 14 (oben S. 372): der Unterschied ist
sofort klar. Wenn dort die -loxi? die ap-^ii, die ci.';ä.zr^ das xsXo?
der CiöT^ ist, so sind zwei Dinge die notwendigen Bestandteile
eines dritten (Wesen der Formel); wenn ein Ding Anfang und
1) D. h. sie existieren wirklich, sind kein leeres Gerede {estis, io, superi): die
Cw3a cX-t; I. Petr. 1, 3 läßt sich z. T. von hier erklären ; in der feierlichen Ver-
sicherung wird die anreihende Satzform anstelle zweier korrekten Sätze gewählt.
Daß der lateinische Übersetzer das verkennt, besagt nichts. Möglich wäre viel-
leicht : lebt auch der Geist (in der Gemeinde) und der Glaube u. s. w.
2) Man kann schwanken, ob C«jt^; nicht zu JX-t; gehört (vgl. v. 4 ilziZt
Ctufj; aixoü). Aber dadurch würde der rhetorische Bau der Formel zerstört, um
den sich der Autor offenbar Mühe gibt (vgl. den Chiasmus im Folgenden). So
ist richtiger nach v. 3 i-ö toü -aousiou ttj; dfd-rr^i xuotou (vgl. für den Vers Rom.
5, 5) auch hier zu schreiben x'jptou Cw^ii-
3) Die Ergänzung scheint notwendig.
4) Seine früheren willkürlichen Textänderungen (Ausgabe von 1875) hat er,
wie die Übersetzung zeigt, aufgegeben. Die überlieferte Formel ist antipauli-
nisch , ihr Sinn klar , wenn man die ähnlichen trinitarischen Formeln vergleicht
(unten S. 388): Hoffnung auf ewiges Leben veranlaßt die E-taxpotp?] r.pbi &e<5v, es
folgt gerechter Wandel, dann als Vollendung die Liebe.
376 ^' Reitzenstein,
Ende eines andern ist, so ist es mit ihm identisch, macht dies
andere aus. Wir sehen das gut an dem von den Herausgebern
z. T. mißverstandenen Parallelsatz SixatoouvY] xpioswg ap^^Tj xal ts'Xo?.
Die alttestamentliche tautologische Verbindung SixatoauvT] xal xptot?
(xpt[jLa) wirkt ein ; der Autor zerlegt sie aus einem rein rhetorischen
Interesse; ebenso eine tautologische Verbindung k\m<; xai ictaTi?.
Für aYaTUT] steht ihm kein Synonym zur Verfügung; so setzt er
eine tautologische Verbindung im Grenetiv dazu. Von einer be-
grifflichen Formel finde ich auch hier keine Spur.
9) Für eine Formel „Liebe und Hoffnung" verweist v. Harnack
auf Uöm. 5, 3 ff. slSötec oti i^ ■d'Xttjjt? otcojj-ovtjv xatspYaCe-
tat, 1^ 8k oTcojiovTj Soxt,[tT]v, 7] 8k SoxijJLTj IXTTiSa, 1^ 5s lX;rl<;
00 v.avaiaybvei, ozi "q ä'^äTcri toö deoö Ixxs/otat Iv tai? xapSiaK; tqjawv
8ta 7rvs6{i,aT0? aYioo toö 5o6-§vto? "i^iilv. Man braucht nur den von
V. Harnack weggelassenen und daher von mir in Sperrdruck ge-
gebenen Vordersatz zu lesen, um zu erkennen, daß IX^rtc sich nicht
auf äYajnr], sondern auf otuoiiovy] und Soxt^i] bezieht. Der begrün-
dende Satz hängt nicht mit dem Begriff iXniq, sondern lediglich
mit dem Verbum od xaraia^uvei zusammen (sie läßt nicht zu schän-
den werden, denn Grott hat seine Liebe ja schon mit seinem Geist
über uns ergossen, vgl. v. 8). Auch würde doch die Erwähnung
der Liebe Gottes zu uns neben der IXttis nie auf die „Formel"
ocjcdTTir] xal iXxi? weisen.
10) Barnab. 1, 4 avaYxdCo[j<at , . . afcnKäv 6|).ä<;, ort jieYaXirj Tctot!.«:
%at aYaTTTTj l^xatcixsl Iv djjliv IXtciSi Cw^c aDtoö wird zunächst, mir
nach Sinn und Sprache gleich unverständlich, als „Liebe auf Hoff-
nung des Lebens" übersetzt und beweist eine binitarische Formel,
während auf derselben Seite die Stelle als Zeugnis für die trini-
tarische Formel Glaube, Liebe, Hoffnung erscheint. Das kann sie
nun wegen 1,6 (oben S. 375) sicher nicht sein; zwei ganz ver-
schiedene trinitarische Formeln in nächster Nähe schlagen sich
unter einander tot^). Bei der paulinischen Erwähnung der jctoui;
xal aYaTcifj der Adressaten fügt zu demVerbum eYxatoixst Iv b\iiv
der Verfasser noch einen instrumentalen, bezw. kausalen Dativ
k\nlU Ctö"^«: hinzu (infolge der Hoffnung auf das Leben in ihm) -) ;
1) Wohl darum wurde in der Ausgabe von 1875 nach der willkürliclien
Deutung von 1,4 der Text von 1,6 durch ein halbes Dutzend schwerster Ände-
rungen umgebildet.
2) Um des zukünftigen Lebens in Gott willen entfalten sie die Stärke der
Liebe. Für den Dativ i^rAhi genügt es wohl auf Athenagoras Suppl. 33, 1 zu
verweisen. Genau den gleichen Gedanken drückt Kol. 1, 4. 5 aus ttjv äydarjv ¥)v
l)^«Tt tii Ttivtai Tous 4y(ou; 8t4 ttjv iXitiha t)jv äitoxitjiivTjv üfilv iv toi; oüpavot;.
die Formel „Glaube, Liebe, HofEaung" bei Paulas. 377
zu keinem der beiden eng zusammengehörigen Substantiva steht
er in formelhafter Beziehung und zu beiden auch nicht. Der Ver-
fasser häuft in diesem ganzen Vorwort ohne viel „Ideen" die feier-
lichen Worte über einander, so v. 5 die ^vwai? und zwar als Er-
gänzung zur ttiotk;, was wichtig genug ist, und v. 7 den ^ößo? ^soö.
Natürlich ist auch später 11,8 nicht, wie v. Harnack will, ein
Zeugnis für die trinitarische Formel ,. Glaube, Liebe. Hoffnung":
srdv pfjjAa 8 sav s^s^söostat s^ Ö{1ü>v Sidc toö otö{tato<; ojiöv Iv iziazzi
%a\ a 7 a TiTQ , sa-cai e».!; i z '. o t p o (p rj v x a l I X z t S a "jzoXkolc;. Auch hier
ist IXff'lc nicht die Hoffnung, sondern das Gehoffte, die ownjpia^).
Nach irgendwelchen Wortindices sind ohne jede Rücksicht auf
den Zusammenhang oder den Satzbau und die Wortbedeutung zehn
Stellen zusammengetragen und meist falsch übersetzt. Nur durch
die Art der Übersetzung und Verstümmelung erhalten sie den An-
schein, etwas zu beweisen. Wohl selten ist von einem Gelehrten
in der Stellung v. Hamacks eine wichtige These vor einem Laien-
pablikum, das kaum nachprüfen kann, so bewiesen worden. Der
ungeheuren Bedeutung für das Christentum und die ganze Christen-
heit, die er zu polemischem Zweck der Formel zuschreibt, entspricht
diese Art des Schriftbeweises wenig. Ich gehe, gerade weil ich der
Angegriffene bin, nicht weiter darauf ein. Die These ist widerlegt;
vielleicht könnte ich meinerseits fragen, ob sie so überhaupt hätte
vorgebracht werden dürfen.
Ich lege die Nachprüfung der weiteren Übersetzungen nicht
vor, sondern konstatiere lediglich, daß die Formel des Paulus
I. Kor. 13, 13 seltsamer Weise nur auf eine einzige Stelle im
Neuen Testament und eine bei den Apostolischen Vätern gewirkt
hat, nämlich Hebr. 10, 22 irpoosp^^toiisda . . . Iv icXTjpo^opta s t a t s o) c
. . . xat^/ö)jjLSv rfjv ojtoXofiav tTj? eXriSo? axX'.vij . . . xal xaravoÄiJLrV
äXXkjXou? sl? Äapo4oa(iöv äifaÄY]? xal xaXwv spYwv. Der Charakter
des Lehrsatzes ist aufgegeben, aber eine Entwicklung zur Voll-
kommenheit noch empfunden. Die zweite Stelle bietet Polykarp
Phil. 3, 2, der in einem Briefe an eine Paulus-Gemeinde den Paulus
zitiert, die Formel aber so umbildet, daß tt'Ioti?, äfäTcri, IXrt«; die
Vollendung der SixaioauvT] bilden. Er verwebt dabei Stellen aus
verschiedenen Briefen, ohne eine klare Anschauung zu bieten.
Nicht als Formel, wohl aber in freierer Verbindung finde ich
die drei Substantive noch zweimal bei Paulus in dem frühsten der
1) Bekehrung (vgl. für den Sinn des Wortes Inatpo;?:^ Porphyrius Ad Mar-
cellatn 24) und Heil ist das zusammengehörige Paar. Rhetorische Gesichtspunkte
verlangen zwei Glieder wie vorher; eine inhaltliche Beziehung des einen zu dem
früheren ist geradezu ausgeschlossen.
378 R- Reitzenstein,
erhaltenen Briefe (I. Thess.) und zwar am Anfang und Schluß.
Zunächst 1, 3 eo/aptaTOöfisv . . . aSiaXetvcxü)? {xvYjixovsDOVTei; ofjLwv xoä
epYoo T-^c TciGTstoc xai toö xöttoo t^? aY^^T^J? ''-al t^c D7ro[JLOV^?
TT^c sXtciSo? toö xoptoo T^[i,wv 'Itjooö Xptatoö. Sachlich wird dasselbe
erwähnt 3,6 Ttfio^soD .. . BXiCf.'^^BkiGa]xiyovi i^jitv trjv Tciaxtv y.al tyjv
ocYairTjv d{iwv^) und endlich 1,8 a^' ujawv ^ap I^7]y7]tat 6 Xö-fo? toö
xopioo 00 [iövov SV T-^ Max£§ovtc^ xal 'A^^aiof, aXX' Iv Travtl zöizip ri
TzlaxK; o{i,(öv t^ xpö? xöv ■^söv e^eXtjXuO-ev, woie {Jly] ^(psiav s)(stv (^{läg
XaXsiv TL Wo er kurz sein will, nennt er nur die Hauptsache, die
TTiaxi?, wo er etwas breiter seine Freude schildern will, erweitert
er, TtiOTt? xal aYocTCT], in der rhetorischen Ausführung des formel-
haften Einganges rundet es sich zu izlozii;, a-(6L7zri, IXtcic (dazu ip^a,
xo'tcoi, 6 ;r 0 [j. 0 VI]) aus. Zu vergleichen ist aus Paulus selbst Rom.
1, 8 s6)(apiaTd) ... oti tI] TrioTt? 6[ji,{öv xaTaYYsXXsTat Iv oXcp Tcjj %öa{JLi|>
und Philemon^) 5 so/aptOTw . . . axoDwv ooo tyjv aYaTTYjv xal tyjv
TTioTiv, y)v l/st? Trpö? TÖv xupiov 'Iyjooöv xal elc xavTa? tou? aYtoo?.
Paulus selbst hat also keine Formel; es handelt sich hier mehr
um eine Frage der Rhetorik und des -^^oc der einzelnen Stelle. —
Von Paulus - Nachahmungen kommen in Frage Eph. 1, 15 axoöcac
T7]v xad' ujiä? TT i a T i v Iv T(j) xupiq) 'Iirjaoö xal ttjv a y a t: tj v tyjv bIq
irävTa? TOÖ? aYioo? od Traöofiai eo^^aptaTcüv, IL Thess. 1, 3 söyapiOTeiv
ö^stXoiiev ... OTt oTTepaulavst i^ Tziaziq ofiwv xal TcXsovdCst ii oi'fdTzri
xtX. Endlich Kol. ^) 1, 4. 5 £üyapiaToö[jLEV . . . axoöaavTE? tyjv tc t o t t v
6[iwv Iv XpioTcp 'Iyjooö xal ttjv a y a i: yj v, -^v I/ete eI? iravxac toö? «xyiod?
Sta T7]v IXjclSa tyjv aTcoxsifAlvYjv ojjlIv Iv toI? oopavoi?, rjv icpoTjxoöaaTs
SV T({) X6Y(p 1"^? aXyjö-sta? toö soaYYsXioo (vgl. Barn. 1, 4, oben S. 376).
Von einer Formel kann um so weniger die Rede sein, als sXzIq
1) Daß die Hoffnung hier fehlt, will v. Dobschütz (Meyer, Kritisch-exeg. Kom-
mentar X^ S. 140) erklären: Timotheus hatte über sie nicht absolut Befriedi-
gendes melden können, was aus 4, 13 und 5, 1 hervorgehen soll, aber nicht her-
vorgeht. Man sieht, wohin der Gedanke der P'ormel führt. Das erste mal hat
Paulus die yTrofiov/) t^; iXm'So; gelobt; das zweite mal erinnert er sich, daß es
eigentlich damit recht iibel steht, und läßt diese Rubrik seines Zensurenbuches
(etwa wie ; Fleiß , Betragen , Aufmerksamkeit) lieber unausgefüllt. In Wahrheit
zeigt der Zusammenhang, daß ihm auch hier auf den Begriff -Aa-zn alles ankommt
(vgl. 5 lT:e[j.'|»a eU tö -ptüvat ttjv Tifartv üfiüiv, 7 -apexXTj&7)(j.ev . . Stet tTjS üfiÄv irtSTEiu; ;
zwischenein schiebt sich die Schilderung der frohen Botschaft; da sagt er t>)v
rfaxiv xotl ttjv ctYaTiTjv).
2) Von der Echtheit des kleinen Briefes hat mich Ed. Schwartz in den
Charakterköpfen überzeugt.
3) Der Brief ist ähnlich wie der zweite Thessalonicher-Brief von namhaften
Forschern mit so ernsten Gründen in Zweifel gestellt, daß v. Ilarnack ihn schwer-
lich vor Laien als sicher paulinisch behandeln durfte. Vielleicht ergibt die fol-
gende Darlegung weitere Argumente.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoflfnang" bei Paulus. 379
hier wieder gar nicht die Hoffnung, sondern das Gehoffte bedeutet.
Die Stellen zeigen nur, daß auch die Paulus-Nachahmer eiue For-
mel nicht empfinden. — Dem Anfang entspricht im ersten Thes-
salonicherbrief 5, 8 sv5ooa|j.evo'. d-wpaxa TcioTSCDc xal Ä-ydÄi]? xal
Äspixe^aXatav kXziSa. ownjpta?. Man erkennt, daß die Verbindung
ittatK; xai a^dtzY] ihm vorliegt ; er will sie nicht lösen, braucht daher
für den zweiten Gegenstand des Vergleichs ein weiteres Wort und
wählt IXTTts. Eine Formel ist das nicht; sonst wäre der Vergleich
elend gebaut. Daß es in der nächsten Zeit auch nicht als Formel
empfunden ist, zeigt die Nachahmung Ephes. 6, 14 — 17, in der zu-
gleich Jes. 59,17 nachgeahmt ist: für afd-xri ist SixaiooovYj einge-
setzt, die TcioTi? auf einen anderen Vergleichsgegenstand übertragen,
IXzi? mit Absicht beseitigt, endlich äXT^^sw, ito'-iJLaoia toö eoa^f sXioo
t^? slpTjvTj? und gar tö 7tv£5|ia eingesetzt; der Verfasser will gar
keine Formel geben, nur einen breit ausgeführten Vergleich *).
Die Frage, ob Paulus bei den beiden Erwähnungen der IXzi?
im ersten Thessalonicher - Brief schon an die Formel denkt, die er
in dem etwas späteren ersten Briefe an die Korinther verwendet,
kann man aufwerfen, aber nicht a priori beantworten^). Wir
müssen erst sehen, ob die Formel im Korinther - Briefe individuell
und zu bestimmtem Zwecke geprägt ist. Für jetzt stelle ich fest:
irgendwelche Herrschaft einer mit Bewußtsein als Devise christ-
licher Frömmigkeit geprägten Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung"
ist in der altchristlichen Literatur überhaupt nicht nachweisbar,
selbst bei Paulus nicht (man vergleiche unten S. 386 die Übersicht
über die ähnlichen Formeln). Dafür, daß die Gemeinde sie von
Anfang an ausschließlich betont habe, hat v. Hamack leider kein
Beweismaterial vorgebracht, nur zwei flüchtige Andeutungen.
Er legt hohen Wert auf die weiblichen Rufnamen, die dieser
Formel entnommen seien, leider ohne Einzelnheiten zu bieten.
Und doch wäre das Alter und der Ort der Bezeugung, femer die
Häufigkeit gerade dieser Namen gegenüber den anderen Abstrakta
als Namen von Christinnen entscheidend. Aber weiter : der Einzel-
name spricht nur für die Schätzung des Einzelbegriffs ; wie gewinnt
man aus ihm die Formel? Und ist denn jede Agape, Pistis oder
Elpis, die uns auf Inschi'iften begegnet, erst als Christin so ge-
1) Ebenso Ignatins Pol. 6, 2.
2)' An sich ist vollständige Unabhängigkeit beider Briefe durchaus denkbar.
Wie die Entscheidung falle, für meine Untersuchung war sie und ist sie, wie ich
in der Historischen Zeitschrift dargelegt habe, vollständig gleichgültig. In späteren
Briefen fehlt die „trinitarische Formel" völlig, selbst wenn man den Kolosserbrief
als echt betrachtet.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. 26
^g() , B. Beitzenstein,
nannt worden? Das „weitere Publikum" wird das ja glauben, aber
V- Harnack hat uns selbst soeben in der MissionsgescHcbte ^, 1915,
1 407 fF. auseinandergesetzt, daß die Sitte der Umnennung erst
spät^) üblicb wird. Ich darf nun kaum verlangen, daß jenes
weitere Publikum etwa den Thesaurus linguae latinae für 'AYaTCT]^)
oder wenigstens Papes Wörterbuch der griechischen Eigennamen
für die anderen Namen nachschlägt, um von Inschriften- oder Pa-
pjrus - Sammlungen ganz zu schweigen. So wird es schwerlich
wissen, daß 'EXtti? ein im Heidentum ganz üblicher Rufname ist,
die trinitarische Formel sich aus den Namen also überhaupt nicht
erweisen ließe, und daß 'Ayoctty] und etwas seltener Iltaui; auch im
Heidentum vorkommen. Schlüsse auf die Religion können wir aus
dieser bekannten Tatsache freilich nicht ziehen; die IltoTLi; kann
sehr wohl dabei Treue bedeutet haben ^); wenn sie Christin ge-
worden war, wird sie die Bedeutung des Namens anders empfunden
haben. Zu machen ist mit diesem „Material^ noch nichts.
So bliebe noch die Bemerkung S. 11: In der Seide der Valenti-
nianer sind dann Glaube, Liebe, Hoffnung schon su Äonen geworden
(s. Epiphanius H. 31,2.5: „Die weiblichen Äonen sind Pistis, JElpis,
Agape, Synesis" u. s. w.). Das Zitat ist etwas flüchtig aus ßesch
entnommen, der zwei verschiedene Kapitel anführte, während
V. Harnack nur aus dem zweiten ein paar Worte bietet. Da auch
das erste zum Verständnis nötig ist, berücksichtige ich es mit.
Kap. 2, 5 ff. (p. 384, 17 Holl) legt dar, daß Valentin dreißig Götter
oder Äonen oder Himmel einführt; je einer männlichen Gottheit
entspricht eine weibliche, die mit ihr das nächste Paar erzeugt;
die Namen werden zunächst in ihrer angeblichen orientalischen
Form aufgezählt, dann heißt- es, ihre Deutung sei ßu^ö? und Si^if],
Noö? und 'AXTj^eia, Aö^o? und Zwt], "Avö-pwTro? und 'ExxXiQoia, Ila-
paxXTjto? und Iliou?, IlaTptxöc und 'EXtci?, MYjtpixö? und 'Afa^Tj,
'Aei'voo? und Suvsot?, ©sXYjtd? (oder ^&z) und MaxapiötYjc, 'ExxXrj-
ataauxö? und So^i'a, Bö^to? und Mt^t?, 'AYT^pato? und "Evcooi?, Aöto-
^OKJ? und SoYvcpaot?, Movoysvtq«; und 'Evönjc, 'AxfvYjtoi; und 'HSovyJ.
1) Nach ihm vom dritten Jahrhundert ab, das für unsere Untersuchung gar
nicht mehr in Frage kommt.
2) Einmal (C. I. L. X 3674) mit ILo^ia verbunden; auch die Worte der Lite-
ratursprache 'hylTtTi^a und 'AYotTiTjat; begegnen als heidnische Namen.
1) Vgl. über diese Namen Bechtel, Die attischen Frauennamen 132, der auf
Aii$a ypirjaxi^ , rvu)(i.7] , E'jvotft , E^ta^fa, E'Jt^Xeia, Xocpia, N^Tjfxa, Ilaföeuat;, Stop-p^,
X'jveat;, (PiXfa weist. Für IHaxi; vgl. C. 1. G. II 2195 (p. 1028 a) IHaK« 'HpaxXeioou
Ttßipioj KXaüStos E'JoSfiov xuptot t<üv xaTayEtuiv Tct'cptov täv tiz aüxou; xaTT]VTrj[xoT(ü]v
a-aaiv . . . 'EXn(; begegnet fast in allen Sammlungen , auch bei Deißmann , Licht
Tom Osten S. 121.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung« bei Paulus. 381
Aus anderer Quelle stammt Kap. 5, das von § 8 (p. 392, 6 Holl)
innerhalb der dreißig Grötter eine Zwölf zahl und eine Zehnzakl
scheidet. Von ^Avdpö);:©«; und 'Ex^Xr^a-'a stammen zwölf Götter
(sechs Paare) ab : oi oov äppsv§? slat • FlapaxXT^to«;, Hatpixö;, Mirjrpixöi;,
'A£''voo(;, ÖsXyjtö? (o 4oti 4>(i><;), 'ExxXYja'.aattxo?, al Ss d'ijXstai* II i-
otk;, 'EXtci?, 'Ay<ä^tj, Sovsaic, Maxapia, Sofp-'a. Es sind
die von Hamack als „Zitat" gebotenen "Worte; dann folgt: Aöyo?
und ZoDT] zeugen ebenfalls, und zwar zehn Grötter; die männlichen
heißen Bo^io?, 'ATTQpato?, Aoto^oTj?, Movoysvtj?, 'Ax''v7]to<; zu Ehren
des Urvaters, des BuO'd«;. die weiblichen Milt?, "Evwo'.?, SoYxpaai?,
'EvÖTTfjc, 'HSovT] zu Ehren der Siy*»]. Innerhalb des Systems stehen
also die Namen nicht so nebeneinander wie in dem Zitat ^), doch ist
allerdings klar, daß bei diesen zwei Gruppen Beziehungen der
Xamen untereinander nur innerhalb der Geschlechter gesucht sind.
Bestimmend sind im zweiten die Mannesnamen ; sie geben fünf Bei-
worte Gottes; für die weiblichen Namen entscheidet der Grund-
begriff der Mi^t?; er wird nur frei variiert. Innerhalb der ersten
Gruppe stehen die weiblichen Namen, abgesehen von der wunder-
lichen Maxapt'a, in besserem Zusammenhang: Iliaui;, 'EX^t?, 'AyAiti],
Suveo'.?, Maxapi'a, So^t'a. Hier scheinen die männlichen Namen ge-
waltsam zusammengebracht. Nun ist an sich natürlich denkbar
daß Valentin in der Not um Namen zu Paulus grifft); aber sicher
ist es keineswegs. Zunächst sind ja Vii-zx'.q, 'EXzic, So^'la wie Siy^
selbst, 'AXi^d-sia, Zwt] und schließlich 'HSovt) auch im Hellenismus
vergöttlicht, und bei diesen Systemen gestehe ich nicht zu wissen,
wie viel solcher Abstrakta noch orientalische Gottesnamen ver-
treten, sodann aber steht gar nicht fest, daß eine trinitarische
Formel hier berücksichtigt ist. Wir werden eine Reihe von He-
xaden und ähnlichen Systemen im Christentum selbst wiederfinden.
An welche schließt Valentin? Auch dieser Beweis für eine allge-
meine Geltung der Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" fällt einst-
weilen fort.
Es ist hier nicht meine Aufgabe, selbst eine Geschichte dieser
Formeln zu geben. Aber ein paar Tatsachen kann ich hervor-
heben, die uns die Spärlichkeit der Zeugnisse für die binitarische
wie die trinitarische Formel in klareres Licht treten lassen und
vielleicht einem späteren Bearbeiter der Frage dienen.
Festzuhalten ist zunächst die schon von ßesch beobachtete,
1) Man vergleiche die Aufzählung der Zwölfzahl und Zehnzahl bei 'ler-
tnllian Adv. Valentinianos c. 8.
2) Es würde für die Formel auch nichts beweisen.
26*
382 R- Reitzenstein,
aber durch willkürliche Umbiegnngen verdunkelte Tatsache, daß
das Substantivum k.'kiziq in der sjmoptischen Tradition überhaupt
nicht vorkommt und, was seltsamer ist, auch das Substantivum.
aYdiiT] nur bei Matthäus und Lukas je einmal^). Schon diese Tat-
sache weist darauf, wie beide Stellen zu beurteilen sind. Luk. 11, 42
izapepyzod'B t7]v xpiaiv xal ty]v aYocTnrjv zob dsoö wird durch den Pa-
rallelbericht Matth. 23, 23 xyjv xpioiv xal zb eXsoc xal ttjv tciotiv als
redaktionelle Änderung des Verfassers selbst erweisen^); Matth.
24, 12 (jjoYTJoETai ri aYaTUT] zm icokXm wird redaktioneller Zusatz sein ;
der ganze Vers hat kein Gegenbild in den übrigen eschatologischen
Reden.
Gegen das Alter der Formeln tcIouc xal aifaTnr) oder Triottc,
a7d;nr], iXitiq spricht der Tatbestand, daß die ältere synoptische
Tradition zwei dieser Substantiva nicht kennt ; er wäre unbegreif-
lich, wenn eine Formel oder Devise derart in der Urgemeinde
verbreitet war. Das bedeutet nicht, daß die BegriiFe ganz fehlen j
das Verbum aYaTcäv ist ja da, und der ältesten Tradition gehört das
Gebot Jesu Mark. 12, 30 an, das die beiden jüdischen Gebote ver-
bindet: aYaTrijoec? xopiov xöv d-Bov aoo ki oX'fi<; zfi<; xapSia? ood xal
ki oXyj? t-^? ^o)C^<; ood, xal ki oXt]? z'^q Siavola? gou xal IS oXt]? t^?
layuo? aoo und a.^aicriasiq xöv ;rX7]aiov ooo öx; oeaotöv. Von hier muß
auch lexikalisch jede Bestimmung des christlichen Begriffes
a^dTTT] ausgehen, der offenbar erst in einer etwas jüngeren Zeit
feste Umrisse annimmt. Es widerstreitet den beiden Bildern, die
wir aus dem Urchristentum haben, den Bildern Jesu und seines
größten Apostels, wenn wir mit v. Harnack dYdTnrj nur als Nächsten-
liebe verstehen; die Gottesliebe trete erst später hinzu; weder
berechtigen die wenigen Fälle, in denen die Formel erscheint, dazu,
noch läßt es sich mit dem lexikalischen Gesamtbefund vereinigen,
der dYdTtT] für jede Art der Liebe gebraucht zeigt ^). Es ist ein-
fach Willkür. Man mag ruhig sagen: das Empfinden ist da, der
logische Begriff noch nicht klar herausgebildet und nicht scharf
umgrenzt. Liegt doch gerade hierin die Erklärung dafür, daß die
Formel oder Idee oder Devise sich relativ spät bildet. Nicht die
einmalige Aufstellung einer Idee hat das Empfinden geschaffen,
1) Auch bei Johannes stellt dyctTTT) nur in Redestückeu, iKizli und sogar -bit;
feblen ganz.
2) TTjV Trfattv scheint bei Mattliäus Zusatz,
8) Auch die Deutung von Job. Weiß, Korintherbrief S. 312 „das innige Ge-
fübl der Beseligung und Harmonie mit Gott und Welt, das sich in Hingabe und
Wohltun einen Ausdruck sucht" ist viel zu modern und paßt gerade zu Paulus-
fctcllen wie II. Cor. 5, 14 gar nicht.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus 383
sondern aus dem Empfinden ist ganz allmählich zunächst der Be-
grifi" und endlich die Idee erwachsen. Die "Wortgeschichte scheint
mir hier besonders interessant, weil es sich bei afizri um einen
religiösen Grundbegriff und zugleich um ein Eigenstes des Christen-
tums handelt, in dessen Literatur das Wort schnell zur Herrschaft
gelangt. Ursprünglich christliche Bildung ist es nicht (vgl. Passow-
Crönert), auch schwerlich hellenistisch-jüdische, wiewohl es in ein-
zelnen Teilen der Septuaginta schon vorkommt und von Deißmann,
Neue Bibelstudien, S. 27 bei Philo Quod deus immut. 69 in der Be-
deutung „Liebe za Gott" und in einer Verbindung nachgewiesen
ist, die dem späteren christlichen Gebrauch (z. B. I. Joh. 4, 18)
vollkommen entspricht. Aber hier bleibt es vereinzelt, von der
christlichen Sprache einmal aufgegriffen, erhält es die mächtige
Entfaltung. Dem Vortreten des Substantivs, das den Beginn der
Herausarbeitung eines Begriffes zeigt, folgt seine Verbindung mit
einem anderen ähnlich grundlegenden '), freilich noch nicht in einer
Formel oder Idee, sondern in einer Quasi-Formel, wie sie etwa die
früher besprochene attische Quasi-Formel a-j-aO-ö«; xai ow^pwv bot.
Erst im zweiten Jahrhundert wird bei Ignatius die wirkliche For-
mel daraus, und sie ist hellenistisch, freilich nicht philosophischen,
sondern religiösen Ursprungs (siehe unten) ; Wirkung übt sie nicht.
Ist Tciati? xal OL^iTzi] nur eine Quasi-Formel, so wird anf die
Erweiterungen viel ankommen. Dabei ist möglichst scharf zu
scheiden, ob es sich um die Bildung einer Idee, also echten For-
mel, handelt (avSpeia, awcppooovTrj, S'.xa'.ooövY], cppö'/ijot?), oder ob indivi-
duelles Empfinden nur noch einen oder mehrere andere Begriffe
in freier, oft logisch wenig klarer Beziehung anreiht. Wichtigkeit
hat dabei nicht, daß auch Tciottc und afdnj erscheinen, sondern
was neu hinzutritt^). Besondere Bedeutung wird dabei jede
1) Daß diese Verbindung an die Substantiva, nicht an die Verbalformen
schließt, ist psychologisch fast notwendig. Dem Philologen ist es wichtig, auf
diesem besonders günstigen Boden einer noch volkstümlichen Literatur aus einem
gewaltigen ümbildungsprozeß die typischen Formen sprachlicher Entwicklung we-
nigstens annähernd verfolgen zu können. Auch -latt; ist zunächst vieldeutig.
2) Wie völlig v. Hamack gerade dies verkennt, zeige ein Beispiel. Ich
hatte in meinem Buch darauf hingewiesen, daß Clemens v. Alexandrien eine echte
und von Paulus verschiedene Formel bildet ttistic, -pKüat;, äfi-n] und für meinen
ganzen Beweis entscheidende Folgerungen daraus gezogen , die er gar nicht er-
wähnt. Wenn Clemens IV54, 1, um Paulus zitieren zu können, sagt, die Grund-
lagen der Xo-ftxT) f/ütan (was übrigens nicht „logische Gnosis" heißt) seien Tzirzu,
i\-(i, a-fi-r^, SO wird das von ihm wie Resch als Beweis dafür angeführt, daß
Clemens schon die trinitarische Formel kenne; daß er Paulus kennt, ist selbst-
verständlich, was er in der Umgestaltung zufügt wie bei Polykarp wichtig; wenn
384 R- Reitzenstein,
Erwähnung der Erkenntnis, sei es im Sinne einer Gottesschau, sei
es im Sinne von Weisheit und Einsicht, haben, weil die helleni-
stische Entwicklung hierauf drängt. Ich führe aus dem Neuen
Testament und den sogenannten Apostolischen Vätern die freien
Verbindungen und die Formeln an, soweit sie mit einem der beiden
GrundbegriiFe lüiOTt? und ä^faizri (die IXTrt? ist stets nebensächlich)
zusammenhängen. Hinzu nehme ich ferner die Apologeten, denen
V. Harnack auf Glrund eines bedauerlichen Übersehens und zu ge-
ringen Stilempfindens eine Sonderstellung einräumen mochte ^).
er VII 55,6 die drei Elemente izbiii, yvtüats, äyairTj aufzählt und dabei bemerkt,
Anfang und Ende, Tziaiiz und dyctmr), seien nicht lehrbar, wohl aber sei es in ge-
wissem Sinne die yvöjatc, so streicht v. Harnack diese ganz fort und zitiert „An-
fang und Ende sind Glaube und Liebe" , und zwar als Beweis für die b i n i t a-
rische Formel. Clemens und Ignatius (Eph. 14, oben S. 372) werden zusammen-
gestellt. Das ist jene flüchtige und äußerliche Art der lexikalischen Arbeit, die
sie um jedes Ergebnis bringt, ja zur Gefahr macht, vgl. unten S. 390, 4.
1) Er sagt S. 1 A. 2 : „Die ältesten christlichen Theologen, die Apologeten,
brauchen das Wort 'Agape', von zwei Zitaten abgesehen, niemals tmd bieten daher
auch nirgends die Trias: Glaube, Liebe, Hoffnung; aber dann wurde es auch in
der Theologie anders", und S. 6 „hundert Jahre früher (vor Porphyrius) hat auch
noch der 'wissenschaftliche' Christ Justin sie (die dyaTirj) ausdrücMich durch ,Philia'
ersetzt'. Beide Behauptungen scheinen mir falsch. Berücksichtigt man, daß die
Verschiedenheit des Steifes eine etwas seltenere Erwähnung jener drei Begriffe
mit sich bringt, so unterscheiden sich die Apologeten in nichts von den andern
frühchristlichen Autoren ; nicht die Theologie bestimmt den Wortgebrauch , son-
dern einfach die stilistische Rücksicht auf ein Publikum, für das dyd-T) eben kein
literaturfähiges oder ohne weiteres verständliches Wort ist. So sagt Justin Dialog
110, 3 eia^ßetav, otxai&aivTjV , cptXav&ptu7r(av, ttiotiv, ikmha ttjv Ttap' aütoO xoü
TTÄTpos 8td xoü OTaupüjd^vToc In der Fünfzahl ist die Triade Glaube, Liebe, Hoff-
nung wirklich enthalten. Das literarische Wort für dyd-Ki], der Ersatz, wenn man
so will, ist hier cptXavOptuzfa ; es begegnet schon in den Pastoralbriefen, Tit. 8,4^
■^prjaxrfTirj? xai ij cptXovOptoTtfa toü atuTfjpo? ifj|x(üv Oeoü (Paulus würde ^ dfdr.-q toO
öeoy sagen, vgl. Rom. 5, 5) und in echt griechischer Verbindung in der Apologie
Justins 10, 1 öiucppoauvTjv xal Stxaioouvrjv xal «piXavöptoTriav xal oaa oJxet« &etp iariv
(von Mensch und Gott gesagt; in, den Wir-Berichten der Apostelgeschichte hat
das Wort natürlich ganz andere, freilich auch hellenistische Bedeutung). Richtig
ist, daß in dem von Justin benutzten jungen Evangelium (vgl. über es Zeitschr.
f. d. neutestamentl. Wissenschaft 1914 S. 69 ff. und dazu M. Heer Rom. Quartal-
scbrift 1914 S. 97 ff.) die einzige Stelle, in der bei Lucas das Substantiv dydKri
vorkommt, überarbeitet aufgenommen war und von Justin Dial. 17,4 angeführt
wird. Das zweite Zitat finde ich nicht. Gemeint ist wohl Dial. 93, 3. 4 htyr^ ouv
T^s TCofoTjs Stxatoö'JvTj; xexpiTjpiivTji , rrpo« te öeov xal ctväpioTiou; , Saxt«, (pr,atv ö KCyoz,
i^a^:^ xupiov x6v öiov i^ äXtj? xfjj xopo{a; xal i^ oXtjc x^? i(l)(6oc xal xov TtXTjdov wc
iauxdv, Sfxatoc dXijdä)« Sv tli\. 0(xcTc ^i o!>xc npoc deöv o'jxc np6c xou( npocpi^xac o'üxe rp6c
iauxous cptXfav ^ ifditTj^ lyio^Tti o68inoxe i5e(/9r)xe . . . Troivxoxe xol cpovetc xcöv 8txa(tuv
tüpfoxiaäc. Um den Zusammenhang zwischen dem Herrenwort und dem Begriff ^iX(a
(Gegensatz (iloo; oder Sx^^O herzustellen, muß Justin hier das unliterariscbe Substantiv
die Formel „Glaube, Liebe, Hoflnung" bei Paulus. ß85
Dagegen kann ich aus Mangel an eigenen Kenntnissen die aus
späteren Sammlungen zu gewinnenden liturgischen Stücke nicht
mit berücksichtigen, so wichtig sie nach den Proben werden könn-
ten, die in diesen Nachrichten W. Bousset 1915, S. 435 ff. (vgl. 465)
geboten hat. Es handelt sich nur um die Verbindung von Substan-
tiven^). Ihre Seltenheit hat mich selbst aufs höchste überrascht.
Selbst die Verbindung der zwei grundlegenden Begriffe in Parataxe
fängt erst bei Paulus langsam an, und es ist lehrreich zu beachten,
daß es eigentlich nur in einem festen tötto? geschieht, der keinen dog-
matischen oder mahnenden Charakter hat; die EvangeUen wie die
Apostelgeschichte zeigen überhaupt keine derartige Verbindung^).
Ungeheuren Abstand hiervon zeigen die Pastoralbriefe, die eine
ganz neue Eähigkeit und Häufigkeit der Begriffsbildung zu Tage
treten lassen. Hier waltet höhere literarische Bildung. Die Liste
scheidet paulinisches und unpaulinisches Gut^).
difSTTTj gebrauchen und der cpiXia gleichsetzen (in anderem Sinne sagt er von sich
Dial. 8, 1 zöp Iv TQ 'T>'JXf, ävVj^&T) xal Iptu? l/ei [xe xüiv 7:pO(pr^TÜiv xal rüiv dvSpüv
exei'vuiv, ot etat Xptatoü 9O.01). Will man aus diesem Sachverhalt überhaupt Folge-
rungen ableiten, so ergibt sich nur : für das hellenistische Judentum dieser Zeit
ist äyctTTTj wieder ungebräuchlich geworden. Von einer Opposition der Theologie
gegen die „Formel" der Gemeinde ist nicht die Rede.
1) Die Grenzen sind freilich schwer zu ziehen; die Verbindung ipya xal
ri'sxu gehört natürlich nicht hierher; aber sie ist üblich und wirkt ein, wenn
Apok. 2, 19 verbunden wird -i epya xal ttjv dyaTTrjv xai ttjv -t'jTtv xat tt;v otaxoviav
xal T7)v 'jTTopiovTiV. Offenbar soll der Begriff Smxovta dabei dem Begriff Ip-ja ent-
sprechen und ist durch ihn veranlaßt; ich stelle das also mit Fragezeichen zu
der Formel dya'Trrj, -i'otu, ü-oixovt^. Ein anderes Beispiel: x^'P'^ ""-^^ ^'P^/"'^ '''■^P^
&eoO gehört nicht hierher; dagegen bei Gal. 5, 22 iidirri, yßpoi, e^pr^vr^ xtX. wird
man wenigstens zweifeln können. Apostelgesch. 6, 5 und 11, 24 Td/^pr^; T.h-ztoiz
xal TTi/eüfxaTo; äyiou gehört nicht hierher (ttiiti; bedeutet hier die oivapL'.;, vgl. unten
S. 402, 4 ; die Verbindung ist ungleichartig) ; dagegen bin ich an anderen Stellen,
wie bei der Verbindung -poseu/)) xal ifäTtri weitherziger gewesen. Bei Justin sind
Verbindungen wie Apol. 49, 5 y.^^pa. xal tzizzh, 53, 12 -et8(i) xal rt3Tt; Dial. 69, 1
rVjV i\ YP^?"^' yvüioiv xal zfativ , 53,6 ^v r^ rdzrii xal fjLaÖTj-efa a-JTOü , 135,6 ^x
ria-reu); xal TrveütAOTo; yeyevvtjijl^vov, 138,2 ot' uoaTo; xal r.hzzua xal c'jXo-j dvaYSvvTj-
ÖEvro; unterdrückt, aufgenommen dagegen Dial. 100,5 r.bxii xal '/apa, weil die
Xapo als religiöse Tugend im Hellenismus vorkommt und die Stelle anders als
Ap. 49, 5 ist. Trotz des subjektiven Elementes derartiger Listen und der Irrtums-
möglichkeit bei der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung stand, hoffe ich doch
ein im ganzen. richtiges Bild der Entwicklung bieten zu können. Das Ordnungs-
prinzip für den ersten Teil mußte rein formal sein ; für den zweiten schien das
überflüssig.
2) Über Matth. 23,23 ttjv xpfaiv xal tö l>>eo; xal ttjv rt'sTiv = Luc. 11,42
TTjV xp(atv xal ttjv dYdrafjv xoü 8eoü vgl. oben S. 382.
3) Nur ersterem ist der Name Paulus vorgesetzt.
386 ^- Reitzenstein,
I. Freie Verbindungen.
a) Zweigliedrige:
Paulus: I. Thess. 3,6 und Philemon 5 icioxn; xal ^'(aTct] (vgl.
oben S. 378, vergl. Gal. 5, 6 ttiou? 8t' aYÖcTcir]? lvepYOD{i§VY]
und I. Kor. 16, 13. 14) i).
II. Thess. Ij 3 TctoTi? xal oLfä-Kri, '^S^' oben S. 378.
Eph. 1, 15 TTiaTtg xal aYaTTY], vgl. oben S. 378, vgl. auch 3, 17. 18.
Kol. 1, 4 Tci'au«; xal di.'^dzfi, vgl. oben S. 378.
I. Tim. 1, 14 1^ X^P^*^ • • • l^^"^^ moTBOiz xal di'fditriq.
II. Tim. 1, 13 Iv Tctotet xal «ScYaTcj].
Bamab. 1, 4 ttiotic xal aYaTur] (siehe oben S. 374. 375).
Barnab. 11, 8 Iv tuioxsi xal aYocTCTQ (ebenda).
IL Clemens 15, 2 [lera Tctatswi; xal ocYa^rY]«;.
Hermas Äiwe. IX 17, 4 [iia Tctatt? xal jti'a aYaTcirj (entsprechend
{j.iav 9pövY](3tv xal sva voüv, ebenso 18, 4) ^).
Apok. 13, 10 ü7co[jiov7] xal TcioTt? (vgl. 14, 12).
II. Thess. 1, 4 o:co[iovYj xal iri'oTi? (aufgenommen wird aYdiCYj xal
TciotK;, also fast dreigliedrig).
IL Thess. 2,13 aYtaojJLÖ? xal 7riou(;(?).
Eph. 4, 13 TTioitc xal iTciYVwaK; toö oioö toö Osoö (vgl. Philem. 5. 6).
Tit. 1, 1 maxK; xal iTctYVtoat? aXTj^sia? (vgl. oben S. 374).
I. Tim. 1, 19 tciotk; xal aYa^Tj auveiSirjot?, vgl. 1, 5 und 3, 9.
I. Tim. 2, 7 TTioTt? xal äXig^eia.
I. Clem. 60,4 %\.azi<; xal aXi]d£ia(?).
Polyk. Phil. 9, 2 Tciott? xal Sixatoauv/].
Hebr. 6, 12 Tuioxt? xal [laxpo^otiia (^= IXtüi?, oben S. 374).
I. Petr. 1, 21 Tciou? xal kXiziQ (vgl. oben S. 374).
I. Clemens 68, 2 tzIoik; xai IXtcI? (vgl. oben S. 375).
Justin. Dial. 100, 5 ttiotk; xal /apA (Gegensatz zapaxoi) xal ^4-
vato?). Unsicher.
I. Clem. 10, 7 und 12, 1 tcIozk; xal ^tXo^evfa.
IL Joh. 3 Iv aXirjd'sfcj xal (iYa^cifj (?).
Barnab. 21,9 aYä^Yj xal elpTi^virj, vgl. I. Clemens 62, 2.
Ad Diogn. 9, 2 ipiXavO'ptöTrfa xal aY«^"»]-
Ign. Magn. 14, 1 Trpoaeox"?) xal ctfAirri (?).
I. Clem. 51, 2 ipößo? xal öcYaTTT] (vgl. Philo Quod deus immut. 69).
Bamab. 11, 11 ^ößo; xal IXtu^?.
b) Dreigliedrige:
Paulus: I. Thess. 1,3, vgl. 5,8 Tcbtic, i-fATri, IX«(c (vgl. oben
S. 378. 379).
1) Weitere zweigliedrige Verbindungen finden sich bei Paulus nicht.
2) Ignatius siehe unter Formeln, S. 888.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 387
Hebr. 10, 22 Tctottc, IXzi?, äfazti (oben S. 377).
Polyk. Phil. 3, 3 iciot'.?, ocy«^» IXtci(; (mit StxaiooovTr] verbunden,
oben S. 377).
I. Tim. 4, 12 a^do], ?rtai'.<;, a^veia.
I. Tim. 2, 15 irtOTic, dtYdn], aYiaojtö? jistd oö>9poaövT](; (Variation,
vgl. 11. Thess. 2, 13).
Polyk. Phil. 4, 2 dfaTT/;, zioti?, aYvsia.
II. Tim. 1, 7 Sövaii'.?, dfarT], owTpovtofiö?.
Apok. 2, 19 (td Ipfa) xal rfjv d^dTojv xal ttjv ictonv (xal tT]v 8ta-
xovtav) xal ttjv 63ro[iov"i^v (?).
Tit. 2, 2 ttiotk;, aYdirrj, D;ro{i.ov'i].
Ign. Pol. 6, 2 iriott«;, dYdTcrj, oTropiovT^.
Polyk. Phil. 13, 2 TciaTtg, otcoiiovt] xal irdaa olxoSojnj (vgl. oben
6zoji,ovTQ xal ziav.<;).
Ign. Philad. 11, 2 tcIotk;, aYdjnj, o^iövoia.
Herrn. Mand. 6, 1 zIgziq, ^ößo?, Iy^P^^"^«'-*-
Justin Dial. 24, 2 Trlot'.i;, dXrjO'sta, slpfjVir].
c) Viergliedrige :
II. Tim. 3, 10 ttiotk;, {laxpoO-oftta, aYdr»], oTrofiovi] (Erweiterung
aus Tit. 2,2).
II. Tim. 2, 22 S'.xaiooovTj, Jtlat'.?, dY^^^i» sipT^vir].
d) Mehrgliedrige :
Paulas : Gal. 5, 19 — 22 IpYa r^<; oapxö? * Tropvela, dxa^apaia, dasX-
YS'.a, slStüXoXaTpsta, ^ap^taxela, l'^^O'pai, Ipt?, C'^Xo?, duiiol, Ipi-
^etai, St^ootaai'ai, aipeas'.?, cpO'övot, jtsO-at, xüpLOc xal td o{to'.a
toÖTOt? — xap^cö? toö ^rväü^ato?* dYdjrrj, x*?^'' s^P'']V''ii {laxpo-
dDjiia, xp'^OTÖTYj«;, dYad'OOovirj, xiott?, xpaonji;, Iy^^P^^^-^* (kaum
hergehörig) ^).
I. Clemens 62, 2 Tcioit?, p.£tdvoia, YViQaia aYd^nj, lY^P^'^^ia, ow-spo-
aövTf], oäojiovt].
I. Clemens 64 ttioiic, ipößo?, eipTJvr^, oäojiov»], (taxpo^jita, Iy'M^^"
xsia, aYvsta, aw^pooovi].
1. Tim. 6, 11 SixatooovT], eoasßsta, Trlott?, aYdjrrj, owo^iovi^, Tcpaö-
Trdde'.a.
Hermas Mand. 8, 9 tcioti?, ^ößo? xoptoo, aYd^irj, öiidvota, piij{i,ata
StxatooüVTQ?, dXTjds'.a, D7ro|iovTf].
Hermas Mand. 12, 3, 1 IpYdoTQ Stxaioaovrjv xal dpsm^v, dXrj&eiav
xal (pößov xoploo, Äi'otiv xal irpaöt7]Ta xal ooa tootok; o(i,o'.d
lot'.v ttYaO'd.
Justin Dial. 110, 3 suasßs'.av, 3ixaioa6vir]v, (piXavö'ptoittav, jttotiv,
1) Vgl. über die Lasterkataloge Lietzmann zum Römerbrief S. 11.
388 ^- Reitzenstein,
IXTTiSa TYjV jrap' aötoö toö Ttaxpö? Sta toö OTaopüodsvTO? (vgL
oben S. 384, 1).
Das spricht wenig für ein allgemeines Streben im Urchristen-
tum, für die christliche Überzeugung und Frömmigkeit bestimmte
Devisen zu prägen oder auch nur die Begriffe scharf gegeneinander
abzugrenzen und herauszuarbeiten; auch wüßte ich nicht, wie ich
der G-emeinde zuschreiben könnte, was ihre Lehrer selbst noch
nicht üben; müßte doch die Gremeindeüberzeugung notwendig auf
den Lehrer wirken. Die Zusammenstellung zeigt, daß eine allge-
meine Devise der Christenheit „Olaube, Liebe, Hoffnung" nicht
bestanden hat. Die positiven Ergebnisse dieses Überblickes werden
sich erst bieten lassen, wenn wir die echten Formeln betrachtet
haben.
IL Echte Formeln.
Paulus: L Kor. 13,13 vovl Ss [jl^vsi tcIozk;, iXniq, ^CjfdTCYj, zcn
tpia Taöta* (leiCcov 8k Toötcov ii a.'^ÖL'K'q.
Barnab. 1,6 tpia ouv So'^^a.zä lottv xopioo C<«>'^?' eXtcis . . . Sixato-
ouvT] . . . aYocTTT] (vgl. oben S. 375).
Clemens AI. Strom. Buch VII und sonst: tci'oti?, y^woic, a-^Anri^).
JDidaclie Äpost. 10, 2 zhya.^\.(ixob]i.i^ oot . . . oTcsp t-^? Yvcioeco? %al
TCiOTSo)? %cfX a.%'CLV(JLO\.a<i, riz SYVcbptoa? fjjiiv Sia 'lYjaoö toö 7cat8ö<;
000 ^).
Ignatius Eph. 14,1.2 wv^) oo§£V Xav^dvst ottä?, lav tsXeio)«; sie
'IyjOOÖV XpiOTÖV S5(Y)T£ TYjV TClOttV Xal TYjV aYOCTTYJV, "(flZ lotlV
h^Xh Cw'^s xal xi\oz' ap/Yj [i^v ^ctati?, t^Xo? 6e aYajCT)* ta 8e
8öo^) IvlvÖTYjTt YEVÖjJLsva ■9-eoc lotiv. xatk äXXa Tcdvta
61? xaXoxäYadiav axöXoodct loxiv. ooSei? tciotiv l7raYYsXXo|i.evo(;
1) Vgl. unten S. 409.
2) Hierher gestellt, weil das liturgische Gebet schon an sich die Formel
verlangt. Hellenistische Gebete geben Gegenbilder, vgl. im Papyrus Mimaut (Hel-
lenist. Mysterienreligionen S. 113) X'^'p'"' '°' oüSafi-ev .. 5ti .. TraxpixTjv eovoiav ..
i\zhzi.^ia 'fo.^id\i.z\oii ■^\i.\'^ voüv, Xdyov, yvüiijtv voOv [/.^v, ivo ae vo^au)[j.ev, Xo^ov 5^,
Yva ae ÜTroXoY/atufxev, -pfüoiv o£, ^va ae ^Triyvov-ej x°''P*"i^^''' 1^^*^ äöavaai'a , deren Er-
scheinen bei den Christen zunächst befremdet , erklärt sich daraus , daß sie im
Hellenismus wirklich als Gotteskraft und Eigenschaft gefaßt wird, die man durch
die yvÄat; empfängt, vgl. Poimandres § 18 (S. 334, 2 meiues Buches) das Gottes-
wort öva^viopiaaTU) <f,> Ivvo-j; (der Mensch , in den der voü; herabgesendet ist)
3) Da es sich, wie zu zeigen ist, um die Zusammensetzung des T^^tM^axixhz
öfvdpuTToc (das ist der dcö; ^v i/jfxtv) handelt, halte ich für möglich, daß uiv sich
nur auf die vorher genannten Substantive iTrfyeia und oipdvto, nicht aber auf den
ganzen Inhalt des Satzes bezieht.
4) Ignatius könnte auch sagen TaüTa li xä Süo.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 389
d(taptdvsi, ohBk a-jfdtÄTjv xsxxT^ixevoi; {jl'osi. Vgl. bei Ignatius
weiter Eph. 1, 1. 9, 1. 20, 1. Magn. L 2. 13, 1. Smyrn.
Aufschrift; 1,1(?). 6,1 x6 -(äp oXov sotiv zioziz xai Äfaxir;,
m ooSev Ttpoxsxpitat. 13, 2. Den gesperrt gedruckten Satz
pflegt man nicht wörtlich zu nehmen. Ihn erklärt Cle-
mens SfroDL III 69, 3 ivwoa? xfjV fvöoiv, Trioitv, äväTOjv, si?
wv Ivdevos . . . xal z'/soiJ.aT'.xö? ovcw«;. Er faßt jene drei
Gottesgaben, wie III 68, 5 zeigt, als die drei Bestandteile
unserer Seele oder unseres geistigen Ichs. Ignatius kennt
nur zwei, ihre Vereinigung büdet den Gott oder Christus
oder das „Leben" (vgl. Magn. 1,2 mit Eph. 14) in uns.
Ich halte es sogar für wahrscheinlich, daß er TraU. 8, 1
Iv TTiotEi, 8 ioxiv oap4 toö xopioo, xai h aYd-iQ, o iattv aiita
'Itjooö Xpiotoü sagt, weü Fleisch und Blut den wahrhaftigen
und lebendigen Christus ausmachen. Die gleiche Anschau-
ung liegt, freilich vergeistigt, bei Clemens zugrunde.
Deutlicher sind an sich die mehrgliedrigen Foiineln. Ich stelle
an die Spitze eine besonders durchsichtige.
Barnab. 2, 2 tf/c oov Trioteouc f^{i(j)v slolv ßor^O-ol cpößoi; xai öäojiovtq,
xoL 2s ou{i|ia)(OüvTa -/^{liv jiaxpodo{iia xai i^xpdtsta" tootodv
(LsvövTODV td*) wpö<; xöp'.ov d^vö)?, oovstxppaivovtai aötoic oo^pia,
aovsoK;, iTttoxTjitir], fvwo'.«;.
An der Spitze steht die i:iozi<;, ihr helfen im Streit des Lebens
vier moralische Eigenschaften cpößo? und u;:o{i.ovT|. jtaxpod'uiJLia und
sYxpdteia. Des Sieges freuen sich (bei der Vereinigung mit dem
Herren) vier Geistesgaben oo^ia, oövcaic, lztorr,jj.7;, 'f/wa'.? mit*).
Ich muß, um das Büd verständlich zu machen, den Leser zu-
nächst einen Umweg führen. Das Kap. XIII (XIV) des Hermetischen
Korpus, Poimandres S. 339 ff. schildert ein Vergottungsmysterium,
oder vielmehr die oovdpdpwoi? toü A670D (S. 342, 18), die Zusammen-
fügung des neuen Gottwesens im Menschen. Hur voraus geht das
XoEiv tö oxf^vo? (S. 345, 9. 344, 1) oder SiatiEXtCso^a« (S. 340, 17). In
uns hausen zwölf Dämonen (S. 342, 8 ff.), die zugleich als Glieder
unseres irdischen "Wesens betrachtet werden^; es sind in dieser
Aufzählung aifvoia, Xöttt], dxpaoia, i;r'.0'U{j-ia, dStxia, TrXsovs^ia, dffdnj,
(fdövo?, 5öXo?, opYTf], :cpo7rETsia, xaxia. Sie entweichen nacheinander,
in die Flucht geschlagen von zehn (ursprünglich sechs oder sieben)
1) Harnack (Ausgabe von 1875) will zä zp6; xüptov mit üuve-jcppaivovTctt ver-
binden, sprachlich wie sachlich unmöglich; vgl. Clemens Strom. 1131,2.
2) Man denkt unwillkürlich an Bilder wie sie Kebes entwirft, doch ist die
Philosophie nicht Quelle.
3) £s sind die zwölf fjictpai xoü davdxou bei Zosimus (Poimandres S. 214, 1).
390 R- Reitzenstein,
Kräften Gottes, die eine nach der andern niedersteigen, yvcöoic d-eoö,
YVwok; yjxpäq'^), s^xpatcca, xaptspia, SixatooövTj, xoivwv'a, aXi^O-sia. Die
sieben zusammen bilden die achte Kraft tö ocYadöv (343, 8 itsirXTJ-
pwtat TÖ ocYad-öv), dem wieder als neunte und zehnte cpcoc und CtoTj
folgen. Ist der Streit zu ende (343, 11 vtxTj^sroaO, so besteht der
neue Mensch oder Grott^) aus ihnen; sie sind seine Grlieder.
Ich habe mit dieser seltsamen Lehre, die zunächst wohl jeden
Leser abstößt, schon früher (Poimandres S. 232) zwei Allegorien
jenes wunderlichen frühchristlichen Propheten verglichen, der einen
großen Teil seiner Visionen recht ungescheut aus hellenistischen
Oifenbarungsschriften entnommen hat^), des sogenannten „Hirten"
des Hermas. Er schaut Vis. III 8 bei dem Bau des Turmes sieben
Weiber, deren jede die Tochter der vorausgehenden ist, zunächst
die IltOTi?, dann die 'EY^paista, dann "^AtiXöttjc, 'ETTtarij^i-Yj, 'Axaxi'a,
SsiivÖTTjc, 'AYaTtY]. In dieser Reihenfolge werden sie zunächst ge-
nannt; dann richtiger in Form eines Tugendkataloges, der völlig
den Formeln entspricht :
• Ix T^? TcioTEO)? '^BWäzcLi k'^Y.päzBi'X, Ix "C^c lYxpatsfa? (XTcXör»)?,
Ix Tfi<; aTcXötYjTO? axaxi'a, Ix vr^(; axaxia? cssiivöt-/]?. Ix t^? oejt-
voTTjTO? iTTtoTTjinrj, Ix T^? l;rtoTif]{i,iQ<; ocYaTC-»]*).
Ich vergleiche schon jetzt eine weitere neutestamentliche Formel :
IL Petr. 1, 4 tva Bio. ioötcdv "{ivriad-B dst'ac xotvwvol ^öoswc ^),
(iffoipoYÖVTE? T^c Iv xÖ3{i,(p Iv Irttdoji^o^ (fdopä?, xal abzb toöto
Ss otcooStjv Ttäaav TtapeiasvdYxavtsc iTut^^opTrjYT^aaTe Iv t'^ riotet
6(iwv T7]v äpsTTjv, Iv 61 T'^ äpsT^ Trjv Y^woiv, Iv 8k T-fl Y^woei
rJjv lYxpareiav, Iv Ss t^ lYxpatsi'o^ ttjv 67ro[iovifiv, Iv Sl t-^ ojto-
jtov^ TTjV ebolßeiav, Iv Ss T-^j söosßs^cj ttiv ^tXaSsXfjpt'av, Iv Ss
T^ ^iXaSsXfpt'a tyjv äYa^cYjV. Taöta y«P ^H-^v o7rap)(0VTa xal ttXso-
1) Sie sind neben einander, kaum erträglich ; ursprünglich stand hier nur
yapct; oder das eine Glied ist überhaupt zugefügt.
2) Es ist die 8e(a '^i'^xh' <^ß"" ^^^ ^^^''» heißt 344,8 <^'JYo-f6\oi, aber zugleich
das TTveüjAGt in uns (344, 9. 10). Die verschiedensten Ausdrücke wechseln.
3) Ich hatte das ursprünglich einmal (Poimandres S. 11, Hellenistische Wunder-
erzählungen S. 126) für ein Stück nachweisen können und wenigstens bei Philo-
logen wie V. Wilamowitz (Kultur d. Gegenwart I 8. 1905. S. 187) und Wendland
(Urchristliche Literaturformen* S. 387) Zustimmung gefunden. Ein zweites, noch
wiclitigercs Stück hoife ich in der Festschrift für Fr. C. Andreas (Leipz. 1916)
S 41 ff. erwiesen zu haben. Ein drittes wird ein theologischer Freund wohl bald
auf seinen Ursprung zurückführen.
4) Von Harnack behauptet S. 9, hier erschienen izli-zn und äyänr] allein,
und bietet als Zitat: „Der Glaube aus dem sich die Liebe erzeugt". Resch spricht
nämlich S. 158 von einer Genesis der djdnri aus der TrfsTt;.
5) Vgl. in dem Zaubergebet des Pariser Papyrus Z. 200 (Hellenistische
Mysterienreligionen S. 69) ioo%iou cpüaciu; xuptcuaac.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffiiang" bei Paulus. 39i
vdCovta oox ap^oo? ob8k a'Aipzooq xad'i'or/joiv ei? rfjv toö xopi'oo
T;jj.<üv 'Ir^aoö Xp'.oxoö ejrtifvwatv.
Es ist ein klares System \) mit bezeichnendem Anfang und
Ende. Die Vollkommenheit gibt die Vollerkenntnis (volle Schau)
Christi. Auch matK; und kzifvonoK; entsprechen sich.
East noch wichtiger ist die spätere Umgestaltung bei Hermas
Siiti. IX. Ich referiere kurz. Zwölf Jungfrauen sind bei dem
Turmbau beschäftigt ; die vier an den Ecken sind die namhafteren ;
es sind Iliaxi?, 'E^xpateia, A6va{j.'.?, MaxpoO'oif'a. Unter jeder stehen
zwei geringere, nämlich 'AäXött^?, 'Axaxi'a, 'Apsia, 'IXapdtir]?, 'AXij-
deta, I'jvso'.?, 'O^övo'.a, 'AyAthj. Nur weil sie in dem Verzeichnis
am Ende stehen mußte, wie Iliaxi<; am Anfang, hat offenbar 'AifiicTj
unter den Geringeren Platz gefunden. Ihnen stehen entgegen, zwar
nicht eigentlich im Kampf, aber doch im Wettbewerb um die Men-
schenseelen, zwölf Laster, vier große 'Aäiotio, 'Axpaoia, 'Assidsia,
'A;rAnj, und acht kleinere, Aöjn], IIovTjpia, 'AoeXYe'.a, 'O^u/oXia, 4'sO-
6oc, .'AcppoaüvTrj, KataXaX'.d, Miao?.
Von hier gilt es das dritte Kapitel des Kolosser - Briefes zu
betrachten, das ebenfalls je einen Laster- und einen Tagendkatalog
bietet. Beide scheinen zunächst sich nicht mehr streng zu ent-
sprechen; ein altes Vorbild ist ja auch nach christlichem Empfinden
frei umgestaltet. Doch gestatten die Parallelberichte uns mit
Sicherheit zu sagen, daß die gleiche hellenistische Grundanschau-
ung waltet:
Kol. 3, 12 IvSüoaads ^) oov wc IxXsxtoi toö d'soö a-yioi xai Ijainj-
[tsvot OTrXdf^va olxtipfjLOö, ■/pTjotötTQta, tairsivo^po-
GÖVTjv, TipauTTjta, |i,axpodojj,iav ... Izl iräotv Se tooxok;
1) Freilich nicht logisch klar; aber das gilt von den meisten dieser Systeme;
wichtig sind Anfang und Ende (also hier T.inii und a-jdzr^); zwischen ihnen
wechseln die Namen recht frei; wichtig ist nur die Zahl und die Formel. Für
den Eingang des zweiten Petrusbriefes hat Deißmann Bibelstudien 277 und Licht
vom Osten 231,4 gutes Material beigebracht, aber zu viel schließen wollen.
Gewiß gibt die Inschrift, die er vergleicht (Dittenberger Or. gr. inscr. 438) eine
im Leben übliche Formel des Lobes ävopa . . Stev^'/xavTa Ttiatei xai ioer^ xai otxoto-
s'jvt; xrn ejseßei'a. An sie schließt sich der Christ, indem er die einzelnen Worte
umdeutet und z.B. a^vd\ recht willkürlich zur Bravheit macht, neben der die
oixatoaüvT, keine Stelle findet. Eingeschoben werden fünf weitere Eigenschaften
Yväiau, E^xpaTeia, özoiiovr,, cp[)^aoe/.^:a, i-^irrri (interessant wegen der Scheidung der
Gottesliebe und Bruderliebe). Hier sind wir in einer anderen Sphäre, die freilich
auch nicht eigentlich christlich zu sein braucht (vgl. zu der o&opi ev ^-töufxfa Poiman-
dres 334, 3). Beachtenswert ist, daß die -p/üjat; als Vorstufe der Eziyvojau erscheint.
2) Der Ausdruck ist paulinisch und wird von dem Apostel selbst sowohl
von Gottesgaben (Unsterblichkeit I. Cor. 15, 53) wie von dem neuen Menschen, dem
XpiSTOf iv TjLiiv, gebraucht (Rom. 13, 14; Gal. 3,27).
392 ^ Reitzenstein,
TY]V aYdcTTYjv, 0 lauv a6v§eo{iO(; t"^? teXetötr^to? ^). Sechs
Tugenden ergeben die Vollkommenheit; die letzte, wieder
die ocYäTTT], bindet alle zusammen.
Schwieriger ist der Lasterkatalog, doch ist klar, daß auch hier
sechs größere aufgezählt und dann sechs kleinere zugefügt werden.
Wichtig ist die Einleitung v. 3 aTrsö-dcvets ^ap, %al i^ Cw-^ ojiwv xs-
xpoTutai ODV Tcj) Xpiattp Iv tc]) '9-£(p. Das ist gewiß christliche Vor-
stellung, stimmt aber zugleich, merkwürdig auch zu der Grrund-
anschauung jenes Hermetischen Traktates, nach welchem der Ver-
gottete nur noch einen Scheinleib auf Erden hat; er selbst kann
gar nicht gesehen werden; er ist schon bei Gott. Eine Erklärung
bedarf ferner die Auiforderung im Eingang, die „Glieder auf Erden"
abzutöten ; es seien die Laster. Man deutet wohl, je ein Laster
entspräche einem wirklichen Körperglied ; aber welchem bestimmten
Gliede entsprechen z. B. 'Ko.d-oi;, TcXeove^ta oder stSwXoXatpeia ? Nur
die Hermetische Schrift, oder vielmehr eine hellenistische Anschau-
ung von dem ax-^vo? und seinen (isXt], gibt die Lösung^).
Col. 3, 5 VExpcocaTS ouv ta (x^Xt] üfiwv za kid f^? y^c '), itopvelav,
äxa^apotav, Tca^o?, kmd'O^ia.v xaxrjv, xal ttjv TrXsove^iav, ^u?
lotlv slSwXoXaTpsia*). Hierauf nach einer Digression: i.zö-
^so^s xal ö[i,sic ta Tcavta, öpY^jV, i>o{jlöv, xaxiav, ßXaa^rjjAiav,
alo/poXoYtav Ix toö oTÖjxato? 6|X(öv • [jltj (jjsoSsod-s si? dXXijXooi;.
Das wiese auf einen Katalog der kleineren Laster in zwei
Triaden öpYi], ■0-D{JLdc, xaxi'a | ßXaa'fYj[iia, ala/poXoYt'a, tjj£5§oc.
Der Schluß leitet dann zu dem schon besprochenen Tugend-
katalog über: a7usxSoaa[j.evoi töv TiaXatöv av^pwTcov (oben in anderm
Bild Toc {isXyj ta knl t^? y'^?) ^"^^ '^'*^? ^pd^satv aüTOÜ xal lv5ood[j.evoc
TÖV v^ov, TÖV dvaxatvo6{i£Vov st? iTCtYVwatv xaT' elxöva toö XTioavro? a^TÖv.
1) Zusatz des christlichen Verfassers xal ii etprjVT) xoü Xpisroij ßpaßeu^Tiu jv
Tal; xapSiat; ujxäv xtX. Es ist weniger die Friedfertigkeit, als der in Schluß-
wünschen übliche Begriff des Gottesfriedens , der das Ergebnis ist ^ aber zugleich
personifiziert ist.
2) Dieselbe Anschauung liegt wohl auch 2, 11 zugrunde: ^v tp (Xpiattp) xal
7repieTp.T^&7jTt ^:e(HXOl^.f^ dyzipoTcoi-f^xv^ ev t/) direx 5 6 aet toO aw(ji.aTo; ttj; aapxö;
iv T^ TIEplTOpi^j TOO XpiOTOÜ.
3) Vorher rj Cu>^ 0(ji(üv x^xpuTixai . . . ^v T(ii Oe'p.
4) Der Parallelismus verlangt die Aufzählung von sechs Lastern. Da der Text
(durch Polykarp Phil. II, 2) vielleicht bezeugt ist, darf man schwerlich auf einen
Wortausfall, wie etwa <xal ttjv da^ßetav> ijTic iazh etSwXoXatpefa, raten. Der Christ
hat seine Vorlage willkürlich umgestaltet und aus einer Erwähnung der da^ßsia
die gezierte Wendung gemacht, daß die rXeovc^fa selbst Götzendienst sei. Recht
ungeschickt ist tt^öoc eingesetzt, das mit Dibelius nur auf das erotische za'&o; zu
beziehen Pseudo-Phokylides v. 194 natürlich gar kein Recht bietet.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 393
Da dies v. 12 aufgenommen wird evSooaads oov, so besteht der neue
Mensch, der avd-pwTro? xat' slxdva ^soö, also aus orXaY/va oixt'.pjj.oä,
ypYjatöxTj?, Ta;:s'.vo(ppoo6vTrj, Ttpaotirjc, ttaxpoO^^ita und ä'{dr:r^, o iattv
aDv5£a[xo<; tf^? xeXsiÖTTjto«;. Es ist wohl ein Akt der Verzweifelung,
wenn auch ein so belesener und verständiger Interpret wie Dibe-
lius mit einem male von Kleidern redet, die durch den Gürtel der
Liebe zusammengehalten werden. Noch ärger, wenn er sich dafür
auf Simplicius zu Epiktet "208 A beruft oi flo^aYÖps'-O'. jrsp'.oaw? twv
oXXcöv apsTwv TTjV cptXtav Itijjwov xat ouvSsofiov aotTjv :raoÄv twv apstojv
Dvcfov oder das Wort ouvSsojjlo? ttj? tsXe'.ottiTO? auf das die Ge-
meinde umschlingende Band deuten möchte. Es kann nur be-
sagen : die aYdzTj vereinigt die andern, genannten Tugenden in uns
zum organischen und vollkommenen Granzen, stellt also jenes oib^a.
ix Sova{j-s(üv xa^satö? des Hermetischen Traktates her (Poimandres
344,17, vgl. 343,16 sx toötcdv ouviatdciisvo«;). Simplicius sagt: fehlt
auch nur eine Tugend, so i.st die cpiXia unmöglich ; sie gibt die (auf
der Vollkommenheit beruhende) ivcoot? mit dem Freund und weiter
mit Gott. Das bestätigt einigermaßen Jamblich Vit. Pyth. 240 zokb
8i TOOTwv ^au[jLao'.(i)Tepa -^v ta r=pt tr^? xoivwvia? twv ^si'tov ft-j'ad'wv xal
•ca TTspi Tf^? Toö voö 6[i.ovo''a? xal xa Kspl f^? dsia? 4''^x^'^ aötoi? a'f op'.aO-svta.
^capr^YYsXXov y^P ^api.« äXXrjXo'.? jjlyj Staoitäv töv Iv saoToi? ^söv.
ouxoüv ei? Oeoxpaoiav v.va. xal r/jv rpo«; löv ^söv ivwaiv xal r/]v toö voö
xo'.vwvi'av xal xriv f^? dsia; 'fO'/^? aTrsßXszsv a'jtoi? -»i xäoa t"^;; ^tXta?
gttodSt] 6'.' spYwv xs xal Xö-j-wv (pythagoreisch in neuplatonischer Fort-
bildung). Natürlich ist jeder Gedanke, daß der Verfasser des Kolosser-
briefs eine philosophische Quelle benutzt, ausgeschlossen. Aber eine
volkstümliche religiöse Parallelbildung, etwa wie die des Hermetischen
Traktates kann ihn beeinflussen. Mir persönlich ist diese Analyse
der abschließende Beweis, daß der Brief nicht von Paulus herrührt.
So abhängig zeigt er sich sonst nie; auch die ganze kleinliche Art
der Durchführung widerstreitet seinem sonstigen Charakter.
Ich kann die Vermutung nicht unterdrücken, daß von den
vielgliedrigen freien Verbindungen noch eine oder die andere
(freilich sicher nicht Gal. 5, 20) auf ähnliche Systeme oder viel-
mehr Allegorien und Bilder ^) zurückgeht, die wir jetzt nicht mehr
als solche nachweisen können, und ich glaube, daß jetzt wohl er-
klärt ist, warum ich in Valentins Dodekas und Dekas (oben S. 381)
unmittelbare Einwirkung, sei es des Paulus, sei es einer in der
Gemeinde lebenden trinitarischen Formel nicht für erwiesen halte.
1) Auf E. Große -Brauckmann De compositione Pastoris Hermae Gott. 1910
S. 19 ff. 61 ff. sei beiläufig verwiesen. Auf Spittas Vermutung eines jüdischen
Vorbildes für Hennas glaube ich nicht mehr eingehen zu müssen.
394 R- Reitzenstein,
Ich vergleiche die Hexade weiblicher Gottheiten Hioxk;, 'EX;ri?,
^AfäzT], Suveaic, Maxapia(?), So^ia lieber mit der Enneade bei Bar-
nabas .2, 2 ttiou? | ^ößo?, oTtojicvT] | jtaxpo'ö'Ojiia, l^xpateta | ootpi'a, aoveatg,
Wie dem sei, überblickt man die ganze Reihe dieser Auf-
zählungen einmal, so muß auffallen, wie wenig Worte und Begriffe
der griechischen Philosophie auch nur in ihrer populärsten Form
entnommen sind^) und welche Unklarheit sich in den Systemen,
den hellenistischen wie den christlichen, findet ^). So eng der Aus-
schnitt aus dem weiten Gebiet lexikalischer Forschung zu diesen
Fragen ist, auf den mich diesmal Thema und Anlaß der Arbeit
beschränkt, so scheint doch schon er zu zeigen, daß die hellenisti-
schen Einflüsse in dieser ersten Zeit nicht von der Philosophie,
sondern von volkstümlichem religiösen Denken ausgehen''). Das
ist nicht wunderlich, wenn wir an die Kreise denken, in denen
das Christentum entstanden war, und an die Kreise, in denen es
auf griechischem Boden zunächst Aufnahme fand und für die es
sich darstellen mußte. Seltsam, wenn man hier zunächst, wie bei
der Gründung einer theologischen Parteigruppe, eine Devise und
Formel gesucht hätte (etwa wie : Gott, Unsterblichkeit, Menschen-
liebe). Noch seltsamer, wenn man in dem Vollgefühl der beseli-
genden neuen Botschaft auf die Originalität in Sprache, Bild und
Form ängstlich geachtet und nicht gebraucht hätte, was am allge-
meinverständlichsten und wirkungsvollsten war; Gebot und Emp-
findung sind die Hauptsache, sie gilt es zu geben; alles weitere
wird der „Geist" in dem Neubekehrten selbst wirken. Gewiß hat
1) Es ist mir nicht gleichgültig, daß die Tugend der awcppoaüvrj nur I. Tim. 2, 9
([xexd aiSoüc xa\ otucppoauvr);) und 2, 15 vorkommt (Apostelgesch. 26, 25 ist es Gegen-
satz zu [jLavia, wie awcppoveiv bei Paulus Gegensatz zu exOT^vai) oder daß der kurze
Titusbrief allein die Verbindungen awcppuiv, Si'xaio;, oaioc (1, 8, vgl. 2, 2) und atucppovio;,
IvAaldii, EuaeßA; (2, 12) bietet. Mau erkennt den Unterschied am besten, wenn mau
die jüngere asketische Terminologie betrachtet. Anders ist Titus 2, 4. 5 cpiXavSp&u;
eTvott, cptXoT^xvou?, awcppova;, äyvct«, ©(xoupouc d-ja^di, br.oxaaaoiiisaz tot; iStoi; ävSpctatv,
für das ich auf Deißmann, Licht vom Osten 228 verweisen darf. Hier handelt es
sich um eine Erweiterung der im allgemeinen Gebrauch üblichen Redeformeln.
2) Ich erinnere an II. Petr. 1, 5 rfaTt«, äpexi^, ^^xpccxeia u. s. w. oder an die
Stellung der xax(a am Schluß des Lasterkataloges der Hermetischen Schrift und
des Kolosser-Briefes oder des d'(a%6y, (p<ü; und C«>t^ nach den Tugenden in ersterer.
Man erkennt: die Zahl ist das Bestimmende, nicht die innere Verbindung der
Begriffe; das Denken liegt noch halb bewußt in den Banden ursprimglich mytho-
logischer Tradition.
3) Einen ähnlichen Gedanken bietet Deißmann „Licht vom Osten" S. 230.
Später tritt die Philosophie ein. Clemens steht im Paedagogus zu Musonius wie
Ambrosius zu Cicero. Für die Allgemeinheit dieses Verhältnisses spricht die
Terminologie der Askese.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 395
jene erste Annäherung an den Hellenismus für die spätere Zeit,
als die Kraft des Wollens nnd die Tiefe der Empfindung verflachen
und die Spekulation ihr Recht an der Religion fordert, mancherlei
Folgen gehabt, die recht tief dringen. Aber die Originalität des
Christentums selbst wird dadurch nicht in Frage gestellt, und
wem sie gar davon abzuhängen scheint, ob in einem Kapitel des
Kolosserbriefes neben einem paulinischen Grrundgedanken auch ein
hellenistisches Vorbild benutzt ist, der würde mir kleinlich und
unhistorisch zu urteilen scheinen.
Was ich zu bieten habe ist eine rein philologische Inter-
pretation von I. Kor. 13, bei der es auf die Gedankenentwicklung
besonders ankommt. Erbauliche Betrachtungen, die man anzu-
knüpfen pflegt, stören dabei nur und wird von mir niemand er-
warten; was jeder von uns empfindet, bleibt beiseite. Auch das
Neue Testament wird es, glaube ich, vertragen können, zunächst
einfach auf den ursprünglichen Wortsinn geprüft zu werden.
Das Kapitel durchbricht scheinbar einen festen Gedanken-
zusammenhang (zwischen Kap. 12 und 14) und hat stilistisch einen
besonderen Charakter. So gut es zunächst seine Verklammerung
mit der Umgebung zu prüfen; denn selbst ein so feinsinniger
Exeget, wie der leider der Theologie zu früh entrissene Job. Weiß,
zweifelt sie an, weist auf die Möglichkeit hin, daß es zu anderer
Zeit und für anderen Zweck entworfen ist, und möchte es ganz
isoliert betrachten, und auch H. Lietzmann, von dessen ruhiger
Sachlichkeit ich immer gern lerne, hält es für kleinlich, Bezie-
hungen auf das Vorausgehende in dem „Hohen-Liede auf die Liebe"
zu suchen. Ich bin anderer Ansicht.
Der Brief bietet eine Auseinandersetzung mit den „Gnostikern"
in Korinth, d. h. Leuten, die sich als Geistesträger oder Pneuma-
tiker von Paulus unabhängig fühlen und ihrer unmittelbaren Gottes-
schau (yvwgk;) rühmen ^). Bitter bemerkt der Apostel dagegen „ge-
wiß; Yvöoi? haben wir alle; aber die yvwoc? bläht auf; nur die Liebe
baut"-). Beständig klingt die Warnung vor dem 'xooioOoda'. wieder
1) Die Bedeutung hat Norden in seinem großen Buch abschließend erwiesen;
V. Harnacks Festsetzung (Sitzungsber. d. ßerl. Ak. 1911 S. 138) „die Gnosis um-
faßt das gesamte Gebiet des Erkennens in den drei Reichen des Seins sub specie
dei"' ist sprachwidrig; wie sie gebildet wurde und wie wenig sie für die Stelle
paßt, für die v. Hamack sie formulierte, habe ich „Histcrria monachornm und
Hisloria Lausiaca" S. 238 ff. gezeigt.
2) K. 8. 1 oi8aij.ev ort TZ'hxti Yvuicfiv Ipfxev. fj yvoisi; cpusiot, ^^ hk i'ciTJi oixo-
oofiEü Ich würde, wenn ich yviöatj, wie v. Hamack betrachtete, nicht so herab-
\ro»h.-;/.v.t.>« Di.:i
396 R. Keitzenstein,
(4, 6. 4, 18. 19. 5, 2, vgl. 3, 21). Das Thema ist vorher schon ange-
schlagen; seine eigentliche Ausführung folgt in dem neuen Teil
Tcepl ;cvED[i,att%(üv (die Greistesgaben, auf welche die Korinther stolz
sind) ^), Kap. 12 ff. Wohl sind die Geistesgaben verschieden, aber
doch ist die Gremeinde ein Leib und das einzelne Grlied darf sich
nicht über die andern erheben, ohne die es doch nichts wäre. Wie
die am meisten nach außen geschmückten Grlieder wohl gar nicht
die wertesten sind, mag vor Grott mancher, der in der Gemeinde
durch kein xap^<3[ia hervortritt, wertvoller sein als die Träger der
verschiedenen /apiofjiaTa. Wohl soll man in der Kirche sie schätzen,
und zwar ihrer Wichtigkeit und Größe nach schätzen; eine Rang-
folge wird 12, 28 aufgestellt TrpwTov octtootöXooi;, ösorspov TcpotpTJTac,
tptTov ÖLÖaaxaXooi;, sTistTa SDvd{istc, sTrstta ^^apto^ata lafJiäTCöv, avitXij^jL-
tj;s'.?, xoßepvTjaEt,?, 7^V7) YXwaawv (niedrigste Gabe) — ■ wir erwarten
als Nachsatz : aber Gott entscheidet allein, wer für ihn wertvoller
ist. Statt dieses Nachsatzes folgt zunächst die Erinnerung, daß
eben dieser Verschiedenheit halber einer nicht aUe Gaben haben
kann, also den Besitzer der minder geehrten nicht geringschätzen
darf, und hierauf die Mahnung 12,31 CTfjXoöts Ss za. j^api^tata ta
{jLstCova" xal In xaO-' ujrspßoXyjv oSöv 6|jilv 8sixvo{it. Es folgt das
„Hohe-Lied auf die Liebe"; dann beginnt Kap. 14 Stwxsts xrjv ctfä.-
?nr]v, C'/jXoÖTe Ss xa. 7rveD[xaTty.a, [läXXov 8k tva Tcpo'fTjTsarjte. Es ist die
höchste Stufe, die ihnen zugänglich isf). Paulus stellt in Gegen-
satz zu ihr sofort die nach seiner Schätzung niedrigste, auf welche
die Korinther doch besonders stolz sind, die Glossolalie, und be-
gründet seine Schätzung: für das olxoSojisiv leistet die Prophetie
unendlich viel mehr ; sie dient den andern (und das entspricht der
Liebe). Der Teil schließt sachlich 14, 39 wots, äSsX^f oC, CtqXoöts tö
7cpo(pYjTSDeiv, xal tö XaXsiv [it] xcoXoeTE h YXwaaatc ^). Der Unterschied
setzend von der „aus Kleinbürgern, Sklaven und Frauen zusammengesetzten Ge-
meinde" reden, wie er jetzt (S. 4) tut.
1) Der Titel wird 12,1 angegeben und 12, 4ff. erklärt (vgl. auch 14,12).
Die Aufzählungen erläutern weiter, was Paulus meint: die bestimmten „Gaben",
die den TrvEU(i.aTtx(5c von den übrigen Geraeinderaitgliedern unterscheiden (vgl. 14,37
TipocpT^TTj; ?j 7:veu|xaTt)co{, Prophet oder überhaupt Pneumatiker ; der Prophet reprä-
sentiert innerhalb der Gemeinde die höchste Stufe). Es ist falsch, für die Deu-
tung des Folgenden von dem Begriff /apfafxaxa auszugehen, der nur sekundär ist,
und dann zu erörtern, ob [at] «puaioüaöat u. dgl. „absichtlich paradox" auch so be-
zeichnet werden können, während Paulus klar angibt, über was er allein handelt,
und selbst Rangfolgen aufstellt.
2) Das Apostolat ist natürlich ausgeschlossen ; nur um die eigene Stellung
zu wahren, hat er es 12, 28 erwähnt.
3) Zusatz udvxa o^ e6axrjpiöv(ut xal xati xct'Stv ^ev^aÖcu (soweit es nämlich in
Ordnung und Anstand geschehen kann; das gilt hauptsächlich für die Glossolalie,
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 397
der beiden Imperative zeigt, daß der zweite nur eine Konzes-
sion bedeutet: zwar brauclit ihr dis Zingeareden nicht za ver-
hindern^), aber strebt nach der Prophetie. Genau ebenso gebaut
und gebraucht ist 14, 1 Stwxete t/jv aYiic/jv, Ct]Xo"3-s 8k ta zm[x%z:%i :
Paulus gestattet ihnen, was sie jetzt schon tun (vgl. 14, 12 izii
CirjXdötai iats TrvsopLaTtüv, bezw. Ävsojxatixäv), abar noch eifriger sollen
sie der Liebe „nachjagen''; das ist sein Grebot. Es ist also klar,
daß die Liebe nicht zu den Tcvsütiat'.xa gehört-). Weiter
folgt, daß den gleichen Sinn haben muß 12, 31 ^rjXoürs 8k ta yj.pl's-
(lata td {JLsiCova, xat su xa^' GsspßoXTjv 65öv opiiv Ssixrjjjit : strebt
ruhig nach den yaptoixata. freilich nach den größeren, aber es gibt
einen noch höheren Weg, den ich euch jetzt zeige ^j, oder: es gibt
vgl. V. 23 ff., natürlich aber auch fui die größeren Gaben, ja gibt eine Einschrän-
kung selbst für die Prophetie, vgl. v. 29 ff.).
1) Es ist ja auch ein -/aptsiAa. Paulus wahrt sich ängstlich vor dem An-
schein , es verbieten zu wollen (vgl. v. 5) , und versichert es selbst viel zu üben,
nur nicht vor der Gemeinde (v. 18).
2) Zwei verschiedene Interpretationsmethoden scheiden sich hier, eine rein
philologische und eine nicht in der „Theologie-, wohl aber bei theologischen Sy-
stematikern früher übliche und daher noch jetzt weit verbreitete, mit herausge
rissenen Einzelstellen zu arbeiten. Sie zeigt sich am besten in dem gegen die
„Religionsgeschichtler" , d.h. in diesem Fall gegen die Philologen, gerichteten
Auslegungsversuch v. Harnacks Sitzungsber. d. Berl. Akademie 1911 S. 132 ff.
Ich kann es daher nicht vermeiden, wenigstens in den Anmerkungen auf ihn ein-
zugehen, freilich ohne auch nur annähernd alles zu erwähnen, worin er mir
gegen die Forderungen philologischer Interpretation zu verstoßen scheint. Für
v. Harnack ist der Ausgangspunkt (S. 133): die höheren Gaben in 12, 31 können
nur die sein, welche Paulus an einer andernStelle, nämlich Gal. 5, 22 (siehe
oben S. 387) als Früchte des Geistes bezeichnet hat; es sind die christlichen
Tugenden, unter denen dort auch Liebe und Glaube erscheinen, freilich als
Gegensatz zu den Werken des Fleisches, den Lastern. Nach dieser dogmatischen
Feststellung muß die gauze Deutung sich richten und gerät in unlösliche Schwie-
rigkeiten. Ich bedaure es, so lange ich Kap. 13 allein betrachtete, nicht wegen
der Parallelstelle, sondern wegen der Urbedeutung von yicaiii, die ich einseitig
betonte, selbst an Glaube, Liebe, Hoffnung gedacht zu haben. Die Gedanken-
entwicklung im Gesamtverlauf dieser Kapitel ist auch damit zerstört. Von ihr
muß der Philologe ausgehen; den scheinbaren Widerspruch, daß die ;TV£'j[jiaTixa
hier ganz andere sind als dort der xaprö; xoü irveüfiato;, erklärt er sich leicht aus
dem Zusammenhang dort und aus der bekannten Beobachtung, daß für Paulus
wohl alle Christen den Geist empfangen haben, oder besser, unter der Wirkung
des Geistes stehen, dennoch aber der 7r*i£'j[xanxo« bei ihm eine besondere Stellung
unter den übrigen Christen einnimmt.
3) Von Harnack (134,2) erklärt dies für sprachlich unmöglich; dann müsse
statt xai ert mindestens stehen j-i U. Ich halte dies Sprachempfinden für irrig.
Wird das logische Verhältnis zweier Sätze nicht im Gesamtbau, sondern in der
Nuance der Verba oder Substantiva ausgedrückt, so kann unterschiedslos beides
stehen. Paulus hätte 14, 1 ebensogut sagen können : önüxete ttjv dydTTTjv x a l Ctj-
97*
398 ^- Reitzenstein,
noch etwas Höheres, was ich euch jetzt lehre ^). Er hätte gleich
sagen können Ct^Xodte 8h za. /apiojjLata ta {istCova xal Sköxete ttjv
Xoöxe Ta TtvsufxaTtxa, wie er ja 14,39 wirklich sagt: C'»]^oÜTe to ^tpotpTjTe'jeiv •/. al to
XaXeiv yXwaaatj fXTj xcuXüexe. Gewiß hätte er 12,31 sagen können CtjXo-jte tol -/ct-
pi'afxata, Siioxexe SJ xö ext uTrepßaXXov abzd, 8 ü(j,äi 6t8d6u>. Aber die Angliederung
an den vorangehenden Gedanken hat schon eine Adversativpartikel verlangt (eifert
aber trotzdem immerhin nach den /apfsf^axa, und zwar nach den höheren; die
Beschränkung ist ähnlich wie 14, 1 CtjXoüte Ss xd 7:v£U(i.axtxct , p.äXXov 5e tva rpocpr^-
xE'JTjxe und 14, 5 %iXm oe üfjiäi; XaXsTv yX^aactts, piäXXov 8s ?va TcpocpTjxe'iTjxe ; da hier sofort
folgt fiefCwv 81 6 TrpocpTjxe'jwv I^ 6 XaX&v yXobaaat; und vorher 12, 27 eine feste
Rangfolge angegeben ist, kann trotz v. Harnacks Einspruch 12, 31 nur xd fxetCova,
nicht aber xd xpet'xxova stehen); daher sagt er hier noch passender xai ö ext bnep-
ßdXAet auxct, upiTv Befxvupii und bereitet dadurch 14, 1 8ia)xexe xtjv d-jd-rzi]^ vor. Den
gewollten Parallelismus der drei Verse 12, 31 ; 14, 1 und 14, 39 zerstört, wer in
dem ersten xd x«pta[j.axa xd [xefCova auf irgend welche Tugenden bezieht. Den
Grund, den v. Harnack gegen die Beziehung auf die soeben in Rangfolge aufge-
zählten echten Charismen anführt, man könne doch nicht von ihnen sagen C^-
Xoüxe; Gott gebe sie doch, wem er will (12,11), verstehe ich nicht. Trotzdem
kann man um sie bitten und nach ihnen streben , und 14, 1 heißt es doch tat-
sächlich C^jXoüxe . . . iva 7rpocp7)xe67jxe, 14, 12 C^^Xtütaf ^axe 7:veu(i.ctx(uv (oder TrveufAaxt-
xojv) 14, 39 Ci'jXoüxe x6 Tipocpr^xsueiv.
2) Ob in 6o6v Se^xvujxt die sinnliche Bedeutung noch voll empfunden wird,
kann niemand sagen, vgl. 4, 17, wo Paulus von Timotheus sagt ö; üpid; dvapivi^aei
xdc 680Ü5 (jLO'j xdc Iv Xpt(Jx(ii xc(t)(u; Tiavxaj^oü i^ Tcda-^ ^xxXT]a(a StSdaxw oder bei-
spielsweise Xenophanes fr. 6 Hiller vOv aux dXXov STtetpn Xöyov 8e($ü) 51 xfXeu&ov
(vgl. den folgenden Inhalt des Xrlyo?). Von den drei Hauptfragen, die v. Harnack
stellt (Was ist unter den höheren Gnadengaben zu verstehen? Wie kann der
Inhalt des Kap. 13 als „Weg" bezeichnet werden? Gehört xa&' 'jTcepßoXrjv als ad-
jektivische Bestimmung zu 68dv oder als adverbielle zu dem Verbum?) ist die erste
falsch beantwortet, die zweite falsch gestellt, die dritte von ihm selbst nicht ent-
schieden. Von der Voraussetzung ausgehend, daß dfdr.ri und Trfaxtc zu den jiveu-
jjiaxtxd zählen müssen, also „paradox" auch ■/aplait.a'ca heißen können, sagt er
(S. 134), wenn alles, was in cap. 12 genannt sei, nicht zu den höheren gehöre,
80 müsse jeder Hörer wissen , was für diese nur übrig bleibe. Daher heiße xat
Iti „und zum Überfluß". Das ist hier sprachlich unmöglich. Er folgert weiter,
der Weg sei die Liebe, also sei der Weg „ganz wörtlich zu verstehen". Ich sehe
die Folgerung nicht ein, noch weniger freilich die Voraussetzung. Ist die Liebe
nur der Weg zu den „höheren Gaben", so kann sie doch nicht selbst im Schluß
von Kap. 18 als das Höchste bezeichnet werden. Zwar v. Harnack erklärt dies
ausdrücklich (134,3) im Sinne des Apostels für möglich; aber die ganze Schei-
dung zwischen Weg und Ziel hat doch nur Sinn, wenn das Ziel das Wichtigere
ist. Was soll ferner dies Ziel sein? Man würde zunächst dann an Glaube und
Hoffnung denken, aber v. Harnack sagt, es ist „der Chor negativer und positiver
Tugenden", die 13, 4 — 7 genannt sind. Also ob 7:ep7:epe'jeaöat, ou cpyatoOc[{)at u. s. w.
sollen die yap(a|Aaxot fj-e^Cova sein ! Dann ist der Bau des Hymnus und sein Schluß
geradezu unverständlich I Aber weiter : der Artikel vor 68(5v soll auffälliger Weise
fehlen ; es handele sich ja um den allen bekannten, den einzigen Weg ; zudem
findet V. Harnack, daß xaö' ÜTTepßoXi^v sich nur dann leicht mit ö8ov verbinde.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulas. 399
aYocTOjv, führt aber dies höchste Gebot zunächst in geheimnisvoller
Weise ein, um erst am Schluß die Mahnung 5'.(üX£T£ tyjv aYaxrjv zu
bringen. Man könnte in einem gewissen Sinne von einem chiasti-
schen Bau der Einleitnngs- und Schlußformel reden. Der Sinn der
ersteren muß sein: etwas, was über alle •/jxpia^'xza hinausführt,
will ich euch lehren. Hieran knüpfen die nächsten Worte (Kap. 13)
und führen aus: alle '/cupio^cLZT. sind vor Gott wertlos ohne die
Aber wir hören dabei zugleich, Bengel werde wohl Recht haben, Paulos wolle die
Korinther spannen; übrigens fehle es auch an Beispielen für nachlässigen Weg-
fall des Artikels nicht. Ich würde bei dieser Deutung den Artikel unter allen
Umständen für nötig halten; aber ich sehe nicht, wodurch sie eigentlich verlangt
wird. Clemens Alexandrinus (Quis dives scUv. 38) versteht ö5o« auch sinnlich,
deutet aber nach dem Zusammenhang ö8öv ItzX au)TTjp{av, vielleicht noch nicht scharf
genug, jedenfalls aber so, daß das Vorausgehende die Erklärung bietet; zu
der "Wertung, der Schätzung bei Gott suchen die Korinther zu kommen, sie freilich,
indem sie von den rvE'j,ac[ttxa, und zwar gerade von dem niedrigsten, ausgehen; da
wäre das höhere, die Prophetie, schon besser; aber Paulus weiß einen noch vor-
züglicheren Weg. Damit sind wir zu der letzten Frage gekommen. Von Harnack
hält es für möglich xaö' ü-epßoXifjv mit ocixvuat zu verbinden , lehnt die Deutung
..zum Überfluß" ab, weil er sprachwidrig dies schon in %a.\ l-n findet, kann sich
für eine andere Deutung „in ausgezeichneter, weil ihres Erfolges sicherer Weise"
nicht reclit erwärmen und will dann lieber eine Ankündigung der hinreißenden
hymnischen Form des nächsten Kapitels darin sehen , die freilich m. E. deren
Wirkung von vornherein aufheben müßte ; er übersetzt „in hoher Rede''. Ich
fürchte, daß xolW jrspßoXrjV das nie heißen kann. Nach den Rhetoren ist ürrep-
ß&/.T| eine opaat; y-cpaipo'jsa ttjv äX/jÖeiav a'j;rj5£(u; 7, LUtiosecu; X^P'"'* ^^^^ Paulus
hier wirklich sagen: den Weg will ich euch in Hyperbeln zeigen? Auch v. Har-
nack meint schließlich, es sei wohl besser xaft' ujtepßoXTjv ö5ov zu verbinden; aber
eine Deutung bietet er nicht. Wir müssen dafür wohl von l-:t ausgehen , das
bisher unerklärt blieb ; was es bei Steigerungsbegriffen (oeivo; — In oeivorepo;) be-
deutet, ist bekannt. Und •J::epßoXi^ enthält ja den Steigerungsbegriff, t6 xa&' uTtep-
ßo/.7]v ist die Bezeichnung des Superlativs bei Aristoteles; oj xaTocXef-exat ürepßoX^
u. dgl. ist bekannt Dem Positiv gegenüber drückt es den höheren Grad aus (Dem.
XIX 66 -il»; yap o'jx «(aypov, [j.ä?J.ov o' ei -i; ?3Ttv üreppoXr) tojtcj), einem Kompa-
rativ gegenüber hebt es die noch höhere Steigerung hervor, vgl. Euripides fr. 494 N'
tt); [aIv -AOLxf^i xaxtov oüoiv yi^vETat fj^iix^i, i3&Xfj; o' oöo£v £(; 'J-EpßoXrjv -if^x
afjLEivov, und wenn derselbe Dichter fr. 282,4 sagt: -üi; Ydp oaTt; est dvTjp pdöo-j
T£ ooüXo; '/Tjojo? 8' i?j337jjiivoc -/.vfiaaiT^ av oXßov dz unepßoXijv itarpdc, SO werde ich kaum
fragen, ob hier oXßov £{; 'jireppoXi^v zu verbinden ist (piEiCova rXoürov, natürlich ohne
Artikel) oder ob tii 'jrEpßoXrjv -atpo; zu dem ganzen Begriff (oXßov xrf^sai-o aäW.ov
-zo'j r.'x-p6i) gehört. Es ist bei Paulus nicht anders (zu --ta&' ürEpßoXrjv ist ein Ge-
netiv T(Lv yaptsfxdxiuv hinzuzuhören) und die Deutung gewiß nicht unbekannt ; aber
so lange uns im Neuen Testament noch derartige Interpretationen vorgelegt werden,
die sichere Sprachbeherrschung und scharfes Erfassen der Gedankenzusammen-
hänge ganz vermissen lassen, hat der Philologe die Pflicht, auch seine Auffassung
darzulegen. Je früher der allgemeine Fortschritt der Methode ihn davon entbindet,
um so besser für ihn.
400 K. Reitzenstein,
Liebe, alle Leistungen vor Grott nichtig ohne sie. Das heißt
also : der Nachsatz, den ich oben (S. 396) nach 12, 28 erwartete
(Sinn: aber Gott allein entscheidet, wer für ihn wertvoller ist),
wird in Kap. 13 gegeben: aber vor Gott hat nur die Liebe Wert.
Der äußeren Verklammerung durch die einführenden Formeln ent-
spricht also der Gedankengang; nie kann Kap. 13 an dieser Stelle
gefehlt haben. Es enthält die stärkste Mahnung oder, wenn man
will, Polemik in der Form begeisterter Rede. Der Apostel, der
in demselben Zusammenhang von sich sagt (14, 19), er wolle vor
der Gemeinde lieber fünf Sätze in vernünftiger Überlegung als
zehntausend in „Zungen" reden, wird durchaus nicht willenlos von
der starken Empfindung fortgerissen^); er will seine innerste Über-
zeugung in einer Form ausströmen, daß sie dem Hörer dem Ein-
druck der Prophetie, des unmittelbar von Gott Empfangenen,
erweckt''^), aber er behält das Ziel, das er erreichen will, klar vor
Augen. Damit haben wir das literarische y^vo?^).
Der Text lautet:
(CiTjXoÖTs ta ycupia^iaza xä ^etCova, xai su xa-ö-' OTuepßoX'^jv ö3öv
ü(jIv Ssixvoiii).
I (1 — 3) 'Eav Tai? fXa)OGatc täv äv^pwxwv XaXw xal twv aYYsXwv,
(iY<5i7C7jV 8h [lY] ^x^t T^TOVO' yaXv.bi Tj^^wv t) xö{ißaXov aXa-
XACov. xal lav s^w 7rpo(pTf]Tsiav xal slSw ta [JLDOtYjpia Tcavta
xal TTäoav r^v yvwoiv^), xal lav l/w juäoav ttjv Trtattv wate
1) Er sagt in demselben Zusammenhang (14, 32) -/a\ 7rve6[i.c(Ta rpocpr^xdiv -po-
^T^xat; ÜTTOTctaaeTat.
2) In der Gemeinde folgt auf die Prophetie, die pneumatische oder gottbegeisterte
Kede des Einzelnen, das Staxpfvetv oder dvaxptveiv oder iTitxpfveiv durch andere Pneuma-
tiker (14, 29). Auch Paulus, der an die Verlesung des Briefes denkt, verlangt es
gegen Ende seiner Darlegungen für sich, 14, 37 ei Tt« SoxeT rpocp/j-o)? elvai r) ttve-j-
f/Laxtxo?, dTrqtvüjax^tto öt Ypatptw Ü[aIv 6'xt xup^o'j iaxfv, s{ 8^ xt; äiyvoei, öyvoei'xio. Eine
Instanz gibt es ja dann nicht mehr, und Paulus vertraut darauf, daß die Hörer
es an der ganzen Gewalt der Rede spüren müssen; wer's nicht empfindet, soll
ihm gleichgiltig sein. Die Worte gehen nicht auf die unmittelbar vorausgehende
Verordnung über die Weiber, sondern auf den ganzen geschlossenen Teil und
besonders auf Kap. 13. Was Paulus unter Prophetie versteht, zeigen die beiden
Kapitel. Wir dürfen den Begriff nicht bloß aus Ilermas ableiten.
3) Weiß S. 311 müht sich vergeblich um die Bestimmung; v. Harnack 153,4
bietet nur die Definition : es ist nicht Poesie in strengem Sinn , sondern Rede,
die frei hervorgesprudelt ist, „was jedoch die Anwendung einiger einfachen Kunst-
mittel nicht ausschließt",
4) Die Versuche v. Ilarnacks zwischen „Mysterien Weisheit"" oder ,,Mysterien-
erkenntnis" und Gnosis zu unterscheiden, hoife ich „Historia tnon. und Hist. Laus."
8. 252 widerlegt zu haben ; es handelt sich nur um ein Kennen der Geheimnisse ;
zu yvüatv ergänzt man leicht fx^*
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 401
6'pTj {isdiotäveiv, (XYaTCirjv 5s jjltj £Xo>, oodsv d^i. xal eav
«l<(ö{tio(ü iravta ta oTcap^^ovtcx [xoo %al lav «apaSw tö otöita
{too ?va xaoO-Tfjoofiat ^), afaTCYjv 8s {iTj ix**' o^^s'-' ö>»s-
n (4 — 7) 1^ a^anr] {taxpodoji-si, xp'i']a'C£ÖETai, i^ a^axT] oo CTjXoi, i^ otYajn] oo
irepTcspsöstai ^), oö ^ooioötai, oox acsyrri^oyzl, oh CiQtsL ta lau-
T^C^, 00 Tiapo^ovstai, o6 Xo7tCeta'. tö xaxöv, oö -/a'lpsi ItcI
r^i aSixi'c^, oo7X«tpst Ss t^ aXirj^sicj, ;:dvTa ot£Y5'>> ^tavia ;ti-
OTEÖsi, Trdvta IXiriCet, reavta oTCOfxsvei.
TII(8 13)f^ «YaTTT] O&SSTTOTS 6 XT: t TTT 6 l *) * SITE Sk TTpOCpTjTEiat, X«-
TapfYj^T^oovTai, SITE YXwooai, Tcaöoovtai, eits YVö'Jtc
1) Für die Variante xa'j/T,<S(a[iai tritt v. Harnack ein, indem er sie bei Clemens
Alexandrinus freilich erst gewaltsam und mit Scheingründen einsetzt, bei Clemens
Romanus aber falsch erschließt. Ich denke , sie hat hier kein Recht , auch wenn
das Wort xauyäaöat , wie er hervorhebt , 55 mal bei Paulus vorkommt. Seine
Gegengründe gegen die Vulgata scheinen mir schwach. Es soll sich dabei um
einen Verbrennungstod als Aufopferung für andere handeln. Ich verstehe es im
Gegenteil von einer Leistung an Gott; denn nur um die Schätzung bei Gott
handelt es sich in dem Zusammenhang (die wieder aufkommende Deutung „wenn
ich mich als Sklave verkaufen verließe" ist sachlich und sprachlich unmöglich). Wenn
er sagt, die Stelle Daniel 3, 95 zap^otuxav za atöixaxa a-j-wv et; iaruptafiov , 7va (atj
XaTpeÜ5ü>ai [irfil -poax'jv/,atu3t %i(ji e-epu) könne gerade dem Interpolator vorgeschwebt
haben , Paulus brauche nicht an sie zu denken , in der Zeit der Martyrien möge
die Interpolation entstanden sein, so ist das die Argumentation, die Kötschau
einst gegen Wendland verwendete. Der Zusammenhang muß entscheiden.
2) Von Harnack interpungiert nach anderen i, iyiTzri ixaxpo8y(XET, /pTjSTe-kTat
fj ^YotTTi], ou CTi^ot ^ d-fiirq ou TrEOTrepeüeTat , erklärt in der Anmerkung aber auch
obige Interpunktion für möglich. Ich halte den Chiasmus hier nicht für „kräftig",
sondern für geziert und das Asyndeton bimembre im Anfang sogar für trefflich,
habe dagegen große Bedenken gegen die nicht besonders bezeugte Wiederholung
des Subjekts vor oö Treprepe-jETai.
3) Die schwach bezeugte Variante oj CtjTeI tö ar, iaurf,; verteidigt v. Harnack
als möglich , ja eigentlich besser dadurch , daß das geläufige za eauTf^; leicht ein-
gesetzt werden konnte und xö {atj laurr,; dem Paulus nicht fremd sei; er sage ja
II. Kor. 12, 14 OJ Yctp t^r^-zG) -rä •jfx(i)v(!). Vollständig heißt der Satz oü ydp ^t^-:(ü -zi
öfJKüv, i}lä 'jfAcii , paßt also in keiner Weise. Ebensowenig der Grund , daß die
andern Verba sämtlich ein Verhalten der Liebe nach außen, bzw. zu andern, aus-
drücken. Entscheidend ist wohl, daß Paulus gerade in der Polemik gegen die
Gnosis I. Kor. 10, 24 sagt p-T^oeU t6 eauToü CTT^e^'t" tind 10, 33 , wo er sich als
Muster anführt, xa8(b; xd^w rav-ca -äsiv äpesxtu {xtj C^j'^w^ fö ifiauToO sju^opov,
dXXa TÖ T&v -o}l(L\, hoL cu)8ö»3iv. Nur das ist wirklich Beschreibung der Liebe
(vgl. auch Kap. 8). Negative Tugenden und Charismen kenne ich nicht.
4) Die Argumente, mit denen Job. Weiß die Variante riTrret verteidigt, sind
gewiß schwach; das Gegenargument v. Hamacks, I-a-Attzzi sei „schwieriger", freilich
noch schwächer. Mir scheint es den Begriff des Verlierens oder Beraubtwerdens
besser zu geben.
402 ^- Reitzenstein,
v.cLzap'^rid-riOBxai^). Ix {Aspoo? 5s Y^vwoxofiev xal Ix
[jLspoo? TcpofpYjTsoojisv, otav Ss SX'&'J] TÖ TsXsiov, TÖ Ix [A^pODi;
v.azap'Cfid-rioezai. ots 7J[i-7]v vifjTCtoc, IXdXoov w? vtjtcio?,
I'f pövoov w? VKjTrto?, IXoYiCöP'T'jV ü)? VTjTrio? • OTE Y^^ova avT^p,
xaTTf^pYYjxa ta tod vyjtcioo. ßXs7:o{i£v y^P ap^^ St' koözzpon Iv
atviY[i.au^), töte Sfe TcpöatöTrov ;:pös TcpöowTcov apu •^iv&ov.oa Ix
(jispooc, TÖTE Ss sTciyvcboofiai, xtt'&üx; xal iTrsYVwoO-Tjv. vovl Ss [i^vst ^)
Tctattc, sXTti'c, ocYaTUY], tä tpi'a taüta* (xsiCwv 8h todtwv y] aYaTTTj.
(StcbXETS TYjV aYaTUYjV, ClfjXoÖTS Ss TOC TCVSDjJLaTlxd).
Der erste und zweite Teil bedürfen weniger Worte. Um di»
7rv£0{iaTixa, also die ^apto{iaTa, handelt es sich. Von dem seiner
Ansicht nach kleinsten, von den Korinthern freilich am höchsten
bewerteten geht er aus ; hätte ich es in höchster Vollendung —
er sagt noch nicht „ich wäre nichts" ; das wäre ungeschickt ; son-
dern bezeichnet sich dann nur als lärmendes Instrument mit wir-
rem, eitlen Schall; erst bei der nach ihm größten Gabe, der Pro-
phetie, gibt er das Urteil od^sv sljii. Für wen gilt das? Sicher
nicht für die Gremeinde, sondern für Grott; der Gredanke schließt
sofort an 12, 23. 24 : Grott gibt vielleicht auch in dem Leib der
Gemeinde dem innerlich werteren Glied die geringere Hülle und
schmückt das für ihn wertlosere äußerlich. Trotz aller yjxpio'^azix
kann man ohne die Liebe ein Nichts für ihn sein'*). Hiemach be-
stimmt sich der Sinn des dritten Gliedes. Es kann nicht bedeuten,
wenn ich um der andern willen meine Habe zerstückele ohne
Liebe — das wäre ein seltsamer, ja für Paulus unnatürlicher
Gedanke — , sondern, wenn ich um Gottes willen, d.h. um
ein Verdienst vor ihm zu haben, die äTcÖTaSi? vollziehe^), ja selbst
1) Von Harnack erklärt die Variante yvujaet; 7.aTapyrj»}i^aovTat dem Sinne nach
für notwendig und erklärt dies später, es sei durch dx fx^pouj YtvwaxofAev erfordert.
„Von der yvöist? hätte der Apostel nicht gesagt, daß sie aufhört". Das hängt
mit seiner sprachwidrigen Deutung des Wortes zusammen; aber in der Tat muß
aus dem Zweck des Ganzen beurteilt werden, ob Paulus im allgemeinen die Yvcüat;
als yotptOfAa unter die Liebe stellen will, oder die einzelnen Offenbarungen. Für
ersteres wird wohl schon jetzt Kap. 8 sprechen. Auch hier bedaure ich, zunächst
ihm wegen des Plurals irpocpTjxetai gefolgt zu sein. Hier wäre einmal die Frage,
was die lectio difficilior sei, am Platz gewesen.
2) Die falsche Verwendung, die v. Harnack S. 166 von diBsem Worte macht,
hoffe ich a. a. 0. S. 253 zurückgewiesen zu haben; von einer Benutzung des he-
bräischen Pentateuchs kann m. E. nicht die Rede sein.
3) Über die Deutung der Worte vuv( und (x^vet siehe unten.
4) Die «rsten beiden Glieder nennen alle wesentlichen /api^f^ata. Also ist
die nfatt; nicht dasselbe wie in v. 13, sondern das, was 12,28 ojvajAi; heißt, vgl.
12, 9. Dort gehört sie ja zu den irveufiaTixct.
5) Daß sie bei den Juden, wie natürlich auch bei den Christen schon üblich
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paxüus. 403
wenn ich mein Leben für ihn und seinen Xamen lasse, vor ihm
habe ich keinen Nutzen davon. Nur auf den himmlischen Lohn
kann sich das ooSev (bfpsXoöjtai beziehen. Der fromme Jude glaubt
ja. wer „um des Namens willen" gestorben ist, erwerbe größere
Seligkeit, und die Christen der ürgemeinde glauben es auch (vgl. den
nächsten Aufsatz in diesen Nachrichten). So haben die Mäuner im
feurigen Ofen für Gott leiden wollen; mit Recht wird auf den Daniel-
Spruch verwiesen. Die Variante Tva x,aDyf^a(ö{j.ai gibt, selbst wenn
man -/.aoyäad-ai als „mit Grund sich rühmen'' erklärt, neben dem ein-
zig betonten ä-fäTcr^v Se \i.r^ syo) etwas Überflüssiges, ja Störendes, und
der Gedanke, daß, wer gestorben ist, sich brüsten kann, ist wenig
ansprechend (dann wäre ein Passivum ,,um gerühmt zu werden'"
immer noch besser). Handelt es sich aber um den Tod als Lei-
stung an Gott (den Bekennertod), so ist von Anfang an eine
doppelte Bedeutung von ö.fi■;rr^ sicher. Der zweite Teil freilich,
der nun eine mahnende Schilderung der Liebe gibt, beschreibt sie
zugleich als Nächstenliebe; sieben positive und sieben negative
Aussagen sind mit höchster Kunst in einander verwoben, und natür-
lich enthalten die negativen besonders die Anspielungen auf die
früher gerügten Schäden der Gemeinde '). Daß in den Worten
zavta z'.OTäös'., ravta IXriCs'- ^ine Erinnerung an die Formel „Glaube,
Liebe, Hoffnung" liegt, werde ich dabei, gerade wenn hier wieder
von der Nächstenliebe die Rede ist, nicht annehmen dürfen. Sie
verhüllt die Fehler des Mitbruders, glaubt von ihm alles, hofft
von ihm alles und erträgt von ihm alles. Li der Formel sollte
ich doch mindestens tciot'.? und zkz'k; auf Gott und Göttliches be-
ziehen dürfen.
Die Schwierigkeiten beginnen in dem dritten Abschnitt. Zwar,
daß in dem ersten Satze die sich entsprechenden Verba h.zizz&t
oder izlimi, xatapYTj^TJaovtai, icaooovtai, xatapYT^OTjasTai ^) sich auf
ist, habe ich a. a. 0. S. 104 erwiesen. Bei Phüo in der Schüderung der Therapeuten
erscheint sie wirklich nur als Leistung und nicht durch die Liebe begründet.
1) Zu oj C^jXoI vgl. 3, 3 oTTO'j fip iv jfxtv C^j'-o; xai Ipt;, zu o-j cpuaioütat vgl. oben
S. 395, zu d<T/Tj\j.o\tl Kap. 14, zu TrepTTEpeieTat ebenda, zu Ct^^tsI tä eaurf^; 6,1. zu
yatoci T^ ö?ixta 6, 8. Das sind nicht „Beziehungen" im eigentlichen Sinn , aber
die Erinerungen an die Schäden in der Gemeinde bestimmen die Schilderung.
1) Von Harnack fällt S. 148,3 das harte, seinen sonstigen Äußerungen
widersprechende Urteil: „Feineres griechisches Sprachgefühl fehlte dem Apostel in
hohem Maße, sonst hätte er nicht v. 8 xa-zcLpyr^^^ao^xT.i . . . raiiovrat . . . xaxappj-
8T,aovT:o(i schreiben können (dazu die Wiederholung von xa-ap7. in v. 10 u. 11).
Sachlich war der Wechsel an der 2. und die Wiederholung an der 3. Stelle an-
gezeigt und das genügte ihm". Ich möchte in dieser Sache, bei der es sich nicht
um Sprachgefühl, sondern Rhetorik handelt, den Apostel verteidigen, der sie sehr
404 R- Reitzenstein,
den Tod, bezw. die Parusie^), beziehen, wird man kaum bestreiten;
zu klar sprechen dafür die Worte otav zkd-^ xb tsXsiov und töts 8k
jupöotüTTOv TzpoQ TTpöowTuov. Schon die Kirchenväter deuten so. Dann
aber scheint mir unbedingt notwendig, daß in dem Schlußsatz
{tsvet positiv das ausdrückt, was in dem Eingang negativ durch
ODX IxTctTCTst wiedergegeben war. Von hier ging von jeher meine
Betrachtung dieser Stelle aus, und ich lese mit einigem Erstaunen,
daß V. Harnack (S. 5) ,, erstaunt fragt", ob ich denn vergessen
habe, daß der Apostel unmittelbar vorher das aufgezählt hat, was
,, vernichtet" werden wird, also notwendig dem gegenüber auf den
Begriff ,, Bleiben" für die Gnadengaben des Glaubens, der Liebe
und der Hoff'nung geführt war. Ich hatte doch gerade für den
den Gegensatz von xaTapYgiotl-at, und tisveiv S. 250 auf IL Kor. 3, 11
el Y&p xb %aTapYo6[JLevov 8iä Sö^ttjc, 7coXX(j) jxäXXov tö [xdvov Iv Sd^if] hin-
gewiesen, denselben Gegensatz auch hier wiederfinden wollen und
gegen v. Harnacks Deutung der Stelle polemisiert, der vuvt auf
das diesseitige Leben bezieht und den Gedanken so formuliert:
,,von allem, was wir jetzt besitzen ist die Liebe das Wertvollste"
(Sitzungsber. S. 152) ^) und hatte diese Deutung verworfen, weil
kunstvoll verwendet. Der Grundbegriff ist ■/.a.zapytXa^oci , auf ihn will er hinaus •,
aber gerade dies Wort wäre bei aylv-ri mißverständlich (bei den ^Xiöasai streng
genommen auch). So läßt er in dem TeTpc(-/.ü)Xov des Eingangs nur das zweite
und vierte Glied auf dies Wort ausgehen und erwartet, daß seine Hörer entweder
die rhetorische Figur verstehen oder die Wucht dieser Rede empfinden werden
(es steht nur bei Trpo^rjTsTat und Yvtöat;, auf die letztere kommt es an ; sie ist -b
i-f. fA^pou;). Notwendig , und zwar sprachlich wie rhetorisch , ist dann im Fol-
genden die Wiederholung des Grundbegriffes , ganz besonders sogar nach xä i/.
fji^pou; --caxapYr^&i^ceTat in dem Vergleich -/.ar^pyrjxa xd xoü vt^tt^ou. Man könnte mit
demselben Recht in Teil I die Wiederholung der Worte dyaTrrjv hl [atj Ijm als
Beweis für einen hochgradigen Mangel an Sprachempfinden fassen wie diese
Wiederholungen. Wenn v. Harnack auf die „Verbesserung" bei Clemens Quis
dives sah. 38 weist, so zeigt er nur, daß er die durch die freie Umgestaltung
nnd die Auslassungen bei Clemens geänderte Satzkonstruktion nicht empfunden
hat : ^ äyctTiT) ouoir.o'ze IxTitTixet • rpocprjxetai xaxapYoüvxai , •('kmaison -a'iovtai , iaaei;
itA Y^i; xaxaXetTrovxat, jjiEvet os xa xp(a xaüta ri'axtc, iXizii, dfdr.ri, jjlei'Cwv Se ev xo'jxot;
7j «xyctTiTj. Das erste Sätzchen ist losgelöst; die drei nächsten Glieder bilden den
Vordersatz zu [/.^vei oi. Daß ein xp{xu>Xov unter anderen rhetorischen Gesetzen
steht als ein xexpaxwXov (und ein solches empfand Paulus), dürfte bekannt sein.
Interessant ist, wie Clemens dabei vermeidet, von einem xoxapYetaöat der Y'^'üst»
zu reden; das ginge gegen seine Überzeugung, nach welcher der tlbergang von
der Yvtöatc im Diesseits zu der y^Aoic im Jenseits keinerlei Bruch bedeutet.
1) Beides steht sich gleich. Ich werde wegen Kap. 15 lieber vom Tode
reden.
2) „In dieser unserer Zeitlichkeit, in der wir nur stückweise und
unsichere Erkenntnisse haben, die einst abgetan werden, besitzen wir doch etwas
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 405
sie sprachlich und logisch unlösliche Schwierigkeiten biete (a. a. 0.
S. 101,2). Ausdrücklich hatte ich erklärt, daß {tsvs'. nur heißen
könne ,,sie bleiben im Jenseits" und daß vovt den logischen
Gegensatz bezeichne (natürlich zu xaTapYTjO-T^oovTa'.). Und nun
zitiert mir v. Hamack dieselbe Stelle II. Kor. 3, 11 ^) dafür, daß
der Gedanke von dem ,, Vernichtet werden" notwendig auf das
,. Bleiben" geführt werde, d. h. doch wohl, daß beide Begriffe
Gegensätze enthalten.
Es hilft nichts, wir müssen versuchen, breit und ganz nüch-
tern den Gedankengang dieses Teiles zu erläutern, was leider
Weiß und auch v. Hamack versäumt haben. ,,Die Liebe vergeht
nicht mit dem Tode, wohl aber die -/apioiiaTa". Der erste Satz
scheint dem Apostel selbstverständlich, statt des zweiten tritt
sofort die Ausführung, nennt das höchste und niedrigste der den
Unveränderliches, also auch schlechthin Wertvolles, nämlich die Liebe" (ebenda).
Ausdrücklich macht v. Harnack darauf aufmerksam, daß eine Schwierigkeit darin
liege , daß die -/api'afjiaTa in dieser Epoche doch am h bleiben. Er sucht sie
^.psychologisch" zu erklären. Ein Besitz, der nur teilweise, kindliche Erkenntnis
ermöglicht, ist kein wirklicher Besitz. Ihm gegenüber ist die Liebe etwas, woran
man sich halten kann. Gewiß könne von Glaube und Hoffnung nicht gelten
ouMr.ozt ^-t-fTrro•Jalv, wohl aber, daß es mit ihnen eine andere Bewandtnis habe
als mit den -/ap^aiiata ; denn der Übergang von Glaube und Hoffnung zum Voll-
kommenen (also: nach dem Tode) sei Erfüllung, der Übergang von der stück-
weisen Erkenntnis (er sagt: Charismenerkenntnis) zu der vollkommenen ein
Bruch: jene wird abgetan, diese tritt an ihre Stelle. Ich finde darin eine dop-
pelte Unklarheit; zunächst wird ui^zi gedeutet „hat Wert im Diesseits" oder „ist
wahrer Besitz", was es sprachlich nicht heißen kann und was keinen
Gegensatz zu exrt-TEi bildet. Dann hat mit einem male [xf^et wieder die Beziehung
auf den Tod : von den yapi3fxa-a kann man in diesem Leben nicht sagen [li-
vouat, weil zwischen der Erkenntnis im Diesseits und jener höheren im Jenseits
ein Bruch ist; und man sagt dabei fievousi von Glaube und Hoffnung im Dies-
seits , weil sie im Jenseits aufhören (nämlich erfüllt werden). Das ist für mich
keine Erklärung, weder eine logische noch eine psychologische. Auch geht der
rhetorische Aufbau des ganzen Stückes zugrunde, wenn ich den Apostel im
Schluß dieses Teiles von etwas ganz anderem reden lasse als im Anfang („sie
geht nie aus, auch im Jenseits nicht ; im Diesseits aber hat Wert Glaube, Liebe, Hoff-
nung") — und dabei lese ich kurz vorher S. 148 „der dritte Teil des Lobge-
sanges handelt von der Ewigkeit der Liebe" (wegen sx-i— et). Gegen Sinn und
Tendenz des ganzen Abschnittes wird femer dem Paidus die Lehre zugeschrieben:
die Yvwci? hat im Diesseits keinen Wert (oj fievei); denn sie wird im Jen-
seits ganz anders werden. Widersprüche, wohin ich sehe! Und dabei noch die
grammatische, allerdings wohl nicht entscheidende Schwierigkeit, daß ich dann
T^to?, nicht aber vjv{ erwartete, oder bestenfalls eine Wiederholung von dtp-t (aus
V. 12).
1) Freilich zusammen mit Stellen, die wenig beweisen (I. Kor. 3, 14; II. Kor.
9,9; Rom. 9,11).
406 ^- Reitzenstein,
Korintliern zugänglichen und nacli ihnen schwer die yvö>oi<;. Ihr
gilt von nun an der ganze Beweis; auf sie kommt es dem Apostel
hauptsächlich an; nur noch einmal wird die Prophetie neben ihr
erwähnt ^). Der Beweis beginnt fast spitzfindig : sie gibt nur Teile,
nur Stückwerk ; tritt die Vollkommenheit ein, so hört das Stückwerk
auf. Der etwas anfechtbare Satz genügt noch nicht; ein Ver-
gleich muß ihn weiter führen, der durch das "Wort tsXsio? nahe-
gelegt wird: so legt ja auch der erwachsene Mann mit Bewußtsein
alles kindhafte Denken ab. Nicht eine Fortentwicklung nimmt
Paulus an; mit klarem Entschluß macht der Mann der früheren
Art des Denkens ein Ende. Er rechtfertigt weiter diesen Ver-
gleich (Yap): denn jetzt ist die Yvwat? wirklich mit dem Denken
des Kindes zu vergleichen; wir schauen nicht einmal das "Wesen-
hafte, sondern nur ein Spiegelbild (etwas Unwirkliches ; darin liegt
der gesuchte Wesensunterschied), nur in rätselhaften Andeutungen ;
dereinst werden wir Grott von Angesicht zu Angesicht, also wie
es selbst dem Moses bei Lebzeiten versagt war, schauen und ihm
gegenüberstehen. Erst jetzt glaubt er den Gegensatz von 1% {jls-
poo? und tsXsiov in seiner ganzen Bedeutung klar gemacht zu haben
und faßt zusammen, indem er jene Herabsetzung der Yvwot? auf
die eigene yvcook; überträgt: also jetzt kann ich nur sagen: yivcooxw
kv. [ispou?, einst aber: l;rtYVü)ao[Aai — das neue Verbum soll die
Vollendung und die Verschiedenheit andeuten und ein weiterer
Zusatz beides noch besser zum Bewußtsein bringen: xa^w? xal I;ce-
^vwo'O-Tjv ^). Wenn er jetzt abschließend sagt vovl 8k {xsvsi a.'fdnri, so
kann das überhaupt nur heißen: dagegen bleibt im Jenseits die
1) Fvöiaic ist der Zentralbegriff; ist doch der T:v£'j[xaTtxo; seiner himmlischen
Natur nach yvajattxoj, wie umgekehrt der yvcuaTixo; notwendig das rvejfxa haben
muß (für den Beweis muß ich auf mein Buch verweisen), und Paulus spricht ja
hier von den zvEuiJ-atixa. Freilich ist sie der Zentralbegriff noch aus anderem
Grunde. Schon in Kap. 8 hat er die yvüian der Liebe gegenübergestellt
(v. 1 — 3; 7; 10; 11). Er scheidet dabei eine falsche und echte yvOüst; (ein ifw(a-
xevctt öj; Sei YvÄvat). Die hellenistische Zerlegung der yviLau in ein Ytvioaxetv Seov
und ein yivwaxeaOat üno öeoü schwebt ihm schon dort vor (die ■jy&'Sii ist ja ein
innerer Zusammenhang, der die wechselseitige Schau zur Folge hat, ein familia-
rms nosse, wie es Minucius zweimal übersetzt). Er versichert v. 3 ti U xt; i-faizvj.
Tov ÖEi^v, ouTo; 'iywDJxot.i ür'aÜToO, wenigstens die eine Hälfte beruht auf der Liebe
zu Gott und sie verlangt, daß die yvötai; nie die Nächstenliebe verletze.
2) Der Aorist ist nötig : „wie Gott mich von Anfang unseres Verhältnisses
an geschaut hat". Wenn v. Harnack 151,2 den Aorist zeitlos fassen will und
übersetzt „wie Gott mich kennt", 80 übersieht er, daß hier zwei verschiedene
Tempora beziehungsvoll neben einander gestellt sind und Anfang und Schluß
einer Entwicklung dargestellt wird. Auch 8, 3 ist der Anfangspunkt yiptöaxesl^ai
öro 9eoü. An die Bekehrung speziell darf man nicht denken.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoflfnung" bei Paulus. 407
Liebe; die yvwoi? vergebt, die Liebe besteht. Sonst ist das ganze
„Hohe -Lied von der Liebe" wirkungslos und sinnlos, weil ein
Schluß fehlt. Niemand könnte sagen, warum der dritte Teil zu-
gefügt ist. Von Hamacks Worte (S. 148) „von diesem Punkte
seiner Ausführung an steigt dem Apostel das Erkenntnisprublem
auf und läßt ihn bis zum Schluß nicht los" geben mir, selbst wenn
ich ihre Richtigkeit zugeben wollte, doch über den Zusammenhang
keinen Aufschluß. Er scheint fast eine Entgleisung des Gedankens
anzunehmen, was ja allerdings notwendig ist, wenn man als Ziel
des "Weges den in Teil II angegebenen Chor der positiven und
negativen Tugenden faßt. Wir müssen uns entschließen, ji^vei im
Sinne von ,, Bleiben im Jenseits" anzunehmen, oder aufhören in dem
,.Hohen-Liede von der Liebe" überhaupt eine Gedankenent^vicklung
zu suchen ^). Selbstverständlich muß dann zuletzt afaTTTj wieder
wie in Teil I die Gottesliebe bedeuten; die Teil II geschilderte
alles duldende und langmütige Nächstenliebe hat im Jenseits wirk-
lich keinen Platz.
Freilich beginnen nun die Schwierigkeiten. Geschlossen wäre
das Kapitel mit den Worten vovl Ss jjlsvs'. afdrif]. Paulus fügt über-
raschend hinzu, daß sich zu ihr noch zwei andere Kräfte gesellen
müssen, sie aber innerhalb dieser Dreiheit die gi'ößte sei. Er hat
sie scheinbar deßhalb bisher allein erwähnt. Wir könnten, wie
mir E. Schwartz bemerkt, etwa umschreiben vovl 8k {t^vsi a74inj,
[ist' ahtfiQ 8s y.al ttiou? %ai kXzK;, aXX' a><; IXaooovs?. Sie kommen
gänzlich überraschend"^), und zwar bei jeder Deutung von "tevci.
Gab doch auch v. Harnack das früher (S. 152) durchaus zu und
bemerkte, daß „exegetische Logiker" in solchen Fällen den Vers
einfach zu streichen oder vor ihm einen Ausfall anzunehmen pflegen.
Hier hätten sie es freUich noch nicht getan. Seltsam ist ferner,
daß sie ausdrücklich zu einer Einheit verbunden und jede Ver-
mehrung der Zahl mit den Worten ta tpia taüta abgelehnt wird').
Die erzwungene Deutung, die v. Harnack jetzt gibt „die drei, von
denen ich euch immer gepredigt habe", befriedigt mich nicht. Die
1) Seine Einordnung in den Gesamtzusammenhang wird bei dieser Deutung
klar. Die yapiafJKZTst sind für die Gemeinde da, haben Geltung und geben Bedeu-
tung nur in diesem Leben. Der frühereu Andeutung, daß Gott sie vielleicht gar
nicht so hoch an dem Träger wertet, entspricht zunächst die Versicherung, ohne
Liebe sei er vor Gott ein Nichts, und jetzt die Ausführung, die Liebe (und HoflF-
nung und Glaube) bleiben, d. h. gehen mit in die Ewigkeit über und üben demzu-
folge Einfluß auf das Verhältnis zu Gott und die Stellung bei Gott.
2) Nicht einmal durch rav-ct -i'j-t'jzi, -avta iXzt'Cet sind sie eingeführt (vgl.
oben S. 403).
3) Das heißt bei der Betonung der Zahl: nur diese drei
408 R- Reitzenstein,
Schriften des Paulus zeigen ja auch keine besonders häufige oder
auffällige Verbindung dieser Begriffe, und ta tpia laöra scheint
vorauszusetzen, daß ein oder mehrere andere ausgeschlossen werden
sollen.
Rätselhaft bleibt vor allem, warum Paulus sie hinzufügt, fast
noch rätselhafter, warum er die Yvwai? ausdrücklich ausschließt.
Gerade von der Grottesschau ließ sich am leichtesten sagen, daß
sie in unvollkommenerer Porm vorausnimmt, was wir im Jenseits
besitzen. Für die eigentlichen Grnostiker und die späteren Asketen
ist der Unterschied sogar verwischt; sie glauben schon auferstanden
zu sein oder Engel zu sein, weil sie Gott schauen 7rp6ao);tov irpö?
TrpöowTTov. Wenn Paulus das auch bestreitet, so kann er doch für
die Schau nach dem Tode nicht einmal ein anderes Wort finden;
beide Arten heißen ilim ßXsTcsiv, und wenn er statt Y^vwaxco für die
zweite iTiiYtvwoxto sagt, so muß er doch selbst empfunden haben,
daß sich damit nur ein gradueller Unterschied ausdrücken läßt.
Umgekehrt ist die Behauptung, die IXtcic bleibe im Jenseits, durch-
aus nicht selbstverständlich, und am wenigsten für Paulus selbst-
verständlich, der Rom. 8,24 schreibt: z^ ^ap IXtciSi lowd-rjfjisy IXttI?
ÖS ßXs7co|isvYj oüx sottv IXtc''? ' 6 Y^P ßXsTCEt Tt?, zi xal iXTciCst. Genau
so ist es mit dem Glauben. Liegt es für den, der die Fortdauer
der Yvwot?, also der Schau, bestreitet, wirklich nahe, als selbstver-
ständlich beizufügen: „natürlich bleibt auch der Glaube im Jen-
seits"? Paulus sagt II. Kor. 5,7 öia Tciatsüx; Y^p TrspiTcato'jjjLsv oa
Sta eiSous und das IvSyjijlsiv Ttpbq töv xöpiov ist ihm dabei das Ein-
gehen zum Schauen. An der Gesamtauffassung dürfen diese
Schwierigkeiten nicht irre machen; sie verringern sich bei v. Har-
nacks Auffassung nur ganz uübedeutend ^).
Nun ist ein Anfang der Lösung fast selbstverständlich: Paulus
stellt den yapio^aza. hier nicht Tugenden oder Eigenschaften in
unserm Sinne oder abstrakte Begriffe im Sinne von Rom. 8, 24
entgegen, sondern Gotteskräfte, die wir alle von oben empfangen.
Stellt er sich vielleicht den Hergang ähnlich vor, wie Clemens in
der schon angeführten Stelle Strotn. III 69, 3 Ivwoa«; ttjv f'^üifsiv,
TctoTiv, «YaTnrjv, .el? wv Ivö-dvSs . . . vtal 7rv£0[i,aTixö(; övtax;, d. h. so, daß
die Gotteskräfte in uns die ^sia «pox''] ^^^^ ^^^ 7cv£U[iaux6<; avö-pwTcog
zusammensetzen, der dann bei Gott und in Gott weiter lebt?
Diese allgemeinen Suvä{iet(; würden ja den bloßen yoLpio^ctza. oder
Sondergaben richtig entgegengestellt (vgl. oben S. 397) ^). Clemens
1) Vgl. Sitzungsber. S. 152, oben S. 404,2.
2) Ich verwies dabei schon früher auf 11168,1 ff., wo anknüpfend an das
Herrenwort Matth. 18, 20 Clemens die Frage aufwirft, wer die 5jo xal Tpeic ajva-
die Formel „Glaube, Liebe. Hoffnung"' bei Paulus. 409
Alexandrinns bietet hier eine „echte Formel", die er in dem ganzen
YII. Buch weiter ausführt, vgl. VII 57, 4 xai iiot ooy.=l irpwtif] n?
elvat {tsraßoX-fj a(äzf^plOi i^ ii ed'vwv sl? «lonv , a>? Äposizov , Ssotspa 8k
T^ 1% KtatscD? et? Yvwaiv* Yj 6e, elg aY-ixT^v 7:=pa'.oo{j.£V7j , IvdevSs
•j^Srj «'.Xov ctXtp TÖ •^'.'(v 0X37,0"^ T(p Y'TV<*3*'''^{J'-^v<i> zap'l<3TT,o'.v , xai td^a
6 TOtoÜTO? iv^svSs r^8T^ spoXaßwv !*/*• ''^° ;,^oaY7£AO(;'' eivat. Er ver-
weist hier auf VII 46, 3 xal 6 «isv sc idvwv Iriotpi^JMv njv jriattv,
6 5s st? Yvwotv STravaßa'lvwv „-c^? äYaTCTj? zf^v TsXsiörrjta" alnjosTa'. (vgl.
VII 55, 1 fF. und sonst). Der technische Ausdruck für die „Voll-
endung- und Vergottung scheint schon bei Philo „zur (Lovdc werden",
vgl. Quaest in Exod. zu 24, 2 unitaii similis est und qui in unitatis
naturam inhaescrit mit Vit. Mosis II 288 6? aütöv Suaca ovta, owjxa
xal ^oyTjV, sl; {lovaSo? ävsatoi^Eto" ^ooiv. Das weist auf neu-
pythagoreische Einflüsse und erinnert an die Vorschrift bei Jam-
blich Vit. Pyth. 240 [ifj Siaoräv töv sv eaoroic ö-eöv. Das von der
Zerreißung und Zergliederung des Dionysos entnommene Bild for-
dert in dieser religiösen Verwendung das Gegenbild von der Zu-
sammensetzung und Vereinigung der Glieder des Gottwesens in
uns (vgl. oben S. 389); wir finden es auf christlich gnostischem
Boden in dem Philippus-Evangelium (Epiphanius Haer. 26, 13 p. 292, 14
HoU): Vorbedingung für die Auffahrt der Seele zu Gott ist, daß
sie sagen kann aovsXs^a ^{laufrjv sx :ravxayd^£V und oovsXssa ta [isXy]
ta Stsaxopxtajtsva. Aber wir finden es, wie zu erwarten war, anch
auf heidnischem Boden bei Porphyrius Äd Marcellam cap. 10 ooXX§-
70oaa äzo toO aa)[j.aTOi; irdcvta ta SiaaxsSaadevta aoo {isXt] xai elg
?rX^^oc xataxcpfiai'.oö-svta dicö r^c tsw? Iv jtsYsd'St Sovd{i=tO(; lo^o-
oüaTj? svwosü)?') und dies ooXXsysiv wird als ouva^stv xai iviCeiv td?
£p.(p6"coo? swoia? erklärt^).
Yoaevo» sind, in deren Mitte Christus ist. Die gnostische Deutung der „zwei^ auf
die geistliche Ehe verwirft er, aber läßt zwei andere Deutungen der „drei" als
möglich zu: es sind &u!i.'i;, inö'jii.tct, /.oyisiLÖ^ oder aap;, 'i/u/V; und TTycöua (zu ver-
gleichen ist Origenes In Matih. Tom. XIV p. 277 Lommatzsch, der für die „zwei"*
auch 3iü(ia und 7r.e\ju.a nennt ; ähnliche Spekulationen lassen sich bis in byzanti-
nische Zeit verfolgen; die Grundvorstellung ist immer die Evwst; der verschiedenen
Bestandteile). Dann folgt die oben angeführte Deutung auf -i^Tt;, yvcüsu, dYdrrj.
So scheint 69, 1 die xXfjSt; auf die fctsxpo^rj und daiiim auf die -i3Tti, die i%>.oji\
dagegen auf die Yvwst; zu beziehen. Das dritte Gut ist dann die Liebe.
1) So die Überlieferung ; die Schlußworte sind mir unverständlich ; ouäoo;
für ouvcifjiEiui hat E. Schwartz wohl richtig vermutet (vgl. oben Philo Vita Mos.
II 288) ; sollte xfj; ioxo-isTj; evtüaew; (die von der evtusi; abhält) zu schreiben sein ?
2) Auf die mystische Deutung der Glieder der 'AX/jöeta oder des 'Avapto-o;
bei dem Gnostiker Markos (Irenaeus I 14,3) sei beiläufig verwiesen; das Haupt
ist das a xal (u, der Hals ^ xai 6 u. s. w. Natürlich haben die Zahlen bestimmte
mystische Bedeutung; sie bezeichnen in ähnlichen Schriften bald Gottesworte, bald
410 R- Reitzenstein,
Allein nähere Prüfung muß sofort zeigen, daß wir auf diesem
Wege woM ein Stück vorwärts , aber nicht zum Ziele kommen.
Wohl hat Paulus die Vorstellung „Christus lebt in mir" zu Zeiten
fast sinnlich gefaßt und kann im Bilde Gal. 4, 19 sogar sagen
xexvta [too, ouc TraXtv wSivod, a^pt? o5 |iop(p(0'&^ Xpiatö? Iv ojtiv. Aber
jenes doch sicher hellenistische Bild von der Zusammenfügung der
Grlieder des inneren Menschen ist ihm fremd; Kol. 3, das es für
ihn ja wirklich erweisen würde, dürfen wir nicht ohne weiteres
ihm zuschreiben. Auch ist das Bild von den Gliedern eines Leibes,
das für die Stelle I. Kor. 13, 13 ja nicht einmal ganz passen würde,
so verbreitet es offenbar ist, doch nicht das einzige Bild, in dem
diese Vereinigung der Gotteskräfte Darstellung findet. Habe ich
Ignatius Trall. 8, 1 richtig gedeutet , so dienen auch die zwei
Hauptbestandteile des lebendigen Leibes, Fleisch und Blut dazu,
und Clemens zeigt uns, daß bei einer Dreiheit der Gotteskräfte
die platonische Seeleneinteilung oder die Einteilung des Menschen
in Leib , Seele , Geist das Bild für die Herstellung einer Einheit
verschiedener Bestandteile abgeben kann.
Ein anderes Bild bietet Porphyrius Ad 3£arceUam 24: tsooa-
pa Gzoiyßla. [täXlara xsxpaTÖvO-a) ^) Tcspl d-Bob ' TciotK;, aKrid-eta, spw?, hXiziq.
TTtoTsöaat Yocp Sei oxi [tövY] awTvjpia ii irpö? töv ■9-söv iTCtorpo^TJ, xal
xtaisDoavta o><; svt jiaXiota OTrooSaaai zaXfi^fi Yvwvai Tcspl autoü , xal
Yvövta ipao'&^vat tod Yvtoo'ö-^vto? , ipao^svca Ss IXuiaiv a.'^a^alq tps^siv
TY]v «po^c/jv Sta Toö ßtoo. IXtcioi "^aip a.'';a.d-cä<; oi a.'^a.d'ol täv ^auXwv
ü7cep^)(OD(3t. azoiy^Bla. pisv ouv TaÖTa xal Tooaöta xexpaxuvdü)^). Er
bietet damit eine „echte Formel" auf heidnischem Boden, die sich
aus den früher aufgezählten (oben S. 388 ff*.) erläutert. Selbst ge-
bildet kann er sie nicht haben; das zeigt die z. T. wörtliche Über-
einstimmung mit der „trinitarischen" Formel des Clemens (oben
S. 409)^). Aus einer philosophischen Lehre ist sie nicht ent-
Elemente, bald Eigenschaften, vgl. Poimandres S. 289 und besonders 2G4, 3. Ith
gehe nicht näher darauf ein.
1) D. h. sie seien unverbrüchlich festgestellt, gesichert, vgl. etwa Thukydides
III 82, 6 Tct« ii acpaj «Otou; TzlcTtn . . . ^xp«T6vovTO.
2) Das übersetzt v. Harnack: „diese (vier) so großen Elemente sollen in
Kraft stehen", sprachwidrig, soweit ich sehe, und könnte man von den vior
Elementen sagen : sie sind groß oder klein ?
3) Ich gehe auf v. Ilarnacks Versuch zu beweisen, Porphyrius liabe den
Paulus benutzt und frei umgebildet , nicht ein ; mit solchen Gründen kann man
alles beweisen, besonders für ein weiteres Publikum. P^s handelt sich hier um
eine J>age der Methode bei Quellenuntersuchungen, deswegen wiederhole ich im
Folgenden andeutungsweise, was an verschiedenen Stellen des Buches ausgeführt
war, V. Harnack aber oifenbar nicht gelesen hat, denn er versichert S. 3. 4, ich
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 411
nommen, sondern aus einer religiös - mystischen ; das zeigt der
Wortgebrauch von Trtateöoai und •jziozK;. Es galt zunächst den
Sinn festzustellen. Die Idee einer Vereinigung (ivojai?) verschie-
dener Kräfte oder Glieder zu einem göttlichen Organismus kennt,
wie oben gezeigt ist, aus ähnlicher Quelle Porphyrius cap. 10; er
spricht von einem S'.ap^poöv , wie die Hermetische Schrift von
einem aovapdpoöv töv Xöyov, und gebraucht das Wort oovaYstv von
ihnen. Er stimmt weiter mit den hellenistisch - mystischen Vor-
stellungen bei Paulus oft überein, wo er nicht aus ihm schöpfen
kann, so in der Formel, die in aller hellenistischen Mystik vor-
kommt, ftvwoxsiv ^eöv xal Yivwaxcodai o;;' aotoö. Mehrfach lassen sich
ferner Vorstellungen bei ihm, die mit Paulus übereinstinunen, als
älter als Paulus erweisen, so cap. 19 ff., das mit I. Kor. 3. 16 zu ver-
gleichen ist : o6x oiSats Zz: vaö? dsoö feoTS xal tö ;rv£Ö(ia toö d'soü olxet £v
i){itv, durch Seneca ep. 41, und cap. 13 die Vorstellung, daß wir uns
in Gott spiegeln und dadurch ihm ähnlich werden, die sich bei Paulus
11. Kor. 3, 18 findet, durch eine Anschauung, die sich deutlich in
einer alchemistischen Schrift, unverstanden oder verblaßt im Jacobus-
Brief, dem ersten Clemens-Brief, bei Philo, in den Oden Salomos
und endlich, wie mir Gillis P:son "Wetter nachwies, in den Ada
Johannis 95 findet. Ich habe sie jetzt in der Festschrift für Fr. C. An-
dreas S. 48 auf ihren mythologischen Ursprung zurückführen können *).
Das alles sichert, wie ich auch hier wieder betone, nur die
3Iöglichkeit, daß schon dem Paulus diese oder eine ähnliche
quatemarische Formel vorgelegen hat. Alles Weitere hat die
Interpretation seiner Worte zu leisten. Sie allein muß ent-
scheiden, ob ein Verhältnis zwischen den beiden Formeln besteht
und welcher Art dies Verhältnis ist.
Paulus geht in Teil I, wie wir sahen, von der Aufzählung
der in der Gemeinde eine bevorzugte Stellung gebenden -/apiojiara
12, 28 aus ; er nennt die Glossolalie, dann die Prophetie, dann die
Wunderkraft auf Grund besonderen Glaubens (früher S'jvajxt? ge-
nannt); zwischen die letzteren beiden schiebt sich xal (sav) el5ü> ta
{tDatijpia Tüdvxa xal Käaav rfjv yvwoiv, Das ist insofern befremdlich,
als die Yvüot? an sich der allgemeinste dieser Begriffe ist, nicht
hätte keine anderen Argumente beigebracht als, I. Kor. 13, 13 komme in dem
Hymnus unerwartet und mache in der Sicherheit der Behauptung den Eindruck,
eine dem Leser bekannte Tradition hinter sich zu haben, und Porphyrius biete
die von mir angeführten Worte. In dem Ausdruck „Bleiben" schimmere bei dem
Apostel der Charakter der Elemente noch durch.
1) Sie stammt vielleicht aus Babylonien, kehrt bei den Mandäem (auch im
Johannes-Buch) wieder und wird später in der Alexander-Sage erwähnt.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. ' 28
412 R. Reitzen stein,
eigentlich eine bestimmte Stellung oder Obliegenheit in der Gre-
meinde gibt') und daher 12,28 gar nicht erwähnt ist (12, 8 nur
als XÖYo? fvcbaewc). Dies wird aufgenommen Teil III; nach der
Prophetie und Grlossolalie finden wir slts Yvwotc, xatapYiTj^TjaeTat ^).
Noch einmal erscheint dann ganz kurz Yvcöaic und Prophetie zu-
sammen, dann beschäftigt sich Paulus ausschließlich mit der Yvwat«;
und führt jenen sehr spitzigen und gezwungenen Beweis, daß sie
„nicht bleibt", während doch die Liebe „bleibt". Nur die beiden
stehen sich noch gegenüber. Es war dies der Teü, den v. Harnack
als eine Art Entgleisung zu empfinden schien, wenn er sagt (S. 148):
„von diesem Punkte an steigt dem Apostel das Erkenntnisproblem
auf und läßt ihn bis zum Schluß nicht los''. Eine Entgleisung ist
es nicht; denn er hat denselben G-egensatz schon in Kap. 8 be-
handelt ; auf ihn kommt ihm alles an ; die yväok; ist der Stolz der
Korinther und die Grefahr für die Gemeinde, wenigstens wie Paulus
urteilt; selbst in Teil II erkennen wir jetzt die Polemik gegen
die Yvwat?, wie sie ihm in Korinth entgegentritt. Diese ganze Art
der Polemik und der gezwungene Beweis für das Vergehen der
Yvwoii; ist nun erklärt, wenn die Korinther sich auf eine Anschauung
oder Eormel stützen können, nach der die Yvwat? neben der ttiotk;
und a.^ÖL'K'fi oder neben tciotk;, aYa^Y] und iXTcig als eine der Grund-
kräfte Gottes in uns steht, wobei es, wie ich jetzt hinzufüge, ganz
gleichgültig bleibt, ob diese Formel schon von ovoix^la. sprach (ein
bei der Vierzahl besonders naheliegendes Bild) und ob sie die
Kraft als Yvwot? oder als äXifj^sia bezeichnete, die durch die Yvwotc
vermittelt wird. Der Bau des Kapitels wird mir bei dieser An-
nahme verständlich. Verständlich wird aber auch, wie Clemens
dazu kommen kann, eine eigene Formel und ein eigenes System
TTiott?, yvwok;, ^'(a.TZ'fi zu bilden und, wenn er den Paulus wirklich
zitieren wiU, dessen drei Tugenden unter die yv^ok; zu ordnen.
Er folgt damit einem verbreiteten hellenistischen System.
Der nächste Anstoß lag darin, daß Tcion? und IXtci? im Schluß
so überraschend und eigentlich gegen den Zweck der Hauptdar-
legung, jedenfalls aber zum leichten Schaden der rhetorischen
Wirkung hereinkommen. Auch diesen Anstoß hat ja v. Harnack auch
genommen (oben S. 407), ihn aber nicht recht beseitigen können.
Er ist beseitigt, wenn wir annehmen, daß eine Formel jene vier
G-otteskräfte schon verband; wer dann nur einer von ihnen den
Wert und „das Bleiben" absprechen wollte, konnte nicht wohl le-
1) Der Tvü>aTtx(5c schließt sich ja nur zu oft von ihr ab.
2) Vielleicht erklärt dieser Zusammenhang, warum ich den Singular für
nötig halte.
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulas. 413
diglich eine andere ihr gegenüberstellen, besonders, wenn die
andern auch ihm schon als ebenfalls wertvolle Grotteskräfte schienen.
Er hätte dann den Eindruck erweckt, daß er auf ici'ati? und k'Kiciz
gar kein Gewicht lege, ja auch gegen sie polemisiere. Er mußte
sie miterwähnen und konnte sie in dieser Form sogar in einer ge-
schickten, dem Grriechen verständlichen Weise erwähnen.
Den dritten Anstoß, den wieder auch v. Hamack empfunden
hat, bot die Betonung des „Bleibens" gerade bei r-lati? und sXt:''?.
Sie hängt mit der Auffassung als Grotteskräfte und andrerseits als
notwendiger Bestandteile des „inneren Menschen" in uns zusammen.
Letztere Vorstellung ist bei Paulus sonst nicht nachweisbar ^).
Aber im Augenblick mußte er sich darin dem von ihm bekämpften
System anbequemen und konnte es ohne jede Verleugnung einer
eigenen Lehre. Pedantisch mochte es ihm scheinen, breit auseinander-
zusetzen, wie er sonst über die von ihm ja sehr hoch geschätzten
Begriffe Jitott? und iXicic urteile und inwiefern er das Bild von
den konstituierenden Bestandteilen als nicht voll geeignet empfände.
Die ganze rhetorische "Wucht und der Schwung der Darstellung
wäre zerstört worden. Daß er sich gerade hierin der Denkart
seiner Hörer anpaßte , war unter jener Voraussetzung selbstver-
ständlich. Befremden könnte nur die Annahme, daß er selbst
grundlos die von seinen sonstigen Anschauungen etwas abwei-
chende Vorstellung geschaffen habe.
Die letzte Erage, die v. Hamack nicht stellte, weil er offenbar
die sprachliche Bedeutung der Worte ta tpia taöta nicht voU
empfand, ist: warum betont wohl Paulas „diese drei allerdings,
aber nur diese drei , keine weitere mehr" ? Er hebt doch sonst
noch manche Tugend hervor. Wieder ist die Antwort leicht, wenn er
gegen eine Formel polemisiert, die vier Grotteskräfte in einem
System vereinigt, und wenn er sonst nach eigenster Überzeugung
gegen dieses System nichts einwenden, eine aber auf jeden Fall
streichen will. Ich fasse zusammen : eine Polemik gegen eine über-
trieben hellenistische Gnosis in der Gemeinde oder bei einzelnen
Führern beherrscht den ganzen Brief; schreiben wir ihnen eine
Formel oder ein System zu, welches dem von Porphyrius sicher
nicht erfundenen, sondern aus älteren, mystisch -religiösen Quellen
entlehnten ähnlich ist, und lesen das „Hohe-Lied von der Liebe^
unter diesem Gesichtspunkt, so entschwinden mit einem male alle
Schwierigkeiten, die in ihm unlöslich schienen. Die Möglichkeit
1) Wenigstens , wenn wir den Kolosserbrief ihm absprechen. Sprechen wir
ihn ihm zu, so erhalten wir ein verwandtes, aber doch verschiedenes System
bei ihm.
28*
414 R. Reitzenstein,
einer solchen Annahme war erwiesen, also hat sie den Wert einer
wissenschaftlichen Hilfshypothese wenigstens so lange, bis in wirk-
licher Interpretation^) eine andere Lösung der von allen Seiten
anerkannten Schwierigkeiten gefunden ist. Ohne eine solche Inter-
pretation haben Einwände wie, es sei unwahrscheinlich, daß den Ko-
rinthern so bekannt gewesen sein sollte, was uns völlig latent ge-
blieben sei ; so schlecht seien wir doch sonst nicht unterrichtet (v.Har-
nack S. 4), für mich gar keine Bedeutung. Als Philologe weiß ich ja
auch etwas besser, wie außerordentlich schlecht wir über die syn-
kretistischen religiösen Anschauungen in den hellenistischen ^toXiteö-
(iaia der damaligen Zeit, und als Leser des Neuen Testaments ge-
nügend, wie völlig unzulänglich wir über Strömungen und Stim-
mungen in den ersten heidenchristlichen Gemeinden unterrichtet sind.
Zu den früheren Darlegungen über Quasi-Formeln und echte
Formeln in der frühchristlichen Literatur und über die geringe
Neigung der Gremeinde zu scharfen Begriffsbildungen würde das
Ergebnis ausgezeichnet passen, daß sich die einzige „echte Formel ''^
die wir bei Paulus fanden^), aus der Polemik gegen eine helleni-
stische Formel auf einem hellenistischen Boden erklärt. Es ist
wahrscheinlich, daß auch die angeführten späteren Systeme und
„Formeln" in Nachbildung des Hellenismus oder Polemik gegen
ihn entstanden^). Bei der Bildung dieser Formeln haben wir Er-
weiterungen früher beobachtet (oben S. 389 über die Hermetische
Schrift) und sehen jetzt, daß auch Verengerungen vorkommen.
Eine solche liegt schon in der Formel des Porphyrius vor; denn
wenn er, genau wie Paulus, schließt: oxoiyßla. ji^v oov zabza xal
Tooaöta xsxpatDvdü), also „diese Elemente, und zwar nur so viel,
sollen unverbrüchlich festgestellt sein" , so kennt er , d. h. seine
Quelle, offenbar Formeln von mehr Gliedern, wie sie uns ja auch
in der nachpaulinischen christlichen Literatur begegnen^). Ein
1) In den Preußischen Jahrbüchern hat v. Harnack eine solche nicht ge-
boten, sondern spricht, als ob keinerlei Schwierigkeiten vorlägen.
2) Ich spreche natürlich nur von diesem einen Gebiet.
3) Letzteres könnte z. B. für Ignatius gelten, dem ich gern eine Polemik
gegen die Formel rfati;, yvüiot?, iydmi zutrauen würde.
4) Ob die einzelnen Kräfte dabei als Elemente bezeichnet waren, bleibt un-
sicher. Daß orientalische Religionen auch fünf oder sechs Elemente zugleich mit
Deutung auf moralische Eigenschaften oder Gotteskräfte bieten, dürfte bekannt
sein. Übrigens ist die Bezeichnung oxot^eta nicht streng an derartige Systeme ge-
bunden. Das zeigt eine Stelle des Clemens {Strom. 1131,2), auf welche mich
W. Bousset gütig verwies ; nachdem er Barnab. 2, 2 angeführt hat (vgl. oben S. 389),
fährt er, wiewohl dort eine Enneade von Tugenden aufgeführt ist, fort: axot^^etcuv
yoüv <oüaüiv> Tf^; y^*"'*ws "^^^ 7:poe«pTj|A£vtov äpeTuJv atotj^e ttoSeOTepo v elvai aup.-
die Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus. 415
Satz wie „die Vierzahl gegenüber einer Dreizahl ist in analogen
Fällen (welche sind das wohl?) selten oder nie das Ursprüngliche;
daß diese also durch Subtraktion entstanden ist, ist ganz unwahr-
scheinlich" (v. Hamack S. 5) paßt mindestens für diese späte Zeit
überhaupt nicht.
"Was diese Hypothese für Paulus besagt, sei kurz noch ange-
deutet. Zunächst natürlich, daß für ihn die einzelnen Begriffe
äfäzri, rJ.aza;, ja auch k'kTJ.z in ihrer Bedeutung und Wichtigkeit
schon vorher feststanden. Fand er in jener hellenistischen Formel,
die er bekämpfen will, den Ipw? ^soö oder ipw? ^eio?, einen Begriff,
der in der ganzen hellenistischen Mystik herrscht und durchaus
nicht aus Plato entnommen zu sein braucht^), so steht für ihn
nicht nur fest, daß er ihn nur durch das Wort «if a;rr] wiedergeben
kann, sondern er empfindet die doppelte Bedeutung, die das Wort
TOvoe ßtoüvTt rpö; t6 Ctjv tÖ ivaTTvelv • wc 8'iveu täv Tcasctptuv -j-oiy tlwv oiz
eari C^jv, o65' <zveu -{jTetu; Yvöiatv £-axoXo'j&fj3at. a-j-nj Tot'vuv xpr^-i; ä).T(8e(oj. Die
Elemente sind nicht nur das, woraus wir bestehen, sondern auch das, was wir
zum Leben beständig notwendig brauchen. Daß diese Auffassung älter ist, zeigt
Lucilius V. 786 ff. Marx öipyjxli hominem et stoechiis simul privdbit, ein Fragment,
das nur bei dieser Auffassung vollen Sinn empfängt. Daneben gibt es noch eine
andere, nach welcher aTor/elov auch das Glied eines beseelten und lebendigen Kör-
pers bedeutet, und zwar schon in den Quellen von Varros Antiquitates rerum divi-
narum, wo die a-ot/ela toü xo3|xo'j ebensogut die Gestirne wie die Elemente in
unserm Sinn bedeuten. Daß der Ausdruck im Osten volkstümlich geworden ist,
zeigt das Neue Testament. Die Vereinigung der Glieder zum lebendigen Leibe
ist die OTotxsiwsi; , vgl. II. Maccab. 7, 22 (Diels, Elementum 46) , wo die Mutter
sagt: O'jx oi5' o-tu; e(; ttjv larjv etpavTjre xotXi'av o-joe iyui tö rveüfia xol ttjv Ctuijv
•jfxiv l/api3d[jLT]v xctl -rijv sxaSTOu 3T0t5(E((uaiv o-jx ijm 8upu&fA{3a. Toiyapoüv ö toj
xoafiou xTfsTTji 6 TzKdsai dv&pw-ou Y^ve3tv xal 7:avt(uv £$cupibv yivcStv xaiTÖ -veüfia xo?
TTjv C«>^'« u{*'^ zaXtv i-o5ß(u3tv. Der Verfasser hätte ebenso gut sagen können
dvaaTot7Etü)3et üfiä;, wie das Philo von Moses sagt (vgl. oben S. 409). Es ist lehr-
reich, zu beobachten, wie oft in den früher angeführten „echten Formeln" (S. 383 ff.)
der Begriff des Lebens, und zwar eines unvergänglichen Lebens, hervorgehoben
wird (vgl. für den Hermetischen Traktat Poimandres S. 344, 19 ff.). Selbst in dem
Kolosserbrief (3, 3) geht voraus Xpi3T^; . . . r^ Ca>T) T-fxüiv (vgl. Ignatius Magn. 1, 2
mit Eph. 14). Doch verwendet der Verfasser stoiyeia in anderem Sinn. Seine
Grundvorstellung zeigt Ilepl u'iou; 40, 2 : die £7:t3Üv8e3i; twv fxeXÄv und der oesfxö;
cipfADv^a; (die Seele) machen das süifia, den lebendigen Leib.
1) Er geht nach meiner Erinnerung vereinzelt noch in die spätere christ-
liche Mystik über; im Hellenismus tritt die ursprüngliche sinnliche Bedeutung
noch bisweilen hervor. Der Lucius des Apuleius wird, indem er das Bild der
Göttin betrachtet, von unbeschreiblicher Lust erfüllt (Met. XI 25); glühendste
Sehnsucht hält ihn bei dem Bilde fest; als er sich losreißen muß, betet er unter
Tränen, von beständigem Schluchzen unterbrochen: divinos tuos vultus numenque
sanctissimum infra pectoris mei secrela conditum perpetuo custodiens imaginäbor.
416 E- Keitzenstein, äie Formel „Glaube, Liebe, Hoffnung" bei Paulus.
für den Christen hat, so stark, daß er die ganze Mahnung zur
Nächstenliebe, auf die ihm unendlich viel ankommt, mithereinzieht ^).
"Was der „Glaube" für ihn bedeutet ist allbekannt, und auch den
Wert der Hoffnung hat er sicher nicht aus der Formel erlernt.
Nicht daß er sie teilweise übernimmt, sondern daß er sie dazu
gebraucht, um gerade gegen die Überschätzung der hellenistischen
Gnosis anzukämpfen, ist doch wohl das Wichtige. Gewiß, er
hat diese Gnosis selbst hoch geschätzt, er fühlt sich oft stolz als
Pneumatiker, aber wo die Gefahr vorzuliegen scheint, daß jenes
höchste Gut der neuen Eeligion verloren geht, empfindet er auch
wieder, daß all jener hellenistische Mystizismus nie als ein konsti-
tuierendes Element für sie gelten darf und jene in ihm über-
schätzten Gaben zurücktreten müssen vor den Kräften, auf die
Gott allein Wert legt. Das läßt sich freilich nicht beweisen; so
strömt er in „prophetischem Wort" sein tiefstes Empfinden aus,
um so zugleich mit vollem Bewußtsein die beste Polemik zu üben.
Es ist seltsam, daß gerade der Versuch, das nachzuweisen, als
schwere Verletzung der Originalität des Christentums betrachtet
werden kann. Selbst wenn in relativ später Zeit, hauptsächlich
wohl durch den mächtigen Eindruck dieser „Prophetie" oder Mahn-
rede, die Verbindung „Glaube, Liebe und Hoffnung" zur Quasi-
Eormel wird, müßte man die Frage der Originalität wohl mehr
nach dem Sinn, in dem die Worte gebraucht und empfunden werden,
als nach dem letzten literarischen Ursprung entscheiden. Eine
Formel in dem ursprünglichen Sinn werden sie auch jetzt wohl für
für Niemanden bilden.
Ich bedaure es daher, wenn eine solche Polemik ohne Anlaß
vor „einen größeren Leserkreis" getragen wird und sich besonders
an seine Empfindungen wendet. Die Argumente kommen dabei
notwendig zu kurz, und die Erregung wird erfahrungsmäßig um
so größer, je geringer die eigene Kenntnis der Literatur und der
griechischen Sprache ist. Dem Angegriffenen wird die Möglich-
keit, sich vor demselben Richter wirksam zu verteidigen, fast ab-
geschnitten. Wenigstens sollte dann das Material mit wissen-
schaftlicher Sorgfalt gesichtet und so vorgelegt werden, daß der
Leser wirklich urteilen kann. Das ist nicht geschehen.
1) Teil II. Daß das seinem tiefsten Empfinden entspricht, habe ich ver-
sucht in der Historischen Zeitschrift näher darzulegen. Natürlich müssen wir mit
der Möglichkeit rechnen, daß schon jene Christen Korinths, an die er sich wendet,
für den Ipcu« deoü das christliche Wort eingesetzt, es aber nur auf Gott bezogen
haben.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur.
I. Die Bezeichnung Märtyrer.
Von
R. Reitzenstein.
Vorgelegt in der Sitzung vom 11. März 1916.
Einige Bemerkungen zu der Literatur christlicher Martyrien
sei es mir vergönnt zunächst mit einer Besprechung der Bezeich-
nung Märtyrer zu eröffnen, da eine vielleicht zu knappe, beüäufige
Ausführung in meinem soeben erschienenen Buche „Uistoria mona-
chonim und Historia Lausiaca, eine Studie zur Geschichte des Mönch-
tums und der frühchristlichen Begriffe Gnostiker und Pneumatiker **
(Göttingen 1916) bei befreundeten oder nahestehenden Forschern
Befremden hervorgerufen hat und mir Auseinandersetzungen ange-
kündigt sind. Sollen sie so fruchtbar für die Sache werden, wie
beide Teile wohl herzlich wünschen, so müssen die Grundfragen
der lexikalischen Forschung auf diesem Gebiet zunächst einmal
klar dargelegt werden. Selten wohl wird sich so deutlich wie hier
die Bildung der Kirchensprache erkennen lassen.
Seit etwa der IVIitte des zweiten Jahrhunderts kann jtapTop^aai
bekanntlich bedeuten den Tod in einer Christenverfolgung, und
zwar später in der Regel auf Grund einer mehr oder weniger
formellen Gerichtsverhandlung, erleiden. Schon Hegesipp gebraucht
den Aorist in seinen wenigen Fragmenten an drei Stellen so, vgl.
Eusebius K. G. III 32, 6 p. 270, 4 Schwartz xai kzi TOXXai? f/jispa'.«;
aixtCöfJLEVoc i{jLapTÖp-r]os (vom Kreuzestode) und noch auffälliger
II 23, 18 p. 170, 19 TÖ ^oXov, Iv w aTromsCs'- ta ijtaTia, f^vsYxev (ein
Walker) xata t^c xscpaXf^? toö Srxaioo (des Jacobus), xal ootio? I jt a p -
topTfjosv, endlich mit Beziehung hierauf IV 22,4 p. 370, 9 {lexa
t6 {JLapTop-^oat 'laxwßov töv Sixaiov d>? xai 6 xopto? £;rl T(j> aozi^
418 R. Reitzenstein,
XöYtp^). Dabei heißt bei ihm in dem gleichen Zusammenhang {tap-
Topia die Aussage, daß Jesus der Christus ist, und in schneidendem
Widerspruch zu dem Gebrauch von (lapTop^oai steht bei demselben
Autor der weitere, jeden Anhänger Jesu, der einmal vor einen
Mächtigen der Erde gestellt ist und von Jesus gesprochen hat,
durch den Ehrennamen [lapto«; auszuzeichnen, auch wenn er nicht
einmal Foltern erlitten hat, vgl. Eusebius III 32, 6 p. 268, 22 2).
Sprachlich verständlich sind nur die beiden letzten Verwendungen
des Wortes, seltsam die erste. Es wird, um dies zur voUen
Empfindung zu bringen, gut sein, die entsprechenden Ausdrücke
aus dem ältesten erhaltenen Martyrium, dem nachträglich zum
Buch umgestalteten Brief der Gremeinde von Smyrna über den
Tod des Polykarp herauszuheben. Ich schicke voraus, daß sie sich
sämtlich ihrem Hauptsinne nach nicht auf irgend ein Zeugnis,
sondern ausschließlich auf den Tod beziehen. Einige Anmer-
kungen richten sich schon hier gegen Deutungsversuche, die im
Folgenden eingehender besprochen werden.
1,1 'EYpa(|ja[iEV Djtiv, adsktpoi, za xatdc tou? {laptopTjaavcac
xal TÖv [laxdptov IloXöxapjtov, oaziq woTisp iTriofppaYtaac dia t"^? (lapto-
pia(; auToö xatsTcaDoe töv Sicüyjiöv . . . Tva t^ixiv 6 xupto? avco'ö-sv £;rt5sl'$TQ
TÖ xata TÖ eha.'{'(^\iov jxap top to v ' ■3repts{isvsv fap, tva TcapaSod-^
(ö? xal 6 xopio? ... 2, 1 [xaxdpia [isv ouv xal Ysvvaia ta [laptupta
TT a V T a ta xata tö ^eXYjjia toö ■9-soö '(B'^ovöza . . . tö ^dp '{svvcäov
aDTwv xal 67ro[j.ovirjTtxöv xal ^iXoSioTrotov ziz oox av •6-ao{i,dosL£V, ol {id-
OTt^t xata^av'&sv'cec ... 2, 2 on Ixsivtq t'^ wpcf. ßaaaviCö(i£Vot f^c oap-
xo? d7rs8i(]ji.oov ot {idptopec toö XptOTOö^), (AäXXov §1 ott Trapsoto)?
6 xoptoi; wjjLiXei aoTol? ...*). 3, 2 = Eusebius p. 338, 2 toutoo 8' ItcI
1) D.h. nach der Fürbitte für seine Mörder (nicht wie Corssen, Neue Jahr-
bücher f. d. klass. Altertum 1915, S. 496 meint: auf Grund desselben Wortes,
Matth. 26, 64 ; der Vergleich mit Jesus wäre dann ganz unpassend). Der Schrift-
steller empfindet in d|jiapT6p7](jev also nur i^imvjazw, wie das Evangelium sagt, oder
wie es in der Apostelgeschichte 7, 60 von Stephanus nach der gleichen Fürbitte
heißt -/.at toüto etewv IxoijjLyjdTj. Also kann ^fjidpT'jprjse nicht dem Ursinne nach be-
deuten „er legte Zeugnis ab". Sein Zeugnis ist vorher ausdrücklich angegeben.
2) Es ist dabei Titel, vgl. III 31, 8 p. 264, 18. Also kann spiaprjpTjaev an
den ersterwähnten Stellen auch nicht heißen „er wurde {xccptu;", denn dies könnte
dann nicht den Tod notwendig voraussetzen. Es ist klar, daß der Gebrauch des
Aorists für Hegesipp eine formelhafte Wendung bedeutet, die er einer Sprach-
weise entnimmt, die [ia'pxu;, [i-aptiptov und (Aoptupetv nur in Fällen verwendet, wo
der Tod wirklich eingetreten ist.
8) fjidpxuc Toü Xptatoü oder [*.. xoü 8eoü ist bis weit über Cyprians Zeit der
volle Titel.
4) Die Wendung |i.äXXov hk zeigt, daß wenigstens der Verfasser fxotpTup«; xoü
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 419
T(p SiaÄpszst ^avdtq) tö «äv icX-^^o? azodao{i,doav tr^? avSpsia?
TÖvö-so^iX^lidpTopa... 13, 2lv jravxl fäp xaXw aYa^f^c ivsxev
TcoXiteiac %al rpö t-^? {j-apTopia? (? :roX'.ä?) lx£XÖa(iY]TO ... 14, 2 soXoyw
0£, Ott -rj^iwoa; jts ttj? ■f^ixspa? xal Spa? taotT]? toö Xaßetv jtspoc
iv apt^{i(j) Twv ji-apTupa>v Iv tö) iron]pi({> to'j Xptaxoö ooo ^) gI«;
dvaoxaotv C<ö^<; a'wovioo xtX. 15, 2 tö ^ap imp . . . zsp'.stsiytas tö awjta
toö {idptopo?. 16,2 wv Eii; xal outo? Yrfovsv 6 dao{iaaiü)taTO? {xdpto<;
üoXöxapTro?, iv toi? xad' T^{i.ä<; ypövoic S'.SdoxaXo? äzoatoXtxö? xal ?rpo-
<py]XiV.b(; ^svöttsvo«; feÄioxoiroi; t^? Iv S|töpviQ xaO-oXtx-^? ixxXirjota? * TCäv
7dp pfj{j.a, 8 acpf;xsv Ix toü atöjiato? autoö, xal stsXsuüO-Tj xal tsXsuo-
dijastai-}. 17,3 toötov (Christus) ^kv y^P ^'o^ ^'■''^^ "^^'^ ^=0'j J^po^xo-
voöpiev, to'jc 6e {jidptopa«; ax; iia^Tjtd? xal {iipLirjtd? toö xopioo dYa3Cö>{i,sv *).
18,2 Tcaps^e'. 6 XDpio? iTT'.tsXsiv tfjV toö {iaptopioo aotoö r,{ispav 7s-
vsd'X'.ov st? te vf^v twv TcpoTjdXirjxötwv (ivT]{iT,v xal twv ttsXXövttov aoxirjoiv
TS xal Itotjiaotav. 19, 2 oov tot? äxö 4>tXa5sX«cta? 8(o8=xdtoo £v SfiöpviQ
jiaptopTJoavto? jtovo? o;rö Tcdvtwv |i.äXXov jtvT/tiovsostai ... 06 jxövov
8tSdaxaXo? 7cVÖ{ievo? lrt!37jji.o?, dXXd xal {idpto? I^oyo?*), 00 tö
jxaptoptov Trdvts? SKtO-ojjioöoty {j,t{ji=iodat xatd tö söaYYsXtov Xptotoö
7£V6pLSVOV.
Vergleicht man die Häufigkeit dieser Ausdrücke auf den we-
nigen Seiten der Schrift, so gewinnt die bereits von anderen be-
obachtete Tatsache, daß sie in den Briefen des Ignatius vollständig
fehlen, einige Bedeutung. Er nennt sich 6£8={i=vo? iv 'It^ooö Xptotw
und knüpft an diese Eigenschaft hohe Ansprüche, den Titel {idprj?
gebraucht er nicht, so wenig wie ttaptoptov oder {laptopta von dem
Tode, den er erwartet. Seine Gefangenschaft ist ihm dpyr] toö jia^r^-
tsöeoO^at (Eph. 3, 1, vgl. Rom. 5, 3. 5, 1) und wo der Verfasser des
Polykarp-Martyriums sicher sagen würde kizizpi^avi {lot [laprjpf^oat
oder {idptopa toö ^soö (1,00 Ysvsod-ai sagt er kmrpif^'xzs. {lot iitinfir/jv stvai
TOÖ irdd-oo?toö -O-soö {too (Rom. 6,3). Grar nicht selten femer gedenkt
XpiSToü nicht so deutete, daß die Märtyrer Gott schauen und daher Äugenzeugen
Gottes heißen.
1) Aus der Weissagung des Martyriums der Zebedaiden Matth. 20, 22, Mark.
10, 38 zu erklären. Eine jüdische Parallelstelle gibt Schlatter, Beiträge ztir För-
derung christlicher Theologie 1915 S. 286.
2) Die Worte erklären die Bezeichnung d-oa-roXtxö; xal -po^r^Tixo;. Ihre Zu-
fügung beweist, daß der Begriff des Propheten sich nicht mit dem Worte {xcfprj;
verbindet.
3) Vgl. Ignatius Philad. 5, 2 xal to-j; 7:po:pT,Ta; oi i•{Ci-ü)u.z'^ xt>,.
4) Vgl. für diese Art der laudatio z. B. Hegesipp bei Eusebius p. 268, 22
rpoTjYOÜvrat -isr^; ^xx)wT^afa; w? jiotpTjpe; xal dnö fiwo'Ji toü x'jp(ou und Polykrates
von Ephesus ebenda p. 264, 18 Upsl»; to rftoXov re^fopexw; xat [xio-ru; xal 5toci-
cxaXo;. Das Wort ist Standesbezeichnung und Titel.
420 ^- Reitzenstein,
der Hirt des Hermas der Märtyrer; nie gebraucht er einen der
besprochenen Ausdrücke; immer heißen die Märtyrer Tradövts? si-
vsxa Toö ovöjjiaxo? oder oTcsp toö övcfiato? oder 5ia xö övojia oder ein-
fach Ol sjra^ov, ja diese Wendungen begegnen bei ihm genau so
formelhaft und in noch dichterer Abfolge als die entsprechenden
Wendungen im Polykarp-Martyrium. Den Anschauungs kreis zeigt
gut ein Vergleich des Stückes, in dem sie am häufigsten begegnen,
Sim. 9, 28 mit dem entsprechenden Abschnitt Sim. 8, 1 &. Er be-
ruht ganz auf einer jüdischen Quelle, nur ist, was von den Juden
als Volk Grottes gesagt war, auf die Christen übertragen; Michael
ist ihr Schutzherr, der vöjjioc ist der oiö? d-zoö XYjpo/^si? slg Tuspata
f^C 7^?- Hier nun begegnet 8, 3, 6. 7 ol hnkp toö vöjjloo dXißevts?,
[XYj Tca&dvTE? Bk {lYjSe apv-rjoatisvot töv yö[xov aoTwv. Hermas macht oft
zwischen dXi'ßsc^at und izäoyBiv einen graduellen Unterschied M ;
die höchste Stufe des zi.ayeL'^ wird natürlich ■0-V'i(joxsiv sein, und in
der Tat findet sich in den jüdischen Martyrien bei Josephus z. B.
Bell. Ind. 1, 650 »jjrep toö ;raTptoo vö{i-oo •O-VTfjOxstv (vgl. ebenda II 6,
Gontr. Ap. 1 43, wo der Plural vdjioi Konzession an das Empfinden
der griechischen Leser ist; ähnlich in den Anschauungen, doch
sprachlich ganz hellenisiert ist Änt. XVII 152 fi".). Die G-rand-
vorstellungen sind die gleichen wie bei Hermas; der Tod für das
Gesetz gibt So'^a auch bei Gott; man faßt ihn bald als die einzige
Gewähr des Fortlebens (vgl. Bell. lud. II 153 xa? t{jo)(a(; rj^isoav
üx; TrdXiv %o[j.'.oöjJLevot) bald als Sicherung größerer Seligkeit (I 653
oxi icXsiövwv (ifadcöv areoXaooooai jieta tyjv TsXeoTr^v); die Vereinigung
liegt offenbar in den chiliastischen Hoffnungen, die auch bei dem
christlichen Märtyrer eine Rolle spielen. Anschauungen und Sprach-
gebrauch stammen aus dem Judentum ^), Die Gedankenverbindungen,
in denen der Terminus Traa/etv uns später begegnen wird, nimmt
schon die Apostelgeschichte 9,15.16 voraus: oxeöo? lxXo7"^c laxiv
jtoi ouTOc TOÖ ßaoTotaat tö 6'vo(i,d [xoo kvüniov Idvwv ts xai ßaatXewv
otÄv TS 'lopaTjX. £7(0 ifdcp oTToSel^ü) aoTtp 80a Sei aoTÖv oTc^p toö 6vö-
jiaTÖc [iOD ;:a^stv (vgl. auch 5,40.41)'*). Die abgeänderte For-
mel wird zunächst im Westen übernommen; daher bleibt bis in
1) Ursprünglich sind es Synonyma, vgl. z. B. II. Thess. 1, 5—7, Ich gehe auf
die mancherlei anderen Synonyma (x^rro;, ttovoc, St'wSt;) nicht ein, da es für die
Geschichte des Märtyrertitels nur auf Ttaa^eiv ankommt.
2) Auch „für den Namen Gottes leiden" wird später im Judentum fester
Begriff, vgl. Schlatter, Beiträge zur Förderung christl. Theologie 1916 S. SOG.
3) Da Polykarp selbst in seinem Briefe meist mit Ignatius übereinstimmt,
verweise ich auf 8, 2 bei ihm : jxifxTjxal oüv Y^viufACÖa tf^c ynofiovr^; a-jxoO, xal ^dv
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 421
späteste Zeit neben nmrtyrium als fester Terminus passio^), und
das Verbum pati ist in seinem Besitzstand durch das griechische
Lehnwort nmrtyrizari nur ganz wenig beeinflußt worden. Nur der
Titel bleibt griechisch martyr , oder wird wörtlich übertragen,
testis, bezw. testis Christi, testis dei. Anlaß ist offenbar, daß man
von pati kein Verbalsubstantiv (wie von confiteri) bilden konnte,
und daß die Partizipia sich zu dem Ehrentitel nicht zu eignen
schienen. Von Anfang an ist also festzuhalten, daß es sich bei
den Worten [tapto? und •taptopstv nicht um einen allgemeinen alt-
christlichen Sprachgebrauch handelt. "Wir müssen annehmen, daß
sie in jener zuerst besprochenen technischen Bedeutung in einer
bestimmten Literaturgattung und Stilart aufgekommen sind und
sich dann rasch verbreitet haben. Daß den Anlaß zu dieser Ver-
breitung ein anderer Gebrauch desselben Wortes geboten hat,
ist an sich wahrscheinlich. Ich stelle als Inhalt des im Polykarp-
Martyrium und in der späteren Martyrienliteratur vorliegenden
Sprachgebrauchs fürerst fest: wer um des Namens Christi willen
gestorben ist, heißt jtapto«; toO Xptatoö oder [xaprj? toö d-soö, der
Tod ist die |j.apxopia oder das {lapTopiov, gestorben sein heißt {lap-
topfjoa'.. Die Begriffsbildung geht hier offenbar von dem Verbum
und von der Vorstellung einer einmaligen Handlung aus, daher
der Aorist*). Ich muß. ehe ich das weiter verfolge, zunächst auf
die moderne Literatur eingehen, also polemisieren.
Es ist ein unbestreitbares Verdienst Kattenbuschs, daß er
(Zeitschrift f. d. neutestamentl. Wissensch. IV 111 ff.) auf das Be-
fremdliche dieses Sprachgebrauches nachdrücklich hingewiesen und
zugleich die altchristlichen Vorstellungen vom Märtyrer (in unserm
Sinne) feinfühlig verfolgt hat. In der Worterklärung gelangte er
zu keinem ihn selbst befriedigenden Ergebnis. Von dem Gesamt-
begriff „Zeuge" geht er aus, freilich ohne ihn voll nach dem grie-
chischen Wortgebrauch zu erschöpfen: Zeuge ist, wer für die
Wahrheit von irgend etwas eintritt oder angerufen werden kann,
wer selbst dabei -gewesen ist, als etwas geschah, wer den Rechts-
1) In dem Sinne „Leiden, das zum Tode führt, Tod". Als charakteristisch
erwähne ich, daß Tertullian Scorp. 13 von den Leiden, deren sich Paulus II. Cor.
11, 23 ff. rühmt, sagt quae si magis incommoda quam martyria videbuntur, wie-
wohl sie ihm für die wirklichen Martyrien vorbildlich scheinen.
3) Um den Unterschied fühlbar zu machen, verweise ich schon hier auf den
ganz abweichenden Gebrauch Apostelgesch. 23,11, wo Christus in einer Traura-
erscheinung dem Paulus sagt : Sspasi. ü>; -jap 8 1 e }i a p - ü p o j -a -tot iixo'j et«
'lepou3a),T,tx, ojTü); se oet rat et; 'Piüiitjv ,a opr-jp ^3« t. Selbst bei dem Aorist ist
der Sprachgebrauch im Urchristentum nicht einheitlich (e{; gebraucht der Ver-
fasser meist richtig).
422 R. Reitzenstein,
grund für den Anspruch jemandes kennt und andern mitteilen
kann, wer versichern darf in einer Angelegenheit ein Wissender
zu sein. Aber was wissen denn, so fragt er sofort, die Märtyrer
vor anderen Christen? Wem sind sie Zeugen? Etwa dem Richter?
Was könnten sie ihm bezeugen, was die confessores ^) nicht auch
bezeugten? Sie bezeugen ja nur von sich selbst, daß sie zur
christlichen Kirche gehören^), und haben dann, wenn sie von dem
Richter freigelassen werden, keinen Anspruch auf den Titel Zeugen.
Oder sind sie Zeugen für die Christen selbst? Aber was wissen
sie mehr als die einfachen TTtotot?^) Da eine Antwort unmöglich
ist, versucht Kattenbusch zunächst zu ermitteln, welche verschie-
denen Personen (Apostel, Propheten, Jesus selbst) im Neuen Testa-
ment als {laptope? bezeichnet werden oder wem ein {lapTÖpsa^at
(S'.a{iapxDpso^at) zugeschrieben wird. Natürlich kommen wir dabei
zu all den verschiedenen in der gesamten Gräzität üblichen Ver-
wendungen des Wortes : die Apostel sind Zeugen der Taten
und Worte oder des Leidens Jesu, wer ihn nach der Aufer-
stehung gesehen hat, wird Zeuge der Auferstehung genannt, was
ja wohl niemanden befremden kann und keinerlei technischen
Sprachgebrauch enthält. Auch bei den Propheten werden , um
sie als {laptopsc zu kennzeichnen , Stellen angeführt , die ganz
außer Zusammenhang mit dem eigenartigen Sprachgebrauch der
Martyrienliteratur stehen und [lapiopeEv einfach als verstärktes
Xs^etv bieten: die Propheten „bezeugen", daß der Messias, d.h.
Jesus, die Sünden vergeben kann (Apg. 10,43)*). So kommt
1) Über ihre Scheidung von den martyres vgl. später.
2) Ein Teil freilich auch, daß bei den Christen keine Verbrechen geschehen,
doch gehört das nicht notwendig zu dem Begriff des [Act'pTuj.
3) Gerade die wichtigste Frage fehlt in der langen Aufzählung, nämlich
wessen Zeugen sie sind. Die von Kattenbusch selbst erwähnte Formel [AapTupe;
ToO Xpia-coü hätte die erste und entscheidende Antwort geben müssen.
4) So würde man durchaus auch im Profangebrauch sagen können. Wir
können in vielen Sprachen (am stärksten wohl in der lateinischen) eine fortschrei-
tende Erweiterung des ursprünglich sakralrechtlichen Begriffes verfolgen. Daß
der Zeuge bestätigen, daß er feierlich versieh ern, daß er auf Grund
eines besonderen Wissens versichern soll, führt zu verschiedenen Übertra-
gungen. Die Entwicklung beginnt schon im hebräischen Sprachgebrauch, die volle
Entfaltung (und zwar in einer über das Profangriechische hinausgehenden Stärke)
zeigt das Neue Testament. Nur wird man aus den Stellen, die dem allgemeinen
Gebrauch entsprechen, kaum Schlüsse macheu dürfen; die Nüanzen bei den ein-
zelnen Autoren erklären sich aus der Tendenz, so im vierten Evangelium die
starke Hervorhebung des besonderen eigenen Wissens, das Zurücktreten der
Worte bei Paulus u. a. mehr. Den Anfang eines technischen Gebrauches empfinde
ich bei ihm , wenn (xaptüptov schon fast für «üaiyAtov eintritt (I. Kor. l, 6 ; 2, 1
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 423
Kattenbusch zunächst zu zwei verschiedenen Erklärungen, die
er freilich beide selbst als zu künstlich bezeichnet: der Märtyrer
heißt vielleicht danach, daß er nach allgemeinem Glauben sofort
nach dem Tode in den Himmel kommt und dort Christus schaut
(Grundbegriff: Augenzeuge)^); oder er heißt vielleicht danach,
daß der Geist ihm zu reden gibt, was ort- und zeitgemäß ist
(Grundbegriff: Verkündiger)-); nicht das Prophetentum macht
dabei nach ihm zum Märtyrer, wohl aber das Märtyrertum in ge-
wisser Weise zum Propheten. Ein methodischer Fehler liegt offen-
bar darin, daß für einen uns befremdenden technischen Gebrauch
der Worte {xaptTx;, [taptupf^oai, {laptopia, {taprjp'.ov, dersichspäter
im wesentlichen an Gerichtsverhandlungen knüpft, die
Erklärung ausschließlich aus Stellen genommen wird, die mit solchen
gar nichts zu tun haben und juristischen Sinn gar nicht verlangen,
ja zum Teil gar nicht zulassen, aber auch überhaupt nichts von
dem allgemeinen Sprachgebrauch Abweichendes bieten. Der zweite
Fehler liegt in der Beschränkung auf die christliche Literatur,
noch dazu in der Begrenzung auf die ersten beiden Jahrhunderte.
Weder ist die Frage aufgeworfen, ob der befremdliche Gebrauch
allgemein - christlich sei ^), noch ob er allein christlich sei *). Die
Beschränkung auf die christliche Literatur und hauptsächlich auf
das neue Testament als die gegebene Qaelle für allen späteren
christlichen Sprachgebrauch führte notwendig dazu, daß aus der
überwiegenden Fülle der zur Sache überhaupt nicht gehörigen
Stellen bestimmt wurde, welches die technische Bedeutung in diesem
Falle sei. Hätte man wenigstens versucht, innerhalb der früh-
xaxa•f(0^^ü'^ t6 {j.apTjpiov Toü Öeoü) oder wenn (lapTjpofAai 6al. 5, 3 im Wechsel mit
Xi^^a sogar für den Befehl eintritt (gesteigert Eph. 4, 17 Xiyoi xal aapTjpopiat £v
xuptu)). Doch ist auch hier die Verbindung mit der Grundbedeutung noch klar.
1) Das scheitert sprachlich an dem regelmäßigen Gebrauch des Aorists.
2) Einzuwenden ist sofort, daß nach ältester christlicher Anschauung der
Geist nicht erst in den [xapxu;, sondern schon in den 6(xoXopjTf,; tritt, den gerade
Kattenbusch in Gegensatz zu dem [j.aprj; stellt. Zum [lap-u; macht nach ihm nur
der Tod. Wie kann der Name dann von der Tätigkeit hergeleitet werden, die
nur der Lebende übt?
3) Vgl. oben S. 419. Daß innerhalb des Christentums selbst im Grebrauch
von fjLopTupfj3at vollkommener Widerspruch herrscht (oben S. 418 und 421, 2), wurde
nicht berücksichtigt.
4) , Wenn HoU in dem gleich zu besprechenden Aufsatz Neue Jahrb. f. d,
klass. Altertum 1914 S. 532 gegen den Philologen, der den profanen Gebrauch
verfolgte, mit Recht bemerkt, dieser Gebrauch sei den Theologen „vielleicht schon
vorher nicht so ganz unbekannt gewesen", so würde der Fehler und Vorwurf da-
durch nur schwerer. Doch möchte ich auf solche kleine Äußerungen von Gereizt-
heit nicht weiter eingehen.
424 ^- ßeitzenstein,
christlichen Literatur eine Entwicklung nachzuweisen, und beob-
achtet, an welchem Punkte der Gebrauch der profanen Verwendung
am nächsten kommt, statt aus der Summe aller Stellen eine allge-
meine urchristliche Anschauung von „dem Märtyrer" za konstruieren
und dabei diesen Begriff selbst als fest und gegeben zu behandeln,
so hätte sich eine Erklärung wohl finden lassen. So ist es von
vornherein klar, daß nur für die Anschauung Ergebnisse gewonnen
werden konnten. Der Wortgebrauch blieb unerklärt, und Katten-
busch gibt dies in seiner besonnenen Art am Schluß selbst zn.
Der reiche Ertrag, den sein Aufsatz trotzdem für die An-
schauung bot, hat offenbar K. Holl bestimmt, in einer tiefdringenden
und ergebnisreichen Untersuchung „Die Vorstellung vom Märtyrer
und die Märtyrerakte in ihrer geschichtlichen Entwicklung" (Neue
Jahrbücher f. d. klassische Altertum, 1914, S. 521) auf die beiden
Worterklärungen Kattenbuschs zurückzukommen, sie besser zu be-
gründen und zugleich zu verbinden. Auch ihm ist dabei die
Hauptsache die Anschauung vom Märtyrer. Daß sie im Wesent-
lichen auf judenchristlichem Boden erwächst, soll gegen einen phi-
lologischen Versuch ^), Anschauung und Wort auf hellenistischem
Boden zu verfolgen, nachgewiesen werden. Ist die Anschauung
jüdisch, so muß sich der Wortgebrauch aus der gleichen Quelle
erklären lassen, d. h. nach meinem Empfinden mit Gewalt ihr an-
gepaßt werden. Gerade weil ich glaube, daß Holls Aufsatz wich-
tige Anregungen bietet, die uns z. T. weit über das, was er selbst
behauptet, hinausführen können, betone ich von Anfang an, daß
uns hierbei das schönste Ergebnis lexikalischer Untersuchungen
von vornherein abgeschnitten wird, im Wortgebrauch den
Kampf und das Zusammenfließen zweier verschiedener Denkarten,
der jüdischen und hellenistischen, nachzuweisen^). Wir können
nach meiner Überzeugung hier wirklich das Werden wichtiger
christlicher Begriffe historisch verfolgen. Eine Dankesschuld
möchte ich mit meiner Polemik gegen Holls lexikalische Aus-
führungen abtragen und nicht um Worte streiten, wenn ich auch
über Worte streiten muß.
Verhängnisvoll für den lexikalischen Teil seiner Untersuchung
wurde, daß er einfach Kattenbuschs Beobachtungen zum Ausgangs-
punkt nahm und es für erwiesen ansah, daß es von Anfang an
einen einheitlichen Begriff „Märtyrer"' gegeben hat; ihn gilt es
aus den verschiedenen Stellen heraus zu entwickeln, denn er muß
1) GeflFcken Hermes 45, 493 ff.
2) In der Sache versucht es Holl selbst, setzt aber den hellenistischen Ein-
fluß zu spät. \
Bemerkungen zur MartjTienliteratur. I. 425
im wesentlichen die Summe von all dem bieten, was vom Zeugen
in der altchristlichen Literatur gesagt ist. Solche Harmonistik in
der Lexikographie ist gerade auf diesem Gebiet am gefährlichsten.
Gern erkenne ich dabei an, daß Kattenbuchs Untersuchungen über-
all berichtigt und erweitert sind. Hatte Kattenbusch für die Be-
zeichnung der Apostel als „Märtyrer" nur auf Stellen wie Luk.
24, 48 und Apostelgesch. 1, 8 verwiesen, in denen Christus seine
Jünger auffordert das Evangelium zu predigen und seine Zeugen
zu werden, oder gar auf Apostelgesch. 1, 22, wo von dem für
Judas zu wählenden Apostel verlangt wird, daß er von Jesu Taufe
bis zur Himmelfahrt mit diesem zusammengewesen ist und „Zeuge"
der Auferstehung geworden ist, so verwies Holl auf eine Stelle,
in welcher jidpr)? wirklich scheinbar juristischen Sinn hat, I. Kor.
15, 12 ff. sl 6s Xp'.atö«; XTjpöoosTao Ix vsxpwv ozi SYTjfsprai, rö»? Xe^ooo'.v
£v 6{tiv v.vet; ov. avaaraat? vsxpwv oox sor.v; sl 6e avdataa'.c vsxptöv
oöx loTcv, ouSs Xpiatö? SYT^fsprai. el Se Xp'.orö? oox ^Yij'j'sp'cat, xsvöv
^pa xal TÖ XTjpoYjta fj{i(üv, xsvfj 5s xal "»j Tttati»; o|icöv Eop'.oxö[is^a Ss
xal (j>£oSo{i,dpTOps? Toü dsoö, ou £(tapTopT]oa{isv xatd toü
<&eoö Zzi 'JjYstpev töv Xptotöv, 8v oox -^Ysipsv. Der Schluß scheint
hiemach notwendig: (idpto«; toö dsoö ist in christlichem Sinne, wer
Gottes entscheidende Wundertat, die Auferweckung Christi, auf
Grund eigenen unmittelbaren Wissens bestätigen kann, d. h. wer
den Auferstandenen gesehen hat^). Also heißen auch die späteren
Märtyrer nur danach ; die Art und Weise, wie das möglich wurde,
erklärt der Bericht der Apostelgeschichte über Stephanus : er schaut
im Moment des Todes Christus. So schildern auch die älteren Akten
den Märtyrer als im Geiste dieser Welt entrückt und in unmittel-
barem Verkehr mit Gott. — Der erste Einwand ist wohl schon
von Kattenbusch selbst erhoben. Eng hängen hier die Begriffe
XTjpoaosiv und {lapropsiv zusammen, nie aber ist die Predigt des
Evangeliums die eigentliche Aufgabe des Märtyrers , sodaß er
davon den Namen tragen könnte. Ebensowenig ist das Schauen
des Auferstandenen und der Verkehr mit Gott auf die Märtyrer
(Blutzeugen) beschränkt. Der Asket genießt die gleichen Vor-
rechte; aber nie heißt er darum jtdpro?^); das gleiche Vorrecht
ferner genießt der ojjloXoyyjtiqc ; mit dem Moment des Bekenntnisses
wird er Pneumatiker und hat, genau wie der Asket, das Recht
auf Visionen, auch auf Visionen Gottes oder Christi^); dennoch
1) So ist der Grundsinn von [ictptu; Augenzeuge (a. a. 0. S. 533, 2).
2) Nur wenn seine rovoi mit den Leiden der Märtyrer verglichen werden,
kann er in pointierter Sprache als martyr vivus bezeichnet werden.
3) Man denke an Perpetua.
426 ^- Reitzenstein,
wird gerade er mindestens seit Ende des zweiten Jahrhunderts
streng von dem Märtyrer geschieden. Dabei fehlt in einer Fülle
von Martyrien gerade der nächsten Zeit, die streng auf diese
Scheidung achtet, jede Erwähnung der entscheidenden Vision,
die zum {lapxo? macht. Endlich ist in der zagrunde gelegten
Stelle des Paulus (oben S. 425) das Wort in Wahrheit eben nicht
in juristischem Sinne gebraucht: {lapropsiv heißt hier nur in der
Predigt (dem XTjpuY'ta) etwas von Gott aussagen, nicht aber in
einem Prozeß Zeuge sein. Die Worte s[jLapTOpT5aa{i.ev xaxa ^eoö sind
an sich nicht juristischer als Hegesipps Worte über die Sektirer
bei Eusebius IV 22, 6 ajcö toötwv (jJsoSö/p'.aTot, (fjeoSoTrpofpf^xat, tjjsoSa-
Tcöaxokoi, oiTtvss l[i.sptaav tyjv ivwaiv ttjc IxxXTjaiaf (pd-opi^cclon; Xö^oi?
xata Toö •O'soö xal xata toö Xptotoö aötoö. Den (j^soSofiapTope? toö
-ö-Eoö bei Paulus steht die Bezeichnung Jesu in der Apokalypse als
6 ttapTO(; 6 TctoTö'? (1,5) oder 6 {jiapTD? 6 «iotö? xal aXTj'O-tvöc (3,14)
gegenüber; sie bedeutet, daß Jesus einen Auftrag Gottes ausge-
führt und eine Aussage wahrhaftig wiedergegeben hat. Gewiß ist
dabei {lapTopslv ein feierliches Reden im Bewußtsein sicherer Strafe,
wenn man betrügt. Insofern mag eine Grundanschauung mit der
unter Eid geleisteten Zeugenaussage die Wahl des Wortes be-
stimmen (vgl. oben S. 422). Aber vom Lebenden allein ist
die Rede. Mit dem „Blutzeugen" im heutigen Sinne hat dieser
{Xapro? überhaupt nichts zu tun; von jenem kann man sagen erel
sTra^sv, jidprog lariv, von diesem, wenn er wegen seines Zeugnisses
leiden muß, ItcsI IjAapxöpirjaev, Tzä.ayj^i.
Diese Vorstellung, die Kattenbusch dabei ganz richtig von
der ersten gesondert hatte , verbindet HoU entsprechend seiner
harmonistischen Betrachtungsweise mit ihr, weil tatsächlich das
Judentum in neutestamentlicher Zeit ganz von der Vorstellung
beherrscht wird, daß der Prophet als Sendbote Gottes zu den
Menschen kommt und um seiner Botschaft willen leiden, ja sterben
muß , und weil sich die Schilderung seines Leidens und Sterbens
auffällig mit der Schilderung in der christlichen Martyrienliteratur
berührt ^). So wichtig dies tatsächlich ist und so groß Holls Ver-
dienst ist, die Vorstellungen sehr viel weiter als Kattenbusch ver-
folgt zu haben , für die lexikalische Betrachtung bedeutete die
Verbindung der beiden ganz verschiedenen Reihen nur Ge-
fahren, aber keinerlei Förderung, ja die Erklärung der Märtyrer
1) Hierdurch empfängt die Einzelfrage für mich allgemeinere Bedeutung für
die Methode lexikalischer Forschung. Ich gestehe, daß mich diese Vermischung
von Vorstellung und Wort zu ihrer Aufnahme veranlaßt hat. Die Folgerungen
wären ungemein groß, wenn dies Verfahren richtig wäre.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 427
als einer Art von Propheten war sprachlich nicht ein wandsfrei,
weil die christlichen nporpfixai diese Rolle des Gesandten Gottes
an die Ungläubigen nicht zn spielen scheinen ^), und selbst für die
jüdischen die Bezeichnung oder Titulatur als {läptops? nicht
irgendwie feststeht, so wenig wie etwa für die Märtyrer der spät-
jüdischen Literatur die Bezeichnung als zpo^f^rat oder auch nur
als {idptopsc^j. Eine einzige rätselhafte Stelle der Apokalypse
(11,3) xai 5(000) toi? Soolv [taptoaiv {too, xat Tcpo^rj t soooooiv
T^{j,ipac yiXiac Siaxoata? i^ijxovta KsptßsßXTjjJL^vot odxxoD<; genügt zu der
Identifikation der Begriffe nicht. Wir gewinnen durch sie nichts.
Und wir gewinnen auch nichts durch die anhaltslose Behauptung, in
der Urgemeinde sei [tdpttK der Ehrennam e für den Apostel gewesen
(Holl a. a. 0. S. 523) ^) ; zu entscheiden war nur die Frage, in welchem
Sinne und auf Grund welchen Sprachgebrauches kann man vom
Apostel oder Propheten {taptu? und {laptupet sagen ? Völlig unklar
bleibt bei Holl, wie sich die beiden Vorstellungsreihen, die wir oben
gesondert haben, verbinden, wie {lapTOpf^aat zum Synonym von
äTcod-avsiv wird, wie im Latein passio und patl für jtapTopiov und
[xaptupsiv eingesetzt werden können, endlich wie sich jtdpTO? und
&|i.oXo7rjTTj<; scheiden, wenn doch der Grundbegriff von {jidp-nx; in
der prophetischen, d.h. iu der Rede sich äußernden Bezeugung
der Auferstehung oder Gottheit Christi liegt. So lehnen denn
die beiden durch Holl angeregten Arbeiten, Schlatter, .,Der
Märtyrer in den Anfängen der Kirche" (Beiträge zur Förderung
christlicher Theologie, 1915, S. 225 ff.) und Corssen „Begriff und
Wesen des Märtyrers in der alten Kirche' (Jahrbücher f. d. klass.
Altertum, 1915, S. 481) diesen Teil seiner Ausführungen ab, Schlatter,
indem er in dankenswerter Weise, wenn auch einseitig und über-
treibend, die jüdische Martyrienliteratur und Vorstellungswelt
weiter verfolgt, ohne tiefer auf die lexikalische Frage einzugehen,
ja offenbar, ohne ihre Bedeutung zu empfinden*), Corssen in einer
etwas hastigen Verbindung verschiedenster Betrachtungsweisen^},
1) I. Kor. 12, 28 scheidet dirocrcoXot und rpocp^xai (vgl. für letztere cap. 14).
2) IV. Makk. 12, 16 oux d-a'j-oixo\3> tfji -rüiv d5e>.:pü)v p.o'j p-apTuofot; würde bei
der stark philosophisch beeinflußten Sprache des Buches nicht viel für einen rein
jüdischen Gebrauch beweisen.
3) Eher könnte man den Satz umkehren: man konnte von den d-daxoXos
sagen {xaf-Tuper. Der Ehrenname und die Standesbezeichnung bleibt dabei dsdcToXo;
(Vgl. Patdus).
4) Knapp und besonnen sind die Darlegungen S. 296 und 244 (gegen Holl).
5) Juristische und mysterienhafte Vorstellungen, Opfervorstellungen u. a.
wechseln rasch miteinander; eine Untersuchung des Verhältnisses von .adp-ru; und
ö[xoXoyT,TT,s fehlt fast ganz; die Einzelstelien sind recht oft mißverstanden. Ich
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachriditen. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. 29
428 ^- Reitzenstein,
indem er etwaige Schwierigkeiten mit der apodiktischen Behaup-
tung beseitigt, das Martyrium sei ein einheitlicher Vorgang, also
handle es sich immer um verschiedene Seiten derselben Sache.
Der doppelte Gebrauch von [taptopsiv z. B. ist einfach zu erklären:
„was der Mund vor Grericht bekannt hat, das bezeugt sozusagen
im Tode der ganze Leib". Ein später Begriff wird auch hier vor-
ausgesetzt unter Verzicht auf jede Sonderung der Strömungen,
die zn seiner Bildung führten. Doch ist die Kritik oft richtig,
und ein unbestreitbares Verdienst scheint mir, daß er die juristi-
sche Seite schärfer als seine Vorgänger betont hat. Es handelt
sich um einen Terminus, der im späteren Gebrauch fast nur bei
Gerichtsverhandlungen (allerdings in weiterem Sinne) Verwendung
findet. Der Angeklagte wird dabei als Zeuge bezeichnet.
Die Erklärung Corssens (S. 489) befriedigt mich freilich nicht:
„Für den Christen handelte es sich in den Christenprozessen nicht
nur um das Interesse des einzelnen Christen, sondern damit zu-
gleich um den Namen, d. h. den Namen Christus. Es war die
Sache Christi, die vor Gericht geführt wurde. Der Christ steht
zu Christus in dem Verhältnis des Sklaven zum Herrn. Der Herr
liefert im Altertum vor Gericht seine Sklaven zum Beweis auf
die Folter". So soll der Bekenner der Zeuge Christi sein.
Unbewiesen scheint mir hier, daß sich nach Auffassung der Christen
der einzelne Prozeß gegen Christus richtet ^), unerklärt, daß der
Bekenner doch gerade dem Märtyrer entgegengesetzt wird; der
Vergleich mit dem Herren, der den Sklaven auf die Folter gibt,
scheint nicht schlagend genug, um die Bezeichnung Märtyrer für
den Getöteten zu erklären; die Sklavenfolterung hat nicht den
Tod zum Zweck oder gewöhnlichen Ausgang und nicht nur Skla-
ven sind Zeugen. Ob sich eine bessere Erklärung bietet, müssen
wir später sehen. Für jetzt stelle ich nur fest: es handelt sich
um zwei ganz verschiedene Anschauungen, die man streng sondern
muß: ofJLoXoYEiv und 6[jioXoYia bezieht sich auf eine Aussage über
den Redenden selbst; der Gegensatz ist, wenn es sich um
Fragen handelt, apvsia^at; {tapTOpsiv und {laptopia bezieht sich
auf die Aussage über einen andern und apvEtod-at kann zunächst
gar nicht den Gegensatz bilden (der ist vielmehr immer «j^suSe-
oö-at). Der Unterschied mußte geradezu entscheidend werden, sobald
die Zugehörigkeit zum Christentum an sich als strafbar galt und
bemerke, daß wo wir, sei es in der Auswahl der Stellen, sei es in den Argu-
menten übereinstimmen, ohne daß ich zitiere, meiner Darstellung Notizen zugrunde
liegen, die ich mir gemacht habe, ehe ich seinen Aufsatz kennen lernte.
1) Bei der Verfolgung wäre es begreiflich.
Bemerkungen zur Maxtyrienliteratur. I. 429
daher die Formen des Prozesses eintraten. Die dfioXo^ia als
Willenserklärung für die Zukunft, vor Grlaubensgenossen, z. B. in
der Taufe oder Weihe, tritt jetzt zurück gegenüber der Erklärung,
einer unter Strafe gestellten Handlung schuldig zu sein, und nur
ans der eigenartigen Natur des Christenprozesses erklärt sich, daß
man von Anfang an auch die Willenserklärung darin findet, dabei
zu beharren und die Strafe auf sich zu nehmen. Gewiß gilt diese
Willenserklärung dann als verdienstlich, aber ihr Versagen gilt
doch als schwerste Sünde. So kann sie an sich auch nicht als
vollgenügende Leistung empfunden werden^). Dagegen kann eine
jjLapxup'la dem Christen im Prozeß überhaupt nicht zugeschrieben
werden, nicht nur, weil z. B. das attische Recht, wie mich Prof.
Busolt unter Berufung auf Lipsius A. R. III (1915) S. 875 belehrt,
eine jiaprjpta in eigener Sache niemandem gestattet "^) und die spätere
Zeit dies durchaus bestätigt, sondern weil es der Logik wider-
streitet, daß der Angeklagte zugleich mit dem Bekenntnis für sich
ein Zeugnis für einen andern ablegt. Die wenigen Sonderfälle, in
denen sich das noch begreifen ließe, passen alle nicht auf die
Christenprozesse ^). Also muß der Begriff {laproc toö Xptotoö be-
reits festgestanden haben und das Verbum [tapTOpr^oa'. technisch
geworden sein, ehe die Prozeß form das Empfinden über-
haupt namhaft beeinflussen konnte. Der Begriff des
Sterbens kann sich mit dem Verbum überhaupt nur auf Grund
einer Übertragung aus ganz andern Vorstellungen verbunden
haben.
Ich darf das zunächst vielleicht aus der ältesten, sicher juden-
christlichen Legende^) über den Tod des Herrenbruders Jacobus
belegen, die Hegesipp uns erhalten hat (Eusebius K. G. II 23).
Zu Jakobus dem Gerechten kommen die Schriftgelehrten und
Pharisäer und bitten ihn, da alle ihn unbedingt für glaubwürdig
halten % seine Überzeugung, ob Jesus der Christus ist, dem Volke
1) Sehr gut prägt sich dies bei Hermas Sim. IX 28 aus.
2) fj-aoTupei; aauxiü (Euripides Jon 532) ist Hohnwort ; solch Zeugnis ist un-
gültig.
3) Wenn mein Bekenntnis einen andern Mitangeklagten entlastet, wäre es
z.B. denkhar, daß was für mich öfioXo^ta ist, für jenen (i-aprupi« würde. Femer
kann ich natürlich die bit-dkofla eines andern bezeugen, in welchem Sinne, zeigt
Pa^. Monac. 1 Z. 61 [iapTupöi ttj c»{i.oXoY(a (auch der Akkusativ kommt vor) äxojsac
r.api T(üv öejaevcuv. Die Urkunde ist spät (574 n. Chr.) ; in älterer Zeit steht fwp-
Tuptü meist absolut, ebenso txaprjpe; (gütige Mitteilung Prof. Rabeis).
4) Ich gebrauche das Wort in dem Sinne wie E. Schwartz in dem gleich zu
erwähnenden Aufsatz.
5) Dies wird mit Berufung auf seinen gerechten (asketischen) Wandel immer
29*
430 R- Reitzenstein,
beim Passafest zu sagen. Feierlich wird er befragt und gibt mit
lauter Stimme die Antwort: xi {is sTrepcDtäts jrepl toö obö toö av-
^pwÄOo; v.cd aoTÖ? v.ä.^rizai Iv oöpav^ Ix Ss^icbv x-fii ^B^6ikri<; Sovocftso)?
%al {leXXei sp^^sodat IttI twv vs^sXwv xoD oopavoö. Hierdurch wurden
viele überzeugt und priesen Gott ItcI t-^ jiapToptcj toö 'laxwßoo,
die Schriftgelehrten aber jammerten xaxw? iTronfjoajtev toiauTYjv
{jiapxopiav ffapao/övTs? T(j) 'Iirjaoö. Nachdem dann die Ermordung
des Jacobus berichtet und mit der für Hegesipp offenbar formel-
haften Wendung ejtapTüpirjoev geschlossen ist (im Sinne von äzs-
-ö-avsv) *), folgt eine Angabe über den Begräbnisort (vgl. das Poly-
karp- Martyrium) und der neue Satz {idpxD? odto? aXyjd-i]? 'louSaiotc
TS xal "'EXXifjatv YSY^virjTai oTt 'Itjood«; 6 XpioTÖ? loTtv. Schwartz, der
seine Ansicht in der Zeitschr. f. neutestam. Wissenschaft IV 57
begründet, will ihn einem Interpolator zuschreiben. Die Ver-
mutung ist, besonders in der dort gegebenen Fassung, ansprechend
genug; nur hätte der Interpolator dann den Sinn der ganzen Er-
zählung wundervoll wiedergegeben und die Bedeutung des juden-
christlichen Terminus [xapTD? toö XpioTOö gradezu klassisch zum
Ausdruck gebracht. Die {tapTopta liegt darin, daß ein Mann, dem
alle glauben sollten, feierlich vor allem Volke die Überzeugung
ausspricht, daß Jesus der Messias gewesen ist. Wenn Schwartz
daran Anstoß nimmt, daß ja eben iiiapTop-rjoev vorausgegangen ist,
80 hat er nicht genug bewertet, daß dies Wort für Hegesipp gar
keinen Hinweis auf ein Zeugnis mehr enthält^), sondern nur die
Tatsache des Todes feststellt. Läßt man auf IjjLapTÖpYjoev mit
Schwartz unmittelbar die Worte folgen xai eudöi; OöeoTtaatavö? tto-
Xiopxei auToöc, so wird die Zerstörung Jerusalems als Strafe lür
die Ermordung des Jacobus hingestellt. Ist der von Schwartz
beanstandete Satz richtig überliefert^), so erscheint sie als Strafe
wieder betont: p. 168,14 Schwartz aol -jap Tca'vxe; TrttDcJfAsOa • ^^fAetc yoip ,uapTupoüfj.ev
ool xal rAi ö Xaö? oxt ot'xoctoi; el xai 7rpdau)7:ov ov» XafjißdvEn (nicht durch die Ver-
wandtschaftsrücksicht bestimmt wirst). Ttelacv ouv xöv d^^ov ... xal ^dip rä? 6 Xaoj
xal TioEvTe? rei8(5[xe9a aot, 168, 23 8(xate, <u TtavTEC reföeaSat (5cpe{Xo[A2v, är.d-jyiiko-^ iF,|jitv.
Nicht auf ein Wissen infolge der Verwandtschaft und gemeinsamen Erziehung
kommt es an. Ein durchaus glaubwürdiger und frommer Mann soll nach seiner
Überzeugung befragt werden. Das allein wird hervorgehoben.
1) Vorausgeht xataßXTjöel; oüx ÖTi^Oavev. Ihm entspricht ^üXov . . f^vsy/.Ev
xaxa TTjs xetpaXr,; toö otxafou xal out(u? EfxopTÜpTjaev.
2) Daß es aus einem fremden Sprachgebrauch übernommen ist, habe ich
früher gezeigt (S. 418 und 421). Die [j.ap-up<a liegt voraus; nichts wäre an ihr {ge-
ändert, wenn die Schriftgelehrten sich ihr gefügt hätten. Das ra'öo; ist eine Folge
des „Zeugnisses", aber nicht das „Zeugnis" selbst.
3) Mit Ausnahme vielleicht des Hinweises auf die"EXXT)vEc, wiewohl mir auch
dieser Anstoß niclit ganz so groß erscheint.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 431
dafür, daß die Führer des Volkes auch das letzte, von ihnen selbst
als vollwichtig anerkannte Zeugnis für die Messianität Jesu und
damit die letzte Möglichkeit der Rettung verschmäht haben. Ich
ziehe das vor, weil die Legende mir auf die Klage Jesu über
Jerusalem Matth. 23, 37 — 39 bezug zu nehmen scheint, in der Jesus
hervorhebt, die Stadt hätte gerettet werden können, wenn sie ihn
angenommen hätte. Aber wie man auch hier urteile, von einem
Zeugnis in gerichtlichem Sinne ist dabei nicht die Rede. Grerade
das, was Jacobus „bezeugt", hat er nicht mit Augen gesehen. Den
Sinn zeigt besser die Stelle im Johannes -Evangelium 1, 19 ff., die
Corssen unglücklich mit den Prozeßformeln in Verbindung bringt.
Zu dem Täufer kommt eine offizielle Gesandtschaft aus Jerusalem
und fragt ihn, ob er der Messias sei: xai (üjjLoXÖYTjaev xal oöx •rjpvTj-
oato ^) xal wjioXÖYTjoev or» oox sljil efü) 6 Xpiatö?. Auf weiteres Be-
fragen sagt er dann, der Xptoiö? sei schon erschienen und weile
mitten unter ihnen, ja bezeichnet ihn schließlich direkt. Dadurch
wird seine 6{JLoXoYia zur jtaptop-a für Jesus (xai oFdXT] sotIv f^ jiap-
Tupi'a toD 'Itoavvoo). Ich fasse danach auch Apostelgesch. 22, 18 oo'j
rfjv {laptopiav zspl gjtoö nicht als Bericht der Vision, die Paulus
erlebt hatte, sondern seiner Überzeugung, daß Jesus der Messias
sei, und sehe noch weniger Grund ebenda 22, 20 die Worte des
Paulus an den Herren ots I$s/övvsto tö at{ta Sts^dvoo toö {tÄpxopöc
coo auf die Vision, deren Stephanus gewürdigt ist, zu beziehen.
Kleinlich und ungenügend würde mir diese Erklärung scheinen.
Stephanus hat vor den Obersten seines Volkes Zeugnis abgelegt,
d. h. seine Überzeugung aussprechen dürfen, daß Jesus der Messias
ist. Dadurch ist er jtapto? toö Xp'.otoö geworden. Das ist also für
den Autor schon Ehrentitel. Daß dies Zeugnis wahrhaftig sei,
hätten die Hörer aus der geistesgewaltigen Rede und aus den be-
gleitenden Umständen schließen können. Sie glauben ihm nicht,
und der [taptopia folgt der Tod des „Zeugen". Aber jiapttK ist
Stephanus nicht wegen des Todes, sondern wegen der Botschaft.
Ich glaube das beweisen zu können, indem ich den Sprach-
gebrauch des Verfassers des dritten Evangeliums und des Grund-
stockes der Apostelgeschichte näher verfolge^).
Das Markus-Evangelium, von dem wir ausgehen müssen, bietet
als Weissagung Jesu 13, 9 ff. jtapaSwooooiv o^äQ el? oovsSp'.a xal et?
ouva^w^a? SapTjosoO-ö xal kici i^eitövöiv xal ßaaiXstöv (Tcad-TjasaO'S evsxsv
1) Der Sprachgebrauch ist gut gewahrt: die itftakojia bezieht sich auf die
Person des Redenden: die Verstärkung durch den Gegensatz ist formelhaft ge-
worden. Von juristischer Sprache empfinde ich nichts.
2) Vgl. „Historia monachorum und Ristoria Lausiaca" S. 85.
432 ^' Reitzenstein,
l|jioö sl? {lapTÖ'piov aöioi?* xal sl? Ttavta ta s^vy] Sei Trpwtoy
%'ir]po)('0-^vat TÖ söaYY^^^ov. ^) xal otav ocYwotv ojtä? TcapaSiSövts?,
|XY] 7:po{Aepi{JLvävs ti XaXi^oTjte [jnrjSs {leXetäts, aXX' 6 lav 5od-7j 6|xiv Iv
Ixsivifl T'5 wpoj, TOÖTo XaXstTE" 00 Yap iazs ufisi? ol XaXoövts?, aXXa to
TTVsöfta TÖ aYtov, fast ohne Änderung gleich Matth. 10, 17 TcapaSw-
aoooiv YÄp 6[JLä(: sl? ooveSpia, xal Iv xal? oüva^cöYat? aotwv [laoTiYcoooootv
0{jLäc* xal IttI t^y^IJ'-ov*? ^^ ^*^ ßao'.Xst? a^^Tjaso^s ivexsv ifioö, et?
{laptöptov aoTot? xal toi; S'&vsotv. otav S^ TcapaSiSöJatv b^d.(;, {j,yj
|iepf{i,v'if]0£'rE TTwc T] zi XaXTjoTjTs • So'ö'rioEtat ^ap ufttv sv Ixetvi;] t"^ (üpc|. xt
XaXijosTs" 00 Yap 6[i,st(; Iote ol XaXoövxsc, aXXa tö 7tV£Ö{ia toö Tiatpo;
6{iö)V TÖ XaXoöv Iv oji-iv, etwas geändert, verkürzt und in anderen
Zusammenhangt) gerückt Luk. 12, 11 otav 8k ^^pwatv ojiä? im tac
oovaYWYac xal zolq äpy^cnQ xal xa? I^oooia?, {xtj iispijivätE ttw? t] ti aTuo-
XoY'Jjo'/jO'ö'S 7] zi EiTCTjTE' xö Y^^P ^Ytov irvsö{xa SiSd^ei ojiä; Iv aox'^ x'^
wpo^ a Sei eItcsIv.
Auszugeben ist von der Gestalt des Spruches bei Markus.
Ich muß Bekanntes wiederholen. Das Wort mußte dem Griechen
fast unverständlich sein ; auf semitische Anschauung und semitischen
Sprachboden werden wir geführt. Einer Obrigkeit oder Volks-
versammlung wird der Jünger die Kunde von Jesus bringen; er
tritt damit als dessen oder Gottes Gesandter oder Herold auf,
wie es nach Anschauung dieser Quelle die Propheten waren und
wie es Jesus selbst gewesen ist (Mark. 12, 1). Nimmt das Volk
die Botschaft nicht an, so wird er Zeuge wider es. Den
Sinn der Formel zeigt treiFlich der Koran, der ja in der Auf-
fassung der Propheten als Gesandten Gottes^) und in der Ver-
wendung der Worte „Zeugnis, Zeugen" auffällig mit dem frühsten
christlichen Gebrauch übereinstimmt, zugleich aber nur die natür-
1) Die Ursprünglichkeit des Berichtes zeigt sich in dem Anschluß dieses nur
bei Markus hier erhaltenen Satzes. Matthaeus stellt ihn oder vielmehr eine ähn-
liche Fassung an andere Stelle, 24, 14 xol xTipu/O^aexai toüto tö eüayy^tov t^c ßa-
ciXeta; Iv oX^ ttj o{xou|x^vt[) tiz fJiapTÜptov Ttädtv toi; e&veatv, xal tote r^£et t6 teXo;.
Richtig weist Schlatter darauf, daß Luk. 9, 5 die semitische und den Griechen un-
verständliche Formel eii fAapTuptov outoT? umbildet efc fjiapTuptov in' aÜToö;. Es ist
das Zeugnis wider sie (vgl. Septuag. Arnos 7, 15).
2) Es ist die berühmte Stelle über die öii.oXofla, Luk. 12, 8.
3) "Wenn Henoch als Gesandter Gottes an die Engel erscheint und auch so
bezeichnet wird (Irenaeus IV 16, 2), so sagt in dem Koran-Kommentar des Tabari
I 365 Gott zu den Engeln: „Ihr habt euch über die Menschen und ihr ünrochttun
und ihren Ungehorsam gewundert; aber zu ihnen kommen die Propheten und die
Richter immer nur einzeln, während zwischen mir und euch kein Gesandter ist"
(ähnlich zweimal S. 363, vgl. E. Littmann, Festschrift für Fr. C. Andreas, S. 75 u. 78).
Der Gesandte ist der Mittelsmann ; der Sinn von maxie pidipTuc wird hierbei klar.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 433
liehe Fortbildung des alttestamentlichen Sprachgebrauches zeigt ^),
Sure 78,15, wo Gabriel sagt: „Siehe wir sandten zu euch einen
Gesandten als Zeugen wider euch, wie wir zu Pharao einen
Gesandten entsandten", oder Sure 5,117, wo Jesus sagt: „Nichts
anderes sprach ich zu ihnen, als was du mich hießest: 'Dienet
Allah meinem Herren und euerem Herren', und ich war Zeuge
wider sie, so lange ich unter ihnen weilte" (vgl. 8.4,45
u. a.)^). Die gleiche Vorstellung finden wir, wie erwähnt, im
späteren Judentum und dürfen einen ähnlichen Sprachgebrauch bei
ihm voraussetzen; so erklärt sich bei Markus die Gedanken-
verbindung „zu einem Zeugnis wider sie; denn allen Völkern
muß erst das Evangelium verkündet (durch Boten überbracht)
werden". Wenn sie als Boten Gottes vor einer Obrigkeit oder
Volksversammlung reden dürfen, heißen die Apostel wie die Pro-
pheten also wirklich {täptope?, ihre Tätigkeit [laptopslv, ihr Amt
pLapxopta ^). Nur kann natürlich auch jedem andern diese Tätigkeit
zufallen.
Aber Lukas wiederholt den ganzen Spruch noch einmal in
dem ursprünglichen Zusammenhang, aber in freier Umgestaltung
des Wortlautes 21,12 iTrißaXoöoiy icp' ojiä? ta? x=^P*'J a-jtwv xai 8>m-
feODOtv, ÄapaStSdvte? ei? oovaYWYai; xai ^oXaxd«;, a7taYO[i-evoo<; kzl ßaoiXsic
1) Ich zitiere nach Hennings Ühersetzung ; die Stellen habe ich, von E. Litt-
mann beraten, ganz durchgesehen, daneben Lanes Lexikon benatzt. Auszuscheiden
hat natürlich, was sich sofort als Entlehnung aus dem späteren Christentum
zeigt, so die Bezeichnung der im heiligen Kriege Gefallenen als Zeugen. Für den
älteren Sprachgebrauch führe ich an: Allah, die Engel und die Wissenden und
Gerechten bezeugen, daß es keinen Gott außer ihm gibt (3,16; 4,164; 9,108;
59, 11 ; 63, 1). Die Schriftgelehrten haben dieselbe Pflicht (3, 63). "Wer mit seiner
Person für eine Überzeugung eintritt und sie verkündet, legt Zeugnis ab (21,57;
5,113). Nicht nentestamentlich ist, daß selbst im abgeschwächten Gebrauch
Zeugen für Bekennen eintritt (63,1; 3,45; 5, 111 u.a.). Eine gewisse Feierlich-
keit und religiöse Bedeutung der Behauptung bleibt freilich auch da.
2) Gerade für diesen uns befremdlichen Gebrauch gibt das Alte Testament
wenigstens die Ausgangspunkte der Entwicklung. Die Anschauung entspricht
dabei der Anschauung des israelitischen individuellen Prophetentums (Smend, Lehr-
buch d. alttestamentl. Religionsgesch.* S. 254 ff.). Arnos wird von Gott entsendet
und erhält den Auftrag (7, 15) zpo^Tj-reusov itzi xov Xaov jao-j 'bpa/Ä , das heißt :
wider es.
3) Die jüdischen Berichte über Martyrien verwenden den Terminus nicht.
Aber sie erzählen, soweit sie uns erhalten sind, ja auch nur von Leiden, nicht
von einer neuen Botschaft Gottes, die den Gesandten doch erst zum Gesandten
macht. Die einzige Ausnahme (oben S. 427, 2) wird eher auf den später zu be-
sprechenden hellenistischen Gebrauch gehen. Auffällig ist, daß auf die Bildung
der Terminologie die Septuaginta keinen Einfluß übt (sie verwendet mit Vorliebe
ctafioprjpsaöat) ; der Gebrauch stammt direkt aus dem Semitischen.
434 ^- Reitzenstein,
xai •fi'^s^6\icL(; svsxev toö 6vö[iaTÖ? \loü. aTcoßiijostai ös 6{iiv el?
{taptöptov, ■6-§TS oov Iv Tcä<; xapSiat? ujtwv {ti] 7rpo{isXETäv aTcoXoYVj^'^vai *
l^ö) YO'P Swow ofJLiv OTd{ia xal oo^tav, -^ oo SovTjoovTa!: äv-
Tto-c^vat y) avTstTTEiv ocTravtec oi avtixs ({levoi 6(jilv. Aus dem
einfachen „zu einem Zeugnis wider sie", in dem für Griechen aller-
dings fast unverständlichen Sinne, ist hier geworden „euch wird es
die Ehre der Zeugenschaft bringen", die Ehre für Christus einzu-
treten oder eine Botschaft Gottes zu bringen und zwar in Worten,
die von Gott selbst eingegeben und darum unwiderlegbar sind^).
Ein technischer Gebrauch wird hier vorausgesetzt, nach dem
[laptoptov nicht Tod, sondern die Verkündigung bedeutet, der dann
freilich vielleicht Leiden oder Tod folgt (vgl. in der Fortsetzung
■O-avaTcbaooacv s^ opiwv). Die Worte selbst kann ich gar nicht von
Apostelgesch. 6, 10 trennen xal oox lo^^oov avtiof^va'. t-^ ooiptcj xal
T(p TTVEÖjjiaTt, (^ iXaXst. Die Erzählung von Stephanus soll die Er-
füllung der Prophezeiung Ev. 21, 13 — 15 geben. Als v.ripv>i toö Xpi-
otoö ist Stephanus also [laptoc, nicht aber wegen des Tudd-o? oder der
Vision. Hierzu paßt Apostelgesch. 1, 8 Xifjji^Ea^E Söva{xiv iTusX^övto?
TOÖ (XYtoo TTVEÖjiaTO? 1^' 6[i,ä(; xal l'osaO-E (jloo jidcpTops? iv te 'IspoooaXTjjx
xal Iv iraoijj t-jj 'looSaioj xal Sapiapstcf xal ioD? io/dToo t-^? y"^?- End-
lich erklärt sich von hier Ev. 24, 46 (Parallelbericht) xal eittev aoToi?
OTt ooTco? •^s'^pa'Kzai Tua^ö-siv töv XpioTÖv xal avaoT'^vai Ix VExpwv t^
TpiTi{] i^fJLSpo^, xal xirjp o/'9''^ vat IttI Ttp 6vö|JLati auToö (jisTävo'.av xal
acpsotv («{lapTtwv sl? icavTa Ta s^vy], ap^aji-Evov OLizb 'lEpoooaXijfJL ^). 6[tst?
jjLapTops? ToÖTCdv, xal ISoö Iyo> l^arcooT^XXto t'^v kittvcfskicLV toö jraTpö?
|X0D l(p' Dfiä? • ofjiEii; ÖS xa^loaTE Iv z^l "^öXei so)? oo IvSöaTfjoO-E ki u«})00?
2üvajj.'.v. Bezug darauf nimmt Apostelgesch. 10, 39 — 43, wo freilich
daneben der Begriff ji,dpTO<; Augenzeuge mit einwirkt; wichtig
ist die Verbindung der Worte XYjpö^ai t<^ Xa^ xal 8ia|JiapTÖpa<3&ai ').
1) Von dem Sterben ist, wie der Zusammenhang zeigt, gar nicht die Rede.
Die verschiedenen andern Erklärungsversuche übergehe ich. Für meine Erklärung
verweise ich schon hier auf Apok. 6, 9 t^v (Aapxupfav V)v elyov. Hier ist das Femi-
ninum Amtsbezeichnung; es scheint bei Lukas nur der Anknüpfung an die alte
Formel halber gemieden.
2) Vgl. in demselben Gedankenzusammenhang 10, 43 toÜTtp rrfvctc ol Trpofp^xat
[xGtpTupoüatv xtX.
3) Sprachgebrauch der Septuaginta. Sicher aus derselben Quelle stammt
ferner Apostelgesch. 23,11 <o; Ycip Steixaprjpou t4 Tiepl ifxoü ei; 'Itpo'jsaXi^fA , o'Jtu>;
ae oet xoii tk 'Pü)|j.7)v |j.apTup^(Jat (vgl. oben S. 421, 2). Das Wort scheint hierbei ab-
solut gebraucht; es bedeutet „Sendbote sein, die Verkündigung bringen", also mit
dem neuen Terminus genau das, was in älterer Terminologie 9,16 bezeichnet wird
als ßaaxct'aat tö {Jvo{xd |aou £v«u3tiov idvAv xe xtX ßaatX^cuv. Klar ist, daß der Tod
dabei nicht irgendwie Vorbedingung ist.
Bemerkungen zur Martyrienliteratnr. I. 435
Für Lukas verbindet sich also mit dem Worte {tiprj? schon der
hellenistische Begriff des Pneumatikers, der in der Quelle iMarkns)
noch durchaus nicht zu liegen braucht^). Das {taptuptov (die {tap-
Topia) ist eine "Würde, ein Amt; nur wer den Geist und die Kraft
empfangen hat, kann es ausüben. Berufen dazu sind zunächst die
Apostel, aber weder besteht hierin ihr ganzes Tun, noch ist die
{lap-copia auf sie beschränkt. Stephanus soll nicht als Apostel^)
geschildert werden, und mit voller Absicht vermeidet der Verfasser
von einem der wirklichen Apostel (den Zebedaiden. Petrus oder
Paulus) den glorreichen Ausgang der {lapropia im Tode zu schildern.
Er würde dadurch den einen über alle andern hinausrücken. So
schaift er gewissermaßen eine neue Kategorie.
Den gleichen jüdisch - christlichen Sprachgebrauch zeigt ganz
die Apokalypse des Johannes. Die Zahl der Stellen gestattet ein
sicheres Urteil. Wenn Holl sich auf 11, 3 die Erwähnung der
beiden {taptups«; Gottes berief, die 1260 Tage Buße predigen werden
(Trpo^TjTEos'.v). so schclut mir gerade diese Stelle gegen ihn zu spre-
chen. Erst nach einer langen Ausführung heißt es v. 7 xal otav
xsXeawoiv ttjv {lap^opiav a^tüv, zb Oifjpiov . . . ÄOifjOei {ist' aotwv
zöXejJLOv xal vixtjos» aoto-x; xal ötTroxtsvEi aotoa?. Der Titel |i.apTop£<;
und die Bezeichnung ihrer Tätigkeit als tiaptopia ist von dem Tode
ganz unabhängig. Danach ist 12, 11 zu beurteilen xal aotoi Ivixr^
oav aoTÖv S'.a tö aijia toü äpvloo xal 8». a töv Xd^ov t"^? {taptopia;
aoTÄv, xal o6x tjdmrjaav ttjv «|>oyrjv aötcüv a^pi ^avatou (bis zum
Tode haben sie die Botschaft verkündet). Noch klarer scheint mir
die Bedeutung 6, 9 iSov oKoxdto) toö ^oo'.aonjptoo ta<; «jra^^a? t<öv lo^a-
7jj.sva)V Sia xov Xöfov toö O'SoO xal Sta tijv (laptoptav, f^v el/ov.
Das kann m. E. nur heißen ,,den Auftrag Jesu Namen zu ver-
kündigen"; weil sie {lAptops? waren, sind sie getötet worden.
Hiermit verbindet sich sofort 20, 4 xal ta? «[»o^d? twv TrsTcsXexiajiivtov
8id TTjv {laptopiav 'Irjaoö xal Std töv Xöifov zob ^soö xal orrtvs? o6 i:po-
osxövYjoav TÖ ^piov, ferner 1, 9 Iy-^oM'' ^^ '^ vi^ocp rfi xa^oo{i£vx<
IIdt[i,(p Sia TÖV XÖYOv toö ^soö xal rfjv [tapToplav 'Itjooö (Variante 'Itjsoü
XpioToö) ^). Schon das izä^oq der Verbannung 8ta tö ovo;j.a gibt ihm
1) Sie sollen vor der Verantwortung nicht erschrecken; Gott selbst wird
ihnen die Worte geben: nicht sie noch er sind schuld, wenn die Botschaft er-
folglos bleibt. Wellhausen, Das Evangelium Marci S. 102 geht mir etwas zu weit.
2) Auch nicht als Prophet. Die Neubildung ist fühlbar. Wir dürfen sie
uns nicht verdunkeln.
3) Vgl. 3, 8 ^TT,p7)3«i; fiou tov Xoyov (Gebot) xaX o\ix T^pvi^sto t6 ovofxa fiov» und
3, 10 ^-nQprjsaj xov Xoyov t^; ürou.ovT;; fiou. Ich deute daher aucli in den oben an-
geführten Stellen Xoyov 8eoü als den Befehl Gottes, der die (xaorjpia aufträgt.
436 R. Reitzenstein,
einen Ansprucli auf Visionen und gibt ihm Sö^a. Der Tod ist
also für den Begriff nicht einmal als Folge nötig. Aus 6, 9 er-
klärt sich ferner 12, 17 aTi-^X^ev Tcof^aai ;töXs(Aov jisxa twv Xot;rä)v Toi>
a7rsp[iaT0<; auT-^i; twv TTjpoövtwv ta? svToXa? O-soö xai l/övxcov ttjV [tap-
Topiav 'Ivjaoö und 19, 10 oüvSooXö? ooo sl{i,l xat twv aSeXcpwv ooo twv
l)(övT(öv TTjv [lap-Toptav 'Itjooö. tcp ■9'S(p TrpooxövTQoov. Y] Yap {j^aptopta
'Iyjcjod loTiv TÖ TTveöjta x-^i; TtpotpYjTsia?. Wenn ferner an zwei Stellen
Christus selbst als jAdptoc bezeichnet wird, 1,5 xai ättö 'Iyjooü Xpi-
otoö, 6 {laptu? 6 TCtatöc, 6 TrpwTÖröxoc twv vexpwv xai 6 ap)(töv twv ßaat-
Xiüöv t"^? Y"^? ^) und 3, 14 taSs Xs^st 6 a[JL7]v, 6 {JiapxD«; 6 Tciatö? xat
dXiQ'ö-tvöi;, 1^ apx"») f^? XTioew? toö ^soö, so zeigt besonders die zweite
in den Worten mSs Xs^st, daß Christus dabei als Träger der Bot-
schaft Gottes einst wie jetzt bezeichnet wird. Wohl hat er wegen
dieser jiapTopia den Tod erlitten und ist zum Lohne wieder erweckt
worden, aber die Botschaft an die Welt bestand nicht in dem Tode.
Hiernach ist zu beurteilen 1, 2 o? ItiapxöpYjoev töv XÖ70V toö ■9-soö xai
TTjv [taptopiav 'Itjooö oaa l'Ssv (was Jesus als Beauftragter Gottes ihm
aufgetragen hat, nämlich durch Gesichte, hat er sogar in einem
schriftlichen XT^pOTj^a verzeichnet). So können auch die beiden ein-
zig übrig bleibenden Stellen 2, 13 'AvTi'juac 6 [idpioc (too 6 moTÖ? ^00 '-)
og aTuexTav^Y] Tcap' ufjiiv und 17, 6 Yovaixa [ts^uoooav Ix toö ai[JLaTO<;
•cwv aYiwv xai Ix toö atfiatos twv {iaptöpcov 'Itjooö nicht anders gefaßt
werden. Nicht, weil sie getötet sind, heißen sie {Jidpxops?, sondern
weil sie {läptope? 'Iyjooö gewesen sind, sind sie getötet worden'').
Die drei Schriften zeigen deutlich die Entwicklung eines tech-
nischen Sprachgebrauches auf judenchristlichem Boden*). Es war
ein Großes, wenn Männer aus dem Volk plötzlich vor die Schritt-
gelehrten oder die Menge treten mußten, um ihre Überzeugung,
daß Jesus der Messias sei, zu rechtfertigen. Sie fühlten, daß sie
es nur durch den Geist Gottes oder der Propheten könnten und
1) Bekannt ist der Hinweis auf die „raessianische Weissagung" Ps. 88, 20
ü<3jiuiisa ^/XexTov iyt. xoü Xaoü jxou . . 25 xai ^ äXi^öeid ijiou xai to IXerf; aou fjiet' a'jTOÜ . .
28 xifui 7:ptuT»iTOXov Oi^aofxat aixo'v, ütj^rjXov Ttapd toi; ßaatXeüaiv ttj? y^? • • ^8 xai h
[j-apTu; h oüpavtji Tttaxo?. Wie trefflich das in den allgemeinen Gedankenzusammen-
liang paßt, wird sich später zeigen.
2) Vgl. für den ursprünglichen Sinn auch I. Kor. 7, 25.
3) Richtig schon hei Cremer, Schlatter u. a.
4) Daß er sich nicht in allen Kreisen gleichmäßig entwickelt, habe ich frülier
betont (S. 419 ff.) und zeigt z. li. der erste Bericht über die Bekehrung des Paulus
verglichen mit dessen Rede Apostelgesch. 22 und mit 23, oder der erste Petrus-
brief, der Traayetv beständig verwendet, ohne je an eine (xapTupfa zu denken (5, 1
ist jxa'pTu; täv toü Xpiatoü Tra&TjaaTtuv nicht in technischem Sinne gebraucht, son-
dern heißt einfach „der bei der Passion Christi zugegen war'').
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 437
daß sie eine gewisse "Wärde dadurch erlangten; aber als Apostel
oder Propheten bezeichnet haben sie sich darum nicht. — Noch
ließ der Umstand, daß der Christenglaube wenig bekannt war, ein
xYjpoaosiv zu. Es mußte fast unmöglich werden, als das Christentum
rechtlich verboten war und die bloße 6|ioXoYia, also die Worte
Xpiottavöc eijjLi, zur Verurteilung genügten. Wohl suchen die Be-
richte noch vereinzelt eine pLaptopta im alten Sinne hereinzubringen ;
Versuche mögen auch im Leben gemacht und ab und an gelungen
sein. A priori läßt sich das nicht leugnen, so übel der Versuch
auch ausgefallen ist, sie in konkreten Fällen, wie bei Carpus oder
gar bei ApoUonius nachzuweisen^). Der Anlaß, den die Bericht-
erstatter zu derartigen Einlagen hatten, liegt in der erhofften
Wirkung auf Leser aus heidnischen Kreisen ebenso wie in dem
Bestreben, die herkömmliche Bezeichnung des {tiptoi; zu recht-
fertigen ^). Trotzdem zeigen unsere besseren Akten selbst und
zeigt jede Erwägung der Rechtslage, daß es nur auf die ojJioXoYta
noch ankommt. Eine neue Begründung des Titels, an den so hohe
Vorstellungen knüpften, war nötig und ein neuer Sprachgebrauch
bildete sich. Ich habe ihn neben dem alten schon bei Hegesipp
nachweisen können. In ähnlich widerspruchsvoller Weise erscheint
er auch im ersten Clemensbrief.
Ich setze die Stelle in ihrem vollen Zusammenhang her,
um die rhetorische, bezw. philosophische Färbung der Sprache')
zur Anschauung zu bringen, auf die ich später zurückverweisen
muß (cap. 5) : aXX' Tva twv ap^^aicav o;roSEiif{iaT(ov irauowjjiäda, eX^(ü{tsv
ETtl tooi; SYY'.ata Y£vo{ievoo? ad'XirjTa?, Xdßa){i£V rffi YSVsäc; "f^itcäv ta
fevvaia uxo6s'lY{i,axa. Sid C'^Xov xai (pO'övov ol {irj".aTO'. xai Sixatötato'.
OTöXot IS'.w^^O-TTjaav xai iw? ^avaroo "^^XYjcjav. Xaß(ö{i£v spo ^daX-
•löiv f|{JLwv Too? aYadoo? arooTöXoo<;, üetpov, o? Sid C^Xov aStxov oo^
Iva oöSI Söo, aXXa TcXetovac otctjvsyxs ttovoo? xat ootwc
IxapTopiQoa? eitopsö^ si? töv ö^eiXö{xevov totcov vr^ töirfi. Sui Ct^Xov
xai spiv naöXo? o:ro{jLOV^C ßpaßsiov s8e'4ev, e7rcdxi<; 8£a{JLd ©opdaa?, ©u-
1fa8£o^£i?, Xtda3^£'l?, XT]po? f£VÖ|i.svoc lvT£T^ avatoX-^ xai Iv t-g
1) Ich verweise für das erstgenannte Martyrium auf meine vorläufigen Be-
merkungen in dem Aufsatz Die Nachrichten über den Tod Cyprians, Sitzungsber.
d. Heidelb. Akademie, 1913, XIX S. 43, 3. Über ApoUonius scheinen die Akten
ja endlich geschlossen, und zwar für den Philologen rahmlich geschlossen.
2) Man arbeitet eine Art x:^puY(Aa hinein. Es ist dieselbe Erscheinung, wenn
aus anderem, gleich zu besprechendem Sprachempfinden die Qualen der Folterung
breit ausgemalt und gehäuft werden.
3) Vgl. für sie auch cap. 6, 2 — 4 (mit ^f^loi xat Ipt; -oXet; jjleyoü.ci; xaT£3xaJ»ev
xoi lövTj \ixiiki EcepiCcuaEv vergleicht man sofort CatuU 51, 13 otium . . . otio . . .
otium et reges prius et heatas perdidü urbes).
438 ^- Reitzenstein,
Soosi, TÖ YEVvaiov t^c Tziazeiüq autoö xXso? sXaßsv, SixaiooovYjv StSdc^ac
oXov TÖv xöo|AOV, xal IttI tö tspiia f^? Suascö? IX^wv xal {AaptopTjoac
kill TÖV "i^YODfiivwv oüTox; aTnrjXXäYT] toö xöojiou %at elc töv Syiov
TÖTTov iTTopso'ö'ir], oTTOfiov^? Y^^o^-^o? ^sfiavoQ 67roYpa{i[iö? ^). Die An-
schauung ist, wie zu erwarten war, im wesentlichen judenchrist-
lich. Das Zeugnis von Christus, das er vor den Herrschern der
Erde ablegen durfte, wird an Paulus hervorgehoben 2), dem {lapto-
pTjoa? entspricht hier XTJpo^ ysvö|jlsvo<; und klar wird davon der Tod
(aTCYjXXaYTQ toö xoojjloo) abgehoben ; freilich wird die lange Folge der
itäd-ri auch schon betont. In der entsprechenden Würdigung des
Petrus aber bezieht sich {lapTop-rjoa? auf die irövot [iiäd-i]) selbst,
deren Ende der Tod ist; das Tzad-oc; ist die^iapTopia. Dem
Verfasser sind beide Ausdrucksweisen schon geläufig; er wechselt
aus stilistischen Grründen.
Ahnlich und doch anders ist es in den Pastoralbriefen, vgl.
I. Tim. 6, 11 if. Siwxe Ss StxaioaövYjv, eoosßsiav, TctoTtv, otYaTCTjv, OTtojAovifJv,
TTpaüTra^etav. ocYtoviCoo töv xaXöv aY<öva t^<; TutoTsox;, sTiiXaßoö t^c alw-
vbo C»^?, sl? ^v sxXTfjö-Yjc, xal (öjioXö Y"iQoa<; TYjvxaXYjv 6{i.oXoYiav
IvtöTCtov ;roXXä)v {xapTÖpwv. TrapaYYsXXw ao: evwTriov toö •O-soö toä
CwoYOVoövTO? Tot Trdvta xal Xptatoö 'Iy]ooö toö {lapTopiQoavToc kizl
üovTtoo IltXdToo TYjv XttXTjv 6[JLoXoYtav TYjp^oai OS T7]v IvtoXtjv
aOTTlXoV aVSTTlXTJfiTTTOV {J-^XP^ '^^*» iTTt^aVStaC TOÖ XOpiOO fj(JL{J)V 'IlTjOOÖ XpiOTOÖ.
Der Verfasser entnimmt dem Paulus die Auffassung des Christen-
lebens als eines beständigen Erlebens der Passion des Herren und
einzelnen Stellen (vgl. z. B. I. Kor. 9, 24 ff.) noch besonders den
Anlaß, den Lebenslauf des Christen als den xaXöc otYwv zu be-
zeichnen (II. Tim 4, 7) ; aber er versteht ^y^v auch schon von der
passio. Er gewinnt sich damit die Möglichkeit, die ©[AoXoYia bei
der Taufe (oder Priesterweihe?) dem Bekenntnis Jesu, das als
Selbstbekenntnis natürlich auch 6|ioXoYta heißt , gleichzustellen.
Nur wechselt er bei der entsprechenden Wendung mit dem Ver-
bum und gebraucht von Jesus eine Wortverbindung, die ganz un-
griechisch und gewollt paradox scheint, toö {jLapTopi^oavTo^STci Hov-
Ttoo IltXATOo TTjv xaX-jjv 6{ioXoYiav ^). Scheinbar ist hier ©{ioXoysiv und
{tapTopeiv synonym gebraucht, aber [lapTopeiv hat dabei eine be-
stimmte Nebenbedeutung, die es bei Paulus selbst nicht hat und
nicht haben kann, nämlich TtaO-eiv, ajco^avsüv. Ein ähnliches Spiel
1) Vgl. Polykarp Fhil. 8, 2.
2) Vgl. Mark. 13,9 ItA V)Yt(AOvu)v xal ßaatX^tuv araö/jaeifte Ivixev i\i.o\i »{«
}>. «pTupiov aÜToiC xa\ th Travra xa ?8v7) Sei rpÄrov xTjpu^^ft^vai t6 t^iafjiXios.
3) Jeder Versuch der Änderung ist durch die gewollte Responsion ausge-
schlossen.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 439
liegt 11. Tim. 1,8 vor jit] oov iKaioxov^jC xö «lapTopiov toö xopioo
rj|tö)v {JLYjSe £[ts TÖv S^opitov aotoö, aXXa ouvxaxo-aO-r^oov T(^ säa^YS^tV
xata Sövaiitv *eoö. Natürlich ist der Hauptsinn „deis Evange-
lium von dem Herrn", das Timotheus hört und predigen soll*);
das zeigt schon das echt - paulinische Vorbild, das nachgeahmt
werden soll, Rom. 1, 16 oö ^ap IzaKr/övofiai tö eoaYfsXiov (vgl. I. Kor.
2, 1) 5Dvotjt'.<; YÄp Osoö iar.v xtX. Aber das Wort oovxaxo7rd^,aov
und die Berufung auf die Gefangenschaft des Paalus zeigt, daß
zugleich an das Leiden des Herrn gedacht werden soll. An der
zuerst genannten Stelle hat man mit Recht seit langem an die
Benutzung einer alten Bekenntnisformel gedacht. Den Gegensatz
zu 6 dsö? 6 CwoTOVwv ta Tidvta kann nur Xptotöc 'ItjOoöc 6 itadwv
kid Ilovnoo Il'.Xdtoo bilden (der lebendige und lebenspendende Gott
und der unter Pilatus gestorbene Heiland bilden den Glaubens-
inhalt und sind die Zeugen)^). Man soll wirklich nicht fragen,
welches Bekenntnis gemeint ist, oder gar (mit Corssen S. 496) auf
eines raten, das gar nicht vor Pilatus abgelegt ist. Christus hat
vor Gericht gestanden und sein Bekenntnis hat zum Tode geführt;
darum ist er der erste Märtyrer in nnserm Sinne. Der schon
feste Gebrauch des Wortes [«.apTupTJoa? für O-avwv ermöglicht den
schillernden Ausdruck^).
Allein die Stelle ist damit noch nicht erledigt. So wenig es
meine Aufgabe sein kann, die Frage nach Datierung und Tendenz
1) Vgl. I. Tim. 2, 6 ö 5ol)C sauTÖv dtvrO.utpov üzip rdvruiv, -ö actpT'jptov xatooi;
tSfoi?, e{; 8 i-:i%r^'/ iyui xr,p'j; xai dröstoXo;. Die Erlösung (durch die Passion) ist
das z^afiÜM-/, Paulus sein xr,pu$ (das Wort, das in diesen Briefen so besonders oft
erscheint) ; anders U. Tim. 2, 2 a ^xousa; zap' ^(loü 5iä -oD.üiv fiapriptov.
2) Vgl. etwa Ignatius Trall. 9, I ä).T,t)«ü; iSttü^ÖTj £rt Flovrio-j üi).d-o'j, ä\T^-
d ü)i £3Tajptu&r| xai dreSavev.
3) Ähnliche Spiele mit dem durch die beiden verschiedenen Ausdrucks weisen
veranlaßten Doppelsinn kann man bis in junge Zeit verfolgen. Cyprian sagt in
einer äußerst gezierten Briefstelle (38,2) er habe den confessor Aurelian zum
lector gewählt, quia et nihil magis congruit vod, quae deum (jloriosa praedicatione
confessa est, quam celebrandis divinis lectionibus personare , post verba divina,
quae Christi martyrium prolocuta sunt, evangelium Christi iegere, unde
martyres fiunt. Die verba divina quae Christi martyrium prolocuta sunt sind na-
türlich die vom Geiste eingegebenen Worte der 6fjioXoYta, die als Zeugnis für
Christus gefaßt werden. Cyprian folgt sonst einem ganz anderen , juristischen
Sprachgebrauch. Polykarp schreibt (7, 1) -ä; y^P 5; av jiTj ^|jLoXoyfj 'Itj2güv Xpi^töv
£v Sfzpxi IJvTjXuöevai, ävtr/ptSTo; ijiiv, xii o; av [jltj öfAoXoY^ t6 ijiaprjpiov toO STaupo-j
^x Toü oiotßoXo'j £3Tiv. Er will der Geburt den Tod gegenüberstellen; aber heißt
(Aopripcov Toj ffraupoj das Leiden des Kreuzestodes (vgl. Paulus Phil. 2, 8 dovato;
3Ta'jpoü) oder bedeutet es das Zeugnis, das das Kreuz für Jesu Leiblichkeit ab-
legt, das EjaYYEÄiov xovi staupoü im neuen Sinne?
440 ^- Reitzenstein,
der Pastoralbriefe ^) hier eingehend zu erörtern, so ist es doch
Pflicht, wenn die Geschichte eines Wortes für eine solche Frage
Wichtigkeit gewinnt, wenigstens nachdrücklich darauf hinzuweisen.
Welcher Anlaß liegt für den Verfasser vor, die Passion des Herren
als {xapxüpia in dieser pointierten Weise mit dem Leben des Christen
als 6[ioXoYta oder [jiapTopta zu vergleichen? Bedenkt man, daß die
Briefe gegen Gnostiker sich wenden, welche sagen, die Auferstehung
sei schon geschehen (11. Tim. 2, 18), daß sie in nachdrücklichster
Weise gegen die Pneumatiker (besonders die Asketen) polemisieren^)
und nicht dem Geistesträger, sondern dem Bischof die Rolle des
XTf^po^ zuschreiben, so kann man es nicht für zufällig halten, daß
im zweiten Jahrhundert weite Kreise des Christentums das Mar-
tyrium als Leistung ablehnen: Christus verlangt von seinen An-
hängern nicht die 6[j-oXoYta oder {ji-apTopia Sidc Xöywv iv SixaatTjptcp, son-
dern diä TrioTstoc Iv oX(j) t^ ßtcp. Gewiß werden für diese Ansicht
gerade Gnostiker zitiert^); aber auch Ignatius benutzt gnostische
Anschauungen, um Gnostiker zu bekämpfen. Dem Vertreter der
Bischofskirche, der hier spricht, sind die Ansprüche der ßekenner
unerträglich. So deutet er das wahre Bekenntnis auf den Priester.
Von hier wird ein weiteres Schriftstück verständlich, das ich
ganz analysieren muß, weil in ihm die später herrschende Begriffs-
bestimmung zum ersten male voll zu Worte kommt, freilich nicht
als Ansicht und nicht im Sprachgebrauch des Verfassers, sondern
nur als Äußerung der Bescheidenheit der Märtyrer. Es ist der
berühmte Brief der gallischen Gemeinden, der von ihrer Verfolgung
berichtet, ein in seinem Stil stark rhetorisches Schriftstück (Euse-
bius K. G. V 1). Die Märtyrer lehnen, trotzdem sie schon vielfach
Qualen erlitten haben und im Kerker den Tod mit Sicherheit er-
warten müssen, den Titel liapTops? für sich ab ; nur für Verstorbene
ist er zulässig (p. 428, 18 Schw.) : ixsivoi y^Stj [Adpiops«;, ou? sv z'q
6[JLoXoYtcf XpioTÖ? YjStwaev avaXY]9ä"^vat, STrtafppaYtodixsvoc aotwv
St a f^c l^öSoo TYjv {laptoptav, i^jAeii; 8k ojiöXoYOt [xeTpioi xai
xaTistvoi. Die npoari'fopia. f^c {laptopiac gebührt vor allem
Christus T(j) ttiot^ xal aXYjd'tvij) jidpropi xal Tcptotoidxcj) täv vexpwv xat
ÄpxYjYV T"^? Cw"^? Toö ^eoö*). Das Wort {laptopta bedeutet an der
1) Und zwar der persönlich gewendeten Stellen, die man halten will.
2) Vgl. Wendland, Die urchristlichen Literaturformen, S. 305, vgl. 339.
3) Vgl. unten S. 452. Damit ist weder gesagt, daß nur Gnostiker diese An-
sicht vertraten, noch daß sie erst zu Valentins Zeiten entstand. Aber jünger als
die judenchristliche Ansicht ist sie jedenfalls, setzt die feste Form der Christen-
prozesse voraus und ist auf hellenistischem Hoden entstanden.
4) Der Verfasser benutzt liier wie auch sonst die Apokalypse (er verbindet
1, 5 und 3, 14), gibt der Stelle aber einen neuen Sinn: Christus ist der erste Mär-
Bemerkungen zur Martyrienüteratur. I. 441
zweiten Stelle das Märtyrer - Sein ; an der ersten kann es diese
Bedeutang allein nicht haben; der Zusammenhang verlangt, daß
es den Begriif öjioXoYia aufnimmt und steigert; sie ist das Zeugnis.
das durch die Besiegelung beweiskräftig und wirksam wird. Das
ist, wie wir sehen werden, genau die Auffassung C\T)rians, der
danach martyr und confessor scheidet. Der Verfasser des Briefes
denkt anders ; ihm ist {Aaprjpsiv jedes zaays'.v in der Verfolgung,
aber seine Helden scheinen ihm gerade darin CTjXcatal xal jiijiTjtal
Xp'.oToö, also echte Märtyrer, daß sie ihre gottgleiche Würde nicht
„wie einen Raub" genießen, sondern voll verdienen wollen. Sie
gelten ihm selbst nach den verschieden Qualen als oo*/ azac oo5e
hiq, aXXdc icoXXax'.c (laptupTjaavTSi; (428, 9, vgl. I. Clemens 5, 4 ohy Iva
oo5s 8öo, aXXa reXstova? utctjvsyxs xöroo? xal ooto) jjiaprjpf^oa? xtX.
Hier ist »tapTOpT^oa? gleich ^adtov im weiteren Sinne). Unterschiede
und Grade sind möglich, ja notwendig; wegen seines Todes, aber
auch wegen der Fürbitte für die Feinde heißt Stephanus p. 430, 7
6 xiXs'.o? {idcpto?. Alle umschließt ein fester Begriff, der xXf^po? töv
{laptöpcov ^). In ihn tritt man durch die oaoXoYta ein, vgl. 41'2, 8
Xp'OT'.avtjV iaorrjv (»{loXö^ei xai tip xXr^pü) tdiv (laprjpwv irpooste^,
420, 23 xal ojioXoYOövTs? rpoastidsvto zü^ rwv {laptopwv xXrjpw, endlich
404, 27 in einem Falle, in dem ich nicht zu entscheiden weiß, ob
von einem Fortleben nach dem Martyrium im Himmel oder auf
Erden die Rede ist, toö 6s XajiTrpoTat-o «ptöv^ oiioXoYTjoavto«;, avsXijtp^
xal aoTÖ? el? töv xXiJpov twv jtaptopwv ^). Wie in dem Briefe an
Timotheus (I 6, 13 toö {taptopf^aavto? . . . njv xaXijv opLoXo^iav, vgl.
oben S. 438) scheint ferner {laptupia als Synonym für b^oko^it ein-
zutreten p. 414, 6 aTTsSiSoo rf;v xaX-rjv [laptupiav. Aber es scheint
wieder nur so ; Pothinus, um ■ den es sich handelt, legt gerade
keine 6|i,oXoifta ab, sondern zeigt nur seine Tapferkeit, indem er
tyrer, weil er zuerst von Gott wegen des raOo; wiedererweckt ist, und ist darum
auch dpyTjYo; des Lebens bei Gott und als Gott, das die Märtyrer genießen. Tod
und Auferstehung gehören notwendig zu dem Begriflf iiipTu;.
1) Vgl. im Polykarp-Martyium 14, 2 (oben S. 419) Xaßeiv jiipo; £v dptSfxci täv
{AotoTuptuv (vgl. für den Wechsel Apostelgesch. 8, 21). Wieder schillert der Aus-
druck; gemeint ist bald das himmlische Erbteil (Ignatius Rom. 1,2), bald die Ehre,
der Rang. Cyprian scheint den formelhaft gewordenen Ausdruck in letzterem
Sinne zu verstehen und den x)vfjpo; -<üv [x^pripoiv (für ihn tüjv 6|jloXo7t,twv) als
Vorstufe für den xXfjpo; täv Up^wv zu betrachten, wenn er ep. 39, 1 von dem Be-
kenner Celerinus sagt clero nostro non humana suffragatione sed diiina dignatione
coniunctum.
2) Das heißt er wurde dazu erhoben, -a8eiv iuEp toO öv^ii-axoc Kattenbusch
S. 118 wül das jedesmal auf die Hinrichtung beziehen. Nichts in der Erzählung
berechtigt dazu. Dem Bekenntnis folgt die Hinrichtung bei den meisten erst ganz spät.
442 ^- Reitzenstein,
den Beamten verächtlich behandelt (gemeint ist die jxaptopia Sia
spYOöv). Ahnlich scheint er steigernd zu sagen 406, 8 TTpcoioiidpiu-
psc ^) Ol xal [teta TrdoTj? Ttpod-ojxta? avsTrXTjpoov ttjv ofioXo^iav zy]<;
t^apiopta?. Aber auch dabei ist wohl [laptopia hauptsächlich das
Märtyrer -Sein, tö Trdoxetv, wie z.B. 412,29 8ia. ttjv lY^stjxsvirjv ttj?
jiaptDpia«; Im^üjiiav ^) und 414, 24 y] x^9^ '^^*^ {AapTopta?. Beide Be-
deutungen gehen in einander auch 428,23 über: %ai tyjv Sövajtiv
TT]? ji-apToptas iTceSsixvovTO tcoXXtjv ;:app7]aiav aYovts? Ttpö? ta i^vYj.
Es handelt sich um die Gabe pneumatischer Rede, die der Bekenner
und also auch der Märtyrer empfängt (der Ausdruck ist ähnlich
wie Toc OYjjieta toö aTcooxöXoo), aber sie ist zugleich die ,, Kraft des
Zeugnisses". Das Neutrum {xapTÖptov ist der Femininform gegen-
über selten; es bedeutet das Tiäiio?, das zu dem Tode führt 416,12
sl? ;räv sISo? Sf^psiTO Tot [laptupta f^c l^öSoo aütwv^). Die Sachlage
ist gerade umgekehrt wie bei Hegesipp und in den früher ange-
führten Stellen. Dort hing im Wesentlichen die Bedeutung an
der Kundgebung durch das Wort; nur in einzelnen Wendungen
kam ein anderer Sprachgebrauch mit hinein. Er überwiegt hier;
das Zeugnis liegt nicht in dem Wort, sondern in dem Werk, in
dem Tcaoxstv und der DTcojtov»]. Nur vereinzelt wirkt der andere
Sprachgebrauch noch nach, und darüber, ob zu dem Begriff {jLdpto?
der höchste Grrad des Tcdtoxstv, also der Tod, erforderlich ist, gehen
die Meinungen auseinander. Daß der Verfasser des Polykarp-Mar-
tyriums der strengeren Auffassung huldigt^), habe ich früher ge-
zeigt; sie dringt allmählich in der Kirche durch.
Etwa seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts scheint der
1) Die zeitlich ersten und zugleich die vorzüglichsten Märtyrer ; das Wort
scheint nach uptutaYouvtaxT^; gehildet; wechselt doch auch sonst aocptu; mit äyu)vt:;r/,;
ab, vgl. die gezierten Worte 408, 15 t\x\z ?jv xal aüx'^ täv [AopTupiuv p.(a dytuvfoTpia.
2) Von hier ist Mart. Pol. 13,2 oben S. 419 zu erklären, falls es richtig ist.
3) Ich habe damit die Stellen, die meines Erachtens technischen Wortgo-
brauch zeigen, sämtlich angeführt, wie im Eingang beim Polykarp-Martyrium. An
ihrer Gesamtheit bitte ich den Leser Holls Worterklärung nachzuprüfen. Aus-
geschieden habe ich 408, 22 (xotprupeiv = X^yeiv (noch dazu von den Heiden gesagt) ;
410, 14 TÖ 8^ aiufAd-rtov p-ap-cu; ■^jV xdiv aufAßeßifjxoTcuv ; 404, 16 o\i xal irX xoaoüxov i^,xpi-
ßwTO 1^ noXixefa tu; xateep i?vTa v^ov auve$t3oü<j&at ^zf^ toü TrpeaßuT^pou Zoxapfou [Aap-
Tupfo (wohl guter Leumund, auf Luk. 1,6 bezüglich, vgl. (jie(j.apTupr,pidvo; bei Ignatins
Philad. 11, 1 oder Hegesipp bei Eusebius II 23, 17 p. 170, 16; ähnlich oft bei jün-
geren Profan Schriftstellern, vgl. auch Deißmann, Neue Bibelstudien 1)3), endlich
418,24 •^-^r^'il^üz iw Tfj Xpiaxtavfj auvxa$et Yeyup.va3fi^vo; ^^v xal äel (Jia'pxu; i-fz-j[6\tt. irap'
Vjpitv äXTjöei'a? (wohl nach Ev. Job. 18,37 tlz xoüxo ^XT,Xut)a di xov xtJjfxov, ha p.ap-
xupyjOü) XTJ dXirjtlcia" Tiä« ö Tuv ix xtjc dXrjöefa; öxojei iiou x^c cpuivr^i;, jedenfalls aber
nicht vom Märtyrer gesagt).
4) Ebenso Pass. Scilit 15 hodie marlyres in caelis sumus.
Bemerknngen zur Martyrienliteratur. I. 443
Gebrauch allgemein, den Christen, der vor der Obrigkeit seinen
Grlauben bekannt und seine Treue mit seinem Herzblut besiegelt
hat, {jiapTu? zu nennen, denjenigen aber, der trotz seines Bekennt-
nisses am Leben gelassen wurde, als öji.oXoYr^'n^i; oder confessor
einen erheblich niedrigeren Rang^) anzuweisen^). Die Tatsache,
die um so befremdlicher ist, als der hingerichtete Bekenner doch
keine andere Handlung vollzogen hat, sondern aufGrund des
Bekenntnisses ganz ohne sein Zutun zu etwas Höherem ge-
worden ist oder einen Titel erhalten hat, der das Wesen der
Sache nicht ändert, zeigt sich am deutlichsten bei Tertullian Ad
mart. 1, wo er die gefangenen Christen, die im Kerker der Be-
strafung entgegensehen, also die confessores, als martyres designati
anspricht. Ursprünglich ist ein derartiger Titelunterschied nie.
Natürlich hat sich der strenge Sprachgebrauch auch im Leben
nicht durchgesetzt. Derselbe Cyprian, der sonst so streng zwi-
schen beiden Titeln scheidet, schreibt an die Bekenner einer Ge-
meinde als an die martyres et confessores; man kann ja nicht wissen,
1) Die gallischen Märtyrer sagen p. 428, 20 Schwartz T^^fwi; oe öfioXoyot fxirotoi
yat xazervof. Eine Standesbezeichnung erscheint hier zum ersten mal, so
viel ich weiß, und die Überlieferung ist leider nicht ganz sicher (öjxoXoyoufiivuic
TeERM, vermutlich nach falscher Deutung des Wortes öjaoXoy&i; Rufin verstand
seinen Text nicht und gestaltete die Worte nach dem Vorausgehenden ; die neueren
Konjekturen befriedigen nicht). Charakteristisch ist, daß gleichzeitig mit dem
Eindringen des neuen Begriffes p.ciprjpe; der unterscheidende Titel nötig wird.
2) Wenige Stellen mögen die allbekannte Tatsache belegen und verdeut-
lichen. In der Passio Montani c. 21 wird ein Bekenner, den der Beamte nicht
hinrichten will, in einer Vision getröstet <bis> confessor es, tertio martyr es<to>
ad gladium. Von einem ähnlichen Fall spricht Cyprian ep. 38, 1 : zweimal hat
Aurelius seinen Glauben vor dem Richter bekannt ; das erste mal ist er dafür
verbannt worden, das zweite mal sogar gefoltert und vervmndet; dennoch ist er
nur confessor: gemino hie agone certavit, bis confessus et bis confessionis suae
Victoria gloriostis, et quando vicit in cursu factus extorris et cum denuo certamine
fortiore pugnavit , iriumphator et victor in praelio passionis. Nicht einmal der
dyu)v , die passio , macht zum (Asptu; , wenn er nicht zum Tode führt , andrerseits
macht die Todesart nichts aus ; wer im Kerker oder in den Bergwerken an Krank-
heit stirbt , ist Märtyrer. Bestätigung bieten die Definitionen , z. B. Cyprian ep.
12, 1 cum voluntati et confessioni nostrae in carcere et vincttlis accedit et moriendi
terminus, consummata martyrii gloria est und ep. 36, 2 (Brief der römischen Pres-
byter) si martyres non propter aliud martyres fiunt, nisi ut non sacrificantes teneant
ecclesiae usque ad effusionem sanguinis suipacem. Wenn Tertullian Scorj». 8
von den drei Jünglingen im feurigen Ofen sagt o martyrium et sine passione per-
fecttm, so zeigt die Pointe in der Bildung des Oxymorons nur, daß auch für ihn
das martyrium sonst den Tod voraussetzt. Ähnlich der späte Cassian, wenn er
Conl. XVIII 7, 7 den Asketen, der im Gehorsam täglich sich selbst kreuzigt und
die eigene <\i'r/[fi verleugnet, als martyr vivus bezeichnet.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916, Heft 3. 30
444 R. Reitzenstein,
wen Grott zum Märtyrer erheben, wen als confessor belassen wird ;
wenn der lapsus sich rühmt, von ihnen das Fürwort erlangt zu
haben, sagt er pacem a martyribus in carcere exoravi; der Bischof
spricht dabei von confessores. Eine gewisse Freiheit ist der Devo-
tion des einzelnen gelassen; wenn die Scilitaner nach der griechi-
schen Fassung sagen ai^iispov aXirjö-w? jidcptopsi; Iv oupavol? TDY/avo{X£V,
so setzt der Schreiber voraus, daß sie bisher schon mißbräuchlich
so genannt worden sind. Die passio in weiterem Sinne beginnt mit
dem Eintreten der Haft, jedenfalls aber mit der confessio, und es
kann nicht befremden, daß solange die Haft währt, eine Ent-
scheidung, ob sie zum Tode führen wird, also noch nicht gefallen
ist, der Bekenner fast einen Anspruch auf die ehrerbietige Anrede
{j-apto? hatte, wenn wir bedenken, daß noch gegen Ende des zweiten
Jahrhunderts ein Bischof (?) den Brief des Serapion von Antiochia
offiziell unterzeichnen kann AopYjXioi; Kopivio? {JLapto? Ippwadat ojAäg
Boyo\Lai (Eusebius K. G. Y 19, 3 p. 480, 8 Schwartz). So lange die
{iapTopia darin liegt, daß man vor der Obrigkeit oder einer Volks-
menge seine Überzeugung, Jesus ist der Christus, aussprach, ist
eine Scheidung zwischen ojJioXoYta und jiaptüpia ja überhaupt nicht
möglich, da es eine ojtoXoYta in juristischem Sinne noch nicht gibt.
In dem römischen Christenprozeß nimmt 6[JLoXoYta die Bedeutung
an, daß der Sprechende sich zu einer unter Strafe gestellten Re-
ligion bekennt und seinen Willen, an ihr festzuhalten, kund gibt.
Das Wort [laptopta wird jetzt eigentlich in Fortfall kommen müssen.
Man rettet, wie schon angedeutet, den alten Begriff der {laptupta
in einer Nebenkonstruktion, die zugleich gestattet, Grade des Tud-
a)(stv 8ta xö 6'vo{i,a, die längst gemacht waren *), zu einem schärferen
Ausdruck zu bringen. Aber die sakrale Folgerung knüpft be-
zeichnender Weise an die o^toXoYta. Sie gibt nach allgemeiner
Anschauung den Besitz des Greistes (macht zum xveu^taTixö?) und
gibt die praerogativa in der Gemeinde. Das «d^oi; gibt die Sö4a
bei Gott, und da er gerecht ist, wird er sie nach der Höhe des
Tud'O-o? verschieden bemessen. Aber selbst hierbei wirkt der Ge-
danke ein, daß die 6[ioXoYia schon die Willenserklärung zum Leiden
enthielt, das Tcd^o? nur ihre Bekräftigung und Vollendung bringt').
So ist der Wille die Hauptsache, und selbst den himmlischen Lohn
wird Gott nach seiner Stärke, nicht nach dem äußeren Erfolge
1) Vgl. Hermas Sim. 9, 28 und 8, 1 ff.
2) Cyprian cp. 6, 2 de tormentis, quae martyres dei consecrant et ipsa pa s-
sionis probatione sanctificant (vgl. die Auffassung des Hermas, daß ndayti^
8ti t6 5vo(xa entsündigt) ; ep. 6, 3 ne minor esset confessionis virttts sine testimonio
passionis (fast etymologisches Spiel: äveu p.opTup(at |jLapTup(ou).
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 445
bemessen^). Jene Scheidung zwischen jtipTOps«; und oitoXo-j-ijtai gilt
im Grrunde doch nur auf Erden, nur für die Kirche, die ja auch
von jener Bezeugung durch die Tat (das Leiden) den Vorteil hat.
So hebt sich die neue Scheidung für den folgerichtig Denkenden
von selbst wieder auf. Und doch ist sie von ungeheurer geschicht-
licher Bedeutung geworden.
Zwei Vorstellungen scheinen sich bei dieser Umwertung des
BegriflPes {j-aptopsiv zu verbinden. Neben dem juristisch gefaßten
XÖ7(j) {JLapTopciv gibt es ein ^P7(j) {laptopelv in übertragenem Sinne,
ja man kann sagen ta Ip^a {laptopsi Toi(; Xöyo»? (Grrundbedeutung :
bekräftigen, wirksam machen). So sagt Epiktet von dem Philo-
sophen, der seine Worte durch seine Standhaftigkeit bekräftigt
(I 29, 26) 6 IpYCj) (lapTOp-jjoöJV tot? Xö^oi?, Porphyrius Äd Marc. 8 8s i
ODTCü? ßioöv oott? IrciarsDOsv, tva xal aoröc Äiotö? fj ji-ipro^ zzpi wv \t{t'.
Toi? axpoa){iivoi(: oder der Brief an Diognet 12,6 6 -j-ap vojJLiCtov sl-
S^vat Ti avso ^vtüaeoüe; aXYjdoö? xal {tapTopoojiivrj? oäö t^? Cw"»)? oäx
s'yvü). Die Wortverbindung ist dabei lehrreich, denn in der Grnosis
tritt dieser Gredanke in dieser pointierten Form tatsächlich be-
sonders stark zu Tage. In Übertragung liegt er schon bei He-
rakleon vor, der bekanntlich (Clemens Strom. IV 71) ein 6{ioXoY£tv
iv (pwv^ und ein ö{jLoXoY£tv Iv jciotct xal TroX'.teio^ scheidet und seine
Ausführungen an Matth. 10, 32 knüpft, wo von dem Bekenntnis vor
einer feindlichen Welt die Rede ist. Schon seine ersten Worte
^ovavTai 8s tauxTjV ttjv 6{JLoXoYlav xal ot oTroxpital ojjloXoyeIv zeigen, daß
er, um seine These durchzuführen, die ojJioXoifla vor den Grlaubens-
genossen zvt Hilfe nehmen muß. Geprägt ist der Begriff für die
{xapTDpla, und so versteht seine Ausführungen auch im Folgenden
Clemens selbst (IV 73 — 75, vgl. p. 282, 6 Stählin oao-. 8s sp^tf {tsv
3capd töv ßtov, Xo^tj) Se Iv 6ixa(3T7;pi(p iJiaprjpoöoiv), Die Gnostiker,
oder wenigstens ein Teil von ihnen, stellen dem ftaptopsiv vor Ge-
richt (8ia ^avdtoo) das »lapTOpsiv im Lebenswandel (8'.d ßiou) als das
größere und eigentliche jtapxupiov entgegen und das spätere Mönch-
tum schließt sich ihrer Auffassung an^). Der Gedanke ist noch,
1) Cyprian ep. 10, 5 nee contristetur aliqui^ ex vobis (wie Flavianus in der
Passio Montani) quasi Ulis minor, qui ante vos iormenta perpessi v4cto et calcato
saeculo ad dominum glorioso itinere venerunt. dominus scrutator est renis et cordis.
arcana perspicit et intuetur occuUa. ad coronam de eo promerendam sufficit
ipsius testimonium solum (Gegensa.tz testimotiium passionis) quiiudicatunis
est (vgl. auch die Fortsetzung). Die Auffassung kehrt ganz zu der früheren, z. B,
bei Hermas, zurück, der ja den himmlischen Lohn allein von der Größe der Trpo-
8u(jL{a abhängig macht.
2) Natürlich in der uns vorliegenden Form, ohne die eigentlichen Märtyrer
herabzusetzen. Dieselbe Übertragung findet bei bft.oXo-(ia statt.
30*
446 R- Reitzenstein,
daß sich jenes im wesentlichen Xö^cp, dieses lpY(p vollzieht. So
mußte ihren Gegnern der andere Gredanke doppelt nahe liegen,
daß der Christ auch vor Grericht, wenn auch die öji-oXo^ta nur im
Wort besteht, durch den oc^wv und durch seine Standhaftigkeit in
ihm ein Werk vollzieht und eine (laptopia für seinen Glauben und
seinen Gott ablegen kann, eine iiapxopia gewiß nicht vor dem
Richter und dem Gesetz, wohl aber vor den ungläubigen Zu-
schauern. Man denkt daran, daß gerade die itä&ri des Christen
sie an der Macht seines Gottes zweifeln lassen müssen : non vult
aut non potest opitulari; ita aut invalidus aut miqaus est (so Minucius
12, 2 , der damit wörtlich Epikurs Fr. 374 Usener widergibt).
Durch die Art desErtragens zeigt der Christ die Kraft
seines Gottes und wird [xdptoc xoö •8'soö. Der Gedanke ist weit
verbreitet, aber ursprünglich ist er nicht. Wie er den Begrijff
des afwv vorauszusetzen scheint, so setzt er andrerseits voraus,
daß die Zuschauer nicht über die Macht eines ihnen unbekannten
oder verhaßten Gottes , sondern des Gottes schlechthin sich Ge-
danken machen oder im Zweifel sind^). Die natürliche und darum
ältere Verbindung der Gedanken zeigt Epikur, der die herrschende
Überzeugung von dem Walten Gottes mit diesen Erwägungen er-
schüttern will, und zeigen seine Gegner, die Stoiker. Wenn Seneca
{Dial. I) die Frage quare aliqua incommoda honis viris accidunt, cum
Providentia sit zu lösen versucht, so fühlt er sich als advocatus deo-
rmn oder dei (1, 1 causam deorum agam). Gott wird dabei ange-
klagt. In ähnlichem Sinne ist der Weise, der die Leiden willig
erträgt, und vor allem, der mutig dem ungerechten Richter und
Tyrannen trotzt, testis dei^). Die spätere christliche Literatur
macht sich durchaus die Argumente der Philosophen dabei zu
nutze, verwendet ihre Gleichnisse und Metaphern und spricht ihre
Sprache. Ich habe die Epiktet-Stellen, die zuerst Geffcken a. a. 0.
herangezogen hat , in meinem Buche (S. 85 ff.) voU ausgeschrieben
und hebe hier nur aus einem Kapitel (I 29) die typischen Wen-
dungen des Gedankens heraus. Er umfaßt an sich jede bedrängte
1) Nur 60 läßt sich auch der Begriff der Anklage hereinbringen, der die
Wahl des Wortes (jictpTupetv und i^apTu; &eoü allein natürlich macht. Die ältesten
Beispiele bietet die Tragödie, den ältesten Beleg für das Wort wohl Cicero De
nat. deor. III 83 Diogenes . . . dicere solebat Harpalum . . . contra deos testimonium
dicere, quod in illa fortuna tarn diu viveret.
2) Der Drang zu freimütigem Zeugnis ihm gegenüber ist allgemein und nicht
Äuf die Stoa und die Kaiserzeit beschränkt (vgl. für die Epikureer früherer Zeit
jetzt Diels Abhandl. d. Berl. Akad. 1915 VII 100). Woher IIoll (S. 532, 3) die Be-
hauptung entnimmt, ich hätte Schriften wie itepl ttj« T«7iv cpiXo<j(!«pu>v civ5pc(a; nur als
Unterhaltungsliteratur bezeichnet, habe ich nicht finden können.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 447
Lage und jede Trspiataoii; (irad'O«;), nimmt aber als klarstes Beispiel
zum Ausgangspunkt den Fall, daß der Philosoph vor den Tyrannen
oder Beamten gestellt wird, der die ISooata über seine Freiheit
und seinen Leib hat und meint, sie auch über seine Überzeugung
(SÖYtJLa) zu haben. Das allein bestreitet ihm der Philosoph, und da
der Beamte durch Drohungen seinen Trotz brechen will, kommt
es zum Kampf, in dem nach Gottes ewigem G-esetz der Stärkere
— und das ist immer die Überzeugung. — siegen muß ; selbst die
Verurteüang xpivw ae aoeß*^ xal otvöatov slvai kann, da sie ein fal-
sches Urteil enthält , dem Philosophen keinen Eindruck machen.
Aber der Gedanke greift weiter und geht über zu jeder bedrängten
Lage , Not oder Armut ; eine jede ist für den Philosophen eine
Berufung (x^TjOr^vat) zur äitd^ziiiz der Schulung seiner Seele. Sie
muß sich in seinem ganzen Verhalten , seiner Gelassenheit oder
seinem Mute zeigen. Gewiß gehört dazu auch der rühmliche Aus-
spruch, die xaXt] ^wvt], aber nur als Teil eines einheitlichen Ganzen.
Denn an Worten derart (jetzt Xoifdp'.a) haben wir in den Büchern
genug, wir bedürfen Männer, die zu dem Wort das Zeugnis der
Tat fügen ^). So fordert Epiktet : übernimm diese Rolle : iva [tijxitt
iroXatoi? Iv r^ <3^o^t 'capaSstYjiaot -/pcüULS^a , aXX' l/<i){j.£v z: xal
xaO-' tjjj.ä? TrapdSsiYiJLa ^). In diesem Zusammenhang begegnen die
Worte : tcw? ouv avaßaivet<; vöv ; w? |i a p t o ? 'j;rö dsoö X£xXt](1£voc •
epxoo ou xal {laptopirjoöv {tor oo '{o.p a;io? et irpoa^d^vai [laptoc
6::' IjjLoö. Das Tiado? ist eine Auszeichnung , die Gott den Seinen
erweist. Zeigt er sich schwach, so schilt ihn Epiktet taüta jtiXXsi?
^aptopeiv xal xataio^ovsiv rijv xX-^aiv fjV x^xXtjxsv 8ti os Itcji-yjasv
TaÖTYjv TTjV T'{i,T(V xal a^tov fjYTioato TzpoooLfOi^ziv el? jtapTOpiav tirjXtxaoryjv ;
Gott ist der Angeklagte ; ihm wirft man vor, daß er den Menschen
das Übel sendet; der Phüosoph darf durch sein Verhalten und
seine Seelenverfassung Zeugnis ablegen, daß es keine Übel
sind^). Gewiß ließen sich diese Gedanken leicht ins Christliche
übertragen und fanden Anknüpfungspunkte in der christlichen Vor-
stellung der {taptupia; daß sie bei Christen unabhängig entstanden
sind , ist wenig wahrscheinlich. Nicht für Christen , wenigstens
1) Vgl. oben S. 440 und 444, 2. Ich lege höchstes Gewicht darauf, daß der
Nebengedanke, daß die Tat, der mutige Kampf, das Wort „bezeugt", von Anfang
an in dieser hellenistischen Gedankenreihe mitwirkt.
2) Vgl. I. Clemens 5, 1 •jzooeiyu.ata (oben S. 437). Es sind die [ia'pTjpe; des
Hebräerbriefes (12, 1). Auch das hätte Anknüpfung im semitischen Sprachgebrauch,
vgl. für das Arabische Lane p. 1061. Ebenso die Bezeichnung der Zeugen Gottes
als Zeugen gegen die Ungläubigen (Epiktet IV 8, 32) , doch liegt natürlich hier
rein griechischer Gebrauch zugrunde.
3) Vgl. auch Philo De Providentia und Weodlands Schrift über ihn.
448 ^- Beitzenstein,
nicht für die Christen jener frühen Zeit, bedarf Gott gegenüber
einer allgemeinen Anklage derartige Entlastungszengen. Nur aus
den religiösen Verhältnissen im Hellenismus ist diese Glrundan-
schauung verständlich; sie paßt in ihrer Übertragung auf das
Christentum nicht einmal ganz, da hier zu der ganz anderen
eigenen Sache des Angeklagten, die zur ofioXoifia führt, die {xap-
xopia in jener allgemeinen Anklage der Ungläubigen gegen Gott
unorganisch angefügt wird. Daß übrigens der Christ sich gerade
dabei nicht als Sklave Gottes fühlt (siehe Corssen oben S. 428)
zeigt am besten der Begriff der xX-^oic, den Epiktet so stark be-
tont; man vgl. etwa Clemens IV 13, 1 p. 254, 6 v.ctXob^evo<; 6 yvw-
OTixöc oiraxoDst pcjöiw? oder die neugefundene pseudocyprianische
Schrift Zeitschr. f. d. neutestam. Wissensch. 1914 S. 88 Z. 400 ora
ut in participatlonem martyrum reciferis. Schon vor der Geburt be-
stimmt Gott dem einzelnen die Ehre eines solchen Rufes ^) ; aber ihm
zu folgen bleibt eine freiwillige Leistung und ein Verdienst um Gott.
Wenn HoU (S. 532, 2) gegen Geffckens Ausführungen ein-
wendet , Epiktets Begriff von {idpro? enthalte gerade das nicht,
was das Christentum betonte , bei Epiktet bedeute [Adpto? nichts
anderes als aY^eXo?, d. h. Bote, und Leiden und Sterben gehöre
für ihn nicht notwendig dazu, so begeht er damit neben dem
Grundfehler seiner Untersuchungsmethode, überall von Gesamt-
begriffen, nicht aber von der lexikalischen Untersuchung der ein-
zelnen Nüanzen des Wortes auszugehen, meines Erachtens einen
doppelten Irrtum: auch für Epiktet und alle Stoiker wird der
Sendbote Gottes erst durch die Leiden zum \idpzo<;, und andrer-
seits ist auch im Christentum der {lapto? ursprünglich nur der
Gesandte, der Bote; selbst bei der Umbildung des Begriffes kann
von einer Notwendigkeit des Sterbens auch beim christlichen
jj,dpTDc zunächst nicht die Rede sein. Es ist klar, wie die juden-
christliche und die heidnisch - hellenistische Vorstellung einander
nahe gekommen sind. . Daß die erste von der zweiten wirklich
beeinflußt ist, muß endgültig der Gesamtton der Stellen, in welchen
der jüngere christliche Sprachgebrauch zuerst erscheint, wenigstens
1) Vgl. z. B. die pseudocyprianische Schrift Zeitschr. f. d. neutestam. Wissensch.
1914 S. 78 Z. 115 ideo gaudium in caelo Omnibus protulü quod destinatus
martyrio proper avit (orrejoetv wird bei den Heißspornen regelmäßiger Ruhmes-
titel des Märtyrers). Auf dem Begriff der xXTjot; beruht in der Passio Carpi 42 ff.
die Schilderung der Agathonike: sie sieht den Märtyrer auf dem Holzstoß, hört,
daß er die 8<i$a xoü öeo5 schaut, darf sie selbst erblicken, betrachtet das als die
xX^at? oüpavto« (freilich zugleich im Sinne einer Einladung zum Mahle im Ilimmcl)
und stürzt sich in die Flammen.
Bemerkungen- zur Martyrienliteratur. I. 449
dem Philologen beweisen. Wie hier in dem ersten Clemens-Briefe,
den Briefen an Timotheus, dem Polykarp - Martyrium und dem
Briefe der gallischen Gemeinden alle Bilder und Metaphern der
stoischen Traktate zusammenerscheinen und sich wechselseitig stei-
gern (ä7ü)v, äYwviOTTf.?, a^MviCsa^a'- ^), adXov, äO-Xr^Tf^?, YO{i.vdCsa^ai u. a.
mehr) muß man empfinden, indem man die Schriften der früher ge-
nannten Reihe, in der [iaptopiov für passio nicht vorkommt, ver-
gleicht. Es fällt mir natürlich nicht ein, zu bestreiten, daß ein-
zelne jener Worte und Bilder aus dem allgemeinen Gebrauch schon
in die älteren Schriften (besonders des Paulus) übergegangen sind ;
auf ihre Häufigkeit und Selbstverständlichkeit und auf
den rhetorischen Gesamtton der Sprache kommt es an; sie be-
weisen zwingend: die hellenistische Martyrienliteratur und die
hellenistische Vorstellung hat hier das Christentum beeinflußt.
Ihr entstammt zunächst der ganze Gedanke, daß der Christ durch das
mutige Verhalten und die 6xo|iov>^ Zeugnis für seinen Gott ablegt.
Nicht erklärt ist freilich bisher die Bedeutung, die der Tod
dabei für das Martyrium gewinnt. Von vornherein ist klar, daß
sich verschiedene Erklärungsmöglichkeiten bieten und die lexika-
lische Beobachtung zur Entscheidung nicht allzuviel helfen kann.
An sich mußte auch für den rein hellenistischen Sprachgebrauch
und rein hellenistisches Denken der Tod die stärkste aÄÖ5£'4t<; sein.
Peregrinus Proteus wird aus denselben Gründen, die Epiktet für
das Ertragen der Leiden anführt, zu dem Ehrgeiz getrieben, als
rapd§£'.7{j.a zu erweisen, daß der Tod kein Übel ist; der Begriff
{taptopia, jjLaptopiov ließ sich hier durchaus rechtfertigen-). Andrer-
seits ist natürlich auch für die jüdische und judenchristliche Be-
trachtung der Tod das höchste Trido?, das zugleich den höchsten
Lohn verheißt. Ich habe auf Josephus schon verwiesen (S. 420)
und trage hier nur noch einen Hinweis auf die Weisheit Salomos
3, 2 — 8 nach , weil sie , selbst übrigens schon griechisch beeinflußt,
1) Auch die Verbindung xoXo: dyiuv, xaXij fnapropia (vgl. bei Epiktet xoXJ)
ffia^-fi) scheint mir charakteristisch. Für Paulus s. Wendland Literaturformen 357, 1.
2) Selbst den Vorwurf der xr/o5o;ici weist sein Lobredner Theagenes zurück
(Lukian c. 4), hat dies also offenbar in seiner Schrift auch getan (vgl. über sie
„Hellenistische Wundererzählungen " S. 37 ff.) ; er vergleicht ihn mit Herakles, und
an Herakles will Seneca in seiner Tragödie besonders zeigen, wie der Weise den
Tod erleiden soll und daß der Tod kein Übel ist (vgl. Lukian c. 23, c. 33). Re-
konstruiert man sich die Schrift des Theagenes und ergänzt sie etwas aus Epiktet,
so gewinnt man in der Tat ein lehrreiches Bild eines heidnischen fj.ap-upiov.
Lukian 37 o-j 700 ifyj -ro 8^a[j.a tuzTT^uevov YcpovTiov 6p5v mutet direkt wie eine Ver-
höhnung stoischer Deklamationen, wie Seneca De protid. 2, 8. 9 sie bietet, an.
450 ^- Reitzenst.ein,
ihrerseits auf die frühchristliche Literatur starken Einfluß übt^).
Die natürliche Entwicklung der Gedanken zeigt am besten Hermas,
der Sim. IX, 28 jedes jrao/eiv als verdienstlich und Anspruch auf
86icL bei Gott gebend faßt; eine Steigerung des Anspruches gibt
das irpo'ö-Dfi.ciD? Traa/stv, und der höchste Beweis der 'Kpo^n^ia ist der
Tod. Das bloße ofioXoYetv ist auch dem möglich, der geschwankt
hat (IX 28, 4 ; es wird Sim. VIII 3, 7 als ein •9-Xtß^vat uTrep toö vd{ioo
bezeichnet, bei dem man weder leidet, itaa/ei, noch verleugnet, äp-
vettat). Der himmlische Lohn wird für jeden nach der Trpoä-oji-ia
verschieden sein. Eng stimmt hierzu, wie oben S. 444 gezeigt ist,
Cjrprian. Auch er betont, daß die Stärke des Willens allein entschei-
det; der Wille selbst tut sich in der o^xakofia. kund, seine Stärke erst
im Leiden und volle Gewähr für sie und darum für den Lohn gibt
erst der Tod ^), er ist das [lapTÖpiov t^Xeiov ^). Schon hiernach wäre,
sobald [laptopia einmal von dem Ertragen des Leidens gesagt wird,
l[i,apTOp7]0£V für dwrsdavsv einigermaßen verständlich. Allein die
Hauptsache ist doch wohl eine Auffassung, die ich im Gegensatz
zu der jüdischen und der hellenistischen einmal eigentlich christ-
lich nennen möchte; sie bietet für jene beiden immer Ergänzung
und Korrektur. Suchen wir einen Terminus, der für sie bezeich-
nend ist, so bietet sich (iiiJnrj'CTf^? (CtjXwttqc) und [i.aO'YjtYj? Iyjooö,
Worte, die mit besonderer Betonung bei Ignatius, bei Polykarp
(8, 2) selbst, in dem Martyrium Polykarps und in dem Briefe der
gallischen Gemeinden begegnen (vgl. unten S. 459). Gewiß be-
ziehen sie sich ursprünglich nicht auf das Leiden allein — der
Wortgebrauch bei Ignatius zeigt das besonders klar — , aber zur
Nachfolge im Leiden hatte Jesus seine Jünger immer wieder er-
mahnt; der Schüler hat nichts Besseres zu erwarten und zu ver-
langen als der Lehrer ^), und mit der Mahnung, ihm nachzuahmen,
hat schon früh die Kirche die Forderung verbunden, aus Liebe
selbst das Leben für die Brüder zu lassen^). Das höchste Ziel
1) Besonders wichtig ist, daß der Opferbegriff hier schon vortritt, v. 6
ü'); 6XoxctpTicu(j.a 8'ja(ac TrpoaeSiSaxo (Gott) aöto'jc
2) Daher in dem Brief der gallischen Gemeinden (Eusebius p. 428, 19) o^c iv
T/j ofxoXoyfa Xpiatö« i^Siiuasv dvaXtjcp&fjvat ij:ia({)paytaafi.evoc aütiöv 8t'i ttjc i^öioM t^^v
jjiapxupiav.
3) Mysterienbegriffe setzen sich später an, sind aber für dies kirchlich-ju-
ristische Denken kaum entscheidend.
4) Matth. 10, 24 in enger Verbindung mit jenem grundlegenden Spruch ini
■?)Ye[i.'iva; U xal ßaaiXel« öx^i^aeadt 2vexev ^(aoü tii fiap-rüpiov aÜTol«.
6) Ephes. 5, 2 Yf''*'^« fxipiTjToi toü ötoü ... xaöioc xal 6 Xptatoc Vja7n)a«v
{>[t.äi xal 7rap£ou>xtv eautöv bnip ü(jiiüv Ttpoa^opiv xal öuafav dtöi tiz <5afx))v tiu)8{a;
(beeinflußt von Weish. Sal. 3, 6, vorbildlich für Hart. Pol. 16, 2).
Bemerkoogen zur Martyrienliteratur. I. 451
ist Werden, wie Christxis selbst war, ja zu Christas werden. Man
kann mhig sagen: in dem Moment, wo die Bezeichnung Jesu als
TciOTÖ? xai oXYjdivö? {iäptü? auf die Passion gedeutet wurde —
und dies ist allerdings erst nach dem Eindringen des hellenisti-
schen Sprachgebrauchs mögKch - war die Forderung, daß der
wahre Märtyrer sterben müsse, von selbst gegeben; S|iapTi)p7)0£v
heißt jetzt: er ward voll wie Christus, er starb wie Christus.
Man kann verstehen, daß gerade in die von Hegesipp berichtete
Jacobas-Legende das "Wort eindringt ; sie will ja beständig an die
Passion Jesu erinnern ^) ; wo er es außerdem gebraucht , handelt
es sich sogar um den Kreuzestod nach Hohn und Mißhandlung.
Die tiefen sakramentalen Vorstellungen, die an den Tod Jesu
knüpften, maßten sich jetzt notwendig auf den Tod des Bekenners
übertragen. Diese individuell-christliche Entwicklung, die ihrer-
seits freilich schon hellenistisch beeinflußt war, zeigt sich sofort
als hemmende Schranke gegenüber einer übertriebenen Hellenisie-
rung. Nicht weiter soll das Martyrium gehen, als es Jesus vor-
gebildet hat.
Ich nehme einen Zug voraus , auf den ich in anderem Zusam-
menhang eingehender zurückkommen werde. Gerade in dem Po-
lykarp-Martyrium, das hellenistischen Sprachgebrauch und Empfin-
dungsart so besonders stark zeigt, tritt das lehrreich hervor; es
berichtet cap. 4 (Eusebius IV 15,7—8), ein Phryger, der sich zu-
erst freiwillig gemeldet habe, sei beim Anblick der wilden Tiere
ftig geworden und habe verleugnet. Die Gremeinde schließt daran
die nachdrückliche Erklärung Sia toöto ouv, aSsX^oi, oox STraivoöftsv
TG'j? JTpoaiövta? iaoTOi? ^) Izs'.Stj ooy ootax; 5t5a(3%='. xö soa^Y^Xtcv. Nicht
die jüdische , wohl aber die hellenistische Auffassung setzt in der
Tat das Freiwillige der Leistung voraus oder muß es doch beson-
ders schätzen, und selbst Epiktet wendet sich in seiner Mahnung
zum Heroismus ganz unbefangen an das Empfinden für den Ruhm
(m 24, 111). Die Kirche, die außerdem noch einen fast unbegrenzten
Lohn im Himmel verheißt, hatte allen Grund, jetzt vor einem
Herausfordern, ja Erzwingen des Martyriums zu warnen, von dem
die heidnischen Autoren gerade in der zweiten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts zu berichten wissen. Sie prägt den Begriff tö xaza.
*1) Vgl. bei der Wiederholung Eusebius p. 370, 9 luxa xo ftaprjpT,oai laxwßov
TÖv Si'xatov, üj; xai ö x'jpio;, i~\ xij» aüttö Xoytu.
2) Etwas anders Eusebius in der freien Inhaltsangabe p. 338, 12 b1z6iv.^^x.<^
■zoli Ttäaiv Tiapaa/eiv Zxt iatj o^ot toi; towjtoi; ^'.iIioxivojvü); xai dvcjXaßüi; ^ntoXfxiv,
vgl. Clemens IV 17, 1 (l/iyo.aev oi xai ^j|Aet; to'j; ennTjOr^savTa; xt^i Oavitw und Cyprian
ep. 81 deua . . . nos confiteri tnagis voluit quam profiteri.
452 K.- Reitzenstein,
TÖ sha^^iXioy {jiapTupiov aus und grenzt ihn gegen die Übertrei-
bungen des Hellenismus ab. Dieser Auseinandersetzung dienen
die beiden teilweise erhaltenen Gemeindebriefe. Sie sind Lehr-
schriften, die Ansicht und Forderung von Gremeinden , welche
ein besonderes Recht haben, sich in dieser Frage zu äußern, an
üTToSsiYiiata erläutern ').
Den Streit über das exoooio)? Tupoaisvai, das mit dem helleni-
stischen Begriff der Leistung eng verbunden ist, zeigt sich in
den Einwendungen der Gnostiker. Sie fühlen sich schon als Pneu-
matiker, wozu der Bekenner ja erst wird. So empfinden sie, daß
die äußere Handlung, sei es der o^okofia, sei es der {jiapTopia,
ihnen nicht mehr geben kann, als sie schon haben, also für sie
überflüssig ist. Wichtig ist die Begründung bei Clemens IV 16, 3 :
[laptoptav ^) XsYOVTsc aX'/]6"^ slvai tyjv toö övtcö? övto? ^vwatv ■ö'soö . . ,
fpovia Ss slvat aotöv saotoö %al ao'&sv'CTjV töv Stdc ■d'avatoo 6(JLoXoY7]aavta.
Der Gnostiker ist schon gestorben und auferstanden ; er bat den
Tod in sich vernichtet (Valentin bei Clemens IV 89, 1), die Leistung
schon vollzogen. Wenn er das Martyrium sogar als Sünde be-
1) Es war ein seltsamer Irrtum, wenn Harnack Sitzungsber. d. Berliner Aka-
demie 1910 S. 114 flf. den Zweck der Briefe in einem authentischen Bericht über die
Martyrien sah, der als eine Art Ergänzung der heiligen Schriften der ganzen
Christenheit zugänglich gemacht werden sollte. Schon E. Schwartz De Pionio
et Polycarpo p. 4 hätte davon abhalten können. HoU verfällt in diesen Fehler
nicht, hebt aber nicht klar genug hervor, daß es sich um Lehrschriften handelt.
Das ist für den Brief der gallischen Gemeinden ohne weiteres klar, sobald man
die Verhältnisse bei den Empfängern des Briefes und die Anlage des Schriftstückes
beachtet. Die Montanisten rühmen sich wohl der Zahl ihrer Märtyrer und sehen
in ihr den Beweis, daß „der Geist" bei ihnen ist (ihn empfängt ja jeder Bekenner) ;
aber sie nennen p.apTu« nach weiterem Gebrauch jeden, der ins Gefängnis geworfen
ist (vgl. Eusebius aus Apolinarius von Hierapolis V 16, 20 — 22). Selbst wenn er
freigekommen ist — die Gegner behaupteten natürlich, durch unerlaubte Mittel aus
Feigheit, oder gar von einer Gefängnisstrafe wegen bürgerlicher Verbrechen —
trägt er den Ehrentitel, fühlt sich den Aposteln gleich und schreibt wie sie, frei-
lich auch wie Peregrinus Proteus, Briefe an alle Gemeinden. Wir erkennen sofort,
was die gallischen Gemeinden mit der Schilderung der Bescheidenheit ihrer Mär-
tyrer bezwecken, die den Titel ablehnen, weil er nur den Toten gebülirt, und für
sich keinerlei Recht oder Stellung beanspruchen. Natürlich müssen ihre Leiden
angegeben werden; sie haben viel mehr erduldet als die phrygischen Märtyrer,
haben also auch mehr Anspruch auf Geltung; die Gemeinden selbst geben einen
Katalog nach Todesarten gesondert, um sich dadurch eine Stellung den Monta-
nisten, aber auch Rom gegenüber zu geben. Eusebius hat ihn weggelassen ; ebenso
die meisten Briefe der Märtyrer, die ganz bestimmte Zwecke verfolgen. So er-
weckt sein Exzerpt für flüchtige Leser den Eindruck, als ob nur eine Martyrien-
erzählung in Form des Gemeindebriefes vorläge. Über den Polykarp-Brief später.
2) Das Märtyrer-Sein, der Besitz der Wirkung. Clemens gibt das zu.
Bemerkungen zur Martyrienliteratnr. I. 453
zeichnet, so ist es offenbar von der Gegenseite als Gott wohlge-
fällige Handlang bezeichnet worden^). Ans Tertullian Scorpiace
lernen wir, daß anch die Opfervorstellong geltend gemacht ist und
daher bekämpft wird (Gott verschmäht selbst Tieropfer), ähnlich
die Mahnung. Christi Tod für uns durch unsem Tod für ihn zu
vergelten (er hat keine Rechtsf orderung oder, wie Irenaeus III
18, 5 zeigt, er hat selbst gar nicht tatsächlich gelitten). Daß es
sich dabei ursprünglich um den freiwilligen Tod gebandelt haben
muß, halte ich trotz der Polemik Tertullians ^) für sicher').
Den Gegensatz bilden, ebenfalls ganz auf dem Boden des Hel-
lenismus stehend, die Marcioniten , die den Titel {jidpio? auch an-
genommen haben. Den Anspruch darauf gibt bei ihnen nur der
Tod. Clemens IV 17, 1 p. 256, 12 StähUn weist wohl sicher auf
sie mit den Worten nvs? er/ i^jxstepoi , {jiövoo toö dvöji-atoc xo'.voövo»,
ot St] aotoo? zapaSiSöva'. oreöSooo'. t^ 7:pö<; töv SrjUL'oopYÖv a-£-/d='la,
1) euapexrot öew oder euapesTTjXOTc; öecL heißen die nadövre; fast formelliaft
bei Hermas , und selbst im Martyrium der Scilitaner möchte ich nach der grie-
chischen Fassung Jr^fiepov ä>.r,dä)c fjLdf.rjpe; Iv oüpavot; Tjy/[d\op.vj rJapesTot tw %tv) in
der lateinischen statt des überflüssigen zweiten deo graiias vermuten deo gratiosi.
2) Sie ist gerade in dieser Schrift außerordentlich gehässig und rabulistisch
(vgl. die Polemik gegen die Vorstellung einer fiap-rjoia im Himmel). Hätte er
eine einzige klare Aufforderung, in dem Falle, daß der Christ ohne sein Zu-
tun vor Gericht gekommen ist, zu verleugnen, vor Augen, so würde er
anders reden.
3) Völlig aus dieser Reihe muß ich Basilides herausnehmen, der nur deshalb
von Tertullian in sie gestellt ist, weil auch er den Wert des Zeugentodes herab-
zusetzen scheint. Er geht von den jüdischen, bzw. altchristlichen Vorstellungen
aus und verwendet ihre Terminologie. Die Worte pi.aprjpeiv und [xapTypwv
fehlen ganz; er kennt indem berühmten Fragment Clemens IV 81 ff. nur die Worte
rdtr/civ (immer wiederholt) und 8>.i'|(t; (charakteristisch p. 284, 7 -ralj Xe^op-evats
öXi(}^e3tv). Das ist also der Sprachgebrauch des Hermas und zu ihm stimmt die
Grundanschauung : das rctSo; bewirkt die Vergebung der Sünden; es ist an sich
Strafe , aber eben darum W^ohltat. Nur fehlt bei ihm , was Hermas als weitere
Wirkung des tA^oz angibt, die oo;a rapd Seuj. Dabei scheint das tAt/ivj alle
körperlichen Leiden , nicht nur den Tod zu umschließen. Ist das -ä^; größer
als die Schuld des gegenwärtigen Lebens, so scheint er einerseits die Möglichkeit
einer Schuld in einem früheren Leben angedeutet zu haben (Hilgenfeld, Ketzer-
geschichte S. 209), andrerseits zugegeben, daß das zddo; nicht nur die Sünde selbst,
sondern die Disposition zu ihr (das iixaprrjTtxov) tilgen kann. Offenbar geht von
hier die Vorstellung des späteren Mönchtums , daß man durch die rdÖT) der As-
kese , durch das innere ä-o8aveTv , die ävap-apTTjaia erwerben kann , aus. Völlig
gleich steht dabei die passio Jesu und seiner Nachfolger. Ich bedaure auf die
Zusammenhänge der asketischen Vorstellungen mit den gnostischen Auffassungen
des Martyriums früher zu wenig geachtet zu haben. Der Zusammenhang des
Mönchtums mit dem Gnostizismus , der sich schon in dem Namen lAOviCovre; ver-
rät, läßt sich an ihnen noch deutlicher machen.
464 R- Reitzenstein,
ot äd-Xtoi •ö-avatÄVTs?. Clemens bestreitet ihnen das Recht auf den
Namen oo '{o.p owCoooi töv ^apaxf^pa toö jiapTDpioa toö ziozob.
(wohl nach {lapto«; tciotö«; gebildet). Es muß aus der ocyätty] ent-
springen, nicht aus der Feindschaft gegen die Materie und Welt.
Trotz dieser kirchlichen Gregenarbeit bleiben freilich die Ein-
wirkungen des Hellenismus auch innerhalb der Kirche ungemein
groß, wie ja auch Holl zu meiner Freude zugibt. Man muß in
der Tat literarische Werke aus dem letzten halben Jahrhundert
der Verfolgung wie die Passio Montani oder die Fassio Mariani
et lacobi oder die rhetorische Verherrlichung der palästinensischen
Märtyrer bei Eusebius unbefangen mit den beiden Gremeindebriefen
vergleichen: das Erzwingen des Martyriums durch Herausforde-
rung oder selbst Betrug wird bewundert; der Gredanke an den
Ruhm — und nicht nur an den Ruhm bei Grott — tritt immer
stärker hervor. Selbst wenn die Wirklichkeit der rhetorischen
Schilderung nicht entsprach, zeigt diese das Empfinden der Zeit,
und es ist hellenistisch. Die Fortsetzung sehen wir im Donatis-
mus und bei den Messallianern.
Zum Schluß möchte ich noch einmal hervorheben, wie lebhaft
ich das Verdienst anerkenne, daß Holl sich durch den Nachweis
der Zusammenhänge der frühchristlichen Anschauungen mit den
spätjüdischen erworben hat. Ich verzichte, so lockend manche
Einzelnheit ist, auf die von ihm festgestellten Tatsachen einzu-
gehen^); nur Einiges, was er übergangen hat, trage ich hier nach.
Die älteste christliche Auffassung des Martyriums liegt uns in der
Erzählung von der Bitte der Zebedaiden an Jesus Mark. 10, 35—40
vor^). Verschiedene Stücke, die nicht ursprünglich zusammenzu-
hängen brauchen, sind nicht ' ungeschickt vereinigt: Christus ver-
heißt seinen Jüngern Ersatz und Belohnung für alles, was sie hier
aufgegeben haben, und prophezeit sein Leiden, Sterben und seine
Auferstehung. Da bitten die Zebedaiden: gib, daß wir bei deiner
Herrlichkeit (Iv t^ SöStq ood) zu deiner Rechten und Linken sitzen.
Jesus fragt, ob sie denn denselben Kelch trinken und sich mit
derselben Taufe taufen lassen können, wie er. Sie bejahen es,
1) So ist die Anschauung, daß der Märtyrer die Qualen gar nicht empfindet,
weil er schon bei Gott oder Gott bei ihm ist, in der Tat jüdisch. liier paßt sie
zu der Grundanschauung, daß Gottes Auftrag für den txaptu; das Leiden nach
sich zieht, das Gott ihm erleichtern muß. Dagegen widerspricht sie geradezu
der hellenistischen Anschauung, daß er durch seine üitofxovi^ zum „Zeugen" Gottes wird.
2) Vgl. Wellhausen zu der Stelle, E. Schwartz Abhandl. d. Gott. Ges. d. Wiss.
N. F. VII 5, Nachr. d. Gott. Ges. 1907, 266, Zeitschr. f. d. neutestam. Wissensch.
1910, 89 ff.; vgl. besonders S. 94.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 455
und er verheißt ihnen , sie sollen den gleichen Kelch trinken und
die gleiche Taafe wie er erleben. Aber den Platz zur Rechten
und Linken könne er nicht vergeben; er gehöre denen, für die er
von Gott bestimmt sei. Unbestreitbar, wenn auch bestritten, ist
die Deutnng von Kelch und Taufe auf das Martyrium, ebenso,
daß die Erzählung sich unter dem gewaltigen Eindruck des Er-
eignisses selbst gebildet hat , wie ich mit Schwartz glaube , also
tatsächlich schon bald nach dem Jahre 44 n. Chr. ; doch macht
das Datum zunächst nichts aus. Wichtig ist mir, daß als Vorbe-
dingung für die gleiche Verherrlichung, wie sie dem Messias wider-
fahren ist, der gewaltsame Tod bezeichnet wird ; der Größe des
icd^o? entspricht die Höhe der Entschädigung. Das ist verständ-
lich nur , wenn in der Gemeinde die Überzeugung verbreitet i.st,
daß Jesus selbst seine Erhöhung dem Trddo? verdankt, die Bitte
nur, wenn dies Tcd^o? zugleich die Auszeichnung ist, die Gott ihm
widerfahren läßt. Das kann nicht befremden; es ist für den
frommen Juden, der an Jesus glaubte, ja die einzig natürliche Auf-
fassung des Kreuzestodes. Er war durch ihn gezwungen, den
Messias nicht mehr als König, sondern als Propheten, aber freilich
als den größten aller Propheten zu fassen, dessen Vorläufer nur
alle früheren gewesen sind (vgl. z. B. Mark. 12, 1). Wie sie hat
er eine Botschaft Gottes an das abtrünnige Volk übernommen und
ist dafür verfolgt worden, ja hat den Tod erlitten. Für dies un-
verdiente Leiden muß Gott ihn entschädigen, erhöht ihn darum
im Himmel und macht ihn zum Richter seiner Feinde. Er mußte
leiden, um zu seiner Sö^a einzugehen '). Damit aber erhebt sich
sofort die Frage: ist nach dieser Auffassung der Messias nicht
zunächst notwendig nur Mensch? Ein Mensch wie die Propheten,
wenn auch der {taptix; kiotcx; xai aXr^divö?, der wegen seines beson-
deren Gehorsams und besonderen Leidens zu einem Himmelswesen
wird. Der Gedanke wäre an sich dem Judentum dieser Zeit sehr
wohl möglich. Einen tief empfundenen Abschnitt seiner alttesta-
mentlichen Religionsgeschichte hat R. Smend „Prophet und Mär-
1) Vgl. in der Erzählung von den Jüngern in Emmaus Luk. 24, 26 oi^l
-fTi-i ioci -aÖelv -6v Xpiatöv xai äiseJ.^elv ei; t7)v c<5;5tv tjtoO. Das Kausalitätsver-
hältnis wird, wie so oft, durch die einfache Anreihung gegeben. Die Ausführungen
von Gillis P:son Wetter (Beiträge z. Religionswissenschaft II 32 ff) gehen nach
etwas anderer Richtung und behandeln einen viel komplizierteren Sprachgebrauch.
Für das Wort oo^aCe'^ai und das Johannes - Evangelium mag die hellenistische
Mysteriensprache wohl die Erklärung bieten ; für eine vorausliegende Epoche
suche ich hier die Anknüpfungspunkte, die sie in der Leidensmystik des echten
Judentums finden konnte. Diese Leidensmystik ist in ihm ausschließlich mit der
Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes verbunden.
456 R« Reitzenstein,
tyrer" überschrieben. Er behandelt hier eine Zeit , wo diese
Leidensmystik sich erst in dem Bewußtsein einzelner bildet; aus-
gebildet und verallgemeinert liegt sie in den sogenannten Ebed-
Jahve-Stücken des Deutero-Jesaja und bei diesem selbst vor und
hat in dieser Verallgemeinerung — von dem Propheten auf den Gre-
rechten — weiter gewirkt. Von dem Grerechten entwirft die Weis-
heit Salomos (cap. 2. 3) das gewaltige Bild, das in der Ausführung
des ersten Teiles schon griechisch beeinflußt, in dem zweiten doch
rein jüdisch ist^), wie die Ungerechten sich gegen den Grerechten
empören, der sich Grottes Sohn nennt und Grott kennen will, und
wie sie schimpflichen Tod über ihn verhängen. Aber die Seelen
der Grerechten sind in Grottes Hand ; keine Qaalen berühren sie ^) ;
wohl mögen sie eine kurze Frist tot scheinen, aber das ist nur
eine Prüfungszeit; herrlich ist ihr Lohn; sie werden herrschen
über die Stämme und Völker und Grott wird ihr König sein ewig-
lich. Dieser Lohn gebührt allen aSixw? Tcao/ovxs«; ^), also natürlich
besonders den irda^ovce? Sia xb övojxa. Notwendigerweise mußten,
als im Volk wieder Männer erstanden, die sich als Boten Grottes
oder als seine „Stimme" fühlten und galten, diese Vorstellungen
besonders auf sie Anwendung finden. Mochte man das Wort Pro-
phet dabei vermeiden*), für die Gläubigen mußten sie als Wieder-
bringer und Vollender der alten Prophetie erscheinen und nach
dem Tode die Verehrung, die der Prophet inzwischen gefunden
hatte, noch gesteigert genießen. Glerade die Grerechtigkeit Gottes
verlangt ja, daß die Wirkung des unverschuldeten Tcddo«; sich an
dem besonders zeige, der es als sein Bote und dieser Botschaft
halber freiwillig auf sich genommen hat. Wir können es begreifen^
daß ein Sprachgebrauch sich bildet, der die {laprope? als oberste
Kategorie der aStxw? Trdo^^ovte? oder Sta xb ovojia 7:Ao-/ovxb<; hervorhebt.
Ich möchte einen Nachklang dieser jüdischen Leidensmystik
1) In der ersten Hälfte ist nur von „dem Gerechten" im Singular gesprochen;
ich kann das Idealbild aus dem Judentum verstehen und werde doch die Empfin-
dung nicht los, daß hier wirklich Plato durch stoische Vermittlung einwirkt; wo
der Teil einsetzt, für den das Griechentum ein Gegenbild nicht geben konnte,
setzt sofort auch der Plural ein.
2) Gott schützt seine Diener vor der Empfindung der Qualen (o'j fATj ä^rixai
autdiv ßdaavo;). Die Anschauung beherrscht, wie HoU nachweist, die Schilderung
in den jüdischen Martyrien.
3) Der Be;?riff tritt im ersten Petrusbrief besonders stark hervor, wird aber
dabei christlich umgebildet. In dieser Umbildung wird er dann Ausgangspunkt
für Basilides (siehe oben S. 453, 2).
4) öchlatter scheint mir mit Unrecht gegen Holl hierauf besonders Gewicht
zu legen.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 4.57
noch in den gewaltigen Worten des Paulus ^) wiederfinden Phil. 2, 6
6<; h {lop'ffj ^soü OTiap/wv oo"/ ap;raY{iöv r^i^aato tö sivai laa dscp,
aXXa saoTÖv Ixsvwoev |Aop<p'f]v SoöXoo Xaßwv, Iv 6^om\ia.zi av^pwjrwv
7evd{iEV0(; xai ayri^azi eops^cl? w? avdpwTCO?, ItaretvcoocV eaoTÖv ^evö-
jjLsvo? üTn^xoo? |J-£XP^ O-avdtoo, Oavdtoo 8s a^aopoü. 5iö xai 6 ^söc aotöv
67:Epü<j;(üa£v xal i^^apioato aortj) övo{j-a tö oTcsp Tcäv övojta, Tva Iv övö{iau
'Itjooö Ääv fövo xd{xt{;T(] Iro'jpaviwv xal IfftYstcov xai xaTa-^O^ovicüv , xal
wäoa Y^wooa £^o[i,oXo7Tj'3£Ta'. oti xopio? 'Irjaoö? Xpiorö? el? Sd^av dsoö
Tcatpö?. Zwei Anschauungen scheinen sich mir hier zu verbinden,
die einander angenähert und miteinander verschmolzen, doch nicht
ganz restlos in einander aufgehen, eine ältere, überkommene, wo-
nach der Mensch, der dem Befehl Gottes bis zum Sklaventode
am Kreuze treu geblieben ist, darum von ihm erhöht, d.h.
auferweckt und mit Macht im Himmel belohnt ist, und ein neuer,
ganz individueller Glaube, daß es der präexistente Messias
ist, der schon eine gottgleiche Stellung hatte, aber, weil er diese
Leistung des Menschen auf sich genommen hat, eine Übererhö-
hung erfahren hat, die ihn über alle stellt, die, ohne eine solche
Würde vorher zu besitzen, von Gott erhöht sind oder die irgend-
welche himmlische nie aufgegeben und nie versucht haben, sie sich
wahrhaft zu verdienen^). In dem Djrsptxfxoaiv liegt das Neue
des paulinischen Messiasglaubens, das, was den Messias, der Prophet
geworden ist, über die Propheten erhebt und jedem neuen {idpTo<;
(Propheten) die Möglichkeit, eine gleiche Stellung zu erwerben,
abspricht. Aber die alte, allgemein-jüdische Anschauung, die von
dem jidptos, der gelitten hat, glaubt 8ib xal D<j^(oaEv aotöv 6 ^söc,
wirkt auch nach Paulus weiter; der neue Märtyrer wird Christus
gleich, dieser ist nur 6 (idpiu? 6 icotö? , 6 xpoDtötoxo? sx vsxpüv
und als TcpwTÖxoxo? auch 6 ap/wv töjv ßao'.Xia)v rf^? T"^?^)- Ist doch
jeder neue Märtyrer {jLtjiYjrr]? Xptotoü oder {jLadrjrfj? Xpiotoö (vgl.
Mart. Pol. 17, 3). Schon das Wort [li^tiztiq hat dabei offenbar so
intensiven Sinn, daß es fast Ehrenbezeichnung wird, vgl. Ignatius
Rom. 6, 3 izivp^azi ^ot [jLi[i,irjT-r]v slvat toö nd^oo? toö deoö |ioo (vgl.
1) Wie tief Paulus sie empfindet, zeigen viele Stellen, am deutlichsten II. Kor.
11, 16 ff. die Schilderung der ~d^ vor den Offenbarungen. Er rühmt sich beider.
2) Den Grundgedanken empfindet noch der Verfasser des Briefes der gal-
lischen Gemeinden, der auf diese Stelle verweist, Eusebius Y 2, 2, p. 428, 8.
3) Apok. 1,5, vgl. Weisheit Sal. 3, 8 xpivoüatv ISvt] xi\ xparr,-:ov)3iv Xaüiv xal
ßasiXejaei auTcüv xjpioj ef; to'j; a{üiva;. Das Gleiche verheißt Jesus (Luk. 22, 30;
Mattb. 19, 28) den (xa9T)xoi', weil sie schon jetzt an seinem Leiden Teil genommen
haben. Daß er ihnen auch für die Zukunft die gleichen Leiden vorhersagt, ver-
anlaßt die weitere Vorstellung, daß sie alle im Leiden seine fjLifj.T|Xai' geworden
sind. Beide Begriffe, p-aÖTj-rri« und {xtjjirjTr,c, hängen eng zusammen.
458 ^- Reitzenstein,
Smyrn. 4, 2 xö ao{Ji7cadetv aotij)), Polykarp. Phil. 8, 2 {i.t[iY]tai oov ys-
v(ü[ieda f^? DTCOjJiov^? aotoö, Brief d. gall. Gremeinden, Eusebius
p. 428, 7 IttI tooodtov CiQ^wiai xai ^ijtyjial Xpiotoö Iysvovto (echte Mär-
tyrer), Mart. Pol. 1, 2. Klar wird die Titelbildung in der Bezeich-
nung [jia^YjTT]?, weil sie ursprünglich auf einen geschlossenen Kreis
beschränkt ist, und hier treten in der Tat Vorstellungen zu Tage,
wie sie Holl, ohne in dem Sprachgebrauch Berechtigung zu haben,
mit dem Worte jjLapto«; verband. Mit der Grefangenschaft tritt der
Christ in ähnlich unmittelbaren Verkehr mit seinem Meister, wie
einst die Jünger standen ; der Tod erhebt zu dem vollen Rang
und Lohn des jjia^Tj'n]?. Wir finden die Auffassung am klarsten
bei Ignatius (and zwar nicht nur in dem Römerbrief), vgl. Eph.
3, 1 vöv Yocp (als Gefangener) apx'^v s^w toö jtaO-YjtEÖso^ai (vgl. Rom.
1, 1. 2 TJ cLpyri . . . TÖ tsXoc), Rom. 5, 3 vöv 8tp)^oji,ai jtadrjtYj? sivai (vgl.
5, 1 ; auch 4, 3 vöv {lavdavw SsSsfi^vo? {itjSsv l7rt^o{islv gehört hierher ;
es ist, wie die Mönchsliteratur zeigt, das Kennzeichen des Tcveojta-
ttxöc und aTcoatoXixd?, Hist. Monach. und Hist. Laus. S. 91 ff.), Trall.
5, 2 OD xa^ÖTt SeSejiai . . Tcapa toöxo tjötj xal iiadyjf»]? d^i (vgl. Eph. 3, 1 st
fap xai S^Ssftat iv tcjj 6vö(i.aTt, oottcd äntripzia^ai Iv 'Itjooö XptoTtp, vgl. die
Fortsetzung), Eph. 1, 2 iTcttu^eiv Iv Tw^iiq ^ripio^ai.yriacf.i, iva 8iä toö
iTCtTo^siv (nämlich Xptatoö vgl. unten S. 460) Sovrj^fi) {Aa^Yjf/j? slvai,
Rom. 4, 2 TÖis lao{i.ai {jLa^YjtY]? aXTjdfjg toö XpioToö, ots oö5s tö owpLd
{toD 6 xöajio? ötj^sTat. — Dann aber kann die Vorstellung Holls, daß
unsere Martyrienliteratur so spät einsetzt, weil in der Urzeit des
Christentums der Prophet den Märtyrer verdunkelte, kaum richtig
sein *). Sie verlangte zunächst den Nachweis, daß des Ignatius Brief
an die Römer unecht ist ; denn hier schreibt Ignatius dem Mär-
tyrer zu, daß er im Tode Xd^oi; •ö-eoö (2, 1) und TeXeto? ävdpa)7tO(;
wird (6, 2, vgl. Smyrn. 4, 2) ^) ; sie widerspricht aber auch der klaren
1) Hermas Vis. III 1,9, von dem Holl ausgeht, beweist nicht recht.
2) Charakteristisch für das Empfinden des Verfassers ist eine Stelle aus
dem Brief der gallischen Gemeinden. Als Pothinus vor den Legaten geführt wird
(Eusebius V 1, 30 p. 414, 5), erschallen aus dem Volke allerlei Zurufe ök aO-oü
ÄvTo« Toü Xpiaxo-j. Kahrstedt , der die Stelle unlängst (Rhein. Mus. 68, 398) be-
sprochen hat, erklärt ; der Pöbel hielt ihn tatsächlich für den Gründer des Christen-
tums und hatte keine Ahnung davon, daß es anderwärts noch Christen gäbe. Er
sucht darin, etwas überflüssiger Weise, die Gewähr, daß die Schilderung zuver-
lässig sei: unmöglich, daß ein christlicher Literat jemals sich eine solche Auffas-
sung ausdenken konnte ! Seltsam allerdings, daß ein christlicher Literat dann den
Unsinn erwähnte. Aber bei Eusebius steht auch nichts davou. Die Zurufe des
Volkes sind so, daß sie auf Christus gepaßt hätten, trotz ihrer Gehässigkeit. Wie
PolyHarp vorgeführt wird, läßt der Verfasses das Volk rufen (12, 2) outoc ^ütiv f,
T^C Walai SiSäaxaXo«, 6 nax^jp täv Xpiattaväiv, ö töjv T^j[j.et£p(uv öeiüv xaOatp^TTj;, 6
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 459
Entwicklung, die wir von jener Erzälilnng über die Zebedaiden
bis zu dem Martyrium Polykarps verfolgen können. Ich muß
hierauf noch etwas näher eingehen.
Die Smyrnäer geben im Eingang als Begründung dafür, daß
sie den Hergang der Verfolgung haben aufzeichnen lassen, an:
o/e5öv 7 a p Tiavta ta jrpodYOVta Sfevsto , tva r^'^lv 6 xöpio? avco^sv k%i-
SsiS'fl tö xata TÖ söaYYsXtov [taptuptov. W ir sahen früher, daß in
jener Zeit lebhafter Streit darüber herrscht, was man als echt-
christliches Martyrium anerkennen soll ; die Gemeinde hat es an
der Verfolgung gelernt und trägt es in ihrer Schilderung der Ge-
meinde von Philomelion, also einer phrygischen Gemeinde, vor,
weil diese danach gefragt hat; auch die Xachbargemeinden
sollen davon erfahren. Lehrhaft ist die Darstellung von Anfang
an; das zeigt der nächste auf Polykarp bezügliche Satz rteptspLsvsv
•jfap iva TCapaSod-^ oj? xal ö xopio?. Sofort wird auf dieselbe Stelle
des Philipperbriefes verwiesen, die auch der Verfasser des Briefes
der gallischen Gemeinden anführt (oben S. 441), sogar in ähnlichem
Gedankenzusammenhang: Tva ^'.^rizal xal i^fisi? aotoö 7£Vü>[ts^a. Die
Flucht in der Verfolgung wird abgelehnt; sie verstößt gegen das
Evangelium. Umgekehrt wird an dem Beispiel des Phrygers
Quintus (oben S. 451) dargetan ^), daß der Christ sich nicht frei-
willig melden soll. Nicht zufrieden mit der indirekten Lehre, die
in der Erzählung liegt, ergreift die Gemeinde selbst zu einer dog-
matischen Entscheidung das Wort: „wir mißbilligen die IxövtS!;".
Als Begründung führt sie an oo^ outw? StSdoxst tö eoa^v^Xiov. Da-
gegen findet die Mannhaftigkeit des Märtyrers, der in der Arena
seinen doch sicheren Tod rascher herbeiführen will, uneinge-
schränktes Lob '). Wenn wir die zehn anderen Martyrien, die bei
roXXou; 5i8d3xü)v {xifj S-ietv (itjSe zpocxuvelv. Er will seinen Helden damit indirekt
preisen. Daß Cyprian im Urteil als signifer bezeichnet ist, findet der Verfasser
der Vita et passio als göttliches Zeugnis für seine Bedeutung. Die Empfindung
des Verfassers des Briefes der gallischen Gemeinden kennzeichnet auch seine
Charakteristik des Vettius, die Kahrstedt an der gleichen Stelle anführt, freilich
wieder mit falscher Deutung: rapaxXrjTo; Xptattavwv ^pr^iAatiaac, e-^ftov oe tov roo-i-
xXtjtov bt ioMzv^ t6 TTiieüp-a xoü Zayaptou (Eusebius p. 406, 2).
1) Ob er wohl absichtslos gerade hier vor der Verleugnung als Phryger be-
zeichnet wird? Gewiß ist der Montanismus damals erst im Entstehen, aber die
Schätzung des freiwilligen Mart}Tiums wird in diesen Gegenden älter sein.
2) Vgl. c. 3 ea-jT«) i-fsrAzi-o -6 &T|ptov rpos^taactaevo; ■ziyio^ roü d5{xou xai
dv6(iou ßi'ou aÜTüiv (Z7raXXaYf|vat ßouX(5pLevo; (fast wie bei Marcioniten) , vgl. Ignatius
Rom. 5, 2 xav aüri 6e £x<>vTa {atj öe^aTj , jyoj 7:poaßia3ou.at. Bei Ignatius ist das
jxujv ÜTtep %to'i äroövT' axiu (Rom. 4, 1) in etwas anderem Sinne gebraucht , als es
meist von den sxovxe; wurde. Dennoch kann man verstehen, daß eine spätere
Zeit Bedenken gegen diese Stelle und den ganzen Brief empfand.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. PhU.-hist. Klasse. 1916, Hefta. 31
460 ^- Reitzenstein,
der Umgestaltung des Briefes in ein Buch fortgelassen sind, noch
hätten, würden wohl weitere lehrhafte Züge hervortreten. Wenn
Polykarp 10, 2 dem Proconsul sagt os ^kv xal Xöyco Tj^twxa • S s 8 1 -
SdYfiS'ö-a Y^P apX°^^*J ''^^^ l^oooiatc dttö •9-soö TSTaYjJLSvai? Ttji.-rjv xata
tö irpoo'^xov TYjv piTj ßXdTUTooaav T^jiä? aTcovsjtstv, so erklärt sich
mir mindestens die vorsichtige Umgrenzung der Pflicht und Deu-
tung des Grebotes mehr aus dem lehrhaften Charakter des Briefes
als aus der Situation. Für die Gresamtauffassung ist wichtig, daß
von den elf kleineren Märtyrern gesagt wird (2, 3) otirep ^7iv.szi
av^pwjrot, aXX' yjStt] ocyysXoi "^oav. Es fragt sich, wie ihr SiSaoxaXo?
Polykarp zu ihnen steht. Die Antwort kann nur sein: wie Chri-
stus. Oft ist ja hervorgehoben, mit welcher Beflissenheit die Einzel-
züge der Erzählung und selbst die Worte dem Passionsbericht an-
geglichen sind, ja der Schriftsteller macht selbst darauf aufmerksam
(6, 2). Ein gleiches Streben tritt uns, wenn auch minder stark, in
der Legende von dem Martyrium des Jacobus bei Hegesipp ent-
gegen. Der Märtyrer soll in möglichst viel Zügen als pmJLTrjiTjc
XptoToö erscheinen. Im Polykarp - Martyrium ist das auf die Ge-
samtauffassung ausgedehnt: da mit seinem Tode die Verfolgung
erlosch, hat er sich zum Opfer für die Seinen, d. h. die Gemeinde,
gegeben. Er ist für die Brüder gestorben (vgl. 1, 2). Die Ver-
ehrung geht außerordentlich weit. Sobald der Feuertod beschlossen
ist, drängen sich alle Gläubigen um ihn ooti? tcx/tov toö x?^'^^'^
aoToö at{)7]tai (13, 2). Sie erwarten offenbar, daß von dem Leibe
des Märtyrers wie nach dem synoptischen Bericht von dem Leibe
Christi, eine Kraft ausgeht. Selbst von dem Leichnam würde dies
noch geschehen; sie begehren xoivtov^oat tcp (xyi^ aotoü oapxCcp. Der
Ausdruck ist seltsam, kehrt aber in anderer Form (6, 2) von dem
Märtyrer selbst wieder (Xptaroö xoivodvö? Ysvöfievoc). Das ist das
kziznyelv 'Iirjaoö Xptotoö, das Ignatius Rom. 5, 3 in dem Martyrium
zu erreichen hofft ^). Als der Leichnam dann verbrannt ist, werden
die Gebeine, die als Ti|j,i(i)tepa Xidwv tcoXotsXwv xal 6oxt{JL(«)Tepa bnkp
yjpoaio^ bezeichnet werden, beigesetzt otcoo xal axöXoo^ov "^v, und
bei jedem Gottesdienst versammelt sich die Gemeinde dort mit
Jubel und Frohlocken. Gemeint kann nur sein, daß sie unter dem
Altax oder Abendmahlstisch beigesetzt sind, wie das später üblich
ist. Aber der Ausdruck Sttoo xal axöXou^ov -^v gibt zu denken; er
1) Übertragen aufs Geistige ist der Ausdruck in der Passio Perpetuae 1,6
ut qui nunc cognoscitis, per aii4üu7n communionem habeatis cum sanctis martyribus
et per ülos cum domino lesu Christo und später oft. Das xotvtuveiv tcji aapxU^
will Ignatius Rom. 4, 2 verhindern xoXaxeuaate xa örjpfa, Tva fxot tacpo; 7ivu>vxat xol
(AT^oJv xaxaklniuai x<i>v xoü au>(AaT<>( jaou, ?va p.jj xot[XJ)ö«U ßapi« xivt j^vwjaoi.
Bemerkungen znr Martyrienliteratur. I. 461
klingt wie eine Rechtfertigung oder wie eine Mahnnng. Hiermit
verbindet sich ein anderes Bedenken: die Jaden bitten die Be-
hörden, den Leichnam nicht den Christen zu geben, |jfr] a^evts? cöv
sataopwpLsvov, toötov ap^cüvtai a^ßsaO'ai. Die Sorge für die Verehmng
Christi berührt bei ihnen seltsam genug, doch könnte man viel-
leicht denken, daß nur eine ungeschickte Nachbildung des Passions-
berichtes vorliege, wenn nicht der Schreiber fortführe: iYvooövrs?
oti ooTs xöv Xp'.OTÖv irote xataXiffstv SovYjaö'tc^a, töv OÄsp t^c zob rav-
TÖ? xdojxoo \) Twv oa)Co{JLSVü)v owTTjp'lac Tradövta 8c[ia>{iov UÄsp a[i.apTO)Xü>v,
00T6 STEpöv T'.va asßeod-a'. '^). toötov jjlsv YÄp ot öv ovta toö ^so5 zpo-
oxDvoü(Lev, tooc 8fe {tdptopa«; w? (laO^jtac xai {iijtTjta; toö xopioo
a7arw{iev, a^tax;, Ivsxa sövoia? avoTrspßXijtoo t^c el? töv iSiov ßaoiXia
xal StSdaxaXov. Wieder hören wir den lehrhaften Ton des ganzen
Briefes; aber wem gilt die Belehrung? Doch nicht den Juden,
sondern den Lesern. Offenbar soll sie entweder die Gemeinde
von Smyrna von dem Verdacht befreien, da sie sich regelmäßig
um Polykarps Gebeine versammelt, einen Polykarp-Kult statt des
Christus - Kultes einzuführen — dann müssen wir annehmen, daß
die Gemeinde von Philomelion etwas Derartiges gehört und um
Rechtfertigung gebeten hat — oder sie soll der anderen Gemeinde
vorhalten, bis wieweit der allgemein -kirchliche Märtyrerkult nur
gehen darf auch dem größten Märtyrer gegenüber. Die indirekte
Belehrung, die wir in kirchlichen Schreiben so oft wahrnehmen,
ist jedenfalls unverkennbar. Ich selbst möchte mich für die zweite
Möglichkeit entscheiden, weil 16, 2 so nachdrücklich darauf hinge-
wiesen wird, daß Polykarp nicht nur Märtyrer, sondern auch
Prophet war: Iv tot? xaö-' "^{tä? ^pövot?') StSdtoxaXo? aTuooto-
Xtxö? xal JCpO'fTjT'.xöc 7evö[xsvo(;, Iäioxotto? t^? Iv lu-upv-^ xaO-oXixf^C £x-
xXTjOta?. izäv 7ap pf;|xa, 8 afpr^xsv £x toö ax6\L%xo<; aotoö, ItcXstwÖTr] xal
tsXetw^Tfjasta'.. Ich fühle hier eine Polemik gegen den beginnenden
Montanismus, der den Propheten und Märtyrer sich direkt als
Paraklet oder Christus bezeichnen läßt.
Aber freilich — auch die Auffassung der Gemeinde von Smyrna
ist überschwänglich genug. Der vollkommene \ii^TizTi<; ist xoivwvöc
XpioToö, in gewissem Sinne selbst ein Christus für die Seinen durch
das irddoc^). Wenigstens steht er als Mittler zwischen Christus
1) Also nicht nur für die aiü!irjiit\oi einer Gemeinde, wie Polykarp.
2) Als Gott verehren; für dyaräv vgl. oben S. 419,3.
3) Der Zusatz, der so selbstverständlich wäre, hat in der Polemik gegen
den beginnenden Montanismus Zweck.
4) Freilich ist er nicht io dem neuen christlichen Sinne olö; 8eoü und nicht
sündlos.
462 ^- Reitzenstein,
und ihnen. Nicht Christi Tcado? unmittelbar, sondern sein irad'oc
werden sie nachahmen wollen ; sie wünschen xotvcovoi te xal ao{jL{i,a-
dirjTai ihres Märtyrers zu werden. Das wird zunächst in jener
lehrhaften Scheidung des Christuskultes und der „Liebe" zu den
Märtyrern offen gesagt und noch zweimal betont, zunächst im Ein-
gang 1, 2 Tcsptsjtevev Yap tva TcapaSo^'^, w? xat 6 xöptoc, tva jjLifiTjtal
%al %eii; aotoö Ysvwjie'O'a und wieder voller im Schluß (cap. 19) ou
TÖ [laptöpiov zavTsg iTCi'&OfJioäotv ]xi^eiod-a.i v.ct.zä zb söa^YS^tov Xpiatoö
Yevöfisvov (vgl. die Fortsetzung). Das liegt noch genau in der
Linie, die mit der Erzählung von den Zebedaiden beginnt. Jeder
neue {it^tTTj-cY]? ist seinerseits wieder Vorbild, wie Christus es war.
Ist die Vermutung richtig, daß der Brief gerade dem Übermaß
der Verehrung wehren will, das eine noch stärker hellenistische
Märtyrerauffassung an anderer Stelle im Christentum geschaffen
hat, so werden wir die Vorstellung von ihr sehr hoch schrauben
müssen.
Was mich dazu bestimmt, ist, daß der Brief der gallischen
Gemeinden offenkundig die gleiche Tendenz zeigt, und daß sich
aus derselben Tendenz die kirchliche Neuschöpfung des Begriffes
6^oko'(riz'fiq am besten erklären läßt. Man wollte den alten Titel
{tdpTOi; nicht ganz beseitigen, weil zu starke religiöse Vorstellungen
mit ihm verbunden waren, Vorstellungen, die man im Kampf mit
den Verfolgern nicht missen konnte und wollte. So schuf man
neben ihm den geringeren, durch keine Tradition geheiligten Titel
und sprach den ursprünglichen nur noch Verstorbenen zu. Es ist
eine Entwicklung, wie sie für eine hierarchisch sich ausgestaltende
Kirche fast notwendig war.
Wie sich mit dieser Anschauung, die ich zunächst mit aller
Zurückhaltung äußern und nur zur Erörterung stellen möchte, die
befremdlichen Tatsachen der Überlieferung z. B. des Polykarp-
Martyriums in Einklang bringen lassen, möchte ich später ver-
suchen darzulegen. Hier lag mir nur daran, die Entwicklung des
Wortgebrauches zu erklären und anzudeuten, wie wir in ihm die
vi^echselseitige Beeinflussung der beiden Geisteswelten nachweisen
können, aus denen die neue Religion ihre Begriffe nehmen und
deren Kräfte sie sich dienstbar machen mußte. Die Wortgeschichte
bewahrt die unanfechtbaren Dokumente für die Entwicklung der
Anschauungen und die Stärke der gegeneinander wirkenden Ein-
flüsse; nur darf man nicht mit einer Konstruktion der Anschau-
ungen beginnen und danach die Wortgeschichte meistern wollen.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 463
Nachtrag.
Ich habe den Aufsatz, dessen Druck sich in Folge der Zeit-
umstände verzögert hatte, so vorgelegt, wie er im März dieses
Jahres gesehrieben war, und selbst bei der Korrektur mich auf
die Änderungen beschränkt, die ich mir notiert hatte, bevor Karl
HoUs Entgegnung auf mein Buch (Neue Jahrbücher 1916 S. 253 ff.)
in meine Hände kam^). Was ich zu erwidern habe und in einer
Sitzung unserer Gesellschaft vom 20. Mai kurz dargelegt habe,
sei hier nachgetragen. Auf Mißverständnisse, die durch die obigen
Ausführungen genügend aufgeklärt sind, oder unnötige Schroff-
heiten gehe ich nicht ein. Theologie und Philologie können sich
hier Hilfsdienste tun und brauchen nicht zu streiten.
In der Besprechung der Paulus-Stelle (oben S. 9) geht HoU
(S. 254) von der Behauptung aus, <})so5ö{tapTO!; sei zusammenzustellen
mit t}>soS6/piaT0<;, «{»sodazöoToXo?, tlisoSoffpocpf/TTj?, «{isoSaSsXco? und ähn-
lichen Bildungen. So gewiß tJ^soSd/ptato«; nicht ein Christus sei,
der lügt, sondern einer, der sich den Titel des Christus lügen-
hafterweise anmaßt, «[»eoSoxpo^TfjTTjc nicht einer der Lügen vorher-
sagt, sondern einer, der den Namen eines Propheten sich er-
schwindelt, so gewiß heiße «}*so5o{i,aprJc einer, der den von ihm
beanspruchten Namen eines (tdprj? zu Unrecht führt. Das Kom-
positionsglied ^so5o- weise immer einen Anspruch auf einen ge-
1) Ich lege Wert darauf, festzustellen, was in dem Buch über Holls ersten
Aufsatz gesagt war und diese „Entgegnung" veranlaßt hat. Ich mußte die An-
schauungen von dem vollkommenen Asketen mit denen von Märtyrer und Be-
kenner vergleichen und bemerkte S. 79, daß ich für letztere nach der schönen
Abhandlung Holls auf breitere Darlegung verzichten könne und stärker nur
hervorheben woUe, worin ich glaube von ihm abweichen zu sollen. S. 85 war
dann gesagt, seine Erklärung des Titels sei mir zu künstlich und gehe nicht von
den ältesten Belegstellen aus, sondern von Kattenbuschs an sich sehr dankens-
werten, aber lexikalisch anfechtbaren Beobachtungen, endlich S. 257 in einem
Nachtrag verzeichnet, daß sich inzwischen auch Corssen (Neue Jahrb. 1915 S. 481 ff.)
gegen diese Erklärung Holls gewendet habe. Erwähnt war ferner S. 80, daß
Holl eine TertuUian-Stelle nicht ganz mit Recht für die Gleichsetzung der Pro-
pheten und Märtyrer anführe, und S. 85, daß ich für die Anschauung vom B e -
kenn er von Markus 13, 9 und seinen Fortbildungen ausgehen müsse, I. Kor. 15, 15
aber nicht aus dem dort bezeugten Gebrauch herleiten könne; 'iEuoojxa'oTjpe; toü
öeoü bedeute nach dem Zusammenhange hier nur „falsche Aussagen über Gott
machend" (nicht aber, aber ein Zeugnis in technischem Sinne ablegend). Schon
damals plante ich, wie ich in der Einleitung andeutete, in ein paar Aufsätzen
zur Martyrienliteratur auszuführen, was in dem Aufsatz Die Nachrichten über
den Tod Cyprians (Sitzungsber. d. Heidelberger Akademie 1913, Abb. 14) nur
angedeutet war; den Ausgangspunkt sollte der Titel „Märtyrer" geben.
464 R- Reitzenstein,
läufigen und vollwichtigen Titel zurück. Ich könnte das,
vsäe der Leser aus den früheren Ausführungen ersieht, an sich
ruhig annehmen, wenn es nur richtig wäre. Aber ich nehme
einen technischen Gebrauch eines Wortes in der Urgemeinde erst
an, wenn das Wort im allgemeinen Griechisch anders gebraucht
ist, und frage daher auch bei tjjsoSdjjLaptoc zunächst: was heißt es
im Profangebrauch ? Jedes Lexikon zeigt mir, daß in der Rechts-
sprache (ffsoSotiapTupetv und (jjsoSojtaptopia allgemein üblich sind, und
zwar in dem Sinn von -ca ({)eo8^ jiaptopetv, wie (jisoSoXoYsiv bedeutet
xä t^Budi] Xs^stv^). Ich greife ein paar Steilen aus Anaximenes
Rhetorik c. 15 heraus: otav [jlsv oov tö {jLapTopo6{j.svov f^ ;rt^av6v
xal 6 {idpto? aXifj^ivöc — oiav 8k hrzoTzzsbT^za.i 6 ;j-dpi:o<;, ocTCoSet-
xvöetv Ssi (i)i; oots yä.pizo<; svexsv . . 6 Totoötc; av xa «jiSoS"^ jiapTo-
pi^aets, Sei 8k %al StSäoxsiv oxi od oojX(pspei tö (j^söSo? |xaptopsöv
— xal TÖv Twv 4'£'i5o{iapTDpt(öv vöjiov ItcI TOOTOt? Ts^Eixsvai (pifiao{isv TÖV
vojiodetTjv — (jisoSojiaptopTJoa? (fisuSojiapToptoo 8ixir]v oo)^ o^s^si. Aristo-
teles sagt nach den Handschriften bekanntlich Pol. II 9, 8 p. 1274^ &
al Sixai twv (})soöo[j,apTÖp(ov, und ich zweifle sehr, ob Skaligers Kon-
jektur tjiEoSo{jLapTopi{i)V notwendig ist, wenn ich den reizenden, ganz
der Gerichtssprache entnommenen Abschnitt bei Plato Gorg. 471 e
— 472c vergleiche 4'£o8o[xdpTopa<; xoXXoo? xat' l[xoö 7rapao/ö[X£voc
iTrtxsipEi? IxßdXXetv {le Ix t^? oooia? xal toö aXifj^oö?. Holls allge-
meine Berufung auf die Gesetze der griechischen Sprache war
verfehlt; die neutestamentliche Sprache ist, wie zu erwarten war,
hierin nicht anders, vgl. Matth. 26, 60 ICifJtoov (JjEoSofiaptopiav xatd.
TOD 'Iyjooö, ottox; ttDTÖv ^avaTcbooDotv, xal oö/ sopov tcoXXwv ItpOOEX^ÖV-
Tcöv ({»sDSojJiapTDpwv^). Daß nun Paulus an jenen Gebrauch
knüpft (oben S. 422), nach dem die feierliche Aussage mit dem ge-
richtlichen Zeugnis verglichen wird, welches unter Anrufung Gottes
abgelegt wird und dessen willkürliche Fälschung ein Frevel gegen
Gott wäre, habe ich nie bestritten^), bestreite aber noch jetzt
nachdrücklich, daß die Stelle uns irgend berechtigt, innerhalb der
1) Das Substantiv «j'euSdfAopTu? scheint hiervon beeinflußte jüngere Bildung,
die der Bedeutung nach zu <};eu8o[i.apTupetv so steht wie ^'s^J^oXdyo; zu diEuSoXoyEiv
und in umgekehrter Entwicklung t];eu8d[jLu8o; zu iL£u8o{iu&Eiv. Auch bei •|i£u8f>|j.avrt;,
<lz\ilor.nofffixrii u. dgl. läßt sich Holls Scheidung kaum durchführen.
2) Nach Mark. 14, 56 rroXXoi YÖtp i4'*'^^°f^«P'^'^P°'^^ '^'^'^' ^^"^^^ • ■ • ^<^^ '^'''S*
ävaatavtec ^jieu6o[iapT6pouv xax' oütoü. Ein Versuch zwischen den Bedeutungen des
Substantivs und des Verbums zu scheiden, wird hier auch Holl gezwungen und
spitzfindig erscheinen,
3) Über xotA toü »toü vgl. oben S. 426. Ob jener semitische Begriff des
„Zeugen" oder Gesandten Gottes mitwirkt, entscheide ich nicht. Notwendig scheint
es mir nicht.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 466
Urgemeinde einen festen Titel [tapro? für denjenigen, der den
Auferstandenen gesehen hat, anzunehmen. Ich weiß nicht einmal,
ob Paulus hier nur von sich spricht, noch weniger ob er sich auf
die eigene Vision beruft. Für eine allgemeinere Verbreitung der
Anschauung, daß der Visionär schlechthin „Zeuge Gottes" wird,
fehlt mir jeder Anhalt.
Holl behauptet dann weiter in der Apostelgeschichte hießen
nebeneinander die Apostel {laptups? als Zeugen für den aufer-
standenen und lebendigen Christus und hieße zugleich ^dprx der
Blutzeuge. Das letztere bestreite ich unbedingt, und zwar mit
vielen Theologen aller Richtungen; die Behauptung gründet sich
auf eine einzige, ganz willkürlich gedeutete Stelle (oben S. 434) und
wäre ohne Holls Überzeugung, |jiapTo<; habe überall im Neuen
Testament eine von allen Profangräzität losgelöste einheitliche
Bedeutung, gar nicht denkbar. Das erstere ist nur halbrichtig;
Holl hat wieder versäumt zu fragen, in welchem Sinne die Apostel
an den einzelnen Stellen so bezeichnet werden, und ob ein Titel
überhaupt vorliegen kann. Wenn z.B. Petrus 2,32 sagt: toötov
TÖv 'It]ooöv aveatTjasv 6 ^söi;, oo Tcavts? T^ftefs £a{t£V {tdcptups?, so kann
er gar nicht meinen: „danach tragen wir alle den Titel itaptups?
Toü ^eoö" ; das Relativum oo bezieht sich auf das Verbum avaar-^oai
und der Gebrauch ist ganz allgemein griechisch: wir haben das
alle selber gesehen und können es bezeugen. Wenn der Aufer-
standene selbst 1,8 die Apostel entsendet mit dem Auftrag:
losodt jjLOD iidpTOps«; . . . icD? soydtoo f^<; "{ffi, so meint er wieder
keinen Titel, wohl aber ist diesmal der Sprachgebrauch durch das
Semitische mitbedingt; man vergleiche die oben S. 434, 3 erörterte
Stelle jJLapTOpt^aav sl? Twjjltjv. Nie finde ich in der Apostelgeschichte
{idpTopE? als Standesbezeichnung.
Holl bezeichnet endlich wieder, und zwar auf Grund der einen
Stelle der Apokalypse 11, 3, für die er jüdischen Ursprang ver-
mutet^), {idprj; Toö dsoö als die spätjüdische Bezeichnung für den
Propheten, ohne auch nur zu fragen, ob alle Eigenschaften und
Tätigkeiten des zpo^pijtT;? damit bezeichnet werden; er arbeitet
immer mit festen Begriffen, die ohne weiteres in ihrer Gesamtheit
gleichgesetzt werden, wenn sie sich an einem Punkte zu berühren
scheinen. Er schließt dann aas der Paulus-Stelle, die Urgemeinde
habe diesen jüdischen Titel auf alle diejenigen übertragen,
1) Selbst wenn diese Vermutung richtig wäre, könnte man einen allgemein-
jüdischen Gebrauch damit allein nicht beweisen. Aber ich bin seit Bolls schönen
Darlegungen gegen die früheren Zerlegungen der Apokaljrpse mißtrauisch.
466 R. Reitzenstein,
welche den Auferstandenen geschaut hätten^), und deutet an, daß
er aus diesem „unscheinbaren sprachlichen Vorgang" einen wichtigen
Einblick in die Ursprünge des christlichen Enthusiasmus gewinne -).
Ich fürchte, daß der sprachliche Vorgang überhaupt nicht erwiesen
ist, und würde es bedauern, wenn aus der willkürlichen Deutung
zweier herausgerissener Stellen dogmatische Folgerungen gezogen
würden.
Als Titel und technische Bezeichnung kenne ich ttapto? und
Itaptopslv in der älteren Zeit nur für den Gesandten Gottes, der
einer Obrigkeit oder Volksmenge die Botschaft der neuen Religion
verkündet, und in späterer Zeit für den Helden, dessen mutiges
Auftreten vor Gericht oder einer Volksmenge und dessen Ertragen
der Leiden, ja später sogar des Todes, für die Wahrheit seiner
Religion bürgt. Für ersteres scheint mir ein semitischer, für
letzteres ein in bestimmten Kreisen ausgebildeter griechischer
Sprachgebrauch bestimmend, die Entwicklung von dem einen zum
andern begreiflich. Nicht den Ursprung, wohl aber den Gebrauch
erläutert richtig Origenes In lohannem II 206 ff, vgl. 210 p. 93, 9
Preuschen^) irä? 8k 6 {i-aptopöv t^ dcXTjdsic^ eite "Kö^ok; site ip^oi? svcs
1) Woher ich das entnehmen soll, sehe ich ebensowenig wie, warum es
geschah. Nach Paulus waren es nach Überzeugung der Gemeinde mehr als fünf-
hundert; sind sie alle wirklich oder vermeintlich zu Propheten geworden?
2) Er sagt erklärend: „Aus der Tatsache, daß es Leute gab, die einer
Offenbarung Gottes gewürdigt worden waren, ersteht der Glaube, daß es Propheten
in der christlichen Gemeinde gibt und der Geist in ihr wirksam ist". Sollten wir
diesen von niemand bestrittenen Glauben wirklich nur aus dem angeblichen sprach-
lichen Vorgang schließen müssen? Nicht einmal für das Judentum hat irgend
jemand den Glauben an Visionen, Träume und Prophetie bestritten. Nur daß die
paulinische und gnostische Vorstellung von dem TrvsufxaTixd;, der seinem Wesen
nach nicht mehr Mensch ist, sich aus dem Judentum erklären läßt, habe ich be-
stritten und bedaure die Verwendung der für uns vieldeutigen Ausdrücke Enthu-
siasmus und enthusiastisch deswegen, weil sie leicht von der Analyse der grie-
chischen Wörter und Begriffe ablenken und zu dem Trugschluß verführen, weil
dieser oder jener Einzelzug des „Enthusiasmus" wie in den meisten Religionen so
auch im Judentum nachweisbar sei, sei die Erscheinung des Enthusiasmus jüdisch,
und wenn sich an irgend einer Stelle und in irgend einem Sinn „enthusiastisch"
für TTveufAaTtxrf; einsetzen lasse, sei dies Wort lexikalisch als jüdisch erwiesen.
Ich möchte meinerseits dieser irreführenden Art der Wortforschung, die ich
voraussehe, keinen Anhalt bieten.
3) Voraus geht die Darlegung, daß die Propheten in einem anderen Sinne
als p-aprupe; Xpioxoü bezeichnet werden als ol iUioi övo[jiaC^(xevot p-apiupec Xptotoü,
daß ferner viele (nicht alle) Jünger ({AaOr^taO diesen Ehrentitel als besondere
Gabe Gottes erworben haben. Die Verschiedenheit des Gebrauches soll der Ein-
gang des angeführten Stückes erläutern. Ich verdanke den Hinweis auf die Stelle
der Güte W. Boussets.
Bemerkungen zur Martyrienliteratur. I. 467
oTrcDOzoTs taufd ;rap'.OTd[i=vo? [Aap tu? suXoycö? av /pr^^iaxiCoi. äXX •^örj
xupi(0(;, <a>?> t6 it^c aSsX^fÖTTjio? Ido?, sxrAaYsvTs? Stadsaiv twv scöc
ö-avdtoo äYwviaajievcöV oTcsp aXr^O-Etai; ■») avSpstac, xopia)? (tövoo? {i i p -
T 0 p a ? wvd[iaaav too? v^ Ix/oosi toü laoTwv a-jiaTO? {lapToprjaavta?
T(}) T-^? ^acasßsia? [loorr^pitj), zob ocüf^po? Trdvta töv {taptopoüvta toi?
«spl ttDTOö xataYYeXXofj.svoK; [i, d p t o p a övoftdCovTO?. 'f/jol yoöv avaXaft-
ßavöjtsvo? TOI? aTTOOToXot«; * soso^s [jloo jtdpTops? sv ts 'Ispoo-
aaXY]jj- %al Ivjcdafj T-^'looSata xal Sa{jLapsio^ %ai ico?
loydcTOo T-^cY^s (Apg. 1,8). sti oe wosep 6 v.adapO-si«; Xs^pö? tö
iipoaT£TaY{i-£vov 6<:ö Mwosco? jrpoaaYäi owpov sl? {laptöpiov toöto
TTotüiv TOI? {i-Tj TC'.aTSOGaaiv el? töv XpioTÖv (Matth. 8,4), ootwi; sti;
jtapTüptov TOtc aTrioTO'. c (Mark. 13, 9) ol [JLdpTupe«; jxapTopoöa".
xal jrdvTE«; ot aYtoi , wv Xd|jLKei Td Ip^a laicpoo^sv twv dv^pcozcüv
(Matth. 5, 16). roXiTsöovTa'. ^dp KappTjOtaCo{i,£vo'. Iv t({) aTaop(|) toö Xp'.OTO'J
xal [lapTDpoüVTs? %spl tob dXTf]0".voö ^(otöc. Der Schluß zeigt, daß
Origenes auch die gnostische (und später asketische) Deutung nicht
ablehnen will.
Weil ich von einer methodisch betriebenen Wortforschung
reichen Aufschluß über die Urgeschichte des Christentums erhoffe,
sei dieser Versuch, der in Wahrheit also kaum Neues bietet,
meinem Gegner aber freilich wieder ganz unphilologisch erscheinen
wird, der Beurteilung der Fachgenossen unterbreitet.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 3. 32
Die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens.
Von
W. Boasset.
Vorgelegt in der Sitzung vom 15. Januar 1916.
Die vorliegende Arbeit ist ursprünglich aus meinen Studien
jcu dem pseudoclementinischen Schriftenkreis entstanden. Ich hatte
vor längerer Zeit den Nachweis geführt, daß in den pseudoclemen-
tinischen Recognitionen und Homilien eine hellenistische Ana-
gnorii«men-Novelle verwoben sei (Ztschr. f. neut. Wissensch. V 1904
S. 18 ff.) und hatte zugleich auf Plautus' Menaechmen und Shake-
speare's Komödie der Irrungen als Parallelen zu dieser hinge-
wiesen. Je mehr ich mich von dem Recht meiner Behauptung
überzeugte, daß die Anagnorismen-Novelle der Pseudoclementinen
in diese von auswärts eingedrungen sei, desto mehr wurden mir
die aufgewiesenen Beziehungen unsicher. Die Erzählung in Plautus'
Menaechmen ist derart different, daß höchstens Beziehungen aller-
fernster Verwandtschaft angenommen werden dürfen, die Berüh-
rungen vielleicht nur zufällig vorhanden sind. Sbakespeare's
Komödie der Irrungen liegt zunächst zeitlich zu fem ; auch könnte
ihr Stoff vielleicht doch letztlich aus der Anagnorismen-Novelle
der Pseudoclementinen und gewissen Motiven der antiken Komödie
(Verwechselung des resp. der Briiderpaare, vgl. Plautus' Menaechmen)
stammen, obwohl mir das nicht gerade wahrscheinlich ist. — So
suchte ich weiter nach wirklichen und gesicherten Parallelen. Die
Untersuchung über die Anagnorismen-Novelle der Pseudoclemen-
tinen wurde dann von Werner Heintze (der Clemensroman S. 114ff.;
23 ff. 1914), wieder aufgenommen und wesentlich vertieft. Noch
reinlicher und sicherer schälte sich deren ursprünglicher Kern
heraus. Was aber die Frage etwaiger Parallelen anbetraf, so
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phll.-hist. KUsse. 1916. Heft *. 33
470 W. Bousset,
wußte auch Heintze (§ 14. Die Beziehung zu den griechischen
Romanen) nicht mehr beizubringen als den Nachweis der Ver-
breitung einzelner, auch sonst sehr beliebter, Motive im griechischen
Roman. Die Erzählung von Apollonius von Tyrus, Xenophons
ephesinische Geschichte der Antheia und des Habrokomes, Helio-
dors äthiopische Greschichten geben einige Parallelen ab und sind
ja auch ihrerseits Anagnorismen - Novellen im weitesten Sinne.
Aber in ihnen allen spielt das getrennte und wiedervereinigte
Liebespaar (resp. Ehepaar) die Hauptrolle und so sind sie in dem
Grundzug von dem Familienroman der Clementinen (Trennung der
Eltern und zweier Knaben) different, wenn auch Berührungen in
geringfügigen Einzelheiten vorliegen. So stellte ich mir die Frage,
wo Anagnorismen-Novellen zu finden seien, deren Haupthelden
Vater, Mutter und zwei Söhne sind. Denn daß im Clemensroman
der dritte Sohn, der römische Clemens, erst gewaltsam ein-
geschoben sei, stand mir seit Anfang meiner Untersuchung fest
und wurde durch die Arbeit Heintzes von neuem bestätigt.
Bald fand ich Parallelen, wie ich sie suchte. Besonders er-
giebig erwies sich mir dabei die Lektüre von 1001-Nacht. Doch
waren, was ich fand, zunächst disjecta membra, die sich nicht recht
zusammen schließen wollten. In diesem Zusammenhang wurde ich
dann endlich auf die berühmte und schöne Placidas-Eustathius-
Legende und die ganze Flut von bereits erörterten literarischen
Problemen aufmerksam. Hier fand ich — in deren mittlerem Teil —
die Anagnorismen-Novelle in der gewünschten Form : die Wieder-
vereinigung einer aus Vater, Mutter und zwei Söhnen getrennten
Familie. Ein Vergleich mit den Novellen in 1001-Nacht machte
mir klar, daß zum ehernen Bestand der gesuchten Wiedererken-
nungsfabel der Flußübergang gehört, bei dem der Vater seine
beiden Kinder verliert; ein Motiv, das freilich gerade in den
Pseudoclementinen verschwunden ist. So rückte nun die Placidas-
Legende in den Mittelpunkt meiner Untersuchung. Noch stärker
erregt wurde mein Interesse, als ich durch Richard Garbe (über
Indien u. d. Christentum 1914 S. 86 fF.) auf die vermutlichen Be-
ziehungen der Placidas-Legende zur indischen Literatur hingewiesen
wurde. Durch Garbe wurde ich auf die Aufsätze von J. S. Speyer
(Theologisch Tijdschrift Bd. 40. 1906, S. 427—463) und M. Gaster
(Journal of Royal Asiat. Soc. 1893, 869—871 u. 1894, 345—350) ge-
wiesen und den hier versuchten Nachweis, daß sowohl die Erzählung
von der Bekehrung durch den Hirsch wie die Wiedererkennungs-
fabel auf indische Erzählungen zurückgehe. Nicht lange nachher
lernte ich Wilhelm Meyers Abhandlung „Der Ry Lhmus über den
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 471
H. Placidas-Eustasius" kennen (Nachrichten 1915. 2. Heft) und
wnrde wiederum durch diesen Aufsatz auf Monteverdis fleißige
und gelehrte Studie, la Leggenda di S. Eustachio, Studii medievali
in 1908—1911, 169—226 ; 392—498) aufmerksam. Monteverdi, der
sich in der ersten Hälfte seines Aufsatzes mit der folkloristischen
Parallele der Placidaslegende ausgiebig beschäftigt, gab mir Gre-
legenbeit, das von mir gesammelte Material auf seine Vollständig-
keit hin zu prüfen und zu ergänzen. In der Beurteilung der
Abhängigkeitsverhältnisse der Placidaslegende gegenüber den folk-
loristischen Parallelen greift aber das Urteil Monteverdis, der die
Placidaslegende als die alleinige Quelle der weitverzweigten Über-
lieferang annehmen möchte, so vollständig daneben (s. u.), daß die
Notwendigkeit einer erneuten Untersuchung des ganzen Tatbestandes
sich mir aufdrängte, zumal da ich aus den Untersuchungen der
gesamten namhaften Forscher, die sich mit den in den Umkreis
unserer Untersuchungen hineingehörenden mittelalterlichen Dich-
tungen (s. u. Abschnitt V) beschäftigen, ersah, daß diese irrtüm-
liche Annahme der Priorität der Placidaslegende sich seit langer
Zeit fast zu einem Dogma verhärtet hatte.
Die vorliegende Arbeit war beinahe abgeschlossen, als ich
durch einen Hinweis W. Foersters (Wilhelm v. England, romanische
Bibliothek No. 20. Halle 1911 p. VIII) auf die Dissertation von
Th. Ogden aufmerksam wurden „a comparative study of the poem
G-uillaume d'Angleterre". Baltimore 1900. Diese Arbeit hat im
Grunde meine Untersuchung vorweggenommen. Ogden verfügt
etwa über dasselbe Material wie ich; er bringt einige neue In-
stanzen (s. u. namentlich zu Abschnitt IV) ; nur weniges hat er
noch übersehen. Vor allem aber stimmt das Gresamturteil Ogdens,
wie namentlich aus dem S. 22 gegebenen Stammbaum ersichtlich
ist, in der überraschendsten Weise mit meinen Ergebnissen überein.
Ogdens Arbeit ist aber, soweit ich weiß und wie ich mir von meinen
Kollegen des betr. Faches habe bestätigen lassen, eigentlich ein In-
editum geblieben. Er gibt in seiner Dissertation nur die Resultate
ohne alle näheren Nachweise. So halte ich mich doch für berechtigt,
auch meine von einem andern Ausgangspunkt aus und auf anderm
Wege selbständig gewonnenen Resultate vorzulegen. Die beider-
seitigen Untersuchungen bestätigen sich jedenfalls in erfreulicher
Weise, und wie weit sie von der bisherigen allgemeinen Beurteilung
der Sachlage namentlich hinsichtlich der Placidas-Legende abweichen,
vermag ein Blick in Ogdens eben erwähnte Stammtafel zu zeigen.
Die Placidas-Legende erscheint hier innerhalb des weitverzweigten
33*
472 W. Bousset,
Stammbaumes an einer ganz bescheidenen Stelle, während ihr früher
die beherrschende Position zugewiesen wurde.
Aus einer Untersuchung zur Anagnorismen-Novelle des Cle-
mensromanes ist mein Aufsatz eigentlich zu einer Untersuchung
der Placidas-Legende geworden. Und ich wage nicht mit voller
Sicherheit zu behaupten, das Problem, von dem ich ausging, völlig
gelöst zu haben. Immerhin glaube ich, es sehr wahrscheinlich ge-
macht zu haben, daß auch die Wiedererkennungsnovelle der Pseudo-
clementinen in den hier skizzierten großen Zusammenhang hinein-
gehört (Abschnitt VII). Daß derartige folkloristische Unter-
suchungen selbst für minutiöse Fragen der Textüberlieferung der
einzelnen Quelle einigen Gewinn abwerfen, möchte ich mit dem
Abschnitt VIII, einem Beitrag über das Verhältnis der griechischen
und der lateinischen Überlieferung des Textes der Placidas-Le-
gende, zeigen.
I.
Die Untersuchung mag mit einer Skizzierung des Hauptganges
der Placidas-Eustathius- (Eustachius-, Eustasius-)Legende beginnen.
Es hat das freilich seine Schwierigkeit, weil auch die Überlieferung
unserer Legende eine weit verzweigte und schwierig zu beurteilende
ist. Es handelt sich dabei wesentlich um eine Grrundfrage. Wäh-
rend man bisher allgemein überzeugt war, daß die ursprüngliche
Überlieferung der Legende in dem griechischen Text vorliege, den
zuerst Combefis 1660 (Migne Patr. Grr. 94, 375) und dann die
BoUandisten (A. S. September Bd. 6. 2. Aufl. pag. 123 if.) veröffent-
lichten, und dem ein (längerer) lateinischer Text fast vollständig
parallel läuft, ist neuerdings Wilhelm Meyer in seiner schönen
Untersuchung „Der Rythmus über den Heiligen Placidas-Eustasius"
(Nachrichten d. Ges. d. Wiss. 1915 S. 226—287) zu einem ganz
andern Resultat gelangt. Er glaubte in der kürzeren Rezension
der lateinischen Vita, die uns bisher nur in einem Codex Casinensis
(ßibliotheca Casinensis III Florilegium 351—354) vorlag und zu
deren Text-Rekonstruktion er weitere 5 Handschriften heranziehen
konnte, die Urgestalt der Legende entdeckt zu haben. Ich stelle
diese Erage vorläufig bis zum Ende der Untersuchung zurück, da
sie m. E. nicht ohne Eingehen auf die folkloristischen Verwandt-
schaftsverhältnisse unserer Legende endgültig gelöst werden kann
und skizziere deren Gang im wesentlichen nach dem griechischen Text
(G.), notiere dabei aber der Vorsicht halber alle irgendwie in Betracht
kommenden Abweichungen des Lateiners kürzerer Fassung (L.).
In den Tagen des Kaisers Trajan lebte ein oberster römischer
Heerführer aus vornehmem Geschlecht mit Namen Placidas. Er
die (geschieh te eines Wiedererkennungsmärchens. 473
war Heide, aber mildtätig gegen die Armen ^). Er hatte eine Frau
nnd zwei Söhne und war ein leidenschaftlicher Jäger. Einst ritt
er auf die Jagd und bei der Verfolgung einer Hirschherde sieht
er plötzlich einen Hirsch von wunderbarer Schönheit und Größe
vor sich. Von seinem G-efolge sich ablösend verfolgt er ihn,
und wie der Hirsch sich ihm stellt, erschaut er auf dessen
Hörnern ein lichtstrahlendes Kreuz und zwischen den Hörnern die
Gestalt des Erlösers^). Er hört eine Stimme „Placidas warum
verfolgst du mich?" und bekommt den Befehl sich taufen zu lassen.
Heimgekehrt, berichtet er seiner Frau sein Erlebnis, und diese
erzählt ihm, daß sie gleichzeitig einen Traum gehabt, welcher die
Vision ihres Gatten bestätigt (das bekannte Motiv des Doppel-
traumes oder der Doppelvision. durch das die Wahrheit des vi-
sionären Erlebnisses über allen Zweifel sichergestellt werden soll ;
vergl. in der Apostelgeschichte die Erzählung von der Bekehrung
des Paulus und des Hauptmanns Cornelius). Nach der Unterredung
mit seiner Frau vollzieht er den Befehl, geht zum Priester der
Christen und läßt sich mit seiner Familie taufen; bei der Taufe
erhält er den Namen Eustathius (Eustasius); sein "Weib, deren ur-
sprünglicher Name nach G. Tatiane war, wird Theopiste, seine
Söhne Agapius (L. Agapet) und Theopistas genannt. Placidas-
Eustathius geht darauf zum zweitenmal — man sieht nach L. nicht
recht ein. wie er dazu kommt und weshalb er das tut, während
er nach G. c. 5 den ausdrücklichen Befehl dazu schon bei der
ersten Vision bekommt — , an den Ort, wo ihm der Erlöser er-
schienen ist, und bekommt nun von ihm Aufschluß über sein künf-
tiges Geschick: schwere Leiden werden über ihn kommen, er soll
alles was er hat verlieren, die Geduld Hiobs wird ihm von Nöten
sein, aber der Herr wird ihn gnädig heimsuchen und ihm alles
wiederschenken. L. fügt hier eine Weissagung seines zukünftigen
Martyriums ein. Nach G., der diesen Zug nicht teilt, wird ihm
noch die Frage gestellt, ob er die Versuchung jetzt oder später^)
erdulden wolle, er wählt das erstere. So beginnt nun sofort seine
Leidensgeschichte. Seine Sklaven und sein Vieh werden durch
Krankheit und Seuchen weggerafft, ein Motiv, das, wie es scheint,
1) Die Parallele mit der Gestalt des Hauptmann Cornelias in der Apostel-
geschichte ist in G. stark hervorgehoben, aber auch in L. angedeutet (§ 1 nach
W. Meyers Text S. 272) : ita ut acceptabUis fieret coram domino deo in operibus
suis. Ag. 10,35.
2) G. : TTiv el-KOva xov ^fo^pogov ««iafuero;, iqv dia ri^» earriQi'av iifimv ava-
Xttßttv yuiXiSf^azo.
3) G. : vvv 7j iitl lexärav räv ^ßSQäv.
474 "W. Bousset,
der Hiobsgeschichte entlehnt ist, wie denn auch der Vergleich des
Placidas mit Hiob, sowohl in Gr. wie in L. (Kap. VII) ausdrücklich
gezogen wird. Nach Gr. (Kap. VIII) zieht er sich schon jetzt nach
diesem Verlust an einen einsamen Ort zurück, während L. davon
nichts erwähnt. Räuber plündern darauf alle seine übrige Habe,
ihm bleiben nur Frau und Kinder und nur das, was sie auf dem
Leibe tragen (L. ^et quod erant induti", Gr. nlriv wv TCSQußißb^vto,
man beachte schon hier diesen kleinen Zug, den übrigens von den
Zeugen L.'s der Codex Casinensis fortläßt). Hier flicht Gr. noch
den beachtenswerten Zug ein, daß damals gerade ein großes Sieges-
fest über die Perser (!) gefeiert wurde und daß Placidas als Heer-
führer hätte dabei sein müssen, aber nirgends zu finden war. Weil
sie die Schande ihrer Armut unter Bekannten nicht ertragen zu
können meinen, beschließen Placidas und seine Gattin, nunmehr
nach Ägypten zu fliehen. Sie besteigen ein Schiff, der Schiffsherr
wird von Gr. als Barbar und unbarmherzig, nachher auch als ein
Mann aus fremdem Stamme (äXlöipvXos) eingeführt, während L.
etwas allgemeiner von der Bemannung aussagt: ubi erant barbari
et inrationabiles homines. Gr. berichtet auch ausdrücklich, daß die
Frau sehr schön gewesen und der Schiffsberr in Liebe zu ihr
entbrannt sei. Beide fahren fort: der Schiffsherr habe, als sie
das Schiff verlassen wollten, das Fahrgeld gefordert, und als dieses
nicht bezahlt werden konnte, die Frau zurückbehalten. Wehklagend
wandert der Vater mit seinen beiden Söhnen weiter. ■ Er kommt
an einen breiten Fluß, nimmt zunächst den einen der Knaben auf
seine Schultern und trägt ihn hinüber. Wie er den zweiten Sohn
holen will, sieht er gerade, wie ein Löwe ihn raubt und davon-
trägt, er wendet sich um und wird gewahr, daß ein Wolf auch
den Knaben ergreift, den er über den Fluß getragen hat. Die
Knaben werden beide durch Hirten und Ackerbauer, die sich in
der Nähe aufhalten, befreit und von diesen aufgezogen. G. cap. 11
und 15 gibt deutlich an, daß es dasselbe Dorf war, in dem sie
aufwuchsen ; ganz genau erzählt er deshalb auch vorher, daß auch
der Löwe mit dem geraubten Kind den Fluß weiter oberhalb
durchquert habe, so daß nun beide Knaben auf demselben Ufer
befreit werden. Placidas, der nur mit Mühe der Versuchung
widerstanden hat, sich das Leben zu nehmen, lebt nunmehr in
einem ägyptischen Ort (nach G. Badisson) 15 Jahre lang und nährt
sich von seiner Hände Arbeit. Die Frau des Placidas wird ihrer-
seits von dem Schiffsherrn aus fremdem Stamme verschleppt und
in dessen Vaterland entführt. Doch wird sie von Gott beschützt,
so daß jener sich ihr niemals nahen kann (hier führt L. die Kr-
die Gtesdüchte eines "Wiedererkennungsmärchens. 476
Zählung gleich um einen Schritt weiter, jedoch nur kurz andeutend,
ich gebe den Zusammenhang weiter unten nach G.). Mittlerweile
plündern fremde Völker (barbari) die Grenzen des römischen
Keiches ; schon hier berichtet G. genauer : es geschah ein Aufstand
bei jenen Fremdstämmigen. bei denen die Frau des Eostathius
weilte. Da entsinnt sich der Kaiser seines Feldherrn Placidas,
er schickt zwei Soldaten aus ^), ihn zu suchen, die ihn auch finden
und an einem Zeichen *) auf seiner Schulter erkennen. Im Triumph
wird er vor den Kaiser geführt und zum Feldherrn im Kriege
gegen die Barbaren eingesetzt. G. berichtet ausdrücklich, daß er
zu diesem Zweck eine Rekrutenausschreibung (tironatus) gefordert
habe. Unter den so in sein Heer Eintretenden befinden sich auch
seine beiden Söhne. L. charakterisiert diese: et erant consimiles
rofi capillis et facie supra ceteros pulchriores (vergl. auch L. c. 23
die Erzählung des einen Bruders in der Wiedererkennungsszene ') ;
G. erwähnt nur, daß sie schöner als alle gewesen sei). Sie ge-
fallen dem Vater, der sie nicht erkennt, und er macht sie nach L.
zu Centurionen. während G, charakteristischer erzählt: er befahl,
daß sie an seinem Tisch Teil haben sollten und machte sie zu
Hausgenossen. Nach seinem siegreichen Feldzug überschreitet
Placidas nach G. den Fluß Hydaspes (L: pertransivit Danubiura)
und kommt so, wie wenigstens G. ausdrücklich betont, gerade zu
dem Ort, an welchem seine Frau wohnt. Hier greift G. auf das
Geschick der Frau zurück und holt nach. Nach der Fügung
Gottes sei jener Schiffsherr, der die Frau raubte, sehr bald ge-
storben. Diese aber habe ihre Wohnung in einem Garten eines
der Dorfbewohner genommen, dort ihre Hütte aufgeschlagen und
die Früchte bewacht (d. h. sie wurde als Feldwächterin angestellt).
Auch im Folgenden erzähle ich aus Gründen, die weiter unten
deutlich werden sollen, nach G. Als der Feldherr an den Ort
kommt, beschließt er dort eine Rast von einigen Tagen zu macheu ;
er schlägt seinen Feldherrnpavillon gerade in der Nähe jenes
Gartens auf. Die Jünglinge, die in seiner unmittelbaren Nähe
weilen, erhalten Quartier in der Hütte der Frau. Sie ahnen na-
türlich nicht, daß es ihre Mutter sei, lassen sich, als es Mittag
geworden, dort nieder und beginnen sich ihre Geschichte zu er-
1) Sollte nicht der Name Agarius in L. Verstümmelung aus G. 'Jxdxtog
sein ? (s. u. im letzten Abschnitt).
2) G. : evGeTift,6v rtra ohlriv iv xä rQaxi}i^ avtov «Irjyftg iv xü utoli'iup,
L. Signum in collo suo ex plaga, quam nos scimus, quae facta est illi in hello
(nach dem besseren Text gegen Casinensis s. Meyer S. 271).
3) Frater mens rufus capillis et facie pulchra.
476 W. Bousset,
zählen und zwar so, daß (nach Gr.) der ältere Bruder sich noch
deutlich aller seiner Erlebnisse selbst erinnert, während der jüngere
Bruder sich bei der Erzählung des älteren wenigstens auf da3
besinnt, was ihm seine Retter von seinem Greschick erzählt haben.
Was die Brüder so von ihren früheren Schicksalen wissen, genügt,
daß sie sich erfreut als Brüder erkennen. Die Mutter hört das
alles von der Hütte aus mit an und fragt sich verwundert, ob
das wohl ihre Söhne seien. Am andern Morgen (nach L. sogleich)
geht sie zum Römerfeldherrn, um ihn um ihre Befreiung aus der
Gefangenschaft, in der sie gehalten werde, zu bitten (künstliches
Motiv, denn von einer Gefangenschaft war vorher eigentlich gar
keine Rede gewesen). Dabei erkennt sie ihren Gemahl an seinen
körperlichen Merkmalen (s, o., der Zug fehlt hier in L.) und gibt
sich ihm zu erkennen. Nach G. nennt sie ihm dabei seinen (offen-
bar geheim gehaltenen) Taufnamen. Sie betont, daß sie von dem
Schiffsherrn nicht berührt sei, noch von irgend jemand anderem
(L. bietet nur den Hinweis auf den schnellen Tod des Schiffsherrn).
Hocherfreut erkennt Placidas seine Gattin und teilt ihr weklagend
das Geschick ihrer Söhne mit. Aber seine Frau erzählt ihm von
den beiden Jünglingen, in denen sie ihre Söhne vermutet. Diese
werden geholt, die ganze Familie ist wieder vereint, und das ganze
römische Heer feiert ihre Freude mit. So kehrt denn der sieg-
reiche Feldherr nach Rom zurück. Mittlerweile ist Trajan ge-
storben. Hadrian, sein Nachfolger, zieht ihm entgegen. Ein
Siegesfest wird gefeiert, es soll ein Opfer im Tempel des Apollo
(L. der Götter) dargebracht werden. Da weigert sich Eustathius,
den Tempel zu betreten, bekennt sich als getauften Christen. Nun
läßt der Kaiser sofort den Feldherrn absetzen und ihn mit den
Seinen in die Arena führen, dort erleidet die gesamte Familie das
Martyrium, dessen nähere Umstände uns nicht mehr interessieren.
Man sieht deutlich, daß diese ganze Erzählung sich in drei
oberflächlich zusammengeleimte Bestandteile auflöst: 1. die Be-
kehrung des Helden, des leidenschaftlichen Jägers durch den kreuz -
tragenden Hirsch oder den Erlöser, der im Geweih des Hirsches
erscheint; 2. den Anagnorismenroman von den Eltern und den
beiden Söhnen, die alle von einander getrennt werden, um sich
alle wiederzufinden, oder die Erzählung von einem angesehenen
Mann, der alles verliert, was er besaß, um alles wieder zu be-
kommen (Hiobmotiv). 3. das eigentliche Martyrium. Daß das
letzte nur ganz lose angehängt ist, ergibt sich nicht nur aus dem
ganz abrupten Übergang am Schluß — der eben noch siegreiche
Feldherr wird auf sein Bekenntnis zum Christentum hin sofort in
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 477
die Arena geführt — , sondern auch daraas. daß im Anfang, als
der Erlöser dem Placidas nach der Taufe sein zukünftiges Geschick
weissagt, von dem Martyrium garnicht die Rede ist. wenigstens
nicht in Gr., während die hier entschieden sekundäre lateinische
Rezension durch Hinzufügung des Satzes: donec pervenias ad
martyrii triumphalem coronam (c. 7) offenbar retouchiert hat (s. n,).
Auch die innere Logik spricht für diese Annahme. Mit Fall und
Erhebung des Helden ist die Erzählung zu Ende. Das darauf
folgende Martyrium ist offenkundiger Stilfehler im Aufbau. Aber
auch die Erzählung von der Bekehrung durch den Hirsch hat ur-
sprünglich mit dem späteren Geschick unseres Helden rein garnichts
zu tun. Man beachte wie lose und unmotiviert diese zweite Er-
zählung an die erste angehängt ist. Zufällig — man weiß nicht
weshalb — kehrt unser Held wieder an den Ort zurück, wo er
das Wunder erlebt hat, und nun bekommt er die Verheißung über
sein künftiges Geschick. G. hat deshalb auch (c. 5) am Schluß der
Bekehrungsvision den direkten Befehl an Placidas eingeschoben,
er solle nach vollzogener Taute an den Ort zurückkehren. Nach
der hier von L. erhaltenen ursprünglichen Anlage der Erzählung
wird die Ligatur ganz deutlich.
Die folkloristische Untersuchung, die ich hier anschließe, be-
stätigt diese These auf das beste, denn sie zeigt uns, daß wenigstens
die mittlere Partie, die Anagnorismenerzählung, tatsächlich in weit-
verzweigter Überlieferung als Wanderanekdote für sich allein
existiert hat. Man hat das auch für die erste Episode, von der
Bekehrung durch den Hirsch, behauptet. Speyer und Gaster, nach
ihnen auch Garbe (s. o. S. 470) haben versucht nachzuweisen, daß
das Urbild dieser Legende in einer buddhistischen Erzählung No. 12
der Pali Jataka Sammlung (Nigrodha-miga-jätaka) vorliege. Ich
gebe an diesem Punkte zu, daß der Beweis, den man in den an-
gegebenen Aufsätzen nachlesen mag, nicht für jedermann schlecht-
hin zwingend sein mag; uns fehlen hier noch die verbindenden
Mittelglieder. Ich möchte jene Vermutung meinerseits dadurch
stützen, daß ich den vollgültigen Beweis für die bisher schon von
dieser und jener Seite behauptete, weithin aber auch noch be-
strittene orientalische Herkunft der mittleren Partie erbringe.
II.
Bei den Parallelen unserer Erzählung handelt es sich zunächst
um eine ganze Gruppe von Erzählungen orientalischer Her-
kunft, die in mehr oder minder naher Beziehung zu unserer
Legende stehen.
478 W. Bousset,
1. Die erste hier in Betracht kommende Parallele steht in
der Sammlung der lOOl-Nacht-Erzählungen ^), und zwar ist sie
innerhalb dieser in einer aufgenommenen Sondersammlung der Ge-
schichte des Königs Schah Bacht und seines Vesirs Er-Rahwän zu
finden. Ich erinnere an die Rahmenerzählung dieses Stückes :
Schah Bacht träumt, daß sein Vater ihm eine Frucht reicht, nach
deren Genuß er stirbt; ein von den Feinden des Vesirs bestochener
Traumdeuter deutet den Traum : wenn er den Vesir nicht binnen
Monatsfrist töte, so werde dieser ihn umbringen. Der Vesir
rettet sich von einem Tage zum anderen, indem er dem König
jedesmal für den folgenden Abend noch eine wunderbarere Erzählung
verheißt, bis er ihm schließlich verkünden kann, daß der gefahr-
volle Monat abgelaufen ist. Wir haben in dieser Rahmenerzählung
also ein kleines Seitenstück zu der bekannten Gesamtkomposition
der 1001-Nacht. Es ist klar, daß diese Sammlung von Anekdoten
einmal außerhalb von 1001-Nacht für sich bestanden haben muß
und erst später von jener Riesensammlung verschlungen ist. Henning
(XXIV S. 236) stellt sie auf die gleiche Stufe mit den Erzählungen
vom König Dschaliäd und seinem Vesir Schimäs, dem Sindbäd-
Nämeh (Sindbad oder die List der Weiber) und der Geschichte
der zehn Vesire. Von letzterer und der von uns hier behandelten
urteilt er: „die man wohl auch als ursprünglich selbstständige
Bücher anzusehn hat; ihr persischer Ursprung ist schon aus den
persischen Namen ersichtlich" ^) (über die zehn Vesire s. außerdem
u. S. 490).
1) Ich zitiere die 1001-Nacht-Erzählungcn nach der brauchharen Übersetzung
von Henning in Reclams Universal- Bibliothek nach Bänden und Seitenzahl. Vergl.
zum Folgenden auch die Einleitung Hennings über die Entstehung und Textüber-
lieferung der 1001-Nacht-Sammlung Bd. XXIV S. 206—244.
2) Die Erzählungsreihe ist in der jüngsten und umfangreichsten Redaktion
der 1001-Nacht der modernen ägyptischen (Bulaker, Calcuttaer, Beiruter Ausgabe)
nicht aufgenommen. Sie findet sich auch nicht in der ältesten Rezension, welche
Zotenberg (Notices et extraits des manusc. de la Biblioth. Nat. tom. 28 Paris
1887 p. 167—218) die Orientalische nennt. Sie steht in einigen der Handschriften,
welche nach Zotenberg eine Übergangsstufe i'epräsentieren, und keiner der beiden
großen Redaktionen angehören (z. B. im Codex 1491 an zwei Stellen, Partie XVII
und XXIV, doch nur als Fragment, Zotenberg 185 f., sowie in der Tuneser Hand-
schrift, auf welcher die Breslauer Ausgabe beruht). Zur Charakterisierung der
Sammlung möge notiert werden, daß eine ihrer Erzählungen, die von dem ein-
fältigen Ehemann (dem Liebhaber auf dem Baum, die bekanntlich auch in \Vie-
lunds Oberen erscheint), Henning XVIII S. 164 in der indischen Sammlung Suka-
saptati als No. 28 steht. Eine zweite Erzählung, die Geschichte von der reciit-
schaffenen, frommen Frau, Henning XVII 187, findet sich auch in dem türkischen
aus dem Persisrhen stammenden Tuti-Xameh (Rosen 188 ff.) und wird uns noch
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 479
In dieser Sammlung findet sich unsere Geschichte (Henning
XIX 26 nach der Breslauer Ausgabe) unter dem Titel: Die Ge-
schichte vom König, der sein Reich und Gut und Weib und Kinder
verlor ond sie von Gott wiedererhielt. — In Indien lebte einmal
ein König, der war huldsam gegen die Gelehrten, Enthaltsamen,
Frommen und Religiösen. Er war vermählt mit seiner schönen
Base, die ihm zwei Söhne gebar. Er wird von einem König über-
fallen, der ihm alle seine Streiter erschlägt und rettet sich durch
die Flucht mit der Frau und den beiden Söhnen. Unterwegs
werden sie von Räubern überfallen, die ihnen alles bis aufs Hemd
und ein Paar Hosen für einen jeden rauben '). Die Flüchtlinge
wandern weiter, bis sie an ein Meeresgestade gelangen. Ein
seichter Meeresarm stellt sich ihnen als Hindernis entgegen. Der
König trägt seine beiden Söhne hinüber und setzt sie am jenseitigen
Ufer ab. Als er dann auch seine Frau herübergeholt hat, findet
er die beiden Knaben nicht mehr am Platz. Sie waren in den
Wald gegangen, um Wasser zu machen-). Der Vater sucht seine
Kinder vergeblieh, und das Ehepaar bleibt nun bei zwei alten
Leuten auf der Insel. Da legt an der Insel ein Schiff an, dessen
Besitzer ein Magier war. Der Scheikh der Insel verrät diesem
die große Schönheit der Frau, um sich ein Stück Geld zu ver-
dienen, und der Magier lockt diese durch eine List auf sein Schiff
und fährt mit ihr ab. Verzweifelt wandert der Gatte nun in der
Welt umher, wobei eigentlich vergessen wird, daß die Erzählung
sich auf einer Insel abspielt. Er kommt in eine Stadt, dessen
König gerade gestorben ist, ohne einen Sohn zu hinterlassen. i\lan
hatte beschlossen, den znm König zu machen, den sein weißer
weiter anten beschäftigen. Eine dritte: der König und die Frau des Kämmerlings,
Henning XIX, 18, kehrt unter dem Titel: König und Weib des Vesirs im Sindbad-
Näme (von der argen Wsiberlist) Henning X 145 wieder. Spezifisch indisches
Milieu zeigt die Erzählung von dem König, der das innere Wesen der Dinge er-
kannte (Henning XVIII 142, Parallelen XXII 5 ff., 12 ff.; vgl. auch die bekannten
Rätselfragen der AcLikar-Legende und zu dem Ganzen etwa: Benfey, Kleinere
Schriften II 156 ff. „die kluge Dirne").
1) Vgl. in der Placidas-Legende die Räuber, welche der in der Einsamkeit
weilenden Familie alles nehmen mit Ausnahme ihrer Kleider. Nun wird uns auch
der Zug in der Placidas-Legende (G.) klar, daß Placidas sich — dort ganz un-
motiviert — , bevor er ausgeraubt wird, an einen einsamen Ort zurückzieht.
2) Daß unsere Erzählung hier den charakteristischen Zug des Raubes durch
wilde Tiere fortläßt, fast gegen alle übrigen Parallelen, erklärt sich vielleicht aus
einem rationalistischen Bedürfnis des Erzählers. Auch darin ist, wie sich deutlich
zeigen lassen wird, diese Erzählung wahrscheinlich sekundär, daß sie die beiden
Knaben nicht trennt.
480 W. Bousset,
Elephant erwählen würde. Der Elephant, dem man die Krone in
seinen Rüssel gegeben, setzt sie, sowie er den wandernden König
erblickt, diesem auf das Haupt und kniet vor ihm nieder, und so
wird dieser König in der fremden Stadt. Ihm wird zwar das
Ansinnen gestellt, eine der beiden Töchter des verstorbenen Kö-
nigs zu heiraten, doch weiß er sich in Treue gegen seine Frau
diesem Verlangen durch eine Ausrede zu entziehen. Mittlerweile
kommt nach einem Jahr der Magier, der die Frau des Königs
geraubt, mit seinem Schiff zu dieser Stadt. Sie hat tapfer allen
seinen Überredungen, ihn zu heiraten, widerstanden, dafür hat er
sie gefesselt und in eine Kiste gesteckt. Nun war es Sitte, daß,
wenn ein Schiff bei jener Stadt landete, der König einen Pagen
schickte, um die Waren unter Obhut zu nehmen und sein Vor-
kaufsrecht zu wahren. Der König sendet zwei Pagen, und das
waren gerade seine eigenen Söhne, die verirrt in jene Stadt ge-
kommen, schon in den Dienst des verstorbenen Königs getreten
und nun von dem eigenen Vater, ohne daß er sie kannte, über-
nommen waren. Wie nun der Abend hereinbricht, beginnen die
Jünglinge miteinander zu plaudern und sich ihre Erlebnisse aus
ihrer Kindheit zu erzählen (da die Brüder in dieser Erzählung
ungetrennt geblieben sind und sich und ihre Lebensschicksale doch
kennen, steht dieses ursprüngliche Motiv nun schlecht motiviert
da, auch fehlt natürlich die Wiedererkennung der Brüder). Die
in der Kiste versteckte Mutter hört ihre Geschichte und ruft aus
der Kiste heraus: ich bin eure Mutter, so und so ist mein Name
und das Kennzeichen (!) zwischen uns ist das und das*). Die
Jünglinge befreien ihre Matter, der Magier kommt darüber zu
und schlägt Lärm; er schleppt sie vor den König, und wie die
Angeklagten vor diesem erscheinen und ihre Geschichte erzählen,
erkennt der König seine Lieben wieder^). Er gibt sich ihnen je-
doch noch nicht zu erkennen, läßt sie bis zum nächsten Tage ein-
sperren^) und führt dann in großer feierlicher Versammlang die
Erkenntnisszene und die Entlarvung des Magiers herbei; der
Magier wird hingerichtet, die beiden Prinzen heiraten die beiden
1) Vgl. in der Placidas-Legende die Rolle, welche das Erkennungsmerkmal
des Vaters spielt. In der Erzählung oben ist eine Verkürzung vorgenommen.
Natürlich war das Kennzeichen ursprünglich angegeben.
2) Die Wiedererkennung mit dem Vater ist hier geschickter herbeigeführt,
als in der Placidas-Legende. Dort war der Schiffsherr ja gestorben.
3) Nach G. der Placidas-Legende geht die Mutter erst am nächsten Tage
zum Feldherrn.
die Grescbiclite eines Wiedererkennungsmärchens. 481
Töchter des verstorbenen Königs, und alle leben von nun an in
Glück und Herrlichkeit.
2. Eine zweite Erzählung, die in diesen Kreis hineingehört,
ist in armenischer Überlieferung enthalten und findet sich bei
Haxthausen Transkaukasia I 334. Es war einmal ein König, zu
dem trat einst ein Genius heran und stellte ihm die Wahl, ob er
in der Jugend oder im Alter glücklich sein wolle. Der König
wählte das letztere (vgl. schon hier die Parallele zu diesem cha-
rakteristischen Zug im Anfang der Placidas- Legende nach der
Rezension G.). So bricht denn über ihn das Unglück sofort
herein, der König verliert sein Reich durch einen mächtigen
Nebenbuhler, seine Frau wird durch einen Kaufmann geraubt und
entführt. Er macht sich mit seinen beiden Söhnen auf die Wan-
derschaft und kommt an einen Fluß. Er trägt den einen Sohn
über den Fluß hinüber; da wird der am Ufer zurückgebliebene
von einem Wolfe geraubt, und der Strom entreißt ihm das Kind,
das er hinüber tragen will. Er wandert allein weiter und kommt
in ein Land, dessen Volk im Begriff ist, sich einen neuen König
zu suchen. Ein weißer Adler senkt sich auf ihn herab und offen-
bart ihn als den gesuchten König (der weiße Adler übernimmt
hier also die Rolle des Elephanten in der vorigen Erzählung');
so regiert denn der König in dem fremden Reiche. Nach einiger
Zeit kommt der Kaufmann, der die Erau des Königs geraubt hat,
dorthin. Er hält die Frau, die er geraubt, in einem Kasten ein-
gesperrt und erbittet vom König zwei seiner Trabanten zu ihrer
Bewachung. Der König sendet sie, und das waren gerade seine
Söhne, die nach verschiedenen Schicksalen unerkannt in seinen
Dienst eingetreten waren. In der Nacht, auf der Wache, erzählen
sich die beiden Brüder ihr Geschick und finden, daß sie Brüder
sind; das Weib hört an der Tür des Kastens der Erzählung zu
und erkennt ihre Söhne ; sie ruft ihnen zu, sie möchten aufmachen.
Sie befreien die Mutter, erzählen sich gegenseitig ihre Schicksale
und schlafen zusammen ein. So findet sie der Kaufmann und
verklagt die Brüder vor dem König; es kommt zum Verhör, bei
dem natürlich die Glieder der Familie sich alle wieder zusammen-
finden. Der Kaufmann erhält seine gebührende Strafe, er wird
enthauptet.
3. Eine dritte und vierte Parallele sind uns in jüdischen
Erzählungen erhalten. Die erste derselben findet sich im Midrasch
1) Ein weit verbreitetes Wandermotiv. Vgl. noch die Geschichte wie Ale-
xander (neben Narcissus) Bischof in Jerusalem wird. Euseb. Kii'chen-Gesch. VI 11.
482 W. Bousset,
zum Dekalog (den Zunz nach Levi, in dem gleich zu nennenden
Aufsatz in das X. Jahrh. datiert). Aus diesem hat sie Levi
(contes juives, Revue des Etudes Juives XI 1885 p. 228 ff.) übersetzt.
Ein jüdischer Kaufmann hat seinem Vater an dessen Sterbebett
das Versprechen gegeben, daß er niemals einen Eid schwören
wolle. Da seine Umgebung diese Situation ausnutzt und fort-
während ungereohte Anforderungen an ihn stellt, denen er vor
Gericht nicht mit einem Eide begegnen kann, so gerät er in Be-
drängnis und Armut und wandert schließlich sogar, da er angeb-
liche Schulden nicht bezahlen kann, ins Schuldgefängnis. Er hat
eine Frau und zwei Knaben; die Frau ist, um die Familie zu
erhalten, als Wäscherin tätig und wäscht namentlich den Schiffern
ihre Wäsche. Ein Schiffsherr lockt sie durch ein Goldstück,
das er ihr als Lohn verspricht, auf sein Schiff; die Frau nimmt
das Goldstück in Empfang und sendet ihren ältesten Knaben da-
mit aus, den Vater aus der Schuldhaft zu befreien; mittlerweile
wird sie von dem Schiffsherrn geraubt. Vater und Söhne begeben
sich auf die Wanderschaft, um die Mutter zu suchen; sie kommen
an einen großen Fluß, und der Vater schwimmt mit dem jüngeren
hinüber. In der Mitte des Stromes läßt er den Knaben fallen, da
jener ihm zu stark geworden ist; das Kind findet Rettung auf
einer Planke. Der Vater wird an das Ufer getrieben und wird
in der Gegend, wo er sich gerettet hat, Viehwächter; vor Ver-
zweiflung will er sich einmal in den Fluß werfen, da erscheint
ihm eine Art Engel (ein Genius !) und offenbart ihm, daß im Fluß
ein großer Schatz verborgen läge; er erwirbt von dem König des
Landes den Fluß auf eine Strecke seines Laufes, hebt den Schatz,
erbaut sich einen Palast uiid wird König. Nach einiger Zeit
kommen seine beiden Söhne auf einem Schiff in das Reich, er er-
kennt sie, gibt sich ihnen aber nicht zu erkennen und behandelt
sie nur besser als die übrigen Sklaven in seinem Dienst. Dann
kommt auch der Schiffsherr mit der entführten Frau auf seinem
Schiff an das Land; auch hier kann der vom König geladene
Schiffsherr das Schiff nicht verlassen, weil er seine Frau bewachen
muß, auch hier schickt der König seine beiden Söhne auf das Schiff
als Wächter der Frau. Wie die Knaben den Schiffsherrn sehen,
glauben sie in ihm den Räuber der Mutter zu erkennen. Die
Mutter fragt, weshalb sie betrübt seien. Die Söhne erzählen ihre
Geschichte und so erkennen sie sich gegenseitig. Nun braucht die
Mutter eine List. Sie beschuldigt ihre Söhne, daß sie sich un-
passend gegen sie betragen haben. So bringt der Scbiffsherr die
Sache vor den König; die Mutter bittet den König, die Knaben
die Geschichte eines Wiedererkennongsmärchens. 483
ihre Geschichte erzählen za lassen, so erfolgt die große Er-
kennungsszene, der König zwingt den Schiffsherrn zum Geständnis
und entläßt ihn.
4. In starker Abwandlung, aber doch so, daß die ursprüng-
liche Identität ganz klar bleibt, erscheint dieselbe jüdische Erzählung
in 1001-Nacht. Sie findet sich hier in einer Sammlung von Le-
genden, die in deren späteste und vollständigste Redaktion (Aus-
gaben von Kairo, Bulak, Calcutta ; Henning IX 5—52) aufgenommen
ist^). Diese Sammlung von Legenden ist folkloristisch und reli-
gionsgeschichtlich außerordentlich interessant. Ihre Grundlage
nämlich ist wie es scheint eine ältere jüdische Legendensammlung.
Ich bringe das Beweismaterial im Folgenden, nach dem Aufsatz
von Perles, rabbinische Agada's in lOOi-Nacht, Monatsschrift für
Geschichte und Wissenschaft des Judentums Bd. 22 S. 14—34.
61 — 85. 116 — l'i4 (vergl. auch den Aufsatz von Gaster, Beiträge
zur vergleichenden Sagen- und Märchenkunde, in derselben Zeitschr.
Bd. 29 S. 218-219). Nur hat Perles nicht gesehen, daß das Material,
welches er zum Beweis seiner These für das Vorhandensein jüdi-
scher Tradition in 1001-Nacht beibringt, ganz überwiegend gerade
unserer Sammlung entlehnt ist, während jüdische Einflüsse in dem
übrigen Bestand von 1001-Nacht nur sporadisch und oft ungesichert
bleiben.
No. 1 — 3 dieser Sammlung behandeln alle dasselbe Thema:
die Legende von dem Engel des Todes, der dem stolzen and
reichen König seine Seele nimmt. Dabei trägt No. 3 schon die
1) In dem Vorbericht des 12. Bandes der Übersetzung von 1001-Nacbt,
Breslau 1825, findet sich eine Vergleichung der damals bekannten Handschriften
der jüngeren ägyptischen Rezension, auf denen die Bulaker und die Calcuttaer
Ausgabe beruhen. Es sind hier die Erzählungen, wie sie sich in den Handschr.
Clarkes und von Hammers bieten, der Reihe nach aufgezählt. Man sieht, daß
diese beiden sich fast vollständig decken. Daneben ist bei den 172 Nnmmern
der Handschrift Clarke durch Sterne angegeben, welche von diesen sich in einer
Handschrift, die der Neflfe W. Montague's besaß (nicht zu verwechseln mit der
berühmten und ganz singulären Handschrift Montague) ebenfalls tinden. Die
Zus:immenstellung ergibt das m. E. sehr wichtige Resultat, daß in der verglichenen
Handschrift (Nefle Montague's) die Sammlungen von Tierfabeln, Legenden, Anek-
doten spezifisch arabischen Milieus, die in der jüngeren Rezension von 1001-Nacht
einen so großen Raum einnehmen, noch nicht vorhanden waren. Sie gehören
wahrscheinlich innerhalb 1001-Nacht zur spätesten Schicht. In der Handschrift
Par. Nat. 1491 erscheinen ganz am Schluß (Partie XXYI Zotenberg 186) Anek-
doten und Apophthegmata. Im türkischen Text von 1001-Nacht (Par. Nat. 356)
erscheinen zum Schluß Fabeln (Zotenberg 189). Zu diesen spät in die 1001-Nacht
eingetretenen Stücken gehört auch unser Legendenkranz.
484 W. Bousset,
für unsere These sprechende Überschrift „Der Engel des Todes
tind der König der Kinder Israel". No. 2 „Der Engel des Todes
und der reiche König" zeigt auffallende Berührung — jedoch bei
völliger Selbständigkeit — mit der Parabel Jesu von dem reichen
Manne, der sich Schätze sammelt (Luc. 12, 16 — 21) ^). Perles S. 123
vsreist auf verwandte Motive in der Überlieferung des Talmud hin :
Der Todesengel erscheint auch hier als Bettler und wartet, wie
er die Seele des Frommen einholt, auf dessen Wunsch mit dem
Vollzug seiner Sendung. No. 4 der Sammlung ist eine Alexander-
iegende, die ebenfalls sehr wohl in einer jüdischen Sammlung ge-
standen haben könnte. Die Person Alexanders hat ja die jüdische
Phantasie sehr lebhaft beschäftigt. No. 6 und 7 „Der israeli-
tische Kadi und sein frommes Weib" und (den Motiven nach
verwandt) „Das schiffbrüchige Weib" sollen uns weiter unten noch
näher beschäftigen. No. 8 „Der fromme Negersklave", ist die
wunderbare Greschichte eines Regenmachers, in der besonders die
freimütige Art, die der Fromme in seinem Gebet Grott gegenüber
zur Schau trägt, hervorgehoben wird: „Ich beschwöre dich bei
deiner Liebe zu mir, laß deinen Regen unverzüglich auf uns her-
nieder strömen". Perles S. 122 — 123 hat darauf hingewiesen, daß
die Erzählungen, die Talmud Taanith 20 a — 23 a vorliegen, ganz
Ahnliches von jüdischen Rabbinen und Wundertätern zu erzählen
wissen, bis auf die Formulierung des Grebetes hin (vergl. nament-
lich die Erzählungen von Nikodemus ben Gorion und Choni dem
Regenmacher). Als speziell jüdische Traditionen lassen sich die
einzelnen Motive nachweisen, die in No. 9 ;,Der fronune israelitische
1) Ich kann mir nicht versagen, zum Beweise des oben angedeuteten Pa-
rallelismus den Anfang der 1001-Nacht-Legende im Auszug zu skizzieren. Ein
König hatte einst zahlloses Geld aufgehäuft, und viele Dinge allerlei Art ge-
sammelt. Um nun in seinen Mußestunden seine Seele an all dem unermeßlichen
Gut zu weiden, erbaute er sich ein hohes in den Himmel ragendes Schloß. Eines
Tages befahl er dem Koch, ihm ein Mahl von den feinsten Gerichten zu bereiten,
und versammelte seine Angehörigen und sein Gefolge, daß sie mit ihm speisten.
Wie er nun auf dem Throne seines Königreiches saß, redete er zu seiner Seele
und sprach: „0, Seele, du hast dir alles Gut der Welt aufgehäuft, und nun gib
dich ihm hin und lasse dir diese Schätze gut schmecken, in langem Leben und
reichem Glück." Kaum aber hatte der König sein Selbstgespräch beendet, da
kam draußen vor dem Schloß ein Mann in zerlumpten Kleidern herangeschritten,
der Todesengel, der die Seele des Königs holen will. — Ich erwähne noch, daß
zum Schluß der lang ausgesponuencn Legende sein Geld und Gut den König an-
redet : „Du aber scharrtest mich zusammen und speichertest mich in deinen
Schatzkammern auf . . . darum mußt du mich nun deinen Feinden hinterlassen
und nichts als Bedauern blieb dir und Reue". Hierauf nahm der Engel des
Todes seine Seele, während er auf dem Throne saß.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 485
Tablettflechter und sein Weib'' znsammengewoben sind. Das erste
Motiv : ein frommer Israelit entgeht den lüsternen Xachstellnngen
einer vornehmen Dame, indem er sich vom Dache des Hauses
hinunterstürzt, erscheint in ähnlicher Weise Kidduschin 40 a in einer
Erzählung von R. Kahana (Perles S. 19). Die zweite Erzählung
von dem Brotwunder im Backofen wird Taanith 24 b, 25 a, auch
von R. Chanina ben Dosa und seinem Weibe erzählt (Perles 21).
Hier wie dort verbindet sich damit das dritte Motiv : Einem armen
Frommen wird ein Edelstein (Rubin) vom Himmel her zum Ge-
schenk gesandt. Wie aber dieser erfährt, daß dafür sein himm-
lischer Thron, der ihm einst in der Ewigkeit zu Teil werden soll,
eines Edelsteins ermangele, bittet er Gott, sein Geschenk zurück
zu nehmen. Nur daß in der Talmud-Erzählung von einem golde-
nen Tischbein die Rede ist, während wiederum, in einer anderen
jüdischen Erzählung von R. Simeon ben Chalafta (Exod. Rabba
e. 52, Perles 22) das Edelsteinmotiv wiederkehrt (vgl. andere Par-
allelen bei Perles 23—28). No. 10 „El Hadschdschädsch und der
fromme Mann" — in jüdischer Tradition sonst bisher nicht nach-
weisbar — erinnert bis zu einem gewissen Grade an die ja sicher
legendarische und in den ursprünglichen Bericht der Apostel-
geschichte eingeschobene Erzählung von der Befreiung des Paulus
aus dem Kerker in Philippi. No. 11 ist die Geschichte von dem
Schmied, welcher Kohlen anfassen konnte: Ein Schmied benutzt
die Not einer Frau, zu der er in Liebe entbrannt ist, nicht, um
sie seinen Wünschen gefügig zu machen, sondern gibt ihr freiwillig
Almosen und bekommt dafür die Gabe, feurige Kohlen anfassen
zu können. In talmudischer Überlieferung kehrt das Motiv viel-
fach wieder (Perles 83 ff. 116 ff.), nur daß hier der fromme Rabbi
zum Lohne mit einem Strahlenkranz, der sich um sein Haupt legt,
oder mit dem Feuerschein bedacht wird. Es scheint also hier ur-
sprünglich ein persisches Motiv vorzuliegen, die Vorstellung von
dem Hvareno, dem Lichtglanz, der das Haupt des Frommen um-
^i^ibt, und in der Erzählung von dem Schmied, der feurige Kohlen
anfassen konnte, scheint sich dies Motiv vergröbert zu haben.
Übrigens kennt auch der jerusalemische Talmud. Sabbat XIV
(Perles 85), die Geschichte von dem Schmiede, der sich in ein
junges Mädchen leidenschaftlich verliebte, und diese wird wohl
identisch mit der unsrigen in 1001-Nacht sein. Sehr interessant
ist No. 12 in dieser Sammlung „Der Wolkenmann". Ein heiliger
Mann besitzt eine Wolke, die ihm Regen spendet und die ihn
überall hin begleitet. (Vielleicht ein Mißverständnis des in der
vorhergehenden Erzählung erwähnten Motivs von dem strahlenden
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 4. 34
486 W. Bousset,
Kranz, der das Haupt des Frommen umgibt). Durch eine Sünde
verliert er das Grnadengeschenk der Wolke und bekommt Befehl,
zu einem König zu gehen, der ihm die Wolke wieder verschaiFen
wird. Er findet an dem König nichts sonderlich Frommes ^), erfährt
aber bei genauerem Nachforschen, daß dieser tagsüber seine
Regierungsgeschäfte verwaltet, um sein Volk nicht verkommen zu
lassen, nachts aber mit seinem frommen Weibe im Büßergewande
asketischen Übungen obliegt. Auf die Bitte des Königs, namentlich,
wie es scheint, seiner Frau, erhält der Fromme seine Wolke zurück.
Es wäre sehr wertvoll, wenn für diese Greschichte, die ihrem ganzen
Charakter nach indisches Milieu deutlich zeigt (der König als Büßer
und Asket!), ebenfalls der Durchgang durch jüdische Tradition nach-
gewiesen werden könnte. Aber die Parallele, die Gaster a. a 0.
S. 215 ff. in der Greschichte des Abba Chilkija bringt (Taanith 23),
ist nicht gerade sehr überzeugend. Immerhin beachte man die
Rolle, die in beiden Erzählungen die fromme Frau spielt, No. 15
Der Prophet und die göttliche Grerechtigkeit, eine Geschichte,
in der Personen von rätselhaften, scheinbar unverdienten Schicksalen
betroffen werden, die sich nachher doch als gerecht herausstellen,
hat spezifisch jüdischen Charakter und mehrere jüdische Parallelen
(Perles S. 123 ; vgl. auch den Hinweis auf Koran, Sure 18 ; Gesta
Romanorum c. 80). No. 16 „Der Fährmann und der Eremit" führt
uns freilich in asketisch- mönchisches Milieu hinein, doch ist eine
derartige asketische Legende auch innerhalb jüdischer Überlieferung,
keine Unmöglichkeit. Schon bei Josephus finden wir bekanntlich
die Erzählung von dem Eremiten Banns. Als vorletzte Nummer
(17) steht unsere Erzählung, die wir sogleich behandeln werden.
Interessant und merkwürdig ist endlich auch No. 18 von dem
Wunderwesen Abu Dschaafar, dem Aussätzigen, bei dessen Namen
man um Regen bittet, unter dessen Segen die Gebete erhört werden.
Wir erinnern uns daran, daß in späterer jüdischer Überlieferang
1) Wir stoßen hier auf ein bekanntes Motiv, das ausführlich von Reitzen-
stein in seinem neusten Werk Historia Monachonim und Historia Lausiaca 1916,
Kap. 3, S. 34 ff. behandelt ist : Die Erzählung vom scheinbaren Weltmenschen,
der insgeheim die Asketen an Frömmigkeit übertrifft. Dasselbe Motiv entdecken
wir übrigens bereits in der Geschichte vom Schmied, der feurige Kohlen anfassen
konnte, (s.o.) Der Fromme, der den Schmied kennen lernt, um hinter das Geheimnis
seiner wunderbaren Gabe zu kommen, wundert sich, daß, obwohl er ihn Tag und
Nacht beobachtet, er doch keine Zeichen besonderer Frömmigkeit an ihm zu ent-
decken vermag, und läßt sich endlich von diesem die Geschichte seiner Vergangen-
heit erzählen. Bei Wege lang verweise ich noch auf eine jüdische Parallele bei
Wünsche, aus Israels Lehrhallen IV 133 ff. (Dreizehn ethische Erzählungen IV.):
die Geschichte von dem frommen Mann und dem Fleischhauer.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 487
der Name des „Aussätzigen" für den jüdischen Messias anftaucht.
Von den noch nicht behandelten Nnmmem enthalten 13 nnd 14
echt islamitische Bekehrungsgeschichten , die vielleicht an Stelle
jüdischer Bekehrungsgeschichten traten, jedenfalls auf eine isla-
mitische Bearbeitung unseres Legendenkreises hinweisen. Und dieser
Bearbeitung mag denn auch die Anekdote von dem Perserkönig
Kosroes Nusherwan (zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts), die sich
(Nr. 4) zur Alexanderlegende in unserer Sammlung hinzugefunden
hat, entstammen. Die Behauptung aber, daß in diesem Stück von
1001-Nacht eine jüdische Geschichtensammlung vorliegt,
scheint mir durch das vorliegende Beweismaterial außer allen
Zweifel gestellt zu sein.
Als vorletzte dieser interessanten Reihe von Erzählungen steht
die uns interessierende ,,Ein frommer Israelit, der Weib und Kinder
wiederfand". Ein frommer, angesehener Israelit läßt auf dem Toten-
bett seinen Sohn schwören, daß er niemals einen Eid ablegen wolle.
Der Sohn hält den Schwur, aber seine Umgebung macht sich das
in der schon bekannten Weise zu nutze, bis jener, in der Befürchtung
gänzlich zu verarmen, mit seiner Frau und seinen zwei Knaben
auszuwandern beschließt. Sie besteigen ein Schiff, aber das Schiff
geht zu Grrunde, und die gesamte Familie wird getrennt. Der Mann
wird vom Meer an das Ufer geschleudert; er bittet Gott dreimal
nm Hilfe in seiner Not, jedesmal bei seinem Gebete steigen Tier-
erscheinungen aus dem Meere auf, schließlich offenbart ihm ein
Engel, daß auf der Insel reiche Schätze zu heben seien. Der Kauf-
mann hebt den Schatz, läßt, als Schiffe bei der Insel landen, Leute
kommen, welche die Insel besiedeln, und wird dort König. Die
Frau, die an einen anderen Strand getrieben war, kommt zu einem
Kaufmann, der ihr sein Hab und Gut anvertraut und mit ihr
einen Bund macht, daß er nicht Verrat an ihr üben und sie mit
Liebesanträgen belästigen wolle. Die beiden Brüder, die ebenfalls
von einander getrennt waren, treten unerkannt und sich unter-
einander nicht bekannt, nach einander in den Dienst des Vaters.
Auch der Kaufmann hört von dem Inselkönig, rüstet ein Schiff
aus und fährt mit der Frau dorthin, überbringt dem König ein
Geschenk und erzählt ihm von der frommen Frau, deren Gebete
ihm Segen gebracht haben. Der König erklärt sich bereit, zuver-
lässige Leute zu senden, welche die Frau auf dem Schiffe be-
wachen sollen; er schickt die beiden jungen Männer, die bei ihm
in den Dienst getreten sind. Diese lassen sich auf dem Schiffe
nieder und beginnen, um sich die Müdigkeit zu vertreiben, ihre
Geschichte zu erzählen ; die Erzählung führt zum Wiedererkennen
34*
488 W. Bousset,
der Brüder, die Mutter hat ebenfalls alles mit angehört; sie gibt
sich ihnen zunächst aber nicht zu erkennen, erdichtet vielmehr
eine falsche Anklage gegen die beiden Brüder ^) ; der König läßt
alle vor sich kommen und die Mutter verlangt, daß die Brüder
noch einmal ihre Greschichte, die sie in der Nacht erzählten, vor-
bringen. Da erkennt der König seine Söhne, und « auch die Mutter
gibt sich zu erkennen.
5. Eine mit der jüdischen Erzählung in ihrer ersten Form
eng verwandte Geschichte hat sich in mündlicher Überlieferung
bei einem algerischen Kabylenstamm erhalten ; sie findet sich unter
dem Titel „Die Erzählung von dem Holzhacker und dem Mozabi-
ten" bei Graltier, contribution ä l'ötude de la litterature arabe-
copte im Bulletin de l'Institut fran9ais d'archöologie Orient. IV
1905 pag. 170 — 173 (dort ganz ohne Beweis als Abkömmling der
Placidas-Legende behandelt). Ein armer Holzhacker hat eine Frau
und zwei Söhne. Seine Frau verkauft, als Negerin bemalt und
verkleidet, um ihrerseits Unterhalt für die Familie zu verschaffen,
Artischocken. Ein mozabitischer Handelsherr, der ihre Schönheit
trotz ihrer Maske erkennt, lockt sie mit List auf sein Schiff und
fährt mit ihr von dannen ; der Vater begibt sich mit seinen Söhnen
auf die Suche; wie sie an einen Fluß kommen, trägt er den einen
Sohn herüber, wird aber, wie er zurückkehrt, um den zweiten zu
holen, von den Fluten fortgerissen und an einer anderen Stelle
ans Land getrieben. Die beiden durch den Fluß getrennten Söhne
nehmen von einander Abschied und gehen jeder seinen eigenen
Weg. Der Vater kommt in eine fremde Stadt und wird dort
König. Als er sich gezwungen sieht, einen Kadi abzusetzen, und
einen Ersatz für diesen sucht, werden ihm zwei geeignete junge
Leute herbeigeführt, einer vom Osten und einer vom Westen; er
setzt sie beide in die Würdestellung ein, ohne daß er seine beiden
Söhne erkennt. Mittlerweile kommt auch der Mozabit mit der ent-
führten Frau, auch hier weigert sich dieser trotz Einladung des
Königs, seine Barke ohne Bewachung zu verlassen, auch hier
werden die beiden Brüder aufs Schiff gesandt, erzählen sich ihre
1) Infolge der Ueberarbeitung des ursprünglichen Typus ist dieser Sonder-
zug schlecht motiviert. Das hängt damit zusammen, daß der Kaufmann in dieser
Variante die bösen Züge des Schiffsherrn in der Placidas-Legende und des Magiers
in der vorigen Erzählung verloren hat. So kann der natürliche Abschluß der
ursprünglichen Erzählung, die Herbeiführung einer Gerichtsverhandlung vor dem
König, durch List und der dadurch erfolgende Anagnorismos nebst Entlarvung
des Bösewichts, nicht erzielt werden. An Stelle der Anklage des Magiers ist die
schlecht motivierte Anklage der Söhne durch die Mutter (I) getreten.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 489
Geschichte und erkennen sich gegenseitig, während ihre Mutter
alles hinter der Tür ihres Gemaches gehört hat und bitterlich zu
weinen beginnt. Währenddessen kehrt der Mozabit zurück, die
Mutter beschuldigt die Brüder listig, daß sie die Pforte zu ihrem
Gemach haben sprengen wollen. So kommt auch hier die Sache
vor den König und es folgt die große Wiedererkennungsszene.
6. Des vollständigen Überblicks halber bringe ich unter den
Nummern 6 — 8 noch einige Erzählungen aus der lÜOl-Nacht-Über-
lieferung, in denen allerdings der gemeinsame Grundt\'p bereits
arg entstellt ist, so daß man an ihrer Zugehörigkeit zu unserer
Gruppe starke Zweifel hegen kann. Durch Viktor Chauvins vor-
treffliches Werk, Bibliographie des ouvrages arabes (Bd. VI p. 165)
wurde ich auf die Geschichte Cogia Muzaffer, deren Erhaltung wir
Galland verdanken, aufmerksam. Diese hat zunächst einen voll-
ständig fremden Anfang, welcher seinerseits in Übereinstimmung
mit der Erzählung vom Prinzen von Carizme (Chauvin VII p. 74)
steht. Cogia Muzaffer kommt in ein Land, dessen König gerade
gestorben ist und wird als das erste Individuum, das sich darbietet,
zum König eingesetzt (vgl. o. S. 474, 475). Er bekommt eine Frau, und
als diese stirbt, wird er der Landessitte gemäß in einem unter-
irdischen Verließ eingesperrt und dort ernährt : er findet dort eine
Frau, welche ebenfalls dort eingeschlossen ist, weil sie ihren
Gatten überlebt hat, heiratet sie und bekommt mit ihr zwei Söhne.
Es gelingt ihm, sich mit seiner Familie aus dem Verließ zu be-
freien, und damit sind wir an dem Punkt angelangt, wo die Pa-
rallele mit dem Prinzen von Carizme aufhört und der Einfluß
unseres Wiedererkennungsmärchens sichtlich beginnt. Seine Frau,
die am L'^fer des Meeres Kleider wäscht, wird von Piraten geraubt.
Muzaffer macht sich mit seinen zwei Knaben auf die Suche, ein
Wolf raubt ihm den einen der beiden Kjiaben, als er mit dem
anderen einen Fluß überschreiten will, wird ihm dieser vom Strom
entrissen. Der eine Knabe wird von Hirten, die ihn dem Wolfe
entreißen, aufgezogen; der andere von einem Fischer aus dem
Strome aufgefischt. Der König irrt lange Zeit elend umher, bis
er in eine Stadt kommt, wo er sich in den Dienst eines Kauf-
manns stellt. Dieser Kaufmann aber ist gerade seine Frau, die
sich als Mann verkleidet und einen Handel begonnen hat. Seine
Söhne sind mittlerweile Gouverneur und Kadi in derselben Stadt
geworden. — Man sieht, am Ende weicht die Erzählung wieder
stark ab, sie wird auch hier durch die Geschichte des Prinzen von
Carizme beeinflußt sein, in welcher der Mann ebenfalls nach langen
Irrfahrten zu einem Reiche kommt, dessen Königin seine Frau
490 W. Bousset,
geworden ist. Endlich weise ich noch auf die Geschichte aus der
Sammlung der 40 Vesire hin, die Chauvin VII 76 als Parallele
neben die des Prinzen von Carizme stellt. Wer sich dafür inter-
essiert, mag dort selbst nachsehen, wie in dieser aus den ver-
schiedensten Motiven zusammengewobenen Erzählung hier und da
auch die uns bekannten Motive wieder anklingen.
7. Eine weitere Parallele findet sich wiederum innerhalb eines
für sich stehenden Stückes der 1001-Nacht-Uberlieferung, nämlich
in der Greschichte von den 10 Vesiren und dem König Asäd Bacht,
auf das bereits als auf ein Seitenstück zu der Greschichte des
Königs Schah Bacht und seines Vesirs hingewiesen wurde ^). Ich
erinnere auch hier zunächst kurz an den Gang der Rahmenerzählung.
Ein König, dessen Name Asäd Bacht war und dessen Reich sich
von den Grenzen Hindustans bis zum Meer erstreckt, wird von
seinem Yesir vertrieben. Er flieht mit seiner Frau in die Wüste
und dort gebiert sie ihm auf der Flucht ein Knäbchen, das, nach-
dem die Mutter ihn in einen Rock aus golddurchwirktem Brokat
gewickelt hat, in der Wüste zurückgelassen und von Räubern ge-
funden und aufgezogen wird. Später nimmt der König sein Reich
wieder ein. Eine Schar von Räubern wird in seinem Reich auf-
gegriffen und niedergemacht, dabei wird auch der Prinz, der
bei ihnen weilt, gefangen und zum König gebracht. Dieser ge-
winnt Wohlgefallen an ihm und setzt ihn über seine Schatz-
kammern, zum Arger und Neide der Vesire des Königs. Da ver-
irrt sich der Jüngling in der Trunkenheit in das Schlafgemach der
Königin, in der Abwesenheit dieser, und wird vom König hier
entdeckt. Nun fordern die Vesire seinen Tod; und einer nach
dem anderen tritt gegen ihn auf. Der Jüngling aber rettet sich
von einem Tag zum anderen durch eine amüsante Geschichte, bis
schließlich, in dem Augenblick, da er ans Kreuz hinaufgezogen
werden soll, der Räuberhauptmann, der ihn in der Wüste fand,
erscheint und so die Wiedererkennung (Erkenntnismerkmal der
brokatene Rock, in den der Knabe gewickelt war) herbeiführt.
1) Die Geschichte von den 10 Vesiren steht in der „orientalischen" Rezen-
sion Zotenbergs (s.o.S. 472 A. 2) (im Codex Paris. Bibl, Nat. 2522, 23 Suppl. arabe —
vgl. auch Codex 1716 — als vorletzte Nummer vor dem großen Ritterroman 'Omar
al-Na'män; Zotenberg a. a. 0. 204. 206), dagegen nicht in der jüngeren ägyptischen
Rezension. Wir begegnen ihr außerdem als No. 1 in dem ganz singulären Codex
der Pariser National-Bibliothek 1723 (Zotenberg a. a. 0. 205, als No. 2 folgt die
bekannte Achikar-Legende), endlich auch in der Breslauer Ausgabe Vol. X. Gaster
(Journ. R. As. Soc. 1893 p. 870) erklärt sie für nachweisbar indischen Ursprungs.
Ueber weitere Bearbeitungen s. ebendort.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 491
Innerhalb dieser Rahmenerzählung, die ja selbst eine Wieder-
erkennungs-Xovelle ist und deren eines Motiv, der brokatene Rock,
uns noch in einer mittelalterlichen Novelle wiederbegegnen wird,
findet sich eine Geschichte, die in unseren Kreis hinein zu gehören
scheint. Sie steht bei Henning XVIII S. 48 unter No. 2 der Samm-
lung: „Die Greschichte vom Kaufmann und seinen Söhnen", und
wird hier (nach der Breslauer Ausgabe) etwas anders erzählt wie
in dem Überblick bei Chauvin I VI 166 f. Ich gebe den Gang der
Erzählung nach den beiden Rezensionen (A. gleich Breslauer Aus-
gabe; B. gleich Chauvin). Es war einmal ein reicher Kaufmann
(nach B. ein Javelier), dessen Weib schwanger war. Er nimmt
nach A. Abschied von seiner Frau und durchreist die Lande, bis
er zu einem König kommt, der ihn in Staatsgeschäften anstellt,
während er nach B. von einem König an den Hof gerufen wird,
um den Einkauf seiner Juwelen zu überwachen, und dort acht Jahre
bleibt. Mittlerweile gebiert die Frau Zwülinge; nach ß. schreiben
die Zwillinge, als sie herangewachsen sind, dem Vater einen so
netten Brief, daß die Sehnsucht nach seiner Familie bei ihm er-
wacht. Da der König ihn nicht entlassen will, bekommt er die
Erlaubnis, Weib und Kinder holen zu lassen, fährt ihnen jedoch
heimlich entgegen. Nach A. bekommt die Frau Sehnsucht nach
ihrem Manne und beschließt, da sie seinen Aufenthaltsort erfahren
hat, ihn aufzusuchen, während gleichzeitig der Kaufmann sich vom
König Urlaub geben läßt, um seine Familie zu holen. Sie treffen
sich unerkannt auf einer Insel. Nach B. badet der Kaufmann im
Meer und verliert dabei seine Börse, er beschuldigt zwei Knaben,
die in der Nähe sind, des Diebstahls, und das sind natürlich seine
Söhne. Nach A. schickt die Mutter, wie sie auf der Insel erfährt,
daß ein Schiff aus jenem Lande, in dem der Vater weilt, ange-
kommen sei, ihre beiden Knaben aus, um sich nach diesem zu er-
kundigen. Die Knaben fangen an, beim Schiff zu spielen und Lärm
zu machen. Der Vater erhebt sich, aus dem Schlafe gestört, um
Ruhe zu gebieten und verliert dabei seinen Geldbeutel in dem
Warenballen. Er beziehtet die Knaben des Diebstahls. Jedenfalls
ist beide mal das Resultat, daß er die Knaben (nach A. an ein
Ilohrbündel gebunden) ins Meer wirft. Wie nun die Frau kommt,
um ihre Kinder zu suchen, erkennen Mann und Frau sich gegen-
seitig und machen sich klagend auf die Suche nach den verlorenen
Kindern. Das eine der beiden Kinder wird an einen Strand ge-
trieben, von einem König an Sohnes statt aufgenommen und folgt
diesem nach dessen Tod auf den Thron. Den zweiten Knaben
findet der Vater eines Tages auf dem Markt, im Besitz eines
492 W. Bousset,
Sklavenhändlers, erkennt und befreit ihn. Dieser zweite Sohn be-
gibt sich dann auf Reisen und kommt eines Tages in die Stadt,
wo sein Bruder König ist. Dieser zieht ihn, durch die Bande des
Blutes geleitet, an den Hof und gibt ihm einen hohen Rang. Es
gelingt aber Neidern, ihn bei seinem Bruder zu verdächtigen, als
trachte er ihm nach dem Leben; er wird zum Tode verurteilt,
aber der Bruder schiebt seine Hinrichtung von einem Tage zum
anderen auf. Endlich hören die Eltern von dem Greschick ihres
Sohnes und begeben sich an den Hof, der Vater warnt den König,
doch nicht unbedacht zu handeln, er habe in seiner Unbedachtsam-
keit eins seiner beiden Kinder verloren. So erzählt er dem König
seine ganze Greschichte, und die Wiedererkennung ist herbeigeführt.
Man kann in der Tat zweifelhaft sein, ob die Greschichte in den
Umkreis dieser Erzählungen überhaupt hineingehört. Immerhin
kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, wie sie etwa
aus jenem zugrunde liegenden Urtyp entstanden sein könnte. Die
Geschichte hat eine bestimmte Tendenz, die sie mit allen in jene
Rahmenerzählung verwobenen gemeinsam trägt; sie will eine
Warnung sein für ein allzu rasches und unbedachtes Handeln. So
können wir begreifen, daß der bekannte Zug von dem Vater, dem
seine Kinder durch den Strom entrissen werden, hier in das Motiv
umgewandelt erscheint, daß der Vater seine beiden Söhne selbst
ins Meer wirft. Das Motiv, daß die beiden Söhne unerkannt in
den Dienst des Vaters als Pagen treten, ist hier durch das andere
ersetzt, daß der eine Bruder unerkannt Hofbeamter des anderen
wird. Während in dem Urbild der ins Elend geratene Vater den
Königsthron wunderbar gewinnt, ist es hier der Sohn, der zu dieser
Ehre aufsteigt. Das Geschick • der Frau hat das Interesse des Er-
zählers nicht mehr erregt und ist ganz und gar in den Hintergrund
getreten. So könnte man diese Erzählung aus dem gemeinsamen
Urbild ableiten, es soll darauf jedoch kein Gewicht gelegt werden.
8. In der Sammlung der Geschichte der zehn Vesire steht
seltsamer Weise neben der eben beigebrachten Erzählung eine
andere, die ebenfalls in diesen Kreis gehören könnte. Sie handelt
von dem Dorfschulzen Abu Sahir (Geduldsvater). Sie ist von hier
aus auch übergegangen in den Giami-ul hikayat (Hammer, Rosen-
oel II 281 — 283) und in die türkische Redaktion der Erzählung
von den 40 Vesiren (genauere Literaturangaben bei Gaster, Jour-
nal of royal Asiatic soc. 1893 p. 869 f., dem ich diese Parallele ver-
danke). Ich erzähle nach Hennings Übersetzung (aus der Breslauer
Ausgabe XVIII 55 if.) Abu Säbir ist ein Dorfschulze, der alle
Ereignisse seines Lebens mit Ruhe und Geduld hinnimmt. Sein
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 493
Vieh vdrd von Löwen zerrissen. Der Sultan läßt sein Dorf plün-
dern, sein Hab und Gut wird ihm geraubt, schließlich wird er aus
dem Dorf vertrieben. Er flieht mit seiner Frau und seinen
beiden Knaben in die Steppe. Hier werden sie von Räabem
ausgeraubt, die ihnen ihre Sachen vom Leibe ziehen und die beiden
Knaben rauben. Seine Frau wird von einem Reitersmann entführt.
Er bleibt bei alledem geduldig und ergeben, bis er nach ver-
schiedenen unglücklichen Zwischenfällen, die uns hier nicht weiter
angehen, infolge einer Verwechselung durch die Ähnlichkeit mit
dem Bruder des Königs selbst König wird. Er bekommt Frau xind
Kinder wieder und vermag sich an seinen Feinden und Übeltätern,
die zu gegebener Zeit alle in sein Reich kommen, zu rächen. Es
läßt sich nicht leugnen, auch diese Greschichte, bei der ein einziges
Motiv, nämlich das der unbezwingbaren Geduld (vgl. das Hiobsmotiv
in der Placidas-Legende), das allein herrschende geworden ist, zeigt
doch eine gewisse Verwandtschaft mit unserem Typus. Wir werden
eine solche überhaupt überall da anzunehmen geneigt .sein, wo Vater.
Matter und zwei Söhne als Träger der Erzählung erscheinen.
in.
Es wird sich nun darum handeln, das Verhältnis zwischen der
Placidas-Legende und den orientalischen Erzählungen, namentlich
No. 1 bis 5 festzulegen. Monteverdi, dem wir, wie gesagt, die
fleißige Sammlung des Stoffes mit wenigen Ausnahmen verdanken,
hat die erstaunliche und durch keine wirklich ernsten Beweise ge-
stützte Behauptung aufgestellt, daß nicht nur die noch weiter
unten zu besprechenden vielen mittelalterlichen Erzählungen,
sondern auch diese sämtlichen orientalischen Stücke ihre einzige
und letzte Wurzel in der Placidas-Legende hätten. Es wird meine
Aufgabe sein, den Beweis für das strikte Gegenteil zu erbringen.
Von einem Punkt wird man bei dieser Untersuchung, wie über-
haupt bei derartigen folkloristischen Abhängigkeits-Erwägungen,
nicht ausgehen dürfen, nämlich von der Frage nach der äußerlichen
Bezeugung des Alters der einzelnen Erzählung. Monteverdi
freilich argumentiert p. 185 seiner Untersuchungen etwa folgender-
maßen: Die Placidas-Legende stamme spätestens aus dem 8. Jahr-
hundert, denn sie sei schon von Johannes Damascenus bezeugt, der
jüdische Dekalog-Midrasch datiere aus dem zehnten Jahrhundert,
noch beträchtlich jünger seien die 1001 - Nacht - Erzählungen, und
damit sei die Priorität der Placidas-Legende wahrscheinlich gemacht.
494 W. Bousset,
Solche Erwägungen beweisen rein garnichts. Ich verweise hier
zum Beweise auf ein besonders markantes Beispiel für die Torheit
derartiger Alterserwägungen : die jüngst bekannt gewordene Über-
lieferung der Achikar-Legende. Mit deren Überlief erungs Verhält-
nissen hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit dem orientalischen
Zweig unserer Erzählung. Sie ist uns in einer, resp. zwei Recen-
sionen von 1001-Nacht erhalten, dann in einem syrischen, in einem
armenischen und slavonischen Text. Keinen dieser Texte können
wir mit Sicherheit vor dem ersten christlichen Jahrtausend an-
setzen. Allerdings läuft daneben noch eine stark abweichende
griechische parallele Überlieferung, die unter die Texte des Aesop
geraten ist und die nach einem rein äußerlichen Altersbeweis un-
bedingt als die ältere anzusehen wäre. Nun aber hat es sich in
der Untersuchung herausgestellt, daß nicht nur die griechische Über-
lieferung gegenüber der orientalischen entschieden sekundär ist,
sondern auch, daß jenes orientalische Märchen bereits dem Ver-
fasser des jüdischen Tobit-Buches bekannt war; ja neuerdings so-
gar, daß wir es hier mit einer Erzählung zu tun haben, die in
ihren Grundzügen schon den ägyptischen Juden in Elephantine im
fünften vorchristlichen Jahrhundert bekannt war! Man sieht aus
diesem Beispiel, was für falsche Schlüsse bei einer rein äußerlichen
Betrachtung der Überlieferungszeit derartiger Erzählungen
heraus kommen können. Es wird sich vielmehr rein unter dem
Gesichtspunkt der äußeren Überlieferung a priori sagen lassen, daß,
wenn eine Erzählung sich einerseits in einer christlichen Legende
— sagen wir einmal ruhig des fünften oder sechsten Jahrhunderts —
findet, andererseits in mehreren Erzählungen von 1001-Nacht in
einer doppelten jüdischen, in armenischer und kabylischer Über-
lieferung, es dann sicher ist, daß die christliche Legende nicht der
gemeinsame Ursprungspunkt für eine derartige weitverzweigte
Überlieferung ist. Es kommt noch die Erwägung hinzu, daß sich
unsere Erzählung in kleineren Sammlungen findet, die älter sind
als die 1001 -Nacht-Redaktion, die von dieser als ganze aufgenommen
wurden und nach übereinstimmendem Urteil der Forscher, was we-
nigstens die Rahmenerzählung und auch die große Menge der Einzel-
erzählungen betrifft, aus dem persisch-indischen Orient stammen. Wir
stießen auf nicht weniger als drei derartige Sammlungen: die Er-
zählung vom Schah Bacht, von den zehn Vesiren und endlich jene
ältere jüdische Legendensammlung.
Wir werden also jene äußere Führung des Altersbeweises, wie
ihn Monteverdi noch ganz naiv zu geben versucht, unbedingt auf-
geben müssen. Bei derartigen Untersuchungen kann nur die innere
die Geschichte eines "Wiedererkennungsmärchens. 495
Wahrscheinlichkeit, die Anlage der Erzählung ihrem ganzen Ver-
laufe nach, wie auch in ihren Einzelzügen und Einzelmotiven, ent-
scheiden, und sie entscheidet hier tatsächlich. Von einfach durch-
schlagender Bedeutung ist es, daß wir, wie schon nachgewiesen
wurde, in der Placidas -Legende eine Kombination von drei Er-
zählungen vor uns haben, deren mittlere unser Wiedererkennungs-
märchen darstellt. In allen übrigen Parallelen tritt diese mittlere
Partie rein und losgelöst heraus. Auch nicht der Schatten einer
Parallele zu den übrigen Bestandteilen der Placidas-Legende be-
gegnet uns in irgend einer der hier zusammengestellten Nummern.
Damit allein ist schon der Beweis für den sekundären Charakter
der Placidas-Legende geliefert. Neuerdings hat Cosquin (le Prologue-
cadre de mille et une nuits, Paris 1909) in einer vortrefflichen Unter-
suchung den Nachweis geführt, daß die berühmte Rahmenerzählung
der 1001 -Nacht aus drei verschiedenen Erzählungen zusammen-
gewoben sei, die sich sämtlich einzeln als Erzählungen von letztlich
indischer Herkunft nachweisen lassen. Niemand wird bei der Dar-
legung dieses Tatbestandes zweifeln, daß die Einzelerzählungen das
ursprüngliche Material darstellen und die Kompilation der 1001-
Nacht sekundären Charakter haben; genau so liegen auch bei uns
die Verhältnisse. Man kann ja letztlich eine abstrakte Möglichkeit
nicht abweisen, daß durch Zufall aus der kompillierten Placidas-
Erzählung sich die mittlere Partie losgelöst hätte und in den Orient
gewandert sei, aber man müßte sehr starke Gründe haben, um aus
dieser leeren Möglichkeit eine auch nur irgendwie erwähnenswerte
Wahrscheinlichkeit zu machen.
Diese Gründe aber hat Monteverdi nicht beigebracht, er argu-
mentiert bei seiner Untersuchung in einer höchst oberflächlichen
Weise jedesmal, als wäre die Sache schon entschieden, und seine
Argumente bestehen meistens darin, daß sich ein charakteristischer
Zug der Placidas-Legende hier und da zerstreut auch in einer der
anderen Erzählungen wiederfindet. Als wenn sich diese Betrach-
tung nicht einfach umkehren ließe, und als wenn auf der anderen
Seite behauptet würde, daß die Placidas-Legende aus einer einzigen
jener beigebrachten orientalischen Parallelen abzuleiten sei und
nicht aus der allen gemeinsamen Urquelle.
Trotzdem die Sache eigentlich bereits klargestellt ist,
wollen wir gegenüber der abweichenden Meinung Monteverdis auf
den Vergleich im einzelnen eingehen. Wir fassen zunächst die
Figur des Helden und Trägers der Novelle ins Auge. In der g-
samten orientalischen Überlieferung herrscht hier das Königsmotiv.
Es ist ein König, der sein Reich verliert, oder wenigstens ein
496 W. Bousset,
jüdischer Kaufmann oder ein armer Holzhacker, der in wunder-
barer Weise König wird. Nur in der Legende ist der Held
ein Feldherr des römischen Kaisers, erst Trajans, dann Hadrians.
Gesetzt den Fall, in der Legende läge die ursprüngliche Erzählung
vor, wie wäre es dann zu erklären, daß das Motiv des in die Fremde
wandernden und in der Kriegsnot wiederaufgefundenen Feldherrn
in sämtlichen Parallelen so ganz und gar verschwunden wäre?
Bei der umgekehrten Annahme ist die Erklärung eine höchst ein-
fache. Die Figur des Feldherrn Trajans und Hadrians ist durch
das christliche Martyrium gegeben. Diese Figur hat in der Le-
gende den orientalischen Märchenkönig verdrängt. Ferner ist die
Motivierung des Sturzes des Helden im orientalischen Märchen eine
höchst einfache. Der König wird eben von seinem Nebenbuhler
gestürzt und verliert auf der Flucht alles, was er hat, sein Grut,
sein Weib und seine Kinder. In der jüdischen Legende ist immer
noch mit ausreichend guter Motivierung an Stelle des Königs der
Kaufmann getreten, der seinem Vater verspricht, keinen Eid zu
schwören und darüber verarmt. In der kabylischen Erzählung ist
der Anfang gestrichen ; sie beginnt einfach mit der Erzählung von
dem armen Holzhacker. Wie künstlich ist demgegenüber die Moti-
vierung des Sturzes des Placidas von seiner Höhe. Aeußerliche
Unglücksfälle führen zunächst die Verarmung des Helden herbei
und den Verlust seiner Grüter. Darauf beschließt er, weil er sich
schämt, sich nach seiner Verarmung in seiner alten Umgebung
sehen zu lassen, mit Weib und Kindern auszuwandern, und nun
erst erfolgt der eigentliche ßuin. Das ist eine Kompilation von
Motiven und nicht mehr der einfache Märchenstil des Orients. Das
wird noch deutlicher, wenn wir auf einen einzelnen Zug in der
Erzählung achten. In mehreren unserer orientalischen Parallelen
wird berichtet, daß der fliehende König unterwegs mit den Seinen
von Räubern bis aufs Hemd ausgeraubt wird. Diesen Zug hat der
Verfasser der Placidas-Legende wörtlich in seine Erzählung auf-
genommen; er hat ihm aber nur sehr künstlich eine Stelle zu
schaffen gewußt, indem er recht unmotiviert annimmt, daß Pla-
cidas nach seinen ersten Unglücksfällen sich nach einem einsamen
Wohnsitz — der tritt hier an Stelle der Wüste oder Steppe des
orientalischen Märchens — zurückzieht, um dort von den Räubern
ausgeplündert zu werden. Dann erst beginnt die eigentliche Flucht
des Helden. Komplikation über Komplikation der Motive!
Wir fassen weiter das Geschick der Frau ins Auge. In dem
Hauptstrang der ursprünglichen Überlieferung spielt der Schiffs-
herr, der Magier oder Mozabit, der die Frau raubt, eine dämonische
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 497
Rolle; er hält sie. weil sie sich seinen Wünschen nicht gefügig
erzeigt, in eine Kiste eingesperrt, er verklagt die Brüder, die sie
befreien, mit frecher Stirn vor dem König, als hätten sie sich an
seinem Eigentum vergriffen, und muß so selbst, als die Kraft, die
das Böse will und das Grute schafft, seine eigene Entlarvung und
die Wiedererkennung der Familie herbeiführen. In der Placidas-
Legende ist die Figur des Kaufmanns und das Geschick der in die
Bjste gesperrten Frau, wohl weil es dem Verfasser zu wild und
zu orientalisch war, abgemildert. Der Schiffsherr stirbt sehr bald,
und die Frau befindet sich bei der Wiedererkennung in relativ
günstiger und freier Lage. Darüber ist aber auch die Geschlossen-
heit in dem Aufbau der Wiedererkennungsszene verloren gegangen.
Vor allem bedarf es nunmehr einer ganz neuen Motivierung dafür,
daß die ganze Familie sich endgültig um den Vater sammelt und
die große, abschließende Wiedererkennungsszene erfolgt. Der Ver-
fasser der Placidas-Legende muß sich dadurch helfen, daß er erzälilt,
die Mutter habe sich zunächst den Söhnen nicht zu erkennen ge-
geben, sie sei dann, aus einem Grande, der mit dem bisherigen
gamicht zusammenhängt, nämlich um sich ihre Freiheit zu er-
bitten, zum römischen Feldherrn gegangen und habe nun zufällig
in diesem ihren Mann an seinen Narben entdeckt. Man sieht auf
den ersten Blick, auf welcher Seite der verschiedenen Überlieferun-
gen die straffe und einfache Motivierung der Erzählung ist, und
wo durch künstliche Motivation ein nachträglicher Znsammenhang
hergestellt ist. Wir können zur Illustration des Gesagten auch
noch darauf hinweisen, daß noch ein weiterer Erzähler unseres
Märchens durch derartige willkürliche Abänderungen an diesem
Punkt in Verlegenheit geraten ist. In der zweiten jüdischen Quelle
ist die Figur des dämonischen Kaufmanns ganz und gar ins freund-
liche, biedere umgezeichnet. Infolgedessen fehlt hier auch die
Motivierung des letzten Anagnorismos. Allerdings ist der Ver-
fasser mit dieser Schwierigkeit noch sehr viel schwerer fertig
geworden, als der Verfasser der Placidas-Legende. Er hat ganz
sinnlos die Rolle des falschen Anklägers gegen die Brüder, die in
der ursprünglichen Erzählung dem bösen Kaufmann zufielen, auf
die Mutter der beiden Brüder übertragen I
Ich meine, damit sollte die Sekundarität der Placidas-Erzählung
nach jeder Seite hin bewiesen sein. Ich bleibe aber bei diesen Ver-
gleichen der Parallelen unter einander noch ein wenig stehen und
ziehe auch Punkte heran, bei denen der Vergleich nicht gerade zu
Ungunsten der Placidas-Legende ausschlägt. Ich tue das, um von
neuem an einem Beispiel zu erhärten, mit welcher Sicherheit man
498 W. Bousset,
durch fortgesetzte Erwägung der inneren Wahrscheinliclikeit den
ursprünglichen Typus der Erzählung und damit auch den Wert
der einzelnen Überlieferungen und ihre gegenseitigen Abhängigkeits-
verhältnisse der einzelnen Erzählungen feststellen kann. Ich hebe
noch folgende Punkte heraus : 1. Der Gang der ursprünglichen
Erzählung ist ein ganz klarer, sie ist beherrscht von dem soge-
nannten Hiobsmotiv. Der Held verliert alles, was er hat, um
alles, so wie er es hatte, wieder zu gewinnen. Von hier aus stellt
es sich heraus, daß nur die Schäh-Bacht-Erzählung, das armenische
Märchen und hier einmal auch die Placidas-Legende den ursprüng-
lichen Charakter bewahrt hat. Es stellt sich ferner heraus, daß
die beiden jüdischen Erzählungen abgeändert sind, denn hier ge-
winnt der Kaufmann nicht nur was er hatte wieder, sondern er
steigt darüber hinaus zur Königswürde empor. Auch ist ja das
neue Motiv des verbotenen Eidschwur s ein echt jüdisches, und
einigermaßen jüdisch ist es auch, wenn der Held der Erzählung
dadurch, daß er einen Schatz ausgräbt, zur Königswürde und
Königsmacht emporsteigt. Noch weiter entfernt sich die kaby-
lische Erzählung vom Haupttypus, denn sie setzt einfach die Armut
des Helden der Erzählung als gegeben voraus. 2. Die ursprüng-
liche Erzählung ist auf die Idee angelegt, daß sämtliche Mitglieder
von einander getrennt werden, um sich sämtlich wiederzufinden.
Man sieht, daß unter diesem Gresichtspunkt sofort die Schäh-Bacht-
Erzählung eine zur Tendenz des Ganzen nicht passende und damit
sekundäre Fassung aufweist. In ihr bleiben die beiden Knaben
ungetrennt. (Damit mag es auch wohl zusammenhängen, daß hier
nicht wie in allen übrigen Erzählungen der Held erst sein Weib
und dann seine Kinder verliert, sondern daß die Erzählung in
umgekehrter Reihenfolge verläuft.) Auch hier rächt sich die Will-
kür in der Abweichung sofort, und die Erzählung verliert an einem
Punkt ihre Durchsichtigkeit und Klarheit, nämlich da, wo die
Brüder nun in Gegenwart ihrer Mutter sich ihr Geschick zu er-
zählen beginnen. Das erklärt sich gut nur unter der Voraus-
setzung, daß die Brüder von einander getrennt waren, nicht aber
unter der anderen, daß ihr Geschick ein gemeinsames war. 3. Sehr
variabel ist die Behandlung der entscheidenden Erzählung von dem
Verlust der beiden Knaben in unseren Parallelen. Am weitesten
ab und für sich allein steht hier die zweite jüdische Erzählung.
Hier ist das Motiv des Flußübergangs, das sonst geradezu ein
Charakteristikum unserer ganzen Erzäblungsreihe ist, vollkommen
verschwunden und durch das bekannte Motiv des Schiffbruches ersetzt.
Ich erwähne das ausdrücklich, weil gerade unsere Erzählung dadurch
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 499
eine Brücke abgeben wird, um zu einer anderen Erzählung hinüber-
zuführen, die uns im Verlauf unserer Untersuchung noch ausführ-
lich beschäftigen soll. Am märchenhaftesten und deshalb scheinbar
am ursprünglichsten ist hier ausnahmsweise die Placidas-Legende,
Raub des einen Knaben durch den Löwen, des anderen durch den
Wolf. Das Motiv des Raubes durch den "Wolf ist der armenischen
Überlieferung erhalten, die dann ihrerseits den anderen Knaben
durch den Fluß fortreißen läßt. In zwei anderen Relationen spielt
nur noch der Fluß die verhängnisvolle Rolle und in der Schäh-
Bacht- Erzählung war, wie wir sahen, das Motiv gänzlich rationa-
lisiert und das eigentlich Wunderbare und Märchenhafte ganz ver-
schwunden. Wir können an diesem Punkte die Vermutung aus-
sprechen, daß die Placidas-Legende uns hier aus einer älteren
Urform einen Zug der Erzählung aufbewahrt hat, der sich in
keiner der bisherigen Formen sonst so gut erhalten hat. Und wir
werden sehen, daß sich diese Vermutung uns bestätigen wird.
4. Auch wenn wir noch einmal auf das Schicksal des Helden in
der Erzählung zurückgreifen, so gruppieren sich, wie wir zum
Teil schon gesehen haben, die Erzählungen ganz deutlich, und das
ursprüngliche Urbild tritt klar zu Tage, nur die Schäh-Bacht-Er-
zählung und das armenische Märchen haben das ursprüngliche
getreu erhalten: ein König, der sein Reich und alles andere ver-
liert und alles wiedergewinnt. Die Erzählung, wie der
umherirrende König durch die Kundgebung eines Tieres,
des Elefanten oder des Adlers die Regentschaft eines frem-
den Landes gewinnt, ist echt orientalisch märchenhaft. Wir sahen,
wie dem gegenüber die Figur des Feldherm in der Placidaslegende,
die des Kaufmanns, der keinen Eid zu schwören versprochen hat,
in den jüdischen Varianten und die des armen Holzhackers in der
kabylischen Erzählung sekundäre Bearbeitungen oder Nebenein-
flüsse aus anderen Quellen darstellen.
So gliedern sich uns die verschiedenen Varianten unserer Er-
zählung, so daß wir einen genauen Stammbaum herstellen können.
Dem ursprünglichsten am nächsten steht das armenische Märchen
und die Schäh-Bacht-Erzählung ; wiederum einen besonderen Typ
vertreten die jüdischen und die kabylische Geschichte. Weiter ab-
seits steht die Placidas-Legende, noch weiter die übrigen aufge-
zählten Nummern, bei denen wieder ganz neue Motive von zum
Teil noch nachweisbarer Herkunft eingeflossen sind. Allen voran
an Wert steht aber die armenische Überlieferung, Diese hat im
Großen und Ganzen den eigentlich ursprünglichen Gang der Er-
zählung, wie der fortgesetzte Vergleich erwies, abgesehen von
500 W. Bousset,
Kleinigkeiten, von Anfang bis zu Ende getreu bewahrt. Es mögen
in dieser kurzen Erzählung einige Motive verschwunden sein,
z. B. der Zug, den die Schäh-Bacht-Erzählung erhalten hat, daß
auch der Mann, wie die Frau, die diese Rolle fast in sämtlichen
Erzählungen spielt, die eheliche Treue während der Trennung be-
wahrt und die Heirat mit den Prinzessinnen des fremden Landes
in treuem Angedenken an seine Frau unter allerlei Vorwänden
ständig aufschiebt — ein Motiv, das uns weiter unten noch beschäf-
tigen wird. — Nebenbei mag übrigens auf den seltsamen Zufall
hingewiesen werden, daß sich bei dem Vergleich der verschiedenen
Varianten der Achikar-Über lieferung ein ähnliches Resultat heraus-
stellt. Auch hier hat die armenische Rezension, wie ich seiner Zeit
nachwies und auch allen Widersprüchen gegenüber aufrecht erhalte ^),
den ursprünglich heidnischen Charakter der Erzählung am besten
bewahrt.
Und in diesem Zusammenhang möge noch auf eine Einzelheit
hingewiesen werden. Die armenische Variante erzählt zum Anfang,
daß dem König ein Grenius erschienen sei, der ihn gefragt habe,
ob er lieber in seiner Jugend oder in seinem Alter glücklich sein
wolle. Nachdem der König sich für das Letztere entschieden, be-
ginnt sein Geschick sich abzurollen. Aus dem Vergleich der Er-
zählung ist zu ersehen, daß sich dieser Zug nur noch in Recension
G der Placidas-Legende wiederfindet. Monteverdi hat fälschlich
daraus den übereilten Schluß gezogen, daß hier die Abhängigkeit
der orientalischen Erzählung von der Placidas-Legende besonders
deutlich heraustrete. Das ist, wie gesagt, eine gänzlich unerwiesene
Behauptung. Man wird auch nicht zum Beweise darauf hinweisen
dürfen, daß ein derartig süpranaturaler Zug ursprünglich in der
Legende und nicht im Märchen seinen Platz hatte. Ich wüßte
nicht, weshalb ein Grenius, der dem König sein künftiges Geschick
mitteilt, weniger im Märchen seinen Platz hätte, als die beiden
wilden Tiere, welche gleichzeitig die Kinder rauben, oder das
wunderbare und kluge Tier, daß in seiner Weisheit einen Fremd-
ling zum König macht. Aber das wird allerdings zugestanden
werden können, daß, wie wir es oben schon einmal beobachteten,
die Placidas-Legende auf einen sehr alten Typ unserer Erzählungen
zurückweist, da doch von einer direkten Berührung zwischen ihr
und der armenischen Überlieferung nicht die Rede sein kann, viel-
mehr nur diese beiden Zeugen gemeinsam jenen Zug aus dem Ur-
bild der Erzählung erhalten haben.
1) Vgl. meinen Aufsatz ü. Beiträge zur Achikarlegende, Ztsclir. f. neut.
■Wissensch. VI 1905 S. 180—193; dazu theolog. Rundschau XII 19 418 fif.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 601
IV.
Der bisherige Gang unserer Untersuchung wird dadurch auf das
erfreulichste bestätigt, daß wir nunmehr eine deutliche Spur un-
seres Erzählungskreises auch in indischer Überlieferung aufzuweisen
in der Lage sind. Es ist das Verdienst der obengenannten For-
scher, Gaster und Speyer, daß sie uns auf diese Parallelen auf-
merksam gemacht haben, die selbst dem Sammelfleiß von Monte-
verdi noch entgangen sind.
9. Auf die erste dieser Erzählungen hat Gaster a. a. 0. 869
hingewiesen. Es ist die buddhistische Legende von der Schülerin
Buddhas Patäcära. Diese findet sich in dem Paliwerk des Buddhi-
stischen Kommentators Buddhagosha (5. Jahrh. n. Chr.), dem Mano-
ratha Purani, einem Kommentar zum Anguttara Nikäya. Letzteres
Werk nennt in einer Sektion des ersten Nipäta eine Liste von 13
Schülerinnen des Buddha. Der Kommentar bringt die Heiligen-
legenden dieser 13 Frauen. No. 4 ist Patäcära. Mabel Bode hat
(Joum. of royal. Asiat. Soc. 1893, 517 fP.) einige der Erzählungen
veröffentlicht und übersetzt. Die Übersetzung der Geschichte der
Patäcära findet sich p. 556 ff.
Patäcära ist die Tochter eines vornehmen Hauses in Sävatthi.
Weil sie einen ungeliebten Mann heiraten soll, flieht sie mit dem
Mann ihrer Liebe, einem einfachen Arbeiter. Sie bekommt in der
Fremde zwei Kinder. Darauf macht sie sich, von Sehnsucht ge-
trieben, mit ihrem Mann und den beiden Kindern auf, um in ihre
Heimat zurückzukehren. Sie werden auf der Reise von einem
furchtbaren Unwetter überrascht. Der Mann baut seiner Frau
eine Hütte, aber wie er Gras für ein Lager holen will, wird er
von einer Schlange gebissen und stirbt sofort. Die Frau wandert
mit den Kindern weiter. Sie kommt an einen Fluß und trägt zu-
nächst den jüngeren Knaben (ganz ebenso wie in der Placidas-
Legende, Recension G., zuerst der jüngere Knabe hinüber getragen
wird, während der ältere Sohn am Ufer bleibt) zum anderen Ufer
hinüber. Aber wie sie zurückkehrend, um den älteren ebenfalls
hinüber zu holen, mitten im Strome ist, fliegt ein Adler herbei,
um das jüngere Knäbchen zu rauben. Sie sucht diesen durch
Handbewegungen zu verscheuchen. Der ältere Knabe glaubt, daß
sie ihm winke, steigt in den Fluß und ertrinkt. Der Adler raubt
das jüngere Kind. Nun kommt Patäcära ganz allein zu ihrem
Heimatsort und findet das Haus ihrer Familie durch einen
Wirbelwind zerstört. Ihre Verwandten in der Heimat aber sind
alle erschlagen ; ihre Leichen brennen eben noch auf dem Scheiter-
haufen. Wie sie die Botschaft vernimmt, wird sie wahnsinnig und
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phü.-hist. Klasse. 1916. Heft 4. - 35
502 W. Bousset,
durcheilt nackt die Lande, bis Buddha sich ihrer erbarmt und sie
zur Vernunft bringt, und so wird sie seine getreue Schülerin.
Man erkennt den Typus unserer Erzählung kaum wieder, so
stark ist sie hier verwandelt. Aber doch sind auch hier die Per-
sonen Mann, Frau und zwei Knaben, und alle werden durch Un-
glücksfälle von einander getrennt, so freilich, daß das glückliche
Wiederfinden nicht erfolgt, die Geschichte vielmehr nur zur einen
Hälfte aufbewahrt ist ; aber der Zug, wie die Frau ihre beiden
Knaben verliert ist so typisch — man beachte, daß die Katastro-
phe sich auch hier gerade in dem Augenblick ereignet, da die Frau,
die hier an Stelle des Mannes getreten ist, sich mitten im Strome
befindet, — daß es unmöglich ist, hier einen Zufall anzunehmen .
Sonst ist die Erzählung allerdings überall durch die aufgetragene
buddhistische Tendenz in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht der Mann,
sondern die Frau ist Schülerin Buddhas, ist die Trägerin der Le-
gende. Und die Geschichte endet nicht mit den Wiedererkennungs-
szenen und der Wiederherstellung alles dessen, was verloren ge-
gangen war, sondern mit dem völligen Ruin und der Verzweiflung
und der daran sich anschließenden Bekehrung zur buddhistischen
Askese. Der Entdecker der hier vorliegenden Beziehungen, Gaster,
bat daher mit Recht bereits die Vermutung ausgesprochen, daß die
buddhistische Erzählung tendenziös abgeändert sei p. 869: the
buddhist tale has undoubtedly changed and been adapted to the
circumstances, in order to explain the conversion and preeminence
obtained by Patäcära. Wir stoßen hier in unserer Untersuchung
auf ein besonders interessantes Resultat. Die Parallele, die wir
in der buddhistischen Quelle nachweisen konnten, ist nicht etwa
die ursprüngliche Quelle unserer ganzen Überlieferungsreihe, son-
dern offensichtlich sekundär und abgeleitet. Wir werden also an-
zunehmen haben, daß ein altes, indisches, volkstümliches Märchen
existiert hat, das einerseits, getreulich erhalten, nach Westen
wanderte und dort nun in den verschiedensten Variationen er-
scheint, während es andererseits schon eine verhältnismäßig alte,
tendenziöse, buddhistische Bearbeitung erfahren hat. Wenn unsere
Vermutung richtig ist, so wäre damit von neuem erwiesen, daß
eine christliche Legende des 5. oder 6. Jahrhunderts unmöglich der
Ursprungspunkt für eine derartige weit verzweigte Überlieferung
sein kann ^).
1) Eine beinahe völlig übereinstimmende Erzählung scheint in einer tibeta-
nischen Version vorzuliegen, deren Kenntnisse ich Ogden p. 24, der die genauere
Quelle dort nicht angibt, verdanke. Ogden erwähnt als Hauptpunkte der Überein-
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 503
10. Auf eine weitere Parallele hat I. S. Speyer (Theologisch
Tijdschrift 40 p. 451 ff.) hingewiesen, nämlich die buddhistische Er-
zählung von Visvantara (Vessantara). Sie findet sich als ein Erleb-
nis Buddhas in einer seiner früheren Inkarnationen als letztes Stück
(No. 547) der Pali-Sammlung der Jätakas und als Xo. 1 der
Sanskrit-Übersetzung der Jätakamälä des Aryasüra^).
Die Erzählung lautet folgendermaßen : Visvantara, die vorletzte
Inkarnation des Bodhisattwa, ist Sohn eines Königs des S'ibilandes
Jayturä. Er führt, um sich würdig für das nächste Dasein vor-
zubereiten, ein frommes, asketisches Leben, sucht jedermann seinen
Wunsch zu erfüllen und schenkt einem fernen Königreich, in wel-
chem Dürre herrscht, einen weißen Elefanten, ein Wundertier, das
den Hegen herbeiführen kann. Damit unzufrieden empört sich das
Volk gegen ihn. Er wird auf den Vafikaberg verbannt, seine
Gattin und zwei Kinder teilen sein Los. Er verteilt seinen ge-
samten Besitz unter die Bettler, (die hier also etwa die Stelle der
Räuber einnehmen, die dem fliehenden König im orientalischen
Märchen, oder dem kaiserlichen Feldherrn in der Placidaslegende
sein Hab und Gut nehmen) und lebt mit seiner Familie auf dem
Berge Vanka ein Asketenleben. Ein widerwärtiger alter Brahmane
erbettelt sich von ihm die beiden Kinder und treibt sie mit Stock-
scblägen davon. Und um seine himmlische Geduld auf die letzte
Probe zu stellen, nimmt Indra selbst die Gestalt eines Brahmanen
an und fordert von ihm auch sein Weib. Nachdem der Prinz auch
diese Geduldsprobe überstanden hat, gibt Indra sich ihm zu er-
kennen und schenkt ihm das Weib zurück. Der Brahmane, der die
Kinder dem Prinzen geraubt, ist mittlerweile an den Hof von
dessen Vater gekommen und wird gezwungen, diese wieder heraus-
stimmung dieser Erzählung mit unserem Kreise : die Answandemng des Helden und
der Heldin aus der Heimat, die Geburt eines (!) Kindes, die Trennung des Mannes
von der Frau, Verlust und Tod des Kindes; zum Schluß skizziert 0., mir nicht
ganz klar: the violation of the heroine. Ogden urteilt mit Recht über das Verhält-
nis zum Gesamtkreis: „The story is the same, except that the outcome in each
instance is infortunate instead of satisfactory, and only tili the unhappy heroine
takes refuge in reügion. does she find rest. I should, therefore, consider this version
modeled on the general type, but intentionally perrerted, to convey a moral lesson".
Dasselbe Urteil gilt natürlich auch von dem Archetypus der Pali-Erzählung.
1) Jätakamälä (Vorgeburts-Geschichtenkranz) ist im Jahre 434 n. Chr. bereits
ins Chinesische übersetzt; R. Garbe, Indien und das Christentum S. 83, setzt daher
äIs terminus ad quem des Jätakamälä den Anfang des nerten Jahrhunderts. Die
Pali-Sammlung muB dann bedeutend früher angesetzt werden. Der Inhalt unserer
Erzählungen ist ausgiebig bei Spencer Hardy, Manuel of Buddhism 16 ff., und H.
Kern, der Buddhismus und seine Geschichte in Indien 1388 ff., wiedergegeben.
35*
504 W. Bousset,
zugeben. Mittlerweile ist auch der weiße Elefant zurück gesandt^
der Grund der Verbannung des Prinzen ist damit aufgehoben. Der
alte König holt mit den beiden Kindern, nebst einem großen Ge-
folge, den Prinzen vom Vankaberge und dieser hält unter dem
Jubel der Bevölkerung seinen Einzug.
Es könnte zweifelhaft erscheinen, ob man berechtigt ist, auch
diese Erzählung in unseren Zusammenhang einzureihen. Doch auch
hier sind die Träger der Erzählung Mann, Frau und zwei Kinder,
und gerade dieses Erkenntnismerkmal hat uns bis jetzt überall
gut und sicher geführt. Die zwei Kinder haben allerdings, wie es
hier scheint, verschiedenes Geschlecht. Aber zu unserer Über-
raschung ist in einer Variante der Erzählung, auf die Speyer S. 452
hinweist, tatsächlich von zwei Söhnen die Rede. Also auch hier
werden Vater und Mutter und zwei Knaben von einander durch
mannigfaltige Schicksale getrennt und schließlich alle wiederver-
eint. Der Held der Erzählung verliert alles, was er besitzt und
findet alles wieder. Die Gottheit selbst beteiligt sich, wie in der
Placidas-Legende, an der Prüfung des Heiligen.
Will man aber diese Geschichte in unseren Zusammenhang
einreihen, so wird man jedenfalls nicht mit Garbe S. 291 diese als
das Urbild der Placidas-Legende ansehen dürfen, vielmehr an-
nehmen müssen, daß in dieser Erzählung, ebenso wie in der Patä-
kära-Legende eine tendenziöse buddhistische Übermalung einer
naiven älteren Volkserzählung vorliegt. Aus dem Helden, der eine
Menge widriger Schicksale erleidet, ist hier der buddhistische Muster-
asket geworden, der alles wegzugeben bereit ist und durch seine
wunderbare Opferfreudigkeit den ganzen Götterhimmel in freudiges
Erstaunen versetzt. Anders als in der Patäkära-Legende ist dabei
wenigstens der Zug des ursprünglichen Märchens gewahrt, daß der
Held schließlich zur Belohnung alles, was er verloren hatte, wieder
gewinnt. Man kann demgemäß sagen, daß eine jede der beiden
buddhistischen Legenden etwa die Hälfte unserer Märchenerzählung
im Rudiment einigermaßen bewahrt habe.
11. Auf eine weitere indische Parallele bin ich durch die in
der Einleitung erwähnte Arbeit Ogdens aufmerksam geworden.
Sie findet sich in dem Werke des Dancjin in dem Da^akumära-
saritam (Abenteuer der zehn Prinzen) aus dem 6. nachchristlichen
Jahrhundert. Die Rahmen-Erzählung dieses Werkes gebe ich kurz
nach der Einleitung der Übersetzung von M. Haberlandt 1903 8. 5.
Rädschahansa, König von Magadha, wird von einem benachbarten
König mit Krieg überzogen und flieht in den Vindhya-Wald, wo
ihm seine Gemahlin einen Sohn gebiert. Der Prinz wird mit neun
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 505
andern Knaben gleichen Alters erzogen, die sich in höchst wunder-
barer Weise an jenem Zufluchtsort zusammen gefunden haben. Nach-
dem ihre Erziehung mit dem ] 6. Lebensjahr vollendet ist, wandern
sie alle in die Welt aus, trennen sich wieder und finden sich all-
mählich wieder zusammen. Die Erzählung ihrer Abenteuer bildet
den Inhalt des Werkes. Einer dieser Knaben, Pushpodbhava, ist
der Träger einer indischen Anagorismen-Novelle, die uns in der
Übersetzung von Haberlandt S. 16 und S. 32 ff. in den Zusammen-
hang des Ganzen verwoben, vorliegt : Weit hinten im Mohrenlande
lebte ein trefflicher reicher Kaufmann mit einer schönen Tochter
Namens Suvrtta. Ein fremder Kaufherr, von vornehmer Abkunft,
der Sohn eines Ministers des Magadha-Königs, hält um sie an. Er
hieß Ratnodbhava. Mit der Zeit wurde die junge Frau guter Hoff-
nung; ihr Mann aber sehnt sich, seinen Bruder wiederzusehn, und
verläßt mit seinem Weibe die Heimat. Das Schiff, auf dem sie
fahren, erleidet Schiffbruch, die junge Frau wird durch ihre Diene-
rin gerettet und treibt mit ihr ans Land. Das Schicksal ihres
Mannes bleibt zunächst unbekannt. Nach dem Schiffbruch schenkt
die Suvrtta, mitten im Walde, einem Söhnlein das Leben und bleibt
ohnmächtig liegen. Ihre Dienerin eilt fort, um Hülfe zu «holen,
und nimmt das Kind mit. Sie begegnet einem alten Büßer, er-
zählt ihm ihr Geschick und bittet ihn, den Kleinen aufzubewahren.
Da taucht plötzHch ein Elefant aus dem Dickicht auf und nimmt
den Knaben auf seinen Rüssel. Doch auf den Elefanten stürzt
sich ein Löwe. Jener schleudert das Kind hoch in die Luft und
beginnt mit dem Löwen den Kampf. Das Kind wird von einem
Affen aufgefangen, der es fein säuberlich unter einem Baume
niederlegt. Mittlerweile hat der Löwe dem Elefanten den Garaus
gemacht und entfernt sich stolz. Der Büßer nimmt das wunder-
bar bewahrte Kind (vgl. o. S. 528) und bringt es an die Zufluchtsstätte
des Königs von Magadha, wo es mit dem Prinzen und den übrigen
Gefährten zusammen erzogen wird. Herangewachsen, zieht dann
der Knabe, der den Namen Pushpodbhava behalten hat, in die weite
Welt, trennt sich von diesen und erlebt sein eigenes Abenteuer.
Er flüchtet sich eines Tages vor der unerträglichen Sonnenliitze,
da fällt plötzlich ein Mann vom Felsenrande herunter, so daß er
ihn gerade noch mit seinen Armen auffangen kann. Es ist Rad-
nodbhava, der Vater des Helden unserer Geschichte. Er erzählt
seinem Sohne sein Schicksal und schließt damit, daß er nach 16
Jahren unerträglichen Leides beschlossen habe, seinem Leben durch
einen Sturz von der Bergwand ein Ende zu machen. Kaum ist
so die erste Wiedererkennungsszene erfolgt, so läßt sich in der
506 W. Bousset,
nnmittelbaren Nähe der Beiden das klagende Geschrei einer Frau
vernehmen. Es ist die Stimme der alten Dienerin, der Suvrttä,
die ihre Herrin abzuhalten versucht, sich in der Verzweiflung über
den Verlust von Mann und Kind das Leben zu nehmen. Der Sohn
stürzt ins Dickicht, findet dort schon ein gewaltiges hochlodern-
des Feuer und ein Weib im Begriff, sich in dieses zu stürzen.
Aus der Erzählung der Dienerin erfährt er, daß es seine Mutter
ist; er wirft sich ihr zu Füßen, erzählt ihr seine Lebensschicksale
und holt den Vater. Vater und Mutter erkennen sich nun eben-
falls, die Kennzeichen waren ja alle vorhanden, und die Familie
ist wieder vereinigt.
Offenbar ist hier eine ältere, in sich zusammenhängende Ana-
gorismen-Novelle in den Zusammenhang der Rahmen-Erzählung
künstlich verwoben. Ob freilich diese Erzählung mit den bisher
behandelten verwandt ist, muß, wie mir scheint, doch dahin gestellt
bleiben. Schon das erweckt Bedenken, daß es sich hier um ein
Ehepaar mit nur einem Sohne handelt. Man könnte vielleicht
vermuten, daß aus den zwei Söhnen einer älteren Erzählung hier
der eine geworden wäre, weil das Motiv zweier Brüder nicht in
den Gang der Rahmen-Erzählung hineinpaßt. Und man könnte
für diese Vermutung anführen, daß bei dem Raub dieses einen
Kindes ja mehrere Tiere beteiligt sind, und daß dieser Zug da-
rauf hinweisen könnte, daß ursprünglich mehrere Brüder durch
verschiedene Tiere geraubt sind. Aber auch sonst sind die
Einzelzüge des Berichtes gar zu sehr von den uns bisher bekannt
gewordenen different. Man wird also gut tun, die Frage der Zu-
gehörigkeit dieser Erzählung zu unserem Kreise in Zweifel zu
lassen. Immerhin ist es beachtenswert, an wie vielen Orten in-
discher Überlieferung das Anagorismenmotiv im allgemeinen auf-
taucht.
11 a. Die ganze Frage nach dem Ursprung unserer Anago-
rismen-Erzählung wäre übrigens entschieden, wenn wir die jetzt
noch zu erwähnenden zwei Erzählungen als altindisch ansprechen
dürfen. Es handelt sich um eine Erzählung aus Kaschmir (K) und
eine zweite aus dem Pendschab (P), welche Ogden in seiner Disser-
tation als Parallelen beibringt. Sie stehen ihrer Verwandtschaft
nach in nächster Nähe der im vorigen Abschnitt behandelten
orientalischen (arabisch-jüdischen) Gruppe. In dem großen Stamm-
baum, den Ogden über das Abhängigkeitsverhältnis sämtlicher
Glieder unseres Erzählungskreises gibt (Tabelle z. S. 6), stellt er
die beiden Erzählungen in unmittelbare Nähe der Schäh-Bacht-
Legende und läßt diese sämtlichen Glieder freilich von einem
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 507
arabiscilen Archetypus abhängig sein. — Wahrscheinlicher will mir
die Annahme eines gemeinsamen altindischen Ursprungs erscheinen ;
es würde dann hier die in der vorhergehenden Untersuchung postu-
lierte altindische Volkserzählung tatsächlich noch vorliegen.
Nach den Andeutungen, die Ogden S. 24 und in der Tabelle bei
S. 6 bietet, konstruiere ich die Erzählungen etwa folgendermaßen :
Deren Held ist ein König, seine Gemahlin hat ihm zwei Knaben
geschenkt. Die Ursache des Unglücks ist nach K. ein Krieg, nach
P. steht am Anfang das bekannte Motiv der göttlichen Warnung.
Schiffer resp. ein Schiffsherr rauben die Frau. Die Kinder ver-
lieren ihren Vater dadurch, daß dieser, wenn ich richtig verstehe,
durch einen Fisch (K) oder durch einen Alligator (P) verschlungen
vdrd. Die Knaben werden nach K durch einen Fischer, nach P
durch einen Wäscher aufgezogen. Der wunderbar aus dem Innern
des Fisches errettete Vater wird in märchenhafter Weise König, nach
K dadurch, daß ein Elefant ihn zum König erkürt, nach P durch
Erbschaft. IVIittlerweile kommt der Schiffer, wenn ich recht kon-
struiere, mit der geraubten Frau in das Land des Königs. Nach
K ist es Grewohnheit des Königs, daß er von jedem Schiff, das
landet, das Beste und Schönste als sein Eigentum beanspruchen
darf. Die beiden Söhne, die unerkannt in den Dienst des Königs
getreten sind, werden zur Bewachung auf das Schiff gesandt. Die
Mutter hört im verborgenen die Söhne sich ihr Schicksal erzählen
und erkennt sie daran. Nach K gibt die Mutter sofort sich den
Söhnen zu erkennen. Nach P erst später, bei der allgemeinen
Wiedererkennungsszene. Die Mutter ersinnt, nach K unter Ver-
abredung mit ihren Söhnen, nach P allein, eine List, um vor das
Tribunal des Königs zu kommen. So wird die Wiedervereinigung
der gesamten Familie herbeigeführt und die Rache an den Räubern
vollzogen. Man sieht, daß auch diese beiden Erzählungen mit
vollkommener Sicherheit dem orientalischen Erzählungskreis zuzu-
weisen sind. Der einzige Zug, der sich in keinem der übrigen
Grlieder nachweisen läßt und K und P gemeinsam ist, ist der, daß
der Held unserer Erzählung von einem Fischungeheuer verschluckt
wird. Hier ist also ein sonst wohlbekanntes und weitverbreitetes
Motiv in unseren Typus eingedrungen. ^)
1) Auf der vergeblichen Suche nach der Quelle dieser Erzählung fand ich übrigens
im Katä-Sarit-Sägara des Somadaeva c. 65 translated by Tawney Calcutta 1884 II 101 ff.
folgende Parallele : Der Sohn eines Kaufmanns, dessen Vater gestorben ist, begibt
sich vor den Nachstellungen seines Bruders mit seiner Frau auf die Flucht. Sie
irren in der Waldeinsamkeit umher und müssen Hunger leiden. Der Mann ernährt
seine Frau mit seinem Fleisch und Blut (echt indisches MotiT). Sie finden unter-
508 W. Bousset,
T.
Es wird nötig sein, in diesem Zusammenhang auf eine Reihe
mittelalterlicher Erzählungen und Dichtungen genauer einzugehen,
vor allem um der hier immer wieder erhobenen Behauptung eines
weitgehenden und überall eindringenden Einflusses der Placidas-
legende entgegenzutreten und nachzuweisen, daß diese nur ein
einzelnes dlied in der Kette und nicht das Fundament ist, auf
dem die ganze Überlieferung sich aufbaut. Es kommen hier zu-
nächst vier oder fünf eng mit einander verwandte Erzählungen
und Dichtungen des Mittelalters in Betracht. Das meiste ist hier
bereits von W. L. Holland in seinem Chrestien von Troies (Tü-
bingen 1854) in vorzüglicher Weise zusammengestellt. Ich schließe
mich im großen und ganzen seinen Angaben an.
12. Die erste der hier in Betracht kommenden Dichtungen
ist der "Wilhelm von England des Chrestien von Troies (geb. etwa
1140 — 1150, Ausgabe von "W. Foerster, Christian von Troies IV,
1899, der Karrenritter u.d. Wilhelmsleben; s. auch o.S. 571). — In Eng-
land lebte vor Zeiten ein frommer König, der hieß Wilhelm. Er hatte
eine schöne und sehr christliche Frau mit Namen Gratiana. Aber sein
Grlück sollte nicht lange dauern, er hörte plötzlich des Nachts
auf seinem Bette liegend eine Stimme, die ihm befahl, außer Landes
zu gehen. Als der Ruf sich zum zweiten und dritten mal wieder-
holt, verläßt Wilhelm mit seiner Gemahlin, nachdem sie ihre
kostbarste Habe weggeschenkt, die königliche Wohnung ; sie durch-
irren einen Wald, bis sie in die Nähe eines Meeres kommen. Hier
in der Einsamkeit gebiert die Königin zwei Knaben, die der König
in die beiden abgeschnittenen Schöße seines Rockes wickelt, weil
wegs einen Krüppel, dem Hände und Füße fehlen, pflegen und ernähren ihn. Zu
ihm entbrennt das Weib in ehebrecherischer Liebe. Sie veranlaßt ihren Mann,
sich an einem Strick vom Felsen herab zu lassen, um an einem Bach eine Pflanze
zu pflücken, nach der sie begehrt. Sie schneidet den Strick durch. Der Mann
wird erfaßt und vom Strome fort getrieben. Er kommt in ein Land,
dessen König gerade gestorben ist und wird von einem Elephanten zum
König erkürt. Das Weib kommt mit dem Krüppel an den königlichen Hof
und erhält seine verdiente Strafe. Kaum wird man diese Erzählung in den vor-
liegenden Zusammenhang einordnen wollen, doch sind ja immerhin einige verwandte
Motive vorhanden (Mann und Frau in der Einsamkeit; der Mann vom Strome fort-
gerissen; der I^lephant, der den König erwählt). Will man die Zugehörigkeit der
Erzählung zu unserem Kreise behaupten, so müßte man annehmen, daß auch hier
indische, pessimistische Tendenz den Grundzug der Erzählung in sein Gegenteil
verkehrt und an Stelle der Treue die Untreue der Frau gesetzt hätte.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 509
er nichts anderes hat^). Kaufleute erscheinen mit ihrem Schiffe
am Strande, entfuhren, durch deren Schönheit überrascht, die
Frau und werfen dem König dafür einen Beutel mit zwei Besanten
(byzantinischen Goldmünzen) zu, der in den Zweigen der Bäume
hängen bleibt. Der König plant, sein Land zu verlassen, nimmt
das eine Kind und legt es in ein Boot nieder, das er am Strande
findet. Während er zurückkehrt, um das andere zu holen, sieht
er gerade noch, wie ein Wolf dieses raubt; und wie er von der
Verfolgung ermüdet sich dem Kahne zuwendet, so ist auch das
andere Kind, das er dort niederlegte, verschwunden. Kaufleute
jagen den ersten Knaben dem Wolfe ab und haben mittlerweile
auch den andern im Boote gefundenen mitgenommen. Wühelm
will jetzt wenigstens das früher verschmähte ihm zugeworfene
Geld an sich nehmen, doch wie er die Hand danach ausstreckt,
stößt ein weißer Adler vom Himmel herunter und entreißt ihm
den roten Beutel mit dem Gelde. Planlos irrt der König hin und
her, bis ihn Kaufleute finden und ihn zu einem begüterten Bürger
bringen, dem er von nun an dient. Sein Weib Gratiana wird von
den Schiffern, die sie geraubt, nach Surclin gebracht und wird
dort den um sie sich streitenden Kaufleuten von dem Herrn des
Landes Gliolas fortgenommen, der sie, da seine Gemahlin inzwischen
verstorben ist, zur Ehefrau erheben will. Sie weiß den Eingang
der Ehe um ein Jahr hinauszuzögern, währenddessen der Ritter
stirbt, nachdem er sie bereits als Nachfolgerin eingesetzt hat. So
wird Gratiana die Herrin des Landes. Die beiden Knaben, von
denen der eine, der vom Wolf geraubte, den Namen Louel, Wolf-
lein, bekommen hat, während der andere als im Meer gefunden
Marin genannt wird, entlaufen ihren Pflegevätern, weil diese sie
zwingen wollen, ein Handwerk zu lernen. Sie führen im Walde
ein abenteuerliches Leben, bis sie zu dem König von Catanaise
kommen, der sie in seinen Dienst nimmt. König Wilhelm gelangt
nach verschiedenen Abenteuern, die ihn vorübergehend wieder in
sein Reich zurückführen, in das Land, dessen Herrin seine Frau
geworden ist (vgl. dies Motiv bei Nr. 6). Hier war es Sitte, daß
der Herr oder die Herrin des Landes von den Gütern, die jeder
Kaufmann in den Hafen brachte, sich das schönste auswählen
durfte^). So kommt die Königin zum Schiff ihres Mannes, sie
glaubt ihn sofort zu erkennen und vor allem heftet sich ihr Auge
1) Vergleiche zu dem Motiv der in den Mantel gewickelten Knaben die
oben skizzierte Rahmen-Erzählung der Geschichte der 10 Vesire (Xr. 7).
2) Zu diesem Motiv vergl. oben die Erzählung unter Nr. 1.
510 W. Bousset,
auf ein Hörn, das der König bei seinem letzten Aufenthalt im
Heimatlande als sein altes Eigentum mitgebracht hat. Sie begehrt
von ihm den Ring, den er am Finger trägt und lad ihn mit seinen
Leuten zu sich aufs Schloß. Hier erkennen sich Wilhelm und
Gratiana. Als der König dann bei einer Jagd das Gebiet des
Reiches seiner Frau überschreitet, wird er von seinen beiden
Söhnen, die im Dienst des fremden Königs stehen, angegriffen
und kann sich nur dadurch retten, daß er sagt, er sei der König
von England, und seine Geschichte erzählt. In dem Augenblick,
da er die Episode vom Raube des Geldes durch den Adler erzählt,
erscheint dieser wieder und läßt den roten Beutel mit dem Golde
dem König zu Füßen fallen. Darauf beginnen auch die Söhne
ihre Erzählung und weisen vor allem die Rocklappen vor, in
welchen man die Knaben eingewickelt gefunden hat. So erfolgt
nun die allgemeine Wiedererkennung und die Heimkehr der
vereinten Familie in das Reich ^).
13. Eng verwandt mit der Sage von Wilhelm von England
ist das Gedicht „Die gute Frau". (Ausgabe von E. Sommer, Zeit-
schrift f. deutsches Altertum II 1842 S. 392—481), das nach fran-
zösischem Vorbilde, wahrscheinlich von einem Schwaben, zwischen
1230 und 1240 verfaßt worden ist (vergl. Holland S. 77). Der Held
der deutschen Erzählung entschließt sich aus eigenem Antriebe,
Macht und Ansehen aufzugeben, um ein unstetes Leben zu führen^
weil er es für sündig hält, länger in Ehren und Überfluß zu leben.
Mit seiner Frau, der Tochter des Grafen Ruprecht, verläßt er des
Nachts seine Burg und irrt in der Fremde umher, in der ihnen
zwei Söhne geboren werden. Da sie in die größte Not geraten,
läßt sich die Frau für zwei Pfunde als Leibeigene verkaufen, die
der Gatte in einer roten Börse empfängt. Er irrt mit seinen
Kindern weiter und kommt an das Ufer der angeschwollenen Seine.
Er läßt das eine Kind am Ufer sitzen, während er das andere
über die Brücke hinüberträgt. Als er bei der Rückkehr, um das
zweite Kind zu holen, sich mitten auf der Brücke befindet, reißt
der angeschwollene Fluß die Brücke fort. Mit Mühe rettet er
sich an das Land. Mittlerweile ist der eine der Knaben von dem
Bischof von Rheims und der andere von dem Grafen von Orleans
aufgefunden und mitgenommen. Der Vater läßt sich ermüdet und
von Kummer überwältigt unter einem Baume nieder und schläft
1) Über das französische: Dit de Guillaume de Angleterre, das nur ein ein-
facher Auszug seines Vorbildes ist, sowie über die abhängigen spanischen Dich-
tungen s. Foerster, Karrenritter und Wilhelmsleben CLXXI und CLXXVIIIf.
die Geschichte eine« Wiedererkennungsmärchens. 511
ein. Währenddessen raubt üun ein Adler den roten Sack mit dem
Grelde und der Ritter verläßt in Verzweiflung das Land, wo er
alles, was er besaß, verloren hatte. Mittlerweile verdient sich
seine Frau in Treis (Troyes) ihren Lebensunterhalt durch künst-
liche Stickereien aus Silber und Gold. Der Ruf ihrer Schönheit
dringt bis zum Herrn des Landes, dem Grafen Diebalt, der sie zu
sich holt und dessen Erbin sie nach dessen baldigem Tode wird.
Ja sie steigt nach verschiedenen Erlebnissen noch zu höherer Ehre
auf und wird Gemahlin des Königs von Paris, der noch vor Ab-
lauf des Jahres stirbt und ihr das Reich hinterläßt Wie ihr Ge-
mahl nach langen Irrfahrten als Bettler in ihr Reich kommt,
erkennt sie ihn an einem krummen Finger, den er durch eine
Verwundung behalten hat. Sie gibt sich ihm zunächst nicht zu
erkennen, läßt den Bettler in ein Bad führen und in köstliche
Gewänder kleiden. Und als die Großen des Reiches von ihr
fordern, daß sie sich einen Mann wähle, der nunmehr die Regent-
schaft führe, erwählt sie den ins Land gekommenen Bettler und
gibt sich ihm als seine frühere Gattin zu erkennen. Die Gatten
erzählen sich ihre Schicksale. Der Mann berichtet von dem Ver-
lust seiner Söhne und wie der Adler ihm den Sack mit dem Gelde
geraubt habe. Da ruft die Gattin aus: daß der Adler ihr den
Sack mit dem Gelde bereits gebracht habe. Sie hat damals ge-
meint, daran den Tod ihres Mannes zu erkennen, und faßt nunmehr
nach diesem wunderbaren Zusammentreffen die Hoffnung, daß sie
auch ihre Söhne wiederfinden werden. Und schon melden auch
Bürger des Landes, daß sie von Knaben gehört haben, die beim
Bischof von Rheims erzogen werden; die Knaben werden geholt,
und die Famüie ist wieder vereinigt.
14. Die dritte hier in Betracht kommende Erzählung ist die
vom Ritter Ysambrace (Literatur vergl. bei Holland S. 81). Das
englische Gedicht erzählt: Der Ritter Ysambrace, der ob seines
Glückes hochmütig geworden ist, hört einen VogeP) auf einem
Baum ihm sein Geschick verkünden. Er habe nur die Wahl,
ob er in seinem Alter oder in seiner Jugend großes
Wehe ertragen würde. Der Ritter dankt Gott dafür, daß
ihm Gelegenheit gegeben sei, noch in der vollen Kraft der Jugend
Buße zu tun. So bricht das Unglück sofort über ihn herein. Wie
er daheim ankommt, findet er das größte Elend. Alle seine Habe
ist durch Feuer vernichtet, und so entschließt er sich, mit seiner
1) Nach der anderen Redaktion des Gedichtes wird dem Ysambrace die
Botschaft durch einen Engel zuteil. Vergl. Holland S. 81 ff. und dazu die Ausgaben:
E. Halliwell, The Thornton Romances 1844 p. 88—120 ; G. Schleich, Sir Ysumbras 1901.
512 W. Bousset,
Frau und seinen drei Kindern zur Sühne seiner Sünden nach Je-
rusalem zu pilgern. Auf der Wanderung kommen sie in einen
Wald, wo sie durch ein Gewässer am Weiterschreiten gehindert
werden. Der Ritter nimmt seinen ältesten Sohn und bringt ihn
ans andere Ufer. Während er zurückkehrt, um das zweite Kind
zu holen, wird das erste von einem Löwen ergriffen und in das
Dickicht geschleppt, während der zweite Knabe die Beute eines
Leoparden wird. Der Ritter wandert mit seiner Frau und einem
Kinde weiter und so kommen sie an die See, wo die Flotte eines
heidnischen Königs liegt, der gegen die Christen zu Felde zieht.
Da der Ritter sich weigert, sich seine Frau auf den Vorschlag
des Sultans für eine große Summe Goldes abkaufen zu lassen,
nimmt man ihm die Frau gewaltsam und zählt ihm den Kaufpreis
auf den Mantel hin. Der Sultan erwählt die Frau zu seiner Braut,
verschiebt jedoch die Vermählung bis nach Vollendung des Kriegs-
zuges und schickt diese zu Schiff voraus. Der Ritter wandert
mit seinem dritten Sohne weiter und setzt sich unter einem Baume
nieder. Da stürzt sich ein Adler herab und raubt das in den
Mantel gewickelte Gold des Ritters, das er soeben empfangen
hatte. Während der Vater dem Adler nachjagt, raubt ein Ein-
horn den dritten Sohn. Der Ritter begibt sich nun in eine
Schraiedewerkstätte und weilt dort als Handwerker sieben Jahre
lang, währenddes er sich eine vollständige Rüstung schmiedet.
Nach sieben Jahren gelingt es ihm, an einer Schlacht teilzunehmen,
die ein christlicher König den Ungläubigen liefert, und dabei den
König, der ihm seine Frau entführt hat, zu erschlagen. Er gibt
sich aber noch nicht zu erkennen und nimmt weitere sieben Jahre
der Buße auf sich, bis ihm ein Engel die Vergebung seiner Sünden
verkündigt. Nun wandert er weiter und kommt zu einem Lande,
wo eine freigiebige Königin, eben seine Gattin, regiert. Er nimmt
an einem Turniere teil, so daß die Königin Interesse an ihm ge-
winnt. Da findet er eines Tages in einem Adlernest seinen Mantel
mit dem Golde wieder, und die Erinnerung versetzt ihn in tiefe
Traurigkeit. Die Königin forscht der Sache nach, und wie sie
von dem Funde hörte und das Gold ihr gezeigt wird, erfolgt die
Wiedererkennungsszene. Die beiden nun vereinigten Gatten ge-
raten aber, weil sie die Sarazenen zum Christentum bekehren
wollen, in Zwist mit diesen. Und wie sie beide gewappnet dem
Sarazenenheer gegenüberstehen, erscheinen ihnen plötzlich zu Hülfe
drei Ritter in „Engelskleidung", der eine auf einem Leoparden,
der zweite auf einem Einhorn, der dritte auf einem Löwen, und
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 513
führeii den Sieg des Tages herbei. Freudig feiern Eltern und
Kinder ihre Wiedererkennung.
15. Das vierte in diesen Kreis gehörige Stück ist der Meister-
gesang vom G-rafen von Savoyen (in Regenbogens Ton gedichtet).
Die Geschichte erzählt: Es lebte einst ein edler Graf, gewaltig
und reich, der sich vermaß, daß es in aller Welt seines Gleichen
nicht gäbe. Er hatte eine hochgeborene Frau, die Schwester des
Königs von Frankreich. Diesem Ehepaar erscholl einst eine
Stimme von Gott her, welche ihnen die Wahl stellte, ob sie
lieber in der Ewigkeit Not und Leid erdulden woll-
ten, oder in dieser Zeit. Sie wählen natürlich das letztere.
So bricht denn sofort Kriegsnot über sie herein, und sie verlassen
das Land, um sich ins Land der Heiden übersetzen zu lassen. Die
Frau gibt dem Grafen, der über seinen Verlust von Hab und Gut
untröstlich ist, zwei edle in Gold gefaßte Steine, 1200 Kronen
wert. In dem Augenblick stößt ein Adler vom Himmel herunter,
der die Steine in dem sie enthaltenden Säcklein raubt. Vergebens
verfolgt der Ritter den Adler und kehrt traurig zu seiner Frau
zurück. Dem Strande nähert sich ein Schiff mit vielen Kaufleuten,
und da diese planen, den Grafen in das Meer zu versenken und
die Frau allein wegzuführen, rät die Gräfin ihm selbst, daß er sie
jenen Männern verkaufe. Er bekommt 600 Kronen für sie als
Kaufpreis, die ihm jedoch, als er aus dem Schiff gestoßen wird,
in das Meer fallen. Er bleibt allein am IJfer zurück und begibt
sich schließlich bei einem Herrn im Lande Lampart in Dienst.
Der Gräfin nimmt sich ein alter Mann an, der den Kaufleuten
rät, die Frau dem König von Frankreich, der ein schönes Fräulein
zur Heirat sucht, zu übergeben. Der König nimmt sie mit Freuden
auf und bestimmt sie zu seiner Gemahlin. Sie bedingt sich aber
ein Jahr Frist aus, bis sie ihn heiratet. Da lad der König zum
Turnier ein, wer Preis und Ehre erwerben wolle, solle zu ihm
kommen. Mit dem Herrn von Lampart kommt der Graf zum
Turnier. Die beiden Gatten erkennen sich, und der König von
Frankreich gibt ihnen alles Land, Silber und Gold, das sie ver-
loren, und noch viel mehr zurück. Es ist klar, daß diese Geschichte
mit den bisher skizzierten auf das engste verwandt ist, obwohl
in ihr die beiden Kinder garnicht mehr erwähnt werden und so
der ursprüngliche Typus des Wiedererkennungsmärchens arg ent-
stellt ist (vergl. den Überblick bei Holland S. 87 — 90; dort weitere
Literaturangaben).
16. Ein direkter Abkömmling von Wilhelm von England ist end-
lich der Wilhelm von Wenden des Ulrich von Eschenbach. Auch
514 W. Bousset,
hier ist der Held König und trägt den Namen Wilhelm, doch ist
er Heide. Er wandert aus, um Christus kennen zu lernen. Unter-
wegs gebiert ihm seine Frau, von der er sich eigentlich insgeheim
hatte fortschleichen wollen, in der "Wildnis Zwillinge. Wie dort
wickelt auch hier der Vater die Knaben in seine Rockschöße, um
sie eben an diesem Zeichen später wieder zu erkennen. Dann
verläuft die Erzählung etwas anders. Wilhelm verkauft seine
Knaben, verläßt seine Gattin und geht ins heilige Land, um sich
dort taufen zu lassen und gegen die Heiden zu kämpfen. Die
Gattin ist mittlerweile Herzogin geworden und bei ihr finden sich
die Familienmitglieder wieder. (Vergl. die Inhaltsangaben bei
W. Foerster, Der Karrenritter des Wilhelmsleben p. CLXXV und
Leo Jordan in seinem gleich zu erwähnenden Aufsatz im Archiv
für das Studium der neueren Sprachen Bd. 121 1908 S. 366.)
Es ist auf den ersten Blick klar und längst erkannt, daß die
in diesem Abschnitt behandelten fünf Erzählungen auf das engste
unter einander zusammen gehören und gegenüber der gesamten
übrigen Überlieferung eine geschlossene Einheit darstellen. Ich
hebe diejenigen Züge, die für diesen Kreis charakteristisch sind,
noch einmal besonders hervor.
a) Das stärkere Hervortreten der Frau in der Erzählung.
Dies Hervortreten ist ein so starkes, daß die Frau beinah an
Stelle des Mannes die eigentliche Trägerin und Heldin der Er-
zählung wird. Immer verläuft die Erzählung so, daß die Frau es
ist, welche zuerst wieder zu Ehre und Würde gelangt und Herr-
scherin oder Königin des betreffenden Landes wird, in dem sie
verweilt. Immer kommt dann der Mann unerkannt, oft als elen-
der Bettler, an den Hof seiner Frau und wird von ihr zur könig-
lichen Würde erhoben. In dieser Vertauschung der Rollen von
Seiten der beiden Figuren der Erzählung macht sich wohl schon
die abendländische mittelalterliche Wertschätzung der Frau und
mittelalterliche Romantik geltend. In keiner der orientalischen
Erzählungen (abgesehen von der buddhistischen Legende der Pa-
täcära, doch sind hier ganz andere Motive maßgebend) wird in
dieser Weise- die Frau als Heldin verherrlicht. Der Orient kennt
allerdings ein anderes Motiv, dem wir später noch in verwandten
Erzählungen begegnen werden, nämlich das der verkleideten Frau.
Die verlassene Frau zieht Männergewand an, erlebt in dieser Ver-
kleidung allerlei Schicksale und wird so zur Heldin der Erzählung.
Das ist wiederum echt orientalisch gedacht. Jordan hat in dem
oben zitierten Werk diesen fundamentalen Unterschied auf die
Formel gebracht, daß in den orientalischen Erzählungen die Schein-
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 515
ehe des Mannes, in den abendländischen Erzählungen die Scheinehe
der Frau das Zentrum aller Verwickelangen bildet. Aber so ist
der Unterschied nicht richtig formuliert. Die Formulierung bleibt
vielmehr an einem mehr zufälligen Einzelzuge hängen. Es ist
allerdings richtig, daß fast in sämtlichen genannten mittelalter-
lichen Erzählungen die Scheinehe der Frau ein besonders markan-
ter Zug ist. Dem gegenüber kann man darauf hinweisen, daß
z. B. die Schäh-Bacht- Erzählung die Scheinehe des Mannes erwähnt.
Aber in der orientalischen Überlieferungskette spielt im großen
und ganzen die Scheinehe des Mannes überhaupt keine besondere
Rolle. Andererseits wird auch in ihnen Wert darauf gelegt, daß
die geraubte Frau vor der Ehe, die ihr aufgezwungen werden soll,
bewahrt bleibt Zu welchen falschen Folgerungen die Betonung
des Motivs der Scheinehe bei Jordan führt, zeigt seine Behandlung
der Placidas-Legende. Er stellt sie in die Reihe der abendländi-
schen Erzählungen (Scheinehe der Frau). Aber von einer Schein-
ehe der Frau ist hier garnicht die Rede, und was hier von der
Frau erzählt wird, daß sie von dem Zwang der Ehe wunderbar
bewahrt bleibt, führt nicht über den allgemeinen Typ der orienta-
lischen Märchen hinüber, Freüich ist das Motiv der Scheinehe
des Mannes hier gänzlich verschwanden, wie auch in anderen Er-
zählungen des orientalischen Überlieferungckreises. Es bleibt doch
dabei, daß in der Placidas-Legende der eigentliche Held der Er-
zählung der Mann ist, daß dieser zuerst zu seiner früheren Würde-
stellung wieder erhoben wird und daß die Frau sich zu ihm zurück-
findet. Die Placidas-Legende steht also mit ihrer GrundaufPassung
auf Seite der orientalischen Erzählungen, gegenüber dem mittel-
alterlichen Dichtungskreis.
b) Gemeinsam verbunden erscheinen auch die unserem Kreis
angehörigen Erzählungen durch das Motiv, durch welches die ganze
Handlung in Bewegung gesetzt wird. Überall drängt sich hier
die religiös moralische Betrachtung stärker hervor. Der König
Wilhelm von England erhält durch eine dreimalige Stimme vom
Himmel her den Befehl, Reich, Hab und Gut zu verlassen. Dem
Ritter Ysambrace wird durch einen Engel, in einer zweiten Rezen-
sion durch die Stimme eines Vogels sein künftiges Geschick ver-
kündet. Zum Grafen von Savoyen kommt eine Stinmie von Gott.
In den Erzählungen vom Ritter Ysambrace und dem Grafen von
Savoyen wird ausdrücklich der Hochmut des Helden als der Grund
seines späteren traurigen Geschickes angesehn. Er wird diesem
unterworfen, damit er sich bessere und Buße tue. In dem Gedicht
von der guten Frau, welchem der Zug von der vom Himmel er-
516 W. Bousset,
schallenden Stimme fehlt, wandert der Held aus eigenem Antrieb
aus, weü er sein bisheriges weltliches Leben für Sünde hält und
Buße tun will. Wilhelm von Wenden zieht in die Fremde, um
Christus zu suchen. Genug, überall sind wir bei unseren Er-
zählungen im religiös-moralischen Milieu des Mittelalters. Zwei
von unseren Erzählungen stimmen noch in dem merkwürdigen Zug
überein, daß dem Helden bei der Verkündigung seines Schicksals
die Wahl gelassen wird, ob er lieber im Alter oder in der Jugend,
lieber in der Ewigkeit, oder im Diesseits Strafe und Leid auf sich
nehmen wolle. — Es läßt sich nicht leugnen, daß an diesem Punkte
die Placidas-Legende die nächsten Parallelen aufweist. Auch hier
oiFenbart der dem Eeldherrn erscheinende Christus diesem am An-
fang der Erzählung sein künftiges Geschick. Auch hier wird ihm
die Wahl gelassen, ob er dieses in der Jugend oder im Alter auf
sich nehmen wolle. Doch ist eine beachtenswerte Differenz bei
alledem zu notieren. In der Placidas-Legende weissagt Christus
dem Feldherrn nur sein Geschick und dieses bricht von sich aus
über ihn herein. In unserem mittelalterlichen Erzählungskreis
wird die göttliche Stimme, oder ein religiöses Motiv direkt die
Veranlassung, daß der Ritter sein Heim verläßt und in Elend
und Not gerät. Nur die Erzählung vom Ritter Ysambrace zeigt
hier eine unmittelbare Parallele mit der Placidas-Legende; sie
könnte in der Tat nebenbei von dorther beeinflußt sein, zumal sie
auch an anderen Punkten, vor allem in der Erzählung vom Ver-
lust der Kinder, in überraschender Weise mit dieser übereinstimmt.
Andererseits wird man mit der Annahme einer direkten Beziehung
zwischen der Placidas-Legende und unserem ganzen Erzählungs-
kreis, wie weiter unten noch genauer hervorgehoben werden soll,
sehr vorsichtig sein müssen. Gerade in den eben hervorgehobenen
Zügen der Himmelstimme und der dem Ritter frei gelassenen Wahl
der Zeit seiner Geschickserfüllung zeigt sich die Placidas-Legende,
wie wir sahen, verwandter mit dem armenischen Märchen, das doch
sicher unabhängig von ihr ist, als mit dem mittelalterlichen Dichtungs-
kreis. Es bleibt daher sehr wohl möglich, daß jene charakteristischen
Züge aus irgend einer anderen Quelle als der Placidas-Legende
selbst in die Dichtung vom Ritter Ysambrace übergegangen sind,
c. Auch darin stimmen alle Glieder unseres Kreises überein,
gegenüber den uns bisher bekannt gewordenen Erzählungen, daß
die Geburt der Kinder (hier Zwillinge) erst nach der Flucht des
Ehepaares in der Einsamkeit, im wilden Walde, erfolgt. Damit
nähern sich unsere Erzählungen dem nur noch teilweise hier her
gehörigen und daher von uns nicht mehr ausführlich behandelten
die Geschichte eines Wiedererkennungsroärchens. 517
Märchenkreis, in welchem die unschuldig vertriebene fromme Frau
in der Einsamkeit des Waldes mit einem Söhnchen, oder mit Zwil-
lingen, niederkommt. (Genoveva-Motiv).
d. Ein weiteres charakteristisches Motiv unserer Erzählungen
ist das vom Verkauf der Frau. Auch dieses findet sich in ihnen
allein, gegenüber allen uns bisher bekannt gewordenen Erzählungen.
Es ist in allen Erzählungen mehr oder minder verschleiert. Dem
Wilhelm von England rauben die Schiffer die Frau und werfen
ihm dafür 5 Byzantinen zu. Der Ritter Ysambrace wird gewalt-
sam zum Verkauf gezwungen und ihm der Kaufpreis auf den
Mantel dargezählt. Aber auch die „gute Frau" läßt sich frei-
willig zur Leibeigenen verkaufen und der Graf von Savoyen
verkauft, um seinem grausamen Geschick zu entgehen, seine Frau
in Übereinstimmung mit ihr. Nur im Wilhelm von Wenden
ist dies Motiv gänzlich verschwunden. Wenn wir es genauer be-
trachten, so sieht gerade dies Motiv des Verkaufes der Frau durch
den Mann sehr ursprünglich und sehr orientalisch aus. Es wäre
möglich, daß uns hier der mittelalterliche Dichtungskreis das ur-
sprüngliche Motiv der Erzählung gegenüber allen anderen Über-
lieferangsgliedem noch am reinsten erhalten hätte. Auch in den
uns bekannt gewordenen orientalischen Erzählungen scheint übrigens
dies Verkaufsmotiv hie und da noch hindurch zu schimmern^).
Ebenso möglich bleibt es allerdings auch, daß ein fremdes Motiv,
das freilich kaum im abendländischen Milieu entstanden ist, in die
Erzählung eindrang. Das Motiv des Verkaufes der Frau oder der
Geliebten, ist uns bekanntlich aus lÜOl-Xacht geläufig^).
e. Wohl die hervorstechendste Eigentümlichkeit, durch die
letztlich unsere Erzählungen miteinander verbunden sind, ist das
des Raubes durch den Adler (oder einen Vogel): Ein Adler raubt
dem Helden, nachdem dieser alles verloren hat, endlich auch noch seine
Börse mit den Kaufpfennigen. In wunderbarer Weise bringt er
dann seinen Fund zurück, etwa genau in dem Moment, wo die
Wiedererkennungsszenen beginnen, oder der Ritter findet auch
sein Geld im Nest des Adlers. Jedenfalls spielt Erstattung dieses
Verlustes fast immer eine wesentliche Rolle bei den Wiederer-
kennungsszenen. Nur im Grafen von Savoyen steht der Zug
1) Vgl. z. B. Die jüdische Erzählung Nr. 3 und die berberische Xr. 5, in
denen berichtet wird, daß die Frau beginnt, die niedrigsten Dienste zu verrichten,
um sich und ihre Familie zu ernähren, oder den Mann aus dem Gefängnis los-
zukaufen.
2) Vgl. z. B. die Erzählung in 1001 -Nacht von Ali Nur ed-Din und Enis
el-Dschelis. Henning II 104 flf.
Kgl. Oes. d. Wiss, Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 4. ' 36
518 W. Bousset,
ziemlich zusammenhangslos da. Nicht der Kaufpreis wird dem
Ritter durch den Adler geraubt, sondern die Frau schenkt ihm
zwei wertvolle Steine, die der Adler ihm dann nimmt. — Hier
ist offenbar ein der ursprünglichen Erzählung fremder Zug in diese
eingedrungen. Auch dieser Zug mag aus der orientalischen Märchen-
welt stammen. Bereits Holland a. a. 0. S. 97 hat hier auf die schöne
1001-Nacht-Erzählung von dem Prinzen Kamar es-Samän und der
Prinzessin Budür hingewiesen: Dem Prinzen wird ein kostbarer
Edelstein, den er bei der Prinzessin Budür gefunden hat, durch
einen Vogel geraubt. Bei der Verfolgung verirrt er sich in ferne
und fremde Gregenden, verliert die Prinzessin und erst nach mannig-
fachen Schicksalen erfolgt die Wiedervereinigung des Paares, bei
welcher der geraubte Stein eine wesentliche Rolle spielt ^). In der
Erzählung von der schönen Magelone (K. Simrock, Volksbücher I
S. 87) hat Holland diesen orientalischen Märchenzug übrigens in
einer ursprünglicheren und an 1001-Nacht viel stärker anklingenden
Form nachgewiesen.
An diesem Punkt haben wir eins der Hauptprobleme un-
serer Untersuchung zu behandeln. Nämlich die Frage nach dem
Verhältnis der Placidas-Legende zu unserem mittelalterlichen Sagen-
kreis. Auf gewisse Berührungen zwischen beiden wurde ja bereits
hingewiesen und dabei schon hervorgehoben, daß diese Parallelen
uns vor der Hand keineswegs zwingen, eine direkte Beziehung
zwischen der Legende und den mittelalterlichen Dichtungen anzu-
nehmen. Nun ist es freilich in den Kreisen derjenigen Forscher,
die sich mit der einen oder anderen der mittelalterlichen Dichtun-
gen beschäftigt haben, soweit ich sehe seit den trefflichen Unter-
suchungen Hollands, fast zum Dogma erhoben, daß jene mittel-
alterlichen Dichtungen sämtlich im Verhältnis der Abhängigkeit
zur Placidas-Legende stünden. So urteilt z. B. der verdiente For-
scher auf dem Gebiet des Wilhelmslebens W. Foerster: „Sicher ist,
daß alle diese Erzählung ;n aus der alten Eustachius-Legende sich
gerades wegs entwickelt haben". (Wilhelmsleben und Karrenritter.
CLXXVI). Jordan in seiner oben (S. 514) angegebenen Untersuchung
setzt ebenfalls dies Urteil als gegeben voraus und wagt nur zaghaft für
einige andere weiter unten zu besprechende Erscheinungen eine
andere Beurteilung einzuführen. Monteverdi hat, wie im Anfang
bereits hervorgehoben wurde, sogar jenes Dogma zu der Behauptung
gesteigert, daß die Eustachius-Legende überhaupt, als die letzt
1) Auch in der Kamar es-Samän-Erzählung wird der Edelstein das Mittel,
durch welchen die Prinzessin Budur den Aufenthalt ihres Gemahls entdeckt.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 519
erreichbare Instanz aller eng verwandten Parallelen auch der
orientalischen anzusehen sei. Diese Meinung entstand offenbar in
einer Zeit (vgl. die Ausführung von Holland), in der die weite Ver-
breitung unseres Märchenstoffes noch nicht bekannt war und
man nur einen ganz kleinen Teil des Materials übersah. Auch der
Umstand, daß die Eustachius-Legende äußerlich betrachtet nach-
weisbar ein älteres Datum trägt, als die meisten uns bekannt
gewordenen Parallelen und vor allem als die mittelalterlichen
Dichtungen, hat jener Meinung offenbar Stütze und Halt gegeben.
Und so hat diesse sich in den Köpfen der Forscher zum Dogma
verhärtet. Sie ist trotz aUedem eigentlich durch nichts, aber auch
durch garnichts begründet, und man sucht vergeblich bei sämt-
lichen Forschern, die sie so zuversichtlich aufstellen, auch nur
nach dem Schatten eines Beweises. Auch hier steht vor allem die
schon hervorgehobene Tatsache dieser These entgegen, daß die Pla-
cidas-Legende eine Kombination von drei Motiven darstellt, von
denen nur das eine weiter gewandert wäre. Es ist aber methodisch
falsch, das Einfache aus dem Komplizierten abzuleiten. Und wenn
man auch allenfalls einwenden könnte, daß das dritte Motiv der
Placidas-Legende, das Martyrium des Helden, in der Sagen- und
Märchenüberlieferung des Älittelalters hätte wieder verschwinden
können, so wäre es doch völlig unbegreiflich, daß das schöne
Hirschmotiv in allen besprochenen Parallelen restlos verschwunden
wäre. Was vor allem den mittelalterlichen Dichtungskreis anbe-
trifft, so wäre noch hervorzuheben, daß die beiden Motive des
Frauenverkaufs und des Raubes der Groldbörse durch den Vogel
aus der Placidas-Legende nicht abzuleiten sind, und daß das erstere
wahrscheinlich, das zweite sicher orientalischen Ursprungs ist;
daß also hier sicher der mittelalterliche Dichtungskreis direkt und
ohne Vermittelung durch die Placidas-Legende mit dem Orient ver-
bunden ist.
17. Das vorliegende Problem kompliziert sich aber noch in inter-
essanter und schwieriger Weise durch eine Frage, die mit der
Überlieferung der Placidas-Legende zusammenhängt. Die Placidas-
Legende findet sich bekanntlich auch in dem Vulgärtext der Gresta
Romanorum c. 110. Aber sie hat dort in der ursprünglichen An-
lage der Gesta keine sichere Stelle. Es muß in diesem Zusammen-
hang nämlich auch die Überlieferung der anglolatinischen Gesta
und ihrer englischen Übersetzung herangezogen werden. Über
die schwierigen Fragen der Entstehung und Überlieferung des
Sammelwerkes der Gesta haben die Untersuchungen von H.
Oesterley (Gesta Romanorum Berlin 1872) erst volle Klarheit ge-
36*
W. Bousset,
schaffen. Danach ist die ursprüngliche Sammlung am Ende des
13., höchstens am Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden. (Wir
besitzen bereits eine Handschrift der Gesta aus dem Jahr 1326)
Ihr Entstehungsort ist wahrscheinlich England, jedenfalls repräsen-
tieren die anglolatinischen Handschriften (Hauptvertreter Harl. 2270)
und die ihnen entstammende englische Übersetzung den ältesten
und besten Zweig der Überlieferung. Durch eine Erweiterung
dieser Sammlung entstand diejenige Form, welche in den in Deutsch-
land vorhandenen Handschriften und einer germanischen Ueber-
setzung vorliegt. Aas dieser Redaktion entwickelte sich durch
eine Auswahl von 150 Nummern die Editio princeps. Erst eine
zweite Erweiterung von 181 Erzählungen repräsentiert den Vulgär-
text. Sehen wir uns nun den besten Zweig dieser Überlieferung,
den durch die englische Übersetzung repräsentierten anglolati-
nischen an, so finden wir in der Ausgabe, die Sidney I. H. Herrtage
(Early english Text Society Extra-Serie 33: The early english
versions of the Gresta üomanorum) nach drei Handschriften heraus-
gegeben hat, p. 87 unter No. XXIV (nur nach einer englischen
Handschrift Harl. 7333, vgl. anglolatin Harl. 2270), die Placidas-
Legende ohne den Namen ihres Helden in einer völlig anderen
Form. Der Bericht lautet: Averyus, ein römischer Kaiser, lud
einst alle Welt zu einem großen Turnierfest ein und versprach
dem Sieger seine Tochter zur Frau. Da war ein Ritter, der hatte
ein Weib und zwei kleine Kinder, und als der Ritter den Ruf des
Königs vernommen hatte, ging er in den Wald und hörte eine
Nachtigall einen wunderbar süßen Gesang singen. Ein alter Mann
deutete ihm den Inhalt dieses Sanges. Er soll nach dreien Tagen
zum Fest des Kaisers ziehen, aber dann große Not und Sorge er-
leben. Aber wenn er geduldig bleibe, solle sein Leid in Freude
verkehrt werden. Der Greis verschwindet und der Vogel fliegt
davon. Der Ritter teilt seiner Frau sein Erlebnis mit. Sie be-
schließen, dennoch zum Hofe des Königs zu ziehen. Als sie gerade
im Begriff sind zu reisen, bricht ein Feuer aus und beraubt sie
aller ihrer Habe. Sie besteigen ein Schiff, und als das Schiff sie
ans Land gebracht hat, behält der Schiffsherr, da der Ritter ihm
den Fahrpreis nicht zahlen kann, die Frau als Pfand zurück. Er
hätte sie gerne geheiratet, aber die Frau weigert sich bis auf den
Tod, und in kurzer Zeit starb jener Schiffsherr, und die Frau be-
ginnt, ihr Brot von Tür zu Tür zu erbetteln. Der Held setzt mit
den beiden Knaben seinen Weg fort, es erfolgt die bekannte Szene
des Stromüberganges. Das eine Kind wird hier durch einen Löwen,
das andere durch einen Bären geraubt. Der Ritter kommt an den
die Geschichte eines "Wiedererkennungsmärchens. 521
kaiserlichen Hof zum Tnmier, gewinnt dort den Sieg und wird
vom Kaiser zum Feldherm seines Heeres ernannt. Eines Tages
findet er in einer Stadt, in die er kommt, einen kostbaren weiß,
rot und schwarz gefärbten Stein; ein Steinkundiger, dem er den
Stein zur Prüfung vorlegt, sagt ihm, daß der Stein die Eigenschaft
habe, jemandem, der alle Dinge verloren habe, diese wieder zu
verschaffen. Der Ritter ist hocherfreut darüber, und schon beginnt
sich sein Geschick zu wenden. In seinem Heer befinden sich zwei
junge Ritter, die sich gemeinsam in allen Kämpfen auszeichnen,
sie werden bekannt mit einander und beginnen sich ihre Geschichte
zu erzählen. Der jüngere Bruder beginnt mit der Erzählung seiner
uns bekannten Erlebnisse und fügt hinzu, daß, wie er vom Löwen
geraubt sei, ein Bürger aus einer benachbarten Stadt ihn gerettet
und aufgezogen habe. Der ältere Bruder, der nun beginnt, weiss
noch mehr aus seiner Jugend zu erzählen und schließt seine Er-
zählung mit dem Bericht, wie Dorfbewohner ihn aus den Klauen
des Bären befreit haben. Und während sie so erzählten, hörte
eine schöne Frau, die zufällig in demselben Gasthaus wohnt, ihre
Erzählung, erkennt ihre Söhne und umarmt sie unter Freuden-
thränen. Die ganze Nacht bleiben sie froh zusammen. Am anderen
Morgen begegnen sie auf der Straße dem Feldherm des Heeres,
der die ihm wohlbekannten Jünglinge begrüßt und sie fragt, was
sie für eine schöne Dame bei sich haben. Da erkennt die Frau
ihren Mann an einem Kennzeichen an seiner Stirn, fällt ihm um
den Hals und küßt ihn. So haben sich Vater und Mutter und die
beiden Söhne wieder zusammen gefunden.
Die Überlieferung in dem anglolatinischen Zweig der Gesta
verdient das allerhöchste Interesse. Sollten wir in ihr vielleicht
eine höchst interessante Vorstufe der Placidas-Legende gefunden
haben? Auf den ersten Blick zeigt sich die außerordentliche und
enge Verwandtschaft mit dieser, auf der anderen Seite aber auch
die Selbstständigkeit unserer Erzählung. Denn in der vorliegenden
Erzählung fehlt in der Tat die Bekehrung durch den Hirsch am Anfang
und das Martyrium am Schluß. Man würde also vielleicht anzunehmen
haben, daß die ursprünglichen Gesta in ihrer Sammlung noch nicht
die eigentliche Placidas-Legende aufgenommen haben, sondern daß
ihnen auf irgend einem Wege noch deren Vorstufe zugänglich
gewesen sei. Die festländische, germanische Bearbeitung würde,
dann an Stelle der älteren Legende, die mit ihr eng verwandte
und weit verbreitete Placidas-Eustachius- Legende erst eingefügt
haben. Das scheint auch die Ansicht von P. H. Ogden zu sein.
Der in dem auf S. 22 seiner Abhandlung entworfenen Stammbaum
522 W. Bousset,
unserer gesamten Märchenüberlieferung den anglolatinischen
Gesta eine Stelle vor der gesamten anderen Placidas-Über-
lieferung in den Acta Sanctorum etc. gibt, sie direkt von dem
arabischen Zweig der Gresamtüberlieferung ableitet und von hier
aus die Linie hinüberzieht zu dem mittelalterlichen Dichtungskreis,
während Placidas-Legende und mittelalterlicher Dichtungs kreis nach
ihm gar keine direkte Beziehung zu einander haben,
Granz so einfach liegen die Dinge hier allerdings kaum. Auch
die Erzählung in den anglolatinischen Gesta kann, so wie sie vor-
liegt, die unmittelbare Vorstufe der Placidas-Legende nicht dar-
stellen, Sie ist mit sekundären Zügen vermischt und zeigt in sich
Unstimmigkeiten, die an ihrem ursprünglichen Charakter irre machen.
Eine greifbare Unstimmigkeit ist es, wenn unser Held mit Frau
und zwei Kindern sich zu einem Turniere aufmacht, bei welchem
der König seine Tochter dem Sieger zum Weibe versprochen hat.
Überhaupt ist das Motiv des Turniers und der Zug, daß der Ritter
durch den Sieg im Turnier sich eine angesehene Stellung wieder-
erringt, durchaus mittelalterlich, uns auch schon in einigen mittel-
alterlichen Parallelen begegnet. Immerhin mag es ursprünglich
sein, daß der Held der Erzählung zu einem Fest, das der Kaiser
in Rom gibt, zieht, auf dem Wege dahin alles, was er besitzt,
verliert, dafür aber von dem Kaiser zunächst zum Feldherrn
befördert wird. Es scheint sogar, als wenn in der Rezen-
sion Gr der Placidas-Legende (s. o.) ein Rudiment dieser Er-
zählung stehen geblieben ist. Hier ist ganz unmotiviert von
einem großen Siegesfest, das der römische Kaiser gibt^
die Rede, bei dem man den Placidas vergeblich sucht. Auch der
Zug, daß der Ritter den wunderbaren Stein findet, dessen Eigen-
schaft ihm den Wiedergewinn alles dessen, was er verloren hat,
verheißt, mag späteren Datums sein. (Vgl. das Motiv des geraubten
Goldes oder Edelsteins im mittelalterlichen Dichtungskreis.) Eine
andere Unstimmigkeit in der Erzählung meint Ogden gefunden zu
haben. Er weist darauf hin, daß die Frau hier ihre Söhne sofort
nach deren Erzählung wiedererkennt, ohne, daß erst die Wieder-
erkennung mit dem Gatten erfolgt, und ist der Meinung, daß das
im Widerspruch stehe mit dem Anfang der Erzählung, nach wel-
chem der Raub der Frau vor dem Verlust der Söhne erfolgte.
Ogden meint daraus schließen zu können, daß in dem Urbild der
anglolatinischen Version in ähnlicher Weise, wie z. B. in der Schah-
Bacht-Erzählung der Raub der Frau hinter dem Verlust der Söhne
erzählt sei, und daß die Umstellung vielleicht eine Beeinflussung
der anglolatinischen Version durch die spätere Placidas-Legende
die Geschichte eines Wiedererkennangsmärchens. 523
verrate. Ich halte diese Vermutung nicht für ganz gesichert. Aus
dem, was der ältere Sohn von seinen Lebens Schicksalen dem Bruder
erzählt, konnte die Mutter sehr wohl die Gewißheit, daß sie ihre
Kinder vor sich habe, entnehmen, auch wenn sie bei dem Raub
der Kinder durch die Tiere nicht mehr dabei gewesen war. Siche-
res wird hier bei den ständig sich kreuzenden Einflüssen und Über-
arbeitungen nicht ausgemacht werden können. Als Resultat er-
gäbe sich demgemäß, daß die anglolatinischen Gesta zwar nicht
die direkte Quelle der Placidas-Eustachius-Legende darstellen, aber
daß sie doch diejenige Form des orientalischen Märchens am besten
wiederspiegeln, das in der Placidas-Legende mit Hirschmotiv und
Martyrium vereinigt wurde. Andererseits scheinen von dieser Form
der Erzählung aus wiederum Linien zu jenem mittelalterlichen
Kreis von Dichtungen, der wir in diesem Abschnitt unsere Auf-
merksamkeit zuwandten, hinüber zu laufen (die Vogelstimme am
Anfang, das Motiv des Turniers, der wunderbare Stein).
VI.
18. Eine besondere Stellung für sicli nimmt in dieser ganzen
Überlieferung die spanische Romanze vom Cavallero Cifar^) ein.
Cifar wandert mit Frau und zwei Söhnen aus, weil ihn der König,
in dessen Dienst er steht, nicht seiner Gewohnheit gemäß im
Kriege verwandte. Nach einigen kriegerischen Erlebnissen kommt
er in die Ebene Falac. Dort wird der älteste Sohn Garfin, wäh-
rend die Eltern schlafen, von einer Löwin entführt. Gleich darauf
verlieren sie in einer Stadt den zweiten Sohn, der sich verläuft.
Cifar will sich mit seiner Frau nach Orbin einschiffen. Da nehmen
ihm die Schiffer, vom Teufel verblendet, die Frau fort und lassen
ihn allein zurück, während sie jene zu Schiff entführen. Die See-
leute erschlagen sich gegenseitig, und sie wirft einer göttlichen
Stimme folgend alle Leichen ins Wasser. So kommt sie unbehelligt
nach Orbin und gründet mit den Reichtümern, die ihr durch das
Schiff zufielen, dort ein Nonnenkloster, in dem sie neun Jahre
verbleibt^). Während dieser Zeit kommt der Gatte mit seinem
Knappen Ribaldo zum König von Menton. Er besiegt dessen Feind,
dessen beide Söhne er tötet. Lafolgedessen gibt der König ihm
1) Ausgabe: Michelant Historia del Cavallero Cifar. Tübingen 1872. Vgl.
W. Foerster, Karrenritter u. Wilhelmsleben CXXIVf.
2) Eine beachtenswerte Parallele zu diesem Sonderzug wird weiter unten
im Abschnitt VII behandelt werden.
524 W. Bousset,
seine Tochter zur Frau und stirbt bald darauf, so daß Cifar König
wird. Er gedenkt aber in Trauer seiner geraubten Frau und
schiebt bei seiner zweiten Frau ein G-elübde vor, das ihn zu zwei-
jähriger Keuschheit verpflichte. Die Grattin willigt ein, die Buße
mit ihm zu tragen. Abermals auf eine göttliche Stimme hin hat
die rechtmäßige Gattin Orbin verlassen und ist nach Menton ge-
kommen. Die beiden Söhne sind mittlerweile von einem Bürger
aufgenommen und erzogen worden, der sie nun nach Menton sendet,
um sie zu Rittern schlagen zu lassen. Cifar und seine Frau er-
kennen sich sehr bald, nachdem diese an den Hof gekommen ist,
wagen aber wegen der Doppelehe nicht, sich gegenseitig zu ent-
decken. Durch einen merkwürdigen Umstand wird die Mutter
zur "Wiedererkennung mit ihren Söhnen geführt. Eine ihrer Die-
nerinnen belauscht folgende Szene. Zwei Jünglinge lehnen an
einem Hause, an dem sich ein steinerner Löwe befindet ; da erinnert
einer den andern, wie er von einer Löwin entführt, aber von
seinem Pflegevater gerettet worden sei. Die Mutter, von der
Dienerin herbeigeholt, erkennt ihre Söhne, und da der Vater be-
reits seine Frau erkannt hat und mittlerweile die zweite Gattin
des Ritters zur rechten Zeit gestorben ist, steht der glücklichen
Wiedervereinigung der ganzen Familie nichts mehr entgegen. (Der
Inhalt der Erzählung ist skizziert nach Jordan, die Eustachius-
legende, Christians Wilhelmsleben, ßoeve de Hanstone und ihre
orientalischen Verwandten, Archiv für das Studium der neueren
Sprachen Bd. 121 1908 S. 350, 357, 359).
Auf den ersten Blick zeigt sich, daß diese Erzählung ganz
und gar von dem in dem vorhergehenden Abschnitt behandelten
Kreise abseits steht. Keine der speziellen Züge jener Sippe findet
sich hier wieder. Der Hauptheld bleibt in dieser Erzählung der
Mann. Das Motiv der Scheinehe, das in dem Roman stark betont
wird, fällt dem Manne zu. Die Frau kommt an den Hof des
Mannes, der mittlerweile zu königlichen Ehren erhoben ist. Die
beiden Knaben des Paares werden nicht erst während der Wan-
derung geboren. Die religiöse Motivierung der Flucht oder des
Rückzugs des Helden (Himmelsstimme, Vogelstimme) fehlt gänz-
lich. Ebenso das Motiv des Börsenraubes durch den Adler und
das des Verkaufes der Frau. Gegenüber jenem Kreise steht also
unsere Erzählung völlig selbständig. Auch hier behaupten nun
freilich die meisten Forscher (auch Michelant in seiner Ausgabe
358) die Abhängigkeit von der Placidaslegende. Und zum Beweise
dafür konnte sich Foerster (Wilhelmsleben CLXXIV) auf S. 70
der Ausgabe von Michelant berufen, wo der Erzähler in der Tat
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 525
auf diese Legende anspielt und die christlichen Namen sämtlicher
Mitglieder der Placidasfamilie nennt, also deutlich seine Bekannt-
schaft mit ihr in der uns vertrauten Form verrät. Diese Zitierung
der Legende beweist nun aber doch keineswegs, daß auch die
Cifar-Erzählung direkt aus dieser Quelle stammt, ja man könnte
fast eher das G-egenteil daraus schließen. Außerdem will die
Cifar-Legende nach ihrer Einleitung aus dem Chaldäischen, d. h.
aus dem Arabischen (nicht wie Michelant meinte dem Griechischen)
ins Lateinische und vom Lateinischen ins Romanische übersetzt
sein. Daher wird das Urteil von Chauvin zu Recht bestehen, der
bei seiner Besprechung des Märchens vom König, der alles verloren
hat, bemerkt: „Cette forme pourrait bien etre derivee de celle
qui, plutot que Thistoire de saint Eustache, a donne naissance au
conte du chevalier Cifar'' (1. c. VI 348). Diesem Urteil hat sich
auch Jordan a.a.O. S. 348 ff. in einer weit ausholenden Unter-
suchung im großen und ganzen angeschlossen, in der er sich freilich
noch immer zu sehr durch die allgemein verbreitete Behauptung
der Abhängigkeit der meisten mittelalterlichen Dichtungen und
Erzählungen von der Placidaslegende imponieren läßt. So kommt
er nur zu dem Resultat, daß für den Cifar neben seiner Haupt-
quelle, der Placidaslegende. noch eine orientalische Nebenquelle
angenommen werden müsse, ein L^teil, das ich nach allem Voraus-
gegangenen mit Bezug auf Haupt- und Nebenquelle geradezu um-
kehren möchte.
19, Neben den Cifarroman möchte ich endlich noch die Boeve-
Sage stellen. Obwohl sich nicht mit Sicherheit erkennen läßt, in
welchen näheren Zusammenhang sie hineingehört. Von dieser Sage
urteilt Deutschbein (Studien zur Sagengeschichte Englands, I. Teil.
Die Wikingersagen 1906 S. 181): „Freilich ist eine Untersuchung
dieser Sagen mit großen Schwierigkeiten verbunden — sie ist nicht
nur in zahlreichen literarischen Versionen bei fast allen Völkern
Europas überliefert, sondern die Sage selbst erscheint als ein
buntes Grewebe : der ursprüngliche Kern . muß starke Zusätze er-
fahren haben." Deutschbein S. 13 verweist uns auf die Aufstellung
des Stammbaums, den Stimming in seiner Untersuchung des anglo-
normannischen Boeve (Bibliotheka Normannica VII, Einleitung) für
die Überlieferungsgeschichte des Boeve gegeben hat. Er gibt da-
nach einen ÜberbKck über den Inhalt der Sage, auf GTrund der
ihre älteste Stufe repräsentierenden englischen und der ebenfalls
eine ältere und gute Überlieferung darstellenden anglonormanni-
schen Version. Für unsere Zwecke kommt nur ein kleiner Teil
der Sage in Betracht, nämlich der Abschnitt, den man als Boeves
526 W. Bousset,
zweites Exil zu bezeichnen pflegt. Deutschbein hat S. 206 ff. einen
Überblick über diesen Teil der Erzählung geboten und daneben
zum Vergleich die Erzählung des Wilhelmslebens gestellt. Die
Erzählung lautet: Nach der glücklichen Heimkehr Boeves nach
England kommt ein neues Unglück über ihn, sein Roß hat den
Königssohn erschlagen, er wird zum zweitenmale gezwungen, die
Heimat zu verlassen. Weib und Kinder begleiten ihn. Auf der
Reise wird sein Weib Josiane von Geburtswehen ergriffen, er und
sein Grenosse Tierri bringen sie in eine Hütte, sie gebiert in Ab-
wesenheit der Männer zwei Knaben und wird sogleich nach der
Geburt von Sarazenen geraubt. Die beiden Männer suchen die
Erau vergeblich, wickeln die von den Sarazenen zurückgelassenen
Neugeborenen in ihre Mäntel (resp. nach der anderen Rezension
in Tücher). Später vertraut er sie einem Förster und einem Fischer
als Pflegekinder an. Die beiden Helden kommen nach Civile (Se-
villa), das von einem feindlichen Heer belagert wird, und beteiligen
sich am Kampfe. Die Herrin des Landes, die vom Turme zu-
geschaut hat, bietet Boeve ihre Hand an, Boeve erklärt sich nur
zu einer Scheinheirat bereit, bis er sieben Jahre hindurch auf
Josiane gewartet habe. Inzwischen ist Josiane durch den alten
Erzieher Boeves, Sabaot, aus den Händen der Sarazenen befreit
und kommt, als Mann verkleidet, in Spielmanns-Tracht nach Civile
bettelnd an den Hof. Boeve erkennt seinen Erzieher Sabaot, und
Josiane wird herbeigeholt. Tierri heiratet die Herrin von Civile,
die beiden Kinder des Boeve werden nebst ihren Pflegeeltern her-
beigerufen.
Die Erzählung ist hier teilweise fast bis zur Unkenntlichkeit
entstellt; vor allem ist das charakteristische Motiv des Verlustes
der Kinder (nicht nur der Flußübergang, sondern auch der Raub
durch die Tiere) verloren gegangen. Die Kinder gehen dem Vater
überhaupt nicht mehr verloren, sondern werden nur Pflegeeltern
anvertraut und später einfach herangeholt. Doch kann an der
Zugehörigkeit der Erzählung zu unserem Gesamtkreise kein Zweifel
sein. Durch einige Motive ist in der Tat unsere Erzählung mit
dem Wilhelmsleben eng verbunden. Hier wie dort werden die
Zwillinge auf der Flucht in der Wildnis geboren. Hier wie dort
schließt sich unmittelbar an deren Geburt der Raub der Frau
durch Kaufleute oder Sarazenen an. Besonders überzeugend ist,
daß sich auch hier das Motiv wiederfindet, daß der Vater die
Kinder in seinem Mantel resp. in die Schöße seines Rockes ein-
wickelt. Und zwar findet sich in der Boevesage das Motiv als
herübergenommenes Rudiment und verschwindet deshalb in einer
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 527
Eezension ganz. Was aber den Hauptgang der Erzählung an-
betrifft, so sind die Übereinstimmungen zwischen Boeve und Cifar
sehr viel stärker als zwischen Boeve und Wilhelmsleben, denn
hier wie im Cifar bleibt der Mann der Held der Erzählung, er
tritt in die Scheinehe ein und nicht die Frau und die Frau
kommt an den Hof des Mannes. Da nun endlich andererseits der
Boeve gewisse Erweiterungen des Cifar, so die Schicksale der
Frau auf dem Schiff und die Gründung des Nonnenklosters Orbin,
nicht kennt, so wird man diesen nicht etwa als eine
Xombination aus Cifar und dem Wilhelmsleben resp. diesen ganz
ähnlichen Varianten betrachten dürfen, sondern ihm eine eigene
Wurzel zusprechen müssen, die uns schließlich wohl wieder in den
Orient hineinführen dürfte.
20. Unter dieser Nummer stelle ich der Vollständigkeit halber
noch eine Sippe von Erzählungen zusammen, die ich eigentlich am
liebsten von der Untersuchung ganz ausschließen möchte, da in
ihr bereits ein ganz anderes Motiv in den Vordergrund rückt.
Dieses hier herrschende Motiv ist das der unschuldig verfolgten
fälschlich angeklagten Frau. Eine edle Frau wird des Ehebruchs
oder einer anderen Schuld angeklagt, in die Einsamkeit verbannt,
gebiert dort Zwillinge oder einen Knaben. Auch ihre Kinder
gehen ihr verloren, aber schließlich wird sie mit ihrem Mann und
ihren Kindern wieder vereinigt. Ich zähle kurz die hier in Be-
tracht kommenden Dichtungen und Erzählungen auf. a) Die Er-
zählung von der schönen Helena, die uns bei Matthaeus Paris
Chronika major, Ausgabe von Wats p. 965 — 968 erhalten ist.
b) Die Dichtung La-Manekine (H. Suchier oeuvre po^tique de
Beaumanoir I Paris 1884). c) Die Sage vom Kaiser Octavian (alt-
französischer Roman, herausgegeben von K. Vollmöller, Heübronn
1883. Davon abhängig ein englisches Gredicht und das deutsche
Volksbuch. Inhaltsangabe und Näheres bei Sarrazin, altenglische
Bibliothek von Kölbing III 1885 Octavian), d) Die Erzählung
von Torrent von Portugal, die nach Ogden S. 16 etwa der mitt-
leren Partie der schönen Helena entspricht (vergl. Early english
Text Society. Extra Serie 51 ; Torrent of Portyngale von E. Adam).
-e) Die Sage vom Ritter Eglamour von Artois, nach Ogden etwa
der mittleren Partie von Manekine entsprechend (Halliwell, Thorn-
ton Romanzes 121 ff. ; Überblick bei Adam p. XXVIII). Dazu ver-
gleiche man den Stammbaum, den H. Ogden für diese sämtlichen
Olieder und noch einige andere mehr p. 18 entwirft.
Zur Vergleichung skizziere ich kurz nur noch zwei von diesen
Erzählungen, soweit sie für uns in Betracht kommen. Zunächst
628 W. Bousset,
die vom Kaiser Octavian. Kaiser Octavians schöne Gemahlin ist
mit Zwillingen niedergekommen, schon diese Geburt erweckt Ver-
dacht. Durch eine schändliche Machination gelingt es, die Königin
in den Verdacht des Ehebruches zu bringen. Schon vorher träumt
der Frau, daß ihr die Kinder durch einen Adler geraubt werden,
sie selbst von einem Löwen oder Leoparden zerrissen wird. Sie
wandert mit ihren Kindern in die Waldeinsamkeit. Hier wird ihr
der eine Sohn Florens durch eine Affin geraubt, der wiederum
Diebe es abjagen, bis später ein Pilger sich des Kindes annimmt und
es erzieht (eine auffällige Parallele in der indischen Erzählung unter
Nr. 11). Das andere Kind Lion wird durch eine Löwin fort-
geschleppt. Auch hier haben wir dasselbe Motiv, wie im Wilhelms-
leben, daß die beiden Kinder von ihren Pflegeeltern für bürgerliche
Beschäftigung gewonnen werden sollen. Sonst aber entwickelt
sich die Sage von den sämtlichen bisherigen Varianten, die wir
kennen lernten, derartig divergent, daß eine weitere Vergleichung
sich kaum lohnt. Daß schließlich die getrennten Glieder der
Familie sich sämtlich wiederfinden, ist naturgemäß und gehört
zum ehernen Bestand dieser Erzählungen.
Auch die mittlere Partie des Torrent von Portugal möge kurz
skizziert werden. Die Tochter des Königs, Desonelle, die ihr
Geliebter, nachdem er sie durch verschiedene Abenteuer gewonnen
hat, vor dem Eingang einer wirklichen Ehe verläßt, um auf neue
Abenteuer auszuziehen, gebiert Zwillinge. Zu erwähnen ist viel-
leicht noch, daß ihr Ritter ihr zwei goldene Ringe hinterlassen
hat, die sie dann ihren Söhnen gibt und die bei der Wieder-
erkennung dieser eine Rolle spielen. Desonelle wird von ihrem
erbitterten Vater in einem Boote ausgesetzt und treibt aufs Meer
hinaus. Sie gelangt nach Palästina und dort werden ihr die beiden
Kinder, das eine von einem Drachen, das andere von einem Leo-
parden, geraubt. Der König von Jerusalem findet den Leoparden-
knaben, der den Namen Leobert erhält. Das Drachenkind wird
von einem Eremiten gefunden, einem Sohn des Königs von Griechen-
land, der es seinem Vater zur Erziehung bringt. Desonelle ge-
langt an den Hof eines Königs von Nazareth. Torrent von Por-
tugal, der Rache an seinem Schwiegervater genommen hat, zieht
zur Fehde in das heilige Land, wird von seinem Sohn besiegt,
gefangen gesetzt und wieder befreit. Schließlich erfolgt die
Wiedererkennung der ganzen Familie bei dem Turnier, das der
König von Nazareth auf Wunsch der Desonelle veranstaltet.
Man sieht, ganz unabhängig sind auch diese Erzählungen von
dem von uns behandelten Erzählungskrei« in der Einzelausgestal-
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 529
tnng nicht. Es erinnert bald dieser bald jener Zug an schon Be-
kanntes und Vertrautes. Besonders beachtenswert ist, daß auch
hier das Motiv des Raubes der Kinder durch Tiere eine derartige
Rolle spielt. Kreuzungen von Einflüssen sind hier also keineswegs
ausgeschlossen, aber es muß festgehalten werden, daß das Haupt-
motiv der Erzählung, das der unschuldig verfolgten Frau, ein
anderes und für sich besonderes ist, wenn freilich auch der von
uns behandelte mittelalterliche Dichtungskreis dadurch schon ein
wenig in dieses Motiv hinübergleitet, daß in ihm die Frau als die
Hauptheldin erscheint.
Auch das hier vorliegende Motiv wird übrigens uralt sein.
Wir finden eine gewisse Parallele bereits in dem siebenten Buch
des indischen Heldenepos Ramayana'), auf das ich durch Ogden
p. 20 aufmerksam geworden bin. Rama, der Held dieser Erzählung,
wird zweifelhaft an der Tugend seines Weibes Sita und verbannt
sie in den Wald, wo ein Eremit sie aufnimmt und für sie Sorge
trägt. Die Königin gebiert in der Einsamkeit zwei Söhne, die
berühmte Rhapsoden werden. Diese kommen an den Hof ihres
Vaters, dem sie zufällig ihre Erlebnisse erzählen. Der überraschte
Vater erkennt sie und holt seine Gattin heim. Man sieht auch,
daß das uns bekannte Genoveva- oder Crescentia - Motiv seine
eigenen Wurzeln tief in der Vergangenheit hat. Man wird aber
wie gesagt gut tun, um den Gang der Untersuchung klar und
einfach zu gestalten, den Typus dieser Erzählungen ganz auszu-
schalten oder nur vorübergehend heranzuziehen.
VII.
Aber noch einen anderen berühmten Anagnorismen-Roman
möchte ich in diesen Zusammenhang hineinzustellen versuchen,
nämlich die Erzählung, welche dem Pseudo - Clementinischen
Schriftenkreis (Homilien und Recognitionen) zu Grunde liegt.
Wie schon gesagt, ist mir die ganze im Vorhergehenden vorgelegte
Sammlung: allmählich aus der Suche nach Parallelen zu dem
1) Wie Ogden S. 21 zu seinen fabelhaften Ansätzen für die Zeit des Ra-
mayana kommt, ist mir gänzlich unklar. Danach soll unser Gedicht, weil es bereits
dem Mahabharata bekannt ist, schon im 11. Jahrhundert v.Chr. existiert haben!!
Auch der Ansatz von M. Williams für das Kamayana (bei Ogden ebendort,
5. Jahrhundert v. Chr.) ist noch viel zu hoch gegriffen. Man wird mit dem
ältesten Bestand des Ramayana nach dem mir freundlichst mitgeteilten Urteil
Herrn Professor Oldenbergs nicht über das zweite, höchstens das dritte vorchrist-
liche Jahrhundert hinausgehen dürfen.
530 W. Bousset,
Clemens-Roman erwachsen, bis diese schließlich zu einer eigenen
Untersuchung auswuchs und vor allem das Problem der Placidas-
legende mich zu interessieren begann. Ich kehre jetzt noch einmal
zum Clemens- Roman zurück, zumal ich zu meiner Freude sehe, daß
auch Gaster (Journal of R. Asiat. Soc. 1893 p. 870) die Pseudo-
Clementinen in diesen Zusammenhang eingestellt hat.
Es wird doch vielleicht notwendig sein, zunächst den Gang
des Romanes, der uns in den Pseudoclementinen ja bekanntlich
nur bruchstückweise enthüllt wird, noch einmal darzulegen ^). Der
Vater des römischen Clemens, ein vornehmer Mann aus consulari-
scher Familie, mit Namen Faustus, hat eine Gattin Mattidia, die
ihm zunächst zwei ältere Söhne, Faustus und Faustinianus,
gebiert, ein Zwillingspaar, dessen überraschende Ähnlichkeit her-
vorgehoben wird, und als dritten den Clemens. Eines Tages er-
zählt die Frau dem Gatten, sie habe ein Traumgesicht erhalten ^
sie solle mit ihren zwei ältesten Söhnen auswandern, sonst werde
die ganze Familie dem Untergang verfallen. In Wahrheit gibt
die Frau selbst später dem Petrus als eigentlichen Grund ihres
Fortgangs an, daß ihr Schwager zu ihr in Liebe entbrannt sei
und daß sie, um dessen Nachstellungen zu entgehen, jenes Traum-
gesicht erdichtet habe. Nach ihrem Fortgang, so erzählt wenig-
stens Faustus dem Petrus, verleumdet dann der boshafte Schwager
die Mattidia bei ihrem Manne, daß sie eine ehebrecherische Neigung
zu ihm gefaßt habe, daß er aber seinerseits auf ihre Wünsche
nicht eingegangen sei, und daß sie aus Scham und Furcht darüber
geflohen sei. Noch komplizierter wird die Erzählung dadurch, daß
Faustus selbst behauptet, er wisse aus einem seiner Frau gestellten
Horoskop, daß ihr das Schicksal bestimmt gewesen sei, sich
in ihren eigenen Sklaven zu verlieben, das Lager mit ihm zu
teilen und schließlich elendiglich umzukommen, und daß dies
Schicksal sich an ihr erfüllt habe. Man sieht auf den ersten Blick,
wie auch der neueste Bearbeiter des Clemens-Romanes Werner
Heintze (s. u.) gut hervorgehoben hat, daß die Motive hier auf-
einander gehäuft und verwirrt sind. Doch wir folgen zunächst
dem Geschicke der Frau weiter nach. Auf ihrer Reise nach Athen
erleidet diese Schiffbruch und wird von ihren beiden Söhnen ge-
trennt. Sie selbst wird bei der Insel Arados ans Land getrieben.
Dort, von einer armen und kranken Witwe, die ihren Mann durch
1) Ich gebe den Inhalt meist ohne Quellenanjjabe und verweise für alle
Einzelheiten auf meinen Aufsatz „Die Wiedererkennungsfabeln in den pscudo-
klenientinischen Schriften", Ztschr. f. neut. Wissensch. V 1904 S. 18 ff. und die
genauen Untersuchungen von W. Heintze, Der Klemensroman 1914, S. 114 ff.
die Geschichte eines Wiedererkennangsmärchens. 531
Schiffbruch verloren hat, aufgenommen, sucht sie mit dieser zu-
sammen ihren kümmerlichen Lebensunterhalt. Die beiden Söhne
werden aus den Trümmern des geborstenen Schiffes von Seeräubern,
die ihre Namen Faustinus und Faustinianus mit Nicetas und
Aquila vertauschen, aufgefischt und auf den Markt von Caesarea
geschleppt. Sie werden als Sklaven an eine Witwe Justa ver-
kauft, die sie (mit Simon Magus zusammen) in den Künsten und
Wissenschaften unterrichten läßt. Der unglückliche Vater wartet
nun vergeblich auf Nachricht von Frau und Kind, Boten die er
aussendet, kehren nicht zurück. Er schickt im dritten Jahr neue
Boten aus, die im vierten zurückkehren, aber von Mattidia nichts
wissen. Endlich läßt er seinen Sohn Clemens in Rom zurück und
reist ab, um seine verlorene Familie zu suchen.
Nach der Trennung sämtlicher Familienmitglieder erfolgt
etappenweise ihre Wiedererkennung und Wiedervereinigung. Cle-
mens kommt in Begleitung des Petrus zur Insel Arados. Während
die übrigen alle in einem Tempel die dort sich findenden Wein-
stocksäulen bewundem, trifft der zurückgebliebene Apostel am
Tempelportal eine alte Bettlerin, die ihm ihr Geschick, allerdings
unter falscher Angabe der Ortsnamen, erzählt. Petrus, der schon
geglaubt hatte, die Mattidia in ihr zu erkennen, erwidert, dadurch
irre geführt und betrübt, daß er soeben von einem römischen Jüng-
ling eine ganz ähnliche Greschichte gehört habe. Bestürzt fragt
die Mutter nach dessen Namen und ehe Petrus noch antworten
kann, spricht sie ihn bereits aus: „Clemens". Wie Petrus mit der
Bettlerin Hand in Hand zum Strande geht, wird er von Clemens
zu dessen Verwunderung in dieser Situation betroffen. Doch bald
fällt die Mutter ihm aufschluchzend um den Hals, und Petrus sagt
ihm, daß das seine Mutter sei. Drei Tage später kommen Petrus,
Clemens und Mattidia nach Laodicea. Nicetas und Aquila wundern
sich über die Frauen in Begleitung des Petrus. Während Petrus
ihnen der Reihe nach ihre Erlebnisse erzählt, brechen Nicetas und
Aquila plötzlich iu den Ruf aus, sie seien Faustinus und Fausti-
nianus. Zu unserer größten Verwunderung ist aber die Mutter
jetzt plötzlich nicht mehr anwesend, während sie in den Recogni-
tionen wenigstens (VII 27) ausdrücklich als anwesend vorausgesetzt
war. Vielmehr hören wir nun, daß Mattidia sich in ihr Schlaf-
gemach zurückgezogen hatte, um zu ruhen. Die Brüder wollen
sogleich in das Schlafgemach dringen, aber Petrus wehrt ihnen,
er wül erst die Mutter auf das Wiedersehen vorbereiten, geht zu
ihr hinein und beginnt mit einem langen Vortrag über die christ-
liche Lehre. In einem gegebenen Moment stürzen dann die Jung-
532 W. Bousset,
linge auf Geheiß des Petrus, zur Tür hinein, umarmen die Mutter
und erzählen ihre Greschichte. Und schon am folgenden Tage trifft
Petrus am Meeresstrande den als Bettler im Lande herumziehenden
Faustus ; dieser erzählt ihm seine Greschichte als Erlebnis einer
dritten Person, weil er, wie wenigstens die Homilien XIV 6 an-
geben, sein Inkognito wahren will. Er befürchtet nämlich, daß
man ihn, da er aus kaiserlichem Geschlecht stammt, sobald er sich
zu erkennen gäbe, nach Rom bringen und in seine früheren Ehren-
stellungen wieder einsetzen werde. Das aber will er, gebeugt vom
Kummer, vermeiden. Diesmal durchschaut Petrus die Maske des
Faustus und führt nach den Homilien sofort, nach den Recogni-
tionen erst nach dreitägiger Disputation, hier in außerordentlich
eindrucksvoller und feierlicher Weise, in voller Öffentlichkeit, vor
versammeltem Volke, die Wiedererkennung herbei. Die Einzel-
züge des letzten Anagnorismos habe ich, weil sie sehr weit von
dem uns bekannten Typus abstehen und sehr singulär sind, nur
kurz angedeutet.
Wir stellen uns die Frage zur Beantwortung, ob auch diese
Erzählung in den von uns behandelten Kreis hineingehört. Auf
den ersten Blick scheinen die Abweichungen ganz wesentlich die
Übereinstimmungen zu überwiegen. Es handelt sich auch hier
allerdings um eine Familie, deren Glieder alle, oder fast alle von
einander getrennt werden, um sich schließlich wieder zu vereinigen.
Aber nicht einmal die Zahl der Familienmitglieder scheint überein
zu stimmen, denn wir haben es hier mit Vater, Mutter und drei
Söhnen zu tun. Aber hier kann nun darauf hingewiesen werden,
daß von mir und dem auf diesem Gebiete so verdienten Forscher
Werner Heintze, schon lange und ehe uns die oben aufgewiesenen
Parallelen zugänglich waren, der Beweis geführt ist, daß die Per-
son des Petrus-Schülers Clemens, erst künstlich in die Anagorismen-
novelle eingeschoben ist^). Die Faustus-Familie, die Trägerin der
Novelle bestand also wirklich ursprünglich aus Vater, Mutter und
zwei Söhnen. Freilich sind hier die beiden Brüder Zwillinge,
deren wunderbare Ähnlichkeit außerdem ausdrücklich hervorge-
hoben wird. Auch wurden sie in der ursprünglich zu Grunde
liegenden Novelle, wie es scheint, nicht von einander getrennt.
Aber das sind nicht so wesentliche Varianten, daß sie uns irre
machen könnten, und auch in andere Glieder unseres Kreises sind
diese Motive (ZwiUinge, Ähnlichkeit der Brüder, vgl. die Placidas-
Legende) eingedrungen. Vielleicht handelt es sich hier um ein
1) Vg]. die vorige Anmerkung.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 533
Motiv, das, wie Werner Heintze treffend hervorhebt, von Seiten
der griechischen Komödie (lustige Verwechselung der Zwillinge,
vgl. die Menächmen des Plautus und Shakespeares Komödie der
Irrungen ^)) eingeflossen ist.
Allerdings ist in unserer Novelle die charakteristische Art,
wie die beiden Knaben verloren gehn, gänzlich verschwunden.
(Flußübergang, Raub durch Tiere). An Stelle dieses Motives ist
das der griechischen Novelle geläufigere, der Schiffbruch getreten.
Wir sahen aber doch, wie in einer der sicher in unseren Kreis
gehörigen Erzählungen (s. o. Nr. 4) genau dieselbe Veränderung
eingetreten ist, so daß auch hier ein Schiffbruch alle Glieder der
Familie von einander trennt. Und es ist sehr beachtenswert, daß
diese Erzählung eine spezifisch jüdische war. Denn wir dürfen
vermuten, daß die letztlich aus Juden- christlichen Kreisen stam-
mende Komposition der Clementinen, die auch sonst nachweisbar
vielfach jüdisches Material verarbeitet hat^), eine jüdische helleni-
stische Novelle aufgenommen haben dürfte. Überdies ähnelt der
weitere Verlauf des Geschickes der beiden Knaben (Verkauf durch
Seeräuber und Erziehung bei der frommen Wittwe Justa) dem,
was wir sonst in unserem Erzählungskreis vom Geschick der Ver-
lorenen hören, bis zu einem gewissen Grade.
Sehr schwierig ist es, über das Anfangsmotiv der Erzählung
ins Klare zu kommen, durch welches das gesamte Geschick der
Familie ins Rollen gebracht wird. Wir haben schon oben darauf
hingewiesen, wie hier die Motive sich kreuzen und in Verwirrung
geraten sind. Heintze hat in seiner außerordentlich scharfsinnigen
Untersuchung nachzuweisen gesucht, daß das Motiv der Schwager-
ehe und Schwagerverleumdung der ursprünglichen Anagnorismen-
fabel nicht angehört haben könne. Er konstruiert die ursprüng-
liche Erzählung (S. 122) folgendermaßen: „Faustus und Mattidia
leben beide in glücklicher Gemeinschaft. Mattidia sieht sich durch
1) Damit möchte ich meine dereinstigen Aufstellungen über spezielle Be-
ziehungen des Clemensromanes zum mindesten zu den Menächmen des Plautus als
erledigt zurückziehen. Auch meine Vermutungen über die Beziehungen zwischen
Clemens-Roman und Shakespeares Komödie der Irrungen würden sich in dieser
Form kaum halten lassen.
2) Es ist das Verdienst von W. Heintze erwiesen zu haben, daß eine um-
fangreiche jüdische Apologie, die sich mit der griechischen Götterlehre, mit der
Frage der Vorsehung und mit den Lehren des astrologischen Fatalismus beschäf-
tigte, den Pseudo-Clementinen einverleibt ist. Aber auch die apologetische Predigt
des Petrus in Recognitionen IV flF. und Hom. VIII ff. ist wahrscheinlich jüdischen
Ursprungs. Und endlich weist auch das verarbeitete juden-christliche Material
letztlich auf jüdische Traditionen hin.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Hdt 4. - 37
534 W. Bousset,
ein Traumgesicht gezwungen, mit ihren zwei Söhnen in Begleitung
von Sclaven auszuwandern. Der Gatte, von Sehnsucht verzehrt,
reist wenige Jahre später ab, um seine seitdem verschollene Fa-
milie zu suchen. Fern im Ausland erfährt er von einem Astro-
logen das Schema seiner Grattin, verzichtet in seiner Verzweiflung
auf die Heimkehr und führt das elende Dasein eines Proletariers.
Endlich findet er seine Familie wieder". Ich möchte die scharf-
sinnige Untersuchung Heintzes nur in einem Punkte ergänzen. Mir
will erscheinen, daß als späteste Schicht des ganzen Gefüges das
astrologische Motiv und alles, was damit zusammenhängt, anzu-
sehen sei, und daß dieses recht eigentlich vom Verfasser der letzten
Hand, der mit der Novelle die große anti-astrologische Disputation
verband, stammt^). Aus dieser Annahme würde sich mir am besten
erklären, wie in dem Gespräch zwischen Clemens und Faustus
(Ho. XIV 7 und Eec. IX 33) der grobe Widerspruch zu Stande ge-
kommen ist, daß Faustus auf die Frage, woher er denn wisse,
daß das astrologische, die Sola venliebe seiner Frau weissagende
Schema eingetroffen wäre, mit der Erzählung antwortet, wie sein
Bruder ihm von ihrer ehebrecherischen Liebe zuihm(demBruder)
erzählt habe. Ein Widerspruch, der in der Darstellung der Reco-
gnitionen künstlich verdeckt ist, in den Homilen noch klar heraus-
tritt (Heintze 116). Meines Erachtens hätte also dem Verfasser
des Clemens-Romanes die Anagnorismennovelle schon in der durch
das Motiv der Schwagerliebe komplizierten Form vorgelegen. Aber
darin hat nun Heintze unbedingt recht gesehen, daß hier keine
einheitliche und unüberarbeitete Überlieferung vorliegt. Man kann
es sich in keiner Weise erklären, daß Faustus so verzweifelt nach
seiner verloren gegangenen Frau hätte suchen sollen, wenn sein
Bruder ihm die Überzeugung von ihrem ehebrecherischen Treiben
beigebracht hätte. Scheiden wir aber dieses Motiv der Schwager-
liebe und Schwagerverleumdung aus, so erhalten wir zu unserer
Verwunderung dafür in aller Klarheit ein uns aus unserem Er-
zählungskreis vertrautes Anfangsmotiv der Novelle. Mattidia ver-
läßt mit ihren Söhnen die Heimat auf Grund eines Traumgesichtes,
das ihrer Familie Vernichtung droht, falls sie nicht auswandert.
Das ist das Motiv, das uns namentlich aus dem mittelalterlichen
Er zählungs kreis wohlbekannt ist und auch an den Anfangszug der
Placidas-Legende und des armenischen Märchens (himmlische Offen-
1) Was W. Heintze S. 121 für seine These von der ursprünglichen Zuge-
hörigkeit des astrologischen Motivs zum Anagnorismen-Roman der Clementinen
beibringt, vermag mich nicht zu überzeugen.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 535
barimg, Stimme eines Genius) stark erinnert. Freilich bleibt in
unserer Novelle der Mann in der Heimat, nur die Frau wandert
aus, man darf wohl vermuten, daß hier die Sekundarität auf Seiten
unserer Novelle liegt, und daß diese A bweichung vielleicht mit der
Einfügung des dritten Sohnes, des Clemens, zusammenhängt. Fau-
stus muß notwendig noch eine Weile bei diesem dritten Sohne in
Rom bleiben. Denn nur so kann dieser die Hauptfigur der Er-
zählung werden, durch die schließlich direkt oder indirekt die
Wiedererkennung sämtlicher Familienglieder herbeigeführt wird.
Das Traumorakel resp. die göttliche Offenbarung gewinnt übrigens
einen viel besseren Sinn, wenn es sich auf die Auswanderung der
ganzen Familie bezieht und nicht auf die der Frau mit ihren Söhnen
allein.
Aber damit nicht genug, wir dürfen vielleicht auch noch eine
Vermutung aussprechen, woher der Kompilator der Anagnorismen-
novelle, die in den Clemensroman eingearbeitet wurde, das neue
Motiv der Schwagerehe und Schwagerverleumdung entlehnt haben
mag. Heintze S. 130 weist zwar seinerseits darauf hin, daß die
Liebe zum Schwager der Gattin ein im griechischen Roman sehr
bekanntes Motiv sei. Aber hier kommt doch noch das zweite
Motiv der frechen Verleumdung der unschuldigen Frau durch den
schuldigen Teil hinzu. Der Nachweis dieses Doppelmotivs ist
Heintze nicht gelungen, während natürlich das andere Einzelmotiv,
die Verleumdung des unschuldigen Teües durch den abgewiesenen
Liebhaber seine zahlreichen Parallelen hat, von der Erzählung
vom Weibe des Potiphar an bis zu dem Knemon in Heliodors
äthiopischer Geschichte, der durch seine von ihm nicht erhörte Stief-
mutter fälschlich bezichtigt wird. (Heintze S. 131).
Dies gesuchte Duppelmotiv ist aber wiederum in einigen
Geschichten von 1001-Nacht nachweisbar. Und zwar finden wir
€s zunächst gerade in jener ursprünglich jüdischen Legenden-
sammlung (Henning IX, 14 ff.), von der oben gehandelt wurde, in
derunmittelbarenNähejenerjüdischenAnagnorismen-
novelle, die wir unter No. 4 besprochen haben. Die Er-
zählung lautet: Ein israelitischer Kadi unternahm einst eine
Pilgerfahrt nach Jerusalem; er setzt seinen Bruder als Stell-
vertreter ein und befiehlt ihm sein Weib. Dieser stellt seiner
Schwägerin mit Liebesanträgen nach, und als es ihm nicht gelingt,
sie zu verführen, stiftet er, um der Rache seines Bruders zu ent-
gehen, falsche Zeugen gegen sie an, die sie des Ehebruchs beschul-
digen. Die Frau wird gesteinigt und bleibt unter den Steinen
liegen, ein Wandersmann findet sie und nimmt sich ihrer an.
37*
536 W. Bousset,
Dieser gibt ihr sein Kind zur Pflege, aber ein ßänber, dessen
Verlangen nach ihr sie abweist, macht einen Tötungsversuch
gegen sie und trifft dabei den Knaben. Die Frau, in falschen
Verdacht gekommen, muß fliehen und kommt an eine Stätte, wo
gerade ein Mensch gekreuzigt werden soll. Da ihr kund getan
wird, daß sie den Verbrecher durch ein Lösegeld erlösen kann,
so zahlt sie dieses für ihn und läßt sich dann als Asketin in einer
Zelle nieder, während der von ihr befreite Verbrecher als Diener
für sie sorgt. Der Schwager der Frau, der nach der Rückkehr
des bekümmerten Gatten, diesem die Verschuldung seiner Frau
mitgeteilt hat, bekommt als Strafe einen Krebsschaden im Gesicht,
und da sich der Ruf der frommen Wunderfrau mittlerweile aus-
gebreitet hat, rät der betrogene Ehemann seinem Bruder, zu jener
Frau zu gehen, um Heilung zu finden. Die Frau zwingt ihn dann,
in Gegenwart des Gatten sein Vergehen zu bekennen, so wie sie
auch ihre übrigen ungerechten Verleumder entlarvt.
Auch diese Erzählung ist weit verbreitet und hat mannigfaltige
Varianten, auf die ich, obwohl uns das aus unserem gegenwärtigen
Zusammenhang herausführt, noch etwas näher eingehe, zumal uns
eine Form dieser Erzählung wieder zu einem Seitenzweig der Ana-
gnorismenüberlieferung, dem spanischen Cifar-Roman zurückführt,
wie denn ja überhaupt, im weiteren Sinn, auch unsere Erzählungen
dem Anagnorismentyp angehören.
Eine zweite, der eben skizzierten sehr ähnliche Geschichte
findet sich bemerkenswerter Weise in einer zweiten Sammlung,
die uns schon einmal beschäftigt hat, nämlich der Erzählung von
dem König Schäh-Bacht und seinem Vesir Er-Rahwän. Der Haupt-
gang der Erzählung (die Geschichte von der rechtschaffenen Frau,
die von dem Bruder ihres Gatten der Unzucht beschuldigt wurde,
Henning XVIII 187) ist auch hier derselbe, nur ist der Ehemann
kein israelitischer Kadi mehr, sondern ein Mann aus Nischäbür,
der eine Pilgerfahrt unternimmt und seinem Bruder Geschäft und
Frau anvertraut. An Stelle des Beduinen steht ein Wandersmann,
der die Frau in sein Haus aufnimmt. Die Intrige gegen die Frau
wird hier von dem Sohn des Hauses angezettelt, der einen Dieb
besticht, die Aussage zu machen, daß die Frau mit ihm sich in
das Komplot eines Diebstahles eingelassen habe. Die Frau befreit
einen Menschen, der seine Steuer nicht bezahlen kann, vor Miß-
handlung. Dieser wiederum, mit seinen Liebesanträgen von ihr
abgewiesen, erhebt gegen sie die falsche Anklage einer Spionin.
Um den vielfachen Plackereien zu entgehen, legt die Frau das
Gewand eines Gottesmannes an, kommt an den Hof eines Königs
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 537
und scUießt Freundschaft mit der Tochter des Königs, die darüber
in ungerechten Verdacht kommt und nach dem Tode ihres Vaters
ermordet wird. Die verkleidete Asketin. der es natürlich leicht
gelingt, ihre Unschuld zu beweisen, macht man dann aus Reue zur
Herrscherin des Landes. Dann kommen zufällig ihre sämtlichen
Verfolger und die Königin vollzieht ihre Entlarvung. Die Er-
zählung scheint sich hier bereits reichlich kompliziert zu haben.
Das Motiv von dem verkleideten Mädchen, in das sich eine Prin-
zessin verliebt, ist bekanntlich weit verbreitet. Man vergleiche
auch hier z. B. die Erzählung von Kamar es-Samän und der
Prinzessin Budür. Daß die Frau schließlich Königin wird, er-
innert wieder an den von uns verfolgten Anagnorismenroman.
Eine dritte Erzählung dieser Sippe erscheint in der türkischen
Bearbeitung des Papageienbuches (Tuti-Nameh) als Geschichte der
Merhüma (übersetzt von Rosen I 89, vgl. dazu auch Parallelen aus
einigen Handschriften und Ausgaben von 1001-Nacht bei Chauvin
VI 155). Sie stimmt mit der ersten gegen die zweite überein,
doch zeigt sie wiederum neue Züge. Ein Sclave des Beduinen
schlachtet, um sich für die Abweisung seiner Liebesanträge zu
rächen, das Söhnchen des Beduinen und beschuldigt die Merhüma
des Mordes. Ein Jüngling soll, weil er die Kopfsteuer nicht zah-
len kann, gehängt werden und wird durch die Frau vom Tode
befreit. Er folgt ihr als unerhörter Liebhaber und — hier nimmt
die Geschichte eine andere Wendung — verrät und verkauft sie
an einen Schiffsherm (Motiv des ungerechten Schiffsherrn) als
dessen Sclavin. Von dessen unsittlichen Anträgen rettet sie ein Schiff-
bruch. Die ganze Besatzung des Schiffes kommt um. Die Frau wird
mit dem Schiff und seiner Goldlast ans Land getrieben, übergibt
ihre Schätze dem dortigen König und läßt sich von diesem eine
Klosterzelle bauen. Zur Heiligen im Kloster kommen schließlich
Gatte, Schwager und alle anderen, die übel an ihr gehandelt haben,
und beichten ihr. Ein Beamter des Königs protokolliert verborgen
deren Beichte und so wird die Unschuld der Frau ans Licht ge-
bracht. Wir sehen nunmehr also ganz deutlich, woher in dem
spanischen Cifar-Roman die Erzählung von der Gründung des
Klosters Orbin durch die Frau des Ritters stammt, und daß auch
hier die mittelalterliche Novelle nicht frei erfunden, sondern ein
neues orientalisches Motiv eingefügt hat. (Zu der Erzählung wäre
außerdem vielleicht noch als Parallele die Geschichte „das schiff-
brüchige Weib" Henning IX 18 heranzuziehen, die wiederum in
dem jüdischen Legendenkreis unmittelbar neben der hier an erster
Stelle behandelten, ihren Platz einnimmt).
538 W. Bousset,
Als vierte Erzählung stelle ich die von der schönen Repsima
hierher, die in einigen Ausgaben von 1001 -Nacht Aufnahme ge-
funden hat, ohne doch bisher handschriftlich bezeugt zu sein und
deren Kenntnisse ich Chauvin VI 159 verdanke. Ein Kaufmann
von Basra verheiratet seine Tochter an einen Kaufmann, der eine
Reise nach Indien macht und seine Frau seinem Bruder anempfiehlt.
Da dieser mit seinen Liebesanträgen von ihr abgewiesen wird,
schaiFt er heimlich einen Mann in ihre Kammer, überrascht sie
scheinbar mit herbeigeholten Zeugen und beschuldigt sie des Ehe-
bruchs (vgl. den Anfang der Sage vom Kaiser Octavian). Man
verurteilt die Frau zum Tode und vergräbt sie bis zur Brust in
die Erde, an einer großen Straße. Ein arabischer Räuber befreit
sie und vertraut ihr die Fürsorge seines kleinen Sohnes an. Ein
von ihr zurückgewiesener Schwarzer tötet das Kind und beschul-
digt die Repsima des Mordes. Aus dem Hause getrieben, wandert
sie weiter, befreit einen Sclaven, den man gerade verkaufen will,
dieser verrät sie, wie in der Erzählung des Tuti-Nameh. Ein Un-
wetter rettet sie und wirft sie an den Strand eines Landes, wo
eine Königin regiert. Sie wird, als diese stirbt, zur Herrscherin
des Landes erwählt, und zugleich verbreitet sich ihr Ruf als der
einer großen Wundertäterin. An ihren Hof kommen schließlich
alle ihre Verfolger, die durch das göttliche Strafgericht von irgend
einem Leiden getroffen sind, und müssen ihre Schuld bekennen.
Repsima wird mit ihrem Gatten, der ebenfalls dorthin gekommen
ist, schließlich wieder vereinigt.
Somit hätten wir das Motiv der Schwagerliebe und Schwager-
Verleumdung, durch das die Einheitlichkeit des clementinischen
Anagnorismen- Romans gestört erscheint, in einer Reihe von Er-
zählungen nachgewiesen, deren Wurzel bei ihrer weiten Verbreitung
recht tief hinab zu reichen scheint. Freilich hätte der Kompilator
des clementinischen Anagnorismen-Romans sich nur die ersten An-
fänge der Geschichte für seine Erzählung angeeignet, da er weiteres
für den Verlauf derselben nicht gebrauchen konnte. Und so muß
zugestanden werden, daß für unsere Vermutung sich der über-
zeugende Nachweis nicht erbringen läßt. Immerhin mag darauf
hingewiesen werden, daß die beiden Erzählungen von dem
jüdischen Kaufmann, der sein Weib und seine beiden Söhne verlor
(s. 0. Nr. 4), und der Frau, die von ihrem Schwager unschuldig ver-
leumdet wird, sich neben einander in demselben jüdischen Legenden-
kreis finden, und daß gerade in der jüdischen Anagnorismen-Novello
das Motiv des Flußüberganges und des Raubes der Kinder durch
die Tiere, mit dem geläufigeren des Schiffbruchs vertauscht ist (s.o.).
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 539
Dürfte man annehmen, daß jene jüdische Legendensammlung, die
uns in 1001 -Nacht erhalten ist, mit ihren zahlreichen Parallelen
in der tJberliefemng der jüdischen Midraschim und des Talmud (s. o.)
in ihrer Grundlage bereits in den ersten christlichen Jahrhunderten
existierte und von einem jüdisch-hellenistischen Novellisten bei
der Erzähinng eines Anagnorismen-Romans benutzt wurde, der dann
in die Clementinen aufgenommen ist?
Es kann immerhin noch auf einige weitere Verwandtschaften
zwischen dem von uns behandelten Erzählungskreise und der Wieder-
erkennungs-Fabel der Clementinen hingewiesen werden. Die Figar
des Faustus, eines Mannes aus kaiserlichem Hause, der, nachdem
er Weib und Kinder verloren hat, in der Welt als Bettler uner-
kannt umherzieht und sich fürchtet, seinen wahren Namen zu
nennen, um nicht wieder zu der alten Ehrenstellung emporgehoben
zu werden (Hom. XIV 10), erinnert in der Tat sehr stark an die
Gestalt des Feldherrn in der Placidas-Legende. In dem von uns
behandelten Erzählungskreis spielte fast überall das Motiv der
von der Frau bewahrten Keuschheit eine große Rolle. Auch in
der clementinischen Erzählung hält Petrus (vgl. Hom. XIII) eine
lange Lobrede auf die Sophrosyne der Mattidia und preist sie, daß
sie ihre Keuschheit nicht nur gegenüber den Nachstellungen ihres
Schwagers, sondern auch späterhin als arme Bettlerin gewahrt
habe. Auch in den Clementinen beginnt die Wiedervereinigung
der Familie damit, daß die Söhne sich mit der Mutter zusanmien
finden. Und selbst der Zug ist hier erhalten, daß Faustinus und
Faustinianus der Mutter ihre Geschichte erzählen, obwohl aller-
dings die Wiedererkennung nicht mehr durch die Erzählung herbei
geführt wird. Freilich ist in unserer Schrift diese ganze Wieder-
erkennungsscene arg kompliziert und entstellt. Aus dem einen
Anagnorismos sind in Folge der Einschiebung der Person des Clemens
zwei geworden: einmal die Wiedererkennung des Clemens durch
seine Mutter auf der Insel Aradus und dann die Wiedererkennung
der beiden anderen Brüder in Laodicea. Doch hat bereits Werner
Heintze in trefflicher Weise klar gestellt (S. 126 ff.), daß die beiden
Anagnorismen eine Dublette sind und daß in der ursprünglichen
Erzählung nur eine Wiedererkennungsscene zwischen der Mutter
und den beiden Söhnen auf der Insel Aradus stattgefunden hat.
Vielleicht können wir durch diesen Vergleich auch noch ein wei-
teres Rätsel in der Komposition der Clemens-Erzählung lösen. Es
fiel bei der Darstellung von dessen Gang bereits auf, daß in der
zweiten Wiedererkennungsscene in dem Augenblick, als Nicetas
und Aquila sich als Faustinus und Faustinianus kundgeben, die
540 W. Bousset,
Mutter, die vorher als anwesend gedacht wurde, plötzlich sich in
ihr Schlafgemach zurückgezogen haben soll. Erst nach längeren
Vorbereitungen des Petrus stürzen die Brüder dann in das Gremacb
hinein und geben sich zu erkennen. Hier scheint in der Tat in
der Komposition ein Fremdkörper vorzuliegen. Nun erinnern wir
uns des charakteristischen Zuges bei vielen Grliedern des von uns
behandelten Erzählungskreises, daß die Mutter in einem Gemach
resp. in einer Kiste eingeschlossen die Erzählung der beiden
Brüder draußen vor der Tür mit anhört, und daß die Brüder dann
die Tür, die zum Gemach ihrer Mutter führt, erbrechen, oder zu
erbrechen suchen. Sollte jene Unstimmigkeit in der Erzählung
des Clemens-Romanes darauf hindeuten, daß dem Verfasser des-
selben noch eine derartige Erzählung als Vorbild vorgeschwebt
hätte? Auch läßt sich darauf hinweisen, daß in der Tat bei dem
ersten Anagnorismos (Clemens und Mattidia) die Wiedererkennung
durch die einfache Erzählung des Geschickes der Familienmitglieder
herbeigeführt wird. Nur ist hier nicht der Zug erhalten, daß die
Mutter im Verborgenen der Erzählung ihrer Söhne lauscht, son-
dern hier ist die Figur des großen Wundermannes Petrus einge-
schoben, der sich zuerst von Clemens und dann von Mattidia ihre
Geschichte erzählen läßt und so Mutter und Sohn zusammenführt.
Endlich mag noch darauf hingewiesen werden, daß wenigstens nach
der Darstellung der Recognitionen die letzte Wiedererkennungs-
scene zwischen dem Vater und den Seinen in großer öffentlicher
Versammlung und mit feierlichem Gepränge erfolgt. Ein Zug, der
auch in dem von uns behandelten Erzählungskreise sehr häufig
wiederkehrt.
Somit kann in der Tat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
behauptet werden, daß auch die Anagnorismen-Novelle der Clemen-
tinen ein allerdings sehr entartetes Glied unserer Erzählungssippe
darstellt. Wir konnten fast Punkt für Punkt den Gang der Er-
zählung aus jenem älteren Typus ableiten. Es wäre dieses Resul-
tat ein sehr wesentliches für die Bestimmung der Zeit, in der das
orientalische Märchen im Westen wirksam geworden wäre. Eins
aber mag noch zum Schluß hervorgehoben werden. Ihrer ganzen
Art und allgemeinen Haltung nach unterscheidet sich die Novelle
stark von den meisten übrigen Gliedern unseres Erzählungskreises,
namentlich den älteren und sicher dem Orient angehörenden. Die
Erzählung ist dort viel einfacher, schlichter und kürzer, hier viel
stärker mit Einzelzügen ausgestattet und viel kunstvoller behandelt.
Es zeigt sich deutlich in ihr der Geist der hellenistischen Novellistik.
Wir sagten schon oben, es wird ein jüdisch-hellenistischer Novellist
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 541
gewesen sein, der von griechischem Geisteseiofluß berührt, aus
dem Schatz jüdischer orientalischer Volksüberlioferung den clemen-
tinischen Anagnorismen-Roman zusammengewoben hat.
Wir stehen damit am Ende der langen Untersuchung. Die
Wanderung unseres Wiedererkennungsmärchens von Osten nach
Westen hat sich uns in ihren einzelnen Etappen enthüllt. Wir
konnten mit aller Wahrscheinlichkeit ihren Ursprung bis nach
Indien zurückverfolgen. Hier fanden wir in Erzählungs-Sammlungen,
die dem fünften und wohl schon dem vierten nachchristlichen Jahr-
hundert angehören — also einer Zeit, die viel früher ist. als bei
sämtlichen andern Gliedern unserer Gruppe nachgewiesen werden
konnte — , unsere Erzählung und zwar bereits in einer Umarbeitung,
die deutlich asketisch-buddhistische Tendenz verrät. So wird es sehr
wahrscheinlich, daß die von Ogden nachgewiesenen Märchen aus
Kaschmir und dem Pendschab, die den Charakter des ursprüng-
lichen Märchens viel getreuer erhalten haben, mit leichter Um-
wandlung direkt der alten indischen, vorbuddhistischen Volks-
erzählung entstammen. Dann ist die Erzählung durch das Medium
der persischen Literatur zu den Arabern gewandert und taucht
so, wie so vieles andere indopersische Gut in 1001-Nacht an
mehreren Stellen auf. Ob sie aus der persischen Literatur direkt
nach Armenien kam, oder ob hier die spätere syrische Literatur,
in der sie bisher nicht nachgewiesen wurde, die vermittelnde Rolle
spielte, mag dahin gestellt bleiben. Mit dem Islam (oder dem
Judentum?) ist sie dann über Nordafrika gewandert, wir finden sie
hier in den Volkserzählungen der berberischen Stämme wieder. So
ist sie auch nach Spanien gekommen, der Roman des CavaUero
Cifar will seinen Stoff aus dem chaldäischen (arabischen) entlehnt
haben. Wahrscheinlich ist es dann auch der Islam gewesen,
dessen Einfluß die Verbreitung der Erzählung in den mittelalter-
lichen Dichtungen französischer, englischer, deutscher Sprache zu
verdanken ist. Um andere aus l(X)l-Nacht wohlbekannte Motive
(Raub des Goldes, Edelsteines durch den Vogel, Verkauf der Frau
als Sklavin) vermehrt, spielt unser Wiedererkennungsmärchen eine
hochbedeutende Rolle und hat die Literatur weithin beeinflußt
und befruchtet.
Es muß aber von der indopersischen Literatur, schon bevor
der Islam sie übernahm, eine frühere große Welle nach dem Abend-
land gedrungen sein. Vermutlich war der Hauptträger dieses
Wanderungsprozesses das Judentum, das sich in Babylon mit dem
542 W. Bousset,
Orient berührte. Beweis dafür ist vor allem die Achikarlegende^
die sicher bereits im vierten vorchristlichen Jahrhundert dem
ägyptischen Judentum bekannt war, die aber ebenso sicher nicht
im Judentum heimisch ist, sondern aus dem Orient stammt und
nach den Nachweisen Benfeys (kleinere Schriften II 156 fF.) und
Cosquins (Revue Biblique VIII) Motive in sich enthält, die sich
ursprünglicher in der indischen Literatur wiederfinden. Auch im
Tobit-Buch ist eine der bekanntesten Wanderlegenden, diejenige
vom dankbaren Toten, aufgenommen und vom Standpunkt jüdisch-
monotheristischen Empfindens bearbeitet. So begegnet uns auch
unsere Anagnorismen-Fabel in jüdischer Überlieferung ; einmal selb-
ständig im späten Dekalog-midrasch, dann in einem in die 1001-
Nacht aufgenommenen, ursprünglich jüdischen Legendenkreis, dessen
Alter dadurch bestimmt wird, daß fast alle seine Glieder bereits
in der Überlieferung der Mischna und des Talmud nachgewiesen
werden können und daß eins der Stücke, die Legende vom Tod
und dem König (dem reichen Mann), in das Zeitalter unserer
Evangelienliteratur zurückzureichen scheint. So erst erklärt sich,
daß unsere Wiedererkennungsfabel in einer christlichen Märtyrer-
erzählung, der Placidas-Legende erscheint, die mit Sicherheit in
das vorislamische Zeitalter gehört. Und hier ist nun unser
Wandermärchen kompiliert mit der wohl ebenfalls aus dem
Orient stammenden schönen Hirsch-Legende und einem Mar-
tyrium, das in der Zeit der römischen Kaiser Trajan — Hadrian
gespielt haben soll. Eine ähnliche Erscheinung liegt nun wahr-
scheinlich endlich auch in den Pseudoklementinen vor. Auch in
ihnen finden wir unsern Anagnorismen- Roman in einer stark abge-
änderten komplizierten Form.' Dafür, daß hier Einfluß jüdisch-
hellenistischer Überlieferung vorliegt, spricht erstens der allgemeine
Charakter des pseudoklementinischen Schriftenkreises, zweitens, daß
die beiden Erzählungen (Anagnorismen-Novelle; Schwagerliebe und
Schwagerverleumdung), die hier mit einander verwoben zu sein
scheinen, in jenem jüdischen Legendenkreis der 1001-Nacht tat-
sächlich nebeneinander stehen, drittens, daß der Wegfall des
charakteristischen Motivs des Flußübergangs und sein Ersatz durch
das des Schiffbruches sich gerade auch in der jüdischen Legende
jenes Erzählungskreises vorfand. Die Umwandelung des Haupt-
helden in einen vornehmen römischen Patrizier in der Novelle der
Pseudoclementinen erinnert endlich an die Gestalt des römischen
Feldherrn Placidas, so daß auch hier verborgene Beziehungen vor-
liegen könnten.
So stellte sich uns nach allen Seiten unsere Fabel und ihre
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 543
Wanderong als ein Musterparadigma dar für allgemeine Gesetze
der Wanderung von Erzählungen vom fernen Osten zum Westen,
von der vorbuddliistischen-indischen bis in die mittelalterlich euro-
päische Literatur.
VUI.
Von unserer Untersuchung fällt endlich auch ein Licht auf
die von Wilhelm Meyer erhobene Frage nach dem Verhältnisse
der griechischen Rezension der Placidas -Legende in den Acta Sanc-
torum (September Bd. 6) zu der durch sein Verdienst erst recht
eigentlich bekannt gewordenen kürzeren lateinischen Rezension
im Codex Casinensis und den verwandten Zeugen (s. o. S. 472).
W. Meyer tritt in seinem Aufsatz mit aller Energie für die Pri-
orität dieser kurzen lateinischen Rezension ein. Er führt zu Gunsten
dieser Annahme zunächst den allgemeinen Grund ins Feld, daß
wir es in der Placidas-Legende mit einem lateinischen Martyrium
zu tun haben, das auf lateinischem resp. römischem Boden spiele,
und daß deshalb schon a prirori die Wahrscheinlichkeit groß sei,
daß die Legende zuerst in lateinischer Sprache aufgezeichnet und
dann ins Griechische übertragen sei. Dieser Grund scheint mir
aber doch nur stichhaltig zu sein bei wirklich historischen Marty-
rien oder bei solchen, in denen ein erreichbarer historischer Kern
steckt. Die Placidas-Eustachius- Erzählung aber trägt den aus-
gesprochenen Charakter der Legende und der Wander-Novelle.
Man könnte dagegen einwenden, daß das bestimmte Datum des
Martyriums und die Erwähnung der Erbauung eines evxri^oiov
oder einer Basilica am Schluß der Legende doch auf einen solchen
historischen Kern hinzudeuten scheint oder wenigstens auf den Kultus
eines Märtyrers, an den sich dann — eben in Rom — die Legende
angehängt hätte. Doch das kann bezweifelt werden. In Rom ist
wenigstens eine Basilica resp. ein Kult unseres Heiligen erst nach
dem achten oder nennten Jahrhundert (vgl. Zöckler, Artikel in der
theol. Realenzyklopädie s. v. Eustachius und die Ausführungen
der Bollandisten- Ausgabe Sept. VI p. 122 No. 72-75). Andererseits
war unser griechisches Martyrium im Osten bereits dem Johannes
Damaskus bekannt. Überdies schwankt das Datum des Martyriums,
die griechische Rezension bietet in Übereinstimmung mit sämtlichen
älteren griechischen Menologien (vgl. Einleitung der Bollandisten-
Ausgabe p. 1 14) den 20 September ; gerade im Abendland schwan-
ken die Ausgaben beträchtlich (s. ebendort) ; die kürzere lateinische
Rezension des Casinensis hat den 20. Mai. — Es wäre durchaus mög-
lieb, daß erst aus einer im kirchlichen Osten entstandene Legende eines
544 W. Bousset,
erdichteten römischen Märtyrers der Kult der heiligen Eustachius
in Rom entstanden sein könnte.
Ja, es könnte selbst die Frage erhoben werden, ob in der ur-
sprünglichen Placidas-Eustachius-Legende das Martyrium des Helden
überhaupt in Rom stattgefunden habe. In L. heißt es freilich
ausdrücklich: regressi sunt cum magno triumpho in patriam Ro-
manorum (c. 27), aber der Satz fehlt in G, wo nur — wie in L —
erwähnt wird, daß der römische Kaiser dem siegreichen Eeldherrn
— es bleibt undeutlich, wohin und von wo aus — entgegen ge-
zogen sei. In G findet sich andererseits allerdings der Satz :
djg £&og iötlv 'Pco^aCovs inivlKiov ioQtijv riyav, der seinerseits in L
fehlt. Sonst bleibt man völlig im Unklaren darüber, wo die ganze
Begebenheit sich abspielt. Außerdem lesen wir zu unserem Er-
staunen zum Schluß in Gr (20), daß beim Martyrium des Helden :
6vvriQi8To Ttäv tö Tckfjd-og XGJV jtiöT&v xal tS)v '^Ekkrjvav (!) d'ed-
Gaö&ai. — Die Auffassung, daß der siegreiche Feldherr eines
römischen Heeres auch in Rom im Triumph eingezogen sei und
dort sein Martyrium stattgefunden habe, konnte sich natürlich
leicht in eine Erzählung einschleichen, die urspünglich im Osten
spielt.
Doch will ich hierauf kein Grewicht legen und nur noch ein-
mal betonen, daß wir durchaus keinen Grrund haben, irgend ein
historisches, römisches Martyrium als G-rundlage unserer Legende
anzunehmen.
Wir werden jedenfalls die Texte der beiden Rezensionen selbst
auf ihre Priorität zu prüfen haben unter der Voraussetzung, daß
sich hier apriorisch gar nichts entscheiden läßt. Nun hat W. Meyer
aus diesem Vergleich den Gesamteindruck erhalten, daß der kürzere
lateinische Text wohlgeordnet und gut erzählt sei, und daß der
griechische Text erweitert und mit den üblichen rhetorischen
Mitteln aufgeputzt sei. Ich will nicht leugnen, daß G. in der
Tat an vielen Stellen im Vergleich mit L. den Eindruck hervor-
ruft, den W. Meyer so bestimmt formuliert, und will meinerseits keines-
wegs demgegenüber für die unbedingte Priorität von G. eintreten.
Aber ich möchte doch verschiedene Bedenken erheben und nach-
weisen, daß L. an einer Reihe von Punkten sicher sekundär ist.
1. Ich beginne mit einem m. E. entscheidenden Punkt. Nach G.
(s. 0. S.473) richtet der ihm erschienene Christus au Placidas die Frage,
ob er sein ihm geweissagtes trübes Geschick vvv t) knl iöxccTcov t&v
'fj^EQ&v auf sich nehmen wolle. Placidas entscheidet sich für das
vvv, und so beginnt das Unglück sofort hereinzubrechen. W. Meyer
275 hält auch diesen Sonderzug für sekundär und rechnet ihn der
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 545
„geschwätzigen U. Fassung" zn. Sicher mit Unrecht. Denn wir
haben hier einen Zug, der in der gesamten Überlieferung unserer
Wanderlegende eine gewisse Verbreitung zeigt. Er fand sich nicht
nur in der Sage vom Ritter Ysambrace und im „Grafen von
Savoyen" wieder — auch hier könnte man ja kaum mit einem Einfluß
der Placidas-Legende in ihrer griechischen Form rechnen — ,
sondern auch in einer ganz selbständigen armenischen Erzählung.
Der Zug gehörte also der ursprünglichen Legende an, und (r, der
ihn erhalten hat, erweist damit seine Priorität an diesem Punkt
in unzweifelhafter Weise. Oder sollte man wirklich annehmen,
der ursprünglichen Placidas-Legende habe jener Zug gefehlt und
er sei erst aus irgend einer verwandten Überlieferung in Gc. wieder
eingedrungen? Das wäre doch ein merkwürdiges Spiel des Zufalls!
2. Ich füge gleich einen zweiten wichtigen Beweis für die
Überlieferung von Gr. hinzu, auf den ebenfalls schon in der vorher-
gehenden Untersuchung hingewiesen wurde. In G. c. 7. schließt die
Weissagung des dem Placidas zum zweiten Mal erscheinenden
Christus (unmittelbar vor der eben besprochenen Scene) mit den
Worten: orav yag taTisivco&fig, iXavcoyLui Ttgög 6s xul TcäXiv dnoxara-
etijöGj 6B SV tri Tigozigu Gov öötri. L. hat hier noch hinzugefügt:
donec pervenias ad martyrii triumphalem coronam. Auch hier ist
L. sicher sekundär. Wir sahen oben bereits, wie an die Anagno-
rismen-Novelle der Legende das Martyrium des Placidas-Eustachius
ganz oberflächlich angehängt ist. G. läßt die äußerliche Kompi-
lationsarbeit noch deutlich erkennen. Der Kompilator hat selbst
an dieser Stelle, wo wir einen solchen Hinweis notwendig erwarten
sollten, die Erwähnung des Martyriums vergessen. G. repräsentiert
also den ursprünglichen Text. L. hat den Mangel bemerkt und
die Unebenheit ausgeglichen (während er die folgende ihm ganz
unverständlich und überflüssig erscheinende Scene [s. o. Nr. 1] weg-
ließ). Oder wie wollte man es umgekehrt erklären, daß der im
Zusammenhang so notwendige Satz L's, wenn er ursprünglich der
Legende angehörte, in G. fortblieb?
Ich gehe nun der Reihenfolge der Erzählung nach und notiere
noch folgende Instanzen für die Priorität von G.
3. L. charakterisiert im Anfang nach dem besseren Text den
Placidas mit den Worten: natus secundum camem gloriorissimus ;
die Casinenser Handschr. (über ihr Verhältnis zu den übrigen s. W.
Meyer 270 f.) ersetzt den ungefügen Text durch einfaches nobi-
lissimus. Sollte in L. nicht eine ungeschickte Übersetzung von G.
yivovg Tot) '/caxä öügxa inidöi,ov vorliegen?
546 W. Bousset,
4. L. fügt § 5 zu dem Satz : „et veniens magister militum
indicavit haec mulieri" noch vel filiis suis hinzu. Gr. hat den Zu-
satz nicht, und schwerlich ist der Erzähler der Legende so unge-
schickt gewesen, daß er annahm, der Vater habe bei der Be-
sprechung mit seiner Grattin seine im zartesten Alter befindlichen
Kinder hinzugezogen.
5. Sollte der Grieche zu L. § 6 den Namen der Frau vor
der Taufe Taxiavri aus freier Erfindung hinzugefügt haben? Warum
erfand er dann nicht auch Namen für die Söhne?
6. Gr. erwähnt ausdrücklich, daß Placidas sich nach den ersten
Unglücksfällen Big dvaxsx(OQi<3^£vov xönov zurückzieht, nnd daß
Räuber ihn daselbst ausplündern. L. läßt den Rückzug in die
Einsamkeit fort und erwähnt nur die Räuber. Der von G. erhal-
tene Zug steht im Zusammenhang der Placidas-Legende ziemlich
ungeschickt da. Er wird aber bestätigt durch die parallelen Er-
zählungen, in denen die Räuber den in die Steppe oder Wüste
geflohenen König ausrauben (s. o. S. 479). Der gemeinsame Grandstock
der Wanderlegende hat sich hier gerade, wie wir bereits nachwiesen,
bis in die Einzelheiten erhalten.
7. Zu dem Sonderzug in G. (9), daß Placidas bei einem großen
Siegesfest hätte zugegen sein sollen ara 6rQccT7]lccTtjv ovto; xul
TCQciTov rfjg evyxktjtov (fehlt in L.), vergleiche man das oben S. 522
über die anglolatinische Version der Legende Ausgeführte.
8. Das Motiv in G, daß der Schiffsherr wegen der großen
Schönheit der Frau in Liebe zu ihr entbrennt, läßt L. ganz fort,
es ist aber im Zusammenhang beinahe unentbehrlich.
9. L. § 20 beginnt (nach der Textkonstruktion von W. Meyer)
mit dem ungefügen unverständlichen Satz (quo dicto) haec omnia
nota facta sunt in bis locis (ex eo vel de jussione imperiali). Der
Casinensis hat die eingeklammerten Worte fortgelassen. W. Meyer
urteilt aber selbst von den letzten Worten: „Sie sind die verderbten
Reste eines Satzes, den die n. Fassung erhalten hat" und stellt
die Worte aus G. daneben. Aber ist nicht damit das Zugeständnis
gegeben, daß L. den ursprünglichen Text — hier bis zur Unver-
ständlichkeit — gekürzt habe?
10. Daß der Vater seine Söhne, bevor er sie wiedererkennt,
nach G. c. 16 zu Tischgenossen macht, (ixeksvösv ainovg ^srexsiv tfig
TQUTti^rjg ciVTOv övvsöriovg avtov? xaraöttjöag) während sie nach
L § 20 Centurionen werden, dürfte das Ursprüngliche sein. In
mehreren der Nebenüberlieferungen erscheinen die beiden Knaben
als Pagen und Vertraute des Königs. L. hat die Erzählung dem
Milieu entsprechend umgestaltet und wahrscheinlicher gemacht.
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 547
11. Von der Mutter heißt es L. 16 nur, daß sie an ihrem
neuen Aufenthaltsort nach dem Tode des Schiffsherm: absoluta
est ad faciendum, quod illi placeret. In G. c. 16 wird erzählt, daß
sie in dem Garten eines der Dorfbewohner sich in einem Zelt
niedergelassen, um dort die Früchte zu bewachen. Davon hat L.
nichts erhalten. Ihm war wohl der zu einer orientalischen Er-
zählung so passende Zug von dem Wächter (der Wächterin) im
Felde (Jesaia I s : Eine Hütte im Weinberge, eine Nachthütte im
Gurkenfelde) nicht mehr durchsichtig, so ließ er ihn fort. Aber
Zelt und Garten werden nun in L § 22 doch wieder erwähnt und
zwar ohne alle nähere Erklärung: et ecce illi duo juvenes ingressi
sunt in quendam(?) hortum, qui erat juxta tabernaculum, in quo
assistebat mulier. Wie unklar ist hier die Erzählung in L ! Und
die ganze Unklarheit rührt daher, daß L. durch die Kürzung in
§ 16 keine klare Vorstellung von der Art und Weise gibt, in der
die Mutter der beiden Söhne an dem betreflPenden Orte wohnt.
12. Überhaupt ist die ganze Wiedererkennangsscene zwischen
der Mutter und den beiden Söhnen bis zur vollkommenen Un-
verständlichkeit gekürzt. Ich habe die Erzählung oben S. 475
nach G. gegeben. Hier ist alles deutlich und klar. L. vermerkt
zunächst nicht, daß Placidas auf seinem Feldzuge gerade" an den
Ort kommt, an dem seine Frau weilt. Er erwähnt ferner nicht,
daß der Feldherr im Dorfe Rast macht, seinen Pavillon in der
Nähe des Gartens der Frau aufschlägt, daß die beiden Jünglinge
als seine Tischgenossen (s. o.) in seiner Nähe Quartier bekommen,
eben in dem Zelte ihrer Mutter. Er speist uns mit folgenden
mageren Andeutungen ab: donec pervenit (sc. Placidas) in vicum
... et erat in ipso loco mulier eins adsistens ad fenestram tabernaculi(?),
ut videret exercitum applicantem, et ecce illi duo juvenes, qui erant
centuriones, ingressi sunt in quendam hortum (?), qui erat juxta
tabernaculum (?), in quo adsistebat (?) mulier, quae per fenestram
intuebatur eos. So schreibt kein erster Erzähler einer frischen
und ursprünglichen Legende. Hier hat ein Redaktor bis zur voll-
kommenen Unverständlichkeit gekürzt.
13. Der Ort, an dem der Anagnorismos stattfindet, liegt nach
G. am Fluß Hydaspes, nach L. kommt der Feldherr zur Donau.
W. Meyer sieht hier eine Änderung der II. Fassung. Aber wie
sollte selbst ein griechischer Redaktor auf den Einfall gekommen
sein, den indischen Hydaspes-Fluß in die Erzählung hineinzu-
bringen, wenn ursprünglich der bekannte Donaufluß in der Legende
genannt war?!
548 W. Bousset,
Dem Herausgeber des Bollandisten-Textes hat jene geogra-
phische Aufgabe übrigens großes Kopfzerbrechen gemacht. Er
kann sich nicht denken, daß der römische Feldherr zum indischen
Hydaspesfluß (Horaz Oden I 22,8: quae loca fabulosus lambit
Hydaspes) gelangt sei. Daher will er lieber einen medischen Hy-
daspes annehmen (Vergil Georg IV. 211, Medus Hydaspes), den es
jedoch kaum — im Unterschied vom indischen — gegeben haben
dürfte. Man sieht aus diesen Überlegungen, wie schwierig die
Annahme ist, daß ein griechischer Abschreiber den fernliegenden
Fluß Hydaspes in die Legende hineingebracht haben könnte. Wir
werden doch besser tun, wenn wir den Hydaspes der ursprüng-
lichen Legende belassen und in dieser Notiz eine Andeutung auf
den orientalischen Ursprung ihrer Anagnorismen-Novelle vermuten.
14. In der Wiedererkennungsscene der beiden Brüder wird
Gr. 17 ein Unterschied zwischen dem älteren und dem jüngeren
Bruder gemacht. Der ältere Bruder hat die genaueren Erinnerun-
gen ; er erzählt daher ausführlicher ; der jüngere Bruder weiß sich
nur noch zu erinnern, daß die Dorfbewohner erzählten, sie hätten
ihn von einem Wolf errettet. (Hier muß übrigens wahrscheinlich
der Text von Gr. aus dem Text des längeren sonst mit G. eng
verwandten Lateiners ergänzt werden. Nach L.^ erzählt nämlich
der ältere Bruder, daß er gesehen habe, wie der jüngere von einem
Wolf geraubt sei, bevor er selbst vom Löwen ergriffen wurde.
Denn nun erst gewinnt die Antwort des jüngeren Bruders in G.
ihren Sinn und Zusammenhang : xal ol £{i£ yccQ avad-Qsxpd^svoL ravta
iioi sXsyov, ort ix Xvxov 6£ SQovöd^sd-a. Freilich stimmt mit alle-
dem nicht genau G. 10, wo der Vater zuerst sieht, wie der eine Sohn
vom Löwen, dann wie der andere vom Wolf geraubt wird). — L^ hat
nun bei der Wiedererkennungsscene alle diesen kleinen Züge fort-
gelassen. Aber er muß sie in seiner Quelle gelesen haben. Denn
nur so erklärt sich, daß er § 13 von dem vom Löwen geraubten
Bruder sagt: ignorans, quid actum esset de patre eins, — dagegen
von dem andern Bruder : ignorante puero, quid actum sit d e
patre vel fratre.
15. Nachdem die Mutter die Wiedererkennungsscene der
beiden Brüder belauscht hat, geht sie nach L. sofort (cito) zum
Feldherrn, nach G. erst am folgenden Tage. Ich glaube, daß L.
auch hier sekundär ist. Der Redaktor von L. war wahrscheinlich
der Meinung, daß zwischen beiden Ereignissen ein ersichtlicher
Zusammenhang bestehe. Er konnte es nicht begreifen, weshalb
die Frau noch einen ganzen Tag wartet, ehe sie die endgültige
Wiedererkennung herbeiführt. Tatsächlich soll nach dem Ursprung-
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 549
liehen Sinn der Erzählung das Kommen der Frau ein zufälliges
sein. Sie begibt sich (so gibt auch L. an) zum Feldherm, xun ihre
Befreiung aus der Gefangenschaft zm erbitten. Dabei findet sie
dann zufällig in jenem ihren Mann wieder. Wie diese ganze nicht
sehr geschickte Erfindung entstanden ist, wurde oben bereits er-
örtert. Damit, daß zwischen der ersten Wiedererkennungsscene
und dem abschließenden Anagorismos eine längere Frist verstreicht,
stimmt Gr. mit einer Reihe der übrigen Parallelen überein.
16. Das Gebet, das die Märtyrer vor ihrem Tode beten,
(G. 21, L. 32) ist in L. (W. Meyer 284) in weitgehender Überein-
stimmung mit G. erhalten. Aber der eine Zeuge für L., der Codex
Casinensis, läßt das ganze Stück fort. Darf man nicht urteilen,
daß dieser letztere Zeuge uns hier einmal ein Beispiel bietet, wie
im lateinischen Zweig der Überlieferung fortwährend gekürzt ist ?
Und wird man nicht doch vielleicht vorsichtig mit der Annahme
sein müssen, daß eine Reihe von Gebeten und ähnlichen Aus-
führungen in G. nur rethori scher Aufputz des griechischen Be-
arbeiters seien. (Vgl. z. B. G. 4 u. 7 ; ich mache nebenliei auf die
interessante Ansprache Jesu an Placidas G. 4 mit dem wiederholt
einzusetzenden iya aufmerksam).
Allen diesen Instanzen gegenüber, die für die Priorität von G.
gegen L. sprechen, will ich nicht verfehlen, auf eine eventuelle
Gegeninstanz hinzuweisen. Es wurde bereits oben darauf hinge-
wiesen, daß nach G. Placidas am Anfang seiner Geschichte auf
Grund einer vorherigen Aufforderung nach der Taufe an die Stelle
zurückkehrt, wo er das Bekehrungswunder erlebte. In L. fehlt
der betreffende Passus und das Zurückkommen des Placidas bleibt
völlig unmotiviert. Bei L. scheint die künstliche Nat, die hier
vorliegt, noch deutlicher sichtbar zu werden als in G. Und so
könnte hier eine spätere Bearbeitung in G. ausgeglichen haben.
So will ich mit allen vorgetragenen Erwägungen nicht die
unbedingte Priorität des Textes von G. behauptet haben. Es mögen
(t. and L. zwei Zeugen eines gemeinsamen Archetypus repräsen-
tieren. Aber ich glaube doch, daß G. diesem näher steht als L.
Nachtrag.
Während der Drucklegung dieser Arbeit wurde ich von meinem hiesigen
Kollegen Herrn Professor Behrens freundlichst auf die letzte Arbeit von Wendelia
Foerster, Kristian von Troyes, Wörterbach zu seinen sämtlichen Werken, Eo-
Kgl. Ges. d. Wiss, Nachrichten. PhU.-hist. Klasse. Heft 4. 38
5B0 W. Bousset,
manische Bibliothek 21, Halle 1914, S. 71, verwiesen. Hier nennt Foerster neben
der Arbeit Ogdens („nur zwei Kapitel aus einer großen nie erschienenen Arbeit")
die Abhandlung von G. H. Gerould in den Publications of the Mod. Language Assoc.
America XII (1904) 335—448.
Die vortreffliche und eindringende Arbeit Geroulds gibt mir zu wesentlichen
Änderungen meiner Aufstellungen keine Veranlassung. Auch sehe ich aus einem
Vergleich der beiden Arbeiten mit Freuden, daß das Material von mir ziemlich
vollständig zusammengebracht ist. Es bleibt nur eine verhältnismäßig unbedeu-
tende Nachlese. Abgesehen von zahlreichen Literaturangaben im einzelnen ver-
weise ich namentlich auf das von G. p. 369—371 unter Nr. 9 — 11 zusammengestellte
Material. Hier findet man noch zwei oder drei weitere Ausläufer unseres Märchen-
kreises : 1. Die dänische Ballade von Sakaris (Dannmarks gamle Folkeviser II
605 — 607, das einzige mir bekannte Beispiel, in welchem sich das Hirschmotiv
mit dem Wiedererkennungsmärchen, wie in der Placidas-Legende verbindet,
die letztere also als Quelle anzusehen sein wird. 2. u. 3. Eine brettonische Ballade
in doppelter Form. (Luzel, Chants populaires de la Basse-Bretagne 1868 I 179 flf.),
das mit einzelnen Motiven (Vogelstimme im Anfang, drei Söhne, von denen zwei
durch Tiere geraubt werden, einer ins Wasser fällt) am meisten an Ritter Ysam-
brace erinnert. (Von der von Gerould ebenda S. 370 erwähnten Hubertus-Legende
glaube ich in diesem Zusammenhang ganz absehen zu können). Außerdem hat
Gerould seine Aufmerksamkeit auf einige Nebenmotive, das des geraubten Schatzes
(p. 392 fi"., Stammbaum der in Betracht kommenden Erzählungen 405) und das
der Wahl zwischen dem Unglück in der Jugend oder im Alter (p. 424 ff. s. hier
von neuem die Verschlingungen dieses Motivs mit anderen) gerichtet und bringt
hier reiches und interessantes Material bei, das aber für die Hauptuntersuchung
kaum in Frage kommt.
Was die Beurteilung des Ganzen betrifft, so freue ich mich in dem Haupt-
punkt, mit G. zusammenzutreffen. Auch er nimmt an, daß die gesamte orientalische
Überlieferung unabhängig von der Placidas-Legende sei, daß diese ihre ursprüng-
liche Heimat in Indien habe, und daß also die Placidas-Legende nur ein Schößling
des gesamten Märchenstammes ist. Andererseits besteht er mit Nachdruck darauf,
daß die occidentalischen (mittelalterlichen) Erzählungen, Romanzen und Balladen
sämtlich von der Placidas-Legende abhängig seien. In Übereinstimmung mit Wagner
(Sources of El-Cavallero Cifar) nimmt er an, daß auch der spanische Cifar im
wesentlichen direkt aus der Legende geflossen sei (unter Betonung eines Nebenein-
flusses von Seiten Wilhelms von Englands p. 363, 417 ff.). Endlich behauptet er
die Abhängigkeit der anglolatinischen Gesta (s. o. Nr. 17) von der gewöhnlichen
Form der Placidas-Legende. Ich will gern zugeben, daß hier noch nicht alle
Einzelfragen gelöst sind. Auch fällt es nicht in meine Kompetenz, sie zu lösen.
Was aber die Hauptsache betrifft, die These von der Abhängigkeit sämtlicher
occidentalischen Erzählungen aus der Legende, so muß ich nach wie vor an meinen
Erwägungen und Resultaten festhalten. Es mag hier und da das eine oder andere
Glied des ganzen Kreises bereits von „Placidas" beeinflußt sein, aber es wird
nicht möglich sein, diesen als die Wurzel der gesamten occidentalischen Über-
lieferung anzusehen. Die Gründe, die G. p. 406 f. für seine Haupt-These beibewegt,
haben mich nicht überzeugen können und sind m. E. bereits im Voraus durch
meine Darlegungen erschüttert. Ich erwähne nur noch (gegen G. p. 407), daß die
Erzählung vom Raub der Söhne durch die Tiere keineswegs ein Zug ist, welcher
die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens. 551
der Placidas-Legende mit dem mittelalterlichen Kreis allein gemeinsam ist. Viel-
mehr findet er sich (wenigstens bei dem einen Knaben) auch in der indischen
Legende (Nr. 9) and im armenischen Märchen (Nr. 2).
Inhalt.
Einleitung S. 469—472
I. Die Eustachius-Placidas-Legende S. 472—477
IL 1. Die Schäh-Bacht-Erzählung in 1001-Nacht. 2. Ein armenisches
Märchen. 3. u. 4. Zwei jüdische Erzählungen (1001-Nacht, Deka-
log-Midrasch). 5. Ein algerisches Märchen. 6. Andere Parallelen
in 1001-Nacht. 7. Die 10 Vesire. 8. Abu Sahir S. 477—493
III. Der orientalische Kreis und die Placidas-Legende S. 493—500
IV. Die indischen Parallelen : 9. Patäcära. 10. Visrantara. 11. Da?a-
kumärasaritam. IIa. Märchen aus Kaschmir und Pendschab. . S. 501 — 507
V. Der occidentalische Kreis: 12. Wilhelm von England. 13. Die
gute Frau. 14. Ritter Ysambrace. 15. Der Graf von Savoyen.
16. Wilhelm von Wenden — Die Placidas-Legende und der
occidentalische Kreis. — 17. Die anglolatinische Rezension der
Gesta Romanorum S. 508 — 523
VI. Nebenzweige: 18. Cavallero Cifar. 19. Die Boere-Sage. 20. Die
schöne Helena. La Manekine. Kaiser Octavian. Torrent von
Portugal. Ritter Eglamour. — Episode im indischen Ramayana. S. 523—529
VII. Die Anagorismen-Novelle der Pseudo-Clementinen S. 529 — 543
VIII. Die doppelte Textform der Eustachius-Placidas-Legende . . S. 543—549
38'
Haussa - Sänger,
mit Übersetzung und Erklärung.
II.
Lieder des „Heimchens".
Von
Rudolf Prietze.
Vorgelegt vom Torsitzenden Sekretär in der Sitzung vom 25. März 1916.
IX.
Wönnan wäka-r gax^ '*^-
Dies Lied das Heimchens ist.
A.
1 Gare ya-na ddka mälam,
Heimchen es tut hausen Geistlicher,
in yä-fitö woäe, näma ne.
wenn es kommt heraus, Fleisch ist.
J2 Käria-r Jcädo ta fuwä de,
Ausflucht die Krokodils die Wassers ist,
in yä-ßö wo£e, näma ne.
3 Käria-r nid- ja öiki sai kogo,
Ausflucht die Schleppers Bauch nur Höhle,
in yä-fitö WQäe, si he naü.
wenn er kommt heraus, es ist hier.
1 Heimchen, garS, PI. gdfuna, nennt sich der Sänger, weil das kleine rot-
liche Insekt mit seiner feinen, weitbüischallcnden Musik für ein Vorbild seiner
Kunst gilt. Ddka s. I 73 ; ^O'^o- mälam etwa : ein verborgenes Gelebrtendasein
führen. Das Heimchen hält sich in Erdritzen versteckt, weil Kinder und Tiere
ihm nachstellen. Vielleicht wird auch an die Seßhaftigkeit des Sängers gedacht,
▼gl. Einl. — M schreibt hier mälimi ne; in I hörte ich vorwiegend mäl^m. In ist arstb.
Badolf Prietze, Haussa- Singer. 553
11.
Dies ist das Lied des Heimchens.
A.
Selbsteinschätzung des Heimchens: Jedes Wesen hat
ein Mittel, sich zu behaupten; das seinige ist die ihm
eigne Gewalt über den Ruf der Leute und sein mäch-
tiger Gönner Baki.
1 Wie ein Geistlicher hütet das Heimchen Haus;
es wird zum "Wildpret, kommt es heraus.
2 Im "Wasser birgt sich das Krokodil;
es wird zum "Wildpret, kommt es heraus,
3 Des Schleppbauchs Hort ist die Höhle,
denn kommt er heraus, ist es mit ihm aus.
2 Die Bedeutung von karia, das Mi. und R mit Lüge, Falschheit wieder-
geben, ist offenbar allgemeiner, etwa Trick, Ausflucht, Zuflucht. Mi. unterscheidet
freüich von karya Lüge ein kariya Schutz, Beschützung, Verteidigung ; doch auch
hier, wo dieser Sinn unzweifelhaft vorliegt, schreiben sowohl A als M karia.
3 Ma-ja ciki steht poetisch für Schlange. Die hier vorliegende 2. Halbzeile
fehlte bei A und wurde bei M aus 4 ergänzt. Si ke nan heißt wie das Bomuwort
däzi bald so steht es, bald es ist zu Ende.
554 Rudolf Prietze,
4 Kdria-r Haruna ta düzi,
Ausflucht die des „ die Felsens,
in yd-fitö ivoäe, si Joe naii.
5 Karia-r kurege rämi —
Ausflucht die Erdeichhoms Loch —
]{,aria-r mutün da abi-n Jcai-nes.
Ausflucht die des Menschen mit Ding dem Kopfs seines.
6 Äbi-n fidi na fadd ne,
Ding das Geredes das der Rede ist,
ba zä-§n käsa fadd ha.
nicht gehe daß ich ermangeln Rede.
7 Ni zäbia-r Bahi mai-gdtari,
Ich Sangmeister der des „ habend Axt,
da kümya, ha zoro.
mit Scham, nicht Furcht.
8 üba-n Kürumhe da Damfirö,
Vater der der „ und „
JBaleri baba-n Gdmii,
„ Oheim der des „
9 liba-n-su Zdruma,
Vater von ihnen „
IxUo ne sai gaiyd.
stark ist nur Heerbann.
B.
10 Sa-diika, dxi-n asali-n gangd,
Trink Prügel, Sohn der Ursprungs des der Trommel,
ivonde ya-fi ^igege !
welcher er übertrifft Pfuscher!
4 Schon hier wird auf das Hauptthema des „Diwans", Haruna in seiner
Felsenburg Ningi, angespielt, s. Einl.
5 a) Das Erdeichhorn entspricht in der Sudan-Tierfabel wegen der Notaus-
gänge seines Baus unserm Fuchs; vgl. Pfl. u. T. 121. — h) Kai-nes für kai-na-say
prosaisch ka-n-sa. Des Verses halber steht hier kai für Icdi, vgl. I 23.
6 a) Abi-n fidi ist der Leumund, namentlich im üblen Sinne. — b) Für kä^a
(nach Mi. unfähig oder nicht vollzählig sein) setzt M fäsa. Zu za-§n vgl. I 60 flf, 63.
7 a) Über zdhia, das, obwohl hier einen Mann bezeichnend, den weibl. Ar-
tikel aufweist, s. Einl. Der Eigenname Bdki kam sch«n I 95, 99 als B&k* ▼or.
Mai-gdlafi ist wie das ähnliche inai-?itaka „Herr der Streitaxt" ein beliebtes Epi-
theton ornans. — b) Kumya lautete I 140 kunya, wie gewöhnlich in Kano.
8 a) Kürumbe weiblicher Name. Da-n-firo hat nach M zum 2. Bestandteil
das auch im H bekannte ßomuwort ßro Mädchen, heißt also Jungfernsohn, un-
Hanssa- Sänger. 555
4 Haruna's Hort ist das Bergland;
denn kommt er heraus, ist es mit ihm aus.
5 Erdeichhoms Halt ist das Erdloch —
des Menschen, was er im Kopf hegt
6 Den Leumxind schafft man durch Hede,
und an Rede wird mir's nicht fehlen.
7 Sangmeister von Mohr, dem Axtmann,
bin ich bescheiden, doch furchtlos.
8 Mohr, Kunwibes, Ddmfiro'B Vater,
BaUri, Oheim des Gdmäij
9 ist Vater von Kindern wie Zdrutna,
ist einem Heerbann gewachsen.
B.
Nach lobender Apostrophierung seines Gefährten, des
Trommlers (vgl. T 15f.), und Betonung der eignen Ge-
fährlichkeit (vgl. I5f.) erfolgt ein Angriff auf seinen
einheimischen Nebenbuhler i?araM, für den das Singen
nach der neu aufgekommenen Tanz weise Mdgara (s. Einl.)
ein einträgliches Gewerbe sei.
Nicht nur gegen ihn selbst, auch gegen die Eltern und den Brotherrn Sa-
raw's werden wüste Ausfälle gerichtet, während der Sänger sich gegen
solche für gefeit erklärt
10 Prügelknab, Sproß vom Trommlergeschlecht,
erhaben über dem Pfuscher!
eheliches Kind. — b) Baleri ist Baki ins Folfulde übersetzt, and zwar mit dem
Artikel einer Tiere bezeichnenden Klasse. Zu baba vgl. 121. Gamzi ursprünglich
laut Mi. breitblättriger Kautschuk.
9 a) Vgl. HL. 40 uha-n-si Yaküdima {si aus su assimiliert). Beidemal ist
der Name eine Apposition zum Plur. su als Erstgeborenes mehrerer Kinder — eine
nach M auf die Poesie beschränkte Konstruktion. Zu Zäruma vgl. Mi. jarumi,
Fem. jaruma , tapfer ; doch besteht M darauf, daß es ein männlicher Name sei. —
b) Mi. übersetzt käto mit wohlgenährt, R mit strong male or female slate. Nach
M ist es ursprünglich der Mann in den besten Jahren wie görzo (I 168) und wird
gern prägnant in der Verbindung käto sai gaiya (s. I 69) gebraucht: so stark,
daß nur eine ganze Schar ihm gewachsen ist. Sai gaiyä ist hier von M aus sti-
listisch-rhythmischen Gründen eingefügt; es findet sich auch 65.
10 a) Sa-duka scherzhafter Beiname dessen, der von Kind auf gewohnt ist,
einen Klaps zu bekommen, ohne sich darum zu grämen, vgl. I 15, auch I 75, Er
entstammt einer alten Trommlerfamilie. Asali Lehnwort vgl. 1 28. Sigege ur-
sprünglich Part. Prät. v. iiga, sige hineingehn, eindringen, sich einschleichen (et-
was abweichend gebildet, da man sigegge erwarten müßte) : Eindringling, Böhnbase,
Pfuscher.
656 Rudolf Prietze,
11 Sa-düka, äika-m JBdusi,
Trink Prügel, Enkel der des „
i/ärä su-hi - ka su-sä gangä !
Kinder sie folgen dir sie trinken Trommel!
13 Ni ne kiinu-m baurere,
Ich bin Abkochung die der Sykomore,
yäro ye- sä- ni mürde-si.
Knabe er trinkt mich verdrehen ihn.
13 Ni ne nä Kande rüa-n ääkara,
Ich bin der der „ Wasser das von „
a - sä - ni a-na zoro.
man trinkt mich, man tut Furcht.
14 Mageduä daga käi
Entzündung von Kopf
ba sä-ta bar da-n yaza ba.
nicht geht sie lassen Kind das der Zehen.
15 Mageduä-r mai-täba
Entzündung die des Tabaksherrn
ba sä-ta bar ma-sa yäza ba.
nicht geht sie lassen zu ihm Zehen.
16 Gosi-n obä-n mai-täba
Stirn die Vaters des Tabaksherrn
sai ka-ce dakali-n Gar§ki.
nur du sagst Mauer die von „
17 Gdto-n üa-r mai-taha
Scham die Mutter der des Tabaksherrn
kabri kania-r Jifidi-n Gar§ki.
Dicke Gleichheit die Wattenpanzers des von „
18 Da ni da göyo-m mäye
Und ich und Wartekind das Werwolfs
köa ya-fäsa scge ne.
wer auch er verfehlt Schandkerl ist.
11 Zur ersten Zeile s. I 19.
12 a) Kunü an sich eine dicke Hirsesuppe, mit Tamarinde gesäuert, vgl.
St. 426; hier die Durchfall erzeugende Abkochung von Sykomorenrinde. Baurere
ist nach M die weibliche Sykomore neben bdure der männlichen ; so auch ka^änye
männlicher neben kaddnya weiblicher Schibutterbaum, dabino männliche neben da-
blnowa weibliche Dattelpalme, vgl. HL. 23. — b) Der Schluß ist nach A des Verses
halber zusammengezogen aus murda da si, Umdrehung mit ihm. M setzt in-
mur^e-si, daß ich ihn umdrehe. Es ist ein Bohren im Magen gemeint. Mi. hat
murje drehen , R murda und mufje ; die Vertretung von 4 durch j ist bemer-
kenswert.
Haossa - Sänger. 567
11 Prügelknab, Enkel vom Bogenbaum,
die Jugend folgt dir, der Trommel zu lauschen.
12 Ich bin Sykomorenbrühe :
Der Bub, der mich trinkt, verrenkt sich den Leib.
13 Ich, Randes Bruder, bin Kanos Pfuhl:
Man trinkt mich und gerät in Angst.
14 Ein Übel, das vom Kopf beginnt,
wird auch die kleine Zeh' nicht schonen.
15 Und wenn's den Tabaksmann ergreift,
wird's keine Zehn ihm übrig lassen.
16 Die Stirn des Vaters vom Tabaksmann
könnt' man für Garki's Mauer halten.
17 Die Scham der Mutter vom Tabaksmann
ist dick wie Garki's Wattenpanzer.
18 Hab' ich's mit dem Hexenpflegling zu tun,
ein Hunsfott, wer den kurzem zieht !
13 M bestreitet A's Ansicht, daß na hier Sohn bedeute ; es könne nur Bruder
heißen. Kunde wird ein nach 2 oder 3 Knaben geborenes Mädchen genannt. Der
rüa-n iakara ist ein Teich voll übelriechenden Wassers inmitten der Stadt Eano,
in dem jährlich Leute ertrinken. Er gilt nach A für ungesund, nach M. für un-
heimlich. A-na für a-na ü.
14 a) Mi. R mageduua Krankheit, welche die kleine Zehe zerstört, nach M
auch die übrigen Zehen und die Finger. Mit dieser Kranheit vergleicht er sich
selbst : Wenn ich die Großen vornehme, werde ich auch die Kleinen nicht schonen.
Zu käi vgl. I 23. — b) Kind der Zehen = kleine Zehe.
15 Durch mai-täha wird der Gegner, der ehedem schlecht über ihn gesungen
hat, bereits deutlicher bezeichnet, mit Namen jedoch erst V. 23. Der Tabak wird
in jenen Ländern geraucht, geschnupft und gekaut. Tabakbau und Tabakhandel
gilt für armselig ; vgl. die nämliche Bemerkung in dem von E. Littmann in Bd.
XXVII der Zeitschr. für Assyriologie veröffentlichten nordabessinischen Heldenlied,
Vers 48,75 (= Publications of tbe Princeton Expedition to Abyssinia, Vol. IV,
No. 75).
16 Zu Jia-ce vgl. I 143c). Mi. däkali niedrige Mauer; M vermutet dankäli
Batate, doch schwerlich mit Recht, vgl. d. folg. — Gareki ist eine Stadt zwei Tage-
reisen zu Pferd nordöstlich von Kano, berühmt wegen ihrer dicken Wattenpanzer ;
sie steht unter einem Fulbefürsten.
17 Zu der ünflätigkeit vgl. I 143.
18 a) Göyo, PI. göyuna, weder bei R noch bei Mi., soll nach A die mütter-
liche Tante bezeichnen , doch scheint mir M's Deutung als Subst. zu göya „ein
Kind auf dem Rücken tragen" zutreffender. Mäye (vgl. I 162), männlich und weiblich,
bedeutet Werwolf, Hexenmeister , Hexe , Träger des bösen Blicks , göyo-m mäye
wohl Tragkind der Hexe. — b) Fäsa wie Icäsa in 6 : nicht mehr können, ablassen,
nämlich im Schimpfwettstreit. Zu sege vgl. I 121.
558 Rudolf Prietze,
19 Ni ne demi-n gtiäia,
Ich bin Grarbe die der Erdnuß,
mai - lüuye - n sifi na gida-n Mail.
habend Schwierigkeit die Ordnung der Hauses des „
^0 A Tiwänahi-n aba st kan yi,
In Tagen denen Dinges es pflegt machen,
hmi yä-ivuce, iconi kan nema.
wenn es ging vorbei, anderes pflegt suchen.
^1 A kwänahi-n hadiri
In Tagen denen Unwetters
hvänaki-n rua, ea-m mägard.
Tage die Wassers, Kinder die der Tanzweise.
22 A kwanaki-n iska
In Tagen denen Windes
kan ci iinäimi, ea-m mägard.
pflegt essen Eeiher, Kinder die der Tanzweise.
23 Mägara ta-zama ääri:
Tanzweise sie ward Barschaft:
Bardii, Jca-daina zua kogi.
„ höre auf Gehn Gewässer.
24 Mägara tä-zama kanwa-r ubd,
Tanzweise sie ward jüngre Schwester die Vaters,
ka-ce md-sa: häbani.
sage zu ihm : „
25 Kaddn kidd yä-sdke,
Wenn Trommelschlag er wechselt,
rdua yä-säke, ed-m ivasa.
Tanz er wechselt, Kinder die Spiels.
26 Batüre, kai nä-sdn-ka,
Weißer du ich kenne dich,
waldi ha zd-n ma-ka tväka ha.
bei Gott nicht gehe ich zu dir Lied.
27 Zamdndani kaskö ne,
Hausknecht Tonbecken ist,
kan yä-fdSe, wqni kdn nenia.
wenn es zerbricht, andres pflegt suchen.
19 a) Da es eine Garbe von Erdnüssen nicht gibt, meint der Sänger: Ich
bin nicht zu fassen. Vgl. denselben Ausdr. im 13. Il-Sprichwort in Mi's Lehrbuch
der H-Sprache S. 118. — b) Na bezeichnet den Sänger als den Neffen MaiVs^
in dessen Hause er aufwuchs, vgl. I 4,21.
Haassa - Sänger. 669
19 Ich bin die Garbe der Erdnuß;
schwer kramt sich's mit dem vom Hause Maife.
20 Fiin Ding hat Tage, wo man's übt,
und ist's vorbei, geht man andrem nach.
21 An Tagen, wo's Gewitter gibt,
kommt Regenfall, ihr Tanzgenossen.
22 An Tagen, wo der Wind weht,
gibt's ßeiherbraten, Tanzgenossen.
23 Das Tanzlied ward wie bares Geld :
Barau, nun geh nicht fischen mehr!
24 Es ward wie Vaters Schwester dir,
nun sag' zu ihm auch Muhme.
25 "Wird andrer Takt getrommelt,
so tanzt man anders, Spielgesellen.
26 Dich, du Weißer, kenne ich !
Bei Gott, nie sänge ich für dich!
27 Der Hausknecht ist ein Tongeschirr;
zerbricht's, holt man ein anderes.
20 Das 2. kan steht für kadän wenn, vgl. I HO, 158, das 2. u. 3. ist Hilfs-
verb; in Prosa stünde a-kan man pflegt. Zu yi ist si das Objekt.
21 j^a (vgl. I 69) steht hier weder im eigentlichen noch in diminutivem Sinn,
sondern für die Teilnehmer an der mägara (s. Einl.),
22 Unter Sinzimi, PI. nach A zinzima, wird ein schwarzer Reiher mit weißer
Brust verstanden, der auf Bäumen innerhalb der Stadt nistet; seine Jungen, die
der Sturm häufig aus den Nestern wirft, gelten für Leckerbissen. Mi. gibt jift-
jimi irrig durch Pelikan wieder, vgl. I 67.
23 a) Nach A ist fön Kapital, nach Mi. Vermögen, Reichtum, nach M ge-
nauer Darlehn. — h) Barau s. 195. Er ist der Tabaksmann von 15 if., leistet
laut 27 fF. Dienste im Hause des Makdu und sucht nebenbei seinen Unterhalt mit
der Angel (A fd^a, PI. fd?o?i). Daß er auch in seinen Liedern nach der neuen
Tanzweise nicht erfolglos war, ist aus dem Ingrimm seines Nebenbuhlers ersichtlich.
Nach A wären sie ehedem Freunde gewesen. Kogi s. 63.
24 Babani ist das der kamca-r uba entsprechende Kanüriwort, das in H auch
durch häba vertreten wird. Auifallend ist md-sa statt tnd-ta, vielleicht ein Ver-
sehen des Schreibers.
26 Dieser Vers ist eine eingestreute Anrede an einen Weißen (Europäer
oder Araber, vgl. I 58, 106) , der wohl seinen Obolus verweigerte , als für den
Sänger gesammelt wurde vgl. Einl. Wdlai statt des arab. icallälti (so I 68) bei
Gott. Hinter za-n fehlt in poetischer Kürze yi machen.
27 a) A zamdn da ni, M zamd da ni „bleib bei mir" ist gleichbedeutend
mit bara d, h. Jemand, der für Kost und Kleidung arbeitet, weil er für Feldarbeit
zu schwach ist. — b) Das 1. kan für kadän, das 2. für a-kan wie 20.
560 Rudolf Prietze,
2^ Segi-m hära na gidd-ni Makäu
Schandkerl der (v.) Diener der Hauses des „
yä-ci rögo yä-i haukä.
er aß Kassada er machte Tollheit.
29 Ni nä-fi l-är§fi-in häwa,
Ich ich übertreffe Stärke die des Sklaven,
hätva amd-n iaka, da-m farkd!
Sklave Erbrechen das des Sacks, Sohn der wilder Ehe.
30 Nä-fi tihangiäi-n-ka mä,
Ich übertreffe Herrn deinen auch,
tülitüli häsi-m Makäu !
häufchenweise Kot der des „
31 Tun da säfe ya-s6ma-si,
Seit nait Morgen er beginnt es,
zakd-n dere mu-ka türe-si.
Mitte die der Nacht wir haben weggestoßen ihn.
32 Ni nä-sa y§zäicaka nä-kosi,
Ich ich trank Zauberzettel ich bin satt,
bäbii nä zoro-m bäki,
nichts ich habe Furcht die Mundes,
55 kaddngari-m häki-n tuht,
Eidechse die Mundes des Kruges,
a-kas-ni a-kas tnhi.
man tötet mich man tötet Krug.
c.
34 Ku-i hdnkali, ea-m mägara,
Macht Verstand, Kinder die der Tanzweise,
kar hu-dösi icoäe-n Daufd.
daß nicht ihr wandelt Seite die v. „
28 a) Malcdu ist ein von mdkara zu spät kommen abgeleiteter Name, also
„Spätling". Eine ebenso hartnäckig verfochtene wie dem Naturgesetz widerstrei-
tende Anschauung im Sudan und weit über seine Grenzen hinaus ist der übrigens
sehr wohltätige, zahllose Zerwürfnisse verhütende Glaube, ein Embryo könne nach
den ersten Monaten seiner Entwicklung im Schoß der Mutter ,,schlummern", ohne
weitere Fortschritte zu machen, und zwar nicht nur Monate, sondern Jahre, ja
Jahrzehnte lang, um dann von selber sein Wachstum wieder aufzunehmen und
nach Ablauf der ihm noch fehlenden Monde geboren zu werden. Ein Kind, das als
Embryo kürzere Zeit gesäumt hat, also etwa nach 10—12 Monaten zur Welt kommt,
wird Makäu genannt, wenn weiblich, Makarerria; handelt sich's aber um Jahre,
so heißt es äekardu, Fem. äekara „Jährling". Hiernach ist Mi's Erklärung der
Haussa - Sänger. 561
28 Der Luinp von Diener in Spätlings Haus
aß Maniok, ist übergeschnappt.
29 Wohl bin ich stärker als so ein Sklav,
solch Sackbrechmittel, solch Hurensohn!
30 Ich bin auch mehr wert als sein Herr,
solch Bröckelkot von Spätling!
31 Frühmorgens legt er damit los,
um Mitternacht störte ihn unser Stoß.
32 Ich trank an Zauberzetteln mich dick,
hab nichts zu fürchten vom bösen Blick,
33 bin wie der Eidechs vorn im Krug:
wer nach mir schlägt, zerschlägt den Krug.
c.
Warnung vor dem wegelagernden Werwolf Naküra^
der samt seiner Mutter beschimpft wird.
84 Ihr Tanzgenossen, hütet euch fein,
schlagt nicht den Weg nach Daura ein!
letztgenannten Wörter zu ergänzen. — b) Laut Pfl. u. T. 12 ist rögo sonst eine
angesehene Kost, vgl. I 136. Die ihm hier zugeschriebene Wirkung ist die der
Sykomorenbrühe s. 12 und der doröa Pfl. u. T. 33.
29 Zu nä-fi vgl. I 80. Baräu wird spöttisch Sklave genannt, weil seine
Eltern Sklaven waren ; daher ama-n iaka aus amai na zaJcd Ausspeien des Geld-
beutels, weil ein Sklave viel Geld kostet.
30 Der 1. Halbvers wurde, da bei A ersichtlich eine Lücke vorlag, durch M
ergänzt. Zu tülitüU vgl. HL. 27 u. 29. Mi. tuli, R tulK, tilli Haufen. Der Sänger
wendet seinen Spott gegen BaräWs Brotherrn, dessen Hartleibigkeit verhöhnend,
die ihm die Verrichtung der Notdurft zum Tagewerk mache. Vgl. I 146.
31 Ob das Hilfsverb ka hier Vergangenheit oder Gewohnheit ausdrückt, habe
ich nicht feststellen können ; vgl. I 86.
32 a) Y^zätca^a, PI. y§zaicakoki, ist ein Zettel, auf den eine Koransure ge-
schrieben ist^ Man wirft ihn ins Wasser und trinkt dies als Mittel gegen Zauber
oder bösen Blick. — b) Der mit dem bösen Blick behaftete behext auch durch
das falsch gemeinte Lob seines Mundes ; daher bezeichnet haki auch geradezu wie
hier den bösen Blick. Eine andre Wendung dafür s. HL 16: jStt-n gani idanu
„sie sahen Augen" d. h. übten bösen Blick, .^ä poetisch für nä-ü.
33. Sinn des Gleichnisses: Wer mich angreift, muß fürchten, meinen Be-
schützer zu treffen, vgl 7 ff. Zu kos vgl. I 75.
34 a) Der Vers knüpft an das Vorhergehende an: ihr, die ihr nicht so ge-
feit seid, hütet euch u. s. w. Hankali ist das arab. 'aql, dem H-Lautstande ange-
paßt, vgl. I 28. Zu ea vgl. 21. — b) har für kada s. I 20. BöH, dösa = gehn
(nicht bei Mi. u. R).
562 Rudolf Prietze,
35 A-säce baica-n maJcäfo,
Man stiehlt Sklaven den des Blinden,
si nia, makäfo, a - doke - si.
ihn auch, Blinden, man schlägt ihn.
36 Nahura hahhä-m maye,
„ großer der Werwolf,
sege ma-kdria kasi-n yard.
Schandkerl zerbrechend Knochen den der Knaben.
37 üa-r Nakiira da hahhd-n ciki
Mutter die des „ mit großem dem Bauch
kamd-r rumhu diisd !
Gleichheit die der Scheuer Kleie.
38 TJa-r Naküra da äa-ür idö
Mutter die „ mit hochrotem Auge
kamd-r gautd-n kaäi !
Gleichheit der Melansane der der Hühner.
D.
39 Ba dun abi-n hure ha
Nicht wegen Sache der des Fremdseins
mai-dogo kam na gari ne.
Mann weither wie der der Stadt ist.
40 Grafünu yä-san danga,
Schlingpflanze kennt Zaun,
zä-ya reim dumd wayö.
geht sie verachten Flaschenkürbis Schlauheit.
41 Mägafa ha . noma ha,
Tanzweise nicht Feldarbeit,
kdria ha na-i md-ta JÖko ha.
Lüge nicht ich mache zu ihr Stützstock.
42 Mdgara hd-ta da dya,
Tanzweise nicht sie mit Schlußpunkt,
komi ka-ce md-ta: H ke ndü.
was auch du sagst zu ihr: es ist hier.
43 Köwa ye-ke mi-ni Segantaka
"Wer auch er tut zu mir Nichtsnutzigkeit
in - sd - si a mdgafa.
daß ich setze ihn in Tanzweise.
35 Doki, döka schlagen, mundartliche Variante zu düka Prügel 20.
36 Na-küra konnte Bruder der Hyäne (kufa) bedeuten; doch glaubt M,
Haussa - Sänger. 563
35 Da wird dem Blinden der Sklave geraubt,
ja selbst den Blinden prügelt man.
36 Nakura, großer Werwolf du,
Schandkerl, der Kindern die Knochen bricht!
37 Sakui'a'B Mutter mit dickem Bauch
gleich einer Scheuer voll Kleie!
38 Nakilra'B Mutter mit brandrotem Aug'
gleich einer Huhnmelansane!
D.
Preis der neuen Tanzweise Jtfä^ara, die er, der fremde
Sänger, besser zu handhaben wisse als einheimische
(nämlich Bardti s. o. B), und Einladung, ihm zu lauschen
39 Stünde der Fremdling nicht so allein,
er •würde so gut wie das Stadtkind sein.
40 Doch kennt die Kletterpflanze den Zaun,
Wird an Witz herab auf den Kürbis schaim.
41 Das Tanzlied ist nicht Feldarbeit,
ihm heuchle ich keine Müdigkeit.
42 Das Tanzlied macht keine Pause,
so viel du ihm sagst: Nun ist's genug.
43 Und wer mir kommt mit Hunsfötterein,
den brins" ich ins neue Tanzlied hinein.
heiße : Der ans Kura, einem südlich Ton Kano gelegenen Ort. Mäye s. 18, I 162.
Zu sege vgl. I 121.
37 Eine Scheuer für Kleie (Pferdefutter nach St. 296) ist größer als eine
Hirsescheuer.
38 Zu za-ur vgl. meine Spezif.-Verstärkungsadverbien im Haussa imd Kanuri
Jahrg. XI der Mitt. d. Orient. Seminars : trur Verstärkung zu :o rot = hochrot.
Gauta ist eine Art Melansane, Eierpflanze; die gautd-n kaU „Hühnennelansane"
wird nicht wie die eigentliche gauta gegessen.
39 a) Mi. bare geteilt, getrennt sein; hier die Vereinzelung, das AUeinstehn
ohne Angehörige. — b) Des Verses wegen steht hier kam für kama bezw. katna-r.
40 A gräfünu, PL garäfuna, Epheu mit kurzen, yädia, PI. yädioi, Epheu
mit langen Blättern, vgl. Mi. garafüni, R garafnii Pflanze nüt bittereu, zu Suppen
verwerteten Blättern. Mit dieser Schlingpflanze wird der Fremde verglichen, der
sozusagen über den Zaun klettert und auf den von der Innenseite sich aufran-
kenden einheimischen Flaschenkürbis [^duma, vgl. I 75) herabblickt.
41 Mi. R löko Stützstock für Lasten, die man nicht auf die Erde legt, daher
auch Ruhepause = fütu. Hier also : Ich unterbreche mein Singen nicht mit vor-
geschützter Müdigkeit, wie der Uauer seine Arbeit.
42 Mit dya ist die arabische Schlußbezeichnung gemeint. Zu si ke nan vgl. 4.
43 In Prosa dürfte yi machen nach ye-ke nicht fehlen. §egantaka ist Nomen
actionis zu sege s. 30. In-sä-si Konjunktiv, vgl. 1 63.
564 Rudolf Prietze,
44 A hdnkali he magara,
In Verstand tut Tanzweise,
ba güdu na faräuta ba.
nicht Lauf der der Jagd.
45 Mai-baeä da-m möa ne^
Habend Tanzrock Sohn der Lieblingsfrau ist,
märas-bazd da-m bora ne.
ohne Tanzrock Sohn des Vernachlässigten ist.
46 Ku-sd safu, ku-H sance
Setzt Reihe, hört Rede
na Amadü, na gidd-m Maäi,
dessen des „ dessen Hauses des „
47 Ku-sd safü ya kabewa-r kufdi,
Setzt Reihe wie Kürbis der der Ruine,
safü ye düma-n rafi.
Reihe wie Flaschenkürbis der Baches.
E.
48 iVi howa ya-fena göida-td,
Ich wer auch er verachtet Mägdlein mein,
yanzü ya-siga magard.
jetzt er geht hinein Tanzweise.
49 Käda ku-rSna göida,
Daß nicht ihr verachtet Mägdlein,
sabulii-n ivanka-n sarniai.
Seife die Waschens des des Burschen.
50 KÖwa ya-rena göida,
Wer auch er verachtet Mägdlein,
da cäfi uwa-fd-sa göida cef
einst dort Mutter seine Mägdlein war.
51 Yäro aböki-n yaro,
Knabe Freund der des Knaben,
yäro ba zd-i kl ta yäfo ba.
Knabe nicht geht er hassen das des Knaben.
44 Hankali s. 34. Für ke müßte in Prosa stehn a-ke yi man macht. Vor
na setzt M kama Gleichheit.
45 Den Zusammenbang dieses Verses mit dem vorhergehenden und nachfol-
genden habe ich nicht ergriinden können ; er ist wohl ein an einen Anwesenden
gerichtetes Einschiebsel wie 26. Bazä, PI. bazozi, ist nacli AM der aus den Fa-
sern der rama (Mi. rdma R ramma Pflanze, aus der Stricke gemaclit werden)
gewebte Tanzrock, Er reicht vom Gürtel bis auf die Füße, ist weiß, auch rot
oder grün gefärbt, hat unten rote Fransen, ist mit Muscheln {tcgda, arab. Lehn-
wort, nicht bei Mi. u. R) besetzt und gilt für wertvoll. Von fern ähnelt sein Stofli
Haassa- Sänger. 565
44 Solch Tanzlied macht man mit Bedacht,
er ist kein Rennen wie auf der Jagd.
45 Wer Tanzrock trägt, ist der Lieblingsfrau Sohn,
wer keinen ti'ägt, der Verschmähten Sohn.
46 Setzt euch in Reihen und lauscht dem "Wort
von AnmdiCs Bruder aus Mails Haus.
47 Reiht euch wie Kürbis auf Trümmerfeld,
reiht euch wie Flaschenkürbis am Bach.
E.
Preislied auf die kleinen Mädchen im allgemeinen und
auf eins im besondern; ohne sie fehle dem Fest die
Freude.
48 Wer da verachtet mein Mägdelein,
ä&r kommt ins Tanzlied flugs hinein,
49 Verachtet nicht das Mägdlein,
die Seife zum Waschen des Burschen.
50 Wer da verachtet die kleine Maid:
einst war auch seine Matter klein!
51 Der Knabe ist des Knaben Freund,
er wird nicht hassen, was knabenhaft,
der Seide. Bei Mi. u. R haza nur = ausbreiten, bei Mi. außerdem bdzä = Schnalle
zar Befestigung des Steigbfigelriemens am Sattel. Bora s. I 122 f.
46 a) Mi. sdfu Reihe, Linie, R saffu Reihe z. B. beim gemeinsamen Gebet.
Obwohl "im Arab. ?aff', wird es von AM mit s geschrieben. Hier : Kreis der Zu-
hörer. — Zu b) vgl. 19, I 4, 21. Er berühmt sich des Amadu (aus Mo^ammadu),
eines bekannten Sängers, als seines Bruders und des Maü als seines Oheims.
47 Kdbewa nach AM Kürbis (nach B Cucurbita pepo), am besten auf Rainen
(Ä Mi. kufdi, PI. kufäifai) gedeihend, wie duma am Bache. "Wie das Wachstum
dieser Wucherpflanzen, so lebendig soll die Teilnahme der Zuhörer sein.
48 AM goida, PI. goidoü, bei Mi u. R nicht angegeben, ist das junge noch
unentwickelte ^lädchen, etwa 7— 8 jährig.
49 A sähülu, PI. säbule, M sahüli, R sabttni, Mi. sabülu und sabüni Seife.
Mit ihr wird das kleine Mädchen verglichen als Reinigungsmittel für den Jungge-
sellen, sei es nach A, weil es sein Zeug wäscht, sei es nach M als "Vorbild,
weil es mehr badet und Henna auflegt als die erwachsenen Frauen und weil er
schließlich um ihretwillen bei der Verlobung ein Bad nehmen muß. AM sarmai
oder sarmayi, Mi. sdmrayi, PI. sdmari, ist der Jüngling, Junggesell.
50 Ich schreibe hier wie 52 da, nicht da, weil beide etymologisch zu scheiden
sind: da ist stets unbetonte Partikel, <iä bedeutet eine ferne Vergangenheit und
steht adverbial, dem Satz den präteritalen Sinn gebend, i!er der Kopula c'e fehlt.
Der Zusatz can „dort" verstärkt den Begriff der Entlegenheit.
51 f. Ta steht hier als Demonstrativ in neutraler Bedeutung. Es könnte
magdna vertreten, das nicht nur für Wort, sondern auch abstrakt für Sache,
Eigenschaft gebraucht wird.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 4. 39
566 Rudolf Prictze,
52 Ni ma ha m-n hi ta göida ha,
Ich auch nicht gehe ich hassen das des Mägdleins,
don da caii uwa-ta göida ce.
weil einst dort Mutter meine Mägdlein war.
53 Mügu ha za^i M ta mügu ha,
Schlechter nicht geht er hassen das des Schlechten,
sai ko Sil - tarü, su-Iälace.
nur ob sie sich sammeln, sie verderben.
54 Aiyafe ke göida ke ce,
Heißa du Mägdlein du bist,
ta da-n AU mai-wäyo.
die Sohnes des „ habend Klugheit.
55 Ni iväsa-n da ke zirdra,
Ich Spiel welches (man) tut nackt,
häria ha ne-i ma-sa ivöndo ha.
Lüge nicht ich mache zu ihm Hose.
56 Domin ahi-n da hd-si da roho,
"Wegen Dinges das nicht es mit Lust,
ni ma hu sa-m ma-sa roho ha.
ich auch nicht gehe ich zu ihm Lust.
57 Biki kadän ha göida,
Fest wenn nicht Mägdlein,
ni ma ha ea-n lya murna ha.
ich auch nicht gehe ich können Freude.
F.
58 A dünia ke wdlatva,
In Welt (man) tue Behagen,
ea-n sämari na mdgard.
Kinder die Jünglinge die der Tanzweise.
59 Dünia gi^efi ce:
Welt Salz ist:
da ddndatid kan kdfe-ta.
mit Schmecken (man) pflegt endigen sie.
60 Dunia md-dunäna,
Welt versinkend,
kare ye-ce, ea-m ntdgaro.
Hund er sagt, Kinder die der Tanzweise.
54 Äiyare ist eine aufmunternde, dem Tanzlied angehörige Interjektion (nicht
bei Mi. u. R). Ta bedeutet hier Schwester, wie na 46 und an andern Stellen
Bruder.
Haassa - Sänger. 567
52 noch werd' ich hassen, was mädchenhaft,
weil meine Mutter einst Mägdlein war.
53 Selbst der Schuft ist der Sache des Schufts nicht feind,
nur gehn sie vereint auch zu Grunde.
54 Juchheißa, das Mägdlein, das bist du,
Schwester des Sohnes Älta des klugen!
55 Dem Spiele, das mau nackt begann,
dem lüge ich keine Hose an.
56 Was keinen Frohsinn in sich trägt,
das will auch ich nicht heiter machen.
57 Wenn einem Fest das Mägdlein fehlt,
da kann auch ich nicht Freude schaffen.
F.
Lebensweisheit: Man genieße das flüchtige Dasein in
dieser schlechten Welt und gebe sich keiner Täuschung
hin.
58 Man lasse sich's wohl sein auf der Welt,
Jungmannschaft, die sich zum Tanzlied hält!
59 Das Leben ist ein Kliunpen Salz,
mit Naschen wird es aufgezehrt,
60 Die Welt sinkt tiefer immerdar,
so spricht der Hund, du Tanzliedsschar.
55 Dem Vers zuliebe steht ke für a-Jce yi wie 44. Sowohl firäfa als tcöndo
sind Konjekturen von M an Stelle der ihm unbekannten, auch bei Mi. und R nicht
angegebenen Lesarten A's : seräre wenig besucht und gondo Frohsinn. Letztere
würden auch für das folgende eine Tautologie ergeben. Karia ist wohl hier wie
in I 159 adverbial aufzufassen.
56 Ä roho, M röfo (nicht bei Mi. u. R) Freude, Lustigkeit. Za-m für za-n,
■das wieder in poetischer Kürze für za-n yi steht vgl. I 12.
57 Mi. bukt Fest, R bukt, biki Hochzeit.
58 Wie 55 ke für a-ke (yi). Ä tcälatca Lustwandeln, vgl. Mi. wäla in Frieden
leben, R icala, walatca reichlich Platz zum Sitzen haben. Zu ea-n sdmari vgl.
I 69 Anm.
59 Der Vergleich des Lebens mit dem Salz als einer schon vom Kosten hin-
■sch windenden Sache steht auch in IV 41 meiner Bornulieder. Kan steht poetisch
für a-kan.
60 Nach M kommt mä-dunäna von duna zurückgehn, sich verschlechtem.
Dies findet sich bei Mi. u. R nicht; doch vgl. Mi. dunane Untertauchung, wozu
■nia-dundna Adjektivbildung mit weiblicher Endung sein könnte. Das pessimistische
Urteil wird sprichwörtlich dem alten blinden Hunde ins Maul gelegt, weil er in
der Jugend Liebkosung und später nur Prügel erfuhr. Ähnlich in IV 51 meiner
Bornulieder: Dünia dunand, dünia dunani. Vgl. arab. dün niedrig.
39*
568 Rudolf Prietze,
61 Ko dilnia tä-kare.
• • • ?
Ob "Welt sie endete,
Itazd ha fä-dau tdiki ha.
Henne nicht sie hebt Sack.
62 Ko dünia tä-häfe,
küsü ha za-i häka rämi ha.
Maus nicht geht sie graben Loch.
03 Kmi faddma tä-käre,
Wenn Überschwemmung sie endete,
kddo ye-ie habhä-n köyi,
Krokodil es geht (zu) großem dem Gewässer,
64 domin dabo karid ne,
weil Gaukelei Lüge ist,
ea-n samari na mägara!
Kinder die Jünglinge die der Tanzweise.
o.
65 Gorwjozi ilka-n Gambo
„ Enkel der des „
do-m Bawangdra sdi gaiyd!
Sohn der Frau aus Wangara nur Heerbann.
66 Ga bdra ya-san dufe.
Sieh Diener er fand Heirat,
da-n gidd ha i-sämu ha.
Sohn der Hauses nicht er findet.
67 Mai-gidd da gidd-n-sa
Hausherr mit Hause seinem
kuliin a-daure ■ kamd-r Mki.
immer man band Gleichheit die Esels.
68 Gdgardu da-m mdlem
„ Sohn der des „
ha i-yi hali-m niäl^m ba.
nicht er macht Charakter den des ,,
61 Tempus wie in Bedingung»- und Folgesatz.
62 Mi. küsü, PI. küsä (A PI. hisuna), Maus (so nach M in Sokoto, Marä^ij
Gdbir und Kebbi, dagegen in Kano, Bauet, Kafena : 4(^mbaria „Kind des Rauch*
fangs") und Penis. Sollte hier die letztere Bedeutung vorliegen?
63 Kan ist aus kaddn verkürzt. Koiji ist jede große VVasserinasse, See
und Strom, faddma das (ibersdiweramungsgebiet der Regenzeit, in welchem das
Krokodil günstigere Lebensbedingungen sucht, um beim Schwinden der Sümpfe,
gewissermaßen enttäuscht, zum tieferen Wasser als dem verlaßlicheren Aufenthalt
zurückzukehren.
64 a) däh6 oder dibg, PI. debuna, Taschenspielerei, auch übertragen: Et-
Haussa - Sänger. 669
61 Und mag die Welt vergehen,
nie heben Hühner Säcke auf.
62 TJnd mag die Welt vergehen,
nie höhlt die Maus den Felsen aus.
63 Sobald die Überschwemmung schwand,
geht's Krokodil zum Strom zurück,
64 weil kein Verlaß auf Blendwerk ist,
Jungmannschaft, die das Tanzlied liebt!
G.
Im Anschluß an den letzten Vers Hinweis auf einen
vorliegenden Fall, wo der arme, wackere Goragözi eine
Fraufand, sein reicher, windiger Patron öa^ard« aber
nicht, vielmehr noch als Pferdedieb entlarvt ward.
65 Ggragqh, Enkel Gamb&s,
Der Wangdrerin Sohn, wie ein Heerbann stark!
66 Sieh, wie der Diener zur Heirat kam;
des Hauses Sohn erlangt sie nicht.
67 Des Hauses Sohn mit samt seinem Haus,
man band sie wie Esel immerfort
68 Gixgardu, des Geistlichen Sohn,
zeigt keine geistliche Sinnesart.
was sein wollen, ohne es zu können. Vgl. ML dabo, PI. dabunbüna, Beschwörung,
Magie, Hexerei; der vorliegende Vergleich mit faddma spricht indeß für die
Richtigkeit von A's Angabe. — b) Dieser Halbvers schon 58.
65 a) Zur Erklärung des Namens GnragnSi nennt M das bei Mi. u. R nicht
angeführte göra = kätra Lust, Freude, und vermutet eine Entlehnung des Bomu-
wortes gaü (im H autd Jüngster), also etwa: jüngster, kleinster Schatz. Oder,
wenn man Mi. gora Sperling herbeizieht: Jungspatz. Doch auch Mi's gorgoaji
männliche Eidechse mit rötlichem Kopf könnte bei Annahme einer Metathese zu
Grunde liegen. Gemeint ist ein junger Bursche, Freimd und Diener des reichen
Gagaräu, der zwar eines Geistlichen Sohn, aber ein mai-debo (s. 64), d. h. ein
Blender, Schwätzer, Schwindler ist. Gambö wird laut M ein Knabe genannt, der
nach 2 oder mehreren Mädchen geboren wird; der entsprechende Mädchenname
ist Kunde s. 13. Nach Mi. würde der Name Gambo einem Kinde gegeben, das
auf Zwillinge folgt. — b) Baicangära, Fem. zu Bawahgdre, ist die Frau aus Wan-
gdra, einer Stadt, die im fernen Westen außerhalb des eigentlichen Haussagebiets
liegt. So laut M; da jedoch auch der Wohnsitz des Sängers (vgl. Einl.) gleichfalls
JVangära heißt rmd unfern Kano liegt, so ist wohl eher an dieses zu denken.
Sai gaiyä s. schon 9.
66 Bara s. 27 f. Hier ohne verächtlichen Sinn. Sah ist des Verses wegen
redtiziert aus sämu. Aure ist wie daure in 67 dem Kanodialekt eigen; die west-
licheren Mundarten haben amre, damre, die östlicheren arime, dantne.
67 ff. beziehen sich auf den Diebstahl einer Stute, den Gagaräu (aus gagara.
570 Rudolf Prietze,
69 Gödia-r Gugdre
Stute die des „
ta - hana yärd iväsä.
sie hat verhindert Knaben Spiel.
H.
70 Kaddn ka-sämu Jcudi-n-ka,
"Wenn du erlangst Geld dein,
kdda Ica-häi wa damfirö.
daß nicht du gibst zu Bankert.
71 Ka-äe ka-bai wa möa,
Geh gib zu Lieblingsfrau,
ko tä-fiye nia-ka gance!
ob sie übertrifft zu dir Rede!
I.
72 Mai-gari-n Dahigel
Herr Stadt der „
ba midüm ba ne, iemdge ne.
nicht Mensch ist, Fledermaus ist.
73 Mai-gari-n Dabigel
yä-ci kuikuyö da baki-m bäht.
er hat gegessen Hündchen mit schwarz dem Maul.
74 Mai-gafi-m Binöno
ba sd-ya goi mardya ba,
nicht geht er warten Waise,
75 sai ko mardya-n da-n zakö;
außer ob Waise die Kindes des Kükens;
domin ya-girma, su- yanka - si.
weil es wächst, sie schlachten es.
76 Seg^-n gari da kdß-n dofda,
Hurkind das Stadt mit Schanzzeug dem v. „
§egti-ü gafl da kdß-n dasi!
nach Mi. bezwingen, bewältigen, nach R heftigen Widerstand leisten), der SohD
eines Geistlichen, begangen hatte und um dessentwillen viele junge Leute einge-
sperrt waren, bis der Täter überführt wurde.
69 Zu Gugäfe vgl. R yugara, gugari mächtiger Mann.
70 a) Hier setzen A u. M, entgegen ihrer sonstigen Regel für Bedingungs-
sätze, den Aorist ka- statt des Prät. kä-sämu. — b) Das zu 8 als Name erklärte
4afnfiro steht hier in seiner generellen Bedeutung wie sege, vgl. 18, I 121.
Haussa - Sänger. 571
69 Die Stute des Gugare,
die hat den Knaben das Spiel gestört.
H.
Rat, wem man am zweckmäßigsten schenkt.
(Einschiebsel wie 45.)
70 Wemi du dir etwas Geld erwirbst,
gibs nicht dem ersten besten Strolch.
71 Geh hin und gib's der Lieblingsfrau,
ob sie mit holderm Wort dir lohnt!
I.
Ausfälle auf die geizigen Fulbe-Stadtherren von
Dahigel und B inono und auf ihre Städte.
72 Der Stadthauptmann von Dabigel
ist gar kein Mensch, ist 'ne Fledermaus.
73 Der Stadthauptmann von Dabigel
hat ein schwarzschnäuziges Hündlein verzehrt
74 Der Stadthauptmann von Binono
wird keine Waise auferziehn —
75 es sei denn ein verwaistes Küchlein;
denn wird das groß, so schlachtet man's.
76 Das Lumpennest mit der Wehr von Wurmholz,
das Lumpennest mit dem Dornverhau!
72 Dabigel, von M Danh^ngil geschrieben , ist wie Binöno der Fulbename
einer Stadt östlich von Kano. Ihr Herr wird Fledermaus genannt, weil seine Wege
dunkel sind.
73 Kuikuyo, PI. nach A Jcuyäkuyei, nach Mi. kuyakuj/i, bedeutet nach A
und HL 11 nur Hündchen, nach Mi. aucli Junges von wilden Tieren.
74 Goi, goyi und goya bedeutet ursprünglich : sich ein Kind auf den Rücken
binden, dann: es warten, aufziebn vgl. göyo 18.
75 I)a gibt hier, wie so oft, dem folgenden Worte diminutiven Sinn.
76 Zu sege vgl. I 121. Kofi,, PI. nach A köfuna, nach Mi. kafekafe, ist
nach A Holzbefestigung, nach Mi. Barrikade, im Vergleich mit der Stein- und Lehm-
mauer anderer Städte (gani) eine dürftige Schutzwehr, zumal wenn sie aus dem
weichen, wurmstichigen Holz der doroa (nach Mi. Parkia biglobosa) besteht. Dasi
(vgl. Pfl. u. T. 24, wo er wegen seiner Unausrottbarkeit mi-rai-götna d. h. zehn-
lebig genannt wird), PI. däsuna, mag durch seine Stacheln an sich eine gute Be-
festigung abgeben ; doch der Sänger verhöhnt eine so primitive Verschanzung.
672 Rudolf Prietze,
K.
77 Mai-Kümurya^ mai-Lamlre,
mai-Aciha, tnai-Dausari !
78 Mai-Kümufya, ha don Mi ba,
Herr v. „ nicht um dich,
da mü-n ga doki-n gabd.
und wir sahen Pferd das Streites.
79 Mai-Kümufya lau£e-ti delma —
Herr v. „ Sichel die Blei —
rauni ha kdria ha.
biegen nicht brechen.
SO Mai-Lamire, täsi,
Herr v. „ steh auf,
zafe ma-na gahd!
hindere zu uns Streit!
81 Ni Jcadan güdu yä-täsi,
Ich wenn Laufen es stünde auf,
ba sä - in £e Fdf^gai ba.
nicht daß ich gehe gehn nach „
8J2 Masu-wäwa-m hQr§ci
Herren des törichten Schlafs
ga-su da tväwa-n zoro!
sieh sie mit törichtem dem Schrecken!
83 Wäce säwara zä-liu i?
Welchen Plan geht ihr machen?
ha n-ii ahi-n-da kii ke i ba.
nicht ich höre Ding welches ihr tut machen.
84 Kaddn ivuri y^-i würki,
Wenn Ort er macht Kampflärm,
ku-nsmi ivastri hahbd-m hera.
sucht den Wesir groß die Maus.
77 Mai nimmt hier den Sinn von Stadtvorsteher an. Die 4 genannten klei-
neren Städte liegen südlich von Kano, Kümurya in der Nähe von Oarko.
79 a) Lauze, PI. läuzuna, Sichel heißt bei Mi. lame, PI. lausüna. — b) Bau/ni
heißt hier biegen; bei Mi. ist r^uni P^lastizität, bei jB hin- und herschwanken.
Der mai-Kumurya wird bleierne d. h. biegsame Sichel genannt , weil er sich und
seine Leute mit heiler Haut durch alle Kährlichkeiten hindurchzuretten weiß.
81 a) Güdu bezeichnet liier die Flucht der Landleute vor einem Raubzug
nach einem festen Punkte. — I)) Fdfggai ist eine kleine Stadt im südlichen Kano-
gebiet.
84 a) Das sonst nicht belegte würki ist nach A Kriegslärm. M schlägt au
Haussa - Sänger. 573
K.
Die Haltung einiger Stadthäupter während dieser
gefahrvollen Zeit anerkennend und eine in Fargai
eingetretene Panik rügend, weist der Sänger auf
den Wesir genannten wilden Statthalter von Gar ho
als den starken Mann hin.
Von ihm samt seiner ebenfalls mit den besten Zaubennitteln versehenen
Gefolgschaft dürfe man, so übel auch sein Verhältnis zur Geistlichkeit sei,
ein erfolgreiches Vorgehen gegen den mehr gefürchteten als mächtigen Ha-
rana (s. Einl.) erwarten. Freilich sei des Wesirs Angriff durch seinen Ober-
herm, den Kanokönig, gehemmt worden, der von seinem Vertrauten Da-
nyäya erfahren habe, daß Haruna in seinem schwer zugänglichen Felsennest
Niiügi weile. Obwohl der Feind hierdurch nur das Gefühl seiner Schwäche
verrate, werde sich die Ungeduld des Wesirs vor der Hand mit einem
kleineren Streifzuge begnügen müssen, zu dem der Sänger ihn nach Kräften
aufzuhetzen sucht
77 Ihr Herren von Kthuurya, von Laimre,
von Acika und von Dausnn!
78 Herr Kumuri/crs, wärst du nicht,
das Kriegsroß kam' uns zu Gesicht.
79 Herr Kumitrya's, du Sichel von Blei —
sie biegt sich, aber sie bricht nicht entzwei.
80 Herr von Lamire, mach dich auf
und wehre uns den Streit ab!
81 Wenn eine Flucht entstünde,
dann möcht' ich nie nach Fargai gehn.
82 Sieh nur die närrisch Verschlafenen,
wie sie vor Angst jetzt närrisch sind!
83 Wodurch gedenkt ihr Rat zu schaffen?
Das, was ihr tut, versteh' ich nicht.
84 Sobald ein Ort von Kriegslänn schallt,
sucht den Wesir, die große Maus.
Stelle des ihm unbekannten Wortes tcuyä Schwierigkeit vor oder auch yä-dace ward
leer statt ys-i tcurki. — b) Der Wesir wird babba-m bera genannt, weil die Maus
alles zerstört. Er ist der unter dem König von Kano stehende Gebieter von Garko,
einer lebenslustigen, 2 Tagereisen südlich von Kano liegenden Stadt. Im Besitz
der stärksten Zaubermittel, ist er ein für kriegerische Unternehmungen sehr ge-
suchter Führer. Seine Herkunft ist dunkel; man schimpft ihn sege {s. I 121) und
seine Tochter, eine Sängerin von leichten Sitten, die Spottlieder auf ihn singt,
segia. Bekleidet ist er mit einem netzartig durchbrochenen, Lachen erregenden
Frauengewand.
674 Rudolf Prietze,
85 Jßahi mal - dögo - n cds§bi
Schwarzer habend langen den Rosenkranz
ha dun tüo-fi-ku ya-zö ha,
nicht wegen Brei eures er kommt,
86 ha dum fufä-r-Jcu ya-26 ha,
nicht wegen Kloßes eures er kommt,
mai-hana kwanä-n zamne.
verhindernd Tag den Sitzens.
87 Wasiri gdwa-r nidta,
Wesir Leiche die der Frauen,
ha gawa-r mäl§m ha.
nicht Leiche die des „
88 Kadan waztri yä-fädl,
"Wenn Wesir er ist gefallen,
Jcada mälemi ya - tdha - si !
daß nicht „ er berühre ihn!
89 A- Jxdi - si hdya-n ddki,
Man bringe ihn Rücken den v. Gemach,
can dn-da mala ke sai.
dort wo Weiber tun Urin.
90 Kdda a - Mi - si kuSei,
Daß nicht man bringe ihn zu Gräbern,
koda mälemi ya - tdha - si.
obgleich „ er berührt ihn.
91 Zöfo-n ciko-n alzena
Altes das Füllen das Paradieses
ha ne siga wuta ne ha.
nicht das Eingehüs (in) Feuer ist.
92 Kai ne sdriki-n Gdrko,
Du bist König der v. „
ha n-ii abi-n da kd-ce ha.
nicht ich höre Ding welches du sagst.
93 Waziri, lai ne yäro,
Waziri, kai ne hahbd.
86 a) Bdki ist hier nicht Name wie I 95 , sondern gilt der Hautfarbe. .\
casg&t, PI. cashuna, Rosenkranz ist aus dem Arab. entstellt. M. schreibt taz^M,
Mi. tasbaha. Der Wesir trägt aus Heuchelei einen Rosenkranz von mehreren
Metern Länge, steht aber infolge seines lockeren Wandels und seiner Gewalttätig-
keit, die vielen das Leben kostete, mit der Geistlichkeit auf so schlechtem Fuße,
daß sie , wie der Sänger spöttisch empfiehlt , seinem Begräbnis am besten fern-
bliebe. — b) Dun für don durch Angleichung an den folg. Vokal, wie dum 86.
Hanssa - Sänger. 675
85 Der Mohr mit langem Rosenkranz,
er kommt nicht eurem Brei zulieb,
86 er kommt nicht eurer Klöße halb,
der Störenfried der Ruhezeit.
87 Sein harrt Bestattung durch Weiber,
nicht durch die Geistlichkeit.
88 Sank der Wesir dahin,
berühre kein Geistlicher ihnl
89 Man bette ihn hinter der Hütte,
dort, wo die Weiber pissen.
90 Man trage ihn nicht zu Grabe —
ein Geistlicher könnt' ihn berühren.
91 Was von jeher das Paradies gefüllt,
kommt nicht ins Höllenfeuer hinein.
92 Du bist der König von Garko,
und was du denkst, vemehm' ich nicht
93 Wesir, du bist ein Knabe,
Wesir, da bist auch groß.
86 Zu tüo und fufa vgl. Anm. zu 1 165 f. Dem Wesir ist es um die Kriegs-
steuer zu tun, die er seinen Schützlingen auferlegt und mit der er auch die Lust-
barkeiten des Feierabends (ktcand-n zamne) belastet.
87 A gäwa, PI. gäu-aye, Leiche. Des Wesirs Leiche wird dermaleinst von
Frauen gewaschen und eingehüllt werden, nicht vom Mäletn, dem dies sonst bei
Männern obliegt.
89 An der Hinterwand der einzelnen Behausungen (däki, vgl. 1 121), die der
Hof umschließt, befindet sich der dazu gehörige Abtritt. Sai Urin für das ge-
wöhnliche fi?ari steht nicht bei Mi. u. R.
90 a) Zu kiisei vgl. I 75. Der Plur. steht wohl für Friedhof. — b) Sollte
nicht koda versehentlich für kdda stehn?
91 Auch dieser Vers gibt Rätsel auf. Es scheint der groteske Scherz vor-
zuliegen, daß der Wesir deshalb vor der Verdammnis sicher sei, weil er mit seinen
Erschlagenen das Paradies bevölkert habe. Oder wird gar die durch den Wesir
begünstigte Liederlichkeit der Stadt Garko mit dem Paradiese verglichen? Ne ist
das dem folgenden Vokal genäherte demonstrative na vor dem Genetiv.
92 Zu ba n-zi vgl. I 18, zu abi-n da 17. Oft wird ce für das innere Sagen
das Denken, gebraucht, ebenso zi für das innere Hören, das Erfassen. Man
wußte, daß der Wesir sich zu einem Zuge gegen Haruna aufgemacht hatte, aber
von seinem Oberherrn veranlaßt war davon abzustehn. Der Sänger erführe gern,
wie er sich daraulhin verhalten wird.
93 Sinn: Du bist in zwiespältiger Lage, gegenüber dem König von Kano
klein, als Herr von Garko groß.
576 Rudolf Prietze,
94: Ana samurl-n nä-l'a?
Wo Burschen die deinigen?
Ga-si, wuya tä-samu.
Sieh es, Not sie hat gefunden.
95 Ku-nemi Kize va särlk'i-n fäwa,
Sucht Fett den Königs des der Schlächterei,
mal - citnki - n när§kewa !
Herrn Gewerbes des des Schmelzens!
96 And Karäu, na sdriki-n Gdrko,
Wo Glasarmband, der Königs des v. „
mal - ciniki • n kdriewa ?
Herr Gewerbes des des Zerbrechens?
97 Ku-nemi katdnga, si kua
Sucht Tonkrughals, er auch
kama-r-su Babdndiäe
Gleichheit ihre „
98 hl ku-n ie, ku-ce wa Harüna :
Wenn ihr geht, sagt zu „
Gaiyd ba fa-i wa-sa yahi ha.
Landwehr nicht sie macht zu ihm Krieg.
99 Domtn kuäahlm kiira-n-sa
Wegen winzig kleiner Ponys seiner
don ivonnan ba ya-i ma-na foma ha.
wegen dieses nicht er macht zu uns Gepränge.
100 Ga mai-rigd-n ragd,
Sieh Herr Tobe der „
haki mai-huzn-m mage,
schwarzer Herr Fells des der Katze,
101 ana samari-n nä-ka,
wo Burschen die deinigen,
mai-lidna yörd tvasd?
Verhinderer Knaben Spiel?
102 Kaddn waziri yä-fädi,
Wenn der Wesir er fiel,
mätä ne zä-su fufi-^i.
Frauen sind gehn sie bedecken ihn.
94 Es ist die Bande von 150 zauberkundigen Spießgesellen gemeint, mit der
er Raubzüge ausführt. Der Ruhm der hier genannten Helden besteht laut ihren
Beinamen hauptsächlich darin, daß sie Wunden zu vermeiden wissen.
95 Der nom de guerre Fett bezeichnet den, der schmilzt, verschwindet, wenn
man ihn fassen will. Na wird hier niciit Bruder, sondern Gefolgsmann sein.
Haussa - Sänger. 577
94 Wo sind sie, deine Gesellen?
Sieh, es ward Ernst für sie!
95 Sacht Fett, des Fleischerobersten Mann,
ihn, der die Kunst des Schmelzens liebt !
Ö6 "Wo ist Glasring, des Königs von Garko Mann,
der im Zerbrechen so geübt?
97 Sucht auch den Tonkrughals, den Mann,
der Leuten wie Bahamliie gleicht
98 Und geht ihr, sagt Hnrnna an:
Es käunpft mit ihm kein Bürgerbann.
99 Mit winen Ponys, den winzigen Tieren,
da kann er uns nicht imponieren.
100 Schau hin, du Mann im Netzgewand,
du schwarzer Träger des Katzenfells,
101 wo sind sie, deine Gesellen,
du Störenfried des Jugendspiels?
102 Sinkt einst der Wesir in die letzte Ruh,
dann kommen Frauen und decken ihn zu.
96 „Glasring" ist ebenfalls nicht zu fassen, weil er in kleine Stücke zer-
bricht.
97 Mi. und R geben katdnga ungenau durch Scherbe wieder. Es ist die
Mündung des großen Tonkrugs tulu (vgl. 33), die ganz bleibt, auch wenn dieser
zerbricht. Wegen solcher Festigkeit ist kaiahga Spitzname des dritten Spießge-
sellen, der mit dem sagenhaften Babdndize („Oheim der Hirsewurzel") verglichen
wird. Von letzterem heißt es sprichwörtlich : Jcusarua-r (die Ecke, PI. kusaruowi)
danga (Wand, PI. dangogi) mai-kama-r mutün d. b. Mauerecke, die (im Dunkeln)
wie ein Mann aussieht, also unerschütteriich. Zu su vgl. 9.
93 Gaiyd (vgl. 9», das .Aufgebot seiner Untertanen wird nach seiner Schlag-
fertigkeit, im Vergleich zu dieser Gefolgschaft, gering gewertet.
99 a) Nach A bedeutet das bei Mi. und R nicht genannte küie, PL kuidküzay
ganz klein. Kora ist PI. oder Nebenform des in Pfl. u. T. 152 vorkommenden
kuru Pony. — b) Na ist eine dem Arab. entsprechende Nebenform von rnu wir.
Mi. R föma stolz, Hochmut.
1(X) a) Nach A dient rogd kleines Netz , PI. regogi, (vgl. Mi. räyä Hänge-
matte, Tragnetz) hier zur Bezeichnung des netzartigen Waffenrocks des Wesirs.
Das große Netz heißt nach A kömo, PI. komomi, (so auch R; Mi. dafür foma),
das M als Baumart bezeichnet. Für ragd setzt M hier ragga Lumpen (= Mi.j.
— b) Baki s. 86. Büzu, PI. btizaye, sonst ein Fell, auf dem man sitzt, ist hier
der ausgestopfte Pelz einer Katze (A mage, PI. mägogi, R maggi), in den ein
Zaubermittel eingenäht ist.
101 a) Hier schließt der 94 mit derselben Frage eingeleitete Passus, und der
Sänger variiert in den nächsten 3 Versen das 87 — 90 Gesagte. — b) Ähnlich 86 b.
102 Die Bestattung ist bei den H ähnlich wie bei den Arabern Nordafrikas •
nur wird die Orabkammer mit Holz statt mit Steinen zugedeckt.
578 Rudolf Prietze,
lOS Kuma-r ma-auna-n GdrJco
Gleichheit die Wiegeplatzes des v. „
SU ne zä-su riifc-si.
sie sind gehn sie bedecken ihn.
104 Ma-su mänya-mänya döka
Habend große große Haartracht
sa ne za-su tahä-si.
sie sind gehn sie berühren ihn.
105 Mai-lakaiece-m hälci,
Habend Wulst den Mundes,
Harütia hahhd-n sege !
„ großer der Hurensohn!
106 Ba domin abi-n hanzd ha
Nicht wegen Dings des umsonst
mai-hafa dea na langd.
habend Bein eins tut Humpeln.
107 Ba domin ahl-n ivöfi ha
Nicht wegen Dings des Leeren
mai-ido de na Icdnne.
habend Auge eins tut Blinzeln.
108 Mai-kdr^ß ko da kam
Habend Kraft ob mit Rohr
ye-i köre, hahi hahhd-n hera!
er macht Verjagen, schwarz Großer der Maus !
109 Wd sa-i harui ma-na langd?
AVer geht er hindern zu uns Hink spiel?
Sdriki yä-hana langd.
König er hat gehindert Hinkspiel.
110 Kaddn a-n hdna langd,
Wenn man hindert Hinkspiel,
sege ka-hana sehi !
Lump du hinderst Haschen.
111 Wazvri yä-tafi Gonid,
Wesir er ist gegangen „
ha i - käivo göro ha.
nicht er bringt heim Guronuß.
103 Ma-auna ist nacli A wörtlicli ein Getreidemaß in Gestalt eines V» Liter
fassenden Kürbispcfäßes, wie das gleich große, vermdgo einer Handhabe als Löffel
benutzte lüde, Tl. ludea. Nach Mi. ist mu-auna der Ort, wo vermessen oder ver-
wegen wird, mä-atml Wage, Maß, Hier wird mn-auna für Kuppelei gebraucht;
es gibt in Garko Frauen, die dem Fremden für Korn und sonstige Ware in ihrem
Hause Obdach und ein Mädchen verschaffen.
Haassa - Sänger. 679
103 Der Weiberbörse von Garlo gleich
'n'erden sie nahn und decken ihn zu.
104 Die mit der riesigen Haarfrisur,
die werden die Hand an ihn legen.
105 Du Mann mit dem wulstigen Maule,
Haruna, alter Hunsfott!
106 Es spielt nicht ohne Ursach,
wer bloß ein Bein hat, Hinkefuß.
107 Es ist nicht ohne guten Grund,
wenn der Einäugige blinzelt.
108 Wer Kraft hat, obsiegt mit dem Rohrhalm im Strauß,
unser Schwarzer, die große Maus.
109 Wer will uns hindern am Humpelspiel?
Der König hemmte das Humpelspiel!
110 Und hemmte man das Humpelspiel,
ein Hunsfott, hemmst du ein Haschen auch!
111 Nach Gonla zog der Wesir hinaus,
bringt keine Guronuß nach Haus.
104 Doka, PI., dokoki, ist nach A und Mi. die aufgetürmte weibliche Haar-
tracht im Sudan, nach Mi. dem früheren bayrischen Raupenhelm ähnlich.
105 In diesem und den folgenden Versen macht der Verdruß über die Ver-
hinderung des Feldzugs sich in Schimpf und Spott gegen Haruna Luft, der so
wenig Kraft zeige. Lakacece, bei Mi. und R nicht angegeben, ist ein dicker Wulst,
namentlich der der Unterlippe, wie am Kamel. Daß die Bewohner des Sudan sich
ihre wulstigen Lippen vorzuwerfen lieben, zeigt Nr. 24 meiner Bornulieder, wo
der Kanuri dem H zusingt : Dein Maul ist wulstig wie das des Kamels.
106 Langd, ursprünglich ein Bomuwort, dem im H dfaia entspricht (nicht
bei Mi. u. R), ist ein Kinderspiel, bei dem man seinen einen Fuß mit der Hand
rückwärts emporhält und auf dem andern zu einem Ziele humpelt.
107 Wenn hier das dea des letzten Verses zu de verkürzt ist, so zeigt dies,
wie auf Forderungen des Rhythmus Rücksicht genommen wird.
108 Diese wohl mit dem ähnlichen Klang von kafd und köre spielende Wen-
dung s. auch HL. 37. Zu bdki s. 85, zu hdbba-m bera 84.
109 Zu ma-nn vgl. 99. Der Vergleich mit longa, der 106 dem Verhalten
Haruna's galt, wird hier auf die vom Wesir begonnene, vom Eanokönig verwehrte
Unternehmung gegen jenen bezogen.
110 Dem laiigd wird ein andres Kinderspiel, das Haschen, stlü (nicht bei
Mi. u. R.) gegenübergestellt als Bild für einen kleineren Beutezug (H hari, dem
Kanuri entlehnt), dessen Verbot geradezu eine Gemeinheit sein würde. Kä du
kann im Sinne von man verstanden werden ; die Keckheit jedoch, mit welcher der
Kanoköuig in den Versen 161 flf. angegriffen wird, rechtfertigt die Annahme, daß
hier eine direkte .Anrede vorliegt.
111 Aus Gonia beziehn die H ihre vielbegehrten Kola- oder Guronüsse vgl.
1 52. Mit einer mißglückten Handelsreise dorthin vergleicht der Sänger den un-
ausgeführten Feldzug des Wesirs, um diesen gegen die Weisung seines Oberherm
scharf zu machen.
580 Rudolf Prietze,
112 Sankara tä-kan ei,
Kolamade sie hat gepflegt essen,
iska iä - huse - sL
Windsbraut sie hat geblasen es.
113 Kan a-n hana mä-na langä,
"Wenn man hinderte zu uns Hinkspiel,
göhe maa - äe selü!
morgen wir werden gehn Haschen!
IM Ba hnka ne ha,
Nicht so ist,
ha hdka a-ke Iduni-m ha.
nicht so man tut Farbe die.
115 Mai-Küniurija, M-ka Kümurya,
nmi-Dar§ki, komd Dar§ki!
116 Gama könii Harüna ya-äika,
Weil was auch „ er arbeitet,
du da sina-m Ddnyaya.
alles mit Wissen dem des „
117 Komi Ningi ta-bunne,
Was auch „ sie vergräbt,
üanyaya yä - töne - si.
„ er giub aus es.
L.
118 Da ni da yaye - r Mao
Und ich und ältere Schwester die des „
wanene zd-i • feha-mu ?
Wer ist geht er trennen uns?
119 Yäye - r Mao, Ipauna ya^inya ee,
Ältere Schwester die des „ Liebe Mädchen ist,
a hankali kam hi-ta, ta-girma.
in Klugheit (man) pflegt folgen ihr, sie wird groß.
120 Mata-r mutün kabari-n-sa,
Weib die des Menschen Grab sein,
bäbu mi-hünce-Si.
nichts lösend ihn.
112 Sankara und iska sind die beiden Feinde der Guronüsse. Zum Schutz
gegen Austrocknung werden diese einzeln in Blätter gewickelt und in einen Leder-
koffer verpackt, der nur wöchentlich einmal geöffnet wird, weil sie der Anfeuch-
tung bedürfen. Sankara und iska versinnbildlichen den königl. Befehl, der den
ndel" verdarb.
Haassa- Sänger. 581
112 Es hat ein Wurm an ihr gezehrt,
es hat ein Glutwind sie versehrt,
113 TJnd wehrte man uns das Humpelspiel,
60 wollen wir morgen haschen gehn !
114 Auf solche Art nicht!
So spielt man diese "Weise nicht I
115 Herr Kümiirya'a, geh nach Kümurya^
Herr Darki's, kehre nach Darki zurück,
116 weil alles, was Harnna treibt,
Danyaya nicht verborgen bleibt.
117 So viel auch Hingi vergraben mag,
Danyaya bringt es an den Tag.
L.
Von dem festen Bande, das den Sänger an diejenige
knüpft, die er sich zur Frau ausersehn hat (vgl. E 54).
118 Mich und des Mao Schwester,
wer möchte je uns trennen?
119 Kind, Lieb' ist eine kleine Maid,
man hegt sie klüglich, und sie wächst.
120 Die Gattin ist des Mannes Grab,
nichts kann ihn davon lösen.
113 Maa-ie ist das Fut., dessen Präfixvokal zweigipflig, unter Erhöhung des
ersten Gipfels, betont wird. Sslu s. 110.
114 Launi aus dem Arab., mit Artikel launi-n, heifit hier Tanzweise.
115 Kiimurya s. 77 ff. Sein Herr war wie der von Darki, das ebenfalls zu
dem Kreise kleiner Städte südlich von Kano gehört, in Begriff gewesen den Kriegs-
zug des Wesirs mitzumachen, und erhielt nun Gegenbefehl. Ze-Tca, altertüml.
mit Suff, statt Präf., geh. Koma kehre zurück.
116 Danyaya, wörtl. Sohn des älteren Bruders oder der älteren Schwester
{yaya in dieser Bed. ist dem Kanuri entlehnt), ist der Name eines .Mannes , der
infolge verwandtschaftlicher Zwistigkeiten von Ningi auf Kanogebiet übergesiedelt
war. Dank alten Beziehungen konnte er den König über das Treiben Haruna's
in Kenntnis erhalten.
117 Für bünne hat Mi. hizne, K bisne. Ningi ist als Stadt Fem.
118 Yäya s. 116. Mäo ist vielleicht der 54 genannte Sohn Ali's , dessen
Schwester dort angeredet wird.
119 MK kamna Liebe, Verlangen, Mi. katnna Hoffnung, kam s. 20.
120 Ein beliebtes Sprichwort: Die Frau ist das Sclücksal des Mannes, von
dem er nicht loskommt. Kabari zeigt, wie bei Entlehnungen aus dem Arab.
dessen velares k durch k wiedergegeben, also nicht mit dem k des H wesensgleich
gefunden wird, ebenso alkali Richter u. a. Den 2. Halbvers hat M hinzugefügt,
daher seiner Mundart entsprechend mi- statt mai-.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 4. 40
582 Rudolf Prietze,
M.
121 Wota uyä sai nä-ha!
Welche Not außer deiner!
Sare ha yä-jüre ha.
Nichtverwandter nicht er ertrüge.
122 Mai-Gär§hi yä-yi l^äri,
Herr v. „ er machte Räudiges,
ha i-san ahi-n Jcunya ha.
nicht er wußte Ding das der Scham.
123 Mai'Gdr^hi, harJca dduya!
Herr v. „ Segen mit Not!
yä - i raua a gu-n-su Haruna!
Er hat gemacht Tanz in Ort ihrem „
124 Yä - i, su-n yenke-§i!
Er hat gemacht sie schlachteten ihn.
Mai-Gar§bi, ha don hai ha,
Herr v. „ nicht wegen deiner,
125 wa sä-i ii zorq-n oß,
wer geht er fühlen Furcht die des Leeren,
da Alla yä-bd-ka saräuta!
und Gott er gab dir Königswürde!
126 Dära abi-n yard ne,
Spiel Ding das der Knaben ist,
gemu ha sd-ya iya ha!
Bart nicht geht er können.
127 Gemu ha ya-gnje gemu ha,
Bart nicht er läuft Bart,
ni ha na-guje arne ha.
ich nicht ich laufe Heide.
128 Mai-Gdr§bi, hä-läldce —
Herr v. „ du bist verdorben —
wakd-r-ha mu-ü gane-ta!
Lied dein wir haben gesehn es.
121 a) Statt nä-lca würde man tä-Tca erwarten. — b) Bare s. 39: Selbst der
gänzlich Unbeteiligte wäre empört. Yä Tempus der Folge nach einem zu ergän-
zenden Bedingungssatz. A jüle, jure erdulden, aushalten = Mi. jure, daure, R
dauri, M zimre.
122 GarH liegt 3 Tagereisen südlich von Kano. Lfäri ist das arab. el'arr,
dem Lautcharakter des H angepaßt, vgl. I 8, 177.
Haossa - Sänger. 583
M.
Unwille über das schmachvolle Verhalten des Stadt-
herrn von Garbi, der Haruna's Grebiet mit Krieg
überzogen hatte, aber gefangen wurde und sich von
den Leuten Haruna's zum Tanzen zwingen ließ, be-
vor sie ihn erschlugen.
121 Welch Elend vergliche dem deinen sich!
Dem {^remden selbst wär's ungeheuerlich.
122 Mit Schmach belud sich Garbi's Herr,
er wußte nicht, was sich nicht schickt!
123 Stadtherr von Garbi, wohl bekomm's!
Er tanzte vor Haruna's Volk!
124 Er tat's — und es hat ihn geschlachtet!
Stadtherr von Garbi, wer sonst als du
125 verspürte je so feige Furcht,
wo Gott dir Herrscherwürde gab!
126 Das Spielen konunt den Knaben zu;
Wer einen Bart trägt, darf das nicht!
127 Und kein Bart läuft vor andenn Bart!
Ich laufe selbst vor Heiden nicht
128 Stadtherr von Garbi, du verdarbst!
Genug mit unserm Lied von Dir!
123 a) Däuya ist zusammengezogen aus da(tD)uya; barka höhnisch: sei ge-
grüßt in der Not. — b) Gu-n aus guri-n s. I 30. Zu su mit folgendem Namen
s. 9, hier: Haruna und seine Leute.
124 Nach yä-i ist raua aus dem vorigen zu ergänzen. Ba don kai ba bat
den Sinn des englischen but for thee. Hier liegt der seltene Fall eines Enjambe-
ments vor.
125 Oft für Kofi, wie 121 uya für wuya. Sarauta ist eine Ergänzung RTs.
126 A dära PL ddrori, ein bestimmter Tanz. Dagegen ist nach M dära ein
Spiel, bei dem Muscheln in kleine Erdlöcher geworfen werden. So auch bei R.
127 Cruje ist bei R als Nebenform von gudu laufen angegeben. Von ihm
2U. unterscheiden ist goce ausweichen 135,
40^
584 Rudolf Prietze,
N.
129 Mai-duzi si zomö ne!
Herr des Felsen er Hase ist!
Sünä-n-sa yä-taß har Gonää.
Name sein er ist gegangen bis „
130 Koiva düka yä-sän-7ca,
Wer auch jeder er kannte dich,
säriki-n Käno ya-sö- ha,
König der v. „ er liebte dich,
yanzü yä-här wöfi.
jetzt er ließ leer.
131 Mazd-n hwarei kamd-r da-n Wdir§
Männer die der Güte Gleichheit die Sohnes des „
SU köiva ke Tcamnd.
sie wer auch tut Lieben.
132 Domin zomöie mai-duzi.
Weil Hase Herr des Felsen,
ha a - kdi - si guri-n gabd.
nicht man bringt ihn Ort des Kampfes.
133 Sai kainä-r sariki-n Gongmi
Nur Gleichheit die Königs des v. „
Düna ha-ka da zorö.
„ nicht du mit Furcht
134 Kama-r-su mai-Kdrae ;
Gleichheit ihre Herr v. „
babd-n Ämadu hd-iya zorö,
Oheim der des „ . nicht er Furcht,
135 bahd-m Bellö ha ya-göce ha,
Oheim der des „ nicht er weicht,
kaddn icufi ye-i ivdrki,
136 ku-nemi huha-n Güntö,
sucht Oheim den des „
häwa har ka-m häwa.
Sklave bis Kopf den des Sklaven.
129 Gemeint ist Bdlo, der Fulbefiust von Dü^i Gadaur , einer umfang-
reichen Feste, 4 Tagereisen östlich von Kano im Gebirge, der, seit er vor Haruna
floh, verspottet wird. Ob der 2. Halbvers und 130 ihm, wie die Vorrede sagt,
einen ehemaligen guten Ruf zuschreiben oder seiner jetzigen Unehre gelten , läßt
sich nicht sicher erschließen ; die Liebe des 161 ff. bitter geschmähten Kanokönigs
entscheidet die P'rage nicht.
131 a) Das meist zum Verstärkungsadv. „sehr" abgeblaßte kwarii zeigt hier
Haussa - Sänger. 585
Der Sänger rügt die Haitang des Herrn von Duzt Ga-
ddur, der, sehr unähnlich anderen Herrschern, letzt-
hin durch Feigheit ehemalige Sympathien eingebüßt
habe, bezweifelt, daß ein neuerdings große Erwar-
tungen erregender Günstling eines Kano-Großen sich
bewähren werde, und preist dafür den Würdenträger
Kuduhe in Marma unter der Hoheit des Königs von
JTadeJa als erprobt.
129 Der Herr vom Fels ist ein Hase!
Sein Name drang bis Gonia hin.
130 Du warst in aller Welt bekannt,
und Kano's König hat dich geliebt
hat jetzt dich aufgegeben.
131 Nur tapfre Männer wie Wäire's Sproß,
sie hat ein Jeder gem.
182 Doch weil der Felsherr ein Hase ist,
bringt man ihn nicht zum Kampf.
133 Nur ein Mann wie du, Fürst von Gongon,
IHina, du fürchtetest nichts!
134 Nur Leute wie Kdrae'B Herrscher,
Ohm Amadu's, fürchteten nichts.
135 Der Oheim Bello's wich nicht,
wenn Kriegslärm sich erhob,
136 sucht nach dem Oheim Gonto's,
dem Sklaven, ja Übersklaven!
wie in Mi's da-n kwarai seinen ursprünglichen Charakter als Sahst. Der tapfere
Sohn der südlich von Kano gelegenen Stadt Wairs, Abu Bdkar zur Zeit des Kö-
nigs Alü von Kano, fiel im Kampf gegen Haruna. — h) Das Obj. su ist hier,
weil hetont, vorangestellt; ke für ye-fcc, vgl. 122. Kamna s. kauna 119.
132 Um den Ausfall gegen einen Fulbefürsten als solchen zu kennzeichnen,
steht zomöze, d. h. das H-Wort zomo mit demjenigen Suffix, mit dem die Falbe
die dem H entlehnten Wörter zu versehn pflegen (z. B. kudaku-:e Batate für H
kudaku, takantd-ze für H takanda Zuckerrohr ; nur dürfte dies le oder je eigentlich
Pluralendang sein). Das eigentliche Fulbewort für Hase ist böjel.
133 Gongon kleine zu Kano gehörige, eine Tagereise westl. gelegene Stadt.
134 In der Nähe von Gongon, westlich davon, liegt Kdfae, ein größerer Ort,
der 30Ö Berittene stellt. An seiner Spitze stehn die Brüder Amadu und BtUo
(135), dieser als Fürst, jener als Thronfolger (galadima). Ihr Oheim aud Vor-
gänger fiel mit Düna (133) im Kampfe gegen Haruna.
135 Bello s. vorige Anm. Der 2. Halbvers fand sich schon 84 und steht
hier anscheinend &7t6 %oivov, da sich dieselbe Wendung wie 34 anschließt
136 Obwohl das Wort bäwa Sklave an sich nicht verächtlich ist, vielmehr
586 Rudolf Prietze,
137 Bawa-n Abdu nä sage
Sklave der des „ der der Kostbarkeit
si ne ye-ke alwdsi.
er ist er tut Versprechen.
138 Alwdsi ha yäki ha,
Versprechen nicht Krieg
sai a-n yi Jean sdn gask§.
außer man hat gemacht, pflegt wissen Wahrheit.
139 Amd Kuduhe na sdfiJci-n Marma
Aber „ der Königs des v. „
yä-i mü - n gani, ha woi ne ha,
er hat gemacht, wir haben gesehn, nicht Gerücht ist.
140 Arm Kuduhe, da-m Fdnna,
Aber „ Sohn der der „
sard ahi-n rufa söras,
Balken Ding das Deckens Lehmhäuser,
141 Hnge na sdr§M-n Marma
Zaun der Königs des v. „
düzi ciki-n rud ne si,
Stein Bauch der Wassers ist er,
14^ ha i-san dna rand ha,
nicht er weiß wo Sonne,
hd i-san dna iska hd.
nicht er weiß wo Wind.
143 Alkama-r ka-n düzi —
Weizen der Kopf des Felsen —
Alla ka-hä-ta rüa,
Gott, du gibst ihm Wasser,
144 räni ha-iya hone-ta,
Trockenzeit nicht sie verbrennt ihn,
md-hudi, haha-n Ai§e!
Schlüssel, Oheim der „
145 Yafd su-n göde nta, nianyd su-n göde ina,
Knaben sie haben gedankt dir. Große sie haben gedankt dir,
md-hudi, jtgo-m Mdfma.
Schlüssel, Brunnenbalken der v. „
oft Kriegsknecht bedeutet, gibt ihm doch die Steigerung har Ica-m bäwa spöttische
Färbung, weil der Betreffende prahlerisch auftrat. Har dürfte auf arab. hatta
zurückgehen, wie das feminine r auf t.
137 a) Abdu war ein Würdenträger in Kano. Na wie 91, 106. Mi. zdge
kostbar aufgeschirrtes Pferd, das im Zuge hinter dem König geführt wird (A =
B zagt), A tagi, PI. zägogi, Prunkstück (döifct-n zage Staatspferd), hier ironisch,
Hanssa- Sänger. 587
137 Abdu's Sklave, das Kleinod,
er ist's, der Versprechungen macht
138 Versprechen ist nicht kämpfen;
an der Tat nor erkennt man das Echte.
139 Doch des Fürsten von Manna Mann, Kudube,
hat gehandelt, wir sahn's, es war kein Geröcht
140 Doch Kudube, der Fanna Sohn,
er ist ein Balken, der Häuser deckt,
141 der Zaun des König von Manna,
ein Felablock, der im Wasser liegt:
142 er spürt's nicht, wenn die Sonne scheint,
er spürt's nicht, wenn der "Wind weht.
143 Ein Weizen, der auf Felsen wächst —
du, AUah, gibst ihm Wasser,
144 kein Sommer kann ihn sengen —
ist Aischa's Ohm, der Kammerherr.
145 Es sind dir dankbar Jung und Alt,
du Brunnenbalken von Marma!
weil auf einen Renommisten bezüglich. Nach M ist auch der Ausdruck bmca-n
zaye Elitesklav gebräuchlich.
138 Sai hier unterordnend. Kan für a-ltan s. 20. San für sani. AMR
haben gaske neben gaskia Wahrheit.
139 a) M schreibt amma wie im Arabischen. A ludubi (M küd^) war der
zuverlässige Führer der Sklaven in der Stadt Marma, deren Oberhaupt der Sohn
des Königs von Hadeza war. K hat tapfer gegen Haruna gekämpft, ohne ver-
wundet zu werden. Marma im JJadeia-Gebiet heißt bei A Mantnan. — b) A M
tcoi leeres Gerücht ist wohl identisch mit Mi. R toat, dem Aasdruck der Ungewiß-
heit: „man sagt"*.
140 Fanna weiblicher Bomuname, vgl. 1 147. A zara, des Verses halber
für äzara, PI. azaröri, Deckbalken. Sorae ist Plur. von söro Lehmhaus, das mit
Balken gedeckt wird, auf die man nach Mi. eine fußdicke Schicht Erde legt. Ein
Oberstock darüber heißt nach M sörö-m bina, und zwar sollen beide Worte aus
Bornu stammen. Mi. nennt es söro-n bene und deutet dies als „Haus des kleinen
Vogels bene", der mehrere Nester übereinander baut.
141 A singe, PI. singogi, Hecke, Zaun = Mi. simgi, simge.
142 Bild einer unanfechtbaren Stellung, nämlich in der Gunst seines Herrn.
143 Zu der Lautgestalt des dem Arab. entstammenden alkama, das durch
seine neue Endung Fem, wurde, vgl. das zu kabari 120 gesagte. Das Bild hat
eine ähnliche Bedeutung wie das vorige: Wie der Weizen auf dem Felsen nur
Gott sein Dasein verdankt, so Kudube seinem König.
144 Ma-budi „Öffner", Schlüssel, ist derjenige, der an Fürstenhöfen die Leute
zur Audienz führt (in Bornu c^goram). Daher nachher der Vergleich mit dem
Brunnenbalken, während der Fürst der Brunnen sein würde, vgl. I 132.
145 Ma soll hier des Verses halber für md-ka stehn wie I 109. Da ein
Halbvers md-ka vertrüge, scheint mir obige Gliederung beabsichtigt zu sein, wobei
588 Rudolf Prietze,
146 Ydro hä-iya käi gaiyd,
Knabe nicht er führen Landwehr,
sai da manya sii-na tare.
nur mit Großen sie sind zusammen.
147 Ymo ha-iya daii yäro ha,
Knabe nicht er aufheben Knabe,
sai Tcö SU - tarü su-laläce.
nur ob sie sich sammeln sie verderben.
148 Tüsa ha ta-fura wutd ha,
Bauchwind nicht er bläst Feuer
sai ho kdria 3ä-a yi.
nur ob Lüge geht man machen.
0.
149 Wonda isa-i ze Ningi,
Welcher geht er gehn „
in yä-äe, ya-ce wa Haruna:
wenn er geht, er sage zu „
150 Ya-i Mro da bdwa-n sdrJci,
Er hat gemacht Widderstoß mit Sklaven dem Königs,
bd kua dd-n sariki ne ha.
nicht auch Sohn dem Königs ist.
151 Yä-sam da-n dwnhü-n-sa,
Er fand Sohn den der Million sein,
ya-sdke wäsa-H !
er wechsle wetzen ihn!
152 Wqnnan ha i-kdma ha,
Dies nicht es faßt,
ye-nemi sdf>o-n ddrto.
er suche neue die Feile.
dann wohl göde zu betonen wäre. Zu ma-budi, jigo s. 144 Anm. Bei Mi. ist
jlgo Galgen und Pfosten, an dem geschlachtetes Vieh aufgehängt wird, bei R so-
wohl letzteres , als auch Stützbalken für das Dach (wie azara 140) und Brunnen-
balken.
146 Auch dieser und die folgenden Verse sollen die Bedeutung des erfah-
renen Kammerherrn hervorheben. Gaiya s. 9. Nach M bliebe 8u-na hier besser
fort; tafi, ist Adverb.
147 a) Das nach ha-iya überflüssige 2. ha steht wohl als Reim auf 146 a).
Dau ist eine Kurzform für dauka heben, tragen, wie ga für gani sehen. — b) Im
Text steht a man für su sie ; doch M empfiehlt letzteres, weil a vor dem passiven
tafu und dem intransitiven laläce ungewöhnlich wäre. Übrigens steht dieser Halb-
vers schon 53.
Haussa« Sänger. 589
146 Kein Knabe steht dem Heerbann vor,
55U Großen nur schart sich die Runde.
147 Kein Knabe hebt den Knaben empor,
vereint selbst gehn sie zu Gmnde.
148 Ein Bauch wind bläst kein Feuer hervor —
man führe denn Lügen im Munde !
0.
In der Erwartung neuer Kämpfe mit Haruna werden
den etwa des Weges Ziehenden Botschaften aufge-
tragen, einmal an den Feind, diesem einen schwe-
reren Streit als den mit dem eben gerühmten Ku-
dube au sgef ochtenen verkündend, darauf an Kudube,
ihn zum Erwerb neuer Zaubermittel zu veranlassen,
da die vorigen unwirksam gemacht seien, dann wie-
der an Harüna mit dem Hinweis auf Städte und Land-
schaften, gegen die sein Angriff nichts vermöge.
Nur Kano sei infolge der Weichlichkeit seines zum
Kinderspott gewordenen Herrschers Bello wehrlos,
wogegen Fürsten wie der von Mafwa sich nie ähn-
liches bieten lassen würden.
149 Wenn Jemand sich nach Ningi begibt,
so mag er Haruna berichten:
150 Mit dem Sklaven hat er den Bockstoß geübt,
mit dem Sohn des Königs mit nichten !
151 Er prüfte sein Millionenschwert,
nun schaff' er ihm neue Schneide!
152 Denn diese alte faßt nicht mehr,
er suche die neuste Feile!
148 Der Inhalt dieses Verses, einschließlich des Zusatzes, findet sich als
Nr. 358 in meinen Bornusprichwörtem.
149 In (aus dem Arab.) yä-ze dürfte nach dem ersten Halbvers nur vers-
füllendes Flickwort sein.
151 Tä-sam steht für yä-sämu: Er (Haruna) hat sein Schwert gefunden,
d. h. entdeckt, wie es durch den Kampf mit Kudube zugerichtet ist. Dumbu, von
A dunbu geschrieben, ist soviel wie dübudübu d.h. 1000 mal 1000. Der Sohn
der Million (nämlich von Kaurimuscheln, deren etwa 1000 auf 1 Mark gehn) ist
Harunas Schwert. Auch andre Dinge von hohem Wert, z. B. ein kostbares Pferd,
werden bisweilen so genannt.
152 R darto Feile.
590 Rudolf Prietze,
153 Ye-nemi mä-^eri-n Jcirki
Er suche Schmied den der Güte
mai'wäsi da iyawa.
schleifend mit Können.
154 Wa za-si Kürkuäe ho gübe?
Wer geht er nach „ ob morgen?
Ni isa-n md-sa sako, in yä-ie,
Ich gehe ich zu ihm Auftrag, wenn er geht,
155 ya-ce tca Kiidiihe da-m Fanna:
er sage zu „ Sohn dem der „
ya-sake äiki, ivonnan su-m häta-si.
er wechsle Werk, dieses sie haben vernichtet es.
156 Ye-nBmi säho-n mälem,
Er suche neuen den Gelehrten,
ye-nemi sabo-n böka;
er suche neuen den Arzt;
157 siri ha yä - kdre ha.
Rüstung nicht sie ward fertig.
Ku-ce iva Harima:
Sagt zu „
158 Bduci fjari-n Nyamnyäm ne,
„ Ort der „ ist,
si Jcua ha sä-ya iya ha.
es auch nicht geht er können.
159 Zdusaii su-na da duazu,
„ sie sind mit Felsen,
ndm ma ha zä-ya iya ha.
dort auch nicht geht er können.
160 Gqmhe na da hahhd-n Jcogi,
„ ist mit großem dem Gewässer,
ndm ma ha zä-ya hdye ha.
dort auch nicht geht er durchdringen.
161 Sai Kano rehsi iäll-n Ddho
Nur „ schlaffe Familie die des „
gafi-n-su hd-s-sa yähl.
Stadt ihre nicht sie Krieg.
154 Kürkuze ist eine kleine tapfere Stadt im Gebiete von HadUa, in der
Kuduhe damals weilte. Ko = ob auch, sogar. So bei Mi kö-yau sogar heute;
sein ko „schon" dürfte von diesem kö nicht zu trennen sein. Hinter der Futur-
umschreibung zär-n ist yi machen oder ha geben zu ergänzen. Zä-si in der 1.
Zeile für za-i ie (s. 149) ist auffallend ; st statt ya oder » ist im Sokoto-Dialekt
üblich. Zu in yä-ze vgl. 149.
Haassa - Sänger. 691
153 Er suche einen bewährten Schmied,
der wohl versteht zu schleifen.
154 "Wer will nach Kürkuie morgen schon?
Ihm geh' ich den Auftrag, er möge dem Sohn
155 der Fanna, Kt'tduhe, sagen:
Er wechsle den Zauber! Diesen verdarb man!
156 Er such' einen neuen Geistlichen,
er such' einen neuen Arzt!
157 Er ist nicht fertig gerüstet! —
Und dem Haruna meldet:
158 Sauci ist Kannibalenstadt,
sie wird er nicht zwingen können.
159 Zäiuau, wo man auf Felsen haust,
auch dort wird er's nicht können.
160 G(}rnbe hat große Wasserflut,
auch dort erzwingt er nicht Zugang.
161 Nur die Stadt von Däbo^B weichlichem Stamm,
nur Kano mag nicht kämpfen.
155 Äiki bedeutet hier Zaubennittel; die Torigen haben sie, nämlich Haruna
und Genossen, inzwischen unwirksam gemacht; es gilt, sich neue zu verschaffen.
156 Der Geistliche oder Gelehrte schreibt die Zauberzettel, der Arzt sucht
Kräuterzauber.
157 M setzt hier ba-iya kdretca statt ba yä-hdre ba, vgl. I 5.
158 Nyamnyam ist generelle Bezeichnung für menschenfressende Völker.
Der Haussakönig von Bauet hielt in seiner Hauptstadt Ydkubu eine gefürchtete
Truppe aus einem Heidenstamm, der dem Kannibalismus ergeben war.
159 Zaüzau, auch Zäria genannt, ist ein Haussastadt, westlich von Bauci;
südlich von Kano.
160 a) Gotnbe, nicht zu verwechseln mit Gomba am Niger, soll südlich von
Kano an einem großen Gewässer liegen, das in der Trockenzeit versiegt. — b)
JSdye ist bei Mi. herausfordern, bei R überfallen, bei A hindurchgehn , nach M
Parallelstamm zu hatca absteigen; hier wäre jede dieser Bedeutungen anwendbar.
161 a) Bsbsi = tabsi weich, kraftlos. In Kano herrschte damals der trotz
seiner Fulbeabkunft sehr weichliche König Billo, Sohn des Ahdu, der zu I 57 er-
wähnt wurde , Enkel des Dabo. Er starb vor etwa 27 Jahren ; sein Nachfolger
war der kräftigere Alu, den die Engländer entthronten. — b) Hier ist ba Nicht-
sein Subst. wie in ba-n-na I 120; bd-s-sa aus ba-n-sa. Sa bezieht sich auf die Stadt:
Krieg ist nicht ihre Sache.
592 Rudolf Prietze,
162 SariJcl-n-sii yä - sigd zorö.
König ihr er ging ein (in) Furcht.
yärd su-nt md-sa waka:
Kinder sie haben für ihn Lied:
163 W&i si da-n latdmbale,
Gerücht er Sohn der der Trägheit,
si ne mai-Fänisdu.
er ist Herr v. „
164 Bello ha-iya yähi,
„ nicht er Krieg,
sai süa Fänisdu.
nur Gehen „
165 Ku-ce iva Harima:
B§llo na Fänisdu.
166 Beini-n da kan iva Bello,
Verachtung welche pflegt zu „
Mdrma ha a-soma ha.
„ nicht man beginnt.
167 Takitake-n r^ini
Fußtritte die der Verachtung
Mdrma ha sn-i kdrba ha.
„ nicht geht er empfangen.
168 >Sa§-§ae-n da a-kan wa räkua,
Trinken Trinken, das man pflegt zu Schlupfwespe,
swna ha tä-kdrba ha.
Biene nicht sie empfängt.
169 Sae-sae-n da a - kan wa alSwa,
Trinken Trinken welches man pflegt zu Konfekt,
mddi ha yä-karba ha.
Syrup nicht er empfängt.
170 Dehe-debe-n da kdn wa sü gind,
Holen Holen welches pflegt zu ihnen Termite,
goano ho yä-karba ha.
gr. Ameise nicht sie empfängt.
162 a) Sapki ist Subjekt. — b) Su-m aus su-n mit poetischer Auslassung
von yi: sie haben gemacht.
163 Woi s. 139. A schreibt katdmale , M katdnbale = ragönci Trägheit.
Vgl. hierzu Mi. katambdri kleiner Strauch, dessen Wurzel als Abfuhrmittel dient
und aus dessen Blättern eine schwarze Tinktur hergestellt wird, mit welcher die
Frauen ihren Nasenrücken bestreichen. Fänisau ist eine Stadt in der Nähe von
Kano, der Lustort des Königs.
164 M schreibt Ballo, A Binlo. Ba-iya s. I 32.
Haussa - Sänger. 593
162 Ihr König ist in Angst versenkt;
die Kinder singen ein Lied axif ihn :
163 Es heißt, er ist ein Faulpelz,
ist Herr von Fanisdu.
164 Bello führt keine Kriege,
geht nur nach Fänisdu.
165 So sagt auch zu Harüna:
B§Uo von Fänisdu.
166 Verachtung, die man Sello zollt,
versucht man nicht bei Marina.
167 Fußtritte der Verachtung
wird Murina nie empfangen.
168 Ein Naschen, wie man's bei Schlupfwespen macht,
das ist bei Bienen nicht angebracht.
169 Fit» Naschen, wie man's mit Zuckerwerk macht,
das ist mit Syrup nicht angebracht
170 Lese, die man mit Termiten macht,
ist mit Kampfameisen nicht angebracht.
165 Na kann, wie ich annehme, Demonstrativ sein, zu dem Fänisau im Gre-
netiv zu denken ist; es kann aber auch das um sein Präfix ya poetisch verkürzte
Hilfsverb na sein: Bello ist in Fänisau.
166 Mi. schreibt reni. Kah ist verkürzt aus a-kan yi man pflegt zu machen.
Marmä, 139 u. 141 Name der Stadt, wird hier und im folgenden für ihren Ge-
bieter gebraucht; es ist davor aus dem vorigen Jean wa zu ergänzen.
167 Mi. täki Auftreten, Schritt, PI. take-take, vgl. 168 saye-saye.
168 a) Mi. saye-sdye, PI. von m trinken, vgl. 167 u. Pfl. u. T, 8. Nach kah
ist yi machen zu ergänzen. A räJcua, PI. rakuotci, Schlupf wespe , die sich in
hohlen Bäumen oder im Boden ansiedelt und in diesem Fall rakua-r kos (für kasa
des Bodens), PI. rakuotci-n kos, genannt wird. Man gewinnt ihren Honig, ohne
wie von der Biene gestochen zu werden , und manche ziehn ihn vor. — b) Der
H-Bienenkorb ist ein zwischen Baumzweigen befestigtes tütenartiges Strohgeflecht.
Um den Honig zu bekommen, treibt man die Bienen durch Feuer in die Enge der
Tüte, so daß man ihn vom ungestört herausschneiden kann.
169 Alewa ist nach Mi. Honigstange, nach M allgemein Süßigkeit, wie das
arab. el^ltca , aus dem es entstanden ist. Dagegen ist madi (vgl. I 72) nach R
eine Art Melasse aus den Früchten der dumnia (einer Ficusart, vgl. I 15) der
taura und der kaitcä oder kainya (St. 312 Diospyros mespiliformis) , nach M
auch der adüa (Balanitis aegyptiaca, vgl. St. 642), welch letzterer Extrakt leicht
Durchfall erzeugt — daher mutmaßlich der vorliegende Vergleich.
170 In debMebe von deha pflücken, herausziebn wie in säesae veranschaulicht
die Verdopplung die Wiederholung. M schlägt vor: tabd-tabe immer von neuem
berühren. Zu su mit folgendem Sing, als Apposition vgl. 9, wo eine Name folgt.
A M gind, PI. ginoni, nicht bei Mi. u. R., weiße Termite, vgl. Pfl. u. T. 64. Man
fängt sie während der Regenzeit, indem man ein Feuer neben einer kleinen Grube
anzündet, in die sie hineinfallen. Sie werden dann im Topf geröstet und gelten
594 Rudolf Prietze,
171 Kan mciä tä-iüre,
Wenn Herz es ausharrt,
ganga-n äiJd bawa ne.
Trommel die Leibes Sklave ist
P.
173 Namaddt§l, sarM-n döJci,
y, ' König der der Hast,
zagi-n gahd-n sagt!
Vorläufer der Brust des Vorläufers!
173 Namadot^l Guaid,
me zd-ya fddi ha - zintd ?
was geht es fallen du hebst auf?
174: Mai-abu-n na mutua
Herr Dinges des des Todes
Guaäa a-m bunne-si!
„ man hat begraben ihn!
175 Wäsa du a-n deina —
Spiel alles man hat beendet —
Guaza ba i-deina ba.
„ nicht er endete.
176 Namadot§l sanü da aiki,
„ Heil mit Arbeit,
Guaäa na sdfiki-n Garko!
177 Doroa ka§e mai-zäri,
„ töte Herrn der Gier,
funtü käse . mai-riga !
Nackter töte Herrn der Tobe!
178 K§lik§li-n zäda,
keau-n gani daga bdya!
Schönes das Sehens von Rücken!
für einen schmackhafteren Leckerbissen als Heuschrecken. A guanö, PI. guanuna,
große schwarze Ameise, Pfl. u. T. 62. Nach A sariki-n yaki König des Krieges
genannt. Man rührt sie nicht an, denn sie beißt.
171 Kan für kadtm. Zu iure vgl. 121. Hier gilt Trommel in weiterem
Sinne als Instrument, Werkzeug. Der Vers ist die Moral obiger Vergleiche.
172 a) Namadöt^l, eine nur von A bezeugte, rätselhafte Benennung, soll
einen übereifrigen Menschen bezeichnen , der überall eine leitende Rolle spielen
will, besonders bei Festen, selbst bei Leichenzügen. Döki (nicht bei Mi u. R)
Eile, Hast. Sarkin döki, König der Hast, ist eine wortspielende Parallele zu sa-
riki-n doki König des Pferdes, Stallmeister. — b) Zu zagt vgl. zage 137, hier
Läufer vor dem reitenden König.
Haassa - Sänger. 595
171 Ist ein Herz im Beharren brav,
dient ihm dea Leibes Maschine als Sklav.
P.
Scherzhafter Nachruf auf Guäio, den übergeschäftigen
Gefolgsmann des in K besungenen "Wesirs — ein Fakto-
tum, das, obwohl beständig ein Stichblatt des Witzes,
seinem Herrn, z.T. natürlich durch Zauberkraft, die
größten und gewagtesten Dienste geleistet hatte.
172 Hans Immervorauf, du Hastregent I
Läufer, der vor dem Vorläufer rennt!
173 G^uuid, Hans Immervorauf,
hebst du, was künftig fallen wird, auf?
174 Ihn, der der Begräbnisse Leiter war,
Grmiia hat man begraben!
175 Ein jedes Spiel ist zu Ende nun —
Guaäa fand kein Ende!
176 Hans Immervorauf, Glück auf zum Werk!
Guaia, des Herrschers von Garko Mann!
177 Doroa, die den Fresser verschlingt!
Nackter, der den Gewappneten zwingt!
178 Frucht der zdda, so lachend schön,
trefflich, wenn von ferne gesehn!
174 a) In äbu-n statt des gewohnten abi-n hat sich das ursprüngliche u er-
halten. — b) Banne s. 117.
175 Dsina s. I 74. A schreibt ya-diina; M erklärt a-n deina für richtiger.
Mit tcäsa ist das Tanzvergnügen gemeint, bei dem Cruaza maitre de plaisir war.
Ich bin nicht sicher, den Sinn richtig getroffen zu haben ; vielleicht wäre zu über-
setzen: Ein jedes Spiel hat seinen Schluß, Guaid nur fand kein Ende.
176 Sanu da aiki ist der Gruß, den der H an Arbeitende richtet Na deutet
hier wohl nicht auf den Bruder, sondern wie schon 96 auf den Gefolgsmann.
177 a) Doroa Parkia biglobosa vgl. Pfl. u. T. 33, wo sie wegen der Gefähr-
lichkeit ihrer Frucht makasiya tödlich genannt wird. Zur Konstruktion von kose
vgl. I 75. Da Cruaza mit verborgenen Amuleten versehn ist, merken viele nicht,
wie gefährlich er ist, und erliegen ihm. — b) G. hat so schwere Zaubertränke
gegen eiserne Waffen eingenommen, daß er eine Rüstung weder nötig hat noch
tragen kann, da sie zerreißen würde. So ist er dem Bekleideten überlegen.
178 a) KsliksU nach A PI. von ksli Juwel, glänzender Schmuck, nach M
etwas Hartes und Glänzendes. Es steht nicht bei Mi., bei R vgl. kaikili Freude.
7äda ist Acacia nilotica. Über die Frucht s. Pfl. u. T. 31. Sie soll oft voller
Würmer sein. — b) Daga häya von hinten, hier nach M von ferne.
596 Rudolf Prietze,
179 Dantnia na sdriki-n Garko,
Spuk der Königs des v. „
mai-hadda wäwa-n bakq!
Verleiter Nan'en des Fremden!
180 Tümya mäkanta idanü,
Kaktus blendend Augen,
wdwa ka - sdfa - ta!
Tor du reibst ein ihn.
181 Zararid mai-rikici,
Bohne betrügend,
wonca hä-ta nuna!
welche nicht sie reifen.
182 Gaydm-gayam na sdriki-n Gdrko
„ die Königs des v. „
wqnda hd-iya täro.
welche nicht es einsammeln.
183 Ni ha n-ce farta ha,
Ich nicht ich sage Vermessenheit;
mai-farta dölo ne,
Vermessener Tor ist,
ha i-san ta dunia ha.
nicht er weiß das der Welt.
184 Amd kaddn Uarima yä-kära,
Aber wenn „ er wiederholt,
daga tvönnan ha yä - koma ha.
von diesem nicht er kehrt wieder.
185 Kai, mai-tafia nan,
Du Wanderer dort,
kam Boldre zä-ka,
wenn nach „ gehst du,
179 a) Das nur A bekannte dantnia, PI. danlnioi, soll ein unheimliches
Wesen bezeichnen, das gegen alles gefeit ist. — b) M badda entspricht dem ba-
tasda bei Mi. Wärca-n baJcö generell: Der törichte Fremde. Nach A bezieht es
sich auf die Leute Haruna's, während M daraus schließt , Guaia habe u. a. das
weitverbreitete Geschäft betrieben, Fremde irrezuführen, um sie in die Sklaverei
zu verkaufen.
180 A makanta, M makabta, makabci blind machend, Mi. makabta, R nia-
kamci, makamta Blindheit von makäfo blind. Der Kaktus (A tinia) ist den Augen
besonders durch seine kleinen vom Winde verwehten Stacheln gefährlich ; bei den
Haussa - Sänger. 597
179 Des Garkohäuptlings Höllenzwang,
des dummen Fremdlings Bauernfang!
180 Kaktus, der die Augen verseucht —
ein Tor, wer sie damit bestreicht !
181 Bohne von jener trügenden Art,
die niemals reif befunden ward !
182 Schote des Garkohäuptlings, die springt,
daß keine Bohnenlese gelingt!
Nochmaliger Ausblick auf einen neuen Krieg mit
Harun a. Der Sänger weissagt ihm den Untergang,
zugleich versichernd, daß ihm selber vorzeitige
Ruhmredigkeit fern liege, die schon dem Zare übel
bekommen sei. Es sei um so mehr Pflicht der Jung-
mannschaft von G-arko, sich ernsthaft zu rüsten,
als die Blüte der Stadt durch die politische Tren-
nung von dem früher mit ihr verbundenen Duzi Ga-
ddur (s. N 129 flp.) sehr zurückgegangen sei.
188 Ich bringe nie Vermessenes vor;
denn wer da prahlt, der ist ein Tor,
er keimt sich nicht im Leben aus.
184 Doch finge Haruna nochmals an,
er kehrte nimmer wieder dann.
185 Du, o Wanderer dort,
führt dich der Weg nach Boldre,
H aber wird die Zerstörung der Sehkraft in erster Linie seinem milchweißen Saft
zugeschrieben.
181 a) A farafia (nicht bei Mi. u. R), PI. fafarioi, eine Bohnenart, die
nie reift oder nach M nie gar wird. — b) M schreibt hier wönda bä-ta nana.
182 Gayätngayam, PI. v. gaydtn (gleichfalls nicht bei Mi. u. R), Bohnenart,
deren reife Schote bei der Berührung aufspringt und ihren Inhalt zerstreut; sie
wird daher grün als Ziegenfutter verbraucht. Sinn dieses wie des vorigen Ver-
gleichs: Man kann seiner nicht habhaft werden.
183 A M farta (nicht bei Mi. u. R) , PI. färioi, Prahlerei, Übermut, vßgig.
Wer z. B. etwas in Aussicht stellt, ohne insallah hinzuzufügen , begeht eine
faria. Ta steht hier in einem allgemeinen, neutralen Sinn vor dem als Genetiv
zu denkenden dünto; man kann es auch als Hinweis auf magana Wort, Wesen,
Sache auffassen.
185 Kam für Kaddn. Bdläre ist eine zu Kano gehörige Stadt. Zä-ka,
sonst zur Futurumschreibung mechanisiert, steht hier in seinem ursprünglichen Sinne.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 4. 41
598 Rudolf Prietze,
186 düba arewa da küka,
blicke Norden mit Brotbaum,
Zare ne a konce.
„ ist in Liegen.
187 Zare yä - ce faria,
„ er hat gesagt Vermessenheit,
faria ta-ci-si,
Vermessenheit sie aß ihn,
188 ha i-san ta ea-n Adam ha,
nicht er wußte das der Kinder der Adams,
faräuta tduofi.
Jagd die des Leeren.
189 Su-n so su-kds ma-na yäro,
Sie haben gewollt sie töten zu uns Knaben,
Tanko da-ni ma-kera.
„ Sohn den der Schmiede.
190 „Ba girin-girin ha,
Nicht Geklimper,
ddmd da kize-n dei?"
rechts mit Fett dem etwas?
191 Ea-n samari-n Garkö,
Kinder die Burschen die v. „
ku-i siri da gäskid!
macht Vorbereitung mit Wahrheit!
186 Zare, ein Mann des Fürsten von Boläre (s. vor. Anm.), hatte sich ohne
Hinzufügung von insalläh anheischig gemacht, Gamzi, einen Gefährten Haruna's
zu erschlagen. Er wurde von Gamzi unter dem Brotfruchtbaume getötet und liegt
nördlich davon begraben. Zu konce vgl. Mi Tcwanci Lage, Liegen.
187 Hier mit Emphase das Perfektum yä-ce, während man sonst dem Aorist
ye-ce (das ya hier ständig angeglichen) begegnet. Doch vgl. 155 den Adhortativ ya-ce.
188 Zu ta vgl. 183. Das ta in tduofi aus td-wofi geht natürlich auf faj-duta.
189 So wollen dient auch phraseologisch, unser „beinahe" auszudrücken.
Kas für käse s. I 75. Ma-na statt mü-mu, vgl. 99. Tahko ist der Name eines
Knaben, der nach mehreren Mädchen geboren wird. Mit su sind die Leute Ha-
runa's gemeint. Ma-kera kann die Schmiede sowohl im Sinne von Werkstatt, als
der Mehrheit von ma-keri Schmied bedeuten. In beiden Fällen ist es ein selt-
samer Ausdruck statt des zu erwartenden ma-keri.
190 f. Angesichts dieses neuen Übergriffs der Bande Haruna's ermahnt der
Sänger die Jungmannschaft von Garko unter Anspielung auf eine bekannte Fabel,
Haussa- Sänger. 599
186 Schau nach Norden rom Brotbaum I
Zare ist's, der dort ruht!
187 Vermessen hat ec sich gerühmt,
Vennessenheit tötete ihn.
188 Er wußte nicht, was dem Menschen ziemt,
es war ein eitles Bemühn.
189 Fast hätte man uns einen Knaben erlegt,
Tanko der Schmiede Sohn.
190 „Nur kein bloßes Geklimper!
Nicht lieber etwas Fett?" '
191 Ihr jungen Leute von Garko,
auf, rüstet euch mit Ernst!
es nicht beim bloßen Geklimper (zu gijingirin vgl. hxirumbürum I 77) bewenden
zu lassen, sondern sich ernstlich in Bereitschaft zu halten. Die Fabel erzählt M
folgendermaßen :
Woniuin ta?unia-l küfä ce.
Ita ie kud wöta fäna ta-Jcan zö ciki-n gari
Sie war auch manchen Tag sie pflegte kommen Bauch den der Stadt
da dere ta-kan dauki da-n aküya ga kowatie
mit Nacht sie pflegte nehmen Sohn den der Ziege zu welchem auch immer
ffidd. Sai rätiä-n ta-z6-ta gidd-m mi-gürimi.
Haus. Nur Tag den sie kam sie Haus dem des Herrn der Laute.
Ta-dauki gürimi, gürimi ye-ce : kirth-kirih. Kura
Sie nahm Laute, Laute sie sagte: „ „ Hyäne
ta-ce: Ba kifihkifin ha ka-i mai!
sie sagte: Nicht „ „ mache Fett.
Dies ist das Märchen von der Hyäne.
Sie pflegte dann und wann nachts in die Stadt zu kommen und bald aus
diesem bald aus jenem Haus ein Zicklein zu holen. Doch an dem Tage (von dem
die Rede ist) kam sie zum Hause eines Lautenspielers und nahm die Laute. .Kirring-
kirring", sagte die Laute. „Kein Kirring-kirring", sprach die Hyäne, „schaflfe Fett!"
NB. Der Zindir-DiaAekt M's kennzeichnet sich durch den weiblichen Artikel
l für das westliche r und 7ni für mai-gurimi. Ta-z6-ta mit dem Personalelement
vorn und hinten ist eine Übergangsform ; in der Vorgeschichte der Sprache wurde
es suffigiert, wie sich aus einigen Resten ergibt. Die Beschreibung von güfimi
s. Einl.
Däma ist ursprünglich die rechte Seite, dann übertragen der bessere Teil
(daher auch wohl die Muße). R führt in diesem Sinne an: da dama etwas mehr,
ya-yi dama es wäre besser. Das hier hinter dem durch n determinierten kize
stehende dö ist ein Flickwort, etwa „wirklich, gibt esT-"^
191 Zu ga-n samari s. I 69 Anm.
41'
6ÖÖ Rudolf Prietze,
192 Gari da yawa made-n-sa
Ort mit viel Gepränge sein
yä-fesa JDüsi Gadäur.
er stand zurück vor „ „
193 Büzi tun da ta - hi - si,
„ seitdem sie verschmähte ihn,
bähu saura-n wayö,
nichts Kest der der Kunst,
194 ivayo-m hanza ne,
Kunst die des Nichtigen ist,
aM-n da ba-iya sobö.
Ding welches nicht es Gewöhnung.
R.
195 Bäha-n ZidoSi ciröma,
Oheim der des „ „
häha-n Wqrde, ubd-na,
Oheim des „ Vater mein,
196 ciröma, kaddn Jcai särki,
„ wenn du König,
Negele galadtma ne.
„ Thronfolger ist.
* *
*
197 Mai-kduna-r Älla, Jcar ya - käfa
Herr Liebe der Gottes, daß nicht es wiederhole
zagi-n gäye ma-dellesa,
Schimpfen das Krätze der abstumpfenden,
198 hu-bä-ni äro-n ksso,
gebt mir Darlehn das Lumpenmatte,
m - in simfidäwa gäye ma-dellesa!
gehn daß ich ausbreiten Krätze abstumpfende.
192 ff. Vielleicht sind diese Verse nicht, wie in der Vorbemerkung geschah,
als zu Q gehörig, sondern als selbständige Betrachtung anzusehn. Ganz außer
dem Zusammenhang scheinen mir folgende Zeilen zu stehen, mit denen A hinter
194 diesen „Diwan", ungleich dem vorigen, im Sande verlaufen läßt: Yd-ie yawc
Gafiki, Berebiri su-n köne Maraki er ist nach Gajiki spaziert, die Bomuleute
haben Maraki verbrannt. Gafiki ist eine fern im Osten in der Nähe von Gttmel
liegende Stadt; unter den Bornuleuten ist Tanlman von Damägaram zu verstehn,
ein unruhiger Vasall des Bornukönigs.
192 Zur Erklärung von wo^e (vgl. Mi. mädai Ansehn, Zusehn, Betrachtung)
nennt A als Synonym göfi (bei Mi. Prahlerei) ; ma^e sei „fantasia", also hier etwa
Üppigkeit, Gepränge, munteres Treiben. Düfii Gaddur, auch kurz Dufii genannt,
Haussa - Sänger. 601
192 Die Stadt nimmt's in Leben und Treiben
mit Düzi Gadäur nicht auf.
193 Seit Düzi sie aufgegeben,
schwand alle Lust dahin,
194 ist nur ein eitles Bestreben,
findet nicht Boden drin,
B.
Sprüche eines offenbar sehr volkstümlichen Sängers
Negele, die das Heimchen seinem Diwan angliedert.
195 Zidoäi's Oheim, Erbprinz,
Worde's Oheim, mein Vater I
196 Erbprinz, sobald du König bist,
ist Negele nächster am Thron.
* *
*
197 Freund Gottes, auf daß sich nicht mehre
Verwünschung schamloser Krätze,
198 so leiht «ine lumpige Matte
zum Lager mir schamloser Krätze!
* *
wurde schon 129 erwähnt, wo sein Herr ein Hase gescholten wurde. Hatte dessen
Feigheit die Trennung seiner Stadt von der des tatendurstigen Wesirs herbeige-
führt?
193 Wäyo bedeutet nicht nur wie bei Mi. List, sondern auch Kunst, Ein-
fall, heitre Laune, Lustbarkeit, „Leben" im spezifischen Sinne, ist also auch sy-
nonym mit göri (s. o.), bezw. made, „fantasia", und so ganz das Ideal der HaussaJeute.
195 f. ZidoU ist der Beiname eines Kindes, das beim Einheimsen der Ernte
{Udo) geboren wurde. Galadima und ciröma sind nach M Rangstufen bei Hofe,
welche, wie schon die Endung ma besagt, aus Bomu stammen, und zwar ist gala-
dima der dem Thron zunächststehende, ciroma der im Range folgende, mithin jener
in der Regel der erste, dieser der zweite Sohn des Fürsten. Hier scheint sich
jedoch B's AuflFassung zu bestätigen, welche den ciröma als Kronprinzen bezeichnet.
Nach R ist ciroma der Titel eines Königssohnes und zuweilen des Thronerben.
Die Stellung des galadima mag nicht überall die gleiche sein. Mi. bezeichnet ihn
als Minister des Innern, R als Civil- und Militärbeamten; B nennt ihn unter den
Großwürdenträgern von Bomu an dritter Stelle.
Negele spielt seinem Gönner gegenüber scherzend die Rolle Fallstaffs mit
Prinz Heinz.
197 Zu kduna vgl. 119. kar aus kdda daß nicht. Gäye, nach M gde, ist
das Fulbe-Wort für Krätze, die im H kasua heißt. A erklärt ma-dellesa für Schrecken
verbreitend von deliesa in Furcht setzen. Bei Mi. u. R findet sich daUase stumpf
sein. Vielleicht kommt M hier dem wahren Sinn am nächsten, wenn er ma-dellesa
als dasjenige bezeichnet, was den Menschen des Anstandes beraubt, insofern es
ihn veranlaßt, sein Kleid aufzuheben, um sich zu kratzen.
198 Atq und eso, PI. Tcesuna, dürften beide arab. Ursprungs sein; leso
602 Rudolf Prietze,
199 IIa Jiauwäi Negele!
Negele ha hätca-n mäce ne ha!
„ nicht Sklave des Weibes ist.
J200 Wqnde ye-san Älla, Tiäda ya-Tpara
Welcher er kennt „ daß nicht er wiederhole
sägi-n Jawa na Ceri.
Schimpf den des „ des „
J201 JBaM-n mai - makdlamd
Mund der des Herrn des Neides
Ico a Idhira ma ha-si da läda.
ob im Jenseits auch nicht er mit Lohn.
* *
*
^02 Banza duJcia-r mä-sa luJcudi
Nichtig Habe die des Trinkenden Zaubertrank
sai wutä ta-ci.
nur Feuer es ißt.
J203 Da nä-san gida-n ma-sa lukudi
Und ich weiß Haus das des Trinkenden Zaubertrank
sai in - gewoye.
nur daß ich herumgehe.
* *
*
204 Masu-gari dmidu,
Herren der Stadt edelste,
däudu masu-Jiduye,
edelste Herren des Dorfs,
205 masu-märaya masu-gari-n na heautd,
Herren der Hauptstadt Herrn der Stadt die des Geschenks,
teleica na fäma da Icudi-n kasä.
Armer der der Plage mit Geld dem des Bodens.
* *
*
206 Samari, tnu - Tcöma wasä,
Jünglinge wir kehren zurück (zu) Spiel,
sama-n gidd sai yäfä da mätd.
Sitzen das Hauses nur Knaben mit Frauen.
nach R alte Grasmatte, alter Lumpen, alter Teppich, nach Mi. alte verrottete
Matte, Mattensack für Kaurimuscheln, Betrag von 20 000 Kauris (die solchen Sack
gerade füllen). — Negele bittet, um die Entzündung weniger zu spüren , um eine
Unterlage, und zwar nur um eine alte, zerlumpte Matte, weil er, im Galgenhumor
sich selbst als Krätze personifizierend , kein besseres Lager beanspruchen könne.
In simfi4a (Mi. sinfida, sinfüda) hüre ich das stets bilabiale f fast wie
aspiriertes jp.
199 IIa war der Sklave einer Frau, zugleich ein Sänger, der gegen Jäwa,
Hanssa - Sänger. 603
199 ila, Respekt vor Negele!
Negele ist kein Weibersklav!
200 Wer Gott kennt, setze nicht länger fort
das Schimpfen auf Jätca, Ceri's Mann!
201 Es wartet für des Neidings Mund
auch in dem Jenseits kein Gewinn!
202 Nichts taugt des Zaubertrinkers Ghit,
außer zur Höllenglut.
203 Weiß ich des Zaubertrinkers Haus,
weich' ich im Bogen aus.
* *
204 Herren der Stadt, erlauchte,
erlauchte Herren vom Land !
205 Wer am Lebenssitz ragt,
kann Spender sein.
Den Armen plagt
die Grundsteuerpein.
206 Auf, Burschen, wieder zum Tanz heraus!
Nur Kinder und Weiber hocken zu Haus.
den Bruder NegeWs, gesungen hatte. A erklärt das bei Mi. u. R fehlende hautcai,
M haxcaye, genauer hauai-ni, für gleichbedeutend mit Iciyal „tritt etwas zurück
(vor mir)", vgl. R Jciyaye achthaben, gehorchen, hiyaye-ni = „suffer me".
200 Ceri wurde mir bei Aufnahme von HL. 36 als Xame einer kleinen Stadt
zwischen Daura und Kano bezeichnet , die sich durch Schönheit ihrer Bewohner
auszeichnete, von M als Name des Königs von G-unnl. Zu na vgl. 176.
201 M schreibt baki-n, also der schwarze Herr etc. Mdkalama Neid fehlt
bei Mi. u. R. Lada entstammt dem Arabischen.
202 A lukudi Zanbertrank, der reich machen soll. Laut M ist es Limonen-
wasser, in dem 10 — 20 Tage lang 1000 Kaurimuscheln gelegen haben.
203 M schreibt ketcoye. Vom Hause dessen, der solches trinkt, hat der
Sänger nichts zu erwarten.
204 Daudu entstammt laut Mi. u. R der iVw/e-Sprache, und zwar ist es nach
Mi a) erstgeborenes Kind, b) oberster Hausmeister, nach R Titel eines Regenten,
in Kano des Thronerben ; das letzte wird von A bestätigt. Es liegt nahe , bei
kduye an arab. karya zu denken; doch s. 120 .\nm.
205 a) A maraya, PI. marayoyi, Hauptstadt, Mi. mdraya Sitz des Lebens,
Lebensüerv, daher nach M speziell die Kehle. — b) A fäma, PI. fämomi, Land-
arbeit, Mi., fämä Kampf, Plage, Schäden, Qual, R fama Schlacht. Vgl dazu 1 163.
Telekn oder tdlaka, PI. talakätca, ist, wie im Kanuri, dem es wohl entstammt
(vgl. Bomulieder XXE), der Ausdruck für die misera contribuens plebs.
206 So wird auch in Nr. I der Bomulieder die Jugend zum Tanz auf den
Platz herausgerufen, dort durch den Trommler, hier durch Negele in Begleitung
604 Rudolf Prietze, Haussa- Sänger.
207 Ciwuta ha mutua ha,
Krankheit nicht Tod
nd mal - Mlangü!
der des Herrn der kl. Trommel!
J208 Täsi mu-äe gidd,
Steh auf, wir gehn Haus,
hauta tä-i Jiali - n - ta.
Sklaverei sie hat gemacht Charakter ihren.
209 Nd mal - halangü
Der des Herrn der kl. Trommel
yd - rika Jconto.
er hat gehalten Versteck.
210 Negele macizi-n Tpaihdi
„ Schlange die der Spreu
liöwa ye-ciza hd-si da Mito.
wen auch er beißt nicht er mit Ach.
207 Kranksein ist nicht Sterben,
du Trommelmannsgesell!
208 Steh auf, wir gehn nach Haus,
die Sklavenart drang heraus.
209 Des Trommelmanns Geselle
hält sich an heimlicher Stelle.
210 Negele, der Spreuschlange gleich,
kennt, wo er beißt, kein Bedauern.
eines Trommlers; als dieser sich krankheitshalber entfernt, bricht auch Negele
ihn verhöhnend ab.
207 a) Sprichwort; dasselbe Bornusprichwörter 187. — b) Zu kälangü s.
Verzeichnis der Musikinstrumente in der Ein!.
208 Halt aus dem Arab., dem H angeglichen.
209 Yä-rika, Vollendung in der Gegenwart. Mi. kicanto Versteck.
210 a) Zu macizi-n Ttaikäi vgl. Pfl. u. T. 79. — b) Mi. haito Ausdruck des
Mitleids, R kaito = alas : Ciza ist das Stammwort zu maciSi : Der Beißer.
Die Verskunst der Iren
in rythmischen lateinischen Gedichten.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 20. Mai 1916.
"Wer sich mit der Entwicklung der lateinischen rythmischen
Dichtung des Mittelalters beschäftigt, dessen Gedanken müssen oft
zurückkehren zu der lateinischen Dichtung der alten Iren. Sie
standen den Anfängen der lateinischen Rythmik ziemlich nahe;
anderseits zeigen sie höchst merkwürdige Eigenthümlichkeiten.
Blume hat 1908 im 51. Bande der Analecta hj'mnica S. 257 —
365 eine H^Tnnodia Hibemo-Celtica saeculi V. — IX. zusammenzu-
stellen versucht. Die Denkmäler dieser altirischen lateinischen
Dichtung sind zerstreut in vielen Handschriften Irlands und des
Festlandes, oftmals, wie besonders in Andachtsbüchern, wie Prosa
geschrieben. Deßhalb ist es ihnen oft ergangen wie aller schön-
rednerischen Prosa, d. h. sie wurden nach dem Grutdünken des Ab-
schreibers geändert und verschönert. Dann ist es oft schwierig,
die dichterische Form zu erkennen. Bietet z. ß. das sogenannte
Antiphonar von Bangor (ed. Warren 1893) durchschnittlich einen
ziemlich verlässigen Text, so bietet dagegen das sogenannte Book
of Gerne und eine damit verwandte handschriftliche Sammlung in
London (beide edirt von Kuypers 1902) meist eine sehr unsichere
Grundlage des Textes. So bringt z. B. der Text von no 237 bei
Blume 'Amici nobiles Christi sunt virgines' an vielen Stellen nur
Blume s Einfälle (doch die virgines. die amici Christi, sind=casti;
also sind die Lesungen der Handschrift: 6,3 qui; 9,1 isti; 11,4
606 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
iuncti und wohl 13,3 ignoti beizubehalten); auch der Text von
no 235 ist in der Handschrift so verderbt, daß z. B. nicht sicher
zu entscheiden ist, in welcher Zeilenart das Gedicht geschrieben
ist, ob in 4_u + 7u_ oder in 5 — u + 7u_.
Die christlichen irischen Schriftsteller waren in einer eigen-
thümlichen Lage. Hebräisch war die Sprache des alten Testaments
und vielleicht Christi ; Grriechisch war die Sprache der Septuaginta
und des neuen Testaments und vieler hochgeachteten Kirchenlehrer :
freilich die christlichen Nachbaren der Iren standen zumeist unter
der Herrschaft des Lateins. So war natürlich, daß auch die Iren
meistens Latein schrieben; aber es ist doch begreiflich, daß eine
stilistische Richtung bei ihnen zu Ansehen kam, welche in die la-
teinischen Sätze etliche hebräischen und beträchtlich viele griechi-
schen Wörter mischte, wie z. B. bei Blume der Hymnus no 241
beginnt: Alta audite xä sgya und no 244: Audite pantes ta erga.
Die lateinischen rythmischen Dichtungen der alten Iren haben
dieselbe Wurzel wie die ganze übrige älteste lateinische Rythmik.
Das ergibt sich schon daraus, daß alle hier vorkommenden
Zeilenarten die Nachbildungen bekannter quanti-
tirender Zeilenarten sind. Dabei wurden die Caesuren,
die SilbenzaU. und die Schlußcadenzen der Vorbilder genau be-
achtet und nachgemacht.
Der beliebte Senar wurde auch sonst gern rythmisch nachge-
bildet als o — u -f 7 u _ : Sancti venite Christi corpus sümite.
Bei Blume, der S. 299 über diese Zeile seltsam urtheilt, finden
sich 4 Gedichte (S. 271. 298. 308 und 337), welche aus Paaren
solcher Zeilen gebildet sind. . Für 2 seltenere quantitirte Zeilen
findet sich hier je 1 rythmisches Nachbild. S. 314 der ryth-
mische Asklepiadeer , der sogenannte Alexandriner, 6w_-|-6w_,
Amici nobiles Christi sunt virgines (nach dem Vorbild des Horaz :
Maecenas atavis edite regibus), in Zeilenpaaren. Dann S. 316:
6 — u + 6_u: 0 Andreas säncte pro me intercede, ebenfalls in
Paaren von Langzeilen. Woher das quantitierte Vorbild von 8
Trochaeen geholt ist, ist mir nicht sicher. Vielleicht war es die
2. Hälfte der sapphischen Zeile : nivis atque dirae.
Schwierigkeiten bereiten die Siebensilber. Ein Mal, weil
es an quantitirten Vorbildern nur zu viele gibt, anderseits weil
diese rythmischen Siebensilber bei den Iren in vielerlei Gestaltung
auftreten. Sie treten bei den Iren als Langzeilen in Paaren mit
Endreim auf. Aber einerseits sind zwischen die Zeilen 7_u oft
sehr viel Zeilen 7 u _ gemischt (so sind in dem Gedichte Colum-
bans 'Mundus iste transibit' (bei Blume S. 352) 57 Zeilen zu 7_u
Rythmische Zeilen der Iren. 607
gemischt mit 64 zn 7u__), anderseits beginnen in dem Gedicht
des Jonas auf Columban 'Cläre sacerdos cluis' in der Ausgabe von
1905 'Jonae vitae Sanctorum' S. 224, — wenn die Überlieferang
verlässig ist, — 7on den 60 Langzeilen nicht weniger als 21 mit
einer Knrzzeile von 6 Silben (Sic virtutum decns oder Te sofum
pröceres). Siehe solche Siebensilber bei Blume S. 328. 351. 352.
356. Den seltsamen inneren Bau dieser Zeilen werde ich vielleicht
besprechen, wenn ich noch dazu komme, ein Gredicht in dieser
Zeilenform nachzuweisen, das im Book of Gerne (Fol. 53** — 54'') als
Prosa versteckt ist und dort Fol. 53*" beginnt mit den Reimpaaren:
tibi resplendent semper angeloram milia
regem regum laudantes cum ingenti gloria,
Ubi viginti quattuor seniores sunt proni
agnum dei laudantes ante conspectum throni.
Der beliebte quantitirte trochaeische Septenar ist auch von
den Iren ziemlich oft rythmisch nachgebildet als 8_u + 7o_:
Cantemus in omni die concinnantes varie,
welche Langzeile in Paaren auftritt, oft mit Reim der Kurzzeilen
7u_; s. Blume S. 305. 321. 330. 333. 340.
Dieser rythmische Fünfzehnsilber besteht aus zwei Kurzzeilen
8_w und 1^ — Von andern strengen Dichterschulen werden diese
beiden Kurzzeilen oft selbständig zum Aufbau von Gedichten ver-
wendet. Aus der Zeile 8 — u kann eine seltsame rythmische Spie-
lerei der Iren hervorgegangen sein. In diesen Nachrichten 1909
S. 418 habe ich nachgewiesen, daß schon bei Hilarius die Zeile 8_u.
zerlegt wurde in 4-^u + 4_>.^, wie Stabat mater dolorosa, und
habe dort S. 421 die Verse des Virgilius Maro citirt:
Phoebus surgit* caelum scandit; Polo claret* cunctis paret.
Hiermit habe ich verglichen die irischen Kunststücke bei Blume
S. 299—301:
Sancte sator • suffragator, Legum lator • largus dator.
und Christum peto* Christum preco, Christum reddo • corde laeto.
und Heli Heli* domine mi.
Sonst habe ich bei den alten Iren weder 8 — w noch 7 u _ selbst-
ständig zum Aufbau von Gedichten verwendet gefunden. Das ist
seltsam. Sollte der Grund vielleicht folgender sein? Die alten
Iren waren sehr ungenau in der Beachtung der Schlußcadenz.
8u__ vertauschten sie leicht mit 8— w und oben habe ich notirt, daß
7^u massenhaft mit 7u_ gemischt wurde. Haben sie vielleicht
t)08 Wilhelm Weyer, die Verskunst der Iren.
deßhalb ungern ein ganzes Gredicht in 8 ^ u oder in 7 u _ aufge-
baut? Für die Zeile 4_o + 7u_:
Dei patris festinare maximum
mihi cito peto adiutorium
kann ich ein quantitirtes Vorbild nicht nachweisen , allein eine
Erfindung der Iren darf man deßhalb diese Zeile nicht nennen.
Es ist eben von der gewöhnlichen Zeile zu 8_u + 7o_. nur statt
des Achtsübers seine Hälfte zu 4_o genommen. 2 Gredichte
dieser Zeilenart habe ich in diesen Nachrichten 1912 herausge-
geben : S. 56 den Reisesegen des Gildas und S. 65 den Kanon Evan-
geliorum, den dann De Bruyne in der Revue Benedictine dem Aileran
zugewiesen hat. Die Zeilen bilden hier Reimpaare. Ebenso
steht es in den 2 Gedichten, welche Blume gedruckt hat : no 235
S. 312 Peto Petri pastoris praesidia. wo aber der Text so unsicher
ist, daß es auch Senare zu 5_o-|-7u_ sein könnten; dann S. 358
die umfangreiche Lorica (des Gildas?).
Es bleibt noch eine Zeilenart, der Achtsilber mit steigendem
Schlüsse, Su — Er ist den ambrosianischen Strophen nachgebildet.
Ich habe nachgewiesen , daß schon die ambrosianischen Strophen
in der Regel in der Mitte eine Sinnespause haben, so daß diese
Strophen aus zwei Langzeilen, 8u_-|-8u_ und 8u_-|-8o_, be-
stehen. Auch bei den Iren finden sich nie Verbindungen von 3
oder 5 oder 7 Achtsilbern, sondern nur Strophen von 2 oder 4
oder 6 oder 8 oder 12 Kurzzeilen, d. h. der Achtsilber 8ij— tritt
nur in Langzeilen 8o_-|-8u— auf. So besteht die 12 zeilige
Strophe bei Columban (Blume S. 275) aus 6 Langzeilen, von denen
in der 15. Strophe die letzten 4 mit Cuius und in der 16. Strophe
die 5 ersten Langzeilen mit Quis beginnen; die achtzeiligen Stro-
phen bei Blume S. 321 bestehen also aus 4 Langzeilen, die alle 4
in der 14. Strophe mit 0 und in der 16. Strophe mit Quis be-
ginnen; S. 336 beginnen die 3 Langzeilen der 14. Strophe mit 0
und die der 16. mit Quantum. Sehen wir auf den Reim, so sind
die 12 zeiligen Strophen S. 275/8 und die 8 zeiligen Strophen S. 317
in Paaren gereimt; aber von ein und demselben Reim geschlossen
sind die achtzeiligen Strophen S. 321 und die sechszeiligen Strophen
S. 335 und S. 357.
Alle Zeilenarten der Iren sind also schon in der quantitirenden
Dichtung vorhanden gewesen ; keine ist von den irischen Ryth-
mikem erfunden oder aus ihrer nationalen Dichtung entlehnt.
Weiterhin kamen für die rythmischen Zeilen hauptjjächlich in Be-
tracht die Silbenzahl, die Schlußcadenz und der innere Bau der ZeUen.
Zeilenarten der Iren. Silbenzahl. Schlußcadenz der Verse. Tonfall der Zeilen. 609
Die gleiche Silbenzahl der sich entsprechenden Zeilen ist
durchaus sorgfältig gewahrt ; denn die Überlieferung des Gedichtes
des Jonas auf Columban (oben S. 607) ist mir sehr verdächtig; es
scheint mir ein unvollendeter Entwurf zu sein. Das große Ge-
dicht Blume S. 302 — 304, worin die Silbenzahl stark schwankt, ist
nicht irischen Ursprungs und wird mit zwei anderen Gedichten
desselben Verfassers von mir in der folgenden Abhandlung (s. S.
645/682) herausgegeben werden.
Nächst der Silbenzahl ist die Schlußcadenz der Zeilen
wichtig. Die entsprechenden Zeilen schließen sinkend oder steigend.
So die Senare zu 5_u + 7»j_ oder die Septenare zu 8_u + 7u_:
Sancti venite Christi corpus siünite
sanctum bib^ntes quo redempti sänguine.
Maria de tribu lüda, summi mater domini
opportunam dedit cüram aegrotajiti hömini.
Die Beobachtung der gleichen Schlußcadenz ist bei den Iren
lange nicht so streng wie die Beobachtung der gleichen Silbenzahl.
Ziemlich oft steht unter den proparoxytonen Zeilenschlüssen ein
paroxytoner und umgekehrt, meistens mit der im Kapitel über
den Reim (s. S. 619) auszuführenden Regel, daß. wenn unter pro-
paroxytone Schlüsse ein paroxytoner gemischt wird, dieser nicht in
einem zweisilbigen, sondern mindestens dreisilbigen Worte auftritt,
also in Zeilen zu S^—:
internes, oculos, superos, intentos.
Vor den Schlußkadenzen, also im Innern der Kurzzeilen,
haben die Zeilen der lateinischen Gedichte der alten Iren alle
möglichen Arten des Tonfalles. So kann 5_u den Ton-
fall _uvj_w oder u_^u_w haben: Fünere tniso, Liimen aeternum;
Sübmerso saövo. 6u_: Amici nöbiles oder: Regnant perpetuo.
6 _ u : Mane ätque nöcte , oder : Tu v^rus piscator oder Ne dör-
miam strictae. 7o_: Vivam öfFert dömino oder Ex^mplum
mirificum, Magnificant dominum. Bei den Zeilen zu 7 _ «^ und zu
8 u _ steigt die Zahl der möglichen Tonfälle auf 3 : 0 unda mültum
mira; flammaö pröfimdae poena; Lüctum magnüm levate. Ex-
celsus miindi machinam ; Draco magnüs ta6terrimus ; Metu territi
fragiles. In der Zeüe zu 8 _ u sind 4 verschiedene Tonfälle mög-
lich : Impiger cred^ntes pascit ; Qui ciinctä äd öius m^nsam ; An-
dite ömnös ämäntes. Viri in Christo b?äti.
Das sind all die Tonfälle, welche in den Kurzzeilen von 5 — 8
Silben überhaupt möglich sind. Belege für all diese Möglichkeiten
610 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
kann Jeder leicht aus den altirischen lateinischen Gedichten holen
wie ich es hier gethan habe. Damit ist bewiesen, daß, wie in der
alten ßythmik überhaupt, so auch von den Iren vor der Schluß-
cadenz die Silben nur gezählt, nicht bestimmte Accentfiiße einge-
halten wurden.
Gruppen und Strophen der rythmischen Zeilen. Seit
Augustus wurden die rythmischen Gruppen, d. h. Distichen oder
Strophen und Zeilengruppen, durch bestimmte Sinnespausen fester
begrenzt; z. B. eine sapphische Strophe durfte nicht mehr mitten
in einem Satze enden. Das hing wohl zusammen mit einer neuen,
schärfer betonenden Art der Musik und des musikalischen Vor-
trags. Bei den christlichen Dichtern wird diese scharfe Gruppi-
rung immer deutlicher und herrschender. Die irischen rythmischen
Gedichte bestehen stets aus gleichen Gruppen oder Strophen ; erst
der Angelsachse Aethilwald schafft sich epische Freiheit. Bei den
Iren sind die Zeilen zu 5_u-f-7u_, zu 8_u + 7w_, zu 4_w-l-
7u_ und zu 7_w4-7_u, ebenso zu 6_<j + 6— u (Blume S. 316)
als Langzeilen gebraucht, und stets werden nur die Schlüsse dieser
Langzeilen durch Reim oder Assonanz gebunden^).
Die Achtsilber (8 w _) sind sehr oft gereimt, aber nie habe
ich bei den Iren die Langzeilen zu 16 Silben im Schlüsse gereimt
gefunden, sondern stets die Kurzzeilen. Also alle anderen Zeilen
werden als Langzeilen gereimt, aber die Achtsilber als Kurzzeilen.
Wie kommt das? Es hängt jedenfalls zusammen mit der
eigenthümlichen Natur der Achtsilber, über die ich in der Abhand-
lung über Hilarius (in diesen Nachrichten 1909 S. 420 ffl.) ge-
sprochen habe. Sind die Achtsilber von einer regelmäßigen Caesur
durchschnitten (stabat mater* dolorosa oder minister* altaris dei
oder fias deorum* pontifex), so sind sie die kürzesten der Lang-
zeilen; denn jede Zeile (von 9 oder mehr Silben) soll durch regel-
mäßige Caesur in 2 Kurzzeilen zerlegt sein. Sind aber die Acht-
silber, wie die zu 8w— fast immer und die zu 8_u oft, nicht
durch eine regelmäßige Caesur zerlegt, wie Cuius pavore tabesco
oder Consummato certamine , so sind sie die längsten Kurzzeilen.
Die Achtsilber stehen also an der Grenze der Kurzzeilen und der
Langzeilen. Für die Reimverbindung galten sie den alten Iren
als Langzeilen, und es findet sich nicht die Reimverbindung 8 +
8w_a, S + S^-' — a, sondern nur 8a-f 8a, 8 c 4- 8c, oder, da auch
1) Die Alexandriner (6w— + 6o— ) ^e» Blume S. 314 sind auch zu Paaren
gruppiert; aber hier scheinen oft die Kurzzeilen zu reimen: Amici nobiles
Christi sunt virgines.
Versgruppen und Strophen. Accentfüße? 611
hier die Fortsetzung der Reimkette beliebt ist, 8a+8a, 8a + 8a
u, s. w.
Alle Zeilenarten also, welche die alten Iren in lateinischen
rythmischen Gedichten gebraucht haben, sind aus dem Formenreich-
thum der quantitirenden Dichtung herüber genommen. Dabei wird
die Silbenzahl genau beachtet, minder genau der Tonfall des Zeilen-
schlusses. Der Tonfall der Vorbilder innerhalb der Kurzzeilen
wird nicht beachtet. Also ist nicht die Rede von bestimmtem, ge-
regeltem Tonfall innerhalb der Zeilen, von Füßen.
Und doch wüßte ich zwei Gedichte der ältesten Quelle, des
Antiphonars von Bangor, nicht anders zu erklären, als durch
Annahme von bestimmten, regelmäßig wiederholten Accentfüßen.
Deßhalb will ich die Besprechung dieser beiden Gedichte hier
einfügen.
Accent-Füsse 1 Die Lobsprüche auf das Kloster Bangor, die Ver-
siculi familiae Benchuir (Blume S. 356), sind zunächst das größte Reim-
kunststück, welches uns aus der früheren Zeit des Mittelalters erhalten iat.
Es sind 40 Siebensilber, von denen je 2 zu einer Langzeile, dann je 2
Langzeilen zu einer Gruppe zusammen gestellt sind:
Area Ch^rubin t^cta omni parte aurdta
BÄcrosänctis referta viris quättuor portita.
Kunstvoll ist der Reim. Eigentlich sind es 2 Reime. Einmal ist
die letzte Silbe stets durch a gebildet. Dann reimen die Vocale der vor-
letzten Silben; sie aber bilden die seltenen gekreuzten Reime: ecta. ata,
erta ata-, ena ucta, era ucta; aula ata: aula ata u. s. w. Größere Kunst
ist im Tonfall der Zeilen aufgewendet. Sonst sind diese Siebensilber 7 u
massenhaft mit 7 w _ durchsetzt : hier finden sich nur die 2 Zeilen : Ben-
chuir bona regula, Stricta sancta sedula in der Einleitung und nachher die
2jeile : Supra montem posita. Der innere Bau dieser Siebensilber ist sonst
so verschieden wie möglich: hier gilt die feste Regel, daß die erste ,Silbe
Accent hat : 4 ^lal Xebenaccent (Cäritate, Glöriosa, Säcrosanctis, IJnde-
cumque), sonst immer vollen Accent. Da im Latein nicht 2 betonte Silben
neben einander vorkommen können, so müssen alle zweiten und fünften
Silben dieser Zeilen unbetonte sein. Zwischen diesen beiden unbetonten
Silben muß eine vollbetonte stehen , entweder die 3. oder die 4. : Nävis
nünquäm türbäta oder Eide fündäta certa. Dieser letzte Tonfall kommt
nur noch 4 Mal unter den 37 Zeilen vor: Dömus deliciis plena. Christo
regina äpta. Yere regalis aula. Gregis que Christi cäula: aber von den
37 Zeilen haben nicht weniger als 32 den Tonfall _vj_uvj_u (Gerte
civitas firma. Glöriosa ac digna. auch Simplex simul que döcta). In
Sachen des Wohlklangs binden sich die L:en nicht leicht an unabänder-
liche Gesetze, wie hier zwischen die 37 paroxy tonen Schlüsse 3 propar-
oxytone und zwischen 38 zweisilbige Reime die 2 einsilbigen apta : docta
gemischt sind; aber daß von 37 Zeilen zu 7_vj 32 den Tonfall _w_uu_u
haben, daß kann kein Zufall sein. Das iat ja der bekannte Tonfall des
Pherekrateus : Nigris aequora ventis.
612 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Der Dichter hat eine bestimmte Melodie, welche von den 7 Silben
die 1. 3. und 6. betonte, als Vorbild genommen und darnach seine Verse
betont. Er hat also seine Zeilen mit Accentfüßen gefüllt. Das ist
in der lateinischen Rythmik prinzipiell nicht geschehen. Das ist aber an
und für sich nicht unnatürlich und ist das Prinzip der damals blühenden
und berühmten kirchlichen Dichtung der Byzantiner und ist dann das Prinzip
der lateinischen Sequenzendichtung geworden.
(Griechische Rythmik ?). Viel auffallender ist im Bereich der la-
teinischen Rythmik die folgende Erscheinung. Das Antiphonar von
Bangor enthält Fol. 12^ und 13^ unter der Überschrift: 'Ymnum in na-
tale martyrum uel sabbato : ad matutinam' einen Text in 9 Absätzen, also
in 9 Strophen (Blume, Anal. 51 p. 313). Es ist leicht zu erkennen, daß
jede Strophe aus 3 Zeilen besteht, welchen als ßefränzeile eine vierte folgt,
1) Sacratissimi martyres summi dei"
bellatores fortissimi Christi regis *
potentissimi duces exercitus dei"
victores in caelis deo canentes . al(leluia).
Die letzte Zeile heißt in Str. 2 und 3 nur: Tibi sancti proclamant,
in Str. 4, 5, 6, 7 : Tibi sancti canebant; in Str. 8 wieder: Tibi sancti
proclamant, und endlich in Str. 9 : Trinitati cum sanctis dicamus alleluia.
Der Eefrän wechselt also. Die 3 ersten Zeilen zählen selten 11, meistens 12,
nicht selten 13 oder 14 Silben; sie schließen meistens mit Paroxytonon,^
sonst mit Proparoxytonon. Von irisch-lateinischer Rythmik ist hier keine
Spur. Kein Reim, keine Alliteration. Keine Paarung der Langzeilen. Vor
Allem : die Langzeilen zählen alle mehr als 8 Silben und sind doch durch
keinerlei feste Caesur in feste Kurzzeilen getheilt. Ich quälte mich mit
diesen seltsamen Gebilden, lange und vergeblich.
Endlich kam ich zur Überzeugung, daß das Innere dieser meist zwölf-
silbigen Zeilen durch Accentfüße geregelt sei, daß also hier eine Schablon-
melodie festgehalten sei : Sacratissimi martyres sümmi dei. Tibi sancti pro-
clamant: alleluia. Dieser Schablone fügen sich viele Zeilen; so die 2.
Strophe :
Excelsissime Chrfste coelörüm deus*
cherubin cul sedes cum pätre säcra*
angelörüm[ibi] et martyrum fülgens chörus.
Tibi säncti procldmänt' äUelüia.
Zweifel erregte mir der Tonfall des Anfangs. Das Natürliche schien
_4.u_£.uu_£-wu_/-i^_/.u. Allein in der irisch - angelsächsischen lateinischen
Lyrik werden die silbenzählenden Kurzzeilen sehr gern mit einer vollbe-
tonten Silbe begonnen, wie Väle vale fidissime. Dagegen in diesen Zeilen
ist vollbetonter Zeilenanfang auffallend selten. Das schien mir dafür zu
sprechen, daß die erste Silbe kurz zu nehmen sei, d. h. daß hier ryth-
mische Anapaeste vorlägen: sacratissimi mdityrÖs sümmlf d6i.
Eine Zeile, wie 4, 1 'Armis spiritalibus munita mente' ist leicht zu
bessern in : SpMtällbüs drmls munitä mente ; allein sonst bietet diese ry th-
mische Zeile von Anapaesten viele Schwierigkeiten. Einsilbige Wörter
können ja in jeder Rythmik als Senkungen gebraucht werden; allein der
Gebrauch zweisilbiger Wörter = 2 tonlosen Silben ist bestritten. Ich habe
Griechische Rythmik? 613
ihn mehrfach nachgewiesen; s. über Placidas (Nachrichten 1915) S. 251;
Spanisches (1913) S. 155; Fortnnat-R\-thmus (1908) S. 64. Dann wider-
spricht der anapaestische Tonfall eigentlich der lateinischen Aussprache;
kein Wort, keine Kurzzeile kann anapaestisch schließen, d. h. so, daß vor
der letzten Silbe zwei reine Senkungen stehen. Eine Betonung wie in
Herrschergeböt, gibt es im Lateinischen nicht. Deßhalb mußte der quan-
titirte Asklepiadeer 'Maecenäs ätävis • edite regibus' zum rythmischen
Alexandriner werden: Maecenas ätavis. Das Vorbild unserer Zeile
war wahrscheinlich aus 4 Anapästen gebildet; aber der Schluß 'Herrscher-
geböt mußte in der lateinischen Rythmik geändert werden, z. B. in: H§rr
scher's Wille. Weiter möchten folgende Erwägungen führen.
Irland hat keine Martyrien erlebt; dieser Hymnus kann also nur den
ausländischen Märtyrern gelten. Der von mir angenommene Zeilenbau mit
Accentfüßen ist in der lateinischen Rythmik sonst unerhört, war aber ge-
rade damals in der griechischen rythmischen Kirchendichtung in voller
Blüthe. Ich dachte so an ein griechisches Vorbild des Anfangs und des
Refräns wie:
'AytüsTaTot ßKxptvpeg rov -b-^iörov oder
2o\ ol &ytoi xpä^ovöiv ' dXXrjXovta.
Ich suchte in Pitra's Analecta Sacra spicilegio Solesmensi parata, I 1876,
einer Sammlung der ältesten griechischen kirchlichen Dichtungen, mit der
ich einst (1885) in der münchner Abhandlung 'Anfang und Ursprung der
lateinischen und griechischen Dichtung' (abgedruckt im Anfang des 2. Bandes
meiner Gesammelten Abhandlungen 1905) viel habe arbeiten müssen. Da
habe ich nicht den griechischen Text des lateinischen Liedes gefunden,
aber ich habe gefunden dieselbe anapaestische Zeüe, verwendet ebenfalls
zum Preise der Märtyrer, und im Refrän ebenfalls das Alleluia.
Einer der ältesten und berühmtesten Töne war der nach dem Anfang
A'öxhg ßiövos genannte. Das so beginnende, also wohl älteste Lied trägt
den Namen eines Anastasius und enthäilt bei Pitra S, 242 29 Strophen;
es ist ein kraftvoller Grabgesang. Den Namen des Romanos, der zu Justi-
nians Zeit lebte, tragen mehrere Lieder bei Pitra: S. 44 Tots rov ßiov,
30 Strophen, ebenfalls ein Grabgesang drastischer Art; Pitra S. 166 15
Strophen, über dieselben Märtyrer, die unser Lied preist, wie schon
der Anfang ankündigt: Oi iv näö^t tp yp fiaprvprfdavTSs. Pitra S. 374
ein Lied des Theodorus Studita 'Hg vlog Sbv, 13 Strophen, ein Grabge-
sang für Mönche. Pitra 395 von Josephus Hymnographus, 35 Strophen
über die h. Thekla. Pitra 435 von einem Johannes 3 Strophen über
den Märtyrer Tryphon. Pitra 564 zwei Strophen über den h. Daniel
Stylita. Pitra 579: 7 Strophen über den h. Theodor. Pitra 665:
1 Strophe über den h. Jakob.
Der Ton besteht aus 8 Zeilen und einer Refränzeile. Nun wird zwar
ein und derselbe Ton beim Gebrauch von verschiedenen Dichtern in Einzel-
heiten abgeändert, wie ich (Abhandlungen II S. 87 — 92) an den verschie-
denen Gedichten des Tons Ta rijs yfjg nachgewiesen habe, und dasselbe
ließe sich auch in den verschiedenen Liedern des Tones Avxbg ^övog nach-
weisen ; allein für mein Ziel ist das nicht notwendig. Pitra hat S. LXVI
den Ton Avxbg ßiövog analysirt und beginnt jede der 8 Zeilen mit !.! d. h.
-iL u -1. ; aber das ist ein Irrthum. Natürlich könnte bei Anfangswörtern
wie iaträtptov die erste Silbe mit einem Nebenaccent belegt sein. Aber
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachridtten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 4. 42
614 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
in Wirklichkeit findet sich hier auf den ersten zwei Silben fast nie ein
sicherer Accent. Sehr oft steht kein fester Accent, sehr oft steht nur ein
accentuiertes Hilfswort der Sprache, wie ich das (Abhandlungen II S. 55)
charakterisirt habe. So ist avroe ^övos = ^^ <^; ebenso i'öajs ^';(£iv.
Pitra S. 243,4 ist zu betonen: ovte ivi ixsi fiinpog ovta jnsyag (vju uu
Die Strophe beginnt fast bei allen Dichtern mit zwei Paaren (s. Ab-
handlungen II S. 68) von Elfsilbern: 'AXjxvpa rrjs ^aXäööriq ra ^8ata.
Dann folgt fast immer ein Zehnsilber von 5 Accentjamben: Wvxot-i daviöiv
ißTtiöxevöavxEq. Die 6., 7. und 8. Zeile sind fast überall zwölfsilbig.
Die 7. Zeile besteht oft, wie Zeile 1 — 4, aus 11 Silben, oft aus 4 reinen
Accentanapaesten ; die 8. Zeile fast immer aus 4 solchen Anapaesten. So
Pitra 248,24:
ei fiTj fidvov bpävTeg fiapaivovxai,
Hat iv rdq>oo ^pTjvovvrsq Ttoiovötv odSijv, aber 243, 5 :
Jia ti o-d XaXeiq djg iXäXetq iffiiv,
äXX.a oÜToo öiyäs jurf XaXäv jue^' ^/udov.
Es bleibt die 6. Zeile der Strophe. Sie ist zwölfsilbig, findet sich
aber auf 2 verschiedene Weisen betont : a) auf die 2 einleitenden Anapäste
folgt: u-^uuj-u; s. Pitra 247,20 und 27:
'AvaTCavdot S^sos tov Seiva xat Setva.
'iSov dtf {;7tovpyo\ tov fi6vov Svvdötov.
oder b) auf die 3 Accentanapaeste folgt ein umgebogener Anapaest w_t.u,
so daß genau derselbe Tonfall der Zeile entsteht, welchen ich im Liede
des Antiphonars von Bangor festgestellt habe ; Pitra 243, Str. 2 ffl.
2 Hat eiicwv /xot' yrj ei Hat eis yfjv Ttopevöjf.
5 o'ö Xa\eig xov Xontov fie^' fjßwv, üb <piXe.
12 yvfivog fjLeXXeig inet itapeöxävai nävxoog.
15 inet yfj öxoxeivrf Hat yvoqxaSijg ZXrj.
21 o-bxog Sdxiv 6 Selva, 6 deiva ovxog.
26 6 To itpäbxov deöfiiovg Seö/ioig deöfievcov.
28 bitov Ttäöa Tpvxrj xoov StHaioov x^^P^^-
Säcrätissiml mdrtyres sümml dei*
AscendistI äd ca^lös äd dexträm dei.
TJt in ipslüs glörläm cönsümm^mur.
Et In sänctä Jerusalem civitäte.
Die völlige Gleichheit des Tonfalls besonders der letzten griechischen
Zeilen und dieser lateinischen Zeile ist deutlich. Die griechische acht-
zeilige Strophe schließt mit einem Refrän, der in verschiedenen Liedern
verschieden ist. Er lautet bei Pitra S. 44, 242 und 374 xb dAXrjXovta.
Wie ist dies Klangwort zu betonen? Das mögen uns die andern ßefrän's
lehren, mit denen die übrigen Lieder desselben Tons schließen. Sie lauten
itoXviXee bei Pitra S. 165 — 169, d)g dijxxijxog S. 435/6 und S. 579/81,
djg itpooxöaS^Xog S. 395, <pcüg x^g yvwöeoog S. 565 und x6v q>ikdv^poanoy
S, 665. Also ist auch xo dXXrjXovia fünfsilbig und auf ri zu betonen:
uw_i.uu. Die Betonung hebräischer Fremdwörter ist ja vogelfrei und noch
mehr die solcher Vokalspiele, wie Alleluia.
Wir haben also byzantinische Todtengesängo des 6. Jahrhunderts,
von denen einer gerade die Märtyrer besingt. Diese Gesänge sind gefaßt
Griechische Rythmik? 615
in einem berühmten Strophenton. Er besteht aus 8 Zeilen; von diesen i«t
eine zehnsilbige jambisch betont. Die andern 7 Zeilen sied elf- oder zwölf-
silbig und bestehen aus 3 reinen Accentanapästen mit verschiedener Schluß-
cadenz. Jede Strophe schließt mit den Retr&n dXXrfXovta. Das irische
Lied besingt ebenfalls die Märtyrer. Es besteht aus 9 Strophen von je 4
Zeilen. Die 3 ersten Zeilen scheinen gleich gebaut zu sein und aus 3
Accentanapästen mit einer Schlußcadenz von w — u zu bestehen. Die 4.,
die Eefränzeile, scheint den drei ersten Zeilen im Bau gleich zu sein,
schließt aber immer mit dem "Wort Alleluia.
Dieser Sachverhalt führt zu der Annahme: ein Ire hörte jene grie-
chischen Lieder im Ton Avrbs fi6voq singen und wxu-de angeregt etwas
Ahnliches in lateinischer Sprache zu schaffen. Er wagte sich aber nicht
an den kunstreichen Bau der Strophe von 8 verschiedenen Zeilen, sondern
machte die Sache einfacher. Er wählte nur die Melodieschablone einer
Zeile. Diese Melodie wiederholte er nach lateinischer Art 4 Mal. In der
vierten Zeile fügte er stets als letztes "Wort den Ruf Alleluia ein.
Den kühnen Versuch, lateinische Langzeilen aus festen Accentfüßen zu
bilden, könnte man sich auf diese "Weise begreiflich machen.
Sonst liegt allerdings hier noch Alles im Dunkeln:
"Wir kennen nicht die Regeln, welche der lateinische Nachbildner der
byzantinischen Zeilen sich vielleicht geschaffen hat. Dort waren Reihen
von 4 Anapaesten häufig : im Lateinischen ist der anapaestische Schluß
J_uu_*_ unmöglich: wohl aber sind 4 Anapaeste möglich, wenn nach dem
4. Anapaest noch eine Senkung folgt. Sie ist vielleicht beabsichtigt in :
1,3 potentissimi düces exercitüs dei. VgL 7,3.
Im byzantinischen Vorbild schließen viele, allerdings elfsilbigen, Zeilen
nach den 3 Anapaesten mit u o^ , so äXfivpä rijg ^aXäööTfg ra vSara.
Ob dadurch der gleiche Schluß der 1 3 silbigen Zeilen gerechtfertigt
•wird?:
5, 2 proeliäntium säncta pro tüa glöria.
6.2 quae per spiritum sänctum firmävit märtyres.
6. 3 qui consternerent zabulum, [et] mortem vincerent.
Bedenklicher wäre ein Elfsilber, dem die erste Senkung fehlt:
4, 2 apöstoli säncti te sunt secüti.
Von den Griechen werden die beiden Senkungen hier und da mit
«inem voll accentuirten Worte gefüllt; vgl. meine Abhandlimgen II S. 55
und Pitra 245,12:
yvjiiybg fiiXXstg ixet itapEdrarai növroog.
So sind hier wohl als Senkungen behandelt:
5, 1 ChrTste martyrum tu es adiütor potens.
9, 1 Christi gratiam süpplices öbsecremus.
Es kam in der rythmischen Dichtung vor, daß zweisilbige jambische
"Wörter, welche in den quantitirten Hymnen sehr oft als Jamben vorkamen,
dann von den rythmischen Dichtern mit demselben Tonfall gebraucht wurden,
also ä. deö, nön habet (vgl. etenim , nönnihil). Sind vielleicht hiemach
betont?:
4, 3 qui cmn ipsi c r ü c i s paterentur mortem.
7,3 trinitäti fidem tötö cörde serväntes.
42*
616 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Anderseits ist die Abschrift im Antiphonar von Bangor durchaus nicht
fehlerlos. So ist sicher zu bessern:
4,1 spiritälibus ärmis munita naente,
wo die Handschrift Armis spirit. mu. me. hat. Die mühsame Bildung
der Anapäste hatte den Lateiner wohl öfter zu künstlicher "Wortstellung
gezwungen, wo dann der Abschreiber die Worte wieder natürlich stellte.
So ist vielleicht umzustellen:
3.2 refulsisti qui mundo devlcta mörte.
5.3 qui victöres exirent cum de hoc saeclo;
die Hft hat : Qui dev. morte ref. mundo und Qui cum vict. ex. de hoc
saeculo. (Ob auch 6,1 Tua , dömne, illüstris, laudända virtus? statt:
Illustris tua domine lau. vi.). Einfach ist die Besserung in 8, 3 [et]
centenärio früctu repleti gaüdent, aber noch keinen Weg habe ich gefunden,
wie 7, 1 und 2 und 8, 1 und 2 zu bessern sind.
Ich glaube hier die Thatsache bewiesen zu haben, daß ein Ire des
7. Jahrhunderts es gewagt hat, in lateinischer Sprache den Tonfall einer
byzantinischen Melodie nachzuahmen und dabei die damals in Irland ge-
bräuchlichen Regeln der lateinischen Rythmik wenig zu beachten.
Das war ein kühnes Beginnen. Allein die Iren waren sich offenbar
bewußt, daß die rythmische Dichtkunst etwas Neues, noch nicht in allen
Einzelheiten streng Geregeltes sei. So vertauschen sie nicht selten die stei-
gende und die sinkende Schlußcadenz : laböre mit corpore. Sie wußten also,
daß man diese Kunst weiter ausbilden könne, und sie haben das mit großer
Kühnheit versucht im Gebrauch des Reims und der Alliteration.
Reim und Assonanz bei den lateinischen Dichtern der
Iren. Nach meiner Ansicht ist mit dem Prinzip der rythmischen
Dichtkunst auch der Reim von den Christen des Orients zu den
Christen des Occidents gewandert. Im 6. Jahrhundert waren Reim
und Alliteration lateinischen Stilkünstlern bereits bekannt als Zier-
rathe, mit denen man kunstvolle lateinische Prosa oder Dichtung
verschönem könne. Die Iren haben diese Kunstmittel so eifrig
ergriffen und angewendet, daß sie z. B. von Manchen als die Er-
finder der Reimkunst angesehen worden sind.
Der Reim der Iren sticht hervor durch die Häufigkeit
der Anwendung — nur wenige rythmischen Gedichte der Iren
sind nicht gereimt — und durch seine künstliche Ausbildung.
Der Gleichklang der letzten Silben ist fast immer reiner Reim
dominam : speculam (nicht dominam : specula) ; dazu tritt wegen der
ähnlichen Ableitungssilben, wie itur itis, ia usw. sehr oft Reim oder
Assonanz der vorletzten Silbe. Das bat die lateinische Rythmik
der Iren mit der ganzen alten lateinischen Rythmik gemeinsam.
Eigenthümlich ist ihr der künstliche Ausbau des sinkenden
zweisilbigen Reimes und des steigenden dreisilbigen Rei-
mes, dazu die Anwendung des Binnenreimes. Der Gleich-
Reim bei den Iren. 617
klang der vorletzten und drittvorletzten Silbe ist bei steigendem
Reimschluß meist auf die Vokale beschränkt (Assonanz ; similis :
originis); ebenso beim zweisilbigen sinkenden Reime (tecta : referta).
Der Binnenreim, zweisilbig und sinkend, bindet entweder die beiden
Kurzzeilen einer Langzeile, oder er zeigt sich in der ersten Kurz-
zeile einer Langzeile. Die betreffende Langzeile ist meistens die
zweite eines Langzeilenpaares. Z, B. Blume 305 (Mone, Hymnen
II 385, hat diese Künste zuerst nachgewiesen) , wo man auch die
Alliteration und die dreisilbigen Reime der Langzeilen beachte:
Maria, mater miranda, patrem suum edidit,
per quem aqua late latus totiis mundus credidit.
und Haec concepit margaritam, — non sunt vana somnia — ,
pro qua sani Christia/n' vendunt sua omnia.
Dreisilbiger steigender Reim der Langzeilen findet sich
bei Blume S. 305 (verbunden mit Binnenreim in der zweiten Lang-
zeile). Blume 330 hat keinen Binnenreim. Blume sagt dann
ausdrücklich, *der dreisilbige Reim ist durchweg rein, auch die
Konsonanten umfassend'. Aber doctore : corpore, energiae : super-
biae, species : requies usw. sind doch nur Assonanzen, keine reinen
Reime. Blume S. 333 hat in 7 Zeilenpaaren dreisilbigen, in den
16 andern zwei- oder auch nur einsilbigen Gleichklang; Binnen-
reim nur selten und vielleicht nur zufällig. Diese 3 Gedichte sind
in Paaren von 8_u-f7u_ geschrieben. Blume S. 337 enthält
24 Paare von 5_u-|-7u — Binnenreim fehlt bald, bald steht er
in der ersten, bald in der zweiten Langzeile. Etwa 17 Paare sind
mit dreisilbigem Reim oder Assonanz geschlossen ; sonst ist er
mangelhaft.
Der zweisilbige Gleichklang findet sich regelmäßig nur
im sinkenden Schlüsse von Langzeilen. Oft besteht er nur in
zweisilbiger Assonanz. Blume S. 316 besteht aus 12 Paaren von
6_u-}-6_wa; Binnenreim ist selten und unsicher:
Te nunc peto care mane atque nocte,
ne dormiam strictae animae in morte,
Wichtiger sind die Langzeilen zu 7_o-f7_ua. So Blume
S. 328 sechs Paare mit gelegentlicher Alliteration und Binnenreim :
Martinus, mirus more, ore laudavit deum;
puro corde csmiavit atque a.mavU eum.
Blume S. 351 zwölf Langzeilenpaare mit derselben zweisilbigen
Assonanz und mit Binnenreim in der ersten oder zweiten Lang-
zeile. In dem seltsamen Gedicht Blume S. 352 schließen 57 Kurz-
618 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Zeilen sinkend, 64 steigend ; die sinkenden Langzeilenschlüsse reimen
meistens mit zweisilbigem Gleichklang, die steigenden oft mit drei-
silbigem :
Cogitare convenit te baec cuncta, amice ;
absit tibi amare huins formulam vitae.
Omnis est caro foenum flagrans, licet flörida,
sicque quasi flos foeni omnis eins glöria.
Den Höhepunkt der Reimkunst erreichen die 10 Paare von
Langzeilen, welche die Versiculi familiae Benchuir (Blume S. 356)
bilden. Alle 40 Kurzzeilen bilden die letzte Silbe durch a. Ebenso
werden die 22 Langzeilen bei Blume S. 312 und die 48 Achtsilber
bei Blume S. 319 alle nur mit a gereimt. Aber die Versiculi
lassen auch die accentuirten vorletzten Süben reimen oder asso-
niren:
Vere regalis aüla, variis gemmis ornata,
gregis que Christi caula, patre summo servata.
Also stets zweisilbiger sinkender Reim oder Assonanz, aber
gekreuzte Reime!
Zweisilbiger sinkender Reim oder Assonanz beherrscht noch
die Paare von Viersilbern (4_w + 4_u = 8_w) Blume S. 299—302 :
Sancte sator suffragätor.
Quando c^lox currit völox.
Die kunstvollen dreisilbigen und zweisilbigen Reimschlüsse
sind besprochen. Sie treten alle am Schlüsse von zusammenge-
setzten Langzeilen ein (5-f7u_;8-f7w_; 6 + 6—^; 7+7 — vj);
deßwegen treten diese Langzeilen stets in Paaren auf.
Zu besprechen bleibt der einsilbige Reim. Dieser ist stets
rein (sehr unsicher ist Blume 312, Str. 9). Die Reimsübe ist stets
im steigenden Schluß, hat also stets Nebenaccent: gratiä. Diese
letzte Silbe soll nicht durch ein gewichtiges einsilbiges Wort ge-
bildet werden.
Hieran möchte ich eine Bemerkung knüpfen. In den alten
Rythmen werden mitunter zweisilbige sehr bekannte Wörter im
Zeilenschluß nach der Quantität betont gebraucht. So schließen
Blume S. 321 von den 12 (reimlosen) Zeilen zu 7u_ drei: Kastus
hie servit dßü. Orat dominum süüm. Salvatoremque süüm. Und
in dem reimlosen alten Gedicht (des Secundinus?) bei Blume 340
sind von 52 Zeilen zu 7 u _ acht geschlossen mit deüm, bönis, crOcö ;
nur einmal findet sich der autfallende Schluß : nuptiali indütus.
Wie oben gesagt, sind die Iren in der Bildung der Schlußcadenz
recht nachlässig.
Reim bei den Iren. 619
Der steigende Schloß der Rythmik verlangt ja ein proparoxy-
tones Wort dominns , caelestibus. Nun ist seltsam, daß von den
meisten irischen Dichtern die sinkend d. h. falsch gebildeten Schlüsse
nie in einem zweisilbigen, sondern in einem mindestens dreisilbigen
Worte vor Aogen treten; s. oben S. 5. Ich will mit dem kräf-
tigsten Beispiel beginnen. Von den 586 Zeilen des Angelsachsen
Aethilwald zn 8u_ (s. nachher) haben 37 paroxytonen Schluß,
wozu noch etwa 6 Schlüsse mit Fremdwörtern kommen. Aber all
diese 37 Schlüsse vermeiden ein zweisilbiges Schlußwort : sie schließen
mit : tempestas. potita. redimita. peregrinis etc. Ebenso bei
Blume: S. 275 Unter 284 Zeilen (des Columban) sind paroxyton
16 Schlußwörter: alle diese Schlußwörter zählen 3 oder 4 Silben.
Bl. 321 : unter 196 Zeilen sind 17 Zeilen mit sinkendem Schlüsse,
aber alle, außer dem ersten tu igycc, in Wörtern von 3 und
mehr Silben. In 46 Langzeilen zn 8 + 7ij_ (Blume S. 333) sind
11 Siebensilber geschlossen nur mit Wörtern wie ductöre, crea-
türam. Blume S. 335: von 148 Achtsilbem sind 20 mit einem
paroxytonen Worte geschlossen: dies zählt stets 3 oder 4 Silben.
Dagegen sonst ist der unregelmäßige sinkende Schluß, wenn auch
selten, in einem zweisilbigen Worte zu finden : so Blume S. 294
Christi und sancti ; 319 xä sQyu ; 327 in tota und mirus ; 338 per-
gens und ardens.
Weßhalb haben nun die alten Iren gemieden, gerade diesen
unrichtigen sinkenden Zeilenschluß der Achtsilber durch ein zwei-
silbiges Wort wie hac mensa zu bilden, während sie immensa zu-
ließen? Vielleicht wegen der sogenannten schwebenden Beto-
nung?, indem sie meinten, man könne immensa vielleicht so be-
tonen, daß es dem nach der Schablone richtigen Tonfall der Ca-
denz inmensä sich nähere , während das bei hac mensa nicht zu
hoffen war ? Ich fürchte , der Grund war ein ziemlich grober.
Die lateinischen Rythmiker waren sich natürlich dessen bewußt,
daß die steigenden Schlußcadenzen nur mit Wörtern von 3 und
mehr Silben gebildet werden konnten; wenn sie auch Tausende
solcher Verse machten , keiner durfte mit einem zweisilbigen
Worte schließen. Nun lag den alten Iren nicht sehr viel an der
richtigen Schlußcadenz und sie ließen zwischen den steigenden
Schlüssen leicht einen sinkenden zu. Aber zwischen den regel-
mäßigen mindestens dreisilbigen Schlußwörtern ein zweisilbiges zu-
zulassen, dazu konnten die meisten sich nicht entschließen.
Die Ketten der einsilbigen Reime. Es ist ein altes
Heimspiel, daß alle Zeilen eines Gedichtes mit demselben Vokal,
besonders mit a, enden. So endigen bei Blume S. 312 die 24 Lang-
620 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Zeilen auf a; ebenso S. 319 die 48 Achtsilber und S. 356 die 40
Siebensilber.
Sonst tritt ein seltsamer Unterschied hervor. Hauptsächlich
werden zusammengesetzte Langzeilen gereimt. So die Elfsilber
(4 + 7u_), die Zwölfsilber (6 — u + 6^u und 5_^ + 7u_), die
Vierzehnsilber (7 _ u -f 7 — u) und die Fünzehnsilber (8 _ u -f- 7 u _).
Die Alexandriner, Bu_ + Bu— bei Blume S. 314 sind sehr schlecht
überliefert ; aber einige Male scheinen hier die Kurzzeilen gereimt
zu sein :
Amici nobiles Christi sunt virgines ;
regnant perpetuo cum ipso domino.
Die Achtsilber mit steigendem Schlüsse (8u_) sind von den
Iren am häufigsten angewendet zum Bau von Gedichten. Wie
früher (S. 610) bemerkt, werden immer 2 solche Achtsilber durch
den Sinn verbunden; sie bilden also Langzeilen von 8 + 8o_ =
16 u_ Silben. Allein, während die Langzeilen von 12 — 15 Silben
stets nur am Ende der Langzeilen durch Reim zu einem Lang-
zeilenpaar verbunden werden, ist dies gerade bei den Achtsilbem
nicht der Fall. Ich kenne kein Gedicht, wo die Schlüsse der
Langzeilen zu 16 w_ miteinander reimen. Es reimt nur Achtsilber
mit Achtsilber. In Hinsicht auf den Reim werden also die Acht-
silber als Langzeilen behandelt.
Die Kurzzeilen zu 8u_ treten also zunächst immer mindestens
in Reimpaaren auf. Es kommt nun darauf an, ob und wie
diese Reimpaare weiter gruppiert werden. Da finden sich 2 Ge-
brauchsarten: Strophen, in welchen jedes Reimpaar verschiedenen
Reim haben kann, und Strophen, in welchen alle Kurzzeilen zu-
nächst denselben Reim haben..
Blume S. 275 (Columban), 284 Achtsilber, besteht aus Strophen
von je 12 (14) Kurzzeilen, die meistens Paare von verschiedenen
Reimen bilden. Allein bei den Iren ist es durchaus nicht ver-
boten, daß das nächste Reimpaar denselben Reim hat, wie das
vorangehende. So folgen sich in Str. 4: 6 Reime auf us, 4 auf
um, 2 auf is. In Str. 7 sind die 4 ersten und letzten auf us ge-
reimt, dazwischen stehen 2 Paare : um : um und es : es. In Str. 9
sind 8 Zeilen auf ibus eingeschlossen von je einem Paare as : as.
Blume 317 stehen die 3 letzten Strophen eines AßCdars: jede
Strophe besteht aus 4 Paaren verschiedenen Reims. Reim-
ketten finden sich bei Blume S. 335 und S. 321. Die 148 Zeilen
von S. 335/8 bilden Strophen, deren je 6 Zeilen von demselben
Reim geschlossen sind. S. 321/4 (196 Zeilen) werden in 23 Strophen
je 8 Zeilen von demselben Reim geschlossen. Auch hier lieben
Reimpaare. Verletzungen der Reimregel. 621
die Iren die Abwechslung. S. 336 beginnt die (12.) 6 zeilige Strophe
mit iam : iam, fährt fort mit ima : ima und schließt mit iam : uam.
S. 323 beginnt das Paar am : am die 14. Strophe ; es folgen 6 um.
Die nächste Strophe 15 beginnt mit i : i ; es folgen 6 e. Str. 18
beginnt mit 4 os, schließt mit 4 a. Das Reimpaar ist also auch
hier der eigentliche Baustein. Deßhalb ist der Schluß von S. 322
Strophe 7 wohl so zu ordnen:
Gladium quoque Spiritus tenens sanctis in manibus,
levatum ad nequissimos, quo prosterneret superbos.
Die Hft bringt tenens s. i. m. nach superbos. Reimketten
von 6 gleichgereimten Zeilen zeigt auch Blume S. 357 ; doch machen
die vielen Eigennamen das Gedicht ungefüge.
Grewöhnlich treten diese Reimpaare der Langzeilen so auf,
daß 2 eine Strophe bilden. Dann haben die beiden Paare bald
denselben, bald jedes einzelne besondem Reim. So die 4 Strophen
bei Blume S. 325 : 1 i : i ; e : e ; 2 vier us ; 3 vier us ; 4 um : um ;
US : US. Vgl. Blume S. 284: 5 Strophen mit 4 gleichen Reimen
und 3 Strophen mit 2 Paaren verschiedener Reime. Vgl. noch
S. 294/5. (S. 296 hat nichts mit den Iren zu thun).
Da die Reimkunst der Iren historisch wichtig ist, so will ich
aus der Sammlung Blume's hier notiren 1) die nicht gereimten,
2) die fehlerhaft gereimten Verse.
Reimlos sind Blume S. 296 'Ignis': das Gedicht ist quanti-
tirend und nicht irisch ; s. S. 625. Blume 297/8 'Domine'. Bl. 298/9
^Sancti venite' ; (Seltsam, daß die Schlüsse einiger Strophen reimen :
5/6 ia, 7/8 iam, 9/10 ibus). Bl. 302/4 : Dies nicht irische Gedicht
der gothaer Hft werde ich mit den zwei dazu gehörigen nachfolgend
herausgeben; s. S. 645/682. Bl. 313 'Sacratissimi', s. S. 612/616.
Bl. 321 'Audite'. Bl. 326/7 'Matre' : wohl späte Gedichte. S.
340|2 Seeundini? Bl. 349/50 Sancte Petre.
Reim-Ausnahmen oder Fehler in den von Blume zu-
sammengestellten Gedichten. Von den wahrscheinlich gereimten
Gedichten in Blume's Sammlung ist das erste (Bl. S. 271/3) das
schwierigste. Es besteht aus 84 rythmischen Senaren (5_w + 7u_),
von denen offenbar je 2 zu einem Paar zusammengefaßt sind. Blume
bringt noch 3 Gedichte dieser Zeilenart. S. 298: 11 Paare: reimlos.
Dagegen S. 308 : 22 Paare und S. 337 : 24 Paare , aUe mit Reim
der Langzeilen. Von den 42 Paaren auf S. 271/3 sagt Blume,
'der Reim sei hier durchweg beobachtet'. Dann möge er in den
Strophen 4. 17. 29. 30 und noch mehr in 34. 35. 36. 38 und 41
einen Reim nachweisen. Ich finde in diesen 9 Strophen keinen
622 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Reim. Dagegen in den andern Strophen ist Reim sicher, aber in
so seltsamen Spielarten , daß man sie feststellen muß. Dieser
Dichter scheint nicht nur die Schlüsse der Langzeüen in 7 u _ ,
sondern auch die Caesurschlüsse in 5_u in sein Reimspiel hinein-
gezogen zu haben.
In nicht weniger als 6 Strophen beherrscht derselbe Reim alle
4 Caesur- und Zeilenschlüsse: 2. 3. 6. 7. 12. 19:
7 Ita veterno iste hoste subacto
polum nodoso solvit mortis vinculo.
Also müssen wir Reimabsicht annehmen auch in den Strophen :
14. 18. 33:
33 Corrosum nodis annis fere milibus
extricat saevis inferi feralibus.
Da der Dichter also offenbar auch die Kurzzeilen zu S — u in
das Reimspiel hineinzieht, so müssen wir Reimabsicht auch in den
Strophen 1. 28. 40 und 42 (mit Assonanz) annehmen, obwohl hier
die Schlüsse der Langzeilen nicht miteinander reimen:
1 Precamur patrem regem omnipotentem
et Jesum Christum sanctum quoque spiritum.
Es bleiben 20 Reimpaare, in welchen, wie in den beiden Gre-
dichten S. 308 und 337, die Schlüsse der Langzeilen reimen,
16 In fine mundi post tanta mysteria
adest salvator cum grandi dementia,
mit der weiteren Freiheit, daß statt Reim öfter nur Assonanz ein-
tritt : 10 (mare : Israel). 22 (dictum est : pemiciter). 25 (virum ;
milibus). 3L 37. 39.
So scheint mir dies Gedicht ein starkes Beispiel dafür zu sein,
mit welcher Ungebundenheit die Iren die Reimgesetze verletzten.
Minder holprig geht die weitere Aufzählung der unregel-
mäßigen Reime dahin: In den 284 Achtsilbern = 142 Reim-
paaren des Columban. (Blume S. 276/8) finden sich die 3 Fälle:
Strophe 4,12 luminis : praecipites; 8,11 homines : oculis ; 18,9 ama-
rissimos : erumpemus. Blume S. 285: 24 Achtsilber (von Co-
lumban?): 8 gereimt auf um + 8 auf erat (doch dazwischen: passus
est) + 6 auf o und 2 auf a. S. 309, Str. 13 Cbananaei : sanguine.
S. 312, Str. 9 mansura : futuram. S. 314/5 diese 14 Paare von
Alexandrinern (6u_-|-6u_) scheinen zum Theil gereimt zu seinJ
1 Amici nobiles Christi sunt virgines,
regnant perpetuo cum ipso domino (vgl. Str. 9).
Doch ist der handschriftliche Text zu verderbt.
Reim bei den Iren. Reimprosa. 623
Blume S. 321 4: 196 Achtsilber in 24 Strophen von je 8 Zeilen
mit dem gleichen Reim : Str. 4. 7 ceteros : operibus ; in Str. 7 ist
wohl Z. 8 zu stellen vor Z. 6. Blnme S. 346: 11 Strophen von
je 4 Achtsilbern, gereimt zu 4 oder zu 2, aasgenommen die Asso-
nanzen in Str. 7 gentilitas : monita ; 8 astutia : fuerat ; 9 dilectissimi :
praesulis. Blume S. 847: 23 Strophen von je 4 Achtsilbem, ge-
reimt zu je 4. Ausgenommen Str. 4 mit den Reimen : us. um. um.
um; Str. 7 um. a. (). a; Str. 15 am. us. us. us. Blume S. 349:
6 Strophen von je 4 Achtsilbern; nach Blume 'in mäßigem Um-
fang gereimt' , d. h. Str. 1 us. us. us. us ; Str. 5 em em , um um ;
aber Str. 2 um am is um; 3 ur us us um; 4 o um a um; 6 e e
am um.
(Irische Reimprosa). Wohlklang wurde von den lateini-
schen Redekünstlern von vornherein in der Prosa ebenso sehr er-
strebt wie in der Dichtung. Schon Cyprian kannte Reimprosa.
Auch die Iren wußten davon und haben sie zur wirklichen Kunst-
prosa ausgestaltet. Die ganzen Hisperica famina (zuletzt 1908 von
Jenkinson herausgegeben) sind in selbständigen kurzen Sätzen ge-
schrieben, die alle nach ^iner Formel gebaut sind. In der Mitte
steht das Verbum, vorn und hinten stehen Subjekt und Objekt oder
andere zum Verbum gehörige Wörter. Ist das ein Nomen mit seinem
Adjektiv, so steht das eine vom, das andere hinten. Sind 2 No-
mina mit 2 Adjektiven da, so stehen die beiden Adjektive vom,
die beiden Substantive hinten. An beiden Stellen können andere
Erweiterungen hinzutreten. Aber in der Regel ist das vom
stehende Wort mit dem dazu gehörigen und hinten stehenden Worte
durch Reim verbunden. Auch Alliteration wird gern zu Hilfe
genommen. So :
B 126 Sublimem posco rectorem.
A 561 Supernum vasti posco herum poli.
B 142 Israelitica ruboreum induxit agmina per pontum.
B 151 trinos pio imhrüim capore observavit in fornucis estu
natos.
A 596 Tum frondens (frondeus ?) irruente caterva fragoricat
saltus.
Alliteration bei den lateinischen Dichtern der Iren.
Nach meiner Überzeugung wurde die Alliteration von den lateini-
schen Schulmeistern des 5. und 6. Jahrhunderts als Zierrath der
schönen Rede in Prosa wie in Vers gelehrt und empfohlen. Die
624 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
nachahmenden Germanen nahmen sie als Charakteristikum für ihre
Dichtungen an und erhoben sie zum Gresetz.
Auch die Dichter in irischer Sprache haben sie nachgemacht,
aber, wie ich in der Abhandlung 'die Preces der mozarab. Liturgie',
1914 S. 6/7, nach Kuno Meyer notirt habe, in geschmackloser "Weise
so, daß sie eine kleine Reihe von Wörtern mit demselben Buch-
staben anfingen und viele solche Reihen sich folgen ließen. Da-
gegen die lateinischen Dichter der Iren blieben bei der natürlichen
Weise der Lateiner und Grermanen, daß innerhalb einer kleinen
"Wortreihe oder einer Langzeile, mehrere bedeutende Wörter mit
denselben Buchstaben beginnen, wobei andere Wörter und besonders
Nebenwörter nicht beachtet werden. Dafür einige Beispiele aus
Aethilwald's Gedichten, I 51/60:
Turbo terram teretibus grassabatur grandinibus,
quae catervatim caelitus crebrantur nigris nubibus.
Neque caelorum culmina carent nocturna nebula,
quorum pulchra planities perlucebat ut glacies,
donec nimbo ac nubibus torve teguntur trucibus.
1 93 Attamen flagrant fulmina late per caeli culmina,
quando pallentem pendula flammam vomunt fastigia,
^ quorum natura nubibus procedit conlidentibus.
Bei Aethilwald ist die Alliteration kräftig und sehr häufig.
Doch in den von Blume zusammengestellten Gedichten ist sie viel
weniger geregelt als der Reim und eine bloße Sache des Wohl-
klangs, die dastehen, die aber auch fehlen kann.
Ich will Blume's Sammlung (Analecta hymnica 51, 271 — 365
rasch durchlaufen und durch einzelne Beispiele einen Begriff vom
Ganzen zu geben versuchen. Regelmäßige Alliteration ist nirgends
zu finden; aber alliterirend gebundene Ausdrücke, besonders von
2 Wörtern, sind sehr häufig, wie submerso saevo * Cincri canunt *
surdi sanantur* pascere plebem divinis dogmatibus. Natürlich
treten auch sehr oft Wörter nahe zusammen, wie 'animabus ae-
thralibus eiusdem obviantibus' , welche mit einem Vokal be-
ginnen; sie werden eindrucksvoller, wenn derselbe Vocal beginnt,
wie : Ama amantissimos angelorum populos.
Blume S. 271, 4 caeli ab arce mundi moli micoit.
31 cruci confixus polum mire concutit.
Bl. 275/8 (Columbae ?), 11 quarum uberioribus venis velut uberibus.
17 regis regum rectissimi prope est dies domini.
Alliteration bei den Iren. 625
Häufig in den kleinen, dem Columban zugeschriebenen Stücken ;
z.B.:
Bl. 284, Str. 6 deus largus longanimis deus doctor docibilis.
286 R: Te timemus terribilem und o rex regum rectissime.
Str. 2: Te cuncta canunt carmina angelorum per agmina
teque exaltent calmina coeli vaga per fulmina
(? teque exaltant fulmina coeli vaga per culmina).
Str. 3 recta regens regimina.
Bl. 296 der Hymnus 'Ignis creator igneus lumen donator luminis'
hat allerdings in der 1., 3., 5. und 6. Strophe etwas Alliteration ; aber
irisch kann er nicht sein. Denn er ist noch quantitirend gebaut.
Mercati (in Studi e testi XII, 1904, p. 25) hält ihn für ein Dich-
tung des Ambrosius. Auch das ist unmöglich. Denn Ambrosius
bildet nur jambische Dimeter der gewöhnlichen Art, deren zweiter
Fuß ein reiner Jambus ist. Hier aber liegt eine überhaupt noch
nicht erkannte Spielart vor: jambische Dimeter mit alt-
lateinischem Bau; von 32 Zeilen haben 18 in der 2. Senkung
eine Länge. Diese altlateinischen jambischen Dimeter sind in der
Hymnendichtung gar nicht selten. Ihr deutlicher Gegensatz zu
den gewöhnlichen jambischen Dimetem zeigt, daß die Ansicht,
welche Blume 1908 in der Studie ,der Cursus S. Benedicti' ver-
fochten hat, wornach bestimmte Hymnen-Cyclen von einem Dichter
verfaßt seien, nicht richtig ist.
Blume 299. Die Reimkunststücke 'Sancte sator sufi'ragator'
sind doch bisweilen ohne Alliteration.
Bl. 305. Das rythmische Kunststück 'Cantemus in omni die'
bringt auch manche Alliteration:
5 haec est summa* haec est sancta virgo venerabilis.
7 per mulierem et lignum mundus prius periit.
8 Maria mater miranda patrem suum edidit.
10 tunicam per totum textam und sorte statim steterat.
Bl. 308. Diese rythmischen Senare enthalten viel Alliteration ; so :
2 Clavicularii Petri primi pastoris.
7 opem oremus prole cum pervigili.
12 Thaddaei tota famosi per tellura. usw.
BL 312. In diesen Elf silbern tritt die Alliteration oft sehr
stark auf. Der Text ist vielfach so unsicher , daß ich die Hand-
schrift selbst ausschreibe:
1 Feto Petri pastoris praesidia.
3 multi mundi Mathei merita.
626 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
4 tonantem Thomae tota per tutamina.
5 boni beati Bartholomei benigna.
ludae missi leni laeta lacida.
6 Pauli puri piissimi oracula.
7 omnes istos ut evadam agmina
dira dura daemonium pessima.
8 et clara caeli celsi culmina
cinis cautus castus diligentia.
9 dominum deum dare mihi mansura
verum vivum vitam viam futuram.
11 regi regum rectori per omnia
sine fine saeculorum in saecula.
Blume 315/6. Die ersten dieser 5 Strophen alliteriren:
I 0 rex 0 rector regminis o cultor caeli carminis
0 persecutor murmuris o deus alti agminis.
Bl. 316. In diesen sinkenden Sechssilbern sind stark allite-
rirende, aber verderbte Stellen:
6 0 Petre germane vere mira proles
lampas larga legis splendor summi solis.
7 comes Christi carus retribue relictis.
II eris civis clarus civitatis mirae
regnabis cum rege regum sine fine.
Bl. 317. Die 3 Strophen auf Brigida alliteriren nicht stark,
aber fast regelmäßig.
Bl. 319/20. Diese 48 auf a endenden Achtsilber alliteriren
mitunter stark:
1 Alta audite xä agya toto mundo micantia
ßrigitae beatissima in Christo coruscantia.
2 caeli conscendit culmina caritatis dementia.
6 lucerna lucis lucida
mira civitas consita supra montis cacumina.
9 regina Austri edita Salomonis scientia
sancta adepta opima Patricii patrocinia.
Bl. 321/4. In diesen Strophen schließen nicht nur die 8 Zeilen
mit demselben Reim, sondern in der 1. und 4. Strophe beginnen
auch alle ö Zeilen mit A oder mit D und in der 10. vier mit K.
Bl. 333. Die Fünfzehnsilber auf den h. Michael alliteriren gern :
1 Archangelum mirum magnum Michaelem militem
miro fulgore fulgentem vener amur principem.
Alliteration bei den Iren. 627
3 caias vita cuius virtus cuius statos stabilis.
4 deus dedit Michahelem principalem pastorem.
10 Kastro caelorum constructo devicto diabolo
tunc fulgebit Michel mirus (= 9,2 u. 17,3) cum cohorte
credulo.
12 deus dedit Michaelem ducem multis milibus.
13 nonne Michael magnus manet manus fortis factoris.
18 liberavit Michel mundum magno adiuvamine.
19 extinguetur Michaela mortiferum morbidum.
21 Xristi aurora fulgebit in futuro agmine
archangelus magnus mundo cum ingenti fulgore.
Blume 337. Die Senare auf Monenna alliteriren oft; so:
4 ut mereamur magna mirabilia.
6 femina iida mira fulget favore
caelum conscendit sed cum magno labore.
7 gratia Christi quieWt gratissima
unica cara facta fidelissima.
10 Kastam custodit carnem coram angelis,
fulget in albis stolis claris candidis.
15 patria de sua ad peregrina pergens
havens in cruce luce de luce ardens.
16 quasi advena mundi cura caruit
domini digna fide firma floruit. usw.
Blume 340 2. Das Gedicht (des Secundinus?) über Patricias
hat oft bescheidene Alliteration , besonders wenn man die vocali-
schen Anfänge mitrechnet ; z. B. :
17 qui caeleste haurit vinum in vasis caelestibus
propinansque dei plebi spiritale pocnlum.
1 quomodo bonum ob actum similatur angelis
perfectamque propter vitam aequatur apostolis.
ßl. 347. Etwas Alliteration zeigt der Hynmus auf Petrus ; so :
1 Audite fratres famina Petri pastoris plurima
baptismatis libamina fudit velnti fiumina.
Bl. 351. Diese Siebensilber haben wenig Alliteration:
3 luctum magnum levate mea mala lugete.
8 ne me consumat ira munda nunc mea mala.
Bl. 352. Reich an Alliteration sind wieder diese dem Co-
lumban zugeschriebenen Siebensilber:
7 lubricum quod labitur conantur colligere.
10 peccatoribus impiis quod impietas praestat.
628 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
11 cogitare convenit te haec cuncta amice.
12 omnis est caro foenum flagrans licet florida.
13 orto sole arescit foenum et flos deperit.
17 plerique perpessi sunt poenarum incendia.
22 per quos captos ceteros incautos comperimus.
26 ubi cibo supemo plebs caelestis pascitur;
ubi nemo moritur quia nemo nascitur.
28 ubi vita viridis veraque futura est
quam nee mors nee maeroris metus consumpturus est.
29 laeti leto transacto laetum regem videbunt
cum regnante regnabunt cum gaudente gaudebunt.
30 tunc dolor tunc taedium tunc labor delebitur.
tunc rex regum rex mundus a mundis videbitur.
Bl. 358. In dem Lorica-Gedichte (des Gildas?) sind Verbin-
dungen, wie maris magni • linquant lacerandum • denso defendentes *
Salus saepiat, nicht selten; sonst sticht hervor nur der Vers:
Christus mecum pactum firmum feriat,
timor tremor taetras turbas terreat.
Die Verskunst des Angelsachsen Aethilwald.
Von dem Angelsachsen Beda sind uns über 800 jambische
Achtsilber überliefert. Aber der gelehrte Metriker schrieb in
quantitirten Versen^). Rythmische Achtsilber sind uns 586 über-
liefert unter dem Namen des Aldhelm. Sie stammen jedenfalls
von Genossen des Aldhelm , besonders von Aethilwald , und aus
dem Anfang des 8. Jahrhunderts. Die große Zahl und die Gleich-
artigkeit dieser Versmasse machen sie geeignet zu einer eindrin-
genden Untersuchung über die Verskunst dieser Angelsachsen,
welche eifrige Schüler der gelehrten Iren gewesen sind.
In der Wiener Handschrift 751 (Theolog. 259), die im Anfang
des 9. Jahrhunderts geschrieben ist, stehen (Fol. 40,41 und 4*2)
586 Kurzzeilen von je 8 Silben mit steigendem Schlüsse. Je 2
sind gereimt, bilden also ein Reimpaar oder eine Langzeile. In
der Hft sind sie so geschrieben', daß alle ersten Kurzzeilen der
Paare unter einander in der 1. Columne stehn, dann alle zweiten
Kurzzeilen unter einander in der 2. Columne. Also:
1) Natürlich rühren nicht von Beda her die Strophen, welche eine Salz-
burger Hft saec. XII dem schonen Hymnus 'Primo dcus caeli globum' angeflickt
und welche Dreves Analecta 50 p. 102, ohne Denken und Bedenken, als Str. 29—
83 gedruckt hat.
Aethilwald. 629
1 Lector casses catholic^. 2 atque obses anthletice.
3 tuis pnlsatus precibus. 4 obnixe flagitantib ; {= bus)
5 ynmista cannen cecini. 6 atq ; responsa reddidi.
Die 2 Theile einer Langzeile oder eines Reimpaares füllen
also hinter einander zwei Spalten. Die Schrift ist sauber und
scheinbar sorgfältig, aber doch gedankenlos. Im 4. Gedichte schreibt
der Schreiber in die erste Spalte : (9) facunda fnnde famina ; dann in
die zweite : queä cepto in carmine. and merkt gar nicht . daß er
eine Kurzzeile ausgelassen und das Reimpaar zerrissen hat, und
so schreibt er dann gedankenlos weiter, so daß ihm am Ende dieses
Gedichtes fi tenus feliciter für die erste Spalte, und nichts Tiir die
zweite übrig bleibt. Dasselbe passiert ihm im 5. Gedichte , wo
durch Ausfall einer Kurzzeüe die Langzeile entstanden ist:
(57) Quantü mxindo mirabile. Neq ; altü ingeniü.
So sind bis zum Schlüsse auch dieses 5. Gedichtes alle Reim-
paare zerrissen. Aus diesem zweimaligen über viele Langzeilen
sich erstreckenden Fehler ist wohl zu schließen, daß die Vorlage
auch in Kurzzeilen geschrieben war, so wie Ehwald diese Ge-
dichte gedruckt hat (in seiner Ausgabe des Aldhelm, 1914 S. 524 —
537), während Jaffe (Monumenta Moguntina 1866 S. 38 — 48) und
Dümmler (Epistolae Merowingici aevi I, 1892, S. 240 — 247) sie in
Langzeilen, die also je ein Reimpaar enthalten, haben drucken
lassen.
Die Anfangsbuchstaben der Kurzzeilen sind in der einzigen
Handschrift bald üncial-, bald Minuskelbuchstaben.
Literpunction gibt es eigentlich nicht. Nur wollte der Schreiber
den Schluß jeder Kurzzeüe durch . bezeichnen. Doch läßt er dieses
Zeichen stets weg, sobald schon die Abkürzung b; (= bus) die
Zeile schließt. Das ist also eine Station der Entwicklungsge-
schichte der Zeichen . und ; . Zuerst diente . sowohl als Abkürzung
der Schlußsilbe eines Wortes wie als Interpunktion. Dann wurde . für
die Interpunction reservirt und im 8./ 9. Jahrhundert trat als Ab-
kürzung für die Schlußsilbe bus das Zeichen b; an seine Stelle.
In der Folgezeit wurde auch ; mehr und mehr für die Interpunction
reservirt und die abgekürzten Schlußsilben wurden durch andere,
neuen Zeichen notiert: bus besonders oft durch b'.
Die Zeilen zählen immer 8 Silben und schließen fast immer
steigend (8u_). Sie sind also rythmische Nachahmungen der quan-
titirenden ambrosianischen Zeilen. Von den 586 Zeilen schließen etwa
37 Zeilen sinkend : 1 21 tempestas ; 27/8 petita : sopita ; 84 caterva
usw., aber diese falschen sinkenden Schlußcadenzen finden sich nie
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phü.-hist Klasse. 1916. Heft 4. 43
630 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
in einem zweisilbigen Worte, sondern, wie die richtigen, stei-
genden Schlußcadenzen j nur in einem Worte von 3 oder mehr
Silben, worüber oben S. 619 gehandelt ist. Einsilbige Schluß-
wörter sind ja hier wie in der lateinischen Dichtung überhaupt
gemieden.
Wortgrößen im Achtsilber. Im 5. Gedicht kommt
überhaupt kein Wort vor, das mehr als 4 Silben zählt. Sonst
handelt es sich um den Zeilenanfang oder den Zeilenschluß. Im
Anfang der Zeile findet sich I 126 somniculosos und im 2. Ge-
dicht 5 solche Anfangs Wörter, sonst nirgends eines. Im Schluß
der Zeile finden sich im 1. Gedichte 13 Schlüsse, wie flagitantibus ;
sonst 1 im II., 4 im III. und 2 im IV. Gedicht : also 20 in den
586 Zeilen. Wörter von 6 Silben kommen überhaupt nicht vor.
Man vergleiche damit z. B. das Gedicht (Columbans?) bei Blume
275/8: von den 284 Zeilen beginnen 10 mit fünfsilbigen Wörtern
wie inormitatis, 2 wie animälibus, und es schließen nicht weniger
als 54 (also 1/5) mit Wörtern von 5 Silben, wie fundaminibus, und
8 mit Wörtern von 6 Silben, wie profundioribus.
Der hochtrabenden und langstieligen Ausdrucksweise der Angel-
sachsen sind vielsilbige Wörter sehr angemessen. Daß sie bei
Aethilwald so gemieden werden, das hat also wohl einen techni-
schen Grund im Versbau.
Die Einschnitte (Caesuren) im Achtsilber des Aethil-
wald. Über Einschnitte im rythmischen Achtsilber habe ich
gesprochen besonders in der Abhandlung 'Die rythmischen Jamben
des Auspicius' (in diesen Nachrichten 1906 bes. S. 203 ffl.); vgl.
die Abhandlung 'Lat. Ryihmik und byzantinische Strophik' (in
diesen Nachrichten 1908 S. 196—198), wo ich S. 220/1 auch die
Form anderer, sehr roher Achtsilber besprochen habe. Brandes
hatte daraufhingewiesen, daß bei Auspicius (164 Zeilen um 470
in Frankreich entstanden) in der Mitte der Zeilen fast immer der
Wortaccent mit der jambischen Schablone zusammen falle; ich
habe nachgewiesen, daß schon in manchen quantitirend gebauten
Achtsübern eine feste Caesur den 2. oder den 3. Jambus durch-
schneide. Diese Caesur hat Auspicius in seinen rythmischen
Achtsilbern nachgemacht. Er hat also sehr häufig die Formen:
Laetificdbas ] antea oder Incürrat | avaritiae oder Salütem j dico |
plurimam; dagegen sehr selten den Einschnitt nach der 4. Silbe:
Aut renovas | aut superas oder Cui quidquid | tribueris. Auspicius
wollte also sinkenden Einschnitt nach der 3. oder nach der 5.
Silbe und vermied Einschnitt nach der 4. Silbe.
In der Folgezeit war die rythmische Nachbildung der quan-
Caesar bei Aethilwald nach der 4. Silbe. 631
titirten ambrosiaalschen Zeile außerordentlich beliebt; sie scheint
auch bei der Entstehung der nationalen Dichtungsformen der G-er-
manen und Romanen eine große Rolle gespielt zu haben (vgl. diese
Nachrichten 1913 S. 167 ffl.). Die G-eschichte ihrer Entwicklung
ist also wichtig. Aber sie ist noch durchaus nicht in allen Stücken
klar. Unsere 586 Zeilen sind also für eine solche Untersuchung
ein wichtiger Stoff.J
Die Hauptsache ist folgende : während Auspicius den Einschnitt
nach der 4. Silbe meidet, ist bei Aethilwald der Einschnitt nach
der 4. Silbe der allerhäufigste. Auspicius schneidet fast nur nach
der 3. und 5. Silbe ein: auch Aethilwald hat diese Einschnitte
sehr oft, — zusammen in etwa 240 Zeilen — ; aber beträchtlich
mehr Zeilen — etwa 320 — sind nach der 4, Silbe eingeschnitten.
Das ist wichtig; denn so kommen wir zu der Bildung der ryth-
mischen ambrosianischen Zeile, welche wir überall im Mittelalter
finden. Zeilen, wie Justificationibus oder Vis interficientium finden
sich fast nie. Aber selbst der leicht sich bietende Einschnitt nach
der 2. Silbe, vor 6 silbigem Schlußwort, ist auffallend selten. Im
27. Band der Analecta hymnica, in den mozarabischen Hymnen,
habe ich nur die 3 Zeilen bemerkt: Nostrae simüitudinis, Candor
inenarrabilis und Iure hereditario; und es bleibt ein besonderes
Merkmal, daß das dem Columban zugeschriebene Gedicht 'Altus
prosator vetustus' (Blume 51, 275 — 278) unter seinen 284 Zeilen
nicht weniger als 8 zählt, wie: Tribus gloriosissimis , Numquam
deficientia.
Bei Aethilwald ist jede der 586 Zeilen einge-
schnitten nach der 3. oder 4. oder 5. Silbe, also so, daß
man von einer gleichmäßigen Theilung des Achtsilbers (in 3 -f- 5
oder 4 + 4 oder 5 + 3 Silben) sprechen darf. Unmöglich war also
II 111 Quorum auctoribus aius (Ehwald: q. auctori aius). Die-
selbe Regel gilt für die übrigen rythmischen ambrosianischen ZeQen
des Mittelalters. Zu derselben Regel kommen wir in den quan-
titirten Achtsübern des B e d a (s. Dre ves , Analecta hymnica,
Bd. 50 S. 100—114). Es sind über 800 Zeilen, allein eine jede ist
«ingeschnitten nach der 3. oder 5. oder 4. Silbe. Die 2 Verse
no 80 Str. 13, 2 und no S7 Str. 3, 3 : Die creatoris sui und Ac
baptizaturum suo sind die einzigen Ausnahmen; sie zeigen aber,
wie nahe dem Dichter die Grelegenheit lag, diese Regel zu ver-
letzen. Das ist die erste, wichtige Regel des äthilwaldiscben
Achtsilbers.
Die zweite Regel, welche Aethilwald befolgte, lautet: dem
proparoxytonen Zeilenschluß soll paroxytoner Caesurschl uß
43*
632 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
vorangehen und proparoxytoner Caesurschluß ist zwar nicht ab-
solut verboten, aber er ist möglichst zu meiden. E m'p fehle ns-
werth sind also die paroxy tonen Einschnitte:
3 _ u + 5 Allidens | libentissime
3 _ u + 5 Cum grata | gallicinia
(II 123 Cum quarta gallic. ist ein Druckfehler).
5 vj _ + 3 Summum satörem | sölia
3_u + 5_u + 3 Caelörum | summo | lümine
5 — vj 4- 3 Couterinis | frätribus
4 _ u + 4 Vale väle | fidissime
4 _ u + 4 Per profündam | indäginem
4 _ u + 4 Salutätus \ supplicibus.
Zu meiden sind die proparoxytonen Einschnitte:
3u _ + 5 Prötegens | arundinibus (1)
3u_ + 5_u + 3 Növies bmos [ circiter (2)
4 u _ + 4 Doctiloqui | oraculi (3)
4 u _ + 4 Ac tötidem | torrentibus (3)
2 + 5u_ + 3 Orto iübaris j lümine (4)
6u_ + 3 Sapiöntior | omnibus. (4)
Die paroxytonen Einschnitte sind überall massenhaft und be-
dürfen weiter keiner Erörterung. Dagegen scheint es nützlich^
die proparoxytonen Einschnitte bei Aethilwald ge-
nauer zu prüfen.
Vorerst aber ist die "Wortfügung in Betracht zu ziehen, durch
welche das entsteht, was ich daktylischen Wortschluß ge-
nannt habe. Wenn einem proparoxytonen Worte eine betonte
Silbe folgt, wie pericülis Omnibus, so bleiben die beiden Endsilben
des proparoxytonen Wortes absolut unbetont. Wenn dagegen das
folgende Wort mit einer nicht betonten Silbe anfängt, wenn sich
also 3 unbetonte Silben folgen, wie : in ömnibüs pöriculis , so er-
hält die mittlere dieser 3 unbetonten Silben einen Nebenaccent:
in omnibus pericülis. Deßbalb sprechen wir: Dum iüv6n6s sümus,
aber: Jüvenes dum sümus. Folgen sich 4 unbetonte Silben, so er-
hält die 2. oder die 3. den Nebenaccent: 'ömnibös in pöriculis' wird
wohl gesprochen ömmbtts in pericülis, aber: Caösär impörävisset.
Den rein daktylischen Wortschluß, pericülis omnibus, habe
ich schon öfter besprochen: s. Ges. Abb. II 378 und diese Nach-
richten 1908 S. 201. Schon die Dichter von quantitirten Jamben
und Trochaeen haben ihn gemieden ; dann ist er in der Blüthezeit
des Mittelalters von den rythmischen Dichtern meistens stark ge-
mieden worden. Aber auch im frühen Mittelalter wird er von
Proparoxytone Caesurschlüsse bei Aethilwald. 633
den meisten rythmischen Dichtern wenig zugelassen. Von den
obigen Fällen enthalten no 2 Novigs binos circiter und no 4 Orte
iübäris lümine; Sapiöntiör Omnibus sicher, und no 1 Protegöns
ärundinibus vielleicht einen solchen daktylischen Wortschluß, und
schon dieser Fehler kann bewirkt haben, daß diese Einschnitte
selten zugelassen sind.
Der 2. Fall: Räbidi röstri rictibus gehört vielleicht gar nicht
hierher. Denn dem Zeilenschluß rictibus geht ja zunächst der rich-
tige paroxytone Einschnitt röstri voran. Wenn also die Zerlegung
der 5 ersten Silben in rabidi röstri gemieden wird, so ist das viel-
leicht nur geschehen, um den daktylischen Wortschluß zu ver-
meiden. Jedenfalls ist diese Theilung ziemlich selten: etwa 24
unter den 586, z. B. im 5. Gedicht Vers 20 38 42 47 53 und 67.
Dagegen sicher ist der falsche Einschnitt in no 4 : Situ roscTdÖ
röbora. Mit einem fünfsilbigen Anfangsworte, wie SapientiÖr Om-
nibus kommt diese falsche Theilung bei Aethilwald gar nicht vor.
Auch von der zerlegten Bildung Ore halitüm corpore finden sich
höchstens 10 Beispiele, in denen öfter velüti den falschen Ein-
schnitt bildet: 142 erütä. 160; 119 11 30 labäro. 32 velüti. 140;
III 13; IV 16 velüti. 47; V 37 velüti.
Im Einschnitt der 1.) Art: Hostium j a ferocibus oder Prote-
gens I ärundinibus wird man lieber die 4. als die 3. Silbe mit
Nebenaccent belegen. Dann bilden die 2. und 3. Silben den be-
denklichen daktylischen Wortschluß. Jedenfalls ist dieser Ein-
schnitt bei Aethilwald sehr selten. Denn gegenüber etwa 33 Zeilen
zu 3- w + 5 (Pulsabat promontoria) finden sich nur die 8: I 144
Concüti I et (so, und nicht ac. hat die Hft) creporibus; II 57 Ab-
strähunt. 85 Prosilit. 136 Mundo et ; III 24 Tribüat. 27 Alma per.
43 Hostium. 44 Protögens.
Es bleibt der 3. Fall mit dem Einschnitt nach 4u_: Undi-
sönis j fragöribus. Leg^ntibüs | per ävias. Daktylischer Wort-
schluß entsteht hier nicht ; denn die 4. Silbe wird mit dem Neben-
accent belegt; wie wir sprechen und singen: Jüvenes dum sümus.
Aber doch zeigt die Statistik ein seltsames Verhältuiß. Von Aethil-
walds 586 Achtsilber sind etwa 330 nach der 4. Silbe zerschnitten.
Von diesen Einschnitten haben aber 289 Paroxytonon vor diesem
Einschnitt und höchstens 30 Proparoxytonon, Ich habe schon
(Auspicius S. 205) gezeigt, daß kein mechanischer Grund der la-
teinischen Prosodie vorliegt, weßhalb Einschnitte wie Perfrüöris [
angelicum seltener sein sollten als der Einschnitt : Perfruaris | an-
gelicum. Sie sind aber bei Aethilwald viel seltener ; ja von den
77 Zeilen des V. Gedichtes haben 45 Zeilen den Einschnitt 4_u-h
634 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
4 u _, keine einzige den Einschnitt 4u._ -\-4^ — . Der Grund ist
wohl der gewesen, daß Aethilwald die Zeile nicht zerlegen wollte
in 2 Viersilber von ganz gleichem Tonfall u_t.w^4-
Zur Nachprüfung seien die Verse 4vj_ hier aufgezählt: I 40
(furirent?). 75. 83 (Zodiacus). 85 Quem Mazaroth. 101 (?). 103.107.
116. 143. 187. (10)— II 5. 12. 50. 55. 58. 65 Tum agape. 87. 104
Carismatum. 109. 114. 117. 119. 122. 142. 170. 173 Thoracidas.
175. (17)— HI: Ox— IV 1. 6(?). 50(?). 54. (4)— V: Ox— also im
Ganzen höchstens 31 Zeilen zu 4u_ + 4u_.
Die Achtsilber des Aethilwald haben also immer einen Caesur
ähnlichen Einschnitt und zwar nach der 3. oder 4. oder 5. Silbe.
Dieser Einschnitt tritt in der Regel ein nach einem paroxytonen
Wortschluß, selten nach einem proparoxytonen.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. Ich beobachtete,
wie viele Achtsilber des Aethilwald beginnen mit einer Silbe, auf
der voller Accent liegt oder wenigstens ein Nebenaccent. Z. B.
von den 77 Zeilen des 5. Gedichts beginnen nur 5 mit einer nicht
accentuirten Sübe 25(?). 44(?). 48. 72 und 74. Sollte das viel-
leicht mit germanischer Vortragsweise zusammenhängen ? Allein
es hat wohl seinen mechanischen Grund in der Betonungsweise der
lateinischen Wörter und in den Einschnitten dieser Verse. Von
den 77 Zeilen des V. Gedichtes haben 45 den Einschnitt 4_u.
Von diesen 4 Silben muß die erste Silbe vollen Accent oder Neben-
accent haben : Vale vale ; Philochriste ; Quem in cördis ; Sälutatus ;
Per profündam usw. Wenn der Einschnitt nur nach der 3. Silbe
fällt, dann beginnt die Zeile meist mit einer unbetonten Silbe, so
V 48.? 72 Robüstum* per suffragium. So erklärt sich ziemlich
einfach, weßhalb diese Achtsilber so oft mit einer betonten Silbe
beginnen.
Und doch zeigt die Statistik eine auiFallende Thatsache. Mehr
als ein Drittheil der Achtsilber sind nach der 5. Silbe einge-
schnitten. Die 5 Anfangssilben sind meistens durch 2 Wörter ge-
bildet, wie : V 4 Cingo amoris vinculo, 10 Clärum creävit actibus,
19 Tamen adgressi gaudiis, 21 Sümmo satore sobolis ; ebenso V 22
27 28 29 31 32 33 39 43 49. In all diesen Versen könnten ebenso
gut die beiden ersten Wörter umgestellt sein: Satore sümmo,
Amoris cingo usw. Nur in einem einzigen Verse ist die Wort-
stellung umgekehrt: 74 Cael^stis sceptri gremium. Weßhalb?
Wenn der Dichter mit einer vollbetonten Silbe seinen Vers be-
ginnen wollte, so hat es einen Sinn, daß er die zweisilbigen Wörter
voranstellte und die dreisilbigen folgen ließ. Vielleicht aber
Caesurschluß bei Aethilwald. 635
sprach hier eine ganz andere Sache mit, nemlich die Rücksicht auf
die Alliteration. Im I. Gedicht finden sich die Verse:
3 Tiiis pnlsätns precibas obnixe flagitantibus
5 ymnista cärmen cecini atque rem sponsam reddidi.
53 Quae catervatim caelitus crebräntor nigris nubibus
55 neqne caelorum culmina cärent nocturna nebula.
81 Tunc pari lance limpida Lfbrae torpebat tmtina,
145 Tum tändem cürsu caterva confracta linquens limina.
Vgl. ZeUe 92 131 136 164 191 195. -
Die von mir accentuirten Wörter konnten leicht umgestellt
werden, wie
145 Tum cursu tandem caterva linquens confracta limina,
allein dann würden alliterirende Wörter getrennt. Vielleicht wäre
das gegen die Regel des Dichters gewesen.
Die Hauptregeln der ambrosianischen Achtsilber des Aethil-
wald sind also :
Jede Zeile zählt 8 Silben.
Fast alle Zeilen schließen mit Proparoxytonon. Schließt eine
Zeile mit Paroxytonon (wie 37 schließen), so muß das betreffende
Wort mindestens 3 Silben zählen; also: Astra convexi Olimpi,
nicht: Convexi Olimpi ästra.
Jeder Achtsilber muß um die Mitte, also nach der 3. oder 4.
oder 5. Silbe, durch ein Wortende getheilt sein. Dieser Wort-
schluß soll in der Regel paroxytonon sein. Proparoxytoner Wort-
schlnß kann als Ausnahme beim Einschnitt nach der 4. Silbe ein-
treten, viel seltener beim Einschnitt nach der 3. oder 5. Silbe.
(Reim und Alliteration bei Aethilwald). Die beiden
Zierrate der schönen Rede, Reim und Alliteration, welche die la-
teinischen Dichter der Iren gern und mit Eifer angewendet haben,
spielen auch in den lateinischen Dichtungen ihrer Schüler, der
Angelsachsen, eine bedeutende Rolle. Einsilbiger Reim der
letzten . der 8. Silbe war hier das Ziel. Aber , wie die Iren
diese Regel nicht selten verletzten, so manchmal auch diese angel-
sächsischen Dichter. Schließen von den 586 Kurzzeilen nicht we-
niger als 37 gegen die Regel mit Paroxytonon, so sind der Ver-
letzungen der Reimregel beträchtlich weniger : nur 11 (13). In 8
(10) Reimpaaren schließen die Silben is : us. So II 5/6 mellificis :
vorsibus ; 11/12 sceduüs : Sedulius ; 39/40 horridis : imbribus ; 41/42
viribus : strennuis; 175/6 auriferis : capitibus; HI 29 30 fortibus :
humeris ; 37/8 teterrimus : gremiis ; V 27/8 crinibus : nitidis ; dazu
636 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
Epistolae Merow. I 429, 4 angelicis : milibus und 430, 5 angelicis :
legionibus. Dazu kommen die 3 Fälle : II 27 trüicibus : humeros ;
II 49/50 vortices : fragoribus ; III 35/6 omnipotens : tenebris. Also :
wie die irischen Dichter die Kette der lateinischen Reime hier und
da unterbrachen (s. oben S. 621/623), so auch diese angelsächsischen.
Ehwald ist hier anderer Ansicht. Nach seiner Ansicht ist das I.
Gedicht von einem andern Verfasser geschrieben als die folgenden 4 Ge-
dichte (no II — V). Einen Beweis dafür findet er (S. 522 Mitte) auch
darin, daß der Dichter von no I nur Heime gebrauche, in denen der Vocal
der letzten Silbe und der oder die etwa folgenden Consonanten gleich
seien, daß dagegen der Dichter von no 11 — V zufrieden sei, wenn nur der
letzte Buchstabe der letzten Silbe gleich sei ; ihm seien also us : is , us : es,
es : US und ens : is genügende Reime. Diese Regel habe dieser Dichter
(Aethilwald) ja selbst in dem Briefe an Aldhelm (S. 497,1) ausgesprochen,
wo er von seinen Zeilen spreche: octenis syllabis in uno quolibet vorsu
compositis, una eademque littera comparis (d. h. comparibus) linearum tra-
mitibus aptata.
Das wäre eine wichtige Sache! Es kommt ja oft vor, daß Schluß-
silben reimen, welche nach gleichen Vocalen mit ungleichen Consonanten
schließen (Assonanz), wie mentis : consentit. Aber daß nur die schließenden
Consonanten den Reim tragen, daß also *it : ent' 'us : es' 'im : um' reimen
sollen, das ist mir wenigstens eine neue Reimform, an die man höchstens
im Rudlieb (ed. Seiler S. 144) gedacht hat. Für eine solche Lehre braucht
es solide Beweise. Erwägen wir die Thatsachen. Das I. Gedicht ent-
hält 200 Kurzzeilen =100 Langzeilen oder Reimpaare. Die Gedichte
no II, III, IV und V enthalten 386* Kurzzeilen = 193 Langzeilen oder-
Reimpaare. Von diesen 386 Kurzzeilen schließt etwa die Hälfte mit einem
der 5 Vokale; wenn der Dichter die Regel hätte, daß der letzte Buchstabe
der Reimzeilen gleich sein müsse, gut, so war er hier gezwungen limina :
caterva, numero : calculo usw. zu binden. Aber gut die Hälfte jener 193
Reimpaare schließt mit einem Consonanten (etwa 21 mit m, 9 mit r, 3
mit t und 70 mit s) : wenn dieser Dichter die Regel hatte, daß zum Reim
die Gleichheit des schließenden Consonanten m : m, r : r, s : s und t : t
genüge : gut, so reimte er horridis mit imbribus, vortices mit fragoribus,
und kümmerte sich nichts um die Vocale der letzte Silben.
Aber er hat sich gar sehr um die Vocale der letzten Silben ge-
kümmert. Von 193 Reimpaaren haben 182 vor den gleichen Schlußcon-
sonanten auch gleiche Vocale, nur 11 bilden eine Ausnahme und reimen
(8 x) US : is, und (3 X) us : os oder us : es oder is : es.
Diese 1 1 Reimpaare sind also nur einer Nachlässigkeit zuzuschreiben,
die sich auch bei den irischen Lehrern (s. S. 621/623) findet. Fragt man weiter,
weßhalb diese 11 Ausnahmen alle mit s schließen, so antworte ich: das
ist ein Zufall, aber ein sehr begreiflicher; denn die Endsilben mit 's' sind
außerordentlich häufig, von den oben erwähnton 206 Kurzzeilen haben als
Schlußconsonant m 42, r 18, t 6: aber 140 Kurzzeilen endigen mit s.
Für die 586 Kurzzeilen unserer 5 Gedichte ergibt sich also die That-
sache, daß sie paarweise gereimt sind und daß dieser Reim in den
letzten Silben gleichen Vokal und, wenn dem Vocal noch Consonanten
folgen, auch gleiche Schlußconsonauten verlangt: camara : machinaj aothe-
Alliteration bei Aethilwald. 637
reum : gremium; lucifer : flaminiger; tempestas : vastitas; vocitet : clamitet;
fremitans : crepitans.
Ehwald p. 522 behauptet, Anderes lehre der Dichter Aethilwald selbst:
sufficere unius litter ae concordiam epistula Aethilwaldi p. 497,1 testatur.
Da sagt Aethilwald, in seinen Achtsilbem sei Hina eademque littera com-
paris linearum tramitibus aptata'. Comparis steht statt comparibus und die
compares tramites linearum sind die 2ieilenpaare. Aethilwald hätte sagen
sollen: littera (vocali et, si sequitur. consonanti), aber er hat den breiten
Ausdruck gekürzt. Auch ich nenne 'culmina : nebula ; reperimus : anti-
quitus' kurz 'einsilbige' Reime, obwohl die Consonanten, welche die letzten
Silben beginnen, verschiedene sind.
Gleich sein muß also der Vocal der letzten Silbe und, wenn
diesem noch Consonanten folgen, auch diese Consonanten. Verboten
ist bei Aethilwald bloße Assonanz (am : at) oder bloße Alliteration
der letzten Silbe (ant : unt). Derselbe Reim kann mehrere sich
folgenden Paare binden. So reimen I 13 — 18 auf a, 105 — 109 und
111 — 116 und 133 — 138 auf ibas, usw. Der Reim ist regelrecht
einsilbig. Natürlich stellt sich sehr oft zweisilbiger . oft dreisil-
bilger, ja mitunter viersilbiger Reim ein : minacibus : arcibus ; fri-
goribus : calorlbus; culmine : fulmine; torrentibus : lucentibus ; arie-
tibus : parietibus.
Die Alliteration bei Aethilwald ist ebenfalls viel häufiger
und regelmäßiger als bei seinen Lehrern, den Iren. Dieser Binnen-
reim der Zeilen ist bei Aethilwald allerdings nicht so regelmäßig
wie die Kette der Schlußreime.
Wie der Schlußreim je 2 Kurzzeilen zu einer Langzeile, einem
Reimpaar, zusammenbindet, so ist auch das Arbeitsfeld des Innen-
reims, des Stabreims, auf diese Langzeilen beschränkt.
Zunächst gibt es ziemlich viele Langzeilen, in denen kein
Stabreim zu finden ist. So im ersten Gedicht:
31 2 Quibus bis sena nomina indiderunt volumina.
63/4 Germanae Phoebi numina atque praeclara lumina.
vgl. 85 6 159/60 171/2. Anderseits gibt es ziemlich viele Lang-
zeilen, deren eine Hälfte Stabreim aufzeigt , während die andere
Hälfte keinen Stabreim hat; so im I. Gedicht:
107/8 Oceanus cum molibus atque diris dodrantibus
109/10 Pulsabat promontoria suffragante victoria.
vgL I 97,8 120 122 174 178.
Der Stabreim kann also in einer Kurzzeile oder in den beiden
Kurzzeilen einer Langzeile fehlen. Das bewirkt oft eine Un-
sicherheit. Z. B. läge es nahe, daß in Zeüen, wie : —
I 25/6 Et rupto retinaculo de-sevirent in seculo.
I 41/2 Tremebat tellus turbida atque e-ruta robora.
638 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
I 113/4 In-fligendo flaminibus scopulosis marginibus,
II 77/8 Tandem de-curso concite per-longi callis limite.
I 195/6 Grates dicamus dulciter manenti im-mortaliter.
IV 77/8 Maneat im-mortaliter fine tenus feliciter —
die Stammwörter der Composita mitreimen. Allein da hier
kein Reimzwang herrscht, ist die Entscheidung unsicher.
Unter den Epistolae Merowingici aevi 1 sind S. 428 zehn und
S. 430 acht Langzeilen der Berthgyth gedruckt, in denen die An-
fänge der 2 Kurzzeilen alliteriren. Diese Zeilen lehren wenigstens
Einiges.
Vale vivens feliciter ut sis sanctus simpliciter.
Ut armata angelicis vallata legionibus.
Also bildet der Vocal U mit dem Consonanten V Stabreim,
Ebenso zeigt der Vers
Clara Christi dementia celse laudis in secula,
daß ca CO cu mit ce ci Stabreim bildet, was für viele Langzeilen
des Aethilwald wichtig ist, wie
V 27 Capud candescens crinibus cingunt capilli nitidis.
V 3/4 Quem in cordis cubiculo cingo amoris vinculo.
S. 429 Angelorum laetissima aethralea laetitia.
Hier kommt es in an und ae nur auf das a an ; für den Aethil-
wald waren alle anfangenden Vocale gleich werthig, wie
in 3/4 Alti Olympi arcibus obvallatus minacibus.
I 115/6 Quid dicam de ingentibus altithroni operibus.
II 79/80 Edem almam adiere, patria quam petivere.
II 129/30 Cumque proles progreditur, ovorum alvo oritur.
IV 69/70 Ulis, illis in omnibus aequalem dico actibus.
V 39/40 Aures auscultant omnia verba ex ore prodita.
Schwer ist es deßhalb zu entscheiden, ob h als Consonant ge-
rechnet wurde, z. B. in
II 26 Paria namque per fabricam aethralis heri vegetam.
II 39 Quae fugax Orcus horridis timet telorum imbribus.
Darf z. B. der Vers Epistolae Mer. I 430 :
Have, care crucicola, salutate a sorore,
wo die Hft hat 'salutata a sorere', umgestellt werden zu?:
Have, care crucicola, a sorore salutate.
Der eigentliche Bezirk des Stabreims ist also die Langzeile,
das Reimpaar von Achtsilbern. Der Stabreim kann beschränkt sein
auf je ein Wort in jeder Kurzzeile :
Alliteration bei Aethilwald. 639
II 61 2 Oberrartes per devia domosi ruris liinina
11 81,2 Tibi Petri corpuscnlum iacet tellure conditum.
n 83/4 Tum alter e felicibus couterinis fratribus.
Doch ist diese einfache Alliteration etwas dünn im Klange
und deßhalb selten. Lieber werden die alliterirenden "Worter
eng zusammengerückt; so sehr oft in die eine Kurzzeile des
Paares, während die andere Knrzzeile ohne Alliteration bleibt.
"Wie bei den Iren, ist die haufenweise Alliteration am beliebtesten
und sie tritt überall hervor. Besonders beliebt ist die Form^ daß
der Buchstabe, welcher 2 oder 3 Wörter in der ersten Kurzzeile
anfängt, auch das erste Wort der zweiten Kurzzeile anfängt und
so die beiden Kurzzeilen der Langzeile zusammen bindet:
I 97/8 Quorum natura nubibus procedit conlidentibus.
I lOT/B Oceanus cum molibus atque diris dodrantibus.
Epist. I 428 Profecto ipsum precibns peto profusis fletibus.
I 67/8 Sicut solet sepissime auratum sidus surgere.
I 137/S His tantis tempestatibus ac terrorum turbinibus.
I 147/8 Portum petit basilicae populante pernicie.
I 127/8 Tum binis stantes classibus celebramus concentibus.
I 131/2 En statim fulcra flamine nutabant a fundamine.
Ep. I 429 Paradisi perpetuis perdurantes in gaadiis.
I 125/6 Suscitarent sonantibus somniculosos cantibus.
I 133 Tigna tota cum trabibus tremibunda ingentibus.
I 167 Ecce casae cacumina cadebant ad fundamina.
Hiezu gesellt sich in sehr zahlreichen Fällen eine Verstärkung
der alliterirenden Vortragsweise, indem in der nemlichen Lang-
zeile zwei aUiterirende Wortverbindungen einander rasch folgen
oder sich mit einander mischen. Am häufigsten ist natürlich die
Art der Mischung, daß der eine Stab die eine, der andere die an-
dere Kurzzeile besetzt.
I 65/6 Xeque flagrabat flammiger ductor dierum Lucifer.
I 69 70 Sed caecatur (so! die Hß) caligine velud furva fuligine.
I 71/2 Plaustri plane pulcherrima non conparent curricula.
I 117 8 Quae nullus nequit numero conputare in calculo.
Sehr beliebt ist auch die Variation, wie in:
I 145/6 Tum tandem cursu caterva confracta linquens limina.
II 17/8 Pepulisse pemiciter parum sistens stabiliter.
II 41/2 At vos famosi viribus viri sudantes strennuis.
Aber auch die andern Vermischungen zweier Stäbe sind zu
finden:
640- Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
V 11/2 Forma et visu virilem facto et dicto senilem.
n 67/8 Gradientes sublimia Petri petunt suffragia.
Epp. I 428 Vivamus soli domino vitam semper in seculo.
II 9 Stili calamo stridulo caraxante persedulo.
II 85/6 Prosilit de ergastulo carnis evulsus clanculo.
III 41/2 En pilorum acerrima parma pellat acumina.
Einige Zeilen aus dem 4. Gredicht mögen die mannigfachen
Spielarten der Alliteration illustriren :
IV 17 Astra Olimpi ignito ardai orbi vegeto
19 larem librant lucifluam, lustrant axis ignifluam
21 molem mundo minacibus eminentem cum arcibus;
23 Fumam furvam frigoribus foci conplent caloribus,
25 celi iubar e culmine croceo fundunt fulmine.
27 Titan tremet torrentibus taedis late lucentibus
29 passim orbis per marginem ad usque caeli cardinem.
31 Phoebe quoque flagrantibus fratrem iuvat ardoribus,
33 noctem nigram nubiculis lucens lustrat corniculis.
35 Ambo spargunt spiramina, ignis aethralis lumina,
37 neque nocent nitoribus nemorosis cespitibus
39 ruris rigati rivulo roscidi roris sedulo.
41 Sed lutosam liquoribus tellurem umectantibus
43 arebant astra ignito torrentis globi iaculo.
Wie es durchaus erlaubt ist, daß der Reim eines Reimpaares
im folgenden Reimpaar wiederkehrt, so kann auch derselbe Stab-
reim in 2 sich folgenden Langzeilen vorkommen:
I 53/4 Quae catervatim caelitus crebrantur nigris nubibus.
55/6 neque caelorum culmina carent nocturna nebula.
Vgl. hierzu I 28 und 29; 34 und 35; 60 und 61 usw.
Alliteration in angelsächsischer Prosa. Aldhelm, Aethil-
walds Genosse, wendet in seinen Hexametern den Schmuck der Al-
literation oft an. Seine Prosa gibt Zeugnisse in Fülle, daß, wie
die Iren, so auch die Angelsachsen auch in der Prosa diesen Rede-
schmuck gern anwendeten. Ich führe nach Ehwald's Ausgabe nur
wenige Verbindungen hier an : , p. 61 provida . . praecordia —
pignus pepigisse et spiritali sodalitatis — p. 62 caritatis contu-
bernia copulasse — palmitibus pululasse — septeno sapientiae — sep-
tiformis sacramentorum n. sacrosanctis — replicatione revolvens —
campestrium cauliculos — coacervans ad unius coronae texturam
congerere — propatulo patescat cunctisque scrutinio scrutantibus
luce limpidius clarescat — processerint , pululaverint, viguerint —
Alliteration bei Aethilwald. Zeilengruppen bei Aethilwald? 641
p. 63 in ictu et atomo — . p. 74 clanculo cordis cogitatu ep.
perscrutans rust. perquirat et percontetur cur septinariae suppu-
tationis calculus — canonem . . coactos congesseram iterom atque
iterum septnplo et septnplo perplexa revolutione replicetur — re-
colat et reminiscatar — fragilis et gracilis ingenii frutices et nut.
verbomm vimina usw. Besonders bei den mit et oder atque ver-
bundenen Ausdrücken spielt die Alliteration (oder der Reim) eine
große Rolle : carnali et corruptibili — conciliasse et copulasse —
recuperentur et recalescant — plus absentia pulsat quam praesentia
pascat — nunc grandem nunc gracilem — strictim summatimque —
rimanda ac recensenda — contribulibus et coaetaneis — commentando
et coacervando.
Kurzzeilen, Langzeilen. Strophen bei Aethilwald. In
den lateinischen Gedichten wird seit der Zeit des Augustus die
Gliederung der Kurzzeilen. Langzeilen und Gruppen oder Strophen
immer mehr geregelt. Bei den Iren werden bestimmte Kurzzeilen
zu Langzeilen verbunden, welche der Reim und mindestens schwache
Sinnespausen schließen. Zwei solcher gereimter Langzeilen bilden
eine Gruppe oder Strophe. Die quantitirenden Achtsilber hat
Ambrosius zu vierzeiligen Strophen verbunden, aber so, daß der
1. Achtsilber mit dem zweiten und der 3. mit dem vierten enger
verbunden ist als der 2. mit dem dritten, daß also die ambrosi-
anische Strophe aus 2 Langzeilen von 8w_ + 8u_ besteht.
Aethilwald zeigt dieselbe Bindung der Kurzzeilen zu Lang-
zeilen durch den Sinn, durch den Paarreim und durch den Stab-
reim: fraglich ist, ob er die Langzeilen zu regelmäßigen Gruppen
oder Strophen vereinigt hat.
Stets gehört die Kurzzeile mit der ungeraden Zahl 1. 3. 5
usw. mit der unmittelbar folgenden Kurzzeile mit der geraden
Zahl 2. 4. 6 usw. enger zusammen, als diese geradzahlige Kurz-
zeüe mit der ihr folgenden ungeraden ; also gehören zusammen
1 + 2, 3-f-4, 5 + 6 usw. Auch Aethilwalds Dichtungsform ist also
eigentlich die Langzeile 8o_ + 8u_. Also kann kein Gedicht
z. B. 81 Kurzzeilen zählen, sondern nur 80 oder 82. Am bedenk-
lichsten ist Interpunction in der Kurzzeile. Der bedenklichste Fall
ist in dem verwickelten Satze III 9/15
9 Cuius imnensa munera nequeo prorsus, funera
11 antequam rictu rabido raptent et rodant avido
13 ore halitum corpore mortis rigente torpore,
15 carminare concentibus celsae laudis stridentibus.
Hier gehört jedenfalls nequeo zu carminare; also ist vor fu-
642 Wilhelm Meyer, die Verskunst der Iren.
nera die Kurzzeile durch ein Comma zu durchschneiden. Aber
weiterhin ist nicht vor corpore ein Comma zu setzen , sondern
raptent e corpore halitum ist eng zu verbinden. III 25 betet
Aethüwald um Gottes Hilfe :
23 Titubanti tutamina tribuat per solamina
25 sacrosancta sublimiter suifragans manu fortiter
27 alma per adminicula hostium demat spicala.
Hier wird nach sublimiter mit ; interpungirt und so die Lang-
zeile zerrissen. Es ist vielmehr nach solamina mit ; zu interpungiren
und sacrosancta (= sua divina) mit manu und demat zu verbinden.
Im 1. Gedichte droht im Sturm die Kirche einzustürzen :
137 His tantis tempestatibus ac terrorum turbinibus
139 nostra pavent praecordia tot monstrorum prodigia,
141 quando cernebant lumina tectorum laquearia
143 horrisonis fragoribus concuti et (so die Hft., nicht ac) cre-
poribus.
Hier setzt Ehwald nach precordia, Comma und nach lumina:
Doppelpunkt; dagegen Jaffe hatte mit Recht nur nach prodigia
ein Comma gesetzt, also praecordia pavent prodigia verbunden.
Nach diesen Grundsätzen ist wohl auch der Anfang des I. Ge-
dichtes so zu gliedern:
1 Lector, casses catholice atque obses anthletice,
3 tuis pulsatus precibus obnixe flagittantibus :
5 Ymnista Carmen cecini atque rem sponsam reddidi,
7 sicut pridem pepigeram, quando profectus fueram.
9 Usque diram Domnoni^-m per carentem Cornubiam
11 florulentis cespitibus et foecundis graminibus
13 Elementa inormia atque facta informia
15 quassantur sub aetherea convexa celi camara.
Kurzzeile 1—8 enthält die persönliche Einleitung, 9—16 den
Anfang der Reiseschilderung. Da du, lector, casses und obses (V.
1 und 2) mich dringend gebeten hast (V. 3/4), so habe ich Verse
gemacht und habe so erfüllt (V. 5/6), was ich bei der Abreise
versprochen habe (V. 7/8). Auf dem Wege bis Domnonia durch
das dürre Cornubia (V. 9/12) rasten die Elemente (V. 13/16).
Jaffe interpungirt: Z. 5 cecini; — 6 reddidi, — 7 pepigeram, —
dann 12 graminibus. — 16 camera, dum. Ehwald dagegen: 6 red-
didi, — 7 pepigeram. — Dann 12 graminibus, — 16 cAmara, dum.
Zeilengruppen — Strophen. Die alten rythmischen
Gedichte sind fast alle in Zeilengruppen oder Strophen gegliedert.
Zeilengruppen bei Aethilwald? 643
Die irischen Gedichte binden die Zeilen von 8w_ gewöhnlich in
2 Langzeilen von 8 u _ + 8 ^ _ = die ambrosianische Strophe.
Aethilwald liebt langathmige, aus vielen Kurzzeilen bestehende
Sätze, aber sie lassen sich außerordentlich oft in Absätze von 2
Langzeilen zu 8u_ + 8u_ zerlegen. Doch nicht immer. Sehr
selten ist eine einzelne Langzeile. Das ü. Gedicht erzählt Vieles
von zwei frommen Männern, in der 3. Person. Plötzlich schließt
in der 2. Person der einzelne Vers:
183/4 Valetote felicibns vitam clausuri calcibus.
Dagegen mit einem Langzeilenpaar schließen das 1. Gedicht
(197—200 Doxa), das 4. (75—78 Tibi salus) und das 5. (75—78
TJbi semper). Aber das 3. schließt deutlich mit einer untheilbaren
Gruppe von 3 Langzeilen (41 — 46\ Ahnliches ergibt die Unter-
suchung der Gedichte. In der Regel lassen sich leicht Gruppen
von 2 Langzeilen scheiden, aber ziemlich oft sind die Gruppen von
3 Langzeilen sicher. So zerfallen im 5. Gedicht die Zeilen 1 — 32
und 39 — 78 deutlich in Gruppen von je 4 Kurzzeilen; nur 33 — 38
lassen sich nicht trennen, so daß hier allein eine Gruppe von 3 Lang-
zeilen angenommen werden muß. Diese Gruppen von 3 Langzeilen
sind auch sonst sicher. Z. B. gehören I 187 — 192 sicher zu-
sammen, worauf dann die Gruppen von 2 Langzeilen 193 — 196 und
197 — 200 schließen. Im 2. Gedicht wird geschildert, daß die Pilger
sich durch keine Gefahr abschrecken lassen : nicht durch Seenoth
(49 — 52), nicht durch Räuber (53—58) und nicht durch wilde Thiere
(59 — 64). Ebenso gehören weiterhin im 2. Gedicht eng zusammen
die Kurzzeilen 77—82 und 83—88 und 89—94 und 95—100 und
101 — 106, also 5 Gruppen von je 3 Langzeilen.
Man hat anderweitig 'die Verwendung ungleicher Strophen
neben einander als ein eigenthümliches Kunstprinzip der deutschen
Dichtung' erklärt, vgl. MüllenhofF-Scherer, Denkmäler, 3. Ausg. II
S. 70 und 78. Von einem solchen Kunstprinzip ist bei Aethilwald
schwerlich die Rede. Vielmehr war in der rythmischen Dichtung
Bindung der Zeilen allgemein Mode ; Aethilwald insbesondere liebte
lange Satzverbindungen. So ist es fast natürlich, daß sich einzel
stehende Langzeilen kaum bei ihm finden. Anderseits sind von
diesen 5 Gedichten die 2 ersten und längsten epischer Art, nicht
lyrischer, wie es die von Blume zusammengestellten irischen Ge-
dichte sind. Auch die beiden Lobsprüche, no 4 und 5, sind weltlicher,
kaum lyrischer Art. Nur die kurze no 3, eine oratio ad deum ^),
1) Ich hätte dieses 3. Gedicht des Aethilwald aufzählen und besprechen
sollen in meiner Arbeit 'Oratio Bedae presbyteri' (^in diesen Nachrichten 1912
644 Wilhelm Meyer, die "Verskunst der Iren.
ähnelt den von Blume gesammelten Gedichten. So hat Aethilwald
sich die epische Freiheit gewahrt und beliebig viele Langzeilen
miteinander verbunden, d. h. naturgemäß regelmäßig 2 oder 3.
Die Formen der lateinischen rythmischen Dichtkunst hatten
die Iren mit Eifer aufgenommen und besonders die Künste des
Reims und der Alliteration weiter entwickelt. Aethilwald folgt
in seinem engeren Arbeitsgebiet der rythmischen Achtsilber den
Iren, hat aber den Schmuck des Reimes und der Alliteration regel-
mäßiger angewendet. Von dem einzelnen Dichter darf man auf
mannigfache und vielseitige Ausbildung und Ausübung der da-
maligen poetischen Technik schließen.
S. 232); denn die beiden Gedichte sind Zwillinge. Von Beda's Gedicht habe
ich jetzt eine zweite Abschrift gefunden im Book of Gerne ed. Kuypers , 1902 p.
217, welche meine Arbeit bestätigt, aber auch verbessert; vgl. den Schluß:
audiat angelico dulces qua carmine laudes
Daviticoque sacrum personet ore melos.
carmina hat die Hft O(rleans) ; carmine, was ich conjicirte, hat Ceme.
Dauit coque hat 0 : ich conjicirte quaque ; Daviticoque hat Gerne.
Uebersicht.
I Verekunst der Iren (S. 605 — 628). S. 606 Alle Zeilen sind quanti-
tii'enden nachgeahmt. S. 609 Silbenzahl. Schlußcadenz. Tonfall im Innern
der Zeile. S. 610 Kurz- und Langzeilen. Gruppen. Strophen. S. 611
Accentfüße? S. 612 Griechische ßythmik nachgeahmt? S. 616 Reim
(S. 619 Falscher paroxytoner Reim nur in 3 silbigen Wörtern). S. 621
Reimlose oder schlecht gereimte Verse. S. 623 Reimprosa. S. 623
Alliteration.
II Verskunst des Angelsachsen Aethilwald (S. 628—644). S. 629
Einrichtung der Handschrift. Silbenzabl. Schlußcadenz. S. 630 Vers-
Einschnitte, bes. nach der 4. Silbe. S. 632 Propai'oxytone Einschnitte.
S. 635 Reim bei Aeth. S. 637 AlHteration bei Aeth. (S. 639 zwei Stäbe).
S. 641 Kurzzeilen, Langzeilen, Gruppen bei Aeth.
Drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuio.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer
Professor in Göttingen.
Mit einer Tafel.
Vorgelegt in der Sitzung Yom 20. Mal 1916.
Im Jahre 1915 las ich in R. Ehwald's Ausgabe des Aldhelm
bei der Beschreibung der wichtigsten Hft des Gedichtes de vir-
ginitate, I 75, S. 330 die Notiz: In extremis foliis Seduüani co-
dicis, ut etiam illud addam. duo leguntur hymni (cf. etiam Brit.
Mus. Reg. 2 A XX) Merowingica scriptura saec. IX exarati : (A)ltus
auctor omnium et (Ar)rius et Sabellius, quos editurus descripsit
Blnmius. Der Verweis auf Brit. Mus. nützte mir nichts; denn
der citirte Text ist gedruckt von Kuj^ers, The Book of Gerne,
Cambridge 1902, S. 213; aber er ist nur ein prosaisches Grebet,
kein Gedicht.
Ich bat also zu weiterer Aufklärung um eine Photographie
des Gothaer Textes, weiß auf schwarz. Doch dazu fehlte in Gotha
die Einrichtung. So hatte R. Ehwald die außerordentliche Güte,
den ganzen Text für mich zu copiren. Da stellte sich nun heraus,
daß Blume schon 1908 in den Analecta hymnica, Band 51 S. 302/5
die Hälfte der Verse gedruckt hatte. Aber zugleich wurde mir
klar, daß eine sorgfältige Veröffentlichung dieses Denkmals unserer
Vorzeit sehr wünschenswerth sei. Eine genaue Photographie gab
mir dann die sichere Grundlage für die weitere Arbeit, deren Er-
gebnisse ich hier vorlege.
In der Handschrift in Gotha I. 75 im Ende des ersten Be-
standteiles, der Abschrift des Sedulius aus dem 8. Jahrhundert, sind
Kgl. Qes. d. Wiss. Nachrichten. Phfl.-hist Klasse. 1916. Heft 5. 44
646 Wilhelm Meyer,
von einer andern Hand, die in dieser irisch-angelsächsischen Hand-
schrift sonst nicht vorkommt, 5 Seiten mit 12 Spalten beschrieben :
Bl. 20b mit 2 Spalten (I 1—64), Bl. 21a und 21b mit je 3 Spalten
(I 65—168 und I 169—11 84), endlich Bl. 22 a in 2 Spalten mit II
85 — 144. Am Ende der Seite 22 a bleibt der Raum einer 6 zeiligen
Strophe leer und auf der Rückseite, Bl. 22 b, folgen in 2 Spalten
die 36 Zeilen des III. Gedichtes , nach dessen Ende mehr als die
Hälfte der Seite unbeschrieben bleibt. Es sind also 368 Zeilen
von ^iner Hand in 12 Spalten geschrieben.
Bisher wurde nur von '2 Hymnen' gesprochen. So bei Jacobs
und Ukert, Beiträge zur älteren Litteratur, II 1836 S. 136 : Auf
der Rückseite fängt ein Hymnus an, welcher von einer anderen,
ebenfalls alten, aber rohen Hand geschrieben 10 Spalten füllt, An-
fang : (0 deus) auctor omnium ; und nach einem leeren Raum fol.
22 von derselben Hand 36 Verse , von denen durch Beschneiden
die ersten Silben verloren sind : Anfang [Ariujs et Sabellicus.
Bruno Krusch, Neues Archiv IX 1884 S. 272, notirt: 'Auf die
Rückseite des 20. Blattes bis fol. 22 b hatte schon im 8. Jahrhundert
eine Hand in merowingischer Cursive zwei Hymnen eingetragen:
der erste beginnt f. 20b: '. . us auctor omnium'; der zweite über
die Häresien des Arius, Sabellius, Nestorius und Eutyches'.
Fast zu gleicher Zeit beschrieb Huemer, Sedulii opera 1885
S. VIII, dieses Stück so : alia manu scripti leguntur hymni hi :
f. 20 b [J^Jltus auctor omnium . . f. 21b Benedicamus dei nato (den
Irrthum Hemer's hat Blume S. 305 corrigirt: es ist der verstüm-
melte Anfang der Y-Strophe von I, 169); f. 22 b contra haere-
ticos: [Arrijus et Sabellius.
Endlich hat Clemens Blume in den Analecta Hymnica Bd. 51,
1908, in der Hymnodia Hiberno-Celtica saeculi V. — IX. S. 302 —
305 das I. G-edicht veröffentlicht und dazu S. 305 bemerkt : Auf
dies meines Wissens bislang unedirte Gedicht folgt ein zweites
Akrostichon, in dem aber alle Verse der mit A, B und C be-
ginnenden Strophen derart geköpft sind, daß ich eine Rekonstruc-
tion nicht wage . .. Die Würdigung des dogmatischen Gehalts
dieses Gedichtes fällt außerhalb des Rahmens dieser Textpubli-
kation.
Mir schien die sonst nicht vorkommende Schrift, die beispiel-
lose rythmische Form und der seltsame Inhalt dieser 3 Gedichte
einer Untersuchung werth, und ich habe viel Mühe daran gewendet.
Ich bin freilich über keine der drei Fragen zu einer abschließenden
Antwort gekommen, aber ich hoffe, den richtigen Weg zu ihrer
Lösung eingeschlagen zu haben. Irre ich nicht, so werden diese
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 647
3 Rythmen — denn um Rythmen, nicht um Hymnen handelt es
sich hier — eine würdige Fortsetzung der von den Monumenta
Germaniae durch K. Strecker 1914 veröffentlichten Rythmi aevi
Merowingici et Carolini bilden.
Es handelt sich also um 3 Rythmen:
I. 188 Zeilen in achtzeiligen nach dem Alphabet geordneten
Strophen, denen man den Titel geben könnte: De trinitate et de
Christo deo homine.
II f. 21b: 144 Zeilen in sechszeiligen nach dem Alphabet ge-
ordneten Strophen, welche eine Deprecatio ad deum enthalten.
III f. 22 b: 36 Zeilen in drei zwölfzeiligen Strophen, welche
die Lehrsätze des Arrius und Sabellius , des Manichaeus und Pho-
tinus, endlich des Nestorius und Eutyches nennen und bekämpfen.
Zur Untersuchung der Schrift ist eine Probe derselben noth-
wendig. Außerdem sind mehrere Spalten durch Beschneiden oder
durch das Einheften geschädigt. Deßhalb habe ich eine Tafel
beigegeben, auf welcher ich die 4 schadhaften Spalten vereinigt
habe. Die Originalblätter haben jetzt, nach R. Ehwald's Angabe,
eine Höhe von 24, 5 cm, eine Breite von 16 cm. Die 4 von mir
zusammengestellten Spalten sind die ersten Spalten der Seiten:
1) Bl. 20b = I 1-32. Es fehlen 1 oder 2 Buchstaben im
Zeilenanfang.
2) Bl. 21 a ^ I 65—96. Weggeschnitten ist nichts ; aber durch
die Heftscbnur ist öfter der 1. Buchstabe verdeckt.
3) Bl. 21b = I 169—188 und II 1—15. Im Anfang der Zeüen
sind 3—5 Buchstaben weggeschnitten.
4) Bl. 22 b = III 1—30. Der Anfang der Zeilen mit 2—4
Buchstaben ist weggeschnitten.
Die Schrift der Bythmen.
Krusch hat die Schrift dieser 3 Rythmen 'merowingische Cur-
sive' genannt. Es ist richtig, daß die Schrift dieser 3 Rythmen,
welche in der ganzen gothaer Hft nicht wieder vorkommt , mit
den angelsächsischen Händen , welche die übrigen Theile der Hft
geschrieben haben, nichts zu thun hat. Die Anfänge der Colamnen,
die Zeilen der Columnen sind durchaus ungleich. Offenbar sind in
einem Orte des Frankenreichs, wo die Hft sich später befand, die
5 Seiten von einer festländischen Hand flüchtig beschrieben worden.
Diese Schrift ist nicht angelsächsisch. Sie hat merovingische
Bestandtheile , ist aber weder die alte groteske merovingische
Schrift, noch die späte, schul- oder kanzleimäßig geregelte mero-
wingische Schrift, die in den Urkunden Ludwig des Frommen und
44*
648 Wilhelm Meyer,
seiner Nachfolger noch erscheint. Sondern sie ist eine Minuskel,
eine Buchschrift, ähnlich, wenn auch nicht so durchgebildet, wie
die karolinger- oder die angelsächsische Minuskel aus dem Anfang
des 9. Jahrhunderts. Sie ist eine Mischschrift, welche neben den
Resten der merovingischen Schrift viele Spuren der Karolinger-
minuskel aufgenommen hat ^).
Das cursive sogenannte oifene a herrscht noch durchaus. Es
ist dem u ähnlich, nur daß der 2. Strich im Wort den nächsten
Buchstaben anfaßt, im Wortschluß aber aufwärts gekrümmt wird,
wie Vers 15. 65. 70. Das karolingische a steht nur in den ersten
Zeilen von I einige Male (I 1. 2. 4. 6. 8. 18. 29. 30; II 9), sonst
äußerst selten. Im Zeilenanfang steht bald das cursive bald das
Minuskel a; s. 4. 82 und 83; ae und e sind fast immer richtig
unterschieden ; nur 99 coequalem und II 79. 126 presta. ^ statt ae
etwa 8 Mal (83. II 14. III 19).
C ist fast immer das Minuskel c, welches die folgenden Buch-
staben mit dem Fuß umfaßt. Doch haben sich von dem hohen, in
der Mitte des Bogens eingeknickten c der Cursivschrift (7. 87. 171),
welches die folgenden Buchstaben mit dem herabgebogenen Kopf
anfaßt, manche Beispiele erhalten. So oft die Verbindung co; s.
91. 93. III 30. Dann er (117) und das h ähnliche ci in 80 und in
85, wo ueraciter als uerahr = uera habetur verlesen worden ist.
e hat fast immer die karolinger Form; doch hie und da die
cursive hohe Form, wo an der Zunge des e der erste i- Strich des
folgenden Buchstabens hängt; so 89 und 188 em, en 90 und II 12
und er (10), dann et (in 103). Die Ligatur & kommt regelmäßig
als das selbständige Wort vor, aber kaum im Worte, während die
Ligatur für ec im Worte oft' sich findet; s. 14. 74.
Die Striche des i und die entsprechenden in n m und r sind
schlichte senkrechte Striche, ohne besondere Füße; nur bei n und
m wird der letzte Strich gern etwas verlängert und gespitzt; s.
11. 12. 15. 90. 93 III 22. 89 bietet den einzigen Fall, daß in
mi das i an den letzten Strich des m unten angehängt wird. Zur
"Unterscheidung von a wird im u der 2. Strich gerade herunter ge-
zogen; s. 6. 19. 24 III 13. Nur in III 11 ist uf ligirt. Oft wird
in li der Fuß des 1 aufwärts gebogen und i daran gehängt (23.
170); dann in ei (70) das i an die Zunge des e gehängt. Ein häu-
figer Überrest der cursiven Schrift ist der, daß i im Wortanfang
stark überhöht wird; 8. 72. 79. 82 II 6 usw.
1) Ich cltire im Folgenden fast nur Beispiele, welche auf der beigegebenen
Tafel vorkommen. Die mit II oder III bezeichneten Verszahlen sind klar; bei
den aus I genommenen Versen habe ich die Zahl I weggelassen.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 649
Statt n steht hie und da N ; so 73 2^rm und I 57 reXonatus ;
dann kommt statt nt einige Male die Ligator von N und T vor.
wie in 11.
r hat meistens die karolingische IVIinuskelform. Die Zunge
faßt meistens den folgenden Buchstaben an ; doch im Wortschluß
wird sie aufwärts gekrümmt (s. 97. 98), und dasselbe geschieht
hie und da im Silbenschluß, so in 65 carne, 71 Concor dantes, 89
germinauit; doch auch in r vor a (4. 18. III 27). Das cursive
hohe r mit spitzem Kopfe, dessen Zunge sich mit dem folgenden
Buchstaben vereint, kommt öfter vor; besonders in der Ligatur
re; s. 13. 73. 77. 171 III 24 usw., minder oft in ri, z. B. 77 III 12;
dann einige Male in den Ligaturen von rt und rn (186), auch ru.
Zu notiren ist besonders die Ligatur ro (21. 28), wo die Zunge
des hohen spitzen r sich herabsenkt zum o, das oben 2 Zipfel hat,
deren linker angefaßt wird, während der rechte frei in die Höhe
steht.
O ist das gewöhnliche der Karolinger Minuskel. Die eben er-
wähnte cursive Ligatur von ro, wo das o oben 2 Zipfel hat. half
mir die seltsame Buchstabengruppe im Anfang von 76 zu ent-
räthseln ; man hatte gelesen hnf (habenf ) oder Ihf (Jesus) : es ist
homo; beide o haben oben noch den rechten Zipfel, aber das o
selbst ist mit dem letzten Strich des h und dann des m ver-
schmolzen.
t hat meistens die karolingische Form. Dabei berührt meistens
der Kopf und der Fuß den nächsten Buchstaben ; nicht selten aber
dreht der Kopf sich vor dem folgenden Buchstaben in die Höhe
oder geht über ihn weg; s. tu 14. 18. 67 II 7; ta 16; tr 26. 27.
In der Sübe ti geht der Kopf des t oft über das i weg (12), oft
hängt das i am Ende des Kopfes (20. 94. 180. 182 III 4. 22) ; in
beiden Fällen wird das i abwärts verlängert. Die aufrecht stehende
cursive Ligatur für ti kommt nur II 29 (delictis) vor. Auffällig
ist eine Majuskelform des T, welche hier sehr oft vorkommt. Sie
ist mindestens doppelt so hoch als das Minuskel t und geht meist
mit dem Fuß unter die untere ParaUellinie (s. 86 II 5). Der Fuß
ist nach rechts gekrümmt , faßt aber den folgenden Buchstaben
nicht an. Dieses T kommt auch im Wortanfang vor und im Wort-
schluß (III 18) ; aber regelmäßig steht es im Worte und zumeist
nach einem Zungenbuchstaben , besonders nach e (17. 66. 77/8/9.
86. 172 III 2. 22); dann nach r; nach a (III 10); sonst nach c (87.
95 U 5).
X folgt dem allgemeinen Gesetz des Schreibens ; der nach rechts
abwärts gehende Strich wird durch den Druck der Feder dick,
650 Wilhelm Meyer,
der nach rechts aufwärts gehende ist dünn. Seltsam ist nur, wie
groß das x gebildet wird, welches von der Zunge eines vorange-
henden e in dem Schnittpunkt der beiden Balken berührt wird;
s. 80 III 8, aber auch oxi III 17 und 7.
Die Schaftbuchstaben 1 b d und h haben wenig Besonderes
an sich. Selten sind die beiden Striche (hinauf und hinunter) sicht-
bar, aus denen der Schaft entstanden ist (81. 172. 185). Nicht
selten ist in d der Schaft unter die Linie hinunter gezogen. Die
Porm b kommt nur 2 Mal vor, in übergeschriebenen Ergänzungen
(I 59 und 151; I 98?}.
f und f werden etwas unter die Linie gezogen (bes. 30, III 28
und II 14). Die cursive Ligatur ft sitzt auch hier fest (65. 68.
84 etc.), wie in der beneventaner Schrift; ft (84) ist sehr selten
getrennt. Sehr selten ist der Schaft des f getheilt (80 und III 6) ;
nur in III 11 ist das f mit dem 2 Strich des vorangehenden u
vereint.
g, der empfindlichste aller Buchstaben, ist in I 131 und 144
besonders characteristisch gebildet durch 2 in einander laufende
Schleifen.
p und q sind nicht auffallend ; der Schaft endet unten oft
spitz (8. 11. 20 etc.).
Abkürzungen und Ohiflfern. Die hier vorkommenden Ab-
kürzungen und Chiffern weisen in die frühen Zeiten der Minuskel-
schrift. Die Abkürzung wird meistens durch einen horizontalen
Strich angezeigt, der oft nach rechts verlängert und auch gespitzt
ist (s. 67. 69 usw.). Steht dieser Strich über einem Schlußvocal,
so ersetzt er ein m (nicht n) ; in Wortmitte wird m nicht so er-
setzt, q. oder mit einem Häkchen ist que ; auch in ab sq. quoq. neq. ;
b' oder b> ist die Endung bus. Im Wortschluß finden sich noch
einige seltenen Kürzungen : so ein halber Bogen über r (2. II 9) =
rum oder über z (81. 83. 84 III 16) = tur. Einzeln sind noch 83
lum, 94 nom und pat = 85 neracit (men und ter). Der Vorrath
von Chiffern ist noch sehr bescheiden. Zunächst für die 3 Prae-
positionen: per pro und prae, die sich auch in Compositis finden.
Dann n= non oft. numq mit Strich durchs q = numquam (111);
nf = nunc II 65, S> = sed (71) und 2 Mal q mit einer Schleife
= quod. Häufig ist e = est und 3 Mal eö (II 9. III 3) = esse.
Von den Pronomina : K = haec III 7 ; ei' = eins (70), nrm = nos-
tmm (69. 73) und 3 Mal om. (70. 79) = omnes. Die Chiffern für
Nomina sind recht wenige : die Formen von deus oft ; 1 Mal dül',
oft xpf, lEf und Ihü und fpf ipu und Icf; I 2 fclor' für seculorum.
Interpunction findet sich so gut wie keine. Nur wird das Ende
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 651
der Strophe, hie und da auch das der ersten Halbstrophe bezeichnet
darch einen Punkt oder ein Häkchen s. 68. 72. 84. 88. 92. 96 usw.
Die Worttreimuilg ist schon durchaus sauber.
Nehmen wir die dargelegten Einzelheiten zusammen, so stammt
weitaus der größte Theil aus der karolinger Minuskel, ein kleiner
Theil stammt aus der Cursiv-Schrift. Kaum aber werden unter
den Minuskel- oder Majuskel-Buchstaben sich mehrere finden, die
gerade aus der Merovinger-Cursive stammen müssen. Da aber die
angelsächsische B[ft ins Frankenreich gebracht und dort der Ein-
trag in dieser Schrift, die keine angelsächsischen Eigenthümlich-
keiten zeigt, gemacht worden ist, so müssen wir auch diese Schrift
zu den Versuchen rechnen, eine kleine und bequeme Buchschrift
zu construiren. Solche Versuche wurden im Frankenreiche im
Übergang des 8. zum 9. Jahrhundert manche gemacht , z. B. bei
der Schrift von Corbie. Unser Schreiber hat schon so viel Ele-
mente der Karolinger Minuskel, daß die weitere Entwicklung ihn
wohl ganz zu dieser geführt haben wird. Aber interessant ist
dieser Versuch, und eine Probe in wirklicher Größe sollte in eine
größere palaeographisehe Sammlung aufgenonmien werden.
Die Art der Abschrift können wir wohl aus den Fehlern
beurtheilen. Ziemlich sichere, nicht corrigirte Fehler
liegen wohl vor : I 2 satar (sator) , 7 contenes , 14 fecististi ; 30
(n)omem; dann scheinen nach 48 vier Zeilen zu fehlen. I 57 re-
Nonatus (renatus), 63 sine defectui (defectu), 82 pastostoribus, 84
demostratur, 110 pasus, 140 antecellet(-it), 159 potabunt(-ant), 164
reserat(-ret) , 166 quis (qui) , 170 alto (alta?), 179 auriamus. —
II 41 trista (tristi), 44 liberat (liberabit ?), 46 flagitium (-tii oder
-tiorum), 58 oboediam (oboedientiam), 64 puplicani. 66 fabe (fove ?),
90 sauciat (-et), 94: fehlt hob, 96 tribuet (-at ?), 99 nullius egis (nullis
eges?), 105 uicuisti (vicisti).
Etwas mehr sind die Fehler, welche nachträglich corrigirt
sind, wahrscheinlich vom Schreiber selbst, wenn auch hiebei 2 Male b
statt d gebraucht ist ; mit 's. l.' bezeichne ich, daß das Wort über
der Zeile nachgetragen ist. I 44 ad s. L 51 tempus omne,
durch : ist die Umstellung notirt 59 bi s. l. 79 q. *\ l. 86
dicitur aus diciter corrigirt 97 nach Nam ist q. eingeflickt 101
£uerst omnipotes 106 uere ist zu uerbi corrigirt Der Vers 108
ist zwischen 107 und 109 eingeflickt 120 matre, über e ein dünnes i
125 rex s. h 151 bf s. l. 170 wohl zuerst arto, dann alto 176
adorantes ist in Anderes hineincorrigirt. — II 13 pater s. l.
18 fordiT: daß schließende f steht in Rasur 22 me 5. l. 100
bona s. l. 122 to in protoplausti 6\ l. 123 fuü s. I. 134 in
Wilhelm Meyer,
amavi ist ama durchgestrichen und zela übergeschrieben. — III 7
K s. l. 10 fimuf ist su fvmus corrigirt. 23 e s, ?.
Wie von der Merowinger Barbarei in der Orthographie hier
keine Spur ist, so sind auch diese Fehler nicht stark und nicht
übermäßig viel. Wenn der Verfasser selbst aus Concepten hierher
seine Rythmen reingeschrieben hat, flüchtig und anspruchslos, ist
diese Abschrift begreiflich.
Die rythmischen Formen der gothaer Gedichte. Blume,
der das I. Gedicht veröffentlicht hat, sagt wenig von seinen For-
' men. Er weist darauf hin , daß die ersten Zeilen entlehnt sind
aus 2 irisch-angelsächsischen Gredichten und schließt, 'daß jeden-
falls dieses rythmisch ungelenke und den Reim vernach-
lässigende, aber manche Alliteration aufweisende Reimgebet
in den Kreis jener Dichtungen gehört, ohne daß altirischer Ur-
sprung ihm zugesichert werden kann'. S. 350 vergleicht er das
Gedicht no 256 wegen der ungleichmäßigen Silbenzahl der
Verse und des nachlässigen, oft fehlenden Reims mit unserm ersten
Rythmus (bei ihm no 232) und mit no 227. Allein diese Ähn-
lichkeiten sind unwesentlich. no 227 (S. 297) besteht aus 16 am-
brosianischen Strophen, ohne Reim. Von den 64 Zeilen zählen 4
sieben, die übrigen 60 acht Silben (1,1 und 4,3 lesü); 2 schließen
sinkend (8, 3 in nos und 16, 1), die übrigen 62 steigend. no 256
(S. 349) bringt in 8 ambrosianischen Strophen etwa 7 Zeilen zu 9
und 1 oder 2 zu 7 Silben; alle Schlüsse sind steigend, außer 1,2
ut mihi und 8, 2 in sanctis. Die Überlieferung beider Gedichte ist
eine unsichere ; denn das Book of Gerne liefert oft recht entstellte
Texte.
Mich stellte die Untersuchung dieser 3 Rythmen vor eine ganz
neue Thatsache. Von jeher meinte ich, daß die lateinische Rythmik
auf 2 Grundlagen beruhe : der gleichen Silbenzahl und der gleichen
Schlußcadenz der sich entsprechenden Zeilen. In der Abhandlung
über die rythmischen Verse der Iren (s. oben S. 609) fand ich von
den Iren die gleiche Silbenzahl überall gewahrt, die Gleichheit
der Schlußcadenzen nur durch die Ausnahmen verletzt, die ich
dort (S. 609) aufgezählt habe ; dann fand ich in den fast 600 Zeilen
des Angelsachsen Aethilwald die Zahl von 8 Silben stets gewahrt,
dagegen die proparoxytone Schlußcadenz nur in etwa 36 Zeilen
durch paroxytone Ausnahmen ersetzt (S. 629/630).
Ganz anders steht es hier. Nicht nur der I., schon von Blume
S. 302 gedruckte Rythmus, sondern auch die hier zum ersten Mal
drei Gothaer Rytbmen ans dem Kreise des Alkoin. 653
gedruckten beiden folgenden Rythmen haben genau dieselben Formen
der Zeilen.
Die Zeilen sind abgesetzt geschrieben, so daß kein Zweifel
darüber besteht, daß dichterische Form beabsichtigt ist. und wo
die Zeilen enden. Da ergibt sich eine bis jetzt beispiellose Willkür
und Freiheit:
1) ist die Gleichheit der Silbenzahl durchaus aufgegeben.
2) sind die beiden möglichen Schlaßcadenzen durchaus will-
kürlich gemengt.
Die poetische Form verlangt aber doch gewisse Grenzen. Die
Frage ist insbesondere, ob die Silbenzahl sich nicht innerhalb ge-
wisser Grenzen bewegt. Der Schlußcadenzen gibt es ja nur 2 :
Paroxytonon oder Proparoxy tonon : omnium oder saeculorum. Der
erste Blick lehrt, daß hier beide Schlußcadenzen bunt gemischt
sind.
Bei der Berechnung der Silbenzahl lasse ich die verstümmelten
Zeilen bei Seite (I 173/8 und 181,8 = 14 Zeilen; II 1—15 und
10 Zeilen von IIl) ; von den 368 Zeilen benutze ich also 329. Unter
diesen 329 Zeilen finden sich :
73 Zeilen zu 8u_ und 181 zu 8_u = 204 Achtsilber; dann
33 Zeilen zu 9-.— und 48 zu 9_u = 81 Xeunsilber.
Von den übrigen Zeilen sind etwa 32 Siebensilber und
10 vielleicht Zehnsilber.
Der einzige Sechssilber, II 142 laus honor et virtus, ist
also sicher zu bessern.
Von den Siebensilbern schließen 17 steigend, wie 1 1 Altus
auctor omnium; 60 141 142 146 160 164. U (44?) 61 64 66 72
79 124 138. Auffallend ist das einsilbige Schlußwort in II 132
Soli deo semper laus. Taktwechsel ist durchaus erlaubt : Et re-
seret p^ctora; Lux vera fidelium.
Mit Paroxytonon schließen 15 Siebensilber, wie Nunc quoque
me lugentem. I 27 64 102 109 145 158. 11 36. 43 (wo freilich
heu zweisilbig gelesen werden kann), 49 53 65 87 119 139 144.
Die meisten beginnen mit accentuirter Silbe, wie Passus est prin-
ceps regum. Diesen 32 Siebensilbern können wohl noch zugerechnet
werden: II 4 [clamo] corde credulo und III 6 [et cjonfundens per-
sonas. Darnach ist es sicher, daß der Dichter siebensilbige Zeilen
verwendet hat.
l^Iit den Zehnsilbern steht es eigenthümlich. I 38 89 104
105 121 122 138 (183 187). 11(46): Diese 10 Verse enthalten aller-
dings 10 Silben, aber in jedem Verse treten mindestens 1 Mal zwei
Vocale auf, die durch Synizese mit einander zu einer Silbe ver-
654 Wilhelm Meyer,
schliffen werden können und in alten Zeiten oft verschliffen wurden :
ia ii io iu ; ei eo. So :
I 121 qui nee unione est confusus.
I 89 Mariae gremium germinavit.
I 105 Omnia data a deo patre.
Kein Vers kommt vor mit der festen Form , wie Blume sie
in I 10 Condidisti cuncta celeriter conjicirte. Eine Ausnahme macht
III 33 filius hominis venit de caelis, 10 oder gar 11 Silben. Allein
dieser Vers wird schon durch die Worte 'audi . . . hoc' als Citat
(Daniel VII 13) gekennzeichnet und Citate sind oft von Gesetzen
der Metrik oder des rythmischen Satzschlusses frei; vgl. schon
den Hymnus des Ambrosius 'Amore Christi nobilis' Str. 5,1—6,1.
Deßhalb kann der Vers III 33 uns nicht hindern , in den citirten
10 Zehnsilbern Sjnizese anzunehmen und festzustellen, daß anser
Dichter Zeilen von zehn Silben nicht wollte.
Darnach wollte unser Dichter Zeilen schaffen, die nicht we-
niger als 7 und nicht mehr als 9 Silben enthielten, in denen aber
die Schlußcadenz, Paroxytonon oder Proparoxytonon, völlig frei war.
Der Zeilenschluß wird nur II 132 auffälliger Weise durch das
schwere 'laus' gebildet ; sonst nur durch einige Hilfswörter : je
ein Mal durch sum, es, est und 2 Mal durch me.
Von einer regelmäßigen, gleichartigen Caesur ist keine Rede,
aber es wird auch die Mitte der Zeilen nicht von einem vielsilbigen
Worte j wie deificato oder subsistentiis, überspannt. Stets tritt,
wie ich das in den Achtsilbern des Aethilwald nachgewiesen habe,
um die Mitte der Zeile ein Wortende ein ; aber der Dichter
kümmert sich nicht um steigenden oder sinkenden Caesurschluß.
Die Wörter treten so meist in 2 Gruppen zusammen, wie
Bonus factor * bona valde condidit cuncta * celeriter ;
doch oft gibt es auch 3 Gruppen, wie in :
Qui nasci' dignatus * ex ea oder Homo* ex aqua* renatus.
Im Innern der Zeilen ist keine Rede von irgend einer Regel-
mäßigkeit des Tonfalles , von Accentfüßen. Alle Spielarten des
Tonfalles, welche möglich sind, kommen hier auch vor. Man nehme
als Beispiel die unten unter no V citirten Zeilen zu 8_w, die
sonst so oft eine gewisse Regelmäßigkeit zeigen.
Ebenso ließe sich für die Siebensilber und Neunsilber nach-
weisen, daß durchaus die Silben nur gezählt werden. Nicht ein-
mal der daktylische Wortschluß wird irgendwie gemieden,
sondern in sicheren wie in unsicheren Fälle oft genug zugelassen :
Factus hominis filius oder Sed capiti concordantes.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 655
Wie ist die Ungleichheit der Silbenzahl zu erklären?
Ich habe einst der Kritik der Gedichte aus der Merowinger- und
Karolinger-Zeit Hilfe gebracht, indem ich nachwies, daß oft der
Zeile eine Silbe vorgesetzt worden ist, so daß eine Zeile 9
statt 8, 8 statt 7 und 7 statt 6 Silben zählte. So konnte noch
im 12. Jahrhundert Rorate mea lumina mercari margaritam eine
Vagantenzeile (7w_ + 6_u) bilden. Allein hier handelte es sich
nur um einen Vorschlag, nicht um einen Zusatz mit Änderung der
Schlußcadenz (etwa 8_w statt 7w_), um eine Vermehrung, nicht
um ein Minderung der regelmäßigen Silbenzahl (etwa 7u_ statt
8u_). Hiermit also kann die verschiedene Sübenzabl der Zeilen
unserer 3 Rythmen nicht erklärt werden.
Sodann habe ich 2 Arten alter Rythmik nachgewiesen: die
Wörter zählende Rythmik setzt in die entsprechenden
Zeilen gleich viele gewichtigen Wörter. So : Quadrans in quatuor
iam habes annos üsque perdüctos si proles seciindus tot tem-
pus haberet transcriberem lib^llum. Vgl. diese Nachrichten 1913
S. 142 — 163. Zweitens die Hebungen zählende Rythmik.
Nicht nur die vollen Wortaccente werden verrechnet, sondern auch
die Nebenaccente, also iüvenes dum sümus ; jede Schlußsilbe der
Zeile gut als Hebung : Säncte et immortalis = Omnia m^a peccäta.
Die vierhebigen Zeilen dieser Art können 6 — 10 Silben zählen
und können sinkend wie steigend schließen; s. diese Nachrichten
1908 S. 49/50 und 1913 S. 167—173. Die beiden Gedichte bei
Strecker, Rythmi Mer. et Car. S. 639/40, geben um 800 schon die
ausgebildete Form dieser Zeilen, die dann den deutschen Reimversen
des Otfrid als Vorbild gedient hat.
Vergleicht man die unten folgende Übersicht der von unserm
Dichter gebrauchten Zeilenformen, so ist klar, daß er weder Wörter
noch Hebungen gezählt hat.
Damit klar werde, um was die Frage sich dreht, scheint es
mir nützlich, die sämtlichen von unserm Dichter gebrauchten Zeilen-
formen vor Augen zu stellen:
I 7w_ 'Altus aüctor omnium 1
lux Vera fidelium.
II 8u_ resurgens rex a mortuis 3
venit et sanctus spiritus
ästris tiilit miräntibus. 5
III 9w_ übi dextra dei patris est
et tribuet dei bönitas 7
amörem dirum pecüniae
mortis destnixit imp^rium. > 9
W i 1 h c 1 ni M e y e r ,
IV 7 — u Nunc quoque me lugentem 10
pässus est princeps regum
quia crimen agnösco.
V 8 — u coöpit esse Christus hömo 13
ab Omnibus adorändus
qui sölus mortem vicisti 15
natus natura non döno.
VI 9_w gignendo pater appellätus 17
ima et summa liniversa
simul omnia satis bona 19
laetemürque omnes in eo
qui nasci dignatus ex öa. 21
Unser Dichter hat also 6 verschiedene rythmische Zeilen ge-
braucht: I7o_, II 8u-^, III 9u_; dann IV 7-u, V S-o, VI
9 _ u, Im Innern dieser 6 Zeilenarten hat er alle möglichen Ton-
fälle (Taktwechsel) zugelassen. Die durch Silbenzahl, Schlußca-
denz und Fall der Wortaccente im Innern der Zeilen verschie-
denen Spielarten betragen 21. Nun ist natürlich, daß der Dichter
einen bestimmten Grundsatz gehabt hat. War sein Ziel nur, Zeilen
von 7, 8 oder 9 Silben zu bilden? oder lassen sich seine Formen
durch einen andern Satz einheitlich erklären? Jedenfalls ist es
mir bis jetzt nicht gelungen, andere Gedichte mit ähnlichen freien
Formen nachzuweisen. Für mich sind diese Formen ein Unicum.
Ihr Dichter ist jedenfalls kein gewöhnlicher Kopf gewesen.
Reim ist durchaus nicht beabsichtigt. Wenn in Str. 16 die
1. 5. 6. 7. und 8. Zeile auf us endigen und die 2. 3. und 4. Zeile
auf e, so ist das Zufall. Daß die Anfänge der 24 Strophen die
Buchstaben des Alphabets bilden (Str. 21 — 24 beginnen in I : Xristo
Ymnum Zelum Gloria, in II: eXul Ymnum Zelo Gloria), das ist
in der alten christlichen Dichtung häufig.
Mit Recht spricht Blume von 'mancher Alliteration'. Vgl.
I 5—8
Adonai omnipotens
qui mensus es manu aquas
et caelum palmo contines
terramque pugno concludis.
Überall klingt die Alliteration durch, wenn auch selten so
stark wie I 109—112 und 125—132:
109 Passus est princeps regum,
cuius pater passus non est;
nee procedens passus umquam:
Christus solus came passus.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 657
125 Resurgens rex a mortuis
mortis destraxit imperium,
solvens vincla mancipatis
et reducens regno dei.
129 Redemit nos reram factor
magno pretio mirifice
cum sacro suo sanguine,
non metallis mortalibus.
Dasselbe gilt für den II. Rythmus. Das zeigen schon die 3. —
6. Zeile.
(Zeilenpaare). Ich habe darauf hingewiesen, wie die Iren
und Angelsachsen ihre Kurzzeilen stets durch den Sinn zu Paaren
vereinigten. Das war auch in den gereimten Gedichten des Aethil-
wald ziemlich natürlich (Reimpaare). Aber es gilt auch für diese
reimlosen Rythmen. Sowohl die 8 zeiligen Strophen des I. wie
die 6 zeiligen Strophen des II. Gedichtes würden richtiger in Lang-
zeilen gedruckt. So I 125—132 (s. oben) und II 79—84:
Resurgens rex a mortuis mortis destruxit imperium,
solvens vincla mancipatis et reducens regno dei.
Redemit nos rerum factor magno pretio mirifice
cum sacro suo sanguine, non metallis mortalibus.
79 Omnipotens trinitas, una vera divinitas,
suscipe me fugientem de criminum caligine;
ad verum lumen revoca me tuae sanctae seien tiae.
In den 4 zeiligen Halbstrophen des I. Rythmus durchbricht
der Redefluß hier und da diese Regel; vgl. I 13—16; 113 — 116;
149—156.
Der Inhalt der 3 gothaer Rythmen. Die 3 Rythmen
sind in der Handschrift nachträglich eingeschrieben um 800, viel-
leicht vom Verfasser selbst. Sie sind alle drei von demselben
Mann verfaßt. Ihre Dichtungsformen sind beispiellos und jedenfalls
frei und kühn gewählt. Die Hauptsache bleibt natürlich der In-
halt. Blume urtheilt (Analecta 51 S. 305) über den Inhalt des
ersten Gedichtes : 'Dieses Reimgebet ist wohl eine Art Glaubens-
bekenntniß, weßhalb ich ihm den Titel 'Symbolum fidei rythmicum'
gab. Die Würdigung seines dogmatischen Gehaltes fällt außer-
halb des Rahmens dieser Textpublikation'. Kr u seh hat im
Neuen Archiv IX 1884 S. 272 als Inhalt des III. Gedichtes er-
wähnt -über die Haeresien des Arius, SabeUins, Nestorius und Eu-
tyches'.
Blume' s Charakterisierung des I. Gedichtes ist sicherlich zu
658 Wilhelm Meyer,
eng. Bei der Besprechung der Trinität wird überall hervorge-
hoben das Wesen des Gottmenschen. Noch die Schlußstrophe preist
in ihrer ersten Hälfte die Trinität 'Grloria tibi trinitas', schließt
aber die Strophe und damit das Gedicht mit einer besonderen
Eigenschaft Christi:
Gloria tibi, Jesu bone, qui naturam nostrae carnis
(tuae) deitati adunasti, ut nos in te gloriemur.
Ebenso ist inhaltlich die 22. Strophe (165/8 + 169/72) gegliedert.
Der richtige Titel scheint also zu sein : De trinitate et de Christo
deo homijie oder De trinitate et de incarnatione Christi.
Das II. Gedicht ist ein Deprecatio; vgl. 22 eripe me depre-
cantem (93 Quicquid mea stultitia . . non sapit deprecare) ; dann
65 nunc quoque me lugentem fove und 128 canto carmen lugubre.
factus sine auxilio solus plango peccamina.
Der Inhalt des I. und der des II. Gedichtes ist nicht selten.
Aber befremdend ist der Inhalt des III. Rythmus. Die Lehrsätze
von 6 Ketzern werden genannt und bekämpft. Lange habe ich
geglaubt, einen arg verstümmelten Text vor mir zu haben.
Zum II. Rjrthmus, zur Deprecatio, wollte ich ähnliche
Texte vergleichen. Ich suchte und fand sie in der Sammlung, mit
der ich mich einst viel beschäftigt, deren Handschrift ich mit Mühe
und Glück wieder aufgespürt und aus der ich Gildas Reisegebet
in diesen Nachrichten (1912 S. 48 — 108) herausgegeben habe. Es
sind die dem Alkuin zugeschriebenen Officia per ferias, die
von Frohen im II. Bande p. 52—125 (= Migne Cursus 101 Sp.
510 — 609) gedruckt sind. Ich erstaunte aber dann zu finden, daß
2 dieser prosaischen Gebete, ein dem Augustin und ein anderes,
dem Hieronymus zugeschriebenes, von unserem Dichter im II. Ryth-
mus wörtlich ausgeschrieben sind; (s. nachher S. 664).
So waren meine Augen und Sinne auf Alkuin gerichtet. Einen
großen Theil seines literarischen Nachlasses bilden die Schriften,
welche er als eifriger Diener Karl des Gr. im Streite gegen die
spanischen Adoptianisten verfaßt hat. Eroben und Enhuber haben
in der Alkuinausgabe die Lehren dieser in den letzten Jahrzehnten
des 8. Jahrhunderts in Spanien auftretenden Theologen geschildert,
und Hauck hat einen großen Theil des 1. Bandes der Kirchenge-
schichte Deutschlands darauf verwendet, darzustellen, was diese
Spanier wollten und mit welchem Eifer Karl d. Gr., der vor einer
großen Versammlung selbst eine Rede gegen sie hielt, und seine
gelehrten Theologen dagegen kämpften. Paulin von Aquileja hat
in Prosa und in Versen (Migne 99 und Poetae karol. I 126) gegen
drei Gothaer Rj-thmen aus dem Kreise des Alkuin. 659
sie geschrieben, aber am meisten hat Alkuin in verschiedenen
prosaischen Schriften den Elipandus und Felix bekämpft.
Diese Spanier griffen Lehren " alter Haeretiker anf und be-
schäftigten sich besonders mit der menschlichen Natur Christi;
er sei nicht im Leib Maria's in Allem vollständiger Mensch ge-
worden, sondern der vollständige Gott habe nur äußerlich Men-
schengestalt angenommen. Das bezeichneten sie mit adoptare und
darnach erhielten sie ihren Namen (Migne 101, 121 C: fingentes . .
novum adoptionis nomen, quod in tota veteris novique Testamenti
Serie non invenitur).
So wurde mir zunächst der I. Rythmus verständlich. Gewiß,
er enthält ein Glaubensbekenntniß, aber ein ganz besonderes:
überall bricht die Erörterung durch , daß Christus im Leibe der
Maria reiner und vollständiger Mensch geworden sei und die voll-
ständige göttliche Natur mit der vollständigen menschlichen in
sich vereinigt habe. So wird der Schluß klar. Die letzte, die
Gloria-Strophe, preist in der ersten Hälfte die Dreieinigkeit, Gott
Yater, Sohn und den heüigen Geist; dann schließen die Worte:
Gloria tibi, Jesu bone, qui naturam nostrae camis
[tuae] deitati adunasti, ut nos in te gloricmur.
Was soll zum Abschluß eines groß angelegten Gedichtes eine
solche Einzelheit? Sie war eben für den Dichter nicht eine Einzel-
heit, nicbt eine Nebensache, sondern die Hauptsache. Das Ge-
dicht ist keine polemische Schrift; der Dichter nennt nicht ein-
zelne Streitsätze der Adoptianer, wenn nicht vielleicht der ser-
pentis sibilus und die draconis ubera (V. 175 7) auf sie deuten.
Der Dichter bekennt nur seinen Glauben ; aber laut und deutlich
bekennt er sich gerade zu den Sätzen, welche die Adoptianer am
heftigsten verwarfen. Er übt eine indirekte, eine positive, nicht
negirende Polemik. So paßt dieses Glaubensbekenntniß zu den
polemischen Schriften des Paulin und des Alkuin im Kampfe gegen
die Adoptianer.
Daß dies Gedicht dem Alkuin mindestens nahe steht , mag
Folgendes beweisen. Im 3. Buch de fide S. Trinitatis behandelt Al-
kuin im 3. Kapitel die Frage : da das Symbolum fidei (Migne 101 Sp.
68 A) Christus nenne 'temporaliter natum de spiritu sancto et Maria
virgine', wie Christus denn 'nullo modo sit spiritus sancti filius'?
Alkuin antwortet : non concedendnm est, quidquid de aliqua re
nascatur, continuo eiusdem rei filium nuncupandum. Ut de multis
exemplis hoc proferam: certe qui nascuntur ex aqua et spiritu
sancto, neque filios eos recte quisquam dixerit aquae vel spiritus
sancti, sed plane dicuntur filii dei patris et matris eccle-
660 Wilhelm Meyer,
s i a e. Sic ergo de spiritu sancto natus est filius dei patris et
non Spiritus sancti. Diesen auffallenden und eigenthümlichen
Beweis konnte ich sonst nirgends finden; er scheint Alkuin's Er-
findung zu sein. Aber denselben seltsamen Beweis mit fast den-
selben Worten gibt unser B-ythmus I 53 — 60:
Homo Christus humanatus de spiritu et virgine
dei patris esse prolis, non sancti spiritus creditur.
Homo ex aqua renatus natus aquae non dicitur,
sed dei patris esse prolis et matris ecclesiae.
Minder sichere Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Stellen des
Alkuin und Versen des I. Rythmus gibt es viele und ich werde
solche zu den einzelnen Strophen des Textes notiren.
Der III. Rythmus wird ebenfalls auf dem betretenen Wege
verständlich. Nach langem Suchen glaubte ich gefunden zu haben,
daß dieses verstümmelte Gedicht verständig angelegt und wahr-
scheinlich vollständig sei. Die 36 Zeilen sind zerlegt in 3 große
Strophen von je 12 Zeilen. Jede Strophe behandelt ein Ketzer-
paar. Die ersten 6 Zeilen jeder ersten Halbstrophe nennen die
Namen der 2 Ketzer und geben dann ihre Lehrsätze, die einander
entgegengesetzt sind. Die zweiten Halbstrophen bringen dann die
Widerlegung der angeführten ketzerischen Sätze, wobei in den
letzten Zeilen der Strophe die beiden Namen wieder genannt werden.
So werden Arrius und Sabellius genannt in Z. 1 und 11/12
und widerlegt in Z. 7 — 12; Manichaeus undPhotinus werden
genannt in Z. 13 und 22/4 und widerlegt in Z. 19/24; Nestorius
und sein Widerpart Eutyches werden genannt in Z. 25 und
81/34 und widerlegt in Z. 3.1/36. Diese Anlage, 3 Paare zu-
sammenzustellen und je 2 Haeretiker, welche über einen Punkt
Widersprechendes lehren, zu einem Paar zusammen zu nehmen,
ist auffallend. Ich suchte also nach einer derartigen Quelle. Allein
nur Nestorius und Eutyches finden sich öfter zusammengestellt.
Da glaubte ich die 2, Strophe der Deprecatio gut so ergänzen
zu können:
[bone deus], qui dixisti
[gaudjium esse angelorum fin superjnis satis magnum
[super u]no peccatore [agenjti penitentiam.
Aber Lucas 15,7 lautet: Dico vobis, quod ita gaudium erit
in caelo super uno peccatore poenitentiam agente, quam etc.
Ich suchte also in Sabatier's Biblia anticjua. Ich fand da
viele Varianten zu diesem Vers notirt, doch für 'coram angelis'
nur 1 Citat: Fulgentius Rusp. epistola VII (1684 p. 194): Seit
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 661
enim plns esse gandii coram angelis dei super uno pecc. poen.
ag. quam usw. Mehr erstaunte ich , als ich dazu nicht weniger
als 2 Parallelen in den Briefen des Alkuin um 797 fand. In
dem Brief an Aethelhard (Epistolae IV p. 190. 17) : dicente ipsa
veritate: Sic enim gaudium est in caelis coram angelis dei
super uno pecc. paen, ag. quam iisu:. . nnd mit einer Erweiterung
in dem Briefe ad pueros s. Martini (p. 195, 13) : ipsa ait veritas :
Sic erit gaudium in caelo coram patre vestro et angelis eins
>uper uno pecc. paen. ag.
Diese Übereinstimmung des Fulgentius, des Alkuin und un-
seres Dichters fiel mir auf und sie wird weiterhin zu verwerthen
-ein. Zunächst blätterte ich im Falgentius weiter and im fol-
genden 8. Briefe fand ich die Quelle unseres III. Rythmus,
des Ketzergedichtes. In diesem Briefe will Fulgentius seinen
jungen Freund Donatus ausrüsten, daß er bei religiösen Disputen
urtheilen, vielleicht selbst mit disputiren könne. Der erste und
größere Teil des Briefes behandelt Fragen über die Trinität (S.
197-205 = Cap. I-IX = § 1—18).
Dann fährt Fulgentius (§ 19) weiter, er wolle sich kurz fassen.
Dann werden in § 20 und 21 die sich entgegengesetzten Lehren
der Sabellianer und Arianer über die drei göttlichen Per-
sonen mitgetheilt. Es folgt (§ 22) die Ansicht der Macedonianer,
welche das Wesen des heiligen Geistes anders erklären als das
der beiden andern Personen.
Nunc pauca de mysterio dominicae incarnationis adverte (§ 23).
Es folgt die kirchliche Lehre : in quo sicut est plenitudo divinae
naturae. ita est et plenitudo humanae substantiae. Es folgen die
Sätze des haereticus Manichaeus (§ 24) und die entgegenge-
setzten des Photinianus haereticus (§ 25).
Wiederum wird (§ 26) nach der kirchlichen Lehre Christus ge-
nannt als : ipse unus, in quo est gemina . . . natura et utriusque na-
turae una persona. Dagegen duo rursus haeretici, sibimet contraria
sentientes , diversos errores intulisse cognoscuntur , Xestorius
scilicet et Eutyches. Ihre Lehrsätze werden angegeben.
Jetzt (§ 27) werden mehrere Stellen des neuen Testaments
citirt: Hinc Sabellianus vincitur . ., hinc etiam Arianus su-
peratur . . Weiterhin: hinc etiam et Manichaeus simul con-
funditur et Photinus . . Der nächste Abschnitt (§ 28) beginnt:
Xestorius quippe et Eutyches apostolicis convincuntur elo-
quüs . ..
Der Schluß (§ 29) wünscht, daß Donat so den Haeretikern
widerstehen könne, firmiter retinens unam naturam et tres per-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 5, 45
662 Wilhelm Meyer,
sonas in trinitate deo, et unam personam duasque naturas in uni-
genito dei filio Jesu Christo.
Fulgentius will also die Lehren von 3 Haeretikerpaaren zu-
erst (§ 20—26) nennen , dann (§ 27/8) dieselben widerlegen ; die
Paare findet er, indem er je 2 Männer zusammen nimmt, die über
dieselbe Sache contraria sentiunt. Seltsam ist, daß dem ersten
Paar, Arius und Sabellius, ein einzelnstehender Dritter, Macedo-
nius, zugesellt wird. Daß das gegen die eigentliche Absicht des
Fulgentius geschah, beweist der Umstand, daß in der 2. Abthei-
lung, in der Widerlegung, an der entsprechenden Stelle Macedonius
gar nicht genannt wird.
Ehe ich unser Gredicht mit der Vorlage des Fulgentius ver-
gleiche, möchte ich zum Vergleich einiges über Paulin von Aqui-
leja sagen. In seinem polemischen Gedichte über die Adoptianer,
in der Regula fidei (Migne 99 Sp. 469 Poetae Karol. I 123), gibt
auch er (Vers 90 — 106) eine Ketzerliste: V. 90 Cerinthus
'principium, caput omne mali, nefas omne', 92 Ebyon (Hebion),
94 Arrius, 96 Eunomins, 99 Nestorius, 100 Macedonius,
102 Eutyches, 104 Manis, 106 Sabellius. Von diesen 9 Ketzern
sind also 4 in unserm III. Rythmus nicht genannt.
Froben's Index zum Alkuin ist gut, wenn auch nicht voll-
ständig. Paulin's Cerintus, Ebyon und Macedonius kommen in Al-
kuin's umfangreichen Schriften nicht vor; nur Eunomius wird
(Migne 101, 179 A) aus Hieronymus flüchtig citirt. Dagegen die
sechs im III. Rythmus genannten Ketzer sind oft in Alkuin's
Schriften citirt, öfter als der Index angibt. Dagegen andere
Ketzer führt Alkuin nicht an, außer den genannten Eunomius
(aus Hieronymus) und den Pelagius (offenbar aus öiner Quelle, zu-
sammen mit Nestorius; vgl. Migne 101, 164 B; 191 C und 222 A).
Alkuin nennt in der an Karl d. Gr. gerichteten Dedication seiner
7 Bücher gegen Felix als benützte Quellen die Schriften des Hie-
ronymus, Augustin, Gregor, Hilarius, Leo, Fulgentii episcopi,
des Ambrosius, Cyrill gegen Nestorius, Petrus Rav., Beda, Gregor
Nazianz., Isidor und des Juvencus. Alkuin citirt freilich den Ful-
gentius nur an wenigen und unbedeutenden Stellen (Migne 101,
79 C, 279 C(?) und 288 D; aber er hat ihn offenbar gekannt und
hoch geschätzt ; 288 D 'Fulgentius luculentus catholicae fidei scriptor'.
Es besteht freilich keine auffallende Ähnlichkeit zwischen den
einzelnen Ausdrücken, den Citaten und den Gedanken des Fulgen-
tianischen Abrisses und dem 111. Rythmus ; allein der Grundge-
danke und die Anlage dieses Gedichtes ist sicher aus Fulgentius
bezogen.
drei Gothaer Bythmen aus dem Kreise des Alkoiii. 6^
Also : in der Deprecatio sind 2 Gebete wörtlich ausgeschrieben,
welche sich in einer Sammlung befinden, die in den Händen der
Angelsächsischen und Karolingischen Gelehrten viel cursirte , ja
mitunter dem Alkuin selbst zugeschrieben wurde. Der I. Rythmus
ist das Glaubensbekenntniß eines siegesgewissen Streiters gegen
die Adoptianer und er gibt an einer Stelle einen seltsamen Be-
weis, den Alkuin vorgebracht hat, fast mit denselben Worten
wieder. Der III. Rythmus, der Ketzercatalog, ist sicher concipirt
nach einer Skizze des Fulgentius, den Alkuin gekannt hat. Dieser
kurze Rythmus nennt nur solche Ketzer, aber damit fast alle,
welche Alkuin in seinen Schriften gegen die Adoptianer citirt und
bekämpft hat.
Darnach ergibt sich zunächst, daß der I. und der III. Rythmus
geschrieben sind während des großen Streites gegen die Adoptianer,
der Karl den Gr. und seine Gelehrten etliche Jahre aufregte.
Diese Rythmen sind also den Quellenschriften für die Ge-
schichte dieses Religionsstreites beizuzählen. Der Verfasser
des I. und III. und also auch des II. Rythmus ist zum Mindesten
Alkuin nahegestanden und sein Gesinnungsgenosse gewesen. Na-
türlich stellt sich nun die Frage, ob Alkuin selbstder Dichter
gewesen ist. Das kann nicht sicher bewiesen werden; aber es
sprechen auch nicht triftige Gründe dagegen. Mir scheinen die
Gedanken und die Ausdrucksweise dieser 3 Gedichte der geistigen
Höhe Alknin's zu entsprechen. Rythmische Gedichte Alkuin's
kennen wir bis jetzt nicht. Den Reim bevorzugt er nicht, weder
im Vers noch in Prosa. Zur Alliteration hat er als Angel-
sachse Neigung in Vers wie in Prosa. Z. B. die Verse (Epistolae
IV 477 = Migne 101, 648 = Poetae kar. I 303):
Omnia qui cemit cordis secreta supemo
lumine, quem nuUum velle latere potest.
Sed tibi sanctae solns imago
magna, creator, mentis in arce
pectore puro dam pie vivit.
Und der vorangehende Brief beginnt: Oarissimae in Christi
■caritate sorori Eulabiae virgini Albinus in domino salutenu
Sanctae sollicitudini vestrae et laudabili in dei studio placuit de-
precari de ratione animae aliquid nostram scribere devotioneni
usw. Das ist nicht die Überfülle des Aldhelm oder des Aethilwald,
sondern eher das besonnene und kräftige Maß des Beda. Dieser
Schmuck mäßiger Alliteration nähert sich aber sehr der in unseren
drei Rythmen gebräuchlichen. Hiezu kommen die S. 660 u. S. 661
notirten Parallelen des I. Rythmus mit Alkuin ; s. auch zu I 83/36.
45*
664 Wilhelm Meyer,
Vorlagen für den II. Rythmus (s. S. 658).
Zwei Gebete sind von dem Dichter im II. Rythmus ausge-
schrieben. Das erste trägt den Namen des Hieronymus und findet
sich bei Alkuin de psalmorum usu I 16 (Migne 101, Sp. 490 D);
hier mit F bezeichnet. Dann in der Handschrift in Orleans 184
(162), p. 265; gedruckt bei Migne 101 Sp. 1385 C; hier mit 0 be-
zeichnet. In dem Liber precationum, quas Carolus Calvus . . li-
teris scribi aureis mandavit, Ingolstadii 1583 S. 6 (hier mit K be-
zeichnet), über dessen Originalhandschrift ich gehandelt habe in den
Sitzungsberichten der philos.-pbilol. Classe der müncbner Akademie
1883 S. 424—436 , bes. S. 434 oben. In dem Book of Gerne f.
45 a (ed. Kuypers. Cambridge 1902 S. 90), hier mit C bezeichnet.
Endlich in der Londoner Handschrift Royal 2. A. XX fol. 22 a
(bei Kuypers, Appendix S. 210), hier mit A bezeichnet. Dies
Morgengebet beginnt mit 'Mane cum surrexero'. In F und C gehen
voran die Worte : Mecum esto, domine Sabaoth.
Die G-Strophe des II. Rythmus (V. 37—42) lautet:
37 Gulae auf er appetitum, repeile a me luxoriam,
39 amorem diruih pecuniae cum peste iracundiae,
41 trista (tristi?) saecli cum taedio, deus, amputa superbiam.
Das Gehet beginnt in C und A mit: Aufer a me, domine
{vgl. V. 37), sollicitudinem secularem, wobei in A domine fehlt und
terrenam statt secularem steht. In FOK beginnt: Abscinde (ab-
scide die Handschriften von 0 und K) a me domine; sollic. sec.
oder terr. fehlt in COK. Es folgt nun in den 5 Hften der gleich-
lautende Text: gulae appetitum (V. 37), concupiscentiam for-
nicationis (vgl. 38 luxoriam), amorem pecuniae (39), pestem
iracundiae (40), tristitiäm (so auch die Hft 0, nicht iusti-
tiam) s eculi (41). Jetzt folgen in den 3 Hften FOK die Worte :
mentis accidiam (vgl. 41 taedio), vanam laetitiam, tyrannidem su-
per b i a e (42). Dagegen die Hften C und A sind schwer verderbt
und verstümmelt; C hat: saeculi. homicidium. Vanam laetitiam.
Terrenam superbiam; noch übler A: seculi accidiam uanam laeti-
tiam terrenam {ohne superbiam). Zu V. 37 aufer enthalten also
C und A die Vorlage unseres Dichters, aber sicher nicht zu V. 42.
Das zweite hier stark ausgeschriebene Gebet findet sich in
den Officia per ferias , welche unter den Werken des Alkuin ge-
druckt worden, Migne 101 Sp. 598 D mit dem Titel Oratio s. Au-
gustini und dem Anfang: 'Deus iustitiae te deprecor'. Die Hft,
Paris 1153, die ich in diesen Nachrichten 1912 S. 62 besprochen
habe, habe ich selbst verglichen; ich bezeichne sie mit F; dies
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. 665
Gebet steht f. 86 a. Sonst steht das Gebet in den oben genannten
Hften: 0 263 = Migne 101, 1384 D. C: f. 73 b = Ku}T)ers S.
146. A: f. 48 a = Kuypers S. 222.
Die Verse 31—36 des IL Rythmus lauten:
31 Fateor nunc facinora tibi, conscio secretorum,
33 ego ore, ego corde, ego opere inquinatus.
35 ignosce mi (mihi?) pater sancte, quia crimen agnosco.
Augustin's Gebet mit allen Varianten lautet : ego ore, ego
corde (33), ego opere (34; + ego cogitatione CA), ego (+ in
0) Omnibus vitiis inquinatus (34, coinquinatus CA) sum (F, et
ohne sum 0, sum et C A). omnibus sceleribus coopertus sum {ohne
sum A). Veniam peto {vgl. 35 ; + clemens trinitas CA), quia
crimen (F, criminaOA, crimina mea Cj agnosco (36; cognosco
O). Scelera mea tibi {om. 0) fateor (,31 2; sc. mea confiteor
A. sc. m. non defendo, sed confessus sum C). quae etsi non con-
fiterer (faterer CA), tarnen (tam. om. CA) te (te tamen 0 latere non
possunt (vgl. 32 ; F, poterant 0 A, poterunt C). Tu enim (+ es C)
scrutator (+ es 0 A) cordis (cordiam C) et reniom es (F); tibi occulta
manifestantur (F, t. abscondita revelantur 0. quia tibi absconsa
revelantur CA) et secreta {vgl. 32; et scelera 0) patefiunt.
Es folgt jetzt 'Miserere mei- facta mea', die Vorlage für V. 67 — 71.
Dann folgt die Vorlage für V. 51 — 54 des II. Rythmus:
49 Iterans iteravi criminum auxi cumulum.
51 quae si tu adultor deus vindicare voluisses,
53 olim me terra vivum deglutisset redintegrum (?).
Der Anfang der Parallelstelle des Gehetes lautet in jeder
Hft anders ; in F : S i tu transgressiones meas iudicio tuo persequi
ac punire voluisses (51 und 52); in 0: tu transgr. meas, qui
si in iudicio pers. ac pun. voluisses; mA: tu transgr. meas.
quae si iudicio tuo pers. ac. pun. voluisses; in C: Tu transgr.
meas quas egi. Si in iudicio voluisses conpunire, pro quibus
olim. Dann folgt in F 0 C A der Nachsatz : olim me terra
vivum (FA, vivum terra 0 C) absorbuisset (obsorbuisset CA), das
deutliche Vorbild für V. 53, 54.
Ich gehe zurück auf die Stelle : Miserere mei bis facta mea',
die Vorlage für die Verse 67 — 72 :
67 Miserere mihi deus, ne patiaris me perire
69 neque aetemis tenebris vel atra morte consumi;
71 sed omnes actus vanitatis curet Christi gratia.
Miserere mei, domine (deus CA, deus domine 0 ; 67),
ne me perire patiaris (pat. per. C, perire om. A; 68) ne
me sinas (0; ne sinas A, ne sinas me C; ne me permittas F)
666 Wilhelm Meyer,
aeternis tenebris (69) et perpetua morte consumi (70;
cons. morte A). Aufer (+ domine C A) a corde meo alienatum
(alienum F) sensum, (+ et CA) c u r a (72) in me stuporem mentis.
exstirpa a (de 0, in A) visceribus meis consilia iniquitatis. erade
a lingua mea detrahendi eonsuetudinem, mentiendi fallacitatem (fa-
cilitatem F), loquendi {om. 0) scurilitatem (loq. garrulitatem CA)
et omnes actus vanitatis (71) meae (actus meos, ohne van.,
F) arte medicinae tuae (arte et medicina tua F) sana (72. -f et 0)
circumcide in me (+ domine F) vitia cordis et corporis.
Miserere mei, deus, quia tu nosti facta mea (facta inpudentis-
sima C , f. mea inpudentissima A). Si tu transgr . . Nach ab-
sorbuisset (s. zu V. 53/54) folgen etwa 15 fremde Zeilen; dann mit
Protege me . . . lumen ostende' die Vorlage für V. 85 — 95/96 ; end-
lich die Vorlage für V. 73—78:
73 Nomen tuum gloriosum invoco, salus sempitema,
75 ut confractum redintegres emendesque vitiatum.
77 indulge hoc, quod peccavi; presta, ne plus adiciam.
Diese Vorlage lautet: Miserere mei, domine (F; deus CA, deus
domine 0) et {am. OCA) redintegra confractum (75), sana
corruptum, emenda vitiatum (76) et (ac A; + per maiestatem
atque (et A) pietatem tnam CA) illud {om. 0, et illud A) indulge
quod feci (77) et hoc presta (78), ne iterum faciam. Hier ist
das wirMiche Ende. In F folgt unmittelbar ein anderes Gehet: Mi-
sericors et miserator (= 0 bei Migne 101, 1401). OC und A
schließen: hoc praesta (78), ut amplius non faciam. Dann folgen
die Formeln ; in 0: Salvator mundi qui cum patre etc. ; per salva-
torem dominam nostrum, qui etc. C, per salv. d. n. Jesum Christum,
cui etc. A.
Wie oben gesagt, geht im Gebet dieser Vorlage für V. 73 —
78 unmittelbar voran die Vorlage für die Verse 85 — 96. Die
Verse lauten :
85 Protector deus, protege me scuto tuae veritatis,
87 ut me tela ignita diabuH non penetrent
89 et potestas tenebrarum iam amplius non sauciet,
91 Quicquid mea stultitia et excessus desidiae
93 aut non sapit deprecare aut <non) praesumit dicere,
96 hoc maiestas largiatur et tribuat dei bonitas.
Der Text der Gebetsvorlage lautet : Protege me, dorn ine
(85), scuto veritatis ac (ac om. OA) fidei tuae (86; tuae om.
F ; ver. tuae et fidei, ut C , ver. tuae ac fid. tuae , ut A) u t m e
diaboli (diabolica A) iacula ignita (ign. iacula CA) non pe-
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. I, 1—8, 6Ö7
netrent (87. 88), Et {otn. 0) quicquid (+ enim 0) illud est quod
infelicitas mea (91) a (de 0) te petere (+ aut non accipit 0) aut
non praesumit (94; somit A) aut non
F: intellegit, id tu pro tua virtate tribue (96) et hoc lar-
gire (95)
0: sapit (93), hoc tu pro virtute tua tribue (96) et pro ma-
iestate et pietate tna largire (95)
C: sapit (93), id tu pro tua pietate et maiestate ac dementia
tua mihi largire (95)
A: sapit (93), id tu pro tua pietate tribue (96) et pro ma-
iestate ac dementia tua mihi largire (95). Dann:
F 0 A C quod animam meam salvet (digneris salvet C) a morte
et exeante me (exeunti mihi 0, exeunte mihi CA) de hoc chao
(0 A : d. h. chau C, de hac claustra F , de hac claosura F edit.)
manum porrige (porrigas 0) et {oni. C) lumen ostende (ostendas 0).
Folgt die oben gedruckte Vorlage für V. 73—78.
Zu bemerken ist, daß die beiden von unserm Dichter ausge-
schriebenen Gedichte in der Hft 0 unmittelbar aufeinander folgen
(Migne 101, 1384/5). Weiter ist deutlich, daß der Text der Hften
FOK meistens dem Text sich nähert, den der Dichter benützt bat;
aber hie und da konmit diesem der Text der Hften C und A näher.
I (De trinitate et de Christo deo homine).
Es beginnt die erste Spalte des BL 30 b, die links sehr wenig be-
schnitten ist. Z. 1 — 32, 65—96 und 169 — 188 sind auf der Tafel photo-
gi-aphirt Herausgegeben von Clemens Blume in den Analecta hymnica
51 (1908) S. 302/4. Die Ergänzungen der weggeschnittenen Buchstaben
sind von Blume, wenn nicht anderes notirt ist. Ueber den Inhalt dieses
I. Rythmus s. oben S. 658/59. Natürlich finden zu dieser Darstellung des
orthodoxen Glaubens in den Schriften A 1 k u i n s sich sehr viele parallelen
Stellen. Hier will ich nur solche beischreiben, welche im Ausdruck dem
Gedichte auffallend ähnlich sind.
A]ltus auctor omnium,
sator summus seculorum,
3 legum lator, largus dator,
ab Omnibus adorandus.
Ajdonai omnipotens,
q]ui mensus es manu aquas
7 et caelum palmo contines
terramque pugno concludis.
2 satur G, 7 contenee G: BUtme änderte 1 — 3: tm Book of Ceme
(ed. Kuypcrs, Cambridge 1902) beginnt S. 213 eine Reihe von aiphdbetisch
geordneten Gebeten mit: Altus auctor omnium creaturarum. Dann begintit ein
in angelsächsischen Handschriften und sonst weit verbreitetes Gebet mit starkem
668 Wilhelm Meyer,
Beim und Assonanz (Blume^ Andeda 51 no 229) : Sancte sator suffragator
Legum lator largus dator.
Bojnus factor bona valde
cjondidit cuncta celeriter.
11 quae singula sunt nam bona,
simul omnia satis bona,
ßejenedico te, rex aeterne,
qni fecisti per verbum tuum
15 i]ma et summa universa
quique regis cuncta deus.
10 condidisti (zehnsilbiger Vers!), was Blume scfmeb, ist unnöthig 14
fecististi G.
C]mn esset dei unicus :,
natus natura, non dono,
19 f actus hominis filius
plenus gratia per donum.
C]um virginali in utero
coepit esse Christus homo,
23 non aliud esse coepit
homo coeptus, quam dei natus.
21 uirginale Qr 18 vgl. Alkuin 100, 418 c deus nee necessitate nee
voluntate filium genuisset, sed natura. 101,390 = 117D unigenitus est
dei filius non gratia, sed natura. 19 factus (est) 21 — 24 vgl. Alkuin
101, 39 A = 117 A = 268 B ex quo homo esse coepit, non aliud coepit
esse quam dei filius, et hoc unicus.
Dei] patris unigenitus
e]st matri primogenitus,
87 ijdem ipse utrumque,
ex utroque unus Christus.
De] US pater donat nato
njomen altum super cuncta,
31 non] hoc verbo per gratiam,
sed corpori deificato.
30 omem G 31 von n ist noch ein Best zu sehen : non Meyer , dat
Blume 29 Philipp. 2,9 deus exaltavit illum et donavit illi nomen, quod
est super omne nomen
Ego sum sine principio,
qui sum sine fine deus;
35 ipse unus substantia,
qui in tribus subsistentiis.
Ex corde patris genitus
summa sapientia filius.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. I, 9—58. 669
39 procedebat paracletus
ex ambobus indivise.
36 subsistentiis ist ziemlich deutiich : Blume las subsistemus und madtte
daraus subsistimus. 40 Blume druckt indivisus, 33/34 vgl. Exod. 3, 13
(filiis Israel) dicam : Deus patruin vestrorutn misit me ad vos. si dixerint
mihi: Quod est nomen eius? quid dicam eis? Dixit deus ad Mosern:
Ego sum qui sum. Alt: Sic diccs filiis Israel: Qui est, misit me ad
▼OS. Über das seltene Wort 'subsistentia* hatte Arno den Alkuin
befragt; dieser antwortet in einem besonderen Brief (Migne 100, 418).
Darin bringt Alkuin zuerst die eben citirte Stelle der Exodus 3,14 vor;
dann sagt er : Graeci solent dicere de deo : una usia , tres bypostases, id
est, una substantia, tres subsistentiae ; quod beato Hieronymo non placuit,
melius esse dicendmn arbitranti latino eloquio : una substantia, tres per-
sonae. Alkuin, der das "Wort auch bei Fulgentius Rusp. epist. XVII 2
(p. 287) gelesen haben kann 'Christum in duabus naturis . . in una persona
aive subsiatentia confiteri', citirt es noch aus C\Till , Sp. TOB = 72 B 'est
in subsistentia Spiritus special!'. So war es ein vornehmes "Wort geworden
und Paulin sagte in seinem Gedicht gegen die Adoptianer (Poetae kar.
I 116): 14 In deitate quidem simplex essen tia constat,
15 in trinitate manet sed subsistentia triplez.
Fidei nostrae fundamentum
Christus Jesus crucifixus.
43 de summo patris ima petens,
ut nos ad alta revocaret.
Fundamentum hoc habentes
in supemis satis altum.
47 illuc mente ascendamus.
ubi dextra dei patris est.
41 seil, est 44 ad ist über der Zeile er gönnt.
Gignendo pater appellatus
prolem ex se prodit almum,
51 cuius ante omne tempus
una et patri est maiestas.
51 tempus omne G, mit Zeichen der Umst^ung 52 una et par Blume,
woM richtig, wenn niclit patris zu ändern ist. Vor Z. 49 oder nadt Z. 52
fehlt eine Hälbstroi>he von 4 Zeilen, deren erste mit G begann.
Homo Christus hnmanatus
de spiritu et virgine
55 dei patris esse prolis,
non sancti spiritus creditur.
Homo ex aqua renatus
natus aquae non dicitur,
670 Wilhelm Meyer,
59 sed dei patris esse prolis
et matris ecclesiae.
57 renatus Blume : reNonatus G ; vgl. Joh. 3, 5 59" dei ist über der Zeile
ergänzt. Der gleidie Gang der Gedanken und Worte bei Alkuin de fide s.
trinitatis III 3 (= Migne 101, 39 D — 40 A) ist oben S. 659 J60 gedruckt.
Idem virginis filius,
idem qui dei est filius,
63 sine defectu alterius
utrumque unus Jesus.
Ijpse Christus came natus
ut ceteri cuncti nati,
67 in natura, non peccato,
sine crimine castus natus.
63 defectu Blume, defectui G vgl. 156 C: ab initio conceptionis
deus verus et verus filius dei, absque omni peccato conceptus est et natus.
61, 65, 68 add. est V. 65 — 96 sind in der 2. Spalte der Tafel photogra-
phirt. Sie bilden die 1. Spalte von Bl. 21a. Manche Anfangsbuclistaben stecken
unter der Heftschnur.
Kaput nostrum Christus deus
nosque omnes eins membra;
71 sed capiti concordantes
Caritas nos Christo iungit.
Kaput nostrum cum corpore
unus Christus est effectus,
75 quanto magis mediator
homo deus unus Christus.
71 in G beginnt S mit einem Haken; Blume Si, Meyer Sed 72 Ca-
ritas G| Blume drUfCkt Spiritus und notirt als Lesart der Hft: Ciritus (I)
76 homo G und Meyer (jedes o ist mit dem vorangehenden Strich ligirt; s.
oben S. 649); Blume las lesus vgl. I. Tim. 2,5: unus enim deus, unus
et mediator dei et hominum homo Christus lesus. Hier wie oft in diesen
Gedichten sind Formen von esse zu ergänzen.
Laetare, virgo Maria,
laetare in tuo filio,
79 laetemurque omnes in eo,
qui nasci dignatus ex ea!
Laudabatur ab angelis,
a pastoribus inspicitur.
83 a magis Christus quaeritur,
et a Stella deraonstratur.
79 q; über der Zeile G 80 (est) ex ea. ? 82 pastostoribus G
84 demostiatur.
Maria virgo veraciter
dei genetrix dicitur.
drei Gothaer Bythmen aas dem Kreise des Alkuin. I, 59 — 116. 671
87 verbum enim caro factum,
non in carnem conversum est.
Mariae gremium germinavit,
genuit deum et hominem,
91 vemm corpus et animam,
ut homo totus sit redemtus.
85 veracif G (s. Photogr.): Blume las vera habet, was er eu habetur
corrigirte 86 dicitvr ist aus diciter corrigirt.
None commune deitatis
deus nomen trinitatis,
95 in quo unicus benedictus
venit et sanctus spiritus.
Namque pater omnipotens
in hoc esse adprobator,
99 quia deum coeqaalem
genuit natura filium.
95 Rom. 9, 5 patres et ex quibus est Christus secundmn carnem, qui
est super omnia deus benedictus in secula. 9 7 Die 2. Spalte des Bl. 21 a
beginnt mit: Nam pater, wobei zwischen m und p eingeklemmt ist q. (que):
Blume las Nunquam pater 98 in adprobatur ist das sotist ungebräuchliche
b durch Correctwr {aus c?) hergestellt.
Omnipotens verbum patris
virtusque et voluntas
103 caeli terrae cuncta implet
suae deitatis potentia.
Omnia data a deo patre
humanitati eins verbi,
107 sedis patemae consessio
et angelorum ofRcia.
101 Omnipotens ist aus omnipotem corrigirt in G 102 vgl. U 115
virtus patris et voluntas 106 uerbi ist aus uere corrigirt, was allein Blume
kennt 107 Blume druckt confessio utid 108 officium Der V. 108 ist in
der Enge zwischen 107 und 109 nachgetragen G.
Passus est prineeps regum,
cuius pater passus non est;
111 nee procedens passus umquam:
Christus solus carne passus.
Primogenitus ex mortuis
per sanguinem sibi cuncta,
115 quae in caelo et in terra,
sancta pace sociavit.
Vgl. Apoc. 1,5 a Jesu Christo, qui est testis fideüs, primogenitus mor-
672 Wilhelm Meyer,
tuorum et princeps regum terrae; qui dilexit nos et lävit nos a peccatis
nostris in sanguine suo 110 pasus G
Quem ante saecula credimus
patri natum sine matre,
119 ipsum quoque in eins fine
matri natam sine patre.
Qui nee unione est confusus
nee distinctione geminatus,
123 idem semper homo deus,
ipse deus homo verus.
118 patris Blume ohne Note 120 in G ist matre (= Blume) zu
matri corrigirt. Vgl. Migne 101,97 B: ipse ante saecula de patre sine
matre , ipse in fine saeculorum de matre sine patre. 1 1 2 A : idem deus
qui homo, et qui deus idem homo, non confusione naturae, sed unitate
personae. 285 A: nee naturarum copulatione confusus nee naturarum dis-
tinctione geminatus.
Resurgens rex a mortuis
mortis destruxit Imperium,
127 solvens vincla mancipatis
et reducens regno dei.
Redemit nos rerum factor
magno pretio mirifice
131 cum sacro suo sanguine,
non metallis mortalibus.
125 rex, das iiher der Zeile nadtgetragen ist, las Blume als: set 129 Blume
druckt: ut reducens.
Spiritus sanctus paracletus,
consolator, advocatus,
135 est cum patre et filio
noster factor et redem[tor.]
Sancti spiritus processio
ita ut filii nativit[as]
139 latet cunctas creat[uras]
et antecellit univer[sa].
Mit V. 133 beginnt die 3. Spalte der Vorderseite des 21. Blattes.
Weit nach rechts vorspringenden Zeilen sind hinten einzelne Buchstaben [ ]
abgeschnitten. 140 antecellit Blume^ antecellet G Migne 1071A: qui sit
modus processionis, ita non possumus evidenter dicere, sicut generationem
filii non potest humanus animus aestimare. 165 A incarnationis mysterium
humanus oculus penetrare non sufficit. 104B: generatio (Christi) super
omnem originem humanae creationis excellit.
Ter cum deum dicimus,
non tres deos credimus,
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkoin. I, 117 — 174. 673
143 sed xmum invisibilera
in maiestatis gloria.
Ternis in bis personis
trinitatem crediraus;
147 patrem. verbnm, proceden[teni]
UDO laudemus carmine.
Unns dens est nam pater,
unicns dens est filius,
151 unicus deos est spiritns:
hoc unitas trinitatis.
Verus pater qui genuit,
verns filins qui genita[s],
155 verns procedens spiritus:
hoc trinitas unitatis.
151 deus über der Zeile ergänzt in G.
Xpo in crnce coronat[o]
fei ad escam deder[nnt],
159 sitim potabant aceto:
vae tibi, gens miser[a] !
Xps e caelo veniens,
scilicet nt came praes[en8j
163 excelsas iudicet or[bem]
et reseret pectora.
159 potabunt G 163 o mit eititm Strich, dem nicht der 2. Strich des
m zu folgen scheint G: omnes Blume, orbem Meyer 164 reseret Blume,
reserat G.
Ymnnm dicat ord[o omnis],
fideKs qui inve[nitur,]
167 patri nato para[cletoj,
gloriosae trini[tati].
Ymnnm] dicamus dei nato
qui ab ajrce alta caeli
171 indutjas venit corpore,
ut salvajret nos vitales.
166 qui Blume, quis Gr mit V. 171 beginnt die 1. Spalte der Rück-
seite von Bl. 21. Diese im Anfang stark beschnittene Spalte ist auf der
Tafel photographirt. Die Ergänzungen stammen zumeist von Blume.
170 rce zu lesen ist nicht sicher alta Blume, alto ist in G aus arto corri-
girt 171 hat Christus den Leib vom Himmel mitgebracht? vgl. Note zu
III 30.
Zelum dei] sie habentes
non] inanes obloquentes
674 Wilhelm Meyer,
175 abs]que serpentis sibilo
verum] deum adorantes.
Zelo bo]no omittentes
dir]a draconis ubera
179 aquas] vitae hauriamus
de fonjtibus salvatoris.
176 Blume ergänzt: simus] deum adorantes ist stark corrigirt (aus
obd?) 177 Zelo bojno Meyer 178 falsja Blume 179 auriamus G
Grloria] tibi, trinitas,
patri,] filio, procedenti,
183 una ejademque indivisa,
hjonor et gloria.
Grloria] tibi, Jesu bone.
qui natjuram nostrae carnis
tuae] deitati adunasti,
188 ut nos] in te gloriemur.
184 virtus oder laus (11 142) scheint zu ergänzen 187 vgl. Migne
101, 29 D (filius dei) carnem ex virgine assumens, ita humanae naturae
adunatus est, ut idem esset homo qui deus, et deus, qui homo, 236 D:
Filii persona assumpsit hominem in utero virginali et adunavit sibi in
unam personam, ut esset unus filius dei.
II (Deprecatio.)
Dies Gedicht beginnt in der halben Höhe der 1. Spalte von Fol. 21b.
Die links verstümmelten Zeilen 1 — 15 sind in der 3. Spalte der Tafel
photographirt. Ueber das ganze Gedicht s. S. 658 ; die darin benützten
Vorlagen sind abgedruckt S. 664/67. Die Ergänzungen sind von "W. Meyer.
Adiutor ]in te sperantium,
exjaudi me miserum.
3 de pro]fundis peccatürum
clamo] corde credulo ;
5 ne me] tradas tetris tectis
et imi inferni.
1 vgl. Ps. 17,2 deus mens adiutor mens et sperabo in eum. Pro-
tector mens . . 31 Protector est omnium sperantium in se. 5/6 ist tectis
richtig, so ist vielleicht 'diri]et' ^^w ergfän^cn; oft ist von den tenebrae die Bede;
so V. 69 und Migne 101, 605 C: tenebrae operuerunt me, caligo inferni
involvit me, operuit me tenebrarum horror.
7 Benedic]to ore tuo,
bone deujs, qui dixisti,
9 gaud]ium esse angelorum
in 8u]pernis satis magnum
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. I, 175 — II, 40. 675
11 super u]no peccatori
agenjti poenitentiam.
8 Luc. 15,7 Dico vobis, quod ita gaudium erit in coelo super uno
peccatore poenitentiam agente etc. , die angeii tcerden uur von Fulgentius (s,
oben S. 660/61) und von Alkuin an 2 Stellen erwähnt. 10 vgl I 46 in
snpemis satis altum.
13 Cem]e, pater piissime,
amar]e flere, quae i'eci.
15 expur]ga cor uoratum
puro fönte lacrimanim,
17 unde anima abluetur
a tarn sordidis actibus.
13 pater ist über der Zeile ergänzt 14 me amare? 15 riefletcW ü(
ubratum geschrieben; doch auch umbratum gibt keinen Sinn. mit Z. 16 be-
ginnt die 2. Spalte von Bl. 21b. 18 sordidis Meyer: G hat sordis, todbei
f in einer größeren Rasur steht.
19 Dens aetemae gloriae,
obsecro te semper, Jesu,
21 per vexillum verae crucis
eripe me deprecantem
23 de laqueo delictorum
et faucibus inferorum.
22 me über der Zeile ergänzt in G.
25 Egens sum ego, in labore
conturbatus et confusus.
27 nihil digne umquam egi,
in peccatis concoeptus sum,
29 degens semper in delictis,
pressas pondere pessimo.
28 Ps. 50,7 in iniquitatibus conceptus sum et in peccatis concepit
me mater mea.
31 Fateor nunc facinora
tibi conscio secretorum:
33 ego ore, ego corde,
ego opere inquinatus.
35 ignosce mi pater sancte,
quia crimen agnosco.
Die Vorlage s. oben S. 664. 35 mihi?
37 Gulae aufer appetitum,
repelle a me luxoriam,
39 amorem dirum pecuniae
cum peste iracundiae.
ß76 Wilhelm Meyer,
41 tristi saecli cum tedio,
deus, amputa superbiam.
Die Vorlage s. oben S. 664. 38 reppelle G 41 trista G, tristi
Meyer : vgl Migne 591 A: abscide a nie tristitiam ßeculi (= accidia mentis).
43 Heu raihi, tristis plango.
quis me talem liberat
45 de conpagine peccatorum
et voragine flagitiorum
47 nisi gratia advocati
altissimi agni dei?
44 liberabit? vgl. Migne 591 A: quis me liberabit de corpore mortis
Jiuius peccati (pecc. fehlt 1401 B) nisi gratia tua, domine Jesu Chiiste?
46 fagitiorum Meyer: flagitium G; durch die Ver Schleifung flagitiorum wird
der Vers neunsilbig. 47 vgl. Job. Ep. I 2, 1 advocatum habemus apud pa-
trem, Jesum Cbristum iustum.
49 Iterans iteravi
criminum auxi cumulum.
51 quae si tu, ultor deus,
vindicare voluisses,
53 olim me terra vivum
deglutisset integrum.
Die Vorlage s. oben S. 665. mit Z. 49 beginnt die 3. Spalte von
Bl. 21 b. G gibt 51 tu adultor und 54 redintegrum : corr. Meyer 54 die
Vorlage hat absorbuisset, doch vgl. Psalm 123,2 forte vivos deglutissent
DOS (inimici).
55 Karitatem deus non fictam,
castitatem da perfectam
57 humilemque tenaciam
et veram oboedientiam!
59 in te sint mihi omnia,
quem amo super omnia!
In dem oben S. 664 zu V. 37 — 42 citirten Gebet des Hieronymus geht
'es nadi 'superbiae' weiter'. Planta in me virtutem . . . castitatem . . . humi-
litatem non fictam (55), fraternam caritatem.. 57 Migne 1415 A
wird di€ tenacia unter Lastern genannt 58 oboediam G.
61 Lux Vera fideliom
et larga dei pietas,
«)3 qui benignus adstetisti
publicani precibus,
65 nunc quoque me lugentem
fove sancta trinitas.
64 puplicani G 65 fove Meyer : fabe G ; natürlictier wäre fave, doch
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkoin. II, 41—99. 677
der Accusativ me scheint unmöglidi ; vgl. Mignt 471B: qni non sprevisti publi-
canum, ne spemas me.
67 Miserere mihi, deas,
ne patiaris me perire
69 neque aetemis tenebris
vel atra morte consumi;
71 sed omnes actus vanitatis
curet Christi gratia.
Die Vorlage ist oben S. 665 gedruckt.
73 Nomen tuum gloriosum
invoco, Salus sempitema,
75 ut confractum redintegres
emendesque vitiatum.
77 indulge hoc, quod peccavi;
presta, ne plns adiciam.
Die Vorlage ist oben S. 666 gedruckt.
79 Omnipotens trinitas,
una Vera divinitas,
81 suscipe me fugientem
de criminum caligine.
83 ad verum lumen revoca me
tuae sanctae scientiae.
85 Protector deus, protege me
seuto tuae veritatis,
87 ut me tela ignita
diabuli non penetrent
89 et potestas tenebrarum
iam amplius non sauciet.
Die Vorlage ist oben S. 666 gedruckt. mit Z. 85 beginnt die 1. SpaUe
ton Bl. 22a. 85 Ps. 17,3 Protector meus 90 sauciet Meyer: sauciat G
91 Quicquid mea stultitia
et excessus desidiae
93 aut non sapit deprecare
aut (non) praesumit dicere,
95 hoc maiestas largiatur
et tribuat dei bonitas.
Die Vorlage ist oben S. 667 gedruckt. 94 non habe ich ergänzt aus
der Vorlage. 96 tribuet G: tribuat Meyer.
97 Rex regum rectissime
et dominus ditissime,
99 qui nullis eges opibas,
Kgl. Oes. d, Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 5." 46
ß7g Wilhelm Meyer,
semper bona largitus es;
101 doce me velle et nosse
tuam facere voluntatem.
97 vgl. Cölumban: 'Te timemus terribilem . . O rex regum rectissime
bei Blume, Änalecta hymnica 51 p. 286. 98 G hat dns, nicht dne 99
nullis egea Meyer, nullius egis G 100 bona ist über der Zeile ergänzt
101 vgl. Migne 101, 591 A: doce me facere voluntatem tuam.
103 Spes unica et sincera,
mundi salus et vita es.
105 qui solus mortem vicisti,
aditum vitae reserasti,
107 erue me de umbra mortis
facque intrare viam lucis.
105 uicuisti G.
109 Te iudicem esse spero,
quem agnosco salvatorem.
111 venisti pro me iudicari,
qui veneras iudicare.
113 sed quem mitis liberasti,
numquam sinas interire.
112 ueneras : oh venies ?
115 Uirtus patris et voluntas
frangens claustra inferorum
117 hominem odio abiectum
astris tulit mirantibus:
119 meque imo iacentem
tua sublevet dementia.
115 vgl. I 102/3 Omnipotena verbum patris virtusque et voluntas.
mit Z. 118 beginnt die 2. Spalte von Bl. 22 a.
121 eXul homo paradisi
per peccatum protoplasti
123 exitum suum expavescens,
dum clauduntur lumina!
125 sed tu, mi Jesu, miserere,
presta, quaeso, partem vitae!
122 proplausti, to übergeschrieben, G 123 fuü über der Zeile G
127 Ymnum deo nunc debeo,
sed canto Carmen lugubre.
129 factus sine auxilio
solus plango peccamina.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. II, 100 — III, 12. 679
131 tarnen dico, quod debeo:
soll deo semper laus !
130 vgl. 43 Heu mihi tristis plango.
133 Zelo habere, quod amavi,
et amare, quod zelavi.
135 inmuta dextra excelsi
lesu filii altissimi,
137 ut hie et in perpetuo
te laudare merear,
134 zelaui ist aus amaui corrigirt in G j ich verstehe es nicht, auch nitht
das folgende inmuta 136 fili?
139 Gloria deo patri
aequalisque deo filio
141 una cum sancto spiritu
laus honor et virtus
perpetuaque potestas
144 et aeterna maiestas!
142 Dieser einzige Sechssilber ist wohl durch einen Schreibfehler entstanden.
Vielleicht ist 'sit' zu ergänzen. Am Ende der SiydUe ist noch der Baum
einer sechszeiligen Strophe leer geblieben.
(Drei Ketzer-Paare.)
Arjrius et Sabellius
hejretici inpudici :
3 un]us non vult unam esse
tri]nitatis substantiam,
5 altjer iungens incongrue
et] confundens personas.
7 Audjite haec orthodoxi,
]ies Christi expugnavit
9 un]o loco ambos simul:
eg]o et pater unum sumus.
'sujmus' non sapit Sabellius
12 ne]c Arrius 'unum' fari.
Über die Anlage dieses Gedichtes und das Vorbild bei Fulgentius
Rusp. p. 205/7 vgl. oben S. 661/2. Die V. 1—30 s. auf der 4. Spalte
der Tafel 3/4 Falsum est, quod Ariani trium personarum tres naturas per-
suadere cöntendunt Fulgentius. 5/6 Si quem videris patris et filii et Spi-
ritus sancti.. unam adserere personam,.. haereticum Sabellianum agnosce . . .
Ariani naturam trinitatis dividunt et personas Sabelliani confundunt. 7 K"
über der Zeile G 8 vor es steht i oder der letzte Strich eines n oder m ; dann
ist xpi nicht sicher: es könnte auch xpf sein. 10 Dieser Vers des Johannes
10,30 wird von Fulgentius S. 331 de trinitate cap. 4 so erklärt: 'unum' ad na-
46*
680 Wilhelm Meyer,
turam referre nos docet, 'sumus' ad personas . . . Audiat Sabellius 'sumus', . .
Audiat . . Arius 'unum' et non differentis filium dicat esse naturae. Von Alkuin
wird der Vers {Migne 100, 883 D) gegen Sabellius und Arius und deutlicher 894 A
so erJclärt: Conticescat Sabellius audiena Ego et pater, qui unam personam
patris et filii prava doctrina disseruit; nam ego et pater duae sunt personae.
Item erubescat Arius audiens 'unum sumus', qui duas naturas in patre et
filio astruit, dum unum unam naturam significat, sicut 'sumus' duas per-
sonas. Der Plural 'sumus' tvird zur Widerlegung des eine Person lehrenden
SaheUius, das Neutrum 'unum' = una natura loird zur Widerlegung des drei
naturas lehrenden Arius verwendet. 10 fumuf ist aus fimuf corrigirt.
11 vor US sind nur 2 Striche^ nicht ein ganzes m erhalten.
13 Majnicheus et Fotinus
e Jdiverso, sed impie
15 un]us Christum verum deum,
nonj hominem profitetur ;
17 aljter aeque obnoxie
hojminem purum indicavit.
19 Dicjunt Christum verba vitae
deu]m verum et hominem
21 quo Lazarus lacrimatur
em nee fotinus profitetur
23 m a quo est suscitatus
em nee credit Manicheus.
Vgl. Fulgentius § 34J5 Si quis sie in Christo veram divinitatem prae-
dicat , ut eins veram carnem negare contendat, est haereticus Manichaeus.
Rursum qui sie dicit Christum hominem, ut deum neget, est Photinianus
haereticus. 15/lG Migne 101, 1330 D: Anathematizamus Manichaeum, qui
Christum solum deum et non hominem fuisse praedicat. 17 obnoxie =
noxie vgl, Migne 101, 476 D: exaudi me peccatorem et culpabilem et in-
dignum et negligentem et obnoxiüm. 18 purum ist unsicJier ; ebenso, ob
indicavit oder iudicavit. vgl. Praedestinqti de haer. I 44 : Photinus . . ho-
minem purum fuisse Christum docebat et a Maria coepisse. Migne 101,
883 D : Photinus dicit : Christus homo tantum est, non deus ; zu 1^ homo
purus vgl. noch 140 A, 159 D. 166 A. 291 B. 491 C. 21 ob lacrimatur oder
lacrimatus, ist unsicher. 22 vor em steht u oder d. 19 — 24 Diese Zeilen
waren mir lange unverständlich. Sie müssen eine Widerlegung der An-
sichten des Manicheus und Photinus enthalten. Die citirte Person des La-
zarus kann dazu dienen, insofern als die Beweinung des Lazarus (Joh.
11,35 et lacrimatus est Jesus) die Menschheit, die Auferweckung des Todten
aber die Gottheit Christi bezeugen kann. Doch vergeblich suchte ich nach
einem Zfeugniß für diese Erklärung. Nur Augustin Tract. 49 in Joh. be-
merkt zu Joh. 10,4 'Infirmitas haec non est ad mortem, sed pro gloria
dei, ut glorificetur filiua dei per eam', : Videte , quemadmodum tanquam ex
obliquo dominus deum se dixit, propter quosdam qui denegant filium deum
esse usw. Der Wortlaut dieser Widerlegung scheint in der Überlieferung
der Hft entstellt zu sein. Zuerst kam jedenfalls das Zeugniß der Bibel:
(Dic)unt Christum verba vitae (deu)m verum et hominem.
drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin. III, 13—36. 681
Nun folgen noch zwei Sätze , von denen aber jeder zwiespältig ist.
1) Dem Satze der Bibel entsprechen auch Christi Handlungen (bei Lazarus):
er hat a) den Lazarus beweint, als ein echter Mensch ; er hat b) den längst
gestorbenen Lazarus wieder lebendig gemacht, als ein echter Gott. 2) Diesen
unumstößlichen Thatsachen widersprechen nun die Sätze der beiden Hä-
retiker: a) des ^lanicheus, welcher leugnet, dalJ Christris echter Mensch
war, b) des Photinus, welcher leugnet, daß Christus echter Gott war. Also
sind diese Sätze falsch. Es können nun zuerst die Lazarusthatsachen bei-
sammen gestanden sein, und dann die widei-spruchsvollen , also falschen
Sätze der Haeretiker:
(a) quo Lazarus lacrimatur, (id)em a quo est suscitatus :
aber (homin)em nee credit Manicheus, (deu)m nee Fotinus profitetur.
oder es kann jeder Lazarusthatsache sogleich die Folgerung beigegebea
worden sein :
(a) quo Lazarus lacrimatur, (hunc) (homin)em nee credit Manicheus,
(id)em a quo est suscitatus, (hunc) (deu)m nee Fotinus profitetur.
Nestjorius et Eutichen
contra]rie Christum profitentes:
27 p]rior propter duas naturas
djaos Christos introduxit;
29 ajlter e caelo Christum narrat
humanum sumsisse corpus.
31 Audi, Nestori nequissime,
unionem in hoc Christi :
33 filius hominis venit de caelis I
et tu, Eutichen, audax pestis,
disce Christi corpus esse
36 ex germine David regis !
30 sumsisse Meyer, sumi G 31 nestore G Die letzten 6 Zeilen
stehen in der 2. Spalte des Blattes 22 b, sind also unversehrt. Dies
Ketzerpaar wird nicht nur von Fulgentius und Anderen zusammengestellt,
sondern auch von Alkuin; vgl. Sp. 136 A.B und 291 D. 26 (contra)rie :
«rgänzt nach Fulgentius S. 206 : alii duo rursus haeretici, sibimet contraria
sentientes, diversos errores intulisse noscuntur. 27/8 vgl. 164 B Nestorius
duas in Christo personas voluit intellegi. 223 C : nee Christum dividimus . .
in duas cima Nestorio personas. Sp. 186 A: Cesset Nestorius filium ho-
minis a filio dei separare et duos sibi facere Christos usw.: Sp. 290D:
Non hominem et verbum, duos Christos, alterum sublimem et alterum sub-
^tum . . confitemur usw. ; Sp. 44 A : non sunt duo Christi , nee duo fiüi,
sed unus Christus et unus filius, deus homo. 29/30 vgl. Gennadius de
dogmatibus cap. II: caniem ex virginis corpore trahens, et non de caelo
secum afferens, sicut Marcion, Origenes et Eutyches affirmant (Gehler, Corp.
haereseolog. I 336 und 362), womit verwandt ist (bei Gehler S. 299)
Pseudo-Hieronymi Indiculus cap. 40 : Eutychitae dicunt Jesum . . . non er
came virginis carnem traxisse, sed quasi de caelo exhibuerit corpus. End-
lich ist zu vergleichen die bei Migne 101, 360 A citirte Stelle aus dem
682 Wilhelm Meyer, drei Gothaer Rythmen aus dem Kreise des Alkuin.
Breviarium causae Nestorianae et Eutychianae des Liberatus cap. 1 1 : Eu-
tyches praedicabat Christum consubstantialem nobis non esse secundum
camem, sed de coelo corpus habuisse. 33 Die Worte 'audi . . in hoc*
kündigen ein Citat an; dies könnte, wie oben S. 654 bemerkt, die unge-
wöhnliche Form des Verses (10 oder 11 Silben) entschuldigen. Aber welches
Citat ist dies? Sachlich ähnlich fand ich nur Daniel 7,13: et ecce cum
nubibus caeli quasi filius hominis veniebat. Aber unter den vielerlei For-
men, in denen dieser Vers (nach Sabatier) citirt wird, fand ich keine der
unsrigen 'filius hominis venit de caelis' ähnliche. Wenn aber unser Dichter
dem Citat die Form selbst gegeben hat, weßhalb hat er dann nicht die auf-
fallende Zahl von 10 oder 11 Silben vermieden: z.B. filius hominis de caelis?
36 wohl nach Bom. 1 3 qui factus est ex semine David secundum carnem.
Uebersicht.
Die Handschrift in Gotha I 75 und darin der Nachtrag auf Bl. 20 b —
22 b. S. 647 Erklärung der photogr. Tafel. S. 647—652 Schrift (Ver-
such einer Minuskelschrift); S. 650 Abkürzungen und Chiffern; S. 651
Art der Abschrift. S. 652 — 657 die rythmischen Formen ; S. 653 Silben-
zahl und Schlußcadenzen ; S. 655 der innere Zeilenbau; S. 655 Übersicht
der Zeilenarten; S. 656 Alliteration; S. 657 Zeilenpaare. S. 657—663
Inhalt und Verfasser; S. 658 Inhalt von I und II; S. 658 Alkuin und
die Adoptianer; S. 659 Inhalt von I und (S. 660) von III; S. 661 Ful-
gentius von Euspe Quelle des III. ßythmus; S. 663 der Verfasser ist ein
Freund des Alkuin oder Alkuin selbst. S. 664 — 667 Vorlagen für den
II. Eythmus. S. 667—682 Text der 3 Rythmen: S. 667: I. Rythmus;
S. 674: II. Rythmus; S. 679: in. Rythmus.
Der neu entdeckte Urtext der Lex Salica.
Von
Bruno Krnscfa.
Vorgelegt von W. Meyer in der Sitzung vom 24. Juni 1916.
Die Stellung der Lex Salica unter den deutschen Rechtsquellen
und ihre Bedeutung nicht nur für das deutsche Recht, sondern
für die gesamten inneren Verhältnisse , die deutsche Verfassung,
Haus und Familie, Besitz und Kultur, auch für die Geschichte der
deutschen Sprache hebt ihre Ausgabe weit heraus im Arbeitspro-
gramm der Monumenta Germaniae, und auch die Freunde des Alter-
tums jenseits des Rheines sehen mit Spannung gerade dieser Publi-
kation entgegen, vor allem aber hat die Göttinger Gesellschaft
der Wissenschaften seit Waitzens Tagen so lebhaften Anteil an
dieser uralten Quelle und dem Gedeihen unseres großen Xational-
werkes überhaupt genommen, daß sie die neueste Entwickelung
dieser Angelegenheit nicht gleichgiltig lassen kann. Es handelt
sich aber bei den Arbeiten des Dr. Mario Krammer, der seit nun-
mehr 13 Jahren diese Ausgabe im Schöße der Leges-Abteilung
vorbereitet und durch seine wundersamen Ergebnisse die rechts-
historischen und sprachwissenschaftlichen Forschungen nachhaltig be-
einflußt, um eine völlige Umwälzung der textkritischen Grundlagen,
der man nur mit großen Besorgnissen zusehen kann. Seine im
Druck befindliche Ausgabe gründet sich auf den von den anderen
Recensionen völlig abweichenden 99-Titel-Text, die dritte Familie
J. H. Hesseis' ^), als den Urquell unserer gesamten handschrift-
lichen Überlieferung und steht in schroffem Gegensatz zu der
1) Lex Salica : the ten texts with the glosses and the Lex emendata, hersgg.
von J. H. Hesseis, London 1880.
634: Bruno Kruse h,
bisher herrschenden Ansicht der früheren Forscher seit Pardessus ^)
und Waitz^), die vielmehr den ältesten und reinsten Text in der
kürzeren 65 - Titel-Fassung, der ersten Familie Hesseis', zu finden
glaubten. Jene bisher für eine völlige Umarbeitung einer verhältnis-
mäßig sehr späten Zeit gehaltene Recension rückt also plötzlich
als die älteste und beste an die Spitze der gesamten Überliefe-
rung (A), die bisherige erste Familie erhält die zweite Stelle (B),
der interpolierte 65-Titel-Text die dritte (C), und BC sollen nun
umgekehrt schlechte Überarbeitungen von A sein, ja nicht bloß
aus dieser Klasse herstammen, sondern ihre Vorlage wäre sogar
noch heute in der Handschrift von Montpellier H 136 saec. IX.
in. (bei Krammer A3') erhalten. Die bisherige Auffassung geht
im Wesentlichen auf die grundlegende Arbeit von G. "Waitz zurück,
der sich der genauen Prüfung der überlieferten Texte als uner-
läßlichen Vorarbeit für seine verfassungsgeschichtlichen Studien
unterzogen hatte. Nun kommt es leider an den Tag, daß Waitz
ganz verkehrte Bahnen eingeschlagen, das Verhältnis der Texte
völlig verkannt und die schlechte Ableitung aus einer noch er-
haltenen Handschrift der karolingischen Fassung A für den alten
heidnischen Urtext der Lex gehalten und seiner Ausgabe zu Grunde
gelegt hatte ! Und dieser Stümper in der Editionskritik ist 1875
an die Spitze der Monumenta Germaniae gestellt worden!
Allerdings hatte auch Krammer einmal über A keine ganz so
günstige Ansicht gehegt und über C keine ganz so schlechte. In
seinem ersten Aufsatz *) wurde umgekehrt gerade C als der älteste
Text gepriesen, wiederum im Gegensatz zu der früheren Forschung,
und damals war A als die minderwertigste Recension in die letzte
Stelle geschoben worden. Dieser Aufsatz ist ein erster Teil ge-
blieben und hat die in Aussicht gestellte Fortsetzung niemals er-
halten. Die Erleuchtung war Krammer nach einer Reise durch
Italien, Spanien und Frankreich ^) gekommen, und ein zweiter Auf-
1) Pardessus, Loi Salique. Paris 1843.
2) G. Waitz, das alte Recht der Salischen Franken, Kiel 184G.
3) Ich behalte die falschen Klassen- und Hss.- Bezeichnungen Krammers bei
und nenne B 4 die Haupths. Paris 4404, B 3 die Wolfeubütteler, Weißenburg
97, B 2 München 4115, B 1 Paris 9653, C 2 Paris 4403 B, C 1 Paris 18237,
A 3 Montpellier H 136, A 2 St. Gallen 731, A 1 Paris 4627. Hesseis zählt
die Hss. in der richtigen Reihenfolge von 1 bis 9 und weicht von meiner An-
ordnung nur darin ab, daß er A 1 (8) vor A 2 (9) setzt.
4) Kritische Untersuchungen zur Lex Salica. Von Mario Krammer. Erster
Teil, N. A. XXX (1905), S. 261—319.
6) N. A. XXXn (1907), S. 23.
der neu entdeckte Urtext der Lex Saüca. 685
satz ^) fünf Jahre später brachte die überraschende Entdeckung der
neuen Theorie über die Entstehung der Lex Salica auf der Grund-
lage von A.
Da dies aber auch nach Krammers Urteil eine karolingische
Bearbeitung ist, die direkt als Urtext nicht in Frage kommen
kann, so erwuchs ihm die nicht ganz leichte Aufgabe, den „un-
zweifelhaft" merovingischen Urtext aas dem späteren Machwerk
zu rekonstruieren. Ein dritter Aufsatz ^) wiederum mehrere Jahre
später suchte die neue Entdeckung zu rechtfertigen und Aufschluß
über die „schrittweise Entwickelung" zu geben, wie sie sich nach
Krammers Vorstellung vollzogen haben sollte.
Das war ja nun freilich auch die höchste Zeit. Inzwischen
hatte nämlich Hilliger') in einer scharfen Kritik von Krammers
vorhergehenden Arbeit sein neues System unbarmherzig zerzaust
und erklärt, daß eine Ausgabe auf dieser Grundlage „der größte
Rückschritt wäre, den die Forschung auf diesem Gebiete zu
verzeichnen hätte. Launig bemerkte er zu Krammers Sprunge
von C zu A als der Quelle unserer gesamten Überlieferung , daß
jetzt alle Möglichkeiten erschöpft seien, es müsse denn jemand
noch an die Emendata oder die Ausgabe Herolds denken wollen.
Hilliger wies nach, daß Krammers Beweis für die Ursprünglich-
keit von A mißglückt sei, daß der Epilog, auf den Krammer sein
System gebaut, nicht zu A gehöre, sondern von der wichtigen
Wolfenbütteler Hs. des 65-Titel-Textes, bei Krammer B 3, abhänge.
Damit fiel dessen willkürliche Annahme über die Entstehung der
Lex in ein Nichts zusammen, und er hatte auf Grund der Titel-
zahlen des Epiloges behauptet , daß Chlodovech die Titel des A-
Textes bis 74 in den Jahren 486 — 496, bis 77 nach seiner Bekeh-
rung 496—507 gegeben, die folgenden aber bis 99 seine Söhne Chil-
debert L und Chlothar I. hinzugefügt hätten. Die Titelzahlen des
Epiloges beziehen sich vielmehr auf die Nummerierung der Hs. B 3,
wo hinter der eigentlichen Lex Salica die angehängten Novellen
fortlaufend weitergezählt sind, darunter Gesetze Childeberts I. und
Chlothars I, nämlich der Pactus pro tenore pacis , und diese Titel,
nicht die A-Titel der Lex meint der Epilog , wie das die frühere
Forschung , Waitz an der Spitze , bereits richtig erkannt hatte.
1) M- Krammer, Zur Entstehting der Lex Salica, in Festschrift H. Brunner
zum 70. Geburtstag dargebracht von Schülern u. Verehrern. Weimar 1910. S. 405 ff.
2) Forschungen zur Lex Salica. Von Mario Krammer. I, N. A. XXXIX
(1914), S. 599—691.
3) Benno Hilliger, Lex Salica. EpUog und Hunderttiteltext. Historische
Vierteljahrschrift XIV (1911), S. 153—181.
686 Bruno Krusch,
Zuerst hatte RietscheP) diese ZaUen mit den 99 Titeln in Ver-
bindung gesetzt, jedoch auf den Einspruch Brunners ^) seinen Irr-
tum zugegeben^), was freilich Krammer nicht abgehalten hat, auf
diesen Irrtum sein ganzes System zu begründen. In höchst wir-
kungsvoller Weise hat Hilliger (S. 178 fg.) die spätere Entstehung
des 99-Titel-Textes durch den Hinweis auf die abweichende Stilisie-
rung der dort durch Differenzierung neu gebildeten Titel in einer
Tabelle vor Augen geführt , in der sich die neuen 'Si quis'-Titel
von den alten *De'-Titeln des B-Textes scharf abheben; die Neu-
bildungen geben auch nur die Anfangsworte des Textes wieder,
weßhalb sie im Text selbst keine Überschriften tragen. Steht aber
hinsichtlich seiner Gliederung A dem Urtexte ferner als jede an-
dere flss-Klasse, dann war das von Krammer aufgestellte System
falsch, und die schleunige Abkehr von dem falschen System wäre
das Klügste gewesen, was man hätte tun können, mochte auch
der angerichtete Schaden schon damals ziemlich beträchtlich sein.
Krammer hat die ernste Mahnung in den Wind geschlagen
und in eigensinnigem Festhalten an dem falschen System seine
Ausgabe drucken lassen*). In seiner Rechtfertigung suchte er
nachzuweisen, daß umgekehrt B das Kapitelverzeichnis von A 3
fortwährend benutzt habe, welche Hs. ja die Quelle der gesamten
B-Klasse sein soll ; jede Bezugnahme auf Hilligers Kritik ist aber
sorgfältig vermieden, und so kann sich der Leser ohne jede lästige
Störung ganz dem Eindrucke seiner Ausführungen hingeben. Nur eine
kurze Notiz Krammers in den Nachrichten des N. Archivs XXXVII,
S. 343, beschäftigt sich mit Hilligers Schrift, und hier ist seine Fest-
stellung über die Grestaltung des Kapitelverzeichnisses von A sogar
als „wertvoll" bezeichnet, ja wir hören, daß sich die gleiche Be-
obachtung ihm selber schon aufgedrängt habe; überhaupt habe es
ihm jederzeit ferngelegen, Hilligers Verdienste zu bestreiten. Das
1) S. Rietschel, der Pactus pro tenore pacis und die Entstehungsgeschichte
der Lex Salica (Zeitschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgesch. 27 Bd. Germ.
Abt. 1906, S. 253 ff.).
2) H. Brunner, Über das Alter der Lex Salica und des Pactus pro tenore
pacis (Zeitschr. der Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. 29 Bd., Germ. Abt. 1908,
S. 136 ff.).
3) S. Rietschel, die Entstehungszeit der Lex Salica (Zeitschr. der Savigny-
Stiftung. Bd. 30 Germ. Abt. 1909. S. 117 ff.).
4) Der Druck der Krammerschen Ausgabe hat nach dem offiziellen Jahres-
bericht 1912 begonnen, und zwar waren 8 Bogen Ostern 1913 (N.A. XXXIX, S. 8),
weitere 9 Bogen 1914, 3 Üogen 1915 gedruckt, wozu noch 1 V» Seiten im, vorigen
■ Geschäftsjahr gekommen sind.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 687
klingt nicht gerade so, als wenn man viel Vertrauen zur eigenen
Entdeckung gehabt hätte.
Ein um die Jahreswende erschienener neuer Aufsatz Kram-
mers ') enthält sehr notwendige Ergänzungen zu dem vorigen und
fesselte außerdem meine Aufmerksamkeit durch die entschiedene
Absage gegen ein Argument, dessen ich mich zur Begründung meiner
Bedenken auf der vorjährigen Plenarversammlung der Zentraldi-
rektion der Monumenta Germaniae bedient hatte. Ein rein äußer-
licher Umstand hatte mir damals Veranlassung gegeben, mich mit
dem meinem Arbeitsgebiete ganz fernliegenden Gegenstande einige
Tage zu beschäftigen , und ohne Kenntnis von Hüligers Kritik
war ich zu ganz denselben Ergebnissen gelangt, wie dieser. Meine
Ausführungen schienen auch damals auf die Plenarversammlung
Eindruck zu machen, und der Anregung eines Mitgliedes folgend,
habe ich eine schriftliche Widerlegung der neuen Lehre aufge-
setzt, die im nächsten Heft des N. Archivs^) erscheinen wird und
schon Ende des vorigen Jahres gesetzt war. Wenn ich mich trotz
meiner Abneigung zu einer Kritik der inzwischen erschienenen
neuen Verteidigungsschrift entschließe , so geschieht es , wie ich
betonen darf, lediglich aus rein sachlichen Gründen, um weiteres
Unheil zu verhüten und denjenigen neues Material zu liefern, in
deren Hand die Entscheidung über die Fortsetzung der wichtigen
Publikation gelegt ist. Im Interesse der Monumenta Germaniae
wäre eine schleunige Entschließung dringend zu wünschen, und aus
Interesse an ihrem Schicksal schreite ich zur Veröffentlichung dieses
Aufsatzes. Handelt es sich doch um einen in der fast 100jährigen
Geschichte unseres großen Nationalwerkes einzig dastehenden Fall.
Ein Mitarbeiter der Monumenta Germaniae, dem eine der
wichtigsten Quellen aus ihrem Editionsgebiete anvertraut ist, hat
in seiner 13 jährigen Tätigkeit zweimal in diametral entgegenge-
setzter Richtung die Arbeiten begonnen und beide Male in falscher ;
alle Arbeiten und alle Kosten , welche auf diese von Grund aus
verpfuschte Ausgabe verwandt wurden, sind weggeworfen, und die
bisher gedruckten Bogen müssen eingestampft und die Arbeiten
von neuem begonnen werden. Das schwerste Mißgeschick, welches
die Monumenta Germaniae seit ihrem Bestehen betroffen hat, kann
niemand mehr beklagen als ein in ihren Diensten ergrauter Mitar-
1) Die ursprüngliche Gestalt und Bedeutung der Titel De filtorto und De
vestigio minando des salischen Gesetzes. Eine kritische Untersuchung von H.
Dr. Mario Krammer (Zeitschr. der Savigny-Stiftung Bd. 36, Genn. Abt. 1915, S.
336—437).
2) N. Archiv XL, S. 497—579.
Bruno Krusch,
beiter, dem es vergönnt war, in den glänzenden Zeiten eines Waitz
und Mommsen mitzuschaffen.
Waitz selbst hatte sich die Leges-Abteilang bei der Neu-Kon-
stituierung der Monumenta Germaniae 1875 vorbehalten , und in
keine besseren Hände hätte sie kommen können, als in die des Verf.
des alten Rechts der Salischen Franken. Mit sicherer Hand hat er
die Ausgabe des Formel-Bandes geleitet, und es ist klar, daß unter
seiner Leitung ein solcher Fehlschlag undenkbar gewesen wäre.
Es ist hier nicht der Ort zu prüfen, ob nicht vielleicht dem wenig
glücklichen Mitarbeiter, der auf alle Fälle die Verantwortung für
seine Publikation zu tragen hat , mildernde Umstände aus der
ganzen Organisation des Unternehmens erwachsen , die für andere
Zeiten und Personen zugeschnitten war. Schon Dümmler war „eine
reformierende Fortführung'^ der Arbeiten, eine „Reorganisation des
großen National Werkes" von Mommsen nahe gelegt worden, als
dieser ihn 1889 als neues Mitglied und Nachfolger von Waitz in
der Akademie der Wissenschaften begrüßte ^). Zu dieser Reorgani-
sation ist es nicht gekommen, vielmehr erlangten nach Waitzens
Tode die einzelnen Abteilungen wachsende Selbständigkeit, und
auf dieser Linie hat sich die weitere Entwickelung vollzogen, die
zu der neuen Ausgabe der Lex Salica geführt hat. Damit leidet
dieser Editionsplan zum zweiten Mal Schiffbruch. Ursprünglich
wollte der Begründer der Monumenta Germaniae die Ausgabe
selbst besorgen, schlug aber sofort eine so verkehrte Richtung ein,
daß im Inland und Ausland die Fachgelehrten dagegen ihre Stimmen
erhoben. Das hat Krammer nicht abgeschreckt, an derselben Stelle
seine Urtext-Experimente zu beginnen, an der so viele Jahre vor-
her der erste Editionsplan gescheitert war.
Die völlige Unmöglichkeit auch seiner neuen Theorie , der
Text-Entwicklung von B aus A, ergibt sich jedem Fachmanne so-
fort sowohl aus der Beschaffenheit der Hss., wie aus einer Verglei-
chung der beiden Texte im Einzelnen, die außerhalb Hilligers Auf-
gabe lag. Alle Annahmen , Erklärungen und Schlüsse Krammers
zur Begründung eines solchen Verhältnisses sind falsch, drehen
den wahren Sachverhalt um und zerstören die ganze bisherige
Forschung, so daß nicht dringend genug davor gewarnt werden
kann.
Der 99-Titel-Text von A ist durch systematisierende Überar-
beitung der 66 Titel von B entstanden, und der Überarbeiter A
1) Sitzungsberichte der Berliner Akad. d. Wissenscb. Phil.-hist. Kl. 1889,
S. 688.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 689
hat an zahllosen Stellen den richtigen B-Text gründlich mißver-
standen nnd verdorben, besonders eine Anzahl ganz unentbehrlicher
Sätze, ja ganze Abschnitte übersprungen, die sich richtig in B und
in C finden. Durch seine Xachlässigkeit ist eine der wichtigsten
Stellen des ganzen Gesetzes über die Grenzen des Frankenreiches
in dem berühmten Titel B XLVII 'De filtortis' ausgefallen, worauf
Krammer zu meinem Erstaunen in seinen vorigen Forschungen zur
Lex Salica mit keinem Worte eingegangen war. Sein letzter Auf-
satz holt dies nach und führt an zwei Titeln seinen Reinigungs-
prozeß der Lex Salica vor, der den echten unverfälschten Urtext
zum Vorschein bringen soll. In einer Note kündigt er sehr be-
stimmt „weitere" Fortsetzungen seines vorigen X. Archiv-Aufsatzes
an, vermutlich um dem Verdachte zuvorzukommen, daß dieser ein
erster Teil bleiben könnte, wie sein C- Aufsatz, und später will er
uns sogar noch mit einer zusammenhängenden Behandlung der
vielgestaltigen und z. T. sehr komplizierten Textentwickelung be-
schenken, so daß an ein Versiegen dieses zerstörenden Sturzbacbes
„noch lange nicht" zu denken ist. Die jüngsten Erfahrungen scheinen
sein Selbstvertrauen eher gestärkt als gemindert zu haben, und wie
sicher er seiner Sache zu sein glaubte, verrät die Entschiedenheit
im Ausdruck, die kaum noch eine Steigerung zuläßt; „unbedingt^
enthält die A-Klasse den relativ ältesten Text, aus dem die übrigen
entwickelt seien ; ihre mitunter ^geradezu verderbt anmutende Dik-
tion" ist vielmehr ein Vorzug; Altes und Neues sei in ihr ver-
bunden, und er erkennt noch die Nähte, die jüngere Bearbeitungen,
wie B, beseitigt hätten. Erst die Heranziehung von A habe die
Möglichkeit geschaffen, die lange verborgenen Intentionen des sali-
schen Gesetzgebers wiederzuerkennen, den Schleier zu lüften, der
ein Jahrtausend über ihnen gelegen haben! „So lange man von B
ausging, war es unmöglich zum verlorenen Urtext zu gelangen".
Weit weist er den Gedanken zurück, daß vielleicht doch in B der
echte Text zu finden sein könnte, als wenn er den bewußten
Schleier doch nicht gelüftet hätte. Aus seiner Kenntnis der Inten-
tionen des Gesetzgebers heraus schafft er den verlorenen Urtext
der Lex Salica wieder teilweise in souveräner Unabhängigkeit von
der handschriftlichen Überlieferung, welche die Pedanterie der
älteren Forschung sich noch zur Richtschnur nahm. Verblendete
Welt, beschränkte Banausen !
Die Befähigung eines Übermenschen gehört allerdings dazu, die
Ausführungen Krammer's auch nur zu verstehen und sich in seinen
Gedankengang hineinzufinden. Er behauptet, aus A und zwar aus
A 3 sei zunächst B abgeleitet , A 3 sei die Vorlage des Arche-
690 Bruno Krusch,
typus von B gewesen^), BC stellen redaktionelle Umarbeitungen
dieser Hs. dar, und C sei unter Heranziehung wohl sämtlicher
überlieferter B-Formen verfaßt ^), also, schließe ich, muß B jünger
als A 3, C jünger als B sein. A3, die Hs. Montpellier H 136,
stammt aber nach dem übereinstimmenden Urteil aller, die sie ge-
sehen, erst aus dem Anfang des 9. Jahrb., also, schließe ich, muß
der daraus abgeleitete Archetypus der B-Klasse frühestens im Anfang
des 9. Jahrb., der wieder von B abhängige Archetypus der C-Klasse
noch später geschrieben sein. Hier bietet nun die neue Entdeckung
Krammers gleich beim ersten Anlauf schier unüberwindliche Schwierig-
keiten. B 3 nämlich, die Wolfenbütteler Hs., Weißenburg 97, stammt
noch aus dem 8. Jahrh. und B 2, die Münchener Hs. 4115, vielleicht
noch aus dem Ende des 8. Jahrb., spätestens aus dem Beginn des
9. Jahrb., ja selbst aus der C-Klasse haben wir noch eine Hs.
Paris 4403 B, die Pertz ^), ein ausgezeichneter Hss. -Kenner , nicht
bloß in das 8. Jahrh. setzte, sondern überhaupt , für „die älteste
aller vorhandenen" Hss. erklärte , während Hesseis auch nur
zwischen Ende des 8. Jahrh. oder Anfang des 9. Jahrh. schwankt.
Die neue Entdeckung Krammers stellt uns also vor das nicht ganz
einfache Problem, daß Texte mit Hss. des 8. Jahrb., und die Hss.
B 2 und B 3 habe ich selbst unter den Händen gehabt und ver-
glichen, aus einer Hs. des 9. Jahrh. stammen sollen, und überhaupt
die allerälteste Handschrift aus einer weit jüngeren. Das ver-
stehe, wer will! Verzweifelt faßt man sich an den Kopf!
Und ein zweites nicht weniger merkwürdiges Problem reiht
sich sogleich an. Der ziemlich flüchtige Schreiber des Archetypus
von A hat nämlich infolge noch erkennbarer Mißgriffe einzelne
Sätze, ja ganze Abschnitte ausgelassen, die also nicht bloß in A 3,
der angeblichen Vorlage von BC, sondern überhaupt in allen A-Hss.
fehlen, von denen eine, die Sanctgallener 731, im J. 794 geschrieben
ist, und diese fehlenden Stücke stehen in den angeblichen Ablei-
tungen aus A 3, den Hss.-Klassen B und C. In Krammers Urtext
sind diese von A übersprungenen Stellen natürlich nicht mehr zu
finden ; er streicht sie kaltsinnig heraus , er streicht sogar nicht
bloß in BC, sondern auch in A, also in allen Hss. erhaltene Stellen
heraus, er setzt teilweise einen ganz anderen Wortlaut dafür ein,
setzt Wörter zu, verändert die Verbalformen: kurz er schaltet
ganz nach seiner Laune und Willkür in unbeschränktester Selbst-
herrlichkeit, und der nach seiner Radikalkur glücklich noch übrig
1) N. A. XXXIX, S. 623.
2) Ebend. S. 606.
3) Archiv VII, S. 730.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 691
gebliebene , von ihm rekonstruierte Urtext . ein Denkmal mensch-
licher Verirrung, zeichnet sich dann , wie er rühmt , durch voll-
kommene Klarheit und Deutlichkeit aus, nicht minder freilich durch
eine beängstigende Schlankheit, so daß er noch so eine Mißhand-
handlung schwerlich überdauern würde. Verwundert aber wird
man fragen, wie es möglich war, daß den Fachkreisen der eigen-
tümliche Charakter dieser Schriftstellerei so lange fast vollständig
verborgen bleiben konnte !
Ich lasse nun zunächst den Krammerschen Urtext des Titels
B XLVII = A LXXXI folgen ^), welcher den Ausgangspunkt seiner
neuen Forschungen bildet, und füge die handschriftliche Überliefe-
rung in [ ] Klammern bei, nämlich die Zusätze und Verbesserungen
von BC zu dem lückenhaften und verdorbenen A-Text und dann die
aller Hss. an den von Krammer ganz willkürlich gestrichenen oder
veränderten Stellen, in < > aber die von ihm ohne jede handschrift-
liche Unterlage interpolierten "Worte. Es läßt sich jetzt mit einem
Blick der Abstand des Krammerschen Urtextes von der handschrift-
lichen Überlieferung übersehen, und man wird staunen, wie weit
sich diese von den Intentionen des Gesetzgebers entfernt hat, aber
auch staunen über die Divinationsgabe, welche dazu gehorte, diese
Intentionen glücklich zu „entschleiern".
'Si quis, qui lege Salica vivit, servum super alterum
agnoverit, mittat eum in tercia manu. Et ille, super ['aput' B 1. 2 CJ
quem agnoscitur, ['debet agramire, et si citra Ligere aut Car-
bonaria ambo manent, et qui agnoscit et apud quem agnoscitur'
Zus. BC, fehlt A], in noctes XL placitum faciat [so Hube; faciant
ABC], et in ipso placito ['quanti fuerint' Zus. ABC] (eum), qui
rem [so A; 'caballo ipso' B; 'caballum ipsum aut rem ipsam' C]
[Zus. *aut vendiderint aut cambiaverint auf B und ohne das erste
'aut' C, 'vendiderint vel camiaverint auf A] furasse [fortasse'
und Zus. *in solutione dederunf BC] (videtur), [Zus. 'omnes' BC,
1) Nach der Rekonstruktion in der Zeitschr. der Savigny-Stiftung f. Rechts-
gesch. Germ. Abt. XXXVI, S. 376. Seinen Urtext hat Krammer mit großen Typen
drucken lassen, die beiden Überarbeitungen A und B natürlich mit kleinen, und
nur die angeblichen Interpolationen sind darin als selbständige Partien groß ge-
druckt, nämlich in A die Abweichungen von seinem Urtext, d. h. die von ihm darin
gestrichene!) oder veränderten Stellen, in B die Abweichungen von A, also die
von A ausgelassenen oder veränderten Stellen. Eigentlich hätte B als der origi-
nale Text groß , A aber als die Überarbeitung klein gedruckt werden müssen,
und nur die Abweichungen von der Vorlage B durften mit großer Schrift oder
Sperrdruck wiedergegeben werden. Die völlige Unbrauchbarkeit der neuen Atis-
gabe ergibt sich schon aus der verkehrten Druckeinrichtung.
692 Bruno Krusch,
'hominesV) A] [Zus. 'inter placitum istum' BC] commoneat ['commo-
neantur' ABC] ['hoc est ut unusquisque de cumnegotiatoribus alter
alterum admoneat' Zus. B und mit 'commoneat' oder 'commo-
neant' ACJ. Et si ['quis' Zus. BC] commonitus fuerit et eum sumnis
non detenuerit et ad placitum venire distulerit, ['ille qui cum eum
negotiavit' Zus. ABC] mittat tres testes , quomodo ei nuntiasset,
negotiasset. Istud si fecerit, exuit [so ß, 'exivit' AC] se de
latrocinio et [Zus. 'ille qui non venerit' AB, 'Ille qui noverit' C]
['super quem testes iuraverunt' Zus. BC], ille est ['erit' ABC] latro
['illius, qui agnoscit, et precium reddat illi, qui cum eo negotiavit,
et ille secundum legem conponat illi, qui res suas agnoscit' Zus.
B'und ähnlich AC]. Ista omnia facere debet [Zus. 'in illum mallum'
A, vor 'debent fieri' BC] , ubi [Zus. 'ille' BC, 'ipse' A] hamallus
esse denoscitur ['est hamallus' BC], ['super quem res illa primitus
fuerit agnita aut intertiata' Zus. B, ähnlich C und ohne 'primitus'
A]. Quod si trans Ligere aut Carbonaria manet ['manent'
ABC] ille [so A 1; 'illi' A 2. 3; fehlt BC], qui cum [so AI; 'cum
quem' A 2. 3 ; 'cum quibus' BC] (eo negotiavit) [so Krammer ; 'res
agnoscitur' oder bloß 'agnoscitur' ABC], in noctes LXXX lex ista
custodiatur'.
An der fettgedruckten Stelle fehlen, wie man sieht, in A die
Wohnsitze der beiden Parteien „diesseits" Loire und Kohlenwald,
denen die „jenseits" beider Grenzen belegenen am Schlüsse des
Titels entsprechen, und mit den Wohnsitzen sind auch die beiden
Parteien selbst ausgefallen, aber der Plural 'placitum faciant' ist
stehen geblieben, der sich infolge der Lücke nun auf einem Singular,
den Besitzer des gestohlenen Gutes, bezieht und die Erinnerung an
das Ausgelassene für ewige Zeiten festhält. Jedes nur einiger-
maßen philologisch geschulte Auge erkennt sofort, daß der zer-
streute Schreiber A von einem 'apud quem agnoscitur' zum an-
deren übergesprungen ist, und also ein Homoeoteleuton die Lücke
verschuldet hat. Es ist die bare Unmöglichkeit, daß aus dieser
lückenhaften Quelle A die vollständigen anderen Hss. stammen
können, die sämtlich die Lücke ausfüllen, und insbesondere völlig
undenkbar, daß eine dieser Hss., nämlich A 3, die Vorlage der
B.-Hss. gewesen sein könnte, was uns Krammer glauben machen
will. Jeder Ansturm gegen die bisherige Forschung muß an dieser
Logik zerschellen, und schon dieser verzweifelte Fall hebt das
ganze Kraramersche System aus den Angeln.
Auch in Krammers Augen erscheint nichts einleuchtender als
1) Krammer S, 870, ändert stillschweigend die Lesart der A-Hss in 'homnes',
setzt also die I3-llberlieferung in seinen A-Text ein; vgl. N. A. XL, S. 560.
der nea entdeckte Urtext der Lex Salica. 693
diese Argumentation, besonders anch der Plural 'faciant' in A
„scheine" zu ihren Gunsten zu sprechen, — aber alles nur leerer
Schein, ein Trugschluß : die in A übersprungene Stelle ist vielmehr
Interpolation von B, und nun wird das Kunststück vollbracht,
sogar die „Überlegenheit" der A-Fassung über den nur „scheinbar"
besseren B-Text aus eben dieser Lücke zu deduzieren, wohl das
Stärkste, was methodischer Kritik jemals geboten worden ist.
Krammer greift eine beliebige andere Stelle B L = A LXXXV mit
'placitum fecerit' heraus, aus der sich ihm die „Tatsache" ergibt, daß
das 'placitum facere' in der Lex Salica nicht Sache mehrerer, son-
dern eines einzelnen nämlich des Schuldners, sei ; „fraglos" sei dieser
Titel nach dem Vorbilde des früheren B XL VIT geformt : „Demnach"
„muß" auch hier der Singular eingesetzt werden, und auf Grund
dieser Logik wird nun umgekehrt das fraglose Vorbild nach der
Copie korrigiert in 'placitum faciat' ; so schreibt in der Tat der
überarbeitete A-Text bei Hub^'), der also die Lesart des Arche-
typs erhalten haben würde. Könnten aber nicht vielleicht 'placita'
einmal einseitig, ein andermal zweiseitig gebraucht sein^), und ist
es nicht eine verkehrte Welt, für die ursprüngliche Lesart gerade
die des schlechtesten und spätesten Textes zu erklären? Krammer
verwirft die Lesart der gesamten älteren Überlieferung mit Ein-
schloß von A, der Quelle des Hube'schen Textes, als eine „jüngere
Entstellung" des echten Textes, und an dieser Entstellung, dem
Plural 'faciant", hat B, „wie so oft", angeknüpft und in der An-
nahme, daß eine Mehrzahl, daß beide Parteien zusammen den Ter-
min anzusetzen hätten, die hier „nicht unbedingt erforderte Phrase"
von dem Wohnsitz „innerhalb'' jener Grenzen nach dem Muster des
Schlußsatzes über die „außerhalb" jener Wohnenden eingeschoben!
Vorher aber hätte er im Anschluß an den Singular: 'super quem
agnoscitur, der zu 'faciant' nicht zu passen scheine, ein neues Verb
im Singular: 'debet agramire' eingeschoben, wie jeder sieht, ein
höchst altertümlicher Ausdruck, der sich ebenso im Tit. XXXVII,
1, findet und hier auch von Krammer als Bestandteil des Urtextes
anerkannt ist (unten S. 7Ö2). Mt philologischer Akribie unter
sorgfältiger Beobachtung des Stiles des Gesetzgebers hätte also der
Überarbeiter B die Stelle interpoliert, die von den Forscheni bisher
für die kostbarste des ganzen Gesetzes gehalten wurde, und aus
welchem Grunde interpoliert? Aus dem Streben nach größerer
Ausführlichkeit ! Auf eine solche Begründung wird man schwerlich
1) R. Hub^, La Loi Salique d'apres im manuscrit de la Bibliotheqne centrale
de Varsovie, Varsovie 1867.
2) Sohni, der Prozeß der Lex Salica. S. 17.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phfl.-hisL Klasse. 1916. Heft 5. 47
694 Bruno Krusch,
gefaßt gewesen sein, und sicher hat Krammer ganz klug daran getan,
diese Überlegenheit der A-Fassung nicht eher zu entschleiern, als
bis es unbedingt nötig war.
Infolge des gleichen Versehens, der Abirrung von einem Aus-
druck zum folgenden gleichlautenden, hat der Schreiber des gemein-
samen Archetyps der A-Klasse nicht weniger als fast 5 Kapitel
ausgelassen, die uns die B- und C-Klasse erhalten haben:
B XL, 6. A LXVII, 5. 'Si iam vero in maiore crimine fuerit
inculpatus, ['unde ingenuus — sol. XLV conponere possit — B XL, 10.
Si vero adhuc maior culpa fuerit similiter' fehlen A], unde ingenuus
XLV sol. conponere debuerit' ('possit' B).
Ein andermal findet sich der gleiche Wortschluß, der die Lücke
im Archetyp von A verschuldet hat, nur in einer einzigen Hs.
der Klasse B, der Wolfenbütteler (B 3), noch wieder :
B XLIII, 3. A LXX, 3. 'et tres adhunc (so B 3 ; 'a.' fehlt
B 1, 2, 4.) ['si fuerint de ipso contubernio, 30 sol. solvant, et tres
adhuc' fehlen A] si fuerint (so B 3; 'si f.' fehlen B 1, 2, 4.) de ipso (so
B 2, 3 ; 'eo' B 1, 4) contubernio sol. 15 solvant'.
An zwei Stellen bemerken wir dann sogar fast die gleiche
Lücke wie in A auch in der Wolfenbütteler Hs., deren Bezie-
hungen zu A schon oben (S. 685) erwähnt wurden:
B XVIII. A XXIII. 'De eum qui (so B 3; 'De cuique' sinn-
los A) ad regem hominem innocentem ('i.' fehlt B 3) absentem ['accu-
sat. Si quis ad regem, hominem innocentem absenfem' fehlen B 3. A]
accusat' ('accusaverit' B 3), und an der zweiten Stelle scheint auch
die inB3 wiederkehrende romanisierteForm 'rendere' für 'reddere'
darauf hinzuweisen, daß A den Irrtum aus seiner Vorlage über-
nommen hat:
B LII. A LXXXVII. 'Et si tunc eas noiuerit rendere, ['adhuc
super Septem noctes ei spatium dare debet et ad septem noctes ad
eum similiter contestetur, ut nocte proxima in hoc, quod lex Salica
habet, res suas teuere debeat. Si nee tunc voluerit reddere' fehlen A
und ebenso mit Ausnahme des ersten Wortes 'adhuc' auch B 3] ad
alias Septem noctis adhuc cum testibus venire debet'.
Man sollte meinen, daß aus diesen Beispielen auch ein Mensch,
der niemals in seinem Leben mit solchen Dingen zu tun gehabt
hat, erkennen müßte, daß B C nicht aus A 3 und überhaupt nicht
aus der Klasse A herstammen können, also die Krammer' sehe Ent-
deckung 'ad absurdum' geführt ist, und die auf dieser Entdeckung
basierende Ausgabe nur noch einen materiellen Wert für die Papier-
mühle besitzt. Die Beispiele führen aber nicht bloß mit jeder nur
wünschenswerten Deutlichkeit die Negation vor Augen, sondern
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 695
bringen auch die positive Beantwortung der Quellenfrage, und
schon Hilligers Scharfsinn a. a. 0. S. 180, hat in dem vorletzten
Schreiberirrtum ein Zeichen gesehen, „daß die Vorlage von A aus
derselben Überlieferung stammt, wie B 3^.
Zur Charakteristik des nachlässigen Schreibers des Archetypus
von A, der in seiner Zerstreutheit von einem gleichlautenden Aus-
druck zum nächsten gleichlautenden übersprang, auch den analogen
Fehler seiner Vorlage gewissenhaft wiederholte, darf ferner auf
die häufige Wiedergabe von Ausdiücken durch ähnlich klingende,
aber ganz unsinnige hingewiesen werden, fast als wenn die Worte
verhört oder verlesen und die Mißgeburten dann schnell glatt ge-
strichen worden wären. Während der angebliche Archetj'pus A an
diesen Stellen völlig versagt, findet sich die richtige Lesart wieder
regelmäßig in seinen angeblichen Ableitungen BC, was wiederum ziem-
lich deutlich auf abnorme Familienbeziehungen hinzuweisen scheint.
Einige Beispiele werden auch diesen krankhaften Zug von A
bestimmter zum Ausdruck bringen.
B XXXV, 5 'se noverit solviturum'] richtig BC; *si noluerit
servitutem ('se n. Servitute' A 2) falsch A LVIII.
B XLin, 1 'ubi quinque'] richtig B 2, 3, 4 ; '(h)ubicumque' (so
A 2, 3, 'ubi' A 1) B 1 mit A LXX.
B L. 2 'nexthe ganthichio'] richtig B 4; 'nexti cantigium' B3;
'nestigante' B2 ; 'instigante' am verdorbensten B 1 mit A LXXXV, 2.
B LVIII, 2. 'postea' ('postia' B 3)] richtig BC; 'portet' oder
'portit' falsch A XCVIIII.
B LVIII 'diger est'] richtig B 2, 4; 'id est' falsch B 1, 3; 'dederit'
sinnlos A XCVIIII, 3.
Im letzteren Falle handelt es sich um eine ganz seltene, nur
durch ein Placitum Theuderichs III. von 679 *) und die Formulae
Andegavenses bezeugte merowingische Phrase *diger est' in B 2. 4,
d. i. 'indigere est', es ist Mangel, die A durch eine nur äußerlich
ähnliche Form von fast entgegengesetzter Bedeutung 'dederit' er-
setzt hat, deren Sinnlosigkeit längst erkannt ist^). Solche äußer-
lich tadellosen Ausdrücke, die nur nicht in den Zusammenhang
passen, konnten eine lebhafte Phantasie wohl mehr anregen , als
gut war, und wir werden gleich sehen, in wie engem Zusammen-
hang sie mit der willkürlichen Textbehandlung stehen, die uns hier
beschäftigt.
Auch in dem Titel 'De filtortis' B XLVII = A LXXXI, zu
1) K Pertz, Dipl. S. 45.
2) Pardessus, Loi Salique S. 399 fg.: Dans IV. U est remplac^ par 'dederit'
qai n'a pas de sens.
47*
696 Bruno Krusch,
dem wir uns zurückwenden, bietet hinter 'vendiderint aut cambia-
verint auf die Lesart 'f uras se' von A eine ganz unmögliche Wort-
form, die aus der Satzkonstruktion so vollständig herausfällt, daß
nicht gerade viel Lateinkenntnisse dazu gehören, um den Unsinn
zu bemerken, und wie wenig das Verb auch sachlich als Bezeichnung
einer Erwerbsart zu den beiden in allen Hss. tadellos überlieferten
Verben paßt, hat sogar Krammer selbst schon erkannt. Statt
dieses formell und inhaltlich zu beanstandenden Ausdrucks steht nun
in B 'fortasse', ein „Füllwort", wie man geringschätzig gesagt hat,
doch dieses „Füllwort" stellt mit den in BC folgenden, in A aber
ausgelassenen "Worten *in solutionem dederunt' in völlig logischer
Gedankenfolge eine dritte Veräußerungsart, die Weitergabe des
Gegenstandes, eines Pferdes, zur Begleichung einer Schuld, also
als Zahlungsmittel, als möglich hin und paßt so vortrefflich in den
Zusammenhang, daß sich sogar Krammer's Brust das Geständnis
entringt, daß zunächst A, wie an anderen Stellen, neben B wie eine
minderwertige, entstellte Fassung wirke. Wiederum ist dies na-
türlich nur täuschender Schein, wiederum verhilft eine willkürliche
Annahme dazu, den „echten Kern" aus einer späteren ungeschickten
Überarbeitung herauszuschälen, und nach Tilgung der Spuren der
jüngeren Rezension entpuppt sich dann gerade die sinnlose Lesart
als das „Reststück" des verlorenen Urtextes. Der Ausgangspunkt
für diese „befriedigende" Erklärung ist die Annahme, daß es sich
bei dem Drittehandverfabren nur um die Ladung eines Vormannes
gehandelt habe, eine Annahme, die der Wortlaut der Quelle glatt
widerlegt, und nun „muß" natürlich alles aus dem Texte der Lex
Salica schleunigst verschwinden, was auf eine Mehrheit hinweist.
Krammer streicht also aus der völlig einwandfreien Überlieferung
aller Hss.-Klassen : 'quanti fuerint', wofür er den Singular 'cum*
einschiebt, er streicht: 'omnes', hernach gleich den ganzen Satz:
,hoc est — commoneant', und ändert den vorausgehenden Plural
,commoneantur' einfach in 'commoneat'. Den eigentlichen Stein
des Anstoßes, jenes 'furasse', hatte er „einstweilen" völlig unter
den Tisch fallen lassen, wo es natürlich nicht liegen bleiben kann,
und nun beginnt die zweite Etappe der Radikalkur. Das Wort
paßt seiner Form und seinem Inhalt nach gar nicht in den Satz;
es geht auch nicht an, nur die Wortform in 'furaverit' zu besseren,
wie die schlechte A-Überarboitung bei Hube schreibt, und sie den
vorhergehenden Verben 'vendiderint vel camiaverint' zu koordi-
nieren, die sich inzwischen ebenfalls den Singular haben gefallen
lassen müssen: die Veräußerungsart und die Erwerbsart lassen
sich nicht beide „verkoppeln" ; nur eine von beiden kann Ursprung-
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 697
lieh sein, und nun streicht Krammer die tadellos überlieferten
Worte 'vendiderint vel camiaverint auf als spätere Eindringlinge
und läßt gerade die Verderbniss 'furasse' im Texte stehen ! Da aber
'furasse' nun einmal Unsinn ist und bleibt, schiebt er dahinter
auch noch 'videtur' ein, das durch die „Unachtsamkeit" eines Ab-
schreibers ausgefallen sein soll, oder vielmehr 'videntar', denn, wie
er weiß, hatte der Uberarbeiter auch das fehlende, von Krammer erst
interpolierte Verb in den Plural gesetzt. Den nackten Infinitiv hat
also doch auch Krammer nicht als die ursprüngliche Lesart za ver-
teidigen versacht! Wie erklärt sich nun aber die hinter dem kor-
rekten 'fortasse' in BC stehende dritte Veräaßerungsart 4n solu-
tione dederunt', die nur das wenig zuverlässige A wegläßt, weil
sie zu seiner Textverstümmelong nicht paßte ? Sie ist ein späterer
Zusatz. Weßhalb? In einem anderen Titel B XXXVII. A LXI,
auf den noch zurückzukommen ist , sind nur zwei Erwerbsarten
genannt, und es ist nicht za bezweifeln, daß der eine Titel den
anderen beeinflußt hat, daß der spätere dem früheren „nachge-
bildet" ist. ,. Vielleicht" kommt neben Verkauf und Vertausch die
dritte Veräußerungsart auch vor, sie ist aber im Grunde eine „über-
flüssige Redensart", und bei seiner tiefen Abneigung gegen über-
flüssige Redensarten streicht sie eben Krammer als späteren Zu-
satz von B, so daß also A „durchaus" die ursprüngliche Fassung
bietet, an die B erst „angeknüpft" haben soll. Ein merkwürdiges
Ungeschick von B, gerade immer an angeblich verstümmelte Wort-
formen „anzuknüpfen" !
Der Gerichtstermin, auf den die drei Gruppen der Vormänner
geladen werden, ist mit 'in ipso placito' an die Spitze gestellt
und hernach bei dem Ausdruck der Ladung in BC mit 'inter pla-
citum istum' wiederholt, aber nicht in A, und nach Krammer ist die
Wiederholung „charakteristisch" für die „den ursprünglichen Text
erweiternde Art von B^ ; doch auch die Vormänner sind unmittelbar
vorher mit 'omnes' wiederholt und diesmal nicht bloß in ßC, son-
dern auch in A, und die Wiederholung könnte also leicht eine
Eigentümlichkeit des nicht gerade klassisch gebildeten Gesetzge-
bers sein, wenn sie nicht Krammer als überflüssigen Luxus in
seinem Urtexte gestrichen hätte. Wenn er noch die folgende Er-
läuterung der Ladung mit 'hoc est' u. s. w. gestrichen hat, obwohl
sie in allen drei Klassen steht, also auch schon A der häßlichen
Angewohnheit zeihen würde , den Text in dem Streben nach Aus-
Tührlichkeit erweitert zu haben, so hat er doch die Stelle zuvor
einseitig gegen B ausgebeutet als Beweis für die starke Verände-
rung der „ursprünglichen" und , allein richtigen" Fassung daselbst,
ß98 Bruno Krusch,
die er in A gefanden zu haben meint (S. 357) , worauf er seine
Dankbarkeit dadurch bezeugt, daß er sie aus seinem Urtext, wie ge-
sagt, herausstreicht (S. 376). Seine Ausführungen knüpfen an die
Lesart von B 1 : 'unusquisque qui cum negotiatoribus' an ; A bietet
mit besser passender Präposition 'u. de negotiantibus', doch muß er
leider in einer Note (S. 356) selbst zugestehen, daß auch die beste
Hs. B 4 noch ein 'de' vor 'cum' erhalten hat, und nach dieser Hs. ist
folglich : 'unusquisque de cumnegotiatoribus' zu lesen, wie zuerst
GefFcken richtig verband. Aus dieser Lesart würden sich beide
Varianten sowohl die von A als die der übrigen Hss. ausgezeichnet
erklären, und sie würde als kleiner Beitrag für die Vortrefflich-
keit von B 4 dienen können, wozu sie Krammer freilich gar nicht
gebrauchen kann, „Offenbar", schreibt er, „hat B 4 'de' erst aus
A eingeschaltet", das 'cum' ersetzen sollte, aber hernach 'cum' zu
streichen vergessen, und von 'connegotiator' weiß er, daß ein
solches Wort im damaligen Latein nicht existierte, womit ihm
jede Berechtigung abgeschnitten wäre. Vorsichtiger wäre es viel-
leicht gewesen zu schreiben , daß es im damaligen Latein bisher
nicht nachgewiesen sei, — und von wie vielen anderen Worten der
Lex Salica gilt dasselbe! — immerhin ist gleich darauf in der
Lex Salica die sachlich genau entsprechende etwas umständliche
relativische Umschreibung dafür zu finden: 'ille qui cum eum ne-
gotiavit', und es handelt sich folglich um eine ganz richtige Bil-
dung, die den lateinischen Lexicis einzufügen wäre^). In Kram-
mers Urtext ist natürlich auch jene relativische Umschreibung ge-
strichen, die er aber später in anderer Bedeutung selbst wieder
interpoliert hat.
Sicher richtig und auch in Krammers Urtext aufgenommen ist
gleich darauf die Lesart von B: 'exuit se', wofür AC 'exivit' oder
'exibit se* lesen, was auch Krammer wegen des anschließenden 'se'
als in der Tat „nicht brauchbar" bezeichnet: aber auch die offenbar
guten Lesarten können den schlechten Ruf von B nicht verbessern;
sein Redaktor „muß" 'exuit' in richtiger Erkenntnis der Unmög-
lichkeit von 'exivit' „wieder" eingesetzt, also ursprünglich die
falsche Lesart ebenfalls vorgefunden haben ! Alles das erzählt uns
Krammer ohne einen Augenblick in Verlegenheit zu geraten. Miß-
1) Die Präposition hat B 4 auch in 'cumponere' XL, 1, und 'cumvenerit' LIII, 6»
nicht verändert. Die Bildung 'connegotiator' ist nicht verwunderlicher als 'con-
cambium', 'concambiare' in den fränkischen Rechtsquellen. Wie wonig das Latei-
nische zu solchen Bildungen neigte, zeigt: awstidrifios 2. Cor. 8,19, niipgasinpa
bei Ulfilas, 'comes peregrinationis nostrae' hei Hieronymus, während 'compere-
grinus' erst bei Sidonius VII, 17, erscheint.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 699
fallen erregt dann die mit 'exuit' korrespondierende Futurform
'erit', die schleunigst gegen das Zeugnis aller flss. in 'est' geän-
dert wird, während umgekehrt 'erit' mit aller nur wünschenswerten
Deutlichkeit darauf hinweist, daß 'exuit' als Futurform, als die mero-
vingische Schreibung für 'exuet' ^) zu fassen ist. Krammer jedoch
erklärt, die Fortsetzung „kann nur" 'et ille est' lauten, und um diesen
Zusammenhang zu erhalten, hat er zwischen 'et' und 'ille' den
wieder von allen Hss. bezeugten nicht erschienenen Vormann ge-
strichen: 'ille qui non venerit', da kein Bedürfnis für die Um-
schreibung bestanden habe, und sie also für ein jüngerer Zusatz
zu halten sei. Natürlich, denn sie würde indirekt wieder für eine
Mehrheit von Vormännern zeugen und muß mit allen anderen sol-
chen Zeugnissen fallen; man beachte aber, wie geschickt der
Krammersche Interpolator diesen mit 'ille' beginnenden Satz vor
dem anderen 'ille' eingeschaltet haben würde, fast als hätte er
einen philologischen Seminarkursus durchgemacht; wäre aber der
Satz nicht interpoliert, würde man in dem doppelten 'ille' für die-
selbe Person wieder eine jener Wiederholungen des Gesetzgebers
erblicken können, die ihm Krammer nicht gestatten will. Über-
haupt erweist sich der Mann den Krammerschen Anforderungen
in Bezug auf Präzision des Ausdrucks in keiner Weise gewachsen
und gebraucht fortwährend Wendungen , für die gar kein „Be-
dürfnis" bestanden hat, die nur der „größeren Deutlichkeit" dienen,
die also Krammer als spätere Interpolationen wegzustreichen befugt
ist. Hinter dem nicht erschienenen Vormann streicht Krammer
die gegen ihn auftretenden Zeugen 'super quem testes iuraverunt'
als späteren „Einschub"' von B, dann 'illius qui agnoscit' als „et-
was gezwungenes Anhängsel" des nach größerer Ausführlichkeit
strebenden Überarbeiters, der in seinem falschen Streben auch noch :
'et precium — agnoscit' und 'in illum mallum', dann den ganzen Satz
'super quem — intertiata' einschaltete. Dieser in allen Rezen-
sionen erhaltene Satz paßt nicht zu der vorhergehenden Änderung
von A 'facere debet' für 'debent fieri' (so BC), denn er verrät
deutlich, daß sein Verfasser nicht den Besitzer als Subjekt zu
'debet' angesehen haben kann , und mußte daher wegfallen. Be-
sorgt aber wird man fragen, wie viel vom Texte noch übrig bleibt ?
Mit spielender Leichtigkeit weiß die Kramersche Kritik die
sich vor dem total verkehrten System auftürmenden Schwierig-
keiten zu bewältigen, und es kommt ihm auch nicht darauf an,
an die Stelle der Überlieferung einen ganz anderen Gedanken, das
1) Vgl. SS. rer. Merov. I, S. 923, Bonnet, 'Latin' S. 107.
700 Bruno Krusch,
Erzeugnis der eigenen Phantasie zu interpolieren, wie das Schicksal
des Schlußsatzes des berühmten Titels B XL VII beweist, der auf
Grund der folgenden Erwägungen ein völlig verändertes Aussehen
erhält. Entsprechend dem am Anfang des Titels gesetzten Fall
des Wohnsitzes von Vindicant und Besitzer des gestohlenen Gutes
diesseits Loire und Kohlenwald, der allerdings in A und in Kram-
mers Urtext fehlt, wendet sich der Gesetzgeber am Schluß zu
dem entgegensetzten des Wohnsitzes jenseits beider Grenzen, und
hier ist in BC in der bestimmtesten Weise der Besitzer bezeichnet :
'manent, cum quibus res iUa agnoscitur', allerdings im Plural, viel-
leicht weil man dabei auch an den Vindicanten gedacht hat, der
am Anfang mit ihm zusammen genannt war. Dagegen bietet
Krammers maßgebende Hs. A 1 eine heillos verdorbene Lesart:
'manent ille, qui cum res agnoscitur', und er selbst bezeichnet sie
als „wunderliche Form", „zunächst völlig unbrauchbar*, worauf er
sich sofort anschickt , ihre Brauchbarkeit zu erweisen. Dazu ist
es nötig, zunächst alle besseren Lesarten beiseite zu schieben. Die
Fassung A 2. 3 : 'manent illi , c u m quem res agnuscitur', die eben-
falls den Besitzer noch erkennen läßt, erscheint im Ausdruck et-
was „befremdend", nicht sowohl wegen der Pluralform 'manent',
— die Vertauschungen von Singular und Plural sind, wie Krammer
weiß, häufig und stören ihn nicht, — sondern wegen des Gebrauches
von 'cum' in der Bedeutung von 'apud', „bei" (S. 368), die schon
vorher (S. 354, N.) für die Lex Salica energisch abgelehnt war:
'cum' meint er, habe in der Lex „stets" die Bedeutung „mit". Nun
an dieser Stelle sicher nicht , denn erstens setzt die Emendata
direkt 'apud' in die A-Fassung dafür ein, woraus Krammers Scharf-
sinn umgekehrt die Unstattbaftigkeit des 'cum' zu deduzieren ver-
sucht ^}, und zweitens läßt die tadellose Überlieferung von B über
diese Bedeutung keinen Zweifel, die zugleich für die Pluralform
des Verbs das dazu passende Relativum liefert. Auf Krammer
macht aber gerade wegen jenes 'cum' die Fassung von A 2. 3
keineswegs den Eindruck der Echtheit, sondern stellt „wohl" nur
einen ungenügenden Besserungsversuch der „Vorlage" A 1 vor;
für „vollends verdorben" erklärt er die Form von B, das umge-
kehrt nur wegen des verbalen Plurals das 'quem' der A-Vorlage
in 'quibus' verwandelte, und dieser verkehrtesten Form sind alle
Forscher bisher gefolgt! Krammer tut das natürlich nicht, son-
1) Die Redaktoren von D (Herold) und E (Emendata) schreiben 'apud'
für 'cum', weil sie den „Übelstand in der Formulierung" bemerkten, daß uümlicli
•cum' in der Lex Salica nicht mit „bei" übersetzt werden darf! So Krammer
S. 868.
der neu entdeckte Urtext der Lex SaUca. 701
dem folgt der, wie er selbst sagt, ^wunderlichen" and zunächst
unbrauchbaren Form von A 1, natürlich nicht aus bloßer Schwär-
merei für wunderliche und unbrauchbare Formen, sondern weil er
gerade aus der starken Verdorbenheit das Recht auf vollkommenste
Willkürlichkeit für sich herleitet. Und nun kommt die Haupt-
sache. „Freilich", fährt er fort (S. 369), ^muß, wenn wir somit
doch A 1 zugrundelegen, angenommen werden, daß im alten Text
hinter 'qui cum' etwas anderes gestanden hat, als 'res agnos-
citur', das ja dazu gar nicht paßt". Er „verbessert" also einfach
den Ausdruck und schreibt dafür etwas ganz anderes : 'qui com eo
negotiavit', das in seinem Urtext (S. 376) zu finden ist, gegen alle
Hss. nach eigenem Gutdünken ; er will damit den Besitzer durch den
Vormann ersetzen, schreibt auch gleich die Übersetzung vor: „der-
jenige, der mit dem Besitzer gehandelt hat". Leider muß er selbst
bekennen, daß derselbe Ausdruck „stets" in anderem Sinne sonst
gebraucht wird: er begegnet nämlich in dem Titel mehrfach und
war von Krammer als Interpolation des Überarbeiters bisher stets
herausgestrichen worden ; er bedeutet vielmehr den Hintermann,
der mit dem Vormanne gehandelt hatte Nun interpoliert er
ihn selbst an einer Stelle, wo die Hss. etwas ganz anderes haben,
und noch dazu in ganz anderem Sinne! Und zu dieser zweiten
ganz willkürlichen Annahme fügt er dann in demselben Atemzuge
noch eine dritte: eben die andere Bedeutung des Ausdrucks soll
der Grund für den Bearbeiter gewesen sein , ihn dort wieder
herauszuwerfen, wo ihn Krammer interpoliert hatte. Dafür er-
hält der schlechte Mensch dann seinen wohlverdienten Denkzettel :
er habe den klaren Sinn des Titels durch seine Korrektur des
„ursprünglichen" Textes zerstört, den Krammers Scharfsinn trotz
der Zerstörung wieder gefunden hat, und nun behauptet er schon,
der Überarbeiter habe die Wendung umgekehrt aus dem Schlüsse
seines Urtextes interpoliert, „wo wir ihre Heimstätte ansetzen
dürfen". ]\Kt stolzem Selbstbewußtsein kann er der „wenig be-
friedigenden und einwandfreien" Form der Überlieferung seine
eigene Rekonctruktion gegenüberstellen, die allein „einen klaren
und einleuchtenden Sinn" gibt.
Auf Grund seiner aus der Lex Ribuaria befestigten Erkenntnis
von der ursprünglichen Bedeutung der 'tertia manus' geht dann
Krammer von B XLVII im angeblichen Anteile Childeberts I. an
der Lex zur Behandlung des damit in sachlichem Zusammenhang
stehenden Titels 'De vestigio minando' B XXXVII = A LXl über,
der zu den letzten Stücken von Chlodovechs Anteil gehören soll,
und staunend hören wir, daß dieser Anteil jetzt nur noch bis Tit.
702 Bruno Krusch,
67 ^) von A reictit, nicht mehr bis Tit. 77, womit die Zahl des Epiloges
und damit der letzte Halt des neuen Systems preisgegeben ist.
Es soll nun zunächst wieder der Urtext folgen, wie er ihn rekon-
struiert hat (S. 41 1), und in Klammern füge ich dann auch wieder
die Abweichungen der handschriftlichen Überlieferung bei, aus
denen man ersehen wird, daß der grausame Censurstift hier fast
noch schlimmer gewütet hat als vorher.
1. 'Si quis bovem aut caballum vel quemlibet pecus ['qualibet
animal' BC] in furtum perdiderit et eum, dum ['per' Zus. ßC] ve-
stigio sequitur, consecutus fuerit ['usque in ('ad' A) tres noctes'
Zus. ABC], si ille qui eum ducit ['aut emisset aut cambiasset di-
xerit vel' Zus. ABC] reclamaverit ['proclamaverit' ABC], ille qui
per vestigio sequitur res suas per tertia manu adchramire debet.
2. ['Si vero ('iam' Zus. BC) tres noctes exactas , qui res suas
queret, eas invenerit, ille, apud quem invenerit, eas emisset aut
cambiasset dixerit, ei liceat adchramire' Zus. ABC].
3. Quod si ille ['Si ille vero' BC], qui per vestigio sequitur,
res suas [so A, 'res suas' fehlen BC] ['quas ('quod se' B 2. 4. C)
agnoscere dicit' Zus. ABC], illo ^) alio reclamante, ['nee offerre per
tertia manu voluerit nee ('vel' falsch A) solem secundum legem
('s. 1.' fehlen A 1) culcaverit' Zus. ABC] ['et ei' Zus. BC; 'se' Zus.
A] violenter ['hoc quod se agnoscere dicit' Zus. AB 1. 2. 3] tollisse
convincitur, sol. XXX culpabilis indicetur'.
Hinter dem gestohlenen Ochsen und Pferd wird als dritter Gegen-
stand in A 'vel quemlibet pecus', in B aber 'vel qualibet animal'
genannt ; mit A stimmt genau ein früherer Titel B IX, 1, auch hat
'animal' in der Lex nicht die Bedeutung von „Tier", sondern von
„Rind": also haben wir es, schließt Krammer, in B mit einer „spä-
teren Änderung" zu tun, und der allein mit der „Vorlage" überein-
stimmende A-Text hat hier wie „überall" die ursprünglichste Fassung
erhalten. Wie überall? Sollte das nicht vielleicht etwas zu viel
behauptet sein? Falsch übersetzt Krammer das 'animal' von B mit
„Tier", es bedeutet „Vieh" und hat diese allgemeinere Bedeutung
auch an anderen Stellen der Lex ^), die also das Wort nicht nur für
„Rind" gebraucht. 'Animal und 'pecus' sind vielmehr Synonyma, wie
1) Die Zahl ist bei Krammer (S.395) in Worten ausgedrückt, und an einen
Druckfehler ist auch deßhalb nicht zu denken, weil bei seiner bisherigen Rech-
nung bis Tit. 77 der Tit. 61 eben nicht eins der letzten Stücke wäre.
2) Die A-Hss. lesen 'ille', was Krammer als „reinen Schreibefehler" (S. 407 N.)
einfach verbessert.
3) Man vergleiche B XVI, 4: 'Si quis sutem cum porcis aut scuria cum
animalibus' mit B IX, 4: 'Si quislibet porci aut qualibet pecora'.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 703
anch ein Grlossar *) : 'animalia : pecora. inmenta' erklärt, aber spä-
teren Abschreibern war natürlich 'pecus' als „Vieh" geläufiger als
andere Ausdrücke, und auch B 2 hat im Tit. XL VII, 1, hinter dem
Pferde und Ochsen 'vel quolibet pecus' interpoliert für 'aut qua-
libet rem', eine Interpolation, die auch Krammer verworfen hat.
Mit der angeblichen „Vorlage- BIX, 1, ist die Übereinstimmung
übrigens keineswegs eine so „genaue" und „wörtliche", wie Krammer
behauptet, denn dort ist an erster Stelle statt des „Ochsen* ("bo-
vem') ein 'animal' neben dem Pferde geoannt, also ein Rind, und
es ist klar, daß nun in der dritten Gruppe nicht wohl wieder
dasselbe Wort in weiterer Bedeutung verwendbar war, sondern nur
eben das Synonjin 'pecus'. Die Differenz in den Lesarten läßt
sich also vielleicht auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt
betrachten, als es von Krammer geschehen ist , und Jedermann
wird mir zugeben , daß die Schlüsse , die er daraus gezogen hat,
das gebührende Maß weit überschreiten.
Nach diesem Vorspiel streicht Krammer die Dreinächtefrist
bei der Auffindung der gestohlenen Sache durch Spurfolge : 'usque
in (,ad' A) tres noctes', deren Innehaltung dem Spurfolger ein be-
sonderes Recht einräumte, und läßt im direkten Gegensatz zu dem
Gesetzgeber keine Ausnahmebestimmung gelten: er selbst gibt
dem Paragraphen kraft eigener Machtvollkommenheit generelle
"Wirkung. Nachdem diese „sich ohnehin nicht leicht in den Satz
fügenden Worte" gestrichen, muß natürlich auch der ganze zweite
Paragraph mit der Gegenbestimmung einer Überschreitung der Drei-
Nächtefrist als späterer Zusatz gestrichen werden, „dessen Diktion
von der sonstigen" des Titels abweicht. Man sieht hieraus, von
wie einschneidender Wirkung für die fränkischen Rechtsverhält-
nisse seine Textkritik ist; er tritt einfach als selbständiger Gesetz-
geber neben Chlodovech auf und krempelt den fränkischen Prozeß
vollständig um. Wird sich wirklich die deutsche Rechtswissenschaft
eine solche Willkür noch lange gefallen lassen?
Dabei entdeckt er (S. 403) außerdem noch ganz überraschende
Beziehungen der Lex Salica zu ihrer Tochter , der Lex Ribuaria,
die, wie jedem bekannt ist, aus ihr geschöpft hat. Der spätere
Überarbeiter soll die gestrichenen Worte unter dem Einflüsse der
Lex Ribuaria hinzugefügt haben, welche die Frist tit. 47 'usque
tercio die' nach Tagen angibt und nicht nach Nächten; er müßte
sie also in die altertümliche Mondrechnung nach Nächten '') umge-
setzt haben, und vom Inhalt des gestrichenen zweiten Paragraphen
1) Thesaurus Linguae Latinae Vol. II, col. 80.
2) J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer S. 868.
704 Bruno Kr u seh,
ist überhaupt keine Spur in der Ribuaria zu finden. Mit dieser
neuen Entdeckung tritt die Ableitung aus der Lex Salica zu ihr
gleichzeitig in das Verhältnis der Quelle , und nicht nur A, son-
dern auch B soll der ßibuaria „weitgehenden bestimmenden Ein-
fluß" auf die Textgestaltung eingeräumt haben. Schon bei der
Behandlung des vorigen Titels B XLVII hatte Krammer eine ganz
erstaunliche Entdeckung in der Ribuaria gemacht (S. 386) : sie hat
noch den alten verlorenen Urtext aus der frühen Merovingerzeit
benutzt, eben jenen, mit dessen Rekonstruktion Krammer zur Zeit
beschäftigt ist, und ihre Vorlage ähnelte A, das ihm ja am nächsten
stehen soll. Das steht wiederum im Widerspruch zu der ganzen
bisherigen Forschung, denn die Ribuaria hat vielmehr eine B-Hs.
benutzt ^), deren Verwandtschaft mit den erhaltenen Hss. sich noch
bestimmen läßt, und vor Kurzem wollte Krammer selbst^) noch
den Zusammenhang mit der B-Form später darlegen.
Ist nun auch infolge der neuentdeckten Beziehungen der In-
halt des Titels bereits so stark geschwunden, daß § 3 unmittelbar
an § 1 anschließt, so sind doch die „späteren Zutaten fremden
Greistes" „noch lange nicht" erschöpft. Aus § 1 streift Krammer
vor allem noch schnell die beiden Erwerbsarten: 'aut emisset aut
cambiasset dixerit vel', die auch in § 2 wiederkehren und auch
dort durch die Streichung des ganzen Paragraphen glücklich be-
seitigt wurden; als Veräußerungsarten in B XLVII waren sie
„wohl sicher" unserm Titel „nachgebildet" und teilten billigerweise
das Schicksal ihres Vorbildes. Das stehen gebliebene 'proclama-
verit' verwandelt sich in 'reclamaverit', unstreitig „eine viel bessere
Wendung", als das was der „Überarbeiter" dafür eingesetzt hatte.
Aus § 3 scheidet die Wiedererkennung der gestohlenen Sache aus,
die in A an 'res suas' angeschlossen, in BC neutral gefaßt ist;
sie wurde zwar in B XLVII im Texte geduldet, aber hier liegt
„nicht so der Ton" auf dem 'agnoscere' ; sie ist also nachträglich
in unseren Titel unter Einfluß des Titels B XLVII eingeschoben,
der eben noch selbst als Nachbildung unseres Titels figurierte. Diese
Zirkelbewegung gehört zu den Eigentümlichkeiten des neuen Sy-
stems ! Selbstverständlich muß nun auch die entsprechende Formel
am Schlüsse: 'hoc quod se agnoscere dicit', „ohne weiteres" als
späterer Zusatz „zweifellos" desselben Überarbeiters ausscheiden.
Kurz vorher hat Krammer die Weigerung des Spurfolgers , das
Drittehandverfahren und die Solsadierung verzunebmen, als das
„geistige Eigentum" des Überarbeiters gestrichen, und er erkannte
1) N. A. XL, S. 541, N. 1.
2) N. A. XXXIX, S. 672.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 705
den späteren Zusatz an den nenen Worten und Wendungen, an
der Voraussetzung des § 2 , der nicht ursprünglich ist , an der
völlig überflüssigen Wiederholung der Schlußbestimmung des § 1
in negativer Wendung; der Hauptgrund war aber, daß die Stelle
der von Krammer „wieder belebten" Sequestertheorie den Todes-
stoß versetzt, und seine Verlegenheit läßt eine Äußerung auf S. 410,
N., erkennen, es sei schwer zu sagen, was sieh der Verf. unter
dem Geloben 'per tertia manu' vorgestellt haben möge : er rät auf
einen Schwur selbdritt, so daß also 'tertia manus' hier nicht den
Unparteiischen, den Sequester, sondern den Spurfolger selbst
bezeichnen würde. Selbstverständlich können nicht beide Erklä-
rungen der 'tertia manus' nebeneinander bestehen, sondern we-
nigstens eine von ihnen müßte wohl falsch sein, wenn es nicht
beide sind. Einen offenbaren Fehler bietet dann die Lesart von
A 'vel solem' in der gestrichenen Stelle, was nach Krammers Ver-
mutung „wohl" aus 'nee solem' verschrieben ist, und er hat auch
gleich *nec' stillschweigend ohne jede Note in seinen Abdruck des
A-Textes eingesetzt: nun genau so liest das verachtete B, doch
helfen kann ihm dies nichts ; es hat, belehrt man uns, „auch wieder"
die richtige Lesart eingesetzt, hatte also ursprünglich ebenfalls
das falsche 'vel'. Läßt sich die Befangenheit in der Kritik noch
weiter treiben?
Grewissermaßen als Zugabe beschert uns Krammer in einem
dritten Kapitel einen wunderlichen Rechtsfall durch seine Ausle-
gung des Titels B LXI = A XCIV, dessen Urtext (S. 420) sich
diesmal nur dadurch von der A-Fassung unterscheidet, daß — ge-
rade die Hauptsache darin weggestrichen ist:
1. *Si quis ad ira pde manu ad ira'A, 'alteri de manu' BC]
[Zus. 'desuper illam' B 1. 2, 'desuper illum' richtiger C, 'super illo'
B 3, 'desuper alterum' B 4] aliquid per virtutem tollerit aut ra-
puerit vel expoliaverit ['vel e'. fehlt BCj ['rem in caput reddat et
insuper' und ähnlich Zus. BC] ['1200 dinarios qui faciunt' Zus. B 1.
4. C] sol. XXX culpabilis iudicetur.
2. Si vero quicumque desuper hominem aliquid ['a.' fehlt BC]
in tertia manu miserit et si per ['et super' AI; 'et per' A 2. 3 ; 'et
ei per' u. ähnlich BC, doch 'sed si haec manum' B 4] virtutem ali-
quis ei [a. ei' fehlen BC] tallerit, ['1200 denarios qui faciunt' Zus.
B 1. 4] sol. XXX [so BC; 'XXXV A] culpabüis iudicetur'.
Der erste Paragraph handelt vom Handraub, und Krammers
neuer Rechtsfall, der Raub „im Zorn", gründet sich auf die Lesart
von A 'de manu a d ira', für die er zur Erklärung das Gefäß m i t
Bienen 'vasum ad apis' (A IX, 2) heranzieht, aber diese Analogie
706 Bruno Krusch,
ergibt offensichtlich keinen Raub im Zorn, sondern einen Raub
„aus einer Hand mit Zorn", wo die Hand den Zorn ebenso, wie
das Gefäß die Bienen umfassen würde. Auf den Räuber bezieht
sich der Begriff der Gewaltsamkeit : 'per virtutem', und die Kor-
rekturen der jungen Überarbeitung des A-Textes 'per iram' oder
'per iracundiam' für 'ad ira' sind natürlich wertlos. Trotzdem
faßt Krammer den Ausdruck in diesem Sinn und erhält so einen
gewaltsamen Raub ,.im Affekt", der eben deshalb geringer bestraft
sein soll, als ein Rauben und Plündern „mit vorbedachtem Muth".
Woher kam nun der Zorn des Räubers? Hier zieht Krammer
wieder nach seiner bewährten Methode einen beliebigen anderen Titel
heran! B XXXVII, 3 handelte, wie wir sahen, von dem gewalt-
samen Zugreifen eines Bestohlenen; hiermit verkoppelt er unsere
Bestimmung, und der Zorn ist nun der des Bestohlenen über den
Dieb seines Gutes, der ihn zum gewaltsamen Zugreifen veranlaßt.
So hat Krammers Zauberstab im Handumdrehen den Räuber zu-
gleich zum Bestohlenen gemacht!
Diesen köstlichen Raub liefert nun, wie gesagt, nur die von
Krammer „verhätschelte" Rezension A, und stolz erklärt er, daß
in allen anderen Hss. die kritischen Worte fehlen. Dem Über-
schuß von A steht aber auf der anderen Seite ein Minus gegenüber,
denn bei einem Raube 'de manu' fragt man unbedingt nach der
Person des Beraubten, und ohne den Besitzer hängt die Hand in
der Luft, die nun auf Grund folgender Erwägungen restlos weg-
geblasen wird. Einen Überschuß hat A auch in der Beschreibung
des Raubaktes in dem hinter 'tulerit aut rapuerit' noch hinzugefügten
dritten Verb 'vel expoliaverit' , das in BC hier fehlt, indessen
das hier fehlende 'expoliaverit' steht bei beiden in anderem Zu-
sammenhang im folgenden §, und A hat seiner Gewohnheit gemäß
zwei Paragraphen in einen sinnlos zusammengezogen. Denn zu
'de manu' in § 1 paßt 'expoliaverit' in keiner AVeise, und ich stimme
Krammer durchaus bei, daß diese Fassung „natürlich unmöglich"
ist. Einer von den beiden Ausdrücken muß also weichen, und
wiederum erklärt sich Krammer, wie so oft, nicht für die Über-
lieferung sämtlicher Hss., sondern für die Interpolation von A in
einer Sprache, die keine Widerrede duldet: „Wir werden nicht
das 'expoliare', sondern die Worte 'de manu' als einen späteren
Zusatz des Überarbeiters der Lex ausscheiden". In seinem Urtext
ist also 'de manu', der Hauptbegriff dieses Titels, der die geringere
Buße begründet, als „eine Art Glosse" gestrichen, und dieser Zen-
surstrich befreit uns zugleich von der kitzelichen Frage nach dem
Besitzer der Hand; dafür rückt nun 'ad ira', „auf dem hier der
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 707
Ton liegt", an den ihm gebührenden Platz an der Spitze des Titels.
Eigentlich gebührte dieser Platz wohl dem Beraubten , der aus
Krammers Urtext vollständig verschwunden ist, nach seiner Er-
klärung aber mit dem Diebe identisch sein würde, dem der Be-
stohlene im Zorn sein eigenes Gut raubt, — in dieser Juristerei
ist eben alles verkehrt, — und wie wenig dieser Platz frei bleiben
kann, beweist Krammers eigene deutsche Übersetzung: „Wenn
jemand (einem anderen) im Zorn etwas fortnimmt". Er schiebt
also schüchtern in Klammern „einem anderen" ein: nun dieses 'al-
te ri' steht wirklich vor 'de manu' in allen anderen Hss. BC und
selbst in der Emendata ; es vertritt vor 'de manu' in BC die Stelle,
die 'ad ira' in A dahinter hat. Eine gewisse paläographische
Ähnlichkeit zwischen den beiden korrespondierenden Ausdrücken
fällt sofort in die Augen : in beiden kehren wieder der Anfangs-
buchstabe a, der lange Schenkel von d, e und i geben in der
merovingischen Sprache durcheinander, und r stimmt wieder völlig.
Ein schwarzer Verdacht drängt sich da auf: sollte etwa der
nicht sehr glückliche Überarbeiter A das kostbare 'ad ira' aus 'al-
teri' zurechtgemodelt haben? Die Frage läßt sich kaum unter-
drücken, und ich hoflPe, daß auch mancher der Leser mit mir den
Handraub „im Affekt" als eine der vielen Dummheiten von A vom
Sündenregister der Menschheit wieder absetzen wird. In Kram-
mers Urtext hatte sich der Handraub nach der Tügung von 'de
manu' in einen Raub im Affekt verwandelt, und er rühmt sich
seiner Tat, jene «vermeintliche" Institution des fränkischen Rechts
glücklich beseitigt, sie als auf einem Mißverständnis der Vorlage
beruhend erkannt zu haben. Und was für eine Rolle hat dieser
Handraub ohne Affekt als eine minder strafwürdige Art des Raubes
im fränkischen Recht bisher gespielt ! Sollte dieses Opfer der
Krammerschen Kritik niemals wieder zu neuem Leben erwachen?
Die in sich klare Eorm des Paragraphen in B hat auch Krammer
anerkannt, doch dann wieder gegen 'de manu' eingewandt, daß
„unzweifelhaft" eine andere klarere und ausführlichere Form vom
Gesetzgeber gewählt wäre, wenn er diesen Gedanken hätte zum
Ausdruck bringen wollen. Also einmal klar und dann wieder nicht
recht klar ! Unzweifelhaft war dem unklaren B der über ein Jahr-
tausend verborgene Urtext der Lex Salica noch nicht entschleiert,
dessen Klarheit ihn hätte sofort erleuchten müssen.
Auch der folgende Reehtsfall des zweiten Paragraphen hat in
Krammers Urtext ein ganz anderes Gesicht erhalten, wie bisher,
indem nicht mehr, wie in BC, der bestohlene Agnoscent gewalt-
sam zugreift, sondern auf Grund der Fassung von A eine beliebige
708 Bruno Krusch,
Person ('aliquis' A 3 , 'aliquid' A 1, 2). Unter dieser Person ver-
steht Krammer den bisherigen Besitzer, der dem Sequester das fort-
geführte Stück „im Unwillen über die ihm widerfahrene Schmach"
wieder entreißt. Der Agnoscent, meint er, käme jedenfalls am
wenigsten in Betracht, und daher sei die Fassung von BC keines-
wegs zu „loben". Wegen der halben Buße setzt er auch in diesem
Falle eine Affekthandlung voraus, und was läßt sich nicht alles voraus-
setzen! Als Buße nennt A 35 SoL, B aber 30, wie im ersten Para-
graphen alle Hss., auch A, 30 gerechnet hatten : hier hat Krammer
die handschriftliche Überlieferung von A stillschweigend korrigiert
und in seinem Textabdruck finden wir also 30 Sol. und nicht 35.
Das ist nicht etwa ein Schreibfehler von ihm, sondern er glaubt
wirklich, daß B die richtige Zahl erhalten hat, und einige Seiten
vorher (S. 418) hatte er sich in einer bescheidenen Anmerkung
über den ärgerlichen Zwischenfall folgendermaßen geäußert: „So
wenig ich sonst geneigt bin, diesen (d. i. B und den anderen Texten)
zu folgen, glaube ich doch, daß B hier den Text seiner A- Vorlage
richtig verbessert hat'. Richtig verbessert? Also hatte es ur-
sprünglich ebenfalls die fehlerhafte Zahl 35 gerade wie A ?
Der neue A-Text als Quelle der verlorenen Urform, wie Krammer
ihn hier vorlegt, scheint mir in mancher Beziehung von den früher
aufgestellten Grundsätzen bedenklich abzuweichen. Die beliebige
Person, die im 2. Paragraphen als Räuber auftritt, ist darin auf
Grund der Hs. A 3 mit 'aliquis' und nicht nach A 1. 2 mit 'aliquid'
bezeichnet, was ja Unsinn wäre und er selbst inzwischen als sol-
chen erkannt zu haben scheint ^) ; kurz vorher liest sein Urtext 'in
tertia manu' und 'per virtutem' mit A 2. 3, während in A 1 wie-
derum widersinnig 'de tertia manu' und 'super virtutem' steht ;
endlich ist auch im 1. Paragraphen 'aliquid per virtutem' mit A
2. 3 und nicht 'per v. a.' mit A 1 geschrieben. Krammer hat also
seinen neuesten A-Text durchaus auf der Grundlage von A 2. 3
und besonders der Hs. A 3 konstituiert und das ganz fehlerhafte
A 1 als unbrauchbar ausgeschaltet. Und gerade diese Hs. A 1
hatte er in seinem vorigen Aufsatz als die Grandlage seiner Aus-
gabe zu erweisen gesucht : sie stamme , schrieb er '^) , von einer
„besseren" Form her, A 2. 3 aber „von einer weniger guten". Er
hat nun selbst durch die Tat zugegeben , daß sein früheres Text-
prinzip praktisch undurchführbar ist, daß er sich in der Bewertung
der drei A-Hss. vollständig geirrt, die schlechteste für die beste
1) S. 421, N. 1, spricht er von der „falschen" Form 'aliquid' und von der
richtigen 'aliquis'.
2) N. A. XXXIX, S. 612.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 709
und die beste für die schlechteste Hs. gehalten hat; eine auf
seinem falschen Textprinzip begründete Ausgabe mit den ganzen
Fehlern von A 1 würde also selbst für die Benutzung des A-Textes
völlig unbrauchbar sein und so tief unter der Hessels'schen Aus-
gabe stehen , daß sie in den Monumenta Germaniae nimmermehr
erscheinen darf.
Dieselbe Beobachtung drängt sich bei der Nachprüfung des
in der nebenstehenden Kolumne (S. 420) abgedruckten B-Textes
auf. Beim Handraub an einem anderen ('alteri') wiederholt der
Gesetzgeber nach seiner bekannten Gewohnheit später noch einmal
die Person des Beraubten: 'desnper alterum' B 4, 'desuper illam'
C, 'super illo* B 3, wo 'desuper' für „bei^ steht; doch Krammers
handschriftliche Grundlage B 1. 2 verbindet widersinnig das Pro-
nomen mit dem folgenden 'rem' und schreibt also 'desuper, illam
rem', wodurch die Präposition ihres Akkusativs beraubt und zum
Wrack gemacht wird. In Krammers neuestem Textabdruck ist nun
dieser offenbare Fehler stillschweigend verbessert und somit dies-
mal auch seine Haupths. B 1 preisgegeben . die keine bessere
handschriftliche Grundlage bildet als A 1. Die Wiederholung ist
natürlich in A gestrichen, und Krammer betrachtet sie als einen
späteren Zusatz von B, der dem 'desuper hominem' im 2. Para-
graphen „offenbar" ,,nachgebildet'* sei. Diese „Nachbildungen" an-
derer Gesetzesstellen spielen ja in seiner Kritik eine ebenso her-
vorragende Rolle, wie die richtigen Korrekturen falscher Lesarten
und die Erweiterungen des nach größerer Ausführlichkeit stre-
benden B, für die kein Bedürfnis vorliegt.
Auch für die Beurteilung des neuen Urtextes, an dessen Her-
stellung Krammer fortgesetzt arbeitet , werden die vorgeführten
Proben hoffentlich genügen und aller Welt über den Charakter
dieses Zerstörungswerkes die Augen öffnen. Die Grundlage bildet
eine schlechte karolingische Überarbeitung, und gerade die sinnlos
entstellten Lesarten werden darin als Reststücke des verlorenen
Urtextes zum Ausgangspunkt einer Textumwälzung gemacht, die
auch in den allen Hss. gemeinsamen Theilen alles niedermäht,
was den ganz willkürlichen Annahmen im Wege steht. Die neue
Lehre würde das alte fränkische Recht in wesentlichen Punkten
umgestalten, und bereits macht sich ihr Einfluß in der juristischen
Literatur bemerkbar. Es muß natürlich den Fachmännern über-
lassen bleiben, einer richtigeren Erkenntnis wieder die Bahn zu
eröffnen und die neuen Krammerschen Konstruktionen zu wider-
legen, die besonders jüngeren Forschern nur zu sehr den Kopf ver-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. Heft 5. 48
710 Bruno Krusch ,
wirrt haben. Ein paar flüclitige Beobachtungen in dieser Beziehung
werden aber auch dem Laien gestattet sein.
Das Feld für seine Operationen öffnet sich Krammer durch
die Deutung der 'tertia manus' im Tit. B XL VII als den Unpar-
teiischen, indem er also die „endgültig totgesagte" Sequestertheorie
wieder belebt, während die „zur Zeit herrschende Lehre" den Autor
oder Gewähren, den Vormann darunter versteht. Wir haben be-
reits gesehen (S. 705), wie Krammer an einer Stelle dem Ausdruck
eine ganz andere Bedeutung unterlegte (S. 410, N.), und mit dieser
Ausnahme würde er sieh eigentlich selbst schon widerlegt haben.
Die Sequestration ist außerdem eine römisch-rechtliche Einrichtung,
die in der Lex Salica keine gute Figur machen würde.
Geht man von römisch rechtlichen BegriiFen aus, so liegt aller-
dings nichts näher als diese Theorie, die bis in die Neuzeit hinein
das Feld beherrscht hat, indessen die Entwickelung des Intertiar-
verfahrens in Tit. 47 läßt keinen Zweifel darüber , daß der Ge-
setzgeber unter der 'tertia manus' die Vormänner versteht , auf
deren Stellung der ganze Prozeß beruht. Muß ich also in der
Hauptsache vollständig der „herrschenden Ansicht" beipflichten,
so lassen sich doch methodische Bedenken nicht zurückdrängen,
ob man zur Ergänzung und Erklärung der Angaben der Lex Sa-
lica so viel spätere und auch ganz fremde Rechtsquellen heran-
ziehen darf, und schon Waitz ^) hatte seine Zweifel geäußert , ob
man das Recht habe, die Lex Salica aus der Lex Ribuaria zu er-
klären. Wie die Lex Salica bei ihrem hohen Alter ganz für sich
steht, möchte ich mich lieber zum Grundsatz bekennen, daß sie
auch aus sich heraus auszulegen sei, und dann ist unhaltbar,
was Brunner ^) meint, daß der Bestohlene, wenn er auf der Spur-
folge die Sache in 3 Tagen findet, sich ihrer ohne weiteres zu
bemächtigen befugt gewesen sei. Das Recht der Vindikation 'abs-
que interciato' gewährt in diesem Falle die Lex Ribuaria XLVII, 1,
aber nicht die Lex Salica, die XXXVII, 1, das Gegenteil vor-
schreibt, und eine Verbindung der beiden völlig entgegengesetzten
Bestimmungen in der von Brunner beliebten Weise erscheint mir
nicht unbedenklich.
Der Bestohlene (A) erhält in der Lex Salica XXXVII, 1, bei
1) G. Waitz, Das alte Recht der Salischen Franken S. 157. Auch E. Mayer-
Homberg, Die fränkischen Volksrechte im Mittelalter, Weimar 1912, I, S. 376,
hat bei der Verschiedenheit der beiden Volksrechte in einer ganzen Reihe we-
sentlicher Punkte es bedenklich gefunden, ein Volksrecht aus dem anderen erklärep
oder ergänzen zu wollen.
2) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 497.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 711
der Auffindung innerhalb dreier Nächte nach der Erklärung des Be-
sitzers (B): 'Emi aut cambiavi res' das Recht, seinen Eigentums-
beweis zu führen : 'res suas per tercia manu agramire debet', und
dasselbe Recht hat B, wenn A sein Eigentum nach 3 Nächten
findet: in dem ersten Fall wird der Besitzer B von der Verteidi-
gung, in dem zweiten der Bestohlene A von der AugrifPshandlung
ausgeschlossen. Brunner versteht nun im ersten Fall unter 'per
tertia manu' ausnahmsweise die Hand eines Bürgen, im zweiten
läßt er die auch von ihm anerkannte Deutung als Gewährsmann
bestehen, und diese Verschiedenheit ist offenbar der wunde Punkt
in seiner Theorie. Das 'per tertia manu agramire' von A muß
vielmehr dieselbe Handlung sein, wie das von B, es steht dem an-
deren vollständig parallel. Dieser von Sohm ') festgestellte Leit-
satz scheint mir bisher von den Juristen noch nicht völlig zur
Anerkennung gebracht zu sein. Sohm selbst meinte, daß der Kläger
A den Beweis „nicht"' zu erbringen gehabt habe , den B zu er-
bringen hatte, und erklärte nun 'per tertia manu' als 'de tertia
manu', wodurch aus der Person des Gewähren das Verfahren ge-
macht wird; andere haben an ein Gelöbnis für das Drittehandver-
fahren, zum Zwecke der Durchführung desselben gedacht, also 'per
tertia manu' als 'pro tertia manu' gedeutet. Der Ausdruck: 'per
tertia manu agramire' kann hier, wie B XLVIl, nur das eine
bezeichnen, die Führung des Eigentumsbeweises durch die dritte
Hand, d. h. durch den Gewähren, rechtsförmlich versprechen, und
muß für A wie für B in gleicher Weise gelten : diesem Gewähren
von A ist man bisher ängstlich ausgewichen, wie die verschiedenen
Deutungen und Änderungen im Tit. XXXVII, 1 ausweisen. Er
würde auch unmöglich sein, wenn mit der Person des Gewähren in
dem gerichtlichen Termin zugleich auch die Sache mit zur Stelle
zu bringen gewesen wäre, aber das wird wieder nur aus der Lex
Ribuaria geschlossen, die Lex Salica enthält nicht die geringste
Spur einer solchen Bestimmung^). Der Schluß, daß wie B nach
3 Nächten, auch A vor 3 Nächten seine Vormänner vor Gericht
zu stellen hatte, scheint mir eine notwendige Folge des Sohmschen
Leitsatzes und nicht zu umgehen zu sein, wenn man nicht zu ganz
1) Sohm, der Prozeß der Lex Salica, S. 82 ff.
2) Krammer, S. 356 fg., 397, versteht allerdings gerade das Versprechen der
Stellang der „Sache" unter dem 'adramire', die der Bestohlene diirch die Hand des
Sequesters vor Gericht bringen lassen wollte, doch scheint er selbst zu zweifeln,
ob man diese Übersetzung gelten lassen wird. Die Unmöglichkeit seiner Erklärung
von XXXVII, 1, ergibt sich aus XXXVII, 3, wo dieselbe Sache negativ ausgedrückt
ist, und deshalb hatte eben Krammer diese Stelle gestrichen (siehe oben S. 705).
48*
712 Bruno Krusch,
willkürlichen Annahmen greifen will, wie dies bisher geschehen
ist. Ein etwas „beschränkterer" Inhalt darf der Handlung von
A auf keinen Fall beigelegt werden, als der entsprechenden von
B, wie das jüngst auch noch Rauch ^) getan hat.
Das Anefangsverfahren beginnt in Tit. XL VII nach der Auf-
findung der gestohlenen Sache durch den Bestohlenen mit dessen
Erklärung: 'Mitto rem^) in tertia manu', wodurch sie symbolisch in
die Hand des Vormanns geschickt und der Verfügung des Besitzers
B entzogen wird^). 'Mittere' hat beide Bedeutungen von „schicken"
und von „legen", und die erstere ist gesichert durch Tit. L, 4:
'neque in rem mittat*), qui'. Nun soll ('debet') der Besitzer B
rechtsförmlich zusagen, durch die dritte Hand den Beweis für
sein Eigentumsrecht zu führen ('agramire'), die Vormänner auf
einen Termin zu stellen, die ihm das Objekt verkauft oder ver-
tauscht haben. 'Debet' hat in der Lex Salica im Allgemeinen
nur die Bedeutung eines Hilfsverbs und steht geradezu für den
Konjunktiv °). Aber auch A war nach Tit. LXI, 3, gebunden,
wenn er die Sache bei B in die dritte Hand geschickt, und durfte
nicht gewaltsam zugreifen , sondern mußte das Beweisverfahren
abwarten.
An der letzteren Stelle ist in den Haupths. B 4 der Text ver-
dorben ^) , und Rauch (S. 25) hat daraufhin sofort das Verdam-
mungsurteil über diesen „völlig verderbten" Text gesprochen, das
bei Krammer mächtigen Wiederhall gefunden hat. Wenn man die
kostbare Hs. nach dieser einen Stelle beurteilt, kann man eine
solche Ansicht äußern, aber die Schwärmer für jenen „völlig ver-
derbten" A-Text dürften eigentlich nicht so feinfühlig sein. Einem
Mann wie Waitz waren natürlich diese und andere Stellen , an
1) Rauch, Spurfolge und Anefang, Weimar 1908, S. 107.
2) Im Text steht 'eum' für 'id', wie B IX, 1, die Emendata liest 'eam'
nämlich 'rem', die Hss. der späteren A-Überarbeituug haben 'ipsam rem'.
3) Vgl. Tit. XCIX : 'Si hoc facere potuerit, [potestj rem intertiata vindicare',
nämlich der Besitzer.
4) Daß hier der Begriff des Schickens ausgedrückt ist, gibt auch Krammer
(S. 339, N.) zu, liest aber mit A 'transmiserit' und erklärt umgekehrt 'mittat' für
eine spätere Änderung von BC, durch die anscheinend die Umarbeiter „als bessere
Ivatinisten die alte Bedeutung von 'mittere' wieder belebt haben". Indessen 'trans-
mittat' hat hier auch B 2, das sich also an der Wiederbelebung nicht beteiligt,
sondern den Urtext erhalten haben müßte !
5) Tit. LVIII, 1, schreibt die Mehrzahl der Hss. 'donet', während allein B4
das unstreitig richtige 'donare dcbet' erhalten hat.
6) Sie liest LXI, 3 : 'in terra' statt 'in tertia' und schiebt davor hinter 'ho-
minem' ein sinnloses 'mortuum' ein.
der neu entdeckte Urtext der Lex Salica. 713
denen B 4 versagt, sehr wohl bekannt, aber neben den Fehlern
hatte er so viele vortreffliche Eigenschaften in dieser Hs. gefunden,
die man in allen anderen vergeblich sucht, daß er ihr die erste
Stelle gab und sie seiner Ausgabe zu Grunde legte, und wäre Kram-
mer seinem Beispiele gefolgt, so brauchte seine Ausgabe vielleicht
heute nicht eingestampft zu werden. Man möge sich nur die in
Hesseis' Abdruck von B 4 (S. 406 if.) hinter der Lex Salica fol-
genden Novellen ansehen, die sich in dieser Vollständigkeit in keiner
anderen Hs. finden, und unter ihnen finden sich solche, welche in
den Text von A (B LXVI = A LXIV) oder überhaupt in den
aller anderen Hss. schon eingereiht sind, wie Tit. LXVIIII = B
XXIV, A XXXrV über die Schur von Knaben und Mädchen gegen
den Willen der Eltern, d. h. über ihren zwangsweisen Eintritt in
den geistlichen Stand. Diese letzteren allein von B 4 noch nicht
in den eigentlichen Text eingereihten Bestimmungen sind von mir an
anderer Stelle ^) als die frühesten Spuren vom Eindringen des Christen-
tums in die Lex Salica nachgewiesen worden. Ln gemeinsamen
Text lassen sich die Fehler von B 4 meistens mit Hilfe der an-
deren drei B-Hss in derselben Weise eliminieren, wie dies oben
in B LXI, 3 möglich war, an zweifelhaften Stellen aber müßten
die Texte parallel gedruckt werden, was in ähnlichen Fällen auch
sonst in der Monumenta Germaniae geschehen ist.
Eine einheitliche Ausgabe der Lex Salica unter Verarbeitung
des gesamten handschriftlichen Materials muß im Literesse der
Wissenschaft durchaus gefordert werden, und zwar wird sich mit
dem zusammengearbeiteten B-Text im Allgemeinen C verbinden
lassen, aber auch die unverändert übernommenen Teile und die Zu-
sätze von A würden bei der Textkritik der Hauptausgabe zu be-
rücksichtigen sein ; als Ganzes müßte die A-Rezension in einer be-
sonderen Ausgabe bearbeitet werden, in der die entlehnten und
geänderten Partien in der üblichen Weise durch den Druck zu be-
zeichnen wären. Wollte man die Herstellung eines Urtextes auf
der Grundlage von B unter Berücksichtigung auch der späteren
Überlieferung für unausführbar oder auch nur für zu schwierig
halten, so darf an das Beispiel Mommsens erinnert werden . der
sich einer derartigen Pflicht niemals entzogen hat, und ehe man
nach Hesseis' Vorbüd wiederum ganz mechanische Hss. -Abdrücke
veröfi'entlicht; würde ich raten, dann lieber von der Ausgabe über-
haupt Abstand zu nehmen. Für handwerksmäßige Lnitationsdrucke
liegt meines Erachtens bei der Lex Salica durchaus kein Bedürfnis
mehr vor.
1) N. Archiv XL, S. 543 ff.
714 Bruno Krusch, der neu entdeckte Urtext der Lex Salica.
Jedenfalls tann nach dem gewonnenen Einblick in die Krammer-
sche Methode die Entscheidung über seine Arbeit keinen Augen-
blick mehr zweifelhaft sein, und selbst, wer niemals mit solchen
Forschungen zu tun gehabt hat , müßte eigentlich einsehen , daß
hier nicht besonnene Wissenschaft, sondern eine ungeschulte zügel-
lose Phantasie die Feder geführt hat. Die Urtext-Rekonstruktion
der im Druck befindlichen Ausgabe würde aus der Lex Salica eine
Lex Krammeri schaffen, und die weitere Fortsetzung dieser Arbeit
sollte von der maßgebenden Stelle sofort untersagt werden, schon
damit der ungeheure materielle Schaden nicht noch vergrößert
wird. Diese Ausgabe der Lex Salica darf unter keinen Umständen
erscheinen, und nach meinem Gefühle würde auch die Veröffent-
lichung der kostspieligen Bogen mit anderer Firma die Monumenta
Germaniae empfindlich bloßstellen. Auf eine Nachgiebigkeit Kram-
mers ist aber, wie jede Zeile seines letzten Aufsatzes beweist,
niemals zu rechnen. Er setzt allen sachlichen und Vernunftgründen
sein starres „entschieden" entgegen und beharrt auf seinem Evan-
gelium; er allein hat sich von der „Einseitigkeit" der bisherigen
Forscher freigehalten. Hier sollten Historiker, Juristen und Phi-
lologen einmütig und entschlossen zusammenstehen und zum Schutze
der „früheren Forschung" gegen den Umsturz sich erheben. Handelt
es sich doch um eine der wichtigsten Publikationen des Mittel-
alters , den Weltruf der Monumenta Germaniae , die Ehre der
deutschen Wissenschaft !
Zar Geschichte des Worts hrdhmayi-.
Von
H. Oldenberg.
Vorgelegt in der Sitzung am 22. Juli 1916.
Die Indologie daxf es sich nicht erlassen, entsprechend der
fundamentalen Bedeutung des Worts brdhman- die Entwicklung
der damit verknüpften Vorstellungen so bestimmt wie möglich zu
ermitteln. Eine gewisse Bestimmtheit kann ja in der Tat erreich-
bar sein auch wo die Vorstellungen einen so verschwimmenden
Charakter tragen, wie in manchen Teilen dieses Gebiets. Fehlen
den Figuren die festen Umrisse, können doch in der Gruppierung
der Massen Richtungen hervortreten, die es gilt gegenüber andern,
nicht oder nur scheinbar sich abzeichnenden Richtungen mit aller
Entschiedenheit aufzufassen. Ein besonderer Antrieb mich an
dieser Aufgabe zu versuchen, liegt für mich darin, daß früher
von mir vertretene Ansichten, wie ich jetzt meine, an einzelnen
Stellen Korrekturen verlangen.
Das hrähman- als das Allwesen der philosophischen Spekulation
soll uns im folgenden nicht beschäftigen, sondern allein die älteren
Entwicklungsphasen der Vorstellung. Von selbst schließen sich
da gelegentlich Probleme an, die das Wort hrähmana- betreffen.
1. b r d h m an- im R g v e d a. Fragen wir nach der ältesten
erreichbaren Bedeutung von hrähman-., so brauchen gegenwärtig
wohl zwei Auffassungen nicht mehr in Betracht gezogen zu werden :
einerseits der Ansatz Roths ^): „die als Drang und Fülle des
Gemüts auftretende und den Göttern zustrebende Andacht", ander-
1) Pet. W. B.; ähnlich Deussen System des Vedänta 128, Allg. Gesch.
der Philosophie I, 1,241.
716 H. Oldenberg,
seits Henrys^) Anknüpfung an eine von ihm angenommene
Wurzel Irah- == bhräj- „glänzen" und seine Annahme des „epa-
nouissement d'un humble germe naturaliste — le concept de la
splendeur solaire et des attributs qui l'escortent". Was zu fragen
ist, ist dies: ob ursprünglich allein das heilige bzw. zauberische
Wort, ob auch der entsprechende religiöse bzw. magische Ritus
gemeint ist, ob vielmehr von der Vorstellung einer verborgenen
Macht, gewissermaßen eines Fluidums der Heiligkeit und heiliger
Wirkungskraft auszugehen ist. Die letzterwähnte Auffassung ist,
wenn ich recht sehe, gegenwärtig die am weitesten verbreitete
Schon Haug^) sprach von „a latent power, like electricity, which
was to be stirred up at the time of the Performance of the cere-
mony. Tbe apparatus were the sacred vessels, or the hymns, or
chants". Ahnlich erklärte ich in einem vor längerer Zeit ver-
öffentlichten Aufsatz^) brähman- als „das Fluidum oder die Potenz
geistlich-zauberhafter Macht, samt ihrer Verkörperung einerseits
in heiligen Sprüchen, Zaubersprüchen und dergl. Riten, anderseits
in dem Stande der Brahmanen, welche jene Macht besitzen".
Ebenso sieht Hillebrandt*) jetzt im brähman- „das magische
Fluidum ritueller Zauberkraft" ; „the neuter denotes the object
or the thing, the masc. the person who is endowed with or pos-
sesses the brähman"'. Dem stimmt auch Söderblom^) bei, der
insonderheit die schon von andern Seiten*^) befürwortete Paralleli-
sierung des brähman- mit dem gegenwärtig von der Religions-
wissenschaft so aufmerksam betrachteten Kraftfluidum „Mana" der
Melanesier in den Vordergrund stellt.
1) Les livres X, XI et XII de. l'Atharva-V^da, p. VIII.
2) Aitareya Br., Introd. 5. Vgl. auch seinen Aufsatz „Bas Wort Brahma"
S.-B. Bayer. Ak. d. W. 1868, 80 ff.
3) IF. Anz. VIII, 40. Siehe auch meine „Vedaforschung" 86 f.; „Lehre der
Upanisaden" 46 f.
4) Vedische Mythologie, Kl. Ausg. 61; Artikel Br. in der Encyclop. of Reli-
gion und Ethics : dort wird die Bedeutung „Hymnus, Spruch" stark zurückgedrängt.
5) „Das Werden des Gottesglaubens", besonders S. 270 ff. Doch scheint mir
S. von Schwankungen nicht frei. So heißt es S. 270 f., daß brähman- „ursprüng-
lich das Geheimnisvolle, Unfaßbare bezeichnete, das sich vor allem in seinen
Wirkungen in der magisch-religiösen Praxis offenbarte und dessen Entdeckung
eigentlich diese l'raxis hervorrief". Ähnlich S. 275: „eine geheimnisvolle, be-
sonders im Schamanen und im heiligen, wirksamen Spruche vorhandene Macht".
Dagegen S. 35 Anm. 2 : „ursprünglich die gesungene oder rezitierte heilige Formel
beim Opfer".
6) Hubert-Mauss, Theorie gän^ale de la magie 117; Strauß, Brhas-
pati im Veda 20 A. 4. Vgl. noch meine „Lehre der Upanisaden" 49, wo bereits
Reserven gemacht sind.
Zar Geschichte des Worts brähman-. 717
"Wiederholte Prüfung des Sachverhalts läßt mir diesen doch
in anderm Licht erscheinen.
Ich gehe von den ältesten Materialien aus, denen des Rgveda.
Hier steht nun eine Tatsache im Vordergrund, die im wesent-
lichen schon besonders H. D. Griswold^) treffend dargelegt
hat ohne doch, meinem Eindruck nach, die gebührende Beachtung
zu finden. In einer geradezu übergroßen Zahl von Stellen erweist
sich als die Bedeutung von brähman- „heiliges (liturgisches) Wort
(Hymnus, Lied)". Die Bedeutung „heiliger Ritus'' ist nirgends
gefordert oder nah gelegt; ebenso wenig die Bedeutung „Fluidum
der Heiligkeit''. Selbstverständlich finden sich unter den sehr
zahlreichen Belegen auch solche, in deren unbestimmter Ausdrucks-
weise diese Bedeutungen an sich zulässig wären. Aber daß der
Zusammenhang nirgends einen positiven Hinweis auf sie bietet,
stellt bei der Massenhaftigkeit der Materialien ein durchaus über-
zeugendes argumentum ex silenfio dar. Annähernd ebenso — das
Genauere s. sogleich — steht es im Rgveda mit der Bedeutung
„Wesenheit des Brahmanenstandes'' ^). So werden wir für diesen
Yeda als einzige — oder als annähernd einzige? s. sogleich —
Bedeutung „heiliges Wort , Hymnus" u. dgl. anzusetzen haben,
welcher Bedeutung, so viel ich sehn kann, nirgends eine Schwierig-
keit im Wenre steht.
1) „Brähman : a study in the history of Indian philosophy*^ (New York 1900),
1 ff. — In ähnlichem Sinn, doch mit minder eingehender Beweisführung, äußert
sich Osthoff, Bezz. Beitr. XXIV, 129 ff. Hier ist noch auf die teilweise freilich
etwas wirre Auseinandersetzung von Ludwig, Rgveda 111, 297 ff", zu verweisen.
2) Geldner (Glossar) entnimmt dem Rgveda als Grundbedeutung: „die innere
Stärkung und ekstatische Stimmung durch Soma usw., . . . die geheimnisvolle
Kraft, die den Dichter inspiriert und zum Seher macht und die er auf die
Götter überträgt (VIII, 6, 9: 3,9; 111,51,12: II, 17,3)". Warum aber soll Till,
6, 9 prä brdkma (nasimdhi) nicht verstanden werden wie nah daneben (vgl. meine
Prolegomena 215) 4, G dna] lipastutim^ — VIII, 3,9 tat tvä yämi . . brdhma:
der Dichter geht den Gott um Gewährung einer wirksamen Formel an,
eines devdttam brühma (I, 37, 4 ; VIII, 32, 27 ; vgl. X, 98, 2. 3. 7). — III, 51, 12 : der
Soma wird durch die Ivraft des heiligen Spruchs in Indras Bauch und Kopf
befördert (so Bergaigne, Rel. ved. 11,267). — 11,17,3: durch den heiligen
Spruch wird Indras siisma- in Bewegung gesetzt. — Es könnte bei der oben
wiedergegebenen Ansetzung Geldners seine Auffassung des Worts pürodcitti- im
Spiel sein, das VIII, 3, 9 ; 6, 9 neben brähman- steht. Für jenes Wort verweise
ich auf einen Anhang dieses Aufsatzes. Alles in allem finde ich schlechterdings
keinen Grund, hinter der an so vielen Stellen sich aufdrängenden Bedeutung
„heiliger Text" als Grundbedeutung die innere Disposition dessen, der einen
solchen Text schafft, zu statuieren.
718 H. Oldenberg,
Wie sich dieser Ansatz mit den Geschicken des Worts in den
jüngeren Vedatexten vereicigt, ist weiterhin zu untersuchen ^).
Zuvörderst seien die soeben nur im allgemeinen angedeuteten Tat-
sachen näher präzisiert und veranschaulicht, die etwa in Frage
kommenden Einschränkungen erwogen.
Beständig begegnet im Rv. brähnmn- auf einer Linie stehend
mit Worten wie uJdhd- iicdtha- vdcas- arlcä- stöma- gir- mänman-
mäntra-. Ich führe nur eine Stelle an : VI, 38, 3 : dhiya . . . indram
dbhy änüsy arlaih, brdhma ca giro dadhire sdm asmin mahäms ca
Storno ddhi vardhad indre. v. 4 : värdhad yäm yajnä utd söma indram
värdliäd hrähma gira iilctlid ca mänma. Man bemerke, wie in v. 4
auf der einen Seite die positiven rituellen Verrichtungen {yajnd-,
söma-) zusammengestellt sind, auf der andern die Ausdrücke für
die liturgischen Prozeduren. — Bezeichnende mit Ir. verbundene
Verba: I, 37,4 devättam hrähma gäyata; X, 120,8 ima brdhma
bfhäddivo vivaldtndräya süsäm ; X, 148, 4 ima brdhma . . . samsi ',
VI, 17, 3 srudhi hrähma vävrdhäsvotä gtrbhih. — Bezeichnung des
eben vorliegenden Hymnus als hr. besonders gern, wie schon
Geldner (Ved. Stud. II, 146) und Griswold hervorgehoben hat, an
seinem Schluß, z. B. I, 63, 9 äkäri ta indra götamehhir brähmäny öfdä
ndmasä härihhyäm; IV, 16,21 äJiäri te harivo hrähma nävyam dhiyä
syäma rathyäh sadäsäh.
Die hier veranschaulichten Ausdrucksweisen sind in so breiten
Massen vertreten, daß man sich zur Annahme der Bedeutung
„Hymnus" u. ähnl. durchaus gezwungen fühlen wird. Dagegen
könnte man allerdings versucht sein, die bemerkbare Vorliebe für
Verbindung von hr. mit dem Verb Ir- ^) geltend zu machen (z. B.
dhäri hrähma IV, 6, 11; vgl.- auch die Nomina krtdhrahman-, hrah-
malift-, hrahmaJcärä-, hrähmahrti-). Darin ließe sich scheinbar ein
Hinweis darauf finden, daß mit hr. nicht nur bloße Wortgebilde,
sondern auch konkrete sakrale Handlungen gemeint sind. Doch
um diese Auffassung angesichts der vorher besprochenen entgegen-
stehenden Materialien als belanglos zu erweisen genügen die
immerhin nicht spärlichen Stellen, an denen auch Worte wie väc-,
1) Doch schon hier mache ich darauf aufmerksam, daß die Entscheidung
für die Bedeutung „rituelles Wort" gegenüber „ritueller Handlung" durch die
jüngeren Veden entschieden bestätigt wird. Wenn dort das br. mit dem dreifachen
Wissen, mit Rc, Yajus, Säman etc. identifiziert wird, trägt das ein vollkommen
andres Gepräge, als wenn im Stil der geläufigen mystischen Identifikationen das
6r. dem Opfer gleichgesetzt wird. Näheres s. unten.
2) Vgl. dazu Geldner Ved. Stud. 11,153; Osthoff a.a.O. 130; Söderblom
a. a. 0. 271. 274.
Zur Geschichte des Worts hrähman-. 719
lacas-, tdihd-, stönm- in gleicher Weise wie hrähman- mit Ir- ver-
bünden sind. In IV, 16,20 hrdhmäkarma hhrgavo nd rdtham wird
das l'f- doch nicht anders zu beurteilen sein als X, 39, 14 sfömam
. . alarmdial^äma bhfgavo nd rdtham. VII, 103, 8 steht im selben
Satz mit hrdhnia Imidntah auch hrähmandsah . . . vacam akraia.
Mit I, 184, 5 e§d väm stömo asvinäv akäri steht zweifellos auf einer
Linie das Ir- in VII, 97, 9 iydm vävi hrahmanas paU suvrktir brdJt-
mendräya lajrine akäri. Vgl. etwa noch 1,20,1; VIII, 101,7 usw.
Besonders zu erwägen ist weiter, wie sich der Rgveda zu der
später so häufigen Charakterisierung des Brahmanenstandes
durch das Schlagwort hrdJiman- verhält^). Liegt von dieser Seite
her Anlaß vor, dem hr. schon für die Zeit des ältesten Veda das
Wesen eines Fluidums zuzuschreiben, welches Menschen innewohnend
diesen eine besonders geartete Wesenheit mitteilt?
Als ein erster Ansatz zu derartigem — aber, scheint mir,
eben nur als ein solcher — mag II, 2, 10 aufzufassen sein: voydm
eigne drvatä vä suvxryam brdhnianä vä citayemä jdnän dti. Die Be-
ziehung auf die beiden oberen Kasten ist klar, zugleich aber auch,
daß hrdhman- doch noch ganz in seiner sonstigen Bedeutung als
„geistliche Formel" verstanden werden kann und muß; ein Fluidum
ist es so wenig wie das entsprechende Charakteristikum der Adels-
kaste drvant-. Vielleicht — doch man kann zweifeln — steht
damit VIII, 35, 16 — 18 auf einer Linie, wo Vers für Vers um
Segen für jede der drei Kasten gebetet wird, und zwar mit den
Ausdrücken hrdliw.a. dhiynh — l.fafrdm, nfn — dhenüh., visah. Wie
da dhenuh doch sicher kein Fluidum des Vaii^yatums bedeutet,
sondern „Milchkühe", kann auch bei hrdhma, so gut wie bei dem
benachbarten ditiyah, sehr wohl an die geistliche Formel als den
charakteristischen Besitz des Brahmanenstandes gedacht sein.
Doch ist zugleich die Gegenüberstellung mit k^atrdm, dem später
so häufig dem hrdhma korrelaten Begriff, unverkennbar. Und so
mögen wir uns hier wohl in naher Nähe des Punktes befinden,
wo — vielleicht eben unter Einfluß von hsatrd- und des Bedürf-
nisses, ein diesem entsprechendes Schlagwort auch für die Priester-
kaste zu besitzen-) — hrdhman- zu seiner alten Bedeutung ,.geist-
liche Formel" auch die geistlicher Wesenheit überhaupt — dies
1) Darüber, in welchem Sinn diese Charakterisierung zu verstehen ist, habe
ich Näheres in meiner „Lehre der Upan." S. 342 A. 12 bemerkt.
2) An solchen Einfluß von Ic^atrd- denkt auch Griswold a. a. 0. 18. In
der Tat ist Jcßatrd-, anders als hrähman-, als Bezeichnung einer in gewissen
Menschen wohnenden Kraft schon im Rv. häufig.
720 H. Oldenberg,
eine rein vorläufige Formulierung; genaueres s. unten — ange-
nommen hat^).
Vom rgvedischen Bestände ist schließlich noch das an einer
jungen Stelle (X, 109, 5) zuerst belegte brahnacärin- zu er-
wägen. Es handelt sich um den einen bestimmten Lebenswandel
(Observanzen) befolgenden Brahmanenschüler : also den, der das
brähman-, nach dem oben erörterten Sinn dieses Wortes, sich an-
eignet. So wird kein Anlaß vorliegen, für die Entstehung dieser
Zusammensetzung auf eine andre Bedeutung von hräJiman- als eben
jene zu rekurrieren : sei es nun, daß direkt eine Wendung *brdhma
caraü „er lebt in (der Beschäftigung mit) dem 6r." zu Grunde
liegt ^), oder daß Nachahmung etwa von vratacärin- (Rv. VII, 103, 1)
anzunehmen ist.
Sind also in den zuletzt besprochenen Stellen wirklich erste
schon im Rv. sichtbare Anfänge einer Weiterentwicklung der
&raÄ?Han- Vor Stellung zu erkennen? Meinerseits möchte ich — ab-
gesehen vielleicht von VIII, 35, 16 — dies kaum glauben.
Wäre doch anders zu urteilen, bliebe das für die Gesamtauffassung
des Problems im Grunde belanglos. Daß eine im Ganzen nach-
rgvedische Erscheinung doch in vereinzelten Vorläufern in den
Rgveda, insonderheit in dessen jüngere Partien hineinreicht, ist ja
häufig genug.
Es bleibt für den Rgveda die schwierige Frage übrig, ob
unter den verschiedenen dort in Geltung stehenden liturgisch-
technischen Typen des heiligen Worts das brähnan- eine spezieller
charakterisierte Stellung einnimmt. Dies kann nur erwogen
werden, wenn zuvörderst die Materialien der jüngeren Veden über
brähman-, soweit sich dies auf die Sphäre des ritu-
ellen Worts bezieht, überblickt worden sind.
2. Das brdhman als heiliges Wori in denjün-
geren Veden. Da begegnet nun zunächst im Atharvaveda sehr
häufig, wie bekannt, brdhman- als Bezeichnung der Zaubertexte
dieses Veda: „durch das br. des Agastya zermalme ich die Würmer"
u. dgl., in zahlreichen Belegen^). Doch auch ein Lied, das Ord-
1) Ijiegt die Sache ähnlich bei subrdhmanyäm X, 62, 4 (vgl. unten S. 723
Anm. 1)V Die Auffassung als „Reichtum an wirksamen F'ormeln" tut m. E. der
Stelle vollkommen Genüge; vgl. suprajästväm Vers ö.
2) Zu solchen Verbindungen des Verbs car- vgl. Gaedicke Akkusativ 162,
wo auf vdsnatn acarat, prapandin cärämi, mantrasn'iiyarp. carämasi hingewiesen ist.
3) Diese Vernichtung der Würmer brähmanä (Av. II, 32, 3) würde ihre
Deutung, wenn sie deren bedürfte, durch die dicht daneben erscheinende Ver-
nichtung der Würmer väcasä 11,31,2.4 (s. auch V, 23, 2) empfangen: ganz wie
Zur Geschichte des Worts brähman-. 721
nungen und Verhältnisse des Weltlebens betrachtet, wird durch
die Worte mahäd brähma vadisyati eingeführt (I, 32, 1)*).
Weiter aber ist in der yajurvedischen Literatur von gewissen
Prosalitaneien , die , soviel . ich sehe , nicht als Yajus aufgefaßt
worden sind, mit der Bezeichnung brähman- die Rede. An der
wichtigen Stelle Ts. VII, 3, 1, 4 heißt es : dtha brähma vadanti.
pdrimitä vä fcah, pärimitäni samäni, j^ärimitäni yäjüosy, äthaiiäsyai-
länto nästl yäd brähma^). Die rituelle Literatur ergibt, daß der
Vortrag der Caturhotr-Litanei ^) {ciUi srük etc.) gemeint ist, von
der es anderwärts heißt etäd vai devänäm paramäm ffuhyam brähma
ydc cäturhotärah (Tb. 11,2,1,4); brdhma vai cälurhotärah (das. III,
12,5,1); etäd vai devänäm brähmäniruktam yäc cäturhotärah (Käth.
IX, 16, p. 119, 20); vgl. devänäm vä etad yajfiiyam guhyani nama
yac cäturhotärah (Ait. Br. V, 23, 7). Es ist wohl kein Zweifel,
daß auch die Pancahotr-Litanei und die übrigen der betreffenden
Reihe gleichermaßen „brähma'^ waren.
Ungefähr ähnlich steht es mit dem stomabhäga-Texi (rasmir
im Rv. brdliman- und vdcas- neben einander stehen. Auch das atharravedische
br. wird wie das rgvedische „gesprochen" (X, 10, 4), „gemacht" (III, 30, 4) ; es
steht mit den rc-, der „Milch der Rsis" auf einer Linie (X, 1, 12). Immerhin ist
im Auge zu belialten, daß die Xeigung, Wesenheiten wie einen Zaubertext als
eine Art Kraftsubstanz zu hypostasieren (s. unten), im Av. schon stark genug ist.
Söderblom (a. a. 0. 272) wirft die Frage auf, was beispielsweise Av. X, 6, 30
damit gemeint ist, daß ein Amulet ^mit brähman-'^ an der betreffenden Person
befestigt wird. „Bedeutet das, daß man gleichzeitig die zugehörige Formel rezi-
tieren soll oder daß man genügende oder die innewohnende Zauberkraft zufügen
oder anwenden soll? Vermutlich das erstere." Eben den in den letzten Worten
ausgesprochenen Eindruck erweckt die Durchsicht der Stellen, wo im Av. etwas
y,brähmanä^ geschieht, auch mir durchaus. Nur mochte ich hier, wo der Be-
treffende sich das Amulet anbindet „zusammen mit dem brähman-, mit tejas-'^,
das Hineinspielen jener Hypostasierung des Zauberworts in Betracht ziehen. Eine
völlig scharfe Formulierung ist natürlich nicht möglich und vollends nicht be-
weisbar.
1) Auf Grund dieser Stelle vermutet Geldner (Ted. Stud. 11,147), daß
auch Av. XI, 8, 3 sä vä adyd mahäd vadet vom Reden des brähman- zu verstehen
ist. Mir scheint hierfür zu sprechen, daß die so oft erwähnten brahmavädinait
auch unter der Bezeichnung mahävadäti Ait. Br. V, 33, 1 erscheinen. Vgl. PW.
unter mahant- 4^1, wo ich freilich fraglich finde, ob die Mahäbhclratastelle richtig
verstanden ist.
2) Hier also ausdrückliche Ausschließung der Auffassung als Yajus.
3) Vgl. über diese namentlich Hillebrandt, Rit. Litt. 165 f. Der Text
steht TA. HI, 1 f. und an den Parallelstellen. Siehe im Übrigen K e i t h zu Ts.
a. a. 0., von welchem abweichend ich nur die Frage aufwerfen möchte, ob nicht
das „brähma^ außer auf die Caturhotrlitanei auch auf das unten S. 725 zu be-
sprechende Brahmodya zu beziehen ist.
722 H. Oldenberg,
asi etc.)^), der aber, soviel ich finde, nicht als hrähnia, sondern
vielmehr als brähmunam bezeichnet wird. Indra verheißt dem
Vasistha: hrahmanam te vaksyämi, und offenbart ihm diese Litanei
(Ts. Ill, 5, 2, 1 = Käth. XXXVII, 17, p. 97, 7 = Panc. Br. XV.
5,24). Hier haben wir also ein ^hrähmana-"' , das es nicht, dem
gewöhnlichen Sinn dieses Worts entsprechend, mit der Belehrung
über rituelle Formeln, Handlangen u. Ahnl. zu tun hat, sondern
das selbst eine solche Formel bildet. Einen Grund, weshalb hier
hrdhmana-, inbezug auf die Caturhotäras aber hrähman gesagt wird,
weiß ich nicht anzugeben. Auf das gelegentliche Ineinanderfließen
der beiden Ausdrücke werde ich weiterhin noch zurückkommen^).
Diesem ^hrähmnna-"' nun läßt sich in gewisser Weise an-
schließen das madhu näma brähmananb, welches Dadhyanc den
Asvin mitgeteilt hat (Sat. Br. IV, 1,5, IS)^). Von Offenbarung
eines madhu durch Dadhyanc ist schon Rv. I, 116,12; 117,22 die
Rede. Das m. wird dort begreiflicherweise nicht als brähmana-
bezeichnet, und überhaupt scheinen die Wendungen pm yäd im
uväca, madhu prd vocat nicht einzuschließen, daß das madhu hier
als ein Wortgebilde gedacht ist; jenes wird vielmehr als tvästräm
. . apiluiksyäm beschrieben. Doch der Ursprung der Vorstellung
von dem m. näma brähmanam liegt hier offenbar vor. Ein Text,
der sich als dieses madhu gibt, findet sich nun Sat. Br. XIV, 5, 5
(s. besonders § 16); er schließt jeden Gedanken an rgvedisches
Alter aus, und ich halte auch kaum für denkbar, daß er in dieser
pantheistischen Fassung schon dem Verfasser von Sat. Br. IV,
1, 6, 18 vorgelegen oder vorgeschwebt haben könnte. Von den
stomahhäga weicht das madhu, insofern wir die Fassung von Sat.
Br. XIV in Rechnung stellen, darin ab, daß es nicht aus rituellen
Spruchformeln, sondern aus Belehrungen mystischen Inhalts be-
steht; somit fällt es in der Tat unter den gewöhnlichen Bräh-
manatypus und hebt sich nur durch die legendarische Umgebung,
in die es versetzt ist, eigenartig hervor*).
1) Siehe darüber Weber, Ind. Stud. X, 137. Der Text steht Ts. IV, 4, 1 etc.
2) Schon hier sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß auch Satze, die
sich vollkommen in der cliarakteristischen Hrähmapadiktion bewegen, beim Ritus
als rituelle Formeln vorgetragen werden konnten. Vgl. Sänkhäyaua Sr. X, 14, 2
{Prajäpaiir alcämayata bahuU syäm etc.); 15,2 etc.; Asvaläyana isr. VIII, 13,7.
3) Im Hinblick auf die Terminologie ist von Interesse, daß die Brhaddevatä
III, 18 für hrahmarjtam brahma sagt.
4) Hier sei auch noch an die Geschichte erinnert, wo Manu zu seinem Sohn
Nabhänedi.stha sagt: tebhya (nämlich den Angiras) iddni brähmanam brüht {Ts. III,
1,9,5). Aber was für ein „Dräbmapa" ist da gemeint? Doch nicht etwa das
Lied Kv. X,62?
Zur Geschichte des Worts Irähman-. 723
Wir kehren zu den als hrähman- bezeichneten Formeln zurück
und bemerken, daß diesen vermutlich die bekannte, in ihrer vor-
liegenden Fassung von Aruni redigierte (Sat. Br. III, 3, 4, 19)
suhrahmanyä-lAianQx, wie das eben deren Benennung nah legt,
zuzurechnen ist'): die Einladung an Indra als den Widder des
Medhätithi. den Buhlen der Ahalyä etc., zum Opfer zu kommen*).
brahma vai subrahmanyä heißt es, allerdings nicht in eigentlich
liturgisch-technischem Sinn, Kaus. ßr. XXVII, 6. — Ein ferneres
Beispiel der Bezeichnung einer rituellen Fonnel, die nicht fc-,
yaJHS- etc. ist, als hrähman- gibt 6at. Br. II, 1,4,10. Die Fener-
anlegung, heißt es dort, geschieht weder mit einer rc- noch einem
säman noch einem yajus-, sie geschieht brahmano brahnmnä: j,väg
vai bnihma, tasyai väcah sntyam eva brahma"' („das Brahman ist
fürwahr die Rede; dieser Rede Brahman ist das Wahre"). Dieses
W^ahre der Rede nun, oder dies brahman- des brahman-^ sind die
y,vynhrfnyah'^ d. h. die Worte bhür bhuvah svah, die auf diese Weise,
wie mir scheint, als brahman- xat* i^oxriv, m. a. W. als Essenz
alles brahman- charakterisiert werden'). — Weiter führe ich an
1) Doch ist nicht sicher, daß diese Benennung auf brahman- zurückgeht ;
man kann auch an brahman- denken (IW. X, 62, 4 entscheidet die Frage offenbar
nicht). Für wahrscheinlicher halte ich doch das erstere, entsprechend der Beur-
teilung, die sich für das Verb brahmany- zu empfehlen scheint. Dies wird doch
wohl, wie auch Grassmann und Geldner (Gloss.) annimmt, zu brahman- gehören,
vgl. r^y- r^ciy- yajüäy- vacasy- dhiyäy-, und IV, 24, 2 brahmanyate süstaye, was
an die geläufige Zusammenstellung von brdhmar^- und söma- erinnert. Auch
subrdhvian- Rv. VII, 16, 2 ; X, 47, 3 wird, wie schon der Akzent wahrscheinlich
macht (freilich nicht erweist), zu brahman- gehören (doch vgl. auch die Materialien
im PW. unter 1. subrahman). — Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Frage be-
rühren, wie es mit der eben für subrahmanyä- besprochenen Alternative bei
brahmadvis- steht, welches Kompositum Geldner (Glossar) zu brahman- stellt.
Mit dem PW. schließe ich es vielmehr an brahman- an. Für Geldners Auffassung
läßt sich r^idvis- geltend machen. Aber VI, 52, 2. 3, wo zweimal brahmadvis-
steht, liest man daneben brähma vä yäh f<rii/dmänam ninitsät niiä brähmana^
. . . gopdm. Man vergleiche, was ich in meiner Note zu VII, 13, 3 besprochen
habe, ferner Manu III, 41.
2) Vgl. Caland-Henry 64 f., 118 f.; Weber S.-B. Berl. Akad. 1887, 903.
3) In Eggelings Übersetzung sind die in Frage kommenden Sätze seltsam
verunglückt; richtiger bei Deussen, Allg. Gesch. der Phü. 1,1,249, der doch,
um den schlichten Begriff des satyam wiederzugeben, nicht von „metaphysischer
Realität" zu sprechen gebraucht hätte. „Das brahman- des brahman-" scheint
mir zu verstehen wie in der Upanisad „des Atems Atem", „des Auges Auge", „des
Todes Tod" (meine „Lehre der üpan." 92), oder wie die Sprüche stutasya stutam
asi, sastrasya sastram asi (s. die Konkordanz). — Ist die hier besprochene Stelle
nicht in dem berühmten Satz der Upanisad (BAr. üp. II, 1, 20) nachgeahmt, wo
als „upanisad'^ des höchsten Atman „das Wahre des Wahren" genannt wird: „das
Wahre sind die Atemkräfte; deren Wahres ist Er" — ?
724 H. Oldenberg,
Sat. Br. I, 5, 4, 6, wo die Götter und Asuras, außerstande durch
Waffengew^alt ihren Streit über die Obmacht zu entscheiden, den
Beschluß fassen väcy eva brahman vijiglsämahai. Sie zählen „eins,
zwei, drei" usw.; die Einen nennen immer das Masculinum des
Zahlworts, die Andern das Femininum; und wie bei Fünf die
Asuras dem Masculinum der Götter kein Femininum mehr ent-
gegenstellen können, haben sie verloren. Wir sehen, daß hier die
Reihe der Zahlwörter als hraJmian- gilt, was in Anbetracht der
Erfülltheit der Zahlen mit mystischer Kraft nicht Wunder nehmen
kann 1)2)
Diese Stelle führt uns zur Betrachtung des hralimodya- (brahma-
vadya-, brahmavädya-); es ist wohl nur Zufall, daß für jenes Wett-
zählen diese Bezeichnung nicht ausdrücklich gebraucht ist. Beim
brahmodya- wechseln mehrere Redende Frage und Antwort, zu-
weilen in rituell fixierten Versen (so bei dem bekannten braJimodya-
des Roßopfers), aber auch in freier, improvisierter Rede. Da kann
dann Kampf, Rivalität der Parteien vorliegen. Man fordert ein-
ander heraus (Jiantainam brahmodyam ähvayämahal Sat. Br. XI, 4,
1, 2). Eine aus Vielen bestehende Partei erwählt einen besonders
starken Disputator als ihren vfra- (ebendas.). Es gibt Sieg und
Niederlage (na val jätu yusmäkam imam hascid brahmodyam jetä
Sat. Br. XIV, 6, 8, 1; s. auch XI, 6,2,5). Aber es kann sich auch
ohne alle Gegnerschaft einfach um den Wunsch des Einen handeln,
vom Andern zu lernen (Saiiceyo lia Fräcinayogyah \ Uddälalcam
Aruniin äjagäma brahmodyam agnihotram vividisämiü das. XI, 5,
3, 1)^). Den Inhalt der Unterredungen bildet die Bedeutung von
1) Denn auf der heiligen, mystischen Natur der Zahlen scheint es mir zu
beruhen, daß hier ein brahman- als vorliegend angesehen wird, nicht aber auf
ihrer Verwendung als Schlagworte im soi)histischen Wettkampf zweier Gegner
(Geldner, Ved. Studien II, 147), womit ein für das hrdhrnan- m. E. nicht wesent-
licher Gesichtspunkt hereingezogen wird.
2) Hier werfe ich noch die Frage auf, was das jye?tham brahma, brahmä-
pürvam aparavat Sat. Br. X, 3, 5, 10. 11 ist. Ich weiß keine andre Antwort, als
daß es sich um die eben dort im Vorangehenden vorgetragene mystische Lehre
handelt (so auch Eggeling). Dann gehört die Stelle mit sogleich zu besprechenden
Materialien (S. 726) zusammen und exemplifiziert wieder das Ineinanderfiießen von
brahman- und brähmana-.
3) Wie sind nun die Vorgänge von Sat. Br. XI, 6, 2 zu verstehen? Eine
Anzahl von Brahmanen, darunter Yäjfiavalkya, sprechen mit König Janaka über
das Feueropfer. Der König wirft B'ragen auf, die über den Horizont joner gehen,
und fährt davon. Die Brahmanen erwägen es, ihn zu einem Brahmodya heraus-
zufordern ; man steht aber auf Yäjnavalkyas Rat davon ab. Yäjfiavalkya fährt
dem König allein nach ; der -teilt ihm auf seinen Wunsch die Lösung der vorher
Zur Geschichte des Worts brühman-. 725
Riten, theologische oder metaphysische Mystik. Schließlich können
wir fragen, ob für ein hrahnodya- eine Mehrheit von Redenden
wesentlich ist; man sollte meinen, daß ein_ Einzelner, welcher
j,hrähma vädati", genügte. In der Tat kann^) A^valäyana Sr. VIII,
13, 13. 14 den Vortrag eines hr. allein durch den Hotar vorzu-
schreiben scheinen. Doch ist dies, so viel ich sehe, der einzige
derartige Fall, und auch hier bleiben meines Erachtens ernstliche
Zweifel).
Den Bemerkungen über braJinwdya- ist eine solche über das
so häuiige hralimavädin- anzuschließen. Die zu unzähligen Malen
in den Brähmanatexten wiederholte Wendung hrahmavädino vadanti
leitet bald irgend eine Frage rituellen bzw. mystischen oder philo-
sophischen Inhalts ein, die dann beantwortet wird : bald folgt auch
ohne Frage direkt eine Belehrung derartigen Inhalts (z. B. Ts. I,
7, 1, 4; vgl. auch Av. XV, 1,8): wieder ein Hinweis darauf, daß
Meinungsverschiedenheiten oder Rivalitäten hier kein wesentliches
Moment bilden. Das Wissen aber, das in solchem Zusammenhang
dargelegt wird, und die Weise des Vortrags entspricht durchaus
der Art der Brähmana- (bzw. später der Upanisad-)texte.
Fragen wir nun, den mit den letzten Worten berührte
hingestellten Kiitsel mit. Offenbar soll weder das erste Gespräch noch diese
weitere Unterredung ein Brahmodya sein. Im Hinblick auf XI, 5, 3, 1 wird man
fragen, weshalb nicht. Vermutlich kam dem Brahmodya, auch wo kein Wett-
streit vorlag, doch eine gewisse Förmlichkeit und Feierlichkeit zu (sie mag sich
in Körperhaltung, Redeton usw. ausgeprägt haben), die den Gesprächen von
XI, G, 2 nicht beiwohnte. Brh. A. Up. III, 1 ff. ist ein Brahmodya (s. 8, 1. 12).
Die Gespräche Yäjnavalkjas mit Janaka oder Maitreyi sind es nicht.
1) So sieht es Eggeling zu Sat. Br. IV, 6,9,20 an. Es handelt sich hier
um das schon oben S. 721 Anm. 3 berührte Brahmodya.
2) Das Sütra wiederholt annähernd wörtlich die Stelle Ait. Br. V, 25, 14
atha Prajäpates tanür amidravati brahmodyam ca; dort aber folgt dann weiter
mit dem Plural § 22 atha hrahmodyam vadanti. Ist also gemeint, daß der Hotar
erst gewissermaßen vorbereitend den Brahmodyatext (oder seinen eignen AjQteil
daran?) für sich aufsagt, und dann das eigentliche Brahmodya mit verteilten
Rollen stattfindet ? Freilich würde man dann über diesen Hergang eine Vorschrift
im Sütra erwarten. Oder sind vielleicht im Brähmana die Worte § 14 hr. ca als
aus dem Sütra eingedrungen zu tilgen, und ist im Sütra zu hr. ca nicht anudra-
vati zu ergänzen, sondern zu verstehen: „und das Br. (findet statt)"? In der
Ausgabe der Bibl. Indica ist offenbar die Erklärung zu br. ca : brahmodyan
copärnsv evänudravati irrtümlich als Text gedruckt. Wie auch über diesen
Zweifel zu entscheiden sein mag, die ParaUeltexte stimmen im Hinweis auf eine
Mehrheit der Redenden bei diesem Brahmodya überein ; s. Sat. Br. IV, 6, 9, 20 ;
Käty. Sr. XII, 4, 20; Apast. Sr. XXI, 10, 12; 11,1; Panc. Br. IV, 9, 12; Läty.
111,8,7. — Vgl. zu diesem Brahmodya noch Bloomfield JAOS. XV, 172.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft-5. 49
726 H. Oldenberg,
Gesichtspunkt welter verfolgend, was sich aus den Materialien für
hrahmodya- usw. über das dabei in Betracht kommende hrähnian-
ergibt. Zunächst konnte ein solches hrdhman- natürlich der formel-
hafte, festgeprägte Ausdruck rituell - mystischen Wissens sein.
Konnte auch die nicht formelhaft gebundene Äußerung über der-
artige Fragen j,brähman-^ heißen? Kein Zweifel, wie wir gesehen
haben, daß sich in der Tat ein hrahmodya- in solchen Äußerungen
bewegen konnte. Unbedingt sicher ist doch der Schluß nicht, daß
diese darum als hrdhman- aufgefaßt sein mußten. Neben dem
Ausdruck hrahmodya- liegt nämlich nicht allein die Wendung brähma
vad- (z. ß. brdhma gandharvä dvadann dgäyan devah Ts. VI, 1, 6, 6*)),
sondern auch hrdhman vad- : devä vai hrdhmann avadanta Ts. III, 5,
7,2, wo ich den Lokativ nicht mit Geldner (Ved. Stud. II, 147)
„in Form eines Br." übersetze, sondern „über das Br."^) — eigent-
lich : sie unterredeten sich auf dem Gebiet des Brahman — , welche
Unterredung dann Tb. I, 2, 1, 6 als brahmavädd- erwähnt wird.
So bleibt die Möglichkeit, daß ein in freier Erörterung theolo-
gischer Fragen sich bewegendes hrahmodya- diese Bezeichnung
führen konnte nicht weil hrdhman- war, was man sprach, sondern
worüber man sprach. Ich meine doch, daß das unnötig spitze
Unterscheidungen sind. Bei dem Ineinanderfließen der Ausdrücke
hrdhman- und hrähmana-, das wir mehrfach beobachtet haben und
weiterhin beobachten werden, bei der Äquivalenz, welche eben in
den Parallelstellen zu dem besprochenen Ts. III, 5, 7, 2 zwischen
hrdhman sdmavadanta Käth. XXX, 10 und hrdhma sdmacadanta
Maitr. S. IV, 1, 1 erscheint^), endlich bei der Schwierigkeit, in
manchen Fällen zu sagen, was denn das hrdhman- in einer der
sonst geläufigen Bedeutungen des Worts wäre, über das die
hrahmavädinah gesprochen hätten, halte ich, wenn auch einstweilen
nicht für gewiß, so doch für wahrscheinlich, daß auch die Bräh-
mana-artigen Reden, welche die Theologen führten, als hrdhman-
angesehen worden sind*).
1) Das heißt natürlich nicht, wie Deussen (Allg. Gesch. der Phil. I, 1,243)
übersetzt: „das Brahman redeten die Gandharven, sangen die Götter" (ebenso
Griswold 7). Die Wortstellung und Maitr. S. JII, 6, 3 widerlegt das. Längst
hatte Delbrück (Ai. Syntax 370) das Richtige gegeben.
2) So auch Delbrück, Ai. Syntax 252 , ähnlich „regarding" Keith. Vgl. PW.
unter vad- 2 b.
3) Wenn in solchem Detail Verlaß auf die Texte ist.
4) Ein rgvedischer Vorläufer des Treibens der hrdhmavädinalt, des hrah-
modya- erscheint, wie schon Bloomfield SBE. XLII, LXIV bemerkt hat, in X, 71, 11
brahmä tvo vädati jätavidydm, welche Stelle durch die Verbindung wenn auch
Zar Geschichte des Worts brdhtnan-. 727
Einen letzten Fall des Auftretens von btdhman- innerhalb des
hier besprochenen Vorstellungskreises liefert das Kirukta (IV, 6),
wo bezüglich des Liedes Rv. I, 105 (Trita im Brunnen) gesagt
wird: tatra hrahmetihäsamisram rnmisram gätMmisrarn hhavati. Das
ist kaum anders vorstellbar wie als Brähma^atext, in den eine
Erzählung vom Typus der Sunahsepageschichte, in Prosa mit ein-
gestreuten rgvedischen und anderweitigen Versen, eingelegt ist ^).
Wieder beobachten wir das Zusammenfließen der Vorstellungen
von Brähmana und Brahman. —
So haben wir Verwendungen des Worts brahman- kennen
gelernt für Zaubertexte, für mannigfache nicht als rc- oder yajus-
angesehene Litaneien, für theologische und dgl. Erörterungen').
nicht von brahman-, so doch von brahman- mit vad- (vgl. Rv. IX, 113,6; X, 117,7)
an die ehen erwähnten Ausdrücke herangerückt wird. Daß hier der brahman in
dem engeren Sinne der wie es scheint ziemlich jungen, der Hotarschaft usw.
koordinierten speziellen priesterlichen Funktion zu verstehen sei, halte ich ab-
weichend von Pischel (Ved. Stud. I, 94) für wenig wahrscheinlich. Der Vers
hebt die Vielseitigkeit priesterlichen Könnens und Tuns hervor: der eine kennt
die rcah ; der andre singt die Gesänge ; ein andrer Brahmane trägt jätavidyd- vor ;
noch ein andrer vollbringt das Opfer nach seinen Maßen. Aus der Struktur
dieser Aufzählung ergibt sich so wenig, daß der Brahman im engeren Sinn
gemeint ist, wie etwa X, 90, 9 chdndäijisi, neben rcah sdmäni ydjuh stehend,
einen vierten Veda bedeutet. Auch darüber, was jätavidyd- ist, weiche ich von
Pischel ab („seine Sprüche" ; wörtlich hieße es bei Pischels Auffassung von jäid-,
wie Bloomfield und Hillehrandt in der Tat geben : -[bis] innate wisdom" ; „das
ihm eigene "Wissen" : das wäre für diesen Priester im Unterschied von den andern
wenig charakteristisch). Den Weg zur Deutung des "Worts zeigt m. E. der
Rgveda selbst mit den dort sehr häufig auftretenden, typischen Verbindungen von
Formen der Wurzel vid- „wissen" mit Objekten von der Art des jätd- : so devd-
näm jdnimäni IV, 27, 1 ; devanätn jdnma I, 70,6; devdnäm ubhdyasya jdnmanah
IX, 81, 2; janüsam I, 139, 9; jdnütn?i . . . janitram VII, 56, 2; prthiryd divö jani-
iram VII, 34, 2 ; jdnmäni VII, 10, 2 ; visvä jdnimä 111,31,8; VIII, 46, 12; visvä
veda jdnimä jätdtedäh VI, 15, 13; jdnam V, 53, 1 ; ydiah prajajne X, 73, 10. Die
Verbindung zwischen IV, 27, 1 etc. und dem Wort jätavidyd- stellt VIII, 39, 6
aynir jätd devdnäm . . . veda her (vgl. die devajätäni wie die Vasus, Rudras etc.
Sat. Br. XIV, 4, 2, 24). Der brahman-, welcher jätavidyd- redet, ist also ein
Mann wie der, welcher X, 72, 1 sagt devdnäm nü vaydm jdnä prd vocäma. —
Was das so ähnlich aussehende jätdvedas- ursprünglich ist, frage ich hier nicht ;
uns kann hier genügen, daß man es sich — mit Recht oder mit Unrecht — im
Sinn des visvä veda jdnimä (Rv. VI, 15, 13) oder des jätänätp veda (Ait. Br. II,
39, 11) gedeutet hat.
1) Vgl. meine Bemerkung ZDMG. XXVII, 80; Geldner Ved. Stud. III, 168.
2) Hier würden sich dann noch die Textkategorien anschließen, die an
Stellen wie §at. Br. XI, 5, 6, 8 (unten S. 728) namhaft gemacht sind. Doch s. S. 728
Anm. 2.
49*
728 H- Oldenberg,
Das alles aber tut natürlich dem keinen Eintrag, daß auch die
Grundelemente des geistlichen Textbesitzes, die Textmassen der
drei Veden, nach wie vor als hrähman- angesehen wurden: brah-
maiva pratliamam asrjata trayim eva vidyäm heißt es Sat. Br. VI, 1,
1, 8 (vgl. 10), und speziell mit Beziehung auf ein Yajus : tad enam
brahmanä yajusaitasmäc chatAdräd varnäd apädatte (das. VI, 4, 4, 9,
vgl. noch I, 7, 1, 8 ; IV, 5, 2, 4. 10). So kann man, scheint es, zwei
Verwendungen des Wortes unterscheiden. Einerseits bezeichnete
es geistliche Texte aller Art (und dazu freie Reden entsprechenden
Charakters?). Anderseits, da unter diesen Texten die rc-, yajus-y
säman- ihre besonderen Benennungen und fest abgegrenzten Be-
reiche besaßen, empfahl sich hrahman- als spezielle Bezeichnung
derjenigen Texte, welche nicht unter die drei Kategorien fielen.
Die erste Ausdrucksweise liegt vor, wenn Sat. Br. X, 2, 4, 6 vom
„ siebensilbigen brahman-'^ die Rede ist: rJc ist eine Silbe, yajuhnndi
mma je zwei; atha yad ato ""nyad brahmaiva, tad dvyaJcsaram vai
brdJima : wo doch, indem die vier Kategorien unterschieden werden^
zugleich auch der vierten, dem brahmaiva, ein gewisser Vorzugs-
anspruch auf die betreiFende Bezeichnung zuerkannt wird. Hierher
sind auch Äußerungen über den brahmayaßa- zu stellen wie die
von Sat. Br, XI, 5, 6, 4 ff,, wo nach den drei Veden an vierter
Stelle die Atharvängirasah, an fünfter die annsäsanäni vidyä väko-
väkyam itihäsapitränam gätliä näräsamsyah erwähnt werden ^) : alles
dies, als einen Gegenstand des brahnayajna- bildend, wird dadurch
doch wohl in gewisser Weise als brähman- charakterisiert^). Ich
vermute, daß in ähnlich allumfassender Bedeutung br. auch Av.
XV, 6, 3 zu verstehen ist tarn fcas ca sämäni ca ydjürnsi ca brdhma
mnuvyäcalan : nach den drei' besonderen Kategorien wird, meine
ich, das brähman- als das Allgemeine genannt, das jene drei, daza
andres, umfaßt. Ähnlich urteile ich über Av. XV, 3, 7 ; XI, 8, 23.
Möglich bleibt immerhin, daß doch brähman- dort als eine vierte
jenen dreien koordinierte Kategorie zu verstehen ist^): das wäre
dann eben die Gesamtheit der übrigen heiligen Texte, Worte usw.,
1) Ein näheres Eingehen auf die dort und in ähnlichen Aufzählungen (über
die besonders auf Bloonifield SBE. XLII, XXXV ff. zu verweisen ist) erschei-
nenden literarischen Kategorien liegt von dem hier verfolgten Zweck ab.
2) Freilich wird man gut tun, diesen Schluß nicht zu sehr zu urgieren. In
den „brahmayajJia-'' konnte einbezogen werden auch was doch nur eben an der
Grenze des „brähman-" lag, vom eigentlichen brähman- nur so zu sagen mitge-
zogen wurde.
3) Für XI, 8, 23 wird das indessen durch v. 30 ganz besonders unwahr-
scheinlich.
Zur Geschichte des Worte brdhman-. 729
die nicht den drei Veden angehören^). In diesem Sinn nun, dem
wir schon das hraJiniaiva von Sat. Br. X, 2, 4, 6 sich annähern
fanden, drückt sich die oben (S. 721) erwähnte Stelle Ts. VII, 3, 1, 4
aus: den drei Kategorien der rcah^ sämäni, ydjümsi, die alle pdri-
mlta- sind, wird als viertes das brdhman- gegenübergestellt, be-
welchem j^dnto ndsW. Es ist wohl nicht gemeint, daß das einzelne
hrdkman- keinen fest umschriebenen Wortlaut hätte: dies träfe in
vielen Fällen, z. B. eben inbezug auf die dort gemeinte Caturhotr-
Litanei, nicht zu. Sondern jeder der drei Veden hat seineu be-
grenzten Umfang; das übrige 6raÄMiö«- aber, in keinem literarischen
Corpus zusammengefaßt, bildet eine unbestimmte Masse ^). Auch
an der ebenfalls schon oben (S. 723) angeführten Stelle Sat. Br. II,
1, 4, 10 zeigt sich die hier besprochene Neigung, als hrdhman-
speziell das zu benennen, was nicht ^, Yajus oder Säman ist.
3. Noch einmal der Rgveda: das h rahm an- und
die einzelnen Priestertümer. Der Brähmanäc-
c harn sin. Wir kehren nach dieser Besprechung des sabda-
brahman-, wie man später sagte, in seiner jünger- vedischen Geltung
noch einmal zum Rgveda und zu der S. 720 aufgeworfenen Frage
zurück. Wie verhält sich im Rv. der Gebrauch des Worts brdhman-
zur Verschiedenheit der Priestertümer und der entsprechenden
liturgischen Funktionen ?
Die bisherigen Erörterungen haben uns den sehr allgemeinen
Sinn des Worts kennen gelehrt. Es verbindet sich im Rgveda
mit dem einen wie dem andern der beiden technischen Hauptverba
für liturgischen Vortrag: mit sams- wie mit gai-^). Wir sahen,
wie die verschiedenen Zweige der Vedaliteratur weiter die Be-
1) Daß an diesen Stellen, wie das PW. (unter brdhiHan- 2) annimmt, br.
speziell die Zaubersprüche (m. a. W. den Atharvaveda) als eine den Rc etc. gleich-
geordnete Gattung bezeichne, hat schon Bloomfield (a. a. 0. LXIII) zurückgewiesen,
mit dem ich hier ganz übereinstimme. Nichts ermächtigt uns, dem Wort diesen
besondem Sinn zu geben. Überhaupt aber wird eine Koordinierung von br. mit
rc- usw. durch die Form der Aufzählung so wenig gewährleistet, wie — ich habe
diese Parallele eben schon herangezogen — aus Rv. X, 90, 9 auf eine solche der
chandas- (Metra) mit den Rc, Säman, Yajus geschlossen werden könnte. Man
sehe etwa noch, in engstem Zusammenhang mit der einen in Rede stehenden
Atharvanstelle, die Aufzählung yon Ahavaniya, Gärhapatya, Daksinägni, Opfer,
Opferer, Yieh (Av. XY, 6, 5).
2) Vgl. etwa die Ausdrucksweise von Ait Br. lY, 6, 12: VIII, 5, 4: Sat. Br,
xm, 1, 3, 2.
3) Der Verbindung mit gai- gleichwertig ist es, da£ der Vortrag der säk-
varya^ durch die Vasisthas als brdhman- bezeichnet wird (Rv. VII, 33,. 4). Vgl.
NGGW. 1915, 379 Anm. 4.
730 H. Oldenberg,
ziehnng auf Zauberlieder, auf Yajus, auf sonstige Litaneien und
Äußerungen theologisclien "Wissens hinzufügen^). Die ganze
Priesterschaft, nicht irgendwelche Inhaber besonderer Funktionen
sind gemeint, wenn VII, 9, 5 von hrahmdkrt- ganä- die Rede ist-
Eben hrdhman- bzw. das offenbar gleichbedeutende, früh antiquierte
b/h-^) ist es, das in der Benennung des Grottes Brahmanaspati,
ßrhaspati seine Qualifikation als allgemeinster Ausdruck für das
mit übernatürlicher Kraft gesättigte, religiös-magische Wort be-
weist. Diese Sachlage ist offenbar der Annahme wenig günstig,
daß sich im Rgveda ein eigner etwa dem itMJid- oder gäyatrd-
koordinierter liturgischer Typus des hrdhman- vorfinden könnte.
Insofern allerdings kann auch hier ein gewisser Schein solcher
speziellerer Geltung des Ausdrucks vorliegen, als wohl auch
schon in diesem Veda hieratische Formeln, die den großen eben
erwähnten Kategorien nicht angehören, begreiflicherweise besonders
gern eben mit dem allgemeinen Ausdruck hrdhman- benannt werden
(vgl. oben S. 728). Wenn davon die Rede ist, daß der Priester
Indras Rosse durch zauberhafte Sprüche anschirrt, wird mit Vor-
1) Daß das hrdhman- als Wort, dem transzendente Macbt im Allgemeinen
innewohnt, jenseits des Gegensatzes — wenn man einen solchen statuieren will —
von Magie und Religion steht, liegt in dem Gesagten, sei aber hier zum Überfluß
noch ausdrücklich hervorgehoben.
2) Daß dies bfh- ursprünglich „Berg" bedeutete, bfhaspäti- „Herr der Höhe"
und Beiname des Indra war, und erst eine brahmanische, von den europäischen
Gelehrten allzu gläubig hingenommene Umdeutung jenen Gott zu einem brdhmanas
pätir gemacht hat (0. Richter IF. IX, 220 f.): dies alles erscheint mir als ein
Hypothesenbau in die Luft hinein, im Überlieferten schlechterdings nicht funda-
mentiert, vielmehr die unverdächtig durchsichtige Struktur der dort gegebenen
Vorstellungsmassen (vgl. zuletzt NGGW. 1915, 196 f.) unnötig zerstörend. — Bei
dieser Gelegenheit, wo ich das Gebiet der Etymologie berühre, möchte ich noch
bemerken, daß die hier vorgelegten Untersuchungen, wie man sieht, keinen Antrieb
enthalten — ich stimme hier mit Osthoff überein — hrdhman- von Wurzel hrh-
„erheben, stärken" abzuleiten. Daß das hrähman- Stärkung des Gottes ist, (siehe
unten S. 734 Anm. 3), ist eben nur eine, man kann sagen zufällige Seite der
Vorstellung; andre Seiten passen zu jener Etymologie schlecht, ohne sie freilich
direkt auszuschließen: das Band zwischen Etymologie und Gebrauch des Worts
kann ja ein recht loses sein. Der Gebrauch von bfhdnt- zeigt m. Fi. mit der
Vorstellungssphäre von hrdhman- keine wirklich signifikanten Berührungen. Das
Nebeneinanderstehen von hrahmar^- und hrahmdn-, (wie dhärman-, sddman- nebeu
dharmdn-, sadmdn-) läßt ein vielleicht in rgvedischer Zeit noch nicht sehr lange
aus dem Gebrauch verschwunden gewesenes Verb *hrh- annehmen (das zugeliürige
Wurzelnomen hfh- scheint ja bis nah an jene Zeit heranzureichen), für das man
im Einklang mit den Untersuchungen Osthoffs ungefähr die Bedeutung „eine
beilige bzw. magische Formel (Hymnus u. dgl.) vortragen" vermuten möchte.
Zur Geschichte des Worts hrähman-. 731
liebe das Wort Irdhman- gesetzt. Für die Havirdhänawagen
schirrt man hrähma pürvifäm an (X, 13, 1; IF. XXXI, 126 ff.). Den
bösen Geist, der die Leibesfrucht der Frau gefährdet, vertreibt
Agni zasammen mit dem hrdhman- (X, 162, 1. 2): ganz wie im
Atharvaveda (oben S. 720) derartige Erfolge hrdhmanä erzielt
werden. Das alles ist leicht genug verständlich.
Etwas schwieriger aber ist eine weitere Frage, an der sich
in diesem Zusammenhang nicht vorübergehen läßt. Das vedische
Ritual kennt einen vom brahmdn- der gewöhnlichen rituellen Ter-
minologie verschiedenen, überwiegend mit dem Preise Indras be-
schäftigten Priester, der in alter Zeit — offenbar ehe es jenen
brahmdn- gab — seinerseits brahmdn-, später brähmanäcchamstn-
hieß (vgl. meine Rel. des Veda^, 396) — ich übersetze die letztere
Benennung: der mit Rezitationen (samsa) auf Grund seiner Brah-
manschaft Betraute. Inbezug auf den Brähmanäcchamsin nun,
welcher der Sache nach — wenn auch nicht unter diesem Namen
— schon in der rgvedischen Periode existiert hat, warf ich schon
bei einer früheren Gelegenheit (NGGW. 1915, 207 A. 4) die Frage
auf: „Besteht zwischen ihm und dem Hotar von Haus aus der
Unterschied, daß der Letztere ukthd- (Preislieder), er aber brdh-
man- (Zauberlieder) vorzutragen hat? Häufiges Auftreten gerade
des Terminus brdhman- in seinen Texten spricht vielleicht dafür."
Das stände in einem gewissen Widerspruch zu den hier gewonne-
nen Ergebnissen, nach denen brdhman- nicht eigentlich „Zauber-
spruch" bedeutet, sondern nur aus erklärlichen Gründen besonders
leicht von Zaubersprüchen gebraucht wird. Ich versuche den
Sachverhalt und überhaupt, so weit ich imstande bin. das Wesen
dieses Brähmaijäcchamsin aufzuklären, der in eigentümlicher Weise,
nach seiner alten Benennung als „Brahmane^ schlechthin, mit
seinen, wie erwähnt, speziell dem Indra geltenden Rezitationen
neben dem Hotar und dessen großen, an die verschiedensten
Götter, besonders aber eben an Indra gerichteten Litaneien steht.
Zunächst ist klar, daß die Rezitationen des Br. ^) in ihrem
technisch - liturgischen Wesen durchaus unter den gewöhnlichen
Typus der sastra- fallen, auf den ja schon der Name des brähma-
näc chamsin- weist. Wie andre sastra- folgen sie einem voran-
gehenden siotra-] es gehört der ähäva-, der pratigara- dazu (Vait.
S. 15, 15 ff.); das uktham väci, uktham vacindräi/a, om uTithasäh (das.
20,21; 21,5), der Vortrag der Yäjyästrophe schließt sich an. Von
1) Für den Agnistoma sind diese bei Caland-Henry 248 f., 319 flF. mit ge-
wohnter Sorgfalt beschrieben.
732 H. Oldenberg,
einer Verschiedenheit also wie etwa bei den Vorträgen der Ud-
gätäras kann gegenüber denen des Hotar nicht die Rede sein.
Der Br. gehört eben zu den „Hotraka", über deren Gleichartig-
keit mit dem Hotar das Aitareya Brähmana (VI, 8, 9) zutreflPend
spricht.
Ist also eine Besonderheit des Brähmanäcchamsin hinsichtlich
der liturgischen Technik nicht vorhanden, so kann sich seine
Eigenart nur im Inhalt seiner Rezitationen ausprägen, in der
speziellen Beziehung zur Grottheit und dem von ihr gehofften Segen.
Eine solche Besonderheit nun tritt zwar, wie begreiflich ist,
entfernt nicht überall und nicht mit vollkommener Schärfe hervor.
Aber mir scheinen doch Züge, die auf sie hinweisen, genugsam
vorhanden, um Beachtung zu verdienen.
Täusche ich mich nicht, so liegt das Wesen dieses Priesters,
entsprechend seinem Namen als hrahmän- oder als der kraft der
ftraÄmaw Schaft Rezitierende darin, daß in seinem Verkehr mit den
Göttern, insonderheit mit dem Hauptgott der Somafeier Indra,
auf beiden Seiten — bei ihm wie bei den Göttern — das Motiv
des Brahmanenwesens hervorgekehrt ist. Ich versuche die ihrer
Natur nach von Verschwommenheit nicht freie Vorstellung so
weit wie möglich zu präzisieren und zu veranschaulichen. Folgende
Punkte sind hervorzuheben :
1. Indra wird, wo es sich um den Brähmanäcchamsin handelt,
speziell von der Brahmanenseite seines Wesens her aufgefaßt.
Daß er eine solche besitzt, ist schon an einigen Stellen des Flgveda
erkennbar, brahmdnam wird VI, 45, 7 von ihm gesagt ; indro brah-
mendra fsih VIII, 16, 7 ; er ist brähmano devdkrtasya rajä VII, 97, 3 ;
mdda uldhäni samsaü X, 44, 8;. mehr s. bei Bergaigne, Rel. ved.
II, 277, und Vs. XXVIII, 28. Nun betrachte man die Pravara-
formel, bei der jeder der installierten Priester mit einem Gott
(bzw. der Maiträvaru^a mit einem Götterpaar) parallelisiert wird.
Da kommt Indra zweimal vor, beim Hotar und beim Brähmanäc-
chamsin; dazu die Formeln: indram hoträt sajür diva ü pj-thivyäh
(beim Hotar) ; indro brah ni ä brdhmanät (beim BrähmaQäcchamsin),
Äpastamba ^r. XI, 19, 6. 8, vgl. Caland-Henry 186 f. Genau ent-
sprechend bei den ftuyäjäh (Cal. -Henry 224 ff.), wo die Prai§a-
formel für Indra in Verbindung mit dem Hotar lautet hotä ydk§ad
indram hoträt sajür diva ä pfthivyä ftunä soniam pibatu, hotar yaja;
dagegen für denselben Gott in Verbindung mit dem Brähmanäc-
chamsin : hotä yah§ad indro brahmä brähmanäd *) Ytunä somam
1) Dies brähmaiukät des Rtuyäja-Rituals und damit der daran Längende Vor-
Zur Geschichte des Worts hrähman-. 733
pibatu, brahman yaja. Vgl. noch Sat. Br. IV. 6, 6, 5 ^). Es ist klar,
wie eben diese Seite des Gottes in eben diesem Zusammenhang,
im Gegensatz zur sonstigen Auffassung, bemerkbar hervorgekehrt
wird.
2. Damit steht weiter in genauem Einklang, daß neben Indra
in zweiter Linie auch Brhaspati Gottheit des Brähmanäcchamsin
ist: der göttliche Brahman. der an Indras Seite steht wie der
menschliche Purohita an der Seite des Königs. Bei den prasthita-
lioma- des dritten Savana, wo sich die Verehrung zahlreicher
Götter und Götterpaare auf die verschiedenen Priester verteilt,
hat es der Brähmanäcchamsin mit Indra und Brhaspati zu tun
(Caland-Henry 348). Beim Ukthya trägt er ein eigenes Sastra
an dasselbe Götterpaar vor (Vait. Sütra 25, 3 ff.). So finden sich
denn im 20. Buch des Atharvaveda. das bekanntlich der Haupt-
sache nach eine Samhitä des Brähmanäcchamsin ist-), neben den
vorherrschenden Indratexten auch zahlreiche an Brhaspati oder
an Indra und Brhaspati: beispielsweise unter den Texten des
eben erwähnten ukthasastra- Av. XX, 16 an Brhaspati, 17 an Indra
und an das Paar Indra-Brhaspati.
3. Im Zusammenhang mit alldem kann es m. E. nicht bloßer
Zufall sein, daß im Textmaterial des Brähmapäcchamsin der Aus-
druck hrdhrunn- besonders gern verwandt wird. Ich verfolge das
nur für den auf den Agnistoma bezüglichen Teil (Av. XX, 1 — 13).
Gleich nahe dem Anfang erscheint der dann im weiteren Verlauf
dieser Samhitä mehrfach wiederkehrende Trca XX, 3 (= JRv. VIII,
17,1 — 3); dort heißt es hrahniaytijä hdrl; üpa hraJimäni nah srnu
(dann: hrahmanah). Weiter XX, 8, 1 srudhi brähma: in einer
größeren Reihe von Versen, die sich auf verschiedene Priester
verteilen (Caland-Henry 286 f.), enthält gerade der des Brähma^äc-
chamsin, und nur dieser, das Wort hrdhma. Dann weiter: 9, 3
tcid hrdhma pünäcUtaye; 11,1 hrähmajütah : 12,1 üd u brähniäny
airata: 12,3 üpa brähmäni JHJasänam asthuh.
Ich halte es nicht für möglich, im Rgveda auf Grund des
Auftretens dieses Terminus hrähman- zwischen Liedern — in erster
Linie Indraliedern — , die speziell für den Brähmanäcchamsin
(nach der alten Terminologie: für den Brahman) bestimmt waren,
Stellungskreis läßt sich in den Rgveda (I, 15, 5 ; II, 36, 5) zurückverfolgeu. Gerade
dieser Ablativ ist solenn; es ist derselbe, der im Namen des Bräbmanäcchamsia
enthalten ist.
1) Dort ist auch die Bede von dem Indra geweihten, in engstem Zusammen-
hang mit den Funktionen des Brähmapäcchamsin stehenden „Brahmasäman'^.
2) S. meine Prolegomena 347; Caland, das Vaitänasütra des Av., S. YI.
734 H. Oldenberg,
und anderweitigen Elementen scliarf zu scheiden^). Soviel sich
bis jetzt sehen läßt, fließen die Grenzen. Aber trotz dieser Un-
bestimmtbeit läßt sich, scheint mir, doch für den Rgveda wenigstens
in Spuren^), dann deutlicher im späteren Ritual ein gewisser
individueller Charakter des hier in Rede stehenden liturgischen
Gebiets erkennen : ein Priester erscheint, dessen besondere Aufgabe
es ist, als Genosse des Hotar in den diesem und seinen andern
Genossen eigentümlichen liturgischen Formen den Zusammenhang
hervorzuheben, der speziell das priesterliche Wesen mit Indra
verbindet, im Einklang damit Indras göttlich-priesterlichen Ge-
nossen, den Brhaspati, zu ehren, und so denn durch Betonung
dessen, was schon die Sprache als die eigentliche Leistung der
brahmdn- charakterisiert, des bräJiman-, dieses värdhana- des Indra ^),
die dem starken Gott allerseits dargebrachten Huldigungen an
«einem Teil zu mehren.
4. Weitere Bedeutungsentwicklung von brdhman-.
Der Weg von der ursprünglichen konkreten Bedeutung „heilige
Formel" zur Geltung des Worts brähman- für das Allwesen ver-
läuft durch Regionen, in denen die Verschwommenheit der Ge-
dankenspiele oft nur unbestimmteste Linien zu erkennen erlaubt.
Zuvörderst verfließen die alten festen Umrisse des brähman-] dann
werden die fließenden Gebilde von der Phantasie in höchste, aber
nebelhafte Höhen erhoben. Der Zusammenhang mit dem Ursprüng-
lichen macht sich doch, wenigstens auf weiten Strecken des Weges,
immer wieder fühlbar.
Es kann hier nicht die Absicht sein, die Details dieses Chaos
erschöpfend zu durchforschen. Ich verfolge nur die Haupt-
richtungen, in denen die Linien oder vielmehr die unbestimmten
Massen der Vorstellungen mir zu verlaufen scheinen.
Nicht erst in dem Zeitalter, mit dem wir es zu tun haben,
kommt die Vorstellungsweise auf, aber sie wird doch jetzt mit
1) Doch wird beispielsweise für die kleine dem Krs^a Aügirasa zugeschrie-
bene liiedersammlnng X, 42 — 44 immerhin auch trotz Fehlen dieses Terminus
Bestiiiunung für den ßr. vermutet werden dürfen.
2) S. oben S. 732 Anm. 1.
3) Darüber, daß von dem auf liturgischem Wege herbeigeführten Erstarken
(tjäh; värdhana-) Indras mit Vorliebe eben unter Anwendung des Worts brdhman-
gesprochen wird, vergleiche man Bergaigne, Rel. v^d. II, 273 f. Der Grund für
diese Bevorzugung vor andern Ausdrücken wird einerseits in der entschiedeneren
Betonung des sakralen Elements als etwa bei gir-, anderseits in der allgemeinen,
nicht auf bestimmte Priestertümer beschränkten Natur des brähman- liegen: man
beachte etwa die bezeichnende Ausdrucksweise von VI, 23, 5.
Zar Geschichte des Worts hrähman-, 735
besonderer Vorliebe gepflegt — die Vorstellungsweise , welche
Kräfte, Verhältnisse, Handlungen, Geschehnisse aller Art, das
Jahr wie das Opfer, die Himmelsgegenden wie die Unsterblichkeit,
Wahrheit und Unwahrheit als konkrete Wesen hypostasiert, die
bald personenhaft hin und her laufen, reden, begehren, bald als
Fluida ergossen werden, in einander eingehen, einauder durch-
dringen. So hat das hrähman- jetzt sein Dasein nicht mehr allein
als dieser und jener Hymnus oder Zauberspruch. Es ist zugleich
eine Art mystischer Hymnen- und Spruchsubstanz, wie der yijfid-
Opfersubstanz ist; gelegentlich mit einem gewissen persönlichen
Anflug^): ein einheitliches Wesen und wiederum fähig, zugleich
in mannigfachsten Daseinsforraen zu existieren, in eine bunteste
Fülle von Beziehungen einzugehen. Während in der älteren Zeit,
wie wir gesehen haben, hrähman- neben Worten wie uhthä-, stoma-
fjir- aufzutreten pflegt, verbindet es sich — der Wechsel ist be-
zeichnend — jetzt gern auf der einen Seite mit l'saträ-, auf der
andern mit täpas-, dlksä-j satyä- oder Ahnlichem und übt zusammen
mit diesen Wesenheiten auf verschiedensten Gebieten sein phan-
tastisches Wirken.
Da zeichnet sich nun zuvörderst am bestimmtesten und wohl
auch am frühsten der Kreis der Vorstellungen ab, welche das
hrähman- als den ihm verwandten Menschen, den Brahmanen, inne-
wohnend betreffen: wobei die Korrelation von hrähman- und ksaträ-
die Rolle eines Leitmotivs übernimmt. Wir sahen (S. 719), daß
schon im Kgveda dahin gehende Außerangen erscheinen, die dort
aufzutreten eben erst anfangen; weiterhin finden sich dann die
Belege sehr reichlich. Für die Hauptstelle des Rgveda VlII, 35 ^
16 ff., liegt, wie gezeigt wurde, die Auffassung nah, daß das hräh-
man- als der Schatz der Vedentexte hier noch im selben Sinn
den wesentlichen Besitz des Brahmanenstandes ausmacht, wie
Kühe den des Bauern : zugleich aber steht dort das brdhman- anch
schon in Korrelation mit dem Jcsaträ-, der innewohnenden
Kraft des Adligen. In den Brahmanenschüler, wird in späterer
Zeit gesagt, ist „das hrähman- hingetan" ; er „trägt (in sich) das
strahlende hrähman-'^ (Av. XI, 5, 22. 24). Da erscheint deutlich die
Vorstellung des Vedaworts, das in sich aufzunehmen eben man
Brahmanenschüler wird: in einen solchen Schüler „gehen" ja ,.alle
Veden ein" (Sat. Br. XI, 3, 3, 7).
Nun freilich erweitert sich die Vorstellung in der Richtung,
1) Man sehe etwa Av. XIV, 1, 54 oder die imten erwähnte Stelle ibid. XV,
10,3.4.
736 H- Oldenberg,
die hier von selbst gegeben ist: brahmanisches Selbstbewußtsein
nimmt in das hrähman- die ganze Fülle mystischer, über das pro-
fane Dasein unvergleichlich erhabener Heiligkeit auf und die Ge-
samtheit der Rechte und Pflichten, die aus solcher Heiligkeit er-
wachsen. Der Einfluß, den da die Vorstellung des Jcsaträ- als der
das Wesen des Ksatriya in sich schließenden Kraft vermutlich
geübt hat, ist schon oben (S. 719) hervorgehoben worden. So
stehen also das hrähman-, jetzt mehr als das bloße Vedenwort,
und das Jcsaträ- als zwei „Kräfte" {vtrye, Öat. Br, I, 2, 1, 7) neben
einander, hrähman- und l'saträ- — hier sind sie zu einer Art
mystischer Personen geworden — „sprachen: *In wen sollen wir
eingehen?' 'In Brhaspati (den göttlichen Brahmanen) soll das
hrähman- eingehen, in Indra (den göttlichen Helden) das Jcsaträ- ^
(Av. XV, 10, 3. 4). „Das hraJiman- legte in die Brahmanen seine
Majestät {mahiman-) verbunden mit Studium und Lehren (des Veda),
mit Opfern für sich und für andre, mit Geben und Empfangen
von Gaben, zur Bewahrung der Veden" (Baudhäyana Dharm. I, 10,
18, 2). -
Neben dem Brahmanen sodann ist eine weitere Wesenheit,
der das hrähman- vorzugsweise innewohnt, das Opfer. Auch hier
ist klar, daß die ursprüngliche Natur des hr. als heiliger Formel
durchaus zugrunde liegt. Die Hymnen und Sprüche, die zum
Opfer gehören, stehen in dessen Mittelpunkt, teilen ihm lebendige
Kraft mit. Man lernt opfern, indem man die Opfertexte lernt.
„Und so weiß man: stehend, gehend, sitzend, liegend, welches
Opfer (d. h. die Texte welches Opfers) immer jemand studiert,
mit diesem Opfer hat er geopfert" (Asv. Grhy. III, 4, 6). „So
groß ist das gesamte Opfer, wie der dreifache Veda ist" (Sat.
Br. V, 5,5,10). Wenn es da also heißt: „das Opfer ist das Brah-
man" (das. III, 1,4,15), so liegt auch hier der Zusammenhang mit
dem in unsern Untersuchungen immer wieder hervorgehobenen
Ausgangspunkt der hräJiman-Y orsiellung zutage. Natürlich konnten
nun hier und da auch Äußerungen wie die folgende nicht aus-
bleiben : „Das sichtbare hräJiman-, dessen Gelenke die Zurüstungen
(des Opfers) sind, dessen Rückgrat die rc-, die Haare die säman-,
das Herz das i/ajus- heißt, seine Streu die Opferspende" (Av. IX,
6, 1 f.) — wo, wie man sieht, neben den heiligen Texten auch
greifbare Elemente der Opferverrichtung als Bestandteil des „hräh-
man'" erscheinen: wonach die Auffassang von der ursprünglichen
Natur des hräJiman- zu modifizieren man sich nicht versucht fühlen
wird. Überhaupt ginge man wohl zu weit, wollte man aus Sätzen
wie den eben angeführten direkt ein wirkliches Stück Bedeutungs-
Zur Geschichte des Worts brähman-. 737
entwickluDg von hr. herauslesen. Sehr viel vollgiltiger, als wenn
es beispielsweise heißt „der Paläsabaum ist Brahman", sind jene
Ausdrücke wohl nicht ^). —
Das hrdhman- endlich wirkt nicht im Brahmanen und im Opfer
allein, sondern in der Natur, in der ganzen weiten Welt. Die
magische Kraft der vom Priestertum gehandbabten heiligen Formel
ist allbezwingend: so muß der mystischen Wesenheit des brdhman-
an sich, auch ohne daß es von rezitierenden oder singenden Brah-
manen in Tätigkeit gesetzt wird, Allgewalt gehören. Es beherrscht
das Geschehen im Einzelnen; es zeichnet ihm im Ganzen die blei-
benden Ordnungen vor. Zu keinem andern Ausdruck für die im
Chaos, über dem Chaos der Dinge und Vorgänge regierende Macht
fühlt sich die Brabmanenphantasie so stark hingezogen wie zu
diesem, der an die Übermacht der eignen geheimen priesterlichen
Kunst über alle profanen Gewalten erinnert. So wird das bräh-
man- man kann sagen zu einem brahmanisch-grotesken Logos.
Ein Vorspiel dieser Entwicklang, ihrer eigentlichen, charakte-
ristischen Ausprägung noch weit voranliegend, läßt sich im Purusa-
hymnus des Rgveda (X, 90) erkennen, wo beim weltbegründenden
Uropfer neben den Tieren, den menschlichen Kasten usw. auch rc-
und sänian-, Metra und ydjus--) entstehen (Vers 9). Da sind die
heiligen Texte nicht mehr wie in den älteren Teilen des Rgveda
das Werk menschlicher Poeten, von diesen „gezimmert gleich einem
Wagen"; sie haben vom Anfang des Weltdaseins her ihre eigne
Existenz. Doch dieser Rang kommt ihnen immer noch mit vielen
andern Wesenheiten gemeinsam zu, und das Schlagwort brähman-
fehlt; davon daß dieses den weltbeherrschenden Kräften wie dem
rtd- gleichgestellt wäre, findet sich im Rgveda keine Spur. Dem
halte man nun etwa die Kosmogonie von Öat. Br. VI, 1, 1, 8 gegen-
über, wo der Weltschöpfer, Puru§a Prajäpati, Kasteiung übend
„das brdhman- als das erste schuf, das dreifache Wissen (der drei
Veden). Dies wurde ihm zum Halt; darum sagt man : das 6m7jmaM-
ist der Halt dieses All". Und noch einmal in dem wirren Verlauf
dieser Kosmogonie etwas später: der Schöpfer geht „zusammen
mit dem dreifachen Wissen* in die Wasser ein; ein Ei entsteht:
1) Daß man, wo es sich nicht um mystische Identifikationen sondern um
Benennung der Dinge mit ihrem wirklichen Namen handelte , von konkreten
Opferverrichtungen als hrdhman- gesprochen hat, bezweifle ich durchaus auch für
dies Zeitalter wie für das rgvedische. Wenn ein Yajus lautet dgne brdhma
grbhmsva (Vs. I, 18), so hätte Eggeling (^at. Br. 1,2,1,9) m, E. besser nicht
übersetzt: „Accept, 0 Agni, this holy work".
2) Nicht „die vier Veden" (Griswold 32).
738 H. Oldenberg,
„aus dem wurde das brdhman- als das erste geschaffen, das drei-
fache Wissen; darum sagt man: das brdhman- ist das Erstgeborene
dieses All" (§ 10). Man sieht, wie hier das Brahman, zu einer
universellen Potenz und einem Hauptfaktor der Kosmogonie ge-
worden, darum doch sein altes Wesen als das in den drei Veden
verkörperte heilige Wort nicht aufgegeben hat. Nunmehr wird
vom hrdhman- in solchen Ausdrücken gesprochen wie daß die
Götter es zum herrlichsten unter sich gemacht haben. Sie sind
durch das hrdhman- unsterblich geworden. Himmel und Erde
werden dadurch festgehalten (Sat. Br. VIII, 4,1,3; XI, 2,3,6).
Es ist der Wald, der Baum (d. h. das Holz, die Materie), daraus
Himmel und Erde gezimmert ist (Tb. II, 8, 9. 6 — 7). Ist da nun
die alte Bedeutung des Worts verschwunden? Das für jede ein-
zelne Stelle zu bejahen oder zu verneinen ist unmöglich. Das
hrdhman-, in dem die Sonne festgestellt ist, wird als das „sieben-
silbige &r." beschrieben, von welchem rc-, yajiis-, sä man- i'dni Silben
ausmachen und alles übrige brdhman- zwei Silben (Sat. Br. X, 2,
4, 6) : hier ist es wieder einmal deutlich, daß das zu kosmischer
Höhe aufgestiegene brdhman- doch immer noch nicht aufgehört
hat, zugleich das Vedenwort zu sein^). Anderwärts mag anders
zu urteilen sein; es scheint nur natürlich, daß das Hereinströmen
so mächtigen, wenn auch wirren neuen Inhalts die alte Vorstellung
oft mehr oder weniger vollständig zurückdrängte, an die dann
anderseits doch wieder der auch jetzt lebendig bleibende Gebrauch
des Worts in seinem früheren Sinn immer wieder erinnern konnte.
In Texten wie Av. X, 2. 7. 8 ; XI, 5, auf die ganz besonders zu-
trifft, was hier mehr oder minder überall gilt, daß nicht arbei-
tendes Denken, sondern spielerische Phantasie — indisch maßlose
Phantasie — das Wort führt, zeigt sich das brdhman- in einer
Unbestimmtheit, der gegenüber eine auf feste Vorstellungen hin-
zielende Exegese meist hilflos verstummen, oft auch sich geflissent-
lich zurückhalten wird in dem Bewußtsein, daß Klarheit hier eben
nur die Echtheit des Bildes fälschen würde '^). Auf Einzelunter-
1) So ist auch da, wo das hr. das Beiwort jye^tha- angenommen hat, das
Mitspielen der alten Vorstellung keineswegs ausgeschlossen, vielmehr an einzelnen
Stellen deutlich erkennbar.
2) Aus den eben erwähnten Texten Ar. X, 7. 8 ; XI, 5 hebe ich nur die auch
hier deutlich sich aufdrängende Äquivalenz von brahmana- und hräliman- hervor;
man beachte insonderheit den Wechsel von hrdhma jt/efthätn, jye?ßdin brähmaitam,
hrähma^atu hrdhma jyefthdm. Das steht im vollen Einklang mit dem, was oben
8. 722 usw. sich inbezug auf das Verhältnis der beiden Ausdrücke ergeben hat. Wenn
l)rdhmana- so an verschiedensten Stellen seiner Gebrauchssphäre mit brdhman-
Zur Geschichte des Worts hrdhman-. 739
fiuchungen, die auch für diese Strecke des Entwicklungsweges
festzustellen hätten, wie weit doch an diesem oder jenem Punkt
ein Fragment bestimmt geformter Gredanken erkennbar werden
kann, verzichte ich einstweilen. So viel darf schon jetzt ausge-
sprochen werden, daß der letzte Schritt, der dann in der Ge-
schichte des Worts hrdhman- geschehen ist, an das Vorangehende
sich verständlich anschließt. Als die Spekulation der Upanisaden,
jene Xebelreiche hinter sich lassend, die Idee einer ewigen, jeg-
liches Dasein durchdringenden Allkraft nicht mehr, wie das frühere
Denken, nach launenhafter Willkür hier und dort für Augenblicke
auftauchen ließ, sondern sie mit starkem Entschluß, mit tiefstem
Ernst erfaßte und festhielt, mußte unter den Ausdrücken, mit
denen die tastenden Versuche der Sprache das große Mysterium
zu benennen strebten, brdhvian- in erster Linie stehen. Vereinten
sich hier doch die Vorstellungen heiliger Majestät, einer das Welt-
dasein lenkenden höchsten Macht, des über allem Offenbaren nn-
endlich erhabenen Greheimnisses, dazu endlich — im Widerspruch,
aber in sehr verständlichem Widerspruch mit diesen aufs Univer-
selle gerichteten Zügen — der Verwandtschaft, nein der Identität
mit dem, worin sich für das Selbstbewußtsein dieser Denker die
weltentnommene, weltüberwindende Erhabenheit des eignen Standes,
der eignen Persönlichkeit ausdrückte. Nunmehr mußte sich frei-
lich der vorher schon in der Bildung begriffene Riß gegenüber
der bescheidenen Grundbedeutung des Wortes erweitern und be-
festigen. „Nicht denke man vielen Worten nach; das heißt ja
nur die Rede ermüden", so sah man es jetzt an. Da war denn
die Unterscheidung zwischen den „zwei Brahman", „dem Wort-
brahman und dem, welches das höchste ist", unvermeidlich ge-
worden. —
Um zusammenzufassen: treffen die vorstehenden Untersuch-
ungen das Richtige, so hat sich herausgestellt, daß die Bedeu-
tungen von hrdhman- nicht von einem Fluidum ausgehen , das
gleichermaßen im heiligen Wort, in der heiligen Handlung, im
heiligen Menschen wohnt. Sondern zu Grunde liegt die Vor-
stellung des heiligen Worts. Neben das konkrete, reale Wort
tritt eine gewisse Hypostasierung der sakralen und magischen
Wortwesenheit, Erst insofern das heilige Wort im Brahmanen,
zusammenfließt, scheint mir darin ein deutlicher Hinweis darauf zu liegen, daß
in der bekannten Kontroverse, ob hrdhmana- von hrdhman- oder hrdhmdn- kommt,
die erstere Auffassung zutrifft (um das brähmana- von Rv, I, 15,5; II, 36,6
handelt es sich natürlich nicht). Eine überzeugende Spur des Zusammenhangs
mit brahmän- kann ich im Gebrauch von brähmana- nicht entdecken.
740 H- Oldenberg,
im Opfer, im Weltdasein lebt und wirkt, fängt das brdhman- an
als die Potenz zu erscheinen, die den Brahmanen zum Brahmanen
macht, die das rituelle, das kosmische Geschehen beherrscht. Man
hat im Brahman, wie schon oben berührt wurde, einen indischen
Ausdruck für die Vorstellung jener durch die Welt verbreiteten,
geheimnisvoll übernatürlichen Macht gesehen, welche die heutige
Religionswissenschaft mit melanesischem Namen als Mana za be-
nennen liebt. Dem Mana immerhin ähnlich ist das Brahman ge-
worden. Ursprünglich gewesen ist es etwas andres.
Anhang. Vhevpurväcitti-.
Treffend macht Geldner (Glossar) darauf aufmerksam, daß
in der Nachbarschaft von pUrvacitti- gern brahman- steht. Täusche
ich mich nicht, so hat seine Auffassung des ersteren Worts („die
erste Erkenntnis, Kunde" ; insbes. „die erste Idee des Dichters,
poetische Eingebung, Erleuchtung") die von brahman- beeinflußt,
unter dessen Bedeutungen er, wie oben S. 717 Anm. 2 bemerkt
ist, hervorhebt: „die geheimnisvolle Kraft, die den Dichter
inspiriert und zum Seher macht und die er auf die Götter über-
trägt" — wobei zwei Belege vorangestellt werden, die eben das
Wort pilrvdcittaye enthalten, VlII, 6, 9; 3, 9. Ich möchte hieraus
den Anlaß entnehmen, die mir wahrscheinliche Auffassung von
pTirväcitti- darzulegen, welche von der offenbar sehr sorgfältig er-
wogenen Geldners abweicht. Gehen wir auf frühere Perioden der
Rgvedaexegese zurück, so begegnen wir recht unsicherem Tasten.
So übersetzt Ludwig an den beiden eben angeführten Stellen:
VIII, 3, 9 tat tvä yämi suvtrynm tdd brähma piirväcittaye „um diese
Heldenstärke fleh ich dich an, daß dieses Brahma's du zuerst ge-
denkest"; dagegen VIII, 6, 9 f^rd (scü. naslmahi) brdhma pilrvdcittaye
„erreichen mögen wir . . . das Brahma zur Morgenandacht". Dabei
sind die beiden Stellen, wie man sieht, einander ganz ähnlich und
stehen in naher Nachbarschaft, in Abschnitten von sehr gleich-
artiger Ausdrucksweise.
Mir ist nun von vornherein nicht wahrscheinlich, daß das
pürva- eine ich möchte sagen so ideelle Nuance enthält wie die
einer ersten poetischen Eingebung — gemeint müßte doch wohl
sein : im Gegensatz zu der dann folgenden Durchführung und Aus-
gestaltung des im ersten Moment intuitiv Erfaßten. Ich halte
mich an die beiden dem pürvdcitti- gleichartigsten Worte der
Zur Geschichte des Worts brähman-. 741
Rgvedaspraclie : an pürvapiti und pürvähüti- ^). In beiden liegt
eine gewisse Rivalität: daß der betreffenden Gottheit das Recht
Zukommt vor andern Göttern zu trinken (I, 135,1: vgl. dazu
I, 134,6; IV, 46,1; VIII, 100,2 etc.). vor andern angerufen
zu werden (I, 123, 2). Ebenso wird, meine ich, pürvdcitti- ein
Wahrnehmen, ein Denken bedeuten, das vor anderm Denken einen
Vorrang oder Vorsprung hat — vermutlich zum Vorteil einer
dabei in Frage kommenden Person. Wenn nun VIII, 6, 9 der
Dichter das hrähman- zu erlangen wünscht lyüriäcittaye , so ist
wohl wahrscheinlich, daß diese Person er selbst ist; fraglich aber
ist, ob er selbst vor andern Betern das hrahman- wahrnehmen
und dadurch jenen zuvorkommen möchte (also pürva- der Beter
als Subjekt), oder ob er vielmehr wünscht, daß der Gott sein
hrahman- vor dem der andern wahrnehme und durch Erhörung
segne (pürva der Beter bzw. sein Gebet als Objekt)^). Die hier-
nach sich ergebenden beiden Auffassungen von püridcitti- sind in
den Übersetzungen von Caland-flenry (L' Agnistoma), in denen
die Vorstellung der Rivalität m. E. richtig herausgefühlt ist, ab-
wechselnd vertreten ^). Es kommt noch die gelegentlich vorliegende
weitere Möglichkeit dazu, daß vom Denken des Sängers an ein
göttliches oder heiliges Objekt die Rede ist nicht, wie eben in
Betracht gezogen wurde, als den Vorrang vor dem Denken andrer
Subjekte, sondern vor dem Denken an andre Objekte besitzend.
Ein Wechsel zwischen verschiedenen Auffassungen ist prinzipiell
nicht ausgeschlossen : man denke etwa an die Doppelseitigkeit von
trhiäbarhis- „der das B. bereitet hat", „für den das B. bereitet
ist", oder von hrtdbrahman- „der das Br. verrichtet hat", „zu dem
hin das Br. verrichtet ist", oder von pürvabhäj- „(der Mensch oder
Gott), der zuerst einen Anteil erhält", „(der Anteil), der zuerst
verliehen wird". Aber man wird doch .unmotiviertes Hinundher-
greifen vermeiden. Die Erreichung voller Sicherheit in allem
1) Man beachte, wie Vllf, 3, 7. 9 derselbe Dichter dicht bei einander pürvd-
pitaye und pürväcittaye sagt.
2) Man kann sagen: ob die citti- zu verstehen ist etwa nach IV, 4, 11 tmm
110 asyd vdcasas dkiddhi oder nach YlII, 2, 17 tdved u stömam ciketa. — Ich
setze einige Bemerkungen Säyarias hierher, tad hrahma parivrdham annam
pürvacittaye pürvaprajnänäyänyebhyafi pürtam eva labhäya tväm yäcämi {zvlWU,
3,9). pürvacittaye pürvaprajnänäyänyebhyah stotrhhyci^ pürcam eväsmatstotrapari-
rnänäya (zu VIII, 12,38). — Hillebrandt, Enc. of Rel. and Eth. 11,797: „in
Order that thereby I may discern beforehand".
3) S. 320 „et puisse-je la mediter le premierl" (YIII, 3,9). — S. 357
„afin qu'elles les remarquassent les premiers" (I, 159, 3). — S. 423 „afin qu'ils
me distinguent, moi le premier" (I, 112,1).
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft^5. 50
742 H. Oldenberg,
Einzelnen ist unmöglich ; dazu uns die Hilfsmittel zu liefern haben
die ßsis nun einmal hier wie oft nicht hinreichend Sorge getragen.
Ich gehe von den oben angeführten Stellen VIII, 3, 9; 6, 9
aus, an denen beiden übereinstimmend der Besitz des hrdhman-
zum Zweck der pürväcitti- gewünscht wird. An der ersten Stelle
steht mit br. parallel suviryam, und dies selbe Wort tritt auch
VIII, 12, 33 (zusammen mit svdsvyam, sugävyam) neben pürvcicittaye
auf. So zeigt sich hier ein kleiner Kreis gern mit einander sich
verbindender Vorstellungen. Verdient es da nicht Beachtung,
wenn es II, 2, 10 heißt vayäm agne ärvata vä suviryam brähmanä
vä citayemä jdnän äti, asmakam dyumnäm ädhi pänca l'rstisüccä svär
nd susucUa dustdram — ? Hier kehren im ersten Hemistich
drei Haupteleoiente von VIII, 3, 9, suv'irya-, hrdhman-, cit-, in Ver-
bindung mit einander wieder; auch auf das VIII, 12,33 erwähnte
svdsvyam wird hingedeutet. So darf vermutet werden, daß da cit-
etwa im gleichen Sinn steht, den es in dem mit hrdhma sich ver-
bindenden pürvdcittaye hat. Das hrdhman- soll nun in II, 2, 10 die
Redenden und ihr suvirya- in hellem Licht erscheinen lassen, die
Aufmerksamkeit auf sie vor allen andern ziehen. Wenn man sich
in VIII, 3, 9 ; 6, 9 das br. um der pürvdcitti- willen wünscht, wird
danach gemeint sein, daß Grötter, vielleicht auch Menschen, auf
den Besitzer des br. früher als auf andre den Blick richten sollen.
Dazu stimmen nun vollkommen auch andre Stellen, an denen br.
im Zusammenhang mit cit- erscheint. Zunächst II, 34, 7 tarn wo
data maruto väjinam rdtha äpänäin brdhma citdyad dive-dive: auch
hier verbindet sich mit der Bitte um das br. die um ein dem
stivirya- nahstehendes Grut — wir können es als svdsvya- benennen
— ; beim brdhman- aber wird' das Gewicht darauf gelegt, daß es
durch seinen Glanz sich der Beachtung aufdrängt. Sodann die
allerdings im Ganzen dunkle Stelle aus einem Rätselzusammen-
hang I, 152,5 acittam brdhma jujusur yüvänah: so viel scheint klar,
daß das Wunderbare eben in der Wirkung des br., obwohl dies
acittam, unbemerkt (vgl. z. B. III, 18,2) ist, besteht; indirekt also
wird wieder auf die normale Eigenschaft des br. hingedeutet, be-
merkt (cit-) zu werden.
Unter den weiteren Belegen von pürvdcitti- schließt sich zu-
nächst die schon erwähnte Stelle VIII, 12, 33 an : suviryam svds-
vyum sugdvyam indra duddid nah, höteva pürvdcittaye prädlivare {p-ädh-
vare Refrain). Aus dem Bisherigen ergibt sich als wahrscheinlich:
Indra soll suviryor- etc. spenden und so die allgemeine Aufmerk-
samkeit auf diesen Verehrer vor andern lenken (vielleicht auch :
und so seine auf ihn zuvörderst gerichtete Aufmerksamkeit betä-
Zar Geschichte des Worts brdhman-. 743
tigen), wie ein Hotar durch seine Litaneien die göttliche Anfmerk-
samkeit seinem Yajamäna vor den andern erwirbt. Gezwungener
wäre der Gedanke, daß Indra spenden soll, damit zuerst der Ver-
ehrer an ihn denke, oder damit der Verehrer zuerst an ihn denke.
IX, 99, 5 (den Pavamäna) dütdm nd püriäcittaya ä sdsate viani-
§inah: man wünscht sich ihn wie einen Boten, damit er, gleichsam
der rascheste, erfolgreichste Bote, die göttliche Aufmerksamkeit
auf den Verehrer früher als auf andre lenke (vgl. etwa VII, 67, 1^
wo der Bote in der Frühe die Götter erweckt) ^), oder auch damit
er selbst diesem Verehrer früher als andern seine Aufmerksamkeit
zuwende, den Botendienst für ihn übernehme.
Eine schon von Geldner (Glossar) als solche ausgesonderte
Gruppe von Stellen bezieht sich auf Himmel und Erde bzw. den
Himmel allein. Zunächst I, 112, 1 tle dydväprthivi pürväcittaye ;
I, 159, 3 te sünävah sväpasah sudamsaso mäht jajrlur moiärä pürvä-
cittaye: die beiden Gottheiten sollen dem Beter bzw. den sünävah
früher als den andern ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Daß um-
gekehrt gemeint wäre, man wünsche Himmel und Erde vor allen
andern Wesen zu bemerken, oder man wünsche selbst als erster
H. und E. zu bemerken, wäre an sich denkbar. Doch einen posi-
tiven Grund von der für die vorigen Stellen angenommenen Auf-
fassung abzugehen finde ich nicht. Am wenigsten kann dafür
m. E. die noch übrige Stelle dieser Gruppe ins Gewicht fallen,
zwei Sätze eines Rätselgesprächs Vs. XXIII, 11. 12 kd svid äsit
püriäcittih — dyaiir asit imrväcittih. Vergleicht man, wie voll-
kommen willkürlich die in solchen Rätseln niedergelegten Einfälle
anderwärts sind (man sehe etwa Rv. I, 164, 34. 35 ; Vs. XXI IT,
47. 48), so wird man darauf verzichten, hier den unberechenbaren
Gedanken berechnen zu wollen und aus ihm Schlußfolgerungen
zu ziehen.
Führt Vs. XIII, 43 agnim tde pürväciftim nämobhik (dies offen-
bar die ursprüngliche Gestalt der Zeile ; püriäcittau Ts. ; s. die
Parallelstellen in der Konkordanz ; Entstellung aus pürvacita möchte
ich nicht mit dem PW. vermuten) zu einem andern Ergebnis?
Konnte nicht Agni als personifizierter Repräsentant des seinem
Verehrer vor andern zugewandten göttlichen Gedenkens gefeiert
werden? Daß umgekehrt des Verehrers zuerst dem A. geltendes
Gedenken, oder sein andern zuvorkommendes Denken an A. ge-
meint sei, ist freilich an sich möglich. Die Paraphrase in Sat.
Br. VII, 5, 2, 19 ist bedeutungslos.
1) ^rvacittaye devänäm pürvatn eva prajnäpanäya. Säy.
' 50*
744 H. Oldenberg, Zur Geschichte des Worts hrähman-.
Von rgvedischen Stellen bleibt noch I, 84, 12 vratäny asya (des
Indra) sascire puruni pUrväcittaye und VIII, 25, 12 srudhi svayävan
sindho pUrväcittaye. Beide Stellen passen zu der hier im Übrigen
befürworteten AuflPassung leicht; leichter, so viel ich sehe, als zu
einer andern. Man befolgt Indras Gebote, damit zum Lohn dieser
des Gehorsamen vor andern gedenke. Man wünscht, daß die Sindhu
das Gebet höre und infolge dessen des Beters vor andern gedenke.
Außerhalb des Rv. ist noch übrig : TB. II, 5, 5, 1 yajfid isfäh pürvd-
cittim dadhätu: Folge des Opfers ist, daß der Gott den Opferer
vor andern beachtet. An sich denkbar freilich auch: daß dem
Verehrer rasches, andern zuvorkommendes Denken zuteil werde.
Die Verwendung von pürväcitti- als Name einer Apsaras,
ferner das Erscheinen des Worts in einer Variante zu Vs. XX VII, 4
(vgl. Whitney-Lanman zu Av. VII, 82, 3) ist für uns bedeutungslos.
Die älteste lateinische Fassung der Placidas-
Eustasius-Legende.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 11. November 1916.
Bei meinen Stadien zu der Arbeit 'der Rythmus über den h.
Placidas-Eustasius' (in diesen Nachrichten 1915 S. 226 — 288) wurde
meine Aufmerksamkeit auf einen fast unbekannten lateinischen
Text dieser Legende gelenkt. Ich habe diesen lateinischen Text
als die älteste Fassung dieser Legende erklärt (bes. S. 233), die
etwa im 5./6. Jahrhundert entstanden sei, und habe ihn mit Be-
nützung von 6 Hften herausgegeben (S. 269 — 287). Den in den
Acta Sanctorum Bolland. Sept. VI (1757) p. 123 herausgegebenen
griechischen Text samt seinem lateinischen Zwülingstext habe ich
als eine spätere Umarbeitung mit theilweise geschmacklosen Zu-
sätzen erklärt (bes. S. 233 und 227).
Wilhelm B o u s s e t hat sich ebenfalls mit der Placidas - Le-
gende beschäftigt und hat das Ergebniß seiner Untersuchungen
unter dem Titel 'Die Geschichte eines Wiedererkennungsmärchens'
in diesem Bande oben S. 469 — 551 veröffentlicht. S. 472 be-
merkt er : 'Daß derartige folkloristische Untersuchungen selbst
für minutiöse Fragen der Textüberlieferung der einzelnen Quelle
einigen Gewinn abwerfen, möchte ich mit dem Abschnitt VIII,
einem Beitrag über das Verhältniß der griechischen und der latei-
nischen Überlieferung des Textes der Placidas - Legende , zeigen'.
Also sehen wir zu, was der Folklorist den Philologen lehrt I
In seinem VIII. Abschnitt will Bousset beweisen, daß der von
mir edirte lateinische Text nicht, wie ich (S. 233 und 269) sagte,
746 Wilhelm Meyer,
die älteste und vielleicht ursprüngliche Fassung dieser Legende
gibt, sondern daß dieser Text» vielfach gekürzt sei , daß dagegen
der griechischen Fassung vielfach die Priorität zuzusprechen sei ;
er will warnen vor meiner 'Annahme (S. 233), daß eine Reihe von
Grebeten und ähnlichen Ausführungen im griechischen Text nur
rhetorischer Aufputz des griechischen Bearbeiters seien', und schließt
mit dem Satze: 'Es mögen Grriech. und Lat. zwei Zeugen eines
gemeinsamen Archetypus repräsentiren : aber ich glaube doch, daß
Griech. diesem näher steht als Lat.'.
Als Herausgeber und Lobredner der älteren lateinischen Fas-
sung, die ich auch hier mit I bezeichne, bin ich zu deren Verthei-
digung berechtigt und verpflichtet, um so mehr als ich die An-
klagen Boussets alle für unberechtigt oder falsch halte.
In meiner Ausgabe des Textes habe ich 6 Handschriften be-
nützt. Ich werde später (im II. Abschnitt) von einer siebenten
handeln. Es ist die münchner Hft Clm 4585, die im 9. Jhdt ge-
schrieben ist und aus Benedictbeuern stammt.
Zunächst wird es nützlich sein, die hier gegebenen Grund-
lagen der handschriftlichen Kritik zu erörtern. Ich meine, daß
die I. Fassung der Legende , die ich edirte, im 5./6. Jhdt verfaßt
ist; aber meine Handschriften beginnen erst mit dem 9. Jahrhun-
dert. Im 6./9. Jahrhundert wurden die Hften oft sehr nachlässig
abgeschrieben, worüber schon Karl d. Gr. geklagt hat. Es ist
also kein Wunder, wenn in diesen Jahrhunderten unser lateinischer
Text durch Abschreibefehler entstellt wurde. Aber schon vor
700 ist dieser lateinische Text von dem Griechen theils übersetzt
theils umgearbeitet worden: an wörtlich übersetzten Stellen ver-
tritt also der griechische Text eine lateinische Abschrift, welche
um Jahrhunderte vor meinen lateinischen Handschriften liegt,
welche also sehr zu beachten ist.
Bousset no 9 (S. 546) Des Kaisers Boten suchen lange nach
Placidas, der versteckt bleiben will; endlich entdecken sie ihn.
Da geben 5 Hften von I den Text: § 20 Quo dicto haec omnia
nota facta sunt in his locis ex eo vel de iussione imperiali. Tunc
perduxerunt . . eum ad imperatorem ; 2 andere Hften helfen sich
durch starke Änderungen. 'Quo dicto' ist aus anderem Grunde
verdächtig, 'ex eo vel' ist sinnlos. Ich habe also im Druck vor
Quo und vor ex ein Kreuz f gesetzt und bemerkt: 'Das sind die
verderbten Reste eines Satzes, den die II. Fassung erhalten hat:
. . Töte ol otpatKüTai lve(paviaav aätcp zb TrpöataYita toö ßaotX^w? . . .'.
Diese meine Worte citirt Bousset und schließt: 'Aber ist nicht
damit das Zugeständniß gegeben, daß L. (= I) den ursprünglichen
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 747
Text — hier bis zur Unverständlichkeit — gekürzt habe?' Ich
darf antworten: Nein, von dem "wirklichen und ursprünglichen
Text meiner Fassung ist hier nicht die ßede, sondern nur von
einem Irrtum oder einer Dummheit, die ein späterer Abschreiber be-
gangen hat. Für einen Idioten kann doch selbst Boasset den Ver-
fasser der I. Recension nicht halten. Wenn Jemand durch einen
glücklichen Einfall oder durch eine besondere Hft den richtigen
Text meiner Fassung wieder hergestellt bat, dann kann über ihr
Verhältnis zum griechischen Text disputirt werden; aber jetzt
noch nicht ^).
Bousset no 16 (S. 549) Eine seltsame Anklageinstanz ! Unter
meinen 7 Handschriften kostete mich die Beurtheilung des Casi-
nensis aus dem Ende des 11. Jhdts die meiste Mühe (S. 270/1).
Endlich erkannte ich, daß, als man in Montecassino sich daran
machte diese Prachthandschrift zu schreiben , ein Gelehrter den
Text der Placidas-Legende überging und anstößige Ecken glättete,
meistens dadurch, daß er die anstößigen Wörter wegließ. Gegen
diese Ansicht hat Bousset nichts eingewendet. Der weitaus
stärkste Fall liegt nun vor in dem Schlußgebet der Märtyrer. Da
hat der Redactor volle 9 Zeilen weggelassen, deren Inhalt nicht
unentbehrlich ist. Sonst überall sind diese 9 Zeilen erhalten ; ver-
arbeitet sind sie auch von dem griechischen TJmarbeiter : also ge-
hörten sie sicher zur I. Fassung. Bousset erwähnt diesen Fall
mit den Worten: 'Darf man nicht urteilen, daß dieser Zeuge uns
hier einmal ein Beispiel bietet, wie im lateinischen Zweig der
Überlieferung fortwährend gekürzt ist?'. Also weil ein geübter
stilistischer Redactor bei einer Abschrift am Ende des 11. Jhdts
gewagt hat, 9 entbehrliche Zeilen wegzulassen, soll wahrscheinlich
werden, daß auch ein durch 6 Handschriften des 9./11. Jhdts über-
lieferter Text f&rttcährend gekürzt ist. Das verstehe ich nicht \
Doch prüfen wir die einzelnen Anklagen , die Bousset gegen
die von mir gelobte und edirte lateinische Fassung der Placidas-
Legende erhoben hat. Einige dieser Anklagen sind mir überhaupt
nicht verständlich. So:
1) So ist aus dem häufig gebrauchten Fremdworte nauclerus in 6 Hften
nauclerius geworden: auch ein Fehler, der durch einen Abschreiber herein ge-
kommen ist und nicht dem Verfasser von I zur Last gelegt werden kann.
2) Bousset knüpft hieran die erwähnte Warnung vor meiner Behauptung,
daß der griechische Text rhetorisch erweitert und aufgeputzt sei (darüber später
mehr) ; er möge nur die 2. griechische Ausarbeitung — in Analecta Boll. III 65 —
mit der 1., dem Text der Acta Sanctorum vergleichen. Dann notirt er aus
Bolland Kap. 4 und 7 die rhetorische, viermalige Anaphora mit iyw, dann mit vüv.
748 Wilhelm Meyer,
Bousset no 4 (S. 546). Placidas kommt nach Hause und er-
zählt die wunderbare Erscheijiung Christi 'mulieri vel filiis suis',
wie mein Text § 5 sagt; dagegen sagt der griechische Text Kap. 5
nur: T^pSato SnrjYela'8-ai i^l Yi^vacxl aoToö la (ASYdXa ■ö-aDfi.äoia toö Xptaioö.
Bousset erhebt nun die Anklage : 'Lat. § 5 fügt noch vel filiis suis
hinzu. Griech. hat den Zusatz nicht, und schwerlich ist der Er-
zähler der Legende so ungeschickt gewesen, daß er annahm, der
Vater habe bei der Besprechung mit seiner Gattin seine im zar-
testen Alter befindlichen Kinder hinzugezogen'. Doch Lat. ist
noch schuldiger als Bousset sagt. Denn 4 Zeilen vor dieser Stelle
bittet Placidas Christum, die Begebenheit zu Hause berichten zu
dürfen, mit den Worten § 4 : Si vis , domine, indicabo haec filiis
meis vel matri eorum. Also dieselbe Ungeschicklichkeit, welche
freilich dies Mal nicht eine 'Kürzung' ist, hat Lat. zwei Mal be-
gangen. — Aber o Schrecken!, da steht ja auch bei Bolland, bei
Combefis, in Budge's aethiopischer Übersetzung und im lateinischen
Zwillingstext : KsXsösig, a.Tza'^^BiXifi Tauta x^ Yovajixi [ioo xal toig ts-
xvot? |i.0D. Also müssen wir doch wohl die lateinische I. Fassung
von dieser Anklage freisprechen und die griechische verurtheilen,,
welche in der zweiten Stelle xai toI<z xiv.wiq {xoo weggelassen hat.
Mit Bousset's 'zartestem Alter der Kinder' ist es übrigens
eine heikle Sache. Später (§ 20 und Kap. 15) werden Beide, ein
älterer und ein jüngerer , zum Militärdienst bei Placidas einge-
zogen und rasch zu Centuriones oder maaizioi des Placidas er-
hoben. Das ist 15, höchstens 16 Jahre (§ 15, Kap. 11) nach der
Erscheinung des wunderbaren Hirsches. Ich habe auch (S. 234)
notirt, daß mein Text die Kinder mit filii (nach Umständen mit
iuvenes und § 13 mit pueri) bezeichnet, dagegen der Griechische
neben olol oft mit t^xva Ttcädeq TcatSia VTjTtia. So können wir auch
wieder die Gedankenlosigkeit des griechischen Umarbeiters in
einem andern Fall erkennen. Placidas zieht mit den Kindern
von Hause zum Meer und von der Meeresküste bis an den Fluß.
Da stehen in meinem Texte immer indifferente Ausdrücke ; zuletzt
§23: 'ibat pater meus nobiscum cum fletu'. Auch im griechischen
Text stehen indiff'erente Ausdrücke; nur zuletzt vergißt er sich
und erzählt Kap. 17: 6 ;catYjp T|[jlü)v ßaatdoa? ij^äz toix; Soo, 65opö-
|iovo<; iTCopeueto (pater noster portans nos duos, flens pergebat).
Ein schönes Bild ! fast wie jenes , wegen dessen ich einst Scheffel
verspotten mußte, der dem Dichter des Waltharius zutraute, daß
er seinen Helden aus dem Hunnenlande fliehen ließ, indem auf
öinem Rosse vorn der gepanzerte Recke und hinter ihm Hiltgunt
saß und 2 schwere Schreine an den Seiten hingen.
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasios-Legende. 749
Bousset's Anklage no 8 (S. 546) lautet : 'Das Motiv im Griech.,
daß der Schiffsherr wegen der großen Schönheit der Frau in Liebe
zu ihi' entbrennt, läßt Lat. ganz fort; es ist aber im Zusammen-
hang beinahe unentbehrlich". Diese Anklage verstehe ich nicht.
Allerdings sagt der paraphrasirende Grieche Kap. 9 : O-saadjtsvo?,
0« o>paia "^v -qj St{)£'., o^öopa r^p6L0^^ aöi^?. Allein, wenn der schlichte
Lateiner sagt § 9 : quia concupierat mulierem, 'weil er des Weibes
begehrte', wer versteht das nicht ? Verlangt Bousset wirklich den
Zusatz : propter pulchritudinem eins, während doch Moses sich be-
gnügt Deuteron. V 21 mit 'non concupisces mulierem proximi tui'
oder Matthaeus mit V 28 'qui viderit mulierem ad concupiscendum
eam, iam moechatus est eam '? ; oder hat Bousset den Satz von I gar
nicht gelesen?
Weiterhin verwendet Bousset etliche fast gleichgiltigen Dinge
zu seinen Anklagen gegen die lateinische Fassung.
So lautet HO 3 (S. 545) : 'Lat. charakterisirt im Anfang nach
dem besseren Text den Placidas mit den Worten : natus secundum
carnem gloriosissimus ; die Casinenser Handschrift (über ihr Ver-
hältniß zu den übrigen s. Meyer 270 f.) ersetzt den ungefügen
Text durch einfaches : nobilissimus. Sollte in Lat. nicht eine un-
geschickte Übersetzung von Griech. : y^voo? rjü xata aapxa vorliegen?'
Vom Cassiiiensis habe ich ja behauptet, daß er in solchen Fällen
werthlos ist, und dieser Fall ist ein guter Beweis dafür. Ich ließ
drucken: natu?, 'secundum carnem' ist in der Vulgata des N. T.
ein beliebter Ausdruck. Was wendet Bousset ein. wenn ich sage :
'natu secundum carnem gloriosissimus' ist ursprünglich, ^svoo? toö
Y.OLZOL aapxa IvSö^oo ist fast wörtliche Übersetzung?
Bousset's Anklage no 5 (S. 546) lautet: Sollte der Grieche
zu Lat § 6 den Namen der Frau vor der Taufe Tartavifj aus freier
Erfindung hinzugefügt haben? Warum erfand er dann nicht auch
Namen für die Söhne? Diese Fragen mag Bousset sich selbst
beantworten, wenn er sich zuerst über ihre Berechtigung verge-
wissert hat. TaxiavT] stand nur in der Handschrift BoUands; die
übrigen Zeugen des griechischen Textes, die Ausgabe Combefis.
die aethiopische Übersetzung und der lateinische Zwillingstext,
lassen diesen Namen glatt aus. Mein lateinischer Text ist tadellos.
Kap. 11 Ende ist der Name des Dorfes in der griech. Umarbei-
tung wenigstens sicher ; xaxsXaßs Ttva xw^ir^v, xaXouiisvTjv (X£yo{16vtqv)
BaSioaöv haben Bolland und Combefis, vicum qui dicebatur Badyssus
hat der lateinische Zwillingstext (Dadyssus Stahlo) und Budge
übersetzt : village , which was called Bassos. Mein lat. Text sagt
nur § 15 veniens in quendam locum.
750 Wilhelm Meyer,
No 10 (S. 546) sagt Bousset: 'Daß der Vater seine Söhne,
bevor er sie wiedererkennt, nach Grriech. Kap. 16 zu Tischgenossen
macht , während sie nach Lat. § 20 Centurionen werden, dürfte
das Ursprüngliche sein. In mehreren der (orientalischen) Neben-
überlieferungen erscheinen die beiden Kinder als Pagen und Ver-
traute des Königs. Lat. hat die Erzählung dem Milieu entspre-
chend umgestaltet und wahrscheinlicher gemacht'. Die beiden
neuen Soldaten sind prächtige Männer ; so ist mein lateinischer
Text tadellos, was Bousset nicht bestreitet : § 20 placuerunt Eu-
stasio . . et fecit eos centuriones. Dem griechischen Umarbeiter
war das nicht pikant genug. Er appellirt (Kap. 15) an die ge-
heime Stimme der Natur : xatsoTirjasv autou? elg tyjv ISiav DTrirjpsoiav
%al . . ^oo'.x^ xtvi ^tXoatopYtq. £XxÖ[J,£VO? Trpö? Tcöd'ov autcöv (naturali
affectu impulsus in amorem eorum) IxeXsoosv aotoo? {xsts/eiv tt^c
TpaTT^Cvj? aatoö, aovsaTioo? aoioö? xaTaatT^aa?. Aber Bousset beruft
sich auf die 'Pagen und Vertrauten des Königs' in den Neben-
überlieferungen. In den Fassungen der orientalischen Parallel-
Er Zählungen treten (bei Bousset S. 480—491) die Söhne auf bei
einem König als: S. 480 Pagen, 481 Trabanten, 482 und 487
Diener, 488 und 489 Kadi (491 ist unklar). Damit vertragen die
Centurionen eines Feldherrn sich ebenso gut wie die heimlich ge-
liebten Tischgenossen im griechischen Text, — wenn nämlich diese
orientalische Parallelerzählung überhaupt etwas beweist, was nach-
her noch zu erörtern sein wird. Auffallend ist, daß in der griech.
Fassung die Stimme der Natur sich bei der Mutter nicht regtj
sie muß erst die Erzählung der Jünglinge hören.
Bousset's Anklage iio 13 (S. 547) lautet: 'Der Ort, an welchem
der Anagnorismos stattfindet, liegt nach Griech. am Fluß Hy-
daspes, nach Lat. kommt der Feldherr zur Donau. Meyer sieht
hier eine Änderung der IL Fassung. Aber wie sollte selbst ein
griechischer Redaktor auf den Einfall gekommen sein, den indi-
schen Hydaspes-Fluß in die Erzählung hineinzubringen, wenn ur-
sprünglich der bekannte Donaufluß in der Legende genannt war?! .
"Wir werden doch besser thun, wenn wir den Hydaspes der ur-
sprünglichen Legende belassen, und in dieser Notiz eine Andeu-
tung auf den orientalischen Ursprung ihrer Anagnorismen-Novelle
vermuten'.
Den Hydaspes rechnet z. B. Darius bei Curtius zu den muni-
menta seines Reiches. Dann füge ich hinzu, daß im Griech. Text
Kap. 9 eingesetzt ist ein großes Siegesfest über die Perser. Die
Angaben sind vag und flüchtig, passen aber in jeder der beiden
Fassungen. Im 5. und 6. Jahrhundert drangen oft feindliche Völker
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 751
über die Donau in das römische Reich; im 6. und 7. Jahrhundert
wurde Ostrom, wie zur Zeit des Heraklius, oft von Parthem und
Persern hart bedrängt.
Bousset's Anklage no 15 lese man bei ihm selbst nach. Sie
beginnt: 'Nachdem die Mutter die Wiedererkennungsscene der
beiden Brüder belauscht hat, geht sie nach Lat. sofort (cito) zum
Feldherrn, nach Griech. erst am folgenden Tage. Ich glaube, daß
Lat. auch hier sekundär ist'. Boosset schließt: 'Damit, daß zwischen
der ersten Wiedererkennungsscene und dem abschließenden Ana-
gnorismos eine längere Frist verstreicht, stimmt Grriech. mit einer
Reihe der übrigen Parallelen überein'.
Die nächste Frage ist , weshalb die Frau zu dem Feldherrn
geht. I. Lat. sagt § 25 ad interpellandum pro se principem exer-
citus Romani eo quod ibidem captiva detineretur ; der griech. Text
sagt ähnlich: Asojjiai ooo, xöpie [too, e'/w ex "f^i; Pcüji-aicov orapyo)
'/.ai al^iiäXcoTÖ? It{j.t ivtaüda" a^a^fi {jls ouv =1? ttjv zaipiSa jtoo. Die
Frau vermutet, daß die beiden Krieger ihre Söhne sind; allein
es scheint eine verwickelte Sache zu sein, das festzustellen. Zu-
erst will sie also feststellen lassen , daß sie ihre Mutter sein
kann , daß sie nicht eine eingeborne Bäuerin ist , sondern eine
Römerin und wider ihren Willen hierher gebracht ; das zu consta-
tiren, war vor Allen der römische Feldherr berufen. Das ist ver-
ständlich. Ebenso verständlich ist, daß die Frau in der Aufre-
gung, ob sie wirklich ihre Söhne wiedergefunden habe, sofort (cito)
zum Feldherrn eilt , wie I Lat. angibt. Der Grieche schildert
mit vielen Worten die verschiedenen Erwägungen, die dem Weibe
durch den Kopf gingen, und schließt : rg 5§ i-io6o-{] i^ftspa Trpoa-^Xd'Sv
t({) atpatTjYq) 7] TOVT] Xsfoooa. Außer der Lust zu dieser Gedanken-
malerei kann den Griechen zu dieser Änderung noch bestimmt
haben, daß er das Gespräch der Söhne in die Siesta verlegt hatte
und nach der Sitte der Südländer, welche Geschäfte des Morgens
abmachten, auch diesen feierlichen Besuch auf den nächsten Morgen
verschob. Doch das hat mit der Richtigkeit meiner lateinischen
Fassung nichts zu thun.
Unter no 14 (S. 548) bespricht Bousset den Bericht über das
Unglück beim Flußübergang; er wirft auch hier meiner lateini-
schen Fassung vor, sie sei gekürzt und habe kleine Züge wegge-
lassen, welche der griechische Text bewahrt habe und welche
auch IQ ihrer Vorlage gestanden haben müßten. Bousset's Worte
kann ich nicht alle hierher setzen , nur auf sie verweisen. Ich
begnüge mich, die Tatsachen anzuführen. Busset hätte I Lat.
§ 11 und 13 mit II Griech. Kap. 10 (11) und I Lat. § 23 und 24
752 Wilhelm Meyer,
mit II Griech. Kap. 17 vergleichen sollen^); nur in der letztern
Partie beider Fassungen wird ein Unterschied gemacht zwischen
dem älteren und jüngeren Bruder. Da ergibt sich folgender Ver-
lauf: Placidas trägt den einen Sohn, der jünger, also auch schwächer
war, zuerst über den Strom; dann kehrt er zurück, um den äl-
teren nachzubringen. Da, mitten im Strom, sieht er vorwärts
blickend, wie am Ufer diesen älteren Sohn eben ein Löwe packt und
fort trägt. Er kann nicht helfen. Also dreht er sich um, um zu
dem schon übergesetzten Jüngern Sohn zurückzukehren; doch er
muß sehen, wie am Ufer ein Wolf diesen Sohn fortreißt. Dies
berichtet deutlich I Lat. in § 11 und 13, und in § 23/24. Eine
kleine Nachlässigkeit liegt nur in § 13 vor, wo von dem geretteten
älteren gesagt wird, er sei bei den Hirten aufgewachsen, ignorans
quid actum esset de patre eins. Ganz genau müßte es heißen:
quid actum esset de patre <vel fratre), was die Hft S wirklich
hat. So heißt es 2 Zeilen weiter von dem jüngeren, er sei bei
den Pflügern aufgewachsen; ignorante puero, quid actum sit de
patre vel fratre. Im Text I Lat. ist sonst Alles in Ordnung.
Diese einfachen Thatsachen berichtet auch der Text II Grie-
chisch. Aber in dem lateinischen Zwillingstext bei Bolland Kap.
17 (= Stablo) steht im Bericht des älteren Sohns der Zusatz [lu-
pus veniens rapuit illum minorem fratrem meum (illum infantem
hat St Mo) et antequam (pater) ad me apropinquaret]. Dieser Satz
fehlt durchaus in Bolland's griechischem Text, bei Combefis und
in der aethiopischen Übersetzung. Er ist auch eine grobe Fäl-
schung; denn der ältere Sohn war schon vom Löwen fortgetragen,
als der jüngere von dem Wolf gepackt wurde; Bousset irrt, in-
dem er damit den griechischön Text ergänzen will.
Aber der umarbeitende Grieche will den Satz durchführen,
daß die Hirten und die pflügenden Bauern, welche die Jungen den
wilden Thieren abjagten, aus einem und demselben Dorfe
stammten, daß also auch beide Jungen in demselben Dorfe auf-
wuchsen. Das ist ganz deutlich aus Kap, 11 (Anfang), 12 (An-
fang) und Kap. 15 des griechischen Textes,
Diese Änderung ist freilich recht ungeschickt. Denn wenn
die 2 Jungen in demselben Dorfe aufwuchsen, wo sie sich oft sahen
und wo ihre wunderbare Rettung oft besprochen wurde, so mußte
die Erkennungsscene , welche nach Lat. 22 — 24 und Griech. Kap.
16/17 sich erst im gemeinsamen Kriegsleben abspielte, sich schon
1) Es scheint beinahe, als habe Bousset Lat. § 23/24 übersehen.
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eostasios-Legende. 753
längst vorher abgespielt haben. Um die Leser von solchen nahe-
liegenden Gedanken abzuhalten , schiebt der griech. Umarbeiter
Kap. 12 (Anfang) den Satz ein: Ol 6s oloi ivstpdfpTjaav =v rg sxspa
y.ü>[j,TQ, pLYj irifvövTs? aXXTfiXoo?, ozi slalv aSsX^o». Daß die Hirten und
Ackerbauern nicht weit von einander wohnten, war ja natürlich.
Deßhalb war es für den Verfasser der Erzählung am besten, diese
heikle Sache nicht zu berühren. Das hat der Verfasser der I Lat.
Fassung gethan.
Der griechische Umarbeiter hat aber einmal die Marotte, daß
die beiden Jungen in dem nemlichen Dorfs aufwachsen sollen. Ja,
er hat deßhalb wiederum einen seiner würdigen Zusatz gemacht.
Die beiden Knaben waren ja bei dem Raube durch den ziemlich
tiefen Fluß getrennt. Doch der griech. Umarbeiter bringt sie auf
ein Ufer zusammen (ßousset 474) , indem er Kap. 10 nach dem
Bericht von dem verzweifelnden Placidas weiter fährt: 6 6s X^wv
Xaßwv TÖ ;:a'.5'!ov xal Sia^oXd4a(; xatd iipövo'.av O'soö 6'.2~spaac xöv zo-
Ta{iöy dv(üt^po> xal iTcopsosto Iri rfjv lp-»]{iov. Das haben BoUand und
Combefis; auch die 2. griechische Umarbeitung (Acta Boil. III 81
6 Xetöv . . Tov TcorafjLÖv ävwrspo? ^laßa? rr^v ez' spTrjfiov f^st); in der
abessinischen Übersetzung ist der Löwe ausgefallen und es wird
von Placidas weiter erzählt: Therefore he (Placidas) did not do
this (i. e. drown himself), but he swam across the river in order
to depart into the desert. And when certain shepherds . . .
So ist auch hier mein lateinischer Text natürlich und vollständig.
Was der griechische mehr hat, ist ein bedenklicher Zusatz und
eine läppische Motivirung.
Unter den no 11 und no 13 bespricht Bousset (S. 547) zu-
nächst die Stellung der Mutter in ihrem Aufenthaltsort und schließt :
'Wie unklar ist hier die Erzählung im Lat.! Und die ganze Un-
klarheit rührt daher, daß Lat. durch die Kürzung in § 16 keine
klare Vorstellung von der Art und Weise gibt, in der die Mutter
an dem betreffenden Orte wohnt'. Dann wird in uo 12 mein la-
teinischer Text also verurtheilt : 'Überhaupt ist die ganze Wieder-
erkennungsscene zwischen der Mutter und den beiden Söhnen im
lateinischen Text bis zur vollkommenen Unverständlichkeit gekürzt.
Im Grriechischen ist alles deutlich und klar'.
Mir scheint der lateinische Text schlicht, aber durchaus ver-
ständlich und verständig. Der griechische ist auch verständlich,
aber, wie so oft, aufgeputzt mit unnöthigen, ja störenden Lappen.
Leider kann ich hier längere Citate nicht vermeiden.
Vom Schicksal der geraubten Frau berichtet I Lat. § 16:
Nanclerus perduxit mulierem in patriam suam ; sed talem fecit do-
. 754 Wilhelm Meyer,
minus deus virtutem cum ea, ut non praevaleret nauclerus violare
eam. Deinde contigit, quod in brevi tempore nauclerus mortuus
est et mulier absoluta est ad faciendum, quod illi placeret.
Placidas kommt beim Vormarsch in das Feindesland (§ 21) in
vicum, qui se tradidit ei, ne cum pereuntibus damnaretur. (§ 22)
Et erat in ipso loco (= Iv T(j) auTcö zoizip) mulier eins adsistens ad
fenestram tabernaculi, ut videret exercitum applicantem (= adve-
nieniem). Et ecce illi duo iuvenes, qui erant centuriones, ingressi
sunt in quendam hortum, qui erat iuxta tabernaculum, .in quo as-
sistebat mulier, quae per fenestram intuebatur eos . . (§ 23) Dum
ibidem recordarentur de infantia sua ad invicem . . , mulier mater
eorum adsistens ad fenestram tabernaculi valde mirabatur, si ipsi
essent vel si viverent filii eins. (§ 26 sagt sie: audivi et vidi
duos iuvenes loquentes).
Diese Sätze interpretire ich so : Der Kapitän behandelt die
Geraubte wie seine Frau , nicht wie eine niedrige Sklavin. Er
kommt nicht dazu, seine Fleischeslust zu befriedigen, und stirbt
bald. Die Frau ist jetzt selbständig, (bleibt aber in dem Dorf-
hause des Kapitäns , als Eigenthümerin oder Verwalterin , ganz
wie bisher.) Das Haus lag an der Straße und hatte nach dieser
ein Fenster. Vor dem Fenster lag bis zur Straße ein Garten
(hortum qui erat iuxta tabernaculum, nicht: in quo erat taberna-
culum ; also war das Haus die Hauptsache, nicht der Garten). Wie
das römische Heer einmarschirt , stellt die Frau sich an das
Straßenfenster , um zuzusehen. (Die Reihen lösen sich auf und)
die 2 flauptleute treten in den Vorgarten. (Sie setzen oder legen
sich vor das Fenster) und beginnen zu plaudern. Hinter dem
Fenster hört die Frau zu.
Meine Interpretation hält sich streng an den lateinischen
Text. Was ist hier 'unklar bis zur vollkommenen TJnverständ-
lichkeit'? Prüfen wir nun den griechischen Text. Was Lat.
in § 16 berichtet, gibt er in Kap. 12 ziemlich genau wieder; nur
bleibt die Frau unversehrt Iv J:ä3t toi? j^ö^^ok: exeivoi?, dann stirbt
er und sie lebt in Sicherheit (Itt' aSeia?) vor seiner Begierde.
In Kap, 16 führt die Hand Gottes den Feldherrn dahin, ouoo f/V -^
Y0V7] aÖTOD, 7]uc WC TrpoeipifjTai, StatpoXa^^eioa a^ö t^«; toö äXXo^uXoo
ixeivoo TopavviSo? xata Trpövotav Oeoö teXsonjaavxo? aotoö, iva^topn^''*'"*
xaO-' iaoTTjV ^')xei el? x-^;rdv xivo? twv oixYjtöpwv, exXaßoöoa xal rconfjoaoa
axYjvTjv icape^uXattev toö*; xapTroö? (discesserat enim sola et comma-
nebat in hortulo cuiusdam et fecit sibi tabernaculum Stablo). Pla-
cidas rückt ein und sein Zelt wird aufgeschlagen jropa xöv x-^uov
ixetvov, 8v l(f)uXatTev i^ yuvtj aotoö.
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eastasius-Legende. 755
Das also ist die Offenbarung des griechischen Textes: ktfb-
Xattev v.f^Tzoy oder to-j? %ap-ooc! Neu ist das allerdings hier, aber
doch nicht originell. xarsotT^oav autöv cpoXdttetv too? y.ap::o6c heißt
es Kap. 11 von ihrem Mann. Die Frau sollte in eben solches
Elend sinken, wie der Mann. Eine fade nnd unnöthige Gleich-
stellung !
Das weitere wurde leicht geändert und angeglichen. Ein
Fenster und heimliches Lauschen paßte wenig. Also: Ol oov vea-
vioxoi ixeivoi xaTsXoaav el? ttjv aY.ryr^'^ zf^Q ifuvaixö? . , xai jisoTju-ßpiac
7£VO[j,£V7]<; xadsCö|i.evoi l^rjfoOvro oXXfjXoi? ta t^c VTjJwdnjtoc aotwv . . . t^
Ss ji-T^'^jP xaö-sCotASVTj a;revavT'. aotwv äxpoaoiv kzoizlzo täv Xs^ojisvcdv
xap' auiwv (mater vero eorum sedens e contra intentius audiebat
quae illi exponebant) . . . 'Axouaaoa 8s taöra f; {i."»]tif]p autwv . . .
Das sind die beiden Berichte über dieselben Sachen. Der
griechische ist leicht geändert, aber man sieht auch leicht den
nichtigen Grund dieser Umarbeitung, Der lateinische Bericht ist
einfach und natürlich und wahrlich nicht 'bis zur vollkommenen
Unverständlickeit gekürzt'.
Im Anhang zu seiner Anklage no 16 will Boasset (S. 549)
der von mir edirten lateinischen Fassung doch einmal ein Lob
der Priorität spenden. Allein auch dieses Lob wird versauert
durch den Tadel, ihre Darstellung sei hier völlig unmotivirt.
Placidas hat die wunderbare Erscheinung des Hirsches und des
flammenden Kreuzes , aus dem Christus sprach, an einem auffal-
lenden Felsen in seinem Jagdrevier erlebt und darauf hin sich
taufen lassen, hat also das Höchste erlebt, was er erleben konnte.
Mein Text fährt nun weiter § 7 : Deinde post baptismum abiit
beatus Eustasius in locum montis ubi apparuerat ei dominus
Christus. In quo loco oranti ipsi iterum locutus est salvator.
Dies Zurückkommen des Placidas nennt Bousset völlig unmotivirt.
Wenn zwei glücklich Vereinte den Ort aufsuchen, wo sie sich zu-
erst gesehen oder zuerst geküßt haben, so heißt man das und ist
es auch wirklich echt menschlich und selbstverständlich; wenn
aber unser Erzähler das Motiv des Zurückkommens zwar mit 'ubi
apparuerat ei dominus Christus' sehr deutlich andeutet, so ist seine
Erzählung völlig unmotivirt : dagegen lobenswerth ist der Ecken
ausgleichende Byzantiner, der für notwendig hielt, in Kap. 5 in
Christi Rede die Aufforderung einzuschieben 'wenn du getauft bist,
iX^s evddSs xai 6'f^TJaou.ai aot xal u<:oS=ii;ojiai aoi la aeXXovza etc.
Wenn wer etwa hier Bousset beistimmen sollte, so will ich
ihm noch eine Stelle verrathen, wo in meiner lateinischen Erzäh-
lung eine Lücke klafft, dagegen im griechischen Text Alles schön
756 Wilhelm Meyer,
ausgeglichen ist, wo also die Priorität des griechischen Textes
endlich einmal unumstößlich erscheinen mag.
Als den einen Jungen ein Löwe, den andern ein Wolf fort-
geschleppt hat, erzählt mein lateinischer Text § 13: leo, qui ra-
puit filium, cum deportaret eum, fugatus est a pastoribus vel (=
et) a canibus et reliquit puerum inlaesum. frater vero qui raptus
est a lupo, liberatus est ab aratoribus. Der Verfasser dachte sich
wohl, diese Erzählung würde leicht begriffen : den Löwen, welcher
den Knaben fort trug, sahen Hirten. Von ihren Heerden her
waren sie an solche Vorgänge gewohnt und waren darauf einge-
richtet : mit ihren starken Wachthunden eilten sie dem Löwen nach
und jagten ihm den Knaben ab. Dagegen den Wolf, der den an-
dern, den jüngeren Knaben fort schleppte, sahen pflügende Bauern.
Hunde hatten sie nicht bei sich. Doch auch sie befreiten den
Knaben, mit erhobenen Stöcken und Geschrei usw. Wenn der
Verfasser diesen seinen Text für natürlich und selbstverständlich
hielt, irrte er sehr. Das zeigt der griechische Text Kap. 10: dea-
aa{j-£Voi 7roi{j.sve<; t6 TratStov ßaoTaCöjXsvov ottö toö Xsovto«; (xatd Trpövotav
■d'soö) Cwv xai {JLTjSsv a§tx7]dsv, OTO)(aoa{jLsvat 1/ ^cpovofa? -ö-soö TrsfpoXa^^^at
t6 ;cai8iov ' 7]tt<; xal ahzolq ßoYjdT^osi Tcpö? xh kizkiab'ai aotö sx toä
^Yjpö?, xatsSpa^Jicv T(jj Xsovu (ista xovwv • xata olxovo|Jiiav Ss toö ^soü
'O-poXXYj^el? (■O'poYj'ö-ei? Combefis) 6 Xswv z^^i^b tö TcaiSi'ov Cwov xai avs-
ywpTjasv, TÖ 6e stspov xaiStov . . . Ste(fDXä)(dYj xai cf.hzh b%h f^<; d-sia?
^rpovoia?, d. h. die Hirten sahen, daß Grottes Gnade den Jungen
im Löwenrachen unversehrt bewahrt habe ; also, berechneten die
vorsichtigen Leute, wird Gottes Gnade auch uns beim Rettungs-
werk beistehen, und in Erwägung dessen entschlossen sie sich dem
Löwen nachzujagen. Da gilt doch noch die Logik etwas ! Ich
aber bin so verblendet, auch hier nur die gewöhnliche jämmerliche
Motivirungssucht des byzantinischen Umarbeiters und Ausmalers
wirken zu sehen und denen, welche die folgenden, umständlichen
Auseinandersetzungen lesen wollen , zuzurufen : Ex aure asinum !
Bousset's Anklagepunkte iio 1, no 3, iio 6 und no 7 (S. 545/6)
muß ich zusammen betrachten. Bousset meint, no 1 beweise ent-
scheidend den Vorzug des griechischen Textes , no 2 gebe einen
wichtigen Beweis dafür.
Ich gebe zunächst den betreffenden Text von Lat, : § 7 Christus
beglückwünscht den getauften Placidas ; dann fährt er weiter :
Sed dico tibi, quia in hoc praesenti seculo supervenient tibi tri-
bulationes, temptationes et pericula multa, donec depereant omnia,
quae habere in hoc mundo inventus es. oportet enim te in his
temptationibus existere similem lob. et iterum, cum humiliatus
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 757
fueris in tribulationibus tuis, visitabo te in bonis et restanrabo
te in consolationibns multis, donec pervenias ad martyrii trium-
phalem coronam.
§ 8 Deinde cum redisset Eustasius in domum suam, coepit
decidere familia eins in aegritudine et languoribus multis, donec
consumpti sunt omnes in morte; similiter et omnia animalia, quae
pertinebant ad eum. nara (== tunc) et latrones supervenerunt di-
ripientes omnia de domo eins, aurum argentum vel vestes multas,
et nihil amplius remansit ei, quam duo filii et mater eoram et nisi
quod erant induti. § 9 Unde non sufferentes inter quos noti
fuerant confusionem verecundiae snae ex his , quae Ulis contige-
rant, reeesserunt occulte de loco illo nocte, ut transirent in Ae-
gyptum.
Diese lateinische Fassung ist verständlich und verständig. Die
Theilung des Besitzes ist ähnlich in § 1 tam in animalibus quam
in auro et argento et mancipüs vel universis rebus substantiae
suae. 'loco illo' = de domo eins, das Gut des Placidas, nicht
weit von seinem Jagdbezirk.
Der griechische Text bringt in Kap. 7 den Hauptinhalt
der Rede Christi im lateinischen Text, doch in anderer Fassung;
dazu neue Gedanken, z. ß. sirsiS-fj ^dövq) xsxtvTjtat xatd ooo 6 6id-
ßoXoi;, 8si OS Tiva 7:£'.f>aa(i.öv o;rsv£7X=iv , ov eav ozsvsYXTfj«;, xo{iiC"(l tov
oTE'favöv TT^? vixYj?. Dazu solle er sich rüsten und sich hüten, ^f^-
710)? iv zxi v,ap8io^ aoo Xoy'.o[j.Ö(; tk; 5oocf>7j{jLia(; dvaß'g. otav fäp taicst-
vwd*^?, IXeooo'jiat xpö? oe xal ;:dXtv aÄOxataoTJjaö) os h t^ Tcpotspc^ ooo
Damit schließt zunächst die Rede Christi im griechischen Text. Bousset
no 2 (S. 545) hebt nun hervor den Satz, mit welchem Lat. schließt 'donec
pervenias ad martyri^i triumphalem coronam'. Hier sei der lat. Text sicher
sekundär. Der Kompilator, welcher die orientalische Xovelle als Mittel-
stück seiner Placidas-Legende einfügte, habe 'an dieser Stelle, wo wir einen
solchen Hinweis nothwendig erwarten sollten, die Erwähnung des Marty-
riums vergessen. Der griechische Text sei also hier der ursprüngliche.
Der Lateiner habe den Mangel bemerkt und die Unebenheit ausgeglichen".
Also eigentlich ist Lat. richtig, Griech. unrichtig: deßhalb ist Griech. ur-
sprünglich, Lat. gefälscht. ]Mir aber scheint im Gegentheil die deutliche
Erwähnung des Martyriums schon an dieser Stelle etwas schroff. Den ge-
milderten Inhalt hat der griechische Text weiter oben untergebracht: xo-
ßiii;f tbv öT£<pav6v rfjg vixrjg. Endlich war der Schlußgedanke des La-
teiners dem Griechen unbequem : denn er hatte große Pläne, wie er weiter-
hin den Text um- und ausgestalten wolle. Dieser Beweis, daß der la-
teinische Text sekundär sei, scheint mir also weder sicher noch wichtig.
Die große Rede Christi schließt der griechische Text etwas
seltsam mit den Worten: xal taöxa elzwv 6 xöpio?, avr^X^ev el? too?
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachricliten. Phil.-hist. Klasse. 1916. Heft 5. 51
758 Wilhelm Meyer,
oöpavoD? (a) (X^Ycov zC^ Eooxa^tcp • Növ ßoöXet Ss^aO'ö-ai töv 7rpoxst[ievöv
001 7:£tpao[JLÖv 7) etcI eo)(dT(ov twv TjfJLepwv (ljt' lo/äxoo twv i^^epÄv toötwv
Combefis, in extremis diebus (7er ?a^. Zwülingstext) ; Kap. 8 : A^yst
6 EÖGxd'ö-toi; • A^ojiat ooo, xopis, st oox eoitv TrapsXdslv toc wpiofi-sva i(p'
igjtwv, vöv {JiäXXov Ss^ao'ö-at T^j^ä? töv 7cetpaa[J.öv xsXeooov 7.at So? S6-
va(JLtv OTtevsYxetv ta iTüaYÖjj-eva (liraYYeXXdtisva Comb., promissa Lat.),
tva {17] XoYta'jJiöi; Ttg ItcsX'O-wv TrovTjpö? {nur u;rEX'&wv Comb.) aaXs6a-(j tyjv
Sidvotav T^{xwv a;cö t'^g sie os ttiotswc- Asys^ xpö? autöv 6 xopto?'
ÄYtovtCoo %al lo/o£ Eoatd^ts. 1^ ^ap /dpi? {jiod eotat [ls^' ü{jl<öv, Sia-
^oXdoGoooa ü{Jiü>v xd? (j;o)(d(;). KatsX'ö-wv Se etc.
Dieses Stück a steht bei Bolland und Combefis (bei Budge)
und in dem lateinischen Zwillingstext Bolland's ; es fehlt vollständig
in meinem lateinischen Texte; aber auch die 2. griechische Umar-
beitung (Acta Bolland. III p. 74) hat es glatt ausgelassen.
Bousset no 1 (S. 544) hält dies Stück für sicher ursprünglich, aus einem
später zu erörternden Grunde. Ich finde auch hier nur einen Zusatz des
geschwätzigen Griechen, der meinen lateinischen Text so oft erweitert oder
umgearbeitet hat. Aufmerksam möchte ich zunächst machen auf die un-
klare Ausdrucksweise, int iöxdtoov r&v -f/juspc^v tovtoov oder in extremis
diebus wird in der Regel von der Zeit des jüngsten Gerichts gesagt. So
wird es im Meistergesang (Bousset S. 513) wiedergegeben mit ewiglich. Das
ergibt eigentlich einen Unsinn. Jedenfalls aber muß die Prüfung in die Zeit
des Lebens fallen. Im Gedicht von Ysambrace und in der armenischen
Erzählung wird deßhalb ergänzt 'in deinen letzten Tagen' d. h. in deinem
Alter. Aber w e ß h a 1 b hat der Umarbeiter diese Erzählung von der
Wahl hier eingeschoben? Christus hat dem Placidas ein schweres Leiden
angekündigt, und dieses Leiden soll den Hauptinhalt der Erzählung bilden.
In meinem lateinischen Text weiß man nicht, wann es eigentlich beginnt.
Da wollte der Grieche abhelfen und deutlich machen, daß der Beginn de«
Leidens unmittelbar folgt.
Der griechische Text fährt in Kap. 8 fort : KaxeX^wv 6e
dTuö xoö ö'poo? 6 EöoTd'O'to? %ai sloeX'ö-wv el? t7]v olxiav (b dTCTjYYsiXev
T*^ Yovaixi td XaXTjd'SVta a^xtp, xal xXtvavte? td ^övata IS^ovto toö deoö
XsYOVTS? • Tö ^sXTjfid ood, xöpie, yev^oO'Ci). 'OXi^wv Se T^jtspwv SteX-
dooowv) oov^ßY] vöoov Xoi{i,iX"?]v Ivox'^cj^ai Iv x% olxtoj auToö xal teXso-
t^oai Trdvra? tou? iralSa? autoö xai td? TtatStoxag. (b Toötoo Sfe ^svo-
ji§voü '^odeTO 6 EDOtd^to? töv 7rpo[i.YjVDO'6vTa aotcj) Tcecpaojiöv elvai xal
eö^aptoTw? Se^dfievoc TcapexdXet f^v Yovaixa aötoö {iij (itxpo«}iox^oai).
Kai [ler' iXt^ov ttvd ^(pövov ^r^^cL^it xatd xwv iTCjrwv a&toö xal twv äXXwv
xtYjvwv [xoipd ti? ^avanx-^' xal Trapa^fp-^tia dird^avov Tcdvta td xttJvyj
td Tcpooövta aoT(j). (b Kai ootwi; 8eSd(isvoc xal taöiTjV f?]V ou|Ji'fopdv
eö/aploTox;) <c dve)(ö)p7joe xfjc olxla? aütoö XsXtjO'Ötwc ajia t-^ Yovatxl
xal xot? T^xvoic ti<; dvaxexwpiOjA^vov tötcov xal d'eaodjisvol Ttve<; twv
xaxoupYwv TYjv dva^^wpTjoiv a6t(»)v IXdövte? Iv voxtl) SiapTcaY^^v ireotij-
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 759
oavTO zavtcDv twv h'Ra^^fvniü"^ aötoü Iv ts "/P'^^'^V '*-'^- «PIPP'-V [**^ «'■'-
^y Äsp'.sßsßXTjVTo. (c TO'.aÖTai? iTTr^psta'.? xal auji^opai? xai «äoa ij Xoiict]
aÖTwv XT-^oi« T£ xai offap^t? el? avoxap^tav xateXr^^sv 14 i-tßooX-^g toö
ävitxs'.tiivoo).
Da der griechische Umarbeiter oben (Kap. 7 und 8) den Pla-
cidas hat warnen lassen, daß das Unglück ihn nicht kleinmiithig
mache und im Glauben an Christas irre machen könne , fühlt er
sich verpflichtet, bei jedem einzelnen der Schläge, in welche er das
Unglück zerlegt, beizufügen, daß Placidas ihn ungebrochen ertrug ;
diese Zusätze habe ich mit b bezeichnet ; notwendig sind sie sicher
nicht.
Unmittelbar folgt der mit c bezeichnete Zusatz, daß Placidas,
nachdem Seuchen seine Diener und seinen Viehstand getödet hatten,
mit Frau und Kinder ein abgeschiedenes Versteck aufgesucht habe;
dann hätten Räuber des Nachts alle Habe aus seinem Hause ge-
schleppt. Das soll wohl nicht heißen, das Placidas vor Ansteckung
sich gefürchtet habe. Sondern dem Umarbeiter schien es wohl son-
derbar, daß Räuber ein bewohntes Haus ausplündern können. Um
das wahrscheinlicher zu machen, vielleicht auch im Zusammenhang
mit der folgenden Erfindung, dem Siegesfest, bei dem Placidas
vergeblich gesucht wird, hat der Umarbeiter die Familie in dies
Versteck flüchten lassen. Dahin nimmt sie natürlich keine Habe
mit außer den E^eidern am Leibe; bleibt sie im ausgeplünderten
Hause, so bleibt ja doch manches Stück ihr Eigenthum und jeden-
falls das Haus selbst.
Bousset no 6 (S. 546) bringt auch hier eine Anklage gegen den la-
teinischen Text: 'Griech. erwähnt ausdrücklich, daß Placidas sich nach den
ersten Unglücksfällen tls ävaxexojpidM^o^ töxov zurückzieht und daß
ßäuber ihn daselbst ausplündern (S 496). Lat. läßt den Rückzug in
die Einsamkeit weg und erwähnt niu* die Räuber'. Hier irrt Bousset;
nach Griech. wird Placidas nicht in seinem Versteck ausgplündert, sondern,
während er entfernt im Versteck weilt, wird sein IT aus ausgeplündert
Allein die Wirkung ist am Ende die gleiche. Bousset fährt nun fort:
*Der vom Griech. erhaltene Zug wird bestätigt durch die parallelen Erzäh-
lungen, in denen die Räuber den in die Steppe oder Wüste geflohenen
König ausrauben (S. 479. 493). Der gemeinsame Grundstock der Wander-
legende hat sich hier gerade bis in die Einzelheiten erhalten?' Wir haben
also auch hier zu notiren, daß das Wandermährchen mit dem griechischen
Text ziemlich zusammen geht, nicht mit meinem lateinischen.
Der griechische Umarbeiter bringt unmittelbar anschließend
in Kap. 10 einen neuen großen Zusatz : <d 'Ev Se xalq ri^poLiq kxel-
vai? 8t/jJlotsXo5s kopxf^t; l;riT£Xoo{j.EVY3? I^tiv.xtmv t^c xard twv Espodiv
vUrfi xai )(apitoo6vr^<; w? slxö? (ts^iatT]?, eoptdCetv ouv^^r^ xai töv ßa-
51*
760 Wilhelm Meyer,
otXia. sSst dk xal töv orpatrjYov Tcpö irdvTwv Trapstvai r-^ ^opx-^ , wc
ats 0Tpaf/]XcxT7]v ovta xai Trpwtov t-^? ooyxXyjioo. xal iC'']tslTo xal ooy
eopioxsTO. Travta? oov a[i7]/avta '/,aTEi5(sv, Ott odtw? sv jxt^ xaipoö poTr-^
{j.y]5ev üTToXet'f'ö-^vai twv aotoö [itjts Se aoTÖv sopiaxea^at. IXotctjO-t] oov
6 ßaoiXso? xal Träaa t^ oöyxXtjto? Tcspi aoxoö xal ;:äoa sxttXvj^k; xately^ö
:cepl TOD oujißsßTjxdioc),
Weshalb hat der Grieche dieses Siegesfest hier eingeschoben ?
Wie schon bemerkt, ist eine Vorbedingung dazu der vorige (c) Zu-
satz, daß die Familie von Hause flieht; denn wäre Placidas noch
zu Hause, so würde er leicht gefunden. Sonst ist auch hier das
Ziel, die Familie außer Landes zu bringen, damit sie leichter ge-
trennt und Placidas gänzlich vereinsamt werden kann. Placidas,
der an der Feier vseines Sieges nicht Theil nimmt, ist eigentlich
schon fremd in der Heimath.
Bousset no 7 (S. 54G; S. 474 u. 522). Bousset meint (S. 522), in
dieser ganz unmotivirten Erzählung von einem großen Siegesfest, das der
römische Kaiser gibt, sei vielleicht ein Rudiment der ursprünglichen
Fassung der Erzählung stehen geblieben, das in der lateinischen Fassung
verloren sei. Allein die Geschichte, die er vergleicht, ist höchst phan-
tastisch, stammt aus dem 13./ 14. Jahrhundert und steht unter der Herr-
schaft von Bolland's lateinischem Zwillingstext.
Jetzt nähert sich der griechische Text wieder dem lateinischen.
Sagt dieser § 9 : non sufFerentes, inter quos noti f aerant, confu-
sionem verecundiae suae recesserunt . . in Aegyptum, so sagt jener
Kap. 9 : ava^^wpv^owfjisv ttj? /wpa? tauTirjc; , ovi ö'vstSo? Y£YÖva[j,£V toic
Y'.vtooxooat r^(J.ä<; . . sßaStCov w? ItiI r?jv Aiyojctov.
Also auch bei diesen Untersuchungen hat sich ergeben , daß
dieser lateinische Text der Placidas-Legende einfach und verständig
ist , aber auch keine Lücke verräth , daß dagegen der griechische
Text mit vielerlei, theils unnöthigen theils abgeschmackten Lappen
behängt ist.
Ich habe* so die sämtlichen Punkte, welche Bousset gegen die
frühere Abfassung des lateinischen Textes und für die Vorzüge
des griechischen Textes der Placidas-Legende vorgebracht hat, be-
sprochen^). Keinen konnte ich als berechtigt anerkennen.
1) no 1 (S. 758), no 2 (757), no !! (S. 749), no 4 (S. 748), no 5 (S. 749), no <>
(S. 759), no 7 (oben), no 8 (S. 749), no 9 (S. 746), no 10 (S. 760), no 11 und 12
(S. 753), no 18 (S. 750), no 14 (S. 751), no 15 (S. 751), no 16(S. 747) und IG Anhang
(S 755). Ich habe S. 231/2 den Grundsatz aufgestellt, daß Martyrien, welche in
llom und Italien spielen, zuerst in lateinischer Sprache und im lateinischen Sprach-
gebiet dargestellt worden seien. Dieses Präjudiz gegen den Werth der griechi-
schen Fassung will Bousset S. 543/4 nicht anerkennen; es könne nur gelten bei
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasias-Legende. 761
Es hat sich kein Grund gezeigt, abzugehen von meinem Ur-
theil über die lateinische Fassung, daß die Ereignisse in würde-
voller Sprache schlicht erzählt seien, mit einigem, aber nicht mit
widerlichem, rhetorischem Aufputz. Insbesondere sind keinerlei
Lücken oder Widersprüche der Erzählung nachzuweisen. Nichts,
das den verkürzten Auszug einer breiteren Vorlage verriethe.
Diese lateinische Fassung kann also die ursprüngliche sein.
Die griechische Fassung hat erstens die lateinische, so weit
ich sehe, vollständig in sich aufgenommen , enthält aber zweitens
sehr viele Stücke, von denen in der lateinischen Fassung nichts
zu finden ist.
Diese beiden Texte können also zunächst nicht 'zwei Zeugen
eines gemeinsamen Archetypus' sein. Denn von zwei Zeugen wird
jeder zum Theil dasselbe aussagen wie der andere, zum Theil
Eigenes ; unmöglich ist, daß der eine Zeuge erstens genau all das
aussage, was der andere aussagt, dann aber noch eine Menge
Neues. Dies Letztere kann nur vorkommen, wenn der zweite die
Aussagen des ersten kennt und benützt. So ist auch hier Alles
in Ordnung, wenn wir annehmen, daß die griechische Fassung die
lateinische benützt hat, also eine Erweiterung, eine Umarbeitung
derselben ist. Dabei müssen wir dem umarbeitenden Griechen
eine Art von Gewissenhaftigkeit zuerkennen. Der TJmarbeiter ist
sonst leicht geneigt, Stücke seiner Vorlage wegzulassen oder um-
zustellen. So hat der 2. byzantinische TJmarbeiter dieser Legende
(Analecta Bollandiana III 65) es gemacht. Er sagt z. B. nichts
davon, daß dem Placidas die Wahl gelassen worden sei, wann das
Leiden über ihn komme; er läßt den Placidas Haus und Heimat
gänzlich verlassen und dann erst die Räuber kommen und das
Haus plündern usw. Aber unser erster griechischer TJmarbeiter
hat alle Bestandtheile des lateinischen Textes übernommen und
alle in derselben Reihenfolge gelassen.
Was nun seine zahlreichen Zusätze betrifft, so ist keiner
unentbehrlich, keiner eine klare Verbesserung der lateinischen Fas-
sung; manche dieser Zusätze sind möglich und erträglich, manche
sind, wie sich auch oben gezeigt hat, geschmacklos , besonders zu
frommen Zwecken gemacht. Das ist durchaus nichts Auffallendes ;
diese Umarbeitungen sind der Fluch der Legendenliteratur. Nahezu
wirklich historischen Märtjrrem. Ich gebe zu, daß Ort und Zeit in der Placidas-
legende nur mit dünnen Farben gemalt sind, und berücksichtige deshalb die oben
genannte Regel hier nicht weiter ; bedenklich bleibt es jedenfalls, daß ein italieni-
sches Martyrium zuerst in griechischer Sprache, also für Griechen soll dargestellt
worden sein.
762 Wilhelm Meyer,
immer aber wird nur 1 Text vorgenommen und der nur für diesen
oder jenen Zweck umgearbeitet. So ist also auch in der grie-
cMschen Fassung der Placidaslegende Alles, was sie mehr hat, als
die von mir veröffentlichte lateinische Fassung, dringend verdächtig,
daß es nur Zusätze, also Erfindungen und Fälschungen des grie-
chischen Umarbeiters sind.
Dagegen erhebt Bousset entschiedenen Einspruch: er könne
von etlichen Stücken des griechischen Placidastextes , welche im
lateinischen Texte fehlen , strikt beweisen, daß sie nicht von dem
Griechen erfunden, sondern 'ursprünglich' seien. Diesen Beweis
will er liefern durch seine folkloristische Untersuchung. Als
im 19. Jahrhundert nach den Freiheitskriegen unsere Forscher
zunächst die Sagen und Märchen der deutschen Stämme, dann
der übrigen Völker eifrig studirten, lenkte Theodor Benfey in
Göttingen seit den Jahren 1850/60 besonders durch seine Arbeiten
zum Pantschatantra die Aufmerksamkeit auf den reichen indischen
Schatz von Märchen. Seitdem erforschten Viele, wie diese oder
jene Sage aus dem fernen Osten von den Indern zu den Persern,
Arabern und Türken an das Mittelmeer und in den Westen ge-
wandert sei.
Das Mittelstück der Placidaslegende bildet nun eine Ge-
schichte, welche allen Anforderungen der Erzählungskunst entspricht.
Eine Familie, Mann Frau und 2 Söhne, werden vom Unglück hart
verfolgt und auf der Flucht, am Meere und an einem Flusse voll-
ständig von einander getrennt; nach längerer Zeit finden die
Glieder der Familie durch "Wiedererkennen sich wieder zusammen
und gelangen zu einem glücklichen Zusammenleben. Bearbeitungen
der Placidas-Legende in verschiedenen europäischen Sprachen hat
es einst viele gegeben. Ein und der Andere, welcher diese unter-
suchte, hat auch notirt , daß das erwähnte Mittelstück als selbst-
ständige Geschichte in orientalischer Sprache vorkomme, hat aber
natürlich, wie alle anderen Bearbeitungen , so auch diese orien-
talischen Fassungen der Mittelgeschichte als Ableger der griechi-
schen Fassung erklärt.
Erst zwei amerikanischen Forscher, Ogden 1900 und Gerould
1904, und jetzt Bousset haben jene selbständige Fassung des Mittel-
stückes in der orientalischen Erzählungsliteratur weiter verfolgt
und sind zu dem Schluß gekommen, daß hier ein altes , indisches
volksthümliches Märchen vorliege , das nach Westen gewandert
sei, und daß seine Verwendung in der Placidaslegende nur eine
der Wandlungen sei, welche diese Geschichte auf ihrer Wanderung
die älteste lateinische Fassang der Placidas-Eustasius-Legende. 763
durchgemacht habe; so 'stelle nach allen Seiten diese Fabel und
ihre Wanderung sich als ein Musterparadigma dar für allge-
meine Gesetze der Wanderung von Erzählungen vom fernen Osten
zum Westen, von der vorbuddhistLschen-indischen bis in die mittel-
alterlich europäische Literatur'.
Bousset S. 477—493 gibt den Inhalt von etwa 8 orientalischen
Versionen dieser Greschichte an : aus den 1001-Nacht-Erzählungen
stammen no 1. 4. 6. 7. und 8 ; armenisch (um das Jahr 1850 auf-
gezeichnet) ist no 2 ; jüdisch sind no 3 (10. Jahrh.) und no 4 (in 1001
Nacht) ; bei den Kabylen in Algier um 1893 aufgezeichnet ist no 5.
Schade ist, daß die Fassung von IIa (S. 507) so unsicher ist;
Bousset reconstruirt aus Andeutungen Ogdens eine Erzählung
wieder, deren eine Version aus Kaschmir, die andere aus dem Pend-
schab stammen soll (s. S. 777).
Diese Versionen weichen in den meisten Einzelheiten, oft un-
glaublich staxk, von einander ab; aber in dem Gerippe der Er-
zählung stimmen sie so zusammen, daß man die gemeinsame Grund-
lage anerkennen muß. Sobald also zwei Versionen ein und den-
selben Zug berichten, muß man annehmen, daß derselbe ursprünglich
ist, d. h. daß derselbe entweder schon in der Fassung der Geschichte
vorkam, auf welche alle Versionen zurückgehen , oder wenigstens
vorkam in einer späteren Version, auf welche eben die erhaltenen,
diesen gleichen Zug enthaltenden Versionen zurückzuführen sind.
Das Mittelstück der Placidaslegende präsentirte sich also den
genannten Forschem nur als eine weitere Variante dieser orien-
talischen Geschichte. So hat denn Bousset S. 499 einen 'genauen
Stammbaum' der verschiedenen Versionen dieser werdenden Ge-
schichte hergestellt.
Zwischen diese Untersuchungen und Folgerungen kam nun
meine Ausgabe des lateinischen Textes der Placidaslegende mit
meiner Behauptung, daß dieser lateinische Text der älteste und
ursprüngliche sei und daß der griechische Text nur eine Umarbei-
tung jenes lateinischen sei, daß also Alles , was der griechische
Text mehr habe als der lateinische, nur Erfindungen des Griechen
kurz vor 700 seien. Diese Sätze widersprechen schroff den Er-
gebnissen der folkloristischen Untersuchung.
Monteverdi hatte meinen lateinischen Text für einen Auszug
erklärt, welcher direkt aus dem griechischen geflossen sei. Bousset
geht nicht so weit; aber er sucht einen Mittelweg: er sagt S. 549
'es mögen der griechische und lateinische Text zwei Zeugen
eines gemeinsamen Archetypus repräsentieren. Aber ich glaube
doch, daß der griechische Text diesem näher steht als der latei-
764 Wilhelm Meyer,
nische'. Dann sucht er in 16 Punkten Stellen nachzuweisen, wo
der lateinische Text entschieden schlechter sei als der griechische,
ja bisweilen bis zur vollkommenen Unverständlichkeit gekürzt sei.
Diese 16 Punkte habe ich geprüft und gezeigt , daß in allen
Fällen der lateinische Text klar, vollständig und unanfechtbar ist;
daß aber der griechische Text in keinem Falle entschieden besser,
dagegen oft sicher durch geschmacklose Zusätze entstellt sei.
Nun bringt Bousset 'wichtige, entscheidende' Beweise für
seine Ansicht. Es sind Stellen der oben bezeichneten Art : ein Zug
der Erzählung ist in dem griechischen Text ebenso oder sehr ähn-
lich berichtet, wie in einer oder in mehreren Versionen der orien-
talischen Wandergeschichte; aber in dem lateinischen Texte fehlt
dieser Zug ganz oder ist sehr abweichend gefaßt. Es ist sicher,
daß in diesen Fällen der griechische Text mit den orientalischen
Versionen, ja man kann sagen, mit dem ursprünglichen Texte der
orientalischen Geschichte eng verwandt ist, während der lateinische
Text ziemlich oder gänzlich fern steht. Solcher Stellen bezeichnet
Bousset etwa 4: no 1, 6, 7 und 10 (S. 544/6), wie ich bei Be-
sprechung dieser Anklagepunkte erwähnt habe.
no 1 gehört sicher hierher : dem Helden wird die Wahl ge-
lassen, ob er das Unglück sogleich oder später erleiden will. Dies
erzählt der griechische Text und die armenische Version der orien-
talischen G-eschichte (S. 481) s. oben S. 758. Ziemlich sicher ge-
hört auch no 6 hierher: der lateinische Text sagt, daß Räuber
das Haus des Placidas gänzlich ausplündern , so daß ihm nur die
Kleider am Leibe bleiben; der griechische Text, daß Placidas in
einen abgelegenen Ort flieht und daß dann die Räuber sein Haus
vollständig ausplündern , so daß ihm nur die Kleider am Leibe
bleiben; einige orientalische Versionen erzählen, daß der Held in
die Wüste flieht und dort von Räubern ausgeplündert wird bis
auf die Kleider (s. oben S. 759). Die 2 anderen Fälle scheinen
mir zu unbedeutend, um hier erwähnt zu werden ; so, wenn in no 7
(oben S. 760) verglichen wird ein Siegesfest in einer abenteuer-
lichen Umarbeitung der Gesta Romanorum aus dem 13./14. Jahr-
hundert, welche aus Bolland's lateinischem Zwillingstext geflossen
ist; oder wenn in no 10 (oben S. 750) die Söhne des Placidas im
griechischen Text als Tischgenossen und in orientalischen Ver-
sionen als Pagen und Vertraute auftreten , während sie im latei-
nischen Text als Soldaten dem Feldherm wohl gefallen und zu
Centurionen befördert werden.
Doch wenn auch nur no 1 (die Wahl) und no 6 (die Flucht
in die Wüste) anerkannt werden, scheint Boasset's Folgerung zu
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius- Legende. 765
gelten: da der griechische Text hier dasselbe berichtet, wie der
orientalische , im lateinischen aber diese Stücke ganz fehlen, so ist
eben der lateinische Text der Placidaslegende nicht die älteste
oder ursprüngliche Fassung derselben, der griechische Text aber
hat, wie hier, so vielleicht an vielen Stellen Echtes und Ursprüng-
liches gerettet, welches im lateinischen Text verloren ist.
Aber zuächst haben Bousset's Beweise für solche Textesver-
hältnisse sich nicht bewährt, und die meisten Zusätze des griechi-
schen Textes sind und bleiben geschmacklos.
Die Hauptfrage ist, ob die orientalische Geschichte, welche
uns in den verschiedenen Versionen erhalten ist, wirklich von dem
Verfasser der Placidaslegende gekannt und benützt ist. Monte-
verdi hat wie andere Gelehrten alle Bearbeitungen der Placidas-
legende von dem griechischen Text abgeleitet, also auch diese
orientalische Geschichte (S. 184—188—192). Dafür ist Bousset
S. 493 — 500 scharf mit ihm ins Gericht gegangen.
Und doch ist es ein ganz natürlicher Vorgang, daß das Mittel-
stück der Placidaslegende ausgeschnitten und als selbständige
Geschichte verbreitet wurde. Die Ursache ist der menschliche
Heißhunger nach Geschichten. Beim Ausbruch des gegenwärtigen,
schwersten aller Kriege haben viele Zeitungen die Geschichten
unter dem Striche weggelassen; allein trotz der Noth an Papier
und an Setzern hat der Heißhunger des Publikums überall die Rück-
kehr der Geschichten erzwungen. Tief hinein ins Mittelalter können
wir im Occident die Kette der erzählenden Literatur verfolgen.
Im Orient ist noch heute der Geschichtenerzähler eine beliebte
Person, und er ist es dort stets gewesen. Das bezeugt auch die
reiche Erzählungsliteratur der Orientalen.
Das Geschichtenerzählen war stets eine Kunst. Wenige Ge-
schichten werden völlig erfunden ; die meisten werden aus anderen
Quellen, mündlichen oder schriftlichen , bezogen. Die Geschichte
geht, wie ein Edelstein oder eine schöne Perle, von einer Hand
zur andern und aus einem Land ins andere , bald einzeln gefaßt
bald mit andern zu einem größeren Ganzen vereinigt. So hatten
besonders in den alten Zeiten und in den östlichen Ländern Viele
für solche Erzählungen ein Interesse , Viele sammelten solche mit
Eifer.
Die vorliegende Placidaslegende ist dreitheilig. Der Anfang
und der Schluß, die Bekehrung zar Taufe und das Martyrium des
Placidas, sind christlich-religiösen Inhaltes; aber das Mittelstück
über den Abstieg und Aufstieg oder über die Trennung und Wieder-
vereinigung der Familie des Placidas ergibt eine Geschichte mit
766 Wilhelm Meyer,
spannender Verwicklung und Entwicklung. Das sehen wir, das
sahen die geübten Erzählungskünstler der alten Zeiten. Wenn
nun ein Vorderasiate, z, B. ein jüdischer Gelehrter des 8. oder 9.
Jahrhunderts, die Placidaslegende las oder hörte, so mußte ihm
der Gredanke kommen, welch; schöne Geschichte gewonnen werde,
wenn man den christlichen Anfang und Schluß wegließe und nur
das Mittelstück weiter erzählte. Ein solcher Asiate konnte na-
türlich nicht den lateinischen Text lesen oder hören, sondern nur
den griechischen. Griechisch war die üniversalsprache des näheren
Orients, und die griechische Literatur war die Lehrmeisterin der
übrigen vorderasiatischen Literaturen. Diese Geschichte machte
dann den Weg von Westen nach Osten. Ebenso sind ja viele
Stücke nachgewiesen , welche die Kunst der mittel- und ostasiati-
schen Völker bis nach China von der in Vorderasien herrschenden
griechischen Kunst bezogen hat.
Die orientalische Geschichte ist ein Ausschnitt aus dem grie-
chischen Texte der Placidaslegende. Das bezeugen auch die zuletzt
berührten Stellen, welche nur dem griechischen Texte und der
orientalischen Geschichte gemeinsam sind, die Wahl und die Flucht
in die Wüste. Das sind im griechischen Texte Zusätze und Fäl-
schungen, Erfindungen des Umarbeiters. In der orientalischen Ge-
schichte ist ihr Vorkommen verständlich und natürlich ; aber eben
diese Stellen sind auch die Brandmale, welche den Ursprung der
Geschichte aus dem griechischen Text bezeugen.
Das habe ich als Philologe dem Folkloristen zu antworten
zur Vertheidigung des von mir edirten lateinischen Textes der
Placidas-Eustasius-Legende. Allerdings muß ich die ganze Hypo-
these Bousset's und seiner Genossen mit ihren verwirrenden Fol-
gerungen abweisen. Dafür rücken die einzelnen Stücke der vor-
handenen literarischen Überlieferung an die richtige Stelle und in
das richtige Licht.
I. Zuerst wurde diese Legende im lateinischen Sprachgebiet,
in welchem auch der Inhalt spielt, schriftlich fixirt in der von mir
edirten lateinischen Fassung. Sie ist schlicht, verständig
angelegt und verständlich ausgeführt. Der erste Theil, wo der
weiße Wunderhirsch erscheint mit dem flammenden Kreuz im Ge-
weih , aus dem Christus spricht und den Placidas bekehrt , sowie
das Mittelstück mit der spannenden Geschichte von dem Nieder-
gang und dem Aufstieg der Familie sind kühn angelegt und be-
zeugen die fast schon mittelalterlich romantische Begabung des
Verfassers. Natürlich hat er diese beiden Motive nicht völlig und
selbständig erfunden; aber wir wissen nicht, woher und wie viel
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Enstasins Legende. 767
davon er aus anderen Quellen bezogen hat. Der Schluß der Le-
gende, das Martyriam, ist von der gewöhnlichen Art. Die Hand-
schriften zeigen die in Legendenhandschriften gewöhnlichen starken
Verschiedenheiten des Wortlauts ; jedenfalls fehlen uns noch viele
Mittelglieder der Überlieferang; denn eine Scheidung in Familien
läßt sich bis jetzt noch nicht klar durchführen. Aber die Sprache
und Ausdrucksweise dieser I. lateinischen Fassung, soweit ich sie
aus den Handschriften festsetzen konnte, passen in das 5./6. Jahr-
hundert.
la. Der ebenfalls^von mir 1915 edirte und besprochene, durch
die Zeilenform und den Reim merkwürdige Rythmus über den
Placidas-Eustasias ist nur nach dieser I. lateinischen Fassung ge-
arbeitet, wohl im 8./9. Jahrhundert.
II. Die I. schlichte Fassung hatte das Schicksal der meisten
Legendentexte: sie wurde umgearbeitet und dabei aufgeputzt.
Doch mäßigte sich der Umarbeiter ; er hat Nichts weggelassen und
Weniges umgestellt. Aber zugesetzt hat er Vieles, theils um zu
motiviren, theils um rührende, besonders religiöse Zierraten anzu-
bringen ; von all diesen Zierraten ist keiner unentbehrlich. Diese
Umarbeitung wurde höchst wahrscheinlich zuerst in griechischer
Sprache vor 700 ausgeführt; von dieser griechischen Fassung
scheinen nur sehr wenige Handschriften erhalten zu sein. Schon
um 800 scheint eine nahezu wörtliche Übersetzung in lateinischer
Sprache vorhanden gewesen zu sein, welche in zahlreichen und
alten Handschriften erhalten ist : der lateinische Zwillingstext. Diese
beiden Texte der IL Fassung haben die Acta Sanctorum Bolland.
gedruckt, doch fehlt die kritische Sicherheit der Texte.
III a. Auf diese zwei Texte der IL Fassung sind die übrigen
mittelalterKchen Darstellungen der Placida siegende zurückzuführen.
So ist aus dem griechischen Texte eine erneute fast kecke
griechische Umarbeitung hervorgegangen , welche fast ganz 1884
in den Acta BoUandiana III 66 — 112 gedruckt ist. Dann ist aus
diesem griechischen Texte der 11. Fassung das Mittelstück aus-
geschnitten und, wie S. 764—766 besprochen, als selbständige Gre-
schichte durch verschiedene Länder Asiens bis nach Indien weiter
verbreitet worden (s. unten).
III b. Aus dem lateinischen Texte der II. Fassung
stammen viele Übersetzungen, Umdichtungen und Nachahmungen,
welche in Europa im Mittelalter entstanden sind. Darunter sind
etliche, welche ohne Namen nur das Mittelstück der Legende wieder-
geben. Also entstehen wiederum 2 Möglichkeiten: 1) kann die
ausgeschnittene , namenlose orientalische Geschichte selbständig
768 Wilhelm Meyer,
auch nach Europa gelangt und da wieder in Dichtungen verar-
beitet worden sein ; 2) können Erzählungskünstler des europäischen
Mittelalters selbständig die Sonderart des Mittelstückes der Pla-
cidas-Eustasiuslegende erkannt, dies Mittelstück ausgeschnitten und
zu einer Dichtung verwendet haben. Darüber sind Grerould und
Bousset (s. S. 560) sehr verschiedener Ansicht. Meine Aufgabe hat
mit dieser Untersuchung nichts zu thun.
Nachtrag
zu Bousset's Besprechung der indischen Versionen dieser
Wandergeschichte.
Bousset bespricht S. 477 — 493 die arabischen, persischen, he-
bräischen, armenischen und türkischen Fassungen der Wanderge-
schichte (s. oben S. 763). Das ist natürlich; denn wenn, wie er
behauptet, ein Grrieche vor 700 n. Chr. diese Wandergeschichte
aufgegriiFen und zum Aufbau der Placidas-Eustasiuslegende benützt
hat, so muß das in Vorderasien geschehen sein. Da aber diese
Geschichte vom fernen Osten in den Westen aus der vorbuddhisti-
ßchen-indischen in die mittelalterlich - europäische Literatur ge-
wandert sein soll, so war es für Bousset sehr wichtig, die Exi-
stenz der Geschichte in ihrer indischen Heimat zu untersuchen.
Das hat er S. 501 — 507 gethan. Aber gerade hiebei war er wenig
vom Glück begünstigt.
Ogden (Dissertation von Baltimore 1900) arbeitet in seiner
Tabelle (zu S. 6) und sonst, "besonders S. 23/24 , mit 4 indischen
Versionen, mit Hindoo Version, Kasmir V., Thibetan V. und Pan-
jabi V. Bousset spricht nicht von der Hindoo Version; die 3
andern kennt er nur durch Ogdens magere Citate, nicht in ihrer
vollen Textfassung (s. S. 502/3 Note und S. 506/7). Gerould
schweigt ganz darüber. Dieser Mangel an vielleicht wichtigem
Material ärgerte mich. In bibliographischen Dingen müssen wir
Deutschen doch Amerikanern gleich kommen können. Da die Eng-
länder für Folklore Indiens so viel geleistet haben, entschloß ich
mich, solche Sammlungen aus den von Ogden genannten Provinzen
Indiens durchzugehen. Und sogleich der erste Schritt auf diesem
Wege führte mich nahe an's Ziel.
Bei Gerould (Publications of the Modern Language Association
of America, XIX = XII 1904) p. 395 fand ich für irgend einen
Zweck citirt: J. Hinton Kno wies, Folk-Tales of Kashmir. Dieses
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 769
1888 nnd 1893 in zwei gleichen Ausgaben in London erschienene
Buch ging ich durch und fand daselbst S. 154 — 165 unter dem
Titel 'Pride abased' die Kaschmir - Fassung unserer Wanderge-
schichte. Am Ende steht S. 165 folgende Note von Knowles:
This story .>hould be compared with its most interesting variant
•Placidus', a tale from the Gesta Romanorum.
2.) Another variant is to be found in Tibefan Tales, the story
of 'Krisa Gautami' p. 222, 223.
3.) A third variant is 'Swet - Basanta' in Folktales of Bengul
p. 93—107.
4.) Another is that of ^Sarwar and Nir' in the Legends of the
Punjab vol. III p. 97—125.
Der Missionar Knowles hat es nicht für nothwendig gehalten,
die Herausgeber dieser Sammlungen zu nennen. Doch mit Hilfe
von Fortescue. Subject Index des Brit. Museums unter Folklore
II p. 45 'India' gelang es auch die Herausgeber dieser vor 1888
erschienenen Bücher zu bestimmen, no 2 ist: Tibetan Tales de-
rived from Indian sources, translated from the Tibetan of the
Kah-gj'ur by F. Anton von Schief n er; done into English from
the German . . by W. ß. S. Ralston London 1882 (in Berlin),
no 3 ist: Lal Behari Day, Folk- Tales of Bengal. London 1883
(in Berlin). no 4 : The Legends of the Panjäb . by Captain ß.
C. Tempi e. Den 3. Band dieser ansehnlichen Sammlung, der
1886 — 1900 erschienen ist, fand ich in Bonn (und in München).
So läßt sich denn das bis jetzt bekannte indische Material
mit Sicherheit bearbeiten. Beim Suchen nach diesen Sammlungen
wandte ich mich auch an Ernst Kuhn in München. Er hatte die
Güte mich auf Brands tetter's Übersetzung der buginesischen
Fassung hinzuweisen. Diese führte mich zu der m a 1 a i s c h-siame-
sischen Fassung. Beide will ich am Schlüsse besprechen.
Leider muß ich wegen der verwickelten Überlieferung nnd
der ziemlich sicheren Zeitbestimmung auf das erste Stück Bousset's
(S. 501/2), die Legende vonPatacara oder Kisa-Gotami,
mehr Auseinandersetzungen verwenden, als sie nach meiner An-
sicht hier verdient^).
In den Psalms of the Early Buddhists: I Psalms of the Sisters
(by Mrs ßhys Davids 1909) schildert p. 109 Kisa-Gotami das
elende Schicksal des Weibes so :
1) Ich erfreute mich dabei des gelehrten Rathes meines Kollegen Hermann
Oldcnberg. Bringe ich hier Irrtümer yor, so bin natürlich ich schuldig und ver-
antwortlich.
770 Wilhelm Meyer,
Woeful is woman's lot! . . .
218 Returning home to give birth to my child,
I saw my husband in the jungle die.
nor could I reach my kin ere travail came.
219 My baby boys I lost, my husband too.
and when in misery I leacbed my bome,
lo! where together on a scanty pyre,
my mother, father and my brother burn.
Dies ist nicht nur eine krasse Schilderung des Unglücks, dem
das Weib ausgesetzt ist, sondern die Einzelheiten (daß sie auf der
Rückkehr in die Heimat gebiert und daß ihr Mann im Walde
stirbt) deuten auf ein bestimmtes Ereigniß.
Diese Lieder der Schwestern (Therigäthä) sind um das dritte,
allenfalls zweite Jahrhundert vor Christus entstanden. Nun findet
sich in verschiedenen buddhistischen Werken eine Geschichte, welche
zu den citirten Versen paßt. Die Frage ist, ob das citirte Lied
den Inhalt dieser Greschichte resumirt und also die Greschichte
älter ist als das Lied, oder ob die Geschichte auf das Lied hin,
gewissermaßen zu dessen Erklärung, erfunden ist.
In dieser Geschichte heißt die Schwester meist Patacara. Für
diese Geschichte citirt die Paramatthadipani (vol. V, 1893) das
Apadäna (Param. p. 112—115), welches nach Oldenberg (in diesen
Nachrichten 1912, S. 207 Note 3) vor das 2. Jahrhundert n. Chr.
zu setzen ist. In dem Apadana wird der Flußübergang deutlich
geschildert; das jüngere Kind wird von einem Vogel (englisch
ospray, eine Adlerart) gepackt. Dann findet sich die Geschichte
der Patacara in dem Palicommentar des Dhammapala zu den The-
rigäthä (Davids p. 69/72) aus dem 5./6. Jahrhundert nach Chr. und
in der wohl gleichaltrigen Manoratha Purani des Buddhaghosa
(übersetzt von Mabel Bode im Journal of the Royal Asiatic So-
ciety 1893 p. 557/8). Dhammapala's Text (Paramatthadipani V
108—112 -f 115 = Davids p. 68—72) und Buddhaghosa's Text (Bode
p. 556 — 560) sind nur im Ausdruck verschieden. Ich gebe Bodes
Übersetzung der betreffenden Stelle.
Patacara hatte die erste Geburt im Hause der Eltern abge-
wartet. Dahin zog sie später mit dem ManlQ und dem ersten Kinde,
um auch die zweite Geburt dort zu überstehen. Doch schon im
Wald überfielen sie die Geburtswehen. Zugleich erhob sich Sturm
und Regen. Der Mann wollte eine Hütte herstellen, starb aber
durch den Biß einer Schlange. Als sie ihm die Geburt eines 2.
Sohnes melden wollte, fand sie ihn todt.
Statt der Worte des Liedes 'My baby boys I lost' gibt nun
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 771
die Prosa-Erzählung Folgendes: She took her younger child
upon her side and, leading the eider by the hand, she went on
her way. And she saw, tbat in the middle of the road was (a
river) she would have to cross , and thought 'Now I cannot go
across carry ing both the children at once. I will put the eider
boy on this bank and carry the younger one across to the further
side. And when 1 have laid him down on my head-cloth, I will
retum and take the other and go across'. So she went down into
the stream. But just as she, Coming back, reached the middle of
the river, a certain hawk, thinking This is a piece of meat', flew
down to peck at the child she had left. She threw up her hands
to seare away the hawk. The eider boy, seeing the motion of
her hands, thought 'She is beckoning to me', and stepped down
into the stream. And he lost bis foothold and was bome away
by the torrent. And the hawk, even before she could reach him,
bore away the other child. So overwhelmed with her great
sorrow, she went on her road, wailing out this lamentation: 'Dead
are both my sons and my husband dead upon the road'.
In der Heimath findet sie auch ihr Elternhaus vom Sturm
zerstört und die Ihrigen todt. Sie zerreißt ihre Kleider und irrt
wahnsinnig weiter, indem sie dem obigen Ruf 'Dead . . road' die
Worte zusetzt: 'And my mother and father and kinsfolk they
burn on one funeral pyre', also = dem Inhalt der citirten PsalmsteUe.
So hatte Patacara die Nichtigkeit aller irdischen Verhältnisse
an sich selbst erfahren, und leicht gewann Buddha sie für seine
Lehre und seine Gremeinde.
Aufiallend ist, daß die oben citirten Verse, welche Patacara's
Leiden resumiren, im 63. Psalme stehen, welchen die Kisa-gotami
spricht, und daß Patacara hier gar nicht genannt wird, so daß es
aussieht, als ob es die Erlebnisse der Kisa-gotami seien. Dagegen
zu dem Liede no 47 der Patacara (Davids p. 73), welches nichts
von solchen traurigen Erlebnissen berichtet, gibt der Commentar
des Dhammapala die oben mitgetheilte Fassung der Geschichte
(Davids S. 69/70). Davids p. XXI sucht diese Schwierigkeit so zu
lösen : das entsprechende Lied der Patacara, von dem das Apadäna
und der Commentar sprächen, sei verloren gegangen. In der tibe-
tanischen Version scheint Kisa-gotami an Stelle der Patacara ge-
treten zu sein.
(Kisa-gotami). Eine Geschichte ähnlicher Art gab es in Ti-
bet. Sie weicht im Anfang und im Schluß vollständig ab , aber
die Mitte geht nns an und deckt sich mit der oben gegebenen
Darstellung. Zuerst hat sie Anton von Schiefner ins Deutsche
772 Wilhelm Meyer,
übersetzt (Bulletin de rAcademie . . de St. Petersbourg XXI 1876
S. 485 — 493); dann hat W. R. S. Ralston sie aufgenommen in:
Tibetan Tales . . transl. by A. v. Schiefner, done into the English
from the German by Ralston, .1882 London (in Berlin) p. 216 —
226 : Krisa Gautami.
Schiefner S. 485 gibt folgende Einleitung: Krisa Gautami
(Kandjur XI. Blatt 122 — 130). Der Hauptsache nach wird die
nachfolgende Erzählung im 25. Capitel des Dsanglun ^) mitgetheilt,
nur ist die Trägerin derselben die Bhikshunt Utpalavarnä (s. Psalm
LXIV) ; Krcä Gautami (bei den Südbuddhisten Kisagotami) ist
durch die von Cap. Rogers aus dem Barmanischen übersetzten
'Buddhaghosa's Parables' (London 1870) p. 98 ff. , neuerdings be-
kannt geworden und hat dem Prof. Rhode auf der Philologenver-
sammlung zu Rostock (s. Zft für das Gymnasialwesen 1876 Febr.
S. 118) Anlaß zu Vergleichungen mit griechischen Erzählungen
gegeben (Rohde, Roman 2. Aufl. 1900 S. 598/9 behandelt die schöne
Sage, welche der Commentar zu Therigatha no 63 mittheilt) ^).
Zugesetzt ist zunächst eine lange, ziemlich dumme Einleitung.
Dann folgt (bei Schiefner S. 490) folgender, dem obigen paralleler
Text: Nachdem sie lange geweint hatte und sehr traurig ge-
worden war, schaute sie nach allen Weltgegenden, nahm den neu-
geborenen Knaben an den Busen, ergriff den älteren an der Hand
und begab sich auf den Weg. Da unerwartet ein starker Regen
gefallen und Seen, Teiche, Brunnen voll von Wasser und der Weg
vom Flusse überschwemmt war, dachte sie, daß, wenn sie mit
ihren Kindern zusammen übers Wasser ginge, sowohl diese als sie
selbst zu Schaden kommen würden, deßhalb sollten einstweilen
die Kinder zuerst hinüber (over separately Balston). Den altern
Sohn setzte sie ans Ufer des Flusses, den Jüngern nahm sie, ging
hinüber und legte ihn am Ufer nieder. Als sie darauf nach dem
älteren hinüber ging und bis in die Mitte des Flusses gelangte,
1) (Dsanglun) oder der Weise und der Thor, aus dem Tibetischen übersetzt . .
von I. J. Schmidt, Petersburg 1843 S. 208. Die dumme Einleitung fehlt hier.
Die Scene am Flusse wird ähnlich und die verschiedenen folgenden Ereignisse
werden wenigstens ziemlich ähnlich erzählt. Den Schluß bildet im Dsanglun eine
Erklärung dieser ihrer Erlebnisse als die Folgen von Sünden und Verdiensten
in früheren Existenzen. Mit den P]rlebni8sen der Uppalavai^pa (Therigatlia no 64)
besteht keine Ähnlichkeit.
2) Ralstons Übersetzung ist die von K n o w 1 e s , Folk-Tales of Kashmir
1893 p. 165 citirte 'variant in Tibetan Tales, the story of 'Krisa Gautami' p. 222,
223. Ogden rubricirt sie in seiner Tabelle als 'Tibetan Version'. Bousset (S.
502/3) sucht vergebens den Text (s. oben S. 769).
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eastasius-Legende. 773
wurde der jüngere Knabe von einem Schakal davon getragen.
Die Mutter aber, in die Mitte des Flusses gelangt, scheuchte die
Hand schwenkend den Schakal. Der ältere Knabe glaubte, daß
die Mutter ihn rufe , und sprang ins Wasser ; da aber das Ufer
sehr abschüssig war, kam er um, so wie er fiel. Die Mutter eilte
dem Schakal nach, welcher das Kind fallen ließ und davon lief.
Als die Mutter es betrachtete, fand sie es todt und warf es, nach-
dem sie geweint hatte, ins Wasser. Als sie aber nun auch den
älteren Sohn vom Wasser einhergetragen sah, wurde sie noch un-
ruhiger, eilte ihm nach und fand, daß auch dieser schon gestorben
war. So des Mannes und der Kinder beraubt, gerieth sie in
Verzweiflung und saß , nur den Unterkörper bedeckt , allein am
Ufer. Sie hörte das Sausen des Windes, das Rauschen des Waldes
und der Wogen, sowie das vielfache Singen der Vögel und weh-
klagte über den Verlust des Mannes uud der beiden Kinder, mit
Gramesthränen und Schluchzen hin und her irrend. Dann wird
noch der Hauseinsturz und der Tod aller Angehörigen kurz be-
richtet, ähnlich wie im Pali-Commentar.
Dann ist ein geschmackloser längerer Schluß hinzugefügt:
Ivisa Gotami heirathet einen Weber : er schlägt sie oft und zwingt
sie, ihr Kind in Ol zu sieden und zu essen ; dem entläuft sie. Ein
Karawanenführer heirathet sie : er wird von Räubern erschlagen.
Der Räuberhauptmann heirathet sie : er wird vom König erschlagen.
Sie kommt in das Frauengemach des Königs : der König stirbt
und sie wird in das Grabmal gesteckt. Als Grabräuber dies er-
brechen , kommt sie heraus und irrt dann wahnsinnig und halb-
nackt umher, bis sie endlich zu Buddha kommt. Dieser letzte
Theil findet sich auch im Dsanglun und wird noch mit Handlungen
in früheren Existenzen erklärt.
Also : die Therigatba im 2./3. Jahrh. vor Christus sprechen
nur vom Tod der beiden Söhne, sagen aber nichts von einem Fluß-
übergang. Dieser kommt aber schon in dem Apadana im 1„2.
Jht nach Chr. vor und spielt eine große Rolle bei Dhammapala
und Buddhaghosa im 5./6. Jht nach Chr. und in dem etwas späteren
tibetischen Kandjur (und Dsanglun). Bei den beiden ersteren raubt
ein Habicht das kleine Kind, bei den Tibetanern ein Schakal und
ein Wolf. Knowles hat in seinen Folk-Tales of Kashmir schon
1888 die tibetanische Gautami- Geschichte mit der Placidas - Sage
und mit der Kaschmir- und Pendschab-Fassung unserer Wander-
geschiehte zusammen gestellt. Dann hat M. Gast er 1893 Bode's
Übersetzung der Patacara-Geschichte Buddhaghosa's gelesen und
in demselben Bande des Journal of the Royal ALsiatic Society in
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1916. Heft 5. 52
774 Wilhelm Meyer,
einer kurzen Note (S. 869 — 871) sie für das Original von vielen
ähnlichen Erzählungen im Osten und Westen (auch Clementinen
und Placidas) erklärt und gesprochen von einem 'elaborate study
on the series of tales, which turn round the peculiar loss of wife
(or husband) and children, and their finding again after a lapse
of time, and under vastly changed circumstances'. Einen ganz
ähnlichen Plan verfolgte 0 g d e n in der Dissertation von Balti-
more 1900; doch kannte er (aus Knowles) nur die tibetanische Ge-
schichte der Krisa Gautami (p. 24); Gerould (Publications of
the Modern Language Association XII 1904 p. 335 — 448) weiß von
Nichts; Bousset kennt die Patacara- Geschichte und Gaster's
Urtheil, dann Ogdens Notizen aus der tibetanischen Krisa -Gau-
tami Geschichte.
Gaster, welcher in Buddhaghosa's Geschichte der Patacara
die Vorlage unserer Wandergeschichte findet, verkennt natürlich
nicht den großen Unterschied beider. Er sagt darüber : The theme
is somewhat obscured in the Indian form. The tale does not end
in the happy way, in which the other literary parallels make it
end. The Buddhist tale has andoubtely changed and been adaptcd
to the circumstances, in order to explain the conversion and pree-
minence obtained by Patacara. The primitive form has been better
preserved in the other literatares, where the wife (or the hus-
band) after long trouble and many sufi'erings are re-united with
their children.
Ogden, der Gaster's Ansicht nicht kannte, sondern durch
Knowles zum tibetanischen Text geführt wurde, urtheilt p. 24
ähnlich wie Gaster: The Thibetan version bears a general resem-
blance to this type of story and, I believe, must have been pro-
duced in unconscious imitation of, or in deliberate Variation from,
this type (= die gewöhnliche orientalische Art). I incline to the
latter alternative, because the reserved resemblance is marked:
the departure from home of hero and heroine; the birth of one
child, the taking of the hero ; the loss and death of the children ;
the violation (weitere Heirathen?) of the heroine. The story is
the same, except that the outcome in each instance is infortunate
instead of satisfactory, and only tili the nnhappy heroine takes
refuge in religion does she find rest. I should, therefore, consider
this Version modeled on the general type, but intentionally per-
verted to convey a moral lesson.
Dem Urtheile Gaster's und Ogden's schließt Bousset S. 502/3
sich durchaus an. Die Geschichte der Patacara oder Kisa-gotami
sei eine absichtliche buddhistische Verdrehung einer volksthüm-
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasios-Legende. 775
liehen bekannten indischen, also vorbuddhistischen Geschichte.
Dieses Vorbild sei aber unsere Wandergeschichte gewesen. Wäh-
rend das altindische Vorbild in wenig veränderter Form in die
andern, besonders westlichen Länder sich verbreitete, sei diese re-
ligiöse Verdrehung, d. h. die Geschichte von Patacara-Kisagotami
in den Ländern des Buddhismus weit verbreitet worden. Da diese
buddhistische Verdrehung im 1./2. Jahrhundert nach Chr., ja viel-
leicht schon zur Zeit der Therigatha (2./3. Jahrhundert vor Chr.)
vorhanden war, so würde das noch höhere Alter des indischen
volksthiimlichen Vorbildes absolut feststehen. Bis jetzt fehlt
freilich jede andere sichere Spur, daß das indische Vorbild in so
alter Zeit existirt habe.
Allein ist denn die von Gaster-Ogden-Bousset behauptete Iden-
tität unserer gewöhnlichen Wandergeschichte und der buddhisti-
schen Geschichte von Patacara-Kisagotami so sicher ? Bousset be-
ginnt seine Beweisführung mit den Worten 'Man erkennt (in der
Patacara-Geschichte) den Typus unserer Erzählung kaum wieder
so stark ist sie hier verwandelt' und schließt sie 'Wenn unsere
Vermuthang richtig ist' ttc. Es handelt sich hier wirklich nur
um Vermuthungen.
Die Patacarageschichte enthält erstens nur die erste unglück-
liche Hälfte der Wandergeschichte. Mann und Kinder werden
nicht von der Mutter getrennt, um später wieder glücklich mit
ihr vereinigt zu werden, sondern alle drei verderben sie und sterben
sie sogleich. Das verlangt das Ziel der Patacarageschichte: Pa-
tacara soll alles Unglück erleben , das ein Weib erleben kann :
Mann, Kinder, Eltern und Verwandte sieht sie todt.
Weßhalb, könnte man einwenden, bleibt Patacara (Kisagotami)
nicht zu Hause und erlebt da den Tod des Mannes , der Kinder,
der Eltern und der Verwandten? Daß sie All das im Wald und
Wasser selbst erlebt, das beweist doch gerade die Nachahmung
der Wandergeschichte. Ja, für trockene Gelehrte , nicht für das
unmittelbar empfindende Volk und nicht für die Erzählungskünstler,
welche das Empfinden des Volkes kannten und mit packenden
Schilderungen sich ihm anzupassen suchten. Die Unglücksfälle des
Weibes werden als viel härter empfunden, wenn es im wilden
Walde gebiert, da den Mann von der Giftschlange getödet findet
und ebenda selbst erlebt , wie beide Söhne vom reißenden Fluß
und von wüden Thieren getödet werden.
Wenn aber der buddhistische Dichter der Patacara - Kisago-
tami-Geschichte wirklich unsere Wandergeschichte als Vorbild be-
nützt hätte, weßhalb hat er sein Vorbild verdreht? War denn
52*
776 Wilhelm Meyer,
die tragische Wirkung der Patacarageschichte nicht genau die-
selbe , wenn Patacara nach der Geburt des zweiten Sohnes miter-
lebte, wie der Vater versuchte die beiden Kinder über den ge-
fährlichen Strom hinüber zu tragen, wie dann beide durch wilde
Thiere oder Wassersgewalt vor ihren Augen verunglückten und
zuletzt der Vater selbst durch das Wasser ertränkt oder von einem
Alligator zerfleischt wurde ? Weßhalb sollte der Umdichter seine
Vorlage so verlassen und abgeändert haben ? Man bedenke auch,
welche Rolle in bewaldeten und hügeligen Gegenden des Orients
kleinere Wasserläufe spielen. Sie sind zahlreich und sie zu durch-
waten, ist oft eine Lust und eine Erquickung. Aber nach Regen-
güssen schwellen sie rasch an und Situationen, wie die der Pata-
cara, treten leicht ein.
Aus diesen Gründen halte ich die Patacarageschichte für ori-
ginal und nicht für eine Verstümmelung und eine Verdrehung
einer altindischen populären Fassung unserer Wandergescbichte,
von welcher keinerlei sonstige Spur zu finden ist.
Die buddhistische Geschichte von Vessantara oder (tibe-
tanisch) Visvantara (Gerould 345/6, Bousset 503/4) weicht von
unserer Wandergeschichte zu sehr ab, als daß ich mich für be-
rechtigt hielte, sie als eine Version derselben hier zu besprechen.
Ebenso wenig kann ich die von Gerould S. 344 und von
Bousset S. 604/5 besprochene Geschichte aus dem Da^akumara-
saritam als eine Variante unserer Wandergeschichte anerkennen.
Knowles, Folk- Tales of Kashmir S. 165 nennt als Version
unserer Wandergeschichte die Geschichte von Swet-Basanta
in Lal Behari Day, Folk-tales of Bengal, London 1883 p. 93 —
107. Auch in dieser, sehr dummen Geschichte finde ich absolut
keine Variante unserer Wandergeschichte. Es ist ziemlich sicher,
daß diese bengalische Geschichte es ist, welche Ogden in seiner
Tafel und sonst mit Hindoo Version bezeichnet (freilich 'adapted
to the needs of the narrative'). Der Theil dieser Geschichte, wel-
cher wohl Knowles zum Citiren verlockt hat, daß Swet's Frau
im Walde gebiert , dann der verlassenen Frau das schöne Kind
mit einem todten vertauscht wird und daß später Mutter und Sohn
durch die Stimme der Natur sich erkennen, findet sich auch in
der Sammlung von Marie Frere, welche A. Passow aus dem Eng-
lischen übersetzt und mit dem Titel 'Märchen aus der indischen
Vergangenheit' in Jena (1874) herausgegeben hat; vgl. die Ge-
schichte Panch-Phul-Ranee, S. 193 ffl.
Es bleiben von den oben bezeichneten Geschichten zwei übrig,
die Geschichte aus Kaschmir und die aus dem Pendschab.
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 777
Aus Ogdens Andeutungen hat Bousset S. 506/7 versucht, die beiden
Geschichten zu reconstruiren. Da beide Geschichten wirkliche Va-
rianten unserer Wandergeschichte sind , so gehe ich näher darauf
ein. Freilich indisch sind die beiden Geschichten, aber nicht alt-
indisch.
Rev. J. Hinton Knowles, Folk- Tales of Kashmir, gibt
S. 154 — 165 die Geschichte mit dem Titel 'Pride abased', und mit
der Note : 'Der Erzähler heißt Makund Bäyii, der wohnt in Suthü,
Srinagar'. (K).
In alten Zeiten wurde ein sehr hochmüthiger König von einem
Nachbar besiegt und vertrieben. Mit Frau und 2 Knaben floh er
an das Meer. Der Kapitän eines segelfertigen Schiffes versprach,
sie mitzunehmen; doch, als er die Schönheit der Frau sah, nahm
er nur diese an Bord und ließ die drei Anderen am Ufer zurück.
Die Frau wies die Werbung des Kapitäns entschieden zurück , so
daß er sie an einen mitfahrenden reichen Kaufmann verkaufte.
Dem sagte sie zuletzt zu, ihn nach 2 Jahren zu heirathen, wenn
sie bis dahin Mann und Kinder nicht wieder gefunden habe. Der
zurückgelassene König irrte hilflos mit den Kindern an der Küste,
bis er an einen Fluß kam. Er trug den einen Knaben glücklich
hinüber und wollte den andern nachholen; da riß ihn der Strom
um und er versank. Ein Fischer brachte die jammernden Knaben
zusammen in sein Haus und erzog sie mit geiner Frau wie eigene
Kinder. Als sie die Schule durchgemacht hatten, lernten sie das
Fischen. Ein Riesenfisch gerieth auf eine seichte Bank des Flusses.
Wie viele Andern, wollte auch ein Töpfer spät Abends sich ein
Stück davon abhauen ; da förderte er einen lebenden Menschen
aus dem Fisch ans Tageslicht, welchen er und seine Frau auf-
nahmen und pflegten. Nach einigen Monaten starb der König
des Landes und sein Elephant und Falke (hawk) wurden ausge-
sendet, um einen neuen König zu wählen. Sie kamen auch am
Hause des Töpfers vorbei, vor welchem der wunderbar Errettete
stand. Der Elephant kniete vor ihm und der Falke setzte sich
fiuf .seine Hand. So wurde er als König eingesetzt. Als eifriger
Fischer (aus Gesundheitsrücksichten) wurde er mit dem alten
Fischer bekannt und nahm die 2 Adoptivsöhne in seinen Dienst.
In dies Land kam auch der Kaufmann, zeigte dem König seine
kostbaren Juwelen und Stoffe und bat um Schutz. Als Wachen
wurden ihm die beiden Brüder gesendet. Als sie eines Nachts
nicht schlafen konnten, erzählte der ältere ihre eigene Geschichte.
Die Mutter lag nebenan und hörte Alles. Sie erkannte, daß dies
ihre eigenen Söhne seien. Dies bestätigte ein Gespräch mit Beiden.
778 Wilhelm Meyer,
Sie erzählte auch ihr Schicksal ; die 2 Jahre Trist gingen zu Ende ;
um vom Kaufmann frei zu werden, entwarf sie mit ihnen folgende
List. In der nächsten Nacht erhob sie lautes Geschrei und sagte
dem Kaufmann, die beiden "Wächter hätten ihr Gewalt anthun
wollen. Er ließ beide vor den König bringen und verklagte sie.
Auch die Mutter wurde zum Verhör geholt und berichtete, was
sie des Nachts gehört habe. Darnach seien die Beiden ihre Söhne,
sie aber frei von ihrem Heirathsversprechen. Der König gab nun
sich zu erkennen und erzählte seine eigenen Erlebnisse. Als die
Söhne regierungsfähig waren, überließ er ihnen die Regierung.
R. C. Tempi e's Legends of the Panjäb, Band III London
Trübner 1900 (= no XXXV— LIX) enthält nicht weniger als 7
Dichtungen, als deren Verfasser sich nennt Kishn Läl und Shib
Kanwar (auch Shibkanwar) , seine Frau : no XLI , XLII , XL V,
XLVI, LVI, LVll und LVIII. Diese 7 Gedichte sind verfaßt in
Strophen zu je 6 gereimten Zeilen. Der Reim dieser 6 Zeilen
ist Paar-Reim. Dieser hat jedoch die Eigenthümlichkeit , daß er
im 1. und 2. Verse jeder Strophe einsilbig sein kann, während
er im 3. und 4., im 5. und 6. Verse fast immer zweisilbig ist.
Die Folge ist, daß die ersten Zeilen der Strophen oft mit einem
einsilbigen Worte schließen, während die 3. — 6. Zeilen regelmäßig
mit Wörtern von mindestens 2 Silben schließen. 5 Gedichte
trennen die Strophen (auch no LVII p. 349 — 356 könnte durch-
aus so gedruckt werden) ; aber in zweien greifen die Strophen oft
in einander (no LVI S. 333—339 : 200 Zeilen, d. h. 33 Strophen +
2 Dichterzeilen; und no LVIII p. 364—411 besteht aus 2 großen
Theilen : V. 1 — 366 = 1 + 60 Strophen und die Dichterverse 367
und 368 ; dann folgt der halb so große zweite Theil : V. 369 — 554
= 1-1-30 Strophen und die Dichterverse 556 und 556.
Unsere Geschichte (P) ist in no XLV S. 97 — 125 enthalten =
56 Strophen und 2 Dichterzeilen, The story of Sarwar and Nir.
Temple fügt zu dem Titel hinzu: as told by a celebrated bard
from Baraut in the Merath district. Vielleicht ist es Absicht des
Dichters, daß mit Strophe 28 der Schauplatz der Geschichte sich
ändert und auch das Geschick der Familie. Die Strophen 1 — 27
spielen in Amba's Reich Puna und schildern das Unglück seiner
Familie ; die letzten 28 Strophen spielen im Reiche Ujjain und
schildern die glückliche Vereinigung der Familie Amba's.
Amba war Raja von Puna, seine Frau Amli, ihre Söhne Sar-
war und Nir. Ein Fakir kam mit seinem Bettelruf in Amba's
Garten und ließ sich ihm melden. Amba und Amli eilten mit vielen
Gaben zu ihm. Doch er nimmt nur etwas Nahrung und sagt, er
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 779
begehre Anderes. Als ihm die Erfüllung seines Wunsches ver-
heißen ist, begehrt er Theil an Allem (Str. 8 give me every part
of thee or lose thy virtue). Nach kurzem Berathen wird des Fa-
kirs Wunsch erfüllt; die Eltern verlassen mit den 2 Söhnen ihr
Land und leben im Wald von Früchten und Wurzeln (Str. 11).
Die Frau gibt ihre Halskette (bodice) dem Mann, er solle sie im
Bazar (in Benares) verkaufen und dafür Essen für die hungrigen
Kinder bringen. Amba ging zum Kaufmann Kundan und but die
Halskette zum Kauf. Dieser erkundigt sich eifrig nach Amli.
Amba sagt, sie sei unter dem ßananenbaum (banyan tree) ge-
blieben , und fordert 10 000 (rupees) für die Kette. Kundan läßt
ihn im Laden, eilt mit einer Sänfte zu Amli und heißt sie unter
Vorzeigung der Kette, ihm zu folgen; dann läßt er sie in sein
Haus tragen. Endlich gibt er in seinem Laden dem Amba die
Kette zurück; er könne so viel Geld nicht auftreiben (Str. 17).
Amba hört von den 2 Söhnen, was bei ihnen vorgefallen war. Im
fremden Lande weiß er sich nicht zu helfen und , als die Kinder
klagen, verspricht er, sie zur Mutter zu bringen. Er nimmt sie
auf die Schulter. Da konmit er an einen Fluß ; über diesen trägt
er zuerst Sarwar; als er zu Nir zurückkehren wollte, packte ihn
ein Alligator (Str. 23). Des Morgens fand ein Wäscher die wei-
nenden Knaben und brachte sie in sein Haus, wo ein Brahmane
sie unterrichtete. Nach 12 Jahren gingen sie nach Ujjain (Str. 27).
Der Raja von üjjain bestellte Sarwar und Nir als Wächter
der Frauengemächer und gewann sie lieb (Str. 31). Ein Fischer
fing einen Alligator und fand in dessen Bauch den lebenden Amba.
Der Raja von Ujjain ließ sich von ihm seine ganze Geschichte er-
zählen, nahm ihn als Sohn an und, als er nach 20 Jahren starb,
ward Amba Raja von Ujjain (Str. 39). Der Kaufmann Kundan
spricht mit Amli, sie solle sein Weib werden. Sie sagt zu; doch
vorher wolle sie im Ganges baden. Auf dem Zuge dahin, machen
sie Halt in Ujjain. Kundan meldet sich beim König Amla und
bittet für die Nacht um Wachen für seine Zelte (Str. 41). Sar-
war und Nir hielten die Wache und sprachen von ihrem Schicksal
und von ihren Eltern. Die Mutter hörte ihre Reden und erkannte
ihre Söhne. Sie erhob den Ruf 'Diebe' und ließ die Beiden vor
den König bringen. Da verlangte sie ein Verhör. Alles klärte
sich auf. Kundan wurde gehenkt, alle Andern aber lebten glücklich
(Str. 55).
Diese beiden Fassungen sind erst im Ende des vorigen Jahr-
hunderts von Engländern aus dem Mund von Indern aufgezeichnet
worden. Sie sind also nicht altindisch, sondern modern. Über den
780 Wil heim Mej'er,
Dichter Kishn Lal und seinen Strophenbau (P) konnte ich nichts
weiter finden. Diese beiden Fassungen der Geschichte, aus Kaschmir
(K) und aus dem Pendschab (P), stimmen in wesentlichen Stücken
überein mit der Passung, welche den in Mittel und Vorder-Asien
verbreiteten Versionen zu Grunde liegt. Ein König wird durch
Krieg vertrieben (K), die Frau auf einem Schiff entführt (K) ; der
Vater trägt den einen Knaben über den Fluß, wird dann von
beiden getrennt; der Vater wird von Elefant oder Adler zum
König eines andern Reiches erwählt. Die Knaben werden von
Anwohnern des Flusses gerettet und erzogen und treten in die
Dienste des Königs, ihres Vaters ; eben dahin kommt im Schiff die
geraubte Frau; zu ihrer Bewachung werden die beiden Söhne ge-
schickt und erzählen des Nachts ihre Schicksale ; die Frau hört
das und erkennt ihre Söhne ; durch eine Lüge und Anklage kommt
es zur Untersuchung durch den König und so zur Lösung der
ganzen Verwicklung.
Aber diese beiden indischen Geschichten bringen auch starke
Verschiedenheiten von den übrigen Fassungen, die also in-
dische Erfindungen und Neuerungen sind , so besonders , daß der
Vater im Fluß von einem Riesenfisch (K) oder einem Alligator
(P) verschlungen wird , dann nach Monaten (K) oder Jahren (P)
lebend aus dessen Bauch befreit wird. Neu ist in K der anfäng-
liche Hochmuth des Königs; besonders stark ist die Fabel in P
dadurch geändert und geneuert , daß keine Rede ist vom Meer
oder einem Schiffe und daß Kundan, der Kaufmann von Benares,
eingeführt wird. Ihm will der König aus Noth den Schmuck der
Königin verkaufen, und er raubt mit Hinterlist die Frau in einer
Sänfte aus dem Wald in seine Wohnung; bringt viel später mit
einer Karawane sie nach Ujjain, damit sie im Ganges bade.
Dann geht P mit den Jahren mehr als verschwenderisch um. So
raubt Kundan die Frau: aber es vergehen mindestens 6 Jahre
(27. Str.), bis die 2 Söhne nach Ujjain ziehen, dann gut 20 Jahre
(39. Str.), bis Amba König in Ujjain wird : da erst spricht Kundan
der Frau vom Heirathen (40. Str.).
Die bugische Fassung der Wandersage. Ernst Kuhn in
München machte mich aufmerksam auf das 4. Heft der Malaio-
Polyncsischen Forschungen von Dr. Renward Brandstetter (Luzern
1895, 27 S. in 4°), welches enthält: Die Geschichte von König
Indjilai. 'Eine bugische Erzählung ins Deutsche übersetzt'. Diese
Bugier oder Buginesen bewohnen einen Theil der südwestlichen
Halbinsel von Celebes. Der bngische Text ist gedruckt von B. F.
Matthes im I. Theil seiner 'Boeginesche Chrestomathie' S. 28—64.
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eastasios-Legende. 781
Im m. Theil 1872 gibt er S. 2/4 einige Bemerkungen dazn. Der
bngische Text sei die Bearbeitung einer malaischen Geschichte vom
Fürsten Bispoe-Rädja ^). Die Einwohner sollen diese Erzählung auch
das Turteltaubenbach nennen. Es gebe davon einen bogischen und
einen makassarischen Text : diese seien nur sprachlich verschieden.
Der König Indjilai und seine Frau Sitti Sapia hatten 2 Söhne:
Abeduledjumali und Abeduledjulali.
In seinem Garten sieJä der Könifj eine Turteltaube und holt sie
mit dem Blasrohr herunter. Sie hitief, sie wolle ihm 3 gute Lehren
geben, wenn er sie frei lasse. Doch vom sicheren Baum herunter,
nennt sie ihn einen Dummlopf. Drei Tage verfolgt er sie und zer-
reißt Kleidung und Leib; doch er bel'ommt nur neuen Spott zu hören.
Der dumme Streich des Königs wurde bekannt, und er wurde
deßhalb abgesetzt. Mit Frau und Söhnen verließ er die Heimat.
Sie lamen auf ein großes Feld, auf dem ein Baum stand. Darauf
hatte die Turteltaube ihr Nest. Unter dein Baume hielten sie Siesta.
Der jüngere Sohn ruhte nicht, bis ihm endlich der Vater die jungen
Turteltauben, deren Mutter nicht anwesend war, zum Spielen herunter
holte. Als die Turteltaube kam, betete sie zu Allah : 'trenne Kinder j
Gatten und Gattin, wie sie mich von meinen Kindern getrennt haben'.
Als es Abend wurde, brachte Indjilai die Jungen wieder in ihr Nest.
Mit Einbruch der Nacht gelangten die Wanderer an den Rand
des Waldes und an einen so breiten Fluß , daß das andere Ufer
nicht deutlich zu sehen war. Suchend fand Indjilai nur einen
Kahn, der aber nur 3 Menschen feißte. Also fuhr er zuerst seine
Frau hinüber. Ein Fischer , der inzwischen bei den zurückge-
lassenen Kindern vorbeifuhr, sah sie und nahm sie mit. Indjilai
hatte indessen seine Frau ausgesetzt und wollte nun die Kinder
nachholen. Doch er fand sie nicht. Während er suchte, fuhr bei
der am anderen Ufer wartenden Frau ein Kaufmann mit seinem
Schiff vorbei, sah die Frau, holte sie in sein Schiff und fuhr weiter.
Der zurückkehrende Indjilai suchte nun nach seiner Frau — vergeb-
lich — und durchirrte jammernd die Wälder. Im Land Biladuta-
1) Mathes sagt S. 2: Dit verhaal is een" geheel vrije Boeginesche bewer-
king van een' Maleische 'hikäyat, bekend onder den naam van Geschiedenis van
Vorst Bispoe -Badja, of juister : Poespa - Wirädja (Tijdschrift v. Xeerl. Indie,
Jaarg. 1849, Afl. 7), waanan man reeds in het in 1842 versehenen eerste stokje
van Meursinge's Maleisch Leesboek een gedeelte vinden kan, en die later in
1649 in haar geheel is uitgegeven en van aanteckeningen voorzien door J. C.
Fraissinet. Men vergelijke ook Dr. J. J. de Hollander's Handleiding bij de beoe-
fening der Maleische Taal- en Letterkande, Tweede dmk, waar men o. a. een'
körte inhoudsopgare aantreft.
782 Wilhelm Meyer,
senipi war der König gestorben. Der Reichselephant wurde aus-
geschickt, einen neuen König zu bringen. Dieser Elephant fand
den Indjilai im Wald, zwang ihn sich auf seinen Rücken zu setzen
und brachte ihn so als König heim. Das Land war unter dem
neuen König glücklich.
Als die Turteltaube ihre Jungen ivieder im Nest fand, widerrief
sie ihren Fluch und bat Gott, Indjilai ivieder mit Frau und Kindern
jcU vereinigen.
Der Fischer hörte von seinem neuen, guten Könige und brachte
ihm die erwachsenen Brüder (königlicher Art) als Diener. Der König
machte sie zu seinen Beteldosenträgern und hatte sie gern.
Auch der Kaufmann, der die Frau geraubt hatte, wurde durch
den Ruf des Königs in die Residenz gelockt. Er machte gute
Geschäfte. Zuletzt erbat er eine Abschiedsaudienz und überreichte
dem Indjilai schöne Geschenke. Der lud ihn dringend ein, wenig-
stens die Nacht bei ihm im Palast zuzubringen. Der Kaufmann
entgegnete, seine Frau sei auf dem Schiff und diese könne er nicht
mit dem wilden Schiffsvolk allein lassen. Indjilai sandte die beiden
Jünglinge auf das Schiff, um abwechselnd Wache zu halten. Doch
der Jüngere wollte gegen Morgen die Wache nicht übernehmen,
sondern noch schlafen. Der Altere machte ihm Vorwürfe über
seinen Eigensinn. So habe er auch dadurch, daß er einst durchaus
mit den Jungen der Turteltaube spielen wollte, sie alle ins Unglück
gebracht. Diese und ähnliche Reden hörte die Frau, erkannte
daran ihre Söhne und umarmte sie mit ziemlichem Geschrei. Die
Schiffsmannschaft erwachte und meinte, die Beiden wollten die
Frau vergewaltigen. Der Lärm wurde auch vom König gehört.
Als er die Anklage hörte, befahl er die zwei Jünglinge zu dem
Henker zu führen. Der Henker fragte, ob die Schuld der Beiden
durch Untersuchung sicher gestellt sei. Als das nicht bekräftigt
werden konnte, erzählte der Henker eine Geschichte, wie ein un-
gerecht Angeklagter vorschnell getödtet worden sei, und weigerte
sich die beiden Jünglinge hinzurichten. So ging es beim ersten,
beim zweiten und beim dritten Henker. Da endlich ordnete In-
djilai genaue Untersuchung an in feierlicher Gerichtssitzung. Da
kam die Wahrheit an den Tag und Vater, Mutter und Kinder er-
kannten einander. Bald wurde der ältere Sohn König, der jüngere
Oberpriester.
'Die Turteltaube aber war keine gewöhnliche Turteltaube, sie war
ein Heiliger. Dieser hatte sich in die Turteltaube inJcarnirt und hatte
dem König Indjilai diese Friifung auferlegt. Er hatte gesehen, daß
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 783
der König die ihm von Allah gestellte Lebensaufgabe sonst nicht er-
füllen icürde. Und daher hatte er sich als Turteltaube fangen lassen'.
Diese bugische Version ist vielleicht die zierlichste Blüthe,
welche dieses Sagenschlinggewächs getrieben hat. Sie setzt sich
freilich, wie keine andere Version der orientalischen Wanderge-
schichte , aus 2 Bestandtheilen zusammen. Der eine besteht aus
der Turteltaubengeschichte und den 3 Geschichten, welche die drei
Henker erzählen. Das sind aber Zusätze, die sich leicht erkennen
und leicht wegschneiden lassen. Ich habe sie deßhalb schief drucken
lassen. Sieht man aus diesen Zusätzen, mit welcher Lust die Er-
zähler fabulirten, so sieht man anderseits mit Überraschung . wie
treu die Wandergeschichte selbst wiedergegeben ist und wie fast
alle wesentlichen Züge der bugischen Geschichte in den arabisch-
türkisch-persischen Fassungen sich finden.
Die malaische (siamesische) Fassung. Je mehr die bugische
Fassung mir gefiel, desto mehr verlangte mich, den schon 1849
von Fraissinet veröffentlichten malaischen Text kennen zu lernen,
der ihre Vorlage sein sollte (s. S. 781 Note), zumal da das Vor-
bild und das Nachbild doch in manchem Stück verschieden sein
sollten. Zuletzt richtete ich an Professor Dr. Renward Brand-
stetter in Luzem, dem wir die Übersetzung der bugischen Fas-
sung verdanken, der aber auch ein gründlicher Kenner der malai-
schen Sprache ist, die Bitte, ob er mir eine Inhaltsübersicht der
malaischen Fassung geben woUe. Seiner großen Güte verdanke
ich die folgenden Mittheilungen:
Die Geschichte des Großkönigs Bispu ßadja*)
vom Lande Astana Pura Nagara. Es ist eine siamesische
Geschichte, auf malayisch nacherzählt^). Es lebte ein König in
einem Reich, auf Siamesisch t-|-k-hs-fl-fa^), ins Malayische über-
setzt: Astana Pura Nagara geheißen. Dieser König hieß Bispu
Radja, seine Gemahlin Puteri Komala Kgsna*); die zwei unmün-
1) Nach De Hollander ist der richtige Name Puspa Wiradja.
2) 'dipindahkan' : Dies kann bedeuten 'übersetzen" oder auch (freier) 'nach-
erzählen'.
3) t + k + s-fl + a- Die Vokale zwischen den Konsonanten sind nicht ge-
schrieben, und ich habe kein Hilfsmittel, um sie zu erkennen ; aber ich vermuthe,
es liege eine Entstellung des altindischen Städtenamens Taksagilä vor. Es sind
ja auch alle andern Namen altindisch, keiner siamesisch. Damit weist die sia-
mesische Version auf die Sanskritliteratur hin. Der Text selber meint allerdings,
t-}-k-j-s-fl-|-a sei siamesisch und bedeute ins Malayische übersetzt : astana
pura nagara.
4) Das altindische Lehnwort putri wird im Malayischen puteri ausgesprochen,
komala ist ein wunderbarer Edelstein, kesna ist aus altindisch krSiia entstellt.
784 Wilhelm Meyer,
digen Söhne hatten die Namen Djaya Indera und Djaya Tjand6ra.
Der König regirte weise und gerecht, vor allem aber war er milde
und menschenfreundlich^). Da faßte der Bruder des Königs den
Entschluß, ihn vom Throne zu stoßen. Um jedes Blutvergießen zu
verhüten, zog es der menschenfreundliche Bispu ßadja vor, mit
den Seinen das Land zu verlassen und sein Schicksal in die Hände
der glorreichen erhabenen Götter zu legen ^).
Die Flucht wird nun gleich erzählt wie im Indjilai S. 6 — 7.
Nur die zweite Turteltaubengeschichte ist viel blasser. Sie lautet
bloß: Die beiden Söhnlein sahen ein Nest mit jungen Papageien
und wollten mit ihnen spielen. Nach einigem Bedenken (es sei eine
Sünde, Mutter und Kinder zu trennen) holte der König die Vögel
herunter; die Knaben spielten mit ihnen; dann trug der Vater
sie wieder ins Nest, zur Freude der Papageienmutter. Anders als
im Indjilai (S. 7/8) erzählt ist der Übergang über den 3000 Faden
breiten Fluß ; der Vater ließ die 2 Knaben am Ufer zurück und
versuchte seine Frau hinüber zu tragen. Große Fische schauten
mitleidsvoll zu und trugen dann beide hinüber. Hierauf erfolgte,
wie Indj. S. 8, der Raub der Mutter einerseits durch einen Schiffs-
herrn, und der beiden Kinder anderseits durch einen Fischer.
Die folgenden Geschehnisse sind gleich erzählt wie im Indjilai
S. 7 — 15. Nur hat der malayische Text eine Einzelheit mehr, die
Indjilai S. 11 fehlt. Sie lautet: Dem König fiel die Ähnlichkeit
der beiden Knaben, welche der Fischer ihm anbot, mit seinen
eigenen Söhnen auf; aber der Fischer konnte ihn überzeugen, daß
es seine, des Fischers, Kinder seien. Indj. S. 14 mahnt der ältere
Bruder den jüngeren, sie müßten des Königs Befehl gut erfüllen;
denn sie seien königlichen Bluts. Der jüngere weiß nichts davon,
und so wird ihm das Schicksal der Familie erzählt.
Statt der drei Henkergeschichten Indjilai S. 16 — 24 folgen im
malayischen Texte vier Torwärtergcschichten und diese sind so ein-
geleitet : Der König befahl seinem Henker, die beiden Pagen —
es waren seine eigenen Söhne, ohne daß er es wußte — sofort,
also um Mitternacht, aus der Stadt zu führen und zu töten. Der
Henker nahm die Pagen, ging zum Osttor und weckte den Tor-
wärter. Dieser, neugierig, ließ sich zuerst erzählen, was man
den Pagen zur Last lege, fand dabei, daß man voreilig gehandelt ;
1) Die Episode mit der Turteltaube, in meinem Indjilai S. 1 — 5, fehlt also
in der malayischen Version.
2) Die dewata mulya raya = die glorreichen erhabenen Götter werden in
unserm Text oft als Lenker des Schicksals genannt
die älteste lateinische Fassang der Placidas-Eastasius-Legende. 785
daß die Sache zu wenig untersucht sei ; es sei auch niemals Brauch
gewesen, jemand um Mitternacht hinzurichten. Kurz, er weigerte
sich, das Tor zu öffnen. Und zu seiner Rechtfertigung erzählte
er noch eine Geschichte, wie jemand voreilig eine Tötung veran-
Isißt und es nachher bitter bereut habe. Darauf geht der Henker
zum Süd-, West-, Xordtor: überall spielt sich die gleiche Scene
ab, so daß der Henker nicht aus der Stadt kommen und die Hin-
richtung nicht vollziehen kann.
Von den vier Torwärtergeschichten decken sieh die erste,
zweite, vierte mit den drei Henkergeschichten im Indjilai S. 16
bis 24.
Die dritte malayische Greschichte, die im Indjilai fehlt, lautet :
'Bauersleute hatten ein zahmes Wiesel, das ihnen sehr lieb war;
denn in ihrer Abwesenheit hütete es ihr Haus und ihre Wiegen-
kinder. Einst überfiel eine Schlange die beiden Wiegenkinder und
biß sie todt. Das Wiesel kam zu spät, um die Kinder zu retten ;
allein es verfolgte die Schlange , und es gelang ihm , sie tot zu
beißen. Als die Bauersleute heim kamen und ihre toten Kinder
und das Wiesel mit blutiger Schnauze erblickten, hielten sie dieses
für den ]\Iörder und erschlugen es. Später entdeckten sie die
totgebissene Schlange, errieten den Zusammenhang und bereuten
es bitter, den treuen Wächter schuldlos getötet zu haben'.
Der Henker begibt sich nun, — es war unterdessen Morgen
geworden , mit den beiden Pagen wieder zum König und erzählt
ihm, was er an den vier Toren erlebt. Da wird dieser stutzig
und beschließt eine einläßliche Untersuchung.
Diese Untersuchung und ihr Ergebniß wird gleich erzählt, wie
im Indjilai S. 25—27; doch fehlt natürlich der Vorwarf wegen
der Turteltauben, Indj. S. 26.
Der Schluß der Erzählung ist im malayischen Text weitläu-
figer als im Indjilai S. 27. Er lautet: 'Nach der Wiedervereini-
gung der Eltern und der Kinder wurden im ganzen Land frohe
Feste gefeiert. Längere Zeit lebten die vier glücklich miteinander.
Da reifte im Herzen des Königs der Entschluß, er wolle sich ganz
dem Dienste der glorreichen erhabenen Grötter widmen und also
als König abdanken. Er berief die Reichsgroßen und fragte sie,
ob sie seinen älteren Sohn, Djaya Indöra, als seinen Nachfolger
anerkennen wollten. Diese waren einverstanden und nach langen
Vorbereitungen fand die Krönung des neuen Königs unter großen
Festlichkeiten — die einläßlich beschrieben werden — statt.
Jetzt führte der König seinen Plan aus, und lebte nur noch dem
Dienst der Götter. Unterdessen war im Lande Astana Pura
786 Wilhelm Meyer,
Nagara der Usurpator gestorben. Die Reichsgroßen hatten schon
von den wunderbaren Schicksalen ihres geflohenen rechtmäßigen
Königs und seiner Angehörigen gehört. Sie schickten daher eine
Gesandtschaft an Djaya Indera und baten ihn, sich des verwaisten
Reiches anzunehmen. Dieser ernannte seinen jüngeren Bruder,
Djaya Tjandßra, zum Herrscher des väterlichen Reiches, und gab
ihm heilsame Lehren mit. Unter ungeheuerm Jubel wurde der
neue König in Astana Pura Nagara empfangen.
Diese Mittheilungen Brandstetters klären die Entwicklung
dieser Wandergeschichte. Zunächst der siamesisch-malaischen und
der bugischen Fassungen. Die Identität der Thorwärter- und der
Henkergeschichten zeigt, daß wirlich der malaische Text die Vor-
lage des bugischen gewesen ist. Also ist die ganze Turteltauben-
geschichte nur eine Erfindung , ein Zusatz des Bugiers. Ebenso
sind die Thorwärtergeschichten des siamesisch-malaischen Textes,
von denen sonst keine Spur zu finden ist, nur ein Zusatz der be-
treff'enden Fassung. Es sind auch rein äußerliche Zusätze, keine
Änderungen, welche mit dem Innern der Greschichte zusammen-
hängen, und sie lassen sich fast ohne Mühe von dem Ganzen ab-
lösen. Denen, welche sie zugefügt haben, scheint für ihre Er-
zählerzwecke die Geschichte zu kurz gewesen zu sein ; sie haben
durch jene bequemen Zusätze sie verlängert.
Die Urform der orientalischen Wandergescbichte. Wenn
wir von der siamesisch-malaischen und von der bugischen Fassung
die offenbaren Zusätze wegschneiden und die übrig bleibende Ge-
schichte selbst betrachten, so zeigt sich, daß dieselbe mit den ara-
bisch-persisch-türkischen Fassungen merkwürdig übereinstimmt.
Für mich ergibt sich nun zum Schluß eine neue Aufgabe. Ich
habe behauptet, daß das spannende Mittelstlick der Placidaslegende
nach 700 aus dem griechischen Texte der Legende ausgeschnitten
und in Vorder- oder Mittelasien zu einer selbständigen Geschichte
in einer orientalischen Sprache um- und ausgearbeitet worden sei.
Es gilt nun, aus dem Wirrwarr der vielen orientalischen Ver-
sionen diese Urform herauszuschälen, in welcher diese Geschichte
zuerst den orientalischen Erzählern zu ihrem weitern Gebrauch
überantwortet worden ist. Dabei sind verschiedene Umstände zu
beachten. Das Erzählen ist eine freie Kunst. Der Erzähler darf
die Geschichte abändern, wie er will, aber sie muß den Hörern
gefallen. Dafür ist eine Hauptbedingung, daß sie den Anschauungen
und Gefühlen der Hörer entspricht. Im Placidastext ist der
Held Reichs feldherr und nach langem Elend wird er wieder
glücklich als Feldherr. Das ist unkünstlerisch. In der selbstän-
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 787
digen, orientalischen Greschichte ist der Held ein König und, als
nach langem Leiden ihm das Glück wieder lächelt, wird er wieder
König. Im Placidastext werden die beiden Brüder nach der festen
Ordnung des römischen Staates, welche der Grieche Kap. 15 nennt,
regelrecht ausgehoben und kommen so zu ihrem Vater, dem Ober-
kommandanten. Das war römisches Recht. Dafür fehlte dem
orientalischen Volk das Verständniß. In der orientalischen Ge-
schichte werden die beiden Jünglinge auf diesem oder jenem Wege
Diener. Pagen, Trabanten oder Beteldosenträger des Königs.
Am wichtigsten ist es, daß die Erzählungen den Anschauungen
über die sociale Stellung des Weibes entsprechen. Ein empfind-
licher Punkt war da in der Placidaslegende das Schicksal seiner
vornehmen Gemahlin. Sie wird die Beute eines Schitfsherrn, und
erst nach 14 Jahren tritt sie wieder an die Seite ihres Gemahls.
Da verlangt die Decenz, daß sie inzwischen nicht die Bettgenossin
des Räubers gewesen ist. Der lateinische und der griechische
Text berichten wiederholt ihre ünberührtheit , und vor Allem
lassen sie den Schifi^sherm baldigst sterben. Ihre nachherige Stel-
lung in der barbarischen Grenzstadt wird etwas im Dunkel ge-
halten (s. S. 753/4). Doch als das römische Heer siegreich einzieht
und sie in seinen Reihen ihre eigenen Söhne wiederfindet, geht
sie zum Feldherm: 'Civis Romana sum und a barbaro incontami-
nata, und das sind meine Söhne'. Eür Orientalen außerhalb der
römischen Rechtssphäre waren das fast undenkbare Verhältnisse.
Da ist die Frau nichts ohne den schützenden Mann. Deßhalb finden
sich hier in der orientalischen Fassang durchgreifende Änderungen.
Der Schiffsherr bleibt leben bis zum Schluß, behält die Frau bei
sich im Schiff und kommt mit ihr am Ende auch in die Stadt, wo
der Mann König und die Söhne seine Diener sind. Die beiden
Söhne werden als Wache auf das Schiff geschickt und aus ihren
Gesprächen von der Mutter als ihre Söhne erkannt. Das Ver-
hältniß der Frau zum Schiffsherrn während langer Jahre wird hie
und da gar nicht berührt, wie in der malaisch bugischen Fassung.
Mitunter gebraucht sie ihre weiblichen Künste und erreicht eine
Zeit der Schonung. Wahrscheinlich hat in der ersten orienta-
lischen Umarbeitung die Frau gegen die Liebe des Schiffsherm
sich hartnäckig gewehrt und wurde deßhalb in einen Kasten ein-
gesperrt im Schiff mitgeführt, wie noch heute solche Haremskästen
auf den türkischen Passagierschiffen sollen zu sehen sein. Denn
dann paßt am besten der gewöhnliche und wohl ursprüngliche
Schluß der orientalischen Geschichte, daß die Frau, als sie ihre
Söhne erkennt, laut anfängt zu schreien, diese wollten sie verge-
788 Wilhelm Meyer,
wältigen, und durch diese List es erreicht, daß sie aus dem ver-
borgenen SchifFsversteck in die offene Gerichtshalle des Königs
gebracht wird. Bei jeder Verschiedenheit des griechischen Pla-
cidastextes und der orientalischen Geschichte müssen wir also fragen,
ob ein derartiger Grund zur Umänderung vorgelegen haben kann.
Die orientalischen Versionen sind ein bunter Schwärm voll
der seltsamsten Zusätze und Abänderungen, so daß man oft rathlos
nach dem richtigen Wege suchen muß. Da mag man oft mit fol-
gendem Wegweiser sich zurecht finden. Sobald alle oder etliche
orientalischen Versionen oder auch nur eine einzige dasselbe bringen
wie der griechische Placidastext , so ist dieser Bericht der echte
und stand in der ersten orientalischen Ausprägung der Geschichte.
So ist ein Hauptstück der Geschichte der Bericht über den
Raub der Frau und über den Flußübergang der Kinder. Zuerst
entführt ein Kapitän in seinem Schiffe die Frau. Ich habe dann
oben S. 751/3 dargelegt , wie umständlich der Placidastext schil-
dert , wie der Vater einen Sohn nach dem andern über den Fluß
tragen will und wie wilde Thiere die beiden Söhne forttragen,
den einen ein Löwe, den zweiten ein Wolf. Gehen wir nun die
orientalischen Versionen durch, so finden wir bei Bousset S. 481
no 2 : zuerst 'wird die Frau durch einen Kaufmann geraubt und
entführt (im Schiff). Dann am Fluß trägt er den einen Sohn über
den Fluß ; da wird der am Ufer zurückgebliebene andere von einem
Wolfe geraubt, und, als er dem zu Hilfe eilt, reißt ihm der Strom
den ersten fort'. no 6 (S. 489) : 'Seine Frau wird von Piraten
geraubt' . . . 'Ein Wolf raubt den einen der beiden Knaben. Als
er mit dem anderen einen Fluß überschreiten will, wird ihm dieser
vom Strom entrissen. Der eine wird von Hirten, die ihn dem
Wolf entreißen, aufgezogen; der andere von einem Fischer aus
dem Strome aufgefischt'. Also hier trat wenigstens ein Wolf
auf; weiterhin wird kein Raubthier erwähnt. Denn no 3 (S. 482)
berichtet : 'die Frau wird von dem Schiffsherrn geraubt' ; 'Vater
und Söhne kommen an einen großen Fluß und der Vater schwimmt
mit dem jüngeren hinüber. In der Mitte des Flusses läßt er den
Knaben fallen, da der Strom ihm zu stark geworden ist'. no 5
(S. 488) 'Ein Handelsherr lockt die Frau auf sein Schiff und fährt
mit ihr von dannen'. Der Vater 'kommt mit den Söhnen an einen
Fluß; den einen trägt er hinüber, wird aber, wie er zurückkehrt,
um den zweiten zu holen, von den Fluten fortgerissen'. Nach
der Version von Kaschmir (Knowles S. 150) wird die Frau von
einem Schiffsherrn entführt. Der Vater ka-m mit den Söhnen an
einen Fluß und 'he got across safely with one of his sons, and
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius- Legende. 789
was returning to fetch the other, when the force of the current
overcame him, and he was . . drowned'. Stärker verändert sind
die folgenden Versionen: no 1 (S. 479) Den Flüchtlingen (Vater,
Mutter, beide Söhne) 'stellt ein seichter Meeresarm sich als Hinder-
niß entgegen. Der König trägt seine beiden Söhne hinüber und
setzt sie am jenseitigen Ufer ab. Als er dann auch seine Frau
herüber geholt hat, findet er die beiden Knaben nicht mehr am
Platze'. Stark geändert sind die übrigen Versionen: no 4 (S,
487) 'Mann, Frau und Kinder besteigen ein Schiff, aber das Schiff
geht zu Grunde und die gesamte Familie wird getrennt'. In no 8
(S. 493) werden in der Steppe die beiden Knaben von Räubern
geraubt , die Frau von einem Reitersmann entführt'. In no 7
(S. 491) kommt ein Frauenraub oder Flußübergang nicht vor.
Die orientalische Urform der Wandergeschichte, welche aus
dem griechischen Placidastext umgearbeitet war, stand offenbar
dem griechischen Text noch ziemlieh nahe ; vgl. no 2 und 6. Die
übrigen Versionen geben ein immer blasseres Bild ihrer Vorlage.
Man versuche, Bousset's Lehre zu folgen und die orientalischen
Fassungen als Vorläufer und der griechischen gleichberechtigt zu
verstehen. Wo ist da eine vernünftige Entwicklung?
Hervorzuheben ist noch : ganz wie in dem griechischen Pla-
cidastext, ebenso wird in diesen orientalischen Versionen zuerst
(am Meer) die Frau von einem Schiffsherrn geraubt; erst später
kommen Vater und Söhne Ein den Fluß.
Nun finden wir in der bugischen Version (s. S. 781/2 = In-
djilai S. 7/8), eine andere und sehr einfache Schilderung dessen,
worauf es hier ankommt, d. h. der Trennung der Familie. Vater,
Mutter und die 2 Söhne kommen an einen Fluß , der so breit
war, daß man von einem Ufer aus einen Menschen, der am
andern Ufer stand, nicht sehen konnte. Der Vater suchte also
einen Kahn und fand endlich einen, der aber höchstens drei Per-
sonen faßte. Zuerst brachte er seine Frau hinüber und ließ sie
aussteigen. Gerade in der Zeit fuhr ein Fischer mit seinem Kahn
am andern Ufer an den verlassenen Kindern vorbei, sah sie und
brachte sie in seinen Kahn und in sein Hans. Der Vater fuhr
jetzt zurück, um die Kinder nachzuholen. Gerade in der Zeit
fuhr am andern Ufer an der einsamen Mutter ein Kaufmann mit
seinem Schiff vorbei ; wie er die schöne Frau sah , brachte er sie
in sein Schiff und segelte weiter. Der Vater fand natürlich seine
Kinder nicht und, als er nach langem Suchen an das andere Ufer
zu seiner Frau zurückkehren wollte, fand er auch diese nicht und
irrte nun wehklagend in den Wäldern umher. Die Aufgabe des
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. Heft 5. 53
790 Wilhelm Meyer,
Erzählers, die Familie zu trennen, ist so mit Hilfe des zu kleinen
Kahnes ganz einfach, gründlich und rasch gelöst.
Unter anderen Umständen könnte man schwanken, welche
Darstellung die ursprüngliche sei. Aber hier ist sicher: da die
Darstellung der übrigen orientalischen Versionen hier mit der grie-
chischen stimmt und aus ihr excerpirt ist, so ist diese hinterin-
dische Darstellung nur der geistreiche Einfall eines Weitererzählers,
sehr geschickt und fein erfunden, aber eben nur seine Erfindung,
eine Interpolation, zu welcher vielleicht die überfahrenden Fische
des Malaien (S. 784) den Anlaß gegeben haben.
Viele andere Verschiedenheiten finden sich in den verschie-
denen orientalischen Versionen. Sie zu brandmarken, brauchts
meistens nicht lange Untersuchungen und Vergleichungen. Sie
verrathen sich durch die Wildheit und Keckheit der Phantastik.
Den orientalischen Erzählungskünstlern , besonders den indischen
ging es oft wie den unsern. Von all den spannenden Erzählungen
wurden die Hörer a-bgespannt. Um sie wieder anzulocken oder,
wie man jetzt sagt, um ihre Nerven aufzupeitschen, überboten
manche Erzähler sich in den tollsten Erfindungen. So bringt im
griechischen Text Placidas die Zeit seiner Erniedrigung als Feld-
hüter hin : in den Versionen aus Kaschmir und aus dem Pendschab
bringt er diese Zeit (Monate oder Jahre) im Bauche eines Wal-
fisches oder Alligators zu und kommt erst ans fröhliche Tages-
licht, als das Thier auf den Strand geräth und das Volk sich
Fleischstücke zum Essen abhackt ^).
1) Die Kaschmirversion (s. S. 777) hat sonst auch recht lederne Züge; so
im Anfang die Hofleute, die auf des Königs Frage: Wo sonst ist es so prächtig
wie bei uns ? stets antworten : Nowhere eise ; die Knaben, welche brav zur Schule
gehen und Alles lernen, was der Lehrer sie lehren kann ; den allzu eifrigen König,
dem die Hofärzte Sport verordnen. In der Pendschabversion (s. S, 778) sind
außer dem Alligator noch andere Neuerungen, so besonders der Fakir, dann Kun-
dan, der den Schmuck der hungernden Königin kaufen soll, aber statt dessen
heimlich im Walde die schöne Frau in eine Sänfte packt und in sein Haus schafft,
wo er ihr nach gut 30 Jahren von Heirath spricht. Ich glaube K und P sind in
vielen Stücken Fabrikate des 19. Jahrhts. Jedenfalls war das Urtheil Bousset's,
der freilich nur die magern Notizen Ogden's kannte, etwas voreilig und unglück-
lich, wenn er S. 541 den für ihn so wichtigen indischen Ursprung der Geschichte
so skizzirt: So wird es sehr wahrscheinlich, daß die von Ogden nachgewiesenen
Märchen aus Kaschmir und dem Pendschab, die den Charakter des ursprünglichen
Märchens viel getreuer erhalten haben, mit leichter Umwandelung direkt der alten
indischen, vorbuddhistischen Yolkserzählung entstammen.
Mitunter ist recht übel, was man als indische Folklore genießen muß. So
spielt in der S. 769 und 776 citirten Geschichte von Swet und Basanta ein junger
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 791
Ich will versuchen , nach diesen Grundsätzen die Form fest-
zusetzen, welche das Mittelstück der griechischen Placidaslegende
erhalten hat, als dasselbe nach 700 ausgeschnitten wurde und in einer
orientalischen Sprache zum ersten Mal als selbständige Geschichte
auftrat, die Urform der verschiedenen orientalischen Ver-
sionen. Sie ist natürlich an der Grenze des griechischen Kul-
turgebietes entstanden. Ich schweige, soweit es angeht, von den
spätem Zusätzen und Abänderangen in den einzelnen Versionen.
Der Held der Geschichte ist im griechischen ein Feldherr.
Das paßte wenig zur selbständigen Geschichte. In der Urform
wurde er deßhalb zum König gemacht; einzelne or. Versionen
setzten statt dessen wieder einen Kaufmann, Holzhacker oder
Schulzen.
Im Gricch. Text wird dem Helden angekündigt, daß er schweres
Unglück erleiden müsse, und dann ihm zur Wahl gestellt, ob er
sogleich oder später das Leid durchmachen wolle. Diese Wahl
scheint in die orientalische Urform herüber genommen worden zu
sein. Denn die armenische Version, bei Bousset no 2 (S. 481),
wird damit eröffnet; s. oben S. 758 und 764. Doch als Anfang
einer selbständigen Geschichte ist eine solche Wahl eigentlich selt-
sam; so ist begreiflich, daß sie in keiner andern or. Version sich
findet.
Im Griech. geht der Feldherr mit Frau und Söhnen außer
Land ; als Grund wird Scham über erlittene Verarmung angegeben.
In der or. Urform wurde der König von einem andern mit Waffen-
gewalt vertrieben ; nur einzelne or. Versionen bringen diesen oder
jenen andern Grund.
Wie im Griechischen, so wurde gewiß auch in der or. Urform
Mann die Hauptrolle, der durch den Genuß eines besonderen Fisches sich die
Eigenschaft erworben hat , daß er , wenn er lacht , Perlen , wenn er weint, Dia-
manten von sich gibt, und mit dem nun ein schlauer Kaufmann Haufen Geldes
yerdient, der ihn einfängt und bald ihn mit Federn kitzeln und zum Lachen
bringen läßt, bald mit spitzen Eisen peinigen läßt bis zum Weinen. Dessen würdig
ist der Schluß : die Verhältnisse der Personen sind so verwirrt, daß kein Mensch
sich zurecht findet. Da muß ein Kalb Klarheit schaffen. Ein Jüngling will nachts
einsteigen zu einer Frau, die in Wahrheit seine Mutter ist. Er muß über das
Dach eines Kälberstalles kriechen und hört, wie unter ihm das ältere Kalb dem
jüngeren klagt, wie verkommen jetzt die Menschen seien; da sei eben der Jüng-
ling daran, mit seiner eigenen Mutter Incest zu verüben; zum Beweise setzt es
dem jungen Kalbe die ganze Verwicklung der Geschichte auseinander. Der Jüng-
ling hört das und hält sich zurück, feiert aber am nächsten Tag einen fröhlichen
Anagnorismos mit seiner Mutter. Muß solches Zeug mit Mühe gesammelt und
auf gutem Papier gedruckt werden?
53*
792 Wilhelm Meyer,
zuerst (am Meer) die Frau durch die List eines Schiifsherrn ent-
führt; d^n kam der Vater mit den Kindern an einen Fluß; beim
Übergang wurden die Kinder vom Vater getrennt ; s. oben S. 788/9.
Im Griechischen wehklagt der vereinsamte Feldherr, dann wird
er Feldhüter; nach 14 Jahren wird er in der Noth gesucht und
wird wieder Feldherr. In der or. Urform irrte der einstige König
weklagend durch die Wälder, wird dann in einem fremden Staat,
dessen König gestorben war, wieder König, Diese Wahl ge-
schieht in no 1 (S. 480) durch den weißen ßeichselephanten , in
no 2 durch einen weißen Adler; in Kaschmir (S. 777) durch einen
weißen Reichselephanten und einen Adler, in der malaischen und
bugischen Version durch den Reichselephanten.
Die beiden Brüder werden im Griechischen in der Nähe des
Flusses in 2 verschiedenen Dörfern von Hirten und von Bauern
erzogen, dann nach 14 Jahren für das große Heer, daß ihr Vater
commandiren soll, ausgehoben und , da sie ihm gefallen , bald zu
Centurionen ernannt. In der or. Urform hat wohl ein Fischer
am Fluß sie aufgezogen ; denn no 6 (S. 489) sagt : Der eine Knabe
wird von Hirten, die ihn dem Wolfe entreißen, aufgezogen; der
der andere von einem Fischer aus dem Strome aufgefischt; und
nur einen Fischer nennen die Fassungen aus Kaschmir, aus dem
Malaier und Bugierland; einen Wäscher nennt ihn die aus dem
Pendschab. Dann ließ die or. Urform sie in die Dienste des kö-
niglichen Vaters kommen; in Kaschmir, Mal. und Bugisch prä-
sentirt sie der Fischer dazu dem König.
Im griechischen Placidastext wird die geraubte Frau von dem
SchifFsherrn in seine Heimath, eine Grenzstadt des benachbarten
Barbarenlandes gebracht. Sie bleibt unberührt. Als er bald stirbt,
wird sie selbständig und ernährte sich als Hüterin eines Gartens.
Als der Feldherr siegreich einmarschirt , kommen die Söhne, die
Centurionen, in die Wohnung der Frau und aus ihren Erzählungen
erkennt sie, daß das ihre Söhne sind : s. oben S. 754/5.
In der orientalischen Urform war hier, wie S. 787 gesagt, Vieles
geändert. Der Schiffsherr lebt bis zu Ende und führt auf seinen
Handelsreisen die Frau mit sich. Ja, no 1 und 2 (S. 480/1) sagen,
sie sei in eine Kiste eingesperrt gewesen und zwar, wie no 1 aus-
drücklich beifügt, deßhalb weil sie nicht seine Frau werden wollte.
Zuletzt kommt die Frau mit dem Kaufmann auch in die Stadt,
in welcher ihr Mann als König und die unerkannten Sohne als
seine Trabanten sich befinden. Die beiden Söhne werden auf das
Schiff gesendet, um da Wache zu halten. Zur Unterhaltung
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 793
sprechen sie von ihren Eltern; diese Reden hört die Frau durch
die dünne Holzwand und erkennt, daß das ihre Söhne sind.
Wahrscheinlich stand auch schon in der so stark umgear-
beiteten orientalischen Urform der Grund, weßhalb die Wache
auf das Schiff gesendet wurde, so angegeben, wie wir ihn in den
ersten orientalischen Versionen lesen. Denn no 6, 7 und 8 fallen
hier überhaupt aus ; in den Versionen aus Kaschmir und aus dem
Pendschab und in no 1 (S. 480) sollen sie die kostbaren Waaren
des Kaufmanns beschützen : aber in allen andern Versionen ist der
Grund ein anderer, eigenthümlicher. In no 2 sollen sie einfach
die Frau bewachen ; aber in no 3, 4 und 5, dann in der malaischen
und bugischen Fassung lädt der König den Kaufmann, der ihm
einen Abschiedsbesuch macht, ein, noch diese Nacht bei ihm im
Palast zu bleiben, und sendet, als dieser sich weigert, weil er seine
Frau im Schiff behüten müsse, die beiden Trabanten dorthin.
Zum Abschluß des griechischen Textes geht die Frau zum Feld-
herm; Mann und Frau erkennen sich und dann auch Eltern und
Söhne. Das Heer feiert das Freudenfest mit.
In der orientalischen Urform war hier wahrscheinlich noch eine
starke Änderung hereingebracht. Mutter und Söhne hatten sich
im Schiffe erkannt; aber es fehlte noch der König. Wie konnte
man ihn mit den Dreien zusammenbringen. Den Kunstgriff des
Umarbeiters zeigen die meisten Versionen. In no 1 und 2 findet
der Kaufmann die Frau und die 2 JüngUnge beisammen und ver-
klagt sie deßhalb beim König. Aber in no 3, 4, 5 und in der Ver-
sion aus Kaschmir schreit die F'rau absichtlich und in der malai-
schen und bugischen unabsichtlich so, daß der Schein entsteht, die
Jünglinge wollten ihr Gewalt anthun; in der Pendschab-Version
ruft die Frau : 'Diebe' ; (no 6, 7 und 8 fallen aus). Überall ist
der Erfolg der gleiche: die drei werden in das Königsgericht ge-
bracht. Da erkennen sich Mann und Frau. Eltern und Söhne.
Die 4 Thorwärter- oder Henkergeschichten , welche die sia-
mesisch-malaische und die bugische Version im Schlüsse zusetzen,
warnen vor allzu raschem und unbedachtem Handeln. Sie sind also
innerlich verwandt mit den von Bousset S. 492 erwähnten. ,
n. Die Abschrift der ältesten lateinischen Fassung im
Chn. 4585.
Den oben (S. 745 — 762) besprochenen und vertbeidigten latei-
nischen Text der Placidaslegende habe ich 1915 herausgegeben nach
794 Wilhelm Meyer,
6 Handschriften. All diese liegen in italienischen Bibliotheken.
So mochte man daran denken , daß dieser Text auf dieses Land
beschränkt gewesen sei, und mochte auch die Heimat des aus
diesem Text hervorgegangenen schönen Rytbmus in diesem Lande
suchen. Aber nach Zusendung meiner Arbeit schrieb mir der
münchener Oberbibliothekar Dr. Leidinger , als er das Initium
meines Textes in die dortige Sammlung lateinischer Initien (vgl.
hierüber Zft. f. Kirchengeschichte XVII 244) habe eintragen wollen,
habe er gesehen, daß auch die münchener Handschrift 45H5 (ße-
nedictbeuem no 85 fol. 59 b — 65 b denselben Text enthalte. Da
auch der kritische § 32 in dieser Hft sich fand, erbat ich mir
eine Photographie.
Diese Sammlung von Martyrien und ähnlichen Stücken ist im
9. Jahrhundert geschrieben von einer ziemlich derben deutschen
Hand , ohne besondere Eigenthümlichkeiten. Die erste Hand (1)
schrieb ziemlich nachlässig; eine zweite (2) hat sehr viele Stellen
gebessert oder geändert. Ich hielt es für richtig, zur Controlle
der von mir gedruckten italienischen Überlieferung die Lesarten
dieser alten nordischen Handschrift mitzutheilen. Die italienischen
Handschriften habe ich 1915 S. 272 bezeichnet:
5 = Vatican 5771; s. 9/10 f. 228—231.
6 = Vatican 6933; s. 12 f. 130—133.
7 = Vatican 7810; s. 11 f. 99—102, Cassineser Schrift.
8 = Ambrosiana E 84 inf.; s. 12 f. 239.
S == Rom, Bibl. Vitt. Em., Sessorianus 5; s. 11 f. 146.
Gas ^ Casinensis codex 145; s. 11 f. 483—488. Abgedruckt in
Bibliotheca Casinensis Tomi III Florilegium p. 451 — 454.
Ich bezeichne hier die mühchner Handschrift 4585 mit 4 ; sind
Lesarten geändert, so bezeichne ich mit 1 die Lesarten der 1.
Hand, dagegen mit 2 die Lesart der ändernden Hand.
Freilich, vergleichen wir die Lesarten von Clm 4585 mit den
andern und fragen nach ihrem Werthe, so ergibt sich kein klares
Verhältniß. Sehr oft tritt diese no 4 zusammen mit no 5, der
ältesten italienischen Handschrift. Oft treten 4. 5. 6. 8 zusammen,
und manche durch diese Handschriften bezeugte Lesart könnte wohl
in den Text genommen werden. Doch hervorragend gute neue
Lesarten fehlen auch in dieser Handschrift. Z. B. der Schluß von
§ 3 und der Anfang von § 20 ist hier ebenso entstellt wie sonst.
Die Handschriften treten noch nicht in verschiedene Familien
klar auseinander. Doch das ist ja häufig der Fall, wenn von sehr
vielen Abschriften viele verloren sind. Die erhaltenen wenigen
sind dann meistens schwer zu gruppiren.
die älteste lateinische Fassung der Pladdas-Eastasius-Legende. 795
Aber dieser Text wurde bis jetzt kaum unterscliiedeii von
dem gewöhnlichen lateinischen Text und deßhalb wenig stadirt.
W'^ahrscheinlich werden noch manche Abschriften desselben auf-
tauchen und zur Aufklärung des Handschriftenverhältnisses bei-
tragen, so weit dies bei weit verbreiteten Legenden überhaupt
zu hoffen ist.
Überschrift: PASSIO MAETYRIS EUSTASIUS; zuerst ist ge-
kürzt: EüSTASII, dann von anderer Hand EÜSTACHII überge-
schrieben §1 nach dieb; ist radirt Jj mit Querstrich (uel?) 1 ido-
rum, 2 Ig s. l. 1 f^uicia, 2 add r über e exhi'bente, am Band
p (Best weggeschnitten) 4 hat stets placidas, nie placidus 1 diui-
tissimus, 2 dit- quam et in auro et in arg. 4 (5) inlustris ; Erat :
am Bande: r (= require? die Construction der Sätze schien unsicher)
suis uel matre (4. 5. 8) dum e 1, s. 1. eet 2 ut ex audito, ex
haben S. 5. 6 1 contremes'cerent, 2 hat i über es sepius eins;
Erat ei et cons. (ricJUig?)
§ 2 exiuit 1, exiret 2 (6) quae apparuerant perquerendum
1, i über er 2 uerticemontis 1 & stans (5. 6. 7. 8): 2 et ge-
tilgt locum altissimum 1 (5. 6) , loco altissimo 2 [f ol. 59 bj 1
preualuerit, 2 preualeret adpropinquare.
§ 3 cerui; Et apparuit Signum 1: die 2. Hand hat Et exnungirt
und vor signum zugesetzt g (ergo) inlustrantem 0, dann tu
und so sind oft einsilbige Wörter gekennzeichnet elymosinis ue~
narem 4 (5. 6. 7) retiam 1 (7): retia 2 salutis uenationis.
§ 4 quod auditum 1 , quo audito 2 pre eriges 1 , i über
es 2 credes 1, i id)er es 2 absoluat statt abluat sortibus 1,
b über t 2 meis (fol. 60 a) uel dixit fehlt in 4.
§ 5 uitam aetemam 4 (5. 6. 8) possedeatis 1, i über ed 2
quodcumque nobis 4 (8).
§ 6 qui dum indicauerunt 1 (6), indicarent 2 primgenitum
1, 0 add. 2 eins uocauit 4 (5. 6. 8) agapium 1, t add. 2 theo-
pistum. Nam et matrem 4 (5. 6. s ; vgl. theopistennam 7) eorum
uocauit 4 (5. 6. 8) theopistent 1, am über ent 2 communione 1,
communionis 2.
§ 1 ipsum(?) 1, ipsi 2 baptismum | f . 60 b seculum 1, se-
enlo 2 (temptationes) am. 4 habere ex hoc 4 (5) es om. 1,
add. 2 fueris in tribulationibus 4 (5. 6. 8) consolacionibus 4
§ 8 domo sua 1 (5) : domum suam 2 decedere 1 , ed zu id
corr. 2 egritndine 4 sunt 1, eent 2 superaenerunt 4 (5. 6. 8)
deripientes 1, de zu di corr. 2 et vor arg. om 4 (5. 7) nihü 4
aliud : amplius 4 (o. 6. 8) nach ei ist & radirt in 4 nisi : quam
4 (5. 6. 8) eorum et nisi quod 1 (5) : quo 2 (S. 6).
796 Wilhelm Meyer,
§ 9 peruenientes 4 mare.' ingressi 4 (et om.) nauim 4 (8)
nauim. Erant ibi barbari i; 2 setzt vor ibi zu : aut dicere j f. 61a
Nauclerius 1, naucler us, so ist i fast stets in 4 wegradirt am
Band der 1. Zeile (bis naulum) steht r (require) qui 4 habentibus
eis quod 4 (5. 6 ; 8) dare 1, darent 2 nauclerius 1 (5. 6. 7. 8).
nauclerus 2.
§ 10 sentiuit 1, sensit 2 nauclerium 1 (5. 6. 7. 8) sibi.
Subito 4 (5. 6. 7) et ist vor dereliquit radirt ; (et haben 5. 7. 8)
ipsoram 4 (5. 8) nauclerium 1 (5, 6. 7. 8), nauclerum 2 fage-
bat 4 gemens et plorans 4 (5. 6 ; 8) et om. vor dicens 4 (5.
6. 7) filii mi 4 (5).
§ 11 tristia bei Meijer ist Druckfehler statt tristitia eorum
om. 4 (5. 8) in om. 4 (5) et alium 4 (5. 6. 8) humera sua 1
(6. 7): humeros suos 2 reuertere 1, reuerti 2 peruenerit 1,
perueniret 2
§ 13 aqua 1 (5. 7. 8): aquam 2 permisit | f . 61b bona 1:
bonü 2 quod 4 (7. S) erat ei 4 (5. 7. 8) futura 1, ü über a 2
§ 13 effugatus 4 (5. 6) inlesum 4 aratore 1, ribus ilber
re 2 puerum (?) 1, puero 2 et babitauit cum 1 : babitauit et
ipse 2 multis temporibus 4 (5. 7. Gas.).
§ 14- (mihi) om. 4 (5. 8) et vor ecce om. 4 (8) consolaren-
tur 4 (6. S) agres | feras 1, acres f. 2 (ab) vor omni owi. 4 (5. 6)
uxore traditus sum | f . 62 a 4 dne • diie toller anti am 1 : das 2
dne tilgte 2 fi om. 1, add. 2.
§ 15 quadam 1, quendam 2 operare 1, i über re 2 uiuibat
1, i ^fw e corr. 2 mercidibus 1, ci zu ce corr, 2 singulis annis 4,
davor ist p (mit einem Striche) radirt loco XII annis 1, o über i 2.
§ 16 Nauclerius 1 ; i tilgte 2 Die von mir notirte Änderung
talem gratiam usw. steht in 8 Nauclerius 1, i 2 Nauclerius 1,
i tilgte 2 ille 1, e ^m i corr. 2.
§ 17 uastaretur 4 fines 1, e ^w i corr. 2 sepius 4 alieni-
gena 1, na zu nae corr. 2 antiocus 4 inquirentum 4 (6. 8. Gas.)
§ 18 ipse 1, ipsi 2 custus 1, tu ^m to corr. 2 agnorum 1,
agrorum 2 Das zweite (eum) om. 4 (5) Nam et ipse 4 (B. 6. 8)
At ipse 1, i über e 2 nobis | f . 62 b causa 4 (7. 8) quem 1,
qui 2 donum 1 , dono 2 queritis 4 uenite reficere aput 4
(= 5) censentientes eos sibi perduxit in 4 (5. 8) reficerent
ipsi ap. 4 (5. 8) aput 1, apud 2.
§ 19 senso 1, v über o 2 illi om. 4 (6. 7. 8 S) quereba-
tur 4 abinuicem 1, abi. 2 habent(?) 1, habet 2 querebamus 4.
§ 30 Der verderbte Anfang ist = 5. 6. 7. S : Quo bicto haec
omnia nota facta sunt in his locis ex eo uel de iussione imp. 4
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eastasius-Legende. 797
imperiale 1 (5): i iiher le 2 in 1 (5. 7. S) m 2 (6) exerciti 1,
vs über ti 2 ab ipso 1 (5. 8), abipsv 2 ruffi 1 (5) mfi 2 ce-
teris 1 (5), o über i 2 decore 4 fui | f . 63 a.
§ 21 barbaris 1, o über i 2 oponio 1 , i über po 2 proeli-
atur, o über u 2 bello 1 (7. 8), v über o 2 barbari et fugierunt
in solo 4 (5. 6. 8) in solo auditu opinionis 4 (5. 6) uicum 1,
darüber qoendam 2 tradidemnt ne 4 (5. 6) damnaretnr 1 , n
über et 2.
§ 23 qnodam 1 (5. 6. 7) : en über o 2 adsistebant 1, n tilgte
2 intnebat 5. 8 : tw 4 l'ann das Zeichen für ur von 2 sein. eins
haius 1, dann ist eins durchgestrichen
§ 23 abinnicem 4 (5. 8) referebatnr (?) 1, referebat 2 nach
recolo hat 1 me, 2 /lY^f/e es decore. Sed frater 4 mens innior
4 (5. 8) in naue 1 (5), im über e 2 de nane 1, i über e 2
nidemns 1, i über e 2 ignorabo 1, ignoro 2 mens nobiscum 4
(5. 6. 8) cnm gemitu et fletn 4 (5. 6. 8) me | f. 63 b | pater
ad ripam 4 (5. 6. 8) minorem alia parte 4 (5)
§ 24 tans. etiam qna 1, tnns . etiam qnia 2, tnus, namque eine
3. Hand memorabo 4 mens om. 4 (5. 6. 7) flnmen hat 2, 1 scheint
gehabt zu haben flnmine (5. 6) cnm ipsis 4 (5. 8) temporibns mnltis
4 (5. 6. 8). longnm 1, longa 2 tempore 1 (5), tempora 2 ab-
inuicem 4 (5. 6).
§ 35 eo : & 4 deteneretar, i über en 2 qni 1 (5), qn§ 2
a te derel. 4 (5. 6. 8) nane 1, i über e 2 apnt 1, apud 2
nauclerinm 1, i radirte 2 ipse 2 (ipsi? 1).
§ 26 eam | f. 64 a gandio 4 (5. 6. 7) commisti 1, commesti
2 (6. 8).
§ 27 psentia 1 (5. S), psentiä 2 abinnicem 4 (5. 6) conti-
gerat 4 (5) admirabantnr 1 (6. 7): admirabatnr 2 omnes 1,
omnis 2 pro 1, radirt von 2 ipsins 4 barbarorum 4 (5. 6. 8)
patria 1 (5), patriam 2.
§ 38 regrederetnr 4 (5. 8. S) mortuos 1, v über os 2 qnod
recessit nictoria trinmphali 1, wobei cnm vor nictoria zugesetzt ist
von 2(!) cnm omni exercitn 4 (5. 6. 8) uxoris nel filiornm 4
(5. 6) qno pacto 4 templo 1 (5. 6), v über o 2 dann wieder
templo 1, V über o 2 eins aut filii 4 (5. 6).
§ 29 dixit I f. 64 b qnare (dixit) nach Et om. 4 deinter 1
(5. 7), inter 2 (S. 6).
§ 30 arenä manus 1? in 4 leones 4 (5. 7. 8. S) talem 1,
tale 2 ereo mit Rasur vor er 1, \ über o 2 conbnrendnm 4.
§ 31 na sehereo 1, uaserev 2 succenso 1 , v über o 2 re-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist KUsse. 1916. Heft 5. 64
798 Wilhelm Meyer,
cluderetur 1, n über et 2 (8) hanc 1 (5), v über a 2 conspectü
tau 1, beide ü corrigirt zu o 2.
§ 33 quaesierit (7. S) mare 1, i über e 2 locnm 1, loco 2
liberetur 4 (S) ubique ergo dne 4 (5. 8) super nos 4 defen-
sioni tuae 1, s ühe^- it 2 auxilia 1 , -s über ia 2 sentiantur 1
(5. 7. S), ur ^iZ^^e 2 liberationem et consolationem 4 (5. 6. 8)
paradyso 4 (7. S) conlo | f . 65 a centur . . ut in 4 mit Rasur vor
ut (aut? 1) Celeste 1, i über e 2.
§ 33 Et huc 1, abhuc 2 separat! 4 (7) ergo 4 (7); auch
codex 5 hat ergo ut adunati in sepulchro praev, 4 (5. 6. 8)
egrotis 4 gloria 4 (5. 8. Gas.) et audita 1, exaudita 2.
§ 34 uasehereo igni succenso 1, uas herev igne succensv 2
ymnum 4 subcepti 4 sunt om, 4 (5) in caelum et om. 4 (5. 6. 8)
Sed sicut nee 4 = 5 conbusta 4 inlesi 4 uaso 1, uase 2
hereo 4 Quos 4 (5. 6) capilli 4 (5. 6. 8. S) incendia 4 (5. 7.
8) magis 1, magicis 2.
§ 35 magno 1, magna 2 magna | f . 65 b ex superuenientes
4 (5. 7) in quiescent. scheinen sc von 2. jffam? m Jdeinerer JRasur
geschrieben zu sein entem persecutionem 1, ente persecutione 2.
§ 36 quorum sacrä deuotione mense mai die 4 uicensimo 1,
2 tilgte n caelebramus 4 honor gloria et potestas in 4, vor in
hat 2 ein Verweisungszeichen gesetzt und bei diesem am Rande ergänzt
(c)um patre et spiritu sancto seculorum. Amen.
Über die Handschrift der Placidas- Legende in Monte
Cassino no 145.
Bei der Ausgabe des alten lateinischen Textes der Placidas-
Legende hat mir der Casinensis 145 besondere Schwierigkeiten
bereitet, vgl. S. 270/1 des Jahrgangs 1915 dieser Nachrichten. Ich
habe mir zuletzt die Überzeugung erarbeitet, daß in Monte-Cassino
um 1080 für diese Prachthandschrift der vorliegende holprige Text
der Placidas-Legende möglichst geglättet worden sei. Doch der
Text dieser Handschrift ist daraus nur ein Mal, 1887, gedruckt
worden, in dem Florilegium des III. Bandes der Bibliotheca Ca-
sinensis S. 451/4; und manchmal kamen mir Zweifel, ob nicht viel-
leicht der Mönch, welcher die Abschrift und dann den Druck be-
sorgte, ihm Anstößiges beseitigt und geglättet habe. Deßhalb
benützte ich gern die Gelegenheit und ließ mir das Stück photo-
graphiren. Die Copie erhielt ich am 26. Juli 1915.
Gern überzeugte ich mich, daß der Abdruck der Handschrift
die älteste lateinische Fassung der Placidas-Eustasius-Legende. 799
im Florilegium vortrefflich und genau ist, ja daß dabei auffallend
wenig menschliche Irrthümer vorgekommen sind. Ich fand nur
folgende Kleinigkeiten : (§ 11 hat die Hft lacrimis, nicht lacrymis).
§ 13 hat die Hft mit den andern 'qui raptus est a lupo', nicht
'raptus erat'. (§ 20 pulchriores Hß^ nicht pulcriores). § 22 hat
auch diese Handschrift mulier eins (ej mit Querstrich) assistens, nicht
ei. ebenda ignorabat quod, wie die anderen Handschriften, nicht
ignorabant. (§ 2B michi, nicht mihi, dominus) § 27 in praesen-
tiam hat diese Hft, wie die andern. § 32 fehlt durchaus. Die
Schwierigkeiten, mit denen ich 1915 S. 270/1 gekämpft habe, sind
also wirklich vorhanden.
Der Blüthezeit der SchreibscUule von Monte Cassino entspricht
die Interpunction. Sie ist beträchtlich geregelt: / über der
Zeile bezeichnet einen Sinneseinschnitt, der schwächer ist als der
von uns mit einem Comma (,) bezeichnete. .' entspricht etwa un-
serm Comma (,) .entspricht nnserm Punkt (.). Das Ende von
Abschnitten ist durch Häufung von Punkten mit einem Comma
gekennzeichnet ' ; • oder * : • Die Frage wird gern durch 2 Zeichen,
eines im Anfang, ein anderes im Schluß des Satzes, gekennzeichnet.
So § 18 et qu^ causa est uobis ad inquirendum eum •.'• und später:
quomodo noui quem qu^ritis •.'• oder § 29 : quäre non introisti in
templam / ad offerenda libamina diis nostris •.'• Viele Worter sind
accentuiri; : Placidas sonderbarer Weise fast stets auf der Silbe äs.
Wie viele Legendentexte, so ist auch dieser in Lectionen getheilt.
Das paßt Alles zu dem, was ich vermuthet habe: in dieser Hft
zeigt sich die Schreiber- und Gelehrtenschule von Monte-Cassino in
ihrer Blüthe.
Nachtrag zu S. 784 zweiter Absatz 'durch einen Fischer' :
Durch die Fügung der Götter blieb die Ehre der Königin unver-
letzt.
800 "Wilhelm Meyer, die älteste latein. Fassung d. Placidas-Eust.-Legende.
Übersicht.
S. 746 — 760 Besprechung der von Bousset erhobenen Anklagen
gegen den ältesten lateinischen Text; s. das Verzeichniß S. 760 Note.
S. 761 Die griechische Umarbeitung. S. 762 Bousset's und Anderer
folkloristische Theorie über die orientalische "Wandergeschichte und
S. 764 Bousset's hieraus geholten 'entscheidenden Beweise'. S. 765 W.
Meyer's Ansicht, daß die Orient. "Wandergeschichte ein Ausschnitt aus
dem Placidastexte , also von Westen nach Osten gewandert ist. S. 766
Die darnach sich ergebende Ordnung der Texte. S. 768 — 786 Nachtrag
zu Bousset's Besprechung der indischen Versionen dieser Wanderge-
schichte. S. 769 Die buddhistische. Geschichte der Patacara oder Kisa-
gotami. S. 776 Die Geschichte von Swet-Basanta (s, S. 791). S. 777
Knowles Geschichte aus Kaschmir. S. 778 Temple's Geschichte aus
dem Pendschab, ein Gedicht des Kishn Lal. S. 780 Die bugische
Geschichte vom König Indjilai. S. 793 Die siamesisch -mal ai s che
Geschichte des Großkönigs Bispu Radja. S. 786 — 793 Die Urform
der orientalischen Wandergeschichte. S. 786 Vorbemerkungen. (Feldherr.
Aushebuug, Eolle des Weibes. Flußübergang). S. 791 Vergleichung
des griech. Placidastextes und der orientalischen Urform.
II. S. 793 — 798 Collation der neu gefundenen Abschrift des la-
teinischen Textes im Clm. 4585. S. 798/9 Nachtrag über die Hft Monte
Cassino no 145.
Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
Phil.-hist. Klasse 1916, Heft 5 (W. Meyer).
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Gotha I 75 fol. 20"— 22^.
Aelteres kartographisches Material in deutschen
Bibliotheken^).
Fünfter Bericht über die Jahre 1910—1913.
Von
W. ßiige -Bautzen.
Vorgelegt von H. Wagner in der Sitzung vom 15. Januar 1916.
Dieser fünfte und letzte Bericht enthält einerseits die Ergeb-
nisse der Reisen, die ich 1910 und 1913 ausgeführt habe, anderer-
seits bringt er die Beschreibungen aller der Texte (Handschriften
und Drucke), die nach dem im I. Bericht mitgeteilten Plan während
der ganzen Zeit meiner Arbeit aufgenommen und beschrieben worden
sind. Ich bin bestrebt gewesen, das ganze in Frage kommende
Material lückenlos zu sammeln und ganz genau zu beschreiben;
ich bin mir aber wohl bewußt, daß es auch beim besten "Willen
außerordentlich schwer ist, beide Ziele zu erreichen. Wahrschein-
lich habe ich doch manches übersehen. Vielleicht liegen noch
1) Vgl. Nachrichten der K. Gesellschaft der "Wißsenschaften zu Göttingen,
phil.-hist. Klasse 1904, 1—66 (I. und II. Bericht, zitiert I. Ber.), 1906, 1 — 39
(zitiert III. Ber.) und 1911, 35—166 (zitiert IV. Ber.); ich vem-eise auf diese
Berichte auch wegen der Abkürzungen, die ich angewendet habe. Neu kommen
hinzu : Brunet = Brunet, Manuel du libraire 1860 f. — Graesse = Graesse, Trfesor
de livres rares 1869 f. — Harrisse, B. A. V. = Harrisse, Bibliotheca Americana ve-
tustissima, 1866, 1872. — Procter = Proctor, Index to the early printed books in
the British Museum 1898 f. — Racc. Col. = Raccolta di documenti e studi pubbli-
cati deUa R. Commissione Colombiana 1892 — 94. — Temaux-Compans = Temaux-
Compans, Bibliotheque Asiatique et Africaine 1841. — Uzielli = G. Uzielli e P.
Amat di S. Filippo, Studi biografici e bibliografici II. Bd. Roma 1882. — Weller
= Weiler, Repertorium typographicum 1864.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1916. Beiheft 1
2 W. Rüge,
Karten und Texte in Bibliotheken^), die ich nicht besacht habe.
Oder ich habe die betreffenden Angaben in den Katalogen über-
sehen, was vor allem dadurch verursacht worden sein kann, daß
1) Folgende Bibliotheken habe ich besucht (die Nummern sind die in
Schwenkes Adreßbuch der deutschen Bibliotheken 1893): nr. 14. 29. 46. 56. 63.
73. 74. 105. 140. 174. 181. 207. 230. 247. 249. 261. 263. 310. 321. 333. 346. 352.
360. 364. 365. 372. 409. 412. 428. 431. 446. 477. 480. 485. 491. 499. 519. 522.
542. 557. 582. 584. 590. 598. 641. 655. 656. 664. 633. 693. 694. 699. 706. 709.
716. 742. 761. 765. 770. 786. 805. 806. 816. 836. 839. 846. 891. 908. 913. 953.
958. 972. 991. 992. 1001. 1005. 1008. ICH. 1017. 1023. 1036. 1064. 1065. 1052.
1105. 1137. 1167. 1172. 1182. 1192. 1218. 1237. 1310. 1314. 1348. 1356. 1358.
1865 a. 1372. 1375. 1446. 1452. 1511. 1528. 1534. 1541. 1544. 1553. 1573. 1574.
1581. 1600. 1605. 1614. Außerdem: Basel, Unirersitätsbibl. ; Berlin, Institut für
Meereskunde; Dresden, Mathem.-phys. Salon; Nürnberg, Kreisarchiv; Stuttgart,
Kgl. Karten- und Plankabinett; Wiesbaden, Staatsarchiv. Schriftlich erledigt:
nr. 446. 1046; nach Litteraturangaben : nr. 660.
Folgende Bibliotheken haben mir auf eine Anfrage hin — ich schickte ein
Rundschreiben aus, in dem der Zweck des Unternehmens auseinandergesetzt war — •
geantwortet, daß nichts, was in Frage käme, vorhanden wäre: nr. 1. 13. 22. 32.
38. 39. 45. 53. 64. 65. 67. 68. 88. 89. 95. 106. 107. 136. 137. 155. 166. 173. 176.
196. 203. 205. 219. 220. 226. 228. 236. 238. 240. 274. 280. 283. 293. 297. 305.
307. 309. 314. 332. 334. 338. 342. 363. 369. 374. 380. 423. 425. 441. 453. 455—
457. 459. 460. 474. 479. 506. 513. 530. 537. 538. 540. 547. 548. 563. 578. 604.
607. 610. 616. 624. 636. 640. 670. 671. 675. 678. 695. 700. 707. 712. 718. 719.
722. 724. 732. 738. 740. 746. 753. 759. 771. 778. 783. 796. 798. 800. 803. 823.
824. 842. 862. 876. 880. 881. 888. 893. 906. 910 (z. Z. nicht benutzbar). 915. 934
—936. 939. 943. 945. 946. 951 (verkauft). 955. 971. 980. 998. 1016. 1028. 1031.
1057. 1058. 1078. 1100—1102. 1110. 1123. 1124. 1126. 1131. 1145. 1147. 115-5.
1157. 1157 a (existiert nicht mehr). 1159—1162. 1179. 1180. 1183. 1196. 1200-
1202. 1204. 1212. 1229. 1252. 1260. 1261. 1269. 1272. 1276. 1287. 1295. 1293.
1306. 1312. 1313. 1323. 1330. 1341. 1343. 1366. 1370. 1382. 1386. 1397. 1414.
1420. 1421. 1429. 1432. 1438 (und doch ist etwas vorhanden, vgl. nr. II 28. 47).
1440. 1453. 1473. 1475. 1481. 1494. 1500. 1502. 1504. 1510. 1519. 1543. 1548
(nicht zugänglich). 1550. 1554. 1580. 1593. 1607.
Auf meine Anfrage ist keine Antwort eingegangen von: nr. 5. 12. 25. 26.
42. 48. 55. 62. 71. 81. 87. 96. 100. 101. 104. 133. 164. 167. 179. 200. 201. 211.
216. 221—225. 246. 250. 252. 255. 296. 303. 304. 328. 335. 341. 347. 353. 355.
357. 366. 407. 410. 416. 421. 422. 427. 435. 440. 445. 462—465. 472. 475. 484.
486. 488. 493. 517 a. 536. 544—546. 551—553. 576. 577. 589. 602. 603. 621. G23.
627. 629. 630. 650. 681. 715. 720. 723. 729. 733. 747. 748. 754. 760. 769. 772.
776. 779. 780. 799. 802. 810. 812. 827. 829—831. 834. 847. 850. 852—855. 858.
859. 863-865. 894. 898. 901. 907. 937. 938. 947. 952. 968. 981. 997. 1010. 1015.
1033. 1037. 1045. 1048. 1049. 1055. 1067. 1107. 1112. 1119. 1120. 1143. 1152.
1158. 1163. 1165. 1166. 1178. 1187. 1197. 1207. 1214. 1216. 1221. 1224-1226.
1228. 1240. 1257. 1268. 1278. 1280. 1281. 1283. 1300. 1302. 1307. 1320. 1321.
1327. 1329. 1337. 1339. 1345. 1346. 1351. 1352. 1359. 1360. 1362. 1368. 1389.
1890. 1892. 1396. 1399. 1405—1407. 1409. 1410. 1415. 1427. 1428. 1435. 1447—
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 3
die Kataloge der verschiedenen Bibliotheken durchaus nicht nach
demselben Prinzip angelegt sind; in manchen Bibliotheken gab es
nur Realkataloge, in anderen wieder nur Nominalkataloge, hier
und da fehlten sie überhaupt oder waren, besonders was Sammel-
bände anlangt, ungenügend. Wie schwer es ist, völlig genaue Be-
schreibungen, vor allem diplomatisch genaue Abschriften von Texten
mit abweichender Orthographie zu geben, weiß jeder, der einmal
solche Abschriften selbst gemacht oder von anderen gemachte Ab-
schriften mit den Originalen verglichen hat. Wenn ich also auch
nicht behaupten kann, daß ich das Ziel, das ich mir gesteckt habe,
völlig erreicht habe, so glaube ich doch, daß meine Sammlungen,
ich möchte sagen, als Krystallisationspunkt dienen können, an
den alles, was in deutschen Bibliotheken noch zum Vorschein kommt,
angeschlossen werden kann. Im einzelnen bemerke ich noch, daß
die Werke Apians, Honters und Vadians planmäßig weggelassen
worden sind, teüs weil es schon Bibliographieen davon gibt, teils
weil sie in so zahlreichen Exemplaren vorhanden sind, daß sie in
den Rahmen dieser Sammlung nicht hineingehören. Dieser letzte
Grund ist auch dafür maßgebend gewesen, daß die Bayrischen
Landtafeln Philipp Apians nicht aufgenommen worden sind. Um die
Litteratarangaben nicht zu sehr zu häufen, habe ich die ältere
Bibliographie nur da angeführt, wo es nötig war.
Beim Abschluß dieses letzten Berichtes ist es mir ein Be-
dürfnis, der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen zu
danken, die die Mittel zur Ausführung der Katalogisierung zur
Verfügung gestellt hat, und Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr.
H. Wagner, der es veranlaßt hat, daß diese Arbeit mir über-
tragen wurde. Denn sie ist mir für fast anderthalb Jahrzehnte
Genoß und Freude gewesen.
Gern wäre ich von der einfachen Sammelarbeit zur Ver-
arbeitung des neugewonnenen Materials weiter geschritten; das
hätte aber die Arbeit bei der mir zur Verfügung stehenden Zeit
— außer einem einmaligen Urlaub von 6 Wochen habe ich nur
meine Schulferien verwenden können — soweit ausgedehnt, daß
ein Abschluß kaum zu ermöglichen gewesen wäre. Ich hoffe später
in ruhigeren Zeiten die Gelegenheit zu finden, das eiae oder andere
Stück ausführlicher zu behandeln.
Schließlich habe ich auch diesmal Veranlassung, den Bibliotheks-
1449. 1471. 1482. 1493. 1497. 1501. 1503. 1506. 150-J. 1516. 1521. 1525. 1530.
1533. 1547. 1551. 1563—1565. 1507. 1570. 1571. 1590. 1591. 1595. 1596. 1599.
1601—1604. 1611.
Die Erlaubnis zur Benutzung wurde verweigert bei nr. 1052.
1*
4 W. Rüge,
Verwaltungen für das Entgegenkommen zu danken, das sie mir an
Ort und Stelle erwiesen, und für die mancherlei Auskünfte, die
sie mir während der Abfassung und Drucklegung des Berichtes
«rteilt haben.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
26.
26.
27.
28.
Inhaltsverzeichnis.
I. Karten.
A. Handschriftliche Karten.
a. Portulankarten und Seeatlanten.
Anonymus, Mittelmeer, vor 1453.
Roselli, Mittelmeer, 1464.
(Agnese), Seeatlas, 1536.
Agnese , „ 1542.
„ 1543.
1544.
(Agnese), „ vor 1540.
» > » » »
- nach 1540.
zw. 1540 und 1563.
nach 1540.
Vigliarolus, Mittelmeer, 1580.
Millo, Seeatlas, 1586.
Martines, Seeatlas, 1591.
Anonymus, Mittelmeer, 16. Jahrh.
„ , „ , Mitte des 16. Jahrh.
Doetszoon, Atlantische Küsten von Afrika und Europa, 1607.
Grerritsz, Sumatra, 1620.
„ , Südostasiatische Inseln, 1621.
„ , Indischer Ozean, 1622.
Anonymus, Westeuropa und Nordafrika, Ende des 16., An-
fang des 17. Jahrh.
Anonymus, Südostasien mit den Inseln, 1. Hälfte des 17. Jahrh.
o
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 5
b. Länderkarten.
29. Anonymus. Teile von Mittel- nnd Osteuropa, Ende des 15.
Jahrh.
B. Gedruckte Karten.
a. Einzelkarten.
30. Etzlaub-Glogkendon, Mitteleuropa, 1501.
31. Finaeus, Weltkarte, (1534), 1536.
32. ( , ), , , 1541.
33. Finaeus, „ , o. J.
34. Castaldo, Spanien, 1544.
35. Anonymus, Umgebung von Rom, 1647.
36. Mercator, Europa, 1554.
37. Vopelius, Rheinkarte, 1555.
38. Geminus, Spanien, 1555.
39. Anonymus, Umgebung von Rom. 1567.
40. Bemardus a Patte, Holland. 1553 — 1558.
41. Jacobus Daven(tria), Brabant, 1558.
42. Bernard van den Putte, Friesland (1556), 1669.
43. Stopius, Flandern, 1559.
44. Gastaldi, Deutschland, 1559.
45. Jacobus Daventr(ia), Seeland, 1560.
46. Jolivet, Frankreich, 1560.
47. Petrus de Nobilibus, Umgebung von R^m, 1560.
48. Stella, Mitteleuropa, 1560.
49. Helvigius, Italien, 1561.
50. Helwig, Schlesien, 1561.
51. Camocins, Lombardei, 1560, 1562.
52. Anonymus, Belgien, 1563.
53. Camocius, Großbritannien, 1663.
54. F(inaeus), Frankreich, 1563.
55. Forlani, Holland, 1563.
56. Contareni, Europa, 1564.
57. Mercator, England, 1564.
58. D. BerteUi, Italien, 1565.
59. F. Bertelli, Österreich-Ungarn, 1565.
60. „ , Weltkarte, 1565.
61. Hierssfogel, Ungarn u. s. w., 1565.
62. Camotius, Friesland, 1566.
63. Castaldi, Donaugebiet, 1566.
64. Gastaldo, Piemont, 1666.
5 W. Kuge,
65. Finaeus, Weltkarte, 1566.
66. Forlani, Griechenland, 1566.
67. Luchinus, Schweiz, 1566.
68. Stopius, Afrika, 1566.
69. Zündt, Ungarn, 1567.
70. Camotius, Europa, 1568.
71. Castaldo, Polen, 1568.
72. Maschop, Münsterland, 1568.
73. Jo. und Lucas a Deutecum, Holland, 1569.
74. Ligorius, Belgien, 1569 (?).
75. Scultetus, Meißen und Lausitz, (1568), 1569.
76. Laicksteen und Sgrothenus, Palästina, (1556), 1570.
77. Hogenberg, Flandern, o. J.
78. Anonymus, Korsica, o. J,
79.
»
, Malta, 0.
J.
80.
jj
, Majorca,
0. J.
81.
»
, Minorca,
0. J.
82.
n
, Neapolitanisches Reich,
0. J.
83.
»
, Sardiniei
J, 0. J.
84.
n
> V
, 0. J.
86.
Camocius,
, Palästina,
0. J.
b.
Sammelbän
de.
86.
Atlas in
Breslau.
Anhang.
n. Texte.
A . Handschriften.
a. Entdeckungsgeschichte.
1. Monetarius (Münzer), Brief, 1493.
2. „ » . Entdeckung von Guinea, 1494, 1495.
3. Valentin Ferdinand, Portugiesische Entdeckungen.
4. Konrad Peutinger, Briefe und Berichte.
5. Springer, Indienfahrt.
6. Lucas Rem, Tagebuch, 1494 — 1541.
7. Anonymus, Neue Zeitung aus Presilgland, 1514.
8. Pirkheimer, Abschrift, 1522.
9. Sedelius, Briefe, 1531.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 7
b. Segelanweisungen.
10. Anonymus, Portolan, 1296.
11. „ , Seebnch, 14. Jahrh.
12. „ , Portolan, 15. Jahrh.
13. Bondelmont, Inselbach, 1420.
14. Anxerinns (Bondelmont), Inselbuch.
15. Duarte Barboso, Küstenbeschreibung, Anf. des 16. Jahrh.
16. (De Nicolay), La navigation d'environ le royaume d'Ecosse,
Glitte des 16. Jahrh.
c. Lehrbücher.
17. Eck, Introductorium breve cosmographicum, 1506.
B. Drucke.
a. Entdeckungsgeschichte.
1. Einzelschriften.
18.— 24. Colombus, Brief.
25. — 45. Vespucci, Brief.
46. 47. Vespucci, Reisen, 1509.
48. Montario (Münzer), Brief.
49. Emanuel, König von Portugal, Brief (1505).
50. 51. Emanuel, rex Lusitaniae, Obedientia, 1505.
52. 53. Anonymus, Fahrt von Lissabon nach Indien.
54. Emanuel, rex Portugaliae, Gesta, 1506.
56. 56. Emanuel, rex Portugaliae, Gresta, 1507.
57. Emanuel, rex Portugaliae, Taprobane insule . . acquisitio.
58. „ „ j) 5 Epistola.
59. „ „ j> > Geschichte.
60. „ „ jj } Epistola.
öl. „ , „ , Brief, 1508.
62. a— d. Sprenger, Merfart, 1509—1511.
63. (Vespucci — Sprenger).
64.— 70. Emanuel, rex Portugaliae, Epistola, 1513.
71. „ , „ r, , Brief, 1513.
72. » j » „ , Obedientia.
73. 74. Anonymus, Copia der neuen Zeitung aus Presilgland.
76. Anonymus, Die Schiffung.
76. Emanuel, rex Portugaliae, Epistola, 1520.
77. Anonymus, Sendbrief, 1520.
78. „ , Newe Zeytung.
8' W. Rüge,
79. Anonjrmus, Newe Zeytung.
80. Cortes, Carta de relacion, 1522.
81. „ , „ tercera de relacion, 1523.
82. Schöner, de nuper repertis insulis, 1523.
83. Maximilianus Transylvanus, de Moluccis insulis, 1623.
84. „ «,«„„, 1524.
85. Anonymus, Letera.
86. „ , Newe Zeytung.
87. „ , Copey etlicher Briefe.
88. „ , Nuova della presa della gran citta de Diu.
89. 90. Johannes, rex Portugaliae, 1536.
91. Cartier, Brief recit, 1545.
2. Sammelwerke.
92. Montalboddo, Paesi nuovamente retrouati, 1507.
93. Archangelus Madrignanus, Itinerarium Portugalensium, 1608.
94. Ruchamer, Newe unbekanthe Landte, 1508.
95. Ghetelen, Nye vnbekande Lande, 1508.
96. 97. Mathurin du Redouer, Le nouveau monde.
b. Segelanweisungen..
98 Bartolomeo da li Sonetti, (Isolario), zw. 1478 und 1485.
99. Anonymus, Portolan, 1490.
c. Lehrbücher.
100. Anonymus, Der deutsche Ptolemäus.
101. Ludd, speculi orbis declaratio, 1507.
102. „ , Erclärnis vnd vßlegung, 1507.
103 — 108. Waidseemüller, Cosmographiae introductio, 1607 — 1609.
109. Anonymus, Der Weltkugel ßeschrybung, 1609.
110. „ , Globus mundi, 1509.
111. 112. Ringmann, Instructio, 1511.
113. Schöner, luculentissima . . . descriptio, 1515.
114 „ , luculentissima . . . descriptio.
115. 116. Franciscus Monachus, De orbis situ, 1625 (?), 1665.
117. 118. Lauren tius Friess, Uslegung, 1525. 1527.
119. „ „ , Under Weisung, 1530.
120. Schöner, opusculum geographicum, 1533.
121. Sebastianus Cabotus, Declaratio, 1544.
Aelteres kartographisches Material in deutechen Bibliotheken. 9
I. Elarten.
A. Handschriftliche Karten.
a. Portulankarten und Seeatlanten.
1. AnODymns^ Mittelmeer, vor 1453 ; ca. 1 : 5^/2 Mill.
Handzeichnung auf Pergament. 910 x 590 mm (in der westlicli
angesetzten Zunge gemessen^ Orientierung läßt sich nicht sicher
bestimmen. Am Westrand ist noch als erster Teil einer Inschrift
zu lesen : Rafel . . . , wahrscheinlich der Rest des Namens eines
Besitzers, nicht des Zeichners.
Mittelmeer mit Schwarzem Meer in der üblichen Ausführung der Portulan-
karten. Von den Außenküsten Europas und Afrikas nur die ersten Strecken
westlich von Gibraltar. Im Inneren nur ein paar Städte. Viel Fahnen. Daraus,
daß über Konstantinopel noch nicht der Halbmond steht, kann man schließen,
daß die Karte vor 1453 gemacht worden ist. Am West- und Südrand mehrere
Meilenmaßstäbe, unbenannt, die größeren Teile sind abwechselnd in 5 Unter-
abteilungen (= je 10 Miglien) zerlegt; 6 große Teile (= 300 Miglien) = 67mm.
Kompaßrosen überspinnen das Ganze, die Zentralrose ist in Nordgriechenland. Ohne
Gradangaben. Gibraltar — Spartivento (1900 km) = 350 mm; Issischer Meerbusen —
Sp. (2160 km) = 333 mm; Konstantinopel— Sp. (1150 km) = 213 mm; Genua—
Sp. (955 km) = 175 mm; G.— Tunis (850 km) = 160 mm.
Berlin, Institut für Meereskunde. J 511.
Publ. : K. Kretschmer, Die italienischen Portulane des Mittel-
alters 1909, 133 f.
2. Petrus Roselli, Mittelmeer, 1464; ca. liöVaMill.
Handzeichnung auf Pergament. Die Orientierung läßt sich
nicht bestimmen. Unregelmäßiger Rand, besonders in der west-
lichen Hälfte beschädigt; ca. 800 (770) mm x 660 (650) mm; die
größte Breite war 930 mm, in der am Westrand angesetzten
Zunge. Links oben: Petrus Roselli conposuit hanc cartam || In
ciuitate Maioricarum anno domini || 'M* CCCCLXIIII.
Mittelmeer mit der atlantischen Außenküste von Afrika und Europa. Im
O Teile des Roten Meeres, im N die südliche Ostsee. Östlich von Dänemark
hören die portul anmäßig geschriebenen Namen auf. Dieses Meer ist dann blau
gestrichelt, das andere sonst nicht. Im Südende von Skandinavien portulanmäßig
geschriebene Namen, darunter rogostoch, das aber auch richtig auf dem deutschen
Festland östlich von Dänemark angegeben ist. Legenden in Nordafrika und in
der Ostsee, z. B. Aquesta mar es apellade mar delamanya de suecia || e de gotilandia
sapiau (?) que sta mar sta engelade || Sis messos de lany .... Bilder von Fürsten,
im Innern große Städtevignetten. In Nordafrika der Atlas, in Europa die Alpen
als grüne Gebirgskette. Einige Flüsse. Viele Fahnen. Rhodos (rodes) mit weißem
Kreuz in rotem Feld. Westlich von Irland die lila de brezill, die noch einmal in
den Inseln nördlich von den Kanarischen Inseln vorkommt. Ohne Gradangaben.
Kompaßrosen überspinnen das Ganze, Zentralrose im TjTrhenischen Meer. Mehrere
10 . . W. Rüge,
Meilenmaßstäbe, die größeren Teile mit 5 Unterabteilungen, 10 große Teile (=
500 Miglien) = 95 mm. Gibraltar— Spartivento (1900 km) = 298 mm; Konstan-
tinopel—Sp. (1150 km) = 189 mm; Issischer Meerbusen— Sp. (2160 km) = 291mm;
Genua— Sp. (955 km) = 150 mm ; G.— Tunis (850 km) == 132 mm.
Nürnberg, Grerman. Museum.
Litt. : üzielli II 101 nr. 127. — K. Kretschmer, Die italienischen
Portolane des Mittelalters 1909, 137 nr. 44.
3—15. Baptista Agiiese, Atlanten.
Sämtliche Atlanten bestehen aus Karten, die mit der Hand auf Pergament
gezeichnet sind. Die Karten sind, wenn nicht anders angegeben, nach N orientiert.
Die Mehrzahl der Atlanten enthält übereinstimmend eine Reihe von 10 Karten
(nr. 3,1 — 10). Alle Karten weisen dieselbe Handschrift auf. Der Ausführung
nach kann man zwei Arten unterscheiden. Die einen sind reine Portulankarten,
bei denen das Binnenland gar nicht oder nur wenig berücksichtigt ist. Die fein
gezeichneten Küstenlinien sind von einem farbigen, meist blauen Rand umzogen;
Kompaßrosen überspinnen das Kartenbild. Die anderen werden im Gegensatz
hierzu am besten als Länderkarten bezeichnet, da sie wie andere Landkarten das
ganze Land, nicht nur die Küste darstellen. Bei ihnen ist gewöhnlich das Land
mit einem grünlichgelben Ton überzogen, die Kompaßrosen fehlen oft. Nur die
Nummern 4, 5, 6 tragen den Namen des Verfassers , aber aiich die anderen sind
unbedingt als Werke von B. Agnese anzusehen ; sie weisen die unverkennbaren
Merkmale der Agnese-Atlanten auf, sodaß über ihre Herkunft gar kein Zweifel
entstehen kann. Ebenso fehlt bei den meisten das Jahr der Herstellung ; bei der
weitgehenden Übereinstimmung der einzelnen Exemplare und Karten könnte viel-
leiclft eine genaue Vergleichung eine annähernde Datierung ermöglichen. Man
kann wohl im allgemeinen annehmen, daß die x\tlanten, die einen reichen Inhalt
haben, jünger sind; im einzelnen lassen die Darstellungen der pazifischen Küste
von Zentral- und Mittelamerika in einigen Atlanten einen Fortschritt erkennen,
nach dem man diese in spätere Zeit setzen kann. (S. Rüge, Petermanns Mitt.
Erg.-Heft 106, 58). Den Maßstab habe ich womöglich nach den Gradangaben be-
rechnet ; wo diese fehlten, nach den Meilenmaßstäben und Entfernungsmessungen.
K. Kretschmer hat in der Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Berlin 1896, 362 alle bis
dahin belfannten Atlanten des B. Agnese zusammengestellt (er hat dabei nr. 14
übersehen) ; zu den von ihm genannten 7 deutschen, kommen weitere 6 hinzu,
sodaß jetzt Deutschland nach Italien die meisten aufzuweisen hat. Ich lasse nun
die Beschreibungen der einzelnen Atlanten folgen, und zwar gebe ich zuerst die
datierten (nr. 3 — 6), dann die undatierten und unbenannten.
3. (Baptist» Agnese), 1536. (nr. 7 bei Kretschmer).
Brauner, goldgepreßter Lederband, geschlossen 162 x 222 mm,
14 Blatt zu 158 x217 mm.
Inhalt: l.Bl. r. leer. — 1. Bl. v. Tabula declin. Signorum lineae eclipticae. —
2 r. leer. Von späterer Hand einige lateinische Verse über den Tierkreis. —
2 V, 3 r. kreisförmige Darstellung des Tierkreises. Darin die Jahreszahl 153(). —
Karten: I. (8 v. 4 r.). Großer Ozean, mit Amerika im O, und der asiatischen
Inselwelt im W ; ca. 1 : 74 Mill. An der Westküste von Zentralamerika sind die
nördlichsten Namen topoque und rio serrado, an der von Südamerika prouinaia
de siera. Dann fehlt die KQste bis alcipelego und o. de todos. s. in elstreto de
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. H
ferdinädo de magalanes. Im W die INSVLE • MALVCHE. Breiten von 60' S—
60° N, 5:5° angegeben. 10" = 15 mm. Meridiane sind nicht angegeben. Kompaß-
rosen. Breitenmaßßtab : mia 100 da ponto a ponto, 10 Teile (= 1000 Miglien) =
21 mm. — 2. (4 t. 5 r.). Atlantischer Ozean mit Amerika, Europa, Afrika; ca.
1 : 74 Mill. In Südamerika, das MVNDVS NOVVS heißt , wie auf Karte 1
zwischen provinaia de siera und alcipelego keine Namen. Europa bis russia.
Breiten von 5 : 5" von 60*^ S — 60° N angegeben, 10° = 15 mm. Längen fehlen.
Kompaßrosen. Meilenmaßstab: mia 100 da punto a punto, 10 Teile (= 1000
Miglien) = 21 mm. — 3. (5 v. 6 r.) Indischer Ozean; ca. 1 : 74 Mill. Die Küsten
Afrikas und Asiens, Ton Kamerun bis China. Breiten- und Meilenmaßstab wie
auf Karte 2. Kompaßrosen. — 4. (6 v. 7 r.) Nordwest- und Mitteleuropa ca.
1 : 11 Mill. Bis Hamburg, Großbritannien, Golf von Genua nördliche Hälfte von
Spanien. Ohne Gradangaben. Meilenmaßstab ohne Beischrift, 4 Teile, abwechselnd
mit 5 Unterabteilungen, (= 200 Miglien) = 24 mm. Kompaßrosen. C. Finisterre —
C. Creus (1025 km) = 96 mm; C. F.— Brest (1720 km) = 59 mm. — 5. (7 v. 8 r.)
Pyrenäenhalbinsel und Nordwestafrika; ca. 1 : 1 Mill. Ohne Gradangaben. Meilen-
maßstab wie auf Karte 4. Kompaßrosen. C. Finisterre — C. Creus (1025 km) =
96 mm. Gibraltar— C. Cr. (1000 km) == 93 mm. — 6. (8 v. 9 r.) Westliches Mittel-
meer; ca. 1 : 6 350000. Ohne Gradangaben. Meilenmaßstab, ohne Beischrift,
2 Teile, einer in 5 Unterabteilungen zerlegt, (= 100 Miglien) := 19 mm. Kompaß-
rosen. Gibraltar— C. Creus (1000 km) = 160 mm. — 7. (9 v. 10 r.). Mittelstück
des Mittelmeeres; ca. 1 : 6350000. Ohne Gradangaben. Meilenmaßstab wie bei
Karte 6. Kompaßrosen. Genua — Spartivento (955 km) = 150 mm; Venedig —
Otranto (755 km) = 130 mm ; Nordküste von Sizilien (270 km) = 45 mm. —
8. (10 T. 11 r.). Östliches Mittelmeer; ca. 1 : 6350000. Ohne Gradangaben.
Meilenmaßstab wie auf Karte 6. Kompaßrosen. Spartivento — Konstantinopel
(1150 km) = 185 mm. — 9. (11 v. 12 r.). Schwarzes Meer; ca. 1 : 6350000.
Ohne Gradangaben. MeilenmaBstab wie auf Karte 6. Kompaßrosen. Bosporus —
Phasis (1050 km) = 200 mm. — 10. (12 v. 13 r.). Weltkarte; ca. 1 : 151 Mill.
Die Erdteile sind grün ausgemalt. Im Innern Namen, Flüsse, Städte, Gebirge.
Die Küstenzeichnung Asiens ist ptolemäisch, Kalifornien fehlt noch. Die Reise-
linie nach den Molukken ist angegeben. Ringsherum 12 Windköpfe. Innerhalb
der elliptischen Umrahmung Längen und Breiten von 15 : 15° ausgezogen, die
Breiten sind gerade, die Längen gekrümmt. Die Längen sind von W — O fol-
gendermaßen gezählt: 90, 75 ... 15, 90 ... 15, 15 ... 90, 15 .. . 90. 15" =
11 mm. Ohne Kompaßrosen und Meilenmaßstab. — 13 v. 14 leer.
Dresden, Kg]. Bibl. Mscr. F. 140 ^
Litt.: Uzielli II 128 nr. 168. — S. Rüge, Peterm. Mitt., Erg.-
Heft 106, 57.
4. Baptista Agnese, 1542.
Goldgepreßter Lederband, geschlossen 166 x 240 mm, 19 Blatt
zu 164 >< 228 mm. Auf der 9. Karte steht : baptista agnese Januensis
fecit II uenetijs 1542 .... Junij.
Inhalt: 1. 2. 3. Bl. leer. — 4 r. leerer Rahmen für ein Wappen. — 4 v.
Tabellen. — 5 r. Sphäre. — 5 v. 6 r. Tierkreis. — Karten: 1. (6 v. 7 r.). Großer
Ozean; 1:71600000. Stimmt mit nr. 3,1 überein, mit Ausnahme folgender Ab-
weichungen : An der Westküste von Nordamerika sind die äußersten Namen :
12 W. Rüge,
plaia tabursa, y. blanca. Die Halbinsel von Kalifornien ist angegeben, die letzten
Namen an der Westseite sind los cazanes und punta enguno. Nördlich des Golfes
von Kalifornien steht : mar uermoio (!) que en || la canal de plena mar |1 ai . XI.
brazas baxa mar viij. Auf dem Äquator sind die Längen von W — O angegeben:
90, 80 ... 10, 90 .. . 40, (30) ; die Breiten ebenfalls von 10 : 10«, von 60" N—
60" S ; 10' = 15,5 mm. Meilenmaßstab , eingeteilt wie nr. 3, 1 = 21,5 mm. —
2. (7 V. 8 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Längen vom Nullmeridian
nach O und W, von 10 : 10°, von 10 — 90, Breiten und Maße wie auf der vorigen
Karte. — 3. (8 v. 9 r.). Indischer Ozean; ca. 1 : 71600 000. Längen von W— O
30, 40 ... 90, 10 .. . 70; Breiten und Maße wie auf der vorigen Karte. —
4. (9 v. 10 r.). Nordwest- und Mitteleuropa ; ca. 1 : 8V2 Mill. Meilenmaßstab
(= 200Miglien) = 28 mm. Entfernungen*): 126, 80 mm. — 5. (10 v. 11 r.).
Pyrenäenhalbinsel und Nordwestafrika ; ca. 1 : 872 Mill. Meilenmaßstab wie auf
voriger Karte. Entfernungen: 126,123 mm. — 6. (11 v. 12 r.) — 9. (14 v. 15 r.).
Westliches , mittleres , östliches Mittelmeer , Schwarzes Meer ; ca. 1 : 6 155 000.
Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 38,5 mm. Entfernungen: 163, 151, 130, 46,
185, 203mm. — 10. (15 v. 16 r.). Weltkarte; ca. 1 : 148 Mill. Längen und
Breiten sind von 15:15" ausgezogen; 15" = ca. 11,25mm. — 11. (16 v. 17 r.).
Atlantischer Ozean; ca. 1:10572 Mill. Südamerika, Zentralamerika, östliches
Nordamerika, Europa, Westasien bis zur Hälfte des Kaspischen Meeres, Afrika.
Das Land ist grün übermalt. Ohne Namen. Im kreisförmigen Gradnetz (Durch-
messer 193 mm) sind die Breiten als gerade Linien, die Längen als Kreisbögen
von 10: 10" ausgezogen. — 17 v. 18. 19 leer.
Cassel, Ständische Landesbibl. Ms. Hist. 4", nr. 6.
5. ßaptista Agnese, 1543. (nr. 17 bei Kretschmer).
Goldgepreßter Lederband. 17 Blatt zu 131 x 198 mm. Auf
der 9. Karte steht : baptista agnese fecit uenetijs || 1543 die 18. fe-
bruarij.
Inhalt: 1. Bl. r. Widmung aus späterer Zeit, 24. Juny 1656. — 1. Bl. v.
leer. — 2 r. leer. — 2 v. Deklinationstabellen. — 3 r. Sphären. — 3 v. 4 r. Tier-
kreis. — Karten: 1. (4 v. 5 r.). Großer Ozean; ca. 1:89 Mill. An der West-
küste von Amerika ist die Halbinsel Kalifornien als letztes angegeben; die nörd-
lichsten Namen sind p*' tabursa, y. blanca ; in Kalifornien p. scödido und pt» en-
guno. Auf der Mittellinie die Breiten von 10 : 10", von 60" S — 60" N angegeben,
10" = 12,5 mm. Ebenso auf dem Äquator die Längen von 10 : 10". Die Zählung
beginnt am Ostrand mit 40, steigt westwärts bis 90, beginnt wieder mit 10 und
steij^t nochmals bis 90. Kompaßrosen. Meilenmaßstab, eingeteilt wie nr. 3, 1 =
17,5 mm. — 2. (5 v. 6 r.). Atlantischer Ozean ; ca. 1 : 89 Mill. Die Längen auf
dem Äquator von 10 : 10" angegeben, vom Nullmeridian in der Mitte nach O und
W bis 90" gezählt. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. — 3. (6 v. 7 r.).
Indischer Ozean; ca. 1:89 Mill. Längen von 10:10" auf dem Äquator ange-
geben, von W-0 30"— 90", 10"— 70". 10" = 12,5 mm. Meilenmaßstab wie Karte 1.
— 4. (7 V. 8 r.) Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1 : 11 72 Mill. Bis zur nord-
westlichen Hälfte des Mittelraeers. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 20,5 mm.
Entfernungen: 97,61 mm. — 5. (8 v. 9 r.). Pyrenäenhalbinsel und Nordwest-
afrika; ca. 1:11V, Mill. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. Entfernungen:
*) Hier und weiterhin sind die bei nr. 3 angegebenen Strecken gemeint.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 13
99,93 mm. — 6. (9 v. 10 r.) — 9. (12 t. 13 r.). Westliches, mittleres, östliches
Mittelmeer, Schwarzes Meer; ca. 1:9400 000. Meilenmaßstab (= 200 Miglien)
= 28mm. — 10. (13 v. 14 r.). Ägäisches Meer; ca. 1:6300000. Ohne Grad-
angaben. Kompaßrosen. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 19 mm. Darda-
nellen— Bosporus (270 km) = 38 mm; Konstantinopel — Spartirento (1150 km) =
187 mm ; NordkOste von Candia (260 km) = 38 mm ; Saloniki — Landemiti (355 km)
= 73 nun; C. Baba— C. Crio (Südwestkleinasien) (320 km) = 51 mm. — 11. (14 v.
15 r.). Weltkarte; ca. 1:208 Mill. Stimmt mit nr. 3, 10; nur ist Kalifornien
angegeben, und an den Längen- und Breitenkreisen stehen keine Zahlen. 15° =
8mm. — 12. (15 v. 16 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1:128 Mill. Die Erdteile
Amerika, Afirika, Europa, Westasien, grün übermalt, mit stärkerem Rand, aber
ohne scharfe Küstenlinien. Keine Innenzeichnung und keine Namen. Kreis-
formiges Gradnetz, 12 Meridiane und 12 Breitenkreise von 15:15''; 15" = 13 mm.
— 16 V. 17 leer.
Gotha, Herzogl. Bibl. cod. mem. II 146.
Litt.: Wieser, Sitz.-Ber. Akad. Wien, phil.-hist. Cl. 1876,
82. Band, 543. — Uzielli II 132 nr. 177, wo fälschlich am Anfang
1546 als Entstehungsjahr angegeben ist, während S. 134 richtig
1543 steht. Den Fehler hat Kretschmer übernommen. — S. Rage,
Peterm. Mitt., Erg.-Heft 106, 65.
6. Baptlsta Agiiese, 1544, (nr. 15 bei Kretschmer).
Goldgepreßter Lederband, geschlossen 175 x 255 mm, 15 Blatt
zu 172 X 240 mm. Auf der 9. Karte steht: baptista Januesis
fecit II uenetijs 1544 die 5. februarij.
Inhalt: 1. Bl. leer. — 2 r. leeres Wappenschild. — 2 v. Deklinations-
tabellen. — 3 r. Himmelsglobus, Tierkreis mit blauen Zeichen auf goldenem Grund.
In der Mitte Erdkugel mit grüner Erde. — 3 v. 4 r. Tierkreis, Erde in der
Mitte. — Karten: 1. (Av. 5 r.). Großer Ozean; ca. 1:71600000. Die Halbinsel
Kalifornien ist bis pu enguno angegeben. Längen von W — O: 20, 10, 90—10,
90-40; Breiten von ÖO^N— ÖO^S. Die Strecken für 10 : 10" sind nicht ganz gleich-
mäßig, im Durchschnitt = 15,5 mm. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) = 21,5 mm.
— 2. (5 V. 6 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Längen ron der Mitte
nach O und W 10—90. Breiten und Maße wie auf der vorigen Karte. — 3. (6 v.
7 r.). Indischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Längen auf dem Äquator angegeben,
400-900, 100—800; Breiten von 60« S — ÖO^N. Maße wie auf der vorigen Karte.
— 4. (7 V. 8 r.). Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1: IIV3 Mill. 100 Miglien =
1 1 mm. Entfernungen : 95,58 mm. — 5. (8 v. 9 r.). Pyrenäenhalbinsel und Nord-
westafrika ; ca. 1 : 8\'2 Mill. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 14 mm. Ent-
fernungen- 127, 119. — 6. (9 V. 10 r.) — 9. (12 v. 13 r.) = nr. 3, 6—9. — 10.
(13 V. 14 r.). Weltkarte; ca. 1: 151 Mill. Stimmt ebenfalls mit nr. 3, 10 überein,
nur ist Kalifornien angegeben und die Längen sind nicht gezählt. — 14 v. 15 leer.
Dresden, Kgl. Bibl. Msc. F. 140 a.
Litt.: Wieser, Sitz.-Ber. Akad. Wien, phil.-hist. CL, 1876,
82. Band, 543. — Uzielli U 131, nr. 175. — S. Rüge, Peterm.
Mitt., Erg.-Heft 106, 67.
14 W. Rüge,
7. (Baptista Agiiese), vor 1540 (nr. 28 bei Kretschmer).
Goldgepreßter Lederband, geschlossen 165 x 237 mm, 15 Blatt
zu 161 X 224 mm.
Inhalt: 1. Bl. leer. — 2 v. Tabelle. — 3 v. 4 r. Tierkreis. — Karten:
1. (4 V. 5 r.). Großer Ozean; ca. 1 : 71600000. An der Westküste Zentral-
araerikas ist ria serrado der letzte Name. Auf dem Äquator von W — O die
Längen von 10 : 10» angegeben, von 90—10, 90—70 ; 10» = 15,5 mm. Auf den
Mittellinien die Breiten von 60°S— 60"N. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) = 21,5 mm.
— 2. (5 V. 6 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Auf dem Äquator von
der Mittellinie nach O und W 10,20—90, lO« = 15,5 mm; auf der Mittellinie die
Breiten von 5:5° angegeben. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. —
3. (6 V. 7 r.). Indischer Ozean; ca. 1:71600000. Auf dem Äquator die Längen
von W — O angegeben 30, 40 ... 90, 10 . . . 80. Die Breiten ebenfalls von
10: 10°, von 60°S— eO^N. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. — 4. (7 v.
8 r,). Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1 : IOV4 Mill. Meilenmaßstab (= 100
Miglien) = 12,5 mm. Entfernungen: 97,61mm. — 5. (8 v. 9 r.). Pyrenäenhalb-
insel und Nordwestafrika ; ca. 1 : IOV4 Mill. Meilenmaßstab wie auf der vorigen
Karte. Entfernungen: 97,93 mm. — 6. (9 v. 10 r.) — 9. (12 v. 13 r.) = nr. 3,
6 — 9, auch die Maße und Entfernungen stimmen fast überall ganz genau. —
10. (13 V. 14 r.). Weltkarte; ca. 1 : 151 Mill. Stimmt ebenfalls mit nr. 3, 10. —
14 V. 15 leer.
München, Hof- und Staatsbibl. Cod. icon. 136.
Litt.: Schmeller, Abh. d. I. Gl. Akad. München 1843, IV,
Abt. 1, 1847, 255. — Kunstmann, Entdeckung Amerikas 1859,
145. — TJzielli 11 128, nr. 169 (ungenau).
8. (Baptista Agnese), vor 1540 (nr. 54 bei Kretschmer).
Gepreßter Lederband, geschlossen 165 x 238 mm, 15 Blatt.
Inhalt: 1. Blatt, 2 r. leer. — 2 v. Deklinationstabellen. — 3 r. leer. — 3 v.
4 r. Tierkreis. — Karten: 1. (4 v. 5 r.). Großer Ozean; ca. 1 : 717-2 Mill. Stimmt
überein mit nr. 3, 1. Auf dem Äquator von W — O die Längen 10, 90, 80 . . .
10, 90 . . . 50, die Breiten in der Mitte von 60" S— 60» N angegeben; 10» =
15,5 mm. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) = 20,5 mm, — 2. (5 v. 6 r.). Atlanti-
scher Ozean; ca. 1 : 71 V2 Mill. Breiten von (60") 50» S — 55°, 40" (verschrieben
für 60") N, von 5:5**; die Längen von 10 : 10° eingeteilt, aber nicht numeriert ; 10"
= 20,5 mm. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. — 3. (G v. 7 r.). Indi-
scher Ozean; ca. 1 : 71*/ 2 Mill. Ohne Längen- und Breitengrade. Meilenmaßstab
(= 1000 Miglien) = 21,5 mm. — 4. (7 v. 8 r.). Nordwest- und Mitteleuropa ; ca.
1 : 11,1 Mill. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 21,5 mm. Entfernungen : 96,60 nun.
— 5. (8 V. 9 r.). Pyrenäenhalbinsel und Nordwestafrika ; ca. 1:11,1 Mill. Meilen-
maßötab wie auf der vorigen Karte. Entfernungen: 95,93mm. — 6. (9 v. 10 r.)
— 9. (12 V. 13 r.) = nr. 3, 6 — 9, auch die Maße und Entfernungen stimmen fast
überall ganz genau überein. — 10. (13 v. 14 r.). Weltkarte; ca. 1 : 151 Mill. =
nr. 3, 10. Längen und Breiten von 15 : 15°, aber beide unnumeriert. — 14 v.
15 leer.
Berlin, Kgl. Bibl. Msc. Hamilton 528.
9. (Baptista Agnese), nach 1540 (nr. 31 bei Kretschmer).
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 15
Goldgepreßter, brauner Lederband, geschlossen 180 X 265 mm,
14 Blatt.
Inhalt: 1. Bl. leer. — 2 r. Sphäre mit Planetensystem. — 2 v. 3 r. Tier-
kreis. — Karten: 1. (3 v. 4 r.). Großer Ozean; ca. 1 : 71»/» Mill. In Kalifornien
punta enguno als letzter Name. Die Längen auf dem Äquator von W— O von
10: 10« {= 15,5 mm) von 10, 90 ... 10, 90 .. . 30, die Breiten von 60« S —
60" N angegeben. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) = 21,5 mm. — 2. (4 v. 5 r.).
Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71 Vi MiU- Die Längen von der. Mittellinie 10—90
nach O und W; 10« = 15,5 mm. Breiten und Meilenmaßstab wie auf Karte 1. —
3. (5 V. 6 r.). Indischer Ozean; ca. 1 : 71*/, Mill. Breiten von 50^ S — 60« N,
Längen 30«— 90«, 10«— 70«. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. — 4. (6 v.
7 r.). Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1 : 12,4 Mill. Meilenmaßstab (= 100
Miglien) = 10,5 mm. C. Finisterre— Brest (720 km) = 55 mm. Im Innern blaue
Flüsse, grüne Wälder, graugrüne Hügelketten, Binnenstädte mit Vignetten. —
5. (7 V. 8 r.). Pvrenäenhalbinsel und Nordwestafrika; ca. 1 : 8Vs MiU- Meilen-
maßstab (= 100 Miglien) = 14 mm. Gibraltar— C. Creus (1000 km) = 122 mm.
Innenzeichnung wie bei der vorigen Karte. — 6. (8 v. 9 r.) — 9. (11 v. 12 r.)
= nr. 3, 6 — 9, auch Maße und Entfernungen stimmen fast ganz genau ; auf Karte 9
fehlt der Meilenmaßstab. — 10. (12 v. 13 r.). Weltkarte; ca. 1 : 144^4 Mill.
150 = 11,5 mm. Längen und Breiten ohne Bezeichnung. — 13 v. f. Auseinander-
setzungen über die Größe eines Grades, des Erdumfangs, Entfernung des Monde«
u. s. w.
Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 4. 1. Ang.
Litt.: UzieUi II 155, nr. 231.
10. (Baptista igucse), nach 1540 (nr. 53 bei Kretschmer).
Goldgepreßter Lederband, geschlossen 295 x 450 mm, 20 Blatt
zu 298 X 488 mm.
Inhalt: l.Bl. leer. — 2 r. Sphäre. — 2 v. 3 r. Sphären. — Karten: 1. (3 v.
4 r.). Großer Ozean; ca. 1:39 600000. An der Küste von Kalifornien der letzte
Name punta enguno. Auf dem Äquator die Längen angegeben: 55, 60 ... 90,
90 ... 5, 90 ... 50; 5« = 13,5—14,5 mm. Die Breiten ebenfalls von 5 : 5»,
von 60« S— 60« N; 5« = 14 mm. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) = 40,5 mm.
— 2. (4 V. 5 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1:39 600000. Auf dem Äquator die
Längen 90, 85 ... 5, 5 ... 90 ; die Breiten von 60« S— 60« N, 10« = 28.5 mm.
Meilenmaßstab wie auf Karte 1. — 3. (5 v. 6 r.). Indischer Ozean ; ca. 1 : 39600000.
Breiten von 55« S — 55« N ; auf dem Äquator die Längen angegeben, aber nicht
numeriert. Meilenmaßsta^ wie auf Karte 1. — 4. (6 v. 7 r.). Nordwest- und
Mitteleiu-opa ; ca. 1 : 7840000. Reicht im O weiter als gewöhnlich, bis zum west-
lichen Teil des Schwarzen Meeres. Die Zeichnung der Mittelmeerküsten ist oifen-
bar nicht im richtigen Verhältnis angesetzt, daher stehen die Innen- und Außen-
küBte der Pyrenäenhalbinsel falsch zu einander, und Italien ist viel zu schmal ge-
worden.' Meilenmaßstab (= 150 Miglien) = 23,5 mm. Finisterre — Brest (720 mm)
= 92 mm. — 5. (7 v. 8 r.) PjTenäenhalbinsel und Nordwestafrika ; ca. 1:4740000.
Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 50,5 mm. Entfernungen: 219,212mm —
6. (8 V. 9 r.). Westliches Mittelmeer; ca. 1:4800000. Meilenmaßstab (= 200
Miglien) = 50 mm. Gibraltar— C. Creus (lOOO km) = 209 mm; Bayonne — C.
Cr. (410 km) = 95 mm. — 7. (9 v. 10 r.). Östliches Mittelmeer; ca. 1 : 4800000.
16 W. Rüge,
Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. Nordküste von Sizilien (270 km) =
60 mm; Spartivento — Issischer Meerbusen (2160 km) = 385 mm; Sp. — Konstan-
tinopel (1150 km) = 250 mm; Dardanellen — Bosporus (270 km) = 53 mm; C. S.
Maria— C. Crio (320 km) = 69 mm. — 8. (10 v. 11 r.). Schwarzes Meer; ca.
1:3366500. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 31,5 mm. Entfernung: 338mm.
— 9. (11 V. 12 r.). Ägäisches Meer; ca. 1:1680000. Meilenmaßstab (= 100
Miglien) = 72 mm. Greta O — W (260 km) = 167 mm; Dardanellen — Bosporus
(270 km) = 150 mm; C. Baba— C. Crio (320 km) = 203 mm. — 10. (12 v. 13 r.).
Pyrenäenhalbinsel; ca. 1:3 Mill. Länderkarte, nicht Portulankarte. Ausführliche
Innenzeichnung mit Flüssen, Bergen, Orten. Grünlichgelber Ton über dem Ganzen.
Kompaßrosen. Ohne Meilenmaßstab. C. Finisterre — C. Creus (1025 km) = 340 mm ;
Gibraltar— C. Cr. (1000 km) = 322 mm; Bayonne— C. Cr. (410 km) = 145 mm.—
11. (13 V. 14 r.). Italien; ca. 1:3 Mill. Ebenfalls Länderkarte mit viel Innen-
zeichnung. Das Land mit grünlichgelbem Ton überzogen, blaugrüne Gebirge.
Kompaßrosen. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 39 mm. Genua — Spartivento
(955 km) = 310 mm; Nordküste von Sizilien (270km) = 94 mm; Venedig—
Otranto (755 km) = 260mm. — 12. (14 v. 15 r.). Osteuropa und Westasien;
ca. 1:11 Mill. Länderkarte. Im O bis SCITHIA, im W bis belgrado. Kompaß-
rosen. Meilenmaßstab, 10 Teile ohne Beischrift = 42 mm; die Bedeutung der
Teile ist unklar. Sinope— Str. von Kertsch (400 km) = 36 mm ; Moskau— Str. v.
K. (1140 km) = 107 mm; Bosporus— Phasis (1050 km) = 94 mm. — 13. (15 v.
16 r.). Nordeuropa; ca. 1:157* Mill. Länderkarte. Am Nordrand ragt herein
GRVTLANDIE PARS. Groß und breit ISLANDIA, viel zu nahe an Eiiropa.
Die skandinavische Halbinsel hat eine Gestalt, die z. B. an Ptolemaeus 1548 er-
innert. Am Nordende Skandinaviens eine Zeichnung mit der Unterschrift: rubeuxn
pannum asta leuatum adorant. Dieselbe Zeichnung und Inschrift IV. Ber. nr. 45.
Im SW ein Teil von Großbritannien. Im S die holländische und deutsche Küste.
In Polen steht SIGISMVNDVS . Bf . POLONIE MAGNVS . DVX . LITVANIE.
Daneben von fremder Hand : parvint au Trone en 1587, mourut en 1645. Welcher
von den drei Sigismunden gemeint ist , läßt sich nicht bestimmt sagen ; sicher
ist es nicht der durch die Beischrift bezeichnete S. III (1587 — 1632) ; denn der
späteste datierte Atlas Agneses stammt von 1564, seine älteste bekannte Arbeit
von 1514. Wenn die oben (S. 10) ausgesprochene Ansicht richtig ist, daß die
reichhaltigeren Atlanten in die spätere Periode zu setzen sind, so käme Sigis-
mund II. (1548 — 1572) in Frage. Am linken Rand Breiten angegeben, von 50 —
900 N^ 100 _ 70—71 mm. Der Nordrand von Skandinavien liegt unter 90».
Meilenmaßstab fehlt. Bergen— Lübeck (790 km) = 80 mm ; Rostock— L. (95 km)
= 18 mm; Danzig— Bomholm (40 km) = 38 mm. — 14. (16 v. 17 r.). Palästina;
ca. 1:570 000. Länderkarte. Nach O orientiert. Land gelblichgrün, blaue Flüsse
luid Seen. Jordan sehr breit. Kompaßrosen. Ohne Gradangaben. Meilenmaß-
stab: mia 5 da punto a punto ; danach 10 Miglien =21,5 mm. Jaffa— Jerusalem
(55 km) = 75 mm; Sidon— Damaskus (48 km) = 142 mm; Jerusalem— D. (116 km)
= 340 mm. — 15. (17 v. 18 r.). Weltkarte ; ca. 1 : 90 Mill. Von der gewöhn-
lichen Zeichnung (z. B. nr. 3, 10) einige wichtigere Abweichungen, z. B. Südost-
asien zeigt keinen ptolemäischen Einfluß. Längen \uid Breiten sind zwar einge-
teilt, aber nicht numeriert; 15° = 18,5mm. — 16. (18 v. 19 r.). Piemont; ca.
1 : 600000. Länderkarte. Im N bis NOVARA, im W im allgemeinen die Alpen,
darüber hinaus der Oberlauf von Saone und Rhone, im O bis piasenza. Ohne
Gradangaben und Meilenmaßstab. Alessandria— Turin (78 km) = 156 mm ; Monaco
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 17
— T. (150 km) = 199 mm; M.— Alessandria (160 km) = 286 mm. — 19 v. 20 r.
Angaben über die Größe der Erde u. s. w. — 20 v. leer.
Berlin, Kgl. Bibl. Msc. Hamilton 529.
11. (Baptista Agnese), nach 1640.
Goldgepreßter Ledereinband , geschlossen 171 x 247 mm , 18
Blatt zu 170 X 236 mm.
Inhalt: Bl. 1. 2. 3 r. leer. — 3 t. 4 r. unausgefQlltes Wappenschild. — 4 v.
Tabellen. — 5 r. Sphäre. — 5 t. 6 r. Tierkreis. — Karten: 1. (6 v. 7 r.). Großer
Ozean; ca. 1:71600000, Halbinsel Kalifornien angegeben. Auf dem Äquator
die Längen von W— O 10, 90, 80 ... 10,90 ... 40; 10" = 15,5 mm. Die Breiten,
ebenfalls von 10 : 10«, von 60o S— 6O0 N. Meilenmaßstab (= 1000 Miglien) =15 mm.
— 2. (7 V. 8r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Längen auf dem Äquator
von der Mitte nach O und W von 10—90; Breiten und Meilenmaßstab wie auf
der vorigen Karte. — 3. (8 v. 9 r.). Indischer Ozean; ca. 1:71600000. Längen
und Breiten auch hier von 10 : 10« angegeben, Meilenmaßstab wie auf der vorigen
Karte. — 4. (9 v. 10 r.). Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1:8860000. Meilen-
maßstab (= 200 Miglien) = 28 mm, C. Finisterre— Brest (720 km) = 79 mm. —
5, (10 V. 11 r.). PjTenäenhalbinsel und Nordwestafrika; ca. 1:8860000. Meilen-
maßstab wie auf der vorigen Karte. Gibraltar— C. Creus (1000 km) = 115 mm. —
6. (11 V, 12 r.) — 9, (14 v, 15 r.). Die üblichen drei Mittelmeerkarten und das
Schwarze Meer; ca. 1 : 6317000. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 39 mm.
Gibraltar— C. Creus (1000 km) = 156 mm; Genua— Spartivento (955 km) = 156 mm;
Spartivento— Meerbusen von Issos (2160 km) = 290 mm; Bosporus— Phasis (1050 km)
= 197 mm. — 10. (15 v. 16 r.). Weltkarte; ca, 1 : 148 Mill. Gewöhnliche Dar-
stellung. Längen und Breiten eingeteilt, aber nicht numeriert. 15*= 11,25mm.
— 11. (16 v. 17 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1: 102 Mill. Halbmesser des kreis-
runden Gradnetzes = 98 mm. — 17 v. 18 leer.
Wolfegg (Württemberg) , Fürstl. Kupferstich - Kabinett X.
nr. 21.
13. (Baptista Agnese), zwischen 1540 und 1563.
Goidgepreßter Lederband, 178 x 250 mm, 15 Blatt.
Inhalt: 1 Bl. r. leer. — 1 v.: REVERENDISSIMVS lü CHRISTO PATER
DNS il HIERONIMVS RVFFAVLT 1| ABBAS SACTI VEDASTI 1| ET SANCTI
ADRIANI. Dazu gehört die Bemerkung auf der Innenseite des Rückendeckels,
von späterer Hand: Abt Hieron. Ruffault zu S. Vaaast in Arras 1537 — 1563 an
der Spitze jenes niederländischen Benediktinerklosters. — 2 r. Wappen. — 2 v.
Tabellen. — 3 r. Sphären. — 3 v. 4 r. Tierkreis. — Karten : 1. (4 v. 5 r.). Großer
Ozean; ca. 1:71600000, In Kalifornien die letzten Namen p*. tabursa, y. blanca.
Breiten von 60° N — 60° S, 10" = 15,5 mm. Auf dem Äquator die Meridiane
ebenfalls von 10 : 10°. Meilenmaßstab : mia 100 da püto a pöto, 10 solcher Teile
= 22 mm. — 2. (5 v, 6 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 71600000. Längen und
Breiten von 10:10° angegeben. Meilenmaßstab wie auf Kart« 1, — 3. (6 v. 7 r.).
Indischer Ozean; ca, 1 : 71600000, Meilenmaßstab wie auf Karte 1, Breiten von
50° S — 60° N. — 4. (7 V, 8 r,). Nordwest- und Mitteleuropa; ca, 1:11 Mill.
Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 22 mm. C. Finisterre— C. Creus (1025 km) =
95 mm. — 5. (8 v. 9 r). PjTenäenhalbinsel und Nordwestafirika ; ca. 1:8170000.
Kgl Oes. d. Wiss. Nachriditen. Phfl.-hist Klasse. 1916. Beiheft, 2
18 W. Rüge,
Entfernungen : 128, 120 mm ; der Meilenmaßstab ist wie auf der vorigen Karte,
obgleich die Zeichnung in bedeutend größerem Maßstab abgefaßt ist. — 6. (9 v.
10 r.) — 8. (11 V. 12 r,). Das westliche, mittlere und östliche Mittelmeer;
ca. 1 : 6Vs Mill. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 19 mm. Gibraltar— C. Creus
(1000 km) = 162 mm ; Genua — Spartivento (955 km) = 154 mm ; Issischer Meer-
busen—Sp. (2160 km) = 290 mm. — 9. (12 v. 13 r.), Schwarzes Meer; ca.
1 : 5 Mill. Ohne Meilenmaßstab. Bosporus — Phasis (1050 km) = 204 mm. — 10.
(13 V. 14 r.). "Weltkarte in der üblichen Art; ca. 1 : 150 Mill. — 14 v. 15 leer.
Wernigerode, Fürstl. Stollberg- "Wernigerodische Bibl. Zi, 14.
13. (Baptista Agnese), nach 1540.
Lederband mit einfachen Goldstreifen am Rand, geschlossen
132 X 198 mm.
Inhalt: 1. Bl. r. leer, — 1 v. : Reuerendissimo Illustrissimo & Serenissimo jj
Principi ac Domino Domino Adolpho Ad: || ministratori sanctae Coloniensis Eccle-
siae II Sacri Romani Imperij per Italiam Archi: | cancellario. Principi Electori
Westphaliae et || Angariae Ducj &c Dno meo gratissimo. Dazu mit Bleistift hinzu-
gefügt: Adolf von Schaumburg, Administrator*) 1535 — 1546. — 2 r. Wappen. —
2 V. 3 r. leer. — 3 v. Tabellen. — 4 r, Sphäre. — 4 v. 5 r. leer. — 5 v. 6 r.
Tierkreis. — 6 v. 7 r. leer. — Karten: 1. (7 v. 8 r.). Großer Ozean ; ca. 1 : 88800000.
In Kalifornien der letzte Name: p. engono. Längen von 10: lO**; von W — O 90,
80 ... 10, 90 ... 40; 10 »= 12— 13 mm; Breiten von 60" S— 60° N. Meilen-
maßstab: mia 100 da punto a püto, danach 1000 Miglien = 17 mm. — 2. (8 v.
9 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1:88800000. Längen von der Mitte nach O und
W 10 — 90 ; 10° ^ 12,5 mm. Breiten und Meilenmaßstab wie auf voriger Karte.
— 3. (9 V. 10 r.). Indischer Ozean; ca. 1:88800000. Längen von O— W [10,
20, 30] 40 ... 90, 10 . . . 70; Breiten, Maße und Meilenmaßstab, wie auf der
vorigen Karte. — 4. (10 v. 11 r.). Nordwest- und Mitteleuropa; ca. 1:11 Mill.
Bayonne — C. Creus (410 km) = 38 mm. Meilenmaßstab (250 Miglien) = 27,5 mm.
— 5. (11 V. 12 r.). Pyrenäenhalbinsel und Nordwestafrika; ca. 1 : 11 Mill. Bay-
onne— C. Creus (410 km) = 39 mm. Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte.
-- 6. (12 V. 13 r.) — 9. (15 v. 16 r.). Westliches, mittleres, östliches Mittel-
meer, Schwarzes Meer ; ca. 1 : 9 Mill. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 27,5 mm.
Dardanellen — Bosporus (270 km) = 30 mm. — 10. (16 v. 17 r.). Ägäisches Meer ;
ca. 1 : 6'/4 Mill. Meilenmaßstab (= 100 Miglien) = 18,5 mm. Dardanellen-
Bosporus (270 km) = 37 mm ; Konstantinopel — Spartivento (1150 km) = 190 mm;
Kreta W—O (260 km) = 37,5 mm; Saloniki— Landermiti (355 km) = 72 mm; C. Baba
— C. Crio (320km) = 52 mm. — 11. (17 v. 18 r.). Weltkarte; ca. 1:208 Mill.
Normal. — 12. (18 v. 19 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1 : 130 Mill. Im Osten luid
Westen die begrenzenden Erdteile. Grade von 10:100 eingeteilt; 10° = 85 mm.
HarflP a./Erft. Schloßbibl. Handschr. 61.
14. (Baptista Agnese), nach 1540.
G-oldgepreßter Lederband, geschlossen 275 X 385 mm, 24 Blatt,
276 X 370 mm.
Inhalt: 1. Bl. leer. — 2. r. Wappenschild, auf dem von späterer Hand ein-
geschrieben ist: Ex Haereditate Herwartiana. — 2 v. Tabellen. — 3 r. Sphäre. —
*) vielmehr Koadjutor (Zedier, Universallexikon I 543).
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 19
3 V. 4 r. Planetensphäre. — Karten: 1. (4 v. 5 r.). Großer Ozean; ca. 1:4774
Mill. Letzter Name in Kalifornien ist punta enguno. — Längen auf dem Äquator
von W— O 40, 50 ... 90, 90 ... 10, 90 ... 50; Breiten eO^S— 600N; 10« =
2.3,5 mm. Meilenmaßstab : mia 100 da punto a pöto ; danach 1000 Miglien =
33,5 mm. — 2. (5 v. 6 r.). Atlantischer Ozean ; ca. 1 : 477« Mill. Längen von
W— O 10, 90, 80 ... 10, 10 ... 90; Breiten und Meüenmaßsteb wie auf der
vorigen Karte. — 3. (6 v. 7 r.). Indischer Ozean ; ca, 1 : 397t ^^- Längen von
W — O 35, 40, 45 ... 90, 5, 10 ... 90 ; Breiten ebenfalls von 5 : 5», 50<» S —
50<* N; 5° = 14 mm. Meilenmaßstab : mia 100 da ponto a ponto, danach 1000
Miglien = 40,5 mm. — 4. (7 v. 8 r.). Nordwest- und Mitteleuropa ; ca. 1 : 87«
Mill. Meilenmaßstab (= 300 Miglien) = 41,5 mm. Entfernungen: 130,86 mm. —
5. (8 V. 9 r.). PjTenäenhalbinsel und Nordwestafrika ; ca. 1:67* Mill. Meilen-
maßstab (=300 Miglien) = 57 mm ; Entfernungen: 168,165 mm.— 6. (9 v. 10 r.).
Westliches Mittelmeer; ca. 1 : 6270000. Meilenmaßstab (= 300 Miglien) = 57 mm.
Gibraltar— C. Creus (1000 km) = 158 mm; Bayonne— C. Cr. (410 km) = 69 mm;
Genua — Spartivento (955 km) = 154 mm; Venedig — Otranto (780 km) = 130 mm;
Nordküste von Sizilien (270 km) = 46 mm. -- 7. (10 v. 11 r.). Östliches Mittel-
meer; ca. 1:4970000. Meilenmaßstab (= 150 Miglien) = 38 mm. Spartivento
— Iss. Meerbusen (2160 km) = 382 mm; C. Baba— C. Crio (320 km) = 70 mm;
Alexandrette — El Areisch (640 km) = 123 mm. — 8. (11 v. 12 r.). Schwarzes
Meer; ca. 1:37, Mill. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 63 mm. Entfernung:
330mm. — 9. (12 v. 13 r.). Italien; ca. 1 : 4 Mill. Meilenmaßstab (= 100 Miglien)
= 30 mm. Genua — Spartivento (955 km) =: 245 mm ; Venedig — Otranto (780 km)
= 205 mm; Nordküste von Sizilien (270 km) = 71 mm. — 10. (13 v. 14 r.).
Agäisches Meer ; ca. 1 : 2^/3 Mill. Meilenmaßstab (^: 100 Miglien) = 50 mm.
Dardanellen — Bosporus (270 km) = 105 mm; Konstantinopel — Athen (565 km) =
243mm; Greta W — O (260km) = 115mm; Saloniki — Landermiti (355km) =
188 mm; C. Baba— C. Crio (320 km) = 140 mm. — 11. (14 v. 15 r.). Palästina;
ca. 1:570000. Länderkarte. Grüngelbliches Land, blaue Flüsse; Ortsvignetten;
besonders ausgezeichnet Jerusalem. Meilenmaßstab : mia 5 da ponto a ponto,
danach 25 Miglien = 54 mm. Entfernungen (s. nr. 10, 14): 60, 119, 285 mm. —
12. (15 V. 16 r.). Osteuropa und Westasien ; ca. 1 : 13^4 Mill. Länderkarte.
(Überschrift: MOSCHOVIAE • TABVLA). Im S. bis Südspitze des Peloponnes,
im O bis SCYTHIA • INTRA • IMAVM • MONTEM, im N Küste des Nordmeers ;
im W bis buda. Grünlichgelbes Land, kleine Flüsse, Städtevignetten. Breiten-
skala links, 440—72'' N, l» = 8,5 mm, 10° = 84 mm. Kompaßrosen. Ohne Meüen-
maßstab. Entfernungen (vgl. nr. 10, 12): 32, 108, 87 mm. — 13. (16 v. 17 r.).
Weltkarte; ca. 1 : 9272 Mill. Die normale Form. Längen von 15: 15° = 18mm,
aber nicht durchgehends gezählt. — 14. (17 v. 18 r.). Pvrenäenhalbinsel ; ca.
1 : 3850000. Stimmt mit nr. 10, 10, nur ist ein MeUenmaßstab (= 100 Miglien)
= 31mm vorhanden. Entfernungen: 274, 260, 113 mm. — 15. (18 v. 19 r.).
Nordeuropa ; ca. 1 : 137« ^üU- Länderkarte. Gelblichgrünes Land. Island sehr
groß. Viel Ortschaften, Bilder von Königen. Im blaugewellten Meer Ungeheuer.
Links Breitenskala (54°) 55"— 90"; 1" = 8 mm; lO» = 81,5 mm. 90° ist unge-
fähr der Nordrand der Karte. Lübeck — Rostock (95 km) = 20 mm; Danzig —
Bomholm (40 km) = 40 mm. — 16. (19 v. 20 r.). Italien; ca. 1 : 4 Mill. Länder-
karte. Grünlichgelbes Land mit viel Innenzeichnung. Im W bis rodanus f., im
O bis über Saloniki, im S bis zur Südspitze von Sizilien ; im N bis zu den Alpen.
Kompaßrosen. Meilenmaßstab und Entfernungen stimmen fast völlig mit Karte 9.
2*
20 W. Rüge,
— 17. (20v. 21r.). Cypern; ca. 1:525000. Länderkarte. Kompaßrosen. Meilen-
maßstab : 5, 10 . . , 25 = 57 mm. C. Amauti — C. Andreas (225 km) = 445 mm ;
C. Kormakiti— C. Gata (97 km) = 187 mm. — 18. (21 v. 22 r.). Greta; ca.
1 : 566 000. Länderkarte. Kompaßrosen. Meilenmaßstab 10, 20 = 46 mm. Länge
der Insel W— O (260 km) = 435 mm. — 22 v. 23 r. Angaben über die Größe
der Erde u. s. w. ; vgl. oben nr. 10, 13 v. f. Die Angabe, daß 1° = 5673 miliaria
ist, stimmt durchaus nicht zu den aus den Meilenmaßstäben zu entnehmenden
Mlglien. — 19. (23 v. 24 r.). Sizilien; ca. 1:745000. Länderkarte. Kompaß-
rosen. Meilenmaßstab 10, 20 ... 50 = 82,5 mm. Marsala — Messina (270 km)
= 400 mm.
München, Universitätsbibl. Cod. Msc. 337* fol.
Litt: Kunstmann, Entdeckung Amerikas 1859, 146 f. — S. Rage,
Peterm. Mitt., Erg.-Heft 106, 65 (niclit 13, sondern 18 Karten!). —
Oberhummer, Die Insel Cypern 1903, I 408.
Publ. : 1. u. 2. Karte bei Kunstmann, Atlas, Taf. VI, VII (aber
die östlichen Teile nicht genau).
15. (Baptista Agiiesc), nach 1540.
Sammetband (späteren Ursprungs), geschlossen 177 x 254 mm,
15 Blatt zu 177 x 248 mm.
Inhalt: 1. Blatt leer. — 2 r. Sphäre. — 2 v. 3 r. Tierkreis. — Karten:
1. (3 V. 4 r.). Großer Ozean; ca. 1:71600000. Letzter Name in Kalifornien:
punta enguno. Längen auf dem Äquator von W— O: 50, 60 . . . 90, 90 . . . 10,
90 . . . 50. 10'' = 15,5 mm (aber sehr ungleichmäßig abgeteilt). Breitenangaben
fehlen, sind offenbar vergessen, Meilenmaßstab: mia 100 da pöto a pöto, danach
1000 Miglien = 21,5 mm. — 2. (4 v. 5 r.). Atlantischer Ozean; ca. 1:71600000.
Längen von der Mitte nach O und W 10, 20 . . . 90, Breiten von 60» S— 60» N ;
10' schwanken zwischen 12,5 und 18,5 mm. Meilenmaßstab wie auf der vorigen
Karte. — 3. (5 v. 6 r.). Indischer Ozean; ca. 1:71600000. Längen von W— O
(30), 40 ... 90, 10 ... 90; 10" sehr ungleichmäßig 14—16,5 mm. Breiten fehlen.
Meilenmaßstab wie auf der vorigen Karte. — 4. (6 v. 7 r). Nordwest- und Mittel-
europa; ca. 1:11270000. Im Innern Ländernamen, blaue Flüsse, graue Gebirge,
in LITVANI^ MAGNVS DVCATVS ein grüner Wald. Binnenstädte mit Vig-
netten. Meilenmaßstab (= 400 Miglien) = 43,5 mm. Entfernungen : 98,60 mm.
5. (7 V. 8 r.). Pyrenäenhalbinsel und Nordwestafrika; ca. 1 : S'/j Mill. Blaue
Flösse, blaugrüne Gebirge, Städtevignetten. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) =
27,5 mm. Entfernungen: 127,118 mm. — 6. (8 v. 9 r.) — 8. 10 v. 11 r.). West-
liches, mittleres, östliches Mittelmeer; ca. 1:6275000. Meilenmaßstab (= 200
Miglien) = 38mm. Entfernungen: 160, 153, 130, 45, 189 mm. — 9. (11 v. 12 r.).
Schwarzes Meer; ca. 1 : 6Vi Mill. Meilenmaßstab (= 200 Miglien) = 29 mm.
Entfernung: 230 mm. — 10. (12 v. 13 r.). Nordeuropa; ca. 1 : 21 Mill. Länderkarte.
Am Nordrand ragt an 2 Stellen GRVNTLADIE. || PARS herein. ISI-ANÜIA groß
und breit, viel zu nahe an Skandinavien. Im SW ein Teil von Schottland »ind
England. Im S die holländische und deutsche Küste. Am Nordrand von Skan-
dinavien ein rotes, goldverziertes Tuch auf einer Stange, \on zwei Menschen an-
gebetet, dazu die Beischrift : rubeum pannum asta leuatum adorät (vgl. nr. 10,13).
Das Festland gelbgrüu ; im graugrünen Meer zwei Seetiere und ein Schiff. Auf
dem Lande verschiedene Könige. Am Westrand Gradeinteilung, 56"— (90°) ; 10' =
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 21
53 mm. Ohne Meilenmaßstab. Skandinavien von N— S (1860 km) = 162 mm .
Bergen— Lübeck (790 km) — 51mm; Rostock— L. (95 km) = 13 mm; Danzig —
Bomhohn (40km) = 24mm. — 11. (13 v. 14 r.i. Weltkarte; ca. 1:143 Mill.
Die gewöhnliche Form. Längen und Breiten von 15 •.-15"; IS** = 11,25 mm. —
14 v. 15 r. Maßangaben, entprechen denen in nr. 9 genau.
Königsberg, Universitätsbibl. Ms. 2445.
16. Dominicas Yigliarolas, Mittelmeer, 1580 ; ca. 1 : 9\i Mill.
Handzeichnung auf Pergament. Dem Titel, den Länder- und
Binnenstädtenamen, den Zahlen der Breitenskala nach ist die
Karte nach W orientiert. 370 (365) x 558 (560) mm. in der westlich
angesetzten Zunge 700mm. Am Westrand: Presbiter Dominicus
Vigliarolus Calaber stilensis \\ Mefecit in inclyta vrbe Neapoli 1580.
Mittelmeer mit den atlantischen Außenküsten von den Kanarischen Inseln
bis Noniegia und suetia mit dem (zu klein gezeichneten) Bottnischen Meerbusen.
Im O das ganze Schwarze Meer. Feine Küstenzeichnung, mit Gold umrändert.
Im Inneren dicke, blaue Flüsse, einige grofte Städtebilder, z. B. II cairo, latana,
vienna, Paris. Viele Fürsten, stehend oder auf dem Tron sitzend. Fahnen. Am
Nord- und Südrand je 3 Windköpfe, ebenso einer am Westrand. Rhodos und
Malta mit weißem Kreuz auf rotem Grund. In der westlichen Zunge Maria mit
dem vom Kreuz abgenommenen Jesus auf dem Schöße. Am linken Rand eine
Breitenskala, (24°) 25"— 66o N, 10<» = 83 mm. Der daraus berechnete Maßstab
(1:13373000) stimmt gar nicht zu dem aus Meilenmaßstab und Entfernungen.
Daher ist er imberücksichtigt geblieben. Kompaßrosen über das Ganze, Zentral-
rose in Süditalien. Am Nord- und Südrand je zwei Maßstäbe, ohne Beischrift,
10 Teile (= 500 Miglien) = 63 mm. Gibraltar— Spartivento (1900 km) = 203 mm;
Konstantinopel — Sp. (1150km) = 127mm; K. — Fasso (1050km) = 135mm;
Spartivento — Issischer Meerbusen (2160 km) = 194 mm: Genua— Sp. (955 km) =
102 mm ; G. — Tunis (850 km) = 90 mm. Am Ostrand finden sich Spuren , daß
das Blatt einmal eingeheftet gewesen ist.
Berlin, Kgl. Bibl. libri picti A. 82.
Litt. : Periplus 65 , wo aber (nach Erman) fälschlicherweise
1530 als Jahreszahl angegeben ist; vgl. Hamy, bull, de geogr.
bist, et descr. 1888, 17.
17. Antonios Millo, Seeatlas, 1586.
Goldgepreßter Lederband, geschlossen 405 x 525 mm. Größe
der 30 Pergamentblätter 390 x 510 mm. Die Zeichnung der Karten,
die alle nach N orientiert sind, ist nicht sehr fein; bunte Farben
und Gold sind verwendet. Kein gemeinschaftlicher Maßstab; die
Zahlen, die für die einzelnen Karten gegeben werden, sind, wo es
möglich war, aus der Breitenskala berechnet. Die ersten 6 Berten
sind von Kompaßrosen übersponnen. Auf der letzten Karte steht:
DESCRITTIOXE DEL || LA GEOGRAFIA MODE \\ RNA DI
TVTTA LA G || REGL\ M • D • LXXXVI || ANTOXIVS Millo • F.
Inhalt: 1. Bl. r. Bild des Meeres, in bunten Farben, darüber MAKE OC-
CEANO. Am rechten Rande das C:S: VICENTE. — 1. Bl. v. FIGVRA DELA
22 W. Rüge,
SPHERA ACCIDENTALE. Darunter eine Sphäre. — 2. Bl. r. CORSO DEL
SOLE ET DELA LVNA. Zum Gebrauch mit drehbaren Scheiben eingerichtet. —
2. V. FIGVRA DELLA SPHERA SVBSTANTIALE. Die Erde im Zentrum, die
Sphären des Mondes, der -Planeten, des Zodiaco, die 9. Spera, und als 10. Primo
Mobile. — 3 r. Text über L'arte da nauicare. — 1. Karte (3 v. 4 r.). Südlicher Teil
von Nordamerika, Zentralamerika und Nordküste von Südamerika; ca. 1 : 15300000.
Im W nicht bis Kalifornien, im N bis TERA NOVA, nördlich von LABORADOR.
In Nordamerika MONDO NOVO und viele andere Ländernamen ; in Südamerika
CASTILGIA DE LORO und PERV. Yukatan ist Halbinsel. Innenzeichnung
mit Flüssen, Bergen und Städten. Breitenskala (3") 2» S — 65" (66o) N; P =
7 — 7,5 mm, 10° = 725 mm. Zentralkompaßrose östlich von Florida. Am Süd-
rand: Schala da milgia 100 da ponto a ponto, 100 = 10,5 — 11,5 mm, 1000 =
109 mm. Länge von Cuba (1150 km) = 105 mm. — 4 v. 5 r. Text über Cuba,
Spagnola, Jamaicha, Peru. — 2. Karte (5 v. 6 r.). Südamerika; ca. 1 : 15 V2 Mill.
Die Zeichnung erinnert an Forlani (III. Ber. nr. 26, 49). Im Innern voll von
Bergen, Flüssen, Seen, Ortschaften. Im Erdteil steht PERV. Der Amazonen-
strom von SW nach NO. Südlich des STRETO DE MAGALIANES ein Süd-
land TERRA DE FVOGO. Breitenskala (710) 700 S— IS» N, lO» = 71,5 mm.
Magellanstraße — Panama (7100km) = 505 mm. Meilenmaßstab unten und oben:
Schala da miglia 100 da ponto a ponto, 1000 = 108,5 mm. — 6 v. 7 r. Text
über Islanda, isole Hebride et Orcade, Gotolandia. — 3. Karte (7 v. 8 r.). Atlan-
tischer Ozean zwischen Nordwestafrika, Südwesteuropa und Nordostsüdamerika;
ca. 1 : 13 Mill. Im O bis Ragusi uechio an der Dalmatinischen Küste ; im NW
ein Stück von Nordamerika. Breitenskala 4" S — 50" N, 10" = 85 mm. Meilen-
maßstab: Schala de milglia 100 da ponto a ponto, 1000 == 113—114 mm. C. Verde
—Str. V. Gibraltar (2830 km) = 200 mm. — 8 v. 9 r. Text über die Entfernung
der terra di Bacalaos bis Capo di finisterra und le Almasones zum Capo uerde
u. 8. w. — 4. Karte (9 v. 10 r.). Ost- und Südafrika von den Syrten und Ka-
merun an, Arabien; ca. 1:12400000 — 12 900000. Innenzeichnung Berge, Flüsse,
Seen, Städte. Breitenskala 38" S — 26" N (aber die Karte reicht weiter bis in die
Breite von Konstantinopel), 10" = 86—89,5 mm. Unten Schala de milglia 100
da ponto a ponto, 1000= 115 mm. C. d. guten Hoffnung — C. Guardafui (6100 km)
= 487 mm. — 10 v. 11 r. Text über Samatra und die isole Moluche. — 5. Karte
(11 V. 12 r.). Südostasien mit Inseln; ca. 1 : 13290000—13636000. Breitenskala
12V8" S— 44" N, 10" =: 82— 837» mm. Meilenmaßstab: Schala de miglia 100 da
ponto a ponto, 1000 = 119,5 mm. Länge von Sumatra (1750 km) = 103 mm;
Südspitze von Malaka — Südspitze von Kambodscha (800 km) = 76 mm ; Nord-
küste von Java (1000 km) = 67mm, — 12 v. 13 r. Text: del naparaondo (!). —
6. Karte (13 v. 14 r.). Mittelmeer und Schwarzes Meer ; ca. 1 : 6530000— 66M6000.
Viel Wappen und Fahnen ; auf der Pyrenäenhalbinsel nur ISPANIA mit Waj)pen.
Breitenskala 25"N— 52"N, 10" = 166— 170 mm. Meilenmaßstab, ohne Beischrift,
aber die 12 Teile, die abwechselnd durch Punkte in 5 Unterabteilungen zerlegt
werden, sind = 600 Miglien, 500 = 116 mm. Gibraltar — Spartivento (1900 km)
= 315 mm; Genua — Sp. (955 km) = 150 mm; Konstantinopel — Sp. (1150 km) =
189 mm; Genua— Tunis (850 km) = 146 mm. — 14 v. 15 r. Text über die Welt-
karte und Per la carta da navicar. — 7. Karte (15 v. 16 r.). Ost- und Nordsee ;
ca. 1:3'/, Mill. Unten rechts: SEPTEMTRIONA |1 L10\/M REGION VM ü
SVETIAE GOTHIAE || NORVEGIAE DANIAE 1| ANTONIVS Millo || F. Im N
bi« über die ORCADES, Südskandinavien bis nördlich von BERGE, im O bis
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 23
RIGA, im S bis COLONIA, an der Küste bis CALETVM, im W ein Teil von
England. Der Inhalt stimmt zu I. Ber. nr. 37. Irinenzeichnung. Breitenskala
50» N — 64*' N, 10« = 317mm. Meilenmaßstab, 4 große Teile, lu je 5 kleinen
Teilen. = 200 Miglien = 120mm. — 16 v. 17 r. Text: De la altezza del Sole
per saper il locho doue Ihomo si trori. — 8. Karte (17 v. 18 r.). FLANDRIAE
DESCRIPTIO; ca. 1:275000. Viel Innenzeichnung, Flüsse, Wälder, Orts-
vignetten, Wappen; erinnert an Tramezini (I. Ber. nr. 67, 12). Im N bis WALA-
CARL\ IXSVLA (Walchem), im O bis MACLINIA (Mecheln), BRVXELL^,
HANDOVERPIA; im S bis DVACVM und VALENTL\E , im W hört die
eigentliche Zeichnung bei GRAVELINGA auf, dann ist noch CALETVM an-
gegeben. Ohne Gradaneaben. Meilenmaßstab: Miglia di Sandria n° 10 = 174mm.
Ostende — Douai (96 km) = 342 mm; Graevelingen — Antwerpen (165 km) =
603 mm. — 18 v. 19 r. Fortsetzung des vorigen Textes. — 9. Karte (19 v. 20 r.).
X
BRITANXIA INSVLA l| QVAE E DVO REGNA 1| ANGLIAM ET SCO Ü TIA •
CON • HIBERNIA ; ca. 1 : 2»/, Mill. Der Titel ist offenbar entstellt aus einem
Titel wie III. Ber. nr. 29, 8. Großbritannien mit einem Stück französischer und
belgischer Küste. Die Zeichnung erinnert an Kupferstichkarten wie z. B. I. Ber.
nr. 67, 2: IV. Ber. nr. 90, 12. Innenzeichnung. Breitenskala 49° N— 64" N; 10"
= 490 mm. Meilenmaßstab ohne Beischrift, 3 große Teile (= 150 Meilen) =
92 mm. C. Landsend — North Foreland (530 km) = 280 mm: C. Duncansby —
N. F. (855 km) = 452 mm. — 20 t. 21 r. Fortsetzung des vorigen Textes. —
10. Karte (21 v. 22 r). TVTA LA FRANCIA ; ca. 1 : 2440000. Im N bis
LONDRA, im O bis BERXA (Bern), im S Nordsaum von Spanien. Breiten
43° N— 52° N, 1° = 45,5 nun. Meilenmaßstab wie auf Karte 9, aber 102 mm
groß. Paris — Toulon (695 km) = 285 mm; P. — Bayonne (665 km) = 262 mm;
Lyon— Genf (110 km) = 60 mm. — 22 v. 23 r. Fortsetzung des vorigen Textes.
— 11. Karte (23 v. 24 r.). LA SPAGNA; ca. 1:2220000 — 2410000. Spanien
mit einem Stück afrikanischer Küste bis Arger. Breiten 36* N — 44° N, 1° =
46—50 mm. Meilenmaßstab , 4 Teile (= 200 Miglien) = 137 mm. Lissabon —
Coimbra (185 km) = 60 mm; C. Finisterre - C. Tarifa (825 km) = 385 mm;
Toledo — Valencia (315 km) = 155mm. — 24 v. 25 r. Text: De la altera de
li poli. — 12. Karte (25 v. 26 r.). PAESE DE SVICERI; ca. 1:853000—
874000. Im N bis AGVSTA VINDELICA; im O bis Verona, im S bis Alesan-
dria, im W bis Geneua. Der Inhalt nicht ganz so groß wie III. Ber. nr. 29, 23,
woran die Bergzeichnung erinnert. Der LACVS PODAMICVS (Bodensee) zieht
sich von SO nach NW. Breiten 45* — 48° N, 1° = 127— 130 mm. Unten bnks
Miliaria Eluetiae n° 15 = 173 mm. Mailand — Basel (265 km) = 435 mm; Genf
— Chur (272 km) = 442 mm. — 26 v. 27 r. Fortsetzung des vorigen Textes. —
13. Karte (27 v. 28 r.). TVTA LA ,| DESCRI !j CION ^ DE ITA i LI.A ; ca. 1 : 2
MiU. Im O bis CEFALONIA, im S Stück von SARDEGNA und Sizüien, im W
bis GENEVRA (Genf), im N bis Trieste. Viel feinere Zeichnung als die vorigen
Karten, erinnert an Gastaldi. Breiten 38°— 45°, 1° = 56 mm. Meilenmaßstab wie
axd Karte 11. Genua — Tarent (810 km) = 397 mm; G. — Venedig (290 km) =
170 mm. — 28v. 29r. Fortsetzung des vorigen Textes. — 14. Karte (29 v. 30 r.).
Griechenland, mit dem oben angegebenen Titel ; ca. 1:2220000. Im N bis Ragusi
und Rodosto ; im O bis zur Westküste von Kleinasien, un W bis z\ir Südostspitze
von Italien. Breiten (ganz ungleichmäßig) 35°— 43« N, 1° = ca. 50 mm. Unten
Meilenmagstab: SCHA DE MIA 100 = 82 mm. Saloniki — Athen (305 km) =
24 W. Rüge,
235 mm; Korfu (Stadt)— A. (395km) = 245 mm ; C— Saloniki (295 km) = 200mm.
— 30 V. Text: Altura de molti lochi (Polhöhen).
Berlin, Kgl. Bibl. Mscr. Hamilton 446.
18. Joan Martines, Seeatlas, 1591.
Großer Atlas , in goldgepreßtem Lederband , 290 x 413 mm
die Blattgröße. Auf Karte 14 steht: Joan martjnes De messina
cosmographo Del Rey nro || Segnor En napoles Any 1591. Bis auf
die letzte Karte sind alle von Kompaßrosen übersponnen. Die
Karten sind auf Pergament gezeichnet und gehen immer über
2 Blatt. Sie sind außerordentlich fein und prächtig ausgeführt.
Die Küstenlinien sind mit Grold oder einer andern Farbe um-
rändert. Alle Karten sind nach N orientiert. 4 (oder 5) ver-
schiedene Maßstäbe sind angewendet. Sie lassen sich nicht genau
bestimmen, da die Zeichnung nicht überall gleichmäßig ist und
da die aus den Gradangaben, den Meilenmaßstäben und den Ent-
fernungen berechneten Zahlen nicht übereinstimmen. Ich gebe im
folgenden die sich aus den Gradangaben ergebenden Maßstäbe an
und füge die Zahlen hinzu, nach denen man die anderen berechnen
kann.
Inhalt: 1. Mittel- und Westeuropa bis Dänemark, Großbritannien und Irland,
Mittelmeer, Schwarzes Meer; ca. 1:12800000. Die zwei Meilenmaßstäbe zeigen
die größeren Teile durch Punkte abwechselnd in 5 Unterabteilungen zerlegt, deren
jede offenbar als 10 Miglien anzusehen ist. 10 große Teile = 60 mm. Breiten-
skala von 18« N— 63" N, 10° = 86,5 mm. Gibraltar — Spartivento (1900 km) =
175 mm ; Genua— Tunis (850 km) = 80 mm ; G.— Spartirento (955 km) = 87 mm.
— 2. Nördlicher Atlantischer Ozean; ca. 1 : 15 V4 Mill. Breitenskala von 3° S—
70° N, 10" = 72 mm, 10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien) = 56 mm.
C. Finisterre — Südwestspitze von Irland (950 km) = 62 mm; C. Verde — Str. von
Gibraltar (2830 km) = 169 mm; C. V.— C. Bojador (1430 km) = 95 mm. -^ 3. Golf
von Mexiko mit den anschließenden Küsten von Nord- und Südamerika ; ca. 1 : 14,8
Mill. Nordamerika bis zum Lorenzgolf, der sich tief ins Festland hineinzieht, süd-
amerikanische Westküste von Panama an. Im Innern einige Flüsse. Breitenskala
(6") 5" 8—68" N, 10° = 75 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien)
= 55 mm. Cuba W— O (1150 km) = 99 mm. — 4. Atlantischer Ozean zwischen
Südamerika und Guinea ; ca. 1 : 14,8 Mill. Nordostvorsprung von Südamerika,
vom La Plata bis über den Orinoko hinaus. In der Nordostecke ein Stück der
Küste von Guinea. Breitenskala 360 S— 16° N, 10° = 75 mm. 10 Teile des
Meilenmaßstabs (= 500 Miglien) = 56 mm. — 5. Südwestliches Südamerika ; ca.
1 : 13,7 Mill. Die ganze Westküste, die Ostküste bis zum La Plata. Feuerland
als Insel, südlich davon Land angedeutet. Bei der Meerenge dazwischen steht:
CO
Canal descubierto por nugnos de silua piloto portuges de Fran: drache (bezieht
sich auf dessen Fahrt 1578). Breitenskala 63° S— 10° N, 10° = 80,5 — 81 mm.
10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien) = 55 mm. C. Froward — Panama
(7100 km) = 485 mm. — 6. Zentral- und Nordamerika; ca. 1: 14,7 Mill. Kali-
fornien ist Insel. Unter 45° biegt die Westküste von Nordamerika in spitzem
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 25
Winkel nach O um, im äußersten NO hängt Nordamerika durch eine ganz schmale
Landenge mit einem nördlichen Land zusammen. Breitenskala (P) 2^ N— 53° N,
10" = 75,5 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Migüen) ^ 55 mm. —
7. Nordküste von NOVA GV^INEA und das Meer nördlich davon; ca. 1 : 14,7 Mill.
Breitenskala 15« S — 37" (38") N, 10« = 75,5 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs
(= 500 Miglien) = 55,5 mm. — 8. Atlantische Küste von Afrika ; ca. 1 : 14,5 — 15
Mill. Breitenskala 390 S — 37« N, lO« = 74 — 76,5 mm. 10 Teile des Meilen-
maßätabs (= 500 Miglien) = 55,5 mm. Nadelkap — Kongomündung (3300 km) =
212 mm; C. Verde— Str. t. Gibraltar (2830 km) = 171mm. — 9. Östliche Hälfte
von Afrika mit West- und Südküste Arabiens: ca. 1 : 14,6—15 Mill. Breitenskala
410 8—34" N, 10" = 74— 76 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien)
= 55,5 mm. Cap d. guten Hoffnung — C. Guardafiii (6100 km) = 455 mm; Mada-
gaskar (1700 km) = 122 mm. — 10. Karte. Nordindischer Ozean. Breitenskala
90 s— 41* N, ungleich eingeteilt; denn 41»— 3P = 83mm, aber 1° N— 9« S =
73,5 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien) = 55,5 mm. Straße von
Omuiz— C. Comorin (3000 km) = 230 mm; Suez— Aden (2300 km) = 188 mm, —
11. Ostasien mit Inseln; ca. 1 : 14,7—15,1 MiU. Sumatra heißt TßAPOBANA (!),
von LWA MAGIOR nur die Nordküste, östlich NOVA GVINEA. Korea, nicht
benannt, ist Insel. Breitenskala IG« S— 55* N, 10« = 73,5—75,5 mm. 10 Teile
des Meilenmaßstabs (= 500 Miglien) = 55,5 mm. Länge von Sumatra (1750 km)
= 99 mm. — 12. Nordeuropa; ca. 1:8,04—8,25 Mill. Breitenskala 43°— 72» N,
l(y> = 134,5— 138 mm. 10 Teile des Meilenmaßstabs == 99 mm. Brest— Finisterre
(720 km) = 96 mm. — 13. Sizilien; ca. 1:870000. In der ganzen Art ab-
weichend von den übrigen Karten, viel Innenzeichnung, Ortschaften, Berge, Flüsse.
Ohne Breitenskala. Meilenmaßstab mit Zahlen 10, 20, ... 150; 100 Teile =
167,5 mm. Marsala — Messina (270 km) = 305 mm: C. Passaro — Messina (172 km)
= 200mm; C. F.— Marsala (270 km) = 313 mm. — 14. Weltkarte; ca. 1 : 80 Mill.
An Nova guinea schließt sich ein riesiges Südland, das den ganzen unteren Rand
einnimmt. Dann TERRA INCOGNITA; es reicht südlich von iaua maior (Java)
mit dem Namen BEACH |; LVCACH bis 15* S nach N. Um den Nordpol einige
Inseln, eine davon hat im S den Namen noua zemla. Elliptisches Gradnetz, die
Breiten gradlinig von 10 : 10" ausgezogen, 10° = 13,5 mm. Die Längen, ebenfalls
von 10: 10**, gekrümmt, bis auf den Mittelmeridian 0°. Ohne Meilenmaßstab.
Berlin, Kgl. Bibl. Msc. Hamüton 430.
19. Anonymus, Mittelmeer, 0. J. (16. Jahrh.) ; ca. 1 : 6425000.
Handzeichnung auf Pergament. Orientierung, ob N oder S,
läßt sich nicht ganz genau bestimmen; 574 (565) x 345 mm. Die
Karte ist offenbar im 0 abgeschnitten, denn die Zentralkompaß-
rose (südlich von Neapel) liegt rechts der Mitte.
Mittelmeergebiet. Im O bis Satalia in Kleinasien, im W bis Irland, im N bis
zur Südküste der Ostsee. An Innenzeichnimg nur einige Berge und drei große
Städtevignetten. Malta und Rhodos mit weißem Kreuz auf rotem Grunde. Spanien
O — W viel zu breit. Ohne Gradangaben. Kompaßrosen über das Ganze; Zentral-
rose s. o. 13teiliger Meilenmaßstab = 120 mm ; jeder Teil (= 50 Miglien) ab-
wechselnd in 5 Unterabteilungen zerlegt. Gibraltar — Spartivento (1900 km) =
296 mm; Konstantinopel — Sp. (1150 km) = 187 mm; Genua — Sp. (955 km) =:
149 mm; Marseille — Algier (750km) = 121mm.
Königsberg i. Pr., Universitätsbibl. 2404.
26 W. Rüge,
30. Anonymus^ Mittelmeer, o. J. (Mitte des 16. Jahrh.)p
ca. 1 : 6V2 MiU.
Handzeichnung auf Pergament. 605 x 480 mm , im innerea
Kartenrand gemessen. Ohne Titel.
Mittelmeer mit Schwarzem Meer, im O bis zum Roten Meer. Im Innern der
Länder einige große Städtebilder, z. B. von Venedig, Genua u. a. Viele Fahnen
mit Wappen. Konstantinopel türkisch. Die Zeichnung klar und fein, die Küsten-
linie fein rotbraun umrändert. Ohne Gradangaben. Kompaßrosen über das
Ganze, 2 Zentralrosen im Tyrrhenischen Meer und bei Rhodos. Meilenmaßstäbe
oben und unten. Die größeren Teile abwechselnd durch Punkte in 5 Unter-
abteilungen zerlegt, 10 große Teile (= 500 Miglien) = 98,5 mm. Spartivento —
Issischer Meerbusen (2160 km) = 289 mm; Sp. — Konstantinopel (1150 km) =
188 mm; Sp.— Genua (955 km) = 146 mm; G.— Tunis (850 km) = 132 mm.
Berlin, Institut f. Meereskunde, J. 606. Abgesehen von ein
paar Löchern, gut erhalten.
31. Anonymus. Mittelmeer, o. J. (16. Jahrh.); ca. l:7V2Mill.
Handzeichnung auf Pergament 579 (587) x 390 (405) mm.
Orientierung läßt sich nicht angeben, da auch die großen Länder-
namen verschieden orientiert sind.
Mittelmeer, ohne Schwarzes Meer, im W nicht ganz biz zur Straße von Gi-
braltar. Rohe Zeichnung, die Küsten verschiedenartig umrändert. Grobe Schrift.
Im Innern einige Flüsse, besonders in Tunis und Ägypten, mit Seen. Golgatha
(ohne Namen) mit 3 riesigen Kreuzen. Sehr bunt ausgemalte Windrosen, Zentral-
kompaßrose in Sizilien, auch sonstige bunte Malereien. Rhodos und Malta mit
weißem Kreuz auf rotem Grunde. Die Küstenlegenden sind italienisch, die großen
Ländernamen französisch, z. B. EVROPE, ASIE, oder lateinisch, AFRICA, BAR-
BARIA. Meilenmaßstab am Süd- und Nordrand , die großen Teile abwechselnd
durch Punkte in 5 Unterabteilungen zerlegt; 10 große Teile (= 500 Miglien)
=: 99 mm. Konstantinopel — Spartivento (1900 km) = 193 mm; Issischer Meer-
busen—Sp. (2160 km) = 293mm; Genua— Sp. (955 km) = 143mm; G— Tuniä
(850 km) — 133 mm.
Berlin, Kgl. Bibl. T. 4265.
33. Comelis Doctszooii, Atlantische Küsten von Afrika und
Europa, 1607; ca. 1:7700000.
Handzeichnung auf Pergament. Nach N orientiert. 720 X
915 mm (auf der Zentralrose gemessen). Unten rechts in ver-
ziertem Rahmen : By my Comelis Doetszoon || woonende tot Edam
in de || vier heemskinderen || Anno. 1607.
Im S bis 12" N, im N YSLANT, ganz Skandinavien, im O bis zum Ägäischen
Meer. Trägt den Charakter der Portulankarten. Im Innern Ländernamen , z. B.
BARBARIA, Pomeren, Gasconge. Westlich von Irland : Brazyl. Am linken Rand
Breitenskala 120 N— VS« N, P = 14,5 mm, lO» = 148 mm. Centralrose in der
Biskaya. Viel bunte Farben und Gold, einige bunte Kompaßrosen. Drei Meilen-
maßstäbe , die aber nicht ganz gleichmäßig sind, 100 Meilen = 95, 97, 96,5 mra.
Dazu zweimal die Unterschrift: Duytsche Mylen 15 voor Een graadt. C. Finisterre
Aelteres kartographischcB Material in deuUchen Bibliotheken. 27
— Brest (720 km) = 88 mm ; Gibraltar— Spartivento (1900 km) = 249 mm; Genua-
Tunis (850km) = 111 mm; G.— Spartivento (955 km) = 129 mm.
Berlin, Kgl. Bibl. Ziemlich stark zerknittert.
33. Hessel Gerritsz, Sumatra, 1620; ca. 1:1670000.
Handzeichnnng auf Pergament. Nach 0 orientiert. 895 x
995 mm (in der Mitte gemessen). Oben rechts : CIO lOCXX || By
Hessel Gerritsz || met Octroy H vande E. H. M. Heeren de || Staten
r
Gren. der Veenighde || Xederlanden,
Sumatra mit den umliegenden Inseln, z. B. Banca, Billiton, und einem Stück
der hinterindischen Küste. Küstenzeichnung-, nur ein paar Flüsse reichen ins
Innere. Aequinoctiael ausgezogen, die Breiten sind auf einer Skala am linken
Rande angegeben, von 5 : 5' eingeteilt, von 10 : 10' bezeichnet: S» 30'— 6" 20' (25') N,
1» = 66 — 67mm. Kompaßrosen, die Zentralrose im Innern von SAMATRA.
Meilenmaßstab : Duytsche mylen vyftien voor een graedt der Breedten, 5, 10 ... 50
= 222 mm. Länge von Sumatra (1750 km) = 990 mm.
Berlin, Kgl. Bibl.
24. Hessel Gerritsz, Südostasiatische Inseln, 1621; ca. 1:
5400000.
Handzeichnung auf Pergament. Nach N orientiert. 818 X
860 mm. Oben links : CIO . 10 . C . XXI || By Hessel Gerritsz || met
Ootroy jl van de E. H. M. Heeren || de Staten Generael || der x/eenichde
Nederlanden.
In der Südwestecke die Nordostküste von Sumatra, asiatische Küste von
MALAYA bis zum Südende von CORAI (Corea), das aber in seinem weiteren
Verlaufe fehlt, lAPAN, im S BORNEO, ^ELEBES, GILOLO, Papouas (Neu-
Guinea); im O LVQON mit Manilla. Die Küsten sind bunt lunrändert. Breiten-
skala in der östlichen Hälfte (3") 2°S — 38° (89°) N, P = 20,5 mm. Linea ae-
quinoctialis und Tropicus Cancri ausgezogen. Zwei Meilenmaßstäbe, der eine zu
100 (= 136 mm), der andere zu 90 Duytsche mylen vyftien voor een graed' der
Breedten. Kompaßrosen. Zentralrose im NO von LYCON. Südspitze von Ma-
laka — Manila (2400 km) = 410 mm; Malaka — Südspitze von Kambodscha (800 km)
= 165 mm.
Berlin, Kgl. Bibl.
25. Hessel Gerritsz, Indischer Ozean, 1622; ca. 1:10 Mill.
Handzeichnung auf Pergament. Nach N orientiert. 1017
(1005) X 856 (848) mm. In Nordostafrika : t Amsterdam || by Hessel
'^^
gerritsz: || met octroy j| Vande E: h: m**. beeren de Staten || ge-
nerael der vereenichde || nederlanden jj A^, 1622.
Im W bis B : de S : Martin, nördlich von der Tafelbay und dem Cabo de
bona Esperan9a. Dann die Küsten von Afrika und Asien bis lur Südspitze von
Malaka (von der Ostküste nur ein kleiner Teil und ohne Namen), SAMATRA.
Im Südosten die eben erst (1616) entdeckte Westküste von Australien mit den
Inschriften: tlandt van Eendracht, darin (von S nach N) de delslandt, F. Hout-
28 . W. Rüge,
mans abredhees , Dirckhartogs ree , Jacob remons rivier. Das Rote Meer hat
im N nur einen Zipfel, den Meerbusen von Suez. Nur Küstenzeichnung. An der
Südspitze von Afrika Meerestiefen angegeben. Kompaßrosen. Äquator und beide
Wendekreise ausgezogen. Die Breitengrade auf einer Skala, die mitten durch die
Karte geht, 47öS— 31° N; 1» = 11mm, 10" = 107 mm. Meilenmaßstab rechts
der Mitte 10, 20 ... 90 Duytsche mylen • 15 • op een graad, = 65,5 mm , die
Spatien abwechselnd in 5 Unterabteilungen zerlegt. Länge von Sumatra (1750 km)
= 163 mm; Str. von Ormus — C. Comorin (3000km) = 285 mm; C. d. guten
Hoffnung — C. Guardafui (6100 km) = 615 mm. Die Karte ist vor allem wegen
der australischen Entdeckungen wichtig ; sie ist 5 Jahre jünger als die gedruckte
Karte desselben Verfassers von 1627, die in den Remarkable Maps II 4 wieder
herausgegeben ist.
Berlin, Kgl. Bibl.
36. Anonymus, Westeuropa und Nordafrika, o. J. (Ende d. 16.,
Anfang d. 17. Jahrb.); ca. 1 : T^/s MiU.
Handzeichnung auf Pergament. Nach den großen Länder-
namen nach W orientiert, nach den Zahlen der Breitenskala
nach N. 585 x 400 mm.
Westliches Mittelmeer, atlantische Küsten von Nordafrika und Westeuropa.
Im O bis C. busardo in Algier, S. margarita östlich von marseille, im N bis
ISCOSSE, im S bis c. carbo unter 21° N an der afrikanischen Küste. Ausführung
ebenso roh und plump und bunt wie auf nr. 22. Zentralkompaßrose an der West-
küste von Portugal. Kostenlegenden italienisch, Ländernamen französisch, zi B.
FRANCE, ANGLETERRE, oder ebenfalls italienisch, z. B. OLANDA. Auf der
Pyrenäenhalbinsel nur der eine Ländername SPAGNE und nur ein Wappen ; das
könnte auf die Zeit zwischen 1581 — 1640 deuten, wo Spanien über Portugal
herrschte. Am Westrand in 2 mal gebrochener Linie die Breiten (20°) 21° — 59° N
angegeben; 10°= 145 nun. Meilenmaßstab am Südrand, 10 Teile (= 500 Miglien)
= 98mm. C. Finisterre — Brest (720 km) = 90mm; C. F.— Gibraltar (825 km)
= 122 mm; C. F.— C. Creus (1025 km) = 174mm.
Berlin, Kgl. Bibl. T. 301.
27. Anonymns, Südostasien mit den Inseln, o. J. (1. Hälfte
des 17. Jahrh.); ca. 1 : 5V2 Mill.
Handzeichnung auf Pergament. Nach N orientiert. 905 x
745 mm (über die Zentralrose gemessen).
Im SW die Nordostküste von SAMATRA, asiatische Küste von MALACCA
bis lAPAN. Philippinen mit Manilha auf LVSON. Der Südrand schneidet durch
BORNEO, gELEBES, XILOLO und die Custe van de papouas. Nur Küsten-
zeichnung. Aequinoctialis und Tropicus Cancri ausgezogen. Breiten auf einer
Skala angeben (2° S)— 37° N, 1° = 20 mm, 10° == 202 mm. Zentralrose an der
Ostküste von Luson. Meilenmaßstab 10, 20 ... 120 (= 162 mm) und 10, 20 . . .
80 (= 108 mm). Duytsche mylen vyftien voor (oder op) een graed(t). Südspitze
von Malaka — Manila (2400 km) = 410 mm; Südspitie von Kambodscha (800 km)
= 163 mm. Die Karte zeigt dieselbe Handschrift wie die von H. Gerritsz.
Berlin, Kgl. Bibl.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 29
28. Anonymus, Südostasien mit den Inseln, o. J. (2. Hälfte
des 17. Jahrb.); ca. 1 : 10 Mill.
Handzeichnung auf Pergament. Nach N orientiert. 785 x
850 mm.
Inhalt ähnlich wie I. Ber. nr. 18 : im W bis Vorderindien, Ceylon, im N bis
über Korea, das als Insel gezeichnet ist, die Hauptinsel von Japan liegt ostwest-
lich. Im SO NOVA GVINEA. Im S Java (lAPAN), aber ohne Südküste.
Celebes ganz falsch. Die Zeichnung roher als in nr. 25. .EQVINOCTIALIS und
TROPICVS CANCRI ausgezogen. Breitenskala in der Nähe des rechten Randes,
(18°) 17" S— SG^N, P = 11 mm. Zwei Meilenmaßstäbe, in Asien und in der See unter
13"— 140 S, ohne Zahlen, das Spatium ist aber zu 10 Meilen zu rechnen = 7,4 mm.
Beischrift: Du)-tsche mylen tot vyftien in een graed. Zentralkompaßrose nord-
westlich der Philippinen. Xordküste von Java <1000 km) = 84 mm; Südspitze
der Halbinsel Malaka— Manila (2400 km) == 230 mm ; bi« zur Südspitze von Kam-
bodscha (800 km) = 100 mm.
Berlin, Kgl. Bibl.
b. Länderkarten.
39. Anonymus, Teile von Mittel- und Osteuropa, Ende des
15. Jahrhunderts.
Handzeichnungen auf Vorder- und Rückseite eines Pergament-
blattes. Nach N orientiert. 289 (293) x 197 mm.
1. (Vorderseite). Nordwestdeutschland mit den Niederlanden ;
ca. 1:3 MiU.
Im N bis lubec, im O bis pranndb'g, im S bis esling, im W bis Normandia,
douer. Ganz rohe Zeichnung. Die Küste nach Art der Seekarten, die Flußläufe
entsprechen nur ganz im Allgemeinen der AVirklichkeit. Einige Gebirge sind durch
flüchtige braune Pinselstriche angedeutet. Ortschaften, Ländernamen, wenige,
flüchtig gezogene Grenzlinien. Kegelprojektion, die unbenannten Längen und
Breiten sind von 1° : 1" ausgezogen; 1° = 36,5 mm. Aus der Richtung der Längen-
und Breitenkreise und der Erhaltung der Namen am unteren Rand ist mit Sicher-
heit zu erkennen, daß die Karte nach O und S weiter reichte ; wahrscheinlich ist
sie nur das nordwestliche Viertel einer Karte von ganz Deutschland. Auf den
beiden westlichen Längenkreisen sind Meilenmaßstäbe eingeteilt, links mit den
Zahlen 25, 30 . . . 90, rechts 5, 10 . . . 55. Von den kleinereu links gehen ca.
1572. von den größeren rechts ca. 12 V2 »uf 1°, also wird es sich um „gemeine"
und „große" deutsche Meilen handeln.
2, (Rückseite). Osteuropa, ca. 1:7 Mill.
Im N bis über rieg (Riga) und darbot (Dorpat ?), ein Teil von Svecia, im O
bis zur Halbinsel Krim, im S bis clausenb'g, im W bis (Stralsu)nt. Die Zeichnung
ist außerordentlich schlecht erhalten, zum großen Teil überhaupt nicht mehr zu
erkennen. Das Blatt ist ursprünglich nach W und S fortgesetzt gewesen, es ist
also der nordöstliche Teil einer größeren Karte, die ähnlich wie die Cusanische
Mitteleuropa umfaßt hat. Küstenlinie nach Seekartenart. Lauf der Flüsse sehr
ungenau, Oder, Weichsel, Teil der Donau mit vielen Nebenflüssen. Terrain-
zeichnung kaum noch zu erkennen. Die Lageverhältnisse der Orte sind stellen-
30 W. Rüge,
weise verschoben , z. B. kunigspk liegt nördlich von memel. Landschaftsnamen
und viel Grenzlinien. Die unbekannten Längen und Breiten sind von 1° : 1° aus-
gezogen, 1° = 16,5 mm. Trapezf. Proj. A. Wolkenhauer (s. u.) setzt die Karten
in das Ende des 15. Jahrhunderts , vor 1479 , und vermutet den Verfasser im
Schülerkreise Regiomontans.
Koblenz, Kgl. Staatsarchiv.
Litt. u. Publ. : A. Wolkenhauer, Nachrichten d. K. Gesellschaft
der Wissensch. zu Gröttingen, phil.-hist. Kl. 1910, 17 f. Danach ist
die vorstehende Beschreibung gemacht.
B. Gedruckte Karten.
a. Einzelkarten.
30. Etzlaub-Glogkendon, Mitteleuropa, 1501; ca. 1: 3700000.
Holzschnitt auf Papier, Nach S orientiert. 383 x 492 (489) mm.
Oben querüber : Das sein dy lantstrassen durch das Romisch reych
von einem Kunigreych zw dem andern dy an Tewtsche land
stossen von meilen zw meiln mit puncten verzaichnet. Unten
rechts: Getruckt von Georg glogk« || endon zw Nurnbergk. 1501.
Im S bis Unteritalien, W bis ANGLIAE PARS, PARISIVS und BARSALO
(Barcelona), N bis Schottland, das ptolemäisch westöstlich umgebogen ist, Teil
von DENMARCK und Halbinsel Jütland, 0 bis marieburg, OFEN. Straßenzüge.
Am rechten Rande Climata cum horis longioris diej. Breitenangaben am linken
Rande 58«— 40" N, 1" = 27,5 mm. Unten Meilenmaßstab 10, 20 ... 210 = 382 mm.
Unten in der Mitte Kompaß mit Mißweisung. Links davon steht: Dyse Carta
begreift bey viijc vnd xx. stet vnd hellt inn nach der brait ijc vnd x meil Nach
der hoch iic. vnd || Lxx meil. Vnd lenden daran newn kunigreich Wer nun
wissen wolt wye weit von einer Stat zw der andern t1 sey Der zel dy punct zwischn
den selben zwaien stetn, ßo wirt er dan erkennen dy meil als vil man ir zellt (|
Szo aber kain punct zwischn den furgenomen stetn verzaichnet werden Nym ainen
zirckl vnnd miß mit || im ab dy weit der stet dy selbig czirklweit setz hie auf dyse
punct der ytzlicher thut ein gemeine teutsche meil || der yde hellt zehntausend
schrit : r\j . Rechts vom Kompaß steht ; Dy gelegnhat der stet einer gegn der
andern vermerk also Setz einen campast auf den gemaltn ader an |f dy seitten des
briefs vnd ruck den brief biß dy zunglen der campast auf einander sagn den szo
dy carta || vnuerruckt beleibt ßo ligt ein ytzliche stat wy sy gelegn ist Den setz
den campast auf dy punct zwair || furgenomen stet mit der seittn vnd merk wy
dy zung stee also stet sy auch wen man zwischn yn wandert. Cöln — Dresden
(475 km) = 131mm-, Regensburg — Berlin (400km') = 109 mm; Hamburg — B.
(250 km) = 88 mm. — Über den Verfasser vgl. L Ber. nr. 33.
Löbau, Stadtbibl., angebunden an Ptolemaeus von 1486. II A.
F. 1. Vgl. Peterm. Mitteil. 1908, 663.
Anderes Exempl.: Wien, Hauslab-Liechtenstein'sche Bibl.
Litt.: A. Wolkenhauer, Deutsche Geogr. Blätter, XXVI, 1903.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 31
31. Orontias Finaeus, Weltkarte, (1534) 1536 ; ca. 1 : 5900 000.
Holzschnitt auf Papier. Nach N orientiert. 374 (zwischen
der Umrahmang der Inschriften gemessen) (464) x 412 mm. Oben
querüber : REGENS, ET INTEGRA ORBIS . DESCRIPTIO. Am
untern Kartenrand : ORONTI VS F. DELPH. REGI' MATHEMATIC
EACIEBAT. Links unten: ORONTI VS F. DELPH. i| ßegius Mathe-
maticarü interpres : || Studioso Lectori, S. D. P. || DECIMVS QVIN-
TVS CIRCITER II agitur annns, candide Lector, quo vniuersam j
Orbis terrarum designationem in hanc huma- 1| ni cordis effigiem pri-
mum redegimus aber am Schluß steht nach Vale, Luteci^ Pari-
siorum noch Cal. Maij, M. D. XXXIIII. Und rechts unten steht
nach der ANNOTATIO anstatt Parisiis Folgendes: Hiero. Gor-
montius curabat imprimi Lutetiae Pa= || risiorum. Anno Christi
M. D. XXXVI. II Virescit uulnere uirtus.
Die Zeichnung der Weltkarte ist = Gallois, de Orontio Finaeo 1890, PI. I.
Herzförmige Proj., 10 : 10° = 18 — 19 mm. Die Karte ist deshalb besonders
•wichtig, weil sie die Jahreszahl enthält, die Gallois a. a. O. 39 für das von ihm
publizierte Blatt erschlossen hatte. Es ist offenbar die Ausgabe, nach der Gesner
seine bei Gallois zitierte Beschreibung gemacht hat.
Nürnberg, German. Mus., Halle 77.
32. (Orontlus Finaeus), Weltkarte, 1541 ; ca. 1:8 Mill.
Kupferstich auf Papier. 415 x 285 mm. Oben in bandartigem
Ornament: NOVA, ET INTEGRA VNIVERSI ORBIS DESCRIP-
TIO. Unten in einfachem Rahmen : CHRISTIAN^VS WECHE= ;
lus lectori. S. jj EXCVDIMVS, LECTOR || studiose Vale!'
Ex scuto Basiliensi. || M. D. XLI.
Weltkarte. Asien und Amerika hängen zusammen. Großes Südland : TRRRA
AVSTRALIS RE , center inuenta, sed nondü plene cognita. Die BRASIELIE
REGIO reicht bis ca. 25° S. In Südamerika: AMERICA. An der Westküste
ist Cattigora der südlichste Name. Doppelherzförmige Proj. Längen- und Breiten-
kreise von 10: 10° ausgezogen, 10° = ca. 13,5 mm, Nordpol — Südpol = 248 mm,
Nürnberg, German. Mus., Landkartensamml. , Erdkarten.
Litt. : Gallois , De Orontio Finaeo 1890, 39 Anm. 2 erwähnt
eine Ausgabe von 1540, aber nicht die von 1541.
33. Orontius Finaeus, Weltkarte, o. J.; ca. 1:6100000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 450 x 439 (442; mra.
Oben querüber in bandartigem Ornament: COSMOGAPHIA VNI-
VERSALIS AB ORONTIO OLIM DESCRIPTA. Oben links im
Zwickel Büd von CLAVDIVS PTOLOMEVS, rechts ORONTIVS,
unten links PO]\IPONIVS MELA, rechts STRABONVS. Am un-
tern Rand : Jacobus frächus. fec. ; rechts Rafael, faitel for (! ?.)
Weltkarte in herzföimiger Proj. Zeichnung stimmt ganz zu Gallois, de Orontio
Finaeo 1890 PI. I, die Namen stimmen nicht immer. In Südamerika fehlt Catti-
32 W. Rüge,
gora, an der Nordküste von Südamerika steht R. Grandis, Plaga, S. Rocus, R. S.
Lutiae, auch sonst finden sich Abweichungen in der Orthographie. Das Meer ist
punktiert. 10<* = 17 — 18,5 mm. Nordpol — Südpol 326 mm. Gallois kennt diese
Ausgabe nicht.
Nürnberg , German. Mas. ; Landkartensamml. , Erdkarten.
34. Giacomo Castaldo, Spanien, 1544; ca. 1 : IV2 Mill.
Kupferstich auf Papier. 4 Blatt. Nach N orientiert. 920 x
669 (667) mm. Oben in der Mitte : LA SPANA. Unten links in
verziertem Rahmen : Giacomo Castaldo Piemontese de Villa franca,
Cosmographo. || Alli Spettatori. Salute. || Questa e la uera descrit-
tione di tutta la Spagna da me composta per || comune utilita degli
huomini (et) meritamente dedicata in Segno di || gratitudine al Molto
jH. Signor Don Diego Hurtado de Mendoza || dignissimo Orator
Cesareo nella jnclita Citta di Venetia .... Voi uedetela, legge-
tela, et uiuete felicj. jn Venetia. 1544. Nach diesem Titel er-
scheint der Zweifel bei Grande, notizie 4, ob Villefranca der Ge-
burtsort Gastaldis ist, unberechtigt.
Im NO ein Stück Frankreich, im S Nordrand von Afrika, Berge. Flüsse,
Ortschaften. Im wellenförmig gezeichneten Meer Schiffe und Ungeheuer. Rechtw.
Plattk. Gradangaben am Rande. Unten und oben (2«) 10'— 21«, P = 48,5—
49,5 mm; links und rechts (35«») 10'— 450, ^o _ 66,5— 67,5 mm. Außerdem sind
links die längsten Tage, rechts die Klimate in spanischer Sprache angegeben.
Ohne Meilenmaßstab. C. Finisterre— C. Creus (1025 km) = 738 mm; Gibraltar —
C. Cr. (1000 km) = 680 mm ; Almeria — Madrid (410 km) = 284 mm ; Toledo —
Valencia (315 km) = 245 mm; C. Finisterre — Tarifa (825 km) = 593 mm.
Breslau, Stadtbibl. Fa. 3.
Andere Exempl. : Br. Mus. I 1497, II 3873. — Madrid, Bibl.
nacional (Wieder, Nederlandsche hist.-geogr. documenten in Spanje
1915, 153).
Litt.: Marcel, Revue hispanique VI 1899, 186.
35. Anonymus, Umgebung von Rom, 1547 ; ca. 1 : 41 500.
Kupferstich auf Papier, 6 Blatt in 2 Reihen übereinander.
Nach NOzO orientiert. 1227 (1242) x 1104 (1090) mm. Oben
links in reich verziertem Rahmen: Con quanta fatica io mi sia
ingegnato di esprimere I ques || te carte il paese di Roma, cö tutti
li edificij et luoghi notabili p spa» || tio di. XV * in XX • miglia
pon(5do anco in mezo la pia'ta di Roma || . . . . Unten rechts in
verziertem Rahmen: Ex Motu proprio || della S'.* di N. S. PP.'
Paulo ni II et con Priuilegio dlla lö.«"* Sig'.» || di Venet* et döo
Excel!'. Duca di || Fiorenza p Anj Diecj etcj || M. D. XL VII.
Im NO bis TIBOLI, SO bis LA RICCIA, 8W bis zur Mündung des ARONE
FIVME, NW bis BRACCIANO. Viel Innenzeichnung, Hügel, Bäume, große Orts-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 33
Vignetten, dichtes Straßennetz. Ohne Gradnetz. Links unten: MISVRA DELLE
MIGLIA. ;' Tutto questo spatio contiene miglia sei. I, 11 ... VI = 215 mm.
Tivoli— Ostia (45 km) = 1030 mm; CasteU S. Angelo— Ostia (20 km) = 510 mm.
Vielleicht ist es die Karte, die in den Epist. Ortelianae ed. Hesseis, nr. 185 erwähnt
wird: Ph. Wingen fragt am l.IX. 1590 an, ob Ortelius die Karte vom Territorium
Komanum in 6 Bl. haben will.
Breslau, Stadtbibl. Gb. 158.
36. Oerardus Mercator, Europa, 1554; ca. l:4Mill.
Kupferstich auf Papier. 15 Blatt in 3 Reihen übereinander.
Nach N orientiert. 1469 (1454) x 12(X) (1195) mm. Oben links in
reich verziertem Rahmen: Beneuolo lectori. i| EVROPAM descripturi
primum curauimus vt spacia meridianis parallelisq$ inter^ljcepta
q5 minimü a rectangulari specie, quam in terrestri sphera habent,
distraherentur .... u. s. w. über die mathematischen Grundlagen
und die Herstellung der Karte. Darunter, ebenfalls in reich ver-
ziertem Rahmen: REVERENDISS. ET ILLVSTRISS. DOMINO ||
D. ANTONIO PERRENOT 1| ATREBATENSIVM EPISCOPO, i|
IMP. CAROLI. V. AVGVSTI PRIMO CONSILIARIO, || LITE-
RARVM STVDIORVMQ. OMNIVM 1| VNICO FAVTORI || GE-
RARDVS MERCATOR RVPELMONDANVS || DEDICABAT. In
der linken unteren Ecke ohne Rahmen: Absolutum & euulgatum
est opus II Dnysburgi anno Diii 1554. mense || Octobri, per Gerar-
dum Mercatore || Rupelmondanum. Unten in der Mitte, ebenfalls
ohne Rahmen: Cum priuilegio Caes.- Mai. ad decennium ne quis j
in Germania superiore & inferiore, Flandria omnibusq^ i| locis qu^
eidem Su^ Maiestati parent, audeat hanc Eu||rop^ tabulam im-
primere, aut alibi impressam vendere, |! constituta poena mulct^
arbitrariq quQ in mandato conti j| netur. Cum ^quali item priui-
legio niustriß : Senatus || Veneti ad annos totidem.
Längen- und Breitenkreise von 5 : 5" ausgezogen, 5" Breite auf dem 40. Längen-
kreis gemessen, der allein nicht gekrümmt ist, = 127 — 128 mm. Über die ver-
schiedenen Meilen und ihr Verhältnis zu einander berichtet eine große Legende
am linken Rand. Darunter sind zusanunengestellt : Italica maiora 100 = 43 mm,
minora 100 = 36 mm ; Anglia cömunia 200 = 98,5 mm ; Scocica communia 180
= 96,5 mm ; Hispan : minima, Franci§ com. 100 = 102 mm ; Gallie com : Hispanica
com: 70 = 91 mm; Burgundi§, Lotharingi§ 70 = 98mm; Aragoni^ communia,
Prouinci§ 60 = 94,5mm; Germanica com: Guasconica 60 = 103 mm; Franconi§
50 = 93 mm ; Saxonica Gelrica maiora 50 = 102 mm ; Suecig, Scanie, Sueui§^
30 = 78 mm. C. Finisterre — C. Creus (1025 km) = 270 mm; Gibraltar— C. Cr.
(1000 km) = 240 mm; Paris — Toulon (695 km) = 183 mm; P. — Trier (325 km)
= 92 mm ; Gibraltar — C. Spartivento (1900 km) = 540 mm ; Genua — Tunis (850 km)
=^ 228 mm. Breite Zierleiste um das Ganze.
Breslau, Stadtbibl. Auf Leinwand und Pappe aufgezogen.
Bunt.
Kgl. Ocs. d. WUs. Nachriditen. PhU..liist. Klasse. 1916. BeihefL 3
34 W. Rüge,
PubL: Drei Karten von Gr. Mercater. Herausgeg. von der
Ges. f. Erdk., Berlin 1891.
Litt.: Heyer, Ztschr. f. wissensch. Geographie (Kettler) VII
1890, 379, 474, 507. — Reinhard, Zur Entwicklung d. Karten-
bildes d. Britischen Inseln, 1909, 92. — Averdunk u. Müller, Ger-
hard Mercator. (Peterm. Mitt., Erg.-Heft 1914, 182, 53).
37. Caspar Yopellus, Rheinkarte, 1555; ca. 1:600000.
Die 1. Auflage der im I. Ber, nr. 46 beschriebenen Karte. 1553
X 542 mm mit Zierleiste und Text, aber ohne schwarzen Rahmen;
1502 X 374 mm innerer Kartenrahmen. Die Abweichung von den
Maßen im I. Ber. nr. 46 wird auf Rechnung der breiten Zierleiste
zu setzen sein. Die Inschriften stimmen überein (in dem Text
links oben ist der letzte Buchstabe des Vornamens Caspar in Ma-
juskel zu schreiben und rechts oben muß es heißen Quem priscae
gentes statt Quam), nur die Jahreszahl lautet M. D, LV. Die
Erklärung ist überschrieben: BREVIS HVIVS RHENANI 1|
TRACTVS AC POTISSIMARVM EIVS || PARTIVM EXPLI-
CATIO, II de(^; primis Priscorum popu-||lorum sedibus.
Wolfenbüttel, Herzog! Bibl.
PubL: H. Michow (Hamburg) hat die Ausgabe von 1558 in
Facsimiledruck veröffentlicht. Exemplare sind von ihm zu beziehen.
38. Thomas Oeminns, Spanien, 1555; ca. 1 : 1^2 Mill.
Kupferstich auf Papier. 4 Blatt. Nach N orientiert. 895 x
724mm. Unten rechts in verziertem Rahmen: Inuictiß et Sere-
s
niß. PHILIPPO et MARIiE D. G. Regi et Regin^ Angl: Frac^^
Neap+ Hierus || et Hiber Es folgt eine Auseinandersetzung
über den Wert der Arbeit ... in hu=||ius Pinacis ^ditione, qua
exhibere locnpletißimi illius Hispaniarum regni ueram, quo ad eius
fieri potest, descriptionem (dieses Wort ist nachträglich zwischen
den Zeilen zugefügt worden) studuimus .... Hunc nostrum la-
ti
borem uisum est non alij, q;^ V. utriusq5 Ma dedicare, ubi uno
obtutu lustrare || ingentes amplißimi nobilißimiq^ Regni, cuius hei-e-
ditati tu Philippe Rex potentiss. natus es, tu uero Sereniß. Re-
gina nomini || innupsisti fines poßitis. Deus Opti. Max. V+ M+ in-
columes q5 diutissime felicitet. Londini. T. Geminus. Oben links
in bandartigem Ornament im Meer: NOVA DESCRIPTIO HISPA-
NliE. Unten links in reich verziertem Rahmen : Climax Leucarum,
quam sub«||scripsimus, in singulas leucas quatu||or miliaria Ita-
lica continet. Itaque folgt Anweisung zum Entfernungs-
messen. Darüber Excusum Londini per || Thomam || Geminum || 1555.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 35
Im NO GALLIG PARS ohne Innenzeichnung, im S schmaler Streifen von
A&ika. In Spanien Flüsse, Berge, Bäume, Vignetten. Im gemalten Meer Schiffe
und Ungeheuer. Unten rechts großes Wappen. Trapezf. Proj. Gradangaben am
Rande. Unten (3" 38'J 40'— 20o (5'), die Zahlen 12—19 sind falsch gestochen
als 21, 31, 41, 51, 61, 71, 91 (81 fehlt, ist vrohl Tcrklebt), 1"> = 54— 56 mm ;
oben (2« 35') 3«— 21° 50', aber die Zahlen der Grade sind verklebt, P = 46 mm;
links (34« 47'j 36«— 45« (12') ; rechte beginnt es erst bei (34» 55'), 1« = 69— 70 mm.
Im Meer Kompaßrosen ausgezogen. Unten links, rechts der oben erwähnten In-
schrift: SCALA + LEVCARVM4-HISPAXICARVM4-5, 10 .... 30 = 118 mm:
jo __ i73y^ Leucae. Am linken Rand in verziertem Rahmen: EL grado de las
leguas que he< jj mos sotoscrito en cada una |j de las leguas contiene quatro i| millas
de Italia. Dann Anweisung über Entfern ungsmessen wie oben. C. Finisterre —
C. Creus (1025km) = 786 mm; Gibraltar— C. Cr. (1000 km) = 750mm; Almeria
—Madrid (410 km) = 281 mm ; Toledo— Valencia (315 km) = 229 mm; C. Finisterre
— Tarifa (825 km) = 580 mm. Die Zeichnung stimmt nicht mit Gastaldi (s. oben
nr. 34), sie ist besser, da Spanien westöstlich nicht so auseinandergezogen ist.
Breslau , Stadtbibl. Rolle 34. Anf Leinewand gezogen mit
schwarzem Rand.
Anderes Exempl. : London, s. Marcel.
Litt.: Marcel, Revne hispaniqae VI 1899, 187 f.
39. ADonymns, Umgebung von Rom. 1557: ca. 1:314000.
Kupferstich auf Papier. Nach NO orientiert. 427 x 815 mm.
Oben in der Mitte in verziertem Rahman: TERRITORIO DI
ROMA. Unten rechts in verziertem Rahmen: NOVA | DESRIT-
TIONE (!) II DEL TERRITORIO l| DI ROÄL^ || CON TVTTE LE I
CITTA, VILLE ||; CASTELLI, MONTI, || VIE, FIVMI, ET
PONTI. i! 1557.
Oben bis Oleuano, recht« bis Gaeta, Ciprano, unten bis zum Meer, links bis
Spoleti, Ciuitauechia. Im punktierten Meer Schiff und Ungeheuer. Straßen,
Hügel, Bäume. Ohne Gradangaben. Meilenmaßstab : Cinque migUa = 38 mm.
Monte Circello — Spoleto (ISO km) = 428 mm; Civitavechia — Ceprano (152 km)
= 495 mm ; Ostia— Tivoli (45 km) = 213 mm.
Breslau, Stadtbibl. Gb. 160.
40. Beniardus a Putte, Holland, 1653—1558; ca. 1 : 177000.
Holzschnitt auf Papier, 9 Blatt in 3 Reihen übereinander.
Nach N orientiert. 792 (787) x 1 105 mm. Oben im Meer auf
einem von einem Drachen gehaltenen Blatt : HoUandt. Links oben
Wappen mit 2 Säulen, PLVS OVLTRE. Darunter in reich ver-
ziertem Rahmen : D. CAROLO. V. RO. IMP. AVG. i| Germaniae,
Hispaniarnm etc. Regi, .... hoc opus dedicatum, Bemardus k
Putte Tjpoglyphus || Antuerpianus imitabatur. Anno. M. D. LVl.
Darunter: CANDIDO LECTORI. jj HAbes in hac tabula Lector,
expressam ad topographiae ve-ljritatem, Hollandornm expensis,.
3*
36 W. Rüge,
Hollandiam Comitatum | cam prouincia Traiectensi . . . Darunter
dasselbe französisch und holländisch. Noch weiter unten : Gheprint
Thantwerpen op die Lombaerde || veste, aldernaest Simon Cock,
by my Ber-||naert vanden putte, figuersnyder. || Int laer ons
Heeren. M. CCCCC. || LVIII. den. XIX. Februarij. Unten rechts,
ebenfalls in verziertem Rahmen : Opus absolutum Anno M. D. LUX.
mense Julio, || Gubernante Hollandiam & Prouinciam Tra- || iecten-
sem Illustriß. Domino Renato Principe Au || raicae ....
Holland im N bis zum Ausgang von De Zuyder Zee, im O bis Campe, im S
bis Boxtel, südlich von t/Hertoghen Bosch, im W das Meer. Hügelketten, Dünen,
Wasserläufe, Ortsvignetten, gemaltes Meer mit vielen Schiflfen. Oben rechts in großem
Rahmen: Grauen ende Grauinnen van Hol:»|l laut, Seelant en Vrieslant, fortgeführt
bis 1556. In der Grundlage stimmt die Zeichnung völlig mit Ortelius, theatrum 1570
nr. 19, sie zeigt aber doch auch wichtige Unterschiede. So z. B. hat unsere Karte
nördlich von Alkmar und Egmont Meer, Ortelius dagegen : Die Kynser wech u. s. w.
Die Insel Wieringen liegt ganz frei, die Ansätze am Lande nach ihr hin fehlen.
Auch im Rheinmündungsgebiet sind Unterschiede bemerkbar. Ohne Gradangaben.
Im Zuider See 32 strahlige Kompaßrose mit holländischen Bezeichnungen. Am
linken Rand Meilenmaßstab : Cleyne HoUants milen Miliaria minora Holland
1 — 6 = 184 mm; Middelbaer milen Miliaria mediocria 1 — 4 = 154 mm; Grote
milen Miliaria magna, quinq^ milium passuum 1 — 4 = 185 mm. Daneben Passus
quinq3 || pedes continet. Leyden — Dordrecht (40 km) = 225 mm ; L. — Utrecht
(45 km) = 253 mm ; Herzogenbusch— U. (46,5 km) = 263 mm ; Edam— U. (46,5 km)
= 263 mm.
Breslau, Stadtbibl. Rolle 37. Auf Leinewand gezogen, bunt;
einige Löcher, sonst gut erhalten.
Litt.: Denucö, Oud-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 74.
41. Jacobus Daven(tria), Brabant, 1558; ca. 1:190000.
Holzschnitt auf Papier.. 6 Blatt in 3 Reihen zu je 2 über-
einander. Nach N orientiert. 766 (760) X 827 mm. Oben in der
Mitte: DVCATVS BRABANTIvE. Unten links in einfachem
Rahmen: CANCELLARIO SENATVI || POPVLOQ; BRABAN-
TI^ II lACOBVS DAVEN. || DEDICAVIT. || Gheprint by my
Arnout Nicolai Fi-||guersnyder, op die Lombaerde || Veste tot
Antwerpen. || 1558.
Im N undS nicht ganz so weit Avie Ortelius, theatrum 1570 nr. 16, mit dem auch
die Zeichnung, besonders au den Küsten, nicht ganz stimmt. Im N bis Mündung
des Mosa fluuius, der das liand im O und N der Hauptsache nach begrenzt, aber
im SO reicht die Zeichnung weiter ; Aken, upen, Lemborch liegen am Ostrande
der Karte nordsüdlich zu einander. Im S bis CO • NAMVRC . . . PARS ; im W
Mündung des Scheide flu. Die Karte ist bunt bemalt, Ortsvignetten. Flüsse,
Wälder, im SO Berge. Im gewellten Meer SchiflFe. Wappen. Ringsherum breite
Zierleiste mit Fürstenbildem. Ohne Gradangaben. Unten in der Mitte ein Kompaß
mit üstl. Abweichung. Unten rechts Meilenmaßstab: hueren ghaens 5:= 118mm.
Dazu rechts eine große Legende: IN dese chaerte is bescreuen nae der conste
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 37
der geometrien, ende opt compas met ! grooten arbeyt, ende diligentia het hertooch-
dom van Brabant met sinen fron- i| tieren .... Dann folgt eine Anweisung zum
Distanzmessen ; man soll den Zirkel setzen : . . . op die scala hier onder op hueren
gaens ghemaect, om dat die mylen in Bra- i bant seer onghelyck syn .... Namur
— Venlo (135 km) = 724 mm; Aken — Antwerpen (127 km) = 661 mm; Herzogen-
busch— Namur (140 km) = 724 mm.
Breslau, Stadtbibl. Rolle nr. 40. Etwas beschädigt, vor allem
im südlichen Teü mehrfach abgesplittert.
Litt. : Denuc^, Oad-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 49, 57.
— "Wieder, Nederlandsche bist. -geogr. documenten in Spanje,
1916, 16. In dem Kartenkatalog von Viglius ab Aytta (Messa-
ger des sciences 1862, 429 f.) wird genannt : Brabantiae descriptio
per Jacobus Daventriensem 1536.
43. Bernaerd ran den Putte, Friesland (1545), 1559; ca.
1 : 180000-
Holzschnitt auf Papier. 9 Blatt in 3 Reihen (die oberste
ganz schmal) über einander. Nach N orfentiert. 789 X 884
(889) mm. Oben in der Mitte in verziertem Rahmen: Frieslandt.
Unten links in reich verziertem Rahmen in lateinischer, hol-
ländischer, französischer Sprache historische Notizen über Fries-
land. Darunter: Geprint Thantwerpen op de Lom||baer de veste
in den gülden Rinck || by my Bernaerd van den putte || Figaer-
snyder • || • 1559. Am linken Rand in verziertem Rahmen : ANNO.
M. D. XLV. II Generoso Heroe Domino Maximiliane || ab Egmonda
Comite in ßueren, etc. . . .
Friesland im N bis z\im Meer, im O bis oldersum, stromauf von Eemden,
im S bis Lochem, im W bis Hoom. Im gewellten Meer viele Wappen und Schiffe.
Die Zeichnung stimmt mit Ortelius, theatrum 1570 nr. 29, der östlich der Linie von
oldersum sehr dürftig wird , weil diese Kar tehier nicht weiter reicht. Ohne Grad-
angaben. Meilenmaßstab unten : ClejTie Friessche milen. Milliaria Phrisia minora 1 — 4
= 157 mm; Middelbaer milen Mediocria milliaria 1 — 3 ^ 141 mm; Groote Friesse
mylen Phrisia milliaria magna 6500 passuum 1,2 ^ 116 mm. Daneben Passus
quinq5 pedes continet. Deventer — Groningen (111km) = 583 mm; Leuward en
—Gr. (52 km) = 282 mm; L.— Zwolle (28 km) = 166 mm.
Breslau, Stadtbibl. Rolle 46. Auf Leinewand gezogen, bunt.
Litt.: Denuc4, Oud-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 74.
43. Nicolaus Stopins, Flandern, 1559; ca. 1:575000.
2 Blatt, 477 (478) x 393 (395) mm. Die Karte gleicht sehr
III. Ber. nr. 29, 13. Aber die Inschrift unten rechts ist anders
eingeteilt: Flandria, Caroli Y. Aug. Imp. max. natione Illu-
strißima, Belgien || Prouinciae est Comitatus longe nobilissimus,
H«jc a II Septentrione .... Huius igitur — impertire stimmt.
Dann geht's weiter: Ad Signum Bibliothecae Diui Marci: || Do-
88 W. Rüge,
minicus Zenoi VeDetus excidebat. Venetijs M * D • L • Villi. Die
Zahlen für die Meilenmaßstäbe sind: 163,5, 121, 128 mm; für! die
gemessenen Entfernungen : 426, 183 mm.
Breslau, Stadtbibl. Pc. 36 und 36 a.
Anderes Exempl. : Brüssel, Kgl. Bibliothek.
Litt.: J. van Raemdonck, La grande Carte de Flandre par
Grörard Mercator 18. — De Vreese, Leekebijdragen tot de ge-
schiedenis van Viaanderen (K. Vläamsche Academie voor taal- en
letterkunde) 1912, 120.
44. Jacopo di Gastaldi, Deutschland, 1559; ca. 1:4700000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 339 (274) x 241
(239) mm. Oben querüber, außerhalb der Karte: GERMANIA.
Unten links außerhalb: In Venetia appresso || Donato Bertelli |j
libraro al segno del || San Marco. Unten links innerhalb: Opera
di Jacopo di || Gastaldi Cosmografo || In Venetia || MDLVUIL
Unten rechts außerhalb: Dominico Zenoi |I Venetiano Fecit.
Inhalt = III. Ber. nr. 29, 21. Die Entfernung der Breitenkreise, wenn man
senkrecht mißt, 22,5—24 mm, lO» = 234,5 mm. Cöln— Dresden (475 km) = 107 mm ;
Wien— Pettau (200 km) = 40 mm.
Berlin, Kgl. Bibl. L. 26.
Andere Exempl. : Breslau, Universitätsbibl. (s. u. nr. 86, 13). —
Breslau, Stadtbibl. Q a 3. - Br. Mus. 1 1496, 1535. Vgl. I. Ber. nr. 54.
Litt. : Castellani, catalogo ragionato delle piü rare . . . opere
geografiche a stampa . . . del coUegio Romano 247, nr. 94 a.
45. Jacobus Dauentr(ia), Seeland, 1660; ca. 1:178000.
Kupferstich auf Papier. 4 Blatt. Nach N orientiert. 700 X
513 mm. Am linken Rand in verziertem Rahmen : Ulustriß. Prin-
cipi Gulielmo ä Naßau Dei gratia Principi || Orani§, Comiti k
Nassau, Catzenellenbogen, .... || Domino suo Clementißimo || Gu-
lielmus Sylvi.9 typographus Regius dedicabat. Unten rechts in
großem, verziertem Rahmen: ZELANDIA || Z6LANDIA inferioris
Germaniae pars .... und dann die holländische Übersetzung.
Darunter : Cautum est literis Regijs ne quis hanc || Zelandi^ de-
scriptionem intra annos || decem vllo modo imitetur. Rechts davon :
Jacobus Dauentr. || geograph. regiP faciebat. Rechts davon : ANT-
VERPLE II Excudebat Gulielmus SylviP typographus 1| Regius ad
insigne angeli aurei || Ano 1560.
Seeland im N bis Grauesande an der Küste nördlich der Rheinmündungen;
im O bis Kedichem am Lingen fl. und Drögelen östlich von Berge und Dordrecht,
im S bis Middelburch, südlich der Rheinmündungen. Flußläufe und Kanäle, an
der Küste Dünen, im gewellten Meere viel SchifiFe. Die Karte ist bunt, breite
Zierleiste darum, links oben im Meer 3 große Wappen, Ohne Gradangaben.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 39
Unten rechts Meilenmaßstab; übereinander: Cleene roilen 1, 2 ... 6 miliaria parua
— 173 mm; Middelbare 5 (ohne Zahlen) mediocria = 185 mm; Faßus continet
qiiinque pedes; groot milen 1, 2, 3, 4 magna = 181 mm. Middelburg — Ant-
werpen (64 km) = 384 mm; Dordrecht— A. (63 km) = 376 mm; D.— Delft (31 km)
= 165 mm. Ortelius, theatrum 1570 nr. 18 hängt ganz von der Karte ab, hat aber
viele Feinheiten -weggelassen, so die Einteilung des Landes durch Dämme, die
Daventria durch punktierte Linien angegeben hat, wie er es in seiner Erklärung
rechts sagt: .... Notantur verö aggeres punctis veluti in lineolas paßim per
insulas deductas.
Breslau, Stadtbibl. Pb. 68. Die Karte ist auf Leinewand
aufgezogen und mit einem schwarzen Rand umgeben.
Anderes Exempl. : Florenz, (Wieder, Nederlandsche hist.-geogr.
documenten in Spanje, 1915, 16).
Litt. : Denuce, Oud-Nederlandscbe kaartmakers I 1912, 57. —
In dem Katalog von Viglius ab Aytta (s. o. nr. 41) wird erwähnt
Zelandiae descriptio per Jacobum Daventriensem o. J.
46. Joannes Joliret, Frankreich, 1560; ca. 1:1650000.
Holzschnitt auf Papier. Nach N orientiert. 4 Bl. 773 (775)
X 489 (488) mm. Oben außerhalb des Rahmens : Nouuelle descrip-
tion des Gaules , auec les confins Dalemaigne, et Italye. Unten :
JOANNES lOLIVET INVENTOR. 1560. Von links über den
oberen Rand nach rechts um die Karte herum: LA TERRE ET
LE CONTENT D'ICELLE || APPARTIENT A LETERNEL
AVSSY LE MONDE ET || CEVLX QVI Y HABITENT. PSAL. 24.
Oben rechts in verziertem Rahmen : Aux lecteurs salut. H Suiuant
le commandement du Roy, J'ay faict la |i Visitation de ses Royau-
mes .... Schließt : Auec priuüege du Roy. Darunter ebenfalls
in verziertem Rahmen : Aduertissement. || Pour aisement cognoi-
stre II les prouinces et villes metropolitaines || . . . . A Paris, par jj
Oliuier Truchet, Rue montorgueil || au bon pasteur. Et Richard !|
Breton, Rue S. Jacques, || a l'ecreuisse.
Im N bis Nimegen, im O bis Pola, im S bis Pampelune, im W bis zum Meer.
Die Zeichnung stimmt zu Ortelius, theatrum 1570 nr. 9, nur reicht sie im O weiter. Im
gewellten Meer Schiffe. Trapezf. Proj. Unten 150—37«, 1° = 35 mm, oben (12VJ0)
13«— 400, P = 28 mm; links und rechts (417^») 420— 51 (»/,)», jo ^ 47 mm.
Meilenmaßstab am linken Hand im Meer, ohne Beischrift, 3 Teile = 56mm.
Paris — Antwerpen (310 km) = 188 mm. P.— Toulon (695 km) = 350 mm; Lyon
— Genf (110 km) = 84 mm; L. — Turin (230 km) = 172 mm; Bayonne — Basel
(835 km) = 470 mm ; Marseille — Ronen (760 km) = 385 mm. Die Karte ist
bisher nur aus Ortelius, theatrum 1570 nr. 9 und dem catalogus auctorum (Joannes
Joliuetiis Oalliam, Parisüs, apud Oliuerium Truchetum 1560) bekannt gewesen.
Breslau, Stadtbibl. La. 7. Auf Leinewand gezogen, bunt mit
breitem, schwarzem Rand,
Litt. : Denuce, Oud-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 54.
40 W. Rüge,
47. Petrus de NoWlibus, Umgebung von Rom, 1560; ca.
1 : 300000.
Kupferstich auf Papier. Nach NO orientiert. 446 (443) x
319 mm. Oben in der Mitte in verziertem Rahmen : PAESE DI
ROMA. Unten rechts unter dem päpstlichen Wappen : 1560. Am
untern Rande der Karte : Petri de Nobilibus Formis.
Inhalt = oben nr. 39. Im punktierten Meer viele kleine Schiffe und ein Un-
geheuer. Meilenmaßstab : Cinque migla (1) = 28 mm. Die oben nr. 39 angege-
benen Entfernungen betragen hier 443, 515, 225 mm.
Breslau, Stadtbibl. Gb. 162.
48. Tilemannus Stella, Mitteleuropa, 1560; ca. 1:4 Mill.
= I. Ber. nr. 49 mit folgenden Abweichungen: 367 (368) x
543 (540) mm, kreisförmige Umrahmung 285 x 297 mm. Der Titel
oben ist folgendermaßen geschrieben : Die gemeine Landtaffel des jj
Deutschen Landes/ Etwan durch Herrn || Sebastianum Münsterum
geordnet/ nun aber vernewert vnd || gebessert/ Durch Tilemannum
Stellam von Sigen. Unten steht : Dem Durchleuchtigen vnd Hoch-
gebor= ||nen Fürsten vnd Herrn / Herrn Johann Albrechi||ten Hertzogen
zu Meckelnburg/ Fürsten zu Wenden/ || Grrauen zu Schwerin/ der
Lande Rostock vnd Stargard || HErrn/ seinem Gnedigen Herrn/ hat
diese LandtaiFel || Dedicirt Tilemannus Stella von Sigen/ im Jar 1560.
Berlin, Kgl. Bibl. L 20.
49. Martinus Helvigius, Italien, 1561; ca. 1:2250000.
Holzschnitt auf Papier. Nach N orientiert. 517 (488) x 333 mm.
In der Mitte unten in einfachem Rahmen: MARTIN VS HELVI-
GIUS Lectori S. D. || VEteris Italiae situm hac Tabula Ptolo» ||
maeus depinxit in opere suo. Estqj haec || Sexta Europa tabula.
Hanc nos in gratiä stu-||diosae iuuentutis seorsim excusam edi-
mus .... Tu Lector vale, & hac tas||bula fruere. Datum Vratis:
ex Schola MaHlgdalaea. Die S. Martini Episcopi. Anno || CHRISTI.
M. D.LXI. II Excusa Vratislauiae in Officina Crispini Scharffenbergij.
Unten rechts ein Monogramm GWR, darüber 1561, darunter Men.
Nouembr.
Italien in ptolemäischer Zeichnung. Tiber und Arno hängen nicht zusammen.
Im N Alpen, im W Niceae (Nizza), im S die Nordostspitze von Sizilien, im O die
Südostspitze von Italien. Trapezf. Proj. Unten und oben (28") 29"— 43°, unten 1° =
85 mm, oben = 82 mm; links und rechts (88°) 39° — 45« (46«), 1° = 44 mm.
Rechts vom Titel Meilenmaßstab: 5, 10 ... 30 Germanica, 20, 40 . . . 120 Italic«
= je 90 mm; Genua— Tarent (810km) = 423 mm ; Rom— T. (425 km) = 198mm;
Venedig— Ancona (225 km) = 88 mm ; Rom— A. (220 km) = 90 mm.
Breslau, Stadtbibl. Ga. 2.
Litt. : Heyer, Zeitschr. d. Vereins f. Geschichte und Altertum
Schlesiens XXIII, 1889, 196.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 41
50. Martinas Ilelwig, Schlesien, 1561 ; ca. 1 : 550 000.
Holzschnitt auf Pergament, 4 Blatt. Nach S orientiert. 723
(720) X 566 mm. Oben rechts in verziertem Rahmen : Dem Edlen
Erennesten vnd Kamhafftigen Herrn Niclas Rehdinger des Rathes
vnd II Camerer zn Breßlaw/ entpent Martinas Helwig von der Neiß/
seinen dienst. || ES sindt diese zeit Namhafftiger Herr/ viel vn
mancherley Tafeln außgangen/ dar* || durch viel Hochberümbte Edle
Lender/ auch frembde wilde Barbarische nuh ans || licht gebracht
vn kündig worden/ Darnmb es nicht ein wenig zu norwunön, das
jnn so II langer zeit vnser liebes Vaterlandt Schlesie so gar hindan
gesetzet vn vortunckelt bliebe^ || . . . . Greben inn Breßlaw den
14. Septemb. jm 1561, Jar. Darunter in der Verzierung des Rah-
mens: H KRÖN. Am untern Rand in einfach verziertem Rahmen :
Mit Rö. Kay. Ma, befreyung || jm Römischen Reich nit nach ||zu-
drucke/ Auch mit besonderm || Priuilegio der Cron zu Beh*||men
aufF Zehn Jar, || Zur Neiß/ bey Johan. Creutzig, Die Jahreszahl
1561 steht auch noch auf dem südwestlichen Blatt unter der rechten
Ecke des Titelrahmens.
Im N bis Peisern, nördlich von BRESLAW, im O bis Schedlitz, nördlich
Ton Sathor am VISTVLA- FLV-, im S bis FÖNS ODERAE, im W bis BAVDZE.
Die Zeichnung ist im allgemeinen gut. Um das Ganze eine Zierleiste mit Wappen.
Gradangaben am Rande. Unten (N) 42« 28'— <37») 33', 1» = 124 mm; oben (S)
42° 26'— (370) 37/^ xo ^ 124— 128 mm; rechts und links (49") 48'— 52<» 13', 1» =
200 mm. Oben in der Mitte Kompaß mit östlicher Mißweisung. Breslau —
Bautzen (180 km) = 324 mm; Br. — Neiße (73 km) == 144 mm; Br. — Ctenstochau
(149 km) = 290 mm.
Breslau, Stadtbibl., in einem Rahmen,
Publ, (nach einem späteren Nachdruck) : Breslau 1889, H, Lesser,
Litt. : Heyer, Ztschr. d. Vereins f. Greschichte und Altertum
Schlesiens XXIII, 1889, 177. — Katalog der Ausstellung des
XIU, deutschen Greographentages zu Breslau 1901, 21.
51. Joannes Franciscus Camocias, Lombardei, 1560, 1562;
ca, 1:625000,
Die Karte stimmt mit dem 111. Ber. nr, 29, 26 überein, nur steht hinter dem
letzten Wort Formis in der linken Ecke noch 1562, und die sich schneidenden
Linien fehlen.
Breslau, Stadtbibl. Grh. 65.
53. Anonymus, Belgien, 1563; ca. 1:860000.
Die Karte stimmt mit IV. Ber, nr. 89, 22 völlig überein, nur trägt sie die
Jahreszahl M. D. LXIII.
Breslau, Stadtbibl. Pc. 3.
53. Camocius, Großbritannien, 1563; ca. 1:3 Mill.
Kupferstich auf Papier, Nach N orientiert. 341 (339) x 470 mm.
42 W. Rüge,
Oben links ohne Rahmen : BRITANNIA • INSVLA • QVAE • DVO • !|
REGNA • CONTINET • ANGLIAM • ET • SCO||TIAM • CVM • HI-
BERNIA • ADIACENTE. Links am Rande ohne Rahmen: H[-
BERNIA Insula non löge a Britans||nia in Oceano sita .....
Am unteren Rande in einfachem Rahmen : BRITANIA Insularum
in Europa existentium maxi=||ma Am Ende: CVN (!)
PRIVLEGIO (!) SVMI PONTIEICIS (!) MDLXIII || VENETIIS,
EX CAMOCII FORMIS.
Inhalt = III. Ber. nr. 29, 8.
Breslau, Stadtbibl. Ka. 5,
Anderes Exempl. : Brit. Museum.
Litt. : Reinhard, Zur Entwickelung d. Kartenbildes d. Britischen
Inseln, 1909, 88.
54. Orontius F(iuaeu8), Frankreich, 1563; ca. 1:3700000.
Die Karte stimmt bis auf die Jahreszahl MDLXIII völlig mit HI. Ber. nr. 29, 10
Oberein; man kann deutlich erkennen, daß die beiden letzten Striche nachträglich
angefügt sind.
Breslau, Stadtbibl. La. 8.
55. Paulus Forlani, Holland, 1563; ca. 1:470000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 371 x 476 mm.
GELRI^ CLIVIiE||IVLI^,NEC NON||ALIARVM REGI-||ONVM
ADIACE||NTIVM NOVA || DESCRIPTIO || ANNO MDLXIII. |l
VENETIIS. II Apud Joannem Franciscum Camociü. || Pauli Forlani
Veronensis incidente.
Inhalt = I. Ber. nr. 53, wo die Zahl 67 mm für die milliaria magna in
71,5 mm zu ändern ist.
Breslau, Stadtbibl. Pb 42.
56. Joannes Petrus Contareni, Europa, 1564; ca. 1 :3V2MilI.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 16 Blatt in 4
Reihen übereinander. 1710 X 1270 (1264) mm. Oben links auf
Bl. 1 in reich verziertem Rahmen: VENETIIS || M • D • LXIIII ||
lOANNlS PETRI CONTARENI || Elegantißima totius Europae,
ac partis Asiae, nee || non littorum Africae descriptio jn lucem
nunc edis||ta, qui non sine maximis uigilijs eam ab egre ||giJ8
Geographis paßim colligens, et jn aere post-||modum jncisam
studiosis spectandam praebuit. || CVM PRIVILEGIO PER AN-
NOS XV.
Am N-Rande ein Stück GROTLANDIA (das N steht im Spiegelbild); im O die
Hälfte des Kaspischen Meeres und nördliches Ende des Persischen Meerbusens;
im S Nordafrika bis zu den Syrten, nur von der östlichen Syrte fehlt der südlichste
Teil; im W Meer, das reihenweise punktiert ist und in dem ein Schiff fährt.
Spanien , Frankreich , Skandinavien , das Mittelmeer zu breit W — O ; daher läuft
Italien nach OSO, und die Rhone von NO nach SW. Der Rheinlauf ist gut.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 43
Spera flu (Spree) mündet in die Ostsee. Viel Hügelreihen, Flüsse, Orte. Gradangaben
am Rande. Unten (die Einteilung reicht im W über den Rand der eigentlichen Karte
in den Rahmen hinein) (7" 3O0 8«— 8P (20'); 1° = 23,5 mm; oben (275o) 305°
— 150° (178"), P =: 6 — 7 nmi. Von 305° — 150' sind die ersten Ansätze der Längen
angegeben, als flach gekrümmte, fast von links nach rechts laufende Linien. Dazu
paßt nun gamicht, daß unter 66° der CIRCVLO ARTICO als gerade Linie an-
gedeutet ist. Links (29° 50') 30°— 80° (30'), 1» = 24,5 mm ; rechts (29° 45') SO»
— 80° (25'). Außerdem links die Tabelle der längsten Tage. Südlich von Italien
eine große Kompaßrose und Scala di miglia, 30, 60 . . . 360 = 148 mm. C. Fi-
nisterre— C. Creus (1025 km) = 320 mm; Gibraltar— C. Cr. (1000 km) = 237 mm;
Paris— Toulon (695 km) = 172 mm; P.— Trier (325 km) = 121mm; Gibraltar—
C. Spartivento (1900 km) = 622 mm ; Genua— Tunis (850 km) = 248 mm. Erwähnt
wird die Karte in den Zugangsverzeichnissen der Kunstkammer in Dresden vom
Jahre 1595 : Mappa totius Europae et partis Asiae nee non litorum Africae per
Joannem Petrum Contarenum ao. 64 (Hantzsch, Landkartenbestände 12) und eine
Ausgabe von 1572 in dem Epistulae Ortelianae, ed. Hesseis, nr. 170. Bisher war
kein Exemplar bekannt.
Breslau, Stadtbibl. Ea. 4.
57. Gerärdns Mcrcator, England, 1564; ca. 1:943000,
Kupferstich auf Papier. 8 Blatt. Nach W orientiert. 1271
(1267) X 872 (S76) mm. Oben in der Mitte in verziertem Rahmen:
ANGLIAE SCOTIAE || & Hiberni^ noua descriptio. Unten links
ohne Rahmen: Absolutmn & || euulgatom Days||burgi anno Do ^
mini 1564. Oben links, ebenfalls ohne Rahmen: Com gratia &
priuilegio Regiae || Maiestatis per Brabantiam Flan*||driam reli-
quamq5 Germaniam infe||riorem ad annos 6. Unten rechts in
verziertem Rahmen: Gerardus Mercator lectori salutem || Obtnlit
mihi candide lector amicas qaidam singnlaris hanc Britannicarum
insulamm descriptionem , multa sane diligentia & || summa fide
congestam, rogans vt pro nostro modulo concinnatam in multa
exemplaria diffunderem, quod cum amico denega»||re nollem ....
eam tibi || qualem accepi exhibeo, ....
Britische Inseln. Ohne Gradnetz. Unten in der Mitte: Scala miliarium An-
glicorum, 50 = 91 mm. Südwestecke — Dower (520 km) =: 560 mm ; Dunsbyhead
— D. (885 km) = 923 mm.
Breslau, Stadtbibl.
Publ. : Drei Karten von Gr. Mercator. Herausgeg. von der
Ges. f. Erdk., Berlin 1891.
Litt. : Reinhard, Zur Entwickelung d. Kartenbildes d. Britischen
Inseln, 1909, 101.
58. Donato Bertelli, Italien, 1565 (?); ca. 1:2 Mill.
Kupferstich auf Papier. 2 Batt nebeneinander. Nach N orien-
tiert. 569 (564) x402 (398) mm. Oben über der Karte: ITALIA
NVOVA. Unten in verziertem Rahmen: Cedan l'altrui fatiche
44 W. Rüge,
al sador nostro || Poi che l'Italia habbiam ridutto ä tale, || Che
non puo diligente opra mortale || Altrui mostrarla in piu lodato
inchiostro || AUa libraria de l'Insegna del • S * Marco || Donato Ber-
telli 1B6IIII1 (!) II Domenego. ^E. F.
Italien, im N Trieste, W Nizza, S Catania, O Durazzo. Die Halbinsel läuft
von WNW nach OSO. Innenzeichnung mit Bergen, Flüssen, kleinen Orts-
vignetten. Im gestrichelten Meer Schiffe und Ungeheuer. Rechtwinkl. Platt-
karte. Unten und oben (28») 290—46», 1" = 31,5 mm; rechts und links (38»)
390—457,0, 10 = ca. 53 mm. Ohne Meilenmaßstab. Genua— Tarent (810 km) =
441 mm; Rom— T, (425 km) = 222 mm; Venedig— Ancona (225 km) = 105 mm;
Rom— A. (220 km) = 114 mm.
Breslau, Stadtbibl. Ga. 4.
Andere Exempl. : Vgl. Br. Mus. I 2020 : Italia Nuova ....
(By) D. Bertelli, (Venice) 1558. — Another copy, with date altered
to 1569.
59. Ferando Berteli, Österreich - Ungarn, 1565; ca. 1 : IV«
Mill.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 433 (429) x 266
(271) mm. Oben in einfach verziertem Rahmen: AVSTRIA E
VNGARIA NOVA DESCRIPCIO. Unten rechts, ohne Rahmen:
Ferando. berteli. exe. 1565.
Die Karte deckt sich inhaltlich fast völlig mit IV. ßer. nr. 90, 60.
Breslau, Stadtbibl. Na. 5.
Anderes Exempl. : Madrid , Bibl. nacional ("Wieder , Neder-
landsche hist.-geogr. documenten in Spanje, 1915, 154).
60. Ferando Berteli, Weltkarte, 1565; ca. 1:45 Mill.
734 X 403 mm. Links unten steht nur Ferando berteli Exe.
1565 (die letzte 5 ist aber unklar). Möglicherweise ist der Name
Forlani oben darüber abgeschliffen, man sieht noch einen Strich.
Sonst stimmt alles zum I. Ber. nr. 67, 1.
Breslau, Stadtbibl. aa. 28.
61. Au^ustin Hierssfogel, Ungarn u. s.w., 1565; ca. 1:350000.
Holzschnitt auf Papier. 12 Blatt in 3 Reihen übereinander.
Nach S orientiert. 1507 (1496) x 802 mm. Oben querüber NO\A
ET HACTENVS NON VISA REGNORV ATQVE PROVIN-
-GEL
TIARW PER A/GVSTl HIRSFO- DESCRIPTIO • Oben links
in verziertem Rahmen: Zu Ehr der Römischen zu Hungern vnd
Behaim Kün. May. || Ertzhertzogen zu Osterreich Ist dise Carta
der künigreich || Fürstenthumb / Grafschafften / Herrschafften / vnd
Landen || hungern / Bossen / Crabaten / Dalmatien / windisch lande. ||
Siruey-Steir darinnen die Fürstlich Graffschafft Cilly || gelegen.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 45
Kemdten. Crain. vnd seine anraychenden Herrschafften windisch
marck, Metling, Mitterburg. || Karst vnd Görtz. Auch Isterreich
so vil zu gelegenheyt der Gränitz diser Christenlichen Land vnnd 1
Teuscher Nation gegen dem Tyrannen dem Tiireken vnd seiner
gegen Gränitz von neten zu grundt || vnd mererm verstandt des
Mors. Gepürgs vn paß durch die sein täglich einfell beschehen.
Allem Kriegß||wesen nützlich vnd fürdersam. Durch Augustin
Hierßfogel verfaßt vnd zusamen tragen worden. Unten links in
einfachem Rahmen: Gedruckt zuNürmberg/ durch || Hans Weygel/
Formschneider/ beim || Sonnen Bad. Im jähr. 1565.
Inhaltlich und der Zeichnung nach deckt sich die Karte mit Ortelius, theatrum
1570 nr. 41 ; nur reicht sie im O weiter. Im S bis Sara (Zara), im W bis VILLACH,
im N ungefähr bis zum FL. DRAG. Etwas grober Schnitt. Das Bergland stark
markiert, die Flüsse ganz besonders bunt. Wälder, Ortsvignetten. Viel Wappen.
Ohne Gradangaben. Unter dem Titel links oben Meilenmaßstab : 1, 2, . . > 18 =
385 mm, aber ohne Beischrift. Villach — Zara (300 km) ^ 727 mm ; V. — Marburg
a./Drau (140 km) = 484 mm; Zara — M. (275 km) = 688 mm. Die Karte war
bisher nur aus Ortelius, theatrum und dem catalogus auctorum bekannt und galt
als verschollen.
Breslau, Stadtbibl. Rolle 43.
Litt, : Oberhummer und v. Wieser, Die Karten des W. Lazins,
1906, 19. 53.
63. Joannes Franciscas Camotins , Friesland, 1566 ; ca. 1 :
400000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert 371 (368) x
461 mm. Unten links in verziertem Rahmen: FRISIAE AN-
TIOVISSIMAE (!) || TRANS RHENVM PROVINC || ET || ADIA-
CENTIVM REGIONt || NOVA ET EXACTA || DESCRIPTIO JI
VENETIIS II 10: FRANCISCI CAMOHITn FORMIS AD || SIG-
NVM PIRA.piDIS II -L M o. D ^ LXVI o.
Inhalt = UI. Ber. nr. 29, 17.
Breslau, Stadtbibl. Pb. 22.
Litt.: Denuce, Oud-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 57.
63. Giacomo Castaldi, Donaugebiet, 1566; ca. 1:1700000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 3 Blatt neben-
einander ; das 2. und 3. = I. Ber. nr. 67, 27 a. 29. Ich beschreibe
hier nur das 1 . Blatt. 336 (326) x 498 (499) mm. Unten in der
Mitte in einfachem Rahmen: Opera de M. Giac.™° Castaldi Pia-
montese Cosmografo in Venetia || Disegno particolare de Regni,
e Regioni, che son da Venetia, a || Costäftnopoli, et da Costan-
tinopoli, a Vienna, d'Austria, et da || Vienna, a Praga Citta regal
di Boemia, et alla Citta regal di i| Polonia, et altri paesi fuori de
46 W. Rüge,
detti aiaggi, come si uede di=||stintamente nel disegno. Darunter
außerhalb der TJmraliinung: Da Paolo Furlani Veronese intagliata
con diligentia in merzaria al scgno della Colona.
Im N bis Vratislaiiia, im W bis Landau am Isera f., im S bis Ancona.
Trapezf. Proj. Gradangaben am Rande. Unten (33" 32') 34"— 41» (3'), 1° = 44,5 mm;
oben (320 35') 33«— 40» (36'), 10 = 40,5 mm; links (43«) 44"— (50° 48') 5P, l« =
63,5—64,5 mm. Im COLFO DI VENETIA eine 16 strahlige Kompaßrose. Über
dem Titel: Scala di miglia jtaliani, 10, 20 ... 50 = 44,5 mm. Linz — Wien
(156 km) =. 82 mm; Fiume— W. (355 km) = 176 mm.
Breslau, Stadtbibl. Nb. 3 und 3 a.
Litt. : Grande, notizie 63. — Marinelli, nr. 539.
64. Jacomo Gastaldo, Piemont, 1566; ca. 1:400000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 487,6 (488,5) x
369 (367) mm.
Die Karte ist = IV. Ber. nr. 89,45, bis auf die Jahreszahl:; Ma.D_uLXVI,
der man die Korrektur ganz deutlich ansieht. Außerdem steht davor: VENETIIS,
imd unten innerhalb des Rahmens: Exe. Camotij formis.
Breslau, Stadtbibl. Gb. 40.
Andere Exempl.: Lafreri nr. 56. — Br. Mus. I 52, 647, 1497;
II 2807, 3034, 3287, 3291, 4111. — Supplem. Archiv© stör. Lorab.
II 1901, 2.
Litt.: Grrande, notizie 60, wo aber der Titel der Karte in
vielen Einzelheiten ungenau angegeben ist.
65. Oroiitius Finaeus, Weltkarte, 1566; ca. 1:5100000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. Innenumrahmung
des Blattes 584 (582) x 515 (517) mm. Die größte Breite der
eigentlichen Karte W — 0 445 mm, Nordpol — Südpol 392 mm. Oben;
Cosmographia uniuersalis ab Orontio olim descripta. Oben links
auf einer von einer Figur gehaltenen Tafel: lOANNES || PAV-
LVS II Cimerlinus 1 VERONE || SIS || in aes || incidebat || ANNO || 1566.
Unten links auf der Vorderseite eines Altars: 111"»** Viro Henrico
Dno Matreuors, & || Comiti Arandelliae etc. Duo suo Colendißo. |j
Tunc bene instituti homines fuisse mihi uidentur .... Vale || Tuq
amplitudinis deditiß^ || Jo : Paulus Cimerlinus Veronen. Unten I P, c
= Jo. Paulus Cimerlinus.
Weltkarte. Asien und Amerika hängen zusammen, 20" N der Scheitelpunkt
der Küste. In Südamerika: AMERICA. In Nordamerika kein Oesamtname, die
asiatischen Namen reichen sehr weit nach O. An der Westküste von Südamerika
Cärtigora. Südostasiens Darstellung ptolemfiisch beeinflußt. Am Nordpol Inseln,
am Südpol großer Kontinent, TERRA AVSTRALIS NVPER INVENTA , SED
NONDVMPLENEEXAMINATA. Zwei Vorsprünge, bis 25» S reichend, REGIO
PATALIS und BRASILLIE REGIO. In Südamerika BRASILIA. Herzförmige
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 47
Proj.; 10:10'' ausgezogen, 10° = 19 — 20 mm am 0" gemessen. Reichlicher Bild-
schmuck hemm.
Breslau, Stadtbibl. Aa. 30.
Andere Exemplare : ßrit. Mus. I 817, II 4544. — Madrid. Bibl.
d. Königs (Bol. soc. geogr. Madrid XXVI 1889, 375). — Wien,
Hauslab - Liechtensteinsche Bibliothek (Mitteil. d. k. k. geogr. Gres.
Wien 1886, 388). — Lafreri nr. 4.
Publ. : F. A. S. 89.
66. Paulo Forlani, Griechenland, 1566; ca. 1 : 2Vj Mül.
Kupferstich auf Papier. 2 Blatt nebeneinander. Nach N orien-
tiert. 613 (611,5) X 399 mm. Oben querüber: TOTIVS GRAE-
CIAE DESCRIPTIO. Unten links in verziertem Rahmen : CAN-
DIDO LECTORI • S • || QVA diligentia nouae huius Graeciae choro-
graphia, II aliarumq^nonnullarumadiacentiumregionum, insularumq$||
descripta sit, ipsa tabella ostendere poterit, si cum alijs hactenus i:
impreßis conferre non grauaberis .... Vale. || VENETIIS || lo. Fr.
Camocij aereis formis ad signum || Pyramidis. || M-i_D-i_LXVI-i- ||
Paulo forlani Veronese fecit.
Balkanhalbinsel im N bis Mesebria, im O bis zur Linie Annena — Magidus,
im S ganz Kreta, das aber zu nördlich liegt, im W bis Taras. Im punktierten
Meer Schiffe und Ungeheuer. Nur Breitenangaben am linken Band (33' 55')
35"— (44° 55') 45", 1° = 36,5 mm. Unten rechts Meilenmaßstab: Migliaria 20,
40 . . . 100 = 64,5 mm ; Stadia 200, 400 .. . 1000 = 73,5 mm. Konstantinopel—
Saloniki (510 km) = 200 mm ; K.— Athen (565 km) = 230 mm.
Breslau, Stadtbibl. Hc. 5.
67. Vincentias Lnchinus, Schweiz, 1566; ca. 1:720000.
Kupferstich auf Papier. 2 Blatt nebeneinander. Nach N orien-
tiert. 565 (579) X 400 mm. Unten links in verziertem Rahmen:
Jodoco ä Meggen Lucernati Praetorianorum Praefecto || Heluetios
olim uir clariss. nuc (!) Suiceros Gallorum gentem bellicosissimam
fuisse .... Am Ende steht: Venetijs Anno 1566. Apud Vin-
centius (!) Luchinus (!).
Inhalt = III. Ber. nr. 29,23, nur reicht die Karte im W nicht ganz so weit,
Gratianopolis fehlt. Auch die Art der Zeichnung ist dieselbe. Ohne Gradangaben.
Unter dem Titel: Miliaria Eluetiae 1, 2, 3 ... . 10 = 79 mm. Mailand— Basel
(265 km) = 360 mm ; Genf— Leuk (der Ort hat keinen Namen) (115 km) = 172 mm ;
Bern — Schaffhausen (125 km) = 166 mm.
Breslau, Stadtbibl. Oa. 3.
68. NIcolads Stopius, Afrika, 1566; ca. 1 : 19 Mill.
Die Karte stinmit bis auf die Jahreszahl völlig mit IV. Ber. nr. 87.36
überein.
Breslau, Stadtbibl. Ca. 8.
Litt.: Periplus 130.
4S W. Rüge,
69. Mathias Zündt, Ungarn, 1567; ca. 1:750000.
Kupferstich auf Papier. 6 Blatt, die nicht ganz genau an-
einander passen, in 2 Reihen übereinander. Nach N orientiert.
870 X 502 (495) mm. Oben querüber : Neuwe vnd Gründtliche be-
schreibunge Des Ganczen Kunigreichs Hangern mit den Anstossenden
Landen. Unten in verziertem Rahmen: NOVA TOTIVS VNGARI^
DESCRIPTIO ACCVRAHITA ET DILIGENS DESVMPTA EX
PLVRIBVS ALIORUM || EDITIS COSMOaRAPHICIS CHARTIS
ET TYPIS ^REIS IN* || CISA A MATTHIA CYNTHIO NORIM-
BERGENSI ANNO || A CHRISTO NATO • M-D'LXVII. || Ein
Neuwe warhafftige beschreibung Des ganczen Vngerlandts mit
Sunderem || fleyß aufs Anderen LanthafFeln Zu samen gebracht
vnnd in druck ver||ferttiget durch Mathias Zündten Zu Nörm-
berg. II Im Jar nach Christi geburt || • 1567 • || Cum gratia & Priui-
legio sacrae Caesareae Maiestatis.
Im N bis Fontes Tibisci (Theisquelle), im O fast bis zur Mündung des-
Aluta, im S ein wenig über den SAVW. FLV. hinaus, im W bis Stockraw, ober-
halb Wien. Das Donauknie bei Woczen nicht scharf genug. Viel Bäume, Städte-
bilder , kämpfende Heere. Auf Blatt 2 eine Kompaßrose ; danach ist die Karte
nach NO orientiert. Ohne Gradangaben. Unten Germanica Milia, und zwar mit
2 Skalen, die eine mit 8, die andere mit 6 Teilen, deren jeder wieder in 4 Unter-
abteilungen zerlegt ist; beide Skalen 81 mm, ohne Beischrift. Wien — Ofen (220 km)
= 325 mm; W. — Peterwardein (426 km) = 605 mm; Szegedin— P. (115 km) =
135 mm.
Breslau, Stadtbibl. Nc. 5 und 5*.
Litt.: Oberhummer u. v. Wieser, die Karten des W. Lazius,
1906, 46, wo der Titel der Karte nicht ganz genau angegeben ist.
70. Johannes Franciscns Camotius^ Europa, 1568 ; ca. 1 : 12
Mill.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 375 (377) X 269
(266) mm. Unten links in verziertem Rahmen: EVROPAE
BREVIS, AC NOVISSIMA || DESCRIPTIO • || VENETIIS. Apud
Johannem Fran™ Camotiü. || M . D . LXVIII. || Cum Priuilegio.
Im N bis zur südlichen Hälfte von Skandinavien; im O bis zum Ostende
des Schwarzen Meeres, im S ein Streifen von Nordafrika, im W bis zum Meer.
Roher Stich mit schlechter Zeichnung, das Mittelmeer ist W— O zu groß. Im
punktierten Meer Schiffe und Ungeheuer. Rechtwinklige Plattkarte (?). Unten
5o_65o 0, 5° = 31mm; oben ebenso große Teile abgeteilt, aber nicht numeriert;
Imks und rechts SO"— öö^N, 5" = 48 mm. Ohne Meilenmaßstab. C. Finisterre—
C. Creus (1025 km) = 81mm; Gibraltar — C. Cr. (1000 km) = 69 mm; Paiis—
Toulon (695 km) = 46 mm; Gibraltar— Spartivento (1900 km) = 158 mm ; Genua
—Tunis (850 km) -^ 67 mm.
Breslau, Stadtbibl. Ea. 6.
Andere Exempl.: Triest, Lloyd (Mitteil. d. k. k. geogr. Ges.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 49
Wien, XXXIV, 1891, 318). — Madrid, Bibl. nacional (Wieder,
ISTederlandsche hist.-geogr. docamenten in Spanje, 1915, 153).
71. Jacomo Castaldo, Polen, 1568; ca. 1:3350000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 502 (505) x 363
(357) mm. Unten links der Mtte in einfachem Rahmen : A Benigni
lettori. II Di 'M* Jacomo Castaldo ui si rapresenta || la prima parte
della descrittione del || Regno di Polonia, con la sua scala di
miglia || jntagliata da Paolo furlani ueronese al segno || della Co-
lonna. Venetia l'anno. 1568.
Im N bis zum JTordende des Bottnischen Meerbusens und Südende des
Weißen Meers (GOLFO GRADVICH), im O bis Basilougrod am Volga. f., im S
bis Duneborg (Dünaburg), im W bis Vender lago (Wettersee). Flüsse, Wälder,
Berge, Vignetten, punktiertes Meer. Trapezf. Proj. Unten (37» 50') 39°— 69",
10" = 160 mm; oben (317,«) 320—750, 10° = 116 mm; links und rechts (59V,o)
600—70(74)°, 100 = 330 mm. Im GOLFO OSTERGOTHICO eine 16 strahlige
Kompaßrose. Über dem Titel : Scala di miglia jtaliani, 20, 40 ... 80 ^ 36 mm.
Stockholm— Moskau (1210 km) = 333 mm; Dünaburg— M. (680 km) = 141mm.
1. Ber. nr, 67, 23 ist das südlich anschließende Blatt.
Breslau, Stadtbibl. Me. 3.
Andere Exempl. : Lafreri nr. 34. — Br. Mus. II 3325.
Publ. : F. A. Fig. 79.
Litt. : Grrande, notizie 65.
72. Oodefridus Maschop, Münsterland, 1568; ca. 1:165000.
Kupferstich auf Papier. 9 Blatt in 3 Reihen übereinander.
Nach 0 orientiert. 1030 (1045) x 795 (787) mm. Oben in der
Mitte in einfachem ßahmen: REITERATA EPISCOPATVS ij
MONASTERIENSIS GEOaRA=||PHICA DESCRIPTIO CVI |!
ADDITA EST ET OSNAH|BRVGENSIS PER GOD^IEFRIDV
MASCHOP II EMBRICENSEM || COSMOGRAH|PHVM || Remigius
Hogenbergus Sculpsit. Oben rechts in einfach verziertem Rahmen:
HEXRICVS VRANIVS RESSENSIS AD CANDIDVM LECTO-
REM. Es folgen 8 Distichen. Unten links in einem einfachen
Rahmen, über dem ein großes Wappen ist : Reuerendiss : Illu-
strissimoq^ Principi ac || Domino Domino Joanni e Comitibus j| ab
Hoya Episcopo Monasteriesis !| administratori Osnabrugensis, || po-
stulato paderbornesis || Ecclesiarum Bernardg Mollerus. Folgen
19 Distichen. Unten rechts in verziertem Rahmen: Godefridus
Maschop Embri=||censis ad lectorem. || Westphalia .... Schließt:
Vale 10 Kai: sep: A^ 1568.
Die Zeichnung deckt sich mit Ortelius (theatrum 1570 nr. 24), der im Catalogus
auctorum 1570 als Erscheinungsjahr 1558, in allen späteren Ausgaben aber richtig
1568 angibt. Im O bis DVLMANHOEST und DIEFHOLT, im S bis zu DE LYP,
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phüolog.-histor. Klasse. 1916. Beiheft. 4
60 W. Rüge,
unterhalb deren Quelle die Stadt LYP liegt, im W bis BOICHOLT, im N bis
OLDENBORGH. Ringsherum eine bunte Zierleiste. Ohne Gradangaben, unten
rechts Meilenmaßstab : 2 Mag, 2 C5, 3 Par Miliaria = 125,5 mm, 92 mm, 109 mm.
Bocholt — Münster (70 km) = 445 mm; Lippstadt— M. (59 km) = 344 mm; Osna-
brück— M. (45 km) = 265 mm. Bisher war die Karte nur in der Nachbildung
bei Ortelius bekannt.
Breslau, Stadtbibl. Rolle 32. Die Karte ist bunt, die ein-
zelnen Gebiete sind verschieden gefärbt, sodaß die Deutlichkeit
der Zeichnung und Schrift darunter gelitten hat.
Litt. : De Vreese , Leekebijdragen tot de geschiedenis van
Viaanderen (K. Vlaamsche Academie voor taal- en letterkunde),
1912, 116.
73. Joannes und Lucas a Duetecü , Holland, 1569, ca. 1 : 250000.
Kupferstich auf Papier. 6 Blatt in 2 E-eihen übereinander.
Nach N orientiert. 864 (867) X 817 mm. Am linken Rand von Bl. 1
in reichverziertem Rahmen: IN DESE CAERTE j| is beschreuen
nae der conste || der Greographie tgraefscap vä || HoUandt, ende
tlandt van || IJtricht met die omleggen=||de andere Landen daer
ae=||stotende, Oock alle niewe || dijckaigien aenwaßen ende || andere
veranderinghen , || .... Darunter: Joannes a Duetecü Lucas a
Duetecü (| fecerunt. || Anno. 1569. geprint || in HoUandt in des ||
Grrauenhage bij mij || Nicolaus Liefrincx || Voortstaede op die Zale.
Bl. 4 links : Met gratie en priuilegie der Coninclijke Ma'.^ ....
Im N bis zum Südende des DoUaert, O bis NOORTHOORN südlich
davon, S bis zu den Rheinmündungen. Ein feiner Stich mit vielen Einzelheiten,
Wasserläufen, Kanälen, Wäldern, Ortsvignetten. Im Meer Schiffe. Ohne Grad-
angaben. Im ZVYDER ZEE eine 32 strahlige Kompaßrose. Am linken Rand
von Bl. 4 Meilenmaßstab: Cleyne Hollantsche mylen, 1, 2 ... 6 = 131mm;
Middelbare Hollantsche mylen 1, 2, 3, 4 = 110 mm; Grote Hollantsche mylen
1, 2, 3, 4 = 131mm. Leyden — Dordrecht (40 km) = 158 mm; Leyden — Utrecht
(45 km) = 178 mm; Edam— U. (46,5 km) = 191 mm.
Breslau, Stadtbibl. Pb. 5. Auf Leinewand aufgezogen, bunt
mit schwarzem Rand darum.
Litt.: Denucö, Oud-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 202.
74. Pyrrhus Ligorius, Belgien, 1569 (?); ca. 1:860000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 487 x 370 ram.
Unten links in verziertem Rahmen: La noua & uera descrittion j|
della Gallia Beglica. Unten rechts: DESCRIPTIO TOTIVS GAL-
LI.^ BEL||GICiE II Pyrrho Ligorio Neapolit. auctore. || KOMM.
M. D. LXVIIII (oder LXIIIIII?, die Striche sind nicht genau zu
erkennen) || Michaelis Tramezini formis. Non sine Summi || Pont,
et Veneti Senatus priuilegio ad decefiium || Sebastianus de Regibus
Clodiensis incidebat.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 51
Zeichnung und Inhalt = IV. Ber. nr. 89,22. Dag Meer ist stark gewellt.
Meilenmaßstab unten rechts: Mill. Gallica. ji 1, 2 . , . 5 = 19,5 mm |i Pro Bra-
bantia ij Hannoniae parte et || pro Campinia j| 5 Teile !| Pro Flandria occiden, || Leodio
Luxemburgo e Arduea |j 5 Teüe |j Pro inferiori Germania Campa« li nia Cliuia Guel-
dria jl 5 Teile '' . Die Entfernungen von IV. Ber. nr. 89,22 sind hier 425, 331, 260,
164, 110 mm.
Breslau, Stadtbibl. Pc. 4.
Litt.: Denuce, Oud-Xederlandsche kaartmakers I 1912, 202.
75. Bartolemaeus Scultetus, Meißen und Lausitz (1568) 1569 ;
ca. 1:860000.
Holzschnitt auf Papier. Nach N orientiert. 356 (355) x 261
(259) mm. Oben außerhalb des Randes : Tabula chorographica Mis-
niae & Lusatiae regionum. || Landtaffel der Marggraffthümer Meissen
vnd Lausitz/ sampt den Grrentzen || anderer anstossenden Re-
gionen: Darinnen furnemlich jre Städte/ Schlösser/ Flecken vnd
Märckt etc. auch die Wasserflüß / Grebirg vnd || Wald / etc. soviel
dißmals müglich vnd im wissen/ ordentlich begriffen/ mit jren
Orten vnd Stellen/ wie sie allesampt von vnd gegen j| einander
gestalt vnd gelegen sind. Außgangen vnd gedruckt zu Görb'tz
M. D. LXIX. Im Maio. Links in einfachem Rahmen: Dem durch-
leuchti*||gisten/ Hochgeborne Fürsten || vnd Herrn/ Herrn Au-
guste / Her||tzogen zu Sachssen, des heiHgen j| Rom. Reichs Ertz-
marschalchen || . . . . seinem gnedigste Herrn || zu sondern ehren
vnd wolgefal^ljlen/ Jetzund anf englich vF auffs |j new beschrieben
vn zugericht. |j Durch jrer Chur. F. Gr. vnterthe-jjnigsten vnd ge-
horsamsten. I! M. Bartolemaeum Scultetum Gor. || der Geometrischen
künsten JI liebhaber. Unten links in einfachem Rahmen: Epigr. In
Tab. Misniae. C. M. G. L. Dann 8 Distichen. Über dem Meilen-
maßstab links: MENSE \\ Martio; rechts: 1568.
Im N bis Belitz, nordöstlich von WITTENBERG, im O bis LAVBEN,
östlich von GÖRLITZ, im S bis PRÄGE, im W bis Gothen (Gotha). Bunte
Flüsse, Wälder, Berge, Ortschaften. Zeichnung im allgemeinen gut. Gradangaben
am Rande. Trapezf. Proj. Unten (280 15') 20'— 32« 30' (34'), 1° = 83 mm ; oben
(28° 9') 10'— 320 40' (42'), 1° = 78,5 mm; links und rechts (50° 6') 10'- 52° (4'),
l» = 129mm. Oben rechts Kompaß mit östlicher Abweichung. Unten: SCALA
MILLIARIVM GERMANICORVM || Grosse meilen 17 = 165 mm iJ Kleine meilen
20 = 172mm. Leipzig — Dresden (100 km) := 101 mm; Strehla — Joachimstal
(112 km) = 116 mm.
Breslau, Stadtbibl. Sd. 3.
Publ. : Schmidt, Kurfürst August von Sachsen als Geograph,
1898, 9. — Hantzsch, Die ältesten gedruckten Karten der sächs.-
thüringischen Länder, 1905, Taf. II. Diese Reproduktionen sind
aber nach einem Abzug von den noch vorhandenen Holzstöcken
gemacht, auf denen Titel und Inschriften fehlen.
4*
52 W. Rüge,
76. Petrns Laickstcen und Chrlstianus Sgrothenus, Palästina,
(1556) 1570; ca. 1:288000.
Kupferstich auf Papier. 9 Blatt in 3 Reihen übereinander.
Nach N orientiert. 1084 (1083) x 1034 mm. Oben in der Mitte
in bandartigem Ornament: Noua descriptio amplissimae Sanctae
Terrae, quam M'. || Petrus Laicksteen Astronomus perambulauit
ac visitauit. || An^. redetionis. 1556. per Christianum Sgrothenum
Eeg. Ma*'^ Hispan. etc. || Geogräphum collecta. a*^. 1570. Auf dem
6. Bl. in reich verziertem Rahmen : REVERENDISS. IN CHRISTO
PATRI II ET ILLVSTRISS. DOMINO. || D. OERARDO A GROIS-
BEECK EPISCOPO || LEODIENSI, DVCI BVLLONENSI, MAR-
CEL ||ONI ERANCIMONTANO, COMITI LOS=||SENSI, ETC.
SACR. ROMAN. IMPERH || PRINCIPI, OMNIVM BONARV
ARTIV II PATRONO. i| HIERON YMVS COCVS, || PICTOR, DE-
VOTIS'IISIME DEDIHICABAT. Unten links in reich ver-
ziertem Rahmen: M, Petrus Laicksteen Astronomus || Lectori |[
Quamtü (!) Studium et laborem in his finibus amplissimae Sanet".
terr§ || peragrandis, propter veram ac solidam rerum et locorum
cognitionem || assequendam subiuerimus , facile ij .... || ... .
agnoscere possunt Porro quem admodü || Sancte Terr^
descriptionem per suas locorum certas distantias atque i| mensuras
distinctam, studio nostro et labore particulatim quidem || assequuti
sumus, ita eandem summatim quasi ex vna tabula assequi || prae
iBgenij tenuitate non valemus. Quamobrem hoc totum || negocium
M. Christiane Sgrotheno. Reg. Ma^'^. Hispan. etc. || Meli Geograph,
commisimus, vt hunc nostrü laborem ex vna tabula || colligeret
. ... II ... . Vale. Darunter, unter dem Maßstab: Cautum est
Regio Priuilegio ne quis hanc nouam Sancte Terr§ descriptio- ||ne
pr^ter Hyeronimum Cock hinc ad decennium imprimat sub poenis in
eodem indictus (!) || prout latius patet in literis debite super eo ex-
peditis Bruxellae IX die || junij. 1570. — || Vander Aa. In der linken
unteren Ecke : Joannes ä Duetecum || Lucas a Duetecum. Fecerunt.
Unten rechts in reich verziertem Rahmen lange Erklärung: Pale-
stinam .... Im Toten Meer (LACVS ASPHALTITES) in ein-
fachem Rahmen : Imprimö en Anuers pres || du Pand des tapissiers,
ä II l'enseigne des quatre Vents, || en la maison de Jerony^Hmus Cocq.
Palästina, im N bis feerithus, im O bis Mons Arnon im NO vom Toten Meer,
im S bis zum südlichen Teil des Toten Meeres, im W bis zum Meer. Die Richtung
der Küste ist gut. Viel Flüsse, Jordanlauf stark gewunden. Berge, Ortschaften
mit kleinen Vignetten, Angabe des Wegs der Israeliten: Via per quam filij Israel
venerunt .... Im fein gewellten Meer viel SchiflFe und einige Ungeheuer. Ohne
Gradangaben. Stundenmaßstab unten links: HORiE ITINERIS 1, 2 12 =
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 53
159 mm. Joppe — Jerusalem (55 km) = 204 mm; Sidon — Gaza (250 km) = 870 mm;
S.— Tiberias (89 km) = 291 mm.
In der linken oberen Ecke ist eine Spezialkarte, die in kleinerem Maßstab
ein größeres Gebiet umfaßt. Nach N orientiert. 348 x 522 mm. In einem Orna-
ment, das einem aufgewickelten Blatt gleicht: Candido Lectori || Quod vastum ....
ünde non invtile fore putaui, si minorem || hanc Tabulam tanquam subsidiariam,
maiori |[ isti adderem , in qua descriptionem Sancte Terr§ |j integre quidem sed
angustiori spacio repetiuimus, !' et errabundum iUud iter, per desertum annis ||
quadraginta filiorum Israel simul explicuimus .... Vale. Im N bis Berithus, im
O bis Xahaliel östlich vom Nordende des Toten Meeres, im S bis ChajTo und
PARS MARIS RVBRI, im W bis Chayro. Ausführung wie auf der Hauptkarte
mit Angabe des Marsches der Israeliten. Ohne Gradangaben. Stundenmaßstab :
Horae itineris 1, 2 .... 10, 20, 30 = 88,5 mm. Die oben gemessenen Ent-
fernungen betragen hier 43, 196, 65 mm. Danach ist der Maßstab ca. 1 : 1300 000.
Die Karte wird erwähnt von Ortelius, theatrum 1595 : Petrus L. ludaeam per-
lustrans eins loca descripsit, quam descriptionem Christianus Schrot in tabulam
redegit. Exstat Antverpiae apud Hieronymum Cock 1570.
Breslau, Stadtbibl. Bb. 55.
Litt. : Röhricht, Bibl. geogr. Palaestinae, 1890, 60i nr. 67. —
Denuce, Oad-Nederlandsche kaartmakers I 1912, 126. — Wieder,
Nederlandsche hist.-geogr. documenten in Spanje, 1915, 41.
77. Remigius Hogenbers, Flandern, o. J. ; ca. 1:370000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert 494 (497) x 360
(364) mm. Oben links in einfachem Rahmen: FLAXDRIAE RE-
GENS EXACTAQ- II DESCRIPTIO^ Dann kommt noch eine
Zeichenerklärung. Unten rechts: Insculpebat Remigius Hooghen-
berchghe Macchlinien.
Flandern im W bis Bolongne, CALETVM (Calais), N bis MIDDELBVRGVM
auf WALACHRIA INS\TA (Walcheren), O bis MACLINIA, S bis DVACVM
(Douai). Die Zeichnung deckt sich genau mit CeUarius, speculum orbis 1578, 36.
Mit der Hand koloriert. Nur für die bedeutenderen Siedlungen lateinische Namen
und Vignetten , sonst einfache , rot ausgefüllte Kreise mit modernen Namen. Im
wellenförmig schraffierten Meer ein Schiff, Kopf eines Ungeheuers, Wappen.
Rechtw. Plattk. Gradangaben am Rande. Unten und oben (22« 51') 23«— 26« 50'
(53') 0, 1° = 123 mm; rechts und links (49« 590 500—51» 40' (50'), P = 196 mm.
Unten links Meilenmaßstab: lusta Miliaria Flandrica itineris Vnius höre, 1, 2 . . ..
13 = 166,5 mm, ^üliaria maius (!) 9 = 127 mm; Miliaria magna 9 = 142 mm.
Calais — Antwerpen (185 km) = 480 mm; Ostende — Douai (96 km) = 270 mm;
Antwerpen — Gent (51km) = 135 mm; A. — Middelburg (62 km) = 173 mm;
Brügge— Calais (100 km) = 262 mm; Ostende— Ypem (43 km) = 118 mm. Die
Karte ist einer Handschrift beigefügt, die über Flandrische Fürsten u. s. w. handelt
und in der das letzte Datum 1562 ist. Danach ist es nicht unwahrscheinlich,
daß die Karte ungefähr aus dieser Zeit stammt.
München, Hof- und Staatsbibl. cod. icon. 265. De Vreese (s. u.)
116 f. setzt sie zwischen 1553 und 1562.
Publ. u. Litt.: De Vreese, Leekebijdragen tot de geschiedenis
B4 W. Rüge,
van Vlaandern (K. Vlaamsche Academie voor taal- en letterkunde)
1912, 95.
78. Anonymus, Corsica, o. J. ; ca. 1:625000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 187 x 293 (290) mm.
Oben links in einfachem Rahmen : CIRNVS siue Corsica jnsula est
jn II mari ligustico circuitus 322. mill. paf||suü uinni et annimälium
ferrocißimi || et gignit homines fortes ad labores et || militiam.
Inhalt und Zeichnung der Karte = III. Ber. nr. 29, 31. Vgl. IV.Ber. nr. 67.
Breslau, Stadtbibl. Gc. 72.
79. Anonymus, Malta, o. J.; ca. 1:170000.
Kupferstich auf Papier. Nach W. orientiert. 181 x 248 mm.
Oben links in verziertem Rahmen : Melita insula, ab Sicilia disiun- 1(
cta Cotono seu Goßipio. In der Insel MALTA.
Malta mit einem Stück der Isola di gozzo am oberen Kartenrand. Sonst
stimmt alles zu IV. Ber. nr. 90, 106.
Breslau, Stadtbibl. Grc. 30.
80. Anonymus, Majorca, o. J. ; ca. 1 : 485 000.
Kupferstich auf Papier. Nach W orientiert, aber rechts
MEZZODI, links TRAMONTANA. 177 (178) x 249 mm.
Alles übrige stimmt mit I. Ber. nr. 67, 4 überein.
Breslau, Stadtbibl. Fb. 61.
81. Anonymus, Menorca, o. J. ; ca. 1:200000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert, aber rechts
PONENTE, links LEVATE, unten MEZZODI. 172 x 241 mm.
Sonst alles = I. Ber. nr. 67, 5 , wo das 1. Wort des Textes in MINORICA
zu ändern ist und beim letzten die Endsilbe nicht sicher gelesen werden kann.
Breslau, Stadtbibl. Fb. .66.
83. Anonymus, Neapolitanisches Reich, o. J. ; ca. 1 : IV4 Mill.
Kupferstich auf Papier. Nach NO orientiert. 486 x 326 mm.
Oben in bandartigem Ornament: REGNO DI NAPOLI.
Unteritalien von der Linie Rom — Ancona. Sizilien bis zum Etna ; dieses
Stück ist aber als selbständige Insel gezeichnet. Die Namen der Himmelsrichtungen
LEVANTE, OSTRO, PONENTE sind ganz ausgeschrieben; man kann erkennen,
daß bei allen die letzten Buchstaben nachträglich angesetzt sind. Unten in der
Mitte Scala de le Miglia 20, ... 80 = 71 mm. Die Entfernungen haben mit
Abweichungen von 1 — 3 mm dieselbe Größe wie die im III. Ber. nr. 15. Vgl. I. Ber.
nr. 64.
Breslau, Stadtbibl. Gb. 184.
83. Anonymus, Sardinien, 0. J. ; ca. 1:1 Mill.
Inhalt und Zeichnung = I. Ber. nr. 67, 51. Nur fehlt der Name des Ver-
fassers, und die Länge der Insel von S — N (270 km) ist = 268 mm.
Breslau, Stadtbibl. Gc. 61.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 55
84. Anonymns, Sardinien, o. J.; ca. 1:930000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 201 (199) x
301 mm. Links oben in verziertem Rahmen: Sardinia insula,
inter Africü, et Tyr»||rhenü pelagus sita : magnitudine |j 562 mill.
pas : . . . . fonti=||bus, salubribus, prestantißima.
Ausführung = IV. Ber. nr. 90, 103 b. »
Breslau, Stadtbibl. Gc. 60.
85. Joannes Franclscus Camocius, Palästina, ohne Jahr ; ca.
1:580000.
Kupferstich auf Papier, Nach 0 orientiert. 481 (478) x
249 mm. Oben querüber in einer Zeile: SITVS, TEERE,
SANCTE, IVXTA, NVMERV, FILIOI^, ISRAEL, PER, APICES,
SEY, PVCTA, DIVISVS (das erste I ist in's D hineingesetzt).
Unten rechts : Apud Joannem Franciscum Camocium.
Palästina mit Einteilung für die einzelnen TRIBVS. Im O bis Bosra, nunc
idumea, S bis Gaza und Bersabe, W bis zum Meer, N bis Sidon. Rechtw. Plattk.
nach der Gradeinteilung am Rande, aber die Zählung der Grade ist unverständlich.
Unten und oben 5, 10, 15 ... . 80, 82; jeder Teil, der wieder in 6 Unter-
abteilungen eingeteilt ist, = 29 mm ; links und rechts (45) 40, 35 .... 5, 1 Teil
= 31mm. Sidon— Tiberias (89km) = 181 mm; S.— Gaza (250km) = 438mm;
Joppe — Jerusalem (55 km) = ca. 80 mm.
Breslau, Stadtbibl. Bb. 57.
Litt. : Röhricht, Bibliotheca geographica Palaestinae 1890, 610,
nr. 135.
b. Sammelbände.
86. In der Universitätsbibliothek zu Breslau ') findet sich ein
dünner Band (ohne Signatur) in sehr verbrauchtem und verbeultem
Pergament , geschlossen 290 X 470 mm. Er enthält 27 Karten,
lauter Kupferstiche. Außerdem ist eine anonyme Weltkarte lose
hineingelegt = IV. Ber. nr. 87, 2. Die eingehefteten Karten sind
folgende :
1. Ant(onius) Sal(amanea) , Weltkarte, o. J. == HI. Ber.
nr. 29, 3. Anderes Exempl. : Breslau, Stadtbibl. Aa. 24.
2. Jacobus Gastaldi, Weltkarte, 1560 = in. Ber. nr. 29, 4.
3. Nicollo del dolflnatto, Atlantischer Ozean, 1560 = IV. Ber.
nr. 89, 74.
4. Anonymns, Irland, o. J. ; ca. 1:2 Mill.
1) Der im F. A. 136 erwähnte Atlas, der sich in der Breslauer Stadt-
bibliothek befand, ist aufgelöst worden ; die meisten der oben aufgeführten Karten
werden aus ihm stammen.
56 W. Rüge,
Nach S orientiert. 180 (184) x 265 (258) mm. Oben links in
einfachem Rahmen: HIBERNIA siue IRLANDA insnla || maxima
inter Britanniam & Hifpaniam si=||ta .... & musica gaudent.
Inhalt = I. Ber. nr. 67, 7. Dundalk— Galway (195 km) = 103 mm. Die Insel
NO— SW (490 km) = 244 mm.
5. Anonymus, Island, o. J. = IV. Ber. nr. 90, 11.
6. Anonymus, England, 1556 = III. Ber. nr. 29, 8.
7. Vincentius Luchinus, Spanien, 1559 = IV. Ber. nr. 90, 14.
8. Anonymus, Majorca, o. J. = IV. Ber. nr. 87, 44.
9. Anonymus, Menorca, o. J. = IV. Ber. nr. 87, 45.
10. Michaelis Trämezini, Flandern, 1555 = I. Ber. nr. 67, 12.
11. Michaelis Tramezini, Brabant, 1558 = III. Ber. nr. 29, 14.
12. Michaelis Tramezini, Friesland, 1558 = III. Ber. nr. 29, 17,
13. Jacopo di Gastaldi, Deutschland, 1559 = oben nr. 44.
14. Anonymus, Österreich-Ungarn, o. J. = I. Ber. nr. 67, 30.
15. Ant(onius) Salamanca, Schweiz, 1555 = III. Ber. nr. 29, 23.
16. Jäcomo Gastaldo, Piemont, 1556 = III. Ber. nr. 29, 25.
17. Anonymus, Lombardei, 1556 = IV. Ber. nr. 90, 82, nur
steht in dem Schild unten links nur die Jahreszahl 1556 und kein
Name.
18. Hieronimo Bell' Armato, Toskana, 1558 = IV. Ber.
nr. 51.
19. Anonymus, Gebiet von Rom, 1557; ca. 1:270000.
Die Karte stimmt mit IV. Ber. nr. 90, 89 überein, nur die Jahreszahl weicht
ah und die Worte Con priuilegio fehlen.
20. Anonymus, Neapolitanisches Reich, o. J. ; ca. 1 : 1100000.
Nach NO orientiert. 481 x 303 (302) mm. Oben- in band-
artigem Ornament: REGNO DI NAPOLI. Unten links steht
nichts.
Inhalt = III. Ber. nr. 15. Ohne Gradnetz und Kompaßrosen. In der Mitte
unten Meilenmaßstab : Scala de le Miglia = 73 mm, aber ohne Einteilung. Die
letzten sechs der III. Ber. nr. 15 angegebenen Entfernungen haben hier folgende
Maße: 377, 210, 260, 243, 242, 360 mm. Vgl. IV. Ber. nr. 89, 52 und 90, 97.
21. Anonymus, Corsica, o. J. = IV. Ber. nr. 67.
22. Fabius Licinius, Sardinien, o. J. = III. Ber. nr. 29, 30.
23. Anonymus, Elba, o. J. == III. Ber. nr. 29, 32.
24. Anonymus, Sicilien, o. J. = I. Ber. nr. 67, 50.
25. Sebastianus de Regibus, Kreta, 1559 = I. Ber. nr. 67, 58.
26. B. F., Cypem, 1560 = I. Ber. nr. 67, 61.
27. Anonymus, Ansicht von Parma.
Aelterea kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 57
Anhang.
Zum Schluß sind noch die Karten anzuführen, die schon in
den vorigen Berichten genau beschrieben sind, und von denen sich
noch andere Exemplare gefunden haben,
Luchinus, Lombardei, 1558 = IV. Ber. nr. 90, 82.
Exempl. : Breslau, Universitätsbibl. Schles. Ges. B. Mappe
X 16.
Nelli, Afrika und Asien, 1564 (1565) = I. Ber. nr. 67, 73—75.
Exempl.: Breslau, Stadtbibl. Ca. 6, 1—3.
Bertelli, Italien, 1565 = I. Ber. nr. 67, 36.
Exempl. : Breslau, Stadtbibl. Gr a. 3.
F. Bertelli, Menorca, o. J. = I. Ber. nr. 67, 5.
Exempl.: Breslau, Stadtbibl. Fb. 65.
Gastaldi, Korsica, o. J. = I. Ber. nr. 67, 42.
Exempl.: Breslau, Stadtbibl. Gc. 70.
(Cornelius Anthonii), Dänemark und die umliegenden Länder,
1562 = I. Ber. nr. 67, 20.
Exempl. : Breslau, Stadtbibl. I a. 3 und 3».
F. BerteUi, Gotland, o. J. = I. Ber. nr. 67, 22.
Exempl.: Breslau, Stadtbibl. Ib. 50.
Luchinus, Lombardei, 1558 = IV. Ber. nr. 90, 82.
Exempl. : Breslau, Universitätsbibl. Schles. Ges. B. Mappe
X 16.
Oleatus, Holland, 1567 = I. Ber. nr. 67, 14.
Exempl.: Breslau, Stadtbibl. Pb. 3.
n. Texte.
A. Handschriften.
a. Entdeckungsgeschichte.
1. Monetarius (Münzer), Brief an Johann II. (Bruchstück),
1493.
Papierhandschrift. Enthält einen Teil des Briefes, den Hie-
ronymus Münzer am 14. Juli 1493 an Johann II. von Portugal
über den Seeweg nach Kathay in lateinischer Fassung gerichtet
hat. Die portugiesische Übersetzung s. u. nr. 48.
München, Hof- u. Staatsbibl. in Incun. c. a. 424. 4*^.
58 W. Rüge,
Publ. u. Litt. : Stauber, R., Die Schedeische Bibliothek (Studien
u. Darstellungen aus d. Grebiet d. Greschichte VI 2, 3, hrsg. von
Grauer t) 1908, 89, 251. — Vignaud, Histoire critique de la grande
Entreprise de Chr. Colomb, 1911 II 414 f., 447 f., 620 f. — Vgl.
außerdem u. nr. 48.
3. Monetariiis (Müiizer), Entdeckung von Guinea, 1494, 1495.
Papierhandschrift. Enthält Itinerarium siue || Peregrinatio
Excelle||ntissinii viri artiü || ac vtriusqve medicine || doctoris Hie-
roni II monetarij de Felt=||kirchen Ciuis || Nuremberg=||ensis. Darin
fol. 280 f. Nachrichten De Inuentione AfFrice' maritime et occi-
dentalis vel genee Per Infantem heinricum Portugallie.
München, Hof- und Staatsbibl. Clm. 431.
Publ. (nicht ganz genau) u. Litt. : Kunstmann , Abb, Akad.
München, philos.-philol. Cl. VII, IL Abt. 289. 348 f.
3. Valentin Ferdinand, Portugiesische Entdeckungen, 1504,
1505, 1507.
1. Papierhandschrift. Über die Fahrt Kabrals.
Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Mscr. Histor. nr. 248, Bl. 54— 55.
Publ.: Künstmann, Abb. Akad. München, philos.-philol. Cl.
1860, VIII, LAbt. 788 f.
2. Dieselbe Handschrift, Bl. 57—58. Über die Fahrt der
Portugiesen nach Indien 1505. Beginnt: Valentinus Morauus doc-
tori praestantissimo Conrado Peutinger Augustensi. S. und schließt:
Vale ex Vlixbona Die XVI Augusti Anno M. D. V.
Publ. : a. a. 0. S. 787 f. ~ B. Greiff (26. Jahresbericht d.
histor. Kreisvereins im Regierungsbezirk von Schwaben u. Neu-
burg f. d. Jahr 1860), Augsburg 1861, 172 hat den 2. Teil des
Briefes nach einer Handschrift der Augsburger Stadtbibliothek
veröffentlicht (s. u. nr. 4).
3. Papierhandschrift. Über die portugiesischen Entdeckungen
an den afrikanischen Küsten in Indien, auf den atlantischen Inseln
und Inselgruppen, 1507. Die einzelnen Bestandteile des Sammel-
werks und die Stellen, an denen sie publiziert sind, findet man
am bequemsten zusammengestellt bei S. Rüge, 27. Jahresbericht
des Vereins für Erdkunde zu Dresden 1901, 146 f. — Über V. Fer-
dinand vgl. Böhme, Die großen Reisebeschreibungen des 16. Jahr-
hunderts, 1904, 9.
München, Hof- und Staatsbibl. Cod. Hisp. Cl. I 27.
4. Briefe und Berichte über die frühsten Reisen nach Amerika
und Indien, aus Dr. Conrad Peutlngers Nachlaß. Papierhand-
schriften.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 59
Augsburg, Kreis- und Stadtbibliothek.
Publ. : ß. Greiff (26. Jahresbericht d. histor. Kreisvereins im
Eegierungsbezirk von Schwaben u. Neuburg f. d. Jahr 1860),
Augsburg 1861, 113 f. — Hümmerich, Vasco da Gama 1898, 193
(das Original zu dem 4, Stück der Sammlung bei Greiff S. 133 f.).
5. SpriD^er, Indienfahrt, Anfang des 16. Jahrhunderts.
Papierhandschrift, 10 Blatt, 30 Zeilen auf der vollen Seite.
Rings um den Text ein breiter Saum freigelassen. Geschrieben
Anfang des 16. Jahrhunderts, also bald nach der Rückkehr Sprin-
gers 1507. Ohne Bilder. 1. Bl. r. : Relatio balthasaris Springer
de maxia sua || marina peg'natioe ex ptib5 hollandie i vlix||bonä
portugalie ac deide p occeanü australe (!) || versus polü ätharticü
in indiam et ei9 isulas || Ego balthasar Springer induct9 pre|Icibus
amicorü simnl et ai mei || attractus delectatione 10. Bl, v. :
a quo discedetes I directü || xv die nouebris tande vlixbone portü
itrauim9. Fis.
Gießen, Universitätsbibl. Handschr. nr, 219, Bl. 36 — 45.
Publ. : Voyage Iitt(5raire de deux religieux Benödictins, heraus-
gegeben von Martene und Durand, Paris 1724, 361 ff.
Litt. : Schulze, Balthasar Springers Indienfahrt 1902, 8.
6. Rem, Lucas, Tagebuch aus den Jahren 1494 — 1541. Papier-
handschriften.
Augsburg, Kreis- und Stadtbibliothek.
Publ. : B. Greiff, a. a. 0. 1 f.
7. Anonymus^ New Zeitung auß presillanndt, 1514.
Papierhandschrift. Auf der Außenseite steht die Aufschrift:
„New Zeitung auß presillanndt". Der Text beginnt: „Zeytung So
ain schiff pracht hat So von portugal außgefaren ist" und gibt
den Anfang des gedruckten Flugblattes (s. u. nr. 73. 74) mit Jahres-
zahl: „Wißt das auf 12 october 1514 ain Schiff aus presillanndt
hie ankörnen ist . . . ."
Augsburg, Fuggersches Archiv, Brasilien 1515, 65. 1, 3.
Litt. : Häbler, Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1895, 352.
8. Pirkheimer, Abschrift der „Newen zeittung" (s. nr. 78),
datiert vom 19. III. 1522.
Nürnberg, Stadtbibl. Pirkheimers Handschr. nr. 99.
9. Wolfgäng Sedelius, Abschrift zweier Briefe, 1531.
Papierhandschrift. Auf Bl. 1 steht Ff Vuolgang9 Sedeli9 ||
Anno dnj. 1531.
Bl. 326: DVE EPISTOLE HL||STORICE DE INSVLIS ||
INDIE DE ALAN: 11 DATO DL II VI CAHIROHILI l| HISPANIE
60 W. Buge,
EEaiS ROMANI=||Q(VE) IMPERII CiESARlS NV=||PER INVEN-
TIS II QVAS VO-'IICANT || MO^||DO || NOVAM HISPANIA. —
Bl. 327: EPISTOLA PRIOR lOANHINIS SEBASTIANI DOL= ||
CANONIS CAPITA=||NEI INVICTISsHSIMI CARO ||LI HIS ||
PA=||NIE REGIS, ETÖ. ROMANI || IMPERII CESARIS SEM= ||
PER AVaVSTI II EIDEM DEH|STL||NATA, NARRATIVA
RERV II QVAS IN OCEANO NVPER || EXPERTI SVNT LV^JI
STRATORES || HISPA=||NI. — Del Cano war auf der Fahrt von
Magalhaes Führer der Victoria.
Publ. : Schmeller, Abh. Akad. München, philos.-philol. Gl. IV 1,
1844, 264 f.
Bl. 335; EPISTOLA • ALTERA || DE INSVLIS PER FERHI
DIN AND VM II MAGELLA=||NVM || POR.||TVGALLENSEM
NONNVL»||LOSQ(VE) ALIOS AD HOC || NEGOCIVM || DELECHJ
TOSIISVB INVICTISSIMO IMPE=||RATORE CAROLO HIS=||
PANIE REGE NV||PER INVEN^ITIS AB || AVH|THORE
H ACTEN VS NOBIS || INCOGNITO EDL||TA. — Beginnt Bl.
336: Renerendissime ac illustrissie || princeps & domine, domie j|
mi unice humillimam c6||mendationem die||bus una ex
quinque illis nauibus Schluß Bl. 378: Datum uallis oleti.
Die 0*||ctobris. Anno Domini. M. D. 22. — Es ist eine
Abschrift des Briefes des Maximilianus Transylvanus über die Fahrt
des Magalhaes. S. u. nr. 83. 84.
Bl. 341 zwei Karten: 1., Südostasien nach Ptolemaeus, 2., Säd-
ostasien nach den 'Hydrographi'. 121 x 52 mm. Nach N orientiert.
Vorder- und Hinterindien, der westliche Teil der 4. Halbinsel,
mit Sinus Gangeticus und Sirius magnus. Hinterindien lang nach S
gezogen wie auf der Carta Marina Waldseemüllers von 1516.
Längen sind offenbar unten und oben eingeteilt, aber ohne Zahlen
und nicht übereinstimmend in der Größe mit denen der darüber-
stehenden Ptolemäischen Zeichnung. Breitenangaben rechts und
links von (ca. 7°) 10" 8—30" N, 5« = 6,75 mm.
München, Hof- und Staatsbibl. Clm. 18695.
Litt.: Schmeller a. a. 0.
b. Segelanweisungen.
10. Anonymus, Portolan, 1296.
Pergamenthandschrift. 106 Blätter zu 21 Zeilen. 1. Bl. r. :
IN nomine dni nri ihn xpi amen. Incipit liber conpassuü.
0 0 0 .. . . _ . j
M. CG : Lxxxxvj. De mense januarij fuit inceptu opus istud.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 61
Lo conpasso de nanegare. A questo sie lo compasso e la
starea de la terra sicomo se regnarda en qnante millara pere
starea en primamente da lo capo de san ui^eco auenire de nere
spagna uer leuante. Segelanweisimg für das Mittelmeer mit dem
Schwarzen Meer, BL 105 und 106 sind von anderer Hand ge-
schrieben. Bl. 106 V. schließt: Qua e cöplito de uol9ere tucto.
entorno lo mare maiore da leuäte e da ponente cioe lo mare
maiore de romania dentro a costantinopoli. Explicit Über portuum
totius maris in quo potest nauigari deo gratias Amen. Qui scripsit
scribat semper cum domino uiuat. — Es ist der älteste datierte
Portolan, der bekannt ist. Er fehlt bei Kretschmer, Die ita-
lienischen Portolane des Mittelalters, 1909, und stimmt mit keinem
der dort veröffentlichten Portolane überein.
Berlin, Kgl. Bibl. Mscr. Hamilton 396.
11. AnODymas, Seebuch, 14. Jahrh.
Papierhandschrift, 70 Blätter. Segelanweisungen für die at-
lantischen Küsten Europas.
Hamburg, Kommerzbibl.
Publ. : Koppmann, Das Seebuch, 1876.
12. Anonymus, Portolan, 15. Jahrh.
Papierhandschrift. 67 Blatt, die in 2 Spalten auf 38 Zeilen
beschrieben sind. Beginnt : Questo sie portolan ch(e) nauega p tuto
el mondo. Chomezando da lisbona he vegneremo p la banda de
ponente, e si zerzeremo tuto el mondo AI nome del bon yh(e)u.
Chomenzeremo da lisbona fino al chauo de san vizezo sie mia.
170. p ost*^ algüa chossa x/sso el garbi. Es folgt eine Segel-
anweisung für Küsten und Inseln des Mittelmeers, einschließlich
des Schwarzen Meers. Bl. 65 v. kommt die atlantische Außen-
küste : Questo sie chöpasso e portolano |I d tarifa p tuta la spagna
e la galizia el cholfo d baiona i torno i torno (I), E p la Stagna
e p lo rasso d san maio e p tuta normädia e pichardia i fina I
flandra e po torna, p la engelterra i fina al chauo de chornouaia
Bl. 67 V. : Sapie ch(e) nuy semo passadi i engelterra e
vegneremo p la chosta i fina a la girlanda. Finis deo gras.
Laus deo sit nome dni bnditum (!). Amen. — Der Portolan fehlt
bei Kretschmer, Die italienischen Portolane des Mittelalters, 1909,
und stimmt auch mit keinem der dort veröffentlichten Portolane
überein.
Berlin, Kgl. Bibl. Cod. Ital. 172 fol.
13. Christoforus Bondelmont, Inselbuch, 1420.
Papierhandschr. in Leder gebunden, 162 x 305 mm. Auf dem
62 W. Rüge,
1. Bl. des Textes: CHRISTOFORVS : BON||DELMONT: FIO-
RENTIA: PR||ESBITER. HVNC : MISIT : CAR=||DINALI:
lORDANO: DE VRSL||NIS: M. CCCC. XX.
98 Blatt. Beschreibung von Kreta und den griechischen In-
seln in der gekürzten Fassung. Im Text Inselkarten. Außerdem
Bl. 81 eine kreisrunde Weltkarte von 145 mm Durchmesser. Rohe
Umrisse. Afrika selbständiger Erdteil, ohne Zusammenhang mit
Südostasien. Bl. 82 v. und 83 r. Italien; ca. 1:3700000. Zeich-
nung der Küsten gut; Innenzeichnung gibt Flüsse, Grebirge, Städte.
Arno und Tiber hängen zusammen. Genua — Tarent (810 km) =
233 mm; Nordküste von Sizilien (270 km) = 70 mm; Ancona —
Tarent (470 km) = 140 mm; Alessandria — Ravenna (290 km) =
70 mm.
Berlin, Kgl. Bibl. Msc. Hamilton 108.
Publ. : Die oben beschriebene Weltkarte im Periplus S. 111,
Fig. 50.
Litt.: Legrand, Description des lies de l'Archipel par Chr.
Buondelmonte (Publ. öcole langues Orient, viv. 4^ serie , XIV.
1897). — Jacobs, Cristoforo Buondelmonti (Festschr. f. A. Wil-
manns, 1903), 3 13 f.
14. Anxerinus (Bondelmont), Inselbuch.
Papierhandschrift, Bl. 21—51 enthält den über insularum.
Beginnt: Constitui pater reuerendissime iordane cardinalis meis
itineribus tibi librum || insularum cicladum atc[5 aliarum in cir-
cuitu sparsarum destinare figur H arum vna atc[5 suis temporibus
priscis usque in hodiernum gestis. Schließt auf Bl. 51: Christo-
phorus ego anxerinus venerande pater primum tibi affectanter
misi ... — Über die Form Anxerinus vgl. Legrand, a. a. 0. XXVI.
Düsseldorf, Staatsarchiv G. 13.
Litt. : s. vor. nr.
15. Duarte Barboso, Küstenbeschreibung des Indischen Ozeans,
Anfang des 16. Jahrhunderts.
Papierhandschriften.
Spanische Fassung.
München, Hof- und Staatsbibl. Cod. hisp. 8 und 12.
Litt.: E. J. Stanley, A description of the coasts of East
Africa and Malabar in the beginning of the sixteenth Century by
Duarte Barbosa. Hakluyt Soc. 1866. — Wieder, Nederlandsche
hist.-geogr. documenten in Spanje, 1915, 188.
Deutsche Fassung. Beginnt: Absclirifft der relaciones vnnd
bericht So durch Duraten Barboso ain portugalisch treffenlicher
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 63
vnnd bey Kho Mt von 'portugal ansechlicher glaubwirdigcr man
So die gesagtenn ding alle selbs persönlich gesehen vnnd als ainer
der auf den erstenn schiffen so weilenndt Kunig Emanuel von por-
tugal jm . . . [freigelassen, nad dann nicht ausgefüllt] Jar zu er-
findung frembder lennder vnnd Innsulen per India ausgesanndt selbs
erfaren Vnnd dem Khunig von portugal also nach lenngs was sie
vff sollicher fart von Cabo de buena sperantza bis genn Callicut
Narsingna thina Vnnd Maluco zu wasser vnnd auf Lannd gesehenn
vnnd erfaren, sowol die art vnnd gelegenhait der Lennder als die
Ceremonias Vnnd gebreuch der Innwonner zu bericht geschribenn
vnnd coroniciert hat. — Bl. 124: Dis Buch hab Ich. Iheronimus
Seits vonn Augßpurg aus spanischer Zunge Inns teutsch bracht
vnnd verteutschet auff 28 tag nouembris Im Jar 1530 . . .
Stattgart, Kgl. Landesbibl. Mscr. (Geschichte) nr. 213 fol. —
Ebenfalls deutsche Fassung in München, Hof- und Staatsbibl.
Cgm. 934 und 953.
Holländische Fassung. 16. Jahrhundert. Beginnt: De cabe
van sint sabasteam. Alz men ghepasseert es de cabe van bona
esperanca
Heidelberg, Universitätsbibl. Cod. Pal. G-erm. 150.
Litt.: Wilken, Fr., Geschichte der Bildung, Beraubung und
Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen, 1817,
362 f. — Wille, Die deutschen Pfälzer Handschriften des 16. und
17. Jahrhunderts in der Universitätsbibl. in Heidelberg, 1903, 18.
Beide haben nicht erkannt, daß es eine Übersetzung von Duarte
Barboso ist.
16. (De Nicolay, Sieur d'Arfreville), La navigation d'environ
le royaume d'Escosse, Mitte des 16. Jahrhdts.
Pergamenthandschrift in weichem, goldgepreßtem Ledereinband,
geschlossen 165 x 223 mm, 19 Blatt. — 1. ßl. r. leer. — v. Kompaß-
rose. — 2. Bl. r.: LA NAVIGATION D'ENVIRON i| Le Royaume
d'Escosse, auec les || haures, Raddes, profonditez, däijgez, & aprou-
chemens des Portz || & Isles adiacentes du i3 Roy^ — 2. Bl. v.
leer. — 3. Bl. r. : La Nauigation d'Escosse. || Geste nauigation est
diuisee |j en quatre parties |1 LA Premiere, contient le passage de-
puis Ij l'Haure du Lith, aux principalles || parties d'Escosse, tirant
au fluue de || Humbre. || La seeonde du mesme haure du lith,
iusqs II a Doungesby, en Cathnes. || La tierce, de Doungesby iusques
a la 11 Mule || de Kynteir. || La quatrieme, et derniere partie, de la
mule II de Kynteir iusques a la mule de Gallouay et || ä la riuiere
de Soluay. j| En chascune des dictes naui^ j| gations sont declarees
64 W. Rüge,
V. choses II La premiere est la course de la Maree. || Le temps que
la mar entre & sort. || — 3. Bl. v. L'aprouchement des costes ||
Xies veues d'vne terra a l'aultre || Las Haures, E-addes, profonditez
& II les dangiers. — Der Text reicht bis Bl. 15 v. und schließt:
Ein de la nauigation d'enuiron || la coste d'Escosse. — Bl. 16 leer.
Bl. 17 doppalt so groß wie die andern, zusammengefaltet, enthält
eine Karte von Schottland ; ca. 1 : 2 Mill. Handzeichnung auf Per-
gament. Nach N orientiert. 285 (275) X 376 mm. Überschrift:
Charte de la Nauigation du Royaume d'Escosse. Ohne Verfasser
und Jahr. Schottland und der nördliche Strich von England, im
N die ORCHADES INSVLAE, im W die HEBRIDES INSVLAE,
und HYBERNIAE PARS. Hauptsächlich Küstenzeichnung, recht
gut, völlig frei von Ptolemaeus, ohne die für die Seekarten cha-
rakteristische Zeichnungsweise. Im Innern Flüsse, Berge, aber
keine Städte, Landschaftsnaman. Diese Namen sind englisch, die
der Meere und Inselgruppen sind lateinisch. Längenkreise oben
und unten 15*^ — 22^ 0, 1" = 34,5 mm; Breitenkreise rechts und
links 56°— 62'^N, P = 53,5 mm. Außerdem 32 strahlige Kompaß-
rosen. Am rechten Rand die ptolemäischen Angaben über die
Tageslängen. Rechts unten außerhalb des Randes Meilenmaßstab,
Milliaria, 6 Teile, die wieder halbiert sind, = 64,5 mm, ohne In-
schrift. Edinburg — Glasgow (65 km) = 30 mm; C. Duncansby —
innerster Winkel des Solway F. (400 km) = 240 mm ; CD. —
Edinburg (300 km) = 188 mm. — Bl. 18 leer. — Bl. 19 r. Mond-
tafel, V. leer. — Das Ganze ist eine kürzere Fassung von „La
navigation du roy d'Escosse, Jacques cinquiesme du nom, autour
de son royaume .... soubz la conduite d'Alexandre Lyndsay ....
par De Nicolay, Sieur d'Arfreville . . . ." Paris 1583 (nach einer Mit-
teilung der Verwaltung der Stadtbibl. in Breslau, die unter der
Signatur 4 F 1289 den seltenen Druck besitzt).
Berlin, Kgl. Bibl. Ms. Hamilton 38.
c. Lehrbücher.
17. Johannes Eck, Introductorium breve cosmographicum,
1506.
Papierhandschrift. 1. Bl. r. : Introductoriü breue Cosmogra-
phicü II Jo. eccij ad Ptolemej || tabulas vtilissimü || 1506. Darunter
von jüngerer Hand: Ex Biblioth. Academ. Ingolstadt — Bl. 3 r.
beginnt der Text mit allgemeinen Definitionen und Inhaltsver-
zeichnis. — Bl. 4 r. f. Definition der Kugel , des Kreises u. s. w.
Einteilung des Himmels in Grade, die Zonen. Dabei die Be-
merkung: An autem illa zona inter Tropi Capricorni sit habitata,
Aelteres kartographischeB Material in deutschen Bibliotheken. 65
diu dubitatü foit .... Sed temporibus nostris Regia classis Lu-
sitani^ nüc Portugallia dicta Alberico Vesputio dnctore scrupnlum
Omnibus deposuit. Eins navigatione inuenta est ea zona habitata
a magna multitudine hominum. — Weiterhin über Parallelen, Kli-
mata, Gradeinteilung und Größe der Erde. Den Beschluß macht
eine kurze Länderkunde von Asia, Aphrica, Europa. Die neuen
Entdeckungen werden nicht berührt, nur ganz nebenbei wird ein-
mal Albericus Vesputios genannt. Am Schluß ein Jo. Eckij pro-
loquiü, unterschrieben 1506, 1508, 1510. Der Text zeigt mehr-
fach enge Berührung mit Waldseemüllers Cosmographiae intro-
ductio 1507.
München, TJniversitätsbibl. Cod. Msc. 800, 4°. — Basel, TJni-
versitätsbibl. A. N. VII 1 nr. 7.
Litt. : S. Günther, Joh. Eck als Geograph (Forschungen zur
Kultur- und Litteraturgesch. Bayerns ü. 1894).
B. Drucke.
a. Entdeckungsgeschichte.
1. Einzelschriften.
18. Colnmbns, Epistola, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): a Epistola Christof ori Colom:
cui ^tas nostra multü debet : de || Insulis Indi^ supra Gangem nuper
inuentis. Ad quas perqui=||rendas octauo antea mense auspicijs
(et) ^re inuictissimi Fernan-Udi Hispaniarum Regis missus fuerat:
ad Magnificum dnm Ra||phaelem Sanxis : eiusdem serenissimi Regis
Tesaurariü missa: || quam nobilis ac litteratus vir Aliander de
Cosco ab Hispano || ideomate in latinum conuertit: tertio kal's
Maij • M • cccc • xciij • || Pontificatus Alexandri Sexti Anno Primo. |(
QUoniam susceptQ prouinti^ rem perfectam me cösecutum |j fuisse
gratum tibi fore scio : .... — 4. Bl. r. Ende des Briefes : H^c vt
gesta sunt || sie breuiter enarrata. üale. Ulisbon§ pridie idus
Martij. |1 Christoforas Colom Ocean^ classis Pr^fectus. — 4. Bl. v. :
CI Epigramma ' R • L ■ de Corbaria Episcopi Montispalusij • j| Ad
Inuictissimum Regem Hispaniarum.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginiening.
Coblenz. Stadtbibl. ; Beiband zu Methodius. — Maihingen,
Undat. 4« 32. — Freiburg, Universitätsbibl. I. 8015. — Freiberg,
Gymnasialbibl. Xn 4° 12.
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phi].>hist Klasse. 1916. Beiheft.« 5
66 W. Rüge,
Publ. : Rüge, Gesch. d. Zeitalters d. Entdeckungen 1881, 262
(1. Seite).
Litt.: Harrisse, BAV nr. 1. — Racc. Col. I 1, LX nr. 1.
(ein Exempl. soll in München, royal libr., sein; stimmt nicht),
VI 20 nr. 43.
19. Columbus, Epistola, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): De Insulis inuentis || Epistola
Cristoferi Colom (cui etas nostra || multü debet : de Insulis in mari
Indico nup || inuetis. Ad quas perquirendas octauo antea || mense:
auspicijs et ere Inuictissimi Fernandi || Hispaniarum Regis missus
fuerat) ad Mag=||nificum dnm Raphaeles Sanxis: eiusde sere- |[
nissimi Regis Thesaurariü missa. quam nobi||lis ac litterat9 vir
Aliander b Cosco: ab His-||pano ydeomate in latinü conuertit:
tercio kl's || Maij. M. cccc. xciij. Pontificatus Alexandri || Sexti
Anno Primo.
(Q)Uoniam suscepte prouintie rem p*||fectam me <^secutum
fuisse: grata tijjbi fore scio : .... — 8. Bl. v. : Hec vt gesta
sunt sie breuiter enar=||rata. Uale. Ulisbone pridie ydus Marcij. |j
Cristofor9 Colom Oceane classis Prefect9. || Epigrama, R. L. de Cor-
baria Episcopi || Montispalusij || Ad Inuictissimü Rege Hispaniar(uin).
80. 8 Blatt. Pag. : I, II, III [4—8].
Basel, Universitätsbibl. D. E. VIII, 10 nr. 4. — München,
Hof- und Staatsbibl. S''. Rar. 6^ früher Cim. 231b. — Berlin,
Kgl. Bibl. U X 7470.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 2. — Racc. Col. I, 1, LX nr. 2;
XI 21, nr. 47.
20. Columbus, Epistola,- Rom, 1493.
l.Bl. r. (in gotischer Schrift): ff Epistola Christofori Colom:
cui etas nostra multum debet: de || Insulis Indie supra Gangem
nuper inuetis. Ad quas perquiren||das octauo antea mense au-
spiciis (et) ere inuictissimorum Fernandi || ac Helisabet Hispaniar(um)
Regü missus fuerat: ad Magnificü dnm || Gabrielem Sanches :
eorundem serenissimorum Regum Tesaus||rariü missa: Qua ge-
nerosus ac litteratus vir Leander de Cosco ab || Hispano idiomate
in latinü cöuertit: tertio Kaien Maij. M. cccc. || xc. iij. Pontificatus
Alexandri Sexti Anno Primo.
QUoniam suscepte prouincie rem perfectam me conse||cutum
fuisse grata tibi fore scio: ... — 3. Bl. v.: Hec vt gesta sunt sie
breuiter enarrata. Uale. || Uilisbone pridie idus Martij. || Christo-
forus Colom Oceane classis Prefectus. || a Epigramma. R. L. de
Corbaria Epi Montispalusij. Ad In || victissimum Regem Hispa-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 67
niarum. — An Ende der Seite: CI Impressit Rome Eucharius Ar-
meniens Anno dni • M * ccccxciii. — 4. Bl. leer.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
München, Hof- nnd Staatsbibl. 4°. Cim. 231. — Breslau,
Stadtbibl. 4 V 74, 15.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 3. — Racc. Col. I 1, LXI nr. 8;
VI 19 nr. 42. — Proctor I, 2, 3870.
21. Colambus, Epistola, o. 0. u. J.
l.Bl. r. (in gotischer Schrift): d Epistola Christo fori Colom:
cni etas nostra multü debet: de |! Insalis Indie snpra Gangem nuper
inuetis. Ad quas perqren||da3 octano antea mense auspiciis et ere
inuictissinior(um) Fernädi et || Helisabet Hispaniar(am) Regü missus
fuerat: ad magnificum dnm || Gabrielem Sanchis eorunde serenissi-
nior(nm) Regnm Tesanrariü || missa: qua nobilis ac litteratas vir
Leander de Cosco ab Hispa||no idiomate in latiuum cöuertit tertio
Kal's Maü. M. cccc. xciii || Pontificatus Alexandri Sexti Anno primo. I|
Quoniam suscepte prouintie rem perfectam me consecntum faisse
gratum tibi fore scio .... — 3. Bl. v, : Hec ut gesta sunt sie
breniter enarrata. Uale. || Ulisbone pridie Idus Martij. || Christo-
forus Colom Oceane classis Prefectas. — 4. Bl. v. : a Epigramma '
R • L • de Corbaria Episcopi Montispalusii ji Ad Inuictissimum Ra-
sern Hispaniamm.
4*'. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Hamburg, Commerzbibl. 1173, 1, 2 (2 ExempL).
Litt.: Harrisse, BAV nr. 4 (das dort erwähnte Münchener
Exemplar ist nicht vorhanden). — Racc. Col. 1 1, LXI. nr. 9. VI 19
nr. 41.
32. Colambus^ Epistola, Paris, o. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): H Epistola de insulis re||pertis
de nouo. Impressa || parisius in cäpo gaillardi || — 1. Bl. v. : Epi-
gramma. R. L. de corbaria || Episcopi Montispalusti. Ad || In-
uictissimü Regem hispaniarü. || 4 Distichen. — a. ij r. : Epistola Chri-
stofori Co||lom : cui etas nf a multü debet : de Insulis indie supra
Gangem || nuper inuentis. Ad quas perquiredas octano antea mense
aujjspicijs et ere inuictissimi Fernandi Hispaniarum Regis missus jj
fuerat: ad magnificü dSj Raphaelem Sanxis: eiusde serenissi||mi
Regis Tesanrariü missa : qua nobilis ac If atus vir Aliäder || de
Cosco ab Hispano ideomate in latinü conuertit: tercio kl's || Maij.
M. cccc. xciij. Pötificatus Alexädri. VI. Anno primo : || quoniä
suscepte prouin||cie re perfecta me consecutü fuisse gratü tibi
fore scio : || . . . . — 4. Bl. v. : Hec vt gesta sunt || sie breuiter
5*
68 W. Rüge,
enarrata. TJale. Ulisbone pridie Idns Marcij. || Christof orus Colom
Oceane classis Prefectus.
40. 4 Blatt. Pag.: [al, aij, [aj, 4].
Göttingen, Universitätsbibl. 8*'. Hist. Amer. I 502.
Litt.: Harrisse bei Promis, V., Lettera di Cristoforo Co-
lombo (1892). — Racc. Col. I 1, LX nr. 4, VI 21 nr. 48.
33. Columbus, de insulis nuper inuentis, 1494.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : In laudem Serenissi || (von hier an
Antiqua) mi Ferdinandi Hispaniar(um) regis/ Bethi=||cae & regni
Granatae/ obsidio/ victoria/ &||triüphus/ Et de Insulis in mari
Indico II nuper inuentis. — Darunter Holzschnitt, 73 x 110 mm,
König von Spanien, darüber (in gotischer Schrift): Fernandus-
Rex- hyspanie. — Bl. [dds] r.: l-4-9'4- || NIHIL SINE CAUSA* i|
I • • B. — V. (in gotischer Schrift) : De Insulis nuper in || mari In-
dico repertis. — Darunter Holzschnitt, 75 x 111 mm, Landung des
Schiffes darstellend, mit der Überschrift (in gotischen Buchstaben) :
Insula hyspana. — Bl. [dde) r. (in gotischer Schrift): De Insulis
nuper inuentis || (in Antiqua) : Epistola Christoferi Colom (cui etas
nostra mul'||tum debet : de Insulis in ms^ri Indico nuper innen* jl
tis: ad quas perquirendas octauo antea mense: au=|jspiciis & ^re
inuictissimi Fernandi Hispaniarü E,e=||gis missus fuerat) ad Magni-
ficü dominü ßaphae'||lem Sanxis: eiusdem serenissimi Regis The-
saurari||um missa: quam nobilis ac litteratus vir Aliander |i de
Cosco: ab Hispano ideomate: in latinum con=||uertit: tercio Ka-
lendas Maii. M. cccc. xciij. Pontifis||catus Alexandri Sexti Anno
primo. — Bl. ee v. Holzschnitt 79 x 112 mm, Meer mit den Inseln
Fernäda , hyspana , ysabella , saluatoris , Conceptois marie und
Schiffen. — Bl. ee iij v. Holzschnitt 75 x 113 mm, Küste einer
Insel, mit der Überschrift: Insula hyspana. — Bl. [eeej r. (in An-
tiqua) : Vale. Vlisbon^ / pridie ydus Marcii. |1 Christoforus Colom
Oceanic^ classis Praefectus. — Bl. [e ee] v. Holzschnitt, 75 x 114 mm,
dazu Zierleiste oben und unten, Schiff mit vollen Segeln, quer
darüber (in gotischen Lettern): Oceanica Classis.
4". Der eigentliche Brief steht auf 7 Blatt [dde], ee, eeii,
eeiij, eeiiij, [ee5,6], dazu der Holzschnitt auf [dds] v. Der Brief
ist Anhang zu dem Festspiel, das Carolus Verardus zur Feier des
Falls von Granada gedichtet hat. Bl. aa ij r. (in Antiqua):
Caroli Verardi Caesenatis Cubicularii Pontificii in || historiam Bae-
ticam ad R. P. Raphaelem Riarium jj S. Georgii Diaconum Car-
dinalem.
Heidelberg, Universitätsbibl. Cod. Heid. 366, 78. — Karlsruhe,
Hof- und Landesbibl. cod. Rastatt 23. — Basel, Universitätsbibl.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 69
E. C. IV. 99. 40. — München, Hof- und Staatsbibl. 4°. P. 0. lat.
123, 5 und Inc. c. a. 4°. 1163. — WeiBenburg i. Bayern, Stadt-
bibL Nr. 734. — Breslau, Stadtbibl. Ink. 92. — Freiberg, Gym-
nasialbibl. XII 4°. 12, aber nur die ersten Blätter. — Bremen,
Stadtbibl. VII. IIb. 24 nr. 14. — Hamburg, Stadtbibl. AC VI 79.
Leipzig, Universitätsbibl. libri sep. 6591 b, und 1843 i/6. — Mann-
heim, Öffentl. Bibl. Inc. 97. 96. — Bamberg, Kgl. Bibl.Inc. III 33.
— Bonn, Universitätsbibl. DK 215. — Michelstadt, Kirchenbibl.
A SOb. - Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. (früher Helmstedt, T 609 i).
Litt. : Harrisse, ß A V nr. 15. —
24. Columbus, Brief, Straßburg, 1497.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Eyn schön hübsch lesen von
etlichen inßlen il die do in kurtzen zyten funden synd durch de |!
künig von hispania+ vnd sagt vö großen wunliderlichen dingen
die in deselbe inßlen synd+ — Darunter Holzschnitt: Der König
mit Begleitung vor Christus. — 1. Bl. v. leer. — aij r: DEr houpt-
man der schiffung des mors Cristoferus co-||lon von hispania
schribt dem künig von hispania v5 |1 den inßlen des lands Indie . . .
— [bs] r. : Getüetschet vß der katilonischen zungen vndvß (I) dem
latin II zu Ulm+ .... — Am Schluß [bs] r. : Getruckt zu straßburg
vff grüneck vö meister Bartlomeß || küstler ym iar+M + cccc + xcvij-t-
vff sant Jeronymus tag+ — [bs] v. Derselbe Holzschnitt wie am
Anfang. — [bi] leer.
4«. 8 Blatt. Pag.: [a], aij, [aa,,], b. bij, [b,,^].
Bamberg, Kgl. Bibl. Ic. U 17. — München, Hof- und Staats-
bibl. 4P. Cim. 231« Rar. 6«. — München, Universitätsbibl. 4°. Inc.
Germ. 16 (das 1. Blatt fehlt).
Publ. : Häbler, Der deutsche Kolumbusbrief, 1900. (Facsimile).
— Buge, Gesch. d. Zeitalters d. Entdeckungen 1881, 263 f. (1. und
3. Seite).
Litt. : Harrisse, B A V nr. 19. — Schmidt, Repertoire bibliogr.
strasbourgeois 1893, IV 2, V nr. 1 (beschreibt den Holzschnitt mit
den Worten: le roi d'Espagne re^oit Colomb.). — Racc. Col. VI 27
nr. 69 (Holzschnitt: Colombo ricevuto dal Re di Spagna).
25. Yespucci, Mundus novus, Augsburg, 1504.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Mundus Nouus. — 1. Bl. v. :
Albericus vespucius Laurentio || Petri de medicis salutem plurimam
dicit. II — 4. Bl. V. : Ex italica in latinam linguam iocOdas inter-
pres häc epistolam vertit vt || latini oes intelligant qy, multa mi-
räda in dies reperiant (et) eor(um) comprima||tur audacia qui celü
et maiestatem scrutari : et plus sapere q5 Uceat sapere || volunt:
70 W. Rüge,
quando a tanto tempore quo mundus cepit ignota sit vastitas ||
terre (et) que contineätur in ea. || Magister johänes otmar: vindelice
impressit Auguste || Anno millesimo quingentesimo qnarto. Laus Deo.
4^*. 4 Blatt. Ohne Paginiening.
Mainz, Stadtbibl. Incun. b. 19. 4P. — München, Universitäts-
bibl. Hist. aux. 910. 4°. (Libri rari 4) ; es fehlen aber die letzten
beiden Worte: Laus Deo.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 31. — Racc. Col. VI 205 nr. 1323.
— Proctor II 10662. — Zu den verschiedenen Ausgaben des Ve-
spnccibriefes (nr. 25 — 45) ist zu vergleichen : Sarnow und Trüben-
bach, Mundus Novus 1903.
36. Vespucci, Von den nawen Insulen, Leipzig, 1505.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Von den nawen Insulen vnnd ||
Landen so itzt kurtzliche erfun]|den sint durch den Konigk von |{
Portugal. — Darunter Holzschnitt, einen wilden Mann darstellend.
— A ij r. : Von der nawen werlt |I CI Das erste Capittel. || OL Al-
bericus Vespucius sageth vil heyles || vnd gutes Laurencio Petri
de medicis. — 8. Bl. r. : Vß welscher tzungen yn die Latinisch,
vn itzt II yn Deutsch, eyn guter swatzman dise Epistel jj gekart
hat, das alle latinischen vnd deutsche || verstehn wieuil Wunders
tegliche gefunden wirt, vn der || künheit ader freuelich vornehmen
vndergetruckt vnd ge||stilt werde, die den hymmel vn sein ge-
walt vnd maiestat || erfaren wollen, vn mehr wissen wollen dan
sich getzimt || So doch vö solcher tzeit her do die werlt hat an-
gefang||en, vnbekant sey gewesen die weyte des erdtreichs, vnd |I
das yn yr ist. — d Gletruckt tzu Leybsigck durch Wolfgangk |[
Müller (sunst Stöcklin) nach Cristgeburth || ym funfftzehenhun-
dertisten vnd funiften iare.
40. 8 Blatt. Pag.: [A,] A ij, Aiij, [A,], B, B ij, Biij, [BJ,
Leipzig, Universitätsbibl. Libri sep. 6600. — Jena, TJniver-
sitätsbibl. Ph. XL q. 1 (6). — Zwickau, Ratsschulbibl. XXII.
IX. 6. 40.
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 20 (das dort genannte Exem-
plar ist nicht mehr zu finden). — Racc. Col. VI 207 nr. 1330.
37. VespuccI, Von der nüwen Welt, Straßburg, 1505.
Das 1. Blatt fehlt. A ij r. : a Von der Nüwen weit. || Al-
bericus vesputius sagt vil heils IJ vn guts Lauretio petri de me-
dicis II Das erst Capitel. || IN vergangnen tagen . . . Letztes Bl. r. :
Q Vß Italischer zung in die Latinisch vii yetz in teüt||sch Ein
guter schwatzman dise epistel gekert hat, das || alle latinischen
vn teütschen verstäden wie vil wun||ders teglich funden wirt/
Aelteres kartographischcB Material in deutschen Bibliotheken. 71
vnd deren kienheit od' freuel || fümemmen vnd'trnckt vnd gestilt
werde/ die den hytjmel vnd syn gewalt vn mayestat erfaren
wollet/ vn II mer wissen wöllent dan sich gezymet/ So doch von j)
soUicher zyt her do die weit hat angefangen vnbekät 1| sye ge-
wesen die wyte des ertrichs vn des das in ir ist. CI Gretruckt zu
Straßburg von Mathis hüpff||vff. in dem Füntzehenhundertste vn
fünffte Jar. jj
40. Ursprünglich 8 Blatt. Pag. :A], A ij, A iij, [A^;, B, Bij, ßs,*]-
Berlin, Kgl. Bibl. TJt. 2778. — Die Ausgabe wird in der
Litteratur nicht erwähnt; sie fehlt auch bei Schmidt, Repertoire
bibliogr. strasbourgeois 1893.
28. Vespucci, De ora antarctica, Straßburg, 1505.
1 . Bl. r. (in gotischer Schrift) : De ora antarctica || per regem
Portugaliie || pridem inuenta. — Darunter zwei HoLzschnitte ; oben :
vier nackte Wilde, unten: fünf Schiffe. — 1. Bl. v. : a M. Ring-
mannus Philesius. U. || Jacobo Bruno suo Achati. S. p. d. — Der
Brief schließt : TJale cursim Argentine ex scholis nris Kai'. Augusti
Anno M. d. v. — 2, Bl. r.: er De terra sub cardine Antarctico
per regem Portugaliie pri'||dem inuenta. M. Ringmanni Philesij
Carmen. || Rura papyriferus ... (11 Disticha) . . non naso Rhino-
cerontis. Aue. — 2. Bl. v. : Albericus vespatius Laurentio pe|ltri
de medicis salute plimä dicit. || — 6. Bl. r. : EX Italica in Latinam
linguä iocundus interpres hanc eplam || vertit. vt Jatini omnes in-
telligant 45 multa miranda indies rejlperiant, et eorum cöprimatur
audacia. qui Celum et maiestate scrulltari: et plus sape q5 liceat
sape volunt. qfi a tanto tempore quo mun dus cepit ignota sit va-
stitas terre. et que contineätur in eo. — Dann die Dreiecksfigur
und darunter : Et ego Johänes michaelis cJicus |j TJibergensis diocef' :
.... pns et psO' naliter fui Rhome in palacio sctissimi dni nostri
Julij pape -ii- in 9si||storio publico: Dum et qn oratores reg5
Portugaliie fecerim (I) prefa to sanctissimo dno Julio obedientiä.
et inter cetera/ de et sup ista ter^jira/ vt premittit/ nouiter in-
uenta: quod pfiti meo cyrogpho ptestor. || Impressum Argentine
per Mathiam hupfuff. M. v^ v. |j 6. Bl. v. leer.
40. 6 Blatt. Pag.: [Aj, ,], Aüj, Aiüj, [A5, «].
Berlin, Kgl. Bibl. Libri rari. oct. 229. — Darmstadt, Groß-
herzgl. Hofbibl. 0. 2382, 10. — Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geogr.
Vespucci 4". — München, Universitätsbibl. Itin. 125. 4". (Libri
rari 3). — Freiburg i. Br., Universitätsbibl. J. 5567. — München,
Hof- und Staatsbibl. 4«. Rar. 5^ früher Cim. 230° — Straßburg,
Universitätsbibl. Do. XXVII Cimelien.
72 W. Rüge,
Litt.: Harrisse, BAV nr. 39. — (D'Avezac), Martin Hyla-
comylus (Extrait des Annales des voyages 1866), 91. — Racc.
Col. VI 206 nr. 1324. — Proctor 11 10011. — Schmidt, Reper-
toire bibliogr. strasbourgeois 1893, V nr. 41.
39. Vespucci, Von den nüwen Insulen, Straßburg 1506.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Von den nüwe In=|isule vnd
landen so yetz kürtzlichen || erfunden synt durch den Künig von
Portugall. — Darunter dieselben Holzschnitte wie in nr. 28. —
1 ßl. V. zwei Holzschnitte: 1) Alter und junger Mann am Meer,
in dem ein Schiff und vier Ungeheuer sind; 2) König und ein
Mann am Meer, links ein Schiff. — Aij r. : fl Von der Nüeven
weit. II Albericus vespotius sagt vil heils || vn guts lauretio petri
de medicis. — Letztes Bl. r. : Vß Italischer zug in die Latinisch
vn yetz in teut||sch Ein guter schwatzmä dise epistel gekert
hat, das || (letztes Bl. v.) alle latinischen vnd teütschen verstanden
wie vil II Wunders teglich funde wirt, vn deren kienheit oder || freuel
fürnemmen vndertruckt vnd gestilt werde/ || die den hymmel vnd
syn gewalt vnd mayestat er=||faren wöllent/ vnd mer wissen
wöUent dan sich ge|zymet/ So doch vö sollicher zyt her do die
weit hat II angefangen vnbekant sye gewesen die wyte des ert=|j
richs vnd des das in ir ist. etc. || 0[ Gretruckt zu Straßburg in dem
fünfftzejjhundersten vnd sehß Jar. — Auf diesem Bl. ist der
zweite Holzschnitt vom 1. Bl. v. wiederholt.
4". 8 Blatt. Pag. : [A^], Aij, Aiij, [A,], B, Bij, Biij, [B,].
Berlin, Kgl. Bibl. 4P. Ut 2780.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 40. — Racc. Col. VI 207 nr. 1333.
— Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois 1893, V nr. 50 (mit
anderer Zeilenabteilung).
30. Vespucci, Von den newen Insulen, Leipzig, 1506.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Von den newen lusulen^) vnd
Ian=||den so yetz kürtzlichen erfundenn || seynd durch den Kunig
von Portygal. — Darunter zwei Holzschnitte, der obere stellt vier
nackte Menschen dar, der untere eine Landung von fünf Schiffen.
— Aij r. : Albericus vesputig sagt vil heyls |I vnd gutes Laurentio
Petri de medicis. — 6. Blatt v. : Auß Italischer tzung in die Latinisch
vnd itzund in deutzsch || eyn guter schwatzman diße epistel gekert
hat/ das alle latinische || vnd deutzschen verstanden wie vil Wunders
teglich funde wirt || vnd deren kunheyt oder freuel furgenommen
vndergedruckt vn || gestilt werde/ die den hymel vii seyn gewalt
1) Der 2. Buchstabe ist u statt n.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 73
vn mayestat erfarn |j woUent/ vn mer wissen wollent den sich ge-
tzymet So doch vö |i solchertzeit her do die weit hat angefange
vnbekant sey gewesen || dy weyte des ertreichs vnd das do yn yr
ist. II Gedrückt tzu Leypsick durch Baccalariü Martinum ji Landeß-
berg Im iar Ttausentfunfhundert vnd sechs. — Darunter zwei
Wappenschilde.
40. 6 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, >,_«;.
Bremen, Stadtbibl. XII. 4. b. 94 No. 6.
Litt.: Harrisse. BAV nr. 41. („Excessively rare Tract"). —
Racc. Col. VI 206 nr. 1334. — Proctor H 11278.
31. Vespucci, Van den nygen Insulen, Magdeburg, 1506.
1. Bl. r, (in gotischer Schrift) : Van den nyge Insulen vnd ||
landen so ytzandt kortliken || befunden sindt dorch den ko=||ningk
van Portugal. — Darunter Holzschnitt, der offenbar aus zwei
Stücken zusammengesetzt ist. Links zwei nackte Wüde, rechts
ein stehender Mann, der einem sitzenden König einen Brief über-
reicht. — 1. Bl. V. leer. — Aij r. : Van der nygen werlt || Dat
erste Capittel |! <I Albericus Vespucius secht vele heyles || vnd
gudes Laurentio Petri de medicis. || IN vorgangen dagen ... —
8. Bl. r. : UTh. welscher tungen in de latinische / vn ytzundt || in
düdes ein goder dichter dysse Epistel gekert 1| hefft. dat alle la-
tinischen vnd düdischen vorsthan/ wo || vele Wunders degelik ge-
funden wert / vnd der könheit || edder freuelick vomemen vnder-
gedrücket vn gestiUet |l werden/ de den hemel vnd syne gewalt
vnd mayestat [1 erfaren wollen / vnd mer weten wollen den sick
tymet || So doch van solliker tydt her dat de werlt heft ange« |}
fangen vnbekant sindt gewest de wyde des ertrickes / || vnd wat
in ör iß. |i Gedruckt to Magdeborch van Jacob || Winter. Na Cristi
vnses leuen heren ge|lborth Tusent veffhundert vnd seß Jar
4«. 8 Blatt. Pag.: ;A], Aij, [A3,,], B, Bij, [63,4].
Braunschweig, Stadtbibl. C 57. 4''. Der Druck ist bis jetzt
unbekannt.
32. Yespucci, Mundus novus, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Mundus Nouus. — 1. Bl. v. :
Albericus vespucius Laurentio |! Petri de medicis salutem plurimam
dicit. II — 4. Bl. V. : Ex italica in latinam linguam iocüdus interpres
häc epistolam vertit vt || latini oes intelligant q5 multa miräda in
dies reperiant et eor(um) comprimajitur audacia qui celü et maiestatem
scrutari : et plus sapere qs liceat sapere || volunt : quando a tanto
tempore quo mundus cepit ignota sit vastitas || terre et que con-
tineätur in ea. || Laus Deo.
4'\ 4 Blatt. Ohne Paginierung.
74 W. Rüge,
Hamburg, Commerzbibl. 1174, 4.
Litt. : Harrisse, ß A V nr. 22. — Racc. Col. VI 203 nr. 1310.
33. Vespucci, Mundus novus, o. 0. u. J.
1. ßl. r. (in gotischer Schrift) : Mundus nouus. || (in Antiqua) :
ALBERICVS VESPVTIVS LAVRENTIO || PETRI DE MEDICIS
SALVTEM PLVRI||MAM DICIT. || — 4. ßl. v. (in gotischer Schrift):
Ex Italica in Latinam linguam iocundus interpres hanc epistolam ||
vertit vt latini omnes intelligant qj multa miranda indies reperian||
tur. et eorum comprimatur andacia. qui Celum et maiestatem scru-
tari. et || plus sapere q5 liceat sapere volunt. quando a tanto tem-
pore quo mundus || cepit ignota sit vastitas terre. et que con-
tineantur in eo. || (in Antiqua) LAVS DEO.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Hamburg, Commerzbibl. 1174, 3. — Darmstadt, Großherzogl.
Hofbibl. 0. 2382, 12. — Nürnberg, German. Mus. ßibl. Scheurl
4° 385 (387).
Litt. : Harrisse, B A V nr. 23. — Racc. Col. VI 203 nr. 1311.
34. Tcspucci, Mundus novus, o. 0. u. J.
1. ßl. r. (in gotischer Schrift) : Mundus nouus. || Albericus
Vesputius Laurentio Petri || de medicis Salutem plurimam dicit. |(
— 4. ßl. V.: tt Ex Italia (!) in Latinä linguä iocundus interpres
hanc epistolä || vertit. vt latini omes intelligant qj multa miräda
indies reperian||tur. et eor(um) cöprimatur audatia. qui Celum et
maiestate scrutari. et || plus sapere qj liceat sapere volunt. qn a
tanto tepore quo müdus || cepit ignota sit vastitas terre. et que
contineant(ur) in eo. || Laus deo.
4". 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Würzburg, Universitätsbibl. It. q. 233.
Litt. : Harrisse, ß A V nr. 24. — Racc. Col. VI 203 nr. 1312.
35. Vespucci, Mundus novus, o. 0. u. J.
1. ßl. r. (in gotischer Schrift): Müdus nouus. || d Albericus
vesputius Laurentio petri de medicis || Salutem plurimam dicit. —
4. ßl. r. : EX Italica in Latinam linguam iocundus interpres häc
episto||lam vertit. vt latini omnes intelligant q5 multa miräda in
dies II repiantur. (et) eor(um) (com)primatur audacia. qui Celum (et)
maiestatem || scrutari. (et) plus sapere q5 liceat sapere volunt. qn a
tanto tpe quo muu'ljdus cepit ignota sit vastitas terre. (et) que
(con)tineantur in eo. || Laus deo. — 4. Bl. v. : Holzschnitt, Jungfrau
Maria mit dem Jesuskind und einer Heiligen.
4". 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Cöln, Stadtbibl. G.B. XI, 174*.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 75
Litt. : Vielleicht = Harrisse, B A V add. nr. 12, wenn die Ab-
weichungen des dort angegebenen Textes auf ungenaue Wieder-
gabe zurückzuführen sind. — Racc. Col. VI 205 nr. 1320.
36. Tespucci, Mundus novus, o. 0. u. J.
1. ßl. r. (in gotischer Schrift): Mundus || Nouus — 1. Bl. v. :
Albericvs vespucius Laurentio Petri de me||dicis salutem plurimam
dicit. II — 4. Bl. r. : Ex italica in latinam linguam iocundus inter-
pres hanc epistolam vertit, vt latini oes || intelligant qj multa mi-
randa indies reperiantur et eorum comprimatur audatia q jj celum
et maiestatem scrutari et plus sapere q5 liceat sapere volunt.
quando a tanto tempO'||re quo müdus cepit ignota sit vastitas
terre. et que contineantur in ea. || Laus Deo. — 4. Bl. v. leer.
4". 4 Blatt. Ohne Pagir.ierung.
Hamburg, Commerzbibl. 1174, 5.
Litt.: Harrisse, B A V nr. 30; add. nr. 14. Harrisse vermutet
richtig, daß beide Nummern dieselbe Ausgabe sind; die 'mysterious
abbreviations' der Beschreibung, die er für nr. 30 benutzt hat,
sind die Anfangs- und Endworte der einzelnen Seiten. — Racc.
Col. VI 205 nr. 1319.
37. Vespucci, Mundus novus, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Mundus Nouus || <I De natura
et maribus (et) ceteris id gnis getj || que i nouo müdo opera (et)
impesis serenissimi || portugallie regis superioribus änis inuento ||
Albericus vesputius Lauretio petri de medicis Salute plurimä
dicit — 4. Bl. r. : EX Italica in Latinam linguam iocundus interpres
häc episto||lam vertit. vt latini omnes intelligant qj multa miräda
in dies || repiantur. et eor(um), (con)primatur audacia. qui Celum
(et) maiestatem || scrutari (et) plus sapere q5 liceat sapere volunt.
qn tanto tpe quo mundus || cepit ignota sit vastitas terra (et) que
(con)tineantur in eo || tt Laus deo.
4**. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Göttingen, Universitätsbibl. Hist. Amer. I 621.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 29. — Racc. Col. VI 204 nr. 1316.
38. Tespucci, De novo mundo, (Rostock, 1505).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Epistola Albericij. || De nouo
mundo. — Darunter Holzschnitt in einfachem Rahmen, links "Wilder
mit Bogen und zwei Pfeilen, rechts eine Wilde. — 1. Bl. v.: Mundus
nouus II Albericus Vesputius laurentio petri jj de medicis Salutem
plurimam dicit. — 4. Bl. r. : Ex italica in latinä linguä iocundus
interpres hanc epistolam vertit vt latini omnes || intelligant qua
multa miranda indies reperiätur et eor(um) cöprimatur audacia qui
76 W. Rüge,
celn (!) II et maiestate eius scrutari et plus sapere qua liceat sapere
volunt quädo a tanto tempo||re quo mundus cepit ignota sit vastitas
terre et que contineantur in ea — 4. Bl. v. Halbkugel der Alten Welt.
Fol. 4 ßlatt. Pag.: [a], aij, [a^, J.
Frankfurt, Stadtbibl. Amer. gen, 12. fol.
Publ. : Sarnow und Trübenbach, Mundus Novus 1903. (Facsi-
mile).
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 13. - Racc. Col. VI 205
nr. 1321.
39. Vespucci, o. 0. (Paris) u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Alberic9 vespucci9 lauretio ||
(in Antiqua) petri francisci de medicis Salutem plurimä dicit. —
Darunter ein Buchdruckerzeichen in Holzschnitt, zwei AiFen am
Fuß eines Baumes, auf einer am Baum hängenden wappenschild-
ähnlichen Tafel steht (in gotischer Schrift): felix. Unter dem
Bild (in gotischer Schrift) : lehan lambert — 1. Bl. v. leer. —
6. Bl. r. (in Antiqua): €f Ex italiaca in latinä linguam iocundus
interpres hanc episto=||lam vertit vt latini omnes intelligant qj
multa miranda indies re||periantur. & eorum cöprimatur audacia.
qui celum & maiestatem || scrutari/ & plus sapere q liceat sapere
volunt qn a tanto tempore || quo mundus cepit ignota sit vastitas
terre & q cötineantur in ea.
4". 6 Blatt. Pag.: [a.j, a. ii., a. iii, [4—6].
Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geogr. Vespucci. 4*^.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 26. — Racc. Col. VI 204 nr. 1814.
40. Vespucci, Von der neu gefunden Region, Nürnberg, o. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Von der new gefunnde Re-
gion die wol II ein weit generint mag werden/ Durch den Cristen-
lichen Kü||nig von Portugall / wunnderbarlich erfunden. — Darunter
Holzschnitt: Der König von Portugal mit Panzer und Schwert,
in der Rechten das Scepter haltend, in der Linken das Schild auf
den Boden stützend. — 1. Bl. v. : Albericus Vespuctius Laurentio
Petri Francisci || de medicis vil grüeß. || — 6. Bl. r. : ci Auß Ita-
lischr sperach in latein der hübsch Tolmetsch dise Epistel gezogenn ||
hat vmb das dlle (!) lateiner verstannden wie vil grosser wunder-
lichen dinngen || von tag zu tag funden/ Vnd die freuelmut vertruckt
werden denen die den hyljmel vnd gottes maiestat zu erfaren vnnd
mer wissen vnd versteen wollen dan || gebürlich ist So von so vil
zeyt her als die weit geschaiFen unbekant gewesen jj ist die wilde
gelegenheit des ertrichs vnd der menschen vnd die darin || won-
hafftig seind/ Auß latein ist dist missiue in Teütsch gezogeauß
dem exem>||plar das von Pariß kam ym malen monet nach
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 77
Christi geburt/ Fünfftzenhun||dert vnnd Fünffjar. || tK Gredruckt
yn Nüremberg || durch Wolffganng !| Hueber. !| — Darunter drei
Wappen.
40. 6 Blatt. Pag.: [A,], Aij, Aiij, [A^—,].
Hamburg. Commerzbibl. 1174, 6. — Frankfurt a. M., Stadt-
bibl. Bist. B. IV 53, 9. — München, Universitätsbibl. 4«. Itin. 123
(4« Libri rari 2). — München, Hof- und Staatsbibl. 4«. Cim. 230^
Litt.: Harrisse, B AV nr. 33. - Racc. Col. VI 206 nr. 1326.
41. Yespuccl, Von der neu gefunden Region, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Von der neüw gefunden Re-
gion II die wol ain weit genent mag werden/ durch den Cristen-
lichen || künig von portugal wxmderbarlich erfunden. — Darunter
Holzschnitt 91 X 116 mm. den König von Portugal darstellend. —
1. Bl. V.: Albericus Vespuctius Laurentio || Petri Francisci de me-
dicis vil grüß. — 7. Bl. v.: (^T* Auß ytalischer sprach in latein
der hübsch Tolmetsch dise Epi||stel gezogen hat vmb das alle la-
teiner verstanden wie vil grosser || wunderlichen dingen von tag
zu tag funden. Vnd die freuelmüt || vertrackt werden denen die
den hymel vnd gottes maiestat zu erfajren vnd mer wissen vnd
versteen wollen dann gebürlich ist. So || von so vil zej't her als
die weit geschaffen vnbekannt gewesen ist || die wilde gelegenhait
des erdtrichs vnd der menschen vnd dingen || die darinn wonhafftig
seind Auß latein ist diß missiue in Teutsch || gezogen auß dem
Exemplar das von Pariß kam im mayen mo'jjnet nach Christi ge-
burt. XV. hundert vnd fünff jar.
40. 8 Blatt. Pag.: ;A, A,;. Aiij, Aiiij, [A^-sl.
München, Hof- und Staatsbibl. 4°. Rar. b\ früher Cim. 230'
(das 8. Blatt ist nicht vorhanden).
Litt. : Harrisse, B A V nr. 34 (das wohl nicht ganz genau ist).
— Racc. Col. VI 207 nr. 1332. — Proctor II 10613 (?).
43. Vespncci, Von der neu gefunden Region, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Von der neu gefunden || Re-
gion so wol ein weit genempt mag werden/ || durch den Criste-
lichen künig/ von Portigal/ || wunderbarlich erfunden ' — Darunter
Holzschnitt: König von Portugal mit Schild. — 1. Bl. r. : Albericus
Vespuccius Laurentio || Petri Francisci de Medicis viel grüß. —
Am Ende: üß ytalischer sprach in latin der hüpsch Tollmetsch
dyß II epistel gezoge hat vmb das alle latiner verstände wie vil ||
grosser wunderlichen dingen von tag zu tag funde/ Un || die frefel-
müt vertruckt werde dene die den himel vnd got||tes maiestat ze
erfaren vnd me wissen vn verstau wollen j| denn gebürlich ist /
78 W. Rüge,
So von so vil zitt har als die weit ge= 1| schaffen vnbekät gewesen
ist die wilde gelegeheyt des ert||riclis vnd der mensche vfi dinge
die dar in wöhaiFt synd || Uß latin ist diß missiue in Tütsch ge-
zogen vß dem exemjlplar das von Pariß kam im Meyen monet
mitle Nach || Cristus geburt -XV- hundert vnd fünfF iar.
4«. 8 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aiiij [A,^,].
Basel, Universitätsbibl. F. P, VII^ 8 nr. 4. 4P.
Litt. : flarrisse, B A V nr. 37. — Racc. Col. VI 206 nr. 1327.
43. Vespucci, Von der neu gefunden Region, o. 0. u. J.
1. Bl r. (in gotischer Schrift) : Von der neu gefunden Region
die wol II ein weit genent mag werden/ durch den Cristenlichen
künig II von portigal/ wunderbarlich erfunden. — Darunter Holz-
schnitt , König von Portugal mit Scepter in der Rechten. —
1. Bl. V. : Albericus Vespuctius Laurentio Petri || Francisci de me-
dicis vil grüß. — 7. Bl. v. : ö Auß y talischer sprach in latein S.
hübsch Tollmetsch dyße Epi'||stel gezogen hat vmb das alle lateinner
verstanden wie vil grosser || wunderlichen dingen von tag zu tag
funden/ Vnnd die freuelmut [| vertriickt werden denen die den hymel
vnd gottes maiestat ze erfa||ren vnd mer wissen vnnd versteen
wollen dann gebürlich ist/ So || von so vil zeytt her als die weit
geschaffen vnbekannt gewesen ist || die wilde gelegenheyt des ert-
richs vnd der menschen vnd dyngen || Die darinn wonhafftig seind/
Auß lateyn ist dyß missiue in Teusch || gezogen auß dem Exemplar
das von Paryß kam im meyen mo=||net Nach Christi geburt. XV.
hundert vnd funff jar.
4". 8 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aiiij, [As—g,, A« leer].
Bamberg, Kgl. Bibl. Inc.- typ. Ic. II 17. — Dresden, Kgl. Bibl.
Eist. Amer. 149, 36.
Litt. : Harrisse, B A V nr. 38. (Die Abweichungen sind wohl
auf Ungenauigkeit der Wiedergabe zurückzuführen). — Racc. Col.
VI 206 nr. 1320. — Proctor II 10982. — Rüge, Zeitalter der Ent-
deckungen 1881, 333 f., wo auch Bl. 1 facsimiliert ist.
44, VespuccJ, Von der neuen gefundenen Region, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): a Von der neu wen gefunde ||
Region/ die wol ein wellt genennt mag werden. || durch den
Cristenlichen künig von Portugal/ gar || wunderlich vnd selczam
erfunden. — Darunter ein Holzschnitt, mit der Überschrift: Der
künig von Portugal. — 1. Bl. v. : Albericus vespuccius Lau||rencio
Petri francisci de medicis vil grüß k. — 10. Bl. v.: €S Auß yta-
lischer sprach in latein der hübsch Tull'||metsch dise Epistel ge-
zogen hat vmb das alle lateijjner verstanden wir (!) vil grosser
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 79
wunderlichen din=|!gen von tag zu tag fanden Vn die fräuelmüt
ver=l|merckt werden/ denen dye den hymel vnnd gottes || mayster
zu erfaren vnd mer wissen vnnd versteen || wollen dann gepürlich
ist So von so vil zeyt her j| als die weit geschaffen vnbekannt ge-
wesen ist die il willde gelegenheyt des erdtrichs vf der menschen ||
vnnd dingen die darinn wonhafftig seind. Auß la||tein ist diß mis-
siue in teütsch gezogen auß dem ex'ljemplar das von Pariß kam jm
Mayen monat na||ch Cristi gepurdt XV. hundert vnd fünff jar.
4». 10 Blatt. Pag.: >], aij, aiij, ßt—g], b. bij, j, J.
München. Hof- und Staatsbibl. 4". Rar. 5^ früher Cim. 230»«.
Litt. : Harrisse. B A V add. nr. 21 (nicht ganz genau). —
Racc. Col. VI 207, nr. 1331.
45. Vespucci, Die neu gefundenen Menschen, o. 0. u. J.
Das sind die new gefunde mensche od volcker In form vii
gestalt Als sie hie stend durch de Cristenlichen || Künig von
Portugall/ gar wunnderbarlich erfunden. — Darunter Holzschnitt
240 X 170 mm, Meerenge mit drei Schiffen, auf dem Lande rechts
und links Indianer und Indianerinnen. Darunter beginnt der
Text : a Albericus vespuctius Laurentio petri Franciscij vil grues
.... Schluß: Vnd dise Epistel auß Yta||lischer sprach in Latein/
vn yetz gedeutsch. Der hübsch tholmetsch gezoge hat. Vmb das
alle lateiner vn deutsche v'standen/ wie vil grosser vn wunder-
licher dinge || von tag zu tag gefunden/ vn offenbar werden.
Vndiß missiue in deutsch gezoge/ Auß dem exemplar das von
Pariß kam ym Mayen monat. Nach Cristi geburt || Fünfftzehen-
hundert vn funff Jare.
Gut altkolorierter Einblattdruck, Breite und Höhe der Schrift-
kolumne 245 X 376 mm, 42 Zeilen. Es ist eine Art Auszug aus
der gewöhnlichen Fassung des Vespuccibriefs ; er enthält vor aUem
die Schilderung der Sitten. Der Text stimmt nicht durchaus mit
dem der vollständigen Ausgaben.
Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 26 QuodHb. Heimst. 2°. Der
Druck ist bis jetzt unbekannt.
46. Yespuecl, Reisen, Straßburg, 1509.
1. Bl. r. (in schwabacher Schrift): Diß büchlin saget wie die
zwe II durchlüchtigste herre her Fernandus. K. zu Castilien jj vnd
herr Emanuel. K. zu Portugal haben das weyte || mör ersuchet vnnd
fanden vil Insulen/ vnnd ein Nüwe || weit von wilden nackenden
Leuten/ vormals vnbekant. — Darunter Holzschnitt, Stadt an der
Küste, links oben in bandförmigem Rahmen : LISIBOXA, an der
Küste ein Schiff, König und sein Begleiter am Lande, auf sie treten
80 W. Rüge,
von rechts her zwei Männer zu, der erste mit einem Brief. —
Aij r. : Vorred vö der nüwen weit || Dem durchleüchtigsten fürste |f
vnd herren/ harren Reinharten künig zu Hierusalem || vnd Sycilien/
hertzogen zu Lotringen/ Embeüt Ame||ricus Vesputius sein de-
mütige ere erbüt mit zymlicher || sein selbs emphelung. — Es folgt
nun der Bericht über die vier Reisen Vespuccis ; am Schluß (Fö r.)
steht: Americus Vesputius zu Lißbon. — (F5 v.): Derselbe Holz-
schnitt wie auf dem Titelblatt. — (Fe r.): Gedruckt zu Straßburg
durch Johäne Grüniger || Im iar. M • CCCCC • IX • viF mitfast. Wie
du aber dye || kugel vn beschreibung der gantzenn weit verston
soltt/ II würst du hernach finden vnnd lesen.
40. 32 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aiiij ; B, Bij, Biij, Biiij [B5, «], C, Cij,
Ciij, Cüij, [C5,.], D, Uij, Diij, Diiij, E, Eij, Eiij, Eiiij, [E5, e], F, Fij, Fnj,
Fiiij, [F5,6]-
Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. Cimeliotheca VI, 87. 4».
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 31. — Racc. Col. VI 210
nr. 1346.
47. Genau denselben Text gibt eine andere Ausgabe; nur
in der Schlußbemerkung bietet sie „vif Letare" anstatt „vif
mitfast".
Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geogr. Vespucci. 4*^. — Frei-
burg i. Br., Universitätsbibl. I. 4672°. — München, Hof- u. Staats-
bibl. 40. Am. A. 390. — Nürnberg, German. Mus. Inc. 7633. —
Straßburg, Universitätsbibl. Do. XXV Cimelien.
Litt.: Harrisse, B A V nr. 62. — Racc. Col. VI 210 nr. 1345.
— Fischer und v. Wieser, Cosmographiae introductio, 1907, 26. — -
Schmidt, Repertoire bibliogr, strasbourgeois 1893, I nr, 101.
48. Montario (Münzer), Brief an Johann II., Anfang des
16. Jahrh.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Tractado da spera do mundo
tyrada de latim em li||guoagem com ha carta que huü gramde
doutorale |1 man mando ua orey de purtugall dom Joham el se-
güdo. — Darunter eine Sphäre. Das Buch ist ein Auszug aus der
Sphaera mundi des Johannes de Sacrobosco.
Der Brief steht Bl. [es] v. 24. Zeile f.: A cartta que enuiou
hieronimo montario doutor alemä || da ^idade de norüb'ga em ale-
mania ao serenissimo rey do || Joham 0 següdo de portugall sob'
o descob'mento do ma||ar o^eano (et) p(ro)uen9a do gnde cü de catay
tirada de lati en li||guajen por instre aluaro da torre mstre en
theologia da or||dem de sam domingos pregador do dicto senhor
rey . . . und schließt: vale. de numberga vi||la da alta alemanha
Aeltereß kartographisches Material in deutschen Bibliotheken, 81
a. 14. de julho: salutis de mill (et) quaHtrogemtos (et) nouventa
(et) tres änos.
4". 20 Blatt. Pag.: [aj—J, b, [ba—J, ebenso c— e.
München, Hof- und Staatsbibl. Rar. 204.
Publ. u. Litt.: E. do Canto, im Archive dos A^ores I 1878 —
1880, 444. — Harrisse. Discovery of North-America 1892, 393. —
Grauert im Histor. Jahrbuch d. Görres-Gesellschaft 1908, 315. —
Vgl. oben nr. 1.
49. Emanael, König von Portugal, Brief (Rom 1505).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): ff Copia de vna littera del
Re de Portagallo mädata || al Re de Castella del viaggio (e) successo
de India. || BEnche catholico Re (e) signore dapoi il trafico (e) co-
mer=||tio in le parte de India ....
Unvollständig, 4. Bl. [a*] v. schließt, mitten im Satz aufhörend :
fece arma||re certe naue p venire sopra le quatro nre le
quäle p. XX. giorni. — Handelt von der Reise Cabrals 1500 und,
von [su] v. an, von der Fahrt des Gronzalvo Maletra nach Indien 1501
Es fehlt die Hälfte. Bisher sind nur drei Exemplare dieses Briefes
bekannt.
4°. 4 Blatt. Pag.: a, aij, [ag, J.
München, Hof- und Staatsbibl. 4». Eur. 346, 46.
Publ.: Burnell, A. C, The Italian Version of a Letter from
the King of Portugal to the King of Castilla. London 1881
(nicht im Handel). — Peragallo, P., Carta de el-rei D. Manuel ao
rei catholico. Lisboa 1892 (auch in den Memorias da Academia
Real das sciencias de Lisboa 1892). — Facsimileausgabe von Eu-
genio do Canto 1906 (nicht im Handel).
Litt. : Racc. Col. VI 86 nr. 561—562».
50. Emanuel rex Lnsitaniae^ Obedientia, o. 0. u. J.
1 . Bl. r. (in Antiqua) : Obedientia Potentissimi Emanuelis Lu-
sitaniae || Regis &c. per clarissimum Juris. V. consultum || Dieghum
Pacettü Oratorem ad JuKü • 11 • Pont • || Max • Anno Dni • M • D • V •
Pridie No • Junü • || PEriclem Atheniensem Oratorem illum ce||le-
berrimü: .... — Schluß 4. Bl. v. : . . . . Deum Optimum/ maxi-
mum/ II praecantes / ut te secundü felicemqs ppetuo tueatur. || DIXI.
4". 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Zeitz, Kgl. Stiftsbibl. Epist. quart. 27, 2.
Litt. : Racc. Col. VI 86 nr. 562. — Harrisse, Americus Ves-
puccius 1895, 28.
51. Emanuel rex Lusitaniae^ Obedientia, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in Antiqua): a Obedientia Potentissimi Emanuelis
Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1916. Beiheft. 6
82 W. Rüge,
Lusitaniae || Regis zc-f-per clarissimum Juris +V-i-cösultum Die - ||
ghum Pacettum Oratorem ad Julium -|-Il4-Ponti+ || Max -|- Anno
Dni + M + D + V + Pridie No -f- Junii + || PEriclem Atheniensem
Oratorem illü || celeberrimum :J: .... — Schluß 4. Bl. v. : . . . .
Deum Optimum / ma-||ximum/ praecantes/ ut te secundum felicemqs
per-||petuo tueatur+ || DIXI+
Handelt von den portugiesischen Kämpfen in Afrika, Arabien
und Indien.
4P. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Frankfurt a. M., Stadtbibl. Praed. 2324, 22.
Publ. : Facsimileausgabe von Eugenio do Canto 1906 (nicht
im Handel).
53. Anonymus, Fahrt von Lissabon nach Indien, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Den rechte w^eg auß zu faren
von Liß||bona gen Kallakuth. vö meyl zu meyl || Auch wie der
kunig von Portigal yetz newlich vil galeen vn na||ben wider zu
ersuchen vnd bezwingen newe land vnnd jnsellen || durch kalla-
kuth in Indien zu faren. Durch sein haubtman also |( bastelt als
hernach getruckt stet gar von seltzsamen dingen. — Darunter
Holzschnitt, Insel mit Berg, stehender junger Mann mit Hellebarde
links, liegender Wilder mit Bogen rechts. Dazwischen ein Dreieck.
Rechts im Meer Teil eines Schiffes. — 1. Bl. v. : Holzschnittkarte
der östl. Halbkugel, die Asia, Europa, Affrica in rohen Umrissen
zeigt. Dazu der Text: ff Dise Spere nach Ptholomeus beschrei-
büg des ertrichs wirt I| euch lernen vnd vnder weyssen die gelegen-
hait der landen bey || welcher linien vnd gradus Auch ist die
nach gesetzt figur/ in yr |j. halten alle vor geschribne ding von
newen inseln vnd lande die || man yetz in kurtz gefunden hat/
das dan den philozophi lange || zeit verporgen ist gewessen. Man
vind auch dar in verzeichnet || Nurmberg Lißwona vnd kallakuth
mit puncten vnd ainzalig || puchstaben in diser figur. - — 4. Bl. r. :
Der Holzschnitt von Bl. 1 r. wiederholt, v. leer.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Hannover, Kgl. Bibl. XII A, 2». — Frankfurt a. M., Stadtbibl.
Mise. var. 538, 9. — Freiburg i. Br., Universitätsbibl. J. 4672 m, 3.
— Zwickau, Ratsschulbibl. XXIV. X. 14, 8. 4".
Litt.: Ternaux-Compans nr. 75. — Weller nr. 305. — Brunet
IV 1135. — Teilweise abgedruckt bei Sarnow und Trübenbach,
Mundus Novus 1903, 12. — Proctor II 11047.
53. Anonymus, Fahrt von Lissabon nach Indien, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Den rechten weg auß zu faren
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 83
vö Liß=||bona gen Kallaknth von meyl zu meyl jj Auch wie der
Kunig von Portigal yetz newlich vill Graleen vnd || nahen wider
zu ersuchen vnd bezwingen newe landt \Tid Insellen / || durch kalla-
kuth in Indien zu faren Durch sein haubtman also be=||stelt als
hernach getruckt stet gar von seltzsamen dingen. — Darunter Holz-
schnitt wie auf der anderen Ausgabe, s. o. nr. 52. — 1. Bl. v. : Holz-
schnittkarte der östl. Halbkugel, die Asia, Europa, Affrica in rohen
Umrissen zeigt. Dazu der Text: ü Dise spere nach Ptholomeus
beschreybung des erdreychs wirdt |j euch lernen vnd vnderweysen
die gelegenheyt der landen bey weLjjcher linien vnd grads Auch
ist die nach gesetzt figur/ in jr halten alle jl nach geschribne
ding von newen Inseln vnd landen die man yetz || in kurtz ge-
funden hat ' das dan den Philosophi lange zeyt verborgen Ij ist ge-
wesen. Man findt auch darin verzeychnet Nürnberg/ Liß'||bona
vn kallakuth mit pückten vii einzalig buchstaben in der figur. —
4. Bl. r. : Derselbe Holzschnitt wie 1. Bl. r.: 4. Bl. v. leer.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Bamberg, Kgl. Bibl. Inc. typ. Ic. IL 17. — Wolfenbüttel,
Herzogl. Bibl. — München, Universitätsbibl. 4*^. Libri rari 5
(4° Hist. aux. 1270, 7).
Litt.: Weller nr. 304. — Proctor II 10966. — Außerdem
vorige nr.
54. Emanuel, rex Portugaliac, G-esta. Rom. 1506.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : GEsta proxime per Portugalen jj
ses in India: Ethiopia: (et) aliis || orinetalibus (I) terris. — 1. Bl. v. :
leer. — II r. : d Gesta (pro)xime p portugaleii in india : ethiopia
(et) alijs orientalllibus terris. a serenissimo Emanuele portugalie
rege ad R. d. |j d. G. epm. portuen sacroscte Ro. ec. cardinale
portugalen mi=||ssa: (et) de eiusde dni Cardinalis mädato honora-
bilis viri Pe=||tri alfonsi malherio decretor(um) doctoris ac eiusde
dni Cardinajjlis pfati capellani industria (et) correctiöe in vrbe im-
pressa. || QUis loquet(ur) potetias dni : . . . — 6. Bl. r. : ö Impressum
Rome per Joannem Besicken An=||no • M- cccccvi • Die • vij • mensis
Xouembris.
4». 6 Blatt. Pag.: [1], Il.iij, [4—6:.
München, Hof- und Staatsbibl. 4°. Hist. As. 233.
Litt. : Temaux-Compans nr. 77. — Graesse III 73. — Brunet
II 1571. — Harrisse, Americus Vespuccius 1895, 30 f. — BuU.
geogr. hist. et descr. 1906, 246.
Publ. : Facsimileausgabe von Eugenio do Canto 1906 (nicht im
Buchhandel).
6*
84 W. Rüge,
55. Emannel^ rex Portngaliae^ Gesta, Cöln, 1507.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): GEsta proxime per Portuga-j(
lenses i India. Ethiopia. (et) alijs || orietalibns terris. — Darunter
ein Holzschnitt, das Christuskind mit zwei Frauen darstellend.
Unten und rechts eine Zierleiste. — 1. Bl. v. : derselbe Holz-
schnitt, oben, unten, rechts eine Zierleiste. — 2. BL r. : Copia
quarüdä rerum nouiter || gestarum per serenissimü regem portigalie
missa ex E-omana curia Se||quitur et de verbo ad verbü (con)cordat
put notarius infra scriptus in fine || fidem facit. || €1 Gesta proxime
p portugalen in india. ethiopia (et) alijs orietalib(us) terr(is) || a sere-
nissimo Emanuele portugalie rege ad. R. d. d. G. Epm portuen |{
sacrosancte Ro. ec. cardinale portugalen missa. (et) de eiusdem dni
Cardi||nalis mädato honorabilis viriPetri alfonsi malhereo decretor(um)
docto||ris ac eiusdem domini Cardinalis prefati capellani industria
(et) corre=||ctione in vrbe impressa. || QUis loquet(ur) potetias dSi:
.... — 4. Bl. V. : d Impressum Rome per Joannem Besicken Anno
• M • cccccvi • Die || vij • mensis Nouembris || ff Presens copia col-
lationatione diligenti facta concordat cum sua || vera original!
copia ex Romana Curia missa. qd ego Joänes approbatus
notarins auctoris ||tate manu propria hie subtus me subscribens. |[
ff Impressum colonie Anno dni • M • ccccc vij • || Prima die mensis
Februarij p me Joannem || Landen commorante infra sedecim do-
mos. — Darunter zwei kleine Holzschnitte.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Gießen, Universitätsbibl. S 7725 (9) Inc. — Cöln, Stadtbibl.
G. B. XI, 498».
Litt.: Panzer, Annales XI 395 nr. 137. — Temaux-Compans
nr. 81. — Brunet II 1571. — Graesse III 73. — Harrisse, Americus
Vespuccius 1895, 30 f. — Proctor II 10487.
56. Emannel, rex Portugaliae, Gesta, Nürnberg, 1507
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Gesta proxime p Portugalen. in
In||dia. Ethiopia (et) alijs orietalibus terris. a serenissimo Emanuele [)
portugalie rege ad R. d. d. G. epm portuefi. sacrosctc Ro. ecctie |[
cardinale portugalen. missa. et de eiusde dni Cardinalis mäda-||to
honorabilis viri Petri Alfonsi malherio decretorü doctoris ac || eiasds
dni Cardinalis prefati capellani industria (et) correctiöe in || vrbe
edita. — Darunter das portugiesische Wappen, links von einem
federgeschmückten Wilden , rechts von einer nackten Frau ge-
halten. — l.Bl. V.: Quis loquet(ur) potetias dni — 4. Bl. r. :
Impressum Nurenberge per dnm Jo-||hannem Weyssenburger. Anno
(HD) vij.
40. 4 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, [A4].
Aelterea kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 85
Hannover, Kgl. Bibl. XII ^ 2* (vgl. Incunab. Katalog 244). —
Frankfurt, Stadtbibl. Bist. B. IV. 53. 6. — München, Hof- und
Staatsbibl. 4^ Hist. Asiae 234.
Litt. : Panzer, Annales VII 445 nr. 43, — Brunet II 1571. —
Temaux-Compans nr. 80 (dort aber ungenauer Titel). — Graesse
III 73. — Harrisse, Americus Vespuccius 1895, 30 ff. — Proctor
II 11048.
57. £manuel, rex Portugaliae, Taprobane insule
acqnisitio, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Taprobane Insule |! Orientalis
Ethiopie acquisitio/ || Et potentissimi inibi Regis. sex alijs regib9
imperantis sub=||iugatio / naualisq5 belli victoriosa cam Sarracenis
propu'ljgnatio: ac alia gloriosa/ per Portugalen nouiter de Anno ||
domini MiUesimoquingentesimoseptimo gesta. — 1. Bl. v. leer. —
ij r. : SAnctissimo in christo ac bea||tissimo patri dno dno Julio
diuina (pro)tiidentia || summo pontifici: deuotissini9 eius sanctitat(i8)
fili9 II Emanuel dei gra rex Portugalie : et Algarbior(um) . . . hüilima
btör(um) pedum || oscula. — Feldzug gegen Taprobane. Am Ende
von ij r. : .... proxime Don Laurentiü de Almeida filiü armata
classe mi'ljsit. (sc. der Vizekönig) ad infestäda hostiü littora ac
terras. q etiä / vt erat iussus. || accessit ad insulä illä nominatissimä
Taprobanam. alter(uni) ali||quando orbem existimatä : nüc ipsor(um)
lingua Zejlom appel||latam .... Schluß auf iij v. : Ex oppido jj
Abrantes. XXV • Septembris • M • D • Vn. — 4. Bl. leer.
4". 4 Blatt. Pag. : [1], ij, iij, [4].
Bamberg, Kgl. Bibl. Inc. typ. E. VI. 7. — München, Hof-
und Staatsbibl. 4^. Hist. As. 177.
Litt.: Brunet, Suppl. 2, 727.
58. Emanuel, rex Portugaliae, Epistola, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Epistola serenissimi Regis Por-
tu||galie ad Juliü papam Secunjdü de victoria contra Lnfiijdeles ha-
bita. — 1. Bl. v. leer. — 2. Bl. r. (in Antiqua): SAnctissimo in
xpo patri & dno domino !| lulio diuina prouidetia summo Pontifijjci
Deuotissimus eius -f S + filius Emanuel || dei gratia Rex Portugalie
& algarbior(um) — 4. Bl. v. : Ex oppido || Abrantes + xxv 4-
Septembris + M + cccccvii + . Inhalt = nr. 57.
4". 4 Blatt. Ohne Paginiening.
München. Hof- und Staatsbibl. 4°. Hist. Asiae 178 (mit gleich-
zeitigen handschriftlichen Bemerkungen).
Litt.: Brunet n 968.
86 W. Kuge,
59. Emaniie]^ König von Portugal, Geschichte, o. 0. u. J.
(Deutsche Ausgabe von nr. 54—56).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Geschichte kurtzlich durch die
von II Portugalien jn India/ Morenland/ vnd andern erdtrich
— Darunter das portugiesische Wappen, mit Krone darüber,
links von einem federgeschmückten Wilden, rechts von einer
nackten Frau gehalten. — 1. Bl. v. : Geschieht kurtzlich durch
die vö porijtugalien in India. Morenland vnnd andern ertrich des
auff=||gangs von dem durchleuchtigisten Emanuele Konig portu-
ga=||lie zu dem hochwirdigisten hern/ herren. G. bischofF por-
tuensem || AUerheiligisten Römischen kirchen Cardinal portugalien-
sem II zugeschickt vnd von yetzgemeltes Cardinais gebiet durch
dye II kunstreichikeit vii besserung des hochwirdigen maus Petri
Alponsi Malherio jn den geistlichen rechten Doctor Auch des ob ||
gemeltes cardinals Capella zu Rom gemacht. — Am Ende der
Seite : Darüb nott geacht || durch obgemelten aller weysten konig zu
senden jn gewappeten || (Bl. 2) schijÖPen vor vergäges jar M. ccccc. vj.
als läge jar vö jm da hyn || auß gewöheit gesandet hat ein forder-
lichen haubtman .... Darüb da hyn gesant den wolgeborn vn
strege man || für sich ei königlicher stathalter herre Franciscü vö
Almeida ... — 6. Bl. r. am Ende: . . . vnd seine hawßfraw: wirt
bereyten sich als ein vertrawtte || gesponß gezirt mit yerem man.
40. 6 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aiiij, [A,,, «].
Dresden, Kgl. Bibl. Hist. Amer. 149, 44, 2. — Frankfurt,
Stadtbibl. Mise. var. 538«.
Litt.: Schulze, Balthasar Springers Indienfahrt, 1902, 68.
60. Emannel, rex Portugaliae, epistola, 0. 0. u. J.
1 Bl. r. Wappen. Darunter (in gotischer Schrift): Sere-
nissimi Emanuelis Portu=||gallie Regis ad Julium. II. Pont. || max.
Epistola de Prouinciis : Ciui||tatibus : Terris : (et) locis Orietalis ||
partis: sue ditioni fideiq^ christia=||ne nouissime per eum subactis. —
1. Bl. V. leer. — 2. Bl. r. (in Antiqua): SAnctissimo in xpo patri
ac Beatissimo || domino dno Julio diuina prouidentia || summo Pon-
tifici Deuotissimus eiusde || Sanctitatis filius Emanuel dei gra rex ||
Portugalliae & Algarbiorum .... — 4. Bl. v. : Ex Al'||chochete
• xij • Junii + M + d -H viii +
Handelt von dem Feldzug der Portugiesen gegen Arabien,
Socotra, Ormus 1506.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Frankfurt a. M., Stadtbibl. 2324, 24. — München, Hof- und
Staatsbibl. H. Eccl. 263.
Litt. : Panzer, Annales XI 500 nr. 27»». — Brunet II 968.
Aelteres kartographisciies Material in deutschen Bibliotheken. 87
61. Emanoel, König TOn Portugal, Brief, o. 0. u. J. (Deut-
sche Ausgabe von ur, 60).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Ein abschrifft eines sandtbriefes
So II vnserm allerheyligisten vater dem Bapst Julio dem andern
ge||sandt ist/ von dem allerdurchleuchtigisten Fürsten vnd herren, ||
herren Emanuel Kunig zu Porthogal ic. an dem zwelfften tag || des
Brachmonds/ jm . M . ccccc . viij . jare/ von wunderbarlichen || raysen
vnd schieffarten/ vnd eroberung landt/ stet vnd merckt/ || auch
grosser manschlachtung der hayden. — Darunter Holzschnitt,
Überreichung des Briefes an den Papst darstellend. — 1. Bl. v. :
C[ Dem allerheyligsten vater in Christo vnd allerseligsten herren 1|
Herren Julio , auß götlicher Ordnung allerhösten bischoffe / sagt H
seiner heyligkeyt andechtigster sune Emanuel (vö gotes gnaden ^
Kxmig zu Porthogal/ vnd Algarbien/ .... — 4. Bl. v. : Datum
auß Alcochetbe am zwelfften tage Jxinij/ des Brach» ijmondes/ jm
funfftzehenhunderten \Tid achten Jaren. || ü Damach am viervnd-
zwayntzigisten tage Julij/ des Hew=||mondes/ auch in disem jare
Tausent funffhundert vnd achten/ || ist außgangen schrifftliche bot-
schaffte auß Lißbona/ von einem || erbern glaubwirdigen kauff-
manne/ welches namen wol bekant || ist/ wie das diser obgemelte
allerdurchleuchtigiste kunig zu Por^jlthogal habe gesandt in Bar-
baria funfftzig schieffe wol gerüste/ j| Vnd damit bey sibenhundert
raysigen zu Roße/ vnd bey vier||tawsent fußknechten/
Was aber sein Kunigkliche maiestate mit sulchem volcke || schaffen
wolle, ist ditzmals in der gemeyn noch vnbekante/ ....
4«. 4 Blatt. Pag. : [1], ij, üj, [41.
München, Hof- und Staatsbibl. 4°. Eist. As. 179.
Litt. : Weller nr. 426. — Proctor n 11080 [a. 1508 July 24.].
62 a. Sprenger, Merfart, 1509.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Die Merfart vn erfarung nüwer [|
Schiffung vnd Wege zu viln onerkanten Inseln vnd Kü»||nigreichen
wie ich Balthasar Spreljger sollichs selbs: in kurtzuer-
schyne zeiten: gesehen vn erfaren habe, ic — Darunter in Holz-
schnitt ein Wappen, unter diesem (in Antiqua): GEDRVCKT |(
ANNO ^ II M -^ D-^iX-^ II — 1. Bl. V.: Sprengers Wappen. —
jx
8. Bl. r. Bild: GENEA, Wilder mit drei Speeren nach rechts;
V. Büd: GENNEA, Wüde mit zwei Kindern. — 4. Bl. v. Bild:
Baum. — 5. Bl. v. Bild : Wilder mit kleinem Knaben. — 6. Bl. r.
Bild: Wilde mit Kind an der Brust. — 7. Bl. r. Bild: Baum. —
8. Bl. r. Bild: Mann in faltigem Gewand. — v. Bild: Frau mit
Knaben an der Hand. — 10. Bl. v. Bild: INDIA MAI®, Wilder
88 W. Rüge,
mit Speer. — 11. Bl. r. Bild: "Wilde mit langem Haar. — 12. Bl. v.
Bild: -INDIA-MAIOR, Wilder mit Schwert und Schild nach
rechts. — 13. Bl. r. Bild : Wilder mit Bogen nach links. — Schluß
dij V.: Die Merfart Balthasar Sprengers in einer Sum geoffen-
bart II hat hie ir end erlangt Im iar noch Christus geburt • 1 * 5 • 0 • 9 •
— Als 15. Bl. angehängt der nach links gehende Zug des Königs
von Grutschin. Darüber steht (in gotischen Buchstaben): Die Co-
ninck van Gutschin met sinen hoffluyden || REX G-OSCI SIUE GUT-
SCMIN.
4». 14 Blatt. Pag.: [ai_,], b, [,-^], c, [^-,], [d], dij.
Frankfurt a. M., Stadtbibl. Mise. var. 538, 7. — München, Hof-
und Staatsbibl. 4". lt. sing. 330, 11; in diesem Exemplar steht
über dem letzten Bild (in gotischer Schrift, die obere Hälfte fast
ganz wegeschnitten) : Der Triumph des Kunigks von Gutschin mit
seinen Spieleuten vnd [Hofgsyjnde, || TRIVMPHVS REGIS GOSCI
SIVE GVTSCMIN- -iSs- — Rechts unten steht 1509.
Publ. : Fr. Schulze, Balthasar Springers Indienfahrt, 1902
(Facsimile).
Die Sprenger'sche Tndienfahrt behandeln folgende Holzschnitte :
63 b. Balthasar Springer, Indienfahrt 1508.
5 Blatt, je 280 mm hoch und 210 mm breit, neben einander.
1) Links oben Springers Wappen mit dem Namen : B. Springer.
— Dann der folgende Text: Dise nachuolgenden figüren des
wandeis vnnd gebrauchs der künigreich mitthilffe des j| almech-
tigen gots, Von küniglicher würde, Emanuel zu Portugal be«
sucht, gefunde vn || zum tail bestriten auch mitteutscher nacion
namhaffiger kaufleüt, Der Fucker, Wel||ser, Höchstetter, Hirsch-
fögel Der im Hof vnd anderen, des ich, Balthassar Springer vö jj
Filß als ain bestelter von wegen der Welser zu Augspurg mich
auf söliche schiffung vnd sölichs erfarn vnd || selbs angeben hab,
zum trucke, wie hie gesehen wirtt. || ' H • Burgkmair zu Augspurg. —
Dann ein Bild: .IN.GENNEA, Kind nach rechts, Mann nach rechts,
Frau und Kind nach links. Der zu dem Bild gehörige Text be-
ginnt: Zum dem ersten zu Lisibona ainer Portugalische haubtstat
füre wir auß an de xxx || tag martii im iar M ccccc vn v . . . . —
2) Text: Darnach füren wir in das land AUago das geet byß
an den anstoß Arabia ....
Dazu ein Bild: .IN ALLAGO, Frau mit Kind nach rechts,
Mann nach rechts, Kind nach links.
8) Text: Als wir in Arabiam kamen sahen wir sy beklaidet
als hie nachfiguriert ist ... .
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 89
Dazu ein Bild: .IN.ARABIA, Mann nach rechts, Kind und
Frau nach links.
4) Text: Von Cananor dem künigreich schifften wir in groß
Indiam da gond die mensche gantz nackent ....
Schließt: In Callicuten seind vil leut auß sant Thomas landt,
die auch chrysten seind vnd volck vö an|idern landen vnd na-
tionen ic/
Dazu ein Bild: GROS. INDIA., Frau nach rechts mit Papagei,
Kind nach links, dabei das Wort MAMAHE, zwei Wilde nach
links.
5) Fortsetzung des Bildes, sechs Wilde, einer greift die Frau
an die Brust. Kein Text.
Schloß Ramhof. Familienarchiv der Welser. (Die Beschreibung
ist nach der photographischen Nachbildung im Maximiliansmuseum
in Augsburg gemacht).
6) Drei Blatt, jedes 260 — 265 mm hoch und alle zusammen
1108 mm breit. DER KVNIG VON GVTZIN mit großem
Gefolge. Links oben an dem Rest eines Baumes auf einer
Tafel die Inschrift : tt t» • Offenbar hat eine Art Titel hin-
Jd B
kommen sollen; denn der Baum ist eckig verschnitten, und auch
die Waffen der rechts folgenden Leute sind abgeschnitten.
Nr. 6 gehört offenbar zu No. 1 — 5.
Berlin. Kupferstichkabinet, Hans Burckmaier 111 M, B 77.
63 c. Dasselbe 1511.
Holzschnitt. 5 Blatt, 1880 m (zusammengesetzt) x 260 mm.
1) Links oben: Dise nachuolgende figuren- des wandeis vnd
gebra=||uchs der künigreich- mit hüff des almechtigen go^Htes- von
königlicher wird zu portegal besucht • gefunden || vnd zum tavl be-
stritten vnd hat Balteser Springer von || tiltz (!) durch sein selbs
wacknus vnd erfaren wider vnd vö 1| newen- vnnd gantz recht in
diser form zu bringen anzugeben- vnnd derhalb gelaub vnd warhafft
vnderri=||cht gethann • vnnd damit das • so vor in seine namen || ge-
druckt worden oder hiafur änderst dan wie herin be=|!griffe vn zu
sehe ist- gedruckt wurde domit dyselbe abgelait. — Darunter:
Der nackenden moren wandel mit wer in || Genea. — Dazu ein
Bild: IK- GENEA. Mann mit drei Speeren in der Mitte, links
Kind, rechts Frau mit Kind. — Weiter rechts : Die bedeckung
vnnd zier der Altten vnnd || Jungen in aliago vnd ir geschiech
von led||er also. — Darunter Büd: IN ALLAGO, das noch hin-
überreicht auf das 2. Blatt.
90 W. Rüge,
2) Oben die Inschrift: Der Arrabischen art sitten vnd be-
clayd||ung von mann vnnd Weibspersonen. — Darunter Bild: IN
ARABIA. — Weiter rechts : Also ist der gebrauch menschlicher \\
geschlechte in dem grossen Indien. — Darunter das Bild: DAS
GROS INDIA. Links Frau mit Kind, bei dem beigeschrieben ist:
MAMANE; rechts Frau mit zwei Kindern. Das Bild reicht auf
das 3. Blatt.
3) Figurenreiches Blatt, im Hintergrund ein Zug mit Kamelen
und Elephanten.
4) und 5) An das vorhergehende Bild schließt sich eine Dar-
stellung des^efolges des Königs von Gutzin an. An einem Baum
steht 1511. Oben rechts: Des konigs zu gutzin- hoffleut vnnd
vnderthon gebrauche || vnd monier vnnd auch der konig zu kananor •
banderan • || vnnd kolan also wonend • xxxx ■ meil hinter kalekut ||
DER KVNIG VON GVTZIN.
Berlin, Kupferstichkabinet 111 M. (nach Mitteilung der Ver-
waltung ist es ein nicht sehr alter Druck). — Dresden, Kupfer-
stichkabinet der Sekundogenitur 656, 86184 — 188 (nach Mitteilung
der Verwaltung sind es spätere und schlechte alte Abdrücke).
63 d. Dasselbe, 1509, 1541.
Auf Bl. 1 links unten steht: Jörg Glogkendon und auf Bl. 4
auf einer am mittleren Baum hängenden Tafel 1509. Außerdem
sind an den Unterrändern noch fortlaufend spätere Papierstreifen
mit je 5 neunzeiligen Versen in Druckschrift angeklebt, von denen
der letzte die Unterschrift trägt : Albrecht Glockenthon lUuminist ||
l-5'4-l-
Gotha, Museum des Herzogl. Hauses. (Ich habe die Blätter
nicht selbst gesehen und verdanke die Angaben darüber der Di-
rektion des Museums).
Publ. : V. Derschau und Becker, Holzschnitte alter deutscher
Meister in den Originalplatten gesammelt 1808. (II ß. 25, 1508,
Bl. 6).
Litt.: Bartsch, Le peintre graveur 1808, VII 222, nr. 75 u.
223 nr. 77. — Passavant, le peintre-graveur 1862, III 267. — Frei-
herr von Welser, Holzschnitt von Hans Burkmair (Zeitschr. d.
histor. Vereins für Schwaben und Neuburg II 1875, 123). —
Muther, Deutsche Bücherillustration 1888, 131 f. zu nr. 1 — 5 der
Ausg. 1508. — Harrisse, Americus Vespuccius 1895, 42 f. —
Schulze, Balthasar Springers Indienfahrt 1902, 10. — Dodgson,
Catalogue of early german and flemish woodcuts in the British
Museum II 1911, 71.
AeltercB kartographißchee Material in deutschen Bibliotheken. 91
63. (Tespucci-SprcD^er), De nono mondo, Antwerpen, o. J.
Flügblatt 276 x 400 mm. Überschrift (in gotischer Schrift) :
De nouo mondo. — Darauf 56 Zeilen in großem Druck, 25 Zeilen in
kleinerem Druck. Am Schluß: Actum antwerpie p me Johanne ||
de doesborch. — Zerfällt in 6 Abschnitte, zu 9, 15. 9, 12, 11, 25
Zeilen. Vom 2. Abschnitt an hat jeder eine neue Überschrift, die
immer ganz rechts am Rande steht: De Genea, De Allago, De
Arabia, Maior India. India seu regnum Gutschi[n].
Der 1. Abschnitt beginnt: Flgura degetiü i Armenica (Druck-
fehler für America) mire (sed nö önino cognite) magnitudis insula
Geminis nauigatioib9 in occi||detali occeano ab äo. dni. M.cccc.xcvi.
vsq;^ ad M. cccc. xcix. decursis p magni et excelletis virü Albericü ||
vesputiü iussu et mädato Icliti regis lusitanie .... ma||iore
sni pte iueta .... — Es folgen einige Bemerkungen aus dem
Briefe des Vespucci. — Der 2. Abschnitt beginnt : NOuam por-
tugaleze nauigatioej a biuitate lisiböa pfecim(us) ... — Der 3. Ab-
schnitt beginnt : Post hec deueni(mus) ad Allago cöterminä Arabie
. . . . — Der 4. Abschnitt beginnt: VEnietibus nob' i Arabia vi-
dim(us) eos vestitos i modum figuratum .... — Der 5. Abschnitt
beginnt : TAnde ad regnü gosci siue gutschi vt recetiorib(us) cosmo-
graph(is) placet peruenimus .... — Der 6. Abschnitt beginnt : Ex
regno Cananor deueni(mus) ad idiä maiore .... Hier haben nur
die ersten drei Zeilen die normale Länge, Z. 4 — 25 sind viel
kürzer, weil der Raum rechts von einem Bild eingenommen wird.
Abschnitt 2 — 6 geben einen kurzen Bericht über die Indien-
fahrt Balthasar Sprengers von 1505 — 1506 (s. o. nr. 62»), aller-
dings ohne seinen Namen zu nennen. Diese Fassung ist bisher
unbekannt, sie deckt sich inhaltlich am meisten mit der vlämischen
Ausgabe, vgl. Coote, the voyage from Lisbon to India 1505 — 1506.
London 1894. Am linken Rand des Blattes ist ein Streifen von
67 mm Breite für sechs Holzschnitte freigelassen, in einfachen
Rahmen (ungefähr 67 x 67). Der oberste hat keine Überschrift
(wohl abgeschnitten), er stellt einen Wilden mit Kopfschmuck dar,
und eine Frau, mit demselben Schmuck, die zwei kleine Kinder
säugt. Am linken Rand ist unter einem Baumstamm ein Feuer
gemacht, in dessen Rauch Teile eines menschlichen Körpers ge-
räuchert werden. Die nächsten Holzschnitte GENNEA, IN * AL-
LAGO, IN: ARABIA. MAIOR: INDIA (gilt für zwei) und
der 7. rechts unten ohne Bezeichnung (ca. 147 x 110) sind ver-
kleinerte Spiegelbilder der Burkmaierschen Holzschnitte. Vgl.
nr. 62»-'^.
Auf der Rückseite ein die ganze Fläche einnehmender Holz-
92 W. Rüge,
schnitt mit der Überschrift: Nonü preceptü Non con||cupisces
uxorem proximi tui.
Rostock, Universitätsbibl., früher eingeklebt in Opera Hie-
ronymi, Basil. 1516, Bd. 5. 6. Das Blatt ist am Rande teilweise
beschnitten und vielfach beschädigt, hier und da, besonders in der
rechten unteren Ecke, sind Löcher von Bohrwiirmern gefressen.
Litt. : W. Rüge, Deutsche Litteraturztg 1903, 359. — Sarnow
und Trübenbach, Mundus Novus 1903, 10.
64. Emanuel^ rex Fortugaliae, Epistola, Rom, 1513.
1. Bl. r. (in Antiqua): EPISTOLA 1| Potentissimi / ac in-
uictissimi Ema«||nuelis Regis Portugaliae & Algarbiorum. || &c.
De Victoriis habitis in India || & Malacha. Ad. S. in Christo
Patrem & || Dnm nostrum Dnm Leonem • X • j] Pont. Maximum. —
Darunter das portugiesische "Wappen. — 1. Bl. v. leer. — Aii r. :
[sJAnctissimo in Christo Patri/ ac bea||tißsimo Dno Dno nostro
E. S. ad»||ditissimus filius Emanuel Dei grajjtia Rex Portugalliae
& Algarbior(um) || . . . . — 6. Bl. r. : Dat. in Vrbe nostra Olisipone.
8. idus II Junias Anno Dsi. M. D. XIII. || Romae impressa per Ja-
cobum II Mazochium. 9. Augusti. — Brief des Königs Emanuel von
Portugal an Leo X. über die Eroberung von Malaka durch die
Portugiesen 1511. — Abgedruckt bei Grynaeus, Novus orbis 1532,
184 f.
40. 6 Blatt, Pag.: [A], Aii, Aiiij, [A^-g].
München, Hof- und Staatsbibl. A. gr. a. 277, 11.
Litt. : Ternaux-Compans nr. 99. — Brunet II 969 ; suppl. 1, 441.
65. Emanuel, rex Portugaliae, Epistola, Wien, 1513.
1. Bl. r. (in Antiqua) : EPISTOLA POTENTISSIMI || ac In-
uictissimi Emanuelis Regis Portugaliae, || & Algarbiorum4- &c+- De
Victoriis ha'||bitis in India, & Malacha+ || Ad+ S+ in Christo Patre ||
& Dominü nostrü+ || D04- Leonem+ X+ 1| Pont^ Maxi=||mum+ — 1. Bl. v.:
lACOBVS SPIEGEL SELESTENSIS IMPE. LEGVM || Licetia-
tus. Cqs. Secret. & archiducalis ab epl'is. Lectori S. || QVAM PRI-
mum sequente ad Leonem Pont. Max. epistola ... ex urbe . . .
Reueredissio Georgio Anti||stiti Viennen, . . . missam rei nouita||te
captus relegisse ... — 2. Bl. r. : SAnctissimo in Christo Patri,
ac beatissimo || Domino Domino nostro+ E+ S+ additissimus || filius
Emanuel Dei gratia Rex Portugalliae & I| Algarbior(um) .... —
4. Bl. v. : Dat+ in Vrbe nostra 01isiphone+ 8. Idus Iunias^- Anno
Do'||mini+ M^ D+ XIII+ || Viennae impressa per Hieronymü Vietore ||
& Joannem Singrenium+ xvi+ Ka'||lendas Octobris+
4°. 4 Blatt. Ohne Faginierung.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 93
München. Hof- und Staatsbibl. A'\ Eist. As. 181.
Litt.: Panzer, Annales IX 18 nr. 97. — Temaux - Compans
nr. 101. — Brunet 11 969 ; snppl. 1, 441.
66. Emannel, rex Portugaliae, Epistola, Cöln. 1513.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): EPISTO||la Potentissimi ac in-
uictissimi || Emanuelis Reg(is) Portagaüe et Al||garbior(um) ic de
victorijs habit(is) || in India (et) Malacha. ad || S. in christo pf em || et
dum nostr(am) |] dnm Leoljne -x- || pöt. || Maximum. — Darunter das
portugiesische Wappen. — 1. Bl. v. : SAnctissimo in Christo patri/ ac
beatissimo dno/ do'||mino nostro E. S. additissimus filius Emanuel ||
dei gratia Rex Portugallie (et) Algarbior(um) .... — 3. Bl. v. :
d Dat(um) in Vrbe nostra Olisipone. 8. Idns lunias. Anno || domini.
M, D. Xin. II tt Colonie jmpressa per Hermannü |i Guytschaiff.
17. (viell. 15.) Septembri. — 4. Bl. r. : grober Holzschnitt, Jung-
frau Maria mit Christuskind im Strahlenkranz. — 4. Bl. v. leer.
4'\ 4 Blatt. Nur das Blatt ij ist paginiert.
Berlin, König! Bibl. Qq 1983 R.
Litt.: Procter, IE, I, 10574 (fälschlich 1515 statt 1513).
67. Emanuel, rex Portngaliae, Epistola, Erfurt. 1513.
1. Bl. r. (in Antiqua): EPISTOLA POTENTISSIMI AC || in-
uictissimi Emanuelis Regis Portugaliae & || Algarbiorum. &c. De
victorijs habi=||tis in India & Malacha. Ad. S. in |i Christo patrem
& dominü || nostrum dominü Leojinem. X. Pont. || Maxi'jjmü. — Dar-
unter das Dr ackerzeichen von M. Maler in Erfurt, ein Lowe hält
ein Schild mit zwei verschränkten M. Auf bandförmigem Ornament
in gotischer Schrift: Mathes || Maler de || Erffor^||dia:- — 1. Bl. v. :
[slAnctissimo in Christo Patri/ ac beatissimo || dno Dno nostro
E. S. additissimus filius |[ Emanuel dei gratia Rex Portugalliae &
Al||garbior(um) .... — 4. Bl. v. : Dat. in Vrbe nostra Olisipone.
Vin. idus Iu=||nias Anno domini. M. D. XTTT. || a Impressum Er-
phordi^ per Mattheum maier.
4°. 4 Blatt. Papinierung: [A], Aij, Aiij, [A*].
Bamberg, Kgl. Bibl. Inc. typ. E. VI. 27. — Maihingen, FürstL
Oettingen-Wallersteinsche Fideikommißbibl. IV 13. 140. 4^
Litt. : Panzer, Annales VI 505 nr. 73. — Brunet 11 969.
68. Emanuel, rex Portugaliae, Epistola, o. 0. u. J.
l.Bl. r, (in gotischer Schrift): Epistola Potentissimi ac Inuicti'jf
ssimi Emanuelis Regis Portugal||lie (et) Algarbior(um) ic. de Victo-
riis in II India (et) Malacha: Ad S. in xpo || Patrem (et) dominü
nostrum dnm || Leonem- XPont. Max. — Darunter das portugiesische
Wappen. — 1. Bl. v. leer. — 2. Bl. r. (in Antiqua): SAnctissimo
94 W. Rüge,
in xpo Patri/ ac Beatissimo dno dno nostro || E. S. additissimus
filius Emanuel Dei gratia Rex Porta=|!galliae & Algarbior(um) /
.... — 4, Bl. r. : Dat(uin) in || Vrbe nf a Vlyxbon. Octauo Id.
lunias. Anno diii. M. D. XIII.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
München, Hof- und Staatsbibl. 4^ Hist. As. 180.
Litt.: Ternaux-Compans nr. 101. — Proctor II 11091 (?). —
Stauber, Die Schedeische Bibliothek 1908, 174.
69. £Dianuel, rex Portugaliae, Epistola, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Epistola potentissi||mi ac inuictis-
simi Emanuelis re=|lgis Portugalie et Algarbio=||rü. ic. de victorijs
habitis || in India (et) Malacha. ad |j S. in christo patre et || dnm no-
strü. dnm |i Leone decimü. || pont. maximü i| M. D. XIII. — Darunter
in Holzschnitt das portugiesische "Wappen. — 1. Bl. v. leer. —
2. Bl. r. : Sanctissimo in christo patri. ac be=||atissimo dno dno E. S.
Additissim^ filip Emanuel dei gracia || rex Portugalie et Algar-
biorü .... — 4. Bl. r. : Dat in vrbe || nostra Olisipone. viij. idus
lunias. Anno düi. M. D. xiij.
4^. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Frankfurt, Stadtbibl. Hist. B. IV. 53. 7. — München, Hof-
«nd Staatsbibl. 4". Hist. As. 180^
Litt. : Ternaux - Compans nr. 101. — Brunet II 969 (es laßt
sich nicht sicher erkennen, welche Ausgabe dort gemeint ist).
70. Emanael^ rex Portugaliae, Triumphus, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in Antiqua): TRIVMPHVS EMANVELIS CHRISTI ||
anissimi Porthugalliorum Regis de infide||libus Acquisitus Leoni-X-
Pon. max. || Epistolari munere conscriptus. — Darunter in Holzschnitt
das portugiesische Wappen. — 1. Bl. v.: REVERENDISSIMO IN
CHRISTO PATRI |1 D. Henrico familie baronü de heuen, antistiti
Curien. || & Argentinen. e ecclie Thesaurario : loaü. Grui||da Eiusde
ElemosinariP sese cömendat || INGrENTI me gaudio affecit reuere-
dissime pr victoria !| Regis portugallie de sarraceni qua epta eius
ad. P. Max. || declarat Ar||gentoraci- iij -non. octob. 1.5.1.3.
— Aij r.: EPISTOLA POTENTISSIMI : AC INVICTIS||simi
Emanuelis Regis portugallie et Algarbiorü || De victorijs habitis
in India &, Malacha. Ad |( S. in Christo patre & dominü nostrü
do||minum Leonem. X. Pont. Maximum. || SANCTISSIMO I christo
pfi : ac beatissimo |j Dno Dno nf o E. S. additissimus filius Emäuel ||
Dei gfa Rex portugallie & Algarbiorü .... — 4. Bl. v. : Dat. in
■ Vr||be nostra Olisipone. 8. yd9 Junias Anno dni. M. d. xiii.
4». 4 Blatt. Paginierung: [A], Aij, Aiij, [A,].
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 95
München. Hof- nnd Staatsbibl. 4°. Port. 6«.
Litt.: Brunet II 969. — Proctor II 9928.
71. Emanuel, König ron Portugal, Brief, Augsburg, 1513.
(Deutsche Ausgabe von nr. 64 — 70).
1. BI. r. (in gotischer Schrift): Abtruck ains Ia=ijteinisehen
sandtbrieues an babst=||liche heiligkeit/ von kiinigklicher wurde zu
Portegall/ li dis iars ausgangen/ von «1 eroberte stadt Malacha /
an II deren künigreychen vnnd herrschaftn in India auch |! gegen
aufgangk der Sunnen / erstlich zu Rom auf 'IX* |i tag Augusti in
latein getruckt; vnd nachmaln auf * V' || tag Septembris , zu Augs-
purg in tewtsch gebracht/ || zum teil articul weis gestelt/ alles
dest bas zu vermer=||cken , vnd in gedachtnus zu erhalten/ —
Darunter das portugiesische Wappen. — 5. Bl. v. : ö Geben in
vnser Stadt Olisipone auf den sechsten |! tag des Monats Junij jn
dem Fünfzehenhundersten vn drei'||tzehenden jare/ des herrn . . . .
Getruckt zu Augspurg || Durch Erhart ögHn. — Bl. 6 leer.
4°. 6 Blatt. Pag.: [A], Aij. Aüj, [A,_,].
Berlin, Kgl. Bibl. Flugschr. 1513, 1. — München, Universitäts-
bibl. 4». ffist. 3395; Hof- und Staatsbibl. 4°. Hist. As. 182.
Litt. : Panzer, Annalen I 355 nr. 758. — Ternaux - Compans
nr. 96. — Proctor II 10714.
72. Emanael, König von Portugal, Obedientia. o. 0. u. J.
(nach 1513).
1. Bl. r. (in Antiqua): EMANVELIS LVSITAN: AL||GAR-
BIOR: AFRICAE AETHI||OPIAE ARABIAE PERSIAE || IN-
DIAE REG. mVICTISS: || OBEDIENTIA. — Darunter das por-
tugiesische Wappen, ringsherum eine breite Zierleiste. — A ij r. :
Dieghi Pacecchi lur + Consult + In praestanda Obej|dientia pro
Emanuele Lusitanor: Rege In||uictiss:/ Leoni + X. Pont + Opt + ||
Max + dicta Oratio + || ELoquar an sileam? .... — bij v. : In
Dei Opt + Max -|- |( gloriam sempiternä Amen -\ 7. und 8. Bl.
Verse. — Handelt von den Kämpfen der Portugiesen in Indien
und Afrika.
4". 8 Blatt. Pag.: [a], aij, [aj, J, b, bij, [bj, *]■
Stuttgart. Kgl. Landesbibl. Span. u. portug. Gesch. Emanuel
4». — München. Hof- und Staatsbibl. 4°. A Gr. a. 277, 10 und
4°. Eur. 346, 51.
Litt. : Brunet, Suppl. 1, 441. — Racc. Col. VI 91 nr. 582^^^
73. Anonymus, Copia der neuen Zeitung aus Presilgland,
o. 0. u. J. (s. 0. nr. 7).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Copia der Newen Zejtungfj
96 W. Rüge,
auß Presillg Landt. — Darunter Holzschnitt, der eine Stadt an
der Meeresküste darstellt, gegenüber zwei felsige Inseln. Auf
dem Meer ein großes Schiff, das offenbar die Inseln beschießt.
Außerdem noch fünf Schiffe, von denen drei ganz klein sind. —
1. Bl. V. leer. — Aij r. : ITem wist, das auff den Zwelfften || tag des
Monadts Octobers Ein Schiff auß Presillg||landt hye an ist kummen
.... — 3. Bl. V. am Ende : Sie sagen auch das volck an dem |[
selbigen ort werdt biß in Hundert vnd Viertzig Jar alt. — [A4] leer.
4». 4 Blatt. [AJ, Aij, [A3,,].
Dresden, Kgl. Bibl. Hist. Amer. 149, 44, 1. — München, Hof-
und Staatsbibl. 4". Am. A. 96. — Zwickau, Ratsschulbibl. XXIV.
X. 14, 15. 4*'. — Leipzig, Universitätsbibl. Libri sep. 2231.
Publ. : S. Rüge im 4. u. 5. Jahresbericht d. Vereins f. Erdkunde
ÄU Dresden 1868. — v. Wieser, Magalhäes-Straße 1881, 85 99 f.
Litt, (außer den genannten Schriften) : Weller , Die ersten
deutschen Zeitungen (Bibl. d. litter. Vereins zu Stuttgart CXI. Band
1872) 87 (die Angabe über das Leipziger Exemplar trifft nicht zu).
— Häbler in der Ztschr. der Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin
1895,352. — L. Rosenthal bot in seinem Katalog 111, 1904, nr. 395
ein Exemplar für 16000 Mk. an.
74. Anonymus, Copia der neuen Zeitung aus Presilg Land,
Augsburg, 0. J. (s. 0. nr. 7).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Copia der Newen eytung (!) ||
ausz Presilg Landt — Darunter das portugiesische Wappen. —
1. Bl. V. leer. — 2. Bl. r.: ITem wist dz auff den Zwelff=||ten
tag des Monadts Octobers Ein Schiff auß || Presillig land hye an
ist komen .... — 4. Bl. r. : Sy sagn auch || das volck an dem
selbigen ort werd biß in hunndert vnnd || viertzig Jar alt. || ff Ge-
truckt zu Augspurg durch Erhart öglin.
4". 4 Blatt. Ohne Paginiening.
München, Hof- und Staatsbibl. 4». Eur. 346, 47. — Nürnberg,
German. Mus. Bibl. Scheurl. 433 (370) p. 41.
Publ. : Weller, die ersten deutschen Zeitungen (Bibl. d. litter.
Vereins zu Stuttgart CXI. Band. 1872) 87.
Litt. : s. vorige nr.
76. Anonymus, Die Schiffung, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Die schiffung mitt t| dem Lanndt
der II Gulden Insel gefunde durch || Hern Johan vö Angliara || Hawpt-
man des Cristenjjlichen Künigs vö His||pania. gar hübsch || ding zu
höre mit || allen yren leben || vnd sit'||ten Hh — Darum eine breite
Zierleiste. — 1. Bl. v. leer. — 2. Bl. r. : Mit der hilff des Aller-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 97
gütigisten vnd grossn gottes / zu ziehe || an die end vns auff gelegt
vö dem Christenliclien vnnd aller |1 Säligisten Carolo künig vö
Hispania. Ich aller getrewester || diener Johan von Angliara vn
vnwirdiger Hawptman do schied wir vns von dannen auß
beneich vnsers Christen«||lichen Künigs von Calesse in Hispania
anß zufarn in Gali'||cut/ ... — Schluß 3. Bl. v. : Vnd antwortten
die schanckung auff || das best / Wie vns der ander anß der andern
Insel gegebenn || hett. — 4. Bl. leer.
4°. 4 Blätter. Ohne Paginierung.
München, Hof- und Staatsbibl. 4^ It. sing. 330, 1. — Ham-
burg, Commerzbibl. 1175.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 102.
76. Emaunel, rex Portugaliae, Epistola, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in Antiqua): EPISTOLA || INVICTISSim REGIS |1
Portugalliae ad LEONEM || X. P. M. super foedere || inito cum
Presbyte-liro lOANNE || Aethiopiae || Rege. — 1. Bl. v. : EXEM-
PLVM LITTERARVM SEREJiniss. & Inuictissimi Regis Portu-
galliae, ad Sanctis'llsimü Domino. N. snper Rebus gestis in man ||
Rubro, & foedere inito cü presbytero || Joäne rege Aethiopiae po-
tetissimo. || SAnctissimo in Christo Patri ac beatissimo || dno, dno
nfo. E. S. deuotissim9 tilius Ema»|[nuel Dei gra Rex PortugaUiae
& Algar=||bior(um) ... — 2. Bl. v. , . . Datü OLisipone Octauo
Idus M[aj] (?) II Anno Natalis Dominici. M. D. XX.
4°. 2 Blatt. Ohne Paginierung.
München, Hof- und Staatsbibl. 4". Port. 36, 1 (etwas be-
schädigt).
77. Anonymus, Sendbrief, Nürnberg, 1520.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Ein auszng ettlicher jj send-
brieff dem aller durchleüchtigisten || großmechtigiste Fürsten vnd
Herren Herren Carl Römischen vnd || Hyspanische König ic. vn-
serm gnedigen hern durch ire verordent || Hauptleut / von wegen
einer newgefunde Inseln, der selbe gelegen||heit vnd jnwoner
sitten vn gewonheite inhaltend vor kuriizuerschi=||nen tagen zu-
gesandt. — Darunter Holzschnitt, Kampf zwischen Landtruppen
und Schiff darstellend. — 1 . Bl. v. leer. — 2. Bl. r. : ALs man
zalt nach Christi ge-Hpurt tausendt fünffhunderi; vnd nenntzehen
Jar .... — 7. Bl. v. : Getruckt in der keiserlichen Stat Nürm-
berg durch || Fryderichen Peypus/ vnd seligklich volend || am
17. tag Marcij / des jars do man || zalt nach Christi vnsers lieben j)
heiTen geburt. M. D. XX. — 8. Bl. leer.
Die Flugschrift berichtet über die Expeditionen von Francisco
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachriditen. PhU.-hist Klasse. 1916. Beiheft. > 7
98 W. Rüge,
Herandez de Cordoba nach Yukatan, von Juan de Grrijalva und
Cortes.
40. 8 Blatt. Pag.: [A], Aij, iij, [AJ, B, Bij, Biij, [BJ.
Frankfurt, Stadtbibl. Eist. B. IV, 53, 19. — München, Hof-
und Staatsbibl. 4P. Am. A. 26. — Zwickau, Ratsschulbibl. 4P.
XXIV. VIII. 18, 21. — Augsburg, Stadtbibl., wo aber die Signatur
Aij fehlt.
Litt. : Harrisse, B A V nr. 105. — Grallois, les göographes alle'
mands 1890, 90. — Winsor, Narr, and crit. bist. II 403. — Proctor
I nr. 11135.
78. Anonymus^ Neue Zeitung, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Newe zeittung. von dem lande,
das die |1 Sponier funden haben ym 1521. iare genant Jucatan. ||
Newe zeittung vö Prußla/ vö Kay : Ma : hofe 18 Martze. 1522. ||
Newe zceyt von des Turcken halben von Offen geschrieben. —
Unter dem Titel Holzschnitt, der die Opferung kleiner Kinder
darstellt. — 1. Bl. v. : Item die Sponier. seint außgefaren. zu ||
SuuUia bis in die insel Caba. ... — 4. Bl. v. : . . . . vil ander
ding sagt man von dem landt / vn || schreybt das vil dauon zu-
schreyben werbe. — Dann kommen auf Bl. B und Bij die beiden
andern, auf dem Titel genannten Flugschriften.
40. 4 Blatt. Pag.: [A, Aij], Aiij, [AJ, — S. o. nr. 8.
Berlin, Kgl. Bibl. Flugschr. 1522, 4. — Freiberg, Grymnasial-
bibl. — Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 108, 17 Quodl. 4P. — Dresden,
Kgl. Bibl. Eist. eccl. E 225, 31. — Hamburg, Stadtbibl. H A VI
151. — Augsburg, Stadtbibl. 4". Grs. — Breslau, Universitätsbibl.
B. rec. III Qu. in 123.
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 70. — Weller, Die ersten deut-
schen Zeitungen (Bibl. d. litter. Vereins zu Stuttgart CXI. Band,
1872) 91.
79. Anonymus, Newe zeytung, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Ein schöne || Newe zeytung so
Kayserlich || Mayestet auß India yetz || nemlich zukommen seind. |
Gar hüpsch vö den Newen || ynseln / vnd von yrem sy tten 1| gar
kurtzweylig zu leesen. — Unter dem Titel Wappen mit zwei-
köpfigem Adler, von Greifen gehalten. Um das Ganze eine breite
Zierleiste. — 1. Bl. v. : H Etlych newe zeytung. So Kayserlich |
Mayestat auß India yetzund nemlych || zu kommen seind. — Die
Flugschrift handelt von Columbus, Cortes, Magalhaes (Wagelanus).
4». 8 Blatt. Pag.: [A], Aij, iij, [AJ, B, Bij, Biij, [BJ. Ohne Angabe ron
Ort und Jahr ; aber auf B iij 5. Zeile v. unten iteht : . . . am. vj H tag Septembria
diaes. zxij. Jar / nur aiui mit. XTÜj. perione || wider komen ....
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 99
Frankfurt a. M., Stadtbibl. Eist. B. IV, 53, 17. — München,
Hof- und Staatsbibl. 4°. Am. A. 430. — Nürnberg, German. Mus.
Bibl. Scheurl 444 (417) p. 348. — Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl.
188 Quodlibetica 4°.
Publ, : Weller, Die ersten deutschen Zeitungen (Bibl. d. litter.
Vereins zu Stuttgart CXI. Band, 1872) 38, 91.
Litt. : Wieser, Magalhäes-Straße 75, Anm. 1. — Harrisse, B A V
nr. 115.'
80. Cortes, Carta de relacion, Sevilla, 1522.
1. ßl. r. im oberen Teil tronender König in Holzschnitt,
darunter (in gotischer Schrift) : Carta de relaciö ebiada a su. S.
majestad del epa'||dor nro senor por el capitä gcneral dela nueoa
spana : llamado fernädo corI|tes. En la ql haze relaciö 8 las tierras
y prouicias sin cueto q hä descubierto || nueuamete en el yucatä
del ano de . xix . a esta pte : y ha sometido ala Corona || real de
SU S. M [di] V. : <! La presente carta de relacion fue im-
pressa en la muy noble (y) muy leal ciudad de Se=||ailla: por
Jacobo cröberger aleman. A. viij. dias de Nouiebre. Ano de
M. d. (y) xxij.
Fol. 28 Blatt. Pag.: [a], aij, aiij, aiiij, [ag-j]; b, bij, biij, biüj, [bj—g],
c = b, d, dij, [d„ J.
Göttingen, Universitätsbibl. 4''. Eist. Amer. II 138.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 118.
81. Cortes, Carta tercera de relacion, Sevilla, 1523.
1. Bl. r. im oberen Teil derselbe Holzschnitt eines tronenden
Königs, darüber (in gotischer Schrift): « Carta tercera de relaciö:
embiada por FemäUdo cortes capitan (y) justicia mayor del yacatan
llamado la nueua espana || del mar oceano : al muy alto y poten-
tissimo cesar (y) luictissimo senor dö || Carlos emperador .... de
las 11 cosas sucedidas (y) muy dignas de admiracion en la conquista
y recupe'l|racion de la muy grande (y) marauillosa ciudad de Te-
mixtitan: .... [da] r: d La psente carta 8 relaciö fue impressa
e la muy noble (y) muy leal ciudad 8 seuilla por || Jacobo cröberger
alemä : acabo se a. xxx, dias de marpo : ano b mill (y) quinietos
(y) ixiij.
FoL 30 Blatt. Pag.: [a], aij, aiij, «üij, [aj-g], b, bij, büj, biiij, [b,—,],
c = b, d, dij, diij, diiij, [dj, g].
Göttingen, Universitätsbibl. 4P. Hist. Amer. II 138.
Litt.: Harrisse, B AV nr. 121.;
83. Schöner, de nuper . . . repertiis insulis, Kircherenbach,
1523.
7*
100 W. Rüge,
1. Bl. r. (in Antiqua): DE NVPER 1| SVB CASTILIAE AC
POE,TVGA=||liae Regibus Serenißimis repertis Insalis ac E,egi-||
onibus, Joannis Schöner Charolipolitani episto||la & Globus Geo-
graphicus, seriem nauiga||tionum annotantibus. Clarißimo at'||q5
disertißimo uiro Dno ßeynie=|[ro de Streytpergk, ecclesiae || Baben-
bergensis Cano|[nico dicatae. — 4. Bl. r. : Timiripae, Anno Incar-
nationis do||minicae Millesimo quingente=||simo uigesimoter||tio.
4". 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Bamberg, Kgl. Bibl. R. B. Mise, o 5/2.
Publ. : Varnhagen, Reimpression fidele d'une lettre de Jean
Schöner .... ecrite en 1523. St. Pötersbourg, 1872. — Wieser,
Magalhäes - Straße 1881, 116. — Stevens and Coote, Johannes
Schöner 1888 (Facsimile).
Litt. : Stevens and Coote, a. a. 0., 152. — Schottenloher, Zen-
trale., f. Bibliothekswesen 1907, 152.
83. Maximiliaiiiis Transylvanus, de Moluccis insulis, Köln, 1523.
1. Bl. r. (in Antiqua) innerhalb eines breiten Zierrahmens:
DE MOLVCCIS IN 11 (cursiv) sulisj itemq; alijs pluribus mirädis,
quae || nouissima Castellanorum nauigatio Se=||reniss. Imperatoris
Caroli. V. auspicio || suscepta, nuper inuenit: Maximiliani || Transyl-
uani ad Reuerendiss. Cardina-||lem Saltzbnrgensem epistola lectu
per-||quam iucunda. || —1. Bl. v. : REVERENDISSIME (cursiv) ac
Illustriss. Domine, do-||mine mi unice, humilli. commen. Redijt his
diebus || una ex quinq ; illis nauibus ... — [B?] v. : ... in occi-
dentem remeauvit. Reuerendissimae || D. T. me humillime com-
mendo. Datum Vallisoleti die || XXIIII Octobris M. D. XXII. ||
E. Reuerendiss. ac. Illustriss. D. T. 1| Humillimus & per||petuus
seruitor. |1 Maximilianus || Transyluanus. || Coloniae in aedibus
Eucharij Ceruicomi. Anno uir-Hginei partus. M. D. XXIII.
mense || lanuario. — Vgl. oben nr. 9.
8«. 16 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, A, (!), Av, [A^-g], B, Bij, Biij, 8 inj, Bv,
[B._«J, [Bh] leer.
Bamberg, Kgl. Bibl. R. B. Mise. o. 5< — Freiburg i. Br.,
Universitätsbibl. J. 5763, m.
Publ. : Stevens and Coote, Johannes Schöner 1888 (Facsimile).
— Wieser, Magalhäes - Straße 1881, 109 f. (Der einleitende Teil).
Litt.: Harrisse, BAV nr. 122. — Wieser, a. a. 0. 107 f. —
Gallois, les göographes allemands 1890, 90. — Denncö, Eerste
vlaamsch taal- en gescbiedkundig congres.
84. Maxiinilianas Transilvanus^ de Moluccis insulis, Rom,
1524.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 101
l.Bl. B r. (in Antiqaa): MAXDIILIANVS CAESARIS || IN-
VICTISSIMI A |i SECRETIS |1 Reuerendissimo. D. D. Mathaeo Car-
dinaH || Salzeburgensi. .S. P. D. |1 [r]EDIIT HIS DIEBÜS || una
€x quiiiq5 Ulis nanibus ... — [De] r. : . . . in occidentem remeaait.
— [De] V.: ROMAE IN AEDIBVS || F. MINITII CALVI || ANNO
M. DXXIIII. II MENSE || FEB.
40. 14 Blatt. Pag.: B, Bü, [B3, J, C, Cü, [Cj, J, D, Du, Diu, P«-,].
München, Hof- und Staatsbibl. It. sing. 159''^. 4*. (Die ersten
4 Blatt fehlen).
Litt.: S. nr. 83 und Harrisse, B AV nr. 124.
85. Anonymus, Letera, o. 0. u. J.
1. ßl. [A] r. (in Antiqua): LETERA DE || (in gotischer Schrift) :
La nobil cipta : nouamente ritrouata alle || Indie con li costumi (e)
modi del suo Re (e) || soi populi : Li modi del suo adorare con la ||
bella vsanza de le donne loro: (e) de le dua p||sone ermafrodite
donate da quel Re al || Capitano de larmata. || (in Cursiv) : ERamo
gia partiti, da le Ysole, aquistate, & con || buon uento, nauigando,
con quatro naue, per il cappo, |j di bona salate, per x . . . ii giorni
•continui, solcamo molte mijlglia di mare, a Saluamento ... — Am
26. Tage treffen sie auf eine Küste, mit einer großen Stadt. —
Aij r. : Imprima, la Citta e nominata Zhaual & ha uno bellissi'||mo
porto. — [A4] V. : Sono ormai • vi • mesi, che qua se ritrouamo,
doue con la gra^pia de N. S. habbiamo. principiata una chiesa
dedicata a San||ta maria gloriosa, de bona salute, .... — Schließt:
El. V. S. V. AI Suo. D. L. S. || Data in Peru adi. xxv. de Nouem-
bre. IJDel MDXXXIIIL
4». 4 Blatt. Pag.: [A], Aij, [A„ J.
München, Hof^ und Staatsbibl. 4". It. sing. 330, 7.
Litt.: Brunet III 1021. — Harrisse, B A V nr. 191 (. . . of the
original of this plaquette, we can find no traces). — Racc. CoL
VI 103 nr. 641 (andere Ausgaben).
86. Anonymus, Newe Zeytung, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Newe Zeytung || aus Hispanien
vnd II Italien. || Mense Februario. || 1534. || — 1. Bl. v. leer. —
2. Bl. r. : Newe zeitung |[ vom Türeken. — iij, r. in der Mitte:
Newe Zeitung aus Hispania. || Di^ Keyserliche Maiestet Hauptleut
vnd Agen||ten haben abermals in Indien newe Insel gefun^jlden vn
erobert/ Dan es haben K. M. Stathalter j| aus Panumja/ in India
gelege/ warhafftigKch ge||schriben vnd seiner Maiestet anzeygt/ 1|
das auff den jj xv. tag Martij im xxxiij. jar/ in Nichacunhna ein ||
schiff aus Perhu ankomen sey , welches brieff von || Francisco Pis-
102 W. Rüge,
cario K. M. oberster regente/ gebra=||cht hat, wie sie zu Perhu
angelendet/ das eingeno'||men haben ... — Den Schluß des Flug-
blattes bildet eine Nachricht über eine Gresandtschaft zu den Türken,
die datiert ist: Dat. vt supra xviij || Januarij. Anno 1534.
40. 4 Blatt. Pag. : [1], ij, iij, [4],
Frankfurt a. M., Stadtbibl. Hist. B. IV, 58, 36. — München,
Hof- und Staatsbibl. 4«. Türe. 82/3 m.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 195.
87. Anonymus^ Copey etlicher Briefe, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Copey etlicher brieff || so auß
Hispania kumme || seindt/ anzaygent die eygenschafft des/ 1| Newen
Lands/ so newlich von Kay. || May. Armadi auffdem newen || Mör
gefunden ist worden/ || durch die Hispanier. || M. D. XXXV. —
1. Bl. V.: ITem es ist vor etlichen || Jaren/ durch Kay. May.
beuelch außge==||faren auß Hispania/ ein Hispanischer Her/ || Fran-
cisco de Pysaria genandt .... — 3. Bl. r. : Solches gut hat obf|
genanter Herr Francisco de Pisaria/ sampt mannen || vnnd frawen/
vnnd auch Indianischen schafe von || Elperu durch Nycoarchua gehn
Sant. Lucas in || Antholosia mit zway schyffen geschickt / welches I|
leyt jnn hohe Hispania/ bey Hispaly/ wo sy an kuine || sein jm
Mertzen des vierundreysigist Jar/ — 4. Bl. r. : Solche zeyttung
ist auß II Hyspanischer sprach/ in die Frantzösische getransfer||tirt
worden/ darnach in Nyderlendisch vnd Hoch»||teusch (!) sprach.
Dise zway schyff hat ein glaub wür^ljdiger Mann mit nammen
Mayster Adolff Kay. || May. Secretari in Hyspania abladen sehen.
4°. 4 Blatt. Ohne Paginierung.
Berlin, Kgl. Bibl. Flugschr. 1535, 23. — München, Univer-
sitätsbibl. 4". Libri rari 5. — München, Hof- und Staatsbibl. 4".
Am. A. 95. — Nürnberg, German. Mus. Bibl. Scheurl. 479 (499) p. 233.
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 108.
88. Anonymus, Nuova della presa della gran Citta de Diu,
o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Nuoua della pre||sa della gran
Citta de Diu per lo || inuittissimo Re di Portogal'ljlo, (e) de lar-
tegliaria, (e) gran||dissimo tesoro, che den||tro vi si trouo. — Darunter
das portugiesische Wappen. — 1. Bl. v. leer. — A ij r. (in Antiqua) :
DE VNA LITTERA D'ENVERS || scritta alli VIII. de Luglio.
M. D. XXXVI. II PEr littere de 29+ & de 30+ di || Magio de Lis-
bona de mio fra^ytello, ho inteso come Simone || Ferriera era
gionto con un Ga||leone de l'India, & portaua lit'||tere de Nuno
de Cugna ... — Schließt [A*] r. : ... a'l Papa, come Capo, & a
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 103
l'altri II Prencipi Christiani. — Handelt von der Erwerbung der
Stadt Diu 1535.
40. 4 Blatt. Pag.: [A], Aij, [A3,,].
München, Hof- und Staatsbibl. 4. Hist. As. 598.
Litt. : Temaux-Compans, nr. 231. — Brunet, Suppl^m. 2, 51.
89. Johannes, rex Portugaliae, Litterae, 0. 0. u. J.
1 . Bl. r. (in gotischer Schrift) : Serenissimi atq5 || (in Cursiv-
schrift) Inuictissimi Portugalliae & Algarbiorum Regis || Litterae,
Ad Sanctissimum +D+ N+ Paulum -r III + i| Pont + Max + Super insigni
Victoria, Rebusqs || feliciter in Oriente gestis+ — Darunter das por-
tugiesische Wappen. — 1. Bl. v. : Sanctissime in Christo Pater, ac
beatissime Doniine+ || J0anne8 + D+G+ Rex Portugalliae || & Algar-
biorum citra & ultra || mare ... — [B2] v. : ... Datae Eborae die ||
XX + Julij + M + D + XXXVI + — Bericht über die Erwerbung von
Diu 1535.
40. 6 Blatt. Pag.: [A], Aij, [A3, 4], B, [B,].
München, Hof- und Staatsbibl. 4'^. Hist. As. 437.
Litt.: Ternaux-Compans, nr. 249 führt eine Ausgabe an: Viennae
Austriae. J. Syngrenius. — Graesse, Supplem. 281.
90. Johannes, rex Portugalliae, Literae, 0. 0. u. J.
1. Bl. r. (in Antiqua): SERENISSIMI || ATQVE IXVICTIS-
SIMI II portugalliae & Algarbiorum Rc'ljgis Literae, ad S. D. N.
Pau'jllum III. Pont. Max. super in||sigm uictoria, rebusq5 jj foe-
liciter in Oriente || gestis. — 1. Bl. v. leer. — Aij r. : SANC-
TISSIME II IN CHRISTO PATER, AC || beatissime Domine. ||
10 ANNES D. G. REX PORTV-Jlgalliae & Algarbiorum, citra &
ulljtra mare ... — Biij v. : Datae Eborae, die XX. Julij. An.
D. II M. D. XXXVI. — [B4] r.: Alma, Spicifera, Elana, || CERES, ß
— Darunter Holzschnitt, weibliche Figur, mit der Unterschrift:
Ni purges & molas, non || comedes. — [B4] v. leer.
40. 8 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aüj, [A,], B, Bij. Büj, [B^].
Darmstadt, Großherzogl. Hofbibl. O. 1178.
Litt.: Brunet, Supplem. 1, 698.
91. Cartier, Brief recit, Paris, 1545.
1. Bl. r. (in Antiqua): Brief recit, & || succincte narration,
de la nauiga^lltion faicte es ysles de Canada, Ho«||chelage & Sa-
guenay & autres, auec || particulieres meurs, langaige, & ce||ri-
monies des habitans d'icelles : fort || delectable ä veoir. — Unter
einem Buchdruckerzeichen, (Mann links, Baumstamm, an dem ein
Wappen mit R hängt, rechts) : Auec priuilege. || (Cursiv) On les uend
ä Paris au second pillier en la grand || salle du Palais, & en la rue
104 W. Rüge,
neufue nostredame a || l'enseigne de lescu de fräce, par Ponce
Roffet dict || Faucheur, & Anthoine le Clerc freres. || 1545.
8". 48 Blatt. Pag.: [A], Aü, Aiii, Aiii (statt Aiiii), [Ag-«], b, bii, biii,
biiii, [bä-g], C, D, E, F = b (bei E steht Ej statt Eii).
Berlin, Königl. Bibl. Libr. impr. rar. Oct. 160.
Publ. : D' Avezac , Bref recit et succincte narration ....
Reimpression. Paris, 1863.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 267. (Kennt nur ein Exemplar im
Brit. Mus.).
2. Sammelwerke.
93. Montalboddo, Paesi nuovamente retrouati, Vicentia, 1507.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): CUM PßlüILEGIO || (Auf
bandartigem Ornament): ^ Paesi Noaumente retrouati. Et Nouo
Monde da Alberico Vesputio Florentino intitulato. — 1. Bl. v.
leer. — 2. Bl. r. (in Antiqua): Tabula Cömunis. || El primo che
ha trouato la nauigatione per Loceano uerso || mezodi. c. i. —
Das Inhaltsverzeichnis endet 6. Bl. r. : Q Finis Tabule cömunis. —
6. Bl. V. : Cl Montalboddo Fracan. al suo amicissimo Joänimaria ||
Anzolello Vicentino. S. — [Da] v. : o; Stampato in Vicentia cü
la impensa de Mgf o || Henrico Vicentino : & diligente cura &
indu||stria de Zämaria suo fiol nel. M. ccccc vii. a || di. iii. de No-
uembre. || Cum gratia & 1| priuilegio p äni. x. como nella || sua
BoUa appare: che p||söa del Dominio Ve||neto nö ardisca i||pri-
merlo. |1 * || .
40. 6 Einleitungsblatt und 120 Blatt. Pag.: [-f], + ii, + iii, [+4-6], a,
all, [&3, 4] u. 8. w. bis t, dann v — z, &, ^, F^, A — D.
München, Universitätsbibl. 4°. Itin. 16 {4P Libri rari 1). —
München, Hof- und Staatsbibl. 4°. It. coli. 26 yi.
Litt.: (D' Avezac), Martin Hylacomylus (Extrait des Annales
des voyages 1866) 67. — Harrisse, BAV add. nr. 26. — ßacc.
Col. V 2, 138, 209; VI 156 nr. 1000. — Rüge in der Festschrift der
Hamburgischen Amerikafeier 1892, 108, 126. — Böhme, Die großen
Reisesammlungen des 16. Jahrhunderts 1904, 15 f. — Rivista geogr.
Ital. XII 1905, 284.
93. Archangelus Madri^nanus, Itinerarium Portugallensium,
Mailand, 1508. (Übersetzung von nr. 92).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Itinerariü Portugallcsiü e Lusi-
tania in Indiä (et) in||de in occidentem (et) demum ad aquilonem. —
Darunter Karte von Afrika, Holzschnitt, 170 x 227 mm. — 1. Bl. v.
(in Antiqua): Presbyteri Francisci Tantii Cornigeri Epigramma
Ad Jafredum Cai|rolum. Delphinatus Praesidem & Mediolani
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 105
Senatus Vicecancellariü. || De Itinerario Portngallensium. Ab Ar-
chägelo Careualensi Latinitate |j donato. — Dann 7 Distichen. —
Aii r. : Magnifico Domino Jafredo Karoli. I. V, cösalto Delphinatos
praesidi : 1| ac Medioläi nicecäcellario : uiro eruditissimo : Archan-
gelus Madrigna|(nus Careualensis : ordinis cisterciensis. S. D. P.
— 8. Bl. r. Schluß des Briefes: Mediolani kalendis Juniis
. M . CCCCC . Vin. II FINIS. — B r.: ITIXERARIVM Portn-
gallensium ex Vlisbona i Indiam nee || non in Occidentem ac Se-
temptrione : ex Vernaculo sermone in || latinum tradactum. Inter-
prete Archangelo Madrignano Medio||lanense Monacho CareuallensL||
Jo. Mariae Vicentino Montaboldus Francanus salutem. || — Letztes
Bl. V. : Operi suprema manus imposita est kalendis quintilibus.
Ludouico gali{liar(um) rege huius urbis Iclite sceptra regete. Julio
secüdo pötifice maxi»||ma orthodoxä iide feliciter moderäte: anno
nrae salutis. M. D. VIII.
Fol. 96 Blatt. Pag.: [A], Aii, Aüi, Aüü, [Aj-g], B, Bii ii. s.w. wie Ä,
ebenso C ; D, D ü, Düi, [D*-«], E, F wie B ; G wie D; H wie B ; I wie D ; K, L,
M wie B ; N wie D. Außerdem sind die Blätter von B an oben paginiert, mehr-
fach allerdings falsch.
Heidelberg, Universitätsbibl. A. 566'. — Karlsruhe, Hof- und
Landesbibl. *Mc. 40 (stark zerfressen). — München, Universitäts-
bibl. fol. Itin. 14\ — München, Hof- und Staatsbibl. Fol. It.
sing. 31. — Augsburg, Stadtbibl. 2 Exemplare. Adlig, von Ano-
nius 1514 fol. und Adlig, von Ludovicus 1511 fol. — Breslau,
Universitätsbibl. Bist- an- H- fol. 6. In diesem Ex. stehen hinter
[As] zwei Blätter aa, [aa2] mit einem Index: Index subsequentis
operis. — Göttingen, Universitätsbibl. Itiner. 176^. Die letzten
Bogen M und N sind falsch gebunden. — Berlin, Kgl. Bibl. Ps.
5985. — Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. B. 22 fol. — Mainz, Stadt-
bibl. E. 4. a. 60; es fehlt Bl. Aij — [A?] — Hamburg, Commerz-
bibl. 1126.
Publ. : Die Karte von Afrika in verkleinertem Maßstabe : F. A. 66
Fig. 37. — Böhme, Die großen Reisesammlungen des 16. Jahr-
hunderts 1904, 26.
Litt. : Harrisse, B A V nr. 58. — Wieser, Magalhäes - Straße
1881, 16 f. - F.A. 40. 67. — Periplas 129. — Racc. Col. V 2,
139, VI 152 nr. 985. — Böhme, a. a. 0. 25 f.
94. Rachamer, Newe unbekanthe Landte, Nürnberg, 1508
(Übersetzung von nr. 92).
1. Bl. r. : Auf einem verschlungenen Bande : Newe || vnbe-
kanthe || landte || Und || ein || newe || weldte || in || kurtz || verganger |j
zeythe || erfunden. — Letztes Bl. vor dem Register v. : d Also hat
106 W. Rüge,
ein endte dieses Büchlein, weL||ches auß wellischer sprach in
die dewtschen 1| gebrachte vnd gemachte ist worden, durch || den
wirdige vnd hochgelahrten herre Job=||sten Rnchamer der freyen
künste, vnd artz=||enneien Doctore &c. Vnd durch mich Geor»||gen
Stüehßen zu Nüreinbergk, Gedrückte || vnd volendte nach Christi
vnsers lieben herj[ren geburdte. M. ccccc. viij. Jare, am Mit'||woch
sancti Mathei, des heiligen apostols || abenthe der do was der
zweyntzigiste tage || des Monadts Septembris.
Fol. 68 Blatt. Pag.: [ai], aij, aiij, aiiij, [ag, g], b, bij, biij. büij, [bj, «],
c — k = b; 1, lij, liij, [IJ. Dann das Register auf Blatt i, ij, iij, [4]. Text in zwei Spalten.
Hamburg, Commerzbibl. 1174. — München, Universitätsbibl.
fol. Libri rari 3 u. 4. — Leipzig, Universitätsbibl. Mathem. 34/6
und Hist. Helv. 7. — Oldenburg, Großherzogl. Bibl. — Berlin,
Königl. Bibl. fol. P s 5987. — Nürnberg, Stadtbibl., math. fol. 786.
— Göttingen, Universitätsbibl. Itinerar. 263". — "Wolfenbüttel,
Herzogl. Bibl. 156, 10, Quodlib. fol. — Schweinfurt, Stadtbibl.
Nr. 7082. — Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. B. 23.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 57. — Proctor II 11081. — Rüge,
Gesch. d. Zeitalters d. Entdeckungen 1881, 233 und in der Fest-
schrift der Hamburgischen Amerikafeier 1892, 108, 126. —
(D'Avezac), Martin Hylacomylus (Extrait des Annales des voyages
1866), 67. — Böhme, Die großen Reisesammlungen des 16. Jahr-
hunderts 1904, 29 f. — Racc. Col. V 2, 139; VI 153 nr. 986.
95. Gheteleii, Nye vnbekande lande, Nürnberg, 1508. (Über-
setzung von nr. 94).
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Nye vnbekande lande. Unde
eine nye Werldt iu korter vergangener tyd gefunden. (Jedes
Wort steht einzeln, ebenso angeordnet wie bei der hochdeutschen
Ausgabe nr. 94).
1. Blatt V., auf zwei kleinen, voranstehenden Zeilen: Enem
etliken anschouwer desses Bokes entbuet Jj Henningus Ghetelen
sinen denst vn vrüntschop |I
Dann : Myt gunst vn wyllen des werdigen vnde hochgelereden
heren Josten Ruchamer Jj der vryen künste vnde arstedye Doctoren
IC. welker dyt Boeck hefft erstmaels gemaket || vth den waischen
in hochdfidesch, dorch bede vnde anlangent euer siner gude vründe ||
So hebbe ick Henningus Ghetelen (vth der keyserliken vryen Stadt
Lübeck geboren) || vor my genamen, dyt Boeck to maken vnde to
wandelen vth def hochdfideschen in || myne moderlike sprake,
alse men redet in den loffwerdigen Hensesteden, vnde ok in den [|
wyd beropenden landen Sassen Marcke Pomeren Prüssen Mekelen-
borch Hülsten ic. . . . Dixi.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 107
Am Ende der Seite : Eiusdem Henninghi Ghethelen Lnbecensis ||
& adolescentuli Hexastichon Ad lectores.
Euomit insignis Stuchs calcographia Georgi
Tentonico: ex Franco: iam nona regna stilo.
Quo patet aethiopum mores & regna: reuelat
En mnndi populos : & simulachra noui.
Mira (legas) nostris animalia pandit ocellis
Monstra sed hnmanis enolat apta iocis.
H
TELOS
a
Hierauf folgt der Text, xind zwar in zwei Kolumnen.
[U] V. rechte Kolumne: a Also heflPt dyt Boeck einen ende/
welker j] vth Walscher sprake in de Hoechdfideschen || gebracht vnde
gemaket is, dorch den werdi»||gen vnde hoechgeleerden heren Jostcn
Ru'ljchamer der vryen künste vnde arstedyen Do» ctoren ic. Dar
na dorch Henningü Ghetelen || vth der keyserliken Stadt Lübeck
gebaren in || desse sine Moderliken Sprake vorwandelt. j| Vnde
dSreh my Jürgen Stiichßen to Nü=||reinberch Gredrücket vn Vulendet
na Christi || vnses leuen heren gebort. M. ccccc. viij. jare || am Auende
Elizabeth der hilligen Wedewe || dede dar was am achteyenden
dage Nouc'llbris des Wyntermaens. ||
Henninghi Ghetelen Lnbecensis || Distichon. ||
Vasta periclo sceptra graui scrntata Colübi.
Regis et insignis Emanuelis ope.
H
TELOS
G.
Hierauf Register I, 11, III, [*]. [*] r. am Ende der rechten
Columne : Also hefft ein ende dat Register || auer dyt Bokelin.
Fol. Pag.: [a], aü, aiii, aiiii, [aj, a,], b, bii, büi, büii, [bj, b,] u. s. w,
bis [k,], 1, lij. liij, p,].
Königsberg, Stadtbibl. N 104/2. — Stuttgart, Kgl. Landesbibl.
Geogr. Lande, 4°. (Es fehlen darin [a], aiii, aiiii). — Wolfen-
büttel, Herzogl. Bibl. 26 Quodl. Heimst. 2«.
Litt.: Harrisse, BAV add. nr. 29 mit außerordentlich vielen
Fehlern. — Gut, bis auf wenige Fehler, ist die Abschrift in dem
Catalogue de la collection .... de feu M. Serge Sobolewski, List
und Franke 1873 nr. 4070. — Über Hans (Johannes) van Ghetelen
vgl. K. E. H. Krause (Jahrbücher des Vereins für niederdeutsche
Sprachforschung, Bremen 1877, 96 — 98), der seine Angaben mit
108 W. Rüge,
den Worten schließt: „Den Verbleib des Sobolewskischen Exem-
plars der „„Nyen unbekanden lande"" zu erfahren, wäre auch für
die Kenntnis der mnd. Sprache von Bedeutung". Dieses Exemplar
ist in die Carter-BTOwn-ßibliothek in Providence R. J. gekommen ;
D. B. Shumway ^) hat darüber gehandelt (in derselben Zeitschrift
1907, 53; 1908, 113). — Racc. Col. V 2, 139; VI 153 nr. 987.
96. Mathurin du ßedouer, Le nouveau monde, Paris, o. J.
(Übersetzung von nr. 92.)
1. Bl. r. (Das Gesperrte ist rot): SEnsuyt le nou=j|ueau
möde et na||uigations: fai'||ctes par Emeric de vespuce Florentin/
Des II pays et isles nouuellemet trouuez/ aupauät ||
a nous Tcögneuz/ Tat en lethiope q arrabie ||Calichut et aul-
tres plusieurs regions esträ||ges Träslate de Italien en
Lägue fräcoyse || par mathurin du redouer licencie es
1 0 i X. — Darunter Holzschnitt, den Tierkreis darstellend. Am Ende
der Seite: On les vent a Paris en la rue neufue nostrejl
dame a lenseigne de Lesen de France. — Letztes Bl. v. :
CT Cy finist le liure intitule le nouueau monde, et nauigaciös || de
almeric de vespue des nauigaciös faictes par le roy de por=||tugal
es pays des mores et autres regiös et diuers pays. In||prime
nouuellement a Paris.
4''. 92 Blatt. Pag.: [A], Aij, A iij, [A^], ai, aii, aiii, [a^], u. s. w. bis t;
e, m, t haben 8 Blatt, z. B. ei, eii, eiii, eiii, [eg—g]. Daneben geht oben eine
Paginierung her von ai an = Fueil. i, aii = Fueillet ii, u. s. w. ; aber c i =
FueiUet X (anstatt IX), so geht's weiter, daher ist [tg] = LXXXIX, eigentlich
LXXXVIII ; Fueillet XXXVI ist falsch als XXXII bezeichnet.
Hamburg, Commerzbibl. 1173.
Litt. : Harrisse, ß A V nr. 83 oder add. nr. 46. — Racc. Col.
V 2, 139 ; VI 164 nr. 989. — Böhme, die großen Reisesammlungen
des 16. Jahrhunderts 1904, 36 f.
97. Mathurin du Redouer, Le nouveau monde, Paris, o. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift, das Gesperrte rot): SEnsuyt
le Nou = ||ueau monde (et) na||uigations: Fai'||ctes par Emeric
de vespuce Florentin/ Des || pays (et) isles nouuellemet
trouuez/ au pauät a|| no9 Icongneuz Tat en lethiope q arabie'/
cali'llchut/ (et) aultres plusieurs regiös esträges -XIX
Darunter der Tierkreis. — tt On les vend a Paris a lenseigne
Sainct iehan bap||tiste en la Rue neufue Nostre dame
pres Saincte gene«|| uiefue des ardans. Jehan iannot. —
Letztes Bl. v. : OL Cy finist le liure intitule le nouueau möde/ (et)
1) Den Hinweis auf dessen Aufsätze verdanke ich Herrn Geheimrat Sievers
in Leipzig.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 109
nanigatiös |I de Almeric de vespue/ des nauigatiös faictes p le roy
de porlltugal es pays des mores et aultres regions et diaers pays ||
Imprime nonuellement a Paris par Jehan Janot.
4*. 92 Blatt. Pag. : jwie nr. 96, nur ist, von einigen Versehen im einzelnen
abgesehen, die Seitenzählung oben richtig; sie endet daher auch mit LXXX^^II.
Wolfenbütte], Herzogl. Bibl. 13518, früher Helmstedt, Ehe-
mal, üniversitätsbibl. T. 81.
Litt.: Harrisse, BA V nr. 84. — Racc. Col. V 2, 139; VI 154
nr. 990. — Böhme, (s. nr. 96) 36 f.
b. Segelanweisnngen.
98. Bartolomeo da li Sonetti, Isolario, (Venedig, Guilelmus
Tridinensis [Anima miaj, frühestens 1485) ^).
Ohne Titel. Der Verfasser nennt sich Bl. 2 r. : per me bon
venitian bartholomio da li soneti .... und Bl. 3 r. : per me bar-
tolomeo da li sonetti. — 1. Bl. r. : AI Diuo Cinquecento cinque e
diece \\ Tre cinq5 a do Mil nulla tre e do vn ceto || nulla. questa
opra dar piu cha altri lecce. — Über die Bedeutung dieser Worte
und ihre Beziehung auf den Dogen Juan Mocenico (1478 — 1485)
vgl. E. Jacobs bei Hiller v. Gärtringen, Die Insel Thera 1899
I, 380 f. — Beschreibung der griechischen Inseln, dazu Karten.
56 Blatt in Lagen zu 12, 10, 8 (als b paginiert), 6, 6, 8, 6.
Berlin, Kgl. Bibl. Inc. 4215, 5.
Litt, (außer Jacobs): Castellani, catalogo ragionato delle piu
rare e piü importanti opere geografiche a stampa, che si conser-
vano nella biblioteca del CoUegio Romano 1876, 66. — Periplus
71. — F.A. 36. 104.
99. Anonym as, Portolan, Venedig, 1490.
1. Bl. leer. — aij r. : Questa e vna opera necessaria a tutti li
nauigäti chi vano in di=|iaerse parte del mondo per laqual tutti se
amaistrano a cognoscere || starie fundi colfi vale porti corsi dacque
e maree comiciando da la || cita de cadex in spagna dretamente
fina nel porto de le schiuse pas||sando p icanali fra laixola de in-
gelterra e la terra ferma scorendo le || bäche de fiädra fina ala
ixola de irlanda mostrando tuti i corsi e tra||uersi dal ponepte fino
al leuante doue exercitano naueganti chi va|[no per mar e per ogni
parte diel mondo. cü iloro nauili nauegädo.
Letztes Blatt v. : Finito lo libro chiamado portolano composto
per vno zentilo||mo veniciano lo quäl a veduto tute queste parte
anti scrite le || quäle sono vtilissime per tuti inanichanti che voleno
1) Nach Mitteilung des Herrn Prof. Vouillieme in Berlin.
110 W. Rüge,
securamen||te nauichar (con) lor nauilij indiuerse parte del mondo |I
Laus deo amen || Impresso cum diligentia in la citade de Venexia
per Bemar||dino rizo da nouaria stampador 1490 adi 6 nouembrio.
8». 82 Blatt. Pag.: [a], aij, aiij, aiiij, [aj-g], b, bij, biij, biiij, [bj-g],
ebenso c, d, e; f, fij, fiij, [4-«], [A], Aij, A iij, Aiiij, [As-«], B, Bij, Biij, Biüj,
[Bs-g], ebenso C, D; E, Eij, [E3, J.
BerHn, Kgl. Bibl. Inc. 4135, 5.
Publ. : Kretschmer, Die italienischen Portolane des Mittel-
alters 1909, 420-552. Vgl. dazu S. 220. — Proctor 4957. —
Reichling, Appendiees ad Hainii - Copingeri repertorium typo-
graphicum 1908 f. III 1907, 156.
c. Lehrbücher.
100. Anonymns , Der deutsche Ptolemäus , (Nürnberg , G.
Stuchs^), ca. 1487-1490).
1. Bl. V. (in gotischer Schrift): Inuitatio lectoris in cosmo-
graphiam claudi || ptolomei Alexandrini nouiter ideomate germa«!]
no cötextam incipit foeliciter. — Folgen 12 Distichen. — az r. : Ein
einleitung diss buchleins |1 yn die kunst Cosmographia. — Ohne
Kolophon.
S*". 35 Blatt und eine Weltkarte. Pag.: [a], aj, [aj—J, bj, bj, [bj—g], c,,
Ca, [C3— s], dl, d,, [dg-g], ei, [Cj-J, [ej fehlt.
München, Hof- und Staatsbibl. 8". Inc. s. a. 74. — Berlin,
Kgl. Bibl. Inc. 1915^).
Publ. u. Litt. : Jos. Fischer, S. I., Der „deutsche Ptolemäus", 1910
(nach dieser Facsimileausgabe habe ich die Beschreibung gemacht).
101. Ludd, speculi orbis. declaratio, Straßburg, 1507,
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Speculi Orbis succinctiss. sed ||
neqg poenitenda neq^ || inelegans Declara'||tio et Canon. — Darunter
Holzschnitt mit dem Planetensystem, rechts von oben nach unten :
Foelices animae quibus haec cognoscere primum || Inqj domos su-
peras scandere cura fnit. — Links, ebenfalls von oben nach unten :
Non frustra signorum obitus speculamur et ortus 1| Temporibusq^
parem diuersis quattuor annnm. — Darunter: Renato SiciliaeRegi ic.
dicatum. — l.Bl. v. : Philesij Vogesigenae tl öCötvxov de exi'ljmijs
laudibus inclytiss. || Renati Solymorum || ac Siciliae regis ic. (] et
Gualteri Luddi |1 einsde aleretis. — Folgen 10 Distichen: Ipsum-paret.
— aij r: Inclytissimo Renato Hieru'||salem/ et SiciliQ Regi. ic.
Duci Luthoringi^ || ac Barn. Gualterus Ludd eiusdem || a secretis
et Canonicus Deodatensis 11 sese humiliter cömendat. — Schließt : Val«
1) Nach Mitteilung von Herrn. Prof. Voulli^m« in Berlin.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. Hl
Kex iuclytissime / et me habeas cömendatü |[ ex oppido diui Deo-
dati Anno Millesimo qngentesimo (et) septimo. || — 4. Bl. v. : Decla-||
rationis in spe^ljculü orbis p Grualthe||rü Ludd Canonicü dini ||
Deodati Illustrissimi Rena||ti Solymorum ac Siciliae regis |j ic
secretarium dignissimü || diligenter paratam || et indnstria Joan'||nis
Grüingeri || Argetin. im^Hpressum || Finis.
40, 4 Blatt. Pag.: [a], aij, aiij, [a*]. Daneben oben Fo. II, Fo. III., IIII.
Leipzig, Universitätsbibl. Mathem. 34, 4.
Litt.: (D'Avezac), Martin Hylacomylus (Extrait des Annales
des voyages 1866), 61. (Seine Beschreibung stimmt nicht ganz). —
Harrisse, B A V nr. 49 (übersetzt die versicoli falsch). — Wieser,
Magalhäes- Straße 1881, 118 Anm. — Gallois. Les geographes alle-
mands 1890, 45. — Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois
1893, nr. 85. — Proctor 11 nr. 9904.
102. Ladd, Erclämis vnd vßlegnng, Straßbarg, 1507.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Erclämis vnd vßlegung der
Fi'IIgar vnd Spiegels der weit. — Darunter Holzschnitt mit dem
Planetensystem. — 1. Bl. v. : Vorred || An den^dnrchleachtigsten
Renatum Künig zu || Hierusalem vnd Sicüien etc. Hertzoge !| zu
Lutringen vnd Bar etc. || So die menschen . . || . . hab ich Walter Lud
de||mütiger Thumherr zu sant Diedolt . . . Datum zu sant Diedolt
in dem M • ccccc • vnd vj • üar. — 4. Bl. v. : End der erclärniß
Speculi orbis/ durch de wirdige herre Herr Waltem Ludden || ge-
macht/ vn Joänem Grüninger zu Straßburg getruckt. Anno«
M • ccccc vij.
Folio. 4 Blatt. Pag. : [a], a ij und oben II, a iij und oben III, [a^] oben IIII.
Breslau, Universitätsbibl. Phys. IV. fol. 115. (Das einzige
bekannte Exemplar).
103. TValdseemüUer, Cosmographiae introductio, St. Die,
25. IV. 1507.
l.Bl. r. (in Antiqua): COSMOGRAPHIAE INTROÜV-ÜCTIO/
CVM QVIBVSIIDAM GEOME||TRIAE || AC || ASTRONOHMIAE
PRINCIPIIS AD II EAM REM NECESSARHS. || Insuper quatuor
Americi Ve'||spucij nauigationes. || Vniuersalis Cosmographi^ de-
scriptio II tam in soHdo q5 piano / eis etiam || insertis quQ Ptholo-
m^o II ignota a nuperis || reperta sunt. |i DISTICHON. |i Cum dens
astra regat/ & terrae climata Caesar || Nee tellus nee eis sydera
maius habent. || — 1. Bl. v.: MAXIMILIANO CAESARI AV-
GVSTO II PHILESrV'S VOGESIGENA. || Cum tua sit vastum
Maiestas sacra per orbem |1 . . . 5 Disticha . . . |1 Qui mira praesens
arte parauit opus. 1| 0 Takoe |j — Aij r.: DiyO MAXIMILIANO
112 W. Rüge,
CAESARI AV||GVSTO MARTINVS ILACO||MILVS FOELI-
CITA||TEM OPTAT. || Si multas adijsse regiones, & populorü
vltimos II vidisse/ nö sola voluptariü sed etiam in vita cöduci||bile
est .... quis oro inuictissime Caesar Maximiliane, regio||na ....
Quis inquä || illorü omniü ritus ac mores ex libris cognoscere iul|-
cundü ac vtile esse inficias ibitV Sane (ut dicä quod || mea fert
opinio) .... Schließt Aij v. : .... me satis foecisse intellexero.
Vale Caesar inclytissi. || Ex oppido diui Deodati. Anno post natu
Saluatoljrem supra sesquimillesimü septimo. — bij r. schließt die
EinleituDg: Finis introductionis. — bij v. : Philesius Vogesigena ||
Lectori || ßura papirifero .... 11 Distichen .... Rhinocerontis ha-
bens II o Telog, — biij r.: QVATVOR AMERICI VEHISPYTII NA-
VIGATIONES II Eins qui subsequente ter=||rarum descriptio=||ne de
vulgari || Gallico in || Latinü || trästu||lit. || Decastichon ad lectorem: ||
Aspicies ... 5 Distichen . . . non facientis opus. — Dann: Item
distichon ad eundem |j Cum noua — habes || o Tsloq. \\ — biij v. :
lUastrissimo Renato Iherusalem || & Sicili^ regi/ duci Lotho||ringiQ
ac Barn. Ame=||ricus Vesputius hu=||mile reuerentiä & || debitä re-
cöme||dationem. -•- [fe] r. : Americus Vesputius in Lisbona. — Auf
dem Rest der Seite ein Buchdruckerzeichen mit S. D. ; G. L. ;
N. L. ; M, I. (Diese ineinander geschlungen). — Darunter : Finita,
vij. kl' Maij || Anno supra sesqui||millesimum vij. — Zu beiden
Seiten je ein Distichon : Vrbs Deodate — premet.
4". 52 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aiiij, [A5, ^], B, Bij, Biij, [B4], a, aij, aiij,
aiiij, dann ein eingelegtes Blatt, [aj-a], b — d = a; e, eij, eiij, [e^], f, fij, füj, fiiij, [fö,«].
Schlettstadt, Stadtbibl. — Leipzig, Universitätsbibl. Ges. Werke
65, 3. — Göttingen, Universitätsbibl. Geogr. 623. 4".
Publ. : Fischer und v. "Wieser, Cosmographiae Introductio, 1907
(Facsimile). — v. Wieser, Die Cosmographiae introductio des Martin
Waldseemüller, 1907.
Litt.: (D'Avezac), Martin Hylacomylus (Extrait des Annales
des voyages 1866). — Harrisse, B A V nr. 44 ; add. 24. ^ Racc. Col.
V 2, 139 VI 209, nr. 1340.
104. Waldseemüller, Cosmosgraphiae introductio, St. Di^,
25. IV. 1507.
l.Bl.r. (in Antiqua): COSMOGRAPHIAE INTRODVCTIO/ ||
CVM QVIBVSDAM |i GEOMETRIAE || AC || ASTRONO || MIAE
PRINCIPIIS II AD EAM REM NECESSARIIS || Insuper quatuor
Americi Ve«||spucij nauigationes. || Vniuersalis Cbosmographiae (!)
descriptio || tarn in solide qjplano, eis etiam || insertis quQ Ptholo-
m§o II ignota a nuperis |! reperta || sunt. || DISTICHON || Cum deus
astra regat/ & terrae climata Caesar || Nee tellus nee eis sydera
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 113
malus habent. — 1. Bl. v. : DJ VO MAXIMILIANO CAESARI
SEM^iiPER AVGVSTO; GYXNASIVM (!) VOS||AGENSE NON
RÜDIBVS INDOIICTISVE ARTIVM HVMANI||TATIS COM-
MENTATORItlBVS NVNC EXVL=||TANS: GLORIAM || CVN
FOELICI II DESIDERAT || PRIXCIPAljTV. || SI MVLTAS ADI-
ISSE REGIONES ET || populorü vltimos vidisse/ nö solum vo-
luptarium / 1| sed etiam in vita condacibile est. . . . Quis o Caesar
inuictissime |( regionum ... — A ij r. : Qais inquä illorü onmiü
ritus ac mores/ ex libris || cognoscere: iucundum ac vtile esse
inficias ibit? Sa^jlne (vt sapientum fert opinio) .... — Schließt
Aij V.: ... nos satisfecisse intellexmimus. Vale caesar injjcly-
tissime. Ex superius memorato sancti Deodati || oppido. Anno
post natum Saluatore supra sesquiUmillesimam septimo. — Von
da an = nr. 103.
München, Hof- und Staatsbibl. 4«. Math. A. 152^ (ßl. Aij
— [As] falsch gebunden). — Zwickau, Ratsschulbibl. XXIV, XII.
2, 17. — Würzburg, Universitätsbibl. It. q. 233. — Dresden, Kgl.
Bibl. Lit. Rom. B. 3031/3. — Halle, Universitätsbibl. Oa 958 (an
Oc 184). — Berlin, Kgl. Bibl. Libri impr. rar. Quart 10 (= Po.
5054 nr. 20). — Leipzig, Universitätsbibl. Astronom. 438. —
Bonn, Universitätsbibl. 4^. 0. 379 V 2, 139 f.
Litt. : S. vorige nr. Harrisse, ßA V nr.45. — Racc. Col. V 2, 139 f.
105. (VTaldseemüller), Cosmographiae introductio, St. Di^,
29. VIII. 1507.
1. Bl. r. (in Antiqua) : COSMOGRAPHIAE || INTRODVCTIO ||
CVM QVIBVSIiDAM GEOME||TRIAE || AC || ASTR0X0;MIAE
PRIXCIPIIS AD 11 EAM REM NECESSARIIS || Insuper quattuor
Americi || Vespucij nauigationes. || Vniuersalis Cosmographiae de-
scriptio tarn || in solido qjplano/ eis etiam insertis i| quae Ptholo-
m^o ignota a nu.peris reperta sunt. || DISTHYCON (!) || Cum deus
astra regat/ & terrae climata Caesar || Xec tellus/ nee eis sydera
malus habent. II— 1. Bl. v. : DIVO MAXIMILIANO CAESARI
SEÄliPER AVGVSTO GYMNASIVM jj VOSAGENSE NON RV-
DIBVS II INDOCTISVE ARTIVM HV MANITATIS COMMENJi-
TATORIBVS NVNC EX iVLTANS GLORIAM || CV]\I FOELICI IJ
DESIDERAT i| PRINCI|PATV. || SI MVLTAS ADUSSE RE-
GIONES ET II populorum vltimos vidisse/ non solum voluptari«H
um: sed etiam in vita conducibile est . . . Quis o Caesar in=||nic-
tissime (!) regionum . . . || A ij r. : Quis inquä illornm (I) omniä ritus
ac mores/ ex li.||bris cognoscere: iucüdum ac vtile esse inficias
ibit? II Sane (vt sapientü fert opinio) Schließt Aij v. : ....
Kgl. Oes. d. Wiss. Nichrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1916. Beiheft. 8
114 W. Rüge,
nos satisfecisse itellexerimus. Vale caesar m(!)||inclytissiine. Ex
superius memorato sancti Deodati || oppido. Anno post natum
Saluatore supra sesqui=|jmillesimum septimo. — [D4] r. schließt die
Introductio mit den Worten: Finis introductionis. Es beginnt
neue Paginierung: A r.: QVATTVOR AMERICI || VESPVTII
NAVI||GrATIONES || Eins qui subsequente terrarum || descriptione
vulgari Gral=j|lico in latinum || transtulit. || Decastichon ad lectorem. ||
Aspicies ... 5 Distichen . . . non facientis opus. — Dann : Item di-
stychon ad eunde || Cum noua — habes || o Tslog, || A v. : Philesius
Vogesigena |( Lectori || B,ura papirifero ... 11 Distichen . . . Rhi-
nocerontis habens. || 0 Tskog, — Aij r. : lUustrissimo renato Ihera-
salem & Sicili^ || regi/ duci Lothoringi^ ac Barn. Ame||ricus Vespu-
cius humilem re=||uerentiam/ & 'debitam re»||cömendationem. j| —
[fi] r. : Americus Vesputius in Lisbona. — Dasselbe Buchdrucker-
zeichen wie in der 1. Auflage (s. 0. nr. 103). Darunter: Finitü
iiij. kr Septem II bris Anno supra ses||quimillesimü. vij. — Zu beiden
Seiten die Disticha: Vrbs Deodate. — premet.
40. 52 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, Aüij, [„ ,], B, Bij, Büj, Büij, [„ ,],
C, Cij, [3,4], U, Dij, Diij, [DJ, A, Aij, Aiij, Aüij, Av, [,-s], b, bij, büj, [J,
c = b, d, dij, diij, diiij, dv, [n-g], e, f = b.
Erfurt, Kgl. Bibl. Matbem. q. 184. (Die Reisen des Vespucci
fehlen). — Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Greogr. Introductio. 4^. (es
fehlen Bl. Diij, [D4]). — München, Universitätsbibl. 4». 863. Math.
(Inclusum 74). Darin die Glareanuskarten ; vgl. III. Ber. nr. 8. 9,
aber viel kleiner als die Bonner. 260 x 190 mm das Blatt. —
Basel, Universitätsbibl. A. N. VII. 1 nr. 5. 4". — Freiburg i. Br.,
Universitätsbibl. I 2047. — Augsburg, Stadtbibl. — Leipzig, Uni-
versitätsbibl. Astronom. 438* (ohne die Reisen des Vespucci). —
Berlin, Kgl. Bibl. 4°. Ut 2790 (nur die Reisen des Vespucci). —
Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. C. 546 (nur die Reisen Vespuccis). —
Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 4". Cim. V 86.
Litt.: S. nr. 103. — Harrisse, BAV nr. 46. — Racc. Col. VI
209 nr. 1341.
106. Waldseemüller, Cosmographiae introductio, St. Diö, 29.
Vm. 1607.
Stimmt Bl. [Aj, Aij, [As, Ae] mit der 1. Auflage (nr. 103)
überein, sonst gleicht sie völlig der 3. Auflage (nr. 106); [Ae]
endet daher : Hinc & Vergilius in Geor, während B r. beginnt :
Quinqj tenent coelum zonae, sodaß fehlt: gicis ait.
München, Hof- und Staatsbibl. 4^. Am. A. 174 (das einzige in
Europa befindliche Exemplar).
Litt.: S. nr. 103. •— Harrisse, B A V nr. 47.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 115
107. Waldseemüller, Cosmographiae introductio, Straßburg,
1509.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Cosmographie intro||ductio : com
qnibusdam*) Geome»||trig ac Astronomie princi;|pijs ad eam rem || ne-
cessarijs. \\ Insuper quattuor Americi Ue||spacij nauigationes. |j Uniuer-
salis Cosmographi^ descriptio || tarn in solido q5 piano / eis etiam |j
insertis qu^ Ptholom^o || ignota/ a nuperis || reperta sunt. || Cum deus
astra regat/ et terr^ climata C^sar || Nee tellus/ nee eis sydera maiu3
habent. — 1. Bl. v. : Maximiliano Cesari || Augusto. Philesius ||
Uogesigena. || Cum tua .... (5 Distichen) .... arte parauit opus. —
Aij r. : Diuo Maximiliano || Cesari Augusto Martinus || Ilacomüus
foelicitate || optat. || SI multas adijsse regiones || et populor(um) vlti-
mos vidisse / nö solü voluptariü 55 || etiä in vita gducibile est ....
quis oro inuictissime C^sar || Maximiliane regionü .... Quis inquä
illor(um) omniü || ritus ac mores ex libris cognoscere iucundü ac vtile
esse inficias || ibit. Sane (vt dicä qd mea fert opinio || . . . Schließt :
. . . me satis foecisse intellexero. Vale C^sar inclytissi. jj Ex oppido
diui Deodati. Anno post uatu^ Saluatorem sapra || sesquimillesimum
septimo. — Dr. (in gotischer Schrift) : Quattuor Americi vespu'||tij
Nauigationes. || Philesius Uogesigena || Lectori. || Rura papirifero . . .
11 Distichen . . . non nasum Rhinocerontis habens. — Dann: Item di-
stichon ad eundem || Cum noua ... — lector habes. — D. v. : An-
teloquium H Eins qui subseqnente (!) terra^Hrum descriptione de vul-
gari Gallico || in Latinü transtulit Decasti'||chon ad lectorem. ||
Aspicies ... 6 Distichen . . . facientis opus. |i Illustrissimo Renato
Hieru||salem (et) Sicili? regi/ duci Lothoringi«j ac || Barn. Americus
Uespatius hu=||mile reuerentiä (et) debitä 1| recömendatione. —
[Fs] r. : Americus Uesputius in Lisbona. 1| Pressit apad Argen-
tora»||cos hoc opus Ingeniosus vir Joannes || grüniger. Anno post
natu sal'||uatore supra sesquimil^Hlesimü Nono. || Joanne Adelpho
Malicho Argentinen castigatore.
40. 32 Blatt. Pag.: [A], Aii, Aiü, [AJ, B, Bü, Biii, [B*], C, Cü, Ciü,
Ciüi, [C3,,], D = B, E = C. F, Fü, Fiü, Füü, V, [F.-g].
Berlin, Kgl. Bibl. Po. 5050. 4P. — Darmstadt, Großherzogl.
Hofbibl. Gr 67, 5. — Göttingen, Universitätsbibl. Geogr. 623\ —
Cöln, Stadtbibl. Gß Vin253V — Jena, Universitätsbibl. Math. VI!
q. 16 (5). — München, UniversitätsbibL 4". Math. 864, — Frei-
burg i. Br., Universitätsbibl. J. 8146 (aber nur der 2. Teil mit den
R,eisen des Yesputius, von D an), — München, Hof- und Staats-
bibl. 4P. Math. A. 152V — Augsburg, Stadtbibl. (ohne die Reisen
des Yesputius).
1) Das i sieht einem t lehr ähnlich.
116 W. Rüge,
Litt. : Harrisse, B A V nr. 60. — Racc. Col. VI 209 nr. 1342.
— C. Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois 1893. I nr. 109.
— Proctor n nr. 9915.
108. (WaldseemüUer), Cosmographiae introductio, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Cosmographie introdu=||ctio cum
quibusdä geome||trie ac Astronomie principijs ad eam rem necessarijs.
— Darunter ein Holzschnitt. Unter diesem : Disthycon. || Cum deus
astra regat. (et) terre climata Cesar || Nee tellus, nee eis sydera
maius habent. — 1. Bl. v. beginnt gleich der Text, der sieh als eine
Kürzung der WaldseemüUer'schen Introductio darstellt. Er schließt
11. Bl. V.: Finis introductionis. Die Reisen des Vespucci fehlen.
4». 12 Blatt. Pag. : [Aj-J, B, [B^-^], C, [Cj-*], [CJ ist leer.
Würzburg, Universitätsbibl. It. q. 236. Dieser Auszug ist
bisher nicht bekannt.
109. Anonymus, Der Weltkugel Beschrybung, Straßburg, 1509.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : Der weltkugel||Beschrybüg der
weit vnd deß gä||tze Ertreichs hie angezögt vn vergleicht einer
rotunde || kuglen/ die dan sunderlich gemacht hie zu gehörede/
dar||in der kauffmä vnd ein ietlicher sehen vn mercken mag jj
wie die menschen vnde gegQ vns wone vn wie die Son||vmbgang/
herin beschriben mit vil seltzame dinge. — Darunter kreisförmiger
Holzschnitt, in ganz rohen Umrissen Europa, Afrika, einen Teil
von Asien und den äußersten Vorsprung von Südamerika (nüw
weit) darstellend. — 1. Bl. v. : Die figur der hymlische spheren ||
da bey du die nachgonde ding || alle verston magst Ist alsus. —
Darunter die entsprechende Figur. — Aij r. : Ein kurtze liepliche
vorrede in die be||schreibung des Ertreichs. — Von Aiij r. folgt
dann in 12 Kapiteln eine astronomische Geographie. Schluß auf
dem 16. Bl. r. : (xetruckt zu Straßburg. Von Johanne || grüniger.
im Jar. M. D. IX. vff ostern || Johanne Adelpho castigatore. —
[Ce] V. leer.
40. 16 Blatt. Pag.: [A], Aii, Aüi, Aiüi, [A5, ,], B, Bii, [83,4], C, Cii,
[Cs], Ciiii, [C5,,].
Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geographie. Vespucci. 4". — Frei-
bnrg i. Br., Universitätsbibl. J. 4672 m. — Nürnberg, German. Mus.
Inc. 6661.
Litt. : Harrisse, B A V add. nr. 82. — Racc. CoL VI 210 nr. 1345.
— Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois 1893. I nr. 103. —
Fischer und von Wieser, Cosmographiae introductio 1907.
110. Anonymus, Globus mundi, Straßburg, 1509. (Lateinische
Ausgabe von nr. 109.)
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 117
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Globus mundi || Declaratio sine
descriptio mnndi || et totius orbis terrarum. globulo rotundo com-
parati ut spera soli||da. Qua cuiuis etiä mediocriter docto ad
oc[ula viderje licet an=||tipodes esse, quo(rum) pedes nostris oppo-
siti sunt. Et qu[alit]er in vna-||quaq5 orbis parte homines vitam
agere queunt salutare. sole sin-!|gula terr^ loca illustrante. qu^
tarnen terra in vacuo a[er]e pendere || videtur : solo dei nutu suste-
tata. aliisqs permultis de quarta orbis !| terrarn parte nuper ab
Americo reperta. — Darunter die alte Hemisphäre (wie in nr. 109). —
1. Bl. V. : Globus mundi |I Figura sphere celestis. qua seque||tia
cuncta intelliguntur. — Aij r. : De mundi globo || Breue antelo-
quium in de||scriptionem orbis terre. — 14. Bl. r.: üalete feliciter ex ||
Argentina vltima Augusti. Anno post natu saluatore. M. D. IX. ||
Joannes grüniger impri||mebat. Adelpho || castigatore.
40. 14 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aüj, [AJ, B, Bij, [B,, ,], C, Cij. [C,], Ciiij,
[Ca. ,].
Berlin, Kgl. Bibl. 4». Po 1659, 1.
Publ. : Faksimile bei U. Höpli, Maüand 1896. — F. A. S. 40,
Fig. 22 (die Hemisphäre).
Litt.: Harrisse, BAVnr. 61. — (D'Avezac), Martin Hyla-
comylus (Extrait des Annales des voyages 1866), 114. — Racc. Col.
VI 210 nr. 1345. — Gallois, Les geographes allemands 1890, 48. —
Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois 1893, I nr. 104. —
Proctor II nr. 99.
111. Ringmann, instructio, Straßburg, 1511.
1. Bl. r. (in Antiqua): INSTRVCTIO MANVDVCTIONEM ||
PRESTANS IN CARTAM ITINEÜRARIAM MARTIXI HILA-
COjMILI: CVM LVCVLEN||TIORI IPSIVS EV'iROPAE ENAR=||
RATIONE II A RINjlGMANNO PHILESIO COXSCRIPTA. —
A ij r. : lUustrissimo principi Anthonio Lothoringi^ ac || Barri
Duci. IC. Martinus Hylacomilus sese || humiliter commodat ....
Vale princeps illustrissime Ex oppido diui Deodati. || Anno dni.
M. D. xi. kl. Martij. — B r. : Descriptio Europae || Philesius Vo-
gesigena Martino Hylacomilo S. P. D. — Eiij v. : Argentorati Ex
Officina Impressoriae Joannis Gruninger : j| 3 ulio Secundo Pontifice
Maximo in ecclesia praesi=|idente, Maximilianoqj Caesare Rhomano ||
Augusto: inclyto : victorioso, Et || Ludouico. xij. poten»||tissimo
Gallo||rum rege || Christiani orbis habe»||nas vnanimiter ac f^li-
cissime tra||ctantibus. Anno salutis. M. D. xi. Men||se Aprili. —
Die Karte, zu der der Text gehört, ist von Fr. v. Wieser 1893
In München publiziert worden.
40. 24 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aüj und III, [A,] IUI, B und V, Bij und
118 W. Rüge,
VI, Biij und VII, [BJ und VIII, C und IX, Cij und IX (!), Ciij und X (!),
Ciüj und XV (!), [Cs-g], XII, XII, XV, XV (!), D und XV (!), Dij und XVI,
Diij und XVII, [DJ, XVIII, E und XIX, Eij und XX, Eiij und XXI, [E,] leer.
Jena, Universitätsbibl. Greogr. I. q. 2. — München, Univer-
sitätsbibl. 4°. Hist. aux. 722. — München, Hof- und Staatsbibl.
It. coli. 22«". 4»; pract. 25, 11. 4°; H. sept. 59, 1. 4». — Nürn-
berg, German. Mus. Bibl. Scheuri 433 (370) p. 1. — Berlin, Kgl.
Bibl. 4". Ps 3000. — Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 83, früher
Heimst. 4P.
Litt. : Panzer VI 52. 213. — (D'Avezac), Martin Hylacomylus
(Extrait des Annales des voyages 1866), 136 f. — Gallois, Les
geographes allemands 1890, 57. — Proctor II 9922 (wo irrtümlich
introductio steht).
113. Ringmann, instructio, Straßburg, 1511.
1. ßl. r. (in Antiqua): INSTRVCTIO MANVDVCTIONEM ||
PRESTANS IN CARTAM ITINE||RARIAM MARTINI HILA-
COPILI: CVMLVCVLEN«||TIORI IPSIVS EV.||ROPAE ENAR»||
RATIONE II A RIN||GMANNO PHILESIO CONSCRIPTA. — Aij r. :
lUustrissimo Principi Anthonio Lothoringiae ac || Barri Duci: Mar-
tinus Hylacomylus sese || humiliter commendat . . . VALE princeps
illustrissime || Ex oppido Diui Deodati. — B r. : Descriptio Euro-
pae II Philesius Vogesigena Martino Hylacomylo S. P. D. — Eiij v. :
Argentorati Ex Officina Impressoria Joannis Gruninger: || Julio
Secundo Pontifice Maximo in ecclesia presi'||dete Maximilianoq^
Caesare Rhomano || Augusto : inclyto : victorioso. Et || Ludouico.
XII. poteu'lltissimo GaL||lo=||rum Rege. || Christiani orbis habe||nas:
vnanimiter ac felicissime tra||ctantibus. Anno salutis. M. D. XI.
Men=||se Aprili.
4". 22 Blatt. Pag.: [A], Aij und oben II, A üj und III, [AJ IUI, B und V
B ij und VI, B iij und VII, [B^\ VIII, C und IX, C ij und X. C iij und XI, [C^-,]
XII, XIII, XIIII, D und XV, Dij und XVI, Diij und XVII, [DJ XVIII, E und
XIX, Eij und XX, Eiij und XXI, [EJ leer.
Dresden, Kgl. Bibl. Lit. Rom. B. 3031/4. — München, Hof-
und Staatsbibl. A. gr. a. 277, 6.
Litt. : S. vorige nr. und Schmidt, Repertoire bibliogr. stras-
bourgeois 1893, I nr. 121.
113. Joannes Schöner, luculentissima . . . descriptio, Nürn-
berg, 1515.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Luculentissima quaedä || terrae
totius descriptio : cü multis vtilissimis Cos« || (in Antiqua) mogra-
phiae iniciis. Nouaq^ & 4 ante fuit verior Europae nostrae for-
ma-jltio. Praeterea, Fluuiorü: montiü: prouintiarü : Vrbiü: & gen-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 119
tium (J plnri=||morü vetustissima nomina recentioribus admixta vo-
cabulis. Malta etiä || quae diligens lector noua vsuiqj fatura in-
ueniet. || (in gotischer Schrift) Ad Lectoie Joannis Hiltner Lichten-
felsen. || (in Antiqaa) EPIGRAMMA. || — Folgen vier Distichen. ||
(in gotischer Schrift) : Cum Priuilegio Inuictis. Romanorü Impera. ||
Maximiliani per Octo annos : ne quis imprimat : || aut imprimere
procuret Codices hos : cum Globis || Cosmographicis : sub mulcta
quinquaginta flore=||norum Renen, et amissione omniü exemplarium.
— 1. Bl. V. Wappen. — a ij r. : Reuerendissimo in chril|sto Patri
ac domino. Dno Georgio ecclesiae || (in Antiqua) Babenbergen.
Episcopo dignissimo: domino ac patrono suo grati^Hosissimo: Joannes
Schoner Charolipolitanus : praesbyter: Mathema||ticus humüime (!)
sese cömendat .... Anno deificae natiuitatis Millesimo-Hquingen-
tesimodecimoquinto Nono Calendas Aprilis. — [Ls] r. : CT Impressum
Noribergae i excusoria officina || Joannis Stuchssen. Anno domini.
1515.
4°. 80 Blatt. Pag.: [a], aii, aiii, aüü, av, [a,— g], b, bü, biü, büii, bv.
Ob], [A]. Aü, Aiü, Aiüi, Av, [A.-»], B, Bii, Biü, Büii, Bv, [B«-»], C, Cii,
Ciü, Ciiii, ebenso D, E, F; G, Gii, Giii, ^G*; ; H, I = B; K. Kii, Kiü, Kiiü,
[Kj—g], L, Lii, Lüi, Liiii, Lv, [L,]. Von Aii = Fo. 1 an sind die Blätter
auch noch gezählt [L,] ^= Fo. 65.
Hannover, Kestner-Museum II 293. — Göttingen, Universitäts-
bibl. 4°. Geogr. 363. — Nürnberg, Stadtbibl. math. 4». 861 und 860.
— Leipzig, Universitätsbibl. Lndr. u. Vk. 107 f. — München, Hof- und
Staatsbibl. 4". Geogr. univ. 102*. — München, Universitätsbibl. 4*^.
Hist. aux. 656. — Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geogr. — Wolfen-
büttel, Herzogl. Bibl. 72. Quodl. 4°.— Bamberg, Kgl. Bibl. M.V.l.
— Augsburg, Stadtbibl. — Jena, Universitätsbibl. Geogr. I q 3.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 80. — Wieser, Magalhäes - Straße
1881, 19 f. — Gallois, Les geographes allemands 1890, 78 f. 102 f.
— Stevens and Coote, Johannes Schöner 1888, 149 nr. 2 (nicht ganz
genau). — Schottenloher im Zeutralbl. f. Bibliothekswesen XXIV
1907, 145.
114. J<»aniies Schöner, luculentissima . . . descriptio, o. 0. u. J.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift): Luculentissima quedam ter||re
totius descriptio : cü mul|jtis vtilissimis Cosmographie iniciis.
Nouaq5 || et q5 ante fuit verlor Europe nostre forma||tio. Preterea.
Fluuiorum. montium pro||uintiarü vrbium et gentium q^ plu i'rimorü
vetussima (!) nomina recetio||ribus admixta vocabulis. 1| Multa etiam
qne dili||gens lector no||ua vsuiqj fujjtura inue||niet || Ad lectorem
Jannes (I) Hilt||ner Lichtenfelsen. Epigramma. — Folgen vier Di-
stichen. Das Privileg fehlt. — l.Bl. v.: Reuerendissimo in christo |i
120 W. Rüge,
patri ac domino Domino Greorgio ecclesie Babeber||ge5. episcopo
dignissimo : domino ac patrono suo gra||ciosissimo : Joannes Schoner
Charolipolitanus ps||byter: mathematic9 humilime sese commendat.
.... [A ii] r. : ... Anno deifice natiuitatis Millesimoquingentesimo ||
decimoqninto (!) Nono Caledas Aprilis. — Nicht nur der übrige
Satz des Buches weicht von dem der vorherigen nr. völlig ab,
sondern es fehlen auch z. B. die Register, die in nr. 113 auf
Blatt aiiii — [be] stehen. Auch das Register am Ende (nr. 113,
Blatt Liiii v. — [Le] r.) und die Angabe von Druckort und Druck-
jahr fehlen. Das Buch schließt mit den 9 Distichen des Joannes
Hiltner auf einen Himmelsglobus Schöners.
4". 74 Blatt. Pag.: [A], Aii, Aiii, [A^-g], b, bij, [bg, J, ci, [cj], ciii,
[c,], B, [Bj], Biii, [BJ, A, Aij, [A3,,], ebenso B, C; D, Dij, Diij, [D*-,]
E— G = A, nur statt Gij steht da Fij, Hi, Hij, [H3, ,], Ii, lii, [I3, J K, L = A;
M, [M,_,], N, Nij, Niij, Niiij, Nv, [Ne].
Lübeck, Stadtbibl. Greogr. 4**. 533. Das einzige bisher be-
kannte Exemplar dieser Ausgabe; das von J. Fischer, Die Ent-
deckungen der Normannen in Amerika 1902, 60 f., Anm. 3 erwähnte
Exemplar der Münchener Hof- und Staatsbibl., das wahrscheinlich
mit dem Lübecker übereinstimmt, läßt sich nicht auffinden.
115. Frauciscus Moiiachus, De orbis situ ac descriptione,
Antwerpen, 1524 (?).
1. ßl. r. (in Antiqua): DE ORBIS || SITV AC DESCRIPTIONE,
AD RE II (in Cursivschrift)uerendiss. D. archiepiscopum Panormi-
tanum, || Erancisci, Monachi ordinis Fräciscani, || epistola sane qua
luculenta. In qua || Ptolemaei, caeterorumqj supe||riorü geogra-
phorum haljjlucinatio refellitur, [j aliag; praeterea || de recens || inuen||
tis II terris, mari, insulis. Deditione papae Joannis De situ || Para-
disi, & dimensione miliarium ad pro||portione graduum coeli, prae-
clara || & memoratu digna recen||sentur. — 1. Bl. v. und 2. Bl. r. :
Die östliche und die westliche Halbkugel mit den Überschriften
(in Antiqua) : Hoc orbis Hemisphaerium cedit regi Lusitaniae und
Hoc orbis Hemisphaerium cedit regi Hispaniae. — 2. v. : lOANNES
CARONDELETVS, AR.||CHIEPISCOPVS PANORMITA.||NVS
FRANCISCO MONA'IICHO SVO S. || — Ab r. : REVERENDISS.
PARITER, AC IL'lllustrissimo domino Archiepiscopo Panormi||tano,
Joanni Carondeleto, Fran'||ciscus Monachus, Salute. — [B?] v. :
EXCVDEBAT MARTINVS CAE.||sar, expensis honesti viri Ro-
landi BoUaert, com'||morantis Antuerpiae iuxta portam Ca«||merQ,
sub intersignio maio'||ris falconis albi. — [Bs] v. Buchdrucker-
zeichen von Martin Kaiser, auf einem Band: SOLA FIDES SVF-
Aelteres kartographiBches Material in deutschen Bibliotheken. 121
FICIT. — Darunter zwei Löwen zu beiden Seiten eines "Wappens M K.
Unter dem Ganzen steht 1524 (die letzte Zahl ist nicht klar).
8«. 16 Blatt. Pag.: [A„ ,], A3. A„ [\^-,l B, B,, [B3], B^, [ß,-s]-
Stuttgart, Kgl. Landesbibl. Geogr. 12°.
Publ, : Gallois, de Orontio Finaeo 87—105. — Die beiden Halb-
kügeln: Gallois a. a. 0. 43. — Periplus fig. 41 (nach einer andern
Ausgabe). — Harrisse, Discovery of North- America 548. — Michow
in der Festschrift der Hamburgischen Amerika-Feier 1892, 18.
Litt. : Gallois a. a. 0. 41 und Les geographes allemands 202. —
fiarrisse, BAV nr. 131 und a. a. 0. 282 f. 548 f. — S. Rüge,
Peterm. Mitt. Erg. -Heft 106, 47. — Kretschmer, Entdeckung
Amerikas 415. — Periplus 98. 100, Anm. 1. — Denuce, Eerste
vlaamsch taal- en geschiedkundig congres.
116. FrÄnciscus Monachus, Dasselbe, de orbis situ ac de-
scriptione, Antwerpen, 1565.
Titel (in Antiqua): DE ORBIS || SITV, AC DESCRI-|1PTI0XE,
AD REVERENDISS. || D. Archiepiscopum Panormitanum , Fran-||
cisci, Monachi ordinis Franciscani, epistola |) sane quam luculenta
.... ANTVERPIAE, || Excudebat Joannes Withagius. || Anno 1565.
8«. 19 Blatt. Pag. : [FJ. F,. F3, F„ ¥,. [F.-«], G, G„ G3, G„ G„ [G«_,],
H, H„ [H3].
Berlin, KgL Bibl. 8». 18, 2. — München, Hof- und Staatsbibl.
8°. It. sing. 448, 1. — Celle, Kirchenministerialbibl. Ta 103:6.
117. Laurentins Friess, TJslegung der Mercarthen, Straßburg,
1525.
l.Bl. r. (in gotischer Schrift): USlegung der Mer||carthen oder
Cartha Marina || Darin man sehen mag/ wa einer in der weit
sey / vnd wa ein ietlich || Land / Wasser vnd Stat gelege ist. Das
als in de biichlin zefinde. — 1 . Bl. v. : Dem Ersamen hern Jo-
hann Grieninger || Barger vnd Buchtrucker zu Straßburg |[ embüwt
ich Laurentins Frieß/ natürlicher || Philosophus heyl |I . . . . Geben
zu Straßburg vfF die stund do die Sonne was im • xxj • grad vnd ||
xl • minuten der fisch, des Jars do man zalt. 1525. — [Ee] xxxiii r. :
Getruckt zu Straßburg von || Johannes Grieninger/ vnd || vollendet
vff vnser Lie||ben Frawen abent der 1| geburt. Jm Jar || 1'5*2*5.
Fol. 33 Blatt. Pag.: [A], Aij — [E,]; daneben sind die Blätter durch la-
teinische Zahlen bezeichnet, die aber vielfach falsch sind. Diese „Uslegung" ist
der Text zu IV. Ber. nr. 36.
Königsberg, Stadtbibl. N 104^. — München, Universitätsbibl.
2° libri rari 5. — Maihingen, Fürstl. Öttingen - Wallersteinsche
Fideikommißbibl. IV 214 fol. — Göttingen, Universitätsbibl.
Geogr. 624 fol.
122 W. Rüge,
Litt. : Harrisse, B A V nr. 133. — Gallois, Les geographes
allemands 1890, 65. — Fischer und v. Wieser, Die älteste Karte mit
dem Namen Amerika 1903, 22. — Fehlt bei Schmidt, Repertoire
bibliogr. strasbourgeois 1893.
118. Laurentius Frisins^ Uslegung der mercarthen, Straß-
burg, 1527.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : USlegung der mercar||then oder
Cartha Marina Darin || man sehen mag / wo einer in der weUt sey /
vnd wo II ein yetlich Landt/ Wasser vnd Stadt || gelegen ist. Das
alles in dem || büchlin zu finden. — Darunter der Doppeladler. —
1. Bl. V.: Dem Ersamen Johan Grrieninger Bürger vnd || ßuch-
trucker zu Straßburg/ || embüwt ich Lauretius || Frieß/ natürli'||cher
Philoso'llphus heyl .... Geben zu Straßburg vff || die stund da die
Sonne was im • xxi . grad vnd • xl • minuten der fisch. || des Jars
da man zalt M. D. XXV. — [Dsj XVI r. : Getruckt zu Straßburg
von II Johannes Grieninger/ vnd || vollendet vif sant Erasi||mus tag.
Im Jar. II 1.5.2.7.
Fol. 26 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij und III [A^-g], B, Bij, [B^-g], C, Cij
und XV, Ciij und XV, Ciiij und XVI, [C5] XVIII, [Cg], D und XIX, D ij und
XX, Diij und XXI, Diiij und XXII, Dv und XXIII, [D«] XXIIII, [D,] XXV,
[Ds] XVI [!].
Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. A 45. — München, Universitäts-
bibl. 2«. Libri rari 6. (2<> Eist. aux. 633"). — München, Hof- und
Staatsbibl. fol. Geogr. univ. 28. (Die Paginierung von A ist ab-
weichend). — Basel, Universitätsbibl. ET I 4* fol. — Hamburg,
Commerzbibl. 1237.
Litt.: S. vorige nr. — .Harrisse, BAV add. nr. 83. —
Schmidt, Repertoire bibliogr. strasbourgeois 1893, I nr. 233.
119. Laurentius Frless, Underweisung und Ußlegunge der
Cartha Marina, Straßburg, 1530.
1. Bl. r. (in gotischer Schrift) : UNderweisung || vnd vßlegunge ||
der Cartha Marina oder die mer||carte/ Darin man sehen mag/
wa einer in d' weit sy/ vnd wa ein ytlich || land/ wasser vnd stet
lige/ als in de büchlin angezögt vn in d' charte zu sehen. —
1. Bl. V.: Dem ersamen Johaü Grienynger Bürger vnnd Buch-
trucker II zu Straßburg / enbüwt ich Laurentius Frieß || natürlicher
Philosophus heyl .... Geben zu Staßburg (!) vff die stund da die
Sonne was im • xxi . gad (!) vnd || xl. minuten der fisch, des Jars
da man zalt M. D. xxv. — [De] r. : Gedruckt zu Straßburg von |t
Johannes Grieninger vnd || vollendt vfi" Sant Jörge || abent. Jm
jar M. D. xxx.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 123
Fol. 22 Blatt. Pag.: [A,,,], Aiij, Aiüj, [A5,,], B, Bij, Biij, [B^], C, C ij,
Cüj, Ciiij, [C5,,], D, Dij, Diij, Diüj, [D5,e].
"Wolfenbüttel, Herzogl. Bibl. 9. 5. Geographicornm. — Mün-
chen, Hof- und Staatsbibl. fol. Geogr. nniv. 28*.
Litt. : S. nr. 118. — Künstmann, Entdeckung Amerikas 1859,
138 f. - flarrisse, BAV nr. 158; add. nr. 90. — Schmidt, Re-
pertoire bibliogr. strasbourgeois 1893, I nr. 246.
120. Joannes Schöner, oposculum geographicum, Nürnberg,
1533.
1. Bl. r. (in Antiqua): lOANNlS SCHO'||NERI CAROLO-
STADII OPVSCVHILVM GEOGRAPHICVM EX DIVERSORVM
Llljbris ac cartis summa cura & diligentia colle'Hctum, accommo-
datum ad recenter ela^Hboratum ab eodem globum de=||scriptionis
terrenae. || lOACHim CAJIERARII. — Folgen 5 Distichen. —
1. Bl. V.: Globus. - A2 r.: ILLVSTRISS. PRINCIPI AC DO-
MINO, DOMI||mino (!) Joanni Fridericho Duci Saxoniae, Mar-
chioni || Misniae. Electori Imperiali etc. Domino S. bejlnigniss.
Joannes SchÖnerus Carolo=|lstadius S. D. — Schließt A2 v. : Ex
urbe Norica Id. Nouembris. || Anno XXXIII. — Ohne Kolophon.
40. 22 Blatt. Pag. : [AI, A„ A3, [A4], B, B„ B3, [BJ, ebenso C, D ; E,
E„ E„ E„ [Es, e], [E,] leer.
Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. A 600, 52, 4"; Geogr. A. 529
(Blatt [E«] fehlt). — Berlin, Kgl. Bibl. Po. 5240. — Frankfurt,
Stadtbibl. Astronom. 290. — Bonn, Universitätsbibl. M 246 = 0.381,
4°. — Jena, Universitätsbibl. Geogr. I q. 4°. — München, TJniver-
sitätsbibl. S-B Math, ^fs 40 (ßi ^ßg] f^hit); 40. Eist. aux. 618. —
München, Hof- und Staatsbibl. 4^. Geogr. univ. 103. — Breslau,
Universitätsbibl. Hist. un. II. Qu. 731. — "Wolfenbüttel, Herzogl.
Bibl. 171, 56 Quodlib. 4». — Nürnberg, Stadtbibl. Geogr. 860«.
Litt.: Harrisse, BAV nr. 178. — Stevens and Coote, Johannes
Schöner 1888, 158, nr. 19 (nicht ganz genau).
121. Sebastianus Cabotus, declaratio chartae novae navi-
gatoriae domini almirantis, 1544.
1. Bl. r. (in Antiqua): DECLARATIO || CHART JE NOV^
NAYIHIGATORIiE DOMINI |i ALMIRANTIS. || — Aij r.: genau
dasselbe. Dann : No. 1. || ARCHITALASSVS Dominus || Christo-
phorus Colon: natione Ligur, || . . . Nun kommen 16 Nummern, in
denen die einzelnen Punkte der Karte beschrieben werden. — No. 17. ||
SEBASTIANVS Cabotus dux & archigaH|bernius S. c. c. m. dni.
Caroli Imperatoris huius nomi»||nis quinti, & regis Hispaniae do-
mini nostri summam || mihi manum imposuit, & ad forma hanc
124 W. Rüge,
protrahens, || plana figura me deliniauit, anno ab orbe redempto,
na»||tiuitate domini nostri Jesu Christi M. D. XLIIII. ... — Dij r,
beginnt ein spanischer Text: LOS Astrologos acerca de los anti-
guos diuidian || latierra segn su latitud en siete partes ... — D ij v.
beginnt der spanische Text: DECLARATIO 1| TABVL^ NAVI-
GATORTiE II DEL ALMIRANTE, aber er enthält 22 Nummern.
4«. 24 Blatt. Pag.: [A], Aij, Aiij, [A,], B, Bij, Biij, [B,]-[F,] regel-
mäßig.
München, Universitätsbibl. 4^ Libri rari, f (4° Hist. aux.
1270. S.-N. 74). (Das einzige in Europa bekannte Exemplar.)
Litt. : Winship, Cabot bibliography 1900, 19 nr. 55. — Über
die Karte selbst vgl. S. Rnge, Peterm. Mitt. Erg. -Heft 106, 66.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken.
125
Namensverzeichnis.
I. Karten.
(Enthält auch die in den früheren Berichten aufgeführten Karten; I = I. u. II.
Bericht , III = III. Bericht u. s. w. ; weggelassen ist die Rubrik „Anonymus".
Die in Klammern stehenden Zahlen bezeichnen die Karten und Drucke, auf
denen der Name nicht an erster Stelle steht oder für die er nur vermutungsweise
angenommen ist.)
Van der Aa V 76.
A. A. IV 89, 106.
G. A. IV 85, 83. 89, 95. 91, U.
Adam (IV 63).
Agnese I 7. (8). V 3—15.
Amman IV 62.
Apianus, Georgius (IV 39).
— , Petrus IV 40. 86, 1.
— , Philippus IV 86, 26—48.
Argaria IV 85, 86.
.... atinia III 7.
Aventinus IV 34. 39. 90,46.
Avinea IV 87. 76.
D. B. IV 70. 87, 72.
F. B. IV 88, 6.
N. B. IV 90, 2.
Beatricius IV 85, 81, 89. 89, 92.
Becharius IV 4.
Behaim IV 92.
Beke IV 44.
Bell' Armato I 67, 19. IV 51. 87, 22.
90,84. 91,11. V 86,18.
Bertel(l)i, Donato (IV 77. 86, 66). 90, 60.
91,21 (V 44). V 58.
Bertel(l)i, Ferando I 67, 4, 5, 9, 15, 17,
22, 36, 38, 48, 51, 53—56, 77, 79, 81.
(I 54. 59. 67, 1, 3, 19, 24, 41, 61,
73—75, 82). ni 24. 25. (III 21. 26).
IV 59. 61. 64. 82. 85, 38, 39, 73. 86,
69, 72, 76, 84, 85. 87, 4, 12, 17, 42.
88, 2, 7, 10, 19. 89, 41, 48. 90, 111.
91, 2, 16, 32, 34, 36. Anhang. (IV 86,
69. 90, 115a). V 59, 60. Anhang.
— , Luca I 67, 68. IV 86, 116. 87, 64.
89, 103. (IV 65).
Bökel I 25 (26. 27).
Boleavus IV 87, 24.
Bonhomme IV 90, 80, 99.
Bonifacio IV 91, 43.
Bossius I 67, 12, (16. III 29, 14—18,
23, 40).
Bramb. IV 86, 75.
Breton (V 46).
Breuille IV 87, 75.
Bruegel IV 87, 67.
Bulionius (de Huillon) I 42.
Bossemacher (IV 74).
Caesar (IV 44).
Camotius (Camocius) I 67, 62. III 29, 26.
(29, 4, 48). IV 85, (59), 62. 87, (13),
20, 25, (27 , 28, (35, 36), 41. 91, 28.
V 51. 53. (55). 62. (66). 70. 85.
Cartarus (Karterus) FV 60. (61).
Castaldi s. Gastaldi.
Cerrus IV 79. 91, 35.
Cimerlinus (V 65).
Clusius IV 86, 13, 14.
Cock, Hieronymus, I 39. 52. 67, 67, (40.
42). IV 86, 82. 87, 52, 70, 79. 90, 32.
(V 76).
Cock, Simon (V 40).
Contareni V 56.
Copo 111 26. IV 91, 9.
Cornelius Anthonii I 37. (67, 20). V An-
bang.
Crato (IV 86, 104).
Creutzig (V 50).
Nie. Cusanus I 32. IV Anhang.
J. (a) Daventria 1 43. (56. 57). IV 89, 25.
27. V 41. 45.
Desliens III 3.
J. u. L. a Deutecum (Duetecum) I. (50).
58. 66. IV 86, 11, 100, 121. 90,20,
34. V 73. (76).
Doetszoon V 22.
Dreuer I 28.
Duchettus IV 50. 91, 12.
Eriinger IV 37.
£(t)zlaub (I 38. IV 24. 25. 32. 38. 76.
V 30).
ß. F. I 67, 61. V 86, 26.
Fernandez III I. 2.
Finaeus HI 29, 10. IV 43. 86, 16 b. V
31. (32). 33. 54. 65.
126
W. Rüge,
Florianus III 29, 1, 2. IV 85, 1. 89, la,
Ib. 90, 4.
Forlani Forlano (Furlani) I 53. (54). 67,
1, 3, 11, 18, (19, 23, 29), 33-35, 37,
39, 41, 59, (60), 69, 78. III 21—23. (27.
29, 4). 29, 45, (48), 49. IV 65. 85,
4, 17, 18, 31, 36, 63, 69—70, 2. 86, 2,
15, 68, 71, 109, 122. 87, 6, 9, 11, 13,
26, 29, 31, (36), 37—39, 66, 88. 88,
8, 9, 12, 13. 89, 19, 36, 75, 79, 1, 2,
88. 90, 18, 79, 128, 131. 91, 8, An-
hang. V 55. (63). 66. (71).
Frachus (V 33).
Freducci I 3. 4.
Frisius IV 36.
Froschower IV 72 b.
Gastaldi (Gastaldo, Castaldi) I 40. 51.
54. 59. 63. 67, 23, 24, 27, 29, 42,
60, 82. III 19. 27. 29, 4, 21, 24, 25,
33, 40, 42—44. IV 73. 77. 80. 81. 85,
5, 28, 29, 32—34, 45—47, 51a, 55, 66,
67. 86, 21, 67, 69, 70, 92, 92a, 94—97,
110—114. 87, 1, 14, 15, (16), 19, 27,
32—35. 88, 1, 14. 89, 4, 31—33, (37
—39), 43, 45, 54, 56, 71, 72. 90, 6,
40, 56, 57, 71, 73, 76, 121, 122, 125,
126. 91, 8, 30, 31, 38—42, 44—46.
Anhang. V 34. 44. 63. 64. 71. 86, 2,
13, 16. Anhang.
Della Gatta HI 29, 47. IV 85, 65. 89, 70.
90, 123.
Geminus V 38.
Gemma Frisius I 70.
Gerritsz V 23—25.
Giolito (III 29, 21, 25).
Glareanus III 8. 9. IV 23.
Glockendon (Glogkendon) (IV 38). V 30.
Gormontius (Gourmont) (I 35. IV 43.
V 31).
Grienynger (Griginger) IV (36). 90,59.
Hanns IV 31.
Hartmann IV 96.
Heiden III 33.
Helvigius V 49. 50.
Hierssfogel V 61.
Hofmeister (IV 72).
Hogenberg (I 67, 25). IV 86, 23, 59, 62.
90, 42. V (72). 77.
Hörnern III 5.
Hood IV 21.
Hübscbmann (IV 90,64).
Isengrinius (IV 57).
Joachimius IV 78.
G. de Jode I 47. (48. 50. 56—58. 61. 63).
IV 86, (6, 7, 19, 64—66), 64, 91. 90,
43, 44.
Jolivetus IV 86, 17. V 46. 98.
Jovius IV 90, 91.
A. V. K. s. Cartarus.
Kaerius IV 86, 63.
Krön (V 50).
Lafreri I 55. 67, 43, 47, 64. IE 29, 35,
(40). IV (50). 85, 6, (33), 37. 52, 80,
(86), 87, 88, 90, 92. 86, 78, 83. 89,
5, 47, 60, 87, 90, 96—101. 90, 91,
105, 107. 91, 19, 20, 37.
Laicksteen V 76.
Lazius I 60. (61). IV 86, 56 a, 86—89.
90, 61.
Licinius I (51). 67, 28, (42). IH 29, (25),
30, 31, (42,44), 67. IV 85,(29, 33),
50,51,(55). (86,94, 111). 87, (32),
49. 89, (57), 58. 90, 71, 104 a,b.
91, 17, 18. V 86, 22.
Liefrincx (V 73).
Ligorius I 45. 67, 26, 44, 49, 57. III 29,
11. IV 85, 13, 20, 30, 44, 54. 86,
16 a. 87,50. 89,13,18,53. 90,25,
63. 91, 23. V 74.
G. L. A. = Lily (IV 90, 12).
Lorichs I 24.
Lucbinus IV 52. 89, 42, 49. 90, 14, 82,
86. 91,6,15. V 67. 86, 7. Anhang.
Lützenkircben (IV 84).
Lycostbenes (IV 57).
B. M. IV 90, 124.
Magdeburg HI 13. 20.
Maiolo, Jacobus IV 14.
— , Vesconte IV 11.
Martines V 18.
Mascbop IV 90, 45. V 72.
Mellinger I 67, 32. IV Anhang.
Mercator, A. III 14.
— . G. I (70). 71. IV 86, 3—5, 8-10.
Anbang. V 36. 57.
Meyerpeck I 67, 6. IV (78). 86, 60.
Michaelis I 23.
Millo I 14. V 17.
Mogiol IV G3.
Mompere IV 87, 90.
de Mongenet IV 97.
Münster (I 49). IV 3. 85. (56). (V 48).
Murer IV 72.
Mu^inus I 43.
Julius de Musis (IV 85, 2. 89, 2).
G. a Myrica (I 70).
Nelli I 67, 66, 73, (74). IV 86, 81, 93.
87, 56. V Anbang.
A. Nicolai (I 37. V 41).
Nicolaus Nicolai (Nicolo del dolfinatto)
I 34. III 29, 48. IV 87, 8. 89, 74.
90, 7. V 86, 3.
D« NobilibuB V 47.
Aelteres kartographischeB Material in deutschen Bibliotheken.
127
Olaus Magnus I (35). IV 45.
Olgiatus (Oleatus) I 67, 13, 14. (IV 86,
69. 91, 40, 42). V Anhang.
Oliua I 15.
Oporinus (IV 86, 56 a).
Orlandi (IV 50).
Orontius (IV 85, 17).
Ortelius IV 86, 6, 7, 18, 19, 98, 99, 115,
118. 90, 8, 26, 48, 50, 52, 55, 81,
102, 114. 120, 127.
Örtl IV 30.
Oterschaden IV 88, 15, 16.
A : pa IV 71.
Pagano IV 87, 23. 90, 117, 118.
Panades III 4.
Stefano du Perac III 29, 70, 71.
Pograbius IV 86, 93.
Sta. Por. IV 89, 34.
Praetorius III 34. IV 95.
Ptolemaeus I 2. IV 2.
Bernardus a Putte (Puteanus) I (31). 44.
(65). V 40. 42.
Pyramius I 36.
Rafael (V 33).
Seb. a Regibus (di Re) I (45). 67, 2, (26,
49, 57), 58. III 29, 7, (38). IV 85,
10, (13, 14). 89, 11, 18. 90. 115 b.
91, 1. V (74). 86, 25.
Reich IV 46.
Reinel IV 5. (12).
Ribero I (10). 11.
RoseUi V 2.
Ruscelli IV 85, 3. 89, 6a,b.
A. S. IV 85, 79. 89, 89. 90, 83.
J. S. IV 53.
Salamanca, Antonius III 29, 3, 19, 23, 27,
46,55,61,68. IV 85, 41, 66. 89,20.
90, 5, 41, 92. 91, 5. V 86, 1, 15.
— , Franciscus lU 29, 38. IV 85, 53.
90, 112.
Saluat de Pilestrina IV 9.
8ambucus IV 90, 64, 66.
Scharffenbergius (V 49).
Schissler III 10—12.
Schöner (I 68. 69. lU SO). IV 93.
Scolari (IV 81).
Scultetus V 75.
Sebastianus III 29, 59. IV 85, 84.
Secco I 50. IV 85, 14. 89, 15. 90, 15.
Seltzlin IV 86, 50, 51.
Sgrothenus (Sgrothonus) IV 86, 57, 58,
119, 120. V 76.
Sophianus IV 86, 89 a, b.
Speckel IV 86, 52.
N. St. IV 85, 59. 86, 101. 87, 40. 88, 3.
Stella I 49. III 17. IV 56. 86, 103, 104.
V 48.
Stopius III 29, 13. IV 85, 59. 86, 65.
87, 36. 89, 23, 68. V 43, 63.
Susato IV 87, 10.
Sylvius (V 45).
Tettius IV 90, 98.
Thevet IV 87, 80.
Thomas de Rubis (IV 45).
Thoms I 22.
Tomasso IV 90, 47.
Torrentinus (IV 44).
Tramezini I (45. 57). 67, 12, 16, (26, 49,
57). III 29, 14—18, 22. IV 85, 2,
(13, 14), 21—26. 89, 2, 3, 24. 26, 28,
35. 90, 27, 31, 35, 37, 38, 54, 90. 91,
22, 25-27, 29. V (74). 86, 10—12.
Truchet (V 46).
Tschudi TV hl.
A. V. IV 90, 3.
Vavassore IV 41. 42.
Vaz Dourado IV 20.
Vico (III 29, 21).
Vigliarolus V 16.
Vopell (Vopelius) I 31. 46. 47. 65. III 32.
IV 58. 84. 86, 53—56. 90, 43, 44.
V 37.
H. W. IV 84.
Waldseemüller I (29). 30.
Wechelus (V 32).
Weygel (Weigel) (IV 54. V 61).
Wied I 41, 67, 25. IV 86, 77, 90, 58.
van den Wijngaerde IV 87, 74.
Woeiriot (IV 86, 79).
Wurm (IV 54).
W Z IV 28
Zalterius I 67, 70, 76. IV 76. (79. 80).
85, (17), 68, 95. 87, 7. 88, 5, 18.
89, (76), 88,
Zell Christoph (IV 46).
Zeell (Zell), Heinrich III 16. IV 86, 25.
Zenoi (I 67, 54). III 29, 9, (10). IV 66.
86, (16 b), 66. 87, 18, 21, 58, 62—64,
82, 84—86. 89, 14. (V 43. 44).
Z(i)mmermann (IV 86, 86—89).
Zündt(en) , (Cynthius) I 67, 63, IV 74.
86, 61, 80, 102. 87, 61, 83, 87. 90,
70, 109, 116. V 69.
n. Texte.
Anonymus 7. 10—12. 52. 58. 73—75. 77.
79. 85—88. 99. 109. 110.
Anthoine le Clerc 91.
Anierinus 14.
Archangelus Madrignanus 93.
Argenteus 90.
128 W. Iluge, Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken.
Barboso 15.
Bartolomeo da li Sonetti 98.
Besicken 54. 55.
BoUaert 115.
Bondelmont 13.
Burgkmair 62 b,
Cabot 121.
Calvus 84.
Caesar 115.
Cartier 91.
Cervicornus 83.
Columbus 18—24.
Cortes 80. 81.
Cronberger 80. 81.
Job. de Doesborch 63,
Eck 17.
Emanuel, König von Portugal 49 — 51.
54—61. 64—72. 76.
Faucheur 91.
Ferdinand 3.
Franciscus Monachus 115.
Frieß 117. 118. 119.
116.
Gaillardus 22.
Ghetelen 95.
Glogkendon Albrecht und Jörg 62 d.
Grüni(n)ger (Grieninger) 46. 47. 101, 102.
107. 109—112. 117-119.
Guytschaiff 66.
Henrico Vicentino 92.
Hueber 40.
Hüpffvflf 27. 28.
llacomilus 103. 106. 107.
Janot 97.
Johannes, König von Portugal 89. 90.
Kaiser 115,
Küstler 24.
Landen 55.
Landeßberg 80.
Ludd 101. 102.
Maler 67.
Mathurin de Redouer 96. 97.
Maximilianus Transylvanus 83. 84.
Mazochius 64.
Montalboddo 92.
Monetarius, Montario s. Münzer.
Mulichus 107.
Müller 26.
Münzer (Montario, Monetarius) 1. 2. 48.
de Nicolay 16,
Öglin 71, 74.
Otmar 25.
Peutinger 4.
Peypus 77.
Pirkheimer 8.
Ptolemaeus 100.
Rem 6.
Ringmann 111. 112.
Roffet 91.
Ruchamer 94.
Schöner 82. 113. 114. 120.
Sedelius 9.
Seits 15.
Singrenius 65.
Springer (Sprenger) 5. 62 a— d. 63.
Stöcklin 26.
Stüchßen 94. 95. 113.
Vespucci 25—47. 63.
Victor 65.
Waldseemüller 103. (104. 105). 106. 107.
(108).
Weyssenburger 56.
Winter 31.
Withagius 116.
J
AS Akademie der Wissenschaften,
182 Göttingen, Philologisch-
G8122 Historische Klasse
1916 Nachrichten
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